Morphologische Arbeiten. Herausgegeben Dr. GustaY Sclnaralbe, Professor der Auatoniio und Director des anatomifjchcu Instituts an der Universität zu Strassburg i/Els. SIEBENTER BAND. Mit 23 Tafeln und U8 Figuren im Text. Jena, Verlag von Gustav Fischer 1897. Inhaltsübersiclit. Erstes Heft. Seite Mehnert, Dr. Ernst, Kainogenese eine gesetzmässige Abänderung der embryonalen Entfaltung iu Folge von erblicher Uebertragung in der Phylogenese er- worbener Eigenthümlichkeiten. Mit Tafel 1 — III und 21 Textabbildungen 1 Schmidt, Dr. Hugo, Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen und über die erste Anlage der menschlichen Milchdrüsen überhaupt. Mit Tafel IV u. V 157 Heidenhain, Dr. IVI. und Cohn, Dr. Theodor, Ueber die Mikrocentren in den Gre- weben des Vogelembryos, insbesondere über die Cylinderzellen und ihr Verhältniss zum Spannungsgesetz. Mit 4 Figuren im Texte 200 Heidenhain, Dr. Martin, Ueber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen sowie über die Centralkörperfrage im Allgemeinen. Mit 20 Abbildungen im Text 225 Zweites Heft. Heidenhain, Dr. Martin, Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. Mit 27 Abbildungen im Text 281 Dauen, Johannes, Ueber eine rudimentäi-e Drüse beim weiblichen Triton. Mit 13 Figoren im Text 366 Barthoidy, Kurt, Die Arterien der Nerven. Mit Tafel VI— XV 393 Pfitzner, Dr. W., Ein Fall von Verdoppelung des Zeigefingers. Mit Tafel XVI 459 Pfitzner, Dr. W., Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunter- schiede beim Menschen. Mit 4 Textfiguren in Zinkotypie 473 Drittes Heft. Thilenius, Dr. G., Der Farbenwechsel von Varanus griseus, Uromastix acanthi- nurus und Agame inermis. Mit Tafel XVII u. XVIII 515 Friedmann, Emil, Beiträge zur Zahnentwicklung der Knochenfische. Mit 16 Ab- bildungen im Texte 545 Münch, Francis E., Ueber die Entwicklung des Knorpels des äusseren Ohres. Mit Tafel XIX— XXI 583 Weber, Siegfried, Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern, mit besonderer Berücksichtigung der Urniere zur Zeit des Auf- tretens der bleibenden Niere. Mit Tafel XXII— XXIII 611 Frederic, J., Beitrag zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Aeste der Aorta descendens beim Menschen. Mit 13 Textfiguren 691 ^/4-4^ Eainogenese eine gesetzmässige Abänderung der embryonalen Entfaltung in Folge von erblicher TJebertragung in der Phylogenese erworbener Eigen- thümlichkeiten. Eine biologische Studie Dr. Ernst Mehnert. Privatdocent an der Universität Strassburg i. Eis. Hierzu Tafel I— III und 21 Textabbildungen. Einleitung. S. 4—9. Perioden in dem Ausbaue der Embryologie. — Deutung der Kainogenese als Fälschung der Ontogenese. — Willkürlichkeit dieses Verfahrens. — Mechanische Ableitung der Kainogenese. — Möglichkeit einer Unterscheidung von Palingenese und Kainogenese durch Feststellung der embryonalen Variationsbreite, — Plan der Untersuchung. — Prüfungsmaterial. Specielle Befunde. A. Entfaltung des Extremitätenskelettes bei Emys lutaria taurica. S. 9—21. Primitive Kürze aller Skeletknorpel. — Differenzirung in Querreihen. — Distale Aufeinanderfolge im Entstehen. — Retardation des Pisiforme, Radiale externum, der Centralia carpi und tarsi. — Zusammenfassung. B. Entfaltung der hinteren Extremität von Struthio. S. 21 — 28. Zusammensetzung beim Nestjungen — Aeussere Formverhältnisse. — Beschleu- nigtes Wachsthum der Höcker für die bleibenden Zehen. — Serienprüfung. — Ueber- einstimmung mit Emys. — Abweichungen. — Retardation der Randzehen. — Retar- dation inkonstanter Elemente: Intertarsaler Sesamknorpel. — Zusammenfassung. C. Entfaltung des Straussenflügels. S. 28—34. Flügel des Nestjungen. — Aeussere Formverhältnisse. — Serienprüfung. — Uebereinstimmung mit der hinteren Extremität. — Pentadactyle Anlage. — Aus- Morpholog. Arbeiten, hrsg. v. G. Schwalbe. VII. ^ 2 Dr. Ernst Mehnert, bildung des dritten Fingers zur Achse. — Retardirte Entfaltung der Randfinger und des Intermedium carpi. — Nachweis von Krallen beim zweiten und dritten Finger. — Zusammenfassung. D. Unterschiede derEntfaltungsenergie von vorderer und hinterer Extremität. S. 34-40. Acceleration der vorderen Extremität bei Selachiern, Amphibien, Reptilien, Carinaten und Säugethieren. — Retardation derselben Grliedmaassen bei Struthio und Apteryx. — Tabelle. E. EntfaltungderSäugethier-undCarinaten-Extremitäten. S. 40 — 52. Pentadactyle Formen. — Acceleration des Metacarpus und Metatarsus. — Re- ducirte Extremitäten. — Pentadactyle Anlage derselben. — • Flügel der Carinaten. — Extremitäten der Ungulaten und Proboscidier. — Acceleration der bleibenden, Retardation der transitorischen Strahlen. F. Entfaltung des Extremitätenskel ets bei Amphibien. S. 62—59. Formähnlichkeit mit reducirten Extremitäten. — Vorknorplige Anlage. — Acceleration der progredienten radialen und tibialen Strahlen. — Retardation der in der Phylogenese regressiven fibularen und ulnaren Strahlen. — Acceleration des progressiven Metacarpus und Metatarsus. — Kainogenetischer Typus der Ent- faltung der Amphibienextremitäten. Allgemeine Betrachtungen. A. Ursprünglichkeit des Entfaltungstypus der Emyshand. S. 59 — 62. Schaufelform. — Primitive Kürze aller Skeletstücke. — Distale Aufeinander- folge der Verknorpelungscentren. — Uebereinstimmung mit Selachiern. — Differen- zirung in Querreihen. — Intermedium antebrachii und cruris. — Analogien mit Ophtalmosauriden. B. Ontogenetische Beschleunigung der Entfaltung. S. 62 — 70. Zunehmende Acceleration des Metacarpus und Metatarsus mit progressiv phy- letischer Entwicklung. — Tabelle. — Acceleration des Verknöcherungsprozesses bei progredienten Componenten des Tarsus. — Ableitung der Acceleration von phyle- tischer Progredienz. — Erscheinungsform der Acceleration als sogenannte connascente Anlage. C. Ontogenetische Verlangsamung der Entfaltung. S. 70—82. Bisherige Verwerthung der Ontogenese zur Stütze von Extremitätentheorien. — Kritik dereslben. — Retardation rudimentärer Strahlen. — Tabelle. — Retardation rudimentärer, regressiver und inkonstanter Carpal- und Tarsalelemente. — Retar- dation ganzer Organe (Weisheitszahn). — Retardation ganzer Extremitäten, — Retardation einzelner Abschnitte eines Skeletstückes. — Verschiedenheiten der Ver- knorpelung von Carpus und Tarsus. — Verspätung der Verknorpelung, ein Zeichen retardirter Entfaltung. — Regressive Extremitätenskeletstücke. D, Histologische Unterschiede von regressiver und progressiver Skeletentfaltuug. S. 82—88. Agenesie. — Bedeutung der Vascularisation zum Nachweise und Homologisirung von Skeletanlagen. — Skeletomorphe Bedeutung der Vorknorpelcentra. — flisto- genese des Skeletsystems. Die Kainogenese. 3 E. Retardation der Entfaltung der K opf mesomeren. S. 88—92. Acceleration der Skierotomentfaltung. — Retardation der Myotombildung. — Acceleration von progredienten Strahlen der Selachierflosse. — Allgemeines Gesetz. F. Theorie der regressiven und progressiven Entwicklung. S. 92 — 106. Retardation funktionsloser Skeletstücke. — Ableitung der ontogenetischen Re- tardation vom phyletischen Ausfalle der Funktion. — Ableitung der ontogenetischen Acceleration von phyletischer Zunahme der Funktion. — Sogenannte blastogene Entfaltung. — Deutung derselben als palaio-atavistische Vererbung. — Deutung der Acceleration und Retardation als neoatavistische Vererbung. — Definition der Kaino- genese als palingenetische Retardation und Acceleration der Entfaltung. (t. Mechanische Kainogenese. S. 106 — 108. Metrothene Herkunft derselben. — Kainogenetische Distribution ursprünglich einheitlicher Anlagebezirke. Zusammenfassende Betrachtung. S. 108 — 110. Abhängigkeit der Deutungen der Ontogenien von der vergleichenden Forschung, Morpho- und histogenetische Fragen. S. 110—130. Ableitung der Skeletgliederung aus einer Entfaltung primitiver Muskelinser- tionen. — Ableitung der Knorpel- und Knochenkerne von der Stemmfunktion gegen Muskelzug. — Abhängigkeit der Entwicklung des Querdurchmessers eines Skeletstückes von seiner Druckfunktion. — Kanonische Elemente der Extremität sind druck- funktionirende, die accessorischen druckentlastete Abschnitte. — Embryonale Aus- bildung eine Entfaltung ererbter Energien. — Postembryonales Wachsthum ist zum Theil Entfaltung. — Funktionsepigenese. — Relationen von Evolution und Epigenese in der individuellen Phylogenese. — Das Individualleben ist eine Mosaikarbeit aus selbstständigen Keimbezirken. Die individuelle Variation. S. 130—141. Ueber den Unwerth der Klassifikationen. — Bedeutung eines jeden Indivi- duums als Ausdruck seiner Vorfahrenphylogenese und als Grundglied späterer Phy- logenien. — Ungleichheit aller Lebewesen in derselben Species. — Ungleichheit der beiden Körperhälften bei demselben Individuum. — Häufigkeit der embryonalen Variationen. — Ableitung mancher Variationen von physikalischen Bedingungen. — Atavistische Variationen. — Jede von den Vorfahren entwickelte Stufe der histologischen Diöerenzirung wird von den Nachkommen schon während der embryonalen Entfaltung erreicht, ist also direkt vererbt. — Die strikte Coincidenz von phylogenetischer Entwicklungstendenz und ontogenetischer Entfaltung bekundet eine bis in das Detail durchgeführte direkte Vererbung acquirirter Eigenschaften. — Die ganze Minutiosität von erblicher Uebertragung gelangt auch darin zum Aus- drucke, dass beide Hälften eines jeden Embryo sich verschieden verhalten. — Die Proportionalität der Verknüpfung von Entwicklung und Entfaltung zeigt, dass die Determinanten für die nächste Generation unter dem ständigen Einflüsse der Elteru- organe stehen. — Reflexartige Verknüpfung dieser Vorgänge. — Praevalenz der mütterlichen Vererbung. — Die männliche Germinalzelle ist vorwiegend eine Trä- gerin der allgemeinen Specieseigenthümlichkeiten. — Die weibliche Germinalzelle ist besonders geeignet, die erworbenen Eigenthümlichkeiten zu übertragen. — Ueber die Zunahme der Entfaltungs (Lebens)dauer in der Phylogenese. — Ausblick in die Zukunft. 1* „Wir werden nicht anstehen, zu erkennen, dasa nach diesem grossen Maassstabe alles Beharren nur Schein, das Werden, und zwar in der Form der Entwickelung, aber das Wahre und Bleibende ist, wodurch alles Einzelne vorübergehend erzeugt wird." Baer. Ueberblickt raan die seit dem „ersten Begründer" ^) Swammerdam mächtig angewachsene embryologische Litteratur, so ist ganz unver- kennbar, dass in den verschiedenen Perioden derselben auch verschie- dene Vertebratenklassen zur Untersuchung kamen. Trotzdem der Vater der modernen EmbryologieK. E.V. Baer seine Forschungen auf alle Klassen ausdehnte, diente dennoch viele Decennien hindurch die Entfaltung des Hühnchens nahezu als einzigeQuelle zu ontogenetischen Untersuchungen; allenfalls wurde noch auf gleiche oder ähnliche Stadien beim Frosche hingewiesen. Der glänzende Nachweis einer Gastrula beim Amphioxus (Kowa- LEWSKT, Hatschek) Und die fundamentalen aus der Vergleichung der Selachier resultirenden Ergebnisse Ge&enbaür's Hessen die niederen im Wasser lebenden Formen als besonders ursprünglich erscheinen und es folgte die nahezu zehnjährige Periode, in welcher die Embryologie der Fische in ihren Grundzügen ausgebaut wurde. Doch auch bei den Fischen stiess man alsbald und zum Beispiel in der Anlage des Centralnervensystems auf nicht unwesentliche Unterschiede. Goette suchte die Entwicklung der Unke als Grundlage für die Morphologie der Wirbelthiere hinzustellen, und es fand die Ontog-nese der Urodelen eine verstärkte Bearbeitung. Die an Ergebnissen reichen Arbeiten Strahl's und der für die moderne Auffassung der Phylogenese der höheren Metazoen bahnbrechende, von Kupefer erl)rachte Nachweis eines Urmundes bei den Reptilien lenkte die Aufmerksamkeit auf die- selben und leitete die neue Aera der Reptilieiulurchforschung ein. In der letzten Zeit hat die Ontogenese der Säugethiere eine verstärkte Untersuchung erfahren. ^) K. E. V. Baer. Johann Swammerdam's Leben und Verdienste um die ■Wissenschaft, 1864, S. 9. Die Kainogenese. 5 Dieser ständige Wechsel der jeweilig von der Forschung bevor- zugten Klassen , insbesondere aber die in der allerletzten Zeit voll- zogene Rückkehr zu den niederen Thieren (Cyclostomen , Selachiern, Schildkröten) und das Haschen nach seltenen oft ganz bizaren Formen (Apteryx, Struthio, Monotremen, Krokodile) beweisen unzweideutig, dass die vorhergehenden Resultate bei den bisher untersuchten Species nur wenig befriedigend waren und dass der nach phylogenetischer Er- kenntniss ringende Forschungsgeist auf neuen noch unbetretenen Bah- nen die vermisste Befriedigung zu erzielen hofft. Die sehr detaillirten Untersuchungen der letzten Jahre , die sich auch oft auf viele Dutzende von Species beziehen ^) haben zur Klärung der Vertebratenontogenese beigetragen und es ist gelungen die Grund- züge derselben festzustellen , wenn gleich von allen Seiten zugegeben wird, dass die Organentfaltung in den verschiedenen Klassen oft nach einem ganz differenten Typus verläuft. Gerade diese Verschieden- heiten der einzelnen Ontogenien erschweren die Verwendbarkeit der- selben zum Zwecke phylogenetischer Deutung im hohen Maasse. Das in der rapiden Zunahme der Litteratur sich bekundende energisch be- triebene Studium der Embryologie hat nur das eine Resultat gezeitigt, dass alle Lebewesen untereinander eines Stammes sind; wie aber in dem speciellen Falle die verwandschaftlichen Beziehungen zu denken sind unterliegt noch bis jetzt oft verschiedenen Auffassungen. Wenn ver- gleichend anatomische und palaeontologische Anhaltspunkte fehlen, ist es bisweilen auch ganz unmöglich zu entscheiden, welcher, von zwei verschiedenen Enfaltungstypen der Ontogenese, der palingenetische und welcher der kainogenetische ist. Schwierigkeiten dieser Art haben mit der Zeit nicht abgenommen , sondern sind im Gegentheil immer mehr gewachsen, je mehr die erweiterte Kenntniss neuer Species auch eine grössere Zahl verschiedener Entfaltungsarten kennen lehrte. Dieser Zustand ist in der Jetztzeit so unerträglich geworden, dass manche Embryologen ganz darauf zu verzichten scheinen, ihre eigenen Befunde mit den Ergebnissen der übrigen Forschung in Einklang bringen zu können und aus diesem Grunde das Material auch nur rein descriptiv behandeln. Andere Autoren gehen einen Schritt weiter und bezeichnen die bei der von ihnen untersuchten Art festgestellten Beobachtungen als unbe- dingt palingenetisch und schreiben denselben ohne weiteres allgemein phyletische Gültigkeit zu. Entgegenstehende Beobachtungen werden heut zu Tage meist gar nicht erwähnt oder als „cenogenetisch" oder gefälscht zurückgewiesen , oft ohne eine jede andere Begründung bei- bringen zu können, als dass dieselben mit den eigenen Beobachtungen ') Z. ß. Bis zum Jahre, 1895 war die Entfaltung des Beckengürtels bereits bei 67 verschiedenen Species untersucht worden. Jüehnert 1895, S. 391. 6 Dr. Ernst Mehnert. nicht im Einklänge stehen. Amphioxus und Selachier werden wohl meist als besonders primitive Typen angeführt, von anderer Seite hingegen wird ebenso energisch gelehrt, dass dieselben degenerirte Formen dar- stellen, deren ontogenetische Entfaltung in jeder Hinsicht modificirt ist. Die Gebrüder Hertwig haben das regelmässige Gefüge der Coelom- bläschen beim Amphioxus zur Begründung der bekannten Coelom- theorie verwandt. Ein anderer Forscher pflegt die Coelomdivertikel des Amphioxus als Beispiel einer „caenogenetisch epithelialen" Struk- turmodificirung des Mesoderms zu citiren. Ein so subjektiver Anstrich aller in der Neuzeit vorgenommener Deutungen und Auslegungen embryologischer Befunde bekundet offen, dass es zur Zeit meist noch unmöglich erscheint, Palingenese von Abänderung derselben durch sichere Merkmale von einander zu trennen. Der erste grosse Fortschritt in der Erkennung der Neuabände- rungen der individuellen Entfaltung oder der Kainogenese ist angebahnt worden, durch die bereits von K. E. v. Baer ^) verfolgte, später wenig ausgebildete und erst in der neueren Zeit wieder durch Roux energisch angefachte Methode der entwicklungsmechanischen Forschung. Es ist gelungen , die strikte Abhängigkeit der individuellen Entfaltung von den äusseren ümgebungsverhältnissen zu erweisen und durch zahlreich variirte Experimente an Objekten ein und derselben Species diiferente Enfaltungsarten zu erzeugen. Die im Laufe der Phylogenese stattge- fundenen Abänderungen der biologischen Umgebungsverhältnisse, unter welchen Embryonal-Organismen sich in den verschiedenen Klassen ent- falten müssen, sind in der Jetztzeit als deutlich kainogenetische Ab- änderungen der einzelnen Ontogenien wieder zu erkennen. Die specielle Entfaltung einzelner Embryonaltheile, insbesondere der sogenannten Keim- oder Embryoorgane ") kann in Folge mechanischer Massen- korrelation '^) eine kainogenetische Umgestaltung des ganzen Entfal- tungsbildes bewirken. Schon allein durch die Annahme einer phyle- tischen Ab- und Zunahme des für den Embryo aufgespeicherten Nahrungsmaterials, sind eine ganze Reihe sehr auffälliger kainogene- tischer Besonderheiten einer Erklärung zugängig geworden. Die Keimblätterbildung bei den Vertebraten wird nach den neueren Untersuchungen von Samassa*) von der Dottermasse wesentlich beeinflusst ') K. E. v. Baer kann zu den direkten Anhängern dynamischer Lebens- anschauungen gerechnet werden, insofern als er die Entwicklung des Lebens von äusseren (Wärme-) Bedingungen abhängig sein lässt. Er sagt: „dass die Gesammt- masse der organischen Welt als Kurve gedacht werden könne, welche vom Aequator nach den Polen hin sich senkt" (1864, S. 196). 2) Haeckel, 1895 S. 38. «) Roux, 1895 Ed. II S. 240. *) Samassa, 1895, 1890 I und IL Die Kainogenese. 7 und abgeändert. Die flächenhafte Ausbreitung primitiver Sauropsiden- Keime ist eine direkte Folge der kolossalen Dotterzunahme bei beiden Gruppen dieser Klasse. Ebenso ist die solide Anlage der Urwirbel, Seitenplatten und des Kopffortsatzes bei den höheren Vertebraten, die solide Anlage des Gehör- und Augenbläschens und WoLrr'schen Ganges bei Knochenfischen, und der abweichende Entfaltungsmodus, des Centralnervensystems bei Teleostiern und Cyclostomen eine direkte Folge mechanischer Beeinflussung des Entfaltungsprocesses. In einer früheren Arbeit ^) suchte ich zu zeigen , dass die Ver- gleichung der individuellen Variationen eine weitere Handhabe bietet, Palingenese von sogenannter Kainogenese auseinander zu halten. Durch Zusammenstellung einer sehr grossen Zahl, theils eigener, theils in der Litteratur zerstreuter Angaben, wies ich nach, dass die bisherige Lehre von der Konstanz der „Entwicklung" nicht zu- treffend ist, sondern im Gegentheil die Entfaltung mancher Organe selbst innerhalb ein und derselben Species oft sehr verschieden ver- laufen kann. Diese Verschiedenheiten sind durchaus nicht regellos, sondern lassen sich auf ganz gesetzmässige atavistische Beziehungen zurückverfolgen. Einzelne Embryonenindividuen entfalten sich pri- mitiver als ihre Speciesgenossen und liefern vermittelnde Ueber- gäuge zu den ursprünglicheren, bei niederen Klassen allein eingehal- tenen Entfaltungstypen. Ich nannte solche Fälle von individueller Variation atavistische Rückschlagformen und zeigte, dass die Ver- gleichung derselben die Möglichkeit bietet, die verschiedenen Entfaltungs- typen der einzelnen Gruppen untereinander zu einer palingenetischen Reihe zu verknüpfen. In der Schlussbetrachtung kam ich zu dem Ergebnisse, dass die Bestimmung der Variationsbreite für die einzelnen Species, Ordnungen und Klassen in der Zukunft ein sicheres Mittel abgeben wird, aus den variablen Befunden der Ontogenien die Palin- genese festzustellen und durch Verallgemeinerung derselben die Phylo- genese zu erkennen. Eine dritte Möglichkeit zur Erkennung der Kainogenese steht offen auf dem Wege der Vergleichung jener Entfaltungsunterschiede, welche homologe Organe untereinander bei demselben Embryo zeigen, mit den Unterschieden, welche die nämlichen Organe beim ausgewachsenen In- dividuum erreichen. Der definitive Zustand beim ausgewachsenen Thiere ist aber seinerseits wiederum wesentlich ein direktes Produkt seiner Phylo- genese. Auf diese Weise ist es möglich, charakteristische korrelative Unterschiede nachzuweisen, die bestehen zwischen den unterschiedlichen Ontogenien homodynamer Organe und den verschiedenen phyletischen Ausbildungsarteu derselben. Vorliegende Arbeit ist dazu bestimmt, den Nachweis zu liefern, 1) Mehnekt, 1895 a. 8 Dr. Ernst Mehnert. dass die streng gesetzmässige Verknüpfung von Ontogenese und Phylo- genese in ihren Folgezuständen Bilder von sogenannter Kainogenese erzeugt, — oder mit anderen "Worten, dass die Kainogenese nicht, wie vielfach angenommen wird, eine regellose Erscheinung ist, sondern sich auf ganz gesetzmässige Principien zurück verfolgen ^) lässt. Als ein besonders geeignetes Objekt für meine Beweisführung habe ich die Entfaltung des Extremitätenskeletes erachtet, weil es sich um ein Organ handelt , welches aus mehreren Dutzenden selbst- ständig nebeneinander gelagerter, zum Theil homodynamer Skelet- stücken besteht, deren Homologisirung in der Reihe der Vertebraten meist als eine durchaus sichere bezeichnet werden kann. Ausserdem bieten Skeletstücke im vorknorpeligen, knorpeligen und knöchernen Stadium und den verschiedenen histologischen Differenzirungen derselben eine Fülle von verschiedenen , wohl charakterisirten Zwischenstufen , deren Beurtheilung durchaus keine Schwierigkeiten bereitet (S. 87). Im Ganzen habe ich 384 Extremitäten von Amnioten untersucht und zwar 100 Serien von Reptilien, 126 Vögeln und 158 Säugethieren. Von Anamniern standen mir zu einer Vergleichung etwa drei Dutzend Serien von Triton taeniatus, Siredon, Salamandra maculosa und Rana zur Verfügung. Von allen diesen Serien habe ich über 1000 Schnitte vermittels einer Zeichenkammera fixirt. Um die Uebersicht zu erleich- tern und die Elemente in den Zeichnungen besser verfolgen zu können, habe ich ein jedes einzelne Stück noch besonders durch verschiedene Farbentöne markirt. Die an den menschlichen Extremitäten gewonnenen Resultate werde ich an einer anderen Stelle ausführlich besprechen. Das ganze zur Untersuchung gelangte Serienmaterial vertheilt sich auf folgende Gruppen: Reptilien. Lacerten = 18 Emys = 82 lÖÖ S ä u g e t h iere. Homo = 58 Schaf = 32 Cavia = 27 Katze = 12 Maus = 9 Schwein = 8 Kalb = 6 Kaninchen = 6 158 *) Genau dieselben Resultate, wie in der vorstehenden Arbeit habe ich bereits in meiner Habilitationsschrift an einem kleineren Materiale veröffentlicht (1891 S. 470 — 473). Strahl hat in den letzten „Ergebnissen" über dieselben referirt. (1895, Bd. IV, S. 540.) Fünf Jahre nach dem Erscheinen meiner Arbeit haben zwei jüngere Forscher meine Thesen wiederholt und auch zu verwerthen gesucht — ohne jedoch ihre Quelle zu nennen. Die Kainogenese. Vögel. Strausse = 28 Hühnchen = 32 Wildenten = 16 Möven = 12 Falken = 10 Birkhuhn = 7 Staare = 6 Totanus == Podiceps = Schwalbe = Aegialithes = Grassmücke = 6 6 1 1 1 126 Die Entfaltung des Extremitätenskeletes bei Emys lutarla taurica. Embryonen von circa 4 mm Scheitel-Schwanzlänge*) besitzen jeder- seits an der Seitenwand des Körpers eine schwache leistenförmige Längserhebung. Dieselbe ist überall von annähernd gleicher Breite und erstreckt sich von der Herzhervorwölbung bis an die Schwanz- wurzel, um daselbst alimählich flacher werdend sich zu verlaufen. Es handelt sich in dieser Bildung um die zuerst von K. E. v. Baer -) er- kannte leistenförmige Anlage der Extremitäten, welche jetzt auch bei den meisten Vertebraten gesehen worden ist. Insbesondere haben BAiiFOUR,^) Thacher'*) uud später Mivaet^) das Vorkommen eines solchen flossenartigen Saumes betont als eine gemeinsame Anlage für beide Extremitätenpaare. DasStadiumderExtremitätenleiste ist bei Emys keineswegs ein nur kurz vorübergehendes, sondern es handelt sich um eine Organisation, welche durch mehrere Tage hindurch ohne wesentlich neue Veränderungen bestehen bleibt und in dieser Zeit nur be- ständig sowohl in der Länge, wie auch in der Höhe zunimmt und sich zu einer relativ breiten Platte umgestaltet. Die Mächtigkeit einer sol- chen Extremitätenleiste, welche das ganze Bild der seitlichen Körper- region beherrscht, kommt in Figur 1 in deutlichster Weise zum Aus- ^) Eine Grössenbestimmung von ßeptilienembryonen ist nicht immer leicht und auch nicht immer mit genügender Präcision festzustellen, weil auch bei Emys die individuelle Krümmung einen sehr verschiedenen Grad erreichen kann. Auf gleiche Verschiedenheiten bei Eidechsen hat insbesondere Strahl aufmerksam gemacht (Archiv für Anatomie, 1883, S. 51). Ausserdem bieten Grössenbestimmungen von Reptilienembryonen an und für sich nur eine sehr ungenügende Auskunft über die allgemeine Entfaltung, weil auch bereits unter den Embryonen, ebenso wie bei den ausgewachsenen Thieren, individuelle Grössenschwankungen die Regel sind. Aus- führlichere Angaben habe ich in einer früheren Arbeit gemacht. (Morphologisches Jahrbuch Bd. XVI S. 539 Anm. 1.) 2) SwiRSKi, 1880, S. 51, 52 Anm. 3. ä) Balfour, 1878, S. 101. *) Thacher, 1877, Vol. III. «*) Mivart, 1879, Vol. X, S. 10. 10 Dr. Ernst Mehnert. druck. Die relativ lange Persistenz der Extremitätenleiste bei Emys scheint mir entschieden nur auf eine Wiedergabe eines phyletischen Verhältnisses zu beruhen. Noch bei Embryonen von circa 6 mm Körperlänge liegen im AVesentlichen ursprüngliche Verhältnisse vor und erst bei den älte- ren Embryonen beginnt an der Stelle, an welcher die Gliedmaassen entstehen, die Extremitätenleiste ganz diffus anzuschwellen. Hierdurch erfährt die Extremitätenleiste eine Gliederung in eine mittlere schmälere Partie und zwei stärker hervorgewölbte Endabschnitte. Auch diese Veränderungen gehen nur sehr langsam vor sich und der Embryo muss fast um das Doppelte wachsen, ehe seine Extremitäten eine solche Form erreichen, wie sie in Figur 3 zur Abbildung gebracht ist. Ich unterlasse es, von den mir in über 100 Objekten gerade für diese Stadien zur Verfügung stehenden Embryonen, Abbildungen zu geben ^) und beschränke mich darauf, einen Embryo von circa 11 mm Körper- länge vorzuführen (Figur 2) , um an demselben die charakteristische Veränderung zu demonstriren, die unterdessen vor sich gegangen ist. Die gesammte Entfaltung hat im Vergleiche zu Figur 1 bedeutende Fortschritte gemacht. Der beim jüngeren Embryo noch gerade und stumpfe Schwanz hat sich beim älteren zu einem dünneren Kegel ver- schmälert und ist stark einwärts gerollt. Auch die Nackenkrümmung hat zugenommen. Die Kiemenspalten sind schon zum Theil ver- strichen. Besonders charakterisirt ist jedoch dieses Stadium durch die blasenförmig sich hervorwölbende Allantois (Figur 2 AI.). Beide Extremitäten bilden kleine in ihrer Längsachse caudal gerichtete Zapfen , welche in ihrem Endabschnitte leicht kolbenförmig ange- schwollen sind. Zwischen den beiden Extremitätenknötchen zieht sich der mittlere Rest der Extremitätenleiste als eine ganz leichte falten- artige Erhebung dahin. Nächst ältere Stadien von vorderer und hinterer Extremität liefern Figur 4 und 5. Beide Extremitäten zeigen eine beginnende leichte Knickung im Knie- und Ellenbogengelenk. Am meisten abgeändert sind die Endabschnitte, welche sich flächenhaft verbreitert haben und jetzt von einem schmalen platten Saume umzogen werden, in welchem sich jedoch zur Zeit noch keinerlei bestimmte Zelldifferenzirungen nach- weisen lassen. In solchen Stadien besitzen die Extremi- täten von Emys eine typische Schaufelform. In Figur 6 (Hd) und Figur 7 (Fs) ist der Extremitätensaum zu einem kleinen scheibenförmigen Plättchen ausgewachsen. Bei einer Prüfung so früher Stadien, vermag ich bei durchfallendem Lichte und schwacher Loupenvergrösserung schon ganz deutlich fünf leicht diver- *) Schon in einer früheren Arbeit habe ich einige diesbezügliche Zwischen- stufen der Extremitätenanschwellung abbilden lassen (1896, Fig. 8, 9 u. e. w.). Die Kainogenese. 11 gente Strahlensäulen zu erkennen. Die drei mittleren treten sehr scharf hervor; die beiden seitlichen sind zwar deutlich markirt, lassen sich jedoch minder scharf abgrenzen. Der Rand der Extremitäten- schaufel ist in einer bogenförmigen Linie scharf ausgezogen und be- sitzt noch keine Andeutung von Binsenkungen oder Einschnitten irgend welcher Art. In diesem Stadium der Entfaltung besitzen vordere und hintere Extremität eine gleiche Grösse und eine gleiche äussere Konfiguration. Sehr bald jedoch ändert sich dieses Verhalten, indem die Schaufel der Hand mehr in die Breite (Figur 9), der Fuss jedoch vorwiegend in die Länge wächst (Fig. 8). Die Hand erscheint hinfort etwas breiter als der Fuss, der eine etwas schmälere Form beibehält. Anfänglich wachsen vordere und hintere Extremität gleich schnell, später entfaltet sich die vordere Extremität rascher, alle histologischen Differenzirungen treten bei ihr um einen Zeitmoment früher ein als bei dem Fusse (S. 34^ — 36). Bei Embryoneu, deren Rückenschildlänge zwischen 6,5 — 7 mm schwankt, treten aus einem jeden Extremitätenplättchen fünf diver- girende leicht prominente Wülste hervor als Anlagen für die einzelnen Finger. Der distale Rand einer jeden Extremität erscheint jetzt leicht wellenförmig eingekerbt. Im Allgemeinen sind die fünf Fingerwülste an der vorderen Extremität von einer gleichen Grösse. Am Fusse jedoch ist der Anlagewulst der fünften Zehe gleich von Anfang an kleiner als bei den übrigen Zehen. In Figur 10 und Figur 11 sind die Randeinkerbungen der Hand schon deutlich ausgeprägt und auch die Fingerwülste prominiren etwas stärker. Figur 12, 13 und 14 zeigt drei aufeinander folgende Stadien der Handentfaltung. In Figur 12 sind die interdigitalen Einschnitte be- reits vertieft, einzelne Finger gliedern sich von einander ab und er- scheinen unter einander nur durch eine Schwimmhaut ähnliche Membran verbunden. Noch stärker markirt sind alle diese Verhältnisse in Figur 14. Wenn das Rückenschild über 12 mm lang wird, gewinnt die Haut der Extremitäten das Ansehen, als ob sie von regelmässig gezeichneten, parallelen Binden umzogen würde. Ein solcher Eindruck wird hervorgebracht durch die regelmässige Anordnung der Schuppen- reihen. Es treten unregelmässig geformte Pigmentflecken entgegen und die freien Endabschnitte der Finger tragen leicht gekrümmte lange Krallen. Nur die fünfte Zehe besitzt für gewöhnlich keine oder nur eine winzige Kralle ; sie tritt auch nur in der Embryonalzeit und bei jungen Thieren stärker hervor, und ist am Fusse alter Schildkröten meist nur als ein kleiner Höcker angedeutet. Nach Besprechung der äusseren Formveränderungen wende ich mich jetzt zu einer Schilderung der bei der Extremitätenentfaltung ab- laufenden histologischen Processe. Im Stadium von Figur 1 ist die ectodermale Falte der Extre- 12 Dr. Ernst Mehnert. mitätenleiste ausgefüllt von gleichmässig locker gefügten indifferenten Embryonalzellen. Hingegen zeigen Schnitte durch ältere Objekte (Figur 2 und 3) in der Achse einer jeden Extremität ein etwas dich- teres Zell^efüge, welches ganz allmählig in die mehr lockeren ober- flächlichen Lagen übergeht. Bei etwas weiter vorgeschritteneren Objekten gelingt es in günstigen Schnitten nachzuweisen, dass die proximal einheitliche Säule sich mehr distal in zwei Ausläufer spaltet, die sich ohne scharfe Grenze in das indifferente Gewebe verlieren. Einen Schnitt aus einer solchen Serie repräsentirt Figur 20. Ein Ver- gleich desselben mit dem älteren Stadium zeigt, dass der proximale Abschnitt die Anlage des Humerus, die beiden distalen Zacken, An- lagen des Radius und der Ulna repräsentiren. Zwischen den beiden letzteren liegt das für den primitiven Arm so sehr charakteristische axiale Längsgefäss Hochstettfr's (Figur 20 Gef.) ^) Die ersten Spuren des Verknorpelungsprocesses lassen sich er- kennen in der Humerus und Pemuranlage. Beide Skeletstücke differen- ziren sich als durchaus selbständige Knorpelcentra zu einer Zeit, in welcher die übrigen Elemente der Extremität noch aus einer kleinzellig indiffe- renten Gewebsmasse bestehen. Erst dann, wenn eine jede Extremität äusserlich von einem schmalen Randsaume umfasst erscheint (Figur 4, Figur 5) , differenziren sich auch die Vorderarm- und Vorderbein- elemente als gesonderte Knorpel (Figur 21, 22, 23). Radius und Ulna treten gleichzeitig als Knorpel in Erscheinung. Hingegen habe ich in einigen Fällen beobachtet, dass die Fibula sich um einen Zeitmoment später differenzirt als die Tibia. Sehr bemerkenswerth ist die ursprüngliche Kürze aller Vorder- arm- und Vorderbeinelemente. Die absolute Länge der primi- tiven Ulna und des Radius resp. der Tibia und Fibula übertrifft kaum die primitive Länge der Metacarpen, Metatarsen und der einzelnen Phalangenabschnitte. Selbst der Humerus und das Femur sind auffällig kurz. Diese Beobachtungen erwecken die Vorstellung, dass auch die so- genannten langen Skeletstücke der Extremität nur specielle Differen- zirungen von kürzeren, den kurzen gleichartigen Bildungen sind (S. 59, 60). In einem Stadium, in welchem die drei proximalen Skeletstücke einer jeden Extremität schon als gesonderte Knorpelsäulen vorliegen, ist von Carpalien oder Tarsalien noch keinerlei Andeutung vorhanden. An der Stelle des späteren Carpus und Tarsus liegt noch eine dichte Platte von indifferenten Zellen, welche ohne scharfe Grenze in die mehr lockere Peripherie übergeht (Figur 22, Figur 23). Ein derartiges Ge- webe pflegt von den meisten Autoren als prochondrales oder Vor- ^) HOCHSTETTER, 1891, S. 4. Die Kainogenese. 13 knorpelgewebe benannt zu werden. Diese traditionell gewordene Be- zeichnung ist nicht korrekt , denn ein solches kleinzelliges Gewebe bietet sowohl die Matrix für die einzelne Knorpelinsel als auch für das Perichondrium und die Gelenkmembranen (Fig. 61. Struthio Gel. Figur 71, Kalbsembryo Gel. Figur 72, Schafsembryo Gel.) Das nächst ältere Stadium der Extremitätenentfaltung ist in Figur 6 und 7 abgebildet. An den noch ungefärbten Objekten ver- mochte ich bei Lupenvergrösserung (S. 87) fünf divergente Finger strahlen nachzuweisen. Die Serienprüfung ergiebt, dass einem jeden dieser Strahlen eine aus kleinen dichtgefügten indifferenten Zellen zu- sammengesetzte Säule entspricht, welche aus der Carpal- resp. Tarsal- platte lappenförmig hervortreten (Figur 25). Bei allen diesbezüg- lichen Serien von vorderen und hinteren Extremitäten der Emys finde ich gleich von Anfang an eine typische Fünfstrahlform. Eine zeitliche Aufeinanderfolge in der Genese der einzelnen Fingerstrahlen konnte ich in keinem einzigen Falle finden. Eine jede vorknorpelige Fingersäule ist von einer charakteristischen Capillarumspinnung umgeben, welche es ermöglicht, bereits in diesen frühen Stadien einen jeden einzelnen Fingerstrahl zu homologisiren. Eine ausführliche Darstellung dieser Vaskularisationsverhältnisse werde ich erst bei Gelegenheit der zusammenfassenden Betrachtung geben (S. 86). In einem Stadium, in welchem ein jeder Finger- oder Zehenstrahl noch von einer kaum gegliederten vorknorpligen Säule gebildet wird (Figur 6 und 7), ist hingegen der Carpus und Tarsus höher differen- zirt und weist bereits distale Knorpelinseln auf. In Figur 25 sind die Tarsalia und die mittelsten Zehenstrahlen nahezu in ganzer Länge ge- troffen. Der gewebliche Unterschied zwischen den knorpligen Tar- salien und den vorknorpligen Zehen tritt prägnant hervor. Die drei mittleren Tarsalia liegen in einer bogenförmigen Reihe; proximal von ihnen ist das Fibulare (f) getroffen. Das Interraediotibiale ist jedoch vom Schnitte nur gestreift. In einem früheren Schnitte dieser Serie (Fig. 24 J.) tritt das Intermediotibiale in seinem vollen Umfange her- vor. Es liegt mit einem grossen Abschnitte seiner Peripherie zwischen den distalen Enden von Tibia (T) und Fibula (F) und wird nur zum kleineren Theile von den übrigen Tarsalien umgrenzt. Auch dAS Tar- sale I der distalen Reihe erscheint in den weiteren Schnitten dieser Serie. Eine knorplige Anlage für das Tarsale V vermag ich jedoch noch nicht zu erblicken. Aus diesem Befunde schliesse ich, dass das Tarsale V auch einen Zeitmoment später verknorpelt als die übrigen Tarsalelemente. Figur 26 weist einen analogen Befund an der vorderen Extremi- tät auf. Der Schnitt ist geführt durch die Längsachse der Extremität 14 ür. Ernst Mehnert. senkrecht zur Extremitätenplatte. Humerus und Radius sind zum grössten Theile getroffen. Der Schnitt geht weiter durch das Radiale, Carpale 2 und die Längsachse des zweiten Fingers. Radiale und Car- pale 2 sind scharf abgegrenzte Knorpelstücke. Die Achse des Fingers hingegen lässt nocli keinerlei Centrirungen wahrnehmen. Bei der Schildkrötenhand differenzirt sich zuerst der Knorpelkern für das Intermedium, sodann folgen Ulnare und Radiale und an dieselben schliessen sich sofort die Carpalien. Aus meinen Serien gewinne ich den Eindruck, dass im Gegensatze zum Fusse bei der Hand alle fünf Carpalien der distalen Reihe sich gleichzeitig differenziren. Auf das specielle Verhalten der primitiven Carpalien von Emys will ich nicht näher eingehen, da dasselbe bereits von E. Rosenberg in ausführlicher Weise geschildert worden ist. ^) Das wichtigste Ergebnis«, welches aus den soeben in Betracht ge- zogenen Objekten resultirt (Figur 24 und 26) — und welches mit den Befunden bei den meisten übrigen Verteb raten in di- rektem Widerspruche steht — lautet, dass bei Emys die kano- nischen Carpal- und Tarsalelemente sich schon zu einer Zeit zu Knor- pel differenzirt haben, wenn in den freien Finger- und Zehenstrahlen noch keinerlei, weder vorknorplige noch knorplige Skeletstücke, sicht- bar sind. Erst in einem späteren Stadium, in welchem die Strahlen als Wülste über die Oberfläche prominiren und der Rand des Extre- mitätenplättchens leicht wellig eingekerbt ist (Figur 8, Figur 9), diffe- renziren sich die Metacarpen und Metatarsen als selbstständige Knorpel- centrirungen. Die fünf Metacarpalelemente entstehen ebenso wie die fünf distalen Carpalien nahezu gleichzeitig. Das Metatarsale V diffe- renzirt sich etwas später und besitzt daher auch eine Zeit lang ein jüngeres Knorpelgewebe als seine Genossen. In der nächsten Periode entfalten sich die ersten Phalangenab- schnitte. Auf dieselben folgt später die zweite Phalangenreihe und erst ganz zuletzt treten bei den mittleren Zehen und Fingern die dritten Phalangen auf. Alle Phalangen, sowohl des Fusses wie auch bei der Hand, entfalten sich bei Emys, ebenso wie die M e t a c a r p a 1 i e n und M e t a t a r s a 1 i e n , nacheinander in typischen Querreihen. Die nachfolgende Tabelle giebt die Reihenfolge an, in welcher die Skeletstücke der Extremitäten sich bei Emys zu Knorpel differenziren (Figur C. S. 60). 1) E. EOSENBERG, 1891, S. 1—34. Die Kainogenese. 15 Vordere Extremität. Hintere Extremität. I. Humerus. Femur. II. Radius. Ulna. Tibia. Fibula. (zuerst Tibia). III. Konstante Carpalelemente. Konstante Tarsalelemente. (zuerst das Intermedium). (zuletzt Tarsale V). IV. Metacarpus. Metatarsus. (zuletzt Metatarsale V). V. Erste Phalanx. Erste Phalanx. VI. Zweite Phalanx. Zweite Phalanx. VII. Dritte Phalanx. Dritte Phalanx. Ein Vergleich beider Entfaltungsreihen lehrt, dass die Knorpelbil- dung in beiden Extremitäten genau nach dem gleichen Gesetze verläuft. Zuerst legen sich die proximalen Knorpel an und auf dieselben folgen, in kurzen, aber deutlichen Zeitintervallen von einander geschieden, die nächst distalen Elemente. Die Ske letstücke der freien Ext re- mi täten d i f f er en z iren sich in typischen Querreihen, nach einander in distalwärts fortschreitender Folge. Aus meinen Präparaten kann ich nicht den Eindruck gewinnen, als ob bei der Hand von Emys irgend ein Strahl bei der Entfaltung seiner Knorpelcentra besonders bevorzugt wäre. Eine zeitliche Aufeinanderfolge in der Entfaltung der Fingerstrahlen — wie sie bei einigen Amphibien beschrieben worden ist — findet bei Emys nicht statt. Am Fusse allerdings differenziren sich die Fibula, Tarsale V und Metatarsale V etwas später als ihre Reihen- genossen, jedoch erfolgt die Verknorpelung derselben noch bevor die nächst distale Reihe sich herauszubilden beginnt. Auch sonst sind kleine individuelle Schwankungen nichts weniger als selten , jedoch sind die- selben meist so gering, dass sie den allgemeinen Typus der Extre- mitätenentfaltung durchaus nicht zu alteriren vermögen. Ebenso häufig dehnen sich zwischen den verschiedensten Tarsal- und Carpalelementen individuell sehr variable und auch sehr verschieden breite Zonen von zarten Knorpelbrücken aus. Solche Befunde sind ziemlich zahl- reich in frühen Stadien, sind aber auch bei älteren Embryonen häufig. Hierdurch wird das Bild eines knorpligen Zusammenhanges aller Skeletknorpel erzeugt, wie es auch von Stkasser bei Amphibien beschrieben und abgebildet worden ist.^) Derartige Bilder sind ge- ^) Strasser berichtet über seine Erfahrungen bei Urodelenembryonen folgen- dermaassen: „Es besteht kaum eine Zellparthie der skeletogenen Anlage der Extre- mität, welche sich nicht bei dem einen oder anderen der untersuchten Tliiere zu jungem Knorpel entwickelte. Ich habe für Carpus und Tarsus, Finger und Zehen bei allen untersuchten Thieren einen bisher ungeahnten deutlichen knorp- ligen Zusammenhang der einzelnen Knorpelcentra nachgewiesen." Fig. 2, 3. 1879 S. 310. lg Dr. Ernst Mehnert. eignet, die Vorstellung zu erwecken, als ob die in den Skeletverknor- pelungscentren massig producirte, möglicher Weise leicht flüssige Inter- cellularsubstanz, bisweilen auch in die präformirten Intercellularbahnen der indifferenteren Zellen des Perichondriums und des umgebenden Bindegewebes eindringen kann. Bisher habe ich nur der Entfaltung jener Skeletstücke gedacht, welche bei ausgewachsenen Schildkröten in etwa gleicher Ausbildung und constanter Lagebeziehung zu einander angetroffen werden. Diese kanonischen Elemente zeichnen sich , wie ich früher hervorgehoben habe, durch grosse Regelmässigkeit in der Aufeinanderfolge ihrer knor- peligen Differenzirung aus (S, 14). Jedoch gieht es auch bei Emys eine grössere Zahl von Vorderhand- und Vorderfussstücken, welche bei er- wachsenen Thieren bisweilen ganz fehlen oder in dem Falle ihres Vor- handenseins eine sehr verschiedene Grrössenentfaltung erreichen. Auch die Lagebeziehung solcher Elemente zu ihren Nachbaren kann be- trächtlichen Schwankungen unterliegen. Ein konstantes, wenn auch in seiner Form äusserst variables Ele- ment des Carpus liegt in dem Winkel von Ulna (U), Ulnare (u) und Carpale 4 + 5. Es ist von mehreren Autoren dem Pisiforme homo- log gesetzt worden. Möglicher Weise werden aber unter dem Namen Pisiforme verschiedene Bildungen zusammengefasst, deshalb ziehe ich für das betreffende Element der Einys den Namen Ulnare externum oder ulnares Radienrudiment vor. Dieses Ulnare externum ist von der Dorsalseite nur zum geringsten Theile sichtbar. Der grösste Abschnitt seiner Oberfläche nimmt die Volarfläche ein (Fig. 18 u. e.). Es ist unter den kanonischen das in seiner Form aller variabelste Element. Eine Durchsicht meiner Serien lehrt, dass das Ulnare externum sich gleich- falls als ein selbstständiger Knorpel differenziit, nur tritt diese Differen- zirung relativ später ein , als bei den übrigen Knorpelstücken, Man findet daher ganz in der Regel, dass in frühen Stadien (Rückenlänge des Schildes 7 — 8 mm) dasselbe ein etwas jüngeres an Interzellular- substanz ärmeres Knorpelgewebe aufweist. Das unter allen inkonstanteste Element der Schildkrötenhand liegt in dem Winkel zwischen Radius (R), Radiocentrale (r) und Carpale 1 (Figur 18 r.e.). Es entspricht dem Radiale externum der Autoren, oder dem Accessorium Gtegenbaur's , oder dem radialen Radienrudi- mente von Emil Rosenberg. Unter zehn von mir geprüften Carpen fand ich in fünf Fällen, also in der Hälfte der Fälle, das Radiale externum als einen ganz selbstständigen Knochen (Figur 18). Bei zwei Objekten ist das Radiale externum mit dem Radiocentrale verschmolzen und nur eine an der Aussen-, besonders aber an den Gelenkflächen ziemlich deutlich ausgeprägte Furclie deutete die Grenze zwischen den- selben an. In den übrigen drei Fällen ist das Radiale externum noch hyalinknorplig und zeigte noch keine Spur eines eigenen Ossifica- Die Kainogenese. X7 tionskernes, obgleich es sich um ganz ausgewachsene und bei einem Objekte sogar um ein sehr altes Individuum handelt.^ Die knorplige Anlage der Radiale externum ist zuerst von E. EosENBEEG nachgewiesen worden (1891 S, 18). Schon Rosenberg machte die bedeutsame Entdeckung, dass dasselbe sich etwas später ditferenzirt als die konstanten Stücke. Nach seinem Befunde war noch bei einem Embryo, dessen Rückenschildlänge 8 mm betrug, das rechte Radiale externum nur eine „rundliche Gruppe dicht gefügter Zellen", während das linke erst den „Beginn" der „Verknorplung" zeigte, während die übrigen Stücke aus „deutlichem Knorpel bestanden" (1891 S. 18). Meine Serien bestätigen diese Angaben in jeder Hin- sicht. Das auch als radiales Radienrudiment bezeichnete Radiale externum differenzirt sich bei Erays später, oft beträchtlich später als die konstanten Knorpel. Sehr variabel ist die Komposition des Tarsus. Wie bekannt be- steht derselbe bei ausgewachsenen Sumpfschildkröten aus fünf Stücken, und zwar aus vier kleineren, den noch selbstständigen Tarsalien und einem mächtigen Knochen, welcher zwischen den letzteren und den Unter- schenkelknochen liegt. Letzterer ist von C. K. Hoffmann mit Recht als ein Kompositum von Tibiale, Intermedium, Fibulare und Centrale bezeichnet worden. -) Bei neun Füssen fand ich diese fünf Knochen (Fig. 16, 19). Nur bei einer einzigen Extremität bestand noch ein weiteres Element. Das Fibulare lag als ein ganz vollständiger Knochen vor. (Fig. 17.) In Ausnahmefällen kann auch noch ein siebenter Knochen per- sistiren. Nach Wegnahme der Muskel- und Sehnenlagen entdeckte ich an der PlantarÜäche eines Fusses ein kleines ovales selbstständiges Knöchel- chen. Dasselbe lag zwischem dem Tarsale I und dem grossen Tarsal- stücke der proximalen Reihe. (Fig. 16. Centr. tars.) Beziehungen zu den Sehnen bestanden nicht; dieselben zogen, ohne mit dem Knöchel- chen irgendwie in Konnex zu treten, über dasselbe hinweg. Hingegen war es durch Bindegewebsbänder eng mit den benachbarten Tarsal- elementen verbunden, ganz nach Art eines wahren Tarsale. Es handelt sich hier nicht um eine Abnormität, sondern um ein typisches Skelet- stück, welches bisweilen auch bei Embryonen als ein selbstständiger Knorpel vertreten ist. Untersucht man den Tarsus bei Embryonen, deren Schildlänge 8 bis 10 mm beträgt, so findet man im Allgemeinen ein Bild wie in Fig. 28. Distincte runde Knorpelinseln liegen in einer bogenförmigen Linie und ') Das betreffende Thier (N.V) meiner Sammlung ist das grösste Exemplar einer taurischen Sumpfschildkröte, welches ich überhaupt kenne. Die Läng« seines Rückenschildcs übertrifft um mehr als einen Centimeter die Durchschnittslänge bei ausgewachsenen Thieren. (Morphologisches Jahrbuch, Bd. XVI, S. 539, Anm. 1.) O C K. Hoffmann, 1879, Schildkröten, Fig. 5 u. 6. Morpholog. Arbeiten hi-sg. v. Gr. fSchwalbe. VII. 2 18 Dl"- Ernst Mehnert. sind wegen ihrer Lagebezielmng zu den Basen der Metatarsalien als Tarsalien unschwer kenntlich. Die proximale Reihe wird gebildet von einem grossen Intermediotibiale {J-{- t) und einem kleineren Fibulare (/"). Zwischen der proximalen und der distalen Tarsalreihe lagert eine breite Zone eines noch dichten indifferenten Embryonalgewebes. Bei einem älteren Tarsus (Länge des Schildes 11,5 mm) ist die Zahl der Knorpel vermehrt. In der Lücke zwischen Tarsale I und Tarsale II einerseits und dem Intermediotibiale andererseits sind zwei neue Knorpelkerne aufgetreten, die nur um ein Geringes kleiner sind als die distalen Tarsalien. Diese beiden Knorpel sind nicht nur durch indifferenteres Gewebe gegen einander und ihre Umgebung abgegrenzt, sondern charakterisiren sich auch durch deutlich centrische Anordnung ihrer Zellelemente als selUstständige Wachsthumscentren. In der Mitte einer jeden Knorpelinsel liegen die grössten Knorpelzellen, welche gegen die Peripherie hin an Grösse und an Intercellularsubstanz all- mälig abnehmen. Die Homologisirung dieser beiden zuletzt aufgetretenen Knorpel bereitet keine Schwierigkeiten. Sie liegen zwischen der proximalen und distalen Tarsalreihe und charakterisiren sich hierdurch als Elemente, welche der sogenannten Centralreihe angehören. Ich bezeichne sie des- halb auch als Centralia tarsi, ohne jedoch die Frage entscheiden zu wollen, ob dieselben den beiden Centralia carpi direkt homolog sind oder nur verschiedene Reste der ursprünglich zahlreichen, bei Crocodilinen ^) sich noch aus vier Elementen komponirenden Centralreihe ^) sind. Das weitere Schicksal der Centralia tarsi bei Erays ergiebt der Befund an der linken Extremität. (Länge des Rückenschildes 11,5 mm). Beide Centralia sind sowohl untereinander als auch mit den Inter- mediotibiale knorplig verbunden. Durch diesen Befund findet die An- nahme von C, K. HoFFMANN ^) eine direkte Bestätigung, dass das grosse Tarsale der proximalen Reihe ausser Intermedium, Fibulare und Tibiale noch Centralia und zwar bei Emys taurica zwei Centralia in sich aufgenommen hat. In vorliegender Darstellung kommt es mir nur darauf an, die zeitlichen Unterschiede der Differenzirung zu präzisiren. Aus diesem Grunde sehe ich auch ganz ab von einer Schilderung der allmählichen Komposition dieses Skeletstückes, wie auch überhaupt von einer Schilderung der weiteren Entfaltung von Hand und Fuss, welche von berufenster Seite eine Darstellung erfahren wird. Die für die Centralia tarsi überaus charakteristische Erscheinung, dass ihre Knorpelanlage später sichtbar wird als wie bei den übrigen Tarsalien, gilt, wenn auch in einem etwas beschränkteren Maasse, für ') Kükenthal, 1893, S. 44. *) Thilenius, 189Ha, S. 490, Textfigur. 8) C. K. HoEFMANN 1879, Schildkröten, Taf. XII, Fig. 5 u. 6. Die Kainogenese. 19 die Centralia carpi. Ich finde in frühen Stadien ganz regelmässig, daf=s letztere, insbesondere aber der Knorpel, welcher dem Centrale radiale nach der Deutung Rosenbeeg's entspricht, anfänglich an Inter- cellularsubstanz ärmer ist und ein weniger differenzirtes Perichondrium besitzt als die übrigen Knorpelprovinzen des Carpus. Diese Befunde vermag ich nur durch die eine Annahme zu erklären, dass die Centralia carpi sich gleichfalls verlangsamt entfalten und insbesondere ihre histo- logische Differenzirung einen gewissen Grrad von Torpidität erkennen lässt. Eine späte Differenzirung des Centrale des Menschen hat RosenbeeCt beschrieben. Auf die gleiche Erscheinung beim Crocodil hat Kükenthal verwiesen (S. 75.) In folgender Uebersicht stelle ich alle diejenigen Extremitäten- Skeletstücke zusammen, welche bei Emys eine Verzögerung ihrer knorpligen Differenzirung erfahren. Obere Extremität. Untere Extremität. Radiale externum Fibula (bisweilen) Ulnare externum Centralia tarsi Centrale ulnare Fünfter Zehenstrahl. Centrale distale. Vom topographischen Standpunkte aus lassen sich alle vorstehen- den Elemente keineswegs in die gleiche Rubrik stellen. Es finden sich Skeletstücke, die zum Theil proximal (Fibula), zum Theil mehr distal liegen (fünfter Zehenstrahl) ; andererseits entweder Randelemente sind (Radiale externum, ulnare externum), oder mehr die mittleren Partien der Extremität einnehmen (Centralia). Vom biologischen Gesichtspunkte hingegen gehören alle diese torpiden Elemente in dieselbe Kategorie, in- sofern es möglich ist nachzuweisen, dass es sich in einem jeden einzelnen Falle um ein Skeletstück han- delt, welches einer regressiven Skeletreihe angehört. Bei den verschiedenen Formen der Centralia braucht ein weiterer Beweis, dass es sich um rudimentäre Bildungen handelt, gar nicht weiter erbracht zu werden, seitdem diese Fragen für den Menschen und die Säugethiere durch die grundlegenden Arbeiten von E. Rosen- berg und Leboucq im bejahenden Sinne entschieden worden sind. Auch bei Emys und den Cetaceen haben die Centralia aufgehört, die Rolle von selbstständigen Elementen zu spielen. Sie verwachsen in ihrer Ontogenese zum Theil untereinander, zum Theil mit ihren Nachbargebilden und machen sich bei erwachsenen Schildkröten nur ganz ausnahmsweise gelegentlich noch durch einen eigenen Ossifikationskern bemerkbar. (Fig. 16 Centr. Tars.) Von dem Radiale externum speciell der Emys Marsili hat Rosen- berg gezeigt, dass es sich nicht um eine neue Acquisition handeln kann. Es ist vielmehr zu deuten als ein sehr alter Theil des ur- 2* 20 Dr. Ernst Mehnert. sprünglichen Extremitätenskelets und besitzt als solches die Bedeutung eines radialen Strahlenrudimentes. ^) Auch Emery hat das Radiale externum als ,, Rudiment eines geschwundenen Randstrahles" bezeichnet. Kehree, und einige neuere Autoren sind sogar soweit gegangen , dass sie in demselben den Rest eines Fingerstrahles oder PräpoUex sehen wollen. — Ein Gleiches gilt auch von dem Ulnare externum oder dem Pisi- forme der Autoren. Es wird ganz allgemein als Rest eines rudimen- tären Strahles der Ulnarseite gedeutet. Gegenbaur hatte zuerst das Pisiforme als Rest eines Randstrahles erkannt und ihm in seiner be- kannten Archipterygiumtheorie den Werth eines fünften Strahlenrudi- mentes zugeschrieben. Bei der von Leboucq aufgestellten und von Kükenthal acceptirten Gruppirung der Randelemente schien es nicht möglich, das Pisiforme einem der fünf Strahlen beizuordnen. Es liegt vielmehr ausserhalb der fünften Fingerachse, als ein mehr selbstständiges Strahlenrudiment. In gleicher Weise wird dem Pisiforme bei der von GoETTE vorgenommenen Modificirung des Archipterygiumschemas, die Bezeichnung einer ,, sechsten Zehe" zu Theil, Wiedeesheim giebt in seinem Lehrbuche ein Schema, welchem diese GoETTE'sche Gruppirung zu Grunde liegt, und führt das Pisiforme als Tarsale 6, als ,,Spur eines sechsten Strahles" auf. Auch der von neueren Autoren hypothetisch aufgestellte Postminimus der Säugethiere ist wiederholt in dem Pisi- forme und seinen Nebenossifikationen gesucht worden. Wenn man dem Urtheile aller citirten Autoren Rechnung trägt, so dürfte an der Bedeutung des Pisiforme als Rest eines regressiven Strahles kaum noch Zweifel bestehen. Die sich verlangsamt entfaltende fünfte Zehe der Emys bietet sehr charakteristische Unterschiede zu den übrigen Zehen. Das Meta- tarsale V besitzt nur in seiner ersten Embryonalperiode die längliche, für die wahren Metatarsalien charakteristische Form. Nach Ver- schmelzung mit dem Tarsale V stellt es sein Längenwachsthum zum Theil ein und bildet sich zu einem platten Knochen um. Die End- phalanx bleibt abortiv, tritt kaum über das Hautniveau hervor und entheln't einer eigentlichen Kralle. Der Fuss einer ausgewachsenen lebenden Schildkröte erscheint daher fast immer als ausgesprochen tetradaktyl. Nur bisweilen macht sich noch die fünfte Zehe als eine stumpfe Er- hebung am Fibularrande bemerkbar. Alle die aufgezählten Besonder- heiten, insbesondere aber auch die excessive Kleinheit der fünften Zehe können wohl nicht anders gedeutet werden als durch die Annalime, dass dieselbe den Weg regressiver Bahnen eingeschlagen hat. Resümire ich die bisher besprochenen Einzelfälle, so finde ich, dass alle Skeletelemente der Schild krötenextremität, M RosENBKRG B. 1891 S. 22. Die Kainogenese. 21 welche sich retardirt entfalten, auch mehr oder weniger deutlich in ihrer späteren Ontogenese oder überhaupt in ihrer Phylogenese Reduktionserscheinungen ver- folgen lassen. Zusammenfassung, Die Skelctogenese der Schildkrötenextre- mität verläuft nach folgender Norm. Alle beim ausgewachsenen Thiere konstanten Skeletstücke gehen aus selbstständigen Wachsthumscentren hervor. Sie bilden eigene Chondrifikations- und Ossifikationscentren und entfalten sich in grösster Regelmässigkeit. Die Verknorplung erfolgt in Querreihen. Der Eindruck von Längsreihen wird erst bei Entfaltung der Phalangenabschnitte hervorgebracht. Jede neue histo- logische Diflferenzirung — Bildung des Vorknorpels, Knorpels, Knochens — beginnt zuerst im proximalen Abschnitte der Extremität und schreitet dann in successiven Etappen distalwärts vor. Alle Elemente, welche beim ausgewachsenen Thiere sich durch Inkonstanz ihres Vorkommens und Variabilität ihres Verhaltens aus- zeichnen, Elemente, welche rudimentären Randstrahlen angehören, oder durch Verschmelzung mit den benachbarten kanonischen Stücken ihren regressiven Charakter bekunden, zeigen auch bei ihrer Genese eine et- was grössere Variabilität. In der Regel entfalten sie sich erst später als die konstanten kanonischen Stücke. Ihre histologische Diffe- renzirung ist verlangsamt. Sie verharren bisweilen längere Zeit auf dem Stadium eines an Intercellularsubstanz armen Knorpels. Anderer- seits schreitet auch die Differenzirung ihres Perichondriums nur lang- sam vor. Es leidet dadurch ihre Abgrenzung, welche durchaus günstige Bedingungen bietet für eine Verschmelzung mit den Nachbarelementen (Centralia). Ebenso inkonstant ist bei ihnen das Auftreten eines eigenen Knochenkernes (Centrale tarsi.). Selbst bei ganz ausgewachsenen Exemplaren kann das Radiale externum noch auf der Stufe des hya- linen Knorpels persistiren (Exemplar Nr. 5.). Entfaltung der hinteren Extremität Ton Struthio. Bevor ich auf das specielle Thema eingehe, werde ich den Fuss eines circa drei Tage alten Nestjungen betrachten. Die bestehenden Differenzen zwischen neugeborenen und erwachsenen Straussen werde ich später an einer anderen Stelle ausführlich zu schildern Gelegenheit haben. Der terminale Endabschnitt eines Straussfusses ist durch einen Einschnitt in zwei wulstige Zehen getheilt (Fig. 43, Seitenansicht.) Die mediale Zehe ist durch Dicke und Länge und eine prominente, die Spitze des Fusses weit überragende nagelartige Kralle ausgezeichnet. Von der Nagelbasis an verläuft auf der Rückenseite eine einzeilige Reihe grosser Epidermisschuppen, welche allmälig kleiner werdend sich bis in die Tarsusregion zu erstrecken pflegen. Die laterale 22 ür. Ernst Mehnert. Zehe ist bedeutend kleiner und besitzt beim Neugeborenen für ge- wöhnlich äusserlich keinen Nagel mehr. Lässt man jedoch die Epi- dermis heruntermaceriren, so findet man auch ])ei ihr in der Tiefe eine wohlausgebildete , aber relativ kleine Hornkralle. Auch diese laterale Zehe ist mit einer Reihe grosser Epidermisschuppen gekrönt, welche jedoch höchstens nur bis an das Köpfchen der ersten Phalanx verfolgt werden kann. Fig. 44 zeigt das Fussskelet eines Neugeborenen. Das distale Ende des Metatarsus ist durch zwei tief gehende Einschnitte in drei Knochensäulen getheilt, welche wegen der eigenartigen Konfiguration ihrer Gelenkenden als Metatarsalköpfchen unschwer kenntlich sind. Die mediale Zehe besteht aus vier Phalangen, von denen die Endphalanx zwar schmäler ist als die vorhergehenden, an Länge aber der ersten Phalanx nahe kommt und in eine sehr scharfe Spitze ausläuft. Die laterale Zehe zählt fünf isolirte Phalangen, Nur die beiden proximalen Phalangen sind wohlgeformt und liegen beim Gehen mit ihrer unteren Fläche dem Boden auf. Die drei distalen Phalangen sind nahezu kubische Ele- mente, welche in Folge der aufwärts gekrümmten Haltung der Zehe vom Boden abgehoben sind und nicht direkt mit ihm in Berührung treten (Fig. 43). Anzeichen von Existenz einer dritten Zehe bietet beim Neugeborenen weder die äussere Betrachtung noch das Skelet (Fig. 44). Das Gleiche gilt auch für einen zwei Wochen jüngeren, circa 28 Tage bebrüteten Embryo. Die Extremität ist etwa nur halb so gross wie beim Ausschlüpfen. Die dorsalen Schuppenreihen sind an beiden Zehen bereits wohl ausgeprägt (Fig. 41 u. 42). Der einzige Unterschied von den bereits frei lebenden Thierchen besteht darin, dass bei allen Embryonen die Zehenspitzen stark nach unten gekrümmt sind, daher auch die Nagelkralle nahezu senkrecht zur Achse der Pha- langenreihe steht (Fig. 41). Auch in diesem Stadium existiren nur zwei Zehen und es fehlt an der medialen Seite schon jede Andeutung von einer dritten Zehe. (Fig. 42. Dorsalansicht.) Trotzdem der afrikanische Strauss im ausgewach- senen Zustande zweizehigist, gelingt es in der Ontoge- nese noch eine pentadactyle Ausgangsform nachzu- weisen. In einer Reihe von Bildern (Fig. 30 — 39) gebe ich Flächenauf- nahmen von Straussfüssen bei achtmaliger Loupenvergrösserung. Die fünf ersten der oberen Reihe (Fig. 30 — 34) beziehen sich auf die Aussenflächenkonfiguration der noch am Rumpfe sitzenden Extremitäten. Die fünf nachfolgenden Bilder (Fig. 35 — 39) der zweiten Reihe geben die Innenfläche der Extremitäten wieder, welche erst gewonnen werden konnten, nachdem dieselben vermittelst einer Starlancette abgetrennt waren. Bei einem Straussembryo, welcher seiner allgemeinen Ausbildung Die Kainogeneae. 23 nach einem Hühnerembryo vom vierten Tage entspricht, zeigt der Fuss noch eine kurze und gedrungene Form (Fig. 30). Sein Endabschnitt ist etwas verbreitert und trägt zwei seitliche stumpfe (a. c) und einen etwas längeren mittleren Höcker (b). Auch an der Innenseite ist diese dreihöckerige Form deutlich markirt (Fig. 35 a. b. c). Im nächsten Stadium (Fig. 31, Fig. 38) ist das Bild im Allgemeinen das gleiche ge- blieben, nur der Extreraitätenstiel hat sich verschmälert und etwas an Länge zugenommen. Bei den bisher besprochenen Objekten waren alle drei Höcker ungefähr gleich gross. Von nun an beginnt der mittlere Höcker b die beiden seitlichen a und c an Länge zu überflügeln. (Fig. 32 nnd Fig. 36.) Die einseitige Wachsthumstendenz des Mittel- strahles bleibt auch bei den beiden ältesten Objekten dieser Reihe (Fig. 33, 38 und Fig. 34, 39) ungeschwächt und führt dazu, dass derselbe ein deutliches und bleibendes üebergewicht über die anderen gewinnt. Dieser mittlere Höcker b bildet die Anlage für die mediale oder Hauptzehe des Strausses. Die beiden seitlichen Strahlen bleiben im Wachsthume zurück, je- doch in verschiedener Intensität. Der Höcker a hält noch am längsten Schritt mit der Hauptzehe (Fig. 33, 38 und Fig. 34, 39). Bei einem Embryo aus der dritten Woche (Fig. 40) besitzt er jedoch nur mehr die halbe Länge der Hauptzehe und bildet sich zur Nebenzehe aus. Der dritte primitive Zehenhöcker c wird schon beim dritten Embryo (Fig. 32, 37) von seinen Nachbarn übertroffen und tritt beim nächst ältesten Objekte nur wenig hervor und ist in Fig. 34, 39 noch mehr verwischt. Spuren dieses dritten Höckers sind noch zu Anfang der dritten Woche kenntlich (Fig. 40 IL), um dann zu Ende der vierten Woche ganz zu verschwinden (Fig. 41, 42). Die Vergleichung dieser Oberflächenbilder lehrt, dass die beim afrikanischen Strausse auch äusserlich noch kenntliche Anlage einer dritten Zehe im Laufe der Ontogenese wieder schwindet. Bei den Cari- naten und den asiatischen, australischen und amerikanischen Ratiten persistirt der dritte Strahl und wird zu einer bleibenden dritten Zehe. Die hintere Extremität des Afrikastrausses ist einer der reducirtesten Füsse unter denen aller jetzt lebenden Vögel. Die Schnittprüfung von Extremitäten, wie sie in Figur 30 und 35 abgebildet sind, zeigen als einziges Skeletstück einen aus ganz jungem Knorpel bestehenden kurzen Stab, welcher die Anlage der Femur- diaphyse ist. In den distalen Partien der Extremität liegen zwei von einem Gefässe getrennte kleinzellige Gewebssäulen, welche die vor- knorplige Anlage von Fibula und Tibia repräsentiren. Von distinkten Wachsthumscentren ist in der Tarsal- und Fingerregion noch keinerlei Spur vorhanden. Die nächste Entfaltungsstufe finde ich bei Figur 31 , 36. Das Femur besteht aus fertigem Knorpel, welcher bei Tibia und Fibula 24 Dr. Ernst Mehnert. sich durch Armuth an Intercellularsubstanz auszeichnet. Die distalen Endabschnitte von Tibia und Fibula gehen allmälig über und tauchen in die aus kleinzellig indifferentem Gewebe bestehende Tarsal platte, welche ohne scharfe Grenze ganz allmälig in die mehr lockeren sub- epidermoidalen Schichten ausläuft. In Bezug auf Femur, Tibia und Fibula zeigt die Extremität von Figur 32 und 37 noch die früheren Verhältnisse, nur das Knorpelge- webe der beiden letzten Skeletstücke hat durch Zunahme von Inter- cellularsubstanz eine weitere Stufe der histologischen Differenzirung er- fahren. Das Verknorpelungsgebiet ist weiter distal vorgerückt und man kann jetzt im Gebiete des Tarsus drei Wachsthumscentren unter- scheiden. Ein breiter und schmaler Knorpel liegt in der Flucht der Tibia und ist das Tibiale. Das Fibulare ist ein kleiner und runder Knorpel- kern und liegt distalwärts vor der Fibula. Als Element der zweiten Tarsalreihe erkenne ich eine quergelagerte vorknorplig einheitliche Spange, welche ich nicht in einzelne Abschnitte zu zergliedern vermag. Distal vom Tarsus liegt keine irgendwie centrirte Skeletanlage mehr vor. Das indifferente dichte Gewebe hat sich hierselbst zu fünf divergirenden Strahlen gruppirt (Figur 60). Dieselben vertheilen sich auf die drei äusserlich sichtbaren Höcker«, b. c folgendermaassen. Die beiden tibialen Strahlen 1 und 2 liegen in dem Randwulste c. Die zwei fibu- laren Fortsätze 4 und 5 gehören dem Höckergebiete von a an. Der mittelste und längste Höcker birgt in sich als einzige Zehe den dritten Strahl. Die Strahlen des pentadaktylen Fusses sind von ungleicher Länge. Die grösste Länge besitzt die Mittelzehe (3). Ihr nahezu gleich kommt die Anlage für die Nebenzehe (4). Die erste und vierte Zehe sind viel kürzer und die Anlage für die fünfte Zehe ist erst ein ganz kurzer wulstiger Zellenhöcker (1). Das linke Gegenstück von Figur 32 (37) ist um ein geringes weiter differenzirt , als der rechte Fuss. Ich vermag beim ersteren in der Basis der bleibenden dritten Zehe bereits die centrirte Anlage für den Metacarpus zu unterscheiden. Die nächste Entfaltungsstufe bietet Figur 61 (Extremität von Figur 33, 38). Die Tibia ist im Schnitte in ihrem grössteu Theile ge- troffen. Das Tibiale, Fibulare und das quere Tarsale commune distale bestehen aus wohl ausgebildetem Knorpel. Im vorigen Stadium (Figur 60) standen alle fünf Zehen noch auf einer glei- chen Stufe der geweblichen Entfaltung. Jetzt zeigt nahe- zu ein jeder Strahl eine verschiedene Stufe der Aus- bildung (Figur 61). Der fibulare (5) und der tibiale Randstrahl (1) haben an Länge absolut zugenommen und repräsentiren zwei schlanke Stäbchen. In histologischer Hinsicht haben sie kaum merkliche Fortschritte Die Kainogenese. 25 gemacht und bestehen beide noch aus einem dichten indifferenten Ge- webe.i) Die im basalen Abschnitte des zweiten Strahles gelegene Meta- carpalanlage steht auf der Stufe eines durchaus jungen Knorpels. In geweblicher Hinsicht am weitesten differenzirt ist der dritte und vierte Zehenstrahl, Metacarpus 3 und 4 sind wohl abgerundete, scharf durch ein Perichondrium gegen die Umgebung abgegrenzte hyalin knor- pelige Stäbe. Nicht nur in histologischer Entfaltung, sondern auch in Bezug auf Ausbildung und Gliederung, sind die Mittelzehen vor den Randzehen ausgezeichnet. Strahl 1, 2 und 5 sind ungegliederte Gewebszapfen von gleichbleibenden Querdurchschnitten. Der Strahl 3 und 4 sind mehr als doppelt so lang und besitzen ausser dem Metacarpus noch eine knorplig centrirte Anlage für die erste Phalanx. Zwischen Meta- carpus und nächster Phalanx besteht eine rosenkranzförmige An- schwellung des Strabldurchmessers (Figur 61, Gel). Dieselbe ist die noch auf der Stufe des kleinzelligen indifferenten Gewebes stehende solide Anlage für das Metacarpophalangealgelenk. Schon durch einen direkten Vergleich von Figur 60 mit Figur 61 treten die Differenzen in der Ausbildung der einzelnen Strahlen her- vor. Es ist ganz unverkennbar, dass die drei Randstrahlen nur langsam in histologischer Dif f eren zirung, Grössenent- altung und Gliederung fortschreiten, indess die An- lagen für die beiden bleibenden Zehen sich durch ein energisches Längenwachsthum, frühzeitige Knorpel- bildung und Phalangengliederung auszeichnen. Diese verschiedene Entfaltungsintensität von Rand- und Mittel- strahlen bleibt typisch auch für alle älteren Embryonen. Die Rand- strahlen 1, 2 und 5 bilden zwar im nächsten Stadium (Figur 62 aus Figur 34, 39) gleichfalls Knorpelsubstanz in ihren Metacarpalab- schnitten, bleiben jedoch noch ungegliedert. Die beiden Mittelstrahlen haben unterdessen eine weitere Gliederung und distale Entfaltung er- fahren. Eine zweite Phalanx hat sich centrirt. Eine zweite zwischen erster und zweiter Phalanx gelegene Anschwellung repräsentirt die Anlage des ersten Interphalangealgelenkes. Hierbei zeigt der dritte Strahl in der schärferen Ausprägung der Gelenkmembranzone eine etwas höhere Stufe von Ausbildung als die vierte etwas minder rasch fort- schreitende Zehe. Die Wachsthumsdifferenzen zwischen den transitorischen Rand- und den bleibenden Mittelstrahlen verschärfen sich immer mehr. Beim Embryo aus der dritten Woche (Figur 40) zählt der vierte Strahl fünf diskrete Knorpelphalangen ; der dritte Strahl hat seine bleibende Zahl ^) Die Anlage für die erste Zehe liegt ausserhalb des in Fig. 61 abgebildeten Schnittes, 26 -Dr. Ernst Mehnert. von vier Phalangen erreicht. Die zweite Zehe hat es zu dieser Zeit erst zur Anlage einer winzig kleinen ersten Phalanx gebracht. Bei demselben Objekt ist der Diaphysenabschnitt des Metatarsus 2, 3 und 4 von einem dünnen corticalen Knochenmantel umhüllt. Alle drei mittleren Metarsalia sind nun durch breite Zwischenräume von ein- ander getrennt (Figur 65) und sind erst mit schmalen Randpartien ihrer Basis mit dem Tarsale distale theilweise verschmolzen. Vom ersten Zehenstrahle finde ich keine deutlichen Spuren mehr vor. Ich muss deshalb annehmen, dass der beim jüngeren Embryo (Figur 32, 37) noch vorknorplige (Figur 61, 1), bei den je um ein Tagesinter- vall älteren Objekten (Figur 33, 38 und 34, 39) jungknorplige Meta- tarsus primus sich unterdessen zurückgebildet hat. Der Metatarsus der fünften Zehe zeigt keine Ossifikation und ist auch nur in seinem distalen Abschnitte erhalten. Das in dem früheren Stadium noch knorplige Gewebe zeigt einen hohen Grad von De- struktion. Die Knorpelintercellularsubstanz hat an Masse abgenommen und die Fähigkeit verloren, sich durch Hämatoxylin intensiver als ge- wöhnliche Intercellularsubstanz zu färben. Es hat eine Proliferation der Kerne stattgefunden, und das Achsengewebe des Metatarsus quin- tus ist zur ursprünglichen Stufe eines kleinzelligen, dichten indifferenten Embryonalgewebes zurückgekehrt. Nur die im Allgemeinen noch wenig abgeänderte Perichondriumschicht macht es möglich, den Be- zirk des Metatarsus von seiner Umgebung abzugrenzen (Figur 65, 5). Alle bisher aufgezählten kanonischen Elemente des Straussfusses zeichnen sich durch eine bestimmte Regelmässigkeit in der Aufein- anderfolge von Anlage und Weiterdifferenzirung aus. Jedoch besitzt der Fuss ebenso wie der erst später zu erledigende Flügel eine An- zahl von inkonstanten Elementen. Es sind dieses hyalin-knorplig präformirte Gebilde, die nicht nur bei verschiedenen Embryonen, son- dern auch auf beiden Seiten desselben Embryo Unterschiede aufweisen können, bisweilen auch ganz fehlen. Charakteristisch für alle diese Elemente ist ihre späte Differenzirung. Wenngleich auch hierin indi- viduelle Differenzen zum Durchbruche gelangen, so kann dennoch als durchschnittliche Regel gelten , dass accessorische Elemente erst dann Spuren ihrer Existenz verrathen, wenn alle kanonische Knorpel, so- wohl histologisch, als auch in formeller Hinsicht wohl ausgearbeitete Stücke sind. Es kann nicht meine Aufgabe sein, schon hier alle beim Strausse vorkommenden inkonstanten Elemente aufzuzählen und ihre morphologische Bedeutung darzulegen. Dieselben besitzen ein speciell phylogenetisches Interesse für die Ratiten und sollen an anderer Stelle ausführlich behandelt werden. Zum Zwecke meiner jetzigen, nur auf Klärung der heterochronischen Entfiltungen gerichteten Darstellung, wähle ich ein besonders auffälliges Beispiel aus. Die Kainogenese. 27 In der auch in Figur 40 abgebildeten Extremität eines circa drei Wochen alten Embryo lag in dem tibialen Randabschnitte des Inter- tarsalgelenkes , von der Gelenkhöhle nur durch eine dünne Binde- gewebslage getrennt, ein kleiner ovaler Knorpel von circa 0,2 mm Durchmesser (Figur 65, i. t. S). Dieses überzählige Element besteht aus jungem hyalinen Knorjiel und ist von einem deutlichen Perichondrium allerseits gegen die lockere Bindegewebsumgebung abgegrenzt. Be- ziehungen zu irgend welchen Sehnen bestehen nicht. Bei allen Straussembryonen , die unter drei Wochen alt sind, vermag ich ein analoges Skeletstück nicht mit Sicherheit nachzuweisen. Wegen seiner eigenthümlichen Einlagerung in die Gelenkraem- bran, gehört der fragliche, soeben beschriebene Knorpel in die Kate- gorie der von Alters her als „Sesambeine" bezeichneten Skeletabschnitte und repräsentirt als solcher das seltene Beispiel eines inter- tarsalen Sesamknorpels. Die sonstige principielle Ueberein- stimmung mit den Sesambeinen lässt die Frage gerechtfertigt er- scheinen, ob es sich vielleicht auch in demselben um das Produkt recenter mechanischer Druck- oder Sehnentension handelt. Diese Voraussetzung findet durch den thatsächlichen Sachbestand keine Stütze. Es lässt sich nachweisen , dass der intertarsale Sesamknorpel in der von allen Sehnen entblössten Tibialfläche liegt, an einer Stelle, in welcher also von einem direkten Muskelzuge gar nicht die Rede sein kann, weil alle Sehnen ebenso, wie bei allen übrigen Yertebraten zu einer dorsalen und plantaren Gruppe geordnet, fern von demselben dahin ziehen. Die weitere Frage, welchem Tarsalelemente der übrigen Verte- braten dieser Sesamknorpel speciell homolog sein dürfte, wage ich zur Zeit noch nicht zu entscheiden. Seiner Randstellung nach würde es sich um ein Ueberbleibsel irgend eines tibialen Strahles handeln. Je- doch ist diese Frage nach seiner speciellen Homologie von sekundärem Interesse, die Hauptsache scheint mir in dem Ergebnisse zu liegen, dass es sich um ein hyalin-knorplig präformirtes , den echten Tarsal- elementen gleichwerthiges Skeletstück handelt, welches aus der Reihe der letzteren herausdrängt, als eine Knorpeleinsprengung in der Inter- tarsalgelenkkapsel ein transitorisches Dasein fristet. Seine späte Dif- ferenzirung hat es gemein mit den gleichfalls sich retardirt entfaltenden Komponenten der rudimentären Randstrahlen. Die Ontogenese des Straussenfusses lehrt in frühen Stadien eine vorknorplige Anlage von fünf strahlenartig divergirenden Zehen kennen. Bei Differenzirung der Knorpelcentra gilt auch für Struthio das gleiche Gesetz wie bei Emys. Die Chondrificirungs- centren schreiten in successiven, bisweilen kurzenZeit- 28 Dr. Ernst Mehnert. Intervallen, in distaler Rieh tu ngvor. Zuerst differenzirt sich das Femur, dann folgen Tibia und Fibula und dann erst folgt der Tarsusabschnitt. An letzteren schliessen sich sehr bald an die geweblichen Centri- rungen für die Metatarsen der beiden mittleren und bleibenden Zehen. Die knorplige Differenzirung der Randmetatarsen erfolgt zeitlich später. Das Gleiche gilt auch für die Phalangen. Die Phalangen der dritten und vierten Zehe bilden sich früher zu Knorpelstücken heraus, als bei der zweiten Zehe. Für die Herausbildung der blei- benden Zehen gilt dieErscheinung, dasssieinjederHin- sicht eine allgemeine Beschleunigung ihrer Entfaltung erfahren, die sich auch speciell äussert in einer frühzeitigeren histo- logischen Differenzirung und einer frühzeitig auftretenden Phalangen- gliederung. Die Anlagen derRandstrahlen, welche rudimentären Zehen angehören, zeigen eine scharf ausgeprägte indivi- duelle Yerlangs amung ihrer Entfaltung. Die histologische Differenzirung macht excessiv langsame Fortschritte. Die Pha- langengliederung tritt beim zweiten Strahl erst relativ zu sehr später Zeit ein. Am allerspätesten werden in der Ontogenese die in- konstanten Skeletstücke kenntlich und zwar erst dann, nachdem alle konstanten Elemente bereits höhere Grade der Entfaltung erreicht haben. Bei Herausbildung der Phalangen hält eine jede Zehe das ursprüng- liche Princip der distalwärts fortschreitenden Differenzirung auf das genaueste ein. Zuerst centrirt sich die Knorpelanlage für die erste Phalanx, auf dieselbe folgt die zweite, sodann die dritte und vierte Phalanx, Bei der Nebenzehe (vierter Strahl) gelangt noch eine fünfte Phalanx zur Ausbildung. Die Entfaltung des Straussenflügels. Zu einer allgemeinen Orientirung über die Konfiguration und die Zahl der Skeletstücke wähle ich den Flügel eines drei Tage alten Nest- jungen.i) Figur 57 giebt die Innenfläche des linken Flügels wieder. Die Ulna (U) und der Radius (B) sind etwa gleich stark entfaltet. Der Carpus wird nur von zwei Knochen gebildet und zwar von einem Ulnare {u) und einem Radiale (r). Der Metacarpus ist einheitlich und ^) Bei meiner Anwesenheit in Matarieh hatte ich Gelegenheit einen weiblichen über zwanzig Jahre in der Gefangenschaft gehaltenen Strauss eigenhändig zu ske- letiren. Die speciellen Eigenthümlichkeiten des Flügels dieses Exemplares besitzen nur phylogenetisches Interesse und sollen an anderer Stelle erledigt werden. Die Kainogeneee. 29 setzt sich zusammen aus den in ihrem proximalen Abschnitte unter- einander verschmolzenen drei mittleren Metacarpalknochen. Der mit- telste Metacarpus trägt drei selbstständige Phalangen ; der radialo Finger hingegen besitzt ihrer zwei, der ulnare nur eine einzige. An dem noch unpräparirten Flügel treten auch äusserlich die drei Finger hervor. Figur 58 giebt die analoge Innenseite eines etwa gleich alten Flügels wieder. Derselbe ist nur an einer Aussenseite mit Federn be- deckt, an der Innenseite nackt, mit Ausnahme einer Reihe von Deck- federn, welche an dem vorliegenden Objekte entfernt worden sind, um die Extremitätenformen mehr hervortreten zu lassen. Alle drei Finger- enden heben sich nur als kleine konische Fortsätze ab. Der mittelste Finger bildet das distale Endstück des Flügels (3). Ihm benachbart an der ulnaren Seite tritt der vierte Finger zu Tage (4), während der zweite Finger (2) an der radialen Seite mehr proximal absteht. Der zweite und dritte Finger tragen deutliche, leicht abgestumpfte Krallen, welche auch schon bei jüngeren Embryonen aus der vierten Woche (Figur 56) in gleicher Form vorhanden sind. Auf das Vorkommen solcher Krallenbildungen hat auch bereits Nassonow hingewiesen ^). Die nächst zu schildernden Flügel stammen von denselben Embryonen, deren Fussentfaltung ich in dem vorigen Abschnitte erledigt habe. Der Flügel des jüngsten Embryo dieser Serie hat äusserlich die Gestalt einer flachen Platte, die sich distal leicht verbreitert, um in ein abgestumpftes, schmäleres Endstück auszulaufen (Figur 50 Aussen- seite, Figur 45 Innenseite). Die Ansatzstelle der Extremität ent- spricht der Nackenkrümmung. Ein weiteres Stadium giebt Figur 46 und 51. Die Extremität ist noch lang gestreckt und zeichnet sich durch relative Breite ihres An- satzstückes aus. An dem ulnaren Rande ist ein kleines Höckerchen sichtbar, welches sich sowohl an der Aussenseite (Figur 51), wie auch an der Innenseite (Figur 46) gleich deutlich abhebt. Eine Knickung der Extremität in der Ellenbogenbeuge ist erst bei Figur 47 (und 52) eingetreten. Der proximale Theil derselben hat sich verbreitert und trägt an seinem vorderen (radialen) Rande drei nahezu in der gleichen Ebene gelegene Höcker (a, b, c), welche Finger- anlagen entsprechen. Die gleichen Höcker treten auch bei dem nächst älteren Embryo an der Innenseite hervor (Figur 48, a, b, c) ; an der Aussenseite jedoch erhebt sich noch ein vierter Höcker an der ulnaren Kante (Figur 53, d). Auch bei dem ältesten Embryo dieser Serie ist ein zweites Höckerchen äusserlich nicht scharf ausgeprägt, dagegen prominirt der vierte Höcker beträchtlich (Figur 54, d). Embryonen aus der dritten Woche besitzen äusserlich nur noch 1) Nassonow, 1895, S. 4. 30 Dr. Ernat Mehnert, drei Finger, von denen der mittelste der längste ist (Figur 65). Der radiale kleine Fingerkegel steht fast senkrecht zur Längsachse der Extremität, der ulnare vierte Finger hingegen ist nur wenig kürzer, als der Mittelfinger, und nur durch einen seicliten Einschnitt von dem letzteren abgegliedert. Schreitet man zu einer Serienschnittprüfung der Flügelanlagen, so lange sie noch eine zapfenförmige Gestalt besitzen (Fig. 50 und 45), so findet man, dass dieselben in ihrem Inneren noch ganz gleichmässig von indifferenten Embryonalzellen erfüllt sind. Auf einer solchen Stufe vermag ich noch nicht irgend eine axiale Zellverdichtung zu sehen. Bei dem nächst älteren Embryo (Fig. 51 und 46) besteht die Humerusanlage aus einem sehr kurzen, von ganz jungen Zellen gebil- deten Knorpelstabe. Die ülna- und Radiusanlagen werden durch zwei Säulen repräsentirt, welche sich noch aus dichten indifferenten Zell- massen zusammensetzen, zwischen denen noch keine Spuren von Knorpelintercellularsubstanz nachweissbar sind. In dem rechten Flügel sind die Anlagen der beiden Vorderarmelemente noch wenig scharf abgrenzbar, in dem linken Gegenstücke hingegen viel deutlicher von der Umgebung differenzirt. Mit Eintritt der Ellenbogenbeuge (Fig. 47 und 52) und dem Auf- treten von Höckerprominenzen an dem radialen Rande der Extremität schreitet auch die histologische Differenzirung weiter distalwärts. Ulna und Radius bestehen aus jungem, an Intercellularsubstanz armen Knorpelgewebe. In der Carpalplatte deuten centrirte Zellengruppen darauf hin, dass das noch indifferente Gewebe sich zu bestimmten Wachsthumscentren zu differenziren beginnt. Eine bestimmte Gruppirung des distal vom Carpus befindlichen kleinzelligen Gewebes liegt noch nicht vor. Bei dem in Fig. 53 und 48 abgebildeten Flügel besteht der wesent- lichste Fortschritt der Entfaltung in einer Differenzirung der Carpus- und Metacarpusregion. In der Carpusregion vermag ich jetzt deutlich nur drei Knorpelcentra zu erkennen. Ein Verknorpelungscentrum liegt distal vor dem Endabschnitte der Ulna und bildet das Ulnare. Das in gleicher Höhe vor dem Radius gelegene embryonale Knorpelfeld bildet das Radiale. Distal von diesen beiden Carpalien erstreckt sich eine quere schmale, jedoch ziemlich breite Knorpelzone, welche eine Unter- scheidung einzelner Glieder nicht zu lässt. Dieses dritte Element des Carpus entspricht dem Carpale distale der Carinaten und verschmilzt in der Folge mit den Basen der Metacarpalien. Ein weiterer Fortschritt ist bei dem vorliegenden Objekte in dem Abschnitte der freien Fingerstrahlen zu verzeichnen. Der mittelste Strahl ist der längste; es ist histologisch am weitesten differenzirt, scharf gegen die Umgebung abgesondert und verläuft in der Achse der Extremität bis in den am meisten prominirenden Fingerhöcker c. Die Kainogenese. 