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Monopole, Kartelle unö Trusts

in ihren Beziehungen zur Organisation öer kapitalistischen Industrie

Dargestellt an öer Entwicklung in Großbritannien

von

Dr. Hermann Levy

Privatöozent an öer Universität Heiöelberg unö Hauptamtlicher Dozent an öer Hanöelshochschule in Mannheim

Verlag von Gustav Fischer in Jena 1909

Alle Rechte vorbehalten.

Weimar Druck von R. Wagnsr Sohn.

Meinem Freunöe

Sir Hugh Bell, Bart.,

als ein Zeichen öankbarer Verehrung.

Vorwort.

Ein Vorwort, das, wie es häufig geschieht, die leitenden Ge- danken der ihm folgenden Untersuchung präludiert, will ich nicht schreiben. Aber in kurzen Angaben möchte ich erwähnen, wie das Material zusammengebracht wurde, auf dem sich meine Dar- stellung früherer und heutiger Monopolorganisationen und end- lich die theoretische Erörterung am Schlüsse der Arbeit aufbaut. Viel danke ich den vortrefflichen wissenschaftlichen Darbietungen verschiedener englischer Wirtschaftshistoriker, und einen großen Teil der für die Behandlung gegenwärtiger Monopolverbände notwendigen Materialien dem lehrreichen Buche von H. W. Macrost y. Während für die Abfassung des ersten und dritten Abschnitts eine Reihe von Vorarbeiten, teils allgemeiner teils monographischer Art vorhanden waren, die ich benutzen, er- gänzen und weiterbilden und aus denen ich Anregung schöpfen konnte, fehlten solche Vorarbeiten für den zweiten Teil so gut wie vollkommen. Immerhin war es mir hier in der mühseligen Pionierarbeit eine Freude, die frühzeitigen englischen Monopol- verbände aus den längst vergessenen parlamentarischen Berichten wieder hervorzusuchen und als erster einer Darstellung unter- ziehen zu können.

Ein längerer Aufenthalt in Großbritannien war selbstver- ständlich nötig. Jahre hindurch bildeten das Britische Museum und das Patentamt in London während der akademischen Ferien mein Standquartier; die Bibliothek des einen Instituts lieferte mir das Material für die historische Darstellung, die Fachblätter, welche in dem anderen aufgestapelt sind, erklärten mir die Neu- zeit. Das Zurückgreifen auf diese Fachblätter ist für Arbeiten über britische Industrieverhältnisse besonders nötig.

Während wir in Deutschland (schon auf Grund so vieler Dissertationen) eine große Reihe mehr oder minder brauchbarer Studien über einzelne Industriezweige besitzen, sind diese in

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Großbritannien höchstens für die bedeutendsten Gewerbe vor- handen. Wunderbar ist es, daß monographische Darstellungen der wirtschaftlichen Zustände solcher Industriezweige, wie etwa des britischen Eisenerzbergbaues oder Salinenbetriebes, der Zement- industrie, der Spiritus- und Whiskybrennerei, der Tabakindustrie, der Maschinenindustrie usw. noch gänzlich fehlen! Die Fachzeit- schriften müssen hier dem Forscher auf ökonomischem, techni- schem, wirtschaftsgeographischem oder finanziellem Gebiete Aus- kunft geben. Dazu kamen die für meine Arbeit wichtigen Pro- spekte großer Unternehmungen, die häufig äußerst lehrreich sind, und die Berichterstattung wichtiger Vorgänge in der Times (Commercial and Financial Supplement), in der Financial Times, im Manchester Guardian und dem vorzüglich geleiteten Economist. Aber das, was ich so sammelte, war doch zumeist nur „Zeitungs"- oder „Interessenten"-Material, und es galt nun. wissenschaftliche Skepsis zu üben. Hierfür bedurfte ich persönlicher Auskünfte und Angaben, mußte die Kritik der .,Gegen"interessenten hören, sowie Aufklärungen seitens der führenden Männer in einzelnen Groß- industrien zu erhalten versuchen.

Ich kann nicht genügend betonen, wie sehr mich die ver- schiedensten Persönlichkeiten teils alte Freunde aus der Zeit meiner landwirtschaftlichen Studien, mit städtisch-industriellen Interessen unterstützt haben. Über die Eisen- und Stahl- industrie danke ich wertvolle Angaben besonders Sir Hugh Bell und dem Herausgeber der Iron and Goal Trades Review, Mr. Jeans; über die Papierindustrie orientierten mich vor allem: Mr. Dykes Spicer, Sir Albert Spicer und Lord Northcliffe; über die Tabakindustrie: Mr. A. C. Churchman; über die Salz- gewinnung und Sodaindustrie Mr. Alfred Mond, M. P. ; über die Weißblechindustrie : Lord Glantawe; über den Kohlenberg- bau: Mr. D. A. Thomas, M. P. Meine Versuche, von den Leitern großer Textilunternehmungen auch nur elementare Angaben zu erhalten, sind zumeist gescheitert. Ich konnte den Eindruck nicht unterdrücken, daß die Führer dieser Monopolverbände eine Dis- kussion über dieselbe vermeiden wollten. Um so dankbarer bin ich Mr. W. B. Morison von der Londoner Stock Exchange für alle Mitteilungen, die er mir aus seiner reichen Erfahrung über die Textilindustrie und ihre Vereinigungen gemacht hat. AU' den hier Genannten sage ich meinen besten Dank. Die Aufgabe meiner Untersuchung brachte es mit sich, fast durchgängig die britischen Verhältnisse und Entwicklungfstendenzen mit denen der

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Monopolbildung in Deutschland und in den Vereinigten Staaten von Amerika zu vergleichen. Es kamen mir dabei die Ergeb- nisse früherer Studien, die ich in der amerikanischen Union ge- macht habe, wesentlich zu Hilfe. Endlich sei noch auf den Anhang verwiesen; ich habe dort einige Dokumente untergebracht, die ich im Text nicht ausführlich genug verwerten konnte, auf die ich aber den Leser besonders aufmerksam machen möchte. Vor allem möge er, auch wenn er sich sonst nicht gern die Zeit zur Lektüre eines Anhangs nimmt, die Rede des Sir Christopher Furness nachlesen. Sie illustriert in vortrefflicher Weise die Tendenz der Konzentration und Kombination großindustrieller Unternehmungen, welche viele britische Gewerbezweige einer Neuorganisation auf monopolistischer Basis entgegengeführt hat und noch entgegenführen kann.

Heidelberg, im Oktober 1909.

Hermann Levy.

Inhaltsangabe.

Seite

ErsterAbschnitt. Die Monopole der frühkapitalistischen

Industrie Englands l

1. Die frühkapitalistische Entwicklung 1

a) Die neuen Gewerbe im 16. und 17. Jahfhundert . . 1 Alaunlager; Salzgewinnung; Glasfabrikation; Seifenindustrie; Drahtfabrikation.

b) Der Bergbau 5

Zinnbergbau in Cornwall; der Kohlenbergbau des Nordens.

c) Das alte Handwerk 9

Übergang zum Kapitalismus; Lage des Kleinmeisters; Or- ganisation der Filzmacher und des Tuchgewerbes.

2. Die Monopolorganisation 13

a) Rechtliche Grundlagen 13

Allgemeine Monopolpolitik der Königin Elisabeth ; das Anti- Monopolstatut von 1624 und seine Wirkungen; Mißbrauch

der Patentklausel; das Bergrecht; das Dispensationsrecht der Krone und seine Beseitigung.

b) Die wirtschaftliche Verfassung der Monopole . . 19 Die Kohlengilde von Newcastle; Zinnmonopol und Zinn- verbraucher; Monopolbildung im Forest of Dean; Salz-, Alaun- und Glasmonopole; die Kämpfe um das Seifen- monopol ; kapitalistische Monopole in ihren Beziehungen zu

den Zunftkorporationen; Stecknadelmonopol und Draht- industrie ; Biberhutgewerbe ; Zusammenfassung.

3. Wirkungen und Bedeutung der Monopole 40

a) Die Wirkungen 40

Allgemeine Urteile ; Preiserhöhung und Qualitätsverschlech- terung ; Einfluß auf die Entfaltung neuer Gewerbe ; Lähmung

des Unternehmungsgeistes ; Verschärfung der kapitalistischen Entwicklung; das monopolistische Unternehmertum.

b) Die Agitation 56

Allgemeine Bedeutung derselben; Stellungnahme des Parla- ments; Anti-Monopolliteratur; Ralph Gardiner; antimono-

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polistisches Rechtsbewußtsein und Haß gegen die Monopol- inhaber; der Zusammenbruch der Monopole; AusbHck auf das 18. Jahrhundert.

4. Vergleiche mit der deutschen Entwicklung 68

Vorbemerkung; die monopoHstische Organisation im deutschen Bergbau; Kohlenbergbau und Direktionsprinzip; Eisensteinge- winnung und Hüttenbetrieb ; Einfluß der Grundherrschaft ; der Kupferbergbau; das Siegerland; konzessionierte Fabriken mit Monopolcharakter; die Monopolorganisation im Verlagssystem: Solingen, Altena, Calw; Verlauf der Monopolentwicklung in Deutschland und England.

ZweiterAbschnitt. Die Zeit des freien Wettbewerbs und

der ersten monopolistischen Unternehmerrerbände . 89

1. Die Lehre vom freien Wettbewerb 89

Ansichten von Adam Smith und Malthus ; das individualistische Unternehmertum nach den Anschauungen von Buchanan und McCulloch; Mills Einschränkungen; die tatsächliche Entwick- lung des Konkurrenzkampfes bis in die 40 er Jahre des 18. Jahr- hunderts.

2. Die monopolistischen Vereinigungen im englischen Bergbau 97

a) Die Blütezeit der englischen Kohlenkartelle ... 97 Die ersten Anfänge der „Limitation of Vend"; die Voraus- setzungen des Kartells; der Ausbau der Kartell Organisation

von 1771 bis 1833; die Organisation von 1833: Regelung und Kontingentienmg der Produktion, die Normierung der Preise, die Beherrschung des Zwischenhandels durch das Kartell ; die Wirkungen : Ziele der Preispolitik, das Argu- ment vom Schutz der Schwachen; Stellungnahme der Kon- sumenten und rechtliche Beurteilung.

b) Der Monopolverband im englischen Kupferbergbau

zu Ende des 18. Jahrhunderts 186

Geschichte des Kupferbergbaues; Cornwall und Anglesea; das Syndikat; Abwehrorganisation in Birmingham; die monopolistische Organisation nach 1792; ein „Export- syndikat".

c) Der Zusammenbruch der Kohlenkartelle .... 149 Aufkommen der Eisenbahnen ; Konkurrenz anderer Produk- tionsstätten; steigende Zahl der Gruben; der Preissturz;

das Jahr 1844; Aussichtslosigkeit der Kartellemeuerung.

Dritter Abschnitt. Die Neuorganisation der britischen

Großindustrie auf monopolistischer Grundlage . . 160

1. Einleitendes. Der Übergang zur Gegenwart 160

Die 80 er und 90 er Jahre ; Beurteilung der ausländischen Kartell-

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und Tnistentwicklung in England; Ausbleiben jener Entwick- lung in Großbritannien; Deutungen: Überschätzung des Frei- handels; die Lehre vom individualistischen Unternehmertum.

2. Die Sphäre des Wettbewerbs 169

Großbritannien als Produzent mineralischer Rohstoffe, Eigen- tümlichkeit des Kohlenbergbaues; gescheiterte Monopolver- suche; die Fusionen in Süd- Wales; der britische Eisenerz- bergbau im Vergleich mit Deutschland und Nordamerika: Unmöglichkeit der Monopolbildung; die weiterverarbeitenden Industrien: das Moment „fehlender Schutzzölle" und „fehlenden Frachtenschutzes"; die Gestaltung des Roheisenpreises und

die Zwecklosigkeit von Roheisenkartellen ; die Papierindustrie ; der Bettgestellverband; Vielheit von Unternehmungen in ein- zelnen Zweigen der Textilindustrie ; das Problem der Konkur- renz in Fertigfabrikationen und Qualitätsindustrien; relativ geringe Ausbildung der Vertikalkombination; die Weißblech- industrie von Wales als lehrreiches Beispiel.

3. Die heutige Monopolbildung in der britischen Großindustrie 195

a) Die Konzentrationsbewegung 195

Allgemeine Bedeutung der Betriebskonzentration; die Be- triebsentwicklung in der Papierindustrie, in der Roheisen- erzeugung und in der Weißblechfabrikation; die horizontale Betriebskombination ; das Projekt des Sir Christopher Fumess

als Beispiel für die Vorteile derselben; das Problem der Vertikalkombination; Eigentümlichkeit derselben in Groß- britannien; allgemeine Beziehungen der Konzentrations- bewegung zur Monopolbildung.

b) Die wichtigsten britischen Kartelle und Trusts der Gegenwart 209

1. Der Portlandzementtrust 210

Vorhandensein eines Frachtenschutzes; Einfuhrmöglich- keiten; „Portlandzement" und „Naturzement"; Chancen

der monopolistischen Preispolitik.

2. Die Stahlwerksverbände 214

Halbzeugeinfuhr und „dumping"; die Lage der Schififs-

und Kesselblechindustrie; Rayonnierung des britischen Absatzes ; Schleuderexport des britischen Kartells ; Preis- politik desselben im Inlande ; die Wirksamkeit der übrigen Verbände.

3. Das Industriespirituskartell 221

Vorhandensein weniger Unternehmungen; Produktions- kontingentierung und Absatzrayonnierung; Entschädigung

der „reinen" Werke ; Klagen über monopoHstische Preis- politik.

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Seite

4. Der Tapetentrust 224

Stellung der britischen Tapetenindustrie gegenüber der Auslandskonkurrenz ; Begrenzung der monopolistischen Wirksamkeit des Trusts.

5. Das Kabelkartell 225

Rückständigkeit der britischen Elektroindustrie gegenüber dem Auslande; geringe Konzentration; die Kabelindu- strie — eine Ausnahme ; die „Association" ; ihre Verein- barungen mit den organisierten Abnehmern; „hohe" Preise und nicht-standardisierte Fabrikate.

6. Salztrust und Salzsyndikat 230

Bedeutung der britischen Salzgewinnung ; erste Anfänge

der Vertrustung ; hohe Preise und neue Konkurrenten ; das Syndikat; Kontingentierung der Produktion und Ver- fassung desselben ; eine autonome Preispolitik ; Schleuder- export nach Amerika.

7. Der Trust der Feinbaumwollspinner und Dou-

blierer 235

Allgemeine Stellung der britischen Textilindustrie im internationalen Konkurrenzkampfe; irreführende Dar- stellungen der „Tarif kommission" ; Übergang zur Quali- tätsproduktion; Monopolstellung der Feinbaumwollspinner

und Doublierer.

8. Nähfadentrust und Nähfadensyndikat 239

J. and P. Coats; Verbindung mit der English Sewing Cotton Company.

9. Die Trusts in der Bleicherei und Färberei . . . 241 Gründe für die Monopolstellung der Bleicher und Färber; Preispolitik und Konflikte mit den Händlern; eine „Ver- mittlungsstelle"; der Trust der Baumwoll- und Woll- färber weniger machtvoll als die Vereinigung in Bradford.

10. Der Kalikodruckertrust 243

Ein Beispiel für die Konzentrationsbewegung ; Schwierig- keiten in der Beurteilung der Preispolitik.

11. Der Lokomotivtrust 246

Der britische Lokomotivbau ist frei von fremdem Wett- bewerb; Verschmelzung verschiedener Unternehmungen

zu einer Unternehmung mit „Trust" charakter,

12. Der Whiskytrust 248

Die Distillers Company, das Resultat langjähriger Ver- schmelzungen.

13. Britisches und internationales Schienenkartell . 249 Allgemeine Konzentrationstendenz in der Schienenfabri- kation ; die Organisation des internationalen Verbandes ;

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Vergleiche zwischen der Preisstellung von 1900 und 1907; Abhängigkeit des britischen Kartellpreises von der internationalen Absatzregelung.

14. Der Sodatrust 252

Entstehung desselben ; das Konkurrenzverfahren ; Brunner, Mond and Co.; internationale Verabredungen.

15. Der Tabaktrust 253

Entstehungsgeschichte ; territoriale Absatzverteilung ; die heutige Organisation der amerikanischen, britischen und britisch-amerikanischen Gesellschaften ; Einfuhr und Aus- fuhr; Monopolstellung des Trusts in der Union; Einfluß

der „Maschine" auf die Konzentration; Bedeutung der „Reklame"; bessere Einkaufsbedingungen des Trusts; Organisation der Tabakpflanzer; Preispolitisches.

4. Organisationsfragen 260

Die verschiedenen Formen der Monopolorganisation : die Alter- native : „Kartell oder Trust ?" ; Eigentümlichkeit der Entwicklung

in Großbritannien; dezentralisierte Trusts ; Nachteile derselben; Verfassungsänderungen; Notwendigkeit einer Konzentrations- politik und Beispiele hierfür; die Umorganisation des Kaliko- trusts im Jahre 1902; erneute Veränderungen im Jahre 1908, ein „Trustorganisator" hilft; das Problem der Überkapitali- sierung; einzelne Beispiele; Ähnlichkeit mit den Monopolen; Beispiele finanzieller Erfolge; die Gefahren des Aufkaufes leistungsunfähiger Werke.

5. Theoretisches und Kritisches 273

Zusammenfassung der Ergebnisse: Unterschiede in der Art

der Immunität vor ausländischer Konkurrenz in Großbritannien einerseits, Deutschland und den Vereinigten Staaten anderer- seits ; Wirkungen dieser Unterschiede auf die Monopolbildung : relative Beschränkung der monopolistischen Preispolitik beim Fehlen von Schutzzoll und hohem Frachtenschutz und bei der Herstellung hochwertiger Fabrikate; Beziehungen zwischen der „Zahl" (Vielheit) der vorhandenen Konkurrenten und der „Höhe" der monopolistischen Gewinnchancen; verschiedene Beispiele für Kartell- und Trustbildungen beim Vorhandensein zahlreicher Wettbewerber aber hoher Gewinnaussichten; Not- wendigkeit einer geringen Zahl von Unternehmungen und der Konzentrationsbewegung für das Zustandekommen der Mono- polvereinigungen in Großbritannien ; Einfluß dieser Bewegung auf die Frage der Entstehung neuer Konkurrenten; das Pro- blem der „Schwervermehrbarkeit der Produktionsmittel" in anderen Ländern; in Großbritannien stellt in erster Linie die Größe der Unternehmung ein monopolistisches Moment dar;

XIV

Seite

ein abstraktes Beispiel; daneben sind auch Tatsachen anderer Art wirksam; aber die Konzentrationsbewegung tritt in ihrem Einfluß auf die Monopolbildung in Großbritannien plastischer hervor als in anderen Ländern ; Schutzzöllner und Freihändler ; bisherige Äußerungen der monopolistischen Preispolitik: „Fixierung der Preise", „Erhöhung über den Wettbewerbs- preis", „Differenzierung" der Preise; Erklärungen, Versprech- ungen und Bekenntnisse; die prinzipielle Seite der Entwick- lung ; Ähnlichkeit mit den Monopolen ; die Stellungnahme des Volkes und der politischen Parteien zu der heutigen Kartell- und Trustentwicklung.

Dokumentarischer Anhang 310

1. Ein Kartellvertrag vom Jahre 1835 310

2. Zur Frage der Betriebskombination 314

Rede des Sir Christopher Furness.

3. Zur Frage der Monopolorganisation 319

Über das Industriespirituskartell.

Erster Abschnitt.

Die Monopole der frühkapitalistischen Industrie Englands.

1. Die frülikapitalistische Entwicklung.

Das Zeitalter der industriellen Revolution, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England einsetzte, fand die Ge- werbeverfassung dieses Landes besser für seine Fortschritte vorbereitet als diejenige irgend eines anderen, europäischen Staates. Zwar sah sich das industrielle Unternehmertum auch hier durch den teils rechtlichen, teils herkömmlichen Fortbestand zünftlerischer Gewerbeordnungen in seiner Bewegungsfreiheit eingeengt. Aber wie sehr auch diese Fesseln den Interessen des kapitalistischen Großbetriebes widersprachen, sie konnten den Unternehmungsgeist aller derjenigen, die die neue Ent- wicklung auszunutzen strebten, nicht niederhalten. Denn lange bevor die tatsächliche Beseitigung des Lehrlingsgesetzes und anderer Zunftverordnungen die Gewerbefreiheit in England zum Abschluß brachte, war innerhalb der kapitalistischen In- dustrie selbst die Bahn für individuelle Betätigung und gegen- seitigen Wettbewerb frei geworden. In anderen Ländern war beim Aufkommen des modernen Großkapitalismus der Wirk- samkeit des einzelnen Wirtschaftssubjektes als Unternehmer nicht bloß durch die Ansprüche der Zunftverfassung eine Schranke gezogen. Die große Mehrzahl der Kapitalisten fand vielmehr, selbst bei Überwindung dieser Schwierigkeit, in den Privilegien, Konzessionen und Monopolen oder in der behörd- lichen Reglementierung des kapitalistischen Gewerbes, die Möglichkeit ihrer eigenen Betätigung erschwert, ja häufig aus- geschlossen.

Auch in England hatte, beim ersten Einsetzen kapitalisti- scher Industrieentwicklung, das System der Privilegierung ein- zelner Persönlichkeiten der Entfaltung des Wettbewerbes bei

Levy, Monoi^ole, Kartelle und Trusts. 1

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Vielen, die geeignet und willens waren, industrielle Unternehmer zu sein, entgegengestanden. Erst nach langen Kämpfen, zu Ende des 17. Jahrhunderts, war jenes System, das die Einzelnen auf Kosten aller Übrigen bevorzugt hatte, gestürzt worden, und damit jener wichtigste Teil moderner Gewerbefreiheit, die Auf- hebung aller rechtlichen Privatmonopole, zur Verwirklichung gelangt. Fast ein Jahrhundert später setzte eine neue tech- nische und ökonomische Entwicklung in der englischen Indu- strie ein. Da wurde die Bedeutung, welche jene früher errungene gewerbliche Freiheit für diese Entwicklung haben mußte, von den enoflischen Volkswirten nicht mehr beachtet. Sie betrach- teten vielmehr den innerhalb der kapitalistischen Industrie frei waltenden Wettbewerb als etwas Selbstverständliches, und nach ihren Schriften könnte es dem unbefangenen Leser wohl scheinen, daß niemals eine andere Rechtsordnung als die des freien Wett- bewerbes innerhalb der kapitalistischen Industrie existiert habe. In dem Maße aber, wie man diese frühzeitige Errungenschaft freiheitlicher Gewerbeverfassung nunmehr als etwas Selbstver- ständliches hinnahm, begnügte man sich damit den Begriff der Ge Werbefreiheit einzig auf die Erlösung der Großindustrie von den Fesseln zünftlerischer Verordnungen zu beschränken. So kam es, daß die Befreiung der englischen Industrie von der Herrschaft der Monopole von der klassischen National- ökonomie und ihren Jüngern niemals in ihrer ganzen Tragweite erforscht, noch ihre Bedeutung wirtschaftsgeschichtlicher Art voll eingeschätzt wurde.

Erst heute, wo sich in allen Ländern, England nicht ausge- schlossen, eine neue Monopolorganisation in der Großindustrie zu entwickeln beginnt, wird der Blick auf diejenigen Monopole zurückgelenkt, welche an der Wiege des frühkapitalistischen Industrialismus gestanden haben, und auf deren Zusammenbruch erst jene Epoche freien W^ettbewerbs folgen konnte, die heute wiederum durch Kartelle und Trusts zu einem unaufhaltsamen Abschluß zu gelangen scheint.

Die Zeit, in welcher die frühkapitalistische Industrie Eng- lands durch das Vorwiegen einer monopolistischen Organisation gekennzeichnet wird, erstreckt sich vom Ende des 16. bis in das vorletzte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts. Gewerbliche Mono- pole waren keineswegs vor jener Zeit in England unbekannt;

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sie waren im Gegenteil weit verbreitet. Was aber die Monopole zur Zeit der Elisabeth, Jakobs I. und Karls I. vielfach als etwas ganz Neues erscheinen ließ, das war, daß sie ein rein kapitalisti- sches Gepräge trugen und daß sie vielleicht schon aus diesem Grunde, im Gegensatz zu der ausschließlich lokalen Bedeutung der früheren handwerksmäßigen Gewerbemonopole ^), nationale Organisationen der Industrie darstellten.

Die frühkapitalistische Epoche der englischen Industrie be- ginnt mit dem raschen wirtschaftlichen Aufschwung zu Ende des 16. Jahrhunderts. Seit der Regierung der Königin Elisabeth, dann aber vor allem in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahr- hunderts, waren teils von Fremden, teils von Engländern^) eine große Reihe von neuen Industrien eingebürgert worden. Die Mehr- zahl dieser Gewerbe trug von vornherein einen kapitalistischen Charakter und war vom handwerksmäßigen Betriebe weit ent- fernt. Vermögende, in den neuen Gewerben bewanderte Aus- länder, einheimische Kaufleute oder reiche Höflinge bildeten in der Regel die Unternehmer und die Summen, die in die neuen Industrien gesteckt wurden, waren häufig selbst für unsere Ver- hältnisse nicht unbedeutend. So hatten die vier Kapitalisten, welche im Jahre 1607 die Ausbeutung der Alaunlager von Yorkshire übernahmen, in kurzer Zeit 20 30 000 £ in diese Unter- nehmungen gesteckt. Im Jahre 1612 wurde berechnet, daß ein jeder der sechs bestehenden Betriebe 60 Lohnarbeiter beschäftigte, wobei der Hauptarbeiter und sein Gehilfe, sowie die in den Be- trieben benötigten Handwerker nicht einberechnet waren. Die Gesamtausgaben eines jeden solchen Betriebes wurden mit ca. 2100 £ jährlich angegeben.^) Auch die Salzgewinnung und die Glasindustrie waren von Anfang an kapitalistisch organi- siert.*) Die letztere hatte sich wenn man von primitiven An- fängen absieht vor allem seit 1619 entwickelt nachdem Sir Robert Mansell begonnen hatte, in Newcastle Glashütten zu errichten, die noch bis 1850 etwa fortbestanden. Er versprach der Krone eine jährHche Abgabe von 1000 £.^) Daß er 4000

') Vgl. H. Hyde Price, The English Patents of Monopoly. Boston 1906, S. 6 und 7; ferner G. Unwin, Industrial Organisation. Oxford 1904, S. 175.

^) ^^S}- W. Cunningham, The Growth of English Industry. Cambridge 1907, S. 78 f. und S. 518.

3j Vgl. Price a. a. O., S. 82 ff. ; S. 88 und 89.

*) Vgl. Cunningham a. a. O., S. 78.

') Vgl. R. L. Galloway, History of Coal Mining. London 1882, S. 38.

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Leute beschäftigte, ist zweifellos eine übertriebene Angabe^), jedenfalls aber stand das ganze Unternehmen auf durchaus ka- pitalistischer Basis. Auch die Seifenindustrie gehörte zu den in der Zeit der Elisabeth neu eingeführten Gewerben, wenn freilich die Neuheit hier wohl in erster Linie in der Übernahme verbesserter Herstellungsprozesse bestand, welche England in höherem Maße von der Einfuhr unabhängig machen sollten.^) Die Seifensiederei wurde in England schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht mehr zu den rein handwerksmäßigen Gewerben gerechnet, welche unter das Lehrlingsgesetz der Elisabeth fielen, sondern als ,,eine mysteriöse Kunst" bezeichnet''), welche jeder freie Bürger ausüben konnte, der den Siedeprozeß verstand und die nötigen Mittel besaß. In der Mitte des 18. Jahr- hunderts galt nach zuverlässigen Angaben eine relativ beträcht- liche Geldsumme als notwendiges Anlagekapital für den einzelnen Betrieb, die Arbeit selbst wurde nurmehr von „Arbeitern'' und „Vorarbeitern", nicht mehr von Gesellen ausgeführt.'*) Es unter- liegt keinem Zweifel, daß schon im 17. Jahrhundert die Seifen- fabrikation, da wo sie nicht im Hause praktiziert wurde, kapi- talistisch organisiert war. Die Company of Soapmakers of West- minster, welche im Jahre 1631 inkorporiert wurde, war auf den Absatz im Großen eingerichtet und hatte der Krone ver- sprochen, 5000 tons Seife jährlich herzustellen. Als die Gesellschaft im Jahre 1639 an ein anderes Unternehmen überging, bezahlte dieses für ihre Werke und die vorhandenen Materialien (plant and materials) eine Kaufsumme von 20050 £.^)

Die Drahtindustrie sei hier als letztes der neuen kapita- listisch organisierten Gewerbe genannt. Während in Deutsch- land die Einführung mechanisch arbeitender Drahtwerke schon in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts fällt''), wurde in Eng- land die Anwendung der Wasserkraft zum Drahtziehen erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von einem Deutschen eingebürgert. Bis dahin war wohl das Drahtgewerbe handwerks- mäßig in verschiedenen Teilen Englands, vor allem im Forest of

*) Vgl. Price a. a. O. S. 74 ; sowie S. 67 81, passira.

^) Vgl. Cunningham S. 78 und 306.

^) Vgl. A Looking Glasse for Sope Patentees. London 1646, S. 5.

*) Vgl. The general Shop Book. London 1750, unter soap.

®) Vgl. A Short and true Relation concerning the Soap Business. London, 1641, S. 3 ff. ; auch G. Unwin, The Gilds of London. London 1908, S. 323.

*) Vgl- K- Knapmann, Das Eisen- und Stahldralitgewerbe in Altena. Leipzig 1907, S. 8—9.

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Dean ausgeübt worden, aber der Hauptbedarf sowohl von Draht wie Kratzendrabt mußte importiert werden. Mit der Einführung des neuen Herstellungsprozesses entstanden auf kapitalistischer Basis große Werke in Tintern (Monmouthshire), von denen be- richtet wird, daß sie oft im Jahre mehr produzierten, als sie im Inlande absetzen konnten. Im Jahre 1592 konnte das Werk für 1000 £ Jahresrente verpachtet werden. Es gab Arbeiter, welche einen Jahreslohn von SO £ erhielten, und von auswärts herzu- gezogen waren, außerdem .,viele Tausend Arme", die in den Werken der im Jahre 1568 inkorporierten Gesellschaft Beschäf- tigung fanden. Demgegenüber lag die verfeinernde Weiter- verarbeitung noch in Händen der Handwerker, welche ihr Mate- rial von dem kapitalistischen Unternehmen bezogen, i)

Eine andere Gruppe kapitalistischer Unternehmungen bietet während jener Zeit der englische Bergbau. Der Zinnbergbau von Cornwall war zu Ende des 16. Jahrhunderts in ungünstiger Lage. Mit den steigenden Kosten des Betriebes in größerer Tiefe waren zahlreiche Werke zum Stillstand gebracht worden. 2) Vor allem war die Einführung von Wasserhaltungsmaschinen die dringendste Voraussetzung für eine erneute Steigerung der Pro- duktion. Anscheinend um das hierfür nötige Kapital in den Bergbau zu lenken, hatte die Königin Elisabeth ihre Erzvor- kaufsrechte an Kapitalisten abgetreten, eine Taktik, welche die englischen Könige bis 1645 fortsetzten, ^j Damit waren die bis- herigen Produzenten, selbständige Gräber und Schmelzer, in ökonomische Abhängigkeit geraten. Ganz analog den Verhält- nissen, die schon im 16. Jahrhundert im deutschen Zinnbergbau vorherrschten*), klagte Judge Doderidge im Jahre 1630^): „daß die Grubenarbeiter infolge ihrer Armut von den harten und wucherischen Zinnkontrakten aufgefressen würden." Denn, „da diese armen Arbeiter nicht im Stande seien, sich und ihre FamiHen zu erhalten, so würden sie gezwungen, mit den Kaufleuten für eine kleine Summe Verpflichtungen einzugehen, die einen höheren Wert darstellten als das Geld, das sie von ihnen empfangen hätten.'- Die hier genannten „mine-workers" sind freilich, da sie ihr Zinn für eigene Rechnung und Gefahr produzierten, trotz

1) Vgl. Price a. a. O., S. 55 58.

-) Vgl. The Tinners Grievances. London 1697, S. 2.

^) Vgl. G. R. Lewis, The Stannaries. London 190S, S. 217.

*) Vgl. Sombart, Der moderne Kapitalismus. Leipzig 1902, I, S. 401.

^) Vgl. The Tinners Grievances. London 1697, S. 4.

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der Bezeichnung „Arbeiter'- noch formell als „selbständig" zu betrachten. In Wirklichkeit waren sie nichts anderes als die Instrumente ihrer kapitalistischen Verleger. Diese verkauften den „labouring tinners'' die notwendigen Materialien für den Betrieb des Zinngewerbes zu außerordentlich hohen Preisen, und ließen sich dasselbe in Zinn, weit unter Marktpreis zurück- bezahlen. ^) Es kam hinzu, daß die Schmelzer durch die gesetz- liche Verkaufsordnung, welche einen Absatz nur zwei Mal im Jahre, zu Johannis und Michaelis ermöglichte^), erst recht auf die Vorschüsse der Kapitalisten^) angewiesen waren. Die so von Kapitalisten abhängigen Produzenten fungierten andererseits als Arbeitgeber. Denn die große Masse der im Bergbau Be- schäftigten bestand aus proletarischen Lohnarbeitern. Schon im Jahre 1601 sprach Sir Walter Raleigh, der den Zinnbergbau genau kannte, von den ..armen Arbeitern", welche früher 2 sh, jetzt 4 sh W^ochenlohn erhielten."^) Um etwa dieselbe Zeit hieß es in einer Schrift^): ,,Die meisten der Schwarzzinngräber sind sehr arme Leute und zweifellos kann diese Beschäftigung sie niemals reich machen, besonders aber nicht solche Zinnarbeiter, die keinen Verkauf (bargains) haben, sondern nur auf ihre Löhne rechnen. .... Denn sie haben keinen Nutzen von ihrem Zinn, wenn sie Lohnarbeiter sind, da ihre Meister das Zinn besitzen." Es war also mit der eintretenden Kapitalbedürftigkeit im Zinn- bergbau eine dreifache Gliederung der an ihm beteiligten Per- sonen eingetreten, indem 1. der kaufmännische Kapitalist. 2. der von ihm verlegte, mittellose Produzent, der ., Meister", 3. die von jenen Produzenten beschäftigten Lohnarbeiter nebeneinander existierten.^) Im Laufe des 17. Jahrhunderts änderte sich freilich dieser Zustand dahin, daß die am Zinnbergbau beteihgten Ka- pitalisten selbst zu ..adventuring tinners" wurden, daß sie also eigenen Bergbau trieben, daß sie ferner ,.an den meisten Schmelz- hütten interessiert" waren, die sie entweder selbst bewirtschaf- teten oder an ärmere Schmelzer verpachteten.") So entsteht

^) Vgl. Aggravii Venetiani. London 1697, S. 3. (Proposal of raising the price etc.)

-) Vgl. Lewis a. a. O., S. 149 150.

') Vgl. auch Unwin a. a. O., S. 154.

*) Vgl. Parliamentary History. Vol. I. Verhandlung vom 20. November 1601.

*) Vgl. Journal Royal Statistical Society, 1838, S. 71.

*) Vgl. Lewis a. a. O., S. 216. Er unterscheidet: i. „merchant buyers"; 2. „non- laboring shareholders", „small independent miners", ,,in some cases ore dealers"; 3. ,,wage workers".

'0 Vgl. Tinners Grievances, S. 4 ff. ; Lewis a. a. O., S. 223.

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seit dem Ende des 16. Jahrhunderts im enghschen Zinnbergbau ein Stand von KapitaHsten, der einerseits als Händler auftritt und als ,,merchants" bezeichnet wird, aber zum Verleger noch selbständiger Produzenten wird, der sich andererseits im Laufe der Zeit zum Produzenten entwickelt und sein kaufmännisches Ge- wand abstreift. Dieser Entwicklungsprozeß äußerte sich schließ- lich darin, daß die Agenten der Londoner Kaufleute, die früher den Zinnbezug für die Weiterverarbeiter vermittelt hatten, mehr und mehr ausgeschaltet wurden, da die kapitalistischen Schmelzer den Zinnhandel übernahmen und die Aufträge aus London selbst erledigten. ^) Diese frühzeitige Entwicklung ist nach den Dar- legungen von Lewis für die Organisation des Handels mit eng- lischem Zinn bis heute maßgebend gewesen.

Höchst bedeutsam für die Beurteilung der frühkapitalistischen Epoche englischen Industriewesens ist aber vor allem die Ent- wicklung des nordenglischen Kohlenbergbaues. Die ersten nachweisbaren Anfänge desselben gehen auf das Jahr 1213 zu- rück-); um 1246 erhielt die Kohle des Newcastler Gebietes den Namen sea coal, was darauf hinweist, daß sie schon zu damaliger Zeit exportiert wurde. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts ge- winnt sie dann einen immer stärkeren nicht-lokalen Absatz, der sich vor allem auf die Versorgung Londons und Umgegend erstreckte. Während nach Harrison im Jahre 1577 Export- kohle erst ,.in den Vorzimmern der größten Londoner Kaufleute sich eingenistet hatte" ^), wurde bereits in den 40er Jahren des folgenden Jahrhunderts eine Kohlenteuerung als große Schädi- gung der Armen bezeichnet. ^) Von unregelmäßigen Sendungen hatte sich der Kohlenversand nach Frankreich derart entwickelt, daß es schon im Jahre 1552 hieß ^), „Frankreich könne ohne englische Kohle ebenso wenig leben, wie die Fische ohne Wasser'. Zur Zeit der Elisabeth wurde dann der an Bedeutung so rasch wachsende Handelsartikel fiskalisch ausgenutzt, indem ein Aus- fuhrzoll auf Kohle eingeführt wurde. ^) Die bedeutendste Stei- gerung in den Verschiffungen trat freilich erst im 17. Jahrhundert

^) Vgl. Unwin a. a. O., S. 153.; Grievances, S. 4 und Lewis, S. 223.

*) Vgl. Th. Wood Bunning, The Duties on Coal. Newcastle 1883, S. i.

ä) Vgl. M. Dünn, View of the Coal Trade. Newcastle 1843, S. 12 13.

*) Vgl. R. Gardiner, Englands Grievance Discovered. 2 ed. Newcastle 1796 (wörtlicher Nachdruck der Erstausgabe von 1655). S. 193.

5) Vgl. Galloway a. a. O., S. 20.

«) Vgl, Bunning a. a. O., S. 4.

ein. ^) Die mannigfachen Zahlenangaben und Produktionsziffern, welche in einzelnen Dokumenten jener Periode vorliegen, er- scheinen bei näherer Betrachtung so widerspruchsvoll, daß sie, besonders auch in Anbetracht der oft unklaren Gewichtseinheiten, nicht verwertbar sind. Einen gewissen Anhaltspunkt bietet die Tatsache, daß für fiskalische Zwecke die jährliche küstenweise Ver- schiffung im Jahre 1663 auf 160000 chaldron, d. i. ca. 400000 tons veranschlagt wurde. ^) Nach einer amtlichen Berechnung vom Jahre 1871 soll die gesamte Kohlenproduktion Englands um 1660 schon ca. 2 Millionen tons betragen haben. ^) Charakteris- tisch sind auch die Angaben über die maritimen Kohlentransport- mittel. Das Einzelschiff hatte im Jahre 1421 eine Ladefähigkeit von ca. 20 chaldron gehabt (1 chaldron = ca. 2,6 Tonnen), im Jahre 1653 wurde der 6 7fache Betrag als Durchschnittsladung angegeben.*) Im Jahre 1676 schätzte Sir William Pett}^ den Tonnengehalt der in der Kohlenschiffahrt von Newcastle be- schäftigten Fahrzeuge auf 80000 tons, und erklärte, daß derselbe sich in den letzten 40 Jahren vervierfacht habe. ^)

Mit dem steigenden Massenabsatz nordenglischer Kohle auf entfernteren Märkten bekam die bergbauliche Produktion das Gepräge der kapitalistischen Großunternehmung. Die Grube Elswick, eine der wichtigsten, war ursprünglich im Jahre 1330 für 5 £ Jahresrente von der Abtei in Tynemouth verpachtet worden. ^) Zweihundert Jahre später brachte sie immer erst 20 £, im Jahre 1538 dagegen schon 50 £ Rente. Die an Kohlenlagern reichen Herrschaften Gateshead und Wickham pachtete die Königin Elisabeth im Jahre 1582 für 90 £ Jahresrente und übertrug bald darauf den Pachtvertrag an die Stadt Newcastle, die ihr dafür 12000 £ bezahlte.') Der jährliche Ertragswert einer Anzahl von Gruben am' Flusse Wear wurde im Jahre 1644, das freilich ein Jahr der Kohlenteuerung war, auf 3000 £ veran- schlagt. ^)

Wie sehr der Kohlenbergbau die Kapitalisten oft zu ihrem Unglück anzog, zeigt folgende Schilderung bei Gray

*) Vgl. Brand, History of Newcastle. London 17S9, Vol. II, S. 292.

-) Vgl. Dünn a. a. O., S. 18.

*) Vgl. Cunningham a. a. O. I. S. 530.

*) Vgl. Dünn a. a. O. S. 12 und Gardiner. S. 105.

*) Vgl. A. Anderson, Geschichte des Handels. Riga 1778, Teil VI, S. 17 18.

*) Vgl. Dünn a. a. O. S. 14 und 19.

') Vgl. Gardiner a. a. O. S. 13 und 14.

«) Vgl. Dünn a. a. O. S. 16.

aus dem Jahre 1649 1): „Herren aus dem Süden kamen mit der Hoffnung auf großen Nutzen in diese Gegend (Norden), um ihr Geld in Kohlengruben anzulegen. Meister Beaumont, ein Herr von großem Geschick und seltenen Eigenschaften, legte sein Vermögen von 30000 £ in unseren Bergwerken an. Er brachte viele seltene Maschinen mit, die man hier nicht kennt, Bohrer aus Eisen, Maschinen, mit welchen man die Tiefe und Beschaffen- heit der Kohle prüft, seltene Maschinen zum Auspumpen des Wassers aus den Gruben, und Wagen zum Transport der Kohle von den Gruben an die Oberfläche und an das Ufer, Nach wenigen Jahren hatte er all sein Geld verbraucht und ritt auf seinem Reitpferde heim." Auch die Arbeitsverhältnisse zeigten um diese Zeit eine durchaus großkapitalistische Verfassung. Gray erzählt, daß viele tausend Leute im Kohlengewerbe tätig waren, und daß ein einziger Unternehmer 500 bis 1000 Leute „in seinen Werken'' beschäftigte; im Jahre 1662 sandten zwei- tausend Grubenarbeiter eine Petition an das Parlament, in welcher sie sich über die Ungerechtigkeit ihrer Arbeitgeber beschwerten. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts waren in einzelnen Gruben mehrere hundert Leute beschäftigt. 2) Wenn man bedenkt, dali die ganze Förderung im Jahre 1754 in der Grafschaft Mark erst 35000 tons, die Zahl der Arbeiter 699 betrug, und daß noch nicht 7 Mann auf die Grube kamen=^), so wird noch stärker er- sichtlich, in welchem vorgerückten Stadium, sowohl der Produktion wie der kapitalistischen Durchführung derselben, sich bereits im 17. Jahrhundert der nordenglische Kohlenbergbau befand.

Ein letztes Gebiet kapitalistischer Industrieorganisation bilden bereits im 16. dann aber vor allem im ganzen 17. Jahrhundert handwerksmäßige Produktionen, welche von Kapitalisten verlegt werden. Den äußerst verwickelten Prozeß, welcher von der Organisation selbständiger, handwerksmäßiger Produzenten zu einer zunächst „indirekten Abhängigkeit vom Kapital" (Sombart)*) führte, hat neuerdings George Unwin in vortrefflicher Quellen- darstellung rekonstruiert. Händler fremdländischer Waren, über- seeische Kaufleute und gewerbliche Zwischenhändler bildeten im 16. und 17. Jahrhundert die eine neue Klasse von Kapitalisten.

') Vgl. W. Gray, Chorographia or a Survey of Newcastle upon Tyne. 1649, S. 25. *) Vgl. Dünn a. a. O. S. 17 und 23.

') Vgl. Hey mann, Die gemischten Werke im deutschen Großeisengewerbe. Stutt- gart, 1904. S. 108.

■*) Vgl. Sombart a. a. O., I, S. 203 und 401.

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welche sich den Handwerker durch ihre Geldmacht unterwarfen. Schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts z. B. beschäftigten die haberdashers, die damals noch hauptsächlich ausländische Luxus- waren handelten, eine große Anzahl Londoner Handwerker, die sich angeblich in traurigster Lage befanden. Dann wieder war es der wohlhabende Meister, welcher die Rolle des Kapitalisten übernahm und den kleinen Meister herabdrückte. An Stelle der kleinen Meister trat z. B. in der Filzfabrikation oder der Tuchmacherei ein Stand von kapitalistischen Meistern einerseits und proletarischen „Gesellen", Lohnarbeitern, anderer- seits. Lange Zeit hatten die kleinen Meister ihre Unabhängig- keit gegenüber dem industriellen Kapitalismus zu wahren ge- sucht, teils indem sie durch eine eigene Organisation (yeomanry Organisation) einen Anteil an den von kapitalistischen Meistern mehr und mehr beherrschten, alten Korporationen zu gewinnen suchten, teils indem sie die Schaffung einer eigenen Körper- schaft anstrebten. Auch zeigten sich Versuche der handwerks- mäßigen Produzenten, durch genossenschaftliches Vorgehen sich von den Kapitalisten zu emanzipieren. Die Filzmacher brachten im Jahre 1611 eine Summe von 5000 £ auf, um sich von den Zwischenhändlern im Ankauf des Rohstoffes unabhängig zu machen und nicht durch finanzielle Notlage zum Schleuderver- kauf gezwungen zu sein. Allein jene Einrichtung eine Art Aktiengesellschaft dauerte nur drei Jahre. In der Mitte des 17. Jahrhunderts waren die kleinen Meister, welche sich durch jenes ,. Projekt" gemeinsam mit ihren vermögenden Brüdern vor kapitalistischen Zwischenhändlern hatten retten wollen, von eben jenen reichen Filzmachern durch eine breite Kluft getrennt. Auf der einen Seite standen jetzt die vermögenden Filzmacher, von denen ,, viele 10, 20, ja 30 Leute im Zupfen und Krempeln der Wolle und deren Vorbereitung zu weiterem Verbrauche be- schäftigten, außer Gesellen und Lehrlingen". Diese hatten sich von den Zwischenhändlern frei und selbst zu Kapitalisten ge- macht. Ihnen gegenüber standen die kleinen Meister, nach wie vor abhängig vom Kapitale anderer und vor dem sicheren Schick- sal, dem Stand lohnarbeitender Gesellen Platz zu machen. Ebenso hatten andere Korporationen mit Hilfe des Aktienunter- nehmens und Heranziehung von fremdem Kapital ihre Unab- hängigkeit festhalten wollen und stets hatte das Argument, für arme Mitglieder Beschäftigung zu finden, hierbei eine Rolle ge- spielt; so bei den Hornarbeitern, den Zinngießern und Tuch-

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machern, wohl aber meist mit gleichem Endergebnis wie bei den Filzmachern.

Über die kapitalistische Organisation der Tuchmac herei zu Anfang des 17. Jahrhunderts berichtet uns ein wertvolles Dokument des Jahres 1615 (State Papers Domestic. James I, Vol. LXXI, 13, year 1615), daß es in derselben folgende Arten von Unternehmern gab:

1. Den reichen Tuchmacher, welcher seine Wolle direkt an den Produktionsstätten kaufte, und zwar für das ganze Jahr im Voraus, dieselbe im Winter von seinen eigenen Spinnern spinnen, von seinen eigenen Webern weben, von seinen eigenen Walkern walken ließ, denen er „die niedrigsten Löhne" zahlte.

2. Den weniger bemittelten Tuchmacher, der seine Wolle auf Borg auf dem Markte kaufte, viele „Arme" be- schäftigte, seine Tuche verkaufte und damit die Schulden wieder bezahlte. „Von dieser Sorte gibt es eine große Menge, die gut leben und reich werden und Tausenden Arbeit geben."

3. Tuchmacher, welche nicht genügend Kapital besaßen, um Wolle auf Vorrat zu kaufen, sondern wöchentlich ihr Garn auf dem Markte kauften, es selbst verar- beiteten und verkauften. Sie bezogen ihre Garne von „Spinnern", „die im Kleinen ihre Wolle einkauften" und allwöchentlich Garne absetzten, wozu sie sich der Zwischen- händler bedienen mußten.

4. Endlich tausende von „armen Leuten", welche „mit großem Fleiß und Geschick" grobe Tuche fertigten; sie waren anscheinend in ähnlicher Lage wie die sub 3 ge- nannten."

Die ganze Klassifizierung zeigt uns den Gegensatz : zwischen kapitalistischen Großunternehmern, die sich mit Rohstoffen ver- sorgten und diese im Großen teils hausindustriell, teils im Eigenbetrieb verarbeiten ließen, und den kleinen selbständigen Meistern, die meist nur Teilprozesse ausführten und auf Kredit und Zwischenhandel angewiesen waren. Dieser Gegensatz, dessen Entstehung für das 15. und 16. Jahrhundert von Ashley geschildert worden ist^), erfuhr im Laufe des 17. Jahrhunderts

') Vgl. Ashley, Englische Wirtschaftsgeschichte. Leipzig 1896, S. 230 ff. und S. 238 ff.

eine ständige Verschärfung.^) Der gänzliche Verfall der kleinen Meister trat freilich erst in der industriellen Revolution ein, mit dem Aufkommen von Maschinen und der endgültigen Ersetzung hausindustriellen Betriebes durch die Fabrik.-)

Das Streben der kleinen Meister, sich durch irgendwelche Organisation in der kapitalistischen Entwicklung der Industrie gegenüber denjenigen zu behaupten, welche durch jene Ent- wicklung emporgehoben wurden, konnte schon beim Ausbruch des Bürgerkrieges als aussichtslos betrachtet werden. Schon in jener Zeit bildeten die ärmeren Handwerksmeister, überall da, wo der Kapitalismus zu größeren Unternehmungsformen geführt hatte, eine antiquierte Klasse selbständiger Produzenten, welche sich mit Notwendigkeit in einen Stand von Lohnarbeitern um- setzen mußte."")

So hatte der große Aufschwung, den Handel. Gewerbe und Schiffahrt Englands im 17. Jahrhundert nahmen, in den ver- schiedensten Zweigen der industriellen Produktion zu einer neuen Organisation geführt. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts und dann mit jedem Jahrzehnt des folgenden war der industrielle Kapitalismus zur Entfaltung gelangt, am markantesten in den neu eingeführten Gewerbezweigen und im Bergbau, im lang- samen aber stetigen Entwicklungsprozeß in den bisher rein handwerksmäßigen Gewerben.*) Entscheidend hatte vielfach

*) So hören wir kleine Meister im Jahre 1689 klagen: „Daß einzelne Kaufleute, welche Gesellen, Tucharbeiter, Packer, Bügler, Färber und andere in ihren Häusern ar- beiten lassen und nicht nur diese für ihre eigenen Arbeiter, sondern auch für anderer Kaufleute Rechung beschäftigen, den Ruin vieler arbeitender und handelnder Familien herbeiführen würden."

-) Wenn Cunningham a. a. O. I. S. 499 meint, das Handwerk habe in der Tuch- macherei vor dem Eintritt des fabrikmäi3igen Großbetriebs ,,maintained its ground", so ist damit in den meisten Fällen nur ein verzweifelter Existenzkampf gegenüber dem Kapi- talismus zu verstehen, der teils mit hausindustriellem Betriebssysteme, teils mit Manufaktur arbeitete,

^) Vgl. für diese Ausführungen Unwin a. a. O. (Organisation\ S. 73 ff., S. 197 und 198; S. 199 ff., S. 209 und passim. Für die Klassifizierung der Tuchmacher: S. 234—236.

*) Dieses Resultat widerspricht der häufig vorgetragenen Auffassung, daß die kapi- talistische Gewerbeentwicklung erst seit etwa 1760 in England eingesetzt habe. Meint doch z. B. auch Toynbee, Industrial Revolution, London, 1884, S, 53/54 auf Grund von Betrachtungen über das Verlagssystem in der Baumwoll- und Leinenweberei des 18. Jahrhunderts : ,,Dies war die größte Annäherung an das kapitalistische System vor dem Anfang der großen technischen Erfindungen." Toynbee hat, wie viele andere Schriftsteller, nur die Textilindustrie (außer der von ihm erwähnten fabrikmäßigen Nägel- fabrikation) im Auge und übersieht eine große Reihe von Gewerben, welche, wie wir oben gezeigt haben, längst mit dem Kapitalismus verwachsen, und zwar zum Teil bereits über das Verlagssystem hinausgekommen waren.

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die Erweiterung des Absatzmarktes eingewirkt, welche eine Er- weiterung der Produktion ermöglichte. Diese wiederum verlangte eine stärkere Anhäufung fixen Kapitals, wie im Bergbau oder da, wo eine Vermehrung maschineller Vorrichtungen statt- fand, sie erforderte weiter den Kapitalbesitz des Unternehmers zur Versorgung mit den nötigen Rohmaterialien, da wo deren Bezug im Großen rentabel wurde. So erfaßte der Kapitalismus, sei es unter Beibehaltung kleinbetrieblicher Wirtschaft, wie beim Verlage, sei es unter Herausbildung des Großbetriebes, die wich- tigsten englischen Gewerbe jener Zeit.

Eine besondere Form der Organisation aber, welche jene frühkapitalistische Industrie bis zum Ende des 17. Jahrhunderts charakterisierte, war das Monopol.

2. Die Monopolorganisation.

Die Verleihungr der ausschließlichen Befugnis zum Betriebe eines bestimmten Gewerbes, mit welcher die Krone Einzelne oder ganze Körperschaften ausstatten konnte, bildete die recht- liche Grundlage für die Monopolorganisation der frühkapitalisti- schen Industrie. Unter der Königin Elisabeth war, wie ja all- gemein bekannt, das System der gewerblichen Privilegierung zu außerordentlichem Aufschwung gelangt. Es gab kaum eine Ware, welche nicht Gegenstand irgend eines Monopols gewesen wäre. Als einmal im Parlament eine lange Reihe von Privilegien vorgelesen wurde, rief ein Mitglied des Hauses aus: ,, Steht nicht auch das Brot in dieser Liste?"' Und als alles voll Verwunderung: „Brot?"' rief, da antwortete er: ,,Ja, ich versichere Sie, wenn das so weitergeht, so wird noch, ehe das nächste Parlament zusammen- tritt, Brot auch zu einem Monopol geworden sein!"^} Zu wieder- holten Malen hatte die Königin Elisabeth die Beseitigung der Monopole versprechen müssen, zuletzt im Jahre 1601, nach einer Parlamentsdebatte, in der sich bei den meisten Sprechern die Erbitterung gegen die bestehenden Bevorzugungen aufs deut- lichste gezeigt hatte.^) Eine große Anzahl von Exklusivrechten wurde dann auch tatsächlich aufgehoben.^) Aber die Ära des Monopols war damit noch keineswegs beendet.

1) Vgl, F. W. Hirst, Monopolies, Trusts and Cartells. London N.D., S. 17; vgl. für einzelne Monopolartikel: Ch. Fisk Beach, Monopolies and Industrial Trusts. St. Louis 1898, S. loff. ; auch Palgraves Dictionary, Vol. II, S. 802.

-) Vgl. Parliamentary History. Vol. I. London 1806, S. 925 ff.

') Ebenda S. 935.

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Unter Jakob I. nahm die Erteilung von Exklusivrechten (grants, patents etc.) ihren Fortgang und erreichte zwischen 1614 und 1621 einen neuen Höhepunkt.^) Als Rückschlag dieser Ent- wicklung ist das bekannte Anti-Monopolstatut vom Jahre 1624 aufzufassen. 2j Dieses Gesetz, das noch heute für den eng- lischen Juristen von Bedeutung ist. hat bezüglich seiner Wir- kungen auf die tatsächliche Monopolbildung vielfach eine un- richtige Beurteilung erfahren. McCulloch z. B. meinte später, es habe dieses Statut der englischen Industrie die Gewerbe- freiheit gegeben.") Wie sehr nun auch der Inhalt dieses Ge- setzes gewerbefreiheitlich gedacht erscheint, so wäre es doch verfehlt, anzunehmen, daß durch dasselbe die Weiterexistenz der Monopole jählings abgeschnitten worden sei: sie sollten viel- mehr trotz des ausdrücklich ausgesprochenen Verbotes noch Jahrzehnte lang fortbestehen.

Wie erklärt sich dies? Einmal Heß das Anti-Monopolstatut selbst eine Reihe von Monopolen unberührt. Es zerfiel gleichsam in zwei Teile, von denen der eine die emphatische Verurteilung aller monopolistischen Unternehmungen bildete, während am Schluß des Statuts (vgl. Abschnitt XII XIV) einzelne wichtige Monopole von neuem sanktioniert wurden. Deshalb hat man gemeint, daß das ganze Gesetz eine vortreffliche Illustration seines Schöpfers. Jakobs I., gewesen sei, des Fürsten mit ..dem Kopfe aus Gold und den Füßen aus Ton'^

Immerhin wäre mit dem Statut vom Jahre 1624 die Monopol- herrschaft stark beschränkt worden, wenn nicht in der Folgezeit immer wieder gegen dasselbe gesündigt worden wäre. Karl I. sah sich durch sein Verlangen, ohne Parlament zu regieren und finanziell von diesem unabhängig zu sein, von neuem auf die Bahn seiner Vorgänger gedrängt und zur ^lonopolgewährung veranlaßt.

Benutzt wurde hierbei vor allem jene Bestimmung des Monopolstatuts, nach der (vgl. Abschnitt IX.) dieses nicht gegen- über städtischen Korporationen und Kompagnien Anwendung finden sollte. Damit freilich war zunächst nur die Möglichkeit gelassen, eine Korporation mit monopolistischem Charakter für ein einzelnes Stadtgebiet zu schaffen, und innerhalb solcher Kor- poration war auch die Mitgliedschaft nicht ohne weiteres beschränk-

*) Vgl. Social England a. a. O., S. 192 ff.

*) 21. Jac. I, Cap. 3.

■') Vgl. McCulloch, Dictionary of Commerce. London 1882, S. 895.

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bar. Allein die Unternehmungslustigen, die ein nationalesMonopol in solche Korporation zu kleiden suchten, wußten sich zu helfen. Sie ließen sich durch königliche Verordnung das Recht der Aufsicht über die ganze Landesproduktion, eventuell ein Unter- drückungsrecht aller Outsiders, verleihen. Das traditionelle Recht der städtischen, insbesondere der Londoner Freibürger, in jede Gesellschaft zum Zweck der Gewerbeausübung einzutreten, wurde in derselben Weise unterdrückt. Auf diesem Wege war schon vor dem Anti-Monopolstatut die Londoner Starchmakers Company, eine Unternehmung von wenigen Kapitalisten, eine geschlossene nationale Monopolorganisation geworden.^) Durch das Statut von 1624 wurde jene Möglichkeit der Monopolgründung erst recht beliebt und massenhaft entstanden nach jenem Jahre Korporationen, die von vornherein die Bildung eines nationalen Monopols bezweckten.^)

Eine zweite Möglichkeit oder besser einen Anknüpfungs- punkt — für die Monopolverleihung bot diejenige Bestimmung des Statuts, welche für neue Erfindungen eine 14jährige Privi- legierung erlaubte (vgl. Abschnitt VI). Von dieser Festsetzung ausgehend, konnte man dem Inhaber eines Patentes die ver- schiedensten Vergünstigungen verschaffen. Man konnte einem Unternehmer für dessen besonderen Herstellungsprozeß ein Patent verleihen und ihn zugleich mit dem Recht ausstatten, zur ,, Wahrung seines Patentes'', die sonstige Produktion einer Schau zu unterwerfen, eine Maßnahme, die in praxi zur Aus- übung einer Monopolherrschaft führte.^) Ja, es wird in einer späteren Schrift heftig darüber geklagt, daß jene Bestimmung häufig auf Einfuhrartikel ausgedehnt worden sei, welche man in England bisher nicht fabriziert hatte, so daß derjenige, welcher solche Waren im Inland herzustellen versprach, einen Schutz vor in- und ausländischem Wettbewerb erlangen konnte.^) Die Ausnützung der Patentklausel zu monopolistischen Zwecken war so allgemein, daß das Wort patentee, d. h. Patentinhaber, in den 30er und 40er Jahren überall „Monopolist" bedeutete. „The Monopolist and the Patentee Did joyne hand in hand as here jou see",

') Vgl. Price a. a. O., S. 37 38.

*) Vgl. Unwin, The Gilds and Companies of London. London 190S, S. 294 bis 295 und S, 317 318.

') Vgl. Price a. a. O., S. 119 und passim,

*) Vgl. Britannia Languens or a Discourse of Trade. London 1680, S. 85.

IG

heißt es unter dem Titelbild einer Anti- Monopolschrift vom Jahre 1642.^) Mit Recht konnte ein Parlamentsmitglied in einer Debatte vom Jahre 1640 erklären^): „Bessere Gesetze als das Monopolgesetz hätten gegen die Projektenmacher gar nicht ge- macht werden können und doch sind in den letzten Jahren, fast als ob das Gesetz ihr Urheber wäre, mehr Monopole und Freiheitsverletzungen vorgekommen als in irgend einer Zeit seit der Eroberung". 3) Wenn auch die letzte Behauptung in Anbetracht der Elisabethanischen Monopolepoche etwas über- trieben erscheint, so war doch der Kernpunkt der Anklage sicherlich richtig. Es existierte, nach den Äußerungen der verschiedensten Redner in jener Debatte, eine Fülle von Mono- polisten. Berühmt wurde die sarkastische Rede des Sir John Colepepper vom Jahre 1640, in der er erklärte*): ..Diese Leute haben sich wie die Frösche in Ägypten in unseren Häusern eingenistet, und kaum haben wir einen Raum von ihnen frei. Sie essen unsere Suppe mit, sie nippen von unseren Platten und sitzen an unserem Feuer; wir finden sie im Farbentopf, in der Waschschüssel und Puderbüchse; sie leisten dem Diener in seiner Kammer Gesellschaft, sie haben uns vom Kopf bis zum Fuß ihre Zeichen und Siegel aufgedrückt.''

Vor allem muß bei der Beurteilung der vom Monopolstatut erzielten Wirkungen bedacht werden, daß die rechtlichen Ver- hältnisse im Bergbau vielfach bis zum Ende des 17. Jahr- hunderts der Monopolbildung bedeutenden Vorschub leisteten. Das Eigentumsrecht der Krone an allen Silber und Gold ent- haltenden Bergwerken wurde zum Mittel, Kupfer-, Blei- und Zinkgruben zu monopolisieren; diese Möglichkeit wurde seit der Königin Elisabeth, freilich nicht ohne zahlreiche Rechtsstreitig- keiten hervorzurufen^), von der Krone ausgenutzt und führte

^) Vgl. The Projectors Downfall. London 1842, Titelblatt.

^) Vgl. Parliamentary History a. a. O., Vol. II, S. 650.

^) F. C. Montagu meint in History of England, London 1907, Vol. VII, S. 181, es sei das Gesetz von 1624 unter dem Vorwand umgangen worden, daß es sich nur auf Monopole, die für einzelne Persönlichkeiten gewährt worden sein, bezöge. Hierfür bringt er jedoch keinen Beweis. Es ist jedoch festzustellen, daß das Statut alle Monopole verbot, sei es solche an Einzelpersonen oder ,,bodies corporate or politic whatsoever". Auch wurden nach 1624 Monopole nach wie vor an Einzelne verliehen, z. B. ein solches für Glas im Jahre 1634.

*) Vgl. Parliamentary History, Vol. II, S. 654 655.

') ^^S^- genaue Angabe der Einzelfälle bei Abbott, Essay on the Mines of England. London 1853, S. 218 219 u. f.; Lewis a. a. O., S. 76.

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zu den ersten Monopolbildungen jener Epoche. i) Eine ein- schneidende Änderung dieser Rechtsverhältnisse trat erst unter Wilhelm III. im Jahre 1689 ein, als der Begriff der mines royal durch ein neues Gesetz unzweideutig definiert wurde.^) „Keine Kupfer-, Zinn-, Eisen- oder Bleigrube sollte fortan als der Krone gehörig angesehen werden, gleichviel ob Gold oder Silber aus ihr gewonnen würde." Es wurde dadurch das Bergwerkseigen- tum an diesen Erzen endgültig der Krone entzogen und den Grundbesitzern zugesprochen. Die Grundlage für die berüch- tigten Bergbaumonopole der ,, Mines Royal'*, ,, Mineral and Batter}^ Works" und der späteren Vereinigung beider, der „Society of the Mines Royal" ^), war damit aufgehoben.*) Fort- bestand freilich noch das Vorkaufsrecht der Krone (preemtionj für den Zinnbergbau von Cornwall und Devonshire. Allein die prinzipielle Beseitigung der Bergbaumonopole war wohl die Ursache, daß die Krone auch von diesem Mittel der Mono- polbildung keinen Gebrauch mehr machte. Es wurde nur noch ein Mal unter der Königin Anna ausgeübt, verschwand aber seit 1717 völlig von der Bildfläche des englischen Bergbaues.^) Damit war zu Ende des 17. Jahrhunderts ein rechtlicher Zustand im englischen Bergbau erreicht, der dem freien Wett- bewerb in der Erschließung von Mineralien keine Hindernisse mehr in den Weg legte. Für die Kohle hatte von jeher fast überall das Eigentum des Grundbesitzers geherrscht. Durch das Gesetz von 1689 wurde nunmehr das Gleiche für Kupfer, Zinn, Eisen und Blei bestimmt. Eine Ausnahme bildeten jetzt noch die sogenannten free mining Distrikte, welche der Regalität der Krone unterstanden. Hier herrschte zwar Bergfreiheit, indem die Krone nur Steuern empfing und die Berggerichte über- wachte; aber die Berggemeinde hatte einen Komplex von Grundsätzen und Regeln herausgebildet, welche die Organisation des Bergbaues jener Distrikte nach verschiedenen Richtungen beeinflußte. Eine monopolistische Ordnung des Bergbaues durch die Berggemeinde entstand jedoch in diesen Distrikten im allgemeinen nicht. Von fünf uns bekannten Distrikten des free

*) Vgl. Price a. a. O., S. 50.

-) Vgl. I. William a. Mary c. 30; auch Palgrave II, S. 765. ') Vgl. Näheres bei Price a. a. O., S. 49 ff. und 55 ff.; ebenso Cunningham a. O., S. 59.

*) Vgl. Lewis a. a. O., S. 42.

*) Vgl. ebenda S, 148 149, 220 221.

Levy, Monopole, Kartolle und Trusts. 2

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mining, den Mendip Hills, Aiston Moore, dem Zinndistrikte in De- vonshire und Cornwall, einzelnen Gebieten in Derbyshire und dem Forest of Dean, war nur der letztere gildenmäßig und monopolistisch organisiert, während in allen anderen die Felder- verleihung auf keine besonderen Beschränkungen seitens der lokalen Bergbehörde gestoßen zu sein scheint.^) Im Forest of Dean suchte hingegen der Mine Law Court seit den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts in der verschiedensten Weise Produktion und Absatz monopolistisch zu regeln, indem er die Zulassung zum Bergbau als ,,free miner" durch verschiedene Bedingungen erschwerte, die Preise fixierte, ja sogar für die bestimmten Ab- satzorte festlegte und die Produktion des einzelnen Gräbers einzuschränken suchte.'^) Allein schon im Jahre 1675 scheint diese Organisation durch Outsiders durchbrochen worden zu sein, welche dem Berggericht zum Trotz, aber auch ohne von ihm behelligt zu werden, ..und mit dem ausgesprochenen Zwecke einem Kohlenmonopol entgegenzuarbeiten*" Gruben zu be- treiben anfingen. Solche .,foreigners'', wie man sie gegenüber den „free miners" nannte, wurden dann immer häufiger, be- sonders als im Jahre 1777 der Mine Court fortfiel, und die ..free miners'" ihr Eigentum mehr und mehr an Fremde abtraten. Immerhin war hier die Möglichkeit einer monopolistischen Or- ganisation länger gegeben als sonst im englischen Bergbau. Aber es handelte sich nur um eine unerhebliche .A.us- nahme. In den übrigen Gebieten freierklärten Bergbaues, be- sonders im Zinnbergbau von Cornwall und Devonshire*). be- stand keine Schwierigkeit, Bergwerkseigentum durch Verleihung zu erlangen. Für den sonstigen englischen Bergbau aber war das Bergeigentum Zubehör zum Grundbesitz, nachdem das Gesetz von 1689 den Wirkungskreis dieser Rechtsordnung end- gültig stabilisiert und damit verallgemeinert hatte.

In dasselbe Jahr fällt auch die endgültige Beseitigung einer anderen Rechtsbestimmung, welche für die Bildung der Mono- pole von höchster Bedeutung gewesen war. Der Anspruch der königlichen Prärogative auf ein Dispensationsrecht, durch welches

^) Vgl. Lewis, Für Kohle (S. 78); für free mining S. 76; die einzelnen Distrikte S. 78 81; für die Organisation im Forest of Dean vgl. S. 79 und 173 ff.

*) Vgl. Th. Sopwith, The Award of the Dean Forest Mining Commissioners. Lon- don 1841, S. 12 20; Nicholls, Forest of Dean. London 1858, S. 45 ff.

■*) Fourth and Fifth Report of Dean Forest Commissioners. London 1835, S. 44 und S. 7 10; sowie Nicholls, S. 116.

*) Vgl. Lewis a. a. O., S. 161, der die Verleihung genau beschreibt.

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die Krone über das Parlament hinweg, mit fadenscheinigen Inter- pretationen oder auch offenen Umgehungen der bestehenden Rechtsordnung, die Monopolgewährung betrieben hatte, wurde im Jahre 1689 (bill of rights) abgeschafft.^) Wenn nun auch aller Wahrscheinlichkeit nach seit den 50 er und 60 er Jahren des 17. Jahrhunderts die Zahl der bestehenden Monopole bedeutend geringer geworden war leider fehlen gerade hierüber genaue Überlieferungen so bedeutete doch der Fortfall jenes Rechts: daß nunmehr eine gesetzlich unumstößliche Verhinderung aller gewerblichen Privatmonopole durch das Parlament möglich wurde. Nur noch lokale Monopole, welche auf Gilden- und Korporationsrechten fußten, und mit den bedeutenden, nationalen Industriemonopolen der Tudors und ersten Stuarts nichts gemein hatten, konnten in der Folgezeit fortbestehen, oder solche, die das Parlament durch Gesetz gestattete. Damit aber war in praxi die Existenzmöglichkeit der für unsere Betrachtung in Frage kommenden größeren kapitalistischen Monopolverbände, welche die ganze Landesproduktion in einzelnen Gewerbezweigen auf Grund rechtlicher Privilegierung zu kontrollieren suchten, ein für alle Mal dahin. Im Jahre 1640 hatte das Lange Parlament die meisten Monopole für ungültig erklärt und sich damit der Krone gegenüber Funktionen angemaßt, für die eine verfassungs- mäßige Berechtigung nicht vorlag. Seit der Restauration sah sich ebenfalls die Krone in ihrer bisherigen Gewohnheit, eigen- mächtig industrielle Angelegenheiten zu regeln, durch das er- starkende^) Parlament behindert.^) Eine prinzipielle Aner- kennung dieses Zustandes trat aber erst im Jahre 1689 mit Beseitigung des königlichen Dispensationsrechts ein, und damit wurde der stets latente*) Konflikt zwischen einer monopolfreund- lichen Krone und einem monopolfeindlichen Parlamente end- gültig zu Gunsten des letzteren entschieden.

Die rechtlichen Verhältnisse, welche so zu Ende des 17. Jahr- hunderts eine Änderung erfuhren, hatten die Monopolbildung, als Ganzes betrachtet, etwa ein Jahrhundert lang maßgebend bestimmt. Allein eine Reihe von anderen Umständen, wie vor

^) Vgl. die Beschreibung bei Macaulay, Geschichte von England. Braunschweig, Vol. VI, S. 8—9; auch Hirst a. a. O., S. 20.

*) Vgl. Macaulay a. a. O., S. 209.

') Vgl. Cunningham a. a. O., Bd. I, S. 201 und 205.

*) Vgl. Unwin, Organisation, S. 169. Interessante Mitteilung eines solchen Kon- fliktes für das Jahr 1664.

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allem die ökonomische Eig^enart der in Frage stehenden Pro- duktionszweige, die verschiedenartige Regelung der Handels- politik, die jeweilige Handhabung der gewerberechtlichen Ver- waltung usw., hatten die Durchführung der Monopolorganisation im Einzelnen nicht minder wesentlich beeinflußt. Die mannig- fachsten Gebilde monopolistischer Organisation waren entstanden; Gebilde, welche sich gerade durch Ungleichheit und Wechsel der genannten und anderer Umstände in ihrer Struktur, in ihrem räumlichen Wirkungskreis und in ihrer ökonomischen Macht- stellung von einander unterschieden. Will man daher die Mono- polorganisation der frühkapitalistischen Industrie Englands in ihrer tatsächlichen Bedeutung für das damalige Wirtschaftsleben richtig einschätzen, so ist ein Eingehen auf bestimmte Monopole und die ihnen eigentümlichen Einzelerscheinungen unerläßlich.

Zu den wichtigsten, wenn auch eigentümlicherweise von neueren Forschern unbeachteten^), Monopolen gehörte der Bergbau, insbesondere der Kohlenbergbau. Die großen Ver- brauchszentren sahen sich im Bezug bergbaulicher Produkte bereits ohne gesetzliches Zutun auf einzelne Produktionsgebiete beschränkt, welche, sei es durch die primitiven Verkehrsverhält- nisse, sei es, weil andere Produktionsstätten fehlten, einen mono- polistischen Charakter trugen. So fehlte den Londonern für die Kohle von Newcastle oder das Zinn von Cornwall, selbst bei gewaltiger Teuerung dieser Produkte eine anderweitige Be- schafl"ungsmöglichkeit. Nun wurde die Ausbeutung dieser an sich vorhandenen Monopoleigenschaften einzelner Gewinnungs- orte durch rechtliche Privilegien einigen wenigen Personen, oft einer einzigen Person, anheimgegeben, und damit eine Monopol- organisation von besonderer Stärke möglich gemacht.

Von Monopolbildungen im nordenglischen Kohlenbergbau hören wir zum ersten Male im Jahre 1590. Die Geschichte der- selben knüpft an jenen Grubenkomplex an, der, wie dem Leser noch bekannt ist, ursprünglich der Königin Elisabeth gehört hatte und dann an die Stadt Newcastle übergegangen war. Die Stadt trat ihren Besitz an eine Gesellschaft freier Bürger, ge- nannt hostmen, ab, und diese überwies ihre Besitzrechte an 18 oder 20 ihrer Mitglieder, welche nunmehr Kohlenförderung und Kohlenhandel gemeinsam organisierten. 2) Diese Konzentration

*) Es ist weder bei Unwin noch bei Price das Kohlenmonopol behandelt. 2) Vgl. Brand a. a. O., S. 269.

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des Kohlenverkaufs in wenige Hände versetzte die Londoner Abnehmer in Unruhe. Dies um so mehr, als der Kohlenpreis von 1582 bis 1590 stark gestiegen war. ^) Man witterte eine monopolistische Organisation des nördlichen Kohlenbergbaues. So führte im Jahre 1590 der Lord-Mayor von London beim Schatzkanzler Burleigh Klage darüber, daß die hostmen Gruben „monopolisiert" (engrossed) hätten; zugleich bat er, es sollten ,,alle Gruben in Betrieb gesetzt und ein Maximalpreis von 7 sh pro chaldron festgelegt werden".-)

So hatte sich im nordenglischen Kohlenbergbau ohne spe- zielle Privilegierung durch die Krone eine monopolistische Or- ganisation der Produktion entwickelt. Damit war natürlich die Frage eines noch hinzutretenden staatlichen Monopolschutzes keineswegs erledigt. Im Gegenteil! Je heftiger die Agitation des Konsumenteninteresses wurde, um so mehr wünschten die Monopolisten ihre Organisation von der Krone sanktioniert zu sehen. Nachdem im Jahre 1597 noch einmal Klagen über allzu hohe Kohlenpreise laut geworden waren ^), erstrebten die host- men ihre Inkorporierung als Gilde, Hierzu diente ein eigentüm- licher Anlaß.*) Die Stadt Newcastle hatte seit langer Zeit eine seit Heinrich V. bestehende Verpflichtung, eine Abgabe von 2 d. pro chaldron Kohle an die Krone zu entrichten, vernach- lässigt. Als die Königin Elisabeth die Schuldsumme einklagte, schlug die Stadt ihr Folgendes vor: Die rückständigen Zahlungen sollten vom Schuldenkonto der Stadt gestrichen werden; es sollte ferner die Königin ,, einer Bruderschaft, genannt free hostmen" ein Gildepatent verleihen „für das Verkaufen jeglicher Kohle an die Schiffe". Dafür sollte dann die Königin 12 d. für jedes chaldron Kohle erhalten, welches über See versandt wurde. Die Königin willigte in den Vorschlag ein. Am 22. März 1600 wurde aus der genannten Bruderschaft eine inkorporierte Gilde. Sie war nach außen durch das Gildestatut und die ihr verliehenen Exklusivrechte vor jeder Konkurrenz sicher. Während einerseits die Gilde die wichtigsten Gruben monopolisiert hatte, besaß sie nunmehr das ausschließliche Recht, Kohle an die

^) Nach Dünn a. a. O., S. 21, kostete die Kohle an Bord in Newcastle im Jahre 1582 6 sh., im Jahre 1585 8 sh., im Jahre 1590 9 sh.

^) Vgl, Brand a. a. O. und Dünn a. a. O., S. 13.

^) Vgl. J. D. Rogers in Palgrave. London 1899, Vol. III, S. 615 A.

') Vgl, für Quellenangaben Hermann Levy, Englische Kartelle der Vergangenheit, Schmollers Jahrbücher 1907, S. 185,

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Schiflfe. welche den Tyne-Fluß befuhren. zu verkaufen, in ihre Hand war der ausschließliche Handel mit Exportkohle gelegt^), so daß sie alle etwa entstehenden Outsiders, welche Kohle fördern mochten, am selbständigen Verkauf derselben behindern konnte. Die Gilde besaß also ein \'orkaufsrecht. das jede Kon- kurrenz von vornherein abschrecken mußte. Die tatsächliche Ausübung ihrer Rechte wurde der Gilde dadurch gewährleistet, daß ein großer Teil ihrer Mitglieder üffentliche Ämter be- kleidete, free burgesses usw. waren. Ihr Einfluß diente dazu, die Rechte und Privilegien der Gilde durchzusetzen, ja oft mit Gewalt zu behaupten. Deshalb finden w'ir. daß von dem späteren Hauptangreifer der Gilde die ..hostmen" mit der Korporation von Newcastle identifiziert werden, und daß die Privilegien des Stadtmagistrats angegriffen werden, wenn eigentlich das Gilde- patent mit seinen Exklusivrechten gemeint ist.-)

Mit dem Abschluß nach Außen war nun freilich noch keineswegs die Einheit im Innern der Gilde gegeben. Diese mulite durch Satzungen geregelt werden, welche den Wettbe- werb unter den hostmen selber beschränkten. Daß dies alsbald nach der Inkorporierung der Gilde geschah, zeigt uns das Gilde- buch der Kohlengrubenbesitzer vom Jahre 1602. Dieses Buch enthält eine ..Regelung und gemeinschaftliche Verabredung für den Verkauf von Kohlen*' seitens 29 oder (bei Zusammenzählung von Partnern) seitens 24 hostmen. Diese 24, welche insgesamt Kohlengrubenbesitzer waren^), bildeten nur einen engeren Ausschult der Gilde, die im Jahre 1600 fünfundvierzig Mitglieder umfaßt hatte, ihre Beschlüsse wurden aber als bindend ange- sehen. Innerhalb dieses Ausschusses der Vierundzwanzig wurden wiederum 4 Gruppen gebildet, von denen jedes Mit- glied nur eine bestimmte Menge Kohlen verkaufen sollte, und zwar kein Mitglied mehr, als dem 9 fachen der Verkaufs- menge irgend eines anderen Mitgliedes entspräche. Es war demnach der Verkauf von Kohlen so geregelt, daß innerhalb der einzelnen Gruppen der niedrigste Verkauf zu dem größt- möglichen sich verhalten mußte wie 1 : 9.-*') Diese Organisation

^) Im Monopolstatut von 1624 heißt es: Sie hätte Privilegien „concerning the selling, carrying, loading, disposing, shipping, venting or trading of er for any sea coals, stone coals or pit coals forth or out of the haven and river of Tyne".

-) Vgl. Levy a. a. O., S. 186. Vgl. auch Gardner, 3. Aufl., a. a. O., S. 85, Anm. I.

») Vgl. Palgrave a. a. O. III.. S. 615.

*) Vgl. Rogers a. a. O., S 615 A: Brand a. a. 0„ S. 273 ff.

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war augenscheinlich ein primitiver Ansatz zu der Schaffung einer Kontingentierung der Produktion durch BeteiHgungsziffern.

Unter Jakob I. bestand jene monopolistische Organisation der nord-englischen Kohlenindustrie unverändert fort, obschon die Klagen über ihre Absatzpolitik keineswegs verstummten. Berichtet uns doch Gardiner M, daß um das Jahr 1620 der Attorney General in London gegen die Stadtbehörden von New- castle eine Klage einreichte, welche sich auf die free hostmen bezog: Da sie allen Kohlenverkauf in Händen hätten, zwängen sie die Schiffe, schlechte Kohle zu nehmen oder lieferten sogar unverkäufliche Kohle, zum größten Schaden der Bevölkerung.

Trotzalledem wurde der Kohlengilde in dem Anti-Monopol- statut vom Jahre 1624 eine weitere. ausdrücklicheAnerkennungihrer Privileorien greofeben.^) Ebenso erneuerte Karl I. das Patent der Kohlengilde im Jahre 1638, und bestimmte, daß dieselbe alle Kohle, welche ohne ihre Vermittlung auf Schiffen versendet würden, zu beschlagnahmen berechtigt sein sollte. Daß die Kohlengilde bis in die 50 er Jahre des 17. Jahrhunderts fort- bestand, zeigt die Schrift Gardiners, von deren Ent- stehungsgeschichte später noch erzählt werden soll. Die Be- schränkung des Wettbewerbs durch die Organisation der Pro- duzenten bildet wiederholt den Gegenstand ihrer Ausführungen. „Man verhindert Herren und andere Leute in den Grafschaften Northumberland und Durham'', so heißt es z. B.^), „ihre Kohle an die Schiffe nach London zu veräußern, indem man alle Gruben- besitzer zwingt, zuerst die Kohlen an sie (gemeint sind die Ma- gistratsbeamten, die mit den hostmen identisch sind 1 zu verkaufen. Wenn irgendwelche sich erdreisten, ihre Kohle direkt an die Schiffe zu verkaufen, so beschlagnahmen sie dieselben mit der Be- gründung, daß die Kohleneigentümer nicht frei von ihrer Körper- schaft seien." ,, Hätten aber die Besitzer jeder Kohlengrube das Recht ihre Kohle frei und unmittelbar an die Schiffe zu ver- kaufen, so würde der Hafen vonTinmouth jährlich 200000 chaldron mehr versenden, und dies würde die exorbitanten Preise, welche jetzt gezahlt werden, reduzieren."

Hier ist augenscheinlich von den unterdrückten Outsiders der Kohlengilde die Rede. In ihrem Interesse sprach Gardiner. Auch in der großen Klageschrift, die er im Jahre 1653 einem

») Vgl. a. a. O., S. 49.

-) Vgl. 21. Jacob I, Kap. 3. XII

^) ^'gl- Gardincr a. a. O., S. 204 und 205.

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Ausschuß des Parlamentes vorlegte ^), wünscht er wiederholt die Freimachung der durch die Gilde behinderten Persönlichkeiten. In dem Gesetzesentwurf, der von jenem Ausschuß im November 1653 aufgestellt wurde, hieß es^) : „Damit eine so nützliche Ware wie Kohle (sea coal), deren Bedeutung für die Armen des ganzen Landes so groß ist, billiger zu Markte komme und damit die Kohlengrubenbesitzer (nämlich die Outsiders der Gilde) nicht in schlechterer Lage sind als die übrigen freien Bürger dieser Nation, wird verordnet und befohlen, daß besagte Kohlen- besitzer, in den genannten Grafschaften, hierdurch die Freiheit haben sollen, Pachtverträge über ihre Gruben abzuschließen, und an wen sie wollen, ihre Kohle zu verkaufen, an Schiffe oder sonst wohin, zum Nutzen des Publikums."

Dieser Entwurf, welcher auf Grund eines Zeugenverhörs und auf Anregung des Hauptzeugen, Gardiners, verfaßt worden war, wurde niemals Gesetz. Er verschwand vielmehr mit so vielen anderen Angelegenheiten von der Bildfläche, als C rom- well im Dezember 1653 das Parlament entließ.^) Aus den spär- lichen Dokumenten, die überliefert sind, ergibt sich, daß im Jahre 1665 eine offizielle Kohlengilde nicht mehr bestand.^) Zwischen jener Zeit und dem Datum des genannten Entwurfes muß also die Beseitigung des Monopolprivilegs der Kohlengilde stattgefunden haben.

Durchaus verschieden von der Monopolorganisation des Kohlenbergbaues war diejenige der Zinngruben im südwest- lichen England. Hier war, wie schon einmal angedeutet wurde, durch das Vorkaufsrecht der Krone die Möglichkeit der Monopol- organisation gegeben.

Dieses Recht wurde seit dem Ende der Elisabethischen Re- gierung an Private weiter verliehen und bildete fast ununter- brochen bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges die Grundlage des Monopols. Inhaber dieses Monopols waren Kapitalisten. Wir haben die kapitalistische Verfassung des Zinnbergbaues, wie sie sich seit dem Ende des 16, Jahrhunderts herausbildete, schon früher geschildert. Der Mangel der für den Betrieb not- wendigen Kapitalien hatte zu einem Verlagssystem zwischen kaufmännischen Kapitalisten und den selbständigen Gräbern

') Vgl. Levy a. a. O., S. i88; Gardiner a. a. O., S. 9.

-) Vgl. Gardiner a. a. O., S. 124.

^) Vgl. Newcaslle VVeekly Chronicle 21. Juli 1894.

♦) Vgl. Palgraves Dictionary, Vol. III, S. 615 B.

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und Schmelzern geführt, von denen wiederum eine Masse unselbständiger Lohnarbeiter abhing. Während dieser Prozeß wohl auch ohne Monopolgewährung vor sich gegangen wäre, so bestand die eigentümliche Wirkung der letzteren darin, daß die kapitalistische Kontrolle über den Zinnbergbau sich in den Händen eines oder mehrerer vereinter Monopolisten ^) kon- zentrierte, anstatt, wie am Ende des Jahrhunderts^) in die Hände verschiedener Kapitalisten zu fallen.^)

Einige Jahre lang war das Monopol des Zinnbergbaues im Besitz der Londoner Zinngießer. Diese hatten die ..ge- samte Aufsicht über die Fabrikation von Zinn waren in England überhaupt''*) und es erscheint daher begreiflich, daß sie sich in der Versorgung des Rohstoffes von den Monopolisten unabhängig machen wollten. Der beste Weg war der, das Monopol selbst zu übernehmen. Aber hierzu war Geld nötig; einmal zur Über- nahme des Privilegs von der Krone, und zweitens, weil die bis- herigen Monopolisten den Zinnproduzenten Vorschüsse gegeben und die Rolle von Verlegern gespielt hatten, was die Zinngießer ebenfalls tun mußten, wenn sie den Handel mit Rohzinn in ihre Kontrolle zu bringen beabsichtigten. Die Kapitalbeschaffung konnte nicht auf die Korporation der Zinngießer als Ganzes übergewälzt werden, da durchaus nicht alle Mitglieder derselben vermögend genug waren, um größere Summen beizusteuern. Es blieb den vermöglichen Mitgliedern überlassen, das nötige Kapital zu finden. Im Jahre 1615 wurden von 12 Mitgliedern der Pewterers Company 7000 £ aufgebracht, die zusammen mit SOO £. welche die Korporation beisteuerte, zur Übernahme des Mono- pols für 5 Jahre verwandt werden sollten. Ein Teil des so be- schafften Zinns wurde unter die industriellen Mitglieder verteilt (zum Selbstkostenpreis mit einem gewissen Aufschlag), ein anderer Teil diente den Handelszwecken reicher Mitglieder.'^) So wurden die Weiterverarbeiter in jener Zeit, anstatt die Bedrückten zu sein, vorübergehend selbst zu den Ausbeutern des Monopols. Die Macht des Monopols zeigte sich in der Preisregulierung. Es scheint die Taktik der Monopolisten gewesen zu sein, den von ihnen ökonomisch abhängigen Zinnproduzenten einen festen

*) Vgl. Lewis a. a. O., S. 147.

^) Vgl. Tinners Grievances a. a. O., S. 5 und 6.

^) Vgl. unsere Ausführungen weiter r.ntcn.

*) Vgl. Lewis a. a. O., S. 45.

^) Vgl. Unwin a. a. O., S. 152 156.

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Preis zu gewähren, dagegen den Marktpreis selbst nach Mög- lichkeit immer höher zu schrauben.^) Dem Übergewicht, das die Monopolisten als kapitalistische Verleger gegenüber den eigentlichen Produzenten hatten, entsprach es ja durchaus, daß man die Überschüsse der letzteren auf das Geringste beschränkte. Wie diese PoHtik der Monopolisten auf den Bergbau selbst wirkte, werden wir noch später darzulegen haben.

Während die Krone im Zinnbergbau durch ihr Vorkaufsrecht das Monopol bilden konnte, ging sie im Bergbau des altberühmten Forest of Dean, wo jenes Recht fehlte, auf anderem Wege vor. Dieser Distrikt gehörte wie die stanneries von Cornwall und Devonshire zu den wenigen Gebieten des sog. ,,free mining". Es herrschte hier auf Grund des Regals der Krone herkömmlicher- weise die Freierklärung des Bergbaues, welche es jedem „free miner", d. h. jedem Mitglied der Berggemeinde, unter Erfüllung der von dieser festgesetzten Bedingungen, gestattete, Bergbau zu treiben. Unter Jakob I. wurde an Stelle dieses Zustandes eine Art von Spezialverleihung des Bergregals, wie es nach deutschem Recht heißen würde, geschaffen. DerEarl of Pembroke erhielt im Jahre 1612 das ausschließliche Recht, Eisenstein und Kohle im Forest of Dean zu fördern. Als die freien Bergleute sich dieser Verordnung nicht fügten, wurde ihnen vom Attorney General „aus Gnade und Barmherzigkeit und nicht von Rechts wegen" erlaubt, weiter zu arbeiten; der Monopolist erhielt ein Vorkaufsrecht an ihrer Förderung, und die Zahl der freien Berg- leute sollte fortan nicht vermehrt werden. Dieses Monopol wurde verschiedentlich erneuert. Unter Karl I. erhielt es Sir John Winter, dessen Privilegien später Karl IL bestätigte. In den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts scheinen dann die früheren Rechte der free miners wieder Geltung gewonnen zu haben.^)

Die Alaun gewinnung und die Salzproduktion waren weitere Zweige der mineralischen Bodenproduktion, welche monopolistisch organisiert waren. Hier handelte es sich im

^) Vgl. Lewis a. a. O., S. 146 ff., S. 218 und 219: „Im Allgemeinen stiegen die Preise, während der Preis, den sie von den Monopolisten für ihr Zinn erhielten, auf gleicher Höhe gehalten wurde."

-) Für den Begriff des free miners vgl. Fourth and Fifth Reports of the Dean Forest Commissioners (Houseof Lords) 9. Sept. 1835, S. 4 und 6; ferner The Award of the Dean Forest Mining Commissioners, London 1841, S. 12 14; über die Monopole vgl. H. G. NichoUs, The Forest of Dean. London 1858, S. 24 26, S. 29, S. 43 und S. 231; ebenso Report Dean Forest, 1874, S. 3; für die spätere Entwicklung vgl. die Beschreibung der Mine Law Courts, Nicholls, S. 45ff.

Gegensatz zu Kohle und Zinn um Produktionen, die in Eng- land erst ausgebreitet werden sollten und des Schutzes vor aus- ländischer Konkurrenz bedurften. Die Salzproduktion beruhte in England bis zum Jahre 1670, in welchem die Ausbeutung der Salzbergwerke begann^), auf der Gewinnung durch den Meersalinenbetrieb. Schon unter der Königin Elisabeth hatte man hiermit begonnen, allein die Einfuhr des bedeutend besseren und billigeren Salzes aus Schottland, Frankreich und Spanien ließ die englische Produktion kaum aufkommen. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts waren an einzelne Persönlichkeiten Mono- pole für die Salzgewinnung erteilt worden.^) Sie gehörten zu den unbeliebtesten, und in der Anti-Monopoldebatte des Jahres 1601 wurde behauptet, daß die Monopolisten an einzelnen Orten den Preis des Busheis um mehr als das Zehnfache gesteigert hätten.^) Elisabeth mußte das Monopol widerrufen und Jakob I. wagte nicht die Erneuerung. Erst unter Karl I. fand es seine Fort- setzung. Politische Wirren hatten in den 20er Jahren die Salz- einfuhr nach England unterbunden und dies war den Produ- zenten zu Gute gekommen. Als die Einfuhr wieder einsetzte, war es natürlich, daß sie die Vorteile, die ihnen der Krieg gebracht hatte, künstlich festzuhalten suchten.*)

Unter der Angabe: „daß es ein großer Vorteil für dies Königreich England und für Schottland sein würde, Werke für die Herstellung einer genügenden Menge Salz zu einem be- stimmten mäßigen Preis'' zu errichten-^), erlangten die Petenten: 1. ein Verbot der Salzeinfuhr vom Kontinent, 2. die Inkorporation einer Gesellschaft, welche berechtigt sein sollte, die Salzver- sorgung der Ostküste, von Southampton bis Newcastle aus- schließlich, zu unternehmen. Mit dem schottischen Wettbewerb versuchte die Regierung in der Weise fertig zu werden, daß man den dortigen Produzenten befahl, sich der neuen Gesell- schaft (Company of Saltmakers of South and North Shields) anzuschließen, mit der Begründung: „Ein Werk dieser Art müsse unter einer Regel und Leitung stehen, da es bei einer Zer- splitterung in Verwirrung geraten würde." *^) Die Klagen der

^) Vgl. Social England, Vol. IV, S. 620. ^) Vgl. Price a. a, O,, S. 112 und 113. ^) Vgl. Parliamentary History, a. a. O. *) Vgl. Price a. a. O., S. 113.

^) Vgl. J. Davies, An Answer to those Printed Paper published in March last by the late Patentees of Salt. London 1641, S. 5. ^) Vgl. Price a. a. O., S. 114.

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Abnehmer über das Monopol waren groß. Einer derselben meinte im Jahre 1641^): „Ein freier Handel, der von den Unter- tanen jetzt so sehr begehrt wird und ein ein für allemal ge- regelter Preis, wie ihn der Patentinhaber wünscht, können nicht zusammen existieren; denn ein feststehender Preis, welcher dem heimischen Industriellen aufgezwungen wird, ist ja ein haupt- sächlicher Bestandteil des Monopols." Nach den Berechnungen von Rogers war der Salzpreis, der zwischen 1630 und 1635 ca. 13 sh. 4 d. betragen hatte, zu Ende dieses Jahrzehnts auf 27 sh. 4 d. gestiegen^), und vor allem entstand eine große Preis- differenz zwischen dem Wirkungsgebiet der Salt Company und den Plätzen westlich von Southampton.^) Durch Schutzzoll und Monopol wurde künstlich ein Industriezweig erhalten, der gegenüber dem Auslande die schlechtesten Produktionsbe- dingungen hatte. Erst mit der Entdeckung des Steinsalzes begann eine erfolgreiche Ausbreitung der englischen Salzge- winnung.

Das Alaunmonopol ähnelte im allgemeinen in seiner Or- ganisation demjenigen der Salzgewinnung. Man kann sich für den vorliegenden Zweck damit begnügen, die Resultate dieses Monopols wiederzugeben, wie sie die vorzüglichen Quellen- forschungen von Price veranschaulicht haben. Die Blütezeit des Alaunmonopols reicht von 1607 bis 1648. Auch hier handelte es sich um einen Produktionszweig, der in England außer- ordentlich ungünstige Voraussetzungen hatte, und den man nur durch Einfuhrverbot und Monopolgewährung ausbilden konnte. Wie schon früher erwähnt wurde, waren sehr hohe Summen auf die Einbürgerung der Industrie verwandt worden, Summen, welche aus den Taschen der spekulierenden Monopolisten flössen, die einander in ziemlich rascher Reihenfolge ablösten. Die finanziellen Gewinne des Unternehmens, der sogenannten Alum Company, waren höchst unbefriedigend, wenigstens für alle diejenigen, welche keine Unehrlichkeiten begingen. Die Produktion genügte weder den Anforderungen des Bedarfs, der sich durch Schmuggel zu helfen suchte, noch den Anforderungen, welche die Rentabilität der Werke zu stellen hatte. Die Her- stellung von Alaun betrug zwischen 1619 und 1624 z. B. nur 313 tons im Jahresdurchschnitt, während eine solche von

') Vgl. Davies a. a. O., S. 21 23.

^) Vgl. Rogers, History of Agriculture and Prices. Vol. VI, S. 408 ff.

'_) Vgl. Price a. a. O., S. 114.

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2000 tons als notwendig für die rentable Bewirtschaftung der Werke vorausgesetzt worden war. Daß die Preise diesen Ver- hältnissen gemäß hoch waren und den Unmut der Tuchprodu- zenten und Färber hervorriefen, ist verständlich. Auch die Qualität der inländischen Ware galt als minderwertig.^) Von allen Monopolen des 17. Jahrhunderts, deren Wesen und Einzel- heiten uns überliefert worden sind, scheint keines für die Produ- zenten wie für die Verbraucher, sowie auch für die Krone, ent- täuschender gewesen zu sein als das Alaunmonopol, wenn auch die Wirkungen desselben vom Standpunkte der Volkswirtschaft nicht so ins Gewicht fielen wie bei den Monopolen wichtigerer Warengattungen.

Zu denjenigen Monopolorganisationen, welche Zweige der frühkapitalistischen Industrie umfaßten, die bisher in England wenig verbreitet waren, gehörte auch das Glasmonopol. Seit dem Jahre 1574, in welchem der Italiener Versalini ein Pa- tent für die Herstellung von Trinkgläsern erhalten hatte, bis zum Jahre 1642 war dasselbe in Kraft. Seit 1615 wurde es von einem kapitalistischen Höfling, Sir Robert Mansell, ausgeübt. Das Wesentliche des Patentes sollte darin bestehen, daß Kohle an Stelle von Holz zum Brennmaterial verwandt wurde. Zu- nächst bildeten die bisherigen Glasfabrikanten, die im Gegensatz zu Mansell mit Holz arbeiteten, für diesen lästige Outsiders. Mit dem Argumente, daß man die Wälder schützen müsse, wußte der Monopolist es durchzusetzen, daß die Verwendung von Holz bei der Glasfabrikation verboten wurde; er erlangte auch verschiedentlich Erschwerungen und Verbote der Einfuhr auslän- discher Ware. Damit war aus dem eigentlichen Patent ein ,, Monopol" der gesamten nationalen Glasindustrie geworden, und so mächtig war der Einfluß Mansells, daß er eine Aus- nahme seines Monopols von den Bestimmungen des Statuts von 1624 ebenfalls durchdrückte. Die gesetzliche Durchführung der von Mansell eroberten Monopolrechte wurde von dem Geheimen Rate mit rigoroser Strenge verfolgt und die Unterdrückung aller Outsiders, welche jene Rechte nicht achteten, energisch be- trieben. Mansell hatte die Glasfabrikation in großem Stile zu Newcastle angelegt, viel fremde Arbeiter eingeführt und sicherlich große Summen in das Unternehmen gesteckt. Den Gegnern seines Monopols, die es hoher Preise und schlechter Ware be-

^) Vgl. Die ausführliche Darstellung bei Price, S. 82 loi.

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schuldigten, gelang es, dasselbe im Jahre 1642 durch den Willen des Parlaments zu stürzen.^)

Die Geschichte des Salz-, Alaun- und Glasmonopols ist, so- weit es sich um die Frage der Organisation des Monopols und dessen Machtstellung handelt, eine wenig verwickelte. In diesen drei Fällen handelte es sich um neue Industriezweige, deren Betrieb von vornherein riskant und daher nicht sonderlich ge- eignet war, regen Wettbewerb anzuziehen. Ganz anders stand es bei solchen Gewerben, welche schon länger eingebürgert waren, und bei denen sich die Machtstellung der Monopolisten zunächst in hartem Kampfe mit den bisherigen Produzenten, oder später auch mit neuen Outsiders, durchsetzen mußte. Hier war die Geschichte der Monopolorganisation eine Aufeinander- folge dramatischer Vorgänge, die abwechselnd zu Gunsten der einen oder der anderen Partei einzutreten pflegten. Am deutlichsten zeigt dies der Entwickelungsgang des Seifen- monopols.

Dieses knüpfte, wie ja so viele Monopole, an die Gewäh- rung eines Patentes für ein bestimmtes Herstellungsverfahren an. Jakob I. hatte ein solches schon im Jahre 1622 an zwei von einem Höfling protegierte Fabrikanten erteilt. Im Jahre 1631 übernahmen dieses Patent verschiedene Hofleute. Sie ver- sicherten^) unter anderem „Seife billiger und besser herzustellen als die soap makers of London", d. h. eine Reihe von Bürgern (ca. 20), welche bisher die Hauptproduzenten gewesen waren. Indem sie dem König eine hohe Produktionsabgabe versprachen, erlangten sie die Erlaubnis, sich als ,, Society of Soapmakers of Westminster" zu etablieren, vor allem aber weiter: das Recht der Schau für alle von ihnen nicht hergestellte Seife. Allein mit dieser Befugnis konnte man die „Londoner"' Produzenten wohl chikanieren, nicht jedoch zum Unterliegen bringen. Man versuchte zunächst eine Einigung: „Da sie fanden, daß trotz ihrer Bemühungen ihre weiße Seife nicht solchen Absatz fand, wie sie erwartet hatten, bemühten sie sich, die Londoner Seifen- sieder zu veranlassen, sich ihnen anzuschließen, wobei sie viel Überredungskunst gebrauchten und hohen Gewinn in Aussicht stellten."-'') Als dieser Kartellierungs versuch gescheitert war,

') Vgl. Price a. a. O., S. 68 69, 72 73; S. 74 und 77 80. *) A Short and true Relation concerning the Soap Business. London 1641, S. 3 5 (auch für die folgenden Ausführungen). ') Vgl. Relation a. a. O., S. 6.

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schlug man andere Wege ein; man bemühte sich, die Hilfe der städtischen und staatlichen Behörden zu gewinnen.

In Gegenwart hochgestellter Personen und des Lord-Mayors von London fand ein Schauwaschen statt, in welchem die Seife der Korporation für besser befunden wurde als die der alten Londoner Produzenten. Vergeblich baten diese unter Ver- sprechungen, welche die der Korporation übertrafen, man möge sie inkorporieren und ihnen die Privilegien der Monopolisten geben. ^) Der Einfluß der Monopolisten war stärker. Sie hatten außer dem Recht der Schau ein Verbot der Pottascheeinfuhr durchgesetzt, womit sie ihren Konkurrenten die Rohstoffzufuhr unterbanden, während sie selbst entsprechend ihrem Herstellungs- prozeß nur heimische Materialien zu verwenden beabsichtigten. Ferner wurde durch eine Proklamation des Königs verboten, Seife aus anderen Materialien als vegetabilischen Fetten herzu- stellen, wodurch die Londoner Seifenfabrikanten, welche Tran benutzten, geradezu vernichtend getroffen wurden, ^j Das Auf- kommen neuen Wettbewerbes wurde von dem Gutdünken der Sternenkammer abhängig gemacht, und ein besonderer Erlaß bestimmte, daß „über einen Umkreis von einer Meile hinaus außerhalb von London, Westminster und Bristol" keine Seife hergestellt werden dürfte, sowie daß alle Fabrikation der Regelung der Westminster-Gesellschaft unterstehen sollte.^)

Da sich die Gegner der Monopolisten zunächst nicht scheuten, den Verordnungen derselben zuwiderzuhandeln, so gab es Ver- folgungen und Prozesse. Den Ausgang derselben schildert später, im Jahre 1641, eine freilich nicht ganz vorurteilsfreie Schrift folgendermaßen:*) „Viele Bürger Londons wurden aus einem alten Gewerbe verjagt, in dem sie aufgewachsen waren, und das ihre einzige Nahrung bildete, und zwar von Rittern, Edelleuten und Herren, welche nicht für dieses Gewerbe erzogen worden waren. Dies geschah unter Vorspiegelung eines Projekts und einer neuen Erfindung, die in Wahrheit gar nicht bestand. Die Verfolgung der Londoner Seifenfabrikanten vor der Sternen- kammer war beispiellos, sowohl der Verhandlungsweise wie dem Urteilsspruch nach. Sie wurden nämlich dafür, daß sie Tran gebraucht und nicht den Schauberechtigten gehorcht hatten.

•) Vgl. F. C. Montagu, History of England. London 1907, Vol. VII, S. 181. ^) Vgl. Relation a. a. O., und Price a. a. O., S. 120. *) Vgl. Price (nach Rushworth) a. a. O., S. 120. *) Vgl. Relation a. a. O., S. 27.

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zu großen Summen verurteilt, und drei Mal, im Ganzen etwa 20 Monate, gefangen gesetzt; ihre Pfannen zerbrach man ihnen, ihr Fett wurde zerstört, ihre Häuser von großem Jahreswert wurden unbrauchbar gemacht, ihre Familien zerstreut und ihre Besitzungen fast ruiniert."

Auch die Herstellung von Seife durch Private für deren Eigengebrauch wurde verboten. Das bedeutendste Zugeständnis aber erreichten die Monopolisten im Jahre 1634. Da ihre Seife bei den Hauptabnehmern, Färbern und Wollkämmern, nicht be- liebt wurde, erhielten sie das Recht, Tran bei der Herstellung ihrer Seife zu benutzen, sowie die alte Methode zu verwenden^, so daß das eigentliche Patent sich in eine monopolistische Usur- pation des ganzen Gewerbes umwandelte. Die Wirkung des immer mehr erstarkenden Monopols äußerte sich in einer rabiaten Preispolitik, welche die Erbitterung aller Konsumenten entfachte. Auch die Krone gesellte sich ihren Klagen bei, vielleicht schon deshalb, weil die Gesellschaft die versprochenen Abgaben ver- nachlässigte. In einer Proklamation des Jahres 1634 hieß es, Seife, die früher 2 d. pro Pfund gekostet habe, sei jetzt auf 6 12 d. pro Pfund gestiegen.-)

Allein schon zu Ende der 30er Jahre veränderte sich das Bild. Die alten Seifenfabrikanten erreichten es, ,,ihr Gewerbe und ihre Freiheit zu erkaufen", indem sie der Krone größere Jahresabgaben versprachen als die ,, Projektoren".^) Sie wurden ihrerseits inkorporiert und zwar unter der Bedingung, daß sie die Westminster Company auskaufen würden.'*) So rückten die ursprünglichen Outsiders in die Rechte ihrer vielbekämpf- ten Gegner ein. Es scheint, daß sie deren Monopolsystem mit Fleiß studiert hatten, um es nun selbst in Anwendung zu bringen. Wir hören, daß sie um Schutz petitionierten, weil ..viele Leute die Seifensiederei privat und heimlich betrieben und die Seife zum Ruin der Petenten verkauften", und daß sie schließlich nicht nur das Recht des ausschließlichen Seifen- verkaufs erhielten, sondern sich auch das Recht des ausschließ- lichen Bezuges von Pottasche aneigneten, um die ihnen er-

1) Vgl. Price a. a. O., S. 121. *) Vgl. Relation a. a. O., S. 17 fiF. und S. 23.

') Vgl. R. Wilkins, The Sope Patentees of Londons Petition opened and explained. London 1646, S. 8.

*) Vgl. Price a. a. O., S. 123 und 127.

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wachsenden Outsiders lahm zu legen. ^) Die Klagen, welche einst gegen die Monopolisten von Westminster laut geworden waren, ertönten nun gegen diejenigen von London 2); „diese Leute wollen keine Wettbewerber in ihren Gewinnen haben, da sie durch Erfahrung die Süße des Gewinnes noch besser kennen, als die anderen Projektenmacher. Haben sie doch seit 20 Jahren großen Reichtum erworben, indem sie zum Schaden mancher Familie die Kunst der Seifensiederei in den Händen von 8 10 Männern monopolisiert haben."

Obschon das Seifenmonopol zu den unpopulärsten gehörte, vermochte es sich, wie Price dargelegt hat, auch unter der monopolfeindlichen Zeit des Commonwealth zu erhalten.^) Die Monopolisten beherrschten nicht nur das Ausgangsgebiet ihrer Bestrebungen, London und Westminster, sondern auch andere wichtige Absatzzentren, wie Bristol und York. Wann das Mono- pol endgültig beseitigt wurde, ist nicht bekannt. Aber man weiß, daß es noch im Jahre 1657 durchaus gefestigt dastand.

Die bisher von uns geschilderten Monopole stellten Organi- sationen solcher Industriezweige dar, welche sich bereits in einer frühkapitalistischen Entwicklung befanden. Demgegenüber entstand eine andere nicht minder wichtige Gruppe von Mono- polen aus einer Verbindung von noch handwerksmäßigen Produ- zenten mit kapitalistischen Unternehmern. Es ist dem Leser noch bekannt, daß sich seit Ende des 16. Jahrhunderts in einer Reihe von handwerksmäßigen Gewerben ein starkes Kapital- bedürfnis entwickelt hatte, welches zu einer Differenzierung der einzelnen Produzenten führte; zu einer Scheidung von kapita- listischen Meistern und Unternehmern einerseits und mittellosen selbständigen Produzenten andererseits, welche entweder von Kapitalisten ökonomisch abhängig waren, nämlich verlegt wur- den, oder aber allmählich in den Stand von Lohnarbeitern herab- sanken. In diesen Entwicklungsprozeß griff nun etwa ein Jahr- hundert lang die Monopolorganisation bedeutsam ein.

Es ist leicht begreiflich, daß sich der Blick all' derer, welche Kapital genug besaßen, um es in einem Monopolunternehmen anzulegen, auf die zünftlerischen Korporationen der „kleinen Meister" richtete. Diese bedeuteten ja bereits ein Monopol,

^) Vgl. Wilkins a. a. O., S. 21; ferner A looking Glasse for Sope Patentees.

London 1646, S. 5.

-) Vgl. Wilkins a. a. O., S. 13.

') Vgl. Price a. a. O,, S. 125 127.

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 3

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und, wenn dies zunächst nur lokaler Natur war, so hatten doch die Korporationen des damaligen Gewerbezentrums, London, einen weitgehenden Einfluß auf den gesamten nationalen Markt, oder man konnte ihnen durch königliche Verordnung einen solchen zu verschaffen suchen. Die Inkorporierung handwerks- mäßiger Gewerbe, die man „im Interesse der kleinen Meister" befürwortete und durchsetzte, wurde also für die Kapitalisten ein Mittel, das betreffende Gewerbe monopolistisch auszubeuten. Die mittellosen Handwerker begeisterten sich für die Inkor- porierung, in der sie einen Schutz vor neuer Konkurrenz er- blickten, während sie in WirkHchkeit damit dem Kapitahsten eine um so sicherere Kontrolle und Macht über ihre eigenen Interessen in die Hände spielten,^)

Nun konnte freilich auch Kapital von den Mitgliedern der Korporation selbst, auf dem Wege gemeinschaftlicher Zubuße unter besonderer Heranziehung reicher Zunftgenossen und der Beteiligung des Publikums aufgebracht werden. Dies wurde, wie wir hörten, für den Zweck der Rohmaterialversorgung bei den Zinngießern tatsächlich durchgeführt, als diese das Rohzinn- monopol erkauften. Ebenso bildeten im Jahre 1611 die Filz- macher von London eine ähnliche Organisation, um den ärmeren Mitgliedern der Zunft den Ankauf von Wolle zu erleichtern. Allein derartige Maßnahmen waren anscheinend niemals von dauerndem Erfolge begleitet, indem sie bald an finanziellen Schwächen wieder zu Nichte wurden. Weit erfolgreicher war es, wenn einzelne oder mehrere Kapitalisten die Finan- zierung der Korporation übernahmen und zugleich ihren politi- schen Einfluß zur Durchsetzung monopolistischer Privilegien geltend machten.

