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Padagogische Monatshefte.

PEDAGOGICAL MONTHLY.

Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen. Organ des

Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.

Redakteur:

Max Griebsch,

Lebrer am Nationtlen Deutschamerikanischen LehrertcmlBir, Milwaukee.

Leiter der Abteilung fiir hoheres Schulwesen:

M. D. Learned, Ph. D.

Professor der deutschen Sprache und Litteratnr

an der Unlvcrsitat von Pennsylvanien, Philadelphia.

Vieitten

Dezcmbett 1902

bis llovcinbcn 1903.

Verlag : The Herold Co.,

431 to 435 Broadway, Milwaukee, Wis.

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3-abr$an0 der PiidagfOgisclien Monatshefte beginnt im Dexember und bestebt aus 10 Ileften, weiche regelmilssig in den ersten Tagen eines Monata (mit Ausnahme der Ferienmonate Juli und August) erscheinen.

BbonnementSpreiS betrflgt 81. 50 pro Jahr, im voraus zahlbar,

nnementeanmelDungen wolle man gafillligst an die Verlagsfirma: ThcHerold Co., Milwaukee, >Vis., richten.

, das Unirersitatswesen betreffend, siod an Profe»*or M. D. Learned, Ph. D., (University of Pennsylvania, Philadelphia, Pa.);

eolche, das Hochschulwesen betreffend, an II. M. Ferren, (High School, Allegheny, Pa.);

s&mtliche Korrcspomlenzen ucd Mitteilnngen, sowie BeitrUge, die allge- meine 1'adag'Ojrik und das Tolksschalwe&en betreffend, an Max Oricbsch, (Nat. G. A. Teachers' Seminary, Milwaukee, Wis.);

311 be0pcccbcn6c JSiiCbcr an die VerlagsArma zu senden.

Die Beitrage fur eine bestimmte Monatsnuinmer mussen sputestens am 20. des vorhergehenden Monates in den Htlnden der Redaktion sein.

Padagogische Monatshefte,

PEDAGOGICAL MONTHLY.

Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.

Organ des

Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.

Jahrgang IV. Dezember 1902. Heft 1

Der Leseunterricht in der Volksschule.

Vortrag, gehalten vor dem 32. Lehrertage zu Detroit.

Von Hermann Woldmann, Ass't. Superintendent, Cleveland, O.

Meine Damen und Herren ! Die Erfahrung lehrt, dass gewisse Lehr- gegenstande in den offentlichen Schulen zu Zeiten mehr in den Vorder- grund treten, als andere und mehr die Aufmerksamkeit der Padagogen und des Publikums auf sich ziehen. 1st ein solches Hervorheben der Wichtigkeit des Lehrgegenstandes angemessen, wohl und gut; geschieht es aber als Modesache, d. h. wird e i n Lehrfach auf Kosten der anderen begiinstigt, weil es das augenblickliche "fad" der Padagogen ist, dann ist die Geschichte vom Ubel.

Wahrend einer Lehrtatigkeit von mehr als 35 Jahren habe ich manche solche Modeartikel kommen und gehen sehen. Da war zuerst der Zeichen- unterricht in den offentlichen Schulen. Anfanglich hatten wir gar keinen Zeichenunterricht, und als er eingefiihrt wurde, mussten samtliche Lehrer nach Anweisung des Zeichenlehrers zeichnen lernen, ob sie den Unterricht zu erteilen hatten oder nicht. Die Wichtigkeit des Zeichenunterrichts, zuerst gar nicht erkannt, wurde dann iibertrieben. Ich erinnere mich noch, dass beim Lehrertage in Detroit die Sache weitlaufig debattiert wurde. Nach und nach fand diese Unterrichts-Disziplin ihr richtiges Ni- veau.

Ahnliche Erfahrungen wie mit dem Zeichenunterricht habe ich mit dem Turnunterricht, dem Handfertigkeitsunterrichte und mit den Kin- dergarten gemacht. Kindergarten und "child study" waren bis vor ganz kurzer Zeit das alles iiberschattende Element. Nach und nach kommt

2 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

man aber auch dahin, die Wichtigkeit derselben nicht auf Kosten anderer Lehrgegenstande hervorzuheben, mit anderen Worten, man schenkt den urspriinglichen Hauptlehrfachern, dem Lesen, Schreiben und Rechnen, auch wieder etwas mehr Aufmerksamkeit, als sie in den letzten zwanzig Jahren erfahren haben.

Der Leseunterricht war es besonders, auf dessen Kosten viele neue Lehrgegenstande eingefiihrt wurden. Man sagte sich, dass das Lesen- lernen durch bessere Methoden erleichtert worden sei, dass aus diesem Grunde die friiher dem Leseunterricht gewidmete Zeit verkiirzt werden konne und verkiirzte mehr und mehr diesen wichtigen Unterrichtszweig, bis es den Padagogen plotzlich klar wurde, dass unsere Schiiler im Lesen nicht mehr genug leisteten, um selbst massigen Anspriichen zu geniigen. Die Reaktion trat ein, in der Presse wurden Stimmen laut, die iiber Uber- ladung des Lehrplanes mit sogenannten "frills and feathers" klagten und eine schleunige Ruckkehr zu den drei elementaren R's verlangten, "Read- ing, Writing and Arithmentic". Einen Schein der Berechtigung hatten diese Reaktionare gewiss, denn bei der mangelhaften Vorbildung vieler unserer Lehrkrafte war es kein Wunder, dass besonders junge und uner- fahrene Lehrerinnen sich mit Feuereifer auf solche Studien legten, die im Augenblick Mode waren, um in den Augen ihrer Vorgesetzten auf der Hohe der Zeit zu bleiben. Ergotzliche Erfahrungen konnten da in Menge gesammelt werden, wenn z. B. die Lehrerinnen dem Papierfalten, Stab- chenlegen und Buchstabensuchen in den ersten Primargraden ihre Haupt- aufmerksamkeit vvidmeten, wahrend die Kinder am Ende des ersten Schul- jahres noch nicht alle Buchstaben kannten. Doch, wie gesagt, die Re- aktion gegen diese Richtung hat in unseren Schulen eingesetzt, man hat die Wichtigkeit des Leseunterrichts wieder erkannt, und eine andere Ge- fahr liegt nahe, dass man in gewohnter Weise auch hier nicht wird Mass zu halten wissen. Mein heutiger Vortrag soil dazu dienen, die Haupt- zwecke des Leseunterrichtes ins rechte Licht zu stellen und vor dem Zu- wenig, wie vor dem Zuviel zu warnen. Werden wir uns vor alien Din- gen einmal dariiber klar, was der Endzweck des Lesenlernens ist, und wenn wir einmal genau wissen, was wir wollen, so wird es nicht schwer sein, dahin zu gelangen, wie wir dieses Endziel erreichen.

Es scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen, dass der Endzweck des Leseunterrichts der ist, dass erstens die Schiiler gelehrt werden, die Wor- ter, Silben und Buchstaben richtig zu erkennen und mechanisch lesen zu konnen; zweitens, dass sie den Sinn des Gelesenen selbst verstehen, und drittens, dass sie lernen, das so erlangte Verstandnis des Gelesenen ande- ren durch Vorlesen mitzuteilen.

Vergleichen wir die Wichtigkeit der genannten drei Punkte mit ein- ander, so werden wir finden, dass der erste Punkt, das mechanische Le-

Der Leseunterricbt in der folks scbule. 3

sen, unbedingte Vorbedingung fiir den zweiten Punkt ist, um zum Ver- standnis des Gelesenen zu gelangen. Ich gehe hier nicht ganz so weit, wie Squire Hawkins in seiner Rede in Eggleston's "Housier Schoolmaster, who puts "Daniel Webster's" Spelling book before the Bible, for who could read the Bible, before he could spell" ? Aber wichtig ist der mecha- nische Leseunterricht auf alle Falle. Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der man in den Schulen Pennsylvaniens den Leseunterricht im Engli- schen so erteilte, dass die Schiller fliessend Englisch lesen lernten, ohne den Inhalt des Gelesenen zu verstehen. Aus solchen Ubertreibungen kon- nen wir lernen. Doch noch heute lernt man in Deutschland und auch anderswo mechanisch Lateinisch und Griechisch lesen, ehe man mit Hilfe des Worterbuches den Sinn des Gelesenen findet. Der eigentliche Zweck des Verstandnisses des Gelesenen ist nach meiner Ansicht darin zu su- chen, das Interesse am Unterricht aufrecht zu erhalten. Dem Schiiler muss das Verstandnis des Lesestuckes als Belohnung fiir die aufgewen- dete Zeit und Muhe erscheinen, wenn er in seinen Anstrengungen nicht ermiiden soil. Unumganglich notwendig ist diese Belohnung nicht, doch ein recht wirksames Reizmittel. Stellen Sie sich einmal einen Schiiler vor, der das Klavierspielen erlernen soil, derselbe soil sich erst die notige Fingerfertigkeit erwerben, ehe er Melodien spielt. Ihm werden deshalb Tonleitern gegeben, die jedenfalls die Fingerfertigkeit ausbilden, die aber die Plage der meisten Schiiler sind. Deshalb iibt man neben den Tonlei- tern auch kleine Melodien, denn das Bewusstsein des Konnens muntert zu weiteren Anstrengungen auf. Das Kind muss seine Erfolge in der Nabe sehen, die Vertrostung auf die Zukunft reicht nicht aus, um die Muhe der Mechanik zu unterstiitzen.

Nach meiner Ansicht sollte daher das mechanische Lesenlernen mit dem Verstehenlernen Hand in Hand gehen. Haufige Fragen des Leh- rers iiber das Lesestiick sollten den Schiiler zum Nachdenken anregen und die Freude am Konnen vvurzen.

Der dritte Zweck des Lesenlernens ist der, das erlangte Verstandnis des Gelesenen anderen durch Vorlesen mitzuteilen. Zu diesem Zwecke muss der Vorlesende laut, deutlich und mit richtiger Betonung sprechen, und ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich sage, dass dieser Teil des Lesens die Hauptaufmerksamkeit der meisten Lehrer in Anspruch nimmt. Auf den ersten Blick scheint dies auch richtig zu sein, denn wer mit Verstand- nis vorlesen kann, muss naturgemass das mechanische Lesen erlernt ha- ben und muss auch selber das Gelesene verstanden haben, weil nach den Gesetzen der Logik die grossere Pramisse die kleineren einschliesst.

Es ist daher kaum zu verwundern, dass die meisten Lehrer dem Vor- lesen, oder wie es auch genannt werden konnte, dem Lautlesen den Lo- wenanteil der Lesestunde widmen. Ob dies richtig ist, wollen wir im

4 P'ddagogiscbe Monatshefte.

Augenblick nicht untersuchen, wollen uns vielmehr darauf beschranken festzustellen, ob dieser Zweck durch die Methoden, wie sie meist gebrauch- lich sind, erreicht wird. Wir brauchen zum Vorlesen erstens jemand, der etwas vorliest, zweitens eine Geschichte, die vorgelesen wird, drittens ein Publikum, dem diese Geschichte vorgelesen wird. Dies sind zweifel- los Vorbedingungen. Stellen wir uns nun den Schiiler, der zum Laut- lesen aufgefordert wird, als den Vorleser vor; das Lesebuch enthalt die vorzulesende Geschichte, die iibrigen Schiiler der Klasse samt dem Lehrer bilden das Publikum. Nun frage ich, ob es ein natiirlicher Weg ist, dass ein Schiiler eine Geschichte laut vorliest, wahrend die anderen Schiiler dem Gelesenen im Buche folgen? Geschieht so etwas im wirklichen Le- ben? Wenn der Familienvater abends seine Familie um sich versammelt und aus der Zeitung oder einem Buche vorliest, haben dann die iibrigen Familienmitglieder ebenfalls ein Exemplar derselben Zeitung oder dessel- ben Buches vor sich, um dem Vorlesenden zu folgen ? Ganz gewiss nicht. Die Vorbedingung ist eine andere in der Lesestunde, der Vorgang somit

kein natiirlicher.

(Schluss folgt.)

Deutscher Unterricht in Amerikanischen Schulen.

(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)

Von Emil Dapprich, Seminardirektor, Milwaukee, Wls.

Im Auftrage von Dr. Harris, dem verdienstvollen Chef des Erzie- hungswesens unserer Staaten, hat der friihere Reichstagsabgeordnete, Dr. Louis Viereck, fur den nachsten Band des jahrlichen Berichtes eine um- fangreiche Arbeit iiber das Thema : ,,Deutscher Unterricht in Amerika- nischen Schulen" geliefert.

Seit dem Amtsantritt unseres Dr. Harris sind die Berichte seines Bu- reaus wahre Fundgruben padagogischen Goldes geworden, und auch die- ser Beitrag schliesst sich den ubrigen Spezialberichten wiirdig an. Be- sonders fur uns, denen der deutsche Unterricht Herzenssache ist, bietet die Arbeit des Herrn Dr. Viereck eine ausserst interessante und wertvolle Lektiire. Nicht nur den Fleiss in der Sammlung des Materials und die Sorgf alt in dessen Bearbeitung miissen wir bewundern, mehr noch das Ver- standnis und das unparteiische Urteil, das sich fast auf jeder Seite des nahezu 200 Seiten umfassenden Werkes kund gibt. Wenn er auch dem Unterricht im Deutschen, soweit er von den Universitaten dieses Landes gepflegt wird, ganz spezielle Aufmerksamkeit widmet, so kommen doch die Volksschulen nicht zu kurz. Ganz besondere Beachtung finden die Volksschulen der grosseren Stadte. Eingehende Behandlung batten

Deut sober Unterricht in Amerikanischen Scbulen. 5

allerdings die offentlichen Schulen der Stadte Milwaukee und Cincinnati verdient, da in diesen der deutsche Unterricht die sicherste Stellung be- sitzt und auch die erfolgreichste Behandlung erfahrt.

Die Arbeit der Parochialschulen muss in einer zukiinftigen geschicht- lichen Darstellung dieses Gegenstandes eine gerechtere Behandlung er- fahren, da dieselben durch ihre Leistungen auf dem Gebiete des deut- schen Sprachunterrichtes sich die grossten Verdienste erworben haben. Es ist schade, dass bis jetzt weder die katholische Kirche noch eine der protestantischen eine Darstellung der Entwickelung ihres resp. Schulwe- sens zur Veroffentlichung gebracht haben, und wir hoffen, dass diese Ar- beit in Balde von passenden Personen in Angriff genommen wird, um dadurch eine Liicke in der Geschichte der Entwickelung unseres gesamten Schulwesens zu fiillen.

Die Bestrebungen des deutschamerikanischen Lehrerbundes finden gerechte Anerkennung, ebenso das von ihm gegriindete Lehrerseminar. Die vom Lehrerbund gesammelten statistischen Berichte sind allerdings wie der Verfasser richtig bemerkt, unvollstandig. Es sollte daher eir neuer Zensus iiber diesen so wichtigen Gegenstand aufgenommen und vom Lehrerbund zur Veroffentlichung gebracht werden.

Blutenlese aus obengenanntem Bericht.

"No historical sketch of the development of German instruction could have been attempted without a short reference to the relations between Germany and the United States, and the position of the German-Americans toward Anglo-Americans. These relations influenced the organization of German instruction to a great extent, and also explain the favorable or retarding course of public opinion. At present the position of German in higher education and the recognition of German methods on the part of the scientists of America is so assured that, in future, patriotic bene- factors need only occasionally promote the extension of German elementary instruc- tion in the city district schools." (Vorrede.)

* * #

"It should never be forgotten that he (Pastorius) established the "German- American" name a whole century before the thought was conceived of giving birth to a new American nation. To the German immigrants with an academic educa- tion he gave the example, so often followed since with more or less success, how to

*) Bei dem Versuche, durch Auswahl besonders wichtiger Abschnitte unsern Lesern einen Einblick in die Bedeutung der Arbeit Dr. Vierecks zu geben, zeigt sich erst, welche Fundgrube von wertvollem Material der Verfasser uns zur Verfiigung gestellt hat. Fast auf jeder Seite sind solche Goldkb'rner zu finden; und es be- diirfte eines bei weitem grosseren Raumes, als er uns zur Verfiigung steht, um unser Vorhaben auszufiihren. Wir haben daher aufs Geratewohl einige uns in die Augen fallende Punkte herausgegriffen und hoffen, dass diese unsere Leser bestim- men werden, sich mit dem Berichte Dr. Vierecks eingehender zu beschaftigen. D. R.

6 P'ddagogiscbe Monatshefte.

transmit the treasures of older German civilization to the younger shoots of the German nation, and how to convert them into active elements of the new American

civilization."

* * *

"The first Bible published in the New World appeared at that time in the German language, forty years before an English Bible was printed in America. The first printer who undertook to print German works in this country was, strange to say, no German but an American; none other than Benjamin Franklin. In 1730 he printed (in Roman characters) the oldest German- American book extant, or at least the oldest discovered until now."*)

* * *

"Although Great Britain is generally honored as the mother of the United States, Germany has, from an intellectual standpoint, become more and more the second mother of the United States. More than any other country, Germany has made the universities and colleges of America what they are to-day a powerful force in the development of American civilization." (Andrew D. White, amerika- nischer Gesandter in Berlin, in seiner daselbst gelegentlich einer Danksagungsfeier

gehaltenen Rede.)

* * *

"The German now stands in a line with that of the most learned nations in richness of condition and advance in the sciences. It is, too, of common descent with the language of our own country, a branch of the same original Gothic stock, and furnishes valuable illustrations for us." (Thomas Jefferson's Views on Public

Education.)

* * *

"German had never been taught in college before, and it was with no little diffi- culty that a volunteer class of eight was formed. I was one of that class. We were looked upon with very much the amazement with which a class in some obscure tribal dialect of the remotest Orient would be now regarded. We knew of but two or three persons in New England who could read German, though there were probably many more of whom we did not know. There were no German books in the bookstores. A friend gave me a copy of Schiller's "Wallenstein," which I read as soon I was able to do so, and then passed it from hand to hand among those who could obtain nothing else to read. There was no attainable class book that could be used as a "reader." A few copies of Nb'hden's Grammar were imported, and a few copies of I forget whose "pocket dictionary," fortunately too copious for an Anglo-Saxon pocket, and suggesting the generous amplitude of the Low Dutch costume, as described in Irving's mythical "History of New York." The German Reader for Beginners, compiled by our teacher, was furnished to the class in single sheets as it was needed, and was printed in Roman type, there being no German type within easy reach. There could not have been a happier introduction to Ger- man literature than this little volume. It contained choice extracts in prose, all from writers that still hold an unchallenged place in the hierarchy of genius, and poems from Schiller, Goethe, Herder, and several other poets of kindred, if inferior, fame. But in the entire volume Dr. Follen rejoiced especially in several battle poems from Korner, the soldier and martyr of liberty. I never have heard recita- tions which impressed me so strongly as the reading of those pieces by Dr. Follen, who would put into them all of the heart and soul that had made him too much

*) Es ist dies ein Gesangbuch, welches auf Bestellung des Ephrata-Klosters gedruckt wurde. Das einzige noch vorhandene Exemplar befindet sich in dem Besitz von Abraham H. Cassel, Harleysville, Montgomery County, Pa.

Deutscher Unterricbt in Amerihaniscben Schulen. 1

a lover of his country to be suffered to dwell in it. He appended to the other poems in the first edition of the reader, anonymously, a death song in memory of Korner, which we all knew to be his own, and which we read so often and so feel- ingly that it sank indelibly into permanent memory, and I find that, after an inter- val of sixty years, it is as fresh in my recollection as the hymns that I learned in my childhood." (Dr. A. T. Peabody, in his Harvard Reminiscences.)

* * *

"We have no complete statistics to inform us with any exactness how great the participation of the different nations represented in our country was in the civil war. According to the statements of Dr. A. B. Gould, who was commissioned by the United States Sanitary Commission to make out his report, "Investigations in the Statistics of American Soldiers," an American work which, as far as I know, is considered the most reliable by the bureaus in Washington, the Germans gave 187,858 men to the Union army, while, in proportion to the German population, as given by the census of 1860, they need only have sent 128,102. According to these figures, therefore, we may assert that the proportion of German troops, in relation to the population, was greater than that of the troops of other nationali- ties. The Germans likewise gave a number of brilliant leaders and many officers of higher and lower rank whose names are imperishable in the history of the war." (Vocke, the German Soldiers in the American Civil War.)

* * *

"The next subjects for which I claim a position of academic equality with Greek, Latin, and mathematics are French and German. This claim rests not on the use- fulness of these languages to couriers, tourists, or commercial travelers, and not on their merit as languages, but on the magnitude and worth of the literatures, and on the unquestionable fact that facility in reading these languages is abso- lutely indispensable to a scholar, whatever may be his department of study. Until within one hundred or one hundred and fifty years scholarship had a common lan- guage, the Latin; so that scholars of all the European nationalities had a perfect means of communication, whether in speaking, writing, or printing. But the culti- vation of the spirit of nationality and the development of national literature have brought about the abandonment of Latin as the common language of learning, and imposed on every student who would go beyond the elements of his subject the neces- sity of acquiring at least a reading knowledge of French and German, besides Latin. Indeed, the advanced student of our day can dispense with Latin better than with French, German, or English; for, although the antiquated publications in any science may be printed in Latin, the recent (which will probably contain all that is best in the old) will be found printed in one of these modern languages. I can not state too strongly the indispensableness of both French and German to the American or English student. Without these languages he will be much worse off in respect to communication with his contemporaries than was the student of the seventeenth century who could read and speak Latin; for through Latin the student of the year 1684 could put himself into direct communication with all con- temporary learning. So far as I know, there is no difference of opinion among American scholars as to the need of mastering these two languages in youth. The philologists, archaeologists, metaphysicians, physicians, physicists, naturalists, chem- ists, economists, engineers, architects, artists, and musicians all agree that a knowl- edge of these languages is indispensable to the intelligent pursuit of any one of their respective subjects beyond its elements. Every college professor who gives a thorough course of instruction no matter in what department finds himself obliged to refer his pupils to French and German authorities. In the reference

8 P'ddagogische Monatshefte.

library of any modern laboratory, whether of chemistry, physics, physiology, patho- logy, botany, or zoology, a large proportion of the books will be found in French or German. The working library of the philologist, archaeologist, or historian teaches the same lesson. Without a knowledge of these two languages it is impos- ible to get at the experience of the world upon any modern industrial, social, or financial question, or to master any profession which depends upon applications of modern science. I urge no utilitarian argument, but rest the claims of French and German for admission to complete academic equality on the copiousness and merit of the literatures and the indispensableness of the languages to all scholars." (Pres. Chas. W. Eliot, What is a Liberal Education?)

* * *

"There are, in the first place, numerous practical reasons which speak for a speedy introduction of German in the high school curriculum. Owing to the large percentage of the German population of this country, and owing to the constantly increasing commercial relations between America and Germany, a knowledge of the German language is invaluable for business purposes. In all the large business centers of our country young men and women who command the German language are usually preferred when seeking positions to those who do not understand German.

It is, moreover, a well-known fact that the professional men, like lawyers and physicians, profit likewise from a practical knowledge of German; and there is no reason why our high-school graduates, after they have been instructed in German by a competent teacher for a period of three years, should not gain a speaking knowledge of this language, and thus be enabled to avail themselves of the great practical advantages resulting from such a knowledge.

But the purely educational value of the study of German must be considered as equally great, especially for those high-school graduates who enter the university. There is at the present no branch of science in which Germany does not indisputably take the foremost place among the European nations, and a reading knowledge of German is therefore indispensable for the student in every department of university study. As a consequence, in all of the leading universities of this country German can be substituted for entrance in place of one of the ancient languages, President Gilman, of Johns Hopkins University, explaining this policy best by saying, "As Latin was during the middle ages the language of scholars, so the knowledge of German is now indispensable for anyone claiming the name of a student and scholar."

While the knowledge of Latin will always remain invaluable for those entering special professions, it is comparatively of little benefit to the great mass of high- school pupils, who later on follow the practical pursuits of life. The mental drill claimed for the study of Latin may be derived in the same measure from a thorough study of the German language, which at the same time opens to the student a literature that in wealth of the most advanced thought and in beauty of expression can only be compared with the literature of the Greeks. Our English tongue is, moreover, in its formations and structure, essentially a Germanic language, and it is of far greater educational value for the majority of high-school pupils to study the historical growth of their own language in comparison with the closely related German than to learn the rudiments of Latin, which in most cases are only forgot- ten, because a proficiency in reading Latin can never be attained by the high school." (Aus einem offenen Brief an die Superintendenten der Hochschulen Cali- forniens, abgefasst von Prof. Julius Goebel und H. E. F. Ungerth im Auftrage der deutschen Lehrervereinigung des Staates Californien.)

Lebrbeispiel aus dem Recbtscbreiben. 9

"In the year 1874, at the fifth annual meeting of the German Teachers' Associa- tion, it was unanimously resolved to establish the seminary on the foundation of the present high status of the art and science of education. A special "Seminar- verein" was constituted to promote the agitation and collect a "German national subscription fund" of $50,000 to $100,000. The first general meeting was held in Milwaukee in 1877, and, though it possessed not much more than one-fifth of the prospective large "national fund," the opening of the institution was set for Sep- tember 1, 1878. The "German-English Academy" in Milwaukee offered a suitable building for the beginning of the normal courses. According to the prospectus, this institution aims to educate thorough and zealous teachers, able to teach in German as well as in English, familiar with the most recent progress in pedagogics, and trained to present their own knowledge to pupils in an appropriate manner. For this purpose the school is provided with the best trained teachers, excellent appli- ances for instruction and accommodations, and a model school in the flourishing German-English Academy. By its connection with the athletic training school of the Nordamerikanischer Turnerbund, students enjoy the advantage of perfecting themselves in all branches of physical culture. There is likewise a normal course for kindergartners." (Geschichte des Nat. Deutscham. Lehrerseminars.)

Fur die Schulpraxis.

I. Lehrbeispiel aus dem Rechtschreiben.

(Aus ,,Blattcr fur die Schulpraxis".)

Von Ig. Griebl, Seminarsclmllehrer, Straubing.

Scharfung durch ,,ck". Method. Disposition. Voraussetzung : Die Lautlehre. Geschlirfte Worter mit tt, ss, rr, mm, nn, 11 etc.

und deren Trennung. II. Darbiet.: Aufsuchen, Buchstabieren, Anschreiben von ck- Wortern nach Ord-

nung der Hellaute. III. Vergleich. : Zwischen anderen geschiirften Wortern und den Wortern mit ,,ck".

IV. System. : 1 ) Nach einem Hellaut* ) schreibt man ck ; 2 ) bei der Trennung

kommt ein k zur ersten, das andere zur zweiten Silbe.

V. Anwend. : 1) Abschreiben. 2) Aufsuchen von ck- Wortern. 3) Aufschrei-

ben. 4) Diktat.

Ausarbeitung.

Ziel: Neue gescharfte Worter kennen lernen.

I. Nennt gescharfte Worter! Wodurch ist das Wort ,,Wasser" gescharft? (Ebenso ,,Mutter, kommen, Sonne etc.") WTie sprichst du den Hellaut in den Wor- tern ,,Brunnen, Waffe, satt etc." Warum sprichst du den Hellaut kurz? (Weil zwei gleiche Mitlaute folgen.)

Wie sprichst du den Mitlaut?*) (Scharf) Wodurch wird die Scharfung aus- gedriickt? (1. Merksatz aus den letzten Lektionen.) Die Scharfung wird ausge- driickt durch Verdoppelung der Mitlaute.

' ) Hellaut = Selbstlaut, Vokal ; Mitlaut = Konsonant.

10 P'ddagogische Monatsbefte.

Nennt Worter mit Doppelmitlauten und sprecht sie getrennt aus. (Was-ser, Son-ne etc.) Was haben wir bei der Trennung der gescharften Worter gemerkt? (2. Merks. aus den letzten Lektionen.) Von 2 Mitlauten kommt einer zur ersten, der zweite zur zweiten Silbe.

Wahrend der ,,Vorbereitung" ist folgende Buchstabenreihe an der Tafel ent- standen: tt, ss, ff, rr, nn, mm, 11, pp. Welche Mitlaute konnen wir noch verdop- peln? (g k.)

Spezialziel: Nun wollen wir Worter mit Doppel-k oder ck schreiben lernen.

II. Nennet solche Worter! (Stock, Rock, wecken etc., etc.) Wie heisst der gescharfte Laut? Dieser wird nicht verdoppelt, man setzt ein ,,c" voraus! An die Tafel kk = ck = zeka. Nennt Worter mit ,,ck"! Wir wollen diese ordnen! Erst solche mit dem Hellaut ,,a". Die Schiller geben selbst die Worter an, buchstabieren sie, der Lehrer schreibt an die Tafel etwa folgende Reihen:

en;

a :

A .

er, S . .,

P . .

. ** \

ii :

B .

. er, S .

. e, P

. . e;

e:

m .

. ern, E

. e, I

> . . e, St . . en,

W

i:

Str

. . (B. .

, R .

.), d . ., bl . .

en;

o:

St

. ., B. .,

R . .

5

ii :

St.

. lein, R

. . e,

Gl . . lein;

u :

K .

k . k, Z .

. er,

Gl . . e;

ii :

Br

. e, R .

. en,

u. a.

III. Welche Hellaute stehen vor ck? Welche Hellaute stehen vor der Verdop- pelung mit tt, ss, etc., etc. ? Wie wird der Hellaut vor ck gesprochen ? Wie wird der Hellaut vor anderen Verdoppelungen gesprochen ? Wodurch ist hier bei ck die Scharfung ausgedriickt? Wodurch ist hier bei tt, ss etc. die Scharfung ausge- driickt?

IV. 1. Merksatz: ,,Nach einem Hellaut macht man ein ck." Wie trennen wir hier? (bei tt, ss etc.) (Ein Mitlaut kommt zur ersten etc.)

Wie trennt man die ck- Worter?

2. Merksatz: ,,Bei der Trennung kommt ein k zur ersten Silbe und ein k zur zweiten Silbe.

V. 1. Abschreiben der obigen Worter. Anwendung in Satzen.

2) Aufsuchen von ,,ck-W6rtern" aus dem Sprach- oder Lesebuch.

3) Auf schreiben von ck-W6rtern.

4) Diktat auf die Tafel. Korrektur. Fehlerverbesserung durch wieder- holtes Schreiben der gefehlten Worter. Diktat ins Heft.

(Nachste Einheit: ,,tz- Worter" ! In einer weiteren Lektion konnen die Aus- nahmen (Fabrik, Tabak, Jakob, Ignaz, heizen etc.) festgestellt werden. (Nur die gebrauchlichsten Worter ! )

**) Die Worter erfahren sofort eine entsprechende Erlauterung durch Anwen- dung in Satzen, was grosstenteils seitens der Schiller selbst geschehen kann.

II. Erfahrungen und Qedanken.

(Aus der ,,Deutsch6sterr. Lehrerzeittmg".)

Von A. Chr. J".

Auf einen blossen Verdacht bin ein Kind beschuldigen, heisst auf gut Gliick in einen dichten Wald hineinschiessen : die Kugel kann den Wolf treffen, sie kann auch einen Menschen todlich verwunden.

* * *

Das leugnende Kind steht entweder auf dem sittlichen Boden der Wahrheit und verficht seine Ehre, oder es ist von Beelzebub angesteckt und baut sich aus der Luge eine Schanze. D'rum scharfe der richtende Erzieher seine geistige Sehe und lege sein Urteil auf die Wage des Gewissens.

* * #

Der Erzieher, der ein Kind grundlos beschuldigt, erniedrigt sich in den Augen des Kindes zu einem fehlbaren Menschen. Mit dem Vertrauen des Kindes aber ent- gleitet ihm der Schliissel zur Edelkammer des kindlichen Herzens und sinkt in die

Tiefe des Meeres.

* * *

Das Vorurteil ist der Nachrichter der Wahrheit.

* * *

Wie aer Magnet den Eisenspahn, so zieht die Dummheit den Teufel an. Der Dummheitsteufel aber ist der gefahrlichste Teufel, denn er ist unberechenbar.

* * *

Dem Kinde, dem daheim das Leben duster nachtet, muss in der Schule die Sonne doppelt freundlich scheinen. Nacht hier wie dort, das bringt die Seele aus dem Gleichgewicht und gebiert sklavischen Stumpfsinn oder wilden Trotz.

* * *

Das Kind, das banger Zweifel voll zum erstenmale die Schule betritt, fordert die hb'chste und tiefste Kunst des Erziehers heraus. Ein falscher Griff und im jungen Herzen zerreissen die gespannten Saiten, und die Harfe des kindlichen Ge- mutes gibt auf lange hinaus keinen melodischen Ton.

* * *

Die Mutter, die das weinende Kind beruhigt, indem sie den Tisch ziichtigt, an dem sich das Kind gestossen hat, predigt das Gesetz der Wiiste. Was, meinest du, wird aus dem Kindlein werden?

* * *

Arm sein, das raubt dem Menschen noch nicht die Zufriedenheit und die Hei- terkeit des Gemiits; aber arm werden, das driickt ihm den Stachel ins Herz. Auch das Empfinden entstammt dem Vergleiche.

* * *

Nicht die Methode macht den Lehrer, sondern der Lehrer macht die Methode.

* * *

Wo man dem Lehrer die Methode vorschreibt, da rechnet man nicht mit sei- ner Personlichkeit. Das aber heisst: die Rechnung ohne den Wirt machen.

* * #

Eine Methode, die nicht aus der Personlichkeit des Lehrers herauswachst, nicht Produkt seiner Beobachtung, seiner tfberlegung und seines Temperamentes ist, son- dern sich in gegebenen starren Formen bewegt, sinkt zum Drill herab.

12 P'ddagogische Monatsbeft*.

Der tiichtige Lehrer hat nicht eine Methode, er hat eine Vielheit von Methoden. Denn da die Natur des Schiilers iiberall sein Verfahren bedingt und die Schiller nicht nach einer Schablone zugeschnitten sind, so muss sein Lehrverfahren die ver-

schiedensten Formen annehmen.

* * *

Wer auf einer bestimmten Methode herumreitet, von ihr allein das Heil erwar- tet, den nimm aufs Korn; er ist ein Handwerker und steht noch der Erkenntnis feme, dass der Geist es ist, der da lebendig macht.

* * *

Ein freier Lehrerstand ist ohne Methodenfreiheit das Gewehr, dem Lauf und

Kolben fehlen.

* * *

Den Ochsen leitet man mit dem Stachel, das Pferd mit dem Ziigel, die Ziege mit dem Salzsackchen, jedes nach seinem Wesen. Hierin liegt die Grundweisheit

der Erziehung.

» * *

Soil der Pudel wie ein Frosch, der Frosch wie ein Pudel schwimmen, so er- reicht keiner das andere Ufer. Aber lass' jeden nach dem Drange seiner Natur ins Wasser gehen, und du wirst deine Wunder sehen.

* * *

Ein Erzieher, der sein Werk nach der Schablone treibt und mit der Vielgestal- tigkeit seiner Zoglinge nicht rechnet, gleicht einem Gartner, der wahllos auf jeden Wildling seines Gartens ein Apfelreis setzt. Nur wenige der Baumchen kominen davon, die meisten werfen den Fremdling ab und treiben in ihrer Urkraft weiter.

* * *

Als Erzieher verlange nicht, was die Natur versagt, sonst wirst du an deinem

Zogling zum Tyrannen.

* * *

Wo der Tyrann den Erzieher verdrangt, da verdunkelt sich in dem Kinde der Himmel seines Gemiites, die Sterne der Liebe und des Vertrauens erloschen, ein

diisterer Kerker tut sich auf.

* » *

Sprich dem blinden oder lahmen Kinde niemals bedauernd von seinem Gebrechen. Deine Worte helfen ihm nicht, aber sie schliessen ihm das Bewusstsein seines Elends auf und verkehren dein Mitleid in Grausamkeit.

* * *

Achte das Schulgesetz und die Verordnung; wo daruber aber eine Seele zu- grunde ginge, da iibertrete sie, denn sie sind um des Menschen willen, der Mensch

ist aber nicht um ihretwillen da.

* * *

Das Kind diirstet nach Liebe, so lass die Quelle warmer Liebe aus deinem Her- zen stromen und die junge Seele wird sich, getrankt und durchfrischt, emporsch win- gen und ihre Fliigel entfalten wie ein junger Adler.

» * *

Wie der Sonnenschein die Bienchen zu emsiger Arbeit aus ihrem Hauschen lockt, so lockt der freundliche Blick des Lehrers die jungen Seelen aus ihrer Verschlos- genheit und erwarmt und befltigelt sie zu freudigem Tun.

* * »

Ein Lehrer, dem niemals ein Hauch der Frohlichkeit die Wangen streift, der als ewig brummender Bar oder finster schleichende Katze im Kreise der Jugend da- hinlebt, hat seinen Beruf verfehlt. In seiner Schule herrscht ,,musterhafte" Ruhe, und die Welt staunt bewundernd den Friedhofsmeister an, aber hat die Jugend wie- der das Freie gewonnen, so pfeift sie um desto lauter auf ihn.

Erfahrungen und Gedanken. 13

Wer mit den Wolfen heult, der wird mit den Wolfen geschossen, darum sehe

jeder wohl zu, wo er bleibe.

* » *

Wie mit der Scharfe des Auges das feme Sternenheer sich vermehrt, so haufen sich vor dem wachsenden Verstande die Weltratsel. Je hoher du ragst, je klarer wirst du deine Kleinheit erkennen. Die rechte Tochter der wahren Bildung heisst:

Demut.

* * *

Glaube und Verstand stehen zu einander wie zwei feindliche Pole: sie stossen sich gegenseitig ab. Wo der Glaube annimmt, da schweigt der Verstand; wo der Verstand erkennt, da verstummt der Glaube. Beide vereinen heisst Feuer und Was- ser mischen: eines vergeht durchs andere. Darum gebiihrt jedem ein gesondert

Reich.

* * *

Soweit der Verstand vordringt, soweit geht sein Reich, jenseits der Marken die- ses Reiches liegt die Welt des Glaubens. Der Verstand darf nicht befehlen: Du sollst nicht glauben, und der Glaube darf nicht fordern: Du sollst nicht denken. Solche Gebote sind 'Crbergriffe in fremdes Gebiet und gebaren den Krieg.

* * *

Das Kind fiihlt die Personlichkeit seines Lehrers. In der Freiheit ihres see- lischen Tastsinnes hat die Jugend den Schliissel zum innersten Menschen ihres Er-

ziehers.

* * *

Losgelost von seiner Personlichkeit, sind die Worte des Erziehers dem Kinde leerer Schwall und ermangeln jedweder ziehenden und hebenden Kraft. Nur das Wort, hinter dem die ganze Wesenheit des Mannes steht, kann fiihrend wirken.

* * *

Das Erziehen ist keine lernbare Kunst; es ist ein Vermogen, das im Wesen des Erziehenden wurzelt. Darum lautet die Formel, nach der diese hohe und edle Kunst erworben wird: Sei was, so kannst du was!

* * *

Was du in der Schule aus dir machst, das schwebt dem Sehuldunste gleich in der Luft und dringt nicht fiber die Schwelle deiner Werkstatte hinaus. Was du in der Schule aber bist, das geht der Jugend ins Blut und treibt einmal seine Frucht im Volke.

Berichte und Notizen.

I. Der Lehrertag zu Minneapolis.

(Fur die Padagogischen Monatshefte.)

Von B. A. Abrams, Aas't Supt., Milwaukee, Wis.

(Schluss.)

Ob die Flagge dem Handel, oder der Handel der Flagge folgt, 1st eine offene Frage, aber ganz bestimmt folgt der Handel den Jahresversammlungen des araeri- kanischen Lehrerbundes. Ein Rundgang durch die oberen Raumlichkeiten des ge- waltigen Ausstellungsgebaudes wahrend der Tagungswoche ist ebenso unterhaltend wie belehrend. In den modernen Grossbazaren einer Weltstadt kann sich an einem Haupt- und Staatsaktionstage kaum ein geriiuschvolleres, lebhafteres Treiben ent- falten als hier unmittelbar iiber dem Versammlungssaale des Lehrerbundes. Was nur in entferntester Beziehung zum Schulwesen und zur Tatigkeit auf dem Gebiete der Erziehung gebracht werden kann hier ist es ausgestellt. Die grossen, die grb'sseren und die grb'ssten, auch die kleineren und kleinsten Verlagshandlungen, Schulpult- und Bleistif tf abrikanten ; wer je etwas ersonnen und erfunden hat, um den Kindern die schwere Arbeit des Lernens, den Lehrern das Lehren zu erleichtern und zu versiissen, die grossen und kleinen Propheten der Gb'ttin ,,Fadda" sie sind alle vertreten. Von der verlockenden Limonadenbude bis zum Riesenglobus, von den echten oder nachgemachten Erzeugnissen der Flecht- und Webekunst der rotbraunen Miindel unserer Nation bis zu den kompliziertesten und kostbarsten phy- sikalischen Instrumenten, hier kann man es sehen, bewundern und was die Haupt- sache ist kaufen oder bestellen. In gerechter Wiirdigung des Umstandes, dass die meisten Besucher des Lehrertages dem schonen Geschlechte angehb'ren, haben die grossen Schulbuchfirmen ihre gewandtesten, elegantesten, hb'flichsten, jiingsten und hiibschesten Verkaufer mit der angenehmen Aufgabe betraut, ihre Biicher an den Mann, d. h. an die Frau zu bringen.

Ich habe den Versuch gemacht, fur die Leser der ,,Padagogischen Monatshefte" in grossen Ziigen ein Bild des letzten grossen Lehrertages zu entwerfen. Die Reich- haltigkeit des Programmes, die grosse Zahl der Haupt- und Nebenversammlungen, sind Umstande, die einem auch nur annahernd erschopfenden Berichte als unbe- siegbare Hindernisse im Wege stehen. Wahrend ich soweit nur das Interessanteste aus dem in den Hauptversammlungen Gehorten hervorhob, erlaube ich mir zum Schlusse noch einige der zahlreichen Abteilungsversammlungen in das Bereich mei- ner Berichterstattung zu ziehen. Vor einer sehr zahlreichen Zuhorerschaft hielt Dr. Henry Hartung von Chicago, der mit Herrn Suder, dem Vorsteher des Turn- unterrichts an den offentlichen Schulen Chicagos, als amtlicher Vertreter des Nord- amerikanischen Turnerbundes dem Lehrertage beiwohnte, einen sehr beifallig auf- genommenen Vortrag iiber den Wert eines systematischen Turnunterrichtes. Er verlangt, dass der Kbrpererziehung ein angemessener Platz im Lehrplan der Volks- schule eingeraumt werde. Unsere Erziehungsideale, meinte der Redner, werden noch allzusehr durch die veralteten Kulturbegriffe des Mittelalters beeinflusst. Jahrhunderte hindurch habe man gelehrt, dass Kb'rper und Geist zwei getrennte Wesen seien, die nebeneinander und unabhiingig von einander arbeiteten. Die mo- derne Wissenschaft hat uns gezeigt, dass der Mensch eine organische Einheit ist und dass die geistigen und kbrperlichen Tiitigkeiten im engsten Zusammenhange

Der Lehrertag %u Minneapolis. 15

stehen. In alien Schulen, in denen man die Erziehung des Korpers der Geistespflege gleichstellte, hat sich dieses als Wahrheit bestatigt.

Redner fuhrte den Ausspruch des verstorbenen Padagogen Parker an: ,,Es wird vielleicht niemals wissenschaftlich festgestellt werden, welch gewaltigen Einfluss der Korper und alle seine Organe, jeder Nerv und jeder Muskel und jede Ader auf das Him und demnach auf den Geist austiben. Je mehr ich mich mit der Seelen- lehre, besonders mit der Physopsychologie beschaftige, desto starker wird mein Glaube an den segensreichen Einfluss der Korpererziehung." Einen hochinteres- santen Vortrag von einem ,,Nichtlehrer" horte ich in einer Versammlung der Han- delsschullehrer iiber das Thema: ,,Was kann die Geschaftswelt von den Schulen verlangen?" Angesichts der grossartigen Entwickelung in unserem Lande auf alien Gebieten des Handels und der Industrie warnte der Redner seine Landsleute vor der Gefahr, diese beispiellosen Erfolge der grosseren Tiichtigkeit und Klugheit des amerikanischen Volkes zugutzuschreiben. Die machtigen natiirlichen Hilfsquellen und Bodenreichtumer unseres Landes seien als Hauptfaktoren des Erfolges zu be- trachten. Ausserdem sei Amerika ein neues Land, dessen Sohne sich ungehemmt von (iberlieferten veralteten Anschauungen bewegte, welche gar haufig als Kette an den Fiissen unserer europaischen Geschaftsrivalen hangen. Was Goethe sang:

Amerika, du hast es besser Als unser Kontinent, der alte, Hast keine verfallenen Schlosser,

zog sich als roter Faden durch diesen Teil des Vortrages. Aber Europa lernt von uns. Auch Europa ist im Begriffe sich auf dem Gebiete des Handels, der Industrie und der Bodenbearbeitung von dem Banne der Vergangenheit zu befreien. Mit den modernsten Werkzeugen, Maschinen und Methoden tritt man dem amerikanischen jungen Rivalen entgegen, und in technisch wissenschaftlicher Vor- und Ausbildung sind uns die am meisten fortgeschrittenen europaischen Staaten, besonders Deutsch- land, weit uberlegen. Der Glaube an unsere geistige Superioritat kb'nne verhang- nisvoll fiir uns werden, wenn wir uns durch denselben einschlafern lassen. Redner verlangte die Griindung einer grosseren Zahl unter staatlicher Leitung und Auf- sicht stehender technischer Hochschulen, und eine bessere Ausbildung unserer Han- dels- und Gewerbebeflissenen.

Zum Schlusse eilend, berichte ich noch, dass als eine Frucht der Minneapoliser Tagung die Griindung einer nur aus Klassenlehrern bestehenden ,,ISrational Federa- tion of Teachers" zu verzeichnen ist. An der Spitze des neuen Verbandes, dessen Hauptzweck die Wahrung der materiellen Interessen der amerikanischen Lehrer ist, steht Fraulein Haley von Chicago, die geistige Fiihrerin der dortigen Lehrerschaft und erfolgreiche Vorstreiterin in dem fast aussichtslos scheinenden Kampfe gegen die grossen Korporationen des Staates Illinois. Wenn ich noch hinzufiige, dass der Lehrertag in seiner Schlussversammlung eine von einem reprasentativen Ausschusse ausgearbeitete Prinzipienerkliirung annahm, deren Wortlaut leider nicht in meinem Besitze ist, dass der nachste Lehrertag in Boston stattfindet und dass in diesem Jahre President Eliot von Harvard an der Spitze des Lehrerbundes steht, darf ich wohl das endgiiltige Schlusszeichen setzen.

II. Korrespondenzen.

(Fur die Padagogischen Monatshefte.)

Baltimore.

Ein von der Staatslegislatur erlasse- nes Schulzwanggesetz soil wahrend des laufenden Schuljahres in Kraft gesetzt werden.

Nach diesem Gesetze miissen alle Kin- der vom 8. bis zum 12. Jahre die b'ffent- lichen Schulen besuchen, ausgenommen, es wird nachgewiesen, dass sie anderswo in den Fachern, die in den offentlichen Schulen gelehrt werden, Unterricht ge- niessen, oder korperlich und geistig un- fahig sind, sich an dem Unterricht zu beteiligen. Allerdings kb'nnen Kinder in schulpflichtigem Alter vom Schulsupe- rintendenten oder von einer sonstigen Schulautoritat, je nachdem die Regeln sind, in notwendigen Fallen vom Schul- besuch dispensiert werden. Auch Kin- der im Alter von 12 bis 16 Jahren sind diesen Bestimmungen des Gesetzes un- terworfen, ausgenommen, sie sind zu Hause oder anderswo in gesetzlicher Weise beschaftigt. Der Zweck des Ge- setzes ist, miissige Kinder von der Strasse wegzuhalten, sowie auch, dass sie etwas lernen. Keine ^'abriken, au- sser Konservenfabriken, diirfen Kinder unter 16 Jahren beschaftigen, ausgenom- men der Arbeitgeber ist im Besitze eines Zertifikates vom Oberlehrer der von dem Kinde zuletzt besuchten Schule und auch eines solchen von den Eltern oder dem Vormund desselben, welche bescheinigen, dass das Kind iiber 12 Jahre alt ist. Das ersterwahnte Zertifikat ist nicht notwendig, wenn das Kind zuletzt eine ausserhalb des Staates gelegene Schule besucht hat. Wer ein Kind beschaftigt, ohne diesen Bestimmungen des Gesetzes nachgekommen zu sein, verfallt in eine Strafe von nicht mehr als $100, und muss fiir jeden weiteren Tag, an dem er das Kind in solcher ungesetzlichenWeise beschaftigt, weitere $20 Strafe zahlen. Niemand darf ein Kind von 12 bis 16 Jahren beschaftigen ,welches nicht flie- ssend lesen und schreiben kann, es sei denn, das Kind hat zu gleicher Zeit Un- terricht in einer Schule. Das Gesetz be- droht auch Eltern und Vormiinder mit schweren Strafen, wenn sie beziiglich des Alters ihrer Kinder f alsche Angaben ma- chen, es zugeben, dass dieselben in un- gesetzlicher Weise beschaftigt werden, oder es erlauben, dass sie die Schule schwanzen, das heisst, dem Unterricht fern bleiben und sich auf der Strasse herum treiben.

Zur Durchfiihrung des Gesetzes sind die Schulkommissare verpflichtet, zwolf Schulkonstabler zu ernennen, welche je- des Kind zwischen 8 und 16 Jahreu, das die Schule schwanzend auf der Strasse angetroffen wird oder iiberhaupt keine Schule besucht, festnehmen und den El- tern oder dem Lehrer iibergeben miissen. Das Gesetz bestimmt auch, dass der Mayor und Stadtrat fiir gewohnheitsma- ssige Schulschwanzer Zwangschulen ein- richten, welchen solche Kinder von ei- nem Friedensrichter iiberwiesen werden konnen.

Sobald der Stadtrat die Gehaltsbe- stimmung fiir die zwolf Schulkonstabler (truant officers) erledigt hat, wird die Schulbehorde diese Beamten ernennen, und es sollen nach dem Vorbild westli- cher Stiidte sowohl Manner als auch Frauen dafiir ausersehen werden. Ehe aber der Stadtrat die notigen Massre- geln fiir die Einrichtung der vorge- schriebenen Zwangschulen nicht getrof- fen hat, werden die zwolf Schulpedelle wenig ausrichten konnen.

Der Schreiber kann nicht umhin zu denken, dass die rechtzeitige Anwendung eines guten Rohrstocks einer Zwangs- schule weit vorzuziehen ware. Das denkt mit ihm auch der phenomenal populare Nationalabgeordnete W., der bei der jiingsten Wahl zum dritten Mai in den Kongress gewJihlt wurde. Bei einer Ban- kettrede vor einiger Zeit deutete der Letztere auf den anwesenden Schreiber und sagte: "There is the only man that ever licked me, and I am happy to have this opportunity to thank him for it publicly. He did more than anybody else to make a man out of me." Vor etwa 33 Jahren hatte der Schreiber den geweckten Jungen in einer Privatschule vom Schulschwanzen durch dasselbe krjiftige Mittel griindlich kuriert, das bei ihm selbst in einem gleichen Falle ebenso erfolgreich in Deutschland ange- wendet worden war. Wie nun, wenn der eine wie der andere damals einer Zwangsschule iiberwiesen worden ware?

Die Umgestaltung in unserem offentli- chen Schulwesen ist immer noch im Gange; wahrend des laufenden Schul- jahres werden wahrscheinlich in der Or- ganisation der neuen englisch-deutschen Schulen Veranderungen vorgenommen werden. Es ist u. a. angeregt worden, den deutschen Unterricht von der un- tersten Klasse, deren Unterrichtszeit von

Korrespondenten.

17

fiinf auf drei Stunden beschriinkt wor- den ist, auszuschliessen.

Den Pild. Monatsheften wiinscht Schreiber mit dem ncuen Jahrgang eine grosse Anzahl neuer Abonnenten aus al- ien Richtungen. Er wiinscht es sehn- lichst im Interesse des deutschen Erzie- hungswesens hierzulande. 1st es doch dem Jugendfreund gar herzbetriibend, zu erfahren, wie es da und dort Lehrende gibt und leider nicht wenige die weder das Bediirfnis noch die Pflicht fiihlen, durch das Anschaffen einer sol- chen Zeitschrift sich auf der Hohe der rasch fortschreitenden Zeit zu halten, und sich so berufstiichtig zu erhalten und berufstiichtiger zu machen. Wenn unter solchen Umstanden der deutsche Unterricht in manchen Stiidten Einbusse erlitten hat und zuriickgeht, ist es wahr- lich nicht zu verwundern. Abgesehen von allem andern, ahnen solche bedau- ernswerte Schulhalter nicht, wie sie sich dabei selbst im Lichte stehen. "Doch der Mensch hofft immer Verbesserung."*)

S.

*) Herzlichen Dank unserm lieben Korrespondenten fiir seine Mahnworte! Sie konnen nicht dringend genug ge- macht und oft genug wiederholt werden. Endlich miissen sie doch fruchtbaren Boden finden. D. R.

Californien.

Der liebenswiirdige Redakteur der P. M. schreibt seinem Korrespondenten im goldenen Staate, dass Wunderdinge von hier ihm zu Ohren gedrungen seien: Der deutsche Lehrerverein habe es erreicht, dass der deutsche Unterricht in den of- fentlichen Schulen des Staates obligato- risch gemacht worden sei. Ein schoner Traum, aber leider, nur ein Traum! Es tut mir leid, konstatieren zu miissen, dass wir weit davon entfernt sind, ja dass dafiir iiberhaupt wohl keine Hoff- nung ist. Das Hochste, was wir anstre- ben konnen, ist, dass es uns gelingen moge, es dahin zu bringen, dass in alien High Schools des Staates Deutsch ge- lehrt werde, und dass dieser Unterricht in f&hige H&nde gelange. Bis jetzt ist beides noch nicht der Fall, doch sind die Aussichten auf Verwirklichung dieser Ideale sehr gut. Mit solch tiichtigen Mannern an der Spitze des Deutschen an unseren Universitiiten, wie die Pro- fessoren Goebel, Schilling und Putzker, kann die endliche Hebung des deutschen Unterrichts im Staate nicht ausbleiben. Scheme Erfolge sind bereits erzielt wor- den, und Besseres birgt die Zukunft in ihrem Schosse. Es wird die Leser der P.

M. interessieren zu horen, welche Fort- schritte in dem bescheidenen Wirkungs- kreise Hires Korrespondenten, in der High School zu San Jose, zu verzeich- nen sind. Als wir vor zwei Jahren hier ankamen, konnten Deutsch, sowie auch Franzosich und Spanisch erst im drit- ten Schuljahre erwiihlt werden, wahrend Latein schon im ersten Jahre aufgenom- inen wurde. Dies gereichte den moder- nen Sprachen zum grossen Nachteil, denn, wie bekannt, sind bis dahin nur noch ungefiihr die Hiilfte der eintreten- den Schiiler in der Schule, und dann sind schon die meisten derjenigen, die eine fremde Sprache studieren wollen, in die Molocharme des Lateinischen getrie- ben. Das Deutsche hatte also wenig Ge- legenheit, seine Verdienste als wiin- schenswerte Fremdsprache zu beweisen. Isach rastlosem Bemiihen, gegen die Opposition des ,,klassischen" Departe- ments bis zum letzten Moment, ist es uns endlich gelungen es durchzusetzen, dass die Schiiler schon gleich beim Ein- tritt in die High School Deutsch auf- nehmen konnen, so dass sie also zum Studium einer fremden Sprache zwi- schen Deutsch und Latein die Wahl ha- ben. Diese Neuerung ist mit allgemei- ner Befriedigung aufgenommen worden, und hat sich bereits ausgezeichnet be- wiihrt. Wahrend friiher die Anfanger- klasse nur 20 bis 25 Schiiler ziihlte, mel- deten sich in diesem Semester iiber fiinf- zig zum deutschen Unterricht, und wir erwarten im nachsten Semester eine ahnliche Anzahl. Dies beweist nur das alte Sprichwort: Auf einen Streich fallt keine Eich', und Ausdauer fiihrt zuletzt doch zum Ziel. In der Neujahrswo- che wird in Los Angeles die grosse Kon- vention der State Teachers' Association stattfinden. Dabei werden die hervorra- gendsten Schulmiinner des Staates, wie die Priisidenten unserer beiden Universi- taten, Jordan und Wheeler, u. a. zugegen sein, und auch einige Grossen aus dem Osten, unter ihnen der Farbige, Booker T. Washington. Alle Phasen des Schulwe- sens werden im allgemeinen und im be- sonderen behandelt werden. Auch den modernen Sprachen ist eine besondere Sektion zugewiesen worden, unter dem Vorsitz von Professor Julius Goebel. Dies wird uns eine ausgezeichnete Gele- genheit geben, fiir unsere Sache zu wir- ken, und wir versprechen uns gute Re- sultate. Bericht hieriiber wird spliter folgen. V. B.

Chicago.

Im deutschenUnterrichtswesen unserer Stadt haben mit Beginn des jetzigen Schuljahres durchgreifende Anderungen

18

P'ddagogiscbe Monatsbefte.

stattgefunden. Um die Notwendigkeit derselben klar zu machen, muss ich etwas weit ausholen. Die Stadt Chicago ist aus einer Menge verschiedener Towns zusammengesetzt, die bis zu einem ge- wissen Grade eine von einander unab- hangige Verwaltung haben . Jedes der- selben wahlte bis vor kurzem seinen ei- genen Assessor und jeder dieser Asses- soren schatzte das in seinem Town vor- handene steuerbare Eigentum ganz nach Belieben ein. Auch war es ein offenes Geheimnis, dass die Reichen beinahe gar keine Steuer mehr weder auf Grund- noch auf bewegliches Eigentum bezahl- ten. Die Steuerlast wurde einfach ganz und gar auf den sogen. kleinen Mann abgewalzt, fur den es ,,sich nicht be- zahlte", den Assessor ,,zu sehen". Diese Zustiinde wurden vor ein paar Jahren so unleidlich, dass das Volk sich aufraffte und gebieterisch die Abschaffung dieser Assessorenamter verlangte, welchem Wunsche auch von der Staatslegislatur Rechnung getragen wurde. Man machte ein Gesetz, welches ein board of Assess- ors, bestehend aus sieben Mitgliedern, schuf, und hoffte nun, dadurch der schmachvollen Bestechung einen Rie- gel vorgeschoben zu haben. Je- der ehrliche Mann atmete auf, und besonders die Lehrer hofften, nun auch ihren Anteil an den zu erwartenden reichlicheren Steuerein- kiinften in Form von hoheren Gehaltern zu erhalten. Aber es sollte anders kom- men.

Die Mitglieder des erwahnten board of assessors bewilligten sich riesige Jahres- gehalter (ich glaube $10,000 jeder) und machten dadurch ihre Amter zu sehr gesuchten. Da sie vom Volke erwahlt werden, so war naturgemass ihr gross- tes Bestreben, sich beim Volke lieb Kind zu machen, und das kann ein Assessor am besten, wenn er die Steuern mb'glichst niedrig ansetzt. Und das taten die Her- ren. Als vor einem Jahre das stiidtische Budget festgesetzt wurde, sah man ein Defizit von mehreren Millionen, und in den verschiedenen Departements, die in den letzten Jahren schon fortwiihrend ungentigend mit Mittel versorgt waren, musste nun erst recht gespart und die Ausgaben beschnitten werden. Der Schu^rat, der infolge des schnellenWachs- tumes der Stadt Jahr fiir Jahr grossere Summen benotigt, sah sich vor einem Defizit von rund einer Million Dollurs oder einem minus von einem Sechstel seines erwarteten Einkommens; mit dieser Summe musste man auskommen. Unser Schulrat hatte einen schweren Stand. Wo immer er Beschneidungen

vornehmen wollte, stiess er auf begreif- lichen Widerstand. Man einigte sich auf folgende wesentliche Anderungen : Beschneidung der Gehalter aller Schul- ratsangestellten um 5 Prozent; Schlie- ssung der Kindergarten; Nichteroffnung der Abendschulen; Erhohung der Schiilerzahl in jeder Klasse auf 55 Kin- der oder mehr; Verminderung der An- zahl der Speziallehrer des Singens von 14 auf 4; Abschaffung von 8 Hilfssuperin- tendenten-Stellen sechs wurden bei- behalten und endlich sollte auch der deutsche Unterricht abgeschafft werden, der bisher eine jiihrliche Ausgabe von $180.000 verursacht hatte. Dem mann- haften und zielbewussten Auftreten des Schulrates Dr. Heinrich Hartung, der friiher selbst Lehrer war, haben wir's vor allem zu danken, dass es es doch nicht dazu kam. Er rettete, was unter den Umstanden zu retten war : Der deutsche Unterricht wird allerdings nicht als Spezialfach erteilt, sondern als ,,departmental work". Die Kinder einer Schule, die z. B. in den fiinften Graden Deutsch lernen wollen, kommen alle in ein Zimmer, welchem eine Lehrkraft vorsteht, die die deutsche Lehrbefahi- gungspriifung abgelegt hat. Dieselbe Lehrkraft erteilt den deutschen Unter- richt im 6. und 7. und 8. Grad je y2 Stunde per Tag, und jene Lehrer gehen so lange in das Zim- mer der deutschen Lehrerin. Wie ich ho're, haben sie in anderen Stadten dieses Landes dasselbe System, und es soil sich z. B. in Cleveland gut bewiihrt haben.

Freilich fiir viele deutsche Lehrerinnen war das ein harter Schlag, mussten sie doch, um im Schuldienst zu bleiben, eine Lehrbefahigungspriifung in den engli- schen Fachern ablegen. Ungefahr 100 aus 160 haben sich von Januar bis Au- gust darauf vorbereitet, etliche 40 haben die Priifung am 20. August bestanden. Die Fragen waren nicht gerade sehr schwer, aber auch nicht leicht, im gro- ssen und ganzen ziemlich gerecht. Pada- gogik und Psychologic wurde ihnen ge- schenkt. Verschiedene, die die Priifung nicht bestanden haben, gehen jetzt nach der Normalschule ; man wird sie, wie ich hore, nachsten Herbst ohne weiteres Ex- amen anstellen. ttber den Erfolg oder Nichterfolg des deutschen Unterrichtes in seiner jetzigen Form ein Urteil zu fiillen, ware voreilig; die Sache ist noch zu jung. Ernes.

Cincinnati.

Der Stock bleibt. Der Schulrat ver- warf nach kurzer Diskussion den Antrag auf bedingungslose Abschaffung der Kor- perstrafen und die Errichtung von Spe-

Korresponden^en.

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zialklassen fiir Dauer-Nichtsnutze (S. meine letzte Korresz. ) . Der Sieg wurde den Gegnern der Massregel insofern leicht geinacht, als die besagten Spezial- klassen nicht zu verachtende Ausgaben verursacht haben wiirden, die Schulfinan- zen aber solche nicht tragen konnten. So liegt denn der gut gemeinte Antrag ad calendas graecas ,,angefangen und been- det in der Santa Casa ( Finanzkomitee ) heiligen Registern". Moge derselbe noch viele Jahre dort, der Stock aber im Klassenzimmer bleiben, ein Segen fur die Schiller und ultima ratio des Lehrers, wenn er nur richtig angewandt wird.

Mit der allmahlichen Einfiihrung aller Arten von Handfertigkeitsunterricht und sonstigen modernen Erziehungszweigen, iiber deren Wert hier, wie anderswo, die Ansichten himmelweit auseinander- gehen, wird in unseren Elementarschulen rustig vorangeschritten. Falls wir auch in dieser Hinsicht mit mehr Geduld und Ausdauer gesegnet sind als die Franzo- sen, die diese Veranstaltungen nach ziemlich eingehenden Versuchen langst wieder iiber Bord geworfen haben, mag es uns gelingen, dieselben hier dauernd einzubilrgen. Das ware keineswegs zu bedauern, vorausgesetzt, dass der, jeg- lichem Erdentaps unumganglich not- wendige eiserne Bestand positiverKennt- nisse dabei keine Einbusse erleidet. Dariiber kb'nnen wir sehr bald im klaren sein, und bis dahin scheint ein Urteil iiber die Sache nicht am Platze.

Mit der am 6ten Dezember abgehalte- nen regelmassigen Versammlung des deutschen Lehrervereins war eine, durch die Umstande etwas verspatete Feier des hundertjahrigen Geburtstages von Wil- helm Hauff verbunden. Lehrer und Schiller batten sich in die Biirde des Tages geteilt, und legten Ehre mit den gebotenen Vorfiihrungen ein. Den Vor- trag iiber den gefeierten Dichter hatte Herr Dr. H. H. Fick iibernommen. Er entledigte sich seiner Aufgabe in glan- zender Weise und wurde mit reichlichem Beifall belohnt.

Herr Theodor Meyder, der Dirigent der von ihm neubelebten Gesangsektion, kann nicht zu hoch gepriesen werden fiir den Genuss, den diesesmal ein Schiilerchor aus seiner Schule durch den unter seiner Leitung gebotenen prach- tigen Vortrag des bekannten Hauffschen ,,Reiters Morgengesang" den Anwesen- den bot. Nicht weniger Lob gebiihrt dem Gesanglehrer, Herrn Wilhelm Rickel, fiir ein schones Cornetsolo, Thema und Variationen von Hauffs ,.Treue Liebe", sowie Frilulein Emma Rottmiiller, einer vor kurzem entlassenen

Schiilerin der Sten Intermediatschule, fiir den hilbscht-ri Vortrag des Lexow- schen Gedichtes ,,Steh ich in finstrer Mitternacht". Die sehr gut besuchte Versammlung war eingeleitet worden durch eine kurze Trauerfeier fiir unseren lieben Toten, Wilhelm Heinrich Weick, den verdienstvollen Kollegen, der vor vierzehn Jahren den ersten Anstoss zur Griindung unsercs heute so bliihenden Vereines gab. Die von Kollegen H. von Wahlde verfassten Trauerbeschliisse wurden von der Versammlung einstimmig angenommen.

In der am Tage vorher stattgefunde- nen Versammlung des deutschen Ober- lehrervereines kam der Prasident des- selben, Herr B. Wittich, auf seine in meinem vorletzten Berichte be- sprochene Ansprache, die Pflege der deutschen Sprache betreffend, zuriick und unterbreitete einige Vorschlage be- hufs Agitation fiir die Verbesserung des gegenwartigen, seiner Ansicht nach, der Abhilfe sehr bediirftigen Zustandes durch direktes Wirken der Lehrer au- ss-erhalb der Schule, im Familienkreise, in der Presse, in Vereins- und Kirchen- kreisen u. s. w. Die Angelegenheit wurde einem Komitee iiberwiesen, das in der nachsten Vereinsversammlung iiber den eventuell einzuschlagenden Weg zurVer- wirklichung der genannten Vorschlage des Herrn Wittich berichten soil. Den obligatorischen Vortrag hielt Herr Oberl. Dr. W. Jager. Er behandelte ,,das Ab- hJingigkeitsverhaltnis in der deutschen Satzbildung", unter besonderer Beriick- sichtigung der durch die Stellung des Subjektes bedingten Inversion, und ern- tete mit seiner kurzen, aber hochst kla- ren Darlegung dieser in der Sprachen- reihe einzig dastehenden feinen Eigen- tiimlichkeit wohl verdienten Beifall.

Das vor einigen Tagen erschienene offizielle ,,8chul-Bulletin" No. 5 behan- delt ausschliesslich den deutschen Unter- richt. Verfasst von dem Assistenz- superintendenten, Herrn Dr. Fick, und mit empfehlenden Anmerkungen des Superintendenten und des englischen Assist.-Superintendenten versehen, bie- tet dasselbe eine Anzahl Andeutungen und Erliiuterungen zum deutschen Lehr- plan, die jedoch lediglich als Ratschla- ge aufzufassen sind, es jeder Lehrkraft anheimstellend, nach eigenem Ermessen vorzugehen. Fiir jede einzelne Diszi- plin sind bis zum fiinften Schuljahre hinauf praktische Winke gegeben; em- pfehlen3werte Hauslektiire fiir Schiller, sowie Lehr- und Nachschlagewerke fiir den Lehrer sind in reichlicher Anzahl genannt; mit einem Worte, es wird in

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P'ddagogtsche Monatsbefte,

diesem Bulletin eine Fiille von Handlei- tung und gutem Rat geboten, ohne den damit Bedachten die Hand fiihren zu \vollen ein Fortschritt gegen die alt- gewohnte krankhafte Bemutterung, der gewiss nicht verfehlen wird, schone und allseitig lohnende Fruchte zu erzielen.

quidam. Milwaukee.

Also endlich haben wir Lehrer eine Gehaltserhohung zu erwarten. Aber sie ist vorlaufig nur inSicht; doch nachstes Jahr, Sept. 1903, wird sie wohl zurWirk- lichkeit werden. Auch ist sie nicht so gross ausgefallen, wie man sie in Aus- sicht gestellt hatte, denn sie betragtnur 5%. Doch sie kommt, und hoffentlich wird es damit nicht sein Bewenden ha- ben. Also vivat sequens! Der Schulrat lasst die Zulage nach der Anciennitat eintreten. Alle Lehrer mit zehn oder mehr Dienstjahren erhalten $50 jiihrlich mehr, die Prinzipale $100. An den Hoch- schulen erhalten Prinzipale und Lehrer den doppelten Betrag. Dann erhalten auch alle Lehrer der 1. und 5. Grade extra $50, weil die Arbeit an diesen Klassen fur besonders wichtig und schwierig angesehen wird. Auch das Ge- halt der Schuldiener wird erhoht, und zwar um 10%. Honny soit qui mal y pense.

Die erste Versammlung des Lehrerver- eins des Deutschen im neuen Schuljahr fand am 10. Okt. statt. Es wurden nur Routinegeschjifte erledigt und fand zu- gleich die jiihrliche Wahl der Beamten statt. Gewiihlt wurden als Vorsitzer Herr Ph. Lucas, als stellvertretende Vorsitzerin Frl. A. Hogrefe und als Schriftfiihrer Herr II. Siegmeyer. In der zweiten Versammlung am 10. Nov. ergriff nach der Erb'ffnung Herr Abrams das Wort und teilte der Versammlung die Trauerkunde von dem Hinscheiden des in weiten Kreisen bekannten Lehrers und Schriftstellers Herrn W. H. Weick in Cincinnati mit. Er sprach in warmen Worten von den grossen Verdiensten des bekannten Sehulmannes und Kollegen, die er sich um das Schulwesen tiber- haupt und besonders um das deutsch- amerikanische Schulwesen erworben ha- be. Er sei als tiichtiger Lehrer und Pii- dago^e in jeder Hinsicht wtirdig, den beiden ihm kiirzlich im Tode vorange- gangenen Kollegen Rosenstengel und Raab an die Seite gestellt zu werden. Die Versammlung ehrte das Andenken des dahingeschiedenen Kollegen durch Erheben von den Sitzen.

Auf der Tagesordnung stand ein Be- richt iiber den diesjiihrigen Lehrertag in

Detroit durch die dazu vom Verein er- nannten Delegaten. Herr Dapprich, der Prasident des Lehrertags, sprach zuersr iiber Zweck und Ziele des Lehrertags, und teilte dann in humorvoller und fes- selnder Weise, wie gewohnlich, manches iiber den Verlauf des Lehrertags und die gehaltenen Vortrage mit. Die anderen Redner, wie Herr Abrams, Frl. Hogrefe, Herr Eiselmeyer und Herr Martens, machten dann noch Mitteilungen von der praktischen Lehrprobe iiber die ersten Sprachiibungen, gehalten mit angloame- rikanischen Schillern. Die allgemeine Ansicht der Berichtenden schien dahin zu gehen, dass durch das augenscheinli- che und offen zu Tage tretende Drillen und Einpauken des Lehrstoffes der pii- dagogische Wert der Arbeit sehr in Fra- ge gestellt sei. Auch wurde es bedauert und geriigt, dass nach den gehaltenen Vortriigen und nach der Probelektion keine Debatten stattgefunden hatten. Herr 0. Spehr brachte dann noch mit einigen passenden Worten der Versamm- lung in Erinnerung, dass der heutige Tag, der 10. Nov., der Geburtstag zweier grosser deutscher Manner sei, Luthers und Schillers, die beide fur uns deutsche Lehrer und fiir die deutsche Schule und Sprache von so grosser Wichtigkeit und Bedeutung seien. Es werde nicht allge- mein und geniigend anerkannt, dass ge- rade Luther durch sein ausgezeichnetes Werk, die Bibeliibersetzung, der eigent- liche Schopfer der neuhochdeutschen Sprache geworden sei; was besonders von Dittes in seinen piidagogischen Wer- ken und Schriften stets betont wurde. Auch bemerkte Herr Spehr noch, dass es in diesem Herbste gerade 200 Jahre her seien, seitdem Franz Daniel Pastorius in Germantown in Pennsylvanien (1702) die erste deutsche Schule gegriindet habe. A. W.

New York. Deutscher Lehrerverein von New York

und Umgegend.

Das was ein glorreicher Tag! Nicht unsere letzte Lehrerversammlung, son- dern der 9. November, der ,,deutsche Tag". So viele Leute hatten in unserer Versammlung ja auch gar nicht sitzen konnen, f iinfzehntausend ! Wo sollten wir denn alle die Stiihle herbekommen? Doch so viele fluteten durch die Tore des Madison Square Garden an diesem denk- wiirdigen 9. November. Grossartig in Masse, grossartiger in Leistungen! Zeigte der Nachmittag die Schonheit und Kraft harmonischer Bewegungen eines Massenkorpers, so entfaltete der Abend die Schonheic und Kraft geistiger Auf-

Korresponden^en .

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fassung im Reiche der Tone. Beides so recht deutsch! Deutsch auf amerikani- schem Boden, deutsch in der neuen Hei- mat! Auf solche Biirger kann Amerika stolz sein, die verstehen mehr als Irish whiskey zu trinken und in dem saloon Dorfpolitik zu treiben. Beide Leistun- gen waren von den patriotischen Reden typischer Deutschanierikaner begleitet. Ani Xachmittage sprach Herr Prof. Dr. Kuno Francke von der Harvarduniversi- tiit auf Deutsch, am Abend Herr Dr. C. Hexamer von Philadelphia auf Englisch. Um dann der Feier die Krone eines durchschlagenden Erfolges aufzusetzen, iiberbrachte der Herr Graf von Quadt, als Vertreter der deutschen Botschaft in Washington, die Gliickwiinsche des deut- schen Kaisers an die Vereinigten deut- schen Gesellschaften von New York und schloss mit einem Hoch erst auf unse- ren Prasidenten Roosevelt und dann auf den Sender der Gluckwiinsche.

ttberwaltigend schon war der Gesamt- eindruck dieses halben Tausend jugend- licher Korper in ihren schmucken Tur- neranziigen und rythmischen Bewegun- gen zu den schmeichelnden Takten der Musik. Wie von einem Geiste war die ganze Masse beseelt, Jiingling und Jung- frau, Knabe und Miidchen bis zu den kleinsten der Kleinen in ihrem riihren- den Eifer, was Grosses zu leisten. Und etwas Grosses haben sie geleistet in ihren symetrischen Marschiibungen, in ihrem Keulenschwingen, ihrem Tanze und ihrer dramatischen Darstellung des Star Spangled Banner's. Wie das alles nur so klappte! Wie mit dem Zauber- stabe ins Dasein gerufen standen ihre Menschenpyramiden zum Schlusse da! Ebenso prazise und gewandt, voll Schon- heit und Kraft waren die darauffolgen- den Einzeliibungen der Turner an den Geriiten.

Am Abende feierte das deutsche Lied seine Triumphe. Die schwellenden Ak- korde aus 400 deutschen Mannerkehlen iiberfluteten den unabsehbaren Raum mit der Fiille und dem Vollklang, der Zart- heit und Reinheit deutschen Tones und deutschen Seelenlebens. Ihr Vortrag war musterhaft wie auch der Ausdruck der Solopartieen durch Frau Marie Rap- pold.

Wie laut sich der Beifall ungeteilter Anerkennung all der Prachtleistungen des Tages ausserte, lasst sich eher den- ken als beschreiben. Wenn zwanzigtau- send Hande zu gleicher Zeit aufeinan- derklappen, da kann selbst ein Tau- ber horen. Wenn er es nicht tut, nun, so ist das seine Sache.

In seiner Festrede erging sich Herr Prof. Francke ,,iiber die deutsche Auf- fassung dessen, was echte Volksbildung ist und zu leisten hat".

So manchem meiner Leser hat gewiss schon lange die Frage auf der Zunge ge- brannt : Aus welchen Schichten der Be- volkerung setzten sich denn die Festteil- nehmer zusammen?" Die Antwort ist leicht: aus alien. Da waren reiche und weniger reiche, junge und alte, kurze und lange, dicke und diirre, gelehrte und weniger gelehrte, New Yorker und Gaste von auswarts, kurz, eine echte deutsche Gesellschaft, voll heiliger Begeisterung fur die grosse Sache.

Mogen diesem ersten noch recht viele solcher ,,deutschen Tage" folgen, ein Tag des Friedens und briiderlicher Ei- nigkeit. P. S.

Vom Verein deutscher Speziallehrer in New York hat man in letzten Jahren in den Pad. Monatsheften wenig gehort. Schuld daran waren teils die Nachlas- sigkeit des dafiir ernannten Berichter- statters, teils die eigenttimlichen Ver- haltnisse. Diese Verhiiltnisse batten z. B. wilhrend des ganzen letzten Jahres eine Berichterstattung unmoglich ge- macht, und auch in diesem Jahre musste der mit der Berichterstattung beauf- tragte Unterzeichnete mehrere Monate verstreichen lassen, bis die notwendige Klarung eintrat.

Der Spezial-Lehrerverein fasst seine Aufgabe in doppeltem Sinne auf. Ers- tens natiirlich padagogisch, zweitens aber ist er, der Natur der Sache nach, der vornehmliche Hiiter des sorgsamster Pflege bedurftigen Pflanzleins: ,,Deut- scher Unterricht in den Elementarschu- len New Yorks". Und dieser sorgsamen Pflege hat es zu keiner Zeit mehr be- durft, als in den letzten Monaten. Ver- gegenwartigen wir uns die Situation! Deutsch wurde in den Elementarschulen bisher nur in den Bezirken Manhattan und Bronx und in 2 oder 3 Schulen von Queen's Co. gelehrt. Weder ' Brooklyn noch Staten Island kannten diesen Un- terrichtszweig. Der mit dem 1. Februar in Kraft getretene Teil des Charters, der sich mit dem Unterrichtswesen beschaf- tigt, besagt nun, dass fortan der Stu- dienplan fur alle Bezirke gleichmlissig durchgefiihrt werden soil. Demgemass muss nun also der deutsche Unterricht auf die drei anderen Bezirke ausgedehnt werden, oder aus den beiden verschwin- den, in denen er bisher erteilt wurde. Jeder Wechsel schreckt den Gliicklichen, sehr mit Recht, auch die Lehrer des Deutschen, obgleich sie nicht immer den

PUdagogiscbe Monatshejte.

Gliicklichen zugezahlt werden konnen, und so waren es lange Tage schweren Kampfes und bangen Zweifels, ob der Schulrat den rechten Weg einschlagen werde. Diese bangen Tage sind auch noch nicht vortiber, aber die Situation hat sich doch soweit geklart, dass mit Zuversicht behauptet werden kann: Der deutsche Unterricht wird nicht nur nicht aus den Elementarschulen New Yorks verschwinden, sondern wird auf samtli- che Bezirke ausgedehnt werden, und der Kampf dreht sich gegenwartig nur um die demselben zu gewahrende Zeit. Be- kanntlich war derselbe bisher auf die letzten 2% Jahre, mit wochentlich 100 Minuten pro Klasse, beschrankt. Fak- tisch zugestanden ist nun demselben zur Zeit nur das letzte Jahr mit auf das Doppelte erhohter Zeit und mit dem sehr wichtigen Zugestandnis taglicher Lektionen. Man kann aber schon jetzt mit Zuversicht voraussagen, dass diesem einen noch ein weiteres Jahr hinzuge-

fiigt werden wird. Es wird dann also der deutsche Unterricht allerdings um ein halbes Jahr beschrankt werden, diese Beschrankung aber mehr als wettge- macht werden durch die verdoppelte Stundenzahl, durch die Ausdehnung auf mehr als noch einmal so viele Schulen als bisher und dadurch, dass ihm eine geachtetere Stellung als bisher einge- riiumt wird.

Es ist keine tfberhebung, auszuspre- chen, dass, wenn auch die Unterstutzung der deutschen Presse in den letzten Wo- chen nicht zu unterschatzen ist, diese Errungenschaften wesentlich dem rtihri- gen und zielbewussten Eintreten des Vereins deutscher Speziallehrer zu dan- ken sind. Hoffentlich kann ich in mei- nem niichsten Berichte Definitives mit- teilen und mich spater weiteren Fragen zuwenden, die, obwohl lokal, fiir einen grossen Teil des Leserkreises der Mo- natshefte von Interesse sein diirften.

C. H.

III. Umschau.

An der Cornell Unwersit&t ist ein Plan in Erwagung, die Professoren mit ihrem siebzigsten Jahre zu pensio- nieren. Sicherlich ein Schritt, der hof- fentlich verwirklicht werden und Nach- ahmung finden wird.

Dr. Maxwell, Schulsuperintendent des offentlichen Schulwesens zu 'New York, wurde von gewissen deutschen Zeitungen beschuldigt, ein Gegner'des deutschen Un- terrichts an den offentlichen Schulen zu sein; darauf hat er folgende Erklarung, von ihm unterzeichnet, abgegeben:

"I am in favor of teaching German in the public schools. I am in favor of teaching German chiefly for two reasons. First, because of its value as a purely educational subject and as a means of intellectual discipline, and second,because of its great commercial value. The com- mercial value of knowledge of German is constantly increasing. Hence, we have made German one of the most conspicu- ous features of the course of study in the high school ofcommerce. All reports to the effect that the teaching of German is about to be eliminated from the curricu- lum of the elementary schools are entire- ly without foundation. In all probability, however, there will be, after the new course of study is adopted, a very great reform in the teaching of the German language. As the subject is taught now it is taught for one hundred minutes a

week during two and a half years. The results are most unsatisfactory. In the first place, the teaching of German is an optional study. Children are not required to learn the language. In the second place, the amount of time each week de- voted to the subject is too small to per- mit of proper teaching on the part of the teachers or proper study on the part of the children. The teachers in the high schools of New York find that children coming from the elementary schools of New York who have studied German in this way know practically nothing about the language.

"Evidently this state of affairs cannot be allowed to continue. While I cannot anticipate conclusions that have not been definitely reached by the board of super- intendents, I may say that in the grades in which German will be taught hereafter it will be required of all children in these grades, and it will be taught a sufficient length of time each week to secure ade- quate results for the money and labor expended.

"Furthermore, the course of study will be uniform for the entire city, and, unless my judgment is entirely at fault, I be- lieve the recommendation of the board of superintendents will be that the teach- ing of German should no longer be con- fined to the boroughs of Manhattan and the Bronx, but should be extended to the

Umscbau.

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other boroughs Brooklyn, Queens, and Kichmond. WILLIAM H. MAXWELL,

City Superintendent of Schools." New York, Nov. 13.

Chicago. Die Chicagoer Lehrerverei- nigung (Teachers' Federation), die eine Mitgliederzahl von 4,500 aufzuweisen hat, hat durch einen Majoritatsbeschluss vom 8. November um Aufnahme in die Chicagoer Arbeitervereinigung nachge- sucht. Die Entscheidung fiel nach einer vierstiindigen Diskussion.

Mitglieder der Arbeitervereinigung begriissen den Beitritt der Lehrer mit Freuden. Sollte die Vereinigung der beiden Korperschaften vor sich gehen, dann wurde*n die 200,000 Stimmgeber der Arbeiterunion die Sache der Schulen und Lehrer zu ihrer eigenen machen, un- ter anderem, f iir die Notwendigkeit einer hoheren Geldbewilligung fiir die Schulen eintreten, und am Stimmkasten fiir solche Massnahmen undKanditaten tatig sein, die Schuler und Lehrer giinstig sind, namentlich auch eine bessere Besoldung der Lehrer fordern.

Ein besonders wirksames Mittel, ihre Ziele zu erreichen, werden in Zu- kunft den Lehrern die Streike bieten. Natiirlich wiirde zu diesem Mittel nur im aussersten Notfalle geschritten wer- den. Jedenfalls wird ihren Forderungen mehr Gewicht beigelegt werden, wenn hinter ihnen die machtvolle Union steht. Augenblickliche Hilfe erwartet man, um die ftberfiillung der Schulklassen zu beseitigen, die Gehaltsskala vom Jahre 1895, die fallen gelassen worden war, wieder einzufiihren und dem Lehrer- pensionsfonds wieder aufzuhelfen, der dem Bankrott nahe ist. Frl. Ella Howe, die bisherige Prasidentin der Lehrer- vereinigung ist mit dem Beschluss der Mehrheit nicht einverstanden und hat infolgedessen ihr Amt niedergelegt. Nach ihrer Ansicht wird wohl die Halfte der Chicagoer Lehrer aus der Vereini- gung austreten.

Auf dem Programm der in den Weih- nachtsferien zu Los Angeles stattfinden- den Versammlung der Hochschullehrer des Staates Califomien befindet sich ein Vortrag von Herrn Valentin Buehner, an der Hochschule zu San Jos6, tiber ,,the Culture Value of Modern Languages". Herr Buehner ist zugleich Sekretar der ,,Modern Language" Sektion und wird auch vor deren Versammlung einen Vor- trag iiber ,,Ziel und Methode des Sprach- unterrichts" halten. (Wir freuen uns, von der Riihrigkeit unseres Freundes und Mitarbeiters an dieser Stelle Kenntnis nehmen zu konnen. D. R.)

Abschaffung des Gricchischen. Sogar auf der Universitiit zu Oxford, England, hat man die Ratsamkeit der Abschaf- fung des Grieschischen, als obligatori- sches Studium in Erwagung, und nach einer Ausserung der ,,Times" wiirde dies sicher im Einklang mit den Anforde- rungen, die die moderne Zeit an den Menschen stellt, stehen.

Allm&hlich scheint es doch auch in China Tag werden zu wollen. Ein kai- serlicher Erlass hat eine Anzahl junger Leute nach den Universitiiten unseres Landes abgeordnet, damit diese hier auf Kosten ihrer Regierung den Stu- dien obliegen, nach deren Absolvierung und bestandenem Examen sie mit Regie- rungsstellungen betraut werden sollen.

Der deutsche Doktorgrad. In dem Be- streben, dem Doktorgrade der deutschen philosophischen und naturwissenschaft- lichen Fakultaten seine geschichtlich be- griindete Bedeutung in wissenschaftli- cher und sozialer Beziehung zu wahren, wurde ttbereinstimmung der beteiligten Unterrichtsministerien iiber folgende Grundsatze erzielt: 1. Der Doktorgrad darf nur auf Grund einer durch den Druck veroffentlichten Dissertation und einer miindlichen Priifung verliehen wer- den. Eine promotio in absentia findet unter keinen Umstanden statt. Die Ehrenpromotion, promotio honoris causa, bleibt unberiihrt. II. Von der Disserta- tion ist zu verlangen, dass sie wissen- schaftlich beachtenswert ist und die Fa- higkeit dartut, selbstandig wissen- schaftlich zu arbeiten. III. DieZulassung zur Promotion ist an den Nachweis der Reife einer deutschen neunstufigen ho- heren Lehranstalt und eines dreijahri- genUniversitatsstudiums zu kniipfen. Die Zulassigkeit von Ausnahmen von dem Erfordernisse der Reife ist durch die Promotionsordnungen zu regeln und moglichst zu beschranken. Dabei soil als Voraussetzung gelten, dass entweder 1. die Gleichwertigkeit der Vorbildung mit derjenigen auf einer deutschen neun- stufigen hoheren Lehranstalt durch aus- landische Zeugnisse gesichert erscheint, oder 2. der Mangel dieser gleichwertigen Vorbildung ersetzt wird durch die Ein- reichung einer als hervorragende Lei- stung anzusehenden Dissertation. Die Zulassung darf in der Fakultatssektion und unter Gutheissung des vorgeord- neten Ministeriums erfolgen. Die Pro- motionsordnungen konnen dariiber be- stimmen, ob und inwieweit bei Kandi- daten der naturwissenschaftlich-mathe- matischen Fiicher die Studienzeit an Technischen oder anderen deutschen

24

P'ddagogiscbe Monatsbefte.

Hochschulen abgelegt werden darf. IV. Die Gleichmiissigkeit der Zensierung ist anzustreben und tunlichst in der Weise zu regeln, dass nur folgende Prildikate erteilt werden: bestanden (rite), gut (cum laude), sehr gut (magna cum laude), ausgezeichnet (sum ma cum lau- de). V. Die erfolgten Promotionen sol- len halbjiihrlich im Reichsanzeiger in tabellariseher Form veroffentlicht wer- den. Zu diesem Zwecke werden die be- teiligten Ministerien dafiir Sorge tragen, dass die ausgefiillten Formulare beziig- lich des Somnierhalbjahrs bis zuni 1. Dezember, beziiglich des Winterhalb- jahrs bis zum 1. Juni an die Redaktion des Reichsanzeigers unter ausserlieher Kenntlichmachung als ,,Philosophische Promotionssache" eingesandt werden. Kiinftige Anderungen der geltenden Pro- motionsordnungen an den philosophi- schen Fakultaten und den naturwissen- schaftlichen Fakultiiten zu Heidelberg, Strassburg und Tubingen werden sich die beteiligten Ministerien durch ttber- sendung von Druckabziigen mitteilen. VI DieseVereinbarung ist moglichst bis zum 1. April, jedenfalls bis zum 1. Okto- ber 1902 durchzufiihren.

Dr. Bartelsli. Schuldirektor Dr. Fried- rich Bartels in Gera, der Herausgeber der ,,Rheinischen Blatter", ist am 25. Oktober gestorben.

Deutsch als Vermittlungs-Sprache. Zu Helsingfors in Finnland tagte kiirzlich eine Versammlung nordeuropaischer Naturforscher, wobei ausser den Danen, Norwegern, Schweden und Finn- landern auch Russen erschienen waren. Zur Geschaftssprache wurde einhellig die deutsche Sprache gewahlt, nicht die sonst iibliche franzosische, da dieser die Skandinavier im allgemeinen weni- ger milch tig sind. Der junge Kaufmann in Skandinavien lernt von fremden Sprachen an erster Stelle Deutsch und an zweiter Englisch; das Franzosische kommt erst hinter dem Spanischen in Betracht.

Eine hiibsche Erbschaftsgeschichte fin- det sich in Pariser Slattern. Die Kin- der der kleinen Stadt Faremoutiers wer- den das ,,allgemeine Stimmrecht" ken- nen lernen. Ein verstorbenes Mitglied der dortigen freiwilligen Feuerwehr

hinterliess der Stadt, die etwa 1000 Einwohner ziihlt, das notige Kapital zur Anschaffung von zwei Sparkassen- biichern tiber je 25 Fes. fur einen Schiller und Schulerin. Und zwar sollte dasjenige Kind, je ein Mannlein und ein Frilulein die Stiftung erhalten, welches ,,als das artigste und hoflichste der gan- zen Stadt anerkannt sei". Das Testa- ment fiigt hinzu, dass die Kandidaten aus alien Schulen von ihren Mitschiilern mittels geheimer Wahl zu ermitteln seien. Hoffentlich kommen in Faremou- tiers keine Wahlbeeinflussungen durch zeitweilige iibertriebene Hoflichkeit der Spargeldkandidaten vor !

Aus Rosseggers Heimat." Das von Rosegger erbauteWaldschulhaus zuAlpl, Steiermark, die Heimat des grossen Dichters, wurde am 28. Sept. feierlich eingeweiht. Rosegger hielt die Festrede. Das Hauschen ist einstockig, aus Holz gezimmert auf steinernem Unterbau, ge- ziert mit Tiirmchen und Balken.

Beim Eintritt griisst uns der auf ein Schild gemalte Spruch Roseggers:

O Waldheimat traut, Von Ahnen bebaut, Von Eltern geweiht, Von Kindern erneut Gott segne dein Erdreich, Gott segne den Fleiss,

Erleuchte den Landmann, Auf dass er es weiss, Und oft wohl bedenkt Und nimmer vergisst, Wie treu und heilig Die Heimat ist.

Im .farterre befindet sich die Lehrer- wohnung und das Schulzimmer, das Raum fur 40 Schiller bietet. Das ansto- ssende Lehrmittelzimmer ist sehr reich ausgestattet. Im ersten Stockwerk sind einige Kammern und ein gemiitliches Balkonzimmer, das der Baumeister fiir Kosegger eingerichtet hat. In der Wid- mungsurkunde ist der Fall vorgesehen, dass das Haus einmal nicht als Schul- haus benotigt sein konnte. Es ist dann in irgend einer Weise nutzbar zu machen, und der Ertrag ist filr Lehr- und Bildungszwecke der Gemeinde Krie<?lach zu verwenden.

IV. Vermischtes.

Goethe oder Gothef In einer Bespre- chung von ,,Jean Pauls Briefwechsel mit seiner Frau und Christian Otto, heraus- gegeben von Paul Nerrlich" wird diese Frage in der ,,Voss. Ztg." wie folgt be- antwortet. Beilaufig sei erwahnt, dasa Jean Paul die Namensform ,,Goethe" nur dann gebraucht, wenn er sie, wie vorstehend, mit lateinischen Buchstaben schreibt, was er aber nur selten tut; fur gewohnlich schreibt er ,,Gothe". Es ist zweifellos, dass die erstere Schreibweise nur fiir die lateinische Schrift, fiir die deutsche Schrift nur die Form ,,Gb'the" berechtigt ist. Im Deutschen hat es kei- nen Sinn, das 6 in o und e aufzulosen. Lassen wir in Namen einmal das e hin- ter o stehen, so verlangert es nur den O-Laut, wie denn die Stadtenamen Soest und Coesfeld bekanntlich ,,Sohst" und ,,Kohsfeld" zu sprechen sind, so dass man ,,Goethe" eigentlich wie ,,Gothe" lesen miisste. Die Schreibweise ,,Goethe" ist erst seit einigen Jahrzehnten durch- gedrungen; wenn wir einmal eine Aka- demie fiir deutsche Sprachen haben, setzt sie die Form ,,Gothe" hoffentlich wieder in ihre Rechte ein. Einzelne mutige Leute wagen auch jetzt schon wieder ,,G6the" zu schreiben, so Georg Keben in seinem 1901 erschienenen sehr lesenswerten ,,Fackelzug durch Kunst und Kultur".

Die Bibel im Kanzleideutsch. Der ,,Frankf. Ztg." wird geschrieben: In ei- ner Plauderei der ,,Braunschweiger Lan- deszeitung" wird der Versuch gemacht, die ersten Verse der Bibel in die Sprache zu ubersetzten, die ein zunftgerechter Be- amter schon findet: ,,Im Anfang wurde seitens Gottes der Himmel beziehungs- weise die Erde geschaffen. Die letztere war ihrerseits eine wiiste und leere, und war es finster auf derselben." Der ttber- setzer muss aber selber gestehen, dass ihm sein Versuch noch nicht ganz gelun- gen ist: drei kurze angereihte Haupt- satze nacheinander kennt der hohere und niedere Kanzlist nicht; er hatte Ge- schick und Geduld genug, das ganze erste Kapitel der Bibel in einen einzigen Satz zu bringen. Die Sprachgelehrten der Kanzleien sollten sich wirklich einmal an die schb'ne Aufgabe machen, das hei- lige Original in ihr geliebtes Deutsch zu tibertragen, um uns z. B. zu berichten: ,,Dass Gott das Licht von der Finsternis dergestalt zwecks Scheidung zeitlich in geeigneter Weise anordnete, dass er dem- zufolge in der Lage war, das Licht und

die Finsternis Tag, bezw. Nacht zu be- nennen, worauf derselbe sich dann der weitern Aufgabe unterzog, in betreff der Meere bezw. der entsprechenden Fliissig- keiten der Atmosphare eine zweckdien- liche Abgrenzung dermassen zu bewir- ken, dass er hinsichtlich dieser vermit- telst einer sogenannten Feste, welcher er den Namen ,Himmel' zu verleihen sich entschied, seither die Gewasser auf der Erde von den Gewilssern, resp. wasser- haltigen Gasen am, bezw. im vorbenann- ten Himmel vollstandig zur Trennung brachte, worauf dann am Abend einer- seits und Morgen anderseits der zweite Tag ebenmassig zum Abschluss ge- langte".

Verlurst. (Zu Scheffels Liedern vom Rodenstein. )

I, 6: ,,Hollaheh! doch wie man's treibt, so gehts,

Was liegt an dem Verlurste?

Man spricht vom vielen Trinken stets,

Doch nie vom vielen Durste". Norddeutsche pflegen nach meiner Er- fahrung zu meinen, dass Scheffel die Form Verlurst willkiirlich, dem Reime zuliebe, oder im Scherze gebildet habe. Wir haben es jedoch mit einer volks- ttimlichen oberdeutschen Form zu tun, die schon in der Zimmerischen Chronik erscheint (s. Lexer, Mhd. Hdwtb. Ill, 170). In Schmellers Bayer. Wtb. I, 1514 lesen wir daruber: ,,Der Verlurst, im bayr. Schriftgebrauche (wie Dien-st, Gun-st, Kun-st, Brun-st, vielleicht zur Unterscheidung von Verlust, (disideri- um) sehr gewohnlich statt: der Verlust. So miisste auch Frorst, Frurst fiir Frost gelten, was doch nicht der Fall ist. ver- lustig, verlurstig adj. verlierend, verlo- ren habend." Auch Moriz Heyne in sei- nem Deutschen Wtb. Ill, 1221 belegt diese oberdeutsche ,,deutlicher an verlie- ren anlehnende" Nebenform aus J. Gott- helfs Schuldenbauer. Die Scheffelstelle findet sich bei ihm nicht. (Zeitschrift des Allg. deutschen Sprachvereins ) .

Der sachsische Genetiv". Diese von vielen deutschen Grammatikern angwen- dete Bezeichnung ist nach einr Darle- gung der Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Sprachvereines ungehorig. Diese Bezeichnung des vorangestellten zweiten Falls (z. B. ,,des Vaters Haus") ist der englischen Sprachlehre entlehnt. Dort ist sie berechtigt. Denn die mit dem Biegungs-s bezeichnete, nur in der

26 P'ddagogiscbe Monatshefte.

Voranstellung erhaltene Form des Gene- zweiten Halfte hintereinander. ,,Ele-

tivs (king's servant the servant of the ment" wiirde somit etwa dasselbe bedeu-

king) stammt fiir die Englander au8 ten wie ,,A B C", also Anfang. Andere

dem Angelsachsischen. Im Deutschen bringen es mit dem gricchischen ,,elaun-

aber ist jene Voranstellung von jeher ein" hervorbringen, in Bewegung set-

iiblich gewesen, und zwar nicht bloss zen, antreiben (davon: elastisch, Elasti-

im sachsischen Sprachgebiet, ist also fiir zitat), ein neuerer Forscher sogar mit

uns nicht eigenartig Sachsisches. dem hebraischen ,,ailam" Eingang, in

Verbindung. H. Diels stellt eine neue

Die Etymologic des Wortes ,,Element" Annahme auf. Das lat. ,,elementum"

(elementum) , das ja bekanntlich auch in sei, schreibt er, ein griechisches Lehn-

der Schulsprache seine Rolle spielt (Ele- wort und entstanden aus ,,elepantum"

mente Anf angsgriinde, Elementarschu- ( von ,,elephas Elef ant ) durch die Mit-

le, Elementarunterricht u. s. w.), ist telform ,,elepentum" (e aus awegen vor-

noch keineswegs sichergestellt. Meist geriickten Accents). Nach Quintilian

leitet man es ab von ,,1-m-n" (el-em-en). seien namlich beim ersten Leseunter-

Die Buchstaben L M N stehen namlich richt elfenbeinerne Buchstaben verwendet

im lateinischen Alphabet am Anfang der worden.

Bucherschau*

I. Kritik und Antikritik.

Sehr geehrter Herr Redakteur!

Gestatten Sie mir auf die Erwiderung Herrn Prof. Dr. Ferrells folgendes zu antworten.

Der Rezensent, der sich von dem beleidigten Autoren nicht totschlagen lassen will, sollte eigentlich, wie der Ktinstler, nicht reden, sondern bilden. Ich verspreche daher auch bald etwas Positives an die Stelle meiner negativen Kritik von Dr. Fer- rells Sappho- Ausgabe zu setzen. Einstweilen folgende Thesen: 1) Die Sappho ist ein Monodrama. 2) Die kiinstlerische Einheit besteht nur in der Einheit der sub- jektiven Stimmung, woraus der Dichter geschaffen, nicht in der dramatisch-folge- richtigen Durchfiihrung eines tragischen Konfliktes. 3) Der Dichter beginnt eine Kiinstlertragodie zu schreiben, fasst das Problem nicht tief genug, wird dazu noch im Schaffen, wie er selbst sagt, ernstlich gestort, und verliert den Faden. 4) Die mittleren Akte behandeln ein neues Problem: die Tragik der Eifersucht, der un- erwiderten Liebe. 5) Auch dieses wird nicht durchgef iihrt ; vielmehr wird am Schluss das urspriingliche Thema wieder aufgenommen, weshalb die Katastrophe so ganz unmotiviert erscheint. 6) Daher der unbefriedigende Eindruck des Gan- zen. 7) Ausserdem steht das Stuck noch so sehr unter dem Einfluss von Goethe und Schiller, und ist Sprache und Stil so ungleichmassig, dass die Sappho noch zur Periode der Nachahmung, der Talentproben zu rechnen ist. 8) Erst in dem Golde- nen Vliess, wo eines der Sappho-Probleme zu vollkommener Darstellung gelangte, hat sich Grillparzer als Kiinstler selbst gefunden. Darum ist die Sappho zur Ein- ftihrung des Dichters iiberhaupt nicht geeignet.

Nun zu Herrn Prof. Dr. Ferrell. Er halt an Scherer als Grillparzer-Autoritat fest. Der betreffende Aufsatz stammt aus dem Jahre 1874, wo die Grillparzerfor- schung noch in den Windeln lag. Soil der noch massgebend sein? Und hat nicht Scherer gerade an Grillparzer durch seine Methode gesiindigt? Ich halte jede Ein- teilung von Grillparzers Dramen nach Stoffen fiir eine Siinde, fur eine Vergewalti- gung des Dichters, der gesagt hat: ,,Der Dichter wahlt historische Stoffe, weil er darin den Keim zu seinen eigenen Entwickelungen findet, vor allcm aber, um seinen Ereignissen und Personen eine Konsistenz zu geben." Der jeweilige StoflF,

Kritik und Antikritik. 27

ob historisch oder mythologisch, ist also f iir . Grillparzer nur eine zufallige Ein- kleidung. An jedem seiner Dramen hangt eigenstes Herzblut, jedes stellt wieder eine weitere Stufe seiner inneren Entwickelung dar, so dass jede Einteilung der Dramen vom Gesamtwerk des Dichters ein falsches Bild geben muss; sie konnen nur in chronologischer Folge behandelt werden. Fiir Scherer und seine Schule ist aber die aussere Klassifikation, das anatomische Praparat als solches, Stolz und Ziel. In die Seele eines Kiinstlers sehen Scherer und Schererianer gar selten hin- ein. Ich verweise noch einmal auf die angesichts des heutigen Standes der Grill- parzer-Forschung geradezu laeherlich erscheinende Beurteilung Grillparzers in Scherers Literaturgeschichte. Wer da noch Scherer als Autoritat anschen kann! Dass allerdings der Aufsatz vom Jahre 1874 ,,wichtig" ist, das bestreite ich gar nicht. Er ist so wichtig wie das Urteil jedes geistreichen Mannes; auch hat Scherer im einzelnen viel Gutes beigebracht, aber das Ganze ist verfehlt, und darauf kommt es an. Dass R. M. Meyer nur Scherers Aufsatz als ,,wichtig" bezeichnet, ist ganz natiirlich, beweist aber gar nichts. Denn R. M. Meyer ist direkter Schiller Scherers und lobt sich selber im Meister. Und schlecht ist es um Literaturhistoriker be- stellt, denen R. M. Meyer Vorbild und Norm sein muss. Ich will nicht das trau- rige Kapitel ,,R. M. Meyer und Alexandrinertum" ausschneiden ; ich deute nur durch ein Zitat von Avenarius meinen Standpunkt an: ,,Erinnern sich (unsere Leser), wie eine der plattesten Leichtfertigkeiten, die je an der Oberflache der Literatur aufgetaucht sind, wie R. M. Meyers ,,Literaturgeschichte" als eine hoch- bedeutsame Geistestat begriisst wurde?" (Kunstwart 16, 110). Wer kann solche Possenreissereien, wie Meyers Artikel iiber Sudermann in der ,,Literaturgeschichte" oder neuestens im ,,International Quarterly" lesen und dann diese ethisch haltlose Gestalt noch ernst nehmen?

Von ,,Liebe und Bewunderung" zum Verstandnis eines Dichters ist noch ein grosser Schritt. Der ziindende Funke von Seele zu Seele den vermisse ich in Prof. Ferrells Versuch, dem deutschen Dichter nahezukommen. Beweisen kann ich das auf so kleinem Raum allerdings nicht, glaube aber, dass Ferrels Urteil iiber Bancban und Weh dem, der liigt, deutlich genug spricht. Da$s er dieses Urteil ausspricht, das ist anzuerkennende Ehrlichkeit, aber sehr unvorsichtig ! Vgl. Jahr- buch III, 1 ff. und III, 41 ff.

Die Antwort auf Prof. Ferrells nachsten Paragraphen spare ich auf den Schluss auf. Also zum iibernachsten. Mir was es unmoglich, in dem Apparat von Anmer- kungen Plan und Ziel zu entdecken; auch nicht, als ich das Buch in einer Klasse gebraucht hatte. Wenn Prof. Ferrel sagt, er habe einen bestimmten Plan gehabt, so ist das eine Behauptung ohne Beweis. Im iibrigen ist das allerdings Geschmack- sache, ob man z. B. die "commonplaces of history and mythology" jahraus, jahrein durch die Schulausgaben schleppen will oder nicht. Je mehr sich die Anmerkun- gen auf solche Punkte beschranken, deren Erforschung nur dem Spezialisten mog- lich ist, desto anregender kann sich der Unterricht gestalten. Wer nimmt einmal den Kampf auf gegen die Sintflut der ,,Anmerkungen" ? Vielleicht hat Prof. Ferrell auch eine ganz andere Art von Studenten im Auge gehabt als ich; dann will ich gar nichts gesagt haben.

Prof. Ferrell fiihrt am Ende seiner Erwiderung das Zeugnis von "two or three of the foremost scholars of America" fiir sich ins Feld. Ich wiisste keinen amerikanischen Gelehrten, der sich bis jetzt iiberhaupt, geschweige denn erfolgreich in Grillparzer-Forschung betatigt hatte, dessen Urteil dem- nach als massgebend anzuerkennen ware. Es gibt iiberhaupt nur einen Mann in der Welt, der alle Schliissel zu dem Heiligtum von Grillparzers Kunst besitzt, und der lebt in Prag. Einem Amerikaner oder Norddeutschen wird es nie mog-

28 P'ddagogiscbe Monatshefu.

lich sein, sich ganz in Grillparzers Welt hineinzuleben. Das ist kein Vorwurf gegen Prof. Ferrell, sondern bedeutet eine Schranke in Grillparzers Kunst. Ich wage zu behaupten, dass es in diesem Lande immer nur ganz wenige Verehrer Grillparzers geben \vird ; vielleicht wird nur Hero dauernd Fuss fassen konnen.

Auf meinen Hauptvorwurf, dass er Grillparzer fast nur als den Dichter haus- lich-stiller Tugend charakterisiert habe, antwortet Prof. Ferrell nicht. Ich gehe also zu seinen Beziehungen zu Lichtenheld fiber. Selbstverstandlich nehme ich seine Erklurung, dass die Jthnlichkeit nur allgemeiner Art und "that the thought in each case is one that would naturally suggest itself to any person at all familiar with dramatic technique," auf Treu und Glauben an. Ich setze die Parallelstellen nur her, um zu erklaren, wie ich zu meiner urspriinglichen Auffassung kam:

Vers 40. Ferrell: "In the exuberance of his joy Rhamnes calls forth the maidens, and then sends them away almost immediately. This gives the poet an opportunity to bring Melitta before our eyes and to show us the impression that Phaon's appearance makes upon her."

Lichtenheld: ,,Sein widerspruchsvolles Verhalten, dass er die Madchen erst ruft und dann wieder fortschickt, ist psychologisch durch seine tfberfreude begrlin- det. Die Absicht, die der Dichter damit verbindet, ist, Melitta uns sofort vor Augen zu flihren sanit der Wirkung Vers 30." (Der Eindruck von Phaon's Schonheit.)

Vers 63. Ferrell: "Great stress is here laid on her relation to the Lesbians in order that a motive may be furnished for their zeal in her behalf towards the end of the play."

Lichtenheld: ,,Wegen des Eifers der Lesbier am Schluss des vierten und im fiinften Akt ist die Darlegung des Verhiiltnisses, das zwischen ihnen und ihr ob- waltet, ein sehr wichtiger Teil der Exposition."

Vers 1427. Ferrell: "Sappho's plan to separate the lovers thus brings them together and suggests to them the idea of fleeing to Chios. Phaon's determination to flee seals the fate of all the principal characters and constitutes the Tragic Crisis of the drama."

Lichtenheld: ,,Durch diese Wendung und den Entschluss wird Sapphos Auf- trag zur vollstandigen Ironie der Handlung, da sie die Trennung, nicht Vereinigung herbeif iihren wollte. Pharons Entschluss besiegelt zugleich das Schicksal aller ; darum liegt in ihm das ,,tragische Moment."

Vers 1470. Ferrell: "Amphitrite; wife of Poseidon and one of the fifty daugh- ters of Nereus, god of the quiet, smooth sea."

Lichtenheld: ,,Die Gemahlin des Poseidon, eine der fiinfzig Tochter des Ne- reus, des Gottes des ruhigen, glatten Meeres."

Akt III, 6. Ferrell (p. 134) : "This scene, in which Phaon comes to himself and renounces Sappho, marks the climax of the Ascending Action and the turning- point of the drama."

Lichtenheld: ,,Da Phaon endlich, zum vollen Erwachen gelangend, sich in die- ser Szene von Sappho lossagt. . . so bringt diese Szene den Hohe- und Wendepunkt des Stiickes."

Was nun die Einleitung Prof. Ferrells betrifft, so habe ich gesagt : ,,Die ,,kritische Analysis" ist ganz von Lichtenheld abhangig und stellenweise hoehst naiv "Our Sappho is a tragic figure." " Nun kann diese Stelle, die mir heute noch, nach einem vollen Jahre, komisch vorkommt, andern sehr imponieren. Dann muss ich mich eben zu einem Bruch in meiner Charakteranlage bekennen. Aber der Punkt ist ja Nebensache. Unter Abhangigkeit verstehe ich nicht mehr oder weniger hau- figes Zitieren, oder Ahnlichkeit in der Darstellungsmethode. Ich habe die ganze Auffassung gemeint, die der armen Sappho eine tragische Schuld zuschiebt, indem

BUcberbesprecbutigen .

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sie ein Gottergebot iibertreten habe, als sie ,,irdisches Gliick" suchte. Auch hier bin ich wohl auf einem ganz andern Boden als Terrell. Der entsetzliche Schulbe- griff ,,tragische Schuld" ist mir verhasst. Ebenso zuwider 1st mir der ganze Appa- rat von ,,steigender" und ,,fallender Handlung", der, aus Freytags ledernem Buch heriibergenommen, seit Jahrzehnten unsere Schulausgaben verunstaltet. Da ich hier keine Abhandlung schreiben kann, muss ich im iibrigen auf meine Schrift ,,Schillers Einfluss auf Grillparzer" verweisen, wo ich meine Ansichten iiber Sappho teils auseinandergesetzt, teils angedeutet habe. Zum Schluss bemerke ich, dass ich, abgesehen von obigen Zugestiindnissen an den guten Willen des Herausgebers, meine Kritik heute genau so absprechend, vielleicht noch praziser halten wiirde. Ferrells Ausgabe gibt keinen Begriff von dem Wesen Grillparzers; sie steht weder auf der Hohe asthetischen Durchempfindens, noch auf der Hohe der Wissenschaft.

O. E. Lessing.

Smith College, den 25. Nov. 1902.

II. Biicherbesprechungen.

A Brief German Grammar with Exer- cises. By Hjalmar Edgren, Ph. D., University of Nebraska, and Lawrence Fossler, A.M., University of Nebraska. New York Cincinnati Chicago, American Book Company. Bahnbrechend Neues zu schaffen ist den Verfassern deutscher Grammatiken in unseren Tagen leider nicht mehr ver- gonnt, da die Grenzen, in denen sich die Behandlung grammatikalischen Stoffes zu bewegen hat, im grossen und ganzeu langst festgestellt, ja, wie es scheint, ein fiir allemal fixiert sind. Es kann sich demnach bei der Beurteilung jeder neu- en Erscheinung auf diesem Gebiete nur um das mehr oder weniger zutage tre- tende padagogische Geschick handeln, mit dem die Verfasser den Stoff be- waltigt, zusammengestellt und erlautert haben. Die Namen der zwei bewahrten Padagogen auf dem Titelblatt obenge- nannter Grammatik lassen von vornher- ein Tiichtiges erwarten, und nach einer eingehenden Priifung des Buches findet man sich auch wirklich nicht in seinen Erwartungen getauscht. Die Anordnung des Materials ist logisch und ubersicht- lich, die Darstellung klar und anschau- lich, das Wichtige vom Nebensachlichen scharf gesichtet und geschieden alles ohne Zweifel Resultate praktischer Er- fahrung im Schulzimmer. Das Gewicht, das auf einzelne Kapitel, wie beispiels- weise auf Wortbildung sowie auf die etymologischen Verwandtschaftsverhalt- nisse der englischen und deutschen Sprache gelegt ist. bertihrt angenehm, wirkt anregend auf die Schiller ein und kann mit Recht empfohlen werden.

Ebenso verdient die geschickte und sorg- faltige Bearbeitung des angefiigten In- dex sowie des englisch-deutschen Wor- terverzeichnisses voile Anerkennung.

Nicht ganz so giinstig reprasentiert sich der zweite Teil des Buches, der das deutsche Material zum ttbersetzen ins Englische enthalt. Vcr allem sollten die Herren Verfasser bei Gelegenheit einer neuen Auflage ihrer Grammatik auf eine verbesserte Interpunktion ihr Augen- merk richten, da die gegenwartige durchaus englisch ist und nur zu oft ge- gen die im Deutschen herrschenden Re- geln verstosst. Es sei hier besonders auf die Relativsatze, die indirekten Frage- und sonstigen Nebensatze aufmerksam gemacht, die durchgangig nur durch ein Komma markiert sind. Wortformen wie in's; an's (fiir: ins und ans) ; Spriichworter ; Waaren; Bogen und Kriigen konnen bei dem gegemvartigen Stande der deutschen Rechtschreibung nicht liinger geduldet werden. Das Zitat aus Schillers ,,Der Jiingling am Bache" auf Seite 145 ist fehlerhaft, ebenso das aus Hans Christian Andersens ,,Bilder- buch ohne Bilder" auf Seite 160. Aus- driicke wie ,,es wiirde mich erstaunen" (fiir: ,,wundern" oder ,,!iberraschen" ) ; ,,kannst du nichts riechen?" (fiir: ,,riechst du nichts?") ; ,,giesse 61 dazu" ( fiir : ,,zu" ) ; wir wollen nach Hause jetzt" (fiir: ,,jetzt nach Hause"); es warcn Eier in dem Grase; die Sache war zwischen dem Lehrer und seinen iilteren Schiilern, u. s. w., u. s. w., sind Ver- stosse gegen das deutsche Sprachgefiihl, die allerdings hier nicht so schwer wie- gen, da die Satze, wie schon bemerkt,

30

P'ddagogische Monatshefte.

sich in den Aufgaben finden, also nicht als Stilmuster, sondern nur als Rohma- terial, als Mittel zum Zweck des 'ttber- setzens ins Englische dienen sollen.

Die typographische Herstellung und Anordnung, die durch geschickte Anwen- dung der verschiedensten Schriftarten auf einen Blick Wesentliches von Neben- sachlichem unterscheiden lassen, verdie- nen hohe Anerkennung.

,,Biblische Geschichten und Kapitel aus Weizs&ckers und Luthers Bibeliiber- setzungen" by Warren Washburn Flo- rer, Ph. D., University of Michigan. George Wahr, Publisher, Ann Arbor, Mich., 1901.

,,Biblische Geschichten" ist ein an- spruchloses Biindchen, das ausser einem nicht alphabetisch, sondern nach Wort- klassen geordneten Worterverzeichnisse dem Schiller keinerlei Hilfsmittel bietet und auch nicht bieten will und soil, da der Text, nach des Herausgebers eigener Aussage, nicht zum tfbersetzen bestimmt ist. Auf 19 Kapitel leichterer histori- scher Darstellung aus dem alten und neuen Testament, die 62 Seiten ftillen, folgen 8 mit Geschick ausgewahlte Bruchstiicke didaktisch - dythyrambi- schen Inhalts, darunter das herrliche ,,Hohe Lied der Liebe" aus I. Korinther 13 (nicht I. Korinther 15, wie fiilschlich im Inhaltsverzeichnis angegeben). Fur vorgeschrittene Schiller des Deutschen muss es von Interesse sein, biblische Stoffe, ihnen im Gewand der Mutter- sprache schon langst bekannt, auch ein- mal in der kernigen Ausdrucksweise Martin Luthers und in dem gefalligen Deutsch der modernen Karl Weizsacker- schen ttbertragung des neuen Testamen- tes begriissen zu konnen. Heyse's "L'Arrabbiata" by Warren Washburn Florer, Ph. D., University of Michigan. George Wahr, Publisher, Ann Arbor, Mich.

Dem Herausgeber der soeben bespro- chenen ,,Biblischen Geschichten" haben wir auch f iir eine neue Schulausgabe von Paul Heyses weitbekannter und oft be- arbeiteter Erzahlung "L'Arrabbiata" zu danken, eine ehrliche Arbeit, die, jedem der friiheren Herausgeber das Seine las- send, durchaus originell ( und zwar in des Wortes bester Bedeutung) ihren eigenen Zweck verfolgt.

Die vorliegende Ausgabe ist fiir Schu- len bestimmt, in denen ,,die direkte Me- thode" gehandhabt wird. Es ist zu be- dauern, dass gegen den Willen und Wunsch des Herrn Dr. Florer der Ver- leger in Ann Arbor verabsaumt hat, dem Bandchen eine kurzgefasste Darstellung

der genannten Methode beizufiigen und so Lehrer und Leser in den Stand zu setzen, sich selbst eine Antwort auf das quis? quid? cur? contra? der direkten Methode zu geben. Doch steht das Er- scheinen einer Broschiire, die das Wesen der Methode erlautern soil, in Aussicht. Zu bedauern ist ferner, dass das dem Buch angefiigte Worterverzeichnis nicht vollstandig ist und, nach des Herausge- bers eigener Aussage, auch nicht be- stimmt war, vollstandig zu sein. ,,Wa- rum dann iiberhaupt ein Worterver- zeichnis?" fragt man sich dabei unwill- kiirlich. Den giinzlichen Mangel von Anmerkungen erklart der Herausgeber damit, dass alle etwa notig werdenden Erklarungen zum Verstandnis der in der Klasse zu lesenden Texte dem Belieben des Lehrers iiberlassen werden sollten. Wir wiinschen und hoffen von Herzen, dass auch unser junger Herr Kollege nach jahrelangen Erfahrungen in und ausserhalb des Schulhauses zur Einsicht gelangen moge, dass nur zu oft die Leh- rer selbst es sind, die solcher Erklarun- gen bediirfen, zumal in betreff eines Textes wie "L'Arrabbiata, der, weitab von unserer gewohnten Reiseroute, im fernen Siiden spielend so vielerlei sprachliche und sachliche Erklarungen erheischt, um Lehrer und Leser in den Stand zu setzen, das ganz eigenartige Aroma dieser exotischen Liebesblume zu geniessen. Wilhelm Bernhardt.

German Composition. With notes and vocabulary. By E. C. Wesselhoeft, A. M., Instrructo in German in the University of Pennsylvania. Boston, D. C. Heath & Co., 1902. This book is divided into two parts, the first of which contains exercises with independent clauses, while the other has selections with principal and dependent clauses. Each part is preceded by intro- ductory remarks on the position of the verb. The author has endeavored, he says, to preserve the simple style of ev- ery-day speech, avoiding words of un- usual occurrence; in this he has suc- ceeded. There are ample foot-notes. On the whole the book seems to be well adapted to its purpose.

Among misprints noticed may be men- tioned the following: Page 21, line 12, "seperated" for separated; p. 41, 1. 3, "lost" for loss; p. 72 of the Vocabulary, "Salz" is given as masculine instead of neuter. The Vocabulary sometimes fails to furnish the needed assistance, al- though "no effort has been spared to make this complete." The fact that there are in the exercises on page 35, for in-

Bucberbesprecbungen .

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stance, three words that do not appear in the Vocabulary, proves how difficult it is to make a word-list complete; the words in point are "fill," "beat," and "services" (of a physician).

An English-German Conversation Book. By Gustav Kruger, Ph. D., Professor in the Kaiser Wilhelm's Realgymna- sium, Berlin, and C. Alphonso Smith, Ph. D., Professor of English in the Louisiana State University. Boston, D. C. Heath & Co., 1902. This joint production of Dr. Kruger and Professor Smith is a valuable col- lection of such words and expressions as are difficult to find in dictionaries but very necessary to an understanding of German idiom. The plan and contents, Professor Smith says in the Preface, were dictated by his own needs during a visit to Germany, and an attendance upon university lectures. The work is similar, in some respects, to Pylodet's New Guide to German Conversation, published by the Holts thirty-four years ago, but it is, in no sense, an imitation; Pylodet's book has been long forgotten except possibly that its memory is cherished now and then by a student who carried a copy to Germany with him, interleaved to receive such addi- tions as travel and experience might bring. The subjects of the six chapters are Everyday Expressions, Time, Travel, Books and Newspapers, The American College, and The German University. The English idioms and their German equivalents are arranged in parallel col- umns.

The book was written in Dr. Kriiger's study in Berlin; Professor Smith fur- nished the English and his collaborator the German. A book produced under such conditions and by two such careful scholars could not help being admirable, and it is admirable. The foot-notes of the last two chapters dealing with Ame- rican and German university matters will have special interest for persons in- to whose hands it is likely to fall. It can safely be recommended as a reliable, fresh, and stimulating guide to German conversation.

A German Reader and Theme-Boole by Calvin Thomas, Professor in Columbia University and Wm. Addison Hervey, Instructor in Columbia University. New York, Henry Holt & Co., 1902. The distinctive features of this Read- er, as set forth in the Preface and as illustrated in the plan of the work, are as follows:

First, it contains references to a par-

ticular grammar, Thomas's, and is therefore primarily intended to be used with that grammar. At the same time, however, the book is available for use with any good grammar, for the ref- erences are accompanied by independent grammatical statements which are, in most cases, full enough to be sufficient in themselves. In view of this fact the references to a grammar seem unneces- sary, but may possibly be justified by the pedagogical principle involved in repetition.

As a second distinctive feature it con- tains two sets of exercises for drill in the class-room, Fragen and Themes. The former consist of questions in German intended to encourage the student in free reproduction. The Themes consist of English exercises based upon the Ger- man text and are intended for transla- tion into German. An English Word- List at the back of the book is supple- mentary to the Themes. Having these two sets of exercises is a good idea, for anything that will assist in composition or free reproduction is welcome, and these are well adapted to their purpose.

The third feature to which the au- thors direct particular attention is the fact that the Vocabulary contains page and line references, in certain cases, with a view to exactness of rendering and incidentally to the discrimination of synonyms and the cultivation of correct English.

The Fragen are in Roman type; the rest of the German text in German type. The reading matter, consisting of one hundred and forty-two pages of prose and twenty-two pages of poetry, has been selected and arranged with good judgment. Fulda's one-act comedy Un- ter vier Augen will give students a taste of colloquial German. This comedy has been reprinted with revised and expand- ed notes by Mr. Hervey, and published, with Benedix's Der Prozess, by the same firm.

The Vocabulary is well made and de- serves high commendation. Some atten- tion is given to etymological relations. The accentuation of a few words pos- sibly needs some comment. For instance, the words also, Altar, Februar, and Ja- nuar are accented on the last syllable in the Vocabulary. There is good author- ity for placing the accent of also upon the first syllable (see Muret-Sanders and Fliigel-Schmidt-Tanger), and I believe it is usually accented in this way. Practice varies as to the singular of Altar; both pronunciations should be indicated. Februar is usually accented on the first

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P'ddagogische Monatshefte.

syllable, while in the case of Januar there is irregularity.

The book seems to be remarkable free from misprints; on page iv, line 11, ex- ercices was noted, and the gender of Kammfutteral, page 362 of the Vocabu- lary, is not indicated. On the whole it is an excellent piece of work, and should receive a warm welcome from teachers who prefer a reader to separate texts. Charles Bundy Wilson.

The State University of Iowa.

Die Firma Ernst Wunderlich, Leipzig, hat soeben die dritte Auflage von Dr. Rich. Seyferts Menschenkunde und Ge- sundheitslehre veroffentlicht. Das Buch enthalt vorziigliche Anweisungen, den Unterricht in diesem so iiusserst wichti- gen Fache interessant zu gestalten. Es ist selbstverstlindlich nur fur die Hand des Lehrers bestimmt und setzt voraus, dass die Schule fur die notwendigen

Veranschaulichungsmittel in der Anato- mic ( Bock-Steger, Modelle) sorgt. Der Lehrstoff ist in ausgezeichneter Weise zurecht gelegt und die Behandlung er- folgt nach den bekannten und bewahrten Herbartschen Stufen. Die in dem Werke angegebene Lehrform ist ganz vorziig- lich geeignet, die Schiller zur Selbsttii- tigkeit und unbefangener Beobachtung anzuleiten. Die allerneuesten Errungen- schaften auf dem Gebiete der Physiolo- gie und Chemie, soweit sie fiir Kinder in der Volksschule verstandlich sind, fin- den in dem Werke Verwertung. Dass der Verfasser das praktische Ziel (die Verwertung des Wissens in einer ver- niinftigen Lebensweise) bestandig im Auge behalt, verleiht dem Biichlein einen ganz besonderen Wert. Wir empfehlen unseren Lesern das Werk um so dringen- der, da der Preis desselben iiusserst be- scheiden ist (2 Mark 50 Pf., gebunden).

E. D.

III. Eingesandte Biicher.

Geschichte des Dreissigj&hrigen Krie- ges von Friedrich Schiller. Drittes Buch. Edited with introduction and notes by C. W. Prettyman, Prof, of German in Dickinson College. Boston, D. C. Heath & Co., 1902.

Orthographisches Worterbuch der deutschen Sprache von Konrad Duden, Gymnasialdirektor. Nach den fiir Deutschland, 6sterreich und die Schweiz giiltigen amtlichen Regeln. Siebente Auflage. Leipzig und Wien, Biblio- graphisches Institut, 1902. Preis: In Leinwand, M 1.65.

Von demselben Verfasser und in glei- chem Verlag, in der Serie Meyers Volks- biicher erschien: Orthographisches Wor- terverzeichnis. Preis: geh. 20Pf., in Leinwand 50Pf.

Choice Songs. Book one. Part 1, containing one and two part songs. Part II, containing two and three part songs. Selected and arranged by H. 0. R. Sie- fert,, Sup't of Public Schools, Milwau- kee, Wis. Butler, Sheldon & Co., Phila- delphia, New York, Chicago.

An Elementary German Reader by Frederick Lutz, A.. M., Professor of Mod-

ern Languages in Albion College. Silver, Burdett & Co., New York, Boston, Chi- cago. Introductory price $1.00.

Accounting and Business Practice for use in all schools where bookkeeping is taught, by John H. Moore, Commercial Department, Boston High Schools, and George W. Miner, Commercial Depart- ment, Westfield (Mass.) High School. Boston, Ginn & Co., 1902. List price, $1.40; mailing price, ^1.55.

Die Arbeitskunde in der Volks- und allgemeinen Fortbildungsschule. Ein Vorschlag zur Vereinheitlichung der Na- turlehre, Chemie, Mineralogie, Technolo- gic etc., von Dr. Richard Seyfert, Schul- direktor in 61snitz i. V. Vierte ver- mehrte und verbesserte Auflage. Preis M. 3.00, geb. M. 3.60. Leipzig, Verlag von Ernst Wunderlich. 1902.

Der Deutschunterricht. Entwiirfe und ausgefiihrte Lehrproben fiir einfache und gegliederte Volksschulen. Von Gustav Hudolf. (Dr. Rudolf Schubert). I. Ab- teilung: Unter- und Mittelstufe. Dritte Auflage. Preis M. 2.00, geb. M. 2.50. Leipzig Verlag von Ernst Wunderlich. 1902.

Padagogische Monatshefte

PEDAGOGICAL MONTHLY.

Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.

Organ des

Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.

Jahrgang IV. Janaar 1903. Heft 2

Der Leseunterricht in der Volksschule.

Vortrag, gehalten vor dem 32. Lehrertage zu Detroit.

Von Hermann Woldmann, Ass't. Superintendent, Cleveland, O.

(Schluss.)

Bleibt uns nur die weitere Annahme, dass der vorlesende Schiiler nur liest, damit der Lehrer oder auch wohl die Klasse sein Vorlesen kritisie- ren. Diese Kritik ist eine gerechtfertigte, sie schadigt aber das Interesse des Lesenden und der Zuhorer, denn letztere haben nicht mehr ein beson- deres Interesse daran, zu erfahren, was der Inhalt des vorzulesenden Stiickes ist, sie haben es ja vor sich, und brauchen nicht besonders darauf acht zu geben, und ersterer ist sich dieser Tatsache auch bewusst und braucht nicht laut, deutlich und mit richtiger Betonung zu lesen, um ver- standen zu vverden. Das Lautlesen sinkt zu einer Examination des Le- senden herab.

Kommt nun zu diesen ungiinstigen Umstanden noch die fehlerhafte Methode mancher Lehrer hinzu, die einen Schiiler zum Lautlesen auffor- dern, ehe das Lesestiick von ihm verstanden ist, und ehe er alle mechani- schen Schwierigkeiten iiberwunden hat, so ergibt sich eine Lesestunde, die so langweilig wird, dass die meisten Schiiler nur mit Grauen an sie denken.

Stellen Sie sich einmal eine Klasse vor, in der es etwa folgender- massen hergeht: ,,Kinder, nehmt eure Lesebiicher vor, Seite 68, Num- mer 19." Die Biicher werden an der betreffenden Stelle aufgeschlagen. ,Jetzt lies du einmal, Karl." Karl fangt an zu lesen : ,,Seite 68, Num- mer 19. Die giftigen Beeren. Zvvei Kinder, Bruder August und Schwe-

34 P'ddagogische Monatsbefte.

ster Emilie, waren in den Wald gegangen, um die schonen roten Erd- beeren zu pflucken, welche daselbst wuchsen."

Hier unterbricht der Lehrer den Vorlesenden : ,,Aber Karl, siehst du denn nicht den Punkt hinter Beeren? Bei einem Punkte musst du innehalten, wie oft habe ich euch das schon gesagt ? Beim Komma musst du die Stimme erheben, wozu sind denn diese Lesezeichen da? Dann musst du auch die Worte richtig betonen und nicht in einem Tone fort- lesen. Hore einmal zu, wie schon Anna den Satz lesen kann." Anna, eine der besten Schulerinnen der Klasse, fiihlt sich geschmeichelt, steht in musterhafter Haltung und hebt also an :

,,Seite 68, Nummer 19. Die giftigen Beeren. Z w e i Kinder, Bru- der August und Schwester Emilie, waren in den Wald gegangen, um die schonen roten Erd beeren zu pflucken, welche daselbst wuch- sen."

,,Sehr schon/' sagt der Lehrer, ,,nur solltest du das z w e i und Schwester nicht so sehr betonen, jetzt lies den Satz noch einmal, Karl !" Karl liest womoglich noch schlechter als das erste mal und muss sich endlich setzen, weil die Zeit fortschreitet, aber nicht das Verstandnis der Leselektion. Andere Schiller versuchen ihr Gliick mit mehr oder we- niger Erfolg an demselben Satze, und am Schlusse der Lektion ist die Klasse so ziemlich auf demselben Standpunkte, auf dem sie zu Anfang war.

Glauben Sie nur ja nicht, meine Damen und Herren, dass ich hier zu schwarz male. Dergleichen Lektionen sind schon gegeben worden. Wenn Sie vom Schiiler, der nach der Schulzeit Zeitungen auf der Strasse verkauft und mit melodischer Stimme schreit: "Paper, special extra edi- tion, all about the horrible accident!'' Ich sage, wenn Sie von diesem Schiiler verlangen, er solle mit seiner melodischen Stimme die interessante Geschichte von den giftigen Beeren einer andachtigen Zuhorerschaft vor- lesen, so befinden Sie sich in einem psychologischen Irrtum und verwen- den Fleiss und Miihe vergebens.

Ist es denn aber so absolut notwendig, dass jeder Schiiler Ihrer Klasse die schwere Kunst des guten Vorlesens erlerne? Entspricht dies den Be- dingungen des Lebens? Wenn wir einmal die Sache analysieren, so wer- den wir finden, dass etwa 98 Prozent alles Lesens ausserhalb des Schul- zimmers den Zweck hat, sich mit dem Inhalt des Gelesenen bekannt zu machen. Kaum 2 Prozent diirfte im wirklichen Leben auf das Vorlesen fallen. Und Sie verwenden fast 75 Prozent Ihrer kostbaren Zeit im Schulzimmer darauf, eine Sache zu lehren, die nur verhaltnismassig wenig im Leben gebraucht wird. Ware es da nicht angebracht, den Schiiler dahin zu bringen, dass er sich vor alien Dingen an den Inhalt des Lese- stiickes halt, dass er sich bemiiht, das verstehen zu lernen, was andere Leute gedacht und geschrieben haben, und dass er, wenn er Talent dazu

Der Leseunterricbt in der Volksschule. 35

hat, es in seiner Weise anderen mitteilen lernt. Die Mitteilung ist doch erst im zweiten Grade wichtig. Hauptsache ist und bleibt fur ihn, dass er die Schatze des Wissens und der Poesie, die in den Biichern niederge- legt sind, sich aneignet.

Hierzu kommt noch, dass vermoge des Mitteilungsdranges ein natiir- liches Motiv geschaffen wird, andere an unseren Freuden und Genussen teilnehmen zu lassen. Wie oft ist es mir schon passiert, dass ich einem Schiiler, der mit unnatiirlich singender Stimme einen Satz las, auffor- derte, mir den Satz zu geben, ohne ins Buch zu sehen, und dass er dann denselben mit naturgemasser Betonung sprach, dass er aber im Augen- blick, in welchem er wieder das Buch vor Augen hatte, in den alten Sing- sang zuriickfiel. Dies erinnert mich an den sogenannten Kanzelton man- cher Prediger. Dieser Ton ist, gelinde gesagt, abscheulich; wird aber angeschlagen, sobald der Prediger die Kanzel betritt, wahrend er im ge- wohnlichen Leben ganz wie ein anderer verniinftiger Mensch spricht. Wollen wir darum von unseren Schiilern doch nicht etwas unnatiirliches in der Betonung verlangen, sondern sie vielmehr dahin zu leiten suchen, uns den Inhalt eines Lesestuckes in ihrer naturlichen Weise und mit ihrer natiirlichen Betonung vorzulesen. Des Altmeisters Goethe Worte bleiben ewig wahr:

Es tragt Verstand und guter Sinn Mit wenig Kunst sich selber vor.

Wenden wir daher weniger Zeit auf den Vortrag und mehr auf das Verstandnis des Vorzutragenden, und wir werden Resultate erzielen, die fur den Schiiler erspriesslicher sind, als die bisher erzielten.

In dem bisher Gesagten glaube ich nachgewiesen zu haben, dass viele Lehrer dem Lautlesen in der Klasse zu viel Zeit einraumen. Die Erkla- rung fur ein solches Verfahren ist nicht sehr schwierig. Die meisten Lehrer lehren eben, wie sie selbst unterrichtet worden sind, und dann kommt noch das Motiv hinzu, dem Voig'esetzten zu zeigen, wie gut die Kinder lesen konnen. Mir liegt vielmehr daran, dass die Schiiler ange- leitet werden, den Inhalt des Lesestuckes zu verstehen, als dass sie im- stande seien, anderen dies Verstandnis mitzuteilen.

Fragen wir uns jetzt noch einmal, warum wir eigentlich lesen ler- nen, so lautet die Antwort doch wohl : Erstens, um iiber die Tagesereig- nisse unterrichtet zu werden, mit anderen Worten, um die Zeitung lesen zu konnen ; zweitens, um die Schatze des Wissens und der Erfahrung der Jahrhunderte zu geniessen, und drittens, um uns die Kenntnis der Lite- ratur zum Zwecke geistiger Bildung anzueignen. Bei alien drei Punkten bleibt das Verstandnis des Gelesenen die Hauptsache. Die Mitteilung des Erworbenen ist verhaltnismassig Nebensache. Es ist mir keineswegs unbekannt, dass wir unter den gegebenen Verhaltnissen in der Schule im- mer damit rechnen miissen, dass jeder Schiiler das Lesebuch in den Han-

36 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

den hat, dass er nachlesen muss, wahrend der andere vorliest ; doch wilt es mir scheinen , dass wir den Schiiler auffordem, still fur sich den In- halt des Lesestiickes zu ergriinden, ihn anleiten, selbst die Gedanken zu finden, die im Lesestiicke niedergelegt sind, die Schwierigkeiten ihm iiber- winden helfen, Missverstandnisse berichtigen, und nachdem der Inhalt ,des zu Lesenden der Klasse zum Verstandnis gekommen ist, daran gehen, die mechanischen Schwierigkeiten zu iiberwinden.

Zu diesem Zwecke scheint es mir angebracht, dass der Lehrer das Stuck entweder teilweise, oder ganz der Klasse vorlese, dass er dann die Schiiler es im Chor nachlesen lasse, anfangs mitlesend, spater aber die Schiiler allein lesen lasse. Der Grund hierfiir ist derselbe, den wir beim Einiiben einer Melodic befolgen. Der Lehrer singt vor, die Schiiler sin- gen nach, die Schwacheren lehnen sich an die Begabteren an, gewinnen Selbstvertrauen, iiben die Stimme und werden mitgetragen. Ist einmal die Klasse imstande, das Lesestiick im Chor fliessend und ohne Stocken zu lesen, so wiirde ich die besten Schiiler auffordern, jetzt allein laut das- selbe Stuck oder denselben Paragraphen zu lesen und erst dann mich an die schwacheren Schiiler wenden, wenn ich Grund habe, anzunehmen, dass sie das notige Selbstvertrauen erlangt haben. Ich habe es manchmal ge- sehen, wie Schiiler zum Vorlesen aufgefordert wurden unter Bedingun- gen, die es fur den Lehrer schwierig gemacht hatten, richtig und gut zu betonen und zu lesen. Ich frage Sie hier einmal, wie viele unter Ihnen bereit waren, eine Abhandlung oder ein Gedicht aus dem Stegreif vorzu- lesen. Wurden Sie nicht Zeit verlangen, das Stiick erst mehrmals griind- lich durchzulesen und sich mit dem Inhalte vertraut zu machen, ehe Sie in dieser Versammlung auftraten, um dasselbe vorzulesen? Nun verlan- gen Sie aber vom Schiiler, dass er ohne geniigende Vorbereitung auftrete. Das Resultat ist oft fur den Schiiler beschamend, fur die Klasse unend- lich langweilig, und langweilig zu werden, ist eine Todsiinde im Klassen- zimmer.

Vorhin habe ich angedeutet, dass ich es fur angebracht halte, dass der Schiiler den Inhalt des Lesestiickes womoglich durch Selbststudium finde, weshalb ich dagegen bin, ihm den Inhalt vorzulesen oder zu er- zahlen. Die Spannung der Geschichte, die Freude am Selbstentdecken wird ihm dadurch entzogen, wenn Sie ihm muhelos den Inhalt des Lese- stuckes mitteilen. Sie selber wurden an einem Romane oder einer scho- nen Geschichte viel verlieren, wenn Sie sofort beim Anfange wussten, wie die Geschichte enden wiirde. Sie werden mir aber entgegnen, dass manche Schiiler Ihrer Klasse nicht imstande seien, den Inhalt des Stiickes zu er- griinden, weil unbekannte Worte und Redewendungen im Stiicke vorkom- men. Die Antwort auf diese Einwendung ist nicht schwierig. Erstens liegt es in der Natur des kindlichen Gemiits von einer unklaren Vorstel- lung, sich nach und nach zu klaren Begriffen durchzuarbeiten, dann stehe

Der Leseunterricbt in der Volksscbule. 37

es dem Schiiler frei, den Lehrer zu fragen, wenn er Auskunft wiinscht.

Ich komme hier zu einem Punkte, der mich schon oft beschaftigt hat, namlich dazu, dass der Lehrer den Schiiler ermutige, selber Fragen an den Lehrer zu stellen.

Die ideale Schulklasse diirfte wohl die sein, in welcher der Schiiler, vom wahren Wissensdrange getrieben, die meisten Fragen stellt, und in welcher der Lehrer diese Fragen beantwortet. 1st der Geist des Schiilers geweckt, wiinscht er Belehrung, so haftet die Belehrung unendlich besser, als wenn sie ungebeten gegeben wird. Natiirlich weiss ich es so gut wie Sie, dass eine indiskriminierte Antwort von Fragen vom Ubel ist, die Selbsttatigkeit des Schiilers wiirde dadurch gehemmt werden. Aber von indiskriminierter Beantwortung aller moglichen Fragen seitens des Schii- lers ist hier auch nicht die Rede. Weiss der Lehrer, dass der Schiiler die Antwort auf seine Frage selber finden kann, so geniigt oft eine Gegen- frage, um die richtige Antwort zu entlocken. Was ich betonen mochte, ist dies, dass der Schiiler erkennen lerne, der Lehrer sei gern bereit, ihm bei seiner Selbsttatigkeit behilflich zu sein, dass er Vertrauen in den Leh- rer habe und zu ihm mit seinen Sorgen und Miihen komme. Manche Frage, die dem Lehrer auf den ersten Blick albern und zwecklos erscheint, beruht einfach auf falscher Auffassung des Schiilers und gibt dem den- kenden Lehrer oft mehr Einsicht in die Geistestatigkeit des Kindes, als er durch Dutzende von Fragen, die er selber an das Kind stellt, herausge- bracht hatte. Und ist es nicht wichtig fur jeden Lehrer, die Geistestatig- keit seiner Schiiler zu ergriinden, zu erfahren, wo er an das Bekannte an- kniipfen kann? Die Apperzeption hat doch nur den rechten Zweck, wenn der Lehrer einmal weiss, was dem Kinde wirklich bekannt ist. Darum, meine Damen und Herren, entmutigen Sie Ihre Schiiler nicht dadurch, dass Sie ihnen eine scheinbar alberne Frage mit den Worten zuriickwei- sen : ,,Das war einmal eine dumme Frage." Mir sind einige heitere Bei- spiele von falscher Auffassungsweise bekannt, die darauf zuriickzufiihren waren, dass die Schiiler einer hoheren Klasse ein Wort eines Gedichtes nicht verstanden und sich genierten, zu fragen, um ihre Dummheit, wie sie es nannten, oder ihre Unwissenheit, wie es in Wirklichkeit war, nicht offenkundig zu machen. Das bekannte Lied vom Kaiser Barbarossa wurde gelesen. Darin kommt der Vers vor : ,,Der Stuhl ist elfenbeinern, darauf der Kaiser sitzt." Bei einer schriftlichen Wiedergabe dieses Ver- ses hatten mehrere geschrieben : ,,Der Stuhl hat elf Beine." So absurd auch fur den ersten Augenblick diese Auffassung klingen mag, so beweist sie doch nur, dass der Schuler das Wort Elfenbein nicht kannte, es sich auch nicht aus seinem Bewusstsein entwickeln konnte. Da er nicht fragte, so griff er zur eigenen Etymologic und machte daraus elf Beine.

Wenn es dem Lehrer gelingt, seine Schuler davon zu iiberzeugen, dass <er den Unterschied zwischen Unwissenheit und Albernheit wohl zu ma-

38 P'ddagogiscbe Monatshefte.

chen weiss, wenn er der Unwissenheit mit seinem Wissen gern abhelfen will, wird die Lernbegierde der Schiiler bedeutend erhoht werden, und wird Klasse wie Lehrer den Vorteil davon haben.

Doch um auf den Leseunterricht speziell zuriickzukommen. In Deutschland und anderen Landern konzentriert sich um das Lesebuch der meiste Unterricht in der Volksschule. Die Lesestiicke sind meist so ge- wahlt, dass sie in die Grundziige des allgemeinen Wissens einfiihren. Ge- meinniitzige Kenntnisse, vaterlandische Geschichte, sogar etwas Botanik und dergleichen bilden neben den Produkten der schonen Literatur den Inhalt des Lesebuches. Der Anschauungsunterricht kann an diese Stiicke ankniipfen, das erlangte Wissen bildet eine positive Grundlage fiir das Leben. Das Lesebuch der Kinder bildet oft im Hause neben Bibel und Gesangbuch und allenfalls dem Kalender die ganze Bibliothek der Fami- lie. Unsere Lesebiicher, ich spreche besonders von denen, die in engli- scher Sprache abgefasst sind, bilden aber noch keineswegs den Kernpunkt des Unterrichts, da miissen fiir Geschichte, Botanik, Physiologic und Ge- sundheitslehre hier fiinf, dort drei oder anderweitig sieben Minuten per Tag angesetzt werden, und die arme Lehrerin muss nur immer die Uhr im Auge haben, damit sie auch ja den programmassig bestimmten Un- terricht zur festgesetzten Minute gebe. Wie anders konnte die Zeit aus- geniitzt werden, wenn wahre Konzentration dieser Unterrichtsgegenstande eingefuhrt wiirde.

Lassen Sie mich zum Schlusse jetzt noch einmal resumieren, was ich als den Hauptzweck des Leseunterrichts ansehe. Erstens die Fertigkeit, Worte, Silben und Buchstaben zu erkennen. Zweitens den Sinn des Ge- lesenen zu verstehen. Hierbei bemerke ich, dass der erste Punkt dem zweiten koordiniert sein sollte, und drittens die Kunst, anderen das ver- standene Lesestiick verstandlich vorzulesen. Die Fahigkeit, das Gelesene zu verstehen, ist unbedingt die Hauptsache und sollte den Hauptanteil beim Leseunterricht erhalten.

Die Wahl des Lesestoffes steht dem Lehrer selten frei, das vom Schul- rate eingefiihrte Lesebuch ist meist massgebend, doch kommt man nach und nach dahinter, dass die Literatur noch andere Schatze birgt, als die im Lesebuche niedergelegten, und sogenannte Erganzungslektiire wird in den besseren Schulen unseres Landes eingefuhrt. Hier bietet sich fur den verstandigen Lehrer ein dankbares Feld, den Geschmack der Schiiler zu bilden. Geben wir dem Kindergemiit gesunde Nahrung, bilden wir seinen Geschmack an den besten Erzeugnissen der Jugendliteratur, und wir werden dem verderblichen Einflusse der "Dime-Novels" und der Frank Leslieschen Giftfabrik entgegenarbeiten. Hier aber muss ich noch eine Warnung laut werden lassen : Geben Sie dem Schiiler nicht das, was Sie in Ihrem Alter besonders interessiert, sondern das, was dem jugend- lichen Alter angemessen ist. Die Jugend verlangt bei den Geschichten

Zum Jabreswecbsel. 39

Handlung, nicht langweiliges Moralisieren, sie verlangt Darstellung von Tatsachen, nicht Entwickelung von Charakteren, mit anderen Worten, das, was dem gereiften Verstande als das Beste erscheint, ist oft unge- niessbar fur die Jugend.

Wenn wir das Pensum der Klasse fur die Woche gelost haben, so mogen einige begabte Schiiler sich griindlich vorbereiten, eine der Klasse unbekannte, aber ihrem Begriffsvermogen angepasste interessante Ge- schichte vorzulesen. Dies gibt einigen Schulern eine ausgezeichnete Ubung, sich im Vorlesen zu iiben, gewahrt der Klasse Unterhaltung und Belehrung, entspricht den natiirlichen Verhaltnissen und regt die lang- sameren Schiiler an, sich die Fahigkeit zu erwerben, die sie zu solcher Auszeichnung berechtigt. V.

Zum Jahreswechsel.

Dem Tag die Sonne Sieg verleiht,

Es geht die Nacht zu Ende. Voruber ist die bange Zeit

Der Wintersonnenwende. Im Sternenlicht das gold'ne Haar

Mit Eisgeschmeid behangen, Kommt leisen Schritts das neue Jahr

Nun durch die Welt gegangen. Gar wunderholde Traume spinnt

Es rings auf alien Wegen ; Und in der Menschenbrust beginnt

Es heimlich sich zu regen. Aufwacht der Glaube an das Licht,

Tot sind die alten Sorgen, Und sieghaft in die Herzen bricht

Der Hoffnung Ostermorgen ! Und halten auch noch Wahn und Weh

Die fmst're Welt in Banden, Zerinnen muss des Winters Schnee,

Und Lenz wird alien Landen ! Klingt nur, ihr Glocken, hoch vom Turm

Und kundet's alien Zagen: Bald wird der Freiheit Fruhlingssturm

Der Knechtschaft Bann zerschlagen ! Schon keimet der Erkenntnis Saat,

Und reifen muss das Wahre! Zu neuem Kampf und neuer Tat,

Gliick auf im neuen Jahre! Voruber ist die bange Zeit

Der Wintersonnenwende. Es siegt das Licht, es stirbt das Leid,

Es geht die Nacht zu Ende! Konrad Nies.

Neuere Literaturgeschichten.

(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)

Von O. E. Leasing, Ph. J>., Smith College, Northampton, Mass.

(Fortsetzung.)

Bartels war einer von den wenigen Kritikern, die sich von Anfang an durch die Erfolge Hauptmanns und Sudermanns nicht blenden liessen. Statt den einen gegen den andern auszuspielen, wie es die ,,Hauptmann- gemeinde" gegen die Sudermanngemeinde" und umgekehrt tat; statt nach dem Vorbild der Berliner Kritik Hauptmann zum dramatischen Ge- nie, Sudermann zum grossten Epiker des modernen Deutschland zu er- heben, erkannte Bartels die Vorziige und Schwachen beider. Frau Sorge wusste er vollauf zu wiirdigen, die Dumas'sche Frivolitat und Sensations- lust im Katzensteg, die sogar Anton Schonbach verborgen blieb, durch- schaute er sofort. Und dass Sudermann seit der Heimat zum Poseur und blossen Theatraliker herabgesunken war, dass er sein angeborenes Talent der Sucht nach ausserem Erfolg geopfert, das hatte Bartels schon langst festgestellt, als ernsthaft zu nehmende Literaturgelehrte wie Kuno Fran- eke die Heimat nocri als echte und bedeutende Dichtung priesen. Die seitherige Laufbahn Sudermanns als Epiker, Dramatiker, offentlicher Redner (Goethe-Bund!) hat Bartels Recht gegeben.

Auch sein niichternes Urteil uber Hauptmann, das er schon 1897 in seinem Buch niederlegte, hat er spater nicht zuriicknehmen miissen. Auch hier hat er gegen den beissenden Spott R. M. Meyers das Feld behaup- tet. Fiir ihn war Hauptmann ein echtes, aber beschranktes Talent, des- sen Starke in der Beobachtung und Darstellung des alltaglichen Eebens lag, aber nicht in der Gestaltung dramatischer Charaktere, noch in der Durchfiihrung tragischer Probleme. Er wies Hauptmann auf die No- vellistik hin und wurde verlacht. Jetzt wissen wir alle, dass Hauptmann als Dramatiker gescheitert ist. Vielleicht diirfen wir mit Bartels von dem Verfasser des Bahmvdrter Thiel und des Apostel noch bemerkenswerte Leistungen im Epos erwarten. Fraglich erscheint auch das, bei der von Bartels selbst festgestellten geistigen Armut des schlesischen Dichters.

II.

Deutsche Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts von Carl

Weitbrecht. Goschen. Leipzig, 1902. Mark 1.60.

Wie Bartels ist auch Weitbrecht Literarhistoriker und Dichter zu-

gleich. Letzterer steht im selben Verhaltnis zu Schiller, wie Bartels zu

Hebbel. Ist der eine mit Recht Hebbels Prophet genannt worden, so ist

der andere unablassig bemiiht, die schwindende Begeisterung fur Schiller

Neuere Literaturgeschicbten. 41

in Deutschland neu zu beleben (Schiller in seinen Dramen; Schiller und die deutsche Gegenwart). Daraus erklaren sich die Ahnlichkeiten und Verschiedenheiten in ihrer Auffassung. Gemeinsam ist ihnen der kiinst- lerische Instinkt fiir das Echte, der leidenschaftliche Hass gegen alien Schein und Trug, der tiefsittliche Grundzug ihres Wesens. Aber wie die Asthetik Hebbels tiber die Schillers hinausgreift, um wie viel mehr sie den Anforderungen unseres modernen Lebens gerecht wird, um so viel weiter ist der Blick des norddeutschen Kritikers. Weitbrecht ist ein echter und gerechter Schwabe mit alien Vorziigen und Schwachen seines Stammes. Ehrlich und geradeheraus bis zur Grobheit, feurig bis zur fanatischen Fieberhitze, iiberzeugungsfest bis zur schroffen Einseitigkeit. Die beiden griinen Bandchen sind ein Meisterstiick pathetischer Ge- schichtschreibung, wie sie Schiller liebte. Die Sprache reisst den Leser fort, und er vergisst gern an der Wahrheit des Gesagten zu zweifeln. Erst hintennach kommen manche Bedenken.

Romantik, Junges Deutschland, Moderne, die drei Kulturrevolutio- nen, denen das heutige Deutschland zum grossen Teil seine Geistesfreiheit und die Bliite von Kunst und Wissenschaft verdankt, werden von Weit- brecht in Bausch und Bogen verworfen. Er ist konservativ, eng-natio- nal, und interessiert sich nur fiir rein poetische, d. h. nach der traditionel- len Anschauung poetische, Erzeugnisse der deutschen Literatur. Er ist zu temperamentvoll, um den Versuch zu machen, objektiv zu sein. Da- rum wird er den Vorbereitungs- und Ubergangsperioden, die nicht unmit- telbar, sondern erst in ihrem Gefolge grosse Kunstwerke hervorbringen, nicht gerecht. Nach einem widerwillig ausgesprochenen Lob der "natio- nalen Bestrebungen der Romantiker, stiirzt er sich mit Feuereifer auf die Schwachen und Extravaganzen einiger Individuen, um dann iiber das Ganze ein Verdammungsurteil auszusprechen. Er ist in eine bose Sack- gasse gekommen : denn was soil er mit den schonsten Friichten der Ro- mantik^ mit Kleist, Uhland, Chamisso und Eichendorff, nun anfangen? Es bleibt ihm nichts anderes iibrig, als sich durch ein Hintertiirchen ins Freie zu retten : Diese Dichter diirfen der Romantik ,,nicht ohne weite- res zugerechnet werden"! (p. 14). So sind wir einigermassen darauf vorbereitet, wenn uns in dem Abschnitt iiber Kleist der Satz zu Gesicht kommt : ,,Wenn Kleist im K'dthchen von Heilbronn und im Prinzen von Hamburg dem Schlafwandlerischen und traumhaft Hellseherischen Gel- tung einraumte, so war das kein gedankenloses Zugestandnis an die ro- mantische Mode. ., sondern es entsprang seinem heissen Bemiihen, in die letzten und individuellsten Geheimnisse der Menschenseele hinunterzugra- ben" etc. (p. 22 f.). Nennt man nicht eben dieses Bemiihen ,,roman- tisch"? Ist es nicht eben ein Hauptverdienst der Romantiker, dass sie das ,,Gemut" entdeckten, und sich nicht scheuten, auch in die Abgriinde des seelischen Lebens zu tauchen ? Und wenn Kleist das, was er geschaut.

42 P'ddagogiscbe Monatshefte.

in vollkommenere und dauerndere Formen zu fassen vermochte als die andern, ist er darum kein Romantiker?

Ahnlich wie bei Kleist versucht Weitbrecht auch bei den iibrigen Dich- tern, die aus der Romantik hervorgingen, die romantischen Elemente weg- zuerklaren oder wenigstens zu entschuldigen. Wo diese eigentumliche Schrulle das Bild nicht verzerrt, sind die Einzelcharakteristiken treffend und von plastischer Greifbarkeit ; so die Platens, Immermanns und Grill- parzers.

Das auf die Darstellung der Romantik und ihrer Auslaufer folgende II. Kapitel : Zwischen den Revolutionen, ist das bedeutsamste des ganzen Werkes.Es enthalt die schneidig gefiihrte Fehde gegen Heinrich Heine. Wahrend Weitbrecht die Bedeutung der mit dem Gesamtnamen ,Junges Deutschland" unvollkommen bezeichneten Bewegung m. e. unterschatzt : sein Urteil iiber Heine trifft den Nagel auf den Kopf. Es ware sehr zu wimschen, dass die klaren, scharfen, in diesem Fall durchaus massvollen Ausfiihrungen Weitbrechts die weiteste Verbreitung fanden. Hierzu- lande wird ja noch heutigen Tages Heine als der dritte im Bunde neben Goethe und Schiller als deutscher Klassiker gepriesen und -- doziert! Als ob Heine nicht durch seine ganze Tatigkeit den Beweis erbracht hatte, dass, um wahrhaft Grosses zu gestalten, nicht bloss Talent, sondern auch Charakter erforderlich ist, bietet man in Schulausgaben aller Art den ame- rikanischen Studenten Heines unbedeutendste Feuilletons, statt sie dafiir mit ernsthaften Personlichkeiten, die auch nach Goethe aufgetreten sind, bekannt zu machen. Dass hier Wandel geschehe, dazu mdge Weitbrechts Buchlein, das jedem, auch dem schlechtbezahlten deutschen Lehrer der Dorfschule, zuganglich ist, recht viel beitragen! Ich tute hier durchaus nicht in das Horn des verachtlichen Antisemitismus und stimme in der Hinsicht weder mit Weitbrecht, noch mit Bartels iiberein, der im zweiten Teil seiner jetzt erschienenen, grossen Literaturgeschichte Heine eigentlich nur als Juden verfolgt. Ich glaube vielmehr, dass Heine nicht, oder doch nicht viel anders gewesen ware, als er war, auch wenn er einer christlich- germanischen Familie entsprosst ware. Nicht als Jude, sondern als mo- ralisch haltloser Mensch, als Talent ohne Charakter, war er der ,,Honig- kelch voll Gift fur die Nation". Und darum sollte er den allzulange be- haupteten Platz nach Goethe und Schiller Grosseren einraumen : Kleist, Uhland, Grillparzer und Morike.

Wer kennt hier in Amerika Eduard Morike? In Kuno Franckes Literaturgeschichte muss er sich mit einer Anmerkung begniigen, Prof, von Klenzes ,,Deutsche Lyrik" weiss gar nichts von ihm ; und ich konnte Dozenten der Deutschen Literatur nennen, die noch keine Silbe von ihm gelesen haben. Deswegen ist es gut, dass Weitbrecht dem lange Verbor- genen eine ausfuhrliche Besprechung widmet. Im letzten Jahre sind ja zwei umfangreiche Biographieen Morikes erschienen, eine ,,wissenschaft-

Neuere Liter aturgescbichten. 4$

liche" von dem Berliner Harry Maync, und eine popularer gehaltene von Karl Fischer, der Morike in sich durchlebt hat. Wem diese Biicher un- zuganglich sind, fiir den geniigen zur Einfiihrung auch die sieben Seiten in Weitbrechts Biichlein; und wer sich an Lyrik nicht herangetraut, der lese zuerst das Stutt garter Hutselmannlein, ,,eines jener Trostbiichlein fiir den Kummer und Arger des Zeitlichen, die nicht zu kennen ein Ungliick ist."