31 (Fig. 47 und 53.) Die beiden Seitenstrahlen sind gleichfalls deutlich differenzirt, nur etwas kürzer als der mittelste, und verlaufen leicht divergirend neben demselben einher und strahlen in die Höcker b und d aus. Die Randstrahlen (1 und 5) sind hingegen am allerwenigsten ausgeprägt; sie verlaufen beide nahezu senkrecht zur Mittelachse des Flügels. Nur der radiale Strahl war äusserlich durch einen beson- deren Höcker kenntlich (Fig. 47), während eine Andeutung eines fünften Strahles selbst bei starker Lupenvergrösserung nicht festgestellt werden konnte. Die beiden Flügel des ältesten Embryo dieser Serie sind etwas verschieden entfaltet und repräsentiren zwei kurz aufeinander folgende Entfaltungsstufen. Zunächst will ich den rechten Flügel prüfen. Die drei mittleren Strahlen besitzen knorplig vorgebildete Metacarpen und zwar zeigt auch hier ebenso wie bei Carinaten der Mittelfinger ein entschieden älteres, an Intercellularsubstanz reicheres Knorpelgewebe als seine beiden nächsten Nachbargenossen. Die ßandstrahlen 1 und 5 sind am meisten konservativ geblieben und bestehen noch in diesem späten Stadium aus Vorknorpelgewebe. Der linke Flügel erweist sich in einer besonderen Hinsicht als entschieden höher entfaltet als sein rechtes Gegenstück. Der Mittel- finger (3) besitzt eine aus jungem Knorpel geformte erste Phalanx, welche hingegen bei allen übrigen vier Fingern zu dieser Zeit noch vermisst wird. Der so eben geschilderte Embryo giebt ein beredetes Beispiel da- für ab, dass auch bei der Hand, ebenso wie beim Fusse alle fünf Strahlen nur im Stadium des Vorknorpels auf gleicher Stufe der ge- weblichen Ausbildung stehen, dass jedoch später unter den einzelnen Fingern grosse Differenzen ihrer Entfaltung hervorleuchten. Die drei mittleren Strahlen, welche Anlagen für die bleibenden Finger abgeben, überflügeln die beiden Randstrahlen, die bereits während der Embryo- nalzeit regressive Wege einschlagen. Unter den bleibenden Fingern ist es wiederum der mittelste Finger, welcher sowohl in Bezug auf Differen- zirung des Knorpelgewebes, als auch in Betreff der Phalangengliederung seinen Nachbargenossen voran ist. Erst nachträglich erhalten der zweite und vierte Fingerstrahl Phalangenanlagen. In mehrfacher Hinsicht interessante Verhältnisse bietet ein Flügel aus der dritten Woche der Bebrütung (Fig. 55). Ein Schnitt durch die rechte Extremität ist in Fig. 63 zur Abbildung gelangt. Distal von dem Radius (R) liegt das längliche ovale Knorpelfeld des Radiale (r). Das Ulnare (u) ist nur oberflächlich getroffen, erscheint daher in dem Schnitte nur sehr klein, während die Berücksichtigung der ganzen Serie lehrt, dass es an Grösse dem Radiale nur wenig nachsteht. In der zweiten Carpalreihe findet sich nur ein breiter Knorpel, welcher dem Carpale distale der Carinaten homolog zu setzen ist. Dasselbe 32 Dr- Ernst Mehnert. ist noch selbststänrliii; und noch nicht wie beim Neugeborenen (Fig. 57) mit den Basen der Metacarpen verwachsen. Ein Vergleich mit einer auf gleicher Stufe der allgemeinen Entfaltung stehenden Carinaten-Ex- tremität zeigt, dass bei Struthio das Carpale distale länger selbststäiidig bleibt als bei den letzteren und erst in einer relativ späteren Periode der Ontogenese zu den Basen des Metacarpus in innigere Verbin- dung tritt. Der längste Knorpel in dem Gesichtsfelde {M 3) entspricht dem Metacarpus des Mittelfingers. Der Metacarpus des ulnaren Fingers (M 4) ist schräg angebildet und daher nur wenig vom Schnitte getroffen. Hingegen ist der zweite Metacarpus {M 2) in seiner ganzen Ausdeh- nung zu verfolgen. Auf denselben folgt distal die erste Phalanx (P/i 1). Die zweite Phalanx sowie der krallenförmige Nagel des zweiten und dritten Fingers treten erst in den mehr dorsal gelegenen Schnitten entgegen. Von dem Metacarpus des zweiten Fingers geht schräg und distal- wärts ein kleiner, durcbaus schmächtiger Knorpelstab ab. (Fig 63, 1.) Es handelt sich hier um den Metacarpus des ersten Fingers, welcher jetzt in seinem proximalen Abschnitte mit dem Metacarpus 2 ver- schmolzen ist. Der Metacarpus primus besitzt ein scharf ausgeprägtes Perichondriura, jedoch ist die Intercellularsubstanz äusserst spärlich und ausserdem von dem Hämotoxylin nur sehr schwach tingirt. Hin- gegen ist eine deutliche Zunahme der Kerne zu verzeichnen, so dass mehr das Gepräge eines indifferenten Bindegewebes resultirt, wie es in Fig. 65 auch bei dem in der Reduktion befindlichen Metatarsus quintus vorliegt. In der That ist auch der Befund beim Metacarpus primus auf einen gleichen Rückbildungsprocess zu beziehen, denn ich vermochte bisher noch nicht bei neugeborenen Straussen Spuren desselben zu er- kennen. Der Nachweis von fünf scharf ausgeprägten Fingeranlagen, insbe- sondere jedoch der Nachweis von fünf knorplig präformirten Meta- carpalen, gewährt die Möglichkeit, mit Sicherheit die bleibenden Finger des Flügels in der pentadaktylen Vertebratenhand zu homologisiren. Diese Frage ist bisher noch eine strittige und wird von den Autoren auch noch jetzt verschieden beantwortet. Owen und Humphry leiteten die dreifingerige Vogelhand von einer Fünfstrahlform durch Reduktion der beiden Randfinger her. Die meisten Autoren der Jetztzeit nehmen einen Schwund von zwei ulnaren Strahlen an und deuten die Vogel- hand als I,, II. und III. Finger. Nach Angabe von Elisa Noesa ^) soll Tschan behauptet haben, dass der III. und V. Finger verschwunden seien und nur I., II. und IV. noch übrig geblieben sind. Die Ontogenese des Straussenflügels lehrt, dass aus dem pentadak- 1) Elisa Norsa, 1894, S. 4. Die Kainogenese. 33 tylen Zustande die dreifingerige Hand zu Stande kommt durch eine Rückbildung des ersten und fünften Strahles. Die bleibenden Finger werden also durch den IL, III. und IV. Strahl re- präsentirt und der Hauptfinger des Flügels ist nicht, wie bisher von den meisten Autoren gelehrt wird, der zweite, sondern der dritte Strahl. Ich komme für die Ratiten zu dem gleichen Resultate, welches Elisa Noesa bei zahlreichen Familien von Carinaten verzeichnet hat. Ebenso wie der Fuss besitzt auch der Flügel einige Elemente, welche sich erheblich später anlegen wie die kanonischen Knorpel. Im Carpus des circa drei Wochen alten Embryo finde ich in der Lücke zwischen Ulna (ü) und Radius (E) einerseits und dem Ulnare (u) und Radiale (r) andererseits ein kleinzelliges indifferentes Gewebe. Im Centrum des letzteren tritt in drei aufeinander folgenden Schnitten eine kleine Knorpelinsel entgegen, welche aus jungem hyalinen Knorpel besteht und durch eine deutliche Perichondriumlage von seinen Nach- barelementen getrennt ist. Die typische Lagerung dieses Knorpelchens, einerseits zwischen den beiden Vorderarmelementen, andererseits zwischen den beiden Knorpeln der proximalen Carpalreihe sichert seine Homo- logisirung als Intermedium. Das Intermedium des Straussflügels legt sich ent- schieden später an als die übrigen Carpuselemente; wenigstens bin ich nicht in der Lage, ein demselben gleich gelagertes Skeletstück bei fünfzehn jüngeren Straussenflügeln wahrzunehmen. Selbst bei Annahme, dass die Anlage des Intermedium gleichzeitig mit den kanonischen Carpalien stattgefunden hat, muss zugegeben werden, dass dieselbe eine Zeit lang latent geblieben ist und sich erst in später Zeit zu Knorpel dilferenzirt hat. Vom theoretischen Gesichtspunkte aus scheint mir die späte Differen- zirung des Intermediums ein hohes Interesse zu gewähren, denn sie liefert ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass ein so typisches, ganz allgemein unter den Vertebraten verbreitetes Element, wie das Intermedium, eine Re- tardation seiner Entfaltung erfahren kann, welche dasselbe auf gleiche Stufe setzt, zu den gleichfalls durch späte Difi"erenzirung ausgezeichneten rudi- mentärer Elementen des Straussenfusses. (S. 27 Fig. 67 i. t. S.) Ob das Inter- medium des Flügels auch in die Kategorie der inkonstanten Skeletstücke gehört, vermag ich nicht zu entscheiden, da ich über fünfzig mir noch zu Gebote stehende Flügel älterer Embryonen bisher noch nicht in Serien zer- legt habe. Bei Nestjungen aus der ersten Woche vermag ich durch Prä- paration ein Intermedium nicht mehr darzustellen. Es muss daher zu- nächst noch hingestellt bleiben, ob das Intermedium etwa zu Grunde gegangen oder vielleicht mit seinen Nachbarelementen verschmolzen ist. Letztere Annahme besitzt für mich eine grössere Wahrscheinlich- keit, weil das Intermedium dem Radiale durchaus nahe liegt und es Morpholog. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VJI. 34 ^f- Ernst Mehnert. daher auch wohl möglich ist, dass tiasselbe bei einer ferneren Grössen- zunahme mit demselben zur Verschmelzung gelangt. Die Entfaltung des Straussenflügels unterliegt den gleichen Ge- setzen wie die liintere Extremität. Der Flügel besitzt schon im Vorknorpelstadium eine pentadaktyle Form, Als erster Knorpel differencirt sich der Huraerus. Auf denselben folgen die beiden langen Vorderarmknorpel, die sich zuerst in ihrem Diaphysentheile an- legen. In dritter Instanz erscheinen die Carpalelemente und an dieselben schliesst sich unmittelbar die knorplige Differenzirung der drei blei- benden Metacarpalien. Der Mittelfinger schreitet am rasche- sten in seiner histologischen Differenzirung voran und erzeugt auch unter allen üb i' igen Fingern zuerst Pha- langen. Letztere erscheinen nacheinander in distalwärts fortschreiten- der Aufeinanderfolge. Der zweite und vierte Finger erhalten später Phalangen als der Mittelfinger. Am weitesten zurück in der histologischen Differenzirung sind jeweilig der 1. und 5. Randfinger. Dieselben bilden zwar auch knorplige Metacarpalien, unterliegen aber noch während der Embryonalzeit einer weitgehenden regressiven Metamorphose ; das Knorpelgewebe reducirt sich, an ihre Stelle treten indifferente Gewebszellen, die Contouren werden undeut- lich und verwaschen und schliesslich schwindet jede Andeutung davon, dass an diesen Stellen zuvor Skeletstücke lagen. lieber Unterschiede der Entfaltungseiiergie Ton vorderer und hinterer Extremität. Es ist bekannt, dass bei den Vertebraten die Anlage für beide Extremitätenpaare gegeben ist in der Extremitätenleiste und dass die- selben hervorgehen aus stärker sich entfaltenden Abschnitten dieses ge- meinsamen Extremitätensaumes (S. 9). Insofern muss auch die An- lage beider Extremitäten als eine gleichzeitige aufge- fasst werden. Dieses bezieht sich jedoch nur auf die Anlage, denn es ist andererseits Regel, dass die vorderen Extremitäten sich rascher entfalten, sich rascher gliedern und histolo- gisch differ e nzir en als die hintere Extremität. Deshalb ist auch in der ersten Zeit die hintere Extremität stets die minder entfaltete. Schon Rusconi hat bei Tritonen auf diese Differenz aufmerksam gemacht.^) Von K. E. v. Baek liegen für das Hühnchen gleiche Angaben vor, er sagt: „Bisher ist die Entwickelung beider Extremitäten einander gleich, mit dem Unterschiede jedoch, dass die hintere immer in der Entwickelung etwas zurück- ») RüBCONi 1821. Die Kainogenese. 35 bleibt". ^) Alle Untersucher nach Baee, welche überhaupt Studien an Extremitäten vorgenommen haben, versäumen nie auf die ungleiche Entfaltungsstufe beider Gliedmassen hinzuweisen. Au dieser Stelle will ich mich jedoch nur auf Angaben aus der neueren Zeit beziehen. Bereits bei den Selachiern eilt die vordere Extremität der hinteren voran. Wiedeksheim ^) konstatirt bei Pristiurus, ScißUnm und Torpedo, dass die vordere Extremität der hinteren in der Anlage stets voraus ist. Bestätigende Angaben macht Mollier für Torpedo ocellata und Pristiurus melanostomus indem er sagt: „Entsprechend des proximo- distalen Wachsthumes tritt die Anlage der Brustflosse weit früher in Erscheinung als die Beckenflosse und ist in der Entwickelung stets voraus." ^) Bei 6 bis 7 mm langen Embryonen von Stören beschreibt Wiedeks- heim bereits eine Brustflosse, *) während hingegen erst bei 8 bis 9 mm langen Objekten „fällt das erste Auftreten der hinteren Extre- mität." ^) Goette macht aufmerksam, dass bei den Tritonen die Hinterbeine sich ,, etwas später als die Vorderbeine" anlegen, ß) Auch Strasser beschreibt bei 8 mm langen Tritonemhri/onen vordere Extremitäten, während die hinteren erst bei 19 mm langen Thieren erscheinen. ') Ebenso wie bei Fischen und Amphibien liegt auch bei den Rep- tilien die ausgesprochene Tendenz vor zu einer rascheren Entfaltung der vorderen Extremität. Nach Wiedersheim ,,ist auch bei Chelone die Entwickelung der hinteren Extremitäten gegen die vordere um ein gutes Stück zurück; sie sind nicht so voluminös wie letztere, und ob- gleich in beiden noch kein Knorpel entwickelt ist, so ist doch das indifferente Mesoblastgewebe in der vorderen Extremität schon zu viel kompakteren, auch auf die Gürtelzone sich erstreckende Massen zu- sammengetreten, als die hinteren,"^) Die gleiche Erscheinung be- schreibt Wiedersheim auch bei Embryonen von Crocodüus biporcatus aus Ceylon: ,,Bei 17 mm langen Exemplaren ist, wie ich dieses auch von Chelone berichten konnte, die vordere Extremität im Verknor- pelungsstadium angelangt, während die hintere noch wesentlich von in- differentem Mesoblastgewebe aufgebaut wird.* Ein jeder, welcher mit Lacertaemhrijonen zu thun hatte, weiss, dass auch äusserlich die vorderen Extremitäten den hinteren voraus- 1) Baeb, X. E. V., 1837, S. 101. 2) Wiedersheim, R., 1892, S. 148. /'f^^^ ^1^ ») Mollier, •>., 1893, S. 11, 12. ^ — ^ *) Wiedersheim, R, 1892, S. 163. 5) Wiedersheim. R., 1892, S. 164. «) Goette, 1879, S. 13. ') Strasser, 1879, S. 276. «) Wiedersheim, 1892, S, 124. '" - ^) Wiedersheim, R., 1892, S. 134. 'J*',.^'/"' '' v^tv' 3* 36 Dr. Ernst Mehnert. eilen. Hochstetter giebt dieses ausdrücklich zu.^) Ich verweise auch auf die grossen Abbildungen von vier aufeinander folgenden Ent- faltungsstufen der Lacerta muralis , welche Mollier neuerdings ge- geben hat.^) Bei all den hunderten von Embryonen der taurischen Sumpfschildkröte, die ich besitze, haben die vorderen Extremitäten eine höhere Stufe der Ausbildung erreicht. Es handelt sich jedoch nicht nur um eine äussere Erscheinung. Alle Serienprüfungen, die ich unter- nommen habe, haben mich gelehrt, dass in der That in der Regel auch die histologische Differenzirung in der vorderen Extremität und ihrem Gürtel weiter fortgeschritten ist, als die hinteren Gliedmaassen der- selben Embryonen. Auch die Warmblüter machen in dieser Beziehung keine Aus- nahme. Bonnet giebt für das Schaf folgende Angaben: „Die ßrust- gliedmaassenanlage erscheint zuerst und überflügelt bezüglich ihrer Grösse und Gliederung stets die Beckengliedmaasse." ^) In gleicher Weise ist bei vielen von Keibel abgebildeten Schweineemhnjonen, die hintere Extremität etwa nur ein halb so gross wie die vordere.*) Meine eigenen Erfahrungen erstrecken sich gleichfalls auf Em- bryonen von Schweinen, Bindern, Schnfen, Meerschweinchen, Kaninchen^ Katzen und iveissen Mäusen (S. 8 u. 9). Nach Möglichkeit habe ich von jedem Embryo alle vier Extremitäten geschnitten. Dieses reich- haltige Material bestätigt in Bezug auf die Stufe der Entfaltung ganz die bei den Kaltblütern geltende Regel, wenn es sich allerdings auch bisweilen um geringe, stets aber deutliche Unterschiede handelt. Ins- besondere aber ist der Mensch durch eine rasche Entfal- tung seiner vorderen Extremitäten ausgezeichnet. Dieser beträchtlichen Zusammenstellung aus der Neuzeit könnte ich gleichfalls eine längere Reihe älterer Angaben beifügen, welche das- selbe besagen. Diese grosse Anzahl gleichlautender Ergebnisse könnte die Meinung erwecken, als handle es sich hierin überhaupt um ein für alle Vertebraten gültiges Entfaltungsgesetz. In diesem Sinne haben sich auch die meisten Autoren ausgesprochen und gemeint , dass des- halb die vordere Extremität bei der Entfaltung bevorzugt werde, weil überhaupt die meisten Entfaltungsvorgänge sich zuerst im cranialen Körperabschnitte abspielen und sich erst allmälig weiter distalwärts erstrecken. Jedoch ist eine solche Deutung ganz unzutreffend, denn in zwei Vertebratenklassen besitzen wir direkte Ausnahmen gegen diese Regel, indem bei denselben gerade die gegentheilige Entfaltungstendenz obwaltet. Es ist längst bekannt, dass bei den Anuren die Entfaltung ») HOCHSTETTER, 1891, S. 24. 2) Mollier, 1895, 'J'af XXXVII. ») Bonnet, 1891, S. 82. •») Keibel, 1895. Dieses Journal ßd. V, Taf. V, Fig. 60b, 61b, 64b, 65 u. s. w> Die Kainogenese. 37 der hinteren Gliedmaassen derjenigen der vorderen vorausgeht. Ein analoges Seitenstück zu den Anuren bildet die Extremitätendifferen- zirung bei den Ratiten. Von meinen eigenen Ergebnissen will ich zunächst noch absehen und erwähnen, dass auch bereits in der Litteratur Abbildungen publi- cirt sind, welche das Voraneilen der Fussgliedraaassen bei straussartigen Vögeln zur Darstellung bringen. Wohl unter allen bisher untersuchten Ratiten zeigt Apteryx die grösste Differenz bei der Entfaltung der beiden Gliedmaassengruppen, welche sich auch schon auf sehr früher Stufe zu erkennen giebt. Der von J. Paeker abgebildete Apteryx-Embryo ^) entspricht in seiner Ge- sammtentfaltung einem Hühnchen vom vierten Tage.^) Beide Extre- mitätenanlagen sind durch zwei kleine, gleich hohe, jedoch sehr ver- schieden breite Hügel repräsentirt. Schon hierin ist eine auffällige Prävalenz der hinteren Extremität gegeben , da ihre Basis über 7^/2 Segmente sich ausdehnt, die vordere sich jedoch nur auf 3 Seg- mente bezieht. Beim nächst älteren Embryo B,=^) welcher einem Hühnchen vom fünften Tage entspricht,'*) ist die vordere Extremität noch genau so gestaltet, wie beim vorigen Embryo. Die hintere Extreraitätenanlage ist hingegen unterdessen mindestens dreimal höher geworden. Im Vergleiche zu den hinteren Gliedmaassen zeigen die vor- deren eine sehr starke Retardation der Entfaltung. Diese Differenz nimmt später noch mehr zu. Bei dem noch älte- ren vierten Embryo D, welcher einem Hühnchen vom sechsten Tage entspricht,^) ist das Verhältniss der Gliedmaassenpaare wie 1 : 4 ge- worden. Dieses, schon durch die Vergleichung der äusseren Formen sich ergebende Zurückbleiben des Flügels, wird durch die Serien- prüfung bestätigt. Die beiden bleibenden Zehen des Apteryxfusses besitzen in dem Stadium D zwei Phalangen, stehen also bereits auf der Stufe der Entfaltung, welche die bleibenden Finger des Flügels, bei dem circa zwei Tage älteren Embryo E^) noch nicht ganz erreicht hat. Dieser Finger besitzt zwar auch schon eine knorpelige erste Phalanx, seine zweite Phalanx hingegen steht noch in dem Vorknorpel- stadium.') Bei den von mir untersuchten Embryonen des Afrikastrausses 1) Parker Jeffery, 1892, Stadium A, Taf. III, Fig. 1. '^) loco cit. S. 28. ») loc. cit. Embryo B, Plate III, Fig. 2. *) loc. cit. S. 29. ^) loc. cit. S. 29. «) loc. cit. S. 31. ') loc. cit. Plate XVII, Fig. 254, 255, 256. 38 Dr. Ernst Mehnert. (deren Eltern zum Theil aus dem Sudan, zum Theil von der Somali- kliste her importirt wurden) wächst in gleicher Weise wie bei Apteryx zuerst die Fussgliedmaasse aus, sie gliedert sich früher und erreicht auch früher scharf ausgeprägte charakteristische Formen, wie der Flügel. Zunächst will ich bei fünf verschieden alten Embryonen (von circa 1 tägigen Zeitintervallen) die äusseren Formverhältnisse vergleichend beschreiben und erst zuletzt auf die histologischen Unterschiede ein- gehen. Der in Figur 30/35 abgebildete Fuss ist ziemlich lang, in seinem Endabschnitte etwas verbreitert und bereits in drei Höcker profilirt. Die FlÜL'el desselben Embryo (Fig. 45/50) sind kürzer, haben noch keine Endhöcker und besitzen erst die Form einer relativ breiten Platte. Die gleichen Unterschiede sind im Allgemeinen noch beim zweiten Embryo bestehen geblieben (Fig. 31/36), wenngleich zugegeben werden muss, dass der Flügel (Fig. 46/51) durch Verschmälerung seines Stieles und Endabschnittes eine mehr specialisirte Form erreicht hat. Die für frühe Formen charakteristischen Höckerbildungen am distalen Flügelabschnitte treten erst beim dritten Flügel auf (Fig. 47/5:^) und erhalten sich bei den nächst älteren Embryonen (Fig. 48/53 und Fig. 49/54). Aehnliche Bildungen waren jedoch beim Fusse, wie oben konstatirt wurde , schon in viel früherer Zeit bei allen Embryonen dieser Serie durch deutliche Prominenz kenntlich (Fig. 30/35 und Fig. 31/36). Auch in Bezug auf Massigkeit der Form überwiegt gleich von An- fang an die Fussextremität. Dieselbe ist stets plumper, indess der Flügel in einem jeden Stadium eine exquisit gracile Form besitzt. Es handelt sich aber in diesen Befunden nicht etwa, wie man meinen könnte, nur um ein Kleinerbleiben des Flügels. Die mikros- kopische Untersuchung zeigt vielmehr, dass in derThat auch die allgemeine Entfaltung und speciell die histolo- gische Di ffer enzirun g in der vorderen Extremität in einem etwas langsameren Tempo fortschreitet. Um dieses Verhältniss besser kenntlich zu machen, habe ich folgende Uebersicht zusammengestellt. Eine jede einzelne Längsreihe bezieht sich stets auf denselben Straussenembryo. Die in der obersten Reihe verzeichneten Zahlen be- ziehen sich auf die Ordnungsnummern der einzelnen Objekte in meiner Sammlung, die Zahlen deuten die Serien an. Durch die Bezeichnung Knorpel gebe ich für eine jede Gliedmaasse die Zone an, bis zu wel- cher der Verknorpelungsprocess in dem jeweiligen Stadium bereits distal vorgedrungen ist. Die Querstriche bedeuten gleichfalls Knorpel. Die unausgefüllten Rubriken zeigen an, dass in den betreffenden Grlied- maassenabschnitten centrirte Skeletstücke entweder noch gar nicht diffe- Die Kainowenese. 39 renzirt sind, oder noch aus indifferentem diffusem Vorknorpelgewebe bestehen. Vergleich von oberer und unterer Extremität bei Straussembryonen. Straussembryo 59. EA. 60. EB. 61. EO. 62. ED. 63. EE. EF. Entspricht einem , „ TT-1 ^. 4. Tag Huhnchen vom '^ 5. Tag 6. Tag 7. Tag 8. Tag 16. Tag Fuss g^ gg abgebildet auf Fig-. 31. 36. 32. 37. 59. 60. 33.38.61. 34.39.62. 40. 64. 65. 67. 1 Oberarm Knorpel — — — — 2 Unterarm Knorpel — — — — 3 Tarsus Knorpel * - — — 4 Metatarsus Knorpel* — — 5 Phalanx I Knorpel * — 6 Uebr. Phalangen Knorpel* Flügel auf Fig. 45. 50. 46. 51. 47. 52. 48. 53. 49. 54. 55. 63. 66. 1 Oberschenkel Knorpel — — — — 2 Unterschenkel Knorpel — — — 3 Carpus Knorpel* — — 4 Metacarpus Knorpel * — 5 Phalanx I Knorpel 6 Uebr. Phalangen Knorpel * Bezieht sich nur auf die bleibenden Skeletstücke. Bei Zusammenstellung vorstehender Tabelle konnte es nur meine Absicht sein, ganz im Allgemeinen den histologischen Entfaltungsgrad der Skeletzonen in Bezug auf das Vorhandensein von Knorpelinter- cellularsubstanz vergleichend zu markiren. Um die Tabelle nicht un- nöthig zu kompliciren und ihr ihre Uebersichtlichkeit zu rauben, musste ich von vornherein ganz darauf verzichten, die feineren Nuancirungen der Differenzirung von bleibenden und regressiven Fingerstrahlen an dieser Stelle zum Ausdruck zu bringen. Ich habe jedoch schon früher im Texte auf diese principiell wichtigen Unterschiede hingewiesen (S. 25, 34) und werde auch noch weiterhin auf diesen ausführlich zurückzukommen Gelegenheit haben (S. 72, 74). Auch alle Unterschiede zwischen rechter und linker Gliedmaasse durften nicht berücksichtigt werden (S. 31). Vorstehende Tabelle spricht ohne ein jeden weiteren Kommentar eine sehr deutliche Sprache. Es ergiebt sich auf das unzweideutigste, dass die Verknorplung bei beiden Extremitäten zwar ebenso regel- mässig distalwärts fortschreitet, wie bei Emys (tabellarische Uebersicht 40 -Dr. Ernst Mehnert. auf S. 15), dass hingegen bei einem jeden einzelnen Embryo der Flügel mindestens um eine Stufe zurücksteht, oder mit anderen Worten, dass der Flügel in seiner Entfaltung ganz regelmässig retar- dirt ist. Eine theoretische Erklärung für dieses eigenthümliche, nahezu von sämmtlichen Vertebraten abweichende Verhalten, werde ich erst bei Besprechung der allgemeinen Fragen geben können (S. 76). Ueber die Entfaltung der Säugetliier- und Carinatenextremitäten. Bei Untersuchung dieser Klassen konnte ich nicht hoffen , neue Ergebnisse über die Komposition des Extremitätenskeletes zu Tage zu fördern , weil diese betreffenden Kapitel bereits seit längerer Zeit eine gründliche Bearbeitung gefunden haben. Der Ausgangspunkt waren die bahnbrechenden Untersuchungen Gegenbaur's zur vergleichenden Anatomie von Carpus und Tarsus (1864). Nach derselben erschienen zum Theil in rascher Aufeinanderfolge eine grössere Anzahl von Arbeiten über die Ontogenese der Extremitäten. E. Rosenberg (1876), Henke und Rether (1876) und später Leboucq (1884) und Thilenius (1896) stellten die Entfaltung menschlicher Hände fest. Alexander Rosen- berg (1893) und seine Schüler wandten sich der Erforschung der Sau ge- thierextremitäten zu. Gr. Baur (1883), Morse (1880) und Alice Johnson (1883) schilderten die Entfaltung des Hühnchenfusses. Elisa Norsa (1894) stellte bei einem reichhaltigen Materiale von Sumpf- und Hühnervögeln die Entfaltung der Flügel fest. Eine sehr grosse Zahl von neueren Autoren , insbesondere Emery , suchten die Onto- genesen der Randstrahlen zu klären. Die in allerneuester Zeit er- schienene Arbeit von G. Thilenius (1896) involvirt ganz neue Ge- sichtspunkte in Bezug auf die Phylogenese des menschlichen Carpus, durch den Nachweis der knorpligen Differenzirung sämmtlicher als accessorisch bekannten Elemente. Trotz dieser grossen Anzahl von Voruntersuchungen habe ich mich nicht gescheut, 126 Extremitäten von Vögeln und 158 Extremitäten von Säugethieren selbst zu prüfen, weil die Litteratur nur sehr wenig präcise und meist nur beiläufige Angaben darüber enthält, in welcher Reihenfolge die einzelnen Skelettheile in der Ontogenese sich differenziren. Gerade diese Frage besass für mich ein ganz specielles Interesse, weil ich bei der Schildkröte und beim Strausse auf einige Verhältnisse gestossen war, welche mit den bei Urodelen gemachten Befunden ganz unvereinbar scheinen. Insbesondere musste untersucht werden, ob die beim Strausse nachweisbare Coincidenz von verlang- samter Entfaltung und Rudimentärwerden auch für die regressiven Organe der übrigen Warmblüter Geltung hätte. Die sogenannte vorknorplige Anlage der Extremitäten ist bei den höheren Vertebraten bisher nur wenig untersucht worden. Die meisten Die Kainogenese, 41 Autoren haben sich damit begnügt, erst die älteren Stadien nach Ein- tritt der knorpligen Centrirung zu prüfen. Jedoch sind auch die Vorstufen des Knorpels nicht ohne phylogenetischen Werth, weil es auch schon bei ihnen — oft überraschend — leicht gelingt das Maxi- mum der überhaupt bei der betreffenden Art vorkommenden Strahlen und Elemente zu erkennen, von denen sich dann erst die in ihrer Zahl variablen, minder zahlreichen, bleibenden Strahlen- und Extremitäten- komponenten herleiten. Der wesentlichste Vortheil, der aus der Kennt- niss der vorknorpligen Anlage resultirt, besteht darin, dass es nur auf Grund derselben möglich ist, zu beurtheilen, ob in späteren Stadien ein verschiedener Grad der histologischen Differenzirung verschieden alte Elemente andeutet, oder es sich nur um verschieden rasch ent- faltete gleichwerthige Skeletstücke handelt. Andere Kriterien hierfür giebt es nicht.^) Im Verlaufe meiner Untersuchungen habe ich allerdings bis- weilen erhebliche individuelle Unterschiede gesehen,-) selbst geringe Differenzen zwischen der rechten und linken Extremität kamen vor. Ich kann jedoch auf diesen Theil meiner Resultate, wegen ihres grossen Umfanges, nicht weiter eingehen. Ich muss mich jetzt nur darauf be- schränken, fest zu stellen, wie viel Strahlen überhaupt bei den ein- zelnen Species noch zur Anlage kommen und zweitens, in welcher Reihenfolge dieselben, wie auch ihre Komponenten, sich zu entfalten pflegen. Zum Zwecke der Darstellung hat es sich auch als nothwendig herausgestellt, die nicht oder nur wenig reducirten Extremitäten den stark regressiven Gliedmassen entgegen zu stellen und dieselben nach einander gesondert zu besprechen. ^) Gerade hierin haben die meisten Autoren gefehlt, wenn 8 e annehmen, dass in späteren Stadien noch vorknorpelige Skeletstücke sich auch später angelegt haben, als bereits vorliegende Knorpel oder Knochenstücke. Ich selbst habe kurze Zeit in einem gleichen Irrthume geschwebt. Die erste Straussenextremität, die ich in einer Serie geprüft habe, betraf den Fuss eines Embryo, der in dieser Arbeit nicht besonders erwähnt wird, und circa einen Tag älter ist als die in Fig. 34, 39 und 62 abgebildete Extremität. Die vier fibularen Metacarpalien bestanden aus hyalinem Knorpel, nur der Metacarpus der ersten Zehe war ein kurzer, scharf abgegrenzter Zellenstab, welcher aus dichtem indifferenten Vorknorpelgewebe sich zusammen- setzte. Damals zweifelte ich auch gar nicht, dass der Metacarpus I sich auch später angelegt habe als die übrigen. Erst als ich später die jüngeren Embryonen kennen lernte, und fand, dass auch bei ihnen der gleiche Metacarpus aus demselben indiffe- renten Gewebe bestand wie drei Tage später, musste ich mich zu einer anderen Deutung entschliessen. Ich wurde zu der Erkenntniss gedrängt, dass die histologische Differenzirung des ersten Strahles unterdessen nur unvergleichlich geringere Fort- schritte gemacht hatte als bei allen anderen. ^) Eine Erklärung der ontogenetischen Verschiedenheiten gebe ich auf S. 138. 42 Dr. Ernst Mehnert. Pentadaktyle Extreiuitäteii. Der erste Knorpel, der sich in der freien Extremität der Säuge- thiere differenzirt, ist ebenso, wie bei Amphibien. Reptilien und Vögeln der Femur und der Huraerus. Zu dieser Zeit stehen Tibia und Fibula resp. Radius und Ulna noch auf gleicher Stufe der geweblichen Aus- bildung und werden repräsentirt durch zwei kleinzellige indifferente Gewebssäulen, die entweder parallel oder mehr oder weniger diver- girend distal auseinander gehen. In diesem und späteren Stadien finde ich, dass die letzteren stets auf einer jüngeren Stufe der Differenzirung stehen; jedoch bietet kein einziges meiner Präparate gewebliche Unter- schiede zwischen Tibia zu Fibula einerseits, resp. Radius zu Ulna andererseits. Selbst wenn derartige Unterschiede bei Amnioten vor- kämen, so würden dieselben keinen Rückschluss auf die Phylogenese erlauben, weil — so weit meine Präparate sprechen — die vorknorp- lige Anlage der Vorderarm- und Vorderbeinskeletstücke gleichzeitig erfolgt. Besonders bemerkenswerth ist die primitive Kürze der später als lang bekannten Extremitätenkomponenten (S, 59). Bei der Katze sind Radius und Ulna entschieden kürzer, als die Abschnitte der Finger (Fig. 69, 70). In Figur 71 sind die Ulna und der Radius eines etwas älteren Kalbsembryo in ihrer ganzen Länge getroffen. Dieselben sind höchstens nur doppelt so lang wie ein einzelner Metacarpus. Auf gleiche Be- obachtungen bei Emys habe ich schon früher hingewiesen (S. 12). Die relative Kürze des primitiven Beines bei Carinaten zeigt Fig. 75. Noch auffälliger ist dieselbe beim Flügel Fig. 76.^) Zu einer Zeit, wenn die Vorderarm- und Vorderbeinelemente sich knorplig heraus differenzirt haben , gewinnt das distale freie Ende der Extremität die bekannte Paddelform. (Fig. 6. 7.) Die peripheren Abschnitte von Tibia und Fibula tauchen jetzt in ein breites Lager von kleinzelligen Gewebsmassen, welche eine Art vorknorpeliger Carpal- oder Tarsalplatte darstellen (Fig. 68, 69. Crp. plt). Von denselben gehen distalwärts fünf Zellenwülste aus, welche gleichfalls nur aus in- differentem Gewebe bestehen, sich aber deutlich und scharf gegen die Umgebung durch ihr dichteres Gefüge abheben. ^) Es liegen in dem- ^) Die phylogenetische Erklärung für diese Erscheinung folgt auf S. 60. ") Die vorknorpeligen Anlagen der Finger treten überraschend deutlich ent- gegen bei Schnitten, die nicht unter 30 ,« dick sind. In der ersten Zeit hatte ich eine dünnere Schnittdicke gewählt (y^-q) und bisweilen unscharfe Bilder erzielt. Erst später lernte ich den grossen Vorzug dickerer Schnitte kennen. Vorbedingung ist allerdings ein tadelloses lebendes Material, sonst collabiren die zur Homologisi- rung wichtigen Gefässe (S. 12, 43, 86). Ebenso wichtig ist die Fixirung und Haeraat- oxylintinction. Hierbei hat sich die Kleinenberg'sche Haematoxylinlösung, die auch von Strasser bei seinen Knorpelstudien angewandt wurde, insbesondere in der von Paul Mayer angegebenen sehr haltbaren Modifikation, als allein zweckentsprechend Die Kainogenese. 43 selben repräsetitirt Anlagen für die fünf Finger vor. Dieselben be- wirken durch ihren Wachsthumsdruck äusserlich ein Hervortreten von kleinen Höckerchen , wodurch der Rand des terminalen Plättcheiis wellenförmig gebogen und durch Einschnitte markirt erscheint. (Fig. 68, 71, 74, 76.) Die vorknorpligen Fingeranlagen besitzen bei Säugethieren einen ebenso exquisiten Grad von Divergenz wie bei den Sauropsiden (S. 31). Der dritte Strahl, welcher sich später zum Mittelfinger umwandelt, verläuft nahezu ausnahmslos in der Längsachse der Extremität. Seine Nach- barn, der zweite und vierte Strahl, weisen einen leichten Grad von Divergenz auf. Die Randstrahlen (1 und 5) divergiren am meisten und stehen bisweilen sogar senkrecht zur Mittelachse. Ein Bei- spiel hierfür liefert der Daumen der Katze (Fig. 69, 70) und die An- lage für den ersten Strahl beim Hausrinde (Fig. 71. 1). Auch die Länge der vorknorpligen Fingerstrahlen ist nicht bei allen Formen eine gleiche. Als durchgehende Regel kann gelten, dass Gliedmaassenstrahlen von unreducirten Extremitäten im Allgemeinen schon auf der Vorstufe des Knorpels nur geringe für die bleibende Form typische Längenunterschiede besitzen. Ein Beispiel bietet der Fuss einer weissen Maus (Fig. 68). Hingegen bestehen bei den anderen Species wohl charakterisirte Grössenunterschiede. Vergleicht man bei etwa auf gleicher Stufe der Entfaltung stehenden Embryonen von Kaninchen (Fig. 74), Meerschweinchen und der Katze (Fig. 69, 70) die Daumenlänge mit den übrigen Fingern, so tritt sehr eklatant hervor, dass der Daumen beträchtlich kürzer ist als die letzteren. Auch bei den erwachsenen Thieren bleibt der Daumen am kürzesten. Hieraus folgt das auffällige Ergebniss, dass schon im Vorknorpelsta- dium, wenn die Anlagen für die einzelnen Finger noch aus ungegliederten Zellensäulen bestehen, bereits die relativen Grössenverhältnisse vorliegen, welche für die bleibenden Finger und Zehen charakteristisch sind. Sehr beachtenswerth und wichtig für die Homologisirung ist bei allen Vorknorpelstadien das Studium der Gefässvertheilungen. Ueber letztere haben die grundlegenden Arbeiten von Hochstetter Auf- klärung gebracht (1891). Eine jede primitive Extremität wird von einer mächtigen venösen Gefässschlinge umsäumt, deren konvexer Bogen dicht unter der Epidermis längs dem Rande der Extremitäten- paddel verläuft. Ihre beiden Abflüsse folgen dem Laufe von Radius und Ulna (resp. Tibia und Fibula) und ergiessen sich in die Seiten- rumpfvene. Die beiden Gefässe zeichnen sich oft durch einen be- erwiesen. Die scharfe Abgrenzbarkeit der Fingerstrahlenanlagen tritt um so deut- licher hervor, je schwächere Vergrösserungen benutzt werden. Loupenvergrösserung leistet die besten Dienste. 44 Dr. Ernst Mehnert. trächtlichen Querschnitt aus und werden von Hochstetter als ulnare und radiale (resp. tibiale und fibulare) Randvene unterschieden. Von der gemeinsamen Armaterie aus entspringen Aeste für einen jeden Interdigitalraum , welche sich alsbald zu einem Büschel kleiner Ge- fässe auflösen. Aus der letzteren entsteht ein von Hochstetter mit Recht als „reizend" bezeichnetes Capillarnetzwerk, welches fingerhut- artig den gefässlosen vorknorpligen Fingerstrahl umspült, um sich dann in die Randvene zu ergiessen. Dieses Capillarnetz kann bis- weilen so dicht sein, dass in den dorsalen und palmaren Schnitten einer solchen Serie, in denen die Fingerachsen noch nicht getroffen sind, der Eindruck eines trabeculären, ganz von Capillaren durch- strömten Gewebes hervorgebracht wird. Eine jede pentadaktyle Extremität besitzt vier Interdigitalarterien, welche in das lockere Gewebe der Fingerinterstitien eingebettet sind. Zwischen je zwei Interdigitalarterieu von ihren Oapillarverästelungen umgeben liegt je eine vorknorplige Fingeranlage. Nur der erste und fünfte Fingerstrahl besitzen zwar an ihrer Innenseite derartige Arterien, grenzen aber mit ihrer Aussenseite nahezu direkt an die Randvene. Gerade diese charakteristische Anordnung der Gefässversorgung der an sich ganz unvascularisirten Extremitätenstücke ermöglicht schon in sehr frühen Stadien, wenn das nur wenig verdichtete Blastem der Finger noch ganz diffus in die Umgebung ausläuft, dasselbe als Strahlenanlage zu erkennen. Insbesondere bei den mehr reducirten Formen , bei welchen einzelne Fingeranlagen erst relativ spät zu einer scharfen Absonderung schreiten oder auch stets auf dem Stadium des Vorknorpels stehen bleiben, gewährt oft allein die Berücksichtigung der Gefässvertheilung die Möglichkeit einer präcisen Homologisirung (S. 86). Zum Zwecke der Schilderung der weiteren Entfaltung der vor- knorpeligen Carpalplatte und der vorknorpligen Fingeranlagen ver- gleiche ich zunächst die vordere Extremität von zwei Katzenembryonen, welche zwar aus demselben Tragsacke stammen, sich aber in Bezug auf Differenzirung etwas verschieden verhalten. Fig. 69 betrifft den etwas jüngeren Embryo, welcher im Allgemeinen noch auf der gleichen Stufe steht, wie der neben ihm abgebildete Schnitt durch den Fuss einer weissen Maus (Fig. 68). Die Fig. 70 bezieht sich auf einen ganz analogen Schnitt durch die vordere Extremität des älteren Stadium. Bei einer Vergleichung ist zunächst zu beachten, dass die beiden Seiten vertauscht sind und dass im ersten Falle der erste Finger nach links, im zweiten nach rechts gerichtet ist. Der bereits hyalin knorplige Humerus und die beiden Vorderarmstücke sind bei beiden durch ihre Lagebeziehung charakterisirt. Ein Unterschied tritt erst in den mehr distal gelegenen Partien auf. Beim jüngeren Embryo (Fig. 69) kommen ausser den drei genannten langen proximalen Knorpeln überhaupt an- Die Kainogenese. 45 dere specifische Wachsthumscentren nicht vor. Indessen findet man beim älteren Genossen (Fig. 70) in dem basalen Abschnitte des ersten bis dritten Fingers je ein deutlich ausgeprägtes jungknorpliges insel- artiges Feld. Der vierte und fünfte Finger sind in diesem Schnitte nur peripher durch ihre Perichondriumlage getroff'en. Die weiteren Schnitte dieser Serie zeigen, dass auch in ihnen zwei gleiche Knorpel- stücke differenzirt sind, wie in den übrigen Fingern. Diese basalen Knorpel repräsentiren die knorplige Anlage für die fünf Metacarpen. In der Region des Carpus vermag ich nicht irgend eine besondere gewerbliche Centrirung, geschweige denn Knorpel- intercellularsubstanz nachzuweisen. Ich komme aber zu dem auffälligen Ergebnisse, dass bei der Katze die Knorp eldifferenzirung der Metacarpen sich unmittelbar an den Vorderarm an- schliesst und erfolgt, noch ehe eine Centrirung der Carpalelemente deutlich wird. Vergleichen wir die Befunde bei der Katze mit den bei der Schild- kröte verzeichneten Erfahrung, so besteht in einer Hinsicht eine Ueber- einstimmung, denn bei beiden erfolgt die knorplige Dififerenzirung aller Metacarpalia ungefähr gleichzeitig. In anderer Hinsicht besteht aber ein ganz fundamentaler Unterschied. Bei der Schildkröte und dem Strausse verschob sich das Verknorplungsgebiet ganz allmälig, suc- cessive distalwärts fortschreitend, und zwar folgt in unserem specielien Falle auf die knorplige Anlage von Ulna und Radius zunächst die Differenzirung des Carpus (resp. Tarsus) und auf die letztere erst die der Metacarpalien (Metatarsalien). Bei der Katze verhält es sich anders. Die Dijfferenzirung des Metacarpus geht der Carpus- bildung voraus. Der Metacarpus und Metatarsus über- flügeln den Carpus und Tarsus. Es handelt sich hierin um ein typisches Beispiel von Acceleration der histologischen Differen- zirung. Ich musste mir die Frage vorlegen, ob eine derartige Verschiebung der Entfaltung etwa nur eine Eigenthümlichkeit der Raubthierextre- mitäten sei. Es gelang mir jedoch, bei Mäusen, Schafen, Kaninchen, Hühnern und zahlreichen wilden Vögeln genau gleiche Beobachtungen zu machen. Ich fand bei ihnen einen wohlausgeprägten knorpligen Metatarsus oder Metacarpus, ohne dass im Carpus oder Tarsus die geringste Spur von irgend welchen Centrirungen vorlag. Ich komme daher zur Ueberzeugung, dass es sich um eine für die höheren Formen allgemeingültige Abweichung handelt. Erst in einer ontogenetisch späteren Periode, wenn bereits An- deutungen von Metatarso- und Metacarpophalangealgelenk- Auftreibungen vorhanden sind, beginnen die ersten Spuren von Tarsal- und Carpal- stücken sich hervorzubilden. Ein solches etwas vorgerückteres Stadium zeigt die in Fig. 74 abgebildete Hand eines Kaninchens. Von den fünf 46 Dr. Ernst Mehnert. Strahlen sind nur der zweite bis fünfte in ihrer Mitte durchschnitten, der Daumen nur äusserlich j^estreift. In der Carpusregion treten als erste Andeutungen von Carpalstücken etwas undeutlich begrenzte Ge- websinseln entgegen, welche ein centrirtes Gefüge besitzen, jedoch noch ganz aus kleinen indifferenten Zellen bestehen. Ein etwas älteres Stadium der hinteren Extremität vom Schafe zeigt Fig. 72. Der unterste runde Knorpel ist der Durchschnitt durch das distale Ende der Tibia (Tib.). Die beiden weiter distal gelegenen länglich ovalen Felder aus jüngerem Knorpelgewebe sind Metatarseu. Vor demselben breiten sich zwei etwas diffuse rosenkranzartige An- schwellungen aus als Anlagen der Metatarsophalangealgelenke, Zwischen den Metatarsen und der Tibia liegen drei kleine rundliche Nester, welche nur Spuren von Knorpelintercellularsubstanz zeigen. Es sind dieses Differenzirungsstufen für Tarsalia. Sehr übersichtlich tritt ge- rade in diesem Schnitt in den verschiedenen Verknorplungsstufen auch das ungleiche ontogenetische Alter der verschiedenen Querzonen ent- gegen. Der ältesten Generation gehört die Tibia an, der nächst jüngeren der Metatarsus III und IV. Der jüngste Abschnitt ist der Tarsus. Die nächste Fig. 71 zeigt wiederum einen geringen Fortschritt der Entfaltung bei einem Kalbsembryo. Ulna, Radius und die beiden mittleren Metacarpen bestehen aus einem ganz gleich entfalteten Knorpel, indessen die drei Carpalknorpel noch eine entschieden jüngere Stufe der histologischen Ausbildung zeigen. Die Konfrontirung sämmtlicher soeben besprochenen vier Stufen (Fig. 70, 71, 72, 74) ergiebt, dass bei den Säugethieren übereinstimmend Carpusund Tarsus sich etwas später centrirt, später knorplig differenzirt als der Metatarsus und Meta- carpus und auch erst ganz allmälig die Stufe eines hyalinen Knorpels erreicht. Auch bei den carinaten Vögeln waltet eine gleiche Acceleration der Entfaltung von Metacarpus und Metatarsus vor. Bereits Gegen- baue hat in seiner grundlegenden Arbeit über Carpus und Tarsus in Fig. 1 auf Tafel VI „die rechte hintere Extremität eines Hühnchens vom fünften Bruttage abgebildet." Der betreffende Text lautet auf S. 126 in folgender Weise: „Der Knorpel des Ober- und Unterschenkels sind angelegt; vom Metatarsus erst zwei Stücke erkennbar; noch keine Phalangen: Tarsus noch nicht deutlich unterscheidbar. Auch unter meinen Serien durch Füsse des Haushuhnes finde ich eine solche vom fünften Tage (Fig. 75). Die beiden Vorderarm- knorpel und die drei mittleren Metatarsen sind deutlich knorplig; hingegen fehlt dem Tarsus noch eine jede Spur von geweblichen Cen- trirungen. Die Kenntniss der Ontogenese des Flügels ist neuerdings durch die gründlichen extensiven Untersuchungen von Elisa Noesa (1894) ge- Die Kainogenese. 47 fördert worden. Die Autorin beschreibt das vierte Stadium der Flügel- entfaltung in folgenden Worten (S. 4): „Dans le 4"^® stade les pieces du carpe sont distinctes dans les conditions decretes plus haut. La dia- physe des os longs et des metacarpiens offre dejä une struc- ture cartilagineuse." Zieht man hierbei in Erwägung, dass in dem dritten Stadium nur eine einzige Piece angegeben wird („Pisi- forme"?), ,,les autres pieces du carpe sont encore indistinctes", so folgt daraus, dass auch bei den wildlebenden und hühnerartigen Vögeln der Carpus in geweblicher Hinsicht am meisten zurück ist. In Fig. 76 habe ich zur Demonstration eines anderen Verhält- nisses (S. 72) einen Schnitt durch den Flügel eines gleichfalls fünf Tage alten Hühnchens abgebildet. Auch in dieser Zeichnung sehe ich in der Region zwischen dem dritten Metacarpus und den beiden Kom- ponenten des Vorderarmes keinerlei unterscheidbare Stücke. Es ist eine sehr bemerkenswerthe Tliatsache, dass auch unter den ßatiten selbst Unterschiede in der Differenzirung vorkommen, und dass nicht alle dem bei Struthio festgestellten Gange folgen. Apteryx nähert sich in der Entfaltung seines Flügels den Carinaten. Parker bildet drei Durchschnitte durch den Flügel von Embryo E ab, ^) welcher unge- fähr einem Hühnchen vom zehnten Tage entspricht. Radius und Ulna sind hyalinknorplig (well chondrified), desgleichen der Metacarpus. Die erste Phalanx ist in den Figuren als Knorpel angedeutet. Die drei Carpalelemente sind zwar ganz scharf abgegrenzt, jedoch wie im Texte auf S. 49 ausdrücklich erwähnt wird, noch vorknorplig (pro- chondral tissue). Ein sehr grosse Zahl geeigneter Stadien aus nahezu sämmtlichen von mir überhaupt untersuchten Klassen der Carinaten und Säugethiere hat mich gelehrt, dass bei allen Fingerstrahlen, ganz ohne Ausnahme, die Verknorplungscentren für die Phalangen nacheinander auftreten, regelmässig distalwärts fortschreitend. Auf die erste Phalanx folgt die zweite, auf diese die dritte. Sodann erscheint am Fusse der Vögel auch noch eine vierte. Auch zahlreiche in der Litteratur zerstreute Angaben bestätigen diese Regel in allen Stücken. Ich recapitulire kurz das in diesem Abschnitte Ermittelte. Die sonst ganz regelmässig wie bei Emys distalwärts vor- dringende Verknorplung erfährt bei Säugethieren und Carinaten zunächst eine grosse Abweichung, die sich gründet auf eine prononcirt accelerirte gewebliche Differenzirung von Metacarpus und Metatarsus. Parker Jeffery, 1892, Tafel XVII. 48 Dr. Ernst Mehnerfc. Reducirte Extremitäten. Bereits in dem vorigen Abschnitte hatte ich Gelegenheit ge- nommen, auf einige Uebereinstimmungen hinzuweisen, die bestehen zwischen der Entfaltung pentadaktyler und reducirter Formen. Ein weiteres specielles Interesse bieten jedoch die ontogenetischen Unter- schiede bei regressiven und progressiven Strahlen. Was die Frage nach der vorknorpligen Anlage anbetrifft, so ist zunächst zu erwähnen, dass selbst eine so reducirte Form, wie der Flügel der Carinaten, auf dieser Stufe noch fünf gesonderte Finger besitzt. Elisa Norsa (1894) hat bei sehr vielen hühnerartigen und Wasser- vögeln gleiche Angaben gemacht. Meine nicht minder zahlreichen Serien haben mich zu dem gleichen Resultate geführt, dass auch die Plugvögel sich hierin nicht anders verhalten als Struthio. Die drei mittleren bleibenden Finger zeichnen sich gleich von An- fang an sowohl durch ihre bedeutendere Grösse und durch ihre schärfere Abgrenzung von den Randstrahlen aus. Die letzteren sind in ihren Contouren etwas verschwommen, jedoch treten sie bei schwacher oder Lupenvergrösserung oder mit blossem Auge betrachtet ebenso deut- lich hervor als ihre zwischen liegenden Genossen. Die typische Lage der Randstrahlen zwischen den beiden äusseren Digitalarterien und der ulnaren und radialen Randvene charakterisiren sie deutlich als Anlage für den ersten und fünften Finger (S. 86). Die Anlagen für die Randstrahlen liegen meist nicht in gleicher Ebene mit den anderen Strahlen, sondern sind meist etwas palraarwärts verschoben, so dass es nur ausnahmsweise gelingt in einem sehr dicken Schnitte alle fünf Finger zu vereinigen (z. B. Fig. 60). Gerade dieser Umstand sowie ihre relative Kleinheit und ihre eigenthümliche fast senkrecht (S. 31, 43) zur Längsachse der Extremität gestellte trotzdem nur wenig prominente Lagerung sind die Ursachen gewesen, weswegen die- selben von den älteren Autoren so lange übersehen werden konnten. Das Gleiche gilt auch für den Fuss der Carinaten. Morse hat beim Hühnchen nur vier Finger gesehen ^). Die neueren Untersuchungen von G. Baur ^) und Alice Johnson ^), welche auf vollkommeneren Methoden beruhten, vermochten eine fünfzehige Form des Carinaten- fusses zu erweisen. Nach Durchsicht meiner Serien muss ich mich ganz unbedingt den beiden letzteren Autoren anschliessen. Die reducirten Formen der Wiederkäuerextremi- täten besitzen auch noch eine pentadaktyle Ausgangs- form. Von der vorderen Extremität eines 15 Millimeter langen 1) MoHSE, 1880. «) Bauk, G., 1883. ') Johnson, Alice 1883. Die Kainogenese. 49 Kalbsembryo strahlen vier sehr deutliche Finger aus (Fig. 71). Zwischen der Basis des zweiten Fingers (2) und dem distalen Abschnitte des Radius (R) erhebt sich aus der Carpalplatte ein kurzer noch aus indifferentem Gewebe bestehender sehr deutlicher zapfenförmiger Fort- satz (1). Bei einem 1 ^/g mm grösseren Kalbsembryo hat sich dieser Fortsatz verlängert, er tritt noch schärfer hervor und steht jetzt auf der gleichen histologischen Stufe wie der II. und V. Finger in Fig. 71. ^ach einer solchen Uebereinstimmung beider Stadien, kann es sich bei seiner sehr charakteristischen Lage, wohl kaum um etwas anderes als um die Anlage eines ersten Fingers handeln. Die Anlage dieses Daumens bewirkt auch äusserlich eine kleine hügelartige Hervortreibung (Fig. 71 H), die in den Schnitten der Serie ganz unverkennbar ist, jedoch von mir vorher trotz sorgfältigster Loupenvergrösserung nicht festgestellt werden konnte. (Die Oberäächenbilder sollen an anderer Stelle publicirt werden). Die Extremität des Schweines ist ursprünglich auch pentadaktyl. Alexander Rosenberg hatte bereits auf die vier Strahlen hingewiesen '). Jedoch erst Cr. Baur gelang es bei einem Schweineembryo von 18 mm in einer Falte einen Metacarpus primus zu erkennen -). Die von Al. Rosenberg und auch die von mir untersuchten Embryonen des Schaafes scheinen für die Beantwortung der Frage nach der Pentadaktylität etwas zu alt gewesen zu sein. Die ersten Stadien des Vorknorpels vermögen hierin allein Entscheidung zu bringen, ob es sich um ein wirkliches agenetisches Fehlen oder nur um ein sehr frühzeitig eintretendes Zugrundegehen des ersten Strahls handelt. Reducirte und nicht reducirte Extremitäten zeigen im Vorknorpel- stadium in Bezug auf Anordnung und Zahl der Fingerstrahlen keine principiellen Abweichungen. Sehr charakteristische Unterschiede treten jedoch zwischen beiden Gruppen hervor bei der Herausbildung der einzelnen Knorpelcentren. Man kann im Allgemeinen sagen, dass bei den unreducirten Extremitäten (Hand von Emys) alle Metatarsen, Metacarpen und jede Phalangenreihe des gleichen Horizontes auch gleichzeitig neben einander in Erscheinung tritt (S. 13, 14, 60, 72). Bei allen reducirten Formen entfalten sich — ebenso wie bei Struthio — die einzelnen Finger nach einander; und zwar verhalten sich die einzelnen Extremitäten hierin durchaus verschieden je nach dem Grade ihrer Reduction. Zum Zwecke der Vergleichung habe ich drei neben einander gestellte Bilder von etwa gleich entfalteten vorderen Extremitäten von verschiedenen Artiodaktylen zur Darstellung gebracht. Das erste ^) Rosenberg, Al., 1873. 2) Baur, 1884. Morpholog. Arbeiten, hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 50 Dr- Ernst Mehnert. Bild ist ein Schnitt durch die Hand eines 15 mm langen Kalbsembryo (Fig. 71), Man sieht vier sehr deutliche Fingerstrahlen und die oben bereits ausführlich beschriebene Anlage eines Daumenrudimentes (1). Diese fünf Finger sind unter einander durchaus nicht gleich sondern es bestehen sehr wesentliche Unterschiede zwischen den zwei bleibenden (3 und 4) und den regressiven Fingern (1. 2. 5). Die bleibenden Finger sind dicke in der Mitte kolbig angeschwollene und beträchtlich lange Säulen, welche auch äusserlich durch zwei Höcker angedeutet sind (Fig. 71, 3. 4). Die in der Mitte ihres Verlaufes entgegentretende Aufbauschung (Gel) ist die Anlage für das Metacarpophalangealgelenk. Die proximal von denselben liegenden Knorpel repräsentiren den Metacarpus III und IV. Der distale Abschnitt ist das Blastem für die Phalangenreihen. Die drei übrigen Finger zeigen noch in keinem einzigen Falle ähnliche specielle Differenzirungen. An keiner Stelle lässt sich in denselben Knorpelintercellularsubstanz erkennen. Der zweite und fünfte Finger sind schmächtige kurze Stäbchen. Der erste Finger ist bloss ein winzig kleines Höckerchen. Alle drei stehen noch auf der Stufe des Vorknorpelgewebes. Zieht man die gleichen Extremitäten bei einem 1^2 mm längeren Rindsembryo in Betracht, so findet man noch genau die gleichen Differenzen zwischen bleibenden und rudimentären Fingern. Der dritte und vierte Finger haben bereits eine knorplige erste Phalanx erhalten, indes beim zweiten und vierten Finger bloss die Metacarpen knorpelig sind. Der Daumen ist grösser geworden, hat sich histologisch aber kaum verändert. Nicht nur beim Rinde, sondern auch beim Schafe (Fig. 72) und beim Schweine (Fig. 73) bestehen dieselben principiellen Unterschiede in der Intensität der Entfaltung der Strahlen selbst und ihrer einzelnen Abschnitte. ^) Bei denselben sind ebenfalls die Metacarpen der bleibenden Finger schon knorpelig differenzirt, wenn die Randstrahleu erst aus jungem indifferenten Cxewebe bestehen. Bei älteren Schweine- embryonen haben auch der zweite und fünfte Finger jeder einen eigenen Metacarpus erhalten, indes die bleibenden Finger (3 und 4) wieder um eine Stufe höher ausgebildet sind und eine neue Reihe von Phalangen aufweisen. Es handelt sich bei reducirten und nicht reducirten Fingern nicht um eine verschiedenartige sondern nur um eine verschiedenzeitige Entfaltung. Ebenso wie bei den Säugethieren entfalten sich auch bei den Carinaten die bleibenden Finger rascher als die übrigen. Im ') Der erste Nachweis, dass beim Schafe der Metatarsus II und V sich „etwas später" differenzirt als Metatarsus III und IV wurde schon von Alexander Rosen- BERG geliefert 1873, S. 131, Fig. 11, 12. Die Kainogenese. 51 Fusse eines Hühnchens vom fünften Tage (Fig. 75) sind nur die Metatarsen der drei mittleren Finger knorplig. Die erste und die in diesem Schnitte nicht tangirte fünfte Zehe bestehen nur aus Vorknorpel. Noch eklatanter kommen alle diese Verhältnisse beim Flügel zum Ausdrucke. Von allen fünf Fingern bekommt der dritte zuerst einen knorpligen Metacarpus. Er ist auch derjenige Strahl, welcher im Flügel des ausgewachsenen Vogels die höchste Stufe der Ausbildung erfährt. Fig. 76 zeigt den Flügel eines Hühnchens vom fünften Tage. Nur der mittelste Finger (3) zeigt eine Knorpelinsel in dem basalen zum Metacarpus gehörigen Abschnitte. Der benachbarte zweite und vierte und ebenso der weiter palmar gerichtete erste und fünfte Finger lassen noch nicht die geringste Spur von Knorpelintercellular- substanz erkennen. Alle meine Serien durch den Flügel verschiedenster Carinaten bestätigen die schon von Elisa Noesa (1894) aufgestellte und auch von mir beim Strausse bewiessene Behauptung (S. 33), dass der längste Finger der Flugextremität nicht, wie bisher all- gemein angenommen wurde, vom zweiten sondern vom Mittelfinger geliefert wird. Aus all den vielen besprochenen Einzelfällen ergiebt sich ein ganz allgemeines Gesetz, welches ich in folgender Weise formulire : Alle bleibenden Fin ger strah len diff eren ziren sich histologisch sehr frühzeitigunderfahrenauch am ehesten eine scharf prononcirte Gliederung in ihre Einzelcora- ponenten. Bei den regressiven Randstrahlen gelangt das umgekehrte Princip zum Durchbruche. Sie legen sich vorknorpelig später an als die bleiben den Finger und bleiben in einzelnen Fällen viele Stadien hindurch auf gleicher Gewebsstufe stehen und bilden sich überhaupt nicht weiter aus. In einer anderen Reihe von Fällen formen auch sie sichzuKnorpel um, aber stets später als in den bleibenden Fingern, um dann verschieden rasch, bald schon in der Embryonalperiode, oder erst nachher im freien Leben einer gänzlichen histologischen Degene- ration zu unterliegen. In Folge des Zurückbleibens der Randstrahlen treten bei allen reducirteu Extremitäten äusserlich so charakteristische Merkmale auf, dass es möglich ist selbst schon in den ersten Stadien reducirte von nicht reducirten Formen von einander zu trennen. Alle unreducirten oder nur wenig reducirten Extremitäten (Schild- krötenhand, manche Säugethiere, Hand des Menschen) sind dadurch charakterisirt, dass bei ihnen — in Folge der gleichzeitigen oder nahezu gleichzeitigen Anlage aller fünf Strahlen — das terminale Ende schon im Vorknorpelstadium eine Scheibenform gewinnt. Ein solches Flättchen ist nahezu kreisrund (Taf. I Fig. 4—11, Taf. III Fig. 69 und 74) und kann 4* 52 l^r. Ernst Mehnert. selbst '/.. B. bei der Hand des Menschen sogar breiter sein als lang. Der Rand dieses Eiidplättchens ist ursprünglich ganz glatt (Taf. I Fig. 4_8, Fig. 25, Taf. III Fig. 69). Erst mit dem Beginn der Verknorpelung vom Metatarsus und Metacarpus, bisweilen auch noch etwas früher wölben sich an dem Aussenrande fünf kleine buckei- förmige Auftreibungen hervor, welche durch ganz seichte Einschnitte von einander getrennt werden. Der Rand gewinnt hierdurch einen leicht wellenförmigen Habitus (Taf. I Fig. 9-11, Fig. 27. 28. 29, Taf. III Fig. 74). Die Einschnitte vertiefen sich bei den Formen mit freien Strahlenabschnitten ganz successive zu den Fingereinschnitten (Taf. I Fig. 12—15). Bei den Formen mit r e d ucirten Extremitäten kommt es niemals zur Ausbildung einer scheibenförmigen End- platte. Das terminale Ende der freien Extremität ist je nach der Zahl der bleibenden Strahlen bald bicuspidal oder tricuspidal. Die rudimentären Strahlen sind in der Regel äusserlich nicht mehr markirt oder treten erst in späten Phasen etwas deutlicher hervor (Artio- dactylen). Die Entfaltung der Extremitäten bei Auipliibien. Einige in der Litteratur gemachte Angaben über die Entfaltung der Extremitäten bei den Amphibien stehen durchaus nicht in üeber- einstimmung mit meinen vorher skizzirten Befunden bei Emys und Struthio. Deshalb sehe ich mich veranlasst, auch dieses Kapitel in das Bereich meiner Betrachtungen zu ziehen und insbesondere zu prüfen, worin speciell diese Differenzen bestehen und nach welchen Methoden diese Untersuchungen angestellt wurden. Die älteren Angaben, insbesondere die viel citirten Beschreibungen von RuscoNi (1821) beziehen sich alle nur auf die bei verschiedenen Objekten gesehene äussere Form derselben. Der von Goette (1879) eingeschlagene Weg der Untersuchung macerirter Objekte bedeutet zwar einen entschiedenen Fortschritt, jedoch war es ihm trotz Lupen- vergrösserung nicht möglich, die Details dieser Vorgänge in einwands- freier Weise zu erkennen. Strasser (1879) fügte seiner Arbeit eine besondere Tafel bei, auf welcher sehr übersichtlich die auf einander folgenden Stufen der Extremitätenentfaltung von drei verschiedenen Tritonarten und Salamandra dargestellt sind (Taf. XVI). Berück- sichtigt man die Textbeschreibung und vergleicht ausserdem alle mehr als fünf Dutzend betragenden einzelnen Bilder (Taf. XVI), so vermisst man unter ihnen irgend ein Objekt, welches auch nur einen annähernd scheibenförmigen Extremitätenendabschnitt besitzt. Gerade dieses ist jedoch ein sicheres Kriterium für un reduci rte Extremitäten (s. oben). Aus diesem Grunde muss ich behaupten, dass ihrer äusseren embryonalen Die Kainogenese. 53 Form nach die Extremitäten der Urodelen sich nicht in diese Kate- gorie unterordnen lassen. Eine jede Extremität von Tritonembryonen ist in frühen Stadien lang und schmal und läuft in zwei oder drei Höcker aus. Auf solchen Stufen zeigen Triton enextr emitäten die grösste Aehnlichkeit mit gleich entfalteten Straussen ext r emitäten. Die Kongruenz zwischen beiden ist oft eine geradezu frappante. Der in Fig. 31 und 32 abgebildete Fuss des Ratiten ist dreihöckrig und nahezu bis in's Detail gleich gebildet mit dem von Steassek abgebildeten Fusse eines Triton taeniatus von 13 mm (Taf. XVI). Auch noch auf späterer Stufe bleibt diese Uebereinstimmung erhalten. Meine Fig. 34 und 39 entsprechen ganz der hinteren Extremität eines älteren Triton von 13,5 mm. Triton cristatus von 20.0 mm und einer Hand bei Salamandra von 17,0 — 18,0 mm. Eine solche Form der Extremi- täten, wie sie auf Taf. II in Fig. 30 — 39 und Fig. 45 — 55 von mir abgebildet wurde, ist jedoch nicht nur für den Strauss oder die Flug- vögel allein charakteristisch, sondern sie kommt als typisch überhaupt allen Vertebraten mit reducirten Grliedern zu. Deshalb muss ich auch weiterhin behaupten, dass die Extremitäten von Triton sich ihrer äusseren Formentfaltung nach ganz verhalten wie regressive Gliedmaassen. Es wird von allen Beobachtern übereinstimmend berichtet, dass die primitiven Extremitäten bei Amphibien nur zwei oder drei höckrig sind. Jedoch erlaubt ein solches Bild noch keinerlei Schluss, über die Anzahl der in einem solchen Stadium überhaupt schon vorgebildeten Fingeranlagen. Bei den Fig. 32 — 34 und 37 — 39 abgebildeten Füssen waren äusserlich auch nicht mehr als drei Höcker bemerkbar. Die Untersuchung auf Schnitten hat gezeigt, dass bereits fünf Finger- anlagen vorlagen. Nicht anders verhält es sich beim Flügel. Aussen sah ich nur drei bis vier Höcker (Fig. 47 — 49, Fig. 50—54). Später habe ich in ihnen fünf deutliche zum Theil sogar schon knorplige Finger erkannt. Gleiche Erfahrungen kann man an Säugethier- embryonen (Taf. III Fig. 71 Kalb, Fig. 72 Schaf, Fig. 73 Schwein) und Carinaten (Fig. 75. 76) machen. Nicht anders verhält es sich auch bei den Amphibien. In Fig. 17 und 18 hat Goette (1879) einen Arm von Triton cristatus ab- gebildet. Der dritte und vierte Finger liegen beide in einem gemein- samen und wenig prominenten Hügel („Randwulst") und sind äusserlich als isolirte Finger nicht kenntlich, trotzdem (in Fig. 18) der dritte und vierte Finger dem ersten und zweiten Finger nur sehr wenig an Grösse nachstehen. Aus den obig dargelegten Gründen muss ich behaupten, dass die schon seit Anfang dieses Jahr hu n d e rtes stets von Neuem wiederholte Argumentation — dass bei Amphibien 54 l^r. Ernst Mehnert. die Finger deshalb phyletisch verschieden alt sind, weil sie in derOntogenesever schieden spät hervorsprossen — ebenso unzulässig ist als wenn irgendjemand behaupten würde, dass bei Säugethieren die Milchzähne den ver- schiedensten Zahn gen erationen angehören, weil die einzel- nen verschieden spät die Schleimhautfläche durchbrechen. Die Angaben, welche Goette (1879) gemacht hat, betrafen mace- rirte Objekte, dürften daher nach modernen Anschauungen nicht ganz einwandsfrei sein. Hingegen entspricht der von Strasser (1879) ein- geschlagene Untersuchungsweg allen Anforderungen einer raffinirten Technik, Deshalb werde ich mich zunächst auch nur auf dieselben beziehen dürfen und erst in zweiter Linie auf bestätigende Befunde Goette's einzugehen haben. Der allgemeine Lauf der Ontogenese bei Amphibienextremitäten ist folgender: „Schon im zapfenförmigen Stadium (Triton taeniatus 12,0 mm), wo kaum die Rundung der Spitze gestört ist, erscheint das Femur deutlich vorknorpelig." ^) Auch „der Humerus ist schon zu einer Zeit, wo er noch keine Verknorpelung zeigt, weiter entwickelt". •^) Im Hume- rus und Femur tritt zuerst Verknori^elung ein,'^) zu einer Zeit, in welcher die beiden Elemente des Vorderarmes noch aus zwei indifferenten Ge- webssäulen bestehen. Erst bei 1—1 V2 mm grösseren Tritonen er- reichen sowohl Radius, wie auch die Ulna „eine prochondrale Centri- rung gegenüber dem Humerus".^) Bis zu diesem Stadium ist dieDifferenzirung bei Amphibien und Amnioten eine durchaus identische und besteht in einer allmählich distalwärts vorrückenden Verknorpelung (S. 15, S. 18). Erst in den distalen Partien treten Unterschiede auf, zu deren Schilderung ich jetzt übergehe. Den Bericht über die weitere Entfaltung überlasse ich Strasser: „Das carpale Achsengewebe bildet also eine durchbohrte Platte oder einen Ring, von dessen distalen und ulnaren Rande die Achsengewebe des ersten und zweiten Fingers als scharfe Fortsätze, diejenigen des dritten und vierte n Fi ngers aber vereinigt als ein breites Segment fächerartig abstrahlen."^) Betrachtet man die Hand von Triton taeniatus, welche dieser Beschreibung zu Grunde gelegt ist,^) so sieht man den ersten und zweiten Fingerstrahl als scharf gesonderte Gewebssäulen distalwärts divergiren. In ihnen sind bereits Spuren von *) Steasser, 1879, S. 296. 2) Ibidem S. 278. ») Ibidem S. 279. *) Ibidem S. 281. «) Ibidem 1. c. S. 279. «) Ibidem Taf. XVIII, Fig. 1. Die Kainogenese. 55 Knorpelintercellularsubstanz ausgebildet. Die Anlagen für den dritten und vierten Finger bestehen hingegen noch aus dichtem indifferenten Gewebe, sind weniger gegen die Umgebung geschieden, jedoch bereits so mächtig entfaltet, dass sie durch ihre Gewebsmassen äusserlich den ulnaren Randwulst hervortreiben, Fig. 6 der nächstfolgenden Tafel (XIX) repräsentirt das gleiche Stadium der Handentfaltung von Salamandra maculosa, nur sind in diesem Schnitte die Anlagen für die beiden ulnaren Finger (3 und 4) noch schärfer von einander getrennt durch ein zwischen sie tretendes Intercarpalgefäss. Zwischen dem ersten und zweiten Finger einerseits und dem dritten und vierten Finger andererseits beruht der Haupt- unterschied in einer verschiedenen Grösse und verschiedenen Abgren- zung gegen die Umgebung. Was jedoch die histologische Differen- zirung anbetrifft, so sind die Unterschiede zwischen beiden Gruppen E Urttz. cop äusserst gering. In der ersten sind nur Spuren von Knorpelinter- cellularsubstanz vorhanden, welche den übrigen abgehen. Es muss daher als ganz ausgeschlossen erachtet werden, dass zwischen den Anlagen aller vier überhaupt auftreten- den Finger grosse on t ogenetis che Altersdifferenzen be- stehen könnten. Ein noch etwas jüngeres Stadium, als das zuletzt beschriebene 56 ür. Ernst Mehnert. Stkassee's, bei welchem alle vier Finger der Tritonenhand noch durch- aus vorknorplig waren, ist von Goette abgebildet worden. In der Figur 6 Goette's (nebenstehende Textfigur Ä) ist nur der Humerus knorplig. In der distalen Partie bestehen die einzelnen Abschnitte noch aus einem Gewebe, welches eine Vorstufe des hyalinen Knorpels bildet. Ulna und Radius vereinigen sich bogenförmig in der Carpalplatte. Von der letzteren gehen distalwärts die Anlagen für den ersten und zweiten Finger aus (I und II). Jedoch sind dieses nicht die einzigen Anlagen. In den ulnaren Randwulst strahlen zwei kleine Zellensäulen aus (III und IV). Goette selbst hat diese beiden kleinen ulnaren Strahlen nicht weiter bezeichnet. Ihr Ursprung aus der Carpalregion , ihre übereinstimmende Lagerung mit den wahren Fingern, — mit welchen sie auch eine gleiche gewebliche Ausbildung gemein haben, — lässt wohl kaum einen anderen Schluss zu, als dass wir es in ihnen mit zwei weiteren Fingeranlagen zu thun haben. Diese Schlussfolgerung wird ohne jede weiteren Worte zur Evidenz bestätigt durch die Vergleichung von Fig. A mit dem nebenstehenden etwas älteren Stadium der Fig. B. Figur J.^) ist ein ganz einwandsloser Beweis, dass auch Goette, ebenso, wie vorher erwähnt, Steasser bei Amphibien eine nahezu gleichzeitige Dif f er enzirun g der Fingeranlagen gesehen hat. Amnioten und Amphibien gehen also von einer glei- chen Extremitätenanlag-e aus. In der weiteren Entfaltung allerdings treten insofern Unterschiede auf, als sich bei den letzteren die beiden radialen und tibialen Strahlen rascher hervorbilden, als die ulnaren und fibularen. -) Im Fusse von Triton entstehen die erste und zweite Zehe nahezu gleichzeitig.^) Im Salamandrafusse entfaltet sich durchgehend die zweite Zehe am raschesten von allen. Strasser betont gerade letztere Erscheinung;^) Goette hat sie für unwesent- lich gehalten.^) Auch die Zehen des Randwulstes entfalten sich bei Salamandra „verhältnissraässig schneller", '*) als bei Tritonen. Ausser- ^) Allerdings bezieht Fig. 6 von Goette sich auf eine regenerirte Extremität. Die Unterschiede dürften jedoch nicht von principieller Bedeutung sein. Goette selbst hat behauptet: „dass die Skeletbildung bei der Regeneration im Wesentlichen ebenso verläuft, wie bei der primären Entwicklung und daher als eine Wiederholung der letzteren bezeichnet werden kann." (1879, S. 15.) 2) Strässer, S. 297. ") Ibidem S. 297, 308. *) Strasser, 1. c. S. 278, 297, 298. Das äussere Hervorwachsen, S. 307. Erste "Verknorpelung, S. 302, 304, 308. *) Goette bezeichnet geringe zeitliche Unterschiede in der Entfaltung als „nicht von Belang" (1879, S. 44). *) Strässer, 1. c. S. 307. Die Kainogenese. 57 dem sind von beiden Autoren auch leichte Grade von individueller Variation gesehen worden. Abweichend von den Urodelen ist die Genese der Fingerstrahlen bei den Anuren, Nach Goette unterscheiden diese „sich von den Tritonen dadurch, dass die Strahlen vom zweiten an nicht succes- siv, sondern gleichzeitig angelegt werden, wobei sogar die ulna- ren (fibularen) früher deutlich werden,^) oder mit anderen Worten; die Anuren zeigen das Gegentheil von den Urodelen. In der verschiedenzeitigen Ausbildung der Strahlen verhalten sich die Amphibien nicht anders, wie überhaupt alle anderen Vertebraten. Diejenigen progredienten Finger, welche bei ausgewachsenen Thieren die höchste Ausbildung und grösste Länge und Dicke erreichen (confer S. 117, Textfigur N und R), entfalten sich rascher,^) als die an Pha- langenzahl reducirten kleineren , dem regressiven Extremitätenrande •^) zugehörigen fibularen und ulnaren Strahlen. Ueberhaupt dürfte es ganz unberechtigt sein zu meinen, wie es von mancher Seite hingestellt worden ist, dass die Entfaltung der Amphi- bienextremität so ursprüngliche Verhältnisse aufweist, wie sie bei den höheren Vertebraten nicht mehr bestehen. Die ganze Verknorpelungsfolge bei Amphibien findet auch unter den Warmblütern eine ganz gleiche Vertretung. Orientiren wir uns zunächst über erstere, so finde ich bei Strassee, folgende diesbezügliche Angabe: „Die Reihenfolge der Ver- knorpelung scheint also bei den Tritonarten (taeniatus und alpestris) folgende zu sein." *) 1) Goette, 1878, a, S. 246. ") Ueber die Berechtigung zu dieser Behauptung S. 28. S. 74 Tabelle. Erste Reihe. ') Es ist bekannt, dass bei den Amphibien die Fingerzahl eine sehr differente ist. Von allen Autoren, die sich bisher über diese Erscheinungen geäussert haben, wird ganz übereinstimmend die pentadactyle Hand als Ausgang betrachtet und alle Extremitäten mit einer geringeren Zahl werden als Reduktionsformen angesehen. Die von Goette (1879, Taf. V, Fig. 27 — 45) durchgeführte Vergleichung hat er- geben, dass der Reduktionsprocess an der ulnaren respektive fibularen Seite ansetzt und sich von hier aus weiter erstreckt. Die tetradactyle Hand von Triton ist durch Schwund des fünften Fingers entstanden (Fig. 27, 29). Die dreifingerige Form der Hand des Proteus (Fig. 42, I, II, III) wird durch Re- duktion des vierten und fünften, der zweifingerige Fuss (Fig. 43, I, II) durch Weg- fall aller drei fibularen Finger erklärt. Nach meiner Auffassung zeigt die retardirte Entfaltung des dritten und vierten Fingers bei der Hand von Triton einen entschieden regressiven Charakter derselben an und deutet ein weiteres Fortschreiten desjenigen Reduktionsprocesses an, welcher durch die Agenesie des äussersten Randfingers (fünfter Fingerstrahl) sinnesfällig eingeleitet ist und zu solchen Zuständen herüberführt, wie sie die dreifingerige Hand und der zweifingerige Fuss des Olmes schon heutzutage erreicht haben. *) Strasser, 1879, S. 284. 58 I^r. Ernst Alehnert. 1. Humerus, 2. Radius, 3. Fingerachsen (proximaler Theil), 4. und 5. Basale commune und Ulna, 6. die beiden radialen Carpalsäulen. Diese Uebersicht zeigt sehr deutlich eine Diskontinuität des Ver- knorpelungsganges. Auf dem Humerus folgt der Radius , dann wird aber der Carpu s übersp r ung en und es erscheinen Knorpel in den mehr proximalen Theilen der Fingerachsen , welche die Anlagen für Metacarpen darstellen. Der Carpus verknorpelt erst später , jedoch nicht gleichzeitig. Als erstes Element desselben erscheint das Carpale 2 (von Strasser unnöthiger AVeise als Basale commune bezeichnet) und erst an sechster Stelle (obige Zusammenstellung) folgen dann die übrigen Carpalstücke nach. Nicht anders verläuft dieser Process beim Fusse: „Die geweb- liche Entwicklung schreitet an verschiedenen Stellen verschieden rasch vorwärts. Auch hier bilden sich die Centren der Zeit nach nicht entsprechend der proxiino-distalen Reihenfolge." ^) „Die geweb- liche Entwickelung in den proximalen Theilen der ersten und zweiten Fingerachse hält ungefähr gleichen Schritt mit derjenigen der Tibia und Fibula, ja sie geht etwas rascher vor sich," -) „Ferner tritt der erste Knorpel in den proximalen Theilen der ersten und zweiten Finge raclise und ihrem Basale früher auf, als im proxi- malen Theil des Tarsus."^) Die vorstehenden Angaben Strasser's beweisen, dass bei den Tri- tonen die Verknorpelungsfolge keine so regelmässig distalwärts fort- schreitende ist wie bei den niederen Formen (Selachier, Emys, Stru- thio), sondern eine beträchtlich diskontinuirliche Unterbrechung zeigt. Dieselbe äussert sich darin, dass zunächst sowohl Carpus, wie auch der Tarsus übersprungen werden. Gerade ein solcher Modus der Ent- faltung ist aber für alle 'höheren Vertebraten typisch (S. 45, S. 64 Tabelle). Daraus folgt, dass di eEntfaltu ng des Extremität en- skelets bei den Amphibien keineswegs einen ursprüng- lichen Typ us zeigt, sich vielmehr eng an schliesst an die höheren, a b g e ä n d er t e n Vertebraten. Jedenfalls muss die Extremitätenontogenese der jetzigen Amphibien als eine durchaus unge- eignete Form bezeichnet werden zur Begründung irgend einer Extre- mitätentheorie. 1) Stkasser, 1879, S. 298. '0 Ibidem S. 297. ») Ibidem S. 298. Die Kainogenese. 59 Allgemeine Betrachtungen. lieber die primitiTC Kürze aller Extremitäteiiskeletstücke. Auf die primitive Kürze der langen Extremitätenknorpel bei den Amphibien hat zuerst Goette hingewiesen, er sagt: „Einmal ist nicht zu verkennen, dass die Anlagen der Arm- und Schenkelknochen im Verhältniss zu denen der Carpalia und Tarsalia um so kürzer er- scheinen, je jünger sie sind, ja bisweilen kaum länger als ein Carpale oder Tarsale." ^) Genau entsprechende Verhältnisse habe ich auch bei Emys beschrieben (S. 12). Auch vom Feraur und Humerus legt sich zuerst der Diaphysenabschnitt an als ein ganz kleiner kurz ovaler Knorpel. Nur bei den allerhöchsten Vertebraten (Homo, Carinaten) nimmt derselbe schon in den frühesten Stadien eine länglich ovale Form an. In gleicher Weise zeichnen sich auch ülna und Radius, Tibia und Fibula durch eine gleiche primitive Kürze aus, Emys übertrifft hierin alle Warmblüter. Alle sogenannten langen Knorpel des Vorderarms sind bei ihrer ersten Centrirung nur wenig grösser, wie irgend ein Phalangenabschnitt. Di e Ausbreitung der Verknorpelung geht vom primitiven Diaphysen-Absc hnitte aus und bildet erst sekundär die Epiphysenenden (Taf, I, Fig. 21, 22. 2.3). Unter den Säugethieren zeigen insbesondere Raiibthiere ein derartig primitives Verhalten. Bei den in Fig. 69 und 70 abgebildete Katzenembryonen sind Ulna und Radius zwar deutlich knorplig, je- doch noch sehr kurz. Ein Kalbsembryo besass selbst in einem spä- teren Stadium eine ülna -) und einen Radius, welche kaum doppelt so lang waren, wie die Metacarp^n (Fig. 71). Hingegen fand ich bei einigen Nagern schon bedeutend früher eine lange Form (Kaninchen Fig. 74, Maus Fig. 68); ihnen schliessen sich beide Extremitäten der Carinaten an (Huhn Fig. 75, 76). Ein weiteres sehr schönes Beispiel von primitiver Kürze und ursprünglicher Gleichartigkeit der Phalangen mit den eigentlichen Carpalelementen bieten Embryonen von Echidna, Hochstetter =') hat einen Flachschnitt durch die Hand eines Embryo Nr. 45 abgebildet. Auf Radius und ülna folgt eine grössere Zahl von rundlichen, wenig hohen Knorpeln, von denen nur die proximalsten als ulnare. Radiale und Intermedium bezeichnet sind. Ein ausgewachsenes Exemplar von Echidna steht mir leider nicht zur Verfügung, deshalb bin ich auch nicht in der Lage , die übrigen unbezeichneten Elemente speciell zu ') Goette, 1879, S. 11. *) Zur Erläuterung dieser Zeichnung muss ich noch besonders hinzufügen, dass die Ulna mit Ausschluss des Olecranonabschnittes in ihrer ganzen Länge getroffen vorliegt. ») Hochstetter, 1896, Taf. XVI, Fig. 5. 60 Dr. Ernst Mehnert. homologisiren. Ausser jedem Zweifel repräsentiren jedoch die vom Carpus distal gelegenen drei Knorpel eines jeden einzelnen Strahlen nur die Metacarpen und Phalangen, Letztere sind aber bei Echidna, nicht wie bei den meisten Vertebraten etwas länger als die Carpalien, sondern im Gegentheil in proxi- modistaler Richtung eher niedriger als rund. (Fig. 5 von HOCHSTETTER.) Die primitive Kürze und Gleichheit aller Extremitätenskeletstücke bei Vertretern niederer Formen weist darauf hin, dass alle in der Jetzt- zeit sogenannten langen Knochen in der Phylogenese durch ein- seitige Dif ferenzirun g aus unter einander gleichartigen Stücken entstanden sind, wie sie jetzt etwa noch in der Sela- chierextremität und bei einigen Cetaceen zu finden sind, in der Vor- zeit aber bei den Macrotrachelen vorkamen. Am aller übersichtlichsten leuchtet diese Kongruenz hervor, wenn man z. B. die Flosse von Bap- tanodon discus vergleicht mit einer solchen Hand der Emys, in welcher ein jedes Skeletstück seine in der ersten Ontogenese beobachtete ursprüng- liche Grösse besitzt.^) viO -0 yftQ - ,0 0 ■0 0 0 0 00 0- 0 0 0 MH -^p: C. o o ° O o 0° ° o o , o°g§0 0 o o°oOOO o ooooo o OoOOO O oqooqO OqOOo Fio-.D. OOOP ') Fig. C. ist eine Kombinationsfigur aus verschiedenen Stadien von Händen der Emys. Die Grösse wurde bestimmt bei annähernd zwanzigfacher, stets gleicher Vergrösserung. Die Lagerung der Carpuseleinente und die anfängliche Richtung der Fingerstrahlen entspricht im Allgemeinen Fig. 29. Die Grösse von Humerus, Ulna und Radius ist zwei bedeutend jüngeren Embryonen entnommen. Die un- gefähre Grösse der Phalangen wurde bei mehreren älteren Embryoneu bestimmt. Fig. C. stellt jene Form der Scbildkrötenhand dar, welche resultiren würde, wenn alle einzelnen ihrer Komponenten sich gleichzeitig anlegen würden. In der That jedoch legen sich, wie ich an einer früheren Stelle (S. 15) ausführlich dar- Die Kainogenese. 61 Sieht man davon ab , dass die Strahlen bei Emys noch diver- giren/) bei Baptanadon -) stark konvergiren, andererseits letztere Extre- mität auch mehr Phalangeureihen besitzt, wie die Schildkröte, so besteht dennoch in den allgemeinen Proportionen jedes einzelnen Ab- schnittes bei beiden die denkbar grösste Uebereinstimmung. Bei beiden ist das am meisten proximal gelegene Stück auch das überhaupt längste Element. Bei Baptanodon bestehen zwischen Meta- tarsen und Zehenphalangen, abgesehen davon, dass letztere etwas kleiner sind, sonst keine prinzipiellen Unterschiede von den Tarsalien. Ein Gleiches gilt auch für die Schildkrötenhand, wenngleich auch zu- gegeben werden muss, dass die Metacarpen schon gleich bei ihrer ersten Centrirung leicht länglich oval sind."^) Die Elemente der Baptanodonflosse liegen in Querreihen.*) Auch bei der Schildkrötenhand treten gleiche Qu er reihen hervor, wenn man die etwa gleichzeitig entstehenden Elemente unter einander ver- bindet. (S. 14. 15.) ö) Bei einer solchen in Fig. C vorgenommenen Konstruktion kommt das Inter medium ausserhalb der proximalen Carpal- reihe zu liegen. Diese Besonderheit veranlasste mich, die speciellen Eigenthümlichkeiten des Inter medium im Vergleich mit den eigentlichen Carpalien näher zu präcisiren. Zieht man die Hand einer ausgewachsenen Schildkröte zu Käthe (Taf. I Fig. 18), so ist ganz unverkennbar, dass das Intermedium zwischen die distalen Enden von Ulna und Radius hineinragt. Bei mehreren Autoren finde ich die Behauptung aufgestellt, dass es sich um eine Verlängerung des Intermediums handelt, welche erst sekun- där zwischen die beiden Vorderarmknochen trat. Eine solche Deutung findet durch die Befunde bei ganz jungen Schildkrötenembryonen ihre Widerlegung. Schon gleich von A nfang an b ei seiner ersten Differenzirung liegt das Intermedium zwischen Ulna und Radius (cf. hierzu auch ein älteres Stadium in Fig. 24, 25). Es gelegt habe, die Elemente in proximo-distaler Aufeinanderfolge jedoch unter einan- der ungleichzeitig an. Wenn z. B. die Carpalia sich knorplig centriren, dann haben bis dahin Humerus, Radius und Ulna bereits ihre Ausgangsform geändert und sind zu länglichen Knorpeln ausgewachsen. ^) Bei ausgewachsenen Schildkröten liegen alle Fingerstrahlen parallel, Taf. I Fig. 18. ^) Das Original ist von Marsh abgebildet worden (1880 b). *) Sonst gehören die Metacarpen der Emys zu den allerursprünglichsten Ele- menten der ganzen Extremität. Selbst bei den ausgewachsenen Thieren sind die Metacarpen in ihrer Achse kaum grösser wie eine einzelne Phalanx. Taf. I, Fig. 18. *) Auf diese Querreihen bei der Baptanodonflosse hat bereits Thilenius aus- führlich verwiesen. 