Für eine derartige Form der Monopolorganisation war das Stecknadelmonopol ein typisches Beispiel. Im Jahre 1605 waren die Stecknadelmacher zu einer gesonderten Korporation

*) Vgl. Unwin a. a. O. (Organisation), S. 145; er spricht von „der Tendenz in- dustrieller Privilegien, welche in Korporationen von Handwerksmeistern ruhten, in die Hände spekulierender Kapitalisten zu fallen, welche versuchen konnten, die Industrien etwa wie einen modernen Trust auszubeuten." „In dieser Weise .... wurden die In- teressen der Handwerker, welche doch das eigentliche Motiv des Privilegs bilden sollten, nicht nur nicht gefördert, sondern garnicht einmal beachtet." Desgl. siehe S. 147; über die Tatsache, daß städtische, insbesondere Londoner Zunftkorporationen, eine Kon- trolle der gesamten nationalen Produktion anstrebten, vgl. ebenda S. 175 und 204, ebenso als neuen Beleg hierfür Lewis a. a. O., S. 52: bis zur Restauration hatten die Zinn- gießer von London eine solche Kontrolle besessen.

öö

geworden. Da sie keine genügenden Kapitalien besessen hatten, um die Kosten der Inkorporation zu tragen, hatten sie einen Kontrakt mit einem HöfUng geschlossen, der für sie jenes Ge- schäft übernahm und dafür 40 Jahre lang eine Abgabe für je 12 000 verfertigte Stecknadeln erhalten sollte. Allein da eine große Menge von Stecknadeln aus Holland importiert wurde, so war das Monopol der Zunft noch kein vollständiges. Es galt, sich den Schutz vor ausländischem Wettbewerb zu sichern. Auch hierbei fehlte es an Kapital: erstens war es kostspielig, bei der Regierung den Ausschluß fremder Stecknadeln durchzu- setzen, zweitens mußten die Handwerker, wenn sie, beim Aus- schluß fremder Ware, ihre Produktion erweitern wollten, größere Kapitalien zur Beschaffung des Rohmaterials zur Verfügung haben. Die benötigten Kapitalien versprach ein anderer Höf- ling, Sir Thomas Bartlett, aus eigenen Mitteln zu beschaffen. Er wurde nun aber mit den pinmakers in viel engere Bezie- hungen gebracht als der frühere Kapitalist. Im November 1616 kaufte er diesen für 8000 £ aus und übernahm dessen Ansprüche gegenüber den Stecknadelmachern. Dann schloß er mit diesen selbst einen Vertrag, in welchem er sich verpflichtete, ihnen das nötige Rohmaterial, den Draht, zu liefern, während sie ihm ihre gesamte Produktion zu festen Bedingungen abtreten sollten. Nachdem Sir Thomas auf diese Art das Stecknadelmonopol, soweit London und Umgebung in Frage kam, an sich gerissen hatte, versuchte er es durch Erlangung des ausschließlichen Rechtes der Einfuhr zu vervollständigen. Dies erhielt er im Oktober 1618, freilich mit Einschränkungen, welche ihm das Monopol wiederum nur für London und dessen Vorstädte sicherten und ihm eine um den modernen Ausdruck zu ge- brauchen — konservative Preispolitik zur Pflicht machten. Da jedoch die Verhinderung der Einfuhr nicht streng genug durch- geführt wurde, so fiel eine wichtige Voraussetzung, auf \velche die Vereinbarung zwischen Bartlett und den Stecknadelmachern basiert war, zusammen. Das Unternehmen konnte nicht fortge- führt werden, und nach dem Tode Bartletts blieb bis zum Jahre 1635 die Stecknadelmacherei frei von ähnlichen Projekten.^) Dann freilich erstand das Stecknadelmonopol in einer neuen Form. Die Gesellschaft der Stecknadelmacher wurde von neuem inkorporiert und erhielt dieses Mal zwei wichtige Privilegien:

') Vgl. Unwin a. a, O. (Organisation), S. 165 168.

3*

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erstens wurde zu ihren Gunsten die Einfuhr strengstens ver- boten und zweitens wurden alle Stecknadelmacher des ganzen Königreichs der Londoner Gesellschaft unterstellt.') Das Mo- nopol war damit über die lokalen Grenzen hinausgewachsen und wurde in seiner Durchführung durch das Recht der Schau, der Siegelung und Regulierung, welche die Zunft besaß, ge- festigt. Die finanzielle Organisation hatte dieses Mal ein Mr. Lydsey übernommen, der im Interesse der Bartlett'schen Erben versuchen wollte, das Kapital, welches dieser in jenem Unter- nehmen verloren hatte, wieder zu erlangen. ^j

Will man erkennen, zu welchen Unternehmungen die Mo- nopolbestrebungen sich auswachsen konnten, so bietet dazu ein Projekt Gelegenheit, welches in Verbindung mit dem Steck- nadelmonopol in den Jahren 1639 und 1640 vorbereitet wurde. Es handelte sich um eine Vereinigung des Stecknadelmonopols mit dem Drahtmonopol. Die Drahtindustrie, deren Einführung und kapitalistische Entwicklung seit dem 16. Jahrhundert wir bereits erwähnt haben, war immer monopolistisch organisiert ge- wesen. Schutzzollpolitik, gesetzliche Unterdrückung von neuen Unternehmungen, ja zum Teil eine Monopolisierung der lokal begrenzten Rohmaterialien (Osemundeisen, Holz. Galmei) hatten den Monopolisten in dieser Industrie Jahrzehnte lang eine ge- sicherte Stellung gewährleistet. Zu Ende der 30 er Jahre des 17. Jahrhunderts hatte der oben genannte Lydsey die Produk- tion von Messingdraht monopolisiert, indem er diese von der Royal Battery Company, den privilegierten Drahtwerken, über- nommen hatte. Dieses Monopol sollte nun durch eine Verein- barung mit den Stecknadelmachern eine Stärkung erfahren und niemand anders als Karl I. selbst spielte die Rolle des ., Pro- moters". Der König versprach, den Stecknadelmachern 10000 je Kapital zur Verfügung zu stellen, für welche sein Agent alle ihre Produkte zu einem festen, in einer Preisliste verein- barten Satze abkaufen sollte. Die Stecknadelmacher verpflich- teten sich demgegenüber, nur den Draht Lydsey's und keinen Eisendraht zu verwenden. Mit Lydsey wiederum hatte der König einen festen Lieferungsvertrag abgeschlossen. Der König ging also daran, eine Verschmelzung zweier bisher ge- trennter Produktionszweige in ein einziges Monopol vorzu-

^) Vgl. Price a. a. O., S. 40. 2) Vgl. Unwin a. a. O., S. 168.

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nehmen, und es erinnert geradezu an moderne Trustorgani- sationen, daß man die Fertigfabrikation monopolisierte, um damit für das Rohmaterial einen rentableren und sicheren Absatz zu gewinnen. Nachdem der König diesen Organisationsplan ent- worfen hatte, sollte ein Kapitalist, namens Halstead, alle seine Verpflichtungen gegenüber den Stecknadelmachern einerseits und Mr. Lydsey andererseits übernehmen. Dieser sollte aus den Gewinnen des neuen Unternehmens auch einen Teil seiner im Stecknadelmonopol angelegten Kapitalien - er behauptete, es seien 7000 £ gewesen zurückerhalten. Der König konnte, da er selber kapitalbedürftig war, die Rolle des Finanziers nicht spielen. Er wollte sich nur an dem geschickt erdachten Unter- nehmen einen Gewinnanteil sichern. Der Ausbruch des Bürger- krieges machte aber die Verwirklichung der ganzen Monopol- organisation zu Nichte.^)

Die Beziehungen zwischen handwerksmäßigen Zunftkor- porationen und kapitalistischen Monopolisten kommen vielleicht in diesem Beispiel am besten zum Ausdruck. Ähnliche Fälle sind jedoch in verschiedenen Gewerben vorgekommen. So z. B. in der Fabrikation fertiger Tuche. Das dort von dem bekannten Alderman Cockayne organisierte Monopol hat Price neuerdings ausführlich geschildert.^) Ebenso hat Unwin, dem wir so viel Aufklärung über diese Geschehnisse verdanken, dargetan, daß in der Herstellung von Biberpelzhüten die gleiche Entwicklung vor sich ging. Das Aufkommen der Biberhüte neben den Filz- hüten hatte die Aufmerksamkeit verschiedener Kapitalisten darauf gelenkt, daß man aus diesem Gewerbe einen korporativ von den Filzmachern abgesonderten Produktionszweig machen und diesen dann monopolistisch organisieren könne. Diese Organisation setzte man tatsächhch im Jahre 1638 durch. Auch die Company of Beaver Makers erhielt das ausschließliche Recht der Produktion von Biberpelzhüten. Die Entwicklung dieses Monopols zeigte alsbald, daß die ärmeren Genossen der Zunft, welche früher so- wohl Filz- wie Biberhüte gefertigt hatten, nun, da sie nur die letzte- ren produzieren durften, in große Not gerieten. Sie besaßen näm- lich — auch hier wieder eine Ähnlichkeit mit anderen von uns genannten Fällen kein genügendes Kapital, um das kost- spielige Material in so großen Mengen zu beschaffen, wie sie es

^) Vgl. Unwin a. a. O., S. i66 168; für den Vertrag zwischen Karl I., L5'dsey und Halstead ebenda S. 236 240.

^) Vgl. Price a. a. O., S. 102 106.

3S

benötigten, wenn sie ausschließlich Biberhüte anfertigen sollten. So wurde bald darüber geklagt, daß die acht Kapitalisten, welche das o-anze Unternehmen angeregt hatten, durch ihr ökonomisches Übergewicht die ganze Biberhutproduktion monopolisiert hätten.^)

Eine Zusammenfassung der bisherigen Darstellung führt zu Ergebnissen mannigfacher Art. Voran steht vor allem als ele- mentares Resultat: daß an der Wiege des industriellen Kapitalismus in England nicht der freie Wettbewerb, sondern das Monopol gestanden hat.

Wie aber die Entwicklung der frühkapitalistischen Industrie eine Tendenz zur nationalen Expansion in sich trug, so unter- schieden sich auch ihre Monopole von den monopolistischen Zunftorganisationen des Handwerks durch ihren nichtlokalen Wirkungskreis. Dies konnte auf verschiedenen Umständen beruhen; erstens fiel manchen lokalbegrenzten Produktions- stätten durch natürliche, ökonomische oder verkehrstechnische Umstände von vorneherein die Versorgung entfernter Landes- teile zu, so daß eine Monopolorganisation solchen Gebietes ohne weiteres ein nationales Monopol bedeutete; wie es etwa beim Kohlenbergbau im Norden, beim Zinnbergbau in Cornwall oder auch solchen Gewerben der Fall war, deren Produktions- gebiet zunächst aus diesen oder jenen Gründen ausschließlich die Metropole bildete. Zweitens v.ar die nationale Expansion des Monopols da gegeben, wo es sich um neue Industriezweige handelte, deren Begründer rechtlich das Produktionsmonopol für das ganze Land zugesichert erhielten oder es auf legalem Wege durchsetzen konnten, wie etwa bei dem Glasmonopol, dem Salzmonopol oder in der Drahtindustrie. Endlich drittens war eine „Nationalisierung" des Monopols in der Weise möglich, daß verschiedene lokale Monopole, insbesondere Zunftorganisationen, in Verbindung miteinander gebracht wurden oder daß eine einzelne Korporation die Kontrolle über andere Zünfte erhielt; so wurden die Monopolisten der Londoner Seifen- und Steck- nadelfabrikation zu Beherrschern der Produktion und des Ab- satzes in den wichtigsten Gebieten des ganzen Landes.

Die wesentliche Grundlage alF dieser nationalen Mono- polorganisationen frühkapitalistischer Industrieentwicklung bil- dete die rechtliche Privilegierung einzelner Persönlichkeiten oder einzelner Korporationen und die gesetzliche Unterdrückung

^) Vgl. Unwin a. a. O., S. 145 146.

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des ihnen unliebsamen Wettbewerbes anderer Produzenten. Hinzu konnte freilich, da v/o diese Maßnahmen zur Durchführung der Monopolorganisation nicht ausreichten, die private Ver- abredung treten. So wurde, wie wir sahen, in der Kohlengilde von Newcastle ein System der Produktionskontingentierung ge- bildet, welches den Wettbewerb innerhalb der privilegierten Korporation einschränken sollte. Auch an andere Vereinbarun- gen ist hier zu erinnern. In einzelnen Zunftkorporationen, wie bei den Biberhutmachern, mochten die kapitalistischen Meister durch ihr ökonomisches Prestige über die unbemittelten sich zu Monopolisten entwickeln. In der Stecknadelindustrie dagegen wurde, wie wir hörten, durch eine Vereinbarung zwischen der Korporation und einem Höfling das zünftlerische Monopol in die Hand eines einzigen KapitaHsten überführt. Eine Vereinbarung war es ferner, durch welche die ausschließliche Versorgung der Stecknadelmacher mit Draht dem Kupferdrahtmonopol anheim- fallen sollte. Es spielten also für den Ausbau der monopolisti- schen Organisation, neben der durch Privilegierung geschaffenen Grundlage des Monopols, die Verabredungen privater Art eine nicht unbedeutende Rolle. Endlich aber diente die äußere Handelspolitik als Mittel der Monopolförderung. Überall, wo ausländische Konkurrenz in Frage kam, setzten, wie wir sahen, die Einfuhrerschwerungen zum Schutze der Monopolisten ein. Dies geschah aber nicht nur, indem man Zölle und Ver- bote auf die Einfuhr solcher Waren legte, die mit dem Monopol- produkte konkurrieren konnten, sondern man versuchte vor allem auch die Einfuhr der Materialien zu behindern, um den Outsiders, wenn sie trotz der gesetzlichen Verbote entstehen mochten, die Konkurrenz nach Möglichkeit zu erschweren; z. B., indem man in der Seifenindustrie ein Verbot der Pottasche- Einfuhr durchsetzte.

So hatte sich in der frühkapitalistischen Industrie Englands eine Monopolorganisation angebahnt, welche in der Privilegierung durch die Krone, in der gesetzlichen Unterdrückung des in- ländischen Wettbewerbsund in einer schutzzöllnerischen Handels- politik ihre wesentlichsten Stützpunkte fand, welche durch pri- vate Vereinbarungen derer, welche jene Privilegien auszunutzen suchten, weiter ausgebaut wurde und welche sich von dem hand- werksmäßigen Zunftmonopole durch ihre nationale Machtsphäre unterschied. Diese Organisation in ihren verschiedenen Formen darzustellen, war zunächst unsere Aufgabe. Die Frage nach der

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Bedeutung, welche dieser Monopolorganisation für die industrielle und volkswirtschaftliche Entwicklung Englands in jener Zeit beizumessen ist, führt nunmehr dazu, die Wirkungen der Monopole nach verschiedenen Richtungen hin zu verfolgen.

3. Wirkung und Bedeutung der Monopole.

Die Monopole des 17. Jahrhunderts sind im allgemeinen von den volkswirtschaftlichen Schriftstellern, die sie seit David Hume bis zur Gegenwart behandelt haben, mit Übereinstim- mung verurteilt worden.^) Neuerdings hat George Unwin die Zahl jener Urteile vermehrt, während William Hyde Price sich bemüht hat, wenigstens aus den mittelbaren Wirkungen der Monopolbildung einige günstige Folgeerscheinungen abzu- leiten.-j Vielleicht hat aber gerade diese allgemeine Verdammung, die den Monopolen zu Teil geworden ist, dazu beigetragen, daß einzelne Schriftsteller versuchten, dem System als solchem Licht- seiten abzugewinnen und nur die Art seiner Durchführung und seine Begleiterscheinungen als verhängnisvoll zu bezeichnen. So schreibt der Darsteller der Monopole in dem Werke „Social England"^): ,,Das Monopolsystem kann nicht einfach als das Mittel betrachtet werden, Geld ohne parlamentarische Sanktion zu erhalten, oder Favoriten zu bereichern, noch darf man es ansehen als bloßen Ausfluß mißverstandener Ideen über das, was wir jetzt Nationalökonomie nennen. Es war all dies und etwas mehr eine Vorsorge gegenüber wirklichen und einge- bildeten Gefahren und in vielen Fällen eine rühmliche Er- munterung geschäftlicher Unternehmung und Erfin- dung; aber das britische Volk machte nicht die notwendigen Unterscheidungen."

Auch Cunningham hat, obschon er keineswegs, wie Price es tut, zu den Verteidigern der Monopole zu rechnen ist, die Darstellung derselben mit einigen Bemerkungen über den guten Willen und die volkswirtschaftlichen Ideale der Stuarts ein- geleitet, Bemerkungen, welche die monopolistische Organisation

') Vgl. vor allem: Hume, History of England. London 1763, Vol. V, S. 458: „Diese unerträglichen Mißstände usw."; ferner: Ch. Fisk Beach, Monopolies and Indu- strial Trusts, St. Louis 1898; Hirst, Monopolies etc. a. a. O. ; Palgraves Dictionary, Vol. II, S. 802; F. C. Montagu, History of England, London 1907, Vol. VII.

^) Vgl. Unwin, Industrial Organisation a. a. O. passim; Price a. a. O., S. 129 ff.

^) Vgl. Social England, Vol. IV, London 1903, S. 192.

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der Industrie etwa wie ein groß gedachtes, aber mißglücktes Experiment erscheinen lassen.^) Die Beurteilung der Monopole von diesem Gesichtspunkte dünkt uns gefährlich. Denn erstens ist es außerordentlich schwierig, ja geradezu unmöglich, fest- zustellen, welche Motive die Krone bei der Monopolgewährung tatsächlich erfüllten. War doch neben den äußerlich von der Krone ausgesprochenen Zwecken: der Entfaltung neuer In- dustrien, Verbilligung der Produktion, Verbesserung der Qualität der Waren usw. als nicht minder wesentliches, wenn auch ver- stecktes Motiv: das der Bereicherung der Krone und ihrer Günst- linge, überall fühlbar. Welche von diesen Beweggründen bei den Monopolgewährern die Oberhand hatten, inwieweit im Kon- fliktsfalle persönliche Wünsche der Krone über volkswirtschaft- liche Bedenken den Sieg errangen, und welche von den ausge- sprochenen Zwecken von vornherein nur Scheinargumente waren, das zu ergründen, ist so gut wie unmöglich. Aber, zweitens: selbst wenn festgestellt werden könnte, daß die Monopolgewährung vom Standpunkte der Herrscher aus ,,gut" gedacht war und einen großzügigen nationalen Organisationsversuch darstellte, so wäre damit für die objektive Beurteilung ihrer tatsächlichen Wirkungen noch garnichts gewonnen. Und gerade die Feststellung dieser Wirkungen ist um so dringlicher, als sie fast allgemein den- jenigen widersprachen, welche von den Monopolgewährern, sei es nur zum Scheine, sei es bona fide, in Aussicht gestellt w^orden waren.

Dieser Gegensatz zwischen den erwarteten und den tat- sächlichen Wirkungen war es, der stets der Krone zur Ent- schuldigung diente, wenn der Strom der populären Anti-Monopol- bewegung zu hoch gestiegen war. Wie heute Viele die Kartelle und Trusts als eine Organisation der Industrie bezeichnen, welche unter einer gemäßigten Leitung volkswirtschaftlich eben- so vorteilhaft wie bei einer Ausnützung der gegebenen Macht- stellung schädlich sein könne, so betonte im Jahre 1601 die Königin ausdrücklich, daß sie niemals Privilegien gegeben habe, welche ihrer Ansicht nach „malum in se" gewesen seien.^) Auch in ihrer „goldenen Rede" vom 30. November 1601 stellte

^) Vgl. Cunninghara a. a. O., S. 285 286; dagegen enthält die folgende Dar- stellung besonders auf S. 287 288, 307 309, eine Reihe von Ausführungen, welche die Monopole verurteilen, so daß eine „Sympathie" des Verfassers, wie Price auf S. 248 meint, wohl kaum vorhanden ist, wiewohl Cunningham versucht hat, einiges zu Gunsten der Motive zu sagen, die die Krone zur Monopolgewährung veranlaßten.

^) Vgl. Parliamentary History a. a. O., S. 933.

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sie sich als das Opfer von Betrügern hin und sprach dem Unter- haus ihren Dank aus, da sie ohne dessen Intervention niemals die Wahrheit über die Monopole erfahren hätte. Etwa 40 Jahre später fand Karl I. ganz ähnliche Worte, als er eine Einschränkung der Monopole versprechen mußte. Er erklärte im Jahre 1639^), daß die Privilegien, welche ,, unter dem Vorwand, dem Gemein- wohl und Nutzen der Untertanen zu dienen", gegeben worden seien, ,,sich als lästig und schädlich für das Volk erwiesen" hätten, woran vor allem der Umstand schuld sei, daß ein ,, notori- scher Mißbrauch" mit den Privilegien getrieben worden sei.

Am bedrückendsten wurden die monopolistischen Preis- erhöhungen empfunden, vor allem, wenn sich bei höheren Preisen auch die Qualität der Waren verschlechterte. Fast alle Monopolisten hatten, wie wir früher hörten, ursprüng- lich eine billigere Versorgung mit den betreffenden Waren und eine verbesserte Qualität versprochen. In keinem einzigen Falle war jedoch dieses Versprechen eingelöst worden. Die Preise von Kohle, Seife, Salz, Kupferdraht, Glas usw. waren unter der Herrschaft des Monopols beträchtlich gestiegen. Die Charte der Kohlengilde von Newcastle hatte unter anderem das „better disposing of sea coals" als Zweck der Inkorporierung ausge- sprochen. Demgegenüber war der Kernpunkt der späteren, unter Cromwell in einem Gesetzesentwurf erörterten Klagen, daß die Kohlengilde mit Unterstützung der Stadtverwaltung ,,den freien und raschen Handel der Stapelwaren sehr behindert habe, den Fluß (Tyne) gefährlich, ja vielfach unbefahrbar gemacht habe", um den Kohlenhandel ausschließlich auf die Stadt Newcastle zu beschränken.^) Die Steigerung der Kohlenpreise ist während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als erwiesen anzusehen, wiewohl die besonders alarmierende Erhöhung zu Anfang der 40 er Jahre auf politische Wirren zurückzuführen war,^) Die Klagen über den Verkauf schlechter und unbrauchbarer Kohle seitens der Monopolisten, von denen schon am Ende der Re- gierung Jakobs I. berichtet wird, fanden vor dem Handelsrat (Council of trade) zu Anfang der 50 er Jahre einen erneuten Ausdruck.*) Daß die Erhöhung der Seifenpreise kurz nach

^) Vgl. Price (Appendix) a. a. O., S. i6o und 173. *) Vgl. Gardiner a. a. O., S. 32; S. 64; S. 98 ff.; S. 121. ä) Vgl. Dünn a. a. O., S. 14—15.

*j Vgl. Gardiner a, a. O., S. 50 und S. 98; einen weiteren Beleg bei Cunnin« ham, .S. 300.

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der Inkorporierung der Monopolisten zu einer Klage der Krone selbst führte, haben wir bereits erwähnt. Wie schlecht die Seife der Westminster Company zunächst gewesen sein mag, geht daraus hervor, daß sie ihr neues Verfahren aufgeben mußte und die alte Produktionsmethode adoptierte, um einen Ab- satz für ihre Ware zu finden.^) Im Jahre 1637 ermahnten die Lords des Privy Council den Leiter des Glasmonopols, daß „sie gefunden hätten, sein Glas wäre nicht so gut, klar und fest als es früher gewesen wäre".-) Dem Parlament wurde von Sir E. Hobby im Jahre 1601 mitgeteilt, daß der Salzpreis an ein- zelnen Orten von 16 pence auf 15 16 sh. pro Bushel gestiegen sei.^) In den 30er Jahren kostete eine gleiche Menge Salz in den Gebieten des Monopols 4 £ 15 sh. bis 6 £, in anderen Gegenden Englands nur 3 £ und weniger.'^)

Diese Preisgestaltung, wie sie durch Monopolgewährung und Schutzzollpolitik ermöglicht wurde, war in zahlreichen Fällen die Prämie, welche zur Entfaltung neuer Erwerbszweige führte. Als solche ist sie vielfach verteidigt oder zum.indest milde beurteilt worden. Allein auch hier ist eine skeptische Prüfung am Platze. Die historischen Quellenforschungen zeigen nämlich, daß eine Reihe der „neugeschaffenen'" oder „verbesser- ten" Industriezweige von recht zweifelhafter Bedeutung war. Als solche neue Industrie hat Cunningham die Salzgewinnung genannt, welche im Jahre 1565 in England begann, und von der er behauptet, ,,daß England für sie gut geeignet war".^) Allein die Entwicklung der englischen Salzgewinnung zeigte im 17. Jahrhundert, daß dieselbe nur unter dauerndem, außer- ordentlich hohem Schutze überhaupt existieren konnte. Als unter Cromwell die Salzgewinnung dieses Schutzes entbehrte, da stand sie vor dem völligen Ruin. „Der Ehrgeiz, die Her- stellung von Salz durch Monopol und Schutzzoll zu entwickeln, führte nur zu Enttäuschungen", so schreibt Price.*^) Erst als die Steinsalzlager im Jahre 1670 entdeckt wurden, setzte die In- dustrie dauernd und erfolgreich in England ein, während die monopolistisch großgezogene Gewinnung durch den Meer-

>) Vgl. oben S. 32.

2) Vgl. Price a. a. O., S. 77.

*) Vgl. Parliamentary History a. a. O., S. 930.

*) Vgl. Price a. a. O., S. 114.

^) Vgl. Cunningham, S. 77; S. 309; .S. 310.

®) Vgl. Price a. a. O., S. 117.

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Salinenbetrieb jener Konkurrenz nicht gewachsen schien.^) Auch die Alaungewinnung bot. wie wir früher darlegten, ein Beispiel dafür, wie negativ das Resultat einer künstlich ermunterten Industrie sein konnte.-) Dazu kamen Unternehmungen, die überhaupt nur den Charakter eines vorübergehenden, aber kost- spieligen Experiments trugen. Zu ihnen gehörte vor allem das Monopol für gefärbte Tuche, welches Alderman Cocka\-ne im Jahre 1615 erhalten hatte. Mit Hilfe eines Ausfuhrverbotes weißer Zeuge und seiner ausschließlichen Berechtigung zum Handel mit gefärbten Zeugen hoffte er, diese Industrie in Eng- land einbürgern zu können. Damit wäre ein Ziel erreicht worden, für welches schon Sir Walter Raleigh zu Anfang des Jahrhunderts eingetreten war. Allein die von Cocka3-ne herge- stellten Tücher waren anscheinend schlechter und teurer als die in Holland gefärbten, sie fanden keinen Absatz, und Cocka3^ne war nicht im Stande, seinen Verpflichtungen bezüglich der Ab- nahme weißer Zeuge nachzukommen.') Vor allem zeigte es sich schon damals, daß man nicht einfach durch ein Verbot der Materialausfuhr anderen Ländern ein Fabrikat aufzwingen konnte. Die Holländer verboten und erschwerten nicht nur die Einfuhr gefärbter Zeuge aus England, sondern versuchten auch die weißen Zeuge selbst herzustellen, indem sie die Weberei begünstigten. Damit war wiederum der Absatzmarkt für die- jenigen weißen Zeuge, welche im Inland nicht verarbeitet und abgesetzt werden konnten und für welche der Monopolist eine Ausfuhrerlaubnis erhalten hatte, eingeschränkt, während an einen größeren Export der Fabrikate infolge ihrer Minderwertigkeit garnicht zu denken war.-*) So bildete das ganze Monopol ein vöUiges Fiasko. Eine der größten Industrien Englands wurde in ihrem inländischen Absatz und in ihren Beziehungen zum Ausland bedenklichen Störungren unterworfen. Schon im Januar 1617 mußte die privilegierte Gesellschaft ihre Tätigkeit aufgeben. In einer Proklamation des Königs hieß es kurz dar- auf: „Wir haben unseren Wunsch geäußert, als Hauptwerk unserer Zeit die Manufaktur von gefärbten und sonstigen Zeugen

1) Vgl. Social England, Vol. IV, S. 620.

*) Vgl. oben S. 28—29.

^) Vgl. A. Anderson, Geschichte des Handels. Riga 1776, Teil IV, S. 361; S. 372 und 409.

*) Vgl. Anderson a. a. O., Teil IV, S. 409 410; Price a. a. O., S. 105 und 106; Cunningham a. a. O., S. 294; Unwin a. a. O., S. 191 192.

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in das Königreich zu verpflanzen. Da wir aber gefunden haben, daß mit der Zeit viele UngeschickHchkeiten aufgedeckt worden sind, welche zunächst nicht erkannt werden konnten, so wollen wir nicht länger auf Kunststücke bestehen, welche nicht die Früchte bringen, die wir bei unseren Maßnahmen erwarteten. Denn wir haben eingesehen, daß die ursprünglichen Gründe, welche von den Unternehmern dieses Werkes p-eltend sremacht wurden, mehr in Hoffnungen als in Tatsachen bestanden, und wir haben gefunden, daß das Werk selbst zu groß ist, um in sehr kurzer Zeit verwirklicht zu werden."') So endet der Ver- such, durch Monopolgewährung und handelspolitische Maß- nahmen eine Industrie einzubürgern, für die augenscheinlich alle Voraussetzungen noch fehlten.

Die wichtigste Vorbedingung für die Einführung verfeinerter Textil-Industrien, das Vorhandensein eines qualifizierten Arbeiter- standes, war jedenfalls zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Eng- land nicht vorhanden^), und erst durch die spätere Einwande- rung fremder Arbeiter wurde dieser Mangel beseitigt.^)

Erst 50 Jahre später, dann aber mit viel geringeren Stimulantien gelang es, jenen langerstrebten und später so ruhmreichen Zweig der englischen Textilindustrie für dauernd einzubürgern.^) Auch die Baumwollindustrie, welche um 1640 schon in Manchester Fuß gefaßt hatte-), dankte ihre Entstehung keinem Monopole, was als Gegenstück der angeblich „erziehe- rischen" Wirkungen Stuart'scher Wirtschaftspolitik nicht ver- gessen werden sollte.

Nicht viel anders als der Mißerfolg Jakobs I. in der Textil- industrie, wenn auch von geringerer Tragweite, war, wie wir hörten, unter Karl I. der Versuch, mit Hilfe des Monopols ein neues Verfahren in der Herstellung von Seife einzuführen. Denn dieses war in Wirklichkeit minderwertiger als das bisher ange- wandte, und konnte sich trotz des Monopols nicht durchsetzen.

Aus den uns bekannten Erfahrungen läßt sich also kaum

^) Vgl. Unwin a. a. O., S. 193.

^) Vgl. Ashley a. a. O., S. 249.

^) Die hier dargelegten Tatsachen dürften die einst von Friedrich List dedu- zierten Erfolge der Schutzzollpolitik Jakobs I. und Karls I. wesentlich verkleinern (vgl. F. List, Der internationale Handel. Stuttgart 1841, S. 79 80).

^) Vgl. Anderson a. a. O., Vol. V, S. 538.

^) Vgl. E. Baines, History of the Cotton Manufacture. London 1835, S. 100 loi, und L. Roberts, The Treasure of Traffike. London 1641, S. 32 ff.; vgl. auch J. R. McCulloch, Treatises and Essays. Edinburgh 1859, S. 471.

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der Schluß ziehen, daß die Monopolgewährung der Einbürge- rung neuer Industrien eine effektive Hilfe gewährt habe, daß sie die Voraussetzung für die Entfaltung volkswirtschaftlich be- deutsamer Produktivkräfte, gewissermaßen die notwendige und erfolgreiche „Risikoprämie" für den wagenden Unternehmer, ge- wesen sei. Nicht waren es unentwickelte, aber leicht erzieh- bare, Zweige der Produktion, die nach Monopolschutz riefen, sondern umgekehrt, die Möglichkeit. Monopolschutz zu erlangen, führte häufig zu einer Inbetriebnahme von Gewerbezweigen, selbst wenn diese von vornherein ungünstige ökonomische Vor- bedingungen besaßen.

In denjenigen Produktionen dagegen, die nicht erzogen w'erden sollten, sondern bereits sichere Existenzbedin- gungen hatten, konnte das Monopol nicht einmal dem Scheine nach eine ., Ermunterung" bedeuten. Hier war es geradezu ein Hemmnis des einmal begonnenen Entwicklungsprozesses.

Nirgends trat dies deutlicher hervor als im Bergbau. Durch die Kohlengilde in Newcastle und ihr gewerberechtliches Re- gime ward die Ausbreitung der Kohlenproduktion Jahrzehnte lang erschwert. Viele Besitzer, so meinte Gardiner im Jahre 1655^), ließen ihre Gruben lieber zerstören, als daß sie sich im Verkauf ihrer Kohle von der Gilde und dem Stadtmagistrat ab- hängig machten. Am deutlichsten aber sprachen die Erfahrungen im Zinnbergbau. Dort war es, wie wir hörten, die Politik der Monopolisten gewesen, den Preis des eigentlichen Produzenten, den sie jedoch verlegten, nach Möglichkeit herabzudrücken. Im Jahre 1636 klagten Zinngräber aus Cornwall beim König, die Gruben gerieten in Verfall, da die Kosten immer höher würden, während der Preis, den sie für ihr Zinn erhalten hätten, nicht gestiegen wäre.-) Durch den starken Rückgang der Produktions- ziffern von 1625 1646 finden diese Klagen eine gewisse Be- stätigung.^) Als unter Cromwell das monopolistische Vorkaufs- recht der Krone sowie die den Produzenten so hinderliche Ver- kaufsordnung für ca. ein Jahrzehnt in Fortfall kamen, da regte sich ein bisher unbekannter Unternehmungsgeist im Zinnberg- bau. Die Produzenten hatten jetzt „die Freiheit, zu allen Zeiten und zu den besten Preisen zu verkaufen".^) Kaufleute, so wird

*) Vgl. Gardiner a. a. O., S. 205.

-) Vgl. Lewis a. a. O., S. 219; auch S. 41.

') Vgl. ebenda, S. 255.

*) Vgl. ebenda, S. 152.

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uns berichtet^), verließen zahlreich ihren bisherigen Beruf und fingen an, Zinnbergbau zu betreiben: „Damals war es, daß alte Werke, die vor langer Zeit-) still gelegt worden waren und etwa 100 Lohnarbeitern einen Verdienst gegeben hatten, wieder mit Gewinn aufgenommen wurden und nun drei oder viermal soviel Arbeiter beschäftigten." Es war eben zur Zeit des Monopols der Gewinn der Grubenbesitzer und Schmelzer von den Monopolisten so reguliert worden, daß er Niemanden dazu verlocken konnte, sich jenem Gewerbe zuzuwenden. Und gerade Kapitalisten mußten davor zurückscheuen, ihr Geld in einer Produktion zu verwenden, an deren Überschüssen sie nur einen von anderen geregelten Anteil empfangen sollten.

Noch in späteren Zeiten wurde häufig darauf verwiesen, wie abschreckend die Politik der Monopolisten auf den Unter- nehmungsgeist im Bergbau gewirkt habe.^) Ja man erklärte, daß das Gefühl der Unsicherheit, welches noch lange nachher im Bergbau herrschte, eine Art von traditionellem Überbleibsel wäre, das sich aus den trüben Erfahrungen der Monopolzeit auf die Zeit der Bergfreiheit fortgepflanzt hätte. ^)

Dieses Resultat') klingt wie eine Ironie, wenn man bedenkt, daß es gerade die Absicht der Stuarts gewesen war, durch das Monopol neues Kapital in den Zinnbergbau zu lenken.

Die Glasindustrie war, solange sie Holz als Brennmaterial verwandte, über ganz England zerstreut und ohne Monopol- schutz in schneller Entwicklung begriffen. Im Jahre 1589 sollen fünfzehn Glaswerke in England existiert haben und schon 7 Jahre früher war vom Schatzkanzler der Versuch gemacht worden, die bestehenden Glasfabriken einer Besteuerung zu unterwerfen, um den Ausfall von Eingangszöllen auszugleichen. Der VV^unsch,

') Vgl. Tinners Grievances a. a. O., S. 2.

2) Vgl. oben S. 5.

*) Vgl. G. Abbott, Essay on the Mines of England. London 1838; er beschreibt, wie die Monopolrechte der Privilegierten zu einer Verheimlichung der Erz enthaltenden Bodenschätze seitens der Grundbesitzer führten, S. 206 207; wie die Monopolinhaber selbst nicht im Stande waren, den Bergbau in einer Ausdehnung zu betreiben, wie es dem Vorhandensein der Mineralien entsprach, S. 207 208 und S. 210; wie endlich das Monopol auch die Fortschritte der mineralogischen Forschung zurückhielt, S. 211 ff.

*) Vgl. Abbott a. a. O., S. 225.

®) Vgl. neuerdings auch Lewis a. a. O., S. 220: „Auf diese mit Wucher ab- wechselnde Periode des Monopols folgte in den Jahren 1650 1660 die Politik des Commonwealth mit dem Prinzip eines völligen „laissez faire" im Zinnbergbau, und es muß sicherlich zugegeben werden, daß auf diesem Gebiete, wo die Politik der Stuarts versagt hatte, die Nichteinmischung Cromwells eine Rückkehr überreichen Wohlstandes im Zinnbergbau hervorrief."

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auch die feineren Gläser, Trink- und Krystallgläser, herzustellen, führte dann zu der Monopolgewährung, welche schließlich, wie wir sahen, eine Unterdrückung der alten, mit Holz arbeitenden Glaswerke zu Gunsten der Steinkohle verbrauchenden Werke mit sich brachte. Der Fortschritt der Glasindustrie war infolge- dessen nur gering, da die Monopolisten mit ihrem neuen Ver- fahren nur langsam vorwärts kamen. Aus einem im Jahre 1574 für die Herstellung venezianischer Gläser verliehenen Patente war innerhalb von 70 Jahren allmählich ein Monopol geworden, das die gesamte Glasfabrikation Englands umspannte. Nachdem im Jahre 1642 dieses Monopol vom Parlament beseitigt worden war. begann ein neuer Aufschwung in der Glasindustrie. Während die Monopolisten beständige Schwierigkeiten in der Beschatfung gelernter ausländischer Arbeiter oder in der Anlernung eng- lischer Arbeiter gehabt hatten, übernahmen nun wieder die von den Monopolisten unterdrückten Familien, die mit den Glas- industrien der Normandie und Lothringen in familiären Bezieh- ungen standen, das Gewerbe und hatten, teilweise bis ins 19. Jahrhundert, ein wesentliches Verdienst an seinem Erblühen in England. Charakteristisch aber war nach Beseitigung der Monopole der rasch sich entwickelnde Wettbewerb.

In Newcastle entstand sofort und trotz des Bürgerkrieges eine neue Unternehmung. Dann aber sprang die Glasfabrikation auf andere Gebiete über, und ein Schriftsteller der Restaurations- periode meinte, der Fortschritt der Glasindustrie vor dem Bürger- krieg sei nichtsbedeutend im Vergleich zu demjenigen während des Krieges und nach dem Kriege gewesen. Am Ende des 17. Jahrhunderts gab es in England 90 Glaswerke, von den 23 feinere Gläser herstellten. Aber die größere Zahl dieser Werke war erst nach der Restauration entstanden.^)

Ist es schon schwierig und zum Teil unmöglich, für das 16. und 17. Jahrhundert festzustellen, wie sich unter dem Re- gime des Monopolschutzes der englische Industrialismus tat- sächlich entwickelt hat, so erscheint es zunächst geradezu vermessen, wenn man die Frage aufwirft, wie sich derselbe ohne jenen Schutz entwickelt haben würde. Und doch drängt die Wißbegierde immer wieder nach jener Frage. Hält man sich vor Augen, wie ruhmlos die Geschichte der durch die Monopole geschaffenen Industriezweige verlief, wie andererseits ohne

1) Vgl. Price a. a. O., S. 67—68; S. 79 ff.

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Monopole, sei es nach deren Beseitigung, sei es noch zu ihrer Zeit, lebensfähige Gewerbe entstanden, wie endlich die Ent- wicklung blühender Produktionen durch die Monopole gehemmt und nach ihrem Fortfall neu belebt wurde, dann muß man selbst bei größter Vorsicht zu dem Urteil gelangen, daß die Entfaltung der industriellen Produktivität Englands durch das System der Monopole nur gelitten haben kann, und daß ohne Anwendung jenes Systems das Wachstum industriellen Reichtums sicherlich bedeutender hätte sein können.

Es wurde eben einmal durch das Monopolsystem die Inangriffnahme von Gewerbezweigen herbeige- führt, welche keinerlei Aussicht hatten, ohne dasselbe und ohne die verschiedensten staatlichen Privilegien zu existieren, Gewerbezweige, für welche das Monopol nicht ein Mal einen Erziehungsschutz bedeutete, die aber eine nach verschiedenen Richtungen hin gefährliche Belastung der wirtschaftlichen Ent- wicklung darstellten. Und da man, zweitens, das System nicht auf neue Industrien beschränkte, sondern auf entwickelte Industrien gleichfalls anwandte, so unterband man' damit die allgemeine Unternehmungslust zu Gunsten einzelner Monopol- inhaber, und hemmte die Entwicklung derjenigen Industrie- zweige, für die England schon damals günstige Vorbedingungen besaß.^)

Aber auch mit diesem Resultat ist die Beurteilung der Monopolwirkungen noch nicht erschöpft. Denn diese erstreckten sich nicht nur auf die Ausdehnung und Entwicklung der in- dustriellen Produktion und den Absatz ihrer Produkte: sie zeigten sich vor allem auch in der Herausbildung eines beson- deren Typus industrieller Unternehmung, welche der ur- sprünglichen Organisation frühkapitalistischer Industrie in Eng- land gegenüber späteren Zeiten ein eigentümliches Gepräge verliehen hat.

Während in späteren Zeiten die Entwicklung des industriellen Kapitalismus in allen Zweigen der Produktion zur Entstehung zahlreicher, zunächst konkurrierender kapitalistischer Unternehmer führte, wurde durch die Monopolgewährung eine Konzentration des kapitalistischen Übergewichts in der Hand

*) Bezüglich des ersten Punktes (neue Industrien) kommt Price a. a. O., S. 129 bis 130 zu demselben Resultat, dem ich mich gerne anschließe; der zweite Punkt ist von mir besonders hervorgehoben und an Beispielen (s. u. Kohle, Zinn usw.) illustriert worden, weil er bei Price nicht zum Ausdruck gebracht ist.

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 4

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einer Persönlichkeit oder einiger Personen herbeigeführt. Im Zinnbergbau waren schon seit dem Ende des 16. Jahrhunderts Gräber und Schmelzer zu kapitalistischen ,, Meistern" geworden. Dieser Prozeß wurde dadurch, daß der Zinnbergbau das Monopol einzelner Kapitalisten wurde, unterbrochen. In der Hand des Monopolisten vereinigte sich die Gesamtkontrolle über den Ab- satz des Zinns, und diese Entwicklung führte zu einer Ver- schärfung der kapitalistischen Entwicklung. Die Konkurrenz unter denjenigen, welche den selbständigen Produzenten das Rohprodukt abkauften, war ausgeschaltet, und die Masse der Verkäufer stand nur einem Käufer gegenüber, der sie ökonomisch herabdrücken konnte. Deshalb war während zweier Drittel des 17. Jahrhunderts nur die Zeit des Commonwealth, von 1650 bis 1660, die Zeit relativen Wohlstands für die Zinngräber, weil das Vorkaufsrecht und die auf zwei Jahrestermine beschränkte Ver- kaufsordnung in jener Zeit fortfielen. Damals entstanden ja auch, wieder nach langer Zeit, wie wir hörten, eine große Zahl selb- ständiger Erzproduzenten. Während in der Zeit des Monopols die kapitalistische Entwicklung einen Höhepunkt erreicht hatte, indem eine einzige Persönlichkeit zum Finanzier des gesamten Zinnbergbaues geworden war, trat nach Beseitigung der Mono- pole ein Rückschlag ein. Die alte Bewegung setzte wieder ein, und allmählich wurden die kapitalistischen Schmelzer zu den ökonomischen Beherrschern des Zinnbergbaues, eine Tatsache, die noch heute nach Lewis in den „anscheinend ungerechten Geschäftsbeziehungen zwischen Schmelzern und Zinngräbern" zum Ausdruck kommt. ^)

Die Idee der Krone bei der Verleihung der Zinnmonopole war, neben manchen anderen Gesichtspunkten, die gewesen: Den Zinnproduzenten einen festen Preis zu sichern und damit ihre Lage zu verbessern, indem man sie von den kapitalistischen Zinnhändlern befreite. -) Das umgekehrte trat ein. Die aus ver- schiedenen Gründen schon angebahnte Abhängigkeit der Zinn- produzenten von fremdem Kapital mußte sich notwendigerweise verschärfen, wenn man Kapitalisten das Monopol gab. Denn die Monopolisten benutzten nun ihre ökonomische Machtstel- lung gegenüber den mittellosen Produzenten dazu, den Ein- kaufspreis zwar stetig, aber so niedrig zu halten, daß die Über-

*) Vgl. Lewis a. a. O., für die Stellung der Monopolisten S. 21S und 219; Stellung der Schmelzer S. 223, 229 und 230. 2) Vgl. ebenda a. a. O., S. 218.

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Schüsse für die von ihnen Abhängigen möglichst ein Minimum erreichten.

Ähnlich stand es da, wo Kapitalisten zu den monopolistischen Finanziers von Zunftkorporationen wurden. In der Stecknadel- industrie wurde die finanzielle Kontrolle zur Zeit des Monopols in der Hand eines einzigen Kapitalisten vereinigt, und die Hand- werkerkorporation hatte nurmehr Rohmaterial zu einem festen Preise zu kaufen und Stecknadeln ebenfalls zu einem bestimmten Preise an den Monopolisten abzuliefern. An Stelle des kapi- talistischen Übergewichts, sei es der reicheren Meister, sei es einzelner Händler über die ärmeren Handwerker trat hier und in manchem ähnlichen Falle die ausschließliche Macht des Privi- legierten. Dieser scheute, wenn er einmal zur Macht gelangt war, nicht davor zurück, dieselbe in jeder Weise auszunutzen. In der Stecknadelindustrie wurden zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Lehrlinge ohne Begrenzung vermehrt, und im Jahre 1617 wurde vorgeschlagen, 30 Lehrlinge jedem Meister beizugeben; dabei wurden eine große Zahl von Frauen und Kindern be- schäftigt, die gar nicht gelernt hatten. „Organisationen", so schreibt Unwin^), „welche in anderen Fällen durch die Tradi- tionen der Handwerker einen Schutz für den Arbeiter bedeuteten, wurden im Falle der monopolistischen Gesellschaft von speku- lierenden Kapitalisten beherrscht, welche nicht mehr daran dachten, die besten sozialen Bedingungen in der Industrie auf- recht zu erhalten, als der moderne Unternehmer, der mit unor- ganisierter Arbeit zu tun hat." Auch in der Biberhutfabrikation hatte das Monopol, wie wir ausführten, eine Herabdrückung der ärmeren Meister durch die acht Kapitalisten bewirkt, die das Monopol finanziert hatten.

In den neu eingeführten nicht-handwerksmäßigen Industrien bedeutete das Monopol von vornherein die Entstehung von Riesenunternehmungen, da die Monopolisten mit Hilfe von Schutzzöllen den ganzen Landesbedarf decken sollten. Durch das Monopol wurden in diesen kapitalistisch organisierten Industrien die Größe der Unternehmung weit stärker aus- gedehnt, als es etwa den technischen und wirtschaftlichen An- sprüchen des Einzelbetriebes entsprochen hätte. Während z. B. in der Glasindustrie nach der Beseitigung des Monopols verschiedene, über ganz England zerstreute Betriebe einzelner

1) Vgl. a. a. O., S. 170— 171.

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Unternehmungen entstanden, waren zur Zeit des Mansell- schen Monopols alle Betriebe zu einer Unternehmung vereinigt. Außerdem hatte, wie wir hörten, auf Anregung der Monopolisten eine Unterdrückung der holzverbrauchenden Betriebe statt- gefunden. Wenn auch in dem holzarmen England weit rascher als in den Waldgegenden des Kontinents die kleineren holz- verbrauchenden Betriebe verschwinden mußten, so hatte durch jene Unterdrückung doch der größere kohlenverbrauchende Betrieb noch einen künstlichen Vorsprung erhalten. Während aber in Deutschland die Anforderungen des technischen Be- triebes an größere Kapitalverwendung vielfach bis zum Ende des 18. Jahrhunderts einen genossenschaftlichen Hüttenbetrieb hervorriefen, bei dem die einzelnen Glasmeister ihre Selbständig- keit bewahrten^), herrschte zur Zeit des Monopols in der eng- lischen Industrie bereits eine einzige kapitalistische Großunter- nehmung.

Die zur Zeit der Elisabeth neu eingeführte Stärkefabrikation wurde, so lange sie das Monopol gewisser Patentinhaber war, nur in vier Werken (plants), für die Versorgung von London und Umgebung, betrieben, obschon diese Unternehmungen die gesamte bisherige Einfuhr ersetzen sollten. Als das Monopol der Patentinhaber und der später unter Jakob I. inkorporierten Kompagnie beseitigt wurde, sprangen in kurzer Zeit, da augen- scheinlich die Herstellung sich für den handwerksmäßigen Klein- betrieb eignete, zahlreiche kleine Unternehmungen auf.^)

In der Drahtindustrie beherrschten die Werke von Tintern in Monmouthshire die nationale Produktion. Als in Chilworth (Surrey) zu Ende des 16. Jahrhunderts ein Mann Namens Steere mit Arbeitern, die er aus Tintern angelockt hatte, ein neues Werk eröffnete, kam es zu heftigen Streitigkeiten. Schließlich mußten die Monopolisten die Werke und Materialien Steeres an- kaufen und ihm selbst für „anständigen Lohn-' Beschäftigung geben. ^)

Hatten verschiedene Umstände im Bergbau, im Handwerk, in neu eingeführten Industrien die Entwicklung kapitalistischer Unternehmungen bedingt, so wurden nunmehr durch das Mono- pol die Funktionen zahlreicher kapitalistischer Unternehmer, die

*) Vgl. Großmann, Glasindustrie. Leipzig 1908, S. 70 71.

*) Vgl. Cunningham a. a. O., S. 77/78 und 93; Price a. a. O., S. 15 16 und S. 38.

3) Vgl. Price a. a. O., S. 79 und S. 56 57.

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hier entstanden waren oder hätten entstehen können, sagen wir kapitalistischer Schmelzer, kapitalistischer Meister, kapitalis- tischer Werksbesitzer usw. in der Hand einzelner Persönlich- keiten vereinigt, die durch ihre Kapitalmacht die Kontrolle über das pfesamte Gewerbe erring^en konnten. Wenn Sombart mit Recht für die heutige Zeit in der Überleitung der „industriellen Organisation" großer Unternehmungen ,,in eine rein bankmäßige Finanzverwaltung" eine „höchste Stufe kapitalistischer Organi- sation" erblickt^), so war diese Stufe für die damaligen Monopole bereits erreicht. Der Besitzer großen Geldkapitals wurde in Stand gesetzt, ganze Industrien zu finanzieren, sei es, daß er selbst in den Produktionsprozeß eingriff, Werke baute und neue Verfahren erprobte, sei es, daß er nur die rein finanzielle Leitung und Organisation besorgte oder den Absatz der Produkte über- nahm.

Diese Möglichkeit, durch die Erlangung des Monopols die finanzielle Kontrolle über einzelne Industriezweige in einer Hand zu vereinigen, machte die frühkapitalistische Industrie Englands zum Tummelplatz für alle, die große Kapitalien gewinnbringend anzulegen suchten. Diese Unternehmungen standen im Gegen- satz zu den abenteuerlichen Gründungen von Charlatanen, welche zu Ende des 17. Jahrhunderts auf allen möglichen Ge- bieten des englischen Wirtschaftslebens auftauchten.^) Waren diese nämlich betrügerische „Projekte" zur Irreführung eines spekulationsbereiten Publikums, so handelte es sich bei den monopolistischen Kompagnien der Stuart'schen Zeit entweder um Vereinigungen der beteiligten Unternehmer (Kohle, Zinn- gießer) oder um Unternehmungen vermögender und politisch einflußreicher Persönlichkeiten, welche durch die Finanzierung großer Industriezweige ihr Vermögen zu vermehren suchten und daher selbst die Last des Risikos trugen. Daß diese „Groß- unternehmer" aus höfischen Kreisen stammten und ihren poli- tischen Einfluß mit dem gesammelten Vermögen zu gleichem Zwecke verbanden, erscheint uns nicht wunderbar, wiewohl es zuweilen die Zeitgenossen eigentümlich berührte. Als Sir Robert Mansell, der bisher Admiral gewesen war, sein Patent für die Glasfabrikation erhielt, da erstaunte der König ^), „daß Robin

^) Vgl. Die Deutsche Volkswirtschaft. Berlin 1903, S. 373.

*) Vgl. die Beschreibung bei Macaulay, Geschichte von England. Braunschweig 1861, Vol. 8, S. 223—226.

3) Vgl. Galloway a. a. O., S. 38.

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Mansell, der doch Seemann sei, und hierdurch viel Ehre ge- wonnen habe, vom Wasser auf das Feuer verfalle, die doch zwei verschiedene Elemente seien." Sir Walter Raleigh war, wie wir hörten, zeitweilig der Inhaber des Zinnmonopols. Sir Thomas Bartlett hatte im Dienste der Königin ein Vermögen von 40000 erworben, mit dem er das Stecknadelmonopol finanzierte.^) Eine große Reihe von Monopolen wurde von der Krone als beson- dere Vergünstigung „an Stelle baren Geldes*' an Günstlinge, ausgediente Beamte und Offiziere vergeben, welche hierdurch ihr Vermögen zu steigern oder ihre Privilegien mit Hilfe von Kapitalisten zur Gewinnung von Reichtum auszubeuten hofften. ^i Das Alaunmonopol, das Seifenmonopol, das Stärkemonopol, das Drahtmonopol und viele andere waren von vermögenden Hof- leuten finanziert worden. Oft ist es schwierig, die eigentliche Gestalt des „Promotors" zu erkennen. Das Biberhutmonopol wurde, wie wir hörten, von 8 Kapitalisten angeregt, welche die große Masse der Handwerksmeister zur Gründung einer geson- derten Korporation bestimmten. Die Charte selbst wurde ihnen aber durch den Karl of Stirling verschafft, der „beträchtliches Kapital" für diese Finanzierung verwandte und dafür eine feste Rente aus der Steuer erhalten sollte, die bei dem Verkaufe jedes Biberhutes von der Gesellschaft erhoben wurde. -^j

Der Typus der Monopolisten konnte also in den einzelnen Gewerben ein verschiedenartiger sein. Im Kohlenbergbau, der ein kartellähnliches Monopolgebilde zeigte, waren es die Gruben- besitzer, die sich zu gemeinsamer Organisation des Monopols zusammenfanden. Ähnlich war es bei dem Seifenmonopol der Londoner Produzenten. In der überwiegenden Zahl der Fälle aber lag die Monopolgewalt in der Hand vereinzelter oder mehrerer Großkapitalisten. Deren Funktionen konnten wiederum verschieden sein. Einzelne von ihnen erscheinen nur als die Gewährer von Geldmitteln oder Vermittler politischen Einflusses; sie stehen hinter den Kulissen der eigentlichen Organisation, oder sind an ihr nur als Rentenbezieher beteiligt. Andere nehmen einen lebhaften Anteil an der industriell-technischen Entwicklung und der Wirtschaftsführung des Unternehmens, wie etwa Sir Thomas Bartlett oder Alderman Cockayne. Sie erscheinen als Vertreter neuer Industrien oder Produktions-

^) Vgl. ünwin, Organisation, a. a. O,, S. i66.

*) Vgl. Price a. a. O., S. 17; vgl. Unwin (Gilcls of London), S. 307.

*) Vgl. Unwin, Organisation, S. 145/46 und Gilds, S. 320.

DO

methoden, führen Prozesse und treiben Verfolgungen, regeln die Preise, sind bemüht, die staatliche Handelspolitik zu ihren Gunsten zu beeinflussen, beschaffen die Arbeiter aus dem Aus- lande, in ihrer Person verbindet sich die Funktion des großindu- striellen Unternehmers mit der des organisierenden Finanziers. Dieser Monopolist, in dessen Hand eine mehr oder minder große politische Macht lag. der über das Interesse zahlreicher Be- nachteiligten hinweg in die sozialpolitischen, gewerberechtlichen und handelspolitischen Verhältnisse des Landes eingriff und somit seinen dominierenden Einfluß auf den verschiedensten Gebieten des Wirtschaftslebens zur Geltung brachte, der kapitalistische Finanzier großer Industriemonopole, der sich schlechthin zu einem Diktator der nationalen Wirtschaft erhob, dieser Mono- polist war es, gegen den sich in erster Linie die Wut der popu- lären und parlamentarischen Anti-Monopolbewegung richtete. Es ist daher sicherlich berechtigt, w^enn Price^) das Fortbestehen des Londoner Seifenmonopols auch zur Zeit des Commonwealth damit erklärt, daß dieses Monopol alle ursprünglichen Londoner Produzenten umfaßte und so, im Gegensatz zu den Monopolen einzelner Persönlichkeiten, vom Standpunkt eines demokratischen Regimes weniger anfechtbar war. Hier konnte man, bei einigem guten Willen, das Monopol als Mittel systematischer Ge- werbeorganisation verteidigen. Wenn dasselbe aber in Hän- den eines Einzigen lag, der sich durch Vermögen und politischen Einfluß zum Beherrscher eines ihm an sich fernstehenden Ge- werbes machte, so mußte jene Argum.entation von vornherein wenig einleuchtend erscheinen.^)

Die Monopolorganisation hatte die frühkapitalistische Ent- wicklung der englischen Industrie entscheidend beeinflußt. Sie hatte die Machtstellung des Kapitals über die Industrie, da wo sich eine solche entwickelt hatte, gesteigert und in wenigen Händen konzentriert. In diesem Sinne war der Kampf gegen die Monopole eine Bewegung gegen die Übermacht einer

') Vgl. a. a. O., S. 125.

-) Der Ausspruch eines Richters aus den 50er Jahren des 17. Jahrhunderts lautete: „Sicherlich sind alle solche Patente und Ausnahmegesetze, welche besonders zu der guten Regelung und Ordnung der Gewerbe beitragen und zu deren besserer Aus- führung, auf Grund ernster Überlegung gestattet worden, wenn nämlich deren Wohl- taten dem größten Teil des Volkes zu Gute kommen, selbst unter Schädigung ein- zelner Personen. Aber Patente, welche den Handel, die Ware und die Produktion aus- schließlich in die Hand einer oder einiger Personen legen, sind, wenn ihr Wert auch noch so gering ist, stets als unrichtig und unhaltbar angesehen worden." Daraufhin wurde das „Seifenmonopol" als zu Recht bestehend erklärt.

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durch Privilegien künstlich großgezogenen Kapital- herrschaft.

England hat in den letzten Jahrhunderten zu verschiedenen Malen wirtschaftspolitische Agitationen erlebt, die kein Land mit gleicher Intensität durchgemacht hat. Nicht selten ist diese Erscheinung darauf zurückzuführen gewesen, daß die wirtschaft- hchen Mißstände, welche jene Kämpfe erregten, in England ganz besonders zur Geltung gekommen sind, und daß dann eine umso hitzigere Agitation ihre Beseitigung verlangte. So ist der Kampf gegen ein bestehendes System der Handelspolitik nirgends mit so viel Aufwand von Erbitterung, Begeisterung und Energie ge- fochten worden als in den 40 er Jahren des 19. Jahrhunderts in England. Nirgends aber hatte eine einseitige Interessenpolitik den Wohlstand der Gesamtheit so sehr bedroht, als es das System der hohen Getreidezölle in England getan hatte.

Auch für die Geschichte der englischen Monopole gilt diese Erfahrung. In Deutschland ist eine eigentliche Agitation gegen die Monopole nie zu Stande gekommen oder sie hat bei der einzelstaathchen Zersplitterung wenigstens keinen einheitlichen klar erkennbaren Charakter angenommen. Auch haben die deutschen Monopole im allgemeinen die Gründe seien dahin- gestellt — nicht zu so scharfen, wirtschaftlichen Konsequenzen geführt wie diejenigen in England, und sie haben ferner nicht als Mittel eines verhaßten Regierungssystems zu wesentlicher Bedeutung in der innerpolitischen Diskussion werden können.

In England war das Monopolsystem von vornherein der Aus- druck einer bewußten und eigenmächtigen Politik der Krone, welche seit der Königin Elisabeth trotz aller entgegenstehenden Rechtsordnungen mit immer größerer Heftigkeit betrieben Vv^urde und in wenigen Jahrzehnten einen so großen Wirkungskreis er- langte, daß fast in allen wichtigen Gewerbezweigen nationale Monopole entstanden waren. Erst zögernd, dann immer lauter ertönte nun aber auch die Opposition gegen jene Politik, und zwar kam sie aus den verschiedensten Interessensphären. Hier waren es rein privatwirtschaftliche Wirkungen, die Feindschaft entfachten: beim Konsumenten die Erhöhung der Preise, beim Unternehmungslustigen die Bindung des Wettbewerbs. Dort wiederum war es die Höflingswirtschaft, die willkürliche Rechts- umgehung durch die Krone oder finanzpolitische Mißwirtschaft, welche die Erbitterung erregten. In dem Maße, wie demunge- achtet die Monopole zunahmen, wurden jene verschiedenen

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Gegenströmungen zu einer einheitlichen Bewegung zusammen- gefaßt. Diese Bewegung setzte es durch, daß das Monopol- system, welches in anderen Ländern noch über ein Jahrhundert lang in diesen oder jenen Formen lebensfähig blieb, in Eng- land nach einer weit kürzeren, aber auch weit folgenschwereren Wirksamkeit radikal beseitigt wurde.

Im Mittelpunkt der Anti-Monopolbewegung steht vor allem das Haus der Gemeinen, hinter dem sich in dieser Frage ,,die ganze Nation befand".^) Seit der Zeit der großen Monopol- debatten vom Jahre 1597 und 1601 leistete das Unterhaus den wuchtigsten Protest gegen Monopole und Monopolisten. Schon die Debatte von 1601 zeigte eine so entschiedene und energische Monopolfeindlichkeit bei der Mehrzahl der Sprecher, daß die Verteidiger der Monopole, Cecil und Bacon, keine Aussicht auf Gehör fanden, und die Königin durch formelle Versprechungen den Unwillen besänftigen mußte. Auch das Monopolstatut vom Jahre 1624,. so unwirksam es in praxi war, bedeutete einen erneuten Beweis dafür, daß das Parlament energische Maßnahmen gegen die Monopole durchzusetzen bestrebt war. Als dann nach dem absoluten Regime Karls I. im Jahre 1640 das Parla- ment wieder zusammentrat, da war eine der ersten Taten, die es vollbrachte, daß es die bedeutendsten Monopole für ungültig erklärte, und die gegenüber der Krone erstarkende Macht zu einem energischen Vorgehen gegen alle industriellen Ausschluß- rechte benutzte. Wie tief aber in dem ,, langen*' Parlament die Erbitterung gegen alle Monopole Wurzel gefaßt hatte, zeigt jene in drastische Worte gefaßte Bestimmung, die jedem Monopolisten den Sitz im Parlament endgültig verweigerte.") Am 21. Januar 1641 wurden auch tatsächlich vier „Monopolisten" aus dem Par- lamente entfernt.')

Die Reden der verschiedenen Epochen, in denen sich das Unterhaus mit den Monopolen beschäftigte, zeigen in genü- gender Deutlichkeit, mit welcher Schärfe einzelne Persönlich- keiten das Monopolsystem verurteilten und mit welcher Leiden- schaftlichkeit sie es bekämpften.*) Gerade aber die Reden vom

>) Vgl. Macaulay a. a. O., Vol. VIII, S. 12—13.

*) Vgl. Parliamentary History, Vol. II, S. 653.

^) Vgl. Parliamentary History a. a. O., II, S. 707.

*) Vgl. vor allem die oben zitierte Rede Colepeppers, Parliamentary History, Vol. II, S. 654 655; die Rede Pyms und Bogshaws, ebenda, S. 641 und 650; die Rede Sir E. Cokes vom i. März 1620, ebenda. Vol. I; ferner Sir E. Hobby am 20. Nov. 1601, ebenda, S. 930; Mr. Martin, S. 927 u. a. m.

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Jahre 1640 waren angefacht durch eine mächtige Volksbewegung, die sich gegen die Monopole richtete. Aus den verschiedensten Grafschaften waren Petitionen an das Parlament gekommen, die um Beseitigung der ,.grievances'', insbesondere der Monopole, baten. ^) Als Colepepper seine große und eindrucksvolle Schil- derung der Monopole beendete, konnte er sagen^): ..Ich habe Ihnen die Klagerufe des Landes wiedergegeben.'" Aber diese rhetorischen Dokumente sind keineswegs die einzigen Zeug- nisse, aus denen wir ein Bild der Anti-Monopolbewegung des 17, Jahrhunderts erhalten. Sie werden vor allem durch eine reichhaltige Pamphletliteratur ergänzt.

Das Anwachsen dieser Literatur im 17. Jahrhundert ist nicht zuletzt auf die lebhafte Diskussion über die Monopolfrage zurück- zuführen.'^) Dabei ist der Charakter der vielen, hier in Frage kommenden Pamphlets ein durchaus verschiedener. Eine große Anzahl derselben ist rein agitatorischer Natur. Zuweilen bilden sie satirische Flugschriften, die in grotesker Art dem Volke die nachteiligen Wirkungen der Monopole vorführen sollten.*) Wie heute von den Anti-Trustagitatoren in den Vereinigten Staaten die industriellen Monopole in allerlei humoristischen Gestalten versinnbildlicht werden, so besitzen wir auch aus dem 17. Jahr- hundert Bilder des Monopolisten, der die verschiedenen Monopol- produkte als Symbole seiner Tätigkeit an sich trägt. ,,If any aske, what things these Monsters be, t'is a Projector and a Patentee*', heißt es unter einer dieser Karikaturen.^)

Zahlreiche Anti-Monopolschriften befaßten sich mit den Zu- ständen eines bestimmten Gewerbes. Die Angreifer sind Kon- sumenten oder Produzenten, die sich durch die Monopole dieses oder jenes Industriezweiges bedrückt fühlen und an die öifent- liche Meinung appellieren. Die Schriften über das Wein-, Seifen- und Salzmonopol aus den 40 er Jahren sind Beispiele hierfür.^) Vor allem aber muß der großen Schrift gegen das Kohlenmonopol gedacht werden, welche leider bisher eine un-

1) Vgl. Pari. History, II, S. 542.

2) Ebenda, S. 656.

^) Vgl. Social England a. a. O., S. 621.

*) Vgl. z. B. The Proiectors Downfall, London 1642.

*) Vgl. Social England a. a. O., S, 624, Abbildung; auch Unwin, Gilds, S. 298.

*) Vgl. A True Discovery of the Proiectors Wine Project, London 1641; A »hört and true relation concerning the Soap Business, London 1641 und R. Wilkins, The Sope Patentees petition opened, London 1646; J. Davies, An Ans wer to those Printed Papers etc., London 1641.

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genügende Würdigung gefunden hat. Sie stammt aus dem Jahre 1655. i)

Der Verfasser dieser Schrift ist Ralph Gardiner of Chirton. Lange Zeit wurde er infolge einer Namensverwechslung von der Nachwelt für einen Falschmünzer erklärt, und erst die Unter- suchungen von Dr. D. Ross Lietch aus dem Jahre 1849 haben seine Ehrenhaftigkeit wieder erwiesen.-) Die Schrift Gardiners, von deren Inhalt uns Vieles schon aus früheren Erörterungen bekannt ist, bekämpfte die Monopolpolitik der Stadt Newcastle, deren Charter-Gesetze nach der Ansicht des Verfassers sowohl mit dem gemeinen wie mit dem statutarischen Recht in Widerspruch standen. Vor allem aber galt sein Kampf dem Kohlenmonopol. Dieses, so führt er ein Mal aus^), wäre im Jahre 1640 sicherlich vom Parlament für ungültig erklärt worden, „wenn irgend eine öffentliche Meinung (public spirit) entstanden wäre und diese große Plage angezeigt hätte, die mehr als irgend eine andere das Leben der Menschen betrifft". Die damals fehlende Agitation gegen die Kohlengilde wollte nunmehr in den 50er Jahren Gardiner selbst entfachen. Er hatte als Brauer in North Shields unter den Privilegien und der monopo- listischen Herrschaft der Stadt zu leiden gehabt und war schließ- lich zu einem erbitterten Gegner aller Monopole und Handels- beschränkungen geworden. Ob er aus Rache gegen die Stadt Newcastle, in deren Gefängnis er lange Zeit geschmachtet hatte, den Kampf gegen ihre Monopole unternahm, ob aus uneigen- nützigen Motiven, läßt sich nicht feststellen. Wäre das Par- lament nicht am 12. Dezember 1653 von Cromwell entlassen worden, so wäre die Agitation Gardiners, welche bereits zu bedeutsamen Untersuchungen des Committee of Trade and Corporations geführt hatte, sicherlich erfolgreich gewesen. So aber blieb die Stadt Newcastle unbehelligt. Immerhin hat der unermüdliche, ja heroische Eifer Gardiners in der Verfolgung des Kohlenmonopols wesentlich zur Aufklärung über das Wirken der Kohlengilde beigetragen; und seine leidenschaftliche, aber doch sachliche Streitschrift hat die Bewegung gegen die Mono-

^) R. Gardiner, Englands Grievances discovered in relation to the Goal Trade. London 1655.

^) Dr. Lietch hat die Schrift Gardiners, ohne seinen Namen zu nennen, im Jahre 1849 herausgegeben. Der Vorrede entnehmen wir die Geschehnisse aus dem Leben Gardiners. Die Rehabilitierung desselben ist auf p. XIII XV zu finden.

*) Vgl. Gardiner a. a. O., S. 193.

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pole verstärkt, wenn auch das von ihm erwünschte Ziel, die Auflösung der Gilde, wohl erst in den 60 er Jahren des 17. Jahr- hunderts tatsächlich verwirklicht worden ist.

Die Bewegung gegen die Monopole, für die uns Parlaments- berichte und Flugschriften heute noch lebendige Zeugnisse geben, hatte einen Einfluß auf die öffentliche Meinung, der weit über die Zeit der Beseitigung aller Monopole hinausging. Es ist eine eigentümliche Erscheinung, daß noch heute in Eng- land beim Konsumenten ein besonderer Widerwille gegen alle industriellen Monopole oder monopolistische Vereinigungen vorherrscht. Dieses anti-monopolistische Volksbewußtsein hat seinen wichtigsten Ursprung in der Anti-Monopolagitation des 17. Jahrhunderts. Bis zum Beginn der Elisabethischen Monopol- politik hatte man mit dem Begriff des Monopols stets denjenigen eines akuten Handelsmonopols verbunden, wie wir es heute etwa bei einem corner vor uns haben. Vor allem kamen als Monopolisten Getreide- und Nahrungsmittelaufkäufer in Betracht. Gegen diese genügten statutarische Gesetze, wie sie schon zur Zeit Heinrichs III.^), dann wieder unter Eduard VI. gegen die „regrators", „engrossers'* und „forestallers" erlassen worden waren.^)

Die in diesen Statuten ausgesprochene Verurteilung des Monopolisierens wurde nun vom Warenhandel auf die gewerb- liche Produktion übertragen, als diese seit dem Ende des 16. Jahrhunderts der Monopolorganisation zuzuneigen begann. Es schien dem Rechtsbewußtsein als etwas ganz selbstverständ- liches, daß Monopole schädlich seien. Henry Parker erklärte im Jahre 1648^): „Das, was allzu große Dinge in den Händen allzu weniger vereinigt, und so der Natur nach ein Monopol ist, ist stets verurteilt und gegenüber der Majorität eines Volkes als ungerecht erachtet worden.*' Die Rechts- gelehrten versuchten die Wirkungen der Monopole zu präzisieren. In einem berühmten Rechtsstreite, der im Jahre 1602 zum Aus- trag kam, wurde vom Gerichtshof ,,das Übel des Monopols'' vor allem daraus hergeleitet, daß .,der Preis derselben Ware gesteigert werde", daß nach Verleihung des Monopols „die Ware nicht so eut und brauchbar' sei wie zuvor, und daß

*) Vgl. Annual Register, 1766, S. 224.

•) Vgl. die Schrift eines Richters St. Browne, The Laws against ingrossing London 1767, passim.

^) Vgl. Henry Parker, Of a Free Trade. London 1648. S. 21.

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andere Produzenten durch das Monopol arbeitsunfähig, also ausgeschaltet würden.^) Diese Auffassung wurde von Schrift- stellern, die wir als Vorläufer national-ökonomischer Wissen- schaft bezeichnen können, wie von Mis seiden und Malynes geteilt.-) Miss el den leitet denjenigen Abschnitt seiner Schrift vom Jahre 1622, in dem er die gewerblichen Monopole bespricht, mit den Worten ein^): „Ein Monopol zerfällt in zwei Teile. Ein Mal wird der Handel auf einen Einzigen oder Wenige be- schränkt. Zweitens regelt der Monopolist den Preis nach seinem Gutdünken und zum Nachteil des Publikums." Auch in anderen Schriften jener Zeit findet sich der Ausdruck wieder, daß der Monopolist den Preis ,.at his pleasure" oder „as he pleases" regele^), eine Redewendung, die sich etwa 150 Jahre später Adam Smith in diesem Zusammenhang zu eigen machte.^) Nur, daß Adam Smith in seiner Zeit keine anderen als lokal- zünftlerische Monopole im Auge hatte und auf deren Gebahren die Worte übertrug, die ein Jahrhundert früher für weit umfassendere Gewerbeorganisationen ausgesprochen worden waren. Die Schrif- ten von Misseiden und Malynes sind, obschon in ihnen der Kampf gegen handeis- und verkehrspolitische Privilegien keine geringere Rolle spielt als derjenige gegen rein gewerbliche Monopolien und Patente, wichtige Dokumente für die Beur- teilung der anti-monopolistischen Bev/egung jener Zeit. Der Begriff des „free trade", welcher zu Ende des 16. Jahrhunderts entstanden war, wurde bald als Parole gegen die künstlichen Beschränkungen des Verkehrs und Handels, gegen Aktien- und Kolonialgesellschaften und Stadtkorporationen, bald gegen die eigentlichen Gewerbe-„Monopole" der Stuarts angewandt. Die Schriften von Parker, Roberts und Brent aus den 40er Jahren des 17. Jahrhunderts sind Zeugnisse dafür, daß auf den ver- schiedensten Gebieten des damaligen Wirtschaftslebens Ansätze zu einer Bewegung für die Beseitigung monopolistischer Fesseln und die Entfaltung freien Wettbewerbs vorhanden waren.*')

^) Vgl. Fisk Beach, Monopolies and Industrial Trusts. St. Louis 1898, S. II 13.

') Vgl. Raffel, Englische Freihändler von A. Smith. Tübingen 1905, S. 9 und 11.

') Vgl. Misseiden, Free Trade a. a. O., London 1622, S. 57 58.

*) Vgl. die Schrift von Malynes, Lex Mercatoria, zitiert bei Raffel a. a. O., S. 12; ebenso später: Britannia Langueus a. a. O., S. 73.

*) Vgl. A. Smith, Lectures on Justice and Police, ed. by Dr. E. Cannon, 1896; vgl. Hirst, Monopolies, Trusts and Cartells, London 1903, S. 21.

") Vgl. Parker a. a. O., S. 29, gegen das Monopol Cockaynes; L. Roberts, The Treasure of Traffike, London 1841, behandelt die Monopole als Kaufmann und

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Daß diese wirtschaftspolitische Richtung wesentHch durch die Erfahrungen, die man mit den Stuart'schen Ge Werbemonopolen gemacht hatte, beeinflußt wurde, ist ohne Zweifel. Demgegen- über mögen die Schriften, welche auf anderen Gebieten eine freiere Wirtschaftsordnung herbeizuführen suchten, auch wechsel- wirkend die Agitation gegen die Industriemonopole be- lebt haben.

Diese kann jedenfalls als eine selbständige Bewegung neben jener allgemeinen, freiheitlichen Wirtschaftsströmung angesehen werden, wenn man überhaupt für die erste Hälfte des 17. Jahr- hunderts von einer solchen als etwas Einheitlichem sprechen will. Denn die Entwicklung eines wirtschaftlichen Liberalismus, der sich systematisch gegen alle Unterdrückung freien Wett- bewerbes — sei es gegen Merkantilsystem, sei es gegen alte Wirtschaftsordnungen wandte, setzte ja bedeutend später ein. Wenn aber eine freiheitliche Bewegung auf einem einzigen Gebiete so frühzeitig zum Durchbruch kam und einen so popu- lären Charakter annehmen konnte wie die Anti-Monopolagitation, so lag dies daran, daß die Art und Weise, wie sich einzelne Persönlichkeiten rücksichtslos durch die Monopole be- reicherten, eine immer stärker anschwellende Erbitterung im Volk hervorrief. Über die volkswirtschaftliche Bedeutung eines Systems monopolistischer Organisation der Industrie konnte man im Zweifel sein, ähnlich wie heute in Amerika die Stellungnahme der Bevölkerung zu den prinzipiellen Fragen der Trustbildung noch unentschieden ist. Dagegen herrschte ein uneingeschränkter Haß gegen die Einzelpersonen, welche jenes System offen- kundig ausbeuteten, geradeso wie heute in der amerikanischen Union der Kampf gegen die Trustmagnaten, die Rockefeller, Armour. Havemeyer usw. den populären Anreiz zu der Anti- trustbewegung bildet. Der ,. Monopolist"' war im 17. Jahrhundert in England der Zöllner der Bibel. ..Blutsauger" und , .Ungeheuer'' waren die Titel, die ihm das Volk verlieh. Und tief wurzelte jener Haß auch in ferneren Zeiten im englischen Volke. Als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts große Pachthöfe aus kleinen gebildet wurden, da glaubten einzelne Gegner jener agrarischen Entwicklung dieselbe beim Volke am besten da-

Transporteur, vgl. S. 47 und passim; Nath. Brent, A Discourse of Free Trade, London 1645, bespricht den Tuchhandel. Über die Frage monopolistischer ..Joint Stock Com- panies" vgl. Misseiden a. a. O., S. 69 ff.; auch Raffel a. a. O., S. 10.

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durch diskreditieren zu können, daß sie den großen Landwirt mit einem Monopolisten verglichen. ^ )

Der populäre Charakter, der die Bewegungen gegen die Mono- pole auszeichnete, führte zu einem raschen Sturz jener eigen- tümlichen Organisationsform der frühkapitalistischen Industrie Englands. Wir hörten, wie seit 1640 eine Beseitigung verschie- dener Monopole durch das erstarkende Parlament stattfand, und wie dann seit 1689 durch die Aufhebung der königlichen Dis- pensationsgewalt sowie eine wichtige Änderung im Bergrecht die rechtliche Grundlage für die Entstehung der bisherigen Monopole in Fortfall kam. Grundsätzlich war es nun unmög- lich geworden, durch Vermittlung der Krone Exklusivrechte zu erlangen, da Monopole, übrigens auch solche des auswärtigen Handels, nur unter Autorisation von Parlamentsakten entstehen konnten. 2) Für binnenländische Monopole war aber das Par- lament nicht zu haben; es hielt fest an den anti-monopolistischen Grundsätzen des gemeinen Rechts und den Bestimmungen des Monopolstatuts.

Schon im Jahre 1690 gab das Parlament einigen Monopol- projektoren einen Beweis für die Aussichtslosigkeit ihrer Wünsche, als es dem Plane, das Stecknadelmonopol wieder aufleben zu lassen, die Anerkennung versagte.^) Man begnügte sich aber nicht damit, das Entstehen von Monopolen auf Grund königlicher Privilegien zu verhindern, sondern kämpfte auch mit Nachdruck gegen etwaige private Verabredungen der Unternehmer mit monopolistischem Charakter. So wurde im Jahre 1711 ein Verbot erlassen, das sich ausdrücklich gegen alle Kontrakte und Ver- einbarungen wandte, welche zum Zwecke der Monopolisierung von Kohle zwischen Kohlenbesitzern und anderen getroffen würden. *)

Auch in der Behandlung junger Industrien unterschied sich jetzt die Gewerbepolitik von derjenigen, die während der größeren Hälfte des 17. Jahrhunderts geherrscht hatte, durch die absolute Verneinung des Monopols. Ein genauer Kenner der britischen Wirtschaftsgeschichte jener Zeit schreibt^): „Die Gesamttendenz

^) Vgl. die Quellenangaben bei Levy, Entstehung und Rückgang des landwirt- schaftlichen Großbetriebs in England. Berlin 1904, S. 49.

-) Vgl. Cox, Staatseinrichtungen Englands. Berlin 1867, S. 548.

^) Vgl. Unwin a. a. O., S. 170.

*) Vgl. 9. Anne. c. 28.

^) Vgl. W. R. Scott, Records of a Scottish Cloth Manufactury. Edinburg 1905, p. LI.

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sowohl der Gesetzgebung wie der Parlamentspraxis war es, der jungen Industrie starken Schutz durch Behinderung des aus- ländischen Wettbewerbs zu gewähren, im übrigen aber rechnete man darauf, daß für den Konsumenten die Gründung ver- schiedener Fabriken gleicher Art eine genügende Sicherheit biete: der Wettbewerb werde die Preise niedrig halten." Wich- tige Neuindustrien entstanden im 18. Jahrhundert, ohne daß das Parlament bereit gewesen wäre, den Unternehmern derselben einen Monopolschutz, über das übliche Erfindungsrecht hinaus, zu gewähren. In der noch jungen Seidenindustrie hatte ein gewisser John Lambe, der in Italien das Zwirnen der Seide studiert hatte, im Jahre 1717 ein 14jähriges Patent erhalten. Als dasselbe im Jahre 1732 ablief, bemühte sich sein Nachfolger vergeblich um dessen Erneuerung. Er erhielt statt ihrer eine Geldentschädigung von 14000 £ und den Adel.^) Auch die Weißblechfabrikation, jene noch heute für England so bedeut- same Industrie, entstand zu Anfang des 18. Jahrhunderts ohne jeglichen Monopolschutz. '^) Auch gab es ja für das Parlament, selbst wenn es sich ganz frei von jeglicher Monopolgewährung hielt, andere Mittel colbertistischer Art, vor allem Prämien, mit denen man der Industrie ermunternd beistehen konnte.^)

Nach allem, was wir über das gewerbliche England im 18. Jahrhundert wissen, hat es in jener Zeit keine nationalen Industriemonopole mehr auf Grund gesetzlicher Privilegierung gegeben. Tucker in seinen ersten Schriften und später Adam Smith hätten von solchen, bei ihrer allgemeinen Abneigung gegen Monopole, sicherlich Notiz genommen. Allein sie kennen nur: koloniale Handelsmonopole und einzelne städtische Mono- pole, von denen sie beide die Privilegien der Schlächter als be- sonderes Schulbeispiel wählen.*) Um das Streben der Fabri- kanten nach einem rechtlichen Monopole zu illustrieren, fand Adam Smith kein anderes Beispiel als das eines holländischen Tuchindustriellen in Abbeville.^)

Das Fortbestehen städtischer Korporationen mit Ex- klusivrechten hat sicherlich im 18. Jahrhundert vielfach den

1) Vgl. Th. Wardle, Report on the English Silk Industry. 1884 (Blaubuch), p. XL VI.

^) Vgl. Ph. W. Fl o wer, A History of the Trade in Tin. London 1880, passim.

^) Vgl. Cunningham a. a. O., S. 409; auch S. 515 516.

*) Vgl. Tucker, A brief Essay etc. London 1753, S. 41 42. Vgl. A. Smith, Lectures zitiert bei Hirst a. a. O., S. 21.

5) Vgl. Wealth of Nation, 181 7, Vol. II, S. 196.

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freien Wettbewerb gebunden. A. Smith hatte in Glasgow die Wirkungen städtischer Monopolpolitik selbst erlebt, als Watt dorthin kam, um seine Dampfmaschinen zu bauen und abzu- setzen. Die Corporation of Hammermen erlaubte ihm dies nicht, und erst innerhalb des Bereichs der Universität konnte sein Vorhaben zur Ausführung gelangen.^) Allein jener Fall ist sicherlich für den allgemeinen Einfluß der städtischen Korpora- tionen in damaliger Zeit nicht charakteristisch gewesen. Dieser hatte zumindest im 18. Jahrhundert beständig abgenommen.^) Während zu Anfang des 18. Jahrhunderts Lord Molesworth noch über den schädlichen Einfluß städtischer Korporationen geklagt hatte, konnte Tucker in den 80er Jahren desselben erklären^): Daß „die exklusiven Korporationen und Handelsgesellschaften in den Städten nurmehr sehr wenig Macht zum Übeltun hätten, im Vergleich zu derjenigen, die sie früher besessen hätten". In der Tat haben auch neuere Forschungen ergeben, daß die verbrieften Rechte jener Korporationen zum großen Teil gar- nicht mehr in Anspruch genommen wurden, daß in zahlreichen Gewerben „die Freiheit der Korporation nicht mehr erkauft zu werden brauchte und daß die Schau sowie andere Maßnahmen zünftlerischer Kontrolle am Ende des 18. Jahrhunderts gänzlich aufgehört hatten.^) Gute Kenner der englischen Wirtschafts- geschichte, wie J. E. Th. Rogers^), haben ausdrücklich hervor- gehoben, „daß das alte System der Gilde- und Freibürger- gewerbe keineswegs allgemein war und daß die großen Indu- strien des Nordens nicht durch seine Beschränkungen behindert wurden."

Welches nun aber auch die Funktionen dieser monopo- listischen Stadtkorporationen im 18. Jahrhundert sein mochten, in ihrer örtlichen Beschränkung lag der wesentliche Unterschied gegenüber den bisher von uns besprochenen Monopolen. Während diese eine nationale Organisation kapitalistischer Industrie hatten bilden können, konnten die städtischen Zünfte, da wo sie überhaupt noch wirksam waren, nur das Kleinge- werbe mit lokal begrenztem Absatz einer monopolistischen

1) Vgl. Toynbee a. a. O., S. l88. ^) Vgl. Näheres bei Cunningham, S. 321 322. ^) Vgl. Tucker, Cui Bono? London 1782, 3. ed., S. 53. *) Vgl. Unwin, Gilds, a. a. O., S. 344 345.

^) Vgl. Rogers, The Industrial and Commercial History of England. London 32, S. 374.

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. ' 5

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Ordnung unterwerfen, während das verlagsmäßig oder auch schon in Fabrikbetrieben organisierte, kapitaHstische Gewerbe sich in zunftfreien Städten oder auf dem Lande festsetzen konnte.^) Die Entwicklung der Verkehrsverhältnisse und das Aufblühen der verschiedensten Industriezentren hatte seit dem Ende des 17. Jahrhunderts die monopolistische Stellung, welche bis dahin die Hauptstädte, besonders London, in einzelnen Waren eingenommen hatten, zerstört, so daß auch die hieraus sich ergebende nationale Bedeutung einer lokal begrenzten Monopolorganisation dahingeschwunden war. Als die Londoner Company of Frame Work Knitters versuchte, ihre Rechte auch für Nottingham durchzusetzen, um auf diese Weise über ihren lokalen Machtbereich hinauszuwachsen, erhielt sie vom Parlament ihr Gesuch nicht bestätigt. Sie mußte es leiden, daß die ihrer Tyrannei entwichenen Meister und Arbeiter in Nottingham un- abhängig ihr Gewerbe weiter betrieben.") So sehr unterschied sich die monopolistische Gewerbeordnung städtischer Korpora- tionen von den industriellen Monopolen der Stuarts, daß ein oberster Richter in einem berühmt gewordenen Urteil vom Jahre 1711 derartigen lokalen Beschränkungen des Gewerbe- betriebes den Monopolcharakter überhaupt absprach.^) Wie falsch dies begrifflich war: Der tiefgreifende, aber offenkundige Unterschied in der volkswirtschaftlichen Bedeutung zweier gewerblicher Organisationsformen, die freilich beide Monopol- organisationen waren, lag dieser juristischen Unterscheidung unzweideutig zu Grunde. Denn in jedem Falle konnte keine zünftlerische Ordnung dazu zurückführen, daß die Kontrolle über kapitalistische Industrien, die für einen nationalen, ja sogar einen Massenabsatz nach dem Auslande arbeiteten, aus- schließlich in die Hände weniger Privilegierten fiel, wie es entsprechend dem Monopolsystem der Stuarts der Fall ge- wesen wäre.

Für die kapitalistische Industrie Englands war demnach schon am Ende des 17. Jahrhunderts der wichtigste Teil der ..Ge- werbefreiheit'" erkämpft. Wurde auch der Fortschritt des Groß- betriebes gegenüber dem Handwerk durch veraltete Zunftbe- stimmungen, besonders das Lehrlingsgesetz, verlangsamt wie

') Vgl. Brentano, Arbeitsverhältnis gemäß dem heutigen Recht. Leipzig 1877, S. 49. *) Vgl. F. Moy Thomas, J. and R. Morley, London 1900, S. 12. ') Vgl. Hirst a. a. O., S. 98 99.

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es Brentano vortrefflich gezeigt hat^) so war dies doch nur eine Tatsache, welche den Wettbewerb zwischen der alten und der neuen Betriebsform betraf. Innerhalb der kapi- talistischen Industrie aber war die Bahn für den Wettbewerb frei. Wer Kapital in einem aufblühenden Industriezweig an- legen wollte, sah sich nicht durch Vorrechte eines anderen, nicht durch rechtliche Bestimmungen, die den Wettbewerb be- schränkten, daran gehindert.

Diese Gewerbefreiheit war in einer Zeit erkämpft worden, in welcher die englische Industrie und der industrielle Kapi- talismus sich in ihrer Kindheit befanden. Wäre nicht durch die denkbar gröbste Anwendung des Monopolsystems dieses selbst in kürzester Zeit zu Fall gekommen und zu einem nach- haltigen Abscheu beim englischen Volke geworden, wer weiis, ob der parlamentarische Colbertismus des 18. Jahrhunderts nicht auch dieses Mittel staatlicher Einmischung in gewerblichen An- gelegenheiten ausgeprobt hätte! Gerade aber die Rolle, welche das Parlament im Kampf gegen die Industriemonopole gespielt hatte, machte dies unmöglich. So stand die gewaltige Ent- wicklung der kapitalistischen Industrie Englands, wie sie im 18. Jahrhundert einsetzte und in der industriellen Revolution zunächst einen Höhepunkt fand, unter dem Zeichen einer früher erkämpften, gewerbefreiheitlichen Organisation.

Die Geschichte des industriellen Monopolsystems in England zeigt den Gegensatz, der vom Standpunkte gewerbefreiheit- licher Entwicklung die Organisation kapitalistischer Industrie des 17. von derjenigen des 18. Jahrhunderts unterschied. Wie lange diese früh erkämpfte Gewerbefreiheit einen markanten Kontrast zu der Organisation anderer, industriell fortschreitender Länder bildete, zeigt ein Vergleich mit demjenigen Lande, welches rechtliche Beschränkungen des Wettbewerbes in der kapitalistischen Industrie wohl am längsten gekannt hat. Es ist dies Deutschland. Ein kurzer Exkurs über die Entwicklung und Dauer solcher monopolistischen Beschränkungen soll daher diese ganze Betrachtung zum Abschluß führen.

^) Vgl. Brentano a. a. O., S. 47 ff., S. 70 71.

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4. Vergleiche mit der deutschen Entwicklung.

Es gilt, einige Vorbemerkungen an die Spitze unserer Er- örterung zu stellen.

Vor allem: ein so einheitlich organisiertes Monopolsystem, wie es unter Elisabeth, Jakob und Karl in England existieren konnte, hat Deutschland nie besessen. Schon die Eigentümlich- keit der partikularen Gewerberechte machte dies unmöglich. Die Erscheinung, daß ein Fürst planmäßig, wo es nur immer möglich war, das Gewerbe in große nationale Monopolorgani- sationen zusammenzufassen suchte, fehlte. Die Monopolbe- strebungen gingen von den kapitalistischen Interessenten aus, und fanden eine Stütze teils in der bureaukratisch-merkantilistischen Gewerbeverwaltung, teils in den Zunftkorporationen oder auch in der Ordnung des Bergrechts. Die Fürsten spielten nicht die Rolle eines spekulationslüsternen ,, Promotors" kapitalistischer Monopolunternehmungen, und niemals hat das Motiv persönlicher Bereicherung, niemals auch die in England so ausgedehnte Höflingswirtschaft in der monopolistischen Organisation deutscher Industrien einen entscheidenden Einfluß gehabt. Gerade vielleicht, weil jene krassen Schattenseiten des S3^stems fehlten, ist es länger als in England in Anwendung geblieben und beseitigt worden, ohne eine so allgemeine Erbitterung zu hinterlassen, wie dort.

Spricht man von der monopolistischen Organisation früh- kapitalistischer Industrie in Deutschland, so hat man ferner nicht vorauszusetzen, daß diese Organisation stets in einer konkreten Form zum Ausdruck gekommen sei. Auch in Deutschland haben wir freilich bestimmte Formen in der Organisation gewerbe- rechtlicher Monopole gehabt: wie etwa die privilegierte Kom- pagnie, oder die Einrichtung eines „Stapels" der kapitalistischen Unternehmer. Aber vielfach äußerte sich die monopolistische Organisation der kapitalistischen Industrie nur darin, daß recht- liche Bestimmungen irgend welcher Art den Wettbewerb neuer Unternehmungen beschränkten und damit einzelnen Unter- nehmern eine monopolistische Stellung verschaiften. Auch wenn trotz solcher Bestimmungen eine Konkurrenz zwischen mehreren einmal vorhandenen Werken bestehen konnte, so war doch durch sie eine monopolistische Stellung eben jener Werke gegenüber neuer Konkurrenz gegeben. Wenn diese Werke jene Stellung durch eine besondere Organisations-

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form ausnutzten, so steigerte sich natürlich die Bedeutung jener monopoHstischen Vorrechte. Aber auch ohnedem bedeutete jede rechtHche Beschränkung neuentstehender Konkurrenz einen monopoHstischen Schutz einmal vorhandener Unternehmungen. Es sind also alle Bestimmungen, welche solche Beschränkung herbeiführten, selbst wenn sie nicht zu den krassen Formen der englischen Monopole führten, hier zu berücksichtigen.

Eine Kritik der Wirkungen und Bedeutung der deut- schen Monopolorganisation für die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft wird durch den Zweck dieser ganzen Erörte- rung ausgeschlossen. Sie soll nur ein deskriptiver Vergleich zwischen der Entwicklung industrieller Organisation in Deutsch- land und England sein, nur die Frage lösen, inwieweit ein System monopolistischer Organisation frühkapitalistischer In- dustrie, dessen Beginn und Verfall wir für England dargelegt haben, in Deutschland länger als dort fortbestanden hat. Eine Kritik dieses Systems würde ein ganz anderes Eingehen auf den Einzelfall notwendig machen, als es dem Thema unserer Arbeit entspricht. Wir begnügen uns, ein Bild von der mono- polistischen Organisation der frühkapitalistischen Industrie Deutschlands zu geben, um damit für die frühzeitige Beseitigung der englischen Industriemonopole einen entwicklungsgeschicht- lichen Vergleichungsmaßstab zu gewinnen.

Ein wichtiges Gebiet für das Vorhandensein gewerberecht- licher Monopole ist wie in England so auch in Deutschland der Bergbau gewesen. Hier war ein durch Frachtenschutz ge- währleistetes „natürliches" Absatzmonopol einzelner Produk- tionsgebiete für weite Distrikte bis in das 19. Jahrhundert gegeben, und ist es zum Teil heute noch. Hier hatte also eine durch rechtliche Regelung herbeigeführte Beschränkung des Wettbewerbs eine weit stärkere monopolistische Bedeutung als etwa da, wo die Produzenten im Absatz mit der Produktion anderer Wirtschaftsgebiete konkurrieren mußten.

Die monopolistische Organisation des Bergbaues tritt im 18. Jahrhundert bis in die ersten zwei Drittel des 19. Jahrhunderts besonders da hervor, wo das sogenannte ,, Direktionsprinzip" herrschte, jenes System staatlicher Verwaltung, das den Merkan- tilismus auf dem Gebiete des Bergbaues charakterisierte. Da, wo auf Grund des Bergregals die Freierklärung des Bergbaues

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erfolgt war. mußte jedem, welcher die angegebenen Fossilien an einer bestimmten Stelle gefunden hatte, die Befugnis erteilt werden, diese Stelle bergmännisch zu okkupieren. In dieser Verleihung erblickte man den Ausfluß eines privatrechtlichen Bestandteils des Bergregals.

Jene Freierklärung, welche nur durch die Reservationsrechte des Fiskus eine Einschränkung erfuhr, mußte aber gegen früher eine beträchtliche Erleichterung für das Entstehen immer neuer Betriebe bedeuten. Die preußische Regierung erachtete die damit drohende Konkurrenz vieler neuer Bergwerke keineswegs als STÜnstig:. Man leitete daher aus dem hoheitsrechtlichen Be- standteil des Regals für den Staat die Befugnis ab, durch Berg- )rdnungen die Aufnahme des Betriebes zu erlauben oder zu verbieten. Man unterschied zwischen der Verleihung des re- galen Rechts, der Verleihung des Grubenfeldes, und der Aus- übung jenes Rechts ^), das heißt hier der Aufnahme des Be- triebes, und man konnte nun durch Bestimmungen über die letztere den freien Wettbewerb, wie er durch die Freierklärung gegeben war, wiederum nach Belieben einschränken. So im rheinisch-westfälischen Kohlenbergbau.

Dieser hatte sich erst zu Ende des 18. Jahrhunderts aus lokaler Unbedeutendheit zu einem wichtigen Zweige des deut- schen Bergbaues entwickelt. Erst unter Friedrich dem Großen beginnt die planmäßige Aufnahme des bisher nur von Kohlen grabenden Bauern genutzten Reichtums des Steinkohlenbeckens in der Ruhrgegend, indem der Betrieb durch eine Bergordnung geregelt und unter bergamtliche Kontrolle gestellt wurde. Im Geltungsbereiche der Cleve-Märkischen Bergordnung war die Inbetriebnahme dortiger Steinkohlenzechen von der Genehmigung der. königlichen Behörde abhängig. Wie es mit jener Geneh- migung stand, zeigt eine Instruktion, welche am 24. Mai 1783 auf Anregung des Staatsministers von Heinitz dem Cleve- Mors und Märkischen Bergamt erteilt wurde; es heißt in dieser Instruktion^): „Es sollen keine neuen Steinkohlenwerke in Betrieb gesetzet werden, bis daran sich ein Mangel ereignet." Die Absicht der ganzen Instruktion war. wie sich aus ihrem Wortlaut zur Genüge ergibt, den bestehenden Gruben eine monopolistische Stellung zu sichern. Denn es hieß in der

*) Vgl. C. F. Gerber, System des deutschen Privatrechts. Jena 1852, S. 144. *) Vgl. Entwicklung des niederrheinisch -westfälischen Kohlenbergbaues. Berlin, X. i eil, .S. 48 ff.

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Instruktion, daß „durch die vielen in Betrieb seienden Zechen die Kohlen sich im Preise vermindern und die eine Zeche der anderen den Debit nimmt'. Der Zweck der Instruktion aber solle sein: „daß jede der Zechen einen verhältnismäßig sicheren Debit erwarten kann." Diese Verordnung wurde im Jahre 1821 erneuert und bis zur Einführung der Berggesetzreformen des Jahres 1865 prinzipiell beibehalten.

Wie sehr jenes Prinzip in der Praxis selbst noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Aufkommen neuer Konkurrenz- unternehmungen erschwerte, zeigt die Entstehungsgeschichte des „Kölner Bergvereins", welcher 2 ^'2 Jahre auf die formelle Bestätigung seines Statutes warten mußte und diese endlich im Jahre 1849 erhielt, erst nachdem zahlreiche „Bedenken" der Behörden gegen die erste Fassung des Statuts geschwunden waren. ^) Bis in die 60er Jahre hinein bestand ja auch, wie man aus den Motiven zum Berggesetz von 1865 ersehen kann, bei den Behörden die Auffassung, daß die Gewerkschaft und nicht die Aktiengesellschaft die zweckmäßigere Form der Unterneh- mung im Bergbau sei.^) So ist die Abneigung, die jeder neuen Aktiengesellschaft entgegengebracht wurde, begreiflich. Dies aber bedeutete nichts anderes als eine künstliche Erschwerung für das Entstehen gerade derjenigen Unternehmungsform, der im Bergbau die Zukunft gehören sollte.

Während auf dem linken Rheinufer, wo französisches Berg- recht galt, die Firma Haniel das enorme Areal von 10 Millionen Quadratmetern unter dem Proteste ihrer Konkurrenten erwerben konnte, war das Ziel des Direktionsprinzips: möglichst geringe Differenzierung der Betriebe und Erhaltung des Kleinbetriebs.^)

Die monopolistische Organisation des Kohlenbergbaues ruhte also hier nicht auf einer Vereinigung von Produzenten, welche besondere monopolistische Vorrechte genossen und aus- zubeuten suchten. Träger und Leiter der Organisation waren vielmehr Regierung und Verwaltung. Sie schützten die einmal bestehenden Unternehmungen nach Möglichkeit vor neuer Konkurrenz, sie nahmen den einzelnen Bergwerken die Mög- lichkeit, im Absatz miteinander zu konkurrieren, indem für das

*) Vgl. O. Stillich, Steinkohlenindustrie. Leipzig 1906, S. 201 204.

*) Vgl. Uhde, Produktionsbedingungen des deutschen und englischen Steinkohlen- bergbaues. Jena 1907, S. 85.

^) Vgl, Eberhard Gothein, Konzentration im Kohlenbergbau. Archiv f. Sozial- wissenschaft 1904, S. 426 427.

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ganze Revier Einheitspreise festgesetzt wurden.^) Ja, es wurden sogar Exportprämien in Zeiten schlechter Konjunktur gewährt.-) Bei dieser monopoHstischen Organisation war frei- Hch für die Regierung auch die Absicht maßgebend, die Unter- nehmer in Stand zu setzen, die gewaltige, bis in die 60 er Jahre auf dem Bergbau lastende Besteuerung aufzubringen.-^) Also auch hier machte sich wie einst in England der Zusammen- hang zwischen Monopolgewährung und Finanzinteressen fühl- bar, wenn auch naturgemäß in weit weniger groben Formen.

In Oberschlesien herrschte ebenfalls seit Erlaß der Berg- ordnung vom Jahre 1769 für den Steinkohlenbergbau Regal und Direktionsprinzip. Allein es war den Grundherren als Ent- schädigung das Vorbau- spätere Mitbaurecht für Verleihungen, die auf ihrem Grund und Boden vergeben wurden, eingeräumt worden. Ein Teil der Grundherren erhielt das ius excludendi alios.*) Bis zum Jahre 1854 wurde das Wort ,, Grundherr'' von den Behörden dahin interpretiert, daß nur der Dominialherr darunter zu verstehen sei. Damit war der Geltungsbereich dieser Vergünstigung auf die wenigen bestehenden Dominialherren im Kreise Beuthen waren es neunzehn Rittergutsbesitzer be- schränkt.^) Endlich hatte der Staat, wie ja überall, wo das Regal herrschte, das Recht, sich durch eine bloße Erklärung der Bergbeamten jedes beliebige Feld reservieren zu lassen. All' dies: Regal und Direktionsprinzip, Privilegierung der Grundherr- schaften und Feldreservationen des Staates bedeuteten auch im schlesischen Steinkohlenbergbau eine Beschränkung der Kon- kurrenz neuer Unternehmungen, wenn auch anscheinend die monopolistische Organisation keinen so einheitlichen Ausdruck gefunden hat, wie es in Rheinland-Westfalen bei konsequenter Durchführung des Direktionsprinzips der Fall war.*^) Aber die außerordentliche Spekulation in bergmännisch auszubeutendem Grundbesitz, die sich erhob, als nach 1854 jedweder Grund-

1) Vgl. Gothein a. a. O., S. 425.

*) Vgl. Bosenick, Der Steiakohlenbergbau in Preußen. Tübingen 1909, S. 81.

^) Vgl. Klostermann, Das allgemeine Berggesetz. Berlin 1884, 4. Aufl., S. 48.

*) Vgl. Heymann, Die gemischten Werke im deutschen Großeisengewerbe. Stutt- gart 1904, S. 179 und Uhde a. a. O., S. 95.

*) Vgl. H. Solger, Der Kreis Beuthen. Breslau 1860, S. 216 und 276 277.

*) Vgl. Über die Wirksamkeit des Direktionsprinzipes in Schlesien; vgl. Fechner, Zeitschr. f. B.-H. und S.-Wesen, Vol. 48, S. 318 und 319 (1900); Vol. 50, S. 493 494 (1902)5 für die Zinkindustrie war der Einfluß geringer, vgl. v. Wiese, Entwicklung der Rohzinkfabrikation, Jena 1903, S. 36/37.

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eigentümer das Mitbaurecht erhielt^), zeigt deutlich, wie die bisherige Beschränkung desselben auf die Dominialbesitzer die Ausdehnung des Bergbaus unterdrückt hatte.

In der Gewinnung von Eisenstein lagen die Verhältnisse meistens anders. Sie lassen sich nur im Zusammenhang mit der Eisenerzeugung betrachten. Es bildete zwar der Hütten- betrieb schon frühzeitig ein eigenes Gewerbe neben dem Berg- baubetriebe und war von Rechtswegen den Grundsätzen des Bergregals nicht unterstellt. Allein die unvermeidliche ökono- mische Abhängigkeit der Hütten und Hämmer vom Eisenerz und Wald der Grundherrschaften bewirkte, daß die Grund- und Regalherren, da wo sie nicht von den Unternehmern in den Hintergrund gedrängt wurden (wie in Oberfranken und im Sieger- land), auch den Hüttenbetrieb ihren Bedingungen und Vorschriften mehr und mehr unterwarfen.^) Gemeinhin konzessionierte der Regalherr einen spekulativen Mann gegen Abgaben in Eisen, später in Geld, in einem bestimmten Rayon Eisenerz zu graben, Hütten anzulegen und aus den Wäldern bestimmte Holzmengen zu beziehen.^) Sowohl in diesen Fällen wie dort, wo die fürst- lichen Regalherren die Hütten betrieben, waren der Konkurrenz neuer Unternehmungen von vornherein Schranken gezogen Schon um sich die entsprechenden fiskalischen Einkünfte zu sichern, mußte man den Konzessionierten einen preisdrückenden Wettbewerb mit etwaigen neuen Unternehmungen zu ersparen suchen.

Wie die grundherrschaftlichen Beziehungen zum Hütten- gewerbe auch da, wo eine Freierklärung des Bergbaues herrschte, zu einem monopolistischen Schutz der bestehenden Unternehmungen führte, zeigte sich im Mansfelder Kupfer- bergbau, der schon im Jahre 1671 ein ,,Freilassungspatent"' erhalten hatte. Auf Grund desselben hatten sich verschiedene Gewerkschaften gebildet, die anscheinend unabhängig von ein- ander wirtschafteten. Seit jeher hatten nun auch hier Bergbau und Hütten die Berechtigung genossen, ihren Kohlen- und Holz- bedarf zu sehr mäßigen Preisen aus den gräflichen Forsten zu entnehmen. Als mit der Ausdehnung der Produktion das ihnen zur Verfügung gestellte Brennmaterial immer knapper wurde,

1) Vgl. Solger a. a. O., S. 217—218.

*) Vgl. V. Inama-Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Leipzig 1901, Vol. 111, 2. Teil, S. 191 ff.

^) Vgl. Heymann a. a. O., S. 273.

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regelten die Gewerkschaften untereinander genau das Verhältnis, in welchem der Einzelne an der verfügbaren Kohlenmenge parti- zipieren sollte, ja es wurde durch die Festsetzung der soge- nannten „Feueranteile'' „der ganze Betrieb der Hütten und der zugehörigen Reviere in seinem Umfang bedingt und geregelt." Wer als neuer Produzent auftreten wollte, mußte versuchen, einen Anteil an der einmal feststehenden Brennmaterialmenge zu erhalten, also sich mit den bestehenden „kartellierten" Gewerkschaften verständigen. Hierdurch wurde naturgemäß die Konkurrenz neuentstehender Gewerkschaften wesentlich erschwert.^)

Geradezu ausgeschaltet war die Konkurrenz da, wo die Spezialverleihung des Bergregals herrschte. Dieses System wurde von den Fürsten wohl zumeist da angewandt, wo der Bergbau als besonders riskantes Gewerbe galt, dessen Unternehmer man von vornherein mit monopolistischem Schutz bedenken zu müssen glaubte. Ein Beispiel bildet der Ilmenauer Bergbau, den der Herzog von Weimar zu Anfang der 80er Jahre des 18. Jahr- hunderts aus gänzlich verwahrlostem Zustande wieder zur Blüte zu bringen hoffte. Die ,,neue" Gewerkschaft, die gebildet wurde, erhielt u. a. das Vorrecht, „alle Flöze und Hänge der Rücken, die noch künftig in den Hennebergischen Gebirgen Weimarischen Anteils entdeckt werden möchten, wenn es ihr gefällt durch bergübliche Mutung und Bestätigung zu übernehmen". Ferner erhielt die Gewerkschaft ein Vorkaufsrecht für alles ,,zum Bergbau nötige Holz und Steinkohlen."-) Auch im Kupferberg- bau des Rothenburger Bezirkes und Saalekreises bestand, im Gegensatz zum Mansfelder Gebiet, die Privilegierung einer einzigen Gewerkschaft durch den Regalherrn. Erst die Ver- schuldung der Gewerkschaft, die ihr ausschließliches Privileg zum Kupferbergbau noch im Jahre 1691 von neuem erhalten hatte, führte zu Ende der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts zur Übernahme in die Staatsregie. ^)

Eine eigentümliche Stellung, wenngleich auch hier recht- licher Monopolschutz herrschte, nahm bis in das 19. Jahrhundert das Siegerland ein. An Stelle des grundherrschaftlichen oder landesherrlichen Einflusses auf Bergbau und Hüttenwesen

^) Vgl. „Der Kupferbergbau und Hüttenbetrieb in den beiden Mansfelder Kreisen". i88i, S. 33 ff.

*) Vgl. Schlözers Staatsanzeigen, 1784, Vol. IV, S. 425 433. =>) Vgl. „Kupferbergbau" a. a. O., S. 30, S. 25 ff., S. 48 tf.