Uber den Rest des Werkes habe ich wenig mehr zu sagen. Von dem Kapitel Die Riickkehr zur Form an, beriihrt es sich mit der Darstellung Bartels, dessen Einwirkung da und dort zu spiiren ist. Nicht als ob Weitbrecht unselbstandig ware die beiden Manner treffen eben viel- fach in ihrem Urteil zusammen, schon deswegen, weil beide von jeder Schultradition frei sind, nicht sogenannten Autoritaten entsprechen, son- dern ihrem kiinstlerischen Gefiihl und gesunden Menschenverstand fol- gen; vgl. Z. f. d. U. 15, 6n ff. Ein besonders schones Beispiel fiir des Verfassers nachempfindende Darstellungskunst ist die kurze, vielsagende Gegeniiberstellung von Hermann Lingg und Geibel, p. 134.

Von Bedeutung ist es, dass Weitbrecht unter die Hauptvertreter des Poetischen Realismus auch Hermann Kurz aufnimmt, den Bartels den ,,kleinen Realisten" beigezahlt hatte. Ohne Frage ist Kurz ,,einer von denen, an denen die Nachwelt etwas gut zu machen hat". Es scheint mir aber, dass Weitbrecht in seiner Schatzung des schwabischen Novel- listen und Romandichters zu hoch greift. Ich selbst bin Schwabe genug, um auf Kurz stolz zu sein, zweifle jedoch, ob Nicht-Schwaben sich in den ,,Sonnenwirt" und den Herzog Karl, der sich den Rockkragen zu eng kniipft, um rot und gesund auszusehen, oder in die Verhaltnisse in der alten ,,Legionskaserne'', so recht hineinleben konnen. Mir scheint das alles viel zu spezifisch-schwabisch, um typisch-menschlich und also allge- meinverstandlich sein zu konnen. Hoffentlich tausche ich mich.

Wilhelm Jordan unter den Realisten zu finden (II, p. 57 fL), war mir eine Uberraschung. Ich glaube, dass sich Weitbrecht doch gar zu sehr durch die nationale Gesinnung des Dichters und dessen Kampf ge* gen ,,alles Ungesunde in moderner Kultur und Kunst" hat bestechen las- sen. Freilich lasst sich mit dem Verfasser nicht rechten, da er selbst die Zeit fiir die richtige Beurteilung Jordans noch nicht fiir gekommen halt. Dass aber Jordans Nibelunge sich an Wucht und Grosse und Einheitlich- keit mit Hebbels Trilogie nicht messen konnen, das steht doch wohl jetzt schon fest. Wenn Jordan auch nicht gerade nur ,,reproduziert" hat, si- cher hat er den gewaltigen Stoff nicht so aus sich heraus ,,wiedergeboren", wie es bei Hebbel der Fall ist.

Die letzten zwei Abschnitte: Nationale Einigung und geistige Ent- artung, und ,,Die Moderne" unterscheiden sich nicht wesentlich von den entsprechenden Kapiteln in Bartels. Nur ist Weitbrecht viel ablehnender

44 PMagogiscbe Monatshefte.

gegen die Bestrebungen der achtziger und neunziger Jahre als Bartels. Wenn er von seinem Standpunkte aus die einfache Tatsache, dass der ge- schmahte Naturalismus die einzige Rettung der deutschen Kunst und Li- teratur war, nicht gelten lasst, so kann man auch dariiber nicht streiten. Jedenfalls sind die Zeiten der Ebers, Wolff und Lindau vorbei, auch das Theoretisieren scheint allmahlich iiberwunden zu werden; mogen die ,,Dichterpersonlichkeiten, die Grosses und Echtes schaffen konnen aus der selbstherrlichen Kraft ihres poetischen Genius", bald kommen das deut- sche Volk konnte sie brauchen!

Editorielles.

An der Jahreswende. Es wird zwar voraussichtlich mehr als die erste Halfte des Januars verflossen sein, ehe dieses Heft, das erste des neuen Jahres, in die Hande seiner Leser gelangt, und in unserer schnell- lebigen Zeit wird daher auch das neue Jahr bereits etwas Altes geworden sein; doch soil uns das nicht davon abhalten, unsern Lesern noch nach- traglich einen herzlichen Nenjahrsgliickivunsch zu iibermitteln.

Wenn wir das Fazit iiber die im verflossenen Jahre an unseren Schulen getane Arbeit zogen, diirften wir wohl ohne Uberhebung behaupten, dass dies zu unseren Gunsten lauten wurde. Allerorten zeigte sich Leben und liewegung, die Grundbedingungen fur eine heilsame Entwickelung, wie andererseits Stillstand und Untatigkeit ihre verderblichsten Feinde sind. In einer Hinsicht bezeichnet das letzte Jahr einen Wendepunkt fiir die Schulentwickelung, indem in ihm die Lehrerschaft in regere Aktivitat trat, die, obgleich unstreitig der bedeutendste Faktor, bisher im Hinter- gruncle gestanden hatte und hochstens mit mehr oder weniger Geschick bestrebt gewesen war, den Anordnungen von Superintendenten, Assistenz- superintendenten und Prinzipalen Folge zu leisten. Man sah auch bisher nicbt die Notwendigkeit ein, dem Gros der Lehrerschaft eine gewisse Selbstandigkeit zu gewahren. Teilweise lag dies in dem vorherrschend inerkantilen Sinne unserer Bevolkerung, die nicht gewohnt ist, den von ihnen Angestellten gegen ihren Willen Selbstandigkeit zu gewahren, dann aber auch in den Lehrern selbst, denen es zum grossen Teile an der noti- gen Vorbildung fehlte, um eine ihnen gewahrte Selbstandigkeit weislich zu beniitzen.

Dass die kommunalen und beruflichen Vorgesetzten mit der Ab- hangigkeit der Lehrer einverstanden waren und sie erstrebten, braucht uns nicht wunderzunehmen. Es lasst sich doch so schon regieren, wenn man nur vom griinen Tische anzuordnen braucht, wenn, wie Kollege Burckhardt in seinem Flachsmann-Artikel so treffend sagte, der Superintendent von seiner Amtsstube aus nur den elektrischen Knopf

Editor ielles. 45

zu driicken braucht, um die Gehirndeckel aller Schiiler fur die Applizierung eines gewissen Stoffquantums zu offnen; und es kitzelt doch nicht wenig den Stolz des Schulratsmitgliedes zu wissen, dass seine Lehrer am Ende eines jeden Schuljahres von seiner Gnade abhangen. Aber nicht Schulrate, nicht Superintendenten und Prinzipale machen die Schule, wenn sie nicht der mitschaffenden Tatigkeit der Lehrer und Lehrinnen im Schulzimner gewiss sind. Dass dieselben allmahlich zum Bewusstsein ihrer Stellung kommen und nach grosserer Geltung streben, das ist der grosse Fortschritt, den wir dem verflossenen Jahre gut schreiben miissen. Nachdem in Chicago das Zu- sammengehen der Lehrer soldi' gute Friichte gezeitigt hatte, folgten die- sem Beispiele die Lehrer und Lehrerinnen vieler Stadte, und sicherlich wird die Bewegung im nachsten Jahre noch in bedeutend weitere Kreise dringen. Die Ziele, nach welchen die neugegrundeten Klassenlehrerver- > einigungen zunachst streben, Gehaltserhohung, Sicherung ihrer Stellung und Pensionierung, sind die ihnen am nachsten liegenden. Doch werden auch andere folgen, solche, die nicht nur die aussere Stellung der Lehrer festigen, sondern auch ihrer beruflichen Vervollkommnung und damit beruflichen Selbstandigkeit dienen werden.

Darum wollen die Herren Schulrate und Schulleiter nicht scheel auf diese neue Bewegung blicken ; sie muss zum besten unserer gemeinsamen Arbeit ausfallen. Wie jeder neuen Bewegung, so haften auch dieser noch manche Schlacken an, und manche Auswiichse werden noch auftauchen so konnen wir den Anschluss der Chicagoer Lehrer an die Arbeiterver- einigung nur mit Misstrauen betrachten aber die Zeit wird Wandel schaffen. Wir sehen in der Bewegung eine gewaltige Regung fur die Griindung eines Lehrer "standes, in dem nicht der einzelne nur nach seinem eigenen Vorteile trachtet, sondern alle fur einen und einer fur alle einzu- stehen bereit sind. Uberall da, wo die Lehrerschaft den richtigen Fiih- rer findet, wird die Schule den meisten Vorteil aus der Bewegung ziehen. Sie wird Lehrer und Lehrerinnen heranbilden, die stolz sein werden, sich solche zu nennen, die nicht bloss im giinstigsten Falle untertanigst gehor- chende sein werden, sondern die mit Mut und Freudigkeit ihr ganzes Konnen in den Dienst der Schule stellen werden, den sie sich zur Lebens- aufgabe, nicht nur als Sprosse auf der Leiter zu einem eintraglicheren und hoher geachteten Berufe gewahlt haben. Welcher Beruf stande wohl hoher als der Lehrerberuf?

Dr. G. A. Zimmermann. t. Mit aufrichtiger Teilnahme werden un- sere Leser das an anderer Stelle von unserem Chicagoer Korresponden- ten gemeldete Hinscheulen von Dr. G. A. Zimmermann, dem friiheren Superintendenten der modernen Sprachen an den Schulen Chicagos, zur Kenntnis nehmen. Der Verstorbene stand lange Jahre hindurch auf Grund seiner vielseitigen beruflichen Tatigkeit und seiner grossen Fahig- keiten in der Frontreihe der deutschamerikanischen Bestrebungen und hatte es verstanden, sich unzahlige Anhanger und Freunde zu erwerben, die jetzt durch seinen Tod eines Fiihrers und Beraters beraubt sind.

M. G.

Allerlei.

Eroffnungsgedicht fur Schulerdarbietungen.*

Wenn trotzig und grimmig durchs Land es braust, Freund Winter die sperrigen Wipfel zaust, den Buben gar neckisch die Wange kneipt, manch Dirnlein die starr-blauen Hande reibt: dann husch ! stiebt die Schar iiber Stock und Stein ins damm'rige, mollige Stubchen hinein, bestiirmt und bittet, lasst nimmer Ruh', bis Grossmutter spricht sie horen zu : ,,Es war einmal "

Sie sitzen und staunen, sie sinnen, gliih'n. als waren sie selber die Recken kiihn; sie zagen und bangen, sie hoffen, fleh'n, als ob ihnen selbst all das Weh gescheh'n; des Miitterchens Hand umklammern sie bang, bis endlich die gliickliche Rettung gelang. Nun atmen sie auf ; es lost sich der Kreis. Noch einmal sagt es ein jedes leis': ,,Es war einmal "

Heut' halten auch wir solch ein Marchenfest und singen und sagen,, erzahlen aufs best', wie 's eben das kleine Volk vermag, wie 's fabuliert am Feiertag. Lieb' Miitterlein, lieb' Vaterlein, lasst uns einmal Erzahler sein! Manch Liedlein und Miirlein wird dargebracht, und alles in allem ein jedes sagt: ,,Es war einmal "

Nun mag es da draussen nur stiirmen und schnei'n! Vergessen ist es ! Prinz Frohsinn, tritt ein ! Regiere, besiege den bosen Geist, der Sorge und Kummer bei Menschen heisst! Dies Miirlein soil wirklich jetzt gescheh'n, dann werdet ihr f rohlich von dannen geh'n. Griisst euch hier eig'ne Jugendzeit, so sprecht ihr dann voll Seligkeit: ,,Es war einmal "

(Thiene.) (Aus der Sachsischen Schulzeitung. )

* Besonders wirkungsvoll ist das Gedicht, wie die Erfahrung gezeigt hat, wenn es von einem kleineren Schiller (3. oder 4. Schuljahr), einem geweckten, fri- schen Burschen, vorgetragen wird.

Allerlei. 47

Helden und Heldenbiicher. Ein amerikanischer Dichter, Gelehrter und Lehrer nimmt es dem grossen Schotten Carlyle sehr iibel, dass er Friedrich dem Grossen, ,,dem kleingeistigen Tyrannen des ein winziges Fleckchen Erde bewohnenden preu- ssischen Sklavenvolkes", einen unverwelklichen Lorbeerkranz wand, den Andersden- kende von dem Haupte des Gefeierten auf die Schlafe des Spenders iibertragen haben.

Der Kritiker steht mit seiner Meinung leider nicht allein. Sie haben heute das Wort, die da behaupten, ein einziger Lebender Soldat, Held, grosser Mann uberhaupt gelte mehr als zehn Tote. Nach ihrer Ansicht hat auch z. B. nur ein in neuerer Zeit ermordeter amerikanischer President Anrecht auf Unsterblichkeit ; die in ihren Betten gestorbenen Helden und Staatsmanner friiherer Zeiten sind ihnen nur tote Spukgestalten eines liingst tiberwundenen Standpunkts. Wo Spott und Holm noch nicht angewandt werden konnen, miissen eisige Zuriickhaltung und nichtachtendes Totschweigen die zersetzende Arbeit tun. Nirgends aber wird diese Arbeit, mit oder ohne Absicht, so griindlich getan wie in unseren Schulen, nirgends zeigen sich ihre verderblichen Einfliisse so deutlich wie bei unserer Jugend. Das bedarf keiner eingehenden Beweisfiihrung.

Gestellt aber, der Heldenkultus widersprache dem Zuge der Jetztzeit. Zuge- standen, es sei dem kiinftigen Weltbiirger von mehr Vorteil zu wissen, wie viele Beine der Maikafer besitzt, wie viele Staubfaden die Aster, wie viele Tiiren die gronlandische Hiitte, als imstande zu sein die Taten und Burgertugenden unserer Washington, Franklin, Jefferson, Lincoln voll und ganz zu wiirdigen. Angenom- men, alles geschichtliche, alles positive Wissen uberhaupt sei fur die moderne anglo- amerikanische Erziehung toter Kram und Ballast, ein blosses Hindernis fur die freie und selbstandige Entfaltung des schaffensbediirftigen Jugendbetriebes und der zu hegenden ,,durchgeistigten Fingergelenkigkeit" kein echter deutschamerikani- scher Lehrer sollte sich mit dem Gedanken tragen oder befreunden wollen, dass in den deutschen Klassen unserer Schulen ein gedeihlicher Unterricht erteilt werden kb'nnte ohne das Hinzuziehen des wahren deutschen und amerikanischen Heldentu- mes, ohne tatsachliche Vermittelung deutscher und amerikanischer Heldensage und Heldengeschichte von Siegfried und Dieterich bis auf Bismarck und Moltke, yon Smith und Penn bis auf Edison und Schley. Wenn die Geburtstagsfeiern Washing- tons, Franklins und Lincolns heute nur noch in weniger als streifender Beriihrung irgend eines Ereignisses aus der Jugendzeit dieser Heroen und in dem obligaten Ableiern irgend eines Nationalliedes ( Lucus a non lucendo ! ) sich bewegen, so ist es erst recht unsere Pnicht, bei jeder sich darbietenden Gelegenheit, beim Lese- und Sprachunterricht vor allem, zielbewusste, zusammenhangende Unterweisung iiber das Leben und Wirkeen dieser und anderer grossen Manner zu erteilen. Wir werden in unseren deutschamerikanischen Schiilern dankbare und leicht zu begeisternde Zuhorer finden. Doch das ist meinen Lesern so bekannt, dass es mir als Anmassung ausgelegt werden konnte, an dieser Stelle weitere Worte dariiber verlieren zu wollen.

Ein Umstand nur, ein hindernder allerdings, sei hier beriihrt, auf den jiingere Kollegen mir gegeniiber schon oft hingewiesen haben. Solche Kollegen behaupten, ihre Vorkenntnisse seien in dieser Hinsicht unzureichend, und ihre Zeit sei ander- weitig zu sehr in Anspruch genommen, als dass sie sich auf solchen, immerhin nur gelegentlichen, Unterricht gehorig vorbereiten konnten; vor allem seien sie unbe- kannt mit den einschlagigen Quellen- und Nachschlagewerken in englischer oder deutscher Sprache. Durchsichtig und gewiss nur in sehr beschriinktem Kreise giltig mag dieser Einwand sein. Nichtsdestoweniger will ich es, auf die Gefahr hin, andere zu ermiiden, wagen, diesen Kollegen eine, wenn auch beschrankte Hand- reichung in dieser Richtung zu bieten.

48 P'ddagogische Monatshejte.

Man hole sich Rat liber "Washington in Sparks "The Works of Washington" im Original oder in Raumers deutscher '(Jbersetzung ; in Washington Irvings "Life of G. W." (englisch oder deutsch) ; in Bakers ,,Bibliotheca Washingtonia" ; in Vene- days ,,Georg W." (deutsch). ttber Franklin: Bigelows "Life of B. F. by himself" (englisch oder deutsch) ; "The Sayings of Poor Richard", herausg. von P. L. Ford, tiber Jefferson: ,,Jeffersons Selbstbiographie" ; Randolph oder Parton: ,,Das Leben Jeffersons". 'tfber Lincoln: Raymond, Holland, oder Canisius (deutsch) ,,Abra- ham Lincoln"; Karl Schurz, ,,Ab. Lincoln"; vor allem aber das Schulbuch "The Words of Abraham Lincoln" von J. Thomas, eine von der American Book Company neuerdings herausgegebene Sammlung von Reden und Ausspriichen Lincolns ("Ut- terances of wonderful beauty and grandeur", nach Karl Schurz), die, besser als eine ausfiihrliche Lebensbeschreibung, den Lehrer iiber das Sein und Wesen dieses so recht zum Vorbilde fiir die heutige Jugend sich eignenden grossen Amerikaners aufklaren kb'nnen.

Selbstredend behaupte ich weder mit den genannten Mannern, noch mit den angefii'arten Werken die Reihe und Liste erschopft zu haben. Unser verhaltnisma- ssig junges Land ist bereits reich an hochst verdienstvollen Mannern. Es zahlt seine Helden sowohl, wie seine Heldenbiicher. Die ersteren zu wiirdigen, die letzte- ren zu benutzen, sei unsere Sache. Lassen wir immerhin den Vorwurf des ,,Hero- enkultus" iiber uns ergehen, wenn dieser nur die rechten Friichte zeitigt. (Fiir die ,,Padagogischen Monatshefte" von Constantin Grebner.)

Wie man Gedichte lesen und erkl&ren soil. Prof. Dr. J. Stiefel sagte in einem Vortrage iiber Poesie und Schule in der Ziiricher Schulsynode: Gedichte erklaren sich nur aus dem Gefiihl heraus, aus der Andacht und Inbrunst des Herzens fiir die Poesie, und diese gewinnt man nur durch die Versenkung in die Poesie. Willst du lesen, und noch vielmehr, willst du erklaren ein Gedicht, ,,so sammle dich wie zum Gebete". Die Gedichtstunde soil die Sonntagsstunde des Unterrichts sein, und dazu muss der Lehrer sein Gemiit sonntaglich sammeln und stimmen. Gedichte kann man nur erklaren aus einem vollen, iiberstromenden Herzen heraus, und ein voiles, iiberstrb'mendes Herz gewinnt man nur durch ein solides Sammeln, wenn man sich an die Wasserbiiche der Poesie setzt und ihre Melodien in sich aufnimmt. Aber gerade das mb'chte ich Ihnen aus dem tiefsten Ernste meines Herzens zuru- fen: wir lesen zu wenig, wir miissen viel mehr lesen, damit wir voll werden des inneren Reichtums und Segens der Poesie. Und nicht alles Mogliche durcheinan- derlesen, sondern gute Sachen immer und immer wieder lesen. Und gute Sachen auswendig lernen! Es hat sich auf das Auswendiglernen ein Rost falscher Auffas- sung gelegt, als ob es etwas rein Mechanisches ware. Natiirlich man kann alles mechanisch betreiben, aber man kann auch alles mit Seele betreiben. Lernt man schone Gedichte so auswendig, dass man sie als sein Abend- und Morgengebet spricht, so ist daran nichts Mechanisches mehr, dann sind sie die Nahrung der Seele, die Bildung des Gemiits, von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag, bis wir innerlich lauter und tief werden. Dann brauchen wir keine Kiinste mehr zu ma- chen, dann sprechen wir aus der Inbrunst und Andacht unseres eigenen Herzens von dem Schonen, Guten, Wahren und von dem Idealen, und dann wird die Poesie- stunde eine Sonntagsstunde des Unterrichts " (Aus der Schule fur die Schule.)

Phantasielugner. Der Kampf gegen die Liige ist eine der schwierigsten Auf- gaben der Erziehung, und nicht selten werden dabei arge Fehler begangen. Der schlimmste Fehler ist wohl der, dass man haufig nicht unterscheidet zwischen Liige und Liige, sondern alle Arten ohne Riicksicht auf ihre Quelle in einen Topf wirft.

Allerlei. 49

Wie gi-osa ist doch der Unterschied zwischen einer Umvahrheit, deren ein Kind sich in der Angst oder aus Verlegenheit schuldig macht, und einer Luge, die aus Neid oder Bosheit hervorgeht! Eine besondere Behandlung verdient die Phantasieltige. Sie findet sich haufig bei kleineren Kindern, aber auch bei grosseren, namentlich solchen, die mit einer lebhaften Einbildungskraft bgabt sind. ,,Die Kinder schreibt dariiber Matthias in seinem trefflichen Buche ,Aus Schule, Unterricht und Erzie- hung' wissen vielfach noch nicht die Grenze zu ziehen zwischen Einbildung und Wirklichkeit; sie wollen nicht tauschen, sondern werden selbst getiiuscht durch ihre lebhafte Phantasie, die beim Kinde alle Schranken und Hindernisse kiihn iiber- springt. Ein Wesen, das in diesem Augenblicke sich als Pferd fiihlt und das Brii- derchen oder Schwesterchen auf sich reiten lilsst, das im niichsten Augenblick als Bitter, Rauber oder wer weiss als sonst was sich fiihlt, hat seine Phantasie noch nicht so im Zaume, um in jedem Augenblick in seiner Rede der Wirklichkeit, d. h. der Wahrheit gemass zu verfahren. Es dichtet noch an der Wirklichkeit herum, ohne zu wissen, dass es dichtet. Die deutsche Sprache, die nach Riccaut de la MarliniSre ein ,plump Sprak' ist, hat fiir diese Art von Ltigen ein besonderes Wort erfunden, das Wort ,flunkern', das das Flimmernde, Flackernde, Schimmernde der Phantasie bezeichnet. Bei solchen Phantasieliignern muss der Erzieher mit grossem Takt verfahren, um kein ttbel anzurichten. Man stemple beileibe nicht in iibertrie- bener Gewissensangst harmlose Phantasiegebilde sofort als Liige, man lasse dem Kinde seine Kinderstubenpoesie ; nur dann greife man ein, wenn es zur bewussten Unwahrheit kommt."

Doch nehme man die Sache auch nicht zu leicht. Phantasiebegabte, frtihreife Kinder werden gar leicht bewundert. Dadurch werden sie eitel, sie stellen ihre Klugheit gern ins rechte Licht, suchen auch da klug zu scheinen, wo sie's nicht sind. So bildet sich ein Hang zur Unwahrhaftigkeit, der mit der Zeit sich immer mehr verstarkt. Wo man so etwas merkt, da greife man ein und benutze jede Gelegenheit, das Kind in die Wirklichkeit zuriickzufiihren, ihm das Unwahre seiner Redereien vor Augen zu stellen und es dadurch zu beschamen. Geschieht das nicht, so wild die Flunkerei gar bald zur voll bewussten Liige. Auch hier gilt es, das Obel im Keime zu ersticken. (Aus der Schule fiir die Schule.)

ist deutsche Erzieliung? So haufig man es gegenwiirtig aussprechen hort, die Ausbildung eines kraftigen personlichen Willens, womoglich eines scharf abge- grenzten und auf sich ruhenden Charakters sei das eigentlich schatzbare Ziel aller Erziehung und gerade auch fiir uns komme es darauf an, eine Willensbildung in diesem Sinne unserm Nachwuchs zu teil werden zu lassen, ja so richtig es auch ist, dass Willensbildung das letzte und entscheidende Ziel aller Jugenderziehung sein muss, so ist es doch nichts weniger als gleichgiiltig, ob iiberhaupt nur ein kraftiges personliches Wollen erzielt wird oder ob dasselbe auch auf wertvolle Ziele geht, namentlich den hoheren Interessen der Gemeinschaft sich zuzuwenden ver- mag, von edlem Fiihlen genahrt und von einem weiten menschlichen Gesichtskreis erhellt und bestimmt wird. Es diirfte als deutsches Wesen zu bezeichnen sein, dass das Wollen sich nicht so sehr als innewohnende und aus sich heraus drangende Naturkraft kundgibt, als vielmehr mit dem Fiihlen und Denken verwoben und auch von ihm abhangig. Das ist unserm deutschen Wesen oft praktisch schadlich ge- worden, aber sein eigentiimlicher Wert ruht doch zum teil darauf, und es ware nicht gut, uns in diesem Sinne selbst verleugnen zu wollen. So bleibt denn auch die Bildung eines weiten Gesichtskreises fiir uns ein natiirliches Ziel: die Idee allgemeiner Bildung ist als solche ausdriicklich von uns Deutschen erfasst und vertreten worden, wobei ,,Bildung" von Hause aus nicht als ein der Person von

50 P'ddagogiscbe Monatsbejte.

aussen Hinzukommendes, sie etwa Umkleidendes und Verschonendes gedacht 1st, sondern als das eigentliche Werden und Sichgestalten des Menschen von innen her- aus. Diese Idee 1st im Laufe der Jahrzehnte sehr in Misskredit gekommen, well sie sich im Bewusstsein der meisten verschoben hat und hochstens noch ein gewisses Beriihrtsein von allerlei geistigen Interessen bedeutet. Aber nach ihrem echten Inhalt konnen wir sie doch nicht aufgeben; eine absichtliche Verengerung, ein will- kiirlich abgegrenztes Segment aus dem, was uns die allgemeine Bildung bedeutete, kann uns nicht befriedigen. Zum wirklichen Weltverstandnis hinzustreben, 1st unser Bediirfnis; wir konnen nicht, wie gewisse andere Nationen, unbekiimmert bleiben um das, was Grosses und Wertvolles jenseits unserer Landesgrenzen sich vollzogen und entwickelt hat: wie sich diese Selbstgenugsamkeit racht, haben wir bereits in mehr als einem Falle mit ansehen konnen. Wir wollen auch ferner es uns angelegen sein lassen, das Fremde zu verstehen und es gerecht zu beurteilen. Es gewohnheitsmassig zu iiberschjitzen, haben wir ja wohl so ziemlich aufgehort; in das andere Extrem zu verfallen, mdge man uns nicht antreiben. Das schone Wort von einer harmonischen personlichen Bildung freilich wird immerdar mehr sagen als zu verwirklichen uns beschieden ist: Harmonie ist dem Menschen aller- warts so schwer zu erreichen; auch ist dem Ohre nicht zu alien Zeiten dasselbe Harmonie geblieben. Wir fiihlen jetzt, dass mancher Ton kraftiger vorklingen muss, als er bei uns zu tun pflegte. Auch, dass neben dem Abstrakten und Idealen das praktisch Tiichtigmachende voile Geltung haben muss; und wir wollen uns noch uicht bange machen lassen, wenn aus dem Auslande mitunter Stimmen laut werden, als ob der deutsche Idealismus sich selbst entsagt habe und wir nun nur noch auf praktische Welterfolge uns legen wollten.

So wenig aber wie Willensbildung um ihrer selbst willen, um jeden Preis, ohne Riicksicht auf den ethischen Gehalt, ebensowenig wollen wir eine Schatzung und Pflege der Form suchen, iiber welcher der Sinn fur den Inhalt zuriicktrate. Schon unsere Begabung weist uns sehr abvveichend von derjenigen der Franzosen und Romanen iiberhaupt nicht nach dieser Seite. Es ist wahr : dass wir auf vielen Gebieten weniger gleichgiiltig gegen die Form werden als wir geneigt sind, ist sehr zu wunschen; so z. B. dass wir der Handhabung unserer Muttersprache ein Stuck von derjenigen Sorgfalt widmen, die fiir alle Franzosen so selbstverstandlich ist. Aber im ganzen darf uns Deutschen der Kultus der Form eine zu grosse Bedeutung nicht gewinnenj leicht konnten wir iiber dem Haschen nach solchem neuen Vorzug den alten samt dem neuen verfehlen. So hat auch in unserm hoheren Unterricht nicht die Analyse der Form, etwa der Dichtersprache und der sonstigen Kunst- mittel der Poesie, den naiv unmittelbaren Sinn fiir den Gehalt zu schwachen; ein Stuck Naivetat in diesem Sinne wird uns Deutschen immer gut anstehen, und mehr als gut anstehen, wirklich Gutes fiir uns bedeuten. Es ist doch wie ein Stuck Jugendlichkeit : der Jugend ist die Form noch wenig, der Inhalt fast alles, das reife Alter und namentlich das iiberreife fiih.lt anders.

Damit hangt einigermassen zusammen der Gegensatz von geistiger Griindlich- keit und oberflachlichem Interesse, und auch der von objektivem Erkenntnisstreben und subjektiver Verarbeitung nebst gefalliger Selbstdarstellung. Wiederum muss man zugestehen, dass unsere deutsche Griindlichkeit mit Schwerfalligkeit sich oft ganz nahe verwandt zeigt und dass der Mangel an gefalliger Selbstdarstellung ein wirklicher Mangel heissen darf, wie er denn auch manchen Spott uns Deutschen zugezogen hat. Aber wiederum, indem wir nicht in baurischer Gleichgiiltigkeit oder spiessbiirgerlicher Lassigkeit gegen dieses Gebiet verharren wollen, soil es uns doch am wichtigsten bleiben, den Vorzug griindlichen Denkens nicht einzubiissen, und auch fiir die hohere Erziehungsaufgabe soil dieser Gesichtspunkt bestehen blei-

Allerlei. 51

ben. Was hier ttbertreibung, Verfehlung, verkehrte Gewohnung ist (und das alles fehlt wohl nicht), muss bekainpft werden; aber auf das Ernstnehmen der Arbeit soil der Geist friih hingelenkt werden.

Und zwar auch der Arbeit urn ihrer selbst, um ihrer Bedeutung willen, nicht so sehr des Erfolges wegen, den sie der Person bringt. Das ist eine weitere wesent- liche Verschiedenlieit zwischen deutscher und fremdlandischer, z. B. franzosischer, aber auch vielfach englischer Auffassung. Dort wird von friih auf der Blick auf den persb'nlichen Erfolg gelenkt, den die Bemiihung zu bringen vermag, sei es nun der Erfolg als personliche Anerkennung und Ehre oder als praktische Errungen- schaft. Und damit hangt denn zusammen die grosse Rolle, die in der Erziehung 4er Ehrgeiz spielt und die Gestaltung aller entscheidenden Priifungen als Konkur- renz. Die Pflege der Amulation hat man von den Alten ubernomnien ; bei den Griechen hatte sie von je ihre Rolle und auch den Romern lag sie im Blute. Quintilian z. B. kann sich eine Erziehung ohne dieselbe nicht denken. Und so ist ihre Schatzung namentlich bei den romanischen Volkern durch die Jahrhunderte hindurch geblie- ben. Dass man darauf verzichten konne, haben nur voriibergehend die ernsten Jan- senisten gemeint und auch der unerbittliche Rousseau, aber ohne alle nennenswerte Wirkung. Am sorgsamsten ist die Kultur des Ehrgeizes bekanntlich betrieben wor- den von den Jesuiten, die damit gerade eine Konzentration romanischen Geistes darstellen und hier wie in manchem andern dem deutschen Wesen so fremd wie moglich sind.

Was aber kann an Stelle des Ehrgeizes stehen, um die zu erziehende Jugend zu treulichem Bemuhen anzuregen? Zweierlei: einmal die Gewohnung, sich mit sich selbst zu vergleichen, sein Ich von heute mit dem von gestern, und so iiber sich selbst emporzustreben. Und zweitens: die Entwicklung des Pnichtgefiihls. Auch von dem Schulzogling soil seine Schiilerarbeit als die ihn bindende Pflicht empfun- den werden, der er geniigen soil wie es spaterhin der Mann im Amt und in der Gemeinschaft soil, nicht als das Mittel, durch das man dereinst zu einer ausge- zeichneten Position gelangen kann oder zu Behagen und Unabhangigkeit.

Dies wiirde meine Antwort sein auf die Frage: was ist deutsche Erziehung? oder: was ist ihre Eigenart? und: was soil sie bleiben? Da rum muss sie nicht starr bei bestimmten Formen und Gepflogenheiten stehen bleiben! Im Gegenteil, wenn deutsche Erziehung ernste Erziehung ist und man es in Deutschland mit der Erziehung dauernd ernst nehmen will, dann muss man es der Miihe wert finden, immer wieder iiber sie nachzudenken, Umschau und Priifung nicht versaumen, um nicht unmerklich zu sinken, um auf der Ho'he zu bleiben oder auf die wirkliche Hohe erst zu gelangen. Wilhelm Munch, Berlin. (Aus ,,Das Deutschtum im Aus- lande". )

Der Schlaf der Schulkinder. In Schweden hat man unlangst eine Untersuchung angestellt iiber den Schlaf der Schulkinder und ist zu dem Resultate gekommen, dass fiir Schulkinder ein langer Schlaf durchaus notwendig ist und dass diejenigen Kinder, welche zu wenig schlafen, um 25 Perzent kranker sind als andere Kinder. Nach dieser Ansicht der mit dieser Untersuchung betrauten Arzte miissen Kinder von vier Jahren durchschnittlich zwolf Stunden schlafen, Kinder von sieben Jahren elf Stunden, Kinder im Alter von neun Jahren haben zehn Stunden Schlaf not- wendig, Kinder von zwolf bis vierzehn Jahren neun bis zehn Stunden und im Alter von vierzehn bis einundzwanzig Jahren bedarf der Kb'rper acht bis neun Stunden Schlaf. Blutleere und Blutarmut sowie Bleichsucht sind auf zu wenig Schlaf zu- riickzufiihren.

52 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

isber den ,,8pielzeugteufel" sprach im Kreise der Vereinigung ,,Die Kunst im Leben des Kindes" im Biirgersaal des Rathauses zu Berlin Fritz Stahl. Der Vor- tragende fiihrte nach dem ,,Berl. Tagbl." in der Hauptsache aus, dass die Phanta- sie, die Kraft, aus Erfahrungen geistige Neuschopfungen hervorzubringen, schon im Kinde angeregt werden miisse und nicht verkiimmern diirfe, wenn nicht der spatere Mensch alle Lebensfreude entbehren soil, und dass das allereinfachste Spiel- zeug das beste sei, um die Phantasie zu wecken und zu erhalten, dass das ,,Reich der unbegrenzten Moglichkeiten", dass die einfachsten Spielzeuge, der Haufen nassen Sandes und der Tonklumpen in sich schliessen, durch jede realistische Verbesserung des Spielzeuges mehr begrenzt wird. Es miisse der Sandhaufen als idealstes Spiel- zeug hingestellt werden, dann wurde die Spielwarenindustrie von selbst erkennen. dass sie auf falschem Wege ist, wenn sie immer vollkommenere automatische Spiel- zeuge schafft, die der Phantasie des Kindes keine Anregung bieten, dagegen in ihrer Billigkeit und Vielheit ein starkes erzieherisches Moment im Leben des Kindes, namlich die Treue zu seinem Spielzeug untergraben. (Preuss. Lehrerztg.)

Die Frage des gemeinsamen Unterrichts von Knaben und M&dchen bildete das Thema eines interessanten Vortrages, welchen Frau Dr. phil. Wegscheider-Ziegler in einer Sitzung des Vereins fiir Kinderpsychologie in Berlin gehalten hat. Die Vortragende unterrichtet an einer im aussersten Westen seit einem Jahre beste- henden Familienschule, die ihren Zoglingen Gymnasialbildung gewahren will. Es sind zwanzig Schiilerinnen im Alter von 12 bis 13 Jahren, deren Unterweisung Frau Dr. Wegscheider-Ziegler teils aus eigener Anschauung, teils nach den Mitteilun- gen anderer Lehrer und Lehrerinnen reichlich Stoff zu bemerkenswerten Beob- achtungen bot. Die Vortragende halt nach den bisher gesammelten Erfahrungen einen gemeinschaftlichen Unterricht beider Geschlechter nicht fiir erspriesslich. Einmal diirfte man die feinen Unterschiede nicht ausser Acht lassen, die schon in der nattir- lichen Konstitution beider Teile begriindet seien. Knaben seien leichter an Dis- ziplin zu gewohnen als Madchen; deshalb sei eine einheitliche, fiir Knaben und Madchen gleichzeitig geltende Schulordnung kaum oder gar nicht durchzufiihren. Aber auch in dem Eingehen auf die einzelnen Unterrichtsfacher zeigen sich erheb- liche Unterschiede. Auflfallend war bei den jungen Schiilerinnen das Verstandnis fiir politische und soziale Fragen und die Begabung fiir rein formale, z. B. gram- matikalische Dinge. Die von vielen Seiten geausserte Befurchtung, dass die Schii- lerinnen durch die besondere Art ds Unterrichts zu einer Art geistigen Hochmuts verleitet werden konnten, halt Frau Dr. Wegscheider-Ziegler fiir unwesentlich ; die strengere Kritik, welche auf Madchengymnasien und ahnlichen Anstalten durchweg geiibt werde, mache die Schiilerinnen eher bescheiden. Jedenfalls weisen die man- nigfachen Unterschiede in dem Verhalten der Knaben und Madchen darauf hin, eine spezielle ,,weibliche" Methode des Gymnasialunterrichts zu suchen; es sei falsch, Knaben und Madchen dasselbe in derselben Weise lernen zu lassen. Nicht eine Egalisierung, sondern eine Differenzierung beider Geschlechter sei anzustreben.

( Frankfurter Schulzeitung. )

Berichte und Notizen.

I. Die Versammlung der Central Division of the Modern Language

Association.

(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)

Die achte Jahresversammlung der Central Division of the Modern Language Asociation of America fand am 1., 2. und 3. Januar d. J. in Haskell Hall, dem Verwaltungsgebaude der Universitiit Chicago, statt. Der Besuch war erfreulicher- weise zahlreich; an den Sitzungen nahmen insgesamt etwa einhundertfiinfzig Per- sonen teil; das zugehorige Gebiet erstreckte sich diesmal von Tennessee bis Minne- sota und von Ohio bis Nebraska und Kansas; auffallenderweise war aber Michigan gar nicht vertreten.

Am Abend des ersten Tages hiess Dean Judson (of the Graduate School) im Namen der Universitat und als Vertreter des nicht in Chicago befindlichen Prasi- denten Harper die Versammelten als Gaste der Universitat willkommen und zog in seiner Ansprache, in der er den Untergang des Lateinischen als internationaler Gelehrtensprache bedauerte, anregende Vergleiche zwischen friiheren und heuti- gen Methoden und Zielen des neusprachlichen Studiums. Ihm folgte der President der Gesellschaft, Herr Processor Starr W. Cutting von der Universitat Chicago, der im Gegensatze zu dem Vorredner gegeniiber dem bereits Erreichten in liebenswur- digem, vornehmem Tone mehr das hervorhob, was im allgemeinen noch fehle, und wieder und wieder die Wichtigkeit des lebendigen Gebrauches der Fremdsprache be- tonte. Da dem Vortrage durch einen kurzen Bericht keine Geniige geschahe und derselbe ohnehin wie gewohnlich in den ,,Publications of the Modern Language As- sociation" zum Abdruck gelangen wird, sei hier im voraus auf sein Erscheinen ver- wiesen.

Die Anzahl der wissenschaftlichen Vortrage, die in drei Sitzungen am Vormit- tag des 2. und 3. und am Nachmittag des 3. Januars gehalten wurden, war dies- mal geringer als im Vorjahre (16 gegen 28 im Dezember 1901), ein Umstand, aus dem man nicht auf minder reges Interesse, sondern auf absichtliche weise Beschran- kung schliessen wolle. Dem Gebiete deutscher Sprache und Literatur entnahmen folgende Herren ihre Arbeiten: Prof. Carruth-Kansas wies auf Grund sorgfaltiger Vergleichung des geschichtlichen Hintergrundes, des Ganges der Handlung, der Charaktere und der Situationen nach, dass sich Hauff bei seinem ,,Lichtenstein" nicht Scotts ,.Ivanhoe", sondern desselben Verfassers ,,Waverly" zum Muster genommen habe. Prof. Swig get-Missouri fiihrte Kleists ,,Penthesilea" auf zwei Calderonsche Dramen (,,E1 Mayor Encanto Amor" und ,,Las Amazonas") zuriick, die Kleist in einer tfbersetzung von August Wilhelm Schlegel vorlagen, und denen Kleist die Hauptmotive und einzelne Situationen fiir seine ,,Penthesilea" entnahm. Dr. Roedder-Wisconsin erlauterte an einigen Beispielen wie ,,Kopf und Haupt" die ver- schiedenen Erklarungsweisen des Bedeutungswandels der Worter, mit besonderem Nachdruck auf der Feststellung des Nebensinnes und Gefiihlswertes. Prof. Hat- field-Northwestern berichtete iiber fiinfzehn von ihm letzten Sommer in deutschen Bibliotheken neuentdeckte Briefe des Dichters Wilhelm Miiller an bekannte Zeit- genossen, die einen wertvollen Beitrag zu unserer Kenntnis von Miillers Charakter und seiner Zeit liefern.

Eine Neuerung, die im allgemeinen Anklang gefunden zu haben scheint, waren dje am Freitag Nachmittag abgehaltenen getrennten Sitzungen der einzelsprachli- •chen Sektionen. An der deutschen Versammlung beteiligten sich zwischen sechzig

54 P'ddagogische Monatsbefte.

bis siebenzig Besucher der Versammlung. Die Diskussion der ersten auf dem Pro- gramm angesetzten Frage, ,,Universitatsvorbildung deutscher Lehrer an Sekimdar- schulen" eroffnete Prof. Hohlf 'eld-Wisconsin; Redner wies in iiberzeugender, ein- dringlicher Weise auf die Notwendigkeit geschlossenen Vorgehens der hochsten Lehranstalten, besonders in diesem Teile des Landes, in den Bildungsanforderungen an die zukiinftigen Lehrer des Deutschen bin: leider zeigte die sich anschliessende Erorterung recht deutlieh, dass wir uns selbst in einem auf benachbarte Staaten beschrankten Landesteile dem in Deutschland schon lange erreichten Ideal gleich- massiger Vorbildung der Lehrerschaft nur sehr, sehr langsam nahern. Die von Herrn Prof. Cutting geleitete Erorterung iiber die zweite Programmfrage, wie weit die Universitat den freien schriftlichen Gebrauch des Deutschen zu unterrichten habe, verschob sich sehr schnell zu einer Behandlung der Frage, wie man praktisch der tJberbiirdung des Lehrers mit dem Korrigieren der schriftlichen Arbeiten abhel- fen kb'nnte; dabei stiessen die Vorschlage, die Stundenzahl der Aufsatzkurse dem Lehrer doppelt anzurechnen, und die schriftlichen Arbeiten in und mit der Klasse vor der schriftlichen Abfassung mundlich zu entwickeln, auf geringen Widerstand. Die Besprechung iiber das Lehren der deutschen Literatur konnte wegen vorgeriick- ter Zeit nur noch kurz angegriffen werden; dieselbe erb'ffnete wieder Prof. Hohlf eld mit Bemerkungen iiber die Notwendigkeit geeigneter Darstellung der Beziehungen zwischen deutscher und englischer Literatur (vgl. die Ausfuhrungen auf dem Deutschamerikanischen Lehrertag zu Indianapolis, 1901; P. M., Jahrgang III, Seite 46 f., Seite 73 f.)

Als Prasident der Gesellschaft fiir kommendes Jahr wurde Prof. Hempl-Michi- gan erwahit, dem auch bereits die in den letzten Dezembertagen zu Baltimore ta- gende b'stliche Abteilung dieselbe Wurde iibertragen hatte. Als Ort der nachsten Versammlung ist Ann Arbor, Michigan, bestimmt, wo also kommenden Dezember beide Sektionen eine gemeinschaftliche Versammlung abhalten werden.

Nach allgemeinem Urteil war die diesjahrige Versammlung der Central Divi- sion weitaus die angenehmste und anregendste, die noch je im Westen stattgefun- den. Nicht zum wenigsten war das der Energie des Tjnterhaltungs- und Bewirtungs- ausschusses zu verdanken, iiber dessen Erfolge nur eine Stimme der Anerkennung und des Lobes laut wurde. In besonders angenehmer Erinnerung wird alien Teil- nehmern der gemiitliche Kommers im Hotel Bismarck bleiben, nicht minder die schb'nen Stunden in den Raumen des Quadrangle Club. Fiir die ausserordentliche Liebenswiirdigkeit, mit der die Versammlung aufgenommen und behandelt wurde, sei darum auch an dieser Stelle dem Unterhaltungsausschuss, besonders dem Vor- sitzenden, Dr. Philip 8. Allen, der herzliche Dank der Gesellschaft dargebracht.

Univ. of Wis. Edwin C. Roedder.

II. Jahres versammlung der M. L. A. (Eastern Division).

(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)

Die zwanzigste Jahresversammlung der Modern Language Association of Ame- rica fand in der Johns Hopkins Universitat zu Baltimore, Md., statt und erfreute sich eines sehr zahlreichen Besuches, ein Beweis, dass solche Zusammenkiinfte von Lehrern der neueren Sprachen voll und ganz gewurdigt werden. Die Versammlung begann am 29. Dezember und dauerte drei Tage. Nachdem Professor Gildersleeve die Mitglieder bewilkommnet hatte, nahm das Verlesen der Vortrage seinen Anfang. Unter den zahlreichen Vortragen, die dargeboten wurden, greifen wir nur einige we- nige, als von besonderem Interesse fur die Leser der Monatshefte, heraus. Pro-

Korresponden^en. 55

fessor Vos (Johns Hopkins Universitat) bewies, dass altertiimliche Wendungen und Archaismen in Grimms ,,Kinder- und Hausmiirchen" nicht kiinstlich nachge- ahmte Elemente seien, sondern in jedem Falle echte ttberbleibsel des alten Spraeh- zustandes. Professor Shumway (Pennsylvania Universitat) versuchte eine Ehren- rettung des vielgeschmahten ,,Tristan" von Gottfried. Der Vorwurf, Gottfried sei unmoralisch, sei unbegriindet und beriicksichtige nicht geniigend die Tatsache, dass Gottfried zu einer Zeit schrieb, die ihre eigenen Ideale inbezug auf Liebe, Ehre u. s. W|.hatte. Seine Absicht wenigstens sei durchaus rein. Herr Emil Keppler (Co- lumbia Universitat) zeigte in hb'chst ansprechender Weise, wie sich die deutsche Volks- und Studentendichtung mit Amerika befasst hat. Professor Faust (Wes- leyan University) verteidigte das neunte Buch von Wolframs Parzifal gegen die Angriffe Bottichers und versuchte dann eine Interpretation der Idee des Dichters zu geben.

Aber auch die Geselligkeit kam zu ihrem Rechte, und Empfange und gemein- schaftliche "lunches" gaben den Mitgliedern Gelegenheit, sich naher kennen zu ler- nen. Besonders muss da der ,,Smoke Talk" vom Abend des 29. Dezembers erwiihnt werden, bei welcher Gelegenheit Professor Gildersleeve iiber das Thema ,,A Pro- jected Clearing-House for Ancient and Modern Languages" sprach. Unter dem lau- nigen Titel barg der Vortrag eine tiefernste, beherzigenswerte Lehre. Die alten und modernen Sprachen sollen nicht als zwei getrennte Elemente angesehen werden, und diejenigen, die sie unterrichten, sollen mit einander in Verbindung sein zu bei- derseitigem Heile. Am Abend des folgenden Tages hielt der Prasident der Gesell- schaft, Professor Bright, eine Ansprache, in welcher er etwas aus der ungeschrie- benen Geschichte der Gesellschaft vorlegte. Er gedachte der Griindung der Modern Language Association vor ungefahr zwanzig Jahren. Er erinnerte daran, dass die Gesellschaft urspriinglich eine Abzweigung von der ,,American Philological Associ- ation" gewesen sei, und rechtfertigte ausftihrlich diese Abzweigung, indem er dar- legte, dass die neueren Sprachen schon damals den alten gegeniiber eine solche wich- tige Stellung einnahmen, dass die Griindung einer diesen neueren Sprachen aus- schliesslich gewidmeten Gesellschaft einfach eine Notwendigkeit geworden sei. Gleich nach dieser Ansprache begaben sich die Mitglieder nach dem Hause des Herrn Marburg, wo ihnen ein festlicher Empfang bereitet war, welcher den geselligen Teil der Versammlungen wiirdig abschloss. Auch fiir das Jahr 1902 darf also ein glan- zender Erfolg konstatiert werden.

Schliesslich sei noch erwahnt, dass fiir das gegenwartige Jahr Professor Hempl (Michigan Universitat) zum Prasidenten erwahlt wurde, und dass die nachste Ver- sammlung in Vereinigung mit dem Zentralkorper in Ann Arbor, Michigan, abgehal- ten werden wird. Moge dieselbe an Erfolg nicht hinter der vergangenen zuriick- stehen !

Columbia University, New York City. Arthur F. J. Remy.

III. Korrespondenzen.

(Piir die Padagogischen Monatshefte.)

Chicago. sich das Lungenleiden, mit welchem er

Dr. G. A. Zimmermann, der friihere schon seit Jahren voriibergehend ge-

Leiter des deutschen Unterrichtes in den plagt war, so weit verschlimmert, dass

offentlichen Schulen unserer Stadt, ist er einen Arzt zu Rate ziehen musste,

am 5. Januar unerwartet gestorben. der ihm grb'sstmb'glichste Ruhe empfahl.

Erst einige Tage vor seinem Tode hatte Trotzdem hat Zimmermann am Sonntag

56

P'ddagogiscbe Monatshefte.

noch in seiner Kirche gepredigt und schon am nachsten Tage starb er.

Geboren wurde er am 20. Februar 1850 in der schweizerischen Stadt Basel. Nachdem er dort die hoheren Schulen besucht hatte, wanderte er 1869 nach den Vereinigten Staaten aus und bekam eine Stelle als Vikar an der Hartmann'- schen Kirche in Chicago, ausserdem lehrte er an dem evang. theolog. Semi- nar in Elmhorst. Nach einigen Jahren vollendete er seine philologischen und philosophischen Studien in Bern und Berlin, wo er sich den ,,Dr." holte. Im Jahre 1875 kehrte er nach Amerika zu- riick, war 2 Jahre Pastor in Buffalo und nahm dann seinen dauernden Wohnsitz in Chicago. Anno 1877 ubernahm er die Leitung des deutschen Unterrichtes in den offentlichen Schulen, die er bis zum vorigen Jahre behielt. Aus Sparsam- keitsriicksichten wurde seine Stelle da- mals abgeschafft und er entlassen, wo- rauf er seine ganze Kraft seiner Kir- chengemeinde widmete. Unter seinen zahlreichen Freunden hat sein Tod auf- richtige Trauer hervorgerufen.

Die Teachers' Federation, eine Verei- nigung der weitaus grossten Mehrzahl unserer Lehrerinnen an den offentlichen Schulen, hat vor kurzem einen sehr be- denklichen Schritt getan, indem sie sich der Federation of Labor angeschlossen hat. --In der letzten Nummer der P. M. wurde schon kurz klar gelegt, wie durch widerliche politische Verhaltnisse der Schulrat gezwungen war, die Gehal- ter der Lehrer zu reduzieren, trotzdem letztere auf eine Erhb'hung gerechnet hatten. Nun hofft die Teachers' Feder- ation durch ihre Vereinigung mit der Federation of Labor mehr an politischer Macht zu gewinnen und, wenn die Zeit reif sein wird, gleich den Arbeiterorga- nisationen einfach eine Gehaltserho- hung zu erzwingen.

Das scheint mir aber der heikle Punkt zu sein. Abgesehen davon, dass die Wiirde des Lehrerstandes es nimmer ge- stattet, herabzusteigen auf das Niveau des gewohnlichen Arbeiters, so mochte ich wissen, wie man sich jenes ,,Erzwin- gen" vorstellt. Etwa durch einen Streik? Der ware denn doch noch nie dagewe- sen! Dann miissten aber gleichzeitig alle Gewerkschaften die Arbeit niederlegen, denn Sympathie-Streiks sind Trumpf. Und auch umgekehrt, wenn die plumbers oder sewer builders oder hod carriers etc. um Lohnerhohung streiken, so wer- den auch die Lehrerinnen konsequenter- weise die ,,Arbeit niederlegen" miissen. Wird sich da unsere Jugend freuen!

Die Civic Federation, eine Biirgerver- einigung, diese wohl meint und beson- ders dazu da ist, den Herren Politikan- ten etwas auf die Finger zu sehen, hat seit etwa einem Jahre ein Educational Comite von Hundert in Arbeit gehabt, und die Herren und Damen haben mit heissem Bemiihen eine Gesetzesvorlage ausgearbeitet, die der kommenden Legis- latur zur Annahme vorgelegt werden wird. Verschiedene Reformen sind da- rin vorgesehen: Verminderung der An- zahl der Schulriite unserer Stadt auf sieben, Erhohung der Machtbefugnisse sowohl wie auch der Verantwortung des Superintendenten u. a. Wegen letzterer Bestimmung wird die Vorlage von der Teachers' Federation bekampft.

Ernes. Cincinnati.

Als. . . .„ Noah aus dem Kasten war," fahrt mir Meister Griebsch, nachdem das erste Wort entfloh'n, durch die Pa- rade und spricht gelassen weiter: ,,Sie vergessen augenscheinlich, dass wohl zu- weilen ein Geschichtchen, eine Plaude- rei, meinetwegen auch ein Kneiplied - ich kenne, Gott sei Dank, nur wenige Sachen letzterer Sorte mit ,,Als" be- ginnen konnte, niemals aber eine Kor- respondenz fiir eine padagogische Zeit- schrift, die, wie schon aus ihrer Abon- nentenzahl erhellt, in den weitesten Kreisen gelesen wird, und mit Recht. ."

Einen Augenblick, Verehrtester ! Ihr so wohl begriindetes ,,und mit Recht" veranlasst mich, Sie zu unterbrechen. um vorlJiufig eine Geschichte an den Mann zu bringen. Ich zitierte namlich vor kurzem, im Gesprache mit einem protestantischen Pfarrherrn, den folgen- den malaischen Satz: ,,Selamanja be- gita, dengan betul". Zu deutsch: ,,So ist es immer, und mit Recht". Diesen Ausspruch eines hohen katholischen Geistlichen in Batavia babe ich vor ei- ner Reihe von Jahren einem jungen ja- vanisch-holliindischen Ehepaar auf- tragsgemass iibermittelt und damit ban- gem Zweifel und nagenden Gewissensbis- sen iiber die Rechtmassigkeit ihres prie- sterlich nicht eingesegneten, sonst aber ausserst glucklichen ehelichen Zusam- menlebens ein Ende gemacht. Jedesmal nun, wenn ich das ,,und mit Recht" ho- re, lese oder selbst gebrauche, ,,brechen alte Wunden auf"; ich denke an den to- leranten hollandischen Priester, an die Freude des hiibschen Mischlingpaares und schliesslich an gar viel Erlebtes. Dieses mal gesellte sich zu dem sonder- baren Maikafervergniigen noch eine wei- tere angenehme Empfindung, indem

Kor responden^en .

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mem Freund und Pfarrherr mir, sicht- lich geriihrt, seinen Entschluss mitteil- te, diese Sentenz seines langst dahinge- gangenen katholischen Bruders in Chri- sto demnachst zum Text einer protes- tantischen Predigt zu machen. ,,Und mit Rfcht", denn er ist ein ganzer Mann, Redner und Schriftsteller. Er wird es tun, und ich freue mich dessen, obgleich ich, aufrichtig gesagt, nicht im entferntesten einsehe, was die ganze Sa- che mit einer Korrespondenz fur die P. M. zu schaffen hat, es sei denn, ich er- wahne noch, dass der Pfarrherr ein be- liebter Mitarbeiter von ,,Jung-Amerika" ist. ,,Nun," so sprechen Sie, selbst ge- ruhrt, ,,Ideenassoziation konnte man's nennen. Schiessen Sie immerhin los; ich will Gnade fur Recht ergehen las- sen. ,,Als," so sagten Sie. ..." Wohlan, es sei! Als Jean Jacques Rousseau seine ,,Confessions" verfasste, da hatte er be- reits einiges geleistet. Dennoch steht dort zu lesen: ,,Wie talentvoll einer auf die Welt gekommen sein mag, die Kunst des Schreibens lernt er nicht iiber Nacht". Dabei sagt er uns nicht einmal, wie man es mit dem Lernen ma- chen soil. Angenommen, man habe ei- nige geringe Fortschritte im schrift- stellerischen Generalbasse gemacht, so ergibt sich daraus doch nicht, dass man es dem Matthias Claudius gleichtun konnte, die Zipfelmutze schwenken und mit dem Ausrufe, ,,Ein grosser Gedanke ist mir aufs Herz geschossen!" an den Schreibtisch sturzen, um den geschosse- nen Gedanken meisterhaft niederzu- schreiben. Es ist uberhaupt sehr frag- lich, ob Korrespondenten Gedanken ha- ben sollen oder konnen, denn die schie- ssen keineswegs wie Salat im Sommer. Ausserdem leben wir in einer bb'sen Zeit. Das Lachen ist teuer, das Seufzen gar wohlfeil. Beten wollen sie auch nicht emsig. Die Schulmeister utriusque ge- neris erleiden Ferien und miissen sich recht sehr in acht nehmen, nicht zu er- frieren. Bekanntlich ist das Gefrieren nicht gerade schwierig, desto mehr aber das Auftauen. Das scheint seine Rich- tigkeit zu haben. Sang doch schon vor ein paar hundert Jahren der ,,Cherubi- nische Wandersmann" Johannes Ange- lus Silesius in seinen ,,Geistreichen Sinn- und Schlussreimen" neben vielen anderen prachtigen Reimen auch diesen:

,Bluh' auf gefrorner Christ!

Der Mai ist vor der Tiir;

Du bleibest ewig tot,

Bliihst du nicht jetzt und hier!" JEs ist aber erst Weihnacht gewesen und kaum Neujahr; vom Auftauen und

Aufbluhen kann daher noch keiue Rede sein. Ich bin auch bis jetzt noch kei- nein Gefrorenen, ob Christ ob lieide, be- gegnet, es sei denn,. ich rechne die ge- plagten Pensionare darunter, die ihre iieitriige zum hiesigen Lehrerpensions- fonds noch nicht auf das gesetzlich fest- gestellte Maximum und Minimum von sechshundert Dollars abgerundet haben. Starr vor Schreck waren jedenfalls diese Genossen, als sie vor kurzer Zeit die Mahnung bekamen da hatten wir doch wenigstens eine korrespondenzfii- hige Begebenheit sotane Abrundung stehenden Fusses zu besorgen, oder aber die Verwaltung durch hypothekarische und doppelt verbiirgte ttbertragung ihrer irdischen Habe sicher zu stellen. Sistierung, bezvv. Reduzierung um zwan- zig Prozent der Pensionsauszahlung, wurde denjenigen in Aussicht gestellt, die nicht schleunigst einen dieser Wege einzuschlagen willens oder imstande wa- ren. Das bedeutet keineswegs einen schlechten Zustand der Pensionskasse. Es ist im Gegenteil ein recht hiibsches Barvermogen da, welches aber nicht angegriffen werden soil, weil es unter einem Gesetze akkumuliert wurde, des- sen Konstitutionalitat noch immer Zweifeln und Angriffen ausgesetzt zu sein erachtet wird. Zu bedauern ist freilich, dass der Zudrang neuer Beitra- gender nicht in gleichem Schritt und Tritt gehen soil mit der Mehrung der Pensionsberechtigten. Damit ist nicht sowohl die Stabilitat der Einrichtung selbst in Frage gestellt, als die Kurz- sichtigkeit und Selbstsucht gar man- cher Kollegen erwiesen. Jedenfalls spricht es fur die Richtigkeit meiner Meinung, dass, abgesehen von dem ver- hiitschelten Kriegerstande, hierzulande noch kein Boden ist fur von staats- oder gemeindewegen tatsachlich und unan- tastbar gesicherte lebenslangliche An- stellung und Altersversorgung der Die- ner des Volkes. Mit nicht ganz gutem Gewissen rief ich denn auch jiingst ei- nem pensionierten Kollegen zu: ,,Lache, lache, du hast nicht iibermassig viel Zeit zu verlieren!" Grollend kam die Antwort: ,,Vor eintausend neunhundert und siebenundvierzig Jahren durfte ei- ner nicht mager sein, wenn er vor Ju- lius Caesar mit Ehren bestehen wollte; heutzutage schadet einem die Magerkeit nicht, wenn man nur nicht alt dabei wird. Mir steht das Weinen naher als das Lachen." Nun, geweint hat er nicht, der Kollege, und schaffen tut er noch riistig. Aber die mir bis dahin noch nicht genau bekannte Geschichte

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P'ddagogiscbe Monatsbeftt.

von der Pensionsabrundung hat er mir erzahlt.

Es mag banal, auch wohl banausisch klingen, eines unscrer Household-words bleibt es aber dennoch: "Every-one for himself, and the devil take the hind- most." Nichtsdestoweniger sieht man mit Erstaunen die Anstalten zum An- schlusse Tausender von Lehramtsbeflis- senen an den grossen Arbeiterbund und die kindische Freude auf die Errungen- schaft des Rechtes der Inszenierung ei- nes fromm-frb'hlichen Streiks, wenn alle Welt einmal ,,nicht so will, wie ich gern haben will". Die Moglichkeit eines Lockout ist natiirlich ausgeschlossen ! Auch hier spuckt es. ,,Und mit Recht"?

Doch ich will den Lesern, Redakteu- ren und Herausgebern der ,,P. M." die Neujahrslaune nicht verderben, sondern ihnen auf 1903 ,,das Beste" wiinschen. Hapert's wo, moge sich's bessern. Hilft alles nicht, dann gestatten wir uns ei- nen erfrischenden Rtickblick anf ein besseres quondam.

quidam.

Milwaukee.

Jahresversammlung und oOjahriges Jubil&um des Wisconsin Staatslehrer- verbyndes. Vom 29. bis 31. Dez. tagte hier der jahrliche Lehrerkonvent unse- res Staates und feierte zugleich sein goldenes Jubilaum, da dieser Verband im Jahre 1852, wenn ich nicht irre in Madison, gegriindet wurde. Einige tau- send Lehrer aus alien Teilen des Staa- tes batten sich dazu eingestellt, und alle schienen die festliche und freudige Ju- bilaumsstimmung mitgebracht zu haben. Die Damen, und besonders die jiingeren und hiibschen trugen ihr schonstes Kos- tiim und ihr bezauberndstes Lacheln zur Schau, und die Dezembersonne lachelte mild und freundlich auf die winterliche Landschaft und die beschneiten Strassen herab. Auffallig und iiberraschend war die gegen friihere Jahre gewaltig abste- chende 'ttberzahl des mannlichen Ge- schlechts unter den Lehrern, so dass in einigen Versammlungen die Damen in ganz bedeutender Minderzahl waren. Es ware sehr zu wiinschen, dass sich das numerische Verhilltnis zwischen den beiden Geschlechtern etwas mehr aus- gleichen wurde, denn fur die Manner ist noch sehr viel Raum da, und wir werden nicht eher einen wirklichen Lehrerstand hier in Amerika haben, als bis die jun- gen Manner in Scharen herbeistromen und dann auch im Lehrerberufe aushar- ren und nicht nach einigen Jahren wie-

der ,,umsatteln". Doch ich will mich keiner Tauschung hingeben; es ist recht gut mb'glich und sogar sehr wahrschein- lich, dass die Manner, durch Pflichtge- fiihl und Standesbewusstsein getrieben, sich in grb'sserer Menge eingestellt ha- ben, dagegen unsere lieben und geschatz- ten Amtsschwestern aus Bequemlichkeit zuhause geblieben sind; das erkliirt dann die Tatsache.

Soil ich nun den geschiitzten und ver- ehrten Lesern einen Auszug aus alien gehorten und zum Teil recht guten, ja ausgezeichneten Vortragen geben, so kb'nnte ich mit dem Dichter des Friih- lingsliedes ausrufen: ,,Wo aber fang ich an, wo hor' ich wieder auf?" Im Rah- men einiger Spalten kann ich nur das Interessanteste und Wichtigste (wie es sich mir als solches darstellte) mittei- len, und ich muss dabei die Kunst ver- suchen, ,,mit wenigen Worten vieles zu sagen, mit ein'gen Griffen viele Saiten anzuschlagen".

Am Montag Vormittag um 9:30 Uhr rief der Prasident des Vereins, Herr Karl Mathie, die Versammlung im Da- vidson-Theater zur Ordnung. Es waren etwa 5 600 Personen anwesend. Nach- dem er die iiblichen, verschiedenen Aus- schiisse ernannt hatte, erteilte er Herrn A. Salisbury, Normalschul-Prasidenten von Whitewater, das Wort, welcher iiber ,,Historische Skizzen des W. T. A." sprach. Da nun der folgende Redner, Normalschul - Prasident D. McGregae von Plattville, uber fast dasselbe Thema sprach: "Master Builders of our Schools and the W. T. A.", so will ich beide Vor- trage zusammen besprechen. Beide Red- ner erganzten sich einander und gaben in Umrissen ein treffliches Bild sowohl von der Wirksamkeit des Vereins und den hervorragendsten Persb'nlichkeiten in demselben, als auch von dem allmah- lichen Aufbau der verschiedenen Schul- und Lehranstalten unseres Staates, von den Landschulen an bis zu den Hoch- und Normalschulen und zu der Univer- sitat. Als einige besonders hervorra- gende Manner in der Padagogik wurden genannt: L. McMynn, Dr. Jos. L. Pick- ard, J. P. Mills, A. P. Craig, Prof. C. N. Allen, Rob. Graham u. a. m. Als der einzige ttberlebende von den Griin- dern des W. L. V. im Jahre 1852 wurde Dr. J. L. Pickard angegeben, welcher zur Zeit in Kalifornien lebt.

Als eigentlicher Jubilaums - Redner war der in padagogischen Kreisen sehr bekannte Dr. Bascom ausersehen, dessen Name im ganzen Lande einen guten Klang hat und welcher friiher der Pra-

Korresponden^en .

sident unserer Universitat in Madison war. Als er das Podium betrat und von dem Vorsitzer der Versammlung, welche inzwischen das Theater fast voll- standig g^fiillt hatte, vorgestellt wurde, ertb'nten lange anhaltende Beifallsbe- zeugungen. Wiirdevoll und ernst in sei- ner Haltung (er hat die 70 langst iiber- sehritten) ist seine Erscheinung, und markant und fest die Gesichtsziige, sei- ne Stimme markig und kraftig, sein Vortrag ruhig, langsam und bedachtig, den tiefen Denker zeigend. Sein Thema lautete: ,,Die Quelle der Autoritat im Lehrfache". Er sagte, der Staat Wis- consin konne stolz sein auf das, was in der Erziehung in dem halben Jahrhun- dert von den Lehrern und alien, die da- zu mitgeholfen hatten, z. B. die Volks- vertreter in der Legislatur, erreicht worden sei. Von alien Staaten im We- sten am Mississippi belegen, die einen so riesigen und schnellen Fortschritt auf alien Gebieten seit dem verflossenen hal- ben Sakulum hatten, sei wohl keiner im Fortschritt mit Wisconsin zu verglei- chen, und zum grossen Teil schulde es dies seinem vielseitigen, kosmopoliti- schen Bevolkerungselement, welches in gliicklicher Harmonic vereinigt, nun ein vorwarts und aufwarts strebendes Volk sei, welches fiir seine idealen Giiter, per- sonliche Freiheit, Vaterlandsliebe und eine gute Schulbildung gewillt sei, sei- nen letzten Blutstropfen herzugeben. Seine vielen und gut ausgestatteten Schulen seien hierfiir der beste Beweis. Dann kam er auf den Lehrerberuf zu sprechen und er meinte, dieser sei ein edler Beruf, wenn nicht der edelste von alien; nichts konne ihn unedel und un- ansehnlich machen, auch nicht das nied- rige Gehalt, welches leider noch manche Lehrer bezogen, denn nicht die hohen Einnahmen oder Einkiinfte machten ei- nen Stand nobel, sondern die meisten und grossten Wohltaten, die der Stand dem gesamten Volke erzeige. Wir Leh- rer sollten uns dadurch nicht entmuti- gen lassen, wenn wir in der Achtung nicht so hoch standen, als wir sollten, auch in der Gesellschaft (society) nicht so angesehen wiirden, wie wir sollten. Wir miissten uns daran gewohnen, viel zu geben und wenig dafiir wieder zu empfangen. Schon der erste 6'ffentliche Lehrer, Sokrates, habe erfahren miissen, dass Kenntnisse auf dem Markt des Le- bens nur geringen Wert besassen; er habe sie umsonst ausgeteilt und als Dank dafiir den Tod bekommen. Dann zeigte sich Dr. Bascom auch als freier

und unabhilngiger Mann, indem er er- klarte, dass er die Errichtung der C'lii- cagoer Universitat durch Rockefellers Millionen fiir ein grosses Unrecht hal- te. Geld, welches dem Volke durch un- rechtmassige Praktiken entnommen sei, sollte niemals zur Errichtung von Lehr- anstalten verwandt werden. Er scheint nicht an das ,,non olet" zu glaubeu und meinte, dass die genannte Lehranstalt sich durch die Annahme dieses Geldes in schlechten Geruch gebracht habe. Seine Worte waren: "The taint of a bad temper will cling to it, will lack in it, like a flavor in an unclean infu- sion." Die Wissenschaft soil und muss frei sein und bleiben, scheint bei ihm fest zu stehen.

Am zweiten Tage erst kam der Prii- sident Mathie dazu, seine Eroffnungs- rede zu halten, da er in bescheidener Weise den Jubilaums-Rednern den Vor- rang gelassen hatte. Mit gewahlten Worten stellte er gleichsam ein Pro- gramm auf fiir die zweite Halite des Sakulums, wozu er als Thema ,,Die Freiheit des Lehrers" gewiihlt hatte. Frei solle und miisse Lehrer, Schule und Wissenschaft sein von alien sie be- und einengenden Einniissen und Hindernis- sen, frei von Buchagenten, von unpas- senden und verkehrten Methoden, iiber- haupt von allem Zwange, damit sie sich frei entwickeln kb'nnten. Dann solle Fortschritt und rege Strebsamkeit alle Lehrer erfiillen, Lust und Liebe zum Beruf sie mit heiliger Begeisterung er- fiillen, ihren Schiilern nur immer das Beste geben. Wo diese begeisterte Hin- gabe an den Beruf fehlen, da wiirde der Lehrer oft verbittert und verdriesslich und hatte keinen Erfolg. Dann solle aber auch die Schulbehb'rde und die Kommune dem Lehrer geben, was ihm von rechtswegen gehort, namlich aus- kommliches Gehalt, eine feste und per- manente Anstell'ung, und womoglich Al- tersversorgung oder Pension. Jeder Leh- rer sollte so gestellt sein, dass er in seinem eigenen Hause wohnen kb'nnte. Die Rede wurde mit grossem Beifall auf- genommen.

Gern wiirde ich noch einige andere ge- horte Vortrage erwahnen, auch tiber die an den Nachmittagen abgehaltenen Sek- tionsversammlungen berichten, aber ich fiirchte, mein Bericht ist so schon zu ,,langlich", und mein gestrenger Herr Chefredakteur wiirde gezwungen sein, zu dem gefiirchteten Blaustift zu grei- fen, und das sehen alle Berichterstatter nicht gern. A. W.

IV. Briefkasten.

E. A. Z., Chicago. Dass diese in be- ster Absicht von unserm Gewahrsmann ,,Emes" geschriebenen Zeilen einen sol- chen Umvillen bei unsern Chicagoer Kollegen hervorgerufen haben, der sich nur durch Abbestellung der P. M. Luft machen konnte, scheint uns doch un- glaublich. Wir sind doch von vornher- ein unschuldig. Sie konnen sich wohl denken, wie schwer es einem ausserhalb Stehenden fallt, der weder mit den lei- tenden Personen noch den Verhaltnissen geniigend vertraut ist, sich ein abschlie- ssendes Urteil zu bilden. Das, was Sie den P. M. als Tatsache mitteilen, dass gegen 38,000 am deutschen Unterrichte sich beteiligende Schiller in uiesem Jahre nur deren 18,000 vorhanden sind, dass statt 210 Lehrern und Leh- rerinnen jetzt nur 130 Deutsch unter- richten, ist im hochsten Grade bekla-

genswert und spricht nicht fiir die An- wendbarkeit des neuen Systems. Was wir und auch Sie vorlaufig nur tun konnen, ist abwarten, wie sich die Sache des deutschen Unterrichts weiterhin ent- wickeln wird.

H. A. M. a) Behufs Einfiihrung der internationalen Korrespondenz wenden Sie sich an Herrn Prof. Dr. M. Hart- mann, Leipzig, Techerstr. 2. b) Eine vorziigliche Volksliedersammlung ist die von Erk (Peters Verlag). Fiir den Schulgebrauch empfehle ich Ihnen be- sonders die Liedersammlung fiir Mad- chenschulen von Moritz Vogel. Drei Teile. (Verlag: Gebr. Hug & Co., Leip- zig.) Als Supplement fiir diese Sarnm- lung ist in gleichem Verlag auch ein Bandchen erschienen, das einen Teil der Lieder mit Klavierbegleitung enthiilt.

V. Umschau.

Milwaukee. Ein holier Kunstgenuss steht dem deutschen Theaterpublikum gelegentlich der Benefizvorstellung fiir das Nationale Deutschamerikanische Lehrerseminar am 16. Januar bevor. Auf dem Spielplan steht fiir diesen Tag Shakespeare's Konig Lear, und die Truppe des hiesigen Pabsttheaters ist in einer vorziiglichen Verfassung, so dass diesem gewaltigen Drama eine vollendete Auffiihrung von vornherein gesichert ist.

Erziehung und Unterricht auf der Ausstellung zu St. Louis. In noch aus- gedehnterer Weise, als dies in Chicago geschah, soil dem Erziehungs- und Un- terrichtswesen auf der Weltausstellung zu St. Louis Rechnung getragen werden. Ein besonderes Gebaude, das einen Fla- chenraum von sieben Acker deckt und im Zentrum des Ausstellungsplatzes liegt, wird fiir diesen Zweck errichtet, und zwar wird es das erste unter den Gebauden sein, das seiner Bestimmung iibergeben werden kann; es wird zur Aufnahme von Ausstellungsgegenstan- den vom 1. Sept. 1903 fertig sein, wah- rend die Ausstellung selbst erst am 1. Mai 1904 eroffnet wird. Die Anweisung der Platze fiir die Aussteller geschieht nicht vor dem 1. Juni 1903. Bis dahin also finden noch Applikationen Beriick- sichtigung. Die Gruppen, in welche die Ausstellungsgegenstande eingeteilt wer-

den, sind: Elementary Education, Sec- ondary Education, High Education, Special Education in Fine Arts, Special Education in Agriculture, Special Edu- cation in Commerce and Industry, Edu- cation of Defectives, Special Forms of Education-Text-Books, School Furniture, School Appliances. Alle Staaten der Union werden selbstverstandlich an die- ser Ausstellung sich beteiligen. Aus dem Auslande haben bis jetzt England, Frankreich, Deutschland und Japan ihre Mitwirkung zugesagt; andere Nationen haben dieselbe in Aussicht gestellt. Dem Chef des Erziehungs-Departements auf der Ausstellung, Howard J. Rogers, steht ein Beratungskomitee zu Seite, das aus den bedeutendsten Schulman- nern unseres Landes zusammengesetzt ist, an ihrer Spitze Dr. W. T. Harris aus Washington.

Einewnderbare Idee soil von Chicago aus zur Ausfiihrung gebracht werden, um der Herstellung von Zigaretten Ein- halt zu tun. Eine Million Kinder sol- len Bittgesuche an die Tabakstrusts und Tabakfabriken richten, die Zigaretten- fabrikation einzustellen. ,,Als ob diese Gesellschaften sich durch ein ,,auf Er- suchen" bestimmen lassen wiirden", be- merkt das School Journal.

Das Baukomitee des New Yorker Schulrates hat einen Plan entworfen, nach welchem Wolkenschaber-Schulhau-

Umscbau.

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ser gebaut werden sollen. Diese Ge- biiude sollen Raum fiir 5000 Kinder ent- halten, absj»lut feuersicher sein, mit Fahrstiihlen ausgestattet sein, die eine Klasse auf einmal befordern, und dabei nicht mehr kosten als die jetzt ge- brauchlichen, die nur Raum fiir 1000 2000 Schiiler gewahren.

Aus Mangel an Kohlen sah sich der Schulrat der Stadt Boston gezwungen, die Schulen vom 15. Dezember bis 5. Januar zu schliessen.

Unglucksf&lle beim Fussballspiel. Nach dem ,,School Journal" fanden in der letzten Fussballsaison 12 Spieler beim Spiel den Tod, einer wurde tb'd- lich, 85 schwer verletzt. Im Jahre 1901 starben 8 an den Folgen von beim Spiel empfangenen Verletzungen, und 75 zo- gen sich schwere Verletzungen zu.

Carlo, Wenck»hnch t- Wellesley Col- lege hat durch den am 29. Dez. erfolgten Tod von Frl. Carla Wenckebach, welche an der Anstalt seit langen Jahren die Professur fiir deutsche Sprache und Li- teratur bekleidete, einen grossen Verlust erlitten. Die Verstorbene wurde im Jahre 1853 in Hildesheim geboren und studierte auf den Universitaten Zurich und Leipzig. Eine hochgebildete Dame und vorziigliche Lehrerin, verstand sie es, sich die Liebe und Zuneigung ihrer Schiilerinnen zu erwerben, und der Aus- bau des deutschen Departements der Anstalt ist zum grossten Teile ihrer Wirksamkeit zuzuschreiben ; doch auch an anderen Fragen, die die Anstalt be- trafen, war ihr Wort von ausschlagge- bender Bedeutung. Schriftstellerisch entfaltete sie ebenfalls eine sehr frucht- bare Tatigkeit.

Otto Ernst's ,,Gerechtigkeit" ist jetzt an mehr als 80 Biihnen angenommen und bereits ins Russische iibersetzt worden. Es ist aufgefuhrt in Dresden, Wien, Miin- chen, Leipzig, Prag, Niirnberg und Gor- litz. In Berlin wird es Ende Januar zur Auffiihrung kommen. Anlasslich der Aufftihrung des Stiickes in Miinchen kam der Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern auf die Biihne und gratulierte dem Dich- ter zu' dem Stiicke. Die ersten 3000 Exemplare aer Buchausgabe (das Stiick ist bei Ludicig Staackmann in Leipzig erschienen) war en in 8 Tagen ganzlich

vergriffen. Eine von Beleidigung strot- zende Schmahkritik der ,,Frankfurter Zeitung" hat der Dichter jetzt voraus- drucken lassen. Sie soil dort stehen zu dauerndem Gedachtnis.

Hochschulwesen. Die deutsche Regie- rung wiinscht, dass die schweiz. Univer- sitaten sich den einheitlichen Bestim- mungen der deutschen Universitaten iiber das philosophische Doktorexamen (inbegr. das der naturwissenschaftlichen Sektion) anschliessen. Die schweiz. Uni- versitaten werden dem Departement des Innern ihre Ansichten mitteilen.

Das Schiceizervolk hat am 23. No- vember mit rund 260,000 gegen 85,000 Stimmen einen Zusatz zu Artikel 27 der Schweiz. Bundesverfassung angenommen, nach welchem dem Bunde das Recht ein- geraumt wird, aus Bundesmitteln das Primarschulwesen der Kantone zu unter- stiitzen. Ein Ausfiihrungsgesetz, das die Hohe und Vervvendung der Beitrage fest- setzt, wird nun wohl nicht lange auf sich warten lassen. Hoffentlich waltet cann am Abstimmungstag iiber dieses ungleich wichtigere Gesetz ein gleich j>uter Stern.

In samtlichen Hittelschulen Serbiens i^l der Unterricht in der russischen Sprache obligatorisch eingefiihrt wor- den.

Die rum&nischen Lehrerinnen sollen an landliche Tracht gewohnt werden. Der Unterrichtsminister Spiru Haret hat an samtliche Schulinspektoren des ].andes ein Schreiben ergehen lassen worin er iiber den immer mehr iiberhand I'ehmenden Kleiderluxus der Lehrerin- uen bittere Klage fiihrt, die Inspektoren auffordend, den Lehrerinnen die einfache, itber doch so schone Nationaltracht ihrer Dorfer ans Herz zu legen und ihm jene Damen, die nach wie vor sich in kost- spieligen Kleidern zeigen, unverziiglich anzuzeigen. Dieser Kleiderkrieg wird sicherlich die herrlichsten Bliiten zeiti- gen; denn die weibliche Eitelkeit wird sich wohl nur nach schwerem Kampfe herbeilassen, die seidenen Rocke der neu- esten Pariser Mode mit dem rumani- schen Bauernmadchenkostiim zu vertau- schen. Dieses Eingreifen des Ministers in Dinge, die ihn doch gar nichts angeh- en, hat viel boses Blut gemacht.

VI. Vermischtes.

A us der liltesten Handschrift der Men- schen. 2000 Jahre vor Moses lebte ein Prinz in Agypten namens Ptahhotep, der

ein Alter von 110 Jahren erreichte und, was er in seinem langen Leben gelernt, zu Nutz und Frommen seiner Mitmen-

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P'ddagogiscbe Monatshefte.

schen niederschrieb. Eine Papyrusrolle, die eine genaue Abschrift dieses Werkes enthiilt, ist bis auf uns gekommen und wird gegenwartig in der Bibliothek zu Paris aufbewahrt. Es ist dies bis jetzt die alteste Handschrift des menschlichen Geschlechtes. Hier einige Proben aus dem Werke:

,,Sei nicht tibermiitigen Sinnes auf Grund deines Wissens; kein Meister ist vollkommen in seiner Herrlichkeit.

Achte die Weisheit hoher als die Edel- steine, denn diese werden auch am Arme einer Sklavin getroffen.

Hiite dich, Unweises an dir zu zeigen. Bilde dich, damit du kenntnisreich und verstandig werdest und dir an deines Lebens Ziel das Zeugnis werde: Er war ein MeiEiler.

Die Enthaltsamkeit ist an sich selbst ein Reichtum.

Auch dein torichter Sohn ist doch im- mer dein Kind. Entfremde ihm dein Herze nicht! Bleibe ihm ein Vater!

Nicht zu bereuen brauchen ist ein Zei- chen der Weisheit.

Verspotte den Bittenden nicht; dir ware Sirger, als wenn du seinen Korper schliigest. Schreie ihn nicht an; was ihm wehe tun muss, das sage ihm mild und freundlich.

Wenn du zu den grossen Denkern ge- horst, so bilde dir nicht ein, dass du sol- chcs leistest, dessen auch ktinftige Tage sich noch erinnern werden. Kein Wort gelangt zu dauerndem Ruhme. Siehe, das Krokodil taucht auf und wieder unter und schon ist seine Erscheinung ver- wischt.

Mache dem Bittenden Mut, dir vorzu- tragen, weswegen er zu dir gekommen ist.

Die Klugheit deiner Rede ist mehr wert als die Floskeln deines Geschwat- zes.

Gefahrlicher ist das Wort als alle Din- ge. Wer es loslasst, bringt er es wieder zum Umkehren?

Wenn du an einem Verwandten Ein- eicht vermissest, so schmahe ihn darum nicht. Schadige ihn nicht in der offent- lichen Meinung. Sprich allein mit ihm, aber stelle ihn nicht so armselig hin, dass er sich vor dir schamen muss. Sei zutraulich mit ihm und driicke ihn nicht nieder.

Wurdig ist eigenes Verdienst; wiirdi- ger als ererbter Reichtum.

Lass frohlich leuchten dein Antlitz, so lange du lebst. Verliess je ein Mensch den Sarg wieder, wenn er einmal hinein- gebettet war?

Nachdem du gross geworden bist, nachdem du niedrig warst, und Schatze

gesamnielt hast nach vergangener Ar- mut; und wenn du um deswillen der Vornehmste bist in deiner Stadt und dich die Leute kennen ob deines ttber- Husses und du als ein machtiger Herr dastehst: so lass dein Herz sich nicht iiberheben um deines Reichtums willen, denn der Urheber dessen 1st Gott. Ver- achte nicht den Nachsten, der da ist, was du selber warst, sondern' behandle ihn wie deinesgleichen.

Die Menschenliebe ist hoher zu achten, als der Opferkuchen." (Aus: Das alte Wunderland der Pyramiden von Dr. Karl Oppel. Fur die P. M. von Carl Ullrich, Milwaukee.)

Ich bin der alte Herr Meier Und habe schon viel gesehn. Doch wie ich es drehe und wende, Ich kann nicht alles verstehn.

Seit Fruhjahr seh ich die Kleinen Tagtaglich zur Schule gehn. Seh, wie sie sich rniihen und qualen, Das A B C zu verstehen.

Sie reden von Dehnen und Scharfen Und traumen von uh und von ah; Sie schreiben schon alle die Zeichen Vom i bis zum schwierigsten K.

Ich meine, man lasst die Kleinen Nur lesen und schreiben zu viel In einem Alter, da Leben Ist Freude und kindliches Spiel!

(Schweiz. Lehrerzeitung.)

Wiederholung des Foucaultschen Pen- delversuches im Pantheon zu Paris. In den letzten Monaten wurde der Pendel- versuch Foucaultsy taglich einige Male im Panthgon wiederholt. Das Publikum brachte dem majestatischen Schauspiele, dem einzigen direkten Beweise fur die Rotation der Erde, ein grosses Interesse entgegen. Um das Riesenpendel befesti- gen zu konnen, hatte man aus der Mitte der PanthSonkuppel das ,,Auge Gottes", eine Kupferplatte von 250 kg Gewicht, weggenommen und in die gahnende Off- nung zwei Balken in Kreuzform gelegt mit einem besonderen kupfernen Auf- hangeapparat. Dieser hielt das Ende einer 57 m langen stahlernen Klavier- saite von 0,7 mm Durchmesser, ihr voile Bewegungsfreiheit lassend. Das andere Ende trug eine 28kg schwere Bleikugel mit einer langen Nadel am unteren Pol. Auf dem Fussboden stand eine kreisfor- mige Tafel von etwa 5 m Durchmesser. 16 eingravierte Durchmesser teilten sie in 32 gleiche Felder. Ihr Mittelpunkt befand sich dicht unter der Nadelspitze des ruhenden Pendels. Zwei Tischchen waren 4 m vom Mittelpunkt entfernt

Erwiderung.

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aufgestellt, uii'". /.war an den Enden des verliingerten Durchniessers, ttber dem das Pendel zu schwingen begann. Die Tischchen trugen je eine kleine Mauer feinsten Sandes, ein kleines Hindernis fur das schwingende Pendel. Eine Balu- strade, um die das Publikum Aufstel- lung genommen hatte, schloss das Ganze ein. Um auch die geringste Erschtitte- rung bei Beginn des Versuches zu ver- meiden, war die Kugel mit einem Faden iiber dem einen Sandtischchen befestigt. Jetzt wurde der Faden angebrannt, und die Kugel setzte sich vermoge der Schwerkraft in Bewegung. Langsam, majestiitisch schwebte sie wie ein leben- des Wesen dahin. Ihr Lauf war nicht schneller als der Gang eines Menschen. Erst nach 16 Sekunden war sie an ihrem Ausgangspunkte wieder angelangt. Die grandiosen und stillen Schwingungen einer einfachen Kugel liessen uns die Unermesslichkeit der himmlischen Be- wegungen ahnen, regiert wie dies durch das Gesetz der Schwere. Die Schwing- ungen dauerten mehrere Stunden; aber schon nach einigen Minuten strich das Pendel nicht mehr iiber dem Ausgangs- durchmesser bin. Es hatte, immer mehr Sand von den kleinen Sandwellen weg- streichend, scheinbar nach links sich ge- dreht. Nach 10 Doppeschwingungen be- trug die Abweichung schon 3% cm; nach einer Stunde rund 11 Grad. Um 360 Grad durchwandern zu kb'nnen, brauchte die Kugel also rund 32 Stunden fur Pa- ris, welches auf dem 48 ^ Breitengrade

liegt. Da aber die Schwingungsebene eines Pendels stets in derselben Rich- tung bleibt, selbst wenn der Unterstiit- zungspunkt des Pendels seinen Platz andert, so muss die Erde in umgekehrter Richtung sich bewegt haben. Warum brauchte aber die Scheibe, um eine Drehung unter dem schwingenden Pen- del ausfiihren zu konnen, 32 Stunden und uicht 24?

Die Kohlenlager Chinas. In einem be- merkenswerten Vortrage in dem Ameri- can Institute of Mining Engineers mach- te Mr. Drake interessante Angaben iiber die chinesischen Kohlenlager. Sie er- strecken sich iiber eine Lange von 800 km und die mittlere Dicke dieses Lager ist folgende: Kou-Ping 5,50 m, Wang- Ping 10,50 m Fang-Schau 6 m, ebenso in Ping-Ting und Tse-Chou. Mr. Drake berechnet die Gesamtsumme der zu for- dernden Kohle auf 350,000 Mill. Tonnen. Auf Grund des heutigen Verbrauches wiirden die Kohlenlager die ganze Erde fiir mehrere Jahrhunderte versorgen konnen. In manchen Lagern stellt die Hauptader die grosste Masse der zu fb'r- dernden Kohlen dar, aber in Kai-Ping z. B. existieren noch andere Adern, so dass der Hauptstock nur den dritten Teil des Gesamtvorrates enthalt. Mr. Drake ist iiberhaupt iiberzeugt, dass eine ge- naue Untersuchung noch einen bei wei- tem grb'sseren Reichtum an Kohle in China ergeben wird, als man bis jetzt annimmt.

Bucherschau*

I. Erwiderung.

University P. 0., Mississippi, 22nd December 1902. Editor of P&dagogische Monatshefte:

After sentence has been pronounced in P. M. Ill, 2, upon my edition of Sappho and its doom sealed in P. M. IV, 1, it may seem presumptuous in me to say any- thing further. I approach the task with extreme diffidence.

First, with regard to the charge of plagiarism from Lichtenheld's school edi- tion. As I was preparing a college text book, it was from the nature of the case necessary that I should touch upon some of the same points as Lichtenheld. Out of some twenty-five pages of notes in my edition Dr. Lessing finds five notes which should be enclosed by quotation marks, he thinks. He prints (P. M. IV, 1) these five notes and the corresponding notes from Liehtenheld. In four of these notes there is, as I have already stated (P. M. Ill, 10), only a general resemblance, the thought in each case being one that would naturally suggest itself to any per- son at all familiar with dramatic technique. If the statement in the other note, that Amphitrite was the wife of Poseidon and one of the fifty daughters of Nereus, god of the quiet, smooth sea, is a plagiarism on my part, it is a plagiarism on

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the part of Lichtenheld also, for almost these identical words are to be found in any good manual of mythology. Mr. Lessing might have found several other notes in which there is quite as strong a resemblance as in the four he cites. All these notes call attention to things which cannot well be left out of an annotated school edition, yet need not be plagiarized from anybody. It was certainly my honest purpose to give credit in every case where credit was directly due. Nearly all my notes had taken on their final form before I ever saw Lichtenheld's edition of the play.

Instead of admitting that the accusation with regard to my critical analysis' being entirely dependent on Lichtenheld was a slip of the pen, for nothing could be further from the truth than this charge, Dr. Lessing takes refuge behind gen- eral statements. My analysis is no more dependent on Lichtenheld than it is on the Koran. It is indeed in accord with those generally recognized principles of dramatic technique which Dr. Lessing would overthrow.

Perhaps it is on account of my being so naive myself that I can find nothing komisch or naiv about my sentence "Our Sappho is a tragic figure", unless it is wrenched out of its connection.

It was my purpose to prepare a careful and scholarly edition of Grillparzer's Sappho for use as a college text book. To accomplish this end I spared neither labor nor pains. I studied enthusiastically the works of the poet, and read all the principal Grillparzer and Sappho literature up to October 1898. It is my misfor- tune and not my fault that my book appeared three full years before Mr. Lessing revolutionized Grillparzer study with his monumental work Schillers Einfluss auf Grillparzer. My edition has its faults of course, but I think the treatment is sym- pathetic and the work accurate. It may be true, as Dr. Lessing says, that no American and no North German can ever enter the holy of holies in Grillparzer's sanctuary of art, but a number of scholars, one or two of whom deserve quite as much as anyone in this country to rank as Grillparzer specialists, have pronounced my edition, 'introduction' and 'notes', thoroughly satisfactory and have spoken even warmly of it.

It has never been my purpose to convert Dr. Lessing. I merely wish again to ask all scholars who do not know my edition to form their opinion at first hand, for Mr. Lessing's review gives no fair idea of the book. He would have us believe that no one in this country is competent to pass judgment on a college edition of one of Grillparzer's plays, but I cannot agree with him. I insist that every point to which Dr. Lessing objects is merely a matter of opinion, in which I often have great authorities on my side. It seems never to have occurred to him that anyone, even among the greatest scholars of Germany, can hold a different opinion from him and yet be right. Chiles Clifton Ferrell.

II. Bingesandte Biicher.

Zur Jugendschriftenfrage. Eine D. Mead. Published for the Interna-

Sammlung von Aufsiltzen und Kritiken. tional Union, Ginn & Co., Boston; 1902.

Mit dem Anhang: Empfehlenswerte Bii- The Future of War in its technical,

cher fOr die Jugend mit charaktensie- economic, and political relations by

renden Anmerkungen. Herausgegeben Jean de Blochi translated by R. C

von den Veretntgten deutschen Prii- Long> and with a conversation with the

fungs-Ausschiissen fnr Jugendschriften. author by W. T. Stead, and an intro- Leipzig, Ernst Wunderlich. 1903. Preis duction by Edwin D Meadf pubiished

M. 1.60; geb. M. 2. for the International Union, Ginn & Co.,

..Addresses on War by Charles Sum- Boston; 1902. mer. With an introduction by Edwin

Padagogische Monatshefte,

PEDAGOGICAL MONTHLY.

Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.

Organ des

Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.

Jahrgang IV. Februar 1903. Heft 3

Idealismus, Gedanken und Beobachtungen.

Vortrag, gehalten vor dem 32. Lehrertage zu Detroit.

Von C. V. Weiser, High School, Detroit, Mich.

Das, woriiber ich zu Ihnen sprechen wollte, fasste ich in die Worte : Idealismus, Gedanken und Beobachtungen. Es sollte Ihnen dadurch von vornherein gesagt sein, dass Sie hier keine irgendwie gerundete Be- handlung dieses vielgestaltigen Gegenstandes erwarten diirfen. Sodann hatte ich auch zur Zeit, da ich das Thema formulirte, tatsachlich noch kein klares Bild von dem, was ich sagen wollte, und durch die Fassung desselben wollte ich mir deshalb die Freiheit bewahren, die verschiedensten Dinge, die mir von diesem Gesichtspunkt aus wichtig werden konnten, in den Kreis meiner Betrachtung zu ziehen. Endlich muss ich noch be- merken, dass mir der gestrige Redner, Herr Prof, von Jagemann von der Harvard Uniyersitat, einen grossen Teil jener praktischen Gedanken vorweggenommen hat, die meinen Ausfuhrungen ein Recht und einen Zweck auf diesem Lehrertage gaben. Und nur, indem Sie Ihre Ein- driicke von dem gestrigen Vortrage mit den Gedanken, die die heutigen Ausfuhrungen anregen sollen, zusammenfliessen lassen, wird darum der Gesamteindruck erzeugt, um den es mir ursprunglich zu tun war.

Gestatten Sie mir nun zunachst zur Orientierung eine Ubersicht iiber das weite Gebiet, das der Begriff Idealismus in dem einen oder anderen Sinne einschliesst.

So alt wie die Sache selbst ist, so ist doch der Ausdruck ,,Idealismus" erst etwa 200 Jahre alt. Von dem spatlateinischen Adjektive idealis hat man ihn gebildet, welches selbst wieder auf das griechische Wort idea

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zuriickgeht. Dieses Wort erinnert jeden von uns an Plato, den Gross- meister der Philosophic.

Fur das Denken dieses griechischen Weisen bestand eine Ideenwelt, d. h. ein Raum, in dem die Ideen, die Gattungsbegriffe, die Urbilder der Dinge dieser Welt versammelt sind, von denen w.ir hier in unserer Welt nur unvollkommene, verstummelte Abarten, fluchtige Schattenbilder wahrnehmen. Plato weiss sogar von einem Besuch in diese Ideenwelt zu berichten.

Seit Plato scheint es immer wieder Menschen gegeben zu haben, denen es vergonnt war, eine Wanderung durch die Ideenwelt zu machen, und die sich in unserer Welt noch der Dinge erinnerten, die sie in einer anderen Sphare geschaut. Auf ahnlichen Gedanken wie den platonischen hat man denn auch zu jeder Zeit die verschiedensten Systeme gebaut, die unter sich das eine Gemeinsame haben, dass sie von Ideen oder Idealen ausgehen, statt von der gegebenen Wirklichkeit.

Alan spricht nun von Idealismus vom erkenntnistheoretischen Stand- punkt aus. Hier kommt Kant. Dieser Idealismus fiihrt einiges oder alles an unserer Erkenntnis auf Vorstellungen, auf Ideen in uns zuriick. Ahnlich wie bei Plato liegen fur diesen Idealisten die Formen der Er- kenntnis a priori im Gemiit. Auf den ersten Blick scheinen solche Theo- rien, die unsere Erkenntnis fur subjektiv erklaren, unserer ganzen Erfah- rung zu widersprechen und die realistische Betrachtungsweise, die von den Dingen ausgeht, so wie wir sie mit unseren Sinnen wahrnehmen, scheint uns viel einfacher, naturlicher und verniinf tiger. Um Ihnen je- doch zu zeigen, dass es sich hier jedenfalls nicht ausschliesslich um miissi- ge Spekulationen handelt, gestatten Sie mir, eine Frage aufzuwerfen und je nachdem Sie dieselbe fur sich beantworten, mochten Sie vielleicht un- vermerkt in den Bann des Kant'schen und Fichte'schen Idealismus ge- raten und den Kreis der objektiven Tatsachen unserer Erkenntnis enger und enger ziehen. Stellen Sie sich einmal vor, auf der ganzen Erde gabe es keine Lebewesen mehr mit einem solchen oder ahnlichen Gehorsinn wie wir Menschen ihn besitzen. Gabe es dann wohl noch einen Donner, so wie wir ihn jezt horen ? Klingt es nicht sehr wahrscheinlich und wird es nicht fast fur jeden nach einigem Nachdenken zur tJberzeugung, dass es also bloss die Ursache des Donners ist, die ausser uns liegt, wahrend wir nichts anderes als die Wirkung dieser Ursache auf unseren eben so und nicht anders beschaffenen Gehorsinn einem anderen mitteilen, wenn wir sagen: ,,Es donnert." Mit den anderen Sinneswahrnehmungen ver- halt es sich ebenso, das Beispiel der Farbenblinden ist Ihnen bekannt.

In der Metaphysik bedeutet Idealismus zunachst die Anerkennung eines Ideellen, eines Geistigen, im Gegensatz zu Materialismus, und so- dann die "Uberordnung des Geistes iiber die Materie, mit der Annahme oines geistigen Weltgrundes. Hier waren Fichte, Hegel und Schelling

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zu nennen, wobei man Fichtes Idealismus als den ethischen, Schellings als den physischen und Hegels als den logischen bezeichnen kann. Diese drei hauptsachlich bilden die sogenannte idealistische Denkerschule. Ein bekanntes Wort Schellings konnte man als das Glaubensbekenntnis dieser Gruppe bezeichnen, wenn er sagt : ,,Uns alien wohnt ein geheimes, wunder- bares Vermogen bei, uns aus dem Wechsel der Zeit in unser innerstes, von allem was von aussen her hinzukam, entkleidetes Selbst zuriickzuziehen und da unter der Form der Unwandelbarkeit das Ewige in uns anzu- schauen. Diese Anschauung ist die innerste, eigenste Erfahrung, von welcher allein alles abhangt, was wir von einer iibersinnlichen Welt wissen und glauben."

Gehen wir nun zu den einzelnen Wissenschaften iiber, so finden wir «inen Idealismus in der Naturphilosophie, in der Ethik und in der Asthe- tik. In der Naturphilisophie bedeutet derselbe die Erklarung der Er- scheinungen aus der Idee oder Bestimmung des Gegenstandes, die Ethik bezeichnet mit Idealismus jene Sinnesart des Menschen, die sich auf etwas Hoheres als die Befriedigung sinnlicher Lust, auf Ideale richtet, und in in der Asthetik denken wir vor alien Dingen an den Idealisten Schiller, der das Schone in der Idee fand, die uns in der Erscheinung entgegen- tritt, wahrend Kant sagt : ,,Das Schone gefallt durch seine blosse Form."

Wenn man nun endlich im gewohnlichen Leben einen Menschen einen Idealisten nennt, so wird derselbe die Bezeichnung in den meisten Fallen nicht als Schmeichelei, sondern als einen Tadel auffassen, indem man dabei weniger an ein hohes, uneigenniitziges Streben denkt, als vielmehr an einen Mangel an praktischer Klugheit, die mit den gegebenen Verhaltnissen .zu rechnen hat.

Das sind also die verschiedenen Arten von Idealisten, wie man die- selben in irgend einem Handbuche der Philosophic bequem zusammen- suchen kann.

Es ist nicht nur ein Studium von grossem Reiz, sondern auch eine Beschaftigung, die uns eine reiche, vielgestaltige Fiille der Belehrung bie- tet, den Weisen der verschiedenen Zeiten und Zonen auf ihren Gedanken- gangen zu folgen. Jedes denkende Volk und jedes Geschlecht beantwor- tet in seiner ihm eigenen Weise jene hochsten Fragen, die der Mensch sich stellen kann. Der Menschengeist hat tatsachlich gar kein hoheres Geschaft, als sich dariiber klar zu werden und die Vielgestaltigkeit der Dinge auf eine Einheit zuriickzufuhren, so weit sein Denken und Fiihlen •es vermag, um sodann seine eigene Stellung inmitten dieser Erscheinun- gen zu begreifen und die aus derselben fur ihn entspringenden Pflichten und sittlichen Aufgaben mit Ernst und Mut zu erfassen.

Die Wahrheit, nach deren letztem Punkte, nach deren hochster Spitze das Beste des menschlichen Strebens, auf welchem Gebiet es auch sei, deu- tet, stellt sich mir unter dem Bilde eines hohen Berges dar, dessen Gipfel

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in die Wolken hineinragt, nein, dessen Gipfel die Wolken iiberragt ; denn wahrend das Auge des einen nur bis an die Wolkengrenze reicht, erblicken die anderen das weisse Haupt des Berges einer Alpenspitze gleich in Spharen weit iiber Nebel und Wolken in reiner ruhiger Sonnenhohe, und ihr Auge miiht sich, die Umrisse des Berges durch das trennende Ge- wolk hindurch bis zu jener erhabenen Hohe zu verfolgen, vor der sie sich in Ehrfurcht beugen.

Seit Jahrtausenden schon ist die Menschheit in der Ersteigung dieses Berges begriffen. Bald ist es dieses, bald ist es jenes Volk, das die Fiihrung iibernimmt. Anscheinend planlos strebt die gewanderte Strasse nach oben und immer nach langeren oder kiirzeren Zwischenraumen kommen wir wie- der an dieselbe Seite des Berges, um von dem mehr oder weniger erhohten Standort aufs neue Blicke zu tun hinaus in das Land der Erscheinungen, das sich um uns dehnt.

Es ist dies ein Bild des ganzen Werdeganges der Menschheitsge- schichte, der ganzen Art unseres Fortschritts. Die Zeit drangt bald nach dieser, bald nach jener Richtung und so steigen wir immer weiter empor. Lauschige Taler offnen sich und schliessen sich wieder unseren Blicken, bald engt sich der Horizont, bald schweift das Auge in blaue Fernen, und so oft uns auch der Weg wieder nach derselben Seite des Berges, den wir ersteigen, d. h. nach derselben Betrachtungsweise der Dinge, zuriick- bringt, immer ist die Perspektive wieder eine andere, in der sich uns die verschiedenen menschlichen Fragen und Probleme darstellen.

Zwei Grundprinzipien nun sind es hauptsachlich, die die Richtung, die das Hin und Her des Weges bestimmen : der Realismus und der Idealismits, die urspriinglich wohl in der geistigen Konstitution der Men- schen und Volker begrundet liegen, aber gleichzeitig von der geschicht- lichen Entwickelung und von Zeitstromungen entschieden abhangig sind Wie liessen sich nun Idealismus und Realismus als bestimmte Uran- lagen in Menschen und Volkern erklaren?

Wir nehmen durch unser Auge die buntfarbigsten Eindrucke in uns auf, und unser Geist fiillt sich mit Bildern der Welt um uns. Nun ist eine doppelte Behandlung dieses Bilderschatzes von seiten des Menschen mog- lich. Entweder entspricht es seiner geistigen Eigenart, die empfangenen Eindrucke unter Gattungsbegriffe zu ordnen, das Allgemeine aus dem Be- sonderen zu entwickeln, so dass ihn also die Wahrnehmung zunachst zum Denken reizt, oder er ordnet die Bilder nach der Wichtigkeit, die si*, fur ihn haben in der Umgebung, in der er sich befindet, so dass also die em- pfangenen Eindrucke ihn zuforderst zum Handeln veranlassen, zur prak- tischen Benutzung der gemachten Wahrnehmungen.

Diese Verschiedenheit in der Behandlung der Wahrnehmung driickt sodann naturgemass der ganzen Kultur ihren Stempel auf. Im ersten Falle wird die Eigenart des Denkens, des Kombinierens und Vergleichens

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vor allem eine bilderreiche, poetische Sprache schaffen. Daraus erwachst ganz natiirlich die Neigung, die Poesie an sich zu pflegen, zusammen mit ihrer Zwillingsschwester, der Religion, und die Spekulation wird endlich geneigt sein, sich iiber das Sichtbare zu erheben und sich mit Begeisterung dem Erhabenen, dem ewig Wahren, Guten und Schonen zuzuwenden, ohne Rucksicht auf alle praktische Verwendbarkeit. Hier haben wir den Idealisten.

Im zweiten Falle endlich wird die Sprache sich auf eine einfacbe Be- zeichnung der wahrgenommenen Dinge beschranken, ohne jede poetische Zutat. Dementsprechend werden die Wissenschaften solcher Volker des spekulativen Elementes mehr oder weniger vollstandig ermangeln, da es ihnen nur darauf ankommt, Systeme zu praktischer Benutzung zu bilden und Religion und Philosophic werden auch ein dementsprechend reali- stisch utilitarisches Geprage tragen.

Die Arier lassen sich als Beispiel fur jene erste Art des Denkprozesses anfiihren, wahrend die mongolische Rasse die zweite Art illustriert.

Wie nun vorhin bemerkt, miissen wir die geschichtliche Entwickelung und die verschiedenen Zeitstromungen in Betracht ziehen, wenn wir Be- obachtungen machen, die mit der soeben aufgestellten Behauptung nicht zusammenstimmen, wenn wir in die Augen springende Verschiedenheiten innerhalb der arischen Volkerfamilie wahrnehmen, oder wenn wir die ei- gentiimlichsten Verwandlungsprozesse in dem Charakter eines Volkes be- obachten. Doch, ich muss der Versuchung widerstehen, hier ins einzelne zu gehen ; denn es kam mir darauf an, einiges zu sagen iiber Dinge und Verhaltnisse, mit denen wir es direkt zu tun haben.

Wir sahen, dass es fur die Arier naturgemass ist, eine Kultur mit idea- listischem Geprage zu erzeugen. Trotzdem jedoch zeigten sich immer, auch innerhalb unserer Volkerfamilie, entschieden realistische Tendenzen auf jedem Gebiet menschlichen Lebens und Strebens. Dieser Realismus kann naturlich nicht mit dem chinesischen verglichen werden, schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil er immer auf einem tatsachlich idealisti- schen Boden erwuchs und meistens nur eine heilsame Gegenwirkung ge- gen den ins Extrem gegangenen Idealismus darstellt, wo er sich nicht als das Produkt zeitweiliger politischer und wirtschaftlicher Verhaltnisse ergibt.

Fur gewohnlich nun nennt man die Englander Realisten und die Deutschen Idealisten, und doch glaube ich bestimmt, dass es Perioden in der Entwickelungsgeschichte der beiden Volker gab, in denen die Deut- schen ziemlich ebenso gut Realisten wie die Englander Idealisten genannt werden konnen. Es gab eine Zeit, wie Sie wissen, da die Deutschen und die Genuesen sich in den Welthandel teilten, so weit wie damals von einem solchen die Rede sein konnte, und da man meist mehr deutsche Dreimaster in, den Hafen von London sah als englische. Die Deutschen von damals

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waren in vielen Stucken die Englander von heute und das England jener Zeit weist in mehr als einem Punkte eine uberraschende Ahnlichkeit auf mit unserem alten Deutschland.

Darauf kam der riesige wirtschaftliche und politische Aufschwung England*. Die kurze Spanne zwischen 1585 und 1588 ist vielleicht eine der wichtigsten Perioden fur die Kulturgeschichte Englands. 1585 nahm Alexander von Parma Antwerpen ein und wie Guiccardini behauptet, wandte sich damals der dritte Teil der Kaufleute und Fabrikanten nach dem verbiindeten England. Drei Jahre spater kam das Armada jahr. Nun standen den Englandern die Meere, die Welt often, und ihrem Denken und Sinnen bot sich alliiberall eine solche Menge verlockender Realitaten, dass es bis heute nahezu der ganzen physischen und geistigen Energie be- durfte, die sich ihnen fortwahrend aufdrangenden politischen, praktischen Fragen zu bewaltigen.

In Deutschland kam im Gefolge der Reformation jenes Kriegsjahr- hundert, das nur den vierten Teil der Bevolkerung ubrig Hess, das die kulturellen Traditionen brach und iiber das einst so glanz- und macht- volle Imperium konnte man spaterhin wohl spotten, dass es die Luft als sein Revier habe, wahrend die Englander die See und die Franzosen das Land beherrschten. Der Blick nach aussen, in die Welt, war den Deut- schen genommen, dafiir hatten ihre Nachbarn gesorgt. Nichts war nun natiirlicher fur ein urspriinglich ohnedies so vorwiegend idealistisch ange- legtes Volk, als dass sich der Blick jezt nach innen und nach oben kehrte. Ich glaube, die Deutschen hatten auf dem Gebiet, das durch einen solch langen Zeitraum ihr eigenstes war, nie so Hervorragendes geleistet mit einer solch selbstlosen Hingabe an ideales Denken und Empfinden, wenn kein ausserer Zwang vorhanden gewesen ware. Es erwuchs also hier Gu- tes aus Bosem.

Darum brach mit dem Jahre 1871 eine neue Zeit in der Kulturent- wickelung Deutschlands an. Der Kaiser weist aufs Meer und es dehnt sich jetzt wieder vor den Deutschen die weite reale Welt und ladt sie ein, Kraft und Gedanken einzusetzen fur ein ,,Platzchen an der Sonne", wie Bulow es nannte, fur praktische Giiter. Die Energie, die vorher auf alien Gebieten der Wissenschaft und philosophischer und religioser Spekula- tion das Hochste geleistet, setzt sich nun in Tat um und dadurch ver- knupft sich die neueste Geschichte Deutschlands wiederum mit der Zeit der Hansa und der Fugger.

Was konnte man nun iiber das kurze Stuck amerikanischer Ge- schichte, die hiesige Kultur, die hiesigen Menschen sagen? Es ist mir, als ob Sie mir gerade eben alle zuriefen: Realistisch bis aufs Mark! In der Tat ist das auch die allgemeine Ansicht. Ich konnte Ihnen nun eine ganze Anzahl Autoritaten anfuhren, die sich in der Beurteilung der amerikani- schen Geschichte und Kultur und des heutigen Amerikaners in ganz humo- ristischer Weise widersprechen.

Idealismus, Gedanhen und Beobachtungen. 71

Zum ersten miissen wir nun festhalten, dass die ersten englischen Einwanderer immer noch aus dem mehr idealistisch gearteten England kamen und hier mochte ich nur beilaufig auf die Tatsache hinweisen, dass Kolonien geneigt sind, die Sprache und Kultur des Mutterlandes zur Zeit ihrer Griindung beharrlicher festznhalten als das Mutterland selber, eine Erscheinung, die sich durch das Beispiel der franzosischen Kanadier und der griechischen Kolonien illustrieren lasst. Sodann lasst sich ein bedeutender Unterschied zwischen dem fiir die amerikanische Kulturent- wickelung so wichtigen Puritanertum des 17. und 18. Jahrhunderts fest- stellen. Das des siebzehnten Jahrhunderts war offenbar von einem hohen religiosen Idealismus erfiillt; denn fiir Ideale des Glaubens und absoluter Gewissensfreiheit gaben sie den realen Boden der Heimat daran und zogen in eine gefahrvolle Fremde. Dieser religiose Idealismus der alten Puri- taner hat eine allgemeine idealistische Grundstimmung geschaffen, die in der Neuengland Renaissance, in der ersten Halfte des letzten Jahrhunderts hervorquoll und bis heute noch nachwirkt. Andererseits stellt sich die idealistische Renaissancebewegung auch als eine Reaktion dar gegen das in geistlos dogmatisierendem Unitarianertum verflachten Puritanertum des achtzehnten Jahrhunderts, wie uberhaupt als eine Geltendmachung der asthetisch philosophischen Seite der menschlichen Natur, die schon seit der Auswanderung aus England und langer nicht zu ihrem Rechte ge- kommen war.

Der Einfluss des amerikanischen Freiheitskrieges darf endlich auch nicht vergessen werden. Damals focht man vor alien Dingen fiir Ideen, fiir Ideale und die Bedeutung eines solchen Kampfes fur die Ausgestal- tung des Volkscharakters darf sicher nicht unterschatzt werden.

Beziiglich des Amerikaners von heute lasst sich wohl mit Bestimmt- heit sagen, dass in seinem Charakter eine mehr oder weniger starke ideali- stische Unterstromung vorhanden ist, die zum Teil auf die soeben aufge- deckten historischen Quellen und zum Teil auf europaische und zwar be- sonders deutsche Einfliisse zuruckzufiihren ist. Dieses idealistische Grund- bild des amerikanischen Charakters ist jedoch fiir den oberflachlichen Beobachter so iiberwuchert durch einen so ausgesprochen scheinenden Re- alismus, dass es oft der redlichen Absicht bedarf, Idealismus zu suchen, wenn man ihn finden will.

Im allgemeinen kann man von der heutigen Kultur in Europa wie hier wohl sagen, dass sie eine realistische ist. Die Volker sowohl wie die ein- zelnen wollen alle ,,ein gemiitliches Platzchen an der Sonne" und Wissen- schaft sowohl wie Philosophic stellt sich in den Dienst unseres korperlichen und biirgerlichen Wohlergehens. Die philosophische Richtung, die ich im Auge habe, geht allerdings von England aus, hat aber auf dem Kontinente sowohl wie auch hier eifrige Vertretung gefunden.

72 P'ddagogiscbe Monatshefte.

Dem Publikum, zu dem ich rede, den Realismus und Naturalismus in Kunst und Literatur zu charakterisieren, habe ich nicht notig.

Dass dieser Naturalismus insbesondere weder hier noch in England so iippig ins Kraut geschossen ist, wie auf dem europaischen Kontinente, findet, von anderen Ursachen abgesehen, nach meiner Ansicht, besonders fur Amerika seine sehr einfache Erklarung darin, dass die Schriftsteller auf ihr Publikum Riicksicht nehmen und da dasselbe sich hier mehr aus jungen Madchen als aus reifen Mannern zusammensetzt, konnte man wohl kaum durchweg als Hauptattraktion ein ehebriichiges Weib an den novel- listischen Pranger stellen. Gleichzeitig darf man sich jedoch der Tatsache nicht verschliessen, dass dieser Umstand eine freie und natiirliche Entfal- tung der amerikanischen Romanliteratur in mancher Hinsicht behindern mochte.

In welcher Richtung nun bewegt sich unsere heutige Kultur? Mich will es diinken, als stiinden wir eben an einer Biegung des Weges, und es sind entschieden deutliche Anzeichen vorhanden, die uns eine neue Zeit gewahrleisten. Dass Zolas Schule heute nicht mehr in der Weise wie vor zehn Jahren den Ton angiebt, wissen wir alle und in der Malerei scheint mir Bocklin ein Mann der neuen Zeit zu sein. Das wurde mir klar, als ich letztes Jahr im Bocklin Zimmer in Basel stand. Das schien mir Idealismus.

Auf den Symbolismus hier einzugehen, gebricht mir die Zeit. Jeden- falls bedeutet er ein Hinwegstreben vom Realismus und ist deshalb schon zu schatzen. Was wir jedoch heute notig haben, ist keine neue Manier. Wir brauchen Kiinstler, Schriftsteller, Mcnschen brauchen wir mit reinem, reichem Herzen, mit frohlichem Mute und mi;. Augen nicht nur fur das Hassliche und Gemeine, sondern fur alles Grosse and Schone um uns. In der Schrift heisst es: ,,Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen", und damit sich die Wahrheit, damit sich die gro- ssen Realitaten des Lebens, damit sich die Welt nicht verzerrt, sondern wahr, gross und erhaben in uns spiegle, dazu gehort allerdings ein reines Gemut, das wie ein tiefklarer Alpensee die Berge und Walder schoner noch wiederspiegelt als sie sich rings um seine Ufer erheben.

Es hatte des unsichern Umhertastens nach neuen Methoden und Prinzipien wahrlich nicht not. Warum lernen wir nicht aus der Vergan- genheit, die doch der grossen Werke und Namen so viele kennt.

Sollte es fur einen modernen Menschen nicht moglich sein fiir seine eigene Personlichkeit jene griechischc Lebenseinheit zu erringen, die fiir das Volksleben allerdings unwiederbringlich verloren ist, die aber das Streben des Einzelnen zur kraftigsten und schonsten Harmonic, zur hochst moglichen Vollendung fuhren miisste!

Und bietet uns die christliche Periode wenn wir die ersten fiinfzehn Jahrhunderte unserer Zeitrechnung biindig so charakterisieren durfen nichts, das der Erhaltung und Pfiege auch heute wert ware? Wie bitter

Idealismus, Gedanken und Beobacbtungen. 73

not tate uns nicht heute etwas von jener zum Himmel lodernden Begei- stenmg fur iiberirdische Giiter, die einen Paulus und die ersten Christen auszeichnete ! Nennen Sie es lachelnd Fanatismus, nennen Sie es Aber- glaube; es war die vollige, innige, kindliche und begeisterte Hingabe an ein grosses iiberweltliches Ideal.

In Shakespeare tritt uns ein Mensch entgegen. Mehr sage ich nicht iiber ihn. Wie er die Menschen, ohne dass sie die Miihe des Aufstiegs irgendwie empfanden, auf Hohen der LebensaufFassung fiihrte, wo man weit ausschaute, wo man freier atmete, wo man Mensch war, ist bekannt.

Und was konnten unsere Naturalisten nicht endlich von unserm Schiller lernen! Folgender Satz, der sich in seinem geistvollen Aufsatz: liber naive und sentimentalische Dichtung" findet, konnte ebenso wohl die Kraftstelle einer modernen Abhandlung iiber zeitgenossische Literatur bilden. Schiller sagt da: ,,Wirkliche menschliche Natur ist jede mora lische Niedertrachtigkeit, aber zvahre menschliche Natur ist sie hoffentlich nicht ; denn diese kann nie anders als edel sein. Es ist nicht zu iibersehen, zu welchen Abgeschmacktheiten diese Verwechslung wirklicher Natur mit wahrer menschlicher Natur in der Kritik wie in der Ausiibung verleitet hat: welche Trivialitaten man in der Poesie gestattet, ja lobpreist, weil sie, leider! wirkliche Natur sind; wie man sich freut, Carikaturen, die einen schon aus der wirklichen Welt herausangstigen, in der dichterischen sorg- faltig aufbewahrt und nach dem Leben konterfeit zu sehen. Freilich darf der Dichter auch die schlechte Natur nachahmen und bei dem satirischen bringt dieses ja der Begriff schon mit sich; aber in diesem Falle muss seine eigene schone Natur den Gegenstand ubertragen und der gemeine Stoff den Nachahmer nicht mit sich zu Boden ziehen." Unserem Schiller gebiihrt gerade heute wieder mehr Gehor, und zwar aus mehr ais einem Grunde! Was iibrigens Schiller in seinem beriihmten Aufsatze des wei- teren ausfiihrt und asthetisch begriindet, driickt George Sand kurz aus, wenn sie sagt : ,,L'art n'est pas une etude de la verite positive ; c'est une recherche de la verite ideale."

Liesse sich doch all das Gute, das die Geschlechter vor uns hatten, in eine grosse Menschenkraft, in eine grosse Personlichkeit zusammen- fassen ! Gabe uns der Himmel doch einen Mann, der auf jener griechi- schen Hohe des Lebens steht, der die Quelle der inneren Kraft, der Ruhe und Einheit gefunden hat, sei es in den christlichen, sei es in dem poetisch philosophischen Zusammenfassen des vielgestaltigen Lebens um uns in ein hochstes, unbegreifliches Leben, das auch durch uns stromt, einen Mann, der mit der kraftvollen Kunst eines Shakespeare und dem keuschen Auge eines Schiller uns Bilder des Lebens darbote, Bilder, in denen wir uns wiederfanden, Bilder, in denen wir auch voile und ganze Menschen schau- ten, Menschen und Dinge so wie sie sein sollten und so wie wir vielleicht sein konnten, wenn \vir unsere ganze Kraft zusammenfassten ; Welt- und

74 P'ddagogtscbe Mcnatstiefte.

Menschenbilder miisste der Mann uns zeigen, die ohne einen Versuch uns im einzelnen zu belehren, zu erbauen, oder zu strafen, als Gauzes auf uns wirkten, uns erfassten durch ihre innere Wahrheit, ihren tiefen Ernst und ihre frohliche Begeisterung fur jene Guter, die das Leben erst lebenswert machen. Eine solche Kunst, eine solche Literatur wiirde uns unversehens emporheben ubers Alltagliche und wurde uns auf eine Alpenhohe der Lebensauffassung stellen, wo wir uns der Gottheit, wo wir uns der Quelle unserer Kraft naher fiihlten und freier und frohlicher aufatmeten als in eng dumpfem Tale, wo Naturalisten und Symbolisten ihr Wesen treiben ein jeder in seiner Art.

In Deutschland empfindet man das Bediirfnis nach Vollmenschen, wie man sie dort wohl nennt, nach frischer, kraftiger Luft. Lienhard vor alien Dingen und dann auch Weigand und Bartels stossen da ins Alp- horn. Heimatkunst ist die Losung! In den Heimatboden solle man die Wurzeln schlagen, aus ihm Kraft saugen und dann das Beste, Schonste und Kraftigste der Sonderart, sei es nun Bayerisch oder Friesisch, der Allgemeinheit bieten.

Meine Freunde ! Der Ruf edler deutscher Manner dringt zu uns ubers Meer, aus der Stammesart das Schonste und Kraftigste seinem Vol- ke zu bieten. Fur uns handelt es sich hier nicht um Bayern und Friesen. Wir haben als Deutsche unsere Pflicht diesem neuen, grossen Volke gegen- iiber, unter dem wir als Lehrer wirken. Seien1 wir Lehrer in einem wei- ten, hohen Sinne des Worts. Seien wir Vertreter des Hochsten und Be- sten aus unserem Stamm. Lassen wir doch den alten deutschen Idealis- mus der Forschung und Kunst nicht aussterben, von dem man so wenig mehr spurt in Neudeutschland sowohl wie hier in Amerika.

,,Das Lied, das aus der Kehle dringt, Ist Lohn, der reichlich lohnet."

sagt Goethes Sanger. Ich wollte, ich konnte das unseren grossen San- gern und Virtuosen gelegentlich sagen. Die Kiinstler und die Kunst wiir- den ja so viel gewinnen, wenn die Kiinstler sich zu einer idealeren Auf- fassung ihrer Kunst verstehen konnten und die Tiiren der Konzertsale und Theater etwas weiter offneten. Kunst gehort alien. Die Kunst hebt das Schone, so dass alle es sehen konnen.

Ohne Lohn verlasst Goethes Sanger allerdings auch nicht das Schloss. Er ruft dem Konige zu :

,,Doch, darf ich bitten, bitt' ich eins: Lass mir den besten Becher Weins In purem Golde reichen !"

Der Lebensgenuss ist uns also nicht versagt alsLohn fur unser Lied, fur unsere Kunst. Wir diirfen die Freude des Lebens mit vollen Ziigen schlur- fen. Es war jedoch der beste Wein, den Goethes Sanger verlangte, und er

Milndliche Erteilung des deutscben Unterrkbts. 75

trank ihn aus goldencm Becher. Edle Lebensfreude, in edler Form, aus gol- denem Becher genossen : Das ist auch eine Lebenskunst, die wir Deut- sche hier iiben, hier vertreten sollten. Unsere Pflicht haben wir jetzt in diesem Stiicke nicht getan der Genius unseres Volkes klagt uns an.

Endlich, und das ist das letzte lassen wir das Abendrot am Him- mel ! Wo die Wissenschaft uns verlasst, da sollten wir Poesie und Religion nicht zuriickstossen. Im Abendrot sah Schiller goldne Friichte gliihen und einen Nachen schwanken nach jenem Lande, wo nach den Worten des Paulus ,,das Stiickwerk aufhort" und von dem Goethes Chorus Mysti- cus singt :

,,Das Unsulangliche Hier zvirds Ereignis."

Das ist der letzte und hehrste Idealismus.

Miindliche Erteilung des deutschen Unterrichts in den Anfangsklassen unserer of f en t lichen Schulen.

Vortrag, gehalten vor dem 32. Lehrertage zu Detroit.

Von Vhilipp Jfuber, Saginaw, W. S., Mich.

Wird in unseren offentlichen Schulen und besonders in den Anfangs- klassen derselben, wobei Kinder von fiinf Jahren zu unterrichten sind, deutsch gelehrt, so kann der Zweck und das Ziel des Unterrichts nur darin bestehen, die Kinder mit dem Gebrauch der deutschen Sprache ver- traut zu machen, sowie dieselben zum miindlichen und schriftlichen Ge- dankenausdruck zu befahigen.

Dass die zur Zeit gebrauchlichen Methoden, wobei mit Lesen und Schreiben in der Fremdsprache begonnen wird, ehe die Kinder die Sprache verstehen, ein Hindernis sind, das wichtigste Ziel, die Kinder mit dem Gebrauch der deutschen Sprache vertraut zu machen, und zwar mog- lichst rasch, damit sie dann desto langer und tiefer auf Herz und Ge- mut ihrer Schiiler durch diese Sprache einzuwirken vermogen, steht wohl bei jedem Lehrer, der auf dieErgebnisse des deutschen Sprachunter- richts ein aufmerksames Auge hat, fest.

Die^se Ergebnisse werden jedoch um so geringer sein, je mehr die wirkliche deutsche, d. h. aus Deutschland eingewanderte Bevolkerung ab- nimmt und wir in den Schulen bereits die zweite oder dritte Generation zu unterrichten haben; mit organischer Notwendigkeit muss dann der deutsche Unterricht vollstandig aufhoren. Sollten jedoch die Resultate des deutschen Unterrichts derartige sein, dass die Kinder, auch diejenigen angloamerikanischer Abkunft, die Sprache wirklich sprechen lernen, nicht nur lesen und schreiben, so werden wir keinen grosseren und

76 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

begeisterten Anhanger und Verteidiger dieses Unterrichtszweiges haben, als den Angloamerikaner.

Das Haupthindernis, dass die Methode des deutschen Sprachunterrichts noch nicht so vollkommen ist, wie sie sein sollte, um ihr Ziel zu erreichen, ist, dass sie zu sehr auf den Leib der rein deutschen Schule zugeschnitten ist.

Im Z w e c k und Ziel des deutschen Unterrichts stimmt die zwei- sprachige mit der einsprachigen deutschen Schule vollkommen uberein. Beide haben denselben Zweck: die hochdeutsche Sprache ihren Schiilern gelaufig zu machen und durch dieselbe auf Herz und Geist der Kinder einzuwirken ; und dasselbe Ziel : die Schiiler zum Verstandnis des mund- lichen und schriftlichen Gedankenausdrucks in Wort und Schrift zu be- fahigen. Wahrend es aber in der rein deutschen Schule hauptsachlich nur darauf ankommt, die Kinder mit einer ihnen mehr oder weniger schon b e- k a n n t e n Sprache vertraut zu machen, hat die zweisprachige Schule die ungemein schwierige Aufgabe, ihre Schiiler zum Gebrauch einer ihnen noch v 6 1 1 i g oder t e i 1 w e i s e fremden Sprache zu befahigen. Aus diesem Grunde ist es wohl ersichtlich, dass der deutsche Sprachunterricht in zweisprachigen Schulen ganz andere Wege, als in rein deutschen Schu- len einschlagen muss, um zu seinem Ziele zu gelangen, dass mithin die Methode dieses Unterrichtsfaches eine in beiden Schulen von einander verschiedene sein muss.

Die Worter fur die verschiedenen Dinge, Eigenschaften, Tatigkei- ten, Umstande und Verhaltnisse machen gewissermassen das Knochen- geriist der Sprache aus. Ohne eine hinreichende Wortkenntnis kann man Reden und Schriftstiicke in der in Betracht kommenden Sprache ih- rem sachlichen Inhalte nach nicht geniigend verstehen und sich selbst nur kummerlich ausdriicken. Wir miissen uns darum vergegenwartigen :

i. Wie viel Worter die Kinder der zweisprachigen Schule lernen sollen,

2. Nach welchen Gesichtspunkten diese Worter zu wahlen und zu ver- teilen sind,

3. Wie man die Kinder am zweckmassigsten in das Verstandnis der Worter einfuhrt und

4. Wie man sie vor dem Vergessen der einmal erlernten Worte be- wahrt.

i. Eine bestimmte Zahl der Worter, die die Kinder in der zwei- sprachigen Schule iiberhaupt lernen sollen, lasst sich nicht ohne weiteres mit voller Sicherheit aufstellen. Man muss zunachst nach einem Anhalte zur Berechnung dieser Zahl suchen. Den besten Anhalt dafiir geben uns wohl die fur die verschiedensten Stufen gebrauchten Lesebiicher. Durch

Mundliche Erteilung des deutscben Unterricbts. 11

vorsichtige Vergleichung kam man zu folgendem Resultate : Die Spross- formen und Zusammensetzungen ausgeschlossen, ergeben ungefahr 2000 2400 Worter als Lernstoff fur eine Schulzeit von 6 Schuljahren ; wir erhalten dann fiir jedes Schuljahr rund 400 Worter, die einzuuben vvaren und aucli ohne iibergrosse Muhe geiibt werden konnen.

2. Einen sicheren Weg zur Ermittlung der in erster Reihe zu be- riicksichtigenden Worter gibt es zur Zeit noch nicht. Wenn wir etwa den Wortschatz genau kennen lernen wollten, tiber welchen sechsjahrige Kinder in ihrer Muttersprache verfiigen, so miissten diesbeziigliche Un- tersuchungen von mehreren Seiten vorliegen, damit durch Vergleichung und Zusammenstellung derselben Einseitigkeiten und Irrtiimer ausge- schieden werden konnten.

Ich glaube jedoch, dass folgende Punkte bei der Auswahl zu beriick- sichtigen sind :

Nur recht praktische Gegenstande besprechen ; ganz besonders Dinge, mit denen sich die Sprache des taglichen Lebens befasst und die in dem Anschauungskreise der Kinder liegen. Ausdriicke, welche in der tag- lichen Umgangssprache haufig vorkommen, miissen dabei besonders be- riicksichtigt werden ; die Kinder miissen auch auf den Markt, in die Werk- statt, auf den Wirtschaftshof und ins hausliche Leben gefiihrt werden, miissen angeleitet werden, wie sie bitten, griissen, wiinschen und fragen sollen, insbesondere sind sie in der Fragestellung zu iiben, denn die Frage spielt bekanntlich in der Unterhaltung des taglichen Lebens eine Haupt- rolle.

Bringen wir dem Kinde zunachst die Kindessprache bei ! Ma- chen wir es fahig, sich mit seinen Schul-, Spiel- und Hausgenossen in der ihm eigenen Gedankensphare zu unterhalten, dann wird das Kind auch mehr Freude an der Sprache haben.

Als Wiirze gebe man Spriiche, Gedichte, dramatische Behandlung derselben, Lieder, Spiele, Ausfluge u. s. w.

3. Beschaftigen wir uns nun mit der Frage, wie die Kinder in das Verstandnis der Worter einzufiihren sind. Diese Einfuhrung kann er- folgen durch die AnschauungderWirklic h k e i t, durch die Verwendung von M o d e 1 1 e n und B i 1 d e r n und durch die Vermitt- lung der Muttersprache, also durch Ubersetziing.

tiber die Ubersetzungsmethode zur Erlernung einer fremden Sprache in den Elemenlarklassen haben Theorie und Praxis der Padagogik zwar schon langstens ihr endgiltiges Urteil gesprochen, aber immer noch wagen sich Manner, wenn auch unberufene, hervor, um die aus der Volksklasse verbannte Alethode wieder dahin zuruckzufiihren. Da nicht wenige Menschen die Bequemlichkeit lieben, seien einige Worte uber diese be- queme Methode gesagt. Den Kindern, welche den deutschen Sprachun-

'78 P'ddagogische MonatsbejU.

terricht nach dieser Methode empfang-en, wird die deutsche Sprache nie .zum geistigen Eigentum warden, denn sie werden nie in ihr denken ler- nen, sondern ihre Sprache wird immer ein miihsames Ubersetzen sein. Wer aber in einer fremden Sprache nicht denken kann, der wird doch nicht behaupten, dass er sie besitzt. Die Muttersprache wird stets alleinige Tragerin der Vorstellungen sein, aber nicht die deutsche. Derjenige, der vielleicht meint, dass das Kind von selbst darauf kommt, eine direkte Ver- bindung zwischen dem betreffenden Begriffe und dem deutschen Worte herzustellen, hat keine Ahnung von dem tragen, hilflosen Geiste der mei- sten Kinder bei ihrem Schuleintritte. Ganz so, wie ihm die Stoffe vom Lehrer dargeboten werden, nimmt er dieselben auf und reproduziert sie ohne jegliche selbstandige Veranderung.

Manche meinen, es schade ja nichts, auf der Unterstufe die englische Sprache zu Hilfe zu nehmen und dann in den Mittel- und Oberstufen nur <Ieutsch zu sprechen geschieht dies, so achten die Schiiler nicht mehr auf die deutsche Sprache und das Bediirfnis nach derselben wird also nicht in ihnen geweckt.

Da das Behalten der deutschen Worter hierbei lediglich Sache des Gedachtnisses ist, so kann es bei weniger sorgfaltiger Einiibung der Uber- setzung leicht vorkommen, dass das Kind die Zusammengehorigkeit der- selben vergisst oder mehrere Worter mit einander verwechselt und die babylonische Sprachverwirrung im kleinen ist da.

Der Einwand, dass die Kinder ohne Zuhilfenahme der Muttersprache das deutsche Wort zwar lernen, aber nicht verstehen werden, fallt in sich selbst zusammen durch die Forderung: Unterrichte anschaulich. Durch •die Schwierigkeiten, welche das Ubersetzen notwendigerweise mit sich bringt, wird den Schiilern die deutsche Sprache verleidet.

Diese Methode leitet die Kinder auch sogar zur unrichtigeij Aneig- nung der deutschen Sprache an, indem diese dadurch gewohnt werden, •wortlich, ohne Riicksicht auf die Wortfolge, zu ubersetzen, wodurch jenes schauderhafte Deutsch grossgezogen wird, das wir alle kennen. (Przi- Mla.)

,,Wenn der deutsche Sprachunterricht nicht ganz und gar seine ge- mutliche und belebende Seite verlieren soil, so darf er nicht als Anhangsel •des englischen betrieben werden, sondern er muss direkt aufs Ziel los- steuern und den Schiiler so schnell und gerade als moglich in den Geist "der deutschen Sprache einfuhren. Der Schiiler muss gleich in der deut- schen Sprache denken und unabhangig von der Muttersprache den Gedan- ken auch nach den Gesetzen der deutschen Sprache aussprechen lernen. Nur dann erhalten die deutschen Worter auch ihren bedeutsamen Inhalt '«nd dann wird das Horen, Verstehen und Sprechen in der deutschen .Sprache das richtige sein." (Spohn.) Als Regel sollte gelten: Nie darf

Mundlicbe Erteilung des deutschen UnterriMs. 79

die englische Sprache alsVermittlerin des Verstandnisses der deut- schen Worter gebraucht werden.

Es mochte jedoch einige Falle geben, in welchen die Muttersprache den Kindern wirklich das beste Mittel zur Einfiihrung in das Verstandnis des deutschen Wortes ist, wie dies bei ,,gestern, heute, morgen" zutreffen diirfte.

Man ware iiberhaupt nie zur Beniitzung jener Methode gelangt, hatte man mehr auf unsere bedeutenden Psychologen und Padagogen gehort. Schon Comenius sagte in seiner Didactica magna : Die Worte miissen im- mer in Verbindung mit den Dingen und Handlungen gelehrt werden, da- mit Verstand und Sprache immer gleichzeitig gebildet werden. Worte ohne Dinge sind Schalen ohne Kerne, eine Scheide ohne Schwert, Schatten ohne Korper, Korper ohne Seele. Die Weisheit besteht in den Dingen, nicht in den Worten. Noch deutlicher sagt er dies in seinem ,,Orbis pic- tus": ,,Dies parallellaufende Kennenlernen der Dinge und Worte ist das grosse Geheimnis der naturgemassen Methode."

Wie muss nun eine naturgemasse Methode verfahrent

1. Wirkliche Anschauung und Veranschaulichung des Sprach- unterrichts und Sprachstoffs ; wobei zuerst die einfachste Form der Spra- che gewab.lt und die Wahl des Stories aus dem Kreise getroffen werden muss, in dem das Kind lebt und sich bewegt.

2. Die in den ersten Ubungen zu lernenden Worter miissen mog- lichst kurz und volltdnend sein.

3. Ausschliesslich in ganzen Satzen wurde stets die Antwort zu ge- ben sein ; denn nur dadurch werden die Schuler d e n k e n d sprechen ler- nen.

4. *\uf die Einiibung einer richtigen Aussprache und guten Beto- nung ist besonders zu achten und deshalb sind Atempausen von grosser Bedeutung.

5. Von der Notwendigkeit der Sprachformen- und Wortbildungs- ubungen in zweisprachigen Schulen sind alle Padagogen iiberzeugt. Fremdsprachige Kinder bringen kein Sprachverstandnis fiir gebrauch- liche Sprachformen, Zusammensetzungen und Sprossformen mit, wie Kinder deutscher Abkunft, und deshalb wird eine planmassige Ein- fiihrung in das Verstandnis und in die Anwendung aller hochdeut- schen Sprachformen und aller Arten der Wortbildung gefordert. Die planmassige Formenbildung ist eine gewollte Erzeugung des der Natur abgelauschten Vorganges, bei welchem die am haufigsten auftretenden Formen sich zuerst und am sichersten einpragen.

a) Diese Ubungen verhelfen den Kindern zu einem tieferen Sprach- verstandnis— vom Leichten zum Schweren fortschreitend, jede Ubung

80 P'ddagogische Monatsbefte.

auf die vorhergehende bauend, iibt man die einzelnen Formen der deut- schen Sprache, dass sie den Schulern in Fleisch und Blut iibergehen und dadurch zu ihrem unverlierbaren Eigentum werden.

b) Das Interesse der Kinder ist dabei ein lebendiges, da ein reger Wechsel der Objekte vorherrscht, da die Ubungssatze sich mit den ver- schiedensten Dingen und deren Eigenschaften und Tatigkeiten beschaf- tigen.

c) Der Tod jeglichen Unterrichts ist die Gleichgiltigkeit der Kin- der fur den betreffenden Lehrgegenstand ; soil nun der Sprachunterricht nicht an dieser Klippe scheitern, so ist es von grosser Wichtigkeit, den Kindern ein moglichst reges Interesse fur diesen Unterricht einzuflossen. Dies geschieht durch deutliche, allseitige Anschauung, naturgemasse Be- handlung klares Verstandnis der Sprachstoffe ; indem man alle Ubungen aus dem Anschauungskreise der Kinder nimmt, indem man den toten Korpern Leben verleiht indem die Kinder stets handeln, veranschau- lichen, selbst tatig sind, sich gegenseitig fragen, spielen, singen ; nicht nur horen und sehen wollen die Kinder, sondern auch fiihlen, riechen, schmecken; alle Sinne sollen geiibt werden. Dabei wird vor- und nach- gesprochen, oft wiederholt, oft zuriickerinnert u. s. w., kurz das wirkliche kindliche Leben gelebt die Schule ist Leben.

Auf diese Weise besitzen die Kinder rasch eine Fiille von Sprachfor- men, gegen die ein Schatz von Vokabeln ganz tot ist.

d) Ein Mittel, den Kindern das Verstandnis der deutschen Sprache zu erschliessen, sind auch Gebarde und Geste.

e) Zum Einiiben der Sprachformen ist auch das Chorsprechen von Wichtigkeit.

6. Die Ubungen der Worter und Sprachformen wiirden aber allein nicht geniigen, die Schiiler mit der Sprache geniigend vertraut zu machen, sondern das in den Ubungen gewonnene Material muss auch noch in be- sonderen Besprechungen verarbeitet werden. Die Besprechungen folgen, sobald ein kleiner Sprachschatz angeeignet ist wobei nie eine Form ge- braucht werden darf, die noch nicht geiibt wurde spater darf der Lehrer auch noch nicht geiibte Formen gebrauchen, wenn er stets fur voiles Ver- standnis seiner Frage Sorge tragt. In betreff der Veranschaulichung des Sprachstoffes fur die Besprechung ebenso wie fur den Sprachform- unterricht muss des Lehrers Ideal die wirkliche Anschauung der zu besprechenden Dinge sein. Ein wesentliches Merkmal eines jeden Ideals, die Unerreichbarkeit, tritt auch hierbei zutage; deshalb ist das Nachste, gute Modelle und Bilder; jedoch soil als erster Grundsatz gelten, lieber iiber die gewohnlichsten Dinge, die in natura vorgezeigt werden konnen,

Mundliche Ertcilung dcs deutscben Unterrichts. 81

zuerst zu reden, als iiber Gegenstande, von denen vielleicht noch kein Kind etwas gesehen oder gehort hat.

Gegen das Vergessen des einmal Erlernten schiitzt man die Kinder am besten durch eine moglichst feste Einpragung beim Erlernen und durch eine haufige gelegeritliche Wiederholung. Die feste Einpragung ist nicht schon mit der Vermittlung des Verstandnisses ohne weiteres er- reicht. Das Wort muss auch seinem Lautgehalte nach scharf aufgefasst deswegen deutlich vorgesprochen, nachgesprochen und einzeln und im Chor wiederholt werden.

Soweit der Stand des Schreibunterrichtes es erlaubt, soil jedes neue Wort auch geschrieben und gelesen werden ; der Lehrer schreibt diese Worter vor, lasst sie lesen und in der auf die Sprachiibung folgenden stil- len Beschaftigung abschreiben. Die Einpragung ist ferner eine um so festere, in je mehr Satzen das neue Wort bei seiner Einfuhrung auftritt.

Uber Fehlerverbesserung sei zu bemerken, der Lehrer mache es sich zum Grundsatz, gleich von vornherein, von den ersten Sprachiibungen an, keine Fehler durchschliipfen zu lassen; nie lache der Lehrer iiber gemachte Fehler oder werde heftig die Verbesserung muss eingeiibt werden.

Nun noch einige Worte iiber die Zeit, wenn der Schreib- und Lese- unterricht begonnen werden soil. Aus dem bisher gesagten geht hervor, dass der Leseunterricht in Verbindung mit der Fibel nicht eher begonnen werden soil, als bis die Klasse fahig ist, denselben in der deutschen Spra- che zu empfangen; was meiner jetzigen Erfahrung nach gegen das Ende des i. Schuljahres, bestimmt am Ende des 2. Schuljahres geschehen kann. Der Schreibleseunterricht kann jedoch schon friiher, vielleicht gegen das Ende des ersten Halbjahres beginnen.

Correlation of German with Other Studies.

(Fur die Padagogischcn Monatshefte.)

Von Betty Silberberg, New York City.

If we observe nature, the different conditions of society, trade, industry, art, and politics, we find that every where there ia an interdependence, an inter- relation between two things. Nowhere can there be an absolute independence, everything and everybody is subject to outside conditions and forces. If it does not rain, the plant cannot grow, animals and human beings suffer from it. Drought and misery in one part of the world cause a rise in the market in another. Prosperity at home prevents people from emigrating. Industry creates wealth, this is a favorable condition for science and art. People are satisfied and content, peace reigns in the country.

In science we see the same process. The invention of the compass, the theory that the world is round, caused Columbus to search for a new way to India, and thus led to the discovery of a new world. Without the invention of the printing press and the spread of learning among the masses, the Reformation would not have been possible. So we see everywhere, how one thing cannot prosper without another; the same holds good in all fields of human activity and therefore, also, in education.

No teacher can devote himself entirely to teach one subject alone, constantly he needs to refer to another, either for illustration or for impressing the subject with which he is dealing more on the minds of his pupils. Even studies like arith- metic and grammar, when we want to apply them and make them fruitful, depend entirely on other subject matter, be it on a piece of literature or on a commer- cial or industrial transaction. We call this interrelation between the different studies, "Correlation" in its limited sense. To this I shall confine myself and not dwell on the meanings of this term by Herbart, de Garmo, or Harris.

The term Correlation came into use at the same time with Apperception. We cannot apperceive or assimilate anything of which we have not some kind of know- ledge, that does not call forth ideas slumbering in our mind. This creates or wakes the Association of Ideas, by which the new subject matter is illustrated and intensified. Correlation is therefore a new term used for an old process.

As I stated before, each study has resource to another in order to be interest- ing and fruitful. No study is more valuable than the study of the Mother-tongue, this one draws instruction from all sides, forms and moulds the youthful mind in widening his spiritual horizon and inspiring him with lofty ideals. But richer yet in correlation to other studies than that of the mother-tongue is the study of a foreign language. By this another world is unfolded to the mind, another horizon opens, from another point of view he observes, takes in and judges customs, modes of living and ways of thinking of other nations than his own. The mind is broadened in every respect. The pupil understands better his native tongue by trying to master the intricacies of a foreign idiom. Justly Goethe says: "Nobody understands his own language before he has studied another." The object of this essay shall be to show the correlation of German with other studies.

It is paradox, somebody might say, that the study of a foreign language should possess greater correlation to other studies than that of the mother-tongue itself, yet it is not. The study of the mother-tongue is limited to one language, that of a foreign takes in the study of two. Step for step we are obliged to

Correlation of German with Other Studies. 83

compare the two and to discriminate between them; our sense of judgment and our reasoning powers are developed and sharpened by that. What we understand we retain better in memory. An example of this is the difference in strength and intensiveness between the knowledge of a little child and that of an older person. The first has learnt the foreign idiom either in the nursery or abroad. Easily it was acquired, easily it is forgotten again, because no reasoning was developed by it. Side by side, the words and phrases of the foreign language rest with those of his native tongue. Soon one is predominant, soon another, according to the prevailing external impetus. If one of these two forces is lacking, either that the child only hears the foreign idiom or his native tongue, one is soon forgotten, and no trace of it is left in the mind. Different it is with the adult. When he began to acquire the new language, he had already one language developed. Not so quickly did he learn the foreign, but by force of comparison and judgment, he gave to each one its proper place, assimilated the new knowledge to the old one of his native tongue, and: after the study of the foreign language has stopped, he does not forget it easily and never entirely.

This comes that in beginning to study a foreign language, we have to know our own Grammar and Etymology. We observe the differing genders, inflections, order of words, moods and syntax; also the points in which the foreign language agrees with our own. We notice the formation of words, a new light is thrown on our own language. Soon we recognize which relation exists in the structure of the two languages. As for German and English we find out from the start, that they are nearly related. So many words used in daily intercourse are the same in both languages, some have changed their meaning but retained the form. Even the derivations are greatly alike, where they differ another element has entered into the English, the French. In grammar we notice that both languages have three genders, shown best by the personal pronouns, that the possessive case •of masculine and neuter nouns of the strong declension is formed like the English f. i. "des Vaters Hut": the father's hat; "des Madchens Buch": the girl's book, and without the article even the feminine have the same form, f . i. Mutters Kleider : mother's dresses, Elisens Schuhe: Eliza's shoes, etc. The ground-work of both languages, their back-bone, is the same; namely the verbs. We find in both the strong or old and the weak or new conjugation, and most verbs which belong in German to the first also do in English, and vice versa. The ending of the weak conjugation in the imperfect tense is ed, in English equivalent to the Ger- man te. In the strong conjugation the sound-mutation in both languages almost follows the same rules, f. i. singen, sang, gesungen: sing, sang, sung; beissen, biss, gebissen: bite, bit, bitten; brechen, brach, gebrochen: break, broke, broken, etc.

But not alone the structure of both languages affords material for correla- tion; also its content, I mean the literature of these two languages shows a constant influence of one over the other. In the dawn of both stands the Beowulfs- lied, claimed by both as their own. Inspired and composed in the swamps and marshes of Northern Germany, it wandered with the Anglo-Saxons as their greatest national treasure over to the British isles. Until the Norman invasion 1066 Anglo- Saxon literature flourished. The intercourse between Germany and England was great in these times. Our great national epos "Gudrun" is a splendid illustra- tion of that. In England the first TrouvSres flourished; from here their poetry spread to Germany introduced by Mathilda, the wife of "Heinrich der Lowe", the great antagonist of Friedrich Barbarossa. The legends of the holy Grail and rthe Table Round held their triumphant entrance in Germany. The German genius

84 P'ddagogiscbe Monatshefte.

embraced them, deepened and idealized them, for ever "Parzival" and "Tristan and Isolde" will remain the gem of all mediaeval poetry. Later German legends wandered over to England and again from there were brought over to Germany. Before Shakespeare, Christopher Marlowe composed his Dr. Faust, the first great and successful attempt to solve this deep problem of the aspiring and thinking human mind. A little later English comedians brought this over to Germany with some of Shakespeare's plays. Jakob Ayrer the first German dramatist was inspired by these. Hundred years later Shakespeare was made the battle-cry between Gottsched and the Swiss Bodmer and Breitinger. His genius showed the Germans the way to free themselves from the fetters of French conventionalism. Our great poets owe much to the inspiration they received from English sources, though the clear, sharp mind of Lessing has made them independent of all foreign imitations. Since the time of Goethe, Germany exerts a great influence on English and with that on American literature. We see by this how closely both literatures are connected with each other. Without referring to the other no clear insight is possible in any of them. A good teacher of languages and literature, therefore, cannot afford to pass by one of these without pointing out the connecting links. I have dwelled with some length on the correlation of German to the English language; as this is the most important, however, I pointed out already, that all human activities need to be mirrored in the foreign idiom, before this is thor- oughly mastered. I cannot adequately teach German without some knowledge of Arithmetic. Numbers are one of the parts of speech. But not the name or the mere sound of them will make them our own, we must apply them in easy or more difficult examples. All the different manoeuvres of the four species have to be practiced before the scholar will know how to buy any article in the foreign language or to ask the number of a street, house, the time of the day, to tell the hour and know his watch. In the public schools of New York, Arithmetic in Ger- man is prescribed, but I think, not too much stress ought to be laid on this, because I am convinced all the more difficult problems will always be solved in the native tongue. This may be unconscious, when not pronounced as in written arithmetic, and so the process might go on unobserved by most. Yet I as a teacher of languages have watched myself and found out that, though I think perhaps more in English than in German, arithmetic I do in my native tongue. It is a formal study and has not taken hold of me as one of the content studies.

Different from this are the sciences. Here we do not meet abstract thought, but have to deal with concrete reality. We live in the world, are part of it, nature surrounds us everywhere. Man is either subject to the forces of nature or has made them subject to his will and ingenuity. In studying a foreign language we must be able to understand all these relations in the foreign tongue, otherwise our mastery over it would be very limited. Different selections of our readers treat these subjects, not to speak of scientific works for the advanced student.

Lives of plants and animals are described as well as the qualities and uses of minerals. A great deal of knowledge in these subjects is imparted by the medium of the foreign tongue.

The same is true for physics and chemistry; though they apply more to the advanced student than the beginner; yet the elements of these sciences are also treated in the reader. Lightning and thunder, ice, snow, rain, air; salt, water, light, colors, etc., are described in prose or poetry.

A knowledge of geography and astronomy is imparted by the study of a foreign language. We are led to distant countries. We see the glaciers and avalanches of Switzerland as well as the blue lakes of Northern Italy; the bold

Correlation of German with Other Studies. 85

coasts of Norway with their indented fjords; the plains of North Germany and famous Father Rhine; the wonders of the Torrid Zone as well as the grandeur and terror of the Frigid. We learn the names of oceans, rivers, continents, moun- tains, stars, moons, sun, eclipse, etc.

Even more than by this we are interested by the mode of living in foreign countries. We hear of the great centres of industry, commerce, learning and art. We are introduced to quaint Nuremberg, the bustle and life of Hamburg, the im- perial city of Berlin, to gay Vienna and Paris and see the wharfs of Rotterdam and Amsterdam. Heidelberg, Gottingen, Jena and Bonn with their student life; Weimar with its reminiscences of our great poets, Dresden, Munich and Diisseldorf as centres of art are conjured up before our eye.

This leads me to refer what correlation German has to history. We cannot understand the German literature, its fairy-tales, legends, "Volkslieder," chorals, ballads, epics, novels and dramas without a thorough knowledge of German myth- ology, history, development of civilization (Kulturgeschichte) and thought. Who can comprehend the Nibelungenlied without knowing the old Norse or German mythology represented by Siegfried and Brunhilde, the migration of the nations with its heroes Attila, Etzel, Theodorick the Great, known in poetry as "Dietrich von Bern," the Burgund kings Giinther, Gernot and Giselher, etc.? "Tell" shows the beginning of Swiss independence. "Gotz von Berlichingen" is an exponent of the time immediately following the Reformation, when mediaeval ideas were strugg- ling with the new light that came in, resulting in the "Peasant-Wars." "Wall'en- stein" faithfully depicts the terrible times of the Thirty Years' War and "Minna von Barnhelm" those of Frederick the Great. Biirger's, Shiller's, Uhlands', Heine's and Freiligrath's ballads reflect the civilization of different periods from olden times down to our own.

However German literature is cosmopolitan; it draws its inspiration from many sources. Greek antiquity is glorified in Goethe's "Iphigenie," Grillparzer'a "Hero and Leander," some of Schiller's ballads. The troubadours of Southern France live for us in Uhland's ballads. The "Jungfrau von Orleans" represents the heroic spirit of the long struggle for national independence of the French; from the encroachments of the English kings. "Maria Stuart" brings us to Eng- land under Elizabeth. "Egmont" to the Netherlands during their struggle for independence from the Spanish rule. "Torquato Tasso" and "Die Braut von Mes- sina" lead us to Italy, the former reflecting the serene spirit of the Renaissance, the latter the fatalistic spirit of the Middle Ages. In "Nathan der Weise" we see the Crusaders of the East, in Herder's "Cid" those of the West. The Romantic school goes to the Orient; India, Persia and Arabia offer their treasures.

Modern German poets introduce political and social questions into literature. Sudermann and Hauptmann are the principal representatives of these, not to speak of novels like Spielhagen's "Hammer und Ambos."

Industry and Art is the theme of many a German poem. Schiller's "Lied von der Glocke" occupies the first rank among them. In stories like Hillern's "Hoher als die Kirche" we see the cathedral and altar of Alt-Breisach ; the time of Albrecht Diirer rises before our eyes.

By this I have shown that the study of German, grammar, etymology and literature makes the whole realm of human knowledge subservient to its mastery, though I have not touched on works of science, as their study does not belong to the study of the German language proper, but rather follows it. I will give now some illustrations of the correlation of German with other studies; however, I

86 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

shall confine myself to the limits of the elementary and the lower grades of ther secondary school.

I give a lesson in the fifth grade, the class where in New York the pupils begin to learn German. We have spoken about a time-piece. I have shown the pupils my watch as well as the English teacher's clock. The subject-matter of the lesson has been developed. If the children did not know the answer in German, as for some this was impossible, I allowed them to give it in English. They learnt the parts of the watch, of what it was made, who made it and what purpose it serves. Then I wrote the lesson on the black-board, not using everything that was said, but only as follows : "Das ist eine Uhr. Die Uhr ist rund. Sie ist von Gold gemacht und hat eine gelbe Farbe. Die Uhr hat ein Gehause. Innen ist das Werk. Diese Uhr hat auch einen Deckel. Der Deckel bedeckt das Zifferblatt. Auf dem Zifferblatt sind zwb'lf Ziffern oder Zahlen und drei Zeiger; der Stundenzeiger, welcher die Stunden anzeigt, der grb'ssereMinutenzeiger und der kleinere Sekunden- zeiger. Diese Uhr hat auch eine Kette; die Kette ist von Silber. Sie ist weiss. Der Uhrmacher macht die Uhr. Der Tag hat vierundzwanzig Stunden. Die Stunde hat sechzig Minuten und die Minute hat sechzig Sekunden. Wie viel Uhr ist es?"

The whole lesson is now before the eyes of the pupils. They find how much the words resemble the English. "Uhr" is different, but it is contained in the English word "hour." For clock the German has "Glocke," which means "bell," the instrument that tells the time. There is the word "Gehause"; the pupils see the word "Haus" in it. The house of the watch is the case. "Rund" is round, "gelbe" yellow, "innen" inside, "Werk" works. Deckel is found in the English words: deck, bedeckt; it means here cover; this explains the German word "be- deckt" covers. "Zifferblatt" is found in cipher-sheet. "Zeiger" is entirely different from the English, it means a pointer. It is contained also in "Zeigefinger." The children know now why German differs here from English, they understand the meaning of the different "Zeiger." For "Kette" no equivalent is found in English, but the words: Gold, Silber, weiss, Uhrmacher, Tag, vierundzwanzig, sechzig, etc., are about the same in both languages. Only one suffix is in this exercise, "zig," equivalent to the English "ty." Looking at the verbs the pupils easily notice that in German the third person singular ends in "t," in English in "s," f. i. ist is, hat has, macht makes, bedeckt covers, anzeigt shows. The sentences: "Sie ist von Gold gemacht, welcher die Stunden, anzeigt," offer a difference from the English. From the first we learn that in compound tenses the perfect participle stands at the end of the sentence, while in dependent clauses the whole predicate itself. By the few adjectives we learn that the German follows the same rule as the English for comparison, in adding "er" to the positive for forming the compara- tive, and "est" for the superlative. Attention, however, must be called to the place of the adjective before or after the noun. In the first place the German adjective takes an "e," which is added only for euphony to make the speech smooth, and which serves to connect the adjective with the following noun. It has no reference to the meaning. Looking at the nouns from a grammatical point of view, we find in this short lesson indeed nouns of all three genders, but unfor- tunately they are a little confusing for younger children, who naturally will say, a thing must be neuter. Stress must, therefore, be put on the statement that in German we distinguish between natural sex and grammatical gender, that the latter alone is determined by the article. Few rules for the formation of the plural can be elicited from this lesson, yet that nouns ending in "e," like "Stunde, Minute, Sekunde" take an "n" in the plural can easily be indicated.

Correlation of German with Other Studies. 87

I have chosen here only very simple sentences in order to show the relation of the English language to the German, to point out that the starting point, the apperceptive basis, of a new study is the knowledge of the mother-tongue, through which points of agreement and disagreement are recognized and assimilated. As to the contents of this lesson, it correlates firstly with arithmetic, because the pupil who must be able to tell the time in a foreign language has to know half and quarter hours, etc. This can only be impressed by practice; little examples relating to time are given and solved. Secondly, an object useful in every-day life has been described, an important industry touched upon; resource to the children's general knowledge of environment has been taken.