1896, S. 539, Textfigur. *) In Textfigur C durch punktirte bogenförmige Linien dargestellt. 62 Dr. Ernst Mehnert. kann sich also in dieser Lagebeziehung nur um ein sehr primitives Verhältiiiss handeln. Auch noch in anderer Hinsicht ist das Intermedium ausgezeichnet. Es legt sich zwar später an als IJlna und Radius, aber immerhin entschieden früher als die ei gentlichen C arpalia (S. 15). Ich besitze sowohl eine Serie für das Intermedium als auch für das Inter- mediotibiale. in welcher dieselben auf das deutlichste centrirt sind, hin- gegen alle anderen Carpalien und Tarsalien ohne Ausnahme noch gar nicht abgrenzbar sind. Auch ist das Intermedium schon bei seiner ersten Differenzirung mindestens um das Dreifache grösser als die eigentlichen Carpalien. Diese ganze Sonderstellung des Intermediums der Schildkröte unter den eigentlichen Carpalien scheint mir mit Entschiedenheit dafür zu sprechen, dass dasselbe kein Element des Carpus ist, sondern viel- mehr dem Vorderarm zugehört und die Bedeutung eines In terme diu m antebrachii besitzt. Diese dritte Komponente des Vorderarmes, welche als Intermedium antebrachii bezeichnet wird, ist keine recente, sondern eine uralte Bil- dung, welche auch schon im Jura bei der Hinterflosse des Baptanodon^) (S. 60. Fig. D. j.) und den Ophthalmosauridae ") (Fig. E. j.) vorkam. Der Nachweis eines so alten in typischer Lage befind- lichen Skeletstückes, auch bei Emys, ist ein weiterer Beweis für die Ursprünglichkeit der Schildkröten- extremität. Die Accelcration der Entfaltung. Nach der Durchmusterung der Gliedmaassenskeletogenese bei Ver- tretern aller landlebenden Wirbelthiere erübrigt noch festzustellen, welche von den differenten Ontogenesen den ursprünglichen Typus wiedergiebt und welche Abänderungen desselben vorstellen. In zweiter Instanz muss weiter beantwortet werden, auf welche kausalen Momente die bestehen- den Abweichungen zurückzuführen sind. Bei der Beantwortung der Frage nach der Primitivität eines Vor- ganges kann als ein leitendes und allein Ausschlag gebendes Moment nur die streng geregelte gesetzmässige Folge der Geschehnisse er- achtet werden. Dieses Postulat findet sich in der Extremitätenskeleto- genese von Emys in einwandsfreier Form realisirt. Bei Emys schreitet ^) Im Originale handelt es sich zwar um eine Hinterflosse. Des Vergleiches wegen habe ich in meine Zeichnung D die Bezeichnung eingeführt als wäre es eine vordere Extremität. 2) Figur E ist eine Kopie nach einer Zeichnung, welche G. Baür gegeben hat: Ueber den Ursprung der Extremitäten der Ichtyopterygia. Separatabdruck aus dem Bericht über die XX. Versammlung des überrheinischen geologischen Vereins, S. 1—4, Fig. 4. Die Kainogeneae. 63 die Zone der knorpligen Differenzirung in proximodistaler Rich- tung in regelmässigen Etappen vor ohne eine jede Unter- brechung. Auf den Humerus folgt Ulna und Radius, auf diese der Carpus, auf letzteren der Metacarpus und eine Carpalreihe nach der anderen (S. 15). Dieser Vorgang ist ebenso regelmässig wie das Ankrystallisiren eines Gliedes nach dem anderen bei der Hervorbildung eines Jupiter- oder Saturn baumes. Einen gleichen Entfaltungsgang hält auch Struthio ein. Nur in- sofern besteht ein Unterschied, als sehr bald nach der Centrirung der Tarsalia und Carpalia auch die Di£ferenzirung von Metatarsalia und Metacarpalia erfolgt. Sonst wird eine gleiche, dem terminalen Ende der freien Extremität zuschreitende Ausbildung des Skelets streng inne gehalten. Auch die Genese des Extremitätenskelets der Selachier erfolgt nach gleichem Principe. Die ausführlichsten Angaben hierüber verdanken wir MoLLiER. Er berichtet Folgendes: „Wir fanden bei Torpedo folglich die erste Skeletanlage der Brustflosse in Form einer, in der Flossen- basis gelegenen kontinuirlichen basalen Zellspange (primäres Basale)."^) „In einem etwas älteren Stadium .... ist die Skeletanlage histologisch etwas weiter zu Prochondralgewebe differenzirt und es beginnen die Strahlen . . . . von dem primären Basale aus hervorzu- wachsen."-) „Erwähnen will ich nur, dass die V e rkn orpelung auch wieder zunächst im Bereich des ursprünglich primären Basale Platz greift und von hier aus lateral sich ausdehnt. Der Beginn der Abgliedern ng der Strahlen von den Basalia, sowie die Quer- gliederung der Radien selbst erfolgt in lateraler Aufeinanderfolge." •^) Aus diesen Beobachtungen Mollier's folgt, dass in der Extremität von Torpedo sowohl die vorknorplige Anlage des Skelets, wie auch der Verknorpelungsprocess selbst, als auch die Ab- und Quergliede- rung der Radien, kurz alle En t f al t u ngsvorg änge der Extre- mität zunächst iu lateraler Aufeinanderfolge vor sich gehen. Auch DoHRN hatte schon früher die Angabe gemacht, dass „die ersten Spuren der Verknorpelung sich an der Basis der Flosse zeigen. " *) Nicht anders verhält es sich auch bei Accipenser. Mollier sagt: „Das Skelet besteht aus einem kurzen, in der Flossenbasis gelegenen primären Basale, von welchem aus in die freie Flosse fünf kurze Zell- fortsätze ausgehen." ■'') 1) Mollier, 1893, S. 30. 2) 1. c. S. 31. 3) 1. c. S. 37. *) DoHRN, 1884, S. 164. ^) Mollier, 1896, S. 196. 64 Dr. Ernst Mehnert. Alle höheren und abgeänderten Vertebraten , Säugethiere, Cari- naten und die bisher untersuchten Amphibien zeigen in der Folge der Differenzirung ihrer Extremitätenskeletstücke gewisse Abweichungen, die sich in ihrer Gesammtheit am allerleichtesten übersehen und deuten lassen bei einer Zusammenstellung in tabellarischer Form. Bei Aufstellung einer derartigen Uebersicht konnte ich nur das allgemeine Auftreten von Knorpelstücken in den einzelnen Querzonen der Gliedmaassen berücksichtigen, ohne hierbei auch die bei vielen Verte- braten bestehenden Unterschiede in der Ausbildung der Längsstralilen gleichzeitig zum Ausdrucke bringen zu können. (S. 34, 74, Tabelle). Die voranstehende Bezeichnung des Gliedmassenabschnittes bezieht sich auf die ganze Zeile. Der Name der einzelnen Species oder Tliier- gruppe gilt für die Vertikalreihe. Die Zahlen deuten an, in welcher Aufeinanderfolge der Beginn der Knorpeldifferenzirung einzutreten pflegt. Allgemeine Reihenfolge der Knorpeldifferenzirung in Extremitäten skeletstücken bei verschiedenen Gruppen. Regel- mässige Aufein- ander- folge Geringe Abweichung Abänderung Grösste der Abäude- Reihenfolge rung Emy s.i) Struthio Apteryx Carinaten Triton '^^^' und Sala- thiere. 1 mandra Humerus Femur 1 » » )i 11 )) « 11 » 11 » n Ulna. Radius Tibia, Fibula 2 n 11 n « 11 11 11 n n Carpus Tarsus 3 n n n Accelera- 11 n Sehr starke 4 4^) 4 4 4 4») Metacarpus Metatarsus 4 11 tion der Entfal- tung 2) Accelera- tion der Entfal- tung ') 3 3*) 3 3«) 3 3») Phalanx I n )» 5 11 11 11 n n » M » n m y> Phalanx II n » 6 11 n 11 11 n n 11 n n n r> Phalanx III >t ;) 7 )i n 11 n n n n 11 n n 11 Phalanx IV ri )5 — — — 8 — 8 — — — 8 Phalanx V 11 n — — 9 — — — — — — — — ') S. 15. ''') S. 28, •^) S. 47,: <) 8. 45. 8) S. 45, ') 8. 54. 34. 66. 47. ^) GoETTE 1878 a, S. 246. 46, 47. 8) S. 57. ^)GOETTB 1878 a, S. 246. Die Kainogenese. 65 An Emys schliesst sich Struthio. Beide befolgen den vorhin ge- schilderten Gang der Entfaltung. Aehnlich wie Struthio verhält sich auch Apteryx. Auch bei ihm wird die Differenzirung des Carpus von den distal gelegenen Skeletstücken überflügelt. Paekee bildet einige Schnitte durch den Carpus von Apteryx ab und erwähnt auch noch ganz ausdrücklich, dass bei denselben der Carpus noch jung knorplig war, hingegen die Fingerabschnitte schon wohl ausgeprägten Knorpel aufwiesen.-^) Sehr abweichende Verhältnisse bieten Carinaten (S. 45 — 47), Säugethiere (S. 46) und Amphibien (S. 58), insofern bei ihnen der Metacarpus und Metatarsus sich früher differenzi- ren als Carpus und Tarsus. Zeitliche Unterschiede sind relative Begriffe, und alle Deutungen fallen verschieden aus, je nach dem Standpunkte, von welchem aus sie betrachtet werden. Es muss deshalb festgestellt werden, ob der Carpus oder Tarsus sich verlangsamt oder der Metatarsus und Metacarpus sich accelerirt differenziren. Zunächst will ich die erste Eventualität in Erwägung ziehen. Der Carpus und Tarsus setzten sich bekanntlich zusammen aus Skelet- stücken , welche alle eine mehr oder weniger kurze Form zeigen. Bei ihrer Anlage besitzen sie alle eine rundliche Gestalt und ändern dieselbe nur unter dem correlativen gegenseitigen Drucke zu einer mehr eckigen Konfiguration um. Zieht man in Betracht, dass eine solche Form, wie sie viele Carpalia und Tarsalia ständig beibehalten, auch die ursprüngliche Ausgangsform für alle, selbst die langen Skelet- stücke der ganzen Extremität ist, so muss ohne weiteres zugegeben werden, dass Carpus und Tarsus der ursprünglichste Ab- schnitt des ganzen Extremitätenskelets ist und selbst bei dem sonst hochentwickelten Menschen noch eine Gliederung verräth, wie sie bei einigen Kaltblütern vorkommt, speciell aber für die Flossen- gliedmaasse sowohl der Cetaceen als auch der übrigen Kiemenathmer typisch ist (S. 60, S. 121). Irgend welche Anhaltspunkte dafür, dass die kanonischen in ihrer Form wenig variablen Carpalia und Tarsalia regressive Tendenzen verrathen, konnte ich auch nicht nachweisen. Beim Fehlen irgend sonstiger Anhaltspunkte bleibt mir auch nichts anderes übrig als einzustimmen in die, so weit mir bekannt ist, von Niemandem wiedersprochenen Ansicht, dass Carpus und Tarsus in ihren konstanten Elementen sehr konservative, wenig durch die Phylogenese abgeänderte Skeletstücke enthalten. Die Erkenntniss der Ursprünglichkeit eines Organes bringt auch ganz von selbst mit sich die weitere Annahme, dass die zeitliche Ent- faltung desselben Organes auch eine ursprüngliche, oder wie man sich auch ausdrücken kann, eine orthochrone ist. Diese Annahme wird durch 1) Parker, 1892, Fig. 254—256, 258. Morpholog. Arbeiten hrsg. t. G. Sch-walbe. VII. " gg Dr. Ernst Mehnert. die Befunde bei allen Vertebraten bestätigt. Alle von mir unter- suchten Formen, welche das zu einer solchen Entscheidung günstige Stadium aufwiesen, liessen mir keinen Zweifel darüber, dass auch bei den höheren Vertebraten, ebenso wie bei Emys und Struthio, die Cen- trirung von Carpalia und Tarsalia sich sehr rasch an die knorplige Differenzirung von Ulna und Radius anschliesst. Ein principieller zeitlicher Unterschied in der Genese von Carpus und Tarsus einerseits und Vorderarm- und Vorderbein- knorpel andererseits besteht bei keinen bisher unter- suchten Vertebraten. Anders verhält es sich jedoch mit der Differenzirung von Knorpel in Metacarpus und Metatarsus. Bei Emys differenziren sich dieselben Kach dem Carpus und Tarsus. Bei Struthio tritt ihre histologische Differenzirung vorzeitiger ein. Angaben, welche Parker gemacht hat, lassen vermuthen, dass diese Accelerationstendenz bei Apteryx noch prononcirter ist wie bei Struthio. Noch mehr abgeändert ist die Aufeinanderfolge bei Tritonen. Nach den Untersuchungen von Strasser treten bei denselben zuerst Metacarpus II und I auf, sehr bald nahezu gleichzeitig bildet sich auch das Carpale II hervor und es folgen die anderen kanonischen Car- palia nach. Unter den Säugethieren sind Differenzen unverkennbar. Beim Kaninchen ist der zeitliche Unterschied zwischen der Hervorbildung beider Abschnitte sehr gering. Ich vermag schon bei der ersten Diffe- renzirung von knorpligen Metacarpalien deutliche Centrirungen der Carpalia zu erkennen (Fig. 74). Hingegen ist mir solches unmög- lich bei Katzenembryonen aus gleichen Stadien (Fig. 69, 70). Eine durch- gehende Regel ist die vorzeitige , der nachweisbaren Anlage von Car- palien und Tarsalien vorangehende Differenzirung von Metacarpus und Metatarsus bei den Vögeln, wie solches nicht nur von mir in Fig. 75 und 76 abgebildet worden ist, sondern auch Gegenbaur, Baur, Alice Johnson und Elisa Norsa (S. 47) beschrieben haben. Carpus und Tarsus sind, wie ich eben gezeigt habe, exquisit kon- servative, im Allgemeinen unabgeänderte Abschnitte. Es steht daher dem auch nichts im Wege, wenn man annimmt, dass sie sich auch in ihrer Ontogenese ursprünglich verhalten und sich auch folgerecht ortho- chron entfalten. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, entfalten sich die früher in Erscheinung tretenden Metacarpalien und Metatar- salien accelerirt. Zieht man in Berücksichtigung, dass Metacarpus und Metatarsus ausgesprochen progrediente Abschnitte sind, so muss auch zugegeben werden, dass zwischen phyletischer Progredienz und ontogenetischer Beschleunigung der Entfaltung ein korrelativer Zusammenhang besteht. Bei progredienten Organen ist nicht nur die oben Die Kainogenese. g7 allein berücksichtigte Differenz irung von Knorpel be- schleunigt, sondern auch der Ossif ikationsvorgang tritt frühzeitiger ein, wie bei den anderen. Die Metacarpen verknöchern beim Menschen nach den Angaben von ScHWEGEL in ihrer Diaj)hyse schon im vierten Monate. Der kon- servative Carpus hingegen ist nach den Berichten von Rambaud und Renault noch zur Zeit der Geburt knorplig: „A la naissance le carpe est entierement cartilagineux." Das gleiche Gesetz gilt auch für den Fuss. Der progressive Meta- tarsalabschnitt ossificirt früher als der Tarsus : „L'ossification debute au pied par les metatarsiens; eile commence vers quarante ä quarante cinq jours (Fig. 3 et 4 pl. XXII)." ^) „Le tarse s'ossifie tardivement, quoique ses os soient bien limite des trente cinq jours; il reste carti- lagineux jusqu'au quatrieme mois." ^) Auch unter den Tarsalien unter einander bestehen zeitliche Unter- schiede in ihren Entfaltungen. Die progressiven unter ihnen entfalten sich rascher als diekonservativeren Genossen. Lazarus hat neuerdings durch Vergleichung festgestellt, dass die Tarsallänge schon unter den Anthropoiden eine progressive Ent- wickelung zeigt und zwar insbesondere beim Gorilla die stärkste Längen- ausbildung erreicht. Dieselbe erfährt in der Ontogenese des Menschen eine weitere Zunahme: „Die relative Länge des Tarsus steht beim menschlichen Embryo bis zum siebenten Monate auf gleicher Stufe mit dem Gorillatypus, von da ab wächst der menschliche Tarsus stärker in die Länge, erhebt sich über die ursprüngliche Stufe und erreicht endlich beim 472 jährigen Knaben die höchste Länge, die schon weiter- hin keiner eingreifenden Veränderung unterliegt."'') Auch die Menschenracen zeigen verschiedene Grade von Entfal- tung des Tarsus. Beim Japaner und Peruaner ist der Tarsus kürzer gefunden, wie beim Europäer.'*) Unter den Tarsalien des Menschen und der Anthropoiden erfahren Calcaneus und Talus in der Ontogenese die grösste Längenausbildung. Es dürfte wohl kein zufälliges Zusammentreffen sein, sondern nur auf der oben angedeuteten Korrelation beruhen, dass gerade diese am meisten progressiven Tarsalia auch die rascheste histologische Differenzirung besitzen und früher verknöchern als die konservativeren unter ihnen. In der Reihenfolge der Verknöcherungen nimmt das am meisten ent- wickelte Tarsuselement auch die erste Stelle ein: „Le premier point d'ossification parait dans le calcaneum ä quatre mois et demi." ^) Un mois 1) Rambattd et Kenaxjlt 1864 S. 239. 2) 1. c. S. 236. ») Lazarus 1896 S. 125. *) Lazarus 1896. 1. c. S. 124 Anmerkung 1. jq_ i^: *) Rambaud et Renault 1864 S. 236. ( • 5* ^'^ '- 68 Dr. Ernst Mehnert. apres, vers six mois, il se developpe un point osseux dans l'astragale au centre du cartilage." „Jusqu'au neuf mois rien de plus a sig- naler." ') Nach den Angaben von Kölliker verknöchert das Cuboideum bisweilen auch im siebenten Monate. Vorstehende Citate ergeben, dassaiich in Bezug auf die Dififerenzirung von Knochen die gleichen zeitlichen Unterschiede zwischen progredienten und konservativen Elementen bestehen , wie sie in genau analoger Weise für die gewebliche vorknorplige Centrirung und für den Eintritt der Knorpelbildung Geltung hat. Es handelt sich also nicht bloss um specielle Verschiedenheiten einzelner Ausbildungs- phasen, sondern um eine gleichmässige Tendenz des ganzen Entfaltungs- processes selbst, in allen seinen Einzelheiten. Speciell aus der Be- achtung aller obigen Fälle ergiebt sich nachstehende Folgerung: Die phyletisch progrediente Entwickelung eines Skelet- stückes hängt zusammen mit einer Acceleration der histologischen Entfaltung seiner homologen Nach- k ommenorgan e. Der Nachweis einer Beschleunigung bei der Entfaltung pro- gredienter Einrichtungen g'ewährt auch die Möglichkeit, die so häufig auftretende Erscheinung von sogenannter Konnascenz, auf ihre ursäch- lichen Gründe zurückzuführen. Es ist bekannt, dass manche Skeletstücke, die sich bei niederen Thieren noch isolirt „anlegen", bei den höheren Formen, schon in den- jenigen Stadien, in welchen man zuerst Knorpelintercellularsubstanz nachzuweisen im Stande ist, bereits als einheitlicher Knorpel in Er- scheinung treten, oder wie die Autoren sich auszudrücken pflegen „einheitlich" oder „konnascent" angelegt werden. Ein sehr schönes Beispiel hierfür giebt das Hamatum des Amnioten. Nach der Ent- deckung von E. Rosenberg werden Carpale 4 und 5 bei Emys noch als vollkommen selbstständige Knorpel angelegt, ") Beim Menschen jedoch tritt nach den Angaben desselben Beobachters und nach Leboucq 1) 1. c. S. 237. -) Von den meisten Autoren wird die Konnascenz identificirt mit einer Verkürzung des Ausbildungsprocesses. Diese Autoren scheinen durch eine solche üezeicbnung andeuten zu wollen, dass die Ontogenese ein abge- kürztes Verfahren einschlägt, und dass in Folge dessen das betrefl'ende Organ sich gleich von Anfang an in derjenigen Verlassung anlegt, welche für den ausgewach- senen Zustand typisch ist. Ganz abgesehen, dass eine solche Zweckmässigkeits- deutung gar keine wissenschaitliche Erklärung ist, ist sie auch schon aus dem einen Grunde falsch, weil konnascente und nicht konnascente Skeletstücke sich gleichzeitig oder was entschieden häufiger ist, auch früh'/eitiger differenziren als die letzteren. Die Zeitspanne zwischen Anlage und definitivem Zustande ist in beiden Fällen zum mindesten eine gleiche oder bei den konnascenten sogar eine etwas beträchtlichere. Von einer Abkürzung der Entfaltung kann daher bei den konnascenten Organen gar nicht die Rede sein. Die Kainogenese. 69 das homologe Compositum, welches Hamatum genannt wird, gleich von vorne herein als ein einheitlicher Knorpel auf. Eine Aufklärung über das Wesen der Konnascenz liefert die Ontogenese der Carpalia in der Vogelhand. Alexander Rosenberg fand, dass in dem von ihm untersuchten Stadium II und III beim Hühnchen Carpale 1 und 2 „konnascent" waren. Er berichtet hierüber Folgendes : „was das Carpale 1 und 2 betrifft so bildet dasselbe, von vorne herein als einheitliche Anlage auftretend" . . . . ^) Elisa NorSxI , welche bei ihren Untersuchungen auch die vor- knorpligen Centrirungeu mit beachtet hat, kommt zu einem anderen Resultate. Sie giebt an, dass sowohl Carpale III (entspricht dem Carpale 2 RosENBERa's) -) und Carpale II (entspricht dem Carpale 1 Rosenberg's) -) im vorknorpligen Stadium ein jedes für sich als selbstständige Differenzirungscentren auftreten, welche sich erst später vereinigen und erst im Knorpelstadium ein einheitliches Stück bilden. 3) Aus diesen Beobachtungen folgt, dass die knorplige Konnascenz von Carpale 2 und 3 nur eine Folge ist von einer bereits im Vor- knorpelstadium eingetretenen Verschmelzung. Diese Erkenntniss lautet bei einer Verallgemeinerung folgendermaassen: Die knorplige Kon- nascenz von Skeletstücken lässt sich zurückführen auf eine vorzeitige Verschmelzung ihrer vorknorpligen Anlagen. Die Konnasce nz ist ebenso wie ihre Ursache, die Acceleration der Entfaltung, nur eine ganz palinge netische Erscheinung (S. 106) und kommt bei den konservativeren niederen Formen seltener vor als bei den höheren abgeänderten Organen. Ein sehr schönes Belegstück hierfür liefert die Ontogenese des Beckengürtels bei Emys. Es ist bekannt, dass die Symphysenbildung beider Extremitäten- gürtel eine phyletisch erst sehr späte Einrichtung ist. Bei den im Wasser Lebenden ist ein derartiges medianes Zusammentreffen eine sehr seltene Erscheinung. Sie tritt erst auf mit dem Landleben, wenn den Flossen die neue Stützfunktion übertragen wird und ist nur der Ausdruck für die Stabilisirungsverankerung der Extremitätengürtel (Wiedersheim 1892). Die Symphysenbildung ist eine recente in der bisherigen Phylogenese einzelner Formen progrediente Erscheinung. Insbesondere in der Klasse der Reptilien *) und speciell auch bei Landschildkröten nimmt die Symphysenbildung excessive Maasse an ^) Al. Rosenberg 1873. S. 144. ^) Die verschiedene Bezeichnung- bei beiden Autoren ist eine Folge der ver- schiedenen Homologisirung des Mittelstrahles. Al. E.osenberg sah in ihm noch den zweiten Strahl. Nach den Ergebnissen von Elisa Norsa und meinen Befunden kann es sich in ihm nur um den dritten Finger handeln. S. 33. ') Elisa Norsa 1894. S. 6. *) E. Mehnebt 1891a. 70 Dr Ernst Mehnert. und führt zur Entstehung eines mächtigen Epipubis und Hypoischium. i) Bei Emys manifestirt sich diese specielle phyletische Progredienz der Symphysenbildung auch in einer specifisch vorzeitigen Etablirung der Symphyse in der Ontogenese dieser Formen. In einer früheren Arbeit gelang mir der Nachweis, dass bei Emys schon bei Beginn der Ver- knorpelung auch beide Beckengürtelhälften bereits ein untrennbares Kontinuum bildeten. Von diesen Gesichtspunkten aus betrachtet, darf man die mediane knorplige Konnascenz des Landschild- krötenbeckens zurückfü hren auf ein e, durch die phyle- tische Progredienz dieser Einrichtung herbeigeführte Acceleration der Entfaltung. Nachdem ich im vorstehenden Kapitel die Differenzen besprochen habe, die in der Genese der einzelnen Querreihen bei den verschiedenen Species vorkommen, wende ich mich jetzt zu einer Beurtheilung der Unterschiede, die bei der Entfaltung der Längsreihen vorwalten. Speciell musste einer Entscheidung unterliegen, ob die Ontogenesen der Längsstrahlen bei den höheren Vertebraten Thatsachen in die Hand geben, welche es gestatten unter ihnen einen besonders quali- ficirten Hauptstrahl von anderweitigen Nebenstrahlen zu unterscheiden. Ich wende mich daher im nächsten Abschnitte zuvor zu einer Be- sprechung aller Theorien, welche eine derartige Unterscheidung der Extremitätenstrahlen lehren. Die Retardation der Entfaltung. Seitdem Gegenbaue, ^) durch vergleichende Untersuchungen den Nachweis geliefert hatte , dass die Extremitätenform der Land- lebenden auf eine biseriale Flosse zurückgeführt werden kann, ist die Frage nicht verstummt, welcher Finger wohl bei den höheren Verte- braten die Stammreihe repräsentirt, und welche als Radien diesem Hauptstamme beigefügt seien. Diese Entscheidung ist verschieden ausgefallen. Gegenbaub ^) selbst zeigt in seiner Archipterygiumtheorie, dass die Hauptachse durch den Radius, Radiale, Carpale I und den ersten Finger geht. Die vier übrigen Finger sind Nebenstrahlen. Das Pisiforme repräsentirt einen fünften rudimentären Strahl. GoETTE verlegt den Hauptstrahl bei den Amphibien durch die Fibula, Intermedium, Centrale und zweite Zehe. ^) Dieser Deutung hat sich auch Wiedersheevi *) in seinem Lehrbuche angeschlossen. Eine dritte Deutung ist von Leboucq ^) versucht worden. Es •) E. Mehnert 1890. 2) Gegenbaur, K. 1870b. Taf. XIII. S. 332-349. 3) Goette 1879. Taf. V. Fig. 46—48, S. 36—42. *) Wiedersheim 1882. Bd. I, Fig. 134. •*) Lebodcq 1889. Archives de Biologie. Tome IX. Die Kainogenese. 71 handelt sich gewissermaassen um eine Art von Kompromiss zwischen den vorigen Hypothesen. Leboücq lässt eine Achse ebenso wie Goette durch die Ulna verlaufen, die andere durch den Eadius. Die Hauptachse verläuft durch die Ulna, Basis des Pisiforme. das Interraedium, Car- pale distale I und verläuft weiterhin, entsprechend Gegenbaur's Hypothese, in den ersten Finger aus. Küken thal i) hat sich nach Untersuchungen an Cetaceenhänden für diese Hypothese ausge- sprochen. Es ist schon frühzeitig erkannt worden , dass die Entscheidung, welcher Finger der Hand den Hauptstrahl liefert, nur auf deni Wege der Ontogenese erbracht werden kann. Die Formverhältnisse und die Zu- sammensetzung ausgewachsener Extremitäten bieten so unsichere, wenig prägnante Anhaltspunkte, dass einer subjektiven Deutung ein gar weiter Spielraum offen steht. Es wäre daher zu erwarten, dass auch in der Ontogenese der Haupt- strahl oder die Stammreihe sich früher anlegen oder in seiner Ent- faltung in irgend einer Weise von den Nebenstrahlen unterscheiden werde. Bei den nicht reducirten Gliedmaassen treten die vorknorpligen Anlagen für alle Finger nahezu gleichzeitig oder jedenfalls in so ge- ringen Zeitintervallen auf, dass letztere wohl kaum genügend sein dürften, einen Strahl als besonders in dieser Hinsicht ausgezeichnet zu charakterisiren. Die bisherigen Autoren gingen daher bei ihrer Be- urtheilung erst vom nächsten Stadium der Knorpeldifferenzirung aus, welches in schärferer, mehr markanter Weise zur Wahrnehmung ge- langt. Zur Entscheidung, welcher Strahl in seiner Entfaltung prävalirt, kann es auch nur ganz gleichgültig sein, ob man von der Vorknorpel- oder Knorpeldifferenzirung ausgeht; es kommt eben lediglich auf etwaige Differenzen der Entfaltung an. In nachfolgender tabellarischer Uebersicht habe ich für einzelne Thiergruppen und Species alle diejenigen Strahlen eingetragen, in denen sich zuerst Knorpelcentra ausbilden. Der erste Knorpel, welcher sich in einem Strahle zu differenziren pflegt, ist derMetacarpus undMetatarsus. In der Uebersicht beziehen sich daher auch die Notizen auf die Her- vorbildung der letzteren Abschnitte. Die Zahl deutet den Finger- strahl an, wobei ich von der Radial- resp. Tibialseite ausgehe. 1) Kükenthal 1889. S. 65, 66, Fig. 65, 68. 72 5 Strahlen Strahlen Dr. Ernst Mehnert. 3 Strahlen 2 Strahlen 1 Strahl Emys Säufifer Cari- nicht Cavia Cavia naten reducirt Hand Fuss Fuss Artio- Struthio dactylen Fuss Cari- naten Flütrel 1. 2. 3. 1 1. 2. 3. 4. 5. I 4. 5. 2. 3. 4. 5. 2. 3. 4. I 2. 3. 4. 3. 4. 3. 4, 4. 5. I (1.) 2. 3. Aus vorstehender Uebersicht erhellt zunächst, dass die Zahl der Finger, welche gleichzeitig verknorpeln, unter den Vertebraten eine durchaus verschiedene ist und zwischen 1 und 5 schwankt. Bei den nicht reducirten pentadaktylen Extremitäten verknorpeln alle fünf Finger gleichzeitig. 1) Ein sich hierbei besonders entfaltender Strahl tritt nicht entgegen. Bei der tetradaktylen Meerschweinchenhand finde ich vier, beim Fusse nur drei Knorpel. Die Zahl sinkt bei den reducirten Gliedmaassen von Struthio und der Artiodaktylen auf zwei. Eine gleiche Zahl erwähnt Goette bei Tritonen. Strassee allerdings be- tont, dass der zweite sich in manchen Fällen um ein geringes früher differenzirt, als der erste (S. 55). Nur im Vogel flügel verknorpelt in der Regel ein ein- ziger Strahl, allenfalls kann ihm auch noch an die Seite gestellt werden der zweite Strahl bei den Amphibien. Sollte etwa der Mittelstrahl der Vogelhand und die zweite Zehe der Auurenhand den gesuchten Hauptstrahl repräsentiren ? An und für sich Hesse sich gegen eine solche Deutung auch nichts einwenden, denn es ist wohl denkbar, dass bei einem Uebergaiige aus dem polyaktinoten Zustande in den pentadaktylen der Landthiere auch insofern Unterschiede eintraten, als in einer Gruppe der Reduktions- process mehr den einen, bei einer anderen den entgegengesetzten Rand betraf. Bei einer solchen Ansicht würden die Extremitätengliedmaassen der Land lebenden einander nur inkomplet homolog sein und das allen der- selben Gemeinsame wäre eben nur die numerische Uebereinstimmung der restirenden Strahlen, Aus einem ganz anderen Grunde scheint mir die Deutung des Mittelfingers als Hauptstrahl zum mindesten unwahrsclieinlich zu sein. Es müsste als sehr auffallend bezeichnet werden, wenn unter allen Gliedmaassen gerade der Vogelflügel noch die allerursprünglichste Ontogenese aufweisen würde, und alle anderen Gliedmaassen der Land- lebenden, sowie auch aller Kiemenathmer in ihrer Entfaltung caenoge- netisch abgeändert wären. Der Vogelflügel ist eine aus einer ontogene- ^) Auf g^erinofe Differenzen werde ich erst in einer dem nächst erscheinenden anderen Arbeit eingehen. Die Kainogenese. 73 tisch pentadaktylen Ausgangsform sich hervorbildende dreistrahlige Extremitätenform. Für gewöhnlich zeigen aber reducirte Extremitäten keineswegs ursprüngliche Ontogenien. Auch gegen eine Bezeichnung des zweiten Strahles der Amphibien- extremität als Hauptstrahl sind schwere Bedenken nicht ohne weiteres zu unterdrücken. Der zweite Strahl tritt nicht immer als erster auf. Nach der üeberzeugung Goette's ist der Unterschied in der Genese zwischen dem ersten und zweiten Strahl so minimal,^) dass er sich zu der Be- hauptung bewogen fühlt, dass beide gleichzeitig entstünden. Auch die ganze Art und Weise der Knorpeldifferenzirung, insbesondere aber die accelerirte Entfaltung des Metacarpus und Metatarsus bekunden keines- wegs primitive Verhältnisse, sondern verrathen einen einseitigen stark abgeänderten Typus (S. 57). Ausserdem gilt keineswegs für alle Amphibien die Regel, dass der zweite Strahl sich zuerst ausbildet. GoETTE -) selbst hat mitgetheilt, dass bei den Anuren gerade das Ent- gegengesetzte der Fall ist und sich bei ihnen zu allererst die ulnaren und fibularen Finger entfalten (S. 56). Bei Erwägungen aller dieser Eigen- thümlichkeiten dürfte es wohl wenig Zustimmung erfahren, wenn man gerade dem zweiten Strahle die Rolle eines Hauptstrahles zuerkennt (Goette). Vielmehr besitzen wir in der empirischen Erfahrung (S. 65 — 67), dass specifisch ausgebildete Organe sich accelerirter entfalten als minder entwickelte, sonst homodyname Skeletstücke einen Anhaltspunkt;, welcher es uns auch erklären kann, weshalb der am höchsten entwickelte Strahl der Vogelhand und die unter der Belastung speciell ausgebildete Zehe des Tritonenfiisses (S. 117, Fig. iV.i?.) sich auch accelerirter histologisch differenziren, als ihre Genossen. Auch bei der sonst sich ziemlich ursprünglich ausbildenden vor- deren Extremität der Landschildkröte lassen sich keinerlei Anhalts- punkte für eine Bestimmung des Hauptstrahls gewinnen. Der Mittel- strahl zeichnet sich keineswegs durch primitive Grösse aus. Alle drei mittleren Strahlenanlagen sind anfänglich gleich gross (Fig. 25). Die ursprüngliche Anordnung der Skeletknorpel bei der Emyshand lässt auch keinerlei durchgehende Längsreihen erkennen. Verlängert man die Achse des ersten Fingers proximalwärts, so geht dieselbe durch das Carpale I und Radiale in den Radius selbst über (Fig. F). Die Achse des fünften Fingers läuft in das Ulnare aus. Die Verlänge- rungslinie der Ulna weicht medial stark ab. Der Mittelfinger stützt sich auf das Intermedium. Die Richtungslinie des zweiten und vierten Fingers läuft nach aussen von je einem Centrale herab. Es dürfte ^) Goette hat diese Unterschiede als „nicht von Belang" bezeichnet. 1879 S. 44. «) Goette 1879. S. 246. 74 Dr. Ernst Mehnert. daher sehr schwer sein, zu entscheiden, zu welcher Strahlengruppe die beiden Centralia gehören. Hingegen prävalirt in allen Stadien, selbst in den frühesten Perioden schon die Gliederung in Querreihen (S. 59, 60). Nach Feststellung der Beobachtungen, dass einzelne Strahlen sich frühzeitig entfalten (Tabelle S. 72), erübrigt noch zu bestimmen, in welcher Reihenfolge die anderen Finger nachfolgen. Zu diesem Zwecke habe ich nachfolgende üebersicht zusammengestellt: a Säuger Cavia Hand Cavia Fuss Carinaten Fuss .2 ö <1 ^ 00 03 3 CO Ö C :3 ü Finger welche zuerst ver- knorpeln 1.2.3. 4. 5. 1.2.3. 4. 5. 2. 3. 4. 5. 2.3.4. 2.3.4. 3. 4. 3. 4. 3. Bleibende Finger Finger welche später ver- — — — — 1. 2. 5. 2. 5. 2. 4. knorpeln Regrediente Finger welche Finger. vorknorplig — — 1. 1. 5, 5. 1. 1. 1. 5. bleiben Zieht man die in der ersten Querreihe bezeichneten Finger in einen Vergleich zum ausgewachsenen Zustande, so ergiebt sich, dass schon auf dieser Primaerstufe der Verknorpelung der Strahlenabschnitte alle ausgebildeten Finger vorhanden sind. Daraus folgt, dass unter den bleibenden Fingern die nicht rudim entären zuerst verknorpeln. Die der zweiten Querreihe angehörigen Strahlen entfalten sich zwar bei den Embryonen zu Knorpel ; manche unter ihnen verknöchern Die Xainogenese. 76 sogar in ihren proximalen Komponenten (Nebenzehen des Schweines, Nebenfinger des Flügels , Metacarpus II des Straussenfusses) , sie ge- hören jedoch alle zu einer Gruppe von rudimentären , bisweilen bis zum gänzlichen Schwunde rudimentären Skeletstücken (Metatarsus V des Strausses). Die rudimentären Strahlen entfalten sich später als die konservativen oder progressiven. Zieht man hierbei noch besonders in Betracht, dass die vorknorpligen An- lagen aller Finger meist nur in relativ kurz bemessenen Intervallen aufzutreten pflegen,^) beim Strausse sogar nahezu gleichzeitig erfolgen (Fig. 50), so muss zugegeben werden, dass die grossen Zeitdifferenzen in der Verknorpelung der Strahlen nur Ausdruck sind für einen sehr verlangsamten Verlauf der Entfaltung, der nur sehr spät, in manchen Fällen erst gegen Ende der Embryonalperiode, zu dem Auftreten von Knorpelgewebe führt. Man darf daher sagen, die rudimentären oder überhaupt regressiven Finger strahlen zeigen eine ausgesprochene Verlangsamung ihrer histologischen D if f eren cirung. Eine Eetardation der Entfaltung kommt auch in allen anderen Skeletabschnitten vor und ist überhaupt ein typisches Kennzeichen für die Ontogenese aller rückgängigen Organe. Das Pisiforme, welches von allen Autoren als Ueberrest eines ulnaren Randstrahles gedeutet wird, legt sich sowohl bei Emys (S. 20, Ulnare externum), als auch nach den Angaben von E. Rosenberg ^) beim Menschen etwas später an als die übrigen Carpalia. Das Gleiche gilt auch für beide Centralia, sowohl carpi als auch tarsi der Landschildkröte (S. 18. S. 19) und nach E. Rosen- BERG '^^ auch für das Centrale des Menschen. Uebereinstimmende Befunde hat W. Kükenthal ^) bei einem 4 cm langen Krokodil gesehen. Der Carpus war noch nicht durchweg knorpelig differenzirt, speciell das breite, dem Radiale aufliegende, als Centrale bezeichnete Carpalstück ist noch eine einheitliche Bindegewebsmasse, in der erst Spuren vonKnorpel an drei Stellen wahrnehmbar sind." '^) Auch das Radiale externum der Schildkröte zeigt die gleiche Tendenz in seiner Entfaltung. Dasselbe ist nach der Deutung von E. Rosenberg *) ein „radiales Radienelement" und ist nach Erfahrungen desselben üntersuchers erst im „Beginn der Differenzirung'', ^) wenn alle anderen Carpalia bereits aus Knorpel bestehen. Ein analoges Skeletstück, welches von Elisa Norsa als Radiale bezeichnet wird, be- 1) E. Rosenberg 1876. S. 175. ^) E. Rosenberg 1876. S. 175. *) W. KÜKENTHÄL 1892. S. 44. *) E. Rosenberg 1891, S. 18. ">) E. Rosenbeeö 1891. S. 18. 76 -Dr. Ernst Mehnert. steht beim Hühnchen noch am neunten Tage aus einer: ,,masse cunei- forme de cellules mesodermiques''. ^) Ein sehr exquisites Beispiel der Coincidenz von Retardation und Rudimentärwerden bietet das In ter medium in der Reihe der Verte- braten. Bei Emys ist das Intermedium sehr gross, es ist ein selbstständiger Knorpel (S. 15), welcher auch selbstständig ossificirt. (Taf. I Fig. 18). Das Intermedium und das Intermediotibiale legen sich bei Emys früher an als Carpus und Tarsus (S. 15, 62). Das Intermedium des Strausses ist hingegen in allen Fällen, in denen es überhaupt noch zur Entfaltung gelangt, als durchaus winzig zu bezeichnen (Fig. 66). Es ist mir nicht gelungen, für dasselbe beim Strausse eine eigene Ossifikation zu finden. Seine Kleinheit, Inkon- stanz und der Mangel eines Ossifikationskernes deuten an, dass dieses Intermedium bereits regressive Bahnen eingeschlagen hat. Bei allen noch jungen Straussenembryonen war ich nicht in der Lage , dasselbe nachzuweisen (S. 33). Erst in der zweiten Hälfte der Embryonal- periode, wenn alle Carpalien schon aus ganz fertigem Knorpel be- stehen, tritt das Intermedium in Erscheinung als ein aus ganz embryo- nalem Knorpelgewebe bestehendes Skeletstück (S. 33 Fig. 66). Der intertars ale Sesamknorpel des Strausses entfaltet sich gleichfalls erst in sehr später Embryonalzeit (S. 26, 27). Die sehr umfangreichen, neuerdings von G. Thilenius publicirten Untersuchungen haben meine schon vor sechs Jahren aufgestellte Be- hauptung ^) glänzend bestätigt, dass auch alle rudimentären Stücke menschlicher Extremitäten sich retardirt entfalten. Thilenius giebt an, dass alle bei Embryonen noch zahlreich vorkommenden Sesam- knorpel und die überaus grosse Zahl der inkonstanten Carpalia in der vorderen Extremität des Menschen sich ausnahmslos später anlegen als die kanonischen Elemente. ^) Das allertypischste Beispiel lür die Retardation eines ganzen Organ es bietet die späte Anlage und exquisit langsame histologische Ausbildung des Weisheitszahnes. (Näheres S. 96, 97). Nicht nur einzelne Organe für sich, sondern auch grosse Or- gankomplexe in allen ihren Einzelkomponenten können sich retar- dirt entfalten, wie die Genese des Straussenflügels lehrte (S. 39, 40). Bei allen Vertebraten entfalten sich die vorderen Extremi- täten rascher und bilden sich früher aus als die hinteren Gliedmaassen. Bei Ratiten waltet das umgekehrte Verhältniss vor. Der Flügel folgt gleich von Anfang an sowohl in Bezug auf das Grössenwachsthum als 1) E. NoRSÄ 1894. S. 7. •) E. Mehnert 18i)l. Keimblätter S. 473. «) G. Thilenius 1895. 1896 a. S. 531. Die Kainogenese. 77 auch in Bezug auf seine histologische Differenzirung der hinteren Gliedmaasse nach. Es ist sogar unverkennbar, dass zwischen dem Grade des Reduktionsprozesses und dem Grade der Retardation eine gewisse Proportionalität herrscht. Der Straussenüügel besitzt im defi- nitiven Zustande noch drei deutliche, in ihren einzelnen Komponenten nachweissbare Strahlen. Er ist aus einer pentadaktylen Form ent- sprossen (Fig. 60), muss daher als eine entschieden reducirte Form aufgefasst werden. Bei Apteryx ist dieser Reduktionsprozess noch un- vergleichlich weiter geschritten ; mit Ausnahme ganz unbedeutender Reste ist nur noch ein einziger Finger, und zwar der Mittelstrahl, zurück- geblieben. Genau analog verhält sich auch die ontogenetische Ent- faltung. Beim wenig reducirten Straussenflügel ist die Differenz zwischen vorderer und hinterer Extremität in allen sechs Stadien eine sehr prägnante gleich grosse (S. 39 Tabelle), jedoch nur als eine massige zu bezeichnen, denn der ganze Unterschied zwischen beiden Gliedmaassen besteht jeweilig etwa nur in einer Etappe der Skeleto- genese. ünterfuss und Oberarm, Tarsus und Unterarm, Metatarsus und Carpus, erste Fussphalanx und Metacarpus u. s. w. differenziren sich etwa gleichzeitig. Ganz anders ist aber die Intensität der Retardation beim bedeutend reducirteren Apteryxflügel. Schon bei der ersten Anlage der Extremi- tätenknospen ist der Unterschied ein sehr in die Augen fallender. Die hintere Extremität bildet einen breiten, schön gewölbten Hügel, der Flügel ist nur eine ganz winzige Prominenz (S. 29), Der Fuss erreicht bald höhere Grade der Ausbildung, der Flügel hingegen zeigt bei dem- selben Träger in jeder Hinsicht eine noch unvergleichlich geringere Entfaltung (S. 37). Die Ontogenien des Straussen- und Ap- teryx flu gels lehren, dass zwischen dem Grade der phy- letischen Reduktion und dem Grade der Entfaltungs- energie bei den Nachkommen derselben Proportiona- lität besteht. Das interessanteste Beispiel von Retardation eines Skeletab- schnittes lehrt die Entfaltung des Wadenbeines beim Schafe. Es ist bekannt, dass die Fibula der Wiederkäuer bereits hohe Grade von Rückbildung erreicht hat. Das obere Endstück fehlt meist und ist nur noch in seltenen Fällen vorhanden. Die Diaphyse schwindet mehr oder ■weniger vollständig und wird nur noch bei jugendlichen Thieren durch das Ligamentum fibulare repräsentirt. Dagegen ist das untere End- stück des Wadenbeines als ein die ganze Lebenszeit von dem unteren Ende des Unterschenkelbeines getrennt bleibender kleiner viereckiger Knochen, das kronenförmige Bein (Schwab), Kronenbein (Müller) vorhanden."^) Bereits die Untersuchungen von C. Beuch 2) hatten festgestellt, 1) Leisering etc. 1890. S. 206. 2) C. Bruch 1863. S. 140. 7g Dr. Ernst Mehnert. dass die Fibula des Schafes sich als ein konünuirliches Gebilde anlegt, und dass beim erwachsenen Thiere das Fehlen des proximalen Endes und der Diaphyse erst sekundär zu Stande kommt. Die allerausführ- lichsten Angaben über die Ontogenese der Fibula hat erst Alexander Rosenberg gemacht. Er berichtet Folgendes: „Der Beginn der Diffe- renzirung der Fibula, deren proximaler Theil langsamer sich entwickelt und erst im Stadium V dieTibia erreicht, fällt ins Stadium I. Die Fibula ist ... . in ihrem distalen Antheil am stärksten ausgebildet." ^) Die Entfaltung der Fibula des Schafes lehrt, dass der proximale, später einer Reduktion unterliegende Theil sich langsamer hervorbildet als der distale bleibende Abschnitt. Diese von dem gewöhnlichen Schema stark abweichende Ontogenese liefert einen unanfechtbaren Be- weiss, dass selbst regressive Abschnitte von Skeletstücken einer Retardation unterliegen. Es ist schon seit sehr langer Zeit bekannt, dass die Differen- zirungen der ihrer äusseren Formerscheinung nach nicht wesentlich unterschiedenen Carpalia und Tarsalia bei den verschiedenen Species dennoch durch ganz besondere Eigenthümlichkeiten ihres Verlaufes ausgezeichnet sind. Es dürfte daher ein ganz specielles Interesse bieten, in einer tabellarischen Uebersicht die Verschiedenheiten der Ontogenien in der Reihe der Landlebenden vergleichend zu prüfen. Umstehende Tabelle zeigt die ganze Manigfaltigkeit der Ver- knorpelungsfolge unter den verschiedenen Species. Ein in allen Theil en durchgeführter Typus findet sich in der Skeleto- genese bei Luftathmern in keinem einzigen Falle. Ein Verlauf, wie er noch im Allgemeinen als der gesetzmässigste angesehen werden muss, findet sich bei Emys repräsentirt in der regelmässig distalwärts fortschreitenden Folge der Verknorpelungs- reihen (S. 15, S. 64). Ausnahmslos ist er nicht, denn zunächst- die Centralia, dann aber das Pisiforme und ganz zuletzt das Radiale externum hinken nach. Den nächst unverfälschtesten Typus sehen wir bei Struthio. Jedoch unter anderen das Intermedium und der inter- tarsale Sesamknorpel rangiren in die Reihe retardirter Organisationen. In allen höheren Klassen wird der Gesammteindruck der Skeletogenese noch alterirt durch die Acceleration progressiver Abschnitte , wie ins- besondere von Metacarpus und Metatarsus. Die ganze Scheckigkeit dieser Vorgänge wird aber in jeder Klasse und Species noch ins Ein- zelne vermehrt durch die für jede dieser Gruppen specifisch verschiedene Retardation der regressiven und rudimentären Gruppen und einzelnen Elemente derselben. Man kann sagen, dass im Allgemeinen die Ver- knorpelung bei nicht reducirten Gliedmaassen in Querreihen erfolgt, bei 1) A. Rosenberg 1873. S. 128. Die Kainogenese. 79 Triton, Hand Triton, Fuss Emys, Hand Ratiten, Flüffel Carinaten Flügel* Ratiten, Fuss Carinaten Homo, Fuss Hand** Carpale 1 +21) Basale commune Strässer Beide radialen Carpal- säulen^) Ulnare Carpal- säule ^) Tarsale 1 + 2>) Mittlere Tarsal- säule ^) Tibiale Tarsal- säule Fibulare Tarsal- säule ^) Inter- Carpalia') medium^) proxi- (Inter- malia medio tibiale) Radiale, Carpalia Ulnare distalia Carpalia Inter- distalia medium") Centra- lia,2)Pisi- forme Radiale exter- num ') Zwei Carpalia proxi- malia ') „Pisi- forme" ^) Car pale IIP) Car- pale II, IV + V*) „Cen- trale« ^) Tarsalia ^) Fibulare^)! proxi- malia Tarsalia Tarsalia distalia distalia Inter- Tibiale tarsaler^) Sesam- knorpel 4 + 6») Ulnare Carpalia 1, 2, 3, Centrale Radiale Inter- medium, Pisiforme Sesam- knorpel. Accesso- rische Knorpel ^) Stras- ser 1879 S. 287. '^) Sträs SER 1879 S. 280. ') Stras- ser eben- daselbst 1) Stras- ser 1879 S. 297. ^) Stras- ser 1879 S. 298. ') Stras- ser 1879 S. 299. ')S.15,62. ») S. 18. ') S. 17. ^) s. ao. 2) S. 33. 1) Elisa NORSA 1894 S. 4. 2) Elisa NoRSA 1894 S. 5. ^ Elisa NoRSA 1894 S. 6. *) Elisa NoRSA 1894 S. 7. f*) Am 9. Tage noch vor- knorplig. ^) S. 24. 2) S. 27. ^) Bauer 1882 S. 423. 1) E. Ko- senberg 1876, S. 175 u. f. 2) G. Thi- lenius 1895, S. 527, 531. * Elisa Norsa nimmt bei der Darstellung ihrer Befunde nur sehr wenig Rück- sicht auf die chronologische Reihenfolge der Entfaltungen. Insofern ich aus den allerdings nur wenig präcisen Ausdrücken „plus tard", „tres tot", „precocement" mir Vorstellungen bilden konnte, ergab sich vorstehende Reihenfolge. ** Vorstehende Gruppirung bezieht sich auf jene histologische Entfaltungsstufe der Carpalelemente, welche Emil Rosenberg bei einem menschlichen Embryo kon- statirt hatte. Morphologisches Jahrbuch Bd. I, S. 175 — 176. Poirier erwähnt bei einer von Henneöuy „präparirten Hand" (1886, S. 63 Fig. 18) nur Carpale 3 und 4 als knorplig. Alle übrigen Carpalia „ne sont pas encore indiques." (S. 63). 80 Dr. Ernst Mehnert. reducirten jedoch mehr der Eindruck von retardirten und accelerirten Längssäulen erweckt. Auch für die Differenzirung des Carpus und Tarsus berichten die Autoren über ., Säulen". (Triton und Salaraandra.) GoETTE hat bekanntlich die Hypothese zu begründen gesucht, dass der Hauptstrahl der Extremität durch den radialen resp. tibialen Rand derselben verläuft. ^) Eine solche Annahme findet etwa nur bei den Amphibien eine sehr unsichere Stütze (S. 72), denn auch bei diesen diffe- renziren sich nicht kontinuirliche Längsstrahlen, sondern zuerst nur Strahlen-Endabschnitte, die anfänglich noch durch den sich später ent- faltenden Carpus und Tarsus unterbrochen sind. Erst später durch die Differenzirung der letzteren Abschnitte werden zusammenhängende Strahlen gebildet. Das direkte Gegentheil der GoETTE'schen Hypothese findet sich realisirt in der ontogenetischen Prävalenz der ulnaren und fibularen Finger bei Anuren, ") und des ulnaren resp. fibularen Randes im Car- pus des Menschen und Tarsus der Carinaten. E. RosENREEG fand in frühen Stadien der Handentfaltung Ulnare und die drei ulnaren Carpalien (Carpale 3 und Carpale 4 und 5) „re- lativ am weitesten in der Entwictelung vorgeschritten". '^) Die beiden radialen Carpalien waren deutlich angelegt; das Radiale „erst aus einem dichten Gewebe bestehend". *) Ein ganz analoger Vorgang spielt sich beim Fusse des Hühnchens ab. Baue, berichtet: ,,Am klarsten war die Trennung (sei. beider Tarsalreihen) im fibularen Abschnitt bemerkbar."^) Das Fibu- lare differenzirt sich nicht nur zuerst, ^) sondern es verknorpelt auch zuerst.') ,,DasTibiale differenzirt sich später wie das Fibulare, und zwar beginnt die Verknorpelung an seinen äusseren „Abschnitten". Bei den übrigen Vertebraten sind die Abweichungen noch grösser, und es lassen sich folgende fünf Gruppen unterscheiden je nach der Region, in welcher sich zuerst Carpal(Tarsal)elemente zu Knorpel difi"e- renziren. ') A. GoETTE 1879. Insbesondere Fig. 46 — 48. 2) A. GoETTE 1878 a. S. 246. 3) E. Rosenberg 1876. S. 175, 176. *) E. Rosenberg 1. c. S. 176. *) G. Baue 1883. S. 423. «) G. Baür 1. c. S. 426. ') G. Baue 1. c. S. 425. Die Kainogenese. 81 Proximaler Abschnitt Distaler Abschnitt Radial- (Tibial-) Seite Mittlere Ulnar-(Fibular-) Partie Seite Emys beide Extre- Triton, Sala- Vordere Extre- Mediale Tarsal- Huhn, Fuss. mitäten. mandra mitäten von Tri- säule bei Triton. (Fibulare), Bahr Struthio beide Ex- („Basale commu- tonen und Sala- Strasser, 1877, Homo. tremitäten. Carinaten. (Zuerst Fibulare, später zweite Tar- ne") Strässer. Homo. (Carpale 3 ü. 4) POIRIER mandra. GoETTE, Strasser. S. 228. (Carpale 3 und 4 + 5). E. B,OSENBERG. salreihe) Baur. Vorstellende Zusammenstellung zeigt, dass der Be- ginn des Verknorpelungsprocesses nicht strenge an eine bestimmte Region gebunden ist, sondern in einem jeden Ab- schnitte auftreten kann und entweder mehr das Centrum, bald die proximalen und distalen, bald mehr den medialen oder lateralen Rand- abschnitt betrifft. Diese grossen Differenzen beweisen wohl genügend, wie ungerechtfertigt es ist, wenn einzelne Ontogenien ohne jede Reser- vation als unbedingte Ahnenform hingestellt, und oft ein einzelnes Sta- dium einer einzigen spezifisch gefärbten Species sofort ins Phylogenetische übersetzt wurde. Jedoch dürfen alle diese Variationen keineswegs als Kainogenese im Sinne der älteren Autoren oder als Fälschungen der Ontogenien bezeichnet werden. Alle Variationen der Ontogenien sind zeitliche Variationen. Sie sind alle ein unmittelbarer gesetz- mässiger Ausfluss der Phylogenese einer jeden Einzel- form, insofern als eine jede embryonale Retardation oderAcceleration eine direkte Folge phyletischer Re- gressivität oder Progressivität ist. (S. 77.) Speciell die in ihrer Entfaltung retardirten Skeletstücke sind Ele- mente, die in der Stammes-Phylogenese ihre Rolle ausgespielt haben und in der individuellen Phylogenie nur noch auftauchen in Folge von Vererbung und sich auf diese Weise durch die Reihe der Generationen hindurchschleppen (S. 121). In der Jetztzeit hat der Reduktionsprocess folgende Gruppen von Extremitätenskeletstücken ergriffen: I. Unterarm und Unterschenkel: Fibula. Ulnare antebrachii und Intermedium antebr. (Thilenifs); Os Daubentonii u. Camperi (Kohlbrügge). II. Carpus und Tarsus: Intertarsaler Sesamknorpel beim Strausse. Interraedium des Strausses (Mehnert). Intermedium der Carinaten (Elisa Noksa). Centralia der Anuren (R. Wiedersheim, G. Baur). Centrale des Menschen (E. Rosenberg, Henke und Reyher, Leboucq, Thilenius). Centralia carpi von Emys (E. Rosenberg, Mehnert). Centralia tarsi von Emys (Mehnert). Centralia des Kro- Morphülog. Arbeiten hrsg. t. G. Schwalbe. VIL " 82 Dr. Ernst Mehnert kodils (W. Kükenthal). Centralia der Cetaceen (Leboücq, W. Küken- thal). Carpalia der Vögel (Gegenbaur, A. Eosenberg, Elisa Noesa, Mehneet). Tarsalia der Vögel (Gegenbaue. G. Baue, Alice Johnson, Mehnert). Accessorische Elemente des menschlichen Tarsus : Trigo- num (Baedeleben). Os sustentaculi, Calcaneus secundarius, Tihiale externum, Cuneiforme I bip., Peroneum, Intertarsale, Vesalianum (Geuber Pfitzner). Accessorische Elemente des menschlichen Carpus: Navi- cularebipartitum,Epilunatum, Hypolunatum, Epipyramis, Paratrapezium, Praetrapezium, Trapezoides bipartitum, Trapezoides secundarium, Styloid, Metastyloid,Parastyloid,Capitutumsecundarium,OsGruberi(\V. Pfitzner), Centrale I — IV, Carpo-metacarpale II — III (G. Thilenius). III. Rudimentäre Randstrablen. Pisiforme (Gegenbaue). Pisiforme bei Emys (Mehneet). Pisiforme secundarium, Os hamuli proprium (W. Pfitznee). Radiale externum des Menschen (Henke u. Reyhee, Pfitzner). Radiale externum bei Säugethieren (Bardeleben). Radiale externum bei Amphibien (Emery). Radiale externum bei der Landschildkröte (E. Rosenberg, Mehnert). IV. Rudimentäre Randfinger (I. und V. Strahl) : Schwinden am Flügel und Fuss sowohl bei Ratiten als Carinaten. V. Rudimentäre Neben finger (II. und IV. Strahl) : Schwin- den beim Flügel von Apteryx nahezu gänzlich. Erhalten sich bei den Extremitäten der Artiodaktylen meist nur in ihrem Metatarsus- und Metacarpusabschnitte. Persistiren nur im verkleinerten Maasstabe in den Nebenzehen bei Schweinen, Straussen, Rennthieren, Marsupialiern u. s. w. Unterschiede zwischen regressiver und progressiver Skeletentfaltunsi-. Bei der Durchführung vorstehender Arbeit hatte ich genugsam Gelegenheit, oft in einem und demselben Schnitte retardirte regressive mit accelerirten progressiven Skeletstücken vergleichen zu können. Ich bin daher in der Lage gewesen, die differenziellen Unterschiede für beide Entfaltungsarten zu präcisiren, zu deren Beschreibung ich jetzt übergehe. Schon bei der ersten nachweisbaren Diflferenzirung bestehen Unter- schiede. Bei der pentadaktylen Hand der Schildkröte sind die beiden Randstrahlen nur um ein Geringes kleiner als die Mittelfinger, und bei der Katzenhand sind vier Finger nahezu gleich gross. (Fig. 69.) Die regressiven Finger hingegen sind schon bei ihrer Anlage kleiner, oft nur halb so gross wie die bleibenden Finger (Fig. 60, 61, Straussenfuss ; Fig. 71, Rind; Fig. 72, Schaf; Fig. 73, Schwein; Fig. 74; Kaninchen; Fig. 75, 76, Huhn). Eine Retardation der Entfaltung wird schon in der ersten Phase Die Kainogenese. 83 dadurch kund, dass die regressiven Elemente sich um ein geringes später gegen ihre Umgebung abgrenzen. Die bleibenden Finger können z. B, bereits scharf abgegrenzte Zellensäulen sein, indess die aus dem gleichen kleinzelligen Gewebe sich zusammensetzenden regressiven Randstrahlen noch sehr verschwommen in ihren Kon- touren sind. Ein jeder Fingerstrahl ist schon im Vorknorpelstadium von einem dichten Gefässnetze bienenkorbartig umsponnen (S. 86). Die Anlagen der rudimentären Nebenstrahlen entbehren eines gleichen Gefässnetzes nicht; jedoch ist dasselbe bedeutend weniger ausgeprägt. Die Capillar- maschen sind nicht so dicht. Die Gefässdurchschnitte sind winzig klein ; kurz, die Vascularisation ist bei regressiven Strahlen entschieden weniger ausgebildet und geht schliesslich bei stärkeren Graden der Reduktion ganz zurück. Das Längen- und F lachen wachsthu m tritt bei den bleibenden Skeletstücken frühzeitiger ein und verläuft rascher. Ein minder energisches Wachsthum zeichnet sich auch durch charakteristische Unterschiede gegenüber dem rascheren Wachs- thume aus. Bereits Strasser (1879) hat bewiesen, dass die ovalen Bisquit- und Klöppelfiguren der Knorpelkerne und die dunklen ver- dichteten Gewebsmassen auf mechanischem Wege durch den ener- gischen Wachsthumsdrnck erzeugt werden. Derartige eigenthüm- liche Bildungen finde ich jedoch unter meinen Präpa- raten nur in der Ontogenese der bleibenden Skeletstücke. Es ist anzunehmen, dass in den langsamer sich entfaltenden Stücken der gegenseitige Druck, den die einzelnen Zellelemente gegen- einander ausüben, auch geringgradiger sein wird als in den rasch wachsenden Skeletterritorien. Diese Voraussetzung finde ich dadurch bestätigt, dass ich in den lockergefügten regressiven Anlagen weder er- hebliche Zellabplattungen noch etwa die sogenannten dunklen prochon- dralen Elemente nachweisen kann. Derartige Befunde bestätigen auf das Glänzendste die von Strasser aufgestellte Hypothese, dass die oben erwähnten Zell-, Kern- und Protoplasmadeformationen nicht wesent- liche, sondern nur accessorische, durch mechanisch ungünstige Verhält- nisse hervorgebrachte Erscheinungen des Chondrifikationsvorganges sind. Alle regressiven Organe schreiten nur langsam in ihrer histologischen Diff erenzirung vorwärts und bestehen lange Zeit aus einem lockeren Gefüge indifferenter kleiner Zellen. Spät setzt der Verknorpelungsprocess ein, ebenso spät wird dieser Zustand überschritten. Bei regressiven Skeletstücken scheint eine Verspätung des Verknöcherungsprocesses durchgehende Regel zu sein (späte Ossi- fikationen in den Carpalien des Menschen). Bei Beginn des Reduk- tionsprocesses ist die Entfaltung nur eine retardirte (Fibula des Men- schen, Nebenzehen des Schweines). Bei etwas höheren Graden der Re- 6* 84 i^r. Ernst Mehnert. duktion bleibt der Verknöcherungsprocess ganz aus (Hypoischium, Epipubis bei manclien Reptilien. Beutelknorpel bei einigen Marsu- pialiern). Noch hinfälligere Skeletstücke bilden nicht einmal rich- tigen hyalinen Knorpel. Nur Spuren von Knorpelintercellularsubstanz sind noch nachweisbar (Phalangen der zweiten Zehe des Straussen- fusses). Die am meisten rudimentären Skeletelemeute überschreiten das Vorknorpelstadium überhaupt nie. (Erste Zehe des Vogelfusses. Dau- men der Ungulaten. Fünfter Finger des Straussenflügels.) Ueber die Agenesie von Skeletstücken werde ich erst weiter unten zu berichten haben. Zunächst will ich den Verlauf des eigentlichen Rückbildungsganges schildern. Er wird beim Knorpel eingeleitet durch Schwund seiner Intercellularsubstanz. Die Zellen, welche bereits die characteristichen Eigenschaften vonKnorpelzellen gewonnen hatten, nehmen in ihren späteren Derivaten wieder die Gestalt von ganz indifferenten Zellen an. (Metatarsus quin tus des Strausses. Fig. 65, 5.) Tritt dieser Process sehr frühzeitig ein, wenn die Abgrenzung noch keine scharfe war, so besteht die Möglich- keit, dass die rudimentären Stücke mit dem Perichondrium der wachs- thumskräftigeren Nachbarn verschmelzen. (Bei Carpalien des Menschen von Thllenius beobachtet 1895.96). Durch einen solchen Anschluss kann ein rückgängiger Abschnitt noch längere Zeit als Fortsatzbildung eines kanonischen Elementes weiterpersistiren. (Von Pfitznee, bei zahlreichen accessorischen Stücken des Carpus und Tarsus beobachtet. Leboücq, Thilenius. Carpalia und Tarsalia der Vögel u. s. w.). Beim ontogenetisch späteren Beginne des Rückschrittes zeigt das Perichondrium zumal in seinem äusseren rein fibrillär bindegewebigen Theil die grösste Persistenz. Die axiale Zellenmasse kann nahezu gänzlich schwinden, der Bindegewebsmantel jedoch selbst im postfetalen Leben lange Zeit hindurch weiter vegetiren. (Ligamentum fibulare des Schafes. Ligamentum claviculare bei Raubthieren. Ligamentum raetatarsale V bei Struthio. Ligamentum hypoischium, Ligamentum medianum pelvis bei Reptilien, Ligamentum stylohyoideum u. s. w.) Wenn ein Organ so weit rudimentär geworden ist, dass es gar nicht mehr zu einer sinnesfälligen Wahrnehmung kommt, so wird es nach dem Vorschlage von Alexander Rosenberg als agenetisch be- zeichnet. Ein sehr prägnantes Beispiel hierfür liefern die entschieden regressiven Extremitäten von Proteus. Wiedersheim ^) sah bei den Embryonen nie mehr als zwei Zehen. Auch der fünfte Finger der Tritonenhand scheint bereits der Agenesie verfallen zu sein. Viele regressiven Skeletstücke sind in ihrer Entfaltung sehr va- riabel. Manchmal persistiren sie durch das ganze Leben; in anderen Fällen ist ihre Entfaltungsenergie früher erschöpft und sie gehen ver- ^) Wiedersheim 1892. S. 199. Die Kainogenese. 85 schieden rasch zu Grunde. Aus diesem Grunde führen sie in der Literatur die Bezeichnung von inkonstanten Skeletstücken. Bisweilen sind sie so wenig scharf ausgeprägt, dass man an ihrer Existenz über- haupt zweifeln kann. Nicht selten fehlt jede Spur von ihnen. ^) We- nigstens nur durch eine solche Annahme kann ich die verschiedenen widersprechenden Angaben in der Literatur erkLären. Alexander RosENBERG -) hatte bei Schweinen aus der Umgebung Dorpats keine Anlage eines ersten Metacarpale gefunden. Baur ^) berichtet aus Amerika, dass er in einer besonderen Falte bei einer Schweine- extremität „ein dunkel tingirtes Gewebe" sieht, welches er einem Meta- carpale I homolog setzt. Morse ^) fand beim Hühnchen kein Meta- tarsale V, Baur^) hingegen hatte es bei allen untersuchten Objekten nachgewiesen. Alexander Rosenberg ^) bezeichnete das Metatarsale V beim Sperling als wahrscheinlich agenetisch. Baur ^) hingegen ist der Nachweis für dieselbe Species gelungen. Alle älteren Autoren be- schreiben am Vogelflügel nur eine geringe Zahl von Fingeranlagen. Elisa Norsa ^) hat sich bei zahlreichen Carinaten, ebenso wie ich bei Ratiten und anderen Flugvögeln, von der Existenz von fünf Fingern überzeugt. Viele Autoren, welche die Vorknorpelanlagen von Skeletstücken beschrieben haben, erwähnen ganz ausdrücklich, dass dieselben sich nicht mehr scharf abgrenzen Hessen. Es dürfte daher geboten sein, die Frage zu erörtern, ob auch einer diffusen kleinzelligen Gewebsverdich- tung — wenn sie sich in der späteren Ontogenie nicht mehr zu einer höheren Stufe der geweblichen Entfaltung aufschwingt — noch der morphologische Werth eines Skeletstückes zukommt. In manchen Fällen, zumal bei histologisch nicht genügend fixirten und differenzirten Präparaten, kann diese Beantwortung auf gewisse Schwierigkeiten stossen. Bei richtig vorbehandelten Objekten (S. 42, 87) giebt es jedoch ganz untrügliche Anhaltspunkte, welche ein jedes Verkennen ausschliessen. Ob ein vorliegender kleinzelliger Gewebsklumpen z. B. die Anlage eines Fingers repräsentirt, hängt in erster Linie von seiner Lagebe- ziehung zu anderen sicher zu bestimmenden Nachbarorganen ab. Spe- ciell für die Homologisirung von Fingeranlagen sind wir in der glück- lichen Lage, in den interdigitalen Gefässen ein System von untrüglichen Orientirungslinien zu besitzen. ^) Ueber die causale Begründung einschlägiger Variationen. S. 137. ^) Alexander Rosenberg 1873. S. 122. 3) Gustav Bahr 1884. S. 598. *) Morse 1883. 5) Baur 1883. S. 425. «) Al. ßoSENBERG 1873. S. 155. ') G. Bätir 1883. S. 425. 8) E. Norsa 1894. S. 6. 86 Dr- Ernst Mehnert. Die grundlegenden Untersuchungen Hochstetter's haben gezeigt, dass bereits in sehr frühen Stadien der Extreraitätenentfaltung vier interdigitale Gefässe oder Gefässbündel bestehen^), welche sich auf dem Wege der Capillarverzweigungen in die Randvene ergiessen ^). Die drei mittleren Finger liegen zwischen diesen Gefässen. Die beiden Randfinger grenzen nach aussen an die beiden Schenkel der Randvene, nach innen an die äussersten Interdigitalgefässe. Diese Lagebeziehung der Finger zu den Gefässen ist eine so typische, dass eine Homologi- sirung der Fingeranlagen bei wohl konservirten Objekten durchaus nicht schwierig ist. Als Beispiel führe ich folgenden Fall aus der Literatur an. In einem von Stkassee *) abgebildeten Schnitte liegt im fibularen Randwulste ein noch ziemlich diifus vorknorpliger Zellen- klumpen. Derselbe wird durch ein interdigitales Gefäss perforirt, welches mit Leichtigkeit schon auf dieser Stute der Anlage gestattet, die vierte und fünfte Zehe auseinander zu halten. Aus den Untersuchungen von Hochstettee hat sich ferner er- geben, dass eine jede Fingerachse auch von einem tj'pischen Gefäss- netze umsponnen ist. ^) Dies Capillarnetz bietet ein weiteres Kriterium zur Bestimmung von Fingeranlagen. Der Begriff eines kleinzelligen verdichteten Gewebes, in welcher Form sich alle Skeletstücke heraus- differenziren, ist ein relativer, kann daher auch, wie es thatsächlich der Fall ist, von Seiten einzelner Untersucher einer verschiedenen Auffassung unterliegen. Deshalb scheint es mir bei dem Aufsuchen von Fingeranlagen in erster Linie auf die untrüglichen Zeichen der Gefäss- vertheilung anzukommen. Eine jede an typischer Fingerstelle gelegene gefässlose Gewebesäule, die von einem regulären Fingercapillarnetz umsponnen ist, muss meines Erachtens ohne eine jede weitere Rück- sicht auf ihre bisweilen noch geringe histologische Differenzirung, schon als eine Fingeranlage oder wenigstens als Homologon einer solchen gedeutet werden. Ebenso wie auch die einzelnen Fingerstrahlen sind auch die Ele- mente des Carpus und Tarsus, noch bevor in ihnen Spuren von Knorpelintercellularsubstanz nachweisbar sind, bereits als scharf ab- grenzbare dicht gefügte Zellenklumpen zu erkennen. Dieselben sind erst von neueren Untersuchern richtig gewürdigt worden und waren von früheren Autoren bisher nur gering geschätzt. Es ist dieses durchaus nicht gerecht- fertigt gewesen, denn auch dievorknorpligenCentrirungensind ebenso wie die späteren knorpligen und knöchernen *) HOCHSTETTER 1891, S. 1—44. *) HOCHSTETTEB 1. C, S. 7. •) Näheres auf S. 12, 43, 44. *) Steasser 1879. Fig. 6. ») HocHSTETTEB 1. c. S. 7. Taf. I, Fig. 9—14, Taf. III, Fig, 3 a -8 b. Diß Kamogenese. 87 Centrirungen nur verschiedene histologische Differen- zirungsgrade der allgemeinen Skel etogenese. Es bekundet nur ein geringes morphologisches Verständniss, wenn erst der Nachweis von Knorpel verlangt wird zur Charakterisirung eines Skeletstückes. Bei einer richtigen Vorbehandlung ist ein jedes vorknorplige centrirte Wachsthumscentrum mindestens ebenso leicht zu erkennen und von der Umgebung zu unterscheiden, wie ein erst be- deutend später auftretendes Verknorpelungscentrum. Es ist nur er- forderlich ein histologisch tadelloses Material, Haeraotoxylinfärbung (S. 42, Aum. 2). Nicht zu dünne Schnitte sind von Vortheil, damit solche Centra schon mit blossem Auge oder schwacher Lupenvergrösserung auch dem Anfänger kenntlich werden. Die Hervorbildung von „Knorpel" ist keineswegs ein Zeichen von „Anlage" eines Organes, wie einzelne von den Autoren zu sagen pflegen.^) Der Verknorpelung gehen viele äussert scharf abgrenzbare Vorstufen der histologischen Ausbildung voraus. Bei Zugrundelegung der STRASSEß'schen Untersuchungen ^) für die ersten Stadien lassen sich folgende Phasen der Skeletogenese unterscheiden : A. Determinant des Skeletsystems in der ersten Furchungs- zelle eines jeden Keimes. B. Indifferente Gewebsstufe- Grosse Kerne, reichliches Protoplasma. C. Vorknorpelstufe: a) Zellreiche Gewebsmasse: Kleine Kerne, spärliches Protoplasma ; b) Geringe Abplattung der Zellen; c) Extreme Abplattung der Zellen. d) Protoplasma und Zwischensubstanz gewinnen die Fähigkeit, sich durch Haematoxylin specifisch zu färben. D. Chondrogenese: Einzelstadien. E. Osteogenese: Einzelstadien. F. Senile Involution: a) Altershalisterese: Senile Osteomalacie. b) Senile Zerklüftung der coUagenen Grundsub- stanz: Senile Brüchigkeit der Knochen. G. Erlöschen der Regen erationsfähig keit der Zell- elemente. ^) Die bisher so häufig eingehaltene Gewohnheit, der Bezeichnung eines embryonalen Knorpels als „Anlage" beruht auf einer durchaus unstatthaften Un- exaktheit der Ausdrucksweise. Die Anlage eines Organes sind seine in der ersten Furchungszelle des betreffenden Keimes vorhandenen Determinanten. Alle histo- logischen Umänderungen, zu denen auch als eine erst spät eintretende Erscheinung die Verknorpluns gehört, sind nur verschiedene Phasen der Entfaltung dieser Determinantenanlagen. 2) Strasseb 1879. S. 244—310. 88 - I^r« -Ernst Mehnert. Die in vorstehender Uebersiclit vorgeführte Ausbildung des Stütz- systemes, welche in der Oiitogenie eines jeden beliebigen höheren Skeletstückes vor sich geht, ist ein deutlicher Beweis dafür, wie grosse Umwandlungen dasselbe in der Phylogenese erfahren hat. Zieht man weiterhin in Betracht, dass sowohl die Chondrogenese, als auch die Osteogenese in eine grössere Zahl überaus leicht aus einander zu hal- tender Stufen zerfällt, so muss ohne weiteres zugegeben werden, dass kein einziges anderes Organ in Bezug auf Mannigfaltigkeit der geweb- lichen Entwickelung sich dem Skeletsystem irgendwie an die Seite stellen kann. Gerade diese scharfe Abgrenzbarkeit , von zahlreichen, wohl charakterisirten Perioden, machte es mir allein möglich, den in vorliegender Arbeit geführten, strikten Beweis von gesetzmässigen zeit- lichen Variationen zu liefern. Ueber Acceleratioiien und Ketardatioiicii der Ursegment- koiiipon eilten. Es ist dem scharfsinnigen Beobachter K.E.v.Baer^) nicht entgangen, dass der erste sogenannte Urwirbel nicht auch der erste bleibt, wie es später Remak glaubte, sondern dass sich vor demselben in späterer Zeit andere Segmente ausbilden. Die früheren Autoren unterschieden blos drei oder vier Kopfurwirbel. Hingegen fanden in neuerer Zeit VAN WiJHE -) bei Pristiurus und Scyllium 9 , Dohen ^) bei Torpedo marmorata 12 — 15; Killian'') zählt bei Torpedo occellata sogar 17 bis 18 Segmente des Kopfes. Alle Autoren , welche die Ontogenese der Kopfsegmente geprüft haben, stimmen bedingungslos darin überein, dass sie sich stets später dijfferenziren als im Rumpfe. In ihren Leistungen stehen sie den letz- teren nicht nach, insofern sie auch Sklerotomdivertikel besitzen und wenigstens auch die distalen eigene Myotomabschnitte aufweisen, welche die Augenmuskeln liefern.^) Insbesondere hat van Wijhe die Gleichwerthigkeit von Kopf- und Rumpfsegmenten gefolgert aus ihrer analogen Lagerung und ent- sprechenden Beziehungen zu gewissen Nerven. Gegen diese Anschauung hatte zuerst Rabl Opposition erhoben und behauptet, dass nur die fünf distalen Kopfsomiten ihrer Ent- stehung nach als Urwirbel anzusehen sind, dass jedoch die vor den- ^) K. E. V. Baer 1828. S. 18. ^) VAN WijHE Dissertation 1882. 3) DOHRN 1890. *) KiLLlAN 1891. *) K. E. V. Baer1827. Balfour 1878. Marshall 1881. van Wijhe 1882 1886 a, b. DOHK» 1890. HARTWIG 1890. Oppel 1890. Killiän 1891. Rabl 1892. Maurer 1892. Die Kainogenese. 89 selben gelegenen Segmente „kaum eine entfernte Aehnliclikeit mit der Bildung der Urwirbel zeigen." ^) Maurer kam bei seinen Untersuchungen über den Axolotl zu einem ähnlichen Ergebnisse und stellte fest, „dass die Verhältnisse der Differenzirung des Kopfmesoblastes noch in weiterer Beziehung ver- schieden sind von der Differenzirung des Rumpfmesoblastes als das Rabl bereits nachgewiesen hat. Die Ansicht, dass wir in den Kopfsegmenten andere Gebilde vor uns haben, als in den Urwirbeln erhält hierdurch eine weitere Stütze," -) Maurer präcisirt die von ihm für wesentlich gehaltenen Unterschiede zwischen Bumpf- und Kopfsomiten in fol- genden Sätzen: „Am Urwirbel sehen wir ganz gleich massig d ie Differenzirungen Platz greifen; in demMaasse, als sich das Sklerotomdivertikel selbstständig macht und seine Zellen sich zu Binde- gewebszellen differenziren , die als solche noch indifferent sich ver- halten, bilden sich nicht nur die Zellen des Cutisblattes in gleicher Weise aus, sondern auch die Elemente des Muskelblattes bilden sich in eben derselben Zeit zu Muskelzellen heran. Ganz anders im Vorderkopf. Hier finden wir Bindegewebe aus Zellen mit verästelten Fortsätzen bestehend, somit als solche noch indifferent, im Vergleiche zu den Zellen eines noch nicht weiter differenzirten Urwirhels aber be- reits sehr hoch diiferenzirt zu einer Zeit, wo die Urwirbel hinter dem Gehörbläschen noch in ganz indifferentem Zustande bestehen. Da- gegen ist um diese Zeit Muskelgewebe im Vorderkopf noch nicht ge- bildet. Wenn nunmehr die Rumpfsomiten hinter dem Gehörbläschen sich weiter differenziren, so finden wir in einem Stadium, in wel- chem die Muskelplatte der Urwirbel schon reichlich kontraktile Fibrillen führende Muskelfasern zeigt, noch keine Spur von Muskelfasern im Kopfe. Letztere Muskulatur bildet sich bei den Urodelen vielmehr erst zu der Zeit, wann die sekundäre Rumpfmuskulatur, wie ich früher schilderte, zur Entwickelung kommt. Es stellt sich somit die zeitliche Folge der Differenzirungen von Muskel- und Bindegewebe im Kopfe ganz anders dar, als im Rumpfbezirke der Embryonalanlage." ^) Im vorstehenden Passus giebt Maurer selbst ungeschminkt zu, dass die Differenzirungsprodukte von Kopf- und Rumpfsomiten die gleichen sind, nämlich „Muskel- und Bindegewebe." Nur die zeitliche Aufeinanderfolge ist in der Differenzirung beider Gewebsarten eine unterschiedliche. Im Rump f Segmente erfolgt sie gleichzeitig, in den Kopf Segmenten un gle i chzei ti g. Zeitliche Unterschiede in der Differenzirung bedeuten nach den 1) Rabl 1892. Theorie I. S. 233. 2) Maurer 1892. S. 332. 3) Ma-ürer 1892. S. 232. 90 Dr. Ernst Mehnert, bei Skeletstücken gemachten Erfahrungen noch keineswegs eine Ver- schiedenartigkeit derselben. So verknorpelt z. B. das Intermedium bei der Schildkröte etwas früher wie die Carpalia; beim Strausse hin- gegen tritt es erst als überhaupt allerletztes Element in Erscheinung, ohne dass wir hierdurch berechtigt wären , seine durch die gleiche Lagebeziehung gesicherte Homologie deswegen in Frage zu ziehen, i) Das gleiche Lagerungsverhältniss von Kopf- und Rumpf Segmenten zu Chorda, Medullär- und Darmrohr, Ektoderra und Enteroderm, insbesondere aber auch die in den gleichen Deri- vaten sich äussernde gleiche p hysi ologisc he Leistungs- fähigkeit scheint mir eine Homodynamie beiderGruppen absolut zu sichern. Die verschieden rasche gewebliche Differenzi- rung einzelner ihrer Abschnitte dürfte für die Beantwortung ihrer Werthig- keit ebenso irrelevant sein, wie etwa die verschieden rasche Entfaltung homologer Skeletstücke oder der Zahnanlagen (S. 54). Es erübrigt nur noch, jetzt Anhaltspunkte zu gewinnen, welche im Stande wären , genügende Auskunft darüber zu geben , weswegen der Differenzirungsprocess von Skierotomen und Myotomen bei den Kopf- segmenten verschieden rasch fortschreitet. Bei einer solchen Beurthei- lung dürfen zunächst auch nur die für Skeletstücke geltenden allge- meinen gesetzmässigen Relationen in Frage kommen. Es muss daher entschieden werden, ob der durch eine auffällig langsame histologische Differenzirung markirte Myotomabschnitt der Kopfsegmente etwa auch mit einem Reduktionsprocess in Zusammenhang gebracht werden kann. Eine derartige Voraussetzung findet in der Ontogenese der Myo- tome ihre direkte Bestätigung. Nach den Angaben von Killian wachsen bei Torpedo ocellata die Myotome des Kopfes nur bis zum Stadium F von Balfoue. Sodann stellen sie ihr Wachsthum ein oder „wachsen nur sehr wenig. "^) Die Höhlung geht Terloren und ein Myotom verwandelt sich in ein un- scheinbar esZellhäufc he n, „welche sich nur durch ihre Lage als Reste von Myotomen zu erkennen geben." Der eklatanteste Hinweis auf ihren Reduktionsprocess besteht aber in der Erscheinung, dass sie nicht immer Muskeln liefern, sondern sich in Mesenchym auf lösen." ") Alle, die eben erwähnten Erscheinungen bestätigen, dass die meisten Myotome des Kopfes stark regressive Abschnitte sind. Es dürfte daher auch gar nicht auffallend sein, wenn die regressiven Muskel- organe mit den regressiven Skeletstücken darin übereinstimmen, dass ^) Born 1876, Thilenius 1896 a, S. 526, 528, 531. ^ KiLUAN 1891. S. 97. Die Kainogenese. 91 sie eine gleiche Verlangsamung in ihrer histologischen DifFerenzirung zeigen. Letzteres giebt sich in deutlicher "Weise dadurch kund, dass bei denjenigen Myotomen des Kopfes, welche überhaupt noch Muskel- gewebe produciren , diese Stufe der Entfaltung nach den eigenen An- gaben von Maurer erst später eintritt, als in den nicht regressiven Rumpfsegmenten. Gleiche empirische Anhaltspunkte lassen sich auch erweisen, welche im Stande sind die frühzeitigere Ausbildung der Skierotomabschnitte der Kopfsegmente gegenüber den Rumpfsegmenten zu erklären. Nach den Angaben von Killian nehmen bei Torpedo ocellata die Sklero- tomanlagen des Kopfes „nach vorn relativ an Grösse zu." ^) Diese Grössenzunahme der Skierotomabschnitte deutet eine mehr accentuirte progressive Ausbildung dieser ßindegewebskeime der Kopfregion an. Damit steht aber auch die Beobachtung von Maurer ganz im Ein- klänge, dass diese progressiven Abschnitte sich auch besonders rasch in histologischer Beziehung entfalten. Von allen Untersuchern wird ganz übereinstimmend zugegeben, dass die Kopfsegmente sich etwas später differenziren, als die des Rumpfes und ausserdem manche von ihnen etwas verwischt bleiben. In Folge dessen ist es auch oft sehr schwierig, und kann individuellen Auf- fassungen unterliegen, zu entscheiden, wie viel Segmente in einem ge- gebenen Falle vorhanden sind. Zieht man in Betracht, dass eine ver- spätete Differenzirung, späte Abgrenzbarkeit und verwischte Kontoureu ein Charakteristikum für die ersten Entfaltungsstufen aller regressiven Skeletstücke sind, so wird man auch nicht fehl gehen, wenn man aus den gleichen Gründen auf eine starke phylogenetische Abänderung der Kopfsegmente schliesst. Diese meine Deutung der Ontogenese des Kopf- skeletes spricht zu Gunsten aller jener Hypothesen, welche das Stütz- gewebe der Kopfbasis von veritablen Metameren ableiten. Das Resultat obiger Betrachtungen fasse ich in den folgenden Sätzen zusammen: Kopf- und Rump f s egmente sind durch- aus homodyname nur in Folge differenter Phylogenese auch ontogenetisch abgeänderte Organe. Ein Unterschied zwischen beiden besteht nur insofern, als in der Kopfregion die Skierotomabschnitte eine specielle Entfaltung ge- winnen, die sich auch in einem rascheren Verlaufe der histologischen Differenzirung kund giebt. Viele Myotome des Kopfes hin- gegen erfahren eine gänzliche Rückbildung, die sich gleich von Anfang an in einem spät auftretenden trägen Verlaufe der Ent- faltung dieser Organe auszeichnet und schliesslich zu ihrer gänzlichen bindegewebigen Degeneration führt. Ein weiteres schönes Beispiel von Acceleration einseitig sich aus- ') KiLUAN 1. 0. S. 96. 92 Dr. Ernst Mebnert. bildender Skeletabschnitte haben die Untersuchungen von Molliee zu Tage gefördert. „Wie die Anlage der Seitenleiste, geht auch der Knospenvorgang und überhaupt die ganze Bildung der Extre- mität in proximo-distaler Richtung vor sich." ') Die Flossen- strahlen jedoch fügen sich in ihrer Differenzirung nicht diesem allge- meinen Gesetze. Es werden „die mittleren Strahlen zunächst sichtbar und sind am längsten, während gegen die Flossenenden dieselben an Länge abnehmen und zwischen den vordersten und hintersten Knospen auf Fig. 16 überhaupt noch nicht zu sehen sind." -) Dieses frühzeitigere Hervortreten der längsten Mittel- strahlen in der Ontogenese der Selachierextremität, als ihre vorderen und hinteren kleineren Genossen, ist wohl keiner anderen Deutung zu- gängig, als dass den progredientesten unter ihnen auch die accelerirteste Entfaltung zukommt. Der Nachweis, dass nicht nur bei allen Skeletstücken, sondern auch bei dem komplicirten Organkomplexe eines Ursegmentes an und für sich, und bei allen seinen Komponenten auch noch im Speciellen die gleichen gesetzmässigen Beziehungen zwischen individueller Entfaltungsenergie und phyletischer Entwickelungs- tendenz bestehen, weist darauf hin, dass es sich nicht um eine nur für bestimmte Organe, sondern vielmehr um ein ganz allgemeines Princip der organisch morphologischen Gestaltung handelt. Theorie der regressiven und progressiven Metamorphose. Nach Feststellung der Thatsachen, dass die Acceleration der On- togenese und progressive Entwickelung einerseits, Retardation der Ent- faltung und regressive Tendenz andererseits zusammenfallen, erwächst jetzt die neue Aufgabe , zu bestimmen , worauf sich dieses Abhängig- keitsverhältniss zwischen ontogenetischer Entfaltung und phyletischer Ausbildung gründet; ob sie zu einander in einem subordinirten ursäch- lichen Verhältnisse stehen oder koordinirte Erscheinungsformen gleicher Processe sind. Es muss speciell geprüft werden, ob die Retardation und Acceleration der Entfaltung eine nachfolgende regressive oder pro- gressive Ausbildung bedinge oder ob das Abhängigkeitsverhältniss ein umgekehrtes ist und die in der Phylogenese zu Tage tretende regressive oder progressive Metamorphose die primäre Ursache abgebe für die konsecutive Verlangsamung und Beschleunigung der ontogenetischen Entfaltung. Es handelt sich hier um die Diskussion von Fragen, die von BuFFON von Neuem angeregt, seit Anfang dieses Jahrhunderts bald in 1) MoLLiER 1893. S. 15. *) Mollleb. Ebendaselbst. S. 33 Die Kainogenese. 93 dieser, bald in jener Richtung beantwortet worden sind und welche alle darin gipfeln, ob die Ontogenese der Nachkommen in korrelativer Abhängigkeit steht von den vitalen Lebensentwickelungen der gleichen Organe bei den Elternthieren, oder ob die Ausbildung eines Organismus und aller seiner einzelnen Komponenten abhängig ist von dem im Keime schlummernden und nur auf denselben zurückführbaren Ent- faltungsenergien. Kurz, es ist zu prüfen, ob die Enwickelung in der individuellen Phylogenese somatogener oder blastogener Natur sei. Eine solche Entscheidung wäre ganz leicht, wenn es gelänge, nach- zuweisen, dass der ontogenetischen Retardation keine regressive, und der ontogenetischen Acceleration keine progressive Ausbildung folge. In diesem Falle dürfte man die Retardation und Acceleration als blastogene Primärerscheinungen auffassen , welche erst bei stärkeren Intensitätsgraden eine regressive oder progressive Metamorphose des be- treffenden Organes zu Stande bringen. Die gegentheilige Annahme wäre bewiesen, wenn durch einwands- freie Fälle klar gelegt würde, dass in der Ontogenese einem später ein- tretenden manifesten Rudimentärwerden keine Verlangsamung der ersten Entfaltungsstufen vorausging. Hierzu ist zu bemerken, dass diese Aufgabe in der Praxis keine so ganz leichte ist, weil eine Acceleration oder Retardation nur erschlossen werden kann durch den Nachweis, dass bei demselben Individuum andere homodyname Organe sich orthochronisch entfalten. Eine so gün- stige Gelegenheit bietet nur mein Untersuchungsobjekt — das Extre- mitätenskelet. Durch die Vergleichung eines singulären Organes bei zwei verschiedenen Thierarten können allerdings zeitliche Ver- schiedenheiten erkannt werden, jedoch kann die Präcisirung der Frage, in welchem Falle es sieb um Beschleunigung oder Verlang- samung handelt, oft ganz unmöglich sein, so lange ein orthochronisches Vergleichungsobjekt fehlt. Dieses festzustellen, ist das Punctum saliens. Aus den dargelegten Gründen kann die Richtungsart zeitlicher Variationen mit Sicherheit nur bei homodynamen und metameren Organen erschlossen werden. Viele regressive Organe entfalten sich in der That später als nicht regressive Organe, zum Beispiel die rudimentären Rippen, Kiemen- anlagen, Wirbel etc., ohne dass es jedoch erlaubt wäre, die späte Differen- zirung mit dem Reduktionsprocesse in einen kausalen Zusammenhang zu bringen, weil alle diese metameren Organe sich normal in caudal- fortschreitender Aufeinanderfolge entfalten, so dass die caudalen Ele- mente an und für sich später zur Differenzirung gelangen, als die cranialen. E3 dürfte daher zu den schwierigsten Aufgaben gehören, zu entscheiden, ob die letzten Kiemenspalten, Rippen. Wirbel, ür- segmente, Myotome und Skierotome noch etwa in Folge ihres Rudi- mentärwerdens, eine specielle Verlangsamung erfahren, und wie be- Dr. Ernst Mehnert. trächtlich der Antheil der letzteren Komponenten ist. Aus den dar- gelegten Verhältnissen folgt, dass diejenigen metameren Or- gane, welche sich in caudalfortschreitender Aufein- anderfolge zu entfalten pflegen und bei denen der Re- duktionspr ocess gerade die zuletzt auftretenden Ab- schnitte ergreift, zu einer Präcisirung zeitlicher Alte- rationenunbrauchbar sind,^) Die sichersten Aufschlüsse erlauben nur die homodynamen Abschnitte des Extremitätenskeletes und auf diese will ich mich auch nur im Folgenden beziehen. Bei meiner Dar- stellung wende ich mich zunächst zu den empirisch bekannten Ur- sachen, welche in der individuellen Phylogenie die Ausbildung und Ver- vollkommnung eines Organes hervorbringen. Das ganze postembryonale Skeletwachsthum ist abhängig von vitaler funktioneller Bethätigung. Die täglichen Erfahrungen der Praxis lehren, dass ein jeder in Folge von Lähmung der Extremitäten- muskulatur ausser Funktion gesetzte noch jugendliche Knochen eine erhebliche Verlangsanmng seiner Entfaltung, bisweilen sogar nahezu eine Aufhebung derselben erfahren kann. Es ist eine ganz bekannte Thatsache, dass nach essentieller Kinderlähmung das Skelet der affi- cirten Extremität stets kürzer bleibt, als auf der gesunden Seite. Eine dem Kliniker ebenso bekannte Erscheinung ist die Atrophie des Skeletes bei solchen Amputationsstümpfen, welche nicht durch künstliche Prothesen zu einer Funktion gezwungen werden und durch die- selbe neue Reize erhalten. Es ist dieses wiederum ein neuer Beweis, dass auch im mannbaren Alter die Gleichgewichtslage^) in der Komposition der Knochen abhängig ist von der Funktion und durch Wegfall der letzteren erstere zu Gunsten der Abnahme alterirt wird. ^) ^) Nur die Kopfmetameren dürften für diesen Zweck durchaus geeignet sein (S. 88 — 92), weil der von E. Rosenberg (1884) aus der Vergleichung nachgewiesene Reduktionsprocess zuerst die proximalen (vorderen) Abschnitte betrifft, während die in der Ontogenie zuletzt auftretenden Segmente gerade die am meisten caudo- terminal gelegenen sind. ") Roux hat hierfür die Bezeichnung „Erhaltungsfähigkeit" eingeführt. 