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herrschte hier die Zunft. ^) Sie wurde zwar im Jahre 1806 nach Besitznahme des Fürstentums durch die Franzosen aufgelöst, aber im Jahre 1813 wiederhergestellt. Im Jahre 1830 erlangte die Zunft der „Hütten- und Hammerwerke" von neuem die königliche Sanktionierung der „Hütten- und Hammerordnung für die gewerkschaftlichen Stahl- und Eisenhütten, auch Stahl- und Eisenhämmer im Lande Siegen". Diese Verordnung ist ein Zeichen dafür, wie man die Monopolverfassung des zünftlerischen Handwerks auf die immer kapitalistischer werdende Industrie zu übertragen suchte. -) Bestimmte doch das Gesetz erstens, daß im Bereiche des Fürstentums Siegen keine neuen holzkon- sumierenden Hüttenwerke angelegt werden sollten. ^) Neben diese Beschränkung neu aufkommender Werke traten dann die Bestimmungen über die Hüttentage, welche seit alters her zur Ökonomisierung der Kohlen- und Wasserversorgung bestanden. Mit diesen Hüttentagen war demgemäß eine gewisse Kontin- gentierung der Produktion der neuen in Frage kommenden Hoch- öfen gegeben. Überschreitungen dieser Hüttentage wurden mit Geldstrafen geahndet, wohl aber konnten nicht benutzte Hütten- und Hammertage eines Werkes an andere Werke im Bezirke verkauft werden. „Diese Bestimmung", so schrieb der ,, Berggeist" noch im Jahre 1856*), „wird so vielfach benutzt, daß es heut- zutage Hütten gibt, die das ganze Jahr hütten dürfen, dagegen aber Hämmer, die stille liegen". „Obgleich der Hammer tem- porär stille liegt, ziehen die Ge werken desselben durch den regelmäßig wiederkehrenden Verkauf ihrer Hammertage ihre regelmäßig wiederkehrenden Einkünfte." Durch die Möglich- keit, die in Form von Hüttentagen bestehenden Beteiligungs- ziffern zu übertragen, war also innerhalb der kartellartigen Monopolorganisation eine Konzentration der Produktion pro Betrieb angebahnt, eine Art „Vertrustung" möglich geworden. Dennoch war, wenn man von dieser Tatsache absah, jene Ordnung ebenso wie im Kohlenbergbau das Direktions- prinzip — nur das Mittel, den Kleinbetrieb gegenüber dem Großbetrieb zu beschützen, wodurch natürlich die groß-kapi-

*) Vgl. Heymann a. a, O., S. 55 56.

*) Vgl. Berggeist, 29. Juli 1856, S. 39.

') Es sei hierauf ausdrücklich verwiesen, da Heymann a. a. O., S. 61, diese Tat- sache nur als den „frommen Wunsch" eines Interessenten hinstellt. Die Bestimmung mag durch den von Hey mann genannten Schriftsteller zuerst angeregt worden sein.

*) Vgl. a. a. O., S. 39.

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talistische Entwicklung zurückgehalten wurde. Die wachsende Transportfähigkeit der Steinkohle (Ruhr-Siegbahn 1861) be- deutete eine Erschütterung der monopolistischen Stellung der Holzkohlenwerke, da für die steinkohleverbrauchenden Betriebe die Hütten- und Hammerordnung keine Geltung hatte. Immer- hin wurde diese künstlich aufrecht erhaltene Monopolorgani- sation in praxi erst zu Anfang der 60 er Jahre wirkungslos und formell erst 1865 aufgehoben. ^) Mit nicht geringem Erstaunen nahm der englische Nationalökonom Banfield von dieser Ge- werbeordnung Kenntnis, als er in den 40 er Jahren Deutschland bereiste. ,,Das Prinzip des Wettbewerbs," meinte er^), „welches in Comwall so viel erreicht hat, wird hier .... gänzlich zurück- gewiesen."'

Nach allem hier Gesagten ist es einleuchtend, daß im deutschen Bergbau, sowie im deutschen Hüttengewerbe im 18. Jahrhundert, noch teilweise weit bis ins 19. Jahrhundert hinein, rechtliche Bestimmungen die freie Konkurrenz hemmten und eine monopolistische Herrschaft einmal bestehender Unter- nehmungen herbeiführten. Die verschiedensten Tatsachen kommen hierfür in Betracht: Das Direktionsprinzip führte wohl zu der schärfsten Ausbildung solcher Monopolorganisation, vor allem, wo es sich mit einer Abneigung der Behörden gegen die ,,neue" Unternehmungsform der Aktiengesellschaft wandte. Vor der Zeit der Freierklärung des Bergbaues hatte die Spezial- verleihung des Bergregals^) durchaus monopolistisch gewirkt, während das Direktionsprinzip an die Stelle eines einzigen Monopolisten das Zwangskartell zahlreicher Unternehmungen setzte. Neben der monopolistischen Ausgestaltung des Berg- regals aber griff einerseits der Einfluß der Grundherrschaft, an- dererseits vereinzelt die rechtlich gesicherte Stellung zünftlerisch organisierter Körperschaften, hemmend auf die Entfaltung freien Wettbewerbs im Bergbau und Hüttengewerbe ein. Deshalb er- wartete man auch von den Berggesetzreformen der 50 er und 60 er Jahre des 19. Jahrhunderts überall eine Ermunterung für das Kapital und den bisher unterdrückten Unternehmungsgeist'^), und wer heute auf jene Reformen zurückblickt, wird der damals

') Noch zu Ende der 50 er Jahre wurde die Eisefelder Hütte wegen Überschreitung ihrer Hüttentage verurteilt, vgl. Berggeist, 1859, 11. Nov., S. 178.

*) Vgl. T. C. Banfield, Industry of the Rhine. London 1848, Series II, S. 89 94. ') Vgl. Gerber a. a. O., S. 217, Anmerkung 5. *) Vgl. Gothein a. a. O., S. 458.

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einsetzenden Gewerbefreiheit einen nicht geringen Anteil an dem folgenden Aufschwung des Bergbaues zuerkennen.^)

Ein weiteres Gebiet monopolistischer Organisation in nicht- zünftlerischen Gewerben bildete bis etwa zum Ende des 18. Jahr- hunderts die Privilegierung bestimmter Fabriken und Manu- fakturen. Wo immer das „Konzessionssystem" herrschte, ließ sich die Regierung von dem Gesichtspunkte leiten, daß die Bewilligung eines neuen Unternehmens .,dem Bedürfnis" ent- sprechen sollte.^) Da sich die Regierung die Entscheidung hier- über selbst vorbehielt, so war damit häufig dem Wettbewerb vieler Unternehmungen ein Hemmschuh angelegt. Aus der Geschichte der zahlreichen privilegierten Fabriken^) lassen sich hierfür die verschiedensten Beispiele anführen. So besaß die Calwer Zeugkompagnie seit 1774 eine Fabrik, die sich durchaus monopolistischen Schutzes erfreute. Im Jahre 1775 bat ein Tuchmacher aus Nagold um die Genehmigung zur Errichtung einer zweiten Tuchfabrik. Er wurde jedoch mit seinem Gesuche abgewiesen, da es die Kompagnie verstanden hatte, der Kom- merziendeputation und der Regierung die Ansicht beizubringen, daß eine derartige Fabrik den Wirkungskreis der Kompagnie einengen werde.*) Besonders waren es natürlich neue Indu- strien, denen man in ganz ähnlicher Weise und durch ganz ähn- liche Maßnahmen, wie es in England im 17. Jahrhundert ge- schehen war, einen Monopolschutz gewährte. So vor allem den keramischen Industrien. In Bayern hatten im Jahre 1770 die Pfeiffer'schen Erben vom Markgrafen von Ansbach ein Mono- pol erhalten. Vierzig Jahre später erbat ein Erfinder namens Leers ,,das ausschließliche Privilegium für die Herstellung von Fayence und Steingut sowie das Verbot der Einfuhr oder hohe

*) Vgl. z.B. V. Schmoller, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Teil I, 1908, S. 479: „Die Losung der Zeit von 1840 70 war: freie, private, spekulative Unter- nehmung, eine neue unabhängige Form der Gewerkschaft, Aktienbetrieb, Freierklärung des Bergbaues, Verzicht des Staates auf seine Regalrechte und die Oberleitung der Be- triebe." Vgl. auch S. 323.

*) Vgl. Hör st er, Die Entwicklung der sächsischen Gewerbeverfassung. Krefeld 1908, S. 67.

') Vgl. z. B. Schütz, Die alt-württembergische Gewerbeverfassung. Zeitschr. für die gesamte Staatswissenschaft 1850, S. 297 ff. Eine Reihe höchst bemerkenswerter Bei- spiele für Fabrikmonopole gibt Eberhard Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarz- waldes. Straßburg 1891 passim, und besonders S. 718 722 und 804. Hier zeigt sich ein Fortbestehen derselben zum Teil bis ins 19. Jahrhundert. Ein Monopol in der links- rheinischen Seidenindustrie, welches die Familie v. d. Leyen von 1759 bis 1794 besaß, findet sich bei A. Thun, Industrie am Niederrhein. Erster Teil, Leipzig 1879, S. 88 90.

*) Vgl. W. Troeltsch, Die Calwer Zeughandelskompagnie. Jena 1897, S. 130.

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Verzollung fremder von auswärts eingeführter der seinigen gleich- artigen Ware/" Leers hatte augenscheinlich nicht bedacht, daß sich die Ansichten über Monopolgewährung seit dem Ende der 70 er Jahre verändert hatten oder er hoffte, durch seine finan- ziellen Versprechungen die Regierung zur Bewilligung so extremen Monopolschutzes bewegen zu können. Auch war es schließlich wohl immer noch eine genügend monopolistische Stellung, die er erlangte, als man ihm versprach, „daß man nicht ohne Rück- sprache mit dem Inhaber und nicht ohne genaue Prüfung eine Konzession zur Anlegung einer neuen Fabrik der gleichen Art" erteilen wollte.^) Auch die Geschichte des Frankenthaler Porzel- lans ist in dieser Hinsicht lehrreich. Der Begründer desselben Paul Anton Hannong hatte in Straßburg Porzellan fabrizieren wollen, war aber durch die monopolistischen Privilegien von Vincennes daran gehindert worden und hatte, als man ihm bei weiterer Ausübung seines Gewerbes mit dem Niederreißen seiner Brennöfen drohte, sein Heil in der Kurpfalz versucht. Hier erhielt er im Jahre 1755 alle von ihm gewünschten monopolistischen Vergünstigungen: Die Konzession, allein in der Pfalz Porzellan zu verfertigen, ein Einfuhrverbot fremden Porzellans mit Über- gangsbestimmungen für die noch unverkaufte ausländische Ware, ein Enteignungsrecht auf Porzellanerde enthaltende Böden, und billigen Bezug fiskalischen Holzes.^)

Handelte es sich um frühkapitalistische Gewerbe, die nicht fabrikmäßig organisiert waren, so war die monopolistische Organisation da, wo sie bestand, eine viel weniger einheitliche und in sich bedeutend komplizierter. Kapitalistische Verleger, zumeist Kauf leute. und kapitalistische Meister sowie zu Verlags- arbeitern herabgesunkene Handwerker wurden von ihr erfaßt. Die Idee der Regierung, welche das Monopol sanktionierte, war hier, gerade so wie es von uns für England dargelegt wurde: der Schutz des Kleinmeisters. Um ihm stetige und lohnende Preise zu sichern, glaubte man die Kapitalisten durch die Mono- polgewährung in ihren Interessen schützen zu müssen.

In der Solinger Messerindustrie, welche seit dem 16. Jahrhundert, vor allem aber im 17. Jahrhundert ein haus- industrielles Verlagssystem entwickelt hatte'), kam zu Ende des

^) Vg'- ^^^- Stieda, Die keramische Industrie in Bayern. Leipzig 1906, S. 25 2i ebenso S. 231 232.

^) Vgl. E. Heuser, Pfälzisches Porzellan. Speyer 1907, S. 20 21. ^) Vgl. Thun, Die Industrie am Niederrhein. Leipzig 1879, S. 23 ff.

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18. Jahrhunderts der Kampf um das Monopol immer stärker zur Geltung. In einer bemerkenswerten Schrift vom Jahre 1777 wird dieser Kampf von sachverständiger Seite ausführlich geschil- dert.^) Die privilegierten Kaufleute, welche trotz aller ge- werberechtlichen Schutzversuche die kleinen Handwerksmeister zu ,, sklavischen Tagelöhnern" herabgedrückt hatten 2), versuchten ihre Outsiders durch gesetzliche Maßnahmen lahmzulegen. Diese Outsiders bestanden : erstens in den unprivilegierten Kaufleuten und zweitens in den sog. „Fertigmachern", kleinen Meistern, die genügend Geld zur Beschaifung des Rohmaterials besaßen und, im Gegensatz zu den verlegten und nur Teilprozesse ausführen- den Handwerkern, unabhängig ihre fertiggestellten Messer an die Kaufleute lieferten oder sie selbständig verkauften. -^j Die lästige Konkurrenz versuchten die privilegierten Kaufleute im Jahre 1777 durch Bestimmungen in der neuen Handwerksordnung abzuschütteln. Es wurde in derselben 1. das gleichzeitige Handeln und Produzieren verboten; es wurde 2. eine Neuauf- nahme von unprivilegierten Kaufleuten untersagt; 3. den letzteren wurde die Materiallieferung an Handwerker verboten und 4. sollten sie einen höheren Preis an die Fertigmacher zu zahlen haben als die privilegierten Kaufleute.

Man zwang also gewissermaßen den Fertigmacher zum Verkauf an die privilegierten Kaufleute, indem man ihnen den eigenen Handel verbot und den Verkauf an die nicht Pri- vilegierten ungünstig gestaltete. Aber das Schlimmste für den Fertigmacher war: Daß der privilegierte Kaufmann gar keine fertigen Messer kaufte. Er fand es bedeutend vorteilhafter, die Ware arbeitsteilig herstellen zu lassen. Denn für die fertige Ware hatte das Gesetz feste Taxen aufgestellt, für die nach Teilprozessen bezahlte Ware fiel dagegen jene Normierung fort.*) „Die Folge ist handgreiflich", so schrieb der Verfasser der ge- nannten Schrift^), „daß wenn der Fertigmacher seine aus eigenen

^) Vgl. „Wahrhafte Beschreibung des Zustandes, worin die Sohlinger Fabriken durch die neue Ordnung versetzt worden." Schlözers Staatsanzeigen, Göttingen 1783, II, Heft 8. Der Verfasser soll der Hofkammerrat Windscheid gewesen sein.

-) Vgl. Thun a. a. O., S. 31.

^) Anders bei Thun a. a. O., S. 24. Darnach wäre der Fertigmacher nur ein Verleger gewesen, der „die in den zerstreuten Werkstätten erzeugten Fabrikate zu einem Ganzen zusammenfaßte". Nach (Windscheid) a. a. O. reiden und schmieden sie selbst. Eine besondere Gewähr bietet Thun für seine Auffassung nicht.

*) Vgl. (Windscheid) a. a. O., S. 456—458.

") Ebenda, S. 459.

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Materialien gefertigte Waren, weder an pri- noch unprivilegierte Kaufleute, noch auch auswärts, veräußern kann, er entweder seine Werkstatt stillstehen lassen, oder sich dem privilegierten Kaufmann, welcher mit Ausschließung des unprivilegierten, zum Fabricieren lassen, durch die Neue Ordnung privative befähigt wird, sich unterwerfen, bei ihm Materialien, die er bis dahin selbst hatte, und so merklich wohlfeiler einkaufte, nemen und daraus, wie jeder andere sklavische Tagelöhner, stückweis für das trockene Brod arbeiten muß. So wird die Sklaverei er- wiesen; und damit ist das Monopol, welches den privilegierten Kaufleuten durch die neue Ordnung verschafft wird, so not- wendig verknüpft wie Feuer und Licht."

Das Argument, daß man bei Verminderung einer ruinösen Konkurrenz, die Preise zu Gunsten des gewöhnlichen Verlags- arbeiters vor dem „Verfall" bewahren könne ^), war von den privilegierten Kauf leuten zur Unterstützung ihrer monopolistischen Aspirationen wiederholt gebraucht worden. In einer anderen frühkapitalistischen Industrie, dem Eisendrahtgewerbe von Altena, war es eine ähnliche Motivierung, welche zu einer Monopol- organisation der Kauf leute und Verleger, der Reidemeister, führte. Hier war nicht, wie in Solingen, Handel und Verlag in einer Hand vereinigt, sondern es befanden sich die kapitalistischen Reidemeister, die sich untereinander Wettbewerb machten, in starker Abhängigkeit von den Kauf leuten. Schon im Jahre 1662 hatte der kurfürstliche Vizekanzler Diest als Abhilfe für diesen den Produzenten drückenden Zustand ein Rezept vorgeschlagen, das in ähnlichen Fällen oft zur Anwendung gekommen ist: man sollte den Händlern ein Monopol geben und sie dafür verpflichten, allen Draht zu festen Preisen abzunehmen. Was damals noch nicht möglich war, gelangte zu Ende des Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert in dem sogenannten „Stapel" zur vollsten Ver- wirklichung. Genau so wie zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Londoner Filzmacher projektiert hatten, sich durch eine ge- meinsame, aber monopolistische Verkaufsstelle unabhängiger gegenüber dem Zwischenhandel (den haberdashers) zu machen-), wurde in dem „Iserlohner Kratzendrahtstapel", in dem „Eisen- drahtstapel von Altena" und in dem „Stahldrahtstapel" durch eine einheitliche Absatzstelle eine Vereinigung des Handels- und

^) Vgl. (Windscheid) a. a. O. S. 456 und 465. *) Vgl. Unwin a. a. O., S. 157 162.

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Produzenteninteresses herbeigeführt. Hier bildete sich also im Gegensatz zu Solingen eine festausgebildete Form der Mono- polorganisation. Sieht man von allen organisatorischen Einzel- heiten der Entwicklung ab, so blieb als Grundgedanke derselben immer bestehen: die Stapelkompagnie sollte im Stande sein, den Produzenten für ihre Ware höhere Preise zu bezahlen, dadurch, daß planmäßig der Zustand der Überproduktion und des gegen- seitigen Wettbewerbs beseitigt wurde und die Kompagnie selbst das Monopol erhielt. Die auf diesem Prinzip aufgebauten Or- ganisationen, welche uns neuerdings Knapmann ausführlich geschildert hat, konnten jedoch nur auf Grund gewerberecht- licher Privilegien bestehen, und es stellen daher alle jene Stapel- gesellschaften durchaus den Typus von Zwangsorganisationen dar. So wurde z. B. schon in dem ersten Kratzendrahtstapel von 1720 mit Zuchthaus bedroht, wer nicht seine gesamte Pro- duktion an den Stapel verkaufte, und dergleichen Bestimmungen blieben auch später üblich. Andererseits galten die einmal ge- bildeten Stapelgesellschaften als einzige gesetzliche Bezugs- quellen für die einheimischen Kaufleute. Nur auf Grund dieser Zwangsbestimmungen konnte man eine erfolgreiche Regelung der Preise und eine Kontingentierung der Produktion vornehmen und sicher sein, daß die Bestimmungen über die Produktion des Einzelnen, die seit 1773 in den Repartitionen (Beteiligungs- ziffern) zum schärfsten Ausdruck kamen, auch innegehalten wurden. Im Jahre 1779 wurde ferner die Umgehung dieser Be- teiligungsziffern, wie sie durch fremde Arbeit der Reidemeister möglich wurde, mit strengen Strafen und Entsetzung von der Reidung belegt. Weiter wurde durch gewerberechtliche Be- stimmungen das Aufkommen neuer Wettbewerber beträchtlich erschwert. So legte man im Jahre 1767 dem Eintreten neuer Reidemeister im Eisendrahtstapel Hindernisse in den Weg. Im Stahldrahtgewerbe war durch das Reglement von 1754 eine ge- setzliche Beschränkung der Stahldrahtschmieden auf 36 festge- legt worden, eine Bestimmung, die in erster Linie den vermögen- den Reidemeistern zu Gute kam, von denen vier mehr als die Hälfte der Produktion in Händen hatten.

Es ist charakteristisch für die Bedeutung, welche die ge- nannten und viele andere behördliche Maßnahmen für die Existenzmöglichkeit dieser Stapelorganisationen hatten, daß beim Fortfall der Zwangsbestimmungen auch die Monopolver- bände in die Brüche gingen. So ließ sich z. B. ein im Jahre

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. t)

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1810 geplanter Verband im Stahldrahtgewerbe nicht mehr durch- führen, weil seit Einführung der Gewerbefreiheit im Jahre 1809 der Beitritt neu aufkommender Reidemeister nicht mehr zu er- zwingen war. Ebenso erachteten sich im Eisendrahtgewerbe nach 1809 viele Fabrikanten und Reidemeister nicht mehr an den Stapel gebunden und nach mancherlei Prozessen lösten sich auch hier die Verbände auf. Die Zeit des staatlichen Monopolschutzes war vorüber. Als im Jahre 1810 noch einmal ein Verband im Stahldrahtgewerbe gegründet werden sollte, verweigerte die Regierung die Bestätigung und fragte: „Darf man eine Einrichtung begünstigen, wodurch von den Mitbürgern Preise erpreßt werden, welche höher sind als die Natur des Geschäftes mit sich bringt?" \)

Die Geschichte der Drahtindustrie von Altena und Iserlohn zeigt, wie eine behördliche Beschränkung des freien Wettbe- werbes zu monopolistischen Verbänden der Verleger führen konnte. Sie unterscheidet sich nach dieser Richtung von der Geschichte der Solinger Industrie, in welcher die privilegierten Kaufleute die ihnen als Verleger eingeräumten Vorzugsrechte nicht in einer einheitlich organisierten Interessengemeinschaft zum Ausdruck brachten. Der Typus der monopolistischen Ver- lagsunternehmung aber konnte neben demjenigen des „Stapels", d. h. also eines Zwangskartells oder behördlich geregelten Ver- bandes auch derjenige einer Verlagskompagnie sein, welche sich, um es kurz zu charakterisieren, von dem Stapel so etwa unterschied, wie ein „Kartell" von einem ,, Trust". Eine solche monopolistisch organisierte Verlagsunternehmung war die Calwer „Zeughandelskompagnie", die im Jahre 1650 als offene Handels- gesellschaft gegründet wurde. Durch Gewährung von Geld- darlehen hatte diese von der Regierung ihre monopolistischen Vorrechte sich zu verschaffen gewußt. Diese waren verschiedener Art. Da waren z. B. die Färberrechte, wie sie die Zeugmacher- ordnung von 1686 aufstellte. Sie schränkten einerseits die Freiheit der unabhängigen, d. h. nicht von der Kompagnie verlegten Zeugmacher, ein und sicherten damit der Kompagnie

•*) Vgl. die ausgezeichnete Schrift von Dr. Karl Knapmann, Das Eisen- und Stahldrahtgewerbe in Altena. Leipzig 1907, und zwar für: die Motive der Verbands- bildung S. 40, 68 69 und 104; die Zwangsbestimmungen S. 44 45, 46, 49, 50, 53, 66 und 95; Beschränkung der Produktion und Repartitionen S. 48, 51, 56, 62, 77 79, 95 und 100; Preisfestsetzung S. 55 und 83; Einfluß der Gewerbefreiheit S. 86, 88 89, 100 loi und 105.

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eine größere Kontrolle dieses Zweiges der Produktion, indem sie eine Konkurrenz in fertiger Ware von dieser Seite her un- möglich machten. Andererseits richteten sich die Färbereirechte gegen die Konkurrenz der außerhalb der Kompagnie arbeitenden Färber, deren Wirkungsgebiet ebenfalls durch verschiedene Zeugmacherordnungen zum Vorteil der Verlags- unternehmung eingeengt wurde. Ähnlich, wie es einst in England die „patentees" getan hatten, wußte sich die Kompagnie ein exklusives Privileg für eine Reihe von Waren zu ver- schaffen, deren Verfertigung sie aus Frankreich herübergebracht, bei den von ihr verlegten Zeugmachern eingeführt hatte, und für die sie den Anspruch einer ,. neuen Erfindung" er- hob. Die Einmischung weiterer Händler in den Bezirk war ausgeschlossen. Innerhalb des Geltungsbereiches der Gewerbe- ordnung fiel das Aufkommen von Zeugmachern, die einen Verlag ihrer ärmeren Genossen hätten beginnen wollen, fort. Ebenso konnte kein Mitglied der Kompagnie aus der- selben austreten und den Handel selbständig fortsetzen. Durch Erlangung von Schau- und Vorkaufsrechten ver- suchte die Kompagnie den Absatz der unabhängigen Zeug- macher außerhalb des Bezirks zu beschränken. Die freige- gebene, d. h. nicht von der Kompagnie gekaufte Ware, wurde von ihr mit einem Stempel versehen. Dieser Stempel, im Volks- mund „Voulez-Vous" genannt, entwertete die Ware mit oder ohne Grund, denn es haftete an ihm das Odium, daß die Kompagnie die Ware nicht genommen habe. Von 1674 1688 wurde auch in der Zeugmacherei durch das „Knappenhaus" der Versuch gemacht, eine monopolistische Ein- und Verkaufsstelle zu bilden, um hierdurch die Produzenten in ihrer Existenz zu schützen. Die Zeugmacher mußten sich verpflichten, alle Ware an das „Knappenhaus" zu liefern, dieses mußte ihnen alle Ware ab- nehmen. Da auf diese Weise der Selbstverkauf der Zeugmacher an ausländische Händler abgeschnitten war, so konnte das Knappenhaus, in welchem die Kompagnie die ausschlaggebende Rolle spielte, durch Produktionsreglement das Angebot dem Be- darf anpassen, und gleichzeitig war der bilhge Verkauf des Roh- materials an die ausländischen Outsiders damit unmöglich ge- macht. Ähnlich wie die Drahtinteressenten in Altena einen Osemundstapel errichtet hatten, um die Herstellung des Roh- stofl"es zu kontrollieren, so hatte die Calwer Zeugkompagnie in dem Knappenhaus das Mittel gefunden, die Rohstofflieferung

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ihren Bedingungen zu unterwerfen. Als der Absatz nach 1686 stockte und nun der Einfluß der Kompagnie dahin ging, eine immer stärkere Reduzierung der Produktionszififer in der Zeug- macherei durchzusetzen, löste sich das Knappenhaus durch den allgemeinen Widerstand der Zeugmacher auf. Es blieben aber auch jetzt andere Bestimmungen gewerberechtlicher Art be- stehen, welche auf eine Reduzierung der Rohstofferzeugung zu Gunsten der Kompagnie hinarbeiteten: nämlich alle Bestimmungen zünftlerischer Art, welche durch Beschränkung des Nachwuchses, Erschwerung des Meisterwerdens, Verringerung der Lehrlinge usw. die Überproduktion von Zeugen einzudämmen suchten.

Immerhin konnte jener ganze Komplex von Vorzugsbe- stimmungen die monopolistische Organisation der Verleger nicht dauernd halten. Die Regierung hatte versucht, der Calwer Kom- pagnie in einem möglichst ausgedehnten Territorium, dem so- genannten Moderationsbezirk, ein Monopol zu sichern. Nicht aber konnte sie die Kompagnie vor dem Aufkommen der Baum- wollindustrie schützen, welche seit 1750 in allen Teilen Deutsch- lands sich zu verbreiten anfing, und deren Produkte mit denen Calws in scharfen und siegreichen Wettbewerb traten. Wie einst das Aufkommen der Zeuge gegenüber dem Tuche dem Calwer Gewerbe gewisse sichere Absatzmärkte geschaffen hatte, so entstand nunmehr der Kampf zwischen Zeugen und Baum- wollstoffen. Auf Grund der sich ändernden Absatzverhältnisse mußte die durch behördliches Eingreifen gestützte Monopol- organisation notwendigerweise zusammenbrechen. Diese hatte ja für die Verleger nur so lange einen Sinn gehabt, als sie durch Ausschaltung des gegenseitigen Wettbewerbs die mono- polistische Stellung, die ihre Waren im Absatz genossen, besser auszunützen im Stande waren. Obschon die Gewerbeverfassung, welche der Calwer Kompagnie das Monopol gewährt hatte, sich prinzipiell nicht verändert hatte, löste sich diese im Jahre 1797 auf. Hier war es umgekehrt wie in vielen anderen Fällen: Die Moderationsverfassung und das monopolistische Gewerberecht fielen, weil die behördliche Einmischung in die Produktions- verhältnisse von den Unternehmern als unnötig, ja lästig em- pfunden wurde, in dem Augenblick, wo ihre bisher dominierende Stellung im Absatz zu weichen begann.^)

^) ^^gl- für diese Ausführungen Troeltsch a. a. O., S. 73 76, 84, 113 ff., 130, 323 ff. und 327; daß das Aufkommen des Fabriksystems die alte, auf dem Verlage auf- gebaute Ordnung des Gewerbes erschüttern mußte, ist unzweifelhaft. Allein es konnte

So

Die im Laufe dieser Betrachtung genannten Beispiele können zeigen, wie in Deutschland im 18. Jahrhundert zum Teil bis weit in das 19. Jahrhundert eine monopolistische Gewerbeordnung der frühkapitalistischen Industrie fortbestand. Der Bergbau, das Hüttengewerbe, die neugegründeten Fabriken und end- lich die verlegten Gewerbe bilden den Mittelpunkt dieser kapitalistischen Monopolorganisationen. Sie stellen gänzlich verschiedene Gebilde dar. Denn sie verdanken teils ihre Exi- stenz einem System unmittelbarer staatlicher Direktion oder einer monopolistisch wirkenden Bergrechtsordnung, teils leiten sie ihre Machtstellung von einer noch bestehenden feudalistischen oder auch zünftlerischen Gewerbeverfassung ab, teils stellen sie sich als Unternehmungen dar, die von der Regierung mit Aus- schlußrechten und Privilegien verschiedenster Art ausgerüstet werden. So schwanken auch die Formen jener Organisation von der nur monopolistischen Stellung einzelner mit einander konkurrierender Unternehmer bis zum Zwangskartell oder der monopolistischen, trustähnlichen Einzelunternehmung. Überall jedenfalls handelt es sich um eine Beschränkung des freien Wettbewerbs durch gewerberechtliche Bestimmungen. Unein- heitlich, wie die rechtliche Grundlage dieser Monopole war, ver- lief auch ihre Entwicklung und ihre Beseitigung. Dabei war es durchaus nicht immer die gewerbefreiheitliche Neuordnung, auf welcher der Verfall der Monopole beruhte, sondern es konnte, wie in der Calwer Zeugmacherei, auch eine Änderung in den wirtschaftlichen Grundlagen der Unternehmung ein Weiterbestehen der bisherigen monopolistischen Gewerbe- ordnung überflüssig machen. Im allgemeinen freilich war es die Einführung der Gewerbefreiheit, die Beseitigung grundherr- schaftlicher Vorrechte, die Aufhebung zünftlerischer, aber den kapitalistischen Verlegern zu Gute kommender Gewerberegle- ments, die wachsende Abneigung der Regierungen gegen mono- polistische Konzessionierung einzelner Fabriken und die allmäh- lich durchdringenden Bergrechtsreformen, welche den Monopol- organisationen den Boden nahmen. Die allmähliche Zusammen- fassung der deutschen Staaten in ein immer einheitlicheres Han-

eine Monopolorganisation auch beim Fabriksystem fortbestehen, wie ja die Fabrik der Calwer Kompagnie tatsächlich ein Monopol besaß (vgl. oben S. 77). Die Auflösung der Kompagnie aber war in erster Linie eine Folge der sich ändernden Absatrverhältnisse, welche selbst bei einem solchen Monopol eine verminderte Rentabilität des ganzen Unter- nehmens herbeiführen mußten.

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delsgebiet wirkte ebenfalls der staatlich geschützten Monopol- organisation entgegen, indem eine monopolistische Begünstigung der Produzenten auf dem einzelstaatlichen Markte durch Prohibitiv- zölle und Einfuhrverbote, Ausfuhrzölle und Ausfuhrprämien ebenfalls unmöglich wurde. Andererseits beseitigten die Fort- schritte im Transportwesen die dominierende Stellung, welche einzelne Produktionsstätten für die Versorgung größerer Absatz- gebiete lange Zeit gehabt hatten, und welche die einzelnen Inter- essenten durch eine rechtlich gesicherte Monopolorganisation am gewinnbringendsten auszubeuten verstanden hatten. Wo jene dominierende Stellung einzelnen Produktionen noch lange Zeit verblieb, wie vor allem im Bergbau und teilweise im Hütten- wesen, hat auch die alte monopolrechtliche Gewerbeverfassung am längsten fortbestanden.

In der zeitlich und territorial so verschiedenen Ent- wicklung liegt der große Gegensatz, welcher das Eintreten frühkapitalistischer Gewerbefreiheit in Deutschland von der Be- seitigung der Monopole in England unterscheidet. Während in den deutschen Staaten die gewerberechtlichen Bestimmungen, die den freien Wettbewerb der frühkapitalistischen Industrie einschränkten, noch in großem Umfange im 18. und 19. Jahr- hundert fortbestanden, und nur allmählich, hier schneller, dort langsamer, zum Fortfall kamen, hatte England schon zu Ende des 17. Jahrhunderts die industriellen Monopole mit einem Schlage beseitigt.

Während in Deutschland im Jahre 1775 die Calwer Zeug- fabrik ein Monopol erhielt, sah sich die große New Mills Com- pany in Schottland dem Wettbewerb anderer Unternehmungen schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts ausgesetzt und versuchte ein „good understanding" mit ihnen herbeizuführen.^) Und wäh- rend im rheinisch-westfälischen Kohlenbergbau noch in der ganzen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Direktionsprinzip das Aufkommen neuer Betriebe behinderte und den Wettbe- werb der bestehenden Zechen einheitlich regelte, konnte sich der englische Kohlenbergbau im Norden seit dem Verfall der Kohlengilde frei von jeder behördlichen Einmischung entwickeln, ja es wurde sogar die Bildung eines rein privaten Unternehmer- verbandes mit monopolistischem Charakter in den Jahren 1711 und 1730 ausdrücklich verboten.^) Damit sind wir wieder am

0 Vgl. W. R. Scott a. a. O., p. LXXI. *) Vgl. Dünn a. a. O., S. 25.

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Ausgangspunkt dieses Exkurses und auch am Abschluß des- selben angelangt. Denn die nun sich anreihende wichtige Frage, wie jene monopolistische Ordnung des frühkapitalistischen Deutschlands volkswirtschaftlich auf dessen Entwicklung ge- wirkt hat, können wir hier nicht beantworten. Ob jener ge- werberechtliche Monopolschutz für die Entstehung einzelner Industrien oder moderner Betriebsformen nötig war oder nicht, ob er andererseits durch Unterbindung des kapitalistischen Wettbewerbs die Entwicklung verlangsamte, diese Frage ließe sich, wenn überhaupt generell, nur auf Grund eines viel breiteren Tatsachenmaterials beantworten, als wir es hier geben konnten. Aber es kam uns auch auf die Beantwortung dieser Frage nicht an. Wir wollten nur die Entwicklung einer bestimmten ge- werberechtlichen Verfassung, die in England schon zu Ende des 17. Jahrhunderts beseitigt worden war, mit derjenigen in Deutsch- land kontrastieren. Dieser Kontrast ist für die Beurteilung der gewerberechtlichen Ordnung, unter der sich im 18. Jahrhundert die englische Industrie so mächtig entwickelte, sicherlich nicht unbedeutsam.

Es ist eigentümlich, daß die nationalökonomische Wissen- schaft Englands zu Ende des 18. Jahrhunderts sich weder des Gegensatzes bewußt wurde, in welchem die gewerberechtliche Verfassung der kapitalistischen Industrie Englands während des ganzen 18. Jahrhunderts zu derjenigen des 17. Jahrhunderts stand, noch auch des Gegensatzes, welcher diese Verfassung von derjenigen kontinentaler Länder unterschied. Weder Sir James Stewart noch, wie wir hörten, Adam Smith haben die Beseitigung der früheren englischen Industriemonopole behandelt oder die Bedeutung jener Beseitigung für die Entwicklung der Industrie ihrer Zeit oder ihres Landes irgend wann hervorge- hoben. Beide kennen nur Handelsmonopole oder monopolistische Stadtkorporationen. ^) Bei Adam Smith erklärt sich dies zum Teil daraus, daß er bei seinen gewerbepolitischen Erörterungen meistens das Handwerk im Auge hatte. Da, wo er den kapi- talistischen Großbetrieb vor sich sah, schien ihm der freie Wett- bewerb keiner besonderen Erklärung zu bedürfen. Dies erkennt man aus dem, was er über die Einführung neuer Industrie- zweige sagt.^) Derjenige, welcher solche Gewerbe einführe.

*) Vgl. Stewart, Principles of Political Economy. London 1767, Vol. I, S. 200 ff. A. Smith, Wealth of Nations. Edinburg 1817, Vol. I, S. 99 loo. -) A. Smith a. a. O., Vol. I, S. 188—189.

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der „projector", verspreche sich einen großen Gewinn. Und in der Tat, wenn das Projekt gelänge, so seien die Gewinne zu- erst sehr hoch. „Aber wenn das Gewerbe oder die Produktions- methode gründhch Fuß gefaßt hat und bekannt geworden ist, dann werden die Gewinne durch den Wettbewerb auf das Niveau reduziert, das in anderen Gewerben übHch ist.'- Diese Worte entstanden etwa um die Zeit, als in Deutschland der Projektor, der Entrepreneur, als Monopolist aufs heftigste ange- griffen wurde. Schrieb doch von Justi^): ,^Wenn nur ein En- trepreneur in einer Art von Manufakturen und Fabriken vor- handen ist, so fehlt auch die Konkurrenz und Nacheiferung vieler Menschen bei einerley Sache, wodurch die Güte der Waren und billiger Preis entsteht. In Ermangelung derselben aber leidet nicht allein das Land, sondern man kann sich auch nicht einen auswärtigen Debit machen. . . Die Entrepreneurs sind also von allen Seiten den guten Grundsätzen nicht gemäß.'' Während Justi die bittersten Angriffe gegen die monopolistisch- privilegierten Unternehmer schleuderte^) und man in Deutsch- land eine Organisation der Großindustrie auf Grundlage des freien Wettbewerbes als eine ersehnte Reform betrachtete, er- schien den Volkswirten in England das Bestehen dieser Organi- sation als etwas durchaus Selbstverständliches. Sie betrachteten sie weder als das eigentümliche Resultat eines vor mehr als 100 Jahren ausgefochtenen Kampfes, noch als eine be- sondere Form industrieller Organisation, welche in jener Zeit anderen Ländern fehlte. So wurden sie sich der Eigen- art jener Organisation in keiner Weise bewußt.^)

^) Vgl. V. Justi, Polizeiwissenschaft. 1760, Vol. I, S. 447.

*) Vgl. V. Justi a. a. O., S. 489 und 755.

*) Wir haben in dieser Darstellung absichtlich Vergleiche mit der monopolistischen Organisation frühkapitalistischer Industrie in Frankreich nicht angestellt. Jedoch sei hier daran erinnert, daß Chaptal im Gegensatz zu den englischen Schriftstellern sich der Bedeutung der Monopole, die die französische Industrie gehabt hatte, besonders der privilegierten Fabriken, und des Gegensatzes dieser Monopole zu der späteren Gewerbe- freiheit wohl bewußt geworden ist: vgl. De L'Industrie Frangaise. Paris 18 19, Vol. II, S. 372 und 379 380. Über die Monopole im 18. Jahrhundert selbst, vgl. G. Martin, La Grande Industrie en France. Paris 1900, S. 224 232.

Zweiter Abschnitt.

Die Zeit des freien Wettbewerbs und der ersten monopolistischen Unternehmerverbände.

1. Die Lehre vom freien Wettbewerl).

Wo immer seit dem 17. Jahrhundert rechtliche Monopole der Großindustrie beseitigt worden sind, sah man die Entstehung eines dauernden Konkurrenzkampfes vieler Unternehmer mit- einander als die selbstverständliche Folgeerscheinung solcher Gewerbefreiheit an.^) Auf diesen Konkurrenzkampf rechnete auch der parlamentarische Colbertismus in England, der einer- seits allen industriellen Rechtsmonopolen entgegentrat und andererseits die industrielle Entwicklung durch Prämien, Einfuhr- verbote, Ausfuhrzölle usw. oder auch künstliche Beeinflussung der Konsumtion zu heben versuchte. Dieselben schutzzöllne- rischen Maßnahmen, welche unter Elisabeth und den ersten Stuarts einzelne Individuen oder Kompagnien bereichert hatten, sollten jetzt unter dem Wirken des Konkurrenzkampfes dem Industriezweig als solchem zu Gute kommen und, eben weil sie zahlreiche, miteinander konkurrierende Unternehmen begünstig- ten, auch dem Konsumenten von Vorteil sein. Der zu erwar- tende, unausbleibliche Wettbewerb war denn auch wiederholt das Argument, mit dem man den Konsumenten beruhigte, wenn er sich durch hohe Zölle, die eine noch junge Industrie genoß, einer monopolistischen Preisdiktatur weniger Unternehmer aus- geliefert glaubte.^)

*) Vgl. z. B. V. Justi, Abhandlung von den Manufakturen. Kopenhagen 1767, S. 149 150.

^) Als Beispiel vgl. A Brief Essay on the Copper and Brass Manufacture of England. London 1712, S. 20. Der Verfasser verteidigte die hohen Zölle: „Wer auch nur wenige Jahre leben wird, wird viele neue Unternehmer solcher Werke sehen, die in dem Be- streben, sich gegenseitig zu unterbieten (undermine), die Preise stets niedrig halten werden."

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Dieselbe Anschauung, welche seit dem Ende des 17. Jahr- hunderts ganz allgemein in England Geltung gewonnen hatte, beherrschte auch die Darlegungen der klassischen National- ökonomie zu Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Ähnlich wie wir es schon von Adam Smith gehört haben, schrieb später Malthus: „Wenn eine Maschine in irgend einem Lande erfunden wird, mit deren Hilfe ein Mensch die Arbeit von zehn Menschen leisten kann, so werden ihre Besitzer zuerst ungewöhnlichen Gewinn machen. Sobald aber die Erfin- dung allgemein bekannt geworden ist, wird soviel Kapital und Arbeit in dieses neue und gewinnbringende Gewerbe gesteckt werden, bis seine Produkte sowohl die fremde wie die heimische Nachfrage zu den alten Preisen mehr als befriedigen können. Deshalb werden diese Preise beständig sinken, bis Kapital und Arbeit in dieser Richtung keinen ungewöhnlichen Gewinn mehr abwerfen." ^)

Außer rechtlichen Beschränkungen des freien Wettbewerbs durch zünftlerische Gesetze und einzelne besondere Eigen- tümlichkeiten gewisser Beschäftigungen kannte Adam Smith keine Umstände, welche der Ausgleichstendenz der Unter- nehmergewinne entgegenstehen konnten. Er ging von der beliebigen Vermehrbarkeit industrieller Produktion zu gleichen Kosten aus und folgerte hieraus, daß wenn in einem Produktions- zweig eine Erhöhung der Gewinne über das landesübliche Niveau aus irgend welchen Umständen eintrete, eine sofortige Vermehrung der Unternehmungen stattfinden werde.

Bei einer solchen Vorstellung ergab sich mit Notwendigkeit, daß Verabredungen der Unternehmer zur Hochhaltung der Ge- winne auf die Dauer zwecklos sein müßten, und daß das Selbst- interesse eines jeden Unternehmers am besten durch den freien Wettbewerb gewahrt bliebe. Andererseits nahm Adam Smith an, daß bei einer Herabdrückung des Gewinnes unter das üb- liche Niveau eine Vernichtung der Schwächeren stattfände sei es, daß sie ihr Kapital verlören, sei es, daß sie es ander- weitig anlegten , so daß auch hier das Interesse der Stärkeren an den Konkurrenzkampf geknüpft sei.^)

*) Vgl. T. R. Malthus, An Essay on the Principle of Population. 5. ed., London 181 7, Vol. II, S. 404.

^) Man vergleiche das ganze Kapitel IX des ersten Buches, ferner auch a. a. O., Vol. II, S. 50. Auch im Kohlenbergbau hält Adam Smith die Stilliegung teuer produ- zierender Zechen für die notwendige Folge des Konkurrenzkampfes a. a. O., Vol. I, S. 279.

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Es ist bemerkenswert, daß Adam Smith nur in den Fällen, in welchen er ohne weiteres eine Leichtvermehrbarkeit der Produktion voraussetzte, das Selbstinteresse des einzelnen Unter- nehmers mit dem Konkurrenzkampf identifizierte. Da, wo ihm eine Begrenzung der einmal bestehenden Unternehmungen vor- schwebt, erkennt er dagegen die Möglichkeit und Zweckmäßig- keit einer Koalierung für die Unternehmer durchaus an. „Wenn eine Anzahl von Schlächtern das ausschließliche Recht zum Fleischverkauf haben, so mögen sie darin übereinkommen, den Preis nach ihrem Belieben festzusetzen", erklärt er in seinen Vorlesungen.^) An anderer Stelle^) meinte er, daß Gewerbe, welche „nur eine geringe Zahl von Händen beschäftigten, sehr leicht auf Kombinationen verfielen. Ein halbes Dutzend Woll- kämmer könne tausend Spinner und Weber beschäftigen. Durch eine gemeinsame Verabredung, keine Lehrlinge aufzunehmen, könnten sie die Beschäftigung monopolisieren und den Preis ihrer Arbeit weit über das natürliche Niveau erheben." Wieder ein anderes Mal stellte er zwei mit einander konkurrierenden Händlern zwanzig Händler gegenüber und meint, daß ,,ihr Wett- bewerb um so größer wäre und die Chancen, daß sie sich vereinigten um den Preis zu steigern, um so geringer".^)

Es wäre also nicht richtig, anzunehmen, daß Adam Smith das Selbstinteresse der Einzelnen unbedingt mit dem Prinzip der Konkurrenz identifiziert habe. Denn da, wo er eine be- grenzte Zahl von Verkäufern vor sich sah, erschien ihm die Ersetzung der Konkurrenz durch gemeinsame Verabredung als eine Möglichkeit, die ebenfalls dem Selbstinteresse der Unter- nehmer entsprechen würde.*) Gerade diese Auffassung wurde von seinem späteren Herausgeber, D. Buch an an, auf das Leb- hafteste bekämpft. Dieser sah in allen derartigen Äußerungen Smith "s eine Verletzung seiner eigensten Lehre, nämlich der- jenigen vom verständigen Eigennutz, ohne zu erkennen, daß die Anwendung der Koalition anstatt der Konkurrenz in den von Smith gedachten Fällen nichts anderes war als der Ausfluß eines Strebens nach größtmöglichem Gewinn, wie es den einzelnen Unternehmer beseelte. Den weisen Einschränkungen, die Adam Smith machte, da wo er den Wettbewerb auf wenige Unter-

1) Vgl. Hirst a. a. O., S. 21.

^) Vgl. A. Smith a. a. O., I, S. 209 210.

3) Ebenda, Vol. II, S. 50.

*) Ebenda, Vol. I, S. 206.

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nehmer begrenzt annahm, stellte Buch an an die Ansicht gegen- über, daß der Konkurrenztrieb im Unternehmer stärker sei als alle anderen Erwägungen und ihn daher auch in solchen Fällen aus- schließlich beseelen würde. So bekämpfte er das Beispiel Smiths von den Wollkämmern mit den Worten^): ,.Dr. Smith übersieht, daß das Koalitionsprinzip, wenn es ein Mal zugegeben wird, gegen seine wertvollste Doktrin ausgespielt werden kann. Aber die Koalition von gewerblichen Rivalen ist ein unmögliches Phänomen, so lange die menschliche Natur unverändert bleibt.'' Und des weiteren wird an anderen Stellen von Buchanan^\ ebenfalls polemisch gegen Adam Smith, jenes der menschlichen „Natur'" eigne und unüberwindliche Streben zum Wettbewerb näher formuliert: ., Keine Gemeinschaft von Gewerbetreibenden kann jemals eine wirksame Vereinigung gegen das Publikum schaffen, da alle solche Vereinbarungen durch das partielle Interesse der beteiligten Individuen zersprengt werden. Kein Gewerbetreibender wird seine Preise zu Gunsten anderer hoch halten; er wird stets verkaufen, wenn es ihm paßt, und auf diesem Prinzip beruht infolgedessen alle Rivalität im Handel.'' Selbst da, w^o behördliche Einmischung das Aufkommen neuer Konkurrenz erschwert oder unmöglich macht, wie bei Zunft- korporationen, will Buch an an nichts von der Möglichkeit einer privaten Verabredung der so privilegierten Gewerbetreibenden wissen^): ,. Dasselbe Prinzip des Eigennutzes, welches sie viel- leicht veranlaßt, eine Liga zu bilden, veranlaßt sie auch, die- selbe wieder zu lösen. Gewerbetreibende Rivalen haben kein Vertrauen zu einander. Nicht zwei von ihnen werden jemals mit Übereinstimmung handeln." Ganz ähnlich dachte Mc Culloch. Während er einerseits in Anlehnung an Adam Smith die Unmöglichkeit einer monopolistischen Preiserhöhung aus dem Gesetz vom Ausgleich der Gewinne herleitet^), ist er andererseits davon überzeugt^), daß das Prinzip des Konkurrenz- kampfes auch dann wirksam sein müsse, wenn man sich eine begrenzte Zahl von Verkäufern vorstelle und von dem Hinzu- tritt neuer Wettbewerber absehe. Denn in dem Augenblicke, wo eine Anzahl vereinigter Unternehmer die Preise über ihr

^) ^§}- Buchanan bei A. Smith a. a. O., Vol. I, S. 2lo.

^) Vgl- ebenderselbe, S. loo.

') Vgl. ebenderselbe a. a. O., Vol. I, S. 207.

*) Vgl. J. R. McCulloch, Principles of Political Economy. Edinburg 1S25. S. 246.

*) Vgl. McCulloch, An Essay on the Rate Wages. Edinburgh 1826, S. 190.

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„natürliches Niveau" gesteigert hätten, werde es ,,im Interesse einer großen Zahl der Monopolisten (combiners) liegen, von dem Verbände abzufallen und ihre Waren auf den Markt zu werfen.'" Deshalb könne man die Versorgung der nötigsten Waren ,,dem ungehinderten Wettbewerb" selbst ,, einer verhältnis- mäßig geringen Zahl von Unternehmern" anvertrauen.

Während also Smith das Prinzip der Koalition für den Fall einer begrenzten Zahl von Wettbewerbern als wirksam ange- nommen hatte, waren seine unmittelbaren Jünger von einer un- bedingten Geltung des Konkurrenzprinzips überzeugt, das sich auch innerhalb einer nur geringen Zahl von Wettbewerbern notwendigerweise durchsetzen müsse. Sie sehen in der Kon- kurrenz die notwendige Folgeerscheinung individueller Ge- winnsucht, an der, selbst wenn die Koalition für die Gesamtheit der beteiligten Interessen von Vorteil sein würde, jede mono- polistische Vereinigung über kurz oder lang scheitern müsse.

Eine Abweichung von dieser Anschauung und damit eine Rechtfertigung der von A. Smith gemachten Einschränkungen findet sich erst bei John Stuart Mill wieder. Er verweist auf Grund der Erfahrungen, welche in den 30 er und 40 er Jahren mit städtischen Gas- und Wasserwerken, sowie mit Eisenbahnen gemacht worden waren, auf den Fall, daß die Größe der Einzel- unternehmung derart sein könne, daß wenige Unternehmungen den ganzen Bedarf befriedigen könnten. Daß die Preise ,. durch den Wettbewerb" solcher Gesellschaften niedrig gehalten würden, sei „ein Irrtum". .,Wo der Wettbewerber so wenige sind, kommen sie stets darin überein, nicht in Wettbewerb zu treten. Sie mögen ein Billigkeitsrennen veranstalten, um einen neuen Kandidaten zu ruinieren, aber sobald er sich fest etabliert hat, kommen sie mit ihm zu einer Verständigung." Ebenso meint Mill, daß häufig Gewerbetreibende durch Chikanen aller Art bewirkten, daß sich neue Wettbewerber den einmal festgesetzten Geschäftsgebräuchen fügen müßten, und daß sie in gleicher Weise die Innehaltung derselben auch in ihren eigenen Reihen durchzusetzen verständen.^)

Es ist charakteristisch für die Schärfe der Mill' sehen Be- trachtungsweise, daß er auf Grund der wenigen Abweichungen, welche sich ihm bezüglich der Gesetzmäßigkeit des freien Wett- bewerbs zeigten, die Lehre von dem individualistischen Wirt-

*) Vgl. J. St. Mill, Principles of Political Economy. London 1849, 2. ed., Vol. I, S. 176 und 301, Vol. II, S. 499.

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Schaftsprinzip, das stets die Konkurrenz bedingen sollte, wider- legte. Die Wirksamkeit eines ausgeschalteten Wettbewerbes hatte sich eben auf neuen Gebieten des damaligen Wirt- schaftslebens, in der Anlage großer städtischer Gas- und Wasser- werke und im Eisenbahnwesen, als eine ganz allgemeine Erscheinung plastisch hervorgehoben. Das Prinzip der Koalition war hier für einen ganzen Komplex wirtschaftlicher Tätigkeit in Geltung getreten. Ganz anders in der Großindustrie, wie sie sich in ihren alten Zweigen seit dem Beginn des 18. Jahr- hunderts entwickelt hatte. Betrachtete man sie als einen ein- heitlichen Komplex wirtschaftlicher Organisation, so hatte man das Walten des Konkurrenzkampfes nach wie vor als die all- gemeingültige Erscheinung vor sich.

Besonders galt dies, wenn man die wichtigsten Fertigfabri- kationen jener Zeitspanne übersah. Pflegt eine beständig wachsende Zahl von Unternehmungen und die Vielheit der vorhandenen Werke im allgemeinen auch heute noch ein Merkmal dafür zu sein, daß Konkurrenzkampf unter den Unternehmern herrscht, so wiesen die wichtigsten Industrie- zweige Englands dieses Merkmal in immer steigendem Maße auf.

Im Jahre 1835 gab es in der Woll- und Kammgarnspinnerei 1313 Etablissements, die eine Zunahme von 10 "'/o in 4 Jahren darstellten. ^) Hatte man im Jahre 1787 erst 143 Baumwoll- spinnereien gezählt, so gab es im Jahre 1835 deren 1070. ^) Die Seidenindustrie, welche ja ein späteres Kind der englischen Textilindustrie war, wies ebenfalls in den 20er und 30er Jahren eine rapide Zunahme von Unternehmungen auf. Innerhalb von 12 Jahren hatten sich allein in Manchester und Salford die Werke von nur 5 auf 16 im Jahre 1832 gesteigert, während im Jahre 1835 die Gesamtzahl aller Seidenfabriken 231 betrug. Die Gesamtzahl aller Fabriken in der Woll-, Baumwoll-, Flachs- und Seidenbranche vermehrte sich in der kurzen Zeit von 1835 bis 1839 um 1016 Betriebe, von denen in dem letzten Jahre 98 still lagen. ^) In der englischen Eisenindustrie gab es im Jahre 1791 bereits 73 steinkohleverbrauchende Hochöfen ^j: als dann die Preise rasch stiegen, vermehrte sich ihre Zahl in 5 Jahren auf 121, und im Jahre 1806 wurden in Großbritannien

^) Vgl. G. R. Porter, The Progress of the Nation. London 185 1, S. 173.

*) Vgl. E. Baines, History of the Cotton Manufacture. London (1835), S. 219.

^) Vgl. Porter a. a. O., S. 192, 219 220 und 233.

*) Vgl. E. T. W^arner in Social England. Vol. V, S. 635 ff.

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bereits 233 solcher Hochöfen gezählt.^) Nun ist die Zahl der Hochöfen freilich kein vollwertiger Maßstab für die Zahl der Unternehmungen, da es schon zu Ende des 18. Jahrhunderts Einzelunternehmungen gab, die zahlreiche Hochöfen ihr eigen nannten. 2) Die Vielheit der Unternehmungen ergibt sich aber daraus, daß die 233 Hochöfen des Jahres 1806 sich auf 133 Werke erstreckten. Im Jahre 1791 hatte Schottland erst 16 moderne (Steinkohlen) Hochöfen besessen, zu Ende der 40 er Jahre gab es dort bereits 113 und in England war ihre Zahl auf 402 ge- stiegen.^) Die Zahl der Papierfabriken betrug in den 30 er Jahren in England mehrere Hundert."*) Die Kupfer- und Messing- verarbeitung war von ihrem Anbeginn im 18. Jahrhundert zu einem Gebiet zahlreicher miteinander konkurrierender Unter- nehmungen geworden, und an Stelle des einst von den Kon- sumenten befürchteten Monopols weniger Werke klagten im Jahre 1799 die Interessenten von Birmingham, sie könnten an- gesichts ,,der zahlreichen Konkurrenten" keine gewinnsteigernde Preispolitik treiben.^) Zu Anfang der 30er Jahre boten dieselben Industriezweige, sowohl in Wolverhampton wie in Birmingham und anderen Plätzen, das Bild eines rastlosen Konkurrenzkampfes. Die Entstehung neuer Unternehmungen war hier an relativ geringe Kapitalien geknüpft und es waren neben den Groß- unternehmungen zahlreiche kleinere Konkurrenzwerke ent- standen*'), eine Entwicklung, die in anderen Industrien, z. B. in der Glasindustrie, ganz ähnlich vor sich ging. '^)

Als im Jahre 1833 sich ein parlamentarischer Ausschuß mit der Lage von Industrie, Handel und Schiffahrt beschäftigte, zeigte das umfangreiche Zeugenverhör, daß in allen Gewerbe- zweigen, die zur Erörterung kamen, die aber freilich nur Fertig- fabrikationen darstellten, ein heftiger Konkurrenzkampf herrschte. ®) Bei sinkender Wirtschaftskonjunktur bedeutete dieser seit der zweiten Hälfte der 20 er Jahre ein so starkes Herabgehen derFabri-

^) Vgl. H. Scrivener, History of the Iron Trade. 1841, S. 92.

2) z. B. besaß die Carron Company zu Ende des 18. Jahrhunderts 5 Hochöfen; vgl. Warner a. a. O., S. 635 ff.

«) Vgl. Porter a. a. O., S. 574 und 268.

*) A. Dykes Spicer, The Paper Trade. London, N. D,

^) Vgl. Report on Copper Mines, 7. Mai 1799, S. 4; auch S. 47 und passim.

*) Vgl. Report on Manufactures, Commerce and Shipping. 19. August 1833, qu. 4369-4371, 4377 und 4385.

') Vgl. Porter a. a. O., S. 256—257.

*) Vgl. Report on Manufactures, qu. 1903, qu. 4678 und passim.

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katpreise^), daß bei der Mehrzahl der Unternehmungen ein außer- ordentHches Sinken der Gewinne eintrat, ja teilweise die Pro- duktionskosten nicht mehr gedeckt wurden. 2) Es war durchaus typisch für die Ansichten der vor jenem Ausschuß vernommenen Sachverständigen, wenn ein Textilarbeiter erklärte: „Wir haben lange Zeit geglaubt, daß ein Teil unserer Notlage auf die Dampf- webstühle und den ausländischen Wettbewerb zurückzuführen sei. Aber wir sehen dies als eine Kleinigkeit an im Vergleich zu dem heimischen Konkurrenzkampf, der zwischen unseren Arbeitgebern herrscht; und ehe dieser Zustand nicht behoben wird, wird es uns niemals besser gehen." ^) Arbeitgeber wie Arbeiter schienen von den drückenden Folgen des Konkurrenz- kampfes überzeugt. Aber von einer gemeinsamen Aktion zur Einschränkung oder Beseitigung derselben fand sich in dem ganzen Zeugenverhör keine Spur. Man betrachtete vielmehr in allen jenen Produktionszweigen den freien Wettbewerb als einen Übelstand, der ebenso schädigend wie unabänderlich er- schien, und dem Außenstehenden dünkte es kaum mehr als das Ergebnis eines natürlichen Existenzkampfes, wenn der Schwächere allmählich dem völligen Untergang entgegen ging. Adam Smith hatte den Ruin solcher Unternehmer als eine durchaus selbstverständliche Tatsache hingenommen, die hinter allen Vorteilen des von ihm befürworteten freien W^ett- bewerbes zurücktrete. Er hatte den Zustand vor Augen ge- habt, den im Jahre 1833 ein Sachverständiger als den herrschenden bezeichnete, wenn er erklärte*): „Das Mißgeschick vieler Leute in England ist dem wachsenden Wettbewerb zuzuschreiben. Wenn zu viel Leute in ein und dasselbe Geschäft gehen, dann muß natürlich der schwächere Teil zu Grunde gehen."

Betrachtete man also die Entwicklung der englischen In- dustrie als Ganzes, so galt das Wirken eines immer wachsenden Konkurrenzkampfes als die für das Gesamtbild der Organisation charakteristische Erscheinung. Alle Abweichungen, die sich scharfsinnigen Beobachtern, wie Mill z. B., ergeben mochten, erschienen notwendigerweise nicht als eine Widerlegung, sondern höchstens als vorübergehende Ausnahme einer Regel. Sie waren

^) Vgl. Tooke und Newmarch, Die Geschichte der Preise. Dresden 1862, S. 325. ^) Vgl. Report on Manufactures, die auf S. 774 unter Profits angegebenen Stellen, ferner auch qu. 9971, sub 3 d.

^) Vgl. Report on Manufactures, qu. 11 724. *) Vgl. ebenda, qu. 2004.

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bedeutsam genug, um die bisherige Analyse des freien Wett- bewerbes aus der individualistischen Unternehmerpsyche zu widerlegen, aber sie waren nicht geeignet, das Gesamtbild industrieller Organisation wesentlich zu verändern. So kam es, daß man jene Ausnahmeerscheinungen weder erschöpfend er- kannte, noch sie eingehend prüfte.

Das gilt in erster Linie von monopolistischen Unter- nehmervereinigungen, wie sie der englische Bergbau in verschiedenen Zweigen, teils lange dauernd, teils nur in kurzen Zeitepochen, im 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gekannt hat.

Jene ersten Abweichungen von der Wirksamkeit individuellen Wettbewerbs, unter dem Regime der Gewerbefreiheit, sind erst heute wieder dem wissenschaftlichen Interesse näher gebracht worden, indem sie als frühzeitliche Beispiele einer in der Gegen- wart immer stärker um sich greifenden großindustriellen Monopol- organisation erscheinen. Während sie in dem Gesamtbild der Großindustrie ihrer Zeit als kaum beachtete Ausnahmen ver- schwinden, figurieren sie als erste, wenn auch längst wieder zersprungene Glieder in der Geschichte moderner Kartelle und Trusts.

Die bedeutsamsten dieser monopolistischen Organisationen bilden die Verbände des nordenglischen Kohlenbergbaues.

2. Die monopolistischen Tereinigungen im englischen Berghau.

a) Die Blütezeit der englischen Kohlenkartelle.

Auch nach Auflösung der behördlich sanktionierten Kohlen- gilde von Newcastle hatte sich ein System gemeinschaftlicher Regelung des Kohlenverkaufs unter den Grubenbesitzern er- halten. Im Jahre 1665 fand „eine Versammlung der verschie- denen größten Kohlenhändler'' statt, auf der eine „Vereinbarung" bezüglich der Produktion und der Preise gefaßt wurde. ^) Allein die Gesetzgebung versuchte in der Folgezeit, wie uns bereits bekannt ist, auf das energischste, jegliche Vereinbarung der Grubenbesitzer, welche zu einer monopolistischen Kontrolle des Kohlenhandels führen konnte, zu unterbinden.

Das erste derartige Kartellverbot stammt aus dem Jahre

*) Vgl. Report relating to Goal. London 1871, Committee E., S. 9. Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. '

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171 J.^) Wenn man aus dem Inhalte desselben Schlüsse ziehen darf bezüglich der Zustände, welche zu jenem Erlasse führten, so scheint es in der Tat, daß die Verabredung vom Jahre 1665 keinen vereinzelten Fall darstellt, sondern zu den üblichen Er- scheinungen des nördlichen Kohlenhandels gehörte. Denn es werden in dem Gesetze von 1711 alle Kontrakte und Ver- einbarungen, schriftliche oder mündliche, zwischen Kohlen- besitzern usw., zum Zwecke der Monopolisierung von Kohle oder zum Zwecke der Abhaltung oder Verhinderung irgend welcher Personen, Kohlen zu kaufen, zu verladen, zu verschilfen oder zu veräußern, für ,, ungültig und ungesetzlich" erklärt. Vom 1. Juni 1711 ab sollte diese Bestimmung in Kraft treten^), und mit schwerer Strafe wurden diejenigen bedroht, welche nach dieser Zeit eine Verabredung der genannten Art „aufrecht" erhalten, fortführen, oder neu ins Leben rufen würden.

Es ist also klar, daß zu jener Zeit Vereinbarungen der Gruben- besitzer von Newcastle an der Tagesordnung waren. Über die folgende Zeit wissen wir wenig. Der letzte bekannte Kartell- vertrag^) der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammt aus dem Jahre 1725. Daß das Gesetz der Königin Anna, welches Georg I. im Jahre 1730 erneuerte, zunächst die Fortsetzung der Kartelle behinderte, ist anzunehmen. Diese Ansicht hat Rogers be- zweifelt.*) Er hat gemeint, die Sachverständigen, welche vor einem Verhöre von 1800 das Jahr 1771 als Anfangsjahr der Kar- telle angaben, hätten kein Gedächtnis mehr für die vorher- gehende Zeit gehabt. Diese Annahme ist unberechtigt. Denn es erschienen vor dem Ausschuß von 1800 Persönlichkeiten, von denen eine sogar seit dem Jahre 1755 im nördlichen Kohlen- handel tätig gewesen war.^) Was berechtigt uns, ihr Gedächtnis zu beschuldigen, wenn wir abgesehen von einem Gründungs- versuch vom Jahre 1768^) keine Tatsache kennen, die auf das Bestehen von Verbänden in den Jahrzehnten vor 1771 hinweist?

Während aber für das Bestehen eines Verbandes nur An-

») 9. Anne C. 28.

^) Vgl. The General Shop Book. London 1755, unter coal.

^) Vgl. M. Dünn, The coal Trade of the North of England. Newcastle 1844, S. 23.

*) Vgl. Rogers a. a. O., S. 616 A.

*) Vgl. z. B. Aussage des Mr. Thompson, Report on the Coal Trade. 23. Juni 1800, S. 13.

®) Vgl. Rogers a. a. O., S. 615 B. und Report 1871 relating to Coal Report Ey S. 3 des' Appendix.

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nahmen und Vermutungen vorgebracht werden können, vermag für die Nicht-Existenz eines Kartells in den Jahrzehnten vor 1771 eine wichtige Tatsache zu sprechen. Diese Tatsache ist: daß gerade der Verband des Jahres 1771, die „Limitation of Vends"', darauf zurückzuführen war, daß seit längerer Zeit ein den Grubenbesitzern lästiger Wettbewerb existiert hatte. Dieser Wettbewerb, bestehend in einer Konkurrenz neu erschlossener Gruben im Norden Englands, mußte zunächst stärker zur Ver- hinderung einer einheitlichen Organisation der Unternehmer beitragen, als die drakonischen Verbote der Gesetzgebung, welche heimliche Verabredungen nicht beseitigen konnten.

Vor allem kam in Betracht, daß der Kohlenhandel, der über Sunderland betrieben wurde, und der überhaupt erst seit 1654 existierte, zu Mitte des 18. Jahrhunderts bedeutende Dimensionen angenommen hatte. In der zweiten Hälfte der 50 er und in den 60 er Jahren des 18. Jahrhunderts wurden ferner eine ganze Anzahl von neuen Gruben in Betrieb gesetzt, dar- unter die berühmte Denton- und die Tanfield Moor coUiery.^) Vor allem aber steigerte sich die Produktion durch die An- wendung von Dampfmaschinen auf den Bergwerksbetrieb. Seit 1756 hatte die Dampfmaschine, vor allem durch die Bemühungen von Brown of Throkley, eine immer größere Verbreitung in dem nördlichen Grubendistrikt gefunden. Die technischen Fort- schritte, welche durch sie und andere Neuerungen in jener Zeit erreicht wurden, ,, brachten eine neue Ära, indem nun der Weg für die Ausbeutung der ergiebigen und wertvollen Gruben unter- halb von Newcastle und der tieferliegenden Lagerstätten am Flusse Wear geebnet war'. Mit Schrecken sahen dieser Ent- wicklung alle diejenigen zu, die früher, auf den Rat ihrer „weit- schauenden" Agenten, Grubenbesitz erworben hatten, welcher damals als äußerst gewinnbringend galt, der aber jetzt an Wert einbüßte. Die Familien Ravensworth, Strathmore und Wortley hatten seinerzeit diejenigen Distrikte gepachtet, in denen der damalige Stand der Technik eine rentable Förderung zuließ. Sie hatten damit den Grubenbesitz zu monopolisieren gehofft. Jetzt sahen sie, wie seit der Mitte des Jahrhunderts infolge technischer Fortschritte ganz neue Grubendistrikte aufkamen, die äußerst wertwolle Kohle förderten und bezüglich des Trans- portes weit günstiger lagen als die ihrigen. Die Produktion

*) Vgl. Dünn a. a. O., S. 17 und 23.

7*

100

dieser neuen Gruben mußte notwendigerweise zu einer preis- drückenden Überproduktion führen, und diese wieder die alten Grubenbesitzer ruinieren, welche in ihrem ..großen Eifer die Kohlendistrikte zu monopolisieren", sich mit ..langen kostspieligen Pachtverträgen" belastet hatten.^) Durch die fortschreitende Technik und die Produktionssteigerung einerseits, durch die Auffindung besserer Kohlenquantitäten andererseits war das Ge- setz vom abnehmenden Ertrage in einzelnen Distrikten der nördlichen Kohlenindustrie plötzlich suspendiert worden. Hier- unter mußten alle diejenigen leiden, welche an jener Suspension nicht teilnehmen konnten, also die Besitzer der alten Gruben, und dies um so mehr, als ja die Besitzer der neuen Gruben, gerade um das Gesetz vom zunehmenden Ertrage möglichst auszunutzen, ihre Bergwerke nun in vollsten Betrieb setzten. ^j In einer späteren Schrift wird uns der Wettbewerb, welcher eine Zeit lang zwischen den einzelnen Gruben herrschte, und der dann zur Kartellierung führte, folgendermaßen geschildert^): „Als mehr Kohlengruben unterhalb der Newcastler T3ne-Brücke geöffnet wurden . . . begann ein Wettkampf zwischen den alten und den neuen und verbesserten Gruben. Der Streit zwischen ihnen war lang, hart und verhängnisvoll. Es handelte sich darum, welche von ihnen sich, durch was für Mittel auch immer, des Marktes und der Versorgung des Publikums bemächtigen würde. Die Überlegenheit der neuen Bergwerke, sowohl be- züglich ihrer Produkte, wie ihrer Nähe zum Ufer war so groß und wurde noch durch die Dampfmaschinen so gesteigert, daß die schlechteren Gruben, um dem Wettbewerb Stand zu halten, zu Praktiken übergingen, welche so verdammenswert waren, daß sie nur durch die Notwendigkeit der Selbsterhaltung zu recht- fertigen sind. Aber nachdem dieser Streit einige Jahre lang ge- dauert hatte, wurden beide Parteien seiner überdrüssig, sie fanden es vernünftig und ratsam, ihre Interessen zu vereinigen, die Förderung jeder Grube zu regulieren und das Publikum zu ihren eigenen Preisen und gemäß ihrer eigenen Bequemlichkeit zu bedienen. So wurde ihre Vereinigung ein Monopol. Man kam

^) Vgl. Dünn a. a. O., S. 43.

*) Vgl. ebenda, S. 45 : „Die Dampfmaschine hatte eine direkte Verwendung für die Förderung von Kohle erhalten, was eine außerordentliche Steigerung der Produktion von Kohle möglich machte, und zwar solcher Kohle, welche in Qualität weit höher stand als die vieler alter Gruben." Für die Namen der neuen Gruben am Tyne und Wear außer den zwei obengenannten vgl. Dünn a. a. O., S. 44.

*) Vgl. R. Edington, A Treatise of the Goal Trade. London 1813, S. 57.

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überein, daß der Markt versorgt, aber nicht überladen werden sollte." Diese Darstellung findet ihre Bestätigung, wenn wir die Aussage des Mr. F. Thompson vor dem Ausschuß von 1800 vergleichen.^) Er war im Jahre 1768 Direktor einer Grube ge- worden, welche zu den wichtigen neuen Gruben gehörte. Als ihn nach einigen Jahren die Überschüsse der Grube nicht be- friedigten, teilte er den bedeutendsten Kohleninteressenten mit, „er halte es für dringend geraten, daß ein bestimmter Kohlen- preis festgesetzt werde". Die Ausschaltung des Wettbewerbs erschien ihm als wesenthche Voraussetzung für die Steigerung der Gewinne.

Es kamen nun auf seine Veranlassung Vertreter der Kohlen- grubenbesitzer von Sunderland die übrigens bis 1704 ihre Kohle über Newcastle versendet hatten und dann erst selb- ständig geworden waren 2) mit den Kohlengrubenbesitzern von Newcastle zusammen. Es wurden Versammlungen berufen und Vereinbarungen bezüglich der Preise und anderer Ange- legenheiten getroffen, die dann regelmäßig fortgesetzt wurden. So entstand im Jahre 1771 ein fester Verband, der zwar in keiner Weise eine direkte Fortsetzung der alten Gilde darstellte, der aber als die Wiederholung einer bereits früher, unter einer anderen Wirtschaftsordnung, bestehenden Organisation aufzufassen war.

Die Existenz dieses Unternehmerverbandes in der nordeng- lischen Kohlenindustrie, wie er mit Unterbrechungen von 1771 bis 1844 bestand, war an zwei Voraussetzungen geknüpft: ein- mal mußte es möglich sein, das Produktionsgebiet einem einheitlichen Zusammenwirken seitens der BeteiHgten zu unter- werfen, ohne daß Outsiders eine empfindliche Konkurrenz bereiteten, die Preise des Verbandes unterboten und seine Förderungsbestimmungen zwecklos machten. Hier war also das Bestehen eines Verbandes an die Monopolisierbarkeit der Pro- duktion durch die BeteiHgten geknüpft. Aber diese Voraus- setzung genügte nicht. Es war zweitens nötig, daß ein Ab- satzmarkt bestand, auf dem man „Hahn im Korbe" war, den man beherrschen und dem man die Preise diktieren konnte, weil andere Produzenten oder Produzentengruppen, sei es aus den übrigen Produktionsgebieten des Landes, sei es aus dem Auslande, hier keine nennenswerte Konkurrenz zu entfalten ver- mochten. Es war also zweitens die Existenz eines Unternehmer-

^) Vgl. Report on Goal, Juni i8oo, a. a. S. 14. ") Vgl. Rogers a, a. O., S. 616.

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Verbandes an die Monopolisierbarkeit des Absatzmarktes ge- bunden. Dieser leicht monopolisierbare Absatzmarkt war London und Umgebung.

Noch im Jahre 1800 zeigte es sich, daß an eine irgendwie bedeutende Konkurrenz anderer englischer Kohlendistrikte mit der Kohle von Newcastle auf dem Londoner Markt nicht zu denken war. Obschon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts neben Durham und Northumberland die nördüchen Grafschaften York- shire, Lancashire, Cumberland und Westmorland, die mittleren Grafschaften Nottinghamshire und Derbyshire und die westHchen Grafschaften Shropshire. Somersetshire, sowie auch Wales als bedeutende Produktionsstätten von Kohle galten^), war noch zu Ende des 18. Jahrhunderts der Bezug von Kohle aus diesen Gegenden für die Metropolis nur ein Notbehelf für die schlimmsten Zeiten. Die Höhe der Transportkosten war es, die eine wirklich bedeutsame Konkurrenz dieser Gebiete mit dem Kohlenhandel, wie er von Newcastle aus betrieben wurde, nicht aufkommen ließ. Der Ausschuß von 1800 betonte^), daß die mittleren so- wohl wie die westlichen Grafschaften einen Überschuß von Kohlenlagern aufwiesen, aber, „obschon kein gesetzliches Hinder- nis bestände, seien sie nur selten zur Versorgung Londons herangezogen worden."

Die wallisische Kohle diente so gut wie kaum dem Londoner Bedarf. Obschon der Export dieser Kohle seit den 80 er Jahren des 18. Jahrhunderts ganz bedeutend zugenommen hatte^), kam nur in Ausnahmefällen wallisische Kohle nach London, weil die Fracht von Swansea nach London im Vergleich zu derjenigen von Newcastle eine zu bedeutende war.*)

Mit dem Wettbewerb der binnenländischen Kohle auf dem Londoner Markte war es ähnlich bestellt. Weder Yorkshire noch Warwickshire oder Derbyshire noch überhaupt Distrikte, die für den Transport Binnenwasserstraßen zu benutzen hatten, konnten mit Newcastle im Absatz nach London konkurrieren. Versuche, Kohlen aus dem Binnenlande nach London zu trans- portieren, erwiesen sich nur allzuhäufig als unrentabel.'^) Ob- schon der Kanalbau in England seit den 70er Jahren des 18. Jahr-

^) Vgl. Shop Book a. a. O. Minerals. *) Vgl. Report, Dez. 1800, S. 16.

^) Vgl. Report, Juni 1800, S. 186. Der Export hatte im Jahre 1770 86 tons gegen 13 319 tons im Jahre 1799 betragen. *) Vgl. ebenda, S. 77. *) Report on Goal, Dezember 1800, S. 34.

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Hunderts starke Fortschritte gemacht hatte, war er doch noch in keiner Weise den Anforderungen gewachsen, welche regel- mäßige und bedeutende Kohlenverfrachtungen an ihn zu stellen hatten. Auf den bestehenden Kanälen waren die Wasserstands- verhältnisse derart, daß der Kohlenversand nur mit starken Unterbrechungen vor sich gehen konnte.^) Dabei bestanden hohe Schiffahrtsabgaben, welche den Wettbewerb mit der zur See transportierten Kohle empfindlich behinderten.^) Es kam hinzu, daß die Steinkohle, welche aus dem ßinnenlande stammte, sich in London zunächst in keiner Weise der Wertschätzung erfreute, welche die Kohle der nördlichen Küstendistrikte ge- noß.3) So kam es, daß zu Anfang des 19. Jahrhunderts nur in Zeiten großer Teuerung Kohle auf dem Wege des Binnentrans- portes nach London gelangte. So hören wir im Jahre 1801*), zur Zeit außerordentlich hoher Kohlenpreise, von einem „gro- wing feeling'', Kohlen aus den mittleren Grafschaften zu beziehen, ein Wunsch, welcher die Besitzer im Norden besorgt machte. Allein jene Besorgnis war zunächst noch überflüssig. Auch in den folgenden Jahrzehnten blieb ihnen noch ihr Monopol auf dem Londoner Markte gesichert. Freilich wurde die Grenze, bis zu der man jenes Monopol ausnützen konnte, ohne einen Zudrang von Kohle aus anderen Gebieten hervorzurufen, schon in den 20er Jahren etwas enger. Die Grubenbesitzer im Nor- den versuchten, nach der Aussage eines Sachverständigen, im Jahre 1830 ihren Preis stets etwas unter demjenigen zu halten, zu welchem eine Versorgung aus anderen Gegenden rentabel geworden wäre. Es kam aber vor, daß sie nicht richtig kal- kulierten. So wurde im Jahre 1828 ein Syndikatspreis festgesetzt, der augenscheinlich zu hoch gegriffen war, denn alsbald nahm die Kohlenzufuhr von Schottland, Wales und Yorkshire nach London zu, und das Kartell ermäßigte wieder den Preis. ^) Ge- rade dieser Umstand, daß ein Wettbewerb unter gewissen Um- ständen vorhanden war, wurde von den Verteidigern des Kohlen- kartells als Beweis dafür geltend gemacht, daß dieses kein Monopol bedeutete.^) Ein fadenscheiniger Beweis, den aber

^) Report on Coal, Juni 1800, S. 79 und 85. -) Ebenda, S. 80.

*) Der Report, Dezember iSoo, S. 16, erklärt, die Kohlen aus allen englischen Distrikten würden als „inferior" im Vergleich zu denen Newcastles und Sunderlands betrachtet. *) Vgl. Report on Coal, 1871. Report of Comm. E., S. 12. ^) Report on Coal 1830, S. 255. *; Vgl. Report on the State of the Coal Trade 1836, S. 12. „I do not consider

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unsere Kartell- und Trustfreunde noch heute anwenden, wenn sie an die Zahl der Outsiders usw. erinnern. Man mochte zu- geben, daß das englische Kohlenkartell kein absolutes Mono- pol besaß. Dies änderte jedoch nichts an der Tatsache, daß es bis zu einer gewissen Grenze eine monopolistische Stellung einnahm, nämlich so lange es die Preise nicht so hoch schraubte, daß anderweitige Versorgung rentabel wurde. Bis zu jener Preis- grenze, die bedenklich hoch war, blieb den nördlichen Gruben- besitzern auch noch in den 30er Jahren ein Monopol auf dem Londoner Markte, indem die Kohlenversorgung von den nörd- lichen Küstengebieten bei weitem die billigste war. In Zeiten niedriger Preise kamen binnenländische Kohlen überhaupt nicht nach London.^) Als in den Jahren 1833 und 1834 der Kohlen- preis einen außerordentlichen Tiefstand erreichte, gelangten im ganzen nur zirka 6000 tons binnenländischer Kohlen dorthin, während die Zufuhr von „maritimer" Kohle in jenen zwei Jahren zusammen über 4 Millionen tons betrug. Wie stark noch zu Mitte der 30er Jahre der Anteil der nord-englischen Gruben- distrikte an der Versorgung Londons war, zeigen folgende Zahlen. Es betrug-):

Die Zufuhr von Kohle nach London

in tons i 1832

1833

1834

1835

Zur See im ganze

davon aus:

Newcastle . . . . ' Westcastle Wallsend Sunderland .... Sunderland Wallsend

Stockton

Blyth

Yorkshire ....

n

=1

12139078

f ji 456 880

708 998

1 59 235

1 559 363

169 247

! 49 927

48 938

2010409

460 848 599 299

74 209 590 174 170 187

48 649 16 050 15138 28416 60 3 583

4395

2078625

774 835

667 538

55 959

501 321

221711

64 268

17 139

39 487

31025

446

2 487

1826

2298812

534 000

732 210

28 152

601402

229885

65 046

27 394

Schottland

Wales

1

49 579

38 644

1 195

1 0 1 74

40 955 35 420

aus verschiedenen Distrikter Gruskohle ....--

367 744

aus dem Binnenland

10742

1004

the present agreement can by any possibility be called a monopoly." Beweis: „Ein Monopol setzt meiner Ansicht nach voraus, daß der Verkauf einer Ware in einer Hand konzentriert ist. Wären wir im Besitze des ganzen Marktes und hätten wir keinen Wett- bewerber in Schottland, Yorkshire oder Wales, dann könnten wir Monopolisten werden."'

') Vgl. Report on the Goal Trade, Februar 1830 (House of Lords), S. 67.

^) Diese Zahlen sind zusammengestellt aus dem Report on the Goal Trade von 1836, S. 225 und 231 238.

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Diese Zahlen ergeben zur Genüge, welche Machtstellung bezüglich der Londoner Kohlenversorgung der nordengHsche Kohlendistrikt, an den Flüssen Wear, Tyne und Tees, einnahm. Von zirka 2300000 tons Kohle, die im Jahre 1835 nach London transportiert wurden, stammten allein zirka 2150000 tons aus jenem Distrikt, während die binnenländische Zufuhr 1000 tons, also eine minimale Bagatelle, betrug.

Die eigenartigen Absatzverhältnisse, welche die nordenglische Steinkohle auf dem Londoner Markt aufwies, boten die eine fundamentale Voraussetzung für die Kartellierung der nördlichen Grubenbesitzer. Die andere Voraussetzung war, daß man sich nicht durch den eigenen Wettbewerb die Möglichkeit einer Aus- nützung dieser eigentümlichen Marktverhältnisse wieder raubte. Wollten die Grubenbesitzer das Monopol, das ihnen bis zu einer gewissen hohen Preisgrenze gesichert war, zu ihren Gunsten ausnutzen, so durfte der natürliche Ausschluß des anderweitigen Wettbewerbes nicht durch einen rastlosen Wettkampf der nördlichen Grubeninteressenten selbst ausgeglichen werden. Um den Kohlenpreis so zu regeln, wie es für die Grubenbesitzer am denkbar günstigsten war. mußte man vor allem, anstatt sich zu unterbieten, gemeinsam und einheitlich eine Kontrolle über den Verkauf der Kohle führen. Erst dann konnte man jenen ,,fair price'' erzielen, den ein Interessent im Jahre 1830 ganz offen- herzig als denjenigen definierte^), „der ein wenig niedriger sei als der, zu dem der Konsument von andersher seine Kohle be- ziehen könne'". Das war denn auch die Erfahrung der Zeit von etwa 1770 1840: herrschte freier Wettbewerb zwischen den einzelnen Gruben, so zeigte der Preis die Tendenz, nach der Richtung der Produktionskosten herabzugehen; herrschte ein- heitliche, gemeinsame Regelung, so drängte der Preis unabhängig von den Kosten, zu denen produziert wurde, nach jener Grenze hinauf, bei welcher eine stärkere Zufuhr anderer Kohlendistrikte rentabel wurde.

Der Zweck jedes der zahlreichen Kartellverträge, welche seit 1771 in der nördlichen Kohlenindustrie geschlossen wurden, war denn auch: die Hochhaltung des Preises auf dem Londoner Markte. Hierzu bediente man sich verschiedener Maßnahmen. die in der jeweiligen Kartellorganisation, die man einging, zum Ausdruck kamen. Der Anlaß zu dem ersten wichtigen Ab-

') Vgl. Report von 1S30 (Commons), S. 254.

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kommen, dem vom Jahre 1771, ist uns noch in Erinnerung. WesentHch war, daß in jenem Jahre zum ersten Male nach einer längeren Zeit des Wettbewerbes Grubenbesitzer von Tyne und Wear sich zu einem Kartell zusammenfanden. Der Kartell- vertrag wurde im geheimen geschlossen, und sein Wortlaut ge- langte nicht in die Öffentlichkeit, da man fürchtete, es könnten gegen denselben die bestehenden Verbote monopolistischer ,, Kombinationen" in Anwendung gebracht und die Teilnehmer bestraft werden. ^) Schon jenes erste Abkommen aber zeigte eine Erscheinung, die sich wie ein roter Faden durch die Ge- schichte auch aller späteren Kohlenkartelle zieht: man war nämlich vor allem bedacht, denjenigen Gruben, welche minder- wertige Kohle besaßen und dieselbe zu hohen Kosten förderten, die Überschüsse durch eine Festsetzung der Preise zu sichern.

Es handelte sich also darum, daß sich die Schwächeren mit den Stärkeren zu gemeinsamem Vorgehen vereinten. Die Er- fahrung hatte gelehrt, daß bei freiem Wettbewerb zwar alle Gruben an Gewinn einbüßten, daß aber diejenigen Gruben durch ihn am meisten litten, ja zugrunde gerichtet wurden, welche minderwertige Kohlen produzierten.-) Wie der Aus- schuß von 1800 feststellte, waren es häufig gerade die Gruben, die minderwertige Kohle förderten, welche auch die höchsten Produktionskosten aufwiesen.^) Die Schachtanlagen waren bei ihnen teurer, und ihre Lage zum Ufer des Flusses ungünstiger als die der guten Gruben. Die billigst produzierenden Gruben hatten auch für die Anschaffung von neuerer Maschinerie ge- sorgt ,,und damit die Menschen- und Pferdearbeit reduziert*'.*) Auch besaßen sie bessere Ladevorrichtungen. •'^) Angesichts dieser Verhältnisse ist es klar, daß bei einem Wettkampfe der schlechten mit den guten Gruben das Los der ersteren bald entschieden sein mußte. In dem Maße nämlich, wie jener Wettbewerb auch den Preis der besten Kohle herabdrückte, wendeten sich die Käufer dieser Ware zu, die im Vergleich zu ihrer Güte jetzt die billigste wurde, während dann die schlechtere Kohle nur noch Preise erzielen konnte, die die hohen Kosten

') Vgl. Report von 1800 (Juni), S. 14.

*) Ebenda S. 15; auch S. 31.

') Ebenda (Dezember), S. 4. Auch Report, Juni 1800, S. 19; auch S. 29.

*) Vgl. Eddington a. a. O., S. 56 und 57.

5) Ebenda, S, 55.

107

der Förderung und des Transportes nicht mehr deckten.^) Wollte man also den Besitzern der minder günstig arbeitenden Gruben Überschüsse sichern, so mußte man vor allem die Förderung der besten Gruben auf ein gewisses, den Bedarf an Kohlen nur zum Teil deckendes Maß beschränken. Man konnte die Be- sitzer der besten Gruben für jene Förderbeschränkung dadurch entschädigen, daß man die Preise ihrer Kohle möglichst hoch ansetzte. Dies kam wieder den Besitzern der minderwertigen Gruben zu Gute. Denn der Absatz und Preisstand der schlech- teren Kohle hing ja wesentlich davon ab, ob eine Überlastung des Marktes mit guter Kohle bestand, oder ob dieselbe nur zu „Hungerpreisen" bezogen werden konnte. Hatte schon Gar- diner darüber geklagt^), daß es die Politik der Kohlengilde sei, neben der guten auch schlechte, ja „handelswidrige" Kohle zu verkaufen, so führte jetzt, fast anderthalb Jahrhundert später der Wunsch, auch der schlechteren Kohle Absatz und günstige Preise zu sichern, wieder zu neuen Kartellverbänden. Nach der soeben geschilderten Lage der Dinge konnte man das erwünschte Ziel nur erreichen, indem man einerseits die Preise so festsetzte, daß eine Abstufung derselben je nach der Qualität bestand, natürlich stets derart, daß für alle Qualitäten der denkbar höchste Preis festgelegt wurde. In dieser Weise konnte man den minder- wertigen Gruben diejenige Stellung sichern, welche nach der Rententheorie Produzenten inne haben, die zu den höchsten Kosten produzieren, deren Produktion aber noch zur Deckung des Bedarfs nötig ist.

Ein Sachverständiger, welcher selbst der Sekretär des ersten Kartells gewesen war, berichtete vor dem Ausschuß von 1800 etwas genauer über die Organisation des Verbandes von 1771: die Grubenverkäufe waren danach so geordnet, daß eine Klassifi- kation der Bergwerke je nach der Güte der Kohle, die sie förderten, aufgestellt wurde. Fünf der besten Gruben erhielten den größten Anteil am gesamten Kohlenverkauf für eine be- stimmte Zeit. Zwei weitere Gruppen erhielten einen geringeren Anteil zu tieferen Preisen. In der Regel unterschieden sich die Preise der verschiedenen Kohlenqualitäten um je 1 sh pro

*) Vgl. Report von iSoo (Juni), S. 30 und 31. „Die Schiffsbesitzer bevorzugen die bessere Kohle so sehr, daß die schlechteren Gruben nicht im Stande wären, ihre Kohle zu verkaufen, solange die besseren Gruben den Bedarf decken würden." Vgl. auch S. 15.

^) Vgl. Gardiner a. a. O., S. 50 und 205.

lOS

chaldron.^) Etwas Genaueres wissen wir von dem Kartell, das sich in den SO er Jahren des 18. Jahrhunderts als Fortsetzung des eben genannten bildete.

Das Kartell von 1771 hatte sich nämlich nur bis zum An- fang der 80er Jahre gehalten. Dann war es zusammengebrochen, und es hatte einige Jahre ein offener Markt geherrscht.^) Die Kohlenpreise waren in jener Zeit ebenfalls gesunken, was wohl als Folge der aufgelösten Produktionskontingentierung angesehen werden kann. Im Hafen von Rochester waren die Preise von durchschnittlich 27 sh im Jahre 17S0 auf 2.3 sh im Jahre 1785 herabgegangen. ^) Ob die Preise schließlich so tief waren, daß sie, wie behauptet wurde ^), nicht mehr die Produktionskosten einer Anzahl von Gruben deckten, ist natürlich nicht festzustellen. Zweifellos ist nur, daß die Mitte der 80 er Jahre für die nord- englischen Gruben eine Zeit der Überproduktion und sinkender Überschüsse war. ^)

Diese Zustände führten zur Wiederaufnahme der Kartellie- rung. Sie wurde allgemein damit verteidigte^), daß es sich darum handle, „eine Anzahl von Leuten, die an Gruben interessiert seien, vor dem Ruin zu retten" und einen weiteren Preisfall und das Stilllegen von Gruben zu verhindern. In den Jahren 1786 und 1787 kam dann das Kartell zusammen, welches mit Ausnahme weniger Monate viele Jahrzehnte hindurch fortbestand, und dessen Organisation auch in allen späteren Kohlenkartellen festgehalten wurde. Ein engerer, beratender Ausschuß des Kartells nannte sich Committee of the Goal Trade " ), die be- sondere Vereinbarung über die Produktion und den Preis von Kohle wurde Limitation of Vend genannt. Welches war nun der Inhalt jener Vereinbarung?^)

Vor allem einigte man sich über den Anteil, den die Gruben- distrikte am T3'ne und Wear an der Kohlenerzeugung haben sollten. Von der zu verabredenden Gesamtförderung sollte ^/j den Gruben am Tyne und ^'5 denen am Wear zufallen. Die Festsetzung des Preises war in der Methode derjenigen des

') Vgl. Report, Dezember 1800, S. 14.

-) Vgl. Report von 1836, p. VIII.

*) Ebenda von 1800, S. 187.

*) Ebenda, S. 20.

5) Vgl. Dünn a. a. O., S. 26.

*) Vgl. Report, Juni 1800, S. 21 und Dezember iSoo, S. 7.

') Ebenda, Juni 1800, S. 43.

*) Vgl. hierfür ebenda, S. 19 und 57; auch Report, Dezember 1800, S. 6 7,

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Kartells von 1771 gleich. Die Förderbeschränkungen waren ver- schiedener Art: einmal handelte es sich darum, daß alljährlich von dem Kartellausschuß das gesamte Produktionsquantum fest- gesetzt wurde, und darnach dem Tyne- und Wear-Distrikt nach dem Verhältnis von 3:2 ihr Quantum an der Förderung zuge- teilt wurde. Zweitens wurde die Förderung der einzelnen Gruben geregelt^ indem jede Grube ihren Anteil an der festgesetzten Ge- samtförderung jedes Distriktes erhielt. Man nannte das Gesamt- förderungsquantum jedes Distriktes, wie es alljährlich festgesetzt wurde: die Basis, das Förderungsquantum jeder einzelnen Grube ,,allotment". Dieses „allotment" richtete sich nach der „Leistungs- fähigkeit und anderen individuellen Umständen, welche die be- treffenden Gruben aufzuweisen hatten". Die Feststellung der jährlichen Basis geschah nach den Ergebnissen des vorjährigen Verkaufes, zu dem eine weitere fingierte Quantität hinzugerechnet wurde. Die ganze Förderungsquantität, die nun den beiden Distrikten zufiel, wurde dann auf die einzelnen Gruben je nach deren Lage und Art in Kontingenten verteilt. Förderte aber eine Grube mehr als ihr Kontingent erlaubte, so setzte eine eigen- artige Konventionalstrafe ein. Für jedes über das Allotment hinaus geförderte chaldron Kohle war beim Ablauf des Kartell- jahres eine bestimmte Summe an das Kartell zu entrichten. Es wurde dies von den Beteiligten ,,als eine Art Zugeständnis an die Gruben, die weniger als ihr Allotment verkauft hatten", auf- gefaßt^), ,. damit jene an den Profiten derer teilnehmen konnten, welche mehr verkauft hatten, als ihrem Kontingent entsprochen hätte". Da jedoch „die Kompensationsgelder nicht den Profiten entsprachen, welche durch einen über das Kontingent hinaus- gehenden Verkauf erzielt wurden", mußte man in Furcht sein, daß trotz jener Konventionalstrafen mehr Kohle von den einzelnen produziert würde, als dem Interesse der Gesamtheit entspräche. Deshalb bestimmte der oben genannte engere Ausschuß genau die monatliche Versendung der einzelnen Gruben. Jede Grube mußte bis zum ersten Mittwoch jeden Monats schriftlich ihren Kohlenversand angeben. Vielfach mußte der Agent der Grubenbesitzer die Angaben vor dem Magistrat eidlich be- kräftigen. Der Ausschuß setzte dann für jede Grube, je nach dem relativen Stand ihres Jahreskontingents ein Monats-AUotment fest. Hatte die Grube mehr gefördert, als dasselbe ausmachte.

^) Report, Juni 1800, S. 20.

HO

so wurde das -|- von dem nächsten Allotment abgezogen, resp. das hinzugerechnet, wenn eine Grube weniger als ihr Allot- ment gefördert hatte. Es wurden dann allmonatlich die Gruben von dem Stande ihres „Allotments" benachrichtigt, und diese Benachrichtigung sollte den Kohlenbesitzern eine Richtschnur bieten, „wie weit sie im nächsten Monat entsprechend ihrem Kontingent zu verkaufen hätten'-. Da der Ausschuß auf die Festsetzung der Strafgelder einen wichtigen Einfluß hatte, so mußte jene Benachrichtigung in praxi eine Art Mahnbrief sein, wenn irgendwo starke Unregelmäßigkeiten bezüglich des Förderungsquantums eintraten.') Auch scheint es in den 90er Jahren häufig vorgekommen zu sein, daß die monatlichen Kon- tingentierungen nach Maßgabe der jeweiligen Marktverhältnisse von dem Ausschuß festgesetzt wurden.^) Dies geht vor allem aus gewissen beglaubigten Briefen hervor, die der Parlaments- ausschuß von 1800 zum Abdruck brachte; einer derselben z. B. lautet^): „Da der Verkauf von Kohlen in diesem Monat weit größer ist, als man erwartete, hält der Ausschuß der Gruben- besitzer es für wichtig, die Verkaufsmenge zu vergrößern usw." In einem anderen Briefe des Sekretärs des Kohlenkomitees

heißt es:

Newburn, 24. November 1792. Geehrter Herr! Ich bitte Sie, bis zum 12. nächsten Monats keine Flathworth Kohle mehr zu verkaufen, da Sie schon in den letzten 14 Tagen, inklusive Freitag und Donnerstag über 1000 chaldron verkauft haben. Es steht außer Zweifel, daß Wallbotle*) die für fünf Wochen gewährte Menge erhalten wird, und wenn dies der Fall ist, so werden Sie einen beträchtlichen Ueberschuß über Ihr Kontingent (vend) auf- weisen.

Ich bin, geehrter Herr, Ihr ergebener

Thos. Taylor.

Diese und ähnliche Briefe zeigen deutlich, welche kon- trollierende Tätigkeit der engere Ausschuß des Kohlenkartells einnahm. Während eine Jahresversammlung aller Grubenbesitzer

1) Vgl. Report, Juni 1800, S. 43.

-) Ebenda, S. 48. Mr. Eddington, ein Gegner des Kartells, sagte vor Gericht eid- lich aus: „Wenn sie finden, daß zu viel Kohlen ncch London geschickt worden sind, daß der Markt schwach und der Preis im Fallen ist, dann bestimmen sie, daß im nächsten Monat eine geringere Menge verkauft werden soll."

*) Vgl. ebenda, S. 149 150.

*) Eine Grube desselben Besitzers, an den der Brief gerichtet ist.

111

die Produktionskonting^entierung im Großen vornahm, befaßte sich jenes Komitee, das übrigens auf gemeinsame Kosten ein Bureau und einen Sekretär hielt \), mit den Einzelverkäufen inner- halb des Jahres. Immer aber waren seine Funktionen doppelter Art: einmal hatte es die Aufgabe, die Gesamtproduktion nach Lage des Marktes zu regulieren, um eine Übersättigung des Marktes zu verhindern. Zweitens hatte es entsprechend den Festsetzungen der Jahresversammlung darauf zu achten, daß die Produktionsverteilung zwischen den einzelnen Gruben die gleiche blieb. Die Jahresversammlung bestimmte die Produktions- proportionen der einzelnen Gruben zur ganzen Förderung. Das Komitee wachte darüber, daß jene Proportionen beibehalten wurden, wie sich auch immer die absoluten Förderungsquanti- täten von Monat zu Monat ändern mochten. An Förderungs- steigerungen wie an Förderungsminderungen sollten demnach die einzelnen Gruben entsprechend dem ihnen gewährten Anteil an der Gesamtproduktion stets in gleicher Weise partizipieren. Die Verteilung der jährlichen Produktionskontingente, sowie die Anpassung derselben an die monatlich wechselnde Gesamt- förderung, entsprechend den einmal festgesetzten Proportionen, waren die schwierigsten Aufgaben des Kartells.

In dem Maße, wie die starken Elemente des Kartells, deren Kohlen unter allen Umständen einen guten Absatz fanden, nach einer Erhöhung ihrer Anteilsziffer drängten, die ungünstiger wirt- schaftenden aber dem entgegenstanden, konnten Konflikte inner- halb des Kartells nicht ausbleiben. Die „superior collieries" „förderten allgemein so viel, wie ihnen ihr Allotment gestattete ; aber es kam vor, daß sie um mehrere hundert chaldron über ihre monatliche Anteilsziffer (alloted proportion) hinausgingen''.^) Von den minderwertigen Gruben hören wir dergleichen nicht. Sie waren an einer Produktionssteigerung durchaus nicht in gleichem Maße interessiert, vor allem weil ja auch die festge- setzten Zubußen für ein Überschreiten des Kontingents ihre Überschüsse weit stärker belasten mußten als die der guten Gruben. Hier lag also die wunde Stelle der gemeinsamen Rege- lung der Kohlenproduktion.

Auch boten jene Schwierigkeiten des öfteren den Anlaß zu Konflikten, welche die Existenz des Kartells bedrohten. So

1) Vgl. Report, Juni 1800, S. 148. *) Vgl. ebenda, S. 137.

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wurde zu Mitte der 90 er Jahre der Kartellvertrag einige Monate hindurch aufgelöst ,, wegen Differenzen betreffend die Einteilung der Verkaufsmengen". Ebenso wurde im Dezember des Jahres 1799 keine neue Vereinbarung getroffen^), „weil einige Gruben, deren Basis bereits hoch war. dieselbe noch erhöhen wollten".

Allein jene Schwierigkeiten^) waren nie der Anlaß zu einer dauernden Auflösung des Kartells. Dieses bestand vielmehr in den ersten vier Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts weiter fort. Vorübergehend konnten kleine Konflikte den Bestand des Kartells erschüttern, so daß verschiedentlich wie z. B. im Jahre 1829^) die Preisvereinbarung und die Produktionskontingentierung während einiger Monate aufgelöst wurde. Der Preisfall aber, welcher in solchem Falle einzutreten pflegte, führte in kurzer Zeit eine neue Vereinbarung herbei, indem vor allem die un- günstig gelegenen Gruben wieder zu einem Zusammenschluß drängten.*)

Eine gewisse Gefahr drohte dem Kartell zu Anfang der 30 er Jahre. Der Grubendistrikt an dem Flusse Tees hatte durch die Eröffnung der Stocton- und Darlington-Eisenbahn seit dem Ende der 20er Jahre einen Aufschwung genommen und besonders durch den Bau der Bahn nach der Flußmündung den Versand von Kohle zur See stark gesteigert. Die Gruben am Tees aber waren zunächst dem Kartell des Tyne- und Weardistriktes fern geblieben und wurden von diesem .,ganz als Rivalen" ange- sehen.^)

Die Konkurrenz, welche durch diesen bedeutenden outsider entstand, mußte einen beträchtlichen Druck auf die Preise aus- üben. Dieser wurde am heftigsten, als im Jahre 1832 auch das Kohlenkartell am Tyne und VVear in die Brüche ging, und ein ., fighting trade" einsetzte.*^) Der Marktpreis der besten Kohle sank vom November 1832 von 20 sh 3 d auf 13 sh im Juni 1833.') Ob die von dem Ausschuß von 1836 vielfach ausgesprochene

^) Vgl. Report, Juni 1800, S. 44.

-) Auch der Parlamentsbericht des Report von 1836, S. 4, meint: „Die größte Schwierigkeit, welche das Kohlenkomitee aufweist, ist, die Parteien mit den ihnen zuge- wiesenen Anteilziffern am Gesamtverkauf zufrieden zu stellen."

3) Report von 1836, S. 8.

*) Vgl. Report von 1830, S. 17: „Als im Jahre 1828 die Regulierung des Verkaufs aufhörte und der Wettbewerb zunahm, fiel der Preis so tief, daß viele der am ungünstig- sten gelegenen Gruben mit Verlust arbeiteten."

^) Vgl. ebenda, S. 251.

*) Vgl. Report von 1836, S. 10.

') Vgl. ebenda, S. 67; auch S. il.

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Meinung, daß jener Wettbewerb und der damit Hand in Hand gehende Preisfall den schlechteren Gruben gänzlich die Über- schüsse raubte, richtig ist, läßt sich nicht exakt feststellen. Daß im allgemeinen die Klagen der Interessenten, welche die Lage der Jahre 1832 und 1833 als äußerst ruinös hinstellten, stark über- trieben waren, ist unzweifelhaft. Wir wissen ja aus den Erfah- rungen unserer Zeit, daß der Notstand zur Zeit des freien Wett- bewerbes stets von den Kartellteilnehmern als äußerst groß ge- schildert wird, damit auf diese Weise die Entstehung des Kartells als gerechtfertigt erscheine. Immerhin war die Lage vieler Gruben zur Zeit des „offenen Marktes" sicherlich weit un- günstiger, als sie zur Zeit der Kartellierung gewesen war. Noch in den 40 er Jahren dachte man mit Schrecken an jene zwei Jahre zurück, welche innerhalb von 70 Jahren die einzige längere Zeit freien Wettbewerbs und zugleich diejenige stärkster De- pression in der Kohlenindustrie gewesen waren. ^)

Wie es schon früher der Fall gewesen war, führte der allge- meine Konkurrenzkampf zu erneuten Kartellversuchen. Schon im Juli 1833 wurde auf einer Versammlung von Grubenbesitzern ein Beschluß gefaßt^), daß wieder „eine allgemeine Regulierung des Kohlenhandels festgesetzt werden sollte". Dem neuen Kartell, das im August 1833 zu Stande kam, traten am 1. März 1834 die Gruben des Tees-Distriktes bei.^) Jetzt war ein Kartell ent- standen, das mächtiger war als jedes frühere. Am Tyne und Wear war die Zahl der Outsiders äußerst gering. Nach den Schätzungen eines Sachverständigen betrug die theoretische Leistungsfähigkeit der Gruben am Tyne und Wear, die das Kartell bildeten, im Jahre 1836 zirka 8100 000 tons, die der Out- siders zirka 360000 tons.*) Dazu kam jetzt die Vereinigung mit den Gruben des Tees-Distriktes, von denen die Mehrzahl und die wichtigsten den Anschluß an das Kartell gesucht hatten."')

Die Verfassung des Kartells von 1833 unterschied sich im großen Ganzen nur wenig von derjenigen seiner Vorgänger. Zunächst handelte es sich um Festsetzung der Jahresbasis oder Grundziffer der drei größten Distrikte am Tyne, Wear und Tees,

1) Vgl. Dünn a. a. O., S. 236.

2) Vgl. Report 1836, S. 6. ^) Ebenda, S. 104 und 145.

*) Vgl. Report von 1836, S. 118.

^) Ebenda, S. 104 und 105. An dem Gesamtkohlenversandt jenes Distrikts von 357000 tons im Jahre 1835 waren die kartellierten Gruben mit 299000 beteiligt; auch Dünn a. a. O., S. 86 und 8.

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 8

114

sowie eines kleineren Distriktes, der jetzt seine eigene Basis erhielt. Diese Festsetzung diente wiederum nur dazu, den be- rechtigten Anteil der einzelnen Gruben an der Gesamtproduktion des Jahres zu gewinnen. So betrug im Jahre 1835 z. B.^):

Distrikt Die Basis in Newcastle chaldron

Tyne 939 000

Wear 585 000

Tees 160 000

Hartley, Cowpen, Netherton ... 68 750

Totalbasis 1 752 750

Neben dieser Festsetzung bestanden die monatlichen Pro- duktionsregelungen jetzt vierzehntäglich weiter fort. „Die Basis", so erklärte der Vorsitzende des Kohlenkomitees von Newcastle^), „ist eine fingierte Größe. Die Basis dient nur dazu, das Ver- hältnis festzustellen, nach welchem die Verkaufsmengen auf die einzelnen Gruben verteilt werden sollen. Die Grubenbesitzer kommen alle 14 Tage einmal zusammen, oder 26 mal im Jahr, und geben je nach dem Preise auf dem Londoner Markt die Menge an, welche verkauft werden soll, und welche dann auf die einzelnen Gruben verteilt wird." Diese Zusammenkünfte also bestimmten den tatsächlichen gewünschten Verkauf von Kohle. Es wurde den einzelnen Distrikten dann angegeben, daß sie in dem kommenden Monat pro Tausend ihrer Basis so und so viel Kohle verkaufen dürften. Im Jahre 1835 schwankte diese Basis in den einzelnen Monaten von 40 bis hinauf auf 85 pro Tausend. Im ganzen Jahre 1835 verhielt sich die Summe der Monatskontingente, die Vend, zu der ursprünglichen Basis wie 768 zu 1000, es waren nur 76^/5 7o der Basis tatsächlich den Grubendistrikten zugewiesen worden.^) Neben den Anteilziffern des Distriktes standen weiter diejenigen der einzelnen Gruben, auf die allmonatlich entsprechend ihrer Anteilziffer die zuge- lassene Verkaufsmenge verteilt wurde. Es wurde dann genau darüber Buch geführt, ob die einzelnen Gruben ihren Anteil überschritten hatten oder nicht, und die „Defizits" mit „short", die Überschreitung des Kontingents mit ,,over" bezeichnet. Illustrieren wir dies durch ein Beispiel.*) Die Basis für den Monat April 1836 war mit 65 pro Tausend festgesetzt. Es durften also

*) Vgl. Report von 1836, S. 54 ff. 2) Ebenda, S. i. ^) Ebenda, S. 52. *) Ebenda, S. 54 ff.

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von der für den Tyne-Distrikt festgesetzten Jahresbasis von 969 500 chaldron in jenem Monat 62 367^-2 chaldron verkauft werden. Weiter! Eine Grube des Tyne-Distrikts, namens Backworth, hatte eine Jahres-Anteilsziffer von 30 000 chaldron erhalten. Da sie im Monat April von dieser Anteilsziffer im Verhältnis von 65 zu 1000 verkaufen durfte, so betrug ihr Kon- tingent für diesen Monat 1950 chaldron. Für die Gesamtheit der 41 kartellierten Gruben des Tyne-Distriktes war nun im April 1836 das Ergebnis:

chaldron

Jahres-Basis 959 500

April-Basis nach dem Verhältnis 65 per 1000 . . 62 367V2 Überschreitungen einzelner Gruben im ganzen . 1 265

Defizit einelzner Gruben im ganzen 8 227^/2

Defizit des Gesamtverkaufs 6 962^/2

Für die Innehaltung der jeweils festgesetzten Produktions- kontingente war in verschiedener Weise gesorgt.') Die einzelnen Grubenbesitzer hatten für jede Grube einen Repräsentanten zu stellen, der mit der finanziellen Leitung der Grube Bescheid wissen und für iede Verletzung der Vereinbarung, sei es in der Produktion, sei es in Preisfragen verantwortlich sein sollte. Dieser Repräsentant in der Regel der Agent der Grube mußte dem Kohlenausschuß bekannt sein und mit ihm in Streit- fragen verhandeln. Der Ausschuß des Kartells wurde im § 16 des Vertrages ermächtigt „die Beteiligten oder deren Vertreter zu sich zu laden, ihnen Fragen vorzulegen oder Dokumente von ihnen zu verlangen, nach denen er beurteilen könnte, was zur vollen Durchführung der Vereinbarung zu geschehen hätte". Die Verweigerung der diesbezüglichen Aussagen war mit Konven- tionalstrafe bedroht. Für den besonderen Fall der Kontingents- überschreitung war im § 23 festgesetzt: „Jede Grube, welche ihr Kontingent um 100 chaldron oder ihre Basis um 2"/o über- schreitet, um eine Schiffsladung fertig zu stellen, soll für jeden derart überschüssigen chaldron 5 sh bezahlen (zur Wertab- schätzung dieser Summe vgl. die oben zit. Preise), und jeder derartige Überschuß soll von dem Kontingent der Grube im nächsten Monat abgezogen werden.'* Um aber jene Konven- tionalstrafe sicher zu stellen, hatte jedes Mitglied des Kartells als Pfand einen Sichtwechsel zu hinterlegen, welcher auf 20 £

Vgl. Report von 1836, S. 7 9.

8*

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pro 1000 chaldron seiner Basis lautete, und der in den Händen eines Treuhandausschusses verbHeb.