More than through one single object, like the watch or clock, this is called forth by a picture-study. The pupils have been promoted to the sixth grade. They have already acquired a store of words in German; though this is limited they know how to use it. In their reader is a description of autumn. I bring into the class-room the large "Hoelzelsche" picture representing the autumn. Familiar and unfamiliar scenes greet the pupils' eyes. Human occupations and sports are represented. In the foreground, at the left, we see the people joyfully working in the vineyard. Men and women are busily engaged to pick the grapes. In large baskets, decorated with the gay foliage of the grape-vine, the purple fruit is carried down the mountain and emptied in large vats, which are drawn to some houses in the distance. A river flows at the foot of the mountain; some ships are sailing up and down. The children ask: "Is that the Rhine?" As I know this picture is only a constructed one and does not particularly represent a definite place, I answer: "Let us imagine we are on the Rhine. This vine-yard differs from those I have seen in the south of France and in California. In France, the vine--yards near Bordeaux are in a plain; the grape-vines stand in rows like beans also, but they are kept lower and have not so much foliage as we see in this picture. In California I have seen vine-yards on the slopes of hills, but the grape-vines were not separate bushes; they were trailing and only lifted a little from the ground."

In the middle of the picture we notice a gentleman returning from hunting, his gun over his shoulder. Two dogs accompany him; a boy carries two hares. More to the right a boy is picking apples from a tree laden with them; he throws some down into his sister's apron. In the field we see some people harvesting potatoes; children have made a fire and enjoy themselves roasting potatoes. The farmer thinks already of next spring, with two horses he plows the acre where the wheat and rye were standing in order to sow the winter-seed.

This all indicates the joyous harvest time, but other signs point out the fall of the year, the coming winter. High in the air we see a chain of wild geese flying southward; to the right, the swallows assemble on the roof of a house and on telegraph wires, before they start on their long trip across the Mediterranean Sea. The leaves are changing their colors; soon they will fade and fall.

This picture as well as the others were studied in connection with the reading- matter. Naturally this occupied more than one lesson. The pupils' knowledge of German was widened by the insight they had gained in the life of nature and in human occupations.

(To be continued.)

Berichte und Notizen.

I. Korrespondenzen.

(Fur die Padagogischen Monatshefte.)

Baltimore.

Der Jahresbericht der hiesigen Schul- behorde erweist, dass die b'ffentlichen Schulen wahrend des abgelaufenen Jah- res von 88,997 Kindern besucht wurden. Der tiigliche Durchschnittsbesuch war 63,734. Die Schulkinder waren in 129 Schulhausern untergebracht, die Zahl der Schulen war 109, die unter 1712 Leh- rern und Lehrerinnen standen. Die Ver- willigung fiir die Schulen belief sich auf $1,275,522. Der Bericht sagt, dass mehr Schulgebaude notig sein werden, selbst wenn die im Bau begriffenen fertig sind, und dass viele alte Gebaude umgebaut werden miissen. Vier weitere Kinder- garten sind eroffnet worden, und eine besondere Schule wurde etabliert, um be- gabtere Schiller des sechsten Schuljahres in kiirzerer Zeit fiir die Hochschulen vorzubereiten. Durch diese Schule und halbjahrige Beforderung in den unteren Klassen sollen solche Schiller zwei Jahre friiher in die Hochschulen gelangen als unter dem alten System. Zu den zwei bereits eingefiihrten Kochschulen soil nun auch eine solche fiir Neger eingerich- tet werden. Die Einfiihrung des Semi- narunterrichts fiir die graduierenden Klassen der Hochschulen wird auch als ein Fortschritt bezeichnet, wodurch der ziemlich fiihlbare Mangel an guten Lehr- kraften beseitigt wurde.

Gelegentlich der jiingst hier abgehalte- nen Jahresversammlung der Modern Language Association of America hatten wir das Vergniigen, unsern lieben Freund Dr. M. D. Learned, wie auch seinen uns vom Detroiter Lehrertag her befreunde- ten wackeren Assistenten Dr. L. F. Brede begriissen zu diirfen. Dieselben mach- ten uns interessante Mitteilungen iiber ihre deutschpennsylvanische Forsehungs- reise The American Ethnographical Survey vom letzten Sommer. Ihre Tiitigkeit begann mit den alten deutschen Ausiedlungen in Lancaster County, langs des Pequea und des Conestoga Flusses, und erstreckte sich auf die andern deut- schen Counties Ostpennsylvaniens und das westliche Ende des Staates bis in den Staat Ohio. Tausende von Heimstatten wurden besucht, mit echt deutscher Griindlichkeit wurde die Arbeit durchge- fiihrt, und die Ergebnisse sind auch dem- entsprechend. Ausfiihrliche Berichte werden in den "German American An- nals" erscheinen. eine Monatsschrift, die mit Beginn dieses Jahres and die Stelle

der Vierteljahresschrift "Americana Ger- manica" getreten ist. Dr. Learned ist nach wie vor der Schriftleiter. Zu bezie- hen sind die 72 Seiten starken Monats- hefte durch Charles H. Breitbarth, 1120 Chestnut street, Philadelphia, Pa. Das Jahresabonnement betriigt drei Dollars. S.

Californien.

In der Neujahrswoche hielt die "State Teachers' Association of California" ihre jiihrliche Versammlung in Los Angeles ab. Der Prasident der Vereinigung, Herr A. E. Schumate, Superintendent der Schulen von San Jos6, hatte ein umfas- sendes Programm aufgestellt, das alien Teilen der Schulorganisation Gelegenheit gab, Fragen von besonderem und von all- gemeinem Interesse zu behandeln. Es kann nicht ausbleiben, dass durch diese jiihrlichen Diskussionen der praktischen und theoretischen Fragen des Schulfachs die Schulen des Staates sich immer mehr heben miissen.

Von besonderem Interesse waren wie- der die Sitzungen der High School Asso- ciation. Dieselben fanden an den Vor- mittagen von Mittwoch und Freitag im High School Gebaude statt. Unter dem Vorsitz von Herrn Chas. L. Biedenbach von Berkeley wurde besonders das Ver- haltnis der High Schools zum Leben und zu der Universitat besprochen. Vor ei- nem Jahre waren mehrere Komitees er- nannt worden, die iiber bestimmte Fra- gen berichten sollten. Die Vorsitzenden dieser Komitees holten durch Korrespon- denzen die Meinungen der Lehrer an den High Schools des Staates iiber ihre be- treffenden Fragen ein, und somit spiegel- ten ihre Berichte die allgemeine Gesin- nung wieder, und waren deshalb von ho- hem Interesse. Die wichtigsten Berichte waren "Prescribed Admission Require- ments", von W. H. Housh, dem Prinzipal der High School von Los Angeles, und "The Accrediting System," von Edward Hohfeld, dem Prinzipal der High School von Auburn. Wir konnen hier nur die Hauptpunkte erwsihnen. Herr Housh berichtete, dass die neuen Aufnahme- bedingungen der Staatsuniversitat noch nicht befriedigend seien, doch sei ein Fortschritt zu verzeichnen. Dieselben seien zu kompliziert und verlangten be- sonders in den alten Sprachen noch zu viel. Er hob hervor, wie tiberraschend die Einstimmigkeit sei, mit welcher die Lehrer wiinschten, dass Deutsch mit dem

Korresponden^en .

Lateinischen in den Aufnahmebedingun- gen auf gleiche Stufe gestellt werden sollte. Zum Schlusse empfahl er, dass von den fiinfzehn credits, die zur Auf- nahme in die Universitiit notig sind, neun vorgeschrieben und seeks electiv sein sollten. Von den neun vorgesehrie- benen sollten zicei eine fremde Sprache sein, ohne zu spezifizieren, ob dies eine alte oder eine moderne Sprache sei. Der Bericht von Herrn Hohfeld iiber das "Accrediting System" war mit viel Ein- sicht und Verstandnis abgefasst. Bis- her hat die Staatsuniversitat jedes Friih- jahr je einen Vertreter der verschiedenen Facher ausgeschickt, um die Klassen in ihren Fachern in den High Schools des Staates zu besuchen, und dann in der Universitat zu berichten, welche Schulen berechtigt sein sollen, ihre Schiiler mit Empfehlungen nach der Universitat zu schicken, ohne dass dieselben das Ein- trittsexamen zu machen brauchen. Herr Hohfeld empfahl, dass anstatt der vielen Examinatoren ein einziger Besucher von der Universitat ausgeschickt werden sol- le, der hierfiir besonders befahigt ist, und der dann iiber die Schule als Ganzes be- richtet. Wo es notig ist, sollen dann auch noch Vertreter der einzelnen De- partements ausgeschickt werden, um die Schulen mit Rat und Beistand zu unter- stiitzen. Einige Tage vor der Verlesung dieses Berichts brachten die Zeitungen die Nachricht, dass President Wheeler von der Staatsuniversitat bereits densel- ben Plan ausgearbeitet hatte, und dass von nun an im Herbst ein Vertreter des padagogischen Departements die High Schools des Staates besuchen wird, um iiber deren allgemeine Leistungen zu be- richten, und dass dann im Friihjahr Pro- fessoren von anderen Departements die Schulen besuchen, in denen der Unter- richt in einzelnen Facher noch nicht ganz annehmbar ist. President Wheeler war bei der Versammlung selbst zugegen und ergriff das Wort, um den Lehrern an den High Schools zu versichern, dass die Uni- versitat gesinnt ist, den Schulen des Staates entgegenzukommen, und mit ih- nen Hand in Hand fur die Hebung des Erziehungssystems zu wirken. Das Pro- gramm war so genau aufgestellt und die Zeit so kurz bemessen, dass die Berichte tiber die einzelnen Erziehungsfacher an den High Schools nicht zur Verlesung ge- langen konnten. Es wurde beschlossen, dieselben drucken zu lassen und den Leh- rern des Staates zu schicken. Der Vor- stand der Vereinigung hat eine Spezial- versammlung fiir den Sommer in Ber- keley einberufen. wobei diese Berichte und andere wichtige Angelegenheiten zur Abhandlung kommen sollen.

Am 17. Januar hielt der Verein von Lehrern der deutschen Sprache seine Ver- sammlung in San Francisco ab. Dr. A. Altschul hielt einen Vortrag iiber die natiirliche Methode. In demselben gab er die Geschichte der Entwicklung dieser Methode und deren jetzigen Stand. Er sprach sich zugunsten einer liberalen An- wendung derselben aus. In der darauf- folgenden Debatte wies Herr W. Zim- mermann auf die vielen Unrichtigkeiten hin, die sich in den Anmerkungen zu amerikanischen Ausgaben deutscher Tex- te vorfinden, weil die Herausgeber nicht in den Geist der Sprache eingedrungen sind und viele Idiome missverstehen. Es wurde beschlossen, in der nachsten Ver- sammlung Textbiicher fiir den deutschen Unterricht und den Humor im Sprach- nnterricht zu besprechen. Auf den Be- richt des Nominationskomitees hin wur- den die folgenden Beamten fiir dieses Jahr gewahlt:

President, Dr. Julius Goebel; Vizepra- sident, Dr. Hugo K. Schilling; Schrift- fiihrer, Herr Valentin Buehner; Schatz- meisterin, Frl. Emma Garretson.

V. B. Chicago.

Unser Schulrat hat in seiner Sitzung am 21. Jan. eine allgemeine Gehaltserhij- hung vorgenommen, von der beinahe alle Lehrer, Schuldiener und sonstige Angestellte betroffen wurden. Das Ein- kommen des Superintendenten wurde von $7000 auf $10,000 erhb'ht, das der Lehrer im Durchschnitt um zehn Prozent, nur die Turnlehrer, die mit wenigen Ausnah- men schon mehr als zehn Jahre im Dien- ste sind, gingen wieder leer aus, trotz- dem ihnen von Jahr zu Jahr eine Ge- haltserhohung versprochen war.

Der Superintendent, Herr Cooley, ent- puppt sich immer mehr als Reformer. Am 17. Sept. v. J. hat der Schulrat auf seine Anregung einen Beschluss ange- nommen, nach welchem Prinzipale und Lehrer nur nach abgelegtem Examen eine Gehaltserhohung bekommen kb'nnen, resp. in eine andere Gruppe versetzt werden. Die Priifung erstreckt sich auf Pedagogy, Psychology, School-Management und His- tory of Education; ausserdem muss noch ein Examen in einem selbstgewahlten Fach (Geschichte, Geographic, Musik u. s. f.) abgelegt werden. 80 Punkte sind zum Bestehen erforderlich. Dass diese Bestimmung ein Schlag ins Gesicht namentlich der alteren Lehrer ist, liegt auf der Hand. Sind bestandene Exa- mina an und fiir sich nicht ein sicherer Beweis fiir Tiichtigkeit und Erfolg im Lehren. so ist diese Zumutung, dass eine Promotion nur nach einem solchen ge-

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P'ddagogiscbe Monatshefte.

stattet werde, geradezu demiitigend und sollte von der ganzen Lehrerschaft zu- riickgewiesen werden. Wer wiirde sich erkiihnen, den Jtrzten, Architekten, Geist- lichen, nachdem diese den besten Teil ih- res Lebens in ihrem Amte vevbracht ha- ben, eine Priifung vorschreiben zu wol- len?

Herr Bamberger, der Leiter der jiidi- schen Handfertigkeitsschule, welcher auch unsere Lehrertage gelegentlich be- suchte, ist vor einigen Wochen gestorben. Er hat seine Anstalt mit vielem Geschick geleitet und sie zu grosser Bliite ge- bracht. Ernes.

Cincinnati.

Kreissend geb&rten die Berge ein grau- siges Mammut. Der Schiiker Horaz und seine diversen ftbersetzer werden mir diese neue Lesart hoifentlich nicht all- zuschlimm ankreiden. Jedenfalls tue ich mir auf die ,,nur so aus der Feder geflossene" Alliteration nicht wenig zu-

fute, und ausplaudern darf ich es wohl, ass die verehrten Herren Oberlehrer daran schuld sind, wenn ich einen ante- diluvianischen Elefanten aus der bekann- ten "ridiculus mus" gemacht habe. Es liest sich besser.

Sie erinnern sich aus meinen friihe- ren Berichten der Mengen von 61 und Miihe", die Kollege Benjamin Wittich, der President unseres deutschen Oberleh- rervereins, an meisterhafte Reden und zeitgemasse, zielbewusste Vorschlage ge- wandt hat, um dem Riickgange der deut- schen Schiilerzahl und der Gleichgiltig- keit vieler deutschamerikanischer Eltern zu steuern. Sie erinnern sich auch, dass ich in jenen Berichten die Toga des rei- nen Berichterstatters ablegte und mir gestattete, statt des Amtes, eine Mei- nung zu haben. Dass diese zu gunsten des Herrn Wittich war, gestehe ich noch heute sehr gerne. Ich hielt und halte seine Vorschlage fiir wohlbegriindet und zweckmassig, mag jedoch, wie er, ,,ein sonderbarer Schwarmer" sein. Nun wie- der der Berichterstatter ganz ohne. Die Wittichschen Vorschlage wurden in der Oberlehrerversammlung vom 30. Januar den Empfehlungen des mit ihrer Zer- gliederung betrauten Komitees gemass, nochmals besprochen, und man einigte sich dahin, dass vor allem ein aggressives Vorgehen seitens der deutschen Lehrer nicht geboten sei, vielmehr ein Abwarten etwaiger Angriffe auf sie und den deut- schen Unterricht. Ebensowenig sei es angezeigt, Broschiiren zu gunsten unserer Sache zu veroffentlichen ; man solle sich mit Zeitungrsartikeln begniigen und sol- che jedesmal im August, kurz vor dem Wiederanfange der Schulen in den Tage-

blattern loslassen. Ein Komitee, wel- ches der PrRsident zu ernennen hat, soil die ganze Angelegenheit betreiben. Nun wieder Meinung, unmassgeblich natiir- lich: Die griechischen Calenden scheinen mir in diesem Falle nicht wohl ange- bracht, das Zaudern vom ttbel zu sein. Die Ablehnung irgend einer Aggressive stimmt durchaus nicht mit friiheren Wil- lensausserungen der hiesigen deutschen Lehrer. Denn als der Vorsitzende des deutschamerikanischen Lehrertages, Hr. Teuteberg, im Jahre 1885 in hiesiger Stadt die Notwendigkeit eines aggressi- ven Vorgehens ausdriicklich betonte, da gab sich allgemeine Zustimmung durch jubelnden Beifall kund; und als etwa zehn Jahre spater Dr. John B. Peaslee in einem Vortrage vor der Jahresver- sammlung des deutschen Lehrervereins von Ohio in Sandusky in ganz ahnlicher Weise sich ausliess, da fand auch er all- gemeinen Anklang. Und doch waren weder vor zwanzig, noch vor zehn Jah- ren die Klagen, auf die Herr Wittich sich stiltzt, so allgemein und so begriin- det, wie sie es unstreitig heute sind. Da moge denn, nach Horaz und Plautus^ noch ein dritter alter Lateiner sprechen, Juvenal : ,,Es ist schwer, Satyren nicht zu schreiben".

Die, gelinde gesagt, gewaltatige Durchfiihrung des Impfzwanges in unse- ren Schulen seitens der stadtischen Sa- nitiitsbehb'rde hat so lange und so viel boses Blut zutage gefordert, bis zu- letzt der Schulrat sich veranlasst sah, diesem wirklich unverantwortlichen Vor- gehen ein Ziel zu setzen, und es den ein- zelnen Schulleitern anheimzustellen, sich durch selbsteigene Untersucaung und durch Einsichtnahme arztlicher Zertifi- kate betreffs der Zulassung der Schiller bestimmen zu lassen. Die besagte Be- hb'rde versagte namlich den Angaben al- ler Xrzte, die nicht von ihr selbst als Distriktarzte bezeichnet sind, jeglichef Anerkennung und Beriicksichtigung. Es wurde daher ebenso ruhig, wie brutal weiter geimpft, und Tausende von Kin- dern mussten ohne die geringste Ursache nicht nur aus der Schule bleiben, son- dern sich die Arme auf immer verschan- den lassen. Wer es erfahren hat, wie hierzulande das Wholesaleimpfen betrie- ben wird, und wessen Kinder nach vie- len Jahren noch die brutalen Narben, nein Schmarren, mit sich herumtragen, der wird diesen Ausdruck nicht zu stark finden. Um die Herbeifiihrung des jetzt obwaltenden menschlich-verniinftigen Zu- standes hat sicji, zu ihrer hohen Ehre sei es gesagt, die hiesige ,,Deutscher Tag- Gesellschaft" besonders verdient gemacht,

Korresponden^en.

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in deren Exekutivbehorde nicht nur De- legaten der deutschen Lehrervereinigun- gen Sitz und Stimme haben, sondern auch ein friiherer deutscher Lehrer, Rich, ter August Bode, den Vorsitz fiihrt. Ein Nachspiel in der Form eines Testfalles vor den Gerichten steht der Impffrage allerdings bevor, und da darf erst recht ein ,,Hornberger Schiessen" mit ziem- licher Bestimmtheit erwartet werden.

Mit den Vorbereitungen auf den Em- pfang und die ztveckdienliche Unterhal- tung der Schulsuperintendenten in der letzten Februarwoche sind wir tiichtig an der Arbeit. Cincinnati will seinen Ruf als Feststadt aufrecht halten; Leh- rer und andere Zeitgenossen greifen mehr oder weniger tief in die Tasche; zwei schulfreie halbe Tage sind in Aus- sicht gestellt; ein ganz klein wenig an den Schiilerarbeiten herumgefixt wird, trotzdem und alledem; auf die bevor- stehende Anregung durch gute "Vortrage u.s.w. darf man sich freuen; kurz, wir werden bei der Sache in mehr als einer Hinsicht unsere Rechnung finden.

Ein rechter Genuss wurde uns vor ei- nigen Wochen geboten durch die Anwe- senheit in unserer Mitte des friiheren Kollegen, Dichters und Schriftstelleys Wilhelm Hiiller. Derselbe erfreute, auf Veranlassung der Schulbehb'rde, die deut- schen Lehrer mit einem sehr gediegenen Vortrage iiber ,,Das Spiel in der Erzie- hung". Naeh jahrelangem Aufenthalt in Europa und vielfachem Umgange mit dortigen Autoritaten auf dem Gebiete der Erziehung konnte es sich nicht feh- len, dass Herr Muller viele neue Gesichts- punkte zur Geltung brachte und dadurch den meisterhaften Vortrag um so interes- santer gestaltete. Alle fiihlten sich ihm zu Dank verpflichtet und geizten denn auch nicht mit wohlverdientem Beifall. Mir und einigen anderen Genossen war es vergb'nnt, en petit comit£ einige Stunden mit dem genialen Freunde zu verbringen und uns ob der, wenn moglich noch erhohten Geistesfrische zu freuen, mit welcher der immer liebenswtirdige Exkollege es versteht, den Umgang mit ihm angenehm zu machen. Es ist recht sehr zu hoffen, dass Cincinnati, oder ir- gend eine andere Stadt es nicht versau- men moge, sich die unverminderte Rii- stigkeit und die alten sowohl, wie die neuen Erfahrungen dieses hochgebilde- ten Erziehers durch eine passende An- stellung zu nutze zu machen. Er ist gerade der Mann, der, nach eigener An- schauung, imstande ware, gewissen zeit- gemassen Neuerungen den Charakter der ttberstiirzung zu nehmen und ihnen den so riotigen Schliff zu geben. Er hat drii-

ben nicht nur angeschaut und zugehb'rt,. sondern auch mitgearbeitet und -han- tiert in Seminaren, Akademien und Kunstschulen, so dass er ganz sicherlich weiss, was er will, und will, was er kann in modernerziehlicher Hinsicht.

Fur die am 7ten dieses Monats statt- findende Versammlung unseres deulschen Lehrervereins ist ein gutes Programm aufgestellt worden. ttber den Verlauf der Versammlung hoffe ich nachstes Mai berichten zu konnen. quidam.

Milwaukee.

Versammlung der Lehrer des Deut- schen am 12. Jan. Auf der Tagesord- nung stand das Thema : ,,Behandlung des Memorierstoffs in der Schule". Eine ganze Anzahl Lehrer, namlich zehn (man wird mir wohl die namentliche Auffiih- rung derselben erlassen) war ersucht, sich fur den Gegenstand vorzubereiten und zu berichten, und so fand derselbe eine recht ,,vielseitige" Beleuchtung und erschb'pfende Ausfiihrung. Wichen nun auch die Ansichten der Referenten in methodischer Hinsicht etwas in bezug auf Behandlung und Einubung des Stof- fes von einander ab, so dokumentierte sich doch im ganzen und in der Haupt- sache eine bemerkenswerte tfbereinstim- mung des von alien als eines recht wich- tig angesehenen Lehrgegenstandes. Alle stimmten dariiber iiberein, dass der Me- morierstoff, er sei, welcher er wolle, je- desmal vorher griindlich durchgearbeitet, also gut gelesen und gut erklart werden miisse, nach der alten padagogischen Re- gel, nichts dem Gedachtnis einzupragen, was nicht vollig verstanden sei. Der Stoff selbst kb'nne sein Gedichte, Spriich- wb'rter, Sinnspriiche, kurze Erzahlungen, Fabeln und Parabeln. Schon auf der Unterstufe sei damit zu beginnen, und zwar im Anschluss and das Lesebuch. In bezug auf Ziel und Quantum des Stoffes solle man sich einen festen Plan ausarbeiten, fiir jede Woche den Stoff einteilen und einiiben, und vor allem von Zeit zu Zeit fleissig wiederholen. Alle stimmten dann auch darin iiberein, dass das Einiiben und Einlernen am be- sten in der Schule geschehe und nicht als Hausaufgabe zu geben sei; aber nie- und unter keinen Umst&nden als Straf- arbeit aufzugeben sei; denn damit er- reiche man das gerade Gegenteil, statt Liebe und Lust zur Sache flosse man den Kindern Widerwillen dagegen ein. Die schonsten Erfolge kann der Lehrer nur auf der Oberstufe erreichen, wo die Schil- ler schon mehr das notige Verstandnis fiir die Perlen der Literatur haben, und hier liegt es ihm ob, die Schiiler mit dem Reichtum dieser Perlen unserer

P'ddagogiscbe Monatsbefte.

deutschen Literatur bekannt zu machen, sie in das Verstandnis derselben einzu- filhren, und durch Einpragung ins Ge- diichtnis sie zum geistigen Eigentum der Schiller zii machen. Dazu gehort denn auch, dass der Lehrer selbst von Begeisterung fiir diese Sprachschatze durchgliiht ist, und diese Begeisterung durch ein mustergiiltiges Vorlesen der Oedichte vor der Klasse auf die Schiller zu iibertragen versteht. Ich mochte dann noch eins bemerken zum Einlernen der Gedichte in der Schule^ was ich bei den Ausfiihrungen der Referenten vermisst habe, was mir aber doch recht wichtig scheint. Es macht keinen guten Eindruck auf die Schiller, wenn der Leh- rer beim Einiiben, Abhoren und Einhel- fen immer das Buch in der Hand hat. Er soil die Gedichte selbst auswendig ler- nen. Was er von den Schillern verlangt, soil er selbst tun. Der gute Turnlehrer turnt vor, der Zeichenlehrer zeichnet vor, der Schreiblehrer schreibt vor; warum soil der Lehrer nicht auch hier vor- lernenl Der Supt. des Deutschen machte dann noch einige Bemerkungen tiber das Was? und Wieviel? des Stoffes. Man sollte sich nicht an die Zahl der angege- nen Stiicke oder Nummern im Lehrplan stossen; diese seien nicht ,,vorgeschrie- ben", sondern nur empfohlen oder als passend und geeignet angemerkt. Er iiberlasse es jedem Lehrer, seine Auswahl zu treffen. Er wisse recht wohl, dass die Verhaltnisse der Schulen und Klas-

sen sehr verschieden seien, und alle konn- ten nicht dasselbe leisten, und es werde das auch nicht verlangt. Jeder solle trachten, das zu leisten, was er unter den gegebenen Verhaltnissen leisten konne; und man mo'ge lieber weniger nehmen, aber es gut und sicher einiiben. ,,Und das mit Recht," sagt mein Kollege Qui- dam. Nicht vielcs, aber viel. Besser ein Gedicht gut und griindlich gelernt, als drei halb und schlecht.

Herr J. Eiselmeier erwahnte dann noch, dass der unerbittliche Tod wieder zwei bekannte Schulmanner aus dem' Kreise ihrer Wirksamkeit abberufen hat- te, namlich den langjahrigen Leiter des deutschen Unterrichts an den Schulen Chicagos, Dr. G. A. Zimmermann, und Herrn G. Bamberger, Vorsteher und Griinder des unter dem Namen ,,Jewish Training School" bekannten Institutes in Chicago. Die Versammlung ehrte das Andenken der beiden Schulmanner durch Erheben von ihren Sitzen.

Sodann wurde auf Antrag von Herrn Abrams beschlossen, Herrn Prof. Dr. von Jagemann von der Harvard Universitiit, welcher am 5. Febr. vor dem hiesigen ,,Deutschen Club" einen Vortrag iiber ,,Aus dem Leben der Sprache" halten wird, einzuladen, womoglich am Abend des 6. Febr. der Gast des ,,Vereins deut- scher Lehrer" hierselbst zu sein und uns mit einer Ansprache zu erfreuen.

A. W.

II. Umschau.

Milwaukee. Herr Seminardirektor Dapprich tritt am 9. Februar einen vier- monatlichen Urlaub an, den er zu einer Erholungs- beziehungsweise Studienreise nach der alten Heimat beniitzen wird. Er verliisst am 14. Feb. auf dem Dam- pfer ,,Trave" New York und wird sich nach mehrwochentlichem Aufenthalt in Italien durch die Schweiz nach Deutsch- land begeben, um dort die hervorragend- sten Schulen sowie Lehrerbildungsanstal- ten zu besuchen. Es bereitet uns die grb'sste Freude und Genugtuung, dass Herr Dapprich nach seiner fast vierzig- jahrigen angestrengtesten Wirksamkeit im Dienste der Jugenderziehung und un- serer Sache im besonderen in den Stand gesetzt worden ist, diese Reise zu unter- nehmen. und unsere herzlichsten Wtin- sche wie die aller seiner Freunde beglei- ten ihn auf derselben.

Milwaukee. Am 4., 5. und 6. Februar weilte Herr Professor H. C. G. von Jage- mann von der Harvard Universitat in unsern Mauern. Nachdem er am ersten

Tage einem Diner des hiesigen Harvard Clubs als Ehrengast beigewohnt hatte, hielt er am darauffolgenden Abende vor dem Deutschen Club einen Vortrag iiber das Thema ,,Aus dem Leben der Spra- che", dem eine zahlreiche Zuhorerschaft mit grossem Interesse lauschte. Am letzten Tage bereitete ihm die deutsche Lehrerschaft der Stadt einen Empfang, der aufs gemtitlichste verlief. Der ge- feierte Gast hielt bei dieser Gelegenheit ebenfalls einen Vortrag und zwar iiber ,.Petri Rosegger", wodurch er sich die Gastgeber zu dem aufrichtigsten Danke verpflichtete.

Das Germanische Museum an der Har- vard Universitiit ist seit dem 7. Januar fiir den Besuch des allgemeinen Pub- likums geoffnet. Die formelle Eroff- nungsfeier soil erst stattfinden, nachdem die Geschenke, welche vom deutschen Kaiser dem Museum in Aussicht gestellt wurden, eingetroffen sein werden.

President Eliot von der Harvard Uni- versitat ist von dem Prasidenten der

Umscbau.

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franzosischen Republik zum Mitgliede der Ehrenlegion ernannt worden.

New York. Deutsche Theatervorstel- lungen. Herr Heinrich Conried, Direk- tor des "Irving Place" Theaters, hat ftir die Samstagmorgen eine Serie von klas- sischen Theatervorstellungen angekun- digt, um besonders der Jugend den Be- such derselben zu ermoglichen. Die erste Vorstellung und zwar die von Schillers "Wilhelm Tell" fand am 24. Januar statt, und muss nach jeder Hinsicht als ein Erfolg bezeichnet werden.

Boston kennt in seinen Schulen noch die korperliche Ziichtigung und sein Schulsuperintendent scheut sich auch gar nicht, an seinen Schulrat zu berich- ten, dass wahrend des verflossenen Schul- jahres in 8055 Fallen dieses Ziichti- gungsmittel angewandt worden ist.

An der Washington Universitat zu St. Louis wurde ein Kampf zwischen den "Freshmen" und den "Sophomores" prompt durch Suspendierung der erste- ren von seiten des "Chancellor" Winfield Scott Chaplin beendet. Die Sophomores hatten von deT Turnhalle Besitz ergrif- fen, welche dann von den Freshmen ge- sturmt werden sollte. Einer Aufforde- rung auseinanderzugehen kamen diesel- ben niclit nach, was dann zu ihrer Suspen- dierung fiihrte. Noch einige soldier Exempel und der Unsitte der Fuchs- prellerei an unsern Universitaten wtirde bald gesteuert sein.

In Californien ist es nunmehr beschlos- sene Sache, den chinesischen Kindern den Besuch der offentlichen Schulen zu ver- weigern. Es sollen fur sie besondere Schulen eingerichtet werden.

John L. Sullivan, der beriihmte Faust- kJimpfer des Landes, hat sich ein Ver- mogen von nahezu einer Million Dollars zusammengeklopft. Wenn wir horen, dass er in einzelnen Fallen bis zu $18,- 000 verdiente, und dann bedenken, dass der Wert des Menschen nur zu leicht nach seinem Geldbeutel beurteilt wird, auf welcher Stufe der gesellschaftlichen Wtirdigung steht dann der Lehrer? Ste- hen wir in unserer Zivilisation eigentlich gar soweit iiber den Romern?

Die Erfahrungen unserer Lehrer auf den Philippinen sind nicht immer ange- nehmster Natur. Ein Lehrer in Batanga sah sich genotigt, einen Schiller korper- lich zu zlichtigen. Die Eltern desselben verklagten ihn daraufhin, und er wurde von dem Richter, einem Eingeborenen, zu 15 Tagen GefSngnis verurteilt.

Untcrsuchungen iiber das Gedachtnis von Schulkindern hat Prof. Lough vor der-Akademie in New York besprochen. Als ..Material" hatte er 682 Schulmad- ohen im Alter zwischen 9 und 15 Jahren.

Er las eine Reihe von zehn Wortern den Schiilerinnen vor, die dann soviel davon niederschreiben mussten, als sie behal- ten hatten. Besonders merkwiirdig ist die Beobachtung von Lough, dass in den unteren Schulklassen die blonden Schii- lerinnen das bessere Gedachtnis haben, in den hoheren die briinetten.

Einem englischen Schulmann verdan- ken wir die statistische Angabe, dass in Deutschland von den 50 Millionen Ein- wohnern 30,000 junge Leute die Univer- sitat besuchen, wahrend auf die 30 Mil- lionen der Einwohnerschaft Englands nur 5000 Universitatsstudierende kom- men.

Trotz aller Anstrengungen, amerika- nische Studenten von den deutschen Uni- versitaten nach franzosischen, haupt- sachlich nach Paris, zu ziehen, wachst doch die Anzahl von Studierenden an den ersteren aus Amerika stetig. Na- mentlich sind es die Universitaten von Berlin, Leipzig, Miinchen und Gottin- gen, die von Amerikanern besucht wer- den.

Die Berliner Universitat hat in diesem Jahre mehr Studenten als je zuvor, nam- lich 13,400; eine Abnahme ist nur in der theologischen Fakultat zu bemerken. 34 Studenten in Berlin kommen aus Eng- land und 146 aus den Vereinigten Staa- ten.

Redaktionswechsel. Bei der Allg. Deutschen Lehrerzeitung ist am 1. Jan. an Stelle des Herrn Dr. Jahn, welcher die Leitung des Anzeigers fiir die neueste padag. Literatur behalt, Herr Direktor Dr. Kiessling in Leipzig-Lindenau als Redakteur eingetreten.

Die Rheinischen Blatter, im Jahre 1827 von Diesterweg begrundet und von ihm bis 1866 fortgesetzt, spater von Wichard Lange, Richard Kohler und seit 1887 von Friedrich Barthels geleitet, ho- ren auf zu erscheinen.

Eisferien. In den stadtischen hoiieren Schulen Berlins ist an den kalten Tagen der ersten Dezemberwoche mit den sog. Eisferien begonnen worden, d. h. die Schulen wurden eine Stunde friiher ge- schlossen, und die Kinder beauftragt, die freie Zeit beini Eislauf zuzubrineen. Es sind verschiedene Bahnen zu diesem Zwecke gepachtet worden, auf denen die Kinder unter Aufsicht der Lehrer den Schlittschuhlauf iiben.

Vom unsittlichen Lenau wird aus Bamberg berichtet: Dieser Tage konzer- tierte hier das Miinchener Kaim-Orches- ter unter F. Weingartners Leitung. wo- bei unter anderem Liszts zwei Episoden aus Lenaus ,,Faust" zur Auffiihrung ge- langten. Die Leiter der beiden Bamber-

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P'ddagogiscbe Monatsbefte.

,ger Gymnasien erfuhren zum Gliick noch in letzter Stunde, dass der die Moral hochlichst gefahrdende Text dieser Kom- position auf der Riickseite des Pro- grammes abgedruckt war. Sofort erlie- ssen sie einen Befehl, wonach es den Schiilern ihrer Institute strengstens ver- boten sei, die unmoralische Musik an- zuhoren. Zweihundert Schiller mussten daraufhin die gelosten Eintrittskarten wieder zuriickgeben. Die altesten Bam- berger Buchhandler aber erinnern sich nicht, jemals so viel Bande Lenau ver- kauft zu haben, wie jetzt.

Der letzte Jahresbericht des Schulam- tes von London beansprucht besonderes Interesse angesichts der Tatsache, dass die Umgestaltung des Volksschulwesens gegenwartig die brennendste Frage der inneren Politik ist. Der Bericht zeigt, •dass von 20,116 Volksschulen in England und Wales immer noch 14,319 konfessio- nelle, sogenannte ,,Voluntary"-Schulen, und nur 5797 ,,Board"-Schulen, d. h. offentliche, paritatische Schulen sind, und dass jene 3,054,709 und diese 2,703,- 434 Schiller auf ihrem Register fiihren. Der Staat hat letztes Jahr fiir das Volksschulwesen 9,753,107 Pfd. Sterl. ausgegeben, und dieser Betrag verteilt sich ziemlich gleichmassig zwischen den zwei Kategorien von Schulen, doch so, dass die Board-Schools, dank ihrer besse- ren Leistungen, pro Schiller einen staat- lichen Beitrag von $5.21, die kon- fessionellen von nur $5.09 verdien- ten. Nur die Board-Schools konnen einen Teil ihres Einkommens aus den Lokalsteuern beziehen letztes Jahr 6,- 349,811 Pfd. Sterl. wahrend die kon- fessionellen Schulen fiir alles weitere auf freiwillige Beitrage angewiesen sind, die letztes Jahr 834,123 Pfd. Sterl. abwar- fen. Die Board-Schools konnten daher letztes Jahr pro Kopf der Schiller $14.44 und in London $19.31 aus- geben, die konfessionellen Schulen nur -$11.21. Die neue Schulvorlage will bekanntlich diese finanzielle Ungleichheit und die dadurch bedingte Ungleichheit der Leistungen ausgleichen, ohne aber der 'Gesamtheit zugleich dieselbe Kontrolle tiber die konfessionellen Schulen zu ge- ben, die sie ilber die Board-Schools be- sitzt. Der schwache Punkt des engli- schen Volksschulwesens scheint noch im- mer der Mangel an ausgebildeten und ge- priiften Lehrkraften zu sein. Es kommt nur ein Lehrer auf je 71 Kinder, und von 138,000 Lehrern beider Geschlechter ha- ben nur 66,000 eine Priifung abgelegt, und auch von diesen 66,000 haben nur 38,000 einen ordentlichen zweijahrigen Ausbildungskurs durchgemacht. Drei Viertel der Lehrkriifte sind Frauen.

Das franzosische Schulwesen. Nach dem verhiingnisvollen Jahre 1870 71 er- kannte man in Frankreich, dass es vor allem mit der allgemeinen Volksbildung anders werden miisse. Es ist nicht zu leugnen, dass es in der Beziehung seit 1870 wirklich ganz anders geworden ist. Das franzosische Volksschulwesen nahm einen ungeahnten Aufschwung, dank der Gesetzgebung der 80er Jahre. Das Land, vor allem aber die Stadt Paris, ist zu jedem Opfer bereit, um immer weiter vor- zuschreiten auf dem eingeschlagenen We- ge. Im Laufe von 7 Jahren hat man nicht weniger als 18,000 Schulhauser neu gebaut und 3000 repariert. Eine eifrige Lehrerschaft arbeitet nach einem alien Anforderungen der Neuzeit gerecht werdenden Lehrplane. Die Organisation der Schulverwaltung und Schulaufsicht hat das voraus, dass in alien Instanzen, von der niedrigsten bis zur hochsten, neben Vertretern der Regierung, solche der Gemeinden und Lehrer Sitz und Stimme haben. Die Schulpflicht der Volksschule dauert vom 6. bis zum vol- lendeten 13. Jahre. Leider ist vom li. Jahre ab eine vollstandige Dispensation von jeglichem Unterricht moglich, so- bald sich der Schiller das ,,certificat d'etudes primaires" erwirbt. Die be- gabten armeren Kinder werden dadurch der Schule entzogen. Die Pariser Volksschulhauser sind meist klein. Die Sale liegen der Strasse abgewandt.. Kar- ten, Bilder und Spriiche schmiicken die Wande. Dem Deutschen fallt sofort auf, dass Elsass-Lothringen schwarz ge- zeichnet ist. In jedem Schulhaus liegt zu ebener Erde der PrSau, ein langer Saal, der zur Versammlung der Klassen vor und nach dem Unterricht dient. Da- selbst werden auch Feste abgehalten. Ausserdem nehmen viele Kinder im Pr6au ihr Mittagsmahl ein. Die Unter- richtszeit dauert von 8% 11% und von 1 4 Uhr; der Donnerstag ist schulfrei. Hitzferien gibt es nicht. Das vorherr- schende Schulsystem ist das sechsklas- sige. Jeder Lehrer hat 30 Stunden Un- terricht zu erteilen. Leider sind die Lehrergehalte ungeniigend, und es ist nur zu wiinschen, dass die Bestrebungen der Lehrerschaft auf deren Erhohung er- folgreich sein mochten.

Friihreife Knaben sind die italieni- schen Gymnasiasten und Realschiiler. Sie werden allerdings auch auf der Sexta schon von ihren Lehrern mit Sie ange- redet. In Rom hielten sie jiingst in ei- nem Theater eine Versammlung, um eine giinstigere Priifungsordnung zu erlan- gen. Sie beauftragten die republikani- schen Abgeordneten Mazza und Barzila mit der Vertretung ihrer Wiinsche bei

Umscbau.

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•der Regierung. Auch einen Beschluss gegen die ,,improduktiven Staatsausga- ben", d. h. die Ausgaben fiir das Heer und die Schulverwaltung, fassten sie und verlangten, dass die hierfiir verwandten Mittel dem Unterrichtswesen zu gute kiimen.

Ein Bjornson-Fonds. Aus Anlass des 70. Geburtstages Bjornstjerne Bjornsona haben die Sammlungen zu einem Bjorn- son-Fonds, der dem Dichter zur Verfii- gung gestellt werden und eine dauernde Erinnerung an die Wirksamkeit Bjb'rn- sons bilden soil, begonnen. Diesen Fonds will Bjornson in den Dienst der norwegi- schen Lehrer und Lehrerinnen stellen, da diese schlecht besoldet werden. Im iibrigen hat Bjornson seine Unterstiit- zung aus eigenen Mitteln in der Sache zugesagt.

Russland. (Deutsch oder franzosischf) Von der russischen Regierung wurde ein Gelehrtenkomitee eingesetzt, das im Ver- ein mit den Direktoren der Gymnasien iiber die viel diskutierte Frage endgiltig Beschluss fassen sollte, ob unter den modernen Sprachen deutsch oder franzo- sisch obligatorisch in den Mittelschulen gelehrt werden soil. Das Komitee ent- schied nun, dass die deutsche Sprache einzufiihren sei, und zwar nicht nur in Ansehung der hohen Entwicklungsstufe der Wissenschaften in Deutschland, son- <lern auch in anbetracht der iiberwiegend deutschen wissenschaftlichen Werke, die in Russland in Verwendung stehen. An der Universitat in Moskau sind, wie im Motivenbericht angefiihrt wird, von 200 Universitatslehrern 700 deutsche Lehr- biicher und nur 190 franzosische zur Beniitzung empfohlen.

Der danische Unterrichtsminister hat dem Reichstage die neue Vorlage, betref- fend eine Reform des Schulwesens, unter- treitet. Kiinftig soil dort, wie in Nor- wegen, auf die klassischen Sprachen

nicht mehr das Hauptgewicht gelegt wer- den. Die meisten padagogischen Auto- ritaten haben sich dieser Reform ange- schlossen. Nach dem vorliegenden Ent- wurfe soil die Volksschule die Grundlage des ganzen diinischen Schulwesens bilden. Die Schiller, die befahigt sind, ihre Stu- dien fortzusetzen, kb'nnen durch die ho- here Volksschule, die sog. Mittelschule, die Jugendschule, die mit dem Abiturien- tenexamen abschliesst, erreichen. In der Jugendschule wird der Unterricht in streng klassischer, in modern-sprach- licher oder in mathematisch-naturwissen- schaftlicher Richtung erteilt. Die sprach- liche Richtung wird nicht, wie bisher, auf die franzosische, sondern auf die deutsche und die englische Sprache das Hauptgewicht legen. Fiir die Schiller, die die Jugendschule nicht besuchen wol- len, jedoch einen vollstandigeren Unter- richt als denjenigen, den die Volksschule geben kann, wiinschen, wird eine ein- jiihrige sog. Fortbildungsklasse einge- richtet, in welcher besonders in solchen Fachern, die fiir die praktische Ausbil- dung der Schiller Bedeutung haben, un- terrichtet wird. Dass die Vorlage in ih- ren Hauptziigen angenommen wird, gilt als sicher.

Sndafrika. Aus Kapstadt wurde der ,,Tagl. Rundschau" telegraphisch gemel- det: Die unheilvolle Wirkung des Krie- ges auf das Schulwesen in Siidafrika wird durch eine soeben ausgegebene Sta- stistik erlautert. Danach bestanden vor Ausbruch des Krieges in 18 Bezirken 302 Schulen, beim Friedensschluss nur noch 139. Die Bezirke von Hay und Cal- vinia sind ganzlich ohne Schulen. In Kapstadt selbst sieht es giinstiger aus; das dortige South African College be- schaf tigt sich mit einem Plan zur Erwei- terung seiner Anstalten und Errichtung neuer Gebaude und weiterer Lehrstiihle, wofiir ilber 2 Millionen Mark ausgewor- fen sind.

III. Vermischtes.

In einem Dorfchen an der Lahn, un- weit Marburg, wo der Nachtwachter- dienst nach alter Vater Sitte ,,Reihe rum" geht, wurde auch dem Lehrer eines Tages Spiess und Horn gebracht mit dem Bemerken, dass die Reihe an ihm sei. Der Lehrer weigerte sich und beschwerte sich bei der vorgesetzten Behorde iiber das Ansinnen. Diese entschied, dass der Lehrer von alien Kommunalsteuern frei sei, soweit sie sein Gehalt betreffen. Habe er aber Privatvermogen, so miisse er auch die Kommunallasten tragen, also auch Nachtwache leisten oder fiir sein •Geld leisten. Der Lehrer als Nachtwach- ter, welcher Jubel fiir Schulkinder!

,,0 diese Fremdworter !" Perblank stand dieser Tage in der Bude eines Ber- liner Obsthandlers auf einer kleinen wei- ssen Tafel, die, an einem Holzchen be- festigt, auf einen Hiigel saftiger Friichte herabsah. Eine Bauerfrau in der Nach- barschaft versuchte darauf, dem geheim- nisvollen Worte eine verstandlichere Fas- sung zu geben, und malte mit ungelenker Hand auf ihr Schildchen ,,Blanke Beere". Es handelte sich hier und dort um die allbekannte Butterbirne Beurr§ blanc, und in Mitteldeutschland gewohnlich Birne Blank genannt.

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P'ddagogischc Monatsbefte

Gute Entschuldigung. Eine Schiilerin entschuldigt einen Mitschiiler mit den Worten: ,,lch soil Otto Meier entschuldi- gen; er 1st krank, sie schlachten heute." Die Bedcutung des anriichigen Aus- drucks ,,Nassauern" kennt wohl jeder, aber nicht jeder auch seine Entstehung. Dass das Land Nassau mit im Spiele ist, lasst sich von vornherein vermuteru und so ist es auch. Das friihere Herzogtum Nassau, jetzt ein Teil der Provinz Hes- sen-Nassau, besass keine Universitat; die zum Studium Berechtigten sahen sich da- her genb'tigt, eine Hochschule in frem- dem Lande zu besuchen. Nun hatten, so erzilhlt ein alter Nassauer, im An- fange und in der Mitte dieses Jahrhun- derts die Studenten nur dann Aussicht, im Lande eine Staatsstellung zu erlan- gen5 wenn von ihnen in Erfiillung eines ein filr alle Male geausserten Wunsches des Landesherrn die Universitat Gottm- gen besucht worden war. Die nassaui- schen Fiirsten waren indes von jeher sehr auf den Wohlstand und das Wohlergehen ihrer Landeskinder bedacht. Gern und freudig unterstiitzten sie jeden Empor- strebenden, dem es an Mitteln gebrach, sich allein auszubilden. So war denn auch in Gottingen ein von der nassaui- schen Regierung unterhaltener freier Mittagstisch fiir solche nassauischen Studenten eingerichtet, denen die Ver- hiiltnisse nicht gestatteten, aus eigener Tasche zu leben. Diesen ,,Freitisch" be- nutzten jedoch bei giinstiger Gelegenheit auch solche Studenten, die nicht aus Nassau stammten, und diese wurden dann von ihren Kommilitionen scherz- weise ,,Nassauer" genannt, weil sie an dem nassauischen Freitisch ,,genassau- ert" hatten. Die ersten ,,Nassauer" wa- ren also alles andere, nur keine Nas- sauer.

Sic transit gloria mundi! Ein Herr in Siiddeutschland will eine unzweifel- haft sehon im voraus gepriigte Sieges- denkmiinze Napoleons III. besitzen. Dem- gegeniiber dtirfte vielleicht das Gegenteil, wie schnell die ganze napoleonsche Wirt- schaft nach dem 2. September 1870 abge- tan wurde, interessieren. Ich land, so schreibt ein alter Krieger, danials als Einjahriger im 1. kgl. sachsischen Jager- Bataillon ,,Kronprinz Albert", im Okto- ber 1870 auf einer unserer haufigenj Schleichpatrouillen nach dem schb'nen Villemomble vor Paris, das den meisten Jagern unvergesslich sein wird, in einer hochherrschaftlichen, vollig leerstehen- den Villa eine Bronzemiinze, die mir heute noch vorliegt. Auf ihr ist der Kopf Napoleons deutlich ausgepragt, ge- ziert mit der preussischen Pickelhaube; um den Hals ist ein starkes mit einem Ringe versehenes Hundehalsband gelegt, worauf das Wort ,,Sedan" steht. Die

Umschrift lautet: ,,Napoleon III. Le Miserable. 80,000 Prisonniers." Die Kehrseite zeigt den beriihmten aigle franQais, aber mit einem Eulenkopfe. Hier lautet die Umschrift: ,,Vampire franQais. 2. Dec. 1851 2. Sept. 1870!"

Das H&rchen. Das war ein eifrig, unermiidlich Lau-

schen, Wenn er ein Miirchen unsrer Schar er-

ziihlte. Und wie viel lieber war uns da der Leh-

rer, Der gute, den wir sonst schon herzlich

liebten. Da fiel kein Blick von seinem reichen

Munde,

Der uns so Schones zu erzahlen wusste, So Wunderschones, das wir gierig

schliirften,

Und das die Phantasie, die bilderreiche, Sogleich in tausend bunte Farben

tauchte. 's ist lange her, seit ich, ein kleiner

Knabe, Mit andern diesen Wundermiirchen

horchte. Der Ernst des Lebens trat an meine

Seite Und wies die Pflichten mir mit heil'gem

Mahnen. Und doch, ich konnte jene Miirchen nie

vergessen, Die einstmals sich ins Kinderherz ge-

stohlen.

Und die Erinnerung aus Jugendtagen, Sie hat sich ihrer herzlich angenommen, Erzahlt mir sie in meinen Traumen wie-

der Und lasst mich jener Stunden stets ge-

denken. Das war ein eifrig, unermiidlich Lau-

schen.

Und nun, nach manchen arbeitsschweren

Jahren Ward mir ein hohes, teures Gliick be-

schieden,

Und Marchen darf ich selber nun erzah- len. O, welche Freude fiir das Herz des Leh-

rers, Der Kinder Blicke all auf seinen Mund

gerichtet, Wenn er erzahlt vom Hansel und vom

Gretel, Vom bosen VVolf und von den sieben

Geisslein, Vom Tischlein deck dich und vom Aschen-

brodel. Da mocht ich selbst ein Kind noch ein-

mal werden Und kindlich nochmals goldne Marchen

horen ;

Es ist ein susses, unermiidlich Lauschen. Emit Wechsler.

Padagogische Monatshefte,.

PEDAGOGICAL MONTHLY.

Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen. Organ des

Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.

Jahrgang IV. Marz 1903. Heft 4

Abhangigkeitsverhaltnisse in der deutschen Satzbildung.*

(Fur die Padagogischen Monatshefte.)

Von Dr. Wni. Jaeger, Cincinnati.

Jede Sprache hat ausser der ihr eigentiimlichen Konjugations-, Dekli- nations- und Rektionsformen noch besondere, charakteristische Eigenhei- ten, die ihr unter den Schwestersprachen ein ganz besonderes Geprage verleihen. Dass Wahl wie Wechsel des Ausdruckes, bedingt durch un- gleiche Anschauung, in den Sprachen oft grundverschieden ist, hat wohl jedermann erfahren, der eine wortliche Ubersetzung eines Idioms in eine andere Sprache versuchte.

Aber nicht nur diese Wahl des Ausdrucks, die ja selbst in ein und derselben Sprache ganz individuell ausfallt, bedingt die Gegensatze zweier Sprachen ; weit mehr noch als diese sind es die Gesetze und Normen, nach welchen die Anordnung, der Aufbau der einzelnen Satzteile zum fertigen Satz geschieht. Sind doch diese Sprachgesetze so eigenartig, und ist doch diese Eigenart so tiefbegriindet in der eigentiimlichen Anschauung und Entwicklung eines Volkes, so geheiligt durch jahrtausendlangen Ge- brauch, dass sich niemand denselben eigenmachtig entgegenstellen kann.

Unter den Kultursprachen der Gegenwart nimmt aber die deutsche Sprache inbezug auf die Vielseitigkeit ihres Satzbaues eine hervorragende, wenn nicht leitende Stellung ein.

Durch die vollige Entwicklung der Biegungsendungen besitzt diese Sprache ein Mittel, welches sie vor alien andern Sprachen befahigt, die mannigfachsten Verschiebungen der Satzteile vorzunehmen, um dadurch

*) Nach einem Vortrag, gehalten am 4. Dezember 1902 vor dem Verein der Ober- lehrer von Cincinnati.

98 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

dem ausgesprochenen Gedanken grossere Genauigkeit und bedeutungs- volleren Inhalt zu verleihen.

Denn diese Umstellung Inversion ist durchaus nicht nebensach- licher Natur; sie hat den Zweck, irgend einen Satzteil durch ungewohn- liche Stellung starker hervorzuheben, oder aber um die Rede mannigfal- tiger zu gestalten und den Wohlklang derselben zu erhohen. Liegt also in vielen Fallen dieselbe als bloss rednerisches Kunstmittel in der Willkiir des Sprechenden oder Schreibenden, so ist sie wiederum in andern fiir gewisse Satzformen als charakteristisch gewahlt und fiir immer festge- setzt, sodass jede Nichtbeachtung oder Zuwiderhandlung als ein groblicher Verstoss gegen den Sprachgebrauch muss aufgefasst werden.

Lassen Sie uns zwei der eigenartigsten Regeln deutscher Wortfolge ein wenig scharfer ins Auge fassen, und zwar zunachst die Forderung: doss die Zeitworter in zusammengesetzten Zeitformen im Satze von ein- ander getrennt werden; sodann, doss in dem von einer unterordnenden Konjunktion oder einem relativen Fiirwort eingeleiteten Nebensatze die konjugierte Form des Zeitwortes das Verbum finitum seine ur- sprungliche Stellung verliert und sich an das Ende der Konstruktion ver- schieben lasst.

Um mit dem Erstgenannten zu beginnen: der Deutsche sagt also nicht, wie es in anderen modernen Sprachen iiblich ist : ,,Ich habe gesehen Sie gestern" ; ,,ich bin gewesen zur Kirche" ; ,,ich werde gehen nach Eng- land"; ,,ich kann (will, muss, soil u. s. w.) sehen deine Fortschritte" ; sondern er trennt die beiden den Pradikatbegriff bildenden Zeitworter, in- dem er das Mittelwort der Vergangenheit (,,gesehen", ,,gewesen"), oder die Nennform des Zeitwortes (,,gehen", ,,sehen") an das Ende der Kon- struktion stellt. Diese Verschiebung des Mittelwortes und der Nennform findet nun in der deutschen Sprache immer statt, und wenn eine Ausnahme dazu vorkommt, so hangt ihr unleugbar etwas Fremdartiges, Undeutsches an. Man trifft dieselben deshalb besonders in der Prosa an, als Nach- ahmung der Sprechweise von Auslandern und nichtdeutschen Elementen.

In der gebundenen Rede vermogen diese Ausnahmen allerdings durch ihre Eigentiimlichkeit denEindruck desGesprochenen zu erhohen, wie denn durch Luthers haufigen Gebrauch in seiner Bibeliibersetzung ihr rhetori- scher Wert wohl zur hochsten Geltung gelangt. Man beachte z. B. die folgende biblische Ausdrucksweise : ,,Dass sich dein Same mehre wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres, und er soil be- sitzen die Tore deiner Feinde ;" oder wie im Gebet des Herrn, wo ausser der Umstellung des deutschen ,,Unser Vater" in ,,Vater unser" es heisst : ,,der du bist im Himmel" wahrend es doch in deutscher Wortfolge heissen miisste, ,,der du im Himmel bist"; sowie: ,,vergib uns unsere Schuld, wie wir unsern Schuldigern vergeben" statt ,,wie wir vergeben unsern Schuldisrern".

Abb'dngigkeitsverb'dltnisse in der deutschen Sat^bildung. 99

Aber trotz Luthers haufiger Anwendung in der Bibel hat seine Wort- stellung die der echt deutschen Trennung nicht zu verdrangen vermocht : ist ihm auch nicht darum zu tun gewesen, wie geniigsam aus seinen andern Prosaschriften erhellt

Dass die deutsche Stellung des Zeitwortes dem Nichtdeutschen, be- sonders in erweiterten Satzen recht eigentiimlich erscheinen muss, lasst sich aus den Kritiken ersehen, die wir dariiber hinnehmen miissen. Eine der kostlichsten ist jedenfalls die des amerikanischen Humoristen ,,Mark Twain" in seinem beriihmten Werke ,,Innocents Abroad". Wie langsam und schwierig iiberhaupt diese Umstellung bei den meisten deutschler- nenden Schiilern Verstandnis und Eingang findet, hat der deutsche Lehrer hierzulande Gelegenheit zu beobachten. Da mag es denn fast taglich vorkommen, dass ein Schiiler, dem die deutsche Konstruktion noch nicht in Fleisch und Blut iibergegangen ist, ganz ruhig erklart: er werde seine

schriftliche Aufgabe f iir heute Nachmittag : sodass der Lehrer erst

mit Fragen wie ,,abschreiben ?", ,,vorlesen ?", ,,bringen ?", ,,abgeben" ,,oder fortnehmen ?" einhelf en muss, um die Wichtigkeit des ausgelassenen Satz- teiles hervorzuheben.

Dem Deutschen, sowie dem Auslander, der diese Umstellung griind- lich beherrscht, erscheint jene Auslassung allerdings unmoglich. Er ist daran gewohnt, das pragnante Wort, das dem ganzen Satze erst den In- halt verleiht, zuletzt zu horen. Eigentiimlich bleibt die Sache aber im- merhin; und es diirfte demjenigen, der sich nicht tiefer mit der Satzlehre befasst hat, doch wohl recht schwer fallen, auf die Fragen eines wissens- durstigen Schiilers eine befriedigende Antwort zu geben ; Fragen wie die folgenden sind wohlberechtigt : Warum trennt man diese Verbformen iiberhaupt? Warum nicht auch im Englischen, im Franzosischen oder in einer andern modernen Sprache ? Steht ihm dann sein Schutzengel bei, da mag's dem so in die Enge Getriebenen wohl herausfahren : Weil 's eben Deutsch ist ! Und tatsachlich hat er mit diesem kurzen Bescheid zwar unbewusst den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn es spricht sich in dieser eigenartigen Umstellung des Verbums ein Zug echt deutschen We- sens aus ein Charakterzug, der bis auf den heutigen Tag dem deutschen Volke zu manchem Wohl aber auch zu manchem Weh gereicht hat.

Die Sprache ist ein Spiegel der Gedanken, wie sie aus dem Denken, Fuhlen und Wollen des Einzelmenschen sowohl, als eines ganzen Volkes hervorgehen. In seiner Sprache offenbart sich das Tiefinnerste eines Menschen, wie eines Volkes ; nicht im Ausdruck allein, und im Ton : selbst in der Form charakterisiert sich die Eigenart des einen wie des andern.

Nun gibt es aber keine Nation, die die Standesunterschiede, die Rangverhaltnisse deutlicher, scharfer begrenzt und durchgebildet hat, wie gerade die deutsche. Das soil weder ein Lob, noch eine Verurteilung

100 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

sein; denn Gutes, recht viel Gutes, aber auch manche Unzulassigkeit 1st daraus hervorgegangen.

Das steht fest, dass ausser dem Russen, der denn doch in seiner nie- drigen Knechtschaft und mit seiner weit geringeren Bildung nicht zum Vergleich gebracht werden kann, kein Volk so sehr die bescheidene Hoch- achtung, die Wertschatzung alles Hochstehenden und Fremden so aus- gebildet hat, wie der Deutsche.

Wer wiisste es nicht, wie im Vaterlande die Titel und Namen hoch- stehender Personen nur mit einer gewissen, scheuen Reverenz ausgespro- chen werden! Wie ,,der Herr Doktor" oder gar ,,der Herr Sanitatsrat", ,,der Herr Major" ja selbst ,,der Herr Pastor" und ,,der Herr Lehrer" dem guterzogenen, einfachen Burger oder Bauer weit mehr respekthei- schende Wesen sind, als jene es hierzulande jemals sein konnten! An- spruchslos, nach guter, alter Sitte, raumt der Deutsche dem Hoherstehen- den gern den ersten Platz, ja in seiner so oft missverstandnen Be- scheidenheit tritt er selbst wohl an den letzten Platz ! Und siehe : was er in seinem Tun und Handeln ubt, das spiegelt die Sprache getreulich wie- der; denn wo immer sick ein Verhaltnis der Abh'dngigkeit herausgebildet hat da steht der untergeordnete, abhdngige Teil bescheidentlich am letzten Platz.

Abhangig sein heisst doch wohl, ohne die Hilfe eines andern oder ohne die Hilfe von etwas anderm nicht bestehen konnen. Nun, dem- nach sind in den oben angefiihrten Satzen alle Mittelformen der Zeitwor- ter, sowie die Nennformen derselben von den sie begleitenden Hilfszeit- wortern abhangig. Denn falls man die vollendete Gegenwart das Per- fektum von ,,sehen" nicht ohne Zuhilfenahme von dem Hilfszeitwort ,,haben" bilden kann, mit anderen Worten, wenn man nicht sagen darf : ,,Ich Ihren Bruder gesehen", sondern das Wort ,,habe" unbedingt ein- setzen muss, um den Satz verstandig zu machen, dann kann eben die Mit- telform ,,gesehen" nicht ohne ,,habe" bestehen ; sie ist also abhangig davon, und da sie dieses Verhaltnis anerkennt, so tritt sie bescheidentlich an den letzten Platz, an das Ende der Satskonstruktion.

Dasselbe Verhaltnis wiederholt sich bei den Nennformen, die ent- weder vor den Hilfsverben des Modus (konnen, wollen u. s. w.), dem Hilfsverb der Konjugation ,,werden", oder von einem andern regelmassi- gen Verbum (wie: sehen, horen) abhangen mogen, ja, selbst im unter- geordneten, also abhdngigen Satsverhaltnis, im Satzgefuge, findet diese sicherlich charakteristische Verschiebung des Haupttragers des Satzinhal- tes, namlich des Hauptverbums, statt, und es ist gerade diese Tatsache, welche als begriindendes Beispiel fiir die angebene Erklarung solcher Satz- stellung moge angefiihrt werden.

Oder wie wollte man andernfalls diese Umstellung des Zeitwortes geniigsam erklaren? Lassen Sie uns einen solchen Fall naher betrachten.

Abb'dngigkeits'verb'dltnisse in der deutscben Sat^bildung. 101

,,Dir bliiht gewiss das schonste Gliick der Erde, da du so fromm und heilig bist", so stellt Schiller zwei einfache Satze in ein Gefiige zusam- men. ,,Dir bluht gewiss das schonste Gliick der Erde", oder auch: ,,Das schonste Gliick der Erde bliiht Dir", und ,,Du bist so fromm und heilig" sind die einfachen Satze. In beiden nimmt der Pradikatsbegriff das Zeitwort die zweite Stelle ein solange sie fur sich bestehen. In der Beziehung auf einander, in der Zusammenfiigung durch das Binde- wort ,,da" verliert jedoch das Zeitwort des mit ,,da" eingeleiteten Satzes seine Stellung; es heisst nicht mehr da du bist so fromm und heilig, son- dern ,,da du so fromm und heilig bist". Was bedingt also die Umstel- lung? Doch jedenfalls das Wortchen ,,da" oder eigentlich der in diesem Wortchen sich bergende Begriff: die Angabe des logischen Erkenntnis- oder Beweisgrundes fur die im Vorsatz enthaltene Aussage, wodurch dann ein inneres, so nahes Verhaltnis der beiden Aussagen geschaffen wird, dass die letztere ihre Selbstandigkeit aufgibt und sozusagen als Satzteil der ersteren sich einfiigt, kurz, in ein Abh'dngigkeitsverhdltnis zum ersten Satz tritt.

Dass dem so ist, lasst sich leicht durch die Einschaltung des Binde- wortes ,,denn" an Stelle des ,,da" beweisen. Auch dieses Bindewort fiihrt den logischen Erkenntnisgrund ein ; es wird aber dieser Grund nicht als absolut notwendige, von der ersten Aussage direkt abhangige Tatsache hingestellt, vielmehr als eine mehr oder weniger zufdllige Begleiterschei- nung.

Denn wahrend die mit ,,da" eingeleitete Begriindung in unserm Bei- spiele etwa so zu erklaren ware : weil du so fromm und heilig bist, so muss dir das schonste Gliick der Erde bliihen, enthalt der mit ,,denn" einge- fiihrte Satz etwa den Sinn : es ist wahr, du bist fromm und heilig ; dem- nach muss dir auch das schonste Gliick der Erde bliihen.

Beide Gedanken bleiben also im letztern Satz trotz innerer Beziehung als selbstandige Erkenntnissatze bestehen, der eine fiigt sich nicht als Teil dem andern ein ; er bleibt unabhangig, und in der Konstruktion behalt auch das Zeitwort als Haupttrager der Satzidee seine unabhangige Stel- lung ; es heisst : dir bliiht gewiss das schonste Gliick auf Erden ; denn du bist so fromm und heilig.

Selbst die Zeichensetzung bestrebt sich, diesem Unterschied zwischen abhangigem und selbstandigem Satzverhaltnis gerecht zu werden; denn wahrend vor ,,da" ein Komma steht, setzt man vor ,,denn" in der Regel ein Semikolon; ja, nach besonders langem, vorstehendem Hauptsatz selbst einen Punkt.

Zuriickkommend auf unsere Abhangigsverhaltnisse und auf die eigen- artige Verbstellung in denselben, noch einige Bemerkungen zur Ergan- zung.

102 P'ddagogische Monatsbefte.

Es wird tins von Auslandern oft der Vorwurf gemacht, dass durch die Trennung der Verbformen notwendiger Weise auch der Pradikats- begriff zerhackt, zerstuckelt wurde; ja, dass durch die Verschiebung des Zeitwortes sozusagen der Karren vor den Gaul gespannt sei."

Dem Deutschen selbst wird sich diese Empfindung nie aufdrangen; von seinem Standpunkt aus ist diese Konstruktion nicht nur gut, sondern sogar folgerichtig, und ihm erscheint die deutsche Wortfolge z. B. in der Trennung zusammengesetzter Zeitformen als festerer, soliderer Bau, als die anderer Sprachen.

Wahlen wir zum Vergleich ein Beispiel aus dem Englischen. Da heisst es : / have just torn up a letter for my brother in Germany. Der Pradikatsbegriff, der Trager der Satzidee, "torn up" folgt unmittelbar dem Subjekt ; wir wissen von vornherein, was geschah, es wurde etwas ,,zerrissen". Der Hauptinhalt des Satzes und damit das Hauptinteresse desselben konzentriert sich also auf den Eingang des Satzes. Fiigen wir nun zum Aussagebegriff die Erganzung hinzu, so sind wir befriedigt. "/ have just torn up a letter." Man darf hier getrost einen Punkt setzen. Das noch hinzugefiigte "for my brother" ist mehr als eine zufallige Bei- gabe denn notwendiger oder erklarender Satzteil zu betrachten. Wieder konnen wir hinter die Aussage : / have just torn up a letter for my brother einen Punkt setzen. Die Idee ist vollstandig abgeschlossen. Es folgt aber noch eine weitere Bestimmung "in Germany" ; auch diese ist wie die vorhergehende nur lose angereiht ; sie kann unbeschadet des Inhaltes un- seres Satzes fortgelassen oder angefiigt werden, die Konstruktion des Satzes beeinflusst sie so wenig wie die vorstehende Beifiigung.

Vergleichen wir nun damit denselben Satz im Deutschen. ,,Ich habe gerade einen Brief " nun, was denn? erhalten? geschrieben? gelesen? abgeschickt? ? Durch den uns vorenthaltenen Pradikatsbegriff wird un- sere Wissbegierde nicht nur erregt, sondern noch gesteigert. Wir lau-

schen erwartungsvoll auf das Kommende; ,,an meinen Bruder" So?

An den Bruder? Nun da wird das Zeitwort wohl ,,geschrieben" lauten? Oder ist es ,,abgeschickt ?" Vielleicht ,,verloren ?" I, nun soil uns doch wundern, was?

,,in Deutschland." Nun ja, der Bruder ist in Deutschland, aber was ist mit dem Brief geschehen? Wir sind jetzt beim Ende des Satzes ange- kommen und wissen von dem, was eigentlich geschehen ist, noch gar nichts.

Erst mit dem letzten Wort ,,zerrissen" kommt der spannend erwar- tete Aufschluss. Dieses letzte Wort ist sozusagen der Trager der Satz- idee ; es ist der Schliissel zum Verstandnis des ganzen Satzes, oder noch passender: es ist der Schlussstein eines festgemauerten Bogens. Wie jener, zuletzt gesetzt, den ganzen Bau zusammenhalt und vermoge seiner Stellung und seiner Form die ganze Konstruktion fester fiigt, so auch das Schlusswort des deutschen Satzes.

Abbangigkeits-verbaltnisse in der deutschen Satfbildung. 103

Man versuche nur, das letzte Wort fortzunehmen. Was bleibt? Ein unverstandliches Etwas; nicht einmal ein Satz. Ohne den Schlussstein bricht die Konstruktion zusammen.

Und nun vergleiche damit andere Sprachen. Zerstort auch da die Auslassung des letzten Satzteiles die Konstruktion? Liegen nicht hier die Satzteile nebeneinander, wie lose Bausteine geschichtet?

Es ist schon oben angedeutet, dass diese Eigenart im deutschen Satz- bau sich bis in die altsten Perioden der deutschen Sprache verfolgen lasst. In einem der Merseburger Zauberspriiche, die, obwohl von Monchen auf- gezeichnet, noch Spuren sehr hohen Altertums tragen, heisst es:

Phol ende Uuodan vuorun zi holza.

du uuart demo Balderes volon sin vuoz birenkit.

thu biguolen Sinthgunt, Sunna era suister,

thu biguolen Frija, Volla era suister,

thu biguolen Uuodan, so he uuola conda.

sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidirenki:

ben zi bena, bluot zi bluoda,

lid zi gilidin, sose gelimida sin. In der Ubersetzung :

Phol und Wotan fuhren (-ritten) zu Holze.

Da ward dem Fohlen (-Fiillen) Balders der Fuss verrenkt;

Da besprach ihn Sinthgut, der Sonne (ihre) Schwester;

Da besprach ihn Freia, der Volla Schwester,

Da besprach ihn Wotan, so wohl er konnte:

Ob Knochen-, ob Blut-, ob Gliedverrenkung :

Bein (-Knochen) zu Bein; Blut zu Blute;

Glied zu Glied, als ob sie (sose -though they!) geleimt seien." Als Beleg fur das abhangige Satzverhaltnis weisen wir auf Reihe 2: du uuart dem Balderes volon sin vuoz birenkit, sowie auf die letzte Reihe, worin das Verbum finitum ,,sin", weil im Nebensatz, an das Ende der Konstruktion tritt.

Audi im Hildebrandslied, das jedenfalls der friihesten Periode deut- scher Dichtung angehort, finden wir reichlich Belege fiir die deutsche Eigenart des Satzbaues.

Garutun se iro gudhamun, gurtun sih iro suert ana, helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun.

Zu deutsch:

Legten an ihre Kampfgewander, giirteten sich ihre Schwerter an, (die) Heldei?, uber (die Panzer-) ringe, da sie zum Kampfe ritten.

Sowie: her fragen gistuont fohem uuortum, hwer sin fater

ztwi er (zu) fragen anhub,

(mit) wenigen Wort en, wer sein Vater ware.

104 P'ddagogischt Monatsheftt.

Erwahnenswert ist es jedenfalls, dass auch die angelsachsische Spra- che etwa bis zur Mitte des zwolften Jahrhunderts die deutsche Umstel- lung, wie uberhaupt den deutschen Satzbau befolgt.

Aus JEAi rics Grammatik, etwa um 970, zitieren wir : Tha waes Thridh-

woed sprecen. Da wurde (ein) Machtwort gesprochen. Ferner aus

einer Bibeliibersetzung, etwa um das Jahr 1000 : Tha se Haelend gefulbod waes,astah he. Da der Heiland getauft war, stieg er heraus.

Aber schon zur Zeit Chaucers, in der letzten Halfte des vierzehnten Tahrhunderis, hat die deutsche Art dem franzosischen Einfluss weichen miissen.

Hat das Englische dadurch eingebiisst? Uns will es so erscheinen; denn es kann von der vorurteilslosenKritik nicht geleugnet werden, dass dem Deutschen in der veranderten Wortfolge seines Satzbaues ein Mittel gegeben ist, welches die Darstellungsweise seiner Gedanken geschmeidi- ger, gefiigiger, abwechslungsreicher und rhythmischer gestaltet.

Es darf allerdings nicht unerwahnt bleiben, dass sich durch die gro- ssere Mannigfaltigkeit der Gestaltung auch die Moglichkeit fehlerhafter Konstruktion in gleichem Masse steigert; dass fiiglich dem Lehrer des Deutschen wohl eine hochst schwierige aber auch ausserst anregende Auf- gabe daraus erwachst.

Aus dem Tagebuch eines deutschamerikanischen

Schulmeisters.

(Fur die Padagogischen Monatshefte.)

Von C. O. Sehonrich, Baltimore.

5. Allerlei Zuschriften vom Elterhaus.

Die in die Schule gelangenden Zuschriften verhelfen uns zu einem weiteren Verstandnis fur Jungamerika. Tausende derselben habe ich in meiner Berufstatigkeit seit 1868 erhalten, in den letzten Jahren kamen sie in verschiedenen Sprachen, da meine jetzige Schule, die grosste in Stadt und Staat, aus 35 Klassen mit 40 Lehrkraften bestehend, in drei Gebauden untergebracht, von Kindern verschiedener Nationalitaten be- sucht wird. So zeigte ich dieser Tage unserem geschatzten Direktor Dapprich, als er mich bei seiner Durchreise nach Europa besuchte, einen eben eingegangenen hebraischen Brief. Lesen konnte ihn freilich weder er noch ich.

Wenn nun hier zum Anfang eine der englischen Zuschriften wieder- gegeben ist, so geschieht dies einerseits, um diese, die ja doch in der Mehr- zahl vorkommen, in diesem Kapitel nicht ganz und gar zu iibergehen, an- derseits aber, um damit zu zeigen, dass manche der in nachfolgenden Noten reprasentierten deutschamerikanischen Mutter und Vater vor man-

Aus dem Tagebucb eines deutscbamerikaniscben Scbulmeisters. 105

chen angloamerikanischen beziiglich Orthographic und Stil in ihrer Weise keineswegs zuruckstehen. Die Namen sind aus naheliegenden Griinden

verandert.

,,Please kipe Willie in at reses time as he had bin sick

Oplige Mrs Jones"

Die nachste Zuschrift ist die kiirzeste in meiner Sammlung, sie bildet gewissermassen den Ubergang vom Englischen ins Deutsche :

,,Bliss Miss Esskuss die Mehre."

Das Eis ist gebrochen, in den folgenden Zuschriften gewinnt das Deutsche immer mehr Bahn:

,,Miss Lissi, Der Lui hat sor an his fit und ich hab ihn von der Schul heimbehalten.

Mis Schulz." ,,Mis Tille.

Die Meme hat die ganze woche nicht gut gefielt deswegen hab ich Sie zu Haus behalten. Mis Maier."

Mis Line Der Herre hat zehnewetag ghabt dan kont er nicht komen."

,,Miss Gusse bliess lass mein Jani heim mit der ersten Bel," ,,Die Make konnte gestern nachmittag nicht kommen, sie hatte Klaftir- stunde."

,,Da Josie Wurzburger Morgen fort Muft mo'gte ich sie um eine Karte Bitten.

Jackob Wurzburger." ,,Freulein Emma.

Entschultige sie den Schanne Miller er War Nicht Heute morgen in der Schulle den er War Wiitr Krank. im auf drag

for Mis J. Miller." ,,Mrs. Eide

sein sie so gut und Lasen sie den Karlchen Lehman Witter in die Schulstube Komen Wen er in Bisas ausgewesen ist. Weil er so ein Husten hat

agtunkzfoll M. Lehman."

Ein Schiller, dessen Namen vom Monitor aufgeschrieben worden war, weil er sich der Regel zuwider vor Offnen der Tiir am Schulhause gezeigt hatte, brachte folgende auf ein abgerissenes Stuck gelben Einwickelpapie- res gekritzelte Note:

ich schicke Luis vor der Schulle For ein Keckstenter und er komt zu Haus und Weint das ein Bub sein Nam genomen hate for die Schull." Eine osterreichisch-ungarische Mutter sandte folgenden Zettel:

,,Ms tizern!

die ursache was mein sohn ist zu Haus ferbliben ist er hat zahn wehtig also bitte Ihm zu ferzeuen. Mikrosch,"

Mit den folgenden Zuschriften gelangen wir allmahlich in ein reineres

Deutsch :

,,Fraulein Annabel Johann hat eine wehe Fuss gehabt." Freulein Marie

Enschulige sie die Rickchen den sie Glagte zu fill iiber iren Gopf We Weshalb sie Nicht iren auf satz Gont aus fiilen

Achtungfoll

Mis Schulze."

106 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

Beim Betrachten vorstehender Zuschriften wird sich der deutsche Lehrer da und dort Worterklarungen gewunscht haben. Diesem stillen Wunsche soil nun entsprochen warden, ehe wir weiter gehen. Herre steht fur Harry, Schanne fur Johnnie, Mehre fur Mary, Meme fur Mamie, Tille fur Tillie, Ottilie, Josie fur Joseph, Make fur Maggie, Eide fur Ida, Gusse fur Gussie, Kek fur cake, muft fur moved, Risas fur recess (Freizeit, Spielzeit), bliss fur please, esskuss fiir excuse, tizern fur teacher, sor an his fit fiir sore on his feet (wehe Fiisse). Folgende Zuschriften geben andere Einblicke.

,,Geehrter Herr!

Entschuldigen Sie giitigst meine Tochter Gretchen und Blanche fiir Abwesen- heit von der Schule, und fiir ihre Lektionen, sie waren auf dem Ball.

Hochachtungsvoll

N. N.

,,Geehrte Dame!

Sie mb'chten so gut sein und entschuldigen Friedrich das Er nicht in der Schule war und auch zu gleicher Zeit fiir spat kommen heute Morgen und ich wollte sie liessen Ihn einmal ordentlich durchhauen, denn wenn Er wieder spat kommen thut wir sein immer auf der Hut das schb'n rein aussieht wenn Er nicht sich rein halt so geben sie Ihm ordentliche Tracht Priigel und Ich bleibe Er- gebenst Sein Vater N. N.

,,Sehr geehrter Herr!

Sie haben meinen Sohn nach Hause geschickt und sagen lassen, wenn ich nicht nait ihm in die Schule komme, werde er suspendiert. Und das Alles, weil seine Lehrerin ihn ungerecht beschuldigt hat, wie ich von meinem Sohne positiv iceiss. Das ist gegen alles Recht und gegen die Constitution der Vereinigten Staaten, und als freier Burger protestiere ich dagegen. Ich verstehe es wohl, wenn Sie Ihr Lehrerpersonal in Schutz nehmen, aber Alles hat seine Grenze, und ich kann nicht einsehen, wie Sie als gebildeter Mann die Seite einer ganzlich un- fahigen Lehrerin nehmen kb'nnen.

Wenn Sie nun darauf beharren und meinem Sohn ohne mein Hinkommen die Wiederaufnahme verweigern, dann bin ich leider gezwungen, mich an die Schul- behorde zu wenden.

Mit grosster Hochachtung

Dr. X.

Der Brief hatte nicht die erwartete Wirkung, und der Herr Vater fand es geraten, andern Tags doch in die Schule zu kommen und den Fall erledigen zu helfen. Was den Fall hasslich machte ist der Umstand, dass die betreffende Lehrerin befahigt und pflichttreu war und sich gerade mit jenem verzogenen Jungen grosse Muhe gegeben hatte. Zum Dank war sie noch vom Elternhaus beschimpft worden.

Ja, Dank ist fiir den Lehrer eine seltene Bliite. Mir ist er von mei- nen Privatschiilern immer reichlich geworden, die andern Schiiler haben mich dadurch in spateren Jahren auch vielfach erfreut und ermuntert, aber von Dankbarkeit des Elternhauses finde ich in meinen Tagebuchblattern verhaltnismassig nur wenige Falle angegeben, und in der grossen Mehr- zahl gingen sie von israelitischen Eltern aus.

Aus dem Tagebuch eines deutscbamerikaniscben Scbulmeisters. 107

Dass iibrigens die Dankbarkeit schon vor Jahrtausenden ein Anstoss errengender Gegenstand gewesen sein mag, kann aus dem Umstand er- sehen werden, dass, als Zeus im Olymp ein Gotterfest gegeben, nur zwei der geladenen Gaste einander fremd gegeniiber standen, und erst mit ein- ander bekannt gemacht werden mussten : die Gottin der Wohltatigkeit und jene der Dankbarkeit ; sie waren einander noch nie begegnet.

Zum Abschluss dieses Kapitels noch eine Korrespondenz. An einem stiirmischen Freitag im Marz 1892 sandte der Schreiber den Zoglingen seiner Oberklasse aus dem einsamen Krankenzimmer, wohin ihn ein Hals- leiden gefesselt hatte, nachfolgenden Brief:

,,Meine lieben Schiller!

Das rauhe Wetter halt im Haus

Den Korper noch gefangen, Den Geist jedoch tragt hin zu Euch

Mein sehnendes Verlangen; Und wenn es Gottes Wille 1st,

Bin ich in Eurem Kreise Am nachsten Montag wiederum Ganz in der alten Weise.

Um nun die alte Freundschaft dann

Werktatig zu erneuen, Sollt Ihr mit einem Aufsatz mich

An jenem Tag erfreuen. Legt ihn erst aus, und schreibt ihn schon

Auf lose, weisse Blatter, Braucht sparsam den Superlativ,

Das Thema sei ,,Das Wetter."

Doch nennet nicht das Wetter ,,schlecht,"

Denn Gott lasst's so geschehen, Und was Er schickt, ist immer gut,

Wenn wir's auch nicht gleich sehen. So lebt denn wohl, und lasset Euch

Die Milhe nicht gereuen, Dann kann ein jedes doppelt sich Am Montag mit mir freuen.

Euer treuer Lehrer C. 0. 8."

Der Brief war aber nicht nur in die Hande der Schiiler geraten, sondern auch in die Spalten einer Lokalzeitung, deren argusaugigen Be- richterstattern er nicht hatte entgehen konnen, und der Montag brachte nicht allein die Aufgaben der betreffenden Schiiler, sondern auch per Post folgende Epistel von ,,einem Exschuler" :

,,Das Wetter. Das Wetter, das in diesen Tagen

Uns Regen, Wind und Schnee beschert, Das ist fiirwahr kaum zu ertragen, Indem es den Verkehr erschwert.

108 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

Es hullten Manner sich und Frauen Gar fest in ihre Pelze ein,

Um einigermassen vor dem rauhen Und ka It i'ii Wind geschiitzt zu sein.

Der Wettergott vertibt mitunter Aus tibermut die tollsten Streich;

Er treibt es taglich immer bunter, 1st rticksichtslos und keck zugleich.

Das Wetter, ja, es ist verschieden Und wird es immerwahrend sein,

Es stellt die Menschen nicht zufrieden, Sei's Regen oder Sonnenschein.

Das Wetter, es halt auch mich heute In warmer Stube festgebannt,

Allwo ich jetzt die Zeit vergeude Mit dem ob'gen Gegenstand.

Von einem Exschiiler.'

Editorielles.

German in public schools. . . Unter diesem Titel bringt die Februar- ntimmer des in Milwaukee erscheinenden ,,Western Teacher" aus der Fe- der des Redakteurs S. Y. Gillan einen Artikel, auf den einzugehen wir uns gezwungen sehen. Herr Gillan glaubte sich zu diesem Artikel veranlasst durch einen vom hiesigen Superintendenten des offentlichen Schulwesens Herrn H. O. R. Siefert gemachten Vorschlag, der dahinging, durch all- mahliche Heranbildung von englisch-deutschen Lehrern das gegenwartige Fachlehrersystem im deutschen Unterricht durch das Klassenlehrersystem zu ersetzen. Nachdem dieser Vorschlag in der hiesigen Presse bereits heftigen Widerstand gefunden hatte, greift ihn nun auch Herr Gillan an und knupft daran Bemerkungen, die den deutschen Unterricht im allge- meinen treffen und uns darum zwingen, uns mit denselben zu beschaftigen.

Herr Gillan fiihrt aus, dass der deutsche Unterricht in den offent- lichen Schulen weder eine Notwendigkeit ist, noch von Dauer sein wird. Er ist ein zeitweiliger Notbehelf gewesen und wird nur geduldet; einen eigentlichen Wert besitzt er fur den Elementarunterricht nicht. Die Un- terrichtszeit ist zu kurz, um die nicht von Hause aus deutschsprechenden Kinder zum Gebrauch der Sprache zu bringen, und fiir die Schiiler, welche sich nicht am deutschen Unterricht beteiligen, ist die demselben gewidmete Zeit verloren.

Das Deutsche erhielt einen Platz in unseren offentlichen Schulen zu einer Zeit, als die deutsche Einwanderung eine besonders grosse war.

Editorielles. 109

Um namlich die neu eingewanderten Deutschen schneller zu amerikani- sieren, wollte man sie in die.offentlichen Schulen ziehen, und man gab ihnen den deutschen Unterricht gleichsam als Lockspeise, die denn auch den gewiinschten Erfolg hatte. Der Gedanke kam aber damals nieman- dem, dass dieses Interimistikum einst zur standigen Einrichtung werden konnte. Jeder intelligente Deutsche, der sich in Amerika niederlasst, weiss, dass seine Nachkommen die Sprache seines Vaterlandes vergessen werden. Dieser Prozess mag in einigen abgelegenen Gegenden Wiscon- sins oder Pennsylvaniens langsam vor sich gehen, aber aufgehalten kann er nirgends werden, und wo es geschieht, geschieht es zum Nachteil der Beteiligten. Gewohnlich finden wir schon die zweite Generation sich des fliessendsten Englisch bedienen, das kaum noch ihre Abstammung verrat. Daher ist Superintendent Sieferts Plan reaktionar und findet nicht einmal die Unterstiitzung der intelligenten und weitblickenden Deutschen.

In den Hochschulen liegen nach Herrn Gillan die Verhaltnisse anders. Da gebiihrt dem deutschen Unterricht seines kulturellen Wertes halber der gleiche Platz wie andern modernen Sprachen, wenn vielleicht auch die politischen Ereignisse der letzten Jahre dem Spanischen aus prakti- schen Griinden mehr Wert beigelegt haben als dem Deutschen.

Soweit Herr Gillan. Es ist natiirlich hier nicht am Platze, auf den Siefertschen Vorschlag einzugehen, den iibrigens Herr Gillan vollstandig entstellt wiedergegeben hat, wenn er sagt, dass nach demselben jede Lehr- kraft Milwaukees Deutsch sprechen und unterrichten miisste. Auch wir konnen uns nicht mit dem Siefertschen Plane befreunden. So sehr das Klassenlehrersystem in der Volksschule dem Fachlehrersystem aus erzieh- lichen Griinden vorzuziehen ist, so wird sich das erstere kaum auf den fremdsprachlichen Unterricht ausdehnen lassen. Dies geschieht nicht einmal in Europa, wo doch fremde Sprachen seit Jahrhunderten einen wichtigen Zweig des Lehrkursus bilden. Wenn aber Herr Gillan die Opposition unserer intelligenten Deutschen gegen den Siefertschen Vor- schlag daraus erklart, dass sie die Sache des deutschen Unterrichtes auf- geben und darum den Vorschlag fur unzeitgemass halten, so irrt er sich. Gerade, weil unsere Deutschen eine Verkummerung des deutschen Unter- richts furchten, deshalb sind sie Gegner dieser Neuerung.

Im iibrigen miissen wir unsere Verwunderung dariiber ausdrucken, dass Herr Gillan solche Ansichten iiber den deutschen Unterricht aussert. Wir halten ihn fur einen Mann des Fortschritts auf padagogischem Ge- biete, dass wir uns seine riickschrittliche Stellung auf dem Gebiete des fremdsprachlichen Unterrichts kaum zusammenreimen konnen.

Ein jeder, der mit der Geschichte des deutschen Unterrichts vertraut ist, weiss, dass die Angaben Herrn Gillans nicht den Tatsachen entspre- chen. Die Deutschen hatten den Unterricht in ihrer Muttersprache als Lockspeise erhalten? Ob Herr Gillan wohl je von den Kampfen gehort

110 P'ddagogische Monatsbefte.

und gelesen hat, die die deutsche Bevolkerung unserer grossen Stadte zu bestehen hatte, ehe man sich zu Konzessioneij beziiglich des deutschen Un- terrichts verstand. Der Geist, der damals es war in den Zeiten der gro- ssen deutschen Einwanderung die Kampfer beseelte, er ist auch heute noch bei vielen wenn auch leider nicht bei alien vorhanden; auch heute finden wir noch zahlreiche Deutsche, die mit derselben Zahigkeit und Begeisterung fiir die Erhaltung des kostbarsten Gutes in der neuen Heimat zu kampfen willens sein werden wie ihre Vorfahren.

Doch da haben wir uns auf ein Gebiet begeben, auf das zu folgen wir Herrn Gillan nicht zumuten werden. Seine Muttersprache ist ja die eng- lische Sprache, und er wird kaum verstehen, welche im tiefsten Innern schlummernden Herzenstone im Deutschen beim Klange deutscher Laute geweckt werden, und warum daher der Deutschamerikaner mit aller ihm innewohnenden Energie neben dem Englischen, das er allerdings zu be- herrschen trachtet und auch schon in der zweiten Generation vollstandig beherrscht, wie Herr Gillan gerechterweise zugibt, am Deutschen festhalt. Und dies macht uns sicherlich nicht zu schlechtern Burgern dieses Landes, was uns der Gerechtigkeitssinn Herrn Gillans hoffentlich auch zugestehen wird.

Wir gehen also auf das padagogische Gebiet, auf dem Herr Gillan als tiichtiger Arbeiter gilt. Wird er als Ersieher den grossen Wert des zweisprachigen Unterrichts verneinen wollen? Denselben an dieser Stelle verteidigen zu wollen, hiesse Eulen nach Athen tragen. Nur zu seiner Information mochten wir Herrn Gillan auf die Schriften und Ansichten von Mannern hinweisen wie Alexander Bain, Bayard Taylor, James Mc- Alister, J. B. Peaslee, M. D. Learned, D. St. Jordan, Chas. W. Eliot, D. C. Gilman, W. H. Maxwell und W. T. Harris, dem Erziehungskom- missar, der erst in seinem letzten Jahresbericht eine umfangreiche Arbeit beziiglich des deutschen Unterrichts veroffentlicht hat. Wir sind der fe- sten t)berzeugung, dass der zweisprachigeUnterricht von der ersten Klasse der Volksschule an eine padagogische Notwendigkeit ist, und sind zu- gleich anmassend genug, die deutsche Sprache als die zweite Sprache zu bezeichnen, nicht deshalb, weil ein grosser Teil unserer Bevolkerung deutscher Abstammung ist, sondern weil sie vom Standpunkte ihrer Lite- ratur das Wort im weitesten Sinne genommen die moderne Kultur- sprache ist. Diesen Platz raumt ihr auch Herr Gillan, soweit die Hoch- schule in Betracht kommt, ein, und nur ein Schnitzer in der Logik seiner Ausfiihrungen, indem er den kulturellen Wert mit dem praktischen ver- mengt, bringt ihn zu dem Schlusse, dass das Spanische dem Deutschen den Rang streitig mache. Ubrigens bezweifeln wir, dass das Spanische einen grosseren praktischen Wert als das Deutsche habe ; es kame darauf an, die Anzahl derer, die sich in ihrem Berufsleben des Spanischen, be- ziehungsweise des Deutschen zu bedienen haben, statistisch festzustellen.

Inter esse des Volkesfur Schulen und Lehrer. Ill

Die zweisprachige Volksschule ist die Schule der Zukunft. tlberall da, wo sie eingefiihrt ist, zeitigt sie die besten Resultate, und das Englische hat nichts weniger als Schaden aus ihr. Wenn Herr Gillan sagt, dass gegenwartig die dem deutschen Unterricht ausgeworfene Zeit zu kurz sei, so mag er recht haben. Wenn er nun dafiir eintrate, dass die Zeit ver- langert werde ; vielleicht wiirde er dann andern Sinnes werden ! M. Q.

Das wachsende Interesse des Volkes fur Hebung der Schulen und Besserstellung der Lehrer.

(FOr die Padagogischen Monatshefte.)

Von A.. WarnecJee, Milwaukee.

Es ist eine erfreuliche Tatsache zu bemerken, dass seit einiger Zeit in alien Schichten der Bevolkerung unseres Landes eine Bewegung im Gange ist, welche ener- gisch fur Hebung unserer Volksschulen eintritt, und dieses einerseits durch Anstel- lung tiichtiger und allseitig ausgebildeter Lehrkrafte, und andererseits durch Auf- besserung des Gehalta und Sicherstellung derselben im Amte anzustreben sucht. Diese Bewegung findet denn auch in der Presse, als dem eigentlichen Volksmunde, kraftigen und energischen Ausdruck, und zwar durchweg in geschickter Weise und mit trefflichen Argumenten. Man kann das wohl als ein allmahliches Erwachen des Volksgewissens bezeichnen; denn unter alien idealen Giitern, die ein Volk unter kraftiger Mithtilfe des Staates und der Kegierung anzustreben hat, steht doch wohl eine gute Erziehung und Ausbildung der Jugend mit obenan. Wir halten uns hier in Amerika fiir das gebildetste Volk der Erde, sind es auch wohl in mancher Be- ziehung, jedenfalls in technischer und kommerzieller Hinsicht; aber auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts konnen wir den Beweis der Superioritat doch noch nicht durch den Nachweis darbringen, dass wir die wenigsten Illiteraten haben. Darin sind uns doch Deutschland und die Schweiz noch ziemlich ,,uber", auch wenn wenn wir die Indianer und Neger nicht mit einzahlen.

Wir miissen doch wohl zugeben, dass es mit der Ausbildung unserer Jugend, und zwar besonders auf dem Lande, noch recht klaglich aussieht. Hier ist noch viel, sehr viel zu tun und eben so auch noch in den meisten Stadten.

Doch was sollen wir Lehrer nun dieser Bewegung gegeniiber tun? Miissig zu- schauen und uns das Ding gemiitlich ansehen? Auf keinen Fall. Wir sind es uns selbst, unserer Familie und auch der Schule und unserm Amte schuldig, tatkraftig mit in die Bewegung einzugreifen, Hand ans Werk legen und die Sache in jeder Be- ziehung mitfordern zu helfen. Wie riihrig sind nicht die Arbeiter, ihre Lage zu verbessern. Alle Gewerkschaften schliessen sich zusammen zu Vereinen und Ge- nossenschaften zum gemeinschaftlichen Handeln, und wie viel haben sie nicht schon erreicht durch tatkraftiges Handeln und festes Zusammenhalten ? Warum sollen wir Lehrer nicht dasselbe tun? Glauben wir etwa, dass uns alles Gewiinschte und Er- hoffte wie eine reife Frucht in den Schoss fallen wird? Darin werden wir uns sehr tauschen.

Wir Lehrer hier in Milwaukee haben nun auch schon seit Monaten kriiftig fiir eine bessere Stellung der Lehrer, als Gehaltserhohung ,permanente Anstellung und Pension agitiert; aber dabei wird es einem so recht klar, dass wir hier in Amerika doch durchaus keinen Lehrerstand, keine Berufsklasse haben. Da ist kein Standes- bewusstsein, kein solidarisches Gefiihl der Zusammengehorigkeit, keine Kollegialitat.

112 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

Wie kommt das und welches sind die Ursachen? Einfach daher, well hier die Lehrer ihre Beschaftigung nur in seltenen Fallen zum Lebensberuf machen. Die meisten sind eigentlich gar keine Lehrer, sie sind nur Schulhalter und haben darum auch kein Standesbewusstsein. Und der Grund hiervon ist wieder, weil sie zu schlecht bezahlt werden.

Alles bezahlt sich hier in Amerika, nur nicht das Schulehalten. Warum mel- den sich nicht mehr junge Manner zum Lehrerberuf? Nun, sie konnen in fast jeder andern Stellung mehr Geld verdienen. Darum hat ja auch das weibliche Geschlecht fast ausschliesslich das Lehrergeschaft monopolisiert, und die Folge davon ist, wie statistisch nachgewiesen wird, dass durchschnittlich alle 4 Jahre gewechselt wird. Das ist gewiss doch nicht zum besten der Schule. Lehrerinnen miissen und sollen sein (man denke sich einmal einen Mann als Kindergartner ! ) aber das starke Ge- schlecht konnte ein bisschen mehr vertreten sein. In der Familie teilen sich Mann und Frau friedlich in das Geschaft der Erziehung; warum kann es in der Schule nicht eben so sein ? Ich glaube, es ware wohl wiinschenswert, wenn in den Oberklassen, wo die Knaben gewohnlich anfangen, sich fur das Stadium der Flegeljahre zu ent- wickeln, eine feste mannliche Hand die Ziigel ftihrte, statt der sanften weiblichen.

Die Friichte der allzugrossen Freiheit zeigen sich dann oft spater in widerlicher Art. Was soil man z. B. dazu sagen, wenn an einer Universitat die Sophomores den Freshmen bei einem Tanzvergniigen Stinkkatzen in die Tanzhalle warfen, oder an einer anderen Universitat die Studenten ihren weiblichen Commilitonen nachts heim- lich die Unterwasche aus den Waschraumen holen und mit Dinte beschmieren. Das ist doch sicher nicht gentleman-like und kann nicht als harmloser Studentenulk be- zeichnet werden. Doch dafiir ist gewiss nicht allein die Schule verantwortlich zu machen, sondern vorziiglich das Elternhaus, wo die Erziehung in vielen Fallen sehr, sehr vernachlassigt wird, weil der pater familias keine Zeit fur solche Kleinigkeiten hat.

Es ist also nicht allein die tflberfiillung des Arbeitsmarktes durch das weibliche Geschlecht und das dadurch herbeigefiihrte Herabdriicken der Gehalter, was die Schule schadigt, sondern vor allem auch die mangelhafte Vorbildung mancher Be- werberinnen. Unser Staats-Hochschulinspektor, Herr W. W. Parker, sagt sehr richtig in einer Zuschrift an eine hiesige Zeitung:

"For the last 5 years teachers wages in Wisconsin have shown a slight increase each year. This may be encouraging to some, yet the student of political economy sees in it only the natural working of the law of supply and demand. The greater the call for laborers in other fields, the fewer there are to teach school, hence the higher wages. An awakened public conscience is the only permanent remedy for this evil. A conscience which will recognize the value of the teacher to the world, the sacrifice he must make to become a teacher, and the nerve-racking work he must do in order to maintain himself in the teaching profession." Ja, das sind wahre Worte, aber dem grossen Publikum gegeniiber sind sie meistens in den Wind gesprochen. Die Menschen sehen die Arbeit des Lehrers meistens als eine sehr leichte an. Man kann ja auch leider den Erfolg seiner miihevollen Arbeit nicht mit dem Yardmass oder mit der Masskette messen und auch nicht mit dem Gewicht wiegen. Deswegen sieht man geringschatzig auf sie herab. Die Lehrer sind die Farias der Gesellschaf t ; ,,the school-ma'm and the schoolsmaster" sind zwei Ausdnicke, bei denen man ge- wohnlich mitleidig mit der Achsel zuckt. Man denkt dabei wohl an die Worte im Faust: ,,Es muss auch solche Kauze geben." Also da heisst es fur uns, wie Parker sagt, das Gewissen des Volkes aufwecken, fiir unsere Stellung kampfen und zwar gemeinschaftlich Schulter an Schulter.

Correlation of German with Other Studies. 113

Das haben die Lehrer auch in Deutschland tun miissen und sie tun es noch dort, aber sie haben auch schon manches und vieles erreicht. Professor Dr. Rein in Jena sagt dariiber: ,,Die Geschichte des Lehrerstandes ist eine Leidensgeschichte. Mtih- sam hat der Lehrerstand sich Ansehen und geniigendes Einkommen erk&mpfen miis- sen. Die Gesellschaft hat sich in der sozialen Wiirdigung und der finanziellen Sicherung des Lehrerstandes schwerer Versiiumnisse schuldig gemacht." Passt das nicht auch auf unsere Verhaltnisse hier in jeder Beziehung? Lasst uns denn auch versuchen, uns eine bessere soziale Stellung, Anerkennung unserer schwierigen Arbeit durch hohern Gehalt, eine permanente Anstellung und Pension zu erkampfen. Bei fast alien Beamten sind die Gehalter in den letzten Jahren verbessert, nur nicht bei den Lehrern. Aber unsere Gehalter sind trotzdem nicht dieslben geblieben, sondern sie sind herunter gegangen, denn da alle Lebensbediirfnisse in den letzten Jahren um 25 35 Prozent in die Hohe gegangen sind, so ist die Kaufkraft des Geldes und unsers Gehalts folgerichtig eben so viel herunter gegangen. Die Kosten des Lebens- unterhaltes (cost of living) wurde namlich in unserer Lehrerversammlung fiir einen verheirateten Lehrer mit Familie auf $1800 angegeben. Da kommen wir also um die Hiilfte ,,zu kurz". Was wir also notig haben, ist gemeinschaftliches Handeln und Zustammenstehen und Zusammenhalten, dann wird auch nach und nach imnier mehr erreicht werden; denn gut Ding will Weile haben, und was lange wahrt, wird endlich gut.

Correlation of German with Other Studies.

(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)

By Betty Silberberg, New York City.

(Concluded.)

Some of the prose-stories in the readers are also descriptions of industries; or they show us scenes from life; bring us to distant countries and tell us about events famous in history. In order to illustrate these, I shall mention four little stories, one from the first Eclectic Reader, two from the second, and the fourth from Maynard's Easy German Readings.

a. Die Miihle.

We are going to read: "Die Muhle." A picture in the reader illustrates it. We see it is a water-mill. The content is the following: "The children had long been desirous to know whence the flour came, out of which the mother bakes the bread and cake. The father promises to show it to them. Merrily they walk through the forest, over the meadow down to the brook. Here the mill stands. Already in the distance they had heard the clattering of the millstones. These are in the mill-course (Mahlkasten). The large wheel outside the mill sets the machinery inside in motion. The children see how the grain is poured from the bags into the mill-course, how from here it runs through sieves and at last falls into the flour box (Mehlkasten) as the nice, white flour they know. Everything is in motion in the mill and turns around continually. The white flour covers every- thing, building as well as miller. The children are astonished that the manufacture of this simple article causes so much labor. This story does not need many extra explanations. After the children know how to read, translate and tell it to me in German, I proceed to something else.

114 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

6. Z)er grosse Hund.

The next story, "Der grosse Hund," calls for a longer treatment. It is one of Hans Andersen's charming little tales from his Bilderbuch ohne Bilder. The riioon tells the following story: In the parlor of an inn the bear-leader is waiting for his supper. Bruin the bear stands outside in the yard, tied to a post. He feels lone- some and has found the way to the stairs. Heavily he mounts them and comes to the door of a room which he opens. Here three little boys are playing in the light of the moon. Their ages vary from two to six years. They have never seen a bear and think it is a big dog. They pat him and the bear lays down on the floor. The boys, full of fun, roll over him. The eldest takes his drum and beats it. Now the bear rises on his hind-legs. Oh! it is too funny. The children play soldiers, every-one has a gun, the bear also, and he knows how to hold it. Then they march up and down. At this moment the mother enters; she nearly faints when she sees in what dreadful company her darlings are. But joyfully these exclaim: "We are playing soldiers." Now the bear-leader comes and takes his runaway bear down stairs.

This story introduces us into the life of one of these wandering mountaineers; generally from the Pyrenees, who with their bear wander from place to place, everywhere amusing the children by the awkward dancing of the bear, his climbing and also by their own quaint, outlandish singing. Such a man with his bear has wandered through France, Germany and Denmark. To-day he has given perform- ances in a little place in the north of Denmark. But why do we conclude that the town is situated in Denmark? We look for the author's name and find it is "Hans Andersen." I ask the children what they know about him. Some have read his fairy-tales, "Der Tannenbaum, Das Miidchen mit den Schwefelholzern," etc. I tell them about Andersen and induce some to find out more about this poet. This they do with pleasure. Some do it in English, some in German. We hear about the poor boy from the Island of Fiinen, his struggles for education, his success in Kopenhagen, his stay in Rome, etc. How he became famous and now is known all over the world.

A scene from life, geography and literature form the correlation of this lesson to the study of German.

c. Die St. Bernhardshunde.

To another part of the world leads us the well-known story, "Die St. Bernhards- hunde. The dangers of the snow-covered Alps, the pious devotion of the monks is unfolded to us. We see them roaming over the Alps during a snow-storm, accom- panied by their faithful dogs, whom they also send out alone to search for unfor- tunate travellers buried under the snow. We wonder at the intelligence of these dogs in rescuing people. How at first they try to do it alone and when they cannot succeed rush back to the Hospice for aid. I ask my pupils why the monks and dogs had been such benefactors of humanity? Tell them that before building the large tunnel through the St. Gotthardt, travellers from Germany to Italy were obliged to follow the dangerous Pass over the St. Bernhard. In order to impress this more, I show them a large picture representing a part of the Alps, The Welland WTetterhorn. They see the snow-covered pics towering up in the background, the glacier flowing down at the side of them ending in a mountain stream. Below that the pine forest and sheltered by this the "Aim" ( (Alpine-meadow) with its "Senn- hiitten" and herds of cattle. One of the chief industries of Switzerland, cheese making, is explained by that. Through this picture the children's interest in their German lesson is intensified; their knowledge in geography expanded.

Correlation of German with Other Studies. 115

d. Die Geschichte von Wilhelm Tell.

But let us stay a little longer in Switzerland and visit the banks of the Lake of Luzern. His German name, "Der Vierwaldstattersee," proves that four cantons, Die Waldstatte, border on it. Here is the scene of William Tell, with whose story the children are already familiar through stories from their English reader. However, they have no idea of the cause of the Swiss struggle for independence. So I tell them that Switzerland once belonged to Germany, but was an independent state, only ruled by the Emperor. Once Germany had no emperor for a long time, the great princes did not want a powerful ruler over them. Therefore they elected a pious Swiss count the "Graf von Habsburg"; he is known as Emperor Rudolph von Habsburg and was the founder of the still ruling Austrian house. He began to restore order in Germany, where the "robber knights" had every road made unsafe, and also to conquer many princes whose domain he took, thus laying the foundation to the Austrian power. His son Albrecht wanted to subdue Switzerland too, where his family possessed large estates, and therefore sent cruel governors. One of them was Gessler, with whom the story of William Tell deals. Sometimes I read also Schiller's poem, "Der Graf von Habsburg," which interests the pupils greatly. This winter I had in my class a girl of Swiss descent, who possessed a beautiful, illustrated book, "The Legends of Switzerland," which contained all these stories. The book went from hand to hand and many a girl read the stories with growing delight. I am sorry that such books are not in the school-libraries. A great many girls knew also that Schiller had written the wonderful drama, "William Tell." Some of German descent had already seen it in the theatre. We then spoke about Schiller; a few pupils brought in an account of his life, mentioning his most important works.

So the simple story of William Tell called for geographical, historical and poetical descriptions, but care must be taken that the study of the German language is not subordinated to these comments.

Just as manifold correlations to other studies as the prose selections offer those from poetry. Splendid examples for nature-study are the poems, "Im Friih- ling," by Julius Sturm, and the well-known "Die Schwalben" by Chamisso. In the former Spring is personified. He comes and calls down from the mountain: "Sleepy-heads awake! no matter how deep your sleep may be!" All nature has heard his call. The germs begin to stir, they blast their little prisons and begin to sprout. Then the leaves step out of their brown cradles and nestle to the swaying twigs. The flowers awake; first of all little snowdrop, who was afraid to have overslept herself. The coffins of quiet sleepers open, gnats and beetles are again playing in the sunshine. Other flowers awake now too, especially the violets, deeply hidden in the grass, the white anemones and the colored primroses. The whole awakening of nature is poetically described. The children led by a few questions understand why the poet makes the germs blast their prisons. They have already observed germs resting in a cell, bursting open the outer shell and stretching forth their tender rootlets. The brown cradles of the leaves are under- stood as the buds, covered by the hard, horny, brown leaves to protect them from winter's frost. The coffins of quiet sleepers are the cocoons of insects in which they await the vivifying rays of the sun.

Animal life is brought near to us by Chamisso's touching poem. The child for a long time has secretly watched the swallows, how so wonderfully they built their nest. Then they furnished it and laid their eggs. One after another had guarded their little house like a jewel; now the young brood stretches forth their little heads that the parents may feed them alternately. At this moment the little girl

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calls her mother and tells her all about the swallows. Charmingly she describes how it seemed as if the swallows wanted to tell her something and how sorry they were that they could not speak. She admires much the parents' love for their young ones.

Besides speaking about the swallows as clever architects, messengers of spring and harbingers of good fortune, as some believe, I tell the pupils something about the author. As the son of a French nobleman, he was driven out, during the French Revolution, from his castle Boncourt in the Champagne. How with his parents he emigrated to Germany, came to the court of Prussia, later entering the army, which he quitted during the wars of Liberation ( Bef reiungskriege ) . His painful position during these times, when his adopted and beloved fatherland was in war with the land of his birth. How he always remembered the place where he was born as shown in his beautiful poem, "Das Schloss Boncourt." But this noble character had forgiven all the wrong he had suffered through the Revolution, blessing the soil over which the farmer now leads his plow and blessing it doubly whosoever this may be, wishing the soil to be fertile for his new possessor. Now Chamisso has become one of our best and dearest poets, demonstrating by his noble example how it is possible for a foreigner to become identified with his adopted country.

The pupils are introduced by this to the times of the French revolution and Napoleon 1, besides having gained an acquaintance with German literature.

The next poem, Ferdinand Freilgrath's "Die Auswanderer," shows the correla- tion of geography to the study of German, as well as the relations between Germany and America. The poet as a young merchant has lived in Holland. Here he has occasion to observe the life in the harbor. One day he sees German emigrants going to America. They are from the Black Forest, have come down the Rhine in a boat, bringing along many articles from their old home. Mournfully the poet looks at them. He cannot understand why the slim brown maidens from the Black Forest and the strong men leave their home. He notices how carefully they place pots and jars on the bench of the sloop which will transport them to the big ship farther out in the ocean. He tells them how on the banks of the Missouri, when every other remembrance of their old home will be silent, these pots and jars would remind them of the village-well surrounded by stones, the familiar hearth, the mantel-piece they have ornamented, the joyful vintage. Soon they will decorate the walls of their light-built house in the West, the Indian tired from hunting will drink out of them. He asks them why they emigrate? The valley of the Neckar is so fertile, the Black Forest and the Spessart so beautiful. He feels how in the distant forests they will long for their old home with its golden fields and green vineyards. Like a golden legend this will forever stand before their soul. The time for departure has arrived. The poet wishes them God-speed and pros- perity in their new fatherland.

This poem is a reference to the settling and civilization of the West, in which German immigrants took such a leading part. From the border of the Rhine they went to the Missouri. This poem was composed a little after the West had been opened for civilization. Another relation with America exists also in the poet's friendship with Longfellow, who when Freiligrath afterwards was in adversity wanted him to come to America.

With quite a different subject deals "Das Erkennen," by the Austrian poet, Nepomuk Vogl, the most touching illustration of a mother's love for her child. She recognizes her son for whose welfare she was constantly praying in spite of all the changes caused by time and the burning sun. Her son is a travelling jour-

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neyman ( Handwerksbursche ) , who for years has been in foreign countries. Cheer- fully he enters the old town; his friend, the toll-keeper, is just leaning against the old gate. He thinks how often they have sat together enjoying a glass of winej surely the friend will recognize him. But he is sorely disappointed; the sun has burnt his face too much. Entering the town he sees his sweetheart, who perhaps expects him, she is looking out of the window. The youth greets her joyfully. Alas! also for his loved one, he has become a stranger. His face is tanned too much. Then he meets his mother coming from church. She hardly has seen him and heard his voice, when sobbingly she embraces him. The mother's eye sharpened by love knows her child under any disguise. The poem is short, but full of pathos. It introduces us into the life of a tradesman or mechanic. Formerly all the trades formed guilds, which were strictly regulated corporations. A boy who wanted to learn a trade was apprenticed to a master, who taught him all he knew about the trade. After the apprentice had stayed three or four years with the master, he became a journeyman (Geselle). Now he had to travel from place to place, in order to perfect himself in his trade. His steed was a good pair of soles ( Schusters Happen ) , so he saw the world. Into whatever place he came, he went to the lodging-house of his guild (Handwerkerherberge), after that he asked for work at the different masters of his trade. His education was not finished unless he had worked for a great many masters and seen many cities, also in foreign countries. Then the youth thought of returning home to make his master- piece, a kind of examination, before he could enter the guild, and then settle down as a master.

Many children have also no idea of a toll-keeper; this has to be explained. In olden times every city had gates, which were closed in the evening and opened in the morning. By the gate the toll-man lived, who collected the duties on all ar-ticles which passed through the gates. A similar tax is also levied on some roads in this country, for all wagons that pass over them. In Europe in a great many cities duties are yet collected on goods especially eatables that are brought in through the gates.

Different phases of civilization and society have become familiar to the pupils through the study of this poem; also the last one which I shall mention leads to this. Hardly anybody who studies German is not charmed by Goethe's beautiful poem, "Der Sanger." The most glorious times of the Middle Ages rise before our eyes. We see the song-loving king sitting in the lofty hall of his castle sur- rounded by his court. Suddenly he hears music on the draw-bridge before the gate. He sends out his page to bring in the singer, as he wants to hear him in the hall. It is a noble old man, full of dignity, with excellent manners. Respectfully he greets the king, his courtiers and the ladies-in-waiting, but he does not spend his time in idly admiring them. He closes his eyes so that his song may com<e more from his innermost heart and be more deeply felt. We see the effects of it by the attitude of the knights and the ladies. He sings of war, because the knights look courageously, and of love the ladies lower their eyes. The king, pleased with the song, wants to reward him by the gift of a golden chain, but here the old singer rises to his full dignity. Not for outward reward does he sing, but for his own enjoyment and pleasure. His song is recompense enough for him, just as it is for the bird who merrily sings in the branches of a tree. He only asks for a glass of pure golden wine and wishes his audience may always thank God as much for their welfare as he does for this little gift.

"Who was this singer?" the pupils will ask. Then I tell them that he was not alone a singer, but also a God-inspired poet, who lived in the Middle Ages.

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He belonged to the "Minnesanger" who flourished mostly in the twelfth and thir- teenth century. They were knights who composed short love-songs or long heroic stories. These they recited in the castles of famous knights or at the courts of princes. Everywhere they were welcome guests. A great many princes and even emperors were "Minnesanger" ; especially the noble "Hohenstaufen," the high- spirited German emperors during these centuries. I have a picture of a castle, "Ritterburg aus dem dreizehnten Jahrhundert," which I use as an illustration of the life during these times. The castle stands on a high mountain. The draw- bridge is lowered, the gate opened, through it passes a cavalcade of knights and ladies on steeds and chargers. They are going hunting; dogs accompany them. The ladies carry on their hands their favorite falcon; they are going therefore hunting the heron. The "Burg" consists of different buildings. We see the watch-towers, the "Pallas" where the ladies live, the church, gardens, courts, stables, etc., the whole surrounded by the crenelated wall and on one side by the moat. The others are built up on a precipitous rock.

Then I mention some of the most famous "Minnesanger": Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Strassburg, etc., and ask if they ever had heard these names before? Some pupils have heard "Tannhauser" or the "Singers' War on the Wartburg," and these persons were living for them. Their interest is aroused, they want to find out more about the "Minnesanger," and bring in short accounts. Others have prepared an outline of Goethe's life and his prin- cipal works. All have learned some poems of Goethe before, like "Gefunden," "Heidenroslein," "Mignon," "Erlkonig," etc.

It is needless to dwell longer on the correlation of German to the different branches of study. We see by the foregoing illustrations what an aid the study of German is to the pupil's general education, how his mind receives nourishment through it in various ways, how his views are broadened and deepened. A good teacher of German, therefore, must be highly educated; he has to understand the whole extent of the present civilization. It is not necessary that he be an expert in every branch, yet he must be able to give the full information that belongs to a thorough and all-sided treatment of the pieces he is to teach his pupils. Such a correlation is the most fruitful when it follows the instruction that the English teacher gives, when it intensifies and completes her teachings. Therefore it is a necessity that the teachers of a school work hand in hand, that they know what their pupils learn from other teachers, because not their special branch is the aim of the pupil's education, but the harmonious development of all his powers, in order to fit him to become a participant in all that makes life worth living, a useful member of society, who will further the welfare and happiness of his fellow-men as well as his own.

Berichte und Notizen.

I. Korrespondenzen.

(Fur die Padagogischen Monatshefte.)

Baltimore.

Dircktor Dapprich besuclite uns in der Schnle auf seiner Durchreise nach Eu- ropa. Leider konnte der liebe Freund nur etwa eine halbe Stunde bei uns wei- len, da er noch am selben Vormittag nach New York weiter reisen musste, von wo er sich tags darauf nach Neapel ein- schiffte. So kurz auch die Zeit war, und so viel wir uns zu sagen hatten, so liess sich doch noch schnell eine kleine Ab- schiedsfeier fiir den geschatzten Gast im- provisieren. Achtzig Schiller und Schii- lerinnen der siebten und achten Klasse wurden zusammen in ein Zimmer geru- fen, und dort sangen sie ihm deutsche Lieder vor. die sie aus den Rosenstengel- Dapprichschen Lesebiichern gelernt hat- ten. ,,Die Wacht am Rhein" gait als Gruss Jungamerikas an die deutsehe Muttererde, die er bald wieder betreten sollte, ,,Ich hatt' einen Kameraden" wur- de in humoristischer Auffassung gesun- gen, und zum Abschied erklang das ein- zig' schb'ne Lied ,,Es 1st bestimmt in Gottes Rat."

War auch die Ausfiihrung keine so runde, wie wir sie gerne gehabt hatten, und wie sie auch wohl geworden ware, wenn wir uns daftir hatten nur einiger- massen vorbereiten kb'nnen, so fehlte es hingegen nicht an der richtigen Stim- mung, und der Gesang machte einen tie- fen Eindruck auf den lieben Freund wie auch auf den Schreiber , seine treuen Augen feuchteten sich bei den Worten: Wenn Menschen auseinandergehn, So sagen sie: ,,Auf Wiedersehn! Ja, Wiedersehn!"

Dass die bewegten Worte, die der Ge- feierte zum Abschied an die Zoglinge richtete, wie sie vom Herzen kamen, so auch zum Herzen gingen, durfte Schrei- ber am heutigen Tage bei Durchsicht von Aufsatzen zu seiner Freude wahrneh- men. Auf Wiedersehn, ja, Wiedersehn!

S. Cincinnati.

Wie himmelweit auch die Meinungen iiber Wert und Opportunitat der jiingst hier gehorten padagogischen Vortr'&ge auseinandergehen mb'gen, iiber die Ver- sammlungen, vor welchen sie gehalten wurden, und iiber den Gesamtverlauf der Schulsuperintendenten - Konvention, die vom 23. bis zum 26. Februar allhier ab- gehalten wurde, herrscht nur eine Stim- me. Es war im grossen und ganzen eine

sehr wiirdige Veranstaltung, deren Ein- druck und Folgen nicht hoch genug ange- schlagen werden kb'nnen. Befugtere Fe- dern werden ja wohl in den P. M. dar- iiber berichten, so dass ich mich auf ei- nige Bemerkungen lokaler Natur be- schranken kann. In ttbereinstimmung mit der Ansicht jener, die da meinten, die Konvention sei nicht der Stadt und der Schulen Cincinnatis wegen da, und der Besuch der letzteren seitens Auswar- tiger werde wohl kein sehr zahlreicher sein, fanden nur wenige Fremde Zeit und Musse unsere Anstalten mit ihrer Gegen- wart zu beehren. Eine Ausnahme mach- ten, soweit das deutsche Departement in Betracht kam, der Schulsuperintendent von Baltimore und der Assistenzsuperin- tendent Herr Straubenmiiller von New York. Befand sich der Erstgenannte auf einer Forschungstour nach Griinden, warum und wie der deutsche Unterricht in Baltimore insofern beschnitten wer- den konnte, als man den Anfang dessel- ben um einige Jahre hb'her hinaufschrau- ben durfte, ohne seinenErfolg abzuschwa- chen, und sah sich Ihr Korrespondent veranlasst, dem verehrten Herrn Besu- cher, bescheiden aber entschieden, zu sa- gen, dass eine solche Massregel der An- fang vom Ende des deutschen Unter- richts in Baltimore sein wiirde so ent- ledigte sich Herr Straubenmiiller in sehr eingehender Weise eines ihm gewordenen offiziellen Auftrags, unsere deutschen Klassen-Einrichtungen, -Ziele und -Er- folge so genau wie mb'glich zu priifen und iiber die gewonnenen Eindriicke Bericht zu erstatten behufs eventueller Beriick- sichtigung und Verwendung bei der ge- planten Reorganisation des deutschen Unterrichts in Gross-New York. Der ebenso liebenswiirdige, wie gewisenhafte Besucher iiberzeugte sich von dem Stand der Dinge in alien deutschen Graden vom ersten bis zum achten Schuljahre. In der Schule, in welcher Ihr Korrespon- dent beschaftigt ist. und deren deutscher Abteilung Kollege Von Wahlde vorsteht, brachte er zwei voile Stunden zu und iiberzeugte sich von der Sachlage in Klas- sen der 6ten, 7ten und 8ten Schuljahre. Riickhaltslos gestand er den Hauptvor- teil unserer Einrichtungen zu, wonach der deutsche Unterricht im ersten Schul- jahre beginnt und bis zum vierten je fiinf halbe Schultage wb'chentlich. in den vier letzten Graden aber je fiinf Stunden

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P'ddagogiscbe Monatsbejte.

wb'chentlich eingeriiumt erhalt. Die auf den verschiedenen Stufen erzielten Er- folge wusste der Herr nicht genug zu riihmen und in uns, die ihm dieselben vorfiihren konnten, den Wunseh hervor- zurufen, dass es ihm gelingen mb'ge, in New York einen, wenn auch vorliiufig nur anniihrend giinstigen, iihnlichen Zu- stand ins Leben zu rufen. Besondere Vorbereitungen fiir den Empfang von Besuchern, die sich einige Schulleiter und englische Lehrgenossen nicht ver- kneifen konnten, waren unter den Um- stiinden mehr oder weniger fiir die Katz' ,,und mit Recht," \vie mein Kollege A. W., Milwaukee, mit mir gerne zu sa- gen scheint.

Die am 7ten Februar abgehaltene Ver- sammlung des Deutschen Lehrervereins von Cincinnati war eine der bestbesuch- testen, die jemals stattgefunden haben, besonders von seiten des Ewigweiblichen. Die Anwesenden fanden ihre Rechnung voll und ganz. Frau Hermine Hansen, die Leiterin des deutschen Unterrichts in der Clifton-Schule, hielt einen vor- ziiglichen Vortrag iiber ,,Die Beteiligung der Frau an der deutschen Literatur" und wusste dem an sich schon dankbaren Thema in der Tat die interessanteste Seite abzugewinnen. Erhoht wurde der schone Eindruck durch die eingefloch- tene Deklamation des Gedichtes ,,Der Knabe am Moor" von Annette von Droste-Hiilshoff. Avelches von Frl. Va- leska Razall, einer noch sehr jugend- lichen Schiilerin der Walnut Hills-Hoch- schule, in wirklich ergreifender und aus- gezeichneter Weise vorgetragen wurde. Ein Violinsolo unseres Kollegen und Vir- tuosen, Herrn Gesanglehrer Josef Surdo, sowie ein Sopransolo, ,.Schlummerlied" mit Manner-Chorbegleitung, der Kolle- gin Lillie Deremo bildeten den musikali- schen Teil des Programms und wurden beide mit ungeteiltem Beifall aufgenom- men.

Die Vcrsammlung der deutschen Ober- lehrer, die am 26. Februar hatte statt- finden sollen, musste der Superintenden- ten-Konvention halber ausfallen.

Ich konnte Ihnen noch ein Lied vom chronischen Geldmangel, unter dem un- sere Schulbehorden gebiickt gehen. und von den oft kuriosen Rettungsmitteln, zu denen man greifen muss, singen; konnte Ihnen auch etwas von der bb'sen Grippe vorjammern, von welcher die Ge- nossen fb'rmlich der Reihe nach heimge- sucht werden doch wozu alte Wunden aufreissen? ,,Es muss doch Fruhling werden. quidam.

Milwaukee.

Am 5. Febr. hatten wir hier die Freu- de, Herrn Professor v. Jagemann von der

Harvard Universitat in einem Vortrage iiber ,,Aus dem Leben der Sprache" im ,,Deutschen Klub" zu hb'ren, wozu alle deutschen Lehrer eingeladen waren. Der Professor zeigte in diesem interessanten Vortrage, wie die menschliche Sprache so recht eigentlich die grosiartigste Er- findung der Menschen ist, well sie die Grundlage aller Erfindungen und aller Erzeugnisse des menschlichen Geistes ist. Alle Forschung beruht auf Mitteilung friiherer Forseher durch die Sprache, und darum besitzt sie Leben wie jedes andere organische Wesen dieser Erde. Das Le- ben einer feprache besteht nun in der Gesamtverbindung der Gedankenassozia- tionen der einzelnen Menschen. Daher ist es ein grosser Irrtuni, wenn sich manche die Sprache als etwas Fertiges, Vollstiindiges und Abgeschlossenes vor- stellen. Ganz im Gegenteil; sie veran- dert und vervollkommnet sich fortwah- rend wie alles Lebende und Organische, wie man das am besten an der Lautver- iinderung sehen kann.

In iilterer Zeit hatte man z. B. in der deutschen Sprache die beiden Dop- pellaute ei und au noch nicht, und man hatte dafiir die einfachen Laute i und u. Dies sieht man an den altdeutschen Wor- tern ,,lieden" und Mus", hochdeutsch leiden, Maus. Dann hat sich auch der Sinn und die Bedeutung mancher Wor- ter ganz veriindert; so hatte das Wort ,,Frauenzimmer" friiher eine recht vor- nehme Bedeutung, eine fiirstliche Frau, dagegen ist die Bedeutung jetzt eine ganz andere, eine ziemlich zweideutige. Der Professor zeigte dahn, wie das Volk oft in deni Irrtum befangen sei, dass sieh Wort und Begriff, und Name und Sache immer vollsttindig deckten, und dass sie nicht wussten, wie manchmal dasselbe Wort 5 oder 6, ja noch mehr verschiedene BegrifFe hatte.

Als drastisches Beispiel fiihrte er die Geschichte von den drei Soldaten in Wien an, wo sich ein dstreicher, ein Ungar und ein Italiener um das Wort ,,Wasser" stritten. Der 6streicher erhebt ein Glas mit Wasser und fragt den Ungar: Wie nennst du diesen Stoff in dem Glase in deiner Sprache? er antwortet ,,teska". Dann fragt er den Italiener, und der sagt ..aqua"; dann spricht der 6streicher wichtig und mit Nachdruck: ,,und ich nenne ihn ,,Wasser" und er heisst nicht bloss so, sondern er ist es auch."

Dann kam der Professor auf die Ety- mologie zu sprechen und erwahnte, wie in der Zeit der Renaissance Gelehrte und auch Geschliftsleute ihre Namen so gern laiinisiert hatten, und wie dabei oft komische Vervvechselungen stattgefunden hiitten. So hjitte einst ein Kaufmann

Korresponden^en.

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in Hamburg die Gerichte ersucht, seinen Namen ,,Plummbohm" andern zu diirfen, und zwar wiinschte er den Namen ,,Blei" zu haben. Auf die Frage warum er ge- rade diesen Namen haben wollte, ant- wortete er, das sei sein rechter Name, und sein Vorfahr babe den Namen la- teinisch iibersetzt und sich ,,plumbum" genannt, woraus dann im guten Ham- burger Plattdeutsch ,,Pluminbohm" ge- worden sei.

Der Professor schloss mit der Ermah- nungjeder solle an seinemTeil, so vielwie moglich, und vor allem dieGebildeten,sich bestreben, unsre schone deutsche Sprache, die so reich, edel und vielseitig im Aus- drucke sei, mit alien Kraften noch zu veredeln und zu vervollkommnen suchen; denn damit wiirden wir auch die Mah- nung unseres grossen Dichters Goethe er- fiillen : J3Was du ererbt von deinen Va- tern hast, erwirb es, um es zu besitzen." Reicher und anhaltender Beifall lohnte den Redner fiir seinen interessanten Vor- trag, welcher von den zahlreichen Zu* horern voll und ganz gewiirdigt wurde.

Am Abend des 6. Feb. gaben die deut- schen Lehrer in Gemeinschaft mit den Lehrern des Seminars und der Akademie Herrn Professor v. Jagemann in dem Seminargebaude einen Empfang, welcher sich zu einer sehr gemiitlichen Feier ge- staltete. Zugleich bildete sie eine Ab- schiedsfeier fur Direktor Dapprich, wel- cher zur Starkung seiner angegriffenen Gesundheit eine auf mehrere Monate be- rechnete Europareise unternommen hat. Das geraumige Musikzimmer war in eine schon geschmiickte und mit Blumen de- korierte Banketthalle umgewandelt, und die zwei langen Reihen Festtafeln waren mit etwa 150 Festgasten besetzt. Der Prasident des Lehrervereins, Herr Ph. Lucas, diente als Festprlisident. Nach einem gut vorgetragenen Violinsolo von Lehrer H. Mertens stellte der Vorsitzer den Ehrengast in einer kurzen Ansprache der Versammlung vor.

Professor Jagemann hielt dann eine langere Ansprache, in welcher er iiber die schwere und oft undankbare Arbeit des deutschen Lehrers hier in Amerika sprach. Dann bemerkte er, wie so oft, ja meistens, nach Verlauf von mehreren Jahren im Amte und Dienst, der deut- sche Lehrer in die gewohnliche Routine und schulmeisterliche Pedanterie ver- falle, die ihm dann oft alle Lust zum Amte raube und ihn gramlich und ver- driesslich mache. Als ein gutes Mittel dagegen empfehle er alien deutschen Leh- rern die fleissige Beschaftigung mit gu- ten deutschen Volksschriftstellern ; und unter den vielen, welche die deutsche Literatur aufzuweisen habe, empfehle er

ganz besonders den steirischen Volks- dichter, Peter K. Rosegger. Er Hess als- dann einen Vortrag iiber diesen Dichter folgen, worin der eigentiimliche Werde- gang des steirischen Bauernjungen und nachherigen Schneiders zu einem so vor- ziiglichen Dichter in drastischer, an- schaulicher und recht humoristischer Weise geschidert wurde.

Nach dem Vortrage des Professors folgten einige gesangliche Vortrage von Frl. Camille Bickler, ein Damenchor un- ter der Leitung des Herrn M. Griebsch und Soli von den Herren O. Burckhardt und C. Bronson. Dann folgte das Ban- kett, wobei die Kolleginneri in liebens- wiirdiger Weise die Wirtinnen machten. lleden wurden dabei gehalten von Supt. H. 0. R. Siefert, Asst. Supt. Abrams und Herrn J. Eiselmeier. Herrn Dapprich wurde zum Abschied ein schones Rosen- bouquet iiberreicht, und er hielt dabei eine begeisterte Ansprache iiber die wich- tige Aufgabe des deutschen Lehrers an niedern und hohern Schulen hier in Ame- rika.

So verflossen die Stunden schnell bis nach Mitternacht. Wohl alle Teilneh- mer werden dieses frohe und gemiitliche Fest und ebenso unsern geschatzten Kol- legen und Ehrengast in freundlicher Er- innerung behalten. Ja lange ist es her, dass wir im Kreise des Vereins deutscher Lehrer ein frohes Fest gefeiert haben; keins seit dem Silberjubilaum vor 5 Jah- ren. Ach, wie manche frohe und schone Feste haben wrir friiher gefeiert, Pick- nicks und Abendunterhaltungen ! Doch ,,es war einmal"! Lang' ist es her, ja lang3 ist es her! O deutsche Lehrer-Gemiitlichkeit, wo bist

du nur geblieben? Wer hat dich schon seit langer Zeit so

ganzlich f ortgetrieben ? Wo blieb Kollegialitat, Gesang und frohe

Lieder ?

Dahin wie's Blatt im Sturm verweht, und kehret nimmer wieder.. A. W. New York.

Obwohl der Verein deutscher Lehrer von Neic York und Umgegend in den letz- ten Monaten nichts hat von sich ho'ren lassen, so war derselbe doch tatiger als je. Besonders wrar der Besuch der am ersten Samstag im Monate stattfindenden Versammlungen ein ausserst reger. Al- lerdings waren die Vortrage und die Per- son der Vortragenden von ganz besonde- rer Giite. In Dezember gab Herr Di- rektor Konried vom deutschen Theater einen mit grossem Beifall aufgenomme- nen Vortrag iiber ,.Das moderne Drama." Herr Direktor Leopold Bahlsen aus Ber- lin, der zur Zeit am Teachers College

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P'ddagogiscbe Monatsbefte.

tiitig ist, sprach in einem wohldurch- daehten, beredten Vortrag iiber den Dich- ter der ,,Vierzehn Linden", F. Weber, wiihrend in der ersten Februarwoche der vielseitige Sekretar des Deutschen Gesellig-Wissenschaftlichen Vereins, Hr. Joseph Winter, in einem begeisterten und begeisternden Vortrage das deutsche Volkslied behandelte. Das deutsche Volk so f iihrte der Redner aus ist ein Volk von Dichtern und von Sangern. Das Lied ist zweifellos die alteste Form der Poesie, sind doch die alten Volks- sagen ein Zyklus von Gesangen. Von den Hofen, wo der Minnegesang bltihte und aus den Stiidten, wo das Lied ini Meistergesang verkiimmerte, fliichtete sich das Lied in die Volksmassen, wo es schon am Ende des 13ten Jahrhunderts, herrliche Bliiten trieb. Der Hirte, der Soldat, der Scholar, der Mo'nch, der Hitter, der Schiffer, der Kaufmann und der Landmann, alle hatten sie ihre Lie- der, in denen ein echt germanischer Zug sich auspragte; ihr Inhalt ist das Leben der Natur und das Menschenschicksal, vor allem das Liebesleben. Das echte Volkslied ist der Ausdruck des Gefiihls, der momentanen Empfindung, kurz, scharf, prazis, einfach, ungeziert; nicht kunstmassig, nicht erkiinstelt, und vor allem: singbar. Die Lieder entstanden im Volke, mit dem Volke, durch das Volk und fiir das Volk: an den Winter- abenden in der Spinnstube ; bei der Heim- kehr vom Felde; auf dem Marsche; auf den Sonntagsspaziergangen durch Wald und Feld. Die Versifikation ist die deuk- bar einfachste und ungekiinstelt ; mei- stens vierzeilige Strophen im jambischen Masse, in denen die zweite und vierte Zeile sich reimen. Die reichhaltigste Fundgrube von Volksliedern ist: des Knaben Wunderhorn. Die Lieder lebten lange nur im Munde des Volkes und pflanzten sich durch den Gesang fort; oft werden im Volksmunde mehrere Lie- der vermischt und verschmolzen. Wer das Lied zuerst gesungen, wer es gedich- tet, das weiss das Volk nicht und darum kiimmert es sich nicht. Die hb'chste Ehre,

die einem Kunstdichter widerfahren konnte und kann, ist die, dass das Volk sein Lied sich zu eigen macht und den Dichter vergisst.

Das lote und 16te Jahrhundert sind die Blutezeit des Volksliedes, das beson- ders reich ist an Trinkliedern (,,den lieb- sten Buhlen, den ich hab'" ) , Liebeslie- dern (,,Es steht ein Baum im Oden- wald") und Kinderliedern. Von unsern Klassikern treffen Goethe, Uhland und Heine den echten Volksliederton, wah- rend Schiller weniger gliicklich ist.

In interessanter Weise illustrierte Herr Winter die Art und Weise, in der das- selbe Thema von drei Dichtern in volks- tiimlicher und doch nach ihrer Indivi- dualitat verschiedener Weise behandelt wird durch ein Analyse der bekannten Hirtenlieder von Goethe (,,Ich stand auf einem Berge"), Heine (,,Kb'nig ist der Hirtenknabe" ) , und Uhland (,,Ich bin vom Berg der Hirtenknab"). Nachdem der Redner alphabetisch die Dichter ge- nannt, die das Volkslied dauernd be- reichert haben, schloss er in begeistern- der Weise: ,,Und das deutsche Volks- lied, es singt von Lenz und Liebe, von sel'ger, goldner Zeit, von Freiheit, Man- nerwiirde, von Treu und Heiligkeit; es begleitet uns von der Wiege zum Grabe; es zieht mit uns in die Fremde und macht uns die Fremde zur Heimat; das Volks- lied, es iiberlebt alle Wandlungen poli- tischer und sozialer Art, und so lange die Deutschen das deutsche Volkslied pfle- gen, wird lebendig bleiben der deutsche Geist und die deutsche Art." In der Februarsitzung wurden die bis- herigen Beamten des Vereines auf ein weiteres Jahr erwahlt: Dr. H. Zick, Vor- sitzender; Herr von der Heyde stell- vertretender Vorsitzender ; Herr E. Miil- ler, Sekretar und Schatzmeister. Auf Vorschlag des HerrnDoktorKaiser wurde die Biirde des Amtes eines berichterstat- tenden Sekretars mit der Wtirde des Vor- sitzers verbunden, da der Vorsitzende ja derjenige sei, der so zienilich am regel- massigsten erscheine, oder doch zu er- scheinen verpflichtet sei. H. Z.

II. Briefkasten.

J. 8. Es freut uns, dass Dr. Lessings Artikel iiber ,,Neuere Literaturgeschich- ten" Ihren Beifall finden. Hoffentlich konnen wir spaterhin mit mehr aufwar- ten. Wegen eines Probeheftes von Prof. Langhaus' ,,Deutsche Erde" wenden Sie sich gefalligst an die Verlagshandlung von Justus Perthes in Gotlia, die Ihnen

ein solches unentgeltlich zur Verfiigung stellen wird.

B. R. Mansfield. Die P. M. haben auf ihrem Programm vornehmlich die Ein- fiihrung des deutschen Sprachunterrichts in die Klassen der Volksschule, und Sie werden darum dort umfangreiches Ma- terial finden, das sich mit den Methoden,

Umscbau.

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dem Wert etc. dieses Unterrichts befasst. Ausser den vor dem letzten Lehrertage in Detroit gehaltenen Vortriigen mbchten wir noch namhaft machen: Cutting, ei- nige Prinzipien des Sprachunterrichts; Dapprich, Methoden des modernen Sprachunterrichts; Hepp, iiber natiirliche Methoden; Kiefer, sechsjahriger deut- scher Kursus; Silberberg, Schwierigkei- ten der deutschen Aussprache fiir Aus- liinder; Buehner, wie kann man den

deutschen Unterricht lebendig und prak- tisch machen.

Z. M. Cleveland, ttber den nachsten Lehrertag konnen wir Ihnen leider bia jetzt nichts mitteilen. Ausser einem per- sbnlichen Schreiben des Bundessekretars, nacli welchem die Aussichten ftir eine erfolgreiche Tagung gute zu sein schei- nen, ist uns keine Nachricht zugegangen. Wir sind also beziiglich des Programms und anderer Arrangements vb'llig im Dunkeln.

III. Umschau.

Die Legislatur des Staates Massachu- setts beschiiftigt sich gegenwlirtig mit dem Plane, den Musikunterricht in den b'ffentlichen Schulen des Staates ein- heitlich zu regeln, wie dies bereits mit dem Zeichenunterricht und anderen Spe- zialfachern geschehen ist. Man kommt zu der Erkenntnis, dass bei den grossen Kosten und der Wichtigkeit des Musik- unterrichts diesem auch bestimmte Auf- gaben gestellt werden sollten.

Die Durchschnittsschiilcrzahl fiir den einzelnen Lehrer in den offentlichen Schulen unserer grossen Stadte, ist nach dem ,,School Journal" folgende : In Chi- cago kommen auf jeden Klassenlehrer 43 Schiller, in New York deren 50, in Philadelphia 53, in St. Louis 58, in Bo- ston 50, in Baltimore 51, in Cleveland 44, in Buffalo 51 und in Cincinnati 46. In den Hochschulen ist der Unterschied nicht so gross; die Schiilerzahl fur jeden einzelnen Lehrer schwankt dort in den genannten Stadten zwischen 29 und 33.

Einen weisen Schritt hat Mrs. Jane Stanford vor zu tun. Sie beabsichtigt, sich der Kontrolle iiber die ,,Leland Stanford Jr." Universitat zu Gunsten eines Verwaltungsrates zu begeben. Ein diesbeziiglicher Gesetzesvorschlag liegt gegenwiirtig der Legislatur des Staates Californien vor. Wer sich noch der KHm- pfe erinnert, die die Universitat und die Fakultat gerade durch das Eingreifen der sonst so grossen Wohltaterin der Anstalt vor einigen Jahren zu bestehen hatte, wird ihren Entschluss nur mit Freuden begriissen. trbrigens sollen die Mitglieder des Verwaltungsrates die Ab- sicht haben, Mrs. Stanford zur Priisiden- tin der Kb'rperschaft zu erwahlen.

Dem beriihmten Meister des Schach- spiels, Dr. Emanuel Lasker, ist eine Pro- fessorenstelle in der mathematischen Abteilung der Universitat Chicago an- getragen worden.

S chiiler streike. An der Staatsuniver- sitat zu Utah gingen kiirzlich 300 Stu- denten an den Streik, weil 10 ihrer Kom- militonen wegen ungehorigen Betragens vom Unterricht suspendiert worden wa- ren. Zwei Knabenklassen streikten an den offentlichen Schulen Philadelphias, weil die 15 Minutenpause am Nachmit- tage durch Schulratsbeschluss abge- schafft worden war. An der ,,Purdue Universitat" (Indiana) wurden zwei Studenten wegen Insubordination aus- gewiesen, was 50 ihrer Mitschliler zum Streik veranlasste. Der Friede wurde wiederhergestellt, indem die Fakultat nach einigem Zogern die Strafe zuriick- nahm und die Wiederaufnahme der Aus- gewiesenen beschloss.

Das Indianer-Institut zu Carlisle fei- erte am 12. Februar den Jahrestag seiner Griindung. Wlihrend der 15 Jahre sei- nes Bestehens hat das Institut 4587 Schiiler ausgebildet, und gegenwiirtig wird es von mehr als 1000 Schiilern be- sucht. Viel hat die Anstalt getan, um unsere Pflegebefohlenen unserer Zivili- sation naher zu bringen. 200 friihere Zb'glinge waren bei der diesjahrigen Feier zugegen und teilten ihre Erfahrun- gen mit, die sie nach ihrem Austritte aus der Anstalt gemacht hatten. Viele derselben haben bedeutende Stellungen inne und erfreuen sich der Achtung ihrer Mitbiirger.

Die Columbia- Universitat hat in Ver- bindung mit der ,,Alliance Franqaise" von New York einen freien Kursus zur Erlernung der franzb'sischen Sprache ein- gerichtet. Mit Anfang dieses Monates sind zwei solcher Kurse eroffnet worden, welche von den Herren Stanislas Le Roy und Coheleach geleitet werden. Die Schiilerzahl einer jeden Klasse ist auf 50 beschrankt worden.

Um die Kinder von Matrosen nicht ohne Schulbildung zu lassen, hat die Re-

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P'ddagogiscbe Monatshefte.

gierung zu Potsdam verfiigt, dass diese iiberall da, \vo sie sich lunger als 8 Tage aufhalten, Schulen zu besuchen und, dass sie solches getan haben, durch Zeugnisse zu bestatigen haben. Haben die Kinder wahrend des schulpflichtigen Alters nicht eine hinreichende Schulbildung erhalten, so kb'nnen sie zu langerem Schulbesuch gezwungen werden.

Weniger Lehrerinnen! Die ,,Piid. Re- form" schreibt: Die stadtischen Behor- den von Berlin haben den Beschluss ge- fasst, in Zukunft verhaltnisimissig weni- ger Lehrerinnen anzustellen als bisher. Der Prozentsatz, der urspriinglich fest- gelegt worden war, 3:1, hat sich langst zu gunsten der weiblichen Lehrkriifte verschoben. So betriigt an den Madchen- schulen, wo die Halfte der Stellen mit Lehrern besetzt sein soil, deren Zahl kaum noch ein Drittel der Gesamtzahl der Lehrkrafte, und an den Knabenschu- len sind fast uberall die Unterklassen mit Lehrerinnen besetzt. Ein Grund zu dieser Verschiebung lag wohl darin, dass die Lehrerinnen trotz geringerer Stun- denzahl viel billiger arbeiten als Lehrer; diese beziehen Gehalter von 1848 bis 4248 M., jene steigen nur von 1432 bis 2731 M. Ferner kommt in Betracht, dass bei au- genblicklichem Bedarf wohl Lehrerinnen, aber keine Lehrer zur Verfiigung stehen. Jetzt beginnt man aber einzusehen, dass die Rechnung doch nicht ganz stimmt: nicht nur verbrauchen sich die Lehrerin- nen rascher und treten zeitiger in den Ruhestand, auch ihre Beurlaubung krankheitshalber ist ganz unverhiiltnis- massig stark und kostet jahrlich recht bedeutencle Summen. Im vorigen Jahre kamen auf 2881 Lehrer der Gemeinde- schulen 23,873 Urlaubstage, das ist durchschnittlich 8,29; auf die 1525 Leh- rerinnen dagegen entfielen nicht weniger als 26,338 Tage, im Durchschnitt also 17,27. Vom 1. Januar ab sollen daher die Lehrer in grosserer Zahl als bisher angestellt werden, damit nach und nach jene als richtig erkannte Verhaltniszahl wieder hergestellt wird.

ttber Reform des Unterrichts in den weiblichen Handarbeiien hielt die Hand- arbeitslehrerin Olga Petersen in einer freien Versammlung zu Hamburg einen Vortrag. Sie forderte u. a. den Wegfall der Handarbeitsstunden in der unteren Klasse. Sie begriindet diese Forderung in folgender Weise: ,,Die Erlernung des Strickens ist fur Gjahrige Kinder so schwierig, so nervenanstrengend, dass sie nicht gefordert werden darf; dies um so weniger, als erfahrungsgemass feststeht, dass diese Schwierigkeiten in einem spii- teren Lebensalter viel geringer sind, und

dass der Beginn des Handarbeitsunter- richts im 2. Schuljahre die Erreichung der Strickfertigkeit nur um ein geringes hinausschieben aber nicht beeintrach- tigen wiirde.

Am 2. Februar fand in Wien die feier- liche Eroffnung des osterreichischen Reichs-Schulmuseums statt. Ein langge- hegter Wunsch der Lehrerschaft 6ster- reichs, dem vaterlandischen Schulwesen ein Museum zu widmen, ist erfiillt wor- den. Der geistige Urheber, Landesschul- inspektor Dr. Steyskal, hat sich das Schulmuseum gedacht als ein Zentrum aller unterrichtlichen Bestrebungen 6ster- reichs.

Das Lehrerblatt ,,Freie deutsche Schu- le" (Wicn) hat sich infolge der unaus- gesetzten Massregelungen ihrer Schrift- leiter bemiissigt gesehen, das Amt eines Redakteurs einem jungen Nichtlehrer zu iibertragen. Auf diese Weise hofft die Zeitung, den Kampf gegen die Reaktion frisch und frei fortfuhren zu kb'nnen, ohne ihren verantwortlichen Sehriftleiter dem Hasse der Christlichsozialen preis- geben zu miissen. Der gewesene Sehrift- leiter der ,,Freien deutschen Schule", Lehrer Eduard Jordan, der im Vorjahre gemassregelt wurde, indem er vom Pada- gogium an eine Biirgerschule versetzt worden ist, hatte hiegegen Beschwerde eingebracht, doch fiihrte dieselbe zu kei- nem Erfolge.

Frankreich. Die Reform des Gymna- sialuntcrrichts ist jetzt in Kraft getre- ten, die grb'sste auf diesem Gebiete, die in Frankreich seit einem Jahrhundert vor- genommen worden ist. Der griechische und lateinische Unterricht hb'rt auf, das fast alleinige Bildungsmittel der fran- zosischen Gymnasien und Lyceen zu sein. Die Naturwissenschaften und die leben- den Sprachen nehmen einen hervorragen- deren Platz ein. Nunmehr werden die Schiller der hoheren Bildungsanstalten in Frankreich auf vier verschiedenen Bildungswegen das Zeugnis der Reife (Baccalauretat) erlangen.

Russland. Um das bevorstehende zwei- h under j ah rige Bestehen Petersburgs zu feiern, beschloss die Stadtverwaltung einmalig sechs Millionen Rubel bereit zu stellen zur Vermehrung der Zahl der Volksschulen und der Einftihrung des unentgeltlichen Unterrichts in diesen. Dass die russische Presse diesen treff- lichen Entschluss mit Freuden begrtisst, versteht sich von selbst.

Ein Bericht der Kaiserl. Hochschule zu Moskau sagt, dass die Kenntnis des Deut- schen unbedingt auf alien hoheren Schu- len zu fordern ist, vor der franzosischen

Bucberbesprecbungen.

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oder englischen Sprache. Ferner heisst es in demselben: ,,Bei jeder wissenschaft- lichen Arbeit auf jeglichem Gebiete ist die Kenntnis der deutschen Sprache sehr wichtig, da einerseits bei der hohen Ent- wicklungsstufe der Wissenschaft in Deutschland die deutsche Literatur sehr reichhaltig ist und andererseits jedes hervorragende Buch, in welcher Sprache es auch erschienen sein mag, sofort ins Deutsche iibersetzt wird." Fiir das Lehr- jahr 1899|1900 empfehlen etwa 200 Hoch- schiiler im ganzen 1548 Lehrbiicher. Da- von sind nur 53 v. H. in russischer Spra-

che, 46 v. H. sind in anderen neuen Sprachen und 1 v. H. in den alten Sprachen abgefasst. Die Zahl der in den neuen Sprachen, mit Ausnahme des Rus- sischen, verfassten Biicher betrat 703 ; davon sind 66 v. H. deutsch, 27 v. H. franzosisch und 7 v. H. englisch. Da- nach erscheint Deutsch dreimal wichtiger als Franzosisch.

Schiveiz. Die Schulbehb'rden von Schaffhausen haben beschlossen, es sei den Lehrern in Zukunft verboten, den Kindern iiber Sonntag Hausaufgaben zu geben.

Bucherschau.

I. Bucherbesprechungen.

Anno 1870. Kriegsbilder von Detlev von Liliencron. Selected and edited with introduction, notes and vocabulary by Dr. Wilhelm Bernhardt. Boston, D. C. Heath & Co., 1903. VIII— 138 Ss.

Geschichte des dreissigj&hrigen Krie- ges von Friedrich Schiller. Drittes Buch. Edited with introduction and notes by C. W. Prettyman. . . Boston, D. C. Heath & Co., 1902. XV— 170 Ss.

Zu der unter ( 1 ) genannten Auswahl aus von Liliencrons Kriegsnovellen sind Herausgeber und Verleger nur zu be- gluckwiinschen. Das war wieder einmal ein Griff ins Voile und bietet eine ange- nehme Abwechslung in der Lektiire fiir die ersten Jahre des deutschen Lehrgan- ges. Die kurze, aber vollauf geniigende Einleitung entrollt ein in grossen Ziigen gehaltenes Bild des unvergleichlichen Krieges und charakterisiert den Verfas- ser der Kriegsbilder in feiner und treff- sicherer Weise. Dem Text (56 Seiten) folgen 21 Seiten Anmerkungen und ein ausfiihrliches Worterverzeichnis von 58 Seiten. Zu S. 8 Anm. 3 ware zu bemer- ken, dass ,,Kommando" aus dem Italieni- schen oder Spanischen, nicht aber aus dem Hollandischen stammt. S. 9. Anm. 1 : die iiblichere Aussprache von Signal zeigt doch wohl stimmhaftes s und ein- faches g statt des nasalen ng. Seite 24 Anm. 3: Losung=pass-word (wie in der tfbertragung des Zedlitzschen Gedichtes; der erste Teil der Anmerkung ist irre- fuhrend). S. 36 Anm. 7: Nach der ttberlieferung ist Michael kein Cherub, sondern ein Erzengel; der Hiiter am Eingange des Paradieses ist Gabriel. Der Drache ist hier genauer als der Hollen- drache zu kennzeichnen, um einer Ver- wechslung Michaels mit dem heiligen

Georg vorzubeugen. Erwiinscht ware eine Anmerkung zu S. 22 Z. 9 iiber Her- kunft und Aussprache des Namens Kjer- kewanden. tfbungen zum Riickuberset- zen aus dem Englischen ins Deutsche sind dem Buche nicht beigegeben; der Herausgeber hat dies wohl unterlassen in der richtigen Erkenntnis, dass sich ein solcher Text wegen der Eigenart des Wortschatzes und der vielen standes- sprachlichen Ausdrucke iiberhaupt nicht sonderlich zu ttbungen im freien Ge- brauch des Deutschen eignen diirfte.

Das dritte Buch von Schillers Ge- schichte des dreissigj&hrigen Krieges hat der Zwolferausschuss als geigneten Lesestoff fiir das dritte Jahr des deut- schen Unterrichts an Mittelschulen em- pfohlen. Eine Auswahl aus Schillers Darstellung mit besonderer Riicksicht auf die Geschichte Gustav Adolfs und Wal- lensteins hat schon 1899 Prof. Palmer bei H. Holt & Co. in New York erschei- nen lassen. Dieser vorziiglichen Ausgabe gegeniiber fallt die Prettymansche (2), die den ganzen Text des dritten Buches bietet, in Einleitung, Anmerkungen und Ausstattung stark ab. So enthalt die Einleitung kein Wort iiber den offen- baren Zwiespalt in Schillers Darstellung des Charakters und der Motive des Schwedenkb'nigs am Anfang und am En- de des Buches; keine Anmerkung spricht von der heute unumstrittenen Tatsache, dass die Zerstorung Magdeburgs nicht das Werk Tillys, sondern das der Vertei- diger war ; kleine ttbersichtsplane wie die in Palmers Ausgabe wiirden das Ver- stiindnis der Schlachtenschilderungen we- sentlich erleichtern; und ganz ungenii- gend ist die Karte von Deutschland im 17. Jahrhundert auf S. 132, eine nicht

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P'ddagogiscbe Monatsbefte.

in Farben gegebene Karte des damaligen Deutschland ist und bleibt eben ein Un- ding, dem gegeniiber die buntscheckigste Ostereierfarbenmusterkarte der trber- sichtlichkeit halber vorzuziehen ist. Einen sinnstorenden Fehler enthalt die Einleitung, S. IV Z. 1, wo Schiller 1783 als Theaterdichter in Meiningen (statt Mannheim) angestellt wird; auch konnte man aus der Darstellung einige Zeilen spliter die Ansicht gewinnen, Schiller habe von 1787 an bis 1789 bestandig in Weimar gelebt. S. IV Z. 4 v. u. lies Diintzer; S. 35 Z. 2 lies Alliierten. Der Name Donauworth, in welcher Form ihn das ( unvollstandige ) Ortsverzeichnis am Schlusse gibt, erscheint im Text in Schillerscher Schreibung mit e statt 6. In Schulausgaben diirfte es wohl ange- zeigt sein, solche Namen in der heutigen Fassung zu geben; z. B. auch Kastel (S. 25 Anm. 2) statt der friiheren Form Kassel, besonders wenn das einzige auf der Karte erscheinende Kassel das an der Fulda ist. Zu S. 1 Anm. 3 ist hinzu- zufiigen, dass die Form ,,Europens" heute nur noch im hohe'ren Stil gestattet ist. Anmerkungen waren erwiinscht an fol- genden Stellen: S. 2 Z. 6: die heute ge- brauchliche Form fiir das Schillerschfe Ligue ist das lateinische Liga. S. 4 Z. 6: Unmacht, heute Ohnmacht. !S. 8 Z. 32: Reinigkeit, heute Reinheit. S. 12 Z. 23: Upsal, heute allgemein Upsala. S. 13 Z. 14 (und S. 34 Z. 29) : Traktaten, heute ganz uniiblich fiir Verhandlungen. S. 20 Z. 13 (und ofters) : wahrend dass, heute nur wahrend. S. 21 Z. 22 : Pfaffen hier nicht im verachtlichen Sinne ge- braucht. S. 29 Z. 10: Gymnasium als allgemeiner Name der deutschen Mittel- schulen ungeniigend erklart. S. 45 Z. 2: Magdeburg nicht von Tilly eingeaschert ; s. o. S. 46 Z. 22: abgeschildert, heute geschildert. (Hier ware ein Verweis auf den heute noch in Franken iiblichen Kin- derreim ,,Kindle, Kindle, bet'! Jetzund kummt der Schwed'!" nicht unange- bracht.) S. 52 Z. 3: welche, in solcher Fiigung heute nur die. S. 95 Z. 27: Lagern, heute ohne Umlaut. S. 126 Z. 24: Warum nicht ruhig ,nur* statt ,nun' einsetzen und die Anmerkung demgemass andern? S. 129 Z.2: inTrummern (Dativ des Plurals) fallen findet sich auch heute noch, ebenso in Stiicken schlagen, gehen, u. s. w., wenn auch selten. S. 131 Z. 21 : mit Unruh' und Neide, heute nur Neid. Ein genaueres Nachprufen, als ich mir gestatten konnte, wird vielleicht noch mehr Punkte entdecken, die einer nahe- ren Erklarung bedurfen. Zur raschen Lektiire mag sich die Prettymansche Ausgabe eignen; zu eingehenderer Be-

schiiftigung jedoch ist die Palmersche entschieden vorzuziehen.

Edwin C. Roedder. University of Wisconsin.

German Daily Life. A reader giving in simple Gernian full information on the various topics of German life, manners, and institutions. By R. Kron, Ph. D. (Goettingen). Newson & Company, New York.

One of the most fascinating little books that I have ever seen in many a day is Kron's "German Daily Life." As Mr. Buell says in the Introduction: "Such a book as this will be a valuable addition as a reader to any course. The language is pure, the style excellent, the matter interesting and valuable. One hour a week for a year will be sufficient to complete it. It will yield rich returns for all the time spent in the light which it will throw upon literature and hist- ory." It can well be taken as the basis for work in the practical use of the language. All the subjects treated have a human interest, and there is hardly a dry page among the nearly three hun- dred that make up the book.

About forty pages are devoted to Alltagsdeutsch. This part is a mine of information, and contains much that cannot be found elsewhere, and that could be collected only after long resi- dence in Germany. It comes to the assis- tance of students where dictionaries fail. The student is properly warned to use with caution the words and phrases here gathered together.

The work can be recommended for use in secondary schools or college.

Newson's First German Book. By 8. Alge, 8. Hamburger, Walter Rippmann, and Walter H. Buell. Newson & Com- pany, New York.

Te method of this book presupposes that German will be the language of the class-room, but it is not considered an unpardonable sin by the authors for the teacher to use an English word when it will contribute to accuracy of thought and economy of time. The book is in- tended for the use of children; for their private study are appended on folded sheets reduced copies of four Holzel pict- ures representing the seasons. The value of these is doubtful. The main body of the work does not differ essentially from other publications of the kind.

The vocabulary gives a complete sent- ence with each word, the principal word being indicated by black type. The ad- vantage in this plan is that the student is led to think of the word not as an in-

BUcberbesprecbungen .