1895. Band I. S. 759. ^) Von einigen Autoren ist die Atrophie von Skeletstücken nach Lähmungen und ßückenmarksanomalien auch als ein neuropathischer Zustand gedeutet worden. Eine solche Auffassung wäre wohl gerechtfertigt, wenn die Atrophie sich nur auf die direkt afficirten Skeletstücke bezöge. In der Tbat ist dieses jedoch nicht der Fall. Es ist häufig konstatirt worden, dass nach Oberschenkelamputationen auch die von der Amputation selbst nicht berührte, betreffende Beckengürtelhälfte ein vermindertes Wachsthum zeigt und kleiner bleibt als auf der anderen Seite. Für alle Fälle dieser Art ist eine neuropathische oder vasomotorische Beeinflussung des Beckengürtels von Seiten des B,ückenmarkes wohl nicht anzunehmen. Das ein- zige abgeänderte Verhältniss ist die verminderte und zum Theil aufgehobene Funktion der an das Becken sich ansetzenden Oberschenkelmuskeln und die ver- minderte, gleichfalls als eine Funktion zu betrachtende Xörperlast (S. 115 — 121). Gerade Die Kainogenese. 95 Diese empirischen Erfahrungen, dass alle indivi- duellen postembryonalen Entwickelungen in erster Linie von einer geregelten Funktion abhängen, können auch nur als einziger rationeller Maassstab für die Be- urth eilung aller phyle tischen Entwickeln ug zu Grunde gelegt werden, denn das Leben eines Einzelnen und die von ihm erworbenen Eigenschaften und Ausbildungen sind selbst ein Stück der allgemeinen Phylogenese. Es ist dieses jener Standpunkt, welcher von der bahnbrechenden, durch Roux ins Leben gerufenen neuen ent- wickelungsmechanischen Schule und dem Begründer der modernen Mor- phologie , vertreten wird : ,. Am ausgebildeten Organismus mit seinen mannigfaltigen Beziehungen zur Aussenwelt und durch Rückwirkung der- selben auf die Organisation , die daraus ihre Anpassung gewinnt, treffen wir die Pforten für Veränderungen geöffnet. Hier ist es , wo der Organismus die Umgestaltung empfängt, die uns seine Organe in der Ausbildung sowohl, als auch in der Rückbildung beurtheilen lässt." ^) Wenn nach dieser Ueberzeugung der berufensten Forscher schon Wechsel der individuellen Funktionsintensitäten im Stande ist, phyletische Abänderungen zu bewirken, dann liegt auch entschieden die grosse Wahrscheinlichkeit vor, dass auch eine blosse Abänderung der Leistungen in der individuellen Phylogenese sich schon bei den nächsten Nachkommen in einer Alteration der embryonalen Entfaltung ausprägen müsse. Um zunächst über diesen Punkt Klarheit zu gewinnen, habe ich mir die Frage vorgelegt, ob ein Organ, welches in der Phylogenese eine Abnahme seiner Funktion erfährt, ohne schon eigentlich rudimentär zu werden, auch bereits eine Alteration der Entfaltung zeigt, oder eine solche noch nicht nachzuweisen ist. Ich gehe daher in Nachfolgendem zu einer Besprechung einiger einschlägiger Fälle über. Den beiden Unterschenkelknochen der Landläufer sind im wesent- lichen Stützfunktionen zugetheilt. Dieselben tragen bei Quadrupeden die Last des hinteren Körperabschnittes, bei den aufrecht gehenden Vögeln, Menschen und Marsupialiern das gesammte Körpergewicht. Zieht man die Schwerpunktlinie, so geht dieselbe bei den meisten Säugethieren durch die Tibia hindurch, indessen die Fibula meist ausserhalb derselben zu liegen kommt oder nur wenig von derselben tangirt wird. Es ist daher anzunehmen, dass die statischen Leistungen der Fibula, wenn überhaupt vorhanden, so doch jedenfalls beträchtlich abgeminderte sind. Diese Minderung der f^inktionellen Inanspruch- nahme hat bei vielen Arten bekanntlich einen gänzlichen oder par- tiellen Schwund der Fibula zur Folge gehabt. Auch bereits in der diese verminderte Steramfunktion bei Muskelzug und die Stützfunktion der Körperlast dürften daher auch nur als einzige Ursachen für obige Wachsthumsalteration in Frage kommen. 1) Gegenbaüb, 1889 a. S. 8. 96 Dr. Ernst ilehnert. embryonalen Ontogenese findet sich dieser Process angedeutet. Nach den Untersuchungen von Alexander Rosenbeeg ^) verknorpelt beim Schafe der proximale regressiv werdende Theil der Fibula später als der distale zum Theil persistente Ab- schnitt derselben. Beim Menschen ist die Fibula noch nicht eigentlich rudimentär zu nennen , in der Embryonalzeit erreicht dieselbe kurze Zeit sogar die Ausdehnung und Dicke der Tibia; späterhin bleibt sie in ihrem "Wachsthume zurück und zeichnet sich im bleibenden Zustande durch ihre bekannte schlanke Form aus. In Ausnahmefällen, die aber keines- wegs selten sind und jedes Jahr in grosser Zahl publicirt werden (Jahresberichte von Hofmann-Schwalbe), ist ein individueller Schwund der Fibula beim Menschen beobachtet worden. Gerade derartige Be- obachtungen zeigen, dass die Fibula ihre Rolle für den Menschen aus- gespielt hat und ein Ausfall derselben für den betreffenden Träger keine wesentliche Einbusse bedeutet. Trotzdem die Fibula des Menschen in der Regel nicht manifest rudimentär ist, so zeichnet sie sich dennoch in ihrer Ontogenese da- durch aus , dass sie sich anders entfaltet , wie die nicht regressive Fibula niederer Formen. Bei der Schildkröte verknorpelt zuerst der Di aph ysen abschnitt und zwar meist gleichzeitig, bisweilen etwas später, als bei der Tibia (S. 15). Beim Menschen hingegen hat Leboucq beobachtet, ^) und meine Präparate bestätigen es , dass nicht zuerst derDiaphysentheil.sondern ihr oberer Ab- schnitt verknorpelt. Die di st ale Häl ft e is t anfänglich deutlich retardirt und verknorpelt später, als die prox ima le.*^) Ein weiteres Beispiel für die retardirte Entfaltung eines regres- siven Organes bietet die Genese des Weisheitszahnes. Er ist, wie be- kannt, in seiner Gestalt sehr wenig beständig und sinkt bisweilen zu einem Zwergzähnchen herab, welcher das Zahnfleisch kaum durch- bricht.*) In seltenen Fällen gelangt ein eigentlicher Mahlzahn über- haupt gar nicht zur Entfaltung und an seiner Stelle findet sich blos ein Schleimhautfortsatz, welcher sich in eine Rinne des Kiefers ein- senkt.*) Ich will die Frage hier nicht weiter erörtern, ob der Weis- heitszahn etwa in Folge seiner extremen Lage von der Funktion aus- geschlossen ist und deshalb regredient geworden ist, oder ob er nur *) RosBNBEBG, ALEXANDER, 1873. S. 155. Näheres auf S. 78 vorliegender Arbeit. ^) Citirt nach Poirier, 1886. S. 32. An dieser Stelle ist die Quelle nicht be- sonders vermerkt. Trotz eifrigen Suchens in den Arbeiten von Leboücq konnte ich den Originaltext nicht auffinden. Vielleicht bezieht sich Poiriee auf P. 111, Fig. 2. ») Lebodoq, 1884, PI. 111, Fig. 2. *) ZüCKERKANDL, 1891. S. 99. Die Kainogenese. 97 einer phyletischen , aus anderen mechanischen Ursachen eingetretenen Reduktionstendenz zum Opfer fällt, welche mit einer Verkürzung des Unterkiefers einhergeht. Jedenfalls ist der Weisheitszahn der Jetzt- zeit ein aus der Reihe der funktionirenden Elemente der zweiten Den- tition nahezu ausgeschaltetes Organ. Rose fand bei einem 3^4 Jahre alten Kinde erst eine Verdickung des Endes der Zahnleiste. ^) Durch- schnittlich im fünften Lebensjahre beginnt die seitliche Einstülpung der Papille.^) Auch die weitere Entfaltung dieser Anlage des Weis- heitszahnes ist eine individuell verschiedene, stets jedoch eine sehr retardirte. Es vergehen bisweilen viele Jahre, manchmal Decennien, ehe derselbe sich soweit differenzirt hat, dass er über das Niveau des Kiefer- und Schleimhautwalles hervortreten kann. Es ist bekannt, dass der Weisheitszahn manchmal erst in dem späteren Lebensalter durch- bricht oder bisweilen überhaupt in der Alveole stecken bleibt. Der Weisheitszahn bietet in seiner Genese ein vortreffliches Beispiel für eine späte und sehr retardirte Entfaltung eines regressiven Organes. Ein analoges Verhalten zeigen die Nebenzehen des Schweines. Der Weg der Vergleichung, speciell mit Bezugnahme auf die fossilen Funde (Palaeotherium, Anaplotherium) ^) lehrt, dass in der Gruppe der Ungultaten die Nebenzehen regredient werden und schwinden. Sowohl bei der vorderen, wie auch bei der hinteren Extremität sind die Neben- zehen des Hausschweines noch nicht eigentlich rudimentär. Sie besitzen ebenso, wie die wahren Zehen, drei Phalangen, und der ganze anatomische Unterschied zwischen wahren und falschen Zehen beruht nur in einer verschiedenen Grössenentfaltung. Ein wesentlicher principieller Unterschied bestehtjedoch in ihren Leistungen. Während das Schwein nur mit den beiden wahren Zehen und Fingern den Boden betritt, somit dieselben auch allein die Last des Körpers unter sich zu tragen haben, berühren die Afterzehen den Boden nicht *) und sind diese daher von einer statischen und, soweit bekannt, überhaupt von einer jeden Funktion ausgeschlossen. Die gleichen Unterschiede, die bei den einzelnen Strahlen zwischen ihren Funktionsleistungen bestehen, treten auch in der Ontogenese der- selben hervor. Die Afterzehen sind in ihrer Entfaltung lange Zeit hinter den wahren Zehen beträchtlich zurück (S. 50, Fig. 73). Die bleibenden Strahlen wachsen rascher in die Länge, oder mit anderen Worten die nicht rudimentären, aber funktionslosen Zehen des Schweines sind in ihrer Entfaltung ebenso ^) RösE, 1891, Tabelle auf S. 489. ^) RösE, ebendaselbst, S. 469. 3) CuviER, 1835, PI. 143-147. *) Leisebing, Müller, Ellenbeeger, 1890, S. 183. Morpholog. Arbeiten, hrsg. v. Gr Schwalbe. VII. 7 98 ßr- Ernst Mehnert. retardirt, wie die ausgesprochen rudimentären Neben- zehen der Artiodaktylen (Fig. 71, Fig. 72). Das soeben verzeichnete embryonale Verhalten der menschlichen Fibula und der Nebenzehen des Schweines zeigen, dass eine Retar- dation in der Ontogenese zusammenfällt mit einer phyletischen Minde- rung und Aufhebung der Funktionsinanspruchnahme. Als weiteres wichtiges Ergebniss tritt hervor, dass bereits eine Ausschal- tung aus dem Verbände der für den betreffenden Organismus zum Leben nothwendigen funktionirenden Organe, noch bevor sie ein manifestes Rudimentärwerden zur Folge hat, genügend ist, um auf die ersten Phasen der Entfaltung modificirend und zwar in diesem speciellen Falle Verlan gsa m end einzuwi rken. Gerade diese Beispiele beweisen, wie eng die Verknüpfung von funk- tioneller phyletischer Aus- und Rückbildung und ontogenetischer Ent- faltung ist. (Hierzu S. 66, 77.) Das vorstehende Ergebniss, dass die embryonale Retardation und das spätere Rudimentärwerden in gleicher Weise von einer Abnahme der Funktion abhängig sind , zwingt zu einer näheren Analyse beider Erscheinungen. Die embryonale Retardation ist ein Zeichen eines verminderten Entfaltungstriebes. Der Wachsthumsstillstand der Afterzehen beruht — im Vergleiche zu den wahren Zehen — gleichfalls auf einer Ver- minderung derselben Potenz. Das Persistiren der ersteren in einer konstanten, aber kleineren Form, während des ganzen Individuallebens, zeigt nur, dass jeweilig ebenso viel neu ersetzt wird, wie abgängig ist. Das manifeste Rudimentärwerden bei anderen Skeletstücken ist die sinnesfällige Erscheinungsform dafür, dass die Entfaltuugsenergie sich noch mehr verringert hat, und der Materialabgang eine grössere Quote in Anspruch nimmt, als die geschwächte Neuentfaltung zu liefern im Stande ist. Das Schwinden eines Organes giebt das gänzliche Er- löschen der Proliferationsfähigkeit seiner Zellkomponenten kund. Ich kann das Ergebniss aller dieser Ueberlegungen im folgendem allge- meinen Satze fixiren: Die Verlangsamung der Entfaltung, der soge- nannte Wachsthumsstillstand , die regrediente und regressive Meta- morphose , das Rudimentärwerden und der individuelle Schwund eines Organes sind nur graduelle Erscheinungsformen ein- und desselben ur- sächlichen Momentes, welches besteht in einer Minderung und schliess- lichem Erlöschen der Zellregenerationsenergie, Berücksich- tigt man hierbei die oben erwähnten Thatsachen, dass eine Verlangsamung der Entfaltung und überhaupt eine jede regressive Tendenz in erster und einziger Linie abhängt von einer Abänderung der Funktion, dann kann man den Satz auch auf folgende Weise formuliren: Die phy- letisch individuelle Minderung und Ausschliessung eines Organes von seiner Funktion führt konsecutiv zu einer Die Kainogenese. 99 Minderung — und in der Agenesie — auch zu einem Er- löschen der individuellen Entfaltungsenergie (Zell- regen erationsfähigkeit). Gleiche Relationen wie für den Rückgang der Entfaltung existiren auch für die progressive Tendenz derselben. Der progressive Ab- schnitt des Metacarpus und Metatarsus entfaltet sich rascher als der konservative Theil des Carpus und Tarsus (S. 64, 65). Auch unter den Metacarpen und Metatarsen bestehen die gleichen Unterschiede. Die am meisten progredienten unter ihnen entfalten sich rascber als die primitiveren oder gar rückschreitenden (S. 74). Die gleiche Regel trifft auch zu für die einzelnen Komponenten des Tarsus. Der pro- grediente Calcaneus und Talus und das im geringeren Maasse fort- schreitende Cuboid zeigen eine graduell raschere histologische, in der Osteogenese erkennbare Differenzirung als die primitiveren Tarsalien I, II, III (S. 67). Gerade für den Tarsus ist in der neuesten Zeit durch Lazaeus^) der Nachweis geliefert worden, dass die Grössenzunahme des Tarsus- abschnittes auf einer Plusfunktion desselben gegenüber dem Meta- tarsus beruht (S. 67). Auch die in der Reihe der Vertebraten zu verfolgende Grössenzunahme des Humerus, Femur, Vorderarmes, Vor- derbeines, Metacarpus und Metatarsus (S. 59, 60) besitzen ihre ursäch- sichen Momente wohl in phyletischer Veränderung und feiner specia- lisirten Ausarbeitung der Funktionen gegenüber der einfachen Ruder- bewegung bei den Kiemenathmern, Das Ergebniss lautet: Eine jede im Laufe der indivi- duellen Phylogenese eintretende Steigerung der funkt io- neilen Inanspruchnahme bewirkt für das Individuum selbst eineSteigerung derWachsthums-, für seine Nach- kommen eine Steigerung der Entfaltungsenergie. Es gelingt ohne jede Schwierigkeit, die meisten regressiven und progressiven Entwicklungsvorgänge auf primäre Abänderungen der Funktion zurückzuführen. Roux hat in dem ersten Bande seiner Ent- wicklungsmechanik, welcher vorwiegend über funktionelle Anpassungen handelt, zahlreiche Einzelfälle zusammengestellt, aus denen hervorgeht, dass auch die ganze innere Struktur der verschiedenen Organgewebe auf einer funktionellen Selbstgestaltung beruht.^) Nur zur Erklärung weniger phylogenetischer Entwicklungen reicht der jetztzeitige Er- fahrungsschatz noch nicht aus. Dieselben werden bisweilen fälsch- licher Weise von primären Strukturorganisationen des Keimes abge- leitet und als somatogene Entwicklung bezeichnet. Ein Beispiel dieser Art ist die Entwicklung des Flügels in der Reihe der Flug- ^) Lazarus, 1896. ') Roux, 1895 a. S. 178—189 7* 100 Dr- Ernst Mehnert. vertebraten und die allmälige Rückbildung desselben bei einzelnen Formen. Der Flüsel des Strausses zeigt in allen Strukturverhältnissen die allergrööste Uebereinstimniung mit dem Flügel der Carinaten. Bei beiden ist der dritte Finger am meisten ausgebildet. Die Entfaltung des Metacarpalabsclmittes ist eine für die Flugextremität typische, ebenso erfolgt die Yertheiluug der Carpalien auf die langen Knochen nach demselben für die Carinaten geltenden Gesetze. Vom morpho- logischen Standpunkte ist daher die vordere Extremität des Strausses als ein Flügel zu bezeichnen. Zu einem gleichen Resultate gelangt man bei Erwägung der Frage nach der physiologischen Leistungsfähigkeit dieses Flügels. Die stark specialisirte Ausbildung und embryonale Grösse des Straussflügels, der auch noch zur Zeit des Ausschlüpfens ein mächtiges Organ ist (Fig. 58. -|-); die typische Besetzung mit Federreihen (Fig. 56, 58)^), welche den Schwungfedern der Carinaten entsprechen, weisen wohl mit Entschiedenheit darauf hin, dass in früherer Zeit eine Flugfunktion bestanden hat. Die excessive Pneumacität aller Knochen, die entschieden, z. B. was das Sacrum anbetrifft, grösser ist, wie bei den meisten Flugvögeln, besonders aber der Nachweis eines embryonalen transitorischen Kieles ^) spricht zu Gunsten derjenigen, welche die jetzigen Ratiten von Flugvögeln ableiten. Die ontogenetische Entfaltung lehrt andererseits, dass der zweite und dritte Finger etwa von der dritten Woche an, jeder eine deutliche Kralle tragen. Nassonow hat dieselbe bereits bei einem zwölf Tage alten Embryo gesehen. 3) und Paeker hat sie bei Apteryx abgebildet*) und ich habe sie bei keinem einzigen älteren Embryo vermisst (Fig. 55, 56, 58). Jede Kralle prominirt deutlich über das Hautniveau. In der Achse liegt die letzte leicht zugespitzte Endphalanx, (Fig. 57) bedeckt von einer Hornkappe. Selbst bei einem über 25 Jahre alten weiblichen Sudanstrausse habe ich noch die kleine ca. 7 mm lange Hornkappe gefunden, die ihrer ganzen Konfiguration nach so sehr den Zehen- kappen entspricht, dass sie als eine homodynarae Miniaturausgabe der- selben hingestellt werden knnn. Nicht nur die Ratiten, sondern auch die Carinatenvögel besitzen bisweilen Krallen. Dames zäldt in einer Zusammenstellung^) zehn Formen auf, welche noch in der Jetztzeit eine bis zwei Fiugerkrallen tragen. Der Archaeopteryx, der von den meisten Autoren als in die ') Nassonow, 189Ö, Nr. 480, S. 4, Fig. 8. Ein ähnliches Stadium. ^) Parker, J., 1892, PI. 16, F\^. '^10, 211 aiiJ 213: „The occasional occurence of a meriiaii loiigitudiiial ridge or vestigial keel on the Sternum." S. 116. ») Nassonow, 189.5, Nr. 480, Fig. 7, K. p. 3. *) Parker. J., 1892, loco cit. PI. XVII, Fig. 241, 243, 24.5, 246 ^) Dames, W., 1884, S. 57, 58. Die Kainogenese. 101 Vorfahrenreihe der jetzt lebenden Carinaten gehörig betrachtet wird,^) besass auch noch an einem jeden seiner drei Finger deutliche Repti- lienkrallen. ^) Die Krallenform der Straussenfinger verleiht der Hand desselben, noch bevor Federfluren vorhanden sind, ganz das gleiche Gepräge einer Scharrextremität wie es der Fuss besitzt. Bei der phylogenetischen Ableitung darf man daher auch nur davon ausgehen, dass der Flü- gel des Strausses und ebenso aller anderen Vögel sich aus Scharrextremitäten der Sauropsidenvor fahren ent- wickelt haben. Zur Erklärung dieser phyletischen Transformation dürften alle zur Zeit bekannten äusseren Momente, die hierbei in Frage kämen, wohl als ungenügend erachtet werden. ^) Dass in der Jetztzeit eine fortgesetzt geübte Flugbewegung eine typische Scharr- hand ohne Weiteres in einen Flügel umwandeln kann, dürften selbst die enragirtesten Vertreter mechanischer Ableitung nicht annehmen. Zweifellos ist es die primäre Ursache gewesen ; es kommen jedoch noch Bedingungen hinzu , die wir zur Zeit noch nicht überschauen können. Von unserem modernen Standpunkte und selbst bei Berück- sichtigung von Polar- und Aequatorialtemperatur immerhin sehr mil- den Klima der Erdoberfläche, sind wir gar nicht in der Lage zu ent- scheiden, in welcher "Weise die früher höhere Temperatur, die andere Zusammensetzung und Sättigung der Luft, die energischeren . Niederschläge und die in Folge dessen auch stärkeren elektrischen Potenzen in ihrer Gesammtheit auf das damalig noch junge orga- nische Leben fördernd und ausbildend gewirkt haben. Es wäre da- her auch durchaus voreilig und würde nur einen kurzsichtigen Stand- punkt verrathen, wenn Jemand es unternehmen würde, die phylo- genetische Entwicklung der Flügel und anderer Organe als eine von den äusseren Bedingungen ganz unabhängige rein blastogene Er- scheinung zu deuten, weil die gemilderten Potenzen der Jetztzeit^) ') Dames, loco cit., S. 78, 79. 2) Dames, loco cit., Taf. I, S. 32, 33. ') Auch einige andere in der Phylogenese sich abspielende regressive und pro- gressive Processe können nicht ohne Weiteres oder nur theilweise auf direkt mecha- nische Momente zurückbezogen werden. Die allmälige Reduktion des Schwanzes bei vielen landlebenden Thieren ist eine direkte Folge des Ausfalles der Steuer- funktion und einer Nichtadaption an neue Aufgaben. Indessen bezieht sich dieser regressive Process nicht nur auf die eigentliche Schwanzregion, sondern greift auch in verschiedener Intensität auf die einzelnen Komponenten des distalen Xörper- abschnittes über. In der Lumbairegion gehen auch die Rippen zu Grunde, und das terminale Ende des Neuralrohres erfährt eine Minderung seiner ontogenetischen Entfaltung. Die regressiven Vorgänge an dem hinteren Körperende verlaufen bei den einzelnen Species in durchaus verschiedener und auch individuell verschiedener Intensität, jedoch bei allen nach dem gleichen gesetzmässigen Typus. *) Die Geologie lehrt, dass in der Vorzeit alle physikalischen Erscheinungen viel mächtiger and elementarer waren (Vulkanismus in früheren Erdperioden). Auch 102 l^r- Ernst Mehnert. die kolossale Ausbildung des pflanzlichen und thierischen Lebens, die sich in der grossen Ueppigkeit und in den Riesenformen (Kohlenflötze — Dinosaurier) auszeich- nete, ist ein weiterer Beweis, dass damals die Bedingungen zur Entwicklung gün- stigere waren als in der Jetztzeit, welche nur wenige Thierarten und erbärmlich kleine Lebewesen zu erzeugen im Stande ist. Schon K. E. v. Baer hat sich über diesen Punkt folgendermaassen geäussert: „Wir müssen also überhaupt, wie wir uns auch stellen mögen, zugestehen, dass in einer weit entlegenen Vorzeit eine viel gewaltigere Bildungskraft auf der Erde geherrscht habe, als wir jetzt erkennen, möge diese nun durch Umbildung der bereits bestehenden Formen oder durch Er- zeugung ganz neuer Keihen von Formen gewirkt haben" (1864, S. 57), Ich will diese Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen ohne hervorzuheben, dass die von manchen Geologen geübte Bestimmung der Zeitdauer einer Erdperiode nach der Dicke der Sedimentschicht auf theoretisch unzutrefienden Voraussetzungen beruht. Für die Sedimentbildung bei Flussniederschlägen, zum Beispiel beim Nil- schlamme, ist allerdings ein Durchschnittsmittel von 6 — 12 mm berechnet worden (G. Schweinfürth). Auf Grund desselben ist es möglich geworden, das Alter der Memnonssäulen , das Alter des ganzen Nildelta und beim Mississippi dasjenige seines Delta annähernd zu bestimmen. Für die ürraeere der Vorzeit kann dieses Beispiel keine Verwendung haben, denn es handelt sich nicht um annuelle perio- dische Zuschüsse, sondern um einen ganz konstanten Faktor. Die Urmeere sind Kiesenbecken gewesen, die angefüllt mit verschiedenen Mutterlaugen waren. Es ist eine ganz bekannte Erscheinung, die an einem künstlich erzeugten chemischen Niederschlage stets von Neuem demonstrirt werden kann (z. B. beim EsBAcn'schen Albuminometer), dass die Mächtigkeit des in der Zeiteinheit gebil- deten Niederschlages proportional ist dem Sättigungsgrade der Lösung, Die Niederschlagmenge kann in den ersten Minuten kolossal sein, um dann rapide abzunehmen, um nach Stunden kaum den hundertsten Theil des ersten Betrages zu liefern. Verallgemeinert man diese bekannte Thatsache auch auf die Erdsedimentationen, so ergiebt sich, dass die definitive Dicke der Schicht, falls keine anderen Anhaltspunkte vorhanden sind auch nicht den geringsten Anhalts- punkt bietet, selbst für eine annähernde Beurtheilung der Zeiten, welche nöthig waren um dieselben hervorzubringen. Die apodiktische Sicherheit, mit welcher bis- weilen das Alter von Perioden auf diese Weise berechnet worden und auf tausende von Jahren angegeben wird, verräth Unkenntniss mit der Lehre von der Sedimen- tirungsgeschwindigkeit. Es ist unbekannt die Koncentration der Mutterlauge der Urmeere ; es ist ferner unbekannt, ob dieselbe nicht durch fernere Lösungszuschüsse verstärkt oder durch Bindungen abgeschwächt wurden. Die damals herrschende Temperatur und die Wasserverdunstung sind gleichfalls nicht unwesentliche Faktore, Kurz, es dürften so gut wie alle Grundbedingungen fehlen, selbst zu einer nur an- nähernden Berechnung des proportional absteigenden Sedimentirungszuschusses. Ein Bekenntniss, dass es unmöglich ist, die damaligen Verhältnisse richtig zu bemessen, scheint mir gerechtfertigter zu sein als das Aufstellen und Wiederholen von vagen Jahreszahlangaben. Das von vieler Seite betriebene wissenschaftliche A.ugurenamt dürfte doch hierin zu weit getrieben sein. Treffend äussert sich über diesen Punkt Carl Vogt, er sagt: „Die Chemie namentlich lässt uns häufig jene allmälig wir- kenden Kräfte erkennen, welche durch Summirung ganz kleiner Wirkungen erst nach langer Zeitdauer in die Erscheinung treten und für viele ausschweifende Theo- rien, welche durch üppig wuchernde Phantasie ins Leben gerufen wurden, giebt sie gewissermaassen die Lupe in die Hand, welche ihren ünwerth erkennen lässt" (1866, § 7, S. 6). Die Kainogenese. 103 analoge Vorgänge wohl nicht mehr hervorzubringen im Stande sind, 1) Vorstehende Ueberlegung verhindert mich auch, denjenigen Auto- ren Recht zu geben, welche eine primäre blastogene Phylogenese lehren. Allerdings handelt es sich auch in der Phylogenese, wie in allen Erscheinungsmanifestationen des All um eine gewisse Praedestination oder wie Leibnitz sich ausdrückt, um eine vorher bestimmte Harmonie der Sphären, insofern als ein jedes Atom je nach seiner Stellung im periodischen Systeme der Elemente eine specifische Affinitätenenergie besitzt. Die Gruppirung derselben aber zu Molekülen, Krystallen oder organischen Lebewesen, und die aus der Massenkorrelation derselben entstehende Form, ihr Vermögen Kräfte zu sammeln, aufzuspeichern oder zu verausgaben, ist ein Produkt der jeweilig obwaltenden Kon- kurrenz der Umstände oder wie Descartes sich ausdrückt, der „Gre- legenheiten" und Bedingungen. Die Transformation der Arten iii der Phylogenese kann nur von dem Gesichtspunkte aus als eine evolutionistische bezeichnet werden, als es sich in ihr handelt um eine in den einzelnen Species, je nach den biologischen Verhältnissen und Nebenumständen abhängigen Ent- ^) Die Ursachen für das Rudimentärwerden der Straussenflügel liegen nicht ganz offen zu Tage, doch braucht man nicht gleich diese regressive Metamorphose als eine blastogene zu bezeichnen. Es ist möglich diese Erscheinung zu erklären, in Bezug- nahme auf einige nachweisbare klimatische Aenderungen. Es ist wahrscheinlich, dass die von der Geologie als entschieden stärker und elementarer angenommenen Luftniederschläge, Regengüsse, Luftströmungen der Vorzeit, die mächtigen Vor- fahren der Strausse und Dinornithiden längere Zeit von einer Ausübung ihrer kaum erworbenen Klugfähigkeit abhielten. In Folge dessen verfielen die Flügel derselben anfänglich einer individuellen Inaktivitätsatrophie, später einer phyletischen Atrophie, wie aus anderen Ursachen die vorderen Extremitäten bei den Fettvögeln (Pinguine und Dronten) eine ähnliche Degeneration eingingen. Man kann annehmen, dass die Vorfahren der jetzigen Vögel entweder zu jener Zeit noch gar nicht Flugfähigkeit besessen haben und damals noch terrestrisches Leben führten, oder dass die Vorfahren der Carinaten in Folge ihrer kleineren Körperstruktur mehr geeignet waren ihr Fluggeschäft den klimatischen Hinder- nissen zu adaptiren und es gerade deswegen zu jener staunenswerthen Fähigkeit brachten, die wir bei den sturmtrotzenden Möven und Fregattvögeln mit Recht be- wundern. Auch noch eine andere Erklärung ist möglich. Es ist bekannt, dass längere Zeit hindurch alle Lebewesen ihre Zuflucht in Höhlen suchen mussten, oder wie die Bibel sich poetisch ausdrückt, in der Arche Noahs lebten. Ein jedes Höhlen- leben, wie es Apteryx noch heutzutage führt, bietet für die Ausübung des Flug- geschäftes bei so kolossalen Thieren wie Strausse, Dinornithiden, Palaeapteryx, Aepyornis, Meionornis, Megalornis, Macrornis, die grössten Schwierigkeiten. Klei- nere Formen können sich jedoch in Höhlen nach Belieben tummeln. Man kann sich wohl vorstellen, dass die Vorfahren von Ratiten und Carinaten einträchtig in denselben Höhlen neben einander lebten, von denen die ersteren aus Raummangel ihr Fluggeschäft aufgaben, die letzteren dasselbe weiter ausübten. Noch heutzutage führen nicht nur Nachtvögel, sondern auch eine Reihe von Tagvögeln ein ausge- sprochenes Höhlendasein (Südamerika, Humbold, Goüld). 104 Dr. Ernst Mehnert. Wicklung des allen Lebewesen in gleicher Weise zukommenden latenten Ausbildungsvermögens. Ebenso wie ein jeder Krystallsplitter in seinem Molekulargefüge schon die Vorbedingungen in sich enthält zur Hervor- bildung einzelner grosser Krystallindividuen ^) oder in dem Jupiter- und Saturnsbaume zu einer Reihe aneinanderhängender kleiner morpho- tisch selbstständig begrenzter Elemente. Die Auslösung dieses latenten, auf molekularen Affinitäten beruhen- den, Ausbildungsvermögens organischer Lebewesen, oder wie man zu sagen pflegt, die Entwicklung derselben kann nur beim funktioniren- den Organe erfolgen, durch Anpassung an neue durch die Umgebung specialisirter gestellte Aufgaben. Eine Entwicklung oder Epi- genese erfolgt nur in der individuellen Phylogenese und wird erst von derselben aus durch Vererbung dem werdenden Keime vorgeschrieben. Die embryonale Ausbildung hingegen ist unter physiologischen Bedingungen ein für ein jedes Individuum durch seine Vorfahrenentwicklung normirter und speciell präformirter Vorgang und darf daher auch nur als eine individuelle Entfaltung gedeutet werden (S. 123). Entwicklung und Entfaltung oder Epigenese und Evolution sind nicht Gegensätze wie so häufig gelehrt worden ist, sondern Aeusse- rungen ein und derselben Tendenz. Die ontoge netischen Evo- lutionen sind nur Folgeerscheinungen phyletischer Epi- genese, welche wiederum an und für sich nur eine specia- lisirte Evolution der denlndividualreihen integrirenden, molekularen Energien und Affinitäten ist. Das was in früheren Erdperioden Epi gen ese oder wie man sie auch nennen kann, phy- letische Evolution war, ist heutzutage ontogenetische Evolution geworden. Die Ansammlung von Energien, die heut- zutage noch von einem jeden einzelnen Individuum dem unorganischen Leben abgerungen werden muss (S. 124), diese individuelle Plusepigenese (S. 125) wird, sobald sie für die Phylogenese verwerthbar geworden ist, in späteren Erdperioden bei den Nachkommen als ontogeretische Evo- lution in accelerirter Form erscheinen. Allerdings gewinnen individuelle Vervollkommnungen, sei es eine Weiterentwicklung dieses Organs oder funktionelle Atrophien derselben, nur sehr allmählich vererbbaren Be- stand. Es gehören Erdperioden dazu um Organe auszubilden und ebensolange Zeiträume um ausrangirte Skeletstücke auch aus der Ontogenese verschwinden zu machen.-) ^) Rauber, 1896. Die Reo^eneration der Krystalle, S. 68. ^) Ein sehr interessantes Beispiel hierfür liefern die Flügel der fossilen Vögel. Der linke Flügel von Ichthyornis victor ist im Allgemeinen so wohl konservirt, dass er uns in die Möglichkeit versetzt, die Zahl seiner Finger zu beurtheilen. Die von Marsh (1880) auf Tafel XXXIV gegebene Abbildung zeigt drei deutlich von ein- ander unterscheidbare Metacarpalien. Ebenso wie bei den jetzigen Vögeln bildet Die Kainogenese. 105 Vom Standpunkte der mechanischen Weltanschauung muss eine jede embryonale Entfaltung auf atavistische Momente der Vorzeit zurück geführt werden. Auch die fälschlicher Weise als primär blastogen bezeichneten Erscheinungsformen der Ontogenien sind palaio-atavistischeAcquisitionen, deren Nachweis als solche erschwert und oft nicht mehr möglich ist, weil die biologischen Be- dingungen, unter welchen dieselben in der Phylogenie zu Stande kamen, der Jetztzeit fremd sind. Wohl aber tritt die durchaus enge Ver- knüpfung der Ontogenien mit ihren Phylogenien auf das prägnanteste hervor bei den neoatavistischen zeitlichen Modifikationen bedingt durch Acceleration und Retardation des Ent- faltungsganges bei homologen Organen verschiedener Species. Die palingenetische B-etardation führt in ihren Konsequenzen zu einer verspäteten, die palingenetische Acceleration zu einer verfrühten histologischen Differenzirung. In Folge dessen erscheinen homodyname Organe, z. B. die einzelnen Fingerstrahlen bisweilen auf einer verschie- denen Ausbildungsstufe stehend. Einzelne können noch vorknorpelig sein, indessen andere bereits Knorpelintercellularsubstanz gebildet haben. Der specielle Befund bei den verschiedenen Thierspecies und in den einzelnen Extremitätenstadien kann ein durchaus verschiedener sein und ist wechselnd je nach dem Grade von Rück- oder Ausbildung. Es darf daher ein solcher ontogenetischer Einzelbefund nicht — wie so sehr häufig geschieht — ohne Reservation direkt ins Phyletische übertragen und als genaue Kopie der Ahnenform bezeichnet werden, sonst käme man zu ganz absurden und mit den Anschauungen über die Bluts- verwandtschaft aller Lebewesen ganz unvereinbaren Resultaten. Auch an der Aussenfiäche treten die Finger in verschiedener Reihenfolge auf, je nachdem welcher Finger sich zuerst ent- faltet. Bei der Hand von Triton ist es der erste und zweite Finger, bei dem Fusse derselben Species die zweite Zehe; der Vogelflügel ent- faltet zuerst seinen dritten, die Artiodactylen ihren dritten und vierten Strahl, der Frosch den dritten, vierten und fünften. Die übrigen Finger werden erst später auch äusserlich sichtbar. Dieses scheinbare Nacheinander in der Ontogenese muss, insofern es sich um verschieden rasche Entfaltung gleichzeitiger und gleichwerthiger An- lagen handelt, als ein Pseudonac heinander bezeichnet werden. der mittelste Strahl die eigentliche Achse des Flügels. Auch der Archaeopteryx hatte eine reducirte Hand. (Dames 1884:) Der in allen seinen Theilen auf das schönste erhaltene Flügel des Berliner Exemplars besitzt auch nicht mehr wie drei Finger (loc. cit. Taf. I Text S. 59). Trotzdem also die im Jura und in der Kreide lebenden Vorfahren der jetzigen Vögel schon beträchtlich reducirte Flügel besassen, wiederholen dennoch die Embryonen der Carinaten (nach Elisa Norsa 1894) und Ratiten (vorliegende Arbeit) noch heutzutage die pentadactyle Form ihrer Sauropsiden- Vor- fahren. Weiteres hierzu auf S. 136, Anmerkung. 106 ^^' Ernst Mehnert Wir kommen also zu dem Resultate, dass die Acceleration und ßetar- dation in ihren Folgezuständen die embryonalen Entfaltungen beeinflusst und zu Neuänderungen oder kainogenetischer Veränderung Veranlassung werden kann. Die regelmässige Verknüpfung von regressiver und pro- gressiver Entwicklung mit der Acceleration und ßetardation der Ent- faltungen beweist, dass dieselben ganz gesetzmässige an und für sich durchaus palingenetische, jedoch einen jeden einzelnen Embryo verschie- den gestaltende Entfaltungsenergien sind. Von diesem Gesichtspunkte betrachtet, sind die Acceleration und Retardation der Entfaltung auch nichts anderes als Ausdruck der embryonalen Kainogenese. Insofern als die embryonale Kainogenese nur ein direkter gesetz- mässiger Ausfluss phyletischer Entfaltungsenergien ist, dürfte es auch ganz ungerechtfertigt sein, wenn man — wie bisweilen geschehen ist — dieselbe als Fälschungen bezeichnet hat (S. 5. 6). Die Kainogenese ist vielmehr eine durch die verschieden aufgespeicherten Entfaltungsener- gien bedingte Alteration des individuellen Embryonalbildes, welche demselben je nach dem Vorwalten der vermehrten oder verminderten Entfaltungsenergie ein neues aber für eine jede Art konstantes Gepräge verleiht. Die einer jeden Species eigenartigen Befunde verbieten das Ge- sa m m tbild eines solchen Stadiums direkt ins Phylogenetische auszulegen. Jede einzelne Phase für sich, in welcher die Komplexkompo- nente eines solchen Organes sich befindet, ist an und für sich un- getrübte Palingenese und wiederholt die Phylogenese in minu-^ tiösester Weise. Man kann daher die embryonale Kaino- genese definiren als eine aus funktionell phyletischen Gründen erfolgende, für eine jede Art bestimmte Neu- gruppirung der Entfaltungsphasen aller Organe.^) Inso- fern als dieselbe sich aus Abänderungen in der Phylogenese ableitet, kann man sie auch als atavistische Form bezeichnen. Die zweite Art der embryonalen Abänderungen leitet sich ab von den grob mechanischen Korrelationsverhältnissen zwischen dem wachsen- den Organismus und seiner Umgebung. Bei niederen Thierformen ist die Embryonalzeit relativ kurz, zweitens entfalten sich ihre Nachkom- men getrennt von den Elterthieren, drittens erfolgen alle diese Meta- morphosen in einem leicht flüssigen Medium (Wasser und Luft). Aus diesen Gründen spielt auch bei niederen Lebewesen die grob mecha- ') Die kainogenetische Abänderung eines ontogenetischen Stadiums kann sehr eigenartige Bilder ergeben, denn bald spielt sich an der einen Komponente eine regressive, an einer anderen desselben Organes eine progressive Entfaltung ab. Der Daumen des Menschen gehört in die Kategorie dieser Organe. Er ist regressiv in- sofern als bei ihm die Reduktion der Phalangen bereits eine stärkere ist als bei den übrigen Fingern. Er muss jedoch in anderer Hinsicht auch als progressiv bezeich- net werden, weil die restirenden eigentlichen und die als Metacarpus primus unter- schiedene Phalanx bei ihm ein prononcirtes Dicken wachsthum einschlagen. Die Kainogenese. X07 nische Abänderungder Ontogenese nur eine untergeordneteRolleundkommt wesentlich nur bei rigiden Eischaalen alecithaler Formen in Betracht. Anders verhält es sich bei den höheren Vertretern. Deren Nachkom- men entfalten sich ausnahmslos unter abgeänderten Lebensverhältnissen. Die Sprösslinge der Säugethiere bilden sich aus als veritable Para- siten an oder in den Mutterthieren. Die Embryonen von Vögeln und Reptilien sind von einer mehr oder weniger festen Eiweisshülle um- geben und erhalten ausserdem noch eine durch die verlängerte Em- bryonalperiode nothwendig gewordenes Quantum von Nahrungsstoffen. Die Embryonen aller Sauropsiden haben schon in der ersten Entfal- tung den Gregendruck der zähen Eiweisshüllen zu überwinden. Alle diese komplicirten circumfötalen mütterlichen Medien und Hüllen be- wirken gerade bei den höheren Thieren starke Grade von mechanischer Beeinflussung. Es wird ausnahmslos von allen Autoren zugestanden, dass die Ontogenien aller lecithalen Keime, durch die verschiedene Dotteransammlung weitgehende Abänderung erfahren. ^) Eine der auffälligsten Erscheinungen der mechanischen Kainogenese ist die Zweitheilung der Herzanlage bei Amnioten. Die Amphibien besitzen nach Rabl -) noch eine palingenetische einheitliche Anlage des Herzens. ^) Bei den in Folge der Dottermassen kainogenetisch flächenhaft ausgebreiteten Keimen der Sauropsiden und den gleichfalls von Oviparen Ahnen sich ableitenden Säugethieren sind die Anlage- bezirke des Herzens noch zu einer Zeit getrennt, in welcher die Ent- faltung dieser Anlagen bereits begonnen hat. In Folge dessen erscheint, wie bekannt, bei solchen Species die Anlage des Herzens paarig. Nach Verminderung des anliegenden Dotters und Verflüssigung desselben zu einer weissgelblichen Zone tritt auch eine Abnahme der Flächen- spannung ein und es berühren sich die beiden Kopfdarmfalten. Erst hierdurch kommen die ursprünglich zu einander gehörigen Bezirke der Herzanlage wieder neben einander zu liegen und durch Verschmelzung derselben wird erst der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt. Der- artige kainogenetische Spaltungen eines einheitlichen Anlagebezirkes bezeichne ich als kainogenetische Zerlegung einer Em- bryonalanlage.*) Die für die Species charakteristische und daher auch für ein jedes Embryonalstadium normirte Masse des Dotters und die durch die ^) B,ABL, 1892. Samassa, 1895, 1896, I. II. Eine ausführliche Aufzählung ein- schlägiger Abänderungen auf S. 7. 2) Rabl, 1886. 3) Hertwig 1890, S. 457. *) Dieselbe bietet in der Form ihres Verlaufes das direkte Gegenstück zur so- genannten Connascenz. Letztere beruht, wie ich auf S. 69 nachgewiesen habe, auf einer frühzeitigen Verschmelzung zweier morphologisch verschiedener und vor- knorpelig auch noch gesonderten Skeletanlagen. 108 -Dr. Ernst Mehnert Embryoorgane ^) bedingte Abänderung der Umgebung ist von der pby- letiscben Entwicklung vorgeschrieben und deshalb gehört auch die durch dieselbe hervorgerufene embryonale Kainogenese in die Rubrik der neoatavistischen Transformation. Die eigentliche atavistische Kainogenese wird auf dem subtilen Wege der Vererbung von den Elterthieren auf den Keim übertragen. Die korrelative, grobmechanische, aus lokalen Ursachen sich ableitende Abänderung der Einzelontogenie wird in allen sie bedingenden Kom- ponenten wie Dotter, Uterus, Eihüllen u. s. w. ausschliesslich und allein vom mütterlichen Organismus geliefert. Ich sehe micb deshalb veranlasst, die direkte Abänderung einer jeden Individualentfaltung noch besonders alsmetrotheneKainogenesezu unterscheiden {(.iiqtQÖd-Ev). Sonstige principielle Unterschiede bestehen zwischen beiden Arten der Kainogenese nicht, denn sowohl die metrothene als auch die ata- vistische Form derselben sind in allen ihren Manifestationen wie Distri- bution der Anlagen, Konnascenz, Yerlangsamung und Beschleunigung der Entfaltung ganz gesetzmässige Folgeerscheinungen der in der Phylogenese höherer Thiere eine specialisirtere Ausbildung erreichenden Organisation derselben. ^) ') Haeckel, E., 1895, S. 38: „Keimorgane" als Gegensatz zum „Dauerleib oder Menosoma". ^) Der Nachweis, dass die Kainogenese ein durchaus geregelter Process ist, benimmt derselben den bisher mit Unrecht geführten Ruf einer ungewöhnlichen Erscheinung. Die Verschiedenartigkeiten der Ontogenien sind ihres befremdlichen Charakters entkleidet und gewinnen, falls metrothene Abänderung ausgeschlossen werden kann, den Werth unbedingt palingenetischer Thatsachen und gestatten als solche einen präcisen Einblick in die Phylogenese des Individuums. Jedoch nur derjenige ist in der Lage die wechselnden Ontogenien richtig zu deuten, welcher als Maassstab für seine Beurtheilungen den mühe- vollen Weg der Vergleichung einschlägt. Eine beliebig festgestellte Organentfaltung bei einer einzigen Species gestattet nur sehr geringe Rückschlüsse auf seine Phylogenese, denn es liegt nicht ohne Weiteres zu Tage, ob derselben ein palingenetischer oder metrothen-kainogenetischer Process zu Grunde besteht. Am allerleichtesten gelingt der Nachweis einer palingenetischen Retardation. Schon allein die Vergleichung der Genese von bleibenden und ihnen homodynamen aber regressiven Organen, bisweilen schon bei einer einzigen Species, oft auch be- reits bei einem einzigen Embryonalstadium ermöglicht ein Zurückbleiben der letz- teren zu erkennen. Jedoch auch die bleibenden Organe zeigen in den ver- schiedene Klassen relative zeitliche Unterschiede und es gehört zu den schwierigeren Aufgaben, dieselben in ihrer Bedeutung zu präcisiren. Zeitliche Unterschiede sind Relativbegriffe und können daher auch je nach dem Ausgangspunkte verschieden beurtheilt werden. Ein und dieselbe Erscheinung kann bald als ein Voraneilen, bald auch als ein Zurückbleiben aufgefasst werden, je nachdem man den Zeitpunkt der Orthochronie festsetzt. Sichere Anhaltspunkte zur Erkenntniss der Orthochronie treten bei blosser Beachtung der Ontogenien durch- aus nicht zu Tage und es entsteht ein Dilemma, welches durch Kenntniss selbst aller Ontogenien der Jetztzeit nicht gelöst werden kann. Diese Deutung wird jedoch eine relativ leichte und sichere, wenn man die Die Kainogenese. X09 bisherigen Ergebnisse der anderen Disciplinen mit berücksichtigt. Die verglei- chende Anatomie ist allein in der Lage unter den bleibenden Orga- nen der Jetztzeit die konservativen Formen, welcbe nur wenig oder unver- ändert von niederen Zuständen bis in die divergentesten !Nachkommenzweige ver- erben, zu unterscheiden von solchen Organen, die in der Reihe der Verte- braten eine progrediente Umgestaltung und Weiterentwicklung er- fahren haben. Führt man diese Unterscheidung durch bei Beurtheilung der verschiedenen Ontogenien — wie ich es in vorliegender Arbeit gethan habe — dann ergiebt sich auf das überzeugendste, dass beide Oruppen der bleibenden Organe sich mit einer verschiedenen Intensivität entfalten. Geht man hierbei von der logischen Voraussetzung aus, dass die konservativen Organe sich orthochron entfalten, so folgt daraus ohne Weiteres, dass die progredienten Organe sich accelerirt entfalten. Der im vorstehenden Passus niedergelegte Gedankengang war mir bei allen meinen Schlussfolgerungen ein sicherer Leitpfad. Er beweisst, dass die theore- tische Tragweite der Ontogenese nur aufdem Wege der Vergleichung in ihrem Umfange erkannt und gewürdigt werden kann. Die Miss- achtung der vergleichenden Disciplinen bei den modernen Auslegungen muss als eine willkürliche bezeichnet werden, welche unter dem Anscheine von Wissenschaft- lichkeit oft nur Ausfluss einer ganz ungebührlich zügellosen Subjek- tivität ist. Wie sehr bei der Auslegung der Ontogenien das subjektive Moment, selbst bei den hervorragendsten Forschern eine Rolle mitspielt, beweist folgender Fall. Ein durch seine specifisch embryologische Richtung berühmter Gelehrter, giebt an, dass bei der Species z die Organe x aus den Organen y entstehen. Er baut daraufhin ein gar zierliches Hypothesengebäude und sucht auf Grund des- selben die ganze Morphologie zu reformiren. Alle zahlreichen Nachuntersucher konnten sich aber nur davon überzeugen, dass bei den Embryonen derselben S()e- cies z ganz ausnahmsweise die Organe y später entstehen als die Organe x, oder mit anderen Worten, dass x gar nicht von y abstammen kann, womit das ganze viel citirte und bewunderte Hypothesengebäude zusammensinken muss. Von der Verwerthung ontogenetischer Einzelbefunde kann gewissermaassen dasselbe behauptet werden, was Süssmilch, der Vater der Statistik, von den statistischen Zahlen gesagt hat. Es sind Landsknechte, die für denjenigen kämpfen, in dessen Sold sie stehen (1756). ' Das Zugeständniss, dass die Ontogenien oft gar keinen Schluss über das phy- letische Alter der einzelnen Organe zulassen und dass das Studium der Embryo- logie allein über dieses Dilemma nicht hinweghelfen kann, mindern nicht den absoluten Werth der ontogenetischen Forschung. ' Die strikte Abhängigkeit der Deutung embryologischer Befunde von der vergleichenden Forschung kann die Em- bryologie nicht auf die Stufe eines Aschenbrödels unter den morphologischen Dis- ciplinen herabdrücken. Der unabstreitbare Vorzug der vergleichenden Anatomie beruht darauf, dass dieselbe über die unzweideutigen fertigen Typen verfügt und es ihr ein Leichtes ist. zu entscheiden, ob ein Organ ein ursprüngliches, regressives oder progressives ist. Nur dieser allgemeinen Kenntniss bedarf die Embryologie als einzige Richtschnur, um dann von sich aus den hypothetischen Konstruktionen der vergleichenden Forschung durch Vorführung einer Individualentfaltung den Werth realer Vorgänge zu verleihen und die Details der Phylogenese einer jeden Species für sich zu bestimmen. Ohne vergleichende Forschung ist eine Verwerthung der Embryologie nur ein Herumtappen mit verbundenen Augen, ein Herumtasten nach festen Anhaltspunkten. Erst nach Gewinnung eines durch die Verjjlei- chung geklär ten Standpunktes kann die Emb ry o logi e als specifisch biologische Wissenschaft sich aufschwingen zu einer sicheren ße- urtheilerin aller morphologischen Disciplinen. HO Dr. Ernst Mehnert. Morpho- und liistogeiietische Fragen. Das von mir nachgewiesene Axiom, dass, unter dem Einflüsse der Funktion, progrediente Organe sich in der Ontogenese accelerirt aus- bilden (S. 99), gewährt die Handhabe, mehrere allgemeine Erschei- nungen der Ontogenese auf ihre kausalen Momente zurückzuführen. Ein Beispiel hierfür bietet die ontogenetische Gliederung der Extre- mitätenplatte. Gegenbaur ^) hat bewiesen, dass bei den Differenzirungserschei- nungen im Gliedmaassenskelette der Selachier die ursprünglich ein- fachen Knorpelstäbe sich in Polgestücke gliedern. Auch v. Rauten- EELD ^) betrachtet die Quergliederung der Radien bei den Accipenser- iden als sekundäre Vorgänge. Nicht anders verhält es sich in der Ontogenese aller übrigen Vertebraten ; stets legt sich das Extremitäten- skelet als eine ganz einheitliche Zellenplatte an, welche für gewöhn- lich als Vorknorpelgewebe bezeichnet wird. Das spätere Bild einer Gliederung wird dadurch hervorgebracht, dass in diesem einheitlichen Blasteme an gewissen Stellen Wachsthumscentren hervortreten, in welchen das kleinzellige Gewebe eine lokal accelerirte Differenzirung aufweist. Im Vergleiche zu dem mehr indifferent bleibenden, später perichondrischen Gewebe, bekunden diese centrirten Wucherungen eine progrediente Entfaltung, die sich äussert in einer frühzeitigen histolo- gischen Differenzirung zunächst zu Knorpel- später zu Knochenkernen. Oder in anderen Worten ausgedrückt: Das in der Ontogenese auf- tretende Bild des Hervor tretens von Knorpelkernen in einem einheitlichen Extrem itätenplattenbl asteme ist nur der Ausdruck für die auf bestimmte Lokalbezirke konzentrirte Entfaltung des Skeletsystemes. Suchen wir jetzt nach kausalen Momenten, welche in der indivi- duellen Phylogenese eine lokalisirte Entfaltung des Skeletsystems her- vorzubringen im Stande sind, so finden wir in den sogenannten späten Epiphysenossifikationen derartige Gebilde, deren mechanische Ablei- tung sich ganz von selbst ergiebt. Es handelt sich um Ossifikations- kerne, die erst im postembryonalen Leben zu Tage treten. Sie finden sich z. B. in den Crista iliaca. Spina iliaca anterior superior. — — — inferior. — — posterior superior, Tuberculum pubicum. Spina ischiadica. Eminentia iliopectinea. Tuber ischii. Trochanter major, Trochanter minor. Tuberculum majus humeri. — minus — . Epicondylus medialis humeri. Trochlea humeri u. s. w. u. 8. w. ^) Gegenbaub, 1870a. Bd. V, S. 436b. *) Rautenfeld, Dissertation 1882, S. 37. Die Kainogenese. 111 Man könnte meinen, dass es sich in ihnen vielleicht um retardirte Ossifikationen rudimentärer Skeletabschnitte handle. Bei den Extre- mitäten wäre eine solche Deutung auch nicht a priori auszuschliessen. Das Vorkommen derselben am Beckengürtel lässt hingegen eine solche Auffassung als gänzlich unstatthaft erscheinen. Die vergleichende Ana- tomie des Beckengürtels ist so weit geklärt, dass man mit grösster Bestimmtheit behaupten kann, dass demselben eine gemeinsame Anlage und nur drei selbstständige Knorpelkomponenten zu Grunde liegen. Selbst wenn man für je einen Knorpelkern, je einen Diaphysenknochen- kern und zwei Epiphysenkerne annimmt, so würde die Zahl von neun typischen Ossifikationen noch keineswegs genügen, um die unvergleich- lich grössere Zahl der thatsächlich am Beckengürtel vorkommenden Ossifikationen zu deuten. Die Ossifikation in der Spina iliaca anterior superior — — — inferior — — posterior superior Tuberculum pubicum Spina ischiadica Tuber ischii Eminentia iliopectinea würden immerhin noch einer Erklärung ermangeln. Hingegen ist längst bekannt, dass alle diese Ossifikationen starken Muskelgruppen zum Ansätze dienen. Diese strengen Beziehungen zum Muskelsysteme weisen schon an und für sich auf mechanische Momente hin. Ausser jeden Zweifel wird jedoch diese Voraussetzung erhoben, wenn man in Erwägung zieht, dass diese späten epiphysären Ossifikationen erst zu jener Zeit aufzutreten pflegen, wann die Muskulatur ihre funktionelle Bethätigung auszuüben beginnt. Es ist daher anzunehmen, dass der Muskelzug es ist, welcher das Auftreten von Knochenkernen in seinen Ansatzgebieten begünstigt. Wie diese Korrelation zwischen histo- logischer Entfaltung und Eunktionsleistung im Speciellen verläuft, mag von Seiten der Histologen entschieden werden. Dass jedenfalls streng mechanische Momente bei der histologischen Differenzirung der Skeleto- genese vorwalten, haben die grundlegenden Arbeiten Strassee's für die Vorknorpelstufen ausser Zweifel gesetzt. Nackten Thatsachen gegenüber können auf die Dauer theoretische Bedenken nicht Stand halten. ^) Auf Grund der oben nachgewiesenen Korrelationen zwi- schen Muskelansatzstelle und Hervortreten von Ossifikationskernen bin ich zu der Behauptung gezwungen, dass die Funktion und zwar in diesem Falle die Stemm funktion gegen Muskelzug nichtnur die bekannte formative Wirkung, sondern auch einen ^) Wenn eben Theorien mit Thatsachen nicht übereinstimmen, dann tritt die JSTothwendigkeit heran, die ersteren zu modificiren. Thatsachen sind sacro- sankt und lassen sich nicht aus der Welt schaffen. 112 ^""^ Ernst Mehnert. histologisch diff ereiizi r enden Einfluss auf das Skelet- system ausübt. Das was für die Neuzeit und die Differenzirung des Knochens in den Muskelansatzstellen gilt, muss auch in der Vorzeit gegolten haben für die Diiferenzirung des Knorpels aus dem sogenannten Vorknorpel- stadium. Es ist ein Grundergebniss der vergleichenden Anatomie, dass das Muskel- und Skeletsystem ursprünglich zwei durchaus verschiedenen Gebieten angehörten, von denen das erste eine uralte, das letztere eine relativ recente Bildung ist. Beziehungen zwischen Muskulatur und Skelet sind bekanntlich erst sekundäre Erscheinungen. Es lässt sich unschwer nachweisen, dass erst in Folge dieser Verknüpfung das Skelet seine Entfaltung erreicht. Bei Amphioxus und Petromyzon ist erst ein ganz kleiner Theil der Muskulatur in Beziehung zum Skelet und zwar zum Visceralskelet getreten. Gerade dieser Abschnitt ge- winnt hierdurch, mit Ausnahme des von den Evertebraten ererbten Chordaskeletes, einen höheren Grad von histologischer Ausbildung. Bei den Gnathostomen ist die Verbindung von Muskulatur und Skelet eine sehr verbreitete geworden. AVir finden auch bei dieser Gruppe, (mit Ausnahme der Hautmuskeln) , dass ganz allgemein gerade die Stellen des Skelets, an welche Muskeln angeheftet sind, auch bereits zu Knorpel- und Knochengewebe umgewandelt vorliegen. Eine gleiche Abhängigkeit der Skeletentfaltung von der Musku- latur, wie wir sie soeben in der Phylogenese kennen gelernt haben, tritt auch in der Ontogenese mit gleicher Schärfe entgegen. Nach den sehr ausführlichen Untersuchungen von Molliee, (1893) wachsen die dorsalen und ventralen Muskelsprossen in die Extre- mitätenanlage hinein noch bevor das Skelet seine vorknorpelige Stufe überschritten hat. Erst nachdem ein jedes Myotom im Bereiche der Extremitäten anläge sich in vier Knospen getheilt hat, welche sich in ebenso viele Muskelbündel umgewandelt haben ^) und breite Anasto- mosen in ihren basalen Enden eingegangen sind "), „tritt auch die Skeletbildung in Erscheinung" ^), welche bis dahin ein „in der Flossen- basis gelegene, noch nach keiner Seite scharf begrenzte, kontinuirliche Zellenspange war".*) Sodann tritt die Muskulatur an zwei Stellen mit dem Vorknorpelskelet in Beziehung und zwar sowohl in dem basalen wie auch peripheren Tlieil derselben. Erst hierauf gliedert sich das Skelet in Gürtel und freie Extremität.^) In all den ^) MoLLiER 1893, S. 25. 2) 1. c. S. 26. ») 1. c. S. 28. *) 1. c. S. 30. ») 1. c. S. 64, Schema A, B, C. Die Kainogenese. 113 citirten Befunden Mollier's liegt der Beweis, dass der Anstoss sowohl zur Skeletentfaltung, als auch speciell zu einer Gliederung in Gürtel und Extremität sich von dem An- sätze der Muskulatur herleitet. Falls eine solche Voraussetzung zutreffend ist, dann muss man weiterhin verlangen, dass ebensoviel Skeletstücke zur Entfaltung ge- langen, als Muskelabschnitte vorhanden sind. In der That haben die Untersuchungen Dohrn's (1884) den Nachweis geliefert, dass bei Selachiern zwischen je zwei Muskelknospen ein Knorpelstrahl zur An- lage kommt. Die primären Muskelknospen gliederten sich in der Phy- logenese, wohl in Folge ihrer Funktionen, in Sekundärbündel. Gleiche Gliederungen treten auch in der Ontogenese auf und es darf wohl an- genommen werden, dass entsprechend denselben auch der sekundäre Querzerfall der Skeletstäbe erfolgt, ebenso wie nach der Zeichnung von MoLLiER, aus dem gleichen Grunde (Muskelgliederung), das Basale gegen seinen Gürtel an Selbstständigkeit gewinnt. Die Annahme, dass in einer vorknorpeligen Extremitätenplatte ohne jeden äusseren Grund isolirte Knorpelstücke auftauchen können, 'steht mit den son- stigen Ergebnissen der entwicklungsmechanischen Forschung im direk- ten Widerspruche. Eine solche Deutung ist auch gar nicht noth- wendig, denn es ergiebt sich ganz von selbst, dass alle diejenigen Par- tien, an welche sich (in der Phylogenese) die primitiven Muskelbündel ansetzten, auch hiermit eine Plusfunktion übertragen bekamen. Eine jede Steigerung der Funktion ist aber, wie die physiologische Funktions- hypertrophie lehrt (S. 125), mit einer Weiterentwicklung dieses Ab- schnittes verknüpft. Berücksichtigt man diese empirische Erfahrung, so ergiebt sich ganz von selbst, dass die stärker stemmfunktionirend. wirkenden Skeletpartien sich auch stärker und höher entfalten muss- ten als die von Muskelansätzen nicht betroffenen Zwischenzonen. Eine solche, auf bestimmte Lokalbezirke begrenzte höhere histologische Differenzirung musste aber in der Phylogenese, ebenso wie man es noch heutzutage in der Ontogenese verfolgen kann (Molliee), zu einer sekun- dären Gliederung sei es der vorknorpeligen oder knorpeligen Extre- mitätenplatte, in einzelne von der Chondrifikation oder der Ossifikation bevorzugte Provinzen führen. ^) 1) Die von mir vorgeschlagene Ableitung der Skelet^liederung von einer durch vermehrte Funktionsleistung angeregten histologischen Differenzirung scheint mir allen thatsächlichen Veihältnissen mehr Rechnung zu tragen, als die von anderer Seite theils direkt ausgesprochene oder nur versteckt angedeutete Hypothese einer durch Muskelzug bedinujten sowohl ontogenetischen w\e auch phylogenetischen Frak- turirung von Skeletstücken oder Skeletplatten. Eine solche Annahme einer Frak- turirung oder sei es auch nur einer allmählichen durch Lockerung verursachten Unterbrechung eines Skeletstürkes liegt immer die Vorstellung eines mehr oder weniger gewaltsamen Vorganges zu Grunde, welche auch nur schwer mit dem ruhigen Morpholog. Arbeiten hreg. t. G. Schwalbe. VII. 8 114 I^r. Ernst Mehnert. Auf Grund dieser Ueberlegung und der von Mollier publicirten Befunde stehe ich auch nicht davon ab, zu behaupten: dass ein jeder Skeletknorpel phylogenetisch aufgefasst werden muss als eine histologisch höher differenzirte und auch in Folge dessen zu einer gewissen Selbstständigkeit gegenüber ilirer Umgebung gelangte Ansatzstelle eines primitiven Muskelbündels.*) Die Thatsache, dass bei den höheren Vertebraten viele Skeletstücke nicht zu Muskelansätzen dienen, spricht nicht gegen deren myogene Ableitung. Es ist ganz bekannt, dass ebenso wie die Muskulatur ihr ursprüngliches Ansatzgebiet, das Integument, verlässt, um sich mit dem Innenskelet zu verbinden, diese neue Verbindung keine dauernde geblieben ist. Muskelansätze wechseln in den einzelnen Klassen und selbst Spe- cies ständig unter dem stets neuen Wechsel der Funktion. Die grund- legenden Untersuchungen von Gegenbaur ^) und seiner Schüler Für- bringer, ^) EuGE, *) Gadow ^) und Anderer haben den systematischen Beweis geliefert, dass Muskelabwanderungen zu den typischen Erschei- nungen der phylogenetischen und individuellen Entwicklung gehören. In Folge dessen gewinnen manche Skeletstücke neue Verknüpfungen zu ursprünglich ihnen fernen und fremden Muskelgruppen. Andere Skeletstücke hingegen werden von Muskelansätzen entblösst. Ausser- dem verlieren viele Knochen ihre Muskeln durch das Zugrundegehen der letzteren. Das Radiale externum besitzt nach den Untersuchungen von Albertina Carlson anfänglich Muskelbündel, die erst in der spä- teren Ontogenese schwinden. Mehrere Tarsalelemente des Menschen be- sitzen noch heutzutage Beziehungen zu Muskelansätzen, was bei den Carpalien nur in viel geringerem Grade der Fall ist. Im Hinblick auf die Selachierembryonen dürfte der muskellose Zustand einzelner Skelet- stücke bei den höheren Vertebraten gleichfalls als eine sekundäre Er- scheinung aufgefasst werden. Ein Gleiches gilt auch für die bei mensch- Dahinströmen und dem langsamen Zu- und Abschwellen aller vitaler Lebensvor- ^änge in Einklang zu bringen ist. ^) Ein jeder Knorpelkern eines langen Röhrenknochens (Femur, Humerus, Vorderarm und Vorderbeinknochen) ist ursprünglich nur sehr kurz (S. 59) und repräsentirt nur die knorpelige Anlage für das Diaphysenstück (Emys, Struthio). Auf Grund dieses Befundes kann ich den obigen Satz auch folgendermaassen fassen: Ein jeder jetzt Diaphyse genannter Skeletabschnitt ist die ursprüng- liche Ansatzstelle der primitiven Muskulatur. Die in der Ontogenese bis zur Pubertät auftauchenden E piphy senkerne sind phylogenetisch jün- geren Datums und haben sich erst herausgebildet unter dem Einflüsse der in recenterer Zeit eingetretenen Vertheilung der Muskelansätze. 2) Gegenbaur, 1889 b. 3) FüRBRlNGEB, 1876, 1886. *) Rüge, 1878 a, b, 1895, 1896. *) Gadow, 1882 a, b. Die Kainogeense. 115 liehen Embryonen nach den Untersuchungen von Thilenius (1895) noch in der Zehnzahl vorhandenen metacarpo-phalangealen Sesamknorpel. Der Umstand, dass wir in der Ontogenese der Säuger keine Muskelver- knüpfungen mit den Sesambeinen mehr finden, ist noch kein Beweis, dass solche nicht früher in der Phylogenese bestanden haben. Bei sol- chen Deutungen können nur vergleichend-anatomische Gesichtspunkte maassgebend sein. Der ontogenetische Nachweis ist auch gar nicht einmal wahrscheinlich. Sesambeine sind bis auf wenige rudimentäre und beim Menschen funktionslose Stücke. Eine primäre, nach Schwund oder Abwandern des Muskels eintretende Funktionslosigkeit setzt aber noch keineswegs einen gleichzeitigen Schwund seines Skelet- stückes voraus. Im Gegentheil, es entspricht vielmehr allen theore- tischen Vorstellungen, dass in diesem Falle Skeletstücke den Muskel- schwund in der Phylogenese überdauern. Dieses ist aber auch gerade der ontogenetische Befund, wie er von Thilenius (1896) beim Menschen und von Retteeer (1885) bei den Säugethieren gesehen worden ist. Bei myogener Ableitung des Skeletsystems muss man alle von Muskelansätzen freien Stücke als ihrer ursprünglichen Funktion beraubt betrachten. Solche Skeletstücke verfallen auch dem Rudimentärwerden, wenn nicht unter günstigen Umständen die erst bei Landthieren neu auftretende Stützfunktion dieselben zu einer neuen und theilweise hohen Ausbildung brächte. In Folgendem will ich den Beweis erbringen, dass gerade die Stütz- funktion es ist, welche die Entfaltung der Skeletstücke bei den höheren Formen bedingt. T h iL. / I i ß \ M H ^ 0 D Ö ^ f a M u G H .'0 m dl R \ T -J- m 1 ffi Q Ü3 CD rs das gleiche Gewicht wie auf dem Femur und alle dieselben acquiriren hierdurch die gleiche Dicke wie das letztere. Dieser kurze Exkurs, der noch auf eine beliebig grosse Zahl ana- loger Beispiele ausgedehnt werden kann — genügt schon, um zu zeigen, dass die Stützfunktion bei der phylogenetischen Entwicklung der Extre- mitätenstücke der Lamlthiere eine wesentliche Rolle spielt und dass speciell die Dicke nentfaltung derselben steigt propor- tional seiner Traglastfunktion, die bei den einzelnen Species und auch für jeden einzelnen Abschnitt ver- schieden ausfällt, je nach der ihm zufallenden Quote des Körpergewichts, In der Reihe der Vertebraten wird die direkte Stützfunktion des Körpergewichts nicht den gleichen Strahlen zugetheilt. Bei den Artio- dactylen sind der dritte und vierte Finger Hauptträger der Last, beim Strausse und beim Pferde ist es ausschliesslich der dritte Strahl. Hingegen bei den Amphibien sind es mehr die radialen und tibialen Randstrahlen, Diese Verschiedenheiten werden verursacht durch den in den einzelnen Klassen unterschiedlichen tonischen Muskel zug und die besonderen Schwerkraft- momente, welche eine verschiedene Fixations- stellung der Extremität zur Folge haben. Hierbei können drei verschiedene Stufen unterschieden werden. Beim Strausse (Schema 0) und beim Pferde (Schema P) steht der untere Theil der Laufextremitäten nahezu senkrecht. Die Schwer- punktlinie verläuft mitten durch den dritten Strahl, welcher auch zur Hauptzehe wird und eine grosse Entwicklung erreicht. Der Froscharm (Schema N) ist schräg nach aussen gestellt. Die Last geht durch den zweiten Finger, welcher sich zum längsten aus- bildet. Bekanntlich besitzt auch der Mensch ein physiologisches Genu valgum geringen Maasses. Die Schwerpunktlinie geht durch die tibialen Zehen und die erste Zehe gelangt zur besonderen Dickenentwicklung Die Kainogenese. 117 Das Umgekehrte tritt ein, wenn der Fuss schräg nach innen ge- stellt ist. In diesen Fällen kommen die äusseren Zehen zu einer stär- \^ □ m du P keren Funktion und zu einem morphologischen Aufschwünge. Beim Froschfuss (Schema E,) wird die vierte Zehe zur Hauptzehe. Vorstehende Beispiele beweisen, dass die Stützfunktion die phyle- tische Ausbildung des sekundären Skelets mit bedingt. Maassgebend dafür, welche Skeletstücke speciell zur Entwicklung gelangen, ist, wie die letztaufgezählten Fälle zeigen, die Richtung, in welcher sich die Körperlast auf die einzelnen Komponenten vertheilt. Letzteres Moment verursacht auch die specielle Ausbildung des Carpus- und Tarsus- abschnittes bei den Landlebenden , und ist auch die Ursache für die Hervorbildung jener unterschiedlicher Skeletstücke, welche man als kon- stante und sogenannte inkonstante Elemente zu unterscheiden pflegt. Um die Wirkung zu studiren, welche die Drucklinien auf die ein- zelnen Elemente der freien Extremität hervorbringen, gehe ich von einer ganz allgemeinen Form aus, wie sie etwa der Ontogenese der vor- deren Extremität von Emys zu Grunde liegt (Fig. S). Die Körperlast vertheilt sich vom Ellenbogen- oder Kniegelenk an auf die beiden Stütz- pfeiler von Ulna und Radius, respektive Tibia und Fibula. Der Tragebalken des ersten Fingers stützt, über Tarsale I, Tibiale, in gerader Linie die Tibia. In gleicher Weise funktionirt der fünfte Finger. Seine Achse läuft durch Tarsale V, Fibulare in die Fibula aus. Auf dem Mittelfinger lastet der Schwerpunkt des Inter- mediums. Die Tragkraft des zweiten und vierten Fingers vertheilt sich in zwei Komponenten. Im ersteren Falle stützt der zweite Tragbalken das Tibiale und Intermedium, der vierte Finger wird belastet vom Fibulare und Intermedium. Das Intermedium selbst stemmt sich gegen Tibia und Fibula. 118 Dr. Ernst Mehnert. Kurz, es handelt sich bei der Stützkonstruktion der Extremität um ein komplicirtes Gewölbesystem, welches sich aus zahlreichen spitz- winkligen Einzeldruckbögen zusammensetzt. #1111 ^ ^ n 0 M, fl 0 ^ 0 Ö ö /^~\ Das Auseinanderweichen der einzelnen Gewölbepfeiler wird ver- hindert durch drei übereinandergelegene Querbandverankerungen (Fig. T). Dieselben bestehen in dem Ligamentum interosseum in den plantaren und dorsalen Ligamenta carpalia und tarsalia und den Ligamenta capitulorum. Alle Elemente, die in der Richtung dieser Stütz- (oder Druck-)linien sich befinden, kann man als stütz- oder druck funktionirend bezeichnen. Es sind dieses die soge- nannten konstanten Carpalia und Tarsalia. Es entsteht jetzt die weitere Frage, wie verhalten sich die inkon- stanten Elemente zu diesem Druckliniensystem. Zur Entscheidung dieser Frage habe ich dieselben in das obige Konstruktionsschema ein- gezeichnet in ihren relativen Lagebeziehungen, wie sie von G. Thile- Nius (1896, S. 490) für den Menschen nachgewiesen wurden. Die An- gaben des letzteren Untersuchers gestatten mir, alle inkonstanten Ele- mente je nach ihrer Lage in drei Gruppen zu gliedern. Entweder handelt es sich um typische Randelemente, die ausserhalb des eigentlichen Carpus liegen (Vesalianum, Pisiforme, Ulnare externum, Praetrapezium, Radiale externum), oder um Stücke, die zwischen den Basen der Metacarpalien liegen (Trapezoides secundarium, Styloid, Parastyloid, Capitatum secundarium, Os Gruberi). Die dritte Gruppe wird gebildet von denjenigen Skeletstücken, die dorsal oder volar dem Carpus aufliegen (centrale Reihe von Thileniüs); Centrale 1, Die Xainogenese. 119 Epilunatum , Hypolunatum , Epipyramis Pfitzner.) In die gleiche Kategorie gehören alle Sesamknorpel. Wenn ich die in den vorstehenden drei Kategorien aufgezählten Elemente zusammenfasse, so darf ich wohl sagen, dass sie alle ausser- halb des eigentlichen Carpus liegen und daher auch bei einer etwaigen Druckbelastung garnicht in Mitleidenschaft gezogen werden können. Mit anderen Worten, alle inkonstanten Skeletstücke der Extremität sind in der Jetztzeit druckentlastete Ele- mente.^) Es fragt sich aber weiterhin, welchen Antheil an der Funktion nahmen dieselben zu jener Zeit, als die Ruderextremität sich an die neue Gehfunktion gewöhnen musste. Die specielle Form der ursprüng- lichen Ausgangsform für die pentadactylen Extremitäten kennen wir nicht mehr. Die Vergleichung macht es jedoch sehr wahrscheinlich, dass es sich um ein polyaktinotes biseriales Extremitätenskelet gehan- delt haben mag, wie es in ursprünglichster Form die Gliedmaassen der Selachier zeigen (Gegenbauk 1870). Als Ausgangsform wähle ich eine ganz allgemeine Form, welche gleichviel Elemente zeigt wie die primitive Hand von Emys und in welcher dieselben in einer ähnlichen stark schematisirten Lagerung situirt sind. Ich vernachlässige etwa in der Mehrzahl vorhandene Randfinger, welche noch Baptanodon, -) Ichthyosaurus und Plesiosaurus ^) besassen, oder intermediäre phyletisch ausfallende Finger, welche Kükenthal *) bei Balaenoptera-Embryonen gesehen hat. Gehen wir von dem obigen allgemeinen Schema aus (Fig. U), dann können wir annehmen, dass einzelne Elemente von einem direkten Drucke, andere von dem indirekten Drucke der Druckkomponenten betroffen sein werden, oder mit anderen Worten, es ist wahrscheinlich, dass einzelne Elemente stärker, andere schwächer druckfunktionirend wurden. Das allgemeine Axiom, dass stärker funktionirende Stücke in der Phylogenie progrendient, schwächer funktionirende Elemente einen schwächeren Entfaltungstenor zeigen, gestattet auch die groben Züge der weiteren Entwicklung des Extremitätenskelets in folgender Weise zurecht zu legen. Es ist anzunehmen, dass die stärker belasteten Carpalien und Tarsalien sich rascher vergrösserten und damit ständig nicht nur an 1) Insofern als an dieselben sich nicht noch besondere Sehnen ansetzen, sie also der Stemmfunktion gegen den Muskelzug obliegen — wie z. B. das Radiale externum bei gewissen Formen und das Pisiforme beim Menschen — müssen sie überhaupt als einer jeden Funktion bar bezeichnet werden. 2) Marsh, 1880 b. 3) CuviER, Ossements fossiles. 1835. Edition quatrieme. Taf. 258, Fig. 4. *) Kükenthal, 1890, S. 709. Fig. im Texte. 120 I^r- Ernst Mehnert. Terrain, sondern auch an dem entwickelnden Princip der Funktion ge- wannen, bis die schwächer arbeitenden Genossen ausserhalb des Carpus geschoben wurden. Die Entwicklung des Extremitätenskelets in seiner Phylogenese dürfte man sich auf folgende Weise denken. Beim phyletischen Uebergange einer Flosse in eine Stütz- extremität haben die direkt druck funktionirenden Car- palia in Folge ihrer Mehrleistung sich zu den kano- nischen oder bleibenden Stücken ausgebildet (Fig. U, helle Kreise). Die druckentlasteten Stücke hingegen sind wegen ihrer geringeren Funktion zur Stufe der accesso- rischen Elementö herabgesunken (Fig. U , dunkle Kreise) und erscheinen in den jetzigen Ontogenien nur noch als belanglose von den Vorfahren ererbte Rudimente. ^) Diese Erklärung der phyletischen Ableitung von Carpus und Tarsus macht es wahrscheinlich, dass die Ausschaltung der heutzutage accessorisch auftretenden Elemente aus der Funktion schon im digiti- graden Zustande erfolgt ist und gerade durch den letzteren seine kausale Begründung findet. Der höchste Grad der einseitigen Ausbildung ein- zelner Carpalia und Tarsalia und eine weitgehende Reduktion der übri- gen besteht bei den jetzt lebenden digitigraden Quadrupeden. Bei den- selben machen diese Processe um so grössere Fortschritte, je geringer die Zahl der Strahlen wird, auf welche sich die Körperlast konzentrirt. Die Konfiguration und Zusammensetzung des menschlichen Carpus bestätigt die Richtigkeit meiner theoretischen Voraussetzung. Mit dem Eintritte der aufrechten Körperhaltung wurde die vordere Extremität ^) Meine in obiger Darstellung versuchte phylogenetische Ableitung des Extre- mitätenskelets geht aus von der Vorstellung, dass sich erst sekundär Skeletstäbe ausbildeten in einer der in die Extremität hineinwuchernden Muskelknospen ent- sprechenden Zahl, Mit der Quergliederung der Muskulatur in einzelne Bündel diffe- renzirten sich auch ihre Ansatzstellen zu isolirten Knorpelstücken. Diese Hypothese steht keineswegs mit dem Befunde im Widerspruche, dass bei den Fischen mit der Ausbildung der Flossenfunktion auch die gegliederten Knorpelstrahlen, wie Mollieb in der Ontogenese der Selachierextremität gezeigt hat, eine basale Konzentration er- fahren und sich bei einigen Formen zu einer biserialen Anordnung umgruppirt haben. Meine Hypothese will auch weiterhin besagen, dass die bei AVasserthieren vorhanden gewesene (rruppirung nicht ohne Weiteres auf die Luftathmer ül)er- gegangen zu sein braucht, sondern erst einer mechanischen Umgestaltung unter- liegen konnte: die gerade in der Richtung der Stützlinien befindlichen Elemente blieben bestehen und bildeten neue Strahlengruppirungen. Die zwischen den Stütz- linien gelegenen Abschnitte der ursprünglichen Strahlen gingen in der Phylogenese allmählich ein in Folge von Funktionsatrophie. Ein Extremitätenstrahl der landlebenden Thiere braucht gar nicht homolog zu sein einem Strahle der Fischflosse, sondern er kann ebenso gut entstanden sein aus überlebenden weiter entwickelten Komponenten verschiedener Strahlen der Wasser lebenden. 2) G. Thilenius, 1896 a, S. 540. Die Kainogenese. 121 vom Körperdrucke entlastet. Insofern nicht wie bei den Vögeln die neu etablirte Flugfunktion neue Umgestaltungen hervorbrachte, konnte bei Primaten der zu jener Zeit bestehende Status auch noch auf den Menschen unverändert vererbt werden. Gerade die primitive Form der menschlichen Hand und speciell des Carpus und die überaus zahlreichen, vielleicht noch zahlreicher wie bei den anderen Warmblütern vor- kommenden accessorischen Elemente sind Beweise, dass die Umgestal- tung der Extremität - — insofern nicht Muskelzugwirkung in Frage kommt — mit von der Belastung ausgeht. Nach Fortfall des Körper- druckes ging auch das zu neuer Entwicklung treibende Princip aus, und die menschliche Hand vermochte noch eine so ursprüngliche Form beizubehalten, wie sie in gleicher Primitivität jetzt nur noch bei Cetaceen und Schildkröten vorkommt. Mit der durch obige Belege und auch durch die embryonale Acce- leration und ßetardation der Entfaltung bewiesenen Thatsache, dass die ontogenetische und phylogenetische Ausbildung eines Organs regu- lirt wird und auch ihre kausale primäre Ursache findet in der Arbeits- leistung, wird auch die bisher vielfach citirte Annahme eines Kampfes um das Dasein der Organe entbehrlich. Allerdings bei experimentell oder durch Krankheit erzeugtem Wegfall eines Organes tritt das nächst benachbarte von der Funktion stärker entwickelte Nebenorgan vicari- rend ein. Jedoch tritt eine so plötzliche Erscheinung in der normalen Phylogenese nicht ein. Das Erlöschen eines Organes ist keineswegs so rasch wie das künstlich gesetzte. Es handelt sich vielmehr um ein selbststän- diges Zurücktreten eines Organes oder Organabschnittes. Die Bezeich- nung Kampf um das Dasein ist kein zutreffendes Bild, weil der eigent- liche Vorgang kein aktiver Wettbewerb, keine Schädigung eines Organes durch einen stärkeren Nachbar ist, sondern nur ein bei verminderter AVachsthumsenergie eintretendes Platzmachen einerseits ^) und ein pro- portionales Platzergreifen der durch vermehrte Funktion wachsthums- kräftigeren Organes andererseits. Wenn überhaupt das Bild eines ^) Die von mancher Seite aufgestellte Behauptung, dass die inkonstanten Car- palia gewissermaassen erdrückte Organe sind, dürfte überhaupt nur bei den Cen- tralia ernstlich in Frage kommen, denn bei den ßandelementen kann von einer Raumbeschränkung gar nicht die Rede sein. Im Gegentheil, ihr nur von der Haut bedeckter Sitz vermag einer Ausbreitung nicht den geringsten Widerstand entgegen zu setzen. Dennoch sehen wir täglich, dass gerade die Randelemente in allen Vertebratenklassen einer Reduktion anheim fallen. Wenn die inkonstanten Elemente mechanisch erdrückte Gewebspartien wären, dann müsste man in denselben die von Strasser als Druckprodukte hingestellten Prochondralelemente häufiger sehen als in den konstanten. Diese Voraussetzung* trifft aber durchaus nicht zu, denn nirgends finde ich diese dunklen Elemente weniger zahlreich als gerade in den inkonstanten und rudimentären Skeletstücken (S. 83). Auch die blosse Ueberlegung sagt, dass X22 I^r- Ernst Mehnert. Wettbewerbes für beide passiv eintretenden Folgeerscheinungen ange- wandt werden soll, dann kann man auch nur sprechen von einem in der Phylogenese bestehenden Kampf um die allein erhaltende und allein zur Weiterausbildung führende Funktionsleistung. ^) Die ganze Entwicklung in der Phylogenese beruht auf solchen Leistungen und ist eine richtige Mechanometamorphose (Kinetogenesis, Eyder, Cope 1887). 2) Alle Lebensäusserungen eines Organismus ergeben in ihrer Gesammtheit die Funktion eines jeden orga- nischen Wesens. Dieselben setzen sich zusammen und werden ge- regelt durch die Leistungen eines jeden Organes für sich. Letztere die Centralia bei gleicher vitaler Entfaltungsenergie sich von den übrigen gar nicht unterdrücken lassen würden, und etwa bei einem durch Konkurrenz der Umstände geschafi'enen unüberwindlichen Hindernisse sich frei in der ihnen zur Verfügung stehenden volaren oder dorsalen Richtung ausbreiten würden. In der That liegen, wie bekannt, mehrere inkonstante Elemente der Hand der dorsalen Fläche des Carpus auf, wo denselben zu einem ganz unbehinderten Wachsthum die aller- günstigsten Bedingungen zur Seite stehen und sie sich ganz unbehindert ausdehnen könnten, falls ihre Wachsthumsenergie ein solches erheischen würde. De facto jedoch gehen dieselben, trotz ihrer keinem Drucke unterworfenen Lage, oder richtiger ge- sagt, gerade deswegen, weil ihnen der belebende Hauch der Druckfunktion fehlt, zu Grunde, falls sie nicht durch Verschmelzung mit einem konstanten Elemente fixirt, als belangloser Fortsatz ein unselbstständiges Dasein weiter fristen, oder wie das Pisiforme, sich wieder in den Dienst der allerursprünglichsten, die primäre Ent- wicklung des Skeletsystems in der Phylogenese verursachenden Principes der Muskel- zugwirkung stellen. ^) Der wiederholt von mir geführte Nachweis (z. ß. S. 115, 117), dass die onto ■ genetische Entfaltung oder Nichtentfaltung eines Organes in erster und alleiniger Weise von der in der Phylogenese geleisteten Arbeit abhängig ist, macht auch die bisweilen gemachte Annahme eines kompensatorischen Eigenwachsthums unnöthig. Eine kompensatorische Funktionsausbildung tritt nur bei künstlich gesetztem Ausfall ein. Jedoch darf diese Erscheinung durchaus nicht direkt ins Phylogenetische übertragen werden, denn wie schon oben citirt, ein Ausfall in der Phylogenese bedingt nur ein sehr allmäliges und langsames Zurückgehen (S. 105, Anm., S. 136, Anm.). Ein progredient sich entwickelndes Organ übernimmt nicht erst die von seinem Nachbar nicht mehr geleistete Arbeitsquote, sondern das Verhältniss ist ein direkt umgekehrtes. Die primäre Ursache für die Transformation aller organischen Körper besteht in einer Anpassung an neue biolo- gische Verhältnisse. Zum Beispiel durch die Angewöhnung an den aufrechten Gang tritt eine Verschiebung der Schwerpunktlinien und ihrer Stützkomponenten ein (Die Richtungsänderung der Achse der unteren Extremität. S. 117, Schema M — E,). Durch die Lageveränderung tritt eine neue Vertheilung der Arbeitslasten ein. Manche Organe erhalten hierbei eine Plusfunktion zu be- wältigen und blühen in Folge dessen auf. Andere werden entlastet und erst durch diese vorangehende Minderung oder Aufhebung der Funktion — nicht aber durch ein aktives Zurückgedrängtwerden — wird auch die ontogenetische Entfaltungs- energie vermindert und retardirt. ^) Originalia waren mir unzugänglich. Citirt nach Osborn, Ergebnisse, Bd. III, 1893, S. 601, 603. Die Kainogenese. 