Aber nicht die Durchführung jenes Systems, welches ja nur eine Wiederholung früherer Systeme war, bildete die schwie- rigste Aufgabe des Kartells. Diese war vielmehr, daß tatsäch- lich der Zweck der Kartellierung erreicht wurde, den der Vor- sitzende des Kartells im Jahre 1836 dahin definierte^): ,,Den Verkauf der einzelnen Gruben je nach der Qualität ihrer Kohle und ihrer Leistungsfähigkeit zu verteilen." Das war nach der Aussage des Vorsitzenden, der über 30 Jahre lang im Kohlen- bergbau tätig gewesen war, stets die Aufgabe gewesen, welche sich die Kartelle gesteckt hatten. Über die Zweckmäßigkeit des oben geschilderten Systems hatte selten Uneinigkeit geherrscht. Selten hatte man darüber gestritten, wie die einmal festgesetzte „Limitation of Vend" durchzuführen sei, wohl aber darüber, nach welchen Gesichtspunkten die Verteilung bestimmt werden solle. Die Art der Preisregulierung, sowie das Prinzip, nach welchem unter gleicher Berücksichtigung aller Interessen eine „gerechte Kontingentierung durchgeführt werden konnte das waren die strittigen Punkte, das auch die zeitweiligen Reibungs- flächen in den Kartellen gewesen.

Es galt einmal die Preise zu regulieren und zwar erstens die absolute Höhe derselben zu fixieren, soweit dies in der Macht des Kartells stand, und zweitens die Preisrelation zwischen den einzelnen Kohlenqualitäten zu bestimmen. Die schlechten Gruben hatten dabei ebensolches Interesse an der relativen Preisdiiferenz der einzelnen Qualitäten wie an dem absoluten Stande des Preises. Die guten Gruben mit ihren besten Kohlen waren weniger an der Preisdifferenzierung als an der absoluten Höhe des Preises bester Kohle interessiert. Mittel aller Preis- regulierung war die Produktionskontingentierung. Auch hier bestand eine doppelte Aufgabe: um den Preis aller Kohlen in die Höhe zu treiben, war eine allgemeine Produktions- beschränkung je nach der Lage des Marktes nötig. Der relative Preis dagegen, d. h. der Preis der einzelnen KohlenquaHtäten hing davon ab, wie viel Kohle jeder Sorte dem Markte zur Verfügung stand. Je nachdem der Londoner Markt reichlich mit bester Kohle versorgt war, fand die schlechtere Kohle einen ungünstigen Absatz zu tiefen Preisen oder umgekehrt. Wollte

') Vgl. Report von 1836, S. i.

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man also die relativen Preise zu Gunsten der schlechten Gruben regulieren, so mußte man besonders darauf achten, daß das Produktionskontingent der guten Gruben möglichst eingeschränkt wurde.

Die einzelnen Grubenbesitzer innerhalb des Kartells hatten also neben den gemeinsamen auch Sonderinteressen. Den guten Gruben, die für ihre Kohlen stets Abnehmer fanden, lag daran, ein möghchst weites Kontingent zu erhalten und für Über- schreitung desselben möglichst milde behandelt zu werden. Die schlechten Gruben, die ihr Kontingent nur selten überschritten, sahen ihre Existenzmöglichkeit einzig in einer möglichst starken Beschränkung der Produktion der guten Gruben und in hohen Konventionalstrafen derselben. Richtig war es sicherlich wenn Mr. Brandling vor dem Ausschuß von 1836 erklärte^): „Es liegt im Interesse der Gruben mit niedrigen Kohlenpreisen, die Gruben mit hohen Preisen zu einer Steigerung derselben zu veranlassen, da sie dann ebenfalls eine solche vornehmen können." Aber neben diesem gemeinsamen Interesse an absolut hohen Preisen bestanden Konflikte scharfer Art bezüglich der Preisdifferenzen, und der Produktionskontingentierung der ein- zelnen Gruben.

Das Kartell der 30 er Jahre trug nun, soweit es möglich war, diesen Konflikten Rechnung und versuchte, eine größere Harmonie der Interessen herzustellen, als bisher vorhanden ge- wesen war. Während es früher den Grubenbesitzern selbst überlassen gewesen war^), Angaben über die Leistungsfähigkeit der Gruben und die Güte der Kohlen zu machen, wurden jetzt von dem Ausschuß Personen ernannt, welche als Grubeninspek- toren fungierten, die einzelnen Bergwerke nach ihrer Leistungs- fähigkeit einschätzten und hierüber im Komitee berichteten. So war das Komitee, ohne die einzelnen Besitzer zu einer Auf- deckung ihrer Geschäftslage zu zwingen, über die Produktions- kosten der einzelnen Gruben und die Qualität ihrer Kohle an- nähernd unterrichtet.^) Nach den Angaben der Inspektoren wurden dann von dem Ausschusse die Kontingente der einzelnen Gruben fixiert, wobei aber nicht allein der Ausschuß zu be- stimmen hatte, da „das Ganze Gegenstand von Verhandlungen

^) Vgl. Report von 1836, S. 11.

2) Ebenda, S. 43.

3) Ebenda, S. 2.

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zwischen den Grubenbesitzern und ihrem Komitee" war.^) Auch konnten die Grubenbesitzer ein Kontingent anfechten. Hierfür waren in dem oben genannten Statut ausführhche Bestimmungen getroffen. Jede Uneinigkeit wurde in solchem Falle zwei unpar- teiischen Schiedsrichtern übergeben, und wenn diese sich nicht einigten, so wurde als Dritter ein ..umpire'' ernannt.'-^) In einem großen Streite zwischen den Grubenbesitzern Lord Durham, Lord Londonderr}' und der Hetton Cy. eine Uneinigkeit, welche drei der wichtigsten Gruben am Wear betraf, bewährte sich jenes System mit durchschlagendem Erfolge.'';

An diese wichtigste Aufgabe des Kartells, der Festsetzung der Anteilsziffern, reihte sich weiter die Bestimmung der absoluten Größe der monatlichen Produktion, die Fixierung des allgemeinen Preisstandards und die Feststellung der Preise für die einzelnen Kohlenqualitäten. Für die Behandlung all dieser Fragen diente als grundlegender Maßstab: die Lage des Londoner Kohlen- marktes. Da in London die Engros-Käufer nördlicher Kohle sich zu einem Ring, pool, zusammengeschlossen hatten, so war es äußerst einfach, die Engros-Preisverhältnisse auf dem Londoner Markt zu übersehen. Außerdem hatte man eine direkte Ver- bindung zwischen dem Kartell und dem Ring in London ange- bahnt. An jedem zweiten Donnerstag übermittelte der Sekretär des letzteren dem Newcastler Kohlenkomitee einen Geschäfts- bericht.'*) Das Komitee, welches die Kohlenpreise ab Grube, sowie die Frachtsätze nach London kannte, konnte also aus den Londoner Preisen ohne weiteres die Überschüsse ermitteln, welche der Kohlenring jeweilig aus den schwankenden Markt- preisen zog. Der Preis in Newcastle war hingegen für ein ganzes Jahr festgesetzt und zwar so, daß der ,, Preis ab Grube und Fracht nach London" gerade etwas unter dem Preise stand, zu dem London sich von anderswo mit Kohlen versorgen konnte. Dieses war ja die Grenze, bis zu welcher, wie wir schon früher hörten, die Preispolitik des Kartells sich ausdehnte. Das Kohlenkartell war also, da es einen festen Jahrespreis aufstellte, an den Schwankungen des Preises in London nicht interessiert, soweit seine Preispolitik in

^) Vgl. Report von 1836, S. 6.

^) Die §§ 6 II des Statuts beschäftigten sich hiermit. Man vergleiche den doku- mentarischen Anhang.

*) Vgl. Report von 1836, S. 6. *) Ebenda, S. 29.

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Frage kam. Demgegenüber waren ihm, wie ein Sachver- ständiger es ausdrückte^), „die Preise in London der Führer für die Festsetzung der Verkaufsmenge". Sobald der Preis des Kohlenrings in London stieg oder sich über die Grenze hinaus- bewegte, die von dem Kartell als Wettbewerbspreis betrachtet wurde, so war dies ein Zeichen dafür, daß der Ring „über- mäßige" Profite einstrich, und daß der Londoner Markt mehr Kohlen als zuvor zu dem alten Preis verdauen konnte. Dann galt es, die Monats-Kontingente zu erweitern. Sank aber in London der Preis, so daß zu befürchten war, es könne der Kartellpreis nicht aufrecht erhalten werden, dann war es ange- zeigt, sofort eine Beschränkung der Förderung anzuordnen. Freimütig erklärte im Jahre 1836 der Sekretär des Komitees 2): „Wenn wir bemerken, daß auf dem Londoner Markte der Pool- Preis über denjenigen hinausgeht, den wir einen vernünftigen Durchschnittspreis nennen, nämlich den, der etwas tiefer ist, als derjenige, zu dem Kohlen aus anderen Distrikten bezogen werden können, dann geben wir eine große Fördermenge aus. Fällt der Preis unter diesen Stand, so verringern wir sie." Also: das Kohlenkartell nahm an den Preisschwankungen in London nicht in der Weise teil, daß es bald hohe, bald tiefe Preise ansetzte, sondern nur in der Weise, daß es entsprechend jenen Preisschwankungen die Produktionsmenge bestimmte und zu gleichem Preise bald mehr, bald weniger Kohle ver- sandte.

Das Bestehen des Kohlenringes in London, der übrigens schon aus den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts datierte^), war für das Kartell im Norden von großer Wichtigkeit. Vielfach wurde er von den Interessenten geradezu als eine Ergänzung des Kartells angesehen.*) In dem Maße, wie der Ring in Zeiten sinkender Nachfrage die Preise relativ hochzuhalten vermochte, ermöglichte er dem Kartell, die Schwankungen der monatlichen Förderfestsetzungen zu verringern; während ein Preissturz, wie ihn ein offener Wettbewerb der Engroskäufer mit sich gebracht hätte, jene Schwankungen noch intensiver gestaltet, ja vielleicht das ganze System des einheitlichen Jahrespreises unmöglich

1) Vgl. Report von 1836, S. 2. ^) Ebenda, S. 2.

^) Report, Dezember 1800, S. 9. *) Vgl. Report von 1836, S. 86.

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gemacht hätte. Ebenso hätte bei freiem Wettbewerb der Käufer in Zeiten starken Bedarfs die Gefahr bestanden, daß der Preis rasch in die Höhe geschnellt wäre und die binnenländische Konkurrenz ermutigt hätte, während bei gemeinsamer Verein- barung die Preis-Hausse verlangsamt werden konnte, so daß der nördliche Verband dem Mehrbedarf noch durch eine Stei- gerung seines Versandes zu Hilfe eilen konnte. Es lag also die Unterstützung des Kohlenringes im Interesse des Kohlen- kartells.

Bis zum Jahre 1830 war die Existenz des Kohlenringes durch die Gesetzgebung erleichtert worden. Diese hatte bestimmt, daß jeder Verkauf von Kohle im Londoner Hafen auf der Kohlen- börse und durch das Medium von Kommissionären zu geschehen habe.^) Hierdurch wurde erreicht, daß nicht die große Zahl der Kohlengroßhändler (etwa 150 in den 30er Jahrenj den Schiffs- eigentümern die Kohlenladungen abkaufte, sondern eine ge- ringe Zahl von Kommissionären, welche sich wiederum zu einem Ausschuß, dem genannten Kohlenring, zusammenschlössen. Im Jahre 1800 waren nur 14 Kommissionäre vorhanden, während die Zahl der Großhändler 28 betragen hatte. Mit Recht hatte der parlamentarische Ausschuß in jenem Jahre darauf verwiesen 2), daß „ein Monopol geschaffen worden sei dadurch, daß die Kapitäne und Schiffseigentümer von einer Einmischung in den eigentlichen Verkauf ausgeschlossen seien, indem nur die Kom- missionäre mit den Kohlenkäufern verhandelten''. Dieser Zustand war im Jahre 1807 durch ein Gesetz Georgs III. ^) rechtlich sanktioniert worden. Das Gesetz machte den Kohlenverkauf im Londoner Hafen von dem Verkauf auf der Kohlenbörse abhängig und bestimmte genau, wie das Geschäft vor sich zu gehen habe. Die Großhändler, die sich in ein Börsenregister eintragen lassen mußten, hatten bei jedem Kaufe das Kontraktbuch des Kom- missionärs zu unterzeichnen, in welchem die amtlich beglaubigte Kohlenladung der Schiffe verzeichnet war,^) Obschon die Zu- lassung der Kommissionäre keine besonderen Erfordernisse vor- aussetzte^), war doch ihre Zahl im Jahre 1830 erst auf 19'') ge-

1) Vgl. Report von 1830, S. 132.

2) Vgl. Report von 1800, p. IX. *) 47 Geo III. C. 68.

*) Vgl. Report von 1830, S. 150. *) Ebenda, S. 157. *) Ebenda, S. 170.

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stiegen. Die Kommissionäre, ein jeder für sich, schlössen die Käufe mit den Kohlenverfrachtern ab, einigten sich aber ge- meinsam über den Preis, zu dem den Großhändlern die Kohle anzubieten war.^) Im Vergleich zu den seit 1800 enorm ge- steigerten Kohlenverkäufen war aber die Zahl der Kommissionäre, die in London als erste Käufer fungierten, wenig gestiegen. Die Verkäufer der Kohlenladungen im Londoner Hafen, die Schiffs- kapitäne, standen daher einer sehr geringen Zahl von Käufern gegenüber, was natürlich die Machtstellung des Ringes bei den einzelnen Kaufabschlüssen bedeutend steigerte. Hätten die Ver- frachter direkt mit der weit größeren Zahl der Großhändler die Kaufabschlüsse machen können, so hätte der größere Wettbe- werb unter den Käufern sicherlich den Verfrachtern höhere Ge- winne gesichert. So mußten sie, wenn die Kommissionäre nicht von ihnen angestellt waren 2), mehr oder weniger den Mitgliedern des Ringes den Löwenanteil an den Überschüssen lassen, welche der Marktpreis über die Bezugskosten (Einkaufspreis und Fracht) abwarf.

Im Jahre 1831 wurde jedoch das Gesetz Georg IV., welches den Kommissionären jene Privilegien gewährt hatte, aufgehoben. Ein neues Gesetz'^), das im Jahre 1832 in Kraft trat, beabsichtigte den Kohlenhandel im Londoner Hafen von allen Beschränkungen zu befreien und beseitigte die Verpflichtung, durch Kommissionäre Kohlenladungen zu kaufen. „Der Kohlenhandel stand jedem, der an ihm teilnehmen wollte, offen".*) Damit war rechtlich das Institut der Kommissionäre beseitigt. In praxi war es freilich noch längst nicht aus der Welt geschafft. Das Kohlenkartell sorgte vielmehr für das Fortbestehen des Ringes. Es hatte ja ein bedeutendes Interesse an dessen Existenz aus den oben ge- schilderten Gründen: weil der Ring die Preise stetiger gestaltete, als es beim schrankenlosen Wettbewerb der Fall sein mußte. Jetzt war seit dem Jahre 1832 hingegen für jeden, der Kohlen kaufen wollte, die rechtliche Möglichkeit gegeben, diese direkt von den Verfrachtern zu beziehen, also ein Wettbewerb mit den Kom- missionären nicht ausgeschlossen. Allein, die rechtliche Mög-

^) Vgl. Report von 1830, S. 135. Aussage des Kommissionärs Bentley: „Wenn die Kommissionäre einmal den tatsächlichen Marktbedarf ermittelt haben, dann gehen sie zum Verkauf über und vereinbaren einen Preis."

^) Das kam anscheinend öfters vor. Vgl. Report von 1836, S. 31.

ä) I. und 2. G. IV. C. 76.

*) Vgl. Report von 1836, S. 31.

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lichkeit eines direkten Kaufs von Kohle, unter Umgehung der Kommissionäre, war nur möghch, wenn Grubenbesitzer oder Ver- frachter ebenfalls sich zu direktenVerkäufen bereit fanden. Jedoch dies war nicht der Fall.

Im § 27 des genannten Kartellstatutes verpflichteten sich die Mitglieder „streng an den Bestimmungen festzuhalten, welche die vereinigten Ausschüsse bezüglich des Verkaufs von Kohle in London durch Kohlen-Kommissionäre von Zeit zu Zeit erlassen" würden. Der Kern aber jener Pohtik lag darin, daß kein Mitglied des Kartells Kohlen direkt an Händler verkaufte, sondern nur durch Kommissionäre, sei es, daß diese geradezu von den Kartellmitgliedern angestellt wurden, oder mit ihnen lediglich in geschäftlichen Beziehungen standen. Ein Sachver- ständiger, Kohlengrubenbesitzer Mr. Brandung, zeigte durch seine Aussage im Jahre 1836 deutlich, wie sich die Kartell- mitglieder gegenüber Angeboten zu verhalten pflegten, die auf eine direkte Lieferung von Kohle hinauswollten. Selbst wenn eine sofortige Bezahlung seitens der Käufer versprochen wurde, waren die Mitglieder zu einem Verkaufe ohne Kommissionäre nicht zu bewegen, ..Kämen Sie in mein Bureau," so erkärte er dem parlamentarischen Fragesteller^), „und fragten Sie mich, ob ich Ihnen Kohle verkaufen will oder nicht, so würde ich sagen: ganz gewiß, das und das ist mein Preis, vorausgesetzt, daß Sie zu meinem Kommissionär gehen. Wollen Sie aber nicht durch ihn die Kohlen beziehen, dann mögen Sie Ihre Kohle sonst wo kaufen." Dem so Abgefertigten blieb dann noch die Möglichkeit, von den nicht kartellierten Grubenbesitzern, den Outsiders, Kohle zu kaufen, ohne einen Kommissionär zu beauftragen. Das wurde auch von einem Sachverständigen, der jenes Gebaren der Kartellmitglieder mit weniger großem Selbstbewußtsein als Mr. Brandung verteidigte, als ein Ausweg angegeben. ^j Allein es wurde ihm von dem Vorsitzenden des Ausschusses erwidert, daß die Zahl der Out- siders doch recht gering sei, und er mußte selbst in einem scharfen Kreuzverhöre zugeben, daß die Mehrzahl der Outsiders nur schlechte Kohle zu verkaufen hätte, so daß auch hier ein direkter Kauf mit Umgehung der Kommissionäre recht mangel- hafte Aussichten haben mußte. So behielt mit Hilfe des Kohlen- kartells der Ring der Engroskäufer in London auch nach Be-

^) Vgl. Report von 1836, S. 21. ^) Ebenda, S. 34.

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seitigung der Privilegien das Heft in Händen. Nach wie vor beherrschte eine geringe Zahl von Kommissionären, im Jahre 1836 nicht mehr als im Jahre 1830 ^), den Londoner Kohlen- markt, indem sie die Schiffsladungen einzeln aufkauften und dann nach gemeinsamer Preisvereinbarung die Kohlen den Großhändlern zum Verkaufe anboten.

Allein das Bestehen des Ringes und die damit verbundene Beschränkunof des Wettbewerbs unter den ersten Kohlenkäufern schien noch nicht in dem erwünschten Maße eine Stetigkeit auf dem Londoner Markte herbeizuführen. Ein starker Ostwind oder gute Seeverhältnisse z, B. bewirkten, daß an einzelnen Tagen eine große Anzahl von Schiffen im Londoner Hafen eintrafen und, wenn ihre Kohlenladungen sofort den Kommissionären zum Verkaufe übergeben wurden, so mußte dies notwendiger- weise den Marktpreis drücken.^) Traten dann wieder entgegenge- setzte Umstände ein, so konnte eine plötzliche Verzögerung der Schiffe die Preise wieder höher treiben, als es bei regelmäßiger und gleichmäßiger Versorgung der Fall sein mußte. Das Kohlen- kartell machte schon im Jahre 1834 den Versuch, eine Ein- schränkung der in dieser Weise möglichen Preisschwankungen vorzunehmen. Man wendete sich an den Kohlenring in London, dessen Mitglieder ja teilweise von den Grubenbesitzern abhingen, und forderte dazu auf, ein Abhilfsmittel vorzuschlagen.^) Die Kommissionäre faßten nun folgenden Beschluß, den das Kohlen- kartell durchaus billigte*): es sollte täglich nur eine begrenzte Zahl von Schiffsladungen im Londoner Hafen zum Verkaufe gelangen, und zwar sollte diese Zahl je nach dem Marktpreise wechseln. Die eintreffenden Schiffe wurden in ein Register ein- getragen und von den Kommissionären im Turnus zum Ver- kaufe angeboten. Die ersten 40 Schiffsladungen, welche so auf dem Register standen, wurden verkauft, wenn der Marktpreis der besten Kohle am Tage zuvor 21 sh pro Tonne betragen hatte; stieg er über 21 sh, so wurden je nach der Höhe, die der Preis erreicht hatte, am folgenden Tage 50, 60, 70 usw. Schiffe zum Verkauf gestellt. Dieser Beschluß wurde mit pein- licher Strenge durchgeführt. „Die Kommissionäre", so heißt es in dem Bericht von 1836, „sind mit der Durchführung ihrer An-

^) Vgl. Report von 1836, S. 31.

2) Ebenda, S. 75.

^) Ebenda, S. 31 und 32.

*) Ebenda, S. 29 und 33.

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Ordnungen sehr genau. Selbst wenn eine Flotte von 300 Segel- schiffen eintreffen sollte, so werden an einem Tage nicht mehr als 40 Schiffe zum Verkaufe angeboten, wenn der Preis am Tage zuvor tiefer als 21 sh gestanden hat. Die Kommissionäre füttern den Markt mit Kohlen in der Weise, daß der von ihnen vereinbarte Marktpreis nach Möglichkeit inne gehalten werden kann."

Zur Durchführung jener Maßnahmen bediente man sich der- selben Mittel, die wir schon oben erwähnt haben. Wenn es sich herausstellte, daß irgend ein Kapitän oder Schiffseigen- tümer an einem Tage mehr Schiffsladungen verkauft hatte als der Festsetzung durch den Ring entsprach, oder daß er den von dem Ring festgelegten Turnus nicht innegehalten hatte, so berichtete dies der Sekretär des Kohlenringes an den Sekretär des Kartells. Dieser bo3-kottierte dann den betreffenden Ver- frachter, und diese Gefahr genügte, um die Schiffseigentümer oder Kapitäne zur Beobachtung der Anordnungen des Kohlen- ringes zu veranlassen.^) Imm.erhin kamen auch Überschrei- tungen vor. Der parlamentarische Ausschuß von 1836 brachte einen solchen Fall zu ausführlicher Besprechung. Es wurde er- wiesen, daß im Jahre 1S35 tatsächlich zwei Schiffe eines Londoner Kohlenhändlers, die ..Olive Branche" und ,,Lavinia", von dem Kohlenkartell boykottiert waren, nachdem der Sekretär des Ringes, Mr. Scott, dem Sekretär des Kohlenkartells im Norden, Mr. Brandling, mitgeteilt hatte, daß die betreffenden Kapitäne die Bestimmungen der Kommissionäre bezüglich des Verkaufs- tumus verletzt hätten.

So bestand ein planmäßiges Zusammenarbeiten zwischen Kartell und Ring. Die Macht des Ringes drückte den Zwischen- gewinn der Verfrachter herab und bewirkte die dem Kartell er- wünschte Stetigkeit der Preise; sie bewirkte ferner, daß der Ring die Preise auf dem höchstmöglichen Stand, nämlich etwas unter dem anderweitigen Bezugspreis halten konnte. Das Kar- tell aber regulierte die Zwischengewinne der Faktoren, indem es das Angebot von Kohle je nach Lage des Londoner Marktes herab- oder heraufsetzte und damit den Londoner Marktpreis dem eigenen, jährlich festgesetzten Kartellpreis anpaßte. Die Möglichkeit hierfür bot die Monopolstellung des Kartells.

Wir sehen jetzt, warum das Kartell lediglich in seinen

*) Vgl. Report von 1836, S. 34 und 29.

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Produktionsziffern an den Schwankungen des Londoner Bedarfs teilnahm, nicht aber seine Preise je nach dem Preisstand des Londoner Marktes festsetzte. Da man den Preis in London im Durchschnitt des Jahres so reguHeren konnte, daß der Gewinn des Zwischenhandels nicht übermäßig war, und ferner starke Preisschwankungen innerhalb des Jahres vermeiden konnte, so war es für die Kartellverwaltung durchaus am bequemsten, lediglich einen Jahresdurchschnittspreis im Norden festzusetzen. Mochten die ,, großen" Mitglieder des Kartells, wenn sie durch- aus jedweden Zwischengewinn ausschalten wollten, ihre eigenen Kommissionäre in London halten. Für das Kartell als Ganzes hatte die einmalige Preisfestsetzung eine bedeutende Verein- fachung der Funktionen des Ausschusses zur Folge, während eine Preisregulierung entsprechend den Londoner Preisen eine Mühseligkeit gewesen wäre, welche der relativ geringe Zwischen- gewinn nicht ausgeglichen hätte.

Gerade in der Reduzierung des Zwischengewinns, den die Verfrachter wie die Kommissionäre machten, lag der große Vor- teil, den die Kartellierung den Grubenbesitzern brachte. In Zeiten freien Wettbewerbs im Norden waren es die Schiffs- eigentümer und Kapitäne, welche einen hohen Zwischengewinn erzielten. Der Kohlenpreis war ja in solchen Zeiten infolge des Wettbewerbes an den Gruben niedrig, und die Verfrachter hatten die Chance, billig einzukaufen und eine etwaige Steigerung des Bedarfs in London auszunützen. Weil dies der Fall war, finden wir auch, daß gerade in Zeiten freien Wettbewerbs die Grubenbesitzer selbst Schiffe übernahmen.^) Denn in solchen Zeiten reizte eben der hohe Zwischengewinn, der in der Ver- frachtung lag, zur Übernahme von Fahrzeugen, obschon die Grubenbesitzer im allgemeinen ungern das Risiko der Verfrach- tung übernahmen. In den Zeiten der Kartellierung jedoch konnte man die Möglichkeit eines großen Zwischengewinns, sei es der Verfrachter, sei es der Kommissionäre, so gut wie beseitigen; beide wurden mehr oder weniger zu einem Annex des Kartells.

') Vgl. Report von 1830, S. 7: „Wenn die Verkaufsregulierung (Kartell) nicht besteht und ein scharfer Wettbewerb, ein sogenannter Kampfzustand herrscht, dann mieten des öfteren Grubenbesitzer Schiffe und senden ihre Kohlen selbst zu Markt." Ferner Report von 1836, S. 16: „Die Grubenbesitzer sind im allgemeinen bedacht, ihre Kohlen von der Grube zu verkaufen und danach kein Risiko zu haben, und wenn der Handel gut ist, tun sie dies auch. Aber bei freiem Wettbewerb haben sie Schiffe selbst über- nommen und sie auf ihre eigene Rechnung nach London geschickt, zum Verkaufe durch die Kommissionäre."

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Diesem konnte es genügen, einen Jahrespreis festzusetzen und die Schwankungen des Londoner Marktpreises als Regulativ für die Produktionsbestimmungen zu benutzen.

Allein es blieb noch eine letzte Aufgabe für das Kartell übrig. Um den schlechteren Gruben und insbesondere denen, welche minderwertige Kohlen förderten, die Rentabilität zu sichern, genügte es nicht, den absoluten Preisstand der besten Kohle hochzuhalten und die Förderung der guten Gruben zu beschränken. Da es sich um die verschiedensten Kohlenquali- täten handelte, und gerade der Absatz der schlechteren Sorten von der Differenz der Preise guter und schlechter Ware abhängig war, so mußte man auch jene Differenz, also den relativen Stand der Preise zu regulieren suchen. Daher wurde von dem Kartell der Jahresdurchschnittspreis für die einzelnen Kohlenqualitäten ebenfalls einheitlich geregelt. Ähnlich waren ja schon die Kartelle zu Ende des 18. Jahrhunderts vorgegangen. Bezüglich des Systems der relativen Preisfestsetzung hatte sich in den 30 er Jahren des 19. Jahrhunderts nichts geändert. Man überließ es zunächst den Besitzern der besten Kohle, ent- sprechend dem herrschenden Marktpreise den Jahrespreis für ihre Ware zu bestimmen, dann forderte man hierzu die übrigen Grubenbesitzer auf. Dabei spielte natürlich der Einfluß sowohl des Komitees, wie derjenige unparteiischer Schiedsrichter eine bedeutende Rolle, und die genaue Kenntnis, welche das Komitee bezüglich der kartellierten Gruben besaß, machte eine genaue Kontrolle darüber möglich, ob die einzelnen Besitzer einen ihrer Kohlenqualität „entsprechenden" Preis genannt hatten, oder ob derselbe nach oben oder nach unten hin zu rektifizieren sei.^) Im allgemeinen boten sich bei Festsetzung der Preise geringere Schwierigkeiten als bei der Verteilung der Anteilziffer.^)

Man erkennt aus dem bisher Ausgeführten: Das Kohlen- kartell hatte sich seit den 70 er Jahren des 18. Jahrhunderts

*) Vgl. Report von 1836, S. 3. Aussage des Mr. Brandung: „Ehe die Vereinbarung unterzeichnet wird, fordert man diejenige Grube, -welche die beste Kohle fordert, auf, den Preis zu nennen, zu dem sie verkaufen will. Ist dies geschehen, so wird eine Grube der nächstbesten Qualität aufgefordert, ihren Preis zu nennen, natürlich nach Maßgabe des Preises der besten Kohle, der ja ihr bekannt ist. Ist der Preis nun, den sie festsetzt, im Vergleich zum vorigen Jahre und im Verhältnis zu dem Preise der besten Kohle tiefer, als er da sein sollte, wo der Wettbewerb mit der besten Kohle stattfindet, dann würde das Komitee die Grube auffordern, ihren Preis richtig (fair) festzusetzen, richtig nämlich im Verhältnis zur besten Kohle."

*) Ebenda, S. 2.

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organisatorisch immer enger zusammengefügt und stand zu Mitte der 30 er Jahre des 19. Jahrhunderts durchaus gefestigt da. Drei große Grubendistrikte hatten sich von wenigen Outsiders abgesehen zu einem Verbände zusammengeschlossen. Ver- frachter und Kommissionäre waren von diesem Kartelle abhängig und bezogen aus ihrer Tätigkeit keinen größeren Zwischen- gewinn, als ihnen das Kartell gönnte. Dieses regulierte den Großhandelspreis durch 14tägliche resp. 4wöchentliche Produk- tionsfestsetzungen. Hierdurch wurde eine allgemeine Gewinn- erhöhunof in der Kohlenindustrie bezweckt. Allein jener Vor- teil sollte allen Gruben, den günstig und ungünstig arbeitenden, in gleicher Weise zu Gute kommen. Daher wurde einmal: die jeweilige Erhöhung oder Ermäßigung der Produktionsziffer in einem bestimmten, nach der Leistungsfähigkeit festgesetzten Verhältnis auf die einzelnen Gruben verteilt. Zweitens verhin- derte man eine Konkurrenz zwischen den einzelnen Gruben, wie sie durch einen Preiskampf der einzelnen Qualitäten er- möglicht war, indem man sich über die Preisdifferenz der ein- zelnen Kohlensorten einigte. Das waren die wesentlichen Funk- tionen, welche das nordenglische Kohlenkartell während seiner Existenz seit den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts bis in die ersten vier Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinein auszu- üben hatte.

Aus der Entstehungsgeschichte und der Schilderung der Organisation des Kohlenkartells haben sich uns manche Tat- sachen ergeben, welche auch für die Beurteilung der Wir- kungen jenes Unternehmerverbandes bedeutsam sein können. So hörten wir, daß stets in der kartelllosen Zeit die Kohlen- preise einen starken Preisrückgang erfuhren, wir hörten ferner, daß das Kartell dem Schutze der schwachen, ungünstig arbei- tenden Gruben diente, und anderes mehr. Allein jene Tatsachen, so wichtig sie sind, können für die Beurteilung der Zweck- mäßigkeit oder UnzweckmäfMgkeit, der Vorzüge oder Nachteile jener Organisation zunächst wenig Anhalt bieten. Das Hoch- halten der Preise, wie man es dem Kartell zur Last legte, wurde von denjenigen, welche als Interessenten Aussagen machten, keineswegs bestritten. Wie aber in der heutigen Zeit, so wurde es auch damals damit gerechtfertigt, daß man lediglich solche Preise anstrebe, die einen „angemessenen" Gewinn zuließen, und bei denen auch noch die schlechten Gruben in Betrieb er- halten werden konnten. So argumentierte der Hauptzeuge vor

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dem Ausschuß vom Jahre 1800.^) Im Jahre 1836 bildete jenes Argument die Antwort, welche der Sekretär des Kohlenkartells auf die Frage gab, welche Wirkung die Aufhebung des Ver- bandes auf die Grubenbesitzer ausüben würde. ,,Es würde ein Konkurrenzkampf die Folge sein," antwortete er^), „der Wett- bewerb würde steigen, und die unmittelbare Folge ein Rück- gang der Preise sein. Wie lange dieser dauern würde, das müßte von den Wirkungen abhängen, welche er auf diejenigen ausüben würde, welche ihre Kohle zu den höchsten Kosten fördern. Das Publikum würde inzwischen sicherlich die Kohlen billiger erhalten, aber es würde eine Übertragung von Kapital und Arbeit von einem Distrikt nach einem anderen stattfinden, und dies würde den Besitzwert in diesem Distrikt stark affizieren."

Die Steigerung der Preise also, welche durch das Monopol möglich geworden war, wurde jetzt von den Interessenten nicht nur zugegeben, sondern geradezu verteidigt. Um jene Ver- teidigung auf ihren eigentlichen Wert hin zu prüfen, müßte man genau berechnen können, wie hoch der Preis der Kohle hätte sein müssen, um die Kosten der ungünstigsten Gruben noch zu decken. Eine solche Berechnung ist natürlich uns ebenso unmöglich, wie sie es den damaligen Parlamentsaus- schüssen war, da ja fast bei jeder Grube die Kosten verschieden und die Kohlenqualitäten ungleich waren. Es lassen sich nur einzelne allgemeine Schlüsse aus der großen Masse des beige- brachten Aussagematerials ableiten.

Sicherlich war es richtig, daß schon die Kartelle zu Ende des 18. Jahrhunderts dazu gedient hatten, durch eine Erhöhung der Preise diejenigen Gruben in Betrieb zu erhalten, welche aus den von uns früher dargelegten Gründen ungünstige Pro- duktionsbedingungen aufweisen. „Der Zweck der Regulierung," so schreibt der Ausschußbericht im Jahre 1800^), „wurde er- reicht, der Mißstand, gegen den sie sich richtete, beseitigt, der beklagte Rückgang der Preise aufgehoben und die Gefahren, welche die inferioren Gruben erwarteten, fern gehalten." Allein schon diesem Bericht drängte sich die Überzeugung auf, daß die Preishausse, wie sie in Zeiten der Kartellierung, also in der ganzen Zeit von 1771 mit Ausnahme des Anfangs der 80 er

1) Vgl. Report (Juni) 1800, S. 17 ff.

*) Report von 1836, S. 23.

^) Vgl. Report von 1800 (Dezember), S. 7.

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Jahre, geherrscht hatte, weit über das Maß hinausgegangen war, das die Berücksichtigung der Produktionskosten der schlechtesten Gruben gerechtfertigt hätte. Der Bericht kam daher zu dem Resultat^), daß eine „beträchtliche Preiser- mäßigung noch einen angemessenen Nutzen für jeden Teil des Kohlenhandels zulassen" würde.

Ähnlich lagen dann die Verhältnisse zu Ende der 20er Jahre und Mitte der 30er Jahre. So schrieb der Ausschußbericht vom Jahre 1830^^): „Es ist richtig, daß die Anwendung der Dampf- kraft und der Gebrauch der Sicherheitslaterne es ermöglicht haben, auch aus solchen Gruben Kohlen zu fördern, welche bisher verlassen worden waren; obschon aber auf diese Weise Kohle gefördert wird, welche sonst verloren wäre, so gilt doch der Prozeß, durch welchen man sie fördert, als so kostspielig, daß er erst bei einem höheren Marktpreis rentabel wird." Das Gesetz vom abnehmenden Ertrage also war es, welches für die minderwertigen Gruben die hohen Preise zur Voraussetzung ihrer Existenz machte. Aber auch hier erhob sich wieder die Frage: sind die Preise nicht über die Grenze hinaus ge- trieben worden, wie sie durch die Produktionsverhältnisse der ungünstig arbeitenden Gruben gegeben waren? Der Parla- mentsbericht antwortete : „Es ist klar, daß die Preise, welche von den Grubenbesitzern als diejenigen bezeichnet worden sind, die sie bei bestehender Produktionsregulierung zu fordern be- reit sind, nicht in allen Fällen die niedrigsten sind, welche noch einen angemessenen Ertrag bringen, sondern vielmehr die höchsten, welche sie angesichts des Wettbewerbs, dem sie ausgesetzt sind, aufrecht erhalten können."

Die Untersuchungen des Jahres 1836, ja gerade die Aus- sagen der Interessenten selbst bekräftigen diesen Satz. Wir haben mehrfach darauf verwiesen, daß es das von den Inter- essenten energisch festgehaltene und offen von ihnen bekannte Prinzip war, den Kohlenpreis in London so hoch zu halten, wie es ohne Steigerung des anderweitigen Wettbewerbs möglich war. „Das ist der Preisstand, nach dem wir streben, und nach dem wir zu streben berechtigt sind," erklärte der Kartellsekretär ^)

') Vgl. Report von Dezember 1800, S. 7 u. 17.

^) Vgl. Report von 1830, S. 17.

') Vgl. Report von 1836, S. 12. Vgl. ebenda S. 13, Frage: „Es ist doch wohl richtig, wenn ich annehme, daß das Maß Ihres Selbstschutzes bis zu dem Preis geht, bei dem in London der Bezug von anderswo rentabel wird?" Antwort: „Jawohl." Frage:

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 9

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im Jahre 1836, und als man ihn erstaunt fragte, ob denn dies nicht ein monopohstisches Gebaren sei, da erwiderte er: ,, Keines- wegs; ich gebe zu, daß wir ein Kartell (combination) sind; aber wir sind ein Kartell von Besitzern, die den Preis ihrer Ware hochhalten wollen in derselben Weise, wie eine Vereinigung von Arbeitern den Preis ihres Besitzes, ihrer Arbeit, hochzu- halten bestrebt ist." Damit aber gab der Sachverständige ja zu, daß es nicht die Rücksicht auf einen „angemessenen" Profit war, die die Preispolitik des Kartells bestimmte, sondern im Gegenteil die Rücksicht auf eine möglichst starke Preissteige- rung innerhalb der Grenze, in der man das Monopol besaß.

Angesichts dieser Tatsache konnte man schwerlich die Preispolitik des Kartells damit verteidigen, daß es lediglich zum Schutze der minderbegünstigten Gruben hohe Preise anstrebte. Denn das Kartell regulierte ja seine Preise nicht nach dem Stande der Produktionskosten oder zum mindesten nicht allein nach deren Stande, sondern in erster Linie in Rücksicht auf den höchstmöglichen Preis, den man überhaupt erzielen konnte, ohne sich der steigenden Konkurrenz anderer Distrikte auszu- setzen. So war also die Preispolitik des Kartells auch dann nicht zu rechtfertigen, wenn man es als wünschenswert an- nahm, daß ein relativ höherer Preis als der der freien Konkurrenz zum Schutze der ungünstig rentierenden Gruben erzielt werde. Selbst wenn man von diesem Standpunkte ausging, also nur das Interesse derjenigen Produzenten berücksichtigte, welche unter hohen Kosten arbeiteten, konnte man sich dem Schlüsse nicht entziehen, daß es die Tendenz jener monopolistischen Vereinigung war, die Preise, gleichviel welches die Produktionsverhältnisse waren, auf dem denkbar höchsten Stand zu halten. Das Kohlen- kartell war in seiner Preispolitik etwa so zu beurteilen wie viele unserer heutigen zollgeschützten Kartelle. Auch deren Vertreter behaupten oft, es würden solche Preise angestrebt, bei denen auch die schlechtesten Werke noch rentieren könnten, während sich in Wirklichkeit die Preispolitik strikte nach den Einfuhr- preisen richtet, indem man das durch die Zölle gegebene Monopol dazu benutzt, den heimischen Preis um den Betrag des Zolles über den Weltmarktpreis zu halten.

„Solange Sie innerhalb jener Grenze bleiben, können Sie den Londoner Preis kontrol- lieren?" Antwort: „Wir können den Londoner Preis soweit kontrollieren, daß wir den Preis unserer Kohle bis zu jenem Stande treiben können." Dies sei auch das Bestreben des Kartells.

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Selbst wenn man also das Gebaren des Kartells lediglich vom Standpunkte seiner eigenen Vertreter aus betrachtete, mußte sich ergeben, daß die Preisregulierung weit mehr Be- reicherungspolitik als lediglich Selbsterhaltungspolitik gewesen war. Wie aber mußte das Urteil über das Kartell und seine Wirkungen ausfallen, wenn man neben dem Interesse der Pro- duzenten auch das Interesse der großen Masse der Konsumenten berücksichtigte? Diese hatten ja in den erhöhten Preisen die Prämien für die Erhaltung der zu hohen Kosten arbeitenden Gruben zu zahlen. Das Argument der Kartellverteidiger lautete in dieser Frage ^): „auch die Konsumenten sind durch das Kartell begünstigt worden; denn wären die Preise durch den allgemeinen Wettbewerb gesunken, so wären jene schlechten Gruben nicht in Betrieb erhalten worden, und der Ausfall ihrer Produktion hätte eine Knappheit an Kohlen hervorgerufen, welche die Preise wieder in die Höhe, ja weit höher getrieben hätte, als sie unter dem Regime des Kartells gewesen sind."

Daß dieses Argument ein sehr schwacher Trost für die Konsumenten war, wurde durch die Enquete des Jahres 1836 nur allzu deutlich erwiesen. Da der Preis zur Zeit der Kartel- lierung auf dem Niveau zu stehen pflegte, bei dem der Bezug aus anderen Distrikten in London rentabel wurde, ja oft (z. B. 1828) noch -über dieses Niveau hinausschnellte, so hätten wohl ohne das Bestehen des Kartells die Preise kaum wesentlich höher steigen können. Was das oben genannte Argument aber selbst betrifft, so boten natürlich die Zwischenräume, in denen ein freier Markt bestand, keine Möglichkeit, die Richtigkeit jener Erwartungen zu prüfen. Denn da der freie Wettbewerb nur wenige Monate, höchstens ein Jahr anzudauern pflegte, wurden in solchen Zeiten nicht nur keine Gruben stillgelegt, sondern im Gegenteil der Konkurrenzkampf unter starker Erhöhung der Produktion durchgeführt. Wie sich die Gruben mit schlechten Kohlen auf die Dauer mit dem Sinken der Preise abgefunden hätten, läßt sich nicht feststellen. Denn der Konkurrenzkampf führte ja stets nach kurzer Zeit zu der Erneuerung des Kartells, Daß aber der Preis, wie er in solchen Zeiten freien Wettbewerbs herrschte, die Produktionskosten vieler Gruben nicht mehr deckte, wurde auch von den Gegnern des Kartells nicht bestritten.^)

») Vgl. Report von 1836, S. 8. 2) Ebenda, S. 11,

9*

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Wie stand es aber mit den Gruben, die gute Kohle förderten?

Nach der Aussage des Mr. BrandUng war die Differenzierung der Produktionskosten so groß, daß einzelne Gruben Kohle zu 13 14 sh pro chaldron, andere zu 23 sh förderten.^) Da der Preis der besten Kohle im Jahre 1836 am Tyne 26 sh, am Wear 28 sh 6 d betrugt), so erkennt man, welche Differentialrente die Gruben, welche die beste Kohle zu tiefen Kosten för- derten, beziehen mußten. Ein Besitzer einer solchen Grube, der sich über die ihm zuteil gewordene Produktionsbeschränkung anscheinend geärgert hatte, erklärte, daß dieÜberschüsse aus seiner Produktion ,,über das Maß eines anständigen Nutzens gesteigert worden wären". Ja, er hatte gegen die starke Erhöhung der Preise und die damit Hand in Hand gehende Produktions- beschränkung protestiert, da es ihm rentabler schien, daß seine Grube eine größere Menge Kohlen zu niedrigeren Preisen ver- kaufte.^) Von denjenigen Gruben also, welche gute Kohle för- derten, hätte ein Rückgang der Preise auf das Niveau, das vor der Kartellierung (im Jahre 1823) herrschte, also ein Preisstand von 22 23 sh, nur diejenigen mit den höchsten Kosten empfind- lich treffen können. Selbst die Gruben mit mittleren Produktions- kosten hätten bei solchen Preisen noch Überschüsse erzielt. Nun gab es freilich auch Gruben, deren Kohlen selbst zur Zeit des Kartells keine höheren Preise als 15 18 sh pro chaldron er- zielten.*) Daß diese Gruben, wenn sie nicht zu den allernied- rigsten Kosten produzierten, durch ein Sinken der Preise empfind- lich getroffen worden wären, stand außer Zweifel. Allein es erschien nach den Ergebnissen des Ausschusses von 1836 un- zweifelhaft, daß die Leistungsfähigkeit der Gruben, welche gute Kohle zu niedrigen Kosten förderten, so groß war, daß diese Gruben beim freien Wettbewerb wohl im Stande gewesen wären, die bestehende Nachfrage vollauf allein zu decken. Mit anderen Worten: es hätte der Fortfall in der Förderung schlechter Gruben durch eine erhöhte Produktion der guten Gruben er- setzt werden können, wenn deren Leistungen nicht künstlich durch die Limitation of Vend beschränkt worden wären.

Nach den Schätzungen des Mr. Buddle, eines Grubeninspektors und Fachmanns, war die jährliche theoretische Leistungs-

^) Vgl. Report von 1836, qu. 166.

*) Ebenda, qu. 821 und 1999.

*) Ebenda, qu. 2405 und 2431.

*) Vgl. die ausführliche Preistabelle auf S. 53 (ebenda)

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fähigkeit der kartellierten Gruben in der Zeit von 1829 1836 bedeutend gestiegen. Diejenige der Gruben am Tyne und Wear hatte sich von 5887000 tons im Jahre 1829 auf 8123 000 tons im Jahre 1835 gehoben. Die Erschließung neuer Gruben und technische Verbesserungen hatten zu diesem Resultat bei- getragen. Der vermehrten Leistungsfähigkeit aber standen tatsächlich geringere Leistungen gegenüber. Der Kartellverkauf war im Jahre 1835 sowohl am Tyne wie am Wear niedriger als im Jahre 1830, nur am Tees, dem weit unproduktiveren Kohlen- distrikt etwas höher. Während die theoretische Leistungsfähig- keit am Tyne und Wear im Jahre 1836 auf 8 123 000 tons ge- schätzt wurde, betrug der tatsächliche Kartellverkauf nur 3495000 tons.^) Gute Gruben, deren Leistungsfähigkeit zirka 150 000 tons im Jahre betrug, erhielten von dem Kartell ein Kontingent von 110000 tons.^) Unparteiische Kenner der Produktionsverhältnisse im Norden, wie z. B. der frühere Grubenbesitzer M. Wood, er- klärten^) vor dem Ausschusse, daß die Zahl der leistungsfähigen Gruben mit guten Kohlen so groß, und deren Produktions- kosten so niedrig seien, daß sie den Markt ausschließlich versorgen könnten und zwar zu solchen Preisen, welche ihnen Überschüsse lassen würden, aber die schlechteren Kohlen vom Markte vollständig ausschließen würden.

So wurden die Argumente, mit denen einzelne Interessenten die Zweckmäßigkeit der Kartellpolitik zu beweisen suchten, mehr und mehr zu fadenscheinigen Ausflüchten herabgedrückt. Die Erhaltung der Gruben, welche minderwertige Kohle förderten oder zu hohen Kosten produzierten, war nur unter einer ganz außerordentlichen Reduzierung der Gesamtförderung möglich, oder nur dadurch, daß man einen großen Teil der besten Kohle vom Markte fernhielt. „Die Hauptwirkung des Kartells (regu- lation)", so erklärte ein mit der Preispolitik des Komitees unzu- friedener Grubenbesitzer*), „ist die, daß dem Markte schlechte Kohlen aufgezwungen werden, Kohlen, deren Förderung beim freien Wettbewerb für den Produzenten nicht lohnend sein würden." Die alten Mißstände, welche schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts Ralph Gardiner mit Energie angegriffen hatte, bestanden fast zwei Jahrhunderte später noch unentwegt fort.

^) Vgl. Report von 1836, S. 15.

*) Ebenda, qu. 2013.

^) Ebenda, qu. 2008.

*) Ebenda, qu. 1981.

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Es schien nur eine Wiederholung seiner Klagen, wenn der Aus- schußbericht vom Jahre 1836 die Ergebnisse der Enquete fol- gendermaßen formulierte^):

„Das Resultat ist, daß in der Gegenwart die große Majorität der Grubenbesitzer an den Flüssen Tyne, Wear und Tees sich kombiniert hat, augenscheinlich zu dem Zwecke, die Versorgung des Londoner Marktes einzuschränken; hierdurch soll der Preis für den Konsumenten höher geschraubt werden, als „ein freier Handel" es bewirken würde. Eine größere Menge schlechter Kohlen wird dem Markte aufgedrungen und zwar zu Preisen, wie sie nur durch eine solche monopolistische Vereinigung (combination) aufrecht erhalten werden können."

Während so der englische Konsument zugunsten von ein- zelnen Grubenbesitzern für seine Kohle einen Teuerungspreis bezahlen mußte, wurde andererseits dieselbe Kohle zu weit tieferen Preisen an das Ausland abgegeben. Es war ja ganz natürlich, daß sich die günstig arbeitenden Zechen, die die Ein- schränkung der Produktion am schwersten empfanden, dadurch schadlos zu halten suchten, daß sie einen Teil ihrer bisherigen Förderung ans Ausland abstießen. Der Export nach dem Ausland wurde von dem Kartell nicht reguliert. Jede Grube durfte so- viel exportieren, wie sie wollte. Obschon man sich beim Export mit tieferen Preisen begnügen mußte als beim inländischen Ab- sätze, erschien doch denjenigen Gruben, die ihre Förderung zu steigern suchten, die Ausfuhr als das geeignetste Mittel, die Unannehmlichkeit einer niedrigen Anteilsziffer abzuschwächen ; es wurde berichtet^), daß Kohle oft um 4 6 sh pro chaldron billiger ans Ausland verkauft wurde, als der jeweilige von dem Kartell fixierte Inlandspreis war, indem Produzenten mit niedrigen oder mittleren Förderkosten auch bei solchen Preisen noch einen beträchtlichen Nutzen erzielten. Nach den Angaben eines späteren Parlamentsberichtes kam es vor, daß nordenglische Kohle in Petersburg 40 "/o billiger war als an der Themse.^)

Es ist erklärlich, daß immer, wenn nach einer kartelllosen Zeit die Kohlenpreise von neuem stiegen, unter den Konsu- menten eine heftige Bewegung entstand, die das neue Kartell als „ungesetzliches Monopol-' und dergleichen hinstellte. Das Kohlenkartell in Newcastle ward nicht weniger angefeindet als

') Vgl. Report von 1836, S. 15.

*) Ebenda, qu. 2099 2102.

^) Vgl. Report von 187 1 a. a. O., S. 12.

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etwa heute ein Petroleumtrust oder unsere Kohlenkartelle. Auch in den 30 er Jahren galt das Kartell am Tyne und Wear bei den Konsumenten allgemein als „illegal combination".'^) Obschon ja seit 1826 Koalitionen der Arbeitgeber gesetzlich erlaubt waren, hatte doch die Praxis des gemeinen Rechts in England seit frühester Zeit den Grundsatz aufgestellt, daß alle „Verträge, welche eine Behinderung des Handels bezweckten'', „contracts in restraint of trade", ungesetzlich seien. Im Jahre 1793 war daher auch eine Klage gegen das Kartell anhängig gemacht worden, die in York verhandelt werden sollte, aber tatsächlich nie zur Verhandlung kam.

Auch die Untersuchungen, welche der Parlamentsausschuß des Jahres 1836 anstellte, waren zum Teil durch Petitionen der Grafschaft Middlesex und der Einwohner von Westminster hervorgerufen worden. Der Ausschußbericht konstatierte, daß die Klagen der Konsumenten über das bestehende Kohlenkartell und seine monopolistische Politik nicht unberechtigt seien. ,,Es kann die Frage entstehen", so schrieb der Bericht^), „ob die Besitzer der Kohlengruben, die sich zusammentun, um zu ver- hindern, daß Kohlen billiger auf den Markt gelangen, sich nicht einer strafbaren Handlung schuldig machen." Das war vor- sichtig genug ausgedrückt. In der Tat war man weit davon entfernt, das Kartell wegen ,, restraint of trade" oder dergleichen zur Verantwortung zu ziehen. Das Kartell konnte jetzt seine Machtstellung, die es zur Zeit der Kartellverbote ängstlich ver- heimlicht hatte, ohne Furcht vor gesetzlicher Verfolgung der Öffentlichkeit- zeigen. Die Freimütigkeit, mit der der Kartell- sekretär die Preis- und Produktionspolitik des Verbandes und dessen Machtstellung auseinandersetzte, zeigte deutlich, wie sicher sich das Kartell fühlte. Es stand gefestigter da als je. Und doch rückte der Zusammenbruch des Kohlenkartells schneller heran, als seine Blüte in den 30 er Jahren hatte ahnen lassen.

1) Vgl. The Goal Trade. N. D. London, British Museum, 8244, c. 68 (er. 1830), S. 7 : „Es ist in letzter Zeit sehr populär gewesen, die Kohlenbesitzer am Tyne und Wear des Monopols und ungesetzlicher Koalition zu beschuldigen." Vgl. ferner hierüber „The Mining Journal", i. Oktober 1836, S, 107.

^) Vgl. Report von 1836, S. 8.

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b) Der Monopolverband im englischen Kupferberg- bau zu Ende des 18. Jahrhunderts.

Ehe wir von dem Niedergang des nordenglischen Kohlen- kartells erzählen, wollen wir noch von einem anderen Unter- nehmerverband sprechen, der zu Ende des 18. Jahrhunderts die öffentliche Aufmerksamkeit in England lebhaft beschäftigt hat. Im Frühjahr des Jahres 1799 wurde vom Parlament ein Aus- schuß eingesetzt, der in Form eines Zeugenverhöres eine Unter- suchung über den englischen Kupferhandel vornehmen sollte. Veranlassung waren die sich immer stärker steigernden Klagen der Kaufleute und Fabrikanten von Birmingham über das Steigen der Kupferpreise. In der Tat zeigen auch die Tookschen Preistabellen, daß 1 cwt. Kupfer, das im Jahre 1790 noch 84 sh gekostet hatte, im Jahre 1795 auf 109 sh, im Jahre 1799 sogar auf 120 sh gestiegen war. ^) Dazu klagten die Fabrikanten im Jahre 1799, daß englisches Kupfer zu weit tieferen Preisen an das Ausland verkauft werde als der heimische Preis sei, und daß eine Aufhebung des Kupferzolles daher dringend in ihrem Interesse läge. ^)

Der Bericht des erwähnten Parlamentsausschusses zeigte, daß eine Kartellorganisation im englischen Kupferbergbau bestanden hatte, und daß nach Auflösung derselben die Konzentration der Unternehmungen so stark war, daß eine Art von Monopol- organisation weiter existierte. Das Sachverständigenverhör dieses Ausschusses ist das einzige Zeugnis, das uns, von einigen kleinen Schriften abgesehen, bezüglich jener Verhältnisse im englischen Kupferbergbau überliefert ist. In dem Verhör spielte jedoch jene Frage der Unternehmerkoalitionen eine so wichtige Rolle, daß die Geschichte derselben rekonstruiert werden kann.

Die Anfänge des englischen Kupferbergbaues liegen in dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts, als in der Grafschaft Corn- wall zum erstenmal Kupfererz entdeckt wurde. Im 18. Jahr- hundert nahm dann in England der Kupferbergbau, sowie die Verarbeitung von Kupfer zu hochwertigen Fertigfabrikaten rasch zu. Die englische Industrie lieferte bald eine große Anzahl kupferner Waren, welche bisher von Deutschland, insbesondere

') Vgl. Tooke, History of Prices. London 1838, B. II, S. 400. *) Vgl. Report on the State of Coppers Mines (im folgenden abgekürzt R. C. M.), Mai 1799, S. 4 und 5.

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aus Nürnberg, und aus Holland eingeführt waren. ^) Einen be- sonderen Abnehmer fand weiter zu Ende des 18. Jahrhunderts der englische Kupferbergbau in der Kriegsflotte, welche in steigendem Maße Kupfer zu verschiedensten Zwecken ver- wendete.^) Im Jahre 1784 hatte nach den Angaben „eines reisenden Deutschen" die Produktion von feinem Kupfer in Cornwall 3—4000 tons betragend) Im Jahre 1797/98 (30. Juni bis 30. Juni) wurde die Kupferproduktion in Cornwall auf 5427 tons berechnet, nachdem die gesamte Kupferproduktion Englands bereits im Jahre 1790 auf ca. 6500 tons jährlich geschätzt worden war.^) Natürlich sind diese Zahlen nur als ungefährer Maß- stab der damaligen englischen Kupferproduktion aufzufassen. Die Bedeutung derselben wird aber dadurch charakterisiert, daß England alljährlich große Mengen Kupfer ausführte. So betrug im Jahre 1797 der Verkauf von Kupfer an die ostindische Kom- pagnie allein 1500 tons. ^) England hatte damit das einzige europäische Land, welches als nicht unbedeutsamer Kupfer- exporteur in Frage kam, Schweden, weit überflügelt. Schwedens Kupferproduktion wurde von verschiedenen Sachverständigen auf 800 1000 tons iährlich geschätzt, wovon ca. ^/g exportiert wurde. Eine Reihe von europäischen Ländern, welche sonst Kupfer produzierten, wie Rußland (Sibirien), Preußen (Mansfeld) und Ungarn kamen als Exportländer nicht in Betracht.'^) In Zeiten außerordentlichen Bedarfes konnten die Kupfergruben von Armenien und Südamerika den Importländern zu Hilfe eilen, aber von dieser Möglichkeit wurde nicht regelmäßig Ge- brauch gemacht. '')

Obschon nun England im 18. Jahrhundert der größte Kupfer- exporteur der Welt war, hatte der englische Weiterverarbeiter höhere Preise für sein Material zu bezahlen, als sie dem je- weihgen Weltmarktpreise entsprachen. Der Einfuhrpreis der kontinentalen Bezugsländer zu Anfang der 90 er Jahre vor allem Frankreichs wurde maßgebend durch den Wettbewerb bestimmt, den die genannten drei Exportgebiete, besonders Schweden, dem größten Exporteure, bereiteten. In England

») R. C. M., S. 42.

*) Ebenda, S. 52 und 57: als Blech, Nägel, Bolzen usw.

') Vgl. Bernouillis Reisebeschreibungen 1784, S. 373.

*) Vgl, R. C. M., S. 97.

») Ebenda, S. 56.

") Ebenda, S. 41, 77 und 53.

') Ebenda, S. 42 und 55.

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selbst war dieser Wettbewerb dadurch eingeschränkt, daß ein Zoll von 11 £ 11 sh pro Tonne Kupfer erhoben wurde. Daß der englische Preis aber beträchtlich über dem Preise stand, zu welchem Kupfer exportiert wurde, oder zu dem man bei freier Einfuhr Kupfer hätte anderweitig beziehen können, wurde aus dem Zeugenverhör von 1799 deutlich erwiesen. Als die Re- gierung zu Mitte der 1790 er Jahre Kupfer für die Münze er- werben wollte, machte sie die traurige Erfahrung, ..daß sie Kupfer nicht zu demselben Preise erhielt, zu dem es die ost- indische Gesellschaft gekauft hatte". Später wurde von der Regierung eine Vorlage eingebracht, welche den Bezug von Kupfer für die Kriegsflotte zu verbilligen suchte: es wurde vorgeschlagen, die Einfuhr von Kupfer, soweit es die Regierung einführen würde, zollfrei zu lassen und die Ausfuhr an die ost- indische Kompagnie zu verbieten. Das war ein deutliches Zeichen dafür, wie stark der Exportpreis und der heimische Preis divergierten! Ein Fabrikant aus Birmingham berichtete, daß er im Jahre 1798 Kupfer zu 98 £ in Schweden habe kaufen können, das in England 105 £ gekostet habe. Da der englische Preis nicht um Zoll und Fracht über dem schwedischen Preise stand, war natürlich die Einfuhr für ihn unrentabel. Selbst die Zahlenangaben des Sachverständigen Mr. Grenfell, welcher für Aufrechterhaltung der Zölle eintrat, zeigten , daß eine starke Differenz zwischen dem englischen und dem schwedischen Kupferpreis bestand. So kostete nach seinen Angaben im Jahre 1796 in Schweden 1 Tonne Kupfer 110 £, deren Preis in England 118 £ betrug. In demselben Jahre hatte die ostindische Kompagnie englisches Kupfer zu dem Kontraktpreis von 106 £ pro Tonne bezogen, also ca. 12 £ billiger als die heimischen Abnehmer.^)

Jener eigentümliche Zustand, daß dasjenige Land, welches der größte Kupferexporteur der Welt war, trotz stark steigender Produktion einen relativ so hohen heimischen Preis für Kupfer aufwies, hatte sich erst seit dem Anfang der 1790 er Jahre geltend gemacht. In den 80er Jahren hatte die umgekehrte Tendenz geherrscht. Mit steigender Produktion waren die Preise ständig gesunken. Kupfererz war von 73 £ 12 sh 6 d im

^) ^'gl- für die in diesem Abschnitt gemachten Angaben: R. C. M., S. 72, S. 5 (Vorlage der Regierung). Über die größere Billigkeit des Kupfers in Schweden: S. 31; ferner für das Jahr 1792: S. 77; ferner die Preistabelle des Mr. Grenfell: S. 164 und 165; Preise der ostindischen Kompagnie: S. 173.

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Jahre 1784 auf 63 £ Ssh pro Tonne im Jahre 1790 herabgegangen. Die ostindische Kompagnie hatte vor dem Jahre 1771 stets mehr als 100 £ für die Tonne Cake Copper bezahlt. Von dieser Zeit fiel der Preis beständig, so daß die indische Kompagnie im Jahre 1781 nunmehr 79 £ bezahlte. Im Jahre 1783 äußerte sich ein Bericht der ostindischen Kompagnie mit Befriedigung darüber, „daß trotz des Anwachsens der Nachfrage nach Kupfer seitens der ostindischen Gesellschaft, der königlichen Marine und der Industrie, der Preis von Kupfer um 22 £ 5 sh pro Tonne gesunken sei, und daß hierdurch die Gesellschaft an den 13509 Tonnen, die sie zwischen 1774 und 1782 gekauft habe, die Summe von 300373 £ gespart hätte." ^) Im Jahre 1789 kostete nach den Angaben des Mr. Grenfell Kupfer in England 80 £, während der Preis in Schweden sowohl wie in Cadiz höher war. Die ostindische Kompagnie bezahlte in jenem Jahre ebenfalls 79 80 £, also nicht mehr als der englische Verbraucher. Erst mit dem Jahre 1790 traten jene eigentümlichen Verhältnisse ein, die wir oben schilderten: nämlich eine stetig andauernde Preissteigerung, eine beträchtliche Erhöhung des englischen Preises über den Weltmarktspreis und dementsprechend auch eine bedeutende Differenzierung zwischen dem inländischen und dem Exportpreis. Auch wurde naturgemäß erst seit jener Zeit das Bestehen des Kupferzolles von Bedeutung, da ja früher bei den tiefen englischen Preisen auch ohne Zoll eine Einfuhr unrentabel hätte sein müssen, und daher der Zoll überflüssig gewesen war. Jetzt erst gelang es den Produzenten, einen Teil des Zollbetrages in dem heimischen Preise zum Ausdruck zu bringen, also überhaupt von ihm zu profitieren.

Der Umschwung, welchen in den 90 er Jahren die Preisbe- wegung auf dem englischen Kupfermarkt erfuhr, stand augen- scheinlich im engsten Zusammenhang mit einer Veränderung, welche die Organisation des Kupferbergbaues in jener Zeit durchmachte. Die Zeit der tiefen Preise, so angenehm sie der ostindischen Kompagnie und den heimischen Konsumenten ge- wesen war, hatte die Produzenten nur wenig befriedigt. Sie war eine Periode heftigen Konkurrenzkampfes gewesen, welche Preise und Profite drückte. Dieser Konkurrenzkampf setzt un- gefähr im Jahre 1773 ein.-)

1) R. C. M., S. 48 und 49.

■■*) Da die folgenden Angaben dem Report über den Kupferhandel entnommen sind, so gebe ich den besonderen Verweis auf die Seitenzahl nur da, wo dies besonders nötig scheint.

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Aus diesem Jahre datierte das Aufkommen eines neuen Grubendistriktes in Derbyshire und Wales, nämlich der Anglesea- Gruben. Diese waren im Stande, Kupfererze weit billiger zu fördern als die alten Gruben Cornwalls, und wenn auch die Kosten der Zubereitung jener Erze vor der Verhüttung etwas höher waren als die der Cornwall-Erze, so bereitete doch von nun an der Anglesea-Distrikt den alten Gruben einen scharfen Wettbe- werb. Der billige Preis, zu dem im Jahre 1781 die ostindische Kompagnie Kupfer erhielt, war die unmittelbare Folge davon, daß die Kupferproduzenten Cornwalls „das Kupfer von Anglesea vom Markte verdrängen wollten".

Zu diesen Kupferproduzenten gehörten einmal die Schmelz- hüttenbesitzer und zweitens die Grubenbesitzer, da in Cornwall im Gegensatze zu Anglesea eine Kombinierung von Grube und Hütte nicht bestand. Vielleicht war es gerade das Fehlen dieser Kombination, welche den Wettbewerb für Cornwall besonders empfindlich machte. Im Jahre 1785 waren die Grubenbesitzer in Cornwall des Konkurrenzkampfes überdrüssig geworden. Sie wendeten sich an Mr. Thomas Williams, der schon damals eine führende Rolle im Anglesea-Distrikt einnahm, und baten ihn, eine Verständigung beider Gruben- und Hüttendistrikte herbei- zuführen. Der Zweck sollte sein, „das Metall beider Gegenden zu einem angemessenen festgesetzten Preis zu Markte zu bringen". Damit sollte mit dem bisherigen System der „public tiketings" gebrochen werden und an Stelle der Versteigerung des Erzes an die Meistbietenden ^) ein System fester Preisver- abredung gesetzt werden. Einflußreiche Grubenbesitzer von Cornwall verbanden sich im Jahre 1785 zu der Cornish Metal Company. Dieses Syndikat schloß wiederum mit allen Gruben- besitzern Cornwalls einen Kontrakt ab, wonach sieben Jahre lang ''/g der gesamten Erzproduktion an die Metal Company zu einem jährlich festzusetzenden Preise zu verkaufen war, und diese dann jene Quantität laut eines Vertrages an die Schmelz- hütten weiter zu verkaufen hatte. Erst nachdem der Wettbe- werb unter den Grubenbesitzern von Cornwall auf diese Art eingeschränkt und zum Teil durch eine einheitliche Verkaufs- organisation ersetzt war, war die Möglichkeit da, mit den An- glesea-Interessen zu bestimmten Verabredungen zu gelangen. Hier, im Anglesea-Distrikt war die Bildung einer einheitlichen

^) Genaueres hierüber vgl. R. C. M., S. 67.

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Organisation nicht nötig gewesen. Mr. Williams war hier „acting proprietor" aller Gruben ^), er war geschäftsführender Repräsentant des ganzen Distriktes, er stellte also bereits die nötige kompakte Organisation dar. Indem so einerseits in Cornwall seit dem Jahre 1785 der Wettbewerb der Gruben stark beschränkt und andererseits eine Verständigung des Kupfer- Erzsyndikates mit dem Anglesea-Distrikte getroffen wurde, ließ sich hoffen, die Preise von Erz und Kupfer am weiteren Sinken zu hindern, und die Rentabilität der Gruben und Schmelz- hütten von neuem zu steigern.

Über den genauen Inhalt der „stipulations'', welche nach der Aussage des Mr. Willams mit dem Cornwall-Syndikat ge- troffen wurde, ist nichts bekannt. Allein aus der Tatsache, daß im Jahre 1787 zwischen dem Syndikat und Williams Differenzen über den „A^nteil (proportion) an dem Verkaufe auf dem Markte" bestanden, läßt sich erkennen, daß gewisse Produktions- oder Absatzkontingentierungen bestanden haben müssen. Indessen dauerte das eben geschilderte Verhältnis nicht lange. Schon im Jahre 1787 wurde Mr. Williams aufgefordert, auch die Ge- schäftsführung des Syndikats zu übernehmen. Dieses hatte da- mals einen außerordentlich großen Vorrat an Erzen aufgestapelt, und die Begründer des Syndikats fürchteten, daß sie das für das Unternehmen angelegte Kapital verlieren würden, wenn nicht eine tüchtige Persönlichkeit den Verkauf jener Vorräte zu einem festen Preise übernehme. So wurde Williams damit betraut, die gesamte Geschäftsführung auch des Syndikats bis zum Ablauf des Vertrages vom Jahre 1785 selbständig zu leiten. Es war damit fast die ganze englische Kupfererzproduktion und dazu ein beträchtlicher Teil der Rohkupfererzeugung der Verfügung einer einzigen Persönlichkeit anheimgegeben.

Es ist schwer festzustellen, inwieweit Williams seine Stellung zu einer Erhöhung der Preise benutzte. Sicher ist, daß der Preis des Rohkupfers von 1787 ab wieder stieg. ^) Allein der Vorwurf, der später Williams gemacht wurde, war weniger, daß er die absolute Steigerung des Kupferpreises herbeigeführt habe, als der, daß er das Erz den Grubenbesitzern billig abgekauft, den Konsumenten aber, sei es den Schmelzhütten, sei es anderen, teuer verkauft habe. Hierdurch habe Williams die Überschüsse

*) Williams war zum Teil nur Mitbesitzer einzelner Gruben. Aber er war überall der Geschäftsführer.

") Vgl, R. C. M., S. 139.

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des Syndikats künstlich in die Höhe geschraubt. Die Preise, welche dem Parlamentsausschuß von amtlicher Seite mitgeteilt wurden, scheinen die Auffassung zu bestätigen. Es betrug da- nach der Preis von Kupfererz in Cornwall im Jahre 1787 67 £ 4 sh 10 d pro Tonne, der Preis des Rohkupfers für die ostindische Kompagnie: 69 71 £. Im Jahre 1790 mußte dieselbe 78 £ bezahlen, während der Preis des Erzes nur 63 £ 8 sh be- trug. Es hatte augenscheinlich die Stellung des Syndikats dazu beigetragen, die Differenz zwischen beiden Preisen zu vergrößern, und es war daher gar nicht wunderbar, wenn Mr. Williams sich später rühmte, daß er den Teilnehmern des Syndikats die vorgeschossenen Kapitalien mit 5"/o Zinsen für die ganze Zeit des Vertrages habe zurückzahlen und die Schulden des Syn- dikats habe begleichen können.

Während aber das Syndikat in dieser Weise prosperierte, sahen sich zwei Interessentenkreise durch seine Politik ge- schädigt: erstens die Grubenbesitzer, welche nicht finanziell am Syndikat beteiligt waren, aber sich zu Lieferungen an dasselbe zu einem bestimmten Preise verpflichtet hatten. Denn sie er- hielten trotz hoher Kupferpreise jetzt nicht mehr für ihr Erz als früher zur Zeit der öffentlichen Versteigerung. Zweitens die Industriellen von Birmingham, welche durch die hohen Kupfer- preise als Verbraucher geschädigt wurden.

Zunächst begannen einzelne Grubenbesitzer gegen das Syndikat vorzugehen; da sie fanden, daß sie für das eine, nicht syndizierte Achtel ihrer Produktion einen höheren Preis erhielten, als den, welchen das Syndikat für die übrigen ',^ bezahlte, brachten sie trotz des bestehenden Kontraktes immer größere Mengen an Kupfererz zur öffentlichen Versteigerung. Dies ver- anlaßte Mr. Williams, eine neue Organisation der Kupferver- käufer zu schaffen. Es gelang ihm in der Tat, im Oktober 1790 der Metal Company die gesamte Kupferproduktion Cornwalls durch einen neuen Kontrakt zunächst für zwei Jahre zu sichern. Die Grubenbesitzer sollten einen höheren Preis für ihr Erz, nämlich 76 £ pro Tonne erhalten. Sie verpflichteten sich dafür zur ausschließlichen Lieferung an das Syndikat, ,,aber im Falle Cornwall eine größere Menge Kupfer fördere, als der Verbrauch benötige, so sollte dies nicht zu Markt gebracht, sondern auf- gestapelt werden".

Mit Schrecken sahen die Fabrikanten in Birmingham, wie durch diesen Kontrakt die Organisation des Kupferhandels noch

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straffer, ja in der Tat zu einem Monopole geworden war. Sie schritten nun ähnlich wie es einst die Zinngießer gegenüber dem Zinnmonopol getan hatten ebenfalls zu einer gemein- samen Organisation.') ,, Ungefähr um diese Zeit," so erzählte ein Sachverständiger dem Ausschuß^), „wurde in Birmingham eine Gesellschaft gegründet, welche hauptsächlich aus Ver- brauchern von Kupfer bestand und den Namen ,,The Birmingham Mining and Copper Company" führt. Man war nämlich zu der Ansicht gelangt, daß das Steigen der Kupferpreise nicht durch den Erzpreis, welchen die Grubenbesitzer erhielten, sondern durch das verteuernde Medium herbeigeführt worden war, durch welches man Kupfer beziehen mußte. Es war also der Zweck jener Gesellschaft, den Fabrikanten in Birmingham Kupfer so billig zu liefern, wie es ein natürlicher Handelsver- kehr gestatten würde." Diese Gesellschaft und eine zweite, die Rose Copper Company, die bald darauf entstand, versuchten jetzt das Syndikat und die mit ihr vereinigten Schmelzhütten zu umgehen. Sie kauften Grubenanteile, erwarben minderwertige Bergwerke und erstanden vor allem einzelne Schmelzhütten. Im Besitz eigener Schmelzhütten versuchten sie nun auch die Grubenbesitzer zum Verkaufe ihrer Erze durch Versteigern zu veranlassen, indem sie ihnen bessere Preise boten als der Syn- dikatspreis war.^)

„Als die Birmingham Minning and Copper Company Erz zu kaufen anfing, da wurde dasselbe nur in geringen Mengen öffentlich versteigert. Die Gesellschaft konnte den Gruben einen besseren Preis bezahlen als der war, den sie damals er- hielten, und trotzdem Kupfer auf dem Markte billiger verkaufen^ als es die Verbraucher sonst beziehen konnten. Dies veranlaßte mehrere Grubenbesitzer, die sich nicht gesetzlich gebunden fühlten, von dem Kontrakt abzustehen und die Erze öffentlich zu verkaufen," so schilderte ein Sachverständiger die nunmehr herrschende Lage. Mr. Williams erkannte, daß wieder eine Veränderung in seiner Verkaufsorganisation nötig geworden war, wenn nicht dieselbe gänzlich zerspringen sollte. Allein, wir ersehen aus dem Kontrakt, den er nun im November 1791 vorschlug, daß seine Politik eine andere geworden war. Es

1) Vgl. hierüber und für das Folgende die Aussage Williams und Simcox und den Appendix.

2) Vgl. R. C. M., S. 7.

') Vgl. ebenda, S. 6 und 7, S. 50 und 94.

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sollte nur drei Viertel der gesamten Erzproduktion Cornwalls an das Syndikat geliefert werden und diese zu einem erhöhten Preise, nämlich zu 82 £. Die Schmelzhütten sollten sich jedoch verpflichten, auf dem offenen Markte, also im Wege der Ver- steigerung, überhaupt nicht mehr zu kaufen, und falls sie es doch täten, ihren Anteil an dem Kontrakt sofort verlieren. Damit sollte augenscheinlich der öffentliche Verkauf lahm gelegt werden, da die hohen Preise, welche die Versteigerung des nicht syndizierten Quantums zu bringen pflegte, ja immer zur Stei- gerung des Syndikatspreises beigetragen hatten. Zu gleicher Zeit machte Williams den Gesellschaften in Birmingham den Vorschlag, an diesem Kontrakt teilzunehmen.

Jedoch kam die geplante Organisation nicht zu Stande. Der Anteil am Bezug von Kupfer, den Williams den Gesellschaften in Birmingham anbot, war diesen zu gering. Andererseits sprachen sich die Grubenbesitzer von Cornwall in einer Re- solution vom 24. Januar 1792 energisch gegen jenen Vorschlag aus: „Künste zu gebrauchen, welche den öffentlichen Verkauf unserer Erze zu erschweren und die Käufer von der Versteigerung fernhalten, sind nicht nur offenbar uns Individuen, sondern auch den Interessen dieses Landes schädlich usw.", so hieß es im zweiten Absatz der betreff"enden Resolution. Seit dieser Zeit wurde Kupfererz in Cornwall, soweit die große Masse der Pro- duktion in Frage kam, wieder auf dem Wege öffentlicher Ver- steigerung verkauft.

Obschon nunmehr die Existenz des Syndikats, wie es die Vereinbarung der Metal Company mit den Anglesea-Gruben dar- gestellt hatten, unterbrochen war, dauerten doch die Zustände, die die Klagen der Fabrikanten hervorgerufen hatten, weiter fort.^) Ja sie verschärften sich seit dem Anfang der 90 er Jahre dadurch, daß nicht nur der Kupferpreis weiter stieg, sondern daß nunmehr auch ein planmäßiger Schleuderexport nach dem Auslande einsetzte. Diese Zustände führten ja zur Berufung der parlamentarischen Kommission über den Kupferhandel im Jahre 1799. Die Verbände und Verabredungen waren formell gelöst. Aber die monopolistische Organisation des Kupferhandels war nicht verschwunden, sondern bestand in anderer Form fort. „Seit dieser Zeit'' (1792), so meinte ein Fabrikant, ,,ist der größte Teil des Erzes in Cornwall im Wege der öffentlichen

^) Vgl. Aussagen: Simcox, Smith, Bolton usw.

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Versteigerung verkauft worden. Allein auch bei diesem Systeme ist es nicht schwierig für einen Käufer, der Interesse am hohen Kupferpreise hat, den Preis hoch zu treiben, wenn es ihm gefällt."

Mit einem solchen „Erzkäufer" war augenscheinlich Williams gemeint. Er war es jedenfalls, welcher bis 1799 der Mächtigste im Kupferhandel geworden war. Wie er selbst erzählte, „kon- trollierte" er, wie der moderne Ausdruck heißt, die ganze För- derung des Anglesea-Erzes wie dessen Verhüttung. Er hatte die Gruben von den zwei Besitzern gegen eine Rente gepachtet und die völlige Geschäftsführung in Händen. Der Anglesea- Distrikt produzierte im Jahre 1798 ca. 1700 tons Kupfer, also allein ca. ^/g der Produktion von Cornwall Allein Mr. Williams hatte nach der Auflösung des Kupfersyndikats auch die Be- ziehungen zu dem Cornwall-Distrikt nicht aufgegeben.

Aus dem Zeugenverhör ergab sich, daß Williams eine der elf Gesellschaften, welche als Käufer von Kupfer auf dem Erz- markte erschienen, repräsentierte. Wenn diese Gesellschaft auch nicht immer Kupfererz kaufte, so berichtete doch ihr Agent Mr. Vivian genau die Geschäftslage, welche auf dem Erz- und Kupfermarkt in Anglesea herrschte. Derselbe Mr. Vivian war Agent für eine andere Gesellschaft, welche alljährlich größere Mengen von Kupfererz kaufte, der Cheadle Company. So ge- gehörte Vivian zu den bedeutendsten Käufern auf dem Kupfer- markte. In den drei Monaten Dezember bis Februar 1799 kaufte er allein für jene zwei Gesellschaften eine Quantität Erz, welche 351 tons Kupfer entsprach. Weiter war Mr. Vivian selbst finanziell an einigen Gruben beteiligt. Er hatte also sowohl ein Interesse an hohen Erzpreisen wie an hohen Kupferpreisen. Das Interesse der übrigen neun Käufer war verschieden. Die beiden Gesellschaften, welche aus der Ver- einigung von Fabrikanten in Birmingham entstanden waren, hatten das lebhafteste Interesse, Kupfererz so billig wie möglich zu kaufen, da sie es ja bis zu verfeinerten Endprodukten ver- arbeiteten, und ein Rückgang des Konsums jener Produkte ein- treten mußte, wenn man ihre Preise entprechend den hohen Materialpreisen erhöhte. In der Tat wurde davon gesprochen^), daß infolge der hohen Rohmaterialpreise seit 1793 der Konsum Birminghams an Rohkupfer um 500 tons jährlich zurückgegangen

^) Vgl. Aussagen: Simcox, Smith, Bolton usw. Levy, Monopole, Kartelle und Trasts. 10

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sei, und die Verschlechterung der dortigen Exportverhältnisse war eine feststehende Tatsache geworden, wie die übereinstimmenden Aussagen verschiedener Zeugen bekundeten. Allein der Rück- gang jenes Bedarfs war weit davon entfernt, einen Druck auf die Preisbewegung von Rohkupfer auszuüben. Denn eine all- gemeine Steigerung des Kupferkonsums wurde durch den Rück- gang der Nachfrage jener Feinindustrie nicht aufgehalten. Wie die Zahlen des Appendix im Ausschußberichte zeigten, hatte sich nämlich der Konsum von Kupfer, das die Regierung für den Schiffsbau kaufte, in den 90 er Jahren außerordentlich ge- steigert. Es gab Jahre, in denen die Regierung bis zu 1500 tons Kupfer kaufte.^) Überhaupt war es ohne Zweifel, daß der Be- darf an Rohkupfer sowohl im allgemeinen wie vor allem durch die Nachfrage seitens der Regierung und der ostindischen Kom- pagnie so gestiegen war, daß eine Knappheit an Kupfer- erz herrschte. Diese Knappheit hatte sogar zum Abbau von weit ärmeren Erzen geführt, als die bisher geförderten jemals gewesen waren. ^j Wer aber bestimmte den Kupferpreis? Williams folgte anscheinend nach seiner Aussage den Notie- rungen für Cornwall-Kupfer, wie sie Mr. Vivian mitteilte. Er konnte aber indirekt durch seinen Agenten in Cornwall eine Erhöhung der Erzpreise befördern, die dann natürlich auch eine Erhöhung der Kupferpreise zur Folge haben mußte. Die Bir- mingham-Gesellschaften konsumierten ihr Kupfer selbst. Viele Fabrikanten kauften noch Kupfer auf dem Markte hinzu. Mr. Vivian repräsentierte zwei Gesellschaften. Die Zahl der Hütten- leute, welche Kupfer verkauften, bestand im Cornwall- Distrikt also nur aus acht Persönlichkeiten. Die Konkurrenz seitens der Verkäufer von Rohkupfer war daher äußerst be- schränkt. Demgemäß war eine Erhöhung der Kupferpreise ent- sprechend den steigenden Erzpreisen für die Hüttenbesitzer sehr wohl möglich, zumal man durch Zölle vor der Einfuhr ge- schützt war. Am stärksten mußte natürlich AVilliams an jenen hohen Preisen profitieren. Er förderte ja selbst Erz, und seine Überschüsse mußten daher beim Verkauf von Rohkupfer am größten sein. Weiter aber hören wir, daß er große Fabriken besaß, in denen vor allem Kupfer für den Gebrauch der eng-

') Vgl. R. C. M., S. 175.

*) S. 88: „Ärmere Erze wurden infolge des hohen Erzpreises zu Markte gebracht." Mr. Vivian erzählte, er habe kürzlich Erze in Cornwall gesehen, „welche die ärmsten seien, welche seiner Erinnerung nach je verkauft worden seien".

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lischen Marine hergestellt wurde. Williams stand also an der Spitze eines kombinierten Betriebes, wie er heute nicht besser organisiert gedacht werden kann. Die ,, reinen" Hütten mußten an hohen Kupferpreisen festhalten, und bei ihrer geringen Zahl und der steigenden Nachfrage bot dies keine Schwierigkeit. Die einzigen, welche über hohe Rohkupferpreise klagten, waren die Fabrikanten von feinen Kupferwaren in Birmingham. Sie hatten das ehemalige S3'ndikat gesprengt, um ihren Bedarf billiger beziehen zu können. Aber damit waren die Zustände, die sie aus der Welt schaffen wollten, nicht beseitigt. Die stark steigende Nachfrage nach Kupfer, welche bald nach Auflösung des Syndikats eintrat, die nicht entsprechend schnell zu stei- gernde Erzproduktion und die geringe Zahl der Hütten und dementsprechend der Kupferverkäufer, das alles bewirkte, daß ein preisdrückender Wettbewerb, wie er in den 70 er und 80 er Jahren bestanden hatte, jetzt trotz der Auflösung des Syndikats nicht mehr wiederkehrte. Die Konzentration der Produktion und des Verkaufs von Kupfer in wenigen Händen, machte bei der steigenden Konjunktur eine gemeinsame Verabredung überflüssig. Nur in einem Falle war dieselbe noch nötig.

Wollte man sich nämlich weiterhin den Export erhalten, so mußte man jetzt, wo die Kupferpreise in England im Vergleich zu anderen Exportländern außerordentlich hochstanden, augen- scheinlich zu niedrigeren Preisen exportieren, als die inlän- dischen waren. Dies kam vor allem für den Verkauf an die ostindische Kompagnie in Betracht, die sich bei hohen Preisen für englisches Exportkupfer leicht mit armenischem Kupfer in Smyrna versorgen konnte.^) Es lag also nahe, für den Export an die ostindische Kompagnie zu niedrigeren Preissätzen, als die des Inlandmarktes waren, zu verkaufen. Der einzelne Ver- käufer nun hätte freilich eine solche Politik, bei der er zu mindest einen ,,lucrum cessans" erfahren hätte, schwerlich ein- geschlagen. Nur bei gemeinsamer Verabredung war jener Ex- port möglich, der dem Einzelnen zugunsten der Gesamtheit der Hütten gewisse Opfer auferlegte. Eine solche Verabredung war um so eher durchführbar, als die indische Kompagnie nur ein- mal im Jahre einen Kauf abschloß und dann eine große Quan- tität Kupfer für eine bestimmte Lieferungsfrist übernahm. „Es wird ein Vertrag abgeschlossen zwischen der ostindischen Kom-

') Vgl. R. C. M., S. 56 und 42.

10*

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pagnie und den Kupfer-Gesellschaften, welche sich bei dieser Gelegenheit stets zusammen tun." so er- zählte Mr. Williams, ..Wenige Tage, bevor das Angebot ge- macht wird, kommen die Kupfergesellschaften zusammen und be- sprechen, in wie weit alle oder nur einzelne zu einem Angebot bereit sind, und wie groß dasselbe sein soll. Man hat sich im allgemeinen dahin geeinigt, daß sie den Kontrakt, wenn er ab- geschlossen ist, entsprechend den in ihrem Besitz befind- lichen, oder innerhalb der letzten zwölf Monate ge- kauften Vorräten erfüllen sollen. Wenn diese Vorräte festge- stellt sind, dann wird der Anteil bestimmt, welchen jede Gesell- schaft jeweilig abliefern soll.'' Wir haben früher bereits gesehen, wie jener planmäßig durchgeführte ,. Schleuderexport" zu einer starken Differenzierung des Inlands- und Exportpreises führte, zu einer Differenzierung freilich, für welche der Einfuhr- zoll erst die eigentliche Möglichkeit bot.

So bestand also ein ..Export-Syndikat" in der Kupferindustrie auch nach Auflösung des Hauptverbandes, der Cornish Metal Company, weiter fort, während die starke Konzentration der heimischen Produktion in wenigen Händen den Zweck der früheren Monopolorganisation, die Hochhaltung des heimischen Preises, auch ohne spezielle Vereinbarung verwirklichte. Dies um so mehr, als die heimische Nachfrage im Steigen begriffen war. während das Angebot infolge der starken Auslandsverkäufe stark reduziert wurde, die Produktion nicht entsprechend schnell stieg, und die Einfuhr durch den Zoll erschwert war.

Leider schließt mit diesem Resultate das, was wir von den Unternehmerverbänden in der englischen Kupferindustrie wissen, ab. Nur die Vermutung bleibt, daß eine monopohstische Orga- nisation auch späterhin noch bestanden hat. Verschiedene Schriften späterer Zeit verweisen auf die ..consolidations", die Fusionen, welche im Besitze der Kupfergruben von Zeit zu Zeit stattfanden.') Allein nähere Schilderungen über die Wirkungen solcher Konsolidierungen liegen nicht vor. Die Kupferpreise sind in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts im Durch- schnitt kaum tiefer gewesen als zu Ende des 18. Jahrhunderts und sicherlich weit höher als zur Mitte desselben. Dann aber

*) Vgl. z. B. John Taylor, Statements respecting the Profits of Mining in Eng- land. London 1825, S. 7. Femer J. R. L., Cornwall, Its Mines and Miners. London 1855, Part. II, S. 174, 177 ff.

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begannen sie in den 20er Jahren zu sinken.^) In der Folgezeit verlor England mehr und mehr die Suprematie in der Kupfer- produktion, die es einst besessen hatte. Neue Produktionsge- biete tauchten auf, deren Konkurrenz nach Beseitigung der englischen Kupferzölle im Jahre 1848 mehr und mehr die Stellung Englands als Kupferproduzent in den Schatten stellten. Während England noch im Jahre 1860 ca. 16000 tons Kupfer produzierte, ist heute seine Produktion nicht größer als 500 tons.^) Für monopolistische Unternehmerverbände sind also die Vor- aussetzungen längst geschwunden.

Während so bedauerlicherweise die Fortentwicklung resp. der Zusammenbruch der Monopolorganisation in der englischen Kupferindustrie in Dunkelheit gehüllt ist, sind die Tatsachen, welche zur Auflösung des Kohlenkartells führten, in ziemlich deutlicher Weise erkennbar geblieben. Dies ist um so wert- voller, als die Organisation der Unternehmer in dem Kohlen- bergbau viel straifer und weit detaillistischer ausgebildet war, und auch weit längere Dauer gehabt hatte als im Kupferbergbau. Handelt es sich doch bei der endgültigen Auflösung des Kohlenkartells um die Beseitigung einer Monopolorganisation, welche, von Unterbrechungen und Veränderungen der Organi- sationsform abgesehen, nahezu 250 Jahre bestanden hatte.

c) Der Zusammenbruch des Kohlenkartells.

Die Blüte der nordenglischen Kohlenkartelle hatte auf zwei Voraussetzungen beruht: auf einer Monopolisierung des Pro- duktionsgebietes und auf einer Monopolisierung des Absatz- marktes in London und an der Küste. Die Monopolisierung der Produktion hatte in den 1830er Jahren noch Fortschritte gemacht, als die Gruben am Tees dem Kartell am Tyne und Wear beitraten. Der Absatzmarkt war durch die großen Kosten, zu denen der Bezug von Kohle aus anderen Distrikten nur mög- lich war, dem nordenglischen Kohlenkartell ebenfalls bis zu einer bestimmten, hohen Preisgrenze gesichert geblieben. Beide Voraussetzungen aber schienen seit dem Ende der 1830er Jahre mehr und mehr ins Wanken zu geraten.

') J. R. L. a. a. O., S. 230. Vgl. die dort angegebenen Preise. 2) Vgl. Encyclopaedia Britannica, 1902, Vol. XXVII, S. 234, und Mineral Resources. Washington 1905, S. 241.

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Schon die Zeit von 1836—1843, in der noch das Kartell be stand, bot Schwierigkeiten in der Organisation desselben, welche den allgemeinen Zusammenbruch befürchten ließen. Vor allem nämlich hatte sich seit der Mitte der 1830 er Jahre sowohl die Zahl der Gruben wie die allgemeine Leistungsfähigkeit des nordenglischen Kohlendistriktes beträchtlich gesteigert. Die Ursachen hierfür waren verschiedener Art. Einmal war, wie später der bekannte Grubenbesitzer George EUiot hervorhob ^), „der hohe Preisschutz" eine „Verführung für die Grubenbesitzer, neue Gruben in Betrieb zu setzen". Im Durchschnitt der Jahre 1832—1835 hatte beste nördliche Kohle in London 20 sh 7^, d pro chaldron gekostet. In den Jahren 1836 1838 stieg dieser Preis auf 22 24 sh.^) Der ,,regulation price" für beste Kohle war in den Jahren 1834 1836 am Tyne 26 sh pro Newcastle chaldron gewesen und hatte damals als hoch gegolten. Im Jahre 1844 war der vereinbarte Kartellpreis sogar auf 30 sh 6 d für beste Kohle erhöht worden.^) Diese hohen Preise, welche unter dem Kartellregime herrschten , mußten naturgemäß die Lust, neue Unternehmen zu gründen, anstacheln und so dem Kartell selbst neue Wettbewerber großziehen. Gesteigert wurde diese Tendenz noch durch andere Umstände.

Vor allem machte der Eisenbahnbau jetzt rasche Fort- schritte. Er erschloß immer neue Grubendistrikte. In den Ge- bieten westlich vom Wear und Tyne, die bisher infolge der hohen Transportkosten der Kohle unbenutzt geblieben waren, steigerte sich die Fördertätigkeit rapide. Indem die technischen Fortschritte im Eisenbahnverkehr zunahmen, verringerten sich in markanter Weise die Kosten, zu denen die Kohle befördert werden konnte. Dazu kam ein weiterer Umstand. Früher hatten die Grubenbesitzer selbst Schienenwege und Transportmittel besessen. Sie hatten für die Benutzung des hierfür benötigten Bodens den Grundbesitzern Wegeabgaben (way leaves) bezahlt, die zuweilen recht hoch waren und eine dauernde starke Erhöhung der Transportkosten bedeuteten.'*) Dann kam die Eisenbahn- gesetzgebung, welche den Gründern öffentlicher Eisenbahn- gesellschaften die Ermächtigung gab, das betreffende Land zu einem angemessenen Preise käuflich zu erwerben. Da dies für

*) Vgl. Report von 1873, qu. 7521.

*) Report von 1836, p. XVIII und Dünn a. a. O., S. 205. *) Report von 1836, S. 53 und Dünn a. a. O., S. 203. *) Report von 1836, p. XXX VIII.

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jene Bahngesellschaften die Kosten des Bahnbetriebes stark er- mäßigte, so nahmen nunmehr die Schienennetze eine weit schnellere Ausdehnung als früher. Die Folge war wiederum eine Zunahme der Fördertätigkeit in jenen Distrikten. Ja, da nunmehr zahlreiche Eisenbahnen das ganze nördliche Kohlen- gebiet durchkreuzten und der Grubenbesitzer, dessen Grube weit vom Fluß oder Meer entfernt lag, nicht selbst eine Bahn zu bauen und zu betreiben brauchte, sondern einfach die nächst- liegende öffentliche Linie benutzte, so wurde das Kapital geringer, welches zur Erschließung einer neuen Grube nötig war.^) Wenn man sich entsinnt, welches Gewicht gerade die Transportkosten von der Grube zum Schiff für die Produktionskosten der ein- zelnen Gruben früher gehabt hatten, so kann man ermessen, welche Umwälzung der Rentabilitätsverhältnisse einzelner Gruben der Ausbau des Verkehrsnetzes bringen mußte. Die alten Gruben^ welche nahe dem Wasser lagen, aber auf eigenen Bahnen und unter hohen Wegeabgaben verfrachteten, sahen jetzt plötzlich, wie der Vorteil, den sie bisher gegenüber den weiter entfernten Distrikten genossen hatten, dahinschwand, und wie ihre Stellung als Verfrachter ungünstiger war als die der „neuen" Gruben. „Die Konstruktion von Eisenbahnen," so meinte später George Elliot^), „gab reichliche Gelegenheit, Kohlengruben selbst mit geringem Kapital zu erschließen. Früher pflegten die großen Gruben- besitzer ihre eigenen Privatbahnen und ihre eigenen Verlade- plätze zu haben und damit hatten sie den ganzen Verkauf so ziemlich in ihrer Hand. Aber als das Eisenbahnsystem ein- geführt wurde, da wurde die Schwierigkeit, das Monopol und die hohen Preise aufrecht zu erhalten, unüberwindlich." Zunächst hatten freiUch die Grubenbesitzer gegen das neue Eisenbahnsystem angekämpft, da sie wohl ahnten, was es für das Kartell bedeutete. Sobald die Regierung einer Bahn- gesellschaft die Ermächtigung zur Erwerbung von Land gegen eine einmalige Kaufsumme gewährte, protestierten die Gruben- besitzer, welche W^egeabgaben zu zahlen hatten, aufs heftigste gegen die Gründung einer solchen Bahnlinie. „Wir beklagen uns darüber," so erklärte der Sekretär des Kohlenkartells im Jahre 1830, „daß die Regierung den Besitzern der binnenländi- schen Gruben dazu verhilft, mit uns auf den Märkten zu kon-

') Vgl. Dünn a. a. O., S. 213.

*; Vgl. Report von 1873 a. a. O , S. 7521.

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kurrieren, die wir in früheren Zeiten beherrscht haben.'' Um diese Konkurrenz fernzuhalten, petitionierten die Besitzer der alten Gruben beim Parlament gegen den Ausbau zahlreicher Bahnen in Durham. Es wurde sogar von dem Kartell jedem einzelnen MitgHed entsprechend seiner Basis ein Geldbetrag auferlegt, welcher die Kosten decken sollte, welche durch die Agitation gegen den Eisenbahnbau verursacht würden.^)

Allein jene verkehrsfeindliche Politik des Kartells konnte weder den Eisenbahnbau noch die Erschließung neuer Gruben auf die Dauer hindern.

Nach den Angaben von Dünn, der als langerfahrener Fach- mann im nördlichen Grubendistrik't im großen ganzen glaub- würdig erscheint, betrug die Zahl der Gruben 2):

Distrikt

1830

1836

1844

Tyne Wear Tees

. . . .

37

18

4

47

9

16

4

70 28 22

Hartley

und

Blyth .

6

im ganzen j 59 76 1 126

Hieraus ergibt sich, wie stark die theoretische Leistungs- fähigkeit des nordenglischen Kohlendistriktes seit 1836 zuge- nommen hatte. Dieser Steigerung des möglichen Angebots stand nun aber keineswegs eine adäquate Steigerung der Nach- frage gegenüber. Dies war eine Tatsache, die sowohl Dünn in seiner Schrift ausdrücklich hervorhob, wie später auch George Elliot, der selbst jene Zeit noch miterlebt hatte. ^) Es war daher nur natürlich, wenn die Kohlenausfuhr seitens des Kartells gesteigert wurde. In der Tat nahm die Ausfuhr von Kohle zwischen 1836 und 1842 beträchtlich zu,^) Aber diese Steigerung der Ausfuhr, welche im günstigsten Falle zu Anfang der 40er Jahre 800 000 tons mehr im Jahre betrug als zu Mitte der 30er Jahre, bedeutete relativ wenig, im Vergleich zu der Steigerung der theoretischen Leistungsfähigkeit des nördlichen Distriktes, einer Steigerung, die auf mehr als 3 000 000 tons geschätzt

1) Vgl. Report von 1830, S. 268 und 269; Report von 1836, p. XXXIX. *) Vgl. Dünn a. a. O., S. 216. ') Ebenda, S. 203 und Report von 1873 a. a. O.

*) Nach Dünn a. a. O., S. 219, betrug die Ausfuhr im Jahre 1836 623000 tons im Jahre 1842 i 411 000 tons.

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wurde. ^) Der im Jahre 1842 eingesetzte Ausfuhrzoll aber mußte auch dieses Abflußventil stark beschränken, da durch ihn vor allem die englische Kohle auf dem französischen Markte an Konkurrenzfähigkeit gegenüber der französischen und belgischen Kohle einbüßte. In der Tat zeigte die Ausfuhr von Kohle (exkl. Kleinkohle) im Jahre 1843 einen Rückgang von 480 000 tons gegenüber dem Vorjahre.^)

Die Tendenz einer preisdrückenden Produktionssteigerung, wie sie die Zunahme der Gruben und der relativ nur lang- sam steigende Bedarf mit sich brachte, war nicht unbedingt ein Moment, das zur Auflösung des Kartells führen mußte. Hatten sich doch frühere Kartelle gerade auf Grund ähnlicher Verhältnisse gebildet und gerade zu dem Zwecke, die stärker als der Bedarf steigende Leistungsfähigkeit der Gruben durch gemeinsame Verabredung so zu regulieren, daß die Preise nicht durch den stärkeren Wettbewerb gedrückt würden. Das waren die Beweggründe zur Bildung des Kartells von 1771 gewesen. Dieser Zweck führte nach heftiger Konkurrenz die Gruben am Tees dem Kartelle am Tyne und Wear im Jahre 1833 zu. Konnte man nicht auch jetzt wieder die Erschheßung neuer Gruben in ihrer Wirkung auf die Preise dadurch abschwächen, daß man gemeinsam die tatsächliche Förderung einschränkte? Konnte man nicht durch eine Kontingentierung der Produktion entsprechend dem Bedarfe auch weiterhin einen Preisstand er- zielen, der den günstig und ungünstig arbeitenden Gruben die Weiterexistenz ermöglichte?

Das Kartell verfolgte in der Tat jenes System, das den einzigen Rettungsanker zu bilden schien: nämlich eine im Vergleich zur theoretischen Leistungsfähigkeit immer stärkere Förderbeschränkung. Im Jahre 1837 waren noch 80 ''/o der ursprünglichen Basis tatsächlich vom Kartell zum Ver- kaufe gestellt worden, im Jahre 1840 sank dieser Prozentsatz bereits auf 55,7, im Jahre 1843 gar auf 44. Immer niedriger also wurden die Kontingente, welche den einzelnen Gruben zu- fielen.^) Eine Grube, deren Basis entsprechend ihrer theo- retischen Leistungsfähigkeit auf 50000 chaldrons festgesetzt worden war, durfte nurmehr 22000 chaldron im Jahre 1S44

*) Vgl. „Remarks on the present State of the Goal Trade" 1S43, zitiert bei Dünn a. a. O., S. 232,

-) Vgl. Dünn a. a. O., S. 231 und 234.

^) Ebenda, S. 229 und die Aussage des Mr. Elliot. Report von 1S73 a. a. O.

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verkaufen, während sie im Jahre 1838 noch 40000 hatte ver- kaufen dürfen.

Jenes System intensiver Förderbeschränkung aber wäre vielleicht von den Kartellmitgliedern auch weiterhin geduldig getragen worden, wenn die beabsichtigte Wirkung desselben, die Hochhaltung der Preise, ein Äquivalent für die im Vergleich zur Leistungsfähigkeit so stark verringerte Produktion geboten hätte. Da trat ein zweites Moment ein, das die Exi- stenz des Kartells von Grund auf erschütterte: Die Preis- grenze, bis zu der nordenglische Kohle in London und an der Küste ein Monopol gehabt hätte, begann zu sinken.

Es ist ziemlich schwierig, den steigenden Wettbewerb zahlen- mäßig festzustellen, welchen seit dem Anfang der 1840 er Jahre nördliche Kohle auf dem südlichen Markte mehr und mehr zu empfinden hatte. Verwiesen sei auf die Tatsache, daß im Jahre 1836 erst 2300 tons Kohle auf Binnenwasserstraßen nach London befördert worden waren. Im Jahre 1840 war diese Zufuhr von Kohle nach London auf 22000, im Jahre 1844 dagegen auf 72000 tons gestiegen ! ^) Ebenso begann im Jahre 1844 die Zu- fuhr per Bahn größere Dimensionen anzunehmen. Allein nicht nur in London selbst entstand den nördlichen Gruben immer stärkerer Wettbewerb. Auch an die Küste drang jetzt die Kohle der mittleren Grafschaften, je stärker der Wettbewerb zwischen Kanälen und Eisenbahnen die Frachttarife herabdrückte. End- lich bedeutete die starke Steigerung der Kohlenförderung im Süden von Wales einen wachsenden Wettbewerb für die nord- englische Kohle, und auch schottische Kohle strömte zu Anfang der 40er Jahre in stärkeren Mengen nach den englischen Märkten.-)

Damit wurde der sogenannten competition price, die Preis- grenze, bis zu welcher eine Versorgung von anderswo rentabel wurde, in London und an der Küste bedenklich herabgedrückt. Dies zeigte sich zum ersten Male im Jahre 1844. Es scheint nach den Angaben von Dünn, als ob zuerst die Verfrachter die Er- fahrung machten, daß der Kartellpreis nicht mehr aufrecht er- halten werden könne, und daß sie eine Zeit lang den Schaden trugen, der aus dem Mißverhältnis des Kartellpreises zu dem des Absatzmarktes entstehen mußte. Dann trat im Jahre 1844 das Unvermeidliche ein: Der Kartellpreis, welcher auf 30 sh 6 d

1) Vgl. Report von 1871, E., S. 45.

*) Vgl. Dünn a. a. O., S, 220, 227, 229 230.

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für beste Kohle festgesetzt war, mußte auf 25 sh ermäßigt werden.^) Das war ein heftiger Preissturz. Der Kartellpreis war somit auf demjenigen Niveau angelangt, das nach der Aussage von Sach- verständigen im Jahre 1836 einen Fortfall der Überschüsse für die schlechten Kohlensorten bedeuten mußte.^)

Nun wurde die Lage des Kartells immer bedenklicher. Auf der einen Seite die denkbar größten Förderbeschränkungen. Andererseits ein Preis, der im Vergleich zu dem bisherigen Standard außerordentlich tief war und in keiner Weise einen Ausgleich für die verringerte Produktion bedeuten konnte! Es ist klar, daß bei solchen Verhältnissen auf selten derjenigen Gruben, welche auch bei niedrigen Preisen aber entsprechend gesteigerter Förderung eine gute Rentabilität aufrecht erhalten konnten, der Wunsch nach Erhöhung der Kontingente immer stärker wuchs. Die minderwertigen Zechen dagegen wünschten die Kontingente der günstig arbeitenden Betriebe noch stärker beschränkt zu sehen. Damit war der Konflikt im Kartell, ja die Krisis unvermeidUch. Selbst so kartellfreundliche Beobachter wie der schon oft genannte Dünn erkannten in jener Zeit, daß die Organisation, so wie sie bestand, nicht zu halten war. Er schrieb im Jahre 1844: „Der Fehler des Kartells (regulation) ist bisher die beschränkte Anteilsziffer gewesen, welche bei der Produktionsbeschränkung jeder Grube zufiel. Dies jedoch ist stärker von den alten und kleinen Gruben verspürt worden, bei denen vielfach das Kontingent so beschränkt, und die Preise so gedrückt waren, daß nur ein Geschäft mit Verlusten das Resultat sein konnte. Es hat sich daher die Auffassung geltend gemacht, daß die Rettung dieser Gruben nur durch eine Kon- zession herbeigeführt werden könne, welche die großen und hochbewerteten Gruben bezüglich ihrer Anteilsziifer zu Gunsten der Allgemeinheit machen müßten. Diese Auffassung ist so lebhaft befürwortet worden, daß die gegenwärtige Kartellver- einbarung eine Klausel enthält, wonach eine Revision und Neu- festlegung der Basis für jede Grube stattfinden soll. Jedes Mit- glied tröstet sich mit der Hoffnung, daß eine solche allgemeine Revision ihm auf Kosten der anderen nützen werde. So denkt man im Augenblick. Allein erfahrene Leute sind der Ansicht, daß eine solche Revision nie eintreten wird, da einmal die Unter-

1) Vgl. Dünn a. a. O., S. 203.

2) Vgl. Report von 1836. Selbst Mr. Wood, der ein Gegner des hohen Kartell- preises war, erklärte damals einen Preis von 24 sh 6 d für notwendig. Vgl. qu. 2480 ff.

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suchung endlos sein würde, und sie, auch wenn sie durchge- führt würde, wahrscheinlich größere und allgemeinere Unzufrieden- heit schaffen würde, als gegenwärtig besteht.'"

Und die „erfahrenen Leute'" hatten Recht. Die Revision wurde nicht vorgenommen. Warum sollten auch die günstig arbeitenden Gruben ihre Förderung zugunsten schlechter arbei- tender Betriebe noch weiter beschränken, nachdem doch der Konkurrenzkampf im Süden und an der Küste sich mehr und mehr steigerte und an ein Zurückschrauben des Preises auf den hohen Standard selbst bei noch stärkerer Kontingfentierunor im Norden nicht zu denken war? Im Gegenteil. Es mußte jetzt im Interesse der günstig arbeitenden Gruben liegen, den infolge des anderweitigen Wettbewerbes sinkenden Preisen eine erhöhte Förderung gegenüberzustellen und so die Rentabilität aufrecht zu erhalten. In diesem Augenblicke aber hatten die Besitzer der guten Gruben, welche früher das Kartell so lebhaft als den ..Erhalter" der ungünstigen Betriebe gepriesen hatten, kein Interesse mehr daran, etwas ..zugunsten der Gesamtheit"' zu tun, was ihnen selbst Schaden brachte. Dies bekundete sich nicht zum wenigsten darin, daß eine Revision, wie sie die un- günstig arbeitenden Gruben gewünscht hatten, ausblieb. Dem gegenüber verschärfte der langdauernde Streik, der im April 1844 ausbrach, die Wirkungen, w-elche der Preisfall ausüben mußte. So brach noch im Jahre 1844 das Kohlenkartell zu- sammen.

Seit dieser Zeit ist der Verkauf nordenglischer Kohle unter freiem Wettbewerb der Grubenbesitzer erfolgt.^) Im Jahre 1845 freilich wurde noch ein Versuch gemacht, das zersprungene Kartell durch eine andere Organisation festerer Art wieder her- zustellen.^) Zahlreiche bedeutende Grubenbesitzer in Durham planten damals, alle nördlichen Gruben anzukaufen und zu einem einheitlichen Ganzen in einer Gesellschaft zu amalga- mieren. Allein dieser Plan man hatte bereits Zirkulare und einen Prospekt gedruckt scheiterte an dem Widerstand einzelner großer Kohlenmagnaten. Ebenso kam eine gemein- same Produktionsregulierung, wie sie die Grubenarbeiter in jener Zeit vorschlugen, nicht zu Stande.^) In der Folgezeit nahmen

^) Für die Frage der Erfolglosigkeit eines neuen Kohlenkartells nach 1845 vgl. die Ausführungen von Dünn im Mining Almanack. London 1849, S. 152 153, -) Vgl. Report von 1873, qu- 7525 7528. ') Vgl. Rogers a. a. O., S. 617; auch Report von 1873.

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diejenigen Umstände noch stärker an Bedeutung zu, welche die eine Voraussetzung des Kartells, die Monopolisierbarkeit des Absatzmarktes, vernichtet hatten. Zwar stieg auch in den 50er und 60 er Jahren die Förderung an Kohle in den nördlichen Distrikten noch rasch, aber in anderen Distrikten Großbritanniens war die Zunahme noch stärker. So stieg die Produktion des South-Durham-Distriktes von ca. 11 Millionen tons im Jahre 1856 auf ca. 17 Millionen tons im Jahre 1872. Die Förderung von Südwales aber war in jener Periode von 5 ^/j auf 10 Millionen, die von Schottland von 9 auf 15 Millionen tons und die der mittleren Grafschaften von 4^/2 Millionen auf 10 ^/g Milli- onen tons gestiegen. Auch in Yorkshire, Lancashire und in den westlichen Grafschaften hatte die Kohlenförderung rapide Fortschritte gemacht, so daß die Produktion des nordöstlichen Distriktes an relativer Bedeutung gegenüber der Gesamtpro- duktion eingebüßt hatte. ^)

Auf der anderen Seite hatte die intensive Weiterentwicklung der Verkehrsmittel die Wettbewerbsmöglichkeit jener einzelnen Distrikte miteinander immer stärker gesteigert. Das große wirt- schaftliche Privileg des nördlichen Distriktes hatte Jahrhunderte lang darauf beruht, daß der Transport zur See im Vergleich zum Landtransport eine ganz außerordentliche Billigkeit auf- wies. Die Fortschritte im Kanal- und Eisenbahnbau und in der Verkehrstechnik überhaupt stellten jene Transportmöglichkeit immer mehr in den Schatten. Immer stärker konnten Distrikte, welche im Binnenlande lagen, an der Versorgung solcher Märkte teilnehmen, welche bisher auf die Zufuhr zur See angewiesen gewesen waren. Im Jahrfe 1850 waren 55 000 tons Kohlen per Bahn und 85000 tons per Kanal nach London transportiert worden: im Jahre 1868 wurden 2 988 000 tons per Bahn und Kanal nach London transportiert. In den folgenden Jahren nahm der Trans- port per Bahn und Kanal rapid an Bedeutung zu. Von 7 556 000 tons Kohlen, welche im Jahre 1872 nach London ver- frachtet wurden, waren 5 Millionen tons per Bahn oder Kanal nach ihrem Bestimmungsort gelangt. Dabei zeigen die Angaben

') Vgl. Report von 1873, S. 324 und 325. Will man die Produktion für den nördlichen Kohlendistrikt zusammenfassen, so muß man infolge der eigenartigen Einteilung in der Statistik auch Cumberland mit einbeziehen, das, wirtschafllich genommen, nicht in jene Distrikte gehört. Dann wäre zwischen 1856 und 1872 die Produktion jenes Distrikts von 20 auf 30 Millionen tons, die Gesamtproduktion Großbritanniens von 71 Millionen auf 123 Millionen gestiegen.