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dividual but as belonging in a group with a connected meaning. In each case there is a reference to the exercise in which the word occurred for the first time. The choice of these illustrative sentences is of course arbritrary. Following the vocabulary are poems that are intended to be read with some of the lessons in the earlier part of the book. The vocabulary of each poem is similar to that of the lesson with which it is intended to be used. For instance, lesson seventeen deals principally with birds, and the compan- ion poem is Hoffmann von Fallersle- ben's Das Lied der Vogel. Of the thirty- three poems, seventeen are by this poet. A more representative selection might have been made.

At the end of the book a few pages are devoted to phonetics, that is, there are ten exercises transcribed, without com- ment, into phonetic notation. The sys- tem of the Association Phon6tique Inter- nationale is used.

This "First German Book" will attract young pupils, and it is well arranged for use in the secondary schools of about the grade of the grammar-school.

Newson's German Reader. By 8. Alge, Walter Rippmann, and Walter H. Buell. Newson & Company, New York.

The authors of this Reader start with the conviction that the problem of teach- ing pupils to think and to express them- selves in a foreign language has found no satisfactory solution, and they hold that the end can be most nearly approxi- mated by making a part of the work for every recitation consist in the thorough mastery of short selections, which are in- teresting to the pupil and stimulating to his imagination. And so the book they have produced concerns itself with the home and familiar objects of the street, and with poems and stories that are within the grasp and the experience of every pupil. There are a few illustra- tions, designed to assist the pupil by pre- senting to his eye the objects mentioned in the lessons. For instance, the picture entitled Die Wohnung will have special interest for young pupils for it shows the interior of a German home, and they will thus be enabled to grasp at a glance the essential characteristics of German style of household furniture and domes- tic arrangement. Nearly all the lessons are closed with three topics: Fragen, Grammatisches, and Aufgabe. The Fra- gen are intended to stimulate conversa- tion in German; the names of the other topics indicate their character.

The- vocabulary, which is an interest- ing piece of work, covers more pages than

the main part of the book, there being 116 pages devoted to vocabulary and 108 pages to the preceding part. The whole vocabulary is in German, and it is ele- mentary, clear, and rich in suggestion; it contains more than mere definitions. Following the vocabulary are two pages on German money, weights, etc. The work closes with a short collection of Gedichte and Marchen.

Charles Bundy Wilson.

Choice Songs. Book one. Part I, con- taining one and two part songs. Part II, containing two and three part songs. Selected and arranged by H. 0. R. Sie- fert, Superintendent of Public Schools, Milwaukee, Wis. Butler, Sheldon & Co., Philadelphia, New York, Chicago.

Durch die vorliegende Liedersammlung hat der Verfasser sein Material von fur die Volksschule passenden Gesangen ver- vollstandigt, und diese bietet nun in Verbindung mit der vor drei Jahren er- schiedenen Sammlung fiir Sopran, Alt und Bass einen liickenlosen Liederkursus fiir die acht Grade der Volksschulen. Was wir damals an der ersten Sammlung als riihmenswert hervorhoben, gilt auch von der vorliegenden, deren ganze An- lage den praktischen Schulmann verrat. Nur musikalisch Wertvolles ist aufge- nommen, und der Liederschatz fast aller Nationen hat Vertretung gefunden, aber die uns alien so lieben deutschen Volks- lieder bilden gleichsam den Grundstock der Sammlung. Auch die Texte sind geschickt gewahlt; sie sind dem Ver- standnis der Alterklassen, fiir die die Lieder bestimmt sind, angemessen und ihrem Inhalte nach dem Charakter der Melodie angepasst. Die Sammlung ent- halt iiber 300 Gesange und wird daher sowohl dem Geschmack eines jeden Ge- sanglehrers, als auch den Bediirfnissen einer jeden Klasse Rechnung tragen kon- nen.

OrthographischesWorterbuch der deut- schen Sprache von Dr. Konrad Duden. Nach den fiir Deutschland, dsterreich und die Schweiz giiltigen amtlichen Re- geln. Siebente Auflage. Preis 1 M. 65 Pf. Von dem gleichen Verfasser : Ortho- graphisches Worterverzeichnis der deut- schen Sprache. Preis geheftet 20 Pf., in Leinwand gebunden 50 Pf. Verlag des Bibliographischen Institutes in Leipzig und Wien.

Das Dudensche Worterbuch oder ,,der Duden", wie es der Volksmund getauft hat, erfreut sich seit dem Erscheinen der ersten Auflage kurz nach dem ersten Er- lass des preussischen Kultusininisters) beziiglich der Reform der deutschen Or- thographie einer grossen Popularitat, so

128

P'ddagogische Monatshefte.

dass es gegenwiirtig in jeder Frage der deutschen Orthographic als Autoritat an- gesehen wird. Die vorliegende Auflage war notwendig, nachdem im letzten Jah- re weitere Schritte in der Orthographie- reform getan worden sind, auf welche in den P. M. wiederholt hingewiesen wurde. Das Worterbuch hat seit seinem. ersten Erscheinen bedeutende Erweite- rungen erfahren. Es ist, sowohlt was die auch hier nicht fehlenden Regeln als was den auf das augenblickliche Nach- schlagebediirfnis berechneten Wortschatz betrifft, eine volligeNeubearbeitung, ohne dass jedoch an den altbewahrten Grund- festen, welche das Werk jedem Benutzer bisher ebenso wert wie unentbehrlich ge- macht haben, geriittelt worden ware: VollstJindigkeit der zulassigen Schrei- bungen fiir Worter aller erdenklichen Art, wobei insbesondere auch mundart- liche, wissenschaftliche und technische Ausdriicke beriicksichtigt sind; zahl- reiche kurze Wort- und Sacherklarungen, Verdeutschungen von Fremdwb'rtern, grammatische Winke u. s. w. ; all dies ist geblieben, nur mit Sorgfalt, wie es von dem auch am Zustandekomraen der ,,neuen Rechtschreibung" hervorragend beteiligten Verfasser nicht anders zu er- warten war, auf den neuesten Stand und der relativen Vollstandigkeit wieder ei- nen Schritt naher gebracht. Alles in allem, das alte Buch in neuen Formen, und der Empfehlung, wenn auch nicht mehr bediirftig, so doch im hb'chsten Gra- de wert.

Das zweitgenannte Worterverzeichnis ist ein Auszug aus dem obengenannten Worterbuch und kann als der im Leben und in der Schule gleich unentbehrliche orthographische Hausrat bezeichnet wer- den.

Zur Jugcndschriftenfrage. Eine Samm- lung von Aufsatzen und Kritiken. Mit dem Anhang: Empfehlenswerte Biicher fiir die Jugend mit charakterisierenden Anmerkungen. Herausgegeben von den vereinigten deutschen Prufungsausschiis- sen fiir Jugendschriften. Leipzig, Ernst Wunderlich, 1903. Preis M. 1.60; geb. M. 2.

Wer je einen Einblick in die ungeheure Menge von Jugendschriften getan hat, weiss, wieviel Wertloses, ja fiir den wer- denden Charakter des Kindes geradezu Gefiihrliches sich unter denselben be- findet. Es ist das Verdienst der deut- schen Jugendschriftenkommission, das Material zu sichten und furchtlos die Spreu aus dem Weizen zu scheiden. Hire monatliche Veroffentlichung, ,,die Ju- gendschriftenwarte", die, nebenbei ge- sagt, kiirzlich ihren elften Jahrgang be- gann, halt den deutschen Lehrer beziig- lich aller Neuerscheinungen auf dem Ge- biete der Jugendliteratur auf dem lau- fenden.

Das vorliegende Buch ist gleichsam eine Zusammenfassung der langjahrigen Arbeit der genannten Kommission. Auf den 143 Seiten bringt es zunachst einige Originalaufsiitze, alsdann eine Auswahl von Kritiken zugleich mit einer Inhalts- angabe der neueren Jugendschriften, end- lich ein Verzeichnis empfehlenswerter Jugendlektiire. Die kurzen Angaben wer- den geniigen, um die Aufmerksamkeit unserer Leser auf dieses Werkchen zu lenken. Gerade der deutschamerikani- sche Lehrer kommt sehr haufig in die Lage, Auskunft oder Ratschlage beziig- lich geeigneter Jugendlektiire fiir unsere Jugend erteilen zu miissen. Da wird ihm dasselbe als wertvolles Vademekum die- nen konnen. M. Q.

II. Eingesandte Biicher.

The English Language. An introduc- tion to the principles which govern its right use, by Frederick Manley and W. ~N. Hailmann. .. Boston, C. C. Birchard & Co., 1903.

The Laurel Readers, a Primer by W. N. Hailmann, illustrated by Marie Estelle Tufts, with an addition: Suggestions to

Teachers. C. C. Birchard & Co., 1903. Der Talisman, dramatisches Marchen in vier Aufziigen von Ludwig Fulda. Edited with introduction and notes by Edward Stockton Meyer, Ph. D., Asso- ciate Professor of German in the Western Reserve University. New York, Henry Holt & Co., 1903. Price 35 cts.

Padagogische Monatshefte. :

PEDAGOGICAL MONTHLY.

Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.

Organ des

Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.

Jahrgang IV. April 1903. Heft 5

Nationaler Deutschamerikanischer Lehrerbund.

Aufruf zur Beteiligung an der 33. Jahresversammlung in Erie, Pa., 30. Juni, 1. 2. und 3. Juli 1903.

(Offiziell.)

Zum erstenmale seit dem Bestehen des Lehrerbundes findet unsere Jahresversammlung in Erie statt. Fiir die Vortrage sind tuchtige Krafte gewonnen, und der Ortsausschuss wird alles tun, was er vermag, um den Besuchern den Aufenthalt in unserer Stadt zu einem angeneh- men zu machen.

Erie ist fur eine Konvention ausserordentlich giinstig gelegen ; denn es ist vom Osten sowohl als auch vom Westen leicht zu erreichen. Die Stadt bietet mit ihrer ,,Presque Isle Bay" mancherlei Erinnerungen an historische Ereignisse. Das Klima ist daselbst auch im Hochsommer ein angenehmes, und fur die Bequemlichkeiten der Gaste wird in Erie wohl gesorgt werden.

Man findet hier ein kraftiges, gesundes Deutschtum, und die Pflege der deutschen Sprache in der Volksschule erfreut sich eines glucklichen Gedeihens.

Wir richten an alle Lehrer und Freunde der deutschen Sprache und des deutschen Unterrichts die dringende Bitte, den Lehrertag recht zahl- reich zu besuchen ; nur dann konnen wir Erspriessliches leisten. Vieles ist schon geschehen, aber es bleibt noch manches zu tun iibrig.

- In dem Maihefte der P. M. wird mit dem vollstandigen Programme

130 Padagogiscbe Monatsbefte.

auch Auskunft iiber Wohnungsverhaltnisse, sowie iiber Eisenbahn- und Dampferverbindungen gegeben werden.

Alle Anfragen bittet man an den Prasidenten des Lehrerbundes zu richten.

Der Bundesvorstand. G. G. v. d. Groeben, President, Erie High School, Erie, Pa.

Schiller, Uhland und Hauff in ihrer Bedeutung fiir

die Gegenwart.

Rede, gehalten bei der Jahresfeier von Schillers Geburtstag im Schiller- Verein von St. Louis, Nov. 1902.

Yon Dr. Otto Seller, Washington University, St. Louis, Mo.

Ein Dreiklang von stolzen Namen ertont am Eingang des heutigen Festes. Gehoren sie in irgend einem tieferen Sinne zu einander, oder hat sie die Willkiir des Vergniigungskommissars bloss verbunden, um einen bequemen Festvorwand zu schaffen? Welcher Art ist das Band, das Schiller, Uhland und Hauff in unserem Geiste umschlingt ? Hat vielleicht nur der Zufall sie zeitlich und ortlich verkniipft ? Denn das Schwabenland hat alle drei geboren, und der November war der Schicksalsmonat, der ihnen das Leben oder den Tod brachte.

Dass Schiller und Hauff in diesem Monate geboren und Uhland und Hauff in demselben gestorben sind, scheint mir an sich kein ausreichender Grund fiir diese Feier. Denn wollten wir die Manner der Vergangenheit nach dem Hauskalender gemeinsam feiern, so gabe es oft eine wunder- liche Zusammenstellung unvertraglicher Heiliger.

Und wenn vollends der Schillerverein mit dem heutigen Feste den Manen der drei Dichter eine landsmannschaftliche Huldigung hatte be- reiten wollen, so ware er in der Wahl des Festredners ebenso ungliicklich wie unvorsichtig gewesen.

Im Namen aller nichtschwabischen Teilnehmer an dieser Feier lege ich Verfahrung dagegen ein, dass Schiller, Uhland und Hauff noch fiirder nurals Schwaben betrachtet werden. Das Schwabenland hat sie uns ge- schenkt, heute sind sie langst alldeutsches Eigentum, und wir alle erheben feierlich Anspruch auf unseren Anteil an dem kostlichen Besitze.

Es gibt eine ausgesprochen bodenstandige Heimatkunst, und wir be- kommen neuerdings viel von ihr zu horen; kein Verstandiger wird die voile Berechtigung des zum enger Volkstiimlichen strebenden Schrifttums in Abrede stellen, dessen Verdienste schmalern wollen. Aber es gibt denn doch neben dieser regionalen eine in die hochsten Spharen des Gedankens

Schiller, Ubland und Hauffin ihrer Bedeutung ftir die Gegenwart. 131

hinantragende Menschheitkunst, und ihr Gesichtsfeld reicht weit iiber jene Grenzen hinaus, die auf der Landkarte blau und rot und grim ange- strichen sind.

Im weiten Reiche dieser Kunst haben sich unsere drei Dichter mit Eh- ren das Burgerrecht erworben. Es hangen aber ihre Namen in der Tat nicht durch Zufallslaune, bloss ausserlich, sondern durch Faden von bin- dender Kraft auch innerlich zusammen. Unsere fortdauernde Anhang- lichkeit an Schiller, Uhland und Hauff erklart die sie einigende Haupt- eigenschaft : sie waren insgesamt grosse Volksdichter. Auf diesen Ruhm haben sie das gleiche Anrecht, so ungleich ihre Grosse sonst: denn wer erschiene nicht kleiner neben der Erhabenheit Schillers ?

Sie waren alle aus einer grossen ,,Kunstperiode" hervorgegangen. Der Romantik wie dem Klassizismus lag als Haupttendenz dieselbe Ent- schlossenheit zu Grunde, sich der armseligen deutschen Umgebung, mit deren Erbarmlichkeit die Kunst nichts anzufangen wusste, durch den Flug in eine ideale Welt zu entziehen. Erst die Spatromantik schlug die verbindende Briicke, so dass die Dichtung wieder den Fuss auf deutsche Erde setzen konnte. Es ware also gar nicht zu verwundern gewesen, wenn ein Schiller sich in vornehmer Abgeschlossenheit mit seinen Werken nur an die kleine Gemeinde gewandt hatte, mit deren Beifall sich Goethe begniigte. Statt dessen wirkte er mit alien Kraften fur den weitesten Kreis. Und ebenso standen auch Uhland und Hauff nicht als Priester eines Geheimkultus an der Tempelpforte und wehrten den Profanen, son- dern sie schufen ihrem Worte eine breite Resonanz in der ganzen bil- dungsfahigen Masse ihres Volkes.

Dass der kraftige Schaffenstrieb bei jedem der drei Volksmanner anders durchschlug, lag in ihrer natiirlichen Verschiedenheit. Durch spe- zifische Beanlagung wurden sie einzeln auf die entsprechenden Hauptge- biete kiinstlerischer Tatigkeit geleitet, und es durften die jiingeren Dichter erganzend in die Lucken von Schillers kolossalem Werke treten.

Schiller war vornehmlich Dramatiker. Fast ist man versucht zu sa- gen ausschliesslich, so sehr wiegt der dramatische Charakter auch in je- nen Schillerschen Werken vor, die ausser den Schauspielen heiite noch ein lebendiger Bestandteil unseres nationalen Schrifttums sind. Das trifft namentlich auf die grossen Balladen zu, mit ihrem belebten Tempo, ihrer szenischen Ausstattung, getragenen Rhetorik, plastischen Gruppierung, kurz, wenn ich den Ausdruck in tiefster Ehrerbietung anwenden darf, ihrer Theatralik. An der dramatischen Technik hat gleichfalls die re- flektive Dichtung teil; zumal deren vollendetste Leistung, das Lied von der Glocke. Rein lyrische Gedichte finden sich bei Schiller so gut wie garnicht.

Ja sogar seine historiographischen Werke durchzieht eine machtige dramatische Unterstromung. Wahrend der Geschichtsphilosoph Schiller

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schon vorschauenden Geistes die moderne entwicklungsgeschichtliche Er- kenntnis teilt, dass es die sozialen Krafte sind, die den Werdegang der Menschheit im wesentiichen bestimmen, so greift er doch zur Darstellung nur die konvulsivischen Ereignisse heraus, die den stetigen Gang der lang- sam arbeitenden aber tmendlich feinmahlenden Gottermiihle scheinbar un- terbrechen ; und er wahlt mit Vorliebe historische Handlungen, auf deren Verlauf die iiberragende Einzelperson ausschlagebend wirkt. Tritt sodann der Ausnahmsmensch vom Schauplatz, so nimmt Schillers Anteil ersicht- lich ab, so dass er beispielsweise die Geschichte des dreissigjahrigen Krie- ges nach dem Hingang der grossen Gegenspieler Gustav Adolf und Wal- lenstein nur mit erlahmtem Interesse zu Ende zu fiihren vermag.

Wie Schiller zum Dramatiker, war Uhland zum Lyriker pradesti- niert ; es sind darum auch unter seinen dichterischen Erzeugnissen einzig die Gedichte, denen die Gegenwart ein unaffektiertes Verstandnis entge- gentragt. In sehr weiten Kreisen ist der Irrtum zu Hause, dass sich das lyrisch hochbegnadetelndividuum nurdurch rucksichtslose poetischeSelbst- durchsetzung bekunde, wie sie zum klassischen Beispiel Heinrich Heine iibte. Und da mag es zunachst befremden, wie wenig uns Uhlands Lyrik von der Eigenart seiner tiefen Personlichkeit verrat. Nun ist es unwider- ruflich wahr, dass alle echte Lyrik subjektiv ist, was aber nicht bedeutet, dass der Dichter eine einzigartige Personlichkeit zu besitzen oder, falls er sie hat, ungemildert hervorzustellen braucht. Wie hatte sonst das Volks- lied entstehen konnen ?

Gerade mit letzterem nun hat Uhland die Quelle der Popularitat gemein : das Ich verbleibt allemal innerhalb einer umfangreichen Katego- rie, und statt wie etwa Heine im Gedicht vor alien Dingen ein eigenmensch- liches Dokument zu liefern, leiht sich der Sanger zum naturgemassen Or- gan einer gleichgestimmten Vielheit.

Somit erfiillt Uhland schwerlich Emile Zola's bekannte Forderung, die Dichtung solle einen durch ein Temperament hindurch betrachteten Weltausschnitt zeigen. Im Gegenteil: er selbst schaut die Aussenwelt durch das Medium des poetischen Volksgemiits. Kein loderndes Tem- perament setzt hier den Hebel an zur poetischen Tat, sondern umgekehrt, der Dichter selbst ist Werkzeug der ihn unwiderstehlich zu sich hinziehen- den Naturseele.

Von der willensfreien, herben Energie Schillers steht diese Art fernab. Was Wunder, dass vor Uhlands Kunst die Dinge sich diskret in den letzten Schleier einhiillen ! So erscheinen sie niemals scharf profiliert ; umsomehr verweilt unsere Aufmerksamkeit bei den typischen Reizen von Kontur und Form : die edlen Konige, zarten Burgfraulein, zierlichen Ritter, from- men Hirtenknaben, blinden Harfner sind alte Hebe Bekannte. Und auch Bach und Baum, Blume und Stern meinen wir von jeher ganz so geschaut zu haben.

Schiller, Uhland und Hauffin ihrer Bedeutung fUr die Gegenwart. 133

Dass Hauff, der ausgezeichnete, in mehr als einer Hinsicht uniiber- troffene Erzahler, gleichfalls seine Kunstgattung in Gemassheit seiner natiirlichen Begabung wahlte, bedarf keines naheren Nachweises.

Nach dem Erscheinen von Scotts "Waverley" (1814) wurde auch in Deutschland die vaterlandische Geschichte zu einem Lieblingsgegenstand zahlreicher Nacheiferer und Nachahmer. Aber Wilhelm Hauff war kein blosser Epigone, sonst hatte seine ,,romantische Sage aus der wurttem- bergischen Geschichte", Lichtenstein, nicht im Gegensatz zu den ephe- meren Biichern der Modeschriftsteller vor der hochsten Instanz des lite- rarischen Urteils, vor der unumstosslichen Kritik der Zeiten, bestanden und nun schon beinahe achtzig Jahre sich unerschiittert in der Gunst eines ungeheueren Leserkreises erhalten. Eine nicht minder reiche Lebensader schlagt in seinen anmutigen, ergreifenden Novellen, seinen von Trinker- weihe durchwehten ,,Phantasien im Bremer Ratskeller" und in den zeit- satirischen ,,Memoiren des Satan". Sie alle haben deshalb ihre wohlver- diente Popularitat in unsere fernliegende Zeit heriibergerettet.

Jede Zeit muss sich ihre eigenen Wegweiser erzeugen ; aber die Rich- tung geben die unverganglichen Werke der Meister. Um die Nachwir- kung der von Schiller, Uhland und Hauff aufgestellten Muster zu wiirdi- gen, werfen wir nun einen Blick auf ihr Vollbrachtes.

Den Dichtern, deren Andenken dieser Tage hier und anderorts geehrt wird, war die Zeit karg zugemessen. Schiller erlag der Krankheit im sechsundvierzigsten Jahre seines Lebens, nachdem er, schon lange todes- wund, seinem gebrechlichen Korper vermoge einer unerhorten Willens- kraft die grossartigsten Leistungen abgetrotzt hatte. Wenn man von Schiller sagt, er habe mit seinem Herzblut geschrieben, so ist das nur zum kleinsten Teile Phrase. Denn er hatte ungefahr seit 1798 bei klarer Er- kenntnis der Gefahr seine Arbeitskraft unausgesetzt iiber die Grenze menschlicher Leistungsfahigkeit hinaus angespannt und um seine gro- ssen Dramen den teuren Preis der besten Mannesjahre willig hingegeben. Selten ist die Macht des Geistes so vollig des physischen Gebrechens Herr geworden. Keine Spur von Krankheit haftet an Schillers Meisterwerken. Vom Wallenstein bis zum Demetrius, welch eine Bergfahrt im Alpen- lande der Kunst ! Da geht's von der Hohe der Vollkommenheit immer noch aufwarts zu neuen Hohen. Und wie nahe war der Demetrius, in welchem wohl der Aufstieg gegipfelt hatte, seiner Vollendung, als Schiller mitten im Arbeiten und Planen dahingerafft ward! Kein anderes Schillersches Werk vermag uns in gleichem Grade in personliche Beziehung zum Dich- ter zu setzen, wie der Demetrius. Unter den nachgelassenen Fapieren sind die Vorarbeiten zu diesem Schauspiel bis auf den unbedeutendsten Zettel erhalten. Vom formlosen Rohstoff konnen wir die mahliche Em- porbildung des Kunstwerks bis zur edlen Harmonic der zur Vollendung gediehenen Teile in der Werkstatte des Meisters beobachten.

134 P'ddagogische Monatsbeftt.

Sei es mir gestattet, jede iiberfliissige Anpreisung von Schillers allbe- kannten Grosswerken zu unterdriicken, und im Geiste das zu uberfliegen, was Schiller noch fur die Zukunft gewollt und bedacht.

Uberreichliches Arbeitsmaterial lag in seiner unerschopflichen Vor- ratskammer aufgespeichert. Auf der letzten Seite von Schillers Notiz- buch sind einunddreissig Dramen verzeichnet, von denen sechs als fertig durchstrichen sind. Nicht alle Entwiirfe waren bis zur Niederschrift ge- diehen ; bei mehreren diirften die Aufzeichnungen verloren sein.

Eine ganze Reihe Helden aus der deutschen Geschichte harrte von fruherher der gestaltenden Hand desDramatikers : ,,GustavAdolf,Friedrich der Grosse, Bernhard von Weimar, Ludwig von Bayern, Friedrich von Osterreich. Die vorhandenen sechzehn schriftlichen Entwurfe gewahren Einblick in die weltumfassenden Aufgaben, mit denen sich Schillers Rie- sengeist trug. In den ,,Maltesern" sollte gleichwie in der griechischen Tragodie ein einheitlicher Chor die Handlung begleitend durchschreiten. Ein eigentliches Charakterdrama ware hingegen ,,Agrippina" geworden, denn nach Schillers Absicht sollte Neros Mutter, ohne ihren iiberlieferten abscheuerrengenden Charakter abzulegen, dem Horer nichtsdestoweniger ein reichliches Teil menschlichen Mitleids entlocken.

Der Romertragodie hatte der ,,Tod des Themistokles" gegeniiberge- standen, ein grossziigiges, farbensattes Abbild griechischen Lebens.

In anderen Entwiirfen steht statt des historischen Moments ein ethno- graphisches in der Mitte. Wir konnen uns kaum die allerentfernteste Vorstellung machen, wie Schiller in den Schauspielen ,,das Schiff" und ,,die Flibustiers" den zentralen Gedanken herausgearbeitet hatte. Enorme stoffliche Schwierigkeiten waren da zu bewaltigen. Die Konzeption entsprang der Lektiire von Beschreibungen des Seelebens und uberseei- scher Verhaltnisse. In lebensvollen Bildern sollten geographische Ent- deckungen, die buntesten Episoden und krausesten Abenteuer des See- mannsleben zu dem Schicksale der Hauptpersonen in Wechselbeziehung gesetzt werden. Landen und Absegeln, Sturm, Scheitern der Schiffe, ausgesetzte Mannschaft, Leben der Kreolen, Brand im Wasser, verlo- rener Anker, Seebegrabnis ; solche und mancherlei ahnliche Momente ge- dachte Schiller in diese beiden Stiicke einzuflechten. Er, der kein grosse- res Gewasser als die Elbe kaimte, wollte in dem einen davon, dessen Hand- lung sich ganz auf See abspielen sollte, das ,,Schiff als eine Heimat, eine eigne Welt" darstellen.

Ein womoglich noch bunter belebtes Kulturbild ware das Schauspiel ,,die Polizei" geworden. Urspriinglich plante der Dichter eine zweiteilige Tragikomodie uber diesen Stoff, doch gab er anscheinend den Gedanken an das Lustspiel uber den Gegenstand auf ; hingegen beschaftigen sich zwei Entwurfe: ,,Narbonne, oder die Kinder des Hauses" und ,,Die Polizei",

Schiller, UHand und Hauffin ihrer Bedeutung fttr die Gegenwart. 135

ein Schauspiel, mit dem tragischen Teile. Den Stoff gab das gross- stadtische Treiben in Paris her, das Schiller zwar nicht aus der Anschau- ung kannte, das er sich jedoch kraft seiner schopferischen Phantasie in greifbarer Wirklichkeit vorzustellen imstande war.

Auch auf eine Fortsetzung der Rauber unter dem Titel ,,die Braut in frailer" hatte Schiller schon seit friiher Zeit seinen Sinn gerichtet. Ferner hatte er, so viel uns bekannt, noch folgende Stiicke vor: ,,Elfriede", aus der Geschichte der Angelsachsen, ,,Die Grafin von Flandern" und ,,Der Graf von Konigsmark", aus anderen historischen Perioden geschopft. So- gar einen romantischen Operntext : ,,Rosamund oder die Braut der Holle" nahm der Dichter in Arbeit.

Von all diesen Planen sind allerdings nur zwei weit genug ausge- fiihrt, um dramaturgische Beachtung zu verdienen : Warbeck und Deme- trius. Aber es ist leicht zu ersehen, welch eine unermessliche Fiille von dichterischer Tatkraft noch in dem rastlosen Riesengeist enthalten war, als die gleichgiiltige Hand der Natur dazwischengriff und das geweihte Leben des herrlichen Mannes unerbittlich zerstorte. Es mutet uns an wie ein bit- terer Hohn des Schicksals, dass nicht lange nach Schillers Hingang sein wahlverwandter Landsmann, der seelenvolle Holderlin, dreissigjahrig in unheilbaren Wahnsinn verfiel, und dass er, fur den der Tod ein wahrer Er- loser gewesen ware, noch fast vierzig Jahre hindurch in briitendem Blod- sinn fortvegetieren musste.

Ich habe auch Ludwig Uhland zu den kurzlebigen Dichtern gezahlt; denn obschon er ein Alter von fiinfundsiebzig Jahren erreichte, so er- streckte sich seine poetische Fruchtbarkeit iiber wenig mehr als acht Jahre und war folglich von erheblich kiirzerer Dauer als diejenige Schillers. Wahrend dieser kleinen Spanne hat Uhland seinem vollen Herzen die quellenfrischesten Tone entstromen lassen. Bald, und fast plotzlich, ver- stummte sein Liedermund. Das seitherige Streben des freisinnigen, opferwilligen und als Politiker wie Gelehrter hochbedeutenden Mannes verfolgte andere Wege als die blumigen Pfade im Irrgarten der Poesie und legte dadurch Zeugnis ab fur eine richtige Selbstbewertung, die leider unter den Poeten ebenso selten ist wie unter den Alltagsmenschen. Als grazioser Lebenskiinstler sprach Uhland seiner Muse das Goethesche Ur- teil:

Die Jugend ist um ihretwillen hier, Es ware toricht, zu verlangen: Komm, altle du mit mir.

Denn das tiefinnerste Geheimnis von Uhlands Wirkung heisst : Stim- mung, und der Schliissel dazu : Jugend. Die liebliche Romantik, die zarte Glut, die frauenhaft keusche Weltbetrachtung und der erfrischende Opti- mismus seiner Lieder, das ist ein Quickborn, dessen wir nimmermehr ent-

136 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

behren mochten. Aber er sprudelt nur kurze Zeit in einem Herzen. Kin Dichter wie Uhland ist zu echt, um sich wie ein ewiges Paradigma seiner Kunst unaufhorlich abzuwandeln. Er wird nur so lange singen, bis er seine Welt poetisch ausgebeutet hat. Und die Grenze ist verhaltnis- massig bald erreicht.

Dass Schiller sein dichterisches Lebenswerk in der Vollreife seines Konnens abbrechen musste, war ein nationales Ungliick. Selbst heute vermag der trostreiche Gedanke an den unverlierbaren Besitz, den er uns vollendet hinterliess, kaum den Schmerz um solch jahen Verlust zu sanf- tigen. Von einer gewaltsamen Beendigung kann bei Uhlands Dichtung nicht die Rede sein. Sein poetisches Vermachtnis ist in keiner Hinsicht stiickhaft; sondern es ist das voile Ertragnis einer echten Dichterseele, die sich ausgelebt hatte und von der Gunst des Tages zu unabhangig war, als dass sie sich hatte iiberleben wollen.

Mit Hauff verhielt es sich anders. Er starb fiinfundzwanzigjahrig, also in einem Alter, wo Goethe und Schiller keines ihrer reifen, grosseren Werke hervorgebracht hatten. ,,Dem jungen, frischen, farbenhellen Le- ben, clem reichen Frtihling, dem kein Herbst gegeben" .... zollte Uhland in den Versen ,,auf Wilhelm Hauffs friihes Hinscheiden" das schonste Totenopfer. Und ganz Deutschland betrauerte mit ihm den hochbegabten Jtingling, der in seiner zweijahrigen schriftstellerischen Laufbahn sich aller Herzen erobert hatte. Wie sich sein rasch und leicht produzierendes Talent weiterhin entwickelt hatte, ob Hauff wirklich, wie wohl in manch einer heftigen Lobrede verkiindet wird/ in raschem Siegeslauf den deutschen Roman zur gleichen Hohe mit dem deutschen Schauspiel und dem deutschen Lied emporgefiihrt hatte, dariiber masse ich mir kein Urteil an. Derlei fein abgewogene Behauptungen konnen nicht bewiesen und brauchen nicht widerlegt zu werden.

Wilhelm Hauff gebiihrt das unschatzbare Verdienst, den deutschen Roman in gutem Sinne popularisiert zu haben, indem er ihn, ohne seiner kiinstlerischen Wiirde etwas zu vergeben, fur das Bedurfms des ausge- dehnten Leserkreises umschuf.

Die Klassiker hatten aus naheliegenden Griinden das Feld des histori- schen Romans und der unterhaltenden Novelle im ganzen ziemlich brach liegen lassen. Wielands ,,Agathon" war nach Lessings Meinung ,,der erste deutsche Roman fur den denkenden Kopf von klassischem Ge- schmack". Ganz zutreffend bemerkt Hauffs Herausgeber Felix Bobertag (D. N. L. Bd. 156, 9.) : ,,Wer Romane fur Manner, die nach Lessings Meinung einen denkenden Kopf und klassischen Geschmack besitzen, schreibt, bringt die Gattung durch die Voraussetzung, die er macht, doch wohl in eine Gefahr, in die Gefahr, fiir ein sehr kleines Publikum ver- standlich zu sein. Wer wird leugnen, dass Goethe auf diesem Wege wei-

Schiller, UUand und Hauff in ibrer Bedeutung fur die Gegemvart. 137

tergegangen ist ? Wer sieht nicht, dass Goethe schon mit seinem Werther, noch viel mehr aber mit Wilhelm Meister und den Wahlverwandtschaften seiner Nation Offenbarungen eines Genies vorlegte, die um Offenbarun- gen zu sein und nicht Geheimnisse zu bleiben, eine selbst bei den ,,Gebilde- ten" nur selten mogliche Stufe des geistigen Lebens erforderten ?" Auch die Romantiker haben das Terrain des Romans bepfliigt ich erinnere an die Novellensammlungen Achims von Arnim und an seinen halbgeschicht- lichen Roman ,,Die Kronenwachter" aber ihre unverbesserliche Sonder- art zog die Furchen zu tief, und die Saat konnte nicht aufgehen. Erst Hauff hat den reichen Acker mit dauerndem Erfolg angebaut. Er hat der erzahlenden Gattung, ohne ihren asthetischen Wert herabzustimmen, einen ausserordentlich vermehrten Anhang verschafft, den Geschmack der Leserwelt fur die Folge gehoben und dadurch die vaterlandische Kul- tur gefordert.

Die Namen Schiller, Uhland und Hauff durfen aber insbesondere in Anbetracht der Nachwirkung ihrer Trager auf das geistige Leben der Ge- genwart fiiglich zusammen genannt und gefeiert werden. Es gibt keine Er- scheinung in der deutschen Literatur, die sich beziiglich ihrer praktischen Nachwirkung auf das neunzehnte Jahrhundert mit Schillers Dramatik messen kann ; keinen Sanger, dessen Lied im Volksherzen lebendiger nach- klingt, als Uhlands Lied. Und auch den wohltatigen Einfluss Hauffs kann man kaum zu hoch einschatzen : seine Schriften, die dem Sehwinkel der Vielen nicht entruckt sind, haben durch Stoff und Schreibweise auf die neuere Erzahlkunst unverloschlichen Eindruck gemacht. Freilich, Schil- lers Name iibertont mit seinem ehernen Klange die beiden anderen.

Zweimal hat man im Verlaufe des neunzehnten Jahrhunderts den wahnwitzigen Versuch gemacht, Schiller seinem Volke zu entfremden. Der Versuch ist beide Male klaglich gescheitert. Der Tag, an dem das deutsche Volk Schiller verleugnet, ist der Tag seines hoffnungslosen mo- ralischen Bankerotts. Moge er uns nie erscheinen ! Das Verstandnis fur Friedrich Schiller ist am modernen Menschen der zuverlassigste Grad- messer ethischer Kultur, das sympathische, eindringende Verstandnis, das Schillers Ideale begreift und sie gegebenen Falles in Wirklichkeit umzu- setzen sich nicht scheut. Des hohlen Lobes ist wahrhaftig kein Mangel. Und wie oft ist die vorgebliche Treue gegen sein hehres Werk nichts als eine bequeme Ausrede fur die schnode Ablehnung alles dessen, was in unserer eigenen bewegten Zeit nach kunstlerischem Ausdruck ringt!

Wir haben Goethe, Schiller ja, wohl sagt ihr, Die Klassiker! Doch ihrer zu gedenken, Wie ihre Namen nur zu nennen wagt ihr? Sie stehn bestaubt in euren Bucherschranken, Und weislich je sie aufzuschlagen zagt ihr.

138 P'ddagogiscbe

Lasst euch ein Goldschnitt-Weihnachtsbuch doch schenken! Das passt fur euch. Allein scheinheilig preist Die beiden nicht, und Lessing noch und Kleist.

So ruft in heller Entriistung derselbe Paul Heyse, der doch wieder den unvvandelbaren deutschen Glauben an Macht und Sieg des Ideals mit folgenden derben Worten bekennt : ,,Man mag das Ideal mit der Mistgabel des Naturalismus hinauswerfen so oft man will, es kehrt immer wieder zuriick."

Ein jedes Volk bedarf zu seiner vollstandigen Bildung zweier Litera- turen. Und nun, da das deutsche Leben genugsam erstarkt ist, um die schon von Lessing herbeigesehnte nationale Realistik zu zeitigen, diirfen wir diese mit Freuden als eine durchaus rechtmassige Kunstart begriissen. Hochste Poesie ist und bleibt dessenungeachtet jene beschwingtere Kunst, die ,,als ein weltliches Evangelium durch innere Heiterkeit und ausseres Behagen uns von alien irdischen Lasten zu befreien weiss."

In das Gemeine und Traurigwahre

Webt sie die Bilder des goldenen Traums.

Die an leuchtenden Vorbildern wie Schiller, Uhland und Hauff fest- haltende Begeisterung der Deutschen muss auch hiiben in Amerika halb erloschene Ideale wieder lebendig werden lassen.

Das ist der Sinn dieser Feier. Sie soil dartun, dass wir das Beisam- menstehen noch nicht verlernt haben. Und beisammenstehen, nicht nur gelegentlich, heisst es, wenn wir als Burger unsere Pflicht gegen diese Republik, die uns zum Vaterlande ward, erfiillen wollen. Es liegt im vitalen Interesse der Vereinigten Staaten, dass wir ihrer werdenden Kul- tur die besten Faktoren der unsrigen eingliedern. Die Zivilisierung Ame- rikas ist erst zur Halfte vollzogen. Die Signatur seiner bisherigen Er- rungenschaft auf alien Feldern menschlichen Tuns ist Geschicklichkeit. Das amerikanische Volk bedarf in diesem Zeitalter mehr als jedes andere der Inspiration. Wir wollen uns nicht umsonst in der Riistkammer un- serer glorreichen Vergangenheit gewappnet haben. Namentlich ist es die hochste Zeit, dass in der Krise, die unser materiell voll aufgebliihtes, aber moralisch und asthetisch versumpftes Gemeinwesen jezt durchzumachen hat, etliche unserer wohlbehiiteten Ideale in den politischen Alltagsge- brauch ubergehen.

Die Literaturwerke hohen Stils gewinnen ihre eigentliche Bedeutung fur die menschliche Wohlfahrt erst, wenn sie in werktatiges Bemiihen iibersetzt werden. Sonst bleiben sie in alle Ewigkeit papierene Erzeug- nisse.

Allerlei fiir die Schulpraxis.

(Aus nnsern Tanschblattern.)

Vom Sitzenbleiben. Durch die Arbeit des statistischen Amtes*) ist die Auf- merksamkeit dem Sitzenbleiben in erhohtem Masse zugewendet worden. Die ausser- ordentlichen Abweichungen, die sich in der Statistik zeigen, lassen sich wohl zum grossen Teil erklaren durch die verschiedenartigen Verhaltnisse bei einzelnen Schul- gattungen und Schulen. Zum Teil weisen sie aber doch auch auf eine recht ver- schiedenartige Behandlung der Angelegenheit durch die einzelnen Kollegien und Kol- legen bin. Im Interesse einer Kliirung und Vereinheitlichung ist es deshalb viel- leicht am Platze, einmal zusammenzustellen, was bei der Entscheidung iiber die Ver- setzung eines Kindes etwa zu beriiksichtigen ist.

Einig ist man sich wohl dariiber, dass das Sitzenbleiben nicht als Strafe, son- dern als Heilmittel zu betrachten ist, das zum Segen des betreffenden Kindes ange- wendet wird. Da nun aber fast von alien Betroffenen und namentlich auch meist von den Eltern dasselbe als Strafe und oft auch als Schande empfunden wird, so ist von seiten der Schule mit alien Mitteln gegen diese falsche Auffassung anzukampfen. Vielleicht wiirde es sich empfehlen, zur geeigneten Zeit, vor Schluss des Schuljah- res, die Tagespresse dazu zu Hilfe zu nehmen. Vor allem ist natiirlich ernste Riick- sprache mit den Eltern notig. In der Schule sollte man sich sehr hiiten, faulen oder nachlassigen Kindern mit dem Sitzenbleiben zu drohen. Bei diesen sind andere Mittel am Platze.

Ja, miissen denn aber iiberhaupt die Kinder sitzen bleiben? Ist nicht gerade der ein besonders fleissiger und geschickter Lehrer, dem es gelingt, alle seine Kin- der ans Ziel zu fiihren? Wir wollen sehen. Es ist unerlasslich, dass in einer ge- gliederten Schule fiir jede Klasse ein festbestimmtes Ziel gesetzt wird. Sehr haufig ist nun leider zur wirklichen Erreichung desselben ein Idealschiiler notig. Aber nehmen wir an, dass man bei Festsetzung des Lehrplanes einen Durch schnittsschii- ler im Auge gehabt hat. Was wird nun aus den Kindern, deren Begabung unter dem Normalen liegt? Diejenigen, die dem Durchschnitt nahe kommen, werden ja vielleicht bei besonderer Anstrengung noch einigermassen den Anforderungen genii- gen, obwohl auch hier schon sich Bedenken regen. Denn es ist gerade eine Eigen- tiimlichkeit schwacher Begabung, dass die Betreffenden einer dauernden gesteigerten geistigen Anstrengung meist unfahig sind. Alle die Schwachen aber in der Klasse, und deren gibt es stets eine erhebliche Zahl, werden nicht imstande sein, den An- spriichen zu geniigen, die man an ihre Kraft stellen muss. Und sich mit geringen Leistungen begniigen, das heisst hier meist gar nichts fordern. Denn wenn ein Kind eine Aufgabe nur unter Beihilfe des Lehrers oder erst nach andern losen kann, dann hat es iiberhaupt nichts getan, was fiir seine geistige Entwicklung irgend einen Wert hat. Daraus ergibt sich, dass unter normalen Verhiiltnissen in jeder Klasse eine ganze Anzahl Kinder dem Gange des Unterrichts nicht folgen konnen.

Was wird nun mit diesen? Die Allerschwachsten pflegt man ja zuriickzulas- sen, aber was irgend nur notdiirftig angeht, wird doch oft aus den verschiedensten Griinden mit fortgegeben. Bald genug zeigen sich nun aber die verderblichen Fol- gen dieses skrupellosen Versetzens. Ein Kind, das die Stoffe der niederen Klasse nicht sicher beherrscht, ist natiirlich unfahig, das in der hoheren Klasse Dargebo- tene zu erfassen und zu verarbeiten. Man baut nicht ungestraft auf schwankendem

*) Leipziger Schulstatistik 1901, S.-A. aus dem IQOOer Verwaltungsbericht der Stadt Leipzig.

140 P'ddagogische Monatsbefte.

Grunde. Die Liicken werden grosser und grosser, der ganze errichtete Bau immer lockerer und verworrener. Das verschlimmert sich von Jahr zu Jahr, und das Er- gebnis sind die Kinder, die wir mit den geringsten Zensuren aus den ersten Klassen entlassen miissen, Kinder, von denen wir uns zu unserm grossen Schmerze sagen, dass alle ihre Miihe, wie alle unsere Arbeit beinahe vollig vergeblich war. Diese Erfahrung wird jeder machen, der mit offenem Auge und ohne Selbsttauschung hin- schaut. So gross gewiss auch der Segen einer abgeschlossenen Ausbildung ist, so muss man angesichts solcher Kinder doch sagen, dass es besser, tausendmal besser war, wenn sie aus der zweiten, ja dritten Klasse entlassen wurden, wenn ihnen ein ganzes Stuck des Baues fehlte, daftir aber der Rest ihr selbsterworbener, sicherer Besitz war.

Noch viel schwerer ins Gewicht fallt die andere Seite der Angelegenheit. Wir betonen sonst so sehr unsere Tatigkeit als Erzieher. Ich glaube, dass wir doch zuweilen unseren Einfluss in dieser Beziehung etwas iiberschatzen. Allein hier wird durch skrupellose Versetzung oft so direkt schadigend auf den Charakter des Kin- des eingewirkt, dass der Schaden wohl nie wieder gut zu machen ist. Wenn Kinder den Anforderungen einer Klasse nicht gewachsen sind, so ist es ihnen natiirlich un- moglich, dem Unterrichte zu folgen. Unaufmerksamkeit und Zerstreutheit sind die notwendige Folge. Strafen hierftir wurden ungerecht sein. Welche Naehteile es aber fiir die Willensentwicklung eines Kindes haben muss, wenn es jahrelang zer- streut und unaufmerksam oder doch lediglich zuschauend, selbst untatig dasitzt, liegt auf der Hand. Dazu kommt, dass solche schwache Kinder sehr bald auch von den iibrigen zuriickgesetzt werden. Die Folgen von alledem sind aber beinahe vol- liger Verlust alles Selbstvertrauens. Auch vor angemessenen und leichten Aufga- ben schrecken sie zuriick, und es halt sehr schwer, sie hier und da doch zur eignen Arbeit heranzuziehen. Und wie leicht erwacht auch im Lehrer eine gewisse Bitter- keit, ein Groll gegen Kinder, die immer und ewig das Hindernis eines frischen, frohlichen Weiterstrebens sind, die uns so manche Stunde der kostbaren Zeit rau- ben. Wie leicht trifft ein hartes Wort oder herber Tadel das Kind, das doch im letzten Grunde, selbst wenn es unaufmerksam war, unschuldig ist. Und wie wird einem solchen Kinde die goldne Jugend vergallt! Wie wird das Lernen anstatt zur Lust zur Qual! Und wie bitter ist es fiir uns, von einem solchen Kinde fordern zu miissen, was es nicht leisten kann. Wie gliicklich ist doch dagegen das Kind, das zur rechten Zeit zuriickblieb, das eintrat in einen neuen Kreis von Mitschtilern, denen es gewachsen ist an Leib und Geist. Hier kann es sich frei und mit Sicher- heit bewegen. Selbstvertrauen und Freude an eigner Tatigkeit kehren zuriick. Da- mit wachsen die Krafte, und die Schule wird zu dem, was sie sein soil, zur Statte frohlichen Lernens.

Freilich wird man sofort einwenden, dass wohl ein Teil der Sitzengebliebenen dies bestatige, dass dagegen die meisten ein ganz anderes Bild darstellen. Das ist wahr. Aber der Grund daftir ist darin zu suchen, dass einmal viele der Kinder, die heute aus der vierten Klasse entlassen werden, eigentlich in die Hilfsschule ge- horen, dass aber vor allem die Kinder nicht zur rechten Zeit zuriickbehalten wur- den. Wie oft werden Kinder versetzt in der Hoffnung, dass spater ,,der Knoten reisst". Das geschieht auch gewiss zuweilen. Aber ebenso gewiss ist ein solches Kind dann unfahig, in einer hoheren Klasse bei gelegentlichen Repetitionen aus eigner Kraft das Wissen und Konnen nachzuholen, das normale Kinder in monate- und jahrelanger Arbeit erworben haben. Ein Erfolg ist nur dann moglich, wenn das Kind auf der entspreehenden Stufe geblieben ist. Es wiirde naturgemass der grosste Prozentsatz in den beiden ersten Schuljahren zuruckbleiben miissen, und man sollte sich hier auch vor ziemlich hohen Zahlen nicht scheuen. Solche Kinder,

Allerlei ftir die Schulpraxis. 141

die dann meist im nachsten Jahre zu guten Schiilern werden, sind fur den Lehrer auch keine Last. Ein verspatetes Sitzenlassen in hoheren Klassen ist in den mei- sten Fallen vollig nutzlos.

Dies fuhrt zum Schluss zu der Frage: Welches ist das Mass, das wir bei der Beurteilung der Versetzungsfahigkeit eines Kindes anlegen miissen? Es besteht in Leipzig wohl meist die Bestimmung, dass Kinder, die die Hauptzensur 4, aber im Rechnen und Deutsch Zensur 5 haben, zuriickbleiben. Das heisst also, dass Kin- der, welche auch nur ganz notdiirftig das Ziel der Klasse erreicht haben und sei es auch unter Zuhilfenahme von Privatstunden und sonstiger Druckmittel doch mit zu versetzen sind. Ich halte das nicht fur richtig. Unter dem Drucke der Verhaltnisse gestaltet sich die Sache meist noch so, dass sich der Lehrer die Frage vorlegt : Kann ich es verantworten, das Kind sitzen zu lassen ? d. h. : Werde ich auch bei Beschwerden seitens der Eltern mit meinem Urteil durchdringen, oder kann ich in die fatale Lage kommen, dass nach kurzer Priifung meine Entscheidung umgestossen wird? Ich meine, die Frage muss direkt umgekehrt werden und darf nur heissen: Kann ich es verantworten, das Kind den Anforderungen auszusetzen, die die nachste Klasse stellt? Hat das Kind die nb'tige geistige Reife erlangt, die Aufgaben aus eigner Kraft zu lo'sen, die das nachste Schuljahr ihm bringt? Der Klassenlehrer wird dariiber ein ziemlich sicheres Urteil haben, und in Zweifelfal- len wird das Kind immer den geringeren Schaden erleiden, wenn es zuriickbleibt.

Alle die erwahnten Schwierigkeiten wurden ja besser und sicherer behoben wer- den durch eine Scheidung der Kinder in den Parallelklassen nach ihrer Befahigung, die ja von verschiedenen Seiten vorgeschlagen und an manchen Orten auch schon durchgefiihrt ist. Aber da wohl noch manches Jahr vergehen wird, bis wir dieses Ziel erreichen, mussen wir versuchen, durch das Sitzenbleiben einen, wenn auch not- durftigen, Ausgleich zu schaffen. (Leipziger Lehrerzeitung. )

den Wert der Normalwortermethode. Vor wenigen Tagen fiihrte mich das Gesprach mit einem Kollegen auf den Wert der Normalwortermethode; hierbei konnte ich die Beobachtung machen, dass jener nur geringe Kenntnis der Bedeu- tung dieser Methode besass. Dieser unerfreulichen Beobachtung steht gliicklicher- weise die andere gegenuber, dass einsichtsvolle Schulmanner entschieden fiir die Normalwortermethode sich aussprechen und ihre Einfiihrung in die Schule fordern.

In der Tat ist die Normalwortermethode in ihrem padagogischen Werte der synthetischen Leselehrmethode weit uberlegen. Es handelt sich um den inneren Zu- sammenhang des Lesens und Schreibens mit dem gleichzeitigen Anschauungsunter- richte. In dieser Beziehung wird die Normalwortermethode ihre Gegnerin immer an Wert iiberragen. Nehmen wir hierzu ein Beispiel aus der Unterrichtspraxis !

Vor kurzem gelangte in unserer Elementarklasse der Apfelbaum zur Bespre- chung. In der Unterredung mit den Kindern wurden etwa folgende Satze gewon- nen : Im Garten steht der Apfelbaum. An seinen Zweigen hangen rotbackige Apfel. Der Vater nimmt die Apfel ab. Die Jtpfel schmecken stiss.

Bis zur Entwicklung und Einpragung dieser vier Satze fiihrte die Besprechung des Apfelbaumes im Anschauungsunterrichte. An diesen reihte sich der Unterricht im Lesen und Schreiben. Hierbei wurden die folgenden beiden Satze im Anschluss an den vorausgegangenen Anschauungsunterricht an die Wandtafel geschrieben : Im Garten ist der Apfelbaum. Er hat schone Jtpfel. Nun folgte die Zerlegung die- ser Satze in Worte und Laute und die Zusammenfassung der sprachlichen Teile zum Ganzen. Hieran schloss sich die Niederschrift der beiden Satze durch die Kinder.

142 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

Danach wurden die Satze auch in Druckschrift an der Lesemaschine gezeigt, gelesen und lautiert, nach welcher ttbung das Lesen der Druckschrift in der Fibel beim Nor- malwort Apfel eintrat.

Man sieht leicht ein, worin der padagogische Wert dieses Unterrichtsganges liegt: er ruht im sachlichen Zusammenhange der Schreibleseiibungen mit dem Ge- genstande des Anschauungsunterrichtes. Auf diese Weise wird das Interesse des Kindes leicht und natiirlich von der Sache auf die Form, also auf das Wortbild und den Wortklang, hiniibergeleitet. Dass die Kinder wirklich mit regem Interesse die- sem Unterrichtsgange folgen, lehrt die Beobachtung.

Deshalb ist es mit Freude zu begriissen, dass die Normalwortermethode, als das interesseerweckende Lehrverfahren, in neuerer Zeit energisch sich Bahn bricht, also die synthetische Methode mit ihrem geistlosen Wirrwarr von vielfach abstrak- ten Wortern als ein iiberlebtes Verfahren aus der Schule verdrangt.

(Emil Martin Sachs. Schulzeitung. )

Die Pflege der guten Aussprache in der Schule. Ernst Liittge erortert in einem gehaltvollen Aufsatz der ,,Deutschen Schulpraxis" (Nr. 1 u. f. ) iiber den gesamten Deutschunterricht auf einheitlicher Grundlage u. a. auch die Notwendigkeit, der guten Aussprache in der Schule alle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wer mit pho- netisch gescharftem Ohr an die Aussprache unserer Schiller herantritt, findet hier ein weites Arbeitsfeld, \vo das Unkraut in urwtichsiger Fiille wuchert. Ich denke dabei nicht bloss an die groben Auswiichse des Dialekts; auch wo diese beseitigt sind, bleibt die Lautbildung in vieler Hinsicht immer noch eine ausserst mangel- hafte. Das Sprechen mit zusammengepressten Zilhnen und kaum geoffneten Lip- pen, die unreine Vokalisation, die schlaffe Artikulation der Konsonanten, das Ver- schlucken einzelner Laute und ganzer Silben, das hastige akzentlose Herleiern der Satze: das sind Fehler, die der Sprache der Kinder, wie ja iiberhaupt des Unge- bildeten das charakteristische Geprage geben und die, weil niemals planmassig be- kampft, gewissermassen zu chronischen Sprachfehlern werden. Die Lehrer gewoh- nen sich allmahlich so an diese Mangel, dass sie sie gar nicht mehr horen oder doch damit wie mit einem notwendigen ttbel rechnen, zu dessen griindlicher Beseitigung es an Zeit fehlt. Aber doch muss man sich wundern, dass man nicht schon mit Riicksicht auf die Orthographic, die ja sonst so sorgfaltig gepflegt wird, der guten Aussprache mehr Sorgfalt zuwendet. Denn wiirde man die Peinlichkeit und Kon- sequenz, womit beim Schreiben auf genaue Darstellung aller Buchstaben gehalten wird, auch aufs Sprechen anwenden, wiirde man ein Wort, statt es zehnmal schrei- ben zu lassen, ebenso oft mit recht scharfer Artikulation sprechen lassen: ich bin tiberzeugt, die Rechtschreibung wiirde weniger, als es jetzt der Fall ist, als ein Schul- kreuz empfunden werden. Die Pflege einer guten Aussprache ist zunachst Selbst- zweck. Denn wer die Sprache als Ganzes beherrschen will, der muss sie in ihren Elementen beherrschen. Diese Elemente aber sind die Laute, und ihre richtige Er- zeugung ist eine Grundbedingung jeder gesunden Sprachbildung. Nur wenn der Schiller angeleitet wird, jeden Laut in seiner eigentiimlichen Gestalt darzustellen, kann er zu einer vom Buchstaben unabhiingigen Lautvorstellung gelangen; und nur wenn seine Sprechtechnik bis ins einzelnste und kleinste ausgebildet wird, kann er gut und fliessend sprechen lernen.

Schulwanderungen. Dieses Thema behandelt ein Artikel von Kienscherf inder ,,NeuenPadagogischenZeitung". Der Nutzen der Schulwanderungen wird im folgenden erschopfend nachgewiesen : Neben andern unterrichtlichen Hilfsmitteln

Allerlei fUr die Schulpraxis. 143

und neben der Erfahrung vor alien Dingen haben Schulwanderungen den Zweck, jeglichen Unterricht mit zahlreichen brauchbaren Anschauungen zu versorgen. Sie helfen dadurch eine solide Grundlage zu schaffen ftir die geistige Entwicklung des Menschen, die naturgemass von Anschauungen zu Vorstellungen, Begriffen und Ideen fiihrt, und damit wieder Grundlagen des Gefiihls und Impulse des Wollens erhalt. Sie entnehmen diese Anschauungen der Heimat. Welche grosse Bedeutung gerade die heimatlichen Vorstellungen im gesamten Vorstellungsorganismus haben, ist eben schon nebenbei hervorgetreten. Es handelt sich nur noch darum, diese Bedeu- tung psychologisch zu erkliiren, um sie in vollem Lichte zu sehen und damit zu- gleich die der Schulwanderungen. Die Anschauungen aus der Heimat sind einmal die ersten, zudem werden sie in einem Alter aufgenommen, welche sinnlichen Ein- driicken die grosstmb'gliche Empfanglichkeit entgegenbringt und noch nicht unter einer ttberfiille der verschiedensten Eindriicke leidet. Beides bewirkt, dass die An- schauungen von vornherein einen sicheren Platz, wenn auch noch nicht eine sichere Gestaltung im Vorstellungsleben gewinnen. Beide gewinnen wieder sehr durch die oftmalige Wiederholung der Vorstellung, die sich von selbst ergibt. Die Folgen die- ser giinstigen Umstande fiir die heimatlichen Anschauungen selbst lassen sich kurz und gut so ausdriicken: Die heimatlichen Anschauungen bezw. Vorstellungen ha- ben unter alien andern Vorstellungen die grosste Starke und infolgedessen die grosste Dauer. Die Folgen davon fur ihre Stellung und Bedeutung im Vorstellungs- leben iiberhaupt aber bestehen darin, dass die heimatlichen Vorstellungen keine neue, fremde Vorstellung voriibergehen lassen, ohne sich zuvor mit ihr ausgegli- chen zu haben, dass sie die Apperzeptionshilfen nicht bloss fiir alle spater auftre- tenden, sondern auch fiir alle nicht auftretenden, oder doch nicht erreichbaren An- schauungen bilden. Die Anschauungen der Heimat geben also nicht nur die Grund- stoffe fiir das geistige Leben ab, sondern auch die Grundkrafte. Infolge ihrer eigentiimlichen Geburtsvorziige sind sie aber ferner auch die gefiihlskraftigsten und daher wieder die den Willen am meisten beeinflussenden. Infolgedessen treten sie im geistigen Leben immer besonders hervor und geben ihm einen Teil seiner Eigenart. Abschliessend lasst sich deshalb iiber ihre Bedeutung sagen: Sie geben der geistigen Personlichkeit nicht nur die Grundlage, sondern auch zum Teil die Eigenart. Liegt darin der fundamental Nutzen der Schulwanderungen, dass sie an diesemWerke mit- helfen, so haben sie daneben oder auch darin noch manchen Nutzen ornamentalenCha- rakters. Sie gewahren dem Kb'rper Kraftigung und Erholung; sie erheben zu fro- her Stimmung, zu edlem Vergniigtsein ; sie schiirfen und pflegen das Beobachtungs- vermogen wie die Empfindungsgabe ; sie gewb'hnen damit an eine denkende und empfindende Naturbetrachtung ; sie schaffen dem Kinde fur spatere Zeit die Nei- gung und Befahigung zu edlem Vergniigen und wahrer Erholung; sie fordern die Sanges- und Wanderlust; sie wecken und pflegen die Liebe zur Heimat, indem sie letztere kennen lernen und zwar in einem ergiebigen und heiteren Lichte; sie hel- fen das Verhaltnis zwischen Lehrer und Schiilern wie kaum ein anderes Mittel un- gezwungener und inniger, dadurch aber wiederum ergiebiger gestalten; sie sind end- lich fiir den Lehrer eine vorziigliche Quelle und ein nicht minder gutes Praktikum zugleich jeglicher padagogischen Kunst und Wissenschaft.

Ein Beispiel phonetischer Schreibiceise. Bekantlich bricht sich immer mer di erkentnis*) ban, das der leseunterricht in unsern schulen zu frii erteilt wird,

*) Di grosbuchstaben werden, wi in alien europaischen sprachen, nur am saz- anfang und bei eigennamen angewant. Im iibrigen gelten di regeln: fiir jeden laut

144 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

zu einer zeit, wo beim kind noch eine ganze reihe fon forbedingungen felen. Der hochdeutsche wortschaz des kindes ist meist noch fil zu gering; manche kinder beherschen in irer aussprache noch nicht alle laute und lautf erbindungen ; dabei sind si auch zu unentwikkelt, um di laute aus den wortern herauszuhoren und ab- zulosen; die zufallige form der buchstaben, di mit den lauten in keinem innern zusammenhang stet, bitet irem gedachtnis grose schwirigkeiten ; dazu ist ire hand noch zu ungeiibt, um die formen selbst nachzubilden.

Zu disen naturgemasen schwirigkeiten geselt sich noch eine kiinstliche, di un- sern fibelferfassern ire arbeit noch weiter erschwert, das ist unsere rechtschreibung. Der fibelferfasser braucht fur den anfang moglichst kurze worter, di dem kind be- kant sind. Di deutsche sprache ist aber an solchen, besonders an zweilautigen, ge- schweige den einlautigen, wortern auserordentlich arm, und di wenigen, di si besizt, biten meist rechtschreibliche schwirigkeiten, so das si fur den anfang der fibel un- brauchbar sind.

Grosen schaden fiigt dem leseunterricht auch di grosschreibung der dingworter zu, fon der di meisten fibeln nicht abzuweichen wagen. Entweder wird dan gerade auf di alleranschaulichsten worter, auf die namen der dinge, di das kind umgeben, ferzichtet, oder di grosbuchstaben werden for der zeit eingefiirt, und der zeitpunkt, wo das kind zu freier selbsttatiger anwendung des mtisam erlernten komt und da- durch seines lesen- und schreibenkonnens erst fro wird, ungebiirlich hinausgescho- ben. (Aus: Reform.)

Dean Briggs on "Discipline." Dean L. B. R. Briggs, of Harvard university, addressed the Schoolmasters' Association on Discipline, last Saturday, discussing the topic from his experience at Harvard. He concluded that "the best discipline is that which relies upon the understanding between pupil and teacher that the objects of both are the same; a discipline based on sympathy thru the home life with the interests of youth ; a discipline which allows of lasting friendship even with pupils who must be disciplined or expelled; a discipline which relies upon co-opera- tion wherever such co-operation is reasonable, with the leaders among the pupils and thru the leaders with the great body of the pupils; a discipline based upon absolute straightforwardness and perfect courtesy; a discipline which does not call it loss of dignity for an instructor or a master to explain his point of view; a discipline which insists that there is no training without work, and that the work must not be done for training only; a discipline which remembers that it is want of training which temporarily wrecks many pupils and makes their evolution into energetic manhood discouragingly slow."

"I believe further, that in every school there should be an effort from the start to make a youth imbibe that wonderful tonic called school spirit, to make him feel that from the moment he enters a school he has become forever a part of it, one of its makers, and that thruout his life, wherever he goes, he takes with him, drag- ging or exalting it, as the case may be, the name of his school. Once again a deep loyalty, and the problem of discipline is gone." (School Journal.)

nur ein buchstabe wo man keinen laut hort, wird auch kein buchstabe gesezt, und di offene silbe hat stets langen vokal, di geschlossene meist kurzen.

Die Entwicklung des Schulwesens im Staate Massachusetts.

(Fur die Padagogischen Monatsheftc.)

Von C. B. Straube, Lehrer des Deutschen, 2O. Distriktschule, Milwaukee, Wis.

"By common consent the teachers of the United States would choose Mas- sachusetts as the State possessing the most interesting educational history

The claims of the history of education in Massachusets to pre-eminent interest are based on the fact that it offers the completed exhibition of the Puritan ideal of education that is to be found. It shows it in all its phases and makes evident both its strength and its weakness. The experience of Massachusetts has aided all the other colonies settled by Puritans to outgrow the earlier and more defective stages of Puritan development. The experience of the 'Bay State' has thus been vicarious, serving not only for itself but in a measure for all the other New England States, and also for the new communities in the West, settled in great part by emigrants from New England."

(Dr. Wm. T. Harris in der Vorrede zu Martins "Evolution of Mass. School- system."

"In no country on earth could the progress of a free system of education be so well studied in all its varieties as in the state of Massachusetts."

(Horace Mann.)

Obige Worte weisen zur Geniige auf den gewaltigen Einfluss hin, den der kleine Staat Massachusetts auf das amerikanische Erziehungswesen ausgeiibt hat, und eine weitere Erklarung, warum als Thema zu diesem Artikel gerade die Entwicklung der Erziehung in dem genannten Staat gewahlt wurde, diirfte iiberfliissig erscheinen.

Schon von allem Anfang an waren die nach den Neuenglandstaaten iibersiedeln- den Kolonisten bestrebt, ihren Nachkommen eine ihren beschrankten Mitteln ange- messene Schulbildung zu teil werden zu lassen. Inmitten der miihsamen, anstren- genden Arbeit, welche die Besiedlung eines neuen Landes bedingt, haben sie die fur ein jedes Volk so wichtige Institution die Schule nicht ausser acht gelassen. Die Grundlage zu der jetzt an der Spitze aller Erziehungsanstalten des Landes ste- henden Harvard-Universitat wurde schon 1636, also sechs Jahre nach der Landung der Puritaner an der Kiiste der Massachusetts-Bai, gelegt. Die Summe von £400, welche man zu diesem Zwecke bewilligte, war, den damaligen Verhiiltnissen ange- messen, eine sehr hohe, indem sie einer ganzen Jahressteuer der Ansiedlung gleich- kam.

Im Jahre 1642 erliess die gesetzgebende Behorde der Kolonie (General Court) das erste, und ftinf Jahre spiiter das zweite Schulgesetz. Letzteres bestimmte, dass jedes Town von fiinfzig Familien eine Elementarschule, jeder Ort von hundert Fa- milien eine Sekundarschule (Grammar school) unterhalten miisse. Die Grundsatze, auf welchen diese zwei Gesetze beruhen, bilden den Kern der gesamten Schulge- setzgebung in Massachusetts, und lauten wie folgt:

1. Die allgemeine Schulbildung ist fur die Wohlfahrt des Staates von wesent- licher Bedeutung;

2. Die Eltern iibernehmen die Verpflichtung, ihren Kindern diese Schulbildung zu verschaffen;

3. Der Staat hat das Recht, die Erfullung dieser Pflicht zu erzwingen;

146 P'ddagogische Monatsbefte.

4. Der Staat darf iiber die Art und das Minimalmass der Schulbildung Bestim- mungen treffen;

5. Die durch allgemeine Besteuerung erhobenen Gelder diirfen fiir Schulzwecke Verwendung finden.

Das Bemerkenswerteste an dieser Gesetzgebung ist, dass hierdurch zum ersten- male in der Weltgeschichte ein Volk seine eigene Schule griindete.

,,Before the first generation had passed away the colony of Massachusetts Bay virtually had on the ground, for the first time in human history, a system of public education over which neither state nor church nor municipality nor corporation nor the despotic personal control of private beneficence had full domination." (A. D. Mayho, Rep. of U. S. Bureau of Ed. 1893-94; p. 651.)

Bei dem ausgepragten religiosen Sinn der Puritaner war es nicht zu verwun- dern, dass Schule und Kirche lange Zeit eng verkniipft blieben. Die Elementarbil- dung bestand wahrend der ganzen Kolonialzeit nur im Schreib- und Leseunterricht, Religionslehre und einer Kenntnis der Hauptstaatsgesetze. Als Lehrer fungierte in den meisten Fallen der Ortsgeistliche. In den Sekundarschulen bereiteten sich die Knaben fiir das College zu Cambridge (Harvard) vor. Auch bei der Griindung die- ser Lehranstalt war die Ausbildung der Geistlichkeit erster und einziger Zweck.

"The first object sought in the establishment of a college was the study of theology." "The avowed object of this university (Harvard) was the training of young men for the ministry." (G. C. Bush, "History of Higher Ed. in Mass." p. 12—21.)

Als die Ansiedlungen noch auf Boston und Umgegend beschrankt waren und eine verhaltnismiissig dichte Bevolkerung hatten, konnte sich jeder Ort einer oder mehrerer Schulen rtihmen, in welchen der Unterricht regelmassig und von m&nnli- chen Lehrkriiften erteilt wurde. ,,Ein voiles Jahrhundert nach der Griindung der Volksschule finden wir in den Townurkunden nur die Bezeichnung 'schoolmaster' ", sagt Martin. Ja, es bildete sich sogar ein Lehrerstand, der nach A. D. Mayho ,,viel grossere Anerkennung verdient, als man ihm selbst heutigen Tages zu zollen geneigt ist. Denn diese Manner waren es, die durch ihre lebenslange Hingabe zum edlen Werke der Erziehung erst die feste Grundlage zu unserer amerikanischen Volks- schule legten.

Als indessen nach Beendigung der Kampfe mit den Indianern die Ansiedler in die ,,Wildnis" hinausdrangen und eine Diinne der Bevolkerung eintrat, veranderten sich die Verhaltnisse dermassen, dass die Bestimmung betreffs der Ortsschulen (town-schools) hinfiillig wurde. Jedes Town wurde je nach der Grosse seines Ge- bietes in mehrere Bezirke ("districts", "squadrons") eingeteilt. Eine geraume Zeit lang gab es in den spiirlich bevolkerten Gegenden iiberhaupt keine Schulhauser. Die Kinder gingen nicht mehr zur Schule; die Schule kam zu ihnen in der Gestalt eines herumziehenden Lehrers, oder vielmehr einer Lehrerin; denn um diese Zeit (Mitte des 18. Jahrhunderts) erfolgte die Anstellung der school-dames. Eine manche fleissige Hausfrau hat damals neben ihren hauslichen Pflichten noch die eines Lehreramtes versehen und wahrend der Schulzeit noch Hemden fiir die India- ner und Hosen fiir ihren Gatten genaht. Letztere Beschaftigung war allerdings haufig eintraglicher als ihre Lehrerstelle, fiir deren Verwaltung sie vielfach nur einige Pence pro Woche erhielt.

Aus dieser Einrichtung der "moving school" erwuchs im Laufe der Zeit das in vielen Staaten jetzt noch bestehende ,,Distriktsystem". Im Jahre 1789 wurde

Die Entwicklung des Scbulwesens im Staate Massachusetts. 147

dieses System vom Staate Massachusetts gesetzlich anerkannt. Horace Mann be- zeichnet diese Verordnung als ,,das unglticklichste Schulgesetz, das je die Legislatur des Staates erlassen hat." Jeder Distrikt baute jetzt sein eigenes Schulhaus und wetteiferte mit dem Nachbarbezirk, fur die Bildung seiner Schuljugend quantitativ das meiste zu tun, an dem Grundsatz festhaltend: Je billiger der Lehrer, desto langer das Schuljahr! Die Bewilligungen fiir Schulzwecke waren denn auch ausserst gering, und mancher Distrikt hat damals mit einer Bewilligung von weniger als zehn Dollars pro Jahr seine Schule unterhalten miissen. Das Schuljahr wurde na- tiirlich dementsprechend verkiirzt und in manchen Fallen auf nur wenige Wochen herabgesetzt. Die hochwichtige Frage, wo man das zwanzig Fuss lange, fiinfzehn Fuss breite Schulhaus hinstellen sollte, wurde damals von den fiir die Jugenderzie- hung begeisterten Biirgern eifriger und unter grosserem Aufwand von Beredtsamkeit erortert, als die sonst so wichtige Prasidentenwahl oder irgend eine das nationale Wohl betreffende Frage. Dieser iibertriebene Lokalgeist war der starkste Feind, den spater der beriihmte Schulmann Horace Mann zu bekampfen hatte. Ein anderes ttbel, das dieses die Schulen isolierende ,,Distriktsystem" im Gefolge hatte, war der allerorten eintretende Verfall der Sekundarschulen. An deren Stelle trat die durch Privatmittel erhaltene academy, ,,das Kind der Kirchen und des Privatunterneh- mens". Auch Elementarschulen wurden von den bemittelten Klassen fiir ihre Kin- der gegriindet. Den Kindern der Armen war der Zutritt zu diesen Schulen schon wegen des hohen Schulgeldes nicht moglich. Fiir die breiten Schichten des Volkes fehlte eine auch nur einigermassen gute Schule. Im Jahre 1837 gab es 42,000 schul- pflichtige Kinder, die iiberhaupt keine Schule besuchten, und die durchschnittliche Dauer des Schuljahres fiir alle iibrigen Kinder betrug nicht mehr als siebzehn Wo- chcn. Und welcher Art war die von der Jugend damals erhaltene Bildung? Die begeisterten Lobspriiche, welche man heute noch so oft tiber den Weisheitstempel, "little red school-house" genannt, hort, beruhen, genau betrachtet, auf dem falschen Schluss post hoc, ergo propter hoc. Lassen wir den Amerikaner Martins hieriiber das Wort:

"Whether we mean by education the acquisition of useful knowledge merely, or the culture of intellect and feeling and will which ultimate in thoughtful, skillful, and righteous men and women, we must answer that these schools,

even the best of them, did little The knowledge which an average boy

or girl could acquire or retain in ten or twelve weeks study for each of ten or twelve years, each period of study separated from the next by forty weeks of something else, must be scanty under the best conditions; and the training of powers, mental or moral, could at best only be intermittent and desultory. But when besides the meagerness of opportunity, we consider the unfavorable phys- ical conditions, the crowded, unhealthy, uncomfortable rooms, the inexperience and ignorance of most of the instructors, the mechanical and dreary, often mean- ingless task-work which went by the name of study, we are forced to conclude that other influences must have been at work that we may have over-estimated the district-school." (Evolution of the Mass. Public School-system; p. 112 14. Appleton & Co., New York.)

Auf diese niedrige Stufe war die Volksschule in Massachusetts gesunken, als im Jahre 1837 Horace Mann zum Sekretar der in jenem Jahre von der Staatslegis- latur geschaffenen Erziehungsbehorde (State Board of Education) berufen wurde.

Der gewaltige Umschwung des Erziehungswesens in Massuchusetts, sowie in alien Nordstaaten der Union, welchen die Geschichte von jener Zeit an verzeichnet, ist in erster Reihe dem unermiidlichen Wirken dieses Mannes zu verdanken. Wah-

148 Pttdagogische Monatsbefte.

rend seiner elfjahrigen Amtstatigkeit war er ununterbrochen an der Hebung der Volksschule tatig. Er brach den Grundsatzen moderner Padagogik Bahn und schuf eine feste Basis fiir die spatere gesunde Entwicklung der gesamten Volkserziehung. Die irrige Ansicht, dass Horace Mann das amerikanische Schulsystem geschaffen habe, muss hier berichtigt werden; denn dasselbe bestand schon vor seiner Zeit, und zwar in alien damals bestehenden Staaten der Union. Sein Wirken im Interesse der Erziehung ist aber deswegen nicht minder verdienstvoll. Durch seine zahlrei- chen Reden und Flugschriften und vor allem durch die jahrlich veroffentlichten Be- richte hat er nicht nur die Lehrerschaft aufs hochste begeistert, sondern auch unter dem Volke das erloschende Interesse an der Jugenderziehung wieder entfacht, den geschwundenen Gemeinsinn von neuem belebt. Mit beissender Satire legte er die tfbel bloss, die durch das herrschende ,,District"-Schulsystem erzeugt worden waren. Seine ganze Kampfeslust bezeichnen so recht die bei seinem Amtsantritt gesproche- nen Worte:

"I shall avail myself of the opportunity to recommend a few improvements and generally to apply a flesh-brush to the backs of the people." Horace Mann war kein Padagoge ,,von Hause aus". Er gehorte dem Advoka- tenstand an und hat als Abgeordneter im Staatssenat und spater im Kongress meh- rere Jahre gesessen. Und dennoch sind seine jahrlichen Berichte (Annual Reports, 1837 48) wahre Fundgruben padagogischen Wissens, die uns den scharfen durch- dringenden Geist zeigen, der auch auf dem ihm fremden Gebiet das Richtige zu tref- fen versteht.

Sein Hauptziel war es, die Bevolkerung seines Staates fiber den schlechten Zu- stand, in welchem sich die Schulen befanden, aufzuklaren, und er hat es bewirkt, dass sich unter dem apathischen Volke ein neuer Geist Bahn brach, der den weiteren Fortschritt der Volkserziehung verbiirgte. Die Statistik lehrt uns, dass wahrend seiner Amtstatigkeit folgende Errungenschaften gemacht wurden: eine Verdoppe- lung der Bewilligungen fiir Schulzwecke; eine Ausgabe von zwei Millionen Dollars fiir den Bau neuer, besserer Schulhauser; eine Steigerung der Lehrergehalter von 62 Prozent; eine durchschnittliche Verlangerung des Schuljahres um einen Monat; ein Sinken der Ausgaben fiir Privatschulen ; die Besoldung der Ortsschulbehorden ; allgemeine und regelmassig stattfindende Aufsicht liber die Schulen seitens der Be- horden; die Griindung dreier Lehrerbildungsanstalten (normal schools) die ersten im ganzen Lande.

Einer Stelle aus Martins Werk iiber diesen mit Recht gefeierten Schulreformator sei hier noch Raum gegonnt.

"When we set ourselves to measure the work of Horace Mann all this must be taken into account. He fought the battle of educational reform through to the bitter end and conquered. Apathetic indifference, hide-bound conservatism, niggardly parsimony, sectarian bigotry, and political animosity surged around him as the enemies of France surged around the white plume of Henry of Na- varre; but he left the field so clear that since his day none of these reactionary forces, singly or combined, have made any successful opposition to the ongoing movements of popular education.

To the vigor, the skill, the self-sacrificing ordor, and the conscientious rec- titude with which he conducted the offensive and defensive campaigns of his official life, is due the fact that Massachusetts has suffered none of those educa- tional reverses which have befallen most of the other states. The school chil- dren of Massachusetts made no mistake when they placed in front of the Capitol of the State a statue of Horace Mann as of their benefactor and their ideal." (Evolutions of the Public School-system in Mass. p. 184 85.)

Die Entwicklung des Scbulwesens im Staate Massachusetts. 149

Der Boden war bereitet, der Samen gesaet; aber erst die folgenden Generationen durften die Friichte ernten. Die Entwicklung der Volksschule in Massachusetts seit 1850 ist eine stetig fortschreitende, dem Ideal wahrer Volkserziehung unaufhaltsam entgegengehende.

Aus einem Ackerbau treibendeh Staat war jetzt ein Industriestaat geworden. Durch den Zufluss der Einwanderung nahm seine Bevb'lkerung nicht nur bedeutend zu, sondern sie wurde auch ungleichartig und verdichtete sich, besonders in den Fabrikorten. Schon im Jahre 1850 finden wir nicht weniger als 200,000 ,,Ausian- der", ein Fiinftel der gesamten Einwohnerzahl, im Staat verstreut. Es waren keine leichten Aufgaben, die den Erziehungsbehorden hierdurch gestellt wurden. Mit wel- ch em Erfolg sie dieselben gelost haben, erhellt aus der Schulstatistik von 1890, welche wie folgt dariiber berichtet: Die Bevolkerung hatte sich seit 1850 um 125 Prozent vermehrt, der Schulbesuch um 96 Prozent erhoht. Das besteuerte Eigentum war um 260 Prozent vermehrt worden; die Bewilligungen fiir Schulzwecke aber waren um 551 Prozent gestiegen. Das Gesetz verlangt, dass jedes Town die Summe von drei Dollars pro Kind fur dessen Schulung erhebt; die Statistik weist nach, dass durch- schnittlich $26.67 bewilligt wird und die Schulen acht und einen halben Monat offen gehalten werden, und nicht nur sechs Monate, wie das Gesetz bestimmt.

Das von Horace Mann und alien fortschrittlich gesinnten Schulmannern so stark bekiimpfte ,,District"-System hielt sich zwar in den kleineren Orten noch bis zum Jahre 1882, dem Jahre seiner endgiiltigen Abschaffung seitens der Legislatur; in den grb'sseren Ortschaften Stadten und Towns wurde jedoch die Klasseneintei- lung (grading) schon etwa um die Mitte des letzten Jahrhunderts vorgenommen und die Schulen wieder zentralisiert. Die Lehrerbildungsanstalten vermehrten sich; Hochschulen entstanden an alien grossren Orten. Schon im Jahre 1827 wurde das Gesetz angenommen, welches bestimmte, dass jeder Ort von 2500 Einwohnern eine free English high school, jeder Ort mit 4000 Einwohnern eine classical high school haben miisse. Welche Bedeutung dieses Gesetz besitzt, besagen die Worte A. D. Mayhos :

"Massachusetts is still the only American commonwealth that in this way makes the secondary education now compulsory on all her population." ( Re- port U. S. Bureau of Ed. 1896 97, p. 739.)

Das erste in Amerika erlassene Schulzwanggesetz wurde in Massachusetts, und zwar schon im Jahre 1852 angenommen; demnach musste jedes in dem Alter zwi- schen acht und vierzehn Jahren stehende Kind mindestens 12 Wochen pro JahrSchule geniessen. Spater erhohte man die zwangliche Dauer auf zwanzig, in neuerer Zeit sogar auf dreissig Wochen pro Jahr. Ein weiterer Schritt in der Entwicklung der freien Volksschule wurde getan, als 1884 der Staat die freie, unentgeltliche Liefe- rung der Schulbiicher an alle Schiller in den offentlichen Schulen gesetzlich be- stimmte. Eine merkbare Zunahme der die Schulen besuchenden Kinder, besonders an den Hochschulen, war die sofortige Folge.

"So popular has the system (free text-books) become that for political pur- poses men have contended for the honor of its paternity, as the cities of Greece contended for the honor of having cradled Homer," sagt Martin; und im 63.

Jahresbericht (1898 99) der Staats-Erziehungsbehorde steeht dariiber folgendes:

"The first year under the compulsory law was naturally an expensive year, the cost per pupil being $2.08; thereafter the cost per pupil fell off, the lowest point since reached being $1.42. In some places the compulsory law has at times literally cost less per pupil than the old 'indigent pupil' system, the reduced

150 P'ddagogische Monatshefte.

cost of books when purchased by the municipality in large quantities more then offsetting the increased number of pupils supplied and the more liberal supplies furnished."

Der deutsche Sprachunterricht wird in den Elementarschulen nicht erteilt, wohl aber auf den Hochschulen und hoheren Lehranstalten. So haben, laut Bericht der Erziehungsbehorde von 1901, von den 244 Hochschulen im Staate 105 den Unterricht im Deutschen, teils obligatorisch, teils als Wahlstudium eingefiihrt. Die deutsche Abteilung der Harvard-Universitat ist dem neuesten Bericht des Bundes-Erziehungs- kommissars zufolge (Report of 1901, Vol. I., p. 660 61) die starkste im ganzen Lande. Zwolfhundert Studenten geniessen hier gegenwartig den Unterricht in der deutschen Sprache unter einem Kollegium von sechzehn Professoren. In den vier anderen hoheren Lehranstalten des Staates, welche der Bericht anfiihrt, beteiligen sich insgesamt eintausend Schiller am deutschen Unterricht.

Hiermit ist in kurzen Umrissen der Ausbau des Schulwesens in dem kleinen, fortschrittlichen Staate Massachusetts skizziert.

Mit Recht diirfen seine Burger auf ihr Schulsystem, wie es jetzt besteht, stolz sein.

"No other State is giving so much education to its people as Massachu- setts," sagt Dr. Harris.

Die Volksschule in diesem Staat ist des Volkes eigenes Werk, unter grossen Opfern und mit vieler Miihe aufgebaut.

Alle Verbesserungen, alle neuen Einrichtungen, aller Fortschritt, der daran ge- macht worden ist, ging jederzeit vom Volke aus. Erst nachdem einzelne Ortschaf- ten das Neue eingefiihrt und gepriift hatten, folgten andere nach, bis sich die Neu- erung allgemein Eingang verschafft hatte; und erst dann hat die gesetzgebende Be- horde ihr voile Gultigkeit verliehen.

Auf diesem festen Boden steht das herrliche Gebaude der Volkserziehung im Staate Massachusetts, zu dem die aus der intelligenten Mittelklasse Englands stam- menden Puritaner den Grundstein gelegt haben und an dem manch geschickter Bau- meister seine Kunst erprobt hat. Noch ist der Bau unvollendet, noch bedarf er man- cher Verbesserung, mancher Verzierung; aber fest und unerschiitterlich steht er da; und das amerikanische Volk wird nicht fehl gehen, wenn es in der Entwicklung sei- nes Schulwesens sich den ,,Bay State" zum Vorbild nimmt.

Im Eifer.

(Aus der ,, Neuen Padagogischen Zeitung.")

Humoristische Erzahlung yon Richard Lcisslinff.

Mitten im Winter war's. Auf eine Zeit milden Wetters war eine Zeit stren- ger Kalte gefolgt. Das Thermometer zeigte durchschnittlich 14° R. Wer hin- aus musste, ging nicht, ohne sich gut eingehiillt zu haben. Sonst aber zog es jeder vor, in der warmen Stube zu bleiben. Was in der vorhergehenden Zeit an Feuerung gespart war, das musste jetzt doppelt zugesetzt werden.

Der alte Kantor hielt es heute auch fur notig, wahrend der Mittagspause noch ein paar Scheit Holz zu zerkleinern, damit am Nachmittag das Feuer im Schul- zimmer desto lustiger brennen konnte. Er selbst war ja schon fast in die Jahre gekommen, wo die Leute immer fiber kalte Fiisse klagen. Er tat's also schon seiner selbst wegen. Trotz seiner sechzig Jahre war er aber noch ein alter Haudegen, der

Im Eifer. 151

sich in seiner Schule recht wohl ein Ansehen zu verschaffien wusste. Und dass er auch bei den Erwachsenen geachtet und beliebt war, davon zeugte der prachtige Lehnstuhl, der ihm an seinem letzten Geburtstage von der Gemeinde verehrt war. Er ging also iiber den Hof seinem Holzschuppen zu, und wahrend er bestrebt war, durch fleissige Arbeit sich warm zu erhalten, da betraten auch schon die ersten Kinder den Schulhof. Freilich, dort mussten sie auch verbleiben; denn der Lehrer fiihrte ein gar strenges Regiment und liess keinen das Zimmer betreten, solange noch mehr als fiinf Minuten am Glockenschlage fehlten. Was sollten sie wahrend dieser Zeit anfangen? Nun, es gab ja Schnee genug. Zwar liess er sich heute nicht gut zu Kugeln formen; aber das schadete auch nichts, denn die zerspriihenden Balle gaben ja den schonsten Pulverdampf ab. Bald waren die Knaben auch in ein regel- rechtes Gefecht verwickelt. Und wenn auch nur die Halfte der Geschosse in die Reihen der Feinde gelangte, so fehlten sie doch selten das Ziel, da der Hof keine grosse Ausdehnung hatte. Aber gefahrbringend waren die Geschosse heute nicht.

Immer grosser wurde die Zahl der Kampfenden; iinmer mehr Kugeln kreuzten sich in der Luft; immer ausgelassener wurden die Knaben, immer toller ihr Jubel iiber einen ,,sitzenden" Ball. Und bei allem Eifer merkten sie von der Kalte nichts; denn die Bewegung machte sie warm.

Nur einmal trat eine ganz kurze Unterbrechung ein, an der jedoch nicht einmal samtliche Knaben teilnahmen. Vom Schuppen her ertonte die Stimme des Lehrers, der einen Knaben zu sich rief, um einen Arm voll des gespaltenen Holzes in die Klasse zu tragen.

Bald trabte auch der Knabe mit bepacktem Arm iiber den Hof. Wohlweislich vermied er dabei das offene Schlaehtfeld. Aber kaum hatte er einige Schritte ge- tan, so wurde ihm dennoch durch einen Schneeball ein Teil seiner Btirde abgenom- men und in den Schnee versenkt. Beabsichtigt oder nicht: der Ball hatte seine Wirkung getan, und damit war zugleich das Zeichen zu einem allgemeinen Angriff gegeben; denn nun regnete es formlich Schneeballe auf den Knaben herab. Wie geschwind der aber seine Holzstiicke wieder zusammenbrachte, und wie er, indem er seine Biirde fester umspannte, seine Beine aufhob und eiligst hinter der Haus- tiir Schutz suchte! Denn auch bis dahin verfolgten ihn die Balle seiner Kamera- den, und noch mancher von ihnen liess seine Photographie auf dem Riicken des Knaben zuriick. Selbst die Tiir musste noch herhalten, und jetzt machte sich bei dem Schuss auch noch der Knall bemerkbar, wenn auch erst im Augenblick des Treffens.

Da auf einmal: ,,Klirr !"

Zwar nicht wie ein Blitz, aber doch wie ein Donnerschlag bei heiterem Himmel fuhr das zwischen die Knaben. Verschwunden war das Getose, die Schneeballe wie weggefegt; verlegene Stille uberspannte den Schulhof. Selbst der alte Kantor liess bei dieser plotzlichen Ruhe eine Pause in seiner Arbeit eintreten und spahte in den Hof hinaus. Meinte er doch, Hochehrwiirden ware gekommen, weil bei dessen Er- scheinen die Kinder jedesmal verstummten. Aber weil er weder einen Gruss seitens der Kinder vernahm, noch sonst irgendwelches Anzeichen darauf hindeutete, so nahm er seine Arbeit bald wieder auf. Die Knaben aber traten tuschelnd zu- sammen und liessen ihre Augen dabei mehr als notig nach dem Schulfenster wan- dern.

,,Wer ist's gewesen?"

,,Ich nicht. Ich machte mir gerade einen neuen Ball."

,,Ich auch" ,,Ich auch."

,,Meiner war noch garnicht bin."

,,Meiner auch nicht."

152 P'ddagogiscbe Monatshefte.

,,Du bist's gewesen!"

,,Nein! Da liegt mein Ball noch; ich habe ihn gleich fallen lassen, als ea klirrte."

So und noch mehr klangen die erregten Stimmen durcheinander, wenn auch nicht so laut, dass der Lehrer etwas hatte verstehen konnen.

Der Lehrer hatte seine Arbeit beendet. Jetzt trat er heraus, und wahrend er einen zweiten Knaben heranrief, um den Rest des Holzes in die Stube befordern zu lassen, hiess er die andern sich ordnen. Ein zweites Klatschen mit den Hiinden war das Zeichen, dass ihnen der Eintrit't in das Schulzimmer gestattet sei. Wah- rend er selbst in seiner Stube verschwand, um sich da seiner Mutze zu entledigen, wohl auch erst noch einmal mit der Biirste iiber den Rock zu fahren, suchten drin- nen die Schiller ihre Platze auf. Die zerbrochene Fensterscheibe mochte ihnen wohl schwer in den Gliedern liegen. Nur ein unruhiges Fliistern war unter den Knaben zu bemerken; die Madchen aber lachten heimlich und ergotzten sich an der Angst der Knaben.

Da trat der Gestrenge herein, von der Schar durch Aufstehen begriisst. Sein erster Blick fiel auf die Glasscherben und von da auf die fiffnung im Fenster, durch die der Winter seine Kalte hereinschickte. Wie das zugegangen war, danach brauchte er nicht erst zu fragen. Die feuchten Stellen am Fussboden und die ttber- reste des Schneeballes im Fenster redeten eine deutliche Sprache. Jetzt aber schweifte sein unheilverkiindendes Auge iiber die Schar der Knaben, ob sich der Titter nicht selbst verraten wiirde. Aber, obwohl jeder in dem Auge des Lehrers die Frage nach dem Tater lesen konnte, keiner riihrte sich. Auf dem Gesichte eines jeden lag aber etwas wie Schuldbewusstsein. Noch einmal blickte er nach dem Fen- ster und nach den Scherben. Dann aber, wahrend sein Blick sich wieder der Klasse zuwandte, kam mit unheimlicher Ruhe die Frage von seinen Lippen: ,,Wer hat das getan?"

So wenig aber vorhin auf den fragenden Blick sich einer gemeldet hatte, so wenig bekam er jetzt eine Antwort. Ebenso blieb auch seine zweite Frage unbe- antwortet. Als aber auch beim drittenmale jene Stille weiterdauerte, da schien ihn seine Ruhe zu verlassen. Selbst sein gewohnlich angewandtes Mittel, sich selbst zu beruhigen von eins bis zehn und wieder zuriick zu zilhlen unterliess er. Mit immer mehr wachsender Erregung begann er die Reihen jetzt einzeln durch- zuf ragen :

,,Bist Du's gewesen?"

,,Nein." ,,Du?" ,,Nein." ,,Du? Du? "

Aber auf jedes ,,Du?" folgte ebenso regelmassig die Antwort ,,Nein". Noch einmal fragte er seine zwanzig Knaben durch. Keine andere Antwort.

,,Nun denn, wenn's keiner war, so hat eben einer soviel Schuld als der andere." Und wahrend er sein Haselnussstockchen hervorholte, das ihm ein Knabe vor zwei Tagen erst besorgt hatte, gebot er ihnen, sie sollten der Reihe nach herantreten. Der erste kam. Dreimal pfiff der Stock durch die Luft; dreimal sauste er nie- der auf den Korperteil, der durch seine ,,hervorragende" Lage ganz dazu geeignet erscheint. Dem ersten folgte der zweite und so fort. Wohl rieb jeder die bevor- zugte Stelle, als er auf dem Seitengange wieder seinem Platze zustrebte und so einen Kreislauf ausfiihrte. Aber schliesslich, als einer nach dem andern seine drei Hiebe empfing, da kam ihnen die Sache doch ganz spasshaft vor. Nahm denn die Reihe noch kein Ende? Der Lehrer war dabei warm geworden. Er hielt einen Augenblick inne, streifte die Rockarmel in die Hohe und begann seine ,,Arbeit" aufs neue.

Doch plotzlich hielt er inne. Den erhobenen Arm Hess er langsam wieder her- absinken. Sein Auge aber heftete sich streng auf die Stelle, die er eben auf ihre

Korresponden^en .

153

Empfindlichkeit priifen wollte. Was war das? Das rot- und weissgestreifte Zipfel- chen, das sich da einen verbotenen Ausweg gesucht hatte und ihm nun freundlich entgegenlachte, hatte das nicht schon mit seinem Stocke Bekanntschaft gemacht? ,,Junge!" rief er ihm zornig zu, ,,hast Du Deine Priigel nicht schon empfangen?"

,,Ja!" gestand der erschrockene Knabe.

,,Warum kommst Du noch einmal? Willst Du mich argern?"

,,Die andern sind auch schon wieder vorn gewesen."

,,Sooo ?" rief entsetzt der alte Kantor, und als er sein blitzendes Auge iiber die ttbeltater hingleiten lasst, erkennt er aus der heimlichen Freude, die ihm aus den Augen derselben entgegenleuchtet, dass der Knabe die Wahrheit geredet hat. Tatsiichlich war also mit dem letzten Knaben die Reihe nicht beendet, sondern durch die ersten wieder eigenmachtig verlangert.

Schon wollte er zu den Platzen der Schlingel eilen, um noch viel ,,nachdriick- licher" mit ihnen zu reden. Doch da besann er sich eines besseren: ,,Eins, zwei, drei " und so weiter bis zehn, dann noch einmal riickwarts. Er hatte seinen Zorn unterdriickt.

,,Jungens! Von heute ab gibt's fiir Euch keine Schneeballschlacht mehr!"

Er warf seinen Stock auf den Schrank, stellte eine Lesetafel vor das offene Fenster und trat hinter den Tisch. ,,Danket dem Herrn, denn er ist freundlich " klang es ihm nun aus aller Munde entgegen. Der Unterricht nahm seinen Anfang.

Berichte und Notizen.

I. Korrespondenzen.

(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)

Baltimore.

Die offentlichen Schulen haben ihren sechsmonatlichen Kursus mit dem Mo- nat Marz gliicklich beendet. Es waren deren elf, und zwar sechs fiir Weisse und fiinf fur Neger. Die Unterrichts- zeit war Montag, Mittwoch und Freitag Abend von 7% bis 9% Uhr. Wie an den iibrigen stadtischen Schulen ist auch an diesen der Unterricht frei, und Bii- cher, sowie Schreibmaterialien werden unentgeltlich verabfolgt. Wahrend frii- her die Lehrer fiir diese Schulen aus de- nen der Tagschulen gewahlt worden wa- ren, wurden diesmal letztere nur ganz ausnahmsweise als Klassenlehrer zuge- lassen, weil die verdoppelte Berufstatig- keit an leitender Stelle als zu anstren- gend erachtet wurde. Es fand daher im Herbst eine entsprechende Spezialprii- fung statt, woran sich tiber hundert, darunter Studenten, junge Advokaten und Handelsbeflissene, beteiligten. Da- bei ereignete es sich, dass u. a. einige Universitatsstudenten durchfielen, ein Beweis fur die Unverlasslichkeit schrift- licher Priifungen. Die Leitung dieser Schulen war nach wie vor in den Han- den" von Oberlehrern der Tagschulen; sie

erhalten drei Dollars den Abend, die Klassenlehrer zwei Dollars. Den Ober- lehrern steht eine weitgehende Diskre- tion zu, sie treffen die Auswahl und An- ordnung der UnterrichtsfJicher, und kb'n- nen selbst die Schulabende verlegen und die Unterrichtsstunden andern, wo sie das im Interesse ihrer Schiller finden.

Die grosste der Abendschulen, welcher der Schreiber als Prinzipal vorstand, war insofern bemerkenswert, als an ihr besondere Klassen fiir Eingewanderte bestanden. Es waren ihrer vier; fiinf weitere Klassen waren fiir Einheimische, zwei davon fiir Anfanger, die iibrigen konnten mehr oder weniger nach dem Vorbild einer deutschen Fortbildungs- schule eingerichtet werden. Die Schule war in einem Schulgebaude nahe dem Fusse des Broadway untergebracht, in- mitten einer Bevolkerung aus vieler Her- ren LSnder, und zahlte unter ihren 320 Lernbegierigen Vertreter und Vertrete- rinnen von vierzehn Nationalitaten, namlich Amerikaner, Deutsche, Bob- men, Polen, Russen, Ungarn, Italiener, fisterreicher, Norweger, Engliinder, Ir- lander, Schweizer, Griechen und TUrken. Die verschiedenen Altersstufen zwischen

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P'ddagogiscbe Monatsbejte.

dem 13. und 49. Lebensjahre waren hier zu finden.

Jungamerika war daran, sich in der ersten Woche unangenehm zu machen; es war die ohnehin schon lebhafte Wahl- woche, da drangten nach einander zwei sich befehdende Rotten, unter den omi- nosen Namen Market Rats und Wharf Rats bekannt, von der Strasse herauf ins Amneldezimmer die eine wie die andere liess sich aber nach einem era- sten Hinweis zur Ausgangstiire geleiten, ohne dass auch nur ein unfreundliches Wort geaussert worden ware. Ja, einige der jungen Burschen kamen eine Woche spater zuriick und wurden fleissige Schii- ler. Wahrend des ganzen Kurses herrsch- te in der Schule dieselbe Ruhe wie in ei- ner Kirche, wozu das gute Vorbild der Eingewanderten wesentlich beigetragen hat.

Nach dem Vorbild anderer Stadte werden unsere offentlichen Schulen dem- nachst durch Namen hervorragender Burger bezeichnet werden. Ein Histori- ker an der Johns Hopkins Universitat hat den Auftrag bekommen, der Schul- behorde diesbeziigliche Vorschlage aus- zuarbeiten, wofiir ihm einhundert Dol- lars ausgesetzt worden sind. Nur sol- che Burger, die sich vor der Zeit des Biirgerkrieges ausgezeichnet haben, sol- len beriicksichtigt werden. Bis jetzt sind die Schulen numeriert, die englisch-deut- schen fiihren die Nummern 91 bis 99.

S. Chicago.

Chicago ist in Gefahr, das herrliche TTiomas-Orchester zu verlieren! Seit mehr als einem Dutzend Jahren hat es die Musiklreunde der Stadt und Umge- bung durch die Wiedergabe klassischer Musikwerke in vollendeter Form gera- dezu entziickt. Es steht unstreitig auf gleicher Hohe mit den allerersten Verei- nigungen dieser Art in der alten Welt! Und das will sehr viel sagen. Die Defizite sind allerdings von Jahr zu Jahr geringer worden, allein die paar Leute, die seither jahrlich 15 20 Tau- send Dollars zugelegt haben, sind ea miide geworden, das weiter zu tun. Ein eigenes Heim, zu dem die Plane und Voranschlage schon gemacht sind, das aber $7f>0,000 kosten wiirde, konnle den Zusammenbrucii verhindern. Biah-^r sind otwas iiber $200,000 gezeifhnet worden. I)a die Kontrakte der Musiker in etwa vier Woclien ablaufen, so hat die Sadie grosse Eile, um im giinstigen Sinne ent- schieden zu werden.

Hier ware eine Gelegenheit fur unsere Millionare, ihren Gemeinsinn zu zeigen! Das Thomas-Orchester hat in der Zeit

seines Bestehens mehr ftir Erziehung des Volkes getan, als die Universitiit des Mr. Rockefeller. Ernes.

Cincinnati.

,,Wenn Du aber gar nichts hast, Ach, so lasse Dich begraben Lump!"

Wenn je einmal im Leben, so war Ihr Korrespondent in diesen Tagen recht ernstlich gesonnen, diesen Rat Heine's zu befolgen. Da fiel ihm aber noch im letzten Augenblicke Goethes Diktum ein: ,,Nur Lumpe sind bescheiden". Ergo: Schreiben, wenn es weniger als blutwenig zu schreiben gibt! ,,Dieses vorausgeschickt", ist eine weitere Ent- schuldigung ob der Magerkeit dieser Korrespondenz nicht vonnoten. Ich geb's gern!

Gliicklicherweise batten wir gestern eine Versammlung des Deutschen Leh- rervereins, bei der nicht nur vorziigliche Gesang- und Instrumentalpiegen von Nicht-Berufsgenossen Lehrer und Leh- rerinnen haben einstweilen den Sang ,,sich abgetan" zu Gehor gebracht wurden, sondern auch ein langjahriger bewahrter Freund unserer Gilde, Herr Pastor Eduard Voss (ein Urenkel von Johann Heinrich Voss) einen sehr zeit- gemassen und packenden Vortrag hielt iiber das Thema ,,Der Deutsche Michel in Amerika". Wohlverdientes Lob, aber auch Tadel und ernste bedeutsame Mah- nungen liess der gewandte Redner den Deutschamerikanern in begeisterten Worten angedeihen. Der deutsche Mi- chel, der im alten Vaterlande sich auf immer drunten im Kyffhauser zur ewi- gen Ruhe niedergelegt hat, so meinte der Redner, schickte vorher einige ge- sunde Ableger heriiber zu uns, und die sorgen dafiir, dass er hierzulande iippig weiter gedeiht, so iippig, dass er seine Sprache, seine guten Sitten und GebrSiu- che, nur zu oft wissentlich und geflis- sentlich, schmahlich vernachlassigt und preisgibt. Niemand konne mehr dazu beitragen, hierin Xnderung zu schaffen, als der deutsche Lehrerstand, denn die deutschamerikanische Jugend sei es nunmehr allein, die das Deutschtum in Amerika vor Versumpfung und endli- chem Untergange bewahren kann. Sie in dieser Hinsicht auf den rechten Weg zu leiten und dafiir zu sorgen, dass sie ihn wacker auch beschreite, das sei un- sere, der Lehrer Sache, da leider so viele deutsche Eltern dieses ihres Amtes nicht walten. Der prilchtige Vortrag ist im Manuskript nicht vorhanden, da der Redner keines hat, sonst ware eine voll- inhaltliche Wiedergabe desselben in den P. M. gewiss recht sehr am Platze. Wei- tere Satze aber herauszugreifen, wiirde

Korresponden^en.

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die gewiinschte und durch den Vortrag BO weit erreichte Wirkung abschwachen. Vielleicht lasst der Redner sich herbei, seine Ausfiihrungen nachtraglich doch noch niederzuschreiben, dann seien die- selben unseren Lesern nicht vorenthal- ten.

In unseren Lehrerkreisen im allgemei- nen geht's hoch her. Nicht nur werden in den verschiedenen Vereinen die Vor- standsneuwahlen mit wirklicher In- brunst vorgenommen, bezw. betrieben und vorbereitet, sondern von padagogi- scher Weisheit triefende monatliche of- fizielle Schulbulletins und nichtoffizielle Lehrerzeitungen lassen es an Ratschla- gen und Mahnungen unterschiedlicher Giite nicht fehlen. Daneben ist j'eder Freitag der Woche zu einer Muss-Ver- sammlung samtlicher Lehrer aller Grade der Reihe nach bestimmt. Im englischen Departement besteht die Sa- che aus Vortragen der verschiedenen Su- perintendenten, wahrend im deutschen Departement Probelektionen vorgefiihrt werden, jedenfalls eine nicht genug zu lobende Neuerung unseres Dr. Fick, an dem es ich will's offen sagen wahr- lich nicht liegt, wenn der deutsche Un- terricht nicht die hochste, unter den Umstanden mogliche, Stufe erreicht. Das tut uns alien ohne Ausnahme wohl, und wir diirfen ohne Scheu sagen, dass gar manche englische Kollegen uns da- rum beneiden. ,,Wir alle wollen Hiiter sein'!" Das haben wir in Cincinnati im- mer bewahrheitet.

Wir stehen vor einer neuen Stadt- wahl, bei welcher der Schulrat gleich- falls in Mitleidenschaft gezogen werden wird. Doch sind jetzt schon Zweifel laut geworden, ob unter der neufabrizierten Gemeindeverwaltung in Ohio eine solche Wahl im jetzigen Augenblicke wohl ge- boten oder statthaft sei. Da steht ja wohl ein Einhaltsbefehl, oder so was Ahnliches, post festum in Aussicht. Un- eingehalten und unangefochten kann ja heutzutage nichts mehr existieren also warn in nicht? quidam.

Milwaukee.

Es ist in diesen Korrespondenzen schon ofter die Rede gewesen von der Notwendigkeit eines guten Schulzwang- gesetzes. Es wurde auch mitgeteilt, dass eine Vorlage ausgearbeitet sei. Diese ist nun der Legislatur unterbreitet worden, und soweit man bis jetzt die Sachlage beurteilen kann, hat die Vorlage die be- ste Aussicht angenommen zu werden. Damit wiirde dann einem doppelten tibelstande abgeholfen werden, namlich dem des Schulschwanzens einerseits, und sodann dem Arbeiten in den Fabriken

seitens schulpflichtiger Kinder. Der letz- tere ttbelstand besteht besonders in Mil- waukee in ganz erschreckender Weise. Tausende von Kindern beiderlei Ge- schlechts unter 14 Jahren sind hier in Fabriken und Kaufladen beschaftigt. Traurig, sehr traurig ist es, dass wir so gewissenlose und pflichtvergessene El- tern haben, die um des karglichen Loh- nes willen ihren Kindern den so nb'tigen Schulunterricht rauben und sie geistig, korperlich und moralisch verkiimmern und verderben lassen in den Fabriken. Nun haben wir ja Fabrikinspektoren, die dazu sehen sollen, dass keine Kinder unter 14 Jahren in Fabriken arbeiten; aber wozu ist man denn in Amerika ? Da muss man sich zu helfen wissen; denn augenscheinlich werden hier die meisten Gesetze nur zu dem Zwecke gemacht, dass sie iibertreten werden. Da gehen also die Eltern einfach zu irgend einem Friedensrichter, Notar oder Winkeladvo- katen und schworen frech und schamlos, dass ihr 12-, ja 11- oder lOjahriges Kind 14 Jahre alt ist, und fur einige Dollars stellt dann der gefallige Beamte die be- ziigliche Bescheinigung ausu Doch hoffen wir, dass dies nur Ausnahmen sind und nicht die Regel. Aber wie traurig steht es doch mit unsern sozia- len Verhaltnissen, dass Kinder und bleichsiichtige, schwachliche junge Mad- chen den Platz der Miinner in den Fabri- ken einnehmen. Sind die letzteren nicht oft im wahrhaften Sinne des Wortes ein Moloch, dem Ehre und Tugend mancher junger Madchen, der Wohlstand der Fa- milien und die Wohlfahrt des Staates und des Landes geopfert werden?

Dann wird hoffentlich auch das ttbel des Schulschwanzens grilndlicher ausge- rottet werden. Bis jetzt hatten wir hier in Milwaukee nur einen ,,Truant officer", und der ist sicherlich nicht geniigend fur eine solche grosse Stadt. Leider be- kiimmern sich manche Eltern nicht ge- wissenhaft genug um den Schulbesuch ihrer Kinder, darum kommt es oft ge- nug vor, dass Kinder die Schule schwan- zen, ohne dass die Eltern nur eine Ahnung davon haben. Dann ist noch ein grosser ttbelstand da, aber der kann wohl schwerlich durch Gesetze abgestellt werden. Ich meine namlich den so sehr unregelmassigen Schulbesuch der Kin- der. Wenn die Eltern nur eine Idee da- von hatten, wie sehr sie ihren Kindern schaden durch das viele Zuhausebehalten derselben, und wie sie uns Lehrern un- ser Amt damit erschweren, so wiirden sie das wohl zu vermeiden suchen. Wie kann ein Schiller regelmassige Fort- schritte machen im Unterricht, wenn er

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P'ddagogiscbe Monatshefte.

von 5 Schultagen fast regelmassig einen oder zvvei Tage zuhause bleibt, und zwar ohne krank zu sein? Wenn dann die

Kinder im Unterricht zuriick bleiben, so wird oft den Lehrern die Schuld da- von gegeben. A. W.

II. Umschau.

Dr. M. D. Learned, Professor der deut- schen Sprache und Literatur an der Staatsuniversitat von Pennsylvanien, unser friiherer verdienstvoller Bundes- prasident und Mitarbeiter an diesem Blatte, tritt am 18. d. M. einen lange- ren Urlaub an, den er zu einer Reise nach Europa beniitzen wird. Soil diese Reise zunachst auch eine nach zehnjah- riger angestrengtester Tatigkeit wohl- verdiente Erholungsreise sein, so wird der rastlos tatige Mann die Zeit doch zugleich seinen Privatstudien widmen. Von Liverpool, dem ersten Ziel seiner Reise, beabsichtigt Prof. Learned sich nach Deutschland zu begeben, um vor- nehmlich in den Rheinlanden und der Schweiz literarischen und kulturge- schichtlichen Studien obzuliegen. Dem Scheidenden unsere und aller seiner Freunde besten Wiinsche fiir eine gliick- liche Reise und frb'hliche Wiederkehr!

Aus Veranlassung der Feier des Deut- schen Tages, die am 9. November des vo- rigen Jahres in New York abgehalten wurde, erschien eine Festschrift, welche von mehr als lokalem Interesse zu sein verdient. Sie wurde unter der fahigen Leitung von Kollegen A. J. W. Kern hergestellt und soil nicht nur einen Denkstein der kulturellen Tatigkeit des Deutschtums von New York, sondern des gesamten Deutschamerikanertums bilden; sie bietet ein iiberaus reichhalti- ges Material aus diesem Gebiete und ist daher einem jedem, der der Entwicke- lung des Deutschtums in diesem Lande Interesse entgegenbringt, aufs angele- gentlichste zu empfehlen. Die Sehrift ist gegen Einsendung von ID cts. von Herrn A. J. W. Kern, Jamaica, N. Y., zu beziehen.

In Indiana kam kurzlich die Frage des Impfzwanges vor dem Staatsoberge- richt zur Entscheidung. Es waren nam- lich von dem Gesundheitsamt verschie- dener Stadte alle Kinder, die nicht ge- impft waren und sich dem Impfen wi- dersetzten, von dem Schulbesuch ausge- schlossen worden, und mancheSchulen, so besonders in Terre Haute, mussten aus diesem Grunde geschlossen werden. Auf Grund einer diesbeziiglichen Berufung hat das Obergericht nunmehr entschie- den, dass es unstatthaft sei, ungeimpf-

ten Kindern den Schulbesuch zu verwei- gern, und die Schulen konnten daher wieder geoffnet werden.

New York. Von der fiir Verbesserun- gen ausgeworfenen Summe von $9,940,- 000 sind $3,500,000 fiir Schulzwecke be- stimmt. Die Kosten fiir die Fuhrung der Columbia-Universitat belaufen sich fiir das kommende Schuljahr 1903 1904 laut soeben verb'ffentlichten Etats ouf $1,703,994.80. Ein Defizit von $150,000 wird durch freiwillige Beitrage gedeckt werden miissen.

Wahrend des Monats April werden voraussichtlich alle die vom deutschen Kaiser dem Germanischen Museum zu Harvard zum Geschenk gemachten Gips- abgiisse zum Versand kommen.

Schutzhallen fur Schulhofe sind in den Kreisen der Schulhygieniker lange schon als notwendig bezeichnet worden. Einen Versuch mit einer solchen Schutz- halle will die stiidtische Schulverwal- tung Berlins bei dem neuen Gemeinde- schulhause machen, das in der Putbuser Strasse errichtet werden soil. Auf Wunsch der Schuldepudation ist von der stadtischen Bauverwaltung in dem Bau- entwurf ausser der iiblichen Turnhalle noch eine besondere offene Halle vorge- sehen worden, die einen Teil des Holes iiberdacht. Es wird dadurch mb'glich, die Schulkinder auch bei Regenwetter sich wiihrend der Unterrichtspausen im Freien aufhalten zu lassen.

Jena. Die diesjahrigen Ferienkurse fiir Lehrer und Lehrerinnen dauern vom 3. 15. August d. J. Das Verzeichnis gibt folgende Vortrage an: I. Naturwis- senschaftliche Kurse: 1) Botanik (Prof. Dr. Detmer) ; 2) Anleitung zu bota- nisch-mikroskopischen Arbeiten und pflanzenphysiologischen Experimenten (Prof. Dr. Detmer) ; 3) Die Tierwelt des Meeres, mit Demonstrationen (Prof. Dr. Ziegler) ; 4) Praktischer Kursus der Zoologie (Prof. Dr. Ziegler); 5) Physi- ologic des Gehirns, mit Demonstrationen (Privatdozent Dr. Noll) ; 6) Die Geolo- gie in der Schule (Prof. Dr. Johannes Walther) ; 7) Anwendung optischer In- strumente zum Zwecke chemischer Un- tersuchungen : Spektralanalyse, Mikro- skopie, Polarisation, Refraktion (Pri-

Umscbau.

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vatdozent Dr. Gange). II. Padagogische Kurse : 1 ) Allgerueine Didaktik ( Prof. Dr. Rein); 2) Spezielle Didaktik, mit praktischen ttbungen (die Oberlehrer Fr. Lehmensick und H. Landmann) ; 3) Abnorme Erscheinungen im kindlichen Seelenleben, mit Demonstrationen (Di- rektor J. Triiper) ; 4) Psychologic des Kindes (Dr. A. Spitzner- Leipzig). Au- sserdem werden noch gehalten: padago- gische Kurse, geschichtliche, theologi- sche, philosophische Kurse, Kurse aus dem Gebiete der Kunst und Sprachkur- se. Programme stehen auf Wunsch zur Verfiigung. Anmeldungen nimmt entge- gen: Das Sekretariat (Frau Dr. Schnet- ger, Jena, Gartenstrasse 2 ) .

Ungeteilte Schulzeit. Bekanntlich ist schon in einer Reihe reichsdeutscher Stadte die ungeteilte Schulzeit einge- ftihrt. Kiirzlich wurden die Schularzte von Gottingen zu einem Gutachten in dieser Angelegenheit aufgefordert, und sie haben sich fiir die Aufhebung des Nachmittagsunterrichtes ausgesprochen. Biireaukratius mit dem Rohrstock. Einem Einwohner Sommerfelds gingvor einigen Tagen folgendes Schreiben zu:

Auf Veranlassung der Koniglichen Bezirksschulinspektion Leipzig II hat der hiesige Schulvorstand beschlossen, Ihren Sohn, den Schulknaben Hermann Sch. aus Klasse II hiesiger Volksschule, wegen Liigens und Weglaufens aus der Schule zu bestrafen, und zwar gemass Ihres vor der Koniglichen Amtshaupt- mannschaft zu Leipzig am 27. November 1902 zu Protokoll gegebenen Wunsches durch eine korperliche Ziichtigung. Die- selbe wird im Interesse der Gesundheit Ihres Sohnes unter Zuziehung eines Arz- tes vollzogen werden und die hiesige Schulkasse die dadurch verursachten Unkosten von Ihnen einziehen.

Sollten Sie etwas dagegen geltend ma- chen wollen, so haben Sie dies bis Mitt- woch, den 11. Februar d. J., bei dem unterzeichneten Vorsitzenden des Schul- vorstandes anzubringen, wobei Sie da- rauf aufmerksam gemacht werden, dass die hiesige Schulkasse alle durch Ihrer- seits verursachte Weiterungen entste- henden Kosten ebenfalls von Ihnen ein- ziehen wird.

Sommerfeld bei Leipzig, den 4. Febr. 1903.

Der Schulvorstand.

Liz. Dr. Wirth, Pfarrer, I. Vorsitzender. Ob der Junge seine Hiebe wohl end- lich weghaben mag?

Zur neuen Rechtschreibung. Die Ver- einigungen der Buchdruckereibesitzer des Deutschen Reiches, 6sterreichs und der Schweiz haben beschlossen, die neue

deutsche Rechtschreibung in ihren Ge- schaften derart zu vereinheitlichen und zur Durchfiihrung zu bringen, dass zur moglichsten Beseitigung der immer noch zulassigen vielfachen Doppelschreibun- gen die in den Regeln und im Worter- verzeichnisse bevorzugte Schreibung als massgebend erklart wird. Infolgedessen wird Regierungsrat Dr. Duden in Leip- zig eine ,,Rechtschreibung der Buch- druckereien deutscher Sprache" bearbei- ten, welche sodann von den Verlagsbuch- handlern, Zeitungsverlegern und Zei- tungsredaktionen in Anwendung ge- bracht werden soil.

Steilschrift. In den Schulen des Her- zogstums Meiningen wird die Steilschrift mit einem Richtungswinkel von 65° ein- gefiihrt.

Jahresgehalt fur den Lehrer Classen. Zwei Hamburger Privatleute haben dem Verfasser des sozialen Romans ,,Kreuz und Ambos", Walter Classen, in Aner- kennung der tiichtigen schriftstelleri- schen Leistung und der in dem Roman niedergelegten Bestrebungen ein Jahres- gehalt von 1500 Mark ausgesetzt, damit Classen nicht gezwungen ist, im Volks- schuldienst zu bleiben.

Deutschlands Lehrerseminar fur Kna- benhandarbeit in Leipzig erfreut sich unter der trefflichen Leitung Dr. Pabsts nach wie vor der allgemeinen Wert- schatzung. Wie aus dem vorliegenden Bericht iiber die Unterrichtskurse im Sommer v. J. hervorgeht, batten sich 76 Kursisten aus den deutschen Bundes- staaten, aus Amerika, Grossbritannien, Russland, 6sterreich-Ungarn eingefun- den, um sich in den verschiedenen Fa- chern ausbilden zu lassen. Der Erfolg entsprach den Bemiihungen der Teilneh- mer sowohl als auch der Lehrenden, und so darf das Lehrerseminar mit Befriedi- gung auf die verflossenen Jahre zurvick- blicken und getrost in die Zukunft schauen! Vom 8. 10. Juli soil an die- ser Anstalt ein kostenfreier Kursus fiir Schulaufsichts- und Verwaltungsbeamte sowie fiir Schulleiter abgehalten werden. Programme hierfiir konnen von dem Vor- sitzenden des Deutschen Vereins fur Knabenhandarbeit, E. von Schencken- dorff, in Gorlitz, bezogen werden, an welchen auch, spatestens bis zum 10. Juni, die Anmeldungen zu richten sind. Die gebildetste Nation der Welt ist nach einer englischen statistischen Ta- belle die deutsche. In Deutschland be- sucht ein Mann unter 213 die Universi- tat, in Schottland einer unter 520, in den Ver. Staaten einer unter 2000 und in England einer unter 5000.

III. Vermischtes.

Eine ansehnliche Reihe bedeutender Manner waren in der Schule durchaus keine Musterknaben. Karl von Linne, der Vater der Naturgeschichte und Be- griinder der wissenschaftlichen Botanik, musste aus der Schule genommen wer- den und wurde zu einem Schuster in die Lehre getan. Erst spater entdeckte ihn ein Arzt in der Schusterstube. Dem Bahnbrecher auf dem Gebiete der Che- mie, Justus von Liebig, gehorte stets der letzte Platz in der Klasse und der ,,dum- me Justus" war zur stehenden Redens- art bei den Kommilitonen geworden. Alexander von Humboldt war als Kind, im Gegensatz zu seinem Bruder, so schwachsinnig, dass seine Lehrer und seine Mutter zu der tfberzeugung kamen, er eigne sich zum Studieren gar nicht, und Humboldt sagte selbst, dass es ihm ganz plotzlich licht im Kopfe geworden sei. Burger, der Balladendichter, qualte sich als Knabe bei den lateinischen Kon- jugationen tagelang ab, ehe er nur eine Form in den Kopf gebracht hatte, und Ernst Schulze, der Dichter der ,,bezau- berten Eose", soil ein Muster von Schlaf- miitzentum gewesen sein. Walter Scott, der beriihmte englische Romanschreiber, war all seiner Lehrer Schrecken. Noch auf der Universitilt zu Edinburg prophe- zeite ihm ein Professor, dass er es zu nichts bringen werde. Der geistreiche englische Kritiker und Politiker Swift fiel auf der Hochschule zu Dublin so kraftig durchs Examen, dass man ihm in Oxford nicht die Aufnahme zur Voll- endung seiner Studien gewahren wollte. Auch Wellington zeichnete sich in sei- ner Kindheit durch Tragheit und Unge- schicklichkeit aus, und der grosse Napo- leon war als Knabe sehr schwer von Be- griff und entwickelte sich erst auf der Kriegsschule zu Brienne. Hogarth, der grosse Humorist in Bildern, wurde von seinen Lehrern fur stumpfsinnig erklart. Thorwaldsen, der geniale danische Bild- hauer, musste in der zweiten Klasse sei- ner heimatlichen Schule drei voile Jahre sitzen.

Lehrer und Landstreicher. Eine merk- wiirdige Erscheinung des russischen Landlebens sind die Lehrer, die sich als Landstreicher herumtreiben, weil ihren Diensten zu wenig nachgefragt wird. Diese landstreichenden Lehrer setzen sich aus den verschiedenartigsten Be- rufszweigen zusammen. Man findet un- ter ihnen gewesene Studenten, verab- schiedete Soldaten, entlassene Geistliche und Schreiber aller Art, mit einem Wort

gescheiterte Existenzen aller Professio- nen. Die weitaus grossere Mehrzahl die- ser Leute sind starke Saufer, Leute, die in ihrem Leben alles verloren haben. Viele haben sogar die einst besseren Kenntnisse vergessen, so dass es mit ihrem Wissen recht trostlos bestellt ist. Das Friihjahr und den Sommer iiber treibt sich diese Art von Lehrern in der Stadt herum. Der vagierende ,,Lehrer" bildet hier einen standigen Besucher der verschiedenen Kneipen und Theehallen, in denen er Klagen oder Briefe fiir die iibrigen Besucher schreibt und dabei ge- horig trinkt. Mit Eintritt des Herbstes schniirt der ,,Lehrer" sein Biindel und zieht aufs Land, um in irgend einem Dorfe den Bauernkindern Weisheit ein- zutrichtern. Es gibt sehr viele land- streichende Lehrer, die ihren bestimm- ten Ort haben, an welchem sie sich all- jahrlich niederlassen. Man freut sich, wenn sie kommen, kennt sie genau und iibersieht ihre Fehler wregen ihrer guten Eigenschaften. Aber es gibt auch Leh- rer, deren Riickkehr das Dorf nicht ohne Grund fiirchtet. Erscheint ein landstrei- chender Lehrer in einem Dorf und wird das Bediirfnis fur seine Gegenwart fest- gestellt, so beginnt er mit dem ,,Sam- meln" von Schiilern. Diejenigen Lehrer, die wirklich einige Kenntnisse besitzen, stellen sich meist unter die Protektion des Dorfgeistlichen, um ihrer Person mehr Gewicht zu verleihen. Hat sich der Lehrer niedergelassen, so vereinbart er mit den Eltern der Schiller die Bedin- gungen, unter denen er ihre Kinder un- terrichten wird, sowie den Ort und die Zeit des Unterrichts. Das Honorar, das diesen Lehrern zuerkannt wird, besteht aus einer Zahlung von 50 Kop. bis zu einem Rubel monatlich fiir jedes Kind. Zu Unterrichtszwecken wird entweder eine besondere Hiitte gemietet oder der Unterricht findet abwechselnd in der ei- nen oder anderen Bauernhiitte statt. Im ersteren Falle bedingt sich der Lehrer auch ein bestimmtes Quantum von Nah- rungsmitteln aus, oder aber er isst bei den Bauern, in deren Hiitten er unter- richtet. Der Unterricht beginnt meist, sobald es hell geworden ist, und wird fortgesetzt, bis der kurze Wintertag zur Neige geht. Von einer Einheitlichkeit des Unterrichts kann bei derartigen Leh- rern natiirlich nicht die Rede sein. Ein jeder lehrt, wie es ihm gut diinkt. Er weiss, dass der Bauer geizig ist, und kommt daher nie mit irgendwelchen For- derungen. Alle Misserfolge werden den

Vermischtes.

159

Schiilern zugute geschrieben, denn der Lehrer, der sich den ganzen Tag mit sei- nen Zb'glingen beschaftigt und die Fau- len dazwischen gehorig durchpriigelt, muss gut sein. Man muss den Unter- richt eines solchen landstreichenden Lehrers angehort haben, um die Kinder und deren Eltern tief zu bemit- leiden. Abgelumpt, schmutzig, brannt- weinduftend herrscht ein solcher Lehrer iiber die unschuldigen Kinderseelen. Dabei katzbuckelt und dienert er vor je- dem betrunkenen Bauern in der Hoff- nung, vielleicht ein Glaschen Brannt- wein zu erhalten; jedem Bauernwirt fiihrt er seine Kunststiicke vor, um seine Gunst zu erwerben. Schlimmer wird die Sache jedoch, wenn das Dorf einen Win- keladvokaten, der in den Kneipen der Stadt gearbeitet hat, zum Lehrer erhalt. Dieser begniigt sich nicht daunt, die Kinderherzen zu vergiften, sondern er drangt sich in alle Angelegenheiten des Dorflebens, bemtiht sich, Zwist und fal- sche Ansichten zu verbreiten, und tritt als Rechtsanwalt derjenigen Partei auf, die mehr bezahlt. Es wird wohl noch lange dauern, ehe diese russische Leh- rer-Spezialitat verschwindet.

Sind wir eine zivilisierte Nation? Ein Kriegsschiff erster Klasse kostet soviel als die 94 Gebaude der Harvard-Univer- sitat, kann jedoch von dem neuen Sprengstoffe ,,Maximite" augenblicklich vernichtet werden. Wir verausgaben fur Schulzwecke jahrlich 200 Millionen Dollars, fur Kriegszwecke 400 Millionen, und doch leben wir im tiefsten Frieden.

Militar und Unterricht. Der ,,Pionier" in Bern bringt bei Gelegenheit der Be- sprechung der Unterstiitzung der Volks- schule durch den Bund folgende Zusam- menstellung der Ausgaben in den Lan- dern Europas fur Militar und Unter- richt :

Ausgaben per Einwohner : Grossbritannien und Irland, fur Militar, 25 Fr., fur Unterricht 6 Fr. ; Frankreich, f iir Militar, 24 Fr., fur Unterricht, 5 Fr. ; Deutsches Reich, 18 Fr., 7 Fr; Dane- mark, 11 Fr., 3 Fr.; Griechenland, 10, 2; Schweden, 9, 4; fisterreich-Ungarn, 9, 2; Italien, 9, 1; Rumanien, 9, 5; Nor- wegen, 8, 4; Belgien, 8, 5; Schweiz, 8, 15.

fiber ,,Babel und Bibel" hat vor lange- rer Zeit Prof. Delitzsch in Gegenwart des Kaisers gesprocken und dabei den Widerspruch der Theologen beider christlicher Konfessionen, sowie des jiidi- schen Rabbinen erregt. In einem neuen, wieder in Gegenwart des Kaiserpaares, des Reichskanzlers, des Kultusministers, zahlreicher hervorragender Theologen u. s. w. gehaltenen Vortrage iiber dasselbe

Thema ist Prof. Delitzsch noch welter vorgegangen. Auf Grund der Ergebnisse der Nachgrabungen in Babel ist Prof. Delitzsch zu der tfberzeugung gelangt, es sei ein Irrtum, wenn man annehme, dass die hebraische Sittenlehre mit allem, was zu ihr gehore, aus sich selbst ent- standen sei; sie sei vielmehr aus vor- handenem geboren, zum grossen Teil aus der Kultur anderer hochentwickelter Staaten geschopft. Die in den Biichern Mosis verzeichneten Gesetze seien erst nach der Einwanderung in Kanaan, erst nachdem die Juden sesshaft geworden, entstanden und auf Moses nur zuriick- gefiihrt worden, um ihnen mehr Ansehen und Geltung zu verschaffen. Die mei- sten Gesetze der Juden seien bereits von den Babyloniern ebenso heilig gehalten worden wie von den Juden. Lange vor der mosaischen Zeit bestand in Babylo- nien ein wohlgeordneter Rechtsstaat, mit Gesetzen, in denen sich die von Moses aufgestellten Bestimmungen befinden. Obenan steht darin der Schutz der Wai- sen, der Witwen und der Schwachen. So gut wie die Gesetze von Babel mensch- lichen Ursprungs seien, seien es auch die mosaischen. Die weitere Forschung miis- se ermitteln, was an den mosaischen Ge- setzen nur israelitisch, was allgemein semitisch, was babylonischen Ursprungs ist. Viele ttbereinstimrnungen fallen ins Auge, wie beispielsweise der Rechtssatz Auge um Auge, der Sabbat und vor allem der Gedanke des Einen Gottes (Jahwe). Delitzsch bestreitet, dass die Beschnei- dung das besondere Bundeszeichen zwi- schen Jahwe und Israel gewesen sei. Ge- meinsamen Ursprungs aus der babylo- nisch-assyrischen Welt sind nach De- litzsch auch das Wiedervergeltungsrecht, das Neumondsfest, das Brustschild des Hohenpriesters, das Schaubrot u. s. w. Bei den zehn Geboten nimmt Delitzsch das fiinfte und siebente von der babylo- nischen Abhangigkeit aus. Im iibrigen sind manche babylonischen Anschauun- gen den jiidischen iiberlegen, so z. B. in betreff der Stellung der Frauen. Selbst der Monotheismus ist nicht israelitischen Ursprungs. Der Gottesname Jehu ist aus der Urkunde des dritten vorchristli- chen Jahrtausends erwiesen. Vor alien Dingen nehmen es die strengglaubigen Theologen dem ernsten Forscher De- litzsch iibel, dass er es fiir Aberglauben erklart, das alte Testament sei eine Offenbarung Gottes.

Was ein Vogelnest icert ist. Hieriiber finden wif Rechnung: In einem Neste sind fiinf Junge. Jedes dieser Jungen braucht durchschnittlich taglich 50Stiick Raupen zur Nahrung. Aae Jungen zu-

160 P'ddagogische Monatshefte.

sammen brauchen also taglich 250 Rau- ehrten Erzieher, in dessen Institut zu

pen. Die Atzung dauert durchschnitt- Yverdon sie einige Zeit zugebracht hatte.

lich dreissig Tage. Wa'hrend dieser Zeit Dabei konnte sie eine Locke des Meisters

werden 7500 Raupen vernichtet. Jede vorweisen, welche sorgsam in einem

Raupe frisst taglich ihr eigenes Gewicht Etui verwab.pt wurde. Und wenn sie

an Slattern und Bliiten. Angenommen, dann etwa von den Eigentiimlichkeiten

sie brauche, bis sie ausgefressen hat, Pestalozzis erzahlt hatte, so fiigte sie

auch dreissig Tage und fresse taglich bei: ,,Aber wir batten ihn sehr, sehr

nur eine Bliite, die eine Frucht gegeben lieb". hatte, so frisst sie in dreissig Tagen

dreissig Obstfruchte, und die 7,500 Rau- Schuler-GrammaUk: ,,Die Tulpe ist

pen fressen zusammen 225,000 soldier 8ch6n' aber sle lst rucWos.

Bliiten. Aus der Schule. Lehrer (bei Erkla-

Die letzte Schiilerin Pestalozzis, Frau rung von Uhlands ,,Gliick von Eden-

A. M. von Wattenwil-Gormann, ist im hall") : Hat vielleicht einer von euch

Schlingmoos bei Gurzelen im hohen Alter etwas von einer Fey oder Fee gelesen?

von 89 Jahren gestorben. Laut ,,Ev. Was ist eine Fee? Schiller: Ein hiibsches

Schbl." erzahlte sie gerne von ihrem ver- Weib, \vo einem gern etwas schenkt.

Bucherschau.

Berichtigung.

Erst nach Abfassung meiner Anzeige der Prettyman'schen Ausgabe von Schil- lers Dreissig jahrigem Kriege, Buch III, in der Marznummer der P. M. (S. 125 f.) bin ich mit Dr. Bernhardts Bearbeitung des gleichen Stoffes bekannt geworden, der bereits 1894 also geraume Zeit vor den beiden andern in meiner Besprechung ge- nannten Ausgaben im Verlage der American Book Company erschienen ist. Ich bedaure das Versehen um so mehr, als, wie ich nachtraglich erfahren habe, gerade Dr. Bernhardts Buch den Zwb'lferausschuss veranlasste, den betreffenden Lesestoff in seine Liste empfehlenswerter Texte aufzunehmen. Eine genaue Priifung der Ausgabe, die den Titel fiihrt ,,Gustav Adolf in Deutschland, 1630 1632. From Schiller's History of the Thirty Years' War," tiberzeugt mich, dass diese ehrende Anerkennung wohl verdient war. Dr. Bernhardts Ausgabe enthalt etwa vier Seiten einfuhrender Bemerkungen und ist mit neun Illustrationen vorwiegend Portrats der bertihmten Feldherren des Krieges sowie einer ttbersichtskarte zur Liitzener Schlacht ausgestattet. Wie das Vokabular schon andeutet, ist das Buchlein mehr fur High Schools als fur Colleges berechnet. An Einzelheiten mochte ich folgendes bemerken: Anm. 6 zu S. 9 erweckt eine irrige Vorstellung; die Schweden sind wohl mit den Goten stammverwandt, aber doch keineswegs deren Nachkommen. Falsch ist die Ableitung Welschland = Gallic land, Anm. 6 zu S. 24 ; siehe Kluges Etymo- logisches Worterbuch unter welsch. Angesichts des sonst so beliebten Totschwei- gens der geschichtlichen Wahrheit hat mich auch Anm. 4 zu S. 24 angenehm be- riihrt; und hierzu sei mir gestattet, aus Prof. Kochs Besprechung des Trumpelmann- schen Schauspiels ,,Die Zerstorung Magdeburgs" ( Literarisches Centralblatt, 7. Marz 1903, Beilage Sp. 73) folgendes anzufuhren: ,,Von Triimpelmann weiss man von seinem Lutherfestspiel her, dass er die Gegner Luthers scharf anzugreifen liebt. Um so mehr ist die Macht der geschichtlichen Wahrheit anzuerkennen, die auch Trumpelmann zwingt, die alte, einstens von Schiller so schneidend hervorgehobene Legende von Tillys Mordbrennertum beiseite zu lassen. Die Frage, pb ein Verschul- den Gustav Adolf s vorliegt, hat Trumpelmann nicht beruhrt; den Plan zur Zersto- rung Magdeburgs lasst er aber den Vertreter des Schwedenk6nigs, Oberst Falken- berg, fassen," was dem richtigen Sachverhalt am nachsten kommen diirfte.

Univ. of Wis. Edwin C. Roedder.

Padagogische Monatshefte.

PEDAGOGICAL MONTHLY.

Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.

Organ des

Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.

Jahrgang IV. Mai 1903. Heft 6

Nationaler Deutschamerikanischer Lehrerbund.

Aufruf zur Betei ligung an der 33. Jah res versa mmlung in Erie, Pa., 30. Juni, 1. 2, und 3. Juli 1903.

(Offiziell.)

Zum erstenmale seit dem Bestehen des Lehrerbundes findet unsere Jahresversammlung in Erie statt. Fiir die Vortrage sind tiichtige Krafte gewonnen, und der Ortsausschuss wird alles tun, was er vermag, um den Besuchern den Aufenthalt in unserer Stadt zu einem angeneh- men zu machen.

Erie ist fiir eine Konvention ausserordentlich giinstig gelegen; denn es ist vom Osten sowohl als auch vom Westen leicht zu erreichen. Die Stadt bietet mit ihrer ,,Presque Isle Bay" mancherlei Erinnerun- gen an historische Ereignisse. Das Klima ist daselbst auch im Hoch- sommer ein angenehmes, und fiir die Bequemlichkeiten der Gaste wird in Erie wohl gesorgt werden.

Man findet hier ein kraftiges, gesundes Deutschtum, und die Pflege der deutschen Sprache in der Volkschule erfreut sich eines gliicklichen Gedeihens.

Wir richten an alle Lehrer und Freunde der deutschen Sprache und des deutschen Unterrichts die dringende Bitte, den Lehrertag recht zahlreich zu besuchen; nur dann konnen wir Erspriessliches leisten. Vieles ist schon geschehen, aber es bleibt noch manches zu tun iibrig.

Alle Anfragen bittet man an den Prasidenten des Lehrerbundes zu richten.

Der Bundesvorstand. G. G. v. d. Groeben, President, Erie High School, Erie, Pa.

162 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

Die Deutschen Eries sehen mit Freuden dem Besuche des Lehrerbun- des in ihren Mauern entgegen.

Die deutsche Sprache imd das deutsche Lied haben hier eine wahre Heimstatte gefunden, und die Anwesenheit so vieler Mitkampfer auf die- sem Gebiete wird uns mit neuem Mut und neuer Begeisterung im Kampfe fiir die Erhaltung der teuren Muttersprache erfiillen.

Wir Deutsche hier werden tun, was in unsern Kraften steht, den Be- suchern den Aufenthalt so angenehm zu machen, daas alle sich mit Ver- gniigen dieser Stunden erinnern werden.

Die zentrale Lage Eries, sein schones Klima im Sommer machen es zu einer ausserordentlich giinstigen Konventionsstadt, und wir hoffen, recht viele Gaste bei uns begriissen zu konnen.

Der Ortsausschuss.

G. Gorensto, Vorsitzer. E. Lohse, Sekretar.

Programm.

Dienstag, 30. Juni. Abends 8 Uhr Eroffnungsfeier in der Mannerchorhalle (State Str.)

Begriissungsansprachen des Vorsitzenden des Ausschusses, des Biirgermeisters und verschiedener Mitglieder der Schulbehorde. Gesang des Mannerchors. Eroffnung des Lehrertages durch den Bundesprasidenten. Gemfitliche Unterhaltung in den Raumen de Mannerchorhalle.

Mittwoch, 1. Juli.

Vormittags 9 Uhr. Erste Hauptversammlung. Samtliche Hauptversammlungen finden im Auditorium der Hochschule (10. und Sassafrasstrasse, Eingang von der 10. Strasse) statt.

1) Geschaftliches. (Berichte der Beamten. Erneuerung und Erganzung von Ausschiissen).

2) Vortrag: Die Realien im deutschen Sprachunterrieht Prof. Ernst Wolf, High School, Saginaw, Mich.

3) Bericht der Seminar-Priifungskommission.

4) Vortrag: Unsere Nonnalschulen und einige Vorschlage zu ihrer Verbesse- rung Prof. J. Barandun, Pittsburg, Pa.

Nachmittags Besuch der Bibliothek des Soldatenheims und einiger anderer Se-

henswiirdigkeiten. Abends Sommernachtsfest. Grove House Park am Seeufer.

Donnerstag, 2. Juli. Vormittags 9 Uhr Zweite Hauptversammlung.

1 ) Geschaftliches.

2) Vortrag: Deutsche Frauenschriftstellerei von gestern und heute Prof. Otto Heller, Ph. D., Washington University, St. Louis, Mo.

3) Etwaige Komiteeberichte.

4) Vortrag: Das deutsche Volkslied in der Volksschule Frau Mathilde Grossart, Case School, Cleveland, O.

Nachmittags : Ausflug.

Rationales Deutschamerikaniscbes Lebrer seminar. 163

Abends 8 Uhr, im Auditorium der Hochschule: Musikalisch-literarische Abendun- terhaltung unter gUtiger Mitwirkung des Mannerchors und des ,,Glee Clubs" und ,,Girls' Chorus" der Hochschule. Festrede: Die deutschamerikanische Dichtung Dr. H. H. Fick, Cincinnati.

Freitag, S. Juli.

Vormittags 9 Uhr Schlussversammlung.

1) Geschaftlich.es.

2) Vortrag: Ein Bruch mit der tfberlieferung August Prehn, Ph. D., Co- lumbia Grammar School, New York.

3) Vortrag: Noch nicht bestimmt.

4) Berichte der verschiedenen Ausschusse.

5 ) Vorstandswahl.

6 ) Vertagung. Jfachmittags Besichtigung der Stadt.

Abends Abschiedskommers in der Mannerchorhalle.

N. B. In dem Nachmittags- und Abendprogramm konnen eventuell kleinere Veranderungen eintreten.

Einquartierung : Die beiden grSsseren Hotels in Erie sind das ,,Reed House" <$2 $4) und ,,Libell House" ($2, mit Bad $2.50). Das erstere Hotel ist ganz neu renoviert und kann 300 und mehr Gaste unterbringen ; das letztere 100 150. Von kleineren Hotels sind zu empfehlen: Park View Hotel, 30 40 Personen ($1.50) ; Wilson House, National Hotel und Moore House ($1.50 $2).

Alle Anfragen bitte zu richten an:

Gr. G. v. d. Groeben, P. O. Box 35, Erie, Pa.

Mit den Eisenbahnen ist kein allgemein giiltiges Abkommen getroffen worden, da die Erfahrung gelehrt hat, dass die einzelnen Delegationen von ihren Eisenbah- nen billigere Fahrpreise erhalten konnen, als sie der Bundesvorstand auszuwirken vermag.

Nationales Deutschamerikanesches Lehrerseminar zu Milwaukee, Wis., 558-568 Broadway.

Das Nationale Deutschamerikanische Lehrerseminar eroffnet am achten September dieses Jahres seinen ftmfundzwanzigsten Kursus. Seit ihrer Griindung im Jahre 1878 hat diese Pflegestatte deutscher Sprache, deutscher Padagogik und deutscher Sitten Hunderten von jun- gen Lehrern und Lehrerinnen ihre berufliche Vorbildung gegeben und sie instand gesetzt, an offentlichen und privaten Lehranstalten mit Begeiste- rung und treuer Hingabe an dem grossen Erziehungswerke mitzuhelfen.

Das Nationale Deutschamerikanische Lehrerseminar bildet seine Zoglinge im Sinne der modernen Padagogik fur die amerikanische Volks- schule aus und befahigt sie, sowohl in englischer als in deutscher Sprache zu unterrichten. Glaubensbekenntnis, Religionsanschauung und Nationa- litat kommen bei der Aufnahme der Zoglinge nicht in Betracht.

Der Seminarkursus umfasst drei Jahre bei vollstandig kostenfreiem Unterricht. Die Lehrbucher stehen den Zoglingen gegen ein sehr gerin-

164 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

ges Entgelt leihweise zur Verfiigung. Mittellosen Zoglingen wird auf Empfehlung des Direktors der Anstalt aus der Seminarkasse ein in Mo- natsraten zur Auszahlung gelangender Stipendienvorschuss gewahrt.

Das Lehrerseminar verfugt iiber tiichtige und erprobte Lehrkrafte, die Schulraume sind modern, alien sanitaren Anforderungen Rechnung tragend; die Klassenarbeit wird erganzt und unterstutzt durch reichhal- tige Sammlungen und eine gute Biicherei ; es erfreut sich einer Muster- schule, der Deutsch-Englischen Akademie, die erfolgreich die hochste Stufe der Leistungsfahigkeit anstrebt und den Zoglingen des Seminars die erwiinschte Gelegenheit gibt, sich fur ihren Beruf als Lehrer prak- tisch auszubilden.

Durch das in innigster Verbindung mit dem Lehrerseminar und des- sen Musterschule stehende Turnlehrerseminar, einer Schopfung des Nord- amerikanischen Turnerbundes, wird den Seminaristen eine griindliche turnerische Ausbildung gewahrleistet. Der einjahrige Kursus fiir Turn- lehrer wird im September gleichfalls eroffnet.

An die Freunde unserer Anstalt und an Erziehungsfreunde im allge- meinen, an alle, denen die Pflege der deutschen Sprache an den Lehran- stalten dieses Landes und die Verbreitung gesunder Erziehungsgrundsatze und Unterrichtsmethoden am Herzen liegt, richten wir die dringende Bitte, in ihren Kreisen unsere Bestrebungen durch die Zuweisung passen- der Schiiler zu unterstiitzen.

Strebsame junge Leute, welche die Neigung in sich fuhlen, sich dem schweren aber schonen Lehrerberufe zu widmen und der begriindeten Ansicht sind, dass ihre sprachliche und wissenschaftliche Vorbildung sie befahigt, den untenstehenden Aufnahmebedingungen zu entsprechen, wer- den freundlichst ersucht, sich mit dem unterzeichneten Direktor des Leh- rerseminars baldigst schriftlich oder personlich in Verbindung zu setzen.

Aufnahmebedingungen.

A) Deutsche und ettglische Sprache. 1. Mechanisch-gelaufiges und logisch- richtiges Lesenj 2. Kenntnis der Hauptregeln der Wort- und Satzlehre; 3. Rich- tige (miindliche und schrif tliche ) Wiedergabe der Gedanken in beiden Sprachen.

B) Mathematik. Sicherheit und Gewandtheit in ganzen Zahlen, in gemeinen und Dezimalbriichen, in benannten und unbenannten Zahlen, Zins- und Diskonto- Rechnung.

C) Geographic. Bekanntschaft mit den fiinf Erdteilen und Weltmeeren, der Geographic Amerikas und den Hauptbegriffen der mathematischen Geographic.

D) Geschichte. Kenntnis der Geschichte der Vereinigten Staaten.

E) ~Naturgeschichte und Naturtehre. Beschreibung einheimischer Pflanzen, Tiere und Steine; die einfachsten Lehren der Chemie und Physikj eine elementare Kenntnis des menschlichen Korpers.

F ) Turnen. Alle korperlich befahigten Zoglinge des Lehrerseminars sind ver- pflichtet, behufs Ausbildung als Turnlehrer am Turnunterricht der Anstalt teil zu nehmen. Zeitweilige sowohl als permanent* Entschuldigung von diesem Fach kann nur durch das Zeugnis des von der Anstalt angestellten Arztes erlangt werden.

Die deutscbe Lektiire an den amerihaniscben Scbulen. 165

Kursus fiir Kindergartnerinnen.

Da der Kindergarten ein wesentlicher Teil des Volksschulsystems 1st, so 1st von der Seminarbehorde ein Kursus zur Ausbildung von Lehrerinnen fiir seiche Anstal- ten eingerichtet worden. Die Aufnahmebedingungen fiir diesen Kursus sind die

gleichen wie fur die anderen Zoglinge des Seminars.

Emil Dapprich, Direktor. Milwaukee, Wis., 5. Mai 1903.

Die deutsche Lektiire an den amerikanischen Schulen.

Von Dr. Leopold Jiahlsen (aus Berlin), Teachers College (Columbia University), New York.

Es handelt sich bei diesem Thema um das, was wir in unseren Schu- len in Deutschland den Lektiirekanon nennen. Wir verstehen driiben unter ,,Kanon" eine im Lehrplan jeder hoheren Schule festgesetzte Liste von Werken, die in den verschiedenen Klassen gelesen werden miissen, oder in etwas erweitertem Sinne: eine Liste von Autoren, aus welcher die betreffenden Fachlehrer vor Beginn jedes Schulhalbjahres den Lese- stoff fiir die Klassen- resp. Privatlektiire auszuwahlen haben. Unsere vorgesetzte Behorde, das Konigl. Provinzialschulkollegium, vor allem aber die vom Kultusministerium herausgegebenen Lehrplane und Lehraufga- ben fur ,,die hoheren Schulen in Preussen" (die neuesten datieren aus dem Jahre 1901) geben fiir solche Auswahl allgemeine Direktiven, wei- sen auch auf gewisse Autoren hin, die unter keinen Umstanden ausser Acht gelassen werden diirfen, kontrollieren auch etwaige Neuvorschlage, aber sie gewahren doch innerhalb bestimmter Grenzen dem einzelnen Leh- rer noch einige Freiheit in der Wahl. Besonders im modern-fremdsprach- lichen Unterricht will man ,,driiben" eine gewisse Mannigfaltigkeit der Lektiire zunachst wenigstens noch nicht zu sehr beschneiden. In der Praxis ordnet sich die Sache gewohnlich so, dass an den einzelnen hohe- ren Schulen von Zeit zu Zeit eine Spezialkonferenz der in den verschie- denen Klassen unterrichtenden Fachlehrer berufen wird, welche sich da- riiber einigen, inwieweit der Lektiirekanon zu modifizieren oder zu ergan- zen ist. Ihre Beschliisse werden im Lehrplan der betr. Anstalt zu Papier gebracht, und dieser Lehrplan wird dem zustandigen Provinzialschulkol- legium zur Genehmigung vorgelegt, welches nun seinerseits priift, ob der beschlossene Kanon der Eigenart der betr. Schulgattung entspricht und mit den von der Regierung gegebenen Direktiven im Einklang steht. Im Lateinischen, Griechischen und Deutschen ist in dieser Beziehung auf preussischen Schulen eine entschiedene Stabilitat. Das ist fiir die toten Sprachen durchaus und furs Deutsche in gewissem Sinne ganz naturlich und gerechtfertigt. Wir iiberschauen schon seit Jahrhunderten den Ge- samtvorrat dessen, was Griechenlands Geistesheroen, was romische klas-

166 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

sische Autoren als kostlichen Besitz von unverganglichem Werte der spa- teren Zeit hinterlassen haben. Homers Ilias und Odyssee und Horazens Oden sind so sehr eiserner Bestand unseres Lektiirekanons geworden, dass die griechischen und lateinischen Stunden, in denen diese Autoren interpretiert werden, im Lektionsplan der Sekunda und Prima geradezu die Bezeichnung Homerstunde, Horazstunde fiihren. Uber den grosse- ren oder geringeren Wert der anderen antiken Autoren ist man sich langst im klaren, und nur ganz vereinzelt kommt es da im Kanon einmal zu einer zeitweiligen unbedeutenden Variation.

Im Deutschen gelten Lessing, Goethe, Schiller, Uhland als unbestrit- tene Schulklassiker, aber in der Auswahl ihrer Werke herrscht schon mehr Freiheit. Jedenfalls ist es nach unseren preussischen Lehrplanen unmog- lich und undenkbar, dass ein Schiiler selbst die sechsklassige lateinlose Realschule durchmacht, ohne mindestens je ein Meisterwerk Lessings, Goethes, Schillers ,,mit eingehendem Verstandnis" gelesen, und ohne ei- nige der Uhlandschen Balladen und Romanzen auswendig gelernt zu ha- ben. Aber jenseit dieses Rahmens liegen noch reiche Schatze besonders unserer neueren Literatur, und da, muss ich sagen, finde ich es nicht ganz gerechtfertigt, dass auch hier die Tradition und der amtliche Wille dem individuellen Ermessen der Fachlehrer nicht viel Spielraum lassen.

In dieser Beziehung sind die Lehrer der modernen Fremdsprachen in Preussen besser daran, und da mit diesen die Deutsch unterrichtenden Lehrer in Amerika doch eigentlich analoge Aufgabe haben, so mochte ich hierbei ein wenig verweilen.

Langst voriiber sind die Zeiten, wo im modern fremdsprachlichen Lektiirekanon deutscher Schulen Racine, Corneille, Moliere, Voltaire, Shakespeare, Goldsmith's Vicar of Wakefield, Byron's Childe Harold, Dickens' Christmas Carol und Cricket on the Hearth, Washington Ir- ving's Sketch Book oder Alhambra Tales allgemein paradierten, und wo der als keeker Griinschnabel oder banausischer Revolutionar gait, der es wagte, den ,,Charles XII." oder den ,,Vicar of Wakefield" durch ein paar weniger verstaubte, sprachlich und inhaltlich wertvollere, neuere Werke zu ersetzen.

Der machtige Aufschwung, den unser modern-fremdsprachlicher Un- terricht in Deutschland in den letzten fiinfzehn Jahren genommen hat, brachte es mit sich, dass auch durch den uberlieferten Lektiirekanon ein frischer, belebender, reinigender Hauch strich, der manches wurmstichige Inventarstiick purzeln machte und es ermoglichte, an Stelle iiberlebter Cotter oder Gotzen moderne Grossen, wichtige Faktoren im Geistesleben unserer Tage zu setzen. Unsere Behorden liessen uns auf diesen Gebie- ten freie Hand. Sie hatten uns, und da gebiihrt unserm Kaiser fiir die von ihm gegebenen Anregungen unser besonderer Dank, neue Ziele ge- wiesen, die Pflege der heutigen Literatur- und Umgangssprache als nicht

Die deutsche Lektttre an den amerikaniscben Schulen. 167

zu vernachlassigenden Faktor bezeichnet und damit eine freie Bahn, ein weites fruchtbares Gebiet der Schule gedffnet. Auf diesem halten wir Umschau, und da gerade in den letzten Jahrzehnten Hunderte von neuen Schulausgaben auf den Markt gebracht wurden und der Geschmack der einzelnen Fachlehrer oft nach gar verschiedenen Richtungen divergiert, so kann man sich ungefahr einen Begriff machen, wie buntscheckig der Lek- tiirekanon, wenn auf diesem Gebiet iiberhaupt noch von einem solchen die Rede sein kann, jetzt ausschaut. Zumeist gestatten unsere Direktoren den im Franzosischen und Englischen unterrichtenden Lehrern, furs neue Se- mester das von ihnen neu ausgewahlte Buch vorzuschlagen, und mag es nun sich schon sonstwo als Klassenlektiire bewahrt haben oder nicht, es kommt nur ganz vereinzelt vor, dass die nach individuellem Geschmack getroffene Wahl beanstandet wird. Der betreffende Lehrer und sein Di- rektor tragen natiirlich der Behorde gegeniiber die Verantwortung.

Man sieht, auf diesem Gebiete kann man den preussischen Behorden ganz gewiss nicht den Vorwurf engherziger Pedanterie, zahen Festhaltens an iiberlebten Prinzipien machen. Und ein preussischer Provinzialschul- rat war es, der mir vor etwa 8 Jahren in bezug auf die modern fremd- sprachliche Lektiire an deutschen Schulen die Worte schrieb :

,,Wir mussten aus dem einseitig asthetisch-literarisch-historischen Stoff heraus und das Leben der verwandten Volker in seiner modernen Erscheinung auf den verschiedenen Gebieten der Arbeit als Lesestoff zu verwenden suchen."

Und ich meine, dieser Gesichtspunkt konnte mit Fug und Recht auch fur die Auswahl deutscher Lektiire an amerikanischen Secondary Schools" geltend gemacht werden. In frischem, frohlichem Aufstreben, wie es sich in diesem wunderbaren Lande auf alien Gebieten zeigt, ist auch das amerikanische Schulwesen und last not least der deutsche Unterricht hierselbst begriffen.

Zu allermeist sind es jugendfrische Krafte, die ihm dienen, Lehrer und Lehrerinnen, die entweder aus deutschen Gauen heruberkamen, oder driiben einen wertvollen Teil ihrer geistigen Ausbildung erhielten, oder durch gelegentliche Reisen nach Deutschland in regem Konnex zu bleiben suchen mit dem Land und Volk, dessen Sprache sie berufen sind, Ame- rikas Jugend zu lehren.

Solche Lehrkrafte, glaube ich, sind hiernach vor der Gefahr ge- schiitzt, zu lange in ausgefahrenen Geleisen stecken zu bleiben und, un- empfanglich fiir das, was das frisch pulsierende geistige Leben der Ge- genwart an Bliiten und Friichten zeitigt, immer nur das verstaubte Alte liebevoll zu betrachten und wertvollem Neuen den Einzug in ihre Klassen zu versagen, weil dort eine erbeingesessene Schullektiire, welche der ver- bleichende Schimmer der Klassizitat umgibt, dafiir nicht Raum lasst.

168 Padagogiscbe Monatsbeftt.

Aber nach welchen Gesichtspunkten soil nun solch ein deutscher Lek- tiirekanon fiir ,,Secondary Schools" zusammengestellt warden? Wo im- mer im Leben wir einen Weg suchen, schauen wir zuvorderst auf das Ziel, nach welchem jener Weg fiihren soil. Und haben wir uns fiir einen entschieden, so richten wir bei seiner Verfolgung den Blick immer wieder auf jenes Ziel, dem wir zustreben, und vergewissern uns, dass wir unter- wegs nicht abirren. Dem Lehrer des Deutschen an amerikanischen Schu- len sollte als leuchtendes Endziel vor Augen stehen, was ich in den Leit- satz zusammenfassen mdchte : Deutsch lehren und lernen heisst Deutsch- land, deutschen Volkes Art und Sitte, Deutschlands Kultur- und Geistes- leben verstehen lehren und kennen lernen!

Diesem Zwecke sollte jede deutsche Klassen- und Privatlekture dienstbar sein, und nach diesem eben angedeuteten Gesichtspunkt ist die Auswahl zu treffen, auch die Auswahl des ersten dem deutschen Anfangs- unterricht zu Grunde liegenden Buches ! Als unbedingter Anhanger der analytisch-induktiven Methode befiirworte ich natiirlich die Form des ,,German Reader", einer Art Lesefibel, in welcher an der Spitze jeder Lek- tion oder jedes Kapitels ein kurzes, sprachlich und inhaltlich einf aches Le- sestiick steht, welches in der Klasse zu iiben, zu Hause womoglich zu me- morieren ist. Mag das nun eine geschichtliche oder literarische Anekdote, eine kurze Beschreibung oder eine Fabel, ein winziger Ausschnitt aus dem reichen Schatz deutscher Marchen oder Sagen sein, jedes einzelne Stiickchen muss seine unverkennbare Beziehung haben zu jenem idealen Endziel des deutschen Unterrichtes an hiesigen Schulen. An Stoff kann es da wirklich nicht mangeln, und je bunter er in jenem First German Reader" gemischt ist, um so niitzlicher fiir die Aneignung eines moglichst reichhaltigen Wortschatzes, um so interessanter fiir die Schiiler. Histo- rische und zugleich literarische Bonmots sollten an Stelle des nichtigen und alltaglichen Schnickschnacks treten, dem man so haufig in den Bii- chern dieser Art begegnet. Ich uberschatze den ethischen Wert geschicht- licher oder literarischer Anekdoten wirklich nicht; aber in mancher von ihnen wird durch ein Wort, einen Zug eine bedeutsame Personlichkeit kurz und treffend karakterisiert. Und schon die blosse Erwahnung solch einer Personlichkeit aus Deutschlands grossen Zeiten erscheint mir wert- voll. Ich schlage aus dem grossen Vorrat beliebter Lehrbiicher dieser Art ein beliebiges auf, nebenbei bemerkt sogar eines der besseren seiner Art, und f rage mich beim Anblick der ersten Seite : Was in aller Welt bedeu- tet der in London einem Fussballspiel zuschauende turkische Gesandte fiir unsern deutschen Klassenunterricht ? Was soil in einem andern deutschen Lesebuch fiir Anfanger die Beschreibung eines chinesischen Gastmahls, in einem dritten die Fahrt der Argonauten, Gesprache zwischen Jupiter und Apollo, u. s. w., u. s. w. ? Ins rechte deutsche Milieu miissen von vornher- ein diejenigen Schiiler gefiihrt werden, die Deutsch und durchs Deutsche

Die deutsche Lekture an den amerihanischen Scbulen. 169

Deutschland verstehen lernen wollen! Und in diesem Milieu sie festhal- ten, sie darin fortdauernd zu interessieren und anzuregen, dazu muss ihnen ihr ,,German Reader" weiterhin passend gewahlte Stoffe vorsetzen, kleine Stiicke, in denen hier etwa der Schuler mit Baldur und Loki, dort mit Siegfried und Kriemhilden, hier mit Barbarossa, dort mit Gutenberg, hier mit dem alten Fritz, dort mit Bismarck bekannt gemacht wird; da- neben kurze Texte, welche vielleicht von Dornroschen oder Riibezahl, von Doktor Faust oder Tell und seinem Apfelschuss, von der Lorelei oder Burg Niedeck, vom Strassburger Miinster oder dem Brandenburger Thor, von einem deutschen Turnier oder vom modernen Manover erzahlen.