123 spielen in den verschiedenen Altersperioden eine durchaus verschiedene Rolle. Die embryonale Ausbildung ist nahezu ausschliesslich eine Ent- faltung der ererbten Energien. Zwar funktionieren alle Organe schon in dem ersten Momente ihres Erscheinens, ein jedes für sich in be- stimmter Richtung. Das Herz pulsirt schon als einschichtiger Zellen- schlauch und die Leber secernirt schon in früher Zeit Galle (Meconium- bildung). Alle Organe wirken auch korrelativ auf einander ein. Dennoch sind dieses alles Funktionen, die aus den inneren Organisa- tionen des Keimes selbst hervorgehen und bei den höheren Thieren von äusseren Momenten nur in ganz konstanter wenig variirender Weise beeinflusst werden. Ein je höherer Organismus sich heraus- bildet, desto mehr wird er von der Natur gegen äussere Einflüsse ge- schützt. Die kolossale Ausbildung von zahlreichen zum Theil dickwandigen embryonalen Schutzhüllen, Teloderm, ^) Amnion, AUantois u. s. w. ist ein deutlicher Ausdruck dafür, dass der Keim gegen äussere Einflüsse geschützt und gegen dieselben abgeschlossen wird. ^) Ein jeder Sau- ropsidenembryo (Reptilien und Vögel) entfaltet sich in dem künstlichen Bogengewölbe der Pergament- oder Kalkschale. Die bei den Säuge- thieren stattfindende Ausbildung eines mächtigen muskulösen Uterus- sackes und die geschützte Lage zwischen den Eingeweiden des Mutter- leibes ist auch nur ein weiteres Zeichen von Abschliessung gegen die Aussenwelt. Man muss daher die embryonale Ausbildung der höheren Thiere definiren als eine vorwiegende Entfal- tung in einer möglichst gegen äussere Einwirkungen ge- schützten Lage. Erst mit dem Momente der Geburt oder dem Auskriechen aus den Embryonalhüllen beginnt die Aussenwelt in ihren Reaktionen auf den werdenden Organismus in wechselnder Weise einzuwirken. Durch den Reiz der äusseren Luft wird der erste Athemzug provocirt und der Blutkreislauf ändert seine Bahnen. Erst mit dem Mo- mente der Geburt können wir daher von einem überwie- genden Einflüsse der Aussenwelt und von einer eigent- lichen Entwicklung sprechen. Denn nur von den äusseren Umgebungsverhältnissen hängt es jetzt ab, ob und in welcher Richtung das Individuum seinen Leib entwickelt, und dadurch auch eine neue 1) E. Mehnert, 1895 b, S. 207—274. 2) Die Abschliessung eines jeden Embryo der höheren Vertebraten gegen die Aussenwelt ist wohl der beste Beweis dafür, dass er gar nicht auf die specifischen, in ihren Intensitäten oft wechselnden äusseren Einflüsse angewiesen ist. Er bedarf nur des in der Wärme und des in der Nabrung ihm zugeführten konstanten Ener- gienzunusses. 124 Dr. Ernst Mehnert. Menge der durch Vererbung für seine Nachkommen zu Gunsten kommenden Entfaltungsenergien bindet oder durch Ausfall der Leistun- gen den von seinen Vorfahren überkommenen vererbbaren Bestand auch für die Germinalanlagen seiner nachfolgenden Generationen mindert. Die ganze Vererbung ist nur eine individuelle Ueber- tragung von latenten Entfaltungsenergien. In einer jeden einzelnen Muskel- oder Gehirnzelle werden chemische Energien als potentielle mechanische Energien gebunden, um bei gegebener Reizaus- lösung als specifische Energien aufzutreten. Derselbe Vorgang findet auch bei der Vererbung statt. In den reifen Germinalzellen liegen individuell angesammelte, latente, specifische Entfaltungs- und Deter- minationsenergien vor, die aber erst unter dem auslösenden Reiz der günstigen äusseren Bedingungen zu einer Keimesbildung führen können. Ansammlungen von Reizen, Latenz der gebundenen Energien und Aus- lösung derselben werden in der Physiologie als ein protrahirter Reflex- mechanismus bezeichnet. Aus diesem Grunde muss ich die von Okr (1893) ^) versuchte Zurückführung der Vererbung auf einen Reflex- mechanismus als durchaus zutreffend bezeichnen. Die Ansammlung der Entfaltungsenergien in den so- genannten Determinanten erfolgt in der individuellen Phylogenese der Vorfahren. Die Reizauslösung beginnt mit dem Momente der Kopulation der Germinalzellen und endigt mit dem Tode des Individuums. Der Effekt der Reizauslösung ist ein Individualleben. Das ganze individuelle Leben besteht vorstehender Definition nach in seiner Evo- lutionskomponente aus einer ständigen gemessenen Reizauslösung, welche ebenso rhythmisch geregelt verläuft wie etwa eine Gedächtnissreproduk- tion eines längeren Musikstückes. (Mnemogenesis, Osborn 1889, Hyatt 1889, CoPE 1893, Orr 1893, Gedächtnisstheorie von Hering, Buttler, Haeckel, Wundt.) In einer jeden einzelnen Germinalzelle, und speciell in einem jeden Organdeterminanten für sich, liegen nicht alle Regenerationskräfte für sämmtliche im Laufe des individuellen Lebens aus ihnen hervorgehen- den specifischen Zellenglieder vor. Ohne Zufuhr an neuen Energien (Wärme, Nahrung) kann keine einzige thierische Germinalzelle sich weiter entfalten. Ein befruchteter aber bei Tagestemperatur aufbe- wahrter Hühnerkeim kann Wochen lang latent bleiben, bis ihm das nöthige Quantum von Wärme geboten wird. In der Germinalzelle und ihren Organdeterminanten handelt es sich nur um eine individuell verschiedene, für ein jedes Organ streng bemessene Ansammlung von specifischer Fähigkeit chemische ihm dargebotene Energien entweder 1) Citirt nach Osborn, Ergebnisse, Bd. III, 1893, S. 606—607. Das Original war mir nicht zugängig. Die Kainogenese. J25 einfach zu binden, oder dieselben zuerst in potential mechanische Ener- gien überzuführen und sie dann als solche zu fixiren. Letztere werden bei gegebener funktioneller Reizgelegenheit als kinetische Energie in die mechanische Leistung von Zelltheilungen und Karyokinesen umgesetzt. In der Zuriickführung des individuellen Wachsthums auf eine Ent- faltung von gewissen specifischen Energien habe ich mich als ein un- bedingter Anhänger der sogenannten Evolution bekannt. Jedoch ist die Evolution nicht die einzige Triebfeder, welche zur Ausbildung eines Individuums führt. Ein jedes Lebewesen funktionirt. Schon die blosse Empirie zeigt, dass unter dem Einflüsse der individuellen Leistungen eine beträchtliche Zunahme neuer morphotischer Elemente eintritt. Der Kliniker nennt diese Erscheinung funktionelle Hyper- trophie eines Organes. ^) Ich bezeichne diese aus den Leistungen resul- tirende Zunahme neuer Zellelemente, welche als solche neue kleine Spannkraftdepots darstellen, als Funktionsepigenese. 2) In nachfolgender Textfigur habe ich ein Schema zusammengestellt, welches in ganz groben Zügen die Beziehungen zwischen Evolution und individueller Epigenese zur Anschauung bringen soll. Ich habe ein Menschenleben von hundert Jabren angenommen. Einem jeden Lebensjahre entspricht ein Millimeter Grundfläche. Ich habe das Leben einer Frau zu Grunde gelegt, weil bei derselben der Rückgang durch das Eintreten der Menopause scharf gekennzeichnet ist. Das Jugendwachsthum ist auf 18 Jahre, die Geschlechtsreife auf 30 Jahre ausgedehnt. Auf das Greisenalter entfallen 52 Jahre. Die Evolution (mittelste Calotte) beginnt mit dem Momente der Kopulation von männlichem und weiblichem Vorkern und erstreckt sich durch das ganze Leben hin. Jedoch wird der Wachsthumseffekt *) Die bekannteste Erscheinung ist die funktionelle Hypertrophie häufig ge- übter JVLuskelgruppen. Sie gilt jedoch für alle Organe und ist in neuerer Zeit experimentell nachgewiesen von Ribbert und Peipers (1894, S. 43-69) und zwar für beide Geschlechtsdrüsen (S. 69—76), Hoden (S. 71-73), Mamma (73—75), Niere (76 — 83), Speicheldrüsen (Ö. 83 — 86). Ausführlicheres auch in Virchow's Archiv, Bd. 120. ") Seit den Untersuchungen von Caspar Friedrich Wolff haben manche Em- bryologen eine jede Evolution verworfen und sind nur von der Voraussetzung einer „embryonalen Entwicklung" ausgegangen, welche von äusseren sogenannten gün- stigen Bedingungen abhängig gemacht wurde. Eine gleiche Annahme hat bekannt- lich das geistreiche Cartesianische System an eine verhängnissvolle Irrthums- klippe und in seinen weiteren Konsequenzen ad absurdum geführt. Ein jeder Mensch kann unter den gleichen Bedingungen bleiben wie zuvor und dennoch geht sein Organismus einer alimaligen Involution entgegen trotz der „günstigen äusseren Bedingungen". Die letzteren sind nur Grundlagen, Bausteine, nicht aber kausale Ursachen für die Erhaltung und Entfaltung des Lebens. Cf. v. Wagneb 1895. Nr. 21, 22. 126 Dr. Ernst Mehnert. auch schon während des ganzen Embryonallebens ständig verändert durch den Ausfall der rudimentär werdenden Organe (unterste helle ^i^iextäf GtsekLeektitod Cebion Ce/iujSaJwn d. ImirjtoncUeieiL. \t7ug-endivai:AsthuMi Ofsch lei'fiti.n.etji frnsrnaccei- JidCm'duMe PhyLcyenese Calotte). Mit dem Momente der Geburt schnellt die aus den Leistungen sich ergebende Funktionsepigenese mächtig empor (oberste Calotte), spielt in der nachfolgenden Periode eine wesentliche ßolle um dann proportional der senilen Involution der Organe langsam abzuschwellen. In Form einer Gleichung stellt sich obige Zeichnung folgender- maassen dar: Embryonalleben Leben von der Ge- burt bis zum Man- nesalter Mannesalter Altersperiode Tod Vorwiegende Entfaltung der Keimesanlagen, Geringe" Funktionsepigenese. = Entfaltung -j- Anschwellen der Funktionsepigenese. Abnahme der Entfaltungsenergie, Aufrechterhaltung des Status durch die Epigenese. Erlahmen des Entfaltungstriebes (Erlahmen der Zell- regenerationsfähigkeit). =:: Involutionsausfall eines zum Leben wichtigen Organes. ^) ^ ^) In einem sehr lehrreichen Vortrage hat Goette — soweit ich ihn recht ver- standen habe — den Ursprung des Todes abgeleitet von einem Zugrundegehen des Mutterthieres durch seine Nachkommen. Es dürfte sich nicht um allgemeine, sondern ganz specielle Fälle von exquisitem Parasitismus handeln (Gregarinen, Spo- rospermien u. s. w.). Gerade die Beispiele scheinen mir aber in anderer Hinsicht sehr werthvoll zu sein. Sie zeioren in sinnesfälliger Weise die direkte Kontinuität des Lebens (Weissmann, His, Räuber). Aus den Trümmern des Mutterthieres sprosst das neue Leben; ebenso wie in einem Baume neben den alten Jahresringen sich neues Leben ansetzt und die zum Theil in früheren Perioden angesammelten Sub- stanzen (Zurückwandern des Chlorophylls im Herbste, ätherische Oele, Krystall- parenchym) auf dem Wege der „Fibrovasalstränge" (B-ussow) und der direkten Protoplasmakontinuität, sich wieder von Neuem dienstbar macht. Der Individualtod eines höheren Lebewesens ist nach den Ergebnissen der Die Kainogenese. 127 Die individuelle Phylogenese reicht vom Beginne der ersten Fur- chungszelle bis zum Geschlechtstode und steht unter dem ständigen Zeichen der Massenkorrelation aller einzelnen Zellelemente. Nur die während dieser Periode individuell erworbene Epigenese kann für eine Weitervererbung als verwerthbar in Frage kommen. Nach den obigen Betrachtungen ergiebt sich das Individual- leben als eine allmälig erschlaffende Evolution von phyletisch angesammelten Energien, welche vermehrt und substituirt werden durch die Funktionshypertrophie der Organe. Eine weitere Frage ist folgende : Wie verhalten sich im Leben eines Individuums Evolution und Epigenese zu einander? Histologische Unterschiede zwischen direkt evolutionistisch und epigenetisch entstan- denen Zellen sind durchaus nicht zu erwarten, weil die letzteren auch nur durch den Reiz der Funktion speciell hervorgebrachte Nachkommen der ersteren sind. Für viele Organe erscheint eine präcise Abgrenzung beider Ge- biete unmöglich, weil ein künstlich gesetzter Ausfall der Funktionen eines Organes das Gesammtleben des Individuums zu gefährden im Stande ist. In dem Muskelsystem besitzen wir jedoch einen Organenkomplex, bei welchem ein Experimentator einzelne seiner Theile nach Belieben dauernd von einer Funktion ausschliessen kann. Ein solcher Zustand ist von dem Kliniker mit dem Namen „Funktionsatrophie" bezeichnet worden. Analysiren wir diesen Vorgang in seine Einzelkomponenten, so ist derselbe nur die sinnesfällige Aeusserungsform für einen Ausfall jenes Zellenzuschusses, welcher bei einer physiologischen, jetzt unterbrochenen, Weiterbethätigung sich als funktionelle Hypertrophie eingestellt haben vorstehenden Arbeit, in Bestätigung der allgemeinen Anschauung, nur derjenige Zeitpunkt, in welchem unter physiologischen Verhältnissen die von den Vorfahren für das Individuum angesammelte kinetische Energie (S. 125, Anm. 2) ihr Ende findet (Weiteres auf S. 124). ^) Durch die als funktionelle Hypertrophie bezeichnete Zunahme neuer Zell- elemente werden z. B. die von der Keimesanlage direkt gelieferten Muskelzellen in ihren Leistungen entlastet, weil jetzt eine grössere Zahl von Einzelwesen zur Ausübung der Funktionen zur Disposition steht. Man darf aus diesem Grunde die Funktions- hypertrophie oder überhaupt die ganze Funktionsepigenese auffassen als einen Vorgang, welcher in erster Linie dazu bestimmt ist, die evo- lutionistisch hervorgebrachten Keimbezirke zu schonen und die- selben zu substituir en. Selbst die energischste Epigenese vermag jedoch nicht die im Alter erschlaffenden Evolutionskräfte in ihrem Ausfalle zu ersetzen. Eine ratio- nelle Schonung kann den Verfall zwar protrahiren, die Lebensdauer jedoch nicht über ein gewisses Maass hinaus verlängern. Die epigenetisch angesammelten Kräfte sind somit für das betreffende Individuum selbst vergebens angesammelte Schätze. Sie gehen jedoch nicht verloren und können mit gewissen Einschränkungen dem Auf- blühen späterer Generationen zu Gute kommen. (Verlängerung des Lebens S. 141.) 128 I^r. Ernst Mehnert. würde. Ein nach Nervendurclischneidung gelähmter Muskel ist daher auch für sein Weiterleben, oder was dasselbe ist, für seine weitere Ansammlung und Verausgabung von Spannkräften nur angewiesen auf die ihm jetzt allein zur Verfügung stehenden eigenen Evolutionsener- gien. Das Experiment lehrt, dass ein nicht funktionirender Muskel atrophirt. Es ist dieses nur die sinnesfällige Erscheinungsform für eine allmälige Abnahme und schliessliches Erlöschen der Evolutions- kräfte. Die experimentelle Funktionsatrophie kann daher dienen als ein ungefährer Maassstab für die Beurth ei- lung der einem Organe integrirenden Evolutionskräfte. Wie bekannt, reagiren Organe, die von ihrer specifischen Leistung ausgeschlossen sind, erst nach verschiedener Zeit. Manche atrophiren sehr rasch, andere halten sich länger. Jedenfalls zeigen die ersteren Fälle, dass die Evolutionskräfte mancher Organe nicht erliebliche sind. Hieraus ergiebt sich als weitere Konsequenz, dass die Funktions- epigenese bei vielen Organen eine sehr beträchtliche ist, bei manchen Organen möglicher Weise sogar eine erheblichere Rolle spielt als die evolutionirte Keimes- grundlage. Im vorstehenden Ergebnisse, dass ich das thierische Organleben von einer Evolution und Epigenese ableite, stimme ich mit 0. Hertwig (1894) ganz überein. Nur vermag ich der von Hertwig in den Vorder- grund geschobenen Verarbeitung äusserer Substanzen zu inneren Be- standtheilen, die während des ganzen Lebens eintritt, nicht eine so hohe principielle Bedeutung zuzuschreiben. Es handelt sich nicht um eine Entwicklung, sondern um das jedem Molekülkomplexe integrirende aus den Atomaffinitäten sich herleitende Bindungsver- mögen auf dem Wege der Atomzüge, ^) wie es auch allen unorganischen Komplexen eigen ist. ^) Auch in einem anderen Punkte vermag ich Hertwig nicht ganz zu folgen. Hertwig nimmt mit Pflüger eine Isotropie des Proto- plasma an und behauptet:^) „dass im Dotter des Eies keine beson- deren organbildenden Keimbezirke vorhanden sind, sondern, dass ein bestimmtes Stück Dottersubstanz je nach den Bedingungen in verschie- dener Weise für den Aufbau des Embryo verwandt werden kann." Allerdings für den sogenannten Dotter, einem nur mit chemischen und Spannkräften beladenen sonst an sich indifferenten gleichartigen Nah- rungsmateriale mag dieser Satz seine Richtigkeit haben, für das Keim- protoplasma an sich jedoch aus folgenden Gründen unzutreffend sein. ') Will, 1870, S. 13: „Die chemischen Kräfte sind nichts anderes als Atom- züge". ") v. Wagner hat auch treffend die Nahrungsaufnahme als „Bedingung" für ein jedes Wachsthum gekennzeichnet, 1895, Nr. 21 und 22. *) 0. Hebtwiö, 1894, S. 140. Die Kainogenese. 129 Meine vorstehenden Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst jeder kleinste Keimesbezirk eine für sich spezifische, durch seine Phylogenese streng beraess ene Entfaltungs- energie — oder was dasselbe ist, Zellregenerations- energie — besitzt und sich auchin der Intensität seiner Ausbildung nur nach derselben richtet. Ein jedes embryonale Skeletstück einer Species kann sich hierin anders verhalten wie alle anderen ihm sonst homodynamen Organe. Eine solche bestimmte Gruppi- rung, Normirung von E,egenerationsenergien ohne eine ganz bestimmte inaterielle Grundlage ist bei der Untrennbarkeit von Materie und Ener- gie nach den neueren physikalischen Anschauungen ganz undenkbar. Ich muss mich daher ganz auf die Seite von His stellen, welcher die moderne Lehre von den keimbildenden Bezirken aufgestellt und begründet hat. ^) Das ganze Individualleben ist, wie es Roux 2) treffend «harakterisirt hat und wie die Determinantenlehre Weissmann's (1892) besagt, nur eine Mosaikarbeit, die durch das gegenseitige Wechselver- hältniss der einzelnen Bezirke zu einander mitgeregelt wird. In seiner neuesten Arbeit hat auch O. Hertwig ^) gewissermaassen das Gleiche behauptet, wenn er das Leben in einer Metazoenkolonie in Parallele setzt mit einer Staatenbildung und auf das gegenseitige Abhängigkeits- verhältniss des einzelnen Individuums von der Gesammtheit Aller hin- weisst. Kurz, es handelt sich in der Ausbildung eines jeden Indivi- duums um jene Abhängigkeitserscheinungen, welche Roux *) unter der Bezeichnung Massenkorrelation zusammengefasst hat. Bereits His ^) hat auch das Princip der verschiedenen Wachs- thumsgeschwindigkeit der Organe und die Abhängigkeit des Wachs- thums von der Zeit in seinen Grundzügen klargestellt. Meine Untersuchungen gestatten , die kausalen Ursachen der Wachsthumsgeschwindigkeit genauer zu präcisiren. Ich vermochte zu erweisen, dass gerade die Phylogenese der Hauptfaktor ist. Die in derselben sich entwickelnde Progredienz oder Regredienz der Organe ändert in ganz gesetzmässiger Weise die Intensität der ontogenetischen Entfaltung ab (S. 106). Ich darf daher den Roux'schen Satz in fol- gender Weise erweitern: „Die individuelle Entfaltung und Entwicklung ist eine Zellen- und Organ mosaikarbeit, hervorgegangen durch Massenkorrelation der, in Folge verschiedener phyletischer Funktionsleistungen, mit verschiedener Regenerationsenergie beladenen Keim- bezirke oder ihrer Determinanten. 1) His, 1877, S. 185. 2) Roux, Bd. II, 1895, S. 455, 821, 1010. 3) O. Hertwig, 1894, S. 129. *) ßoux, Bd. II, 1895, S. 214, 232—250. Z*^' Morpholog. Arbeiten lirsg. v. G. Schwalbe. VII. 9 230 ^^' Ernst Mehnert. Die embryonale Variation. Die seit Anfang dieses Jahrhunderts auf allen Gebieten der Bio- logie verstärkte Forschung hat zu Tage gefördert, dass die von CuviER (1812) aufgestellte Lehre von der Existenz gesonderter Typen ganz unhaltbar wurde. Der von K. E. v. Baer vertretene Standpunkt dass das Lagerungsverhältniss der Organe für eine Beurtheilung aller Lebewesen allein maassgebend ist, hat sich durch alle Decennien hin- durch als die allein richtige Auffassung ergeben und ihren glänzend- sten Triumph gefeiert in dem Nachweise der Blutsverwandtschaft aller höheren Metazoen. Zuerst fielen die Typen. Dann schwand allmälig das Vertrauen zu den Klassen, Ordnungen und Arten. Selbst die frühere Definition von Species wird durch die vertiefte Erkenntniss ständig untergraben und stürzt allmälig zusammen. Alle Forscher, welche den Begriff von Species und Art noch aufrecht erhalten wollten, mussten die Definition derselben unter dem Verluste an Terrain ständig ummodeln und immer allgemeiner fassen. Der moderne Speciesbegriff ist nur noch eine ideelle Zusammenfassung der Eigenthümlichkeiten von örtlich begrenzten grösse- ren Gruppen. Er unterscheidet sich hierin von dem Verfahren älterer Zoologen, welche schon aus einigen durch Zufall in ihre Hand ge- kommenen Exemplaren die Charaktere für die ganze Species gefunden zu haben wähnten. Die ganze von unseren Vorfahren überkommene Systematik wird von der Zoologie der Jetztzeit auch nicht mehr be- urtheilt als Ausdruck für eine thatsächlich vorhandene scharfe Abgrenz- barkeit der einzelnen Gruppen, sondern nur noch beibehalten aus Zweck- mässigkeitsgründen. Die Klassifikation ist nur ein Begriff, ein künst- liches Gebäude, welchem nur noch der Werth eines allerdings sehr be- quemen Orientirungsmittels zukommt. Eine jede speziellere Klassifika- tion beruht nur auf einer einseitigen willkürlichen ^) Betonung beliebig gewählter Charaktere und ist überhaupt nur durchführbar bei einer unstatt- haften Vernachlässigung der mit Recht eine gleiche Berücksichtigung ver- langenden übrigen oft stark variirenden Organisationsverhältnisse. Nach ') In früherer Zeit bezog sich die Klassifikation nur auf die variablen Ver- hältnisse der äusseren Bedeckungen. Federzeichnungen (Biipfon, Bonaparte, Nau- mann, Beckstein, Giebel) und Schuppengestaltungen der Heptilien (Strauch) wur- den schon als durchaus genügend erachtet zur Aufstellung besonderer Arten. Die Erfahrungen der Thierzüchter, dass durch blosse Domestikation beim Meerschwein- chen die verschiedenfarbigsten Scheckenbildungen entstanden sind (Darwin), hat dazu geführt, dass die Autoren nach tiefer begründeten Charakteren zu suchen an- fingen. HuxLEY legte seiner Klassifikation der Vögel die Konfiguration des Schädel- Kieferapparates zu Grunde. Die moderne Zoologie stützt sich im Wesentlichen auf den Typus der Ontogenese (R. Hertwig, Lang). Die Kainogenese. 131 dem Urtheile der berufensten Fachforscher kann jetzt der Systematik keine höhere principielle Bedeutung mehr zugeschrieben werden. ') In der Neuzeit gelangt das einzelne Individuum in seinen somatischen Variationen mehr zu einer allgemeinen Gel- tung, insofern als es nicht nur seine Vorfahrenentwicklung zum Aus- drucke bringt, sondern auch in seinem Individualleben ein Stück der allgemeinen Phylogenese ist und als ein Grundglied weiterer Genera- tionen die Entwicklungsrichtung derselben mit determinirt. Zwei ganz gleich ausgebildete Lebewesen kommen nur ganz aus- nahmsweise zur Hervorbildung bei geschlechtsgleichen Zwillingen. Sonst gilt das allgemeine Gesetz, dass alle Lebewesen untereinander durchaus verschieden sind. Nicht einmal beide Körperhälften ein und desselben Trägers sind genaue Gegenstücke, wie die Untersuchungen von Hasse in überzeugendster Weise dargethan haben. An dem Zu- standekommen derartiger Verschiedenheiten können die verschieden- sten Momente sich betheiligen. Eine jede Belastungsdeviation der Wirbelsäule führt eine Aenderung der betreffenden Beckengürtelhälfte und der zugehörigen Stützextremität herbei. Auch die bestehenden Unterschiede zwischen rechtem und linken Hoden, Nieren und den beiden Lungenhälften können auf korrelativ-mechanische Momente zurückgeführt werden. Auf die Funktionsausbildung der rechten oberen Extremität gründet sich auch die spezielle Entwicklung der rechten oberen Thoraxpartie. Kurz, individuelle Verschiedenheiten aller äusseren und inneren Organe bei Ausgewachsenen können — in- sofern sie nicht durch die Anlage bedingt werden — ohne jede Schwierig- keit auf korrelativ-mechanische Momente zurückgeführt werden. Das thatsächliche Vorkommen von individuellen Variationen in allen Species, in allen Variationen, wie es seit Dakwin von zahl- reichen Biologen stündlich zu Tage gefördert wird, kann nur den An- hänger der CuviER'schen Typenlehre überraschen, welcher das orga- nische Leben als Emanation bis in das speziellste prädestinirter Quali- täten ansieht. Für denjenigen hingegen, welcher nur von der Materie und ihren Kräften ausgeht, ist die individuelle Variation eine aus den verschiedenen Lebensbedingungen sich herleitende logische Nothwendig- keit. Alle in der Neuzeit, besonders von amerikanischer und englischer Seite zahlreich emporsprossenden Theorien über Vererbung berücksich- tigen und gehen aus von dem Faktor der individuellen Variationen. Weitgehende Variationen treten jedoch nicht nur nach der Geburt bei funktionirenden Organen auf, sondern kommen bekanntlich schon wäh- rend des Fetallebens vor. In früherer Zeit allerdings galt es in der Embryologie als Grundsatz — wenigstens ist dieses der Standpunkt wie er in ^) MöBius, Zoologische Jahrbücher, Bd. I, Heft I, Arbeit 1. 9* 232 I^''- Ernst Mehnert. den Hand- und Lehrbüchern vertreten wird — dass die sogenannte Entwicklung" ein Vorgang sei, welcher bei einer jeden Species stets in gleicher schematischer Weise verläuft. Erst nach der Geburt soll- ten durch die variablen Verhältnisse der Aussenwelt somatische Ver- schiedenheiten erzeugt werden. Es ist ein grosses Verdienst von Roux, auch hierin Wandel geschaffen zu haben durch den Nachweiss, dass die embryo- nale Entfaltung nicht nur ein korrelativer, sondern auch, — wie für die niederen Formen, experimentell nachgewiesen werden kann — ein durch äussere Qualitäten abänderbarer Vorgang ist. Allerdings wurde ihm von seinen Gegnern eingewandt, dass unter physiologischen Verhältnissen derartig gewaltige Abänderungen nicht vorzukommen pflegen. Die Richtigkeit des von Roux aufgestellten Principes der Massenkorrelation wurde jedoch hierdurch nicht im Geringsten tangirt. Manche Autoren lehrten auch nach wie vor immer weiter, dass die embryonale Ausbildung immer nach einer gleichen Norm verläuft und gaben auch weiterhin bei der Beschreibung von Stadien künstlich be- brüteter Hühnchen sogar Bruchtheile von Stunden besonders an. Die Voraussetzung einer Norm der Fetalausbildung führte in ihren weiteren Konsequenzen dazu, dass alle Abweichungen von dem konstituirten Schema als Missbildungen aufgefasst werden mussten. ^) Derartige Variationen sind aber eine so häufige Erscheinung, dass ein jeder Autor, welcher über ein reichlicheres Material verfügte, unbe- dingt gezwungen war, bei der Darstellung seiner Ergebnisse gewisse ihm besonders geeignet erscheinende Embryonen auszusuchen -) und dieselben als Stadien zu beschreiben. ^) Eine Anzahl eigener Erfahrungen, sowie zahlreiche in der Lite- ratur meist in der Form von Anmerkungen zerstreute Notizen belehrten mich, dass schon während des Embryonallebens Variationen eine ent- schieden grössere Rolle spielen als es gemeiniglich zugegeben wurde. Dieses war auch die Veranlassung, weshalb ich alle mir zugänglichen einschlägigen Fälle in einer besonderen Zusammenstellung der Oeffent- lichkeit übergab. ^) Bei vielen embryonalen Variationen bestehen die kausalen Ur- sachen in äusseren Qualitäten. Die Hauptrolle bei einer jeden embryo- nalen Entfaltung spielt die ßesonnung und der richtige Wärmegrad. (Mehnert.) ^) Verschiedene chemische Beimischungen des Wassers ^) Die individuelle Variation des Wirbelthierembryo. Morphologische Arbeiten, Band V, 1895 a, S. 368, 387. «) 1. c. 1895 a, S. 386, 387, 430, 443, 444. ^) 1. c. 1895 a, S. 430, Eine grosse Zahl mir nach dieser Publikation theils mündlich oder schriftlich zugegangener Benachrichtigungen haben mir hierüber un- bedingte Bestätigfun g gegeben. *) 1. c. 1895a, S. 386, 444. ^) E. Mehnert, 1895 b. Amnionentfaltung und Amnionfunktionen. Die Kainogenese. 133 kommen auch hierbei in Frage (Hebest, Lithionlarven). i) Die indi- viduelle Menge des Dotters kann auch nicht gleichgültig sein (Samassa). ^) K. E. V. Baer ^) hat Verschiedenheiten der Entfaltung bei verschieden alten Hühnereiern gesehen. Bonnet *) macht das Alter der Eltern- thiere für Verschiedenheiten des Keimes verantwortlich. Hubrecht ^) führt Verschiedenheiten bei den einzelnen im selben Tragsacke befind- lichen Säugethierembryonen zurück auf die morphologischen Differen- zen der Placentainsertionsstellen. Auch Jahreszeit, Witterung,^) Schwankungen des Erdmagnetismus ') gehören zu den Qualitäten, welche unter Umständen die individuelle Entfaltung abändern und beeinträch- tigen können. Physikalische Erklärungen genügten, um eine sehr grosse Zahl embryonaler Variationen zu erklären. Für manche einschlägige Fälle sipd Verschiedenheiten, äussere Qualitäten absolut auszuschliessen ge- wesen. Bei solchen war ich daher gezwungen auf specifisch atavistische Gründe zu rekurriren ^). Damals als ich diese Behauptung aufschrieb, handelte es sich für mich um eine wenig scharf umschriebene Hypo- these. Nach den in vorliegender Abhandlung niedergelegten Erfah- rungen eines weiteren Jahres, hat dieselbe eine Bestätigung gewonnen und schärfer begrenzte Gestalt angenommen. Ein jedes Skelettstück, welches in der Embryonalzeit zur Entfal- tung gelangt, lehrt bekanntlich, dass die Stufe seiner, für das betreffende Individuum zu erreichenden, geweblichen Ausbildung in strikter Ab- hängigkeit steht von dem Zustande, welchen das determinirende Organ bei seinen Vorfahrenthieren einnahm. Amphioxus Nachkommen ent- falten in der Jetztzeit erst ein vorknorpeliges Skelet, weil ihre Vor- fahren selbst bisher kein höheres entwickelt haben. Knorpelfische entfalten schon während ihrer Embryonalperiode die nächst höhere Stufe der geweblichen Ausbildung zu Knorpel. Es ist bekannt, dass die Feten aller höheren Vertebraten bereits Ossifikationen zu bilden in der Lage sind. Der primäre Grund für eine jede histologische Entwicklung be- ruht aber — wie ich an früherer Stelle gezeigt habe (S. 117) — nur in einer Zu- und Abnahme der Funktionen. Von ihr allein geht aus die Vorknorpelentwicklung, die Knorpelentwicklung (S. 113) und 1) E. Mehnert, 1895 a, S. 415. 2) Samassa, 1895, 1896. 3) E. Mehnert, 1895 a, S. 387, 424. *) Ibid. 1895 a, s! 424, 426. 4 Ibid. 1895 a, S. 418, 426. 6) Ibid. 1895 a, S. 443. ') Ibid. 1895 a, S. 416. 8) Ibid. 1895 a, S. 438. J34 ^^- Ernst Mehnert. die Knochenbildung (S. 117). Es lässt sich sogar nachweisen, dass in den zeitgenössischen individuellen Phylogenien die Osteogenese direkt beeinflusst wird von gewissen Funktionen (späte Epiphysenkerne S. 111). Das Resultat lautete allgemein gefasst : Die histologischen Stufen sind Hervorbildungen der Funktionen. Wenn also , — wie die Erfahrungen seit Dezennien überein- stimmend ergeben — Individuen schon während ihrer Fetalperiode im Stande sind, jene histologischen Differenzirungen zu entfalten, welche von ihren Vorfahren erst einzeln durch die Funktion entwickelt und erworben werden mussten, dann liegt hierin ein Beweiss, dass in der Phylogenese erworbene Eigentümlichkeiten direkt auf ihre Nachkommen vererbt werden. Es besteht jedoch nicht nur diese strikte Proportionalität in der Vererbung der in der Einzelevolution auftretenden histologischen Gewebsstufe, sondern auch die Intensitäten sowohl der phyletischen Entwicklung als auch der ontogenetischen Entfaltungen stehen in einem bis auf das minutiöseste striktem Korrelationsverhältnisse. Alle die zahlreichen von mir ausgeführten Accelerations- und Retardations- bestimmungen bei den verschiedenen Organenentfaltungen sind weiter nichts als Relativbezeichnungen für die verschiedenen Intensitäten ein und desselben Prozesses, betrachtet von dem Standpunkte der bei einem ursprünglichen, konservativen Organe angenommenen Orthochronie. Weil es sich also bei einer jeden Organogenese um analoge Vorgänge handelt, dürfen alle Organausbildungen auch unter einander direkt verglichen werden. Es ist möghch, den Verlauf einer jeden einzelnen Organentfaltung graphisch in Gestalt einer bestimmten Kurve darzustellen. Das ge- sammte Leben eines Individuum kann analysirt werden in eine ebenso- grosse Anzahl von kleineren specifisch gestalteten Kurven, als über- haupt Organentfaltungen noch zur Anlage kommen. ^) Bei den pro- gredienten, sich accelerirt entfaltenden Organen, würde diese Kurve gleich von Anfang an steil aufsteigen, einen hohen Gipfel erreichen, lange auf der Höhe bleiben um dann langsam herabzusteigen. Die Kurve eines retardirten, regressiven Organes würde an und für sich erstlich relativ kurz sein und eine flache Form zeigen ; sie würde sanft ansteigen und ebenso sanft abfallen. Eine jede Einzelkurve einer individuellen Organentfaltung ist aber nur die genaueste Wiedergabe derjenigen Kurvenerhöhung oder Kurven- senkung, welche das homologe Organ bei den Vorfahren in seiner phy- logenetischen Entwickelung durchgemacht hat. Bei fortschreitender *) K. E. v. Baer hat auch gezeigt, „dass die Gesammtmasse der organischen Welt als eine Kurve gedacht werden könne, welche vom Aequator nach den Polen sich eenkt." 1864, S. 196. Die Kainogenese, 135 einem gewissen Kulminationspunkte entgegen eilender, progressiver Organ entwicklung (in der Phylogenese) verläuft auch die onto genetische Organentfaltung prolongirt und acce- lerirt. Beim phyletischen Rückschritte in der Ausbildung verkürzt sich und mindert sich auch die Intensität der Entfaltung. Nur von diesem Gesichtswinkel aus betrachtet wird es verständlich wie eine bis in das Detail minutiöse Proportionalität zwischen phyletischer Bildungsart und ontogenetischer Entfaltung herr- schen kann. Der stark rudimentäre später einfingerige Flügel des Apteryx entfaltet sich ungleich retardirter (S. 77) als der minder reducirte noch dreifingerige Flügel des Strausses (S. 39, Tabelle). Der Daumen und die Grosszehe des Rindes (S. 49) und Strausses (S. 31) sind keine bloss ephemeren Erscheinungen, sie lassen sich noch durch viele Stadien hindurch verfolgen, zeigen jedoch kaum mehr als eine Vorstufe des Knorpels. Der zweite' und fünfte rudimentäre Strahl zeichnen sich in beiden Species durch eine exquisite Verlangsamung der histologischen Differenzirung aus (S. 28, 34, 51), erreichen jedoch die Knorpelstufe und bilden beim Schweine sogar noch zum Theil persistentes Knochengewebe. Allen voran eilen die bleibenden Organe. Unter diesen zeigen wiederum die stärksten Grade von Acceleration die am meisten progredienten Organgruppen, die progredienten Finger (Strauss, Rind 3 und 4 (S. 50), Flügel 3 (S. 51), Amphibien 1 und 2 (S. 55) und unter den Gliedmaassen die vordere Extremität der meisten Vertebraten mit Ausschluss des Strausses (S. 34—40). Progredienz und Regressivität sind Eigenthümlichkeiten der Organe, die erst im Laufe der individuellen Phylogenie vom Einzelindividuum durch seine Funktionen, in seiner Funktionsepigenese (S. 99, 125), müh- sam erworben werden müssen. Wenn aber solche Erscheinungen, die in der Phylogenese erst acquirirt werden, sich in proportionaler Weise in zeitlichen Regulirungen der Nachkommenentfaltung kundgeben (Accele- ration und Retardation S. 77), dann muss auch ohne weiteres zugegeben werden, dass eine direkte, bis in das Detail minutiös ge- regelte Vererbung acquirirter Eigenschaften besteht. Ganz gleiche Organe ^) giebt es aber ebenso wenig als ganz gleiche Individuen (S. 131). Ein Wesen hat dieses, ein weiteres ein anderes Organ höher entwickelt und ausgebaut. Bei der von mir als strikt erkannten Uebertragung von Entwicklungserwerbungen auch auf die Nachkommen -) müssen auch alle diese verschieden hoch getriebenen 1) Hasse sagt (1888): „Kein grösserer Abschnitt des erwachsenen Körpers ist streng symmetrisch gebaut. Die Kopf-, Hals-, Brust-, Bauch- und Beckenhäften sind ungleich, ungleich auch die rechte und linke, obere und untere Extremität." ^) Die in vorstehender Arbeit erwiesene Vererbung acquirirter Eigen- thümlichkeiten involvirt noch keineswegs, wie von vielen Experimentatoren seit An- fang dieses Jahrhunderts ganz mit Unrecht und deshalb vergeblich erwartet worden 136 Dr. Ernst Mehnert. Einzelfaktoren in entsprechender wesentlicher Weise zum Ausdrucke gelangen. Es ist durch Nichts bewiesen, dass die Vererbung erst nach der Geburt beginnt. Wenn man überhaupt eine Vererbung annimmt, dann muss man konsequenter Weise auch zugeben, dass überhaupt während einer jeden Phase des Lebens, bis zum Geschlechtstode (Menopause beim Weibe), also auch schon während der ganzen Fetalperiode die Determinanten für die nächste Generation unter der direkten Herr- schaft und dem Einflüsse ihrer homologen Organe stehen müssen. Ein Individuum, welches bereits in seiner Vorfahrenreihe ein Cen- trale oder ein Styloid verloren hat, kann ein solches, — weil es selbst ist dass nach der Geburt exstirpirte Organe nicht mehr vererbt werden. Eine kurze Betrachtung berechtigt zu einer solchen Behauptung. Die erste Furchungszelle hat zweierlei Derivate und zwar erstens Zellen, welche sich speci- fischen Funktionen widmen und hierbei Formumgestaltungen erfahren (somatische Zellen) und zweitens Zellen, welche bekanntlich eine genaue Wiedergabe der ersten Furchungszelle sind und es auch bleiben (Germinalzellen), Die Homologie von erster Furchungszelle und ihren Germinalnachkommen wird ausser durch ihre gleiche Abstammung auch noch bewiesen durch ihre Fähigkeit, gleich gestaltete Organis- men hervorzubringen. Aus diesem Grunde sind wir auch genöthigt anzunehmen, dass in einer jeden einzelnen Germinalzelle auch die gleiche Zahl verschieden- artiger Organdeterminanten vorkommt wie in der Furchungszelle selbst. Eine jede, selbst die embryonale Keimdrüse, beherbergt in sich die folgende Generation; so erscheint ein jedes Individuum schon bei seiner Geburt „als Träger zweier Genera- tionen seiner eigenen sowie der folgenden Generation". (Räuber, 1896, S. 79.) Erst nach der Geburt vorgenommene Exstirpationen können da- her auch die Determinanten für die nächste Generation nicht mehr zum Erlöschen briiigen. Die von mir als verlangsamt nachgewiesene Entfaltung bei phyletisch ausser Funktion gesetzten Organen berechtigt auch nur zu der einen Hoffnung, dass eine durch unzählige Generationen durchgeführte Verstümmelung auch einmal eine Verlangsamung und Verkürzung der individuellen Entfaltungsdauer bei den Nachkommen hervorrufen wird. Ob dieser Beweis je auf experimentellem Wege zu erbringen ist, erscheint noch unentschieden. Die Erfahrungen der Thierzüchter lehren und Ritzema Bos hat es durch Nach- prüfungen bestätigt, dass bei Inzucht der ganze Stamm zu Grunde geht. Inzucht ist aber für diesen speziellen Fall eine Vorbedingung und bei Zuführung neuen Blutes wird der gewünschte Effekt aufgehoben oder kann jedenfalls sehr beeinträchtigt werden. Ausserdem beweisst die Natur in ihren zahlreichen Ausfallexperimenten bei rudimentär werdenden Organen, dass ganz ungeheuer lange Erdperioden nöthig sind, ehe Organe aus der Ontogenese zum Verschwinden gebracht werden. Dieses lehrt die phylogenetische Entwicklung des Vogelflügels. Selbst die schon im Jura (Archaeopteryx) und in der Kreide (Odontornithiden) perfekte Reduktion der Randstrahlen des Flügels (S. 104, Anm. 2) hat bei den jetzigen Embryonen sowohl der Carinaten als auch der Ratiten eine pentadactyle Anlage des Flügels nicht zu verhindern vermocht. Zu dem gleichen Ergebnisse von Nicht- unterdrückbarkeit der Organdeterminanten hat die stete Wiederneuentfaltung der zu Sports und anderen, Ritualzwecken, geübten Verstümmelung der Organe geführt. Die Kainogenese. 137 auch nicht mehr über ein gleiches verfügt, — auch nicht mehr seinen Nachkommen überliefern. Hingegen dürfte ein anderes Individuum, welches selbst nur noch während der Embryonalzeit ein Centrale als Eigen besass, wohl im Stande sein, ein Homologon in den Germinal- zellen für seine nächste Generation zu erwecken. Bei einem jeden einzelnen Lebewesen sind die Organe ungleich entwickelt (Hasse). Ungleiche Organe dürften daher auch gar nicht im Stande sein eine gleiche Entfaltung der homologen Germinal- determinanten zu provociren. Es ergiebt sich daber auch die zwingende Nothwendigkeit zu der Annahme, dass auch die homologen Organe in beiden Körperhälften sich verschieden entfalten. In der That wird gerade dieses als eine durchgehende Hegel durch die Erfahrungen der Praxis bestätigt. Flemming fand bei einem Kaninchenembryo, dass der Zusammen- hang von Urogenitalleiste mit dem Ectoblaste auf beiden Seiten in ver- schiedener Ausdehnung bestand. Links war er in 84, rechts in 52 Schnitten zu sehen und betrug links 0,67 mm, rechts dagegen nur 0,42 mm, ^) Ich verweise auch auf die vielen diesbezüglichen Mit- theilungen Goette's, insbesondere auch auf die von ihm gemachte Beobachtung, dass der Kopfnierengang nicht nur in derselben Species bei den verschiedenen Individuen , sondern auch auf beiden Seiten desselben Embryo beträchtlich variiren kann. -) Keibel hatte die Güte, mir brieflich folgende Bestätigungen meiner in einer früheren Arbeit^) aufgestellten These zu übermitteln: „Individuelle Variationen in derselben Species, Variationen in der Anlage desselben Organes bei verschiedenen und dem gleichen Individuum, Variationen zwischen rechts und links habe ich nicht nur beim Schweine, son- dern auch an zahlreichen anderen Embryonen be- obachtet." Thilenius, welcher grosse Erfahrungen an 181 Händen von menschlichen Feten sammelte, hat sogar das Gesetz aufgestellt:^) „Nur eine Regel lässt sich aufstellen, dass nämlich accessorische Elemente stets in den beiden zugehörigen Händen vorkommen, wenngleich meistens in verschiedener Form und Grösse."^) Schon vor mehreren Jahren war mir die ungleiche Entfaltung sym- metrischer Organe aufgefallen. Ich hatte zu einer bisher nicht publi- cirten Arbeit mehrere Wachsmodelle angefertigt von Beckengürteln einiger Säugethiere und später auch von Emys. Trotz der minu- tiösesten Sorgfalt erhielt ich immer nur Modelle, in denen beide Hälften ungleich waren. Die eine Beckengürtelhälfte war noch relativ klein, die andere etwas grösser. Ich kam zu dem mir damals absurd er- 1) E. Mehnert, Die individuelle Variation, 1895, S. 417, 443 V. 2) Ibid. 1895, Variation S. 401. 3) Ibid. S. 443, V. 4) G. Thilenius, 1896, S. 491. 238 ^^- Ernst Mehnert. scheinenden Resultate, dass in einem jeden Modelle eine jede Hälfte für sich in allen ihren Theilen zwar durchaus proportional, jedoch meistens ungleich entfaltet war als ihr Gegenstück. Ich stellte zuletzt alle meine Bemühungen ein, weil ich nahezu stets zu dem gleichen befremdlichen Resultate kam, dessen Erklärung mir damals noch fehlte. Peteesen, ^) welcher bei His arbeitete, kam später zu dem gleichen Ergebnisse. Er hatte den Beckengürtel des Embryo LO ^) durch eine Kombination der photographirten Schnitte in Wachs modellirt. Bei Betrachtung des resultirten Modells -) tritt die ungleiche Entfaltung nicht nur ohne Weiteres in überraschendster Weise entgegen, sondern sie ist auch der direkten Messung zugänglich. Die Firste des linken Hüftbeinflügels liegt in der Zeichnung ^) ca. 15 mm weiter nach hinten als auf der rechten Seite. Die Konfi- guration des Beckengürtels ist auf beiden Seiten eine durchaus ver- schiedene. Rechts steigt der Flügel des Hüftbeines sehr steil empor, links nähert er sich in überaus auffälliger Weise der Horizontalen. Eine erneute Durchsicht aller meiner Serien sowohl durch die Extremitätengürtel als auch durch die freien Abschnitte der Glied- maassen haben mir ergeben, dass in den symmetrischen Organen inso- fern eine grosse Uebereinstimmung herrscht, als eine jede Extremität in der überwiegendsten Anzahl von Fällen zwar die gleiche Anzahl von Skeletstücken in sich birgt, jedoch ist die Stufe der histo- logischen und Grösse nentfaltung bei allen homotyp en Organen in der Regel eine beträchtlich, unterschied- liche (z. B. Strauss S. 24, 26, 31, 41). Alle in den Ontogenien auftretenden Verschiedenheiten der Ent- faltung zwischen rechtem und linkem Gegenstücke werden jedoch ver- ständlich, wenn man berücksichtigt, dass die Elternthiere selbst in der Regel nur über ungleich entwickelte Bilateralorgane verfügen, folglich auch garnicht in der Lage sind, ihren Nachkommen etwas zu über- liefern, was sie selbst gar nicht besitzen — nämlich bilaterale Gleich- heit. Diese Verschiedenheit in der Entfaltung von bila- teralen Organen ist der allerbeste Beweis, mit welcher Exaktheit ein jedes einzelne Organ seine speciellen Eigenthümlichkeiten auf die homologen Determinanten für spätere Generationen zu übertragen im Standeist. Von den obig dargelegten Gesichtspunkten aus kann man alle organischen Variationen, die sowohl in der Embryonalperiode als auch 1) Petersen, 1893, S. 66—96. -) LD. 9 SS. 25 mm NL. 8) Petersen, 1893, 1. c. Taf, VIII, Fig. 22 Die Kainogenese. 139 Überhaupt während des ganzen Lebens vorliegen, auf folgende Weise definiren: Die individuellen, aus einer pbyletisch verschiedenen Funktionsausbildung sich primär herleitenden Variationen der Blternthiere bedingen eine verschieden zeitige, ver- schieden lange dauernde Entfaltung der Nachkommen- organe, die sich wegen der im Einzelfalle differirenden Intensitäten dieses Entfaltungsprocesses unter dem allgemeinen Bilde embryonaler Variationen, und bei den bleibenden Or- ganen auch in bleibenden Variationen des Körperbaues präsentiren. ^) Ein jedes einzelne Lebewesen bildet, durch die in der nachembryonalen Zeit in Folge seiner Entwicklung erworbenen Eigen- thümlichkeiten ein selbstständigunbekümmertumseine Spe- ciesgenossen fortschreitendes Grundglied für neue divergirendeNachkonimenketten. Die scheinbare Uniformität mancher nahe verwandter Thiere, welche es sogar dem Praktiker er- möglicht, gewisse Species, gute und schlechte Arten u. s. w. u. s. w. aufzustellen, beruht nur auf der unter ähnlichen Lebensverhältnissen und ähnlichen Funktionen statthabenden ähnlichen individuellen Ent- wicklung. Die in jeder Hinsicht bis in das Detail durchgeführte Propor- tionalität der Verknüpfung von phyletischer Entwicklung und ontogenetischer Entfaltung (S. 77, 99), kann garnicht anders verstanden werden als nur durch die eine Annahme, das schon seit Beginn des ersten organischen Lebens alle Determinanten für die nächsten Generationen unter dem ständigen Einflüsse der homologen Elternorgane lagen. Daraus folgt auch, dass in der individuellen Phylogenie eines jeden Einzelwesens der Jetztzeit der durch die funktionelle Epigenese er- worbene Betrag, oder der durch die Funktionsatrophie verlorene Besitz in ständig entsprechender Weise die Organdeterminanten für die Nach- zeit modificirt. Diese Beeinflussung kann nur nach Art eines Reflexes gesetzmässig erfolgen, denn sonst wäre es ganz unmöglich, dass auch das Detail der von einem jeden Individuum erworbenen Entwicklung sich bei seinen Nachkommen wiederholen kann in gleicher Aufeinanderfolge, in gleicher Proportionalität und auch sonst in minutiösester histologischer üebereinstimmung. ^) Mit Ausnahme der korrelativen, von mir als metrothen bezeichneten (S. 108) direkten Abänderungen, bestehen überhaupt alle embryonalen Unterschiede nur auf zeitlichen Variationen. Selbst so auffällige Erscheinungen, wie die vorknorplige, knorp- lige und knöcherne Connascenz sind nichts anderes als Produkte einer sehr accele- rirten histologischen Differenzirung (S. 69). Das Auftauchen des uralten Intermedium antebrachii (S. 62) erst in der zweiten Hälfte der Embryonalperiode des Strausses (S. 33) ist auch nur ein exquisiter Fall des anderen Extremes — der Verlangsamung der Entfaltung. 140 ^^- JErnst Mehnert. Wenn alle Organdeterminanten jeweilig der Modificirung von Seiten ihrer Elternorgane unterstehen, dann muss auch ohne Weiteres zugegeben werden, dass diejenigen unter ihnen, welche am längsten einer solchen Beeinflussung unterliegen, auch besonders geeignet sein werden, die von ihren direkten Vorfahren erworbenen Eigenschaften, und Eigenthümlichkeiten zu acquiriren. Es ist schon seit langer Zeit von Seiten vieler scharfer Beobachter^) und Leuten der praktischen Erfahrung, Züchtern und insbesondere Klinikern behauptet worden, dass bei der Vererbung der mütterliche Einfluss eine prävalirende Rolle spielt. -) Die biologischen Differenzen, unter denen sich die Germinalzellen von Mann und Weib bis zu ihrer physiologischen Bestimmung befin- den, erklären diese Verschiedenheiten in unzweideutigster Weise. Nach den Ergebnissen von Waldeter werden beim menschlichen Weibe nach dem zweiten Lebensjahre keine neuen Eizellen mehr an- gelegt. Daraus folgt, dass die bis zur Menopause noch proliferations- fähigen Eizellen mindestens 43 bis 45 Jahre mit ihrer Trägerin ver- bunden sind und diese lange Zeit zur Verfügung haben, die während dieser Periode von derselben gewonnenen Entwicklungen auch sich selbst zu eigen zu machen. Anders verhält es sich mit den männlichen Germinalzellen. Es sind Lebewesen von unvergleichlich kürzerer Lebenszeit. Sie werden in überaus grossen Mengen producirt, lösen sich von ihrem Mutterboden los, führen ein freies Dasein und werden alsbald in Millionen schub- weise nach aussen geschafft. Meist werden wohl zwischen Beife und Ejakulation einige Wochen vergehen. Selbst wenn man auch einige Monate annimmt, so muss man immerhin zugeben, dass — bei vorausgesetzt gleicher erblicher Uebertragbarkeit bei beiden Geschlechtern — die D e c e n n i e n lebende, fixe Eizelle mehr Gelegenheit finden wird, sich mit Vererbungs- qualitäteu zu beladen als die einige Monate lebende freie Sperma- zelle. Von diesen morphologischen und biologischen Gesichtspunkten aus muss daher der Erfahrung der Praxis unbedingt zugestimmt werden, dass die männliche Germinalzelle zwar eine gleichwerthige Ver- erbungsträgerin der allgemeinenSpecieseigenthümlichkeiten ist, jedoch die weibliche Germinalzelle besonders geeignet und dazu bestimmt ist, die durch die individuelle Entwicklung erworbenen Eigenthümlichkeiten von Individuum zu Indi- viduum zu übertragen. ^) Schopenhauer, A., Die "Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, Sechste Auf- lage von J. Frauenstädt, 1887, S. 591—607. Kapitel 43, Erblichkeit der Eigenschaften. ") Emmnghaus, H., Allgemeine Psychopathologie zur Einführung in das Stu- dium der Geistesstörungen. Leipzig 1898 S. 320. Die Kainogenese. 141 Die Erfahrung, dass eine jede individuelle Entwicklung auch eine Vermehrung der den Nachkommen zur Disposition gestellten Entfal- tungsenergien zur Folge hat, erklärt auch, weshalb die noch wenig ent- wickelten Lebewesen aus den untersten Klassen durchschnittlich noch eine geringe Entfaltungs- oder Lebensdauer haben. Hingegen dürfte es auch ebenso gerechtfertigt sein, wenn man auch weiterhin folgert, dass mit der progredienten Entwicklung der Thierformen in der Nach- zeit auch die ontogenetische Entfaltung eine Verlängerung erfahren wird. ^) Allerdings mag es sich um Erdperioden handeln, ehe eine merkliche Zunahme des Lebensalters konstatirt werden wird, ebenso wie grosse Zeiträume dazu nöthig waren, ehe der jetzige Mensch durch seine Phylogenese sich eine ontogenetische Entfaltungsenergie von einigen Tausend Tagen erwarb. ^) Bei der Progredienz der orga- nischen Entwicklung,, wenigstens in der Klasse der Vertebraten, ist jedoch zu erwarten, dass der in der bisherigen phyletischen Entwick- lung neu vermehrte Betrag an Entfaltungsenergien — welcher Neu- erwerb unter den Begriff der Kainogenese fällt — sich auch weiterhin bethätigen wird, ^) bis die allmähliche Abkühlung der Erdoberfläche allem organischen Leben ein gemeinsames Ziel setzen wird. — Das Endspiel der Erden wird dann selbst sein eine Wiedervereinigung *) und Aufgehen in ein All, von welchem sie einst ausgingen.^) ^) Vorausgesetzt dass die in der jetzigen Erdperiode bestehende Produktion kleinerer Lebewesen gegenüber den Kiesenformen der Vorwelt nicht schon ein An- zeichen ist für eine durch die Abkühlung der Erde und Abnahme ihrer freien physikalischen Intensitäten hervorgebrachte Abnahme der organischen Weiterent- wicklungsfähigkeit. '-) K. E. v. Baer, 1864, S, 259. Ein Leben welches 80 Jahre dauert, beträgt 29200 Tage. ^) GiOEDÄNO Bruno, Vom Unendlichen, dem All und den Welten. 1893, S. 90—93. ■») GiORDANO Bruno 1. c. S. 88-90. ^) Robert Mayer, Beiträge zur Dynamik des Himmels. Mechanik der Wärme S. 159-302. Literaturverzeichniss. (Nach Jahreszahlen geordnet.) 1752. SwAMMERDAMM, Bibel der Natur, worinnen die Insekten in ge- wisse Klassen vertheilt u. s. w. Leipzig. 56. SüSSMiLCH, J. P., Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts. Berlin. 64. WoLFF, C. Fe., Theorie der Generation. Deutsche Ausgabe. 1812. CuviER, G., Sur un nouveau rapprochement ä etablir entre les classes qui composent le Regne animal. Annales du museum d'Histoire naturelle. T. XIX. Paris 1812, 12. WoLFF, 0. Fr., üeber die Entwicklung des Darmkanals, Aus- gabe von Meckel, Halle. 17, Pander, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Hühnchens im Ei, Würzburg. 21, RuscoNi, M,, Amours des salamandres aquatiques. 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II. 1896 a. Thilenius, G., Untersuchungen über die morphologische Be- deutung accessorischer Elemente am menschlichen Carpus und Tarsus. Morphologische Arbeiten, Bd. V, Heft 3, S. 4.62 — 554. 96. b — — , Zur Entwicklungsgeschichte der Sesambeine der mensch- lichen Hand. Morphologische Arbeiten, Bd. V, Heft II, S. 309—341. Erklärung der Abbildungen auf Tafel I — III. Ueb ersieht der auf Tafel I — III benutzten Abkürzungen. AI. = Alantois. C. == Carpale. Centr. tars. =^ Centrale tarsi. Cpl. Plt. = Carpalplatte. er. = Centrale radiale. c.u. = Centrale ulnare. Ext. L. = Extremitätenleiste. F. = Fibula. f. = Fibulare. Fm. = Feraur. Fs. = Fuss. Gf. = Gefäss. Gel. = Gelenkanlage. H. = Herz. Hd. = Hand. Hm. = Humerus. I. = Intermedium. I + t. = Intermediotibiale. Mc. = Metacarpale. Mt. = Metatarsale. Pgmt. = Pigment. R. = Radius. r. = Radiale. re. = Radiales Radienrüdiment (Radiale externum), Rnd. V. = Randvene. T. = Tibia. t. = Tibiale. Tars. d. = Tarsale distale. Tars. p. = Tarsale proximale. U. = Ulna. u. = Ulnare. u. e. = Ulnares Radienrudiment (Pisiforme). Verg. = Vergrösserung. 154 Dr. Ernst Mehnert. Tafel I. Emys lutaria tauriea. Fig. 1 — 19 sind Oberflächenaufnahmen. Die Kontouren derselben wurden vermittelst einer Camera lucida nach Thoma bestimmt. Fig. 20 bis 29 geben mikroskopische Schnitte wieder. Fig. 1. Seitenansicht eines Embryo. Vergr. ^^. Fig. 2. Rumpfpartie eines älteren Embryo mit beginnender Alantois- hervorstülpung. Vergr. u*. Linke Hand. Vergr. Rechte Hand. Vergr Rechter Fuss. Vergr Linker Fuss bei durchfallendem Lichte gezeichnet. Linke Hand bei durchfallendem Lichte gezeichnet. Innenseite des rechten Fusses. Vergr. y. Rechte Hand. Länge des Rückenschildes 6 mm 7 q 10 ^ 1 fl Fi^ Fii Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Fig. 9. Fig. 10. Flg. 11. Fig. 12. 13. 14. Fig. 15. Fig. 16. Fig. 17. Fig. 18. Fig. 19. Fig. 20. Fig. 21. Fig. 22. Fig. 23. Fig. 24. Fig. 25. Fig. 26. Fig. 27. Fig. 28. Fig. 29. 1 0 T • 10 T • 1 0 1 ' Vergr. Vergr. Vergr. Linker Fuss. Rechter Fuss Linker „ Rechte Hand Linker Fuss. Hand. Serie 9. Fuss. Serie 11. Hand. Serie 3. Fuss. Serie 13. Fuss. Serie 44. Fuss. Serie 44. Hand. Serie 12 Fuss. Serie 15. Fuss. Serie 15. Hand. Vergr. Plantarfläche. 1 0 T • Volarfläche. Plantarfläche. Zweite Reihe. Zweite Reihe. Zweite Reihe. Erste Reihe. Dritte Reihe. Zweite Reihe. Dritte Reihe. Zweite Reihe. Zweite Reihe. Exemplar Nr. 4. Vergr. 4 77 77 ^- 77 4. Erster Schnitt. Dritter Schnitt. Dritter Schnitt. Letzter Schnitt. Drittletzter Schnitt. Dritter Schnitt. Dritter Schnitt. Letzter Schnitt. Vorletzter Schnitt, Serie 1 NF. Dritte Reihe. Erster Schnitt. Tafel IL Struthio camelus. Fig. 39 — 44 hintere Extremität. Fig. 45 — 58 vordere Extremität. Fig. 30 — 39 und 45 — 54 sind achtmalige Vergrösserungen des Originals. Die Kainogenese. 155 Fig. 40 ist viermal, Fig. 55 zweimal vergrössert. Fig. 41 — 44 und 56 — 58 geben die natürliche Grösse wieder. Fig. 30. Fig. 31. Fig. 32. Fig. 33. Fig. 34. Fig. 40. Fig. 41. Fig. 42. Fig. 43. Fig. 44. Fig. 45. Fig. 46. Fig. 47. Fig. 48. Fig. 49. Fig. 55. Fig. 56. Fig. 57. Fig. 58. Aussenfläche. Fig. Fig. Fig. Fig. 38. Fig. 39. Fuss. 35. Innenfläche. 36. 37. Embryo 59 (EA). „ 60 (EB). „ 61 (EC). V 62 (ED). „ 63 (EE). Fuss eines Embryo aus der dritten "Woche (ca. 16 Tage alt). Seitenansicht eines Fusses aus der vierten Woche (ca. 28 Tage alt). Obere Ansicht desselben Fusses. Seitenansicht eines Fusses. Drei Tage altes Nestjunges. Fussskelet eines Nestjungen aus der zweiten Woche. Embryo 59 (EA). „ 60 (EB). „ 61 (EC). „ 62 (ED). „ 63 (EE). Flügel. Innenfläche. Fig. 50. Aussenfläche. Fig. 51. Fig. 52. Fig. 53. Fig. 54. Flügel eines ca. 16 Tage alten Embryo. Vergr. j-, ,, „ Embryo aus der vierten Woche. Flügelskelet eines 1 Tag alten Nestjungen. Flügel. Innenfläche. Nestjunges aus der ersten Woche. Embryo 59 (EA) entspricht seiner Ausbildung nach einem Hühnerembryo von vier Tagen. Straussenembryo 60 (EB) = Hühnchen von 5 Tage. 61 (EC) = „ „6 „ 62 (ED)= „ „ 7 „ „ 63 (EE) = „ „8 „ Tabelle hierzu auf S. 39. Fig. 59. Fig. 60. Fig. 61. Fig. 62. Fig. 63. Fig. 64. Tafel III. Struthio Fig. 59—67. Fuss. Embryo 61 (EC). Reihe 5. Schnitt 1. Vergr. \^. V . 61 (EC). „ 4. „ 5. >? >> V „ 62 (ED). „ 2. „ 3. Glass 4. V „ 63 (EE). „ 5. „ 5. Vergr. \^. Flügel. Embryo ca. 16 Tage. Glass 2. Reihe 1. Schnitt 4. Vergr. ¥• Tarsus. Embryo ca. 16 Tage. Glass 2. Reihe 3, . Schnitt 1. Vergr. ¥• 166 Fig. 65. Fig. 66. Fig. 67. Fig. 68. Fig. 69. Fig. 70. Fig. 71. Fig. 72. Fig. 73. Fig. 74. Fig. 75. Fig. 76. Dr. Ernst Mehnert. Tarsus. Embryo ca. 16 Tage. Glass 2. Reihe 4. Schnitt 8. Vergr. ^^. Flügel. Embryo ca. 16 Tage. Glass 2. Reihe 2. Schnitt 3. Vergr. \^. Tarsus. Embryo ca. 16 Tage. Glass B. Reihe 4. Schnitt 7(3). 66 T Vergr. ^-^ Säugethiere und Carinaten. Fuss. Maus. Hand. Katze. Hand. Rind. Fuss. Schaf. Hand. Schwein. „ Kaninchen Fuss. Huhn. Flügel. Huhn. Serie 9. Glass 4 jj !• ?> 4 „ 10. „ >. 4. „ 6. „ 14. „ 7. „ Reihe 1. Schnitt 7. Vergr. 38. 4. 3. 4. 3. 4. 2. 2. 3. 2. 3. 3. 1. 1. 6. 2. 3. 20. 20. 20. 19. 20. 21. 25. 25. TJeter normale Hyperthelie menscMiclier Embryonen nnd über die erste Anlage der menschliclien Milch- drüsen überhaupt Dr. Hugo Schmidt. (Aus dem anatomischen Institut zu Strassburg i. E.) Hierzu Tafel IV u. V. Durch die grundlegende Arbeit von Leichtenstern ist die Frage über die überzähligen Brustwarzen und -Drüsen beim Menschen in ein helleres Licht gebracht und dem Verständniss und der Erkenntniss näher gerückt. Während man früher von „Opus mirabile naturae lu- dentis", von Wirkung eines gehemmten oder vermehrten Bildungs- triebes", von „une sorte de caprice on de bizarrerie", von „Verirrung vom Organisationsplane" sprach, wies Leichtenstern zum ersten Male klar und überzeugend auf Grund 13 eigener und 92 aus der Literatur gesammelter Beobachtungen nach, dass die accessorischen Brüste und Mammillen Bildungen sind, die „in ausserordentlich regelmässiger Weise (in 91% der Fälle) unterhalb und nach einwärts, seltener oberhalb und nach auswärts von den normalen Mammillen an der Vorderseite des Thorax gelegen sind". Die anderen Fälle sind grosse Seltenheiten, finden aber ihre Analoga im Thierreich und können „als Beispiele eines nur noch weiter zurückreichenden Bückschlages auf noch ent- ferntere Urahnen unseres wahrscheinlichen Stammbaumes" betrachtet werden. Wenn hierdurch Leichtenstern die Fälle menschlicher Polymastie oder wie man jetzt besser sagt: Hyperthelie und Hypermastie, mehr vergleichend entwicklungsgeschichtlich, phylogenetisch erklärt, that 158 Dr- Hugo Schmidt. O. ScHULTZE einen Schritt weiter durch die im Jahre 1892 erfolgte Entdeckung der sogenannten Milchlinie oder -leiste. Bei den Embryonen des Schweines, des Kaninchens, der Katze, des Fuchses etc. fand er nämlich eine schon bei schwacher Vergrösserung deutlich sicht- bare lineare Erhebung des Epithels, welche an der Seite des Körpers von der Achselhöhle bis zu der Inguinalgegend verläuft und welche als gemeinsame Anlage der sich bald differenzirenden einzelnen Milch- hügel und Michdrüsenkeime zu betrachten ist. Er spricht im An- schluss daran die Vermuthung aus, dass diese gemeinsame Milchdrüsen- anlage sich auch beim Menschen ontogenetisch, nicht blos phylogene- tisch, nachweisen lassen müsse. Derselben Ansicht ist auch Bonnet in seinem B,eferate : Die Mammarorgane im Lichte der Ontogenie und Phylogenie; cf . : Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bd. 2, 1892, S. 656. Es ist mir nun gelungen , auf Grund der Untersuchung von 12 menschlichen Embryonen nachzuweisen , dass in einem gewissen Stadium der menschlichen fötalen Entwickelung, welches bezeichnet und begrenzt wird durch die Hinterhaupssteisslänge von 28 bis 60 mm, regelmässig eine mehrfache Anlage von Milchdrüsen vor- handen ist. Meine Resultate habe ich kurz in dem Anatomischen Anzeiger XL Band Nr. 23 1896, angegeben in der Mittheilung: „üeber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen." Zweck dieser Arbeit ist es, an der Hand von Zeichnungen meine mikroskopischen Befunde genauer zu beschreiben und auf diese Weise dem Urtheil und der Kritik zugäng- licher zu machen. Präp. 1 (Fig. 1 — 5) stammt von einem männlichen Embryo von 28 mm Hinterhauptsteisslänge (38 mm ganze Länge). Das oberfläch- lich abgetragene Hautstück hat eine grösste Breiteuausdehnung (hori- zontal) von ca. 2 mm und eine grösste Längenausdehnung von etwa 6 mm und umfasst in seiner länglich-viereckigen Gestalt die normale Milchdrüsenanlage mit ihrer Umgebung bis zur Achselhöhle hin. Das- selbe wurde in 98 Serienschnitte von je 20 (i Dicke zerlegt. Die Schnittrichtung ist in diesem Falle parallel zur Längsachse des Körpers gewählt, also cranio-caudal. Schon unter den ersten 12 Schnitten, die mit der Axillargegend beginnen , ist im oberen , cranialen Drittel der Schnittlänge eine durch 5 Schnitte zu verfolgende . linsenförmige Epithelwucherung zu sehen (Fig. 1). Demnach ist die horizontale grösste Ausdehnung dieser Epithelanlage 5 X 20 -= 100 (.i\ die direkte Messung der grössten vertikalen Ausdehnung ergiebt 140 f.i , d. i. in der Figur 1 der Abstand der Punkte a und b, der den Durchmesser der von Huss, Gegenbaur u. A. als Hautwall beschriebenen Wucherung der embryonalen Cutis darstellt. Die beiden tiefsten Zellschichten der Epithelwucherung stehen parallel der muldenförmigen Vertiefung der TJeber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 159 darunter befindlichen Cutis, die übrigen häufen sich in unregelmässiger Anordnung darüber. Das umgebende Epithel hat 3 bis 4 Zelllagen, von denen die unterste deutlich hohes Cylinderepithel zeigt, in regel- mässiger Reihe angeordnet ist und den tiefsten Schichten des späteren Stratum Malpighi entspricht, während nach aussen hin das Epithel durch eine ebenfalls regelmässig angeordnete Reihe von platten Zellen abgeschlossen wird; auch über die linsenförmige Wucherung des Epi- thels geht diese Lage platter Zellen in gleichem Zuge hinweg. Das darunter liegende Gewebe ist das der embryonalen Cutis mit Unter- hautzellgewebe. Nach 15 Schnitten treffen wir dann, ungefähr gleichweit vom cra- nialen Ende der Schnitte entfernt, eine zweite Epithelwucherung an (Fig. 2) , welche gleichfalls durch 5 Schnitte zu verfolgen , also auch eine horizontale Ausdehnung von 100 fj, hat. In der cranio-caudalea Ausdehnung ist sie aber, wie auch die Figur es zeigt, kleiner, etwa 120 /LI. Im Uebrigen ist der Aufbau, die Form der Wucherung linsen- förmig, wie die erste, und entspricht genau den Figuren 5 und 8 der Tafel XXVIII von G. Rein: Untersuchungen über die embryonale Entwicklungsgeschichte der Milchdrüse. Zehn bis elf Schnitte weiter beginnt eine durch sieben Schnitte sichtbare, tiefer in das Cutisgewebe eindringende , schon mehr zapfen- förmige Epithelwucherung, welche ungefähr % cranialwärts der ganzen Schnittlinie, also etwas mehr lateral und kaudal von den oberen Epithel- anlagen gelegen ist. Da gerade diese Schnitte in der Serienreihe etwas in Unordnung und in Falten gerathen sind, so habe ich keine schöne, anschauliche Zeichnung davon liefern können. Ich verweise deshalb auf meine Figuren 11 d, 29 und 31 und die Figuren 6 und 10 der Taf. XXIII der oben citirten REiN'schen Arbeit; ihnen entspricht auch die in Rede stehende. Ich bemerke nur noch, dass ihre horizontale Ausdehnung 140 fx, ihre vertikale 120 /ii beträgt. Bald darauf, nach fünf weiteren Schnitten, zeigt sich, durch Stroma- und Areolar- (Warzen-) Zone angekündigt (G. Rein und Klaatsch), die Hauptdrüsenanlage. Sie liegt schon etwas unterhalb der Mitte der Schnittlängen, also etwas kaudalwärts von den oberen drei Drüsen- anlagen. Die eigentliche Epithelwucherung ist durch 11 Schnitte zu verfolgen , ihre horizontale Ausdehnung beträgt also 220 f.i, während die grösste verticale Ausdehnung 190 f.i misst. Figur 3 zeigt den Schnitt durch die Mitte der Hauptmilchdrüsenanlage. Die ursprüng- liche Kolbenform ist durch die sekundären Wucherungen und Sprossungen des Epithels an der Peripherie mehrfach durchbrochen und verändert. Die Differenzirung der Randzellen und der centralen beginnt schon: die peripheren Zellen der Drüsenanlage stehen regelmässiger, dem Rande parallel, ihre Kerne sind stärker gefärbt und dicht gedrängt neben- einander; die centralen Zellen gruppiren sich um einen Mittelpunkt, 160 I)r. Hugo Schmidt. stehen lockerer nebeneinander und ihre Kerne färben sich nicht so intensiv wie jene. Um die Drüsenanlage herum erscheint die von ö. Rein 1. c. beschriebene Warzenzone, jene stärkere Anhäufung junger runder bis ovaler Zellen dicht an der Grenze der Cutis-Einsenkung. Unter der ganzen Anlage breitet sich das „Driisenstroma", die „Stromazone" aus, eine parallel der Hautoberfläche gelegene breite Anhäufung von anderen jungen Zellen, welche das Gebiet für die wuchernden soliden Drüsensprossen und späteren Ausführungsgänge abgiebt. Links neben d. h. cranialwärts von der Hauptmilchdrüsenanlage liegt noch eine andere kleine, mehr hügel- als linsenförmige Epithelwucherung, welche aber trotz ihrer geringen cranio-caudalen Ausdehnung von 80 ^ durch fünf aufeinander folgende Schnitte zu sehen ist, Fig. 3d. Es ist bemerkenswerth, wie nahe diese kleine Anlage neben der Hauptdrüsen- anlage gelegen ist. Weiter unten werden wir ähnlichen Befunden be- gegnen. 20 Schnitte weiter medial und auch etwas kaudal von der Haupt- drüsenanlage beginnen ziemlich gleichzeitig zwei (in der Fig. 4 neben- einander), also cranio-caudal untereinander gelegene, linsenförmige Epithelanlagen (a und b der Fig. 4). Die vertikale Ausdehnung der Anlage a ist etwas grösser, wie die von b, und misst 130 fx gegen 120 (tf bei b; dagegen ist die horizontale Dimension von a etwas ge- ringer, denn diese Wucherung lässt sich nur durch fünf Schnitte ver- folgen (sie beträgt also 100 ju), während b durch sechs benachbarte Schnitte (also = 120 {x) zu sehen ist. Der Abstand beider Anlagen beträgt 140 fi. Noch ist zu bemerken, dass das die Epithelanlagen umgebende Epithel höher ist, als das an den cranialen und caudalen Enden der Schnitte: letzteres zeigt eine dreifache Lage von Zellen, jenes eine vier- bis fünffache. Im Uebrigen gleichen sich in der Form beide Epithelanlagen untereinander sowohl, wie auch den ersten Epithel- anlagen in Fig. 1 und 2. Mit dem letzten Schnitt, in welchem die Anlage b noch zu bemerken ist, erhebt sich ca. 450 [.i cranialwärts wieder eine linsenförmige Epithelwucherung, die gleichfalls durch fünf weitere Schnitte zu sehen ist: ihre horizontale Dimension beträgt 100 (x, ihre vertikale ungefähr ebensoviel. Ganz am kaudalen Ende dieser die genannte Anlage enthaltenden Schnitte bemerkt man als letzte Epithelwucherung in dieser Schnittserie eine noch mehr hügel- wie linsenförmige Anlage (Fig. 5); sie ist, abgesehen von der der Haupt- drüsenanlage benachbarten Epithelanlage, die kleinste und besitzt in horizontaler, wie vertikaler Richtung eine Ausdehnung von 80 ^. Von der vorigen Epithelanlage liegt sie etwa 1,40 mm caudalwärts entfernt. Präp. 2 (Fig. 6 — 10) stammt von einem Embryo mit 29 mm Kopfsteisslänge. Sowohl die rechte, wie die linke ßrustseite wurde benutzt. Das verwendete Hautstück der linken Brustseite hatte an- nähernd die Gestalt eines langgestreckten Rechtecks, besass eine Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. IßX durchschnittliche Breite von 2^2 nim und eine Länge von etwas über 6 mm. Es reichte medial bis last an die Mittellinie, lateral bis an die hintere Axillarlinie; cranial wurde es von der Achselhöhle, caudal vom Rippenbogen begrenzt. Das Präparat wurde in toto in Lithioncarmin gefärbt und in 311 Serienschnitte zu 20 f.i zerlegt, deren Richtung quer und senkrecht zur Richtung der Längsachse des Körpers gewählt wurde. In den Fig. 6 — 10, welche von dieser Schnittserie gezeichnet sind, ist links die laterale, rechts die mediale Seite. In den ersten 41 Schnitten ist keine deutliche Epithelwucherung, noch Anlage zu bemerken. Die erste Anlage erscheint fast ganz am lateralen Ende des 42. Schnittes und erhält sich bis zum 46. Schnitt als eine kleine linsenförmige Anlage etwa von der Grösse jener kleinen mit d bezeichneten Anlage in Fig. 3. 12 Schnitte darunter und auch am laterale n Ende derselben, also wohl ziemlich direkt caudal von der vorigen Epithelanlage gelegen begegnen wir einer weiteren Epithelanlage, die sich bei ihrer im Uebrigen auch linsenförmigen Ge- stalt durch eine ziemlich bedeutende AVucherung in die Tiefe aus- zeichnet (Fig. 6). Ihre horizontale Ausdehnung a b beträgt 120 fx, ihre vertikale 5 X 20 = 100 ^i. Nach 16 weiteren Schnitten begegnen wir ebenfalls an der late- ralen Seite einer zapfenförmigen , nur in 2 Schnitten vorhandenen Epithelwucherung , deren Gestalt der in Fig. 14 d gezeichneten ent- spricht. Mit dem 9. Schnitt unterhalb derselben beginnt ungefähr in der Mitte der Schnitte (doch mehr lateralwärts gelegen) zugleich mit der Areolarzone der Hauptmilchdrüsenanlage, die noch etwas mehr lateral gelegen ist, eine in 5 Schnitten vorhandene, linsenförmige Epithelanlage von 80 f.i horizontaler und 100 (x vertikaler (cranio- caudaler) Ausdehnung (Fig. 7 d). Fig. 7 zeigt schön und anschaulich die Epithelanlage d in ihrer Beziehung zu der lateral daneben befind- lichen Areolar- und der darunter hinziehenden Stromazone (st). 3 Schnitte weiter erscheint die eigentliche Hauptmilchdrüsen- anlage , die in 8 auf einander folgenden Schnitten vertreten ist. Die- selbe hat wie die des ersten Präparates die Kolbenform (das vierte Stadium der REiN'schen Eintheilung) überholt und zeigt bereits ver- schiedene sekundäre Sprossen und solide Wucherungen der peripheren Zellschichten. Fig. 3 giebt bereits ein gutes Bild auch von dem vor- liegenden Stadium. Ihre Dimensionen sind: 200 fx horizontale und 160 (.1 vertikale Ausdehnung. Etwa ^2 ^^"^ lateral neben dieser Hauptdrüse liegt noch eine kleine linsenförmige epitheliale Wucherung, die nur in 2 benachbarten Schnitten zu sehen ist und der in Fig. 11 d wiedergegebenen gleicht. Es folgt jetzt 15 Schnitte weiter unterhalb und etwas medial von der eigentlichen flauptdrüsenanlage eine flachlinsenförmige Epithel- Morpholog. Arbeiten hrsg. v. G. Schw.ilbe. VII. 11 2ß2 -D''* Hugo Schmidt. anläge von 60 f^ Breiten- und etwa 80 /ii Längendurchmesser. Darunter folgt nach 3 Schnitten, aber wieder fast ganz lateral gelegen eine in 2 auf einander folgenden Schnitten vorhandene mehr zapfen- förmige Epithelwucherung, ähnlich wie Fig. 14 d, nur dass vorliegende Wucherung senkrecht in die Cutis eindringt, während jene eine zur Oberfläche schräg verlaufende Richtung verfolgt. Einer ähnlichen Epithelwucherung, klein, aber doch zapfenförmig in die Tiefe der embryonalen Cutis vordringend, begegnen wir dann noch nach drei weiteren Schnitten (Fig. 8), und ist in vier benach- barten Schnitten enthalten. Ihr Breitendurchmesser beträgt 60 /x, ihr Längendurchmesser 80 fx. Sie liegt ziemlich genau senkrecht unter der Hauptdrüsenanlage. 28 Schnitte oder 560 f.i weiter caudal und in der Mitte der Schnitte gelegen (also ausgesprochen medial von der Hauptdrüsenanlage) trifft man auf eine kleine hügelförmige Epithelwucherung (Fig. 9) von etwa 50 /W Breiten- und 40 jit Längenausdehnung. Es ist das eine plötzliche Erhebung des Epithels von zwei- bis dreifacher Zellenlage zur doppelten Höhe. Eine ganz ähnliche Epithelwucherung findet sich 280 fi weiter unten direkt senkrecht unter der vorhergehenden. Unter dieser hügelförmigen Epithelanlage zeigt sich zum Schluss noch eine recht bedeutende zapfenförmige Epithelanlage , wiederum 280 jii von der vorigen entfernt, aber etwas mehr lateralwärts gelegen, so dass diese wohl ziemlich direkt senkrecht unter die Hauptdrüsen- anlage zu liegen kommt und etwa 2 mm davon entfernt ist (Fig. 10). Sie hat einen horizontalen Durchmesser von 100 j^i und einen vertikalen von 120 f,i. Bei dieser Epithelanlage ist eine vermehrte Anhäufung von jungen Zellen in der Cutis um das Bett der Wucherung unter dem Drüsenfeld in allen 5 bis 6 Schnitten nicht zu verkennen, wie das ja auch in der Zeichnung angedeutet ist. Man kann also hier von einer beginnenden Areolarzone sprechen, Fig. 10 ar. Die letzten 111 Serienschnitte enthalten keine Epithelanlagen mehr. Alle aufgezählten Epithelanlagen befinden sich demnach in den ersten 200 Schnitten und sind alle in der lateralen Hälfte derselben vertheilt; und zwar sind die ersten drei Epithelanlagen ganz lateral (in der Axillarlinie) gelegen, die normale Drüsenanlage rückt dann etwas mehr medial ; medial und lateral davon zeigen sich fünf kleinere Epithelanlagen ; am weitesten medialwärts treten die nun folgenden beiden hügelförmigen Anlagen , während die letzte , zapfenförmige Epithelanlage wiederum mehr lateralwärts gelegen ist. Die rechte Brustseite desselben Embryo wurde ungefähr in glei- cher Ausdehnung und in langgestreckt rechteckiger Gestalt verwendet ; nur war das Stück etwas kürzer. Es wurde in toto mit Lithionkarmin gefärbt und in 270 Schnitte, quer zur Längsachse des Körpers, ä 20 i^i zerlegt. In den Schnitten ist links = medial, rechts = lateral Lieber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 163 (Fig. 11 — 14). Die ersten 6 Schnitte, die noch nicht die ganze Breite des Stückes besitzen, erhalten nur eine kleine linsenförmige Anlage, ähnlich wie in Fig. 3d, lateral gelegen. 13 Schnitte darunter Beginn einer ziemlich bedeutenden zapfen- förmigen Epithelanlage, an der Grenze des lateralen Drittels der Schnitte gelegen. Sie hat einen queren Durchmesser von 120 ^a und einen Längendurchmesser (cranio-kaudal) von 140 jit. Lateral daneben (etwa 360 f.i, also etwa ^/g mm davon entfernt) liegt eine viel kleinere, flach-linsenförmige Epithelanlage von etwa 80 /t Quer- und 80 (x Längsdurchmesser. Fig. 11 zeigt deutlich das Verhältniss zwischen Grösse und Lage beider Epithelanlagen d und d'. Bei der grösseren d fehlt auch nicht die schon oben bei Fig. 10 erwähnte und vorhandene Anhäufung von jungen Zellen an der äusseren Grenze der embryonalen Cutis, die Warzenzone ar. 10 Schnitte unterhalb , direkt senkrecht unter der Anlage d von Fig. 11 gelegen, eine weitere linsenförmige Anlage von etwa 140 i-i Breiten- und 120 {.i Längendurchmesser. 4 Schnitte darunter, aber an der Grenze des medialen Drittels der Schnitte gelegen, eine ähnliche linsenförmige Epithelanlage von nur etwas geringeren Dimensionen, etwa 120 f.i Quer- und 100 fx Längendurchmesser. In der Mitte dieser Serienschnitte beginnt schon die Stromazone der normalen Brustdrüsenanlage zu erscheinen und 7 Schnitte darunter (also in einer Entfernung von 140 /<) sind die Randzellen der kolbenförmigen . mit nur geringen Sprossen versehenen Hauptdrüsen- anlage getroffen. Letztere ist durch zehn Schnitte zu verfolgen, hat also eine Längenausdehnung von 200 i,i und besitzt auch einen gleich grossen Breitendurchmesser. Fig. 12 giebt die Hauptdrüsenanlage mit Warzen- und Stromazone in einem Querschnitt wieder, während un- gefähr einen halben mm lateral daneben noch wieder eine kleine, etwa 40 (.L im Durchmesser haltende, linsenförmige Epithelanlage liegt. Mit dem Verschwinden der Areolarzone im weiteren Verfolg der Serien- schnitte zeigt sich dann ungefähr in gleicher Entfernung (Vo oam) medial, wie die vorige lateral von jener Zone, also wohl ziemlich senk- recht unter jener, an der Grenze des medialen Drittels der Schnitte gelegenen, oben beschriebenen Epithelanlage, eine weitere, kleine; flach- linsenförmige Anlage von 60 (.l Quer- und 80 (x Längendurchmesser. 5 Schnitte weiter unterhalb am lateralen Drittel der Schnitte eine etwa 50 (.i im Durchmesser haltende, kurz zapfenförmige Epithel- wucherung (Fig. 13). 8 bis 11 Schnitte weiter zeigen sich fast gleichzeitig 3 Epithelanlagen neben einander, unter welchen die mittlere die grösste ist und 80 ^a im Quer- und ungefähr ebensoviel im Längendurchmesser besitzt (Fig. 14 d). Sie dringt in etwas schräg zur Oberfläche geneigter 11* 1^4: ^^- Hugo Schmidt. Richtung zapfenförmig in die embryonale Cutis ein, an deren Grenze sogar eine geringe, aber immerhin deutliche Anhäufung von jungen embryonalen Bindegewebszellen zu bemerken ist. E-echts daneben ent- hält derselbe Schnitt noch eine kleine linsenförmige, etwa 40 /.i messende Epithelanlage. Links von der zapfenförmigen Epithelanlage ist dann in den näch- sten beiden Schnitten eine gleichfalls 40 /j, grosse epitheliale, linsen- förmige Wucherung vorhanden. Die mittlere grösste liegt ungefähr wieder an der Grrenze des medialen, die rechts davon gelegene an der Grenze des lateralen Drittels der Schnitte, während die links von jener gelegene nur ungefähr lüO f.i vom medialen Ende der Schnitte ent- fernt liegt. Durch die Gruppirung der Zeichnungen 11 — 14 unter einander habe ich zugleich mit der Gestalt und Form der einzelnen dargestellten Epithelanlagen auch deren craniale und caudale, laterale und mediale Vertheilung in Bezug auf die Hauptdrüsenanlage (in Fig. 12) zur Ver- anschaulichung bringen wollen. Die nächsten 37 Schnitte enthalten überhaupt keine Epithelanlagen ; dann folgt in den darauffolgenden 3 Schnitten eine etwa 60 i-i im Durchmesser haltende Epithelanlage, ähnlich wie die in Fig. 12 d dar- gestellte. Die letzte, kleine, linsenförmige Epithelanlage von 40 /.c Durch- messer liegt 21 Schnitte unterhalb in geringer Entfernung vom medialen Ende der Schnitte. In den darauffolgenden letzten 115 Schnitten ist keine Epithel- anlage mehr vorhanden. Präp, 3 stammt von einem menschlichen Embryo männlichen Ge- schlechts mit einer Hinterhauptsteisslänge von 34 mm. Härtung in MüiiLER'scher Lösung und Alkohol, Stückfärbung in Alaunkarmin. Beide Brusthälften werden verwendet. Linke Brustseite (Fig. 15 — 18): Das Stück hat keine regel- mässige rechteckige Gestalt, sondern ist mehr in der Längsrichtung oval gestreckt ; nur die mediale Seite verläuft ziemlich parallel dem Sternalrande, so dass in den Schnitten die genauere Bestimmung der Lage der einzelnen Epithelanlagen von der medialen Seite aus zu ge- schehen hat. Das Stück hat eine grösste Länge von etwas über 6 mm und eine grösste Breite von etwa 4^2 ^^- ^^ wurde in 308 Serien- querschnitte von je 20 ili zerlegt. Die ersten 81 Schnitte enthalten keine Epithelanlagen, vielleicht deshalb, weil gerade die laterale Partie des Hautstückes hier kaum bis in die Achselhöhle hineinreicht. Dann beginnt eine fast am late- ralen Ende der Schnitte gelegene linsenförmige Epithelanlage von 140 ^a Breite und ebensoviel ^a Länge (Fig. 15). Mit dem letzten Schnitt, in welchem die Wucherung der vorigen Epithelanlage noch zu sehen ist. Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 165 beginnt, 680 (.i medialwärts gelegen, eine zweite linsenförmige Epithel- anlage, die etwas breiter und auch länger wie jene ist, und enthält in beiden Durchmessern 160 fx (Fig. 16). Die letzte linsenförmige Epithel- anlage setzt sich nach abwärts, aber auch nach aufwärts als eine ein- fache lineare Wucherung des Epithels noch weiter fort, so dass man dieselbe sowohl in etwa 3—4 vorhergehenden und in ebensoviel fol- genden Schnitten nachweisen kann. Die Fig. 15 und 16 zeigen bei schwacher (etwa 48facher) Ver- grösserung nicht bloss die Anlagen als solche, sondern auch ihr Yer- hältniss zu einander, ihre Lokalisation neben einander. Die lateralen Ecken der Schnitte sind beide umgebogen. Die Anlage Fig. 15 liegt ganz in der Nähe des (lateralen) Winkels, welcher durch die Abknickung des Epithels entstanden ist. Die 5 Serienschnitte ä 20 ^.i weiter caudal gelegene Anlage in Fig. 16 ist viel weiter medial gerückt; die Epithelanlage von Fig. 15 ist verschwunden und nur eine deutlich aus- geprägte Krümmung bei x zeigt noch die Stelle im Oberflächenepithel an, an welcher in den vorhergegangenen Schnitten jene Anlage 15 zu sehen ist. 5 Schnitte weiter unterhalb, in der m e d i a le n Hälfte des Schnittes gelegen, findet sich eine hügelförmige 80 i.i im Durchmesser haltende Epithelwucherung, ähnlich der in Fig. 5 wiedergegebenen. 