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der einzelnen Bahngesellschaften, welche an jener Zufuhr be- teiligt waren, daß ein großer Teil derselben aus nicht nordöst- lichen Gebieten stammte. So beförderte die Midland Railway allein 1 615 000 tons nach London, die London and N. Western ca. 1000 000 tons, die Great Eastern 687 000 und die Great Western 581000 tons.^) Es hatte also die Versorgung Londons seit der Zeit, in der das Kartell geblüht hatte, eine gänzlich andere Gestalt angenommen! Während die Gesamt-Zufuhr im Jahre 1872, wie wir hörten, auf 7 500 000 gestiegen war, hatte der nördliche Distrikt nunmehr ca. 2 200 000 tons Kohle zur See nach London gesandt, und wenn wir die Zufuhr der Great Northern Railway als aus jenem Distrikte stammend ansehen, nur ca. 1000000 tons per Bahn. War in den 30 er Jahren noch die Zufuhr aus anderen als nordöstlichen Gebieten nur im Not- falle in Anspruch genommen werden, so machte sie jetzt mehr als die Hälfte des Kohlenbezugs der Metropole aus. Gerade aber in Rücksicht auf diesen Umschwung der Absatzverhältnisse konnte der Ausschußbericht von 1873 betonen^), „daß er nicht glaube, irgendeine Vereinigung von Unternehmern oder Ar- beitern könne in künstlicher Weise den gewöhnlichen Wirkungen von Angebot und Bedarf dauernd entgegentreten oder den Marktpreis beeinflussen, indem sie die Kohlenförderung dem Bedarf anpasse". Der starke Wettbewerb der zahlreichen Pro- duktionsstätten, welcher an den zentralen Absatzmärkten vor- herrschte und sich bei einem Steigen der Preise sofort steigern mußte, wirkte dahin, daß Kartellierungen einzelner Distrikte zur Erhöhung der Preise aussichtslos geworden waren. Auf der anderen Seite machte die Vielheit der örtlich getrennten Pro- duktionsgebiete ein gemeinsames Zusammengehen derselben schwierig. Obschon England in den 70er Jahren, wie Sir Ge- orge Elliot erklärte^), auf eine Kohleneinfuhr in keiner Weise rechnen konnte, und damit den Grubenbesitzern trotz des Freihandels ein Monopol auf dem heimischen Markte ge- geben war, entstand kein Kartell zur gemeinsamen Ausbeutung dieses Monopols."^)

^) Vgl. Report von 1873, S. 317.

*) Vgl. ebenda, p. X.

') Vgl. ebenda, qu. 764I ff.

*) Vgl. ebenda, p. X. „Betrachtet man die große Ausdehnung der Kohlenfelder in Großbritannien, die Zahl der Gruben und die Verschiedenheit der geförderten Produkte, welche . . . bei gewissen Preisen für andere Zwecke verwendet werden können als die ihnen eigentümlichen ... so kommt man zu der Überzeugung, daß keine Vereinigung

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Niemand konnte voraussehen, daß mit der Auflösung der Vend eine Form industrieller Organisation zersprungen war, die ein halbes Jahrhundert später für zahlreiche Industrien der ver- schiedensten Länder charakteristisch werden sollte. Man be- trachtete vielmehr die Geschichte derselben als einen Versuch, den „natürlichen" Verlauf des Konkurrenzkampfes, wie er sich in allen Industrien abspielte, zu unterbinden, und glaubte, in dem endgültigen Scheitern dieser monopolistischen Vereinigung einen erneuten Beweis für die Richtigkeit alles dessen zu sehen, was die klassische Nationalökonomie über den Wettbewerb ge- lehrt hatte.

von Unternehmern oder Arbeitern auf die Dauer die gewöhnlichen Wechselwirkungen von Angebot und Nachfrage durch eine Anpassung der Förderung an den Bedarf beeinflussen kann" usw. Dies sind die Worte des Berichterstatters.

Dritter Abschnitt.

Die Neuorganisation der englischen Großindustrie auf monopolistischer Grundlage.

1. Einleitendes. Der Übergang zur Gegenwart.

Das war das Bild großgewerblicher Organisation in England während des ganzen 18. Jahrhunderts, vor allem aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, jener Epoche ungeahnter Industrie- entfaltung gewesen: mit steigender Produktion in allen Zweigen eine rasche Zunahme der Einzeluntemehmungen, innerhalb der einzelnen Produktionsgebiete heftigster Wettbewerb zwischen den beteiligten Unternehmern, der nur hie und da, wenn bestimmte, man könnte sagen exzeptionelle Voraussetzungen gegeben waren, durch eine monopolistische Organisation zeitweilig verdrängt zu werden schien.

Noch Jahrzehnte hindurch erfuhr dieses Bild keine wesent- liche Veränderung. Als im Jahre 1886 ein parlamentarischer Aus- schuß umfangreiche Berichte über die Depression in Handel und Gewerbe veröffentlichte, da wurde von den Sachverständigen mit ebenso heftigen Äußerungen über den ruinösen Wettbewerb ge- klagt, wie es zuvor, im Jahre 1833, geschehen war. Schon Lord Brassey, der beste damalige Kenner des Industrielebens, hatte zu Ende der 70er Jahre die Krisis damit begründet^), „daß die bri- tischen Industriellen in der Schnelligkeit, mit der sie ihre Fabriken vermehrt hätten, weit über ihre ausländischen Rivalen hinausgeeilt seien''. Aber in den bändereichen Beprechungen jener amtlichen Berichte der 80er Jahre fand sich nicht eine einzige Andeutung, daß irgendwo oder irgendwie der Versuch gemacht worden wäre, den so vielbejammerten Konkurrenzkampf durch eine gemeinsame Organisation abzuschwächen.^) Freilich, gewisse vorübergehende

^) Vgl. Lord Brassey, Papers and Addresses. London 1894, S. 215 216. -) Vgl. Reports on Depression of Trade and Industry. London 1886.

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Ansätze zu einer planmäßigen Abschwächung des Wettbewerbs zeigten sich in der Eisenindustrie, wenn sie auch vor den Parla- mentsausschüssen nicht zur Sprache kamen. Es handelte sich um lokale Vereinbarungen, die zumeist auf eine Reduktion der Roheisenproduktion hinausliefen.^) Schon für die 30er Jahre sind in Depressionszeiten solche Vereinbarungen losester Art nach- weisbar.^) Aber wie damals, so waren auch die Verabredungen in den 80er Jahren weder von entscheidendem Einfluß auf die Gestaltung der Absatzverhältnisse in der Eisenindustrie noch auch von geringster Dauerhaftigkeit. Es hieße, sie in ein falsches Licht rücken, wenn man sie etwa mit den gegenwärtigen Kar- tellen oder Syndikaten vergleichen wollte. Auch wären sie wohl von der Nationalökonomie Englands damals kaum beachtet wor- den, wenn man nicht in ihnen, wie es z. B. Rogers tat, Ver- kleinerungen gewisser zu Ende der 80er Jahre in den Vereinigten Staaten emporschießenden Trusts zu sehen geglaubt hätte. ^)

Wenn Rogers schon im Jahre 1889 „die wohltätige Wirk- samkeit des Wettbewerbs am Ende angelangt" sah und für die nächste Zeit eine systematische Kartellierung und Vertrustung in England in Aussicht stellte, so trat jedenfalls diese Entwicklung in den nächsten 10 Jahren noch nicht ein. Im Gegenteil! Die Kartell- und Trustfrage schien in England bis vor kurzem keine andere als die, warum solche monopolistische Vereinigungen, wie sie in Deutschland, Frankreich, den Vereinigten Staaten von Amerika und anderen großindustriellen Ländern sich ausgebreitet hatten, in Großbritannien fehlten oder zumindest sich äußerst langsam entwickelten. ,,Als bei uns das Kartellproblem schon eine außer- ordentliche Rolle spielte, war in England, von dem man sonst gewohnt ist, daß alle wirtschaftlichen Erscheinungen sich dort zuerst entwickeln, noch kaum davon die Rede," so schrieb Lief- mann*) auf Grund persönlicher Studien, die er zu Ende der 90er Jahre gemacht hatte. Dem vorsichtigen Forscher war es nicht entgangen, daß schon seit einigen Jahren eine Reihe von monopolistischen Unternehmungen, vor allem in der Textilindustrie, auch in Großbritannien existierten. Es war keine große Zahl,

') Vgl. H. W. Macrosty, The Trust Movement in British Industry. London 1907, S. 57 ff.

*) Vgl. z. B. The Mining Journal. 17. Dezember 1836, S. 212; ebenso 14. Januar ■837, S. II.

') Vgl. James E.Th. Rogers, Industrial and Commercial History. London 1S92, S. 377,

*) Vgl. R. Liefmann. Schutzzoll und Kartelle. Jena 1903, S. 7.

Levy, Monoi)ole, Kartelle und Trusts. 11

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wenn man diejenigen Unternehmungen oder Verbände auslöste, welche man vielfach fälschlich als Kartelle und Trusts bezeichnet hatte. ^) Allein ihre Zahl war groß genug, um der Ansicht, daß Großbritannien als Land des Freihandels keine großindustriellen Monopolorganisationen aufweise, eine Widerlegung zu bieten.

Die Zahl der monopolistischen Vereinigungen, die eine Dauer- haftigkeit zeigten, war in Großbritannien noch zu Ende der 90er Jahre und zu Anfang des neuen Jahrhunderts weit geringer als in Amerika und Deutschland, ihre Struktur, ihre Organisation und ihr Machtbereich anders geartet als es dort der Fall war und endlich auch ihr Fortschritt weit langsamer als in anderen Ländern. Aber welches auch die Ursachen dieser Verschiedenheiten sein mochten, mit denen wir uns später noch ausführlich zu beschäf- tigen haben, eine neue Entw^icklung großindustrieller Organisation schien nun durch jene monopolistischen Unternehmungsformen angebahnt zu sein. Man konnte nicht mehr, wie es im Jahre 1870 noch W. B. Hodgson getan hatte, ein Buch über den Wettbewerb schreiben ^). in welchem die Möglichkeit einer mono- polistischen Industrieorganisation überhaupt unerwähnt blieb. Aber die Beurteilung derselben, da, wo man eine solche vor- nahm, unterschied sich in England zunächst wenig von den Anschauungen, welche die klassische Nationalökonomie über die Monopole verbreitet hatte. Noch zu Ende der 90er Jahre hören wir^) Professor F. J. Edgeworth die Theorie vom menschlichen Selbstinteresse vortragen, welches den Wettbewerb von Natur aus bedinge. „Wettbewerb ist ein fast unausrottbares Erzeugnis des Selbstinteresses menschlicher Natur. Expellas furcam tamen usque recurret. Vereinigungen, welche dieser Tendenz zu widerstehen suchen, sind einer Zersprengung ausgesetzt." Etwas vorsichtiger hatte sich zu Anfang der 90er Jahre Rogers aus- gedrückt.*) Er glaubte an die Weiterentwicklung des Syndikat- und Trustwesens, dessen Anfänge er beobachtet hatte. Aber, wenn er auch die Sicherheit der Konsumenten nicht aus jenem einzig auf den Wettbewerb gerichteten natürlichen Selbstinteresse

') Vgl. ebenda S. 64; dort wird auf das Ruch Macrosty's verwiesen, in welchem sich derartige Verwechslungen vorfinden, sowie auf Hub er und Menzel. Auch in der deutschen Kartellenquete, Heft 5, Berlin 1904, S. 377 380 findet sich eine Liste eng- lischer Monopolvereinigungen, die zum großen Teil auf falschen Vorstellungen vom Wesen dieser Unternehmungen aufgebaut ist.

-) Vgl. W. B. Hodgson, Competition. Lectures on Economic Science. London 1870.

') Vgl. Palgraves Dictionarj', Vol. II, S. 379a.

♦) Vgl. Rogers a. a. O., S. 378.

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der Produzenten herzuleiten wagte, so klammerte er sich doch, wie es ja seit Adam Smith geschehen war, an das Gesetz vom Ausgleich der Gewinne als dem Palliativ gegen alle monopolisti- schen Auswüchse der Vereinigungen. „Das für starke Unter- nehmer oder eine Vereinigung derselben profitable Verfahren," so schrieb er, „ist bisher das gewesen, durch niedrige und unlohnende Preise die Schwachen zu ruinieren und dann, im Besitze des Monopols, einen Beutezug gegen das Publikum zu unternehmen. Obschon dies Verfahren einzelne Individuen bereichern mag, kann es doch nur vorübergehend sein. Früher oder später beginnt der Wettbewerb und die außergewöhnlichen Gewinne bleiben aus."

Es ist nicht wunderbar, daß in einem Lande, in welchem für mehr als ein Jahrhundert lang jene Lehre vom freien Wett- bewerb unbedingt Geltung beansprucht hatte, nun, angesichts der sich ändernden realen Grundlagen, die jene Lehre voraus- gesetzt hatte, die Nationalökonomie keinen plötzlichen Abfall wagte. Dies um so mehr, als sich ja gerade die Veränderungen in Großbritannien langsam vollzogen. Es ging wie mit mancher volkswirtschaftlichen Theorie. Die Lehren der klassischen Na- tionalökonomie über den Wettbewerb, der ebenso im Interesse der Konsumenten wie in demjenigen der Produzenten läge, hatte als unbedingte Wahrheit gegolten, nicht etwa weil sie richtig war, sondern weil ihr die Entwicklung der Tatsachen lange Zeit entsprach. Gerade so etwa, wie die Lehre von der Über- legenheit des Großbetriebes in der Landwirtschaft sich so lange erhielt, wie der Großbetrieb tatsächlich über andere landwirt- schaftliche Betriebsformen dominierte. Wie man nun auf Grund dieser Lehre, selbst als sich der Kleinbetrieb immer stärker aus- breitete, noch lange Zeit die neue Entwicklung mißtrauisch und ungläubig betrachtete, so ging es auch mit dem Entstehen mono- polistischer Verbände.

Allein, die seit dem Ende der 90 er Jahre und zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer stärker sich befestigende Monopol- organisation der deutschen und amerikanischen Industrie und das Entstehen internationaler Monopolgemeinschaften, endlich auch die Anfänge dieser Entwicklung in England selbst ließen die mangelnde Allgemeingültigkeit der bisherigen Vorstellung vom Konkurrenzkampf auch dem Engländer immer deutlicher werden. Vollzog sich doch eine unaufhaltsame Neuorganisation der Großindustrie auf monopolistischer Grundlage in den größten neuzeitlichen Industriestaaten, eine Organisation, deren Wirk-

11*

164

samkeit ganz neue ökonomische Phänomene hervorrief und jeden- falls die Lehre vom freien Wettbewerb zum ersten Male wieder seit langer Zeit als die Anschauung von etwas „Sein sollenden'', nicht aber „Seienden" erscheinen ließ. „Konkurrenz und Ge- werbefreiheit gehören heute zur Vergangenheit. Wir leben im Zeitalter des mehr und mehr sich ausbreitenden Monopols," schrieb Brentano im April 1904.^) Der Konkurrenzkampf der o-roßindustriellen Unternehmer, welcher bisher, besonders in England, als selbstverständliches Resultat eines unumstößlichen Wirtschaftsgesetzes aufgefaßt worden war, wurde zu einer Mög- lichkeit industrieller Organisation, aber sozusagen zu der „ver- alteten" Möglichkeit. Viele im Auslande betrachteten das zähe Fortbestehen des Wettbewerbes in der englischen Großindustrie nurmehr vom Standpunkt der fehlenden Monopolorganisation. Und dieser Standpunkt ist auch heute noch sicherlich berechtigt. Deutsche und amerikanische Volkswirte, welche sich mit den Voraussetzungen der Kartell- und Trustentwicklung vertraut ge- macht haben, müssen mit besonderem Interesse nicht nur die monopolistisch organisierten Industrien studieren, sondern gerade auch diejenigen, in welchen eine solche Organisation bisher nicht versucht wurde oder mißlungen ist. Nur die Durchforschung dieser „fehlenden" Voraussetzungen schützt in den Kartell- und Truststudien vor einer hastigen Verallgemeinerung, wie sie einst auf Grund der anscheinend allgemeingültigen Verhältnisse mit der Ana- lyse des freien Wettbewerbes vorgenommen wurde. Für eine der- artige Untersuchung aber bietet die Industrie Großbritanniens, von der wichtige Zweige, die in anderen Ländern monopolistisch organisiert sind, heute noch dem freien Wettbewerb unterstehen, den vielleicht geeignetsten Ausgangspunkt. Hätten die national- ökonomisch Denkenden in England ihren leider noch immer recht britisch-insularen Gesichtskreis der weltwirtschaftlichen Entwicklung angepaßt, wäre gewiß diese Frage nicht unberück- sichtigt geblieben. So aber begann das Problem der groß- industriellen Monopolorganisation überhaupt erst die Engländer zu interessieren, als sie in England selbst Ansätze zeigte. Und auch dann noch wurde von keiner Seite aus der Versuch ge- macht, zu erkennen, warum jene Entwicklung so verspätet ein- setzte und im Vergleich zu der weltwirtschaftlichen Bedeutung

*) Vgl. L. Brentano, Die beabsichtigte Neuorganisation der deutschen Volks- wirtschaft. Süddeutsche Monatshefte 1904, S. 255.

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der britischen Industrie zunächst nur für einen kleinen Kreis der dortigen Industrieproduktion Geltung gewann. ^) Man begnügte sich sowohl in England wie im Auslande, wenn man überhaupt jenes Problems gedachte, den Zusammenhang dieser etwas rätsel- haften Erscheinung auf allgemeine, spezifisch englische Wirtschafts- eigentümlichkeiten zurückzuführen, ohne etwa den Einfluß der- selben auf die tatsächliche Gestaltung der Konkurrenzverhältnisse im einzelnen darzulegen. So waren es eigentlich mehr Ver- mutungen als Erklärungen, die man aussprach. Dahin gehörte die Auffassung, daß der Freihandel oder auch ein, infolge der Lage Englands zum Meere, geringer Frachtenschutz die Kartel- lierung oder Vertrustung zum Zweck der Preiserhöhung unmöglich mache. Wir wollen von diesem Gedanken noch später sprechen. Er ist heute durch eine tatsächliche Entwicklung lebensfähiger englischer Monopolverbände widerlegt.^) Aber selbst in jener Zeit, in der noch keine Monopolorganisation der englischen Industrie bestand, hätte man von dieser Erklärung Abstand nehmen müssen, wenn man das, was doch zunächst nichts anderes als eine Behauptung war, auch tatsächlich hätte be- weisen wollen. Schon grundsätzlich stellten sich jener Erklärung Bedenken entgegen. Denn es kann eine Industrie ihre Monopol- stellung gegenüber dem Auslande ganz anderen Tatsachen als einem Zolltarif oder einem Frachtenvorsprung verdanken, es sind ferner internationale Verabredungen möglich, und es kann endlich, wie Liefmann schon frühzeitig betont hat^), der Konkurrenz- kampf die Preise weit unter diejenige Grenze treiben, „bei welcher in einem Lande mit Freihandel Einfuhr von außen möglich erscheint". Verschiedene Beispiele werden wir später zum Beweise für das tatsächliche Vorhandensein dieser Möglich- keiten in England anführen können. Hier interessiert uns zu- nächst noch eine weitere ,, Erklärung" der „geringen" Kartell- und Trustentwicklung in England, die zwar gänzlich anderer Art ist als die soeben berührte, aber mit ihr das Fehlen eines positiven Beweises gemein hat. Es handelt sich um die Auf- fassung, daß die Psychologie des britischen Unternehmertums der Kartellierung und Vertrustung abhold sei.

^) Selbst bei Macrosty, dem besten Kenner englischer Trusts, fehlte die Er- örterung der ,, fehlenden" Vorbedingungen gänzlich.

^) Dieser Tatsache wird auch überall heute bei der Erörterung von Freihandel und Kartellen gebührende Rechnung getragen, vgl. Brentano a. a. O. S. 260 und Pierce, The Tariff and the Trusts. New York 1907, S. 56.

') vgl. Lief mann a. a. O., S. S.

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Vertreten wurde dieser Standpunkt vor allem durch Lief- mann. Er erklärte^): „Der Hauptgrund, daß in zahlreichen Industriezweigen dort Kartelle noch fehlen, schien mir darin zu liegen, daß die Lehren des extremen Individualismus in England noch einen so festen Boden im Unternehmertum haben. Der Gedanke, daß die , .freie'' Konkurrenz der „natürliche*' Zu- stand des Wirtschaftslebens sei, und daß bei ihr der Vorteil aller am besten gewahrt bleibe, ist dort noch außerordentlich mächtig und verbreitet.''

Erwägt man, daß die Engländer sich in der Tat in wirt- schaftlichen Dingen durch einen für die heutige Zeit etwas be- denklichen Konservativismus auszeichnen, so scheint die Auf- fassung Liefmann's, die übrigens von Professor Jenks geteilt wurde ^), nicht gerade unplausibel. In England hat man das Fehlen der Kartell- und Trustorganisation dem Unternehmertum oft geradezu wie eine Unterlassungssünde angerechnet. Aber ein Beweis, daß wirklich eine derartige ps3^chologische Abneigung die Ursache für das Fehlen der Monopolbildung in den 80er und 90 er Jahren gewesen sei, ist nie erbracht worden. Man be- trachtete den Einfluß der Lehre vom Wettbewerb auf den eng- lischen Unternehmer als gegebene Größe und folgerte daraus das passive Verhalten desselben gegenüber der Monopolorgani- sation. Die konkrete Erhärtung jenes behaupteten Zusammen- hanges wäre hier aber um so notwendiger gewesen, als ver- schiedene Tatsachen durchaus gegen jene Auffassung sprechen und geeignet sind, die Hypothese zu entkräften, welche die schwache Entwicklung von Kartellen und Trusts mit der eng- lischen Unternehmerpsychologie in Verbindung setzt. Vor allem bietet die Geschichte der frühzeitigen Kohlenkartelle einen wichtigen Anhaltspunkt dafür, daß selbst in einer Zeit, in welcher die Lehren der klassischen Nationalökonomie noch weit mächtiger im englischen Volke waren als heute, monopolistische Vereinigungen der Unternehmer existierten. Wenn also Lief mann gerade im Hinblick auf den heutigen Konkurrenzkampf in dem englischen Kohlenbergbau seine Auffassung von dem Einfluß des Indivi- dualismus vertritt, so muß man fragen, warum sich jener Einfluß nicht schon bei den Zechenbesitzern gezeisft hat, die in der Vend von Newcastle 70 Jahre lang das mächtigste Kohlenkartell

^) Vgl. Lief mann a. a. O., S. 8 u. 9.

^) ^^o^- Jenks in Industrial Commission. Vol. XVIII. S. 9.

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geschaffen hatten, das bisher überhaupt existiert hat. Die mono- poHstische Organisation der Kupferproduktion zu Ende des 18. Jahrhunderts bot uns ein anderes wichtiges Beispiel für die Möghchkeit von Kartellen der Vergangenheit, und Babbage hat in den 30 er Jahren von einem Buchhändlerkartell erzählt '), dessen Zweck es war, „to put down all competition" und von dem wir, wenn auch nähere Aufschlüsse fehlen, eine frappante Ähnlich- keit mit dem „Börsenverein der deutschen Buchhändler" nach- weisen können.-) Betrachtet man ferner die 80er und 90er Jahre, die Epoche der karteil- und trustlosen Zeit in England, so sieht man, daß es an mannigfachen Versuchen nicht gefehlt hat, durch welche große Unternehmer eine monopolistische Organisation ihres Industriezweiges anzubahnen suchten. Da finden wir z. B. schon zu Anfang der 80 er Jahre Versuche, die Roheisenproduktion zu syndizieren, jedoch nur mit vorübergehendem Erfolge. Eben- so bildete sich im Jahre 1894 im nördlichen England ein Kohlen- syndikat, welches Minimalpreise festsetzte und Förderbestimmungen aufstellte. Dieses Syndikat hielt sich kaum einige Monate.^) In der Papierindustrie, von der heute nur die Tapetenindustrie mono- polistisch organisiert ist, machte sich ebenfalls schon zu Ende der 80 er Jahre der Plan bemerkbar, ein Syndikat zu gründen. Aber dasselbe wurde nie verwirklicht. Auch die bekannten Birmingham Alliances bilden ein Glied in der Reihe früherer englischer Mono- polorganisationen mit erfolglosem Ausgang. Sie wurden im Jahre 1891 zunächst für die Bettgestellindustrie, dann für andere Ge- werbe, ins Leben gerufen und waren bestrebt, im Bunde mit einer organisierten Arbeiterschaft, die Preise der Produkte ein- heitlich zu regeln. Auf die Dauer jedoch konnten diese Ver- bände ihr Ziel nicht erreichen, die Outsiders und die ausländische Konkurrenz mehrten sich und heute herrscht auch hier der freie Wettbewerb.

Man könnte noch für andere englische Industriezweige miß- ratene Kartell- und Trustversuche jener Epoche nennen, sei es nun, daß diese über die Gestalt eines Projektes nicht hinaus- kamen, sei es, daß sie kurze Zeit einige Lebensmöglichkeit zeigten. Daß in jener Zeit keine mächtigen, effektiven Kartelle und Trusts in England entstanden, wie etwa in Deutschland und in der Union, lag augenscheinlich nicht an dem fehlenden Willen der Unter-

^) Vgl. Economy of Manufactures. London 1833, 3 ed., S. 312.

-) Vgl. Näheres bei Levy in Schmollers Jahrbücher. 1908, S. 1538 1540.

'^) Vgl. Näheres bei Levy in Schmollers Jahrbücher. 1907, S. 1689 1690.

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nehmer. Es lag vielmehr an der Unmöglichkeit, ihren Willen erfolgreich durchzusetzen, sei es, daß der ausländische Wett- bewerb oder neu entstehende heimische Konkurrenz die Durch- führung desselben unmöglich machten.

Man darf also nicht übersehen, daß das sicherlich bestehende anti-monopolistische Rechtsbewußtsein des englischen Volkes und sein Glauben an den wirtschaftlichen Individualismus immer dort eine Grenze gefunden haben, wo der einzelne Volksgenosse sich nicht als Konsument, sondern als Produzent fühlte. Wo immer die Aussicht auf Durchführung einer Monopolorganisation wirkte und Gewinn versprach, da ist sie auch von den englischen Unternehmern angestrebt worden, wie es die Kartelle und Kartell- versuche der Vergangenheit deutlich erweisen. Daß schon zu Ende der 70 er und Anfang der 80 er Jahre die heute berühmten Schiffahrts-„Ringe" von britischen Linien inauguriert wurden, und daß Engländer es waren, die zu Anfang der 90 er Jahre die Salpeterkartelle in Chile anregten, sind ebenfalls Tatsachen, die den britischen Unternehmer weit ,,kartellfreudiger"' erscheinen lassen, als er es unter dem Einfluß individualistischer Anschau- ungen sein müßte. Hören wir schließlich noch eine Bestäti- gung dieser Auffassung von Professor Clapham, der das beste Buch über die englische Textilindustrie verfaßt hat'): ,,Es ist wahr," so schreibt er, „daß in allen Gewerbezweigen die Promo- toren eines Monopolverbandes mit besonderen Hindernissen zu kämpfen haben, nicht zuletzt mit einem starken Lokalbewußtsein und einem ausgesprochenen Individualismus der Fabrikanten. Aber diese Tatsachen sind früher überwunden worden und werden wieder überwunden werden, wenn ein Gewinn zu machen oder ein Verlust zu verhindern ist." Haben daher augenscheinlich die subjektiven, d. h. im Unternehmen liegenden, Vorbedingungen für die Monopolorganisation in Großbritannien trotz allen indi- vidualistischen Lehren nicht gefehlt, so bleibt nur die Vermutung übrig, daß die sachlichen Voraussetzungen für eine mono- polistische Beherrschung von Industriezweigen nicht in dem Maße wie in anderen Ländern in England entwickelt waren und zum Teil auch heute noch nicht vorhanden sind. Welches diese „fehlenden" Voraussetzungen sind, kann freilich erst eine ge- nauere Kenntnis der Produktions- und Absatzverhältnisse solcher Industriezweige zeigen, die heute in Großbritannien noch dem Regime des Wettbewerbs unterstehen.

*) Vgl. Clapham, Woollen and Worsted Industries. London 1907, S. 154.

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2. Die Sphäre des Wettbewerbes.

Eine sehr bedeutende Zahl von Kartellen und Trusts der verschiedensten Länder findet ihren wesentlichen Stützpunkt in dem Vorhandensein leicht monopolisierbarer mineralischer Roh- stoffe. Es handelt sich dabei einmal um solche Mineralien, deren Fundstätten in einzelnen oder wenigen Ländern von vornherein einen stark monopolistischen Charakter gegenüber anderen Län- dern aufweisen. Wir erinnern an die mächtigen Monopolorgani- sationen des deutschen Kalibergbaues, der österreichischen Kaolin- gewinnung, der Salpeterlager in Chile, der Marmorbrüche Italiens, der Petroleum-, Kupfer- oder Boraxgewinnung in der amerikani- schen Union, der Produktionsstätten von Rohzink in Deutschland, Belgien und Amerika, der Diamantenlager in Transvaal u. a. m. Wir erinnern zweitens an solche Produktionsgebiete, die, wenn auch nicht weltwirtschaftlich, so doch innerhalb eines bestimmten nationalen Rayons, zumeist infolge des Frachtenschutzes, eine monopolistische Stellung einnehmen, wie etwa die Kohlenlager in Amerika und Deutschland oder die großen Eisenerzdistrikte beider Länder.

Die natürliche Beschränktheit dieser Erdschätze sowie die im Bergbau von jeher ausgeprägte Anhäufung fixen Kapitals haben in all derartigen Produktionsgebieten mit verhältnismäßiger Leichtigkeit entweder feste Monopolverbände oder eine monopo- listische Vorherrschaft einzelner Interessenten relativ frühzeitig entstehen lassen.

Großbritannien besitzt demgegenüber keinen einzigen minerali- schen Rohstoff, an dem es anderen Ländern gegenüber eine natürliche Monopolstellung aufwiese. Die Kupferproduktion Großbritanniens, noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts die größte der Welt, wird heute auf die Bagatelle von 500 tons im Jahre geschätzt. 1) Ebenso ist die britische Zinkproduktion nur noch eine relativ geringe.^) Die Zinnerzeugung Cornwalls, welche über 2000 Jahre lang die berühmteste war, betrug im Jahre 1905 nur 5040 short tons gegenüber 65565 short tons in den Malayi- schen Staaten.^) Ebenso ist die britische Bleierzeugung, be- sonders in den letzten 20 Jahren, weit hinter der Erzeugung der Vereinigten Staaten, Spaniens, Deutschlands und Australiens zu-

*) Vgl. Mineral Resources. Washington 1906, S. 358.

2) Vgl. L. V. Wiese a. a. O.

') Vgl. Mineral Resources a. a. O., S. 448.

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rückgeblieben, von deren Gesamtproduktion sie nur mehr einen ganz kleinen Bruchteil ausmacht.^) Heute beschränkt sich die mineralische Bodenproduktion Großbritanniens im wesentlichen auf ganz wenige Produkte. Von dem Wert von 135,2 Millionen £, welche im Jahre 1907 die mineralische Bodenproduktion in Groß- britannien an den Gewinnungsstätten repräsentierte, fielen allein 120,5 Millionen auf Kohle. Dann 4,4 Millionen auf Eisenerz, auf die wichtigsten Zweige der Gruppe Steine und Erden, welche für die Portlandzementindustrie von großer Bedeutung ist, 7,1 Millionen, und auf die im Rahmen der Weltproduktion nicht unwichtige Salz- gewinnung 0,6 Millionen £. Im Ganzen also repräsentierten, wie man sieht, diese vier Produktionen von 135,2 : 132,6 Millionen je. Die übrige mineralische Produktion zersplittert sich auf Produkte, die Großbritannien im Vergleich zum nationalen Bedarfe nur in ge- ringen Mengen herstellt.^) Von den bedeutsamen britischen Mineral- produktionen besitzt keine einzige einen im Sinne der Weltver- sorgung monopolistischen Charakter. Vom Standpunkt des nationalen Absatzes aber ist auffallend, daß gerade jene wichtig- sten Rohstoffproduktionen und diejenigen, welche in anderen Ländern die stärksten Monopole darstellen, in Großbritannien noch heute das Bild eines ausgeprägten Konkurrenzkampfes bieten. So vor allem die Kohlengewinnung.

Hier handelt es sich um einen Produktionszweig Groß- britanniens, der zwar vom weltwirtschaftlichen Standpunkt aus, seine einstige monopolistische Stellung in den letzten 20 Jahren mehr und mehr verloren hat^), aber andererseits von einem aus- ländischen Wettbewerb auf dem heimischen Markte noch niemals berührt worden ist. Ein englischer Kohlentrust hätte in den 80 er und 90 er Jahren selbst bei einer von ihm vorgenommenen be- trächtlichen Preissteigerung die Einfuhr fremder Kohle nicht zu fürchten gehabt. So schreibt z. B. Jeans im Jahre 1894*): „So- weit der ausländische Wettbewerb in Frage kommt, würde eine Vereinigung, die den Preis des Brennmaterials im Inlande erhöhen wollte, wahrscheinlich auf keine Schwierigkeit s.toßen, und das ist mehr als von anderen Industrien gesagt werden kann."

^) Vgl. Statistisches Jahrbuch f. d. Deutsche Reich. Berlin 1908, S. 31*.

*) Vgl. Mines and Quarries, Part III, London 1908, passim u. S. 125.

') Für die statistischen Unterlagen hierfür vgl. D. A. Thomas, The Growth and Direction of the Foreign Trade in Coal, in Journal of the Royal Statistical Society. London 1903, S. 491.

*) Vgl, J. St. Jeans, Trusts, Pools and Corners. London 1894, S. 67.

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Ashley meinte^) im Jahre 1903, wenn mehrere Monate hindurch ein „sehr hoher" Kohlenpreis in England herrschen würde, so könnte dieser vielleicht Kohle aus Deutschland und Frankreich nach dem englischen Markte ziehen. In praxi ist jedenfalls die Einfuhr ausländischer Kohle in Großbritannien noch niemals disku- tiert worden. Auch wäre sie ia nicht schlechthin bei sehr hohen Preisen zu erwarten, sondern nur in dem Falle, daß auf dem englischen Markte die Preise außerordentlich hoch wären, während sie in Deutschland, Belgien oder auch Amerika einen Tiefstand zeigten. Aber selbst im Jahre 1900, dem Jahre der großen eng- lischen Kohlenteuerung, in welchem besonders infolge des Buren- krieges der englische Kohlenpreis eine ungewöhnliche Höhe er- reichte, wurde in England deutscher oder amerikanischer Wett- bewerb nicht fühlbar, obschon die Kohlenpreise sowohl in Deutsch- land wie in Amerika nicht annähernd so stark in die Höhe gegangen waren, wie in Großbritannien.'^) Der verstärkte Wett- bewerb jener Länder zeigte sich damals nur darin, daß sie im Export nach nicht -englischen Gebieten mit britischer Kohle erfolgreicher konkurrierten. Ja, es wurden damals Gebiete, in welchen bisher englische Kohle ein Monopol besessen hatte, von nicht-britischer Kohle erobert. So zeigte sich im Jahre 1900 zum ersten Male amerikanische Kohle in Gebieten des mittelländischen Meeres, deutsche Kohle an der Nordwestküste Frankreichs in Wettbewerb mit englischer Exportkohle. ^) Aber England selbst blieb in seiner Kohlennot von der Einfuhr unberührt.

Im Jahre 1901 trat dann ein starker Rückgang der Kohlen- preise in England ein, während die deutschen und amerikanischen Preise auf ihrem Stande verharrten.*) Es war nun augenfällig, daß bei dieser Lage der internationalen Absatzverhältnisse ein englisches Kohlenkartell den heimischen Preisfall, der eben nur im Inlande verspürt wurde, hätte aufhalten können. Es wurde daher auch im September 1901 die Gründung eines solchen

^) Vgl. W, J. Ashley, The Adjustment of Wages. London 1903, S. 49. ^) Nach Chapman, Work and Wages, London 1904, betrug der Kohlenpreis an der Grube durchschnittlich für eine engl. Tonne in sh:

1897 1898 1899 1900

Vereinigtes Königreich 5 sh 1 1 d 6 sh 4^4 d 7 sh 7 d 10 sh 9*/^ d

Deutschland 7 i^/j 7 41/., 7 9'U S 10

in Ver. Staaten von Amerika 7 7 1/2,, 4 5 » 4 8V2 5 3 Vi v

») Vgl. D. A. Thomas a. a. O., S. 491.

^) Vg'- Uhde, Die Produktionsbedingungen des Steinkohlenbergbaues. Jena 1907 und Thomas a. a. O., S. 491.

172 -

Kartells von bedeutenden Interessenten lebhaft erörtert. Daß ein solches Kartell bei einer Preiserhöhung auswärtigen Wett- bewerb nach England ziehen würde, konnte nicht einmal von den Gegnern der Kartellidee behauptet werden. Diese begnügten sich auch nur, darauf zu verweisen, daß eine solche Erhöhung eventuell den ausländischen Wettbewerb in gewissen Export- gebieten verstärken würde. ^) Jedenfalls war es nicht die Furcht vor einer Herausforderung ausländischer Einfuhr, welche die da- maligen Kartell- und Trustpläne scheitern ließen.

Es war vielmehr etwas anderes. Diejenigen Tatsachen, welche einst die alte Vend trotz ihres 70jährigen Bestehens unterofraben hatten, bestehen auch heute noch fort und verhindern die Entstehung einer Monopolorganisation im englischen Kohlen- bergbau. Diese Tatsachen lagen, wie wir früher schon hörten, in der Mannigfaltigkeit der Produktionsstätten, die entstanden waren und die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Fortschritte des Verkehrswesens miteinander in Wettbewerb gebracht wurden. Im Jahre 1906 verteilte sich die britische Kohlenproduktion^) von ca. 251 MiUionen tons auf die Haupt- inspektionsdistrikte in folgender Weise: Schottland produzierte ca. 39 Millionen, Newcastle und Durham ca. 54 Millionen, Yorkshire und Lincolnshire 35, die mittleren Grafschaften 33, Wales ca. 52, Lancashire 11, Staffordshire und die südlichen Grafschaften je 15 Millionen Tonnen. Auf alle Teile des Landes verteilt sich also die Kohlenproduktion. Eine einheithche örtliche Konzentra- tion der Produktion, wie sie Deutschland in Rheinland-West- falen und Schlesien, Amerika in der ost-pennsylvanischen Anthrazitregion oder auch in seinem Weichkohlengebiet aufweist, findet sich in Großbritannien nicht vor.

Auch hat es nicht an Erfahrungen gefehlt, welche deutlich zeigten, daß bei der Mannigfaltigkeit der Kohlendistrikte eine Kartellierung wenig Aussicht bietet. So zersprang nach kurzem Bestehen die Durham Goal Association vom Jahre 1894, nachdem ihre Preiserhöhungen den Wettbewerb der Yorkshirekohle auf dem Londoner Gaskohlenmarkt gesteigert hatte. Ähnliches Schick- sal traf eine Lancashire and Cheshire Goal Association vom Jahre 1894, welcher ebenfalls der Wettbewerb der outside-Distrikte ein rasches Ende bereitete.')

1) Vgl. Economist 1901, S. 1433.

*) Vgl. Mines and Quarries. General Report etc. London 1907, S. 14 u. 15.

3) Vgl. Macrosty a. a. O. S. 88—92.

173 ~

Günstiger lagen die Verhältnisse in Wales und hier haben seit dem Anfang der 1870er Jahre ^) bis heute Kartellprojekte einen geeigneten Nährboden gefunden. Aber, wie ausgezeichnet die wallisische Dampfkesselkohle auch sein mag, sie erfährt bei hohen Preisen doch die Konkurrenz der nordenglischen Kohle '^), so daß auch hier eine effektive Organisation beide Distrikte um- spannen müßte. ^)

Nun ist freilich zu bedenken, daß die genannten Distrikte nicht alle die gleichen Kohlenqualitäten produzieren und insofern nicht immer miteinander konkurrieren, und daß manche Distrikte hier- durch wohl gewisse Absatzvorteile haben. Aber sobald ein Distrikt eine beträchtliche Preiserhöhung seiner Kohle vornehmen würde, könnte Kohle anderer Distrikte, selbst wenn sie ihrer Qualität nach anders geartet wäre, von den Konsumenten herangezogen werden,*) Schon ein amtlicher Bericht vom Jahre 1873'^) spricht von „den verschiedenen Kohlenqualitäten, die zwar ursprünglich für besondere Zwecke gefördert würden, aber bei hohen Preisen auch anderweitig Verwendung fänden". Eine Ausnahme '') in dieser Hinsicht bildet nur das Gebiet der reinen Anthrazitkohle im äußersten Westen von Südwales. Kein anderes Gebiet Groß- britanniens produziert solche Kohle. Jedoch der ganze Distrikt fördert nur 2^/2 Millionen tons im Jahre, und der Grubenbesitz ist stark zersplittert.

Sieht man von dieser einzigen und für die Kohlenproduktion als Ganzes belanglosen Ausnahme ab, so bleibt als Resultat: daß Monopolverbände in den einzelnen Distrikten einen höchst be- schränkten Wirkungskreis haben würden. Nur eine planmäßige und einheitliche Kartellierung oder Vertrustung aller Gebiete könnte eine wirksame Monopolorganisation schaffen.

^) Vgl. Report on Goal von 1873, qu. 7522 und 7529.

2) Vgl. Macrosty, S. 86 und Ashley, S. 26.

') Dies hat sich auch kürzlich, nämlich zu Anfang von 1907, wieder gezeigt. Als damals die Kohlenpreise rasch stiegen, hieß es im Economist (2. Februar 1907, S. 188): „Bei dieser Angelegenheit handelt es sich nicht um das Werk irgend einer Vereinigung, obschon freilich das Gerücht ging, ein Ring in Süd-Wales wolle den Londoner Markt erobern. Wir sind der Ansicht, daß die Londoner Konsumenten sehr wohl ohne wallisische Kohle auskommen könnten, wenn man nur bedenkt, daß sie ihren Hauptbedarf von Norden und den mittleren Grafschaften beziehen." Es ist also die Ansicht von Liefmann a. a. O., S. II, „daß sich die Kohlenzechen von Wales kartellieren könnten ohne jene im New- castler Gebiet" unrichtig.

*) Eine gewisse Preissteigerung ist in einzelnen Fällen möglich. Vgl. Ashley a. a. O., S. 49, Anmerk. I.

5) Vgl. Report on Goal, 1873, p. X.

«) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 86.

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Aber auch dem stehen große Hindernisse im Wege. Das hat sich deutHch gezeigt, als Sir George Elliot am 20. September 1893 seinen Vertrustungsplan in einem Aufsehen erregenden Auf- satz der Times darlegte. Die Gründe, welche gegen jenen, übrigens nie verwirklichten Plan von den Interessenten geltend gemacht wurden, waren, daß es unmöglich sein werde, auf die besonderen Absatz- und Produktionsverhältnisse der einzelnen Distrikte Rücksicht zu nehmen, daß ferner die Zahl der zu ver- einigenden Gruben zu groß sei man sprach von 3400 Zechen , und daß der Auskauf um so schwieriger sein werde, als die meisten Gruben Gesellschaften mit beschränkter Haftung dar- stellten.^) Das erstgenannte Moment war wohl das wesentlichste. Auch war es die Verschiedenheit der Interessen in den einzelnen Distrikten, welche von vornherein die Idee eines Gesamtkartells gar nicht aufkommen ließ, denn bei fortbestehender Selbständig- keit der Einzelfirmen wäre eine Einioruns: über Preis- und Pro- duktionsfragen unmöglich gewesen. Um aber eine so große Zahl von Gruben, wie sie nun einmal vorhanden waren, auszukaufen, hätte man einen weit verlockenderen Preis bieten müssen, als ihn der „Vertruster", Sir George Elliot, in Aussicht genommen hatte. Denn, wenn sich auch bei den schlechten Zeiten viele Grubenbesitzer gerne zum Verkaufe entschlossen, so erschien doch anderen der Einheitspreis von 15 sh pro Tonne Kohle, welche bei der Kapitalisierung vorausgesetzt werden sollte, zu gering und zum Verkauf nicht verlockend genug. Mehr Aussicht als bisher könnte wohl eine Monopolorganisation des britischen Kohlenbergbaues erst haben, wenn eine Konzentration von Unternehmungen in den einzelnen Produktionsdistrikten stattgefunden hätte. Allein, hiervon ist bisher noch relativ wenig zu verspüren gewesen. Selbst Macrost y, der in seinem Buche mit besonderem Interesse jede Konzentrationsentwicklung verzeichnet, weil sie für ihn den „Weg zum Trust'' bedeutet, muß sich mit der Feststellung begnügen^), daß zwar „eine be- trächtliche Zahl von Firmen und Gesellschaften über 1 Million Tonnen im Jahre produzierten'-, daß in „einigen Distrikten" eine „ziemliche" Konzentration vorhanden sei, daß aber Ver- schmelzungen doch recht wenig vorgekommen seien.

Ein Hauptmoment, welches in anderen Ländern Vereinigungen

*) Vgl. Jeans, Trusts usw., S. 62. Die Zahl von 3400 erscheint mir sehr über- trieben. Immerhin gab mir ein Sachverständiger für die heutige Zeit 1500 an. *) Vgl. a. a. O., S. 94.

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herbeizuführen pflegt, der Wunsch, eine Monopolorganisation mit preispohtischem Einfluß zu schaffen, ist eben nicht vorhanden, solange man den Wettbewerb anderer Distrikte bei einer Preis- erhöhung zu fürchten hat. Dieser Wettbewerb wiederum schützt die Abnehmer vor monopolistischer Ausbeutung. Selbst die großen Konsumenten brauchen sich nicht vor einer solchen zu fürchten und sie fühlen sich daher nicht leicht veranlaßt, Gruben für ihren Bedarf aufzukaufen. So tritt auch dieses Moment, das der Amalgamierung und Konzentrierung Vorschub leisten könnte, in den Hintergrund. Kommen Vereinigungen vor, so liegt in der Regel nur die Absicht zu Grunde, Betriebsersparnisse zu machen oder technische Verbesserungen (Zentralisation der Wasser- haltung) durchzuführen. Auch solche Amalgamationen sind häufig finanzielle Mißerfolge gewesen, wie z. B. die United Collieries Cy, welche in guten Zeiten ins Leben trat, die Vorteile der Vereinigung überschätzte und sofort unter Überkapitalisierung litt, als die Preise nach 1900 wieder sanken.^)

Wie die Kartellprojekte, so scheinen auch die Konzentrations- tendenzen in Süd Wales eine gewisse Entwicklungsfähigkeit zu zeigen. Die Anregung zu einer monopolistischen Organisation wurde schon im Jahre 1896 von dem bekannten Parlamentarier und Grubenbesitzer D. A. Thomas gegeben; er schrieb damals^): ,,30 Gesellschaften produzieren über 90 "/^ und ca. 50 Gesell- schaften 95° Iq. Gelänge es, die 20 Gesellschaften oder Gruben, die etwa 80 "/^ ausmachen, zu einem Verbände zu bewegen, so würde dieser meiner Ansicht nach mächtig genug sein, den Handel in Dampfkesselkohle von Süd-Wales und Monmouthshire zu kontrollieren und zu regeln." Freilich! Selbst dem Optimisten schien es durchaus nicht unwahrscheinlich, daß „irgend ein kon- kurrierender Distrikt unberechtigten (!?) Anteil" an solcher Preis- politik nehmen könnte, so daß Thomas ausdrücklich bemerkte, daß man für diesen Fall eine Vorkehrung treffen müsse. Allein die Verheißung eines wirklich steigerungsfähigen Gewinnes scheint den Grubenbesitzern von Südwales damals nicht sicher genug erschienen zu sein, und der Vorschlag blieb ebenso er- folglos wie einst der umfassendere von Elliot.

Demgegenüber gab D. A. Thomas seine Pläne nicht auf.

*) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 96.

*) Vgl. D, A. Thomas, Some Notes on the Present State of the Goal Trade. Cardiff 1896, S. 29 und 30. Eine sehr bemerkenswerte Arbeit, besonders vgl. auch den Entwurf des Kartells, S. 31 35.

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Er amalgamierte verschiedene Gruben und gründete im Jahre 1908 den Cambrian Trust Limited, eine Gesellschaft, die ca. 4 Millionen Tonnen Kohle im Jahre produziert.^) Obwohl Thomas damit wohl der größte Kohlenproduzent seines Landes geworden ist, haftet etwas monopolistisches einer solchen Unternehmung in einem Lande, das im Jahre 1907 267 Millionen Tonnen Kohle produzierte, nicht an. Nicht einmal würde dies für den Einzel- distrikt zutreffen. Produzierte doch Südwales im Jahre 1907 fast 50 Millionen tons, annähernd 3 Millionen mehr als im Vorjahre^), wozu eine ganze Reihe neuer Gruben beigesteuert hatte.')

Sieht man von kleineren Distrikten ab*), so ist es immerhin bemerkenswert, daß gerade in Südwales, das vor anderen großen Distrikten einen gewissen Vorsprung in der Konkurrenz hat, Kartellprojekte und Konzentrationstendenzen vorwiegen. Es wird hierdurch indirekt ein weiterer Beweis dafür erbracht, daß es in Großbritannien in erster Linie die Mannigfaltigkeit der ver- schiedenen Produktionsgebiete und ihrer Einzelinteressen ist, welche der Bildung monopolistischer Organisationen im Kohlen- bergbau entgegensteht.

Ganz andere Umstände sind es, die in dem zweitwichtigsten Zweig britischer Mineralproduktion eine Kartellierung oder Ver- trustung fernhalten.

Der englische Eisenerzbergbau ist innerhalb der letzten 20 Jahre nur langsam und mit großer Unterbrechung fortge- schritten, aber selbst heute, wo ihm Amerika und Deutschland den Vorrang streitig gemacht haben, steht er noch immer an dritter Stelle innerhalb der Weltproduktion. ^) In den Vereinigten Staaten ist das Erzgebiet des Lake Superior eine Domäne des Stahltrusts geworden, der in den Jahren 1902 1907 mit 50— 60 \ an den Versendungen dieses großen Distriktes beteiligt war^) und sich vor zwei Jahren durch einen Vertrag mit dem Eisenbahn- magnaten Hill die noch verfügbaren Schätze für kommende

^) Vgl. Iron and Goal Trades Review. 3. Juli 1908, S. 64.

2) Vgl. Mines and Quarries, Part III, London 1908, S. 166 167.

*) Vgl. Iron and Goal Trades Review, i. Januar 1909, S. I 2.

*) z. B. von Fife, das nach Macrosty a. a. O., S. 92, einen monopolistischen Verband, freilich nur zur Festsetzung der Minimalpreise, besitzen soll, aber nur 7 Millionen Tonnen im Jahre 1907 produzierte.

^) Vgl. Report of the American Iron and Steel Association. Philadelphia 1908, S. loi : Die Union produzierte 1905 47,7, Deutschland 26,7 und Großbritannien I5)5 Mil- lionen Tonnen Eisenerz.

«) Ebenda, Philadelphia 1906, S. 77 80 und 1908, S. 87—88.

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Zeiten gesichert hat. In Deutschland ist das wichtigste Eisen- erz, die Minette, von den weiterverarbeitenden Großbetrieben monopoHsiert. Eine Monopolorganisation des Erzbergbaues selbst haben wir im Siegerland durch das dortige Eisenstein- syndikat. Da von der großen Eisenerzförderung in Lothringen- Luxemburg nur ein relativ geringer Teil frei auf den Markt kommt, der Hauptteil der Produktion von den Großunter- nehmungen selbst verarbeitet wird, so ist im allgemeinen eine besondere Organisationsform des Monopols, ein Kartell oder Syndikat, überflüssig. ^) Dies trifft zumindest für den Verkauf an fremde Hütten im Minettebezirk und im Saargebiet zu, bei dessen Übersichtlichkeit die verhältnismäßig wenigen, großen Eisenerzverkäufer ein unnötiges Unterbieten auch ohne spezielle Regulierung zu verhindern im Stande sind. Nur für den relativ sehr geringen Teil der Eisenerzgewinnung, der an fremde Hütten in Rheinland-Westfalen verkauft wird, ist die monopoHstische Preisbeeinflussung der großen Grubenwerke durch das Bestehen der spanischen Konkurrenz abgeschwächt.'-) Ein ähnlicher Zu- stand herrschte in den Vereinigten Staaten. Der Trust und einige andere Riesenunternehmungen kombinierter Art „kontrol- lieren" die Hauptmasse der Eisenerzförderung, und nurmehr ge- ringfügige Mengen gelangen auf den Markt.')

Ganz anders in England. Noch im Jahre 1903 konnte Jeans schreiben, „daß die Mehrzahl der Roheisenproduzenten Englands alle ihre Materialien zu kaufen" hätten.*) Freilich auch in Groß- britannien hat sich in den letzten 10 Jahren die Tendenz der Betriebskombination in wachsendem Maße durchgesetzt'^), und zahlreiche große Eisen- und Stahlwerke besitzen ihre eigenen Erzgruben. Aber von einer monopolistischen Entwicklung, die man bereits in dieser Tendenz zu sehen glaubte*'), ist nicht die Rede. Weder im Cleveland-Distrikt noch sonst wo ist ein Zu- stand vorhanden, wie er der monopolistischen Konzentration in Deutschland oder Amerika entsprechen würde. Selbst aber, wenn dies der Fall wäre, würde immer noch nicht von einer Mono-

^) Vgl. Hey mann, Die gemischten Werke. Stuttgart 1904, S. 261.

*) Vgl. G. Goldstein, Die Entwicklung der deutschen Roheisenindustrie seit 1879. Verhandlungen d. V. z. Beförderung des Gewerbefleißes 1909, S. 477 478.

^) Vgl. Levy, Die Stahlindustrie der Vereinigten Staaten von Amerika. 1905» S. 161 162.

*) Vg'- Jeans in British Industries. London 1903, S. 14.

*) Vgl. Jeans, The Iron Trade of Great Britain. London 1906, S. 175.

*) Vgl. V. Schulze-Gaeveruitz, Englischer Freihandel und Britischer Imperia- lismus. Leipzig 1906, S. 271.

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 12

178

polisierung der britischen Eisenerzversorgung gesprochen werden können. Von dem amtUch berechneten Eisenerzverbrauch des Jahres 1907, der 23 352 000 tons betrug, waren nicht weniger als 7635000 tons importierte Erze-^) Da die OuaHtät der ein- geführten Erze, von denen Spanien das Hauptkontingent stellt, eine weit bessere ist als die der englischen, so trifft es wohl zu, daß 50^/9 der heutigen englischen Roheisenproduktion aus aus- ländischen Erzen hergestellt wird. Sollten die Engländer den von ihnen so stark vernachlässigten^) Thomasprozeß in Zukunft mehr verwenden, dann würde sicherlich eine stärkere Aus- beutung der heimischen, für dieses Verfahren geeigneten Erz- bestände stattfinden.^) Aber selbst dann würden die niedrigen Frachtkosten, zu denen spanisches Erz nach England verschifft werden kann*) und der relativ kleine Binnentransport in England selbst irgend welchen Monopolbestrebungen entgegenarbeiten. Der ausländische Wettbewerb, der sich selbst bei weit höheren Frachtkosten des ausländischen Erzes zwischen lothringer und spanischen Erzen in Rheinland - Westfalen abspielt, wird in Großbritannien immer besonders stark zum Ausdruck kommen, und damit fällt der in anderen Ländern so wichtige Grund für die Bildung monopolistischer Organisationen im Eisenerzbergbau, die Ausnutzung eines Frachtenschutzes, in Großbritannien fort. Für die Gewinnung der Steine und Erden (vor allem Sandstein, Schiefer, Kalkstein, Kalk, Ton u. a.) ist wiederum aus Gründen der inneren Konkurrenz die MonoDolisierung: ausg-eschlossen. Die Reichhaltigkeit des Vorkommens dieser Mineralien und ihre wirtschaftsgeographische Verteilung auf eine außerordentlich große Zahl von Gebieten, die, wie bei der Kohle, miteinander konkurrieren, würde jedweden Monopolisierungsversuchen ent- gegenarbeiten. Auch handelt es sich vielfach um Produktionen, bei denen die Betriebsgröße noch außerordentlich klein und die maschinelle Technik relativ unentwickelt ist, und bei denen dem- entsprechend selbst lokale Monopolverbände unmittelbar zum Entstehen neuer Konkurrenz reizen würden. ^)

^) Vgl. Iron and Steel 1907. London 190S (amtlich), S. 12.

*) Nach Iron and Steel 1908, S. 9, produzierte Großbritannien im Jahre 1907 nur ca. 1900000 tons Thomasstahl von einer Gesamtstahlerzeugung von 6522000 tons.

^) ^gl- hierüber Jeans, Iron Trade a. a. O., S. 15.

*) Vgl. zum Vergleich mit Deutschland Goldstein a. a. O., Verhandlungen etc. 1908, S. 430, Anmerk. 2.

*) Vgl. für die Zersplitterung der Produktion über das ganze Land Mines and Quarries, Part. III, 1908, S. 159 162, 241 ff.; 238 240; für die Kleinheit des Betriebes in der Schiefergewinnung sind die Angaben auf S. 242 243 charakteristisch.

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So sind die drei wichtigsten mineralischen Bodenproduktionen Großbritanniens heute noch dem Walten des Konkurrenzkampfes unterworfen. Von dem vierten, früher genannten, kann dies, wie wir später sehen werden, nicht gesagt werden, aber seine Be- deutung im Vergleich mit der gesamten britischen Mineralproduk- tion und ihrer drei Hauptgruppen ist verschwindend klein.

Was also hier zunächst festgestellt werden kann, ist: daß 1. Großbritannien keine mineralischen Rohstoffe besitzt, deren weltwirtschaftlich-monopolistischer Charakter Kartelle oder Trusts beofünstigen könnte, und daß 2. von den vorhandenen Rohstoff- Produktionen mineralischer Art gerade die bedeutendsten mono- polhindernde Verhältnisse aufweisen. Damit tritt das in anderen Ländern erfolgreichste Gebiet monopolistischer Vereinigungen für Großbritannien stark in den Hintergrund.

Welches sind nun die fehlenden Vorbedingungen der Mono- polorganisation in den weiterverarbeitenden Großindustrien Englands, also dort, wo ein monopolistischer Charakter der Pro- duktion aus Gründen natürlicher Seltenheit von vornherein fort- fällt? Daß das Moment des Frachtenschutzes, welches in England schon bei den schweren Rohstoffen ein sehr geringes ist, bei der Herstellung hochwertiger Waren nur in seltenen Fällen wirksam sein kann, ist ohne weiteres einzusehen. Je hochwertiger das Fabrikat wird, umsomehr muß der englische Fabrikant erkennen, daß auf seinem heimischen Absatzmarkt, als dem eines Insel- landes mit kleiner Binnenfläche, die Frachtkosten keinen Vor- sprung vor dem Ausländer gewähren. Dieser Zustand der Ex- ponierung wird in allen Großindustrien, in denen überhaupt aus- ländischer Wettbewerb wirksam ist oder sein kann, noch durch das Fehlen von Schutzzöllen beträchtlich verstärkt. Somit bietet der Freihandel in der Tat für einen großen Kreis des britischen Industriewesens eine genügende Erklärung für die Nichtexistenz von Kartellen und Trusts.

Ein bezeichnendes Beispiel gewährt die Eisenindustrie in ge- wissen Zweigen ihrer Produktion. So schreibt Jeans über das Fehlen monopolistischer Vereinigungen in derRoheisenerzeugung ^) ; ,,Die Hauptursache ist, daß hier die Preise vor allem durch die Haltung des Auslandes bestimmt werden, während in schutz- zöllnerischen Ländern die Preise von solchen Vereinigungen innerhalb gewisser, ziemlich weiter Grenzen reguliert werden

') Vgl. British Industries a. a. O., S. 35.

12*

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können. Eine Vereinbarung, welche heute abgeschlossen wird, um den Preis auf einer bestimmten Höhe zu erhalten, mag morgen durch das Verhalten eines fremden Outsiders über den Haufen geworfen werden. Ist auch heute die Produktion von Eisen und Stahl in der Welt enorm, so bleibt doch der Eisenmarkt so sensitiv, daß ein Angebot von 25 oder 50 Tausend tons Roheisen oder Stahl zu 5 oder 10 sh unter dem laufenden Preise die Märkte in Glasgow oder Middlesbro völlig demoralisieren und fast eine Panik hervorrufen würde."

Man könnte vielleicht daran denken, daß für die englischen Unternehmer eine Preisverabredung dann am nützlichsten sein würde und am ehesten durchführbar, wenn bei weltwirtschaftlicher Preisbaisse der britische Roheisenpreis tiefer sänke als der des Auslandes. Allein, auch in zollgeschützten Ländern kann heute in Depressionszeiten der Inlandspreis auf das Niveau des eng- lischen Roheisenpreises fallen. In den Jahren 1897 und 1898 kostete Bessemerroheisen in Pittsburg weniger als bestes eng- lisches. ^) Im Jahre 1903 kostete Westküsten-Hematitroheisen 56 sh 8V2 d, während Thomasroheisen in Dortmund 55,9 Mk. kostete. Der tiefste Stand des amerikanischen Roheisenpreises war im Jahre 1904: 12,46 $ also ca. 50 sh, während das ent- sprechende Roheisen in England nicht unter 52 sh 2 d herab- ging. ^) Bei derartigen Preisverhältnissen wäre also eine mono- polistische Preiserhöhung der englischen Ware nur das Mittel, die fremde Einfuhr heraufzubeschwören. Kann in Depressions- zeiten der Roheisenpreis selbst in den zoll- und frachtgeschützten Ländern sich nicht mehr über den englischen erheben, so liegt in solchen Zeiten die Gefahr des ,,dumping" außerordentlich nahe, und man versteht, warum die Auflösung deutscher Roh- eisenkartelle im Jahre 1908 und der erwartete Preissturz den englischen Eisenindustriellen einen nicht gelinden Schrecken einjagte.') Die Einfuhr würde sich freilich weniger in Roheisen als in Blöcken, Knüppeln und anderem Halbzeug fühlbar machen. Stieg doch angesichts der oben wiedergegebenen Preisverhält- nisse in der Eisen- und Stahlindustrie die Einfuhr von „unver- arbeitetem oder halbverarbeiteten Stahl" von 280 000 tons im

1) Vgl. Levy, Stahlindustrie a. a. O., S. 121.

*) Vgl. für England: Report British Iron Trade Association, 1905, S. 68 und 1906, p. XXVI; für Deutschland: Statistisches Handbuch, 1907, S. 479; für Amerika: American I. and St. Association, 1906, S. 31 32.

*) Vgl. Economist. Commercial History of 1908, S. 29.

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Jahre 1902 auf 522 706 tons im Jahre 1904. i) Wenn es aber in einem engHschen Blaubuche vom Jahre 1903 heißt^), „daß die MögUchkeit, bilhgen deutschen Stahl zu beziehen, die Nachfrage nach Roheisen bedeutend abgeschwächt habe", so liegt es auf der Hand, daß eine monopolistische Steigerung des britischen Roheisenpreises in solchen Perioden das „dumping" zum Schaden der Hochofenbesitzer nur verstärken könnte. Etwas anders steht es bei dem Gießereiroheisen. Von diesem exportiert Groß- britannien, besonders der Cleveland-Distrikt, beträchtliche Mengen, während sowohl die amerikanischen wie die deutschen Preise selbst in schlechten Zeiten um einen nicht unbeträchtlichen Teil von Zoll und Fracht über dem englischen Preise zu stehen pflegen.^) Hier wäre in Depressionszeiten selbst bei einer mono- polistischen Preisregulierung kein fremder Wettbewerb zu fürchten. Aber jede solche Preiserhöhung müßte den in diesen Zeiten schon ohnehin stark einschrumpfenden Auslandsabsatz weiter reduzieren, während eine etwaige Differenzierung des in- und ausländischen Absatzes bei der Nähe der in Frage kommenden Absatzgebiete *) nur sehr gering sein könnte, so lange beim Freihandel die Rückeinfuhr unerschwert ist.

In Zeiten steigender Weltmarktskonjunktur pflegt der britische Roheisenpreis eine beträchtliche Erhöhung zu erfahren, so daß eine monopolistische Preispolitik den Interessenten dann über- flüssig erscheinen muß. Konnte man es doch erleben, daß im Januar 1907 Westhematite auf 11 sh 9 d stiegen und im Durch- schnitt des Jahres 74 sh 9 d kosteten gegenüber nur 53 sh 5 d im Jahre 1904, und daß Cleveland-Roheisen in demselben Zeit- raum von 43 sh 11 d auf 56 sh 2 d stieg, während die Ausfuhr englischen Roheisens von 814000 tons auf 1 947 000 tons schnellte. Man kann also sagen: Die Preisverhältnisse in der englischen Roheisenerzeugung werden so stark und unmittelbar von den

^) Vgl. Statistical Abstract, 1907, S. loi.

*) Vgl. Memoranda etc. des Board of Trade, 1903, S. 308.

^) Die Gesamt-Roheisenausfuhr Großbritanniens betrug 1906: 1664000 tons, 1907: 1947000 tons; der Clevelanddistrikt allein: 528000 und 983000; vgl. Iron and Goal Trades Review, i. Jan. 1909, S. 8 und 9; für die Preise gilt es Gießereiroheisen Nr. III in Rheinland- Westfalen mit Cleveland Nr. III zu vergleichen; die Differenz betrug in den Jahren 1903, 1904 und 1905: 17,38, 21,80 und 17,43 Mk.; vgl. Goldstein (1909), S. 43; für weitere Preise von Gießereiroheisen vgl. Jeans, Iron Trade a. a. O., S. 182.

*) Im Jahre 1907 wurden ca. 1,9 Millionen tons Roheisen exportiert; davon allein ca. 800000 tons nach Deutschland und Nordamerika, der übrige Teil vornehmlich nach Holland, Belgien, Frankreich und Italien; vgl. Trade and Navigation Accounts, London 1908, S. 138.

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Konjunkturverhältnissen des Auslandes bestimmt, daß eine be- sondere Preispolitik der britischen Unternehmer in schlechten Zeiten unwirksam und in guten Zeiten überflüssig sein müßte. Damit bleibt höchstens für lose Preisverabredungen, und auch für diese nur in außergewöhnlichen Fällen der Wirtschaftskon- junktur, eine gewisse Möglichkeit übrig. Ähnlich verhält es sich, wie aus dem Geschilderten bereits zu erkennen war, mit einer Reihe von Halbzeugproduktionen der Eisen- und Stahlindustrie, wie der Herstellung vorgewalzter Blöcke, Knüppel, Platinen, auch Schmiede- und Stahlgußstücken, in denen die ausländische Kon- kurrenz der Preisfestsetzunor durch eno-lische Kartelle oder Trusts nur einen geringen Spielraum lassen würde.

Will man dasjenige Gebiet englischer Industrien begrenzen, für welches der Freihandel heute noch als Abwehrmittel einer monopolistischen Preispolitik wirksam ist, so wird man an alle solche Industrien denken müssen, in denen 1. eine bequeme Einfuhrmöglichkeit, sei es derselben Ware sei es von Surrogaten, überhaupt besteht, und in denen 2. der britische Preis regulär gleich dem Einfuhrpreise (inklusive Fracht) zu sein pflegt. In allen derartigen Fällen würde eine mono- polistische, d. h. durch Einschränkung des Wettbewerbes erzielte Preiserhöhung nur eine Aufmunterung ausländischen Wettbewerbes bedeuten. So liegen z. B. die Verhältnisse in der Seidenindustrie ^) oder in der Papierindustrie Englands. Wie der Papiertrust der Ver- einigten Staaten erst durch die Schutzzollpolitik lebensfähig ge- worden ist^), so bewirkt der Freihandel in England, daß eine monopolistische Preisvereinbarung zur Unmöglichkeit wird. Eine Paper Makers Association, welche bestimmte Handelsüsancen regelt, besteht freilich. Aber vor nicht langer Zeit erst erklärte ein Mitglied derselben^): ,,Sie hätten noch eine Sache versuchen können, aber sie wüßten, daß ihnen hierüber keine Kontrolle möglich sein werde; die Regelung der Löhne und Preise müsse unberührt bleiben." Obschon die britische Papierindustrie, vor allem in der Druckpapierbranche, eine stark großbetriebliche Ent- wicklung genommen hat, und nurmehr die größten Werke übrig

^) über die ausländische Konkurrenz vgl. (mit Vorsicht!) Report of the Tariff Com- mission. Vol. 2, London 1905, S. 3088 3092 ff.

^) Vgl. Industrial Commission, Vol. XIII; auch Levy, Einfluß der Zollpolitik auf die wirtschaftliche Entwicklung der Vereinigten Staaten, Conrads Jahrbücher 1906, S. 646; neuerdings auch Pierce a. a. O., S. 59 ff.

') Vgl. Paper Makers Monthly. 28. II. 1907, S. 82 ff.

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geblieben sind^), hat diese Betriebskonzentration dennoch eine Verständigung zur Erhöhung der Preise nicht herbeiführen können, weil die Preisgestaltung zu stark von der Wettbewerbsmöglich keit des Auslandes beeinflußt wird.

Wird dieser Zustand von den Industriellen nicht berücksich- tigt, oder nicht richtig erkannt, so pflegt der Versuch mono- polistischer Preisregelung gar bald in einem Fiasko zu enden. Ein Beispiel hierfür bietet der Zusammenbruch des Bettgestell- kartells, der Birmingham Alliances, im Jahre 1900. Dieses hatte seit 1891 eine Verdopplung des Preises von Bettgestellen durch- gesetzt. Die Folge war schließlich, daß „fremder Wettbewerb stimuliert" wurde und das Kartell zusammenbrach.^) Ein be- sonders häufiger Fall solcher Auslandskonkurrenz zeigt sich in Großbritannien, da wo eine Monopolvereinigung nur ein lokal begrenztes Monopol besitzt oder da wo eine Surrogatkonkurrenz möglich ist. Es wird dann die Einfuhr einen Teil der binnen- ländischen Produktion ersetzen können, und somit der Aus- dehnung der monopolistischen Preispolitik auf die Gesamt- erzeugung eine Grenze stecken. Hierfür jedoch sollen Beispiele erst bei Besprechung der heutigen Monopolverbände angeführt werden, da hier der Freihandel nicht als Präventivmittel derselben erscheint, sondern nur ihre Machtsphäre reduziert.

Im übrigen wird die Bedeutung des Freihandels als Abwehr- mittel monopolistischer Preispolitik nationaler Unternehmergruppen auch aus der allgemeinen Tatsache hervorgehen, daß Großbri- tannien innerhalb der letzten 30 Jahre eine Jahr für Jahr steigende Einfuhr vieler Waren aufweist, in denen es früher gegenüber anderen Ländern, wenigstens auf dem heimischen Markte, eine Vorherrschaft übte. In allen solchen Industriezweigen hat der Freihandel heute wesentlich zur Nichtexistenz monopolistischer Verbände beigetragen, während früher in solchen Zweigen der Produktion, soweit die Frage der Auslandskonkurrenz in Be- rücksichtigung kam, eine Monopolorganisation sehr wohl möglich gewesen wäre.

Damit ist freilich die heutige Sphäre des Wettbewerbes in der britischen Großindustrie erst nach einer Richtung hin be- stimmt. Denn da, wo trotz des Freihandels oder Frachtenschutzes, aus irgendwelchen Gründen, Immunität vor dem ausländischen

*) Vgl. A. Dykes Spicer, The Paper Industry. London 1907, S. 4 5. ^) Vgl. British Industries a. a. O., S. 202.

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Wettbewerb besteht, wäre ja die Bildung einer Monopolorgani- sation von diesem Faktor unabhängig, während andererseits selbst bei einem größeren Frachtenschutz oder gar einem Zoll- schutz ein Kartell oder Trust nicht unbedingt zu entstehen braucht. Es käme daher weiter darauf an, die Sphäre des Wett- bewerbes innerhalb der britischen Industrie zu bestimmen, d. h. diejenigen wesentlichen Faktoren zu erkennen, welche heute vom ausschließlichen Standpunkt der Inlandskonkurrenz der Ersetzung des Wettbewerbes durch eine Monopolorganisation ent- gegenstehen.

Für einen nicht unbeträchtlichen Teil der britischen Industrie scheint heute noch derjenige Zustand gewerblicher Konkurrenz zu herrschen, von dem die klassische Nationalökonomie bei ihren Betrachtungen ausgegangen war. Bei sich ausdehnender Pro- duktion wächst in vielen Industriezweigen auch die Zahl der Unternehmer, und die Schwierigkeit der Monopolbildung nimmt somit immer stärker zu. Höhere Gewinne, welche die bestehen- den Unternehmungen bei einer monopolistischen Preispolitik er- zielen würden, könnten in solchen Industrien nur den Anreiz zum Entstehen neuer Betriebe geben, während ohnehin die vor- handenen Unternehmungen viel zu zahlreich erscheinen, um überhaupt eine monopolistische Organisation zu verwirklichen.

Dieses Bild bietet vor allem die Textilindusti-ie in ihren elementaren Produktionsstufen, und zwar sowohl die Baum- woll- wie die Wollspinnerei und Weberei. In der Baumwollgarn- spinnerei herrscht heute eine außerordentliche Überproduktion^^ die von den Interessenten nicht mit Unrecht auf die rasche Ver- mehrung neuer Fabriken in der letzten Hochkonjunkturperiode zurückgeführt wird. Die gemeinsame Aktion der Unternehmer und Gewerkvereine, die im Jahre 1904 zu einer starken Verkürzung der Arbeitszeit und einer entsprechenden Produktionseinschrän- kung führte, hat sich als Mittel, den Wettbewerb und die Über- produktion zu mäßigen, nicht bewährt, wenngleich Macrost}^^) diese Entwicklung sogleich in den Katalog seiner ,,Trust"be- wegung als den Ansatz zu weiteren Organisationen eingereiht hat. Es hat sich vielmehr gezeigt, daß jene organisatorische Ein- schränkung der Produktion und die damit einsetzende Erhöhung der Gewinne, den Wettbewerb stärker gesteigert hat als je.

^) Vgl. Economist, 20. II. 09, S. 39. *) Vgl. Macrosty a. a. O,, S. 123.

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Während sich der Wert des exportierten grauen Garns von 11,25 d pro Ib. in den Jahren 1900—1903 auf 13,55 d in den vier folgenden Jahren erhöhte^), nahm die Zahl allein der Aktien- unternehmungen, die sich zwischen 1900 und 1903 nur um 24 vermehrt hatten, zwischen 1904 und 1907 um nicht weniger als 90 zu!^) „Sicherlich war der große Aufschwung des Jahres 1905 und der folgenden Zeit durch die anhaltende Verkürzung der Arbeitszeit in Jahre 1904 angefacht worden. Aber solche Prosperität erscheint jetzt in Lancashire als etwas Außergewöhn- liches. Es ist ziemhch klar, daß die große Reduzierung in der Produktion von Garnen und Stoffen dazu beigetragen hat, die Be- ziehungen zwischen Angebot und Nachfrage zu verschieben, und daß durch die Herbeiführung fast unvergleichlicher Gewinne ein ungeheurer Überschuß an Produktionsmitteln geschaffen worden ist." Deshalb, so schrieb der Manchester Guardian, seien die Unternehmer jetzt (1909) sowohl in Oldham wie in Bolton gegen eine „organisierte" Verkürzung der Arbeitszeit.^)

Dieselbe oder eine noch stärkere MögHchkeit*) leichter Ver- mehrung neuer Unternehmungen scheint in der Wollindustrie vor- handen zu sein. Clapham berichtet^), daß Fabriken, welche mehr als einen Fabrikanten beherbergen, und Firmen, welche mit kleinen Mitteln anfangen, immer noch häufig vorkommen. Der kleine Unternehmer mietet wenige Räume oder auch einen ganzen Flur in einer Wollspinnerei; Webstühle, die zwei ver- schiedenen Unternehmern gehören und von Maschinen getrieben werden, die keinem von ihnen gehören, können häufig in einem Webebetrieb angetroffen werden. Dieses System, daß Fabrik- räumlichkeiten mit den erforderlichen Maschinen und der nötigen Kraft an kapitalschwache Unternehmer abgegeben werden, (Tenement Factory oder machine renting System) begünstigt naturgemäß das Aufkommen von kleineren Betrieben außer- ordentlich. Ja es wird neuerdings geradezu darüber geklagt, daß diese Organisation von Spekulanten ausgebeutet werde, welche Arbeiter zur Selbständigmachung überreden, ohne daß eine sichere

*) Vgl. Statistical Abstract. London 1908, S. 255. Die Preise für die Einzeljahre sind dieser Quelle entnommen.

2) Vgl. .Statist., 23. Februar 1908, S. 381.

^) Vgl. Manchester Guardian, 2. März 1909, S. 5.

*) Ähnliche Umstände wirken einer Monopolisierbarkeit der amerikanischen Baum- wollspinnerei entgegen. Vgl. den lehrreichen Aufsatz von S. N. D. North in Textile World Record, 1907, S. 126 ff.

*) Vgl. Clapham a. a. O., S. 129 130.

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Grundlage für die Existenz der neuen Betriebe vorhanden sei. ^) In ähnlicher Weise begünstigt auch das in allen Teilen der Woll- industrie, besonders aber in Spinnerei und Weberei ausgebildete Kommissionssystem das Aufkommen und die Fortexistenz kleinkapitalistischer Fabrikanten neben den Großunternehmungen.'^)

Daß diese Verhältnisse gerade in der Textilindustrie vor- herrschen, erscheint um so merkwürdiger, als sich, wie wir später sehen werden, ein großer Teil der englischen Trustbewegung auf dem Gebiete dieser Industrie in den letzten 10 Jahren ent- wickelt hat. Während im großen Ganzen die Spinnerei und Weberei noch das alte Bild gewerblicher Konkurrenzbedingungen zeigen, findet sich sowohl in verschiedenen weiterverarbeitenden Zweigen der Textilindustrie wie in besonders qualifizierten Pro- duktionen derselben eine starke Betriebskonzentration vor. Diese Tatsache zeigt, daß es nicht ohne weiteres richtig ist, wenn häufig behauptet wird^), daß mit zunehmender Fertigfabrikation die Chance der Koalition geringer werde, weil die Zahl der Be- triebe zahlreicher sei als in den früheren Stadien. Es kommt ganz auf die technische Entwicklung der einzelnen Produktions- stufen an, welche unter Umständen gerade in hochwertigeren Produkten der Betriebskonzentration Vorschub leisten kann, wie z, B, in allen Ländern die Produktion von Roheisen weit weniger konzentriert ist wie die Herstellung von Stahlschienen.

Im allgemeinen freilich werden sich zahlreiche Tatsachen an- führen lassen, welche besondere Schwierigkeiten der Monopol- bildung bei den weiter verarbeitenden Produktionsstadien herbeiführen. Da wo in der weiterverarbeitenden Industrie eine starke Differenzierung in der Richtung der Qualität des Produktes eintritt, werden monopolistische Vereinbarungen auf Hindernisse stoßen können. Diese Tatsache ist in Großbritannien besonders wirksam. Denn die britische Industrie ist auf Grund des Wett- bewerbes solcher Länder, welche Massenartikel schlechterer Qualität billiger liefern können, in den letzten Jahrzehnten in vielen Industriezweigen mehr und mehr zur Herstellung von be- sonders hochwertigen Produkten übergegangen. Hier bilden sich

^) Vgl. Georg Brodnitz, Betriebskonzentration und Kleinbetrieb in der englischen Industrie. Conrads Jahrbücher 1908, S. 188 189.

^) Clapham a. a. O., S. 130 131.

") Vgl. Brentano a. a. O., S. 260: „Je weiter man dagegen in die Fertigfabrikation kommt, desto leichter wird es, neue Betriebe zu errichten, desto zahlreicher die Kon- kurrenten."

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dann leicht einzelne Qualitäten oder bestimmte Marken heraus, die dem einzelnen Unternehmer einen so festen Stand im Kon- kurrenzkampfe geben, daß er eine Koalition abweist.

So scheint es in der Papierindustrie zu gehen. Während einer Vereinigung der Zeitungsdruckpapierfabrikanten die starke ausländische Konkurrenz entgegensteht, finden sich in der Her- stellung der hochwertigeren englischen Papiere so viele Quali- täten vor, daß hier, wo ausländischer Wettbewerb kaum in Frage kommt, eine gemeinsame Preisregulierung ebenso unmöglich scheint.') Ähnlich liegen die Verhältnisse in der Herstellung von Wollgarnen. Die Einfuhr erstreckt sich auf Garne, „welche ent- weder in Bradford nicht gesponnen werden oder deren Herstellung nicht in Bradford rentiert.^) Die Qualität der englischen Woll- garne ist anerkannt die feinste, welche wir kennen. Gleichzeitig aber weist die Produktion eine Fülle verschiedenster Sorten auf und dieser Zustand behindert, wie Clapham ausdrücklich her- vorhebt^), das Zustandekommen der Monopolorganisation. ,,Denn in der Regel", so schreibt er in Anknüpfung an diesen Fall, ,, werden nur die Produzenten solcher Waren, die einigermaßen in direktem Wettbewerb miteinander stehen, leicht dazu bestimmt werden, durch gemeinsames Vorgehen der Gewalt dieses Wett- bewerbes Schranken zu ziehen."

So wichtig die Erkenntnis dieses Zustandes ist, so muß doch andererseits bedacht werden, daß zuweilen gerade da, wo ein- zelne Firmen durch Herstellung besonderer Marken eine Vorzugs- stellung genießen, die Möglichkeit einer Monopolorganisation be- sonders groß erscheint, indem diese Firmen bei einer gemein- samen Erhöhung ihrer Preise wenig neue Konkurrenz zu fürchten haben. Wie wir später hören werden, verdanken besonders eine Reihe von Monopolverbänden der Textilindustrie diesem Umstände ihren Erfolof. Aber es handelt sich dann stets darum, daß eine nicht sehr bedeutende Zahl von Firmen jene durch ihre besonderen Marken geschaffene Mono- polstellung einnimmt und gemeinsam ausnutzt. Maß- gebend also scheint schließlich doch die Frage zu sein, ob in der hochwertigen Fertigfabrikation eine Konzentration der Unter- nehmungen stattgefunden hat oder nicht, und ob eine Steigerung der Konkurrenz durch neue Unternehmungen leicht oder nur

^) Private Mitteilung des Papiergroßhändlers Sir A. Spicer. *) Chapman, Work and Wages. London 1904, S. 190. ») Clapham a. a. O., S. 154.

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langsam und mit Schwierigkeiten von statten gehen kann. Denn wenn sehr viele Firmen Waren von individuellem Renommee herstellen, so ist durch die Verschiedenheit dieser zahlreichen Interessen die Koalition ebenso erschwert, wie sie bei wenisren Fabrikanten, gerade wenn diese anerkannte Spezialmarken liefern, erleichtert werden kann.

Für eine große Reihe hochwertiger Fertigfabrikationen (und Verfeinerungsindustrien) bestätigt sich auch in Groß- britannien die Auffassung, daß die Entstehung neuer Konkurrenz- unternehmungen bei sich vergrößernder Nachfrage relativ leicht von statten geht. Wie in anderen Ländern ist in solchen Pro- duktionsstadien die rentable Betriebsgröße im Vergleich zu der gesamten Landesproduktion noch relativ gering und stellt weit geringere Anforderungen an die Verwendung stehenden Kapitals als die Rohproduktion oder Halbfabrikation. So kommt es, daß hier erstens die Zahl der vorhandenen Unter- nehmungen relativ groß ist, und daß zweitens bei steigender Nachfrage und steigendem Gewinn die Zahl der Unternehmungen mit Leichtigkeit anwächst, Umstände, welche die Ausschaltung der Konkurrenz stark erschweren.

Beispiele hierfür gibt es genügend. Der Bettgestellverband, dessen Zusammenbruch freilich auch auf das Anwachsen ausländi- scher Konkurrenz zurückzuführen war, hatte mit ansehen müssen, wie sich die Zahl der neuen Werke von 40 im Jahre 1891 auf 56 im Jahre 1899 steigerte und wie seine Machtstellung damit suk- zessive abnahm.^) Einen anderen Fall bietet die Kammgarn- spinnerei. Daß hier jede Monopolorganisation fehlt, erklärt sich zur Genüge, wenn wir hören, daß in der Kammgarnspinnerei noch das alte „Familiengeschäft" überwiegt, und daß Aktiengesellschaften großen Stiles erst in letzter Zeit gegründet worden sind.^) Als im Jahre 1900 ein meeting der Kammgarnspinner des Bradford- Distriktes stattfand, um die Frage einer Organisation zu beraten, erschienen allein Repräsentanten von 106 Firmen!^) Bei so großer Zahl von Wettbewerbern, die noch dazu traditionell an der Selb- ständigkeit ihres Geschäftes hingen, wurde eine Einigung nicht erzielt.

In der Herstellung von Röhren war ebenfalls die Zahl der Firmen 50 bis 60 Unternehmunsfen bei einer Produktion von

1) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 8i.

^) Vgl. Clapham a. a. O., S. 153 und Hooper in British Industries, S. 95.

ä) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 179.

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300 000 tons die Ursache für das Nichtzustandekommen eines Verbandes. Dazu kam, daß man bei monopolistischer Preis- erhöhung alsbald vor der Gefahr erneuter Konkurrenz gestanden hätte: ,,Eine große Anzahl von Leuten," so erklärte Austin Cham- berlain im Jahre 1902, „die jetzt dem Wettbewerb unterlegen seien, hätten noch den notwendigen Maschinenbestand, und wenn irgendwelche Aussicht vorhanden wäre, Gewinn zu machen, so würden sie schleunigst wieder anfangen, Röhren herzustellen."

Gegenüber anderen Ländern, vor allem den Vereinigten Staaten und Deutschland, ist die Unternehmungsgröße in vielen englischen Industriezweigen auch deshalb relativ klein, weil die Notwendig- keit der vertikalen Betriebskombination eine geringere ist. Da, wo Schutzzölle und Rohstofifmonopole eine Versorgung mit Fabri- kationsmaterialien für den Weiterverarbeiter erschweren, und wo es zugleich dem Fertigfabrikanten unmöglich ist, eine mono- polistische Preiserhöhung der Materialien voll auf den Konsumenten abzuwälzen, muß die Angliederung von Rohproduktion und Halb- fabrikation unumgänglich erscheinen. In Großbritannien sind von den wenigen vorhandenen Rohstoffen die wichtiorsten nicht mo- nopolisiert, und eine durch Schutzzölle hervorgerufene künstliche Erhöhung der Rohmaterialspreise ist ausgeschlossen. Der Kom- binationsprozeß ist demnach in Großbritannien ein viel lang- samerer gewesen als in Ländern, in denen die Industriellen in ihm geradezu eine Schutzwehr vor der Vergewaltigung durch die Rohstoffproduzenten und Halbfabrikanten erblickten.

So finden wir z. B., daß in der Stahlindustrie Großbritanniens die Verbindung von Stahlwerk und Hochofen noch keineswegs allgemein ist. Während in Deutschland und den Vereinigten Staaten die Großunternehmung der Stahlindustrie durchweg als kombinierte Unternehmung erscheint, stellt Jeans im Jahre 1906 die Betriebskombination erst als „increasingly recognized" hin.^) Firmen wie die von Armstrong, Withworth and Co., David Col- ville and sons, oder die Steel Company of Scotland, die zu den bedeutendsten gehören, besitzen noch heute keine Hochöfen. 2) Andererseits haben wir ja gehört, daß große Hochofenwerke immer noch auf den Kauf ihrer Materialien angewiesen sind. Wie sich heute diese Sachlage zu verändern scheint, werden wir später darzulegen haben. Hier ist es nur wesentlich, zu konsta-

^) Vgl. Jeans a. a. O., S. 175; ähnlich urteilt die P'inancial Times, 7. Juli 1909, S. 4. *) Vgl. Rylands Directory, 1906.

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tieren, daß bis vor kurzem, ja zum Teil heute noch die Betriebs- kombination in der britischen Flußeisenindustrie in keiner Weise den Unternehmern so dringlich erschien wie in anderen Ländern. Da Kohle, Eisenerz und Roheisen weder monopolisiert noch zoll- geschützt waren, so sah der Eisenindustrielle in den Überschüssen, welche seine Vormänner erzielten, nur die landesüblichen Gewinne, ja er konnte zuweilen einzelne Materialien billiger beziehen, als es den Gestehungskosten entsprochen hätte. ^)

Erst vor kurzem konnte man z. B. in einer Rede des Sir Christopher Furness lesen^), daß die von ihm geleitete Schiffs- maschinenunternehmung ihr früher gewinnbringendes Schmiede- departement geschlossen habe, „da sie Schmiedeeisen zu be- deutend tieferen Preisen beziehen könnten, als sie es selbst zu produzieren oder im Inlande zu kaufen im Stande wären.'* Da die vertikale Betriebskombination stets steigende Anforderungen an die Kapitalhöhe der Einzelunternehmung stellt, so bedeutet die relativ geringe Dringlichkeit einer solchen Kombinie- rung in der englischen Industrie, daß die Entstehung neuer Kon- kurrenzwerke an leichtere Bedingungen geknüpft ist als etwa in der Union oder in Deutschland. Aber weiter! Während in diesen Ländern die vertikale Betriebskombination vielfach zu einer voll- ständigen Monopolisierung der Rohstoffe geführt hat, fällt in Groß- britannien diese Entwicklung, welche den Wettbewerb in der Fertigfabrikation überhaupt ausschließen würde, vollkommen fort. Es wäre z. B. sehr wohl denkbar, daß eine größere Zahl eng- lischer Papierindustrieller es für ratsam halten würde, dem Beispiel bisher weniger Fabrikanten zu folgen und sich Wälder und Holz- schlifffabriken im Ausland anzugliedern. Dies würde, wenn es wirklich die Rentabilität der Unternehmungen erhöhen könnte, an neue Fabriken die Anforderungen stellen, mit jenen Schritt zu halten; es würde damit die Höhe des zur Gründung einer neuen Unternehmung nötigen Kapitals, sowie deren Risiko be- trächtlich steigen und vermutlich das Aufkommen solcher Unter- nehmungen gegen früher erschwert erscheinen. Erschwert! Aber zunächst nicht ausgeschlossen. Ganz anders in den Vereinigten Staaten oder Deutschland. Hier machen in den verschiedensten Industriezweigen die Rohstoffmonopole auch die Entstehung

^) Vgl. Jeans a. a. O., S. 175.

^) Vgl. Report of 8 th Annual Meeting der Firma Richardsons, Westgarth and Co., 29. XII. 1908; vgl. auch Report of the Tariff Commission, Vol. 4; Engineering Industries, London 1909, § 1091.

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neuer Werke in Zweigen der Fertigfabrikation unmöglich. Ich erinnere an die amerikanische Papierindustrie, deren Trust darin seine Stärke findet, daß er bei hohen Zöllen auf Holz und Holz- schliff die heimischen Wälder monopolisiert hat und damit neuen Wettbewerb in der Papierfabrikation geradezu lahmlegt.^) Ich erinnere an die Stahlindustrie beider Länder, in der das Ent- stehen neuer Großunternehmungen durch die Monopolisierung der Erzlager verhindert wird^) oder an das deutsche Sodakartell, welches sich mit den deutschen Salinenkartellen geeinigt hat, daß neue Fabriken kein Salz erhalten sollen.^) Lassen sich ähn- liche Fälle für Länder mit ausgebildeten Rohstoffmonopolen und gleichzeitiger Fertigfabrikation verschiedentlich nachweisen, so sind sie in England nicht vorzufinden. Denn Großbritannien besitzt eben nur ganz vereinzelte Rohstoffmonopole, und selbst diese haben, wie wir später zeigen werden, nur einen, im Ver- gleich zu dem soeben genannten, beschränkten Wirkungskreis, während die große Masse der von den englischen Industriellen benötigten Rohstoffe zollfrei und unter niedrigen Frachtkosten importiert wird. Eine Vertrustung englischer Fertigfabrikationen durch ausländische Rohstoffmonopole, an die ja gedacht werden könnte, ist aber bisher höchstens insofern versucht worden, als der Boraxtrust der Union einige Raffinerien in England besitzt. Im allgemeinen aber fällt die Möglichkeit, daß durch die Mono- polisierung der Rohstoffe auch gewisse entfernte Stadien der Weiterverarbreitung monopolisierbar werden, welche andernfalls dem Wettbewerb ausgesetzt sein würden, in Großbritannien fort. Wir haben somit eine Reihe von Umständen kennen gelernt, die in zahlreichen Zweigen der weiterverarbeitendenlndustrie Groß- britanniens die Fortexistenz des Wettbewerbes unter den Unter- nehmern erklären können. Zwei von diesen Umständen: das Vor- handensein einer großen Zahl von Unternehmungen und eine relativ leichte Vermehrbarkeit derselben finden sich besonders ausgeprägt in einer Industrie Großbritanniens vor, die gerade be- züglich der Wettbewerbsverhältnisse in einem scharfen Gegen- satz zu derjenigen Deutschlands und Amerikas steht. Es ist dies die Weißblechindustrie.

^) Vgl. Levy, Einfluß der Zollpolitik auf die wirtschaftliche Entwicklung der Ver- einigten Staaten von Amerika. Conrads Jahrbücher, 1906. S. 646.

*) Heymann, Gemischte Werke, und Levy, Stahlindustrie, passim.

*) Vgl. H. Groß mann, Die Bedeutung der chemischen Technik. Halle 1907, S. 35-

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Diese bildet in Großbritannien deshalb eine so ausgezeich- nete Illustration für die Umstände, welche auf Seiten der hei- mischen Unternehmer die Fortexistenz des Konkurrenzkampfes bedingen können, weil die ausländische Konkurrenz hier nicht nur theoretisch „isoliert" zu werden braucht, sondern auch in Wirklichkeit ausgeschaltet ist. Die britische, insbesondere die wallisische Weißblechindustrie nimmt in der Weltwirtschaft eine dominierende Stellung ein. Der Export ist von 271 000 tons im Jahre 1901 auf 405 000 tons im Jahre 1907 gestiegen. Die Ein- fuhr irgendwelchen ausländischen Weißblechs kommt in Groß- britannien gar nicht in Frage, Deutschland ist auf die Einfuhr wallisischen Weißblechs angewiesen (Export nach Deutschland im Jahre 1907: 41000 tons), in der Union bleibt demselben im Veredlungsverkehr trotz der Hochschutzzollpolitik ein beträcht- licher Markt, in Britisch-Ostindien herrscht es unbeschränkt und in Kanada ist seine Stellung ebenfalls befestigt, so lange die amerikanische Weißblechindustrie auf^er Stande ist, Weißblech in größeren Mengen zu exportieren.^) Obschon also wallisisches Weißblech nicht nur auf dem heimischen Markte, sondern auch zum größten Teil auf den fremden Märkten eine Stellung ein- nimmt, die eine Preiserhöhung ohne Stimulierung anderweitigen Wettbewerbes zulassen würde ^), fehlt hier eine monopolistische Organisation vollkommen.

Dies ist um so auffälliger, als die Weißblechindustrie Deutsch- lands schon seit dem Jahre 1862 in dem Weißblechverkaufskontor ein Syndikat besitzt, und die noch weit jüngere amerikanische In- dustrie, die überhaupt erst seit 1892 existiert, im Jahre 1898 einen Trust erhielt, die American Tin Plate Company, welcher seit 1901 ein Glied der Steel Corporation geworden ist.

Wie erklärt sich dieser eigentümliche Zustand?

Was zunächst einen Vergleich zwischen Deutschland und England angeht, so ist zu sagen, daß unserer relativ sehr ge-

V Vgl. für diese Angaben: Statistical Abstract, 1908, S. 157; Trade and Navigation, 1908, S. 151; ferner Levy, Entwicklungsgeschichte einer amerikanischen Industrie, Con- rads Jahrbücher, 1905, Vol. XXIX, S. 145 ff.; die Ausfuhr der Union nach Kanada betrug im Jahre 1905 nur 2447 S, während Großbritannien für 261 000 £ Weißblech dorthin ausführte! Vgl. Commercial America in 1905, Washington 1906, S. 77, und Report British Iron Trade Association, 1906, S. 19.

^) Nach Kontradiktorische Verhandlungen, Heft 9, S. 152, „sind die Verhältnisse der englischen Industrie für den deutschen Markt bestimmend, wie denn auch die deutschen Preisfestsetzungen nach Angabe der Syndikatsleitung auf der Grundlage der englischen Notierungen erfolgen."

193

ringen Produktion von Weißblech die Zahl von nur fünf Werken gegenübersteht, unter denen eine Kartellierung natürlich einfach ist. Konkurrenz kommt in Deutschland gegen jene Werke kaum auf. Denn die Weißblechindustrie ist in Deutschland trotz des Zollschutzes infolge der hohen Kosten der benötigten Qualitäts- arbeit eine wenig rentable Industrie^), und da die Rohstoffver- sorgung durch Kartell- und Zollpolitik ebenfalls erschwert ist, ja nur ein gemischtes Werk sich eine rentable Weißblechproduk- tion angliedern könnte'^), so ist die monopolistische Stellung der bestehenden Werke bisher gut gesichert gewesen. Während nun Deutschland im Jahre 1905 nur ca. 47000 tons Weißblech produzierte, stellten England und Wales ca. 644000 tons her. Dieser weit größeren Produktion stand eine entsprechend größere Zahl von Werken gegenüber. Dies einmal, weil in der Weißblech- industrie die Handarbeit des gelernten Arbeiters noch die Haupt- rolle spielt, die Maschinerie zurücktritt, also die rentable Betriebs- größe an sich eine relativ kleine ist. Zweitens hat in Wales das reine Weißblechwerk, das Platinen kauft, keine schlechteren Chancen als ein größeres gemischtes Werk, da eine Verteuerung durch Zölle nicht besteht, und man andererseits häufig in der Lage ist, Halbzeug zu Schleuderpreisen vom Auslande zu be- ziehen.') Dies ermöglicht dem kleineren Kapitalisten die Existenz neben demjenigen, der Stahl- und Walzwerke mit der Weiß- blechproduktion verbindet. Die Folge beider Umstände ist: daß die britische Weißblechproduktion im Jahre 1906 sich nach Rylands auf 74 Firmen verteilte.*) Als im Jahre 1905 und 1906 die Konjunktur in der Weißblechindustrie sehr günstig war, fand eine nicht unbeträchtliche Vermehrung der Betriebe

^) Vgl. Kontradiktorische Verhandlungen, Heft 9, S. 153 und passim. Die ver- schiedenen Interessentenaussagen, welche betonten, daß es der deutschen Weißblechindustrie an einem geschulten Arbeiterstamme fehle, scheinen durchaus glaubhaft. Die Wichtigkeit eines solchen Arbeiterstammes gerade für diesen Industriezweig wird auch in England an- erkannt; man vgl. z. B. Tariff Commission Report, Vol. I, 1904, § 889.

^) Vgl. ebenda, vor allem S. 120, auch S. 11 8/ 119. Es geht aus den hier abge- druckten Darlegungen der Firma Capito & Klein deutlich hervor, welche Schwierigkeiten in der Rohstoffversorgung vorhanden sind.

*) Vgl. z. B. Tariff Commission Report, Vol. I, §§ 1155 und 1145, wo aus Rück- sicht auf die Weißblcchindustrie eine Einführung von Zöllen auf Halbzeug von den Inter- essenten bekämpft wird.

*) Vgl. Rylands Directory, 1906, S. 740 748; häufig wird „Werk" mit mill iden- tifiziert. So behauptete Dr. Wendlandt in der Kartcllenquete (vgl. Verhandlungen, Heft 9, S. 152), es gäbe in England 500 „Mills". Eine Tin Plate Mill ist dagegen nur ein Walzbetrieb, von dem ein Werk zahlreiche zu besitzen pflegt.

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 13

194

(mills) und Unternehmungen (works) statt. ^) Zwischen einer so großen Zahl von Unternehmungen Kartellprojekte durch- zuführen, muß natürlich auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Als der amerikanische Trust im Jahre 1897 gegründet wurde, betrug die Erzeugung von Weißblech in der Union erst 250000 tons und man hatte nur ca. 38 Werke auszukaufen, um 90% der Produktion zu kontrollieren, wobei viele der auszukaufenden Werke leichtsinnige Gründungen darstellten und dem Bankerott nahe standen.^) In Wales handelt es sich dagegen fast garnicht um schlecht rentierende Werke, sondern um solche, die einen vorzüglichen Arbeiterstamm haben und einen gefestigten, traditio- nellen Absatz ihres Fabrikats aufweisen. „Wir können kein Weißblechmonopol bilden," erklärte ein Sachverständiger vor der Tarifkommission^), „weil die Industrie in zu viele kleine Unternehmungen aufgeteilt ist." Selbst wenn aber eine Vereini- gung der bestehenden Werke zustande käme, so würde diese vermutlich mit einer monopolistischen Preiserhöhung sich gar bald neuen Wettbewerb großziehen.*) Denn die für die Weiß- blechindustrie in erster Linie wichtige, gelernte Arbeiterbevölke- rung ist in Wales reichlich vorhanden. Andererseits stellt ein neues Weißblechwerk relativ geringe Anforderungen an die Kapitalbeschaffung, solange die Maschinenarbeit hinter der Hand- arbeit zurücktritt, und die Möglichkeit, neue Unternehmungen als ,, reine" Weißblechwerke ins Leben zu rufen, würde ebenfalls das Entstehen derselben in Zeiten hoher Gewinne begünstigen.

Die Haupttatsachen, welche heute die Ausschaltung des Konkurrenzkampfes unter den britischen Großindustriellen un-

1) Vgl. Report British Iron Trade Assoc, 1907, p. XVIII.

-) Vgl. Levy, Stahlindustrie, S. 280 ff.

ä) Vgl. a. a. O., S. 986.

*) Selbst in der amerikanischen Union hat der Stahltrust in der Weißblechbranche wachsenden Wettbewerb erfahren. Nach dem Iron Age, 7. Januar 1909, S. 45, betrug die Zahl der tätigen Betriebe (Mills) zu Ende der

Jahre

beim Trust

bei

den Outsiders

Jahre

beim Trust

bei den Outsiders

1902

264

71

1906

255

110

1903

264

71

1907

242

110

1904

242

83

1908

242

100

1905

248

109

Dabei ist zu bedenken, daß ein amerikanisches Weißblechwerk größere Anforderungen an die Kapitalverwendung stellt als ein englisches, also daß in Amerika eine langsamere Zu- nahme zu en^'arten wäre.

195

möglich oder „in the long run" unzweckmäßig machen, erscheinen mit den bisherigen Ausführungen erschöpft. Die Sphäre des Wettbewerbes in der englischen Großindustrie wird durch diesen Tatsachenkomplex in allgemeinen Umrissen gekenn- zeichnet. Jener Wirkungskreis ungestörten Konkurrenzkampfes hat jedoch, seit den letzen 10 Jahren, eine immer stärkere Be- grenzung durch eine Reihe anderer Umstände gefunden, die einer Monopolisierbarkeit gewisser Produktionszweige in steigen- dem Maße Vorschub geleistet haben. Welches diese Tatsachen sind, sollen die nun folgenden Ausführungen zeigen.

3. Die heutige Monopolbildung in der britischen Groß- industrie.

a) Die Konzentrationsbewegung.

Die Entwicklung der gewerblichen Konkurrenz hat im 19. Jahrhundert vielleicht keine einschneidendere Neuerung erfahren als die Erscheinung der sogenannten Betriebskonzentration. Überblickt man eine genügende Zahl britischer Großindustrien, so erkennt man, wie verschieden die Fortbildung des Groß- betriebes sich nach dieser Richtung hin gestaltet hat. Hier nimmt mit steigender Nachfrage die Zahl der Betriebe in einer Industrie noch dauernd zu, obschon die Größe des einzelnen Durchschnittsbetriebes sich ebenfalls im Laufe der Zeit stark er- weitert hat, wie etwa in der Baumwollspinnerei. Dort hingegen findet man, schon vielleicht seit geraumer Zeit, jenen eigentüm- lichen Zustand, daß eine steigende Nachfrage von einer immer geringeren Zahl von Betrieben befriedigt wird, daß sich mit stei- gender Leistungsfähigkeit des Einzelbetriebes die Gesamtzahl der Betriebe in einem Industriezweige von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verringert.

Diese Entwicklung, die Betriebskonzentration, wie sie John Stuart Mi 11 bei Gasanstalten und im Eisenbahnwesen beobachtet hatte, findet sich heute in Großbritannien nicht nur in der Groß- industrie. Wir begegnen ihr allenthalben : in der Schiffahrt, im Großhandel, aber auch bei den Detailgeschäften, im Gastwirts- gewerbe, im Zeitungswesen, im städtischen Verkehrswesen usw. Wir haben hier diesen allgemeinen Tendenzen nicht nachzu- spüren, noch wollen wir ihre Ursachen eingehend erörtern. Die

13*

196

Betriebskonzentration interessiert uns hier vom Standpunkt allein des Großindustriellen Wettbewerbs. Sie selbst fassen wir nur als einen besonderen Fall großbetrieblicher Ent- wicklung überhaupt auf. als eine besondere Richtung, welche jene einschlagen kann. Alle Tatsachen, welche die Entstehung des Großbetriebes und seine Weiterbildung maßgebend beein- flussen können : Änderungen in den Verkehrsverhältnissen. Ver- schärfung der Konkurrenz, neue Erfindungen und Entdeckungen usw., können in gleicher Weise die Grundlage für die Entstehung der Betriebskonzentration bilden. Die Entwicklung des Groß- oder Riesenbetriebes bedeutet zunächst nur: gesteigerte Pro- duktion pro Betrieb. Findet diese Entwicklung so statt, daß die Nachfrage nach den Produkten jener Industrie von einer immer kleineren, aber immer leistungsfähigeren Zahl von Be- trieben befriedigt wird, so haben wir den speziellen Fall einer Betriebskonzentration vor uns. Es wird also dann die Ent- wicklung so vor sich gehen, daß die rentable Betriebsgröße in ihrer Leistungsfähigkeit so- viel schneller wächst als die Ge- samtmenge der in jenem Industriezeige hergestellten Produkte, daß sich die Produktion auf immer wenigere Großbetriebe konzentriert. In dem Maße aber, wie die Möglichkeit der Aus- schaltung des Wettbewerbes von der Vielheit der vorhandenen Unternehmungen beeinflußt wird, wird die Betriebskonzentration, da wo mit ihr eine Verringerung der konkurrierenden Unter- nehmungen verknüpft ist^), diese Möglichkeit erhöhen können. Vielfach wird sich heute die Konzentration schon beim ersten Einsetzen einer neuen Großindustrie zeigen, wenn die rentable Betriebsgröße von vornherein eine solche Leistungsfähigkeit auf- weist, daß nur wenige Betriebe zur Befriedigung der Gesamt- nachfrage hinreichen. In den meisten Fällen freilich erscheint die Betriebskonzentration als das Resultat eines langjährigen Ent- wicklungsprozesses, in welchem die technisch leistungsfähigeren Werke die minder leistungsfähigen in heftigem Konkurrenzkampfe niederwerfen und deren Absatz an sich reißen. Hierfür bietet die Entwicklung der britischen Papierindustrie ein interessantes Beispiel. Wir wissen aus der Statistik der erteilten Lizenzen, daß es im Jahre 1801 in England 413 Papierfabriken gab, im Jahre 1811: 527. 10 Jahre später bereits 564. In der Zeit von

*) Anders in dem Falle, daß eine Unternehmung viele Betriebe aufweist, welche konzentriert werden.

197

1803 bis 1831 war die Menge des jährlich versteuerten Papiers von ca. 31 MilHonen Pfund in dem ersten Jahre auf das Doppelte in dem letztgenannten gestiegen. ^) Diese Vermehrung der Produktion war also bei gleichzeitiger Steigerung der Betriebe vor sich ge- gangen. Seit jener Zeit ein anderes Bild. Während es zwischen 1841 und 1845 noch durchschnittlich 497 Papierfabriken gab, sank deren Zahl beständig. Sie betrug im Vereinigten König- reich -) :

1876—1880: 362

1881—1885: 340

1886—1890: 319

1891—1895: 307

1896—1900: 292

1901

290

1902

287

1903

282

1904

279

Während sich die britische Papierfabrikation von 43 350 tons im Jahre 1841 auf 773 550 tons im Jahre 1903 gehoben hatte, war die Zahl der Betriebe von fast 500 auf 282 zurückgegangen. Be- ständige Verbesserungen maschineller Art, ungünstige Absatz- verhältnisse einzelner älterer Werke und der immer stärkere Wettbewerb der leistungsfähigsten Betriebe hatten nach Spicer^) diese Konzentration herbeigeführt.^)

Bedeutend später setzte die Konzentrationstendenz in der Roheisenerzeugung ein. Vom Jahre 1796 bis zum Jahre 1880 hatte sich die Zahl der vorhandenen Hochöfen beständig gesteigert; sie war von 124 auf 926 gestiegen bei gleichzeitiger Produktions- steigerung von ca. 125000 tons auf ca. 7700000 tons.*) Von da ab sank die Zahl der Hochöfen bei steigender Produktion be- ständig. Sie betrug im Jahre 1884 noch 908, 1890 nurmehr 790 und ist im Jahre 1907 auf 514 gesunken.*) Noch interessanter ist vielleicht der Rückgang der in Betrieb befindUchen Hoch- öfen ^) :

') Vgl. Porter a. a. O., S. 367 369.

^) Spicer a. a. O., S. 248.

3) Ebenda, S. 4—5.

*) Vgl. hierfür: A. Meade, The Goal and Iron Industries of the United Kingdom. London 1882, S. 829 ff. Ferner: Iron and Goal Trade Review, 8. I. 1886, S. 51; 2. I. 1891, S. 7; und Mines and Quarries for 1907, London 190S, S. 205.

^) Vgl. Mines and Quarries a. a. O., S. 210.

198

Hochöfen in

Produktion von 1

Jahr

Betrieb

eisen in tons

1865

629

6365000

1880

567

7749000

1885

434

7415000

1890

414

7904000

1895

344

7703000

1900

403

8959000

1905

345

9608000

1907

369

lOlUOOOi^

Die Ursachen speziell dieser Konzentrationstendenz lagen vor allem in den Veränderungen der Hochofentechnik. Sie sind so oft für Großbritannien wie für andere Länder aufgezählt worden, daß wir nur Bekanntes hier wiederholen würden, wenn wir sie erörterten. Auch interessiert uns zunächst nur die Tatsache der Konzentration als solche. Da eine Firma oder Unternehmung mehrere Hochöfen zu besitzen pflegt, so sind freilich die obigen Ziifern kein exakter Maßstab für die uns hier interessierende Frage einer Abnahme der konkurrierenden Unternehmungen. Daß mit der Betriebskonzentration eine starke Konzentration der Einzelunternehmungen vor sich ging, zeigte aber die Statistik gesonderter Distrikte, von der wir hier einige Ziffern wiedergeben wollen. So waren in dem leistungsfähigsten Roheisendistrikt Yorkshire im Jahre 1885 bei einer Erzeugung von 1747000 tons und 92 Hochöfen 18 Firmen vorhanden, im Jahre 1907 bei einer Produktion von 2537000 tons nurmehr 13 Einzelunternehmungen. Von den 92 Hochöfen des Jahres 1885 hatte die Firma Bolkow, Vaughan and Cy., 21 besessen, im Jahre 1907 besaß sie bei einer Gesamtzahl von nur 11 Hochöfen: 25. In Durham waren im gleichen Zeitraum die Hochöfen von 60 auf 39 zurückgegangen bei einer Produktionssteigerung von 730000 auf 1 144000. Von den 39 Hochöfen besaß die Firma Bell Brothers in Middlesborough allein 12, die übrigen verteilten sich auf 7 andere Firmen, die Gesamtzahl derselben war seit 1885 um 5 zurückgegangen.^)

Neuerdings ist durch Neugründung der Workington Company, welche vier Gesellschaften resp. einzelne Werke derselben mit- einander verschmolzen hat, auch in Cumberland die Konzen- trationsbewegung in ein neues Stadium eingetreten. Die neue

1) Vgl. für 18S5: Mines and Minerals, London 1886 (C— 4771), S, 152 ff. und Mines and Quarries, London 1908, S. 206 ff.