Freilich offnet ein solches kurzes Lesestiick nur ein winziges Guck- fensterchen, aber es schauen dadurch doch in unser Schulzimmer mancher Stern und manche Zinnen herein, die in dem Schuler die Ahnung eines reichen, schonen Gebietes entstehen lassen, mit dem sich spater naher zu befassen, sehr wohl der Miihe lohnt.

Und was das allererste deutsche Lese- und Lehrbuch nur gewisser- massen in mice und in kleinen blinkenden Steinchen bieten konnte, das baut sich in dem zweiten deutschen Buche schon planmassig aus und zu vollstandigerem Bilde zusammen.

Ich rede hier der Chrestomathie das Wort. Wohl weiss ich, dass manche meiner hiesigen Kollegen dafiir nicht viel Meinung haben, aber denen schwebt wohl eine Chrestomathie alten Stiles vor, ein dickleibiger Band, worin Leichtes neben Schwerem, Altes neben Modernem, Profanes neben Klassischem steht und ein buntes Gemisch von Stilarten die Schu- ler verwirren muss. Wer die alten Anthologien und Chrestomathien die- ser Art von Plotz, Burguy, Herrig u. a. noch in der Erinnerung hat, wird es verstehen, dass wir auch in Deutschland lange Jahre hindurch der Auto- fvnlektiire den Vorzug gaben vor der Chrestomathie. Wir sind von un- serm zeitweiligen Vorurteil gegen die Chrestomathie zunickgekommen, hauptsachlich weil diese sich heute in viel annehmbarerer Form prasen- tiert als friiher. Auch aus praktischen Griinden. Man verlangt vom mo- dern fremdsprachlichen Unterricht so vielerlei, vom Schuler Vertrautheit mit so reichhaltigem Wortschatz, selbst nach der Seite des Naturwissen- schaftlichen, Technischen und Kommerziellen, Kenntnis der Realien u. s. w., dass es schlechterdings unmoglich ist, dies Alles durch Autorenlektiire zu erreichen. Auch haben wir uns doch schliesslich uberzeugen miissen, dass der Sprung vom Elementarbuch znm Autor ein zu grosser, der Uber- gang ein zu unvermittelter ist. Dazwischen schieben wir nun z. B. im franzosischen Unterricht an deutschen Schulen leichte Prosawerkchen wie die auch hier in Amerika erschienenen und fur hiesige Schulen bearbeite- ten von G. Bruno: ,,Le Tour de la France par deux Enfants" und ,,Fran- cinet". Darin wird im Rahmen einer anspruchslosen Erzahlung von ei- nem Autor, der fur die Jugend schrieb, dem lesenden Schuler eine bunte

170 P'ddagogische Monatsbejtt.

Fiille von allerhand Wissenswertem iiber des fremden Landes Geographic und Volkskunde, Kultur und Geschichte, Literatur, Kunst und Wissen- schaft und dergl. geboten, selbst Gedichte sind eingestreut, kurz : eine Art Chrestomathie, freilich ganz anderer Art als die friiher bearbeiteten, und empfehlensivert vor allem des ausgeglichenen Stils, der einheitlichen Dar- stellung wegen. Ahnliches ist gewiss auch fur den dentschen Unterricht in amerikanischen Schulen schon zusammengestellt worden oder ist bei der regen Publikationstatigkeit, die sich auf diesen Gebieten des literarischen Marktes beobachten lasst, in nicht ferner Zeit zu erwarten.

Mir schwebt hier mehr ein deutsches Lesebuch etwa der Art vor, wie es die jiingst verstorbene Carla Wenckebach zusammen mit Margarethe Miiller unter dem Titel ,,Gluck auf \" oder wie es Dr. Weineck in seinem ,,Third German Reader" uns geboten hat.

In ausfuhrlicherer Darstellung als es im ersten Elementarbuch mog- lich war, wird hier den Schiilern ein deutscher Lesestoff geboten, durch dessen Mannigfaltigkeit doch iiberall das goldene Ziel, dem wir zuzustre- ben haben, sichtlich hindurchblinkt. Durch die germanische Cotter- und Sagenwelt, durch wichtige Abschnitte deutscher Geschichte, durch deut- sche Kunststatten und den deutschen Dichterwald, deutsche Spruchweis- heit und deutsche Volkslieder wird der Schiller hindurchgefiihrt, und die Art, wie z. B. in dem Miiller- Wenckebach'schen Buche das Verstandnis Goethescher, Heinescher, Uhlandscher und Riickertscher Dichtungen vor- bereitet wird durch sinnige Prosaumschreibung, die dem betr. Gedicht je- desmal vorgestellt ist, verdient alles Lob.

Dass man das Wichtigste iiber Leben und Schaffen unserer Klassiker,, von denen die Schiiler spater das eine oder das andre Meisterwerk lesen werden, nicht bis zu einer kiinftigen Literaturstunde aufschiebt, sondern ihnen schon im zweiten Jahr der High School als Lesestoff bietet (vgl. Weineck-Bernstein), finde ich ganz in der Ordnuhg.

Soil unser Weg uns wirklich zu jenem Ziele fiihren, das ich vorhin als fur die Auswahl der Lektiire bestimmend angegeben habe, so wird man bei der Vielseitigkeit des zu Erstrebenden auf die Dauer ohne ein zweites chrestomathieartiges Lesebuch hoheren Stils wohl doch nicht auskommen, welches die Autorenlektiire im dritten und vierten Jahr der High Schools begleitet und erganzt, und aus dem die PnVaflekttire mit Nutzen schopfen kann.

Bedenken wir : selbst bei fleissiger Lekture kann der deutsche Lehrer doch nur eine sehr begrenzte Anzahl von literarisch wertvollen Werken le- sen lassen, will oder soil aber doch dem Schiiler eine dariiber hinausgrei- fende Vorstellung von den herrlichen Schatzen geben, die im Wunder- schacht deutscher Literatur aufgeschichtet sind.

Da gibt es meines Erachtens nur eine Moglichkeit: ein deutsches Lesebuch auch fur die oberen Klassen der High Schools. Wenn z. B. im

Die deutscht Lektiire an den amerikaniscben Schulen. 171

dritten Jahr mit Recht Schillers Tell und sein Lied von der Glocke in der Klasse gelesen werden, so wird das Bild seines dichterischen Schaffens im Lesebuch erganzt werden konnen durch eine Darstellung des Inhalts seiner iibrigen, ich meine natiirlich nur der wichtigsten, Dramen mit ein- gestreuten Proben.

Wird im vierten Jahr Goethes ,,Hermann und Dorothea" gelesen, so konnte das Lesebuch erganzend bringen eine (natiirlich nicht trockene) Analyse von Gotz, Iphigenie, Tasso, Egmont und Faust, sowie als Muster Goethescher Prosa einen Abschnitt aus Dichtung und Wahrheit.

Und Lessing? Ich bin Ketzer genug, ihn ganz und gar in jenes Le- sebuch zu packen, und zwar gerade weil ich wiinschte, dass die ameri- kanischen Schiiler ihn genauer kennen lernten, als dies der Fall ist, wenn man sie monatelang zur Lektiire von ,,Minna von Barnhelm" zwingt und dann natiirlich keine Zeit hat, sich noch mit anderen Werken Lessings zu befassen. Ob amerikanische Schiiler wirklich durch dieses preussische Soldatenstiick fur Lessings Grosse Verstandnis und Begeisterung gewin- nen ? Ganz abgesehen von der Sprache, die der heutigen Literatursprache doch gewaltig fern steht, bietet der Konflikt dem Verstandnis selbst deut- scher Gymnasiasten nicht geringe Schwierigkeit, wievielmehr amerikani- schen Hochschiilern, denen man den preussischen Major mit seinem sub- tilen Empfinden und seinen nicht leicht zu inpretierenden Ehrbegriffen doch nimmer so echt vor die Seele zaubern kann.

Wohl aber gibt es treffliche Wiedergaben des Inhalts jenes besten deutschen Lustspiels, aus denen hiesige Schiiler wahrscheinlich eine kla- rere Vorstellung von dem gewinnen, worauf es dem Dichter ankam. Zwei oder drei karakteristische Szenen eingestreut, zeigen dem Schiiler Lessings Biihnensprache ; das ist bald durchgelesen, und man hat Zeit eriibrigt, um (gleichfalls durch Abschnitte aus dem Lesebuch) noch dem Laokoon und dem Nathan gerecht zu werden, vor allem fur die Ring-Pa- rabel in Lessings unsterblichen Versen die Schiiler zu begeistern. Denn, und auch hier wird meine Ansicht manchem recht ketzerisch erscheinen, den Gesamt-Nathan halte ich fur Schullektiire nicht geeignet.

Lessing hat darin die poetische Gerechtigkeit verletzt, indem er nur fur zwei der drei Religionen wirklich edle und ideale Reprasentanten auf die Biihne stellt, und hat der eigentlichen Fabel des Stiickes einen Ab- schluss gegeben, der selbst von i/'jahrigen Schiilerinnen und Schiilern wohl schon als peinlich oder verletzend empfunden werden diirfte: zwei Menschenkinder, in deren jugendlichen Herzen wir in den ersten Akten des Stiickes die Liebe (gewiss nicht die geschwisterliche) keimen sehen, sinken sich schliesslich als Bruder und Schwester geriihrt in die Arme.

Solch ein Klassikerlesebuch, im gewandten Schriftdeutsch von heute und mit eingestreuten Perlen aus den Meisterwerken einer grossen Zeit, konnte meines Erachtens auch noch Klopstock, Wieland, Herder und

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Heinrich von Kleist beriicksichtigen. Wir haben etwas Ahnliches im eng- lischen Unterricht deutscher Schuler in einem Shakespearelesebuch, das es uns ermoglicht, selbst Schiilern sechsklassiger Berliner Realschulen, die nur zwei Jahre dem Englischen widmen, den grossen Briten ein wenig naher zu riicken.

Sollte meine hier gegebene Anregung fiir amerikanische Schulen je Gestalt gewinnen, so werden die Deutschlehrer an den Secondary Schools merken, wie viel mehr Zeit sie dann der heutigen Literatursprache, dem modernen Kultur- und Geistesleben Deutschlands und soldier Lekture zu- wenden konnen, aus der ihren Klassen die heute so dringend geforderte Kenntnis der Realien zustromt.

Wenn ich das durchlese, was der ,,College Entrance Examination Board of the Middle States and Maryland" als Zielforderung im Deut- schen hingestellt hat und an Lekture empfiehlt, so erkenne ich daraus das sehr gesunde Bestreben, in den Secondary Schools nicht einseitigen Klas- sikerkultus aufkommen zu lassen und ihnen die Notwendigkeit zu zeigen, auch mit der heutigen Umgangssprache die Schuler vertraut zu machen.

Ob sie diese moderne Umgangssprache aber wirklich aus alien dort vorgeschlagenen Lustspielen und Possen gewinnen konnen, will mir zwei- felhaft erscheinen. Sollen Freytags Journalisten nur diesem Zwecke die- nen, so liesse sich uber die Berechtigung, dieses vor gerade einem halben Jahrhundert erschienene Stuck in den Lektiirekanon zu setzen, streiten. Und aus nichtigen Einaktern, wie sie schon von unsern Vatern und Mtit- tern in geselligen Zirkeln auf deutschen Liebhaberbiihnen dargestellt wur- den, ,,Er ist nicht eifersiichtig", ,,Einer muss heiraten" u. dergl. klingt uns einerseits nicht mehr der moderne Konversationston entgegen, und andrer- seits ist die deutsche Unterrichtsstunde doch eigentlich zu schade fiir sol- che Ware. Auch des guten alten Benedix Kulissenerzeugnisse bezeich- nen einen solchen Tiefstand des deutschen Dramas, dass es mir wirklich an der Zeit scheint, auf neuere Lustspiele wirklicher Dichter hinzuweisen, die turmhoch iiber den Benedixiaden und Moserschwanken stehen und in den amerikanischen Schulen mit grosstem Interesse und wirklichem Nutzen gelesen werden wiirden : das feinsinnige Versspiel ,,Durchs Ohr" vom trefflichen Wilhelm Jordan, mehrere graziose Einakter von Ludwig Fulda, und sollen im 2. Jahr die Schuler sich an einem lustigen Ein- akter wirklich amiisieren (ich weiss zwar nicht, ob das der Zweck einer Schullektiire sein kann), so bieten sich im ,,Vetter aus Bremen" oder dem ,,Nachtwachter" von Theodor Korner wenigstens Erzeugnisse eines in der deutschen Literatur mit Achtung, von vielen mit Begeisterung genannten Dichters.

Von der dramatischen Lekture in jenem ,,second year" scheint sich nach dem Wortlaut seiner Bestimmungen der College Entrance Exami- nation Board" iiberhaupt nicht viel zu versprechen, er scheidet fiinfaktige

Die deutsche Lekture an den amerikaniscben Scbulen. 173

Stiicke als zu lang aus und empfiehlt, jedenfalls nicht mehr als einen Ein- akter mit der Klasse zu lesen. Ich meine, auch den konnte man in die Pri- vatlektiire verweisen. Mit Recht wird auf jener Stufe der erzdhlenden Prosa vor solchen dramatischen Nichtigkeiten der Vorzug gegeben, und ich begriisse Autoren wie Heyse, Storm, Baumbach, Seidel, Volkmann- Leander mit Freuden in der vorgeschlagenen Liste. Freilich Andersen gehort meines Erachtens nach nicht dazwischen. So prachtig er auch er- zahlt, er war kein deutscher Autor; und sollen Mdrchen und Sagen iiberhaupt ausserhalb des Rahmens jenes von mir karakterisierten deut- schen Lesebuches noch im Zusammenhang traktiert werden, so greife man zu den klassischen Volksmarchen der Gebriider Grimm, oder besser noch zu den so schlicht und doch so wundervoll erzahlten Deutschen Volks- und Heldensagen von Gustav Schwab.

Die Vorliebe fur Hillerns ,,H6her als die Kirche" verstehe ich nicht, auch sahe ich an Gerstackers Platz lieber einen Grossern, z. B. Hauff oder Chamisso. Dass sich Wilhelm Hauff,einer der prachtigsten Erzah- ler in der deutschen Literatur, noch nicht die Herzen der deutschschrei- benden amerikanischen Schiller hat erobern konnen, iiberrascht mich. Seine Marchen, sein Lichtenstein, seine meisterhaften Novellen gehoren ebenso in den Kanon der Klassen- und der Privatlektiire wie Chamissos ,,Peter Schlemihl" und Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts". Zschokkes ,,Zerbrochener Krug" ware heute langst vergessen, wenn nicht ein Grosserer als er gleichzeitig mit ihm zu dramatischer Bearbeitung des Stoffes angeregt worden ware. Ich empfehle Heinrich von Kleists gleich- betiteltes Lustspiel allerdings auch nicht als Schullektiire, aber wertvoller als Zschokkes Novelle erscheint mir denn doch Kleists Michael Kohl- haas", welche Erzahlung ein bedeutsames Kulturbild aus der markischen Vergangenheit entrollt und in Berliner Schulen gern gelesen wird.

Gegen Wildenbruchs ,,Edles Blut" konnte man ja einwenden, dass fur deutsches Kadettenleben die hiesige Jugend doch wohl nicht das richtige Verstandnis mitbringt; ein Juwel moderner Erzahlungskunst ist die reizende Novelle darum doch. Wer aus dem angedeuteten Grunde einer anderen Novelle Wildenbruchs den Vorzug geben mochte, der sei auf ,,Neid" besonders hingewiesen, wo der Autor gleichfalls eine Jugend- geschichte erzahlt, aber iiberall das allgemein Menschliche heraushebt, das echte Empfinden des Kinderherzens betont, wie es hier sich nicht anders regen mag als in der deutschen Heimat.

Im ,,third year" soil schwierigere Prosa gelesen und den Klassikern gebiihrende Aufmerksamkeit geschenkt werden. Riehl und Freytag sind trefflich gewahlte Autoren, nur wiirde ich vom letzteren lediglich einige Abschnitte aus seinen meisterhaften Kulturbildern mit den Schiilern lesen, ihres kerndeutschen Inhalts, aber auch ihrer klassischen Prosa wegen. Wer hier noch reichere Auswahl wiinscht, dessen Aufmerksamkeit sei auf

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zwei neuere Meister deutscher Prosa, treffliche Schilderer deutschen Lan- des gelenkt, auf Theodore Fontane, den Autor der Wanderungen durch die Mark und den thuringischen Wandersmann August Trinius. Dass im ,,third year" Schillers Glocke und Tell den Ehrenplatz behalten miissen, betonte ich schon friiher. Aber im ,,Neffen als Onkel" und im ,,Geister- seher" lernen die Schiiler den grossen Dichter gerade von seinen schwach- sten Seiten kennen. Da Schillers Prosa ohnehin im ,,fourth year" den Schiilern noch vorgelegt werden soil, so halte ich es fiir keine Ver- siindigung an Schillers Manen, wenn ich einen kleinen Teil von der ihm bisher gewidmeten Zeit dem Dichterherold des neuen deutschen Reiches, Emanuel Geibel, und der Lektiire seines gewaltigen Sophonisbe-Dramas oder seines Meister Andrea" gewidmet sehen mochte.

Ganz unerwahnt unter all den Vorschlagen, die von berufener und unberufener Seite fiir die Lektiire an den Secondary Schools gemacht wor- den sind, finde ich auffallenderweise Theodor Korners Zriny. Sollte es Korner, dessen Familiengeschichte mit der Schillers so innig verwachsen ist, Korner, der in des Vaterlandes bewegtester Zeit ,,den griinen Kranz der Dichtung urns blutige deutsche Racheschwert geschlungen", denn nicht verdienen, dass sich auch deutsche Lehrer in Amerika zu Interpre- ten seiner Muse machen?

Im ,,fourth year course" tritt nun Goethe zunachst in den Mittel- punkt, und dass neben ,,Hermann und Dorothea" auch ,,Dichtung und Wahrheit" teilweise gelesen, weiterhin dieses Dichterbild noch durch Pri- vatlektiire diesbeziiglicher Abschnitte aus dem Lesebuch erganzt werden moge, wurde schon angedeutet. Wenn ich recht berichtet bin, empfangen hochstens 20 bis 30% von den Schiilern der High Schools noch eine wei- tere College- Ausbildung. Sollten nun wirklich jene aus den obersten Klassen der Secondary Schools in die Prosa des Lebens tretenden Schii- ler entlassen werden, ohne dass ihr deutscher Lehrer ihnen wenigstens an der Hand einer passend zusammengestellten Chrestomathie von der unver- ganglichen Schonheit des Faust" eine Vorstellung gegeben hat? Sollen sie nicht wenigstens uber Goethes Gotz, Iphigenie, Tasso und Egmont ei- niges gelesen haben?

Noch zwei oder drei dieser Werke vollstandig dem Kanon einzufu- gen, widerrate ich geradezu im Interesse soldier klassischen Lektiire, die dann ja doch nur durchgehetzt werden konnte.

Auch Schiller soil ja im vierten Jahre wieder traktiert werden. Ob aber Maria Stuart mit ihrer katholisierenden Schwarmerei eine dramati- sche Heldin ist, fiir die man die amerikanische Jugend wird begeistern konnen, mochte ich fast bezweifeln. Sie wird sich weit mehr angezogen fiihlen durch den frischen Ton von Wallensteins Lager, durch die schwungvolle Prosa der Geschichte des 3ojahrigen Krieges.

Die deutsche Lekture an den amerikadiscben Scbulen. 175

Fur die Streichung von Lessings ,,Minna von Barnhelm" habe ich schon vorhin meine Griinde angegeben und gezeigt, wie sich auf andere Weise dafiir sorgen lasst, dass auch jener Heros unserer Literatur nicht zu kurz kommt, der uns vom falschen Regelzwange zur Wahrheit und Natur zuruckgefuhrt". Einige wiirden auch um des spezifisch preussi- schen Inhalts willen, und weil der Schiiler daran in deutsche Geschichte eingefiihrt wird, mit edlen Vertretern des preussischen Soldatenstandes bekannt gemacht werden kann, nur ungern auf Minna von Barnhelm ver- zichten. Nach dieser Richtung hin Hesse sich in Paul Heyses ,,Colberg" oder in Wildenbruchs ,,Mennoniten" oder ,,Vater und Sohne" Ersatz schaffen, denn in den ,,Quitzows" wiirde der Berlinische Dialekt hiesigen Schiilern zu viel Schwierigkeiten machen, und ,,Der neue Herr" steht li- terarisch nicht auf der Hohe der friiheren historischen Dramen Wilden- bruchs.

Um aber der friiher angedeuteten Gefahr zu entgehen, nicht doch schliesslich im asthetisch-literarisch-historischen Stoff stecken zu bleiben, scheint es mir im letzten Jahre deutschen Unterrichts an den Secondary Schools an der Zeit zu sein, der Klasse auch eine moderne Prosalektiire zu bieten, aus welcher deutsche ,,Realien" zu lebendiger Anschauung kom- men. In manchen hier erschienenen Biichern, wie z. B. in Sterns ,,Geschich- ten vom Rhein" und ,,Aus deutschen Stadten" und anderen, ist damit ein mehr oder minder gelungener Anfang gemacht worden. Die Kenntnis der ,,Realien", deutscher Verfassung, deutschen Heenvesens, deutschen Han- dels, deutscher Industrie u. s. w. diirfte gerade fur die zahlreichen Jiing- linge von Wert und Interesse sein, die spater durch Reisen hinuber oder durch Handelsbeziehungen in Konnex kommen mit Deutschland und es dann geradezu als eine Liicke in ihrer Ausbildung empfinden wiirden, wenn ihnen nach diesen Seiten hin die Schule das richtige Verstandnis noch nicht erschlossen hatte. Ich verlange ja nicht, dass solche Werke wie ,,A German Science Reader" von Gore, ,,Course in Scientific Ger- man" von Hodges, ,,Commercial German" von Arnold Kutner, ,,Scientific German Reader" von Vogel, Krons ,,German Daily Life", Prehns ,Jour- nalistic German" und ahnliche, 'monatelang die Klassenlektiire bilden ; aber wie manche Schulen im allgemeinen iiberhaupt mehr durch das wirken, was sie anregend vorbereiten, als wirklich abschliessend schaffen, so diirften sie auch in dieser Beziehung ihrer Aufgabe wohl schon hinrei- chend entsprechen, wenn sie die 16- bis i8-jahrigen Schiiler neben litera- risch wertvollerer Lekture auch fur solche mehr praktischen Bediirfnissen dienende zu interessieren beginnen.

Auch auf deutschen Realanstalten, auch auf solchen, die ihre Abitu- rienten unmittelbar zur Universitat entlassen, gilt es nicht mehr fur eine Blasphemie, in dem einen Semester Shakespeares Hamlet, im folgenden Tynda'lls Fragments of Science oder ein Werk von Stuart Mill zu lesen.

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Auffallend wenig Beachtung scheint hier noch die deutsche Brief- und Memoirenliteratur gefunden zu haben, und doch brauche ich hier nur die Namen Humboldt, Bismarck, Moltke zu nennen, um anzudeuten, wie Wertvolles aus jenem Schatze noch herausgehoben und auch fur die Schullektiire nutzbar gemacht werden konnte. Deutschlands grosster Stratege z. B. war auch einer der grossten Stilisten, ist doch die Darstel- lung seiner kleinasiatischen Reisen Xenophons Anabasis an die Seite ge- stellt worden !

Und noch auf eine andere Liicke im Kanon der deutschen Lektiire an hiesigen Schulen mochte ich hinweisen. Von welchem sprachlichen und historischen Wert war uns, von Demosthenes und Cicero ganz zu schweigen, in unserer eigenen Schulzeit die Lektiire von Mirabeaus Re- den!

Mag sein, dass unser Bismarck nicht iiber den leidenschaftlichen Schwung des Pariser Tribunen verfiigte, aber die Lektiire seiner Reden verrat doch, dass auch er der Sprachgewaltigen Einer war, und was von keiner philippischen und keiner catilinarischen Rede sich sagen lasst aus seinem kernigen, wuchtigen Deutsch spricht zu uns machtvoll der grosse Heros seiner Nation, von dessen Geist auch dieses Landes Sohne einen Hauch verspiiren sollten.

Mit fliichtigen Strichen und hie und da nur andeutend habe ich nun das weite Gebiet umzogen, auf dem der hiesige Deutschlehrer die Lektiire fur seine Klassen wahlen mag. Alljahrlich erweitert sich dieses Gebiet, wie die Literatur sich stetig verjiingt, und wer kann sagen, ob nicht schon die nachsten Jahre der deutschen Dichtung einen neuen Klassiker bringen, an dem man nicht voriibergehen darf, wo irgend in der Welt Deutsch un- terrichtet wird. Auch der Lehrer der modernen Fremdsprachen, er viel- leicht mehr als jeder andere, muss auf der W art e stehen, auslugend nach wertvollem Neuen. Stetig erneut sich ja auch seines Unterrichts Aufgabe und Ziel. Er muss (wie Stephan Watzoldt auf dem Berliner Neuphilolo- gentage ausrief) im Gegensatz zum klassischen Philologen, neben liebe- vollem Betrachten der dichterischen Meisterwerke friiherer Zeit auch auf das Lebendige, das der Gegenwart Entsprossene und sie Kennzeichnende eingeben und durch angemessene Auswahl des Lesestoffes fur des frem- den Volkes eigenartige geistige und materielle Kultur, in unserem Falle also fur deutschen Volkes Art und Sitte das Verstandnis zu erschliessen trachten. So baut er mit an jener Geistesbriicke, die ob auch Tausende von Meilen vom alten Vaterland uns trennen aus der alten Welt zur machtig aufstrebenden neuen heriiberfuhrt, und auf welcher auch von driiben und hiiben das junge Geschlecht, an dessen Erziehung wir mit- arbeiten, sich dermaleinst verst'dndnisvoll die Hand reicht zu bruderlicher Mitarbeit an den gemeinsamen grossen Aufgaben der Menschheit.

Arno Holz.

(Fttr die Padagogischen Monatshefte. )

Von O. E. Leasing, Ph. J>., Smith College.

So hart und stark wie der Klang seines Namens 1st der Mann selbst. Echt und wahr bis in den innersten Kern seines Wesens; unerschiitterlich in seiner 'ttberzeu- gung, zielbewusst in seinem Streben, klar und scharf in seinem Denken, furchtlos und unermiidlich im Kampf. Ein ganzer Mann. Darum hat er wenige Anhanger, zahl- lose Feinde.

Arno Holz ist ein Dichter von tiefstem Gefiihl, feinstem Empfinden; von uner- schopflicher Kraft der Phantasie. Sein Wollen kennt keine Grenzen. An Sprachge- walt und Ausdrucksvermogen, an sicherer Beherrschung der technischen Mittel iiber- trifft er alle Dichter des Jiingsten Deutschland. Er beugt sich vor keiner Autori- tat; aber er achtet die Grossen. Er verdankt seinen inneren Reich turn niemand als sich selber. Er geht Wege, die noch keiner vor ihm betreten. Er ist ein echter Kiinstler, eine Welt fiir sich. Darum scheint diese Welt dem Publikum verschlos- sen. Die Kritiker-Menge bemiiht sich nicht hineinzudringen. Sie steht aussen, spot- tet und verleumdet, was sie nicht kennt. Die Literaturgeschichtsschreiber haben einen fliichtigen Blick hineingeworf en ; sie haben da und dort in seinem Garten einen Keim bemerkt, ein Blattchen abgezupft, es nach hergebrachtem Schema ,,bestimmt", rubriziert, prapariert. Arno Holz ist nun fur sie tot. Sein Schatten spukt noch als ,,konsequenter Naturalist" in den dicken Banden ,,wissenschaftlicher" Werke.

Es hilft nichts, dass der lebendige, der vierzigjahrige Arno Holz sich seines Le- bens wehrt, seine Stimme erhebt: ,,Das grassliche Praparat, das Ihr aus ein paar Schnitzeln meiner Jugendwerke gemacht habt, das Ihr in Euren Schubladen als Ku- riosum aufbewahrt das ist ja gar nicht der wirkliche, der leibhaftige Arno Holz! Hort mich doch an! Lest meine Schriften ganz; und lest sie selbst! Plappert nicht einander nach; gebt mir Luft und Licht, damit ich weiter schaffen kann. In ein paar Jahrzehnten sprechen wir uns wieder. Dann verdammt mich wenn Ihr das Herz habt!" Umsonst; Arno Holz ist der ,,konsequente Naturalist"; er ist und bleibt tot. Tot fiir die Herren der ,,Wissenschaft".

So ist Grillparzer einige Menschenalter lang als Schicksalstragodien-Schreiber durch die Liiteraturgeschichte geschleppt, so ist Hebbel verkannt, so ist Morike und Hugo Wolf missachtet worden. So hat Deutschland Otto Ludwig und dutzend an- dere, die nicht waren wie alle, verhungern lassen. So hat es Arnold Bocklin, als dieser schon herrlichste Werke geschaffen hatte, verlacht, verhohnt, mit Fiissen ge- treten. Und so kampft heute Arno Holz, einsam, in Not und Sorge, fiir seine ttber- zeugung, fiir seine kiinstlerischen Ideale. Unverstand und Bosheit des Kritikerhau- fens, der noch stets vom Blute seiner Opfer gelebt hat; Schwerfalligkeit und Pedan- terie der Zunftgelehrten, denen ,,Methode" mehr am Herzen liegt als die Forderung der Kunst das sind die Machte, die Arno Holz seit nunmehr zwolf Jahren zu be- kampfen gehabt hat. Das sind die Machte, die einen Kiinstler gezwungen haben, durch Fabrikation von Kinderspielzeug jahrelang kiimmerlich sein Brot zu verdie- nen; die Machte, die denselben Kiinstler heute wieder dem Abgrund des Hungerto- des nahe gebracht haben. Es ist hier nicht die Frage, ob Arno Holz einst neben jenen Grossen im Andenken der Nachwelt fortleben wird: das bleibt der Nachwelt iiberlassen. Fiir die Mitwelt aber handelt es sich darum, ob sie einem Kiinstler, der bereits glanzende Proben seines Konnens gegeben hat, die ihm gebiihrende Ach- tung schenke, oder nicht; es handelt sich darum, ob sie einem Talente, das auch die verbohrtesten Gegner nicht wegzustreiten wagen, die ausseren Bedingungen sich ganz

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zu entfalten, gewahren will, oder nicht. Es handelt sich darum, ob wir uns mit einer eigenartigen Personlichkeit ehrlich und ohne Vorurteile auseinandersetzen, oder ob wir gewissenlos uns dem Haufen der Spotter gesellen wollen, die das Wesen dieser Personlichkeit nicht erfasst haben.

In jeder Literaturgeschichte steht zu lesen, dass Arno Holz in Gemeinschaft mit seinem Freunde Johannes Schlaf die Technik des modernen Dramas geschaffen hat. Um ein ,,Dokument" zu haben, muss ich zitieren, und zwar den gewiss niichtern ur- teilenden Adolf Bartels. In seiner Geschichte der deutschen Literatur, II, 674 f., heisst es: ,,Seine (des konsequenten Naturalismus ) Schopfer sind Arno Holz aus Rastenburg in Ostpreussen (geb. 1863) und Johannes Schlaf aus Querfurt (geb. 1862), und zwar mit den... novellistischen Skizzen Papa Hamlet (1889) und dem Drama Familie Selicke. Dem Zola'schen Reporter-Naturalismus gegenuber, der an die Objekte herangeht und sie, drastisch gesagt, beschnuppert, predigten Holz und Schlaf die Notwendigkeit, die Dinge an sich herankommen zu lassen, sie gewisser- massen einzusaugen, und gelangten so zu einem intimen Naturalismus, der Sinnen- und dadurch auch Stimmungseindriicke gleichsam phonographisch wiedergeben will. Die wichtigste praktische Folge war eine vollige Revolution der dramatischen Rede, die nun im Bunde mit der schon im Ibsenschen Drama erreichten tauschenden (sach- lichen) Wirklichkeitstreue, volligen Unabsichtlichkeit und exakten Motivierung das neue deutsche Milieudrama ergab. Holz, der sich vorher durch sein Buch der Zeit (1855) als das grosste Formtalent unter den lyrischen Stiirmern und Drangern er- wiesen und spater auch noch eine Revolution der Lyrik (Abschaffung von Reim und Rhytmus zugunsten eines natiirlichen Sprach- und Sachrythmus) ins Werk setzte, und Schlaf . . . pfllickten trotz einer Reihe dramatischer Schopf ungen . . . nicht die Frtichte ihrer Neupflanzung, die fielen einem j ungen schlesischen Poeten, Gerhart Hauptmann, zu, der . . . unter Holzens Einfluss geraten war." Sonst weiss Adolf Bartels iiber den ,,Schopfer des konsequenten Naturalismus" nichts zu sagen. ttber die Stellung, die Richard M. Meyer gegen Arno Holz einnimmt, habe ich friiher ein- mal gesprochen; s. P. M. Ill, p. 271. Der Dichter selbst sagt, Die Kunst, ihr Wesen und ihre Gesetze, I, p. 44: ,,Als Theoretiker stehe ich weder auf dem Boden des ,,Realismus" " noch des ,,Naturalismus" ", noch sonst eines Ismus. Nur als Praktiker bin ich Parteimann" ; und Revolution der Lyrik, p. 47 : ,,Niemand hat das Recht, unter Naturalismus literarisch etwas Beliebiges zu verstehen, sondern seine Anschauungen sind dokumentarisch festgelegt worden durch Zola. Gegen das Prin- zip dieser Anschauungen wandte ich mich . . . und fundamentierte in meiner Schrift Die Kunst ein neues". Ebendort, p. 64 : ,,Wir wehren uns gegen jede Schulbezeich- nung"; u. s. w.

Mit ,,phonographischer Wiedergabe", ,,konsequentem Naturalismus", etc. muss es also eine eigene Bewandtnis haben. Sehen wir uns den Theoretiker Arno Holz einmal genauer an; vielleicht lernen wir den Praktiker dann rascher kennen; denn der Praktiker hat die Theorie geschaffen oder vielmehr aus seinen eigenen Werken gezogen, nicht umgekehrt, und das ist wiehtig zu wissen. Verstehen wir das Prin- zip von Holzens Asthetik, so werden wir es leicht in alien seinen Schopf ungen wieder- gespiegelt finden. Diese werden uns von vornherein vertraulicher ansprechen, als wenn wir ihnen zogernd, von den Vorurteilen der alten Jtsthetik gehalten, entgegen- treten.

Noch selten ist ein Satz so oberfliichlich gelesen, so toricht gedeutet, so boshaft gegen seinen Urheber ausgebeutet worden, als die Formel, zu welcher Arno Holz durch seine asthetischen Untersuchungen gelangte, an deren Inhalt er zah festhalt, deren Form er preisgibt. Dieser Satz heisst: ,,Die Kunst hat die Tendenz, wieder die Natur zu sein; sie wird sie nach Massgabe ihrer jeweiligen Reproduktionsbe-

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dingungen und deren Handhabung." Wie ist Arno Holz zu diesem Satz gekommen? Was ist das Neue, das Revolutionare daran? Was ist das Element darin, das den Jtsthetikern und Kritikern aller Gattungen und Schulen so unausstehlich, so lacher- lich erschien?

Was ist Kunst? Seit dem Streit Gottsoheds mit den Schweizern ist diese Frage nicht zur Ruhe gekommen. Unsere grossten Kiinstler haben eine Antwort darauf zu geben versucht. Es ist klar: Kann die Frage annahernd beantwortet, kann der Begriff Kunst iiberhaupt definiert werden, so kann das nur durch einen echten Kiinst- ler geschehen. Alle andern Menschen, mogen sie sich auf Wissen, Scharfsinn, ,,Kunstverstand" noch so viel einbilden, von dem innersten und tiefsten Wesen der Kunst haben sie hochstens eine entfernte Ahnung. Daran muss unbedingt festgehal- ten werden: trotz Hegel, Fechner, Volkelt, Lipps, etc. Gehen wir also zu denen von unsern grossen Kiinstlern, die sich am eifrigsten bemttht haben, die ihrem eigenen und dem Schaffen anderer unterliegenden Gesetze zu nnden und auszusprechen : Schiller und Goethe, Grillparzer, Hebbel und Otto Ludwig. Einen tfberblick zu ge- winnen, geniigt es, die Kardinalsatze anzufiihren.

Schiller und Goethe sprechen ihre Definitionen, soweit sie klar abgerissene De- finitionen zu geben versuchten, fast immer als Forderungen aus; das ist wohl zu be- achten. Aus den von Harnack in seinen Biichern: Die Asthetik der Deutschen und Goethe in der Epoche seiner Vollendung zusammengestellten Ausserungen der Dich- ter liber das Wesen der Kunst geht als Quintessenz hervor: 1) Der Massstab des Urteils ist nicht die Natur an sich, sondern der ,,schone Mensch" im speziellen. 2) Die Aufgabe der Kunst ist ,,durch den Schein die Tauschung einer hoheren Wirk- lichkeit zu geben"; ,,des Kunstlers Schopfung sei soweit real, dass sie steta wahr sei, soweit ideal, dass sie niemals tcirklich sei". Ganz allgemein ausgedriickt: Die Kunst stellt die Natur in schoner Form dar.

Grillparzer stimmt darin uberein, wenn er sagt: ,,Die Kunst beruht auf einer Steigerung des Wirklichen und unterscheidet sich eben dadurch von der Natur". Dabei steht er aber viel fester auf dem Boden der Natur als selbst Goethe. Alles Lehr- und Reflektionsmassige, alles, was nicht ,,durch seine blosse Existenz Glauben erzwingt", weist er aus dem Bereich der Kunst. Wohl schatzt er die Form aufs hochste, denn ,,sie schliesst ab wie die Natur"; aber sie ist ihm nicht Selbstzweck. Leben und Form will er vereinigen, dass ,,beiden ihr Recht geschehe".

Hebbel und Ludwig gehen noch einen Schritt weiter. Ihre Definition von Kunst ist im wesentlichen die: 1) Die Kunst stellt die Natur (,,das Leben") dar. 2) Die Sehonheit der Form ist der kiinstlerischen Darstellung immanent und wird nicht vom Kiinstler gleichsam ausserlich hinzugetan. 3) Die Fixierung des Lebensge- halts ist wichtiger als die Sehonheit im einzelnen. Sehonheit und Wahrheit sind dasselbe. ,,Wahrheit ist ttbereinstimmung eines Reichtums von Zugen fur den Ver- stand, Sehonheit die ttbereinstimmung, Einheit in der Mannigfaltigkeit fiir den un- mittelbaren Sinn". Ahnliches hatte freilich auch schon Goethe ausgesprochen. Aber wUhrend er und Schiller nie ganz von dem einseitigen Schonheitsideal des Winckel- mann'schen Klassizismus loskamen und dieses auch noch auf Grillparzer bis zu einem bedeutenden Grade fortwirkte, haben Ludwig und Hebbel sich davon befreit. Sie unternahmen es, sich ohne Vorurteile, klassischer oder romantischer Farbung, mit den Problemen ihrer eigenen Zeit kiinstlerisch auseinander zu setzen, sich durch griindliches Forschen iiber die Ziele ihrer Kunst klar zu werden. So wurden sie die Vorlaufer einer neuen Kunst, deren technische Mittel sich mehr und mehr vervoll- kommneten, deren Gebiet die tiefsten Abgriinde, die feinsten Verzweigungen des viel- gestaltigen modernen Lebens zu umspannen begann. Aber sie drangen nicht ins Volk; ihr Werk wurde rasch vergessen. Das literarische Leben Deutschlands ver- sandete.

180 P'ddagogiscbe Monatshefte.

Die politischen Ereignisse nahmen die ganze Energie des Volkes in Anspruch. Der grosse Krieg brachte keine grosse Dichtung oder Kunst hervor. Was an bedeu- tenden Talenten da war, wurde nicht gewtirdigt. Menzel und Bocklin, Keller und Raabe blieben unbeachtet, Anzengruber bahnte sich langsam seinen Weg. Ein gut- gemeinter Patriotismus liess sich an den aufkostiimierten Goten Felix Dahns, an der siisslichen Minnesingerei Julius Wolffs und Baumbachs geniigen. Archaisieren- der Dilettantismus begeisterte sich fur die Mumienpoesie des Xgyptologen Ebers. Aber in den Goldschnittbandchen dieser Modeschriftsteller pulsierte kein Leben. Da halite nichts nach von dem Larm und Gebraus der neuen Zeit, von den tausend Fra- gen, die eine rastlos vorwarts schreitende Naturwissenschaft, eine machtig wach- sende Industrie, Kapitalismus und Sozialismus in die Gegenwart hineinwarf.

Die neue Zeit gehorte der Jugend. Sie hatte alle diese Fragen zu 18sen. Ihr konnten die Lieblingsautoren der alteren Generation nichts bieten. Im Auslande aber waren Kiinstler, die mit unerhorter Kiihnheit in das Leben der Gegenwart grif- fen. Zola, Ibsen, Tolstoi, Dostojewskij wurden den jungen Talenten Deutschlands zur kiinstlerischen Offenbarung. Ein neuer Sturm und Drang ging durch die Litera- tur. Zola insbesondere wurde zum Befreier von den Fesseln einer erstarrten Asthe- tik. Sein beriihmter Satz: ,,Ein Kunstwerk ist ein Stuck Natur, durch ein Tem- perament gesehen", gait als das Zauberwort, vor dem alle Schranken der Kunst fie- len. Der Inhalt dehnte sich ins Unermessliche aus und sprengte die alten Formen, Auch die hasslichsten Niederungen des Lebens gehorten in den Bereich kiinstlerischer Darstellung. Nicht mehr ,,Sohonheit", eine ,,hohere Wirklichkeit" war das Ziel der Kunst, sondern Wahrheit; Wahrheit um jeden Preis. Kein Wunder, dass radikale Stunner nun iibers Ziel hinausschossen, und, in verworrener Auffassung jenes Satzes, die Wahrheit mit der virtuosen Darstellung des Xusserlichen verwechselten, dass sie mit Vorliebe das Hassliche und Gemeine zum Gegenstand ihrer Kunst machten. We- der sie, noch die Alten, denen die ,,Schmutzliteratur" der Jiingst-Deutschen ein Greuel war, dachten daran, dass Zolas Satz etwas anderes besagte, als der Ausspruch Goethes: ,,Im Grunde bleibt kein realer Gegenstand unpoetisch, sobald der Dichter ihn gehorig zu gebrauchen weiss".

Unter den Stimmfuhrern der Jiingst-Deutschen war einer, der sich auf die Dauer von dem neuen Kunstgesetz nicht blenden liess : Arno Holz. Nach einer Ge- dichtsammlung Klinginsherz und einer Schrift tiber Geibel veroffentlichte er zwei- undzwanzigjahrig sein erstes Werk, denn das Friihere ,,rechnete" er nicht Das Buck der Zeit, Lieder eines Narren, Zurich 1885. In dem 500 Seiten starken Band steckte mehr, als nur die glanzende Leistung eines Formtalents. Der Geist des Bu- ches war in der Tat, wie der Titel sagte, der Geist einer neuen Zeit. Mit dem iiber- lieferten BegrifT von ,,Poesie" war griindlich gebrochen. Nicht nur im Walde, im Wehen des Abendwindes, in zerbrockelten Ruinen, in schilfumkranzten Weihern fand Arno Holz Poesie, sondern auch im Kohlendunst von Bergwerken und Fabriken, im Pochen und Hammern der Maschinen, im Sausen der Eisenbahn, im Gefangnis, im Spital. Eine unendliche Mannigfaltigkeit, die feinste Abstufung von Tonen, Bil- dern und Stimmungen zeichnen dieses wunderbare Jugendwerk aus. Laurie Magnus hat einen schonen Aufsatz dariiber geschrieben, Fortnightly Review, 1897, pp. 492 ff. Arno Holz wird da vorwiegend als revolutionarer Dichter geschildert. Freilich, der bittere Hass der Sozialisten gegen die Unterdruckung durch Kirche und Staat flammt tiberall auf j er steigert sich sogar zum gotteslasterlichen Fluch. Der eng- lische Schriftsteller findet mit Recht eine Entschuldigung dafUr in der Jugend des Dichters und in dem jammervollen Byzantinismus, der in Deutschland damals wie heute die freiheitlichen Regungen des Volkes mit seiner muffigen Schwiile zu er- sticken drohte. Wie ein Catullus, ein Burns, ein Shelly sei Arno Holz deswegen

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nicht von der Unsterblichkeit ausgeschlossen : ,,May not Germany one day raise to Arno Holz his marble tribute of a dome?" Der Atheismus des jungen Dichters hat seinen Grund nicht in oberflachlicher Negation des Bestehenden, sondern im ehrli- chen Ringen nach Wahrheit, im tiefen Schmerz iiber die triibe Gegenwart. So er- schallt neben dem hohnischen Lachen des Skeptikers auch der begeisterte Ruf des Idealisten, der an eine kvinftige Trias von Wahrheit, Freiheit und Recht glaubt.

Der unbefangene Leser wird sich durch den sozialistischen Radikalismus des Bu- ches nicht am Genuss des Lieblichen und Zarten, das der Dichter in reichlichem Masse bietet, storen lassen. Arno Holz hat nicht nur ein seltenes Vermogen der Nachempfindung : die frische Waldromantik Eichendorflfs trifft er im Tone ebenso gut, wie die kraftige Rhetorik Emanuel Geibels; er zeigt vielmehr auch schon in diesem Erstlingswerk seine ganz bestimmte Eigenart. Abgesehen von der stofflichen Erweiterung der Lyrik, und abgesehen von der sozialistischen Tendenz, die den An- fang der sog. Grosstadtlyrik bezeichnet, hat Arno Holz bereits eine Forderung des Kritikers Julius Hart zu erfiillen begonnen: die im Gegensatz zur vorhergehenden Poesie grossere Objektivitat der modernen Lyrik. ,,Die Lyrik," sagt Hart, ,,wird auch aus der fremden Seele heraus denken, fiihlen und reden lemen und nicht immer das Ich zum Wort kommen lassen. Sie wird das Landschaftliche in ganz anderer Deutlichkeit uns malen, das Einzelbild statt eines typischen hinstellen, die Empfin- dungen scharfer begriinden, ihre Ursachen darlegen und die Gefiihle selber feiner zerlegen. In dieser Kunst hat Goethe zum Teil Grosses geleistet. . . Vorwiegend ist aber auch die Goethesche Sprache Gefiihlssprache und ihr Wesen musikalischer Na- tur; dem gegeniiber wird die Lyrik des Realismus reichere Elemente der Naturan- schauung verarbeiten und einen mehr malerischen und plastischen Karakter anneh- men, das Bildliche, das bei Goethe zuriicktritt, machtiger in den Vordergrund stel- len."*) Die Objektivitat des Dichters, der aus der fremden Seele heraus denkt und fiihlt, kommt zu schonem Ausdruck in dem Zyklus: Arme Lieder, ,,Mein Fenster schaut auf einen diistern Hof", ,,Een Boot Is Noch Buten!", ,,So Einer War Auch Er!", ,,Nachtstiick". Wie alle diese Armen Lieder zugleich auch Beispiele plasti- scher Anschaulichkeit sind, so erweist sich die Fahigkeit, die innere Stimmung durch die aussere Umgebung zu verbildlichen, in noch hoherem Grade in einigen Liedern aus den Tagebuchblattern und dem Phantasus, z. B. ,,Ihr Dach stiess fast bis an die Sterne", ,,Die Nacht verrinnt, der Morgen dammert, vom Hof her poltert die Fabrik".

Kurz, das Buch hatte geniigt, zehn junge Dichter beriihmt zu machen. Johan- nes Scherr und Graf von Schack priesen es; ,,es tropfelt einige wohlwollende Kri- tiken"; die Augsburger Schillerstiftung kronte es mit einem Preis: aber es drang nicht durch. Der enttauschte Dichter zergriibelte sich den Kopf fiber seinen Miss- erf olg. (Fortsetzung folgt.)

*) Zitiert aus der trefflichen Broschure Dr. Strobls: Arno Holz und die jiingst- deutsche Bewegung, Berlin 1902.

Berichte und Notizen.

I. Bine deutsche Bildungsstatte in Neapel.

(Fur die Padagogischen Monatshefte.)

Von SeminardlreMor Emit Dapprich.

In der Villa Nazionale, dem ewig gninenden und bliihenden Parke, der sich dicht am Meeresufer im nordlichen Teil der schonen Stadt Neapel hinzieht, steht ein prachtvolles, palastahnlich.es Gebaude, das die Namen Aquarium Neapolitanum und Stazione Zoologica fiihrt. Es ist mit deutschem Gelde auf dem von der Stadt zur Verfiigung gestellten Bauplatze aufgefiihrt worden und enthalt ausser dem reich- haltigen, 26 grosse Becken umfassenden See- Aquarium im unteren Stock in den bei- den oberen Stockwerken die Arbeitsraume der seit 30 Jahren bestehenden marinen Station des genialen und unermiidlichen Forschers, Prof. Heinrich Dohrn.

Er kam i. J. 1870 als Privatdozent nach Neapel, um dort die erste und fiir lange Zeit einzige eoologische Station zu errichten, die nach der Ansicht der bedeutendsten Naturforscher schon lange ein dringendes Bediirfnis war. Er verwandte auf die Griindung dieser Anstalt aus eigenen Mitteln mehr als 300,000 Mark, und wusste durch eine geschickte und unermtidliche Agitation seiner Sache mit dem Beistand der grossten Zoologen, das deutsche Reich sowohl als auch Privatleute und wissen- Bchaftliehe Gesellschaften,zu so hohen Beitragen zu bewegen, dass der Bau und seine Einrichtungen im Betrage von einer halben Million Mark vollendet werden konnten und ein Betriebskapital von mehr als 70,000 Mark per Jahr ihm zur Verfiigung stand. Mit diesen Mitteln hat Prof. Dohrn Erstaunliches geleistet; er hat die Na- turforschung so machtig gefordert, dass sein Name fiir alle Zeit als einer der besten seines Berufes leben wird.

Vier Aufgaben hat sich diese zoologische Station gestellt: 1. Sie will die Fauna des mittellandischen Meeres, soweit dies moglich ist, fiir Laien und Gelehrte^ zur Darstellung bringen; 2. die Herstellung zoologischer Praparate fiir Museen und Schulen in kiinstlerischer Weise zu immer grosserer Vollkommenheit bringen ; 3. den Zoologen aller Nationen Raume, Apparate und Material zur Verfiigung stellen, und 4. durch Veroffentlichung der Resultate ihrer Forschung in den Jahrbiichern der wissenschaftlichen Welt Kunde geben von ihren Leistungen. Lassen Sie mich in we- nig Worten zeigen, wie vorziiglich diese Arbeiten in den 30 Jahren geleistet worden sind.

Betreten Sie mit mir das Museum ; wir kauf en uns fiir einen Lire den ,,Leitfaden fiir das Aquarium", der auf iiber 100 Seiten Illustrationen und Beschreibungen fast aller der Seetiere gibt, die in diesen Raumen hausen, und wir treten vor das Basin No. 1. Hier haben. die Stachelhauter ihr Heim. Da kriechen Seesterne in alien Farben, vom tiefsten Rot bis zum Violet, auf ihren durchsichtigen, fadeniihnlichen Fiisschen umher, steigen bisweilen an der glatten Glaswand empor, oder wandeln an den iiberhangenden Felsen mit grosster Sicherheit dahin. Dazwischen liegen trage Seeigel von meist kugeliger Form, schon gefarbt und mit weissen, roten oder brau- nen Stacheln iiber und iiber bedeckt, zwischen denen die fast unsichtbaren Fiisschen wie feine Glasfaden hervorragen. Auf dem Grunde liegen zwischen Steinen die See- walzen, von denen einige reifen Gurken sehr ahnlich sind, da sie dieselbe Form, Farbe, Grosse und Rauhigkeit besitzen. Seeigel und Seewalzen werden von gewis- sen Volkern als Nahrungsmittel benutzt, ja sogar als Delikatessen sehr geschatzt. Auch Seelilien und Schlangensterne ergotzen das Auge durch ihre langen, graziosen Anne, die sich nach alien Richtungen bin beugen und verschlingen. Wenn sie ein

Eine deutscbe Bildungsstattt in Neapel. 183

Korallenbaumchen umklammern, sehen sie fast wie Blumen aus, die dort hervorge- sprosst erscheinen. Die gefiederten Arme der Haarsterne, von denen sich hier die bunten Exemplare von Antedon rosacea befinden, sind in bestandiger Bewegung; oft losen sich diese Tiere von ihrem Stiitzpunkte los und gleiten, mit ihren Armen die Flut peitschend, schwimmend von Ort zu Ort. Stundenlang stehen die Besucher vor diesem Lebensbild, ergotzen sich an dem bunten Wechsel, der sich ohne Rast und ohne Ruh' in der krystallenen Flut vollzieht; zogernd wendet sich der Fuss zum Weitergehen; nichts kennzeichnet besser das Gefiihl der Zuschauer, als der Ausruf eines kleinen deutschen Madchens, die neben mir stand: Ach, Mutter, wie schon! Es wiirde meine Leser ermiiden, wollte ich den Reichtum und die Pracht der tausende von Lebewesen, welche sich in diesen Raumen befinden, auch nur mit der grosstmoglichen Kiirze darstellen; ich beschranke mich darauf, den Goethe'schen Satz etwas zu erweitern, indem ich ihn so fasse:

,,Greif nur hinein ins voile Leben; Wo du es fasst, da ist es interessant."

Fiir die Herstellung zoologischer Priiparate hat sich Prof. Dohrn einen Mitar- beiter erzogen, der in der Welt seinesgleichen sucht: es ist der Konservator der Anstalt, Salvatore Lo Bianco. In Palermo als Kind armer Leute geboren, kam er in seinem 14. Lebensjahre zu Dohrn und hat sich unter dessen Fiihrung zu einem ausgezeiehneten Gelehrten und geschickten Prakftker emporgearbeitet. Seine Spezi- alitat ist das Praparieren seltener und schwierig zu konservierender Seetiere. Mil- waukee besitzt in seinem Museum eine kleine Sammlung von Exemplaren aus der Dohrn'schen Anstalt, von denen sich die meisten 20 Jahre lang gut erhalten haben; heute aber bietet die Station Formen, an deren Herstellung man vor so viel Jahren kaum denken durfte. Gibt es doch Quallen, die so unendlich zart sind, dass die lei- seste Bertihrung des Fingers sie sofort zerstort, indem sie wie in nichts zerfliessen, oder die bei der Anwendung der friiher gebrauchliehen Konserviermittel in unfor- mige Kliimpchen zusammenschrumpfen. Heute werden auch diese schonen und zar- ten Gebilde der Ktinstlerin Natur durch die Hand eines Lo Bianco so prapariert, dass sie fur 100 Jahre Gestalt, Farbe und Grosse bewahren, und nur die Bewegung fehlt, um sie fur lebendig zu halten. Wie viele tausend Versuche aber notig waren, diese Methoden zu schaffen, das lasst sich leichter ahnen, als sagen. Bedeutende Zoologen haben unter der Schulung dieses Italieners sich das notige Geschick erwor- ben, bei Expeditionen die reichen Schatze aus der Fauna der Meere fiir spatere Be- arbeitung in den Laboratorien der Naturforscher aller Lander in vorziiglicher Weise zu erhalten.

Weit iiber 1000 Gelehrte aus fast alien Kulturstaaten haben in Neapel langere oder kiirzere Zeit gearbeitet, um unter Dohrn ihre Vorbildung zu vollenden, oder ge- wisse zoologische Probleme zu losen. Katheder und Horsale gibt es dort freilich nicht; weder der Leiter noch seine standigen Mitarbeiter unterrichten. Sie stellen den Besuchern alles zur Verfiigung, was zu selbstandiger Arbeit notig ist, und iiber- lassen jedem die Auswahl seines Arbeitsfeldes, seiner Zeit, Methode etc. Gesetzt es wiirde sich einer als das Ziel seiner Forschung die embryonale Entwickelung der Selachier (Haie) wahlen, so wiirden ihm Haifischeier in alien Stufen der Entwicke- lung zur Verfiigung gestellt, die er nun von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde be- obachten kann, die er sezieren darf, die er in bestandig fliessendem Meerwasser ganz nach seinem Willen behandeln mag. Enthalt das Resultat seiner Forschung Neues und Interessantes zur Geniige, so steht ihm der Jahresbericht zur Veroffentlichung seiner Monographic zur Verfiigung. Wenn einer meiner Leser iiber das eigentiim- liche Thema lacheln sollte, das ich eben anfiihrte, so gebe ich ihm zu bedenken, dass durch die genaue Erforschung der Entwicklungslehre der Haifische die Entwick-

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P'ddagogische Monatsbefte.

lungslehre alles Wirbeltiere eine machtige Forderung erfahren hat, die bis hinauf in das Gebiet der embryonalen Entwieklung des Menschen reicht. Das Haifischei ist fiir die Beobachtung um so passender, da sowohl Schale als Kern vollstandig durchsichtig sind und es bis zur vollendeten Reife bleiben.

Das Institut gibt drei wissenschaftliche Werke heraus: ,,Flora und Fauna, des Golfs von Neapel" (nahezu 30 Bande), ,,Mitteilungen der Zoologischen Station" (etwa 15 Bande) und ,,Zoologischer Jahresbericht" (an die 20 Bande).

Das erste dieser Werke ist eine wahre Fundgrube fiir angehende Zoologen, dabei reich illustriert durch die Hand eines bedeutenden Kiinstlers, des Malers Merculi- ano, der seit 20 Jahren nichts anderes malt, als die Bewohner des Meeres.

Mein kurzer Bericht zeigt den Lesern der Padagogischen Monatshefte wohl zur Geniige, wie gross der Wirkungskreis der beschriebenen Anstalt ist und wie berech- tigt der Stolz ist, mit dem Deutsche auf dieses grosse Werk eines grossen Mannes ihrer Nation blicken.

II. Korrespondenzen.

(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)

Baltimore.

Mitte April batten wir das Vergniigen, Professor Dr. Kuno Francke von der Harvard Universitat hier begriissen zu dtirfen. Er hielt drei geistvolle Vortra- ge am Woman's College. Der erste war in englischer Sprache und behandelte deutsche Munizipalmethoden im Mittel- alter. Im zweiten, deutschen Vortrag beleuchtete er in enthusiastischer Weise Gerhart Hauptmanns eigentiimliches Drama ,,Der arme Heinrich", aus dem er wahrend zweier Stunden die leitenden Szenen mit grosser Wirkung vorlas. Der dritte Vortrag war wieder ein englischer ; der gewandte Redner fiihrte der ausge- wahlten Versammlung das Germanische Museum der Harvard Universitat in Wort und Bild vor. Im Marz des Jahres 1897 war von jener altehrwiir- digen Bildungsstatte die erste Anregung zur Schaffung eines solchen Museums ausgegangen. In einem damals erlasse- nen allgemeinen Aufruf war die hohe Zweckmassigkeit dafiir klar gelegt und ein entsprechender ausfiihrlicher Plan mitgeteilt worden. Der Aufruf schloss mit den Worten:

,,It would be the first attempt to bring before the eyes of American students a picture of early European and mediaeval civilization. It would, at the same time, be a worthy monument to the genius of a people which has had a large part in shaping the ideals of modern life and which has given to this country millions of devoted citizens."

Obgleich 10,000 Dollars fiir den ersten Anfang gewiinscht wurden, waren bei al- ler Arbeit nach vier Jahren erst 4,000

Dollars eingegangen. Erst mit der ver- standnisinnigen Mitwirkung des deut- schen Kaisers gewann das Unternehmen einen festen Boden und eine gliickver- heissende Zukunft; Wilhelm der Zweite kann, wie Professor Francke hervorhob, als der eigentliche Begriinder des Ger- manischen Museums angesehen werden. Dass er selbst die Seele des Ganzen ist, wollte der bescheidene Gelehrte in keiner Weise gelten lassen. Die iiber alles Er- warten mannigfaltigen und reichen kai- serlichen Geschenke werden im Lauf e des Jahres in Cambridge eintreffen und mit ihnen weitere reiche Geschenke von an- dern hochsinnigen Deutschen. Professor Francke erwahnte eine Audienz, die er letztes Friihjahr im Schlosse zu Berlin hatte; er sei erstaunt gewesen, bei dem genialen Monarchen ein so eingehendes Verstandnis fiir amerikanische Universi- tatsverhaltnisse zu gewahren.

Ein Orientalistenkongress fand kurz nach Ostern in der Aula der Johns Hop- kins Universitat statt, gut besucht sei- tens der hervorragenden Hochschulen des Ostens. Ganz besonders interessant er- wies sich ein Vortrag des hiesigen Pro- fessors Dr. Paul Haupt iiber ,,Babel und Bibel". Die Landespresse wird bereits Ausziige daraus gebracht haben.

Die deutsch Sprak. Die im Gange befindliche Agitation fiir die Munizipal- wahl hat u. a. eine gar erbauliche Bliite hervorgebracht in Gestalt eines Zirku- lars, worauf ein Bewerber um die No- mination fiir einen Sitz im ersten Zweig des Stadtrats den Biirgern seiner Ward auf einer Seite in englischer, und auf der andern in deutscher Sprache klar zu ma-

Korresponden^en.

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chen sucht, dass er der rechte Mann fiir den Platz sei. Der englische Teil der Karte ist fehlerlos, der deutsche Teil lautet buchstablich, wie folgt: ,,Candidat fiir den Ersten Abtheil des Stadtrahts.

Subject der Demokratischen Primar

Wahlen. Wehrte Mitbiirger:

Um mit der Gegenwart Schritt zu hal- ten, werden wir es nothwendig finden ei- nen Augenblick um uns zu werfen. Auf unsere Strassen, unsere Halb - zerfallene Hauser und andere Oeffentliche Gebau- de, etc. Desshalb sollten bei der kom- menden Primar Wahlen Sie auch nicht vergessen ftir einen Mann zustimmen dem das Wohl unseres Bezirks im Her- zen liegt. Ich erinnere Euch hierdurch das als Candidat f iir die kommende Pri- mar Wehlen, verspreche auf die Interes- sen Eures eigenthums zu sehen wie auf das meine.

Denn ein Steigen des Wehrtes unseres Eigenthums,und unsererHauser geschieht nur durch Verbesserung unsererStrassen.

Was wir als Steuerzahle gerade so gut be-anspruchen haben als Burger anderer Bezirke.

Darum liebe Mitbiirger vergesset nicht Euer Wohl, und stimmt fiir mich, einem Manne der fiir Eure Intressen ebenso gut zu handeln verspricht, als fiir die Seinen.

Euer Mitbiirger,

Da mochte man auch mit Biccaut de la MarliniSre ausrufen: ,,O, was ist die deutsch Sprak fiir ein arm Sprak! fiir ein plump Sprak!"

Mit dem Monat Juni wird filr Balti- more eine mehrmonatliche Festperiode anfangen. Den Reigen beginnt das von Sonntag, den 14. Juni, bis Freitag, den 19. Juni, dauernde Sangerfest. Grossar- tige Vorbereitungen werden fiir dieses Fest, an dem sich auch President Roose- velt beteiligen wird, getroffen. Der Stadt- rat hat allein fiir Illumination 25,000 Dollars bewilligt. S.

Californien.

Am vierten April hielt der Californi- sclie Verein von Lehrern der deutschen Sprache seine regelmassige Sitzung in San Francisco ab. Es war vorgeschla- gen worden, nur zweimal jahrlich zu- sammenzukommen, doch wurde diese An- derung abgelehnt, und es wurde beschlos- sen, wie bisher sich dreimal das Jahr zu versammeln. Den Hauptvortrag hielt Dr. Julius Goebel iiber das Thema: Der Kampf urns Deutsche in Amerika. Da der Redner sich eben mit der Abfassung

eines griindlichen Werkes iiber die deut- sche Bewegung in Amerika beschaftigt, so war besonders der historische Ge- sichtspunkt der Frage von grossem In- teresse. Er wies nach, wie schon den ersten Versuchen der Deutschen, sich ihre Sprache in diesem Lande zu erhal- ten, englischerseits entgegengearbeitet wurde. Die Einwanderung von hervor- ragenden deutschen Kampfern nach der Revolution von 1848, und der Sieg der deutschen Waffen im deutsch-franzosi- schen Kriege starkten die deutscheSaehe, so dass die Deutschen und ihre Sprache, besonders in Stadten mit starker deut- seher Einwohnerzahl, grossere Anerken- nung erhielten. Deutsche Schulen und deutsche Vereine wurden zahlreich ge- griindet. Durch die politische Starke der deutschamerikanischen Burger wur- de diesen in vielen Stadten das Zuge- standnis gemacht, dass der deutsche Un- terricht in den offentlichen Schulen ein- gefiihrt wurde. Doch war dieser schein- bare Triumph der deutschen Sache ei- gentlich eine Perfidie, wie der Redner behauptete. Das Zugestandnis wurde gemacht mit der geheimen Absicht, dadurch die deutschen Privatschulen totzumachen, und in der Hoffnung, dass sich iiber kurz oder lang eine Gelegen- heit finden wiirde, den deutschen Unter- richt wegen mangelhaften Resultaten oder aus anderen Griinden wieder aus den offentlichen Schulen herauszuwerfen. Dieser Prozess ist bereits vor sich ge- gangen und vollzieht sich noch immer. Die einzige Hoffnung fiir die Erhaltung der deutschen Sprache liegt in den High Schools. Es sollte deshalb unser Bestre- ben sein, den deutschen Unterricht in diesen Anstalten so wirkungsvoll und fruchtbringend wie mo'glich zu machen. Die Ansichten des Redners wurden von den Anwesenden nicht durchweg indos- siert, und es wurde beschlossen, die Dis- kussion des Vortrags auf das nachste Programm zu setzen. Hierauf folgte eine sehr nutzbringende Besprechung von empfehlenswerten deutschenTextbiichern. Fraulein Garretson von Alameda verlas einen kurzen Vortrag, worin sie allge- meine Grundsatze fiir die Auswahl von Texten niederlegte, und dann folgende Texte empfahl: Immensee, Hoher als die Kirche, L'Arrabiata, der Schwiegersohn, die Journalisten, der Bibliothekar, Gu- stav Adolf in Deutschland, Wilhelm Tell. Herr Buehner von San Jos6 ging naher auf den Unterricht im ersten Schuljahre in den High Schools ein und empfahl fiir den theoretischen und praktischen Teil des Unterrichts Spanhoofds Lehr- buch der deutschen Sprache als das be-

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P'ddagogiscbe Monatshefte.

friedigendste ttbungsbuch. Dieses 1st mit passendem Lesestotf zu erganzen. Herr Zimmermann von San Francisco kriti- sierte das neue Buch fiir Anfiinger, ,,Gltlck auf!" und empfahl, ausser schon genannten Werken Leanders ,,Traume- reien", ,,der zerbrochene Krug", ,,die Freiherren von Gemperlein" und Riehls !Novellen. Herr Centner von der Staats- universitat beschrankte sich darauf, ei- nige der genannten Biicher zu indossie- ren. Hierauf vertagte sich die Ver- sammlung bis zum Herbst. V. B.

Chicago.

Diesmal kann ich iiber zwei freudige Vorkommnisse berichten, die allerdings negativer Natur sind, uns geniigsame Lehrer aber trotzdem schon gliicklich machen. Unser Thomas-Orchester wird nicht aufgelost werden! Die fur die Er- richtung eines eigenen Hauses notwendi- gen $750,000 sind beinahe ganz gezeich- net, und der Bau wird daher demnachst in Angriff genommen werden. Bezeich- nend ist es, dass grossere Zeichnungen (von $1000 oder dariiber) selten sind, dass aber mehrere Tausende willens sind, von $50 bis $500 zu dem Unternehmen beizusteuern. Daran kann man sehen, wie tief das Orchester im Volke der Stadt Wurzel gefasst hat und wie viele doch echte, kilnstlerische Musik zu wiir- digen wissen! Gentisse der herrlichsten Art stehen uns also wieder in Aussicht!

Die andere Tatsache, die die hiesige Lehrerschaft mit Genugtuung erfiillen muss, ist die Verwerfung der sog. Marck- schen Gesetzesvorlage in Springfield. Ware sie von der Legislator angenom- men worden, so ware unser Schul supe- rintendent mit einer Machtvollkommen- heit ausgestattet worden, wie sie hierzu- lande noch nie erhort worden ware. Er ware der reinste Zar geworden. ttber An- stellung der Lehrer, deren Gehalter, de- ren Promotion, tiber Einfiihrung von Schulbiichern, iiber Lehrmethode und Examina u. s. f. hatte nur er zu ent- scheiden gehabt! Was wir Lehrer von Herrn Cooley zu erwarten haben, das hat er uns schon in den Regeln gezeigt, die auf seine Veranlassung von unserem Schulrate angenommen wurden. Unter anderem kann kein Lehrer eine Gehalts- erhohung bekommen, ohne dass er eine Prilfung in Psychologic, Padagogik, Ge- schichte der Padagogik und school-man- agement, sowie in einem sog. akademi- schen Fach besteht. Derselbe Herr hat sich aber sein Gehalt von $7,- auf $10,- 000 erhohen lassen, ohne jemals ein Ex- amen abgelegt zu haben!

Und diese hubschen Zustande hatte man gerne durch unsere Gesetzgebung

permanent gemacht! Wir sind der Teachers Federation zu grossem Dank verpflichtet, dass sie dieses unverschamte Machwerk durch eifrigen Protest zu Fall gebracht hat! Ernes.

Cincinnati.

Superintendentenwvchsel. Richard

Wagner wohnte im Jahre 1871 zu Leip- zig bei dem kunstsinnigen Gasthofsbe- sitzer Kraft, Hotel de Prusse, und sang denselben ob liebevoller Behandlung, die ihm wahrend seines Aufenthaltes gewor- den, beim Abschiede mit dem selbst ge- dichteten und komponierten ,,Kraft-Lied- chen" folgendermassen an: ,,Der Worte viele sind gemacht, Doch selten wird die Tat vollbracht; Was ein Hotel zum Eden schafft, Das sind nicht Worte, sondern Kraft."

Substituiert man in diesem Sang sine ira et studio fiir ,,ein Hotel" die Wort- lein ,,eine Schul'", so ist ohne weiteres die Tat unseres neuen Erziehungsrates erklart, dessen Erstes die Erwahlung des fruheren Assistenzsuperintendenten und jetzigen Direktors des Normal-Departe- ments der Staatsuniversitat zu Oxford, O., Herrn F. B. Dyer, zum Superinten- denten unserer Schulen war. Bis auf ein einziges sind die Mitglieder des Ra- tes der Ansicht, Dr. Boone sei nicht im- stande gewesen, die Notwendigkeit, bezw. Niitzlichkeit der von ihm wahrend seiner dreijahrigen Amtszeit eingefiihrten Re- formen durch praktische und iiberzeu- gende Resultate zu beweisen, und der Wechsel wurde ohne viel Federlesens vollzogen. Es ist ein wirklicher Wech- sel, da, wie es heisst, Dr. Boone derNach- folger des Herrn Dyer in Oxford sein wird.

In der vor einigen Tagen abgehaltenen Versammlung des Deutschen Oberlehrer- vereins hielt Herr Hermann von Wahlde einen gediegenen Vortrag iiber das au- genblicklich die Bretter, so die Welt be- deuten, beherrschende Thema : ,,Wie man dem Verfall des deutschen Unterrichts steuert", in dem es nicht nur dem un- umganglich notwendigen Gebrauche der deutschen als einzige Unterrichtssprache, und der Erweckung des deutschen Sprachgefiihls und damit der Liebe zum Deutschen das Wort redete, sondern auch verlangte, man mtisse versuchen, es da- hin zu bringen, dass die Schiller stolz werden auf das ihnen gewahrte Vor- recht, Deutsch in den offentlichen Schu- len lernen zu dtirfen. Ferner mtisse man sich recht sehr hiiten, in der Hitze des Gefechtes der englischen Sprache irgend- wie eins zu versetzen, um die Vorziige des deutschen Sprachbaues mehr hervor- zuheben, sondern im Gegenteil die gro-

Korresponden^en .

187

ssere Wichtigkeit des Englischen ftir das hiesige praktische Leben recht oft und nachdriicklich betonen, auf dass die Schiller begreifen lernen, dass der Haupt- zweck des deutschen Unterrichts vor al- lem die Erschliessung der veredelnden Schatze der deutschen Literatur und die Erkenntnis des moralischen Wertes vie- ler Seiten des deutschen Tuns und deut- scher Sitte durch die Sprache ist. Da die Kollegen ohne Ausnahme es wissen und zugeben, dass, ohne seine Unter- richtsmethode iiber Gebiihr der von an- deren angewandten den Vorrang geben zu wollen, der Vortragende in seinen Klassen seine Worte zu betatigen ver- steht, so wurde die notgedrungen kurze Arbeit mit aufrichtigem Beifall belohnt. Wir leben hier im Zeichen der turne- rischen, erziehlich wirken sollenden 6f- ientlichen Schaustellungen. Nach unpar- teiischer Beobachtung und Wttrdigung dessen, was die zwei bedeutendsten hie- sigen deutschen Turnvereine in dieser Hinsicht neuerdings geleistet haben, bin ich, wie sehr viele andere, zu der An- sicht gekommen, dass mit den betreffen- den Vorfiihrungen nicht mehr und nicht minder Propaganda gemacht wurde, als wenn z. B. eine Young Men's Christian Association sich auf Jthnliches verlegt hatte. ,,Deutsches Turnen" war das nicht, sondern sehr schon, prazis und ele- gant ausgefiihrtes Athletentum. Bei den Vorfiihrungen des der Zahl nach gross- ten deutschen Turnvereins waren sogar die Kommandoworte samt und senders englisch. Sonst aber: ,,Bene! Optime!"

quidam.

Milwaukee.

Schulratsernennung. Im Mai jeden Jahres reorganisiert sich der hiesige Schulrat, indem ein Drittel seiner Mit- glieder (8, reap. 7) ausscheiden und neue an deren Stelle von der dazu vom Burgermeister ernannten Kommission, bestehend aus 4 Mitgliedern, ernannt werden. Es bestehen 23 Schuldistrikte in der Stadt, welche meist parallel mit den Grenzen der Stadtbezirke (Wards) laufen, und jeder Distrikt ist im Schul- rat durch ein Mitglied vertreten. Filr die ersten 8 Distrikte wurden nun die- ser Tage neue Mitglieder ernannt, mit Ausnahme eines Distrikts, da sich die Kommission nicht einigen konnte. Man sieht also, dieses System ist auch nicht perfekt, es hat seine Mangel und Feh- ler, wie alles Menschliche. Friiher wur- den die Vertreter des Schulrats durch die beiden Aldermen der Stadt ernannt. Um die Politik aus der Schule oder bes- ser, aus dem Schulrat fernzuhalten, er-

sann man dies System. Doch die Poli- tik spielt auch jetzt wohl noch eine Rol- le, da die Kommissare so hartnackig auf ihrem Kopfe bestehen und sich nicht ei- nigen konnen, weil zwei von ihnen das ttichtige, seit 8 Jahren im Schulrat eitzende Mitglied nicht wieder ernennen wollen, obgleich es seinen Distrikt in ausgezeichneter Weise vertreten hat und auch Prasident des Schulrats war. Der betreffende Schuldistrikt wird also heute bei der Reorganisation im Schulrat nicht vertreten sein.

Exit Gehaltserhohung und Lehrerpen- sion. Ach ja! Die Berge kreisten und kreisten, und sie gebaren nicht ein- mal das kleinste Mauschen, sondern das reine nihil nihilum. Doch hoffenwir, die Berge werden noch einmal kreisen und dann irgend etwas Greifbares, Sub- stantielles und Wertvolles produzieren. Die Lehrer haben alle ihre voile Schul- digkeit getan, haben in seltener Einmii- tigkeit und Kollegialitat gearbeitet, die Sachen vorbereitet, dem Schulrat ihre Wtinsche, Argumente, Vorschlage be- scheidentlich unterbreitet ; der Schulrat hatte nach ernster und eingehender Er- wagung betreffs der Gehaltserhohung eine solche auch in Aussicht gestellt, wie an dieser Stelle gemeldet wurde aber jetzt die Sache endgiiltig fallen lassen weil kein Geld dazu vorhanden ist. Immer die alte Geschichte; fur die Schu- len und die Lehrer ist niemals Geld da. Fur alles andere hat die Stadt heiden- massig viel Geld, manchmal fur Dinge, die gar nicht notig sind. Auch das Ge- halt aller stadtischen Angestellten, von unten bis oben, ist aufgebessert, und zwar meistens nicht mit lumpigen $5.00 den Monat, sondern mit 10, 15 und 20. Unser Herr Burgermeister soil gesagt haben, die Lehrer batten Gehalt genug, sie brauchten keine Erhohung. Recht freundlich von Sr. Ehren! Ja, was kann er auch mit den Schulmeistern ma- chen, die passen nicht in seinen politi- schen Kuddelmuddel und konnen und wollen ihm keine politischen Handlan- gerdienste tun. Und noch dazu die ar- men ,,schoolmams", die haben nicht ein- mal eine Stimme, die sie fur ihn abge- ben konnten! You see?! Doch Herr Rose, die Lehrer konnen warten. Viel- leicht bestatigt sich noch hier einmal das Sprichwort: All things come to him who patiently waits.

Die Pensionsbewegung hat ein bisschen zu spat angefangen. Schade darum! Es war eine vortreffliche Vorlage, welche die Prinzipale in Gemeinschaft mit den Leh- rern ausgearbeitet batten. Aber der Schulrat hatte nicht Zeit und Gelegen-

188

Padagogiscbe Monatshefte.

heit genug gehabt, die Sache zu priifen und ihr geniigend Aufmerksamkeit zu widmen. im Prinzip stimmten die Mit- giieder des Schulrats und der Superin- tendent damit iiberein. Dann war auch die Zeit zu kurz, um die Vorlage noch in dieser Session vor die Staats-Legisla- tur zu bringen, welche sich vielleicht schon in einigen Wochen vertagen wird. Es bleibt also nichts anderes iibrig, als diese Vorlage in zwei Jahren wieder dem Schulrat und dann der Legislatur zu un- terbreiten, und hoffentlich haben wir dann den gewiinschten Erfolg damit. Aber erfreulich ist es doch, dass eine so grosse Majoritat aller Lehrer, mehr wie zwei Drittel, sich mit der Sache selbst einverstanden erklart hat. Man musa bedenken, dass bei den Damen im Lehr- fach, und besonders bei den jiingern und im hoffnungsvollen Alter stehenden, der Ausdruck ,,Pension" einen schrecklichen Klang hat; und so hat man denn einen etwas milderen Ausdruck: ,,Retirement Fund" dafiir gesetzt, ,,wat de siilwe Ge- schichte is", wie ,,der alte Brasig" sa- gen wiirde. A. W.

New York.

Verein deutscher Lehrer von New York und Vmgegend. Die zwei letzten Sitzun- gen unseres Vereins boten den Anwesen- den eine willkommene Abwechselung. Statt der tiblichen Themata philologi- scher, philosophischer oder padagogi- scher Natur schweifte man ins Gebiet der politischen Geschichte und der Tech- nik. Am 7. Marz hielt Herr Professor Tombo, senior, von der Columbia Uni- versitat, einen hochinteressanten Vor-

trag liber Bennigsen, den deutschen Par- lamentarier und gab seinen Zuhorern ei- nen belehrenden Einblick in das innere Parlamentsgetriebe im Beginne des neu- en deutschen Reiches. Herr Tombo kam seiner Zeit als Reichstagsstenograph mit den Koryphiien der verschiedenen Par- teien in nahere Beriihrung. Daher fehlte dem Vortrag auch nicht das anziehende Element der personlichen Erinnerungen. An der darauf folgenden Diskussion nahmen die Herren Dr. Bahlsen, Herzog una Dr. Kern lebhaften Anteil.

Am 4. April gab der gegenwartige Briickenkommissar, Herr Lindenthal, un- serem Vereine in einer ungezwungenen Plauderei ein Bild dessen, was deutsche Ingenieurkunst und deutsche Ingenieure in Amerika geleistet haben und noch lei- sten. Er stellte vor allem der deutschen Griindlichkeit, wie sie auf den techni- schen Hochschulen Deutschlands gepflegt und gelehrt wird, ein gutes Zeugnis aus und wies auf die Eisenbahnen und Briicken bin, bei deren Bau Deutsche in hervorragender Weise tatig waren. Nach dem Vortrage antwortete der Red- ner auf eine Anzahl von Fragen, die sich auf die bestehende und die im Bau be- griffene Brooklyner Briicke bezogen. Besonders interessierte sich Herr Kall- witz fiir die Haltbarkeit der Brooklyner Briicke, da er dieselbe taglich zweimal zu passieren hat. Der Kommissar ver- sicherte ihm, dass bei der gegenwartigen Aufsichtsbehorde er nichts zu befiirch- ten habe, ebenso wenig wie die 120 Mil- lionen, die alljahrlich iiber die Brttcke gehen oder befordert werden. H. Z.

III. Umschau.

New York. Einen gewaltigen Schritt nach vorwarts hat der Schulrat von New York durch seinen Beschluss getan, den aeutschen Unterricht in dem achten Grade der Volksschulen obligatorisch zu machen, ihn also auf gleiche Stufe mit den anderen Fachern des Lehrplanes zu stellen. Dass dies freilich nicht genii- gend ist, wenn der deutsche Unterricht den Erfolg haben soil, den alle sich mit demselben Befassenden erwarten, son- dern dass er so friih als moglich im ersten Grade, ja im Kindergarten zu beginnen habe, haben die P. M. sowohl, als die Lehrertage als Hauptforderung auf ihrem Programm. Auch die Verei- nigung der deutschen Lehrer New Yorks vertritt einen ahnlichen Standpunkt, da- von zeugt dieEingabe an denSchulratNew

Yorks, die ein bemerkenswertes Doku- ment in dem Kampfe fiir unsere Sache ist, und welcher wir von Herzen alien Erfolg wiinschen. Die Petition des Ver- eins hat folgenden Wortlaut:

"We are reliably informed that it is your plan to confine the study of Ger- man to the eighth school year of the new curriculum. Relying upon this in- formation the Association of the Teach- ers of German has decided by an unani- mous vote to petition your honorable board to extend the instruction of Ger- man over the last two school years at least.

We highly welcome your plan of mak- ing the instruction in this branch of study obligatory, and of assigning to it a daily period of forty minutes. But in

Umscbau.

189

reference to the proposed restriction of the period of instruction we respectfully invite your attention to the following points :

First A one-year plan for a modern language in the elementary schools can- not possibly provide for a course, defi- nite, comprehensive in itself and fairly independent of the high school curricu- lum; a course elementary in character and at the same time a hormonious unit.

Second A large percentage of our pupils, frequently for reasons beyond their control, never reach grade 8 A, where the teaching of a modern language is to begin, according to the new plan, and hence, say seventy-five per cent, of the children desirous of receiving in- struction in a modern language will be deprived of this most valuable and ef- fective means of mental training.

Third It is the aim of the modern language course in our high schools not so much to impart a practical introduc- tion and speaking ability of the new tongue, as to acquaint the pupils broad- ly with the grammatical structure and the literary treasures of the foreign idi- om. With elementary schools, on the other hand, it is the admitted object to emphasize the very element eliminated from the secondary school course, viz., the practical instruction. Now it is clear that the practical knowledge of a foreign tongue, involving as it does a speaking and writing ability, cannot be acquired in one year, and can surely never be gained if it is begun at the ad- vanced age contemplated.

Fourth The great importance justly attached to the commercial department of our high schools has found no better expression than that their whole curri- culum is so shaped as to equip young men and women for the higher practical pursuits of modern life and civilization. In modern languages, too, the aim has been rather to make it possible for the students to speak and write, than to merely convey to them a theoretical Knowledge. No student of languages will hold that this great aim of the commer- cial departments can ever be attained unless the foreign idiom is taught far below the high school course and high school age.

We feel that our petition to your hon- orable board would be incomplete if it did not contain our most earnest request to place us on the same footing as the other .special branches, such as manual training, music, etc., by giving us a di- rector for our special branch."

Der Schulrat von New York hat fur die Wintersaison 1903 4 einen Vorle- sungskursus in deutscher Sprache be- schlossen, der vornehmlich fur Erwach- sene bestimmt sein soil.

In West-Virginien ist ein Gesetz, wel- ches den Schulzwang fordert, mit der Begriindung verworfen worden, dass es die Industrien Wheelings schadigen wiirde, wenn diese auf die Kinderarbeit in ihren Fabriken verzichten miissten.

Prof. Ernst A. Eggers, Vorsteher dea deutschen Departements an der Staats- universitat zu Columbus, O., beging am. 10. vorigen Monats Selbstmord. Er war seit 1882 an der gen. Anstalt tatig.

Chicago. Unter vorziiglicher Begriin- dung hat die Vereinigung der Schulprin- zipale Chicagos um die Abschaffung aller Schiilerpreise ersucht. Die Griinde deftir sind folgende:

"While the prospect of a prize has no effect upon the class as a whole, it acts as a spur to the few who need rather a curb.

The prospect of a prize at the end of the year makes necessary the keeping of very minute records, thus taking the time and strength of the teacher from tne work she is engaged to do, namely, teaching.

It tends to awaken the spirit of envy and jealousy among those near the head of the class, making what snould be their happiest days filled with bitterness and spite."

Saginaw. Philipp Huber, Superinten- dent des deutschen Unterrichts und Pro- fessor des Deutschen an der Hochschule zu Saginaw, ist vom Schulrate fiir das Amt des Siiperintendenten der offentli- chen Schule Saginaw (W. S.) auserse- hen worden. Diese Stelle wird mit dem 1. Juli durch die Resignation des bishe- rigen Inhabers vakant. Wir gratulieren herzlich und wiinschen vielen Erfolg! D. R.

Preussen. Im Staatsvoranschlage fiir 1903 fordert die preussische Regierung 120,000 M, als erste Rate fiir die Welt- ausstellung in St. Louis und begriindet diese Forderung wie folgt: ,,Fiir die im Jahre 1904 stattfindende Weltausstel- lung in St. Louis ist eine, das Unter- richtswesen aller ausstellenden Kultur- nationen zusammenfassende Ausstellung in besonders grossartigem Massstabe und in einem eigenen Gebaude in Aussicht genommen. Nachdem die Reichsregie- rung die Einladung der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zur Teilnahme an der Weltausstellung ange- nommen hat, wird angesichts des beson-

190

P'ddagogiscbe Monatsbefte.

deren \Vertes, der von den massgebenden Stellen auf die Beteiligung Deutschlands an dieser Ausstellung gelegt wird, beab- sichtigt, neben der Veranstaltung einer Kunst und Gewerbeausstellung, die Lei- stungen auf dem Gebiete unseres gesam- ten Unterrichts- und Erziehungswesens in geeigneter Auswahl und nach ihrem neuesten Stande zur Veranschaulichung zu bringen. Vorzugsweise wird es sich darum handeln, das Werden und Wirken der Universitaten und sonstiger Hoch- schulen, sowie der damit im Zusammen- hange stehenden wissenschaftlichen An- stalten, einschliesslich der Bibliotheken, in umfassender Weise vorzuffihren. Au- sserdem wird aber in beschrankterem Umfange auch das hohere und niedere Unterrichtswesen durch geeignete und mustergiiltige Darbietungen fiber die Entwickelung und den gegenwartigen Stand zu beriicksichtigen sein. Nach den Erfahrungen der Unterrichtsausstellung in Chicago 1893 wird es bei geeigneter Heranziehung der gewerblichen Interes- senkreise zur wirksamen und erfolgrei- chen Durchf iihrung des Unternehmens Beschaffung von Ausstellungsgegenstan- den, Transport und Versicherung der- selben, Einrichtung der Ausstellung, Lei- tung derselben etc. eines Kostenauf- wandes von rund 300,000 M. bedttrfen, wovon fur das Rechnungsjahr 1903 als erste Rate 120,000 M. bereit zu stellen sind."

Die kleinste offentliche Schule im Deutschen Reich wurde zu Ostern auf der Hallig Nordstrandisch Moor im schleswig-holsteinischen Wattenmeer er- b'ffnet. Das Eiland, das die Staatsregie- rung durch Dammbauten vor dem Unter- gang zu bewahren sucht, hat im letzten Jahrhundert stetig abgenommen. Dem- entsprechend sank auch die Zahl der In- selbewohner, und vor einigen Jahren ging die Schule ein, da keine schulpflich- tigen Kinder mehr vorhanden waren. Der FOrsorge der Regierung ist inzwi- schen die Landfestmachung der Insel durch einen Verbindungsdamm gelungen.

Die Warf, auf der das Schulhaus steht, wird wieder bewohnt, und ein geprilfter Lehrer und zwei Schiller ziehen Ostern ein.

Philipp Reis, der Erfinder des Tele- phons, war bekanntlich ein Lehrer. Der Frankfurter physikalische Verein, dem Reis seinerzeit als Mitglied angehorte, setzt ihm in Frankfurt ein Denkmal. i>asselbe besteht aus einem Steinsockel, auf dem sich die Biiste des genialen Er- finders erhebt. Zu beiden Seiten des Sockels sind zwei Knabenfiguren ange- bracht, welche in telephonischer Unter- haltung begriffen sind. Die Gartenlaube bringt in ihrer Nr. 9 eine Abbildung des Denkmals.

Die Zahl der Deutschen in Europa wird im Lehrbiichlein der vergleichenden Zahlenkunde von Beringer in Berlin auf 68 Millionen geschatzt. Die Zahl erreicht 76,536,000, wenn man die Hollander und die Vlamen hinzuftigt. Davon kommeu auf Deutschland 52,113,000, Osetrreich 8,662,000,Ungarn 2,133,000 (eher mehr), Bosnien 80,000, Schweiz 2,083,000, Russ- land 2,000,000,Holland 5,094,000, Belgien 3,420,000, Frankreich 500,000, England 100,000.

Greifswalder Ferienkurs. (X. Jahr- gang. ) Der heurige Kurs findet an der Universitat Greifswald vom 13. Juli bis 1. August statt und zwar ffir Lehrer und Lehrerinnen. Die Vorlesungen werden an den Wochentagen ausser Donnerstag (mit wenigen Ausnahmen) nur vormit- tags gehalten. Am Schlusse des Kurses werden itesuchsbescheinigungen ausge- stellt. Die Begrussung fallt auf Sonn- tag, den 12. Juli, halb 9 Uhr abends (Aula des Gymnasiums). Gemeinschaft- hche Ausfliige an die Ostseekiiste und nach der Insel Riigen. Fur Wohnungen findet sich eine Auskunftsstelle auf dem Bahnhofe. (1 Zimmer 18—25 M. wo- chentlich bei voller Pension, ohne Pension 5 10 M. Auskunfte erteilt un- ter der Adresse ,,FerienkurseGreifswald" Prof. Dr. Bernheim in Greifswald, Brinkstr 71, I.

Bucherschau.

I. Biicherbesprechungen.

Ludwig Fulda. Der Talisman. Dra- matisches Marchen in vier Aufzttgen. Edited with introduction and notes by Edward Stockton Meyer, Ph. D. New York, Henry Holt and Co., 1902. XLI+ 171 Ss.

Fuldas Talisman erschien in der Buch-

ausgabe zuerst 1892 und ging im Febr. 1893 zum erstenmale fiber die Bretter. Welche Buhnenerfolge das Stfick in den ersten Jahren seines Daseins erzielt hat, ist mir unbekannt; angesichts des Um- standes jedoch, dass es nach Breitkopf und Hartels deutschem Spielplan inner-

Bttcberbesprecbungen .

iialb der letzten drei Jahre insgesamt nur fiinfzig Auffiihrungen erlebt hat und ebenda unter des Verfassers Dramen je- weils erst an vierter bis neunter Stelle genannt wird, erscheint mir die sowohl in Meyers als auch in Prettymans (vgl. P. M. Ill, S. 360) Ausgabe enthaltene Darstellung, der Talisman sei Fuldas be- deutendsterBiihnenerfolg, recht befremd- lich. Desgleichen mochte ich Prof. Mey- ers Angabe iiber den Einfluss des Stiik- kes auf Hauptmann und Sudermann ernstlich in Zweifel ziehen; mir wenig- stens will die Annahme, die Versunkene Glocke sei mit dem Talisman geistesver- wandt und direkt unter dessen Einfluss entstanden, ganz und gar nicht einleuch- ten; das Marchenspiel lag damals sozu- sagen in der Luft und war der naturge- masse Riickschlag gen den (ibertriebenen Wirklichkeitskult. Zudem ist der Talis- man gar kein Marchendrama im Sinne der Versunkenen Glocke; und die Be- zeichnung ,,Dramatisches Marchen" ist iiberhaupt kaum angebracht fur ein Stiick, das abgesehen von dem Glauben eines ganzen Volkes an die Moglichkeit der Herstellung eines unsichtbaren Ge- wandes keinerlei Marchenelemente ent- halt. Der zugrundegelegte Stoff ist eine in den Motiven vertiefte Eulenspiegelei, ein Schwank; zum Marchen konnte ihn erst die wirkliche Herstellung des Klei- des mit den wunderbaren Eigenschaften machen.

Ein kostliches Stiick aber ist der Ta- lisman, und die ihm auf der Textliste aes Zwolferausschusses zugewiesene Stel- le verdient er. Nur will es mir scheinen, als ob Prof. Meyer in der an und f iir sich Ib'blichen Herausgeberbegeisterung die Bedeutung des Stiickes und damit auch die Stellung seines Verfassers weit iiber- schatzt hatte. Und eine Einleitung von 42 Seiten da wir ihres Inhaltes wegen billigerweise auch Vorwort und Anhang dazu zahlen milssen ist, selbst mehr- fache wortliche Wiederholungen abge- rechnet, fiir den Talisman zu umfang- reich.

Gar nicht befriedigt hat mich die Dar- stellung der politischen Satire im Talis- man, tfberhaupt diinkt es mich zweifel- haft, ob in einer amerikanischen Schul- ausgabe bei der hierzulande mannigfach verbreiteten irrigen Ansichten iiber den Karakter KaiserWilhelms II. diese ganze Darstellung nicht besser unterlassen oder wenigstens mit ein paar Worten abgefer- tigt worden ware. Dass das Stiick, das ich ohne Kenntnis der Zeit und Geschich- te seiner Entstehung gelesen hatte, eine Satire fcuf Kaiser Wilhelm sein sollte, -erfuhr ich erst aus Prof. Meyers schnei- diger Verurteilung der Prettyman'schen

Ausgabe (Modern Language Notes 1902, col. 436 ff. ) und der Einleitung zu seiner eigenen. Ich kann nicht laugnen, dass mir diese Auffassung, deren Richtigkeit ich ja keineswegs bestreite, bei wieder- holtem Lesen den Genuss griindlich ge- stort hat. Nicht etwa, als ob ich als besonderer Verehrer Sr. Majestiit dem Dichter das Vergniigen missgonnte, die Person des Monarchen in die Diskussion zu ziehen, ohne mit dein Staatsanwalt in Konflikt zu kommen. Aber ich kann den Gedanken nicht los werden, mit Omar sei am Ende gar Herbert Bismarck gemeint und Omar passt auf Herbert und Gandolin auf den grollenden Ein- siedler im Sachsenwalde wie die Faust aufs Auge. Und so iiberhebend wie die- ser Astolf der ersten drei Aufziige war der Kaiser nicht einmal in dem Augen- blicke, da er das bekannte Lex suprema regis voluntas ins Goldene Buch eintrug. Sollte iibrigens die Karakterentwicklung Kaiser Wilhelms an dem abnehmenden Biihnenerfolge des Talisman schuld sein, so ware das ein vorziigliches Beispiel dichterischer oder vielmehr geschichtli- cher Gerechtigkeit. Was mir an Mey- ers Darstellung unverzeihlich vorkommt, ist ein Ausdruck wie,,the stolid stubborn- ness of brutal violence" mit bezug auf den eisernen Kanzler; das klange schon in einer politischen Brandrede anstossig und gehort nicht in ein Schulbuch. Dass vers 239 41 (,,Und Gandolin, der nie geschont sein Blut, der in dem Kampfe mit den Heiden einst uniiberwindlich war geblieben") fiir den deutschen ,,Hass" gegen die Franzosen karakteristisch sei, kommt mir auch merkwiirdig vor; si- cherlich wird kein unbefangener Zu- schauer oder Leser aus dem Worte ,,Hei- den" eine Schmahung der Gegner von 1870 heraushoren; so etwas heisst den Bogen allzu straff spannen. Und denkt sich Prof. Meyer die nachste Umgebung des deutschen Kaisers im Ernste aus sol- chen Schurken und Speichelleckern zu- sammengesetzt, wie S. XXXII es vermu- ten lasst? Die Behauptung, seit den Tagen des Aristophanes habe die Biihne nie wieder solch eine scharfe politische Satire gesehen als der Talisman, ist zum mindesten iibertrieben; gegeniiber Beau- marchais' Figaro und Augiers Le Fils de Giboyer ist FuldasDrama ausserst zahm, und an tiefliegendem Einfluss kann es sich mit beiden entfernt nicht messen.

In noch einem Punkte kann ich mich mit Prof. Meyers Behandlung des Stoffes nicht befreunden, und das ist die Art, wie er iiberall im Drama Beziehungen zu anderen Literaturwerken aufzudecken sucht. Derartige Einfliisse, offenkundig oder versteckt, zu verfolgen scheint nach-

192

P'ddagogiscbe Monatshefte.

gerade zum guten Ton in literarischen Arbeiten aller Art zu gehb'ren, kann aber doch nur in den Handen wenig Berufe- ner fruchtbar und segensreich werden. In Meyers Ausgabe mochte ich den gan- zen langen Paragraphen auf S. XXXV f. gestrichen sehen. Zum grossten Teile sind die daselbst angezogenen Parellelen (aus Grillparzer, Leasing, Schiller, Goe- the, Sudermann, Shakespeare, Kleistund Richard Wagner) ohnenin In den Anmer- kungen fast wortlich wiederholt; und einige derselben sind mit Gewalt in das System eingepresst. Wozu soil man zur Erklarung der Worte des alten Habakuk Z. 194: ,,Die Sorge? Nein, die kommt ihm nicht heran" (als Antwort auf Omars ,,Meinst du, der Konig kennt die Sorge nicht?") die vier grauen Weiber aus Faust il, 11,384 ff., beschwb'ren und budermanns ,,Frau Sorge, die graue, ver- schleierte Frau" an den Haaren herbei- schleppen? Wer da litterarische Ein- fliisse wittert, konnte ebensogut einem deutschen Bauer, in dessen Mund Haba- kuks Rede Wort fur Wort keineswegs auffiele, eine intime Bekanntschaft mit dem zweiten Teil des Faust zutrauen. Geradezu geschmacklos aber ist es, bei Habakuks Flehen um Schonung Ritas auch nur entfernt an Tells ohnmachtig flehend Ringen vor Gessler erinnern zu wollen; die beiden Szenen haben nicht das Geringste gemeinsam. Dadurch wird ein an sich wertvoller und fruchtbarer Gedanke zu Tode gehetzt und eine be- rechtigte, massvolle Vergleichung in Ver- ruf gebracht.

Zu den Anmerkungen hatte ich nur we- nig zu sagen. Im Personenverzeichnis sind die Namen Berengar (deutsch) und Diomed (griechisch) als orientalisch (d. h. doch wohl arabisch, persisch oder in- disch) angegeben; auch Astolf scheint germanischen Ursprungs zu sein. Z. 165: Die aus Grillparzer angefuhrte Stelle steht daselbst in ganz anderm Zusam- menhang; Beeinflussung scheint ausge- schlossen. Z. 555 und 1801 : Die bos- hafte Anspielung auf die vielen hundert Kleider passt ebensogut auf einen andern europaischen Monarchen, den Abgott der amerikanischen Stutzer. Z. 639: Wenn schon verwandte Dichterstellen beigezo- gen werden mussten (was hier wieder ganz unnb'tig war), so war auch einVer- weis auf Lessings Nathan, Z. 1889 f.,

angebracht. Z. 912. Sprach man von der Ahnlichkeit zwischen Gretchen und Rita (beilaufig, ist Rita nicht die Abkiir- zung von italienisch Margherita ? ) , so musste man auch mit einem Worte die grundverschiedene Karakteranlage der beiden beruhren. Z. 1069 ff.: Die Stelle aus Grillparzer, Der Traum ein Leben, Z. 1629 (1639 ist Druckf ehler ) , ist wie- der aus dem Zusammenhang gerissen. Eher scheint mir eine Erinnerung an das altbekannte Marchen vom falschen Prin- zen vorzuliegen, wo der Betriiger sich ge- rade dadurch entlarvt, dass er mit Na- del und Schere umzugehen versteht. Z. 1080: Schwerenot ist grundfalsch er- kliirt; siehe Pauls deutsches Worterbuch. Z. 1275: Der hier gegebene Ausspruch Ludwigs XIV. ist mir unbekannt (le in diesem Zitat ist Druckfehler f iir la) ; meint der Herausgeber nicht das beruhm- te ,,L'Etat c'est moi"? Z. 1597: Die betreffenden Parteien kennt man als die Rechte und Linke (nicht: Rechts und Links ) . Mit der Linken sind aber ge- wiss nicht die Liberalen, sondern die frei- sinnige, die Fortschritts- und die sozial- demokratische Partei gemeint. Z. 1894: stiirbe, wiirbe, wtirfe u. s. w. sind keineswegs am Aussterben, sondern die Regel. Z. 1915: Das Morgen ist na- tiirlich kein ,,angenommener aber nicht existierender Infinitiv", sondern das sub- stantivierte Zeitadverb, wie schon ein Blick auf das ewige Gestern in Z. 1917 zeigt; iibersetze: the morrow. Fiir un- notig halte ich die weitschweifigen Eror- terungen in den Anmerkungen zu Z. 420, 806 und 1437. Der S. VIII, Z. 4 be- ginnende Satz ist ohne Anpassung an das neue Jahrhundert unverandert aus einem friiheren Aufsatze des Herausge- bers heriibergenommen worden.

Druckfehler habe ich ausser den schon bezeichneten an folgenden Stellen ver- merkt: S. XVI, Z. 13 lies Nietzsche; XXIX, 19 1. deceive; XXXVII, 8 1. impos- sibilities; XXXIX, 10 v. u., 1. exhilarate; Z. 39, 1. wir; Z. 1903, Punkt nach ver- lassen; S. 149, Z. 14, 1. wiirde; 153, 10 v. u., 1. villain; 157, 9 v. u., 1. neidge- sch well ten; 160, 12 v. u., 1. geliebet.

Die Ausstattung des Buches lasst nichts zu wiinschen ubrig.

University of Wisconsin.

Edwin C. Roedder.

II. Eingesandte Biicher.

An Introduction to the History of Western Europe by James Harvey Rob- inson, Professor of History in Columbia University. Ginn & Co., Boston. 1903.

Chemical Exercises for Class Room

and Home Study. By Rufus P. Willi- ams, Teacher of Chemistry in the Eng- lish High School, Boston, and Author of Elements of Chemistry, Chemical Expe- riments, etc. Boston, Ginn & Co. 1903.

Padagogische Monatshefte.

PEDAGOGICAL MONTHLY.

Zeitschrift fur das detitschamerikanische Schulwesen.

Organ des

Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.

Jahrgang IV. Junl 1903. Heft 7

Ferienzauber-Wandergliick.

,,Hurrah, die Schule ist nun aus", Ruft laut die Kinderschar. Nun wandern in das Land hinaus Magister und Scholar.

Die liebe Sonne scheint so hell, Der Vogel singt sein Lied, Es murmelt traulich jeder Quell, Und alles grunt und bliiht.

Und alles scherzt und singt und lacht Und jauchzt aus voller Brust, Und ehe Du es Dir gedacht, Erfasst Dich gleiche Lust.

Du schwingest jubelnd Deinen Hut Hoch in die blaue Luf t : ,,O Gott, wie tut das Wandern gut Bei Sang und Bliitenduft."

Drum wandre, wer nur wandern kann, Ins grime Land hinaus : Du kehrst, o lieber Wandersmann, Als neuer Mensch nach Haus.

Edward Muellr-Langfuhr.

Nationaler Deutschamerikanischer Lehrerbund.

Aufruf zur Beteiligung an der 33. Jahresversammlung in Erie, Pa., 30. Juni, 1. 2, und 3. Juli 1903.

(Offiziell.)

Zum erstenmale seit dem Bestehen des Lehrerbundes findet unsere Jahresversammlung in Erie statt. Fur die Vortrage sind tuchtige Krafte gewonnen, und der Ortsausschuss wird alles tun, was er vermag, um den Besuchern den Aufenthalt in unserer Stadt zu einem angeneh- men zu machen.

Erie ist fur eine Konvention ausserordentlich giinstig gelegen; denn es ist vom Osten sowohl als auch vom Westen leicht zu erreichen. Die Stadt bietet mit ihrer ,,Presque Isle Bay" mancherlei Erinnerun- gen an historische Ereignisse. Das Klima ist daselbst auch im Hoch- sommer ein angenehmes, und fur die Bequemlichkeiten der Gaste wird in Erie wohl gesorgt werden.

Man findet hier ein kraftiges, gesundes Deutschtum, und die Pflege der deutschen Sprache in der Volkschule erfreut sich eines gliicklichen Gedeihens.

Wir richten an alle Lehrer und Freunde der deutschen Sprache und des deutschen Unterrichts die dringende Bitte, den Lehrertag recht zahlreich zu besuchen; nur dann konnen wir Erspriessliches leisten. Vieles ist schon geschehen, aber es bleibt noch manches zu tun iibrig.

Alle Anfragen bittet man an den Prasidenten des Lehrerbundes zu

richten.

Der Bundesvorstand. G. G. v. d. Groeben, President, Erie High School, Erie, Pa.

Die Deutschen Eries sehen mit Freuden dem Besuche des Lehrerbun- des in ihren Mauern entgegen.

Die deutsche Sprache und das deutsche Lied haben hier eine wahre Heimstatte gefunden, und die Anwesenheit so vieler Mitkampfer auf die- sem Gebiete wird uns mit neuem Mut und neuer Begeisterung im Kampfe fur die Erhaltung der teuren Muttersprache erfiillen.

Wir Deutsche hier werden tun, was in unsern Kraft en steht, den Be- suchern den Aufenthalt so angenehm zu machen, dags alle sich mit Ver- gniigen dieser Stunden erinnern werden.

Die zentrale Lage Eries, sein schones Klima im Sommer machen es zu einer ausserordentlich giinstigen Konventionsstadt, und wir hoffen, recht viele Gaste bei uns begriissen zu konnen.

Der Ortsausschuss.

G. Gorensto, Vorsitzer. E. Lohse, Sekretar.

Nationaler Deutscbamerikanischer Lebrerbund. 195

Program m.

Dienstag, 30. Juni. Abends 8 Vhr Eroffnungsfeier in der Mannerchorhalle (State Str.)

Begriissungsansprachen des Vorsit/enden des Ausschusses, des Biirgermeistera und verschiedener Mitglieder der Schulbehorde. Gesang des Mannerchors. Eroffnung des Lehrertages durch den Bundesprasidenten. Gemtttliche Unterhaltung in den Raumen de Mannerchorhalle.

Mittwoch, 1. Juli.

Vormittags 9 Uhr. Erste Hauptversammlung. Samtliche Hauptversammlungen linden im Auditorium der Hochschule (10. und Sassafrasstrasse, Eingang von der 10. Strasse) statt.

1) Geschaftliches. (Berichte der Beamten. Erneuerung und Erganzung von Ausschiissen) .

2) Vortrag: Die Realien im deutschen Sprachunterricht Prof. Ernst Wolf, High School, Saginaw, Mich.

3) Bericht der Seminar-Priifungskommission.

4) Vortrag: Unsere Normalschulen und einige Vorschlage . zu ihrer Verbesse- rung Prof. J. Barandun, Pittsburg, Pa.

Nachmittags Besuch der Bibliothek des Soldatenheims und einiger anderer Se-

henswiirdigkeiten. Abends Sommernachtsfest. Grove House Park am Seeufer.

Donnerstag, 2. Juli. Vormittags 9 Uhr Zweite Hauptversammlung.

1 ) Geschaftliches.

2) Vortrag: Deutsche Frauenschriftstellerei von gestern und heute Prof. Otto Heller, Ph. D., Washington University, St. Louis, Mo.

3) Etwaige Komiteeberichte.

4) Vortrag: Das deutsche Volkslied in der Volksschule Frau Mathilde Grossart, Case School, Cleveland, O.

Nachmittags : Ausflug.

Abends 8 Vhr, im Auditorium der Hochschule: Musikalisch-literarische Abendun- terhaltung unter giitiger Mitwirkung des Mannerchors und des ,,Glee Clubs" und ,,Girls' Chorus" der Hochschule. Festrede: Die deutschamerikanische Dichtung Dr. H. H. Fick, Cincinnati.

Freitag, 3. Juli. Vormittags 9 Uhr Schlussversammlung .

1 ) Geschaftliches.

2) Vortrag: Ein Bruch mit der tfberlieferung August Prehn, Ph. D., Co- lumbia Grammar School, New York.

3) Vortrag : The Direct Method as a Basis for Literary Interpretation.— Prof. W. W. Florer, Ph. D., University of Michigan.

4) Berichte der verschiedenen Ausschiisse.

5) Vorstandswahl.

6) Vertagung. Nachmittags Besichtigung der Stadt.

Abends Abschiedskommers in der Mannerchorhalle.

N. B. In dem Nachmittags- und Abendprogramm konnen eventuell kleinere Veranderungen eintreten.

196 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

Einquartierung : Die beiden gr5sseren Hotels in Erie sind das ,,Reed House" ($2 $4) und ,,Libell House" ($2, mitBad $2.50). Das erstere Hotel ist ganz neu renoviert und kann 300 und mehr Gaste unterbringen ; das letztere 100 150. Von kleineren Hotels sind zu empfehlen: Park View Hotel, 30 40 Personen ($1.50) ; Wilson House, National Hotel und Moore House ($1.50 $2).

Alle Anfragen bitte zu richten an:

G. G. v. d. Groeben, P. O. Box 35, Erie, Pa.

Mit den Eisenbahnen ist kein allgeraein giiltiges Abkommen getroffen worden, da die Erfahrung gelehrt hat, dass die einzelnen Delegationen von ihren Eisenbah- nen billigere Fahrpreise erhalten konnen, als sie der Bundesvorstand auszuwirken vermag. Doch ist anzuraten, sich von ihren Eisenbahnen ein Zertifikat ausstellen den Besuchern lassen, um wenn moglich, doch noch eine Reduktion des Fahrpreiseg auswirken zu konnen, wenn 100 solcher Zertifikate zusammenkommen.

Am vierten Juli gehen von Erie aus nach den Niagaraf alien Extraziige, auf welchen die Fahrkarte fiir Hin- und Riickfahrt $1.75 kostet.

An die Chicagoer Kollegen und Kolleginnen, die sich an dem Lehertage beteiligen wollen, richtet Herr M. Schmidhofer (601 Newport Ave., Chicago, 111.,) die Bitte, mit ihm sich beziiglich der Aufstellung eines gemeinsamen Reiseplanes in Verbindung zu setzen.

An die Mitglieder des

Nationalen Deutsch amerikanischen Lehrerseminar - Vereins.

Die regelmassige Generalversammlung des ,, Nationalen Deutsch- amerikanischen Lehrerseminar- Vereins" findet am

Freitag, den 26. Juni 1903, vormittags 9 Uhr,

im Seminargebdude (558-568 Broadway) statt.

Ausser den gewohnlichen Routinegeschaften liegt die Erwdhlung •von 5 Verwaltungsrdten auf 3 Jahre an die Stelle von C. C. Baumann, Davenport, C. O. Schonrich, Baltimore, Hermann Lieber, Indian- apolis,— Albert O. Trostel und Albert Wallber, Milwaukee, vor, deren Amtszeit mit dem Schluss der Generalversammlung zu Ende geht, sowie die Wahl eines Verwaltungsratsmitgliedes auf 2 Jahre an Stelle von Henry Mann, welcher resignierte.

Die regelmassige Versammlung des Verwaltungsrats findet am 25. Juni d. J., nachmittags um 4- Uhr, in Seminargebdude statt.

Milwaukee, Wis., 4 Mai 1903.

Der Vollzugsausschuss des N. D.-A. Lehrerseminar- Vereins :

Louis F. Frank, Prdsident, Albert Wallber, Sekretdr.

The Educational Value of Modern Languages.

A Paper Written for the California High School Association.

By Valentin Buehner, Teacher of Modern Languages, High School, San Jose, Cal.

In his lecture on the study of modern languages before the Modern Language Association in 1889, James Russell Lowell says that before 1808 there was at Harvard University no regularly appointed tutor in French, but a stray Frenchman was caught now and then, and kept as long as he could endure the baiting of his pupils. If he failed as a teacher, he commonly turned dancing master. By hook or by crook some enthusiasts managed to learn German, but there was no official teacher until about 1825, when Dr. Follen was appointed. Another old Harvard student relates that it was with no little difficulty that a volunteer class of eight was formed. They were looked upon with very much the amaze- ment with which a class in some obscure dialect of the remotest Orient would now be regarded. But to-day, all this has changed. There are now at Harvard University more professors and assistants employed in teaching modern languages than there were students of them when these men attended college.

Many causes have worked together to bring about this change. Mod- ern inventions, such as the railroads, steamships and the telegraph have annihilated distance. The immense progress in the manufacturing indus- tries has made it desirable to enter the markets of the world. The unusual activity in all departments of science and learning has made it necessary to knew the chief European languages, so as to be in closer touch with the new discoveries and theories that are continually advanced by the scholars of the various nations. Not the least cause, however, of the greater esteem in which the modern languages are held, has been their being themselves raised to a higher level through the investigations and achievements of modern philology. While before the great labors of Grimm and others, only the classical languages were considered worthy of the attention of scholars, it has since then been found that in the modern languages, philology first gathers its real blossoms and fruits. The growth of the languages could only then be traced to its ultimate conclusions, when the modern languages were made the starting point as well as the culminating point of philological investigations.

The question immediately before us to-day is, what claim have the modern languages to be made an integral part of the secondary school

198 P'ddagogische Monatshefte.

course? Our commercial age clamors for a practical education, an edu- cation that will assist the student to enter the race in the struggle for existence with a chance to compete successfully with his fellow-compet- itors. In my opinion, the schools should not too readily yield to this clamor, but should rather assume a conservative attitude; for it is they that link the present to the past as well as to the future. They should, therefore, look farther than the immediate demands of the present time. They cannot make it their object primarily to turn out artisans, or artists, or scholars, or professional men, but they must direct their efforts toward producing all round human beings, educated up to the culture of the present day. The education for special callings must follow the general training.

It is remarkable, however, how few of the patrons of our schools look at education in this way. With them, the "bread and butter" question is the most important and demands recognition. The interest which the common man takes in education, especially in this country with its democratic institutions, has gradually caused the schools to come in closer touch with actual life. It is, therefore, desirable that the subjects taught at school should have a practical as well as an educational value.

The modern languages answer these requirements in an eminent de- gree. They give the student a valuable linguistic discipline by making him compare the idioms and constructions of his own language with those of the foreign tongue. They open up to him a beautiful literature and the thoughts and sentiments of another race, and thus enrich his own soul and intellect. They make him more broad minded by teaching him that there are other races who have fought the battle of existence and of civilization outside of his own, and that there are other nations beyond the confines of his own who have written pages of history.

Of the practical side we need say little here. The commercial spirit which has entered the lists of the world in the conquest of new markets takes care of that. We will only say that the professors in our univer- sities find it necessary to direct their students to study the modern languages, if they would do the best work in their different depart- ments.

With the growing importance of the modern languages, there has taken place a corresponding development in the methods of teaching them. At first they were taught either without any system whatever, merely with the object of learning to speak them, or they were taught in the same manner as the dead languages. Then there were the adherents of the "natural method," who promised to make the learning of the lan- guage as pleasant and as facile as the child learns its mother tongue. But by this method, only superficial results were produced.

The Educational Value of Modern Languages. 199

In Europe, the advocates of the phonetic method have found many followers within the last few decades.

But of late there has been a revulsion from all of these special meth- ods. It is now recognized by the most advanced educators, that the study of a foreign language must at the same time furnish linguistic discipline, i. e., it must give the student a better command of his own mother tongue. The severe drill of the ancient languages must be com- bined with the advantages which the modern languages offer as such. To this end, the grammatical laws of the language are made the basis of instruction; with this is combined drill in the spoken language; the student is introduced into the foreign literature as early as possible, and his literary taste is appealed to and developed ; he is made acquainted with the manners and customs of the people whose language he studies by being brought in direct contact with their modes of feeling and thinking; all kinds of helps, such as illustrations, maps, etc., are used to enliven the instruction; in short, "Let there be Life!" is made the watchword, in order that the student's interest may be aroused to the highest pitch ; for it is recognized that interest is the soul of pedagogy, but not the least important of all, his conception of the human race is broadened by making use of the achievements of modern philology; the history of words and their changes in form and meaning are occasionally brought to his atten- tion, the close relation existing between English and other European tongues is made clear, and he learns the important fact that language is not something dead and petrified, but that it is a living and ever growing organism.

These are, in brief, some of the aims of modern language teaching, and it is apparent that such teaching and such learning possess a high disciplinary value. But to teach the languages with such results, we need competent teachers. It is only too true that in the past the modern lan- guages have too often occupied the position of a step-child in the school course. Any one that could speak a few words in the foreign tongue, or had acquired it by some lightning process, perhaps in a six weeks' course, or had taken it a year or two at the university, was considered good enough to teach the class. On the other hand, no other teacher is so readily criticized as the teacher of modern languages. Anybody that has a smattering of the language or knows some dialect of it, considers him- self called upon to find fault with the teacher's accent, and everybody claims to know much better than the teacher by what method he should teach. What we need, then, is teachers who are masters of their subject, who have a thorough knowledge not only of the grammar of the lan- guage, and who can speak it, but who also have a good literary and philological training, as well as a liberal education in other branches. Such teachers will not be easily swayed by criticism, for they know what they

200 P'ddagogiscbe Monatshefte..

want, and they are confident that the results of their teaching will be generally satisfactory in the end.

Some of the arguments advanced in favor of the study of foreign lan- guages apply as well to the study of the ancient languages. But we think that the modern languages have a few advantages over the ancient languages, from an educational as well as from a practical standpoint. They come nearer home; we find in them modern life and modern ideas brought down to the present day and not a life and ideas removed from us by thousands of years ; they are more or less similar in construction, and very much simplified as compared with the ancient languages, and for that reason, because we proceed from the nearer to the more remote, the student makes better progress in them and sooner obtains actual results. The argument that Latin should be studied before the modern lan- guages because it makes the acquisition of the latter easier, is unpedagog- ical, for it causes the pupil to proceed from the more complex to the simpler. It often happens that, on account of the wide gap existing be- tween English and Latin, the student is discouraged and abandons all language study forever. A modern language is a much better and more reasonable introduction to Latin than vice versa. This is recognized in the secondary schools of Europe, where the tendency is to begin with a modern language, and it has been found that, under those circum- stances, as much is now accomplished in Latin in six years as formerly in eight.

It is to be regretted that the study of modern languages is not more encouraged by our State University, but on the contrary is discouraged by discriminating in favor of the ancient languages. The present en- trance requirements compel smaller high schools who can afford to teach but one foreign language, to decide upon Latin, in order to enable their graduates to enter the chief departments of the university, when a modern language would be of much greater benefit to the majority of the students, and much more acceptable to the community. Some of the eastern universities have for these and other reasons removed Latin from the list of subjects prescribed for admission. We representatives of modern culture ask nothing unreasonable ; all we ask is, that the mod- ern languages be given a fair chance, and that they be placed on an equal footing with the ancient languages, and we are confident that the relation between them will in time adjust itself.

In conclusion I wish to refer to a conference of principals and teachers of secondary schools which has recently been held in Cleveland, Ohio, and which has adopted the following recommendations: The triennium should be made the basis of the school system ; the primary and grammar schools should consist of three years each; then there should be a lower and an upper high school of three years each; the college course giving

Arno Hol{. 201

the degree of A. B. should be three years ; special studies and post-gradu- ate work should then be pursued for three years more, leading up to the degree of Ph. D. (The secondary schools of France have recently been re-organized on the same basis.) The conference further recom- mends that a modern language should be begun in the first year of the lower high school, and Latin in the third ; Greek should be taught at the college. These seem to be very good suggestions, and it seems desirable that we should work toward the end of obtaining such a well organized educational system.

I close with a plea that the modern languages be given a proper place in the school course, and that they be put in the hands of teachers who are well prepared for their work, and we are confident that they will win for themselves the position which they by rights ought to occupy.

Arno Holz*.

(Fttr die Padagogischen Monatshefte.)

Von O. E. Leasing, Ph. D., Smith College.

(Fortsetzung und Schluss.)

War Arno Holz bis dahin ein ,,naiv schaffender" Ktinstler gewesen, so schien er sich jetzt in theoretischen Spekulationen verlieren zu wollen. Er ging daran, sich durch den Berg der bestehenden Asthetik durchzuarbeiten, um in das gelobte Land der wahren Kunst zu gelangen. Er wurde Stammgast in der Bibliothek. Er studierte sowohl Aristoteles, Leasing und Winkelmann, als Mill, Comte, Spencer, Taine und Zola. Man hat in diesem seinem Theoretisieren eine Schwache ktinstleri- acher Veranlagung sehen wollen. Sehr mit Unrecht. Gerade die bedeutendsten Klinstler sind in ihrer Entwicklung immer an einen Punkt gekommen, wo sie sich tiber ihr Schaffen Rechenschaft gaben, wo sie sich durch theoretische Studien die Grundlagen zu reicherer Tatigkeit zu bauen suchten: Lionardo da Vinci, Albrecht Dtirer, Schiller, Goethe, Hebbel, Ludwig, um nur einige zu nennen.

In einem ausserordentlich anschaulich geschriebenen Buch Die Kunst, Ihr Wissen und Ihre Gesetze, Berlin 1891, II. Heft 1892 hat Arno Holz erzahlt, wie er die Wahrheit suchte, und wie er endlich sein neues Kunstgesetz fand. Im Wi- derspruch gegen Zola erreichte er nach heissem Bemiihen das Ziel. Hatten die Ge- briider Hart in ihren Kritischen Waffengangen den Versuch Zolas, den Roman ,,wis- Benschaftlich" zu machen, angegriffen und erklart, der Romandichter Zola sei immer- hin ein Stern, der Theoretiker hochstens ein Nebelstern, so drang Arno Holz tiefer. Er wies nach, dass von Zolas Theorie das Richtige Taine angehore, und nur das Ver- kehre Zolas alleiniges Eigentum sei. Nicht, die Kunst zur Wissenschaft zu machen, gait es, sondern die Wissenschaft der Kunst zu finden. Taine hatte mit der Er-

* ) In dem ersten Teile dieses Artikels, der im Maihef te der P.M. erschien, ist ein sinnentstellender Druckfehler stehen geblieben. Auf Seite 180 muss es in der ftinf- ten Linie des dritten Abschnittes statt ,,Lieder eines Narren" Lieder eines Moder- nen heissen.

202 P'ddagogiscbe MonatsbeJU.

kenntnis, dass jedes Kunstwerk aus seinem Milieu resultiere, die Kunst in die Ge- samtentwicklung der menschlichen Kultur hineingestellt. Damit liess sich die be- reits vorhandene Kunst erklaren, aber nichts iiber ihre kiinftige Entwicklung vor- hersagen. Es handelte sich also einfach darum, das Naturgesetz zu finden, dem die Kunst als eine existierende Tatsache, als eine Erscheinung im Universum, wie jede andere Erscheinung, unterworfen war. Statt an die Kunst kategorische Forderun- gen zu stellen: so und so muss und soil es sein, suchte Arno Holz nach der Formel, die alle bisherige Kunstausiibung in sich schloss, und die alle kiinftige mit anna- hernder Genauigkeit voraus bestimmen liess, wie den Lauf eines Planeten.

Eine Betrachtung seiner eigenen Schb'pfungen, wie der anerkannten Kunst- werke, ergab nun den Schluss, dass stets eine Lucke klaffe zwischen dem von dem Kiinstler Gewollten, d. h. seinem Vorstellungsbild von der Natur, und dem wirklich Erreichten. Andererseits war immer das Streben des Klinstlers sichtbar, seinen Ge- bilden die ttberzeugungskraft, die Wahrheit alien organischen Lebens zu geben. An- ders ausgedriickt: die Kunst hatte die Tendenz wie die Natur zu wirken, Natur zu sein. Ferner ergab die Betrachtung der kompliziertesten und der primitivsten Kunstwerke, dass jene Lucke umsoviel kleiner wurde, je vollkommener die Reproduk- tionsbedingungen, die technischen Mittel war en, und je vollkommener sie gehand- habt wurden. Arno Holz stellte also den bereits angefiihrten Satz auf, der hier in der spateren und pragnanteren Fassung wiederholt wird: ,,Die Kunst hat die Ten- denz, die Natur EU sein; sie wird sie nach Massgabe ihrer Mittel und deren Hand- habung."

Dieser Satz scheint so selbstverstandlich und klar, dass wir heute kaura mehr begreifen konnen, wie man ihn je falsch auslegen konnte. Wer zweifelt daran, dass Homer, Shakespeare und Goethe deswegen als die grossten Dichter der Menschheit anerkannt sind, weil ihre Werke mehr, als die aller andern Dichter, die iiberwal- tigende Kraft von Naturgebilden haben? Weil sie, die grossten aller Menschen, am tiefsten und reinsten das Wesen, die Bedeutung alles Seins erschaut und das Er- schaute ihren Nebenmenschen vermittelt haben? Wer will behaupten, Goethe habe in seinem Lebenswerk eine hb'here Wirklichkeit dargestellt? Hat er die ,,Wirk- lichkeit" auch nur erreicht? Wird er nicht in dem demiitigen Bewusstsein aus dem Leben geschieden sein, dass er zwar im Faust der Menschheit einen unerschopflichen Schatz hinterlasse, aber nur ein schwaches Abbild dessen, was er selbst in sich ge- fuhlt, gedacht, erlebt hatte? Miissen wir nicht gestehen, dass gerade die Stellen im Faust, wo des Dichters individuelle Befangenheit und Begrenztheit, sein Tempe- rament, am wenigsten hervortritt, wo wir keinerlei Kenntnisse von seinem Leben, keinerlei Kommentar brauchen, am gewaltigsten auf uns wirken? Was kommt der Kerkerszene am Schluss des Ersten Teils gleich? Miissige Fragen! So mtissig diese Fragen sind, so unsinnig war die Behauptung der Kritiker, Arno Holz verlange eine ,,exakte Reproduktion der Natur". Niemals hat er das getan. NiemtQs hat er unter Wahrheit, Wirklichkeit, Natur den b'den Abklatsch irgend eines Stiicks Oberflache verstanden. Im Gegenteil sah er von jeher die Aufgabe des Kiinstlers darin, die Natur zu sehen, d. h. ihr Wesen, ihre Seele zu erfassen und den Mitmen- schen zu erschliessen. Wie hatte es bei ihm, dem Kiinstler, auch anders sein kon- nen! Statt im Sinne des Schlagwortes ein ,,konsequenter Naturalist" zu sein, der iiber Einzelheiten das Ganze vergessen hatte, war Arno Holz konsequent vielmehr in dem Streben nach absoluter Stileinheit.

Diese konnte aber nur dadurch erzielt werden, wenn die technischen Mittel der Dichtkunst in ahnlicher Weise vervollkommnet wurden, wie die Technik der Malerei und Musik. Daher die miihseligen Experimente und Studien, die er gemeinsam mit Johannes Schlaf anstellte, um der konventionell erstarrten Sprache neues Lebens-

Arno Hol^. 203

blut zurufiihren. Daher die peinlich gewissenhafte Beobachtung und Darstellung des Kleinen und Kleinsten in den Skizzen des Papa Hamlet und dem Drama Familie Selicke. Es fiel Arno Holz niemals ein, diese Skizzen fur ausgefiihrte Kunstwerkc auszugeben; es waren Vorbereitungen auf kiinftige Schopfungen und nicht mehr. Die Kritiker aber fielen fiber diese Versuche als Illustrationen des neuen Kunstge- setzes her, als ob Arno Holz ewig dabei hatte stehen bleiben wollen daher die un- verstandige und verfrtihte Verurteilung und Rubrizierung des Dichters als ,,konse- quenten Naturalisten".

Konsequent war er allerdings auch darin, dass er aus seinem Gesetz nicht nur das Zolasche Temperament ausschloss, sondern auch jegliche Forderung von ,,Schon- heit", Wahrheit", oder ,,hoherer Wirklichkeit". Er wagte es, im Gegensatz zur Schulfisthetik auszusprechen, was noch jeder echte Kiinstler gefiihlt hat, was Nicht- Kiinstler immer wieder missachten oder missverstehen, was in den asthetishen The- orien unserer Klasiker nie recht deutlich geworden war: dass der Kiinstler nicht iiber der Natur steht, sondern innerhalb, und als Individuum stets unter dem Natur- ganzen* ) . Es liegt auf der Hand, wie wertvoll diese Erkenntnis f iir den werdenden Kiinstler sein muss: sie scharft sein Auge, sie halt seine Sinne frisch, sie bewahrt ihn vor tandelndem Spiel mit den Erscheinungen des Lebens und der Natur, sie zwingt ihn zu unablassiger Arbeit. Wertvoll ist aber das Neue Kunstgesetz vor allem auch fur die Betrachtung und Beurteilung der Kunstwerke. Schielen wir nicht mehr nach dem sogenannten Schonen, gewohnen wir uns daran, im Kiinstwerk den Lebenswert zu sehen, den es uns erschliessen soil, dann werden wir weder aussere Formglatte suchen, noch moralische Tendenzen, sondern wir werden als selbstver- stiindlich voraussetzen, dass Form und Gehalt dasselbe sein miissen, weil sie einan- der bedingen, wie Seele und Korper. Das ist der Sinn von dem Kunstgesetz, das Arno Holz aufstellte; so hat er es im zweiten Heft seines Buches Die Kunst erklart. Wer dieses Heft nicht gelesen hat, darf iiber Arno Holz iiberhaupt kein Urteil fallen.

Die Tragweite dieser neuen Xsthetik wird so recht klar, wenn man z. B. Stucks Krieg mit alteren Darstellungen vergleicht. Auf dem bekannten Holzschnitt Diirers und dem Gemalde Cornelius' Die apokalyptischen Reiter, da jagen Reiter durch die Luft mit geschwungenen Schwertern und Sensen, vom Bogen schnellt der Pfeil, die Wage des Gerichtes wird emporgehalten, auf dem Boden kriimmen sich in Verzweif- lung die Leiber der dem Verderben Geweihten. Aber der Beschauer ahnt die Schrek- ken der Zerstorung mehr, als dass er sie mitempfande. Denn Diirer und Cornelius binden sich an traditionelle Ideen und Allegorien, und in ihrem technischen Konnen sind sie nicht weit genug vorgeschritten, um durch straffste Konzentration der vor- handenen ausseren Mittel ihren Darstellungen die tiberzeugungskraft wirklichen Ge- schehens zu geben. Sie bleiben abstrakt. Anders der moderne Kiinstler. Krieg war ihm Vernichtung, Grausamkeit, Unerbittlichkeit, Entsetzen, Tod. Auf der Erde lie- gen Tote und Sterbende in grausem Gemisch, in erstarrendem Blut. Blut trauft von dem breiten Schlachtschwert des Reiters, dessen Ziige kein Erbarmen kennen. Mit eherner Ruhe, mit einer gleichgiltigen Sicherheit, vor der es kein Ausweichen gibt, treibt er sein dunkles Ross iiber die fahlen Leichen. Ein Bild so grauenhaft und kalt, so unerbittlich furchtbar wie der Krieg. Aber ,,schon" ist es nicht! Wer zweifelt jedoch daran, dass Stuck das kiinstlerische Problem gelost, dass er das wirklich dargestellt hat, was die anderen nur andeuteten? Wer leugnet, dass in sei- nem Werke Idee und Form in unerhorter Weise eins geworden sind, dass es uns mit elementarer Naturgewalt packt und erschiittert, wahrend die Bilder Diirers und sei- nes Nachahmers uns nur zu denken geben? Wer allerdings vor Stucks Krieg hin-

f) In diesem Sinn gibt es keinen Unterschied zwischen ,,Realismus" und ,,Ide- alismus".

204 P'ddagogiscbe Monatsbefte.

tritt, um ,,Sch6nheit" zu suchen, der wird bitter enttauscht sein.*) Hier gilt unbefangen und kiihn, und, im Sinne unseres Dichters, modern zu sein.

Und nun kehre man zuriick zu des Dichters eigenen Schopfungen, zu Papa Ham- let und Familie Belicke. Da ist das Prinzip absoluter Stileinheit, welches uns in dem Stuckschen Gemalde an einem erhabenen Gegenstand angewandt erschien, in einem kleinen verkorpert. Wollen wir Arno Holz deswegen fiir den kleineren Kiinst- ler erklaren, weil er, der sich das Werkzeug seiner Sprache erst schmieden musste, dieses Werkzeug nicht gleich am Grossen tibte ? Man lese einmal eine Jener Skizzen, Den Ersten Schultag. Wie ist das Bangen des kleinen Kinderherzens, die pedanti- sche Strenge des Schulmeisters, die muffige Atmosphare des Klassenzimmers, das Harren auf den Schulschluss, das larmende Treiben draussen wiedergegeben ! Mit solcher Virtuositat war die deutsche Sprache seit den Tagen der Klassiker nicht mehr gebraucht worden. Arno Holz hatte sie tatsiichlich von dem Staub und Schwulst der Epigonenzeit befreit. Die segensreichen Folgen dieser neuen Reform haben sich nicht nur im modernen Drama, sondern auch im modernen Epos gezeigt. Wenn unsere Schriftsteller heute durchweg ein besseres, klareres Deutsch schreiben, als vor dreissig Jahren, so ist das zum grossen Teil Arno Holz zu verdanken.

Doch der Schopfer des modernen Dramas, der Begriinder des deutschen Realis- mus, wie er genannt wurde, hatte keinen weiteren Lohn fiir seine Verdienste, al« sein eigenes Kiinstlerbewusstsein und die Anerkennung von Mannern, wie Theodor Fontane. Wahrend sein Schiller Gerhard Hauptmann schnell beruhmt wurde und auch die materiellen Friichte der neuen Technik ernten durfte, war Arno Holz dem bitteren Kampf ums tagliche Brot ausgesetzt. In sieben langen Jahren versuchte er, sich durch Verfertigung von Spielwaren die finanzielle Grundlage zur Ausfiih- rung seiner kiinstlerischen Plane zu schaffen. Es gelang ihm nicht. Wer will ihn darum tadeln, dass sich sein Herz verhartete, dass er in bitterem Unmut die Satire Sozialaristokraten den Literaten Berlins ins Gesicht warf? So frostig uns dieses unsympathische Werk des Dichters anweht, so sehr mtissen wir die Treue und An- schaulichkeit der Darstellung, die feine Abstufung der Sprache, den Fleiss der tech- nischen Ausarbeitung bewundern. Und ein unbefangener Kritiker, selbst ein b«- gabter und feinsinniger Dichter, Richard Schaukal, sagt von dem Werk: ,,Ein sou- veraner Witz, eine quellende Laune verbindet sich mit der eindringlichen Detailbe- obachtung zu einem Kabinettsttick der Grossstadt-Satire. Schade, dass das Buch Buch geblieben ist. Unsere Pseudomodernen, die Sudermann, Otto Ernst und Ge- nossen lagen platt gedriickt, wenn es seine Sohlen hobe zum Brettergang" (Das lit- terarische Echo, V, 13, p. 884).

Durch Vermittlung Maximilian Hardens kam dem bedrangten Dichter Hilfe. Freundesgaben befreiten ihn von den driickendsten Sorgen, und so entstanden in ra- scher Folge die Werke, die Arno Holz eine so merkwiirdige Stellung in der deutschen Lyrik gaben: Die Gedichtsammlungen des Phantasus, I und II, und die theoretische Schrift Revolution der Lyrik (1898 und 1899). Wie Arno Holz die neue Technik des Dramas begriindet hatte, so schuf er damit eine neue Form fiir die Lyrik. In folgerechter Weiterentwicklung seiner asthetischen Grundsatze kam er dazu, auch die Lyrik auf die Basis absoluter Stileinheit und Notwendigkeit zu stellen. Er war der ttberzeugung, dass sich Reim und Strophe als Ausdrucksmittel iiberlebt hatten. Waren sie fiir die Ideenfiille echter Kiinstler zu lastigen Fesseln geworden, so dien- ten sie Halbdichtern nur zu oft als rein ausserliches Schmuckmittel, hinter dem sich

* ) Damit soli nicht etwa Franz Stuck iiber Albrecht Diirer gestellt werden, son- dern nur gesagt sein, dass gerade in diesem Werk die brutale Kraft und Riicksichts- losigkeit des modernen Kiinstlers, im Bund mit einer raffinierten Technik, die Leistung des alteren weit ubertraf .

Arno Hol. 205

die Hohlheit des Inhalts verbarg. So forderte Arno Holz ,,eine Lyrik, die auf jede Musik durch Worte als Selbstzweck verzichtet, und die, rein formal, lediglich durch einen Rhythmus getragen wird, der nur noch durch das lebt, was durch ihn zum Ausdruck ringt". Die Kritiker regten sich naturlich wieder unnotigerweise auf. Man machte gel tend, dass Rhythmus (hn traditionellen Sinn), Versmass, und Stro- phenbau und Reim die Grundpfeiler der Lyrik seien, ja dieselbe iiberhaupt erst er- schaffen hatten; so auch der sonst klarsehende Franz Servaes in Praludien, p. 95. Man beachtete kaum, dass es immer grosse Dichter gegeben hat, die sich in die Schranken der konventionellen Strophen- und Reimform nicht bannen lassen wollten, z. B. Klopstock, Holderlin, Carducci, Walt Whitman, nicht zu reden von den ,,freien Rhythmen" Goethes und Heines. Man beachtet heute noch nicht die Untersuchun- gen Prof. Erich Schmidts ,,iiber die verschiedenen Arten von Zwang und Beschran- kung, durch welche die Reimnot den deutschen Dichter angstigt", in seiner Schrift Deutsche Reimstudien, woriiber Prof. Anton Schonbach in einem Artikel Der Tod des Reimes, ,,Die Zeit", Wien, 4. Okt. 1902, berichtet. Wer die Zeichen zu deuten versteht, wird sich der Einsicht nicht verschliessen, dass die tausend jahrige Herr- schaft des Reimes, und damit auch der gegenwartigen Strophenform, ihrem Ende nahe gekommen ist. Man wird also der Theorie Holzens immerhin wissenschaftliche Neu- gierde schuldig sein. Und man wird nicht ohne weiteres den Stab brechen wollen iiber die ersten praktischen Versuche mit der vollstandig neuen Technik. Denn nach des Dichters ausdriicklicher Erklarung handelt es sich in den Phantasusgedichten, ebenso wie in den Papa Hamlet-Skizzen, nur um erste tastende Versuche. Er spricht sich fiber den Plan des Werkes in der Revolution der Lyrik (p. 48), so aus: ,,Das erste Heft gab funfzig, das zweite Heft gab wieder funfzig (Gedichte) und das voll- endete Werk, falls es mir glucken sollte, wird tausend geben. Und ich fiige hinzu, es wird mir nur dann glucken, falls es mir gelingen sollte, mich in keiner dieser ,,Stimmungen" zu wiederholen. Dass ich einen ziemlichen Prozentsatz der bereits fertigen Stiicke zu diesem Zwecke hochst wahrscheinlich wieder werde ausscheiden miissen, um sie durch geeignetere zu ersetzen, tut nichts. Bei einer Komposition, die aus so vielen Farbenbrechungen zum erstenmal mit den Mitteln der Lyrik ein Weltbild versucht, kann unmoglich alles gleich ,,auf den ersten Hieb" sitzen. Das kommt erst allmahlich. Auswahl und Ordnung lasse ieh daher ruhig fur spater", Trotzdem, fahrt er fort, ,,habe ich schon mit diesem Anfang den Wahrscheinlichkeits- beweis angetreten, den starksten, den es im Augenblick gibt, dass kein Stoff und keine Stimmung sein wird, die sich dieser Technik entziehen dttrfte; entgegen wohlverstan- den der bisherigen Technik, die alle drei Schritte iiber ihre Nase stolperte".

Also wie seinerzeit im ,,Buch der Zeit" strebt der Dichter wieder nach einer Er- weiterung des Stoffgebietes und zwar diesmal, mit besseren Mitteln als im Jugend- werk, nach einer ganz unbegrenzten ; und damit erfullt er jene Forderung Julius Harts. Wie nun die Darstellung des Weltbilds gemeint ist, geht aus einem Briefe an Dr. Strobl hervor: ,,Das letzte Geheimnis" der von mir in ihrem untersten Fundament bereits angedeuteten Phantasuskomposition besteht im wesentlichen da- rin, dass ich mich unaufhorlich in die heterogensten Dinge und Gestalten zerlege. Wie ich vor meiner Geburt die ganze physische Entwicklung meiner Spezies durch- gemacht habe, wenigstens in ihren Hauptstadien, so seit meiner Geburt ihre psychi- sche. Ich war ,,Alles" und die Relikte davon liegen ebenso zahlreich wie kunter- bunt in mir aufgespeichert. Ein Zufall, und ich bin nicht mehr Arno Holz, sondern ein beliebiges Etwas aus jenem Komplex. Das mag meinetwegen wunderlich aus- gedruckt sein, aber was dahinter steckt, wird mir ermoglichen, aus tausend Einzel- organismen nach und nach einen riesigen Gesamtorganismus zu bilden, der lebendig aus ein und derselben Wurzel wachst". Die innere Verwandtschaft dieses kiinst-

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lerischen Erlebens der gesamten Kulturentwicklung mit dem kosmischen Gefiihl Walt Whitmans darf nicht iibersehen werden.

Was aber die aussere Form anbelangt, so hat Arno Holz das wirklich erreicht, was Whitman nur geahnt hat. Nicht einen freien Rhythmus wollte Arno Holz, son- dern einen nattirlichen, d. h. notwendigen; eine Form, die nicht den Inhalt ein- schniirt, sondern aus diesem jedesmal neu herauswachst, und die, eben weil sie keine durch musikalische Nebenabsichten erzeugte Sonderexistenz fiihrt, nur durch den pragnantesten, den einzig moglichen, den immanenten, natiirlichen Rhythmus be- steht: oder vielmehr, alles das ist. Da der Inhalt sich seine Form immer neu schafft, da prinzipiell der Unterschied zwischen der sogenannten ,,inneren" und ,,ausseren" Form aufgehoben ist, so kann sich kein Stoff, weder der erhabenste noch der kleinste der lyrischen Darstellung entziehen. Weder Reimgeklingel noch kiinstlich gesuchte musikalische Wirkungen konnen tiber das Wesen und den Wert eines Gedichtes tau- schen; ,,der geheime Leierkasten" ist aus der Lyrik verbannt. Der Gehalt wirkt nur noch durch sich selbst. Und darin liegt das Revolutionise von Holzens lyri- scher Form.

Wie weit diese vom freien Rhythmus, wie von platter Prosa verschieden ist, geht aus folgenden Andeutungen des Dichters hervor: ,,Lese ich z. B. bei Heine: ,,Gl(icklich ist der Mann, der den Hafen erreicht hat und hinter sich liess das Meer und die Stiirme", so habe ich die Empfindung, als ob die Steine auf diesem Kntip- peldamm auch beliebig anders liegen konnten. Der Rhythmus ist hier bei Licht be- sehen nichts weiter als ein Konglomerat von metrischen Reminiszenzen. Er hat mit der Sache, die er eigentlich ausdriicken sollte, nichts zu tun. Seine ausschliess- liche Sorge, der alles ttbrige sich unterordnen muss, ist, dass er klingt". ,,Der fa- mose freie Rhythmus ftihrt seinen Namen mit Recht. Er ist in der Tat so frei, als dies der Dichter ftis seine Bequemlichkeit wtinscht. Der notwendige Rhythmus, den ich will, darf sich solche, oder auch nur ahnliche Scherze (Abkiirzung und Ver- stiimmelung von Wortbildern) nicht mehr erlauben. Er wachst, als ware vor ihm irgend etwas anders noch nie geschrieben worden, jedesmal neu aus dem Inhalt. Er unterscheiden sich dadurch genau so auch von der Prosa. Ich schreibe als Prosaiker einen ausgezeichneten Satz nieder, wenn ich schreibe: ,,Der Mond steigt hinter blti- henden Apfelbaumzweigen auf." Aber ich wiirde tiber ihn stolpern, wenn man ihn mir fiir den Anfang eines Gedichts ausgabe. Er wird zu einem solchen erst, wenn ich ihn forme. ,,Hinter bltihenden Apfelbaumzweigen steigt der Mond auf." Der erste Satz referiert nur, der zweite stellt dar. Erst jetzt, ftihle ich, ist der Klang eins mit dem Inhalt. Und um diese Einheit bereits deutlich auch nach aussen zu

geben, schreibe ich :

,,Hinter bltihenden Apfelbaumzweigen

steigt der Mond auf."

Das ist meine ganze ,,Revolution der" Lyrik".

Diese Probe aus der Theorie des Dichters mag geniigen, um zu zeigen, dass es sich nirgends um willktirliche und dilettantische Umsttirzung traditioneller Formen handelt, sondern um die ernste Arbeit eines fein empfindenden Ktinstlers. Wenn Arno Holz an anderer Stelle ausftihrt, dass eine gegebene Strophe wohl der entspre- chende Ausdruck eines gewissen Gedankens sein konne, aber schon aufhore ihren Zweck zu erfttllen, wenn der nachste Gedanke des betreffenden Gedichtes in dieselbe Strophe gepresst werde so mag das manchem als pedantische Dtif telei erscheinen. Aber konnen wir es heute noch ertragen, wenn uns ein Komponist zumutet, durch mehrere Strophen eines Kunstliedes die gleiche Melodie, wie in der ersten, durchzu- horen? Wenn die ganze Theorie Holzens keinen weiteren Wert hatte, als das Nach- denken des Lesers zu erzwingen, sein Gehor zu scharfen, seine asthetischen Ansprti-

Arm Hol. 207

che zu verfeinern und zu steigern, dann hatte der Verfasser der Revolution der Lyrik sich um die Kunst grossere Verdienste erworben, als das ganze Heer seiner Kritiker.

Welche Schatze miissen noch in dem Kiinstler liegen, der die Phantasusgedichte bescheiden als einen Anfang bezeichnet! Die besten Stiicke der Sammlung erreichen eine plastische Gegenstandlichkeit, eine reiche Klangfiille, eine Gedrungenheit und Geschlossenheit des Aufbaus, wie sie der hergebrachten Form, selbst unter den Han- den eines Goethe und Morike, nur in einzelnen kurzen Gedichten moglich gewesen war. Da sind keine Fiillworte, keine indifferenten ttbergange, keine toten Stellen, sondern jedes Wort lebt in und durch sich selbst, leuchtet und funkelt in frischer Pracht. Und welche Fillle der Anschauung! Dem Dichter sind die Hohen des Olymp so vertraut wie die Tiefen des Meeres. Das Plaudern des Kindes klingt aus seinen Rhythmen so natiirlich wie der Titanentrotz des gottverlassenen Mannes. Der indische Gotze sitzt in seinem Tempel, von siebzig Bronzekiihen bewacht; wiirde er aufstehen, so zerbrachen seine Schultern das Dach, der Diamant auf seiner Stirne stiesse den Mond ein, aber er steht nicht auf, die Priester diirfen ruhig welter schnar- chen. Die Sichel des Bauers zischt durchs Korn, sein Weib sammelt die Jthren; hinter ihnen, mit nackten Beinchen, kleinen, braunen Fausten, die Blumen halten, liegt, lacht und strampelt ihr Gliick. In den Grunewald speit Berlin seine Extra- ziige. ttber die Briicke im Tiergarten reitet der Leutnant, unter ihm, pfropfenzieher- artig ins Wasser gedreht, den Kragen siegellackrot, sein Spiegelbild. Durch die Friihlingsnacht duftet der Flieder, blinkt der Goldregen. Die Marmorstatue, die tau- send Jahre begraben lag, ist zu neuem Leben auferstanden, ihre Augen, weit ge- offnet, starren auf das griine Wasser des Parkteiches.

Es gibt ein jetzt beriihmtes Gemalde von Arnold BQcklin: Schweigen im Walde. Auf einem seltsamen Tier, teils Einhorn, teils Pferd, niemand kann es genau sagen, sitzt ein Weib. Ihre Augen sind weit off en; sie starrt in den Wald hinein, lau- schend, traumend. Kein Liiftchen regt sich. Am Boden kriecht das Gewiirm. Das Laub wird rascheln. Plotzlich werden Tier und Weib verschwunden sein. Es war ein Nichts. Der Wald liegt stumm und schweigend wie zuvor. Wie hat man noch vor wenigen Jahren iiber den Maler und sein Bild gespottet! Heute ist es Tausenden zu einer Offenbarung geworden. Wird es mit dem folgenden Gedicht von

Arno Holz nicht auch so gehen?

In graues Grim verdammern Riesenstamme. Von greisen Asten

hangt

in langen Barten Moos.

Irgendwo hammernd . . ein Specht.

Kommt der Wolf? Wilchst das Wunschkraut hier?

Wird auf ihrem weissen Zelter,

liichelnd,

auf mein klopfendes Herz zu, die Prinzessin reiten?

Nichts. Wie schwarze Urweltkroten,

regungslos,

hockt am Weg der Wachholder. Zwischendurch

giftrot

leuchten Fliegenpilze.

Die Farbenpracht, der drohnende Wohllaut, die edle Einfachheit der Sprache, die greifbare Verkorperung des Stimmungsgehaltes, stellen dieses Gedicht dem Be-

P'ddagogische Monatsbefte.

sten, was unsere Lyrik besitzt, ebenbtirtig an die Seite. Wer die gezierte Haufung klingender Worte in dem bekannten Gedicht Stefan Georges: ,,Hinaus zum Strom! wo stolz die hohen Rohre", dariiber zu stellen geneigt ist, der vergisst die alte Tat- sache, dass kiinstlerische Vollendung und Einfachheit dasselbe sind.

In echter Kiinstlerweise hat sich Arno Holz der Angriffe seiner Gegner auf die Phantasusgedichte nicht nur durch schneidige Polemik, sondern auch durch dich- terische Schb'pfungen zu erwehren gesucht. In den parodistisch-satirischen Werken Die Blechschmiede und Lieder auf einer alien Laute zeigt er noch einmal seine ganze Virtuositat in der Handhabung der (iberlieferten Formen. In der Blechschmiede halt er den hypermodernen Symbolisten, Mystikern und Dekadenten ihhr Spiegel- bild vor. In den Liedern auf einer alien Laute erneuert er mit tollem Humor die Schaferpoesie des alten Opitz, als wollte er an einem konkreten Beispiel zeigen, wie rasch die Entwicklung der lyrischen Formen vorwarts schreiten muss. Auch mit diesen Intermezzi stiess Arno Holz wieder auf die Verstandnislosigkeit der professi- onellen Kritik. Sogar geschulte Philologen liessen sich durch die gelungene Parodie mystifizieren und schleppten den ausgelassenen Scherz einer iibermiitigen Dichter- laune auf den Seziertisch des philologischen Laboratoriums. Der Dichter aber wird sich nicht irre machen lassen. Er fiihlt sich heute erst recht am Amfange aller sei- ner Krafte. Seine Bahn ist f rei. Nur ein Feind droht noch : die Sorge.* ) Es steht zu hoffen, dass auch diesen Erbfeind der Kiinstler bald besiegen wird. Dann darf der Welt noch vieles von ihm erwarten.

Eine schluchzende Sehnsucht mein Friihling,

ein heisses Ringen mein Sommer

wie wird mein Herbst sein ?

Ein spates Garbengold?

Ein Nebelsee?

*) Um dem Dichter den Kampf urns Dasein zu erleichtern und damit seine Schaffensfreudigkeit zu erhohen, hat Dr. O. E. Lessing in selbstloser Hingabe neue Freunde fiir ihn zu gewinnen gesucht. Arno Holz befindet sich in Nahrungssor- gen, und rasche Hilfe ist notig, wenn er nicht dem bittersten Elend preisgegeben werden soil. Das Deutschamerikanertum, das so oft seine Liberalitat bewiesen hat, sollte diese auch hier, dem Dichter gegeniiber kund tun. Dank dem unermiidlichen Eifer Dr. Lessings haben Aufrufe den Weg in die bedeutenderen Tageszeitungen des Landes gefunden, und namhafte Betrage sind bereits zur Unterstiitzung des Dich- ters eingegangen. Doch mehr muss und kann noch getan werden! Mochte der vor- stehende Artikel das Interesse fur den Dichter in weitere Kreise tragen und unjsere Leser bestimmen, zu seiner Unterstiitzung mitzuwirken. Die Redaktion dieses Blat- tes, sowie Dr. O. E. Lessing, Smith College, Northampton, Mass., sind gem erbotig Beitrage zu einem Unterstiitzungsfonds entgegenzunehmen. D. R.

Disziplin.

Eine Plauderei.

(Fur die Padagogischen Monatshefte.)

Von Arthur Kiefer, Instructor in German.

Jedem besuchenden Auslander fallt zweifelsohne die grosse Anzahl von ,,law- yers" hierzulande auf: ,,Lawyers, lawyers, lawyers an alien Ecken und Enden"; ,,the law" scheint in keinem Lande eine wichtigere Rolle zu spielen wie gerade hier. Wer zum erstenmal aus dem Munde des ,,law abiding citizen" den ehrfurchtsvollen Satz hort : ,,It is against the law", denkt sich : ,,Hut ab vor diesem tief en Respekt vor dem Gesetz!" Aber wovon leben diese Unmassen von Advokaten? Von dem tie- fen Respekt, den man den Gesetzen gegeniiber zeigt, oder vielmehr von dem geraden Gegenteil dem Nichtrespekt vor denselben ? Es hindert den ,,law abiding citizen" nicht, auf der einen Seite dem Gesetze mitunter ein gehoriges Schnippchen zu schla- gen, und auf der andern die Achtung vor demselben als eine echte republikanische Biirgertugend hinzustellen und oft prahlerisch im Munde zu fuhren.

Eine iihnliche Gedankenreihe, wie dieses Wort ,,law", erregten mir, als ich mich mit dem Schulwesen hier vertrauter machte, der haufige Gebrauch des Wortes: Dis- ziplin — ein Ausdruck, der mit einer Art scheuen Ehrf urcht ausgesprochen zu wer- den scheint. Von einer Lehrerin zu sagen: ,,She keeps discipline," ist der hochste Tribut, dem man der Fahigkeit in ihrem Berufe zollen kann.

Haben wir denn nun in unseren Schulen, wo das Wort Disziplin oft geradezu mit einem Nimbus umgeben ist, wirklich bessere Schuldisziplin als anderswo? Ich glaube kaum. Was ist Schuldisziplin? Die Unterordnung der Schiiler unter be- stimmte vemunftige Anordnungen, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung im all- gemeinen und zur Erteilung eines erfolgreichen Unterrichtes im speziellen notwendig sind. Wer sich gegen die Anordnungen vergeht, sollte die Folgen tragen, gerade wie das Kind, das trotz der Warnung die Hand dem heissen Ofen zu nahe bringt, die Strafe fiihlen muss. Die Person des Lehrers sollte bei diesen Disziplinarstrafen soviel als moglich aus dem Spiele bleiben; seine personliche Energie sollte nicht jahraus jahrein in der Aufrechterhaltung einer Art ,,Fad-Disziplin" aufgebraucht werden. Wenn die Kinder, von unten herauf, entsprechend ihrer Auffassungskraft und ihrem Alter zur Einsicht gebracht werden, dass die Schulgesetze etwas ganz Objek- tives sind, getrennt von der Personlichkeit des Lehrers, dann werden in den hoheren Klassen wenig und als Regel nur kleine Vergehen gegen die Disziplin vorkommen. Aber, wenn sie vorkommen, was soil die Strafe sein, die dem Vergehen mit dersel- ben Sicherheit folgen soil, wie der Donner dem Blitzstrahl ? Da sitzt der Has' im Pfeffer ich weiss keine, bei der sich der Lehrer nicht selber mitbestraft, und mit einer Art Wemut gedenke ich des Pedells im deutschen Pennal, der sich nach der Schulstunde unserer mitunter so teilnahmsvoll annahm.

Ich bin grundsatzlich gegen korperliche Ziichtigung in alien Graden, da gerade bei dieser Art der Straferteilung die Personlichkeit des Lehrers zu sehr in den Vor- dergrund tritt, er buchstablich zu ,,ausschlaggebend" wird. Solche Falle mogen notwendig werden; aber sie bleiben seltene Ausnahmen. Auf der andern Seite hiesse es, Eulen nach Athen tragen, wollte ich die allgemein anerkannte Wahrheit wieder- holen, dass die Disziplin einer Schule zu 90% durch die Personlichkeit und den Ka-

210 P'ddagogiscbe Monatshefte.

rakter des Lehrers im voraus bestimmt 1st, dass in seinen Eigenschaften oft die un- scheinbaren Anfange fiir die Vergehen der Disziplin zu suchen sind. Menschen- kenntnis ist neben der Padagogik ein schatzenswertes Besitztum ftir den Lehrer.

Gerade das Gegenteil von wirklicher Disziplin ist da erreicht, wo man sich der- selben gleichsam aus personlicher Gefalligkeit gegen den Lehrer unterordnet, ,,be- cause they like the teacher". Wieviel Zeit und Energie wird oft nicht, besonders von Lehrerinnen, darauf verschwendet, die Schiller mit alien moglichen Arten ver- zuckerter Worte dazu zu bringen, ,,gut zu sein" ein kolossaler Irrtum, der die schlechtesten Frtichte zeitigt. Ein freundliches, ja f reundschaftliches Verhaltnis zwi- schen Schiller und Lehrer soil bestehen; aber dieses darf nicht in Giinstlingswirt- schaft ausarten. Wo man den Lehrer, haufiger noch die Lehrerin, bestandig von ihren sogenannten ,,Pets" umgeben sieht, die als Zeichen ihrer Anhanglichkeit w5- chentlich ein paarmal Blumen, Zuckerwerk, und wer weiss was alles, auf ihrem Pulte opf ern da kann von wahrer Disziplin keine Rede sein.

Ich gebrauchte oben das Eigenschaftswort verniinftige Anordnungen; das ist nun allerdings ein sehr disputierbarer Begriff. Was dem einen das sine qua non fiir die Erhaltung der Disziplin erscheint, ist dem andern eine einfaltige Lappalie, erfunden zur Tortur des Lehrers und doch tausendmal umgangen von seiten der Schiller. Die Anschauungen sind eben hierin verschieden, wofiir ich zur Illustration zwei Beispiele anfiihren mochte. In dem Gymnasium in der alten Heimat verfiig- ten wir Schiller uns vor dem Beginn des Unterrichts in die Klassenzimmer, worin kein Lehrer anwesend war; letztere waren in dem sogenannten Konferenzzimmer, und wir waren uns allein iiberlassen; ich kann mich aber nicht erinnern, dass je grobe Vergehen gegen die Disziplin vorgekommen waren. Mit dem Zeichen der Glocke nahmen wir unsere Platze ein. In jeder Pause war die Klasse wieder allein. Im Gegensatz zu dieser Anordnung miissen in vielen Schulen hierzulande die Lehrer mindestens *4 Stunde vor dem Beginn des Unterrichts im Klassenzimmer sein; in manchen Schulen miissen die Schiller sofort auf ihre Platze gehen, sobald sie das Zimmer betreten, diirfen dieselben nicht mehr verlassen, noch mit einander plaudern. In andern sind sie ebenfalls auf die Platze gebannt, aber diirfen im Fliisterton sich mit einander unterhalten, u. s. w. So gibt es noch Dutzende von Variationen. Und was meint das alles fiir den im Klassenzimmer anwesenden Lehrer? Es meint eine ungeheure Inanspruchnahme seiner Energie, noch bevor der eigentliche Unterricht beginnt, da er auch das freiere Benehmen der Schiller fortwahrend zu iiberwachen hat. Die Klasse aber, die sich aber ausserhalb der eigentlichen Unterrichtsstunde nicht allein iiberlassen werden kann, fiillt selbst das abfalligste Urteil iiber das in der Schule gehandhabte System der Disziplin.