20 Schnitte weiter unten, aber ganz lateral gelegen, wieder eine kleine zapfenförmige , etwa 50 [.i breite und lange Epithelwucherung (Fig. 17). Zugleich mit den Schnitten, welche diese Anlage ent- halten, fängt in der Mitte der Schnitte die Stroma- und die Warzen- zone der normalen Milchdrüsenanlage an; die Epithelwucherung selbst, welche schon deutliche sekundäre Sprossungen getrieben hat, demnach dem 5. Stadium der REiN'schen Eintheilung entspricht, erscheint wenige Schnitte weiter und hat eine grösste Breitenausdehnung von 220 (.i und eine grösste Längenausdehnung von 180 i-i. Nicht unerwähnt lassen will ich noch , dass sowohl auf der me- dialen Seite jenes Schnittes, dessen laterale Hälfte in Fig. 16 wieder- gegeben ist, eine ganz kleine sich in die Cutis einsenkende Epithel- wucherung von 40 i-i Durchmesser enthalten ist, als auch 300 (.i ober- halb der normalen Milchdrüsenanlage ungefähr in der Mamraillar- linie selbst eine solche von 40 fx Durchmesser. Ihr Repräsentant ist in Fig. 14 d bereits abgebildet. Ihre Bedeutung als Milchdrüsen- anlage wird meiner Ansicht nach trotz ihrer geringen Grösse dadurch dokumentirt und bewiesen, dass in beiden Fällen sich die Epithelan- lage cranial und caudal in eine durch mehrere (bis zu 5) Serienschnitte weit zu verfolgende einfache Wucherung des Epithels fortsetzt. Ungefähr -^/^ mm medial von dem unteren Ende der Haupt- milchdrüsenanlage ist noch eine hügelförmige kleine Epithelanlage von etwa 40 /t im Durchmesser vorhanden , die auch schon etwas in das embryonale Cutisgewebe hineingewuchert, ähnlich wie in Fig. 12 d. 166 Dr. Hugo Schmidt. Auch hier geht sowohl caudal, wie cranial die eigentliche Anlage in eine einfache, lineare Wucherung des Epithels über, die etwa in je 3 bis 4 Schnitten nachzuweisen ist. 28 Schnitte weiter unterhalb folgt eine kleine 40 ;tf im Durchmesser haltende, sich schräg in die Cutis einsenkende Epithelanlage, ähnlich wie in Fig. 13, welche wenig medial von der Mammillarlinie gelegen ist. In den nächsten 94 Schnitten sind nur 2 medial gelegene sehr kleine hügelförmige Epithelwucherungen nachzuweisen, die etwa 30 — 40 jx im Durchmesser haben, jedenfalls ganz unbedeutende Anlagen darstellen. Zum Theil sind übrigens die Schnitte mangelhaft wegen mehrfacher Defekte im Epithelüberzug. Dann kommt aber, ungefähr in der Mam- millarlinie gelegen noch eine ziemlich bedeutende linsenförmige Epithel- anlage (Fig. 18) von 160 (.i Breite und etwa 120 (.l Länge. In den letzten 42 Schnitten , die ebenfalls durch Epithel- defekte gelitten haben , ist keine Epithelanlage weiter mehr nachzu- weisen. Die rechte Brustseite der 3. Präp. (Fig. 19—21) ist gleichfalls von unregelmässiger Gestalt; nur die mediale Seite des Stückes verläuft direkt neben und parallel dem Sternum. Seine grösste Ausdehnung in horizontaler Richtung beträgt 37.3—4 mm, seine grösste vertikale Ausdehnung öV., mm. Härtung in Müller und Alkohol. Stückfärbung in Alaunkarmin. Zerlegung des Stückes in ca. 280 Querschnitte ä 20 i^i. In den ersten 36 Schnitten, die zum grossen Theil noch nicht die volle Breite des Stückes besitzen, keine Epithelanlagen. In den nächsten 10 Schnitten folgt eine linsenförmige Anlage (Fig. 19) von 160 (.i Breite und 200 {.i Länge. Sie liegt fast in der Mitte der Schnitte, doch noch ein wenig auf der lateralen Seite. Zugleich mit den letzten 4 Schnitten durch diese Epithelanlage zeigt sich 320 ^i lateral davon eine zweite von etwas geringerer Aus- dehnung, 140 fx Breite und Länge. 9 Schnitte unter dieser, aber auf der medialen Seite der Schnitte und auch medial voq der bald darauf erscheinenden normalen Milch- drüsenanlage gelegen, erscheint eine dritte linsenförmige Epithelanlage von etwa 120 f^i Breiten- und 140 (x Längenausdehnung, ähnlich wie in Fig. 16. Gleich darunter, in der Mitte der Schnitte gelegen, erscheint die normale Milchdrüsenanlage. Ihre Längenausdehnung beträgt 200 (.i, ihre Breitenausdehnung 220 (x. Sie befindet sich in demselben Stadium, wie jene in Fig. 3. Lateral neben den . ersten Schnitten durch diese Hauptdrüsen- anlage, in einer Entfernung von 460 (.i, liegt eine kleine zapfenförmige Epithelanlage von 40 ^i Durchmesser, wie sie in Fig. 8 bereits zur Dar- lieber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 167 Stellung gebracht ist. Sonst ist zu beiden Seiten der normalen Milch- drüsenanlage keine weitere Epithelanlage nachzuweisen. 8 Schnitte darunter und etwa 400 fi medial von der Mammillarlinie eine flach-linsenförmige Epithelanlage von 60 f-i Durchmesser. 4 Schnitte weiter abwärts und etwa 400 f-i lateral von der Mammillarlinie kommt eine 40 jii breite und etwa 80 f.i lange zapfen- förmig sich in die Tiefe senkende Epithelanlage (Fig. 20). 14 Schnitte unterhalb der vorigen, an der Grenze des medialen Drittels der Schnitte gelegen, eine schmale schräg sich in die embryo- nale Cutis einsenkende Epithelanlage, wie wir einer solchen bereits in Fig. 14 d begegnet sind, Ihre Dimensionen sind hier 20 /.i Breite zu 40 f^i Länge. 11 Schnitte weiter abwärts und nur wenig lateral von der vorigen Anlage eine weitere schräg in die Tiefe sich senkende, zapfenförmige Epithelanlage von 24 /^i Breite und etwa 80 /.i Länge (Fig. 21). Die anderen noch übrigbleibenden Schnitte, etwa 170 an der Zahl, enthalten keine Epithelanlagen mehr. Das vierte Präparat (Fig. 22—28) stammt von einem Embryo von 35 mm Hinterhauptsteisslänge. Härtung in Alkohol; Stück- färbung in Alaunkarmin. Das Stück der linken Brustseite war 8 mm lang und durch- schnittlich 4 mm breit, hatte eine ziemlich regelmässige rechteckige Gestalt, deren lange Seiten dem Sternum parallel verliefen. Es wurde in 403 Querschnitte ä 20 /.i zerlegt. Die ersten 20 — 30 Serienschnitte zeigen vielfach Epitheldefekte, sind deshalb nicht gut verwendbar, enthalten aber jedenfalls keine sichtbaren Epithelanlagen, Die erste Anlage beginnt mit dem 50. Schnitt: fast ganz am lateralen Ende der Schnitte eine linsen- förmige Anlage von 70 /ii Breite und mindestens 80 /ii Länge (in den Schnitten ist links lateral rechts medial). Nur etwa 200 f^ medial daneben eine mehr hügel- wie linsen- förmige Anlage von 120 (.i Breite und wenigstens 60 f.i^ Länge (die genauere Angabe ist wegen der Defekte am Epithel nicht möglich). 7 Schnitte weiter unterhalb und gleichfalls am lateralen Ende der Schnitte gelegen treten zu gleicher Zeit 2 linsenförmige Epithel- anlagen auf, die 320 iJ. von einander entfernt sind. Fig. 22 zeigt die- selben bei mittlerer Vergrösserung. Das laterale Ende des Schnittes ist etwas nach oben umgebogen. Von den beiden Anlagen a und b ist die erste nur etwas grösser wie die zweite; a ist 160 fx breit und 180 |U lang, b = 140 ^ breit und höchstens 160 fi lang; die letztere ist ausserdem etwas flacher. Kaum hören die letzten Querschnitte dieser Anlagen auf, so zeigt sich im folgenden Querschnitt, aber am sternalen Ende desselben, 168 ^^- Hugo Scbraidt. eine weitere flach-linsenförmige Anlage von 100 fi Breite und 120 /li Länge. 6 Schnitte unter dieser kommt eine zapfenförmige Anlage von 120 /LI Breite und ebenso viel in Länge. Diese liegt aber wiederum weit lateralwärts und entspricht ungefähr der Lage der Anlagen von Fig. 22 a und b; Fig. 6 und 11 d zeigen bereits ähnliche Bildungen. 5 Schnitte weiter unterhalb beginnt dann eine Reihe sehr interes- santer Schnitte , wozu die Zeichnungen 23 . 24 und 25 entsprechende Illustrationen liefern sollen. Sie sind aus der nun folgenden nächsten Schnittreihe derart ausgewählt, dass zwischen Fig. 23 und 24 ein Schnitt ä 20 f.i fehlt, während 24 und 25 direkt auf einander folgen. Zur weiteren Orientirung sei bemerkt, dass durch c ungefähr die Mam- millarlinie hindurchgeht. Wir bemerken nun in den 3 Figuren an 4 fast gleich weit von einander entfernten (etwa 300 — 400 /ii) Stellen a, b, c und d epitheliale Anlagen, bei denen man beobachten und kon- troliren kann, wie die einzelnen Anlagen allmählich in der Reihe der Serienschnitte erscheinen und dann wieder verschwinden. In Fig. 23 ist bei a bereits eine kleine linsenförmige Anlage zu sehen, die im zweiten Schnitt darunter, welcher in Fig. 24 wieder- gegeben ist, zu einer grossen mehr zapfenförmig gestalteten Wuche- rung geworden und bei a in Fig. 25 bereits wieder in der Abnahme begriffen ist. Bei b in Fig. 23 besteht nur eine geringe Wucherung des Epi- thels ; in Fig. 24 ist sie schon deutlicher und stärker geworden und in Fig. 25 hat sich aus b eine vollkommene linsenförmige Anlage entwickelt. Bei c in Fig. 23 ist die hügelförmige Epithelanlage nur gering; in Fig. 24 ist sie schon bedeutender geworden und in Fig. 25 ist aus ihr eine deutlich linsenförmige Anlage entstanden, welche dann im nächstfolgenden Schnitt ihre grösste Dimension und Entwick- lung zeigt. Bei d in Fig. 23 ist ausser einer Krümmung im Oberflächen- epithel noch nichts Besonderes zu bemerken ; in Fig. 24 zeigt sich eine deutliche hügelförmige Erhebung und Wucherung des Epithels, die in Fig. 25 linsenförmig wird und diese Form im nächsten Schnitt noch ausgeprägter zeigt. a hat eine grösste Breite von 120 /n Länge >? 120 ^i Breite « 120 i-i Länge « 140 11 Breite ?? 180 1^1 Länge » 160 f.1 (mindestens) Breite 55 120 11 Länge 55 100 (X (mindestens) lieber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 169 Unter ihnen ist also c die grösste Anlage. Alle 4 sind gelegen auf einer Hautfläche von etwa 2 mm Breite und 220 {.i Länge und sind in 11 auf einander folgenden Serienschnitten ä 20 f.i ent- halten. 7 Schnitte weiter abwärts beginnt eine neue linsen- bis zapfen- förmige Epithelanlage von 140 (.i Breite und 100 ^i Länge (Fig. 26). Sie liegt sehr weit lateral und entspricht in dieser Hinsicht der Lage von a in Fig. 23 — 25. 2 Schnitte weiter ist ganz lateral eine kleine linsenförmige Epithel- anlage von etwa 40 (.i Durchmesser gelegen. Jetzt beginnt auch in der Mitte der Schnitte die Stromazone der nor- malen Milchdrüsenanlage. Fig. 27 stellt bei schwacher Vergrösserung unge- fähr % des zweiten und dritten Schnittes unterhalb der vorigen An- lage dar. Die Zeichnung ist eine Kombination aus beiden Schnitten, um dadurch die darin enthaltenen 3 Epithelanlagen zur gleichzeitigen, deutlicheren Anschauung zu bringen. Es treten hier fast zu gleicher Zeit zur Seite der beginnenden Warzen- und Stromazone der normalen Drüsenanlage (ar und st der Fig. 27) 3 Epithelanlagen a, b, c der Figur auf, die von der Einsenkung über der Warzenzone und unter sich etwa gleich weit (600 — 700 f.i) entfernt liegen. An Stelle der Ein- senkung in diesem Schnitt erscheint in den nächstfolgenden Schnitten die Bpithelwucherung der normalen Milchdrüsenanlage selbst. Die An- lagen a und b liegen lateral, die Anlage c medial von der Maramillar- linie ; b ist eine 60 i-i breite und lange, sich schräg in die embryonale Cutis einsenkende zapfenförmige Epithelwucherung; a ist eine ähnliche schräg sich einsenkende Epithelanlage, nur grösser wie jene, etwa 70 — 80 (X breit und lang. Beide Anlagen lassen sich dann noch in den nächsten Schnitten als einfache Wucherungen des Epithels weiter verfolgen. Die Anlage c ist linsenförmig und die grösste unter ihnen; sie hat eine Breite von 100 — 120 {.l und eine Länge von 120—140 ^i. Im nächsten Schnitt darunter beginnt die eigentliche Brustdrüsen- anlage, die 240 f.i breit und lang ist und die Form der in Fig. 3 wiedergegebenen Milchdrüsenanlage hat. In ihrem cranialen Bereich ist noch in verschiedenen Schnitten die in Fig. 27 c gezeichnete linsen- förmige Epithelanlage zu sehen ; 300 — 400;ti medial daneben erscheint hier ausserdem noch eine andere kleine linsenförmige Anlage von 80 (.i Durchmesser. Im caudalen Bereich der normalen Milchdrüsenanlage befindet sich ganz lateral gelegen noch eine schräg sich in die Cutis ein- senkende Epithelwucherung von 60 — 70 (.i, der in Fig. 27 a gezeich- neten Form ähnlich. 9 Schnitte unter dem caudalen Ende der normalen Milchdrüsen- anlage und etwa senkrecht unter der Anlage Fig. 27 a gelegen, er- 170 -D^- Hugo Schmidt. scheint wieder eine solche schräg in die Cutis dringende Epithelwuche- rung von etwa 60 i^i Durchmesser. Im 3. Schnitt darunter eine in 5 auf einander folgenden Serien- schnitten enthaltene, am medialen Ende derselben gelegene, linsenför- mige Epithelanlage von 100 f.i Breite und Länge. Im 3., 4. und 5. Schnitt dieser Anlage erscheint lateral neben ihr und auch noch etwas lateral von der Mammillarlinie, also ungefähr der An- lage b in Fig. 27 entsprechend, eine 60 /ii im Durchmesser haltende zapfen- förmige, sich schräg einsenkende Wucherung; während jedoch jene Anlagen a und b der Figur 27 und die am caudalen Ende lateral von der Hauptdrüsenanlage gelegene zapfenförmige Anlage sich in ihrer schrägen Richtung konvergent zu der Hauptdrüsenanlage und der Mammillarlinie verhalten, verläuft die Richtung der soeben bezeichneten Anlage diver- gent zur Mammillarlinie. 12 Schnitte unterhalb, medial von der Mamillarlinie gelegen und der Lage von Anlage c in Fig. 27 entsprechend, befindet sich eine weitere linsenförmige Epithelanlage von 120 fn Breite und 100 fi Länge. 25 Schnitte unterhalb und etwa 300 fi medial von der vorigen Anlage: flach-linsenförmige Anlage von 120 ^t Breite, 100 /n Länge. 4 Schnitte darunter und ungefähr in der Mammillarlinie ge- legen, beginnt eine 120 i^i breite und ebenso lange zapfenförmige Epithelanlage (Fig. 28), die in 6 auf einander folgenden Schnitten zu sehen ist. In den letzten 180 Schnitten keine weitere Epithelanlage. Das von der rechten Brustseite (Fig. 29—38) desselben Embryo verwendete Stück war von ziemlich regelmässig rechteckiger Gestalt. Es hatte eine Länge von 5,7 mm und eine durchschnittliche Breite von 3 mm. Die Längsseiten verliefen parallel des Sternum. Stückfärbung in Alaunkarmin. Zerlegung des Hautstückes in eine zusammenhängende Serie von 289 Querschnitten ä 20 f.i. Die ersten 20 Schnitte sind fast ganz unbrauchbar wegen viel- facher Epitheldefekte. Dann werden die Schnitte besser und mit dem 24. Schnitt beginnt auch schon ganz lateral gelegen eine ausgesprochen zapfenförmige Epithelanlage von 120 /.i Breite und 100 (it Länge (Fig. 29). Eine Areolarzone ist hier nicht ausgebildet. Kaum hört diese auf, so erscheint im folgenden Schnitt eine neue, 120 f^i breite und 80 f.i lange, ebenfalls zapfenförmig in die Cutis ein- dringende Epithelanlage, von jener um etwa 100 — 150 fi lateral ge- legen: (Fig. 30). In dieser Figur, welche den 5. Schnitt unterhalb der Fig. 29 darstellt, sieht man noch in der hügelartigen Erhebung der Oberfläche bei x diejenige Stelle, an welcher in Fig. 29 die vorige Anlage sich befindet. 5 Schnitte darunter Beginn einer 3. ebenfalls zapfenförmigen, Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 171 120 /t breiten, 100 (,i langen Epithelanlage, von der vorigen um gleich- falls etwa 120 — AhO (.i lateral gelegen. Sie hat mit der vorhergehen- den Anlage in der Form die grösste Aehnlichkeit. Mit dem letzten Schnitt, in dem diese noch zu sehen ist, beginnt in der Mitte der Serienschnitte, etwa I72 mm medial von der vorigen gelegen und bereits mehrere Schnitte vorher durch eine hügel- artige Erhebung der Oberfläche angekündigt, eine weitere, bedeutendere zapfenförmige Epithelanlage von 160 u Breite und ebenso viel fx Länge (Fig. 31). Hier ist eine Areolarzone schon wieder angedeutet Fig. 31 ar. Ihre Lage entspricht vollkommen der 13 Schnitte unter ihr be- ginnenden normalen Milchdrüsenanlage; jene Anlage ist also in der Mammillarlinie gelegen und zwar oberhalb von der normalen Milchdrüsenanlage in einer Entfernung von 260 (.1 = V^ mm. Fig. 32 stellt bei schwächerer Vergrösserung etwa den dritten Theil des 4. Schnittes unterhalb des in Fig. 31 gezeichneten Quer- schnitts der darin enthaltenen zapfenförmigen Epithelanlage dar. Bei b der Fig. 32 sieht man noch den Rand der vorigen Epithel- anlage als einfache hügelförmige Wucherung des Epithels. In einiger Entfernung unter ihr, in der Tiefe der embryonalen Cutis, ist eine auf- fallende Anhäufung von schmalen langgestreckten jungen Zellen zu be- merken, die hier schon deutlich sichtbaren Ausläufer der Stromazone der normalen Milchdrüsenanlage (Fig. 32 st.). Medial (in der Fig. links) neben b , in einer Entfernung von 460 (.ij liegt (bei a der Fig. 32) eine linsenförmige Anlage von 140 fi Breite und ebensoviel (.1 Länge. Dieselbe ist im Ganzen in 7 auf ein- einander folgenden Schnitten zu sehen. Fig. 32 ist der 2. Schnitt von oben, Fig. 33 der 6. Schnitt, liegt also 4 Schnitte unterhalb jenem. Die linsenförmige Epithelanlage der Fig. 32 ist bei a' in Fig. 33 noch vorhanden; die Stromazone der normalen Milchdrüsen- anlage st ist durch eine noch bedeutendere Anhäufung von Zellen ge- kennzeichnet und deutet in der Tiefe der embryonalen Cutis diejenige Stelle an, an welcher einige Schnitte weiter unterhalb die Epithel- wucherung der normalen Milchdrüsenanlage anfängt; der Hügel h im Oberflächenepithel entspricht hier der Stelle der Anlage, liegt also un- gefähr in der Mammillarlinie; ganz lateral liegt ferner eine linsen- bis zapfenförmige Anlage von etwa 100 [j. Breite und 80 (.l Länge (Fig. 33 c). 2 Schnitte unter diesem (in Fig. 33) wiedergegebenen Schnitt hört die Anlage c auf, während mitten zwischen c und dem Hügel h eine kleine zapfenförmige Epithelanlage von etwa 50 — 60 f.i im Durch- messer liegt; sie gleicht vollkommen der in Fig. 17 gezeichneten An- lage. Nun kommt 6 Schnitte unterhalb der vorigen in der Mitte der l 72 Dr. Hugo Schmidt. Schnitte gelegen, senkrecht unter der Anlage in Fig. 31 und b der Fig. 32 gelegen die normale Milchdrüsenanlage, im Ganzen durch 12 Schnitte zu verfolgen; sie besitzt eine Breite von 240 ^ und eine Längenausdehnung von 300 f.i und hat hat bereits sekundäre Sprossen getrieben (Fig. 34 und 35). Fig. 34 ist der 5. Querschnitt durch die Hauptdrüsenanlage, Fig. 35 der 13 : in beiden Schnitten ist wieder deutlich die Warzen- und die Stromazone zu sehen. Zugleich sind in beiden Schnitten die neben der Hauptdrüsenanlage und ungefähr in gleicher Entfernung (400 in) von ihr gelegenen linsenförmigen Anlagen zu sehen; die kleinere d der Fig. 34, 60 /.i breite und lange liegt lateral neben dem oberen Theil der Hauptdrüsenanlage, die grös- sere, 160 /f lange und ebenso breite d^ der Fig. 35 medial neben dem \interen Theil derselben. 6 Schnitte unterhalb des caudalen Endes der Hauptdrüsenanlage, lateral von der Mamillarliuie, der Anlage d der Fig. 34 entsprechend gelegen folgt eine kleine zapfenförmige Epithelanlage von etwa 50 /.i Breite und 40 ft Länge ; die Richtung, mit der die Anlage in das Cutis- gewebe eindringt, ist (ähnlich wie in Fig. 17) eine senkrecht zur Ober- fläche gerichtete. 9 Schnitte unterhalb der vorigen Anlage, medial von der Mam- millarlinie, der Anlage d^ in Fig. 35 entsprechend, folgt eine linsen- förmige Bpithelanlage von etwa 140 ^a Länge und Breite (Fig. 36), die auch in der Form die grösste Aehnlichkeit mit jener An- lage hat. 3 Schnitte darunter, nur wenig lateral von der Mammillarlinie. befindet sich eine kleine zapfenförmige Epithelanlage von 40 f.i Länge und Breite, schräg, nach der Mamillarliuie hin neigend, (Fig. 37). 6 Schnitte darunter und etwas medial von der Mammillarlinie eine kleine 60 f.i breite, 40 f.i lange, schräg nach der Mammillarlinie hin neigende, zapfenförmige Anlage, die caudal und cranial noch durch 2 — 3 Schnitte eine einfache Verdickung des Epithels erkennen lässt (Fig. 38). In den übrigen 198 Schnitten sind keine Epithelanlagen mehr vor- handen. Dagegen lässt sich noch in den nächsten etwa 50 Schnitten eine Verdickung des Epithels auf der medialen Seite nachweisen, die dann allmähhch ganz verschwindet. Während die laterale Seite eine Epi- dermis mit 2, höchstens 3 Lagen Zellen besitzt, hat die mediale Seite der Schnitte eine solche mit 3 — 4 Zellenlagen. Von demselben Embryo habe ich dann noch beiderseits die Re- giones hypogastricae zur Anfertigung von Querschnittserien verwendet. Die linke Seite ist unbrauchbar, weil die Schnitte zum grössten Theil ihres Epithels beraubt sind. Doch findet sich auch hier unter den fragmentarischen Epithelresten eine hügelförmige Anlage, die in Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 173 2 Schnitten ä 30 jtt nachweisbar ist und eine Länge und Breite von etwa 50 — 60 f.i besitzt. Das Stück der rechten Regio hypogastrica (Fig. 39 und 40) war etwas über 3 mm hing und 2 — 2^2 mm breit und wurde, in 164 Quer- schnitte a 20 jU zerlegt. In der Mitte des Stückes wurde, mehr hiteral gelegen, eine etwa 50 — 60 [.i breite und 100 ^i lange linsenförmige Epithel- anlage gefunden ; am untersten Ende desselben, mehr medial gelegen, zwei linsenförmige Anlagen neben einander (Fig. 39) ; beide Anlagen sind ungefähr 100 ix breit und ebenso lang. In Fig. 39 sind beide Anlagen a und b zu sehen; die Wucherung bei a zeigt eine deutliche, linsenförmige Vertiefung der embryonalen Cutis, das Epithel ist leider links davon etwas defekt, rechts in einer zusammenhängenden Lage abgehoben ; die Wucherung bei b zeigt hier kaum eine Vertiefung, da- gegen ist eine solche 2 Schnitte weiter abwärts gleichfalls deutlich ausgeprägt (Fig. 40 b). Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir es hier mit Epithel- anlagen zu thun haben, welche den auf der Brust der Embryonen gefundenen durchaus analog sind. Ein Vergleich mit den Fig. 1, 2, 4, 7 d, 22, 36 u. a. m. wird das bestätigen. Präparat 5 (Fig. 41) stammt von einem männlichen Embryo von 43 mm Hinterhauptsteisslänge. Beide Brustseiten wurden geschnitten. Die linke Brustseite ist mir aber leider während ihrer Behandlung in Xylol und Paraffin ausserordentlich stark geschrumpft und da- durch der genaueren mikroskopischen Untersuchung unzugänglich ge- worden. Das Stück der rechten Brustseite war durchschnittlich 4 mm breit und etwas über 8 mm lang. Es wurde in eine Querschnittserie von 276 Schnitten ä 30 ^ Dicke zerlegt. Die ersten 50 Schnitte sind schräg gegen die Oberfläche getroffen und haben ausserdem vielfach Epitheldefekte. Mit dem 67. Schnitt be- ginnen, lateral gelegen, 2 nebeneinander befindliche etwa 80 i-i breite und lange linsenförmige Epithelanlagen (Fig. 41). 11 Schnitte darunter befindet sich wieder eine kleine Epithelan- lage von etwa 40 f.i. Dann beginnt in der Mitte der Schnitte die 200 (.i breite und ebenso lange, kolbenförmige Hauptdrüsenanlage. Cranial und lateral neben ihr eine kleine 40 (.i im Durchmesser besitzende linsenförmige Anlage. ]\tedial von ihr, etwa in einer Entfernung von 1mm, eine weitere hügelförmige Anlage, ähnlich wie die in Fig. 5. Eine ganz ähnliche folgt dann 15 Schnitte unter dieser, ebenfalls medial von der Mammillarlinie, und in den gleichen Schnitten ganz lateral gelegen eine flach-linsenförmige Anlage von etwa 80 f.i Länge und Breite. ]^74 ^^- Hugo Schmidt. 21 Schnitte darunter und medial von der Mammillarlinie, ähnlich wie Fig. 1 , eine 100 u breite und lange , linsenförmige Epithel- anlage. Die letzten 140 Schnitte enthalten keine Epithelanlagen mehr. Die ganze Serie ist nicht so gut gelungen, wie sonst die übrigen. Sie leidet vor Allem an einer schlechten Färbung der Kerne, speciell der Epidermis; ferner sind viele Epitheldefekte in der embryonalen Epi- dermis vorhanden und schliesslich sind viele Schnitte schräg getroffen, alles Uebelstände, welche die mikroskopische Untersuchung erschweren und die Befunde beeinträchtigen. Präparat 6 (Fig. 42) stammt von einem 54 mm langen männ- lichen Embryo. Nur die linke Seite des Thorax wurde verwendet; ausserdem hatte das Hautstück nur die geringen Dimensionen von 2 mm Breite und kaum 3 mm Länge. Stückfärbung in Boraxkarmin. 145 Querschnitte ä 20 fj.. In den ersten 40 Schnitten keine Epithelanlage. Dann folgt die 260 fi breite und lange normale Brustdrüsenanlage, welche die Kolben- form der REiN'schen Eintheilung bereits überschritten hat und sekun- däre Sprossen zeigt (wie in Fig. 3). 76 Schnitte darunter und etwas medial gelegen kommt eine zweite kolbenförmige 120 /.i lange und breite Epithelanlage (Fig. 42). Die Anlage ist bei stärkerer Vergrösserung (etwa 450 fach) ge- zeichnet, so dass dieselbe auch histologisch genau studirt werden kann. Es handelt sich dabei um eine ziemlich bedeutende epitheliale Wuche- rung; die tiefste, dem Drüsenfelde aufliegende Zellenschicht ist ein deutliches hohes Cylinderepithel, während die übrigen Zellen eine An- häufung dichter, sich gegenwärtig abplattender Zellen darstellen, deren Grenzen deutlich wahrzunehmen sind. Rings im darunter liegenden embryonalen Cutisgewebe ist eine Vermehrung der Bindegewebszellen zu konstatiren. freilich ist sie nicht in die Tiefe zu verfolgen, weil die ganze Dicke des Hautstückes nicht bedeutender war, als die Epithelwucherung selbst. Man kann deshalb hier nicht von einer deutlichen Areolarzone sprechen. Die letzten 8 Schnitte zeigen keine weiteren Anlagen. Präparat 7 (Fig. 43 — 45) stammt von einem Embryo von 60 mm Hinterhauptsteisslänge. Beide Brustseiten wurden verwendet und ausserdem die rechte Inguinalgegend. Das Stück der linken Brust- seite war ungefähr rechteckig, die langen Seiten parallel zu dem Ster- num gerichtet ; es hatte eine Länge von 10 mm und eine durchschnitt- liche Breite von ungefähr 3,5 mm. Färbung in Alaunkarmin. Serie von 504 Querschnitten k 20 ft Dicke. In den Schnitten ist links = lateral, rechts = medial. Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embryoneu etc. 175 Die ersten 12 Schnitte zeigen vielfach Epitheldefekte. Nach 36 Schnitten, lateral gelegen, eine kleine, 30 u lange und breite hügel- förmige Anlage. 34 Schnitte weiter unten und ungefähr im gleichen Abstand von der Sternallinie wie jene eine etwas grössere hügelförmige Anlage von etwa 80 f.i Länge und Breite. Im 30. bis 38. Schnitt unterhalb der vorigen Anlage, in der Axillar- linie gelegen eine 180 f^i breite und lange zapfenförmige Epithelanlage (Fig. 43). Eine Warzenzone ist durch eine wenn auch geringe Anhäufung embryonaler Bindegewebszellen in der Umgebung des Drüsenfeldes an- gedeutet (ar der Fig.), Im 10. — 14. Schnitt weiter unterhalb eine etwa 100 f.i breite und lange linsenförmige Anlage, gleichfalls in der Axillarlinie gelegen. Die Schnitte haben leider gerade an der Stelle der Anlage gelitten durch einen am Bande derselben in die Tiefe gehenden Riss und durch eine dadurch bedingte Verschiebung beider Rissenden gegen einander; in Folge davon ist die genaue Angabe der Konfiguration dieser Anlage nicht möglich. 18 Schnitte darunter nur wenig lateral von der Mammillarlinie ge- legen, folgen zwei 280 (.i von einander entfernt liegende hügel- und linsenförmige Anlagen (Fig. 44). Beide sind ungefähr 80 fx lang , die hügelförmige Anlage a ist 60 f,i breit, die linsenförmige b 100 f.i breit. Zwischen beiden ist das Epithel im Vergleich zur Umgebung um eine Zellenlage erhöht; es hat hier eine vierfache Zellenlage, während in einiger Entfernung davon (links in der Figur) dasselbe nur höchstens eine dreifache Zellenlage besitzt. In den beiden folgenden Schnitten , aber ganz in der Nähe des Sternums gelegen, befindet sich eine kleine etwa 40 ^u im Durchmesser zeigende hügelförmige Anlage. In den nächsten Schnitten, in ihrer Mitte gelegen, tritt, allmählich grösser und bedeutender werdend, die Stromazone der normalen Milch- drüsenanlage auf, bis 25 Schnitte unterhalb der zuletzt genannten An- lage auch die Warzenzone erscheint und sich mit ihr vereinigt; nach 5 Schnitten Beginn der 280 ^ breiten, 300 fx langen, kolbenförmig ge- stalteten, mit wenig sekundären Sprossen ausgestatteten Hauptmilchdrüsen- anlage. In 4 bis 5 mitten durch die Hauptanlage gehenden Serienschnitten findet sich noch zu beiden Seiten derselben je eine kleine, linsen- förmige Anlage; die eine liegt etwa ^o i^^^ lateral von ihr und gleicht der Anlage d in Figur 34, die andere liegt etwa 1 mm medial von ihr und gleicht der Anlage a, in Fig. 33 oder d, in Fig. 35. In den nächsten 80 — 90 Schnitten kann man nun bemerken, dass im Anschluss an die normale Milchdrüsenanlage eine etwa IY2 Mm breite Zone verdickten Epithels zu verfolgen ist, welche in den der Haupt- 176 I^r. Hugo Schmidt. drüsenanlage zunächst gelegenen Schnitten sich gleichmässig zu beiden Seiten der Mammillarlinie ausbreitet, dann aber weiter unten mehr und mehr medialwärts sich bewegt. Der Unterschied in der Höhe des Epi- thels ist an einzelnen Schnitten deutlicher ausgesprochen, als an ande- ren, und beträgt 4 — 8 — 10 fi bei direkter Messung; die absolute Höhe des Epithels misst daselbst lateral 16 f,i, auf der medialen Hälfte 20 — 24 — 26 /.i. Dem entspricht daselbst auch eine Vermehrung der Zelllagen von einer 2 — 3 fachen zu einer 4 fachen Zellenlage. Dass das Epithel an jenen Stellen etwa schräg getroffen sei, kann entschieden verneint werden. In dieser Zone verdickten Epithels findet sich medial von der Mam- millarlinie gelegen im 57., 58. und 59. Schnitt unterhalb des unteren Randes der Hauptdrüsenanlage nur noch eine hügelförmige Epithel- anlage von 60 — 70 f.1 im Durchmesser (Fig. 45). In den nun folgenden 240 Schnitten findet sich keine Epithel- anlage mehr. Rechte Brustseite desselben Embryo (Figur 46 — 48). Das ver- wendete Stück war rechteckig, etwa 8 mm lang und 4—47-2 ™™ breit, die langen Seiten parallel mit dem Sternum verlaufend. Es wurde in eine Serie von 391 Querschnitten ä 20 ^a zerlegt. In den Schnitten ist rechts =^ lateral, links = medial. In den ersten 26 Schnitten keine Anlage. Im 27., 28., 29. Schnitt lateral von der Mammillarlinie, eine kleine hügelförmige Epithelanlage von 60 f.1 Länge und Breite. 33 Schnitte unterhalb und etwa ebenso weit lateral gelegen wie die vorige , 2 etwa 150 /.i von einander entfernt befindliche linsen- förmige Epithelanlagen (Fig. 46 a und b). Die Anlage a ist 100 fi breit und lang, b ist 100 f.i breit und 120 fi lang. In den folgenden 3 Schnitten und medial von der Mamillar- linie eine hügel- bis linsenförmige, kleine Anlage von 60 /n Durch- messer. Im letzten Schnitt, welcher durch die vorige Anlage hindurch- geht, beginnt zugleich eine 140 — 160 fi breite und 140 f.i lange Epithel- anlage von Linsenform (Fig. 47). Dieselbe liegt wieder ganz lateral, ungefähr senkrecht unter den in Fig. 46 gezeichneten Anlagen. Die in Fig. 47 wiedergegebene Anlage ist in ihrem Zusammenhang ge- stört; ein Theil der epithelialen Wucherung hat sich von seinem Lager abgehoben und rechts davon fehlt überhaupt jegliches Epithel. Trotz- dem ist die Epithelwucherung als solche deutlich zu erkennen. 10 Schnitte weiter unterhalb und senkrecht unter der vorigen An- lage eine ziemlich bedeutende etwa 180 f.i breite und 140 fi lange linsenförmige Anlage (Fig. 48). Eine geringe Anhäufung embryonaler Bindegewebszellen ist im Boden des Drüsenfeldes bereits vorhanden. 9 Schnitte darunter und etwas medial von der Mammillarlinie Be- lieber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. X77 ginn einer 60 — 80 ^ breiten und langen, linsenförmigen Epithelanlage (ähnlich wie in Fig. 22). Weitere 9 Schnitte abwärts , bereits im Bereiche der jetzt sich zeigenden Stromazone der normalen Brustdrüeenanlage und in der Mammillarlinie gelegen, eine der vorigen ähnliche, 80 i-i breite und lange, linsenförmige Epithelanlage. Desgleichen eine solche in den hierauf folgenden 3 Schnitten, etwa 1 mm lateral von der Mammillarlinie gelegen, von etwa 60 ^i Breite, 80 (.i Länge. In denselben Schnitten liegt ganz medial, von der vorigen etwa in 3 mm seitlicher Entfernung, eine etwa 50 — 60 (.l breite und lange hügelförmige Anlage. 21 Schnitte weiter unterhalb Beginn der 250 f.i breiten, 280 (x langen, mit nur gering ausgebildeten sekundären Sprossen versehenen, kolbenförmigen, normalen Brustdrüsenanlage. Dieselbe gleicht durch- aus der in Fig. 3 wiedergegebenen Hauptdriisenanlage. In den letzten 5 Schnitten, welche durch den caudalen Theil der normalen Brustdrüsenanlage gehen, befindet sich noch eine linsen- förmige, 80 — 100 {.t breite und lange Anlage, welche etwa 1^2 mm medial von der Mammillarlinie gelegen ist und ebenfalls den Anlagen in Fig. 22 gleicht. Nach 60 weiteren Schnitten erscheint, fast ganz am medialen Ende der Schnitte gelegen, noch eine 60 — 80 (a, breite und lange hügelförmige Anlage (ähnlich wie Fig. 5). Die übrigen 161 Schnitte enthalten keine Epithelanlagen mehr. Von demselben Embryo habe ich auch die rechte Inguinal- gegend in eine Querschnittsserie von 193 Schnitten ä 30 |(t Dicke zer- legt. Das verwendete Stück war ungefähr 6 mm lang und durch- schnittlich 3V2 — 4 mm breit; seine mediale Seite lag in der Linea alba. In der ganzen Serie sind nur 2 hügelförmige Anlagen von 50 — 60 [x Breite und Länge nachweisbar. Die eine (Fig. 49) liegt 3^/2 mm lateral von der Mittellinie, Linea alba, im 136. und 137. Schnitt; die andere, ganz der vorigen ähnliche, findet sich etwa 2 mm lateral von der Linea alba im 171. und 172. Schnitt. Beide liegen also ganz in der Nähe des Lig. Ponpartii. Bei grösseren Embryonen habe ich keine Epithelwucherungen mehr gefunden, welche auch nur im Entferntesten an die Ausdehnung und Grösse der oben bezeichneten und zum grossen Theil auch ge- zeichneten Epithelanlagen heranreichten. Auf der ganzen linken Brustseite eines Embryo von 65 mm Hinter- hauptsteisslänge fanden sich in 371 Schnitten ä 30 jU nur 2 kleine hügelförmige Anlagen von 50 — 60 f.L Durchmesser. Im Uebrigen zeigte sich das Epithel fast vollkommen glatt über die embryonale Cutis hin- weg laufend ; nur ganz geringe Epithelwucherungen in den tiefen Lagen der Epidermis waren verhältnissmässig häufig (in einzelnen Schnitten Morpholog. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 12 178 Dr. Hugo Schmidt. 3 solche beginnende Wucherungen) zu sehen, offenbar Anfänge von Haar- und Schweissdrüsenanlagen. Dieselben waren nicht bloss in der Gegend der Achselhöhle vorhanden (hier zwar in der grössten An- zahl), sondern auch z. B. in der Gegend des Proc. xiphoides, aus der ich ein Stück von 5 mm Länge und 7mm Breite in 171 Serienquer- schnitte ä 30 1.1 zerlegte. Bei einem Embryo von 64 mm ist gleichfalls, wenigstens in naher Umgebung der normalen Brustdrüsenanlage, keine weitere Epithel- wucherung zu sehen. Vielmehr ist die Epidermis vollkommen glatt. Dagegen ist in beiden Fällen die Anlage der normalen Brustdrüse in der Weise fortgeschritten, dass die sekundären Sprossen der vorher kolbenförmigen Anlage reichlicher und bedeutender sind, als in den vorherbeschriebenen Fällen (Fig. 3 und Figg. 34 u. 35). Ferner stehen die mittleren Zellen der normalen Brustdrüsenanlage bereits lockerer und färben sich zum Theil schlechter als die wandständigen Zellen. Bei einem Embryo von 150 mm Hinterhauptsteisslänge sind die sekundären Sprossen der normalen Milchdrüsenanlage noch bedeutender und selbstständig in die Tiefe der Cutis gewuchert. In einer Umgebung von 2 — 7 mm findet sich keine Spur einer Epithelanlage von der Grösse und Dimension der oben beschriebenen. Dagegen sind die soliden und schmalen, schlauch- und zapfenförmigen Epithelwucherungen der Schweissdrüsen- und Haarbalg-Anlagen in schöner, deutlicher Weise vorhanden. Dieselben haben an ihrer Mündungsstelle in der Epidermis einen Durchmesser von 30 — 50 f.i und die Epidermis selbst geht in kaum veränderter Form und Dicke, fast gleichmässig über diese Epidermisanlagen hinweg; jedenfalls ist dabei von einer irgendwie erheblichen und auffallenden Wucherung der Epidermis nirgends die Rede. Bei noch grösseren Embryonen habe ich gleichfalls keine Epithel- wucherungen und Anlagen mehr gesehen, welche als Abkömmlinge der oben beschriebenen Anlagen hätten angesehen werden können. Die sekundären Sprossen der normalen Milchdrüsenanlage haben sich z. B. bei einem Embryo von 229 mm Hinterhauptsteisslänge (ganze Länge = 362 mm) zu langen schlauchförmigen, theils noch soliden, theils mit Lumen versehenen Milchgängen herausgebildet; die Schweissdrüsen, welche an ihrer Mündung an der Oberfläche der Epidermis einen Durchmesser von etwa 40 — 60 {.i besitzen, sind in die tiefen Schichten der embryonalen Cutis hineingewachsen und bilden daselbst richtige Knäuel und die Haaranlagen haben bereits alle Bestandtheile des späteren Haares ; ihre Durchmesser an der Oberfläche der Epidermis betragen etwa das Doppelte der Schweissdrüsenmündungen = 80 — 120 fj.. Es erübrigt noch, ein Präparat (Fig. 50 — 59) zu beschreiben, welches ich erst in der letzten Zeit durcii die Güte des Herrn Prof. Dr. Schwalbe erhielt und dessen Befunde ich bei meiner ersten Mit- Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 179 theilung ^) über diesen Gegenstand noch nicht verwerthen konnte. Mir standen eigentlich zwei gleich grosse Embryonen von 15 mm Hinter- hauptsteisslänge zur Verfügung, allein nur der eine war für unsere speciellen Zwecke zu verwerthen, weil es sich bei der mikroskopischen Betrachtung herausstellte, dass bei dem anderen Embryo die Epidermis fast vollkommen abmacerirt war. Fig. 50 stellt den für unsere Zwecke brauchbaren Embryo in 7facher Vergrösseruug dar. Auf seiner dem Beschauer zugekehrten linken Körperseite, spec. auf seiner linken Brustseite, fällt eine kleine kugelförmige Erhebung auf, die unter dem unteren B,ande des linken Arm stummeis erscheint und dessen Längsachse mit der des Körpers parallel verläuft. Sie glich einem Milchhügel, wie sie 0. Schultze bei Schweine- und anderen Thier- embryonen im Anfangsstadium der Milchdrüsenentwicklung beschrieb. Man konnte vermuthen, dass dieser Hügel h in Fig. 50 ebenfalls etwas mit der Anlage der Milchdrüse zu thun hätte. Wenigstens sprach die Stelle der Brust dafür. Von einer menschlichen Milchleiste konnte dabei aber schon deswegen keine Bede sein, weil die ganze Erhebung nur ganz kurz war. Die mikroskopische Betrachtung der Querschnitts- serie hat nun erwiesen, dass das ganze Gebilde mehr ein Kunst-, ein Schrumpfungsprodukt ist, als durch anatomische und histologische Ver- hältnisse bedingt. Zwar liegt in jener Erhöhung die zapfenförmige normale Brustdrüsenanlage, aber nichts weist darauf hin, dass etwa die Wucherung des Epithels, der darunter liegenden embryonalen Cutis oder des subkutanen Gewebes zu einer Erhebung der Drüsenanlage, zu dem oben erwähnten Hügel geführt hätte. Wir müssen deshalb annehmen, dass eigenthümliche Schrumpfungsvorgänge beim Konserviren diese Erhebung der Oberfläche der Haut veranlasst haben. Der Embryo wurde nun dekapitirt, in toto mit Alaunkarmin ge- färbt, in Alkohol entwässert, in Paraffin eingebettet und ganz in eine Querschnittsserie von 138 Schnitten ä 25 [.i und 178 Schnitten ä 30 |W Dicke zerlegt. Um kurz die mikroskopischen Befunde und Resultate anzugeben, zu welchen ich bei der Durchmusterung dieser Serie von Querschnitten gelangt bin, so war auch hier ebenso wenig wie in den späteren Stadien menschlicher Embryonen , die ich untersuchte, von einer linearen Wucherung des Epithels an der Seite der Brust und des Bauches etwas zu bemerken. Dagegen ist folgende Thatsache bemerkenswerth. Schon in den ersten Schnitten, welche die Schulter und die Achsel- höhle treffen, an der Grenze zwischen Rücken und Schulter und ebenso in der Achselhöhle selbst findet man in einer gewissen Breite von vielleicht 1 — l^/^ mm. erhöhtes OberflächeneiDithel von einer 2— 3 fachen Lage von Zellen, während sowohl dorsal- wie ventralwärts eine ein- 1) Anatom. Anzeiger B. XI, Nr. 23 u. 24. 1896. 12* 280 Dr. Hugo Schmidt. fache Zellenlage die Epidermis bildet. Diese Zone erhöhten Epithels läuft um den ganzen Schultergürtel herum, rückt dann weiter abwärts zugleich mehr ventral, läuft gewissermaassen über die normale Brust- drüsenanlage hinweg, welche sie beiderseits um ein Gewisses überflügelt, hält sich caudalwärts zur Seite des Thorax und des Bauches, trifft unten genau auch die Stelle, wo die untere Extremität entspringt, und umkreist den Beckengürtel in gleicher Weise, wie oben den Schulter- gürtel. In den Figg. 51 — 56 sind bei schwacher Vergrösserung die Stellen erhöhten Epithels bei a und d markirt. Fig. 51 giebt die Partie der Achselhöhle , der Schulter und den Abgang der oberen Extremität (O. E.) wieder. Bei a (in der Achselhöhle) und d (auf der Höhe der Schulter) ist das Epithel auffallend erhöht, während es zu beiden Seiten, besonders dorsal- und ventralwärts, allmählich zu einem einschichtigen Plattenepithel abfällt; das Epithel der Extremitäten ist in diesem Stadium, wie schon bekannt, normaler Weise höher als das des Stammes. Fig. 52 stellt einen Schnitt etwas weiter unterlialb dar : Die Schulterhöhe senkt sich schon bei d allmählich zur Achselhöhle nieder ; hier wie bei a erhöhtes Epithel. Fig. 53 : Die obere Extremität (O. E.) steht nicht mehr in direkter Verbindung mit dem Stamm ; der untere Teil derselben wird noch eben gestreift und liegt der seitlichen Thoraxwand gegenüber ; bei a finden wir die Zone des erhöhten Epithels wieder: sie zieht über eine Einsenkung und einen Buckel der seit- lichen Thoraxwand (offenbar ist dies die oben beschriebene, makro- skopisch sichtbare Erhebung h in Fig 50.) hinweg. Nur wenige Schnitte unterhalb beginnt auf diesem Buckel die Warzenzone der normalen Brustdrüsenanlage (Fig. 54 ar). Darüber zieht die Zone höheren Epithels (a) hinweg. In den nächsten Schnitten folgt dann die 220 f.i breite und (auffallender Weise) 465 f.i lange zapfenförmige normale Brustdrüsenanlage. In Fig. 55 ist die etwas schmälere 160 fi breite und 500 {.i lange Brubtdrüsenanlage der anderen (rechten) Seite gezeichnet, wo im Uebrigen dieselben histologischen Verhältnisse herr- schen. Die Vergrösserung ist eine schwache ; bei mittlerer Vergrösse- rung bietet sie fast vollkommen das Bild der Figg. 6, 10, 11 und 31, und bei starker das der Fig. 42 dar. Fig. 56 stellt wieder eine Stelle unterhalb der linken Brustdrüsenanlage dar, wo wiederum die Partie höheren Epithels bei a zu finden ist. Diese Zone trifft dann unten genau auf d i e Stelle, aus welcher die untere Extremität heraus- spriesst, und hier wiederholt sich am Beckengürtel, was oben beim Schultergürtel gesagt ist, nämlich erhöhtes Epithel gerade an der Grenze von Stamm und Extremität sowohl dorsal, wie ventral. Um den Unterschied zwischen der Zone erhöhten Epithels und dem ventral und dorsal davon gelegenen Epithel deutlich zur Anschauung zu bringen, habe ich die Fig. 57 — 59 beigefügt, welche bei stärkerer Ver- grösserung (etwa 450 fach) Theile des Epithels aus den genannten drei Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 181 Gegenden wiedergeben ; und zwar sind sie dem Horizontalschnitt der Fig. 56 entnommen. Fig. 57 zeigt das Epithel aus jener beschriebenen Zone erhöhten Epithels (a der Fig. 56), Fig. 58 das ventral davon, Fig. 59 das dorsal davon gelegene Epithel. Während bei e der Fig. 57 eine dreifache Lage von Epithelzellen vorhanden ist, besitzt das Epithel e in den beiden anderen Fig. 58 und 59 nur eine einfache, hie und da auch einmal eine doppelte Zellenlage. Auf eine weitere histologische Beschreibung kann ich verzichten, weil die drei Zeich- nungen die Verhältnisse, auf welche es hier ankommt, besser und schneller illustriren, als Worte es thun können. Die geschilderten Verhältnisse beziehen sich auf die linke Seite; auf der rechten Seite finden wir im Wesentlichen die gleichen. Rekapituliren wir jetzt im Zusammenhang unsere Befunde, so er- giebt sich Folgendes: Bei einem Embryo von 15 mm Kopfsteiss- länge lässt sich eine Zone erhöhten Epithels verfolgen, welche auf der Schulterhöhe, an der Grenze zwischen Nacken und Extremitäten- stummel in einer Breite von 1 — 1^2 min beginnt, vorne und hinten um die Schulter bis zur Achselhöhle herumläuft, von dort sich mehr ven- tralwärts wendet zur seitlichen Thoraxwand und über die Stelle der normalen Milchdrüsenanlage, die hier erst als zapfenförmigeEpithelial- wucherung angelegt ist, hinweg an der Seite des embryonalen Körpers hinabzieht bis zur Wurzel des unteren Extremitätenstummels, welche sie in der gleichen Weise umkreist, wie oben den Schultergürtel. Bei grösseren Embryonen von ungefähr 28 — 60 mm Kopfsteiss- länge findet man besonders auf der Brust, in der Achselhöhle und in der Nähe der normalen Brustdrüsenanlage, ferner aber auch in der Inguinalgegend epitheliale Wucherungen, wechselnd an Zahl und wech- selnd an Grösse und Ausdehnung der einzelnen Anlagen. In meiner ersten Mittheilung stellte ich die Behauptung auf, die Anzahl der ein- zelnen Anlagen sei proportional der Jugend des Embryo und nehme mit der Zunahme des Alters ab. Ich musste schon damals eine Aus- nahme von der Hegel gelten lassen. Jetzt glaube ich, dass die An- zahl der vorhandenen Epithelialwucherungen nicht direkt von dem ab- soluten Alter und der absoluten Grösse des Embryo abhängt, sondern 1) von der Entwicklungsstufe der normalen Milchdrüsenanlage und 2) von dem Gesetz der Variabilität der Art. Das Gemeinsame bei allen meinen Embryonen von 28 — 60 mm Länge ist in Bezug auf die Entwicklung der normalen Milchdrüsenanlage der Umstand, dass letztere bei dem 60 mm langen Embryo nicht weiter fortgeschritten ist wie bei dem von 28 mm Länge. Das erreichte Stadium ist das der beginnenden Bildung sekundärer Sprossen im Anschluss an das Kolbenstadium der primären Epithelialanlage. Neben der zapfen- förmigen Epithelialanlage der normalen Milchdrüse bei dem Em- bryo von 15 mm Länge habe ich auf dem ganzen übrigen Integument 182 Dr. Hugo Schmidt. (soweit dasselbe in den mikroskoj)ischen Schnitten erhalten war) keine einzige isolirte Epithelialanlage mehr weiter gefunden. Bei den grösseren Embryonen von 64 mm und mehr fand ich entweder eben- falls überhaupt keine oder nur hügelförmige Epithelialanlagen neben der normalen Milchdrüsenanlage, welche hier schon eine weiter fort- geschrittene Bildung sekundärer Sprossen an dem Drüsenfeld der nor- malen Milchdrüsenanlage zeigt, oder nur geringe Andeutungen kleiner von der Milchdrüsenanlage unabhängiger Epithelialwuche- rungen, die jedoch an Form und Grösse mit jenen von mir geschilderten und durch Zeichnungen illustrirten Epithelialanlagen nichts Gemein- sames haben. Bei noch grösseren Embryonen (150 — 229 mm) sind die sekundären Sprossen der normalen Milchdrüsenanlage noch grösser und deutlich schlauchförmig; daneben sind nur die deutlich als Schweissdrüsen- und Haaranlagen zu erkennenden und anzusprechenden zapfen- und schlauchförmigen epithelialen Wucherungen vorhanden. Grössere epitheliale Wucherungen, welche als Abkömmlinge der oben beschriebenen Anlagen angesehen werden könnten, habe ich in der Umgebung der normalen Milchdrüsenanlage nirgends mehr gesehen. Die Epithelanlagen nun, von denen hier die Rede ist und welche sich bei Embryonen von 28 — 60 mm Kopfsteisslänge vorfinden , er- scheinen also zu der Zeit, wo die normale Brustdrüsenanlage die Zapfenform auf ihrem Entwicklungswege überholt hat und in das 4. und 5. Stadium ihrer Entwicklung getreten ist, in das Stadium der Kolbenform und das der sekundären Sprossen (G. Rein). Sobald die sekundären Sprossen der normalen Brustdrüsenanlage auftreten, wuchern auch jene Epithelanlagen hervor, bezw. sie sind dann in Bezug auf ihre Anzahl und Grösse auf der Höhe ihrer Entwicklung. Und da offenbar dieses Stadium der sekundären Sprossen der normalen Milch- drüsenanlage bei dem einen Embryo etwas früher, bei dem anderen etwas später erreicht wird, so kann man auch bei einem etwa 28 mm oder 35 mm langen Embryo vielleicht ebenso grosse und viele An- lagen im Integument finden, wie bei einem etwa 60 mm langen. Dass aber andererseits bei zwei verschiedenen Embryonen derselben Grösse und der gleichen Entwicklungsstufe der normalen Milchdrüsenanlage trotzdem verschieden viele Epithelanlagen vorliegender Art vorkommen können, beruht auf individuellen Schwankungen, ein Gesetz, welches, schon längst anerkannt, in der jüngsten Zeit nach den verschiedensten Richtungen studirt und beleuchtet ist. Was sind nun diese Epithelanlagen? Zu welcher Kategorie inte- gumentaler Gebilde gehören sie ? Man kann alle die genannten und geschilderten Anlagen nur als überzählige Milchdrüsenanlagen auffassen. Dass sie zunächst in einem engen Zusammenhang mit den Milchdrüsenanlagen, bezw. mit der nor- malen Milchdrüsenanlage stehen, geht schon zur Evidenz daraus hervor, Ueber normale Hyperthelie raenscliHcher Embryonen etc. 183 dass diese Epithelanlagen nur in einer bestimmten Zeit, während einer bestimmten Periode der Entwicklung der normalen Milchdrüsenanlage erscheinen. Wie oben betont, sind nach meinen Präparaten die Zapfenform einer- und der Beginn sekundärer vom Boden der primären normalen Milchdrüsenanlage ausgehender Sprossen andererseits die- jenigen Grenzen, innerhalb welcher diese Epithelialbildungen zur Entwicklung gelangen. Sie stellen mit der normalen ßrust- drüsenanlage auf Brust, Bauch und in der Inguinalgegend die einzigen Gebilde, die einzigen Vegetationen des Hautepithels dai\ Später verschwinden sie wieder und gehen zu Grunde mit Ausnahme einzelner Exemplare, welche beim Neugeborenen und erwachsenen Menschen eben die überzähligen Milchdrüsen darstellen. Ferner sind sie vorzugsweise an bestimmte Lokalitäten gewiesen, gebunden. Es sind dies die Achselhöhle, die Gegend der normalen Brustdrüse, und zwar ober-, unterhalb und zu beiden Seiten derselben, und schliesslich die Inguinalgegend. Das sind auch die drei Richtpunkte jener Zone erhöhten Epithels, welche ich oben bei dem Embryo von 15 mm be- schrieben habe. Und dieselben Gegenden sind vorzugsweise auch die- jenigen Orte, wo nach den übereinstimmenden Beobachtungen Aller die supernumerären Milchdrüsen oder Warzen am häutigsten angetroffen werden. Einige sehr seltene Fälle von überzähligen Brustdrüsen sind noch an anderen Stellen beschrieben worden. In einem Falle, von Klob beschrieben, sass eine solche gerade über der stärksten Wölbung des linken Delta-Muskels. Härtung beschreibt in seiner Inaugural- dissertation eine Milchdrüse an der linken grossen Schamlefze einer 30jährigen Frau. Ausserdem sind noch 5 Fälle von Rückenmilch- drüsen in der Literatur erwähnt (Bartholin, Bonetus und 3 weitere in der Härtung' sehen Dissertation S. 20 angeführte). Bei allen diesen Rückenmilchdrüsen vermisst man die genauere Angabe des Ortes, wo die Drüse auf dem Rücken gesessen. Nur Bonet beschreibt seinen Fall etwas genauer, indem er erzählt, die Frau habe ihre Brüste unter den Achseln hervorgezogen und so dem Kinde gereicht. Darnach muss man am einfachsten annehmen, dass dieselben direkt hinter den Achseln über dem lateralen Rande der Schulterblätter sassen, nicht etwa irgendwo beliebig auf dem Rücken. Schliesslich sind noch 3 Fälle an der Aussenfläche des Oberschenkels beschrieben, darunter jener von Robert in Feoeiep's Notizen, wo die Brust 4 Zoll unterhalb des linken Trochanter major sass. Alle diese zuletzt erwähnten selteneren Fälle haben das Gemeinsame, dass die Brüste ihren Sitz in der Nähe der Grenze zwischen Stamm und Abgang der Extremi- täten haben. Und das sind auch jene Stellen, wo ich bei dem Embryo von 15 mm Länge erhöhtes Epithel gefunden habe genau in derselben Weise, wie in der an der lateralen Körperseite hinabverlaufenden Zone. Ich nehme keinen Anstand, beide Erscheinungen mit einander 184 Dr. Hugo Schmidt. in Verbindung zu bringen, so zwar, dass die supernumerären Brüste auf der Schulter, hinter der Achselhöhle, auf der grossen Schamlefze und unter dem Trochanter major aus jener Zone erhöhten Epithels ihren Ursprung nehmen ; ebenso wie ich behaupte, dass die embryonalen Epithelanlagen auf Brust und in der Inguinalgegend von der Zone er- höhten Epithels zur Seite des embryonalen Körpers abstammen. Diese Auffassung wird weiter gestützt durch den Vergleich der Milch- linie bei den Schweineembryonen mit der Zone erhöhten Epithels bei dem menschlichen Embryo. Dort haben wir eine lineare Epithelwucherung, die Milchlinie nach 0. Schultze, aus welcher zunächst die Milchhügel und dann die Milchdrüsen entstehen. Hier haben wir zwar keine lineare Epithelwucherung, keine eigentliche Milchlinie, aber ein durch- aus homologes Gebilde in Gestalt einer Zone erhöhten Epithels von einer gewissen Breite, in welcher dann später die Epithelanlagen er- scheinen. Will man jener Zone einen kurzen, einheitlichen Namen geben, so kann man sie wohl nach dem Vorschlage des Herrn Prof. Dr. Schwalbe am passendsten mit „Milchstreifen" bezeichnen. Wenn demnach auch dieses jüngste Stadium der Milchdrüsenentwicklung, das bisher beim Menschen beschrieben, keine Milchlinie hat erkennen lassen, so deutet doch der Befund der Zone höheren Epithels darauf hin, dass dies bereits ein älteres Stadium sei und dass bei noch jüngeren menschlichen Embryonen gleichfalls eine wahre Milchlinie thatsächlich angelegt wird, aus der erst durch weiteren Fortschritt im Wachsthum und in der Entwicklung jene breitere Zone erhöhten Epithels, jener Milchstreifen, entsteht. Daher denn auch die hyperthelialen Anlagen im Epithel des menschlichen Embryo wohl zum Theil, wie meist bei den Mammalien, unter einander, d. h. in einer Linie liegen, zum Theil aber auch vielfach ganz bedeutend nach beiden Seiten hin abweichen. Ich habe das bei der Beschreibung der einzelnen Präparate oben jedesmal hervorgehoben. Dasselbe gilt auch von der Hyperthelie und Hyper- mastie bei Erwachsenen : auch hier liegen die überzähligen Brustdrüsen nicht in einer Linie, welche durch die normale Brustwarze hindurch geht, sondern weichen theils lateral, theils medial ab. Das kann man aber sagen, dass alle in einer Zone von einer gewissen Breite gelegen sind, die von der Achselhöhe, bezw. Schulter ausgeht und über die normale Brustdrüse hinweg an der Seite des Thorax und Abdomen zur Inguinalgegend verläuft (cf. u. A, FaU Neugebauee). Bei den mikroskopischen Präparaten haben wir aber Hyperthelie nicht bloss unter einander angeordnet gefunden, sondern auch mehr- fache Epithelanlagen, welche neben einander in derselben Horizontalen liegen. Ich verweise in dieser Beziehung auf die Fig. 7, 11, 12, 22, 24, 25, 32, 35 etc. In allen diesen Schnitten sind mindestens 2 Epithelanlagen neben einander vorhanden; die grösste Anzahl solcher Epithelanlagen neben einander betrug 4 in Fig. 25. Dieselbe lieber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 185 Erscheinung hat man auch bei Erwachsenen beobachtet. C. Hennig erwähnt im Arch. f. Anthropol. Bd. XIX S. 186 verschiedene diesbe- zügliche Fälle: Shannon fand auf der rechten Brust 2 Warzen mit besonderen Höfen neben einander; Vrolik desgleichen links; Hennig selbst sah „an einer Amme nach aussen von der rechten Warze eine kleinere Nebenwarze, welche flotter milchte als die primäre". Hannaeus fand einmal an der rechten Mamma 2, an der linken derselben Person sogar 5 Warzen. Mitten zwischen den beiden normalen Milchdrüsen, also wohl in der Mittellinie des Körpers, beobachteten je 1 super- numeräre Pekcy und Bartholin. Mediane supernumeräre Brustwarzen beschreibt ferner Bartels. Eine solche mediane Stellung der überzähligen Drüse lässt sich nur dadurch erklären, dass man annimmt, die Zone erhöhten Epithels ist im weiteren Wachsthum immer mehr in medialer Richtung fortgewachsen, bis sie thatsächlich die Mittellinie erreichte, sich vielleicht auch mit der der anderen Seite in der Mittellinie des Körpers vereinigte. Ich bemerke übrigens ausdrücklich, dass ich nur den ersten von M. Bartels als median gestellte supernumeräre Brustwarze beschriebenen Eall aus dem Jahre 1889 als solchen nach der Beschreibung anerkennen kann. Hier erwähnt Bartels ausdrücklich alle Charakteristica einer Warze von einer Milchdrüse: warzenförmige Erhebung, Areola und am Rande derselben Emporspriessen von 8 ziemlich langen Haaren. Das ist die richtige Konfiguration einer Brustwarze nilt Umgebung. Ganz anders steht es mit dem zweiten FalP): hier beschreibt Bartels, dass die in der Herzgrube eines 29jährigen Mannes median gelegene überzählige Brustwarze ein längeres und ein kurzes Haar trage, und fügt ausserdem noch hinzu: „Auch diese Haare sind recht charakte- ristisch für derartige überzählige Brustwarzen." Nach meinen Untersuchungen und Erfahrungen ist das ganz un- richtig. Gerade das Gegentheil ist der Fall: die eigentliche Papille und die Areola sind beim Menschen ganz haarlos. Haare und Haar- balgdrüsen haben mit der Entwicklung der normalen, wie der hyper- thelialen Brustdrüsen garnichts zu thun. Ihre Anlagen entstehen zu sehr verschiedenen Zeiten des embryonalen Lebens und sind überhaupt, wie oben gezeigt, vollständig von einander verschiedene Bildungen. Hat also die im Jahre 1894 von Bartels beschriebene, median gelegene Brustwarze Haare gehabt, so ist sie eben keine Brustwarze gewesen, sondern wahrscheinlich ein Naevus. Ausser der Lokalität, an welcher die Epithelanlagen gefunden werden, spricht ferner auch der histologische Bau und die Grösse der einzelnen Anlagen für die Annahme, dass wir es hier mit richtigen Milchdrüsenanlagen zu thun haben. Die meisten der beschriebenen 1) 1. c. S. 201/3. ]^86 '^i"' Hugo Schmidt. und gezeichneten Anlagen können liier gemeinsam betrachtet werden. "Wir finden hier je nach der Grösse der einzelnen Epithelwucherung alles das wieder, was wir über die Entwicklungsgeschichte der Milch- drüsen aus den Arbeiten von Köllikee, Langer, Huss, Gegenbaur, Klaatsch und besonders durch die Arbeiten von G. Rein wissen. Letzterer hat seine entwicklungsgeschichtlichen Studien besonders an Kaninchenembryonen gemacht und unterscheidet in der Entwicklung der Milchdrüsenanlage in den ersten Anfängen 4 Stadien, nämlich das hügelförmige, das linsenförmige, das zapfenförmige und das kolben- förmige Stadium. Alle diese Stadien finden wie in unseren Präpa- raten, zum Theil bei demselben Embryo wieder. Das hügelförmige Stadium ist nach Rein charakterisirt durch eine einfache, lokale, hügelförmige Proliferation von Zellen der Malpighi'schen Epithelschicht. Die Wucherung ist eine solide und gleichmässige, wodurch die darunter befindliche Cutis in keiner Weise alterirt wird. Seine Fig. 1, 2, 3, 4 illustriren seine Befunde. Ich verweise auf meine Fig. 9, 25 d, 32 b, 44 a, 45 und 49. Beim Vergleiche wird sofort die ausserordentliche Aehnlichkeit, wenn nicht Kongruenz der Bilder in die Augen springen, sowohl in Bezug auf die Anordnung der Epithelzellen, als auf die Grösse der ganzen Anlage. Das nächstfolgende Stadium ist das linsenförmige: Die ganze An- lage ist grösser geworden, hat sich nach oben abgeflacht und ist zu gleicher Zeit in das darunterliegende Gewebe der Cutis hineinge- wuchert. Dadurch entsteht in demselben eine napfförmige Vertiefung, welche auch bestehen bleibt, wenn zufällig die Epithelwucherung her- ausgefallen ist; vergl. die Fig. 5, 6, 7, 8 der REiN'schen Arbeit. Im Boden der napfförmigen Vertiefung beginnt auch schon eine Anhäufung kleiner embryonaler Bindegewebszellen, welche Rein als den Anfang der Warzenzone bezeichnet, einer Zellenwucherung, welche mit dem späteren Aufbau des Warzengewebes im Zusammenhang steht. Alle diese charakteristischen Merkmale, welche Rein bisher nur an den Kaninchenembryonen gesehen hat, finden wir an den von mir beschriebenen Gebilden des menschlichen Integumentes. Indem ich u. A. auf meine Fig. 1, 2, 4, 6, 11, 18, 24, 25, 39, 40, 35 d, 36 u. s, f. verweise, müsste ich nur wiederholen, was Rein über dieses Stadium gesagt: Die Anlagen sind grösser, wie die hügelförmigen, bilden in der Cutis napfförmige Vertiefungen, die besonders deutlich bei jenen Exemplaren zu sehen sind, bei welchen die Epithelanlage herausgefallen ist; vergl. Fig. 23, 24, auch 47. Selbst die beginnende Anhäufung von Bindegewebszellen im Boden dieser Vertiefung fehlt wenigstens bei den grösseren Anlagen nicht. In Fig. 6, Ud, 18, 24 und 25 a, 48 sind solche Zellenanhäufungen der erwänten Art vorhanden, welche dann im nächstfolgenden Stadium bedeutender und deutlicher werden. lieber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 187 Dieses dritte Stadium, das zapfen förmige, ist dadurch charakteri- stisch, dass die Epithelanlage noch grösser wird und sich tiefer in die Cutis einsenkt, derart, dass die unterste Schicht der epithelialen Wucherung, der Boden der Anlage, unter das Niveau der umgebenden Haut zu liegen kommt. Im Uebrigen ist die Art der Wucherung dieselbe. Ein bis zwei Schichten der peripheren Zellen sind, wie die tiefsten Zellen der MALPiGHi'schen Schicht, cylindriform, während die centralen Zellen sich gegenseitig abgeplattet haben. Hie und da sieht man eine leichte Einsenkung in der Oberfläche der ganzen Anlage. Die schon früher angedeutete Erscheinung einer Anhäufung von Zellen im Boden der Drüsenanlage ist jetzt konstant vorhanden: es ist die sogenannte Warzenzone, das Areolargewebe nach Klaatsch. Meine Figuren 10, 11, 31, 43, 55, auch 28, 29 und 30 stimmen mit dem geschilderten Stadium vollkommen überein. Die letzten drei Anlagen sind gegenüber den ersteren etwas kleiner, doch gehen die Dimensionen der kleineren von 80 — 120 u allmählich in die der grösseren von 120 — 180 /ii über bis zu der zapfenförmigen normalen Milchdrüsenanlage (Fig. 55) des Embryo von 15 /ii Länge, welche zwar nur eine Breite von 160 f.i hat, aber eine Längenausdehnung von 500 /ii. Auf diesen Umstand , diese bedeutende Differenz der Breiten- und Längenausdehnuug der genannten Milchdrüsenanlage möchte ich mit kurzen Worten noch eingehen. Thatsächlich wird der Unterschied zwischen beiden Dimensionen nicht so bedeutend gewesen sein. Der Embryo war nämlich in ziemlich weiches Paraffin eingebettet worden, damit er sich trotz seiner für diese Einbettungsart bedeutende Grösse besser in Serien schneiden liesse. Wegen der Weichheit des Paraffins nun schoben sich die einzelnen Schnitte der Serie zusammen und wurden dadurch in dieser Gegend etwa ^3 bis V2 ^^^1 kleiner, als sie ursprünglich am Stück waren. Damit mussten aber auch die darin enthaltenen Gebilde im Einzelnen kleiner werden, z. B. die Quer- schnitte durch die normale Brustdrüseuanlage. Dagegen wurde natür- lich die Dicke der einzelnen Schnitte und damit die Längenaus- dehnung der Drüse in keiner Weise alterirt. Es erscheint mir des- halb nothwendig zu dem durch direkte Messung gefundenen Werth von 160 i,c Breite etwa 100 — 120 /.i hinzuzufügen, um die ursprüng- liche und wahre Breitenausdehnung der Milchdrüsenanlage zu erhalten : die Breite würde demnach eher 260 — 280 f.i, als 160 fj- sein. Immerhin bleibt eine viel (etwa um die Hälfte) grössere Längenaus- dehnung gegenüber der Breite bestehen (500 : 260), ein Verhältniss, auf welches G. B-ein ebenfalls (1. c. S. 436 u. 438) bei seinen linsen- und zapfenförmigen Drüsenanlagen der Kaninchenembryonen ausdrücklich hinweist und das auch ich bei vielen anderen meiner linsen- und zapfenförmigen Anlagen gefunden habe. Es lässt sich dieser Um- 138 -D^- Hugo Schmidt. stand sehr wohl im Sinne einer daraus abzuleitenden Milchlinie ver- werten. Ich müsste mich wiederholen, wenn ich in einen weiteren Vergleich zwischen den von Rein geschilderten zapfenförmigen Drüsenanlagen beim Kaninchen und meinen Epithelanlagen treten wollte. Nur das will ich noch einmal besonders hervorheben, dass die Warzenzone in den Drüsenanlagen der Figuren 10, 11, 31, 43, 55, weniger in den kleineren der Figuren 28, 29 und 30, deutlich und schön ausgeprägt ist; am besten sieht man sie in Fig. 55, der normalen Milchdrüsen- anlage des 15 mm langen Embryo. Das vierte Stadium, die Kolbenform, ist unter den hyperthelialen Grebilden nur in einem Falle erreicht (Fig. 42). Die Hauptsache ist, dass die Anlage noch weiter wächst und eine richtige Kolbenform mit einer halsförmigen Verengerung des oberflächlichen Theiles annimmt. Dieser Hals wird beim menschlichen Embryo nie so gross, wie bei Thieren, z. B. dem Kaninchen, sondern bleibt ganz kurz und nur eben augedeutet. Die Differenzirung von peripheren hohen Gliederzellen und centralen abgeplatteten Epithelzellen ist noch immer deutlich. Das von Gegenbaue,, Huss und Rein erwähnte centrale Grübchen auf der Oberfläche der Drüsenanlage ist in dem vorliegenden Exemplar (Fig. 42) ebenfalls angedeutet. Die Warzenzone ist gleichfalls vor- handen, nur nicht gerade deutlich in die Augen springend, weil die tieferen Schichten der embryonalen Cutis in den Schnitten überhaupt fehlen. Damit wäre die Besprechung der meisten und sagen wir zugleich der grösseren von mir gefundenen Epithelanlagen erschöpft und ihre Deutung als Milchdrüsenanlagen wohl mit Sicherheit nachgewiesen. Es bleibt mir nur noch übrig, den kleineren und kleinsten unter ihnen, welche nur einen Durchmesser von 30 — 50 — 60 jtt haben, eine besondere Besprechung zu widmen. Bei der Betrachtung und dem Studium der z. B. in den Figuren 8, 12 d, 14 d und d^, 20, 27 a b und c, 34 d, 37 und 38 u. a. abgebildeten epithelialen Wucherungen könnte man im Zweifel sein, zu welchen Gebilden der Haut des er- wachsenen Menschen man dieselben hinzuzählen soll. Sie sind jeden- falls kleiner und unbedeutender, als die anderen epithelialen Wuche- rungen, welche sich in ihrer Nähe befinden und die ich oben des Näheren geschildert habe, senken sich meistens schräg in die darunter- liegende embryonale Cutis ein, ohne dabei in ihrer Richtung ein er- kennbares Gesetz inne zu halten (zum grössten Theil konvergirt frei- lich ihre Richtung nach der Mammillarlinie hin) ; sie liegen so ziemlich alle in der nächsten Umgebung der normalen Brustdrüsenanlage, wech- seln aber auch in der gleichen Entfernung mit grösseren Epithelanlagen ab, und schliesslich haben sie trotz ihrer Kleinheit fast alle eine mehr oder weniger ausgebildete Zapfenform, so dass ich in meiner ersten Ueber normale Hyperthelie menschliclier Embryonen etc. 189 Mittheilung geneigt war, ihnen eine besondere Bedeutung und Rolle zuzuweisen. Ich glaubte an unselbstänstädige Formen oder an Primäran- lagen von Talgdrüsen oder MoNTGOMEEY'sche Drüsen. Ich bin aber der Ueberzeugung. dass diese kleinen Epithelanlagen nichts anderes sind, als kleinere, verkümmerte Milchdrüsenanlagen, und zwar aus folgenden Gründen. Wie oben erwähnt habe ich bei Em- bryonen von 64 — 65 mm Hinterhaupt-Steiss-Länge in der I^ähe und Umgebung der normalen Milchdrüsenanlage überhaupt keine Epithel- anlagen oder höchstens ein paar hügelförmige Anlagen gefunden, jeden- falls keine solche, welche auch nur als Abkömmlinge dieser in Rede stehenden kleineren Epithelanlagen jüngerer Embryonen betrachtet werden könnten. Man muss also annehmen, dass auch diese Anlagen, ebenso wie die grösseren, später dem Schicksal des Unterganges an- heimfallen : es können demnach keine Haar- oder Schweissdrüsenan- lagen sein. Bei noch grösseren Embryonen von 150 — 229 mm ist neben der normalen Milchdrüsenanlage eine Areola vorhanden, welche voll- kommen frei von epithelialen Anlagen (Schweissdrüsen- oder Haar- anlagen) ist; an der Peripherie dieser koncentrisch um die Milchdrüse gelegenen Areola beginnen dann die Schweissdrüsen und Haaranlagen, welche sich in nichts von den an anderen Stellen des Körpers befind- lichen Haaranlagen und Schweissdrüsen unterscheiden. Auch bei Neugeborenen habe ich in der Nähe der normalen Brustdrüse keine epithelialen Anlagen gefunden, welche als besondere Drüsengattung von den gewöhnlichen Haarbalg- und Schweissdrüsen unterschieden werden könnte. Bei erwachsenen Personen erkennt man in den für gewöhnlich als MoNTGOMERT'sche bezeichneten, in der Areola der Mamma gelegenen Drüsen mikroskopisch nur besonders stark gewachsene und aus- gebildete Talgdrüsen, welche sich stets in der Gemeinschaft und in der Begleitung eines Haares befinden. Als Nebenmilchdrüsen lassen dieselben sich deshalb nicht auffassen : sie sind überhaupt nichts Be- sonderes, sondern verdanken ihre Grösse nur der Nähe der Brustdrüse, an deren Wachsthum auch sie während der Pubertätszeit, der Gravi- dität und Lactationsperiode Theil nehmen. Ich finde mich mit dieser Anschauung in Uebereinstimmung mit C. Heitzmann, J. von Gerlach u. A., während Andere, wie z. B. Gegenbaue, A. A. Böhm und von Davidoef und A. die sog. Mont- GOMERY'schen Drüsen als accessorische oder modificirte Milchdrüsen erklären. Diese letzteren Autoren leiten freilich auch die Milchdrüsen von Talgdrüsen ab und betrachten sie als alveoläre Drüsen, eine An- schauung, welche meiner Ueberzeugung nach in gründlicher Weise 1893 von C. Benda sowohl histologisch, wie physiologisch widerlegt worden ist. C. Benda beweist überzeugend, dass die Milchdrüse zum Typus der tubulösen Drüsen gehört. Ich kann mich dieser Anschau- ung auf Grund meiner mikroskopischen Untersuchungen von Milch- 190 Dr. Hugo Schmidt. drüsen des erwachsenen Menschen, der Kuh, des Schafes, sowie der entwicklungsgeschichtlichen Studien bei menschlichen und Schweine- embryonen nur anschliessen. Die MoNTGOMERY'schen Drüsen sind also meiner Ueberzeugung gemäss nichts weiter, als stark vergrösserte Talgdrüsen. Demgemäss können sie ebensowenig von jenen kleinen epithelialen Anlagen ab- stammen, wie die Haarbalgdrüsen überhaupt, und deshalb halte ich auch die kleinen Epithelanlagen von 30 — 60 (.l Durchmesser in Fig. 8, 12 d, 14 d, 20, 21, 27 a, b und c u. s. f. ebenfalls für Milchdrüsen- anlagen, die eben nur etwas kleiner geblieben und gegenüber den ge- wöhnlichen Formen mehr oder weniger atypisch gewachsen sind. Haben wir es nun bei allen unseren oben beschriebenen Epithel- anlagen mit wirklichen Milchdrüsenanlagen zu thun, so haben wir da- mit auch zum ersten Male beim Menschen Gelegenheit gehabt, die Entwicklung der Milchdrüse von ihrer frühesten Form, dem ein- fachen Hügel epithelialer Zellen , zum linsenförmigen, dem zapfen- förmigen, dem kolbenförmigen Stadium zu verfolgen bis zu den be- kannteren Entwicklungsstufen, dem Erscheinen der wirklichen Drüsen- sprossen und -gänge. Denn der ,, linsenförmige Körper*' von Langee kann schon des- halb nicht mit den von uns beschriebenen linsenförmigen Epithelial- anlagen, ja noch nicht einmal mit der linsen- bis zapfenförmigen Ge- stalt der oben an einem 15 mm langen menschlichen Embryo be- schriebenen normalen Milchdrüsenanlage identisch sein, weil es sich bei 'Langer um bedeutend grössere Embryonen und Objekte handelt. Der kleinste Embryo, der ihm zur Verfügung stand, war 7^/2 cm, der nächstfolgende 10 cm lang. Es wäre auch bei den damals üb- lichen, im Vergleich zu den jetzt gebräuchlichen als grob anzusehenden Untersuchungsmethoden (Untersuchung am frischen Präparat, Härtung durch Kochen des Objektes, Behandlung des Präparates mit Essig- säure u. Aehnl.) wohl ganz unmöglich gewesen, die kleinen Gebilde, welche weder makroskopisch noch durch gewöhnliche Lupenvergrösse- rung nachzuweisen mir gelungen sind, durch das Mikroskop zur An- schauung zu bringen. Die feineren histologischen Veränderungen bei der ersten Anlage der Milchdrüse sind ihm jedenfalls vollständig ent- gangen. Auch die Angabe von Huss muss ich bezweifeln, wonach Huss bei einem menschlichen Embryo von 4cm =40 mm Hinter- haupt-Steisslänge eine epitheliale Bildung an der Stelle der normalen Milchdrüsenanlage gefunden haben will, welche dem Hügel- stadium entsprechen würde (cf. seine Tafel XII, Fig, 1). Dazu habe ich deswegen allen Grund, weil ich bei einem 15 mm langen mensch- lichen Embryo bereits beiderseits eine linsen- bis zapfenförmige Epithel- Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 191 anläge, bei 28 — 60 mm langen Embryonen sogar kolbenförmige und noch weiter vorgeschrittene Milchdrüsenanlagen ganz regelmässig ge- funden habe. Die Angabe von Huss und die Richtigkeit seiner Beobachtung verdient auch deswegen keinen vollen Glauben , weil Huss bei der Schilderung des makroskopischen Bildes der genannten Milchdrüsenanlage angiebt, dass „in der Mitte einer 1 mm breiten, durch Glätte ausgezeichneten Stelle sich ein Wärzchen von ungefähr 0,5 mm Breite und mit einer centralen Einsenkung versehen erliebt, welche wie ein feiner Nadelstich sich ausnimmt", Man könnte erwarten, dass diese makroskopisch sichtbare Einsenkung um so deutlicher in dem mikroskopischen Bilde erschienen wäre. Statt dessen sehen wir in Fig. 1 der Taf. XII einen ausgesprochenen Hügel. Es kann sich des- halb hier höchstens um einen Bandschnitt handeln. Bei einem 10 cm langen Embryo findet Huss eine kolbenförmige Anlage der Milchdrüse, während nach meinen Objekten die Drüsenanlage schon bereits rich- tige Drüsensprossen von dem Boden der primären Epithelanlage aus entwickelt hat. Auch mit seinen Grössenangaben steht Huss mit sich selbst im Widerspruch. Er kann makroskopisch bei seinem 40 mm langen menschlichen Embryo die warzenförmige Erhebung in der Mitte der durch Glätte ausgezeichneten Stelle (Areola) erkennen : sie ist 0,5 mm breit. Den durch dieses Wärzchen gelegten senkrechten Durchschnitt betrachtet er, wie er S. 202 angiebt, bei 275facher Vergrösserung und zeichnet das Bild. Die Breite des Bildes müsste, wenn seine An- gaben richtig wären, 275 , 0,5 mm = 137,5 mm = 13,75 cm betragen. Seine Fig. 1 auf Taf. XII zeigt aber nur eine hügelförmige Erhebung des Epithels von etwa 3,5 cm. Breite. Dasselbe gilt von seiner Fig. 2 auf Taf. XII, die gleichfalls in 275facher Vergrösserung gezeichnet sein soll. Bei dem 10 cm langen Embryo, von dem der vorliegende Durchschnitt durch die kolben- förmige Anlage der Milchdrüse gewonnen worden ist, war die Stelle der Drüsenanlage 1,5 mm, die Erhebung selbst 0,5 mm breit. Bei 275facher Vergrösserung hätte das mikroskopische Bild der Erhebung allein 13,75 cm Breite besitzen müssen. Statt dessen findet sich in seiner Fig. 2 nur eine Epithelerhebung von etwa 5 — 5,5 cm Breite. Im Gegensatz zu Huss habe ich hügelförmige Anlagen makro- skopisch überhaupt nicht sehen können, und, mikroskopisch be- trachtet, sind die gefundenen hügelförmigen Anlagen nur 40 — 80 /.c breit. Die oben genannten Behauptungen von Max Huss beruhen offen- bar auf fehlerhaften Beobachtungen und sind unrichtig; sie können deshalb für den modernen Standpunkt in der Frage nach der ersten Anlage der menschlichen Brustdrüse nicht mehr als maassgebend an- erkannt werden. 192 Dr. Hugo Sclimidt. Aehnliche Resultate wie ich hat auch Gr. Rein 1. c. beim Menschen gefunden. Bei einem etwa 26 — 32 mm langen Embryo fand er bereits ein kolbenförmiges Stadium der Milchdrüsenanlage; vgl. seine Fig. 23 auf Taf. XXIX. Bei einem Mädchen von etwa 11 cm sah er die sekundäre Sprossenbildung der 5. Entwicklungsperiode, cf. seine Fig. 24 auf Taf. XXIX. Die Kolbenform war andererseits auch das jüngste Stadium, wel- ches Rein nach seiner eigenen Angabe (1. c. p. 456) bei der mensch- lichen Brustdrüse sah und zwar bei einem Embryo von etwa 28 mm Länge. Uin zum Schluss nochmals die Resultate meiner Untersuchungen kurz zusammenzufassen, so sind es folgende: Man findet bei Embryonen von etwa 15 mm Länge an der Seite des Thorax und des Abdomen, sowie am Schulter- und Beckengürtel und zwar an der Grenze zwi- schen Körperstamm und Anfang der Extremitäten eine kontinuirlich im Zusammenhang mit einander stehende Zone erhöhten Epithels von etwa 1 — 1^2 mm Breite. Wir bezeichnen sie kurz mit Milc h streifen. Innerhalb dieses Milchstreifens befindet sich an normaler Stelle die Hauptmilchdrüseuanlage und zwar im vorliegenden Falle in der Linsen- bis Zapfenform. Im Bereiche desselben Milchstreifens erscheinen bei grösseren Embryonen von 26 — 60 mm Länge Epithelanlagen in wechselnder Grösse und wechselnder Anzahl, welche als die frühesten Stadien überzähliger Milchdrüsenanlagen aufgefasst werden müssen. Ich habe diese hyperthelialen Milchdrüsenanlagen thatsächlich in der Gegend der Achselhöhle, der vorderen und seitlichen Thoraxwand und in der Inguinalgegend gefunden und oben beschrieben, da wo auch beim erwachsenen Menschen am häufigsten Hyperthelie und Hyper- mastie beobachtet wird. Es lässt sich mit Bestimmtheit vermuthen, dass es auch an den anderen Stellen jener Zone erhöhten Epithels vorübergehend zu hyperthelialen Anlagen kommt. Diese normale Hyperthelie bei menschlichen Embryonen verschwindet dann wieder im weiteren Verlauf und Wachsthum des Embryo ; für gewöhn- lich ist beim Neugeborenen und Erwachsenen auf jeder Seite nur eine Monothelie zu konstatiren. Ein Vergleich der von 0. Schültze bei Schweine- und anderen Embryonen gefundenen Milchleiste, welche die erste Anlage für die Milchdrüsen bei jenen Säugethieren darstellt, mit der von mir beim Menschen an dem analogen Orte gefundenen Milchstreifen macht die schon früher von O. Schültze und Bonnet ausgesprochene Vermuthung, dass nämlich auch beim Menschen die erste Milchdrüsen - anläge in einer linearen Erhebung des Epithels, einer zur Seite des Körpers hin verlaufenden Milchlinie be- Üeber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 193 stehe, nur noch wahrscheinlicher, um so mehr, wenn man dazu des Weiteren berücksichtigt, dass die meisten hyperthehalen Anlagen eine grössere Längen- wie Breit enausdehnung besitzen. Am Ende dieser Arbeit gebietet mir die Pflicht der Dankbarkeit, meinem hochverehrten Lehrer Herrn Prof. Dr. Schwalbe für die Ueberlassung des Materials und für das rege Interesse, welches er meiner Arbeit stets geschenkt hat, meinen aufrichtigsten Dank auszu- sprechen. Morpholog. Arbeiten, hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 13 Citirte Literatur. Baetels, M. , Zeitschrift f. Ethnologie, 1889. S. 442 der Verhand- lungen etc. — Zeitschrift f. Ethnologie, 1894, S. 201—203, der Verhandlungen etc. Benda, C, Das Verhältniss der Milchdrüsen zu den Hautdrüsen. Der- matolog. Zeitschr., Bd. I, 1893, S. 94 ff. Baktholin, in Boneti Medicinae septentrionalis coUatitiae, pars II lib. IV. p. 155—156. Genf 1686. — Epistolae Med. Cent. IV. p. 452. Böhm, A. A., und v. Davidofe, Lehrb. der Histologie des Menschen etc. Wiesb. 1895. S. 322. Bonnet, R., Ergebnisse der Anatomie u. Entwicklungsgesch. II. Bd. 1892. Die Mammarorg. im Lichte der Ontogenie u. Phylogenie. 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Gesellsch. 1892. — Ueber d. erste Anlage des Milchdrüsenapparates. Anat. Anzeiger, Jahrg. VIII. 1892. — Beitrag zur Entwicklungsgesch. der Milchdr. Verhandl. d. Phys.- med. Gesellsch. z. Würzburg. N.F. Bd. XXVI. 1893. Wiedersheim, E,., Bau des Mensch, als Zeugn. f. s. Vergangenheit. 2. Aufl. 1893. 13* Erklärung der Figuren auf Tafel IV u. V. Figg. 1 — 5 stammen von Embryo 1 , männl. Embryo von 28 mm Hinterh.-Steiss-Länge. Vergrösserung mit Leitz Oc. 1, Obj. 4 = etwa 144 fach. lks. = craniales, r. = caudales Ende der Schnitte. Fig. 1. Linsenförm. Epithelanlage. Distanz ab = 140 /<. Fig. 2. ebenso. Fig. 3. H. = Hauptmilchdrüsenanlage. d ^ kleine linsenförmige Epithelwucherung, ar = Warzen- oder Areolarzone. st = Drüsenstroma. Fig. 4. a und b = zwei linsenförmige Epithelwucherungen. Fig. 5. Kugelförmige Epithelanlage. Figg. 6 — 10 stammen von Embryo 2, linke Brust; Embryo von 29 mm Kopf-Steiss-Länge. Vergr. Leitz Oc. 1, Obj. 4. lks. = lateral, rechts = medial. Fig. 6. Linsenförmige Anlage, ab = 120 //. Fig. 7. d = linsenförmige Anlage. Ar = Areolar(Warzen-)zone. st = Stromazone. Fig. 8. Kleine zapfenf. Anlage. Fig. 9. Kleine hügelf. Anlage. Fig. 10. Zapfenförmige Anlage mit Areolarzone (ar). Figg. 11—14 stammen von Embryo 2, rechte Brust. Vergr. Leitz Oc. 1, Obj. 4. Iks = medial, rechts = lateral. Fig. 11. d = zapfenförmige Epithelanlage; d, = linsenförmige Anlage. Fig. 12. Normale Milchdrüsenanlage mit Warzen- (ar) und Stroma- (st) Zone, d ^ kleine linsenförmige Anlage. Fig. 13. Kurze zapfenförmige Anlage. Fig. 14. d = zapfenförmige, d, = kleine linsenförmige Anlage. Figg. 15 — 18 stammen von Embryo 3, linke Brustseite; Embryo von 34 mm Hinterh.-Steiss-Länge. Figg. 15 u. 16. Vergr. Leitz, Oc. 1, Obj. 2. Figg. 17 u. 18. Oc. 1, Obj. 4. r = medial; lks. = lateral. Ueber normale Hypei'thelie menschlicher Embryonen etc. 197 Fig. 15. Linsenförmige Epithelanlage. Fig. 16. Linsenförmige Epithelanlage, 5 Serienschnitte unterhalb 15. X = die Stelle, wo 5 Schnitte oberhalb die Anlage von Fig. 15 liegt. Fig. 17, Kleine zapfenförmige Anlage von 50 /t Durchm. Fig. 18. Linsenförmige Anlage von 160 /.i Breite und 120 /ti Länge. Figg. 19 — 21 stammen von Embryo 3 , rechte Brustseite. Vergr. Leitz, Oc. 1, Übj. 4. Iks = medial, r = lateral. Fig. 19. Linsenförmige Anlage von 160 /.i Durchm. Fig. 20. Kleine zapfenförmige Epithelanlage. Fig. 21. Zapfenföimige schräg sich einsenkende Anlage. Figg. 22 — 28 stammen von Embryo 4, linke Brustseite. Embryo von 35 mm Hinterhaupt-Steiss-Länge. Figg. 22 u. 28. Vergr. Leitz, Oc. 1, Obj. 4. Figg. 23—27: Leitz, Oc. 1, Obj. 2. Iks in der Figur = lateral, r = medial. Fig. 22. Zwei nebeneinander gelegene linsenförmige Epithelanlagen, ganz lateral. Entf. von einander = 320 i^i. Fig. 23 — 25. Drei Serienschnitte unter einander, zwischen Fig. 23 und Fig. 24 fehlt nur ein Schnitt von 20 /<. ab cd = 4 Epithel- anlagen nebeneinander; c liegt ungefähr in der Mamillarlinie. Fig. 26. Mehr zapfenförmige Epithelanlage, unter a der Figg. 23—25 gelegen, Fig. 27. ar = Warzenzone, st = Drüsenstromazone der einige Schnitte darunter beginnenden flauptmilchdrüsenanlage , abc = drei Epithelanlagen, ab lateral, c medial von der Mamillarlinie. Fig. 28. Zapfenförmige Epithelanlage, ungefähr in der Mamillarlinie gelegen. Figg. 29 — 38 stammen von Präparat 4, rechte Brustseite. Iks in den Schnitten = medial, r = lateral. Vergr. in Fig. 31 u. 37 mit Leitz, Oc. 1, Obj. 4, in den übrigen Figuren Oc. 1, Obj. 2. Fig. 29. Zapfenförmige Anlage, lateral gelegen. Fig. 30. Zwei zapfenförmige Anlagen, lateral von jener und 5 Schnitte darunter gelegen, x = die Stelle, wo in den vorhergehenden Schnitten die Anlage von Fig, 29 sich befand. Fig, 31. Zapfenförmige Anlage, in der Mamillarlinie gelegen; ar = Warzenzone, Fig. 32, b = Randpartie aus der Anlage von Fig. 31; a = linsen- förmige Anlage, 460 jii medial von b, gelegen ; st = beginnende Stromazone der etwa ^j^ mm weiter unten gelegenen normalen Milchdrüsenanlage. Fig. 33. Vier Schnitte unterhalb des vorigen Schnittes, a, = dieselbe linsenförmige Anlage wie a in Fig. 32 ; h = Stelle der Ma- 198 Dr. Hugo Schmidt. millarlinie; st = Stromazone der normalen Milchdrüsenanlage; c = zapfenförmige Anlage. Fig. 34. Fünfter Querschnitt durch die normale Milchdrüsenanlage. ar = Warzenzone ; st = Stromazone ; d = linsenförmige Anlage, 400 /n lateral von jener. Fig. 35. 