199

Gesellschaft umspannt 22 Hochöfen, während im ganzen jener Distrikt im Jahre 1907 36 Hochöfen aufwies. ^)

Selbst in der Weißblechindustrie, von der wir früher erzählen konnten, daß in ihr die Entwicklung zum Großbetrieb noch relativ gering und zumindest noch nicht in dem Maße ausgeprägt ist, wie in anderen Industrien, zeigen sich die Anzeichen der Konzen- tration; es zeigt dies die Statistik der Werke ^):

Jahr Anzahl der Weißblechwerke

1800 9

1825 16

1850 34

1860 40

1865 47

1870 59

1875 75

1885 96

1906 74

Im Jahre 1880 hatte die Zahl der Weißblechbetriebe (Mills), deren jede Unternehmung mehrere aufzuweisen pflegt, 369 be- tragen, im Jahre 1891 sogar 524. Damals betrug die Produktion ca. 663000 tons. Als im Jahre 1906 die britische Weißblech- produktion, die ja in den 90 er Jahren auf Grund der amerikani- schen Schutzzölle stark reduziert war, wieder etwa so viel, näm- lich 681000 tons betrug, war die Zahl der mills auf 453 ge- sunken.'^) Dies bedeutete zwar eine Zunahme gegenüber dem Vorjahre, die auf die gute Konjunktur zurückzuführen war. Aber im Rahmen der Gesamtentwicklung der Weißblechindustrie inner- halb der letzten 20 Jahre ist doch die Konzentrationstendenz unverkennbar, selbst wenn in Zeiten hoher Überschüsse noch zeitweilig eine Vermehrung der Betriebe und Unternehmungen stattfindet.

Die bisher erörterten Fälle sollten nur diejenige Tendenz der Konzentration dartun, welche auf eine dauernde Vergrößerung der technischen Betriebsgröße zurückzuführen ist. In dem Maße, wie diese Vergrößerung rascher fortschreitet als die Gesamtpro-

^) Vgl. Financial Times, 13. Juli 1909, S. 3. Es handelt sich um die Vereinigung der Cumberland-Werke von Cammell, Laird and Co. mit der Moss Bay Hsematite Iron and Steel Cy., der Harrington Iron Co. und der ursprünglichen Workington Cy.

-) Vgl. Ph. W. Flower, Origin of the Manufacture of Tin Plates. Neath 1886, S. 23; für die Ziffer von 1907 Rylands a. a. O., S. 740 ff.

s) Vgl. R. I. St. A. 1907, p. XVIII— XIX.

200

duktion, führt sie zu einer absoluten Abnahme der Betriebe und dabei in der Mehrzahl der Fälle auch der Unternehmungen. Eine Geschichte der Betriebskonzentration, welche hier nicht geschrieben werden soll, müßte darlegen, welches im Einzelfalle die techni- schen Veränderungen gewesen sind, welche die Vergrößerung des Betriebes ermöglichten, welche Umstände ökonomischer Art die Anwendung dieser Fortschritte rentabel machten und endlich wie diese Betriebskonzentration vor sich geht (Bankerott und Aus- sterben leistungsunfähiger Betriebe, Auskaufund Stilllegung solcher Betriebe, Verschmelzung verschiedener Betriebe zu einem Betriebe usw.) Hier kam es uns nur darauf an, die Entwicklung der Be- triebskonzentration in neuerer und neuester Zeit in einen Gegen- satz zu stellen zu dem absoluten Anwachsen der Betriebe in der großindustriellen Entwicklung des beginnenden 19. Jahrhunderts, eine Gegenüberstellung, welche leider in An- betracht der vorhandenen Statistik nur für vereinzelte, aber immer- hin wichtige Zweige der Industrie möglich ist.

Eine weitere Konzentrationsbildung erfolgt in heutiger Zeit durch die Kombination von Betrieben, die dasselbe Erzeugnis herstellen, zu einer einzigen Unternehmung. Es handelt sich hier um die sogenannte „horizontale Betriebskombination''. Eine technische Veränderung der Betriebe oder Betriebsgröße ist hier entweder überhaupt nicht vorhanden oder zumindest nicht das einzig Entscheidende. Es soll vielmehr aus Gründen rein öko- nomischer Art eine Gemeinschaft zwischen Betrieben hergestellt werden, welche bisher als verschiedene Einzelunternehmungen gesondert wirtschafteten, eine Gemeinschaft, welche zur Erzielung höherer Überschüsse alle bisherigen Betriebe in eine Unternehmung zusammenfaßt. Wo diese Kombination stattfindet, ist es sehr wohl möglich, daß gleichzeitig eine Betriebskonzentration vor sich geht; es ist ferner denkbar, daß eine Veränderung tech- nischer Art in den zu einer Unternehmung vereinigten Betrieben vorgenommen wird. Allein, während wir bei der zuvor bespro- chenen Entwicklung die Konzentration der Unternehmungen (z. B. der Roheisenfirmen) zunächst ausschließlich als durch die technische Betriebs Vergrößerung herbeigeführt ansahen, handelt es sich bei der horizontalen Betriebskombination um eine Konzen- tration der Unternehmungen, die planmäßig von Unternehmern zum Zwecke einer besseren Organisation der Produktion und des Absatzes aller in Frage kommenden Betriebe vorgenommen wird, wozu die Betriebskonzentration eines der Mittel sein kann.

201

Für diese horizontale Betriebskombination und die durch sie herbeigeführte Konzentration der Unternehmungen in der bri- tischen Indusrie hat Macrosty in seinem umfangreichen Buche ein ausführhches Material gesammelt. Er hat gezeigt, wie in den ver- schiedensten Industriegebieten, man kann wohl sagen fast überall, die Organisation verschiedener Betriebe in eine Unternehmung im Fortschreiten begriffen ist. Wie die Zweckmäßigkeit einer solchen Unternehmungskonzentration heute von den Großindustriellen er- kannt wird und geradezu den Mittelpunkt ihrer organisatorischen Bestrebungen bildet, das zeigt, neben all den von Macrosty gesammelten Erfahrungen, neuerdings eine glänzende Rede des bekannten Großkapitalisten, Schiffsbauers und Reeders Sir Chri- stopher Furness. Als Direktor einer der größten englischen Schiffsmaschinenfirmen: Richardsons, Westgarth and Co. Limited, schlug er am 29. Dezember 1908 eine Fusion dieser Unterneh- mung mit verschiedenen anderen Unternehmungen gleicher Art vor. Für ihn mochte dies nur als Wiederholung eines Vorganges erscheinen, der im Jahre 1900 zu der Gründung der von ihm gegenwärtig geleiteten Firma geführt hatte; diese war nämlich eine Vereinigung der Firmen: Th. Richardsons Limited, Sir Ch. Furness, Westgarth and Co. und William Allan and Co., Firmen, welche ein bar bezahltes Kapital von 790 000 £ darstellten.^) Die neue Amalgamation sollte einen Komplex von Unternehmungen um- fassen, die zusammen in den Jahren 1902 1908 nicht weniger als 1206 Dampfschiffe mit Maschinen ausgestattet hatten, welche im Ganzen 2150000 Pferdekräfte repräsentierten. Der Plan, welcher übrigens bisher noch unverwirklicht blieb ^), würde wohl kaum mehr Bedeutung beanspruchen als eine fast unendliche Zahl anderer Kombinationen ähnlicher Art, wenn nicht Sir Chri- stopher die verschiedenen Vorteile derselben so prägnant dar- gestellt hätte, daß sie als typisch für die horizontale Betriebs- kombination überhaupt erscheinen; sie wären nach ihm:^)

1. Eine große Reihe von Materialien, welche jetzt entweder von den Einzelunternehmungen gekauft oder zu Einkaufskosten hergestellt würden, würden im Falle der Kombination weit billiger bezogen werden können. Es wäre ein wirklicher Gewinn in der Pro-

^) Vgl. Stock Exchange Official Intelligence, 1908, S. 1397. ^) Vgl. Report of Adjourned 8 th Meeting, 13. März 1909.

') Vgl. Report 8t^> Annual Meeting der Firma Richardsons, Westgarth and Co. 190S. Vgl. ferner den dokumentarischen Anhang 2.

202

duktion von Einzelteilen sowie bei. vielen Einzelarbeiten nur dann möglich, wenn sie in großem Umfange von den Maschinenfabrikanten betrieben würden. ,,Die Masse von Einzelheiten (detail), welche der Schiffsmaschinenbau mit sich bringt, macht so viele einzelne Arbeiten nötig, welche jede eine besondere Abteilung beanspruchen, daß eine speziali- sierte Massenproduktion unter hochkonzentrierter Verwal- tung für den einzelnen Unternehmer tatsächlich un- möglich wird. Aber unter einem System der Amalgamie- rung vereinfacht sich die Schwierigkeit .... Jede Einzel- arbeit wird in Verbindung mit der Jahresproduktion von 127 Maschinenreihen so enorm, daß bei der entsprechenden Standardisierung und bei einer modernen Fabrikations- methode, Gewinne erzielt werden würden, die unter den gegenwärtigen Bedingungen ganz unmöglich sind."

2. Im Bau der Maschinen und Kessel selbst würden große Ersparnisse einsetzen: „Jeder Fabrikant hat ein- zelne hervorragende Eigentümlichkeiten, sei es in der Zeich- nung, in der Anordnung der Teile, in der Materialqualität oder in der Arbeit, welche unter einer Kombination eine noch größere Bedeutung erlangen würden." ,, Ferner hat jede Firma einen kostspieligen Beamtenapparat, welcher Zeichnungen herstellt, die mit denen der Wettbewerber fast identisch sind, ebenso entsprechende Modellwerkstätten." Wenn man bedenkt, daß Zeichnungen und Modell für die Maschinen eines Frachtschiifes etwa 500 £ Kostenaufwand verursachen, so leuchtet die Wichtigkeit der hier genannten Ersparnisse ohne weiteres ein.

3. Es würden Ersparnisse in der Organisation der Betriebe und des Absatzes eintreten. Vor allem würde es möglich werden, die kostspieligen Überstunden zu be- seitigen oder sie nur in ganz seltenen Fällen eintreten zu lassen, indem eine bessere Verteilung der Arbeiten unter die einzelnen Betriebe stattfinden könnte. Dieselbe Verteilung und Entlastung einzelner Werke würde stattfinden, wenn es sich um besonders schnell zu erledigende Aufträge handeln würde. Es könnten ferner die Schiffe von den Maschinenwerkstätten ausgestattet werden, die nächst den Häfen der Erbauung der Schiffe lägen, wobei wiederum jedes einzelne Werk Fracht- und Versicherungskosten sparen würde.

203

Was hier Sir Christopher Furness als die Vorteile der von ihm geplanten horizontalen Kombination auseinandersetzte, findet man in unzähligen Prospekten großer Amalgamationen, vor allem in solchen der Textil- oder Stahlindustrie, in teils übertriebener, teils minder detaillierter Ausdrucksweise dargestellt. Ist die Kom- bination einmal erfolgt, und sind die durch sie geplanten Erspar- nisse verwirklicht, dann ist eine Unternehmungseinheit geschaffen, die in der Regel alle bisherigen Einheiten sowohl in dem Um- fange der Produktion wie in der Billigkeit der Erzeugungskosten übertreffen wird; in jedem Falle aber bedeutet eine solche Kombi- nation ein erneutes Fortschreiten in der Konzentrationsbewegung.

Als letzte uns gewohnte Erscheinung dieser Bewegung sei die vertikale Betriebskombination genannt. Aus früheren Darlegungen wissen wir, daß diese in Großbritannien eine im Vergleich zu den amerikanischen und deutschen Verhältnissen geringe Ausbildung aufweist. Es beruht dies darauf, daß beim Fehlen von Zöllen, hohen Frachtkosten oder Rohstoffmonopolen, welche den Bezug von Materialien und Halbfabrikaten in anderen Ländern verteuern, die Dringlichkeit der Vertikalkombinierung für den englischen Industriellen relativ gering ist, und daß zweitens, wie wir darlegten, die Vertikalkombination als Mittel der Mono- polisierung der Fertigfabrikation so gut wie garnicht in Groß- britannien in Frage kommt. Die Vertikalkombination ist in Groß- britannien lediglich das Mittel, reguläre Zwischengewinne auszu- schalten und durch Verbindung verschiedener Produktionsstufen die Überschüsse aus der letzten Produktionsstufe zu steigern. Somit erscheint die Vertikalkombination in Großbritannien in der Regel erst als Folge der Betriebskonzentration oder der horizontalen Kombination. Dies besonders bei einer hochqualifizierten Fertigfabrikation: denn bei dieser pflegt die Entstehung eines Riesenbetriebes oder die Verschmelzung vieler Unterneh- mungen die Übernahme einer Rohproduktion oder Halbfabrikation überhaupt erst rentabel zu machen, wie es die Ausführungen des Sir Christopher Furness über die Schiffsmaschinenwerke ja deut- lich zeigen. Bei minder wertvollen Fabrikationen ist in der Regel bereits die moderne Einzelunternehmung im Stande, von der Vertikalkombination Nutzen zu ziehen. Wir finden sie daher, wie schon erwähnt, in der neuzeitigen Entwicklung der englischen Stahlindustrie vor, als eine Folge der dort fortschreitenden Ver- größerung von Einzel werk und Einzelunternehmung. ^)

^) Vgl. Jeans a. a. O., S. 175.

- 204

Ebenso finden wir das gemischte Werk im Schiffsbau. Die Unternehmung John Brown Cy., Lmtd., baut Schiffe aus eigenen Erzen und mit eigener Kohle, wenn man so sagen darf, und Hefert nicht minder alle Maschinen und die gesamte Ausstattung des- selben, so weit sie aus stählernem Material sind, aus eigenen Werkstätten.^) Mit der ständigen Vergrößerung der Papierfabriken ist eine derselben, nämlich die größte von allen, diejenige von Lloyd, zur Fabrikation von Zellstoff übergegangen. Während alle bisher vorhandenen Papierfabriken Englands nur höchstens neun Maschinen besitzen, weist sie nicht weniger als 15 auf-) Auch an die großen Zeitungsunternehmungen tritt die Frage der Ver- tikalkombination in neuester Zeit heran. Der größte Zeitungs- besitzer Englands, Lord Northcliffe, erklärte im Jahre 1907, daß ein Wachsen der Papierpreise um 1 farthing pro Pfund seiner Gesellschaft 70 000 £ im Jahre mehr kosten werde.^) Es ist daher diese Unternehmung (Amalgamated Press Lmtd.) zum Ankauf von Waldungen in Newfoundland und zur Errichtung von Zellstoff- und Papierfabriken dortselbst übergegangen.*) Ganz ähnlich sehen wir die Entwicklung der großen Seifenfirma Lever Brothers vor uns. Ihre Produktion war von 20 tons in der Woche im Jahre 1886 auf 2400 tons in der Woche bis 1899 gestiegen! Zwischen 1895 und 1899 gliederte sich die Firma, um ihren großen Bedarf an Rohmaterial zu billigeren Preisen zu decken, eine Koprasammelstelle in Sydney an, ferner eine Ölmühle auf den polynesischen Inseln, eine Ölmühle zur Extrahierung von Öl aus Baumwollsamen am Mississippi und eine solche zur Ver- wertung Ägyptischen Samens in Port Sunlight, dem Sitz der Fabrik.^)

Nach allem, was die Vertikalkombination in der amerikanischen Union und in Deutschland zu bedeuten pflegt, würde man nun annehmen, daß solche Kombinationen einen wesentlichen Einfluß auch auf die englische Konzentrationsbewegung üben. Allein dem ist nicht so. Da, wie schon von uns erklärt wurde, die ökonomische Dringlichkeit der Vertikalkombination in dem Lande des Freihandels, des geringen Frachtenschutzes und der fehlenden

^) Vgl. Rylands Directory, S. 147.

*) Vgl. The Paper Maker. Special Number, 1907, S. 3 und Philipps Paper Trade Directory, London 1908, S. 113 fF. und S. 9.

^) Vgl. Times, Financial and Commercial Supplement, 20. Dez. 1907. *) Vgl. Paper Maker, i. Januar 1909, S. 67. *) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 203.

205

Rohstoffmonopole relativ gering ist, so zieht das einmal ent- standene gemischte Werk nicht notwendigerweise die anderen Unternehmungen nach sich. In Deutschland und in der Union pflegt diejenige Großunternehmung, die sich zu einer gemischten Unternehmung auswächst, so viel tiefere Erzeugungskosten für das Endprodukt zu haben, daß nur eine gleiche Kombination die übrigen Werke vor der Konkurrenz derselben schützen kann. Diese Erwägung und die Furcht, einmal außer Stande zu sein, die Kombination vorzunehmen, wenn nämlich die Rohstoffe \'bllig monopolisiert sind führt in der Regel zu einer raschen Vertikalkombination von immer mehr Unternehmungen. Da aber nicht alle im Stande sind, sie vorzunehmen, da die Vertikalkom- bination die größten Kapitalanforderungen stellt und für viele Unternehmungen nicht durchführbar ist, so bewirkt die zunächst noch bestehende Scheidung der reinen und gemischten Werke schließlich eine Konzentration der Produktion auf die letzteren. Dieser Zusammenhang zwischen Vertikalkom- bination und Konzentration ist in Großbritannien bisher nur in geringem Maße zu verspüren gewesen. Die reinen Walzwerke Englands sind nicht dem Übergewicht der gemischten Werke er- legen. Neben dem Schiffsbauer Brown stehen Firmen wie „Armstrong*' oder „Vickers, Sons and Maxim", deren Produktion erst beim Stahl beginnt, neben dem Seifenfabrikanten Lever eine große Zahl von bedeutenden Unternehmungen, welche alle Materialien kaufen müssen^), und während in Deutschland die großen Papierfabriken zumeist eigene Holzschleifereien be- sitzen'^), hat die Vertikalkombination in der englischen Papier- industrie bisher nur zu zwei derartigen Unternehmungen geführt, deren Organisation von den übrigen großen Werken durch- aus nicht als unbedingt nachahmenswert angesehen wird. Es ist sehr wohl möglich, daß auch in Großbritannien in kommender Zeit, sei es im allgemeinen, sei es in einzelnen In- dustrien, die Vertikalkombination zu einer horizontalen Konzen- tration der Unternehmungen führt, indem große gemischte Werke die reinen Betriebe ausschalten und ihre Produktion an sich reißen. Vorläufig ist jedoch von dieser Tendenz noch wenig zu spüren, und dieser Zustand wird sich nicht ändern, solange diejenigen Umstände den „reinen" Betrieb begünstigen, welche

^) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 40 41 und 203 ff.

*) Vgl. Kontradiktorische Verhandlungen, Vol. II, Berlin 1904, S. 10.

206

wir in dem vorigen Abschnitt klargelegt haben. Die Vertikal- kombination erscheint nicht als Ursache der Konzentration von Betrieben und Unternehmungen'), sondern umgekehrt: sie er- scheint als Folge der Betriebskonzentration oder der horizontalen Betriebskombination, d. h. als einer der ökonomischen Vorteile, welche in diesen beiden Stadien groiS- industrieller Organisation möglich werden.-)

Dieses Resultat ist nun insofern von großer Wichtigkeit, als es die Frage beeinflußt, welches die Bedeutung der von uns bisher geschilderten Konzentrationsentwicklung für die Mono- polbildung in Großbritannien ist. Die Bedeutung einer jeden solchen Entwicklung für die Entstehung von Kartellen oder Trusts ist, wie wir schon früher andeuteten, zunächst darin zu suchen, daß erstens eine Verringerung der konkurrierenden Unter- nehmungen eine Erleichterung für die Ausschaltung des Wettbewerbs bedeutet. Zweitens aber wächst die Schwierig- keit der Neugründung von Unternehmungen in dem Maße, wie jede neue Unternehmung, wenn sie konkurrenzfähig sein will, an immer größere Dimensionen, an ein immer größeres Kapitalbedürfnis gebunden ist, und in dem Maße wie sie, was später noch erläutert werden soll, sicher sein muß, für das große ,,Mehr" an Produkten, welches sie zur Gesamterzeugung liefert, einen rentablen Absatz zu finden. Da nun in Großbritannien im Gegensatz zu anderen Ländern die Vertikalkombination eine bisher geringe Bedeutung für die Konzentration der Unter- nehmungen eines bestimmten Produktionsstadiums hat, so muß sie auch in der Frage nach den Voraussetzungen der Mono- polbildung zunächst noch ausscheiden. Demgegenüber erscheinen Betriebskonzentration und horizontale Betriebskombi- nation als Vorbedingungen moderner Industriemonopole in Eng- land von hervorragender Bedeutung.

Wenn die absolute Betriebskonzentration und die horizontale Be- triebskombination einerseits zu einer Verringerung der konkur- rierenden Unternehmungen führen, andererseits das Aufkommen neuer Konkurrenz erschweren, im Ganzen also die Monopolisier- barkeit der betreffenden Großindustrie begünstigen, so ist damit noch keineswegs gesagt, daß diese beiden Tatsachen in jedem

*) Ein deutliches Beispiel hierfür bietet die Drahtindustrie in den Vereinigten Staaten von Amerika. Vgl. Levy, Die Stahlindustrie a. a. O., S. 241 und 243 245.

-) Charakteristisch ist z. B. auch, daß sich die Monopolvereinigung der Feinbaum- wollspinner, die im Jahre 1898 entstand, im Jahre 1900 ein Kohlenbergwerk angliederte.

207

Falle die Entstehung monopolistischer Vereinigungen ermög- lichen. Wenn daher Macrosty in einem Buch, das von den „Trusts"' handeln soll, zahllose Betriebskombinationen aufzählt, die garnichts mit einer monopolistischen Beherrschung des Marktes gemeinsam haben, so geschieht das in Verkennung der Tat- sache, daß Konzentrationsbewegung und Monopolbildung ver- schiedene Dinge bedeuten. Wenn die Möbelfirma Waring and Gillow, um ein solches Beispiel Macrostys zu nennen, die größte der bestehenden Möbelfabriken in England ist, eine Firma, welche verschiedene Amalgamationen darstellt^), so hat sie doch in keiner Weise die Möbelfabrikation und das Dekorationsgewerbe monopolisiert, und es besteht bei der großen Zahl der vorhan- denen Unternehmungen nicht einmal die Aussicht, daß dies ge- schehen wird. Solche und ähnliche Firmen in die Aufzählung der englischen Trusts einzureihen, weil sie hervorragende Riesen- unternehmungen darstellen, ist ebenso verwirrend wie die früher so oft geschehene Identifizierung irgendwelcher Interessenverbände, z. B. der regulären englischen Associations, mit Kartellen und Syndikaten! Man könnte dann eine jede große Hotel- gesellschaft oder ein jedes großes Warenhaus zu den Fortschritten der Trustbewegung rechnen.

Richtig ist, daß jede Konzentration von Unternehmungen in der Produktion eine monopolfördernde Tendenz in sich trägt. Aber der Begriff des Monopols und des Trusts oder Kartells setzt voraus, daß entweder überhaupt oder bis zu einem be- trächtlichen Grade die Konkurrenz als Ganzes in dem be- treffenden Industriezweige ausgeschaltet wird. Damit selbst stark konzentrierte Unternehmungen ein Monopol bilden können, ist vor allem nicht minder die Immunität vor ausländischem Wettbewerb als die vor inländischem nötig. Dies zeigt sich z. B. in der Roheisenerzeugung, in der, trotz aller Konzentration der Betriebe und Unternehmungen, bei dem bisherigen Stande der Auslandskonkurrenz eine monopolistische Vereinigung keinen Boden gefunden hat. Bezüglich des binnenländischen Wett- bewerbes wieder fragt es sich in jedem einzelnen Falle, wie stark die Konzentration vor sich gegangen ist. Es ist hier vor allem zweierlei zu unterscheiden: der Konzentrationsprozeß kann einmal aufgefaßt werden als Voraussetzung beständig erhöhter Leistungsfähigkeit pro Betrieb oder pro Unternehmung. Als

^) Macrosty a. a. O., S. 325.

208

solcher kann er schließlich zu einer Monopolstellung oder monopol- ähnlichen Stellung desjenigen Unternehmens führen, das als leistungsfähigstes überbleibt. Das Projekt des Sir Christopher Furness hätte nicht nur eine Unternehmung geschaffen, welche leistungsfähiger gewesen wäre als alle die in ihr verschmolzenen Einzelunternehmungen, sondern das zugleich die Produktion von Schiffsmaschinen im Nordosten Englands monopolistisch kontrol- liert hätte. Die horizontale Kombination, die zunächst jede Einzel- unternehmung in jener Branche für sich durchgemacht hatte, hätte schließlich in jener letzten Kombination ihren Abschluß gefunden. Diese wäre eine „efficiency combination" gewesen, eine Effizienz- kombination, eine Vereinigung zur Reduzierung der Produktions- kosten, zugleich aber eine „monopolistic combination", eine Ver- einigung mit Monopolcharakter. Hier endet die von uns geschil- derte Konzentrationsbewegung schließlich von selbst im Mono- pol. Dieselbe Bewegung aber kann zweitens lange bevor dieses Stadium erreicht ist, als die Voraussetzung für die Schaffung einer Monopolorganisation seites der Unternehmer aufgefaßt werden. Sind diese durch Betriebskonzentration oder horizontale Kombination zu einer relativ geringen Zahl, sagen wir 20 oder 30, zusammengeschmolzen, so ist damit unter Umständen eine monopolistische Organisation möglich, ohne daß diese etwa eine nennenswerte Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Gesamtunter- nehmens bedeutet oder zunächst herbeiführen soll. Während also im ersten Falle die auf Erhöhung der Leistungsfähigkeit ge- richtete Konzentrationsbewegung direkt zum Monopole des „Übrig- bleibenden" führt, bietet sie im anderen Falle nur die Möglich- keit einer planmäßigen Ausschaltung des binnenländischen Wettbewerbes, indem sie die Zahl der Konkurrenten vermindert und deren Zusammenschluß erleichtert. In jedem der beiden Fälle handelt es sich um vorgerückte Stadien der Konzentrations- bewegung, wenn wir unter dieser die Betriebskonzentration und eine ausschließlich auf Erhöhung der Leistungsfähigkeit ge- richtete Horizontalkombination begreifen wollen. Ist die Zahl der vorhandenen Betriebe oder Unternehmungen dagegen noch außerordentlich groß, wie etwa in der Papierindustrie, so wird trotz absoluter Konzentration derselben eine monopolistische Ausschaltung des Wettbewerbes auf Schwierigkeiten stoßen. Ist ferner die Zahl der Unternehmungen infolge des Konzentrations- prozesses wohl absolut reduziert, aber die Entstehung neuer Unternehmungen bei steigenden Preisen und Überschüssen noch

209

relativ leicht möglich, wie in der Weißblechindustrie, so müssen sich die einzelnen Unternehmer von vornherein bewußt sein, daß eine akute Ausschaltung ihres Wettbewerbes zum Zwecke monopolistischer Preiserhöhung unter Umständen größere Ge- fahr für ihre Zukunft mit sich bringen könnte, als es ohne diese der Fall, sein würde.

Die Konzentrationsbewegung wird also nur unter bestimm- ten Voraussetzungen zur Kartell- und Trustbildung führen. Eine sehr wichtige Rolle spielt hierbei der ausländische Wett- bewerb. Wo die Immunität vor diesem zusammenfällt mit ge- wissen Entwicklungsmöglichkeiten der Betriebskonzentration und Horizontalkombination, da werden die Voraussetzungen für die Monopolorganisation gegeben sein. Auf diese zwei Grund- bedingungen hin gilt es jetzt, die tatsächliche Entwicklung mo- nopolistischer Vereinigungen zu prüfen.

b) Die wichtigsten britischen Kartelle und Trusts der Gegenwart.

Betrachtet man die gesamte britische Industrie mit Rücksicht auf ihre Immunität vor ausländischem Wettbewerb, so wird man eine dreifache Gruppierung von Produktionsgebieten vornehmen können :

1. wird es sich um Industriezweige handeln, die nur be- dingungsweise von ausländischer Konkurrenz verschont bleiben. Es sind dies entweder britische Industrien, welche keinen besonderen Vorsprung in der Produktion vor anderen Ländern haben, aber wohl einen Frachtenschutz ihnen gegenüber genießen ; oder es sind Industrien, die nur in gewissen Zeiten durch die Schleuderausfuhr zollgeschützter Syndikate eine ausländische Konkurrenz erfahren; oder end- lich solche, bei denen sich die ausländische Konkurrenz nur in einer Einfuhr von Waren schlechterer Qualität oder von Surrogaten äußert. In all diesen Fällen oder einer Kombi- nation derselben wird im allgemeinen der freie Wettbe- werb der Unternehmer die Preise unter diejenige Grenze treiben, bei der eine fremde Konkurrenz rentabel wäre, während es die Monopolorganisation ermöglicht, die jeweils vorhandene Immunität von dem Wettbewerb des Auslandes im Preise auszunutzen. Es handelt sich

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 14

210

2. um solche Industriezweige welche unbedingt gegenüber dem Auslande eine monopolistische Stellung einnehmen, bei denen also eine Monopolorganisation sich in ihrer Preisfest- setzung oder Produktionsregulierung wohl von der Rück- sichtnahme auf die Konsumtion, die Entstehung anderweitigen binnenländischen Wettbewerbes, die Möglichkeit der Rück- einfuhr usw., nicht aber von einer Rücksicht auf den aus- ländischen Wettbewerb leiten zu lassen braucht. Hier wird es sich um Industriezweige handeln, bei denen entweder technisch eine Einfuhr unmöglich ist. oder um solche, die auf dem Inlandsmarkte, sei es infolge ausschlagforebender Vorzüo-e in der Qualität der Waren, sei es infolgre äußerst niedrisfer Produktionskosten, von vornherein eine monopolistische Stel- lung einnehmen. Endlich

3. werden internationale Vereinbarungen in allen möoflichen Fällen eine Sicherheit vor ausländischer Konkurrenz herbei- führen können.

Wir beginnen mit der Betrachtung verschiedener Monopol- vereinigungen der ersten Gruppe und zwar zunächst mit einer solchen, welche der RohstoiTgewinnung nahe steht.

1. Der Portlandzementtrust.

Nicht viele Monopole der heutigen englischen Großindustrie finden gegenüber der ausländischen Konkurrenz einen Stützpunkt in der Tatsache eines Frachtenschutzes. Nach allem, was wir früher dargelegt haben, ist dieser in Großbritannien verhältnis- mäßig gering. Aber es gibt doch einzelne Industriezweige, bei denen der relativ kostspielige Transport auf weite Entfernungen den englischen Unternehmer begünstigt.

Man wird zunächst an die Produktion mineralischer Roh- stoffe denken. Aber wir wissen bereits, daß es deren in Groß- britannien nicht allzu zahlreiche gibt. Für Eisenerz kommt ein Frachtenschutz nicht in Frage. Denn die vorzügliche Qualität spanischer und schwedischer Erze gleicht die durch die Fracht er- höhten Bezugskosten mehr als aus. Kohle und Salz hingegen sind schon infolge ihrer niedrigen Produktionskosten dem fremden Wettbewerb auf dem heimischen Markte überlegen. Demgegen- über spielt der Frachtenschutz in einer Industrie, die sich un- mittelbar auf der Ton- und Kalkgewinnung aufbaut, in der Port- landzementindustrie, eine gewisse Rolle.

211

Die Portlandzementindustrie ist in Großbritannien auf den sogenannten Themse- und Medway-Distrikt konzentriert. Die Grafschaften Kent und Essex bilden den Sitz der britischen Kalk- gewinnung, von der sie etwa ^1^ der Produktion darstellen^) ; hier hat die Portlandzementindustrie die günstigsten Vorbedingungen für die Versorgung mit Rohmaterial, während andererseits das Vor- handensein der genannten Flüsse, die unmittelbare Nähe des Meeres und die Nähe großer Verbrauchszentren (London) für einen beträchtlichen Teil des Absatzes äußerst niedrige Fracht- kosten gewährleisten. Während alle diese Tatsachen der Port- landzementfabrikation hier vielleicht bessere Produktions- und Absatzbedingungen geben als irgend sonstwo in der Welt 2), hatten die englischen Industriellen lange Zeit in ihrer etwas kon- servativen Art an den Qualitätsverbesserungen, welche möglich geworden waren, so gut wie nicht teilgenommen und damit auf gewissen Auslandsmärkten immer stärker die Konkurrenz deut- schen Zements empfinden müssen. Erst am Ende des Jahrhunderts setzten auch in England diese Verbesserungen in der Portland- zementfabrikation ein, und heute stehen nach der Ansicht von Sachverständigen die englischen Distrikte weder bezüglich der Qualität ihres Produktes noch bezüglich dessen Gestehungskosten hinter anderen Ländern zurück.^)

In Zeiten guter Weltmarktskonjunktur für Zement, in welchen ein Schleuderexport seitens Deutschlands, Belgiens oder Frank- reichs nicht stattfindet, hat das obengenannte Produktionsgebiet durch seine günstigen Verfrachtungsbedingungen einen wesent- lichen Schutz vor ausländischem Wettbewerb. Die volle Aus- nutzung dieses Vorsprungs war freilich lange Zeit dadurch be- hindert, daß eine starke Konkurrenz zwischen den einzelnen Fabrikanten herrschte. Demgegenüber schienen zu Ende der 90er Jahre die Chancen der Ausschaltung dieses Wettbewerbes nicht ungünstig: ca. 89 "/„ der Gesamtproduktion verteilten sich auf nur 31 Firmen, von denen ein Betrieb allein eine Leistungs- fähigkeit von 160000 tons erreicht hatte, d. h. ca. 10 "/^ der Gesamt- produktion von 1899 darstellte.*) Diese Konzentration mochte durch die schlechten Absatz Verhältnisse der 90 er Jahre befördert worden sein. Mit den maschinellen Fortschritten, die die Fabrikation

^) Vgl. Mines and Quarries a. a. O., S. 157 158.

*) Vgl. F. H. Lewis, The Cement Industry. New York 1900, S. 201.

') Vgl. die Darstellung bei Lewis a. a. O., S. 200.

*) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 108 109.

14*

212

seit 1872 gemacht hatte, der fast völligen Ersetzung menschlicher Arbeit durch Maschinen^), waren andererseits neu zu gründende Unternehmungen an eine beträchtliche Kapitalbeschaffung ge- bunden, und ihr Aufkommen mußte daher erschwert erscheinen.^) Endlich hatte seit 1897 überall ein starker Aufschwung in der Portlandzementindustrie eingesetzt, so daß ein Schleuderexport nach Großbritannien nicht zu befürchten war.^) Damit schienen die Aussichten für den Portlandzementtrust, welcher im Juli 1900 unter dem Namen Associated Port land CementManufacturers gebildet wurde, außerordentlich günstig, obschon an eine etwaige Monopolisierung der Kalk- und Tonlagerstätten bei deren reichem Vorkommen gar nicht zu denken war. Der Trust umfaßte 27 Firmen von den oben genannten 31, hatte aber mit den übrigen 4 Firmen Kartellverträge geschlossen.*)

Wenn heute auch die Outsiders dieses Trusts zugenommen haben, so nimmt er dennoch, soweit er vor ausländischer Konkur- renz sicher ist, eine dominierende Stellung in der Preispolitik ein. Einen gewissen Druck übt auf diese die Einfuhr des billigen „Naturzements" aus. Während bis in die Mitte der 90er Jahre Großbritannien keinen Zement eingeführt hatte, setzte mit dem Jahre 1897 ein rasch zunehmender Import ein, der in den letzten Jahren zwischen 150000 300 000 £ jährlich repräsentierte. Diese Einfuhr wurde keineswegs durch die Preispolitik des Trusts her- vorgerufen, sondern begann mit dem Augenblick, in welchem die Zementpreise eine Höhe erreichten, die sie seit 1892 nicht gehabt hatten. Daß aber England nunmehr steigende Mengen von Zement exportierte und gleichzeitig steigende Mengen importierte, er- klärt sich daraus, daß die Importware eine minderwertigere Qualität darstellte. Obschon Naturzement vom Standpunkt der Qualität gar nicht mit Portlandzement in Konkurrenz treten sollte, wurde er doch angesichts der hohen Preise des letzteren als Surrogat für billige Bauten verwandt. Auch die Ziffern für den Wert des Ex- ports pro Cwt. verglichen mit denen des Imports zeigen, daß die eingeführte Ware bedeutend wertloser gewesen sein muß und es heute noch ist. Für diejenigen, welche unter allen Umständen Portlandzement kaufen wollten, war der Naturzement trotz seiner

*) Vgl. D. B. Butler, Portland Cement. London 1905, S. 4. *) In den U. S. A. werden die Anlagekosten eines Zementwerkes auf l i'jj Mil- lionen S geschätzt; vgl. Mineral Resources, Washington 1906, S. 923. ») Vgl. D. B. Butler a. a. O., S. 9. *) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 108.

213

Billigkeit kein Ersatz, hier sah sich also der Trust nicht durch ihn geschädigt. Bei anderen mag wohl der hohe Preis, der in der ersten Zeit des Trustregimes herrschte, die Veranlassung ge- wesen sein, sich durch Verwendung von Naturzement von ihm unabhängig zu machen. Wenn daher zwischen 1902 und 1905 ein erneuter Preissturz erfolgte, so kann dieser durch eine überspannte Preispolitik der Trusts verstärkt worden sein, wie denn auch auf die tieferen englischen Preise eine Abnahme des Imports folgte. Aber andererseits mußte auch die aus verschie- denen Gründen erlahmte Nachfrage nach Zement in jener Zeit in Großbritannien, wie auch in anderen Ländern, z. B. in Deutsch- land^), zu einer Preisbaisse führen. Wenn Macrosty, der die Verhältnisse vor 1900 gar nicht berücksichtigt hat, erklärt^), „trotz aller seiner Millionen hätte der Trust die Preise nicht halten können", so besagt diese Tatsache für die mono- polistische Preispolitik des Trusts garnichts! Einen absoluten Preisstandard für dauernd zu erzielen, konnte von vornherein nicht das Ziel der Trusts sein. Für ihn bestand nur die Mög- lichkeit, den vorhandenen Frachtenschutz gegenüber dem Aus- lände^) im Preis besser zum Ausdruck zu bringen, als es bei freiem Wettbewerb zu geschehen pflegte. Daß dies in guten Zeiten gelang, zeigen die hohen Preise von 1900 und 1901. Daß in der Folgezeit, wenn der Trust nicht bestanden hätte, der Preis noch rascher und noch tiefer gesunken wäre, ist kaum zu be- zweifeln. Auch Macrosty erklärt, daß der Trust die Preise zwar herabsetzte, aber durch eine Beschränkung der Produktion das Sinken derselben bei der abnehmenden Nachfrage zu ver- langsamen suchte.*) Jedenfalls blieb dem Trust auch trotz der ihm gesteckten Grenzen ein Einfluß auf Preise und Produktion, welchen die Einzelfirmen, so lange sie miteinander konkurrierten, nicht gehabt hatten.^)

') Vgl. Calver, Handel und Wandel. Berlin 1907, S. 252 ff. 2) a. a. O., S. 113.

^) Für die Bedeutung der Frachtkosten in dem Zementabsatz vgl. Der deutsche Außenhandel, Handelsvertragsverein, Berlin 1907, S. 77; auch Deutschland empfindet die Konkurrenz von Naturzement, ib. S. 78. *) Vgl. a. a. O., S. 112.

*) Zu den obigen Ausführungen sei folgende Statistik angegeben: y^y^^ Zementausfuhr aus Zementeinfuhr nach Ausfuhrpreis pro Einfuhrpreis pro

England in tons Cwt in sh Cwt in sh

- 1,65 -

- 1,87 91474 (Butler) 1,96

JIUl

England in Cwts

1897

7831 000

I89S

6513 000

1899

7047000

214

2. Die Stahlwerksverbände. Eigentümlich sind die Verhältnisse des ausländischen Wett- bewerbs in der britischen Eisen- und Stahlindustrie. Als Ganzes zeigt sie noch immer eine Tendenz übersviegenden Exportes.^) Dieser betrug im Jahre 1893 ca. 20 200000 £, und ist, von Unter- brechungen abgesehen, ständig gestiegen, bis zu einer Höhe von 46 500 000 £ im Jahre 1907. Der Wert des Imports repräsentierte im Jahre 1893 noch nicht ganz 4 Millionen £. im Jahre 1907 immer erst 7 Millionen. Aus dieser überragenden Bedeutung, welche auch heute noch der Export von Eisen und Stahl gegen- über dem Import einnimmt, darf man jedoch nicht den Schluß ziehen, daß Großbritannien sich einer in allen Produktionszweigen des Großeisengewerbes gefestigten Stellung gegenüber der fremden Konkurrenz erfreue. Wir haben schon früher erwähnt, daß in unverarbeitetem Stahl der Wettbewerb des Auslandes auf dem britischen Markt eine bedeutsame Rolle spielt. Der Import desselben (Ingots, Knüppel, Platinen usw.), welcher zu Anfang der 90 er Jahre noch sehr gering war, denn seit 1900 immer stärker anschwoll, hat seit 1904 etwa den vierten Teil des Gesamtwerts der Einfuhr von Eisen und Stahl ausgemacht und bildet eine Tatsache, mit welcher der britische Industrielle nicht nur in Zeiten des ausgesprochenen „dumping" sondern von Jahr zu Jahr rechnen muß.^j Wenn man annimmt'), daß die Einfuhr von „Roh- schienen" (blooms) und „Knüppeln" (billets) ca. ^/^ der Gesamt- einfuhr des unverarbeiteten Stahles repräsentierten, wären im Jahre 1905 ca. 450000 tons solcher Produkte eingeführt worden. Für dasselbe Jahr läßt sich die heimische Produktion derselben

Jahr

Zementausfuhr aus

Zementeinfuhr

nach

Ausfuhrpreis pro

Einfuhrpreis pro

England in Cwts

England in tons

Cwt in sh

Cwt in sh

1900

7 198000

104771

1,87

1,21

1901

6 106000

220962

1,91

1,12

1902

6065000

240893

1,72

I,II

1903

7999000

261077

1,69

I.I3

1904

7 691000

272945

1,64

1,23

1905

9 117 000

234588

1,58

1,19

1906

13 159000

172 110

1-51

1,21

1907

15 285000

II4372

1,66

1,29

*) Alle Ziffern sind, soweit nichts näheres angegeben ist, dem Statistical Abstract entnommen.

^) Vgl. die Einfuhrziffern der letzten 8 Jahre im Statistical Abstract.

*) Nach Trade and Navigation Accounts, 1908, S. 82; hier wird für das Jahr 1908 zum ersten Male die Scheidung vorgenommen; man kann aber annehmen, daß entsprechend dem dortigen Verhältnis sich auch die Einfuhr der Vorjahre gegliedert hat.

215

Halbfabrikate mit ca. 680000 tons berechnen i), so daß sich hier- aus die Bedeutung jenes Imports deuthch ergibt. Ganz anders, wenn man andere Posten der Einfuhr, z. B. die von Blechen und Platten aller Art ins Auge faßt. Sie betrug im Jahre 1903: 71928, im Jahre 1905, dem Jahre der größten Einfuhr ausländischen Stahls überhaupt, nur 68765 tons und in den beiden folgenden Jahren 82 000 und 56 000 tons. Wenn man mit Jeans annimmt, daß im Jahre 1905 die Gesamterzeugung von Blechen in Großbritannien, exklusive Weiß- und Schwarzblech, ca. 2 MiUionen tons betrugt), so erkennt man, eine wie viel geringere Bedeutung hier die Einfuhr gegenüber derjenigen von Halbzeug aufweist. Und während Großbritannien Halbzeug überhaupt nicht ausführt, betrug im Jahre 1907 die Ausfuhr von Schiffs-, Brücken-, Kesselblechen und sonstigen Grobblechen allein 232622 und diejenige von galvani- sierten Blechen 467889 tons.

Es ist freilich zu betonen, daß in Zeiten ausländischen Schleuderexports auch relativ geringfügig erscheinende Import- ziffern eine äußerst empfindliche Konkurrenz für die britischen Produzenten bedeuten können. In den Jahren 1902 1903 haben sicherlich die britischen Fabrikanten von Schiffs- und Kessel- blechen das „dumping" heftig empfunden^); damals gingen die Preise für Schiffsbleche in Cleveland von 8 £ 7 sh 6 d im Mai 1900 auf 5 £ 7 sh 6 d im Dezember 1903 herab. ^) Allein, selbst in solchen Zeiten ist, wie Jeans ausdrücklich hervorhebt^), die Ge- fahr eines Schleuderexports für den Produzenten von Halbzeug in Großbritannien weit größer als für denjenigen von schweren Fabrikaten. Während aber nach 1903, als die Schleuderausfuhr verebbte, eine, durchaus nicht unbeträchtliche Halbzeugeinfuhr bis heute sich erhalten hat, ist die Einfuhr von Blechen und Platten, wie wir gesehen haben, im Vergleich zu der heimischen Produktion so gering geblieben, daß sie in regulären Zeiten als Konkurrenz für dieselbe kaum aufgefaßt werden kann.

Angesichts dieser Wettbewerbsverhältnisse standen in den letzten Jahren die Aussichten für einen Monopolverband in der Her-

*) Nach Report Iron Trade Assoc, 1906, S. 13 und 16.

*) Report Iron Trade Assoc, 1905, p. XIV.

') Vgl. u. a. Memoranda etc., S. 305; Tariff Commission, Vol. I; W. R. Lawson, American Industrial Problems, London 1903, S. 351; Morgenroth, Die Exportpolitik der Kartelle, Leipzig 1907, S. 47 ; Hu gh Bell, Protection and the Steel Trade. Inde- pendent Review, Oct. 1903, S. 60 ff.

*) Report British Iron Trade Assoc, 1903, S. 29.

*) Vgl. Ausführliches über diesen Punkt bei Jeans, Iron Trade a. a. O., S. 128 129.

216

Stellung von Schiffs- und Kesselblechen nicht ungünstig. Wäh- rend die auflebende Konjunktur seit etwa 1905 die zollgeschützten Länder, vor allem Deutschland, vom Schleudern zurückhielt, mußte ein gemeinsames Vorgehen der englischen Stahlindustriellen gerade in diesem Produktionszweige wesentlich zur Ausnutzung der Hochkonjunktur beitragen können.

Die binnenländischen Konkurrenzverhältnisse boten einer Monopolorganisation ebenfalls keine unüberwindlichen Hinder- nisse. Es standen zwar verschiedene Distrikte, die alle mehr oder minder gleich gefestigte Positionen einnahmen, miteinander im Wettbewerb: nämlich der schottische, der nordenglische und der nordirische Distrikt. Innerhalb dieser Gebiete aber war es nur eine geringe Zahl von Unternehmungen, welche Schiffs- und Kessel- bleche herstellten, und der Wunsch, den lokalen Markt zu monopolisieren, führte die wenigen Fabrikanten ^) bald zusammen. Es kam daher zunächst zu lokalen Monopolverbänden, wie schon im Jahre 1886 zu der Scotch Steelmakers Association, einer Vereinigung der vier führenden Firmen, welche den lokalen Wett- bewerb so gut wie beseitigte und damit gegenüber demjenigen anderer Distrikte besser gewappnet zu sein hoffte. Zu Ende der 90 er Jahre waren andere Distrikte in ähnlicher Weise organi- siert.^) Nachdem so die relativ wenigen Unternehmer einzelner Distrikte sich verbunden hatten, war der Weg zu umfassenderer Organisation geebnet. Dies freilich erst, als die Zeit des ,,dumping"' mit dem Ende von 1903 ein Ende erreichte.

Die Monopolorganisation, welche nun entstand und heute noch besteht, findet ihre Hauptaufgabe in einer Rayonnierung des Absatzes. Zwischen den zwei Hauptwettbewerbern, der Scotch Steel Makers Association, und dem nordenglischen Distrikt, wurden seit 1904 Abkommen (agreements) getroffen, welche jedem der beiden Konkurrenten ein unbestrittenes Gebiet sicherten, und welche die Hochhaltung der Preise in solchen Gebieten ermög- lichen sollten. Die schottischen Stahlindustriellen entschlugen sich des Absatzes in Nordengland und erhielten dafür die Auf- träge des Belfast Marktes.^) Die Wirkung dieser Abmachung

1) Nach Jeans, Iron Trade a. a, O., S. 62, gab es im Jahre 1906 zehn Werke, die Schiffsbleche und Winkeleisen herstellten. Die Produktion betrug im Durchschnitt der Jahre 1888 1903 ca. 1^/2 Millionen Tonnen. Davon produzierte die Consett Company in Durham allein 300000 tons.

2) Vgl. Macrosty, S. 66 ff.

^) Vgl. Economist 1906, S. I133.

217

zeigte sich deutlich. Indem nämlich eine irische Firma außer- halb des „combine" blieb und in Belfast die Preise desselben unterbot, sah man sich gezwungen, dorthin zu weit tieferen Preisen zu verkaufen als am Clyde oder in dem nordenglischen Distrikt, wo die Vereinbarung aufrecht erhalten werden konnte. Man fing also an, nach Irland Schleuderexport zu treiben! Die Schiffsbauer am Clyde klagten, daß ihnen aus dieser Preispolitik bei einem 7000 tons Schiff ein Nachteil von 2000 £ gegenüber ihren nordischen Konkurrenten erwachse.^) Im Jahre 1908 waren auch die Produzenten der mittleren Grafschaften an diesen Ver- einbarungen beteiligt. Wir hören, daß die dortigen Konsu- menten vergeblich gegen die Preispolitik des Lokal-Verbandes ankämpften; sie sandten ihre Aufträge nach dem Clyde-Distrikt. Aber was geschah? Hierüber berichtete die Iron and Goal Trades Review 2): „Die englischen Fabrikanten machten die schottischen Firmen auf die Sachlage aufmerksam und diese haben nun, da sie ihrer Verabredung treu bleiben wollen, ihre Preise für Bleche für die betreffenden englischen Distrikte um 2 sh 6 d pro Tonne erhöht. Dies wird die englischen Konsumenten zu ihren alten Bezugsquellen zurückzwingen. Die neuen Preise sind tatsächlich 2 sh 6 d pro Tonne höher als diejenigen für lokalen Absatz in Schottland und ca. 10 sh pro Tonne höher als die Exportpreise nach fremden Märkten. Es ist jetzt volle 5 Jahre her, daß diese Vereinbarung entstanden ist und Jahr für Jahr hat sie ihr Macht- gebiet ausgedehnt. Jetzt ist sie die bedeutsamste im ganzen Lande geworden."

Die Differenzierung des In- und Auslandsmarktes erscheint nicht, wie bei so manchen englischen „combines", als ein bloßes Gerücht oder als eine vereinzelte Begleiterscheinung dieser oder jener Exportkontrakte. Im Gegenteil, man findet in Fachblättern eine regelreche Verzeichnung beider Preissätze. So betrugen im Jahre lOOS"^):

die schottischen Inlandspreise die schottischen Auslandspreise

für I.Jan. lO.März 5. Juni 16. Sept. i. Januar i. April i.Juli i.Sept.

Kesselbleche £7. 7.6 7.2.6 6.17.6 7. 2.6 6.18.9 6.18.9 6.15.0 6.17.6 Schiffsbleche £6. 12. 6 6.7.6 6. 2.6 6.10.6 6. 0.0 5.15.0 5.12.6 5.15.6

^) Vgl. Economist, 1906, S. 1662 und 1407, S. 1675; vgl. für ähnliche Klagen Engineer, 16. März 1909, S. 7.

^) Vgl. Iron and Coal Trades Review, 18. Sept. 1908, S. 1177 a. *) Vgl. Iron and Coal Trades Review, i. Januar 1909, S. Ii.

218

Wenn man zunächst bezweifelt, wie ein derartiger Export möglich ist, ohne in dem Lande des Freihandels einen Rück- export hervorzurufen, so muß man an die geographische Richtung der Ausfuhr denken. Von den ca. 200 000 tons, welche Groß- britannien im Jahre 1908 an Schiffs-. Brücken-, Kesselblechen usw. exportierte, gingen die größten Mengen nach: Britisch-Ostindien, Japan. Norwegen, Australien, Kanada und anderen Ländern ^), bei welchen die Entfernung für schwere Produkte hohe Fracht- kosten bedeutet. Um die Kosten der Rückfracht also konnte man hier den Inlandspreis über dem Exportpreis halten, während dies bei der Roheisenausfuhr Englands, die hauptsächlich nach Deutschland, Holland, Frankreich und Italien ging, selbst beim Bestehen eines Monopolverbandes nicht gut möglich gewesen wäre. Freilich, die wichtigste Vorbedingung war: daß man den binnenländischen Preis durch Ausschaltung der Konkurrenz kon- trollieren konnte, und diese Frage wurde vor allem brennend, als mit dem Ende des Jahres 1907 der boom in der Stahlindustrie zur Neige ging. Allein sobald sich die ersten Zeichen rück- läufigen Bedarfs fühlen ließen, nahm man auf Grund ofemeinsamer Verabredung die Schließung einzelner Werke vor und beschloß eine Kompensationsleistung der übrigen Firmen gegenüber jenen Betrieben.^)

Ein Urteil über die inländische Preispolitik dieser Verbände zu fällen ist schwierig. Im Jahre 1906 schrieb der Sekretär der Iron Trade Association ^), ..es habe eine bemerkenswerte Auf- besserung der nominellen Preise fertiger Produkte stattgefunden und es seien diese auch infolge der Festigkeit der bestehen- den Vereinbarungen innegehalten worden.'' In der Tat war zu beobachten, daß z. B. nicht-syndizierte Cleveland bars (Stab- eisen) zwischen dem 1. Januar 1905 und dem 1. Januar 1906 nur von 6 £ 2 sh 6 d auf 6 £ 15 sh stiegen, gleichzeitig Schiffs- bleche von 5 £ 17 sh 6 d auf 7 £, Kesselbleche von 7 £ 2 sh 6 d auf 8 £ 5 sh hinaufgingen! Als dann im Jahre 1907 die Preise allgemein herabgingen, vollzog sich bei den Blechen die Preissenkung weniger rasch und in weit längeren Etappen als beim Rohmaterial. Es kosteten an der Ostküste*):

^) Vgl- Trade and Navigation a. a. O., S. 146 und 148.

*) Vgl. Economist 1907, S. 1503.

^) Vgl. Report von 1905, S. 67.

*) Nach der Iron and Goal Trades Review.

219

Hämatit

Schiffsbleche

Gleicher Preis

pro Tonne

pro Tonne

bei letzteren

Januar Oktober

1907 1907

82 sh 78 ..

6 d.

0

7 £ 10 sh 7„ 10 ..

jS Monate

November

1907

76

6 .

7 .. - ,.

Dezember Februar

1907 1908

69 ., 57

0 0

6 .. 10 6., 10

>3 Monate

März

1908

59 ,,

0

6„ 5

Juni Dezember

1908 1908

57 ., 56 ..

0 0

6„ 0 ,. 6., 0 ,.

>7 Monate

Man erkennt aus diesen Ziffern, wie der regulierte Preis von Schiffsblechen dem unregulierten Preise des Roheisens nur zögernd und in weiter Entfernung folgte. Die Schiflfsbauer klagten^) heftig über die , .hohen" Rohmaterialpreise; sie hätten, „um Aufträge für neue Schiffe zu erhalten, die Preise sehr stark reduzieren müssen, aber erst weit später hätten die monopolistischen Verbände der eng- lischen und schottischen Fabrikanten, die gemeinsam vorgegangen seien, sich der Situation angepaßt". Man kann hierin wohl einen Einfluß der Monopolorganisation erblicken, obwohl erst die weitere Preisentwicklung ein sicheres Urteil darüber zulassen wird, in welchem Maße eine Hochhaltung des Fertigfabrikatspreises heute bei sinkender Konjunktur eher möglich ist als in den Zeiten freier Konkurrenz.

Ganz ähnlich organisiert wie die Schilfs- und Kesselblech- fabrikation ist die Fabrikation galvanisierter Bleche, die, wie schon erwähnt, ebenfalls zu den bedeutendsten Exportzweigen der bri- tischen Stahlindustrie gehört. Der hier in Frage kommende Ver- band ist dieNatio^nal Galvanised Steel Makers Association, eine ebenfalls aus Lokalverbänden bestehende Monopolvereinigung. Auch sie hat in dem Jahre rückgehender Konjunktur die Ge- staltung der Preise und der Produktion wesentlich beeinflußt. Im Januar 1908 wurde auf einer Versammlung der Association der Preis von 12 £ 10 sh pro Tonne als Grund- oder Minimal- preis (basis) f. o. b. Liverpool vereinbart und dieser Preis konnte sowohl in den mittleren Grafschaften wie im Norden und in Süd- wales während des ganzen Jahres unverändert aufrecht erhalten werden, eine Tatsache, die nach dem Ausdruck eines Fachblattes von dem „glatten Arbeiten des Verbandes" Zeugnis

Vgl. Times Financial and Commercial Supplement, l6. Juli 1909.

220

ablegt,^) Freilich: die Voraussetzung war auch hier, daß in den einzelnen Distrikten nur wenige Firmen von Bedeutung be- standen, so daß ein Festhalten an den getroffenen Vereinbarungen relativ einfach war.-) Jedenfalls zeigte die Preisgestaltung dieses Fabrikats während eines ganzen Jahres schlechter Marktlage eine Stetigkeit, die man in der gesamten Eisen- und Stahlindustrie vergeblich hätte suchen können.

Einen weit größeren Druck z. B. übt die Möglichkeit fremden Wettbewerbs auf die Preispolitik des Weißblechplatinenverbandes, der South Wales Siemens Steel Bar Association aus. Die Bedingungen für gemeinsame Organisation liegen auch hier sehr günstig. Die Produktion konzentriert sich im wesentlichen auf Südwales ^), das ja als Sitz der Weißblechindustrie der größte Konsument von Platinen dieser Art ist. Hier wieder sind es nach Rylands im Jahre 1906 nur 13 Firmen gewesen, welche Weißblechplatinen herstellten. Die Tatsache, welche einen mo- nopolistischen Zusammenschluß dieser Firmen längere Zeit hin- durch zwecklos machte, war der deutsche Schleuderexport von Weißblechplatinen, über den uns ja die Kartellenquete manchen wertvollen Aufschluß gegeben hat.**) Als dieser mit dem Jahre 1904 aufhörte, begann die Kartellbewegung unter den Platinen- produzenten festen Boden zu fassen, und sie gelangte schließ- lich mit der Gründung des oben genannten Verbandes im Jahre 1906 zu einer gefestigten Organisation. Bald hörte man Klagen, daß der Verband die Preise stark forziert habe.^) Aber mit sinkender Konjunktur und neu einsetzendem Wettbewerb Deutsch- lands war der Verband nicht einmal im Stande, das in anderen Zweigen der Stahlindustrie verwandte Mittel des Minimalpreises in Anwendung zu bringen, und der Preis der Bessemerplatinen, welche im Jahre 1907 zeitweilig 6 £ 10 sh. gekostet hatten, sank bis Januar 1909 auf 4 £ 8 sh 9 d, so daß der Preissturz hier weit prononzierter war als in den zuvor von uns besprochenen Zweigen der Stahlindustrie.^)

Als einer der wichtio-sten der bestehenden enMischen Stahl-

^) Vgl. Iron and Goal Trades Review, i. Januar 1909, S. 10, 13 und 29

^) Vgl. Times, Financial and Commercial Supplement, 4. XII. 1908, S. i.

■*) Vgl. Report Iron Trade Assoc. 1906, S. 12. Gesamtproduktion von Platinen: 1906: 939087 t; davon Wales: 638989 t; vgl. auch Jeans, Iron Trade, S. 62.

*) Vgl. Heft 10, S. 366 ff.

^) Vgl. Iron and Steel Trades Journal, 12. Januar 1907, S. 33.

*) Vgl. hierfür Iron an Goal Trades Review, 3. Januar 1908, S. 42 und 60; ib. I. Januar 1909, S. 13.

221

Werksverbände würde nunmehr das Schienenkartell zu er- wähnen sein. Da dieses aber auf einer internationalen Verein- barung aufgebaut ist, so sparen wir die nähere Erörterung des- selben für später auf. Von kleineren lokalen Verbänden soll hier nicht die Rede sein. Sie bestehen für einzelne Produkte in der Regel zur Ausnutzung eines lokalen Frachtvorsprunges, Ebenso wollen wir in unserer Erörterung nicht berücksichtigen, daß sicherlich in einzelnen Produktionsgebieten zwischen großen Firmen ein gewisses ,, Zusammenarbeiten" vor sich geht, daß man sich über manchen größeren Auftrag bezüglich der Preisstellung verständigt usw. Überall, wo die Produktion in wenigen Unter- nehmungen konzentriert ist, sind solche Verständigungen vor- handen, aber sie haben mit eigentlich monopolistischen Or- ganisationen nichts gemeinsam, da sie teils nur ein lokal begrenztes Wirkungsgebiet besitzen, teils nur vorübergehend existenzfähig sind oder auch nur für akute Fälle in Erscheinung treten. Die wirklich bedeutsamen Monopolverbände in der Stahl- industrie sind mit den zuvor genannten erschöpft. So also, wie in der Gegenwart die Verhältnisse liegen, erscheint nach allem, was wir aus einem Gesamtüberblick der Eisen- und Stahlindustrie ableiten können, ein nicht unbedeutender Teil derselben einer monopolistischen Organisation unterworfen: nämlich die Her- stellung von Schiffs- und Kesselblechen, von galvanisierten Blechen und Weißblechplatinen und von Schienen. Diese Pro- duktionen dürften im ganzen heute wohl annähernd eine Jahres- erzeugung von 3 3^/2 Millionen tons repräsentieren, so daß die Syndizierung einen beträchtlichen Umfang einnimmt. Demgegenüber ist freilich zu bedenken, daß sowohl die ge- samte Roheisenindustrie wie die Fabrikation von Knüppeln, Blöcken, Stabeisen, Bandeisen, Winkeleisen, Röhren, Weißblech und anderer Produkte einer Kartellierung heute bei einzelnen Fabrikationen kann man wohl sagen: heute noch fernsteht.

3. Das Industriespiritus-Kartell. Auch für einen wichtigen Teil der britischen Spiritusindustrie scheint die Abnahme des Auslandswettbewerbes nach 1903 eine Voraussetzung der Kartellbildung geworden zu sein. Im Jahre 1902—1903 waren nicht weniger als 1212000 Gallonen (proof gallons) Methylspiritus in England eingeführt worden. Dann fiel der Import in den nächsten Jahren, besonders auf Grund der

222

sich ändernden deutschen Produktions- und Absatzverhältnisse, auf 334000 im Jahre 1904 und auf nur 4300 Gallonen in den Jahren 1907 1908, während die heimische Erzeugung von 5388000 Gallonen in den Jahren 1903—1904 auf 6455000 in den Jahren 1907 1908 anstieg.^) Die zunehmende Immunität vor ausländischem Wettbewerb, die dahin zum Ausdruck kam, daß fremder Brennspiritus nur zu immer höheren Kosten bezogen werden konnte, führte nun alsbald zu einem Zusammenschluß der wenigen miteinander konkurrierenden Unternehmungen.

Es handelte sich nur um acht große Brennereien (Distilleries), die man unter einen Hut zu bringen hatte, um die gesamte Erzeugung von Spiritus zu Industriezwecken in England, Schott- land und Irland zu kontrollieren.

Die geringe Zahl der Unternehmungen erklärt sich wieder aus einem längeren Konzentrationsprozeß. So war z. B. die Distillers Company, deren Hauptproduktion in der Wiskybrennerei besteht, in Edinburgh aus einer Fusion von sechs schottischen Firmen bereits im Jahre 1877 entstanden. Im November 1907 gründeten sieben der vorhandenen acht Firmen die Industrial Spirit Supply Company-), eine Gesellschaft mit dem ge- ringen Kapital von £ 1000, deren Aktien in die Hände der Einzel- untemehmungen übergingen, während die achte Firma mit dieser Gesellschaft in ein bloßes Vertragsverhältnis trat. An Stelle von früher schon existierenden losen Vereinbarungen trat nun die feste Regelung der Produktion und des Absatzes durch die neue Gesellschaft. Sie leitet den Gesamtverkauf von Industriespiritus aller beteiligten Firmen, indem nur durch ihre Vermittelung Spiritus zu Methylationszwecken bezogen werden kann. Sie regelt auch die Produktion aller Unternehmungen nach be- stimmten Beteiligungsziffern, die sich aus dem Aktienbesitz jeder Firma ergeben, und fixiert die für alle Unternehmungen geltenden Einheitspreise. Sie verteilt ferner nach Frachtrücksichten die Aufträge an die Einzelfirmen, wodurch bei der Gründung des Kartells bedeutende Ersparnisse in Aussicht gestellt wurden. Eine Schwierigkeit ergab sich aus der Tatsache, daß eine Reihe von Brennereien zugleich die Fabrikation von methyliertem Spiri- tus betreiben, während andere ihren Spiritus durch Agenten, die

*) Vgl. Manchester Guardian, 5. März 1909, S. 12.

*) Diese Tatsachen sind der durchaus sachlich gehaltenen Darstellung des Fach- blattes: Ridley's Wine and Spirit Trade Circular, 8. November 1907, S. 828 829 ent- nommen.

223

sie bezahlen müssen, an die Weiterverarbeiter veräußern. Den Vorsprung, welchen in dieser Hinsicht die gemischten Werke ge- habt hätten, glich man in den Statuten durch die Bestimmung aus, daß diese Werke pro Gallon ihrer Produktion eine der Vermittlungsgebühr entsprechende Summe in die Kasse des Kartells zu zahlen haben.

Die Gründung dieses Kartells zog alsbald auch Vereinbarungen der Abnehmer nach sich^), die für methylierten Spiritus einen Minimalpreis vereinbarten. Somit ist der Kreis geschlossen und eine ausgesprochene Monopolorganisation vom Rohmaterial bis zum Fabrikat vorhanden. Das Kartell hatte nach bewährtem Muster bei seiner Gründung einen stetigen und mäßigen Preis in Aussicht gestellt. Aber schon zwei Jahre nach seinem erfolgreichen Bestehen ertönten heftige Klagen über seine Preis- politik. Es wurde ihm zum Vorwurf gemacht, die Bestimmungen, welche das Steuergesetz von 1906 zum Zwecke einer Ermäßigung des Spirituspreises gemacht hätte, nicht bei der Preisstellung zum Ausdruck gebracht zu haben. Der Preis von methyliertem Spiritus sei im Gegenteil seit jenem Gesetz gestiegen (von 1 sh 8 d pro Gallone auf 2 2 sh 2 d). Die Londoner Brennereien erklärten, die Schuld trügen die hohen Rohstoffpreise, besonders diejenigen von Mais. Aber der Berichterstatter des „Manchester Guardian" berechnete, daß die Fabrikanten trotz alledem „eine höchst befriedigende Differenz zwischen Preis und Kosten" er- zielten, die nur auf die Monopolstellung des Kartells zurück- zuführen sei.

Die Grenze, welche der Preispolitik des Kartells gezogen ist, besteht eben hier ausschließlich in der Möglichkeit fremden Wettbewerbes. Schon das Fachblatt, welches die Gründung des „combine" mit deutlich erkennbaren Befürchtungen für den letzten Konsumenten anzeigte, tröstete damit. „Glücklicher- weise," so schrieb es^), „ist gegenwärtig darin ein dauernder Druck vorhanden, daß die deutsche Ware auf der Lauer steht und zu uns eindringt, so bald der britische Preis ungebührlich hinaufgetrieben wird." Jetzt freilich würde das Kartell ganz ruhig den Preis um einige pence höher stellen können, aber es kann vielleicht in dem nächsten halben Jahre oder Jahre die Produktion in Deutschland den Preis wieder auf eine ge-

^) Vgl. Manchester Guardian a. a. O.

*) Vgl. Ridley's, S. 829; vgl. für diese Frage auch: Financial Times, 29. März 1909, S. 2.

224

fährliche Tiefe herabdrücken." Das Kartell war von Anfang an darauf vorbereitet, die Preise beim Einsetzen fremden Wett- bewerbes zu ermäßigen (vgl. Anhang); aber zunächst kam es gamicht zu einem solchen. Hatte im Jahre 1902 Kartoffel-Roh- spiritus in Hamburg 16,9 per 100 1 gekostet, so kostete er im Jahre 1907: 28,2 Mk.^) Die deutsche Preishausse gab den koa- lierten englischen Produzenten die Möglichkeit, den Preis ihrer Ware in einer Weise zu erhöhen, wie es unter den alten Wett- bewerbsverhältnissen bei der gleichzeitigen Steuerermäßigung wohl kaum hätte stattfinden können.

4. Der Tapetentrust.

Während die Papierindustrie, wie früher ausgeführt wurde, einmal infolge des ausländischen Wettbewerbes und zweitens infolge der immer noch beträchtlichen Zahl der konkurrierenden W^erke einer Monopolorganisation bisher nicht zugänglich erschien, hat sich im Jahre 1900 eine Fusion von 31 Tapetenfabriken voll- zogen, die unter dem Namen ..Wall Paper Manufacturers Lmtd" ins Leben trat. Nach Macrost y hatte dieser Trust mit drei anderen Firmen Kartellverträge abgeschlossen und kon- trollierte zunächst 98°Jq der Produktion von Tapeten und ähn- lichen Dekorationsartikeln. 2) Nach den Angaben von Philips gab es im Jahre 1908 nur sieben Fabrikanten, die als Outsiders dieses Trusts figurierten.^) Während sich also dieser Zweig der weiterverarbeitenden Papierindustrie gegenüber dieser selbst durch eine starke Konzentration der Unternehmungen auszeich- nete und somit der Vertrustung die geeignete Voraussetzung bot, war andererseits die Frage der Auslandskonkurrenz hier eben- falls weit weniger bedrohlich als dort. Sachverständige haben mir mitgeteilt, daß ein großer Teil der englischen Tapeten- fabrikation infolge der Hochwertigkeit ihrer Produkte und deren eigentümlichen Längen- und Breitenverhältnisse den ausländischen Wettbewerb nicht zu fürchten habe, es sei denn, daß bei sehr hohen Preisen der englischen Tapeten billigere und schlechtere Auslandsware sich an deren Stelle setze. Dies erklärt wohl auch den Umstand, daß Großbritannien Tapeten sowohl importiert wie auch in etwa gleichen Mengen exportiert, daß aber der

^) Vgl. Statistisches Jahrbuch 1908, S. 243.

2) Vgl. a. a. O., S. 309—311.

') Vgl. Paper Trade Directory, London 1908, S. 127 129.

225

Wert der exportierten Mengen beträchtlich höher ist. Dies trifft besonders für die Importe aus Deutschland zu. Im Jahre 1908 importierte Großbritannien aus Deutschland ca. 19000 Cwts Tapeten, die einen Wert von 37000 £ darstellten. Demgegen- über betrug das Gewicht des Gesamtexports Großbritanniens in jenem Jahre 83000 Cwts, die hingegen einen Wert von 217000 darstellten. Immerhin dürften dem Trust durch die Möglichkeit des Bezuges bestimmter Qualitäten aus Belgien und Holland in der Preispolitik ziemlich enge Grenzen gesetzt sein. Er wird sich darauf beschränken müssen, Preisrückgänge zu ver- hindern, soweit sie auf Grund eines inländischen Konkurrenz- kampfes entstehen könnten.

5. Das Kabelkartell.

Die elektrische Industrie Großbritanniens weist im allgemeinen weit geringere Zeichen der Vertrustung oder Kartellierung auf, als es in der amerikanischen Union oder in Deutschland der Fall ist. Sie gehört im großen Ganzen in die „Sphäre des freien Wettbewerbs".

Zunächst erscheint vor allem die elektrische Industrie Groß- britanniens dem ausländischen Wettbewerb unterworfen. Die Einfuhr elektrotechnischer Artikel und Apparate (exklusive Ma- schinen und Drähte) ist von 242 000 £ im Jahre 1897 auf über 1 MilHon £ in den Jahren 1905, 1906 und 1907 gestiegen. Der Wert der eingeführten Maschinen betrug ebenfalls in jenen Jahren zwischen 500 000 und 600 000 £. Die Überlegenheit des Aus- landes äußert sich einmal darin, daß die englische W^are vielfach als minder brauchbar gilt als die deutsche, belgische oder amerikanische, eine Tatsache, die von den klagenden britischen Produzenten oft übersehen oder unterschlagen wird, für die sich aber stichhaltige Angaben von Sachverständigen vorfinden.^) Sie äußert sich zweitens in einem ökonomischen Übergewicht des Auslandes, welches die verschiedensten elektrotechnischen Waren billiger herzustellen und abzusetzen vermag als die eng- lischen Industriellen.^) Die Ursachen für das Zurückbleiben der britischen Elektroindustrie sind verschiedener Art. Einzelne er-

') Vgl. die Angaben bei Chapman a. a. O., S. 136.

-) Vgl. Report of the Tariff Commission, Vol. 4. The Engineering Industries. London 1909, im Index unter „Electrical Industry, Foreign Competition". Ferner W. Koch, Die Konzentrationsbewegung in der deutschen Elektroindustrie. München 1907, S. 19.

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 15

226

blicken in der Gesetzgebung des Anfangs der 80er Jahre das Moment, welches die Entwicklung der Industrie hemmte, indem jene Gesetzgebung den Lokalbehörden allzugünstige Auskaufs- rechte gegenüber den Privatunternehmern zugesichert hätte. ^) Andere stellen den Mangel technisch-akademischer Ausbildung als Hauptgrund des Zurückbleibens jenes Industriezweiges hin.^) Professor Chapman verweist') wiederum darauf, daß die Pro- duktion in Großbritannien nicht auf einen so bedeutenden Be- darf wie in Amerika und Deutschland hätte zugeschnitten werden können, und daß damit eine Arbeitsteilung und eine Anwendung technischer Fortschritte nicht in dem Maße wie in jenen Ländern in Großbritannien durchführbar gewesen wäre. Aber hierbei scheint es uns fast, als ob nicht der vergleichsweise geringere Massenabsatz die Erklärung für das Zurückbleiben der Elektro- industrie abgeben könnte, sondern als ob umgekehrt die britische Industrie durch ihr technisches Zurückbleiben sich um eine Ver- größerung ihres Absatzes vor allem im Auslande gebracht habe, so daß dieser mehr und mehr ihren Konkurrenten anheim- fiel. Endlich ist dann noch die Erklärung vieler Interessenten vorhanden, welche den hohen britischen Löhnen, dem Schleuder- export, dem System fremdländischer Begünstigung durch die englischen Kommunalbehörden, das Zurückbleiben der Elektro- industrie in Großbritannien, vor allem gegenüber Deutschland, zu messen und damit dann in der Regel einen Zollschutz befür- worten.'*)

Jedenfalls aber ist, welches auch die w^esentlichen Ursachen sein mögen, die britische Elektroindustrie nicht in der Lage, die fremdländische Konkurrenz abzuschütteln, sie muß, fern davon preisbestimmend auf den heimischen Markt zu wirken, versuchen, sich den niedrigen Preisen deutscher, belgischer und amerikanischer Firmen anzupassen. Daß der Konkurrenzpreis briti- scher Firmen für große Aufträge niedriger gewesen wäre als der des Auslandes, ist sicherlich bisher kaum der Fall gewesen. •'*) Eine gemeinsame Ausschaltung des Wettbewerbs zum Zwecke der Preiserhöhung würde also hier durch die Auslandskonkurrenz illusorisch gemacht werden, und sie ist daher auch niemals ver-

1) Vgl. näheres A. G. White, The Electrical Industry. London 1904, S. 19 und 23 ff. -) Vgl. Chapman a. a. O., S. 137; Report Engineering Industries, § 423—424. ^) Vgl. Chapman, S. 136.

*) Vgl. Report Engineering Industries, § 477—478, § 65, 475, 949 und passim. ^) Für diesen Punkt vgl. ebenda, § 64 ff. und 472 ff.

227

sucht worden, nicht einmal auf dem Wege des Submissions- kartells.

Sieht man von diesem für die Unzweckmäßigkeit einer Kar- tellierung in der Tat ausschlaggebenden Punkte ab, so ist anderer- seits die Kapitalkonzentration pro Unternehmung in der britischen Elektroindustrie so viel weniger als im Auslande ausgebildet, daß auch die Möglichkeit einer Ausschaltung des heimischen Wettbewerbs recht gering erscheint. Ein Vertreter der General Electric Company, Mr. Hirst, hat sich erst kürzlich über diesen Punkt öif entlich ausgesprochen, indem er auf die starke Spezi- alisierung der Einzeliirmen verwies, welche er freilich als Folge- erscheinung der stark zersplitterten Munizipalaufträge hinstellte. Die Wirkung dieser Spezialisierung sei, daß jede Einzelunter- nehmung eine minder kapitalkräftige Größe darstelle als die großen kombinierten Betriebe in Deutschland.^) Mit der Vielheit der Unternehmungen, die im übrigen wohl vor allem aus der rückständigen technischen Entwicklung der britischen Elektro- industrie zu erklären ist, ergäbe sich also, selbst wenn die Aus- landskonkurrenz geringer wäre, eine bedenkliche Schwierigkeit für den monopolistischen Zusammenschluß,

Je stärker diese Verhältnisse die britische Elektroindustrie im Ganzen charakterisieren, um so plastischer hebt sich ein einzelner Zweig derselben als eine Ausnahme hervor, welche recht eigent- lich die Voraussetzungen der Monopolbildung im heutigen Eng- land erkennen läßt. Die Kabelindustrie nämlich (worunter wir hier der Einfachheit halber die Produktion aller Leitungs- materialien: von Starkstromkabeln, Telephon-, Telegraphenkabeln, Leitungsdrähten usw. verstehen wollen) ist im Gegensatz zu allen anderen Zweigen der Elektroindustrie Großbritanniens der aus- ländischen Erzeugung immer noch weit überlegen.^) Hier ist auch ein nicht unbedeutender Export vorhanden. Der Gesamt- wert des Exports der Elektroindustrie (unter Ausschluß der Maschinen, sowie der Telegraphen- und Telephondrähte aus bloßem Eisen oder Stahl) betrug im Jahre 1908: 1 942 106 £. Davon repräsentierten isolierte Drähte und KabeP) allein 1225934 £. Diesen Fernabsatz verdankt Großbritannien vor allem seinen Kolonien, für die eine hervorragende Qualität verlangt wird. Die

^) Vgl. Report Engineering Industries, §§ 434—435. Demgegenüber vgl. Koch a. a. O., S. 44—45-

2) Vgl. Koch a. a. O., S. 19.

') Vgl. Trade and Navigation a. a. O., S. 166 167.

15*

228

Befriedigung dieses Kolonialbedarfes konnten bisher andere Länder nicht übernehmen, da sie in erster Linie ihre Erzeugung auf einen billigen und im Vergleich zu der britischen Ware minderwertigeren Draht beschränkten. Andererseits werden auch in England von den Consulting Engineers, den zur Prüfung be- stellten Ingenieuren, die englischen Leitungsmaterialien bevor- zugt.^) Somit haben diese Produkte in der Tat eine mono- polistische Vorzugsstellung auf dem britischen Markte.

Die Ausnutzung dieser Vorzugsstellung durch eine Monopol- organisation ist nun wiederum dadurch erleichtert worden, daß es sich hier, im Gegensatz zu dem Gesamtbilde der Elektro- industrie Englands, um das Vorhandensein nur weniger Riesen- firmen handelt. Die einzelne Betriebsgröße, welche schon beim Beginn der Industrie beträchtlich war, ist in den letzten 10 Jahren noch bedeutend gewachsen. Die bekannte Callenders Gable and Construction Gompany hat heute einen Umsatz von 1 000 000 £ gegenüber nur 100 150 000 £ zu Ende der 90 er Jahre. „Eine kleine Firma," so erklärte kürzlich ihr Vertreter^), „kann in der Kabelindustrie nicht aufkommen. Zum Beginn muß man 500 000 £ Kapital zur Verfügung haben." Die Möglichkeit einer Standar- disierung der Ware erleichterte weiter den Zusammenschluß der Konkurrenten. Schon im Jahre 1898 schlössen sie sich zu der Gable Makers Association zusammen. Es wurde geltend gemacht, daß bei weiterem Wettbewerb eine Verschlechterung der Ware eintreten müsse, der man durch Fixierung eines Mini- malpreises vorbeugen wolle.^) Heute finden sich 16 Firmen in der Association vor*), von denen jedoch einzelne amalgamiert sind, so daß die Zahl der Einzelunternehmungen noch ge- ringer ist. Man nimmt nach allem, was über die Association be- kannt ist, an, daß sie 90 '*/o der Gesamtproduktion kontrolliert.^) Ihre Outsiders vermögen jedenfalls die Festsetzung der Minimalpreise, worin sich die eigentliche Funktion des Kartells äußert, nicht zu stören. Zwischen einem großen Teil der Abnehmer, den Installa- teuren, und dem Kabelkartell bestehen eigentümliche Abmachungen.

*) Mir gemachte Angaben des Vertreters einer großen Firma; vgl. auch Report Engineering Industries, § 486. Ebenso vgl. The Electric Contractor, Oktober 1908, S. 102.

^) Vgl. Report Engineering Industries, §§ 484 485.

^) Vgl. The Electrical Review, 1905, S. 1050.

*) Vgl. Electrical Contractor, Oktober 1908, S. 100.

^) Privatangabe.

~ 229

Soweit nämlich die Installateure in der Electrical Contractors Organisation, einem das ganze Land umspannenden Verbände, vereinigt sind, beziehen sie feste Rabatte beim Kauf von den Firmen des Kabelkartells. ^) Es handelt sich hier also um eine Art Gegenorganisation der Verbraucher, welche durch gemein- samen Zusammenschluß eine festere Position gegenüber dem Kartell einnehmen, als sie es vereinzelt tun könnten.^) Immerhin hat dieser Versuch, die Preisstellung des Kartells zu modifizieren, Klagen über einen allzu hohen Preisstandard nicht unterdrücken können.^) Preisvergleiche zwischen englischem und ausländischem Leitungsmaterial sind jedoch äußerst schwierig, da es sich ja bei der englischen Ware um eine bedeutend bessere Qualität handelt.*) Gravierend für die Preispolitik des Kartells erscheint es jedoch, daß in den letzten Jahren eine nicht unbeträchtliche Einfuhr fremder Kabel und Drähte stattgefunden hat, während früher der britische Markt allein von den heimischen Industriellen versorgt wurde. Auch diese Einfuhr bestand aus Ware schlechterer Qua- lität. Aber es schien, als ob angesichts der heimischen Preise der bedeutend billigere, wenn auch minderwertigere Draht ge- wisse Verbraucher mehr und mehr anlockte, und in dieser Weise dem Kartell eine ,,Surrogat"konkurrenz entstand, ganz ähnlich, wie es beim Portlandzementtrust der Fall gewesen ist. Man mußte sich im Jahre 1905 entschließen, die ursprüngliche Standardi- sierung zu durchbrechen, und den Mitgliedern zu erlauben, schlechtere Qualitäten herzustellen, welche als Non-Association Cables beim Absatz bezeichnet werden müssen.-^) Dieser Zu- stand besteht auch heute noch fort.

Es sind bisher eine Reihe von monopolistischen Vereini- gungen erörtert worden, für deren Wirksamkeit die Möglichkeit ausländischen Wettbewerbs eine ausschlaggebende Rolle spielte. Vielfach war zu konstatieren, daß ein Überschreiten der Preis- grenze, bei welcher die Einfuhr nach Großbritannien rentabel sein

^) Vgl. Electrica! Contractor, Januar 1909, S. 143. Der Verband umfaßt heute 300 der besten Firmen und repräsentiert ca. 50 "Jq der in dieser Branche in Großbritannien vorhandenen größeren Unternehmungen.

'') Vgl. hiermit die deutschen Verhältnisse bei Koch a. a. O., S. 114 ff.

*) Vgl. z. B. Electrical Engineering, 28. März 1908, S. 802. Ebenso neuerdings: Magazine of Commerce, Februar 1909, S. 62: „Die Kabelfirmen werden beschuldigt, exzessive Preise zu stellen, und wahrscheinlich bildet das Fehlen eines starken Wett- bewerbes hierfür eine wirksame Versuchung."

*) Vgl. Electrical Engineering, 1908, S. 843.

*) Vgl. Electrical Review a. a. O.

230

mußte, zu sicherlich recht herben Enttäuschungen der Monopol- verbände führte. Ehe wir nun dazu übergehen, diejenige Gruppe von Vereinigungen zu besprechen, bei welcher eine, wie wir es nennen wollen, unbedingte Immunität vor ausländischer Konkurrenz besteht, muß daran erinnert werden, daß es sich hier- bei, streng genommen, nicht minder um eine nur relative Ab- grenzung handeln kann. Es gibt keine Industrie, die nicht bei einer bestimmten exorbitanten Preisstellung vor der Gefahr fremder Konkurrenz stände. Selbst eine solche, wie die deutsche Kali- industrie, deren Grundlage in der Tat ein Produkt bildet, dessen bergmännische Gewinnung ein Monopol Deutschlands ist, würde bei entsprechend hohem Preise die Einfuhr fremder und anders gewonnener Kalisorten zu befürchten haben. Aber lange bevor jener Punkt erreicht wäre, würde in dieser Industrie, wie in anderen Fällen auch, der hohe Preis einen solchen Bedarfsrück- gang oder eine solche Steigerung der Konkurrenz hervorrufen, daß eine Monopolorganisation ihn nur unter größter Selbst- schädigung würde inaugurieren können. In dieser Tatsache, daß es Industriezweige gibt, für welche die Autonomie der monopo- listischen Preispolitik ihre Grenze weit früher in anderen Tat- sachen findet als in der Konkurrenz des Auslandes, in welchen Monopolvereinigungen also ohne Rücksicht auf die Einfuhrmög- lichkeit den für sie erstrebenswerten Maximalpreis feststellen können, liegt das Moment, welches wir als unbedingte Immunität vor dem Wettbewerb des Auslandes, im Gegensatz zu den bis- her besprochenen Fällen, bezeichnen wollen.

6. Salztnist und Salzsyndikat.

Von den bedeutenden mineralischen Rohproduktionen Groß- britanniens sind es drei, welche sich einer monopolistischen Stel- lung auf dem heimischen Markte infolge niedriger Produktions- kosten und günstiger Absatzbedingungen erfreuen. Kohle, Steine und Erden, und Salz. Die Gründe, welche eine organisatorische Ausnützung dieser Stellung bei der Kohle sowie der Gewinnung von Steinen und Erden verhindert haben, sind uns bekannt. Demgegenüber ist die Salzgewinnung im Salinenbetrieb seit langem das Feld monopolistischer Vereinigungen in England ge- wesen.

Wie die Kohle, so ist auch das Salz Großbritanniens trotz

231 -

steigender Produktion des Auslandes^) ein bedeutender Export- artikel geblieben. Innerhalb der letzten 15 Jahre sind im Durch- schnitt für 400 500000 £ Salz jährlich aus dem Vereinigten Königreiche exportiert worden, während selbst in Zeiten hoher Preise, wie in den Jahren 1888 und 1889, eine Zufuhr ausge- schlossen erscheinen mußte. Während in dieser Weise nach der Seite des fremden Wettbewerbs hin alle Vorbedingungen für das Bestehen einer Monopolorganisation gegeben waren, zeigten sich die Schwierigkeiten der Verbandsbildung um so mehr in den Fragen der inländischen Konkurrenz. Eine Monopolisierung der Salzlager erschien bei deren reichem Vorkommen als völlige Unmöglichkeit, während lange Zeit die Betriebsgröße an die Kapitalbeschaffung neu aufkommender Unternehmungen keine allzu bedeutenden Anforderungen stellte. Erst als ein scharfer Wettbewerb in den 80 er Jahren einsetzte, änderte sich dies. Es entstand eine Differenzierung zwischen solchen Werken, welche sich zur Erniedrigung ihrer Produktionskosten Transportmittel an- gliederten, und solchen, welche dies nicht taten. Wenn auch auf Grund dieserEntwicklung eine Betriebskonzentration nicht statistisch nachweisbar ist, so war doch nunmehr die Stellung der kombinierten Unternehmungen gegenüber den anderen Werken so gefestigt, daß die Mehrzahl der kapitalschwächeren Firmen an sie Anschluß suchen mußten, wenn sie existenzfähig bleiben wollten. Dies bildete, wie mir ein in die Verhältnisse eingeweihter Großindustrieller, Mr. A. Mond, mitteilte, den ersten Anlaß zu Kartellversuchen. Da die Salzgewinnung Großbritanniens sich im wesentlichen auf eine Grafschaft, nämlich Cheshire, konzentriert, im Gegensatz zum Kohlenbergbau so waren Verständigungen relativ leicht zu erzielen. Diese endeten zunächst im Jahre 1888 in der Gründung der Salt Union, einem Trust von 64 Firmen, der ca. 90 "/o der Produktion umspannte. Man muß zur Beurteilung dieser relativ großen Zahl von Firmen in Betracht ziehen, daß eben die in dem Trust vereinigten Unternehmungen keineswegs gleichstarke Konkurrenten darstellten, so daß die Zahl der bei der Vertrustung^ wirklich ins Gewicht fallenden Wettbewerber

^) Vgl. Mineral Resources, Washington 1902 und 1906. Es betrug die Gewinnung in Short tons

Jahr U. S. A. Vereinigtes Königreich Deutschland Frankreich

1890 1242778 2403462 I 157023 955000

1900 2421708 2084709 I 668912 I 199000

1904 3084200 211S629 1875733 1292557

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weit geringer war, als es nach jener Zahl zunächst scheinen würde. Wie stark die Betriebskombination nach der Seite der Verfrachtung bei einzelnen Firmen vor sich gegangen war, zeigte der Prospekt der Union, in welchem als besonderer Bestand- teil der Unternehmung: Dampf boote, Boote, Lokomotiven, Eisenbahngeleise und Eisenbahnwaggons, Quais, Landungsstellen usw. aufgeführt wurden.^) Die unmittelbare Folgeerscheinung der Salztrustgründung war ein ungeheures Steigen der Salzpreise. Man vergleiche die aus dem Wert der Ausfuhr ermittelten Preise , es betrugt):

Der Exportpreis von Salz pro Tonne

1878—1887 12,65

1888 10,81

1889 16,15

1890 17,98

1891 17,77

Es muß freilich berücksichtigt werden, daß in jener Zeit auch der Preis der Kohle, welche ca. 80 **/o der Herstellungskosten von Salz ausmacht, stark anzog. Allein, während der Gruben- preis von Kohle in Cheshire von 6 sh im Jahre 1881 nur auf 8 sh 6 d im Jahre 1890 stieg, ging der Wert des Salzes an den Werken im gleichen Zeiträume von 6.08 sh auf 10.25.^) Ein Festhalten der hohen Preise war freilich dem Trust auf die Dauer nicht möglich. In den 90 er Jahren ging der Salzpreis wieder beträchtlich zurück. Aber bisher hat er den Tiefstand der 80 er Jahre nicht wieder erreicht, wenngleich der Exportpreis im Jahre 1898 vorübergehend auf fast 13 sh herabsank.

Bei höheren Preisen und einem jährlich steigenden Über- schuß derselben über die Kosten mehrten sich aber auch die Outsiders. Während bei der Gründung des Trusts die Direktoren eine Gewinnung von 2000000 tons in Aussicht genommen hatten und damals (1887) die Gesamterzeugung 2206000 tons betrug*), wurden im Jahre 1907 im Ganzen 1984656 tons Salz im Ver- einigten Königreich produziert, während die Salt Union nurmehr 909000 tons versandte!"^) Da aber immer noch ein sehr be-

^) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 182.

*) Vgl. Statistical Abstract, 1891, S. 140— 141.

') Vgl. Wholesale and Retail Prices. London 1903, S. 189 und S. 3.

*) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 182.

*) Vgl. Mines and Quarries a. a. O., S. 235, und Angabe des „Statist".

233

deutender Teil der nationalen Salzgewinnung in der „Union" kon- zentriert war, so konnten Vereinbarungen zwischen ihr und den Outsiders auf keine unüberwindlichen Schwierigkeiten stoßen. Diese Vereinbarungen begannen zu Ende der 90er Jahre, und nahmen zu Beginn des neuen Jahrhunderts festere Formen an, indem eine tatsächliche Produktionskontingentierung zwischen der „Union" und den Outsiders verabredet wurde. ^) Im Jahre 1905 aber zerfielen diese immerhin noch losen Konventionen und die Folge war ein unmittelbarer Preisrückgang, der sich in einem Sinken des Exportpreises von 16,36 sh im Jahre 1904 auf 14,22 sh im Jahre 1906 geltend machte. Allein, wenn der chairman der Salt Union im Jahre 1905 erklärt hatte, „daß die Outsiders ein- sehen würden, daß es besser sei, % ihrer Werke mit Nutzen als die ganzen mit Schaden zu betreiben", so erfüllte sich diese Prophezeiung gar bald. Im Herbst des Jahres 1906 wurde als eine Vereinigung beider Interessen die North Western Salt Company gegründet, ein Syndikat, welches heute den Absatz so- wohl der Union wie aller Outsiders leitet. Denn nach den Angaben des ersten Direktors derselben, des Mr. G. H. Cox, auf der Jahres- versammlung der Salt Union am 27. März 1907^) waren alle Fabrikanten und Großhändler mit geringen Ausnahmen dieser Unternehmung beigetreten. Wie die Spirit Supply Company so ist auch sie nur eine Gesellschaft mit geringem Aktienkapital (10000 £ in £ 1. shares). Jedes Mitglied dieses Salzsyndikats hat eine Beteiligungszififer, eine „basis of tonnage", während sich die tatsächliche Erzeugung jeder Unternehmung nach der zu fixieren- den Gesamterzeugung richtet, eine Organisation, die lebhaft an die der Newcastle Vend erinnert. Jede Firma ist mit einem Direktor in dem Syndikat vertreten, während die Salt Union ent- sprechend ihrer Bedeutung zwei Direktoren stellt.

Die Wirkung dieses Syndikats zeigte sich alsbald. Schon in der zweiten Hälfte September 1906 meldete ein Fachblatt ^), „daß auf einer Versammlung der Gesellschaft die Salzpreise revidiert worden seien und daß sie da, wo das Fehlen von Kon- trakten es möglich gemacht habe, um 3 6 d pro Tonne er- höht worden wären." Der Exportpreis von Salz stieg von 14,22 sh im Jahre 1906 auf 15,52 im Jahre 1907, eine Erhöhung, die wohl durch die höheren Kohlenpreise einigermaßen gerechtfertigt er-

1) Vgl, Macrosty a. a. O., S. 185 186.

2) Mitteilung des Mr. Alfred Mond M. P.

') Vgl. Oil and Colourmans Journal, 15. Sept. 1906, S. 767; 22. Sept. 1906, S. 855.

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schien, aber in dem Maße ohne S3^ndizierung niemals stattge- funden hätte. Stieg doch der Nettogewinn der Salt Union im Jahre 1907 bei fast gleicher Produktion wie im Vorjahre von 87000 je im Jahre 1906 auf 127075 £ im Jahre 1907 und stellte damit die größte Reineinnahme seit 1896 dar.^)

Die Möglichkeit der neuen Konkurrenz wird immer einen Druck auf die Preispolitik des Salzsyndikats ausüben, obschon heute die durch die Union geschaffene Effizienskombination größere Anforderungen an das Aufkommen neuer Werke stellt als früher. Daß die Monopolbildung in der britischen Salzgewinnung die heimische Preisbildung wesentlich beeinflußt, ist unzweifelhaft- Als das S3'ndikat im Jahre 1907 zu Stande kam, wurde in der Salt Union auf einer Versammlung vom 27. März erklärt, man hätte jetzt ein ,. gesundes und praktisches System gefunden, Produktion und Preise des gesamten Salzhandels zu regu- lieren.''2) Im Jahre 1909 berichtete die Salt Union ^): „Die North Western Salt Company, welche die Preise reguliert habe, hätte wirksam gearbeitet. Sie haben sorgsam die Umstände berücksichtigt, welche den Handel hier und auswärts betroffen hätten und von Zeit zu Zeit die Preise dementsprechend arran- giert, so daß sicherlich keine Märkte durch einen Versuch, allzu (?) hohe Preise herauszuschlagen, verloren worden seien. Im Gegenteil, in verschiedenen Fällen seien besonders niedrige Preise vereinbart worden, wo nämlich sich neue Kanäle für den Absatz geboten hätten oder die Möglichkeit erschienen sei, trotz des Wettbewerbs alte Märkte zu erhalten." Dieser Bericht spricht deutlich für die autonome Preispolitik des Syndikats, die, wie man erkennt, in einer Differenzierung der Märkte nach Monopol- gesichtspunkten ihren Ausdruck fand. Daß die Organisationen der britischen Salzgewinnung einen Schleuderexport getrieben haben, ist übrigens schon für frühere Zeiten nachweisbar. Dieser bildete auf der anderen Seite des großen Meeres zeitweilig den Anlaß zu ebenso heftigen Klagen, wie sie englische Interessenten über das ..dumping'- amerikanischer Trusts hervorzubringen pflegen.*)

*) Nach dem Statist.

*) Private Mitteilung.

*) Vgl. Chemical Trades Journal, 27. März 1909, S. 314.

*) Vgl. Industrial Commission, 1902, Vol. XIII, S. 260.

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7. Der Trust der Feinbaumwollspinner und Doublierer.

Die englische Textilindustrie nimmt in der großen Mehrzahl ihrer Produkte eine durchaus gefestigte Stellung gegenüber aus- ländischem Wettbewerb ein. Daß einzelne Zweige derselben, wie z. B. die Seidenindustrie, hiervon eine Ausnahme bilden, daß ferner in der Herstellung gewisser billigerer Qualitäten die Konkurrenz des Auslandes in letzter Zeit stärker angewachsen ist, dies sind Tatsachen, welche die weltwirtschaftliche Überlegen- heit dieses im Ganzen so gewaltigen Zweiges britischer Groß- industrie keineswegs verdunkeln können. Liest man freilich die Berichte der Chamberlain'schen Tarifkommission, so erscheinen jene Momente in so grellem Lichte, daß man fast verleitet werden könnte, in ihnen mehr als bloße Ausnahmen zu sehen. Um nur einige Auslassungen dieses Ausschusses zu zitieren und zwar aus dem Berichte über die Wollindustrie^), so heißt es z. B.: „Großbritannien hat einen Zweig seines Handels nach dem andern verloren, so daß jetzt kein Auslandsmarkt existiert, in welchem sich die Firmen, welche Aussagen gemacht haben, sicher fühlen. Der auswärtige Handel britischer Wollwarenfabrikanten wird schrittweise auf einen solchen von Spezialartikeln und Fantasie- waren, sowie von Rohstoffen und Halbfabrikaten herabgedrückt. Die Gewinne aus dem heimischen Absatz sind durch den in- ländischen und den ausländischen Wettbewerb zurückgegangen. Der einheimische Handel ist demnach in den letzten Jahren un- sicher geworden. Der Zustand der Unsicherheit macht es schwierig, neues Kapital in die Industrie zu lenken, neue Fabriken zu bauen oder die Leistungsfähigkeit der einmal existierenden in richtiger Weise auszunutzen." Der Leser solcher Darstellungen, der nicht weiß, daß es in den Absichten derselben liegen mußte, die britische Industrie unter allen Umständen als zollschutz- bedürftig zu erweisen, könnte in der Tat glauben, daß die britische Textilindustrie dem Verfalle nahe sei. Anders wird er freilich belehrt, wenn er an Stelle der dürftigen Aussagen ein- zelner ausgewählter Textiliirmen, die nie und nimmer als typisch für die britische Textilindustrie gelten können, sich an der Hand der Statistik von der Exporttätigkeit derselben überzeugt. Es be- trug in 1000 £■ im Jahresdurchschnitt:-)

^) Report Tariff Commission, Vol. 2, London 1905, § 1446 und 1448. ^) Diese Ziffern sind aus dem Statistical Abstract berechnet. Es sind hierbei nur die abgerundeten Ziffern für Millionen £ berücksichtigt worden.

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Ausfuhr Einfuhr

Garne u. Fabrikate 1893— 1902 1893— 1907 1893— 1903 1903— 1907

aus Baumwolle 67.7 91,2 5,0 9.2

Wolle 23,5 28,1 13,3 13,2

anderen Materialien 11.7 13^4 19^2 19.3

Summa 102,9 132,7 37,5 41,7

Hieraus ergibt sich, daß erstens der Export der britischen Textilindustrie in letzter Zeit bedeutend zugenommen hat und zwar, absolut genommen, weit stärker gestiegen ist als die Einfuhr; daß zweitens gerade in dem bedeutendsten Export- zweig der britischen Textilindustrie, deren Ausfuhrwert mehr als ^/s der Gesamtausfuhr ausmacht, die Einfuhr eine ganz geringe Rolle spielt, wie sie denn überhaupt für die zwei wichtigsten Zweige der Industrie in den letzten fünf Jahren nur ca. den sechsten Teil des Ausfuhrwertes darstellte.

Erscheint schon auf Grund dieser Ziffern die britische Textil- industrie als Ganzes nicht gerade vom ausländischen Wettbewerb „überholt"", ,, gefährdet" oder gar „verdrängt"", so werden doch jene Zahlen erst bedeutsam, wenn man bedenkt, um welche Art von Export es sich hier handelt. Die bedeutendste Leistung der britischen Textilindustrie ist in neuerer Zeit die gewesen, daß sie es verstand, sich mehr und mehr auf die Herstellung von Qualitätswaren zu werfen, in denen ihr kein Land überlegen ist. Hierdurch konnte sie selbst hinter den hohen Schutzwällen kon- tinentaler Länder und der amerikanischen Union konkurrenzfähig bleiben, während ihr der englische Markt in diesen Waren niemals strittig gemacht worden ist. Diese Erscheinung ist an Hand von Tatsachen so häufig, sei es von Sachverständigen, sei es von wissenschaftlichen Schriftstellern, erörtert und gewürdigt worden^), daß wir sie hier nur als solche zu erwähnen brauchen. Ein weiterer Beleg sei noch zu den vorhandenen hinzugefügt, ein Beleg, der freilich zunächst Zweifel erregen könnte, weil er aus dem Munde der Tarifkommission der Chamberlainisten kommt. Aber es ist gerade im Hinblick auf die Zwecke, welche jene

^) Für nähere Angaben vgl.: a) S. J. Chapman, Work and Wages, London 1904, S. 67, 169, 190 und 194; und derselbe, The Cotton Industry, London 1905; b) J. H. Clapham, The Woollen and Worsted Industries, London 1907, S. 303 und passim; c) L. Helm in British Industries a. a. O., S. 89 und 143; d) A. L. Bowley, National Progress in Wealth and Trade, London 1904, S. 47; e) Economist, 16. Februar 1907 unter Woollen Trades; f) v. Schulze-Gaevernitz a. a. O., S. 273 und 293 ff.; g) Hasbach, Zur Charakteristik der englischen Industrie, 3. Auflage, Schmollers Jahr- bücher 1902 und 1903, passim.

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Kommission verfolgte, bedeutsam, daß sie die weltwirtschaftliche Überlegenheit der britischen Textilindustrie in Qualitätswaren anerkennen mußte, und wir können daher ihre Aussprüche hier, wo es sich nicht um Interessentenentstellung handeln konnte, als besonders bemerkenswerten Beleg für diese Tatsachen an- führen. In demselben oben erwähnten Bericht heißt es nämlich, z. B. über Bradford^): „In gewissen Waren können die Fabri- kanten von Bradford, nach den Aussagen der Sachverständigen, jeden Produzenten der Welt schlagen." Ahnliches besagte der Bericht über Huddersfield. Und ein Sachverständiger erklärte geradezu'^): ,,Der Ausfuhrhandel in den sehr guten Qualitäten hat so gut wie garnicht gelitten; wir haben eine Überlegenheit in der Fabrikation, die so groß ist, daß der ausländische Ver- braucher solche Waren kaufen würde, selbst wenn sie 10 oder 20°/o mehr kosteten." Die Tarifkommission stellte solche Tat- sachen, die ja nun einmal nicht verschwiegen werden konnten, als sekundär hin, so etwa, als ob die Textilindustrie Groß- britanniens nur noch als Luxusindustrie ihre frühere Überlegen- heit besitze. Da man fast ausschließlich Produzenten oder Händler schlechterer Qualitäten verhörte, diese sind ja die einzigen Notleidenden in der britischen Textilindustie und die einzigen Schutzzöllner! , so macht das Verhör in der Tat den Eindruck, als ob diese Industrie in erster Linie Erzeugnisse her- stelle, die den deutschen, belgischen und amerikanischen gleich- wertig gegenüberständen. Und doch haben alle oben zitierten Studien ergeben, daß eben die große Masse aller englischen Textilwaren eine Qualität aufweist, welche von dem Auslande nicht erreicht wird, daß es sich hierbei nicht um Spezial- oder Fantasie- waren handelt, sondern daß die gesamte britische Industrie auf diesen Standard der Leistungsfähigkeit zugeschnitten ist und nur in vereinzelten Fällen, da wo den Industriellen Geschick und Anpassungsfähigkeit fehlt, unter ihn herabsinkt.^) So wird z. B. diejenige Sorte von ausländischem Woll- und Kammgarn, welche alljährlich in Bradford, dem Zentrum der Kammgarnindustrie, ver- braucht wird, dortselbst überhaupt nicht produziert*) und bildet gegenüber dem Gros der inländischen Produktion gar keine Konkurrenz. Ähnlich ist es mit den Wollstoffen. Im Import

1) Vgl. a. a. O., § 1310.

*) Vgl. § 2105 2106.

») Vgl. Clapham a. a. O., S. 126.

*) Vgl. British Industries a. a. O., S. 109.

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von Wollfabrikaten des Jahres 1907 finden wir Wollstoffe mit 5,6 Millionen £ d. i. mehr als die Hälfte des Gesamtwertes aller Woll- und Kammgarnimporte, angegeben. Sie stellten einen Preis von 18,24 d pro yard dar. Demgegenüber finden wir unter der Exportrubrik der Wollstoffe, daß die drei meistexportierten Stoffe, deren Gesamtexport 8,0 Millionen £ betrug, einen Durch- schnittspreis von 59,60; 23,17; und 43,44 d darstellten! Und geht man zur Baumwollindustrie hinüber, so sieht man, daß der aus den Importziffern berechnete Preis für Garn in den letzten fünf Jahren zwischen 9,80 d pro Ibs. und 11,74 schwankte, während der Exportpreis im gleichen Zeitraum sich zwischen 11,74 und 15,21 d pro Pfund bewegte.

Diese Tatsache: daß die britische Textilindustrie infolge ihrer hohen qualitativen Leistungsfähigkeit in der Mehrzahl ihrer Pro- dukte eine wettbewerbliche Überlegenheit in der Weltwirtschaft besitzt, bildet die eine wichtige Grundlage der heute in ihr existie- renden Monopolvereinigungen. Diese können überall entstehen, wo jene Tatsache mit der Möglichkeit, den inländischen Wettbewerb auszuschalten, zusammentrifft. Daß diese Möglichkeit nicht überall vorhanden ist, sahen wir bereits früher, als wir feststellten, daß in den elementaren Produktionsstufen sowohl der Baumwoll- wie der Woll- und Kammgarnindustrie die Zahl der Einzelunter- nehmungen so groß und die Entstehungmöglichkeit neuer Werke so leicht ist. daß eine planmäßige Einschränkung der Konkurrenz mit einer monopolistischen Preiserhöhung ausgeschlossen bleibt. Demgegenüber zeigen sich nun gänzlich andere Verhältnisse, wenn wir in die qualifizierten Branchen der Textilindustrie über- gehen. ^)

Die FineCotton Spinners and Doublers Association ge- hört wohl zu den erfolgreichsten Monopolbildungen der britischen Textilindustrie. Sie wurde im Jahre 1898 als eine Fusion von 31 Firmen ins Leben gerufen, die bald nachher noch weitere Unter- nehmungen mit sich verschmolz und damit die Gesamtproduktion Großbritanniens so gut wie kontrollierte. Der Prospekt der Unter- nehmung hob damals selbst hervor, daß das Unternehmen einen , .Monopolwert" habe. Es wurde ferner betont, daß das langjährige Renommee, welches die amalgamierten Firmen für feine Garne besäßen „dem Entstehen neuen W^ettbewerbs ein Hindernis in

^) Soweit nichts anderes vermerkt ist, beziehe ich mich bei der Darstellung der Textilverbände auf das sehr wertvolle von Macrosty a. a. O., S. 117 ff-, gesammelte Tatsachenmaterial.

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den Weg lege." Weiter hieß es bezüglich des ausländischen Wettbewerbs^): „Das Spinnen und Doublieren der feinsten Nummern erfordert große Erfahrung und hervorragende Sorgfalt und es kann nur da stattfinden, wo die Arbeiterschaft geschickt und geradezu trainiert ist. Zweifellos ist dies, im Verein mit den klimatischen Vorzügen Großbritanniens, der Grund, weshalb jener Zweig der Baumwollindustrie so gut wie gar nicht unter aus- ländischem Wettbewerb gelitten hat." Die relativ geringe Zahl konkurrierender Unternehmungen und die Erschwerung neuer Konkurrenz ermöglichten hier die Ausnutzung jenes wettbewerb- lichen Vorsprungs. Und daß der Prospekt mit seinen Erwar- tungen nicht Unrecht gehabt hatte, bewies die Tatsache, daß während des großen Aufschwungs von 1907 wohl in der Spinnerei massenhaft neue Fabriken entstanden, daß aber diese keineswegs eine Konkurrenz für diejenigen feinen Garne bedeuteten, welche der Trust herstellte.'^)

8. Nähfadentrust und Nähfadensyndikat.

Während in dem soeben besprochenen Industriezweig die Entwicklung die gewesen war, daß vor der Vertrustung eine relativ geringe Zahl von gleichstarken Unternehmungen miteinander in Wettbewerb stand, hatte sich in einem der weiterverarbeiten- den Zweige derselben, in der Nähfadenindustrie, ein Konzen- trationsprozeß in ganz anderer Weise herausgebildet. Eine ein- zelne Unternehmung, die Firma J. and P. Coats, war von kleinen Anfängen im Jahre 1826 bis zum Jahre 1890 zu einer Gesellschaft mit 5^/4 Millionen £ Aktienkapital herangewachsen. Vier andere Firmen mit ebenfalls riesenhaftem Charakter wurden in den Jahren 1895 und 1896 mit dieser Firma vereinigt, nachdem sie sich schon seit langer Zeit syndikalistisch für ihren Absatz zusammengefunden hatten. Die meisten von den 20 außerhalb dieses gewaltigen Unter- nehmens stehenden kleineren Firmen schlössen sich dann im Jahre 1897 zu der English Sewing Cotton Company zu- sammen, die nach der Aufnahme weiterer Firmen im Jahre 1899 ein Aktienkapital von 3 Millionen £ darstellte. Die Beziehungen der beiden großen Rivalen wurden dadurch von vornherein ge- glättet, daß Coats einen Teil der Aktien des neuen Unternehmens

^) Vgl. den Prospekt vom 6. Mai 1898, S. 3. ^) Vgl. Economist, l. August 1908, S. 204 205.

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übernahm. Gleichzeitig war in der Union der amerikanische Näh- fadentrust „The American Thread Company" gegründet worden, eine Unternehmung, an deren Aktienkapital sowohl Coats wie die Sewing Cotton Company sich maßgebend beteiligten. So entstand ein englischer Nähfadentrust mit internationalem Charakter, denn nicht nur in Amerika, auch in Spanien, Kanada, Rußland und an- deren Ländern besaß er Fabriken von hervorragender Bedeutung.