Bei der Anerziehung der Disziplin kommen zwei sich bekampfende Momente in Betracht: Der Individualismus des Schiilers und die Notwendigkeit, sich Anordnun- gen anderer zu fiigen. Von dem ersteren hat die amerikanische Jugend ein hinrei- chendes Mass, und ich weiss wirklich nicht, ob man ihr dazu nicht gratulieren soil; ebenso wie der Karakterzug bei uns Deutschen, sich alien Anordnungen zu leicht zu fiigen, besonders wenn sie nach Obrigkeit schmecken, sich mitunter von zweifelhaf- tem Werte erweisen kann. Der Individualismus soil durch die Disziplin nicht ge- brochen, sondern zum freiwilligen Fiigen in Anordnungen gebracht werden, die von ihm als notwendig und berechtigt anerkannt worden sind.

Die Mischung dieser beiden Elemente, wie wir sie in den Schulen unseres Landes finden, diirfen den Satz berechtigt erscheinen lassen, dass die Disziplin nicht den Grad erreicht hat, welchen man nach der Bedeutung, die man ihr beimisst, und der Zeit, die man zu ihrer Anerziehung verwendet, oftmals auch verschwendet, erwarten diirfte.

Fur die Schulpraxis.

1st es nicht erspries slicker statt spezieller Literaturgeschichte im 3. und 4.

Jahre unserer Hochschulen die dadurch gewonnene Zeit auf Vertiefung

der Klassiker zu verwenden?

Wenn es der Zweck dieses Unterrichtszweiges 1st, den Schiller mit dem Ent- wickelungsgange der geistigen Bildung des deutschen Volkes, wie sich diese aus den poetischen Werken desselben erkennen lasst, im allgemeinen vertraut zu machen, so sind von der Literaturgeschichte wohl die folgenden Hauptaufgaben zu erfilllen:

1) Die wichtigen Einzelwerke der Dichtkunst nach Entstehung und Wir- kung, nach Inhalt und Form zu kennzeichnen ;

2) Den Zusammenhang, in dem diese Einzelerscheinungen des Geisteslebens zu einander stehen, nachzuweisen ;

3) Die ausseren Lebensumstande der Schriftsteller, insofern sie fur ihre Werke von Bedeutung sind, darzulegen.

An welchen Schulen ist nun dieser Unterrichtszweig am Platze und von dem davon erwarteten Nutzen begleitet? natiirlich auch nur dann, wenn derselbe nicht zu wissenschaftlich und ausf iihrlich betrieben wird. Wohl nur in den oberen Klas- sen deutscher ho'herer Lehranstalten, wie Gymnasien, Realgymnasien und Realschu- len, wo die Schiller einmal sprachlich reif genug dazu, und dann durch ausgiebige Lekture, Auswendiglernen u. s. w. hinlanglich mit den wichtigeren Erzeugnissen der deutschen Literatur bekannt sind, und in ihrer Eigenschaft als Deutsche ein natio- nales Interesse daran haben. Treffen nun bei den Schiilern unserer Hochschulen die obigen Voraussetzungen zu? Deren Muttersprache ist mit wenigen Ausnahmen ja doch nicht die deutsche; deshalb kann bei ihnen naturgemass kein allzu grosses Interesse fiir tiefer gehende Kenntnisse der deutschen Literatur erwartet werden. Und mit der sprachlichen Vorbereitung und Reife unserer Schiller ist es im Laufe der Jahre aus verschiedenen Griinden eben auch nicht besser geworden. So bereitet der Text der Leitfaden, die wir beim Unterricht der Literaturgeschichte gebrauchen, den Schiilern oft genug gewaltige Schwierigkeiten ; und hat man sich dann endlich zur Sache durchgearbeitet, dann ist die Lust und das Interesse des Schiilers haufig ganz bedenklich gesunken, so dass der Lehrer am liebsten in leicht fasslicher Form vortragen mb'chte, um so dem Schiller die Haupthindernisse aus dem Wege zu rau- men und ihm die Lust nicht ganz zu benehmen. Doch das geht ja nicht an. Nur passives Anhoren von Seiten der Schiller, fast ohne jeglichen Anspruch an deren Selbstandigkeit?

Eine andere Frage ist die, ob iiberhaupt der Unterricht in spezieller Literatur- geschichte dem vorbereitenden und elementaren Karakter unserer Hochschulen so ganz entspricht, oder ob derselbe nicht richtiger der Universitat oder den Lehrer- seminarien zu iiberlassen ist. Die Hochschule soil doch wohl nur den Zweck haben, den Schiller in die deutsche Literatur auf dem Wege der Lekture einzufiihren. Und dabei ist es ja nur auf eine Kenntnis der Hauptmeisterwerke, nicht auf Vollstan- digkeit abgesehen. Das eingehende, vertiefende Studium von solchen ausgezeichne- ten Dichtungen wird nicht nur die sprachliche Entwickelung des Schiilers, sondern auch die asthetische und sittliche Bildung desselben fordern, also von wirklich bil- dendem Einflusse sein. Unter Vertiefung ist, abgesehen von Wort- und Sinnver- standnis, doch wohl an richtiges Auffassen der Anlage, der Karaktere und desGrund-

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gedankens zu denken. Dadurch erkennt und empfindet der Schiller das Schone in Inhalt und Form der Dichtungen und bildet sein asthetisches Gefiihl, er wird durch das Ideale in der Idee und in den Karakteren der Dichtungen seinen Willen lautern und seinen eigenen Karakter starken.

Vielleicht Hesse es sich bei unsern Schiilern ganz gut so machen, dass wir ihnen im dritten Jahre in grossen Ziigen den Gang der deutschen Literatur, den Karakter der wichtigsten Perioden andeuten und die hervorragendsten Vertreter nebst ihren Haupterzeugnissen anfiihrten, ahnlich wie wir ihnen in der sog. Tell-Klasse eine kurze tfbersicht iiber das Wesen und die verschiedenen Gattungen der Poesie nach Inhalt und Form geben.

Ich schliesse meine kurzen Ausflihrungen mit Lessings Ausspruch:

Wer wird nicht einen Klopstock loben?

Doch wird ihn jeder lesen? Nein.

Wir wollen weniger erhoben

Und fleissiger gelesen sein.

(Carl Engelmann, West Division High School, Milwaukee, Wis.)

Die hochste Aufgabe eines deutschen Lehrers in der amerikanischen Schule. Ich erachte es als die hochste Aufgabe eines deutschen Lehrers in der amerikani- achen Schule, die Hochachtung vor dem deutschen Wort und die Liebe zum deut- schen Unterricht in den Herzen der Schiller immer neu zu schiiren und zu festi- gen; denn nur im Lichte dieser Hochachtung und Liebe wird das Kind die Ge- neigtheit zum oftmaligen Verwerten der deutschen Sprache bekunden und die Klinge finden, mittels der es in seinem spatern Leben, in unseren Reihen stehend, den deutschen Unterricht, wenn notig, verteidigen helfen soil. Ja, wie die Klarheit des Geistes und der aus innerer Zufriedenheit emporsteigende Frohsinn die zwei besten Saulen sind, auf die sich das Lebensgliick eines Menschen stiitzt. so sind die Hochachtung vor dem deutschen Wort und die Liebe zu demselben die zwei ein- zigen Grundpfeiler, die der Bereitwilligkeit zur Verteidigung des deutschen Unter- richts und zur Verwendung deutscher Worte in geselligem und geschaftlichem Ver- kehr als Stiitze dienen konnen. Wie steht es nun in dieser Hinsicht mit unseren jetzigen und friiheren Schiilern? Ehren sie die deutsche Sprache? Ehren sie un- sern Unterricht? Ehren sie uns selbst? 1st es der Fall, dann brauchen wir uns in der Tat beziiglich des Fortbestands unseres deutschen Departements vorlaufig keiner Sorgen hinzugeben und diirfen uns gratulieren zu einem solchen Erfolg. 1st es aber nicht der Fall : betrat die iiberwiegende Mehrzahl nur mit Widerwillen un- ser Schulzimmer und blickt sie mit beleidigender Geringschatzung oder gar mit Verachtung auf unser Wirken, dann allerdings haben wir wohlbegriindete Ursache, die Moglichkeit ins Auge zu fassen, dass iiber kurz oder lang der Baum des deut- schen Unterrichts, umtobt vom Sturm des Nativismus, sein Haupt neigen und so- dann sterbend seinen Gegnern vor die Fiisse fallen wird.

Der Prozentsatz der eingewanderten hiesigen Deutschen verringert sich eben von Jahr zu Jahr. Je weiter deshalb die Zeit vorwarts schreitet, in desto hoherem Masse sind wir, wenn der deutsche Unterricht nicht mit der Zeit in sich selbst zer- fallen soil, der Unterstiitzung der Hiergeborenen bediirftig. Die Mittel, die uns zum Ziehle fiihren, sind folgende: ein interessanter, schoner Unterricht, ein mit Festigkeit und Entschiedenheit gepaartes giitiges Walten, sowie gelegentliche Be- tonung des hohen Werts der Kenntnis der deutschen Sprache. Nur sollte man bei Anwendung des letztgenannten Mittels mit Vorsicht zu Werke gehen; keine Be- hauptungen aufstellen, die das Kind entweder sofort oder in spaterer Zeit, als

Fur die Scbulpraxts. 213

nicht mit der Wirklichkeit im Einklang stehend, verwerfen wvirde. Es 1st dies z. B. der Fall, wenn man dem Kinde sagt, dass die Kenntnis der deutschen Sprache in unserem Lande absolut notwendig sei, oder wenn man in irgend einer Weise ver- sucht, das Englische in den Augen der Schiller zu erniedrigen. Durch ein derar- tiges Vorgehen streut man Misstrauen in die Herzen mancher Kinder und bewirkt infolge dessen nur zu leicht gerade das Gegenteil von dem, was man bewirken will. Etwas anderes ist es allerdings, wenn man bei vergleichendem Sprachunterricht klarstellt, dass unsere Muttersprache der andern in mehr als einer Beziehung iiber- legen ist, im iibrigen aber diirfen, ja sollen unsere Schiller wissen, dass wir auch die englische Sprache hochschatzen und dass wir einzig und allein deshalb von ihnen erwarten, sich vor uns ausschliesslich der deutschen Sprache zu bedienen, weil wir wiinschen, dass ihnen auch der Gebrauch dieser Sprache gelaufig werden soil.

Das Antlitz unserer herrlichen Muttersprache braucht iiberhaupt nicht mit be- trilgerischer Schminke iiberzogen zu werden; es darf sich zeigen, wie es ist, in sei- ner natiirlichen Farbe. Und die der Kenntnis derselben entspringenden Friichte und Vorteile sind gliicklicherweise auch hier von solch hervorragender Art, dass sie ebensowenig einer kiinstlichen Verzierung bediirfen, wenn man sie den Schiilern zur Besichtigung vorlegen will; denn es ist Tatsache, dass das Studium der deut- schen Sprache nicht nur der geistigen Kraftentwickelung und der Verschonerung des Herzens, sondern auch dem Fortschritt im Englischen und der Erzielung ge- schaftlicher Erfolge Vorschub leistet, sowie auch, dass das Deutsch von alien hier vertretenen Volkerschaften respektiert, von alien treugesinnten Deutschamerikanern hochverehrt und in hoheren Lehranstalten aller zivilisierten Lander der Erde ge- lehrt wird. Das also ist es, worauf wir hinzuweisen haben. Desgleichen sollten unsere grosseren Schiller wissen, in welch herrlicher Weise die friiheren Prasiden- ten des Landes, Cleveland und Harrison, ihre hohe Achtung vor dem deutschen Wort bekundet, und dass unser jetziger Superintendent, sowie auch seine Vorganger die Erlernung einer zweiten Sprache in Elementarschulen wiederholt dringend empfoh- len haben.

Es bietet sich uns in der Tat haufig Gelegenheit, hier auf den einen, dort auf den andern obiger Punkte mit wenigen aber packenden Worten die besondere Auf- merksamkeit der Schiller zu lenken, u. a. auch dann, wenn wir in Erfahrung brin- gen, dass einer unserer friiheren Schiller eine Anstellung erhielt, die er ohne Kennt- nis des Deutschen nicht hatte erhalten konnen. (Aus einem Vortrag, gehalten vor dem Oberlehrerverein zu Cincinnati, von H. von Wahlde. )

Fur schicachbefahigte Schulkinder legt in der Sachsischen Schulzeitung Schul- direktor Hildner in Treuen ein gutes Wort ein. Er nennt sie geradezu einen Segen fiir die Schule, weil sie die Lehrer notigen, den Lehr- und Lernstoff so geschickt als moglich zu behandeln. Indem die Lehrer der Schwachen wegen nach den besten Methoden, den geeignetsten Lehrmitteln, der zweckdienlichsten Zeitausniitzung su- chen miissen, haben auch die begabten Schiller derselben Schule mannigfachen Ge- winn. '(Jbrigens sind gerade die schwachbefahigten Kinder oft recht dankbare Schil- ler und werden haufig sehr brauchbare Menschen. Es liegt viel Wahres in den von Menschenliebe und Hingabe an den Lehrerberuf getragenen Ausfiihrungen des Herrn Direktor Hildner. Weiteste Verbreitung ist ihnen zu wiinschen. Zustimmung wird auch folgende Bemerkung in seinem Aufsatze finden: Man erkenne irgendwelche gute Leistungen bei Schwachen erst recht durch gute Zensuren an. Das hebt, das erfreut! Man gebe iiberhaupt nicht zu schlechte Zensuren und wolle bedenken,

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welch tiefe Wunden wir dadurch oft den Kinder- und Elternherzen schlagen. Nur bei Faulheit und bSsem Willen sollte die 4 und 5 gegeben werden, wahrend bei Fleiss und gutem Willen die 3 die schlechteste Zensur sein mochte.

Die Xmter der Pultabwischer, Papieraufleser, Tinteneingiesser, Kreideholer, Tilraufschliesser, Thermometerableser, Blumenpfleger u. dgl. vertraue man braven, schwachbefahigten Schulern, die unter die Leitung einiger anderer gestellt werden, damit alle an prazise Pflichterfilllung, an Ehrlichkeit, Hoflichkeit und Wohlanstan- digkeit, an Freundlichkeit und Gefalligkeit, an Fleiss, Piinktlichkeit, Ordnung und Sorgf alt gewohnt werden. In alien solchen Dingen, die im Leben gar viel wert sind, kann und soil selbst der schwachste Schiller dem gescheitesten keinen Vorsprung lassen. Und wie gut warten viele ihres anvertrauten Arates.

Das Freihandzeichnen. Nach langen und heftigen Redekampfen hat die Ham- burger Schulsynode am 20. Februar in einer sehr gut besuchten Versammlung die Antrage Gotze und Genossen betreffend Freihandzeichnen angenommen. Die Ab- stimmung liber das Linearzeichnen wird hinausgeschoben. Der Antrag Gotze und Genossen hat folgenden Wortlaut: Die Schulsynode ersucht die Oberschulbehorde, dem Lehrplan fiir Zeichnen folgende Fassung zu geben: 1) Freihandzeichnen: Auf- gabe: Der Zeichenunterricht soil die Schiller befahigen, die Natur und die Gegen- stiinde ihrer Umgebung nach Form und Farbe zu beobachten und das Beobachtete einfach und klar darzustellen. Unterstufe: 1. 3. Schuljahr. Klasse 7 5. Im 1. und 2. Schuljahr wird das Zeichnen mit dem Anschauungsunterrichte verbunden. Einfache Gegenstande aus dem Gesichtskreise des Schiilers werden nach der Beob- achtung und aus dem Gedachtnis dargestellt. Der Unterricht ist Klassenunterricht. Vorlagen jedweder Art sind ausgeschlossen. Mittelstufe: 4. und 5. Schuljahr. Klasse 4 und 3. Aufgaben: Das Zeichnen nach dem Gegenstande tritt in den Vor- dergrund. Das Zeichnen aus dem Gedachtnis wird fortgesetzt. Als Vorbilder die- nen flache Gegenstande, drehrunde Korper, insbesondere Naturformen. Nach den- selben Gegenstiinden werden tibungen im Treffen von Farben und in der freien Wie- dergabe der Form mit dem Pinsel ohne Vorzeichnung vorgenommen. Oberstufe: 6. 8. Schuljahr. Klasse 2, 1, Selekta. Aufgabe: Das Zeichnen nach dem Gegen- stande wird auf die Wiedergabe der perspektivischen und Beleuchtungserscheinun- gen ausgedehnt. Die ttbungen im Treffen von Farben und im Zeichnen aus dem Gedachtnis werden fortgesetzt. '(Jbungen im Skizzieren mit dem Stift oder mit dem Pinsel werden gelegentlich vorgenommen. Vorbilder: Geriite, Gefasse, Teile des Schulgebaudes, Naturgegenstande (Friichte, Bliiten, Muscheln, ausgestopfte Vogel).

Ein Lehrplan fiir einen Hochschullcursus im Deutschen. Der diesjahrige Be- richt des Prinzipals der High School zu San Jose, Californien, enthalt folgendes flber den Unterricht in den modernen Sprachen:

In the study of modern languages, the aims and methods pursued are as fol- lows: The grammar is made the basis of instruction; it is supplemented by ap- propriate reading matter; with this is combined practice in oral expression, so as to give the student a speaking knowledge of the language as far as circumstances will permit; the student is made acquainted with the foreign country and the man- ners and customs of its people; specimens of representative works of literature are read, proceeding from simple to more advanced texts; these are translated into idiomatic English, with a view of leading the student to observe shades and dif- ferences in the meaning of words, and to increase his own vocabulary; the im-

Der deutscbe Unterricht in Erie. 215

portance of accurate construction in English as well as in the foreign language is insisted upon; the relationship of English to other languages, especially to German and French, is brought to the student's attention, and the historical development of words and their changes in form and meaning are occasionally -indicated.

The following textbooks are used in the German department: First year Spanhoofd's Lehrbuch der deutschen Sprache Heath. Huss's German Reader Heath. Benedix's Der Prozess Am. Book Co. Storm's Immense e Heath. Second year Bernhardt's German Composition Ginn. Moser's Der Bibliothe- kar Am. Book Co. Wildenbruch's Das edle Blut Heath. Schiller's Der Neffe als Onkel Heath. Ebner-Escheribach's Die Freiherren von Gemperlein Heath. Third year Jagemann's German Composition Holt. Scheffel's Trompeter von Sakkingen Am. Book Co. Helbig's Komodie auf der Hochschule Heath. Schil- ler's Die Jungfrau von Orleans Appleton.

Berichte und Notizen.

I. Entwickelung und Stand des deutschen Unterrichts in den

Schulen von Erie, Pa.

Vortrag, gehalten vor dem 32. Lehrertage zu Detroit, Mich.

Von G. G. von der Groben, High School. Erie. Pa.

Meine Damen und Herren!

Ich bitte, es mir nicht als trberhebung und Eitelkeit auszulegen, wenn ich fur meinen Vortrag einen Gegenstand gewahlt habe, in dessen Verlauf ich notgedrun- gen von mir selbst und von meinen Arbeiten und Bestrebungen sprechen muss. Er- stens geschah es auf den ausdriicklichen Wunsch unseres verehrten Herrn Prasiden- ten, und dann war es meine Absicht, Sie nicht nur mit der Entwickelung und dem gegenwartigen Stand des deutschen Unterrichts in Erie bekannt zu machen, sondern auch Ihre Kritik herauszufordern und Ihre Ansichten iiber die Richtigkeit und etwaige Mangel unserer Methoden zu horen. Wahrend die Verhaltnisse in den grosseren Stadten wie Milwaukee, Cincinnati, Detroit u. s. w. allgemeiner bekannt sind, weiss man wenig oder gar nichts von uns, und wir kb'nnen uns doch recht gut mit unserem deutschen Departement sehen lassen.

Ich kann wohl annehmen, dass es von Interesse fiir Sie sein wird, nicht nur etwas vom deutschen Unterricht zu horen, sondern von der Entwickelung des Schu- wesens in Erie iiberhaupt, die natiirlich mit dem Deutschen aufs engste verknupft ist. Im Jahre 1806 wurde in dem nur etwa 10 Jahren alten Stildtchen das erste Schulhaus gebaut. Es war ein rohes Blockhaus, 22 Fuss lang und 18 Fuss breit. Die Kosten beliefen sich auf 30 Dollar, und wurde dieser Betrag von den Biirgern ge- sammelt. Die Kosten des Unterrichts wurden ebenfalls von den Leuten bestritten, die ihre Kinder zur Schule schickten. Im Jahre 1834 wurde das gegenwartige Schulsystem eingefiihrt. Freie Schule fiir alle Kinder und Aufbringung des notigen Geldes durch Auferlegung von Steuern. Anfangs regte sich heftiger Widerstand gegen diese Massregel, aber er wurde durch die Bemiihungen einzelner einflussreicher Burger besiegt. Im Jahre 1860 besass die Stadt 3 Schulen, und 1866 wurden in diesen Schulen hohere Klassen eingerichtet, die unter dem Namen High-School- Department den Grundstein der heutigen Hochschule bildeten. Schon im folgenden Jahre wurde die Hochschule als solche etabliert. Ein fiir damalige Zeiten stattlichea

216 P'ddagogische Monatsbejte.

Gebaude stand an Stelle des kleinen Blockhauses. Aber auch diese Schule 1st ver- schwunden und hat einem priichtigen Neubau Platz machen miissen, der offentlichen Schule No. 2. Die Stadt wuchs und besitzt heute bei einer Bevolkerung von etwa 56,000 Seelen eine Hochschule und 17 offentliche Schulen mit iiber 6000 Schiilern und 200 Lehrern, darunter nur 6 Manner. Ausserdem bestehen auch einige katholische Parochialschulen, darunter mehrere deutsche.

In einer Stadt wie Erie mit einer starken deutschen Bevolkerung, fast die Halfte der Einwohner ist deutsch, hat sich naturgemass schon friih der Wunsch geregt, deutschen Unterricht in den b'ffentlichen Schulen einzufuhren. Die verschiedenen deutschen Kirchen hatten wohl ihre kleinen Gemeindeschulen, aber das wurde doch nicht als geniigend anerkannt.

Die ersten Anfange eines geregelten deutschen Unterrichts datieren bis zum Jahre '64 zuriick, als eine Anzahl der prominenten Deutschen der Stadt zusammen- trat und einen Schulverein griindete. Dieser Verein wurde am 9. Februar '65 in- korporiert unter dem Namen ,,The German Free-School Association of the City of Erie. Paragraph 2 der Inkorporationsurkunde lautet ,,The object of the association is to provide for means to buy a suitable lot for the erection of a school-house thereon, which, when finished, shall be tendered to the school-directors of the city for the instruction of German classes free of any charge if necessary." Der Plan kam zur Ausfiihrung, und eine Reihe von Jahren wurde hier deutscher Unterricht er- teilt. Der Verein hatte mit mancherlei Schwierigkeiten zu klimpfen, und nicht die ge- ringste war die Beschaffung von geeigneten Lehrkraften. Man musste eben nehmen, was kam, und machte dabei manche triibe Erfahrungen, die anderen Stadten auch wohl nicht erspart geblieben sind. Leute, die sonst nichts anderes zu tun fanden, wurden deutsche Lehrer, und selbst wenn sie die nb'tigen Kenntnisse besassen, ent- wickelten sich in ihrem sonstigen Lebenswandel Schwachen, die sie nicht zu Erzie- hern der Jugend geeignet machten.

Nach einer Reihe von Jahren setzte es der Verein durch, dass Deutsch als terrichtsgegenstand in alle offentlichen Schulen aufgenommen wurde. Die Ver- haltnisse wurden nun geregelter und die Lehrkriifte wurden aus dem vorhandenen Material von Lehrerinnen beschafft. Es wurde nun regelmlissig Unterricht erteilt, aber es war kein System in dem Unterricht, die Lehrerinnen war en auch nicht immer geeignet und von einer eigentlichen Methode war auch kaum die Rede. Es erhoben sich mehr und mehr Stimmen gegen die Fortsetzung des deutschen Unterrichts in den Schulen unterhalb der Hochschule. Die Verhaltnisse spitzten sich mehr und mehr zu, und eine Krisis war unvermeidlich. So beschlossen dann die deutsch- freundlichen Mitglieder des School-Boards, die Angelegenheit zu einer Entscheidung zu bringen und die Aufhebung oder Beibehaltung des deutschen Unterrichts dem Volkswillen zu iiberlassen. Eine Anzahl offentlicher Versammlungen fanden statt, und viel wurde daflir und dawider geredet. Zwei Komitees von Schulratsmitgliedern wurden ernannt, um die Frage eingehend zu studieren und dann dem Plenum ihre Berichte vorzulegen. Es war das im Februar 1900.

In der Versammlung der Schuldirektoren wurde der folgende Bericht zu Gunsten des deutschen Unterrichts eingereicht: Gentlemen !

After due and careful consideration, the majority of your committee believes it to be to the best interest of our schools to continue the teaching of German. Tne teaching of a foreign language is sanctioned by the leading authorities on public- school instruction as an important and valuable aid in the elementary training of children, also meets the social conditions and wants of our community. German in Erie is a necessity, it is not a theory. Your committee therefore recommends that the teaching of German be continued; that on the opening of schools in September each

Der deutsche Unterricbt in Erie. 217

pupil shall be required as a condition of admission to file with the principal a written request from the parent or guardian, whether he desires such pupil to study German or not: that pupils commencing the study of German shall be required to continue it to the close of the school year unless excused by the superintendent; that it shall be rated in the promotion of pupils the same as other studies; that it shall be under the special supervision at a suitable compensation of Mr. v. d. Gr. of the High-School who shall prepare a course of study in German for all grades including the High School; and that the German teachers and all candidates for the teaching of German, be organized by him into a training class to receive instruction in methods not less than twice each month during the year.

Die Gegner wandten ein, dass die Kosten des Unterrichts in keinem Verhaltnis zu den erlangten Resultaten standen, dass der deutsche Unterricht nur ein den Deutschen der Stadt gezolltea Kompliment sei, dass derselbe zwecklos und unver- standlich sei fur Kinder, die ihrer eigenen Sprache nicht machtig seien, und dass mit demselben Rechte die anderen Nationalitaten wie Polen, Russen, Italiener die Einfiihrung ihrer Sprachen in den offentlichen Unterricht beanspruclien konnten. Die endliche Abstimmung ergab eine Majoritat von 16 gegen 4 zu Gunsten der Bei- behaltung, und als im Herbst die Karten mit der Unterschrift der Eltern zuriick- kamen, erklarten sich 80 Prozent der Eltern zu Gunsten des deutschen Unterrichts. Das war wohl der schlagendste Beweis, dass die Niitzlichkeit auch von vielen nicht- deutschen Eltern anerkannt wurde.

Wie schon oben erwiihnt, besitzt die Stadt Erie bei einer Bevolkerung von etwa 56,000 Seelen 1 Hochschule und 17 Volksschulen. Nach einem von den deutschen J^ehrerinnen am loten April aufgenommenen Zensus war die Hochschule von 500, die 17 offentlichen Schulen von 5927 Schiilern besucht. Von diesen letzteren beteiligten sich am deutschen Unterricht 4775 oder 83.9 Prozent; Kinder deutscher Eltern wa- ren 2201 oder 47.6 Prozent. Die Teilnahme am deutschen Unterricht richtet sich hauptsachlich nach der Bevolkerung des Distriktes, in dem die Schule gelegen ist, jedoch hat auch die Personlichkeit der Lehrerin grossen Einfluss. Der Prozentsatz der Teilnahme am deutschen Unterricht schwankt zwischen 95.4 Prozent in einer Schule, in der 37.3 Prozent deutsche Kinder sind, und 71 Prozent mit 63 Prozent deutschen Kindern. Man sieht aus diesen Zahlen, dass er ganz und gar nicht ein Privileg der Deutschen ist. Noch auffallender stellen sich die Zahlen in einer klei- nen hauptsachlich von Slaven und Irlandern besuchten Schule. Von 199 Kindern nahmen 179 am deutschen Unterricht teil, und 15 davon sind von deutschen Elfern. Deutlicher kb'nnen wohl Zahlen kaum reden. Die Gesamtkosten belaufen sich auf $6920 oder $1.40 pro Kopf der deutschlernenden Kinder. Die Hochschule ist in diese Zahlen nicht eingeschlossen. Hier stellt sich der Prozentsatz der deutsch- studierenden Schiller naturlich nicht so hoch. Etwa 180 von den 500 Schiilern der Hochschule beteiligten sich am deutschen Unterricht. Latein iibt stets eine grosse Anziehungskraft aus, und auch die Klassen in Griechisch und Franzosisch sind meist gut besucht. An Lehrerinnen fur den deutschen Unterricht besitzen wir eine ftir jede Schule unterhalb der Hochschule, in letzterer zwei. Die Lehrerinnen sind samtlich von deutscher Herkunft und beherrschen dieSprache, die sie lehren, voll- standig.

Bei der Aufstellung eines Lehrplanes fur den deutschen Unterricht vom ersten Schultage bis zum 4ten Jahre in der Hochschule musste naturlich in erster Linie den Wiinschen des Publikums Rechnung getragen werden. Warum lernen unsere Schfiler Deutsch? Die Deutschen, um sich ihre Muttersprache zu erhalten und mit ihr mancherlei gute Sitten und Gebrauche. Der Zweck ist hier ein mehr idealer, aber er soil auch ein praktischer sein, und die Kinder sollen lernen, die Sprache im tag- lichen Leben, besonders im Geschaftsleben zu gebrauchen, und es ist eine unbe-

218 P'ddagogische Monatsbefte.

atrittene Tatsache, dass ein junger Mann oder ein junges Madchen mit der Kenntnis von zwei modernen Sprachen, und bier ist doch in erster Ldnie an Deutsch zu den- ken ,weiter kommen und bessere Aussichten haben als diejenigen, die nur ihre Muttersprache verstehen. Dazu gehort aber, dass sie die Spraehe sprechen lernen und nicht nur lesen und verstehen, und darauf ist unser ganzer Lehrplan basiert. Der Kursus in den Volksschulen ist siebenjahrig. Der Unterricht im Deutschen be- ginnt mit dem ersten Schultage. In den ersten beiden Jahren ist der Unterricht nur miindlich, d. h. Textbiicher werden nicht benutzt aus dem sehr triftigem Grunde, weil wir keine haben und ich eine so bedeutende Auslage augenblicklich nicht von dem School-Board verlangen kann. Wie es Ihnen wohl bekannt ist, haben wir in Pennsylvanien freie Biicher. Ich wiirde sehr gerne wenigstens im zweiten Jahre ein passendes Lesebuch einfiihren, aber wir haben uns noch zu gedulden. Ablesen von Wortern und Satzen von der Wandtafel wird fleissig geiibt und wir besitzen auch gedruckte Buchstaben, die in Worter und kleine Satze zusammengestellt werden. Schreibunterricht beginnt im zweiten Jahre. Als Material fttr den Anschauungsun- terricht benutzen wir die ,,Strassburger Bilder, Holtzels Wandbilder und Wilkes Bildertafeln." Diese Bilder stellen die 4 Jahreszeiten, Stadt, Bauernhof, Wald, Ge- birge und Hafen u. s. w. dar. Wir haben mit diesen Bildern ausserordentliche Er- folge erzielt, und ich kann sie alien Kolleginnen und Kollegen aufs warmste em- pfehlen. Sie iiben auf die Kinder grosse Anziehungskraft aus, und wir haben mit denselben erreicht, dass die Schiller selbstandig sprechen lernen,in dem sie auf das, was sie sehen, hinweisen und die Handlung und Situation beschreiben. Die Bilder sind fur wenig Geld von der Leipziger Lehrmittelanstalt zu beziehen. Als Material fiir die Konversation dient natiirlich alles, was den Kindern nahe liegt und ver- standlich ist, besonders die Klasse und das Heim, die Korperteile, Kleidung, einige Blumen und Friichte. Die Arbeiten der Mutter, wie Waschen, Kochen, Einkaufen werden besprochen und kleine Satze gebildet mit den Zeitwb'rtern gehen, kommen, legen ,stellen, tragen, werfen. Der Gebrauch einiger Prapositionen, wie an, auf, in, neben, unter, wird geiibt und eine Anzahl von kleinen Liedern und Reimen werden gelernt und gesungen. Der Anschauungsunterricht im zweiten Jahre ist ahnlich wie im ersten, nur dem Begriffsvermogen der Kinder angepasst, vorgeschrittener. Die Namen der Tage, Monate, Jahreszeiten werden gelernt, ebenso die Namen und der Gebrauch von einigen Werkzeugen und Gegenstanden des taglichen Gebrauches. Zeitworter wie ,,haben, sitzen, stehen, liegen, hangen und die Frage wo?" werden geiibt, ebenso die Eigenshaftsworter, die Farben und Dimensionen ausdriicken. In dieser Klasse beginnt der Schreibunterricht und das Ablesen von Wortern und Satzen von der Wandtafel.

Im dritten Jahre beginnen wir mit Weick und Grebners erstem Lesebuch. Die Lektionen werden nicht nach der Reihenfolge durchgenommen, sondern hier ist die grossere oder geringere Schwierigkeit, die sie bieten, massgebend gewesen. So be- ginnen wir nicht mit der ersten Lektion, sondern mit der 7ten, dann folgt 29, 50, 1 u. s. w. Die Lektionen werden gelesen, erklart, wohl auch ins Englische iibersetzt und dann iiberzeugt sich die Lehrerin durch viele Fragen, ob die Schiller das Gele- sene verstanden. Konversation und gutes Lesen, gute Aussprache und Gelaufigkeit sind die massgebenden Punkte. Auch in dieser Klasse werden, wie iiberhaupt in alien die Bilder benutzt und Sprechunterricht fleissig geiibt, ebenso Schreiben und Diktat. Spriichworter, kleine Lieder und Gedichte werden gelernt. Miindliche Steigerung von Beiwortern bildet hauptsachlich die Grammatik dieser Klasse. Im 4ten Jahre beginnen wir mit der Konjugation von Zeitwortern im Prasens. Solche werden gewahlt, die im Text der Lesestiicke vorkommen und in den friiheren Klassen fiir Konversationszwecke benutzt werden. Als Lesebuch dient ebenfalls Weick und Grebners erstes Buch. Im fiinften Jahre wird das erste Lesebuch beendigt. Die

Der deutscbe Unterricbt in Erie. 219

Hauptformen der in friiheren Lektionen gelernten Zeitworter werden geiibt und die Konjugation des Imperfekt, ferner die erste Deklination mit dem bestimmten Artikel und der (rebranch des ersten, zweiten und 4ten Falles in Satzen. Im 6ten Jahre beginnen wir das zwelte Lesebuch. Hauptworter der dritten und vierten Deklination werden dekliniert, ferner Worter wie dieser, jener, jeder, welcher, wer und was. Konjugiert werden das Prasens, das Perfekt und das Futurum. Die Prapositionen, welche den Dativ regieren werden gelernt und in Satzen geiibt. Im siebenten Jahre wird das zweite Lesebuch beendigt. Dekliniert werden der unbestimmte Artikel, die besitzanzeigenden Fiirworter und die zweite Deklination; ferner die personlichen Fiirworter; konjugiert bekannte Verben in den schon friiher gelernten Formen und im Plusquamperfektum. Die Prapositionen, die den Akkusativ regieren, werden ge- lernt. In alien diesen Klassen nehmen Sprachiibungen die Hauptzeit ein, aber auch Schreiben und Diktat werden hier nicht vernachlassigt. Zum Anschauungsunterricht gebrauchen wir in den hoheren Klassen auch ,,Monsteitte Pictorial Chart of Geog- raphy."

Wenn wir uns nun die Frage stellen: sind die erreichten Resultate zufrieden- etellend und dem Aufwande an Arbeit, Zeit und Geld entsprechen, so glaube ich die Frage ehrlich mit ,,ja" beantworten zu konnen. Was unter den bestehenden Verhaltnissen moglich ist, wird in reichem Masse geleistet. Wir haben mit man- cherlei Schwierigkeiten zu kampfen, wie es wohl auch anderswo sein wird. Unsere Klassen, namentlich in den ersten Jahren sind gross und die Zeit ist sehr kurz, von 20 bis 30 Minuten taglich; ferner hat die Lehrerin in nur wenigen Schulen ein ei- genes Zimmer und Storungen sind unvermeidlich. In den hoheren Klassen ist die Schiileranzahl geringer und veranlassen die am Ende des Terrains stattfindenden Priifungen manche Schiller Deutsch aufzugeben. Infolgedessen konnen diese Klassen auch Besseres leisten und kommen die wenigen, die iibrig bleiben, gut vorbereitet in die Hochschule. Manche Verbesserungen haben wir schon durchgesetzt, und mit der Zeit wird es ja auch noch besser werden. Wir haben im School-Board stets eine Anzahl dem Deutschen wohlgesinnte Mitglieder. Wenn nur die leidige Geldfrage nicht bei alien eine so grosse Rolle spielte.

Ich komme nunmehr zu der Hochschule und mochte hier etwas genauer auf die Art und Weise des Unterrichts eingehen. Der Kursus ist hier vierjahrig. Wir teilen die Anfangerklassen in Schiller mit und ohne Vorkenntnisse. Ich iibernehme eine Klasse, die aus Schiilern besteht, die absolute Anfanger sind oder kaum nennens- werten Unterricht gehabt haben, meine Kollegin den Rest. Meine Klasse besteht durchschnittlich aus 25 bis 30 Schiilern, wahrend die andere weit grosser ist und in verschiedenen Unterabteilungen geteilt wird. Als Textbuch benutze ich Prof. Bernhardts deutsch'es Sprach- und Lesebuch, und ich gebrauche die deutsche Sprache vom ersten Unterrichtstage an und habe ich in achtjahriger Praxis nur gute Re- sultate mit diesem Buche erreicht. Das Buch ist deutsch vom Anfang bis zum Ende. Die Lektionen sind so leicht verstandlich, dass auch ein mittelmassiger Schiller keine besonderen Schwierigkeiten finden wird, aber er muss seine ganze Aufmerksam- keit konzentrieren, um folgen zu konnen. Es wiirde hier zu weit fiihren, wollte ich den ganzen Gang des Unterrichts beschreiben, aber einige Bemerkungen mochte ich mir doch erlauben. Das Buch ist in erster Reihe eine Konversationsmethode, ent- halt aber auch alle fur ein erstes Schuljahr notwendige Grammatik in leicht fass- licher Darstellung. Die Lesestiicke sind vorziiglich gewahlt, ebenso die Gedichte. Jede Lektion enthalt auch einen englichen Text fiir Komposition. Um diese Methode gebrauchen zu konnen, ist conditio sine qua non vollstandige Kenntnis und Be- herrschung der Sprache, auch ein wenig Zeichentalent ist von grossem Nutzen. Sie erfordert iibrigens auch bedeutendes Material, und das ist vielleicht fiir manche Lehrer schwierig zu beschaffen und mit Kosten verbunden. Dank der Gute meines

220 P'ddagogische Monatsbefte.

Freundes Bernhardt bin ich aufs reichste mit dem versehen. Ich kann die Methode jedem Lehrer dringend empfehlen, der ohne zu erroten, mit dem Bewusstsein vor seine Klasse treten kann ,,Ich kann Deutsch." Das Buch fiillt ein Jahr reichlich aus und benutze ich nur dieses eine.

Ausser Sprachunterricht spielen ttbersetzungen ins Deutsche und Diktat eine grosse Rolle. Etwa 8 Gedichte werden wahrend des Schuljahres gelernt wie die Engel, Lorelei, Erlkonig, Was ich Hebe, Kapelle, Wanderers Nachtlied u. andere. Meine Kollegin benutzt in ihren Klassen Joynes Meissners Grammatik und Jones Reader. Auch sie benutzt Deutsch als Sprache in der Klasse, das hat aber natiirlich nicht fur die Schiller die Schwierigkeiten wie in einer Anfangerklasse. Im zweiten Jahre benutzen wir A Course in German Conversation, Composition and Grammar Review von Prof. Bernhardt, ebenfalls ein vortreffliches Buch besonders fur daa zweite Jahr geeignet. Jede der 32 Lektionen enthalt einen Text, Composition, Con- versation und Grammatik. Als Lektiire benutzen wir die bekannten Biicher, wie Immensee, Hoher als die Kirche, Traumereien und ahnliche. Die besten sind die, die am meisten Handlung und deshalb Material fur Konversation enthalten.

Im dritten Jahre habe ich bis jetzt ,,Unter dem Christbaum" von Helene Stb'ckel gelesen, doch werde fch im kommenden Schuljahre Sterns ,,Sagen vom Rhein" be- nutzen. Das letztere Buch bietet ein unerschopfliches Material fiir Konversation, und die Schiiler lernen auch mancherlei, das nicht gerade zum deutschen Unterricht gehort, wie Geschichte, Geographic, u. s. w. Ich verlange von meinen Klassen eine gute Vorbereitung der gebenenen Aufgabe. Alle unbekannten Worter miissen mit der englischen Bedeutung in ein besonderes Heft geschrieben werden. Dadurch wer- den die Schiiler mit dem Inhalt des Lesestiickes vertraut und die Arbeit in der Klasse sehr erleichtert. Ich lasse nicht regelmlissig ins Englische iibersetzen, besonders nicht, bevor ich das Gelesene griindlich durchgenommen und besprochen habe, und ich iiberzeuge mich durch viele Fragen, ob die Schiiler das Gelesene verstanden. Ich habe stets gefunden, dass ich die angespannte Aufmerksamkeit der Klasse habe, so- lange ich nur Deutsch spreche. Die Schiiler miissen aufpassen, um folgen zu kon- nen, und sind auch viel mehr interessiert, da sie sprechen lernen wollen. Ich gehe nur langsam vorwiirts. Ich bin der Ansicht, dass es wertvoller fiir die Schiiler ist, 20 Seiten griindlich zu lernen als 40 nur halb. Im zweiten Term lesen wir Tell. Tell ist seiner lebhaften Handlung wegen von alien klassischen Dramen wohl das geeig- netste fiir Klassengebrauch und auch das leichteste. Die mancherlei Personen und Szenen geben reichen Unterhaltungsstoff. Zum 'tfbersetzen ins Deutsche benutze ich Harris Composition. Die Schiiler miissen ein bestimmtes Pensum zu Hause iiber- setzen und in ihr Aufgabeheft schreiben. Dann schicke ich 8 bis 10 von ihnen an die Tafel und lasse jeden einen oder mehrere Siitze anschreiben. Der Rest der Klasse muss nun die gemachten Fehler herausfinden. Es bildet sich hier bald ein gewisser Wetteifer heraus, Fehler zu finden, und ihnen entgeht auch nicht der kleinste ortho- graphische Fehler, den ich selbst vielleicht iibersehen habe. Das an die Tafel Ge- schriebene wird korrigiert und besprochen und an die gemachten Fehler Grammatik angekniipft. Die eigenen Arbeiten werden verbessert und am Ende der Stunde sehe ich eine Anzahl Hefte nach, um mich davon zu iiberzeugen, ob das auch geschehen. Ich lasse 8 bis zehn Gedichte lernen und zwar solche wie Belsazar, Abseits vom Strom, Konig in Thule, Madchen aus der Fremde und andere. Ich gebe die Ge- dichte als Diktat und lasse sie dann ebenfalls strophenweise an die Tafel schreiben und verbessern und kniipfe 'Obungen in Orthographie daran an. Im vierten Jahre lesen wir Hermann und Dorothea und die Jungfrau in ahnlicher Weise wie in den andern Klassen. Zum tfbersetzen ins Deutsche benutze ich v. Jagemanns ,,Materials for Composition" und zum Grammatikunterricht v. Jagemanns ,,Syntax". Eimnal

Der deutscbe Unterricbt in Erie. 221

wochentlich habe ich eine Literaturstunde und gebrauche ich als Textbuch Bernhardts Hauptfakta der deutschen Literatur.

Selbstverstftndlich 1st es nicht moglich, in so wenigen Stunden von den Schulern ein griindliches Studium der gesamten Literatur zu erwarten. Es ist das auch durchaus nicht meine Absicht. Was ich bezwecke und auch erreiche, ist die deutsch- lernenden Schiller mit dem Wichtigsten, besonders auch mit der Entwickelung der Sprache bekannt zu machen, ferner mit den verschiedenen Perioden und den wichtig- sten Werken von Ulfilas Bibeliibersetzung bis zur neuesten Zeit. Ich diktiere fur jede Periode eine bestimmte Anzahl Fragen, welche die Schiller schriftlich zu beant- worten und nach Durchnahme und Verbesserung auswendig zu lernen haben. Da- bei wird natiirlich auf einzelne Schriftsteller und deren Werke genauer eingegangen, besonders auf Schiller und Goethe. Am Schluss des Schuljahres kniipfte ich einige Worte iiber die Schriftsteller an, deren Werke wir in unserer offentlichen Bibliothek finden, und die viel von den hiesigen Deutschen und auch von Schulern gelesen wer- den. Vorbereitung filr diese Stunde verlange ich nicht. Ich gebe in diesen Litera- turstunden auch die Gedichte. Als Parallelklasse zum 4ten Jahre haben wir noch eine sogenannte German-German Klasse fiir Schiller, die zu Hause deutsch sprechen. Diese Klasse ist ausserordentlich interessant, da ich mit den Schulern wie mit gebore- nen Deutschen reden kann. Die meisten sprechen recht gut Deutsch, wenn auch oft stark im siiddeutsehen Dialekt oder in Pennsylvania Dutch. Unter diesen Schulern findet man viele, die aus den deutschkatholischen Parochialschulen kommen. In diesen wird ein halber Tag englisch und ein halber Tag deutsch gelehrt. Ich lese in dieser Klasse Maria Stuart und die Journalisten mit verteilten Rollen. In Litera- tur Schillers und Goethes Leben und Werke und Gedichte verschiedener anderer Dichter, die in Prosa schriftlich oder miindlich wiedergegeben werden. Zu ttber- setzungen ins Deutsche benutze ich v. Jagemanns oder Polls Biicher fiir Komposi- tion, als Grammatik und Prosalesebuch Bernhardts Sprach- und Lesebuch II. Teil. Ich nehme hier besonders das Zeitwort und den Gebrauch der Konjunktionen durch. Das Buch eignet sich vorziiglich fiir Schiller im 4ten Jahre einer Hochschule und auch fiir Kolleggebrauch.

In vorliegenden Blattern habe ich versucht, Ihnen zu schildern, was wir in unse- rem deutschen Departement tun. Vielleicht eignet sich der Kursus nicht fiir andere Orte so gut wie fiir Erie; aber fiir unsere Verhaltnisse mit einem so starken deut- schen Element ist er durchaus geeignet, nicht nur fiir Schiiler, deren geistige Erzie- hung mit der Hochschule aufhort, sondern auch fiir die, die ein Kolleg oder eine Universitat besuchen. Wir haben die praktischen Beweise dafiir. Die Verhaltnisse in unseren Schulen sind die besten, es herrscht eine vollstandige Harmonie. Das Deutsche ist in den Schulen von den Vorsteherinnen und anderen Lehrerinnen gern gesehen und begiinstigt. So hoffe ich, dass die Zukunft auch hier die besten Friichte bringen wird. Ich bin der ftberzeugung, dass das Deutsche in den Schulen unserer Stadt fiir absehbare Zeit gesichert ist. Die Lehrerinnen des Deutschen gehoren siimtlich als Zweigverein dem Lehrerbunde an. Unsere Versammlungen finden alle 14 Tage statt und werden Angelegenheiten des Unterrichts besprochen. So leben wir hier im besten Einverstandnis in fleissiger Arbeit fiir unsere Sache, das Deutsche, fern vom Gerausch der Welt. Vieles haben wir schon erreicht, aber wir gedenken nicht dabei stehen zu bleiben. Worauf wir hinarbeiten, ist vollstandige Gleichstel- lung des deutschen Unterrichts mit den anderen Fachern. Ob wir es erreichen wer- den, liegt im Schosse der Zukunft.

II. Korrespondenzen.

Baltimore.

Ein deutschamerikanisches Dichter- tournier fand irn wonnigen Maimonat hier statt, gewissermassen ein Vorliiufer zu dem fiir die mittlere Juniwoche ge- planten Sangertournier, dem 20. Natio- nalen Sangerfest des Nordbstlichen San- gerbundes von Amerika, dessen in der jiingsten Korrespondenz bereits Erwah- nung geworden. Das benachbarte Wa- shington hatte zu dem interessanten Verstournier drei wackere Ritter ent- sandt: Frank Claudy, den tremichen ftbersetzer des Goetheschen ,,Faust", den Journalisten Dr. Straib und Hugo Schulze. Von Baltimore traten vier mu- tige Kampen in die Schranken: Dr. E. Henrici, Prof. Otto Fuchs, Dr. M. Schapiro und Louis Illmer. Ein eigenes Zusamrnentreffen, dass am selben Tag auch in Koln die Preise fiir die diesjah- rigen Blumenspiele zur Verteilung ka- men, bei denen unser Dr. Henrici als ei- ner der Sieger hervorgegangen war. Sein Dichterpreis, eine goldene Nadel mit dein Kb'lner Wappen, ist bereits hier eingetroffen.

Diese Kolner Blumenspiele sind eine Neubelebung der alten provengalischen ,,Jeux floraux", deren Entstehung in das vierzehnte Jahrhundert zuriickreicht, die neuerdirigs in siidfranzosischen Stadten und in Spanien wieder aufgebliiht sind. Hof rat Dr. Johannes Fastenrath hat die Blumenspiele vor filnf Jahren auch in Deutschland eingebiirgert, und mit gro- ssem Erfolge. Blumenspiele werden die- se dichterischen Wettbewerbe genannt, weil die Preise fiir die besten Dichtun- gen in Blumen bestehen; eine goldene Kornblume fiir das beste patriotische Gedicht, ein goldenes Veilchen fiir das beste religiose Gedicht, lebende Blumen mit Schleife fiir das beste Liebesgedicht und das Recht, die Blumenkonigin zu er- nennen, eine goldene Rose oder eine Re- benbliite fiir die beste Novellette oder Humoreske. Neben diesen von Dr. Fa- stenrath gestifteten Preisen sind in den vier letzten Jahren zahlreiche ausseror- dentliche Preise von anderen Seiten ge- stiftet worden, sogar aus Spanien. Von Jahr zu Jahr wachst das Interesse an diesen Spielen.

So ernst wie in Koln war der Dichter- wettstreit in der ,,Vorwartshalle" nicht gemeint; und doch mag er der Anfang werden, dass unsere deutschamerikani- sche Dichtung, die bisher zum grossen Teil in den Zeitungen Unterschlupf su- chen musste und iiber eng begrenzten

Leserkreis nicht hinaus kam, sich wei- tere Gebiete erobert, dass unsere deutsch- amerikanischen Dichter, und ihre Zahl ist recht gross, mehr bekannt und ge- wiirdigt werden.

Die bei diesem Tournier in Wettbe- werb getretenen Dichtungen fanden rei- chen Anklang, und der unermiidlich strebsame Turnverein ,,Vorwarts" hat mit dieser Veranstaltung nicht allein ei- nem grossen Publikum von geladenen Gasten einen schb'nen und genussreichen Abend bereitet, sondern auch, unbeab- sichtigt vielleicht, den Anfang gemacht, deutschamerikanische Dichter einander naher zu bringen. Unser ehemaliger Kollege Richard Ortmann, der wiirdige Nachfolger Leyhs in der Schriftleitung des ,,Deutschen Correspondenten", schreibt hieriiber folgende beherzigungs- werte Worte: ,,Warum jetzt nicht wei- ter bauen? Warum den kleinen Kreis vom letzten Sonntag nicht erweitern? Zu welch grossen musikalischen Festen ha- ben sich die Siingerfeste dieses Landes aus den kleinsten Anfangen entwickelt! Im Mai des Jahres 1844 machte der Baltimorer ,,Liederkranz" eine Fahrt nach Philadelphia, um dem dortigen Mannerchor einen Besuch abzustatten das erste Sangerfest in den Ver. Staa- ten; und wie sind dieselben riesig ange- wachsen! So reich an Zahl wie deutsch- amerikanische Sangerkehlen sind die ja nicht, in deren Adern echtes Poetenblut rollt; aber was tut das? Die Menge tut's in der Dichtkunst nicht, sondern die Qualitat. Wir mochten hier eine Anregung geben, solchen Dichterwettbe- werben, wie sie in Siidfrankreich, in Spanien, in Koln stattfinden, auch zum Biirgerrecht zu verhelfen. Unsere deutschamerikanischen Dichter wiirden damit mehr Fiihlung unter einander ge- winnen, was aber viel hb'her zu werten ist, unsere Dichter wiirden aus dem be- scheidenen, veilchenartigen Dasein her- austreten; ein frischer, frohlicher Zug wiirde einsetzen." S.

Cincinnati.

Ganz unerwartet nicht, aber doch sehr plotzlich und jedenfalls zu friihe, iiber- raschte uns am 14. Mai die Kunde von dem Ableben des Kollegen Dr. Wilhelm Jager, des deutschen Oberlehrers der 6. und 8. Distriktschulen. Der erst im 43. Lebensjahre stehende, seit etwa zwei Jahren an den hiesigen offentlichen Schulen tatig gewesene, hochgebildete und allgemein beliebte Kollege, ein

Korresponden^en .

223

Braunschweiger von Geburt, war friiher in verschiedenen Stadten unseres Landes als Vorsteher von Berlitz-Schulen sehr giinstig bekannt; hatte zu verschiedenen Malen die alte Heimat besucht und dort immer wieder an seiner fachlichen Aus- bildung weiter gearbeitet, in der er sich in jeder Hinsicht auszeichnete. Es war ihm in hohem Grade die Gabe verliehen, sein VVissen in logisch-gediegene Gedan- ken zu kleiden und diese in tadelloser Form zum Ausdruck zu bringen. Zeuge davon ist der vor nicht langer Zeit in den ,,P. M." erschienene Aufsatz aus seiner Feder. Er litt augenscheinlich an einem Herzfehler und war dabei nicht frei von Leber- und Nierenbeschwerden. Das hinderte ihn in den letzten Monaten b'fters an der Ausiibung seiner Dienst- pflichten; und als er vor etwa zwei Mo- naten sich in der frohen Hoffnung wieg- te, wenigstens annahernd genesen zu sein, da war es nur das letzte Aufflak- kern eines dem baldigen Tode unwider- ruflich Verfallenen. Ein Lungenleiden kam dazu und machte dem Leben des Mannes, der ein besseres Los verdient hatte, ein schnelles Ende. Seine Stelle ist noch unbesetzt; der Aspiranten sol- len viele sein.

Wie vieler Hoffnungen der bevorste- hende Abgang des Superintendenten Dr. Boone erfiillt, wie vielen er solche zer- stort haben mag, davon merkt man nichts. Alles ist ruhig, um so mehr als der Schulschluss vor der Tiire steht und kein Zweifel dariiber zu herrschen scheint, dass ein Systemwechsel im all- gemeinen zu den beschlossenen Dingen gehort. Personenwechsel werden allem Anscheine nach keine, oder nur sehr we- nige eintreten. Ob nun alle diejenigen im Rechte sind, die mit Stauffacher sa- gen: ,,von einer grossen Furcht sind wir befreit", das wird sich ja wohl zeigen, wenn wir im Herbst wieder gesund zu- sammenkommen.

Die am 28. Mai im deutschen Oberleh- rerverein stattgefundene Vorstandsneu- wahl ergab: Prasident, F. W. Strubbe; Vizeprasident, Erich Bergmann; Sekre- tar, F. J. Keller; Schatzmeister, Max Reszke. In derselben Versammlung wur- de bschlossen, die neueste deutsche Rechtschreibung allmiihlich einzufuhren, sowie in alien Schulen, wo Zeit und Um- stande es gestatten, besondere Sprech- und Sprachiibungsstunden zu veranstal- ten, eine Massregel, die hier und dort bekanntermassen nicht vom tfbel sein diirfte, teils dieser- und teils jenerhalb.

quidam.

Milwaukee.

Sollst mir nicirt lange klagen,

Was alles dir wehe tut;

Nur frisch, nur frisch gesungen!

Und alles wird wieder gut.

Unarnisso.

Der Gesangunterricht in der Volks- schule. Die Wichtigkeit, ja Notwendig- keit dieses Unterrichtsfaches wird im- mer noch nicht geniigend anerkannt, und daruni schenkt man ihm oft nicht die ge- niigende Aufmerksamkeit, raumt ihm nicht die notige Zeit ein oder erteilt ihn in ganz verkehrter Weise. Der Gesang- unterricht wird ja leider auch zu den ,,ornamental studies" gerechnet und so- mit vielfach als ganz entbehrlich ange- sehen; doch wie wichtig und wie frucht- bringend ist dieser Unterricht, wenn er recht erteilt wird. Palmer sagt in sei- nem Werke iiber Erziehung: ,,Die Mu- sik ist schon an sich ein edler Genuss, ein reicher Schmuck des armen Lebens, und darum muss die Tonkunst hoch an- geschlagen werden. Welch unerschopfli- che Quelle von Freude, von reiner nie versiegender Lust ist demjenigen ver- schlossen, der fiir die Musik kein Ohr hat. Gewiss, wenn es Sache vaterlicher Liebe ist, den Kindern, wie die Schrift sagt, gute Gaben zu geben, so ist die mu- sikalische Bildung der Kinder in der Schule gewiss unsere Pflicht, und wahr- lich nicht die geringste." Und unser ge- schatzter Landsmann Carl Schurz sagt: ,,Die Musik hat viele erhoben; aber sie hat noch niemand erniedrigt; durch sie ist noch niemand zum Schlechten ver- fiihrt worden. Sie mag Gefiihle erre- gen, ja Leidenschaften entflammen, aber immer nur die edlen. Die Musik ist die reinste, die tugendhafteste aller Kiinste. Sie erhebt uns von dem Gemeinen hin- auf zu dem, was iiber uns schwebt. Sie ist die Stimme des Unaussprechlichen, die Farbe des Unfehlbaren. Ihr Gruss lasst keinen Flecken, keine Reue zuruck. In ihr finden sich die Menschen in ihren reinsten Empfindungen vereinigt." Ist das nicht ein schones und zugleich wah- res Loblied, das der edlen Musika, wie Luther sie nannte, gesungen wird? Na- tiirlich kommt fiir die Schule zunachst nur die Vokalmusik in Betracht.

Auch hier in Milwaukee wird der Ge- sangunterricht noch nicht so betrieben. wie er sollte; da ist zu viel Theorie und zu wenig wirklicher Gesang; da ist chart reading, music reading, exercises, cultivation of voice und was noch alles mehr an hochtonenden Phrasen; da ist do, re, me, fa, sol, und solcher Hum-

P'ddagogiscbe Monatsbefte.

bug mehr, als ob man die Kinder zu Opernsangern ausbilden wollte. Da mils- sen einem die armen Kinder dauern, de- nen man statt des Brotes einen Stein reicht. Der Schulrat hat sich schon den ganzen Winter herumgezankt und dispu- tiert und debattiert tiber ein passendes Liederbuch ( music reader ) , als wenn das die Hauptsache beim Singen ware. Irgend ein Buch ist gut, wenn es nur recht viele gute, patriotische Volkslieder hat, und daran ist ja wahrlich kein Mangel. Die meisten davon sind ja deutschen Ursprungs, sowohl Text wie Melodie, wenn sie auch ein englisches Kleid angezogen haben. Ein rechter Ge- sanglebrer weiss sich bald zu helfen, die Me!odie wird vorgespielt oder vorgesun- gen und die Kinder haben sie bald im Ohr, und gut ist's, wenn sie den Text auch im Gedachtnis haben. Aber singen wollen sie, nur qualt sie nicht mit ex- ercises. ,,Ich singe, wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet." So sangen die alten Siinger. Arion, der ,,Tone Mei- ster" und alle die fahrenden Sanger im Altertum haben weder Noten noch Text gehabt. Darum gebt den Kindern Lie- der, lasst sie singen. Singe, wem Ge- sang gegeben! Lasst uns den Kindern etwas geben fiir Herz und Gemiit; sie bekommen ohnehin genug fiir Kopf und Verstand. Nur frisch, nur frisch gesun- gen, und alles wird wieder gut, sagt Chamisso. Wie wahr sagt er! Wenn der Lehrer unter seiner Last fast zusam- men brechen will, wenn er den Himmel pechschwarz ansieht und er fast verzwei- feln mochte bei seiner Arbeit schnell ein Lied frisch und frohlich mit der Klasse gesungen, und alles ist wieder gut! Ja die Musik ist eine edle, hehre und kostliche Gottesgabe. Wer nicht singen kann, ist fast so schlimm daran wie der Stumme. Musik und Gesang verschonern das Leben, sie lassen den Armen, den Arbeiter, den Elenden seine Mtihe, Plage und Elend vergessen und er- heben ihn von der Erde zu den Hb'hen des Himmels. Sollte also nicht die Volksschule die dringende und zwingen- de Pflicht haben, die Kinder des Volks, die Kinder der Arbeiter mit der edlen Gabe des Gesanges auszuriisten fiir ihr spateres Leben? Die Volksschule soil doch der Masse des Volks dienen, sie soil das grdsste Gut der grossten Masse ge- ben, das ist echt demokratisch. Die Rei- chen konnen ihre Kinder privatim in Musik und Gesang ausbilden lassen; nicht so die Armen. Aber leider werden die Volksschulen oft den Bediirfnissen der Reichen und nicht der Armen ange- passt; man sieht sie als Vorbereitungs- anstalten fiir Hochschulen, Colleges und Universitiiten an, was sie aber nicht sind und nicht sein sollen. A. W.

New York.

Der Aufforderung, uber den gegenicdr- tigen Stand oder die Aussichten fur den deutschen Unterricht in New York zu berichten, ware ich langst zuvorgekom- men, wenn nur etwas zu berichten ware. Wir stehen heute noch auf demselben Standpunkte wie vor f iinfMonaten, nam- lich auf dem des ,,Nichts Gewisses weiss man nicht". Unter dem ,,man" bitte ich aber nicht nur die deutschen Lehrer zu verstehen, denn auch die Behorden wis- sen Bestimmtes immer nur fiir einen ge- wissen Tag oder hb'chstens eine Woche. In der nachsten Woche ist wieder alles iiber den Haufen geworfen und neue ttberraschungen stehen in Aussicht. Zur Zeit meines letzten Berichtes war im Rate der Superintendenten beschlossen, den deutschen Unterricht im neu zu be- griindenden 8. Jahre des Kursus obliga- torisch zu machen und taglich 40 Minu- ten darauf zu verwenden. Es wurde uns aber auch in Aussicht gestellt, dass der- selbe fakultativ auch im 7. Jahre erteilt werden wiirde. Vor zwei Monaten wur- de uns mitgeteilt, nur das 8. Schuljahr ?ei'verfiigbar, da aber obligatorisch, aus- genommen in den wenigen (ca. 19) Schulen, wo jetzt franzosischer Unter- richt erteilt wird. Der Verein deutscher Lehrer antwortete darauf damit, dass er 1 ) eine Petition einschickte, in der er ge- gen die beabsichtigte Beschriinkung pro- testierte, und 2) dass er eine Agitation ins Werk setzte, um das in den Verei- nen reprasentierte Deutschtum zu veran- lassen, sich dem Proteste der deutschen Lehrer anzuschliessen. ftber 350 Vereine, eine Mitgliederzahl von beinahe 80,000 Biirgern reprasentierend, haben sich jetzt schon dem Proteste angeschlossen, und noch immer laufen taglich zahlrei- che Petitionen um Ausdehnung auf das 7. Schuljahr bei dem Schulrate ein. Su- perintendent W. H. Maxwell erkennt ,,the wide public demand" an, und trotz- dem hat der Rat der Superintendenten in der letzten Woche den friiheren Be- schluss riickgangig gemacht und em- pfiehlt dem Schulrate, es den Schiilern des 8. Jahres zu iiberlassen, ob sie Deutsch, Franzosisch, Lateinisch oder Stenographic nehmen wollen. Sup. Max- well ernannte ein Komitee, bestehend aus Frl. Constantini und den Herren Bau- meister, Herzog, Kutner, Ohmstede und Scholl, um einen ,,Syllabus" . f iir das 8. Schuljahr auszuarbeiten. Das Komitee beendigte seine Arbeiten und reichte sei- nen Bericht am 14. Mai ein. Nach die- sem Syllabus sollte vom September an unterrichtet werden. Gestern aber sagte mir ein Superintendent, dass in bezug auf das 8. Jahr alles noch im unklaren sei, der deutsche Unterricht also auch im

Umscbau.

225

nachsten Jahre im bisherigen Umfange welter werde gegeben werden.

Auch die Frage desDirektors des deut- schen Unterrichtes ist in den letzten 3 Wochen auf dreierlei Weise behandelt worden. In der ersten ,,dachte man" gar nicht an einen solchen; in der zwei- ten wurden Verhandlungen mit einer ganz bestimmten Person gepfiogen und in der dritten wartet man wieder auf die weitere Entwickelung. Das Amt ei- nes Berichterstatters ist demnach ein sehr schwieriges. Schwieriger aber noch ist die Lage der deutschen Lehrer an den Elementarschulen, wegen der so lange andauernden Unsicherheit. Zu be- dauern sind sie um so mehr, als sie wah- rend des ganzen Jahres weder Zeit noch Miihe, nochKosten gescheut haben, ihren gewiss bescheidenen Forderungen Gel- tung zu verschaffen. Schon vor einem

Jahre wiesen sie in einem vom damali- gen Prasidenten L. B. Bernstein verfass- ten Pamphlet*) die Berechtigung des deutschen Unterrichtes in den Elemen- tarschulen nach. In den letzten beiden Monaten aber haben sie die ganzen recht betrachtlichen Kosten der Agita- tion allein getragen und haben sie gern getragen. Ihr Lohn sollte in der Ge- wahrung ihrer Forderungen bestehen. Noch ist nicht alle Hoffnung auf Erfolg geschwunden. Hoffen wir, dass wir den Teilnehmern am Lehrertage in Erie f reudigen Herzens zurufen konnen : ,,Der Max bringt gute Zeichen mit."

C. Herzog.

*) Die P. M. wiesen seinerzeit auf dies hochbedeutende Schriftstuck hin. D. R.

III. Umschau.

Vom Lehrertage. Die Vorbereitungen fiir den diesjahrigen Lehrertag schreiten rtistig vorwarts, und eine erfolgreiche Tagung scheint gesichert. Das Pro- gramm ist vielseitig und wird darum f ilr alle Besucher gleich interessant sein. In Erie selbst ist man emsig an der Ar- beit, die Gaste wiirdig zu empfangen und zu unterhalten, da von gibt folgender Ausschnitt aus einem dortigen Blatte geniigend Zeugnis:

,,Wenn die Deutschen zusammenhal- ten, konnen sie irgend etwas fertig brin- gen. Vor drei Jahren haben sie hier ein Gesangfest gehabt, dessen sie sich gewiss nicht zu schamen brauchten. Zwei Wo- chen nach dem Fest waren alle Rechnun- gen, welche durch dasselbe kontrahiert wurden, bezahlt, und obschon einzelne Personen grosse Opfer bringen mussten, sind sie doch mit seltener Bereitwillig- keit ihren Verpflichtungen gerecht ge- worden, und haben gewissen Grosstadten ein glanzendes Beispiel gegeben, wie es bei solchen Veranstaltungen gemacht werden sollte. Nun ist unserer Stadt die ehrenvolle Aufgabe zugefallen, die deutschamerikanischen Lehrer im kom- menden Sommer wahrend ihrer Jahres- konvention zu unterhalten, und auch diese Aufgabe ist mit Freudigkeit und seltener Opferwilligkeit aufgenommen worden. Mit fester Zuversicht ging das betreffende Komitee an die Arbeit, und schon nach wenigen Tagen hatte es mehr Geld, als Herr G. G. v. d. Groben im ersten Voranschlag fur notwendig Melt.

Aber es soil noch mehr gesammelt wer- den, gerade genug, damit das Komitee nicht geizig zu sein braucht, wenn es sich darum handelt, den Giisten dieStadt von der besten Seite zu zeigen. Bei die- ser Angelegenheit darf nicht vergessen werden, dass auch unsere amerikani- schen Mitbiirger sich von der besten Seite zeigten, wofiir ihnen Dank ge- biihrt."

New York. In einem Artikel mit der Oberschrift: ,,Ein Sieg der Luge" stellt die ,,New Yorker Staatszeitung" den dortigen Schulsuperintendenten Maxwell an den Pranger als einen intriguanten Heuchler, dessen Wort keinen Glauben mehr verdiene. Seit einem Jahre habe HerrMaxwell fortwahrend beteuert, dass er ein Freund des deutschen Unterrichts sei und dass er wunsche, dass er fiir das achte, also das letzte Schuljahr, ob- ligatorisch gemacht werde. Zehn Tage vor der jiingsten Stadtwahl sei er sogar ungefragt und ungebeten in der Redak- tion der ,,Staatszeitung" erschienen, um ihr zu versichern, dass er stets fiir den deutschen Unterricht eintreten werde. Die letzte Schulratssitzung aber, welche am vorigen Mittwoch stattfand, habe den Beweis geliefert, dass die Freunde des deutschen Unterrichts systematisch und absichtlich belogen worden seien. Es ha- be sich dabei herausgestellt, dass Su- perintendent Maxwell und seine Assis- tenten bereits am 4. Mai beschlossen hatten, den deutschen Unterricht nur fakultativ zu machen. Man habe ferner

226

P'ddagogische Monatsbefte.

in jener Sitzung den Eindruck zu ereek- ken versucht, als ob nur ein paar deut- sche Gesang- und Schiitzenvereirie dafiir eingetreten seien, dass der deutsche Un- terricht im achten Schuljahr obligato- risch gemacht werde, wahrend tatsach- lich 320 Petitionen, welche das anstreb- ten und verlangten, eingelaufen seien, darunter solche von der Universitat Co- lumbia, der Universitat von New York und anderen hervorragenden Kb'rper- schaften. Maxwell habe jenes Verspre- chen nur gegeben, um eine starkere Agi- tation zu Gunsten des Projektes zu ver- hiiten.*

Den Roman ,,0nkel Toms Hiitte" ist von dem Katalog der New Yorker Schul- bibliotheken gestrichen worden unter der Begriindung, dass das Buch, dem jeder geschichtliche Wert abgeht, seinenZweck erfiillt hat und jetzt nur geeignet ist, den Parteihader zu schiiren.

Madison. Der Verwaltungsrat der Staatsuniversitat von Wisconsin er- wahlte nach langen Beratungen Prof. Charles R. Van Rise zum Prasidenten der Universitat. Derselbe ist an der An- stalt seit dem Jahre 1892 tatig; er ist Professor der Geologie und hat sich durch seine Forschungen in der Gelehr- tenwelt einen grossen Namen erworben.

Welche Schreibweise der Kaiser will. In einem Erlass der Kolonialabteilung des Auswartigen Amtes an das Gouver- nement von Deutsch-Ostafrika werden bestimmte Wiinsche des Kaisers mit Be- /ug auf die Schreibweise in amtlichen Berichten in folgender Form zur Kennt- nis gebracht: ,,Seine Majestat der Kai- ser und Konig haben anlasslich eines Spezialfalles zu befehlen geruht, dass die Berichterstatter sich einer kurzen und klaren Schreibweise befleissigen sol- len. Seine Majestat wiinschen insbe- sondere lange, schleppende Siitze und Einschachtelungen, sowie das Stellen des Zeitwortes am Ende des Satzes vermie- den zu sehen." Der Erlass verweist dann als auch fiir die koloniale Korre- spondenz geltend auf das, was v. Konig in seinem Handbuch des Deutschen Kon- sularwesens sagt: ,,Demgemass soil der Ausdruck in der konsularischen Korre- spondenz klar und einfach, gemessen und ernst sein, sich von jed&m Niedrigen wie von rhetorischem Pathos fern hal- ten. Unniltze Umschreibungen und Bei- wb'rter, gesuchte Ausdriicke und Fremd- worter einerseits, Gemeinplatze ander- seits sind fernzuhalten. Lange Perioden

*) Siehe auch Korrespondenz aus New York.

erschweren oft das Verstandnis und sind daher zu vermeiden."

Die preussische Lehrerschaft betrauert den Hinschied desAbgeordneten Knorcke (t 31, III.)* der im Landtag die Inter- essen der Lehrerschaft so oft und warm (s. Z. gegen Treitschke) verteidigte.

Schweiz. Am Schlusse des Sommerse- mesters findet in Zurich (erste Halite des August) ein Ferienkursiis fiir Leh- rer statt. Folgende Fachergruppen sind in Aussicht genommen: 1. Biologische Gruppe: Botanik und Zoologie (Vorle- sungen und ttbungen). 2. Chemie und Physik (id.). 3. Sprachliche Gruppe: a) fiir deutschsprechende Kandidaten: Ausgewahlte Kapitel aus der deutschen, franzb'sischen und englischen Literatur. Im Franzb'sischen Phonetik und Dikti- on. b) fiir fremdsprachliche Kandida- ten: Vorlesungen und (Jbungen (Phone- tik, Diktion) in der deutschen Sprache und Literatur. 4. Allgemeine Kurse fiir Teilnehmer aller Gruppen: Vorlesungen aus dem Gebiete der experimentellen Pa- dagogik, Schweizerische Politik im 19. Jahrhundert.

Danemark. Der Folkething (Landtag) hat nunmehr das neue Schulgesetz ange- nommen. Nach diesem Gesetz wird das gesamte offentliche Bildungswesen neu organisiert und zwar in der Weise, dass die Volksschule die Grundlage bildet, auf dieselbe sich die sog. Jugendschule (Mittelschule) aufbaut und an diese sich die Hochschule anschliesst. Wer die Volksschule durchgemacht hat und nicht in die Mittelschule eintreten will, kann noch eine einjahrige Fortbildungsklasse besuchen, in welcher besonders in sol- chen Fachern, die fiir die praktische Ausbildung der Schiiler Bedeutung ha- ben, unterrichtet wird. Durch dieses Ge- setz hat die Volksschule eine weit ho- here Bedeutung erhalten, als bisher, und es marschiert nun Diinemark hinsicht- lich einer zeitgemassen Schulorganisa- tion an der Spitze der Kulturlander.

England. Am 26. Marz trat offiziell, 1. April tatsiichlich die Education Bill von 1902 in Kraft, deren Tragweite da- rin besteht, dass alle Schulen, Elemen- tar- und Mittelschulen, Gemeinde- oder freiwillige Schulen in jeder Grafschaft und in jeder Stadt (county boroughs) einer und derselben Behorde der Graf- schaft oder der Stadt unterstellt und der Staatshilfe teilhaftig werden. Die kiirz- lich zur Leitung der Schulen eingesetz- ten Educational Committees (61 in den Counties; 68 in County Boroughs) be- stehen aus 17 bis 56 Mitgliedern. In den meisten derselben ist der Lehrer-

Umschau.

227

schaft eine Vertretung mit voller Stim- me zugestanden worden. Der ganze Lehrkorper der Elementarschule, die un- ter die Leitung der neuen Behorden tritt, umfasst in England und Wales 153,696 Personen: 37,052 Manner und Knaben, 116,644 Frauen und Madchen. Patentiert sind 65,401 erwachsene Lehr- kriifte; daneben wirken 35,714 Lehrschii- ler, 34,625 ehemalige Lehrschiiler und 17,956 Madchen oder Frauen, die keinen andern Ausweis fur die Lehrbefahigung haben, als dass sie nach dem Urteil des Inspectors ,,presentable" Personen und mit Erfolg geimpft sind. Diese nicht vorbereiteten Lehrkrafte durch ausgebil- dete Lehrkrafte zu ersetzen, wird eine der ersten Aufgaben sein, deren Erfiil- lung das (jesetz von 1902 den neuen Schulbehorden iiberbindet.

England. 34- Jahresversammlung der National Union of Teachers. Das wich- tigste Ereignis auf dem Gebiete der Schule in England war die 34. Jahres- versammlung der englischen Lehrer wahrend der Osterwoche in Buxton. Die- selbe war durch iiber 2000 Delegierte be- schickt, darunter 600 Damen und 130 Vertreter Londons. Die Vereinigung zahlt 47,326 Mitglieder. Es war ein gliicklicher Umstand zu nennen, dass diese grosse, angesehene Korperschaft so unmittelbar nach Einbringung der neuen Vorlage im Parlament vor dem ganzen Lande Stellung dazu nehmen konnte. Mr. H. Coward ( Bristol ) , der neue Pra- sident, wies in seiner Eroffnungsrede auf die Bedeutung dieser Tatsache hin und °agte, dass das offentliche Interesse nie- mals wahrend der Geschichte ihrer Ver- einigung so auf die Erziehungsfrage ge- richtet gewesen sei als jetzt. Wahrend der Redner auch das Gute an dem Ge- setz vom vorigen Jahre anerkannte, ver- urteilte er die neue Vorlage ganz und gar. Ganz besonders ging er dagegen vor, dass den Borough Councils die Ver- waltung der Schule iibertragen werde. Dieselben seien dafiir nicht geeignet. tteberdies seien sie schon mit anderen Geschaften uberlastet. Die Anstellung der Lehrer wiirde nicht auf Grund er- ziehlicher Erwagungen, sondern lokaler Einfliisse geschehen. Das Gesetz miisse zur Apathie gegen Londons Erziehung fiihren. Was immer fur eine Ansicht die Konferenz auch gewinne, kein System konne gutgeheissen werden, welches nicht eine direkt gewahlte Autoritat fur ganz London schaffe, die sich aus- schliesslich der Verwaltung eines ganzen einheitlichen Erziehungssystems widme. Hierauf ging der Redner zu der Frage der Vorbildung des Lehrers iiber. Zu- nachst bemerkte er, dass man an Stelle

des getadelten Systems,Praparanden mit dem Unterricht der Kinder zu betrauen, bisher noch nichts besseres gefunden ha- be. Dann riigte der Redner die Unzu- langlichkeit der Seminarien (Training Colleges). Gegenwartig seien nur 2221 Platze fur mannliche und 3669 fur weib- liche angehende Lehrer vorhanden. In- folgedessen seien von den in diesem Jahre mit Erfolg Gepriiften von den ersteren 1202 und von den letzteren 6038 von der Seminarbildung ausgeschlossen. Von den 45 bestehenden Internaten seien 35 ausschliesslich anglikanisch oder ro- misch-katholisch, was dem System der nationalen Erziehung entgegen wirke. Die Aussichten fur das Aufsteigen im Amte milssten besser sein, und es diirfe den Lehrer keine kiinstliche Barri&re hindern, zu einer andern Form von Schu- le iiberzugehen, fiir welche er sich eigne.

Une id&e vraiment franqaise. In Nr. 12 (21. Marz 1903) des ,,Manuel ggnGral de 1'instruction primaire" macht ein Schulinspektor Mitteilung von einer selt- samen Einrichtung, die er getroffen hat, um den Moralunterricht, dieses Schmer- zenskind der franzosischen Volksschule, zu heben und zu beleben. Er hat nam- lich ein ,,goldenes Buch" gegriindet, in das alle von einem Kind ausgefiihrten schb'nen Taten eingetragen werden sol- len. Jeder Lehrer und jede Lehrerin seines Inspektionskreises, die Kenntnis von einer solchen Tat erhalt, 1st ver- pflichtet, ihm dariiber einen kurzen Be- richt einzusenden, in dem das Ereignis selbst und die naheren Umstande seines Verlaufs geschildert, sowie Name und Alter des Kindes angegeben sind. Die- ser Bericht wird vervielfaltigt und an alle Schulen seines Bezirks geschickt. Die Lehrer und Lehrerinnen bezw. der E,ektor lesen ihn darauf der versammel- ten Schule vor und tragen ihn in das ,,goldene Buch" ein, das jede Schule er- halt und das Eigentum derSchule bleibt. Es soil dadurch zweierlei erreicht wer- den: 1. wie oben angegeben, eine Bele- bung des Moralunterrichts durch Heran- ziehung von Beispielen aus dem Leben, und 2. die Nacheiferung, die emulation der Schiller, die in den franzosischen Schulen eine so grosse Rolle spielt.

Russland. Jedes Jahr wird eine ganze Anzahl Bticher von der Zensur ver- brannt, in denen sie noch nachtraglich Gedanken aufspiirt, die ihrer Meinung nach sich nicht ganz mit den Ansichten und Bestrebungen der Regierung in Ein- klang befinden. Der Scheiterhaufen der Hauptpressverwaltung hat dieses Jahr mehr als je Nahrung gehabt, denn wie die Beamten der Verwaltung selbst zu- geben, erreichte die Anzahl der noch

228

P'ddagogische Monatsbefte..

nachtriiglich als schadlich anerkannten Schriften, die dem Feuer uberliefert wer- den, einen noch kaum dagewesenen Um- fang. Als staatsgefahrlich sind unter anderem auch eine Biographie Viktor Hugos und der erste Band der Geschicbte der franzosischen Revolution von Louis

Blanc befunden worden, der schon vor dreissig Jahren in russischer Sprache er- schienen ist. Aus einem grosseren Wer- ke iiber die Kooperationsbewegung in Kussland von Prokopowitsch hat die Zensur noch nachtrJiglich die letzten sechs Seiten herausgeschnitten.

IV. Vermischtes.

Kur Beseitigung der Staubplage in den hbheren LehranstaltenDeutschlands sind jetzt langere Versuche mit sog. Staubbl abgeschlossen worden. Der Erfolg ist so gut, dass es bei der wb'chentlich zweima- ligen griindlichen Reinigung der Schulen bleiben wird. Wahrend beim Ausfegen der Klassenraume friiher trotz reichli- cher Verwendung von nassen Sagespanen grosse Staubmassen aufwirbelten und Tische und Banke mit einer dicken Staubschicht bedeckten, wird der Staub jetzt durch das Staubol gebunden und am Boden f estgehalten ; auch sonst wird die Staubentwicklung fast vollstandig verhindert und die Klassen bieten einen reinlicheren und angenehmeren Anblick als friiher. Samtliche Klassenfussbbden werden kiinftig viermal im Jahre mit Staubol geschmiert werden. Die 61ung der Korridore und Treppen, sowie der Aulafussbbden soil nach Bediirfnis vor- genommen werden.

Geringe Wider stands fahigkeit der Lehrerinnen. In der grossen Debatte iiber die Madchengymnasien fiihrte Kul- tusminister Dr. Studt iiber die Wider- standsfahigkeit der Lehrerinnen gegen die gesundheitsschadlichen Einfliisse des Schulamtes folgendes aus: ,,Die ttbel- stande, die mit dem Lehrerinnenberuf fiir die kb'rperliche Verfassung der Leh- rerinnen verbunden sind, sind bekannt; sie geben sich in der Statistik deutlich kund, die zahlenmassig nachweist, dass der weibliche Kbrper den Anstrengungen des Lehrerberufes weniger gewachsen ist als der mannliche. Gegeniiber den zum Teil auch kb'rperlichen Anstrengun- gen scheint in dem weiblichen Korper eine geringere Widerstandsfahigkeit vor- handen zu sein. Die Lehrerinnen sind anscheinend namentlich auch weniger widerstandsfahig gegen die schlechte Luft, die sich in den Klassenzimmern entwickelt. Wie die Arzte Ihnen besta- tigen konnen, ertragt der mannliche Korper die schlechte Luftbeschaffenheit viel besser als der weibliche. Da helfend einzugreifen, ist Sache der Schulverwal- tung."

Wann werden die Steinkohlen ausge- henf Dass es hiezu kommen muss, geht aus dem jahrlichen Verbrauch dieses Heizmaterials hervor. Nach der Gaa be- trug die Jahresfb'rderung an Steinkohle im Jahre 1900 700 Millionen Tonnen. Das wiirde in Doppelwagen zu 10 Tonnen auf ein Eisenbahngeleise gestellt eine Lange von 630,000 km. oder 16 mal den Erdum- f ang geben. So enorm ist heute die Jah- resproduktion an Steinkohle. Daran be- teiligen sich hauptsachlich folgendeStaa- ten mit den beigesetzten Betragen in MillionenTonnen : England 225,Deutsch- land 109, Frankreich 33, Belgien 23, Nordamerika 245.

fiber die Zugehorigkeit der Bewohner unserer Erde zu den einzelnen Religions- genossenschaften. Zeller, der Vorstand des statist. Amtes in Stuttgart, schatzt die Zahl samtlicher Bewohner unserer Mutter Erde auf 1,544,510,000. Davon sind Christen: 534,940,000, Israeliten 10,860,000, Muhamedaner 175,290,000, anderen religiosen Bekenntnisses : 823,- 420,000 und zwar scheiden sich dieselben in 300 Mill. Anhanger des Konfutsius, 214 Brahmanen und 121 Mill. Budd- histen. Demnach treffen auf 1000 Men- schen durchschnittlich 346 Christen, 7 Israeliten, 114 Muhamedaner und 533 Angehb'rige anderer Religionen.

Sie hawwe zu hawwe. Ein Schiiler einer hessischen hoheren Schule brachte einst einen Thukydides in einer anderen als der vorgeschriebenen Ausgabe mit. Als der Lehrer ihn darob zur Rede stell- te, entschuldigte sich der Getadelte mit der Bemerkung, er habe das Buch noch von seinem alteren Bruder. Wiitend schnaubte ihn da der gestrenge Profes- sor an: ,,Sie hawwe net zu hawwe, was Se hawwe, Sie hawwe zu hawwe, was Se zu hawwe hawwe!"

Aus dem Anschauungsunterricht. Leh- rer: ,,Wozu habt ihr zu Hause einen Hund?" Schiiler: ,,Zum Ziehen." Leh- rer: ,,Wozu noch?" Schiiler: ,,Er spielt abends den Nachtwachter."

BUcberbesprecbungen.

229

Derpddagogische Spatz.

Von den Examen.

Pi-pip! Nun hab' ich sie wieder geseh'n, Die Buben all und die Miidchen, Im Sonntagsstaate und weisheitsschwer ! Und alles ging, \vie am Riidchen, Scharf blitzte des Lehrers Auge im

Kreis,

Die Eltern nickten und flusterten leis, Es giihnte der Herr Visitator.

Pi-pip! Nicht alles, was aufmarschiert, Schien mir nach Echtheit zu schmecken; Oft musste der Schein den wahrenStand, Das Wort die Sache verdecken! Mich wundert, dass auf so leichte Art, Man Eltern und Schulbehorden n . . . Ein Spatz sogar konnte es merken Pi- pip! ( Schweizerische Schulzeitung. )

Bucherschau.

I. Blicherbesprechungen.

The English language. An Introduc- tion to the Principles which Govern its Right Use by Frederick Manley and W. N. Hailmann. Boston, C. C. Birchard & Co., 1903.

Considering the hundreds of gram- mars, that have been and are being thrown upon the educational market, one is apt to look with suspicion on the author who launches the, latest and best, language book upon the sea of text books for our common schools.

The authors of the "English Lan- guage" need make no apology for their appearance in the world of "Gram- mars"; their faculty of inserting the worn-out, dry-as-dust "grammar" of the old school-master, with new life und re- freshing interest will make their publi- cation welcome to the teachers as well as to the student.

Technical grammar has wisely been introduced rather sparingly and inci- dentally, but, instead the authors have seen fit to introduce a larere number of practical exercise tending to stimulate the student to thought and awaken in him a feeling for the beautiful in our language.

One may take issue with the authors regarding the emphasis placed upon the philosophy of language and the psycho- logy of thought expression in a text book intended for the use of pupils in grammar grades, but the manner in which their intentions have been carried out is surprisingly interesting and lucid.

Another very strong feature of the book is its refined literary and poetic tone. At every turn the learner meets with extracts from standard authors, making the exercises inspiring and sti- mulating and adding unto its value as an introduction to the study of the best in English literature.

The closing pages are devoted to "Composition"; a most excellent treatise on this most important, and at the same time most difficult part of the work of the practical teacher of English.

The book presents many new ideas both as to matter and method; it is distinct- ively poetical, it has a lofty purpose and its authors have not once swerved from the course in the accomplishment of their aim.

The Laurel Primer. By Wm. N. Hail- man. Published by C. C. Birchard & Co.

The first thing that strikes the reader of ,,The Laurel Primer" is the unusual torm of the book, it being much larger and more elaborately gotten up than the ordinary school-book. A wealth of il- lustrations, — pictures descriptive of the life of children, is a strong feature of the new primer. The illustrations by Marie Estelle Tufts emphasize the thought contained in the text, and in many cases the printed and written texts are inserted by the picture thus bringing the word and the thing it stands for into close and proper proximity. Mr. Hail- man is to be congratulated on the clever manner in which he combines the best elements of various methods of teaching reading the "sentence method, word method", and the old, old spelling met- hods are brought into service in this new book. "Alliteration", a prominent char- acteristic of the earliest literature of our race is a strong feature of Mr. Hailman's text. Possibly to much stress has been laid upon "alliterativ phrases" as to sac- rifice an easy and natural flow of words in the first lessons. Choice bits of chil- dren's literature, jingles from Mother Goose and other "rhymes" lend an extra charm to this altogether novel publica- tion.

230

P'ddagogiscbe Monatsbefte.

The words arranged in a progressive m manner according to their difficulty have «F been chosen from the actual vocabulary of the child, and the stories will be found intensity interesting to the little ones.

The ,,suggestions to teachers" which accompany the book contain much that will benefit the practical teacher". The many exercises indicated in its pages are the result of actual experience in the class room.

We are confident that the many new and fascinating features of the primer will gain for it a large circle of admirers.

H.D. H.

Commercial German. A complete course for use in Commercial Schools and in the Commercial Courses of High Schools. By Arnold Kutner, High School of Commerce, New York. New York, Cin- cinnati, Chicago, American Book Co.

A growing importance is attached to commercial education, undoubtedly due in part to the Spanish- American War; high schools are establishing commercial courses, universities are foundingSchools of Commerce (possibly only re-grouping subjects long since taught) , the National Government has heard the commercial cry and has wisely added to the Cabinet a portfolio of Commerce and Labor, and not to be outdone, Professor Kutner has caught the spirit of the age and has pro- duced a book called "Commercial Ger- man".

The author's plan is to introduce the student to the foreign language by means of its commercial vocabulary, presuppos- ing no knowledge of German beyond an acquaintance with its language-signs and speech-sounds. This is, 1 fear, some- thing that cannot be easily accomplished. Unless the teacher is very alert, the re- sult might be a swarm of "counter-jump- ers" who could, with little self-confidence, talk nothing but wool, reciprocity, and pork. The author wisely attempts to combine the practical features with thoroughness of grammatical discipline. In Part I are to be found the elements of "commercial German", covering about eighty pages, and "grammar tables", covering something over thirty pages, while Part II consists of reading-selec- tions that deal with German business customs and institutions, commercial correspondence, documents, advertise- ments, etc., and of an ample vocabulary. The advertisements, printed in the Ger- man style, will have a curious interest for students. The commercial corre- spondence partakes very much of the character of "ready -reckoners" and "let-

tter-writers". The clerk, when about to place an order for goods or to acknowl- edge the receipt of a check, can turn to the proper page and ptck out his ready- made form. On the whole, however, there is much in the book to commend it. The author's purpose is praiseworthy, and the material he has compiled is in- structive and interesting. I doubt, how- ever, the feasibility of the plan. The weak point, in my opinion, lies in the attempt to start with commercial Ger- man. If students could have one or two years of general training in the language before taking up work of this kind, the result would be far more satisfactory.

How to Study Literature. A guide to the intensive study of literary master- pieces. By Benjamin A. Heydrick, A. B. (Harv.), Professor of English Litera- ture, State Normal School, Millersville, Pa. Hinds & Noble, New York.

The fundamental principle of the au- thor is sound, namely, that the aim of literary study is the appreciation and en- joyment of a literary masterpiece, and he states that the purpose of his manual is to facilitate the systematic, careful and appreciative study of literature as liter- ature. The essence of the method is that it endeavors to concentrate the attention upon the text itself, not upon editorial explanation or comment, and that it fur- nishes means by which the student may ascertain for himself the 'chief character- istics of any piece of literature. Out- lines are presented for the study of six literary types: in poetry, the epic, the lyric, and the drama; in prose, fiction, the essay, and the oration. Lists of crit- ical terms are given which will aid the student to say exactly what he feels and means. Of course these outlines are only suggestive, but they furnish the student something definite and tangible to work upon. Any live teacher can modify or enlarge them to suit his own individual taste or the scope of his work.

Part II consists of six specimen stud- ies which illustrate the principles and methods set forth in Part I. There is a brief appendix on figures of speech, and a longer one on versification. The treat- ment of these two subjects, figures of speech and versification, appears rather elementary, and is undoubtedly intended to be merely suggestive. It should be supplemented by consulting larger works on the subjects.

The book can easily be adapted for use in the study of literature in any lan- guage; it will certainly be found to be a valuable little aid.

BUcberbesprecbungen .

231

An Italian and English Dictionary. With pronunciation and brief etymolo- gies. By Hjalmar Edgren, Ph. D., recent Professor of Romance Languages in the University of Nebraska; member of the Nobel Institute of the Swedish Academy in Stockholm, etc. etc., assisted by Giuseppe Bico, D. G. L., University of Rome, and John L. Gerig, A. M., In- structor, University of Nebraska. New York, Henry Holt & Co., 1902.

Scholars will readily admit that there has been great need of a good Italian and English dictionary; this field has been practically unoccupied. Persons fam- iliar with German have, however, been able to make use ofMichaelis's ,,Taschen- worterbuch der italienischen und deut- schen Sprache". Dr. Edgren's work seems likely to receive a warm welcome, and while it will not supplant Michaelis, it will supplement this German work; for it is fresner and contains some excellent features lacking in the Michaelis.

The main characteristics of Edgren's book, as outlined in the Preface and as shown in the general plan, are as fol- lows: The vocabulary embraces a larger number of Italian words than ordinary dictionaries of similar size; almost every modern word in Petrocchi's scholastic dictionary, the chief authority, is quoted, and such rare and obsolete words as are indispensable in reading Italian classics are included; irregular forms of inflec- tions are noted not only with their words but also as separate titles in their alpha- betical order; the pronunciation is mark- ed principally by subscript signs; etymo- logically related words are grouped to- gether; the derivation of Italian words is indicated; and English cognates are shown. The English-Italian part is not quite so complete as the Italian-English part.

Fullness in the matter of idiomatic phrases has suffered through a desire to economize space in favor of a large voc- abulary. This is noticeably apparent in the treatment of prepositions. For inst., Edgren gives less than an inch to the preposition a, while Michaelis devotes a column and a half to it; Edgren allows di about an inch, and Michaelis allows three-fourths of a column.

The book is well printed, and the typo- graphical arrangement is pleasing to the eye. The work should commend itself to students.

Charles Bundy Wilson,

The State University of Iowa.

Beginning German, a Series of Lessons with an Abstract of Grammar by H. C. Biertoirth, Ph. D., Instructor in German

in Harvard College. Henry Holt and Co., 1903.

We thank the author of the excellent book Elements of German for a very practical and accurate elementary book entitled Beginning German. The book consists of a series of thirty lessons and an abstract of grammar. A short re- sume of the first eight lessons will suf- ficiently demonstrate the method of the author.

With eminent common sense the author begins with verbs, that most essential thing for the American student. The first lesson treats the present and past indi- cative of the weak verbs. The second lesson contains the regular strong verbs which do not differ from the weak in the inflection of the present. (At the bot- tom of page 15 the type failed to catch the paper in the book I have.) Lesson three introduces the beginner to haben, sein and werden. In lesson four the de- finite article and Class I of the nouns are treated. In lesson five words which are declined like der are introduced. (This is practically the same system I have been using in my beginning classes.) Class II is treated here. Lesson six con- tains ein and kein and the possessive ad- jectives. In seven we find Class III and prepositions with the dative or accusa- tive. Lesson eight treats Class IV and the personal pronouns. Under Class IV the author includes the weak nouns. In this lesson is found a practical table il- lustrating the four declensions. In this connection I have found that a different order is perhaps more practical I, III, IV. It is easy for the student to learn the general membership of I, III, IV, and II includes the rest. Of course the order of the plural endings ( - ) , -er, -en seems more simple offhand, but when brought into application the proposed order is more easily learned. The re- maining lessons show the same general pedagogical insight.

Early in the book a table of the con- jugations of the weak and strong verbs in parallel columns would give the stu- dent a clear conception of the differences in the conjugations. One may differ in regard to the nature of the reading les- sons without criticising the opinion of the author. I prefer continuous narra- tive to disconnected sentences. The same, or practically the same vocabulary could be introduced without affecting the order of the grammatical treatment. Dr. Bier- wirth's selection of vocabulary is evi- dently based upon his systematic collec- tion of material. Compare Elements of German, p. 124.

232

P'ddagogiscbe Monatsbefte.

The abstract of German grammar will meet the approval of all teachers who do not make the study of German a purely mechanical drill of syntactical excep- tions, thereby retarding the progress and deadening the interest of the students. This abstract seems to find the middle- way between no Grammar at all and lists of things, the ways of which are wonderful to behold. A separate pub- lication will be welcomed by many teach- ers who are not in the position, or of the conviction, to select the reading material as given in this edition. It would be a practical little reference book for more

advanced classes. The references in the vocabulary to the lessons are a fitting close to this valuable book.

It is to be regretted, however, that Dr. Bierwirth seemed best to retain the traditional terminology of verb order normal, inverted and transposed. The treatment in Wesselhoeft's German Com- position is more clear. Some of the points suggested I will discuss later in a pamphlet on ,,The Direct Method."*) Warren W. Florer.

* ) Compare my edition ofHeyse's L'Ar- rabbiata, George Wahr, Ann Arbor, Mich., 1902. General Rules, p. 57 68.

II. Eingesandte Biicher.

Wood Folk at School by William J. Long. Wood Folk Series, Book Four. Boston, Ginn & Co., 1903.

Discourses on War by William Ellcry Channing. With an introduction by Ed- win D. Mead. Ginn & Co., Boston, 1903.

Die Harzreise. With some of Heine's best- known short poems. Edited for schools and colleges by Leigh R. Gregor, B. A., Ph. D., Lecturer on Modern Lang-

uages in McGill University, Montreal, Canada. Ginn & Co., 1903.

Teacher's Manual. A handbook for teachers prepared for use with Account- ing and Business Practice by John H. Moore, Commercial Department, Boston High Schools, and George W. Miner, Commercial Department, Westfield (Mass.) High School. Ginn & Co., Bos- ton, 1903.

Padagogische Monatshefte

PEDAGOGICAL MONTHLY. Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.

Organ des

Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.

3ahfujang IV. Scptcmbcn-Oktobcn 1903. Heft 8-9.

Protokoll

der33. Jahresversammlung des Nationalen Deutschamerikanischen

Lehrerbundes.

Erie, Pa., 30. Juni 3. Juli 19O3.

(Offiziell.)

Eroffnungfeier. Am Dienstag Abend des 30. Juni wurde in der Mannerchorhalle der 33. Lehrertag eroffnet. Durch ein Missverstandnis wegen der Zeit die meisten Delegaten batten \vestliche Zeit konnte die Feier erst eine voile Stunde spater beginnen. Es war bereits 9 Uhr, als die Sanger des Erie Mannerchors die Anwesenden mit einem frisch vorge- tragenen Liede erfreuten. Es erfolgten alsdann die iiblichen Begriissungs- ansprachcn, und zvvar von Biirgermeister Harwick, vom Prasidenten der Schulbehorde, C. L. Baker, Prof. Missimer und Prof. Burns. Nach einem weiteren Gesang des Mannerchors hielt der President des Lehrerbundes, Prof. v. d. Groeben, in englischer Sprache eine kurze Rede, worin er, in Riicksicht auf die anwesenden Englisehamerikaner die Geschichte, Zweck und Zielc des Bundes klarlegte. Aus demselben Grunde hatte auch der folgende Redner, Herr H. Woldmann von Cleveland, seiiien Vortrag in eng- lischer Sprache abgefasst. Er betonte dabei, \vie notwendig es sei, minde- stens eine fremde Sprache ausser der eigenen zu lernen, denn nur dadurch lerne man die eigene besser kennen. Er beriihrtc dann die einzelnen Punkte 'les Fortschrittes im amerikanischen Schulwesen, wie sich dasselbe nach und nach hier entwickelt, Hess jedoch durchblicken, dass noch man- ches notwe«dig sei, um unser Erziehungssystem dahin zu bringen, dass es Anspruch auf das Pradikat ,,vollkommen" machen konne. Sein Hauptar- gument besland darin, dass Kinder, die ngben dem englischen auch deut- schen Unterricht nehmen, die englische Sprache griindlicher bemeisterten als solche, die sich bloss mit dieser befassten. Man habe nie bemerkt, dass ein Schiiler, welcher deutschen Unterricht nahm, seine anderen Studien

234 Padagogische Monatshefte.

vernachlassigte. Xachdem der Mannerchor noch ein Lied vorgetragen, er- klarte Herr v. d. Groeben den Lehrertag offiziell fiir ero^Cnet. Im Speisesaal der Halle fand hierauf bei Sang und Bgcherklang eine gemiitliche Nach- sitzung statt, die freilich nur von kurzer Dauer war, da die Empfangsfeier, v\ie oben bemerkt, sehr verspiitet begonnen hatte.

Erste Hauptversammlung. Der Prasident eroffnete dieselbe am %10 Uhr in der Aula der Hochschule. Die Biihne war sehr geschmack- voll mit Blattpflanzen und 'Flaggen dekoriert. Der Sekretar verlas zunachst seinen Jahresbericht, der wie folgt lautete: .

Werte Kolleginnen und K o 1 1 e g e n:

Auch hier in Erie ware ich, wie bei der letzten Tagung in Detroit, bei- nahe wieder genotigt, vor Sie hinzutreten mit der kurzen Meldung ,,Nichts zu berichten iiber das verflossene Vereinsjahr." Doch muss ich heuer zu- T.-achst dreier Mitglieder gedenken, die wir seit der letzten Jahresversamm- lung durch den unerbittlichen Tod verloren, namlich des biederen, pflicht- getreuen W. H. Weick von Cincinnati, des wackeren, tiichtigen Henry Bamberger von Chicago und des so vielseitig tatigen G. A. Zimmermann ebenfalls von Chicago. In unserem Bundesorgan den ,,Padagogischen Mo- natsheften", wurde s. Z. des schweren Verlustes, den der I.ehrerbtind durch das plotzliche Hinscheiden dieser hervorragenden und zielbewussten Pa- dagogen erlitten, gebiihrend gedacht. Es eriibrigt hier nur nochmals ins Gediichtnis zu rufen, dass Weick, der am 14. Oktober 1902 am Herzschlag ge- storben, eiuer der Griinder des Lehrerbundes war, im Jahre 1893 als dessen Prasident fimgierte, und dass er Jahre lang ein regelmassiger Besucher der Lehrertage war, auf welchen er wiederholt Vortrage gehalten hat. G. Kamberger, Vorsteher und Leiter der jiidischen Handfertigkeitsschule von Chicago, G. A. Zimmermann, Superintendent des deutschen Unterrichts von Chicago, wurden beide anfangs Januar unerwartct vom Felde ihrer TJitigkeit abberufen. Wenn Bamberger und Zimmermann auch in den letzten Jahren nicht mehr aktiv an unseren Bestrebungen teilnahmen und den Lehrortagen fernblieben, so waren sie doch friiher einmal eifrige Mit- glieder und diirfen wir sie deshalb mit Eecht unser nennen. Ehrc ihrem Andenken!

Dass Ihr Vorstand, besonders Ihr Prasident, wahrend des letzten Ver- einsjahres nicht miissig war, im Interesse des Lehrerbundes zu wirken, be- weist das Programm fiir die gegenwartige Tagung, wofiir iibrigens Herrn v. d. Groeben in erster Linie Anerkennung und Dank gebiihrt.

Die Aufstellung eines Lehrertagprogrammes, besonders die Gewinnung von Vortragenden, ist sicherlich keine leichte Arbeit, wie friihere Vor- fctandsmitgleider gerne zugestehen werden. Trotzdem bin ich der Ansicht, dass sich das Wirken und die Aufgabe des jeweiligen Bundesvorstandes nicht lediglich darauf, namlich auf die Aufstellung des Lehrertagpro- jrramms beschranken sollte. Der Lehrerbund konnte vielleicht durch seinen A'orstand nach dem Vorbilde des N. A. Turnerbundes in engere Be- xiehung zu seinen Zweigvereinen treten, ihnen durch Rat und Tat beistehen. Die Griindung von neuen Zweigvereinen anregen, schon bestehende, aber schlafrige Vereine aufriitteln und ermutigen. Die Tatsache, dass unser Bund von den ungefiihr 3000 deutschamerikanischen Lehrern kaum den zehnten Teil zu seinen Mitgliedern zahlt, ist wahrlich kern Grund zur Selbstzufriedenheit, und die von Jahr zu Jahr abfallende Beteiligung an den Lehrertagen ebenfalls nicht. Hier muss Wandel geschaffen werden,

Protokcll des 33. Lehrertages. 235

wenn der deutschamerikanische Lehrerbund nicht seiner baldigen Auf- losung entgegengehen soil. Freilich gehoren bekanntlich zu einer enolg- reichen Propaganda oder wie mein Vorgiinger, Professor Ferren sagte, zu einem intellektuellen Kriege die unentbehrliehen Propaganda- oder Kriegsmittel. Es diirfte deshalb ratsam sein, die Jahresbeitriige wieder auf $2.00 zu erhohen. Welche Schritte alsdann zur Stiirkung und Hebung- unseres Bundes zu tun sind, das stelle ich dem naehsten Vorstande und zu- nachst der Tagsatzung zur Erwagung anheim.

Zum Schluss empfehle ich, unsere Konventionen in Zukunft nur alle zwei Jahre abzuhalten. Dadureh wiirden die Lehrertage mit ihren bedeu- tenden Geldopfern nicht in allzukurzen Zeitabstiinden auf gewisse Stiidte fallen, und die Staatsverbande konnten alsdann ihre Konventionen in die Zwischenjahre verlegen. Diese Anderung wiirde nach meinem Dafiirhalten beiden Seiten nur zum Vorteil gereichen. Achtungsvoll,

E. Kramer, Bchriftf iihrer.

Die im Sekretiirsbericht enthaltenen Empfehlungen warden auf An- trag von Herrn Abranis an den Vorstand verwiesen, um in der zweiten Hauptversammlung dariiber zu berichten. Der Aufforderung des iPrasi- denten, sich zu Ehren der im letzten Vereinsjahre verstorbeiien Mitglieder von den Sitzen zu erheben, wiirde Folge geleistet.

Bei der Ergiinzung des Vorstandes wurde Herr Avoldinann als Vize- Priisident und Herr Paul Gerisch von Milwaukee sowie Frl. Brinker von Cleveland als stellvertretende Schriftfxihrer ernannt. Der Sekretar verlas hierauf ein Schreiben von Dr. Hexamer von Philadelphia, President des D. A. Nationalbundes, worin er mitteilte, dass er die Erwiihlung als Ehren- mitglied des Lehrerbundes mit Dank annehme. Auf Antrag von Herrn Schmidhofer soil Herrn Seminardirektor Dapprich, der zu seiner Herstel- lung seiner Gesundheit in Deutschland weilt, Gruss und Gliickwunsch des Lehrerbundes per Kabel entsandt werden. Da Herr Wolf von Saginaw,

Mich., nicht anwesend sein Konnte, verlas der Priisident dessen eingeschick- ten Vortrag "Eealien im deutschen Sprachunterricht".*)

Nach der Lunchpause verlas Herr Schmidhofer nachstehenden Bericht der Seminar-Priifungskommission:

Milwaukee, den 24. Juni 1903. Ihre Priifungskommission erlaubt sich hiermit, Ihnen de'n Bericnt

iiber die diesjahrige Priifung der Zogiinge des Seminars vorzulegen. Nach einem gemeinschaftlich mit der Fakultat des 'Lehrerseminars

festgesetzten Programme fand vom 22. 24. Juni die miindliche Priifung-

der Zogiinge statt. Dieselbe umfasste 'die folgenden Facher: Ge-

schichte der Padagogik, Deutsche Literaturgeschichte, Englische

Grammatik.

Diesa miindlichen Priifungen zeugten von gewissenhafter Arbeit

seitens der Lehrer und der Zogiinge. Das gleiche Lob konnen wir den

schriftlichen Arbeiten in der Padagfogik, dem Aufsatz, deutsch und

englisch, der deutschen Gramraatik und der englischen Literatur er-

teilen.

Gleichmassigkeit der Giite, Sauberkeit und Sorgfalt der Anfertigung

verdienen riickhaltslose Anerkennung. Jedes der zwolf Mitglieder der

*) Samtliche Vcrtrage dieses Lehrertages auch oie ungelesenen gelangen, laut Beschluss der 2. Hauptversammlung, in dieser Nummer der P. M. zum Abdruck.

236 Padagogische Monatshefte.

Abgangsklasse, \voruiiter sich diesmal auch zwei junge Manner befan- den, gab niit den Schiilern der Musterschule eine Probe seines didak- tischen Konnens, welche bewies, dass die jungen Lehrer auch in prak- tischer Beziehung wohl vorbereitet fiir ihren Beruf die Anstalt verlas- sen. Samtlichen Zciglingen dieser Klasse wurde einstimmig das Zeng- nis der Eeife zuerteilt.

Auch die Leistungen der ersten und zyeiten Seminarklasse waren derartig, dass die Mitglieder derselben zur Beforderung empfohlen werden konnten.

Den Lehrern des Seminars, die sich mit so freudiger Opferwillig- keit in die Pflichten des leider krankheitshalber abwesenden Seminar- direktors teilten, sprechen wir hiernut die warmste Anerkennung aus. Wahrend wir den Leistungen der Lehrer und Schiiler des Seminars voiles Lob zollen, konnen wir uns nicht enthalten zu bemerken, dass dieselben nach unserer Ansicht durch iibergrosse korperliche An- strengung erkauft \vurden. Das Aussehen mehrerer der Schiiler deutete auf tieberanstrengung hin. Das Lehrerseminar muss in seiner jetzigen Verfassung in drei Jahren ein Arbeitspensum bewaltigen, wozu in an- deren Bildungsanstalten mindestens vier Jahre zur Verfiigung stehen. Diesem ubelstande kann nur durch eine Verlangerung des Seminarkur- sus oder durch eine entsprechende rationelle Abiinderung des Lehr- plans abgeholfen werden. |

Achtungsvoll unterbreitet:

Hermann Woldmann, Cleveland. Bernard A. Abrams, Milwaukee. M. Schmidhofer, Chicago. John Eiselmeier, Milwaukee.

Dieser Bericht wurde gutgeheissen und angenommen. An Stelle von Prof. Barandun von Pittsburg, der ebenfalls nicht erschienen war, hielt Prof. H. M. Ferren von Allegheny, Pa., einen Vortrag in englischer 8prache iiber ,,Die Notwendigkeit der Erlernung einer zweiten Sprache in diesem Lande'", oder wie das Thema in Englisch lautete "Monolinguism, the bane of our country". JDieser Vortrag wurde mit grossem Enthusiasmus auf- genommen.

Herr Schoenrich von Baltimore machte zum Schluss auf die Jahres- versammlung des D. A. Nationalbundes aufmerksam, worauf die Herren Ferren und Schoenrich als Delegaten des Lehrerbundes beim Nationalbund erwahlt wurden.

Zweite Hauptversammlung. Das Protokoll der ersten Hauptversammlung ^vurde vom Sekretar verlesen und nach einigen Be- richtigungen angenommen. Hierauf gab der President folgenden Nomi- nationsausschuss belcaiint :

John Eiselmeier, Milwaukee, Wis.; Wm. Schiifer, Cincinnati, O.; C. O. Schonrich, Baltimore, Md.; J. G. Rossler, Chicago, 111.; Albert Diirr, Cleve- land, O.; Frl. Emma Siegel, Erie, Pa.; Alexis Miiller, Lockport, N. Y.

Von den Herren Theo. Meyder und Albert Mayer von Cincinnati lief nachstehende Depesche ein: ,,\Viinschen dem Bunde besten Erfolg! Die Kollegen auf dem Dampfer Bliicher." Herr v. d. Groeben empfahl alsdann, die im Jahresberichte des Sekretars enthaltenen Vorsciiiiige Erhohung der Beitriige und zweijahrliche Konvention zur Annahme. Auf Antrag von Herrn Griebsch von Milwaukee wurde darauf hin beschlossen, den

Protokoll des 33. LeJirertages. 237

Lehrertag wenigsteus niichstes Jahr ausfallen zu lassen, da wegen der \Yeltaustellung in St. Louis keine nennenswerte Beteiligung an den Ver- handlungen zu erwarten sei. Die Debatte iiber die Empfehlung, den Jah- resbeitrag1 auf $2.00 zu erhohen, wurde auf die Schlussversammlung ver- fachoben, da sie eine Veranderung der Statuten in sich schliesst. Ein An- Irag von Abrams, die Gesamtprotokolle der Lehrertage nebst den dabei gehaltenen Vortragen jeweilig in einer Doppelnummer der Padagogischen Monatshefte, und zwar im Sep- tember zu veroffentlichen nnd alien Mitgliedern des Lehrerbundes frei zu- zustellen, wurde einstimmig angenommen. Die daraus entstehenden Ex- trakosten fiir die Herausgeber sollen axis der Bundeskasse gedeckt werden.

Da keine weiteren Komiteeberichte vorlagen, erfolgte nun der Vortrag von Prof. Otto Heller von der Washington Universitat, St. Louis, iiber ,,Deutsche Frauenschriftstellerei von gestern und heute". Dem Hedner wurde nach Schluss seines Vortrages der Dank der Versammlung ausge- sprochen.

Nach der Pause ernannte der President folgende Ausschiisse:

Komitee fiir Revision der Schatzmeistersbiicher: Paul Gerisch, Mil- waukee; Frank Keller, Cincinnati; Frl. Lina Ziechmann, Cleveland.

Komitee fiir Dankesbeschliisse: Max Griebsch, Milwaukee; H. M. Fer- ren, Allegheny, Pa.; Frl. Lydia Hanke, Philadelphia.

Frau Mathilda Grossart von Cleveland, die niit dem Vortrag ,,Das deut- sche Volkslied in der Volksschule" auf dem Programm stand, konnte nicht anwesend sein, da ihr Sohn schwer erkrankt darniederliegt. Dieser Vor- trag fiel deshalb aus.

Zum Schluss hielt Herr Albert Gehring, President der Clevelander Schulbehorde, einen Vortrag iiber das Thema: ,,Der Garten der Mensch- heit'. Auch dieser Vortrag erntete reichen Beifall; dem Verfaser wurde ebenfalls der Dank der Versammlung ausgesprochen.

Musikalisch - literarische Abendunterhaltung. Zu Ehren der Gaste hatte die Biirgerschaft Eries, die iiberhaupt an der Tagung des Lehrerbundes grosses und herzliches Interesse genommen, fur denselben Abend eine musikalisch-literarische Unterhaltung veranstaltet. Der Besuch war trotz der hohen Temperatur ein sehr guter, so dass das Auditorium der Hochschule, das tausend Sitzplatze hat, nahezu ganz ge- fiillt war. Als Hauptnummer des Programms, das in seinem musikalischen Teil recht abwechslungsreich imd gut gewahlt, wenn auch etwas zu breit angelegt war, gait ein Vortrag von Dr. H. H. Fick, Superintendent des deutschen Unterrichts von Cincinnati. Der gewandte Eedner hatte sich das Thema gewahlt ,,Die deutschamerikanische Dichtung". Durch seinen wohl- durchdachten, in elegantem Stile abgefassten Vortrag,, der von griind- licher Kenntnis des Themas zeugte, verstand es Herr Fick, die Zuhorer in den deutschamerikanischen Dichterwald einzufiihren und mit den schiin- sten Bliiten darin bekannt zu machen. Langanhaltender Beifall wurde dem Kedner am Schluss seiner Ausfiihrungen zu teil.

Schlussversammlung. Da fiir die Schlussversammlung nur ein "Vortrag in Aussicht stand, so beeilte man sich nicht sehr mit der Er- nft'nung der Sitzung. Es war nahezu 10 Lhr, als der President die Anwesen- dea zur Ordnung rief, worauf der Sekretiir das Protokoll der gestrigen bitzung verlas, das unvertindert angenommen wurde. Der von Herrn Wold- mann schriftlich eingebrachte Antrag, Erhohung des Jahresbeitrages auf

238 Padagogische Monatshefte.

$2.00, gab Anlass zu einer lebhaften Debatte, da derselbe eine Anderung der Ktatuten in sich schloss. Es stellte sich dabei heraus, dass der neue Sta- tutenentwurf vom Jahre 1900 bis heute noch nicht angenommen ist. bchliesslich wurde der Antrag angenommen und voin Jahre 1904 an beliiuft sich der Mitgliederbeitrag auf $2.00.

Der Revisionsausschuss berichtete alsdann, dass er die Biicher des Schatzmeisters gepriift, und in bester Ordnung gefunden habe. Danach be- trugen die Einnahmen $208.16; Ausgaben $130..79; Kassenbestand $77.37.

Es folgte nun ein hochinteressanter Vortrag von Prof. August Prehn von New York ,,Ein Bruch mit der uberlief erung,,*) . Dem Kedner wurde der Dank der Versammlung fiir seine gediegene Arbeit ausgesprochen.

Von Prof. W. W. Florer von der Universitat Michigan in Ann Arbor lief eine Depesche ein, worin er mitteilte, dass er leider verhindert sei, recht- zeitig fiir seinen Vortrag in Erie einzutreft'en.

Das Nominationskomitee unterbreitete hierauf folgenden Bericht:

Vorgeschlagen fiir den Bundesvorstand: C. O. Schonrieh, Baltimore. Alexis Miiller, Lockport, N Y.

G. G. von der Groben, Erie. Louis Hahn, Cincinnati.

B. A. Abrams, Milwaukee. Frl. Marie Diirst, Dayton, O.

Wm. Schiifer, Cincinnati. Frl. Anna Hohgrefe, Chicago.

H. M. Ferren, Allegheny, Pa.

Komitee zur Pflege des Deutsche n. Herrmann Woldmann, Cleveland. Carl Herzog, New York. - Albert Gehring, Cleveland. Emil Kramer, Cincinnati.

H. J. Martens, Milwaukee.

Priifungskommission fiir das deutschamerikanische Lehrer- seminar in Milwaukee:

Dr. H. H. Fick, Cincinnati. Martin Schmidhofer, Chicago.

John Eiselmeier, Milwaukee.

Diese Priifungskommission soil fiir zwei Jahre bestehen. Als nachster Konventionsort wurde Chicago oder Baltimore in \orschlag gebracht. Samtliche Vorschlage wurden einstimmig angenommen.

Wiihrend der nun eintretenden Pause organisierte sich der neugewahlte Bundesvorstand wie folgt:

President: B. A. Abrams, Milwaukee.

1. Schriftfiihrer: Alexis Miiller, Lockport, N Y.

'2. Schriftt'iihrerin: Anna Hohgrefe, Milwaukee, Wis.

Schatzmeister: Louis Hahn, Cincinnati.

;^f , .Ausschuss.

C. O. Schonrich, Baltimore. Wm. Schiifer, Cincinnati.

G. G. von der Groben, Erie, Pa. Frl. Marie Durst, Dayton, O.

H. M. Ferren, Allegheny, Pa.

Als Ort fiir die niichste Tagung, die im Jahre 1905 stattfindet, wurde de- finitiv Chicago gewiihlt.

Zum Schluss wurden folgende Dankesbeschliisse angenommen:

An die 33. Jahresversammlung des Nationalen Deutschamerikanischen

Lehrerbundes. Das in der gestrigen Versammlung ernannte Komitee erlaubt sich

*) Das Manuskript dieses Vortrages ist leider verloren gegangen. Prof. Prehn hat uns jedoch fiir eins der nachsten Hefte der P. M. einen Auszug seiner Arbeit zugesagt. D. K.

Protokoll des 33. Lehrertages. 239

hierdurch, folgende Beschliisse zur gefiilligen Begutachtung zu unter- breiten :

Am Schlusse dhrer Tagung stattet die 33. Jahresversammlung des N. D. A. Lehrerbundes ihren herzlichsten Dank ab:

1. Dem Lokalkomitee der Stadt Erie f iir seine aufopferndeTatigkeit, mit welcher die Vorbereitungen fiir die diesjahrige Tagung getroffen wurden und so den Besuchern der Aufenthalt zu einem hochst ange- nehmen gemacht wurde;

2. Dem Biirgermeister der Stadt, Herrn Hardwick, deni Prasidenten der Schulbehorde, Herrn C. L. Baker, dem Superintendenten des offent- lichen Schulwesens, Herrn Prof. C. H. Missimer, Herrn Prof. J. R. Burns, dem Vorsitzenden des Lokalkomitees, Herrn Gorenflo, den Her- ren F. Brevillier und Paul Miiller fiir ihre herzlichen Worte des Will- kommens an dem Eroffnungsabende der Tagung;

3. Dem Mannerchor" der Stadt Erie und seinem wackeren Dirigen- ten Prof. Oswald fiir die herrlichen Gesiinge am Eroffnungsabende und an dem am gestrigen Abend stattgefundenen Konzerte;

4. Den Damen und Herren, die dureh ihre Teilnahme bei diesem Konzerte den Zuhorern so herrliche Geniisse bereiteten, insbesondere Frl. Irene Noonan, Frl. Mildred Watson, Frl. Nettie Hulburd, und den Herren Prof. J. C. Diehl, Edwin Bell und Prof. Kowalski;

5. Den Rednern, welche das Programm unserer Tagung zu einem besonders interessanten und lehrreichen machten;

6. Dem Vorstande, in dessen Handen die Verantwortlichkeit fiir die Vorbereitungen unserer Tagung und die Leitung der Versammlungen lagen, besonders Herrn Prof. G. G. von der Groben, der mit Begeisterung und Hingabe seinen vielseitigen Pflichten oblag.

7. Der Presse der Stadt Erie, der deutschen, sowie der englischen, die durch ihre flihige Berichterstattung liber unsere Verhandlungen ihr Interesse an denselben bekundete, und

8. Der gesamten Bevolkerung der Stadt, die durch ihre tatkraftige Teilnahme die Vorbereitungen fiir den Empfang der Besucher wesent- lich orleichterte,

Wir empfehlen, dass diese Beschliisse in der deutschen imd eng- lischen Presse zur Veroffentlichung gelangen.

Weiterhin diene zur Mitteilung, dass der in der ersten Versammlung gefasste Beschluss, Herrn Direktor Dapprich einen telegraphischen Gruss zu ubermitteln, durch die Absendung folgender Kabeldepesche ausgefiihrt wurde:

Herrn Direktor Dapprich, Emmerichenhain, Nassau. Gruss Idem treuen Freunde vom Lehrertag. Achtungsvoll

Lydia S. Hanke, H. M. F e r r e n, Max Griebsch.

Hierauf erkliirte President Von der Groben die 33. Jahresversammlung mit einigen wohlgesetzten Worten fiir vertagt.

Am Vorabend des 4. Juli kam der Lehrertag mit einem solennen Bankett in der Mannerchorhalle zum Abschluss.

Emil Kramer, Schrif tf iihrer.

Die Realien im deutschen Sprachunterricht.

Vcn Ernst Wolf, High School, Saginaw, Mich.

Untor den vielen Fragen, die fiir uns deutsche Lehrer von Interesse imd Wichtigkeit sind, gibt es gliicklicherweise wohl keine einzige, iiber die wir nicht geteilter Meinung sind. Die Anschauungs- oder Konversa- tions-Methode wird von den Verfechtern der alleinseligmachenden Grammatik- oder Ubersetzungsmethode mit kraftigen Schlagwortern wie "Papageien-Methode", "Kellner-Deutsch", "Bonnen-Franzb'sisch" lacher- lich gemacht, und die Reformer zahlen prompt und schlagfertig diese Liebenswiirdigkeiten zuriick mit dem nicht minder eleganten, aber den Nagel auf den Kopf treffenden Schlagwort "Kochbuch-Methode'', denn in der Tat beschrankt sich ja die unverfalschte Grammatik-Methode darauf, dem Schiller Rezepte zur Anfertigung sprachlicher Gerichte dar- zubieten. Dass diese dann so unverdaulich sind wie andere nach dem Kochbuch angefertigte Speisen, ist fiir den seines Triumphes im voraus eicheren Reformer die natiirliche Folge.

Ich halte diesen Zustand keineswegs fiir beklagenswert; wenn auch manchmal ein wenig mehr Toleranz auf beiden Seiten am Platze und der guten Sache fordernder ware, so begriisse ich ihn nichtsdestoweniger. Wo Kampfe wiiten, da herrscht intensives Leben, wo gebildete Menschen aus Liebe zu tiberzeugimgen und Grundsatzen, errungen beim Scheine der mitternachtlichen Lampe, aus innerem Drang nach Wahrheit und Klarheit mit Berserkerwut iiber einander herfallen, alte Freundschaft in die Briiche gehen lassen in der Verteidigung dessen, was sie fiir recht erkannt haben oder doch vermeinen erkannt zu haben da herrscht Fortschritt, da ist Aussicht, dass aus den Reibungen sohliesslich doch ein Licht entstehen wird.

Gliicklicherweise lebt in unserem Stande im grossen und ganzen des kriegerischen Geistes die Fiille, er macht es undenkbar, dass unsere Ver- eammlungen als solche eines gegenseitigen Bewunderungs-Vereins ver- kannt werden.

Mit der Absicht, ich darf wohl sagen, in der frohen Hoffnung, an dem Kampfe der Meinungen teil nehmen zu diirfen, bin ich hierher ge- kommen in die freundliche Seestadt, deren gastfreie Bewohner uns einen so herzlichen Empfang bereitet haben.

Ich habe mir sogar die Gunst erwirkt, den Reigen eroffnen zu diir- fen, nicht eigentlich deshalb, weil mein Thema der am heftigsten um- strittene Punkt unserer Meinungsverschiedenheiten ist, sondern weil die Fragc des Realienunterrichts fiir den Grammatiker wie fiir den radikal- sten Reformer gleiche Wichtigkeit und gleiches Interesse hat, und wir uns deshalb bei ihrer Besprechung auf neutralem Boden bewegen.

Die Realien im dentschen Sprachwitenicht. 241

Wer auch. nnr einigermassen mit der wahrend der letzten 15 Jahre erschienenen Literatur iiber den Unterricht in den modernen Sprachen Tertraut ist, weiss sogar, dass die Realienfrage kaum mehr unter die schwebenden zu rechnen ist; auch die reaktionarsten Elemente erkennen an, dass sieh der deutsche Unterricht mit dem deutschen Volke, dem deutschen Lande, der deutschen Geschichte, mit deutschen Einrichtun- gen, vor allcm aber mit der deutschen Kultur zu bschaftigen hat.

Hiermit ware bereits der Begriif "Realien" definiert. Wenn auch die prinzipielle und theoretische Erorterung dieser Frage als abgeschlossen angesehen werden darf, so hat doch leider dieser Zweig des Unterrichts noch iiber arge Vernachlassigung in den Schulen zu klagen: Noch immer sind unsero Lehrbiicher angefiillt mit Asopischen Fabeln, hebraischen, agyptischen, babylonischen, griechischen und romischen Mythen, die, eo wertvoll, interessant und lehrreich sie auch nach Form, Inhalt und ethischem Gehalt sein mogen, doch in keiner Weise dem Ziele des deut- Bchen Unterrichts dienen, namlich dem Schiller Verstandnis fur die ei- genartige geistige und materielle Kultur, fiir Leben und Sitten des deutschen Volkes zu erschliessen.

In einem weitverbreiteten Lehrbuche, das bereits 33 Auflagen erlebt hat, und dessen Verfasser hinsichtlich der Methodik der Radikalsten einer ist, sind folgende Lesestiicke enthalten: Die griechischen Spiele. Perikles und die Bliite Athens. Hannibals Ubergang iiber die Alpen. Der Tod1 des Tiberius. England unter Elisabeth. Shakespeare. Frankreich und Ludwig XIV. Das Ende Ludwigs XVI. Napoleon in Russland. Die wissenschaft- liche Prosa Nord-Amerikas.

Ich enthalte mich eines Kommentars; aber das Wort Juvenals Difficile est satiram non dicere das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Dass der Lesestoff deutsch ist, d. h. sich mit deutscher Geschichte und deutscher Kultur beschaftigt, ist beinahe noch wichtiger als dass es mag dies paradox klingen und ist auch nicht wortlich zu verstehen als dass die Unterrichtssprache deutsch ist, denn "deutsch" in dem Sinne, wie ich es Jctzt verstehe, kann man auch in englischer Sprache lehren.

"Deutscher Stoff fiir den deutschen Unterricht" ist meine erste Forderung. Viel schwieriger ist es, genau festzustellen, was aus der ge- radezu verwirrendcm Fiille der Erscheinunge auf dem Gebiete der Realien in den Unterricht aufgenommen werden kann. Gliicklicherweise ist es aber nicht meine Aufgabe, fiir jede Schulklasse einen Lehrplan aufzu- stellen, was schon um des willen eine Unmoglichkeit ware, dass unsere Schulen sich durch die weitest gehende Unabhangigkeit, um nicht zu sagen "Regellosigkeit", auszeichnen.

Der Griinde fiir die Betonung der Realien sind viele: im weitesten Sinne des Wortes soil dem Schiller durch die bewusste Erkenntnis der fremden Nationalitat zum besseren Verstandnis der eiffenen verholfen

242 Padagogische Monatshefte.

werden; jeder klare Einblick in die Sitten, Gewohnheiten, Eeclite und Gesetze des fremden Volkes weckt das Verstandnis und scharft den Blick fiir die Gepflogenheiten des eigenen Volkes. Es ist meiner Ansicht nach eine imbestrittene Wahrheit, dass es weit besser ist, die Vorziige auswarts und die Fehler daheim zu erkennen, als umgekehrt, mag es auch einem gedankenlosen Chauvinismus als Vaterlandsverrat erscheinen, solche Ketzereien zu aussern.

Dass die Kenntnisse unserer Schuler iiber die auf dem europaischen Kontinent lebenden Nationen minimal sind, ist eine beschamende Wahr- heit. "Wenn unsere Schuler glauben, dass die Geschichte Europas iden-. tisch ist mit der Geschichte Englands, so ist dies eben dem Umstand zu- zuschreiben, dass der Geschichte Englands im Verhaltnis zur Geschichte des europaischen Kontinents eine Bedeutung eingeraumt wird, die ihr nicht gebiihrt. Der deutsche Lehrer sollte nicht versaumen, seinen Kollegen, der Geschichte rortragt, auf diesen Missstand aufmerksam zu machen.

Aber die planmassige deutsche Landeskunde und Geschichte dem Durchschnittsschulmeister ist zwar alles ein Greuel, was nicht in ein System gebracht werden kann wiirde schliesslich doch nur in einem diirren, mit Zahlen und Namen iiberhauften Abriss gegeben werden kon- nen, mit dem wir der Jugend nur geringe Freude bereiten wiirden. In der -Hauptsache werden wir uns damit begniigen miissen, bei der Auswahl der Lekture solchen Werken hervorragender Schriftsteller den Vorzug zu geben, in denen gewaltige Ereignisse oder das Leben hervorragender Manner bedeutend und fesselnd geschildert werden. Auch wohlgerun- dete und kunstlerisch befriedigende Landschilderungen sollen willkom- men sein.

In Fontanes Geschiehte des deutsch-franzosischen Krieges bin ich einem solchen Abschnitt begegnet, den ich als ein Muster betrachte, und den ich deshalb an dieser Stelle anfiihren will. Er lautet:

"Der Ehein war das Objekt wie mutmasslicher Schauplatz des Krie- ges, der Khein, der vielleicht kostbarste und heiterste Streifen Landes, den die heutige Erde aufzuweisen hat. Hier verwirklicht sich seit einem Menschenalter und langer, was die Philanthropen des vorigen Jahr- hunderts "die Gliickseligkeit des Menschengeschlechts" nannten, schoner, reicher und voller, als es jene Menschenfreunde in ihrer traurigen Zeit jemals zu ahnen und zu prophezeien wagten. Der Fleiss der Einwohner, ihr lebhaftes Naturell, ihr unternehmender Geist in Verbindung mit ei- ner, wie im Bewusstsein ihrer ausgestreuten Wohltaten, lachenden Natur haben eine Welt geschaffen, die kaum ihresgleichen hat, selbst nicht in den begiinstigsten Zonen, eine Welt, die der Hypochonder der entfernte- sten Gegenden aufsucht, um sein verfinstertes Gemiit aufzuheitern. Er badet seine Seele in dieser Atmosphare der Schonheit und des Gliicks,

Die Realien im deutschen Sprachunterricht. 243

wie seinen kranken Leib in den Heilquellen, die hier uberall aus dem Boden springen. Es ist das Land, das keinen Bettler kennt und keine triibseligen Gesichter. Die lustige Pfalz, "Gott erhalt's", die lieblichen Saume des badischen Schwarzwaldes, der langgestreckteGarten der Berg- strasse das Ganze eine ununterbrochene Perlenschnur von Schonheiten und von Wohmmgen des Gliicks.

ITnd mitten durch diese Welt wandelt der gewaltige Strom, wie einer der vier Hauptstrome des Gartens Eden, Wohltaten an beiden Ufern ausstreuend, die mehr wert sind als alle Nibelungenschatze, die in seinern Schosse geborgen liegen. Auf keinem Strome der Welt, einige Miindun- sen englischer Fliisse ausgenommen, findet sich ein solcher munterer und lebhafter Verkehr, wie auf dem gesegneten Ehein; seine unzahligen Boote und Dampfschiffe, die Schienenwege rechts und links reichen kaum aus, die Volker, die sich an seinen Ufern drangen, und die Erzeugnisse menschlichen Fleisses ihren Zielen entgegenzutragen.

Soweit er seine Windungen erstreckt, wachsen die alten Stadte, die noch der Romerzeit ihre Entstehung verdanken, Ja entstehen neue auf beinahe amerikanische Weise, und selbst die Dorfer sind Statten der Bildung, des Genusses, der Wohlhabenheit geworden.

Und da? Alles rein aus dem gliicklichen Boden dieser warmen Erde und des tatigen Biirgertums erwachsen und erbliiht und zu Friichten ge- worden, an deren Anblick sich das ganze deutsche Vatorland erf rent!

Da ist kein Fuss breit Erde, der nicht kostbar, kein Menschenherz, das nicht vom Geiste der Gesittung angeweht ware.

Was wir seit einem Jahrhundert singen: "Gesegnet sei der Ehein!" es ist an seinen Ufern aufs herrlichste in Erfiillung gegangen."

Welch' eine Fiille von Realien ist hier in stylistisch vollendeter, ja poetischer Form geboten. Man zeige dem Schiiler bei der Lektiire dieses Abschnitts noch einige Bilder, z. B. "der Rhein bei St. Goar" von Holzel, in prachtigen Farben ausgefiihrt, und man wird sich wenigstens einem Ziele des deutschen Unterrichts, der Erweckung des Interesses fur das deutsche Land und das deutsche Volk, bedeutend naher befinden, als wenn man sich durch den oft sinnlosen und wertlosen Schund durch- qualt, den noch manche unserer Lehrbiicher enthalten.

Nichtsdestoweniger ist es wohl moglich, unter der Unmasse von brauchbaren und unbrauchbaren Schultexten, die uns heute von den Verlagsbuchhandlungen geboten werden, eine Auswahl zu treffen, die auch den Anforderungen eines Realienfanatikers entsprechen diirfte. Denn es muss immer wieder betont werden, dass die Lektiire als Haupt- quelle fur den Realienunterricht anzusehen ist, da die Literatur eines Yolkes stets unzertrennbar mit seinem Volkstum verkniipft ist.

Ich habe mich im Laufe des letzten Winters der Miihe unterzogen, die Kataloge unserer Yerleger daraufhin zu untersuchen und gefunden,

244 Padagogische Monatskefte.

dass fast alle Stoffe angeboten werden, deren wir bediirfen. In der von mir zusammengestellten Liste sind alle bedeutenden Perioden der deut- schen Geschichte behandelt; alle Formen der Literatur- historische Prosa, das klassische Trauerspiel und das klassische Lustspiel, das moderne Lustspiel, die Lyrik, die epische Poesie und Xovellistik sind darin ver- treten; Werke der Klassiker nehmen an Zahl den ihnen gebiihrenden Platz ein. Diese Liste lautet wie folgt:

Schrakamp, Sagen und Mythen. Goebel, Hermann der Cherusker. Freytag, Ingo. Dahn, Ein Kompf um Rom. Freytag, Karl der Grosse. Aus dem Klosterleben. Scheffel, Ekkehard. Freytag, Aus den Kreuz- ziigen. Riehl, Kulturgeschichtliche Novellen. Ebner, Walther von der Vogelweide. Hillern, Hoher als die Kirche. Schiller, Tell. Hauff, Liechtenstein. Freytag, Dr. Luther. Schiller, Wallenstein. Goethe, Eg- mont. Scheffel, Der Trompeter. Gutzkow, Zopf und Schwert. Schrader, Friedrich der Grosse, Lessing, Minna von Barnhelm, Goethe, Wahrheit und Dichtung. Kohlrausch, Das Jahr 1813. Freytag, Soil und Haben. Die Journalisten. Zastrow, Wilhelm der Siegreiche. Bismarcks Ausge- wahlte Brief e und Heden. Wachsenhusen, "Vom ersten bis zum Letzten Schuss. Elster, Zwischen den Schlachten. Lodemann, Germany and the Germans. Kron, German Daily Life. Prehn, Journalistic German. Schrakamp, Erzahlungen aus der deutschen Geschichte. Beriihmte Deutsche. Hoffmanns Historische Erzahlungen. Wagners Ballads on German History.

Ich halte dafiir, dass der Vorwurf, die Freunde des Realien-TJnter- richts vernachlassigten die Herz und Gemiit bildende Seite der deutschen Literatur durch diese Liste aufs wirksamste zuruckgewiesen wird; es ist fiir den ernsten Lehrer, dem der Glaube an Ideale ja nicht verloren ge- gangen sein darf, selbstverstandlich, dass die von ihm gewahlten Texte den allgemeinen Forderungen des erziehlichen Unterrichts entsprechen miissen.

Die geographischen Kenntnisse unserer Schiller mogen sich auf ein Minimum beschranken; eine gute Karte von Deutschland, wie etwa die von Kiepert oder von Sydow-Habenicht, die nicht des Guten zu viel ent- halt, die gelegentlich auch zu Sprechiibungen Verwendung finden kann, geniigt in einfachen Schulverhaltnissen; in langeren Kursen sollte auch des Naheren eingegangen werden auf Deutschlands Lage im Kon- tinent, seine politischen und natiirlichen Grenzen, Bodenerhebungen, Bodenart, unterirdischen Schatze, Gewasser, sein Klima, den durch das- selbe bedingten Pflanzenbau, den deutschenMenschen, seineGewerbe und Industrieen, die in Deutschland vertretenen Konfessionen, seine Verwal- tungsbezirke, die wichtigsten Stadte, Festungen, Seehafen, seine Verfas- sung, die deutschen Kolonieen und einige wichtige Daten aus der Ge- schichte der deutschen Sprache.

Die Realien im deutschen Sprachunterricht. 245

In imserem 12Jahrigen Kursus in Saginaw benutzen wir in den drei obersten Klassen die fur die Untertertia, Obertertia und Untersekunda deutscher Gymnasien bei Teubner in Leipzig erschienenen Lehrbiicher der deutschen Geschichte von Schenk.

Da Professor Schenk nicht in koniglich preussischen Diensten steht, sind seine Biicher frei von jenem ekelhaften, liebedienerischen Byzantis- nius, der die Mehrzahl in Deutschland erschienener Geschichtsbiicher fur amerikanische Schulen vollstandig unbrauchbar macht, denn die von Sr. Kaiserlichen und Koniglichen Majestat anbefohlene "dynastische Ge- sinnung" muss der amerikanischen Schule feme bleiben, wennschon sich durch den erfahrenen Lehrer auch an solche Erscheinungen lehrreiche Yergleiche ankniipfen liessen.

"\Venn ich, wie oben bemerkt, auch die planmassige Erteilung des Bealien - Unterrichts in den kiirzeren Lehrgangen nicht befiirworten kann, so bleibt es doch wiinschenswert, dass in zwb'lfjahrigen Kursen der Stoff in systematischer Anordnung an der Hand eines vorlaufig noch nicht vorhandenen Realienlesebuch.es geboten werde.

Als die Hauptmittel zur Einfiihrung in die Realien betrachte ich:

1. die Lektiire,

2. die Sprechiibungen im Anschluss an historische und geogra- phische Anschauungsbilder,

3. den internationalen Briefwechsel,

4. ein Realienlesebuch,

5. das Memorieren von Gedichten geschichtlichen Inhaltes. Wo imnier die Kenntnisse der Klasse zum ausschliesslichen Gebrauch der Fremdsprache berechtigen, sollte diese auch natiirlich angewandt werden. In zweijahrigen Kursen wird dies nicht moglich sein, in vier- jahrigen nur ausnahmsweise unter sehr giinstigen Bedingungen. Aber selbst in zwolfjahrigen Kursen darf und soil die englische Sprache mit- herangezogen werden; manchmal sogar will es mir scheinen, als ob ein sachkundiges Urteil iiber deutsche Zustande aus berufener englischer Feder und deren gibt es ja gliicklicherweise die Fiille von ungleich ^tarkerer Wirkung begleitet sei als das Wort eines in Deutschland ge- borenen und dort erzogenen Lehrers, selbst wenn er sonst das voile Ver- trauen seiner Schiiler besitzt. Jmmerhin sollte jedoch die deutsche Sprache als das naturgemasse Mittel zur Mitteilung dieser Kenntnisse an- gesehen werden.

Wenn der in Deutschland geborene Lehrer vor dem Fehler gewarnt werden muss, dass er seine Verehrung fur alles Deutsche nicht in allzu gliihenden Farben male, so muss auf der anderet Seite der deutsche Re- negat und der mit deutschen Zustanden nur oberflachlich bekannte Leh- rer von amerikanischer Geburt vor einer ebenso grossen Gefahr gewarnt werden: kein Lehrer sollte sich so weit vergessen, dass er die fremde Na-

246 PMagoghcbe Monatshefte.

lion der Lacherlichkeit preisgibt, um nach Art des Demagogen sich Po- pularitat zu verschaffen. Ohhe der geschichtlichen "Wahrheit eine Blosse zu geben, muss jener sich wohl in acht nehmen, dass er das wohlberech- tigte, vielleicht etwas zu reizbare nationale Selbstgefiihl unserer ameri- kanischen Jugend nicht verletze, dieser, dass er sich nicht scheue, der alteren Kultur die ihr gebiihrende Ehre zu geben.

Es steckt ja so wie so schon ein gut Teil oppositionellen Geistes in a Her Jugend; in der amerikanischen gewiss noch mehr als in der europa- ischen. Ich sage dies gewiss nicht in tadelndem Sinne, im Gegenteil, ich behaupte: wohl der Jugend, dass dem so ist. Ich habe schon Unterrichts- stunden beigewohnt, wo ich mich innerlich gefreut habe, dass ich mir sagen konnte, nicht alles, was vom Katheder verkiindet wird, wird glau- bigen und gedankenlosen Sinnes verschlungen, ohne gepriift zu werden von einer skeptischen Jugend; ist es ja doch unsere vornehmste Aufgabe, die Jugend zu denkenden Menschen heranzubilden, zu Mannern tmd Weibern, in denen sklavischer Autoritatsglaube nicht jede Selbstandig- keit im Denken erstickt hat. Ich fiir mein Teil begriisse den oppositio- nellen Geist der Jugend ials fast die einzige Garantie fiir die freiheitliche EntwicKelung un seres Landes.

Fiir unsere Schiller wiirde die Beruecksichtigung der Realien keine neue Biirde bedeuten; sie heisst Ja eigentlich nichts anderes als die Wah- rung neuer Gesichtspunkte und neuer Grundsatze bei der Auswahl der Lekture, wenn iiberhaupt bislang bei deren Auswahl von Grundsatzen geredet werden konnte. Der zu erhoffende Gewinn wiirde aber selbst cine neue Biirde rechtfertigen. Vor allem verspreche ich mir davon dies:

An der Stelle des sentimentalen Liebesgegirres, .das jetzt so haufi|} tmserer Jngend als geistige Nahrung geboten wird, tritt eine kraftige Speise, die vielleicht momentan den Gaumen nicht in demselben Masse kitzcln wird, die aber dafiir umso nahrhafter sein wird. Die Jahre der Schulzeit sind zu kurz, um mit Trivialitaten vergeudet zu werden, der Blick unserer Jugend muss auf Grosses, Ernstes und Bedeutendes ge- richtet werden; in einer Republik, wo Mann und Weib dazu berufen sind, ihr Teil zur Losung der grossen Fragen der Gegenwart beizutragen, ist dies noch viel notwendiger als in einem patriarchalisch regierten Lande. Diesen Fragen werden sie mehr Verstandnis entgegenbringen, wenn sie aus der Geschichte eines der machtigsten Volker, das an Kultur und Ge- sittung hinter keinem anderen zuriicksteht, erfahren werden, wie um je- den Fussbreit Fortschritt gekampft und gerungen wiirde, wie oft die Besten und die Edelsten mit TJndank belohnt wurden, die Brutalitat und der Unsinn im fleckenlosen Gewande der Unschuld umherwandelten, ihr geschichtliches Verstandnis wird erweitert werden, sie werden den tiefen Sinn im Schillerschen Worte ,,Die Weltgeschichte ist das Weltgericht" wiirdigen lernen.

Die Realien im deutschen Sprachuntenicht. 247

Das ist aber noch nicht alles: Unsere Jugend wird auch lernen, sich von der Vcrmundschaft einer chauvinistischen Presse freizumachen, in deren Spa Hen die Fremdenhetze sich immer mehr in der ekelhaftesten Weise breit macht. In Europa ist es in dieser Hinsicht ja nicht viel bes- ser. So schreibt Professor Hartmann in einem Artikel im Organ fur den internationalen Briefwechsel Folgendes: "Die Presse ist eine Schule des gegenseitigen Basses geworden, wie zwischen Parteien und Konfessionen, so zwischen verschiedenen Volkern. Nichts kann den Zeitungsschreiber daran hindern, ein fremdes Volk so boshaft und gehassig in den Staub zu ziehen, als sein Temperament ihm eingibt."

Wir veiiangen von unseren Schiilern gewiss nicht, dass sie sich bei Betrachtung fremdlandischer Erscheinungen auf eine fremdlandische Gefuhlsbasis versetzen sollen. Wir sind zu alien Zeiten bereit, von frem- den Nationen das anzunehmen, was brauchbar, gut und schon ist, miissen uns aber ganz entschieden das Kecht vorbehalten, mit unserer eigenen Elle zu messen.

Der Realien - Unterricht, wenn in diesem Sinne erteilt, wird ein gut Teil dazu beitragen, ein besseres Verstandnis zwischen den beiden in Frage kommenden Nationen herbeiziifiihren, und dann das werden, was er sein sollte, ein im edelsten Sinne des Wortes patriotisches AYerk.

Monolingualism, the Bane of This Country.

By H. M. Ferren, High School, Allegheny, Pa.

Most of the opposition in this country to a thorough and extensive study of modern foreign languages emanates from a misconception of the word, Americanize. To the average Anglo-American it is synonymous with a Circean form of Anglicizing or Hibernicizing foreigners coming to our shores. Let us attempt a broader definition: Americaniza- tion is agradual assimilating process allowing each constituent part of our heterogene ous population ample time and opportunity to contribute its share ofwhat is typically strong and good. In no other manner can our social life receive that versatility and richness of content so indis- pensable to a nation's happiness.

The coming of the Germans to America, to cite the most represen- tative case, has much in common with the transplanting of a tree. II it is to flourish in other environments, its primary root must remain in- tact, the contiguous earth should be retained, nor should the new soil differ much from the old. Their language is to the Germans, what the primary root is to the tree. Sever it, and they are permaturely blighted. Whatever vegetation remains, is as the mistletoe to the oak or as the sucker to the fruit-tree. Their time-honored customs and traditions are to them as the original earth which has been left adhering to the roots of the newly transplanted tree and through which alone its sustenance can be properly conveyed. Lastly, they thrive best in a rather meagre soil. When placed in too fertile a loam, they develop luxuriant foliage, but cease to bear fruit. The criminal indifference with which our wealthy Germans look upon the sublime mission of their countrymen in our republic is a heartrending illustration of this fact.

To foster his language and song, to cling to his national customs and traditions with every tendril of his soul, is the most sacred duty devolving upon the German-American. In performing it, he will not only transmit to the American nation its legitimate inheritance from the fatherland, but will also develop his own faculties to their fullest extent, thereby becoming a more versatile and more useful member of society.

By breaking with his own past, in order to become Anglecized, he would lose his ethnical characteristics, without, however assuming another nationality. For civilizations, such as the English and the German, are the products of centuries, and it is a fatal error to imagine that they can be exchanged at will like articles of wearing apparel.

Monolingualism, the Bane of This Country. 249

The scarcely landed foreigner who shouts himself hoarse in praise of the American flag and maligns his native land is a superficial, fickle- minded person, upon whom we could place no reliance in time of national peril. The German by birth or descent who has cast aside the precious heritage of his great language and literature is a rudderless ship on an unknown sea. He is left without a past and without a people. He is neither English nor German, but only a hideous mixture of the baser elements of both. Though he be self-sustaining, though he may add to our material prosperity, he is nevertheless a pauper and a parasite feeding upon the very heart-blood of our nation. Were it not for his deplorable ignorance, he would have to be branded as a traitor even more culpable than Benedict Arnold.

I am far from underrating the invaluable benefits which we have derived from England. No blame attaches to her, for she has done more than her duty by us. But the composite nature of the American people makes it imperative that other forces beside those of English origin should become more than nominally operative in our national organism.

While the Eevolutionary War gave this coutry its political auton- omy, the overwhelming predominance of the English language caused it to remain a British dependency from a social and intellectual point of view. With the increasing immigration from Europe this state of de- pendence became ever more incongruous and detrimental. What a mag- nificent legacy was never claimed by us, because our English eyes could not behold it! What a Gospel of European culture was preached in vain to us, because our English ears were deaf to it! Myriads of seeds fraught with untold blessings, pregnant with the possibilities of a rich and re- plendent vegetation, are being wafted to us year after year across the Atlantic; yet they cannot take root in our shallow monolingual soil.

Monolingualism has been our greatest curse! By suppressing our latent powers, it has retarded our intellectual growth and has im- poverished our social life. It has made a desert of what might have been a paradise. It has robbed this nation of its soul!

Nor will the dawn of a brighter era appear, until Americans learn to comprehend and to put in practice the message which the non- English literatures contain for them.

The first step in this direction will consist in enabling our youth, not merely in a few large cities, but all over the land, to begin a second representative modern language at such an early age that they may be- come imbued with its literary spirit and may make its masterpieces part of their own flesh and blood. The prevailing custom of beginning all foreign languages in our secondary schools is based upon the irrational assumption that knowledge can be compressed and cut and piled up in- discrimately like so many bales of hay. Under this arrangement the time

250 PSdagogiscbe Monatshefte.

devoted to modern language study is so short and the number of participants so limited that it can be nothing else than an imaginary quantity in our public education.

The more languages we master, the broader our horizon, the keener our vision becomes. It is a fallacy to suppose, that we can absorb the European literatures through English translations, lectures and book reviews. No more than all the waters of the Baltic and the German Ocean can enter the Atlantic through the English Channel, no more does the English language suffice to convey to the American people their intellectual and social heritage from the continent of Europe. Moreover, Anglo- American literary criticism of to-day resembles a river with count- less shoals and gorges, where many a vessel bearing a cargo of inestimable value is stranded on the sand-banks of dilettanteism or is dashed to pieces in the narrows of frenzied racial prejudice, erroneously called patriotism. The English language is too weak a glass for the American; it cannot reveal to him the civilization of the world. Only when he learns to look through the compound lens of more than one great literature, will he discern in distinct outlines and in symmetrical form, what now appears blurred or distorted to him. Then he will perceive the real purport of Schiller's criticism addressed to the English: "Sluggishly the thick blood flows in your veins. Pleasure is foreign to you, who know but frenzy." Then he will glean a profounder meaning from that beautiful inscription above the portal of the famous music hall in Leipzig: "True enjoyment is a matter of grave importance." Then the truth will dawn upon him that theGermans, in promoting music and song in this country, contributed infinitely more toward the suppression of vice than all our law and order societies ever did or ever will do. Brutality and excess of every kind come rushing in, like a replenishing ether, wherever a social vacuum occurs. To displace them effectively, we must secure a richer content for our inner national life. Our tempe- rance and Sunday questions, along with many others of a similar nature, will sink into insignificance, the moment we learn to provide for the masses the proper forms of enjoyment, because a heart overflowing with genuine joy has no room for wickedness.

Let us hope that, that this nation may soon proclaim a second de- claration of independence, that it may bid a friendly but final farewell to British insularity. Long enough we have tarried in the narrow English Channel. Let us lift our anchors and hoist our sail! 'Tis time to put to sea in quest of our lost birthright, the golden fleece of the world's best thought.

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be exchan6.

Die deutsche Schriftstellerin von gestern und heute.

Von Dr. Otto Heller, Professor an der Washinyton-Universitcet, St. Louis, Mo.

Das in der deutschen Literaturgeschichte eingebiirgerte Verfahren, die Frauenschriftstellerei als ein besonderes Untersuchungsgebiet fur sich zu behandein, wurde, obschon es prinzipiell durchaus nicht einwandfrei erscheint, auch fiir die vorliegende Arbeit eingeschlagen. ZweiErwagungen waren bestimmend. Einmal drangte die Keichhaltigkeit der Materie zu einer orientierenden tibersicht; sodann lockte die Aufgabe, den immerhin erkennbaren entwickelungsgeschichtlichen Verlauf der Frauenschriftstel- lerei des vergangenen Jahrhunderts darzustellen. Das fast allgemeine Urteil iiber die literarische Produktion der Frauen kiindigt sich schon in der herkommlichen Methode an, den einzelnen Abschnitten der Literatur- geschichte kurze, oft fliichtige und unzuverlassige Kapitel iiber die "ein- schliigigen" Autoren weiblichen Geschlechts anzuhiingen. Und im gros- sen und ganzen betrachtet, ist das entschuldbar. In Sachen der Kunst sind die Frauen die Nachziigler der Weltgeschichte. Es gebricht ihnen in peinlichom Grade die Kraft zur kiinstlerischen Selbstbestimmung. Dafiir besitzen sie allerdings ein grosses Nachahmungs- und Anempfindungs- talent. Soil man die Schuld fiir ihr scheinbares Unvermogen zu ,,potenziertem" Pesrsonlichkeitsausdruck der jahrhundertelangen haus- lichen Eingezogenheit der Frau, ihrer Ausschliessimg von hoheren In- teressenspharen zur Last legen? Lassen wir das von der Deutschen im- rnerhin gelten. Wie steht es urn die Frauenliteratur galanterer Volker? Man gehe bin und priife. \\ro bleiben die Nachfolgerinnen einer George Eliot, einer George Sand? Stehen nicht beide vereinsamt in ihrer Grosse? Noch viel trauriger sieht es mit dem weiblichen Kunstschaffen bei uns in Amerika aus, wo doch weissgott die Frauen nicht iiber Unterdriickung zu klagen haben. Ungepanzert, wie ich bin, gebe ich kiihn der Wahrheit die Ehre: aus der amerikanischen Frauen welt ist bisher keine einzige grosse Kunstleistung hervorgegangen.

Man halte mit Kntrustungsausbriichen nachsichtigst zuriick. Es fiiilt mir nicht im Traume ein, die hohe literarische Kul- tnr der Frau abzuleugnen. Ich kenne ihre wohltatige Ein- wirkung auf das Schrifttum der Vergangenheit. Ich glaube etwas von ihrem Einfluss auf die mittelalterliche Lyrik und Epik zu wissen; auch von der weit gesiinderen, gleichfalls massigenden und verfeinernden Einwirkung gebildeter Frauen auf Goethe und Schiller. Iphigenie, Leo- nore, Dorothea, Johanna, das sind unwiderlegliche Zeugnisse. Vollends die Briefwechsel jener geistig regen Zeit beseitigen den letzten Zweifel. Aber was haben die Frauen von Weimar und Jena aus dem eigenen Kon-

252 Padagogische Monatshefte.

nen zu unserem litcrarischen Besitz beigesteucrt ? Und die weiblichen Nachklassiker der nachstfolgenden Generation, sind nicht die Spuren ihrer Tatigkeit so gut wie venveht? Hochstens, dass wir uns vom Pennal her an den prachtigen ,,Colural)ns" der Luise Brachmann erinnern, die c;ich so effektvoll an Schillers mannliche Schulter zu lehnen weiss.

Die sogenannte Frauenschriftstellerei kam erst im neunzehnten Jahr- himdert in Schwang. Man kann sie zur systematischen tibersiclit etwas grobschlachtig in Kunst-, Tendenz- imd blosse Unterhaltimgsliteratur zerlegen. Ganz achtlos konnen wir an der letzteren nicht vorbeigehen, gerade wir deutschen Lehrer in den Vereinigten Staaten nicht; denn aus den Biichern dieser Sorte sind zum grossen Teil die hierzulande verbreite- ten unerfreulichen Ansichten iiber deutsche Wesensart, zumal iiber den Charakter des deutschen Weibes unter die Amerikaner gedrungen.

Von den schablonenliaften Typen dieser Leihbibliotheksschmb'ker sei es deshalb verstattet, einen einzigen leiclit hervorzuheben: die welt- beriihmte deutsche Jungfrau mit den blonden Zb'pfen, dem veil- chenblauen Auge und ditto Gemiit. Zart und ziichtig bewegt sie sich ewig lachelnden Mundes in dem mit Eecht so beliebten hauslichen Kreise. Ihre geistige Ausbildung hat sie hauptsachlich durch Lekture fiir die rei- fere weibliche Jugend erlangt, doch liest sie daneben auch Schiller und tlhland, auch dieses und jenes von Goethe; sogar den expurgierten Heine lispelt sie iiber ihrem Stickrahmen. In alien iibrigen Dingen sanft und versohnlich, kennt sie in ihrem musikalischen Eifer weder Ziigel noch Scheming. Das ^Yenige, was sie zu sagen hat, kann sie auf deutsch, eng- lisch und franzosisch von sich geben. Fiir Blumen und Kanarienvogel echwarmt sie vorschriftsmassig. Als wirbelloses Geschopfchen wandelt sie durch das Leben? Nein, durch den Roman, um im letzten Kapitel ir- gend einen uniformierten Schmachtlappen mit Herz und Hand zu be- gliicken. AYas AYunder, wenn Amerikaner, die sich aus derlei Scharteken vertrauensvoll ihre ethnologische Belehrung holen, die ganze deutsche Itomanliteratur fiir sentimental erklaren!

Doch betrachten wir bis auf weiteres die beiden anderen ernst zu neh- menden Art en der Frauenschriftstellerei. Nur in ganz vereinzelten Fal- len haben sich unsere Autorinnen in kiistlerischem Sinne, d. h. durch sichere Formbeherrsc-hung und die Gabe, intensiv zu erleben und das Er- lebnis gekliirt, doch ungeschmalert ins Werk heriiberzuretten, ausge- zeichnet. Hingegen, eine aussergewohnliche Intelligenz und eine mutig zupackende Energie wird man fraglos vielen unter ihnen zuerkennen. Mit ausgesprochenem Eeformatoreneifer ziehen sie vorzugsweise fiir die sog. Frauenemanzipation zu Felde. Und mehr als einen Sieg haben sie fur ihre Sache mittels ihrer literarischen Arbeit erkampft. Zwar weitaus nicht alle •^chriftstellerinnen schlagen sich zur liberalen Partei; doch die vornehm- sten kampfen mit wenigen Ausnahmen fiir Fortschritt und Freiheit. So

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finden wir zum Beispiel, dass sogar die durch ihr Temperament nnd durch enge personliche Bande mit der romantischen Schule verstrickte Bettina von Arnim, statt die reaktionaren Bestrebungen der Spatromantik zu teilen, ahnlich wie Heine von dieser znr jungdeutschen Zeitliteratur iiber- geht.