Freilich waren durch den gemeinsamen Aktienbesitz die Kon- flikte der großen Konkurrenzfirmen in der Absatzpolitik noch nicht endgültig beseitigt. Erst als die bedeutend weniger ge- festigte Sewing Cotton Company sich entschloß, ihre Produkte gemeinsam mit denjenigen von Coats durch die Central Thread Agency zu verkaufen, kam eine größere Einigkeit zu Stande. Wie in der Salzgewinnung, so hat auch hier die gemeinsame Verkaufsstelle, das Syndikat, eine enge Verbindung zwischen dem Trust (Coats) und seinen, freilich auch in einer Unter- nehmung konzentrierten, Outsiders geschaffen.

Nach außen hin liegt die Stärke dieses Trusts und seiner Absatzstelle in der Eigenart der Marken, die er verkauft. , .Unsere Macht besteht darin," so erklärte^) ein Bericht der Sewing Cotton Company vom Jahre 1908, „daß die Namen und Qualitäten unserer verschiedenen Produkte von den Konsumenten so vieler Länder verlangt werden," Für Coats trifft dies vielleicht noch in stärkerem Maße zu. „Trotz fremdländischer Zolltarife und fremdländischen Wettbewerbs halten wir unsere Stellung aufrecht", erklärte einmal Mr. Archibald Coats.-) Daß der Trust einen wesentlichen Einfluß auf die Preisbildung ausübt und daß er sich bewußt ist, autonom die Preise stellen zu können, ohne durch Rücksichten anderer Art als durch solche auf die Elastizität des Bedarfs sich gehindert zu fühlen, zeigen die Worte in dem ge- nannten Berichte: „Soweit es möglich war, haben wir eine Politik hoher Verkaufspreise vermieden, weil sie den Bedarf reduzieren und unsere Konsumenten verärgern würden." Wie nun auch die Preisstellung von den Konsumenten beurteilt werden mochte, in der Tatsache, daß sie das Ergebnis einer planmäßigen Festlegung der großen Interessenten war und nicht mehr auf dem Wege des Wettbewerbs zu Stande gekommen war, gelangte jedenfalls das Monopolistische der Preispolitik zum Ausdruck.

^) Vgl. den Bericht vom 23. Juli 1908, S. 4.

2) Vgl. Textile World Record, Oktober 1907, S. 87.

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9. Die Trustbildung in der Bleicherei und Färberei.

Der Bleicher-Trust, die Bleachers Association, findet seinen Hauptstützpunkt gegenüber anderweitigem Wettbewerb in der Tatsache monopoHstischer Wasserversorgung. „Die große und immer wachsende Schwierigkeit, eine entsprechende Wasser- versorgung zu erhalten, machte die Stellung der alten Bleich- werke sehr stark, während die Gesetze gegen Wasserverunreinigung ebenfalls der Errichtung neuer Werke entgegenarbeiten," so schrieb der Prospekt selbst. Diese eigentümliche Monopolstellung der um Manchester gelagerten Werke war schon längere Zeit durch Preisvereinbarungen ausgenutzt worden, um dann im Jahre 1900 zu einer festeren Organisation der Bleachers Association zu führen, einer Vereinigung von 53 Firmen. Ähnliche Umstände er- möglichten die Gründung des Färberei-Trusts von Bradford, der Bradford Dyers Association. Auch hier handelte es sich um die organisatorische Ausnutzung einer örtlichen Monopolstellung. Der Prospekt setzte die Voraussetzungen dieser Monopolorgani- sation, welche im Jahre 1898 gegründet wurde, selbst auseinander. Sie bestanden:^)

1. In den Frachtkosten, welche den in der Nähe von Brad- ford befindlichen Unternehmungen einen Schutz vor ander- weitigem britischen Wettbewerb sichern.

2. In der Notwendigkeit einer engen örtlichen Verbindung zwischen der Färberei und ihren Kunden, ein Moment, das zur Verstärkung des erstgenannten Schutzes beiträgt.

3. In der Eigentümlichkeit der Wasserqualität und Wasser- versorgung. Endlich

4. in dem Bestehen eines für hochqualifizierte Arbeit nicht schnell vermehrbaren Arbeiterstammes.

Auf Grund dieser Tatsachen erklärte die Dyers Association ihre Stellung für fast „uneinnehmbar". Die Bildung des Trusts war dadurch besonders erleichtert worden, daß bereits 90*^/0 der Produktion von nur 22 Firmen dargestellt wurde. Im Jahre 1903 traten 13 weitere Firmen hinzu, womit das Monopol ein voll- ständiges wurde. Es war also hier eine weit stärkere Konzen- tration der Unternehmungen vorhanden gewesen als in der Bleicherei.

Die Machtstellung des Färbertrusts und die aus ihr sich er- gebende Preispolitik desselben fand schon in dem Prospekt von

*) Vgl. Prospekt vom 14. XII. 1898. Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 1"

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1898 eine gewisse Verkündigung, die ähnlich, wie wir es beim Nähfadentrust sahen, eine Beruhigung für die Konsumenten ent- halten sollte, aber doch von der Möglichkeit wettbewerbsloser Preisfestsetzung ein beredtes Zeugnis ablegte. „Während es ja klar ist", so heißt es dort, „daß der Zusammenschluß von 90% der Gesamtproduktion tatsächlich einem Monopole gleichkommt, erkennen die Direktoren der Gesellschaft, daß die Interessen der- selben zum großen Teil mit denen der Fabrikanten und Händler des Distriktes identisch sind. Obschon zweifellos Fälle vor- handen sind, in denen eine Neuordnung und Festlegung der

Raten ohne weiteres vernünftig erscheinen muß ist es

nicht das Ziel des gegenwärtigen Planes, eine Ära hochgetriebener Preise zu inaugurieren." Ähnlich erklärte der Vorsitzende des Unternehmens im Jahre 1904^): „Wir haben uns immer von Zwangsmaßnahmen ferngehalten, wie sie für große Organisationen eine Versuchung bilden. Wir haben uns nie die Rolle von Monopolisten angemaßt." Daß sich die Abnehmer des Trusts mit der tatsächlichen Preispolitik desselben zufrieden erklärt haben, erscheint jedoch nicht der Fall gewesen zu sein. Es wurde viel- mehr nach manchen Streitigkeiten eine zentrale Vermittlungs- stelle zwischen dem Trust und seinen Kunden auf Anregung der Handelskammer von Bradford geschaifen. Diese Stelle, der Bradford Piece-Dying Board, die sich aus Mitgliedern des Trusts und aus Händlern zusammensetzt, versuchte zu Preisverein- barungen für längere Zeitperioden zu gelangen, welche die Inter- essen beider Parteien harmonisieren sollen. Mit Recht nennt Clapham den Färbertrust von Bradford den ,,most successful of british industrial combines" und fügt eine Reihe von Tat- sachen an, welche die dominierende Stellung desselben in der Produktions- und Absatzpolitik beweisen können. Mit Recht er- klärt er auch die Schaffung der Vermittlungsstelle aus der für die Händler bestehenden Notwendigkeit, mit dieser mächtigen Monopolorganisation in „freundlichen Beziehungen" zu stehen.^) Interessant ist auch, was Macrosty, im Anschluß an die MorningPost, über den Versuch einer Differentialpreispolitik dieses Trusts zu erzählen weiß. Es wurden Kontrakte mit den Händlern gemacht, die diese verpflichteten, alle ihreWaren, die zu färben waren, an den Trust zu schicken. Allein der Händler konnte sich Aus-

') Vgl. den Bericht der Association vom 26. Februar 1904. '') Vgl. Clapham a. a. O., S. 151 154.

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nahmen vorbehalten. Er mußte aber 1. die Warengattung nennen, für die er solche Ausnahmen wünschte, 2. die Firmen außer- halb des Trusts, die er bevorzugte, 3. die Menge der Waren, die er diesen überlassen wollte, 4. und die Gründe hierfür. Ging der Händler auf diesen Kontrakt ein, so gewann der Trust ohne weiteres einen Überblick über die Stärke seiner Stellung in den einzelnen Zweigen und konnte darnach eine differentielle Preis- politik ausüben. Die Mißbilligung, welche jene Kontrakte schließ- lich bei den Händlern fanden, brachte aber dieses kunstvoll aus- gedachte System der Bekämpfung von Outsiders zu Fall.

Weniger machtvoll erscheint der Trust der Baumwoll- und Wollfärber, der im Jahre 1900 aus einer Fusion von 46 Firmen geschaffen wurde: Die Cotton and Wool Dyers Association. Da diese Vereinigung nicht Stoffe, sondern Game für alle mög- lichen Produkte färbt und nicht, wie die Bradfort Dyers Asso- ciation, Spezialmarken von besonderem Renommee herstellt, so ist schon hierdurch die Stellung der Einzelfirmen keine so gefestigte wie diejenige der Bradfordfärber, Auch kann der Weiterver- arbeiter von Garnen sich vom Trust unabhängig machen, indem er einen eigenen Betrieb zum Färben seiner Garne errichtet und dies insbesondere, wenn er uniforme Tuche und einfache blaue oder schwarze Materialien herstellt.^) Dazu kommt, daß diese Branche der Färberei sich auf verschiedene Distrikte erstreckt auch die Werke des Trusts sind in Lancashire, Yorkshire und um Glasgow zerstreut so daß eine Einigung mit neuen Außen- seitern hier weit weniger leicht ist als dort, wo die Industrie sich örtlich so stark konzentriert hat wie im Bradford-Distrikt. So er- klärt es sich, daß dieser Trust in seiner Preis- und Finanzpolitik weniger erfolgreich gewesen ist, als der zuvor genannte.

10. Der Kalikodrucker-Tnist.

Bei den Monopolvereinigungen der Bleicherei und Färberei konnten wir von der industriellen Konzentrationstendenz wenig berichten. Wir sahen wohl, daß die zusammengeschlossenen Firmen eine nicht allzugroße Zahl, wenn auch noch immer mehrere Dutzend, Unternehmungen darstellten, aber wir konnten nicht feststellen, ob in der Riesenhaftigkeit der Einzeluntemehmung ein tatsächlicher Schutz vor dem Entstehen zahlreicher neuer

1) Vgl. Clapham a. a. O., S. 151 152.

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_ 244

Wettbewerber liegen mochte. Die Schwervermehrbarkeit neuer Unternehmungen äußerte sich vielmehr weit stärker in den eigen- tümlichen Verhältnissen der Wasserversorgung, in dem Erfordernis anerkannter Marken, und demjenigen eines Arbeiterstammes, also in Tatsachen, die mit Betriebs- oder Unternehmungsgröße nichts zu tun hatten, wohl aber den bestehenden, immerhin nicht sehr zahlreichen. Werken eine monopolistische Stellung zu sichern versprachen. Anders steht es in der Kalikodruckerei.

Zunächst könnte man freilich aus der Zahl von 46 Fabrik- firmen, welche die Calico Printers Association bei ihrer Gründung im Jahre 1899 umfaßte, folgern, daß kein sehr starker Konzentrationsprozeß in dieser Industrie stattgefunden habe, zu mindest keiner, der an die Verhältnisse etwa in der Eisen- und Stahlindustrie erinnere. Demgegenüber aber kann festgestellt werden und nicht überall sind wir in dieser Lage^) daß jene Firmen ganz verschiedene Wettbewerbseinheiten darstellten. Die 46 Fabriken, welche ca. 85 •'/u der Gesamtproduktion britischen Kalikos lieferten, wiesen 830 Druckmaschinen auf. Sieben Finnen besaßen allein 305 Maschinen und repräsentierten daher 36"/© der Gesamtherstellung. Die Firma Gartside besaß allein 74 Maschinen. Eine Reihe von Unternehmungen rentierten schon zu Ende der 90 er Jahre nicht mehr, ja bis Juni 1905 wurden nicht weniger als 20 Werke geschlossen. So war die Zahl der Unternehmungen, die bei der Vertrustung als wirklich bedeut- same Faktoren in Frage kamen, weit geringer, als man auf Grund der Vertrustungsziffer hätte annehmen können. Auch ist es charakteristisch für die Konzentrationsbewegung, daß sich unter Zugrundelegung der Gründungsjahre der vertrusteten Unter- nehmungen die Tatsache herausstellt^), daß von ihnen:

bis 1860 37

bis 1880 5 und

nach 1880 4

gegründet worden waren. Die letztgegründeten Unternehmungen sind allem Anscheine nach kleinere Gründungen gewesen, da sie nur 6, in einem Falle 13 Maschinen aufwiesen. Vielleicht dienten sie einem speziellen Bedarfe. Wenn aber auch die obigen Zahlen nur diejenigen Unternehmungen umfassen, die nach 1898 noch existierten, und dann auch nicht die vollständige Zahl aller Unter-

^) Vgl. den Prospekt vom 8. Dezember 1899, S. 3.

*) Vgl. den Prospekt, aus dem ich diese Angaben berechnet habe.

245

nehmungen darstellen, so deuten sie doch an, wie langsam sich in den letzten Jahrzehnten eine Vermehrung von Unternehmungen in der Kalikoindustrie vollzogen haben muß.

War durch diese Tatsachen der Konzentration, durch das Übrigbleiben einer sehr kleinen Zahl leistungsfähigster Unter- nehmungen, der Zusammenschluß der Mehrzahl der vorhandenen Werke erleichtert, so bedeutet andererseits heute der Kalikotrust eine Effizienzkombination, mit deren Leistungsfähigkeit ein Einzelbetrieb, selbst wenn dieser eine technisch zweckmäßige Betriebsgröße darstellte, nur schwierig wetteifern könnte. Die Kosten, neue Erfindungen und Entdeckungen anzukaufen und sich die besten Zeichner und Stecher zu sichern, sind für die Einzelunternehmung enorm hoch. Der Trust dagegen, welcher all dies zu Gunsten einer großen Reihe von Betrieben gleich- zeitig vornehmen kann, ist in der Lage, diesen in der Kaliko- druckerei so wichtigen Anforderungen unter dem geringstmög- lichen Aufwände zu genügen.

Nach außen hin steht die britische Kalikoindustrie als eine der größten Exportbranchen der Textilindustrie durchaus gefestigt da. Sie ist bestimmend für die Preise des Weltmarktes und hat, insbesondere da wo es sich um spezifisch britische Qualitäten handelt, einen monopolistischen Stand auf dem Inlandsmarkte. Auch unter der Trustregie ist der Export fortgeschritten. Es wurden in den Jahren 1897—1899 durchschnittfich ca. 800000 bis lÖOOOOOyard gedruckte Baumwollwaren exportiert, in den Jahren 1905—1907: 1000000 bis 1200000. Bemerkenswert aber ist hier- bei die beträchtliche Preissteigerung, welche der Exportwert be- druckter Baumwollgewebe seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durchgemacht haben. Wir wollen hier zusammenfassend die Exportpreise derjenigen Baumwollfabrikate betrachten, bei denen eine Vertrustung vorliegt: also die Exportpreise der gebleichten, gefärbten und bedruckten Stückwaren und diese vergleichen: 1. mit dem Einfuhrpreis von Baumwolle und 2. mit dem Export- preis gewöhnlichen Baumwollgarnes. So betrug:

Importpreis von Ausfuhrpreis von Ausfuhrpreis von

Jahr Baumwolle Baumwollgarn Baumwollstückwaren pro yard

pro Ib.

pro Ib.

gebleicht

gefärbt

bedruckt

d

d

d

d

d

1895

4,16

8,46

2,21

3,30

2,53

1896

4,96

9,48

2,31

3,36

2,58

1897

4,48

9,06

2,26

3,39

2,60

1898

3,85

8,34

2,20

3,18

2,49

246

Jahr

Importpreis von Baumwolle

Ausfuhrpreis von Baumwollgarn

Ausfuhrpreis von Baumwollstückwaren pro

yard

pro Ib.

pro Ib.

gebleicht

gefärbt

bedruckt

d

d

d

d

d

1899

4,80

8,77

2,21

3,16

2,43

1900

5,59

11,61

2,43

3,54

2,64

1901

5,51

11,15

2,46

3,57

2,73

1902

5,44

10,49

2.46

3.46

2,68

1903

6,00

11,74

2,54

3,54

2.74

1904

6,71

13,12

2,63

3,84

2,91

1905

5,68

11,99

2,67

3,78

2,86

1906

6,67

13,88

2,81

4,02

3,00

1907

7,08

15,21

2,89

4,35

3,15

Da wir nicht wissen, wie viel die Kosten des Rohmaterials für das fertige Produkt ausmachen, so kann aus diesen Ziffern auch natürlich nicht berechnet werden, ob die Erhöhung der Fabrikatspreise durch die Erhöhung der Rohmaterialpreise voll gerechtfertigt war oder nicht. Das freilich kann festgestellt werden : daß eine Erhöhung der Preise für gebleichte, gefärbte und be- druckte Waren sich zunächst schon als bloßes Ergebnis der außer- ordentlichen Preishausse von Baumwolle erklärt. Ob die Trusts mehr als eine der Erhöhung der Baumwollpreise entsprechende Preissteigerung vorgenommen haben, bleibt im allgemeinen un- geklärt. Eigentümlich freilich ist es, daß z. B. der Ausfuhrpreis gebleichter Baumwollstückwaren, der bis 1900 in Übereinstimmung mit den Baumwollpreisen und Garnexportwerten auf- und ab- schwankt, seit jenem Jahre, in welchem der Trust zu Stande kam, ununterbrochen und ohne Übereinstimmung mit den Schwankungen der Rohstoffpreise gestiegen ist. Aber ein eigentliches Urteil über die Preispolitik dieses Trusts wird man erst fällen können, wenn eine Reihe von Jahren verflossen ist : vor allem wird sich, wenn die Preise der Rohstoffe wieder herabgehen, feststellen lassen, ob die Preise der von ihnen abhängigen Fabrikate einen Tief- stand erreichen, der den Zeiten des freien Wettbewerbs entspricht oder ob die Monopolvereinigungen dann an höheren Preisen fest- halten können.

11. Der Lokomotivtrust.

Die Monopolstellung der Textilindustrie auf dem heimischen Markt liegt, wie wir sehen, augenscheinlich in der Vorzüglichkeit ihrer Produkte und deren vergleichsweise billiger Herstellung.

247

Manche Erzeugnisse der britischen Industrie genießen diese Stellung zuweilen dadurch, daß der britische Bedarf Eigentümlichkeiten aufweist, auf welche sich die Exportindustrie anderer Länder, wenn sie mit starker Standardisierung arbeitet, nicht einstellen kann. So steht es beim Lokomotivbau. Einige amerikanische Loko- motiven haben einmal in Großbritannien Absatz gefunden, aber bei den britischen Verkehrsverhältnissen war es nicht möglich, dieselben, nach amerikanischer Art, voll auszunutzen und der Versuch einer Einfuhr ist nicht wiederholt worden.^) Die spe- ziellen Anforderungen, welche die Ingenieure der abnehmenden Gesellschaften an die Beschaffenheit der Lokomotiven stellen, lassen, zu Ungunsten der Fabriken, eine regelrechte Standardi- sierung nicht aufkommen^), aber sie erschweren auch zugleich den Wettbewerb fremder Länder in England. Deshalb sind, wie die Sachverständigen vor der Tarifkommission bekundeten, nur in ganz exzeptionellen Fällen fremdländische Lokomotiven für englischen Gebrauch eingeführt worden, und es ist daher auch von den Vertretern der Industrie jedweder Zollschutz für den heimischen Markt abgelehnt worden.

Die Zahl der Lokomotivwerke, welche in dieser Weise den heimischen Bedarf monopolistisch versorgen, betrug im Jahre 1908 nur 1 1 ; hierbei ist freilich zu bedenken, daß eine Reihe von Fabriken an Eisenbahngesellschaften angegliedert sind, so daß den elf Werken nur ein Teil des Bedarfs zufiel. Drei Unter- nehmungen waren im Jahre 1903 zu der North British Loco- motive Cy. verschmolzen worden. Von den 20 840 Arbeitern, die in allen hier in Betracht kommenden Lokomotivwerken im Jahre 1908 beschäftigt wurden, repräsentierte diese Gesellschaft allein 7 192; fünf andere Werke beschäftigten ca. 11000 Mann, so daß jene sechs Firmen fast die Gesamtproduktion an Loko- motiven darstellten.^)

Die North British Locomotive Company stellt jedenfalls eine dominierende Vereinigung dar, der man in Amerika das Prädikat „Trust" nicht absprechen würde. Der Vertreter derselben vor der Tarifkommission konnte auch nicht umhin, bei der Erörterung des Trustproblems an jene Fusion zu erinnern, die er freilich lediglich als das Mittel zur Erzielung von Ersparnissen im Be- trieb hinstellte. Hier, wo es sich um Einzelaufträge handelt,

^) Vgl. Lawson, American Industrial Problems. London 1903.

^) Vgl. Tariff Commission Report, Vol. 4, London 1909, § 581 und 594.

') Vgl. Economist, 20. Februar 1909, S. 34.

248

wäre es ja besonders schwierig, die Ausschaltung des Wettbe- werbs an der Preisbildung zu messen, und noch drückt die, wenn auch geringe, Zahl der Outsiders die Machtstellung des Trusts in der Preispolitik herab.

12. Der Whisky-Trust.

Auch beim Whisky handelt es sich um ein Produkt, das durch bestimmte Qualitätseigentümlichkeiten eine monopolistische Stellung auf dem heimischen Markte genießt, Whisky ist ein „Nationalgetränk", und zugleich ein bedeutender Exportartikel, der von fremder Konkurrenz nicht bedroht ist.

Langsam aber stetig hat sich die Konzentration der Unter- nehmungen in der britischen Whiskybrennerei vollzogen. Die heute zum Trust herangereifte „Distillers Company Limited", die wir schon bei Erörterung des Industriespiritussyndikats kennen lernten, entstand bereits im Jahre 1877 aus einer Fusion von sechs schottischen Firmen. In den Jahren 1902 und 1903 kaufte sie 3 andere Brennereien auf und erwarb einen 50 "/^ igen Anteil in der wichtigsten irischen Brennerei.^) Im Jahre 1907 gliederte sie sich durch Kauf die große, ein Aktienkapital von 376 000 £ repräsentierende Vauxhali Distillery Company an. Sie besaß damit 17 Brennereien in England, Schottland und Irland.^) In dem wichtigsten Brennereidistrikt, in Schottland, hatte sie nur- mehr mit 2 Unternehmungen zu konkurrieren, und dieser Zustand führte nach kurzer Zeit zu einer Verständigung über eine gemein- same Preispolitik.^) Diese äußerte sich in einer Erhöhung der Preise, die von dem Scotch Combine wie er kurz genannt wird schon im Herbst 1907 vorgenommen wurde. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß sich der Korrespondent des einschlägigen Fachblattes über diese Preiserhöhung folgendermaßen äußerte*); „Die Preissteigerung von 2 d pro Gallone für neuen Whisky war im vorigen Monat sensationell genug, aber es scheint die Sache damit noch nicht erledigt zu sein und man erzählt sich, daß die Brennereien über eine weitere Erhöhung von 1 d pro Gallone nachdenken. Eines ist dabei sicher: Daß die Brenner ebenso leicht die Preise um einen weiteren penny er-

^) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 241,

^) Vgl. Times Commercial and Financial Supplement, 4. Okt. 1907, S. 4.

*) Vgl. Kartellrundschau, 1907, S. 670.

*) Vgl. Ridley's a. a. O., S. 818.

249

höhen können als sie sie im letzten Monate um 2 pence erhöht haben. Die Käufer werden die Preise zu bezahlen haben und versuchen müssen, sie auf ihre Kunden abzuwälzen." Die Distillers Company scheint damit erreicht zu haben, was sie durch planmäßige Vertrustungspolitik seit Jahrzehnten erstrebte. Voraussetzung für die Verwirklichung dieser Politik war aber auch hier, daß aus technischen Gründen die Zahl der Unternehmungen in dieser bedeutenden Industrie so gering war, daß ihr mit der Verschmelzung von 17 Firmen eine „dominating Position" über die gesamte Getreide-Whiskyproduktion Groß- britanniens gesichert war.

13. Britisches und internationales Schienenkartell.

Neuerdings haben die Voraussetzungen monopolistischer Organisation in der britischen Industrie eine Unterstützung er- fahren, die eine starke Weiterentwicklung der Kartellierung und Vertrustung in Aussicht stellt. Diese Unterstützung liegt darin, daß Industrien, welche bisher dem ausländischen Wettbewerb ausgesetzt waren, durch internationale Vereinbarungen einen Schutz vor demselben erzielen können. Hier liegt dann eine Möglichkeit vor, den britischen Markt trotz des Freihandels dem britischen Produzenten zu sichern, ohne daß derselbe durch die Billigkeit oder Vorzüglichkeit seiner Produktion dem Aus- lande überlegen erscheint. Aber auch hier war vorläufig die primäre Voraussetzung, daß die Konzentrationsbewegung in Großbritannien die Ausschaltung des Wettbewerbs unter den heimischen Produzenten ermöglichte und daß sich ebenso im Auslande kompakte Vereinigungen monopolistischer Art gebildet hatten, mit denen der Abschluß internationaler Verabredungen erreicht werden konnte.

Diese Voraussetzung war vor allem schon frühzeitig in der Schienenfabrikation gegeben. In diesem Zweige der schweren Eisenindustrie hatte sich schneller als irgendwo anders der Riesenbetrieb herausgebildet, nur relativ wenige Unternehmungen übrig gelassen und damit deren Zusammenschluß in den Haupt- produktionsländern begünstigt. Zu Anfang der 80 er Jahre be- standen in Großbritannien 18 20 Firmen, welche schwere Schienen walzten.^) Im Jahre 1906 gab es nach den Angaben von Ryland

1) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 63.

250

nurmehr 9 Firmen in diesem Produktionszweige^), während die Produktion ungefähr die gleiche geblieben ist. Eine ähnliche Konzentrationsentwicklung, die am stärksten heute in den Ver- einigten Staaten ausgeprägt ist 2), findet sich in allen Schienen produzierenden Ländern vor.

Schon im Jahre 1883 schlössen sich die britischen Unter- nehmungen mit Deutschland und Belgien zum internationalen Schienensyndikat zusammen.^) Dieses Syndikat erlebte häufig Unterbrechungen, wurde aber in neuerer Zeit immer mehr zu einer dauernden, den internationalen Schienenmarkt regulierenden Institution. Im Jahre 1905 zählten die amerikanische Union, Großbritannien, Deutschland, Belgien und Frankreich zu seinen Mitgliedern. Im Mai 1907 wurde der Syndikats vertrag auf 5 Jahre erneuert. Später trat auch Rußland der Vereinbarung bei.^)

Großbritannien, welches mit allen Werken, bis auf eines, der- selben angehört, genießt durch den Vertrag völlige Sicherheit vor der Konkurrenz seiner bedeutendsten ausländischen Wett- bewerber. Der heimische Markt bleibt durch den Kartellvertrag den inländischen Werken überlassen. Gleichzeitig findet eine Ver- teilung der Exportgebiete statt, welche jedes Mitglied des Syn- dikats als unbestrittene Gebiete aufsuchen kann. Dieser Zustand muß naturgemäß die Preisbildung in Großbritannien wesentlich beeinflussen. Als im Jahre 1907 Stahlschienen in England auf 6 £ 15 sh bis 7 £ stiegen, während sie drei Jahre zuvor 4 5 £ gekostet hatten, und gleichzeitig der amerikanische Inlandspreis nur ca. 5 £ 12 sh betrug, da kam es manchem Engländer zum Bewußtsein^), daß der englische Preis trotz des Freihandels nicht mehr durch das Angebot der anderen Exportstaaten bestimmt werde. Denn obschon die Preisverhältnisse doch augenschein- lich für den Export amerikanischer Stahlschienen nach England günstig lagen, und aus der Union in der Tat im Jahre 1907 be- trächtliche Mengen von Schienen exportiert wurden, gelangten keine amerikanischen Stahlschienen nach dem Vereinigten König-

*) Vgl. a. a. O., S. 791 793, es sind die Firmen: Ebbw Vale Cy, Moss Bay Hema- tite I. and St. Cy.; Barrow Hematite Steel Cy. ; Walter Scott; Bolckow, Vaughan and Co.; North Eastern Steel Cy. ; Steel, Peech and Tozer; Guest, Keen and Nettelfolds; Cammell, Laird and Co.

*) Die Union produziert in fünf Riesenunternehmungen über dreimal so viel Tonnen Schienen im Jahre wie Großbritannien.

*) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 64.

*) Vgl. Manchester Guardian, 6. III. 1909.

*) Vgl. Economist, 1907, S. 871.

251

reiche. Diese Entwicklung steht in scharfem Kontrast zu den Verhähnissen, wie sie 1900 und 1901 geherrscht haben. Auch damals war der englische Schienenpreis weit über den ameri- kanischen hinausgeeilt. Er betrug nach amerikanischer Währung in Großbritannien 36.01 $ im Jahresdurchschnitt von 1900 gegen- über nur 32,29 3 in den Vereinigten Staaten.^) Damals zeigte die amerikanische Exportstatistik eine wachsende und bisher un- gewohnte^) Schienenausfuhr nach Großbritannien. Dazu schrieb im November 1900 ein Fachblatt ^) : ,,Die britische Vereinigung von Schienenfabrikanten hat die Preise auf 7 £ bis 7 £ 5 sh pro Tonne gehalten. Aber die Amerikaner haben sie kürzlich unterboten, und jetzt haben die heimischen Fabrikanten ihre Bedingungen gelockert und den Mitgliedern erlaubt, die Preise sofort zu ermäßigen. Das ist alsbald befolgt worden, so daß einzelne Fabrikanten jetzt schon 6 £ netto für schwere Schie- nen angeben. Diese Preise werden den amerikanischen Wett- bewerb ausschließen.'* Im Jahre 1907 dagegen, als die Preis- spanne zwischen britischen und amerikanischen Schienen noch größer war als damals und die Union nach wie vor ca. 300 000 tons Schienen im Jahre ausführte, kam nur die belanglose Menge von 474 tons nach ganz Europa. Die Spuren des internationalen Syndikats, gegen dessen Abmachungen der Export nach dem Vereinigten Königreiche verstoßen hätte, zeigen sich also deutlich. Auf die Gestaltung des britischen Schienenpreises wird die Verteilung der Exportkontingente wesentlich einwirken.*) Fällt die Regelung des internationalen Absatzes so aus, daß die bri- tischen Produzenten einen großen Teil ihrer Produktion ausführen können, so ist eine Hochhaltung des heimischen Preises eher möglich, als w^enn fremde Orders anderen Staaten zugeteilt werden. Eine Festigung hat das Kartell, soweit Großbritannien in Frage kommt, neuerdings dadurch erhalten, daß durch die Gründung der Workington Iron and Steel Company im Jahre 1909 zwei wichtige Stahlschienenproduzenten zu einer Unternehmung ver- schmolzen worden sind. Während so die Ausschaltung der inneren Konkurrenz unter den Schienenproduzenten heute mehr als je gesichert erscheint, wird die Machtstellung des internationalen

^) Vgl. Report American Iron and Steel Association, 1906, S. 87. ^) Vgl. Exports of Manufactures, Washington 1903, S. 3615. Der Export betrug über 20 000 tons.

^) Vgl. Memoranda etc., S. 326.

*) Vgl. Iron and Goal Trades Review, i. Januar 1909, S. 17.

252

Verbandes durch das Auftreten canadischer Exporte vermindert, so lange man mit jenem Neuland der Stahlindustrie zu keiner Vereinbarung gelangt.

14. Der Sodatrust.

Die Eigentümlichkeit der britischen Soda - Herstellung ist heute: daß dieselbe noch zum größten Teile auf dem Wege des bei uns und in anderen Ländern mehr und mehr überwundenen Le Blanc- Verfahrens beruht. Die United Aleali Company, welche im Jahre 1 890 aus 48 Firmen gegründet wurde, von denen 3 Unternehmungen Salzwerke waren, kontrollierte damals nach ihren Angaben fast die gesamte Sodaherstellung nach dem Le Blanc-Prozeß. Sie hat später noch weitere chemische Fabriken, Salzwerke und Kupfergruben in Spanien erworben und stellt heute ein Kapital von fast 9 Milhonen £ dar.^)

Diesem Trust, der im Jahre 1890 ca. 90 o/^, aller Soda und Soda- erzeugnisse in Großbritannien kontrolliert haben soll, sind jedoch zwei Tatsachen verhängnisvoll geworden: einmal das Anwachsen der Sodaindustrie in anderen Ländern, insbesondere in Deutsch- land, nach dem Ammoniak verfahren, dessen größere Billigkeit un- bestritten ist, und zweitens die wachsende Bedeutung des Ammoniak- verfahrens in Großbritannien selbst. Hier ist heute vor allem die Firma von Brunner, Mond and Co., deren Kapital von 200 000 £ im Jahre 1881 auf 2 789 650 £ im Jahre 1906 ange- wachsen ist, der Konkurrent des Sodatrusts geworden.

Angesichts dieser Wettbewerbsverhältnisse schien eine inter- nationale Vereinbarung für den britischen Sodatrust wünschens- wert. Seit 1900 datieren die Anfänge derselben.^) Aber erst im Jahre 1906 kam eine Regelung der Preis- und Absatz Verhältnisse zu Stande, welche nicht wieder bei der ersten besten Gelegen- heit in Stücke ging. Heute scheint einerseits durch die Ab- machungen, welche zwischen dem englischen Trust und den kontinentalen Produzenten bestehen, und andererseits durch die enge Verbindung der Firma Brunner, Mond and Co. mit den Führern im deutschen Kartell, den deutschen Solvaywerken, der Friede besser gesichert als früher. '')

Sowohl die United Aleali Company wie Brunner, Mond stellen Unternehmungen dar, deren Betriebskosten durch die

*) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 187 191.

*) Vgl. Gothein, Deutscher Außenhandel. Berlin 1901, S. 711.

') Vgl. Grofimann, Bedeutung der chemischen Technik. Halle 1907, S. 34 und 35.

253

teilweise durchgeführte Kombination der Rohproduktion mit der Fertigfabrikation außerordentHch günstig erscheinen. Es sind aber demgemäß auch die Kosten für die Gründung neuer Konkur- renzwerke beträchthch gestiegen. Daß neue Le Blanc-Werke in Großbritannien entstehen, ist kaum zu erwarten, da der Le Blanc- prozeß sich dem Ammoniakverfahren nur noch in der Herstellung gewisser Nebenprodukte überlegen erweist.^) Daß der gut fun- dierten und vorzüglich geleiteten Ammoniakfirma Brunner, Mond and Co. ein gleich kapitalstarker Konkurrent erwächst, ist ebenfalls höchst unwahrscheinlich.

Schon Macrosty konstatierte, daß in den Jahren 1904 und 1905 nach dem Eintreten der internationalen Verständigung eine Festigung und Stetigung in den Preisen der schweren chemi- schen Produkte eingetreten sei. Wenn man diesen Zustand tat- sächlich als den Erfolg der internationalen Verabredung ansehen darf, so ist er auch im Jahre 1908 voll aufrecht erhalten worden.-)

15. Der Tabaktrust.

Ganz anders als in der Schienenherstellung und in der Soda- fabrikation ist die Entwicklung der internationalen Monopol- organisation in der Tabakindustrie vor sich gegangen. Der Kampf der beteiligten Interessen war hier bedeutend intensiver, ja man kann sagen, dramatischer, und der Abschluß desselben führte zu einer festeren Form der Organisation als dort: zum internatio- nalen Trust.

Die Entstehungsgeschichte dieses britisch -amerikanischen Trusts ist bereits von Macrosty für England, von M. Jacob- stein im Zusammenhang mit der Entwicklung des amerikani- schen Tabaktrusts ^) und neuerdings mit noch größerer Ausführ- lichkeit von einem amtlichen amerikanischen Berichte geschil- dert worden.*) Es genügt daher zunächst, die Resultate dieser Entwicklung wiederzugeben.

Auf Grund der Bestrebungen des amerikanischen Tabaktrusts, der American Tabacco Company, den englischen Markt durch

^) Vgl. H. Schultze, Chemische Industrie in Deutschland. Halle 1907, S. 45.

*) Economist, 20. Februar 1909; Commercial History, S. 22.

3) Vgl. M. Jacobstein, The Tobacco Industry in The United States. New York 1907, S. 113 115; Macrosty a. a. O., S. 235 ff.

*) Vgl. Report of the Commissioners of Corporations on the Tobacco Industry. Washington 1909, passim und i66 176.

254

Preisunterbietung zu erobern, hatten sich im Jahre 1901 13 große britische Firmen zu einer Abwehrorganisation, der Imperial Tobacco- Compan}', zusammengeschlossen. Sie repräsentierte zunächst ein Kapital von 11957 022 je und kaufte im Jahre 1902 noch weitere Firmen auf. Nach einem heftigen Preiskampfe dieser Gesellschaft mit den vom amerikanischen Trust angekauften und neuorganisierten Firmen, Ogdens Limited und der British Tobacco Company, kam es schließlich zu einer Einigung der beiden Parteien. Seit dem Jahre 1902 betreibt die Imperial Tobacco Cy., die mit Ogdens Limited verschmolzen wurde, das Geschäft in England, ungestört vom amerikanischen Trust.^) Dieser be- hielt sich dagegen ein unbestrittenes Gebiet in der Union vor. Eine dritte neugegründete Gesellschaft, die British American Tabacco Company, übernahm den Exporthandel, wobei die Impe- rial Vs der Aktien, der amerikanische Trust -/g erhielt und der englische Teil des Unternehmens 6, der amerikanische 12 Ver- treter ins Direktorium sendet. Das Ziel dieses gemeinsamen Unternehmens ist es bis jetzt gewesen, in verschiedenen großen Exportgebieten, in Australien, Kanada und Südafrika, eine Ver- trustung vorzunehmen und diese Zweigtrusts der britisch-ameri- kanischen Gesellschaft anzugliedern. Vielleicht, daß hier der amerikanische Trust zum Vorbild diente, der schon im Jahre 1902 in Kuba einen Zweigtrust, die Havanna Tobacco Company^) ge- gründet hatte.

So stellt sich also die monopolistische Organisation der britischen Tabakindustrie als die folgende dar: wie der ameri- kanische Tabaktrust in der Union, so hat der britische Tabak- trust im Vereinigten Königreiche ein unbestrittenes Absatzgebiet, während auf gewissen organisierten Auslandsmärkten der Wett- bewerb beider Trusts durch den gemeinsamen Repräsentanten, die British American Tobacco Compan}^ ebenfalls ausgeschaltet ist. Die Möglichkeit einer Vereitelung dieser Absatzverteilung durch dritte wurde bereits im Vertrage vom 27. September 1902 an- gedeutet und eine entsprechende Bestimmung im Absatz 18 des- selben getroffen, wo es hieß: „Keiner der Beteiligten soll irgend- welche Tabakfabrikate irgend einer Person, Firma oder Gesell- schaft verkaufen, von der sie glauben, daß diese dieselben nach einem Territorium exportieren werde, in welchem der Ver- käufer sich vertragsmäßig zum Nichtverkaufe verpflichtet hat."

») Vgl. Report a. a. O., S. 303—304. *) Vgl. Jacobstein, S. 112.

255

Nach einem mir zur Verfügung gestellten Diagramm, dem ich einige Ziffern beifüge, würde sich im Augenblick die Organi- sation folgendermaßen darstellen:

American Tobacco Cy. Imperial Tobacco

(loooooooo $ common und Company Limited

80000000 preferred Stock) (Aktienkapital 15496 154 £)

British American Tobacco Company (Kapital: 6 1 00 000 £)

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In den freigelassenen Rubriken liegt wohl eine unverkenn- bare Andeutung, daß sich den vorhandenen Zweigtrusts noch weitere anschließen sollen.

Für die Tabakindustriellen Großbritanniens bedeutete das Zustandekommen des Trusts die Ausschaltung eines ihrer größten, ja für viele Produkte geradezu einzigen fremden Konkurrenten. Die Eigentümlichkeit des britischen Verbrauchs von Tabak und Tabakfabrikaten hat seit langem die Union zu dem Versorger Großbritanniens mit Tabakblättern gemacht. Während Deutsch- land in der Zeit von 1895—1905 nur ca. 17"/o seines Gesamt-

256

Importes aus der Union bezog, die Mehrheit desselben aus Ost- indien, Brasilien und Cuba, bezog Großbritannien 83 "/o seiner Tabakblätter jährlich aus Nordamerika. Mit der wachsenden Ausdehnung und Verbilligung, welche die Tabakfabrikation in der Union erzielte, mußte der Export gewisser Fabrikate nach Großbritannien unaufhörlich anwachsen. Im Jahre 1902 repräsen- tierte die Ausfuhr von Tabakfabrikaten nach Großbritannien noch 1403482$; im Jahre 1906 war sie auf 333584$ gesunken, ob- schon die Gesamtausfuhr von Tabakfabrikaten aus der Union keine Abnahme zeigte. ^) Diese Tatsache läßt deutlich den Ein- fluß der gemeinsamen Verständigung erkennen.

Auch für das Zustandekommen dieser internationalen Mono- polorganisation war das Entscheidende: daß in beiden Ländern die Produktion einen stark konzentrierten Charakter trug. In der Union kontrollierte der Trust folgende Prozente der Produktion^): von: 1891 1902

Zigaretten und kleine Zigarren 88,9 82,8

Rauch-, Kau- und Schnupftabak 7,1 70,2

Plug-Tabak 2,7 71,2

Feingeschnittener Tabak 4,1 73,7

Zigarren 14,3

Wie man erkennt, war seine Stellung seit dem Beginn der 90 er Jahre, wo er nur in einer Branche dominierte, außerordent- lich erstarkt. Sie ermöglichte ihm die Attacke auf den britischen Markt, sie ermöglichte aber auch andererseits den friedlichen Abschluß eines Vertrages mit den Konkurrenten, der bei einer Zersplitterung der amerikanischen Produktion auf viele Unter- nehmungen undenkbar gewesen wäre.

In Großbritannien wiederum hatte nicht minder eine Kon- zentration der Unternehmungen stattgefunden. Die Tatsache, daß im Jahre 1904 die Imperial Tobacco Company, welche damals 18 Unternehmungen umfaßte^), über 50"/o der gesamten Pro- duktion darstellte-*), spricht für diese Konzentrationsbewegung. Von der gesamten Kaufsumme, die im Jahre 1902 für die 13 in der Imperial verschmolzenen Firmen bezahlt wurde, fiel über die Hälfte, nämlich nicht weniger als 6992221 £ auf die eine

*) Vgl. Exports of Manufactures, Washington 1907, S. 41 und 29. *) Vgl. Report on American Tobacco Industry, 1909, passim. ^) Angabe des mir vorliegenden Berichtes. *) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 237.

257

Riesenunternehmung von W. D. and H. O. Wills in Bristol. Die heutigen Outsiders sind zum Teil bedeutende Firmen: wie R. and J. Hill oder Gallaher, aber gerade die Jahre nach der Trust- gründung haben gezeigt, daß auch die Outsiders sich gegenüber dem Trust nur durch das Mittel der Fusion und der Bildung größerer Unternehmungseinheiten halten können. ^) Diese Ent- wicklung muß aber wiederum im Laufe der Zeit zu Verein- barungen zwischen ihnen und dem Trust, ja vielleicht zu einer Erweiterung des Trustunternehmens führen.

Maßgebend ist einmal für die Konzentration der Unter- nehmungen in der Tabakfabrikation gewesen: die neuerdings be- deutend gesteigerte Anwendungsmöglichkeit von Maschinen, „Wo es immer möglich war," so schreibt der amerikanische Bericht-), „ist die Maschinerie an die Stelle der Handarbeit getreten, und der größte Erfolg der Monopolvereinigung hat sich da gezeigt, wo die Anwendung von Maschinen am stärksten möglich war. In der Herstellung von kleinen Zigarren und Zigaretten, bei der fast alles von Maschinen besorgt wird, bildete sich das Monopol eher und sicherer als in irgend einem anderen Zweige, vom Schnupftabak abgesehen." Bei den Zigarren, wo die Handarbeit noch am bedeutendsten ist, war das Monopol am unvollständigsten.

Daß diese Tatsachen auch in England für die Konzentrations- bewegung bestimmend waren wenn auch die monopolistische Ausnützung der Patente nicht die Rolle spielte wie in der Union ist nicht zu bezweifeln. Weiter nahm, in dem Maße wie die Massenproduktion pro Betrieb steigerungsfähig wurde, auch die Notwendigkeit zu, den Massenvertrieb in jeder Weise zu be- fördern, und hier wurde die Reklame zu dem Mittel, mit dem jede Großunternehmung für ihre Produkte den Charakter der Massenkonsumartikel zu erobern suchte. Wie die Umwälzungen vor sich gingen, schilderte jüngst der Direktor der oben ge- nannten großen Firma Hill: Mr. Archer. Er erklärte^): „Als er zuerst, vor 35 Jahren, im Geschäft gewesen wäre, habe der W^ett- bewerb zwischen den Fabrikanten darin bestanden, wer die beste Ware zum billigsten Preise liefern könne. Damals wären be- deutende Erfahrungen und praktische Kenntnisse zum Erfolge notwendig gewesen. Alles dies sei jetzt gänzlich verändert. Jetzt

•) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 237.

*) Vgl. Report on Tobacco Industry, 1909, S. 266.

') Vgl. Financial News, 5. März 1909.

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 1'

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habe sich der Wettbewerb in die Frage aufgelöst, wer das meiste Geld für Reklame ausgeben könne.''

In beiden Tatsachen im Ankauf neuer Maschinen und in der Reklame hat die Imperial Company infolge ihrer Kapital- kraft ein bedeutendes Übergewicht vor kleineren Outsiders. Es kommt noch hinzu, daß der englische Trust eine eigene Einkaufs- gesellschaft in Kentucky gegründet hat, die Imperial Tobacco Company of Kentucky, um sich durch sie billiger mit Rohmaterial zu versorgen als durch den Zwischenhandel.^) Wie der ameri- kanische Trust und die Regieagenten verschiedener Länder bisher durch ihre Bedeutung als Abnehmer im Großen einen wesent- lichen Einfluß auf die Preisbildung des Rohmaterials geübt haben ^), so ist nun auch der englische Trust in die Reihe der- jenigen eingerückt, welche von den Tabakfarmern relativ gün- stigere Einkaufsbedingungen erzielen als kleinere Einzelfirmen.

Diese Vorzugsstellung der Imperial gegenüber ihren Outsiders wird in neuester Zeit noch dadurch erhöht, daß sich Monopol- organisationen auch der Tabakpflanzer in den Vereinigten Staaten gebildet haben. So haben sich im Westen von Kentucky und Tennessee die Pflanzer von schwarzem Tabak, der hauptsächlich nach Großbritannien abgesetzt wird, zusammengeschlossen, und die Pflanzer von Burley-Tabak in Kentucky und Ohio sind ihnen gefolgt. 3) Es ist wohl das erste Mal, daß die Monopolbewegung auf die landwirtschaftliche Produktion übergreift, und nur mit äußerer Gewalt, zum Teil mit Verprügelung renitenter Farmer, haben die „night riders" den Zusammenschluß zu Stande ge- bracht.*) Die Folge war jedenfalls ein außerordentliches Steigen der Rohmaterialpreise, welche zuvor der amerikanische Trust herabzudrücken versucht hatte. Guter Burley-Tabak, der im Jahre 1902 (Oktober) noch 7,5—8.5 S pro 100 Ibs gekostet hatte, stieg im Herbste 1907 auf 10—12 S-^) Bei dieser Sachlage hatte sowohl der amerikanische wie der englische Trust, die ja keinen Grund zu gegenseitiger Konkurrenz haben, einen bedeutend vorteilhafteren Stand als die Outsiders. Monopolorganisation stand gegen Monopolorganisation. Es hat in der letzten Zeit auch tatsächlich den Anschein gehabt, als ob die Trusts durch

^) Vgl. Report on Tobacco Industry a. a. O., S. 172.

*) Vgl. Jacobstein, S. 169 170.

') Vgl. Report on Tobacco Industry a. a. O., S. 47 und 46.

*J Vgl. Tobacco (Fachblatt), i. Sept. 1908, S. 5off. ; Economist, 5. Dezember 1908.

») Vgl. Tobacco, i. Sept. 1908, S. 50—51.

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Übernahme des überwiegenden Teils der dem Farmerbunde zur Verfügung stehenden Ernte versucht haben, den Wettbewerbern in der Weiterverarbeitung Schwierigkeiten zu bereiten.^) Eine dauernde Einigung zwischen den Trusts und den Regieagenten mit den Farm er verbänden, die ja nur als Abwehrorganisation gegen diese entstanden sind, würde jedenfalls die Stellung der Trusts wesentlich gegenüber ihren Outsiders verstärken.

Über die PreispoHtik des englischen Tabaktrusts läßt sich nur Weniges sagen. Daß der Einfluß desselben auf die Preisbil- dung bedeutend sein muß, kann keinem Zweifel unterliegen, aber die schwierige Frage der Rohmaterialversorgung läßt diesen Einfluß nicht genau erkennen. Eigentümlich berührt es, daß der Vor- sitzende des Trusts in einer jüngst abgehaltenen Sitzung die Preispolitik desselben gewissermaßen als eine Rettung für die Outsiders hinzustellen suchte, indem er meinte: „Die Gesellschaft habe ein liberales Empfinden gezeigt und den Wunsch ge- habt, die Preise zu erhöhen, damit andere Leute (!) nicht sagen könnten, die Gesellschaft drücke die Preise und erzwinge Ver- käufe, die teilweise einfach ruinös sein würden," ^) Diese „Tugend- haftigkeit" des Trusts mutet etwas zweifelhaft an, zumal da sie die Abwehr des Vorsitzenden gegenüber einer ihm anscheinend recht beschwerlichen Angriffsmöglichkeit sein sollte.

Mit der Möglichkeit, durch internationale Abmachungen einen unbestrittenen Markt im Inland zu erhalten, ist der Monopol- organisation in Großbritannien eine neue „Chance" eröffnet worden. Es handelt sich um die modernste aller Voraussetzungen der Kartell- und Trustbildung und damit auch um die letzte, welche an dieser Stelle näher darzulegen gewesen ist. Wir sind zu einem gewissen Abschluß in unseren Ausführungen ge- langt. Denn unsere ganze bisherige Betrachtung sollte dazu dienen, die Vorbedingungen klar zu stellen, unter denen heute die Entstehung großindustrieller Monopole in Großbritannien mög- lich wird. Die Entwicklungsgeschichte der wichtigsten und bisher dauerhaftesten Syndikate, Kartelle und Trusts hat uns hierfür als Grundlage gedient. Demgegenüber haben wir davon Abstand genommen, Vereinigungen zu erörtern, deren mono-

1) Vgl. Tobacco, i. Januar 1908.

*) Vgl. Economist, 20. Februar 1909, S. 404.

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polistischer Charakter noch wenig ausgeprägt oder deren Dauer- haftio-keit noch zu bezweifeln ist. Es kam eben nicht darauf an, ein vollständiges Bild der bisherigen Monopolbildungen zu geben oder diese der Zahl nach zu erschöpfen, als vielmehr auf Grund der hervorragendsten Beispiele Anhaltspunkte für die Um- stände zu gewinnen, welche heute die Sphäre einer monopolisti- schen Organisation für die britische Großindustrie bestimmen, nachdem diese so lange durch das ausschließliche Wirken des freien Wettbewerbes charakterisiert worden ist.

Ehe wir systematisch die Ergebnisse dieser Darlegungen zusammenfassen, müssen wir einer weiteren Frage gedenken.

Für den kapitalistischen Erfolg einer monopolistischen Ver- einio-ung ist eine mehr oder minder ausgeprägte Kontrolle über die Produktion wohl die wesentlichste Vorbedingung, aber nicht aus- schheßlich bestimmend. Denn mit der Tatsache einer Monopolisier- barkeit der Produktion durch das Zusammenwirken oder den Zu- sammenschluß verschiedener Unternehmungen ist noch nichts darüber gesagt, in welcher Weise dieser Zustand von der neuen Ver- einigung ausgebeutet, in welcher Weise die Machtfülle ausgeübt werden soll. Der ganze organisatorische Aufbau und Apparat der monopolistischen Vereinigung spricht hierbei entschieden mit: zunächst die Form der Monopolorganisation, die Art der Verwaltung, die Zahl, Zusammensetzung und Beschaffen- heit der beteiligten Persönlichkeiten, die Verteilung von Absatz und Produktion auf die einzelnen Glieder der Vereinigung und die finanzielle Ausgestaltung des Unter- nehmens. Für die Entwicklung der britischen Trusts sind bis- her zwei Organisationsprobleme von hervorragender Bedeutung gewesen: erstens die Notwendigkeit einer Zentralisierung der Verwaltung und zweitens die Schaffung einer gesunden finanziellen Grundlage. Von beiden soll noch kurz die Rede sein.

4. Organisationsfragen.

Die Betrachtung der wichtigsten britischen Monopolver- einigungen zeigt, daß alle uns aus der Erfahrung anderer Länder geläufigen Formen der Monopolorganisation auch in Groß- britannien vorzufinden sind. Von den losen Formen zeitlich nicht begrenzter Verabredungen, von den schon gefestigteren Formen des Vertrages, der auf bestimmte Zeit geschlossen wird,

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von dem wiederum enger geschnürten Kartell mit gemeinsamer Absatzstelle und Produktionsregulierung, bewegt sich die Ent- wicklung fort zu der Verschmelzung aller dem Monopolgedanken zugänglichen Unternehmungen in einer einzigen Unternehmung. Diese gelangt wiederum vielleicht mit einzelnen wichtigen Außenseitern zunächst zu neuen Syndikats- oder Kartellver- trägen. Jede dieser einzelnen Formen in der hier genannten Skala zeichnet sich vor der vorhergehenden dadurch aus, daß sie eine größere Anzahl von Funktionen, welche zunächst das Einzelunternehmen ausübte, seiner Kontrolle entzieht und der gemeinsamen monopolistischen Regelung unterwirft, bis schließ- lich bei der horizontalen Betriebskombination monopolistischer Art alle Funktionen auf die neue Unternehmung, den Trust, über- gehen. Wir sind nun im allgemeinen auf Grund unserer deut- schen Erfahrungen gewohnt, in den Verbänden der selbständigen Unternehmer kompliziertere organisatorische Probleme zu finden als in den Fusionen und Betriebskombinationen. Wenn einmal die Sonderinteressen zu einer Unternehmung zusammenge- schlossen sind, erscheint die Regelung der Verwaltung weit ein- facher, als zu der Zeit, in welcher Kontingentierungsfragen, Fragen des Selbstverbrauches, Fragen der gemeinsamen Verkaufs- stelle usw. ständige Schwierigkeiten für die Verbandsleitung be- deuten. Auch in Großbritannien ist die alte Newcastle Vend, die doch ein bloßer Verband war, eine weit kompliziertere Organisationsform des Monopols gewesen als irgend eine der modernen Monopole der britischen Großindustrie.

Und doch sind es in der Gegenwart nicht die Kartelle und Syndikate, welche in Großbritannien die schwierigsten Organisationsfragen aufweisen, sondern die Trusts. Während in Deutschland die Verbände gewöhnlich eine große Reihe von Unternehmungen umfassen, die erst auf dem Wege allmählicher Vertrustung zusammenschmelzen, weisen in England die Ver- bände in der Regel nur wenige Mitglieder auf. In Großbritannien ist ja, wie wir an vielen Beispielen sahen, die Möglichkeit einer monopolistischen Preiserhöhung viel geringer als in Ländern, in denen Rohproduktion mit natürlichem Monopolcharakter oder Schutzzölle oder Frachtenschutz die Monopolorganisation be- sonders verlockend erscheinen lassen. Wo sich also in Groß- britannien, sagen wir 30, 40, 50 oder mehr Interessenten in einer Industrie vorfinden, da wird sich der Zusammenschluß in einem Verbände relativ schwer durchführen lassen; schwerer jedenfalls

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als in Ländern, in denen, der Monopolgewinn für jeden einzelnen sehr hoch erscheint und ihm gegenüber alle Bedenken bezüglich der Aufgabe der selbständigen Unternehmerfunktionen verschwinden. Man wird daher in solchen Fällen, d. h. bei einer Vielheit von Unternehmungen, in Großbritannien zur Vertrustung' schreiten müssen, wie es z. B. in der Textilindustrie, in der Salzgewinnung, der Sodaindustrie oder in der Portlandzementfabrikation der Fall gewesen ist. Da hingegen, wo nur ganz wenige Unter- nehmungen bestehen, wo die Zahl der einer Monopolbildung entgegenstehenden Sonderinteressen sehr gering ist, läßt sich in Großbritannien, selbst bei der Aussicht relativ kleiner Monopol- gewinne, mit einem bloßen Verbände die Monopolorganisation erzielen. Daher ließen sich in der Stahlindustrie, besonders in der Schiffsblech- und Kesselblechherstellung und in der Schienen- produktion, ferner z. B. in der Brennspiritusindustrie und der Kabelfabrikation durch bloße Syndikate und Kartelle feste Mo- nopolorganisationen schaffen.

Wenn nun die britischen Syndikate und Kartelle nur eine sehr geringe Zahl von Mitgliedern umfassen, die noch dazu in der Regel Unternehmungen gleicher Potenz darstellen, so bietet die organisatorische Regelung des Monopols hier wesentlich ge- ringere Schwierigkeiten, als es bei den kontinentalen Kartellen der Fall ist, welche reine und gemischte Werke und Werke von ungleicher ökonomischer und finanzieller Leistungsfähigkeit in sich schließen. Dagegen sind die organisatorischen Fragen bei den Trusts, die in verschiedenen Fällen eine Verschmelzung zahlreicher Unternehmungen mit verschiedensten Existenz- bedingungen vornehmen müssen, vielfach bedeutend komplizierter gewesen.

So vor allem bei den vielleicht wichtigsten der britischen Trusts: bei den Textilmonopolen. Für diese war es nämlich charakteristisch, daß bei der Gründung des Trusts zunächst jede Einzelfirma, als Zweig^unternehmunor des Trusts, ein kroßes Maß von Selbständigkeit sich vorbehalten konnte.

Bei der Gründung der English Sewing Cotton Company sollte jedes der einzelnen Geschäfte seine Individualität behalten. Je ein Partner oder Direktor der alten Firma sollte für seinen Ge- schäftszweig verantwortlich bleiben und zugleich im Direktorium der ganzen Unternehmung, des Trusts, mitwirken. Die ganze Organisation stand in starkem Gegensatz zu der Unternehmung von Coats, die ein zentralistisch organisiertes Gebilde darstellte.

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und die zunächst geringe Prosperität der Sewing Cotton gegen- über Coats erklärte sich nicht zuletzt aus dieser zersplitterten Organisation des großen Unternehmens. Erst als die Sewing Cotton durch eine Neuorganisation, wie sie mit Hilfe des großen Textilorganisators Philippi, einem Mitgliede der Firma Coats, vorgenommen wurde, eine zentrale Leitung und eine allen Werken gemeinsame Absatzstelle erhielt, wurde der Mißstand behoben, daß die Leiter jeder Einzelfirma ohne Rücksicht auf das Ganze darauflosgewirtschaftet hatten. Ebenso war es bei dem Bleicher- trust von Manchester. „Jede Firma", so hatte der Prospekt erklärt, „wird weiterhin persönlich mit ihren eigenen Kunden verhandeln". Die Eigentümer der. einzelnen Firmen sollten nach wie vor ihren Werken vorstehen und sogar eine Tantieme an den Überschüssen erhalten. Am zersplittertsten aber von allen Textiltrusts mußte der Kalikotrust erscheinen. Hier war zunächst ein Direktoren- körper vorhanden, der den Aktionären verantwortlich war und 70 80 Persönlichkeiten umfaßte. Dann kamen die 128 „Ver- käufer" der 46 Firmen, die jede das Recht erhielten, fünf Jahre lang ihre Fabriken unabhängig von den leitenden Direktoren (managing directors) zu führen, und schließlich eine Anzahl von leitenden Direktoren selbst. Obschon die Association eine finanzielle Verschmelzung aller Unternehmungen darstellte, glich sie in ihrer inneren Verfassung weit mehr einem schlecht organi- sierten Kartell als einem einheitlichen Trustgebilde.

Wollte man das Argument von der ,, individuellen" Unter- nehmerpsychologie der Briten verfechten, so könnte man viel- leicht auf den Gedanken kommen, dieses selbst nach der Ver- trustung noch lebendige Festhalten an individuellen Unternehmer- funktionen als einen weiteren Beweis für diese Psyche hinzustellen. Allein dies wäre eine verfehlte Interpretierung. Denn die eigen- tümliche Organisation der Textilvereinigungen erklärt sich ja einfach daraus, daß man ein gewisses Renommee, welches einzelne Firmen genossen, nicht dadurch zerstören wollte, daß man ihnen ihr äußeres Gepräge nahm, daß man die Persönlichkeiten, welche mit den speziellen Wünschen ihrer Kunden Bescheid wußten, dem Trust erhalten wollte und daß man vielfach, wohl auch um den Auskauf zu erleichtern, den Eigentümern noch einen be- sonderen Anteil an den kommenden Profiten ihrer früheren Werke durch Tantiemen zusicherte. Die Dezentralisierung war somit lediglich der Ausdruck dafür, daß es sich um die Verschmelzung von Einzelunternehmungen handelte, welche in ihren Spezial-

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Produkten Absatzvorteile aufzuweisen hatten, die weder der einzelne Eigentümer aufgeben mochte, noch der Trust verlieren wollte.

Man kann also jene ersten Formen der Organisation bei den Textilvereinigungen sehr wohl aus Gründen ökonomischer Zweck- mäßigkeit erklären. Erst die Erfahrung lehrte, daß die zunächst erwarteten Vorteile der Dezentralisierung der Verwaltunof durch die Nachteile für das Gesamtunternehmen stark verdunkelt wurden, ja daß wesentliche Vorzüge, die man von der Kombinierung der Unternehmungen erwartet hatte, auf diesem Wege gar nicht ver- wirklicht wurden. Die Ersparnisse an leitenden Persönlichkeiten, die Zuweisung der Produktion an die besten Werke, die Ver- teilung des Absatzes auf die frachtgünstigsten Betriebe, die Ein- schränkung der Produktion bei Überproduktion und andere Kom- binationsvorteile ließen sich nur bei einer Zentralisierung der Gesamtverwaltung der Trusts durchführen. Dementsprechend wurden nach wenigen Jahren ihrer Gründung die Textilmonopole einer neuen Verfassung unterworfen. Der Bleichertrust änderte seine Statuten im Jahre 1904, der Kalikotrust erhielt im Jahre 1902 eine Neuorganisation, die freilich noch immer nicht als die end- giltige erscheint, und der Nähfadentrust eine solche ebenfalls im Jahre 1902.

Frühere Darlegungen haben gezeigt, daß die Konzen- trationsbewegung wohl die Tendenz einer Monopolbildung in sich tragen kann, aber daß es sich andererseits um zwei von- einander zu trennende Entwicklungsreihen handelt, indem die Monopolbildung in ganz verschiedenen Entwicklungsstadien der Konzentrations- und Kombinationsbewegung einsetzen kann: oder aber: die Monopolbildung kann auf Grund des Konzentrations- prozesses, des immer stärkeren Anwachsens der Einzelbetriebe und Einzelunternehmungen möglich werden, ohne daß dieser Prozeß mit der Bildung der Trusts zu irgend einem dauernden Abschluß gelangt ist. Dies sehen wir heute vor uns, wenn wir die Weiterbildung des Konzentrationsprozesses innerhalb der monopolistischen Vereinigungen in der Textilindustrie betrachten, wie sie seit der Neuorganisation derselben immer stärker durchge- führt werden konnte.

Die ,.policy of concentration*' bildet heute den Mittelpunkt in der jährlichen Berichterstattung der Textiltrusts. So zählt der Bericht des Nähfadentrusts, der English Sewing Cotton Company, vom 25. Juli 1907 folgende Resultate der Konzentrationspolitik

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auf^): 1. eine Fabrik von Leinennähfaden, die dem Trust gehörte, wurde veräußert, um die Produktionssphäre des Trusts abzu- runden. 2. Die Produktion der Egerton Werke wurde auf andere Werke übertragen. Der Bericht erläutert dies: „Unsere Reserve- leistungsfähigkeit ist in anderen Werken so groß, daß wir die Produktion dieses Zweiges dort bewältigen können, und so haben wir mit Erfolg eine Übertragung dieses Geschäftszweiges vorgenommen." 3. Die Maschinerie des Belgrave Werkes in Oldham wurde fortgeschafft und Land und Gebäude verkauft. 4. ..Eine weitere Konzentration'', so heißt es schließlich, ..fand statt durch die Übertragung des Geschäfts von R. F. and J. Alexander auf einen der anderen Zweige dieser Gesellschaft." Der finanziellen Regelung solcher Schließung von Betrieben dient ein eigenes Konto (closed works account). Durch die Verbindung der Sewing Cotton Company mit der Firma Coats und den ge- meinsamen Verkauf durch die Central Thread Agency seit 1906 ist gleichzeitig mit dieser Konzentrationspolitik auch eine Zentrali- sierung des Absatzes vor sich gegangen. Seit jener Periode haben sich die Nettogewinne der Gesellschaft beträchtlich gehoben, ob- schon naturgemäß die günstigen Konjunkturverhältnisse hierbei den Hauptanteil hatten. Der .,net trading profit'', der im Jahre 1904: 170829 £, im Jahre 1905 nur 92614 £ betragen hatte, stieg im Jahre 1907 auf 254846 £ und hielt sich in dem folgenden Jahre bei herabgehender Konjunktur auf 251938 £.2)

Beim Kalikotrust hat sich die Frage der Umorganisierung über Jahre hinaus hingezogen. Von der ersten Umwälzung der ursprünglichen Organisation im Jahre 1902 haben wir bereits ge- sprochen. Wenn diese auch nach der Ansicht von Macrosty das ganze Unternehmen erfolgreicher gestaltet hat^), so hat sich doch neuerdings wiederum die Notwendigkeit einer noch zentrali- sierteren Verfassung ergeben.

Der Hauptvorzug der Neuorganisation im Jahre 1902 war die Vereinheitlichung des Direktoriums gewesen, das nurmehr 12 15 Persönlichkeiten aufweisen sollte. Demgegenüber hatte der Entwurf zur Neuverfassung erklärt*), daß die Beschränkung

^) Vgl. Report derselben, S. 4 und 5; schon im Bericht vom 8. August 1906 heißt es: „Im Zusammenhang mit der Konzentrationsfrage habe ich mitzuteilen, daß während dieses Jahres wiederum ein Werk geschlossen worden und dessen Geschäft verschiedenen anderen Werken der Gesellschaft übertragen worden ist."'

^) Vgl. Bericht vom 25. Juli 1907 und 15. Juli 1908.

^) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 154.

*) Vgl. den Bericht an die Aktionäre vom 9. September 1902.

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der Verwaltung auf das Direktorium allein „eine große Reihe von Männern mit Geschick, weiser Erfahrung und großer Sachkenntnis in vielen Dingen, welche die Entscheidung des Direktoriums be- anspruchten, ausschließen würde''. Dies würde ein Schaden für die Association sein. Man schuf deshalb neben dem Direktorium einen Exekutivausschuß und vor allem die sogenannten advisory committees, in denen fähige Persönlichkeiten saßen, die in den speziellen Fragen der Produktion und des Absatzes und deren Organisation mitbestimmend wirken sollten, ohne gegenüber dem Direktorium und dem Exekutivausschuß eine selbstständige Stellung einzunehmen. Diese Beratungsausschüsse gliederten sich wieder nach einzelnen Funktionen, in solche für

a) die Produktion der Werke,

b) die Zeichnungen und Stilarten,

c) die Konzentration,

d) die Preisfixierung,

e) den Handel,

f) den Einkauf der Stoffe,

g) die Beschaffung der Chemikalien, Kohle usw.

Man erkennt aus dem Bericht vom Jahre 1902 deutlich, wie sehr es das Bestreben gewesen war, gegenüber dem früheren Zustande die Zahl der selbständig an der Leitung der Trusts beteiligten Persönlichkeiten bei der Neuorganisation zu reduzieren und die Verwaltung selbst in einem ebenfalls eng begrenzten Direktorium zu zentralisieren. Man erkennt aber auch, daß der Aufbau des Unternehmens immer noch verästelt genug war, sei es, weil man erfahrene Leute sich erhalten wollte, sei es, weil man wirklich eine Arbeitsteilung bei einer so qualifizierten Pro- duktion für nötig hielt. Jedenfalls blieb eine Teilung der Funktionen des Direktoriums und Exekutivausschusses von denen der ein- zelnen Werksleiter bestehen, soweit nicht Beschlüsse, die die allgemeine Verfassung und Verwaltung des Unternehmens be- trafen, diese in ihrer Selbständigkeit beschränkten. Ja, man hoffte geradezu durch diese Trennung die Interessen des Direktoriums zu wahren. ..Da die Direktoren und Mitglieder des Exekutiv- ausschusses die Interessen der Vereinigung als Ganzes zu schützen haben, ist es nicht wünschenswert, daß sie mit der Leitung irgend eines Zweiges oder Teiles derselben verknüpft sind, da hierdurch ihre Anschauungen beeinflußt werden könnten." Auch mit der Beteiligung der Leiter der Einzelwerke am Gewinn ihrer eigenen Leistungen glaubte man nicht brechen zu können.

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Es wurde zwar das System der Tantiemen beseitigt, aber die Berichte erklärten, daß in irgend einer anderen Weise ein ,, System of payment by results" für die Zweigleiter einzuführen wäre. Die Hauptveränderung also bestand nur in der Verringerung der Generaldirektoren, wodurch eine leichtere Beschlußfassung über Fragen allgemeiner Natur ermöglicht wurde und in der Schaffung eines beratenden Ausschusses, welcher gewissermaßen eine zentrale Förderungsstelle für die wichtigsten, allen Einzel- betrieben gemeinsamen, Interessen darstellte. Dagegen blieb der Zustand, daß jede der früheren Firmen ihren eigenen Kunden- und Absatzkreis hatte und in der Führung ihrer Geschäfte einen gewissermaßen in sich abgeschlossenen Aufbau darstellte, zu- nächst noch bestehen.

Erst neuerdings ist man bemüht, eine straffere Zentralisierung einzuführen, nachdem das Jahr 1908 dem Trust recht ungünstige finanzielle Resultate gebracht hatte. ^) Von höchster Bedeutung ist es hierbei, daß der Kalikotrust seit dem Jahre 1908 als ersten Direktor einen Mann aufweist-), der an der Organisation der Firma Coats maßgebend beteiligt war, der die neue Verfassung der Sewing Cotton Company zu Wege gebracht hatte und der auch bei der Neuorganisation des Kalikotrusts im Jahre 1902 den Vorsitz des Beratungskomitees geführt hatte: Mr. O.E. Philippi. Wie in den Vereinigten Staaten von Amerika, so bildet sich auch in Großbritannien ein neuer Unternehmertypus heraus : Der Trust- organisator, welcher durch seine persönliche Autorität auf dem Gebiete rein organisatorischer Fragen in allen Notfällen zum un- entbehrlichen Helfer wird. Es hat den Anschein, als ob seit dem Eintritt Philippis in den Kalikotrust der Gedanke einer voll- ständigen Konzentrierung der Produktions- und Absatzregelung in einer einzigen Zentralstelle, ähnlich wie in anderen Textil- vereinigungen, Oberhand gewonnen hat, und daß der Wunsch, jedem Einzelwerke das individuelle Gepräge zu erhalten, nun- mehr endgiltig aufgegeben worden ist.

So wußte der wohlunterrichtete Manchester Guardian Ende Februar 1909 zu berichten, daß das System der Zweiggeschäfte (System of brauch trading) allgemein unbefriedigende Resultate gezeitigt habe. „Unter dem alten System war es für die Haupt- leitung nicht möglich, eine genügend intime Kenntnis und Kon-

^) Vgl. Manchester Guardian, lo. Februar 1909, S. 12. *) Vgl. Financial Times, 7. September 1908.

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trolle über die Tätigkeit der einzelnen Zweige zu gewinnen und trotz aller Mittel, die man ersonnen hat, ist unbestrittenerweise viel interner Wettbewerb und ein überflüssiger Aufwand von Energie und Kosten die Folge gewesen." Nunmehr soll eine zentrale Behörde für alle Werke geschaffen werden, von der aus die Gesamtproduktion und der Gesamtabsatz geleitet wird. Die Trennung zwischen solchen Organen, welche die Wirtschafts- führung einzelner Werke unter sich haben und einem Direktorium, welches nur für die Erledigung der allgemeinen Verwaltung der Vereinigung da ist, hört damit endgültig auf. Von einer einzigen zentralen Stelle, welche äußerlich schon durch das Vorhanden- sein eines einzigen Geschäftsgebäudes charakterisiert wird, soll der gesamte Absatz auf alle Werke verteilt werden, wobei einzelnen Abteilungen dieser Zentralstelle die Versorgung be- stimmter Märkte zufallen soll. Damit würde dann in der Tat der Prozeß der Zentralisierung in der Organisation dieses Trusts einen bedeutenden Fortschritt erfahren, und man kann der Durch- führung dieses Planes mit großer Spannung entgegensehen, ^)

Immerhin hat auch unter der bisherigen, der im Jahre 1902 revidierten Verfassung eine gewisse Konzentrationspohtik statt- finden können. „Mit weniger Werken und weniger Maschinen, als wir zunächst betrieben, haben wir eine größere Zahl von Stücken hergestellt und pro Maschine in der Stunde eine größere Stückmenge gedruckt," so schrieb der Bericht von 1907. 2) Im Jahre 1906 hatte sich die Konzentrationspolitik verschiedentlich geäußert^): erstens in dem Ankauf von Northrop Webstühlen, von denen je 20 24 von einem Weber bedient werden*), dann in dem Schließen minderwertiger Betriebe und im Verkauf der nicht mehr benutzten Werke, endlich im Auskauf verschiedener Outsiders,

Wo es sich bei der Verschmelzung von Unternehmungen in der englischen Großindustrie um relativ viele Einzelwerke handelt, wie bei der Kaliko-Vereinigung, wird naturgemäß die organi- satorische Konzentration weit langsamer vorgehen als da, wo wenige Großbetriebe zu einer Unternehmung verschmolzen werden. ^) Und doch wird gerade hier eine Konzentrationspolitik

^) ^gl- Manchester Guardian, 25. Februar 1909, S. 12. *) Vgl. Bericht vom 17. September 1907, S. 3. ") Vgl. Manchester Guardian, 25. März 1908. *) Vgl. Report, 11. November 1906, S. 2 3.

') Man vgl. z. B. die Entwicklung der Röhrenfirma Tubes Limited, die ihre ganze Produktion von vier Fabriken auf eine einzige konzentrierte, Bericht 30. April 1908.

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besonders notwendig erscheinen. Sie wird sich in vielen Fällen als das wichtigste Palliativmittel gegenüber einer gefährlichen Krankheit dieser modernen Großunternehmungen erweisen: näm- lich der Überkapitalisierung.

Wir betonten schon früher, daß die Trustbildung in Groß- britannien in ganz verschiedenen Stadien der Konzentrations- bewegung einsetzen kann und tatsächlich einsetzt. Tritt die Trust- bildung in einem Stadium des Konkurrenzkampfes ein, in welchem noch eine Reihe minder leistungsfähiger Betriebe vorhanden sind, so eilt sie gewissermaßen der Entwicklung, wie sie durch bloßen Konkurrenzkampf eintreten würde, voraus. Es wird hierdurch erhofft, das endgültige Resultat der Konzentrationsbewegung vorwegzunehmen. Es wird erhofft, schon jetzt, ehe der Kon- kurrenzkampf bis zum Ende durchgekämpft ist, den Zustand des „survival of the fittest" herzustellen; dieser besteht darin: daß die Gesamtproduktion aller bisher in Frage kommenden Unter- nehmungen auf ganz wenige Unternehmungen unter stark herab- geminderten Kosten (technische Ausdehnung, Ersparnisse usw.) beschränkt wird, und daß zweitens auf Grund des Fortfalls vieler Wettbewerber eine monopolistische Preispolitik dieser Unternehmungen möglich wird. Während aber beim freien Walten der Konkurrenz dieser Zustand in der Weise eintritt, daß die minder leistungsfähigen Betriebe langsam und unter schweren Kapitalverlusten verschwinden, wird bei der Vertrustung ein Aus- kauf dieser Betriebe zu Preisen vorgenommen, für welche auf Seiten des Käufers, d. h. der Trustgründer, die zu erwartende Gewinnsteigerung des neuen Unternehmens maßgebend zu sein pflegt. Tritt diese Gewinnsteigerung aber nicht ein, dann hängt ein immer wachsendes Schwergewicht der Überkapitalisierung an der Monopolvereinigung, und die finanzielle Rentabilität des Gesamtunternehmens steht auf dem Spiele.

Beim Kalikotrust handelt es sich augenscheinlich um einen überkapitalisierten Trust^) und die Ursache hierfür liegt nicht zuletzt darin, daß die Organisation desselben ihn nicht in Stand setzte, durch eine Konzentration der Produktion jene Verbilli- gungen vorzunehmen, in deren Erwartung die Kapitalisierung statt- gefunden hatte. Der Portlandzementtrust gehört ebenfalls zu dem Typus der überkapitalisierten Unternehmungen. Im Jahre 1908

^) Vgl. Statist, 23. Februar 1907, S. 381; The Baillie, 6. Februar 1907; Economist, 12. September 1908, S. 478.

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konnte der „Economist" konstatieren, daß die gewöhnlichen Aktien niemals eine Dividende gezahlt hätten.^) Der Grund der schlechten Finanzlage lag augenscheinlich in diesem Falle darin, daß durch die Möglichkeit der Einfuhr billigen Naturzementes die Preispolitik des Trusts nicht in der Weise hatte verwirklicht werden können, wie man bei Gründung des Trusts erhofft hatte. ^) Ein drittes Beispiel der Überkapitalisierung bietet der Salztrust. Hier vereinigten sich die beiden bisher genannten, die Über- kapitalisierung bedingenden Momente. Einmal hatte der Salztrust seine Monopolstellung überschätzt und erlebte in dem Entstehen neuer Konkurrenz und in sinkenden Preisen eine herbe Ent- täuschung. Dann kam seit dem Ende der 90 er Jahre die Periode, in welcher die Salt Union mit den Outsiders paktierte, aber nun- mehr zeigte wiederum die Organisation des Monopols bedenkliche Schwächen, indem die Salt Union jedem Mitgliede des Kartells eine gewisse Erzeugung garantierte und es im Falle eines Aus- falles entsprechend zu entschädigen hatte. Dies war vielleicht die letzte Rettung des Salztrusts gewesen, der in den Jahren 1898 und 1899 weder auf die gewöhnlichen, noch auf die Vorzugs- aktien Dividenden hatten verteilen können. Es konnte für die nächsten fünf Jahre wenigstens eine Vorzugsdividende verteilt wer- den. Dann aber trat in den Jahren 1905 und 1906 wieder derselbe Fall ein : der Nettogewinn reichte nicht mehr aus, um Dividenden zu verteilen ; nun kam die Gründung der North Western Salt Company dem Salztrust zu Hilfe, indem alle Interessenten zu einem Monopolverbande zusammentraten, ohne daß eine für den Salztrust so belastende Organisation wie früher verlangt wurde. Zum ersten Male nach lOjähriger Pause brachten die gewöhn- lichen Aktien im Jahre 1907 wieder eine Dividende und die Vor- zugsaktien sogar eine solche von 8^1^ "Z^, die größte seit der Gründung des Trusts im Jahre 1889.^)

Welches nun auch immer die Ursachen für das Bestehen einer Überkapitalisierung sein mögen: die Unmöglichkeit einer erhofften Preiserhöhung, das Aufkommen neuer Wettbewerber im Inlande oder auswärts, die Erfindung neuer Herstellungs- prozesse, welche zu dem finanziellen Mißlingen des Sodatrusts (Alkali Cy.) beitrugen, oder Mangel einer guten Organisation

^) Vgl. Economist, 19. September 1908, S. 532. *) Vgl. oben S. 212.

*) Vgl. die oben von mir angegebenen Quellen, besonders die Rede von Mr. G. H. Cox; die Zahlen sind dem Statist entnommen.

271

alle jene Ursachen laufen in der Tatsache zusammen, daß bei der Gründung des Unternehmens die Monopol - Chancen anders erschienen, als der Verlauf der Entwicklung sie ge- staltete, sei es nun, daß man die Monopolisierbarkeit der Pro- duktion und des Absatzes überschätzte oder in der vollen Aus- nutzung derselben nicht eifrig genug war. Damit taucht die Zeit der alten Monopole vor uns auf, in der das Phänomen der Überkapitalisierung uns bereits begegnet ist; jene Zeit, in der die monopolistischen Projektoren, die Gründer der damaligen Trusts, für die Übernahme des Monopols und dessen Schutz durch Zölle und Einfuhrverbote finanzielle Verpflichtungen auf sich nahmen, die sie niemals einlösen konnten, und denen schließlich sie selbst und ihre Projekte zum Opfer fielen. Schreibt doch z. B. Price^) über Mansells Glasmonopol; „ein großer Teil des Kapitals war Wasser, denn es waren wenigstens drei Patente aufgekauft worden, die gar keinen Wert gehabt hätten, wenn der Markt offen gewesen wäre. Und Mansell hatte eben seine Partner auf Grund des spekulativen Wertes des Monopols aufgekauft." Monopolbildungen sind stets Spekulationen. In dem Maße aber, wie bei den groß- industriellen Monopolunternehmungen die Anhäufung nicht zu- rückziehbaren Kapitals eine wesentliche Rolle spielt, muß bei jedem längeren Mißerfolg die ursprüngliche Kapitalisierung in ein Mißverhältnis zu den tatsächlich herauszuwirtschaftenden Erträgen treten.

Freilich eine große Anzahl britischer Trusts hat jene trüben finanziellen Erfahrungen nicht gemacht. In der Textilindustrie sind die Firma Coats, der Trust der Feinbaumwollspinner und -Doublierer und derjenige der Färber von Bradford Bei- spiele für finanziell durchaus gefestigte Monopolvereinigungen. Ein Bericht des letztgenannten Trusts vom Jahre 1908 konnte hervorheben 2), daß in allen Jahren von 1900 bis 1907 „der Netto- betrag, der nach Bezahlung der Schuldverschreibungszinsen übrig blieb, mehr als doppelt so groß war, als die Dividendenzahlung auf die Vorzugsaktien es erforderte, und daß die Gewinnfähigkeit der Vereinigung beständig gewachsen sei." Ebenso ist der bri- tische Tabaktrust von finanziellem Erfolg gekrönt worden, und der amerikanische Tabaktrust hat es nicht zu bereuen brauchen, mit der Imperial eine Finanzgemeinschaft eingegangen zu sein.^)

») Vgl. Price a. a. O., S. 8i.

^) Vgl. den Prospekt der Bradford Dyars Association vom i8. Juni 1908.

^) Vgl. Report on the Tobacco Industry, S. 173.

272

Nach Bezahlung der Zinsen von 472 °/'o auf die Schuldverschrei- bungen, der 5^2 "/o auf die kumulativen Vorzugsaktien, der 6^Iq auf die bevorzugten gewöhnlichen Aktien (preferred ordinary shares), konnte auf die noch übrigen nicht bevorzugten Aktien eine Dividende ausgeschüttet werden^):

im Jahre

von 0/0

1903

4

1904

6

1905

8

1906

10

1007

12

1908

12

Man muß bei der Beurteilung dieser finanziellen Prosperität bedenken, daß der britische Tabaktrust aus einer Verschmelzung von nur 13 und zwar der tüchtigsten Firmen hervorging, und daß diese Firmen Riesenunternehmungen waren. Um kleinere, kapitalschwache Outsiders, die man der ., leidigen"' Konkurrenz wegen auskaufen mußte, handelte es sich nicht. Somit blieben auch die Enttäuschungen erspart, die auf der Versammlung eines überkapitalisierten Textiltrusts im Jahre 1901 offenkundig ausge- sprochen wurden, indem ein Teilnehmer erklärte'^): ,, Viele schienen es zu mißbilligen, daß gewisse kleine Firmen aufgekauft worden seien, aber, wenn man eine große Vereinigung schaffen wolle wie die ihrige, so müsse man das Schlechte mit dem Guten hin- nehmen." Hier begegnet uns wieder die schon oben angedeutete Tatsache: daß die Trustbildung dann die größten finanziellen Gefahren läuft, wenn sie zu hohen Preisen Unternehmungen zusammenkauft, welche beim Konkurrenzkampf dem Untergang in absehbarer Zeit gewiß sein müßten. Der Versuch, das mono- polistische Resultat einer langsam aber stetig fortschreitenden Konzentration der Betriebe und Unternehmungen durch die Ver- trustung schon frühzeitig vorwegzunehmen, wird dann nicht selten mit einem finanziellen Fiasko der Trustunternehmung enden. Da- gegen steht es anders, wenn die Monopolorganisation in einem Stadium der Konzentrationsbewegung einsetzt, in welchem nur- mehr wenige, aber sehr leistungsfähige Unternehmungen übrig gebheben sind.

So finden wir, daß auch die finanziell erfolgreichsten Mono- polorganisationen diejenigen sind, welche aus einem Zusammen- schluß weniger, aber sehr potenter Unternehmungen bestehen.

*) Nach einem mir vorliegenden Bericht der Gesellschaft. *) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 165.

273

Der Whiskytrust z. B. gehört zu den blühenden Monopolver- einigungen der englischen Großindustrie. Hier hat eine Unter- nehmung über Jahrzehnte hinaus Konzentrationspolitik getrieben, nicht indem sie unfähige Wettbewerber auskaufte, sondern indem sie sich diejenigen angliederte, welche auf Grund eines harteh Konkurrenzkampfes als mächtige Wettbewerber schließlich übrig geblieben waren, eine Entwicklung, welche durchaus mit der- jenigen der Firma von Coats übereinstimmt. Hätte dieser von vornherein seine schwächeren Outsiders aufkaufen wollen, so hätte ihm dies leicht die Nachteile der Überkapitalisierung bringen können, welche später bei der Verschmelzung jener Firmen in die English Sewing Cotton Company tatsächlich eintrat.

Auch die Rentabilität von nur kartellmäßig ver- bundenen, großen Einzelfirmen erscheint in solchen Fällen besser gesichert und steigerungsfähiger als diejenige eines Trusts, wenn jener eine im Vergleich zu diesen größere Zahl von Firmen mit leistungsfähigen, aber auch mit minderwertigen Betrieben unter einer kapitalistischen Kontrolle vereinigt. In dem Maße aber, wie es überkapitalisierten Trusts erst allmählich möglich wird, die teuer erkauften schlechten Werke zu Gunsten der besten Betriebe stillzulegen, verzögert sich auch die Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens durch die Herab- drückung der gesamten Produktionskosten. Auf diese Herab- drückung der Produktionskosten durch Konzentrationspolitik muß der Trust aber um so mehr bedacht sein, da er gerade durch jene Verbilligung der Produktion dem Neuaufkommen minder- großer Unternehmungen, die dann teurer als er selbst produzieren würden, entgegenarbeiten kann, und damit sich seine Monopol- stellung zu sichern vermag.

5. Theoretisches und Kritisches.

Im Mittelpunkt der englischen Kartell- und Trustentwicklung steht überall die Konzentrations bewegung: die Beschränkung einer wachsenden Produktion auf eine immer geringere Zahl von Betrieben und Unternehmungen. Wo diese Bewegung zusammen- fiel mit einer Immunität britischer Industriezweige vor fremd- ländischem Wettbewerb, da waren, wie wir zeigen konnten, die Voraussetzungen für die Bildung monopolistischer Unternehmer- vereinigungen gegeben. Will man sich die zentrale Bedeutung

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 18

274

dieser Konzentrationsbewegung für die britische Monopolfrage erklären, so muß man an diejenigen Vorbedingungen der Mono- polorganisation denken, welche Deutschland, Amerika und an- dere Länder im Gegensatz zu Großbritannien charakterisieren. In diesen Ländern ist die Konzentrationsbewegung auch wirksam gewesen. Aber während in Großbritannien die Monopolbewegung, wie wir sehen, erst einsetzte, als die Zahl der Produzenten auf 20, 30 oder 40, häufig nur auf einige wenige, zusammengeschmolzen war, haben in jenen Ländern Monopolbildungen vielfach in einem viel weiter entfernten Stadium der Konzentrationsbewegung ein- gesetzt, ja zum Teil zu einer Zeit stattgefunden, in der bei wach- sender Erzeugung auch noch die absolute Zahl der Unternehmungen im Steigen begriffen war. Wie erklärt sich dies?

Nach zwei Richtungen hin haben wir die Möglichkeit groß- industrieller Monopolbildung betrachtet: wir fragten uns, welche Umstände den englischen Industriellen gegenüber dem Aus- lande eine monopolistische Beherrschung ihres Marktes ermög- lichen können und welche Umstände andererseits die Ausschaltung der binnenländischen Konkurrenz möglich machen.

i. Das Resultat unserer Erörterungen über die Immunität Großbritanniens vor dem Wettbewerb des Auslandes war das folgende: Großbritannien ist erstens durch das Fehlen des Zoll- schutzes, zweitens durch einen vergleichsweise sehr ge- ringen Frachtenschutz dem ausländischen W^ettbewerb in weit stärkerem Maße ausgesetzt als die Mehrzahl der Industrien in Schutzzolländern mit großer Binnenfläche, wie etwa in Deutsch- land oder in den Vereinigten Staaten von Amerika. Großbritannien besitzt drittens relativ wenige mineralische Rohstoffpro- duktionen, in denen es sich einer natürlichen nationalen oder weltwirtschaftlichen Monopolstellung erfreut. Nur Kohle, die Pro- duktion der Steine und Erden und Salz machen hiervon eine Ausnahme. Während aber bei dem Salz tatsächlich die Bildung eines Monopols möglich gewesen ist, machen bei der Kohle und der Gewinnung von Steinen und Erden die inneren Konkurrenz- verhältnisse eine solche bisher unmöglich. Somit treten heute in Großbritannien für die Allgemeinheit der großgewerblichen Ent- wicklung die Tatsachen in den Hintergrund, welche in anderen Ländern der Kartell- und Trustbildung als wesentliche Voraus- setzungen eines großen Teiles der Industriemonopole erschienen: der Zollschutz, der Frachtenschutz, das Vorhandensein leicht mo- nopolisierbarer mineralischer Bodenproduktionen.

275

Demgegenüber konnten wir feststellen, daß eine Immunität vor dem Wettbewerb des Auslandes bei einem größeren Komplex von Industrien Großbritanniens erstens dann gegeben sein kann, wenn ein Industriezweig durch irgendwelche Um- stände entweder den heimischen Markt billiger oder qualitativ besser zu versorgen im Stande ist als andere Länder es tun können. Dieser Zustand mag sich zum Teil aus natürlichen Verhältnissen ergeben, wie in der Textilindustrie klimatische und sonstige natürliche Vorzüge für den britischen Produzenten vorhanden sind; er mag auf einer traditionellen oder kulturhistorischen Überlegenheit Großbritanniens beruhen, wie in der Weißblechindustrie oder überall da, wo ein durch Generationen hindurch erprobter Arbeiterstamm von Wichtigkeit ist ; er ist schließlich in neuester Zeit vielfach dadurch entstanden, daß die Industrie Großbritanniens einen Übergang zu immer höheren Stufen der Qualitätserzeugung vorgenommen und sich hierdurch einen Vorrang vor anderen Ländern erworben hat, eine Tatsache, die wir für die verschiedensten Zweige des britischen Großgewerbes nachweisen konnten. Wo immer dies der Fall ist: wo die bri- tische Industrie das Inland oder das Ausland zu tieferen Preisen oder mit besseren Qualitäten versorgen kann als andere Länder, da ist beim Zusammenschluß der britischen Industriellen eine Ausnützung dieses monopolistischen Zustandes in der Weise möglich, daß man entweder die heimischen Konkurrenzpreise bis zur Höhe des Einfuhrpreises zu treiben sucht oder aber, daß man für diejenigen Produkte, bei denen man eine Konkurrenz vorerst überhaupt nicht zu fürchten hat, „autonom", d. h. hier: ohne spezielle Rücksicht auf Auslandskonkurrenz die Preise festzu- setzen sich bestrebt.

Dieser einen Immunitätsmöglichkeit gesellt sich neuerdings, zweitens, diejenige hinzu, welche durch die internationale Kartellierung und Vertrustung geschaffen wird. Aber auch hier ist Großbritanniens Stellung eine andere wie die der Mit- kontrahenten. Sind diese nämlich durch Schutzzölle oder Fracht- kosten vor der ausländischen Konkurrenz geschützt, dann liegt für sie der Hauptvorteil der internationalen Verbandsbildung in der Schaffung unbestrittener Auslandsmärkte. Für die britischen Unternehmer dagegen liegt der Hauptvorteil derselben zunächst in der Abschließung des heimischen, dem Wettbewerb anderer Länder frei ausgesetzten Marktes, in zweiter Linie erst in der Reservierung fremder Absatzgebiete.

18*

276

Es wird also in der Mehrzahl der Fälle die Immunität der britischen Industrie vor der Auslandskonkurrenz durch ganz andere Tatsachen bestimmt als diejenige Deutschlands oder der amerikanischen Union. Und dieser Unterschied ist von weit- tragender Bedeutung.

a) Bei Industrien, welche durch einen Schutzzoll gegen- über dem Auslande eine Monopolstellung auf dem heimischen Markte einnehmen, oder bei Industrien, welche durch eine weite Entfernung von fremdländischen Exportzentren getrennt sind, pflegte die Höhe, um welche der inländische Preis nach Aus- schaltung des Wettbewerbs gesteigert werden kann, beträchtlich zu sein. Die Differenz zwischen dem Preise englischen und deutschen Roheisens ist, wenn Zoll und Fracht in dem deutschen Preis voll zum Ausdruck kommen, in Ruhrort 21 22 Mk. pro Tonne ^); in Pittsburg kann durch die gleichen Tatsachen diese Differenz gegenüber dem englischen Preise eine Höhe von ca. 7 $ = etwa 28 Mk. erreichen.^) Diese Maximaldiflferenz hat zu- weilen in Deutschland und der Union 33 \ des Preises von Roh- eisen ausgemacht. Bei den hochwertigen Fabrikaten pflegt die Bedeutung, welche die Frachtkosten als Schutz haben, abzunehmen, dagegen die Zollhöhe sich zu steigern. Beim Weißblech betrug im Jahre 1902 die durch den Zoll in der amerikanischen Union ermöglichte Preiserhöhung gegenüber Wales: 1,28 S bei einem Produkte, welches im Jahresdurchschnitt in New York 3,94 S pro 100 Ibs gekostet hatte. Ferner! In Zeiten der Überproduktion und des Wettbewerbs unter den heimischen Produzenten kann selbst in zollgeschützten Ländern der Preis unter den Weltmarkts- preis herabgehen, wie z. B. in Pittsburg die Roheisenpreise in den Jahren 1897 und 1898 um 2 3 S billiger waren als in England. In dem Maße, wie dies der Fall ist, kann dann eine Monopol- vereinigung in guten Zeiten eine Erhöhung der Preise vornehmen, die noch größer ist als der Betrag von Zoll und Fracht. So be- trug der Roheisenpreis in Pittsburg im Jahre 1902 über 10 S mehr als im Jahre 1897.

In Großbritannien dagegen pflegt in denjenigen Industrien, die dem regelrechten Auslandswettbewerb bei einer bestimmten Preishöhe ausgesetzt sein würden, die Differenz zwischen dem Einfuhrpreis und demjenigen Satz, auf den der Inlands-

^) Vgl. Morgenroth, Exportpolitik der Kartelle. Leipzig 1907, S. 20. ') Levy, Stahlindustrie, S. 121.

277

preis durch den heimischen Wettbewerb herabgedrückt werden kann, nicht annähernd solche Höhe zu erreichen. FreiHch könnte in abstracto auch in Großbritannien der Preis, wie Liefmann betont hat^), ,,weit unter diejenige Grenze" sinken, bei der eine Einfuhr möghch erscheint. Aber es handelt sich ja da, wo Groß- britannien nicht besondere Qualitäten herstellt oder besondere natürliche oder kulturhistorisch zu erklärende Produktionsvorteile hat, nur um Industriezweige, die zu etwas tieferen Kosten pro- duzieren als das Ausland und wenn dann noch das zollgeschützte Ausland mit Hilfe kartellistischer Exportpolitik sich bei der Aus- fuhr mit geringen Gewinnen begnügt, so kann in Zeiten tiefer Weltkonjunktur die Differenz zwischen heimischem Wettbewerbs- preis und Einfuhrpreis nicht sehr beträchtlich sein. In der Zeit steigender Weltmarkts-Konjunktur und abnehmender Konkurrenz der zollgeschützten Ausfuhrländer wächst dann freilich jene Spanne. Da aber in den zollgeschützten Ländern, wie Dietzel als erster dargelegt hat"), die Preisdifferenz zwischen Hochkonjunktur und Tiefkonjunktur viel größer zu sein pflegt als in Freihandels- gebieten, so wird auch bei steigenden Einfuhrpreisen für den britischen Monopolisten die Möglichkeit der absoluten Preis- erhöhung eine geringere sein als für seinesgleichen in Schutz- zollgebieten.

Wie steht es aber bei solchen Erzeugnissen, bei denen nicht jene Differenz zwischen dem Einfuhrpreis und dem britischen, durch den inneren Wettbewerb herabgedrückten Preissatz maß- gebend für die Möglichkeiten einer monopolistischen Preiserhöhung wird?

b) Da, wo natürliche oder historisch gegebene Produktions- vorteile in Großbritannien bestehen, oder dieses durch Herstellung besonderer Qualitäten ein weltwirtschaftliches Prestige besitzt, fällt die Frage der Einfuhr als Regulator der Monopolpreispolitik, wie, wir schon früher darlegten, zunächst fort. Erst bei ganz exorbitanten heimischen Preisen käme sie in Frage. Aber lange bevor dieser Punkt erreicht wird, stellt sich eine andere Tatsache

1) Vgl. a. a. O., S. 8.

*) In zollgeschützten Ländern wächst bei steigendem Inlandsbedarf die Produktion rascher als in Freihandelsländern, in welchen die ausländische Produktion einen größeren Teil des Mehrbedarfs decken kann. In dem Mal3e aber, wie dies der Fall ist, ist auch die Überproduktion bei sinkender Konjunktur eine stärkere und der Preissturz heftiger; vgl. hierfür H. Dietzel, Das Produzenteninteresse der Arbeiter und die Handelsfreiheit. Berlin 1903, S. 63 65; auch einige Beispiele aus der Praxis bei Levy, Einfluß der Zollpolitik auf die Vereinigten Staaten, Conrads Jahrbücher, 1906, S. 641 und 642 645.

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ein, die die monopolistische Regelung des Preises beeinflußt: Die Berücksichtigung der Absatzmöglichkeiten. Nun unter- scheidet sich die monopolistische Organisation der britischen Groß- industrie von derjenigen Deutschlands und Amerikas dadurch, daß sie in erster Linie dies braucht nicht nochmals erklärt zu werden auf dem Gebiete der hochwertigen Fertigfabri- kation liegt. Diese aber muß bei einer Erhöhung ihrer Preise mit ganz anderen Einschränkungsmöglichkeiten des Bedarfs rechnen als Rohproduktion und Halbfabrikation. In den meisten Ländern sind diejenigen Industrien, welche, ohne von Zoll- oder Frachtenschutz abhängig zu sein, allein durch ihre Vorzüge in der Produktion den nationalen Markt ausschließlich beherrschen können, an die mineralische Bodenproduktion geknüpft; das deutsche Kalikartell, das chilenische Salpeterkartell, der amerikanische Petroleum-, Borax- oder Kupfertrust, die monopolistischen Vereinigungen in der Rohzinkfabrikation sind Beispiele hierfür. Schließen sich in solchen Produktionszweigen die Interessenten zusammen, so pflegt eine beträchtliche Erhöhung des Preises über den bisherigen Wettbewerbspreis möglich zu sein, ehe sich ein Bedarfsrückgang auf Grund der früheren Preise fühlbar macht. Ob diese Erhöhung dauernd aufrecht erhalten werden kann, das hängt freilich auch von den Entstehungsmöglichkeiten neuer Konkurrenz ab, und deshalb kommt jene Tendenz unter Umständen nicht länger als in der ersten Zeit der Monopolgründung tatsächlich zum Aus- druck. Wir können aber jene Tendenz, daß die Preise ohne Rücksicht auf eine etwaige Einschränkung des Bedarfs von Kar- tellen und Trusts beträchtlich erhöht werden können, bei ein- zelnen Rohstoffmonopolen oder Monopolen, deren Erzeugnisse nur wenig verarbeiteten Rohstoff" darstellen, deutlich beobachten. Die Standard Oil Company hat nach den minutiösen Unter- suchungen des amerikanischen Trustamtes bei ihren Preisfest- setzungen nur die Möglichkeit des Wettbewerbs berücksichtigt, und der Gedanke, daß durch enorme hohe Preise in unbestrittenem Gebiete ein ihr verhängnisvoller Bedarfsrückgang eintreten könne, hat niemals bei der Preisregelung eine Rolle gespielt. ,,Die Zeugnisse sind absolut schlagend dafür, daß es die Politik der Standard Oil Company ist, den vollen Vorteil unbestrittener Ab- satzverhältnisse durch möglichst hohe Preise auszunutzen." „Da sie ein Monopol auf dem heimischen Markte besitzt, so hat sie Preise verlangt, wie sie, der Monopolstellung entspre- chend, dem Konsumenten abgezwungen werden konnten und

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dieser hatte die Preise zu bezahlen."^) Im Dezember 1904 kostete dasselbe Erzeugnis: in dem Staate Delaware: 1 ^ cents pro Gallone, exklusive Fracht, in Colorado dagegen, wo die Kosten des Raffinierens und Verkaufes höchstens ca. ^\ cents mehr als dort betragen, 16,2 cents, exklusive Fracht. Hier lag eben ein gänzlich unbestrittenes Gebiet der Standard vor, und dies konnte in einer fast 100°/oigen Preiserhöhung zum Ausdruck gebracht werden.'^) Über die amerikanische Boraxindustrie schreibt Yale'), daß die Konsumtion von Borax eine bestimmte sei, ,, unabhängig von irgendwelchem Preis". Auch der Boraxtrust wird seine Preis- politik lediglich darnach richten, nicht durch allzu hohe Preise die Bewirtschaftung bisher nicht abbauwürdiger Gruben durch Outsiders zu stimulieren. Nachdem die deutschen Thoriumnitrat- fabrikanten die brasilianischen Monazitlager monopolisiert hatten, erhöhten sie syndikalistisch die Preise ihres Leuchtsalzes von 34 Mk. pro kg im Jahre 1902 auf nicht weniger als 53 Mk. im Jahre 1904.*) Die deutschen Kalikartelle haben trotz der ständig sich mehrenden Mitgliederzahl den Preis fürSOproz. Chlorkalium, der im Jahre 1878 auf 9,2 Mk. gesunken war, in der Zeit 1896—1906 auf 14,25 Mk. im Jahresdurchschnitt halten können. ^) Und sehen wir nach Großbritannien, so finden wir, daß der Salztrust bei seiner Gründung im Jahre 1888 den Preis von gewöhnlichem Salz von 2 sh 6 d pro Tonne auf 10 sh 6 d trieb ^), und daß dieser Preis wohl längere Zeit, ohne Bedarfsrückgang hervorzurufen, hätte erhalten werden können, wenn er nicht neuen Wettbewerb und Überproduktion stimuliert haben würde.

Aber der Salztrust bildet in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Er ist das einzige britische Industriemonopol, welches auf dem natürlichen Seltenheitswert mineralischer Bodenschätze aufgebaut ist und einen Rohstoff veräußert, dessen Verbrauch nur bei sehr hohen Preisen eingeschränkt wird. Demgegenüber liegt der Schwerpunkt der überwiegenden Zahl britischer Industrien, welche vor Auslandswettbewerb durch ihre Produktionsvorzüge geschützt sind, in der Herstellung hochwertiger Fabrikate und der Erzeugung von Waren besonders hervorragender oder be-

^) Vgl. Report on the Petroleum Industry, Part II, Washington 1907, p. XXX VlI und XL.

2) Ebenda, p. XXXIX.

*) Vgl. Mineral Resources, Washington 1906, S. 1095.

*) Vgl. Schulze, Chemische Industrie a. a. O., S. 297.

^) Vgl. Pax mann. Wirtschaftliche Verhältnisse der Kaliindustrie. Berlin 1907, S.183.

«) Vgl. Macrosty a. a. O., S. 183.

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sonders spezialisierter Qualität. Jede Erhöhung im Preise solcher Waren pflegt die Gefahr eines Bedarfsrückganges in sich zu tragen oder auch die Möglichkeit zu verstärken, daß ähnliche Waren schlechterer Qualität stärker als bisher verbraucht werden. Gerade für einen der bedeutendsten Zweige der monopolistisch organisierten Industrie, für die Textilindustrie, von deren ca. 17 Monopolvereinigungen wir die wichtigsten kennen gelernt haben, pflegt dies zuzutreffen. Im Jahre 1907 hatte die gesamte britische Textilindustrie, besonders in den hochwertigen Zweigen, die Un- annehmlichkeit zu verspüren, daß bei steigenden Rohmaterial- preisen eine entsprechende Erhöhung im Preise der Fabrikate nicht möglich war, wenigstens nicht, wenn man sich den bis- herigen Absatz erhalten wollte.^) So erklärte z. B. der Bericht des Nähfadentrusts ^): ..Wir streben stets darnach, unsere Geschäfts- verbindungen zu erhalten und um dies tun zu können, konnten wir die Preise für den Konsumenten nicht entsprechend den ab- normen Preisen erhöhen, welche die Spinner während des letzten Jahres erzielten." Es fragt sich natürlich, ob die monopolistische Preispolitik nicht auch ohne solche „proportionelle" Preissteige- rung genügend zum Ausdruck gekommen ist»; aber man erkennt, daß die Rücksichtnahme auf die Möglichkeit einer Bedarfsein- schränkung hierbei eine Rolle gespielt hat. Bei anderen Produkten wiederum ist der Übergang der Konsumenten zu minderwertigeren aber billigeren Erzeugnissen bei einer starken Preiserhöhung zu befürchten. Die bisherigen Erfahrungen des Portlandzementtrusts und des Kabelkartells sind in dieser Hinsicht deutlich genug ge- wesen. Aber auch manch' anderer monopolistischer Verband mag ähnliche Enttäuschungen erlebt haben, die vielleicht nicht immer in die Öff'entlichkeit gelangt sind.^) Auch ist es ja aus

^) Vgl. Sewing Cotton Company Report, 25. Juli 1907, S. 4; auch Financial Times, 7. September 1908.

^) Vgl. Sewing Cotton Company Report, 23. Juli 1908, S. 4.

*) Ein Briefschreiber beklagt sich z. B. im Iron Monger, dem angesehensten Fach- blatt der Kleineisenindustrie, vom 23. Januar 1909 über die Preispolitik der ca. 12 Draht- ge Webefabrikanten, die ein Kartell, die sog. „Wire Netting Association" geschlossen haben. Er schreibt: „Das Publikum fühlt diese hohen Preise und erklärt, daß Draht- gewebe ihnen nicht die Preise wert seien, die heute verlangt würden .... Da manches Geflecht nicht viel besser als ein Spinngewebe ist, wenn es ein Mal gebraucht ist, so haben unsere Kunden Surrogate gefunden, die für sie schließlich billiger sind. Meilen von Umzäunungen werden jetzt mit Holzlatten hergestellt. Ich glaube, es wird Zeit, daß die Vereinigungen ihre Aufmerksamkeit dem Interesse der Kunden zuwendeten und nicht dem Interesse derjenigen, welche irgend einen Zweig des Handels monopolisieren." (Ge- meint sind die Vereinigungen der Detaillisten, die mit den Fabrikanten feste Preislisten vereinbart haben.)

281

den Erfahrungen derjenigen Länder, welche eine größere Zahl von Kartellen und Trusts aufweisen als England, bekannt, daß in der Fertigfabrikation eine für den Monopolisten lohnende Preis- steigerung weit schwerer durchzusetzen ist als bei Rohstoffen und Halbfabrikaten, und daß hier eine monopolistische Preis- politik mit der Devise : ,, geringerer Absatz zu höheren Preisen*' weit weniger rentabel ist als da, wo bei steigenden Preisen nur ein relativ geringer Druck auf die Bedarfsverhältnisse ausgeübt wird.^)

Ausfall' dem Gesagten ergibt sich: Durch das Fehlen der Schutzzölle, den unbedeutenden Einfluß des Frachtenschutzes und das geringe Vorhandensein mineralischer Bodenproduktion mit nationalem Monopol- charakter und leichter Monopolisierbarkeit ist innerhalb der britischen Großindustrie die Möglichkeit der Mono- polbildung, soweit die ausländische Konkurrenz in Frage kommt, auf ein im Vergleich zu Deutschland und den Vereinigten Staaten kleines Gebiet beschränkt. In diesem Gebiete freilich ist eine mehr oder minder große Immunität vor fremder Konkurrenz gegeben. Gelingt es aber hier, den inländischen Wettbewerb auszuschalten oder zu beschränken, so ist dennoch die Möglichkeit einer monopolistischen Preiserhöhung geringer, die Grenzen, welche einer solchen gezogen sind, enger und demnach der zu erwartende monopolistische Gewinn im allgemeinen kleiner als in Ländern, welche Schutzzoll, Frachtenschutz und zahlreiche mineralische Boden- produktion mit monopolistischem Charakter aufzu- weisen haben. Diese letztere Tatsache wirkt nun wieder wesentlich auf eine Reihe von Momenten ein, welche über die Möglichkeit der Ausschaltung des binnenländischen Wettbewerbs entscheiden.

2. Von Adam Smith bis zur Gegenwart ist in den Dar- legungen der Nationalökonomie darauf hingewiesen worden, daß die Koalition von Konkurrenten sich um so leichter gestaltet, je geringer ihre Zahl ist. So richtig jene Beobachtung ist, so er- klärt sie doch zunächst nicht, warum in den verschiedenen Industriezweigen, bei sonst gleichen Vorbedingungen der Mono- polisierbarkeit der Produktion der Zahl nach sehr verschiedene

') Vgl. Levy, Stahlindustrie a. a. O., S. 251.

2S2

Interessenten sich koalieren, warum z, B. hier ein Kartell mit 100 Mitgliedern zu Stande kommt, während in einem anderen Zweige sich 50 Interessenten nicht zur gemeinsamen Ausnützung mono- polistischer Chancen zusammenfinden können. Um hierfür einen Maßstab zu gewinnen, muß man die Zahl der vorhandenen Konkurrenten in Beziehungen setzen zu der Größe des mono- polistischen Vorteils, den sie erreichen können. Hier wird zu- nächst das eine festzustellen sein: je größer der monopo- listische Vorteil ist, den der Zusammenschluß verspricht, um so eher entschließt sich eine große Zahl von Kon- kurrenten, zu Gunsten des nur gemeinsam zu Er- reichenden ihre verschiedenen Individualinter- essen aufzugeben. Oder aber: je größer dieser Vorteil ist, um so eher entschließt sich der Vertruster zum Auskauf aller Werke selbst zu Preisen, die manches der Einzelwerke bei re- gulärem Verkaufe kaum erzielen würde. Dagegen: je geringer der Vorteil ist, den der Einzelne aus der Kartellierung zu erzielen im Stande ist, oder je geringer der monopolistische Gewinn ist, welcher dem Vertruster winkt, um so notwendiger wird eine ..geringe Anzahl'' der Unternehmungen als Voraussetzung für die Monopolorganisation. Kann durch Kartellierung oder Vertrustung sehr weniger Werke auch nur ein relativ kleiner Mehrgewinn erreicht werden, so wird eben der Vorzug, nur wenige Unternehmungen zum gemeinsamen Vorgehen oder zum Verkaufe ihrer Werke bestimmen zu müssen, die Bildung des Monopols wiederum er- leichtern. Hängt in dieser Weise die tatsächliche Ausschaltung des Wettbewerbes unter den inländischen Unternehmern von der Zahl derselben und den zu erwartenden monopolistischen Vor- teilen ^) des Zusammenschlusses ab, so ist für die Beurteilung dieses „Vorteils" seitens der Konkurrenten resp. des Vertrusters zweierlei maßgebend: Erstens die Frage, welches, unter Voraus- setzung einer den gegenwärtigen Verhältnissen ent-

^) Ebenso wie die jeweilige Höhe des in Aussicht stehenden Monopolgewinnes wird natürlich auch die jeweilige Verlusthöhe, die bei freiem Wettbewerb eintritt, die Monopol- bildung beeinflussen und darauf einwirken, ob selbst einer großen Zahl von Beteiligten mit differentiellen Interessen der Zusammenschluß lohnend erscheint. Die jeweilige Inten- sität des Wettbewerbes (Krisen) oder die von Brentano als erstem betonte Schwerüber- tragbarkeit der Kapitalien werden in dieser Richtung wirksam sein. Auch diese sind Veranlassungsmomente, welche da und zwar einzig da, wo die sachlichen Vorbe- dingungen für die Monopolisierbarkeit einer Produktion durch eine gewisse Zahl von Unternehmern gegeben sind, die Ausnützung dieser Vorbedingungen den Produzenten besonders verlockend oder dringlich erscheinen lassen können.