Fur die tendenziose Frauenliteratur wurde ,,das Junge Deutsehland" die bedeutungsvollste Episode. Von Frankreich her war zusammen mit mit den iibrigen revolutionaren Ideen eine neuartige Auffassung der Ehe eingedrungen. Als Nachhall der von St.Simon, George Sand und anderen erhobenen Forderungen erklang in dem weiblichen Anhang Jungdeutsch- lands der Ruf nacli einer neuen, vernunftmassigeren Hegelung des ehe- lichen Verhaltnisses in alien Tonarten wieder: von der Verstaatlichimg der Familie durch die Civilehe bis zu ihrer praktischen Abschaffung durch die ,,freie Liebe" variierten die verschiedenartigsten Vorschlage; und sie alle musste der dehnbare Ausdruck ,,Emanzipation" decken. Das Auftauchen unverfalscht anarchistischer Maximen mitten unter den Vor- arbeiten fur einen sozialistischen Umbau der Gesellschaft lasst die be- rechtigte Frage aufsteigen, ob nicht Sozialismus und Individualismus am Ende doch nur divergierende Ausfliisse derselben Triebquelle seien.

Auch diesmal stiess die fanatische Fraktion der Frauenrechtlerinnen die offentliche Sympathie ab, und man blieb infolgedessen in weitesten Kreisen blind gegen die Berechtigung der Bewegung. Uaher riihrt auch die allgemeine Unwissenheit iiber die damaligen Frauenbestrebungen. Unser "neues AVeib" wiirde sich liber die Modernitat seiner Grossmiitter nicht iibel verwundern, wenn es z. B. wiisste, wie kraftig eine gewisse Julie Burow fur berufliche Frauenerziehung pladierte oder die Urheberin des 1855 gegriindeten "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins", Luise Otto, fur die Organisierung weiblicher Gewerkschaften eintrat.

Die gegensatzlichen Standpunkte innerhalb der jungdeutsch gefarb- ten Frauenliteratur, den kollektivistischen und den individualistischen, bezeichnen am deutlichsten die Werke zweier in jeder Hinsicht grundver- schiedener Frauen: Ida Hahn-Hahn und Fanny Lewald. Ihr Leben um- tpannt fast das ganze Jahrhundert und reicht bis zu den Anfangen der literarischen Gegenwart herauf. Literarisch genommen sind sie aber schon lange tot, und die neuerdings von Eichard Meyer an der Grafin Hahn-Hahn vorgenommenen Wiederbelebungsversuche werden verlorene Liebesmiih' bleiben. Ida Hahn-Hahn gehort in ihre, nicht in unsere Zeit; oder besser, sie gehort mit ihrer kapriziosen tiberspanntheit selber in die von ihr erschlossene Romanwelt. In der Tat bilden ihre Heldinnen eine Galerie von Selbstportrats; in hellen Lichtern gemalt, in reichstes ver- goldetes Schnitzwerk eingerahmt. "Aus der Gesellschaft" erschien 1838. Der Titel klang wie eine Anpreisung, schien ein Versprechen zu enthal- teh. Die Grafin hielt Wort. Sie hat das staunende 'biirgerliche Publikum

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in die mit glitzernden Uniformen und fabelhaft dekolletierten Toiletten erfiillten Sale der vornehmen Welt eingefiihrt. Doch nein; nicht einge- fiihrt. Dazu 1st sie zu sehr Standesdame. Nur zur Galerie hat sie den Soh- nen und Tochtern der misera plebs den Eintritt vergonnt. Und \vie so ganz fiihlt man sich Canaille, wenn man in das Gewiihl der waschech- ten Herrschaften drunten hineinblickt! An der Saaltiir steht die wach- same Grafin; Fiirsten, Graf en, Freiherren, zur Not noch einfache Vons diirfen nach Belieben ein und aus. Fiir Biirgerliche bedarf es einer beson- dern Legitimation, die niclit viele aufbringen konnen: Genialitat, oder doch das Surrogat, das die Grafin dafiir nimmt, namlich ein luftballon- artiges Expansions vermogen, eine stets in Gefahr des Piatzens schwe- bende, hochstrebende, unbefriedigte, immer etwas-aber-ich-weiss-nicht- \\ras wollcnde Kiinstlerseele. Yor alien Dingen muss man eine komplexe Natur sein, um vor der hohen Frau zu bestehen. Denn gegen alles Ein- fache, vom ausserlichsten Kleidungsstiick bis zum innersten Charakter- zug, hat sie eine uniiberwindliche Abneigung.

Die Milieuschilderung der Hahn-Hahnschen Eomane erhebt keinen Anspruch auf Lebenstreue. Was sie an wirklichem Wahrheitsgehalt be- sitzen, ist bereits konstatiert. Sie reihen sich zu einer Universalbeichte zusammen. Eine iiberschwengliche Enthusiastin, stiirmische, lodernde und dennoch kapriziose Liebhaberin, eine fanatische Glaubensbekennerin, go stellt sich die Verfasserin in diesem vielfaltigen Selbstbildnis dar. Was Ida Halm-Halms Ethik betrifft, so steckt in ihr schon ein entschie- den herrcnmoralischer Keim: Befreiung von der konventionellen Moral wird lautgef order t. Doch nicht fur die Herde der Vielzuvielen; nur der das Durchschnittsmass iiberragenden Personlichkeit wird sie als Vorrecht zuerkannt.

Dieser riicksichtslosen aristokratischen Selbstiiberhebung steht der demokratische Altruismus Fanny Lewalds gegeniiber. Was die kiinstle- rischc Darstellung angeht, ragen ihre Werke nicht entfernt an die der Grafin Hahn-Hahn heran. Unromantisch bis zur Niichternheit, beredt nicht durch hinreissenden Schwung der Sprache oder die Macht der Lei- denschaft, sondern lediglich durch unerschutterliche, mit festgefiigter Lo- pik vorgetragene tiberzeugung, war sie ein bedeutsamerer Faktor in de^ Frauenbewegung als in der Literatur. Auch sie giebt in ihren Schriften den auf die Ehe beziiglichen Fragen einen breiten Raunij und /war be- liandelt sie dieselben mit einer solchen dialektischen Schlagfertigkeit und ruhigen Positiviiat, dass z. B. ihr Buch ,,Eine Lebensfrage", worin sie der Zulassigkeit der Ehescheidung energisch das Wort redet, nicht ver- fehlte einen allgemeinen tiefen Eindruck zu iiben.

Nicht wenige Schriftstellerinnen verbleiben jedoch trotz des herr- schenden Zeitgeists ausserhalb des Eadikalismus oder fassen gar in der Eeaktion festen Fuss, weil die sozialpolitischen Verbesserungsvorschlage

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nnd -versuche, welche dieGestaltung dieserWelt der gottlichenVorsehung entwinden mochten, ihren frommen Seelen Besorgnis und Grauen ein- flb'ssen. Weit iiber die gottergebene Protestantin Marie Nathusius, die Verfasserin des "Tagebuchs eines armen Frauleins" erhebt sich die katho- lische Dichterin Annette von Droste-Hiilshoff. Lage nicht iiber ihren Gedichten und Novellen eine schattenhafte mystische Verziickung, ware ihr sonst so hellblickendes Auge nicht von religib'ser Bigotterie ver- schleiert, man miisste ohne weiteres der Kritik beipflichten, die Annette von Droste fiir Deutschlands vornehmste Dichterin erklart. Auch so wird man die loyale Tochter der roten Erde ohne tibertreibung als die erste grosse Heimatkiinstlerin Deutschlands, als einen der grossten im- pressionistischen Naturdichter anerkennen miissen.

Wie sich trotz der resignierten Grundstimmung bei Droste-Hiilshoff nicht selten das eigenste Personlichkeitsbewusstsein gegen das Joch der Satzung baumt, so auch bei der gleich ihr nachdenklichen, aber weit lei- denschaftlicheren Wienerin Betty Paoli. Gegen die Emanzipationsbe- gtrebungen ist sie gleichgiiltig. Das Weib darf nur einen Ehrgeiz kennen: die Erfiillung ihres Berufes, durch unbedingte Selbsthin^abe zu beseligen nnd selbst also selig zu werden.

Wir miissen nun auf kurze Zeit von der Frauenliteratur ernsten Ge- halts abschweifen und uns den beiden popularsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit zuwenden, die mit bewunderungswertem Gleichmut die Stiirme des offentlichen Lebens von sich f ernzuhalten verstanden. Es wiirde schwer halten, in der Literaturgeschichte analoge Beispiele fiir das schreiende Missverhaltnis zwischen offenlicher Be\rertung und wirk- lichem Wert anzufiihren, das uns in der Popularitat der Luise Miihlbach und Charlotte Birch-Pfeiffer entgegentritt.

Miihlbachs Ungliick war die spielende Leichtigkeit, mit der sie pso- duzierte. Ihre Laufbahn fiel in eine Epoche, in welcher der "gebildete" Leser dem Romanschriftsteller in Bezug auf historische Treue nicht sehr auf die Finger sah; wo dem letzteren folglich nicht sehr viel da- ran lag, die Weltgeschichte und ihren Treppenwitz streng auseinanderzu- halten. Mit ihrem dreizehn Ba'nde dicken Friedrich dem Grossen machte die Miihlbach ihren ersten Schlager. Fortan klapperte sie ihre Dutzend Bande pro Jahr ab. Von Friedrich dem Grossen bis auf den Vater des jetzt regierenden deutschen Kaisers entging kein Held der europaischen Geschichte ihrem scharfen Kiichenmesser; und alle wurden sie lecker zubereitet und appetitlich garniert. Doch ob- gleich die vortreffliche Kochin und Wirtin mit ihren Opfern aufs sparsamste verfuhr und die Gerichte ausserst diinn aufs Brot strich, brauchte sie bei ihrer grossartigen Betriebsamkeit den- noch den ganzen historischen Proviant auf und war genotigt, an ihrem Lebensabend dem ungestillten Hunger ihrer zahllosen Leserschar ihre al- ten Lieblinge nochmals aufzuwiirmen.

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Es ist ein Sprichwort, das lautet: Ein Ungliick kommt sel- ten allein. Charlotte Birch-Pfeiffer ist die Luise Miihlbach des deutschen Dramas. Von dramatischem Erfassen und Gestalten eines lebendigen Charakters hatte sie keine Ahnung; doch wusste sie als routinierte Schauspielerin, wie man dankbare Rollen verfertigt. Was Handlung und Komposition betrilu, lassen ihre Theaterstiicke fur den besseren Geschmack fast alles zu wiinschen iibrig. Dafiir verstand sie banale Szenen zu einer geschickten Augenblickswirkung zusammen- suzimmern und verfiigte iiber eine nie versagendeMacht auf die Lachmus- keln und Tranendriisen des spiessbiirgerlichen Parterres. Und ihre Un- ternehmungslust! Dickens, Bronte, Victor Hugo, George Sand, Bulwer, George Eliot, Auerbach, Spindler, Schiicking, alle wurden sie wie podo- lische Mastochsen zur dramatischen Schlachtbank gefiihrt; der beste Ro- man wurde fix in ein von klebriger Sentimentalitat triefendes Schauspiel umgewandelt. Wie schade fiir die genialen Schopfer des "Theatrical Trust", dieser unserer unvergleichlichen demokratischen Einrichtung, dass Charlotte um ein halbes Jahrhundert zu friih auf die Welt kommen musste!

Und hinter Miihlbach und Birch-Pfeiffer gahnt die unendliche Ode der vom Weibe geborenen Unterhaltungsbiicher. Um die Mitte des ver- flossenen Jahrhunderts war das Romanschreiben eben die einzige ver- meintlich geistige Tatigkeit, die dem Weibe offen stand. Dazu erleich- terte die Stabilitat des b'ffentlichen Geschmacks den Schriftstellerinnen ihren Beruf. Eine Definition des Familienromans kann ich mir gliick- licher Weise erlassen. Unter dem Protektorat der Familienblatter, unter denen etwa die Gartenlaube das hochste Niveau bezeichnete, das vom Bildungsphilister geduldet ward, bemachtigten sich unsere Schriftstelle- rinnen dieses Genres. Seine Zeit ist noch immer nicht voriiber. Auch liier in Amerika nicht. Das beweist der eben erst in der Abkiihlung be- griffene Triumph von Winston Churchills zwar garantiert unschadlichem, aber von Apollo und alien Musen verlassenem Geschreibsel.

Wer kennt nicht das ausgepragteste Muster aller Romanfabrikantin- nen dieses Schlages, die liebenswiirdige, riihrselige, betriebsame E. Mar- litt? Wer erinnert sich nicht dankbewegten Herzens an "Goldelse", "Reichsgrafin Gisela", "Im Hause des Kommerzienrats", "Das Geheim- nis der alten Mamsell", "Die zweite Frau", "Das Heideprizesschen" und die sonstigen spannenden Geschichten, die man in friihlingsgriinen Jah- ren auf der Schulbank unter den Augen des ahnungslosen Lehrers dreist verschlang? Freilich, priift man sie nach, so stellt sich unsere Marlittbe- geisterung von damals als eine der naturnotwendigen Jugendeseleien her- aus, die jeder halbwegs verniinftige Mensch tantum mutatus ab illo durchgemacht haben muss. Gewisse Vorziige findet man allerdings in den Marlitt'schen Romanen -zu seinem grossen Vergniigen wieder: die

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gcwandte Schreibart, die Anmut der Schilderung, das wenn ich es so ausdriicken darf angenehme Exterieur mit den gefalligen Mauieren. Aber man ist leider ein alter Knabe geworden, hat zugelernt und legt die niichternen Tatsachen des Lebens als Massstab an die Lekture an; das etwas verhartete Gemiit reagiert nicht mehr so leicht auf romanhafte Schonfarbereien. Nicht ohne einen gewissen neidischen Verdruss nimmt man jetzt wahr, wie es die Marlittschen Menschen mit ihrem vortreffli- chen Herzen und massigen Verstand alle so herrlich weit bringen, durch Xacht zum Licht, durch Kampf zum Sieg, Ende gut alles gut. Denn das erste Gebot, oder besser gesagt Verbot aller echten Familienromane lau- tet: Ein schlimmes Ende ist strengstens untersagt.

Unter den Jiingerinnen der Marlitt, die man gemeinhin abschatzig bloss als ihre mechanischen Nachtreterinnen beurteilt, sind ganz be- trachtliche Talente, die, wenn sie auch in der Fiihrung der Handlung an der Methode der Meisterin festhalten, doch in der Auslegung des mensch- iichen Charakters und Schicksals eine grossere Selbstandigkeit an den Tag legen; wie E. Werner, Golo Raimund, Egon Fels, Emmy von Dinck- lage und Claire von Gliimer. Noch unabhangiger erweisen sich die etwas jiingeren Sophie Junghans und E. Junker. Mit diesen sind wir bereits an der Schwelle der neuen Zeit angelangt. Der Euhm, das erste Frauenwerk von bleibendem Werte im neuen deutschen Eeiche geschaffen zu haben, gebiihrt unstreitig Luise von Frangois. Das Buch fiihrt den Titel "die letzte Reckenburgerin" und gewahrt mit seiner realistischen Spiegelung patriarchalischer Lebensformen eine weit ernstere Auffassung der Kunst und einen entschieden solideren Idealismus als bei Marlitt und ihrem Ge- folge zu verspiiren ist.

Eine gleich vornehme Erscheinung wie Luise von Frangois war die vor wenigen Monaten dahingegangene Malwida von Meysenbug. Ihre dreibandigen Memoiren buchen die Geschichte eines seelisch erlebnis- reichen, von der Freundschaft der Besten ihrer Zeit erleuchteten Wan- dels. Der direkten Beteiligung an der Frauenbewegung enthalten sich die letztgenannten geistvollen Frauen, weil sie vorerst die Kraftigung der idealistischen Triebe aller Menschen ohne Unterschied des Ge- schlechts nottuend diinkt.

In dies.er Anschauung begegnet ihnen eine weit beriihmtere Genos- sin, die nun vierundsiebzigjahrige Marie von Ebner-Eschenbach, die mit vollem Eecht als eine der grossten Novellistinnen der Gegenwart, ja vie- len Kritikern geradezu als der hervorragendste deutsche Prosadichter gilt. Man mag mit solch uneingeschranktem Lobe einverstanden sein oder nicht, Ebner-Eschenbach zwingt auch dem borniertesten Gegner der Frauenschriftstellerei hochste Achtung ab. An ihr imponiert vor allem die Geschlossenheit der Weltanschauung. Im Grunde mit der bestehen- den Ordnung der Dinge nicht unzufrieden, sagt sie auch-zu der herr-

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schenden Moral im ganzen ja. Aber ihre Menschen brauchen sich darum doch nicht den Satzungen der Gesellschaft zu fiigen. Gewohnlich aller- dings miissen sie in diesem Kampfe unterliegen, denn in der Fiihrung der Handlung lasst sich die Dichterin durch keine albernen Bedenken vor einem tragischen Abschluss die Hande binden. Trotz ihrer Vertrautheit mit den Schwachen und Lastern der Menschen setzt sie eine feste Zuver- sicht auf die Besserungsfahigkeit der Menschen. Derselbe Glaube an die Menschheit durchtrankt die reflektiven Dichtungen Carmen Sylva's, der Konigin von Eumanien. Der Grundpfeiler ihrer optimistischen Philo- pophie ist die von Darwin und seinen Schiilern ausgebaute evolutionisti- sche Erkenntnislehre.

Auf den Werken der soeben besprochenen Schriftstellerinnen liegt ein starker, wiewohl spater Abglanz der grossen Zeit Goethe's und Schil- lers. Urn ohne Umschweife von diesen Schriftstellerinnen zur sogenann- ten "Moderne" zu gelangen, miissen wir zunachst den Sprung zu einer kleinen Gruppe von tibergangstypen wagen. Es sind Osterreicherinnen, aber das saftige, fidele Temperament des ostmarkischen Phaaken eignet keiner unter ihnen. Hochstens findet Ada Christen ab und zu den Ton des leichtbliitigen ,,Weaner Hamurs". Sonst huldigt gerade sie einem tiefdunklen Pessimismus. Ihr spezifisch moderner Zug beruht in der mutvollen Blosslegung ihres weiblichen Gefiihlslebens. Einer ahnlichen TJnverhohlenheit begegnet man bisweilen bei Ossip Schubin, sie beriihrt aber bei ihr peinlicher, weil sie nicht den Eindruck der Echtheit macht. Die auf sie gesetzten grossen Hoffnungen hat Schubins sensationsliister- nes, unstat hin und her flackerndes Wesen zu nichte gemacht. Fiir hyste- risch mochte man auch die streckenweise wie eine schwiile Atmosphare auf ihren Erzahlungen lagernde Erotik ansehen. Gerade in diesem Zu- sammenhang, an der Schwelle der ,,Moderne", wird die Erorterung eines etwas heiklen Themas unvermeidlich. Ein unterscheidendes Kennzeichen der heutigen Frauenschriftstellerei ist eine hart an Schamlosigkeit strei- fende Offenheit. Hatten friiherhin unsere Damen von der Feder in heiliger Scheu vor der keuschen Madchenseele auch die leiseste unzarte Andeutung zimperlich vermieden Namen wie Ottilie Wildermuth und Elise Polko sind noch heutigen Tages ein Geleitbrief zum Weihnachts- und Geburtstagstisch der hoheren Tochter so gefallen sich viele unse- rer beliebtesten modernen Schriftstellerinnen in der Erorterung von Din- gen aus der geschlechtspsychologischen Sphare. Indem sie stolz die einnliche Seite der Weibsnatur offenbaren, nehmen sie oft eine feierliche, weihevolle Miene an. Das ist bei Maria Janitschek der Fall, die, gleich- falls zur Gruppe der Vorlauferinnen gehorig, als die erste riickhaltlos zur Moderne iiberging. So fand auch Nietzsche's tibermenschevangelium an ihr eine verziickte Priesterin. Liegt doch in dem durch Nietzsche ent- brannten Kampf um eine kiinstlerisch freie, ganz individuell zu nor-

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mierende Lebensform die machtigste Triebfeder der jiingstdeutschen lit- terarischen Bewegung. In den Werken der Frauen hat die Saat des gros- sen Rebellen zweierlei Frucht getragen: einen bis dahin unerhorten Kunst- imd Kiinstlerkultus und, was in seinen ethischen Folgen schwe- rer ins Gewicht fallt, die Entschlossenheit zu riicksichtsloser Selbstdurch- setzung. Einst waren es die Frauen, die in erster Linie ihre Personlich- keit dem allgemeinen Wohl unterzuordnen bereit waren. Heute verkiin- den sie mit erhobener Stimme den fundamentalen Lehrsatz der Stirner- Nietzsche'schen Wahnlehre, der Gesellschaft gegeniiber habe derEinzelne immer recht; wer das Gliick eines schb'pferisch tatigen Daseins begehre, der dtirfe, ja miisse den formelhaften Moralkodex der Herde, der Vielzu- vielen von sich schleudern. Man kann sich leicht denken, in welcher Weise dieses grundlegende Element eines fragmentarischen Anschauungs- komplexes die Frauenemanzipation beeinflusst. Nicht ausschliesslicli gegen die mannliehen Unterdriicker, sondern auch gegen die uner- schb'pfliche Geduld des Weibes, gegen seine haustierahnliche Zahraheit richten sich hinfort die heftigsten Angriffe. Ein Tier, so ungefahr driickt sich Helene Bb'hlan einmal aus, ein Tier, hatte man es gehetzt, wie man das Weib gehetzt, hatte irgend eine Waffe an sich entwickelt, ein Horn etwa oder einen Giftzahn. Das Weib hingegen wurde zahmer und zah- mer, zahm bis zur Widerlichkeit, ein Lasttier im wahrsten Sinne des Wortes.

Jetzt soil es sein Joch abwerfen. Dazu bedarf es vor alien Dingen einer ganz eigenpersbnlichen Moral, die natiirlich auch unter den Wei- bern nur den eigentlichen Herrenmenschen zukommt. Dass es gefahrlich ist, jeden selbst dariiber bestimmen zu lassen, ob er ein ,,Vielzuvieler" oder ein ,,Einziger" sei, dariiber scheint sich Nietzsche keine Gedanken gemacht zu haben. Ubrigens ist aus seinem anregungsreichen, wenn auch nicht ganz gesunden Individualismus dem deutschen Schrifttum kein Schaden erwachsen. Und auch das deutsche Gemeinwohl hat Nietzsche's Anarchismus meines Erachtens nicht gefahrdet. Ist doch sein tJber- menschentum nur ein hb'chstens im Kunstberuf durchfiihrbares, dazu recht vages, Eeservatrecht. Hier in Amerika, wo unser aller Zwing- herrin, die offentliche Meinung, mit dem Nietzsche'schen Ubermenschen kurzen Prozess machen wiirde, wird das Gemeinwohl durch zwei bei wei- tem gefahrlich ere Spezies des Ubermenschen untergraben: den politi- ?chen Pantata und den Syndikatsmacher.

Den eigentlichen Fortschritt der neuesten Frauenschriftstellerei er- blicke ich in ihrer Technik. Kein Unparteiischer wird das in Abrede stellen. Vergleicht man die Marlitts von heute, W. Heimburg, St. Key- ser e tutte quante mit ihren asthetisch ausgereifteren Kolleginnen, so sieht man auch ohne kritische Lupe, dass inbezug auf Beobachtungs- und Darstellungsvermogen, auf psychologischen Tiefblick und auf Umfang

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des Ideen- und Empfindungskreises die letzteren turmhoch iiberragen. Der praktische Wert alles dessen fur die von den Frauen verfochtene Sache aber ist der, dass eine litterarische Tatigkeit, welche nicht ver- fehlt, dem Manne eine bessere Meinung von den geistigenFahigkeiten der Fran beizubringen, ihrer angestrebten Zulassung zu einer grosseren Wirkungssphare Vorschub leistet.

Unter den Romanschriftstellerinnen, die fiir die Aufklarung ihres Geschlechts weiterkampfen, stehen in der vordersten Reihe Gabriele Ren- ter nnd Helene Bb'hlau. Beide spornen ihre Schwestern zur Geltend- machung ihrer natiirlichen Rechte an, suchen aber zugleich ihr Verant- wortlichkeitsgef iihl zu kraftigen und zu vertiefen.

Gabriele Reuters Buch ,,Aus guter Familie" ist ein fulminanter Protest sowolil gegen die unfreiwillige Ehe wie gegen die elterliche Ver- hinderung einer gewollten Eheschliessung. Es behandelt den typischen Fall einer Beamtentochter, die sorgfaltig zum Geheiratetwerden erzogen wird und, da sie doch nicht unter die Haube kommt, kb'rperlich und gei- stig zugrunde geht. Als Kunstwerk betrachtet, verdient der Roman sei- nen grossen Ruf keineswegs; dazu ist er schon zu grell und zu gerausch- voll. Aber es ist leider eine Tatsache, dass man als Agitator mit lantern Organ und heftiger Gebarde mehr ausrichtet als mit wohlabgewogenem, kiinstlerisch gemassigtem "Worte.

Diesem Umstande verdankt teilweise auch Helene Bohlau ihre Er- folge, wiewohl sie als Kiinstlerin der Renter iiberlegen ist. Hier ist nicht von ihren behaglichen ,,Ratsmadel-" und anderen Weimarer Geschichten die Rede, sondern von ihren Tendenzromanen. Es sind Variationen iiber das Thema ,,der Frauen Zustand ist beklagenswert." Fiir Bohlau desto beklagenswerter als nach ihrer iibertreibenden Erklarung das Weib es noch gar nicht bis zum menschlichen Zustand gebracht hat. Von diesem Standpunkt aus durfte sie ihren sensationellen Roman ,,Adam und Eva" in der Buchausgabe ,,Halbtier" umtaufen. In diesem Werke wird, nicht gerade iiberzeugend, dargelegt, wie geistberaubt das Weib sich durchs Lcben schleppe; unfahig, in sich selbst einen Halt zu finden, sinke sie vor jedem Streich, der sie trifft, rettungslos darnieder. Und dennoch werde das Geschlecht falschlich das "schwachere" genannt. In Wahrheit sei es das robustere, zu grobem Materialismus verurteilte, den feinen Regungen unzugangliche, jedem Aufschwung sich widersetzende. In solcher dogmatischen Entstellung wirklicher Verhaltnisse durch einen sich iiber soine Ziele nicht vollig klaren Idealismus liegt Helene Bb'hlau's Hauptschwache. Jene seichte Zufriedenheit mit dem Leben, wie sie sich bei Frauen so haufig einstellt, ist ihr ein Greuel. Ganz leben oder im ho- hen Wellenschlag untergehen, nur das ist menschlich. Alles iibrige ist verachtliches, bettelhaftes Sichbescheiden.

Die deutsche Schrtftstellerin von gestern und heute. 261

Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,

Drangt immer fremd und fremder Stoff sich an.

Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,

Dann heisst das Bess're Trug und Wahn.

Anch fiir Helene Bohlau sind, wie fiir Faust, nur die hoheren Ge- ftihle lebengebend, und die erstarren bald im irdischen Gewiihle. All- mahlich verkummern, das ist keine menschenwiirdige Tragodie, son- dern das Los des "Halbtiers". Zur Not entgeht solch traurigem Schick- sal die Heldin von Bohlau's bestem Buche: ,,der Rangierbahnhof". Von den verstandnislosen Ihrigen unwissentlich zu Tode genorgelt, stirbt sie, die Hohergeartete, auf ihrem Isolierschemel langsam ab, una erst ganz am Ende erwarmt sie an einer grossen Freundschaft wieder zum wahren Leben, um resigniert in den Tod zu gehen. Die Miinchener Kiinstler- atmosphare ist ausserst lebensvoll wiedergegeben. Doch Bohlau's rea- iistische Walirheitsliebe stort der die Einzelerscheinung hastig verallge- meinernde Symbolismus, dem sie mit manch anderenRealistikern huldigt, und ihre streitbare Erregtheit tut ihrer Vertrauenswiirdigkeit Abbruch. So kommt es, dass mit Ausnahme von ein paar nicht gerade glaubhaften Exemplaren des Genus tTbermensch die Manner in ihren Eomanen ent- weder ganz unverbesserliche Halunken oder riickgratlose Ziehpuppen sind.

Nicht so ungerecht gegen die Mannerwelt ist die selbst in manchem Betracht mannlich fiihlende Clara Viebig. Sie hat neuerdings durch ih- ren ausgezeichneten Vaterlandsroman "Die Wacht am Rhein" das offent- liche Interesse ganz ungemein gefesselt, doch steht sie schon seit Jahren an einem hochgeachteten Platz im modernen Schrifttum. Am tiichtig- sten und gliicklichsten ist sie in der Schilderung der heimatlichen Eifel mit ihrem leidenschaftlichen Menschenschlag. Mit fester Hand, ohne Schminke und Aufputz wird da die Wahrheit aufgetragen. Auf moderne Fraueiiemanzipation ist sie nicht sehr erpieht. Yielmehr neigt sie, zum wenigsten ir dem fast cynischen "Weiberdorf", zu der Laura Marholm'- schen Doktrin, dass ,,des Weibes Inhalt der Mann", demnach das ehelose jungfrauliche Weib nur ein stiickhaftes Geschdpf sei. Mit einem prakti- schen Problem der Frauenfrage befasst sie sich in vollig humanitarem Sinne in dem Dienstbotenroman "Das tagliche Brot".

Es konnen selbstverstandlich im Rahmen einer knappen und not- vvendiger Weise fliichtigen Skizze wie der vorliegenden nur die allerwenig- ften Erscheinungen der Frauenliteratur Beriicksichtigung finden. Und es konnen nieht einmal bei weitem alle beachtenswerten Sshriftstellerinnen der Gegenwart verzeichnet werden. Aus der langen Reihe seien immerhin einige Namen hervorgehoben wie Anselm Heine, Anna Croissant-Rust, die ungliickliche Juliane Dery, die gleich der letztgenannten aus Oster- reich stammenden Emil Marriot und Marie Eugenie delle Grazie; ferner

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Leo Hildeck. in technischem Sinne eine der Berufensten; Lou Andreas- Salome, dmch ihr Verhaltnis zu Nietzsche bekannt. Wie die genannten pamtlich, stehen auch die talentreichsten Vertreterinnen der allerjiing- sten Generation, Sophie Hoechstetter und die grb'sste Milieukiinstlerin nnter den Frauen, Hans von Kahlenberg, stark unter dem Einfluss Nietzsche's, der, wie aus den vorausgegangenen Ausfiihrungen erhellt, in der Frauenschriftstellerei von heute zu einer dominierenden Macht gediehen ist.

Ich kbnnte diese anspruchslose und in der vorliegenden Fassung ausserst unvollstandige Arbeit kaum passender beschliessen als mit eini- gen Worter* iiber zwei Dichterinnen, die nach meinem LTrteil die vollste Hohe der bisher von der Frau erreichten kiinstlerischen Entwickelung bezeichnen: Isolde Kurz und Ricarda Huch. Auch sie haben sich dem Einfluss Nietzsche's nicht entzogen, aber man kann sie nicht ohne weite- res zu dessen Sekte zahlen. Ebenso haben sie von der naturalistischen Technik sehr viel gelernt, ohne dass man sie schlechthin als Realistinnen klassifizieren diirfte. Auch von der symbolischen Methode machen sie unbedenklich ausgiebigen Gebrauch. Kurz, sie bedienen sich aller tech- nischen Fortschritte der verschiedenen Schulen, sind namentlieh auch willige und gelehrige Schiilerinnen alterer Meister, bewahren jedoch trotzdem eine ungebrochene Eigenart und erbringen dadurch den giiltig- sten Beweis ihrer Kiinstlerschaft. Geschautes und Durchlebtes lebendig und doch sinnbildlich, sub specie aeterni nachzuschaffen, ist Zweck und Ziel ihrer Kunst.

Isolde Kurz ist die vielseitigere. Bald entziickt sie den Leser durch die keusche doch warme Plastik ihrer wunderbaren Sprache, bald durch den hohen Ernst ihrer reifen Philosophic, dann wieder reisst sie ihn mit ihrem unwiderstehlichen, satirisch zugespitzten Humor hin. Eine aus- serordentliehe Gabe, sich in das Sein anderer Menschen hineinzufiihlen, befahigt sie, die substilsten seelischen Vorgange ans Licht zu ziehen und mit erstaunlicher Anschaulichkeit darzustellen. Auch ganz Visionares weiss sie glaubwiirdig zu gestalten, wie beispielsweise im ,,Mittagsge- spenst" ein Stiick mittelalterlichen Stadtelebens unter der Traumform. Die Eenaissancewelt ist vielleicht, wie bei ihrem grossen Lehiineister Conrad Ferdinand Meyer, die Hauptquelle ihrer Inspiration.

Das Schaffen Ricarda Huchs beseelt der gleiche antik-moderne Geist, er ist auch ihr zum nicht geringen Teil durch Conrad Ferdinand Meyers Kunst vermittelt; gleich stark haben ausserdem unter den Modernen Gottfried Keller und wiederum Friedrich Nietzsche auf sie eingewirkt.

Im Alter von neununddreissig Jahren hat Ricarda Huch bereits eine stattliche Reihe durchaus bedeutender Werke aufzuweisen; indes beruht ihr wohlverdienter Ruhm hauptsachlich auf den "Erinnerungen von Lu- dolf Ursleu dem Jiingeren." Dies wundervolle Buch ist eine echte

Die deutsche Schriftstellerin von gestern und heute. 263

"Oeuvre de longue haleine", d. h. eines jener seltenen Werke grossen Stiles, welche die Stimmung, in der sie konzipiert wurden, in alien ihren Nuancen bis ans Ende festhalten und sie wie hypnotisierend ira Leser wiedererzeugen; wahrend doch fiir gewohnlich unter der Arbeit gar viel von der unwiederbringlichen Intimitat jener Empfangnisstimmung ver- loren geht. Ich glaube besser verstanden zu werden, wenn ich diese un- zulangliche Definition mit dem Namen Thackeray erlautere. Er steht in dieser Kunst zu oberst, und ,,Pendennis", ,,Henry Esmond", ,,The New- comes", sind uniibertroffene Muster von Konsistenz und Zwingkraft der Stimmung. Du Mauri er's "Trilby" zeigt, was von einem solchen Meister sogar ein Mittelmasstalent zu lernen imstande ist. Unter den lebenden Dichtern kommen nach meinem Empfinden dem englischen Meister in Stimmungszauber am nachsten Pierre Loti, Gabriele D'Annunzio, und Eicarda Huch. Ich muss es mir leider versagen, auf die ausserordent- lichen Vorziige ihrer Biicher hinzuweisen. Die moderne Literatur be- sitzt nicht viele Werke, die in gleichem Grade gelesen zu werden verdie- nen wie Huchs ,,Ludolf Ursleu."

Wenn ich mit Isolde Kurz und Kicarda Huch die Besprechung der modernen Frauenschriftstellerei etwas jah zum Abschluss bringe, so bin ich mir natiirlich wohl bewusst, dass ich da einen nicht ganz objektiven Standpunkt einnehme. Das ist nun einmal bei der Kritik der zeitgenos- sischen Literatur nicht anders moglich. Es gibt gewiss zahlreiche an- dere Schriftstellerinnen, die sich um die Hebung des litterarischen Ge- schmacks verdient machen. Ich nenne nur Klaus Kittland, Hermine Villinger, Charlotte Niese, Elsbeth Meyer-Forster, Hermione von Preu- schen, Richard Nordmann, Use Frapan. Doch wiirde eine Besprechung al- ler dieser dem Bilde, das wir von der Frauenliteratur von heute gewon- nen haben, keine wesentlichen neuen Ziige hinzufiigen. Die grossen Er- folge gewisser beriihmter Frauenromane hinwiederum, wie namentlich von Frau v. Suttners ,,Die Waffen nieder", haben mit ihren literarischen Werte wenig oder nichts zu schaffen. Und vollends die ffanz ephemere Schriftstellerei, wie sie in der ganzen sogenannten Vera-Litteratur und in der billigen Komik der "Berliner Range" vorliegt, fallt nicht in den Bereich unserer Betrachtungen.

Dass es mit wenigen Ausnahmen Romanschriftstellerinnen waren, die hier besprochen worden sind, hat einen natiirlichen Grund. Hat doch bis gegen die Mitte der achtziger Jahre der Roman im neunzehnten Jahr- hundert nicht nur in der Frauenschriftstellei die Suprematie iiber die an- deren Dichtungsarten behauptet.

Auf den anderen Gebieten haben sich die Frauen mit weit weniger Gliick betatigt. Zwar Lyrikerinnen gibt es in Hiille und Fiille. Recht an- erkennenswerte Talente sind unter ihnen: Anna Ritler, Agnes Miegel, Mia Holm, Alberta v. Puttkamer, Thekla Lingen u. a. m. Doch ausser

264 Padagogische Monatshefte.

den an friiherer Stelle genannten erhebt sicli meines Wissens keine ein- zige zu dem Yollrang einer echten Dichterin.

Vielleicht hatte eine solche innerhalb eines engumfriedeten Gebiets aus Johanna Ambrosius werden konnen, ware dies tiichtige \Veib aus dem Volke nicht friihzeitig in den Bannkreis der Lekture "fur Geist und Ge- miit" geraten. So ist sie zwischen Volks- und Kunstdichtung mitten drin stecken geblieben.

Reiches lyrisches Leben pulsiert in den glutvollen Versen der ratsel- haften "Marie Madeleine"; doch schlagt ihre mass- und ziigellose Erotik schon in das Kapitel der Pathologic.

Auch im Drama sind den Nachfolgerinnen der Birch-Pfeiffer keine grossen Eroberungen beschieden gewesen. Unter den lebenden Dramati- kerinnen ist Ernst Kosmer mit ihren Marchenstiicken die einzige erfolg- gekronte.

Im ganzen betrachtet, legen die Frauen eine gewisse Scheu vor den rigorosen Anforderungen der formbestimmten Kunstiibung an den Tag nnd entscheiden sich viel leichter fiir die immerhin zwanglosere erzah- lende Prosa Ihre Schwachen verleugnen sie auch auf diesem vorzugs- weise kultivierten Felde nicht. Es fehlt ihnen die ruhig abwagende Ob- jektivitat, die nur ein hochentwickelter historischer Sinn reifen lasst; und es fehlt ihnen weiter der Segen eines wohlequilibrierten Personlichkeits- bewusstseins und einer ordnenden philosophischen Einsicht.

Wie aus guten, doch ohne verbindenden Mortel aufgeschichteten Bausteinen nur ein baufalliges Haus wird, so errichten sich oft unsere Frauen aus leicht und richtig erkannten Einzelheiten eine inkonsequente und unhaltbare Weltanschauung.

Aus diesen und anderen Griinden ist es mit dem kritischen Gewis- sen unvereinbar, fiir die Frauenliteratur des neunzehnten Jahrhunderts mit vollen Backen in die Lobesposaune zu stossen. Doch mochte ich unter keiner Umstanden fiir einen Gegner der Frauenschriftstellerei ge- halten merden. Es war meine Absicht Sie von der energisch aufwarts- strebenden Tendenz in der Entwickelung derselben iiberzeugen zu helfen. Schon was heute erreicht ist, geniigt zur Entwaffnung des Pessimisten. Gilt es, die vornehmsten Namen in den literarischen Bewegungen der Ge- genwart anzufiihren, so miissen mehrere Frauen mitgenannt werden. Das ist ein erfreulicher Beweis des Fortschritts. Im iibrigen schwebte mir nicht die Aufgabe ror, in der Frauenfrage irgend einen Standpunkt dog- matisch zu verfechten, sondern die bescheidenere, ein Stuck Entwicke- lungsgeschichte nachzuerzahlen und auf den aus ihr resultierenden heu- tigen Zustand hinzuweisen.

Ueber den Garten der Menschheit.

Von Albert Qehring, President des Schulrats, Cleveland, O.

Die Menschheit 1st mit einera grossen Garten vergleichbar, worm die Menschen die Pflanzen und die Erzieher und Lehrer die Gartner sind.

Zu einem guten Garten gehoren fruchtbare Erde, Diinger, sonnige Lage, Spaten, Hacke, Rechen, Giesskanne und auch Blumen; und zu einer schonen Menschenpflanze bedarf es des Unterhalts: der Nahrung, Kleidung und Wohnung, aber auch einer schonen, edlen Seele.

Sonderbar, Jedoch, im Garten verkennt niemand den Zweck, im Leben tun es die meisten Menschen. Man schaufelt und hackt und recht, man schafft frische Erde herbei, man besorgt die Bewasserung, man ver- bessert die beschadigten Geratschaften, und iiber allem vergisst man der Blumen, um die es sich eigentlich handelt.

Das Leben des Menschen beruht auf zwei Faktoren: einem objektiven oder ausserlichen, und einem subjektiven oder innerlichen. An den Korper gebunden, bediirfen wir der Nahrung und des Schutzes vor den feind- lichen Einwirkungen der Elemente; und um uns diese zu sichern, bedie- nen wir uns der zahlreichen mechanischen Hilfsmittel, die der Mensch im Laufe seiner Entwicklung ersonnen und denen er seine Herrschaft iiber die materielle Natur verdankt. Die Geratschaften der Kiiche, des Acker- baues und der Handwerke, die Eisenbahnen und Dampfschiffe, der Tele- graph, das kiinstliche Licht und die vielen iibrigen Mechanismen der mo- dernen Kulturwelt sind mehr oder minder notwendige Bedingungen un- seres Daseins. Dennoch bilden sie stets nur Mittel zum Zweck. Sie sind vergleichbar mit dem fruchtbaren Boden und den Geriitschaften des Gartners, die wohl der Pflanzenzucht forderlich und teilweise auch unum- ganglich notwendig sind, in denen jedoch der eigentliche Zweck des Gar- tens noch keineswegs liegt. Wie es sich im Garten vornehmlich um die Blumen, so handelt es sich im Leben einzig und allein um die inneren Ee- sultate, um das Gliick, das Wohl und die Schb'nheit der Seele. Geistige Gesundheit, frischer Humor, Freude an der Arbeit und der Gesellschaft seiner Mitmenschen, Begeisterung fiir das Schone und Wahre, fiir Kunst, Natur und "Wissenschaft, frohe Zuversicht auf das eigene sowie all- gemeine Wohl, und der Glaube an einen giitigen Lenker des Weltalls, diese bilden den kostlichen Inhalt, den wiirzigen Kern des Lebens.

Diese Wahrheit wird leider nicht von alien Menschen anerkannt. sie trachten nach Eeichtumern, schonen Hausern, kostbaren Equipagen, nach Ehre, Ruhm, geschaftlichem und politischem Erfolg, und erblicken in ihnen die hochsten Ziele, deren ErringiTng endgiiltige Zufriedenheit und dauerndes Wohl herbeifiihren miisse. Sie gleichen dabei denjenigen, die

266 Padagogische Monatshefte.

ewig Diinger fahren lassen, bestandig hacken, graben und rechen, unauf- horlich an ihren Geratschaften ausbessern, sich aber nicht im geringsten um die Blumen kiimmern, denen all diese Arbeit dienstbar sein soil. Ja, es gibt sogar manche, die vor lauter Schaufeln und Pfliigen die Bliimchen, die wirklich schon hervorgesprossen, wieder riicksiclitslos zerstoren. Wie Behr sich diese der Fata Morgana der ausseren Welt Nachjagenden tau- schen, weiss wohl derjenige am best en zu beurteilen, der sich selbst im Besitze der erstrebten Dinge befindet. Doch auch Jeder andere beobach- tende und denkende Mensch kann leicht zu derselben Schlussfolgerung gelangen. Werf en wir nur einen Blick um uns, auf arm und reich, vor- nehm und niedrig, so werden wir erkennen, wie das Gliick und die Zu- friedenheit, der wahre innere Wert und die Charaktergrosse sich keines- wegs nach solch ausseren Dingen abmessen lassen. Der Reichste mag der Unzufriedenste unter den Menschen, der Armste der Gliicklichste sein. Der ruhmreiche Fiirst mag ein erbarmungswurdiges, von Krankheiten und Charakterschwachen zernagtes Geschopf, der unbekannte Schneider von einer seltenen Seelengrosse sein.

Die Eikenntnis der Souveranitat des subjektiven Faktors haben wir Gartner der Menschheit ganz besonders zu beherzigen. Sie ist gleichsam das Band, das die hoheren Geister und Erzieher aller Zeitalter und Zonen aneinanderkniipft. Was auch ihre sonstigen Unterschiede sein mogen, in diesem Punke stimmen sie iiberein. Alle grossen Keligionen, alle her- vorragenden geistigen Fiihrer der Menschheit predigen dieselbe Wahr- heit. ,,Kehre der Welt den Eiicken, gewiniie dir innere Schatze!" das ist die Lehre der orientalischen sowie auch der christlichen Eeligionen. In veranderter Form rufen es uns wieder die Stoiker des Altertums entgegen: Marc Aurel, Epiktet, Seneca, alle stimmen denselben Grundton an. ,,In dir selbst", verklindigte Luther, ,,liegt das Heil!" und die Mystiker des Mittelalters hallen in verschwommenem, iiberirdischemAkkorde nach: ,,Amen!" ,,Bilde dich!" ist die Mahnung Goethes, die Losung, die zur Ileligion einer ganzen Reihe machtiger Geister geworden. In seinem ei- genen Innern findet Spinoza das hochste Gut, und aus demselben unver- siegbaren Quell schopft auch der unvergessliche Fichte. Emerson, Tho- reau und Whitman besingen diesseits des Meeres in dithyrambischen Ver- sen den Wert und die Herrlichkeit der Menschenseele, wahrend Tolstoi sich im verschneiten Russland aus der kalten, erstarrten Welt des Mam- mon an den leuchtenden Herd seines eigenen Busens fliichtet. Ja, sogar Schopenhauer, der verbitterste und schwarzsehendste aller Propheten, kennt doch noch ein einziges Gut, den inneren, freien Akt der Entsagung, die Verneinung der Welt und des Lebens. Von den altesten Zivilisations- anfangen an vernehmen wir schon diesen in das Innere dringenden Ton, und es breitet sich im machtigen Chore iiber die Zeitalter aus, alle hervor- ragenden Geister mit sich dahinreissend.

Ueber den Garten der Menscbheit. 267

Diesem Chore haben sich, wie gesagt, aueh die Erzieher und Lehrer tinzuschliessen. Ja, die Betonung des Inneren, ira Gegensatz zu dem Ausseren, bildet gleichsam den Kern und die Essenz aller Bildung und Erziehung, wie auch aller waliren Eeligion. Der naive, natiirliehe Menseh. trachtet, wie schon betont, nur nach den ausseren Giitern des Lebens; die echte Bildung, jedoch, soil ihn auf die Samnilung innerer Reichtumer lenken.

In der Verfolgung dieses Ziels herrschen jedoch so manche falsehe Auffassungen. Der innere Wert des Menschen wird vielfach gar zu ein- peitig betont. Man botanisiert zu sehr und kiimmert sich zu wenig um die Schbnheit der Blumen. Man belastet sie mit bandwurnilangen lateini- schen Xamen, um sich schliesslich ein Herbarium voll getrockneter, Ge- lehrsamkeit ausstromender Exemplare gesammelt zu haben, die aller Frische und alien Duftes ermangeln. Man behandelt das Kind als reines Gehirn, das mit so und so viel Daten und Namen pro Tag und Stunde ausgestattet werden soil: als Tatsachen-Automaten oder Phonographen, in den man Konjugation, Deklination und Versifikation hineinsingt, um ihn gelegentlich, bei richtigem Aufziehen des Apparats dasselbe wieder her- unterleiern zu lassen; als Lexikon, oder Portfolio fur allerlei vergilbte Zettel, dessen Wert man nach der Zahl der gesammelten Etiketten schatzt.

Xein, botanische Exemplare sind noch lange keine Blumen, und rein intellektuelles Leben ist noch lange kein Leben. Lessing hatte Eecht, als er das Suchen nach der Wahrheit die Arbeit, Begeisterung, Erwar- tung und Befriedigung der fertigen Wahrheit vorzog. Faust und Manfred beweisen uns die Leere und Hohlheit des reinen Gehimlebens. Der Schmerz macht weise, und wer's Meiste weiss, Den schmerzt am meisten auch die bittre Wahrheit: Dass der Erkenntnisbaum kein Baum des Lebens!

In der Tat, die Blume muss mehr sein, als eine Zusammensetzung von Kelchblattern, Staubfadchen und Pistillen: sie muss Farbe, Duft, Frische und Schonheit ausstromen. Und der Menseh muss neben der Geistesbildung auch Gemiit und Liebe, Offenheit, Redlichkeit, Mut, Be- geisterung und Grazie besitzen. Dem Dufte und der Farbenschonheit der Blumen entsprechend, verleihen diese ihm Frische und Leben; und ihre Ausbildung muss sich der Lehrer und Erzieher zur Hauptaufgabe machen.

Eine schwierige Aufgabe zwar, zu deren Losung bekennen wir es offen wir nur wenige Schritte gemacht haben. Von diesem Stand- punkte aus stehen wir erst auf den Anfangsstufen der wahren Lehr- und Bildungskunst: wir befinden uns noch im dunklen Mittelalter der Pada- gogik und die Sonne der Aufklarung schimmert noch kaum am Horizonte. Freilich, unser Ziel mag vielleicht der ganzen Natur der Sache gemass un erreichbar sein. Namen, Daten, Tatsachen lassen sich schon noch syste- matisieren und mitteilen, wie soil man aber dem Schiller Gemiitseigen-

268 Padagogiscbe Monatsbefte.

schaften, Herzensveranderungen beibringen? Wie soil man dem Zaghaften Mut einflossen, dem Apathischen Begeisterung, dem Neidischen Liebe, dem Griesgrame sonnige Zufriedenheit? Wie im Blumenbeete, so scheint es auch im Menschengarten gewisse Arten zu geben, die ewig gesondert bleiben miissen imd sich nicht in einander iiberfiihren lassen. Die Rose bleibt Rose, die Lilie Lilie, aiis einer Distel wird nie ein Maiglockchen werden, mid die Sonnenblume wird sich vergeblich bemiihen, den Duft des Veilchens zu gewinnen. Im Menschengarten sind eben die Samen alle schon ausgestreut, und der Gartner kann nur ziehen, was schon da, nicht bestimmen, was noch werden soil. Und dennoch braucht er deshalb nicht zu verzagen. Eine gewisse Entwickhmgs- und Verfeinerungsfahigkeit mag doch noch existieren; und ist es auch unmoglich, die Arten ganz und gar umzubilden, bleibt auch die Rose ewig eine Rose und die Lilie immer eine Lilie, so mag doch jede Art die Anlage zu einer besonderen, ihr allein eigenen Schonheit in sich bergen, die durch die richtige Zucht zur volle- ren Entwicklung gebracht werden kann. Das Veilchen wird sich wohl rde die stolze Pracht der Rose aneignen konnen; dennoch mag es als be- scheidenes Veilchen eigene Reize entfalten, die sogar diejenigen der Rose iiberwiegen

Hier wird nun wiederum vielfach gesiindigt. Man wiirdigt die Un- terschiede in der mensch lichen Natur nicht geniigend und mochte alle In- dividuen nach einem und demselben Muster zuschneiden. Man will nur Rosen oder Maiglockchen haben und versucht, alle Arten in diese iiber- zufiihren. Dabei lauft man Gefahr, die natiirlichen Reize zu verlieren, ohne die angestrebten zu gewinnen. Man raubt dem Veilchen seinen Duft, erzielt aber doch nicht die prachtvolle Farbe der Konigin der Blumen. Die Entwicklung muss sich der Natur des Menschen anpassen. Wir konnen nur ziehen, nicht erzeugen, wie ja auch der Gartner den Duft und die Farbenpracht der Blumen nicht selbst erschafft, sondern sie nur der Natur entnimmt, um sie zur volleren Entfaltung zu bringen. Beson- ders aber muss man beim weiblichen Geschlecht in dieser Hinsicht Vor- sicht iiben. So lange der Jungfrau das hohere Studium nicht deren Ge- sundheit und spontanen Weiblichkeit schadigt, ist nichts gegen dasselbe einzuwenden ; sobald dies jedoch der Fall, begeht man einen zweif elhaf ten Tausch. Wie es in einem Verse heisst:

Sie hat nun studieret viele Jahre lang,

Hat die Schatze des Wissens erkoren,

Ich zweifle jedoch, ob sie mehr von Belang

Als die Anmut, die sie verloren.

Die grosste Gefahr des Studiums und der Bildung jedoch liegt in der Versuchung, echte mit kiinstlichen, falschen Blumen zu ersetzen. Man will den Geist sozusagen nur iibertiinchen und polieren, lasst aber den Kern unberiihrt: man verziert das Aussere, um bildlich zu reden, kammt

Ueber den Garten der Menschbeit. 269

die Haare, putzt die Fingernagel, wichst die Schuhe und kiimmert sich nicht um das innere Leiden, das an dem Kinde zehrt. Die Welt betrach- tet die Sclmlung und Bildung nur allzusehr als Mittel zur gesellschaftli- chen Auszeichnung und zur Uberhebung iiber die ungeschulteren Mit- menschen. In der Tat, dies ist so vielfach die Art und Weise, wie man Schule und Bildung nicht nur unter Laien, sondern leider auch unter Lehrern, betrachtet, dass das Wort ,,Bildung", ,,C u 1 1 u r e", einen An- strich des Yerachtlichen, dumm Vornehmen angenommen hat. Unter einem gebildeten ,,G e n 1 1 e m a n" oder einer ,,c u 1 1 u r e d Lady" versteht man vielfach nur eine Person, die sieh einen gewissen ausseren Glanz, einen Schein der Gelehrsamkeit angeeignet hat. Dass jedoch das Wesen der Bildung keineswegs in solchen Ausserlichkeiten beruht, son- dern sich bis tief in die Wurzeln der Personlichkeit erstreckt, braucht wohl kaum noch betont zu werden.

Machen wir nun zum Schluss noch einmal die Runde durch unseren Garten und wiederholen wir die Grundregeln der menschlichen Pflanzen- zucht. Endzweck alles Menschenlebens, und somit auch aller Schule und Erziehung ist die Entwicklung einer schb'nen Seele, eines reinen Herzens, eines gliicklichen Gemiits. Geld, Nahrung, Behausung, sowie alle die me- chanischen Hilfsmittel des Unterhaltes, haben nur Wert als Mittel zu diesem Zweck. Sie entsprechen der Erde, dem Regen und den zahlreichen Geratschaften des Gartners, die wohl notwendig sind, die aber nie die Farbenpracht und den Duft der Blumen ersetzen kb'nnen. In den Blu- men allein und nicht in ihren materiellen Bedingungen liegt der Wert des Gartens. Die Blumen jedoch sind weit mehr als botanische Exem- plare. Der Mensch ist nicht bloss als Gehirn zu betrachten, dessen Auf- gabe es ist, die grosstmogliche Zahl von Daten und sonstigen Tatsachen in sich aufzunehmen. In seinem Herzen und seinem Gemiit ruht sein wirkliches Wesen, entfaltet sich die wahre Schb'nheit der Bliite. Wie es jedoch unzahlige Blumenarten gibt, so auch unzahlige Geistes- und Gemiitsanlagen, die der Gartner anzuerkennen und auf denen er weiterzu- bauen hat. Schliesslich sollen die Blumen nicht verfalscht, nicht durch kiinstliche ersetzt werden. Der Schein und das angenehme Aussere sind wohl von Wert, treten sie Jedoch als Verdeckung eines unedlen Inneren auf, so sind sie verwerflich.

Hoffen wir nun, dass die Zukunft uns gute, fruchtbare Jahre gonne; moge es den Gartnern gelingen, die Gesetze der menschlichen Blumen- zucht allmjjihlich zu begeistern; mogen sie das Unkraut, das gar zu iippig emporschiesst, immer mehr und mehr ersticken und vertilgen, und mogen die Blumen gedeihen, wie noch nie zuvor.

Die deutschamerikanische Dichtung.

Von Dr. H. H. Pick, Cincinnati, O.

Die Neigung zur Pocsie 1st ein Grundzug der Menschennatur. Sie 1st weder an Ort noch an Zeit, weder an Stand noch an Geschlecht ge- bunden, sondern ira vollen Sinne des Wortes irdisches Gemeingut. Auf die Dichtung passt voll und ganz der Vers Schillers in seiner reizenden Allegoric ,,Das Madchen aus der Fremde":

,,Sie teilte Jedem eine Gabe,

Dem Friichte, jenem Blumen aus!"

Beeinflusst vom Singen und Sagen werden aller Herzen weit, die Augen leuehten und die Pulse schlagen hoher in edler Begeisterung. Ein trefflicher deutsclier Schriftsteller schreibt, dass unser Leben ein ewiges Arerbluten sein wiirde, vvenn nicht die Dichtkunst ware. ,,Sie gewahrt uns, heisst es, was uns die Natur versagt; eine goldene Zeit, die nicht rostet, einen Friihling, der nicht abbliiht, wolkenloses Gliick, und ewige Jugend." Fiirwahr, machtiger ist das Ideale als die niichterne Alltag- lichkeit.

Der echte wahre Dichter gehorcht einem machtigen inneren Drange und verleiht sein em Empfinden und Sehnen, seiner Uberzeugung und feeinem Hoffen Worte und Reime, weil er nicht anders kann. An ihn treten die alten und stets neuen Probleme des Daseins zur Erwagung heran; es bieten sich ihm die ewig unergriindliehen, aber immer reiz vol- len Ratsel des Lebens. Ihn freuen und erheben die Wunder der Natur, die Schb'nheiten der Kunst, die Meisterwerke menschlicher Erfindungs- gabe. Er erhebt begeistert den schaumenden Krug oder das lichtfun- kelndc Glas und kiisst in seligem Wonnegefiihl die schwellenden Purpur- lippeu der Geliebten. Sein Lied preist in stolzem Schwunge die Gross- taten des Edelmutes und der Opferfreudigkeit, der Barmherzigkeit und der Nachstenliebe, wettert und weint iiber das Ungliick, die Schmach des Yaterlandes, das Elend der Menschen, unh schmiickt mit dauerndem Kranze den Sarg des Helden.

Der Dichter wagt auf der schwa nken Wage seines Empfindens die Urteile der' Menge und verkiindigt seine Meiniing, gleichgiltig ob ihm uun ein ,,Hosianna" oder das ,,Kreuziget ihn" entgegen schalle. Zwar wird ihm fiir seine mit Herzblut und Geistessaft geschriebenea, aus tief- eigenstem Wesen hervorgegangenen Worte und Verse und Strophen sel- ten irdisches Gut zuteil, aber als Entschadigung fiir Gold und Silber fallt auf ihn ein Abglanz iiberirdischer Hoheit und stempelt ihn zu dem Auserwahlten. Ob seine Euhestatte spater keine Marmorbiiste schmiicke, keine Erztafel seinen Namen verewige oder von seinen Werken rede, seine

ie deutscbamerikaniscbe Dichtung. 271

Gedanken, seine Mahnungen, sein Lob und sein Tadel barren aus und werden welter getragen auf den Fliigeln der Jab re. 1st auch der musen- gekiisste Mund verstummt, das in dichterischer Verziickung erstrahlende Auge des Poeten im Tode gebrochen, seine Stimme verhallt, so redet er dennoch in eindringlicher Sprache zur Mitwelt und nicbt minder zu kommenden Geschlechtern.

Nach dem schonen \Vrorte Follens:

,,Wenn die Saiten langst zersprungen, Lebt das Lied auf alien Zungen, Lebt unsterblich im Gemiit. Nur des Lebens Licbt verdimkelt, Doch der Stern der Liebe funkelt, Bis im Lichtmeer er vergliiht."

Bis in die neuere Zeit hinein aber hat man sich darin gefallen, Ame- rika als unfruchtbaren Boden fiir poetische Bestrebungen zu schildern, als ein Land gleichsam, dessen Luft sich wie Mehltau auf dichterisches Empfinden und kiinstlerisches Schaffen lege. Selbst nachdem die Dich- tungen eines Bryant, eines Poe, eines Whittier, eines Longfellow, eines Holmes Zeugnis ablegten von der Schaffensfreudigkeit und Schaffens- tiichtigkeit angloamerikanischer Poeten, blieb eine Geringschatzung der Versuche von Deutschamerikanern auf dichterischem Gebiete vorherr- schend. Wiederholt bezeugen das die literarischen Besprechungen und ITrteile aus deutsehlandischen Kreisen. Noch immer werden die Verse Geroks augefiihrt:

^Amerika, dich konnt' ich nie recht lieben, So prahlend sich dein Sternenbanner blaht, Darunter meist ein Kratnervolk sich dreht Urns gold'ne Kalb, dem Mammon ganz verschrieben. Der Urwald sank vor seiner Axte Hieben, Mit stolzen Stadten ward dein Strand besa't, Doch ward die Poesie erst weggemaht Dnd herzlos erst des Urwalds Sohn vertrieben." 1st das durchaus \\rahr und gerechtfertigt? Nein und abermals nein! Freilich hatte der Pionier, abgesehen von Ausnahme fallen, Anspriichen zu geniigen, die ihm Musse karg zumassen. Sein war das Los schwieli- ger Hande und korperlicher Abspannung. Im Schweisse des Ange- sichtes musste er frohnen, um den jungfraulichen Boden dieses Landes arbar zu machen, und sich die Statte zur Erbauung der Blockhiitte zu sichern. Da von singt Freiligrath:

,,Mit nerv'ger Faust und weh'nden Haaren, Mit Hacke, Spaten und Gewehr, So ist sie kiihn hinausgezogen, Die deutsche Arbeit, iibers Meer.

272 Padagogische Monatshefte.

Sie hat ihr Werkzeug wohl geschwimgen, Kein Hemmnis schreckte sie zuriick, Froh schaffend hat sie sich errungen Das Biirgerrecht der Republik."

Ebenso wahr 1st auch die Schlussstrophe:

,,Wer aber, als sie zog ins Weite, Zog mit ihr iibers Meer hinaus, Wer gab ihr frohlich das Geleite? Wer half ihr bau'n das neue Haus? "Wer stand ihr bei in Lieb imd Treue, Dass, was sie schaffte, wohl geriet? Wer gab der deutschen Kraft die Weihe Jenseits des Meers? Das deutsche Lied."

Die verschiedenartigen Ausserungen deutschen Gemiitslebens ver- siissten und adelten die Miihen und Sorgen des Aufenthaltes imd der Sesshaftmachung im neuerworbenen Heim, das Mitgebrachte fiihrte na- turgemass zu Neuschb'pfungen und so entstand eine deutschamerika- nische Dichtung.

Freilich hat das Deutsehtmn Amerikas weder einen Schiller, noch einen Goethe, weder einen Lessing noch einen Heine zu eigen, ebenso- wenig wie sich die angloamerikanische Poesie schon eines Shakespeare, eines Milton, eines Byron riihmen kann. Es ist leicht genug zu behaup- ten, dass aus deutschamerikanischen Kreisen nichts Hervorragendes vor- handen sei und diese Behauptung durch Anfiihrung einiger Proben zu belegen: der Sache wird dadurch ein schlechter Dienst geleistet. Das nicht wegzuleugnende ehrliche dichterische Streben deutscher Manner und Frauen in Amerika verdient weit eher Aufmunterung und Aner- kennung, als Spott und Achselzucken. Einer der Unsrigen, Max Hem- pel, sprach in einem Toast zur Schillerfeier:

,,Es ist nicht alles Wein vom Ehein,

Den die durstige Kehle hinunterschlingt,

Es kann nicht jeder ein Schiller sein,

In dem der Quell der Dichtung springt.

Nicht jeder Glanz ist Sonnenschein,

Es gibt auch kleinere Lichter,

In unser Herz leuchten sie alle hinein,

Des deutschen Volkes Dichter.

I

Auch hier in diesem Lande gedeiht Das Singen und Sagen aus Dichtermund, Es weckt ein Echo von Gliick und Leid Und gibt uns von Liebe und Heimat Kund',

e dentschamerikanische Dichtung. 273

Drum werd' auch ihm der Ehre Preis! Es trotze noch lang der Vernichtung Und bliihe das amerikanische Reis Am Baume der deutschen Dichtung."

Des ofteren 1st der deutschamerikanischen Poesie der Vorwurf ge- macht word en, es fehle ihr jeglicher unterscheidende Charakter. Es ist schwer zu begreifen, welche Eigenartigkeit die also urteilenden Kritiker erwarten.

Die verschiedensten Gattungen der gebundenen Eede sind vertreten, lyrisch, episch, dramatisch und didaktisch. Es findet sich das schlichte Lied und die schwungvolle Ode, die Ballade, wie das Sonett, die Tenzone und das Madrigal, Glosse und Spruchdichtung, neben dem Ernste der Humor und die Mundart. Und was die Themata anbetrifft, lasst dieses grosse Land, welches sich von den Kiisten Maines bis zum ,,Goldenen Tore" Calif orniens, von den Orangenhainen Floridas bis zur majestati- schen Kette der nordlichen Seen erstreckt, welches einzig in der Art da- stehende Wunder der Natur und unvergleichliche Denkmaler menschli- cher Ausdauer und menschlichen Tuns besitzt, welches gleich eigenartig und merkwiirdig in historischer, in geographischer, in politischer, in so- zialer Beziehung ist, den Dichter nicht um Stoffe und Bilder verlegen sein. Alles was Menschenherz durchbebt und erhebt, die geheimsten Eegungen der menschlichen Psyche, das was

,,Durch das Labyrinth der Brust Wandelt bei der Nacht"

weckt des Sanges Lust hier wie driiben. Aber welche Fiille von An- regungen! Die majestatische Bucht von New York mit der weitaus- schauenden Statue der welterleuchtenden Freiheit, der stattliche Hud- son und der scheme Ohiofluss, die Magnolienhaine des Siidens, der Golf mit dem sich ihm vermischenden Riesenstrome, dessen Bett eine Wasser- wiiste anderer Strome mit sich fiihrt, die Hohlenwimder Virginiens und Kentucky s, der unvergleichliche Niagarafall, die endlos sich dehnenden Prarien, die mannigfaltigen tiberraschungen der Felsengebirge und der Kiiste des stillen Meeres, alles das kann sich in den Schopfungen unserer Dichter wiederspiegeln und ist von ihnen zum Vorwurf genommen wor- den.

,,Es ist dir viel zu teil geworden,

Mein herrlich Land Amerika,

Dein Adler zieht vom eis'gen Norden

Zum sonnbeglanzten Florida,

Dein sternbesii'tes Banner wehet

Von Maine bis fern am ,,goldnen Tor,"

\Vo duster noch der Urwald stehet

Und wo die Palme ragt empor."

274 Padagogische Monatsbefte.

So klingt es von der Pracht und der Macht des ganzen Landes. Die Eigenart einzelner Gegenden ist oft genug das Thema des ansassigen oder auf Besuch weilenden Dichters gewesen. Theodor Kirchhoff schil- dert den Staat, der ihm die neue Heimat wurde, in begeisterten Worten wie folgt:

Welch e zaubervollen Bilder

Hat geschaut mein trunk'nes Auge,

California, du Schonste

In Columbias stolzem Bunde,

Wenn, dein weites Reich durchwandernd,

Zogernd oft am Pfad ich weilte!

Deine koniglichen Taler,

Mit den Eichen drin zerstreut,

Wie ein Parkland anzusehen;

Deine iipp'gen Felder, endlos,

Mit der Halme gelben Wogen;

Deine sonn'gen Weingelande,

Mit der Traube siissem Segen;

Deine dunkelgriinen Haine,

Wo die Goldorangen leuchten.

Uns'rer Erde hehres Wunder

Xennt man in entleg'nen Zonen

Jene felsumbaute Talschlucht,

Wo die donnernden Kaskaden

Wie vom Himmel niederstiirmen;

Jene ernsten Mammutbaume,

Biesensaulen in dem Urwald,

Die der Menschheit Wiege schauten.

Herrlich dehnt sich deines Himmels

Blaue Wolbung iiber Taler,

Hochgebirge, Wald und Seen,

Drauf Italias Sonne leuchtet.

Wahrlich! Wie kein Land der Erde

Schmiickte dich die Hand des Schopfers."

Unter dem Tafelfelsen, angesichts des liberwaltigend-gossartigen Niagara schrieb vor mehr als fiinfzig Jahren Kaspar Butz:

,,Yom Felsen sickert es tropfenweis

In langsam einformigem Takt,

Nun vor mir schaumt er, wie siedendheiss,

Der tobende Katarakt

Hoch oben die ragende Felsenwand

Ein Baldachin fiir das Haupt."

*Die dentschametikanische Dichtung. 275

Neuerer Zeit entstammt eine gedankenvolle Schilderimg desselben Naturwunders. Otto Wichers von Gogh besingt den Pfingsten am Nia- gara folgendermassen:

,,Brausend walzt die "\Vogenmasse sich von einem See zum andern. Grollend muss der Strom in Fesseln seine Schicksalsbahn durchwandern.

lTnheil kiindend flatternMoven; gurgelnd tont's vom Grimd wie Stohnen; Angstgepeitscht die Wellen rollen, dass die Ufer rings erdrohnen.

Hastlos treibt es den Giganten seinem jahen Fall entgegen; Tropfen spriih'n um seine Schlafen funkelnd wie Demantenregen.

Wie im letzten Krampfe wolbt sich hoch die Brust des Todgeweihten; Schaumend stiirzt der Fluss hinunter in den Schlund der Ewigkeiten.

Ein Koloss wird hier zerschmettert, doch der Riese trotzt Gewalten, Welche wirbelnd, sturmend jagen iiber ihm wie Spukgestalten.

Schnaubend, brodelnd, zischend hallt es dumpf herauf axis dunklem

Kessel, Gellend donnert's durch die Brandling: ,,Frei bin ich der Sklavenfessel!"

Siegreich steigt er aus dem Grabe, schiittelt seine nassen Locken; Zu den Wolken fliegt die Lohe, hoch anf stieben Wasserflocken.

Jubilierend durch den Ather die krystall'nen Tropfen dringen, Die in jauchzenden Akkorden: ,,Heil dir, Niagara!" singen.

tiber Felsgeroll und Schluchten schallt die Botschaft ew'gen Lebens: Dass im Angesicht des Todes Heldenmut ringt nicht vergebens.

iJnaufhaltsam und gewaltig ist der Strom zum Meer geflossen. Auf der Niagara-Landschaft liegt der Pfmgstgeist ausgegossen.

Den, der Sage nach unermesslich tiefen, geheimnisvollen ,,Devils Lake" Wisconsins beschreibt Otto Soubron in anschaulicher Weise in den Strophen:

,,Starre Felsen ragen trotzig

Um den See, den schwarzen, stillen,

Der wie ein gebroch'nes Auge

Leblos, kalt und unergriindlich

Blickt verglast empor zum Himmel.

Still, verodet ist die Gegend, Nur mit tragem Fliigelschlage tiber'm Abgrund kreist der Adler, Und die Brut der Schlange nistet Unten in den Felsenspalten."

276 P&Jagogische Monatshefte.

Die Sclionheit Floridas, ,,in dem sonnenwarmen Klima, in der mil- den, lauen Luft, hochgewiirzt mit Fb'hrenbalsam und Orangenbliiten- duft", begeistert Frank Siller, und der gefeierte Konrad Krez schildert ,,Little Rock":

,,Wo, wie aus einem Tore von Smaragd

Ein Strom von Silber, der Arkansas, aus

Waldreichen Hiigeln in das nache Land

Hinunterstromt, kronst du den Schieferstein,

Der von den Felsen seines langen Laufs

Der letzte ist, den seine Flut bespiilt."

Gewiss, offenes Auge und warmes Empfinden haben die deutschen Dichter dieses Landes fiir seine Eigenart, seine Grossartigkeit und seine Schonheiten gehabt. Nicht minder ist dieses der Fall in bezug auf Amerikas Gestalten in Sage und Geschichte. Die tiberlieferungen der verschiedenen Indianerstamme, die Sagen und Legenden der Pottowato- mies, der Irokesen, der Delawares, der Chippewas, der Wyandots, der Dacotas, der Ottawas und anderer, die teils riihrenden, teils grauenerre- genden Erzahlungen vom weissen Nachen des Niagarastromes, von der Maid der Mississippifalle, vom Kampfe der Halbgotter im Oregontale, vom Maiden Rock, sind in englischer wie nicht minder in deutsclier Fas- sung nacherzahlt worden, ohne den urspriinglichen Reiz zu verlieren.

Genau so verhalt es sich mit historisclien Personen und geschichtli- chen Ereignissen. Der Vikingerzug iiber das atlantische Meer ist von dem Englander Montgomery und dem Angloamerikaner Lowell diclite- risch verwertet worden, aber auch die deutschamerikanische Poesie feiert die Nordlandsrecken und kiindet den Ruhm des Schmieds vom Rheine, der am diesseitigen Gestade Trauben entdeckte. Das Marchen vom Jung- brunnen, der Zauberquelle, die dem Alternden die Jugend wiedergeben konne, sehr ansprechend von Butterworth in englischen Versen bearbei- tet, hat die denkbar beste Verkorperung in dem gedankenreichen, sprach- und formvollendeten Gedichte ,,Ponce de Leon' von Kara Giorg gefun- den.

Dieser hat auch den Heldenmut einer Deutschamerikanerin, der Frau eines Kanoniers, welche in der Schlacht bei Monmouth nach der Verwundung ihres Mannes dessen Posten am Geschiitze einnahm und die zagenden Mitkampfer durch ihr Beispiel anfeuerte in der Ballade "Moll Pitcher" wirksamer geschildert, als es Collins in dem englischen Gedichte "Mollie Maguire at Monmouth" vermochte, wie auch Charltons "The Death of Jasper" weit hinter des deutschamerikanischen Dichters Ver- herrlichung des Helden von Fort Moultrie zuriicksteht. Der amerika- nische Maler und Dichter Thomas Buchanan Read verdient hohes Lob fiir sein packendes Gedicht ,.,The Revolutionary Rising", in dem er er- zahlt, wie der deutsche Prediger der Gemeinde in Woodstock auf der

'Die deutschamerikanische Dicbtung. 277

Kanzel den Talar mit dem Waffenrock vertauschte und seine Zuhorer zur Teilnahme an dem Befreiungskampfe einlud. Wilhelm Miillers deutsche Ballade ,,Miihlenberg" ist der englischen vollkommen ebenbiirtig. Nur eine Voreingenommenheit kann absprechend iiber die Dichtungen in deutscher Sprache, welche das blutige Kingen der Bauern ira Mohowk- tale und den Siegertod Herkheimers besingen, urteilen und der, diesel- ben Begebenheiten feiernden englischen Strophen Helmers riihmend ge- denken.

Die wiirdige Gestalt des Patriarchen von Germantown, Pastorius, von Whittier im Gegensatz zu den Pilgervatern des Nordens als ,,Pilger einer mildern Flur und sanftern Sinns" in englischen Dreizeilern geprie- sen, tritt nicht minder sympathisch beriihrend in den Vordergrund, wenn Miiller ausruft:

,,Das war ein Mann von echtem Schlage, Voll Mut sprach er ein hohes Wort, Es klingt bis in die spatsten Tage In alien edlen Herzen fort. Die neue Welt schloss ihre Pforten Den Armen und Bedriickten auf, Da zogen bald von alien Orten Die Pilger iibers Meer zuhauf, Die finstrer Glaubenshass vertrieben Vom trauten Herd am Heimatland, Die aus dem Kreise ihrer Lieben Der Herrscher Machtgebot verbannt; Sie lenkten durch die Wasserwiiste Voll Sehnsucht ihrer Schiffe Kiel Und fanden an Columbiens Kiiste Im fernen Westen ein Asyl. Und jedem freien Siedler lohnte Der reiche Boden seinen Fleiss. Im neuen Heim, das er bewohnte, Gen oss er seiner Arbeit Preis. Nur einem der geladnen Gaste, Der Wiistensonne dunklem Sohn, Dem gonnt man keinen Eaum beim Feste, Dem winkt fiir schweres Miih'n kein Lohn. * * *

Da ruft der Mann vom deutschen Maine: ,,Ihr Freunde, das flihrt nicht zum Heil! Wo jeder froh geniesst das Seine, Gebiihrt dem Schwarzen auch sein Teil."

278 Padagogiscbe Monatshefte.

,,Der Himmel schuf ihn nicht zum Knechte,

Noch ward euch Herrschermacht verliehn.

Der Menschheit heil'ge, ew'ge Rechte,

Vernehmt's ich fordere sie fur ihn!"

Es sollte noch anderthalb Jahrhunderte dauern, elie die Sklavenket- ten fielen. Noch bedurfte es der Opfer, die ihr Mene Tekel mit dem Le- ben bezahlen mnssten. ,,Einem Toten zum Gedachtnis" schrieb am 1. Dezember 1861 Eduard Dorsch:

,,Wenn auf der Alpen iiberschneiten Hoh'n Der Wand'rer schreitet mit bestiirzter Miene, Da braucht es nicht das Donnerwort des Flohn', Vom leisen Schlaf zu wecken die La wine; Das Glb'ckchen eines Saumtiers ist genug, Der Hungerschrei des Geiers oder Raben, Die erste Flocke reisst sich los im Plug, Schneemassen folgen, Stadte sind begraben.

1

Der Becher ist gefiillt; ein Tropfen mehr, Und ungeduldig wird er iiberschaumen; Ein Rosenblatt ist eine Last zu schwer Furs Volk, das mild', und es vergisst zu traumen. Nur einen Anstoss braucht's, um tausend Weh'n Der Opfer ihren Henkern zu vtrgelten, Nur eine Scholle, um darauf zu stelrn, Und aus den Angeln hebt der Weise Welten.

John Brown, Du warst das Glockchen, das erklang, Du warst der Rabe, der verscheidend hauchte, Du warst die Flocke, welche los sich rang, Du warst die Scholle, die das Schicksal brauchte. Hernieder auf das Haupt der Sklaverei, Yon dir geweckt, jetzt donnert die Lawine, Zermalmend stiirmet sie zum Tal und frei, Schwirrt auf der Drohnen Grab die Arbeitsbiene." Brown von Ossowattomie, der tollkiihne Held von Harpers Ferry, verdient das Lob des Dichters, in welcher Zunge es auch erklinge, aber auch die kleine Schar, welche im ungleichen Kampfe gegen die Uber- macht des Kapitals unterlag und den Versuch einer Befreiung aus so- zialer Sklaverei am Galgen biisste, gebiihrt neben der Ehrung, wel- che ihr Tucker angedeihen lasst in den Worten:

"They never fail who die

In a great cause: the block may soak their gore; Their heads may sodden in the sun; their limbs

deutschamerikanische Dichtung. 279

Be strung to city gates and castle walls But still their spirit walks abroad."

voll und ganz die Strophe Bechtolds:

,,So werden auch noch viele Helden fallen, Die sich gewagt aus schiitzendem Asyl, Und unentwegt der Wahrheit Bahnen wallen Zum Blutgeriist statt zum ersehnten Ziel."

Was ware die Poesie ohne ein verstandnisvolles, liebendes Erfassen der durch die Vorgange und Erscheinungen im All bedingten Stimmun- gen. Englander wie Amerikaner haben dem lebendigen ^aturgefiihl be- redten und deutereichen Ausdruck in gebundener und ungebundener Sprache gegeben, selbstverstandlich ist auch der Deutsche nicht zuriick- geblieben. Der Wechsel der Jahreszeiten, das Kommen und Gehen der Monate, das Erwachen und Absterben in der Schopfung, die Tage der Aussaat und die der Ernte, ihre Schonheiten, ihre Eigenart, ihre Lehren spiegeln sich in deutschamerikanischen Dichtungen. Emerson beschreibt die unbegreiflich klaren, milden letzten Sommertage, ,,wo in der Welt eine Heiligkeit ist, die unsere Religionen iiberstrahlt und eine Kraft der Wirklichkeit, vor der das Heldentum zusammenschwindet." Yon ahn- licher Auffassung zeugen die Verse ,,Indianersommer" von Schmitt:

,,Der Sonnenball, der dort im Westen flammt,

Beschliesst des Tages Hohepriesteramt,

Als Opferwolke gliiht die Abendrote;

Wie segnend breitet iiber das Gefild

Ein goldner Schein die Hande ernst und mild.

Noch einmal wirft das rote Sonnenherz

Den Liebeskuss zur Erde niederwarts.

Es ist, ols ob es in des Scheidens Schmerz

Den letzten Abschiedskuss den Fluren bote."

Ein anderer Dichter, Gieseler, schlagt mehr den Ton der Wehmut an und gedenkt des Scheidens, von dem Oktobertage kiinden. Seine Zeilen lauten:

,,Alluberall in der Katur

Ein traumumfangnes Trauern;

Zuweilen durch die Wipfel nur

Zieht's wie ein frostelnd Schauern;

Dann rieselt leise es herab

Gleich wie ein linder Regen:

Das sind die Blatter, die ins Grab

Sich sommermude legen.

Ob heut noch einmal Sommerpracht Den stillen Wald durch zittert

280 PMagogische Monatshefte.

Schon morgen wird von Sturmes Macht

Yernichtend er umwittert."

Dass das Fest der Liebe, das Weihnachtsfest mit dem schimmern- den Lichterbaume und den Gaben, welche die Zweige niederziehen, die hohe Zeit, welche die grossen und kleinen Freuden bringt, ohne die kein Menschenleben verlauft, immer und immer wiederkehrt in der deutsch- amerikanisehen Poe&ie, 1st leicht begreiflich. Der Winter mit seinen Flocken urd seinem Eiseshauche mahnt aber schon wieder an Aufer- stehung, an Erlosung, an neues Leben. So heisst es bei Hempel in dem Gedichte ,,In Eisesnoten":

,,Alte Linde, du mein Better Von des Sommers Feuersluft, Langst verweht sind deine Blatter Und dein siisser Bliitenduft. Eegenschauer, Froste sandte Tins der Norden iiber Nacht, Konig Winter herrscht im Lande Und du prangst in fremder Pracht.

Dein Gezweig, das blatterleere, Selbst das allerkleinste Eeis, Halt umsponnen eine schwere Diamantne Kruste Eis. Deine Glieder, unter Qualen Stohnen, von der Last gepresst, Tausend Sonnenfunken strahlen In dem glasernen Geast.

Traget furchtlos das krystallen

Winterliche Prachtgewand,

Herz und Linde, es muss fallen,

Zieht der Fruhling in das Land.

Neue Knospen, alte Linde,

Sprossen dir im Marzenhauch,

Armes Menschenherz, o finde

Der Erlosung Friihling auch!"

Und es schmilzt das Eis, es schwindet der Schnee, der Winter ver- geht, es hebt sich die Scholle, an Zweigen und Aesten brechen Knospen Jiervor, ans Licht kriecht der Kafer, der Wurm empfindet von neuem sein Dasein, im lauen Sonnenstrahle zittert und blitzt es von metallisch- flimmernden Lebewesen. Da erwacht auch die Schopferlust und die Muse weiht die empfindsame Dichterseele. In einem solchen Augenblick hat Hedwig Yogel in Calif ornien ein Gedicht ,,0stern" in Worte geklcidet:

deutschamerikaniscJie Dichtung. 281

,,Die wilden Tauben hor' ich wieder girren, TJnd blau verschleiert traumt das stille Meer, Ich sah die Kolibris um Blumen schwirren, Der alte Pfirsichbaum ist bliitenschwer.

Zum Neste tra'gt die Schwalbe weisse Flocken, Der Fliederbaum steht wieder griin belaubt, Den Elfen lauten wilder Blumen Glocken, Die Mandelbaume sind mit Gold bestaubt.

In alien Landen will der Lenz erwachen, Und auf dem stillen, waldumsaumten See Schwankt keck bewimpelt schon ein leichter Nachen, Erklingt ein Lied von Liebeslust und Weh.

Im Flur und Hain ein selig Auferstehen, Yom Bann erlost, wird auch das Herze frei; Lass mich den Friihling dir im Auge sehen, Und herrlich wieder bliiht auch mir der Mai."

Auch die amerikanische Flora und Fauna hat die Aufmerksamkeit hiesiger dentscher Dichter erregt und sie zu poetischem Schaffen getrie- ben. Der Kolibri, der Leuchtkafer, die Rotbrust, die Hiittensanger, die Schwarzamsel, die Spottdrossel, der Mais, die Baumwollstaude, 'die Hebe, alien zum Lobe ist hier schon deutsches Wort im Verse erklungen. Eine Perle ist Thomanns ,,Gutedel" zu nennen, im Weinlande der pazifischen Kiiste entstanden. Der Dichter fragt:

,,Wie nennt ihr die liebliche Traube hier? Wie nennt ihr den "\Vein, den wilden?" Ihm wird die Antwort:

,,Gutedel; aus Deutschland holten wir Ilm einst nach Sonomas Gefilden."

LTnd dem von Longfellow besungenen Ohiowein spendete Dr. Bauer gleich feurige Anerkennung in dem ,,Herbstlied 1853": ,,Wie der Wein so reich und siiss Heuer ist geraten! Will er uns das Paradies Auf die Erde laden? Des Ohio Hiigelwand Speiet siisse Lava; Bist du dem Vulkan verwandt, Funkelnder Catawba?"

Die Fiille des hiesigen Traubensaftes zeitigte und zeitigt noch jetzt zahllose begeisterte Dithyramben. Eines der besten Trinklieder Ratter- manns schliesst mit den Zeilen:

282 Padagogische Monatshefte.

,,Drum muss der letzte Tropfen auch Verschwinden aus dem Glas! Stosst an, trinkt aus, nach altem Brauch, Das gottbeseherte Nass! So lange noch die Rebe bliiht, Soil unser Wahlspruch sein: Die Liebe hold, das frohe Lied, Der gold'ne, siisse \Vein, Sie leben im Verein!"

Der Dreiklang Lieb', Lied und Labe; in immer neuen Wendungen ist ihm gehuldigt, seine Allmacht zugestanden, sein "\Valten erfleht worden. Die selbstlose, reine Liebe zur unschuldsvollen Madchenschonheit veran- lasst Robert Reitzel zu den riihrenden Versen, welche das tragische Ge- schick der von ihm Besungenen andeuten:

,,Ich denke dein wie einer Blume, Die in der Knospe ich belausehte, Wie eines hohen Himmelsliedes, Das sanft durch meine Seele rauschte. Ich denke dein, wie eines Sternes, Des Strahlen ich in mich gezogen, - Es kam der Sturm, ein letztes Leuchten

Und dann verschlangen ihn die Wogen."

Die Erfiillung des Liebeswerbens, das Gliick eines kosigen Heims und eines innigen Familienlebens, dann aber auch das herzzerreissende ,,Scheiden vom Liebsten, was man hat", ist Mittelpunkt des folgenden Gedichtes von Bernhard Bettmann:

,,Es war ein Traum: Die Ros' in deinem Haar

Ergliihte, als ich selig bei dir stand;

Du reichtest lachelnd mir die Blume dar,

Ich kiisste sie, ich kiisste deine Hand

Und riss dich an mein Herz; o Augenblick,

So reich an reinem, siissem, vollem Gliick.

Es war ein Traum, ich weiss es wohl, und doch,

Es war so schb'n, ich wollt', ich traumte noch.

Es war ein Traum: ich sah ein kleines Haus, Versteckt im Grim in friedlich stiller Ruh, Das Kind auf deinem Arm tratst du heraus Und winktest mir von fern schon Griisse zu Und Jauchzend hangt der Knabe sich an mich; Ich hob ihn auf und herzte ihn und dich. Es war ein Traum, ich weiss es wohl, und doch, Es war so schb'n, ich wollt', ich traumte noch.

*Die deutschamerikanische Dichtung. 283

Auf stillem Friedhof steh' ich nun allein, Das Herz so schwer, das einst so froh und leicht, Und deinen Namen les' ich auf dem Stein. Ich ruf ihn laut, doch selbst das Echo schweigt. Da berg5 am Stein ich weinend mein Gesicht Und ruf dich wieder, doch du horst mich nicht. Vereinsamt steh' ich hier im Weltenraum, Allein, allein, o war' es nur ein Traum."

Dass nur zu oft, wie das alte Epos schon kiindet, Liebe Leid bringt, deutet Franz Pauly in dem Vierzeiler an:

,,Eine Rose tmg sie in bliihender Pracht An ihrer Brust in jener Nacht; Auf ihrem Lager im Morgenrot, Da lag die Hose welk und tot."

Deutsche Spraehe, deutsches Lied! Wo waren Deutsche zusammen- gekommen in triiber und heiterer Zeit, im festlichen Prunksaale und iin traulichsten Vereinszimmer, zu zweien und dreien oder in aehtunggebie- tender Volksversammlung, dass sich die Anhanglichkeit an die Mutter- sprache nicht bemerkbar gemacht hatte. Die Achtung und Wertschatzung des Guten, die tiberzeugung, dass die deutschen Laute ein Hort und ein Heiligtum, ein Schutz und ein Schild fiir das Beste und Bedeutungsvolle ties germanischen Wesens und Wollens sein miissen, fordernd das un- umstossliche Recht, empfehlend das Edle und das Hehre, solcher Art ist der Grundton von tausenden von Zeilen, teils kurz, schlicht und biindig, teils gewaltig, volltb'nend und zur Abwehr bereit. Die Vorziige der deutschen Sprache kennzeichnet Grebners Gedicht:

Schon seist du nicht?

Er hat wohl nie gesungen, nie zu Orgelklang 1m deutschen Dom gehort den hehren Festgesang,

Der sagt, du seist nicht schon.

Mild seist du nicht?

Der Liebe Sprache kennt er nicht, Gekose leis Ist fremd ihm; er sass nie in deutscher Freunde Kreis,

Der sagt, du seist nicht mild.

Stark seist du nicht?

Nie hort' er Manneswort, hat nie in wilder Schlacht Gekampft in deutschen Reih'n, kennt nicht des Kampfrufs Macht,

Der sagt, du seist nicht stark.

Gross seist du nicht? Er weiss nicht, wie im fernen Land das helle Licht

284 Padagogische MonatsJiefte.

Des Geistes mit der deutschen Spracli' durchs Dunkel bricht,

Der sagt, du seist nicht gross.

Bist alles ja!

Des Mamies Wort, der Liebe Fliistern, Schlachtenruf, Gesang und Rede wo die Sprach', die solches schuf ?

Es ist die deutsche nur."

Von der Allmacht des deutschen Liedes aber heisst es in eiuem Sangergrusse von Nies:

,,Durch des Unvalds Nacht, durch der Prairie Eied Erklingt es aus tausend Kehlen Sei gegriisst unser Lied, unser deutsches Lied, Du Gluthauch lichtspendender Seelen!"

Es wird nicht selten mit einem gewissen Stolze darauf hingewiesen, wie viele Namen sich auf einer Liste deutschamerikanischer Dichter be- finden. ,,Deutsch in Amerika", eine Anthologie, vor einem Jahrzehnt in Chicago herausgegeben, envahnt iiber 300 Manner und Frauen als mehr oder weniger erfolgreich im Dienste der Muse. Leider fehlt es immer noch an einer kritischen Zusammenstelhmg des Besseren, was hier geschaffen worden ist, und dessen ist iiberreichlich vorhanden. Freilich sehr zerstreut neben dem, was das vorher erwahnte Buch, der 1856 er- schienene ,,Deutschamerikanische Dichterwald", die beiden von Steiger publizierten Biichelchen ,,Heimatgrusse" und ,,Dornrosen", vornehmlich aber die Bande des als Fnndgrube deutschamerikanischer Literatur nicht hoch genug zu schatzenden ,,Deutscher Pionier", und ,,Deutschamerika- nisches Magazin'', sowie die leider viel zu friih eingegangene ,,Deutsch- amerikanische Dichtung" bringen. Es ware verdienstvoll, ein Bild des in der Poesie sich wiederspiegelnden Geisteslebens der Deutschen auf der wcstlichen Halbscheid zu entrollen. Pastorius, der Mann, welcher die erste Niederlassung der Deutschen auf diesseitigem Boden bewerkstel- ligte, wiirde uns als Bahnbrecher entgegentreten. Freilich mag die Jetzt- zeit wenig Geschmack an den Versen finden, in denen er die schmack- haften Friichte seines Gartens, die duftenden Blumen und die niitzlichen Kiichen- oder Arzneigewachse besingt. Dennoch konnen sie mit Ehren neben dem Schwulst eines Lohenstein, der Kiinstelei eines Hoffmanns- waldau und der Niichternheit eines Brockes, alle in jener Periode hoch- geehrte Poeten Deutschlands, bestehen. Auch die Dichtungen der Sie- bentager in Ephrata, iiberschwanglich und masslos in frommelndem Pa- thos und in gesuchter Sentimentalitat, und spiiter die Gedichte einiger gelehrter Seelsorger sind nicht schlechter als manches gepriesene Er- zeugnis des Mutterlandes. Kurz vor den zwanziger Jahren des letzten Sakulums begann der Strom der Auswanderung hierher abermals Man- ner zu tragen, deren Namen Glanz verbreiten. Als Eepositorium der bald

e deutschamerikanische Dichtung. 285.

r-ich mehrenden poetischen Arbeiten diente die im Jahre 1834 in Phila-- delphia ins Leben gcrufene nnd lange unter gediegener Leitung fortge- setzte ,,Alte und neue Welt". ,,Die meisten der poetischen Ergiisse, sagt Kattermann, gehb'ren der patriotischen Gattimg an, das Streben nach Freiheit ist das Ideal derselben. Sie behandeln die nnwiirdigen Zustande im alten Vaterlande, denen die meisten der Dichter znm Opfer Helen." Aber, fiigen wir hinzu, es klingt aus ihnen atich die Sehnsucht, das Heimwch und nicht selten bittere Anklagen des Schicksals. Bei aller Wertschiitzung der Vorziige dieses Landes vermag der Eingewanderte doch nicht das Land der Jugend, den Ort, wo seine Wiege stand, wo die Muttersprache suss ihm ans Ohr tonte, zu vergessen. Wilhehn Wagner verleiht dem Wunsche des Wiedersehens Ausdrtick, wenn er dichtet:

,,0 heiliger Boden, sei mir stets gegriisst, Du Heimat, die mein Paradies umschliesst! Auch in der fremden Welt denk ich an dich; Und neigt dereinst des Lebens Sonne sich, Dann Vater, lass dahin, dahin JSToch einmal mich diesseits der Urne ziehn."

Noch ergreifender heisst es in dem viel und mit Eecht bewunderten Gedichte von Krez: ,,An mein Vaterland ' zum Schlusse:

,,Land meiner Vater, langer nicht das meine, So heilig ist kein Boden, wie der deine, Nie wird dein Bild aus meiner Seele schwinden, Und kniipfte dich an mich kein lebend Band, So wiirden mich die Toten an dich binden, Die deine Erde deckt, mein Vaterland!

0 wiirden jene, die zu Hause blieben, Wie deine Fortgewanderten dich lieben, Bald wiirdest du zu einem Eeiche werden, Und deine Kinder gingen Hand in Hand Und machten dich zum grossten Land auf Erden, Wie du das beste hist, o Vaterland."

Der Deutsche ist ein Vorkampfer gewesen fur echte Humanitat, fill das wahrhaft Grosse und Schone, fur die Loslosung von den Fesseln nativistischer und sektiererischerUnduldsamkeit, fiir dieHochhaltung rei- ner Lebensfreude und massvollen Lebensgenusses. Fiir ein ,,Grossameri- ka" hat er Gut und Blut eingesetzt, die Freiheit hat er im Liede verherr- licht, mit dem Schwerte verteidigt. Eines der schwungvollsten Lieder, die diesseits des Ozeans gesungen wiirden, ist Schmitts Sterne und Streifen":

Padagogisclie Monatshefte.

,,Im Morgenwind in der Sonne Gold Der Freiheit heiliges Banner rollt; Sein Eauschen tont wie Adlerflug Um Alpenhaupter im Siegeszug. Es klingt wie Rauschen im Urwaldsdom, Es klingt wie das Brausen im Felsenstrom, Es klingt wie die Brandung am Klippenstrand Von See zu See und von Land zu Land: Freiheit, Freiheit!

Wie die ewigen Sterne vom Himmelszelt Herniedergriissen zur traumenden Welt, Wie im blauen Ather ihr Lied ergliiht, Erfreuend, erhebend das Menschengemiit, So griissen die Sterne des Banners, wenn hold Es den staimenden Blicken der Volker entrollt, So kiindet ihr Anblick vom heiligen Hort Dem Lande der Freien das herrliche Wort: Freiheit, Freiheit!

So zogen es voran einst der Yater Heer, Als die Knechtschaft draute und Fesseln schwer, So hat es ermutigt die Kampfer im Streit, So hat es die Waffen der Krieger gefeit, So hat es die heilige Lohe geschiirt, So hat es zum herrlichen Siege gefiihrt, So hat es gewahrt ihnen kostlichen Lohn, So hat es geheiligt die Union: Freiheit, Freiheit!

Und auch die Ereignisse im Mutterlande, seine Schicksale und seine Emmgenschaften haben in der deutschamerikanischen Sphare stets einen Nachhall gefunden und als Tribut der Anhanglichkeit Freudenklange oder Trauerweisen geweckt. ,,Deutschland erwacht" singt 1870 Ernst Anton ZUndt:

Blitze zucken, Funken spriihen, Und es bebt die trunk'ne Luft; Ein gewalt'ger Donner sprenget Des Kyffhausers dunkle Gruft.

Und der alte Barbarossa Fahrt vom langen Schlaf empor, Blickt um sich, es strahlt die Sonne Hell durchs offne Felsentor.

'Die deutschamerikaniscbe Dichtung. 287

Millionen Stimmen rufen: Tritt hervor ans Licht, o Held! Sieh dein Volk, es steht vereinigt, Stark wie keines in der Welt!"

Hit Stolz vermag der Solin Germaniens seiner alten, nun so mach- tig entwickelten Heimat zu gedenken: stolz aber kann Deutschland auch sein auf seine Kinder, die in der Feme mit Liebe der Statte ihrer Ge- burt sich erinnern. Den Ruhm des alten Vaterlandes hat der Ausgewan- derte in jeder Weise hochgehalten, den seines Adoptivlandes der einge- wanderte Deutsche gewahrt. Es ist, als seien die Worte des Perikles fiir die Deutschen geschrieben: ,,Wir haben von unserer Tatkraft grosse Be- weise gegeben und sie wahrlich nicht unbezeugt gelassen. Freunde und Feinde, die wir gezwungen haben, unsere Verdienste anzuerkennen, und die ewigen Denkmale unserer Anwesenheit, die wir gestiftet, werden fiir und von uns zeugen immerdar". In diesem Sinne mag die Strophe eines nach draussen zuriickgekehrten Padagogen und Literaten, der hier ver- geblich um den Erfolg warb, welcher driiben ihm wurde, dessen Kritik leider aber deutschamerikanischen Dichtern wenig Wohlwollen zeigte, diese Arbeit beschliessen:

,,N"icht fremd mehr sind uns diese Auen, Drauf wie im alten Yaterland Die Sterne trostend niederschauen, Denn Heimat ward uns dieser Strand; Wir haben Schweiss und Blut gegeben Als Zeugen unsrer Lieb' und Treu, . Es kiindet unser bess'res Streben: Der Kern blieb alt, das Kleid ward neu."

Einiges uber die Berufsbildung des Lehrers.

Von Prof. Jno. Barandun, Pittsburg, Pa.

,,Sie sagen, das mutet mich nicht an,

Und meinen, sie hiitten's abgetan".

Goethe.

,,Xicht dem Prunk, sondern dem Ge- brauch". Herbart.

Wenn der Laie oder der Fremde die Schulen eines Landes beurtei- len will, wendet er sich gewb'hnlich an die Berichte der Statistik. Das Land, welches das meiste Geld fiir Schulhauser, Seminare oder Normal- schulen, Hochschulen, Laboratorien und neue, kostspielige Erziehungs- Experimente ausgibt, hat nach seiner Ansicht auch immer die besten Ijchulen. Dies ist ungefahr so logisch, als wenn man behaupten wollte, die Fran, die das meiste Geld auf ihre Ausstattung verwendet, miisse auch immer die beste Fran sein. Es mag hie und da einmal zufalligerweise zu- treifen. Dass eine Stadt oder ein Land irgend einem Fachgelehrten eine enorme Besoldung zukommen lasst, oder gewisse Erziehungsanstalten mit stolzen, ehrwiirdigen Namen schmiickt, ist ebenfalls noch lange kein richtiger Wertmesser fiir den Unterricht, der seiner jungen Generation erteilt wird. Imgrunde sind dies, wie jeder wirkliche Erzieher wohl weiss, Ausserlichkeiten, die mit dem Kern der Sache wenig oder nichts zu schaffen haben. Wie man den Karakter eines Menschen am sichersten nach den Zielen beurteilen kann, die dieser im Leben verfolgt, so lassen sich auch die Schulen eines Landes am besten nach ihrem Ziele beurtei- len, und nach den Mitteln, die zur Erreichung desselben dienen sollen.

In der nachfolgenden kurzen Besprechung muss ich von den Fach- schulen ganzlich absehen, obschon ich wohl weiss, dass auch in denselben ein tiichtiger Lehrer erzieherisch und wahrhaft bildend wirken kann. So niitzlich und notwendig dieselben auch an und fiir sich sind, so haben sie doch mit der eigentlichen Erziehung unmittelbar nichts zu tun. Ihr Ziel besteht bloss darin, ihren Schiilern auf leichte, sichere, vielleicht gar spielende Art die Kenntnisse beizubringen, die einem bestimmten, prak- tischen Zwecke dienen sollen. Die Schiller solcher Schulen bereiten sich auf irgend ein Examen vor, das fiir ihr spateres Fortkommen wichtig ist, oder sie betreiben ein bestimmtes Brotstudium: sie wollen Handels- gehiilfen, Mechaniker, Chemiker, Aerzte, Advokaten, Prediger, Priester, Apotheker u. s. w. werden. Die zweckmassige, vielseitige Ausbildung ihres geistigen Lebens, ihr innerster, wahrer Charakter, kommt dabei direkt nicht in Betracht. Fiir den eigentlichen Piidagogen haben daher solche TJnterrichtsanstalten nicht mehr und nicht weniger Interesse als die Fa- briken, die gewisse Waaren oder phonographische Apparate herstellen.

Einiges iiber die Berufsbildung des Lehrers. 289

Er weiss, dass Kenntnisse, die bloss und ausschliesslich dazu dienen sollen, ihrem Besitzer Geld oder Ansehen zu verschaffen, so niitzlich sie auch zum Fortkommen im Leben sind, doch mit achter Bildung und Erziehung unmittelbar nichts zu tun haben.

Wir miissen uns also auf die Erziehungsschulen im eigentlichen Sinne des Wortes und deren Lehrer beschranken, um von denselben aus zum Gegenstand unserer Besprechung zu gelangen. Bevor wir aber wissen, welche wir dazu zu rechnen haben und welcbe Lehrer an ihnen wirken sollten, wird es notwendig sein, die Ziele einer solchen Schule zu kennen. Wie wir schliesslich sehen werden, ist das, was ich hier vorausschicken muss, um moglichst richtig verstanden zu werden, nur eine scheinbare Abschweifung von unserm Thema, welches ich dabei keineswegs aus dem Auge lasse.

Die verschiedenen padagogisehen Kichtungen alter und neuerer Zeit stellen, wenigstens dem Wortlaut nach, verschiedene Erziehungsziele auf. Die korperliche Erziehung, die ebenfalls, und natiirlich mit Recht, betont wird, konnen wir hier ruhig iibergehen, da sie ihre Prinzipien von der Physiologic entlehnt, und ihr Wert oder Unwert von der seelischen Ausbildung abhangt. Sie gehb'rt dem Prinzip nach in das Gebiet des Arz- tes. Kehren wir also nach dieser Nebenbemerkung zum eigentlichen Ge- biete der Erziehung zuriick. Trotz ihrer abweichenden Ansichten in Ein- zelheiten stimmen doch alle bedeutenderen Padagogen darin iiberein, dass es sich dabei um geistige Zustande, gleichviel, was man unter dem Worte ,,geistig" verstehen mag, um ein geistiges Leben handelt, das der Erzieher bei seinen Zoglingen anbahnen, befordern oder ausbilden poll. Auch diirften die meisten damit einverstanden sein, dass dieses gei- stige Leben den Gesetzen der Ethik und der Natur entsprechen soil. Wie die Uebertretung ethischer Gebote gleichbedeutend ist mit der Verletzung von Naturgesetzen hat meines Wissens der geniale Philosoph, oder richti- ger Naturphilosoph, Herbert Spencer am klarsten gezeigt. Ein sittlicher, der Vernunft entsprechender Karakter, ein gesunder, idealistisch gesinn- ter und doch zugleich praktischer Geist sollte auch nacli dem sehr kiihl denkenden und besonnenen Herbert Spencer das Ideal der Erziehung bilden, wenn er dies auch in seinem klassischen Werke u'ber die Erziehung nicht gerade mit den gleichen Worten ausspricht. Leider hat bei ihm der Einzelne nur als Mitglied der Herde einen Wert, was den indivi- dualistisch gesinnten Deutschen wenig anmutet. Es ist daher ein unsterb- liches Verdienst Herberts, Max Stirners und vor allem Xietzsches, dass sie das Vorrecht der Individuality, die Wahrheit, dass der Einzelne zu- nachst fiir sich selber da ist und einen von der Gesamtheit unabhangigen Wert, eine individuelle Bestimmung hat, zu verschiedenen Zeiten und auf verschiedene Weise aufs entschiedenste betont haben. Worin der un- abhangige, ethisch gebildete Karakter besteht und wie er zu verwirk-

290 Padagogische Monatshefte.

lichen ware, dariiber kann natiirlieh nur die Psychologic genauern Auf- schluss geben. Damit meine Bemerkungen alien verstandlicher werden, scheint es mir also unbedingt notwendig, einen Augenblick bei derselben zu verweilen. Natiirlieh kann ich hier bloss iiber die notwendigsten Punkte einige knrze Andeutungen geben. Diese werden aber das Nach- folgende vielleicht einleuchtender erscheinen lassen und auch manchen zum tiefern Studium dieser Fragen anregen.

Das gesamte Seelenleben beruht auf den Vorstellungen, wie sich die Bevolkerung eines Staates aus den einzelnen Individuen zusammen- setzt. Wie das Volk im Staat, so bilden auch die Vorstellungen gleichsam Gesellschaften, Klassen, Gruppen oder Kreise. Auch die Vorstellungen haben ihren "Kampf urns Dasein"; die weniger starken, die, welche ge- ringere Kraft und Klarheit besitzen, werden von den andern, starkeren, verdunkelt, aber niemals vernichtet. Sie konnen spater wieder ans Licht des Bewusstseins kommen, wie auch unterdriickte Individuen nicht selten sich wieder emporarbeiten. Aus der Wechselwirkung zwischen den Vor- stellungen entsteht nach und nach das gesamte geistige Leben, von dem im letzten Grunde unser Wert, unser "VVohl und Wehe abhangt. Alles, was wir mit den Sammelnamen Verstand, Vernunft, Gefiihl und Wille bezeichnen, 1st aus dieser Wechselwirkung entstanden. Selbst das unbewusste Seelenleben woriiber, nebenbei bemerkt, ein gewisser Waldstein in New York ein treffliches Biichlein veroffentlicht hat und welches auch der Philosoph John Fiske ausfiihrlicher beleuchtet das mit unsern natiirlichen Trieben und Anlagen eng verbunden 1st, kann nur dann Einfluss auf uns gewinnen, wenn unsere Vorstellungen, die schon einmal im Bewusstsein waren, ihm keinen geniigenden Widerstand zu leisten imstande sind, also wenn die innere Einheit oder die geistige Gesundheit fehlt. Die einzigen Seelenkrafte sind daher die Vorstellungen selber, sobald sie mit einander zusammentreffen und sich gegenseitig hemmen, f ordern, verschmelzen oder verbinden. Es ist leicht einzusehen, dass kein Lehrer oder Erzieher eine bestimmte, zielbewusste Wirkung auf das Seelenleben seines Zoglings ausiiben kann, der nicht mit der Natur, den Gesetzen desselben, genau vertraut ist. Er muss wissen, wie klare Vorstellungen erzeugt werden; wie sie mit einander zu verbinden sind; wie Urteile und Schliisse entstehen; er muss das Kind anleiten konnen, Begriffe aus den Anschauungen selber zu abstrahieren; er soil mit den verschiedenen Arten der Gefiihle vertraut sein, um solche durch den Un- terricht erzeugen zu konnen; er soil wissen, wie ethische Gefiihle, Urteile, Schliisse entstehen; wie der Wille entsteht und durch den Unterricht ge- bildet werden kann; den Unterschied zwischen dem bios mittelbaren und dem achten, unmittelbaren Interesse muss er kennen, und das letzere nach und nach in des Zoglings Seele erzeugen und starken, denn das selbstlose, freudige Interesse an allem, was Menschen getan und gelitten, an der

Einiges uber die Berufsbildimg des Lehrers. 291

Xattir und ihrem Studium, ist das einzige sichere Gegengift gegen den natiirlichen Egoismus und lehrt den Menschen edlere Freuden und Ziele kennen; zu diesem Zwecke muss er wissen, wie sich die verschiede- nen Lehrfacher ura den Gesinnungsstoff, der mit Willensverhaltnissen zu tun hat, konzentrieren lassen, und sollte genau vertraut sein mit den oft komplizierten Erscheinungen der Apperzeption, Abstraktion und der frei steigenden Vorstellungen, die sich besonders in den Spielen der Kinder kundgeben. Denn was der Erzieher im wahren Sinne des Wortes im Zogling erzeugen soil, ist an und fiir sich ein geistiges Kunstwerk, ein inneres Leben, das am Wohl und Wehe der Menschheit und des Einzel- nen, an den Fortschritten der Kultur, am Wohlergehen des Vater- landes, an allem Schonen, Wahren und Guten regen, selbstlosen Anteil nehmen und dabei den Gesetzen der Natur und der Vernunft willig ge- horchen soil. Die Vorstellungen miissen zu diesem Zwecke so geordnet n nd verbunden sein, dass im Notfall alle einander zu Hilfe kommen oder reproduziert werden, so dass, wie Gothe sagt, "ein Schlag tausend Ver- bindnngen sehlagt". Dies ist die geistige Regsamkeit, die die Natur den schopferischen Geistern, den "Genies" verliehen. Durch Erziehung kann sie bis zu cinem gewissen Grade alien Zoglingen zu Teil werden, die nicht geborene geistige Kriippel sind. Lessing sagte daher mit vielleicht mehr itecht, als er selber ahnte: "Der Knabe muss ein Genie werden, oder es kann nichts aus ihm werden." Doch wiirde uns dies Thema zu weit fuh- len, Auch das "Wohlgefiihl des Gelingens", das auf diese Art im Zogling entsteht, ist vom hb'chsten padagogischen Wert. Bei einem solchen Un- terricht wird die Disziplin natiirlich auch sehr erleichtert, und die Exa- mina und Schaustellungen werden uberfliissig, sie dienen sowieso nur der Eitelkeit und damit dem Egoismus. Der Lehrer, der psychologisch richtig unterrichtet, wird bald finden, dass er vor den andern grosse Vor- teile voraus hat; er erfahrt bald, dass nur im tiichtigen Idealen das wahr- liaft Reale und Praktische liegt. Der Weg ist anfangs etwas miihsam, be- lohnt aber nach und nach durch die herrlichsten Aussichten und Erfolge in jeder Hinsicht.

Es versteht sich von selbst, dass eine Erziehung im eigentlichen Sinne des Wortes, bei der es vor allem auf die Ausgestaltung eines zweck- niassig geordneten Vorstellungsschatzes ankommt, friih anfangen musa Abgesehen von den Privatschulen, fiir welche natiirlich die gleichen Grundsatze gelten, ist die V o 1 k s s c h u 1 e ihr Fundament, ihr Haupt- gebiet, oder sollte es sein. Von derselben aus kann sie in den hohern Schulen, die eine allgemeine, achte Bildung bezwecken, fortgesetzt wer- den, bis endlich das Leben an die Stelle der Schulen tritt. Es wird auch klar sein, dass es bei der wirklichen Erziehung und Bildung der Jugend in erster Linie nicht auf kostbare Schulgebaude, Laboratorien u. dgl. an- kommt, sondern auf den Erzieher, denLehrer, selbst. Von seiner

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Ausbildung, seiner Berufstreue, seinem Enthusiasmus, hangt der Erfolg der Schule ab. Der wirkliche Lehrer 1st, wie der Dichter, im gewissen Sinne als soldier geboren. Er muss ein Seelen-Bildner sein, mit kiinstle- lischen Anlagen begabt, der, wie Lessing sagt, ,,im"rohen Marmorblock die gottliche Gestalt sich denkt", die er formen will: Begeisterung fiir eeinen hohen Beruf, ein poetischesGemiit, damit er sich leicht auf den geistigen Standpimkt des Kindes stellen kann, geistige Regsamkeit, die im Unterrieht alles zu verwerten versteht und sich keiner Schablone fii- gen mag, Menschenliebe und ein gesunder Idealismus sind ihm unent- behrlich, wenn er niclit zum blossen Handworker und Taglohner herab- sinken soil. Aber wie bei jedem von der Natur reichlich begabten Men- schen, so miissen auch bei ihm diese Anlagen entfaltet und richtig aus- gebildet werden, wenn sie zum Besten seiner Zbglinge und der Mensch- heit wirken sollen, sonst niitzen sie wenig oder nichts. Der Lehrer muss einsehen lernen, dass sein Beruf der hochste und wichtigste ist, den es geben kann; er soil wissen, dass von seiner YTirksamkeit die Zukunft der Nation abhangt, die sich ja aus den einzelnen Individuen zusammensetzt. Keine staatliche oder kirchliche Partei, kein Staatsmann, Fiirst oder po- litischer ,,Keformer" kann dauernde Resultate erzielen, wo die Menschen fiir den Fortschritt, fiir ein hoheres Ideal, kein Verstandnis haben. Er- zieher, d. h. Kiinstler im wahren Sinne des Wortes, sind auch die Dich- ter und Schriftsteller; aber sie werden kein Gehdr finden, wo ihnen nicht ihr wichtigster Bahnbrecher und Kollege, der Lehrer, vorgearbeitet hat.

Es hangt somit ausserordentlich viel davon ab, dass der Staat, die Menschheit, gute Erzieher oder Lehrer haben. Aber ohne griindliche berufliche Ausbildung ist dies nicht moglich. Der Lehrer braucht die- selbe mindestens ebenso sehr, wie der Arzt, der Chemiker, der Astro- nom, u. s. w. Sie alle miissen das Feld ihrer Tatigkeit griindlich kennen, sonst leisten sie nichts oder richten bloss Unheil an. Das sollte doch selbstverstandlich sein; dennoch gibt es Leute, die dies nicht zu begreifen scheinen. Mit solchen zu streiten, ware nicht der Miihe Avert. Diese Aus- bildung sollten die padagogischen Seminare oder Normalschulen besorgen. Wir wollen zuniichst untersuchen, ob dieselben dies bei uns in Pennsyl- vanien auch wirklich tun. Ich hatte weder Zeit noch Gelegenheit, un- sere Normalschulen alle eingehend zu studieren. Es war dies fiir den Zweck dieser Besprechung, die hauptsachlich mit positiven Vorschlagen zu tun hat, auch gar nicht notig. Die an und fiir sich freilich kurzen Berichte der meisten hiesigen Normalschulen zeigen nur zu klar, wie wenig dieselben ihrem Zwecke entsprechen.

Schon die Anordnung eines solchen Berichtes kommt dem kritischen Auge etwas verdachtig vor, insofern sie einen Schluss auf das erlaubt, was den Leitern einer solchen Schule von der grossten Wichtigkeit zu sein scheint. Da werden z. B. die Gebaude und Einrichtungen besehrieben und

Einiges iiber die Berufsbildung des Lehrers. 293

photographiert, natiirlich mit einigen hiibschen Madchen im Vorder- grunde, die ausserst zufriedene Gesichter zeigen, um zu beweisen, dass ihnen nichts abgeht. Die schone Umgebimg, die Aussichtspunkte, wer- den ebenfalls im Bilde vorgefuhrt. Auf Laboratorien, wo ja so viel Zeit vertrodelt werden kann, wird mit Stolz hingewiesen; ebenso auf Bibliothe- ken, deren Inhalt, nach dem Katalog zu schliessen, offenbar mehr auf Zeitvertreib imd oberflachliche Schongeisterei, als auf ernste Sludien berecbnet ist; Kirchen, Eisbahnen und dgl. werden ebenfalls sorgfaltig aufgezahlt. Wo der Handfertigkeits- unterricht eingefiihrt ist, geht er weit iiber das Bediirfnis hinaus, denn der Erzieher soil vor allem Menschen, nicht blosse Handwerker heranzie- hen. Die Ausbildung in gewissen Fertigkeiten, Luxusfachern, alten und ncuen Sprachen, die fiir den Lehrer zwecklos sind, und die er doch selten oder nie bemeistern wird, in Kiinsten, die hauptsachlich als Lockmittel dienen, um Schiller anzuziehen, und manchem anderen unpraktischen Zeug wird ganz besonders betont. In mehreren Anstalten kommen noch allerlei Allotria hinzu, wie Kochkurse fur beide Geschlechter, Gesellschaf- ten, um auf die Umgebung ,,erziehend einzuwirken", zeitraubende sog. wissenschaftliche Experimente, u. s. w. Aber das alles konnten wir hin- gehen lassen, vorausgesetzt, dass die Hauptsache, die eigentliche Berufsbildung, dabei nicht zu kurg kame.

"Welchen Aufschluss erhalten wir nun dariiber? Mit Stolz weist der Berichterstatter darauf hin, dass die Anstalt eine "Musterschule" besitzt. Das ist ja ganz prachtig! denken wir zuerst. Aber fragen wir weiter, wie die angehenden Padagogen daselbst den Unterricht erteilen; ob sie sich darauf vorbereiten; ob sie dort wohlverstandene Theorien praktisch an- wenden lernen; ob sie wirklich ein klares Bewusstsein dessen haben, was sie in der Musterschule tun, oder bloss dem gedankenlosen Schlendrian iolgen, so erhalten wir dariiber zunachst keinen Aufschluss. Um solche Kleinigkeiten kiimmert man sich offenbar nicht im mindesten. Das sind ja nach Ansicht der Berichterstatter Nebensachen, nicht der Kede wert. Aber wenn wir recht fleissig suchen, finden wir irgendwo in einem be- scheidenen Winkel des Buches die ganz beilaufige Bemerkung, dass in der Anstalt auch Psychologic, besonders experimentelle, zu den Lehrfachern gehore, und sogar Padagogik, wenn es hoch kommt. Selbst Geschichte der Padagogik wird mitunter genannt, und die Namen von zwei oder drei ziemlich bedeutungslosen "Padagogen", die einmal ein Textbuch ver- brochen haben, werden dabei angefiihrt. Das ist so ziemlich alles. Von der Wichtigkeit der eigentlichen Berufsbildung fiir den angehenden Leh- rer, und wie die letatere am besten angebahnt werden kann, scheinen die meisten Leiter solcher angehender "Lehrerbildungsanstalten" auch keine blasse Ahming zu haben. Ihnen ist das rein Ausserliche, Zufallige, was irgendwie der augenblicklichen Mode dient, die Hauptsache. Reklame

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zu machen, recht viele Studierende anzulocken, von denen ein Teil gauz andere Ziele verfolgt, als den Lehrerberuf, nur darauf geht ihr wirkliches Sinnen und Trachten. Aber ich will'hier nicht welter darauf eingehen, denn das blosse Kritisieren an und fur sich hilft nichts, oder selten etwas. Es wiirde, wie schon Pestallozzi bemerkte, umsonst sein, denjenigen, die nie .ein Licht gesehen, begreiflich zu machen, dass sie ira Dunkeln woh- nen; aber zeigt ihnen das Licht, und sie werden von selber herausfinden, dass sie vorher im Finstern waren, ohne dass es notig ware, es ihnen di- rekt zu sagen. An der Negation und Kritik des Bestehenden fehlt es unsrer Zeit wahrlieh nicht; was uns am meisten fehlt, ist dagegen das Po- sitive, welches an die Stelle des Unhaltbaren oder Fehlerhaften treten soil. Wir sind zu kritisch, zu wenig produktiv. Aber mit dem blossen Niederreissen ist's nicht getan; das Aufbauen ist noch wichtiger.

Ich habe es deshalb fur das Beste gehalten, das Hauptgewicht auf positive Vorschlage zu legen. An neuen Ideen fehlt es ja am meisten, d. h. an solchen, die sich wissenschaftlich begriinden lassen; an blossen Utopien haben wir allerdings Ueberfluss. Sie schiessen wie Pilze empor und vergehen ebenso schnell. Die Vorschlage, die ich Ihrer Beachtung empfehlen mochte, und die sich teilweise schon aus dem ersten Teil dieses Vortrags von selbst ergeben, sind iibrigens keineswegs neu im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern griinden sich auf die Psychologic und wissen- schaftliche Padagogik der Herbart'schen Schule. Natiirlich musste ich auf die hiesigen Verhaltnisse Riicksicht nehmen. Bemerken mochte ich noch, dass ich bloss die Absicht hatte, einige Anregungen zu geben, die zu weiterem Nachdenken iiber die Sache veranlassen sollen; ich musste sonst ein ganzes Buch schreiben. Wenn es mir gelingt, das Bewusstsein eines grossen Mangels in unserer Lehrerbildung wachzurufen und den Weg anzudeuten, auf dem Abhiilfe moglich ware, so ist der Zweck dieser anspruchslosen Besprechung erreicht.

Der Zweck der Normalschulen oder Lehrerseminare sollte a u s- schliesslich darin bestehen, tiichtige Lehrer und Lehrerinnen her- anzubilden. Ist dies bei uns der Fall? Verfolgt wenigstens ein Teil un- serer Normalschulen nieht ganz andere Ziele? Nehmen sie nur solche Zoglinge auf, die sich dem Lehrerberuf e widmen wollen? Diese Fragen mag sich jeder selber beantwoften, der unsere Verhaltnisse kennt. Fragen wir lieber weiter, welcheKenntnisse und Eigenschaften ein tiichtigerLeh- rer, der nicht bios abrichten, sondern wirklich erziehen will, haben muss. Dariiber habe ich in meinen kurzen Andeutungen iiber des Lehrers Ein- wirkung auf das Seelenleben des Zoglings und iiber die Wichtigkeit des Erzieherberufes gesprochen. Dem dort Gesagten mochte ich noch hinzu- fiigen, dass die sprachlich-historische Veranlagung, die humanistische Bichtung, die besonders menschliche Verhaltnisse im Auge hat, also Ge- schichte, Sprachen, Literatur, Philosophic im deutschen Sinne des Wor-

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tes, Padagogik und Poesie umfasst, ihren Besitzer zimi eigentlichen Er- zieher besonders qualifiziert; dies sollte bei der Auswahl von Aspiranten fiir den Lehrerberuf in Erziehungsschulen besonders beachtet werden. Die mathematisch - naturwissenschaftliche oder realist ische Anlage gibt Macht iiber die Natur und ihre Krafte; sie ist fiir den Fortschritt der Menschheit von der grossten Wichtigkeit; aber die Tiefen des menschli- chen Gemiites und Gedankenlebens sind ihr fremd. Sie wird die besten Fachlehrer auf ihrem eigenen, grossartigen Gebiete liefern konnen. Diese Andeutungen erlauben auch einen Schluss auf die leitenden Geister, die in den Normalschulen wirken sollten. Handelte es sich in denselben um ein blosses Brotstudium, so konnte die Auswahl der Lehrkrafte gleich- giiltig sein, vorausgesetzt, dass dieselben in ihrem eigenen Fach gut be- schlagen waren. Aber wo es sich um hb'here Ziele handelt, ist es nicht so leicht, passende Lehrkrafte zu finden. Der Leiter einer Normalschule muss die gleichen Kenntnisse und Eigenschaften besitzen, die dem Lehrer an einer Erziehungsschule unentbehrlich sind, aber seine padagogische und philosophische Bildung sollte noch griindlicher und umfassender sein. Er sollte es auch verstehen, mit den andern Lehrkraften harmo- nisch und zielbewusst zusammenzuwirken.

Die Auswahl des Unterrichtsstoffes, die Gestaltung des Lehrplanes, die Unterrichtsmethode, erfordern fiir die Normalschule ganz besondere Sorgfalt, wenn nicht viele kostbare Zeit verloren gehen soil. Auch hier ware eine Konzentration der einzelnen Facher um einen Mittelpunkt sehr am Platze, sowie die fortgesetzte Anwendung der formalen Unterrichts- stufen, damit der junge Erzieher sich durch die lebendige Anschauung und praktische, personliche Erfahrung daran gewohnen konnte, und sein Takt und das "padagogische Gewissen" griindlich ausgebildet wiirden. Natiirlich miisste in der Normalschule statt des Gesinnungsstoffs der Volksschule die Padagogik in alien ihren Verzweigungen in den Mittel- punkt gestellt werden. Psychologic und Ethik wiirden auch in andern Fachern, wie Geschichte, Literatur, Kunst, Aesthetik, und sogar in der Geographic, Physiologie, ja selbst an den Handarbeiten und Leibesiibun- gen Beziehungs- oder Verbindungspunkte genug finden. Der kiinftige Erzieher wiirde so einen einheitlich geordneten Gedankenkreis in sich ausbilden, in dem alles am richtigen Platze ware und zu einander in Be- ziehung stiinde, wie beim Genie, von dem ich oben sprach. Aber solch ein ideales Seminar wird noch lange ein frommer Wunsch bleiben, und ich will daher nicht naher darauf eintreten. Kehren wir also zur Wirk- Jichkeit zuriick und sprechen wir von dem, was mehr Aussicht auf Ver- wirklichung haben diirfte, also von dem ersten Schritt in der rechten Eichtung.

Es versteht sich, dass auch unter den hiesigen Verhaltnissen eine moglichst griindliche Ausbildung des kiinftigen Erziehers in den ver-

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schiedenen Zweigen der Erziehungswissenschaft angestrebt werden must. Psychologie, Methodik, Ethik und wenigstens die wichtigsten Forderun- gen der Padagogik im engeren Sinne sollten von ihm moglichst griindlich studiert werden. Darauf werde ich nachher zuriickkommen. Den pa- dagogischen Fachern kommen die Gesinnimgsfacher am nachsten, d. h. sie sind fur den Erzieher die wichtigsten naeh der Padagogik, denn ihr Gegenstand 1st der Mensch selber mit seinem Wirken und Leiden, Fiililen und Wollen. Sie haben daher den grossten erzielierischen Wert. Die ver- schiedenen Zweige der Geschichte, die Literatur, und in gewissem Sinne die Sprache, insofern dieselbe als die Schatzkammer oder die silberne Schale angesehen wird, die die kostbarsten Schiitze des Menschengeistes enthalt, oder als der goldene Schliissel zu den unerschopflichen Perlen des menschlichen Herzens, sie alle wirken, im Unterrieht richtig ver- wertet, unmittelbar auf die Gesinnung, das Fiihlen und Wollen, und so- mit auf den Charakter ein, wesshalb eine griindliche Vertrautheit mit ihnen fiir den Erzieher von der grossten Wichtigkeit ist. Der Anwen- dung der Ps}rehologie und Ethik in der Beurteilung historischer Perso- nen oder literarischer Charaktere haben wir schon oben gedacht. Zwischen den padagogischen und den Gesinnungsfachern bestehen so viele direkte und innige Beziehungen, dass sich daraus ganz von selbst eine Haupt- gruppe bildet. Mit der Geschichte steht atich die Kenntnis der Erde im innigsten Zusammenhang, und von den padagogischen und den Gesin- nungsfachern fiihren zahlreiche Faden zu den Naturwissenschaften im weitern Sinne, Zoologie, Botanik, Chemie, Physik, Physiologic und Bio- logic hiniiber und von dort zuriick, so dass die beiden Gruppen einan- der erganzen und beleuchten. Gesang und Musik stehen mit den Ge- sinnungsfachern in Zusammenhang, Eechnen und Mathematik mit der naturwissenschaftlichen Gruppe. Der Handfertigkeitsunterricht findet Ankniipfungspunkte an der Padagogik und Methodik, wenn er im Semi- nar erteilt wird, und die Leibesiibungen an der Physiologic. Auf die an- gedeutete Art Hesse sich in unsern Normalschulen unmerklich, gleichsam als ungezwungene, naturliche Folge eines psychologisch begriindeten Unterrichts, eine Art Conzentration herstellen, die den giinstigsten Ein- fluss auf die spatere Tatigkeit des Erziehers oder Lehrers haben mtisste, dem die richtige Erteilung des Unterrichts sowohl durch sein Fach- studium, als auch durch personliche Erfahrung an sich selber, schon im Seminar gleichsam zur zweiten Natur geworden ware. Ueber die philo- sophische Ausbildung des Lehrers im engeren Sinne des Wortes liesse sich vieles hinzufiigen, aber dies wiirde uns zu weit fiihren. Keligiose Fragen miissen wir in Amerika ganz iibergehen, obschon eine Volkser- ziehung ohne die Hilfsmittel, die die lleligion darzubieten vermochte, ein Problem ist, dessen Lb'sung man nicht leicht finden dtirfte. Wir liatten also, um zu rekapitulieren, in der Normalschule drei Haupt-

Einiges uber die Berujsbildung des Lebrers. 297

gruppen: die padagogischen Facher: Psychologie, Methodik, Ethik, Padagogik im engern Sinne, und giinstigenfalls eine Exkursion in das Gebiet der eigentlichen Philosophic, um die geistige Einheit, soweit dies der Schule moglich ist, anzubahnen; zweitens und in enger Beziehung damit stehend, dieGesinnungsfacher: Geschichte in alien ihren Zweigen, Literatur und Poesie; drittens tritt die Gruppe der naturwissenschaftlichen Facher im weiteren Sinne des Wortes hinzu, wie Geographie, Zoologie, Botanik, Physik, Cheinie, An- thropologie, Geologic, u. s. w. Die formalen Facher haben ohne die an- dern keine selbstandige Bedeutung, aber an der richtigen Stelle sind sie von der grossten Wichtigkeit. Von letztern schliessen sich die Sprachen besonders die Muttersprache direkt an die Gesinnungsfacher an, Rech- nen und Mathematik an die naturwissenschaftlichen. Andere, etwa hin- zukonimende Unterrichtsgegenstande lassen sich leicht an die oben ge- nannten Gruppen ankniipfen. Es wird also leicht sein, auch in der Nor- malschule die Konzentration des Unterrichts durchzufiihren, und ebenso leicht wiirde es sein, die formalen Unterrichtsstufen in ihren Haupt- ziigen Apperception, Abstraktion und Anwendung auf wirkliche oder fmgierte Falle fortwahrend anzuwenden. Auf diese Weise wiirde der kiinftige Lehrer zu einer geistig regsamen, wahrhaft gebildeten Person werden, die sich leicht in jeder Lage zurechtfinden kb'nnte und den Trieb und die Fahigkeit besasse, sich selbstandig weiter zu bilden.

Hier ist wohl auch der geeignete Ort, um der Fremdsprachen zu gedenken. die in der iNTormalschule betrieben werden. Dass der Unter- richt in den sogenannten klassischen Sprachen bei einer zwei- oder drei- lahrigen Studienzeit zu keiner griindlichen Kenntnis derselben fiihren kann, sollte die Erfahrung oft genug be wiesen haben; dieses Stu- dium ware also die reine Zeitverschwendung. Es raubt dem Zb'gling die Kraft und Zeit, die es fur wichtigere Studien so notig hatte, und fiihrt zu keinem wertvollen, gediegenen Wissen. Die alten Sprachen sind auch an unc! fur sich, besonders fur den amerikanischen Lehrer, iiberfliissig, denn unsere lebenden Sprachen enthalten weit wertvollere Wissens- schatze fiir Geist und Herz, als jene alten Pergamente der Griechen und Eomer, und was sie uns mitzuteilen haben, steht dem modernen Bewusst- sein viel naher, als die gallischen Metzeleien eines Casars oder die Helden Homers, die man heutzutage ins Irrenhaus schicken wiirde. Von den modernen Sprachen sollte aber diejenige gewahlt werden, die den Lehrei in seiner Fortbildung am meisten fordern kann; die zugleich eine reiche Literatur aufweist, welche die Kultur- und Geistesrichtung der teuto- nischen Eassen am reinsten darstellt und vom idealistischen Geiste des Fortschritts, des Strebens nach hoheren Zieleh beseelt ist. Von diesem gewiss berechtigten Gesichtspunkte aus betrachtet, kann dabei nur das Deutsche in Betracht kommen. Die slavischen Sprachen mit ihrer ver-

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wickelten Grammatik, ihrer pessimistischen und im Vergleich zum Deutsclien recht armseligen Literatur sind von vornherein ausgeschlos- sen. Von den neulateinischen oder romanischenldiomen wiirde in er- zieherischem Sinne nur das Italienische mit seiner herrlichen, gediegenen Literatur von grossem Werte sein. Doch reicht es nicht an das Deutsche heran. Die spanische Sprache hatte fiir uns einen bedeu- tenden praktischen Wert; aber sie atmet einen Geist, der uns anmutet wie der Wind, der aus alten Griiften kommt. Das Franzosische ist im ganzen steif oder frivol; und wo er moralisiert, da wird derGallier schreck- lich langweilig und unausstehlich. Man denke an die Plattheiten von La Fontaine oder an den haufig hohlen Pathos von Viktor Hugo. Das Deutsche aber, abgesehen davon, dass es eine grosse Zukunft vor sich hat, steht schon wegen seines praktischen Wertes und seiner Verwandt- schaft mit der hiesigen Landessprache im Vordergrunde des Interesses. Wenigstens ebenso wichtig aber sollte fiir die angehenden Lehrer der bekannte TJmstand sein, dass sie unbestritten die besten und zahlreichsten padagogischen Klassiker enthalt, und dass es deutsche Manner waren, denen die modernen Volksschulen und die besten hohern Schulen ihr Dasein verdanken. So bietet die deutsche Sprache gerade auf dem Ge- biete, das fiir die Lehrer das wichtigste ist, die wertvollsten Schatze dar. Aber auch auf andern Gebieten des Wissens und der schonen Literatur linden wir im Deutschen einen Eeichtum, eine Mannigfaltigkeit, Gedaii- kentiefe und Innigkeit, die man in andern alten oder modernen Spra- chen vergebens suchen wiirde. Zudem ist das Deutsche auch sehr pas- send, um das Studium einer alten oder "toten" Sprache zu ersetzen, da es selbst noch teilweise den Charakter einer solchen bewahrt hat und auch durch seine Kraft und Wiirde an die Sprache der alten Bomer er- innert. Zudem wird hierzulande neben dem Englischen keine andere Sprache mehr gebraucht, als die Deutsche.

Was die dem Erzieher unentbehrliche padagogische Ausbildung anbelangt, so sollte sie vor allem recht praktisch sein. Wir haben Lehrer genug uberall, die in allgemeinen Phrasen gar schon liber die Ziele der Erziehung, die Wichtigkeit dieses oder jenes Faches, die Pflichten des Lehrers und der Schule sprechen und deklamieren konnen. Aber wenn wir ins Einzelne gehen, so vermogen sie iiber keinen Schritt, den sie tun, begriindete und genaue Rechenschaft abzulegen. Sie sind nicht einmal imstande, die verschiedenen Arten der Vorstellungen von einander zu un- terscheiden, oder Eeproduktionshilfen zweckmassig zu gebrauchen; sie wissen nicht, wie die Begriffe aus den konkreten Vorstellungen abgelei- tet werden, wie ein Gefiihl oder ein Entschluss entsteht, wie das Wollen durch den Unterricht gebildet werden kann, wie das selbstlose, unmittel- bare Interesse hervorgerufen und angebahnt, wie die Disziplin durch ei-

Einiges fiber die Benifsbilditng des Lehrers. 299

nen zweckmassigen Unterricht erleichtert wird, sie wissen niclit im ge- ringsten, wie eine Lektion richtig bearbeitet, oder wie die verschiede- nen Vorstellungsgruppen mit einander verbunden, das ethische Ilrteil gewonnen, die sittlichen Ideen zur herrschenden Macht in des Zoglings Seele erhoben werden. Ihr Wissen ist blosses Wortgeklingel ohne prak- tischen Wert. Die meisten englischen padagogischen Lehrbiicher be- giinstigen diese Oberflachlichkeit. Da miissen in den englisch-amerika- nischen Normalschulen vor allem neue Bahnen betreten werden, wenn sie wirklich etwas niitzen sollen Theorie und Praxis sollten auch daselbst stets Hand in Hand gehen. Jedes neue theoretische Wissen sollte sofort erprobt und angewendet werden, wenn es nicht toter Ballast bleiben soil. Nehnien wir z. B. an, der padagogische Lehrer hatte mit seinen Studen- ten wahrend des Unterrichts durch konkrete Beispiele und Abstraktion das psychische Gesetz von der ,,Enge des Bewusstseins" gefunden, so sollten die daraus entstehenden Folgerungen in ihren so unendlich zahl- reichen Anwendungen auf das praktische Scliulleben fiir den Unter- richt verwertet werden. Der Normalschuler wird dann bald einseben, wie wicbtig und niitzlich jede neue Erkenntnis fiir ihn ist, und nachdem auf diese Art nach und nach sein unmittelbares In- teresse geweckt worden, wird ihm das Studium zur Lust, und sein einmal angeregter ForschuDgseifer wird nie wieder erlahmen. Das beste Hilfs— mittel fiir den theoretischen Unterricht, um dessen Resultate gleich prak- tisch verwerten zu lernen, ware natiirlich eine Musterschule. Wo eine sol- ohe besteht, muss sich der Seminarist oder Normalschiiler auf jede neue Lektion, die er daselbst erteilen soil, schriftlich vorbereiten, und alles, was er dabei tut oder spricht, jeden seiner Schritte, psychologisch genau be- griinden. Das ist bei der Herbart'schen Psychologic, die mit den einzel- nen Yorstellungen und Vorstellungsgruppen wie mit Individuen und Klassen im Staate rechnet, sehr leicht, nachdem einmal deren Anfangs- griinde bemeistert wurden. Die Kritik, der die Seminaristen von Seite ihrer Lehrer oder Mitstudierenden unterworfen werden, bildet ihren Takt und scharft ihr "padagogisches Gewissen", wie es Ziller treffend nennt. Wo aber eine Musterschule nicht vorhanden ist, liisst sich dem Mangel durch das fingierteHandeln, dasHerbart so kurz und klar charak- terisiert hat^ bis zu einem gewissen Grade abhelfen. Die theoretische Erkenntnis wird nach jeder padagogischen Lektion sofort und auf die mannigfaltigsteArt auf fingierte ,,konkrete" Falle angewendet, wozu eben- falls Praparationen anleiten miissen. Auch bei diesen Anlassen kann die Kritik ihre heilsame Tatigkeit ausiiben. Wenn ich von Kritik spreche, meine ich natiirlich sachlich begriindete Kritik, nicht wertloses Ge- schwatz, wie es so oft bei unsern modernen ,,Schongeistern" vorkommt, also keine fade Geistreichelei. Auch dieses fingierte Handeln kann prak- tisch tiichtige Lehrer bilden, die sich dann, wenn sie eine wirkliche

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•Schule iibernehmen, sehr bald zurechtfinden. Die Hauptsache bleibt im- mer, dass der angehende Lehrer sich seine Kenntnisse, so weit sie reichen, moglichst griindlich angeeignet hat. Dann wird er bald auch praktische Tiichtigkeit zeigen, wenn er korperlich und geistig gesund ist. Wie vie] aus dem fast unerschopflichen Schatz padagogischen Wissens dem Nor* malschiiler mitgeteilt werden soil, hangt von der Studierzeit und andern Umstanden ab. Vor allem sorge man dafiir, dass eine moglichst griind- liche Kenntnis der verschiedenen Yorstellungsarten, ihrer Yerbindung, sowie der Eeproduktionsgesetze, der Begriffs- und womoglich der Wil- lensbildung, sowie die praktische Verwertung dieser Kenntnis nicht fehle. Schon die Fahigkeit, die verschiedenen Vorstellungsarten in kon- kreten Fallen schnell von einander zu unterscheiden, findet sich ziemlich selten. Aehnlich steht es mit den andern erforderlichen Kenntnissen, sobald man die Seminaristen auf die Probe stellt. Fleissiges Ueben ist unerlasslich. Griindlichkeit ist der Yollstandigkeit weit vorzuziehen. War der Normalunterricht praktisch und griindlich, so wird das spatere Selbstudium sehr vieles erganzen. War aber der Unterricht oberflachlich, so wird das Selbstudium nur in sehr seltenen Fallen im Ernst betrieben werden und auch hochst selten etwas niitzen.

Ueber das blosse Spielen mit Worten gilt auch noch heutzutage die geheimnisvolle Drohung:

,,Weh' dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld, Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein."

So weit der Unterricht in den padagogischen Fachern in Betracht kommt, sollte sich also die Normalschule zimachst auf das Einfachste und Not wend igste beschranken, um es desto sicherer und griindlicher rlurchfiihren zu konnen. Aber auch in Bezug auf die andern Facher sollten daselbst die gleichen Grundsatze gelten. G'eschichte z. B. sollte nur in ihren fiir die Entwickelung der Menschheit wichtigsten Perioden behandelt werden, und das Kulturgeschichtliche in den Yordergrund tre- ten. Die Poesie, besonders die epische und dramatische, wird das Yer- standnis historischer Ereignisse, Zustande und Personen erleichtern. ,,Ge- schichtsperioden, die kein Meister beschrieb, deren Geist kein Dichter atmet, haben fiir die Erziehung wenig Wert", sagt Herbart in seinen klassischen padagogischen Aphorismen. Ebenso sollte die Naturerkennt- nis in alien ihren Zweigen mehr dazu dienen, das gesetzmassige, einheit- liche Leben in der Natur und dessen wichtigsten Erscheinungen dem Ver- standnis des Studenten niiher zu bringen, als letzterem ausfiihrliche, oft unzusammenhangende Detailkenntnisse aufzubiirden. Eechnen und Ma- thematik konnten ohne Schaden zugunsten realer Facher beschnitten werden. Alle Unterrichtsfacher sollten in der Normalschule vor allem dazu beitragen, den Lehrer fiir seinen Beruf moglichst tiichtig zu machen

Einiges tiber die TSerufsbildung des Lebrers. 301

und ilin zugleich so weit als tunlich in das Verstandnis des Menschen- und Naturlebens einzufiihren. Nur so weit sie dies tun, haben sie fur ihn wirklichen Wert. Ein zweckmassiger, einfacher Unterricht im Se- minar, der nicht auf blosse Schaustellung und Effekt bereclmet ist, muss angestrebt werden. Hier musste ich mich natiirlich auf einige kurze An- deutungen beschranken und mit absichtlicher Vermeidung jedes hierzu- lande so beliebten rhetorischen Schmuckes streng bei der Saebe bleiben, wesshalb mein Vortrag etwas trocken erscbeinen diirfte. Aber wer beim Lesen desselben durstig geworden ist, wird wobl keine Scliwierigkeit ha- . ben, etwas Nasses zu finden.

Erlauben Sie mir zum Schlusse noch ein paar allgemeinere Be- merkungen. Die bessere Normalschulbilduug hat f iir uns Deutsche noch eine besondere Bedeutung. Erstens wird kein Lehrer imstande sein, einen gedeihlichen deutschen Unterricht zu cr- teilen, falls das Deutsche in unsre Volksschulen eingefiihrt wird, der nicht selber eine tiichtige praktische Ausbildung erhalten hat. Darin liegt fiir uns eine grosse Gefahr. Wenn das Volk sieht, dass beim deutschen Unterricht nichts herauskommt, wird es ihn wieder, als nutzlosen Ballast, iiber Bord werfen. Je besser der Unterricht im Deutschen hierzulande erteilt wird, desto hoffnungsvoller diirfen wir in die Zukunft schauen. Zweitens wiirde bei Einfiihrung der vorgeschlagenen ,oder ahnlicher Ee- formen das amerikanische Volk mit deutscher Bildung und deutschen Bestrebungen besser bekannt. Es wiirde unsere Kultur holier achten, in das Geistesleben unsrer Dichter und grossen Denker tiefer eindringen, und dies wiirde sowohl dem Anglo- Amerikaner als dem Deutschen zum grossten Yorteil gereichen. Der gesunde deutsche Idealismus wiirde ein hoheres geistiges Leben anbahnen.

Wir diirfen bei unsern Bestrebungen nicht vergessen, dass im tiich- tigen Idealen auch das wahrhaft Eeale und Praktische liegt und umge- kehrt. Ohne Idealismus ist keine wirklich praktische Arbeit oder Wirk- samkeit, kein edleres Geistesleben moglich; und ohne praktischen Sinn, ohne "gesunden Menschenverstand", wiirde der Idealismus in blosse Utopien ausarten, woran es uns heutzutage wahrlich nicht fehlt. Beide gehoren unzertrennlich zusammen, und nur wer b e i d e s, ideale Ge- sinnung und praktischen Verstand, in sich vereinigt, ist geistig gesund. Wenn wir dies im Auge behalten, so werden wir nicht erwar- ten, dass unsere Bestrebungen so fort Friichte tragen. Ein falscher Optimismus ist ebenso verderblich, wie der iibertriebene Pessimismus. Auch der erstere kommt schliesslich dahin, alles aufzugeben und sich vom Jvampfe zuriickzuziehen. Nur der achte, praktische Idealismus lasst sich nicht entmutigen, weil er nichts fiir sich von der Aussenwelt envartet. Er weiss: nur Schritt fiir Schritt, indem ein praktisches, erreichbarcs Ziel nach dem andern verfolgt und

302 Padagogische Monatshefte.

schliesslich erreicht wird, 1st ein gesunder, dauernder Fortschritt moglich. Auch die Natur hat ja Millionen von Jahren gebraucht, um den gegen- wartigen Standpunkt der Entvvickelung zu erreichen, und was die Menschheit im besonderen anbelangt, so steht sie trotz ihrer altklugen Miene wolil erst am Anfang ihrer hoheren geistigen Kulturmission, wenn wir wenige bevorzugteGeister davon ausnehmen, die den andern vielleicht um Jahrhunderte voraus sind. Wir sind noch weit entfernt von den Leit- bildern, die unsern grossten Denkern und Dichtern vorschwebten. Da aber die Zeit unendlich ist, diirfen wir die weitere Entwickehmg ruhig ubwarten. Die Yolker miissen vorwarts schreiten, selbst wenn sie nicht wollten, oder sie gehen zu grunde. Da gibt es fur jeden Arbeit genug, der sein ,,Sandkornchen zum grossen Bau der Zeiten" beitragen will. Wer indessen am "Werke des Fortschritts aus Eigennutz oder Ehrgeiz mitarbei- tet, zeigt dadurch, dass er nichts ist, als ein grosses Kind: Bitterkeit, Schmerz, Enttauschung und ein verlorenes Leben werden in der Kegel sein Loos sein. Wer dagegen ohne an sich selbst zu denken, ohne auf baldigen aussern Erfolg zu rechnen, aus innerem Triebe und Pfiichtge- f iihl sich der grossen Sache des Fortschritts widmet, der wird in der Regel zwar auch nicht viel Anerkennung ernten, aber er findet den reichsten Lohn in dem begliickenden Bewusstsein, sein Bestes getan zu haben. Der a u s s e r e Misserf olg ist oft ein i n n e r e r Erfolg. Das Wohl und Wehe des Menschen hangt ja imgrunde von seinem eigenen Gemiite ab, wie wir schon oben gesehen. Diese Wahrheit wird sich dem Einzelnen und der Menschheit immer wieder aufdrangen, so oft noch Perioden eintreten mogen, wo der Utilitarismus das Scepter halt. Da aber die Erziehung unmittelbar auf den Geist einwirkt, von dessen Zustand des Menschen Lust und Leid in erster Linie abhangt, so ist sie wohl die wichtigste Frage, die wir kennen, und die Losung dieser Frage wiirde fiir die Menschheit eine neue, gliickliche Zukunft bedeuten. Wer fiir eine bessere Erziehung und Volksbildung wirkt, steht daher im Dienste des hochsten uns bekannten Ideals; aber nur Geduld, Liebe zur Sache und selbstlose Hingebung fiihren die Kampfer fiir dieses Ziel einst zum Siege.

Remarks on the Direct Method of Teaching German.*

By Prof. Warren W. Florer, Fh. D., Univers ty of Michigan, Ann Arbor, Mich.

"Ich .weiss es, der Mensch soil

Immer streben zum Bessern; und, \vie wir sehen, er strebt auch Immer dem Hoheren nach, zuni wenigsten sucht er das Neue. Aber gent nicht zu weit! Denn neben diesen Gefiihlen Gab die Natur uns auch die Lust zu verharren im Alten, Und sich dessen zu freun, was jeder lange gewohnt ist."

One of the most interesting tendencies of recent years is the forced Recognition of contemporary thought, and especially in College circles. "Why the men at the head of many of the departments in the lines of literature persist in remaining years behind the times seems almost unexplainable. Instead of opening the eyes of their students to the truths which fill the very atmosphere they inhale, they are busy as beavers in endeavoring to dam the irresistible current of developement. This is especially true in the field of modern language, and we of the Germanic faith are not without sins of commission and omission.

Under the present condition it is impossible to have any definite goal towards which we should labor. The German born and educated will of necessity be imbued with ideals which the average American can not understand and which sometimes are in direct opposition to the customs of certain communities. These ideals meet a stubborn resist- ance, for nothing is so obstinate as prejudice based on ignorance. The natural result is that the community goes to the opposite extreme and endeavors to block every thing that might savor of German ideals. And this is fatal to the development of the community. Either German is not taught at all or taught in order to fill the paper requirements of the colleges by a teacher who is absolutely ignorant of any phase of her subject, or by a teacher who can do nothing more than drill set para- digms and listen patiently to a so-called translation.

And here is the point where many College teachers are fault. Be- cause th^y, under the pretence of conservation or for the sake of self- preservation, foster the petrified traditions and continue to bring forth generation after generation of fossilized teachers. No wonder that a Tolstoi has stated that the primary fault of our education is that the teachers are dead before they begin to teach. On the other side we have a diversified confusion of natural methods which are intended to

*) This paper, which might be entitled ,,Eine Kombination der tfber- lieferung", is merely an abstract of a plan, the execution of which is being rendered difficult by the accumulation of material.

304 Padagogiscbe Monatshefte.

bring forth immediate results, a condition of affairs Just as deplorable as the first mentioned. The entire object of these methods is a super- ficial smattering of a few daily phrases.

Such are the two extremes which you will meet in visiting our schools. And between these extremes you will find various phases. The great problem is where should the center of gravity be. First of all we must catch the main current of education.

N"o one can deny that the primary object of education is to develop the power of thinking. Accordingly our entire forces should be directed to give to the youth that equipment which will best prepare him for in- dependent development in after life. In our field the ultimate end should be broad humanistic literary interpretation, and all our endeavors should center upon this goal.

The problem then is how can we lay the strongest foundation for literary interpretation? What are the most certain methods? And here we are divided. However all agree that we must awaken feeling for the language before the literature can be understood. In recent years, as you have heard and read, a great reaction has taken place in the teaching of modern languages, due mostly to the commercial demands of the times, and we see a tendency which is a great progress in the methods of instruction. The instructing must be done in German to accomplish the crying needs. It is not my purpose to repeat the advantages of this method in giving the student the best working vocabulary and a practical control of the essentials of the grammar.

I wish to go one step farther in the carrying out of this method of instruction and emphasize the importance of the direct method in literary instruction. I do not pretend to give you any fixed results. That would mean that the method had become wooden. Nor do I claim to bring any definite original method, as that would be dishonest and would indicate an ignorance of the history of pedagogy and of the tendencies in Germany and America. I desire to give a few of my sources before mentioning my plan.

In Luther's pamphlet "von Schulen" we find the following: When

the scholars have learned to read certain beginning material "So sie

dis kiinnen, sol man jnen den Donat vnd Cato zusammen fiirgeben. Den Donat zu lesen. Den Cato zu exponiren. Also, das der Schulmeister einen vers odder zween exponire, Welche die kinder darnach zu einer andern stunde auff sagen, das sie dadurch eynen hauffen Lateinischer wort lernen vnd einen vorrat schaffen zu reden. Darinnen sollen sie geiibet werden so lange, bis sie wol lesen kiinnen. Daneben sol man sie leren schreiben vnd treiben, das sie teglich jre schrifft dem Schulmeister zei- gen. Damit sie auch viel Lateinischer wort lernen, sol man jnen teg- lichs am abent etliche wb'rter zu lernen fiirgeben, wie vor alter diese weise

Remarks on the Direct Method of Teaching German. 305

Jnn der Schnlen gewest ist." They progress from book to book. The daily home work is increased to "einen Sentenz ans einem Poeten odder andern (Meister), den sie morgens wider auffsagen". Along with the reading "sol der Preceptor etliche nomina vnd verba decliniren vnd fragen auch die kinder die regel vnd vrsach soldier declination. Wenn auch die kinder haben regulas constructionum gelernet, sol man auff diese stunde fodern, das sie, wie mans nennet, Construirn, Welchs seer fruchtbar ist vnd doch von wenigen geiibet wird." As they proceed from text to text Luther insists on grammar drill "Denn wo solchs nicht ge- schicht, ist alles lernen verloren vnd vergeblich." ,,Es sollen auch die kinder solche regulas Grammatice auswendig auffsagen, das sie gedrun- gen vnd getrieben werden, die Grammatica wol zu lernen." Luther would dismiss all teachers who neglect this work. As the scholar progresses he increases the outside work and assigns psalms to be learned, as many of us assign poems. Finally Luther requires the scholars to prepare original work, as letters or verses "Denn die selb vbung ist seer fruchtbar, anderer schrifft zuuerstehen. Machet auch die knaben reich

an worten vnd zu vielen sachen geschickt." He closes by saying

"Es sollen auch die knaben dazu gehalten werden, das sie Latinisch reden. Vnd die Schulmeister sollen selbs, so viel miiglich, nichts denn Latinisch mit den knaben reden, dadurch sie auch zu solcher vbung gewonet vnd gereitzt werden."

Such are the principles which the great linguistic master has esta- blished. But in spite of these truths proclaimed centuries ago, the modern language teachers have too often travelled in the olden rut. One may say even in this connection "Luther, du grosser verkannter Mann!"

L e s s i n g, in various letters, has mentioned the impossibility of translating until one has acquired the power "dem Originale nachzuden- ken". But in spite of this impossibility one sees High School teachers encouraging their scholars to translate "Hermann und Dorothea" and College professors listening to an "aufsagen" of miserable attempts. Schiller has given us an insight into his method of work when speaking of his translation of Virgil in a letter to Kb'rner, April 10, 1791. "Es ist aber beinahe Originalarbeit, weil man nicht nur den la- teinischen Text neu eintheilen muss, um fur jede Stanze ein kleines Ganze daraus zu erhalten, sondern weil es durchaus nothig ist dem Dichter im Deutschen von einer andern Seite wiederzugeben, was von der einen unvermeidlich verloren geht." Goethe has in numerous places expressed his method of studying literature and languages: "Lesen, Exponiren, Grammatik, Aufsagen, Hersagen von Wb'rtern dauerten sel- ten eine vollige halbe Stunde; denn ich fing sogleich an, auf den Sinn der Sache loszugehen." He sought for "den Zusammenhang, denn darauf

306 Padagogische Monatsbefte.

kommt doch eigentlich alles an." "Wie das zugehe: war jetzt mein An- liegen." "Ich studirete das Stuck ganz in mich hinein, ergriff alle Eol- len und lernte sie auswendig " etc., etc.

The more I began to investigate the more I discovered that all the great poets and thinkers cherished the same thoughts. If then this is the process of the leaders of literature, why should not the teachers of literature profit by their example? This was the question which naturally asserted itself.

I started to combine the fundamental thoughts of the modern methods with the processes of our great teachers and poets. This com- bination of the Uberlieferung with the present tendencies has no limit but grows and grows. It involves unceasing labor, but so does everything which bears results. "Wo auch den Schulmeister solcher arbeit verdreus- set, wie man viel findet, sol man dieselbigen lassen lauffen vnd einen an- dern suchen der sich dieser arbeit anneme."

The problem of material is a very difficult one. Material must be se- lected which will give the best foundation for all possible demands, whether they be commercial or literary. At the same time this material must at least correspond to the development of the scholar's mind and not be too difficult to grasp in a foreign language. And here again I fol- lowed the private examples of our best scholars of German literature and introduced the German Bible. No one can deny that the German Bible is the font from which all German poets from Luther to Gustav Frenssen have drawn inspiration. Luther's greatest work is more potent today in Germany than ever before. In a short time the scholars can ac- quire a large vocabulary and a fund of the greatest thoughts which man has ever received. On this foundation they can base their future work. The scholars can begin to read at the very first, or as soon as they have studied the verbs. I know that we must overcome a mountain of prejudice, but the tendency towards a broader conception is evident, and it is our duty to assist in this great work. Our country is beginning to realize that moral strength depends upon broad education. Therefore to deprive the youth of the country of his educational right is to undermine his moral development.

With this equipment the scholar can enter the study of literature corresponding to his age and tastes. The problem of material again asserts itself. I would select modern literature, which to a certain extent reflects the German customs. Upon this one can base the conversation exercises. In this way neither side of the present demands would be neglected.

Then I would select texts which gradually lead up to the Classics, as 1'Arrabbiata, Riehl's Kulturgeschichtliche Novellen, Burg Neideck, for example. By the time the student has reached the classics he has

Remarks on the Direct Method of Teaching German. 307

obtained a fair working vocabulary, provided tbe teacher has insisted upon the use- of German from the very beginning. Of course his German is not without mistakes in the very essentials, but infinitely better than according to the old ways of instruction.

Then I would take up the Classics, but along with the Classics I would have the scholars read some of the modern dramas so that they could notice the trend of the development in this line, laying especial stress upon the social condition as reflected in the literature. This gives an excellent opportunity for talks in simple German on German life and thought.

The problem of the application of the direct method to literature is a most difficult one, and each teacher will have his own particular so- lution. However, if one follows the methods of Luther, Lessing, and Goethe he must obtain results. The students should prepare the lessons, even from the very beginning, so as to be able to re- cite without the books. This plan at once offsets the objection which may truthfully be made to the usual application of the direct method loose preparation. This plan requires the most accurate preparation and is not easy, but the German language is not a simple one and can not be learned by dwelling on kindergarten or nursery methods. Two objections have been raised to this plan First, a student is not able to read so many pages as according to the translation method. Let Luther answer "dann viel biicher machen nit geleret, vil lesen auch nit, sondern gut ding und oft lesen, wie wenig sein ist, das machet geleret in der schrift". Second it is mechanical: this objection is more apparent than real. It is true, that the learning of any language is mechanical and slow at first, but all accurate foundation is of slow growth. I always feel tempted to ask a translation man "why beholdest thou the mote that is in thy brother's eye but considerest not the beam that is in thine own eye?"

I will outline in short the general plan used with the last book we read in the first year class 1'Arrabbiata First the scholars read the book to obtain the outline then they read the book again with more accurate study. Then we took each character separately (in the first readings the scholars checked in the margin of the book the passages referring to the different characters, so that when they glanced through the book it was easy to collect the material for study). They began to see the re- lations. They next took up general episodes and topics. We reviewed the book again, but this time the scholars conducted the recitations by asking questions to bring out the story this was repeated. (In order to further this study a guide was published which was later included in an edition of this book. A similar guide to Burg Neideck is published by Wahr of Ann Arbor.) Along with this they had a rigid grammar drill.

308 PMdagogiscbe Monatshefte.

I may add that a few of the weak students could not entirely grasp the plan, due mostly to the fact that they had never tried to remember the contents of a book, but the work of the class as a whole was a valuable lesson to them.

The principal advantages of this plan are: the scholar has acquired a working vocabulary of words, idioms and phrases; has become freed from incessant use of the ^dictionary; has started to ascertain the mean- ing of words from the context, and has been compelled to remember the thoughts of the book in short has learned to read a book directly.