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sprechenden Verringerung der Konkurrenz, der mono- polistische Mehrgewinn im besten Falle sein kann. Zweitens, die Frage, ob dieser Mehrgewinn auch für die Zukunft festgehalten werden kann, oder ob die Gefahr vorhanden ist, daß er durch Entstehung neuerKonkurrenz wieder herabgemindert wird.

a) Daß in Industrien, die einen hohen Zoll- oder Frachten- schutz genießen oder die auf einem natürlichen Rohstoffmonopol beruhen, unter Umständen eine relativ große Anzahl von Unter- nehmungen in einer Monopolorganisation vereinigt werden, be- weist die Geschichte vieler Monopolverbindungen. Am deut- lichsten hat in dieser Hinsicht die Entwicklung der deutschen Zuckerindustrie gesprochen.^) Das deutsche Zuckerkartell vom Jahre 1900 („Deutsches Zuckersyndikat-' und „S3mdikat der deut- schen Zuckerraffinerien") umfaßte nicht weniger als 450 Betriebe. Diese waren nicht nur nach Lage, Größe und Einrichtung, sondern auch hinsichtlich des Zusammenhanges mit der Land- wirtschaft, hinsichtlich der Betriebsform usw. äußerst stark diffe- renziert. Der Wunsch aber, die durch Zoll- und Steuerpolitik gegebenen Gewinnchancen monopolistisch auszunutzen, anstatt sie durch den heimischen Wettbewerb illusorisch zu machen, war stärker als alle jene Divergenzen und ermöglichte den Zu- sammenschluß. In dem Augenblick, wo durch Beseitigung der Ausfuhrprämien und die Herabsetzung der Zölle im Zusammen- hang mit der Brüsseler Zuckerkonvention jene Kartellierungsvor- teile verschwanden oder sich minderten, brach das Kartell zu- sammen. In Rußland schlössen sich im Jahre 1887 von den bestehenden 219 Fabriken 171 zu einem Syndikat zusammen und zwar ebenfalls, um die durch die Überproduktion gedrückten Preise durch Ausnützung des Einfuhrzolls und der Ausfuhrprämien wieder zu heben.^)

Die Ausnützung ähnlicher Vorteile hat zur Bildung des Spiritusringes mit einer ebenfalls beträchtlichen Anzahl von Teil- nehmern geführt. In dem ersten rheinisch-westfälischen Kohlen- syndikat von Jahre 1893 fanden sich 96 Mitglieder zusammen, die die rayonn istische Ausnutzung des binnenländischen Frachten- schutzes zur Ausschaltung des Wettbewerbes verlockte.^) Bei

0 ^g^' Th, Schuchart, Die deutsche Zuckerindustrie. Leipzig 1908, S. 138 139. *) Vgl. W. D. Preyer, Die russische Zuckerindustrie. Leipzig 1908, S. 33 ff. und 38.

^) Vgl. A. Bosenick, Der Steinkohlenbergbau in Preußen. Tübingen 1906, S. 95.

2S4

der Erneuerung des Syndikats im Jahre 1903 handelte es sich um 100 selbständige Zechen^), welche ihren Beitritt er- klärten. Die zollgeschützte deutsche Steingutindustrie, welche durch etwa 100 Firmen im Saargebiet, in der Rheinprovinz und in Lothringen vertreten war, gründete im Jahre 1899 die Ver- einigung deutscher Steingutfabriken, welche ca. 97% der Ge- samtproduktion umfaßte, und alsbald nach ihrer Gründung einen lO^/oigen Preisaufschlag durchsetzte.^) Der Verband deutscher Drahtstiftfabrikanten umfaßte zur Zeit der Kartellenquete 81 Mit- glieder, deren Betriebe ca. 90 "/o der Produktion kontrollierten.*) In den Vereinigten Staaten von Amerika gab es zwischen 1870 und 1872 200 Petroleumraffinerien, die miteinander in Wettbewerb standen. Enorme Gewinne winkten in diesem Produktionszweig, wenn man im Stande war, durch den Besitz einer großen Zahl von Raffinerien und Röhrenleitungen auf dem Wege des Rechts, im Notfall auch des Unrechts, eine Industrie zu monopolisieren, welche sich einer weltwirtschaftlichen Vormacht erfreute. Diese Möglichkeiten überdunkelten die Schwierigkeiten, welche im Auf- kauf von so vielen Interessenten lagen. Neuerdings ist berechnet worden, daß der amerikanische Petroleumtrust seit 1870 nicht weniger als 215 Unternehmungen erworben hat.'*) In der ameri- kanischen Tabakindustrie wiederum war es zum Teil die welt- wirtschaftliche Stellung der Industrie, zum Teil der hohe Zoll- tarif auf Zigarren, der zur Vertrustung anreizte; 180 Unterneh- mungen wurden zwischen 1890 und 1904 von den Trustgründem erworben^), mehr als die Hälfte derselben in der Zeit von 1899 bis 1903, also nach der Wiederherstellung der hohen Zollsätze des Mc Kinley Tarifs, die der Wilson Tarif etwas ermäßigt hatte. Die Pittsburg Goal Company wiederum, der große Trust bitumi- nöser Kohle in Pennsylvanien. ging aus der Verschmelzung von 140 konkurrierenden Firmen hervor, welche im Stande sind, die monopolistische Stellung, welche jenes Kohlengebiet charak- terisiert, auszubeuten.^) Fügen wdr zu diesen Beispielen noch dasjenige, welches wir selbst an Hand der Quellen durch-

^) ^S^- ^^ Jutzi, Die deutsche Montanindustrie auf dem Wege zum Trust. Jena 1905, S. 20 22.

-) Vgl. Grunzel, Über Kartelle. Leipzig 1902, S. 296.

') Vgl. Kontradiktorische Verhandlungen, Heft 8, Berlin 1904, S. 711.

*) Vgl- United Staates of America v. Standard Oil Company, Vol. I, S. 3 und 92 119.

^) Vgl. Report on Tobacco Industry a. a. O., S. 177 196.

") ^^S^- Industrial Commission, Vol. XIII, S. 99.

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gearbeitet haben: die alte „Vend" wies zwischen 1835 und 1844 zwischen 76 und 129 Mitglieder auf; daß sich diese be- trächtliche Zahl von Wettbewerbern kartellistisch vereinigten, beruhte aber, wie wir sahen, ebenfalls darauf, daß sie einen hohen Frachtenschutz auf den südlichen Märkten monopolistisch auszu- nutzen hofften. In dem Augenblick, wo sich dieser Schutz ver- ringerte, war angesichts der großen Zahl der Beteiligten eine Einigung nicht mehr zu erzielen.

In Großbritannien sind heute, wie wir dargelegt haben im Vergleich zu Deutschland und Amerika die Möglichkeiten einer Gewinnsteigerung durch die Monopolorganisation relativ eng besrenzt. Nun liegt aber die Bedeutung- der heutisfen Be- triebs- und Unternehmungskonzentration darin, durch eine ständige Verringerung der Zahl der konkurrierenden Unter- nehmungen die gemeinschaftliche Ausnützung selbst kleiner Mono- polvorteile erleichtert zu haben. Diese Tatsache wird einmal dadurch bestätigt, daß die Bildung von Kartellen und Trusts in Großbritannien fast ausnahmlos eintrat, wenn mit den Vorbedin- gungen irgendwelcher Immunität vor Auslandswettbewerb eine beträchtlicheKonzentrationderUnternehmungenin einem Industriezweige Hand in Hand gegangen war. Zweitens aber zeigte die Darstellung der wichtigsten britischen Industriemono- pole, daß die Notwendigkeit einer geringen Zahl von Wett- bewerbern in dem Maße hervortritt, wie die monopolistischen Vorteile an Bedeutung abnehmen. In der Stahlindustrie, die den Gefahren ausländischen Wettbewerbes zeitweise sehr stark aus- gesetzt war, hat die Verringerung der Unternehmungen außer- ordentlich vorschreiten müssen, ehe die Monopolbildung einsetzte. Heute, wo in einzelnen Distrikten ein Dutzend oder noch weniger Firmen übrig sind, ist dagegen auch hier die Monopolorganisation in Erscheinung getreten. Demgegenüber die Textilindustrie! Hier ist die Monopolbildung in einzelnen Fällen auf Grund des Zusammenschlusses einer für die englischen „combines" relativ großen Zahl von Firmen 30 bis 50 erfolgt. Hier aber war auch eine Industrie vorhanden, die in weit stärkerem Maße als etwa die schwere Stahlindustrie sich einer Immunität vor fremdem Wettbewerb erfreute; hier also glich der größere Vorteil, den die Monopolbildung versprach, die Schwierigkeit, welche durch die relativ große Zahl der Unternehmer gegeben war, beträcht- lich aus. Und noch eine Gegenprobe! Die größte Zahl von Unternehmungen, nämhch 64 Werke, vereinigte bei seiner Grün-

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düng von allen uns bekannten englischen Monopolen der Salz- trust im Jahre 1888. Hier aber handelte es sich im Gegensatz zu allen anderen britischen Kartellen und Trusts, welche wir aufzählen konnten, um eine Vereinigung, welche auf einer mineralischen Bodenproduktion aufgebaut war, in welcher die heimische Ge- winnung für den inländischen Markt bis zu einer sehr hohen Preisgrenze das Monopol besitzt, während das Produkt selbst einen notwendigen Massenkonsumartikel darstellt. Was bei der Kohle nicht möglich gewesen ist, konnte hier verwirklicht werden. Trotz der Monopolgewinne, welche ein britischer Kohlentrust machen könnte, kann infolge örtlich zersplitterter Produktion und einer außerordentlich großen Zahl von Einzelwerken ein solches nicht zu Stande kommen. Beim Salz handelte es sich um bedeutend weniger Werke und eine im wesentlichen auf eine Grafschaft konzentrierte Gewinnung. Dennoch bildet der Salz- trust unter den britischen Industriemonopolen eine gewisse Aus- nahme. Auch die Ausnahme bestätigt hier aber die Regel: während in anderen Ländern unter Umständen Monopol- vereinigungen auch bei dem Vorhandensein einer statt- lichen Zahl von Einzelunternehmungen zu Stande kommen, kanndie Ausnützung monopolistischer Vorteile durch Kartelle und Trusts in Großbritannien, so wie die Verhältnisse der Produktion und des Absatzes in den letzten 30 Jahren gelegen haben, im allgemeinen nur dann erfolgen, wenn die konkurrierenden Unter- nehmungen eine geringe Zahl, in der Regel nicht mehr als ein paar Dutzend Einzelfirmen, repräsen- tieren.

Jedoch hängt der monopolistische Vorteil, wie bereits gesagt wurde, nicht nur von der Zahl der im Augenblick vorhandenen Konkurrenten ab. Denn diese kann ja transitorischer Natur sein. Es fragt sich für die Monopolbildenden, ob sie mit der mono- polistischen Erhöhung der Gewinne nicht neue Wettbewerber ins Leben locken, ob eine Chance vorhanden ist, ihre Monopol- stellung zu behaupten.

b) Man kann wohl sagen, jede großindustrielle Monopol- organisation steht bei ihrer Gründung vor dieser Frage. Welchen Einfluß aber diese auf den Abschluß der Monopolbildung hat, das hängt wiederum in starkem Maße von den Gewinn- chancen ab, welche zunächst einmal bei ihrer Gründung das Karteil oder der Trust aufweisen. Sind diese Gewinnchancen

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groß, wie etwa bei Ausnützung eines hohen Zolls usw., dann wird man sich sagen, daß man „Heu machen will, so lange die Sonne scheint" und sich um die drohenden Gefahren einer neuen Konkurrenz wenig kümmern. Anders, wenn die monopolistischen Gewinnchancen selbst der ersten Zeit keine besonders großen sind, und außerdem bei Erhöhung der Gewinne neue Konkurrenz ohne weiteres in Aussicht steht. Die Bereitwilligkeit zur Mono- polbildung wird dann durch den letzteren Umstand noch stärker verringert werden. Die Industriellen werden der Meinung sein, daß die durch Kartellierung oder Vertrustung zu erreichenden Vorteile, wenn sie an sich schon gering sind, dann aber noch nicht einmal von absehbarer Dauer sein können, die Monopol- bildung nicht lohnend erscheinen lassen. Kein Zweifel, daß z. B. in der wallisischen Weißblechindustrie die vorhandenen ca. 70 Unternehmungen zu Verständigungen kommen könnten, welche eine gewisse Erhöhung der Preise in England und auf dem Welt- markte herbeiführen würden. Aber bei der relativ leichten Ent- stehungsmöglichkeit neuer Weißblechwerke, die mit kleinem Kapital ins Leben treten könnten, muß die Dauerhaftigkeit einer solchen Maßnahme von vornherein Zweifel erregen und von der Monopolbildung abschrecken. Gerade also für Großbritannien, wo die monopolistischen Gewinnchancen in jedem Falle relativ gering sind (im Vergleich zu denen deutscher Kartelle oder ameri- kanischer Trusts), muß die Frage, inwieweit für eine längere Dauer der Wettbewerb ausgeschaltet werden kann, für die Monopol- begründer von besonderer Bedeutung sein. Von welchen Mo- menten hängt hier die Entscheidung ab?

Vor allem davon, wie die Entstehung neuer Unternehmungen vor sich gehen wird. Die Mehrzahl der außerbritischen Kartelle und Trusts fußt entweder direkt auf der Monopolisierung von Rohstoffproduktionen oder hat auf indirektem Wege eine Kon- trolle über die von ihnen benötigten Rohstoffe erlangt. Eine große Reihe solcher Fälle haben wir im Laufe unserer Darstellung erörtern können. Die neue Konkurrenz, welche solchen Mono- polen entsteht, kann in der Regel nur eine solche sein, welche zu höheren Kosten produziert als die monopolistische Vereinigung. Denn sind die billig produzierenden, frachtgünstig gelegenen usw. Rohstoffdistrikte einer monopolistischen Kontrolle unter- worfen, dann können neue Konkurrenten den beim unvoll- ständigen Monopole noch übrig bleibenden Teil nur zu höheren, nach dem Gewinne der Monopolvereinigung berechneten Preisen

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erwerben, oder sie müssen zur Ausbeutung teurer produzierender oder frachtungünstiger gelegener Rohstoflflager übergehen oder sie müssen, wenn sie Weiterverarbeiter monopohstisch beherrschter Rohstoffe sind, dieselben auf dem Markte kaufen, anstatt sie im Eigenbetrieb zu produzieren. Es werden in solchen Fällen die ungünstigeren Produktionsbedingungen so lange ausgenützt werden können, wie die Monopolpreise auch den teurer arbeiten- den Unternehmungen Überschüsse sichern, während die besser arbeitenden, im Falle der Trusts: die besser arbeitende Unter- nehmung, eine „Differentialrente" beziehen. Wie sich jener Pro- zeß in praxi abspielt, habe ich an einem charakteristischen Bei- spiel, der amerikanischen Eisenindustrie im Jahre 1905 darzustellen versucht.^) Es hat sich dort gezeigt, daß die United States Steel Corporation in verschiedenen Zweigen ihrer Produktion eine wachsende Zahl von Outsiders entstehen sah, daß aber diese bei den stark monopolisierten Rohstoffen und bei der aus verschie- denen Tatsachen zu erklärenden Unmöglichkeit, eine vertikale Betriebskombination vorzunehmen, teurer produzierten als der Trust und infolgedessen wenn man von der Überkapitalisierung derselben absieht ungünstiger wirtschafteten. In der Herstellung von Roheisen für die Stahlbereitung äußerte sich die Konkurrenz solcher Outsiders nur darin, daß die reinen Hochöfen in Zeiten der Hochkonjunktur existenzfähig waren, in Zeiten der Preisbaisse aber ausgeblasen wurden, da sie dann, im Gegensatz zum Trust und den großen gemischten Unternehmungen keine Überschüsse mehr abwerfen konnten, so daß sie Lief mann mit Recht als Reservefabriken bezeichnet hat.-)

Sicherlich sind auch solche Outsiders den monopolistischen Vereinigungen nicht erwünscht. Aber da sie zu höheren Kosten produzieren als diese, so besteht für solche Outsiders die Gefahr, daß sie schon bei Preisen, welche für die monopolistische Ver- einigung noch gewinnbringend sind, Verluste zu verzeichnen haben und wieder den Betrieb einstellen oder sich dem Mono- polisten unterwerfen müssen. Dieser Umstand bietet derartig auf- gebauten Monopolen einen gewissen Schutz auch für die Zu- kunft. Ganz anders ist es dagegen, wenn bei einer monopo- listischen Erhöhung der Preise Unternehmungen entstehen können, welche zu denselben Kosten wie die Monopolisten produ-

^) Vgl* Levy, Die Stahlindustrie der Vereinigten Staaten von Amerika. Berlin 1905, passim und S. 150 und 292.

'^) Conrads Jahrbücher, 1906. Besprechung meines Buches ,,Die Stahlindustrie etc."

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zieren, indem sie vor allem die Produktionsmittel zu gleichen Preisen wie diese zu erwerben im Stande sind. Hier kann unter Umständen (wir werden sogleich sehen, unter welchen) eine monopolistische Preissteigerung seitens der bestehenden Unter- nehmungen den Anreiz zur Gründung neuer Betriebe geben, welche den Preis der Produkte auf die Basis herabdrücken können, die vor der Monopolbildung herrschte, ohne dabei geringere Ge- winne oder größere Verluste zu machen als die Monopolisten. Diese würden dann bei der Bildung der monopolistischen Unter- nehmung damit zu rechnen haben, daß neue Konkurrenz ent- stehen kann, welche nicht nur lebensfähig ist, so lange sie an monopolistischen Gewinnen partizipiert, sondern welche, solange sie mit den „Monopolisten*' konkurriert, die Gewinne derselben niedrig, eventuell so niedrig halten kann, wie diejenigen der nicht vereinigten Einzelunternehmungen gewesen waren. Dieses waren die Verhältnisse, welche die klassische Nationalökonomie voraus- setzte, wenn sie die Ausgleichstendenz der Gewinne behandelte. Wären diese Verhältnisse in der Tat zu allen Zeiten für den Er- folg der industriellen Monopole maßgebend, dann könnten heute kaum solche in Großbritannien existieren. Denn wir haben dar- gelegt, daß Großbritannien das Problem der monopolisierten RohstoiTe heute so gut wie gar nicht kennt. Die Monopolbil- dungen, welche wir besprochen haben, kennen es ebenfalls nicht. Den Textiltrusts, den Stahlwerksverbänden, den Whisky- und Spiritusfabrikanten, dem Kabelkartell, Tapetentrust usw. können Outsiders entstehen, welche von einzelnen, noch zu er- wähnenden Ausnahmen und den natürlichen Schwankungen des Marktpreises abgesehen zu gleichen Preisen ihre Roh- stoffe und sonstigen Produktionsmittel beziehen und in ihrem Betriebe, soweit die Produktionsmittel in Frage kommen, zu an- nähernd gleichen Kosten, wie in denen der Monopolvereinigungen, produzieren können. Selbst da, wo es sich um mineralische Bodenproduktionen handelt, wie beim Salz oder Zement, bietet die Natur in Großbritannien noch eine solche Fülle von Schätzen, daß weder der Salztrust noch der Zementtrust jemals eine Mono- polisierung derselben angestrebt haben. Und doch sind alle jene Kartelle und Trusts und andere von uns nicht behandelte aus der berechtigten Hoffnung entstanden, daß man den Wettbewerb auf die Dauer ausschließen, zumindest den bei der Gründung derselben bestehenden Status des ,, unvollständigen" Monopols werde aufrecht erhalten können.

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. l*'

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Vor einigen Jahren behauptete ein Kenner der amerikanischen Wirtschaftsverhältnisse, Dr. Vogelstein ^), daß sich „die Frage einer überwiegend monopolistischen Wirtschaftsordnung bei rechtlicher Gewerbefreiheit zur Frage des Monopols an nicht beliebig vermehrbaren Kapitalien zuspitze". .,Die etwaige Monopolstellung von Kartellen und Trusts beruht überwiegend auf der natürlichen Seltenheit, der nicht beliebigen Vermehrbarkeit eines Produktionselementes." Es ist, wie wir noch später an- deuten wollen, zweifelhaft, ob eine solche theoretische Verall- gemeinerung aus der Monopolstellung der amerikanischen Trusts abgeleitet werden kann, wiewohl die Mehrheit derselben jene Vor- bedingungen aufweist. Für Großbritannien ist jedenfalls diese Theorie, wie wir gesehen haben, unrichtig. Die Frage einer natürlichen oder künstlichen „Schwervermehrbarkeit" der Pro- duktionsmittel tritt hier, wenn wir von Ausnahmen^) absehen, ganz zurück. Damit aber ist ein Fall gegeben, der generell zur Revision einer ausschließlich an jene Möglichkeit anknüpfenden Analyse der Kartell- und Trustvoraussetzungen auffordert.

In Großbritannien ist es die Größe der Unternehmung und ihrer Leistungsfähigkeit, welche eine monopolistische Tendenz in sich trägt. Dies einmal dadurch, daß die großen Kapitalin- vestitionen pro Unternehmung, sobald einmal die Konzentra- tionsbewegung eingesetzt hat, wachsende Anforderungen an die Kapitalbeschaffung neuer Unternehmungen stellt und damit ihr Aufkommen erschwert. Weiter aber (und dies scheint uns der wichtigere Punkt zu sein) repräsentiert jede neue Unterneh- mung, welche mit den auf Grund des Konzentrations- prozesses entstandenen Riesenunternehmungen Schritt halten will, ein so großes Mehrangebot von Produkten, daß sie. um diese abzusetzen, entweder nur bei einer enorm wachsenden Nachfrage mit Nutzen verkaufen könnte oder aber sofort die Preise auf ein für sie wie für die Monopolvereinigungen unrentables Niveau drücken würde.

In dem Augenblicke, wo die Produktionsfähigkeit der tech- nisch und ökonomisch rentablen Unternehmung schneller wächst, als dem Anwachsen des Bedarfs für eine gewisse Zeitspanne entspricht, wird während dieser eine für die bestehenden Unter-

*) Vgl. Archiv für Sozialwissenschaft, 1905, S. 346 und 348. *) Vgl. weiter unten S. 295 296.

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nehmungen monopolistische Tendenz ausgelöst. Dieser Zu- stand ist aber in Großbritannien in einer großen Anzahl von Fällen gegeben, in welchen die Betriebskonzentration, die Hori- zontalkombination, zuweilen auch die Vertikalkombination die Kapitalmacht und Produktionsfähigkeit der Einzelunternehmung in den letzten Jahrzehnten außerordentlich gesteigert hat. Will jemand mit Unternehmungen, die 10, 20 und mehr Prozent der Gesamtproduktion darstellen, so konkurrieren, daß er dieselben günstigen Produktions- und Absatzvorteile genießt, welche jene durch die Riesenhaftigkeit ihrer Organisation aufweisen, dann müßte er sicher sein, auch eine dieser Unternehmungen ent- sprechende Riesenproduktion zu noch lohnenden Preisen absetzen zu können. Niemandem ist es genommen, wenn er genügend Kapital beschaffen kann, jenen Unternehmungen solche gegen- überzustellen, welche zu annähernd gleichen Kosten produzieren, wenn, wie wir es hier voraussetzen, die Produktionsmittel zu gleichen Kosten beschafft werden können. Aber bei langsam steigendem Bedarfe würde ein solcher neuer Konkurrent sich unter Umständen sein eigenes Grab graben. Und ist erst einmal aus der Vereinigung solcher Riesenunternehmungen der Trust oder das Kartell entstanden, so steigen von neuem die An- forderungen an das neue Unternehmen. Wir sahen, wie auch bei der Bildung des Monopols das Streben nach größerer Effizienz fortdauert, wie eben durch den großen Zusammenschluß man denke an die Kalikodrucker oder an Sir Christopher Furness's Projekt wiederum die Produktionskosten aller Unternehmungen durch bessere Organisation von Produktion und Absatz herab- gemindert werden sollten. Natürlich wird eine neue Unternehmung, welche mit einem Trust konkurrieren will, durchaus nicht immer die ganze Produktionsfähigkeit der Monopolunternehmung dar- stellen müssen. Denn es ist ja möglich, daß ein Teil der in solchen Organisationen vereinigten Unternehmungen garnicht die rentabelste Größe darstellt. Aber die neue Unternehmung wird in jedem Falle die Leistungsfähigkeit des zu den tiefsten Kosten arbeitenden Einzelwerkes anstreben, und schon diese be- deutet bei einem stark entwickelten Konzentrationsprozeß eine riesenhafte Größe. ^) Werden aber durch Kombinationsvorteile die

') An sich ist es wohl auch denkbar, daß bei hohen Preisen Unternehmungen entstehen, die technisch oder organisatorisch gegenüber den rentabelsten Unternehmungs- formen zurückstehen. Allein in der großindustriellen Praxis pflegt da, wo die Pro- duktionsmittel zu gleichen Preisen zu beschaffen sind, dies nicht der Fall zu sein.

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Produktionskosten der Monopolvereinigung im Gesamtdurchschnitt auf ein tieferes Niveau herabgedrückt, als es den Kosten der billigst produzierenden Unternehmung in ihrer Vereinzelung ent- sprach, so müßte der neue Wettbewerber seine Unternehmung so produktionsfähig gestalten, daß er sich auch mit diesen Kosten messen könnte. Er müßte seiner Unternehmung noch größere Dimensionen geben, als sie den größten in dem Monopole ver- einigten Einzelunternehmungen bisher entsprach, und damit würde die Gefahr, dieses Mehr an Produktion nicht mehr absetzen zu können, wieder steigen.

Hierfür ein abstraktes Beispiel: man nehme an, daß je ein Betrieb eine gleiche Warenmenge x produziere, deren Herstellungs- kosten pro Betrieb 7 seien. Der Preis des Produktes falle bei jedem Mehrangebot von x um 2, in der Weise, daß er beim Vorhandensein 1 Betriebes 31, bei 3 Betrieben 29 usw. be- trage. Dann würde der Preis beim Angebot von 12 Betrieben 9 betragen, während ein hinzutretender Betrieb 13 den Preis auf den unrentablen Stand von 7 herabdrücken müßte. Es würde also zunächst mit 12 Betrieben, die 12 x produzierten und zu je 9 absetzten, sein Bewenden haben, wenn wir annehmen, daß die Frao-e des noch rentablen Absatzes das Entstehen neuer Be- triebe ausschließlich entscheide. Wollten aber diese Betriebe sich monopolistisch organisieren und den Preis durch Reduktion des Angebots auf 11 treiben, so würde sofort ein neuer Betrieb entstehen können, der ohne Schaden durch sein Mehrangebot den Preis wieder auf 9 herabdrücken könnte. Dies würde die Maßnahmen der Monopolisten illusorisch machen, ja es würde, wenn diese wieder ihre volle Produktion absetzten, eine Über- produktion entstehen, die für alle ein Sinken des Preises unter die Kosten herbeiführen würde. Der monopolistische Versuch wäre also mißraten.

Anders steht es, wenn wir annehmen, daß durch die Kon- zentrationsbewegung immer 4 Betriebe zu einer Einheit ver- schmolzen würden, die nun auf Grund größerer Effizienz an Kosten für 4 x nicht 4 mal 7 = 28, sondern nur 24 auf- wiesen. Dann würde jeder neue, den jetzigen Anforderungen

Anders ist es natürlich da, Wo eine Schwervermehrbarkeit der Produktionsmittel vor- liegt und die höheren Produktionskosten neuer Unternehmungen daraus zu erklären sind, daß nur bei Ausnützung ungünstiger Produktionsbedingungen solche überhaupt ent- stehen können.

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entsprechende Betrieb, der zum 12ten hinzuträte, 4 x produzieren müssen, also auch den Preis entsprechend stärker herabdrücken. Würden sich die 3 neuen Betriebe la, 2 a und 3 a jetzt zusammen- tun, so würden sie, anstatt im Wettbewerb den Preis auf 9 zu drücken, jetzt erst bei einem Preise von 15 einen neuen Betrieb rentabel machen. Denn erst hier würde ein neuer Betrieb mit seinem Mehrangebot den Preis nicht so tief drücken, daß er unrentabel würde. Wäre der Preis 15, so würde der neue Betrieb den Preis durch sein Mehrangebot auf 7 herabdrücken, also, da seine Herstellungskosten für 4 x = 24 sind, noch einen Gewinn von 4 machen können. Bis 13 (bei Ausschaltung der zwischen 13 und 15 liegenden Möglichkeit) könnte also jetzt nach erfolgter Vergrößerung der Betriebseinheit, ein Monopol- verband die Preise idealiter treiben, wenn er nur die Gefahr des Aufkommens neuer Konkurrenz bei seiner Preispolitik in Betracht zöge, und diese in der hier abstrakt angenommenen Weise vor sich ginge.

Die tatsächliche Ausnützung des Monopols im Preise wird natürlich von der Frage abhängen, bei welchem Angebot der größte Gesamtgewinn zu erzielen ist, in diesem Falle würde das Monopol bei jedesmaligen Gesamtkosten von 72 lieber 10 x zu je 13 als 12 x zu 9 oder 11 x zu 11 absetzen und darnach seine Produktion und Preispolitik einstellen. Wie steht es nun bei steigender Nachfrage? Dies ändert an dieser Dar- stellung prinzipiell nichts. Denn im ersten Fall der Isolierung der Einzelbetriebe würde, wenn zunächst 12 x zu 9 abgesetzt wären, jetzt ein weiteres 13tes x zu 9 abgesetzt werden könnte, ein neuer Betrieb entstehen.

Im anderen Falle der Konzentration und Monopolbildung würde aber zunächst der Monopolist durch die Bedarfssteige- rung profitieren und sein im obigen Falle nicht produziertes (oder auch schleuderexportiertes usw.) Utes und 12 tes x zu 13 absetzen, ohne daß neuer Wettbewerb entstünde. Erst wenn der Bedarf so steigen würde, daß nicht nur ein Utes und 12 tes, sondern auch ein 13 tes x zu 13 abgesetzt werden könnte, würde schon beim Preis von 13 ein neuer Betrieb rentabel werden, da dessen Mehrangebot von 4 x den Preis jetzt auf nur 7 herabdrücken würde. Bei so stark steigendem Bedarf würde also die Grenze, bis zu welcher man die Preise mit Rücksicht auf neuentstehende Konkurrenz monopolistisch erhöhen könnte, sinken. Käme man aber mit dem neuen outsider zu einer Ver-

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einbarung, so würde naturgemäß der Spielraum monopolistischer Preispolitik sich wieder erweitem. ^) 2)

Selbstverständlich handelt es sich hier nur um eine Tendenz, und zwar um eine Tendenz, die schon deshalb in der Wirklich- keit nicht zur Geltung zu kommen braucht, weil der Einzelne, der eine neue Unternehmung gründet, den Einfluß derselben auf die Preisbildung nicht immer im Voraus kennen kann oder nicht eher erkennen will, als der Wettbewerb aller in eine ökonomische Selbstvernichtung ausartet. Aber nicht nur theoretisch, sondern auch vom Standpunkt der konkreten historischen Entwicklung der Industrie ist die Erkenntnis jener Tendenz belehrend. Denn wenn wir zuvor dargelegt haben, welche Bedeutung die Zahl der

;i

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*) Man kann sich das Gesagte vielleicht an folgenden Zahlenreihen veranschaulichen, wobei die Klammern die Betriebszahl und Kosten nach der Kombinierung darstellen.

Beim Vorhandensein von Betrieben . Kosten

I -^ Ti j w ^1 1 ■.\ sei der Preis ,-.. . v

(mit je I X Produktionsfahigkeit) (für je i x)

2 ! 29 71

3 I ' ' 27 7 r '^

4 I 25 7 I

5 1 23 7 1

6 21

8| 17 7)

9 1 15 7 1

11 f 3^ II 7 r

12 I 9 7 I

131 7 7)

16 1 I 7)

*) Es ist hier, um die monopolistische Tendenz der Konzentrationsbewegung hervor- zuheben, von Einzeltatsachen, die das Bild in der Praxis, aber nicht prinzipiell, ver- schieben können, abgesehen. So kann z. B. ein Trust unter Umständen einen Mehrbedarf über seine bisherige Produktionsfahigkeit hinaus durch Ansetzen relativ (zur rentablen Be- triebs- oder Unternehmungsgröße) kleinere Betriebsgrößen decken. Wenn z. B. dem amerikanischen Schlachthaustrust neue Konkurrenz entstehen würde, so müßten die neuen Unternehmen außer den Riesenschlachthäusern Nebenbetriebe zur Abfallverwertung, eigene Kühlwagenzüge, einen Stab von Beamten usw. aufweisen, die denen von Armour, Swift usw. gleich kämen. Aber diese selbst können sicherlich neue Schlachthäuser bei steigendem Bedarf bauen, ohne gleich ihre Produktion in dem Maße steigern zu müssen, wie jemand, der von vorne anzufangen hat. Die Tatsache, daß die großen Firmen neue Schlacht- häuser in Betrieb gesetzt haben, widerlegt also keineswegs, wie Vogelstein es im Archiv für Sozial Wissenschaft, 1906, S. 555, hingestellt hat, die von mir schon früher an jenem Beispiel dargelegte Erscheinung, daß in der Großunternehmung als solcher ein mono- polistisches Element liegen kann.

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vorhandenen Unternehmungen für die Monopolbildung hat, so sehen wir jetzt, warum diese in früheren Zeiten selbst bei einer geringen Zahl von Unternehmern nicht zu Stande kam. Die ab- solute Zahl der vorhandenen Wettbewerber ist eben keineswegs allein maßgebend. Es fragt sich vielmehr, inwieweit diese Zahl beim Zusammenschluß eine monopolistische Stellung sich er- halten kann. Solange die rentable Größe der Einzelunternehmung derart ist, daß bei geringem Mehrbedarf oder bei geringer Preis- erhöhung neue Unternehmungen existenzfähig werden, ist die Möglichkeit für die zunächst bestehenden, ein Monopol zu bilden und zu erhalten, nicht vorhanden. Erst wenn auf Grund der Konzentrationsbewegung die Einzelunternehmung einen immer größeren Teil der Gesamtproduktion liefert, ist eine monopolisti- sche Stellung der bisher vorhandenen Unternehmungen denkbar. Während aber jede derartige Konzentrationsbewegung schon bei ihrem ersten Einsetzen eine monopolistische Tendenz in sich birgt, wird es jeweils von der Stärke der Konzentration und der Entwicklung des Bedarfs abhängen, ob jene Tendenz zu einer Voraussetzung für die dauernde Existenzfähigkeit eines Kartells oder Trusts werden kann. Denn erst, wenn die Größe der be- stehenden Einzelunternehmungen derart angewachsen ist, daß bei der zu erwartenden Bedarfsentwicklung für längere Zeit das Ent- stehen einer neuen Unternehmung unrentabel erscheint, wird die organisatorische Ausnützung dieses Vorsprunges verlockend sein. Wenn wir, um den Einfluß der Konzentrationsbewegung als „Schutz" vor neuem Wettbewerb darzustellen, zunächst andere Momente unberücksichtigt gelassen haben, welche ebenfalls in dieser Richtung in Großbritannien gewirkt haben, so müssen wir nunmehr daran erinnern, daß die Trust- und Kartellbewegung dort in manchen Fällen eingesetzt hat, in denen die Konzen- trationsbewegung noch keineswegs als ausschließliches Sicherungs- mittel für eine Monopolstellung auf längere Zeit anzusehen war. Wir sahen, daß in der Salzgewinnung freilich erst mit dem Wachsen der Einzelunternehmung durch Übernahme von Trans- portmitteln und der damit einsetzenden Konzentrationsbewegung die Monopolbildung einsetzte, daß aber immerhin noch eine relativ große Anzahl von Betrieben vorhanden war, und auf Grund der monopolistischen Preissteigerung sofort neue Werke ent- standen. Hier aber war ja auch im Gegensatz zu den anderen Fällen die Möglichkeit eines sehr beträchtlichen Monopol- gewinnes vorhanden und die Frage, inwieweit dieser von vorn-

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herein nur als transitorisch anzusehen war, trat bei der Monopol- gründung in den Hintergrund. Weiter ist zu bedenken, daß in einzelnen Fällen auch in Großbritannien das Aufkommen neuer Werke durch die Schwervermehrbarkeit der Produktionsmittel behindert werden kann, wie z. B. bei der Gründung des Bleicher- trusts die Frage der Wasserversorgung in dieser Hinsicht eine wesentliche Rolle spielte. Der Bleichertrust aber war auch das- jenige von allen uns bekannten Monopolen der Textilindustrie, welches die meisten Firmen 53 waren es einschloß, also eine bedeutend geringere Konzentration aufwies, als sie bei der Gründung anderer britischer Kartelle oder Trusts zu verzeichnen war. Endlich liegt naturgemäß auch in dem Renommee einer alten Firma, in bestimmten Marken, die sie herstellt, und die einen festen Kundenkreis haben, oder in dem Vorhandensein eines Arbeiterstammes ein gewisses Moment der Schwervermehrbarkeit und ein unter Umständen nicht unbeträchtliches Monopolelement. Dieses soll nicht unterschätzt werden. Es können Unter- nehmungen, welches jenes Monopolelement aufweisen, auch wenn der durch die Konzentrationsentwicklung gegebene Schutz noch relativ gering ist, unter Umständen eine Vereinigung bilden, ohne sofort neuen Wettbewerb fürchten zu müssen. Aber jener auf einer gewissen Tradition beruhender Schutz vor neuen Kon- kurrenten ist unvergleichlich viel geringer als derjenige, welcher durch die Schwervermehrbarkeit von Naturgaben gewährleistet wird, die es dem neuen Konkurrenten von vornherein unmöglich machen, die Produktionsmittel zu gleichen Kosten wie sein Vor- gänger zu erwerben. Da wo jene für die Monopolbildung in Deutschland und Amerika so wichtige Vorbedingung der Schwer- vermehrbarkeit der Produktionsmittel so wenig ausgebildet ist, wie in der britischen Industrie, wird immer in der Konzen- trationsentwicklung der wesentliche Schutz vor neuem Wettbewerb liegen müssen, obschon auch hier, sobald zu dieser Entwicklung andere, wenn auch schwächere Vorbedingungen der Monopolisierbarkeit hinzutreten, das Stadium, in welchem die Konzentrationsbewegung zur Monopolorganisation führt, früher eintreten kann, als wenn jene allein die treibende Kraft wäre.

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Betrachten wir einige Folgerungen der hier dargelegten Erscheinungen.

Das Fehlen der Schutzzölle, das geringe Vorhandensein eines Frachtenschutzes und die Seltenheit von Natur schwer ver- mehrbarer Mineralproduktionen mit nationalem oder internationalem Monopolcharakter beschränkt die Kartell- und Trustentwicklung in der britischen Industrie auf ein kleines Gebiet. Nur da, wo die britische Industrie durch den tiefen Stand ihrer Produktions- kosten, durch die Herstellung besonderer Qualitäten, durch traditionelle Geschicklichkeit oder durch internationale Verein- barung Immunität vor dem ausländischen Wettbewerb genießt, können die Unternehmer eine monopolistische Organisation der Industrie in Großbritannien vornehmen. Aber auch in diesen Fällen setzt jene Organisation nur unter gewissen Bedingungen ein. Denn es ist einmal die Höhe des Monopolgewinns eine vergleichsweise geringe, geringer als in Ländern, welche die oben erwähnten drei Bedingungen aufweisen; und zweitens handelt es sich bei jenen Industriezweigen um solche, deren Produktions- mittel zu gleichen, eventuell sinkenden Kosten beschafft werden können, während sehr viele von den bedeutendsten Monopolen an- derer Länder sich auf Industrien aufbauen, deren Produktionsmittel nicht oder nicht mehr beliebig vermehrbar sind und monopolisiert werden können. So kann eine erfolgreiche Monopolbildung in denjenigen Industrien Großbritanniens, bei denen eine mono- polistische Preiserhöhung gegenüber dem Auslande möglich ist, nur erfolgen: erstens wenn die Zahl der Konkurrenten vergleichs- weise sehr gering ist, und zweitens, wenn das Entstehen neuen Wettbewerbs selbst bei lohnenderen Preisen nicht oder für längere Zeit nicht zu erwarten ist. Beide Voraussetzungen sind, so wie heute die Organisation der kapitalistischen Industrie be- schaffen ist, nur dann vorhanden, wenn eine Konzentrationsentwick- lung in den betreffenden Industriezweigen vorhanden ist, d. h. wenn bei steigender Produktion die Zahl der Unternehmungen abnimmt und die ökonomisch zweckmäßige Unternehmungsgröße einen immer größeren Teil des Gesamtbedarfs in einem Produktions- zweige deckt. Somit wird die moderne Konzentrations- entwicklung von Betrieb und Unternehmung zum Grundpfeiler der britischen Kartell- und Trustfrage. Erst mit dem Einsetzen dieser Entwicklung konnte in Großbritannien in neuester Zeit eine Bildunor von

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industriellen Monopolen überhaupt vor sich gehen, da diejenigen Bedingungen, welche in anderen Ländern die Monopolbildung auch bei schwach oder garnicht entwickelter Konzentration der Unternehmungen mög- lich machen, hier fehlten. In einer Zeit, in welcher weder Deutschland noch Amerika Kartelle kannten, wies Großbritannien auf Grund derjenigen Vorbedingung, welche wir „Frachten- schutz" nannten, Kartelle in der Kohlenindustrie auf, welche uns heute durchaus ,, modern" anmuten. Später aber haben der Freihandel, die für das kleine Binnenland so wichtige Verbesse- rung der Verkehrsverhältnisse, der Übergang zur überwiegenden Herstellung von Fabrikaten, deren Rohstoffe man importierte usw. dazu geführt, daß Großbritannien monopolfrei blieb, als die sonstige ,,Welt" mit Kartellen und Trusts übersät wurde. Erst die langsam seit etwa den 70er Jahren, in vielen Zweigen später, eintretende Eigentümlichkeit des Industriekapitalismus, die Pro- duktion auf einige wenige Unternehmungen zu konzentrieren, schuf eine Veränderung. Will man den Einfluß jener Konzen- trationsbewegung auf die Monopolbildung nach einem Isolier- verfahren untersuchen, alle anderen möglichen Einflüsse aus- schalten, so ist heute Großbritannien das geeignete Untersuchungs- feld. Denn hier allein tritt für ein ganzes Wirtschafts- gebiet der Einfluß der Konzentrationsbewegung auf die großindustrieUe Monopolorganisation in kristal- lisierter Reinheit zu Tage.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß auch in anderen Ländern die Konzentrationsentwicklung zu den wirksamsten Faktoren der Monopolbildung zählt. Aber wir sahen an verschiedenen Beispielen, daß in jenen Ländern die Monopolbildung auf Grund anderer Voraussetzungen auch ohne Konzentrationsbewegung denkbar ist oder in einem vergleichsweise wenig entwickelten Stadium derselben einsetzt. Dann wiederum können, selbst wenn eine starke Konzentration eingesetzt hat, andere Voraussetzungen der Monopolbildung den Einfluß dieser Konzentration verschleiern. So liegt z. B. in der Tatsache, daß die rentable Größe eines Bessemerstahl-Schienenwerkes in der amerikanischen Union eine Produktionsfähigkeit von 400 000—600 000 tons jährlich voraus- setzt, und daß die bestehenden Unternehmungen schon im Jahre 1903 eine theoretische Leistungsfähigkeit von über 3 Millionen tons repräsentierten, sicherlich ein Moment, das von Neugründungen abschrecken muß. Denn man müßte hierbei sicher sein, nicht

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nur in der Hochkonjunktur, sondern im Durchschnitt der Jahre die Mehrproduktion des neuen Werkes abzusetzen, während tatsächhch in Jahren der Depression der Absatz von Schienen weit unter drei Milhonen tons zu sinken pflegt (1903: 2100 000 tons; 1908 nur 1350000!). Liegt in diesem Zustand für die bestehenden Unter- nehmungen sicherHch ein Monopolfaktor, so wird dessen Wir- kung für die konkrete Monopolbildung durch ein anderes mono- polistisches Moment zunächst ganz verdunkelt. Denn schon durch die Monopolisierung der Eisenerzlager wird den bestehenden Unternehmungen, selbst wenn die Gründung eines neuen Schienen- werkes rentabel wäre, eine Macht zugesichert, welche das Auf- kommen neuer Bessemerstahlschienenwerke zunächst ausschließt.

In anderen Ländern also können Momente, welche mit der eigentlichen Entwicklung des modernen industriellen Groß- kapitalismus nicht in direkter Verbindung stehen, mono- polbildend wirken: wie z. B. die Handelspolitik, die Verkehrs- verhältnisse, das zufällige Vorhandensein von Natur aus schwer ver- mehrbarer Mineralproduktionen mit nationalem oder gar weltwirt- schaftlichem Monopolcharakter usw. Die Entstehung der auf solchen Vorbedingungen aufgebauten Monopole ist nicht an ein bestimmtes, vorgerücktes Stadium der großkapitalistischen Entwicklung gebun- den. Dies haben wir an den frühzeitigen Kartellen der britischen Kohlen- und Kupferbergwerke gesehen. Solche Monopole sind unter Umständen wie ja auch so viele der deutschen Kartelle oder amerikanischen Trusts Erscheinungen, die mit dem Wechsel jener zufällig oder kurzfristig vorhandenen Voraussetzungen der Monopolisierbarkeit wiederum verschwinden. In Großbritannien dagegen zeigt sich die Monopolbildung in ihren Beziehungen zu der eigentlich modernen Entwicklung großkapitalistischer Industrieorganisation und als äußerste Konsequenz derselben. Die Entstehung der heutigen britischen Kartelle und Trusts ist im wesentlichen als das reine Ergebnis einer Gesetzmäßigkeit aufzufassen, welche wir mit Konzentrationsbewegung bezeichnet haben.

Die durchaus neue Möglichkeit internationaler Kartellierung kann heute auch für Großbritannien Vorbedingungen für Mono- polbildungen schaifen, welche neben jene der Konzentrations- bewegung treten. Denn die internationale Vereinbarung kommt ja in ihrer Wirkung einem Schutzzoll gleich. Bisher freilich hat auch sie, wie wir sehen, nur da eingesetzt, wo die Konzentra- tionsbewegung sich stark entwickelt hatte.

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Welche Chancen in Großbritannien diese Konzentrations- tendenz hat, wie sie einerseits rapide Fortschritte macht, anderer- seits noch auf vielen Gebieten des Großgewerbes fehlt und auch in nächster Zukunft wohl fehlen wird, wie sie durch die Ab- wesenheit künstlicher Mittel, die in anderen Ländern die Kon- zentrationsbewegung forziert haben, sich relativ spät in Groß- britannien entwickelt hat, wie endlich als Ganzes der britische Großindustrialismus keineswegs den ausgebildetsten Typus der Konzentrationsentwicklung in heutiger Zeit darstellt all dieses haben wir in der Betrachtung über die „Sphäre des freien Wett- bewerbes" kennen gelernt.

Ein wesentlich verändertes Bild würde die Monopolbildung in der britischen Großindustrie erhalten, wenn mit dem Freihandels- system gebrochen würde. Schutzzölle würden einerseits die Zahl derjenigen Industrien vermehren, bei denen die Frage der Monopolbildung einzig und allein von dem Stande des inländi- schen Wettbewerbes abhängt. Eine große Reihe von Industrien, in welchen heute infolge der Konzentrationsbewegung die Zahl der Unternehmer sich stark verringert hat, die aber infolge des ausländischen Wettbewerbes bisher nicht monopolistisch organisiert worden sind, würden bei Zöllen ohne weiteres zur Kartell- oder Trustbildung schreiten können. In dem Maße also, wie in vielen britischen Industriezweigen, die von ausländischem Wettbewerb bedroht sind, heute die Ausschaltung des „inneren" Wettbewerbes leichter erscheint als früher, steigen die Chancen, daß der Schutzzoll die endgültige Voraussetzung für die Mono- polbildung sein würde. Jedenfalls wären beim Schutzzoll in. solchen Industriezweigen die Aussichten einer Monopolorganisa- tion weit erfolgreicher als früher, zu einer Zeit, in der noch die Ausschaltung der inländischen Konkurrenz das Hauptproblem bildete. Somit ist der Freihandel, 1. da wo er überhaupt die Monopolbildung zu hindern vermag, heute als ein viel stärkeres Abwehrmittel derselben zu betrachten, als er es in früheren Zeiten war. Auch würden 2. Zölle auf Halbfabrikate und Roh- stoffe die Vertikalkombination forzieren und damit auch die Konzentrationsbewegung künstlich beschleunigen. Endlich 3. aber wäre bei Schutzzöllen ja auch, wie in anderen Ländern, der monopolistische Zusammenschluß einer viel größeren Anzahl von Firmen als bisher möglich, da der Anreiz zur Monopolbildung durch die Ausnutzungsmöglichkeit des Zolles wachsen würde ; es wäre also auch bei geringer oder gar keiner Konzentrations-

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entwicklung dann in Großbritannien die Monopolbildung denk- bar. Die modernen britischen Schutzzöllner sind sich dieses Zusammenhanges so sehr bewußt, daß sie vielfach den Zolltarif zum Zwecke der Trustbildung, in der sie die vorteilhafteste Or- ganisation der Industrie sehen, herbeiwünschen. Schon Schulz e- Gävernitz hat eine treffende volkswirtschaftliche Kritik an diesen Anschauungen geübt. ^) Sie haben für die praktische Entwick- lung der britischen Wirtschaftspolitik keine wesentliche Bedeu- tung. Denn wenn auch gegenüber dem „dumping" der fremd- ländischen Kartelle und Trusts manchem notleidenden britischen Industriellen die zollgeschütztenTrustsals Heilmittel erscheinen mögen, so bringt die große Masse des Volkes auf Grund der preispolitischen Erfahrungen, die mit diesen anderwärts gemacht worden sind, solchen Gebilden keineswegs Sympathien entgegen, und es wird das Argument, daß man durch Schutzzölle die Trust- oder Kartellorganisation „fördern" solle, beim britischen Volke niemals einschlagen.

Wie aber die Schutzzöllner die organisatorischen Vorteile der Kombinationen preisen, so tun es die Freihändler nicht minder. Nur behaupten sie, daß eben ausschließlich beim Freihandel die monopolistischen Organisationen volkswirtschaftlich günstig wirken könnten. Diese Anschauung findet sich sowohl bei enorlischen, wie amerikanischen und deutschen Volkswirten vor^); sie beruht auf der Erwägung, daß beim Freihandel eine monopolistische Vereinigung nicht darauf bedacht sein könne, die Preise zu steigern, da dies über kurz oder lang zum Einsetzen des fremden Wettbewerbes führen müsse; sie könne nur darauf

') Vgl. a. a. O., S. 270—277.

'*) Vgl. z. B. Hirst, Monopolies, Cartells and Trusts a. a. O., S. 169. Er meint, englische Vereinigungen könnten die Preise nicht über das „natürliche" Niveau, d. h. das Niveau des Einfuhrpreises, steigern und seien deshalb unschädlich. Für Waren, die bisher in England billiger waren als im Ausland, ist aber vielleicht der Einfuhrpreis derjenige, der dem Konsumenten „unnatürlich" hoch erscheint. Geradezu utopistisch klingt es, wenn im Economist vom 4. Juli 1908, S. 16, gesagt wird: „Im Freihandelslande könnten Monopolvereinigungen die Preise nicht über das rechtmäßige (!!), durch Nachfrage und Angebot bedingte, Niveau treiben." Pierce meint in seinem sicherlich beachtenswerten Buche: „The Tariff and the Trusts", New York 1907, S. 57: „Daß Trusts in Freihandels- wie in Schutzzollländern existieren, ist nicht zu bestreiten, aber während in den ersteren die durch den Trust erzielten Ersparnisse in Form reduzierter Preise dem Konsumenten zugute kommen, äußern sie sich in den letztgenannten Ländern in hohen Preisen für die Konsumenten und gesteigerten Profiten für die Unternehmer." Brentano a. a. O., S. 278, sieht ebenfalls beim Freihandel „die Kartelle auf ihre wohltätigen Wirkungen beschränkt". Ähnlich Dietzel, Sozialpolitik und Handels- politik, 1902, S, 23.

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hinarbeiten, die Kosten zu ermäßigen, um auf diese Weise größere Gewinne zu erzielen. Demgegenüber haben unsere Darlegungen gezeigt, daß die Frage des ausländischen Wett- bewerbes bei den britischen Industriemonopolen entweder ganz oder bis zu einem bestimmten Grade ausscheidet, daß der Zweck der monopolistischen Vereinigungen zum Teil gerade darin beruht, die Immunität vor fremdem Wett- bewerb besser auszunutzen, als es bei freier Konkurrenz der inländischen Unternehmer der Fall zu sein pflegt.

Sicherlich liegt es im Wesen der britischen Kartelle und Trusts, gerade weil sie aus der Konzentrationsbewegung hervorgehen, daß sie die Produktionskosten für das Unter- nehmen als Ganzes durch Ersparnisse und bessere Organisation besonders stark herabsetzen können. Vielfach mag auch den Gründern großer Vereinigungen in erster Linie dieses Ziel vor- geschwebt haben. Aber diese Tatsache ändert nichts daran, daß eben solche Vereinigungen, da wo sie vor Auslandswettbewerb geschützt sind und im Innern gefestigt dastehen, eine mono- polistische Machtstellung verkörpern, an deren Ausübung sie niemand hindert. Daß diese Machtstellung, vor allem in der Preispolitik, nicht so stark ist, daß die Höhe der monopolistischen Gewinne nicht so groß sein kann wie in Ländern des hohen Zoll- oder Frachtenschutzes und natürlicher mineralischer Rohstoffmonopole, haben wir deutlich gesehen. Daß aber jene monopolistische Macht- stellung Wirkungen zeitigt, die denen der Kartelle und Trusts jener anderen Länder prinzipiell nicht nachstehen, haben uns die einzelnen Beispiele ebenfalls deutlich gelehrt.

Die Beurteilung der preispolitischen Wirkungen britischer Kartelle und Trusts bot freilich, wie wir sahen, die größten Schwierigkeiten. Während in Ländern der Schutzzölle einfach der Einfuhrpreis + Fracht und Zoll zum Maßstab der monopo- listischen Preispolitik wird, und dann unter Umständen konstatiert wird, daß der Trust oder das Kartell den früheren Wettbewerbs- preis um den vollen Betrag des Zolles zu erhöhen im Stande sei, wird in Großbritannien der Preis trotz monopolistischer Er- höhung in vielen Fällen niedriger stehen als der Einfuhrpreis. In anderen Fällen aber wird der britische Preis sich autonom von fremden Preisen entwickeln, er wird den Preis auf anderen Märkten bestimmen, und damit wird die Möglichkeit, durch den Vergleich mit anderen Preisen einen Maßstab für die monopolistische Preis-

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politik der britischen Unternehmer zu gewinnen, ebenfalls ver- schwinden. Bei den fehlenden Kostenberechnungen wird auch ein Vergleich zwischen Preisen und Kosten vor und nach dem Entstehen des Monopols nicht möglich sein. Demnach konnten wir aus der bisherigen Entwicklung verschiedener Kartelle und Trusts Wirkungen auf die Preisgestaltung nach folgenden Rich- tungen hin konstatieren:

1. An die Stelle eines ausschließlich durch den Wett- bewerb bestimmten Preises trat überall, wo sich unvoll- ständige Monopole bildeten, eine mehr oder minder starke Preisautonomie der monopolistischen Vereinigungen. Zum entscheidenden Preisregulator in den betreffen- den Industrien wurde die Preispolitik der Kartelle und Trusts, der sicherlich starke Schranken gezogen sind, welche aber die Bildung der Preise wesentlich beeinflußt und eine planmäßige Regulierung derselben anstrebt. Fast überall konnten wir auf Grund der Berichte von Fach- blättern oder sonstiger Quellen feststellen, daß die mono- polistischen Vereinigungen die Preise „erhöhten" oder „er- mäßigten", zu „halten" suchten usw., daß jedenfalls also die Preisbildung als bloßes Resultat eines regellosen Wett- bewerbes aufgehört hatte. Der Erfolg dieser Politik ist zu- nächst gewesen, daß

2. in den meisten Fällen der bei der Gründung der mono- polistischen Vereinigungen ausgesprochene Zweck, die Preise über den „Wettbewerbspreis" zu heben, erreicht worden ist. Um dies zu erzielen, wurde bei den Kartellen vielfach (vgl. Spirituskartell und Salt Union) das bekannte kartellistische Mittel einer Kontingentierung der Produktion auf die einzelnen Mitglieder in Anwendung gebracht, bei loseren Verbänden Verabredungen über Produktionsein- schränkungen, vor allem in Zeiten sinkenden Bedarfs, vor- genommen. Es wurde hierdurch in vielen Fällen eine größere Stetigkeit der Preisbildung erzielt, aber zugleich auch ein höheres Preisniveau, als es bei freiem Wettbewerb bestanden hätte, hergestellt. Endlich

3. machte sich der Einfluß der monopolistischen Ver- einigungen in der für so viele Kartelle und Trusts anderer Länder charakteristischen Rayonnierung des Absatzes geltend. In der Stahlindustrie fanden wir sowohl die nationale Gebiets-

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Verteilung mit monopolistischer Preisnormierung vor wie die Tatsache, daß nach Exportmärkten regelmäßig billiger ver- kauft wurde, als an das Inland, Dieser Schleuderexport kann in Großbritannien überall da eintreten, wo es sich um monopolistische Vereinigungen handelt, die ihre Produkte auf ferngelegenen Märkten absetzen und somit (vgl. wieder den Salztrust) in den hohen Frachtkosten einen Schutz vor der Rückeinfuhr genießen. Andererseits zeigte uns die Ge- schichte des Färbertrusts von Bradford, wie auch diese Ver- einigung bestrebt war, je nach ihrer monopolistischen Machtstellung hohe oder niedrigere Preise für einzelne Warengattungen anzusetzen.

Niemand anders als die monopolistischen Vereinigungen selbst haben die Möglichkeit solcher Preispolitik, die verschieden ist von der, welche unter freiem Wettbewerb stattfindet, zuge- geben. Sie haben in ihren Prospekten fast alle betont, daß das ,,price cutting" beseitigt werden sollte. Sie haben sehr häufig versichert, daß sie ihre monopolistische Stellung nicht in der „Preispolitik ausnützen" wollten, oder daß sie, wie der Färber- trust es ausdrückte, sich nicht die „Rolle von Monopolisten an- gemaßt" hätten. Das Industriespirituskartell wurde als eine „ganz unschuldige Vereinigung von Fabrikanten zur Verhinderung des Preisdrückens" hingestellt. Bei jeder Trustgründung, welche überhaupt mit Erklärungen an die Öffentlichkeit zu treten hatte, wurden solche Versicherungen abgegeben. Auch Sir Christopher Furness glaubte bei seinem Trustprojekt im Jahre 1908 hervor- heben zu müssen, daß sie nicht den Versuch machen wollten, ,,ein künstliches Preisniveau" zu kreieren und die Firma Coats erklärte einmal: ,,sie beabsichtigten nicht höhere Preise zu nehmen, als diejenigen der Einzelunternehmungen gewesen seien, aber eine markante Aufbesserung derselben müsse natürlich da stattfinden, wo dieselben unrechtmäßig (!) durch ungesunden und übermäßigen (I) Wettbewerb herabgedrückt worden seien". Tritt es in allen derartigen Äußerungen nicht deutlich zu Tage, daß eine monopolistische Preispolitik möglich ist, und daß es eben nur von dem Willen der Monopolvereinigungen abhängt, sie zu verwirklichen? Und wer garantiert dem Konsumenten, daß nicht nach der Gründung großer Monopolkonzerns, vor allem, wenn es sich um Überkapitalisierungen handelt, die monopolistischen Möglichkeiten ausgenützt werden, und die Verbilligung der Pro- duktion, die durch die Verschmelzungen herbeigeführt worden

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ist, nur den Unternehmern zu Gute kommt? Man lese nur den Bericht des KaHkodruckertrusts, der nach dessen Sjährigem Be- stehen eine Umorganisierung forderte und in dem es an einer Stelle hieß: „Diese Nachteile .... machen sich in den meisten Fällen geltend, wo ein Privatgeschäft zu einer Aktiengesellschaft wird und noch mehr dort, wo eine große Zahl von Geschäften vereinigt und an das Publikum verkauft wird. Die Not- wendigkeit, dem Wettbewerb nach außen zu begegnen, wird nicht mehr indem Maße verspürt, und das Bestreben, das Geschäft ökonomisch zu betreiben, um eine entsprechende Verzinsung herauszuwirtschaften, wird infolgedessen bedenklich verringert. Zu viel Gewicht wird auf die Möglichkeit gelegt, höhere Preise zu erzielen, während es gerade bei einer Aktiengesellschaft darauf ankommen sollte, jeden Aus- gabeposten zu überwachen usw." Leider ist es nicht häufig der Fall, daß ein Trust in die Lage versetzt wird, solche Selbst- bekenntnisse aussprechen zu müssen. Es kommt dies eben nur dann vor, wenn selbst bei monopolistischen Preisen die gewünschte Rentabilität des Gesamtunternehmens nicht er- zielt werden kann, und nun darauf hingearbeitet werden muß, die Gewinne durch Minderung der Produktionskosten zu steigern.

Wenn Macrosty meint, daß die höheren Preise, welche britische Kartelle und Trusts im Vergleich zu den Wettbewerbs- preisen erzielten, erst dann anzugreifen seien, wenn es feststände, daß „Wettbewerbspreise gesunde Preise seien", so erscheint uns diese Auffassung bedenklich. Es fragt sich vor allem, was man unter „gesunden" Preisen volkswirtschaftlich verstehen will. Mit der Berechnung der Überschüsse der Preise über die Pro- duktionskosten, welche Macrosty hier für nötig hält, ist, abge- sehen von der technischen Unmöglichkeit solcher Berechnungen, auch prinzipiell wenig erreicht. Es handelte sich ja, wie wir sahen, sehr häufig um den Fall, daß durch die Monopolbildung ein langsamer Konzentrationsprozeß, der in dem „survival of the fittest" einmal endigen muß, unterbrochen wird, gerade um einzelnen Unternehmungen, die bei den bestehenden Wettbe- werbspreisen nicht länger existieren könnten, den raschen Unter- gang zu ersparen. Bei solchen Unternehmungen würden also höhere Preise durch die höheren Produktionskosten, die sie gegenüber den günstigst arbeitenden aufweisen, vom Standpunkt des üblichen Unternehmergewinnes „gerechtfertigt" erscheinen.

Levy, Monopole, Kartelle und Trusts. 20

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Aber dem gegenüber wäre die Frage, ob ihre Erhaltung volks- wirtschaftlich wünschenswert wäre, ebenso so unentschieden, wie etwa diejenige, ob man notleidende Industriezweige durch Schutzzölle der Nation künstlich erhalten soll oder nicht.

Schon aus diesen Gründen (und man könnte noch andere hinzufügen) glauben wir ein allgemeines Urteil über die volks- wirtschaftliche Bedeutung der konkreten Preisbildung bri- tischer Monopolorganisationen nicht fällen zu können, obschon wir feststellen konnten, daß dieselbe ein durchaus monopo- listisches Gepräge trägt. Wir sehen auch zunächst die be- sondere Bedeutung, welche jener Preisbildung zukommt, nicht so sehr in der Höhe des tatsächlich erzielten Preisniveaus als in der Art und Weise, wie dieses überhaupt zu Stande kommt.

Zum ersten Male seit der Epoche frühkapitalistischer Ent- wicklung ist in einem großen Komplex britischer Gewerbe wieder die Monopolorganisation aufgetaucht. Was damals nur auf dem Wege rechtlicher Privilegierung möghch war, ist heute unter der Gewerbefreiheit als das Resultat der ökonomischen, und zwar speziell der großkapitalistischen Entwicklung wieder mög- lich geworden. Freilich nicht als das vollständige Monopol von damals tritt jene Organisation heute auf, sondern nur in der Form eines bis zum unvollständigen Mono- pole reduzierten Wettbewerbes. So kehrt auf hoher Entwick- lungsstufe die kapitalistische Industrie zu einer Art der Or- ganisation zurück, die ihr in ihrer Kindheit eigen gewesen ist. Schon zeigen sich Wirkungen der neuen Organisation, die denen der alten gleichen. An Stelle des privilegierten Entrepreneurs, des Monopolisten, der den Preis, wie es im 17. Jahrhundert hieß, .,at his pleasure'' regelt, tritt das Kartell oder der Trust, Organisationen, welche ebenfalls, so weit ihre Machtstellung geht, die Preise für große Absatzgebiete monopolistisch „fixieren". Da stellt sich das System ein, für die einzelnen Märkte, je nach der Monopolstellung, die man besitzt, verschiedene Preise anzu- setzen, ganz ähnlich wie schon die Monopolisten des 17. Jahr- hunderts den Salzabsatz rayonnierten. Wie aber die Monopol- gewährung im 16. und 17. Jahrhundert die Machtstellung einzelner kapitaHstischer Unternehmer künstlich erhöhte und die Kapital- konzentration forzierte, in dem sie die wenigen vorhandenen kapitalistischen Betriebe in den Händen einer einzigen Person oder Gesellschaft vereinigte, so eilt heute in Großbritannien die

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Kartell- und Trustentwicklung der Konzentrationsbewegung vor- aus und versucht schon heute deren endgültige monopolistische Vorteile zu erringen. So entstehen Unternehmungen, deren finanzielle Grundlagen häufig auf dem spekulativen Werte zu erwartender Monopolgewinne beruhen, und deren Rentabilität ebenso gefährdet ist, wie diejenige der alten Monopolunterneh- mungen, für deren Patente die Höflinge zu viel bezahlt hatten. Und wiederum erhebt sich die Frage: ob die Verbilligung der Pro- duktion, welche bei der Bildung des Monopols versprochen wird, auch tatsächlich dem Verbraucher oder Weiterverarbeiter zu Gute kommen wird, oder ob, wie esDavies im Jahre 1641 ausdrückte, die Interessen „des Untertanen und der festgesetzte Preis, nach dem der Monopolist strebt, nicht nebeneinander bestehen können". In dem Maße, wie alle jene langvergessenen Probleme wieder von neuem auftauchen, verebbt die Ära des Konkurrenzkampfes, an dessen Ewigkeit ein ganzes Jahrhundert lang niemand zu zweifeln wagte, und es beginnt zum zweiten Male eine Epoche des industriellen Monopolkapitalismus.

Das britische Volk, ich meine nicht allein „the man in the Street'', sondern auch die große Masse der politisch und volks- wirtschaftlich Gereiften, hat für diese Entwicklung noch wenig Em- pfindung. Dies ist eigentümlich. Denn nichts ist in Großbritannien unpopulärer als das Monopol, welcher Art es auch sei. Weder die deutschen Konsumenten, die Kartellkohle verbrauchen, noch die Amerikaner, die unter den hohen Preisen des Fleisch- trusts, leiden, haben sich je so wütend gebärdet, wie die eng- lischen Bürger, als sie hörten, daß Mr. Lever ein Seifenmonopol schaffen wolle. Und dessen Projekt wäre noch garnicht einmal ein Monopol gewesen. Aber einige Halfpennyzeitungen hatten es als solches hingestellt, der britische Konsument glaubte es und unterstützte so erfolgreich die Detaillisten, daß das Lever'sche Unternehmen in die Brüche gehen mußte. Das sind gelegent- liche Ausbrüche eines anti-monopolistischen Rechtsbewußtseins, für dessen Entwicklung wir schon in der frühzeitigen Anti-Mono- polagitation einigen Aufschluß gefunden haben.

Aber im allgemeinen glaubt der Engländer an eine man möchte sagen „natürliche" Notwendigkeit des freien Wettbewerbs. In dieser Hinsicht sind ihm die Lehren der klassischen National- ökonomie seit einem Jahrhundert in Fleisch und Blut überge- gangen. Nicht als ob diese individualistischen Lehren die Unternehmer von der Koalition zurückgehalten

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hätten ! Wir haben gesehen, daß diese dem Monopolgedanken nahe standen, wo immer die Aussicht eines Monopolgewinnes winkte. Aber es waren eben tatsächlich die objektiven Voraus- setzungen der Monopolbildung bis vor kurzem sehr gering, und die konservativ gewordene Denkungsart des Briten steht, soweit er nicht als Industrieller oder Verbraucher zu den Monopolen Beziehungen hat, ihnen noch ungläubig gegenüber. Selbst ein so trefflicher Volkswirt, wie der jetzige Herausgeber des Eco- nomist, Francis W. Hirst, glaubt noch daran, daß hohe Gewinne immer neuen Wettbewerb hervorrufen müssen, und er kann sich in seinem Buche nicht dazu verstehen, mit der Dauerhaftigkeit britischer Monopolvereinigungen zu rechnen. Während John Stuart Mill schon im Jahre 1849 aus den wenigen Beispielen, die ihm vorlagen, von „einer Unternehmung so großen Umfangs" sprach^), „daß sie die Freiheit des Wettbewerbes fast illusorisch mache", ist heute der Gedanke, daß in der Größe der modernen, aus dem Konzentrationsprozeß entstandenen Unternehmungen ein monopolistisches Element liegt, dem volkswirtschaftlichen Ideenkreise auch des hochgebildeten Engländers zunächst noch fremd.

Andererseits sind die Wirkungen der britischen Trusts und Kartelle nicht so einschneidend gewesen, um im Volk etwa einen Widerstand gegen sie hervorzurufen. Und dies wiederum hat auch die politische Diskussion über die Monopolvereinigungen nieder- gehalten. Im April 1908 hat freilich ein konservatives Parlaments- mitglied, Sir Gilbert Parker, an die Regierung die Frage gerichtet, ob nicht ein Untersuchungsausschuß in dieser Frage am Platze sei; er erhielt jedoch von dem Premierminister die Antwort, „er wisse wohl von der Existenz solcher Vereinigungen, und daß in manchen Fällen ihre Wirkungen schädigend für das Publikum sein könnten", aber eine Gelegenheit zu einer Untersuchung sei vorläufig noch nicht gekommen. Das war eine ,, zumindest" aus- weichende Antwort. Es war aber kein Zufall, daß gerade ein konservativer Tarifreformer jene Frage stellte. Denn mit dem Hinweis darauf, daß es in Großbritannien ,, trotz" des Freihandels machtvolle Monopolvereinigungen gibt, hofft man von jener Seite her, einen Anspruch des Freihandels zerstören zu können, der bis- her wesentlich zu seiner Popularisierung beigetragen hat. Um so weniger wünscht die heutige Majorität des Parlaments und

^) Vgl. Principles, Vol. I, 2 ed., S. 176.

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ihre Regierung, mit derartigen Fragen in Berührung gebracht zu werden, und manches liberale Parlamentsmitglied, das an Kartellen und Trusts beteiligt ist, und es gibt deren Viele mag in dieser ablehnenden Haltung seiner Partei eine persönliche An- nehmlichkeit erblicken. So kommt es, daß heute noch amtliche oder parlamentarische Berichte über die britischen Kartelle und Trusts fehlen. Während in Amerika die Regierung genaue Unter- suchungen über den Tabaktrust und seine Politik anstellen läßt, ist weder der britische Tabaktrust, der doch mit jenem so gut wie eine Unternehmung bildet, noch eine andere Monopolvereinigung mit solchen behelligt worden. Es mag dies damit erklärt und be- gründet werden, daß der monopolistischen Preispolitik engere Grenzen gesetzt sind als dort oder in Deutschland. Aber die Folge ist jedenfalls, daß damit auch der prinzipielle Gesichts- punkt, daß es sich hier wie dort um eine monopolistische Orga- nisation der Industrie handelt, in Großbritannien nur langsam zum Durchbruch kommt.

Dasselbe Volk, welches als erstes und unter einem großen Aufwand von Energie die Schranken beseitigte, welche früher der Entfaltung freier gewerblicher Konkurrenz entgegenstanden, wähnt heute noch, für alle Zeiten jene Freiheit erobert zu haben. So wird vielleicht noch einige Zeit dahingehen, bis auch ihm die Überzeugung wird, daß auf großen Gebieten der industriellen Produktion eine organisatorische Umwälzung anbricht, welche das wirtschaftspolitische Denken und Handeln vor neue Auf- gaben stellt.

Dokumentarischer Anhang.

1. Ein Kar tellyer trag TOni Jahre 1835.

(Vgl. Report from the Select Committee oa the State of the Goal Trade. House of Commons 2. August 1836, S. 7 9.)

Punkte einer Vereinbarung, welche am heutigen Tage

des Monats 1835 zwischen verschiedenen unten genannten Per-

sonen abgeschlossen worden ist, die Besitzer oder Pächter gewisser Gruben in den Grafschaften Northumberland und Durham sind:

1. Die Besitzer oder Pächter einer jeden der unten genannten Gruben haben in einem geschriebenen Dokument einen Repräsentanten zu wählen, der die Vollmacht hat, für jede solche Grube zu handeln und den Eigen- tümer oder die Eigentümer während der Dauer des Vertrages zu binden.

2. Der Repräsentant soll eine solche Kenntnis der allgemeinen Ver- waltung der Unternehmungen haben, und der Geldgeschäfte der von ihm repräsentierten Unternehmungen, daß er jeder Zeit genau konstatieren kann, wieviel Kohle verkauft worden ist, welcher Preis tatsächlich pro Chalder Kohle, sowohl von Rund- wie Kleinkohle, erzielt wurde, und er soll ver- antwortlich sein für jedwede irreguläre Erhöhung oder Vermindenmg des Preises, zu welchem die Kohle zu verkaufen gewesen wäre, oder irgend eine sonstige Verletzung des Buchstabens oder Geistes dieser ^"erein- barung.

3. Die Besitzer oder Pächter sollen berechtigt sein, ihren Repräsen- tanten zu wechseln, nachdem sie den Vorsitzenden benachrichtigt haben.

4. Ein Ausschuß für den Tyne Distrikt bestehend aus 9 Mitgliedern (die aus den Repräsentanten gewählt werden) soll durch Listen, die von jeder Grube auszufüllen sind, eingesetzt werden und ein Jahr lang bestehen bleiben mit möglicher Wiederwahl für 12 Monate; aber obschon es zu wünschen wäre, daß der Ausschuß jene Zahl von Mitgliedern darstelle, um die Produktionsbasis der betr. Häfen und Gruben festzusetzen, so soll dieser Ausschuß doch berechtigt sein, einen Unter- oder Exekutivausschuß zu bilden, um die Bestimmungen der Vereinbarung durchzufüliren, welcher aber ftir den Tvne Distrikt nicht weniger als 3 Mitglieder zähleji darf.

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5. Fünf konstituieren ein quorum, die Wahl erfolgt durch Abstimmung, und die Entscheidung der Majorität bindet die Parteien in allen Fällen, mit Ausnahme des Falles, in welchem eine Berufung gestattet ist.

6. Die diesen Vertrag Abschließenden nehmen die existierende Pro- duktionsbasis der Gruben, deren Produktionsmengen jetzt fixiert sind, an, bis diese Mengen vom Ausschuß oder den Repräsentanten angefochten und schließlich von den Referenten geregelt werden. Bei dieser Regelung der Produktionsmengen sollen der Ausschuß oder die Referenten die Leistungsfähigkeit der Grube, die verschiedenen Arten der Kohle, ihre Preise und Versendungsmöglichkeiten bemcksichtigen. Aber bei dieser Abschätzung soll diejenige Leistungsfähigkeit der Gruben, welche dem Auslandsabsatz oder dem Verkaufe nach dem Binnenland zuzurechnen ist, nicht berücksichtigt werden.

7. Unparteiische Berichterstattung soll auch weiterhin das leitende Prinzip der Handelsvereinbarung sein und sie muß angewandt werden, um die Absatzmengen zwischen den einzelnen individuellen Gruben zu regeln.

8. Ehe ein Fluß- oder sonstiges Gebiet einen Einwand erheben darf, muß die Majorität der Repräsentanten solchen Gebietes ihre Überzeugung ausgesprochen haben, daß dieser berechtigt ist, und dementsprechend dem Ausschuß ein Gesuch vorgelegt haben.

9. Der unzufriedene Distrikt soll seinen Referenten nennen, und der vereinigte Ausschuß soll dasselbe tun und beide sollen einen Schieds- richter nennen, ehe die Untersuchung begonnen wird.

10. Die Gesamtkosten sollen gleichmäßig zwischen dem sich be- schwerenden Teil und dem gesamten Gewerbe geteilt werden.

11. Die Referenten dürfen die Produktionsmengen solcher Distrikte erhöhen oder vermindern und ihre Entscheidung ist endgültig.

12. Diese Prinzipien, welche die Referenten im Falle der Fluß- und sonstigen Distrikte leiten sollen, sollen auch auf die einzelnen Gruben angewandt werden, wenn sie gegen die Entscheidung der für sie zu ständigen Ausschüsse Einwendungen erheben, aber eine besondere Er- laubnis, den Einwand zu erheben, ist für diese nicht nötig.

13. Sobald diese Vereinbarung unterzeichnet ist, sollen die Flüsse und Distrikte bei dem jetzigen vereinigten Ausschuß Einwand erheben können, wird aber derselbe bis zum Beginn des Jahres 1836 nicht er- hoben, dann sollen keine Veränderungen in der Basis zwischen Flüssen und Distrikten vorgenommen werden außer am Beginn jeden Jahres und auch dann erst, wenn der Fluß oder Distrikt 4 Monate vorher dem Aus- schuß von seiner Absicht, Einwand zu erheben benachrichtigt hat.

14. Im Falle einzelner Gruben, sollen auch diese die Freiheit haben, Einwände zu erheben, sobald der Vertrag unterzeichnet ist; wird aber ein solcher vor dem Beginn des Jahres 1836 nicht erhoben, dann soll erst nach dem Abschluß von 6 Monaten eine Veränderung der Basis eintreten und auch dann erst, wenn der Repräsentant solcher Grube 3 Monate

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vor dem 1. Januar oder 1. Juli jedes Jahres den Ausschuß von dieser seiner Absicht benachrichtigt hat.

15. Die Entscheidung des Referenten soll für die Flüsse und Distrikte mit dem Jahresbeginn in Kraft treten, für die einzelnen Gruben, sechs Monate nachdem er einen dementsprechenden Bescheid gegeben hat.

16. Der Ausschuß oder die Referenten sollen ermächtigt sein, die Unterzeichner dieses Vertrages oder ihre Agenten aufzufordern, Fragen zu beantworten und Dokumente abzuliefern, welche zur vollen Durch- führung dieses Vertrages nötig sind, aber diese Ermächtigung soll sich nicht auf die privaten Konten der Gruben beziehen.

17. Diejenigen Unterzeichneten, welche aufgefordert werden, sollen für Nichtanwesenheit oder Ant^vortverweigerung 20 £ zu bezahlen haben; diese sollen nur zurückerstattet werden, wenn eine allgemeine Repräsen- tantenversammlung zu Gunsten der Einspruch erhebenden Partei ent- scheidet ; es soll dann der Ausschuß solcher Versammlung nicht über die Anfechtung gegen diese Entscheidung abstimmen, und die Abstimmung solcher Versammlung soll durch Zettel erfolgen.

18. Der relative Preis jeder Kohlenart soll durch den Ausschuß und die Repräsentanten jeder Grube bestimmt werden und einer Anfechtung durch die Referenten unterworfen sein.

19. Keine Grube soll ohne Erlaubnis des Ausschusses den zwischen ihr und dem Ausschuß vereinbarten festen Preis oder den Verkaufspreis der Grube verändern dürfen; die Strafe hierfür beträgt o sh für jedes so verkaufte chaldron, im Falle eines Zwistes kann Einspruch bei den Re- ferenten erhoben werden.

20. Der Ausschuß soll zusammen mit dem Ausschuß des Wear und Tees Distrikt und den anderen Beteiligten dieses Vertrages von Zeit zu Zeit solche Ausgabe von Rundkohlen vornehmen, wie sie für den Bedarf nötig erscheint.

21. Gruben, welche zu bestimmten Jahreszeiten besonderen Versen- dimgsschwierigkeiten oder derartigen Umständen ausgesetzt sind, soll es gestattet sein, solche Mengen von Zeit zu Zeit zu verkaufen, wie sie in Vorsehvmg dieser Ereignisse der Ausschuß für richtig findet. Jede Grube, welche sich durch eine Ablehnung solcher Erlaubnis verletzt fühlt, soll ihren Anspruch durch Berichterstattung entscheiden lassen.

22. Alle Kohle soll nach dem Gewicht verkauft werden, entweder pro Tonne von 20 cwt. oder pro chaldron von 53 cwt. ; jede Grube, von welcher der Inspektor herausfindet, daß sie ein Mehrgewicht gibt, soll 2 sh 6 d für jedes überschüssige cwt. auf den Durchschnitt von zehn Waggonladungen bezahlen. Jede Grube soll, bei einer Strafe von 20 £, eine Wägemaschine in gutem Zustande und bequemer Lage auf- weisen.

23. Jede Grube, die ihren Anteil um 100 chaldron übersclireitet oder um 2 ''/o nach Maßgabe der Basis, um ein Schiff voll zu laden, soll für jeden solchen übermäßig verkauften chaldron 5 sh bezahlen und die ent-

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sprechende Menge soll von der Anteilsziffer der Grube im nächsten Monat abgezogen werden.

24. Jeder der Unterzeichneten soll zu Händen eines Treuhänders einen auf Sicht zahlbaren Wechsel von 20 £ für jedes Tausend seiner Basis hinterlegen, als Sicherheit für die Zahlung der Strafgelder und das Innehalten dieses Vertrages; der Ausschuß soll die nicht besonders vor- gesehenen Strafen in jedem Falle bestimmen; die Treuhänder bestehen aus dem Vorsitzenden und dem Ausschuß.

25. Die Inspektoren des Tyne, Wear und Tees sollen, so oft es ein Ausschuß irgendwelcher diese Flüsse für nötig hält, die Maße aller Gruben an den verschiedenen, in dieser Vereinbarung eingeschlossenen Häfen untersuchen, so daß das Gewicht des chaldron, entsprechend der Regel 22, stabil und gemäßigt bleibt.

26. Kein Verfrachten, Aufhalten der Verfrachtung oder Erhöhen der Preise ist ohne Erlaubnis des Fluß- oder Distriktausschusses gestattet, bei einer Strafe von 5 sh pro chaldron für die Menge, welche so ver- kauft wird.

27. Alle Unterzeichneten sollen sich streng an diejenige Regulierung des Kohlenverkaufs in London durch die Kohlenfaktoren halten, welche die vereinigten Ausschüsse von Zeit zu Zeit vereinbaren werden.

28. Sollten zu irgend einer Zeit während der Dauer dieses Vertrages die vereinigten Ausschüsse die Gewährung einer weiteren Kohlenmenge an die Küstenmärkte für irgendwelchen vorübergehenden Zweck für nötig halten, so sollen sie dazu befugt sein, unter solchen Beschränkungen und Bestimmungen, wie sie es für richtig halten.

29. Der Ausschuß soll dazu verpflichtet sein, die Strafgelder zu er- zwingen, dieselben ein Mal im Monat einzusammeln und für den Sekretär in Newcastle für die allgemeinen Bedürfnisse des Gewerbes auszuzahlen.

30. Diese Vereinbarung soll am 30. Januar 1836 beginnen und Jahr für Jahr fortdauern, solange es die Beteiligten wünschen, von denen jeder bei einer sechsmonatlichen Kündigung zurücktreten kann, indem er vor dem Abschluß eines jeden Jahres nach dem Ablauf des ersten Jahres an den vereinigten Ausschuß diesbezüglich schreibt und seinen Vertrag kündigt.

31. Sollten Umstände vorhanden sein, die die Auflösung dieses Ver- trags anders als vorgesehen, wünschenswert machen, und sollten auf einer Versammlung der Repräsentanten der drei Flüsse und der anderen Beteiligten, die zu diesem Zwecke einberufen wird, vier Fünftel dies für nötig halten, dann soll der Vertrag aufgelöst sein.

32. Kein Beteiligter soll durch seine Unterschrift an diesen Vertrag gebunden sein, bis er von jedem Grubenbesitzer am Tyne gebilHgt und unterzeichnet worden ist, und bis die Kohleneigentümer des Wear-, Sea- ham-, Tees-, Hartley-, Cowpen- und Netherton-Gebietes ihre Bereitwillig- keit erklärt haben, in Übereinstimmung mit den allgemeinen Prinzipien dieses Vertrages zu handeln.

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33. Im Falle der Uneinigkeit zwischen den verschiedenen Ausschüssen oder irgend einem einzelnen Kohleneigentümer und dem Distriktsaus- schuß, dem er angehört, über die Konstruktion irgendwelcher der obigen Regeln oder über irgend einen hier nicht vorgesehenen Punkt, so soll diese einer Berichterstattung unterworfen werden.

3. Zur Frage der Betriebskombination : Die Rede des Sir Christopher Furness.

(Vgl. Richardsons, Westgarth and Co., Limited: Report of Eight Annual Ordinary General Meeting of Shareholders Held on Tuesday, the 2()ih December 1908.)

Sir Christopher Furness erklärte:

Die gewöhnliche Routine unserer Jahresversammlung ist dieses Mal durch einen Vorschlag unterbrochen worden, der Ihren Direktoren zum Zweck der Amalsfamierunof unseres Geschäfts mit verschiedenen anderen Maschinenbaufirmen dieser Küste gemacht worden ist. Ich möchte so- gleich erklären, daß ich für diesen Vorschlag nicht verantwortlich bin und daß ich an dem Projekt weder direkt noch indirekt interessiert bin außer als Vorsitzender und Aktionär Ihrer Gesellschaft. Aber die ge- schäftlichen Perspektiven einer solchen Amalgamierung erscheinen Ihren Direktoren so bedeutsam, daß wir es als unsere Pflicht ansehen, selbst unter Aufopferung beträchtlicher Zeit, die Sachlage genau zu prüfen und an Verhandlungen, die sehr lang zu werden scheinen, teilzunehmen.

Sie werden, das weiß ich, mir zugeben, daß das letzte Jahr das ver- hängnisvollste in den Annalen der Nordostküste gewesen ist, indem für nicht weniger als 7 Monate durch den Strike der Maschinenbauer ein Stillstand der Maschinenindustrie erfolgte, dem in unserem Falle noch ein partieller Stillstand und eine vollständige Disorganisation einzelner Werften vorausging. Wir haben in der Tat ein ganzes Jahr verloren und die ungeheuren Anstrengungen, die wir gemacht haben zum Zwecke des Aufbaues neuer Geschäftszweige für die Herstellung von Dampf- turbinen, Pumpmaschinen, Stahlwerkseinrichtungen und elektrischen An- lagen sind rücksichtslos zerstört worden durch den schlechtberatensten vmd unglücklichsten Strike, den wir je gekannt haben. Das Publikum ist an die ständige Folge von Strikes so gewohnt, daß ihm selbst der Stillstand unserer Eisenbahnen oder unserer Kohlenversorgung nurmehr gewöhnliches Interesse einflößt, aber die beunruhigende Tatsache bleibt, daß die britische Industrie in einer Weise gelähmt und britisches Kapital in einer Weise zerstört wird, die in der Industriegeschichte keine Parallele findet. Nehmen Sie unser eigenes Beispiel. Wir haben drei Werke, in Hartlepool, Middlesborough und Sunderland, mit einem Stabe hochgeschulter Experten für die Leitung und Entwicklung unserer verschiedenen Fabri-

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kate. Jeder Zweig hat eine in sich geschlossene Organisation von Zeichnern und Arbeitern. Um die Fabrikation selbst zu überwachen, existiert eine weitere Organisation von Werkdirektoren, Zweigvorarbeitern und Assistenten, dazu der gewöhnliche Stab von Geschäfts- und Bureau- beamten, die im ganzen 250 Leute darstellen und deren Dienst natürlich nicht aufgegeben werden kann in dem Augenblicke, wo die allgemeine Schar der Angestellten zu striken beginnt. Beim Beginn der Strikes hatten wir auch gerade eine ungewöhnlich große Zahl von Kontrakten in verschiedenen Teilen des Landes übernommen, und da stand mit einem Male alles still. Es folgte für sieben Monate eine völlige Lähmung unseres Geschäftes, jeder neue Monat brachte neue Möglichkeiten fried- licher Regelung, auch eine Intervention des Gewerbeministeriums erfolgte, dessen Einmischung so von den Arbeitern verhöhnt wurde, daß der Generalsekretär der Amalgamated Engineers Society seinen Abschied nahm. Wir selbst sahen, wie sich unsere Gewinne in Verluste verwandelten; Gras wuchs in unseren Werken, unsere Kunden wandten sich enttäuscht und verärgert ab und der Abschluß von Kontrakten für die Zukunft stand still, da wir solche nicht annehmen konnten. In der Stadt wurden, wie Sie wissen, Arbeiter zu Bettlern, Frauen und Kinder verhungerten fast, und die Ersparnisse der Geschäftsleute wurden fast auf Null herab- gedrückt. Das ist das traurige Bild eines Strikes, für den kein Grund vorlag und der blindlings aufrecht erhalten wurde, entgegen allen freund- lichen Versuchen, selbst denen eines Kabinettsmitglieds und der Arbeiter- führer.

Noch stehen wir unter dem Zeichen des Schiftl^ruchs. Aber hoffen wir, daß die Krisenepidemie vorüber ist, sonst wird es nicht möglich sein, den Wohlstand zu erhalten, der bisher den Maschinenbau an dieser Küste begleitet hat. In der Tat, selbst bei dem gegenseitigen Verlangen, ver- lorenen Boden zurückzuerobern, ist es fraglich, ob wir dies tun können, wenn wir nicht gleichzeitig Methoden adoptieren, welche durch Eliminierung des Überflüssigen die Produktionskosten herabsetzen. Die Lage, der wir gegenüber stehen, ist die eines intensiven Wettbewerbes, und was dieser Wettbewerb bedeutet, illustriert die Tatsache, daß unser einst hoch- lukratives Schmiede-Departement, zusammen mit vielen anderen dieses Distrikts, so gut wie geschlossen ist, da wir Schmiedestücke zu viel tieferen Preisen erhalten können, als wir sie selbst zu produzieren oder in unserem Lande zu kaufen vermögen. Der Wettbewerb wird sicherlich auf andere Zweige überspringen, wenn wir nicht weise Maßnahmen ergreifen, und was wir vor allem anstreben müssen ist, daß keine Strikes entstehen, daß größeres individuelles Interesse an der Tagesarbeit genommen wird, daß Kontrakttermine innegehalten werden, das Vertrauen der Käufer wieder hergestellt wird und die Produktionskosten ermäßigt werden.

Wenn geschäftlicher Erfolg durch irgendwelches Amalgamations- system erreicht werden soll, so kann dies begreiflicherweise nur durch Erhöhung der Qualität der Fabrikate und eine Ermäßigung ihrer Her-

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Stellungskosten erzielt werden. Jedweder Versuch, künstlich ein Preis- niveau zu schaffen, das höher wäre als den Marktverhältnissen entspräche, ist von vornherein eine verlorene Sache, da wir hierdurch den guten Willen unserer Freunde und Kunden opfern und Geschäfte verlieren •würden. Das eine Ziel muß daher das sein: den Schiffsbau günstig zu beeinflussen, ihn mit Maschinen zu solchen Preisen zu versorgen, die einen günstigen Vergleich mit den anderen Wettbewerbszentren aushalten können und doch einen Fabrikationsgewinn abwerfen. Es ist unzweifelhaft, daß der Schiffsmaschinenbau eine ideale Möglichkeit für die Verwirklichung eines solchen Projektes bietet und, wenn es verwirklicht wird und mit dem begeisterten Vorsatz betrieben wird, einen großen Erfolg zu erzielen, so muß es meines Erachtens einen günstigen und dauernden Einfluß auf den Schiffsbau ausüben.

Erfahrung hat gezeigt, daß der höchste Erfolg in der Industrie nur bei spezialisierter Massenproduktion unter sachkundiger Leitung erzielt wird. Die Herstellung von Schiffmaschinen und die vielen Einzelheiten, die damit verknüpft sind, verlangen so viele gesonderte Zweigproduktionen, daß eine spezialisierte Massenherstellung unter konzentrierter Leitung für den einzelnen Maschinenbauer nicht denkbar ist. Aber bei einem Amal- gamationsprojekt wird die ganze Stellung derselben vereinfacht. Es haben z. B. die Firmen, welche dieses Projekt erwägen, während der letzten sieben Jahre für 1206 Dampfschiffe, die zusammen 2150 000 Pferdekräfte repräsentierten, die vollkommene Maschinenausrüstung geliefert. Die Einzelheiten allein, die die Produktion von 172 Maschinenreihen jährlich nötig macht, sind enorm, würden sie aber standardisiert und unter mo- derner Organisation hergestellt, so würden Gewinne zu erzielen sein, welche heute einfach unmöglich sind.

Im Hinblick auf die fortschrittliche Natur nicht nur der Herstellung von Schiffs- und anderen Maschinen, sondern auch der Zeichnung der- selben muß jeder einzelne Fabrikant bedeutende Betriebsausgaben vor- sehen, um mit der Zeit Schritt zu halten. Ein anderes Beispiel: Seitdem unsere Gesellschaft vor sieben Jahren gegründet worden ist, haben wir 133000 £ in neuer Maschinerie und in Gebäuden ausgegeben, außerdem 140 000 £, ungefähr, um unsere drei Werke auf der Höhe ihrer Leistungs- fähigkeit zu erhalten. In diesen Ausgaben sind nicht eingerechnet die Kosten unserer Turbinenwerke, die eigentlich unabhängig sind und für uns ein ganz neues Geschäft darstellen und eine Umlage von 50 000 £ erfordert haben. Wir stehen freilich in diesen Ausgaben nicht allein da; alle Firmen erkennen sie für ihre Existenz als nötig an, und angesichts des immer stärker werdenden industriellen Wettbewerbes werden sie zweifellos in Zukunft noch stärker anwachsen. Amalgamiert man jedoch verschiedene solcher Firmen und lokalisiert, soweit es möglich ist, die Herstellung von Standard-Details, so könnten jene Ausgaben beträchtlich vermindert werden oder sie würden, wenn man sie so wie jetzt aufrecht erhielte, eine größere Gewinnchance zur Folge haben. Dies ist meines

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Erachtens die notwendigste Vorbedingung der heutigen Maschinen- fabrikation. Die Erfahrung hat zweifellos gezeigt, daß, um überhaupt zu bestehen, jeder Maschinenbauer, ganz gleich wie jetzt seine Werke im Stande sind, fortfahren muß, Kapital freigebig hineinzustecken, und die Essenz dieses Amalgamationsprojektes ist, das Geld so zu verwenden, daß die vereinigten Fabrikanten dem Wettbewerb erfolgreicher begegnen können, als wenn sie Einzelunternehmungen wären und jede der anderen Art imitiert, in einer Weise, die an geschäftlichen Selbstmord grenzt. Die geplante Vereinigung ist daher ein Vorschlag ersten Ranges ; ihre Wirkung soll die sein, das in der Industrie steckende Kapital seinem Werte nach zu erhalten und schließlich bedeutend zu erhöhen, eine Wirkung, die sich auf alles in den Maschinenwerken hier an der Küste steckende Kapital erstrecken wird. Dies ist möglich, weil die Vereinigung Leichtigkeiten für die Entwicklung der kommerziellen, technischen und praktischen Organisation bietet, die die einzelnen Unternehmungen in ihrer Isolierung nicht bieten können. Natürlich jedes solches Amal- gamationsprojekt beschränkt den inneren Wettbewerb und dement- sprechend würde dadurch schon automatisch ein Vorteil eintreten, aber das wäre gewissermaßen nur ein Nebenprodukt gegenüber dem Haupt- ziele: der Ermäßigung der Produktionskosten. Es würde natürlich Zeit und immense Energie für jeden Beteiligten erfordern, den neuen Weg zu organisieren, aber in der Tatsache, daß die Energie in den nützlichen Kanal fortschrittlichen Aufbaues anstatt wettbewerblicher Zerstörung ge- leitet würde, würde der Ersatz liegen, vmd dies würde den Enthusiasmus auslösen, der unfehlbar den Erfolg gewährleistet.

Es ist eine bedeutsame Tatsache, daß viele Firmen an der Küste viele Einzelheiten in unserem Lande billiger kaufen, als sie sie produzieren können, und daß die Fabrikanten derselben beträchtlich verdienen. Sie können es, weil sie spezialisierte Massenproduktion und konzentrierte Leitung haben. Wir wiederum stellen alle Einzelheiten zu Kosten her, die gerade so hoch sind, wie wenn wir diese kaufen würden und be- gnügen uns mit dem Gedanken, daß diese einen Anteil an unseren Be- triebsausgaben darstellen. Um die Gewinne zu erzielen, die uns jetzt entgehen, muß aber ein genügend großer Amalgamationsprozeß in Aus- sicht genommen werden, und wenn nicht alle Firmen, die jetzt an der Sache interessiert sind, beistimmen, so kann er nicht durchgeführt werden.

Unter dem jetzigen System werden Maschinen und Kessel von jeder Firma den Ansprüchen verschiedener Klassifikation gemäß hergestellt. Das Durchschnittsresultat jeder Firma ist annähernd das gleiche, aber jeder Fabrikant hat seine besonderen Vorzüge, entweder in der Zeichnung, oder Fabrikation, oder in der Anordnung der Teilung, oder in der Quali- tät des Materials oder in der Arbeit. Diese würden vereinigt in einer allgemein höheren Leistungsfähigkeit und Vorzüglichkeit der Maschinen zum Ausdruck kommen und britische Konstruktion auf dem Weltmarkt angesehener machen. Jede Firma hat einen kostspieligen Beamtenapparat,

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der Zeichnungen herstellt, die mit denen der Wettbewerber so gut wie identisch sind, und Modellwerkstätten, die ebenfalls die gleichen Modelle liefern. Die unnötigen Ausgaben dieser Art können aus der Tatsache entnommen werden, daß Zeichnung und Modell für die Maschine eines Lastschiffes 500 £ kosten und für Passagierdampfer eine entsprechend höhere Summe.

Es ist mir in den Grenzen meiner Rede ganz unmöglich, alle ein- zelnen Ersparnismöglichkeiten, die eine solche Amalgamation mit sich bringt, zu nennen, aber auch auf breiter Grundlage lassen diese sich er- kennen. Das System eines bestimmten Einkaufs Verfahrens unter der Kontrolle der Geschäftsdirektoren \\'tirde allein eine bedeutende Ersparnis primärer Kosten herbeiführen.

Was die Werke angeht, so würde ein einziges System der Organi- sation hergestellt werden, alle antiquiertenWerkzeuge würden ersetzt, und die neuesten Fabrikationsmethoden adoptiert werden. Überstunden, die jeder- zeit sehr kostspielig sind, würden, soweit es die Verhältnisse erlauben, beseitigt werden und Nachtarbeit mit hohen Löhnen würde nur dann eintreten, wenn die Geschäftsverhältnisse es erfordern würden. Die Ge- samtproduktionsfähigkeit der vereinigten Werke würde aber wohl die Verhältnisse, unter denen Überstunden nötig werden, im allgemeinen nicht aufkommen lassen. Das leitende Prinzip wäre die Arbeitsstunden auf die Standardlänge der Arbeitswoche zu beschränken und die Arbeit auf die verschiedenen Betriebe zu verteilen; dieses Arrangement würde so- wohl im hiteresse der Arbeiter wie sicher auch der Arbeitgeber liegen.

Ein wichtiger Vorteil für die SchiiTsbauer wäre der, daß die Kontrakts- termine pünktlich eingehalten werden könnten, da in Fällen der Eile ein anderes der amalgamierten Werke beispringen köimte. Es könnten die Schiffe dann auch in demjenigen Hafen, in welchem sie gebaut werden, mit Maschinen versehen werden, da ja in allen Werken derselbe Standard von Arbeitstüchtigkeit vorherrschen würde. Im letzten Jahre waren die Kosten, die in dieser Hinsicht verzeichnet wurden, allein ca. 18000 £ für Versicherung, Schleppen usw., alles unnötige Kosten, ganz abgesehen von dem Verluste, der durch die Verzögerung der Fertigstellung verursacht wird, wenn das Schiff ca. 14 Tage lang in einem entfernten Hafen liegt.

Beabsichtigt wird, gegenwärtig die Identität der Einzelfirmen fest- zuhalten. Jede Firma würde deshalb Geschäfte unter dem Namen ab- schließen, auf dem die Unternehmung sich aufgebaut hat, und unter welchem die Fabrikation bekannt und in der Welt gefeiert wird. Auch der lokale Beamtenapparat und die Exekutivbehörden würden bleiben, da nur mit ihren vereinten Kräften das Projekt schnell und erfolgreich durchgeführt werden könnte.

Ich möchte nochmals betonen, daß ich Ihnen nur dargelegt habe, was Ihren Direktoren und allen hieran interessierten Firmen vorgeschlagen worden ist, und nur dem Zwang der Umstände nicht meinem Wunsche ist es zuzuschreiben, daß gerade ich es bin, der von uns in dieser Frage

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öffentlich erklären mußte, was uns alle bewog, dem Projekt Beachtung zu schenken. Ich bin überzeugt, daß wir, wenn wir den Fortschritt unserer Industrien und den Schutz der in ihnen investierten Kapitalien wünschen, unsere Methoden modernisieren müssen und unsere persön- lichen Interessen jedweder Art zurückzustellen haben. Wir müssen dar- über klar werden, daß die Industrieentwicklung in bisher nicht dage- wesener Schnelligkeit voraneilt. Hätte man jemandem vor 10, ja vor 5 Jahren, gesagt, daß Japan mit größtem Erfolge seine „Dreadnoughts", seine schnellen Torpedozerstörer und seine 23 Knotenpassagierdampfer bauen würde, so hätte man das, was jetzt Tatsache ist, für einen Traum erklärt. Auch der kontinentale Wettbewerb wächst gewaltig, aber trotz- dem denke ich, können wir uns halten, ja noch mehr als das erreichen, wenn wir das Joch unserer stereotypen Industriemethoden abschütteln. In Deutschland, das im industriellen Fortschritt voransteht, gibt es hunderte von verschiedenen Amalgamationen, und deutlich hat es sich dort gezeigt, daß das Geheimnis geschäftlichen Erfolges in der gemeinsamen An- strengung liegt. Heute kann ich nicht sagen, ob unser Projekt reifen wird oder nicht. Wenn es reift, so wird unser Kapital auf eine Basis gebracht werden müssen, die die Standardbasis jeder Firma wird, ob- schon ich über diesen Punkt in diesem Augenblicke nicht mehr sagen kann noch zu sagen nötig habe. Das Direktorium schlägt Ihnen vor, bis zu einem passenden Termin diese Sitzung zu vertagen und bis dahin ruhig den Ausfall der jetzt schwebenden Verhandlungen abzuwarten und sich auf den Eifer und die Fähigkeit Ihrer Direktoren zu verlassen ; sobald die Verhandlungen genügend vorgerückt sind, werden wir Ihnen sofort die Angelegenheit zu Ihrer endgültigen Entscheidung vorlegen.

3. Zur Frage der Monopolorganisation : über das Industrie- spirituskartell.

(Eine Darstellung aus Ridley's Wine and Spirit Trade Circular, 8. November 1907,

S. 828 und 829.)

The Industrial Spirit Supply Company, Limited. Unter diesem Namen ist ein ,, Trust" wie viele Leute solche Ver- einigvTug heute taufen würden gebildet worden; durch dessen Hände wird aller Spiritus für Industrie- und Methylationszwecke geleitet werden, soweit es sich um folgende Firmen handelt: England:

London, J. a. W. Nicholson a. Co. Limited; Hammersmith Distil-

lery Co., Limited (Haig and Co.). Liverpool, PrestonsLivei-pool Distillery Co., Limited; A.Walker and Co., Vauxhall (jetzt verschmolzen in die Distillers Company, Limited).

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Scotland:

Bo'ness, Jas. Calder and Co., Limited. Edinburgh, The Distillers Company, Limited.

Irland:

Belfast, United Distilleries, Limited.

Die einzige Firma, die Spiritus für Industriezwecke herstellt und an der Vereinigung als Aktionär nicht teilgenommen hat, ist die von King, Howman and Co., Derby; aber es ist mit ihr eine Vereinbarung gemacht worden, nach welcher ihre, nicht sehr beträchtliche, Produktion durch die neue Absatzzentrale verkauft werden soll. Sekretär derselben ist Mr. C. Honey will und seine Firma Hone3'will Brothers in Mark Lane, London E. C. wird als Agent für die Gesellschaft fungieren.

Die monopolistische Vereinigung (combine) ist vielleicht in mancher Beziehung die wichtigste Tatsache, die je im Spiritusgewerbe zu ver- zeichnen gewesen ist und sie muß, angesichts der Entwicklung in Schott- land und Irland zu einem „Trust" aller Trinkbranntweinfabrikation (nach dem Patent Still Prozeß), nolens volens als ein weiterer Schritt zu einem gigantischen Spiritus-Trust angesehen werden, der die Herstellung von allem Destillierapparat-Spiritus in den drei Landesteilen umfaßt.

Die monopolistische Vereinigung mag aus dem Wettbewerb ent- standen sein, der von Zeit zu Zeit existiert hat, ein Wettbewerb, der da- durch verstärkt worden ist, daß sehr häufig ein Überschuß von Getreide- spiritus in Belfast oder Schottland, von Liverpool und Bristol ganz abge- sehen, losgeschlagen werden mußte, was dann meistens unter den regu- lären Marktpreisen zu geschehen pflegte. Die ganze Schwierigkeit, Wett- bewerb oder was es sonst sein mag, ist jetzt dadurch behoben worden, daß die Ruhestörer in die Vereinigung als Teilnehmer aufgenommen worden sind. Ihr Anteil an derselben mußte natürlich mit demjenigen der regulären Fabrikanten des alten formlosen Verbandes in Einklang gebracht werden. Die unmittelbaren Wirkungen dieser neuen Entwick- lung auf Absatz und Gewinn des Methylationsgeschäftes müssen natürlich im Interesse aller Beteiligten erörtert werden. Der Methylspiritusfabrikant wird wie gewöhnlich der Konkurrenz ausgesetzt sein, aber er wird nicht mehr mit einem Wettbewerb konkurrieren, der seinen Spiritus billiger gekauft hat als er.

Die Unternehmung ist keine solche zur Erzielung von Gewinnen. Gewinne werden in der Brennerei gemacht oder auch nicht. Es handelt sich nur vim eine Verkaufsstelle, deren fester Preis für niemanden eine Veränderung erfährt, mögen die Käufer der einzelnen Methylspiritusfabri- kanten oder Industriellen noch so groß sein.

Die Vorteile solcher Vereinigung liegen auf der Hand. Zunächst wird ein fester Preis gesichert. Zweitens werden große Ersparnisse im Versande gemacht. Man wird sofort erkennen, daß der Vorteil, den Kunden von der ihm nächstofelesfenen Brennerei versorsren zu können, im

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Ganzen eine große Ersparnis für die Vereinigung bedeutet. Es wird nicht im Interesse der Mitglieder liegen, ihre Produktion auf Kosten eines anderen Mitgliedes zu erhöhen. Dies ist durch die Verteilung der Auf- träge, zu denen jedes MitgUed entsprechend seinem Aktienanteil an der Gesellschaft berechtigt ist, geregelt.

Diejenigen, die etwas von dem Methylgewerbe verstehen, werden so- fort fragen: welche Vorkehrungen sind getroffen worden für diejenigen Brenner, die selbst ihren Spiritus methylieren? Solche Brenner hätten augenscheinlich einen kleinen Vorsprung vor denen, die eine Kommission an Agenten für Verkäufe an Methylspiritusfabrikanten oder an Industrielle zu zahlen haben. Das Statut der Vereinigung hat hierfür vorgesehen, daß die Brenner, die zugleich methylieren, pro Gallone eine Summe in die Kasse der Vereinigung zahlen müssen, die der Kommission entspricht, welche die Vereinigung an die Agenten zu zahlen hat. Dies erinnert etwas an das Pool-System, bei dem jeder, der mehr verkauft, in den Pool zu zahlen hat, und jeder der weniger verkauft, als seinem Anteil ent- spricht, entsprechend viel aus dem Pool vergütet erhält.

Die Industrial Spirit Supply Company ist keine Unternehmung mit hervorragendem Kapital, ihr eingetragenes Kapital beträgt ja nur 1000 £ in 20 Aktien von 50 £. So wie sie jetzt ist, bildet sie nur eine Zentrale, welche aller Spiritus der genannten Brennereien zu Methylations- oder industriellen Zwecken passieren muß. Wir teilen also die von den Gründern derselben gegebene Erklärung, daß es eine ganz unschuldige Vereinigung sei zur Verhinderung des Preisdrückens, die den Käufern von Industriespiritus garantieren soll, daß es keinen niedrigeren Preis gibt als den, zu dem sie kaufen. Sie wird im Stande sein, den Zu- und Abfluß von Spiritus durch die Vermittlung von Messrs. Honeywill zu re- gulieren, so daß möglicherweise das Eindringen der deutschen Zentrale durch eine Ermäßigung der hiesigen Preise verhindert werden kann, während andererseits, wenn der Spiritusring Spiritus von uns braucht, und der Überschuß hier sowie der Preis dort dies rechtfertigen, britischer Spiritus nach dem Kontinent versandt werden kann.

Während wir aber so andeuten wollen, daß im Augenblick die Wirkung der Vereinigung den Gewerbetreibenden nützlich erscheint, können wir die Ansicht nicht verhehlen, die allen, welche die Frage der Monopole studiert haben, einleuchtet, daß diese immer damit beginnen, daß sie jedwede Absicht, ihre Abnehmer, die Verbraucher oder schließlich auch das Publi- kum zu belasten, ableugnen. Wir kennen aber einen Ort, zu dem der Weg mit guten Vorsätzen gepflastert ist, und wir können nur befürchten, daß dieses Monopol zusammen mit einem fest organisierten Monopol (vgl. unsere Ausführungen über den Whisky -Trust) schließUch doch zum Schaden derjenigen Industrien ausschlagen kann, welche an der Herstellimg und dem Absatz von Industrie- und Methylspiritus beteiligt sind.

Es gibt Zweige unseres nationalen Handels, welche besonders für den Wettbewerb mit Deutschland billigen Alkohol benötigen; dort nämlich

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wird durch Prämien der Nicht-Trinkbranntwein für die Industrien, die ihn gebrauchen, und für den Verbrauch zu Kraft-, Licht- und Heizzwecken künsthch verbiUigt, und es ist infolgedessen ein Glück, daß wir für Industriespiritus kürzlich dieselbe Rückvergütung wie für Exportware fest- gesetzt haben.

Da die neue Vereinigung ein Steigen des Industriespirituspreises an- kündigt, so sehen wir darin den Anfang einer Bewegung, die gefährlich werden kann, wenn die Brenner zu profitlüstern werden. Glücklicher- weise besteht ein dauerndes Hindernis in der deutschen Ware, welche stets auf der Lauer steht und hier eindringen wird, wenn der Preis britischer Ware unrechtmäßig höher getrieben wird. Gegenwärtig wäre die Vereinigung zwar auch bei einem Preis, der einige pence höher wäre, ganz sicher, aber es ist möglich, daß in sechs Monaten oder in einem Jahr der Umfang der deutschen Produktion den Preis hier auf einen ge- fährlich niedrigen Punkt bringen könnte. Jedoch ist ein ,,Auf" oder „Ab" im Preise jetzt eine Angelegenheit, die in 24 Stunden durch das Zentral- bureau der neuen Supply Company erledigt werden kann.

Druckfehlerverzeichnis.

S. 16 Anmerkung 1

S. 104 Zeile 11 von unten

S. 189 Zeile 4

S. 199 Anmerkung 2

S. 235 Zeile 1 von unten

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S. 316 Zeile 9 von unten

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