The work on the dramas is along the same general lines, only more stress is put on the development. Take Egmont for example. The students learn the exposition nearly by heart, as they should in studying any drama. It is absolutely necessary to master the exposition before one can appreciate the work of the poet. However commonplace such a remark may sound, this factor is almost always neglected, judging from the preparation of the students. Doubtless some teachers have told their students this a dozen times, and they may have written learned lectures on the nature of the drama, according to out-of-date theories, but they have never taken their students to the sources for independent study. Perhaps they have led them like horses to water and have tried to make them drink, but either the students were not thirsty, or the water had lost its savor by standing in the old trough, or was made roily by for- eign substances.

The fact remains that the students must learn the exposition and they must learn it directly. First of all we must remember what Goethe paid of the teacher "his only task is to awaken feeling". This can not be done by translation or by explanation. The student must first learn what is contained in the exposition before any explanation will be understood. Or the most he can possibly do is' to accept what the teacher dictates "friss Vogel, oder stirb!"

The entire first scene should be read, then re-read so as to obtain the "Zusammenhang". Then each character should be studied. The surest plan is to have the students copy the speeches of each character so as to have the material all together. Then they can obtain a clearer conception of the characters. If they once understand the characters they can re- member better what each one will say under the circumstances which may arise. They will also catch the "Stimmung,, of the scene. Then topics should be assigned, as Regierung, Religion, Krieg; these may be subdivided, e. g. under Religion Bischofe, Psalmen, Inquisition, die neuen Prediger. Then have the students collect what is said about Margarete, Oranien, and finally Egmont. By this time they have learned the scene without committing it. The students are prepared to proceed to the next scene. (In the meantime have the class read ahead as far as

Remarks on the Direct Method of Teaching German. 309

possible). The second scene is studied in the same manner. Material for the different topics is continually added, and especially material on the characters, above all on Egmont. Then the connecting threads of the scene are studied, e. g. in the first scene Soest mentions the kind of rulers the people wish Machiavell does the same thing. The Bischofe are referred to in both scenes. In the first scene Oranien and Egmont are mentioned separately, in the second they are brought together. The opinion of the people in regard to Egmont is repeated, etc. etc. And so they proceed in the study of the drama.

When they have finished the drama they study different groups of scenes, as the burger-scenes, the regent-scenes etc. Gradually the student begins to see "dass es ist mit der Gedankenfabrik, wie mit einem Weber- meisterstiick, wo ein Tritt tausend Faden regt, die Schifflein heriiber, hiniiber schiessen, die Faden ungesehen fliessen, ein Schlag tausend Ver- bindungen schlagt." Er hat nicht nur die Teile in seiner Hand sondern auch sogar das geistige Band. And Egmont is to him not a series of disconnected scenes, but a living drama which knows but one funda- mental law the unity of the development of human life.

But such interpretation must rest upon a living basis, and this basis is the direct method in the broadest meaning of the word. The students slowly but surely gain an appreciation of the German language and literature. As they proceed from play to play, from author to author, from period to period they can review the "zuriiekgelegten Weg", and if they turn around they have an "Aussicht". They have been initiated into the most essential of all, namely into the evolution of thought.

At first the teacher may make mistakes. But every successful man learns more from his mistakes than from his passive virtues, more from practice than from theoretical study. That which in the distance seemed to be a steep road is but an interesting slope. If you become discouraged, the pleasure of climbing higher will refreshen you. Back of all you have a living growing method which enlivens the man and thus the teacher and then the class. The life of the class will reflect. Along with practical drill in paradigm- «ud syntax with live composition you have awakened the students to search directly for the thoughts underlying the words, and that is the ultimate aim of all instruction. Von dem Erziehungsrecht, das mit den Schiilern geboren, ist die Eede.

Umschau.

Vom Lehrerseminar. Am 7. Sept. d.J. fand die Aufnahmepriifung zum Eintritt in das Nat. Deutscham. Lehrerseminar statt, und am darauf- folgenden Tage wurde der neue Kursus mit 6 Schiilern in der Unter- klasse, 12 in der Mittel- und 14 in der Oberklasse eroffnet.

Herr Seminardirektor Emil Dapp- rich, der bereits Ende Juli von seiner Urlaubsreise zuriickkehrte, ist leider noch nicht gekraftigt genug, um die Arbeit an der Anstalt aufnehmen zu konnen, und erhielt deshalb eine Ver- langerung des Urlaubs. Die Herren Oscar Burckhardt und Max Griebsch sind bis zu seiner vollstandigen Ge- nesung mit seiner Vertretung be- traut worden.

Das Seminar schloss seinen letzt- jahrigen Kursus am 24. Juni, nach- dem an den drei vorhergehenden Ta-

fen das miindliche Abgangsexamen er Abiturienten abgehalten worden war. Die schriftliche Priifung hatte bereits Mitte Mai stattgefunden, und die Arbeiten der Schiiler waren den Mitgliedern der Examinationsbe- horde zur Durchsicht zugesandt worden. Auf Grund der bestande- nen Priifung wurden folgenden Abi- turienten gelegentlich der Schluss- feier vom Prasidenten des Seminars, Herrn Dr. Louis Frank, die Abgangs- djplome terteilt: John Andressohn, Eugenia Bechtner, Wanda Buetow, Alma Frahm, Gertrude M. Fuhr- mann, Else Grebner, Paula Grebner, Lilla Krull, Emma Loos, Victoria Lueders, Doris Rose und John Stuckert.*)

Aus den Verhandlungen der am 26. Juni im Seminargebaude stattge- habten Generalversammlung des Se- minarvereins ist hervorzuheben, dass fast alle Berichte der Beamten*) eine Beschrankung des Stundenpla- nes und des Lehrstoffes des Seminars forderten, um der gegenwartig be- fctehenden Uberbiirdung zu steuern.

*) Der ausfiihrliche Bericht der Seminarpriifungskommission befin- det sich im Protokoll iiber die Verhandlungen des Lehrertages zu Erie, Pa.

*) Siimtliche Berichte der Beamten befinden sich im Wortlaut in deui vor kurzem zur Veroffentlichung ge- laneten Jahresbericht des Seminars. Derselbe steht auf Wunsch unent- geltlich zur Verfiigung.

Es gelangte ein Beschluss zur An- nahme, nach welchem der Ortsaus- schuss des Lehrerseminars beauf- tragt wurde, im Verein mit der Fa- kultiit des Lehrerseminars und dem Vorort des Turnerbundes die Lehr- pliine der beiden Anstalten, des Leh- rer- und des Turnlehrerseminars, einer griindlichen Priifung zu unter- ziehen und eine rationelle Kiirzung derselben, ohne Beeintrachtigung der Leistungsfahigkeit vorzimehmen.

Auf Empfehlung des Nominations- ausschusses warden die folgenden Mitglieder des Verwaltungsrates auf die Dauer von drei Jahren gewahlt: C. C. Baumann, Davenport; C. O. Schonrich, Baltimore; Hermann Lie- ber, Indianapolis; Albert O. Trostel, Milwaukee, und Albert Wallber, Mil- waukee. Als Nachfolger von Henry Mann wurde Carl Penshorn von Mil- waukee auf die Dauer von zwei Jah- ren gewahlt.

Der Verwaltungsrat wahlte die nachstehenden Beamten fiir das kommende Jahr:

Dr. Louis F, Frank, President.

Fred. Vogel, Vize-Prasident.

Albert Wallber, Sekretar.

Albert Trostel, Schatzmeister.

Finanzkomitee: Fred. Vogel, jr., Carl Penshorn.

Lehrerausschuss: B. A. Abrams und Louis Schutt, Chicago.

Herr C. O. Schonrich, Baltimore, wurde zum Delegaten fiir die iin Mo- nat September in Baltimore statt- findende Konvention des Deutscham. Nationalbundes ernannt.

New York. Der deutsche Unterricht in den offent- lichen Schulen New Yorks ist nun doch trotz aller energischen Proteste seitens seiner Freunde, die sich bei Aveitem nicht bloss aus den deutschen Kreisen, sondern zum grossen Teile aus den gebildeten angloamerikanischen Kreisen der htadt rekrutierten, vom Schulrate auf das 8. Schuljahr beschrankt wor- den, wo er als fakultatives Studium mit Franzosisch und Stenographic in Konkurrenz treten muss. Das ,,School Journal" benutzt den Kampf in New York zu einem allgemeinen Kreuzzuge gegen den deutschen 6prachunterricht in den offentlichen Schulen. Die Griinde, die es gegen denselben ins Feld fiihrt, sind un- gefahr dieselben, wie wir sie aus den Kreisen der ,,Know-nothings" zu ho-

Umschau.

311

ren gewohnt sind; auf die von uns inainer und imrner wieder hervorge- hobenen allgemein padagogischen Griinde fiir die Notwendigkeit der Aufnahme einer zweiten Sprache in unser offentliches Schulwesen gane abgesehen von derZusammensetzung der Bevolkerung beziiglich ihrer Na- tionalitiit geht das , , School Jour- nal" nicht ein, oder ferligt sie als von einseitig interessierten Personen ausgehend kurzerhand ab. Es ver- lohnt sich daher fiir uns nicht, noch einmal den Kampf aufzunehmen; wer sich nicht bekehren lassen will und starr bei seiner vorgefassten Ansicht beharrt, dem kann man die besten Argumente bis in a lie Ewigkeit vor- predigen, ohne dass sie irgend einen Eindruck hinterlassen \verden. Wenn aber ein Herr P. Kreuzpointer in Altoona, Penn., dessen Wiege in Deutschland gestanden und der dort auch seine Erziehung genossen hat, sich berufen fiihlt, in den Spalten des ,,School Journal" seiner Befrie- digung iiber die Handlungsweise des New Yorker Schulrates Ausdruck zu geben, so kann uns der Mann nur leid tun; er mag sich ,,eine ehrenhafte Stellung in wissenschaftlichen Krei- isen erworben" haben, von erzieh- lichen Fragen aber soil er seine Hande ablassen, denn da hat er noch manches zu lernen.

Indianapolis. Herr Carl E. Emmerich, Prinzipal der ,, Manual Training High School" von Indiana- polis, beging am 25. August sein 30- jahriges Lehrerjubilaum. Seine zahl- reichen Freunde und Schiiler veran- stalteten zur Feier des Tages eine solenne Festlichkeit, die ausseror- dentlich harmonisch verlief und kund tat, wie grosser Liebe, Achtung und Verehrung sich der Jubilar in seiner zweiten Heimatsstadt erfreut. (Auch wir schliessen uns den Gratulanten an und wiinschen dem verehrten Ju- bilar Wohlergehen und weiteren Er- folg in seinem Berufe. D. R.)

Urteil iiber Amerika. Im ,,Deutschen Reichsanzeiger" ist fol- gendes zu lesen: Im Gegensatz zu den europaischen Kulturstaaten, in deren Budgets dieAufwendungen fiir Schulen hinter den fiir die Landes- verteidigung erforderlichen hohen Ausgaben naturgemass \veit zuriick- treten, betragen in der nordamerika- nischen Union die staatlichen Aus- gaben ftir Bildungszwecke ein Viel- faches derjenigen fiir Heer und Flotte. Die Vereinigten Staaten ge-

ben fiir ihre Schulen jetzt jahrlich so viel aus wie Deutschland, England und Frankreich zusammen fur ihre Kriegsmarinen. Das Volksschulbud- get hat sich seit 1870 verdreifacht. Dazu kommen bekanntlich riesige Privatspenden fiir Uiiterrichts- zwecke: in den letzten 10 Jahren 115 120 Millionen Dollars! Die Ame- rikaner sind als ,,praktische Leute" bekannt. Sie werden also ganz sicher wissen, warum sie ihr Geld ,,in Schu- len anlegen". (Wenn nur auch das Geld immer an dem richtigen Platze verwendet werden mochte und haupt- sachlich auch die Volksschule etwas von dem Segen erhielte! D. R.)

Roseggers Dank. Peter Ro- segger veroffentlicht fiir die vielen Gliickwiinsche und Widmungen zu seinem 60. Geburtstage (u. a. ist er anlasslich des Jubilaums der Heidel- berger Universitat zum Ehrendoktor in der philosophischen Fakultat er- nannt worden) eine Danksagung, in welcher es heisst: ,,In jungen Jahren habe ich mir gedacht, welch ein ko- nigliches Gefiihl das sein miisste, auf aieser Welt mehr zu geben als zu empfangen, der Menschheit Schuld- herr zu sein. Zeitweilig schien es, als ware diese stolze Wiirde mir be- schieden. Und nun, in meinen alten Tagen bin ich so tief in Schulden ge- raten! Das, was ich jetzt empfangen,

kann ich nimmermehr bezahlen

Der Geburtstagsgruss ist ein brau- sendes Lied geworden, wohl ein Jahr lang werde ich zu lesen haben daran, was in diesen marchenhaften Tagen freundlich, liebreich und schon an und iiber mich geschrieben worden ist. Anzengruber hat ein- mal seinen Geburtstagsgratulanten versprochen, er wolle fleissig dafiir dichten. Sollte der Dank von unser- einem nicht besser darin bestehen, das Dichten endlich sein zu lassen? lea kann nichts versprechen. Lasset tmich jetzt nur innig danken, von dieser Stelle aus und nach alien Sei- ten hin, jeder Korperschaft und je- dem Einzelnen danken fiir alle Grii- sse, fiir -alle Spenden, fiir alle Ehr- ungen fur alle Liebe. Und dann lasset mich wieder zuriickkehren zu mir selbst! Krieglach, 6. August 1903. Peter Rosegger."

Berlin zahlt z. Z. 264 Gemein- deschulen mit 4052 ordentlichenLehr- kraften, wovon 400 katholisch und 51 jiidisch sind. Die durchschnitt- liche Besetzung einer Klasse betragt 47,88.

Briefkasten.

K. St., M a n i t o w o c, W i s. Sie fragen, ob wir den Gillanschen An- griff auf den deutschen Unterricht in unseren offentlichen Schulen (Western Teacher, May 1903) erwi- dern werden. Wir halten solches nicht fiir notwendig und auch fiir unerspriesslich. Prof. Gillan steht auf der Seite derer, die die Ent- wickelung unseres Landes als abge- schlossen betrachten und daher glauben, alles Neue und Fremde bis auf die letzte Spur absorbieren zu konnen. Wir dagegen erblicken ei- nen grossen Segen in der Tatsache, dass unsere Nation noch im Werden begriffen ist, und versuchen deshalb, auch unsererseits Bausteine zu dem

grossen Ban dena amerikanischen Volkscharakter herbeizutragen, weigern uns jedenfalls, uns so ohne weiteres absorbieren zu lassen. So lange Prof. Gillan der sogenannten ,,angelsiichsischen" Kultur das Wort redet, ist jede weitere Diskussion verlorene Liebesmuhe. Wir empfeh- len ihm aber, die goldenen Worte unseres lieben Ferren in diesem Hefte zu lesen. Vielleicht ware es ihm moglich, sich in unseren Gedan- kenkreis hineinzudenken; dann wiir- den wir auch iiber die padagogische Beite der Erteilung des deutschen Bprachunterrichts mit ihm ins Reine kommen.

Eingesandte Biicher.

Essentials of German by B. J. V o s, Associate Professor of German in The Johns Hopkins Uni- versity. New York, Henry Holt & Co., 1903. Price 80 cts.

Goethes Egmont. Edited with introduction and notes by Robert Walter Deering, P h. D., Professor of Germanic Lang- uages in Western ReserveUniversity. New York, Henry Holt & Co., 1903. Price 60 cts.

Allerhand Sprachdumm- h e i t e n. Kleine deutsche Gramma- tik des Zweifelhaften, des Falschen und des Hjisslichen. Ein Hilfsbuch fiir alle, die sich offentlich der deut- schen Sprache bedienen, von G u - s t a v W u s t m a n n. Dritte ver-

mehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig, F. Wilh. Grunow, 1903.

Agriculture for Begin- ners by Charles William B u r k e 1 1, Professor of Agricult- ure, and Frank Lincoln Ste- vens, Professor of Biology, and Daniel Harvey Hill, Professor of English in the North Carolina College of Agriculture and Mechanic Arts. Boston, Ginn and Co. Price 85 cts.

The Jones Readers by L. H. Jones, A. M., President of the Michigan State Normal College, formerly Superintendent of Schools of Indianapolis, Ind., and Cleveland, Ohio. 6 Vol. Boston, Ginn and Co.

Padagogische Monatshefte.

PEDAGOGICAL MONTHLY.

Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen. Organ des

Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.

Dahnyany IV. Hovcmbcr 1903. Heft 10.

Eine englische Geschichte der deutschen Literatur.

(FOr die Piidagogischen Honatshefte.l

Von Prof. A. R. Hohlfeld, University of Wisconsin, Madison, Wis.

Von englischen Gesamtdarstellungen der deutschen Literaturge- schichte besassen wir bis vor kurzem nur zwei, die streng wissenschaftli- chen Anspriiehen zu geniigen vermochten: die tibertragung von Scherers ,,Geschichte der deutschen Literatur" durch Max Miillers Tochter, Mrs. Conybeare, (1886) und Kuno Franckes "Social Forces in German Litera- ture", wie das eigenartige Werk in der ersten Auflage von ] 896 wohl be- zeichnender hiess als jetzt, da es den landlaufigen Titel einer einfachen ,,Literaturgeschichte" angenommen hat. Der grossen Zahl weiterer eng- iisch gesciiriebener Werke ich nenne aus dem Gedachtnis Bayard Taylor, Japp, Lublin, Gostwick and Harrison, Hosmer, Wells, Moore soil durch ihre Ausschliessung an dieser Stelle gewiss nicht eo ipso ihre Daseinsberechtigung abgesprochen werden. Nur dienen sie ent- weder rein popularen und elementarpadagogischen Zwecken, oder sie bieten nur eine Reihe mehr oder weniger selbstandiger Essays, die keine eigentliche zusammenhangende Literaturgeschichte bilden. Die alteren Werke, wie William Taylors "Historic Survey of German Poetry" aus dem Jahre 1830 und die englische tibersetzung von Menzels verschrobe-

*) John G. Robertson, A History of German Literature. New York, G. P. Putnam's Sons, 1902, 635 pp. 8vo, geb. $3.50.

314 Pddagogische Monatshefte.

ner nnd kurzsichtiger Literaturgeschichte (London 1840) konnen hier natiirlich noch weniger in Betracht kommen. Dieselben haben nur noch historisehen Wert, insofern als sie uns interessante Einblicke gestatten in die damalige Haltung der englischen Kritik gegeniiber der deutschen Literatur. Sonst sind sie wohl in jeder Hinsicht veraltet.

Neben die beiden erstgenannten Werke ist nun in letzter Zeit die Arbeit Robertsons *) getreten, eines wohlbekannten englischen Gelehr- ten, der ganz vor kurzem seine Lektorenstells an der Universitat Strass- burg aufgegeben hat, urn die neugeschaffene Professur fur deutsche Sprache und Literatur an der Londoner Universitat anzutreten. Zweifel- los hat Robertson durch dieses neue Werk dera Studium der deutschen Literatur in englisch sprechenden Kreisen einen wichtigen Dienst er- wiesen, der ruckhaltlose Anerkennung verdient. Denn nicht nur ist das stattliche Buch das Ergebnis umfassender Quellenstudien und griind- licher, wissenschaftlicher Verarbeitung derselben, sondern es behandelt auch seinen Gegenstand in einer Ausdehnung und Art und Weise, die ihm neben seinen beiden alteren Rivalen einen durchaus selbstandigen Platz sichern. Von den drei etwa gleich umfangreichen Werken schliesst bekanntlich das Scherersche ungefahr mit dem Tode Goethes ab, wah- rend die Darstellung Franckes im Grande nicht weit liber dieses Datum hinauskommt, insofern als die Behandlung der letzten zwei Drittel des neunzehnten Jahrhunderts selbst in der in dieser Hinsicht erweiterten vierten Auflage nur eine kurz andeutende geblieben ist. Ganz anders verfahrt in dieser Hinsicht Robertson. Bei eingehender Darstellung der alteren Perioden und der sogenannten klassischen Zeit widmet er doch der naehklassischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts voile 200 Seiten, wovon etwa 80 auf die zweite Halfte des Jahrhunderts entfallen. Robert- son ist also der erste, der die Entwicklung der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts in ihrem Zusammenhang einigermassen eingehend in eng- lischer Sprache dargestellt hat. Wie weit in dieser Hinsicht Robertson iiber Francke hinausgeht, erharte folgender kurze statistische Vergleich: Beide Werke widmen Wagner je etwa sechs Seiten. Doch wahrend sich bei Francke z. B. Eichendorff mit einer halben Zeile begniigen muss, Morike mit einer Fussnote und Hebbel, Ludwig, Storm und Keller sogar mit blosser Erwahnung ihrer Namen, so verwendet Robertson auf Ei- chendorff drei Seiten, auf Morike zwei, Hebbel sechs, Ludwig drei, Storm cine und Keller vier. Jeder also, der sich vom Entwicklungsgang der deutschen Literatur in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts ein zu- sammenhangendes Bild zu machen wiinscht und dazu ein englisches Buch benutzen will, wird zu Robertson greifen mlissen und bei ihm in den allermeisten Fallen bis herab auf die letzten Werke eines Schnitzler oder Hofmannsthal auch nicht vergeblich suchen.

Eine englische Geschichte der deutschen Literal ur. 315

Dieser Umstand 1st von nicht geringem Wert; denn es lasst si eh nun doch hoffen, dass englische und amerikanische Freunde deutscher Lite- ratur allmahlJch in weiteren Kreisen erkennen werden, dass zwischen Heine einerseits und Hauptmann nnd Sudermann andrerseits eine ge- stalten- und farbenprachtige Entwicklimg urdeutschen dichterischen Schaffens liegt, die selbst dureh bedeutende Schriftsteller wie die leid- lich bekannten Freytag, Scheffel und Heyse in keiner Weise erschopfend charakterisiert ist. Hoffentlich wird Eobertsons Vorgang seine Sprach- genossen zum mindesten auf Hebbel, Ludwig und Keller fiihren. Dafiir allein waren wir alle ihm grossen Dank schuldig.

Fassen wir nun das Werk als Ganzes ins Auge, so freut es uns, dem Verfasser wohlverdientes Lob zollen zu diirfen fiii* den eisernen Fleiss, die weitschauende Umsicht, die geradezu wohltuende Zuverlassigkeit in Angaben und Urteilen, die seine Arbeit charakterisieren. Das Werk ruht auf der sichern Grundlage tiefdringender, selbstandiger Studien, und mit anerkennenswerter Gewissenhaftigkeit hat der Verfasser ver- fcucht, in der Verteilung von Raum und Licht und Schatten eine mog- lichst vorurteilsfreie Objektivitat zu wahren und den verschiedensten Zeiten und Stromungen gleichenveise gerecht zu werden. Besonders in der Darstellung der mittelhochdeutschen Bliitezeit, so wie der klassischen und romantischen Periode des 18. und 19. Jahrhunderts ist ihm in die- ser Hinsicht Vorziigliches gelungen. Kurz, in dem TJrnfang, in dem der Verfasser sich seine Aufgabe gestellt hat, hat er sie in tiichtigster Weise gelost und ein Werk von dauerndem Wert geschaffen.

Dies soil urn so nachdriicklicher anerkannt werden, als es in der Natur wissenschaftlicher Kritik liegt, wenn im weiteren Verlauf dieser Besprechung besonders die Seiten des Werkes zur Sprache kommen, die unerfiillt bleibende Wiinsche erwecken oder der nachbessernden Hand spaterer Uberarbeitung zu bediirfen scheinen.

Es sind vor allein zwei Gesichtspunkte, in Bezug auf die das Ro- bertsonsche Werk bei all seinen ausgezeichneten Eigenschaften uns etwas enttauscht, jedenfalls nicht voll befriedigt hat.

Erstens fehlen dieser neuen Literaturgeschichte, und das in geradem Gegensatz zu Scherer und Francke, die wuchtige Eigenart in Auffassung und Auslegung der Tatsachen, die temperamentvolle Belebtheit des Tons der Darstellung und die Vorzuge eines hoher entwickelten Stils, die wir in einer gross angelegten geschichtlichen Darstellung neben wis- senschaftlicher Zuverlassigkeit zu suchen geneigt sind. Der Stil des vor- liegenden Werkes ist gewiss klar, gewandt und in Jeder Hinsicht tadellos. Nur sehr selten aber erhebt er sich zu der belebten Warme und plasti- schen Greifbarkeit, durch die allein es moglich ist, kiinstlerischen Wer- ken nahe zu kommen und etwas von ihrer geheimnisvollen Wirkung wie- derzugeben. Er bleibt im Ganzen ziemlich monoton und farblos. Schon

316 Pddagogische Monatshefte.

die iiberhaufige Unterbrechung des Textes durch Schragdruck und Pa- renthesen fiir Titel und Zahlen wirkt beim Lesen hochst nnangenehm und be \reist, dass der Verfasser dem, was wir die kiinstlerische Seite sei- ner Darstellung nennen diirfen, nur untergeordnete Aufmerksamkeit geschenkt hat.

Noch bedenklicher aber wird der Genuss des Gebotenen und die Lebendigkeit des Eindrucks dadurch gestort, dass auch dieses Werk die gefahrlichen Klippen der Kapitelbildung und Stoffverteilung nicht im- mer erfolgreich vermieden hat. Die Art und Weise, wie die Darstellung des Lebens und der Arbeit einzelner Dichter in Stucke zerrissen worden ist, geht sicher weit iiber das hinaus, was sich bei der Behandhmg viel- eeitiger und langlebiger Dichter, wie z. B. Goethes, nie ganz vermeiden lasst. Die einheitliche dichterische Persb'nlichkeit, die trotz aller ausse- ren Widerspriiche sich meistens nachweisen lasst, geht bei solcher Dar- stellung allzusehr verloren, und aus diesem Grunde konnen wir uns, von Goethe einmal ganz abgesehen, mit Robertsons Darstellung von Schillers Schaffen kaum befreunden, das auf fiinf verschiedene Kapitel verteilt ist und immer wieder durch die Einschiebung andrer Entwicklungsgange Tinterbrochen wird. Doch auch Gerstenberg, Tieck, Geibel, Fontane und andre Dichter, deren Einfluss in mchr nls einer Richtung massgebend ge- wesen 1st, miissen sich diesen Trennungsprozess gef alien lassen, ohne an der «inen oder anderen'-Stelle in ihrex Totalitat vorgefiihrt zu werden. So wird Tieck z. -B. in zwei getrennten Kapiteln besprochen, was ja er- klarlich genug ist. Aber weder an der einen, noch anderen Stelle wird uns ein zusaramenhangendes Bild seines Lebens und Schaffen s geboten, und auf seine wieder an dritter Stelle erwahnten Schicksalstragodien wird dabei nicht einmal verwiesen.

Nun diirfte man erwarten, dass bei dieser Hintansetzung der Dich- ter-Personlichkeit die organischen Zusammenhange und zeitlichen Ent- wicklungsprozesse sich um so scharfer und ungezwungener darstellen sollten. So erregt es denn um so melir unsere Vernrunderung, wenn z. B. TJhland, dessen dichterische Tatigkeit gegen das Jahr 1820 beinahe ihr Ende erreicht hatte, wenn die iibrigen schwabischen Dichter uud Grill- parzer erst nach dem jungen Deutschland behandelt werden, wenn die Heidelberger Romantik auf Goethes Alter folgt, wenn E. T. A. Hoff- mann unter der Berliner Romantik fehlt. tiberhaupt ist der Inhalt man- cher Kapitel im 19. Jahrhundert recht eigentiimlich zusammengestellt, was um so mehr auffallt, als der Verfasser kein einheitliches Einteilungs- prinzip befolgt, sondern augenscheinlich reine Opportunitatspolitik treibt. Warum gehoren denn gerade Riickert, Wilhelm Miiller und Tiecks spatere Novellen zum ,,Verfall" der Romantik? Wie kommt Annette von Droste unter die politischen Lyriker? Was soil Hebbel im gleichen Kapitel neben der Heimatskunst ("literature of the province")

Eine engliscbe Geschicbte tier detttschen Literatur. 317

eines Gotthelf, Auerbacli und Reuter? Und gehort denn endlich Wagner eigentlich in die Zeit von 1870—1890?

Auch scheint uns die Lesbarkeit des Werkes durch eine gewisse tiberfiille von Material geschadigt zu werden. Das Streben nach relati- ver Vollstandigkeit ist in einer einbandigen Literaturgeschichte stets eine missliche Sache, besonders aber in einera f iir Auslander geschriebe- nen Buche. Statt Namen dritten oder vierten Ranges, die das Ent- wicklungsbild nicht wesentlich beeinflussen, ware vor allem in einem solchen Werke energische Konzentration auf das Wichtigste und Typi- sche geboten. Fur Spezialforscher im engeren Sinne des Wortes schreibt Robertson wohl kaum. Denn viel erorterte Streitfragen, selbst wo sie die hervorragendsten Werke und Dichter betreffen, erortert er nicht. Hoch- stens streift er sie leicht, wie z. B. die Frage nach Sprache und Yerfasser des Heliand, nach der Chronologie der Hartmannsehen Werke, nach dem Ursprung der Tristansage, nach der Art der Heihmg des Orest in Goethes Iphigenie, oder nach dem Grade, bis zu dem in Grillparzer ein quietistischer Zug herrsche. Oder aber er lasst sie ganz unberiihrt, wie z. B. die Frage nach dem Abstammungsverhaltnis zwischen der deutsehen und nordischen Form der Nibelungensage oder nach dem Ausgang des Goetheschen Tasso. Im Gegenteil, Robertson setzt wenig voraus und gibt in den meisten Fallen kurze Inhaltsangaben der Hauptwerke, die allerdings bei der notwendigen Kiirze in manchen Fallen recht unwirk- sam bleiben miissen. (Man vergleiche z. B. die Angaben iiber Ludwigs Erbforster und Zwischen Himmel und Erde). Der Fachmann aber, der sich neben Hartmann von Aue und Friedrich von Hausen auch fiir den Pleier, Albrecht von Johannsdorf oder Rudolf von Fenis interessiert, den neben Giinther und Haller auch Wernisrke und Drollinger anziehen, der neben Fran von Stein auch ibre dichtende Nichte Amalie von Hel- vig-Imhoff, neben Uhland und Kenier auch Pfizer und Waiblinger k^n- nen lernen will, wird wissen, wo er in deutsehen Werken leicht und be- quem iiber diese Dichter nachschlagen kann. Jedem andern aber, fiirchte ich, bleiben sie ,,Schall und Rauch, umnebelnd Ilimmelslicht." Dieses Einfiigen von durchaus Nebensachlichem ist um so bedenklicher, als ea dem Werke, abgesehen von der ausgezeichneten Einleitung, an zusam- menfassenden Uberblicken fehlt, in denen fiir grossere Perioden die Fa- den nach riickwarts und vorwarts zusammengezogen werden. In dieser Hinsicht Hesse sich in einer spateren tiberarbeitung leicht noch zu Gun- sten des Werkes nachhelfen.

Am schmerzlichsten aber und dies bringt uns zum zweiten der oben erwahnten Gesichtspunkte hat der Berichterstatter in Robert- sons Werk das vermisst, was sich vielleicht als die berechtigte Eigenart des Englanders bezeichnen Hesse. Wahrend sich namlich Robertsons Buch in Darstellung und Beurteihmg der literarischen Tatsachen in kei-

318 Padagogische Monatshefte.

ner Weise von einera von Grund aus deutschen Werke unterscheidet, so dass es meineni Empfinden nach recht gut die tJbertragung eines solchen sein konnte, so hatte der Berichterstatter bei der Ankiindigung des Wer- kes vor allem auf ein Buch gehofft, das uns die deutsche Literatur von eiuem mehr oder weniger eigenartigen Standpunkt darstellen wiirde. Liebevolle Behandlung. der zahlreichen Zusammenhange mit dem eng- lischen Schrifttum, anregende Bezugnahme auf eigentumliche englische Beurteilungen deutscher Dichter und ihrer Werke, Literaturangaben, die neben den deutschen Schriften auch moglichst englische Arbeiten be- riicksiehtigen sollten, fesselnde Vergleiche zwischen wesenverwandten Erscheinungen beider Literaturen, und wie die Wiinsche alle lauten mogen, die ich vor einiger Zeit in diesen Blattern (Januar-Februar-Heft 1902) fur eine zu erhoffende englisch-deutsche Literaturgeschiehte ge- aussert habe das waren die besonderen Eigenschaften, die wir neben allgemeiner wissenschaftlicher Tiichtigkeit bei Robertson zu finden hoff- ten, und die das Werk leider ganz verniissen lasst. Es ware nun ge- wiss ungerecht, den gelehrten Yerfasser zu tadeln, weil er seine Aufgabe in an derm Lichte gesehen hat. Bedauern aber diirfen und miissen wir es, dass diese schone Aufgabe, fur die er so besonders befahigt und be- stimmt schien, ihn nicht hat locken kb'nnen.

Selbst was seine eignen Urteile betrifft, so verrat Robertson, als hatte er ganz gelernt, durch die deutsche Brille zu sehen, kaum in irgend welcher Weise einen spezifisch englischen Gesichtspunkt. Er bereitet uns fast nie die angenehme tiberraschung, Sachen ganz anders aufge- fasst zu sehen, als man es bei seinen eignen Landsleuten gewohnt ist, und dadurch zum Nachdenken und zu scharferer Begriindung des eig- nen TJrteils genotigt zu werden. Allerdigs ist das Werk nicht fur Deut- sche geschrieben, aber gerade des Verfassers Sprachgenossen konnten erwarten, dass er das Fremde ihnen durchBezugnahme aufBekanntes und Vertrautes naher bringen wiirde. Auf diese Weise wiirde das Werk so- wohl fur Deutsche als auch fur englisch sprechende Leser eine eigenar- tige Bedeutimg gewonnen haben, die es so kaum beanspruchen darf. Denn jeder Englander, der sich bis zu dem Grade fiir deutsche Literatur interessiert, als das die ausfuhrliche Darstellung und die Literaturanga- ben Robertsons voraussetzen, muss im Deutschen geniigend zu Hause sein, sich Scherer oder Vogt und Koch, Meyer oder Bartels zu seinem Fiihrer zu wahlen.

Das Inhaltsverzeichnis Robertsons, das an die 1200 Namen auffiihrt, enthalt es scheint kaum glaublich nicht mehr als etwa fiinf eng- lische Namen! Vergebens sucht man selbst Fielding, Sterne, Marlowe, Addison, Pope, Carlyle, Whitman, Byron, Scott, Percy, Longfellow u. s. w. Im Text selber werden wohl manche von diesen das eine oder an- dere Mai genannt; doch aber eben nur so voriibergehend, dass sie sich

Eine englische Geschichte der deutschen Literatur. 319

nicht einmal in das sehr sorgfiiltig gearbeitete Register verirrt haben. Fiir Goethe \vird dem englischen Leser keine einzige englische Biogra- phic genannt, weder empfehlend, noch vielleicht warnend; und fur Les- sing, Schiller u. a. ist das Gleiche der Fall. Fur Hartmanns von Aue Armen Heinrich erwahnt der Verfasser nicht einmal seine eigene hand- liche Ausgabe. Selbst von den hervorragendsten englischen tibersetz- ungen deutscher Dichterwerke wird nichts gesagt, weder fur die mittel- hochdeutschen Epen, noch fiir Gotz, Iphigenie, Faust, Wilhelm Meister, Wallenstein, Kleist oder Heine. Die Einwirkungen Shakespeares auf die Entwickhmg der deutschen Literatur ist in keiner Weise ausfiihrlicher dargestellt als in anderen deutschen Literaturgeschichten. Nirgends wird endlich der Versuch gemacht, tiefgewurzelte englische Vorurteile, die immer noch ziemlich weit verbreitet sind, und die der feinsinnige Verfas- ser jedenfalls nicht teilt, anzugreifen und als nichtig zu erweisen. Kurz, es fehlt dem Buch jeder Anklang an die spezifisch englischen Verhalt- nisse, unter denen es doch seine Wirksamkeit entfalten soil. Es fehlt ihm vielleicht im Interesse irrtiimlich aufgefasster Wissenschaftlichkeit, jeder Zusammenhang mit dem Leben und Empfinden der Nation, fur die es geschrieben worden ist. Manche mogen eine solche Kluft zwischen akademischer Gelehrsamkeit und wirklichem Leben sogar loben. Wir konnen iins zu diesem Standpunkt nicht bekennen, wenigstens nicht fur ein Werk dieser Art.

Auch in anderer Hinsicht geht der Verfasser fast jeder vergleichen- den Darstellung aus dem Wege, und die Zusammenhange der Literatur mit den bildenden Kiinsten, der Musik, der Religion, dem sozialen und politischen Leben, kurz der Entwicklung der Kultur im Allgemeinen, sind meistens unberiihrt geblieben oder doch nur ganz fliichtig ange- deutet worden.

\VTir konnten nicht umhin, diesem aufrichtigen Bedauern im Interes- se dessen, was vielleicht noch ,,in der Zukunft Schosse" ruht, Ausdruck zu verleihen. Trotzdem sind wir uns vollauf bewusst, dass es hochst unge- recht ware, eine ernste wissenschaftliche Arbeit aus einem Gesichtspunkt beurteilen zu wollen, den sie sich eben nicht zur Richtschnur genom- men hat.

Zum Schlusse seien einige Einzelheiten erwahnt, die bei einer wei- teren Auflage vielleicht umgeandert werden konnten.

In der Besprechung des Nibelungenlieds ist der doppelte Kultur- boden, auf dem die mittelhochdeutsche Dichtung beruht die Zeit der Volkerwanderung und des Ritterwesens des 12. Jahrhunderts wohl an- gedeutet, nicht aber klar und scharf herausgearbeitet; und iiber das Fortleben des Stoffes in der deutschen Literatur erfahren wir im Zusam- menhang gar nichts. Letzeres trifft auch fiir die Tristansage zu, deren Weiterentwicklung im Volksbuch, bei Hans Sachs und in der neueren

320 Pddagogische Monatshefte.

Literatur nicht erwahnt wird. Auch glauben wir kaum, dass neuere Untersuchungen es erlauben, der Tristansage einen besonders primitiven Charakter oder die grossartige Einfachheit der altgermanischen Sagen zuzuschreiben. Mit der Zartheit der Nachtszene zwischen Walther und Hildegund (S. 30) liesse sich doch allenfalls das Verhaltnis Volkers und Hagens im Nibelungenlied und die selbstlose Liebe der Pachterstochter im Armen Heinrich vergleichen. Das altere religiose Drama, wie es sich zwischen den ersten liturgischen Anfangen und dem Scbauspiel der Keformationszeit entwickelte, wird allzu kurz auf zwei Seiten abgethan, die nur den Schluss der althochdeutschen Zeit bilden. Die iibertrieben hohe Einschatzung der Verdienste Opitzens ("he inaugurated a literary revolution such as no German before or after him achieved; he was the greatest innovator in the history of German lettres") steht kaum im Ein- klang mit dem auf Seite 205 iiber Weckherlin Gesagten. Auch befremdet es, dass unter diesen Umstanden Kobertson die Umsetzung einer beson- deren Epoche fiir das 17. Jahrhundert (etwa von 1624 1748) hat fallen lassen und die ganze Zeit von 1350 bis 1700 einer Periode zuweist. Die Bemerkung, dass Klopstock an dem Zerwiirfnis mit Bodmer die Hauptschuld trage (S. 261) entspricht nicht der Darstellung Munckers in seiner Klopstock-Biographie (S. 235 ff.). Wenn Gotz "enemy of prince and priest alike" genannt wird, der dem Wahlspruch folgte "might is right", so trifft das fiir den Goetheschen Gotz, um den allein es sich hier handelt, so schlankweg durchaus nicht zu, da derselbe dem Recht gegen die Macht beisteht und die edelsten Anschauungen vom Berufe eines Fiirsten hat. Wenn der Verfasser auf S. 351 sagt, Goethes Harzreise im Winter "fills a volume of his works", so liegt wohl eine Verwechslung mit den zwei Schweizerreisen vor, da die Harzreise meines Wissens nur als Episode von einigen Seiten in der Campagne inFrankreich dargestellt wird. Auf S. 532 wird trotz Sauers Aus- fuhrungen (Anz. f. dtsch. Altert. 19, 323: ,,Ich glaube nach dem Gesag- ten nicht, dass Grillparzer Kleists Drama gekannt hat") ein Einfluss von Franz von Kleists Sappho auf Grillparzers Drama angenommen. Von Wagners Nibelungen heisst es S. 600: "here he united the Scandinavian Volsungasaga to that of the Ehinelander Siegfried." Ohne nahere Angaben erscheint diese gewiss nicht unrichtige Behauptung doch wohl eher irrefiihrend als aufklarend, wenn man bedenkt, dass die ersten drei Dramen des Wagnerschen Zyklus dem Stoff des Nibelungen- liedes ganz fern stehen, und dass selbst in der Gotterdammerung Wagner eigentlich nur in Bezug auf den Mord Siegfrieds von der Dar- Btelhmg der Volsungasage zu Gunsten des Nibelungen liedes ab- gewichen ist. Denn wenn es auch auf S. 601 von der Werbung um Briinnhilde heisst: "Siegfried, disguised in the Tarnhelm, once more braves the fire and, as in the German Nibelungenlied, wins

f DIREKTOR EMIL DAPPRICH. f

Soeben, kurz vor Versendung dieses Heftes, erreicht uns die Trauerbotschaft von dem heute morgen, wenige Minuten nach Mitternacht, erfolgten Ableben unseres allverehrten, lieben Freundes und Kollegen, des Direktors des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerseminars zu Milwaukee, Emil Dapprich. Ein schweres und tueckisches Leiden hielt seinen Koerper in ehernen Fesseln, so dass weder die im Fruehjahr unternommene Urlaubsreise in seine alte Heimat, noch die sorgsamste Pflege seiner treuen Gattin imstande waren, ihn von demselben zu befreien und ihm seine verlorenen Kraefte wiederzuersetzen. Langsam, aber unerbittlich wurden diese aufgezehrt, bis seinLebens- licht erlosch.

Was Dapprich uns alien, was er seinen Freunden, der Anstalt, an der er wirkte und fuer deren Wohlergehen er alle seine Kraefte einsetzte, was er der deutschen Sache, ja dem ganzen Schulwesen unseres Landes gewesen ist das jetzt zu schildern, fehlt uns Raum und Zeit. Er war der Besten einer, zu dem alle mit Verehrung emporblicken konnten. Treu seinen Freunden, aufopfernd und hilfs- bereit, wo seine Dienste verlangt wurden, oder wo er sah, dass sie notwendig waren, edel und uneigennuetzig in all seinem Denken und Tun, eine Pestalozzinatur, dabei ein Schulmann, der Kopf und Herz auf dem rechten Flecke hatte, das war der Verstorbene. Sein Andenken wird unausloeschlich in den Herzen aller, die ihn kannten, be- wahrt bleiben.

Das Leichenbegaengnis findet am Samstag, 28. d. M., nachmittags, vom Anstaltsgebaeude aus statt, und zwar soil die Leiche nach dem Wunsche des Hingeschiedenen in dem Krematorium auf dem hiesigen ,, Forest Home"-Fried- hofe zu Asche verwandelt werden.

MILWAUKEE, 26. Nov. 1903.

Eine englische Geschichte der deutschen Liter atur. 321

Briinnhilde for Gunther", so folgt in dieser Szene Wagner doch durch- aus der nordischen Sagenform. Von den Gesammelten Schrif- t e n der Ebner-Sschenbach waren 1902 doch sicher schon mehr als sechs Bande erschienen. Auf S. 616 heisst es beziiglich der Sudermannschen H e i m a t, dass die Eeihe der biirgerlichen Trauerspiele, zu der sie ge- hore, mit Iffland begonnen habe, wahrend doch Gemmingen (Vgl. S. 342), aber auch Lessing imd einige der Stunner und Dranger, auf diesem Gebiet Ifflands Vorlaufer waren.

Das in jeder Hinsicht iiberaus sorgfaltig gearbeitete Buch zeichnet sich durch fast vollstandige Freiheit von Druckfehlern aus. Nur die fol- genden Versehen sind uns aufgestossen: S. 343 (lies Wiener), S. 344 (lies S child dekopf), S. 348 (lies poetry), S. 429 (lies Mono- logen), S. 525 (lies Maync), S. 531 (lies Schicksals- t r ag 6 d i e), S. 534 (lies B a n c b a n), S. 625 (lies D r e i k 6- n i g s s p i e 1), S. 628, Zeile 1 (lies 325 ff. statt 375 ff.)

Nach diesen freimiitigen Auseinandersetzungen mit dem Verfasser, die jedenfalls beweisen, wie sehr uns sein Werk interessiert hat, mochten wir nochmals auf das Nachdriicklichste betonen, dass Kobertson in sei- ner Literaturgeschichte uns eine gediegene, auf der Hohe wissenschaft- licher Forschung stehende Leistung geboten hat, die ihn als einen er- staunlich genauen Kenner der deutschen Literatur erweist, auf die die Vertreter grmanischer Studien in England mit Eecht stolz sein diirfen, und die ihrerseits sicher viel dazu beitragen wird, eben diese Studien unter englischen Fachleuten sowohl, als auch in weiteren Kreisen zu fordern und zu vertiefen.

Ueber die naturliche Methode im deutschen Unterricht.

Vortrag, gehalten im Californischen Verein von Lehrern der deutschen Sprache.

Von Dr. Arthur Altschul, San Francisco.

Der Ansdruck ,,N"atiirliche Methode" 1st im folgenden nieht wie im amerikanischen Sprachgebrauch sehr iiblich gleichbedeutend mit ,,Konversationsmethode", sondern er bezeichnet cine der grossen Haupt- methoden des Sprachunterrichts, von der die Konversationsmethode nur eine speziolle Foim, eine Unterart ist. Solcher Hauptmethoden gibt es nur zwei: ausser der natiirlichen nur noch die grammatiscbe. Die letz- tere koni'te man auch die formale, abstrakte oder analystische nennen, und die erstere auch die direkte, imitative, konkrete, oder synthetische. Die Ausdriicke abstrakt und konkret driicken den Unterschied wohl am deiTtlichsten aus. Abstrakt ist diejenige Art des Sprachunterrichts, die Paradigmen und Eegeln als Lehrmittel verwendet, und die infolgedessen vom Schiller Verstandestatigkeit, Denkarbeit, logische tiberlegung ver- langt. Konkret dagegen ist dasjenige Lehrverfahren, das dem Schiller einfach die fremden Sprachformen an sich, ohne Analyse und theore- tische Erklarung, bietet und ihm daher, freilich dnrchaus nicht das Denken iiberhaupt, wohl aber die strenge logische Verstandesarbeit er- spart. Dieses letztere Verfahren, das konkrete oder natiirliche, bildet den Gegenstand meines Vortrages; und ich will gleich bemerken, dass ich fiir das naturliche Verfahren sehr eingenommen bin und es in durch- aus giinstigem Sinn zu besprechen beabsichtige. Ich bitte mich nicht misszuverstehen. Sie fassen vielleicht das eben Gesagte so auf, als ob ich alle Grammatik aus dem deutschen Unterricht verbannt zu sehen wiinschte. Das ist aber keineswegs der Fall. Erstens dies ist ein wich- tiger Punkt und wohl nicht allgemein bekannt ist in der natiirlichen Methode selbst Platz fur die Grammatik; die Grammatik, das heisst die system atische Behandlung der Sprachformen und Spracherschei- nungen, lasst sich konkret, ohne Analyse und Theorie, darstellen, nam- lich durch sorgfaltig gewahlte und angeordnete, nach einem wohlerwo- genen Plan einzuiibende Beispiele. In Deutschland wird diese naturliche Grammatik im englischen und franzosischen Unterricht tatsachlich in weitem Uinfang angewendet. Zweitens: Wenn jemand fur die naturliche Methode eintritt, so ist damit keineswegs gesagt, dass er das abstrakte Lehrverfahren ganz und gar verwirft. Es mag Anhanger der naturlichen Methode geben, die nicht das mindeste abstrakte Element im Sprachun- terricht dulden wollen; aber bei weitem die meisten opponieren wohl nur der zu ai'.sgedehnten oder zu friihzeitigen Einfiihrung des abstrakten Element?.

Ueber die natiirliche Methode im deutschen Unterricht.

Dass das iiberwiegend abstrakte Verfahren im allgemeinen den Schiller zu sehr anstrengt und nicht geniigend interessiert, dabei nicht c-inmal zu befriedigenden Kesultaten fiihrt, dauber ist in den letzten dreissig Jahren sehr viel gesprochen und geschrieben worden. Ich mochte aber besonders auf ein Schriftchen verweisen, das freilich kaum a Is ein Beitrag zur padagogisehen Fachliteratur betrachtet werden kann: ich meine Mark Twains Aufsatz iiber ,,The Dreadful Gennan Language", im Anhang zu ,,A Tramp Abroad". Dieses Opusculum ist jedem Lehrer des Deutschen zu empfehlen, denn es ist nicht nur ausserst amiisant, sondem enthiilt auch unter alien seinen tollen Sehnorkeln und phanta- stischen tlbertreibungen einen soliden und beherzigenswerten Kern. All die schnurrigen Bemerkungen iiber die entsetzlichen deutschen Pe- rioden, die man am leichtesten A'erstehen kann, wenn man das Buch vor den Spiegel halt oder sich auf den Kopf stellt, ,,so as to reverse the construction"; iiber das als blosse Yerzierung am Ende des Satzes an- gebrachte ,,haben sind gewesen gehabt haben geworden sein" u. s. w., u. s. w. alle diese barocken Auslassungen beschreiben doch in hochst anschaulicher und lehrreicher Weise den Geisteszustand des Anfangers, dem eine schwierige Sprache in trockener, abstrakter Methode einge- trichtert \vird, der mit den mannigfachsten Schwierigkeiten iiberhauft vird, ohne eine einzige wirklich bewaltigen zu konnen, der mit Gramma- tik gestopft wird wie die Gans mit Welschkorn. Mark Twains moralische Entriistung iiber die Unvemunft und Abgeschmacktheit der fremden Sprache, seine Verwirrung inmitten all der kaleidoskopisch wechselnden 3»egeln imd Erscheinungen, sein Unbehagen, da er keinen festen Boden unter seinon Fiissen verspiirt, alles dies ist auf die Wirklichkeit begriin- det und kann uns als Mahnung dienen, unser Unterrichtsverfahren den "Bed iirf nissen des Schiilers und insbesondere des Anfangers anzupassen.

Das Nachteilige der iiberwiegenl grammatischen Methode (wenn sie angewendet wird, wo die Umstande dies nicht rechtfertigen, d. h. bei weniger fortgeschrittenen Schiilern) liegt in folgenden Punkten. Erstens: Die strenge Verstandestatigkeit, die sie vom Schiller bestandig verlangt, ist ungebiihrlich anstrengend. Zweitens: Die abstrakte Grammatik ist trocken und fiir die meisten Schiller interesselos. Drittens: Da, soweit Arie moglich, keine andern Sprachformen verwendet werden als solche, die der Schiller grammatisch zu beherrschen gelernt hat, so ist der Lese- stoff an einen beschriinkten Wortschatz gebunden und besteht meistens aus isolierten Satzen, die, selbst wcnn sie nicht von dem Hund des Bru- ders, des Spaniers und dem Tintenfass der Tante, des Gartners handeln, doch ohne wirklichen Inhalt und ohne alles Interesse sind. Viertens: Der dem Schiller in abstrakter Form gebotene grammatische Stoff wird von ihm oft nur ausserlich angeeignet, geht ihm nicht in Fleisch und Blut iiber und ist ihm daher eine nur sehr ungeniigende Hiilfe zum wirk- Lchen Eriassen und Beherrschen der fremden Sprache.

324 Padagogische Monatshefte.

In eben diesen Punkten zeigt sich mm die IJberlegenheit der na- tiirlichen Methode, die denn auch, in ihren modernen Formen, aus dem bewussten Bestreben, jene Mangel der abstrakten Methode zu vermeiden, hervorgegangen ist. Die natiirliche Methode macht dem Schiller die Arbeit imgleich leichter und ungleich angenehmer und interessanter, imd sie bietet ihm den Lernstoff in einer solchen Form, dass er sich ihn vollstandig zu eigen machen kann, und dass jeder Schritt, den er in sei- nem Studium macht, ihn in der wirklichen, praktischcn Kenntnis der fremden Sprache vorwarts bringt.

Es gibt wohl auch heute noch nicht wenige Sprachlehrer, die die na- tiirliche Methode als eine moderne Neuerung mit Misstrauen betrachten. Tatsachlich aber ist die natiirliche Methode gar nicht modern und nichts weniger als eine Neuerung; vielmehr ist sie ohne Zweifel zu alien Zeiten und uborall angewendet worden, wahrend die grammatische Methode erst verhaltnismassig spat und nur in beschranktem Umfang neben der natiirlichen aufgekommen ist: fiirs Lateinische und Griechische seit un- gefahr 2000 Jahren, fiir die modernen Sprachen sogar eret seit dem 36. Jahrhundert. Ganz verdrangt ist das natiirliche Verfahren nie worden. Zum Beispiel wird es Sie vielleicht interessieren, dass Goethe in einem Brief vom 20. November 1774 eine Art von natiirlicher Methode, um den Homer lesen zu lernen, beschreibt und auf Grund eigener Erfahrung empfiehlt.

Ich gohe nun dazu iiber, die natiirliche Unterrichtsweise in ihren Umrissen ?-u beschreiben. Hicrbei will ich die verschiedenen ihr zuge- horigen Lehrverfahren gesondert behandeln. Ich muss bemerken, dass ich im folgenden die Ausdriicke ,,Methodew und ,,Arerfahren?J wie folgt unterscheide: AVenn ein Lehrer einen Schiller ausschliesslich oder haupt- fcachlich inittels Konversation unterrichtet, so sage ich, er wendet die Konversationsm e t h o d e an. Spreche ich dagegen vom Konversations- \erfahren, so meine ich die auf der Konversation beruhende Art des Unterrichts iiberhaupt, gleichviel ob sie ausschliesslich oder iiberwiegend gebraucht wird oder nicht, mit andern Worten, ob sie allein den Charak- ter einer Methode bestimmt, oder nur ein Element derselben bildet.

Die natiirliche Unterrichtsweise verfiigt vor allem iiber drei Haupt- und Grundverfahren: das Sprechverfahren, das Leseverfahren und das Memoriervc-rfahren.

Zuerst und vor allem das Sprechverfahren. In der Hauptsache ist es natiirlich Konversationsverf ahren ; doch ist ausserdem eine andere Varietat moglich: ein monologisches A7erf ahren, wobei der Lehrer deutsch spricht und die Schiller das gesprochene verstehen lernen, aber nicht selbst deutsch sprechen. Das mag unter Umstanden ganz zweckmassig sein. Ungleich wichtiger ist aber natiirlich das Konversationsverfahren. Dies, das natiirlichste unter alien Verfahren, ist zugleich das leistungs-

Ueber die natilrliche Methode im deutschen Unterricbt. 325

fahigste und umfassendste von alien; es lasst sich namlich damit alles lehren; und wenn der Schiller die fremde Sprache hinreichend zu ver- stehen und zu sprechen gelernt hat, so folgt dann das Lesen- und Schrei- benkonnen ganz von selbst, wenn er nur noch das Alphabet und die Or- thographic dazulernt. Damit will ich nicht gesagt haben, dass das Kon- versationsverfahren immer und iiberall im Vordergrund des Unterrichta stehen soil, wohl aber bin ich der Ansicht, dass es mehr verwendet wer- den sollte, als jetzt wohl iiblich.

Das Konversationsverfahren lasst sich zu zwei verschiedenen Zwecken anwenden: Erstens, um dem Schiller neue Kenntnis beizubrin- gen; zweitens um Dinge, die ihm schon von friiher her bekannt sind, einzupragen und seinem Ohr und seiner Zunge tibung zu geben. Die letztere Anwendung meiner Ansicht nach die wichtigere bedarf keiner besonderen Erlauterung; dagegen iiber die Konversation als Mit- iel zur Aneignung ganz neuer Kenntnis mogen einige Worte der Er- klarung nicht iiberfliissig sein. Es gibt vielleicht unter meinen Zuhorern einige, die wohl gehort haben, aber es nicht glauben, dass es moglich sein soil, eine fremde Sprache ganz von Anfang zu erlernen durch eine Art des Unterrichts, wobei sowohl der Lehrer wie der Schiller ausschliesslich die fremde Sprache gebrauchen, Die Sache verhalt sich aber wirklich so und bietet nicht einmal besondere Schwierigkeit. Wer sich iiber die Sache zu informieren wiinscht, dem empfehle ich vor allem den ersten Teil von Sterns ,,Studien und Plaudereien" (Henry Holt), und ,,Le pre- mier livre de Franeais" von Louise Hotchkiss (Heath & Co.); zwei hochst lebensvolle und interessante "Werkchen, die man mit wirklichem Vergnii- gen lesen kann; in beiden sind die Vorreden sehr zu beachten. Darii- ber, ob es wiinschenswert ist, beim Konversationsverfahren den Gebrauch der Muttersprache ganz und gar auszuschliessen, dariiber sind die Mei- nungen geteilt. Manehe Lehrer sind darin sehr strikt und geben sich lieber die Millie, einen schwierigen neuen Ausdruek auf allerhand Um- wegen und mit allerlei Kunstgriffen auf Deutsch dem Schiller begreiflich zu machen, als dass sie sich entschliessen wiirden, ihn zu iibersetzen. Ich halte es nicht fiir notig, so rigorb's zu sein, und wurde in solchein Falle ofters vorziehen, das englische Wort zu nennen, um Zeit und Miihe zu sparen. Doch darf man nicht iibersehen, das jenem extremen Verhalten ein sehr gutes und wichtiges Prinzip zu Gnmde liegt. Die Absicht ist namlich, den Schiller bestandig zu geistiger Tatigkeit, zu scharfem Auf- passen, Kombinieren und Erraten anzuhalten, und durch die entschie- dene Konzentration auf die fremde Sprache ihn dahin zu bringen, dass er in der fremden Sprache zu denken sich gewohnt. tibrigens sind die verschiedenen Kunstgriffe, die der Lehrer anwendet, um tiberset- zung zu vermeiden, ofters ganz amiisant fiir die Schiller und tragen viel 2,ur Belebung des Unterrichts bei.

326 Padagogische Monatshefte.

Soviel iiber das Konversationsverfahren als Mittel zur Erwerbung neuer Kenntnis. Die Anwendung des Verfahrens, urn das Gelernte ein- zuiiben und durch haufige und mannigfach kombinierte Wiederholung znm wirklichen geistigen Eigentum des Schiilers zu machen, diese An- wendimg balte ich, wie schon gesagt, fur die wichtigere; diese ist ee, die meines Erachtens in jeder Methode des deutschen Unterrichts einen Platz finden sollte. Es ist namlich ein grosser Irrtum. wenn man bedenkt, dass das Konversationsverfahren nur da am Platze ist, wo die Fahigkeit, die fremde Sprache zu sprechen, ein Hauptziel des Unterrichts bildet. Es ist ein grosser Irrtum; denn das miindlicheVerfahren ist ein vortreffliches Hulfsmittel zum Erlernen der Sprache iiberhaupt; der Gebrauch der fremden Sprache sollte stets bis zu einem gewissen Grade gepflegt wer- den, wenn nicht als Zweck, dann als Mittel zum Zweck. Konversation ist das beste Mittel zur Einiibung des Gelernten; sie bringt ein beleben- des und anregendes Element in den Unterricht, erweckt das Interesse des Schiilers und macht aus dem Lernen eine lebendige Tatigkeit; sie er- laubt eine muntere, ungezwungene, natiirliche Art der Behandlung, so- dass unter einigermassen giinstigen Umstanden die Schuler an solchem Unterricht richt selten soviel Vergniigen finden werden, wie an einem amiisanten Gesellschaftsspiel. Und schliesslich ist es ein grosser Vorteil, dass der Lehrer beim mundlichen Verfahren mit dem Unterrichtsstoff ganz frei schalten und walten und ihn je nach dem besonderen Fall und Bediirfnis bilden, erweitem, variieren kann.

Wir kommen zunachst zum Leseverfahren. Die Lektiire zusammen- hangenden Lesestoffes, scfern sie direkt und konkret ist, nicht miihsam und analystisch mit Hiilfe der Grammatik und des Worterbuches be- trieben \vlrd, ist entschieden ein naturliches Verfahren. Das natiirliche Leseverfahren kann in ebenderselben doppelten Weise, wie das Konver- sationsverfahren, angewendet werden. In der kursorischen Lektiire und im ,,sight reading in class" dient es hauptsachlich dazu, das schon ge- lernte dem Schuler einzupragen, ihn in der prompten und augenblick- lichen Anwendung des Gelernten zu iiben, ihn an rasches Auffassen des Zusammenhanges zu gewohnen und sein Sprachgefiihl zu kultivieren. Ausserdem kann aber das Verfahren auch zur Aneignung neuer Kennt- nisse gebraucht werden, namlich als langsamesDurchnehmen neuenLese- stoffes in der Klasse, wobei die Interpretation des Lehrers die Haupt- sache ist. In dieser Form kann das Verfahren sehr wohl im ersten An- fang des Unteirichts verwendet werden. Ich selbst wiirde in jeder mo- dernen Sprache, ja auch im Lateinischen, den ersten Anfang, wenn nicht mit Konversation, dann gewiss mit solchem Lesen machen. Sicher ist diese Art des Sprachunterrichts eine durchaus uaturliche und organische imd lasst sich sehr anregend und fruchtbar gestalten. Es versteht sich, dass beim Fortschreiten des Unterrichts die Interpretation des Lehrers eine immer zunehmende Prazision und Vollstandigkeit zeigen muss.

Ueber die naturlicbe Methode im deutscben Untenicht. 327

Neben dem Sprech- und dem Leseverfahren finden wir schliesslich noch das Memorierverfahren, worin das Auswendiglernen als Lehrmittel verwendet wird. Es 1st moglich, dieses Verfahren ganz allein anzu- wenden, also eine Methode darauf zu begriinden. So verlangt das Mei- sterschaft-System vora Schiller ausschliesslich das Auswendiglernen einer grossen Zahl von Satzen, die er so beherrschen soil, dass, wenn einer der gelernten Satze ihm in seiner Muttersprache gegeben wird, er augenblick- lich den entsprechenden Satz der fremden Sprache vollkommen korrekt von sich geben kann. Das Verfahren ist nicht so imsinnig, wie es auf den ersten Blick scheinen konnte; empfehlen mb'ehte ich es allerdings niemand. Das Gouin- Verfahren beriiht zum grossen Teil (namlieh in der ,,Assimilation der objektiven Serie") auf einem allerdings nicht me- chanischen Auswendiglernen. Meist wird das Memorieren aber als cin mehr untergeordnetes Element in beschranktem Umfang verwendet, und in dipser Form ist es ohne Zweifel eine iiberaus niitzliche und sehr zu empfeblende tibung. Der Anf anger sollte eine grosse Menge kurzer idiomatischer und der Alltagssprache entnommener Satze auswendig lernen; spater sind auch langere zusammenhangende Stiicke zum Memo- rieren geeignet.

Soviol iiber die drei Grundverfahren der natiirlichen Methode, die primiiren und selbstandigen. Zu diesen kommen ferner zwei sekundare oder Hiilfs verfahren; sie beruhen auf der Anwendung eines natiirlichen Verfahrens im grammatischen Unterricht und im ,,composition work". In der Grammatik handelt es sich, wie schon gesagt, hauptsachlich. urns Lehren durch Beispiele allein; im ,,composition work" hauptsachlich darum, clas tlbersetzen aus der Muttersprache in die fremde Sprache iiberfliissig zu machen. Um Zeit zu sparen, will ich auf diese beiden sehr interessanten und wichtigen Verfahren heute nicht naher eingehen.

Die obigen Ausfiihrungen haben die natiirlichc Lehrweise nach ihrer formalen Seite zum Gegenstand gehabt. Ich wende mich nun znnachst zu gewissen inhaltlichen Eigentiimlichkeiten des Lehr- verfahrens, die sehr haufig in Verbindung mit dem formal-natiirlichen Verfahren erscheinen, eich in innerer Ubereinstimmung mit ihm befin- den, eben falls den Charakter des natiirlichen an sich haben, und in der modernen Eeformbewegung im Sprachunterricht ebenfalls ein Hauptmo- ment bildeii. Ich meine diejenige Art der Lehrbehandlung, die man in Ennangelung eines passenden Ausdrucks allenfalls mit dem Wort ,,Ak- tualitat" bezeichnen konnte; diejenige namlieh, die das Sprachlernen fur die Auffassung des Schiilers mit der Welt der Wirklichkeit in Verbin- dung bringt. Ich unterscheide drei Arten dieser Behandlung: Aktuali- tat durch das personliche Element, durch Anschauungsunterricht und durch die sogenannten Kealien.

Aktualitat durchs personliche Element nenne ich es, wenn die Per-

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sonlichkeit des Lehrers und- Schiilers selbst zum Substrat des Unter- richtsprozesses genommen wird. Dies 1st vor allem beim Konversations- vcrfahren natiirlich ausserst naheliegend. Hierhin gehort z. B., wenn der Lehrcr zum Schiller sagt: ,,Ich bin ein Lehrer, du bist ein Schiller" oder ,,Kannst du singen?" oder ,,Zeige mir deine rechte Hand!" oder ,,Hast du das geschrieben?" u. s. w., u. s. w. Sehr anregend wirkt es, wenn einzclnen Schiilern aufgegeben wird, selbst Fragen an andere Schiller zu richten. Eine besonders wichtige Art dieser personlichen Aktualitat ist das dramatische Element. Dahin gehort es, wenn der Leh- rer einem Schiller ein Wort der fremden Sprache durch eine von ihm eclbst oder von einem andern Schiller ausgefiihrte Handlung begreinich macht. Z. B. wenn ein Schiller das Wort ,,aufmachen" nicht versteht, so wiirde ich, falls ein anderer Schiller das Wort kennt, zu diesem sagen: ,,Mache dein Buch auf mache es zu mache deine Augen zu mache sie auf," u. s. w. Dahin gehort es ferner, wenn der Schiller ir- grend eine Handlung ausfiihrt und sie gleichzeitig in Worten ausdriickt, oder auch wenn er eine von jemand anders in seiner Gegenwart ausge- fiihrte Handlung beschreibt. In Gouins Methode spielt diese Ubung eine grosse Rolle. Offenbar nach seinem Vorgange wird sie auch in manchen deutschen Schulen angewandt. So beschreibt Mary Brebner in ihrem vorziiglichen Biichlein ,,The Methods of Teaching Modern Languages in Germany" (Macmillan) auf Seite 8 ff. den englischen Un- tericht in einer deutschen Klasse, wo dieses Verfahren zu einer festen Koutine ausgebildet war. Z. B. als der Lehrer ins Zimmer kam und v/ahrend er seinen Platz am Pult einnahm, gab er verschiedenen Schii- lern, einfach indem er sie einen nach dem andern ansah, das Signal zu folgenden Bemerkungen: ,,You are going to your desk. You are sitting down. You are taking your pen. You are writing your name. You are putting the pen on the table" u. s. w. Als der Lehrer einem Schiller sagte, er solle auf die Tiir zugehn, tat er dies mit den Worten ,,I am going to the door," und von den iibrigen Schiilern sagten die einen ,,You are going to the door" und die andern ,,He is going to the door." Das Verfahren ist entschieden sehr sinnreich, und die haufig wiederholte Ver- bindung des Ausdrucks mit der Handlung ist gewiss ein sehr wirksames Mittel, den ersteren dem Gedachtnis fest einzupragen. Auch Dramati- sches im eigenthchen Sinn lasst sich mit dem grossten Nutzen verwen- den, indem namlich Lesestiicke, die in Gesprachsform abgefasst sind, mit verteilten Bollen vorgelesen oder auswendig hergesagt werden.

Zweitens, Aktualitat mittels Besprechung von Dingen, die der Schil- ler vor Augen hat. Ausser wirklichen im Klassenzimmer befindlichen oder von dort sichtbaren Gegenstanden sind Bilder zu verwenden. In Deutschland werden Bildertafeln viel gebraucht, worauf die vier Jahres- zeiten, die Stadt, das Land, der Wald u. s. w. dargestellt sind. Fur noch

Ueber die naturliche CMethode im dentschen Unterricht. 329

niitzlicher halte ich Bilder, die der Lehrer an die "Wandtafel zeichnet, vor den Augen der Schiller entstehen lasst, indem er sie gleichzeitig auf Deutsch bespricht. Wenn der Lehrer ordentlich zeichneji kann, urn so besser; aber selbst wenn seine kiinstlerischen Leistungen denen des klei- nen Moritz in den Fliegenden Blattern ahneln sollten, wird er auch daran ein treffliches Hiilfsmittel zum Sprachunterricht haben. Mir ist es selbst schon gehmgen, schlafrige und teilnahmslose Schiller, nachdem alles andore fehlgeschlagen, auf diese Weise aus ihrer Lethargic zu er- wecken und zu lebendiger Anteilnahme am Unterricht zu bringen.

Schliesslich, Aktualitat durch Realien, d. h. durch Mitteilungen iiber das Volk und Land, dessen Sprache gelernt wird. Man sieht, der Begriff der Eealien ist ein ausserst umfassender. Die gesamte Existenz pines Volkes in Gegenwart und Vergangenheit, sein Charakter, seine Lebensgewohnheiten, seine Institutionen, seine ganze Kultur, seine Ge- schichte, die Geographic und Topographic seines Landes, dies alles bil- det die unendliche Stoffmasse, aus der der Lehrer beim Realienunter- richt schopfen kann. Realien konnen auf verschiedene Art dem Schiller iibermittelt werden: sie konnen im Lesestoff enthalten sein, oder der Lehrer kann davon erzahlen; zum Teil konnen sie auch durch Anschau- img gelehrt werden, durch Vorzeigen von wirklichen Gegenstanden und besonders von Bildern; letztere konnen auch als Illustration dem Lese- buch einverleibt werden. Der Nutzen der Realien ist ein doppelter: Er- stens konnen so bei Gelegenheit des Sprachunterrichts eine Menge wis- senswerter Tatsachen beigebracht, der geistige Gesichtskreis des Schii- iers erweitert und er selbst zu sympathischem Verstandnis des fremden Volkes, also zu internationaler Toleranz angeleitet werden. Zweitens aber haben die Realien auch als rein technisches Mittel zum Sprachlernen grossen "VVert, indem sie, ebenso wie die andern Formen des Aktuellen, durch Ideenassoziation das aufmerksame Arbeiten und das dauernde Er- fassen der Sprachfakten wesentlich erleichtern.

Dass die aktuelle Unterrichtsweise iiberhaupt eines der allerwichtig- sten Mittel ist, die Arbeit des Sprachlernens angenehm sowohl wie ge- deihlich zu machen, ist wohl unzweifelhaft. Was ich an ihr besonders riihmenswert finde, ist der humane Grundzug an ihr; human nenne ich sie, insofern sie den Schiller als ein menschliches Wesen, nicht als eine blosse Arbeitsmaschine behandelt. Mir fiel neulich eine Stelle in ,,Na- than der Weise" auf, die ich auf unsern Gegenstand anwenden mochte. Recha versi chert Sittah, die es nicht glauben will, dass sie im Lesen von Biichern schr wenig tibung habe. ,.Mein Vater," sagt sie, ,,liebt Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich Mit toten Zeichen ins Gehirn nur driickt. Zu wenig. Sittah. ,,Ei, was sagst du! Hat indes Wohl nicht sehr Uijrecht! Und so manches, was Du weisst?" Recha. Weiss ich allein aus seinem Munde, und konnte bei dem meisten dir noch sagen, wie, wo,

330 Padagogische Monatshefte.

warum er's mich gelehrt." Sittah. ,,So hangt sich alles freilich bessor an. So lernt mit eins die gauze Seele." Diese letzten Worte mochte ich mir mit einer leichten Anderung aneignen und mit Hinblick auf die aktuelle Lehrweise sagen: ,,So hangt sich alles freilich besser an. So lemt init eins der ganze Mensch" nicht bloss der kalte Verstand und das trockene Gedachtnis.

Ich komme jetzt auf die verschiedenen Formen der natiirlichen Me- thode zu sprechen. Unter einer natiirlichen Methode verstehe ich einen Unterrichtsplan, worin die natiirliche Lehrweise, in einer oder mehreren ihrer Forrnen, entweder ansschliesslich oder iiberwiegend angewendet ist. Ich will mich hieriiber sehr kurz fassen und nur einige der Hauptrich- tungen mit wenigen Worten kennzeichnen. Ich beginne mit der natiir- lichen Lesemethode. Sie beruht auf dem natiirlichen Leseverfahren, neben welch em Sprechen, Schreiben und Grammatik, aber nur in gerin- gem Umfang, auftreten konnen. Von der gewohnlichen Form der Le- semethode unterscheidet sie sich zu ihrem Vortheil durch ihren konkre- ten, wenig analysierenden Charakter; gemeinsam mit jener aber hat sie den Mangel, dass sie, wenigstens fur den Schulunterricht, nicht genug Lebhaftigkeit besitzt und daher, wie der ,,Report of the Committee of Twelve" treffend hervorhebt, nur die gesetzteren Schiller zu interessie- ren geeiguet ist.

Die auf dem Auswendiglernea beruhende Methode mag im Privat- unterricht unter Umstanden bfauchbar sein, kann aber fur den Schul- unterricht kaum in Betracht kommen.

Ferner die Konversationsmethode. Konversation wird ausschliess- lich gepflegt oder ist wenigstens das Hauptunterrichtsmittel, neben wel- chem Lesen und Schreiben in ziemlichem Umfange geiibt werden kon- nen, wogcgen die Grammatik nur stiefmiitterlich behandelt wird. Der jetzt in Amerika bliihende Betrieb der Konversationsmethode scheint auf Gottlieb Heness zuriick/ugehen, der sie seit dem Jahr 1866 anwendete. Der Hauptmangel der Methode ist natiirlich, dass sie, ebenso wie die vor- her besprochenen, in der Kegel nicht imstande sein wird, dem Schiiler Prazision im Gebrauch der Sprache beizubringen.

Schliesslich kommen wir zu den modernen vervollkommneten For- men der natiirlichen Methode, d. h. denjenigen, die zwar das Sprechen als Gnmdelement des Unterrichts verwenden, dabei aber ohne Einseitig- keit auch die iibrigen Seiten des Sprachstudiums sorgfaltig pflegen, und, ohne ihren iiberwiegend konkreten Charakter aufzugeben, durch syste- inatische und exakte Einubung der Sprache die sonst der natiirlichen Methode anhaftende Unvollkommenheit iiberwinden. Diese Methoden fiind seit ungefahr 1875 ausgebildet worden. Zwei davon sind besonders wichtig. Die eine wurde von dem Franzosen Goiiin erfunden und dann in England von Swan und Betis unter dem Namen der psychologischen

Ueber die natilrliche Metbode im deutscben Unterricht. 331

Methode weiter ausgebildet und verandert. Zu einer Beschreibung der Methode fehlt mir die Zeit, ich verweise daher auf die-im ,,Report of the Committee of Twelve" (Heath&Co., Preis 15 Cents), Seite 20, angefiihrte Literatur und bemerke nur, dass an dem System manches Gute und man- ches sehr Geistreiche ist, dass es als Ganzes mir aber nicht einleuchtet, und dass die anseheinend damit erzielten bedeutenden Erfolge wohl hauptsachlich von dem herriihren, was dem System mit andern natiirli- chen Methoden gemeinsam, nicht von dem, was ihm eigentiimlich ist. Die andere vervollkommnete Methode ist die in den letzten zwanzig Jah- ren in Deutschland aitfgekommene und jetzt dort entschieden vorherr- schende. Sie wird in Deutschland selbst meist einfach ,,die neue" ge- nannt; ich mochte sie ,,die deutsche" nennen; sehr ungeeignet erscheint mir dagegen die ebenfalls gebrauchliche Bezeichnung als ,,phonetische Methode", ungeeignet, weil der phonetische Unterricht, obwohl eine sehr verniinftige ISTeuerung, durchaus nicht das hauptsachlich Charakteristi- sche der Methode ist, und weil der Ausdruck den ganz falschen Eindruck erweckt, als hatten wir es hier mit einer sehr speziellen Technik zu tun. 1m Gegensatz namlich zu Gouins System, worin Lesestoff, Lehrgang, Lehrverfahren bis ins einzelne festgestellt und vorgeschrieben sind, ist die deutsche Methode vielmehr eine allgemeine, freie, elastische, die sich in hundertfal tiger Verschiedenheit gestalten und anwenden lasst. Sie beruht erstens auf Venvendung aller in den friiheren natiir- hchen Methoden enthaltenen wertvollen Elemente; zweitens auf Ver- bindung der konkreten Unterrichtsweise mit griindlicher systematischer Durcharbeitung und Einiibung; drittens auf eifriger Pflege des aktuellen Elements mittels Anschauung und mittels Realien. Die deutsche Methode ist meines Erachtens entschieden die vollkommenste Form, die der Un- terricht in den modernen Sprachen bisher angenommen hat. Hinreichend eingehende Belehrung iiber sie findet man in dem schon erwahnten Biichlein von Mary Brebner; und wie die Methode (die in Deutschland natiirlich hauptsachlich im englischen und franzb'sischen Unterricht ge- braucht wird) auf den Unterricht im Deutschen anzuwenden ist, ist sehr gut gezeigt im Abschnitt iiber die neueren Sprachen in ,,The Aims and Practice cf Teaching" von Frederic Spencer (1897).

Soviel iiber die verschiedenen naturlichen Methoden. Ich habe den Gegenstand meines Vortrages noch lange nicht erschopft, verschiedene \vichtige Punkte sind noch unberiihrt; doch will ich Ihre Geduld nur noch fiir einen davon in Anspruch nehmen. Es fragt sich namlich schliesslich, wie und in welchem Umfange es fur uns amerikanische Leh- rer des Deutschen ratlich ist, die natiirliche Methode in unserer eige- nen Praxis anzuwenden. Meines Erachtens hatte es wenig Sinn, Ihnen irgend eine der besprochenen Einzelmethoden zur Aneignung in toto zu empfehlen. In mannigfacher Beziehung sind die Verhaltnisse von Fall

332 Pddagogiscbe Monatshefte.

zu Fall so \erschieden, dass eine jede spezifische Empfehlung derart fiir sehr viele Falle das Angeraessene verfehlen wurde. Hit aller Entschie- denheit mochte ich dagegen die naturliche Methode im allgemeinen als Gregenstand aufmerksamer Priifung und eklektischer, auswahlender Be- nutzung jedem Lehrer des Deutschen empfehlen. Wem die naturliche Methode in ihrer radikalsten Form, mit volliger Ausschliessung der ab- strakten Grammatik, des tibersetzens u. s. w. nicht passt, braucht ja nur dieee radikalen Ziige wegzulassen, und 60 kann man iiberhaupt von der natiirlichen Methode, soviel man fiir gut halt, annehmen und im iibrigen dem traditionellen Verfahren treu bleiben. Und ich mochte besonders darauf hinweisen, dass auch schon eine quantitativ geringe Beimischung von natiirlichen Elementen als ein wohltatiger Sauerteig zur Belebung des ganzen Unterrichts wirken kann; und ferner, dass Bekanntschaft mit der naturlichen Methode den Lehrer, auch wenn er die bisher von ihm angewandte Lehrmethode in ihrer aussern Form nicht wesentlich andert, doch zu verbesserter, anregender und gedeihlicherer Behandlung der alten Methode befahigen diirfte.

Berichte und Notizen.

I. Der 43. Nationale Lehrertag zu Boston.

(FUr die Patlagofrischen Monatshefte.)

Von B. A. Abrants, Milwaukee, Wis.

Von dem kleinen, g-emiitlichen und gastfreien Erie und dem kleinen, gremiitlichen deutschamerikanischen Lehrertage trug mich das Dampfross uach der an miichtigen geschichtlichen Erinnerungen reichen Metropole der Neu-Englandstaaten, Boston, ,,an island of intellect surrounded by the world." Erie und Boston! Welch gewaltiger Gegensatz! Dort ein kleines Hauflein deutschamerikanischer Lehrer, das in einem Dutzend Sitzreihen in einem massig grossen Versammlungssaale bequem untergebracht werden konnte, hier ein Heer von xiber dreiunddreissig Tausend Lehrern xind Erziehern aus alien Teilen unserer grossen Republik, dort ein ziem- lich magerer Kiichenzettel, der noch dadurch geschmalert wurde, dass ein Teil der versprochenen geistigen Gerichte gar nicht aufgetragen wurde, hier Fiille und uberfiille von Vortriigen, Berichten und Debatten.

Von den meisten seiner Vorganger unterscheidet sich der Bostoner Leh- rertag in einem wichtigen Punkte. Fast alle amerikanischen Stadte, die sich um die Ehre bewerben, den Nationalen Amerikanischen Lehrerbund beherbergen zu diirfen, denken nicht ausschliesslich an den mit grossen Zusammenkiinften verbundenen Gewinn an Geld und Ansehen, sie hegen auch die Hoffnung, dass Tagungen dieser einflussreichen Korperschaft be- fruchtend, belebend und anregend auf ihr eigenes Schulwesen wirke. In Boston ist der Lehrertag nicht der gebende, sondern der empfangende Teil. In alien Strassen, Gassen und Winkeln der alten Baystadt, in Con-

Der 43. Nationale Lehrertag %u Boston. 333

cord, Lexington, Cambridge, Plymouth und liberal!, wo ein Monument, ein Grab, ein Hiiuschen oder ein Name Erinnerungen wachruft an die jungen Tage der ersten Ansiedlungen, an die ruhmvollen Kiimpfe des Befreiungs- krieges, im stillen Hause Longfellows, in den weiten Salen der Harvard- Universitat, in Museen und Gallerien, Bibliotheken und Schulen iiberall sah man Dutzende, Hunderte, oft Tausende von gelben, roten, blauen und weissen Abzeichen, deren Trager oder Tragerinnen mit Notizbuch und Bleistift be waff net, die Spuren vergangener Tage, Taten und Ereignisse mit beharrlichem Fleisse verfolgten. So ist es diesesmal der Tagungsort, der anregend und befruchtend auf den Besucher wirkt.

So oft ich nach Chicago komme, gibt mir ein wohlmeinender Freund den Rat: Vergessen Sie ja nicht, unsere Viehhofe und Schlachthauser zu besuchen. In Boston ist die erste Frage: ,,Wie gefallt Ihnen unsere Stadt?" Die zweite ganz bestimrat: ,,Haben Sie schon Harvard und die neue Biblio- thek besucht?" Der Bostoner ist stolz auf seiii Gemeinwesen und freut sich herzlich, wenn der fremde Besucher sich lobend iiber die Stadt, die Bildung seiner Bewohner und die Schonheit der offentlichen Gebaude aus- spricht. ,,Ich danke Ihnen im Namen meiner Heimatstadt," entgegnete mir mit einer wiirdevollen Verbeugung ein Mitglied der Bostoner Feuer- wehr, dessen Frage: ,,Welchen Eindruck hat Boston auf Sie gemacht?" ich in passender Weise beanwortet hatte. ,,Unsere Waschfrau und unser Dienstmadchen sind Abiturienten der Hochschule," sagte mir eine in Cam- bridge wohnende Dame. Doch ich wollte ja iiber den Lehrertag berichten. Als Augenzeuge kann ich es vielleicht; als Ohrenzeuge, kaum. Wenn ich den Lesern der ,,P. M." sage, dass taglich elf Versamnilungen an verschie- denen Orten abgehalten und durchschnittlich 75 Vortrage gehalten wurden, bei Temperaturverhiiltnissen, die den Aufenthalt im geschlossenen Raume fast unertraglich machten, werden sie wohl begreifen, dass ein sich auf eigenes Horen stiitzender ausfiihrlicher Bericht nicht erwartet werden kann. Lebhaft im Gediichtnisse ist mir die erste Hauptversammlung am Abende des sechsten Juli in dem machtigen Saale des ,,Mechanic" Gebaudes geblieben. tiber 90 Grad Hitze; 4500 Sitzplatze st&nden zur Verfiigung und waren schon um halb acht Uhr besetzt. uber dreitausend Giiste mussten sich mit Stehpliitzen begniigen, darunter war ich, und iiber dreitausend machten heldenhafte, aber vergebliche Anstrenguogen in den Saal zu ge- langen, den grossten .geschlossenen Versammlungsort in den Neuengland- staaten. Der prangte im herrlichsten Festschmuck. Auf der Biihne sassen die hervorragendsten Erzieher der Vereinigten Staaten. tiber ein Dutzend Universitatspriisidenten, Staatsschulsuperintendenten xind andere hohe Wurdentrager vom Reiche des Erziehungswesens umringten als glanzende Sterne den hochsten Beamt^n des Lehrerbundes, den Prasidenten Eliot von der Harvard Universitat; und den bedeutenden Schriftsteller und Kanzel- redner Edward Everett Hale; der das Eroffnungsgebet pprach. Im Hin- tergrunde ein Chor von hundert Stimmen und ein grosses, fiinfzig Instru- mente umfassendes Orchester. Mit einer eindrucksvollen Ansprache, deren Wirkung keine Einbusse erlitt durch den Umstand, dass sie nur drei Mi- nuten in Anspruch nahm, begriisste Gouverneur Bates von Massachusetts die versammelten Erzieher Amerikas, ,,welche die dunkelsten Orte mit Licht erfiillen, die das Schwert fiihren, um den Aberglauben zu bekampfen, und Speere zur Vernichtung der Feinde der Republik". Er begi-iisste die Lehrer im Namen des Staates, ,,vor dessen vornehmstem Amtsgebaude das Denkmal von Horace Mann als leuchtendes, bedeutsames Sinnbild prangt."

334 Pddagogische Monatshefte.

Gleich kurze und packende Ansprachen hielten noch der Biirgermeister der Stadt Boston und der President, der sich eines hohen Rufes erfreuenden technischen Hochschule. ,,Im Namen der Nation, in deren Schulen im laufenden Jahre siebzehn Millionen Lernbeflissene \mterrichtet wurden," dankte der Nestor der amerikanischen Lehrerschaft, Dr. W. T. Harris von Washing-ton. Der Lehrerbund ist hierhergekommen, sagte er, um die von der edlen Phantasie der hier geborenen Dichter vergoldeten Statten ehr- furehtsvoll zu betrachten. Andere Reden folgten. President Eliot behan- delte in eineni langeren, gediegenen Vortrag das Thema: ,,The New Defini- tion of the Cultivated Man", und mit einer prachtigen Wiedergabe der Weberschen Jubelouverture, deren Schlussakkorde von dem miichtigen Stimmenchor der zehntausend Zuhorer, die stehend die erste Strophe von ,,My country 'tis of thee" sangen, iibertont wurde, schloss die Eroffnungs- feier. Die wirkliche Arbeit begann am zweiten Tage. Nur die Vormittage und die Abende waren den Geschaften und Vortrjigen gewidmet, iiber die Nachmittage konnte man frei verfiigen. Mein erster Besuch gait dem Germanischen Museum, dessen geistige Urheber die Leiter der deutschen Abteilung an der Harvard Universitat sind, und dessen vornehmster Schmuck die Gaben des deutschen Kaisers, herrliche Abgiisse der edelsten Erzeugnisse der deutschen plastischen Kunst aus dem Mittelalter und dem letzten Jahrhundert bilden. Das Museum befand sich zur Zeit meines Be- suches in einem unfertigen Ztistande. Man war gerade beim Aufstellen der Kunstwerke, ein Katalog war noch nicht zu haben, die deutschen Profes- soren weilten ausserhalb der Stadt; ein eingehender Bericht iiber diese Schopfung, der die hohe Bestimmung zufallt, ein geistiges Band um die Ab- kommlinge der germanischen Stilmme zu schlingen, muss deshalb axif einen spateren Zeitpunkt verschoben werden.

Wenn ich von den vielen Abteilungsversammlungen des ersten Ge- schaf tstages die Sitzutig der Abteilung f iir Handf ertigkeitsunterricht be- snchte, so ist diese Bevorzugung lediglich auf den Umstand zuriickzufiih- ren, dass in dem betreffenden Saale eine Sitzgelegenheit frei war. Die her- vorragendsten der an\vesenden Vertreter des Handfertigkeitsunterrichtes waren die bekanhten Herren Calvin D. Woodward von St. Louis und der schoii frtiher erwahnte Leiter der Bostoner technisehen Hochschule, Henry S. Pritchett. Dr. Woodward verlangt eine Ausdehnung des Lehrplanes der Sekunrlarschulen, \im die Forderung zu befriedigen, die Schule in Einklang zu bringen mit dem modernen Leben, modernen Bedingungen und moder- ner Verantwortlichkeit. ,,Wenn ein Knabe weiss," meint er, ,,dass das Wesen der Elektrizitat, des Danripfes und der Warme, die Kunst der Zeich- nungsentwiirfe ohne grossere Anstrengung und in kiirzerer Zeit verstan- den werden konnen, als notig ist, eine Grammatik dem Gedachtnisse ein- zuverleiben, oder Demosthenes ohne Worterbuch lesen zu konnen, und wenn er weiss, dass die ersteren Gegenstande ihm in seiner spateren Lauf- bahn von Nutzen seih konnen, wird er sie wahlen, wrenn er die Gelegenheit dazu hat, und unsere Aufgabe ist es, ihm diese Gelegenheit zu verschaffen. Es ist erstaunlich, vine eng die Fessel der iiberlieferung uns noch gefangen halt. Wir halten es fur wertvoller, mit der Mythologie Griechenlands ver- traut zu sein, als mit der Tatsache, dass Edison das Gliihlicht erfunden und uns in den Stand gesetzt hat, eine Stadt aus einer Entfernung von zwanzig Meilen zu beleuchten; und doch ist es uns bekannt, dass die My- then ein schones Lligeiigewebe bilden, wahrend das Letztere auf Wahrheit beruht.

Korresponden^en.

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Eine hochst interessante Sitzung fand am Abend des zweiten Tages in der ,,Chickering Hall" statt. Klassenlehrer der Volksschulen bildeten die Versammlung, und die materielle Lage der V7olksschnllehrer war das wich- tige Thema. Der Nationale Lehrerbund, dessen Leiter und einflussreiche Wortfiihrer der diinnen Eeihe hochsalarierter Schulmanner angehoren, hatte sich bis zur Bostoner Tagung stets geweigert, fiir die Aufbesserung der niedrigen Ge halter der Volksschullehrer einzutreten. Unter der Fiih- rung tat kraf tiger Vertreterinnen der Klassenlehrerinnen ist ein Nationaler Vereinsverband ins Leben getreten, dem es in Boston gelang, den Lehrer- bund zu verpflichten, sich mit der Gehaltsfrage zu beschiiftigen. Aus man- ehen Reden, die ich in ,,Chickering Hall" horte, klangen Tone des Kampfes tmd der Emporung gegen die aristokratische Leitung des Lehrerbundes, dessen Ziele und Bestrebungen. Ein Redner entfesselte einen wahren Bei- fallssturm durch die Erklarung, es sei eine Schande fiir das amerikanische Volk, dass es dulde, dass man den Volksschullehrern Hungerlohne zahle. Der Korper konne nicht gekleidet und geniihrt werden, der Geist miisse hungern bei einem Durchschnittslohn von$270 fiir die weiblichen Lehr- krafte. In seiner Schlusssitzung beschloss der Lehrerbund eine Summe von $1500 fiir Sammlung statistischen Materials iiber Lohnverhaltnisse auszuwerfen und der Gehaltsfrage zum ersten male in seiner Geschichte einen hervorragenden Platz auf dem Programm der nachstjahrigen Tagung anzuweisen. (Fortsetzung folgt.)

II. Korrespondenzen.*

(Fiir die Padagogischen Honatshefte. )

Ba timore und Ocean City.

Mit der Mitte September wurden die Tiiren uud Toren unse- rer offentlichen Tagschulen fiir das neue Schuljahr geoffnet die Abendschulen beginnen einen Monat spater , der Schiilerandrang war aber nicht so gross, als erwartet werden durfte. Am Ende der ersten Woche hatten zwar die Hochschulen 2,820 Zoglinge uufzuweisen, gegen 2,523 zur selben Zeit des vorherge- henclen Jahres, dagegen blieb die Schiilerzahl an den Elementarschu- len hinter der des Vorjahres zuriick, dieselbe betrug damals 65,138, dies- mal aber nur 61,518. Man kann in- dessen erwarten, dass sie iin Okto- ber auf 70,000 steigen wird. Die zehn englisch-deutschen Schulen haben keine Schulerverminderung aufzu- weisen, so zahlte die des Schreibers, die grosste aller hiesigen Schulen, am Ende der ersten Woche schon 1,550 Zoglinge. Die Arbeit ist nun

* Einige dieser Korrespondenzen befanden sich bereits seit Anfang September im Satz, konnten jedoch wegen Mangel an Raum nicht in dem vorigen Hefte zur Aufnahme ge- langen. D. R.

in vollem Gang, ihm wird sie erleich- tert durch die Erinnerung an die vergangene Ferienzeit.

Und schon war sie, diese Ferienzeit. Am Beginn der- selben hatte Schreiber den Genuss, auf dem Lehrertag zu Erie mit strebsamen Kollegen und Kollegin- nen zusammen zu sein und durch 'sie neue Anregungen und neuen Schaffensmut zu gewinnen, dann reiste er iiber Pittsburg, woselbst einen kostlichen Tag im trauten El- ternhause unseres gemiit- und geist- vollen Kollegen Ferren eingekehrt wurde, nach Ocean City, Maryland, 132 Meilen ostlich von Baltimore, und dort bewohnte er mit seiner Familie iiber zwei Monate ein Som- merhaus, 80 Schritte vor sich den brandenden Ozean, und 300 Schritte hinter sich die stille Sinepuxent Bai. Obgleich fiir diese schmale Insel, eine et-wa 60 Meilen lange Sand- dune, in die der Ort eingepfahlt ist, die Uhlandschen Worte gelten: Kein Baum verstreuet Schatten, Eein Quell durchdringt den Sand, so bot doch der Aufenthalt daselbst gar seltene Reize. Vor allem konnte man sich ganz und gar dem Genuss der wunderbaren Ozeannatur hinge-

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Pddagogische Monatshefte.

ben, ungestort durch Frivolitaten oder Modervicksichten. Der Ort hat in der Hohe der Saison kaum 1800 Gaste, und ausserhalb dieser 1st er ein einfaches Fischerdorf. Jeden Tag der Woche fahren die Fischer bei Sonnenaufgang in ihren offenen Boten hinaus auf die See, manche 15 Meilen \veit, ausser Sicht des Lan- des, und ein Gast 1st ihnen dabei stcts willkommen. Freilich mxiss man bei der Fahrt durch die unver- meidliche Brandung gewartig sein, gehorig iiberschiittet zu werden, und auf dem Ozean darf man auch manch derben Puff erwarten, doch trifft man dort draussen so manches Neue und Wunderbare, und beina Heimkommen schmeckt dann auch das Essen um so besser. Am Harpu- nieren liistiger Storenfriede, wie Hammerhaie, Hundehaie und Men- schenbaie, die alle sehr zahlreich vorkoik»»«ien, liessen die Bootfiihrer ihren fast taglichen Gast gerne teil- nehnwn, so ungeschickt er sich auch dabei oft zeigte; er bewahrt jetzt den ScUwanz eines zwolf Fuss Ian- gen Menschenhaies, welch letzterer ihm bedeutende Aufmerksamkeit ge- zeigt hatte. Einen weiteren Genuss verschaffte er sich durch Fusstou- ren im Badeanzug, barfuss und ohne Kopfbedeckung, langs des einsamen Strandes, eine davon debute sich euf zwolf Meilen aus. Unterwegs wurde gelegentlich ein Erfrisch- ungsbad genommen, ohne Badean- zug.

Die an dieser ausgesetzten Kiiste ohnehin hohe Brandung nahm bei der diesen Sommer ungewohnlich stiirmischen Witterung oft gewal- tige Dimensionen an, ein die Seele iiberwaltigender Anblick das regelmassige Bad wurde darum aber immerhin nicht unversucht ge- lassen, fein fiirsichtiglich natiirlich, der Genuss wurde aber beeintrach- tigt, als bei einer Gelegenheit die lAusliiufer der Ozeanwellen an eini- gen Stellen iiber die flache Insel weg in die Bai dahinter getrieben wur- den. So wurde im steten, innigen Verkehr mit der Xatur an, auf und in dem Ozean der Schulstaub griind- lich weggeblasen und abgespiilt, die Erinnerung an die Freunde blieb aber frisch, oft gedachte Schreiber derer, mit denen er auf dem Lehrer- tag verkehrt hatte, und vergass auch die nicht, die er auf demselben gern gesehen hatte.

Wie die Ferien durch den Lehrer- tag einen so schonen Anfang gehabt hatten, so gewannen sie durch den

Konvent des Deutschame- rikanischen National-

bun d e s einen gleich wiirdigen Ab- schluss. Es waren gesinnungstreue Manner deutschen Stammes aus den verschiedensten Teilen des weiten Landes, Manner aus den verschie- densten Lebensstellungeu und Be- rufen, unter ihnen auch Vertreter unseres Lehrerbundes xind Lehrer- seminars, die sich in Baltimore vom 12. bis 15. September zu ernster, ziel- bewusster Arbeit vereinigt hatten. iiber diese, sowie iiber die bereits errungenen Erfolge der vor erst zwei Jahren begonnen deutschameri- kanischen Bewegung, werden die Monatshefte einen Bericht bringen. Endlich ist auch der deutsche Michel in Amerika aus dem Schlaf geriittelt worden.

Die Nationalkonvention hat die Veranlassung zur Bildung eines Ver- eins in hiesiger Stadt gegeben, der sich aie schone Aufgabe gestellt hat, durch Pnege deutscher Literatur und Kunst anregend und befruch- tend zu wirken. Zweck und Ziele der Gesellschaft sind in folgendem Pa- ragraphen der Statuten klargelegt:

,,Tn Erwagung, dass das Deutsch- tum eine bestimmte Kulturaufgabe zu erfiillen berufen und gewillt isi, und dass diese in erster Linie auf peistigem Gebiete stets gelegen hat und weiter liegen wird, dass aber im Deutschtum der Vereinigten Staaten dies hohere Streben, um dessentwil- len allein es fiiglich berechtigt ist, die deutsche Sprache im Lande zu erhalten, bisher nicht geniigend zrm Aur>druck gekommen ist, hat sich in Baltimore, Md., die ,,Gesell- schaft fiir deutsche Literatur und Kunst" hegriindet. Sie verfolgt den Zweck, dem Deutschtum in AmeriKa einen tieferen, dauernd lebensfahi- gen Inhalt zu geben durch die Pflege deutscher Literatur und Kunst und das Deutschtum zu einer geistigen Macht zu bringen, welche richtung- gebend auf die Kultur des Landes einwirken kann und will.,,

Gliickauf! S.

Boston.

,,Harvard University", die alteste, gri'sste und beriihmteste Universi- tat Amerikas, woselbst deutsche Wissenschaft und deutsche Geistes- kultur mehr wie sonst wo in diesem Lande gehegt und gepflegt werden, hat einen neuen Fortschritt aufzu- weisen, indem nun auch ein Kursus

Korresponden^en.

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fur technische Forstkultur nnter Leitung beriihmter Fachmanner ein- gefiihrt worden ist. Derselbe um- fasst ausser dem Elementarunter- richt in Botanik, Geologie und Zoo- logie, auch Physik, Chemie, Trigono- metrie, Deutsch und Franzosisch.

Zum Anschauungsunterricht in diesen Wissenschaften enthalt das Universitatsmuseum Gegenstande von enormem Werte. Erwahnt sei nur die Sammlune1 kunstvoller Glas- nachahmungen einheimischer Pflan- zen, Blumen, Friichte, Getreide u. s. w., die von einem Bohmen namens Leopold Blaschka, und dessen Sohn Rudolph hergestellt wurden.

Es ist erstaimlich, init welcher Genauigkeit die Erzeugnisse der Mutter Erde in Farbe, Grosse und alien Bestandteilen, bis zum winzig- jsten Staubfadchen getreu nachge- bildet sind. Man meint, die Zweige mit Knospen, Bliiten, Friichten und Blatterschmuck waren erst soeben von den Stauden im Freien geschnit- ten. Als eine Sendung ,,Golden Rod" ausgepackt wurde, glaubte man, es ware auf irgend eine Weise Staub hineingeraten und beim Versuch, denselben zu entfernen, stellte sich tjeraus, dass der geniale Kiinstler die stolze Feldblume gerade so an- gefertigt hatte, wie er sie in Ameri- ka fand, mitsamt dem Staub am unteren Teil des Stengels! ^

Die Sachen sind nicht etwa ange- strichen, oder bemalt, sondern die Farbe ist im Glase selbst enthalten und die Zubereitung dieser Masse ist Geheimnis des noch lebenden Soh- nes. Der altere Hr. Blaschka, 1822 in Aicha, Bohmen, geboren und 1895 gestorben, war der Erfinder dieser Mischung, imd da sein gegenwartig zu Holsterwitz im Konigreich Saeh- sen \vohnender Sohn kinderlos ist, wird die schone Kunst mit ihm wohl aussterben, denn er hat noch nie- manden dariiber belehrt. Seit vie- len Jahren waren Vater und Sohn ausschliesslich fiir das Harvard- Museum tiitig, und jetzt sind etwa 3000 Exemplare ihres Fleisses in 700 Sehaukasten ausgestellt. Wie miih- sam die Arbeit ist, mag der Leser daraus schliessen, dass in den letz- ten zwei Jahren nur 26 Stiick anka- men. Herr R.udolph Blaschka kommt fast jedes Jahr nach Amerika, er- halt seine Auf trage und reist dann nach Deutschland zuriick. Die von ihm verlangten Preise werden nie

beanstandet. Er besorgt auch die Verpackung der zerbrechlichen Waren selbst, und sie kommen ge- wohnlich unversehrt an. A.

Chicago.

Wir stehen immer noch im Z e i- chen der Examina. Unser Schulsuperintendent Herr Cooley, von dem es heisst, dass er selbst nicht eininal ein Prinzipals-Examen abgelegt hat, verlangt von alien Leh- rern, die in hohere Gehaltsklassen aufriicken wollen, dass sie eine schwere Priifung bestehen. Ferner verlangt er von alien Kandidaten fiir Spezial-Lehrerstellen im Zeichnen, jSingen, Tujrnen, Kochkunst, Hand- fertigkeitsunterricht, dass sie eine umfassende Fachpriifung und dann noch ein allgemeines Lehrerexamen bestehen.

Die Friichte zeigen sich schon. Im Haiidfertigkeitsdepartement werden iiber ein Dutzend Lehrer notwendig sein, kein Mensch weiss, woher ^sie bekommen. Wenn einer nicht weiss, wann die Schlacht bei Marathon war, kann er doch den Jungen das Sagen und Hobeln nicht lehren. Herr Cooley gibt schon zu, dass er ,,man- ual training teachers" wird anstellen miissen, die die vorgeschriebene Prii- fung nicht abgelegt haben. Von den Kandidaten, die die Priifung fur Turnlehrer versucht haben, ist kein Einziger durchgekommen. In der Xormalschule sieht es auch traurig aus. . Nicht mehr die Halfte der frii- heren Anzahl bereiten sich auf den Lehrerberuf vor, da die Anforderun- gen immer hoher wurden, die Be- zahlung dagegen eine sehr geringe geblieben ist. Im Laufe dieses Schuljahres, oder ganz gewiss im nachsten tritt in Chicago Lehrer- inangel ein, dann \vird man hoffent- lich wieder zu einem verniinftigen System der Beforderung zuriickkom- Imen, das meiner Ansicht nach ohne die Chikanen einer Priifung durch- gefiihrt werden kann. Wozu sind a lie die hochbezahlten Prinzipale, Hilfssuperintendenten u. s. w. da, wenn sie nicht bestimmen konnen, welcher Lehrer tiichtig ist und wel- cher nicht. Eine Priifung ist na- mentlich den alteren Kriiften gegen- iiber eine Ungerechtigkeit. Und wenn man von unseren Lehrern ver- langt, dass sie eine Universitats- bildung haben sollen, dann soil man sie auch dementsprechend bezah- len.

Mit derSache des deut- sehen Unterrichts geht es bei

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Pddagogische Monatskefte.

uns riesig schnell bergab. Vor etwa 15 Jahren hat der damalige deutsche Schulverein an Wells Strasse ein hiibsches Gebaude errichtet, das heute noch den stolzen Titel "Deutsch-Englische Schule und Aka- demie fiihrt. Bei der Einweihung desselben wurden herrliche Reden gehalten, die von Schlagwortern, wie ,,Pflege desDeutschtums", ,,Bildungs- Statte dgutschen Geistes", ,,Hort der Muttersprache" u. s. f. voll waren. Ein Dutzend Jahre hat sich die Schule hingeschleppt, die Deutschen haben sie immer mehr im Stich ge- lassen, bis das Gebaude von einem reichen Backermeister gekauft und in einen Rossstall umgewandelt \vurde! Und oben steht noch in Ter- rakottoschrift ,,Deutsch - Englische Schule und Akademie" wie zum Hohn auf die deutschen Bestrebungen.

Und \vie steht es mit dem deut- schen Unterricht in den offentlichen Schulen? Be- kanntlich hat unser Superintendent voriges Jahr iiberall zu reformieren angefangen. Unter anderem muss- ten sich die deutschen LehrKrafte einer englischen Priifung unterzie- *nen, die die meisten von ihnen nicht bestehen konnten. Um Lehrer der deutschen Sprache zu bekommen, hat man dann deutsche Priifungen fiir englische Lehrer ausgeschrieben, die durchaus nicht schwierig waren. Aber wie es mit dem Deutsch man- cher derselben bestellt ist, kann man Sich denken. Zudem hat die dgut- sche Lehrerin auch'ihr eigenes (eng- lisches) Zimmer und erteilt nur deutsch in Form von Abteilungunter- richt. Im grossen und ganzen kann man heute nach einjahrigem Experi- ment Ischon mit Bestimmtheit sagen, dass das neue System sich nicht be- wahrt hat und sich wohl anch nicht bewahren wird, (und dass es den An- fang vom Ende des deutschen Unter- richts in den offentlichen Schulen bedeutet.

I n u n serer Normalschule scheint auch vieles faul zu sein. Dem Leiter wird Parteilichkeit vorgewor- fen und eine Untersuchung ist ein- geleitet, die ihm und, wie neulich eine englische Zeitung meinte, dem Herrn Cooley die 'Sttellung kosten kann.

Am 1. ,T u 1 i trat im Staate Illi- nois ein Gesetz in Kraft, nach wel- chem alle Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren angehalten sind, 40 Wo- chen per Jahr die Schule zu besu- chen. Fiir unentschuldigte Versaum-

nisse trifft den Vater oder Vormund eine Strafe von 5 bis 20 Dollars fiir jeden Fall. Wvinscht ein Kind mit 14 Jahren zur Arbeit zu gehen, so muss es vom Prinzipal seiner Schule ein Zeugnis beibringen, dass es min- destens fliessend lesen und schreiben kann. Ist es nicht imstande, diese Befahigung aufzuweisen, so muss es bis zum 16. Lebensjahre in die Schule gehen. Dasselbe Gesetz verfiigt, dass junge Leute unter 16 Jahren nicht an gefahrlichen Ma- schinen und nicht langer als 8 Stunden per Tag arbeiten diirfen. Die einfache Anwesenheit in einer Fabrik oder einem ,,shop" wird als Beweis angesehen, dass das Kind daselbst arbeitet.

Unser Thomas-Orchester nahm am 23. und 24. Okt. seine re- gelmassigen Konzerte wieder auf. Auf dem ersten Programm standen:

Huldigungsmarsch, Wagner; Vor- spiel, Lohengrin, Wagner; Siebente Symphonic, Beethoven; Entr' Acte Symphonic, Bruneau; Sechs Varia- tionen iiber ein russisches Thema, und Ouverture Le carnival Remain, Berlioz. Wenigstens 5000 Personen wohnten beidemale dem herrlichen Konzert bei. Leider hat das Or- chester noch nicht seine eigene Halle. Zum Fonds zur Erbauung ei- ner solchen haben beigesteuert:

33 von $5,000 $10,000 $255,000.00

44 von 1,000— 2,500 46,500.00

201 von 100— 1,000 44,300.00

2081 von $100 oder weniger 20,254.50

5708 Clubs, Vereine etc 42,672.61

Zusammen 8065 Verspre-

chungen in der Hohe von $408,727.11 Die Voranschlage der Kosten der eigenen Halle sind $725,000. Hof- fen wir, dass der ,,schabige Rest" cald gezeichnet sein wird, sonst ver- lieren wir unser herrlichstes Or- chester, das je in Amerika spielte.

Ernes.

Cincinnati.

Frisch geolt und neu be- schlagen hat unser, inf olge weiterer Annexionen von umliegen- den Dorfern wiederum vergrossertes Schulfuhrwerk seine Zehnmonats- fahrt in der ersten Septemberwoche angetreten. Das unter der verflos- senen Administration als veraltet und zwecklos in die Rumpelkammer geworfene ,,Teachers Institute"

Kor t esponden^en.

339

wurde wieder hervorgeholt und, wie friiher, in Betrieb gesetzt, so dass wir auf ein Jahr mit padagogischem Proviant versehen, frisch-fromm ins Geschirr gehen konnten. Die Haupt- sache ist dabei, dass der neue Rosse- lenker ohne viel Larmen angesetzt und in seinem Gespann nur gering- fiigige Stellungsveranderungen vor- genommen hat. Die beiden Hiilfs- lenker-Stellen sind eingegangen: Der Schulsuperintendent hat keine As- sistenzsuperintendenten mehr; er will, unterstiitzt von den Schulprin- zipalen, die Ziigel ganz allein halten. Fiir den deutschen Unterricht aber haben wir in der Person des Herrn Dr. H. H. Fick einen Spezialsuperin- tendenten bekommen und wir sind, so viel ich bis heute habe ermitteln konnen, mit der Steuerung samt und. senders einverstanden, beson- ders beziiglich des mit deni neuge- schaffenen Amte betrauten Herrn. Ob im englischen Unterrichtssysteme Anderungen eingetreten sind, ist mir nicht bekannt. Die halbjahrigen Versetzungen sind aber abgeschafft, und das Zwei-Klassenwesen, die Gruppenteilung u. s. w. sind, wie ich vernehme, nicht mehr notwendig. Ich wage zu behaupten, dass ob dem all- ihahlichen Dahinschwinden dieser Siichelchen, denen gewiss langsam sich noch andere ,,fads" anschliessen werden, wenig oder keine Tranen vergposen werden.

Der deutsche Karren wird unbedingt gut fahren, und das ist tins furs erste noch die Hauptsache.

Gestern (27. Sept.) wurden im hie- sigen Krematorium die irdischen tiberreste von Frau JennyJones, einer im ganzen Lande langst giin- stig bekannten und unter Kellers Direktion am Seminar zu Milwaukee tatig gewesenen Lehrerin, zu Asche verwandelt. Die Verstorbene hatte sich erst vor einem Jahre vom Lehr- rimt uriickgezogen, war aber bis zu ihrem Tode schriftstellerisch fiir das Erziehungswesen tatig gewesen.

An \inserer stadtischen (McMicken-) Universitat ist nunmehr ein padagogischer Kursus mit einem regelrechten Zweitausend- fiinfhundert Dollarigen Professor eingerichtet worden, und wir konnen uns demnach auch hier gelegentlich auf einen Magister oder Doktor der Padagogik, a la Columbia, New York, p-efasst machen. Nicht besonders gut diirften, dabei, im englischen Departe- ment wenigstens, die noch vorhan- denen 150 200 gepriiften Lehramts-

kandidatinnen fahren, da der Schul- rat bereits beschlossen hat, den Abi- turienten der Universitat in alien Fallen den Vorzug bei der Besetzung von Lehrstellen zu geben. Da wird leider gar oft das Krautlein Geduld Trumpf sein miissen, um so weniger angenehm fiir die Betreffenden, als von ihnen noch axisserdem verlangt wird, dass sie dreihundert Schultage als soffenannte ,,Kadetten" in Schul- hausern herumpraktizieren, auch wenn sie nicht Stellen erkrankter oder sonstwie abwesender Lehrkrafte gegen Bezahlung versehen. Fiir man- che unbemittelte Kandidaten ist daa eine ziemlich harte Nuss, und Zahne wirds hie und da wohl kosten. Zieht man noch die Tatsache in Betracht, dass die Lehrergehiilter an Land- ^chulen inOhio nachgerade unerhort klein geworden sind, so dass es sich kaum noch lohnt, sich darum zu be- werben, so liegt der Gedanke recht nahe, es sei besser fiir junge Mzid- chen, Stellen in anstandigen Haxishal- tungen anztmehmen, als hoheren Stu- dien obzuliegen. Doch das diirfte wohl tauben Ohren gepredigt sein.

MM

Milwaukee.

Am 19. Sept. versammelte sich der Milw. Lehrerverein (Milw. Teachers Association) zum erstenmal wieder im neuen Schuljahr. Wohl alle waren iiberrasqht, eine so grosse Anzahl Kollegen zu finden, da ge- wohnlich die erste Versammlung nur schwach besiicht wird. Es waren wohl an 130 Personen anwesend, und alle schienen frisch, gesund und en- thusiastisch zu sein, und so also mit neuem Mut und neuer Hoffnung ihre lArbeit wieder begonnen zu haben. 'So ists recht! Ein Lehrer soil ein: Optimist sein, voll Freudigkeit, Hei- terkeit und Lebensmut; denn nur dann kann er auch seinen Schiilern Begeisterung, Lust und Liebe, zum Stiidium einflossen. Auf der Tages- ordnung standen nebst den Routine- geschaften zwei Vortriige iiber die im Juli in Boston stattgefundene Allge- meine Lehrerversammlung. Der erste Referent war unser 1. Ass. Supt. Her W. Allen, der auf Ersuchen sich freundlichst bereit gefunden hatte, seine Eindriicke und Anschauungen von der Versammlung und der an hi- storischen Erscheinungen so reichen Stadt Boston samt der ganzen Um- geoung, als Plymouth Rock, Concord und Lexington u. a. m. der Versamm- lung mitzuteilen. In meisterhafter, freier Rede schilderte er den Ver-

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Pddagogisclje Monatshefte.

lauf der Verhandlungen und zeich- nete gleichsam in grossen Umrissen die Hauptpunkte und Ergebnisse. Dass bei der riesigen Menge der Be- sucher (an 30,000) bei den Hauptver- ^ammJungen kein besonderes Ergeb- nis zu verzeichnen ist, erscheine nur natiirlieh, denn kein Redner hatte sich der riesigen Masse verstandlich tnachen konnen. Auch habe die schreckliche Hitze den Versammlun- gen grossen Abtrag getan. Die Sek- tions-Versammlungen seien darum auch nur recht schwach besucht ge- wesen, in einer hatte er z. B. nur 19 Personen anwesend gefunden. Doch sehr viel Interesse batten die Lehrer fiir die historischen Orter und Platze in der Stadt und in der Umgebung ron Boston gezeigt, z. B. am ineisten fur Plymouth Rock. Wohl die mei- sten hatte n die felsigen Ufer am Meere besucht, wo einst die Pilgrim- vater gelandet seien. Er glaube auch, dass spater der Geschichtsun- terrieht in den Klassen eben dadurch recht fruchtbringend und interes- sant gemacht werden konnte, wenn die Lehrer den Schiilern von diesen Orten erziihlen wiirden, und beider Interesse wiirde dadurch am Unter- richt geweckt. Dann hielt noch Frl. Slawson einen Vortrag, und zwar auch iiber alle die historischen Orte und Punkte in der Umgebung Bo- stons, vorziiglich iiber Concord. Der Vortrag fand ebenso viel Interesse.

In meiner letzten Korrespondenz vom letzten Juni berichtete ich vom Gesangunterrichte in u n- 'sernSchulen und ausserte zu- gleich meine Befiirchtung, dass wir anscheinend wieder dem Gesangssy- stem des ,,do re mi fa sol la si" rait seinem unsinnigen ,,tiffee taffee" und ,,tee ta" zuzutreiben ^chienen. Der Schulrat hat sich namlich veranlasst gesehen, eine Ge- sangslehrerin, oder besser, eine Auf- seherin iiber den Gesangsunterricht, anzustellen. Bei dem letzten Gesang- lehrer, vor 6 7 Jahren, konnte man 15 Minute n lang die armen Schiiler tiffee-taffee, tiffee-taffee sinp-en ho- ren; aber sie konnten nicht 3 oder 4 Lieder ordenlich mehr singen. Hof- fentlich kehren die Zeiten nicht wie- der.— Der Nordwestliche Siingerbund wird im nachsten Sommer in Milwau- kee ein grosses Sangerfest abhalten. Da hat er beschlossen, einen grossen Kinderchor von 2000 Stimmen zu bil- den, der mehrere Gesange und Volks- lieder bei dem Sangerfest singen soil. Herr M. Griebsch ist mit der Bildung

und Einiibung dieses Chors betraut. Ich glaube und bin gewiss, dass wir einen ausgezeichneten Kinderchor horen werden; aber ich glaube auch, dass HerrGriebsch das Einiiben ohne do-re-mi, und tiffee-taffee, und teeta, fertig bringen wird. Nichts klingt schoner, wie ein gut eingeiibter, zweistimmiger Kinderchor mit fri- schen, reinen Stimraeii. ubungen miissen seiu, aber ich glaube, daiss die Hauptiibungen bei den Liedern und Chciren selbst stattfinden. Die alte Methode mit den Notennamen c, d, e, f etc. sind in Deutschland noch immer gebrauchlich und werden es auch wohl bleiben, und so auch hier bei uns in den meisten Schulen und Gesangvereinen, und ebenso beim Gesangunterricht. England, von wo diese famose Methode herkam, mag sie behalten, wir gonnen sie ihnen gern. Die Lehrmethoden, die von dort her kommen, sind meistens nicht viel wert.

Vom 21.— 23. Juli tagte hier in Mil- waukee die jiihrliche Nordwest- liche L e h r e r k o n f e r e n z. Das ist eine Vereinigung lutherischer Lehrer, die sich aus den Lokalkon- ferenzen der Lehrer von Chicago, Milwaukee, Addison, 111., und Win-, nebago Co., Wis., zusammen setzt. Die Versammlung Avar recht zahl- reich besucht; es waren an 150 175 Lehrer, Professoren und Pastoren anwesend und zwar ausschliess- 1 i c h Manner. Das ist hier in Amerika gewiss eine sehr seltene Er- scheinung. Auf der Tagesordnung stand eine Reihe recht interessan- ter Vortrage und zwei praktische Lehrproben, namlich: die 5 Formal- stufen der Herbartschen Methode. Wie hat der Lehrer die Individuali- tat seiner Schiiler zu beobachten? Wie kann der Lehrer sich vor Zer- splitterung seiner Krafte im Unter- richt hiiten? uber Inspektion in den Schulen. Die Respektlosigkeit der heutigen lJugend. Passendes und Aviirdiges Orgelspiel beim Gottes- dienst. Der Humor in der Schule, und als praktische Lehrproben eine Katechese iiber /Christ! Axifer- stehung, und Anschauungsunter- richt iiber das Ei. Natiirlieh kamen nicht alle Themata zur Verhandlung, aber diejenigen Arbeiten, die ver- lesen wurden, kamen zu ciner griind- lichen Besprechung und Debatte. Recht erfreulich war es zu beobach- ten, wie jeder seine Meinung frei und offen aussprach ohne Scheu und Riickhalt /vor den anwesenden Pro- fessoren und Pastoren. Ebenso

Korresponden^en.

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wurden aueh die beiden praktischen Lehrproben, welche mit Schulklassen abgehalten wurden, kritisch bespro- chen in methodischer und sachlicher Hinsicht. Die zweite Arbeit war be- sonders gut, namlich eine Probe im Anschauungsunterricht, es war eine wirkliche Miisterlektion. Es liegt auf der Hand, dass durch solche griind- liehe Besprechungen und Debatten die gehorten Vortrtige oder Referate erst fruchtbar gemacht werden, so dass jedes Mitglied auch etwas mit nach Hause tragen kann. Wie er- frischend und anregend ist es fiir den Lehrer, eine Anzahl tiichtiger Schulmanner zu sehen und zu horen, die es ernst mit fihrem Beruf nehmen und von denen inanche im Schulamt echon ergraut sind. Diese haben dann auch den Mut, ihre Meinung offen und frei auszusprechen, und dadurch kann ja auch nur etwas Er- spriessliches in Lehrerkonferenzen erzielt werden. Wie verschijden da- von ist es oft in anderen Versamm- lungen, wo Lehrer und Lehrinnen in den Debatten oft angstlich nach ,,oben schielen, um zu lernen, woher dort der Wind weht, (wahrschein- lich jist das eine neue Art Meteorolo- gie) und darauf dann ihre Meinung formeln, weil sie entweder selbst keine Meinung haben, oder auch zu feige sind, dieselbe auszusprechen.

A. W.

Washington.

Die Ferienklassen waren diesen bommer wieder ganz und gar iiber- fiillt, die darin gebotene Abwechs- lung war aber auch eine reichhal- tige. Da horte man den schrillen Ton von Hobel und Sage, das Ticken aer Schreibmaschine, das Surren der Nahmaschine, Stiihle wurden ge- flochten, Drahtarbeiten verfertigt, im ,,Kiichengarten" kochte und bro- delte es, und im Kindergarten er- klangen die munteren Gesange der Kleinen beim frohen Spiele. Gross- herzige Burger hatten nicht nur das notige Arbeitsmaterial beigesteuert (die vom Kongress ausgesetzte S'lmme war nicht hinreichend), son- dern auch verschiedene Ausfliige mit der elektrischen Bahn fiir die Zoglinge veranstaltet. In den jetzt begonnenen Abendschulen, die in gewissem Sinne das Gegenstiick zu den Ferienschulen bilden, soil nun auch der Handfertigkeitsunterricht eingefiihrt, resp. erweitert werden. Der sclion friiher an denselben ein- gefiihrte Kochunterricht scheint be-

sonders begehrt zu sein, es hatten sich auch miinnliche Zoglinge daran beteiligt, und zwar mit gutem Er- folg.

Die Schulen sind alle in vollem Gange, offentliche wie private. Die Zahl der Zoglinge an den offentlichen Schulen belauft sich rund auf 50,000, wo von 17,000 Farbige sind. Die etwa 1350 Personen betragende Lehrer- schaft weist folgenden Prozentsatz auf: weisse Lehrer 7 Prozent, weisse Lehrerinnen 60 Prozent; farbige Lehrer 6 Prozent, farbige Lehrerin- nen 27 Prozent. Die offentlichen Schulen begannen ihren Kursus Ende September, die Mehrzahl der Privatschulen fingen aber mit vor- nehmer Gemutlichkeit erst im Ok- tober an; dafiir scheint an densel- ben indessen auch mehr eingetrich- tert zu werden, wenn man nach den hohen Schulgeldern schliessen kann, an einigen betragt allein das Schul- geld fiir jiingere Madchen iiber fiinf- zig Dollars den Monat. Was sollte nach diesem Massstab wohl das mo- natliche Schulgeld an der Muster- schule unseres Lehrerseminars in Milwaukee sein, an der, wie Schrei- ber weiss, so viel mehr geleistet wird?

Die deutschamerikanische Natio- nalbewegung hat in der Bundes- hauptstadt bereits gute Frtichte ge- zeitigt. Mit Ausnahme des altesten Gesangvereins haben sich alle deut- sche Vereine und Logen hierselbst dem Zentralverband des Distrikts Columbia angeschlossen, und der- selbe zeigt ein reges Leben. An der Spitze desselben stehen die Herren Kurt Volckner, von der Kongress- Bibliothek, Gustav Bende, vom Kriegsministerium, und der friiher im Finanzministerium angestellte ^xrchitekt Pohl. Unter Leitung die- ser hochbefahigten und enthusiasti- schen Manner wird die 220. Jahres- f eier der ersten deutschen Einwan- derung in grossartiger Weise im November stattfinden. Eine Darstel- lung von ,,Alt-Deutschland" wird vorbereitet.

Die Konventionshalle, ein wirklich riesiges GebJiuae, welches bequem 10,000 Menschen fassen kann, ist ge- mietet und deutschen Architekten iibergeben worden. Sie werden im Innern ein ,,Alt Niirnberg" erbauen. Auf einer Vogelwiese werden sich Zelte fiir allerlei Belustigungen er-

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Pddagogische Monatshefte.

heben, \md an alien Ecken tmd En- den soil deutsches Wesen veran- schaulicht werden. Die Feier wird eine ganze Woche dauern und der Reinertrag fallt zum grossten Teil uen einzelnen Vereinen wieder zu. President Roosevelt hat fiir einen Abend sein Erscheinen in Begleitung des deutschen Botschafters zuge- sagt, und er wird sehr wahrschein- i*ch eine Ansprache in deutscher Sprache halten.

Eine schone Vorfeier des deut- schen Tages hat bereits im Oktober stattgefunden, und bei dieser \varen samtliche deutsche Vereinigungen Washingtons vertreten, also auch der bereits erwahnte alteste Gesang- verein des Distrikts, der sich bis jetzt noch nicht angeschlossen hat, aber augenscheinlich auch bald da- zu gehoren wird. Bei dieser Gele- genheit hiel President Volckner eine von Begeisterung getragene Rede, worin er nach einer kurzen Einlei- tung, in der er an die Grundung von

Germantowii erinnerte, zunachst die Frage beantwortete: ,,Haben wir ein Recht, einen ,,Deutschen Tag" zu feiern?" Herr Volckner sagte: ,,Die Irliinder haben ihren St. Patricks- tag, die Franzosen ihren 14. Juli, die Norweger ihren 17. Mai. Wenn die Amerikaner deutscher Abkunft auch ihren Festtag haben wollten, so waren sie dazu vollstiindig berech- tigt, und sie haben weise gehandelt, wenn sie nicht etwa den 2. Septem- ber, sondern den 6. Oktober als sol- chen auswiihlten, denn der St. Patrickstag basiert auf der griinen Insel, der 14. Juli der Franzosen hat seinen Ursprung in Frankreich, der 17. Mai der Norweger in Norwegen, aber der ,,Deutsche Tag" ist ein amerikanischer Tag, und wir kon- nen stolz darauf sein, dass unser Festtag nicht begriindet ist in frem- der Geschichte, sondern trotz seines Namens ,,Deutscher Tag" in der Kulturentwickelungs - Geschicbte Amerikas." O.

III. Umschau.

Chicago ist das moderne Babel. Es werden insgesamt 40 Sprachen in der Stadt gesprochen, davon 14 von mehr als 10,000 Men- schen. Chicago ist die zweitgrosste bohmische Stadt der Welt, die dritt- grosste schwedische und die fiinft- grosste deutsche. Zeitungen erschei- nen in zehn verschiedenen Sprachen und Gottesdienst wird in 20 Sprachen abgehalten. Unter den fremden Ko- lonien in Chicago besteht eine aus Islandern, eine andere aus Basken und eine dritte aus Bretonen.

S c h u Isuperintendent C o o 1 e y von Chicago huldigt der sehr verniinftigen Ansicht, dass in keiner Klasse mehr als 30 Schiiler sein sollten. Vorlaufig wird es wohl mit der Ausfiihrung dieses Planes noch gute Wege haben; denn das Chicagoer Budget fiir die Schul- verwaltung wiirde dadurch um die Kleinigkeit von einer Million Dollars mehr belastet w^erden. Ja, wenn es sich um irgend welche anderen Ver- besserungen, oder wenigstens um eine Dotation fiir die Universitat handelte aber fur die Volks- schule ! ?

In der S t a a t s 1 e gi s 1 a t u r von Georgia lag ein Gesetzent- wurf vor, nach welchem der Schul- fonds zwischen Weissen und Schwar- zen geteilt werden sollte im Verhalt- nis zu ihren Beitragen zu demselben. Der Entwurf wurde niedergestimmt ein Beschluss, der aller Ehren wert ist.

Das Kultus (Unterrichts) Ministerium Baierns dringt auf Verwendung gleicher Lehrmittel in den Schulen. ,,Einmal eingefiihrte kostspieligere Lehrbiicher diirfen zehn Jahre lang nicht gewechselt werden," bei kleineren Lehrmitteln darf ein Wechsel nicht vor fiinf Jah- ren vorgenommen werden. Ein Wechsel der Lehrbucher ist von der Kreisregierung den Gewerbetrei- benden rechtzeitig bekannt zu geben.

Uns ging der Jahresbericht iiber den Stand der dem Volksschulrektorate unter- stellten stadtischen Schulen in Mannheim zu. Der Lehrkorper ziihlte am Schlusse des Schuljahres ssul Hauptschullehrer, 24 Hauptleh- rerinnen, 97 Unterlehrer, 26 Unter-

Umschau.

343

lehrerinnen, 5 Hilfslehrer, 6 Hilfs- lehrerinnen, 47 Industrielehrerinnen und 6 Haushaltungslehrerinnen. Die Schiilerzahl betrug 19,610 gegen 18,- 589 iin Vorjahre. An der erweiter- ten Volksschule wird in 3 Wochen- stunden fakultativ franzosischer Un- terricht erteilt, die Zahl der Teil- nehmer betrug 571, die sich auf 26 Kurse verteilten. Die Knabenarbeits- schule hatte einen bedeutenuen Zu- wachs an Teilnehmern, von 860 Neu- angemeldeten konnten 781 Auf- .nahme finden. Die Knabenfortbil- dungsschule ziihlte 604, die haus- wirtschaftliche Madchenfortbil-

dungsschule 793 Teilnehmer. Zur praktischen Erprobung wurde auf Veranlassung der Grossherzogin die aus Schweden stammende ,,Koch- kiste" eingefiihrt. Zu dem fur frei- willige Teilnehmerinnen eingerich- teten Flickkurs batten sich 128 Fort- bildimgsschtilerinnen gemeldet. Kna- ben- und Madchenhorte waren stark besxicht. Die Schuiorausebader wur- den im ganzen von 3586 Kindern be- nutzt. Friihstiick, bestehend aus Milch und Brotchen, erhielten 2996 Kinder. In Ferienkolonien wurden 435 ausgeschickt. 96 Schiilerinnen erhielten Pramien wegen besonders giinstiger Aufzucht von Stecklings- pflanzen (Blumenpflege).

Prof. Dr. Wilhelm Rein in Jena hat einen Euf an die Univer- sitat Prag erhalten, wo er zum Nachfolger des in den Euhestand tretenden Professors Dr. Willmann ausersehen ist. Wie verlautet, wird Rein die Wahl annehmen.

jKonigliche Jahresgabe fiir Detlev v. Liliencron. Dem Dichter Detlev v. Liliencron ist wie gemeldet wird vom Konig von Preussen neben seiner Offiziers- pension noch eine konigliche Gna- dengabe von jahrlich 2000 M. iiber- wiesen \vorden, wodurch es dem Dichter jedenfalls ermoglicht wird, sich die fiir seine geistige Arbeit er- forderliche, aber leider lang ent- behrte materielle Basis zu schaffen.

Urteile iiber ungeteilte Schulzeit. 1. Kaiser Wilhelm II.: ,,Was den Korper betrifft, so bin ich auch der bestimmten Ansicht, dass die Nachmittage frei sein muss- ten, ein fur allemal."

2. Der Magistrat der Stadt Konigs- be'rg: ,,Der Schulbesuch ist regel-

massiger geworden, der Gesund- heitszustand unter den Kindern ist infolge der neuen Einrichtung bes- ser geworden, die hauslichen Arbei- ten haben sich gebessert, die Kinder sind in der fiinften Morgenstunde noch munterer, als friiher am Nach- mittage, von den Ortsschulinspekto- ren und Rektoren hat sich niemand gegen die Aufhebung des Nachmit- tagsunterrichts ausgesprochen."

3. Geh. Ober-Medizinalrat Dr. Eu- lenberg: ,,Der ausschliessliche Vor- mittagsunterricht hat sich in alien grosseren Stadten bewahrt, beson- ders wenn auf grossere Pausen Riicksicht genommen wird."

4. Dr. Wagner-Darmstadt: ,,84 Pro- zent der Schuler sind nach dreistiin- diger Mittagspause noch nicht wie- der erholt. Der Nachmittagsunter- richt ist padagogisch fast wertlos, da er mit ermiideten Kindern arbei- tet, und hygienisch bedenklich, da er eine zu starke Inanspruchnahme des Gehirns verlangt."

5. Dr. Schmid-Monnard in Halle: ,,Bei Schiilern der Volksschule, die bis zum 11. Jahre gleiche, von da ab verschiedene Unterrichtszeit hatten, finden sich folgende Verschiebungen der Kranklichkeitsziffern: a) nur Vormittagsunterricht: Knaben 13 25 Proz., Madchen 21—40 Proz.; b) Vor- und Nachmittagsunterricht: Knaben 26 37 Proz., Madchen 30 45 Proz."

Gemeindliche Dankbar- k e i t oder zwei Tragikomodien aiis dem Lehrerleben, die es verdienen, der Vergessenheit entrissen zu wer- den. Die erste spielte vor etwa 25 Jahren. In der Gemeinde X. hatte der Lehrer sein halbes Leben lang mit Treue und Liebe dem schweren Werke der Jugenderziehung gearbei- tet und sich dabei nicht nur der An- erkennung seiner Behorden, sondern auch der Liebe seiner Gemeinde er- freuen konnen. Als er starb, erhielt seine Witwe, wie ublich, die damals recht schmale Pension. Die Not der armen Frau ging den Gemeindeglie- dern zu Herzen; man beschloss, ihr einen Zoll der Dankbarkeit fiir das treue Wirken ihres Mannes zu ent- richten. So wurde denn in der Ge- meindesitzung feierlichst folgender Beschluss gefasst: ,,In Anerkennung der langjahrigen, treuen Dienste, die der verstorbene Lehrer unsrer Ge- meinde geleistet hat, wird seiner Witwe fiir ihre fernere Lebenszeit ein freier Sitz im hintern Teil des Kirchschiffes (unter dem Turm) ge-

344

Padagogische Monatshefte.

wahrt!" Es gibt doch noch Dank- barkeit auf Erden!! Die zweite Geschichte ereignete sich vor weni- gen Wochen. Der Inhaber einer Lehrerstelle in einem Filialkirchdorf hatte bisher die Vervvaltung des Friedhofs, speziell das Anweisen der Grabstellen, unentgeltlich zu besor- gen. Da aber bekanntlich jeder Ar- beiter seines Lohnes wert ist, stellte er jiingst den Antrag auf Gewahrung einer Vergiitnng fiir diese Dienste. Als diese unbescheidene Forderung des Lehrers im Kirchenrat zur Be- sprechung kani, wurde auf Antrag des Geistlichen und Ortsschulinspek- tors folgender Beschluss gefasst: ,,Fiir die Verwaltung des Friedhofs und speziell fiir das Anweisen der Grabstellen erhalt der Lehrer als Entschadigung fiir sich und seine Frau je eine freie Grabstelle auf dem Kirchhof der Gemeinde ange- wiesen!" So geschehen im 20. Jahrhundert! !

P a u s e n. Die Schulverwaltung zu Minden hat folgende Verfiigung erlassen: In einzelnen Schulen des diesseitigen Bezirks ist es iiblich, dass der Unterricht in den ersten beiden Vormittagsstunden ohne Un- terbrechung .erteilt wird und die erste Pause erst nach Ablauf der 2. Unterrichtsstimde eintritt. Das ist mit Riicksicht auf die Gesundheit der Kinder nicht zu billigen. Wir ordnen daher an, dass fortan nach jeder Unterrichtsstunde eine Pause von 10 Minuten gemacht wird. Die schon jetzt allgemein bestehende grosser e Pause, die bis zu 20 Minu- ten ausgedehnt werden kann, ist nach der 2. oder 3. Unterrichtsstunde zu legen. Sie ist mir dann zu ma- chen, wenn der zusammenhangende Unterricht iiber 3 Stunden dauert.

Aus dem S t a t i s t i s c h e n Jahrbuch fiir das Deutsche Reich. Der X. Jahrgang des sta- tistischen Jahrbuches deutscher Stadte gibt folgende Zahlen beziig- lich der Anzahl der weiblichen IL e h r kr a f vt e in den deutschen Grossstadten. (N. B. Die technischen undFachlehrerinnen, sowie die nicht vollbeschaftigten Lehrkrafte sind eingerechnet) : Es kommen in Ber- lin auf je 100 Lehrkrafte 44,02 Leh- rerinnen. Diese Zahl wird nur in Aachen (49,50), Altona (44,51), Dan- zig (44,72), Erfurt (44,72), Liibeck ((44,69), Miinchen (47,85) und Strass- burg (46,50) iiberschritten. In den

sachsischen Stlidten Chemnitz (4,02), Plauen i. V. (5,81), Zwickau (5,17), Leipzig (10,92) bleiben die Zahlen weit hinter denen Berlins zuriick, ebenso in Duisburg (7,65), Niirnberg (15,98), Wiesbaden (19,85). Der An- teil der Lehrerinnen betriigt zwi- schen 20 und 30 vom Hundert in 12 Stiidten, in den iibrigen 14 Stadten zwischen 30 und 40 vom Hundert. Durchschnittlich ist in den 42 Gross- stadten der Anteil der Lehrerinnen 30 auf je 100 Lehrpersonen.

Schweden. Deutschun- terricht. Da die schwedische Ijnterrichtsverwaltung den Unter- richtsplan der hoheren Lehranstal- ten zu iindern wiinscht, wandte sie sich an die Lehrkorper der einzelnen Anstalten und holte ihre Ansicht iiber den Unterricht in den neueren Sprachen ein. Fast allgemein Melt man fiir notig, Deutsch an die erste (Stelle zu setzen und ihm den Vor- rang vor Englisch und Franzosisch einzuriiumen. Die Begriindung die- ser Ansicht gibt einLehrerkollegium in folgender Weise: ,,Die deutsche Kultur mit ihren reichen Wissens- schiitzen, ihren dichterischen Er- zeugnissen und der Vielseitigkeit des sprachlichenAusdruckes rangiert ganz unbestritten in unsern Tagen an der vornehmsten Stelle. Hinzu- konimt, dass die neuzeitlichen Schul- bestrebungen mehr und mehr einer positiven Beriicksichtigung jener be- sonderen Aufgabe zuneigen, durch \Velche die Befahigung der heran- wachsenden Jugend zur spiiteren Teilnahme am wirtschaftlichen Le- ben erhoht und die Aussichten auf eine gesicherte Lebensstellung ver- bessert werden konnen. In diesen beiden grundlegenden Beziehungen bietet weder das Franzosische mit seinem geringen kommerziellen Werte noch das Englische mit seiner geringen Bedeutung auf rein kul- Jturellem Gebiete die gleichen Bil- dungsmoglichkeiten wie das Deut- sche." Dass die Reform durchsre- fiihrt wird, geht daraus hervor, dass in Upsala und Lund zwei neue Pro- fessuren fiir germanische Sprachen eingerichtet werden sollen, damit es nicht an gut vorgebildeten Lehrera fehlt.

tJber Deutschtum und deutsche Schulen in Au- stralien finden sich in der ,,Tagl. Rundschau" folgende Angaben: Zur Zeit stellen die Deutschen etwa 2,3 vom Hundert der Bevolkerung Au- straliens. Es sind rund 107,000, von

Vermischtes.

345

denen ziemlich 47,000 noch in Deutschland geboren sind. Das Hauptmittel, ihre Kinder deutsch zu erhalten, ist die Schule. West- australien und Tasmanien (500 und 1000 Deutsche) haben keine deutschen Schulen. Neu-Seeland hat bei 12,000 Deutschen nur 7, Neu-Siid- Wales fiir 10,000 Deutsche nur 3 Schulen zur Verfiigung. Die 15,000 Deutschen in Viktoria unterhalten 11 deutsche Schulen. Am schlimm- sten sieht es in Queensland aus, wo

auf 38,000 Deutsche, von denen 15,- 000 im Mutterlande geboren sind, nur zwei deutsche Schulen kommen, wenn man davon absieht, dass in den deutschevangelischen Kirchenge-

meinden wiichentlich cinnial deut- scher Unterricht iui Lesen und Schreiben und deutscher Konfirman- denunterricht erteilt wird. Am be- sten liegen die Verhaltnisse in Sud- australien. Dort unterhalten 30,000 Deutsche rund 53 deutsche Schulen mit 18,000 Schiilern.

IV. Vermischtes.

Erziehungsgrunds a t z e eines alten Lehrers. Man erzahlt von einem alten Lehrer, dass er Eltern, die ein Kind in die Schule brachten, zwei Spriiche sagte. Er- stens: ,,Allein kann ich nicht ziehen, Ihr miisst mitziehen." Zweitens: ,,Und wenn Ihr mitzieht, so miisst Ihr nicht riickwarts wollen, wenn ich vorwarts will." Wenn aber ein Vater ein Sohnchen oder eine Mutter ihr Tochterchen recht herausstrich, pflegte er einen dritten Spruch bei- zufiigen: ,,Lieber ungezogen Kind, als verzogen Kind" und erzahlte folgendes Exempel: Ich kannte einen Lautenschlager, der oftmals sagte: ,,Wenn ich einen Schiiler bekomme, der nichts auf der Laute kainn, so fordere ich 5 n. Lehrgeld; bekommf ich aber einen, der schon etwas kann, so verlange ich 10 fl." Wenn man ihn fragte, warum er das tue, sprach er: ,,Fiinf verlange ich fur das, was ich lehre, und fiinf fiir das, was ich ihm abgewohnen muss."

Konig Ahmed hatte zwei wiss- begierige Sohne: Behmed und Ceh- med.

Und der Konig schenkte seinem Erstgeborenen, Behmed, tausend gute Biicher, und seinem Zweitge- borenen Cehmed, ein gutes Buch.

Und die wissbegierigen Sohne la- sen in einem fort.

Und Cehmed wurde weise, und Behmed wurde dumm.

Eine Mahnung, die auch wir unserenLesern ans Herz legen moch- ten, richtet eine Redaktion in eigen- artiger Form an denLeserkreis ihrer Zeitung; sie ersucht namlich um standige, tatige Mitarbeit in folgen- dem Wortspiel: ,,Wenn Sie etwas wissen, was zu wissen interessant ist, und was wir eigentlich wissen

sollten, und von dem Sie wissen, dass wir es nicht wissen bitte, lassen Sie es tins auch wissen, damit wir es auch andere wissen lassen konnen."

Der padagogische Spatz. Von den Schulbiichern.

Pi-pip! Mich jammern die Kinder

fast,

Die fiir ihr bisschen Wissen Der diinnen und dicken Biicher

Last

Alltaglich schleppen miissen! Ich hege fiir mich den leisen

Verdacht, Dass sie viel Unheil schon ge-

bracht,

Die Schiiler-Folianten! Pi-pip! Wohl sind sie aufge'baut Nach Regeln und Systemen; Doch konnen sie dem Jugendgeist Sich selten anbequemen. Auf alien Stufen weit und breit Vermisse ich die Freudigkeit, Die Liebe zu den Buchern

Pi-pip!

Von der Disziplin. Pi-pip! Im ganzen Schulbetrieb, Auf alien Altersstufen Wird stets nach Ordnung und Gesetz Nach Disziplin gerufen; Mit Blick und Wort, mit Hand und

Stab

Miiht sich die Padagogik ab, Ihr Volk im Zaum zu halten.

Pi-pip! Es ist ein leer' Bemiihn Und fiihrt zu keinem Ende, Reicht hierin nicht das Elternhaus Der Schule fest die Hande! Was dort gefehlt bei Tag und Nacht, Das wird so leicht nicht gutgemacht Mit Wort und Reglementen

Pi-pip! (Schweiz. Lelirerzeitung.)

346

Padagogische Monatshefte.

Eingesandte Bucher.

Mechanics Molecular Physics and Heat, a twelve •weeks' college course by R,o b e r t Andrews Millikan, Ph. D., Assistant Professor of Physics in the University of Chicago. Boston, Ginn & Co., 1903. Price $1.60.

Questions on Thoina s's Grammar with Essential of Grammar in German by Warren W. Florer, University of Michigan. George Wahr, Ann Arbor, Mich., 1903.

Lessons in Physics by Lothrop D. Higgins, Ph. B., Instructor in Natural Science in the Morgan School, Clinton, Conn. Boston, Ginn & Co., 1903. Price 90 cts.

Kinder- und Hausmarchen der Briider Grimm. Selected and edited with an introduction, notes and a vocabulary by B. J. V o s, Associate Professor of Ger- man in the John Hopkins University. American Book Co.

The Corona Song Book. A choice collection of choruses desig- ned for the use of high schools, grammar schools, academies, and seminaries, composing part songs and choruses, oratorio selections, selected hymns and tunes, national and patriotic songs. Selected and compiled, and arranged by William C. H o f f , Director of Music in the Public Schools of Yon- kers, N. Y. Ginn & Co., Boston, 1903. Price $1.20.

Die Unterrichtslektion als didaktische Kunst- f o r m. Praktische Ratschliige und Proben fur die Alltagsarbeit fur Lehrproben von Dr. Richard S e y f e r t, Seminaroberlehrer. Leip- zig, Ernst Wunderlich, 1904. Preis M. 2.40.

JJiktatstoffe zur Einubung und Befestigung der deutschen Satz- lehre. Im Anschlusse an die einzel- nen Unterrichtsfacher als Sprach- ganze bearbeitet von Paul T h. Hermann. Vierte vermehrte und

verbesserte Auflage. Leipzig, Ernst Wunderlich, 1904. Preis M. 1.60.

Geographic Influences in American History by Al- bert Perry Brigham, A. M., F. G. S. A., Professor of Geology in Colgate University. Boston, Ginn & Co., 1903. Price $1.40.

Questions set at the Examinations held by the College Entrance Examination Board, June 15. 20., 1903, Boston, Ginn & Co., 1903. Price 60 cts.

C o m i h g's Complete Record for Attendance and Scholarship. High School Edition. Boston, Ginn & Co., 1903.

TheMedialWritingBooks by H. W. Shay lor and G. H. Shattuck. Shorter Course, Books A, B, C. By the same authors M e- dial Spelling Blanks, Nos. 1, 2, 3. Ginn & Co., Boston, 1903.

Die allgemeine obligato- rische Madchen - Fortbild- ungssc h u 1 e. Vortrag von Jo h. H o f m a n n, Rektor. Leipzig, Ernst Wunderlich, 1903. Preis 50 Pf.

Padagogische Briefe von Prof. Dr. M. Lazarus. Mit einem Vorwort herausgegeben ron Dr. Alfred Leicht. Breslau, Schlesische Verlagsanstalt von S. Schottlaender, 1903. Preis M. 1.50.

TheShipofState by Those at the Helm. The Youths Com- panion Series. Boston, Ginn & Co., 1903.

Mediaeval and Moderjn History. Part II, The Modern Age by Philip Van Ness M y e r s, formerly Professor of History and Political Economy in the University of Cincinnati. Boston, Ginn & Co., 1903. Price $1.25

Poems of Tennyson. Edited by Henry Van Dyke and D. L a u r a n c e Chambers, A. M., Assistant in English, Princeton Uni- versity. Boston, Ginn & Co.

Berichtigung.

Auf Wunsch bringen wir folgende Mitteilung zur Kenntnis unserer Leser: To the Editor:

Due to a misunderstanding the title of Professor was placed before my name in the last number of the P. M. W. W. Florer.

Inhaltsverzeichnis.

Offizielles. Warnecke, das wachsende Inter-

Aufruf zum 33. Lehrertag |s?e ,des Volkcs fur Hebung der

129 161 194 Schulen und Besserstellung der

Lehrer ............ .111

Generalversammlung des Lehrer- Weiser, Idealismus, Gedanken und semmar-Verems .............. 196 Beobachtungen ................ 65

N. D. A. Lehrerseminar zu Mil- Woldmann, der Leseunterricht in waukee ....................... 163 der Volksschule .............. 133

Protokoll des 33. Lehrertages. . 233 Wolf, die Kealien im deutschen

Sprachunterricht , 240

Aufsatze.

Altschul, natiirnche Methods im Fiir dle Schulpraxls.

deutschen Unterricht ........ 322 Brtegs, on ,,Disciplin" .......... 144

Bahlsen, deutsche Lektiire an den Engelmann, Literaturgeschichte

amerikanischen Schulen ...... 165 in der Hochschule . ., .......... 211

Barandun, eiiiiges 'iiber die Be- Erfahrungen und Gedanken.... 11

rufsbildung des Lehrers ...... 288 Freihandzeichnen .............. 214

Buehner, Educational Value of Grebner, Helden und Helden-

Modern Languages .......... 197 biicher ................ ........ 47

Editorielles, an der Jahreswende 44 Griebel, Lehrbeispiel aus dem

Dr. G. A. Zimmer- Kechtsschreiben .............. 9

mann gest. .................. 45 Hildner, ein Wort fiir schwach-

Editorielles, German in public befahigte Kinder . . . ., ........ 213

schools ........................ 108 Kienscherf , iiber Schulwander-

Ferren, Monolingualism, the Bane ungen .......... .............. 142

of this Country .............. 248 Lehrplan fiir den Hochschuikur-

Fick, die deutschamerikanische sus im Deutschen in San Jose,

Dichtung .................... 270 Cal ............................ 214

Florer, Remarks on the Direct Liittge, Pflege der guten Aus-

Method of Teaching German.. 303 . sprache in der Schule ........ 142

Gehring, iiber den Garten der Martin, iiber den Wert der Nor-

Menschheit .................... 265 malwortermethode .......... 141

Heller, die deutsche Schrif tstelle- Phantasieliigner ................ 48

rin von gestern und heute .... 251 Stief el, wie man Gedichte lesen

Heller, Schiller, Uhland und Haufl und erklaren soil ............ 48

in ihrer Bedeutung fiir die Ge- Vom Sitzenbleiben .............. 139

genwart ...................... 130 Wahlde, hochste Aufgabe eines

Hohlfeld, eine englische Gesehich- deutschen Lehrers in der ame-

te der deutschen Literatur. . 313 rikanischen Schule ............ 212

Huber, miindliche Erteilung des

deutschen Unterrichts ........ 75 Sprachliches.

Jaeger, Abhangigkeitsverhaltnis Beispiel phonetischer Schreib-

in der deutschen Satzbildung. . 97 weise 144

Kief er, Disziplin ................ 209 Etymologic des Wortes ',,Eieme'nt" 26

Lessing, Arno Holz ........ 177, 201 Nassauern ...................... 96

Lessing, neuere Literaturgeschich- Sachsischer Genitiv ............ 25

ten ............................. 40 Verlurst .................... .... 25

Munch, was ist deutsche Er- Qedichte.

ziehung ...................... 49

Schonrich, aus dem Tagebuch Erpffnungsgedicht fur Schuler-

eines deutschamerikanischen darbietungen

. 104

. MUller, Ferienzauber - Wander-^

Straube, die Entwickelung des "^'i ....... i.' * V "

- Schulwesens im Staate Massa- Nies, zum Jahreswechsel ........

chusetts . ____ 145 Wechsler, das Marchen ........ 96

IV

Pddagogische Monatsbefte.

Berichte.

Abrams, der Lehrertag zu Min- neapolis 14

Abrams, der 43. Nationale Leh- rertag1 zu Boston 832

Dapprich, eine deutsche Bildungs- statte in Neapel 182

Groben, Entwickelung und Stand des deutschen Uterrichts in den Schulen von Erie, Pa 215

Bemy, Jahresversammlung der M. L. A. (Eastern Division) 54

Roedder, Versammlung der ,,Cen- tral Division of the M. L. A." 53

Korrespondenzen.

Baltimore (S)

16, 88, 119, Io3, 184, 222, 385

Boston 336

Briefkasten 60, 122, 312

Calif ornien (V. B.) 17, 88, 185

Chicago (Ernes)

17, 55, 89, 154, 186, 327

Cincinnati (quidam)

18, 56, 90, 119, 154, 186, 222, 338

Milwaukee (A. W.)

20, 58, 91, 120, 155, 187, 223, 339

New York (P. S.) 20, (C. H.) 21, 224

(H. Z.) 121, 188

Washington, D. C. 341

Umschau. A m e r i k a. Abschaffung des Griechischen. . 23

Boston, Kohlenmangel 61

Boston, kiirperliche Ziichtigung 93 Californien, Schulbesuch der

chinesischen Kinder. ., 93

Chicago, Abschaffung der

Biicherpreise 189

Chicago, das moderne Babel. . 342 Chicago, Sup't Cooley iiber

Schiilerzahl 342

Chicago, Teachers' Federation 23 Chinesen an unseren Universi-

tiiten 23

Columbus, Prof. E. A. Eggers

gestorben 189

Durchschnittsschiilerzahl in un- seren grossen Stadten 123

Ehrung Pras. Eliots 93

Erie, vom Lehrertage 225

Franzosisch an der Columbia-

Universitat 123

Gegen das Zigaretten-Rauchen 60 Georgia, Beschluss der Staats-

legislatur 342

Germanisches Museum.... 92, 156

Indiana, Impf/wang 156

Indianapolis, Lehrerjubilauin. . 311 Indianer-Institut zu Carlisle.. 123 John L. Sullivan.. 93

Lasker in Chicago 123

Lehrererfahrungen auf den Phi-

lippinen 93

Madison, Prof. Von Hise Pra-

sident der Universitat 226

Massachusetts, Musikunterricht

in den Schulen 123

Milwaukee, Lear - Auffiihrung 60 Milwaukee, Seminardirektor

Dapprich 92

Milwaukee, vom Lehrerseminar 310 Milwaukee, Vortrag Prof, von

Jagemann 92

New York, ausgeworfene Be-

trage fiir Schulzwecke 156

New York, deutscher Unterricht

22, 188, 225, 310

New York, deutsche Theater-

vorstellung ,. . 93

New York, Festschrift zum

Deutschen Tage 156

New York, Schulhausbauten. . 60 N. .ew York, Vorlesungskursus

in deutscher Sprache 189

Onkel Toms Hiitte 226

Pensionierung der Professoren

in Cornell 22

Philadelphia, Dr. Learned.... 156 Saginaw, Philipp Huber befor-

dert 189

Stanford, Mrs. Stanford's Ent-

schluss 123

Schiilerstreike 123

Schutzhallen fiir Schulhofe 156

St. Louis, Fuchsprellerei 93

St. Louis, Erziehung und Unter- richt auf der Ausstellung. ... 60 Ungliicksfalle beim Fussball-

spiel 61

Wenckebach, Cara gest 61

West-Virginien, Schulzwang. . 189

Deutschland.

Amerikanische Studenten an

deutschen Universitaten 93

Baiern, Wechsel von Lehr-

biichern 342

Bartels gestorben 24

Berlin, Eisf erien 93

Berlin, Anzahl der Gemeinde-

schulen 311

Berlin, Besuch der Universitat 93 Bewilligungen fiir die Weltaus-

stellung 189

Biireaukratius mit dem Eohr-

stock 157

Denkmal fiir Philipp Reis 190

Deutsch als Vermittlungs-

sprache 24

Deutscher Doktorgrad 23

Ernst's ,,Gerechtigkeit" 61

Gemeindliche Dankbarkeit. . . . 343 Greifswald Ferienkursus. .. . 190

Inhaltsver^eichnis.

Hochscliulwesen 61

Jahresgehalt fur Lelirer

Classen . 157

Jahresgehalt fur Liliencron.. 343

Jena, Ferienkurse 156

Jena, Prof. Rein 343

Kleinste offentliche Schule 190

Leipzig, Lehrerseminar fur

Kuabeiihaudarbeit 157

Lenau, der unsittliche 93

Mannheim, Stand der Volks-

schule 343

Pausen wain-end des Unter-

richts 344

Redaktionswechsel an der Allg.

D. Lehrerzeitung 93

Reform des Unterrichts in

weiblichen Handarbeiten 124

Rheinische Blatter 93

Schulbesuch der Matrosenkin-

der 124

Statistisches aus dem Jahr-

buch des Deutschen Reichs 344

Steilschrif t 157

Ungeteilte Schulzeit 157

Urteil iiber Amerika 311

Welche Schreibweise der Kaiser

will 226

Weniger Lehrerinnen 124

Zahl der Deutschen in Europa 190 Zur neuen Rechtschreibung. . 157

Danemark.

Bjornson-Fonds 95

Neues Schulgesetz 226

Reform des Schulwesens 95

England.

Jahresbericht des Schulamtes in London 94

Jahresversammlung der ,,Na- tional Union of Teachers". . 227

Tragweite der Educational Bill 226

Frankreich.

Erbschaftsgeschichte 24

Reform des Gymnasialunter-

richts 124

Une idee vraiment franchise. . 227

1 1 a 1 i e n. Friihreif e Knaben .

94

5 s t e r r eic h-Ungarn.

Freie deutsche Schule 124

Reichs - Schulmuseum 124

Roseggers Dank 311

R u m a n i e n.

Tracht der Lehrerinnen . . 61

Russian d.

Deutsch, oder Franzosisch. .. . 95

Kenntnis des Deutschen 124

Zensur 227

Zentennialfeier in Petersburg 124

S c h w e d e n. Deutschunterricht 344

S c h w e i z.

Ferienkursus in Zurich 226

Hausaufgaben 125

Schulunterhaltung 61

S e r b i e n. Russischer Sprachunterricht. . 61

Siidafrika. Folgen des Burenkrieges 95

Australien.

Deutsche Schulen 344

Vermischtes.

Alteste Handschrift derMenschen 61

Babel— Bibel 159

Bedeutende Maner als Schiiler in

ihrer Jugend 158

Beseitigung der Staubplage. . . . 228

Bibel im Kanzleideutsch 25

Chinas Kohlenlager 60

Erziehiingsgrundsiitze eines al-

ten Lehrers 345

Gemeinsamer Unterricht von

Knaben und Madchen 52

Geringe Widerstandsfahigkeit

der Lehrerinnen 228

Goethe oder Gothe? 25

Lehrer als Nachtwachter 95

Lehrer und Landstreicher 158

Mahnung an die Leser 345

Militar und Unterricht 159

O, diese Fremdworter 95

Pestalozzis letzte Schxilerin 160

Schlaf der Schulkinder 51

Sic transit gloria mundi 96

Sind wir eine zivilisierte Nation? 159

Spielzeugteufel 52

Statistisches iiber den Universi-

tatsbesuch 93

Untersuchen iiber das Gedacht-

nis der Schulkinder 93

Edgren, an Italien and English

Dictionary (Chas. B. Wilson).. 231 Edgren und Fossler, a Brief Ger- man Grammar (W. Bernhardt) 29

VI

Pddagogische Monatshefte.

Ferrell, Erwiderung 62

Florer, biblische Geschichten (W. Bernhardt) 30

Florer, Heyses 1'Arrabiata (W. Bernhardt) 30

Heydrich, how to Study Litera- ture (Chas. B. Wilson) 230

Hail ma nn, the Laural Primer (H. D. H.) 229

Kron, German Daily Life (Chas. B. Wilson) 126

Kutner, Commercial German (Chas. B. Wilson) 230

Kriiger, English German Conver- sation Book (Chas. B. Wilson) 31

Wann werden die Steinkohlen ausgehen 228

Wert eines Vogelnestes *. 159

Wiederholung des Foucault- schen Pendelversuchs 62

Zugehorigkeit zu den Religions- gemeinschaf ten 228

Humoristisches aus Schule und Leben.

Aus dem Anschauungsunterricht 228

Gute Entschuldigung 96

Konig Ahmed 345

Leissling im Eif er 150

Schulgrammatik 160

Sie hawwe zu hawwe 228

Was ist eine Fee? . . 160

Biich er besprech u ngen .

Alge, Hamburger, Rippmann, Buell Newson's First Ger- man Book (Chas. B. Wilson) . . 126

Alge, Rippmann, Buell - - New- son's German Reader (Chas. B. Wilson) 127

Bernhardt, Liliencrons Anno 1870 (E. C. Roedder) 125

Bierwirth, Beginning German (W. W. Florer) 231

Duden, orthographisches WSrter- buch (M. G.) 127

Lessing, Rritik und Antikritik. . 26

Manley and Heilmann, the English Language (H. D. H.) . . 229

Meyer, Fuldas Talisman (E. C. Roedder) 190

Prettyman, Schillers Geschichte des SOjahrigen Krieges (E. C. Roedder) 125

Roedder, Berichtigung 160

Seyfert, Menschenkunde (E. D.) 32

Siefert, Choice Songs (M. G.) 127

Thomas and Herwey, German Reader and Theme Book (Chas. B. Wilson) 31

Viereck, cleutscher Unterricht in am. Schulen (Rep. of Com. of Ed. (E. Dapprich) 4

Wesselhoeft, German Composi- tion (Chas. B. Wilson) 30

Zur Jugendschriftfrage (M. G.) 128

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PF

3003

M6

Monatshefte

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