13. Querschnitt durch die normale Milchdrüsenanlage, ar = Warzenzone; st = Stromazone; d, ^ 400 j-i medial gelegenen linsenförmigen Anlage. Fig. 36. Linsenförmige Anlage unter d, der Fig. 35 gelegen. Fig. 37. Kleine zapfenförmige Anlage senkrecht unter d der Fig. 34 gelegen. Fig. 38. Kleine zapfenförmige Anlage, schräg sich in die Cutis ein- senkend, nur wenig medial von der Mamillarlinie gelegen. Figg. 39 u. 40 stammen von der rechten Reg. hypogastr. des Prä- parats 4. Iks = medial, r = lateral. Vergr. Leitz, Oc. 1, Obj. 4. Fig. 39. a und b = zwei linsenförmige Anlagen. Fig. 40. b = linsenförmige Anlage, ein weiterer Querschnitt von b der Fig. 39. Fig. 41 stammt von Präparat 5. Embryo von 43 mm Hinterh.-Steiss- Länge. Rechte Brustseite. Vergr. Leitz, Oc. 1, Obj. 4. Iks = medial, r = lateral. Zwei nebeneinander liegende linsenför- mige Anlagen, cranial und lateral von der Hauptdrüsen- anlage. Fig. 42. Präparat 6, Embryo von 54 mm Hinterh.-Steiss-Länge. Linke Brustseite. Kolbenförmige Epithelanlage, kaudal von der normalen Milchdrüsenanlage. Vergr. Leitz, Oc. 1, Obj. 7 (etwa 450 fach). Figg. 43 — 49 stammen von Präparat 7. Embryo von 60 mm Hinterh.-Steiss-Länge. Fig. 43. Zapfenförmige Anlage auf der linken Brustseite, oberhalb der normalen Brustdrüsenanlage, ar = Warzenzone. Fig. 44. a hügelförmige , b linsenförmige Anlage der linken Brust- seite, oberhalb der normalen Brustdrüsenanlage. Fig. 45. Unterhalb der normalen Brustdrüsenanlage hügelförmige Anlage. Figg. 46 — 48: Rechte Brustseite, alle Anlagen oberhalb der normalen Brustdrüsenanlage. Fig. 46. Zwei lateral gelegene linsenförmige Anlagen. Fig. 47. Linsenförmige Anlage, unterhalb Fig. 46, rechts in der Fig. Epitheldefekt. Fig. 48. 180 f.1 breite, 140 /u lange linsenförmige Anlage. Warzenzone im Boden des Drüsenfeldes d beginnend. Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embryonen etc. 199 Fig. 49. Hügelförmige Anlage aus der rechten Inguinalgegend. Fig. 50. Menschlicher Embryo 8. Kopf-Steiss-Länge = 15 mm; in 7facher Vergrösserung gezeichnet, h = Hügel, auf welchem die normale Milchdriisenanlage liegt, Fig. 51 — 56 stammen von dem 15 mm langen Embryo der Fig. 50. Schwache Vergrösserung: Leitz, Oc. 1, Obj. 2. Fig. 51. Horizontalschnitt durch die Schulterhöhe. OE = linke obere Extremität; a = erhöhtes Epithel in der Achselhöhle; d = erhöhtes Epithel auf der Schulterhöhe. Bei b und b, fehlt das Epithel ganz. Fig. 52. Horizontalschnitt etwas unterhalb des vorigen. Bei d (hinter der Schulter) und a (in der Achselhöhle) erhöhtes Epithel ; daneben wieder Epitheldefekte. 0 E = obere Extremität, die in der Figur links abgeht. Nach rechts hin schliesst sich der Stamm an. Fig. 53. Horizontalschnitt etwas unterhalb des vorigen. Der untere Rand der oberen Extremität (OE) ist noch eben in einem kleinen Stück getroffen. Gegenüber bei a wieder die Zone erhöhten Epithels. Fig. 54. Wenige Schnitte unterhalb des vorigen Schnittes. Bei a = Zone erhöhten Epithels ; ar = Warzenzone der normalen Brustdrüsenanlage. Fig. 55. Querschnitt durch die Mitte der rechten normalen Milch- drüsenanlage. Linsen- bis Zapfenform. Fig. 56. Horizontalschnitt etwas unterhalb der normalen Milch- drüsenanlage. Bei a = Zone des erhöhten Epithels zur Seite des Abdomen. Figg. 57 — 59. Bruchstücke des Epithels aus dem Horizontalschnitt der Fig. 56 bei starker Vergrösserung. Leitz, Oc. 1, Obj. 7 (etwa 450 fach) ; e == Epithel. Fig. 57. Bruchstück aus der Zone erhöhten Epithels (a der Fig. 56). Fig. 58. Bruchstück des Epithels ventral von Fig. 57 (in der Nähe der vorderen Medianlinie). Fig. 59. Bruchstück des Epithels dorsal von Fig. 57 (in der Nähe der Wirbelsäule). Ueber die Mikrocentren in den (jeweben des Vogel- embryos, insbesondere über die Cylinderzellen nnd ihr Verbältniss zum Spannungsgesetz. Mitgetheilt von Prosector Dr. M. Heideiihain nach Untersuchungen in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Theodor Cohn. II. Assistenten an der auatom. Anstalt zu Würzbiirg. Mit 4 Figuren im Texte. Zur Zeit unteröiiche ich mit Herrn Dr. Theodor Cohn zu- sammen junge Vogelembryonen an der Hand der Eisen- hämatoxylinfärbung. Wir theilen uns hierbei in die Arbeit in der Art, dass Herr Dr. Th. Cohn sein Augenmerk vorzüglich auf das Verhalten der „Scblussleisten" der Epithelien richtet, während ich auf der anderen Seite bei der Untersuchung die cellulären Centren im Besonderen bevorzuge; indessen unterstützen wir uns derart gegen- seitig, dass unsere Arbeit im Ganzen eine gemeinsame ist. Soweit im Folgenden von neuen sachlichen Angaben die Rede sein wird, sind wir beide betbeiligt; soweit theoretische Betrachtungen geboten werden, spreche ich nur in meinem Namen. Dieser Aufsatz soll speciell dazu dienen, einige Befunde, welche an den Mikrocentren erhoben werden konnten, kurz bekannt zu geben, und ich entschliesse mich zu dieser vorläufigen Mittheilung besonders aus dem Grunde, weil die neuen Daten gleicher Zeit bedeutsame Illustrationen zu dem von mir vertheidigten Spannungsgesetz der Zellsubstanz 1) vorstellen. Diese neuen Uebereinstimmungen zwischen Theorie und Thatsachen möchten wohl für jeden Gegner meiner theoretischen Arbeiten für die Zukunft eine Warnung des *) Vergl. meine beiden Schriften: Neue Untersuchungen über die Central- körper etc. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 43 und Cytomech. Studien. Archiv f. Ent- wicklungsmeehanik, Bd. I. Ueber Micvocentren in den Geweben des Vogelembryos etc. 201 Inhalts ergeben, dass ein vorschnelles Urtheilen hier nicht am Platze ist. Denn ganz und gar nicht handelt es sich bei meiner cellular- mechanischen Theorie, wie manche Autoren irrthümlicher Weise meinen, lediglich um histologische Fragen, in dem Sinne etwa, dass durch Negirung meiner bisherigen die Protoplasmastruktur betreffenden Dar- legungen die ganze Theorie hinfällig würde. Vielmehr sind in meinen Arbeiten gewiss viele sachliche Angaben ganz allgemeiner Art über die Wechselbeziehungen zwischen Mikrocentrum, Kern und Zell- substanz enthalten, welche eine theoretische Zusammenfassung im Sinne des Spanuungsgesetzes auch ohne Unterlage einer speciellen Protoplasmatheorie gestatten würden. In diesem Sinne hatte, — auf meine Veranlassung — auch schon Dehler ^) sich dahin geäussert, dass in einer kontraktilen Zellsubstanz jederzeit die von dem Spannungs- gesetz geforderte typische Form der inneren Spannung vorhanden sein könne, gleichviel welches die sichtbare histologische Struktur der Zellsubstanz im Einzelfalle sei. An den mir vorliegenden Präpa- raten der Ente und des Huhns ist nun ohnehin von Plasmastruktur so gut wie nichts zu sehen, da wir nur die einfache Eisenhämatoxylin- färbung, ohne Vor- oder Nachfärbung, in Anwendung gezogen haben, und so wird es vor allem meine Aufgabe sein von Neuem zu zeigen, wie ungemein wichtig in mechanischer Beziehung und besonders unter dem Gesichtspunkte des Spannungsgesetzes allein schon die einfachen Verhältnisse der Lage, Orientirung, Grösse und Gestalt von Mikro- centrum, Kern und Zellsubstanz sind. Wir finden die Mikrocentren bei Embryonen etwa bis zum vierten Tage, — ältere Stadien haben wir bisher noch wenig untersucht — , grundsätzlich in allen Abkömmlingen aller 3 Keim- blätter; einzig von dieser Behauptung ausnehmen müssen wir vorerst noch die jungen Muskelzellen, die wir einer speciellen Untersuchung noch nicht unterzogen haben. Auch hier würden wir die Centren jeden- falls später noch finden, wenn wir Protoplasmanachfärbungen der Eisen- hämatoxylinpräparate mit heranziehen; denn man ist unter Umständen, bei schwierigeren Objekten gezwungen den Ort der Centralkörpergruppe gleicher Zeit durch die Färbungsverhältnisse der Zellsubstanz zu mar- kiren, um sie überhaupt erst einmal zu finden. Im Speciellen führe ich folgende Zellenformen auf, bei denen die Anwesenheit der Mikro- centren mit Sicherheit konstatirt wurde: 1. Die Zellen der embryonalen Epidermis. 2. Die ektodermalen Epithelzellen der Eihäute. 3. Die Cylinderzellen des gesammten Neuralrohres. 4. Die Cylinderzellen des Gehörbläschens. ^) Adolf Dehler, Beitrag zur Kenntniss des feineren Baues dei* rothen Blut- körperchen beim Hühnerembryo. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 46, 1895, 202 I^r. 31. Heidenhain und Dr. Theodor Cohn. 5. Die Epithelzellen beider Blätter der sekundären Augen- blase. 6. Die Epithelzellen der jungen Linse. 7. Die Mesenchymzellen des gesaramten Embryonalkörpers. 8. Die das Cölom begrenzenden Epithelzellen. 9. Die Epithelzellen der Urwirbel, die Zellen des Urwirbelkernes sowie die Epithelzellen der Muskelplatten. 10. Die Endothelzellen der Gefässe. 11. Dierothen Blutkörperchen (in Bestätigung Dehler's). 12. Die Epithelzellen des WoLFr'schen Ganges and der Ur- nierenb lasch en. 13. Die Epithelzellen des Entoderms, besonders des Vorderdarms und der Kiementaschen. 14. Die Epithelzellen der Allan tois. In diesen Fällen handelt es sich nicht um vereinzelte Befunde, sondern der Regel nach sogar um ein massenhaftes Material, so dass wir die volle Garantie für die Richtigkeit des Mitgetheilten übernehmen können. Ich glaube mithin aus unseren Befunden unbedenklich die Behauptung herleiten zu dürfen, dass die Ubiquität der Mikrocentren für die Gewebe junger Embryonen so gut wie erwiesen sei; dass dieser Nachweis für die Centralkörperlehre recht erheblich ist, braucht nicht besonders dargethan zu werden. (Vergl. a. a. 0. das Kapitel: „Theorie der Ubiquität der Centralkörper." ^) Was ferner die allgemeine Hypothese von der Ubiquität der Centralkörper anlangt, auf die ich weiter unten noch einmal zu sprechen kommen werde, so bin ich für meinen Theil der Ansicht, dass man sich am besten an die bisher vorliegenden positiven Resul- tate hält. Diejenigen Forscher, welche in Folge des eigenen technischen Ungeschickes gerne viel Gewicht auf negative Daten legen, begehen einen methodischen Fehler; denn wissenschaftliche Schlussfolgerungen zieht man besser aus Untersuchungen, die zu positiven Resultaten führten, denn aus solchen, die ergebnislos verliefen. So lange aber die Nachforschung nach den cellulären Centren noch immer thatsächliche Ergebnisse von derartigem Umfange zu Tage fördert, wie sie mir und meinem Mitarbeiter bei den Embryonen vorliegen, so lange ist es nicht thunlich, den Standpunkt der Resignation zu vertreten. Würden wir von jener Hypothese der Ubiquität der Mikrocentren dauernd zurückkommen, so würde dies in der That eine erhebliche Resignation bedeuten, denn dürfen wir die Mikrocentren nicht in Permanenz er- klären, so würde sich die Behandlung der Zellenlehre in Zukunft um Vieles schwieriger gestalten. Es ist begreiflicherweise leichter, die ^) M. Heidenhaik, „Neue Untersuchungen über die Centralkörper etc.". Arch. f. mikr. Anat., Bd. 43. Ueber Miki-ocentren in den Geweben des Vogelembryos etc. 203 Schicksale eines konstanten Zellenorgans durch alle Phasen des Zellenlebens hindurch zu verfolgen, als zu zeigen wie ein solches Zellen- organ de novo entsteht. Dies nebenbei. Was die Sphären anlangt, so sind mir Bildungen, die eine typische sphere attractive vorstellen, bisher nur bei den Mesenchymzellen und bei den Gefässendothelien vorgekommen ; namentlich bei den ersteren findet man unter Umständen, die von Zufälligkeiten der Färbung abhängen, prächtige Bilder kleiner, von einem van BENEDEN'schen Mikrosomenstratum umgrenzter Sphären. Der Nachweis eben dieser Bildungen bei den übrigen Embryonalzellen dürfte nur an der Hand typischer Protoplasmafärbungen gelingen, die uns zur Zeit noch nicht vorliegen. Weiterhin halte ich mich ausschliesslich an die Cylinderepi- thelzellen. Es hat sich gezeigt, dass bei diesen die Mikrocentren nicht die bei Leukocyten, Geschlechtszellen, Pigmentzellen etc. ge- wöhnliche centrale Lage innehalten, sondern dass sie hier der Regel nach an dem einen Ende der Zelle unmittelbar unter der freien Oberfläche des Epithels gelegen sind (Fig. 1 und 2). Haben wir z. B. eine hochcylindrische Epithelzelle des Vorderdarms (Fig. 1), so gewahren wir den Kern nächst ihrer Basis, das Mikrocentrum aber am Zellenkopfe unmittelbar unter dem ■"n' § t ' V* "^f i Figur 1. Epithelzellen des Vorderdarms vom Entenembryo (ca. 4 Tage alt). Vergrösserung: 2500. Die Mikrocentren bestehen aus je zwei Centralkörpern und sind unmittelbar an der freien Überfläche des Epithels gelegen. Die Schluss- leisten sind gleichfalls stark gefärbt. das Darmlumen begrenzenden Zellkontour. Die gleiche höchst charak teristische Lage des Centrums finden wir bei den Cylinderzellen des Centralnervensystems, des Gehörbläschens, der Retina; des Pigment 204 Dr. M. Heidenhain und Dr. Theodor Cohn. epithels etc. Bei den Epithelzellen der ürwirbel stossen wir auf be- sondere Verhältnisse. Hier kann das Centrum ebenso direkt an der Zelloberfläche (d. h. direkt an der Urwirbelhöhle) liegen, ist aber meist um ein Geringes in das Zelleninnere hineingerückt, so dass wir in der Urwirbelwand eine gewisse Querzone in der Nachbarschaft der Ur- wirbelhöhle aufweisen können, in welcher die Centren zu liegen pflegen (Fig. 2 bei b). Schneidet man auf Tangentialschnitten der Urwirbel- wand der Fläche nach durch jene Querzone hindurch, so findet man, da die Zellen bekanntlich sehr dicht stehen, die Schnittfläche wie be- streut von kokkenähnlichen Körperchen , welche eben die Central- körper sind. Bei den Urwirbelzellen ist übrigens nebenher eine A %/ *' V -i Figur 2. Urwirbelzellen vom Entenembryo (ca. 4 Tage alt). Vergrösse- rung : 2500. Die Mikrocentren bestehen meist aus zwei Centralkörpern. Bei b die für Urwirbelzellen besonders charakteristische Lage in der Nähe der freien Ober- fläche ; bei a, c, d, e verschiedene Uebergangsstellungen der Centralkörper zwischen Zellenmitte und peripherer Lage variirend. Bei d zwei anscheinend in Theilung begriffene Centralkörper. Lagerung der Centren in der Nachbarschaft des Kerns, also in der Tiefe des Zellkörpers, etwas ganz Gewöhnliches. Zwischen der extrem tiefen und der extrem oberflächlichen Lage finden sich alle Ueber- gänge (Fig. 2 a, c, d, e); mir scheint indessen, dass auch hier die Stellung an der Oberfläche der definitiven Ruhelage entspricht. Sehr auffällige Bilder werden erhalten, wenn man an einem embryo- nalen Cylinderepithel, etwa dem des Vorderdarms oder dem des Neural- rohrs, einen Flachschnitt derart hindurchlegt, dass nur die äussersten Kuppen der Epithelzellen durch das Messer abgehoben werden. Dann sind die Kerne nicht im Schnitt enthalten. Man sieht lediglich ein Ueber Mikrocentren in den Geweben des Vogelembryos etc. 205 von den schwarz gefärbten Schlussleisten gebildetes polygonales Netz- werk, dessen Maschen die übrigens nicht regelmässig central gestellten Mikrocentren, je eines in einem Zellenterritorium, einschliessen (Fig. 3 und 4). Diese Bilder sind so überaus regelmässig und deutlich, dass sie eine schematische Klarheit zur Schau tragen. In diesen Fällen kann man in einem einzigen Gesichtsfelde Hunderte von Mikrocentren, welche eben so vielen Epithelzellen zugehören, auf einmal gewahren. Findet man in einem bestimmten Zellenfelde das Mikrocentrum nicht vor, so ist man häufig in der Lage zu konstatiren, dass in dem zugehörigen Figur 3. Flächenansicht der das Neuralrohr bildenden Cylinderzellen am Uebergang vom Rückenmark zur Medulla oblongata. Entenembryo (ca. 4 Tage alt), Vergrösserung : 2500. In dieser Figur sind etwa 200 Mikrocentren mit möglichster Genauigkeit abgebildet worden. Es sind bald 2, bald 3, oft'enbar mitunter auch 4 Centralkörper vorhanden. Wo nur ein Centralkörper sichtbar ist, muss ange- nommen werden, dass ein zweiter durch den ersten völlig gedeckt ist. Wo in der Zeichnung 2 Centralkörper anscheinend neben einander liegen, zeigte sich im Prä- parate selbst die Orientirung meist derart, dass das eine Körperchen oberflächlich, das andere in der Tiefe befindlich war. Zellenkörper eine Theilungsfigur enthalten ist, dass somit die Centralkörper zum Zwecke der Mitose in die Tiefe der Epithelzelle eingerückt sind. Solche Flächenbilder vom Vorderdarm und dem Centralkanal habe ich auf dem Anatomenkongresse zu Berlin (1896) vorgelegt; sie lassen sich in der gleichen Weise auch von der Retina, dem Pigmentepithel, der Gehörblase, kurz, von vielen epithelialen For- mationen her erhalten, bei denen die Elemente regelmässig cylindrisch oder stäbchenförmig sind. AYas das embryonale Peritonealepithel an- langt, so dürfte wohl den meisten Embryologen bekannt sein, dass die 206 ür- M. Heidenhain und Dr. Theodor Cohn. Form der zugehörigen Zellen je nach der Region, in der sie sich finden, sehr wechselt. Aber auch bei direkt benachbarten Zellen ist die äussere Formengebung häufig recht verschieden, so dass cylindrische und flache Zellen neben einander befindlich sein können. Hiermit scheint es im Zusammenhang zu stehen, dass man bei der Flächen- betrachtung (von der freien Seite her) die Mikrocentren bald inner- halb der durch die Schlussleisten markirten Zellenfelder vorfindet, bald nicht. Ganz ähnliche Beobachtungen über die Lagerung der Mikrocentren bei Cylinderepithelzellen sind bereits von K. W. Zimmermann gemacht worden. Dieser Forscher legte auf der Anatomenversammlung zu Strassburg (1894) Eisenhämatoxylinpräparate vom Uterus des Menschen und von der Niere des Kaninchens vor, bei denen man nächst der freien Oberfläche der Epithelzellen eigenthümliche Doppelkörperchen, die Centralkörper, wahrnehmen konnte. ^) Indessen waren diese Prä- parate technisch noch so unvollkommen, dass überhaupt nur mit grösster Mühe zu sehen war, was der Autor eigentlich meinte. So ist auch seither in der Literatur Niemand auf die ZiMMERMANN'sche Demonstra- tion zurückgekommen, was uns nicht abhalten darf, bezüglich dieses Fundes die Priorität des Autors sowohl als auch seinen besonderen Scharfblick gebührend hervorzuheben. Unmittelbar nach meiner Rück- kunft von Strassburg (Sommer 1894) fand ich die ZiMMERMANN'schen Granula beim Hühnerembryo auf und gleich meine ersten Präparate gaben prachtvoll klare Bilder. Bezüglich der Deutung war ich damals noch unsicher und ich verschob die genauere Untersuchung auf später, da ich eine ausführlichere Mittheilung von Seiten Zimmermann's er- wartete, die nun leider nicht erfolgt ist. Nehmen wir nun die ZiMMERMANN'schen Beobachtungen zu den unsrigen hinzu, so erhalten wir einen interessanten Ausblick auf die künftigen Schicksale der Hypothese von der übiquität der Mikrocentren. Diese konnten nämlich auffallender Weise bisher in leichter Weise nur in solchen Zellen dargestellt werden, welche nicht in einem (strens;en) epithelialen Verbände stehen (Leukocyten, Riesenzellen, männliche und weibliche Geschlechtszellen, Bindegewebszellen, neuerdings auch Gang- lienzellen) , während ihre Darstellung in den gewöhnlichen Epithel- zellen ungleich schwieriger war und immer nur in vereinzelten Fällen gelang (Epithelzellen des Bauchfells, der Lungen und einige mehr). Lässt sich nun zeigen, dass beim Embryo und, nach Zimmer- mann, auch beim Erwachsenen die Mikrocentren in den gewöhn- lichen Cylinderzellen jederzeit gegenwärtig sind, so ist der Kreis der- jenigen Zellformen, die bisher der Centralkörperfärbung hartnäckigen ^) Vergl. den Demonstrationsbericht in den Verhandl. der anat. Gesellschaft, Jahrgang 1894. Ueber Mikrocentren in den Geweben des Vogelembryos etc. 207 Widerstand geleistet haben, bereits ein eng umgrenzter zu nennen. Im Hinblick auf die zu erwartende völlige Verifikation der übiquitätshypo- these wäre gerade noch ein principieller Befund zu erheben. Es müsste nämlich gezeigt werden, wo die Centralkörper nach Ablauf der Mitose in solchen Zellen bleiben, deren Kern im Cent r um des Zellenleibes liegt. Ich habe nämlich gezeigt, dass mit der Anwesenheit des Mikro- centrums in den gewöhnlichen Fällen auf Grund des Spaunungsgesetzes eine excentrische Stellung des Kerns einhergeht, eine Thatsache von erheblicher Bedeutung für die cellulare Mechanik, auf die früher Niemand geachtet hatte. Es giebt aber eine grössere Reihe von Zellen (z. B. Pflasterepithelzellen nach der gewöhnlichen Beschreibung, Spinal- ganglienzellen der Säuger und andere), bei denen eine centrale Stellung des ruhenden Kerns statt hat. Es wäre fast zu vermuthen, dass hier nicht bloss einfache, sondern mehrfache Centren während der Zellenruhe vorhanden sind, denn dann würde die centrale Stellung- nahme des Kerns erklärlich sein. Nun hat Farmee ^) die Pollenmutter- zellen von Fossombronia, bei denen der Kern central liegt, speciell auf die Gegenwart der Centren hin untersucht; zwar fand er sie wäh- rend der Zellenruhe nicht, aber im Beginn der Zelltheilung traten im Umfang des Kerns in regelmässigen Abständen (nach den Spitzen eines Tetraeders) vier Centren (!) auf, die sich im weiteren Ver- laufe paarweise vereinigten, so dass die Mitose schliess- lich doch nur eine bipolare war. Dieses letztere Faktum ist, was nebenher erwähnt werden mag, durchaus unvereinbar mit der BovERi'schen Theorie der „Centrosomen"-), steht aber im Ein- klang mit allen empirischen und theoretischen Daten, die von meiner Seite aus über die Centralkörper gegeben worden sind. Ferner hat Meves für die Spermatogonien des Salamanders gezeigt, dass unter Umständen die das Centrum beherbergende Sphäre in viele Theile ^) On Spore-Formation and Nuclear Division in the Hepaticae. Annais of Botany. Vol. IX. ") BovERi sagt in seiner bekannten gegen mich gerichteten Streitschrift S. 64: „Es muss auch ein strenger Parallelismus zwischen der Theilung des Centro- soms und der der Zelle bestehen," Das „muss" soll ausdrücken, dass Boveri einen Ukas erlassen hat, wonach sich jede Zelle so zu betragen hat, widrigenfalls sie ge- wärtigt, als „abnormal" gemassregelt zu werden. Ferner sagt Boveri: „Unter Centrosoma verstehe ich ein der entstehenden Zelle in der Einzahl zukommendes distinktes dauerndes Zellorgan, das, durch Zweitheilung sich vermehrend, die dyna- mischen Centren für die Entstehung der nächst zu bildenden Zellen liefert" (S. 60). Diese Definition ist viel zu inhaltsarm. Man setze statt „Unter Centrosoma" die Worte „Unter einem Kern", und man wird sehen , dass diese Definition des „Centrosoma" so über alle Thatsachen erhaben ist, dass sie ebenso gut und ebenso schlecht auf den Kern passt. Das Centrosoma hat sich in der That bei Boveri zu einer platonischen Idee verflüchtigt. Wie weit er mit dieser Definition gekommen ist, zeigt die Thatsache, dass Boveri bald die Centralkörper, bald die plurikorpus- kulären Mikrocentreo, bald die Sphären als „Centrosomen" bezeichnet. 208 Dr- M. Heidenhain und Dr. Theodor Cohn. zerfallen kann, welche in der Zellsubstanz sich verbreiten und schliess- lich den Kern so zwischen sich fassen, dass ihn die Sphärentheilchen in Form einer Hohlkugel umgeben. In diesem Falle rückt der Kern aus der Zellenperipherie in eine centrale Stellung ein. Auch hier ist mithin ein direkter Hinweis auf die Existenz mehrfacher Centren wäh- rend der Zellenruhe gegeben. Ich komme nun auf die Cylinderepithelzellen der Vogelembryonen zurück und werfe die Frage auf, wie diese sich zum Spannungsgesetz verhalten. Da stossen wir zunächst auf ein Faktum, welches dem Spannungsgesetz zu widersprechen scheint, ja im Sinne meiner litera- rischen Gegner vielleicht die Möglichkeit der Anwendung des Spannungs- gesetzes auf diese Zellenform auszuschliessen scheint. Dieses Faktum ist dadurch gegeben, dass bei den vorliegenden Zellen das Centrum eine exquisit periphere Stellung hat. Käme aber das Spannungsgesetz, wie beim ruhenden Leukocyten, voll zur Wirkung, so müsste das Centrum die deutliche Tendenz nach der Zellenmitte zeigen, ^) Dass es Fälle ähnlich ^) Diejenigen , welche Einwendungen gegen das Spannungsgesetz erhoben haben, begnügten sich durchgehends damit, einzelne Thatsachen ins Feld zu führen, welche nicht direkt mit dem Gesetz in Einklang zu bringen sind. So auch BovERi. Der Kernpunkt ist der, dass Boveei eine falsche, ich aber eine richtige Vorstellung von der Art der Gesetzlichkeit in der Natur habe. Stellt man sich auf den strengen Standpunkt der Erkenntnisstheorie, so sind niemals in der Natur weder zwei Dinge einander völlig gleich, noch auch können zwei Processe jemals genau unter derselben Form zum Ablauf kommen. Denn die Gesammtkonstellation der wirksamen Ursachen ändert fortwährend, und niemals wird an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten Zeitmoment ein bestimmter Ursachenkomplex sich in genau derselben Weise wieder zusammenfinden, wie er andern Orts schon einmal vorhanden war. Daher ist es die Aufgabe der Naturforscher in der wechselnden Flucht der Erscheinungen, die konstant wirkenden Antheile zu suchen; diese sind die „Naturgesetze"; sie treten aber immer unter Mitwirkung von Nebenursachen in die Erscheinung, welche unter Umständen für unsre Augen die Wirkung des Grundgesetzes verschwinden machen können. Wenn daher Boveri unter anderem sich dagegen wendet, dass ich die organischen Stadien nicht als absolut identisch ansehe, sondern sie um ein Geringes verschieden annehme, und behauptet, dies sei eine Hilfsannahme, so ist dies ein falscher Standpunkt. Denn schon nach den blossen Principien des Erkennens beurtheilt, können die Radien nicht absolut gleich, sondern müssen um etwas verschieden sein, nur dass diese Verschiedenheit in praxi mit Bezug auf die Lage des Centrums wegen ihrer antagonistischen Anord- nung wenig zum Ausdruck kommen wird. Anders ist die Wirkung auf den Kern; kommt in den Umfang des Kerns ein Strahl zu liegen, der um ein Weniges stärker wirksam ist, so drückt er auf denselben und verschiebt ihn nach der andern Seite, wo dann der Kern alsbald von dem symmetrisch gegenüber liegenden Strahl selbstverständ- lich (!) einen gleichen Gegendruck empfangen muss. So kann, wie ich ausführte, eine Polymorphie des Kerns durch Pressung auf den Kern entstehen, und die äusserst verschiedenen Grade derselben entsprechen ebenso den äusserst verschie- denen Graden der geringen Ungleichheiten der Radien, Daher hat Boveri die bis ins Einzelne strengste Durcharbeitung meiner Theorie total missverstanden, wenn Ueber Mikrocentren in den Geweben des Vogelembryos etc. 209 der Cylinderepithelzelle geben könne, habe ich nach einigen in der Literatur niedergelegten Daten bereits früher in Erwägung gezogen. Daher habe ich mich bezüglich des Stellungsgesetzes der Centren in einem zusammenfassenden Aufsatze (Cytomechanische Studien. Arch. f. Entwicklungsraechanik, Bd. I, S. 497) folgendermaassen geäussert: „Die Mitte der ganzen Masse des Zellkörpers, die Mitte des Kerns und die Mitte des Mikroeentrums liegen auf einer geraden Linie. Diese gerade Linie bezeichne ich als die „Zellen- achse". Ferner gilt für den Leukocyten Folgendes: „Der Kern liegt immer excentrisch, meist hart an der Zellen Peripherie; das Mikrocentrum hat die Ten- denz, sich soweit als mögli ch der Zellenmitte zu nähern." Indem ich den ersten Theil dieses ganzen Passus fett drucken Hess, wollte ich damit andeuten, dass durch diesen eine Gesetzmässig- keit von viel allgemeinerer Verbreitung zum Ausdruck gekommen sei, während ich der Meinung war, dass die in dem Schlusssatz für den Leukocyten betonte excentrische Stellung des Kerns und ebenso die centrale Stellung des Mikroeentrums in anderen Fällen durch Wirkung von Nebenursachen eventuell zum Verschwinden gebracht werden könne. Nun haben wir eben hier bei den Cylinderzellen den Fall, dass der oben gerade so wie in der früheren Schrift fett gedruckte Passus (mit jener Annäherung, die überhaupt bei Objekten der Natur gegen- über einer mathematisch festgelegten gesetzlichen Bestimmung allein möglich ist) zutreffend ist, dass also „die drei kritischen Punkte der Zelle" (die Mitte des Kerns, die Mitte des ganzen Zellkörpers und die Mitte des Mikroeentrums) auf eine Gerade, die Zellenachse, zu liegen kommen, dass aber die im weitern Verfolg des obigen Passus nur durch gesperrte Schrift hervorgehobene centrale Lage des Mikro- eentrums (wenigs*^>ens in der Regel der Fälle) nicht mehr vorhanden ist, während schliesslich der Kern allerdings wegen der meist basalen Lage immer noch einen excentrischen Standort hat. Ich will hier ein- schalten, dass es uns auf die genauere Lage des Kerns bei der Cylinderepithelzelle nicht mehr ankommen kann, da in diesem Falle eben die räumliche Aufstellung des Kerns unmöglich die ausschliess- liche Folge des Spannungsgesetzes sein kann. Wie ich nämlich a. a. O. ausgeführt habe , ^) müssen die Kerne als resistente Körper von starkem Turgor bei hochcylindrischen, stäbchenförmigen Zellen in er sagt: ,,Dies ist aber eine Komplikation von Annahmen, die mit Rücksicht auf den fast gänzlichen Mangel thatsächlicher Grundlagen den erklärenden Werth der Theorie sehr zusammenschrumpfen lässt." Der „gänzliche Mangel an thatsächlichen Grundlagen" existirt natürlich nur in der Einbildung Boveri's. 1) Cytomech. Studien, S. 509. Morpliolog. Arbeiten, krsg. v. G. Schwalbe. VII. 14 210 ^r. M. Heidenhain und Dr. Theodor Oohn. Folge der seitlichen Pressung sich innerhalb des Epithels in mehreren Reihen über einander anordnen, um überhaupt Platz finden zu können. Also wird in vielen Cylinderzellen ein Theil der Kerne zwar basal, ein anderer Theil aber mehr nach der freien Oberfläche hin zu stehen kommen. Ich bin also nach dem Mitgetheilten zunächst völlig berechtigt zu sagen, dass die Wirkung des Spannungsgesetzes bei der Cylinderzelle nicht völlig aufgehoben ist, da die drei kritischen Punkte immer noch auf einer Geraden liegen. Während nun im einfachen, un- komplicirten Falle, ^) beim Leukocyten das Centrum die Tendenz hat, sich auf dieser Geraden nach der Zellen mitte hin zu bewegen, hat hier bei der Cylinderzelle genau umgekehrt das Centrum die Nei- gung, sich auf der gedachten Geraden nach der Zellenperipherie hin zu verschieben. Bei den Urwirbeln findet man, wie erwähnt, alle Mittellagen zwischen der centralen und der peripheren Stellung. Allein es ist das Aufsteigen des Centrums bei der Cylinderzelle ebensowenig ein Beweis gegen das Spannungsgesetz wie das Aufsteigen des Luft- ballons ein Beweis gegen das Fallgesetz ist. Hier wie dort werden Nebenursachen wirksam, welche dem bewegten Körper eine Richtung ertheilen, die der gewöhnlich zu beobachtenden Bewegungsrichtung direkt entgegengesetzt ist. Wir können nun für die weitere Verfolgung des uns vorliegenden Problems eine doppelte Fragestellung einleiten, nämlich: 1. Welches sind die Nebenursachen, durch deren Wirkung das Centrum gegen die Zellenoberfläche hin getrieben wird. 2. Welches ist der Zweck dieser speci fischen Einrich- tung? Dass es sich hier gewiss uro eine speci fische Einrichtung, welche einem besonderen physiologischen Zwecke dient, handelt, wird dem Beschauer schon nach einer kurzen Betrachtung des Objektes un- widerleglich klar, denn die Sachen liegen so, dass für die Dauer der Ruhelage der Zellen auf eine permanente Fixation der Centren nächst der freien Zellenoberfläche geschlossen werden m u s s. Eine solche wäre nun, wenn physiologisch zwecklos, für uns ziemlich unver- ständlich, auch wenn sie ihren mechanischen Ursachen nach völlig be- griffen werden könnte. ad 1 muss ich leider bekennen, dass ich über die Ursachen, welche das Gleiten der Centren auf der Zellenachse nach der Peripherie hin bedingen, ganz im Unklaren bin. Wenn man alle Bewegungserschei- nungen innerhalb des Zellkörpers, welche dem Spannungsgesetz streng ^) Der einfachere Fall ist immer zunächst der maassgebende. Es ist z. ß. falsch, bei cellular-mechanischen Problemen von so komplicirten Erscheinungen aus- zugehen, wie sie etwa die Befruchtung darbietet. lieber Mikrocentren in den Geweben des Vogelembryos etc. 211 entsprechen, als homöo typische bezeichnet, und ebenso diejenigen, welche auf Grund andrer Ursachen stattfinden, als heterotypische, so muss die gedachte Bewegung der Gentren in der Richtung der Achse nach der Peripherie als eine solche gemischten Charakters bezeichnet werden. Denn insofern die Bewegung auf der Achse selbst erfolgt, ist sie homöotypisch, da nämlich hierbei die durch das Spannungsgesetz garantirte Symmetrie der Zelle wiederum zum Vorschein kommt; heterotypisch ist sie nur dadurch, dass die Wan- derung nach der freien Oberfläche führt. Wodurch diese Form der Heterotypie bedingt wird, darüber kann ich, wie schon bemerkt, zur Zeit nichts aussagen. ad 2, anlaugend den physiologischen Zweck der oberfläch- lichen Feststellung der Centren, will ich wenigstens einer Vermuthung Raum geben. Wenn wir uns nämlich vor Augen halten, dass die Centralkörper allgemein als Insertionsmitteli^unkte der centrirten Systeme dienen und dass sie in dieser ihrer Eigenscliaft hauptsächlich während der Mitose in Betracht kommen, so wäre zu folgern, dass die Thatsache der Festlegung der Centren im Zellenkopfe sich ihrem physiologischen Sinne nach als eine Vorrichtung erklärt, welche eben in unserem Specialfall der Cylinderzelle eine besondere Bedeutung für den Ablauf der Mitose haben muss. Fragen wir nun weiterhin, ob denn die Mitose einer Cylinderepithelzelle irgend ein specifisches Phä- nomen zeigt, welches anderen Zellen nicht in der gleichen Weise zu- kommt, so muss erwidert werden, dass allerdings eine solche Besonder- heit vorhanden ist, und zwar finde ich diese gegeben in der bekannten Thatsache, dass die zu Beginn der Mitose sich abrundenden Cylinder- zellen innerhalb des Epithels in der Richtung nach der freien Ober- fläche, d. h. also in der Richtung nach dem Mikrocentrum hin „auf- steigen". Hierbei bleibt die freie Endfläche der Zelle nach wie vor in ihrer ursprünglichen Lage zwischen den Endflächen der Nachbar- zellen und es retrahirt sich gleichsam der übrige Zellenkörper auf diese Stelle hin. Es wäre somit möglich, aber ich will dies, wie gesagt, nur als eine Vermuthung hinstellen, dass das oberflächlich gelegene Cen- trum hierbei gleicherzeit ein punctum fixum für die Zellsubstanz ab- giebt, durch welches die Richtung des Kontraktionsvorganges bestimmt wird. Am Objekt selbst habe ich die Mitose der Cylinderzelle noch nicht in allen Stadien genau verfolgt und muss der definitive Ent- scheid dieser Frage später durch die Beobachtung beigebracht werden. Habe ich nun im Vorhergehenden besprochen, dass die Stellung des Mikrocentrums bei der Cylinderzelle nicht vollständig dem Spannungs- gesetz entspricht, so komme ich jetzt auf zwei weitere Thatsachen, welche in einer so schlagenden Uebereinstimmung mit dem Spannungs- 14* 212 Dr- M. Heidenhain und Dr. Theodor Cohn. gesetz stehen, dass der Wertli dieser theoretischen Vorstellung sich auf's Neue in hellem Lichte zeigt. Ich habe aus dem Spannungsgesetz gewisse Ableitungen auf die Mechanik derMitose gemacht und dies mit vollem Recht. ^) Diese Ableitungen nennt Boveri in vollkommener Verkennung des theoretisch streng gegliederten Aufbaues meiner Arbeiten ,, Konstruk- tionen a priori", gleich als ob es sich um Willkürlichkeiten nach Ana- logie der Konception des ,,Archoplasma" handelte. Es ist in der That, um mit Boveri zu reden, „komisch'^, dass mein Opponent nicht, was so einfach und klar zu sehen ist, herausgefunden hat, dass ich zunächst das Spannungsgesetz auf Grund der monographischen Bearbeitung einer bestimmten in ausgezeichneter Weise geeigneten Zellform per inductionem hergeleitet habe, um dann von dem ge- fundenen Gesetze ausgehend die Principien der naturwissenschaft- lichen Deduktion in durchaus strenger und logischer Weise auf die Mechanik der Mitose anzuwenden. Dies Verfahren war vollkommen durchdacht, und auf diese Weise glaube ich in den Komplex der mito- tischen Vorgänge durch Scheidung des Wesentlichen und Unwesent- lichen und durch Zusammenfassung des wirklich Zusammengehörigen einige Klarheit und Ordnung hineingebracht zu haben. Ausserdem habe ich von der Mitose vielleicht mehr am Objekte selbst gesehen als viele, die lediglich nach Erfahrungen über die in Theilung begriffene Zelle über den mitotischen Process glauben aburtheilen zu können. Allein ' aus den unterschiedlichen Erscheinungsweisen der Zeilentheilung heraus über deren Mechanik in's Klare zu kommen schien mir unmöglich: Der Werth meiner theoretischen Arbeiten ist darin enthalten, dass ich als erster per inductionem eine Statik der rulieiicleu Zelle entworfen habe und alsdann auf Grund dieser Statik als einer not h wendigen Vorbe- dingung per deductionem zur Dynamik der in Theilung begriffenen Zelle übergegangen bin. Soweit die mikroskopische Methode in Betracht kommt, glaube ich, ist dies Verfahren das allein grund- legende und allein streng wissenschaftliche, und ebenso glaube ich auch, dass es für die Zukunft vorbildlich sein rauss. Es war falsch jene der indirekten Theilung eigenthümlichen ') Gelegentlich sei erwähnt, dass ich auf der Anatomenversammlung zu Berlin (1896) ein Modell zum Spannungsgesetz gezeigt habe, welches sich nach der Thei- lung des Centrums durch Wirkung eben dieses Gesetzes von selbst in zwei symme- trische Hälften zerlegt, gerade so wie eine Mutterzelle in zwei Tochterzellen sich theilt. Wenn dies nicht einen wirklichen Fortschritt unserer Erkenntniss auf Grund der naturwissenschaftlichen Deduktion bedeutet, so möge man mir sagen, wo die naturwissenschaftliche Ueduktion mit den Erscheinungen des Lebens zu noch grösserer Uebereinstimmung zusammengetroffen ist. Ueber Mikrocentren in den Geweben des Vogelembryos etc. 213 Bewegungen des Zellinhaltes ihrem mechanischen Wesen nach allein aus sich heraus begreifen zu wollen, vielmehr musste zuerst die Lehre vom Gleichgewicht, von der Statik ruhender Zellen, von der bis dahin noch nicht einmal der Begriff vorhanden war, einigermaassen in's Reine gebracht sein, ehe die entsprechende Lehre von der mitotischen Dynamik mit Aussicht auf dauernden Erfolg in Angriff genommen werden konnte. Man möge es mir nicht übel nehmen, dass ich mich in Obigem betreffs meiner Absichten und vermeintlichen Erfolge ganz unumwunden ausgesprochen habe, denn die Schrift Boveri's scheint mir zu beweisen, dass es Leute giebt, die ein Verständniss für die von mir an's Licht gezogenen neuen Gesichtspunkte entweder nicht haben oder nicht zeigen wollen. Um so dankbarer muss ich es anerkennen, dass es einige Autoren giebt, die meine Absichten nicht nur gewürdigt, sondern auch meine Auffassung bezüglich des fernerhin einzuschlagenden modus pro- cedendi getheilt haben ; diese Autoren sind Reinke, von Siedlecki, VON KOSTANECKI. Ich sage als sicher voraus, dass es nur nach einer Festlegung der statischen Verhältnisse der ruhenden Zelle gelingen wird, die Mechanik der Mitose mit Erfolg zu behandeln, und gerade das Verfahren aus der Statik der ruhenden Zelle auf die Dynamik der Theilung zu dedu- ciren jeignet sich in hervorragendem Maasse die verschiedentlichen während der Theilung durch einander spielenden Processe von einander kritisch zu sondern und der Einzelbetrachtung zugänglich zu machen. ^) Inzwischen habe ich übrigens schon darauf hingewiesen,') dass der experimentelle ßweis für das Spann ungsgesetz und für dessenGültigkeitwährendderMitosebereitsseitLangem erbracht ist und zwar durch jene zahlreichen Untersuchungen, welche die ,, Furchung unter Pressung" behandeln. Nach dem Spannungs- gesetz lassen sich die Effekte solcher Versuche voraussagen , oder besser ausgedrückt: die Furchung unter Pressung verläuft nach den Vorschriften des Spannungsgesetzes.-') *) Ich mache nebenher darauf aufmerksam, dass es ganze Wissenschaften giebt, die sozusagen tagtäglich von der systematischen Deduktion leben, so z. B. die Physik und Chemie, welche immerfort aus der Molekular- und Atomentheorie heraus auf die Natur deduciren; dabei sind diese Dinge aus der griechischen Philosophie hergeholt. Weit umfassende Theorien, welche auf komplicirte Erscheinungen Bezug nehmen, werden immer nur per deductionem sich erhärten können, dies nicht auf einmal, sondern im Laufe der Zeiten. 2) Cytomech. Studien, S. 557 ff. ^) Diese Versuche haben bei sehr verschiedenen Eiern im Grossen und Ganzen die nämlichen ßesultate geliefert; man darf schliessen, dass dies überall und immer so sein wird. Die Furchung unter Pressung verläuft mithin nach Maassgabe des Spannungsgesetzes, gleichviel ob centrirte Systeme in solchen Eiern für uns sichtbar sind oder nicht. Ist es werthvoll, grobsinnliche Unterlagen 214 Dr« M. Heidenhain und Dr. Theodor Cohn. Ich komme nun abermals auf die Cylinderzellen und die Ab- leitungen, die ich für diese aus dem Spannungsgesetze gemacht habe, zurück. Ich hatte ausgeführt, dass auch bei diesen Zellen die Mikro- centren auf eine Linie zu liegen kommen müssen, welche durch Kern- und Zellmittelpunkt hindurchkonstruirt wird. Dies trifft zu, wie wir schon wissen. Dann, ferner hatte ich , zuletzt mit mathematischer Sicherheit, ^) abgeleitet, dass die Spindelfigur senkrecht zu eben dieser Linie, der Zellenachse, stehen muss. Auch dies trifft zu, denn ich kann z. B. in der Nachbarschaft des Centralkanals bei unseren Em- bryonen Tausende von Theilungsfiguren beobachten, deren Achsen, in der übergrossen Mehrzahl wenigstens, paratangential zur Oberfläche des Epithels stehen; daher ordnen sich die Tochterzellen in einer Schicht neben einander i.mJ) Zur weiteren Erläuterung des Bisherigen diene inzwischen noch Folgendes. Es ist selbstverständlich, dass die Spindel im ein- fachsten Falle, und bei mechanischen Kalkulationen müssen wir immer von den einfachsten, nicht von den komplicirteren Fällen aus- gehen, senkrecht über der Achse der Mutterzelle stehen muss. Denn werden durch eine Zeilentheilung zwei Tochterzellen so gebildet, dass in den beiden Zellhälften, welche den künftigen Tochterindividuen entsprechen, die gleichen Processe in der gleichen Weise zum Ablauf kommen, so müssen auch auf die beiden Tochtercentren in gleichen Zeiten die gleichen Kräfte einwirken. Dann würden die Bahnen der Tochtercentren symmetrische, spiegelbildliche Kurven bilden und es würde die Verbindungslinie der Centren, bezw. die Spindel immer derart verschoben werden, dass sie jederzeit mit sich parallel bleibt (parallelachsige Verschiebung) oder, anders ausgedrückt, jederzeit die Richtung senkrecht zur ursprünglichen Achse der Mutterzelle innehält. Treten im einfachsten Falle die beiden Tochtercentren au entsprechende! symmetrische (gegenüberliegende) Stellen des Kerns, wobei der Kern selbst in seiner Lage verharren oder, wenn er Anfangs excentrisch lag, in der Richtung der ursprünglichen Achse der Mutterzelle nach dem Centrum des Zellkörpers einrücken kann, so kann die ganze Form der Bewegung beurtheilt werden nach der Bewegung der Achsen der für die Theorie überall zu haben, so sind sie doch nicht das allein Ausschlaggebende. Auch Atome und Moleküle sieht man nicht. Folgerichtig habe ich das Spannungs- gesetz von der centrirten Struktur abgeleitet, anwendbar ist das Gesetz auch dort, wo man eine centrirte Struktnr nicht sieht. ^) Cytomech. Studien, S. 631 £f. 2) Die definitive Lage der Spindelfigur ist bereits bestimmt, wenn das Mutter- mikrocentrum sich getheilt hat. Hiergegen wendet sich H. E. Ziegler nach Unter- suchungen am lebenden Objekt. Der Autor „denkt" (!) sich die Centrosomen „mit Leichtigkeit und mit Sicherheit" in die lebenden Zellen hinein. Diese Methode die Oentren durch „Denken" darzustellen ist gewiss vorzüglich, indessen bleibe ich lieber beim Alten und färbe sie mit Eisenhämatoxylin. Ueber Mikrocentreu in den Geweben des Vogelembryos etc. 216 werdenden Tocliterzellen, d. h. nach der Bewegung jener Linien, welche von dem Centrum des Kerns aus je durch die beiden sich von einander entfernenden Tochtercentren hindurchkonstruirt werden können. Bezeichnen wir die Zellenachse, da sie jederzeit von dem Massenmittel- punkt des Kerns und des Mikrocentrums getragen wird, als Radius vector, so bekommt das Gesetz eine Fassung, welche auffallender- weise der äusseren Form nach sehr ähnlich ist dem ersten Keppler- schen Gesetze: . ,,Die Centren bewegen sich um den Kern in ebenen Kurven, so dass ihre Verbindungslinien mit dem Kern, die Radii vectores, in gleichen Zeiten gleiche Fläch en- räurae beschreiben." Dies ist das Schema, das Grundgesetz oder besser: die Grund- form der Bewegung der Tochtercentren im einfachsten Fall (!), wie sie sich herstellen muss nach Maassgabe des Spannungsgesetzes. Wenn auf die Tochtercentren jedoch in gleichen Zeiten ungleiche Kräfte wirken, so erhalten wir die Oscillationen der Spindelfigur, von denen EL. E. Ziegler spricht. Jedoch ist dies kein mechanisch ein- facher, sondern ein sehr komplicirter Fall, der nicht zur Grundlage • genommen werden darf, i) Die Natur findet offenbar Mittel und Wege, um, wo es noth thut, von der oben ausgesprochenen Regel der Spindelstellung quer zur Achse der Mutterzelle abzuweichen, denn an solchen Cylinderepithelien wie sie z. B. in den Urwirbeln oder in dem Neuralrohr gegeben sind, trifft man hier und da Spindeln, deren Achse auch nicht annähernd paratangential zur Epitheloberfläche gestellt ist. Bei den Urwirbeln findet man die Spindeln mitunter sogar in der Richtung senkrecht zur Oberfläche und dürfte diese Stellung vielleicht damit zusammen- hängen, dass ab und an einmal Zellen in den Urwirbelkern hinein ab- gegeben werden. Da haben wir Specialfälle, die für sich besonders untersucht werden müssen. Nun wollen wir aber einmal festhalten, dass auf eine längere Zeit hinaus ein solches Epithel, wie das des Centralkanals, einschichtig ist und bleibt und dass die Achsen der Tochterzellen noch zur Zeit der ^) Als Probe für die BovERi'sche Art gegen das Spannungsgesetz zu argumen- tiren möge hier angeführt werden, dass es der Autor nicht verschmäht den Process der Richtungstheilungen ins Feld zu führen, weil dieser sich mit dem Spannungs- gesetz nicht unmittelbar zur Deckung bringen lässt. Entweder ist Bovebi in der That davon überzeugt, dass bei den Richtungstheilungen, durch welche zwei toto coelo verschiedene Abkömmlinge gebildet werden, dieselbe Mechanik herr- schen müsse wie bei denjenigen Formen der Theilung, durch welche gleich- werthige Tochterzellen sich erzeugen, — dann hat Boveri in der That nur eine geringe Einsicht in das Wesen mechanischer Dinge, oder es kam dem Autor nur darauf an angebliche „Einwendungen" zu erheben, die keine sind. Ueber diese Alter- native mag das wissenschaftliche Publikum entscheiden. 216 Dr. M. Heidenhain und Dr. Theodor Cohn, Anaphase in der übergrossen Mehrzahl der Fälle paratangential orien- tirt sind, während sie in der darauffolgenden Zellenruhe dann sämmt- lich gegen die erstere Stellung um 90 -' gedreht sind ; dann folgt hieraus, dass eine solche Drehung des Radius vector um 90 ^ während der mitotischen Schlussbewegung stattfinden miiss! Und dies hatte ich schon 1893 aus dem Spannungs- gesetz abgeleitet, dass eine Drehung der Achse um 90" während der Telokinese die Bedingung der Entstehung eines einschichtigen Cylinderepithels ist. Die Drehung selbst habe ich bis zum heutigen Tage noch immer nicht beobachtet. Allein hier habe ich Tausende von ruhenden Zellen, deren E.adii vectores von der freien zur basalen Fläche des Epithels gehen, und dort ebenso Tausende von Theilungsfiguren, deren Spindeln in der Richtung der Epithelebene liegen: also ist de facto erwiesen, dass eine Schlussdrehung um den Betrag von 90" wirklich statt hat. Tritt diese nicht ein, dann muss ein Dickenwachsthum des Epithels resultiren. Das Genauere möge man a. a. 0. nachles,en. ^) Im Anschluss an diese, wie man sieht, thatsächlich zutreffenden Erwägungen betreffend die Entstehung eines einschichtigen Cylinder- epithels habe ich dann die Frage aufgeworfen, ,,ob nicht am Schlüsse der Mitose in vielen specifisch geordneten Gewebsformen gesetzmässig regulirte Drehungen des Zellinhaltes zu Stande kommen, welche die Lage der Zellenachse und damit auch wieder die Lage der nächst- folgenden mitotischen Spindelfigur bestimmen". „Für den vollständig entwickelten thierischen Körper würde jene durch die Rotation der Zellenachse gemessene Drehung des Zellinhaltes an einer bestimmten Stelle für alle im Laufe der Jahre auf einander folgenden Zellgenerationen einem ganz bestimmten Winkelwerth gleich- kommen. Für die Embryonalentwicklung müsste dagegen wegen der nach verschiedenen Raumesrichtungen hin in gesetzmässiger Weise sich vollziehenden Zellentheilungen eine von vornherein festgelegte, ordnungsmässig im Laufe der Zellgenerationen sich vollziehende Aende- rung der Winkelwerthe statt haben.'* Auf eine genauere Verfolgung dieses nur in allgemeiner Weise vorgestellten Problems (Problem der gesetzmässigen Drehungs- winkel) habe ich mich niemals eingelassen. Braus ^) hat sich in- zwischen gegen den angeregten Gedankengang ausgesprochen; der Autor weist auf die Materialverschiebungen während der Entwicklung hin. Nun, gewiss ist mir dies bekannt, dass z. B., wie Braus meint, ein einschichtiges Epithel auch auf anderem Wege zu Stande kommen ^) Neue Untersuchungen etc., S. 719. ") Ueber Zelltheilung und Wachsthum des Tritoneies. Jenaische Zeitschr. Bd. XXIX, N. F. XXII. 1895. lieber Mikrocentren in den Geweben des Vogelembryos etc. 217 kann, als lediglich durch paratangentiale Stellung der Spindeln und dass ebenso gewiss auch eine mehrschichtige Zellenlage sich herstellen kann ohne Aenderung der Theilungsrichtung. Aber davon war ja auch überhaupt nicht die Rede. Dass celluläre, und nicht blos diese, sondern auch Massenverschiebungen grösseren Urafangs im Laufe der Entwicklung eine grosse Eolle spielen, weiss jeder, der Entwick- lungsgeschichte getrieben hat. Davon war die Rede, dass durch die Zellenth eilung eine bestimmte Aufstellung des Zellenmaterials erwirkt wird, an welchem dann sekundär mannigfache Verschiebungen und Umwälzungen stattfinden können. Es handelt sich um die Frage, wie die Gesetzmässigkeit der primären Zusammenordnung der Zellen zu erklären ist. Beide Processe der Theilung und der Verschiebung laufen ja in Wahrheit durch einander; bei der begrifflichen Sonderung zum Zweck der mechanischen Analyse ist indessen die Untersuchung des für die räumliche Orientirung in Betracht kommenden Effektes der Zellentheilung voranzustellen. Ich vermeide nun, gerade so wie früher, auch heute bei der Schwierigkeit der ganzen Frage ein genaueres Eingehen auf das in Rede stehende Problem der gesetzmässigen Drehungswinkel. Ich begnüge mich in- zwischen mit der Feststellung, dass bei solchen Cylinderepithelien, welche einschichtig sind und bleiben, ein gesetzmässiger Drehungs- winkel von 90** vorhanden ist, und ich betone, dass sich der heu- ristische Werth des Spannungsgesetzes gelegentlich der Auffindung dieses bedeutenden Faktums wiederum von Neuem in glänzendem Lichte gezeigt hat. Denn es gelang auf Grund der Theorie eine Vorhersage zu machen und die Thatsache selbst dann hinterher am Objekte aufzufinden. Schon einmal hatte sich mir das Spannungsgesetz als ein hervorragendes heuristisches Princip bewährt, als ich nämlich die Telophasen der Mitose auf Grund desselben entdeckte. Ich habe aber gleichzeitig mit der eben besprochenen Verifikation der Be- hauptung des Vorkommens specifischer Drehungswinkel noch eine weitere sehr merkwürdige Ableitung aus dem Spannungsgesetze durch zahlreiche Beobachtungen erhärten können. Hierauf will ich nun gleich zu sprechen kommen. Die Specialisten auf dem Gebiete der Zellenlehre werden sich entsinnen, wie ich für den Leukocyten(!) den positiven Nachweis führen konnte, dass dort die innerhalb eines Mikrocentrums enthaltenen Centralkörper gegenüber dem Kern keinerlei bestimmte Orientirung innehalten. Somit trat ich Fleimming entgegen, ^) der in den Fällen, wo zwei Centralkörper vorhanden sind, durch diese eine Führungs- ^) Neue Untersuchungen etc., S. 518 ff. 218 l^i*- M.. Heidenhain und Dr. Theodor Cohn. linie hindurchlegte in der Meinung, dass eine solche Linie in An- sehung der Zellstruktur einen besonderen morphologischen Werth haben müsse. Ich sprach der FLEMMiNG'schen Konstruktionslinie, da die Lage der Centralkörper beim Leukocyten durchaus wechselnd erschien, die vermuthete besondere Bedeutung ab. Indessen habe ich meine damals berechtigte Polemik gegen Altmeister Flemming mit folgenden Worten geschlossen (S. 523, x\bs. 41): „Ich muss es schliesslich als möglich bezeichnen, dass bei fixen Gewebezellen die Lage der beiden Centralkörper eine fixe werden könnte." „Sollte sich dieses herausstellen, dann würden wir, wie ich meine, vor einer fundamentalen Thatsache stehen, welche den nächsten An- haltspunkt für eine allgemeine Theorie der Gewebe geben würde. In- dessen halte ich vorläufig die angedeutete Wahrscheinlichkeit für eine sehr geringe." (Es folgen hierauf noch einige Ausführungen über die von Flemming vermutheten Beziehungen zwischen der relativen Lage der Centralkörper einerseits und der RABi/schen Polarität anderseits; diese Dinge will ich für heute nicht wieder aufnehmen und bitte im Bedarfsfalle im Original nachzulesen.) Diese in dem citirten Passus meiner früheren Schrift betonte Möglichkeit, dass vielleicht im Gegensatz zu amöboid beweglichen Leukocyten die fixen Gewebezellen eine konstante Orientirung der Centralkörper zeigen könnten, hatte ich rein theoretisch, deduk- tiv, auf Grund des Spannungsgesetzes herausgerechnet. Für den Eventualfall, dass bei fixen Zellen eine fixe Lage der FLEMMixG'schen Achse sich herausstellen sollte, hatte ich mir bereits die grundlegende Bedeutung eines solchen Faktums klargelegt. Wenn ich aber trotz dessen die in Erwägung gezogene Wahrscheinlichkeit des Zutreffens meiner Deduktion für eine sehr geringe erklärte, so war für mich der Gedanke maassgebend, dass theoretische Ableitungen, welche auf ein derartiges Detail hinauslaufen, wie es die gegenseitige Orientirung der Centralkörper ist, zur Zeit keine Aussicht auf Verifikation am Objekte haben könnten. Hierin wird Niemand eine besondere Inkon- sequenz erblicken, denn erstlich gab es damals noch kein Beispiel dafür, dass auf Grund einer mechanischen Theorie der den Zellinhalt bewegenden Kräfte weit ausschauende Vorhersagen gemacht werden könnten, und zweitens glaubte ich, dass die feineren Effekte einer all- gemeinen gesetzmässigen AVirkungsweise in der Natur sehr leicht durch Wirkungen von Nebenursachen zum Verschwinden gebracht werden könnten. Es zeigt sich nun aber, dass die beiden Centralkörper, welche der Regel nach das Mikrocentrum der Cylinder- zelle ausmachen, eine konstante Orientirung besitzen, nämlich in dieRichtung dervonmirsogenanntenZellen- Ueber Mikroeentren n den Geweben des Vogelembryos etc. 219 achse oderdes Radius vector zu liegen kommen. Mithin fällt bei dieser fixen Zellenform die durch die beiden Centralkörper hindurchgelegte Linie (FLEMMiNG'sche Achse, Nebenachse, zweiter Leitstrahl) mit der von Mikrocentrum und Kernmittelpunkt getra- genen Linie (Hauptachse, Radius vector, ersterLeitstrahl) zusammen! Diese Uebereinstimmung von Theorie und Thatsache enthält, wie ich denke, eine ausserordentliche Beweiskraft zu Gunsten meiner theo- retischen Aufstellungen. Es erübrigt, die thatsächlichen histologischen Verhältnisse des Mikrocentrums der Cylinderzellen genauer zu be- sprechen und die Ursachen der specifischen Orientirung der Central- körper nach den Principien des Spannungsgesetzes zu entwickeln. Das Mikrocentrum besteht der Regel nach, wie schon erwähnt, aus zwei, zuweilen auch aus drei, mitunter wohl auch aus einer noch grösseren Anzahl von Centralkörpern. Indessen sind die Zwillings- pärchen am häufigsten zu beobachten. Die Form des Einzelkörper- chens ist gewöhnlich eine kuglige ; es kommen aber nicht selten auch unregelmässige Gestaltungen vor, durch welche der Anschein erweckt wird, als ob während der Zellenruhe Knospungsprocesse an den Cen- tralkörpern stattfinden, die zur Vermehrung ihrer Gesaramtsumme innerhalb des Mikrocentrums führen. Diesen Punkt kann ich Mangels eingehender Erfahrungen nicht genauer besprechen und ich halte mich im Folgenden lediglich an die der Zahl nach überwiegenden Fälle, wo zwei Centralkörper gefunden werden. Zieht man die durch sie be- stimmte Führungslinie, die FLEMMiNG'sche Achse, aus, so zeigt sich, dass sie in einer sehr grossen Zahl von Fällen mehr oder weniger genau mit der Hauptachse zusammenfällt (Fig. 1 u. 2). Doch kommen viele bedeutendere Abweichungen von der Regel vor. Dies ist nicht dahin zu verstehen, als ob irgend ein Mikroskopiker beim Anblick der Präparate auch nur einen Augenblick darüber im Zweifel sein könnte, dass die Nebenachsen bei der Cylinderzelle thatsächlich die behauptete Orientirung im Allgemeinen besitzen; denn die bestimmte Stellung der Doppelkörperchen fällt sofort als etwas besonders Merkwürdiges in's Auge. Man kann da ohne Weiteres ganze Serien von Zellen auf- finden, bei denen Haupt- und Nebenachsen annäherungsweise zusammen- fallen. So entsinne ich mich z. B. eines Falles, wo ich in der Wand eines Urwirbels neben einander 17 Mikroeentren zählen konnte, welche alle die besprochene Orientirung in übereinstimmender Weise zeigten, da kann natürlich von Zufälligkeiten keine Rede mehr sein. Forscht man aber im Einzelnen genauer nach, so fällt auf, dass Abweichungen etwa bis zu 45 ^' noch ziemlich häufig sind. Auch verhalten sich hierin verschiedene Cylinderepithelien verschieden. Bei den Zellen des Neural- rohres sind die Abweichungen offenbar häufiger, bei denen des Ento- derms seltener. Die Urwirbelzellen habe ich speciell daraufhin unter- 220 Dr. M. Heidenhain und Dr. Theodor Cohn. sucht, ob der Fall häufig sei, dass zweiter und erster Leitstrahl sich rechtwinklig schneiden, eine Anordnung, die das Extrem der mög- lichen Abweichung vorstellen würde. Ich kann nun versichern, dass CD B ^^ s c*- JO P cf5' g_ B B c o' er "'. •-j R- CD O B' a' !^ b' ty co_ 5' CD B g &I 2. p: C5 iy co' CD c" C5 B B •-s B" B § 2. P <-t 00 CD 2 5 i-S pr CD B' tö CD a «ri- g= g 'S CO B eb B P O CD 00 CD 00 CD 1 CD B o B' CD B O 'S < o B W o CD p: o: 1-1 CD CL CD P 00 irl- CD J^ B & 00 C er CL CD Ol p CD 'S. p Ol -j oo' B CD CD_ b' CD n> w CD B o' C5 CD t^ ^ C5 ö CD B O o P 2 CL ►ö 5' CD CD cd_ 2- S' >-t N B B CD B p: OQ B so CD, PL t« jq' cd' B s o: 'S CD B Ol OD CD TS CD ty 'S ö CD (K! O B CD CD. cT B o rr CD B B (Tl- CD B CD B er CD o' B- 5" er ^ 'S PL Vj CD O § P > B .^ CD tri- B CD CD KJ. o' CTQ CD B P B' •-s o: b' B 00 CL, Cb °°. 00 CD CD o' >-J b ^' direkte, noch eine indirekte Kern- theilung oder auch nur Spuren einer solchen wahrgenommen; der Process der Entstehung dieser Zellen schien zum Stillstand gekommen zu sein, worauf auch eben der Umstand hindeutet, dass viele dieser Zellen die deutlichen Er- scheinungen des inneren Verfalls aufwiesen. Die Form der Zellen ist im einfachsten Falle eine rundliche (Fig. 1 und 2), rundlicheckige, *) Einige der grössten Zellen habe ich ausgemessen ; sie raaassen 25 : 21 ; 27 : 18; 31:22,5; 3&:27; 36:22,5; 36:25 ,«. 230 M. Heidenhain. ovoide, häufig auch den räumlichen Bedingungen der Umgebung mehr oder weniger angepasste ; trifft dies letztere zu, so weist der äussere Figur 2. Riesenzelle mit auseinandergezogenem Mikrocentrum. Dieses zeigt rechts und links je eine grössere Anhäufung von Centralkörpern, welche untereinander durch einen Strang der Zentralkörper- Zwischenraasse verbunden sind. In letzterem sind einige Centralkörper ein- gesprengt. Um das Mikrocentrum ein sphärenartiger Protoplasmahof. In der Zellsubstanz eine undeutliche Radiär- faserung. Kerne anscheinend normal. Durchmesser der Zelle 25 : 20,5 fi. Längsausdehnung des Mikrocentrums = 5,5 fi. Vergrösserung : 2500. Zellkontour allerhand dementsprechende Unregelmässigkeiten auf(Fig7). Es ist nun eben sehr bemerkenswerth , dass diese Riesenzellen — natürlich abgesehen von den oben erwähnten plasmodienartigen, nur mehr oder weniger zellenähnlichen Körpern — trotz mannigfacher Variabilität im Einzelnen doch alle den nämlichen inneren Habi- tus aufweisen, so dass wir eine merkwürdige Uebereinstimmung der inneren Konstitution finden. Wie sich gleich zeigen wird, haben diese pathologischen Zell formen eine Architektur, welche durchaus nach Analogie normaler Zellen ge- bildet ist. Ich beginne die Detailschilderung mit der Darstellung der Ver- hältnisse des Mikrocentrums. Dieses ist, wie schon erwähnt wurde, entweder einfach, — dies wäre der gewöhnliche Fall, — oder es ist mehrfach in zwar seltener vorkommenden, aber im Ganzen doch zahl- reichen Fällen (Fig. 5). Ist nur ein einziges Mikrocentrum vorhanden, so liegt dasselbe rein central. Diese Aufstellung des Centrums ist so typisch und so charakteristisch, dass man bei der Durchmusterung einer grösseren Anzahl von Zellen nur immer wieder über die strenge Durchführung dieser Stellungsregel erstaunt sein kann. Bei so grossen Zellen wird man natürlich nicht verlangen können, dass auf jedem einzelnen Durchschnitt das Mikrocentrum genau den geometrischen Mittelpunkt innehält. Vielmehr würde, wenn eine geometrisch genaue Taxation der Lage ermöglicht werden sollte, nöthig sein, dass der ganze Zellenkörper aus der Schnittserie körperlich sich rekonstruiren Hesse. Einen solchen Versuch zu machen, erschien überflüssig, da schon eine flüchtige Durchsicht der Präparate bezüglich der centralen Ueber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 231 Aufstellung des Mikrocentrums vollständig überzeugend war. Dass die Mitte oder der Schwerpunkt des Zellkörpers der natürliche Ort des Mikrocentrums sei, das hatte ich zuerst auf Grund meiner Unter- suchungen am Leukocyten erschlossen, obwohl bei dem Gros der ordi- nären Lymphzellen mit kugligem Kern ^) die Zellenmitte de facto vom Mikrocentrum garnicht erreicht werden kann, da nämlich der Durch- messer des Kerns gewöhnlich grösser ist als der Radius des ganzen Zellkörpers und somit der central gelegene Bereich des Zellenkörpers naturgemäss vom Kern mit in Beschlag genommen wird. Hier aber haben wir eine Zellenspecies, bei der die Kerne, da sie relativ klein sind, dem Mikrocentrum in der Platzfrage nicht störend in den Weg treten, bei der auch im Uebrigen der innere Aufbau nicht im Ge- ringsten irgendwie durch besondere Einrichtungen komplicirt ist, und so treffen wir die Centralkörpergruppe genau dort, wo der gewöhnliche Ort ihrer primären Ruhelage ist. Diese Aufstellung des Centrums in der Zellenmitte erklärt sich gerade wie beim Leukocyten durch das Spannungsgesetz, nur dass hier die Wirkung eben dieses Gesetzes auf das Centrum viel reiner zum Ausdruck kommt als dort. Wir werden noch weiterhin sehen, dass diese Riesenzellen in jeder Beziehung eine typische Illustration zum Spannungsgesetz vorstellen. Die Mikrocentren bestehen hier bei unseren Riesenzellen wie überall aus einer Mehrzahl von Centralkörpern. Diese selbst verhalten sich genau so wie beim Leukocyten (Fig. 6). Es sind kleine kuglige Körperchen, deren Durchmesser im Durchschnitt der Schätzung nach noch nicht 0,5 fi beträgt. Sie sind im Uebrigen verschieden gross und im Präparat auch verschieden stark durch das Eisenhäma- toxylin gefärbt; einige sind nur schwach, andere sehr stark tingirt. Figur 3. Kleine Riesenzelle mit central gelegenem Mikrocentrum. In diesem fünf deutliche durch eine Zwischensubstanz untereinander verbundene Centralkörper. Der sphären- artige Protoplasmahof zeigt eine radiäre Streifung aus- gesprochener Art; ebenso ist in der Zellsubstanz eine Radiärfaserung deutlich. Vergr. : 2500. Diese Centralkörper sind innerhalb des Mikro- centrums durch eineZwischenmasse mit- einander verbunden, welche meist recht gut sichtbar ist, und im günstigen Fall durch das Rubin der Präparate stark gefärbt erscheint (besonders in Fig. 1, 2 und 3). Diese Zwischen- masse entspricht ganz genau der Materie der „primären Centrodesmose" ^) Die Lage des Mikrocentrums bei Leukocyten mit mehr oder weniger stark polymorphem Kern ist aus Fig. 6 ersichtlich. 232 M. Heidenhain. beim Leukocyten (siehe Fig. 9). Bei diesem konnte ich nachweisen, dass die Centralkörper gelegentlich ihrer Vermehrung sich nicht in vollständiger Weise von einander isoliren, sondern dass von dem Moment der Trennung der Tochterkörperchen an sich eine schwächer färbbare Masse zwischen sie einschiebt, die im Falle des Leukocyten gewöhnlich die Gestalt bestimmt geformter Bindebrücken annimmt. Eine solche Substanzbrücke nannte ich eine primäre Centrodesmose und zeigte, dass aus ihr gelegentlich der Mitose die Centralspindel (sekundäre Centrodesmose) hervorgeht. Hier bei meinem neuen Objekte zeigt die in Rede stehende Zwischenmasse der Centren keine bestimmte Form, vielmehr verhalten sich die Central- körperchen zu derselben wie die Cliromatinkügelchen Altmann's zu dem Linin, welches die Grundmasse der sogen. Chroraatingerüste bildet. Ein ganz analoger Fall scheint nach den Beschreibungen von Lenhossek's bei den Spinalganglienzellen des Frosches vorzukommen. Auch dort ist eine Vielzahl von Centralkörpern vorhanden, die durch eine besondere Zwischenmasse in näherer Verknüpfung stehen^); diese hielt schon von Lenhossek für das Analogon der primären Centro- desmose beim Leukocyten. Solche Bindebrücken zwischen den Central- körpern ruhender Zellen sind ausser mir auch von Flemming, K. W. ZiMMEEMANN, Peenant, Nicolas, Siedlecki, DE Beuyne, Dehlee ge- sehen worden. Bei den hier mitgegebenen Abbildungen von mehr- kernigen Riesenzellen tritt die verbindende Grund- oder Zwischenmasse des Mikrocentrums mehrfach deutlich hervor, so in Fig. 1 bis 3. Be- sonders einleuchtend ist jedenfalls die Figur 2. Hier ist das Mikro- centrum dem Anscheine nach in Zerschnürung begriffen und die beiden Theilhälften hängen zur Zeit noch durch einen Strang zusammen, welcher der auseinandergezogenen Grundmasse des Mikrocentrums ent- spricht; in den Verbindungsstrang sind charakteristischer Weise mehrere Centralkörper eingesprengt. Die Mikrocentren haben bei verschiedenen Riesenzellen eine ver- schiedene Form und Grösse. Im Allgemeinen ist ihr Umfang in klei- neren Zellen geringer als in grösseren. In den grössten Riesenzellen haben wir entweder ein einfaches Mikrocentrum von bedeutendem Um- fang oder an Stelle dessen mehrere kleinere. In den kleineren und kleinsten Zellen unserer Species fanden sich natürlich auch nur wenige Centralkörper, in den grössten Exemplaren dagegen mögen häufig 40 — 50 Stück vorhanden gewesen sein. Trotz aller Varian- ten der körperlichen Ausbildung, die an diesen Centren zu Tage treten, habe ich doch niemals wie bei den Riesenzellen des Knochen- markes eine eigentlich so zu nennende „Centralkörperverstreuung" auf- ') VON LenhossM (Nr. 23) beschreibt bei den Spinalganglienzellen des Frosches ein typisches Mikrocentrum; hinsichtlich der Terminologie schljesst sich jedoch der Autor näher an Boveei an (S. 359 f.). lieber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 233 gefunden, wie ausdrücklich hervorgehoben zu werden verdient (vergl. z. B. Fig. 16). Vielmehr waren hier die Centralkörpergruppen immer dicht geschlossene, eng umgrenzte Häufchen. In den kleineren Zellen herrschen rundliche Mikrocentren vor (Fig. 1, 3, 8), welche eine Grösse von 2 : 3,5 (.i erreichen können. In Zellen bedeutenderen Umfangs wird ihre Gestalt häufig unregel- mässig und besonders sind sie gerne in einer Richtung stark verlängert, so dass sie dann im Ganzen als stäbchenförmige Gebilde er- scheinen (Fig. 7). Namentlich in ovoiden Zellen trifft man Mikro- centren, die in der Richtung der langen Achse des Zellkörpers band- förmig ausgezogen sind. Die grösste Längenausdehnung solcher Stäb- chen- oder bandförmiger Mikrocentren maass ich in verschiedenen Fällen zu 4,5 (.1, 6,3 i-i, ja selbst zu 9 und 10 f.i., während dabei allerdings die Breitenausdehnung immer gering ist und gewiss durchschnittlich nicht über 1 i-i beträgt. Die Oberfläche solcher Stäbchen erschien natürlich in Folge der von Stelle zu Stelle hervorspringenden und bald mehr bald weniger sich häufenden Centralkörper unregelmässig. Die Stäb- chen zeigten sich auch nicht immer völlig gerade, sondern waren mit- unter geknickt, hakenförmig oder im rechten Winkel umgebogen (Fig. 4). Figur 4. Schöne, grosse Riesenzelle von 35 : 27 fi Durchmesser. Mikrocentrum kruramstab- ähnlich , central gelegen. Kerne in peripherer Stellung, zum Theil degenerirt. Links oben mehrere grosse Vakuolen : Reste völlig zu Grunde gegangener Kerne. Zellsubstanz in körnigem Zerfall. Vergr. : 2500, 234 M. Heidenhain. Der Fall, dass mehrere selbstständige Mikrocentren nebeneinander existiren , ist bei grossen Riesenzellen nicht selten. Wie es zur Ausbildung dieser mehrfachen Centren kommt, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die blossen histologischen Bilder nahmen sich mitunter so aus, als ob ein einfaches Mikrocentrum gerade eben im Begriff wäre, durch direkte Zerschnürung sich in mehrere Theilstücke zu zerlegen (Fig. 2). Doch ist es sehr wohl möglich, dass diese Formen der Mikrocentren die in Frage gestellte Bedeutung eben nicht haben und dass es sich auch in diesen Fällen um eigen- ■ '^ \ thümliche stationäre, ruhende '0 Zustände der Mikrocentren han- 1f. -^M*»" ■ .^.. ^^ ,^,...^_ delt. Ich habe mit Sicherheit Figur 5. Grosse Riesenzelle mit mehrfachen Mikrocentren. Im Präparate selbst imponirten die Centralkörper, welche nach rechts oben liegen als drei ver- schiedene Gruppen, welche indessen soeben durch Theilung entstanden zu sein schienen. Auch hier Beginn des cellulären Zerfalls; unten ein zu Grunde gegangener Kern. Vergrösse- rung : 2500. bis ZU acht vollständig voneinander isolirte Centren beobachten können. In diesen Fällen lagen die mehrfachen Centralkörperhäuf- chen in dem mittleren Gebiete des Zellleibes, so dass sie einen von Kernen freien centralen Binnenraum der Zelle gleichsam besetzt hielten (Fig. 5). Ich will nun zunächst das Wenige mittheilen, was betreffs der Kerne dieser Zellen von Belang ist. Ihre Form und Grösse ist die bei gewöhnlichen Epithelkernen der Säuger uns gewohnte; sie sind demnach kuglig oder ovoid gestaltet und messen in verschiedenen Fällen 6 bis 7 bis 8, 5 zu 8, 7 zu 9 ;tt. Ihre Lage ist durch - gehends eine periphere! Nichts wirkt beim Anblick dieser Zellen so nachhaltig auf den Beschauer, wie die durchaus gesetzmässige Lage von Mikrocentrum und Kernen. Auch ohne die Kenntniss meiner Schriften würde unzweifelhaft jeder nachdenkende Beobachter ein den Zellinhalt betreffendes Gesetz vermuthen, welches diese eigenthümliche Ordnung der Theile bedingt und für die Dauer erhält. Ich aber habe noch keine andre Zellenform gefunden, an welcher das Spannungsgesetz in so reiner Weise zum sichtbaren Ausdruck käme wie hier. Es ist, als ob die Natur diese Zellen gebildet hätte, um das Spann ungs- lieber die Mikrocentren verschiedener Riesenzellen etc. 236 gesetz durch sie zu illustriren. Beim Leukocyten konnte die gesetz- mässige Aufstellung von Mikrocentrum und Kern nur durch eine strenge Vergleichung vieler Einzelfälle erschlossen werden, und meine Ausführungen mussten damals an überzeugender Kraft verlieren, weil ein besonderes Nachdenken, eine besondere Berechnung dazu ge- hörte, um sich in die räumlichen Verhältnisse des Leukocyten hinein- denken zu können. Damals wurde behauptet, dass das Spannungsgesetz die Tendenz verfolgt, einerseits das Centrum nach der Zellenmitte ein- zurücken, andrerseits die Kerne nach der Peripherie hinzutreiben. Wegen der relativen Grösse des Kerns beim Leukocyten kommt in- ^ a A \ Figur 6. Leukocyten aus dem Kaninchenknochenraarke. Bordeaux-Eisenhämatoxylin. Das Strichkreuz giebt die genaue Orientirung des Mikrocentrums an: die eine Linie des Kreuzes geht durch die beiden grösseren Centralkörper, die zweite Linie steht senk- recht zur ersten und geht durch das dritte Körperchen. Bei a, c, e und f ist die Papierebene als Symmetrieebene des Kerns zu betrachten und enthält zugleich die drei Centralkörper; bei b und d ist ein hufeisenförmiger Kern in seinen beiden Schenkeln quer durchschnitten worden. (Wiederholung der Fig. 28-33 aus Nr, 16.) Vergr. : 2500. 236 ^- Heidenhaiii. dessen die dem gegenseitigen Lagerungsverhältniss von Mikrocentrum und Kern innewohnende Gesetzmässigkeit meist nicht zum frappanten Ausdruck. Man sieht in den ganz gewöhnlichen Fällen einen kugligen, grossen Kern, der von einem relativ geringen Protoplasmamantel um- geben ist. Dass dieser einerseits am Kern dicker ist als andrerseits, wird man wohl gewahr, allein man bedarf einer besonderen Anstrengung, um die Lage der Dinge nicht vom Standpunkt des Kerns, sondern von dem des Zell leib es anzusehen und sich demgemäss herauszu- rechnen, dass der Kern im Zellenleibe „excentrisch*', „peripher" gelegen ist. Desgleichen gewahrt man leicht die Lagerung des Mikro- centrums in der Tiefe des Protoplasmamantels dort, wo er am stärk- sten ist, ganz in der Nähe der Kernoberfläche ; dass aber diese Neben- einanderstellung von Mikrocentrum und Kern keine obligatorische, sondern nur eine indirekt vermittelte ist und auf der gegen die Zellenmitte hin gerichteten Bewegungstendenz des Mikrocentrums be- ruht, dies herauszufinden und sich gegenständlich zu machen, wenn man doch bei Tausenden von Zellen immer wieder Mikrocentrum und Kern vergesellschaftet findet, dazu gehört schon eine recht gründliche Durcharbeitung des Gegenstandes und die Fähigkeit, vom Alltäglichen abstrahiren zu können. Nur wenn beim Leukocyten der Kern von der Kugelform abweicht und polymorph wird, wird auch die Zellen- mitte von ihm allmählich freigegeben, so dass dann die Centralkörper- gruppe befähigt ist, den Ort ihrer natürlichen Ruhelage einzunehmen (vergl. Fig. 6); dann kann mitunter auch die Thatsache der peri- pheren Ausbreitung der Kernmasse bei der mikroskopischen Betrach- tung stärker als sonst ins Auge fallen. Ganz allein bei den Phagocyten (des Proteus) erhielt ich bisher so unmittelbar überzeugende Bilder wie hier von den Riesenzellen. Denn erst dann, wenn das Volumen der Kernmasse relativ gering und der Umfang des Zellleibes im Verhältniss hierzu recht gross ist, tritt die dem Spannungsgesetz entsprechende Ordnung der Theile mit un- mittelbarer Deutlichkeit hervor. Dem Mikrocentrum stehen alsdann grosse Zellenterritorien zur Verfügung und doch stellt es sich allein in die Zellenmitte ein, und ebenso hätten die Kerne an sich einen weiten Spielraum für ihre Aufstellung, und doch liegen sie ausnahmslos der Zellenperipherie genähert. So bilden sie auf mittleren Durch- schnitten durch grosse kuglige Riesenzellen häufig einen regelmässigen peripheren Kranz; schneidet man freilich tangential durch eine der- artige Zelle, so zeigt der betreffende Schnitt die Kerne über die ganze Fläche hin zerstreut, dann wird man aber auch das Centrum vergeb- lich auf dem nämlichen Durchschnittt suchen. Die Kerne bergen in ihrem Inneren, wenn gut erhalten, ein ziem- lich grobes, in Eisenhämatoxylin stark färbbares Gerüstwerk (z. B. Ueber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 237 \ -^"^^ 's. 7 Fig. 2). Häufig Hessen sich in den einzelnen Chromatinbalken die ALTMANN'schen Kügelchen unterscheiden. Bei den in Entartung be- griffenen Zellen waren die Kerne alle oder zum Theil in Chromato- lyse begriffen; ausserdem zeigten sich, dem Endergebniss der Kern- auflösung entsprechend, garnicht selten grosse blasse Vakuolen, welche nichts anderes mehr als nur einige spärliche Eeste der Kernsubstanz enthielten. Diese Vakuolen lagen ihrer Entstehung gemäss in der von den Kernen innegehaltenen Zone (z. B. Fig. 4 und 7). In eben dieser Region gewahrt man auch vielfach aller- hand Detritusmassen eingestreut in die Grundsubstanz des Zell- körpers, offenbare Ueberreste total zerstörter Kerne. Diese Zerfallsprodukte bewirkten hier und dort, dass die Zellen unrein gefärbt erschienen und nicht gut für mikroskopische Untersuchun- gen brauchbar waren. Was die Zellsubstanz an- langt, so war sie bei den im Absterben begriffenen Exempla- ren deutlich in körnigem Zerfall begriffen (z. B. Fig. 5 und 7), wobei die ursprüngliche Zell- struktur bald mehr, bald weniger deutlich sichtbar sein konnte. Von dieser Hess sich an den besser erhaltenen oder noch intakten Zellexemplaren Folgendes er- mitteln. Das Mikrocentrum lag in einem dunkler färbbaren Plasraahof, welcher als „Sphäre" angesprochen werden muss (z. B. 1, 2, 3 und 8). Nur sehr selten war innerhalb der Sphäre etwas von der radiärstrah- ligen Struktur zu sehen (Fig. 3); meist erschien sie undeutlich körnig. Die Abgrenzung des spliärenartigen Körpers nach aussen hin war in meinen Präparaten nie eine besonders scharfe, doch waren Andeutungen der VAN ßENEDEN'schen Körnerlage hier und dort zu sehen (Fig. 8). Nur bei ganz kleinen, einkernigen plasmareichen Zellen, von denen vielleicht die Entwicklung der Riesenzellen ihren Ausgang nahm, konnte ich in seltenen Fällen eine wirklich scharf umgrenzte, von einem van Figur 7. Riesenzelle in voller Degeneration begriffen. Durchmesser 36 zu 22,5 /ti; Länge des Mikrocentrum 10 /u. In der Peripherie eine grössere Anzahl von Vakuolen, welche Kernreste enthalten; Zellsubstanz in kör- nigem Zerfall. Vergr. : 2500. 238 M. Heidenhain. BENEDEN'schen Mikrosomenstratum eingefasste Sphäre wahrnehmen ^). Ausserhalb der Sphäre zeigte sich die Zellsubstanz bei gut erhaltenen Exemplaren deutlich radiär gebaut und zwar erschien besten Falls die gesammte Zellsubstanz gegen die Sphäre hin centrirt. Bei solchen Zellen war der innere Aufbau genau analog dem des Leuko- cyten. Es fanden sich feine Mitomfäden, welche aus abwech- selnd hell und dunkel gefärbten "'^ Gliedern sich zusammensetzten, •f-,*^^ und diese waren deutlich von Figur 8. Kleinere Riesenzelle mit Sphäre und Andeutung der van BENEDEN'schen 1»., Körnerlage. Kechter Hand am Zell- körper ein von einem Leukocyten herrührender halbkugliger Eindruck. Zellsubstanz in körnigem Zerfall be- griffen, Vergr. : 2500. der äussersten Zellperipherie her bis gegen die Sphäre verfolgbar. Da ich keine Zelle gefunden habe, welche die radiäre Struktur im ganzen Umkreise mit voller Deutlichkeit zeigte, so habe ich hierfür eine be- sondere Abbildung nicht gegeben. Es ist schon bei einem so kleinen Objekte wie dem Leukocyten schwierig solche Individuen aufzufinden, welche die Strahlung einigermaassen gleichmässig nach allen Raumes- richtungen hin erkennen lassen und umsomehr ist dies hier der Fall, wo der Gesammtbereich des Zellenterritoriums so umfangreich ist. Auch bei Zellen, welche schon im Beginn der Entartung standen, war doch noch häufig die centrirte Struktur in Ueberresten zu erkennen (Fig. 1 — 3). Dann treten allerdings die Mitomfäden meist nicht mehr als solche hervor, sondern es fanden sich radiäre Strangwerke vor, die nicht sehr regelmässig geartet waren und wahrscheinlich durch Ver- klebung der Mitomfäden (durch „Yerbündelung") entstanden zu denken sind. Aus allem diesem geht wenigstens soviel mit vollendeter Sicherheit hervor, dass auch bei diesen Riesenzellen pathologischer Natur dem Spannungsgesetz eine Strukturform zu Grunde liegt, welche der beim Leukocyten beobachteten durchaus analog ist. Nach diesen Er- fahrungen wäre es angezeigt, andere plasmareiche pathologische Zell- ^) Die Darstellung der van BENEDEN'schen Mikrosomen, welche den Grenz- kontour der Sphäre bedingen, ist immer recht schwierig. Trotzdem man sie nur selten zu Gesiebt bekommt, scheinen sie doch in sehr vielen Fällen vorhanden zu sein. Neuerdings sah ich sie sehr schön an den Sphären der Mesenchymzellen junger Enteuembryonen. Heber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 239 formen, möglichst solche, welche dem Mesoderm entstammen, also vielleicht Sarkomzellen auf ihre feinere Struktur genauer zu unter- suchen; dies wäre gewiss ein dankbares Gebiet für die cellular-histo- logische Forschung. Allgemeines über Centralkörper. Wenn ich mir in nachfolgenden Zeilen einige Bemerkungen zur Centralkörper frage erlaube, so habe ich für diesmal nicht die Absicht, das ganze Thema ausführlich abzuhandeln. Mein specieller Wunsch geht vielmehr darauf hinaus, mich mit Boveri (Nr. 2) aus- einanderzusetzen und die Hindernisse, die dieser Forscher der von mir ausgearbeiteten Lehre in den Weg gelegt hat, möglichst fortzuräumen. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Entwicklung der Lehre von den Centralgebilden der Zelle in gutem Fortgang begriifen ist. Manche noch vor Kurzem im Schwang befindliche falsche Anschauung hat inzwischen an Boden verloren, und die übereinstimmenden Funde haben sich sichtlich an Zahl vermehrt. So ziemlich verschollen, Dank meinem scharfen Widerspruch, ist die Ansicht, wonach das körperliche Centrum der Zelle „zum Kern"* gehört oder aus seinem Innern sich herleitet. Der neuerdings von mir und Th. Cohn (Nr. 19) erbrachte Nachweis, dass bei sämmtlichen Zellen des jungen Embryos die Centralkörper ausserhalb des Kerns in der Zellsubstanz gelagert sind, dürfte in dieser Beziehung viel Ueberzeugendes haben. Ferner hat die von O. Hertwig aufgestellte Behauptung, dass die Centralkörper etwas mit den Nukleolen zu thun haben, ihre letzte Stütze verloren, nachdem Guignard und Humphrey die angeblich be- weisenden Funde Karsten's einer gerechten und einschneidenden Kritik unterzogen haben. Was die Eigenschaften der Centralkörpermaterie anlangt, so dürfte sich je länger, je mehr entsprechend meinen Ausführungen die Ansicht festsetzen , dass sie specifischer Natur sei (Näheres in Nr. 16, S. 656 ff.). Merkwürdig, dass diese Aufstellung noch Wider- spruch findet, da es doch so leicht ist alle möglichen Zellbestandtheile stark zu tingiren, während es besonderer Mittel bedarf, die Central- körper färberisch genügend hervorzuheben. Diese Thatsache allein, dass die Centralkörpermaterie unserer Technik einen exceptionellen Widerstand entgegensetzt, dürfte mit der Zeit im Sinne meiner An- schauung überzeugend wirken. Auch die Hypothese der Ubiquität der Centralkörper hat sich ihrer endlichen Verifikation sichtlich genähert (siehe auch in Nr. 19). Es sind nicht allein eine Reihe einzelner, zum Theil bedeutender Cen- tralkörperfunde gemacht worden, wie z. B. die Entdeckung der Centren in Ganglienzellen (von Lenhossek, BIjhler, Dehler, von Kölliker, 240 M. Heidenhain. Mc. Clüke), sondern in dem Nachweis der Konstanz der Cen- tralkörper in den Zellen aller Arten beim jugendlichen Vogelembryo (M. Heidenhain und Th. Cohn) haben wir auch einen ansehnlichen Fortschritt von allgemeiner Bedeutung zu verzeich- nen. Selbst die Richtungsspindeln, die nach Boveri's Meinung ja keine Centralkörper an ihren Polen zeigen sollten, erweisen sich nicht mehr als gänzlich spröde Objekte, da zu den alten Beobach- tungen von Fol und Platner eine ansehnliche Reihe positiver neuer Daten hinzugetreten ist (Conklin; Wheeler — Myzostoma; Wilson und Mathews — Asterias; Mead — Chaetopterus ; vom Rath — Cope- poden; von Kostanecki — Physa; Haecker, Lebrun, Sala — Ascaris; R. VON Erlanger — Tardigraden ^). Diese kleine Reihe von positiven Funden ist mir lieber als die grosse Summe „negativer Daten", die von vielen anderen Seiten her in der Literatur niedergelegt worden sind. Bezüglich des Verhaltens der Centralkörper im Einzel- nen sind eine grosse Reihe übereinstimmender Daten zu Tage ge- kommen, da die meisten Autoren jetzt mit dem Eisenhämatoxylin arbeiten und bei der gleichen Methode auch die gleichen Resultate er- halten (z. B. Reinke, VON Kostanecki, von Siedlecki, Meves, VON Lenhossek, Bühler, Dehler, Wheeler, Mead, Gulland, Spuler). Obwohl ich für meinen Theil hiermit zufrieden sein könnte, so will ich ^) Die von Sala an den breiten Polen der Richtungsspindel bei Ascaris abge- bildeten Körnchen halte ich nicht für Centralkörper. Granz analoge Bilder erhielt ich an den Spindeln rother Blutkörperchen beim Entenembryo. Hier erscheint die Spindel an den Polen wie quer abgestutzt; ihre Fasern konvergiren zwar nach diesen breiten Endflächen, sie lassen sich aber über diese hinaus nicht weiter ver- folgen und enden anscheinend an eben jener Stelle mit knöpfchenartigen Anschwellungen. Das hier sehr grosse Mikrocentrum liegt nun ganz genau dort, wo die Spindelfasern in ihrer idealen Verlängerung sich schneiden würden, und schwebt somit das Centrum hier anscheinend frei über den abgeflachten Polen. Bei sehr starken Tinktionen gewahrt man, dass die Spindel sich doch wohl bis zu dem Mikrocentrum hin verlängert, denn ihre Fortsetzung erscheint nun unter der Form eines allerdings sehr schwachen Schattens. Merkwürdig ist dabei, dass die Spindel im Uebrigen gerade eine ganze Anzahl besonders derber Fibrillen — hier wahrscheinlich Spindelmantelfasern — aufweist. Bei einer Vergleichung recht vieler bpindelfiguren und bei geschärfter Aufmerksamkeit gewahrt man auch, dass eigentlich wohl gar keine quere Abstutzung der Spindelpole vorliegt, sondern dass die betrefleude Grenzlinie um ein Geringes gegen den Spindelkörper hin ein- gebogen ist, so dass sie in Wahrheit besser als zur Oberfläche des Mikrocentrums koncentrisch verlaufend angesehen wird. Die an dem koncentrischen Bogen, an den scheinbaren Enden der Spintieifasern vorfindlichen Knöpfchen halte ich in Sala's und in meinem Falle für Analoga der van BENEDEN'schen Körner, und sie würden demnach den Grenzkontour der Sphäre bezeichnen. Das wahre Mikro- centrum wird sich meiner Meinung nach auch bei Ascaris in einiger Entfer- nung über den abgeflachten Enden der Spindel finden. — Auch die Angaben von Hacker und Lebeun betreffs Ascaris sind vorläufig nicht überzeugend. tfeber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 241 doch nicht unterlassen darauf hinzuweisen, dass die Einseitigkeit dieser Technik doch Gefahren in sich birgt. Es sollte jeder Forscher, der sich mit den cellulären Centren abgiebt, mehrere Methoden nebenein- ander brauchen, wie ich dies selbst in weitem Umfange gethan habe. Wie nicht alles Gold ist, was glänzt, so ist auch nicht alles ein Central- körper, was sich beim Gebrauch des Eisenhäraatoxylins , selbst bei einer vorsichtigen Technik, schwärzt. Namentlich für denjenigen, der noch nicht viele praktische Einzelkenntnisse besitzt, wird die üeber- einstimmung mehrerer Methoden von grösstem Werthe sein. Ist also auf dem Gebiet der Centralkörperlehre in den letzten Jahren ein entschiedener Fortschritt zu verzeichnen gewesen, nsofern die üebereinstimmungen sich zu mehren beginnen, so giebt es doch noch eine ganze Reihe von Autoren, deren Ansichten nicht blos hinsichtlich der Einzelheiten, sondern auch in den allgemeinsten Fragen von der bereits hergebrachten Anschauungsweise des wissen- schaftlichen Publikums sehr erheblich abweichen. Ich möchte hier auf die Arbeiten Faemer's (Nr. 11 und 12) besonders hinweisen. In einer ersten Abhandlung (Nr. 11), welche die Zellentheilung in den Pollen- körnern verschiedener Liliumarten betrifft, äussert sich der Verfasser folgendermaassen S. 60 f.: „Die Spindel endigt gewöhnlich, aber nicht immer, sehr nahe unter der Zellwand . . . Ich erwähnte, dass Körn- chen an dem Scheitel der konvergirenden Fasern liegen, aber es sind auch andere Körnchen vorhanden, die ganz ähnlich sind, aber zu den Spindelfasern in keiner solchen Beziehung stehen, obwohl es nicht selten ist, dass ein Faserbündel den Hauptverlauf der Fasern verlässt und nach einigen der ausserhalb liegenden Körnchen konvergirt . . . Die Körnchen sind oft durch Protoplasmafäden miteinander verbunden, und dies ist namentlich bei den nahe den Enden der Spindel gebil- deten der Fall, wo sie gewöhnlich ausserdem durch Protoplasmafäden netzartig mit dem am meisten nach aussen liegenden Zellprotoplasma verknüpft sind." „Keines dieser Körnchen betrachte ich als ein Cen- trosom, und ich meine, es hiesse den Thatsachen Gewalt anthun, wenn man auch nur die, welche mit der Spindel in Beziehung stehen, als zusammen ein „Mikrocentrum" (in Heidenhain's Sinn) bildend, be- trachten wollte . . . Nie sah ich in diesen Zellen eine Erscheinung, die auf das Vorhandensein eines Centrosoms schliessen Hesse". ^) Hier ^) In seiner zweiten, übrigens sehr dankenswerthen und interessanten Abhand- lung über die Theilung in den Pollenkörnern der Hepaticae (Nr. 12, S. 507) sagt Farmer: „Furthermore the appearance of centrosomes in these cells, wherever they can be best made out, is not of such a character as to inspire confidence in their claims to individuality. They vary both in size and in number, even within the sarae cell, and this irregularity they share in common with animal centrosomes, as for exaraple in the tissues investigated by F. ßeinke and by Heidenhain. Bat if they mark mere nodal points, as it were are granules which have been pushed or Morpholog. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VJI. lö 242 ^^- Heidenhain. haben wir eine ähnliche Erklärung wie bei Bülles Lee (Nr. 1 S. 249) : ..Je n'ai observe sur las fuseaux des spermatocytes des Helix aucun corpuscule polaire, et je n'ai observe dans leur cytoplasme aucun centrosome." Ich kann nicht sagen, dass derlei Schilderungen auf mich irgend einen Eindruck hinterliessen, denn für den Unbefangenen ist die nächst- liegende Annahme die, dass die betreffenden Herren nicht gewandt genug waren, um die Centralkörper färben zu können. Ich glaube, dass hier also eigentlich keine materiellen Differenzen vorliegen, sondern dass es da einige technische Fragen giebt, die noch ihrer Erledigung harren. Es wäre wenigstens ein Novum atque Inauditum, wenn irgend welche Geschlechtszellen oder gewöhnliche Spindelfiguren der Centralkörper entbehren sollten. Wenn die Autoren, die auf Grund solcher Fehlresultate positive Schlüsse ziehen, sich gewöhnen wollten in jedem Fall Kon tr olipr äp arate von Objekten zu machen, deren Centralkörper sich leicht färben, so würden sie gewiss die Er- fahrung machen, dass bei der von ihnen eingehaltenen Technik auch in den Kontrollpräparaten keine Centralkörper gefärbt wurden. Zwischen den beiden citirten Autoren ist aber ein Unterschied noch insofern vor- handen, als Farmer wahrscheinlich schwierige Objekte vor sich hatte, während man dies bei Bolles Lee wohl nicht wird sagen können. Soweit ich aus den Beschreibungen und Abbildungen Farmer's ent- nehmen kann, hat der Autor vielleicht hier und dort die Centralkörper gefärbt, daneben aber auch andre mir sehr wohl bekannte Körnchen, welche in der Nähe des Spindelpols vorkommen und namentlich nach gewissen Konservirungen in Eisenhämotoxylin sich ähnlich färben wie Centralkörper und so zur Verwechslung Anlass geben können. Lege ich einen Salamanderdarm in Sublimat ein , dem eine gewisse Quantität Osmiumsäure zugesetzt ist, und färbe ich dann mit Eisen- hämatoxylin, so bekomme ich häufig um die Microcentren der mito- tischen Figuren herum eine ganze Herde von geschwärzten „Tra- drawn into a position of stable equilibrium in the centre of tliose forces of which the radiations may not unreasonably be regarded as the optical expression, there seem to be no grounds for expecting thera to exhibit uniformity, either in size, number, or texture. In all of these respects we do, as a matter of fact, find diflfe- rences and variations, both in animals and in plants." Ich habe hierzu nur zu be- merken, dass sich gegen die morphologische Individualität der Zellenkerne wohl Niemand erheben wird und auch diese sind — „as a matter of fact" — sehr ver- schieden „in size, number or texture''. Bei einem derartig verfehlten Raisonnement dürfte Fabmer im Sinne seiner Ausführungen kaum etwas fördern. Ich will übri- gens gleich hinzufügen, dass meiner Meinung nacli nur die Centralkörper morphologische Individuen im engeren Sinne vorstellen, während die Mikrooentren eher als physikalische Individuen zu bezeichnen wären. üeber die Mikrocentren raehrkerniger Riesenzcllen etc. 243 banten" ; habe ich dagegen eine reine iSublimatkonservirung, so bleibt auch nicht die Spur von diesen Körperchen gefärbt, während die Mikrocentren scharf und klar hervortreten. Diese Trabanten der mito- tischen Centren sind mir schon 1891 an Präparaten aus BiONDi'scher Lösung aufgefallen. Ihre Bedeutung ist mir immer dunkel geblieben; einige mögen vielleicht wirkliche sekundäre Centren im Sinne Reinke's sein, andere sind es gewiss nicht. Mit diesen Besprechungen wollte ich das Augenmerk des Lesers daraufhinlenken, dass die rein technischen Fragen noch immer eine Hauptrolle spielen und dass die mannigfachen Differenzen der Autoren auf diesem Gebiete sich grösstentheils darauf zurückführen, dass in der technischen Behandlung etwas verfehlt wurde. Aus diesem Grunde habe ich letzthin die Art und Weise, wie ich selber die Cen- tralkörperfärbung betreibe, noch einmal ausführhch besprochen, damit in Zukunft mehr Einhelligkeit erzielt werde (Nr. 18). Wenn Watase und Andere die Centralkörper von den gewöhn- lichen Cytomikrosomen ableiten wollen, so zeigt sich ein offenbarer Mangel der technischen Durcharbeitung des Gegenstandes, denn die Centralkörper können, wie ich ganz bestimmt hervorhebe, auf färbe- rischem Wege jederzeit in genügender Weise von den Cytomikrosomen unterschieden werden. Hierzu genügt unter Umständen schon eine einzelne Farbenreaktion ^), sicher aber führt die Beobachtung des Verhaltens der Centralkörper gegenüber einer grösseren Reihe ver- schiedenartiger Farbstoffe zum Ziele. — Wenn Rückert (Nr. 33) nicht übel Lust hat absonderliche Klumpen von Zellsubstanz als „Centro- somen" gelten zu lassen, so ist dies ein Fehler der Technik und der Autor nimmt faute de mieux als ,,Centrosom" was sich ihm gerade eben bietet. Wenn ferner Brauer bei Arteuiia salina ,, Centrosomen" findet, welche wie kleine Kerne aussehen und K. W. Zimmermann bei den Chromatophoren der Fische gar an Stelle eines Mikrocentrums uns ein „Ccntralnetz" von wechselnder Grösse und Gestalt vorführt, so ist in beiden Fällen das Farbmittel, das Aluminium-Hämatoxylin, schuld, durch welches notorisch überhaupt keine Centren gefärbt werden. Das Gleiche kann man mit fast demselben Rechte von dem Borax-Karmin, dem Mittel der klassischen Ascaris-Arbeit Boyeri's sagen. ^) Man erhält z. ß. eine schwarze i'ärbung der Centralkörper neben einer rosenrothen der Cytomikrosomen, wenn man mit EHRLicn'schem Triacid über- färbt und dann über 12 — 24 Stunden in neutralem absolutem Alkohol extrabirt. (Schon erwähnt in Nr. 16, S. 6.59.) Diese Färbung erweist zugleich die speci- fische Natur der Centralkörpermaterie ; sie hält sich ca, ein Jahr lang ziemlich unverändert, dann geht sie zu Grunde. Derartige Präparate habe ich früher mehr- fich an auswärtige Forscher verschickt, z. ß. an Waldeyer, Ehrlich, Nicolab. 16* 244 ^^- Heidenhain. Auch die Eisenhämatoxylin-Methode hat nicht in allen Händen übereinstimmende Resultate geliefert. So haben Boveri und Wilson beim Seeigelei Fehlresultate gehabt. Wilson, der seine Beobachtungen c Figur 9. Verschiedene gewöhnliche und ungewöhnliche Formen von Mikrocentren der Kanin- chen-Leukocyten (wiederholt aus den „Neuen Untersuchungen" etc.). o, s und t gewöhnliche Formen zu drei Centralkörpern, f und 1 eben solche zu vier Central- körpern. In a, b, c, d und h, i, k gute Beispiele für die px'iraäre Centrodesmose. In c, i und k ist das keinste Centralkörperchen als soeben neu entstanden zu denken; es liegt dem grösseren der beiden anderen Centralkörper näher und ist aus diesem durch Knospung hervorgegangen. Bei e, g und h läuft die primäre Centrodesmose offenbar darum nicht in direkter Linie von einem zum andern Centralkörper, sondern excentrisch, im Bogen, weil in ihr ein drittes nicht sichtbar gewordenes Centralkörperchen eingeschlossen liegt. (Die vollständige Erläuterung siehe in Nr. 16, S. 736 ff. Die Figuren sind nach der Natur freihändig in riesiger Vergrösserung nachgezeichnet.) übrigens im Ganzen sehr richtig beurtheilt, wird, da ihm die Färbung der Centralkörper nur ausnahmsweise gelingt, nothwendig dazu geführt anzunehmen, dass diese gelegentlich jeder Mitose de novo entstehen. Angesichts der positiven Befunde, welche andere Autoren seither an demselben Objekte hatten, ist es nicht nöthig, hierauf näher einzu- gehen, — Der Kuriosität halber mag dann schliesslich noch erwähnt werden, dass trotz der Anwendung des Eisenhämatoxylin- Verfahrens R. VON Erlanger betreffs der Centralkörper und der primären Centro- desmosen (vergl. Fig. 9) zu einer ganz anderen Anschauung als die übrigen Autoren gelangt ist; er erklärt die ersteren für Wabenknoten, die letzteren für Wabenkanten ! Ich meinerseits konnte schlechter- dings niemals etwas von jenen Waben bemerken, als deren zugehörige Knoten die Centralkörper anzusehen wären. Uel)er die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 245 Die Central gebilde der Zellen bestehen, soweit ge- sicherte Kenntnisse reichen, überall und zu jeder Zeit aus den Centralkörpern. Diese selbst haben an allen Orten genau die nämliche Beschaffenheit, wie ich sie für den Leukocyten so ausführlich geschildert habe. Es giebt nach meinen gewiss reichhaltigen Erfahrungen nur eine Form von Central- körpern, welche in verschiedenartiger Zahl und Grup- piruDg zu dynamischen Einheiten höherer Ordnung zusammentretend die verschiedenartigen Formen der Mikrocentren ausmachen. Von neueren eigenen Resultaten möchte ich hier noch einmal er- wähnen, dass sämmtliche Zellen junger Vogelembryonen, welche etwa bis zum vierten Tage genauer untersucht wurden (Hühner- und Enten- embryonen), die Mikrocentren und in diesen typische Centralkörper zeigten (Genaueres in Nr. 19; vergl. dort vor Allem die Abbildungen). Dieser reiche Fund ist besonders auch wegen der wiederum hervor- tretenden enormen Gleichförmigkeit der Erscheinungsweise der Central- körper bemerkenswerth. Ich habe ja nun allerdings nur Wirbel- thiere untersucht , und insofern ist der Bereich meiner persön- lichen Anschauung beschränkt, allein ich habe mit der Zeit eine geradezu ungeheure Menge von cellulären Centren an den verschiedensten Objekten beim erwachsenen Geschöpf, bei Larvenformen und beim Embryo, während der Zellenruhe und während jeder Phase der Zeilen- theilung gesehen und immer fand ich die Mikrocentren bestehend aus den von Flemming und mir sog. Centralkörpern, mit der Maassgabe jedoch, dass das ganze Mikrocentrum gelegentlich nur durch einen ein- zigen Centralkörper repräsentirt wird, wie dies besonders an den Spitzen der mitotischen Spindeln in den frühen Stadien häufig zu sehen ist. Für die Wirbellosen zeigen die Untersuchungen anderer Autoren (Wheelee, Mead, Reinke, von Kostanecki), dass dort die Centren sich genau so verhalten wie bei allen Wirbelthieren. Einige Autoren, wie z. B. Boveri, behaupten, dass es celluläre Centralgebilde, „Centrosomen", von bedeutender Grösse giebt, welche mitunter eine netzförmige Struktur zeigen. Solche Darstellungen be- ruhen auf Verwechslungen der wirklichen Centren mit anderen Dingen. Die letzten Angaben dieser Art bei Boveri beziehen sich auf das Seeigelei. Allein aus den Untersuchungen von Fol, Wilson, Reinke, VON Kostanecki, Field, vom Rath und Hill geht unwiderleglich her- vor, dass Boveri die Sphäre für ein „Centrosoma" genommen hat, da er die wahren Centralgebilde in den betreffenden ße- fr uchtungsstadien überhaupt nicht zu Gesichte bekam. Für das frühere Objekt dieses Autors, für das Ascarisei, hat jetzt VON Kostanecki auf dem BerHner Anatomenkongresse (1896) an wundervollen Präparaten gezeigt, dass auch dort keine anderen 246 M. Heideiihaiii. Dinge als eben die durch Eisenhämatoxylin färbbaren Centralkörper im Mittelpunkt der Strahlungen vorkommen. Boveei's Darstellung, wonach das „Centrosoma" im Beginne der Mitose ein sehr kleines Körnchen sein soll, welches in den Prophasen riesig wächst, um schliesslich wieder zu einer geringen Grösse zurückzukehren , beruht auf einer ganzen Serie genauer nicht aufzulösender Irrthümer. Nie habe ich bezweifelt, dass die Centralkörper während der Mitose wachsen können, sie wachsen aber nicht ausschliesslich während der Prophasen und können ebenso auch während der Zellenruhe wachsen, wovon ich mich durch eine peinlich genaue Untersuchung überzeugt habe. Ausserdem wächst ein solches Körperchen nicht plötzlich bis zu dem von Boveei gezeichneten riesigen Umfange heran: nie habe ich dergleichen ge- sehen, obwohl ich den Turnus der Centralkörper im Al)lauf der Mitose mehrfach bei verschiedenen Objekten kontrollirt habe. Hier finden eben bei Boveei jene Verwechslungen zwischen Sphären und cellulären Centren statt, von denen oben die Rede war. Wenn Boveei behauptet in Betreff der Constitution der Central- gebilde des Zellkörpers herrsche die grösste Unsicherheit, so ist dies eben vorzüglich bei Boveei selbst der Fall, wie aus seinen Berichten über das Verhalten der „Centrosomen,, während der Mitose hervor- geht. Diese Unsicherheit beruht natürlich bei Boveei auf einer Un- sicherheit in der Technik. Wie die Elemente des Chromatins drehrunde kleine Kugele hen sind (Altmann's che Gra- nula), die über eine bestimmte Grösse nicht hinaus- gehen, so sind auch die Elemente der cellulären Centren drehrunde, kleine Kugeln, die über die ganz bestimmte Grösse von 0,5 in der Regel nach nicht hinauswachsen. Diese Kügelchen sind die Centralkörper. Die bei der Detailuntersuchung häufig bemerkbaren Abweichungen von der Kugel- gestalt sind von untergeordneter Bedeutung, umsomehr, als in den meisten Fällen der Antheil der Technik an der Gestaltsveränderung nicht auszumachen ist. Es ist gänzlich irrthümlich zu glauben oder auch nur zu ver- muthen , dass die Centralkörper eventuell wiederum Aggregate noch kleinerer morphologischer Gebilde sein könnten, und dass eine ver- besserte histologische Technik in Zukunft vielleicht erlauben würde, ihre weitere histologische Zusammensetzung zu erweisen (vergl. Boveei No. 2 S. 59; ähnlich auch von Lenhossek Nr. 23 S. 360). Viel- mehr haben wir in den Centralkörpern, welche ganz gewiss auch zu- weilen solitär als Mikrocentren auftreten können, wahre histo- logische, mor]jhologisch nicht mehrt heilbare Einheiten. Dies geht nicht nur aus ihrer drehrunden Form, ihrer Homogeneität, ihrer in bestimmte, enge Grenzen fallenden Grösse und ferner aus ihrer vollkommenen Analogie mit ähnlichen histologischen Einheiten, wie LTeber die Mikrocentreu mehrkerniger Riesenzellen etc. 247 den Chromatinkiigelchen Altmann's, liervor, sondern es wird dies auch ganz speciell noch durch den eigenthümlichen Entstehungsmodus, durch die merkwürdige Art, wie ein Centralkörper am anderen hervorknospt, erwiesen ; denn da sehen wir, wie ein solcher Centralkörper allmählich aus einem unbestimmbar kleinen Anfange hervorwächst bis er bei der gerade eben noch in ungefährer Weise abschätzbaren Grösse von etwa 0.2 a durch Abtrennung vom Mutterkörper eine isolirte Existenz ge- winnt. ^) Alle Vermuthungen helfen also nicht über das hinaus, was bis heute de facto zu Recht besteht, und wenn Boveei findet, dass die mikroskopische Bestimmung des Centralkörpers als eines morpho- logisch nicht mehr zusammengesetzten Individuums „überhaupt die unglücklichste ist, die sich finden lässt", so habe ich nur zu erwidern, dass es dem Gebrauche der Wissenschaft widerspricht, willkürlich her ausgeklügelte Möglichkeiten zur Basis einer abfälligen Kritik zu machen, wenn die positive Forschung auf Grund ein- helliger Uebereinstimmung tausendfältiger Beobachtungen ein sicheres, eindeutiges Ergebniss bereits geliefert hat. Merkwürdig ist die Art, wie Niessing (Nr. 26, S. 152) die von Boveri aufgeworfene Frage zur These erhebt: „Man wird unwillkürlich dahin geführt sie ( — die Centralkörper — ) als Körperchen zu betrachten, welche aus einer grossen Anzahl feinster Körnchen bestehen"' .... Ich halte somit Alles in Allem d i e h i s t o 1 o g i s c h e und physio- logische Charakteristik der Centralkörper, wie ich sie in früheren Jahren entworfen habe , nach meinen neueren Studien voll- kommen aufrecht (Nr. 16; S. 637): „Centralkörper sind s c h a r f u m g r e n z t e , s o 1 i d e (durch Eisenhämatoxylin unter Umständen specifisch färb- bare) Granula von sehr geringer Grösse. Sie besitzen die Fähigkeit zu a s s i m i 1 i r e n . zu wachsen und sich durch Knospung zu vermehren. Sie zeigen in hohem Maasse die Neigung Gruppen zu bilden, wobei sie inner- halb d e r G r u p p e d u r c h eine b e i G e 1 e g e n h e i t i h r e r V e r - mehrung zwischen ihnen sich ausspinnende Substanz an einander gekettet sind. Sie können entweder für sich allein oder als G r u p j) e vereinigt die U r s p r u n g s p u n k t e für die Fäden eines ceutrirten Systems abgeben."-) 1) Dies sind wahrsclieinlich die kleinsten mikroskoiDischen Körperclien be- stimmter Bedeutung, die jemals wahrgenommen wurden. -) Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass Flemming (Bonnet u. Merkel, Er- gebnisse, Bd. 4, S. 388) diesen Passus zum Abdruck gebracht, aber versehentlich statt „unter Umständen" — „unter allen Umständen" in Eisenhämatoxylin färbbar — gesetzt hat. Dies möchte ich heute noch nicht vertreten. 248 M. Heidenhain. Uebrigens möchte ich hinzufügen, dass, soviel mir bekannt, alle anatomischen Autoren betreffs der Centralkörper so ziemlich die nämliche Meinung zu haben scheinen; wenigstens sind mir be- deutende Differenzen zwischen den anatomischen Schriftstellern nicht aufgestossen. Die zur Zeit herrschende Polemik bewegt sich wesentlich zwischen dem Lager der Anatomen auf der einen und dem der Zoologen auf der anderen Seite, kraft des Einflusses, den Flemming dort, BovEUi hier hatte. Was das „Mikrocentrum" im Gegensatz zu den „Central- körpern" anlangt, so möchte ich hier erwähnen, dass dieser Ausdruck von vornherein den Charakter eines Sammelbegriffs hatte. Die verschiedenen Formen der cellulären Centren, gleichviel, welche Be- schaffenheit sie im Einzelnen aufweisen, wurden Mikrocentren genannt. Seiner allgemeinen Anwendungsweise nach war der Begriff ein physiologischer, sofern nämlich unter dem Mikrocentrum ein morphologisches Gebilde gedacht wurde, welches die centrale Grund- lage eines in sich einheitlichen Radiärsystems bildet und somit in einer bestimmt zu bezeichnenden physiologischen Wechselbeziehung zur Zellsubstanz steht. Wenn also der in Rede stehende Begriff in dieser allgemeinen Fassung gebraucht und auf eine bestimmte Gruppe von Centralkörpern in Anwendung gebracht wurde, so erläuterte der Be- griff implicite die dynamischen Beziehungen , welche zwischen einer solchen Gruppe von Centralkörpern und der Zellsubstanz möglich sein können. Das Wort Mikrocentrum fasste also seiner allge- meinen Bedeutung nach das körperliche Centrum der Zelle nur im Hinblick auf das Ganze des Zellkörpers näher ins Auge. In dieser Bedeutung konnte unter Umständen auch ein einzelner Central- körper ein Mikrocentrum genannt werden, sofern dieser nämlich für sich allein die Grundlage eines centrirten Systems bildete. Ob ein einzelner Centralkörper als Mikrocentrum vorliegt, darüber entscheidet einfacher Weise die mikrometrische Ausmessung: wenn das Centrum 0,5 ^tt oder weniger misst, so ist sicher nur ein Centralkörper vorhanden. Wenn dagegen der Ausdruck Mikrocentrum nicht in der bisher besprochenen allgemeinen Bedeutung, sondern sensu strictiori in speciell histologischem Sinne . gebraucht wurde, so wurde darunter eine Mehrzahl von Centralkörpern verstanden, welche sich in Folge der Gegenwart bestimmter sie verbindender Substanzbrücken als zu einer höheren Einheit verbunden darstellten, wie dies immer bei ruhenden Zellen der Fall zu sein scheint. In seiner speciellen histo- logischen Anwendungsweise enthielt also das Wort Mikrocentrum zu- gleich einen Hinweis auf die innere Struktur, auf die innere Gliederung des betreffenden Centralgebildes, von dem gerade die Rede war. üeber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 249 Ich möchte nun darauf aufmerksam machen, dass man gewiss sich nicht daran stossen darf, dass das Wort Mikrocentrum eine bestimmte physiologische und morphologische Bedeutung zugleich hat. Alle Organbezeichnungen sollten physiologischer ]Slatur sein. Wenn man von einer Niere spricht, so wird ein solches Organ gleichviel welche Struktur haben können, wenn es nur bestimmt ist, die Produkte des regressiven Stoffwechsels auszuscheiden. Daneben wird dieser Name im speciellen Gebrauch der systematischen Anatomie und Zoologie immer ein tubulöses Drüsenorgan bedeuten, obwohl trotz dessen nicht gesagt ist, dass die Nierenzellen sich unter allen Umständen immer in Form von Röhren zusamraenordnen müssen. Unter dem Gesichts- punkte der Physiologie nach Rücksichten der cellularen Mechanik be- urtheilt bildet das Mikrocentrum eine dynamische Einheit, sofern eine gewisse Summe contraktiler Fäden durch das Centrum zu einem systematischen centrirten Verbände zusammengefasst werden , eine Anordnung, auf Grund deren eine bestimmte gesetzmässige Wirkungs- weise des grössten Theiles der kontraktilen Zellsubstanz ermöglicht wird. Im Gegensatz zu dieser festen dynamischen Einheit ist die Organeinheit des Mikrocentrums bei ruhenden Zellen, wo stets mehrere Centralkörper vorhanden sind, eine geringe, da die Centralkörper nur durch die primären Centrodes- mosen aneinander gekettet werden. (Dies gegenüber Boveri's Ver- muthungen auf S. 64 f in Nr. 2). Diese verbindende Zwischenmasse der Centren war bisher schwer darstellbar und entgeht häufig der Be- obachtung. Es muss aber besonders hervorgehoben werden, dass an den plurikorpuskulären Mikrocentren im Ueb- rigen jede Spur anderer Vorrichtungen fehlt, durch welche die Organeinheit solcher Centralkörpergruppen in noch festerer Weise begründet werden könnte. Gerade auf diesen Punkt habe ich von Anfang an sehr sorgfältig geachtet und nie konnte ich irgendwelche Beobachtungen machen, welche darauf hingedeutet hätten, dass jene Annahme Boveri's, durch welche die Centralkörper als „Einschlüsse" eines besonders ge- bildeten Organs ausgegeben werden , irgend einen Schein von Be- rechtigung hätte. Wenn auf diesen Punkt noch irgend jemand ein- zugehen Lust hat , so bitte ich strenge zu unterscheiden zwischen der in Boveri's Annahme enthaltenen logischen Construktiou und dem simplen Thatbestand, welcher zeigt, dass wenn die Central- körper fortgenommen werden, überhaupt kein „Organ" mehr übrig bleibt, als dessen „Einschlüsse" jene erscheinen könnten. Ich habe früher die Worte ,, Centrosoma'' und Centralkörper gleich- werthig gebraucht. Ich thue dies jetzt nicht mehr, da das „Centro- soma" nach Boveri's letzten Ausführungen zu einem Wesen von schwankendem Charakter geworden ist und zwar darum, weil die 250 M. Heidenliain. BovERi'sche Technik weder früher noch später in der Lage war an den Centren der Zellen irgendwie übereinstimmende Befunde zu erzielen. Das „Centrosoma" ist demgemäss etwas porteusartig Wechselndes ; die Mikrocentreu dagegen bauen sich immer wieder aus den nämlichen In- dividuen, den Centralkörpern, auf. Ich habe nun von diesen jene oben citirte „Charakteristik" gegeben und glaube, dass auf Grund derselben jeder Untersucher die Centralkörper unter dem Mikroskop wird er- kennen und wieder auffinden können. Ein Aehnliches ist nach der BovEßi'schen „Definition" des „Centrosoma" nicht möglich. Diese lautet (Nr. 2, S. 60): „Unter Centrosomaversteheicheinder entstehenden Zelle in der Einzahl zukommendes distinktes dauerndes Zellenorgan, das durch Zweit h eilung sich vermehrend, die dynamischen Centren für die Entstehung der nächst zu bildenden Zellen liefert". BovERi hält sich in dieser Definition wesentlich an physiologische Daten, da eine auch nur annähernd gleichartige Erscheinungsweise seinen „Centrosomen" nicht zukommt. Da die histologischen Daten aus- geschlossen sind, die Physiologie der Centrosomen aber wegen ihrer wechselvollen Natur noch im Argen liegt, so hat diese Definition wenig greifbaren Inhalt. Setzt man statt den Worten „unter Centrosoma" die Worte „unter dem Kern", so passt die Definition ebensogut auf diesen wie auf jenes. Danach kann man den Werth dieser „Definition" ermessen. Schicken wir irgend einen Mikroskopiker. der von der ganzen Centrosomenangelegenheit und der ganzen Zellenlehre nichts weiss, ausgerüstet mit der BovEEi'schen Definition auf die Suche, so wird er unfehlbar nicht das „Centrosoma", sondern den Kern heimbringen. Diese BovEiu'sche Definition hat zu Wege gebracht, dass der gelehrte Untersucher die Sphären, die plurikorpuskulären Mikrocentreu und die solitären Centralkörper mit einander verwechselte; alle diese Dinge werden gelegentlich als „Centrosomen" bezeichnet, worauf schon Wilson aufmerksam machte. Es ist bekannt, dass die Zellen gewöhnlich nur einen Kern be- sitzen. Wenn daher eine Mutterzelle sich theilt und das Faktum dieser Sorte von Vermehrung gewiss ist, so muss auch der Kern sich theilen und es muss ferner auch Kern- und Zelltheilung einander irgend- Avie parallel gehen. Um dies zu wissen, braucht man keine mühevolle Untersuchung zu machen, vorausgesetzt, dass der Kern in seiner Eigen- schaft als permanentes Organ bekannt ist. Wenn man nun mit BovERi behauptet, eine normale Zelle dürfe eigentlich nur ein Centro- somabesitzen und es müsse ein strenger Parallelismus zwischen Centrosomen- und Zelltheilung statthaben, so wäre dies etwa so als wenn man behaupten wollte, eine normale Zelle dürfe nur einen Kern lieber die Mikrocentrcn mehrkeruiger Riesenzelleu etc. 251 haben und es müsse ein strenger Parallelismus zwischen Theilung von Kern und Zelle bestehen. Beiderlei Aufstellungen sind in meinen Augen nur Gemeinplätze,, die ZAvar von augenfälligen, aber nicht ein- mal durchgehenden Erscheinungen abgezogen wurden, durch die auch im Grunde genommen gar nichts gefördert wird. Dieser Satz : Wenn eine Zelle sich theilt, so rauss auch ihr Kern und ebenso ihr Centrum sich theilen , darf eben nicht umgekehrt werden. Denn wie es normale Zellen mit mehreren Kernen giebt, so giebt es auch nor- male Zellen mit mehreren Centralkörpern, ja sogar mit mehreren Mi- krocentren^), und wie auf eine Kerntheilung nicht immer eine Zell- theilung folgt, so geht auch die Theilung des Mikrocentrums, ja selbst nicht einmal die Entstehung der Spindelfigur immer pari passu mit einer Kern- oder Zelltheilung einher. In der gedachten Be- ziehung erscheint mir die BovERi'sche Definition wie eine Art Ukas, wonach sich die Natur so verhalten soll und muss, wenn anders sie nicht gewärtigen will, als Urheberin „alnormaler" Vorgänge gebrand- markt zu werden. Ich halte es aber meinerseits für sehr bedenklich auf eine derartige Weise „festzustellen", was Rechtens ist für die Natur. Uebrigens beruht die Aussage der BovEEi'schen Definition, dass das „Centrosoma ein der entstehenden Zelle in der Einzahl zu- kommendes Organ" sei, nur auf einer Petitioprincipii, denn in den Erläuterungen zu dieser Definition wird so ungefähr erklärt, dass, wenn das „Centrosoma" sich theile, auch die Zelle schon virtuell getheilt sei (S. 63). Natürlich, wenn das mit zum Begriff der Sache gehört, dass die Zelle bereits getheilt ist, bez. die Tochterzellen in Entstehung begriffen sind , wenn das „Centrosoma" zur Theilung kommt, dann hat allerdings jede Zelle schliesslich nur ein „Centro- soma". Trotz dieser Ueberlegung erlaubt Boveri der „normalen" Zelle, dass sie — „höchstens" — zwei „Centrosomen" besitzen dürfe, welche für die nächstfolgende Theilung bestimmt sind. Seien noch mehr Centrosomen vorhanden, so käme es gelegentlich der nächsten Mitose zu pathologischen Zuständen. Lässt man indessen alle diese Anschauungen unberücksichtigt und hält sich allein an die Thatsachen und Vorgänge der Natur, so stellt sich her- aus, dass die von mir sogenannten Centralkörper die allein fort- pflanzungsfähigen Elemente der cellulären Centren sind, welche auch die Fähigkeit haben, während der Mitose eventuell jedes für sich allein ein ganzes Mikrocentrum zu repräsentiren ; solcher Centralkörper giebt es in den ruhenden Zellen gewöhnlich 2 oder 3, auch vier kommen vor; trotz dessen folgen der Regel nach hieraus keine pathologischen Zustände, entgegen der BovERi'schen Auslassung, sondern es entstehen gewöhnlich bipolare Mitosen. Auf diese Dinge ^) Es genügt, hier an das Verhalten der pflanzlichen Zellen zu erinnern. 252 ^- Heidenhain. will ich dann gleich noch näher zu sprechen kommen. Im AnscMuss an das eben Gesagte möchte ich aber zunächst noch darauf aufmerksam machen, dass auf dem Gebiete der Botanik inzwischen Thatsachen zum Vorschein gekommen sind, welche der ßovERi'schen Behauptung von dem strengen Parallelismus zwischen Centrosomen- und Zelltheilung direct widersprechen. So beobachtete Farmer bei den Pollen- körnern von Fossombronia im Beginn der Mitose im Umfange des central gelegenen Kernes das Auftreten von 4 äquidistanten Centren, welche sich späterhin paarweise vereinigten, sodass doch nur eine zweipolige Spindelfigur entstand. Die 4 ursprünglichen Centren müssen wohl schon während der Zellenruhe vorhanden gewesen sein, da sie in ihrer eigenthümlicheu Ordnung gleichzeitig zum Vorschein kamen. Also auch hier, bei der Entstehung pflanzlicher Geschlechtszellen, in dem normalsten aller normalen Fälle, folgen aus der Gegenwart mehr- facher Mikrocentren keine pathologischen Zustände, und es ist klar, dass von dem angeblichen strengen Parallelismus zwischen der Theilung der Centren und der Zelle nicht die Rede sein kann. Die Thatsache, dass ein solcher Parallelismus für häutig bei thie- rischen Zellen vorhanden ist, kann als eine der Regel nach ein- tretende Begleiterscheinung der wirkenden Grundge- setze angesehen werden, ohne dass diese doch in jedem Fall eintreten muss. Ich werde auf das soeben Besprochene noch näher einzugehen haben, um die aus meinen Untersuchungen folgenden Resultate den BovERi'schen Aufstellungen mit möglichster Klarheit und Schärfe gegenüberzustellen. Die Darstellung Boveri's leidet besonders darunter, dass dem „Centrosoma" eine von den Centralkörpern unabhängige Existenz vindicirt wird, während es überhaupt keine Centrosomen, d. h. über- haupt keine cellulären Centralgebilde ohne Centralkörper geben kann : nimmt man diese hinweg, so ist auch das Mikrocentrum oder „Centro- soma", — beide Begriffe decken sich vielfach, aber nicht immer — , nicht mehr vorhanden. Die selbstständige Existenz des „Centro- soma" soll nun unter anderem dadurch bewiesen werden, dass diesem Organ die Fähigkeit der selbstständigen Zweitheilung zugesprochen wird ; dies hat Boveri auch in seine Definition auf- genommen. Dem halte ich nun entgegen, dass die „Centrosomen" oder Mikro- centren nur darum sich im Beginn der Mitose in zwei Theile zerlegen können, weil sie die Centralkörper enthalten, welche ihrerseits die Fähigkeit der Theilung oder vielmehr der Vermehrung durch Knospung besitzen. Nicht das Centralgebilde als ein Ganzes wäre als ein solcher Körper zu nehmen, welcher die Fähigkeit der Fortpflanzung lieber die Mikrocentren raehrkerniger Riesenzellen etc. 253 besitzt, sondern nur die in ihm enthaltenen Elemente, die Centralkörper, sind die schöpferischen, die fort- pflanzungsfähigen Gebilde. Besteht mithin ein ,, Centrosoma" oder Mikrocentrum aus mehreren Centralkörpern, so findet zwar im Beginn der Zelltheilung eine Zerlegung des Centralgebildes statt, aber diese Zerlegung oder Theilung ist keine Fortpflanzung im engeren Sinne, sondern man kann genauer nur von dem Wachsthum und der weiteren Entwicklung einer bereits vorhandenen Anlage sprechen. Wie dies gemeint sei, wird sogleich einleuchtend werden. Nehmen wir als einfaches Beispiel irgend einen Leukocyten, dessen Mikrocentrum aus zwei Centralkörpern besteht. Findet nun bei Beginn der Zelltheilung die räumliche Auseinanderlegung des ursprünglich einheitlichen Mikrocentrums in zwei Theilmikrocentren statt, so kommt dies dadurch zu Stande, dass die zwischen beiden Centralkörpern ge- legene primäre Centrodesmose zur Centialspindel auswächst. Durch die Entwickelung der Spindel unter gleichzeitiger Einwirkung der von der Zellsubstanz ausgeübten Zugkräfte wird mithin das Centrum in zwei Theile auseinandergeschoben. Dies ist die positive Seite des Processes der Zweith eilung des Mikrocentrums. Die Entwicklung der Spindel kann aber auch ohne Central- körper vor sich gehen, wie die einzelligen Geschöpfe zeigen; also kann ein wesentlicher Theil dieses Processes zum Ablauf kommen, ohne dass überhaupt ein Mikrocentrum da ist, welches zweigetheilt wird. Mit dieser Anschauung, dass der Vorgang der Zweitheilung oder Vermehrung des Mikrocentrums kein eigentlich so zu nennender Port- pflanzungsprocess ist, stimmt auch ferner die für den Untersucher mit- unter peinliche Thatsache überein, dass selbst bei grösster Sachkenntniss kaum festzustellen ist, in welchem Zeitmomente während des Beginnes der Mitose die , .Zweitheilung" des Mikrocentrums als wirklich ein- getreten zu betrachten sei. Misst die die Centralkörper verbindende Substanzbrücke weniger als 0,5 f.i, so wird man berechtigt sein von einem Mikrocentrum zu sprechen; ist sie dagegen ca. 1 f.i lang ge- worden, so müssen doppelte Mikrocentren und eine zwischen ihnen liegende junge Spmdelfigur angenommen werden, denn mehr als 0,5 (.i dürfte die primäre Centrodesmose bei unserem Beispiel der Leukocyten in ruhendem Zustande nur sehr selten messen. Hier zeigt sich, wie es bei anderem Lichte besehen auch als eine Sache des U eher ein- komme ns verstanden werden kann, wenn man bei rulienden Zellen mit 2 oder 3 in einer Gruppe vereinigten Centralkörpern von einem „Mikrocentrum" und nicht lif ber an Stelle dessen einfach von 2 oder 3 miteinander direkt verkuppelten Centren spricht. Der Vorgang der mitotischen Vermehrung des Mikrocentrums lauft mithin in der Weise ab, dass ein Gebilde, weiches schon vorher in sich getheilt war, dessen Elemente, die Centralkörper, sich schon vorher fortgepflanzt 254 ^1- Heidenhain. hatten iiunmelir definitiv durch Wachsthumsvorgänge und durch ge- wisse Zugkräfte, die aus der kontraktilen Zellsubstanz sich entwickeln, in zwei für das Auge räumlich getrennte Gruppen zerlegt wird, wobei naturgemäss die eigentlich schon vorher diskreten Theile uns erst dann als doppelte Mikrocentren gegenständlich werden, wenn die räum- liche Entfernung der Tochtercentren über ein gewisses Mindestmaass hinaus gewachsen ist. Will man aber, um einen wahren Process der Fortpflanzung des Mikrocentrums herauszurechnen , darauf Gewicht legen, dass die Centralkörper in der Zellenruhe direkt unter einander verbunden sind, — durch die primäre Centrodesraose — , während die Tochtermikrocentren von einander getrennt seien, so mache ich darauf aufmerksam, dass die direkte Verbindung der Central- körper nach wie vor bestehen bleibt, da nämlich die primäre Centrodesmose sich in fortlaufender Entwicklung in die sekundäre Centrodesmose oder Centralspindel umbildet. Centralspindel und Centralkörper sind der Genese nach jeder Zeit ein Ganzes, insofern ein einzelner Centralköri)er sich durch Kuospung in ein Mikrocentrum mit primärer Centrodesmose, das Mikro- centrum wiederum in eine Spindel, welche die Tochtercentren an ihren Enden trägt, umwandeln kann, und so wird die Trennung der Tochter- mikrocentren erst dann eine vollkommene, wenn die Centralspindel am Schluss der Mitose zum Schwund kommt. Es sei mir gestattet an dieser Stelle eine Abschweifung zu machen. Es ist mehrfach bestritten worden, dass die Centralspindel in der von mir beschriebenen Weise aus der primären Centrodesmose hervor- wächst, so z. B. von Drüner. Braus, Korschelt und anderen. Diese Autoren lassen, wenigstens in bestimmten Fällen, die Centralspindel aus der sekundären Verschmelzung gewisser Strahlen der beiden Tochterradiärsysteme nachträglich entstehen. Diese Anschauung setzt voraus, dass die Strahlen, welche in die Spindelbildung eingehen, der Art nach identisch sind mit allen anderen Strahlen, welche rings um die Centren herum entwickelt sind. Die Spindelfasern müssten mithin vor Allem das gleiche färb Tische Verhalten zeigen, wie die übrigen Radiärfasern. Eben diese Meinung betreffs der Natur der Spindelfasern hatte ich früher auch (Nr. 15; S. 156); ich glaubte, dass sie ordinäre Radiärfasern vorstellen, welche nur das für sich voraus haben, dass sie von dem einen Centrum auslaufend wiederum in dem anderen konvergiren und somit gleichsam zweimal centrirt sind. Diese ganze Vorstellung ist, wie ich mich nachmals überzeugt habe, voll- ständig verfehlt und ich bin somit in meinen neueren Schriften auf diesen Gedanken nicht wieder zurückgekommen. Man wolle auf das färberische Verhalten jun ger Centralspindeln achten und man wird finden , dass diese sich immer anders färben als die Summe der übrigen Radien, Die junge Spindelfigur hat die Uel)er die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 255 für den Mikroskopiker höchst fatale Neigung, sich möglichst wenig zu färben, daher sie häufig als heller Fleck auf dunklem Grunde erscheint. Bei einer starken Protoplasmafärbung also wird man z. B. die Erfahrung machen, dass das gesammte System der Polradien (im weiteren Sinne) intensiv tingirt wurde, während die junge Spindel nahezu farblos blieb. Dies kann man auch an vielen Abbildungen sehen, die von den Autoren bereits geliefert wurden. Helle Spindelchen auf dunklem Grunde findet man schon in der alten Arbeit von Her- mann, dann bei DßtJNER, bei von Kostanecki und andren. Von einer wesenhaften oder genetischen Identität der Spindelfibrillen und der B,adiärfasern kann daher nicht die Bede sein. Vielmehr ist die Spindel ein corpus sui generis und leitet ihre besondere Ent- stehung durch Assimilation. Wachsthum und Dififerenzirung aus der primären Centrodesmose her. "Wenn diese beginnt zu wachsen, so ist sie im Anfang noch dunkel färbbar und bildet zwischen den Tochter- mikrocentren einen bandartigen Streifen. Im Augenblick, wo die Spindelanlage die Tonnenform aquirirt, wird die Färbbarkeit wegen der relativen Substanzarmuth des angeschwollenen Gebildes eine sehr geringe und ist aus diesem Grunde die tonnenförmige Spindel auf ihren jüngsten Stadien schwer zu finden. Diejenigen Autoren, welche die sekundäre Entstehung der Centralspindel durch Verschweissung bestimmter Strahlengruppen der beiden Tochterradiärsysteme behaupten, haben meiner Meinung nach die junge Spindel garnicht gefunden, und die meisten dieser Autoren würden auf die Frage, was denn eigentlich zwischen den beiden auseinanderweichenden Tochtercentren vorhanden ist, überhaupt die Antwort schuldig bleiben, weil sie in ihren Präpa- raten an dieser Stelle schlechtweg Nichts gesehen haben. Soviel neben- bei über die Entstehung der Spindelfigur. Nun komme ich auf das Frühere zurück. Man kann gewiss in zwangloser Weise von einer mitotischen Zwei- theilung oder Vermehrung der Mikrocentren sprechen. Wenn aber BovERi von einem „mit der Fähigkeit der Zweitheilung aus- gestatteten Organ" spricht, so hat er ein eigentlich so zu nennen- des Fortpflanzungsvermögen im Auge und dies kommt dem Mikro- centrum oder „Centrosoma" nach den obigen Ausführungen nicht zu. Dies ist eben der springende Punkt, dass Boveki den F o r t- pfl an zungsakt der Centr algebilde, sein er „Centrosom en'^, aufgefunden zu haben glaubte, worauf er heut noch den grössten Werth legt, während die eigentlich fort- pflanzungs fähigen Elemente der cellulären Centren erst von mir genauer bestimmt wurden, indem ich zeigte, dass es die Cent ralkör per sind, die sich durch Knospung vermehren (Nr. 16, S. 48.5). Es würde nach meinen Unter- suchungen nur einen Specialfall geben, in welchem die zu Beginn der 256 ^I- Heidenhain. Mitose stattfindende Theilung des Mikrocentrums zu gleicher Zeit ein wahrer Fortpflanzungsakt ist. Dies wäre dann der Fall, wenn das Mikrocentrum in der Zellenruhe nachweislich nur durch einen Centralkörper repräsentirt würde. Dass dies vorkommt, soll aber noch bewiesen werden; mir ist nichts dergleichen bekannt. Im Anschluss hieran erlaube ich mir darauf aufmerksam zu machen, dass sich nach einer Methode, die man die Methode der syste- matischen Reduktion nennen kann, ja sehr leicht bestimmen lässt, was eigentlich an den Centralgebilden der Zellen das Wesentliche ist. ^ Haben wir z. B. bei einem Säuger ein Drüsenorgan, so könnte der Phj'siologe von vornherein im Zweifel sein, welcher von den Be- standtheilen der Drüse für die Sekretion das ausschlaggebende Moment ist, ob das Blutgefässsystem, die Lymphbahnen, die Drüsenzellen oder was sonst. Geht man systematisch zurück auf niedere Greschöpfe, die keine so grosse Komplikation des inneren Aufbaues besitzen wie die Säuger, so zeigt sich, dass die Drüsen im einfachsten Falle auf die Epithelzellen reducirt werden, welche mithin den wesentlichsten Be- standtheil dieser Organe bilden. Vergleichen wir in der nämlichen Weise eine grössere Reihe von verschiedenen Mikrocentren und fragen, was im einfachsten Falle von einem solchen Organ übrig bleibt, so erhalten wir eben den Centralkörper als letzten Rest. Denn wenn z. B. eine Zelle in der Ruhe nur zwei Centralkörper besass und nun in die Mitose eintritt, so wird zunächst jedes der mitotischen Centren weiter nichts als einen Centralkörper enthalten. Somit müssen unwider- leglicher Weise die Centralkörper als dieintegrirenden Bestandt heile dercellulären Centren angesehen werden. Wir wollen nun die BovERi'sche Behauptung, dass es „ganz unab- hängig" von den Centralkörpern und „unbeeinflusst" von ihrer Zahl ein mit der Fähigkeit der „Zweitheilung ausgestattetes Organ", näm- lich das „Centrosoma" giebt, noch ein Stückchen weiter verfolgen. Eine besondere Stütze für diese Anschauung findet der Autor in dem Faktum, dass ein Mikrocentrum, auch wenn es aus drei oder vier Centralkörpern besteht, anlässlich der Mitose doch nur zwei und nicht drei oder vier Pole aus sich hervorgehen lässt. Wenn die Cen- tralkörper das Ausschlaggebende wären, warum bildet nicht jeder einen Pol? Wenn ich mir die Sache recht überlege, so finde ich eigentlich, dass diese Frage falsch gestellt ist. Sie beruht auf Boveri's An- schauung, dass die „Centrosomen" den Ablaut der Mitose und somit auch die Entwicklung der Spindelfigur „beherrschen". Boveri denkt also, dass auch |in meinem Sinne die Centralkörper, wenn von mir soviel Werth auf ihre Existenz gelegt wird, die verantwort- lichen Redaktoren der Mitose und der Spindelbildung sein müssten. Die Frage nun, warum bei Gegenwart eines plurikorpuskulären Ueber die MikroeentrOii mchrkernifrcr Riesenzellen etc. 257 Mikrocentrums nicht regelmässig eine pluripolare Mitose ent- steht, kann ich ebenso wenig beantworten, wie Boveri die andere Frage, welche Ursachen unter diesen Umständen zur Entwicklung einer gewöhnlichen bipolaren Spindelfigur führen. Denn die von meinen Herrn Opponenten beliebte Antwort: „weil in jedem Falle ein von den Centralkörpern unabhängiges „Centrosoma" vorhanden ist, welches die Fähigkeit der Zweitheilung besitzt", ist nur eine begriff- liche Umschreibung des Thatbestandes mit Worten, welche erst dann eine Bedeutung haben, wenn angenommen wird, dass das „Centrosoma" unabhängig von den Centralkörpern eine reelle Existenz ist und die Spindelbildung in eigentlichem Sinne beherrscht. Die Bildung einer bipolaren Spindel kommt aber, wie schon hervorgehoben wurde, auch ohne die Gegenwart irgend welcher Centren bei den Einzelligen vor. Es sind mithin meiner Meinung nach gewiss nicht die Central- körper „das Ausschlaggebende" bei dem Akt der Spindelent- stehung und ebenso wenig kann ich den BovEEi'schen Centrosomen- Begriff dafür anerkennen. Aber ebenso gewiss ist es nicht meine Meinung, dass die Gegenwart der Centralkörper für die Spindelbildung gänzlich ohne Belang sei; dies wolle man aus den obigen Worten nicht ableiten. Denn ich glaube ja dargethan zu haben, wie aus jedem Centralkörper auf dem Mittelwege der Knospung und Umwand- lung in ein Mikrocentrum die Anlage oder die materiellen Vor- bedingungen für die Entwicklung einer späteren Spindel sich herleiten können; ausserdem ist klar, dass die Entstehung pluripolarer Mitosen an die Gegenwart mehrfacher Centralkörper gebunden ist. Ist aber die Spindelanlage oder die Zwischenmasse des Mikrocentrums einmal ge- geben, so erscheint die Entstehung der Spindelfigur als ein in hohem Grade selbstständiger Process, und ich vermag, geradeso wie Boveri, vorläufig nicht anzugeben, warum aus einem plurikorpuskulären Mikrocentrum der Regel nach nur eine bipolare gewöhnliche Spindel und nicht eine komplicirte vielpolige Figur, die ja von sehr verschieden- artiger ßeschnffenheit wird sein können, hervorgeht. Das sind Dinge, die wir der Natur im Einzelnen noch nicht nachrechnen können. Ich kann also nur sagen, dass ich, obwohl es mir im Bereiche der Wissen- schaft schon das Liebste ist, wenn man Alles wasserklar haben kann, doch bei Gelegenheit bereit bin anzuerkennen, wie Dinge vorkommen, die über den platten Verstand vorläufig hinausgehen. Das Ver- hältniss der vielfachen Centralkörper zur bipolaren Mitose ist aber noch sehr dunkel. Dass dies Verliältniss ein noth wendiges sei und dass durch die Erzeugung mehrfacher Centralkörper innerhalb des nämlichen dynamischen Ceutrums der Individualität der je- weils vorliegenden einzelnen Zelle entsprochen wird, ist mir im höchsten Grade wahrscheinlich. Ich habe schon seit J;ihren diese scheinbare Ueber produktion von Centralkörpern als einen im Moi-pholog. Arbeiteu hrsg. v. G. Schwalbe, VIT. 17 258 M. Heidenhain. Sinne des S])annungsgesetzes kompensatorischen Vor- gang angesehen; näher will und kann ich mangels besserer Ein- sicht hierauf nicht eingehen (einige weitere Andeutungen siehe in Nr. 19). Es sei mir indessen gestattet, die BovERi'sche Fragestellung be- treffend die plurikorpuskulären Mikrocentren noch von einigen anderen Seiten her zu beleuchten. Ich denke, dass, wenn z. B. zwischen vier Centralkörpern ein und desselben Centrums nur eine zweipolige Spindel sich entwickelt, eine Art Selbststeuerung der Natur vor- liegen muss. Vielleicht ist der Umstand, dass in einem Mikrocentrum an irgend einer Stelle durch Wachsthum und Differenzierung die Spindelentwicklung eintritt, gerade die Ursache, dass an einer an- deren Stelle desselben Mikrocentrums die Spindelentwicklung nicht noch einmal in Gang kommen kann. Ist nun eine Selbststeuerung vorhanden, so ist sie doch keine mit absoluter Sicherheit ar- beitende, wie sich leicht an mannigfachen Beispielen erweisen lässt. Dies spricht gegen die BovEEi'sche uneingeschränkte Vorstellung von einem Organ, dem „Centrosoma", das ein für alle mal mit der Fähig- keit der Zweitheilung ausgestattet sein soll. So kommen normale Theilungsfiguren vor, die ausser den beiden Hauptpolen noch Nebenpole haben (Reinke); dies glaubte ich in früheren Jahren bei den Mitosen des Salamanderdarms häufig gesehen zu haben. Oder die Theilungs- figuren sind geradezu im Anfang pluripolar, während sie später bipo- lar werden. So sagt STEAssBURaER (Nr. 37., S. 176 ff) gelegentlich der Besprechung der Zelltheilung in den Sporangien des Leber- mooses Pellia epiphylla: „Ich habe keine einzige dreipolige Kernspindel in den Schnitten gefunden, welche eine grössere Anzahl dreipoliger Anlagen aufwiesen, so dass ich es für wahrscheinlich halte, dass solche überzählige Pole sich nachträglich vereinigen." „Mehrpolige Spindelanlagen sind Be- LAJEFF auch in den Pollenmutterzellen von Larix und Liliaceen ent- gegengetreten und zwar so häufig, dass er die Frage aufwirft, ob ein solcher vielpoliger Zustand dort von den Spindelanlagen nicht stets durchlaufen werde." Und ferner: „Ist der centrale Körper in der Astrosphäre, der bei Pflanzen als einfaches Centrosom gedeutet wurde, ein Mikrocentrum im Sinne Heidenhain's, so Hesse die Multipolarität pflanzlicher Spindelanlagen, wo sie vorkommt, sich leichter aus dem- selben ableiten." Aus allem diesem ersieht man doch ganz gewiss, dass es ganz im Gegensatz zu der BovERi'schen Anschauung nicht die Zahl der ver- fügbaren Centren allein ist, wodurch die Natur die Valenz der Mitose, d. h. die Zahl der Pole, bestimmt, sondern dass ausserdem noch ganz andere Dinge in Betracht kommen. Ich habe davon gesprochen, dass Einrichtungen vorhanden sind, durch welche der Regel nach die Bi- lieber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 259 Polarität der Mitose selbstthätig regulirt wird, in einer Weise, die uns vorläufig unbekannt ist. Und indem ich ein solches Vermögen der Selbstregulation annahm, habe ich der Thatsache selbst nur einen Namen gegeben. Ist das Mikrocentrum plurikorpuskulär, so geht mitunter diese Selbststeuerung thatsächlich ganz ver- loren, und die Gegenwart mehrfacher Centralkörper zieht dann aus- nahmsweise eine regelrechte pluripolare Mitose nach sich. Das schönste und unverdächtigste Beispiel dieser Art habe ich bei den rothen Blutkörperchen der Entenembryonen ge- Figur 10. ilothe Blutkörperchen vom Entenembryo (ca. 4 Tage alt). Bei diesen Zellen kommen sehr verschiedenartige Stellungen des Mikrocentrums vor. Dies hängt, wie später an andrer Stelle gezeigt werden soll, mit den rasch aufeinander- folgenden Theilungen und mit der Herausbildung der biconvexen Linsenform zu- sammen. Fig. a, b, c, d, h, i und k stellen Flächenansichteu vor. Die Zelle wird von einem starken, schwarz gefärbten Ring, dem DEHLER'schen Reifen, umfasst. In d drei Centralkörper, ebenso in b; in k ist die primäre Centrodesmose sichtbar. In e, f, g und 1 senkrechte Durchschnitte; der DEHLER'sche Reifen zeigt sich nun auf dem Querschnitt als kleiner schwarzer Fleck am scharfen Rande der Zellen. Sehr auffällig ist die Stellung des verklumpten Mikrocentrums in g. Vergrösserung : 2500. 17* 260 M. Heidenhain. sehen. Diese Zellen sind im allgemeinen bikonvexe Linsen, die bald kreisrund, bald mehr elliptisch geformt sind ; auf einem zu ihrer Plächen- ausdehnung senkrecht geführten Durchschnitte erscheinen sie spindel- förmig (vergl. Fig. 10; viele Abbildungen für das Hühnchen in Nr. 7 bei Dehler^). Der freie Rand der Körperchen ist zugeschärft und zeigt den von Dehler zum ersten Male beschriebenen soliden Reifen, innerhalb dessen die Masse des Blutkörperchens gleichsam ausgespannt ist. Die Mikrocentren verhalten sich ganz ähnhch wie beim Leuko- cyten ; die jugendlichen noch in den Blutinseln enthaltenen Blutzellen, welche die specifische Linsenform noch nicht ausgebildet haben, sehen Figur 11. Entwicklungsstadien rother Blutkörperchen beim Entenerabry o. In a, b, c sind Zellen einer Blutinsel aus jenem Zeitmomente dargestellt, wo Blut- plasma zwischen die Zellen eingedrungen ist und diese eine runde Form ange- nommen haben. In d, e, f sieht man das erste Auftreten des DEHLEß'schen Rei- fens, durch dessen verhältnissmässig schnelles Wachsthum die Zellen zur bikonvexen Linsenform umgestaltet werden. Vergr. : 2500. daher auch im Ganzen den Leukocyten sehr ähnlich, namentlich zu jener Zeit, wenn sie sich von einander zu lösen beginnen und Blut- plasma zwischen sie getreten ist, so dass sie nun Kugelform annehmen können, während sie vorher sich durch gegenseitige Pressung ab- platteten (Fig. IIa, b, c; in d, e, f erstes Auftreten des peripheren Reifens, welcher im Querschnitt zu sehen ist, und im Zusammenhang hiermit Uebergang zur Linsenform). Die Mikrocentren können mehr als 2 Centralkörper enthalten und im Zusammenhang hiermit finden sich gelegentlich pluripolare Mitosen (Fig. 12a). Diese enden mit der Bildung von Riesen blu tkörp er chen (Fig. 12b) welche mehr- kernig sind und sich genau so wie die in dieser Arbeit beschriebenen Riesenzellen verhalten. Man findet ihre Kerne ^) Einige weitere Erläuterungen zu der DEHi-Kn'schen Arbeit werde ich später ausführlich geben. Ueber die Mikroceutren raehrkerniger Riesenzellen etc. 261 demnach peripher und eine bald grössere, bald kleinere Centralkörper- gruppe in der Zellenmitte. Dieses Mikrocentrum kann einen bedeu- tenden Umfang erlangen und dann ist in ihm auch eine grosse Anzahl von Centralkörpern vorhanden ; für die fernere Vermehrung der Central- körper sind vielleicht die an den Riesenzellen eintretenden interkurrenten Mitosen von besonderer Bedeutung Dass solche vorkommen, ist ohne Frage, da die Zahl der Pole in manchen Fällen mehr als drei oder vier beträgt. — Auf jeden Fall ist klar, dass die Gegenwart mehr- facher Centralkörper in der ruhenden Blutzelle des Entenembryos unter Umständen dennoch für die Mitose von Belang sein kann, und die Frage BovERi's, warum nicht bei plurikorpuskulären Mikrocentren Figur 12. Bothe Blutkörperchen vom Entenembryo, und zwar a) eine^'dreipolige Mitose; b) ein Abschnitzel eines Riese nblutkörperchens, welches zwei Kerne und ein in der Zellenmitte gelegenes Mikrocentrum zeigt. J^Vergr. : 2500. jeder Centralkörper einen Pol bildet,^ muss dahin'^beantwortet werden, dass dies thatsächlich vorkommt, dass wir aber vor der Hand nicht wissen, warum dies das eine Mal so, das andre Mal anders statt- findet.-) Für die normalen Fälle der Zweitheilung muss es eine Art Selbstregulation geben; ob diese allein durch das Centrum erwirkt wird, oder ob der gesammte Zustand des Zellkörpers, vor Allem der- jenige der Zellsubstanz mit in Frage kommt, das wäre erst noch zu untersuchen. Es giebt aber in der INatur ganz gewiss kein solches Organ, wie das „Centrosoma", welches mit der souveränen Fähigkeit der Zweitheilung ausgestattet die Valenz der nächsten Mitose bestimmt, wie BovERi glaubt annehmen zu dürfen. ') Vom Rath (Nr. 30, S. 71) äussert sich wie folgt: „In Betreff der multi- polaren Mitosen möchte ich hier noch bemerken, dass ich dieselben auch recht häufig in völlig normalen andei'en Geweben, z. B. im Hoden von Vertebraten (Sala- mandra., Triton) und Evertebraten (Astacus) antraf; ebenso überaus häufig bei den Furchungsstadien der Eier von Seeigeln und Ascaris megalocephala zwischen völlig normalen Eiern normaler Thiere. 262 M. Heidenhain. Einen Hauptgegenstand der BovEHi'schen Polemik habe ich mir schliesslich bis zuletzt aufgespart. Ich erkenne gerne an, dass Boveei als ein eifriger und begeisterter Pionier der Wissenschaft einer der ersten war, der in dieses bis dahin unbekannte Gebiet eingedrungen ist. Aber wie in fremden Erdtheilen ein Entdecker am fernen Horizonte die hochragenden Gipfel unbe- kannter Länder auftauchen sieht, von ihnen getrennt durch unüber- windliche Schwierigkeiten, so hat auch Boveki die cellulären Centren nur von der Ferne gesehen, und es blieb seinen Nachfolgern überlassen die Wege zu finden und den Boden zu vermessen, auf dem eine neue Heimstätte der Wissenschaft sich erheben sollte. Hatte doch Edouaed VAN Beneden, Büveri's gleichzeitiger Mitarbeiter, das Ziel eigentlich schon erreicht und eine Darstellung gegeben, die der Wirklichkeit um Vieles näher kam. Dass bezüglich der Centren Boveri die Resultate VAN Beneden's von Anfang an gegen sich hatte, ist übrigens meiner Meinung nach immer viel zu wenig gewürdigt worden ! Die ausserordentliche Schärfe der BovERi'schen gegen meine Person gerichteten Streitschrift erklärt sich zum Theil auch daraus, dass ein alter Gegensatz zwischen BovERi und VAN Beni:den bereits bestand. Ich hatte nun der alten ßovERi'schen Centrosomenlehre in meinen früheren Schriften de facto den Boden entzogen und an Stelle dieser die Grundzüge einer neuen Lehre von den Centralgebildeu der Zelle entworfen, fussend auf der Thatsache, dass die Centren aller Orten gewisse der selbstständigen Vermehrung fähige Elementargebilde, eben die Centralkörperchen, enthalten. Allmählich hat sich herausgestellt, dass Boveei weder in älterer, noch in neuerer Zeit irgend etwas Ge- naueres von den cellulären Centren gesehen hat. In seiner klassi- schen Ascaris - Arbeit hat Boveri nach einem Verfahren konservirt, welches den einfachsten Grundlehren der histologischen Technik widerspricht und nach des Autors eigenem Ausspruch an der Hand der sonst maassgeblichen Gesichtspunkte gemessen „schlecht" ist; und er hat ferner ein Farbmittel angewendet, das Borax-Karmin, dem notorisch keinerlei specifische Verwandtschaft gegenüber den Mikro- centren zukommt. Die Resultate, die auf diese ungewöhnliche Weise betreffs der Centren erworben wurden, suchte Boveri dann später durch Untersuchungen am Seeigelei zu stützen, und der Autor glaubte zu neuen Uebereinstimmungen mit seinen früheren Erfahrungen gekommen zu sein. Indessen hat sich inzwischen fast Alles, was Boveri an dem neuen Objecte für die Centren hat Besonderes zeigen wollen, als unrichtig herausgestellt, da der Autor das Unglück hatte, dass zahlreiche Paralleluntersuchungen von anderer Seite her erschienen (von Kostanecki, Reinke, Hill, Field, vom Rath). Boveri giebt sich nun in seiner Streitschrift die grösste Mühe, lieber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 263 koste es, was es wolle, die von mir und anderen gegebenen neuen Daten mit seinen Anschauungen zu vereinigen. In Folge dessen verwirren sich für ihn die neuen wirklichen und die alten angeblichen Thatsachen zu einem unauflösbaren Konvolut. Sein und Schein schürzen sich zu einem gordischen Knoten und die Auflösung findet er darin, dass den von mir sogenannten Centrallförpern keine durchgängige morphologische Identität zukommt!! BovERi zieht also die Auffassung in Frage, dass die Central- körper, da sie in endlosem Einerlei immer wieder dieselben histologischen und physiologischen Erscheinungen darbieten, wie selbstverständlich, überall die nämlichen, sich entsprechenden, iden- tischen Bildungen sind. Auf künstlichem Wege scheidet er, — - wie? das werden wir noch sehen, — diese Körperchen in zwei Klassen, nennt die einen „Centrosomen", die andern ,. Centriolen" und meint auf diese Weise durch Besei- tigung der lästigen Cent ralkör per die Centrosomen- lehre zu retten! Man wird sich entsinnen, dass nach Boveki's älterer Anschauung das ,, Centrosoma'' ein solides Körperchen war, welches in den Prophasen der Mitose kolossal wächst und dann noch ein Centralkorn im Inneren zeigt; während der späteren Stadien der Mitose sollte dann das Centrosoma wiederum auf seine frühere Grösse reducirt werden. Demgemäss hatte ich ausgeführt, dass die Bezeichnung „Centrosoma'" nicht auf die Centralkörpergruppe des Leukocyten angewendet werden dürfte, denn dann hätte man die durchaus gleichwerthigen Central- körpergruppen der Riesenzellen des Knochenmarks ebenfalls ,, Centro- somen'' nennen müssen, und dies ging nicht wohl an, weil diese Centralkörpergruppen mitunter aus sehr vielen weit im Plasma über eine grosse Fläche hin verstreuten Centralkörperchen bestehen (Fig. 13 — 16; Fig. 18). Da wäre dann der Name ..Centrosoma'' beim besten Willen unanwendbar gewesen. Hier ist wichtig besonders her- vorzuheben, dass die im extremen Falle so überaus lose gebauten Centralkörpergruppen der Riesenzellen sich durch zahllose üebergangs- glieder auf der anderen Seite an die eu^ zusammengeschlossenen Centralkörperhäufchen anreihen , wie sie bei den Leukocyten und auch bei den Riesenzellen selbst vorkommen (siehe hier Fig. 17 und in Nr. 16, die jungen Riesenzellen in Fig. 38 — 40; ferner ebenfalls hier die Centralkörpernebengruppen in Fig. 19 und 20). Also nannte ich diese verschiedenartigen Centralkörperhäufchen insgesammt ,, Mikro- centren". Ihnen allen war gemeinschaftlich, dass sie einem ein- heitlichen Radiärsystem zu Grunde lagen, und dass ferner eine direkte organische Verknüpfung der jeweilen zu einer Gruppe gehörigen Centralkörper, wenn nicht überall nachgewiesen, so doch vermuthet 264 M. üeidewhaiu. Eigur 14. Figur 13. Figur 15. Figur 16. Figuren 13—16. Verschiedene Typen von Centralkörper- Hauptgruppen bei den Riesen- zellen des Kaninchen-Knochenmarkes. Bordeaux Eisenhämatoxylin. Ver- grösserung : 1660. Die hohlkugelfönnigen , auf dem Durchschnitte kranzförmigen Kerne sind nur in den Kontonrlinien dargestellt. Wiederholt aus den „Neuen Untersuchungen" fNr. 16, Fig. 74. 78, 79, 82 ; die letzten drei Figuren mit geringen Abän- derungen). Die Fig. 14 und 16 stellen gewöhnliche, die Fig. 13 und 15 ungewöhn- liche Formen der Centralkörper-Hauptgruppe vor, da nämlich bei den beiden letz- teren Fällen ausnahmsweise innerhall) der Gruppe eine Stelle, wo sich die Centralkörper besonders dicht zusammenschaaren, fehlt. Dies Verhalten ist typisch in Fig. 16 und 18 zu sehen. — Zu diesen Abbildungen ist noch Fig. 17 als Beispiel einer streng umgrenzten Centralkörper-Hauptgruppe — ohne Centralkörperverstreu- ung — hinzuzunehmen. Ueber die Mikrocentren raehrkerniger Riesenzelleu etc. 26 5 werden konnte. ^) Da damals kein besonderer Grund dagegen sprach, so nahm ich keinen Anstoss, die Bezeichnungen ,, Centrosoma" und „Centralkörper" als Synonyma zu gebrauchen, und so hatten bei mir die Leukocyten zwei bis mehrere Centrosomen. Dies passt nun nicht in das System der BovEKi'schen Lehre und er erklärt, dass die von mir sogen. Centralkörper überhaupt nicht untereinander gleichwerthige Bildungen vorstellen, dass man wohl bei den Knochenmarks -Riesenzellen ,. Centrosomen'' habe, nicht aber bei den Leukocyten; bei diesen sind die gleichen Körperchen nun nicht mehr „Centrosomen", sondern „Centriolen" ! Und der Beweis? Hier jj;> Figur 17. Riesenzelle des Kaninchenknochenmarkes. Bordeaux-Eisenhämatoxylin. Vergrösserung : 1660. Das Exoplasma zeigt die typische koncentrische Schichtung. Centralkörper- Hauptgruppe streng umgrenzt ohne Centralkörperverstreuung. Phä- nomen der koncentrischen Kreise. (Wiederholt aus den „Neuen Untersuchungen", Fig. 48.) ist er: die zwei, drei oder vier Centralkörper des Leukocyten stammen von einem Spindelpol ab, sind unter sich verbunden und bilden eine Einheit: das ,, Centrosoma''. Die Centralkörper sind hier nur ,, Ein- schlüsse" des ,,Centrosoms" und müssen einen neuen Namen erhalten — ,,Centriolen". Bei den Riesenzellen hingegen stammt jeder der von mir sogen. Centralkörper von einem Spindelpol her, also ist hier jeder ein ,, Centrosoma". Ausserdem sind die Centralkörper der Riesen- ^) Ferner kann noch hinzugefügt werden, dass sich die Centralkörper- Nebengruppen der grossen Riesenzellen des Knochenmarks häufig mit „Sphären" umhüllen, so dass sie in dieser Beziehung den Mikrocentren der Leukocyten gleichen ; sie bilden das beste Bindeglied zwischen den letzteren auf der einen und den Cen- tralkörper-Hauptgruppen auf der anderen Seite. 2(36 ^I- Heidenhaiu. Zellen nicht durcli Brücken untereinander verbunden und bilden somit keine höhere Einheit. Soweit Boveri! Hierzu werde ich mir einige Bemerkungen erlauben. Wir haben hier einen ganz neuen angeblich fruchtbaren Gedanken : Bei den Leukocyten stammt die ganze Centralkörpergruppe von einem Spindelpol, bei den Riesenzellen dagegen jeder Centralkörper für sich allein ebenfalls von einem Spindelpol, und auf Grund der gleichen Genese spricht man dort von einem „Centrosoma" und darin enthaltenen ,,Centriolen'* und hier allein von ,, Centrosomen". Selbst das Thatsächliche, was hier vorgebracht wird , ist un- richtig. Ich habe ausdrücklich angegeben, und Boveei kannte die betreffende Stelle, denn er citirt sie gelegentlich (Nr. 16, S. 471), dass ich an solchen mitotischen Figuren der Riesenzellen, welche einem Stadium der Anaphase entsprachen, öfters an jedem Theilungs- pole zwei Centralkörper aufgefunden habe. Da ich ferner eine Ver- mehrung der Centralkörper während der Zellenruhe wenigstens nicht ausmitteln konnte (Nr. 16, S. 624), so nahm ich an, dass sie sich der Regel nach während der Mitose fortpflanzen (Nr. 16, S. 624) und möglicher AVeise jedes Mal in verdoppelter Anzahl in die ruhende Zelle zurückkehren (S. 571). Da eben die einzigen bezüglich der Fortpflanzung der Centralkörper bei diesen Riesen- zellen vorliegenden Beobachtungen darin gegeben sind, dass am Schlüsse der Mitose gelegentlich zwei (übrigens ungleich grosse) Centralkörper an jedem Spindelpol nachweisbar sind, so folgt als sicher, dass in bestimmten Fällen, vielleicht aber immer, gerade wie beim Lympho- c y t e n je mehrere Centralkörper von einem S p i n d e 1 p o 1 sich herleiten. In Uebereinstimmung hiermit fand ich in einem Falle in einer sehr grossen Centralkörper - Hauptgruppe, welche wahr- scheinlich über 100 Centralkörper enthielt, eine grosse Anzahl der- selben paarweise geordnet (erwähnt in Nr. 16, S. 572). Ich kann mir nur denken, dass Boveki bei der Lektüre meiner Schrift einem Flüchtigkeitsfehler anheimgefallen ist und an jener entscheidenden Stelle, wo von der Vermehrung der Centralkörper an den Theilungs- polen die Rede ist, statt ,. Anaphase" — ,, Prophase'' gelesen hat. Da die Knochenmarks -Riesenzellen von Lyraphocyteu abstammen, so spricht die Wahrscheinlichkeit von vornherein dafür, dass wie bei jenen immer je 2 bis 3 Centralkörper von einem Spindelpol abstammen und ein BovEEi'sches ,,Centrosoma'' vorstellen würden. Da aber die ruhenden Riesenzellen (abgesehen von dem oben erwähnten Uni- cum) eine irgendwie regelmässige Zusammenordnung ihrer Central- körper nicht zeigen, so würde Boveri gar nicht einmal in der Lage sein angeben zu können, wie viele ,,Centrosomen'' man in einer be- stimmten Centralkörpergruppe anzunehmen hätte; die Zahl der ,,Centro- Ueber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 267 somen" müsste ja doch der Zahl der Spindelpole der nächst voran- gegangenen Mitose entsprechen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist aber die Zahl der von einem Spindelpol gelieferten Centralkörper wie beim Leukocyten eine wechselnde. M.Kx J.Ev Figur 18. Objekt, Färbung und Vergrösserung wie bei Fig. 17. (Wiederholt aus den „Neuen Untersuchungen", Fig. 57.) Centralkörper-Hauptgruppe mit Central- körperverstreuung. Sehen wir nun aber ab von dem Verstoss gegen das That- sächliche und betrachten wir jetzt die entwicklungsgeschichtliche Methode dieses BovERi'schen Beweises gegen die Identität der Central- körper, welche sich darauf stützen will, dass immer je ein „Centro- soma** von einem Spindelpol ,, entstammt''. Von einem Spindel- pol kann nämlich gar nichts entstammen, da der Spindel- pol ein geometrischer Ort, ein abstrakter Begriff ist und an sich keine körperliche Existenz hat. Bei Boveri wird aber die Sache so dargestellt, als sei der Spindelpol ein reelles Ding, von dem sich ein körperliches Wesen entwicklungs- geschichtlich herleiten Hesse. Jedermann weiss, dass der Spindelpol der geometrische Punkt ist, zu welchem die Spindelfasern konvergiren ; die Fähigkeit ,, Centrosomen*' in sich zu entwickeln hat dieser Punkt nicht. Die genetische Methode ist hier unanwendbar und die genetische Form des Beweises ist nur ein Trugschluss. That- sächlich läuft die Erzeugung der Genese, der Centralkörper beim 268 M. Heidenhain. Leukocyten und der Riesenzelle in gleicher Weise ab, indem nämlich immer ein Körperclien vom anderen abstammt, dies durch eine eigen- artige Form inäqualer Theilung, welche mir Veranlassung gab von einer Knospung zu sprechen. Ob die Körperchen aber zu je einem oder zu je mehreren an einem Spindelpol liegen, ist im Hinblick auf die Frage ihrer morphologischen Identificirung gleichgültig. Es ist also gewiss klar, dass auf diese Weise die durchgängige morphologische Identität der Centralkörper nicht angestritten werden kann, und es würde sich zweitens um die Frage handeln, ob eben jener genetische Beweis Boveri's etwas für die Frage zu leisten ver- mag, ob die Centralkörpergruppen der Riesenzellen mit den Mikro- centren der Leukocyten parallelisirt werden dürfen oder nicht. Hier- über lässt sich Folgendes sagen. Es ist zwar für die Centralkörper Figur ,19 u. 20. Objekt, Färbung und Vergrösserung wie bei Fig. 17. In beiden Zellen sind in den Einfurchungen der Kernoberfläche verschiedene Centralkörper-Neben- gruppen zu sehen; in Fig. 19 sind es vier Stück bei a, b, c und d, in Fig. 20 sind es zwei. (Wiederholt aus den „Neuen Untersuchungen", Fig. 83 u. 84.) selbst gleichgültig, ob sie zu je einem oder zu je mehreren einem Spindelpol „entstammen'^ denn hierdurch wird für sie keine genetische Differenz begründet, wie wir sehen; für die Mikrocentren aber trifft dies nicht in gleich erWeise zu, denn beim Leukocyten entstehen sie durch Centralkörpervermehrung in loco, während bei den Riesenzellen diejenigen Centralkörper, welche ein Mikrocentrum zu bilden berufen sind, sofern dieses einen grösseren Umfang hat, von den verschiedensten Or ten (Spindelpolen) her auf einen Platz zusammenrücken, um sich auf diese Weise erst nachträglich zu einem Centralkörperhaufen zusammenzuschaaren. Hier ist also eine lieber diu Mikrocenlren nichrkei*niger iliesenzellen otc. 269 wahre genetische Differenz vorhanden. Boveri folgert demgemäss, dass die Centralkörperhaufen der Riesenzellen keine Mikrocentren sind: Der Spindelpol der Leukocyten liefert eine Einheit, ein Mikroceutruni oder ein Centrosoma, demgemäss die vielen Spindelpole der Riesen- zellen viele Einheiten, viele Centrosomen; ordnen die letzteren sich zu Gruppen, so entsprechen diese doch nicht den Centralkörpergruppen oder Mikrocentren der Leukocyten. Diese Art von Beweisführung wäre dann als vollgültig anzusehen, wenn das Dogma zu Recht bestünde, dass zwei Dinge, die als morphologisch gleich- wert h ig angesehen werden sollen, immer nur auf ganz genau die nämliche Weise entstehen dürfen. Diese Voraus- setzung ist falsch. Es kann z. B. ein Zellenkern aus einem, aus zwei und auch aus 24 isolirten Chromosomen entstehen ; ja diese können sogar von verschiedenen Thieren herstammen. Es kann aber ein Zellenkern auch nach einer ganz anderen Methode z. B. auf dem Wege der direkten Theilung, zu Stande kommen. Ja es kann ein einfacher Zellenkern aus der direkten Verschmelzung zweier anderer entstehen, für den Fall nämlich, dass männlicher und weiblicher Vor- kern sich zu einem einheitlichen Furchungskern vereinigen. Kurzum : wenn das Faktum der allgemeinen morphologischen Gleichwerthigkeit zweier Organe nach bestimmten anatomischen Merkmalen feststeht, so kommt die Entstehungsgeschichte erst in zweiter Linie in Betracht. Ein Kern wird seinen allgemeinen Eigenschaften nach immer ein Kern bleiben, gleichviel, wie er entstanden ist, und das Gleiche gilt vom Mikrocentrum. Man wird einwenden, dass die auf verschiedenen Wegen entstandenen Zellenkerne eben einander nicht vollkommen gleichwerthig sind; dies ist gewiss richtig, aber die Mikrocentren der Leukocyten und Riesenzellen sind ebenso wenig unter einander voll- kommen identisch. Ich habe aber gezeigt, dass die bei diesen beiden Zellenformen vorkommenden sehr verschiedenartigen Formen der Mikro- centren sich in eine fortlaufende Reihe ordnen lassen, an deren einem Ende die Mikrocentren des Leukocyten und der jungen Riesenzellen, sowie die kleineren Centralkörper-Nebengruppen stehen, während am anderen Ende die Centraikörper-Hauptgruppen der er- wachsenen Megacaryocyten in ihren verschiedenen Formen bis zu den nur lose gebauten Centralkörperschaaren einschliesslich ihren Platz finden. Wegen der in einer solchen Reihe ganz allmählich statt- findenden Uebergänge ist für alle diese Bildungen die Bezeichnung Mikrocentrum wohl am Platze. — Also kann ich endlich nur zu dem Schluss kommen, das die von der Zahl der in Betracht kommenden Spindelpole gegen meine Darstellung abgeleitete Beweisführung Boveri's auch rücksichtlich der Mikrocentren nicht stichhaltig ist. Ausserdem zeigen die Beobachtungen Fakmer's an Fossombronia direkt, dass ein einheitlich fuuktionirendes Mikrocentrum durch Zusammenlegung 270 M. Heidenhain. mehrerer ursprünglich getrennter Centren entstehen kann (siehe oben S. 252), geradeso wie ich dies für die Knochenmarks-Riesenzellen dar- gestellt habe. Ich will nun noch das Weitere kurz besprechen, was Boveri gegen die durchgängige morphologische Identität der Centralkörper und gegen meine Art der Beurtheilung der bei den Riesenzellen vor- findlichen Centralkörperhaufen vorbringt. Rücksichtlich des Thatsäch- lichen möchte ich noch einmal hervorheben, dass jeder Beobachter, der sich ein einigermaassen unbefangenes Anschauungsvermögen glücklich ge- rettet hat, bei der mikroskopischen Betrachtung die Gleichmässigkeit aller der von mir als Centralkörper bezeichneten Gebilde sofort anerkennen wird. Ausserdem habe ich ja auch die Entwicklungsgeschichte des Megacaryocyten genau verfolgt und konnte mich auf dem genetischen Wege auf das Sicherste überzeugen, dass die fraglichen Granula bei Leukocyten und Biesenzellen das Nämliche sind ; ja, da die Riesen- zellen im Knochenmarke aus Leukocyten hervorgehen, so stammen die Centralkörper der ersteren direkt von denen der letzteren ab. Ausser- dem sind die kleinsten Formen der Riesenzellen überhaupt nur von einem mit dem Objekt ganz genau vertrauten Untersucher von Leukocyten zu unterscheiden : es herrscht eine ausserordentliche Ueber- einstimmung im Bau des Kerns, der Zellsubstanz, hinsichtlich der Sphären und der Mikrocentren ; nur dass die jungen Riesenzellen um ein Geringes grösser sind und anstatt 2, 3 oder 4 auch 5, 6 und mehr Centralkörper im Mikrocentrum aufweisen. Boveri äussert sich nun bezüglich der Riesenzellen-Mikrocentren wie folgt (S. 67). „Es zeigt sich .... nicht das Mindeste, was auf irgend eine Zusammengehörigkeit zu einer Einheit schliessen liesse, sei es durch eine nachweisbare Verknüpfung, sei es durch irgend eine alle Körperchen umfassende , nur von einer Einheit ausgeh- bare Wirkung. Heidenhain hat zwar zum Beweis hierfür einen Fall beschrieben, wo die zu einem Haufen vereinten Körperchen zusammen das Centrum einer schwachen Strahlenfigur bilden. Allein es entspricht vollkommen allen sonstigen Erscheinungen der Astrosphärenbildung, dass eine Mehrzahl von Centrosomen, wenn sie sehr dicht benachbart sind, dadurch dass ihre Wirkungssphären fast zusammenfallen, eine einheitlich kuglige Ausbildung des Radiensystems um sich veranlassen." In dem zweiten Theil dieses Passus giebt Boveri offenbar schon den Anspruch auf irgend Etwas sagen zu wollen, was bei einem aufmerk- samen Leser überzeugend wirken könnte. Denn allerdings müssen die „Wirkungssphären" mehrerer Centralkörper, wenn sie sehr dicht benachbart sind, zusammenfallen ; dadurch wird aber direkt bewiesen, dass mehrere eng benachbarte Centralkörperchen oder, wie Boveri will, „Centrosomen" eine neue dynamische Einheit, in meinem Sinn: ein Mikrocentrum, bilden, denn die „Wirkung" der ganzen Central- Ueber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 271 körpergruppe (Centrosomengruppe) ist nunmehr so, als ob nur ein Centralkörp er vorhanden wäre. Wenn nach Boveei die Erscheinungen einer gemeinschaftlichen, einheitlichen Strahlung bei Centralkörper- Haupt- und Nebengruppen, ferner die Erscheinung des Phänomens der koncentrischen Kreise (Fig. 17) und der Sphärenbildung (bei den Nebengruppen und den Mikrocentren junger Riesenzellen) nicht auf ein einheitlich ,, wirkendes" Centrum — Mikrocentrum — bezogen werden dürfen, dann soll Boveei doch sagen, was man unter der Phrase einer ,,nur von einer Einheit ausgehbaren Wirkung'' ver- stehen soll. Ausserdem: Wenn wir den Gedankengang BovERi's ganz genau, mit voller Strenge verfolgen, dann sind natürlich die 2, 3 oder 4 Centralkörper des Leuko- cyten erst recht als ebensoviele ,,C en tros omen" anzu- sehen, denn es entspricht ja nach Boveei allen sonstigen Erscheinungen der Astrosphärenbildung, dass eine Mehrzahl von Centrosomen, wenn sie sehr dicht benachbart sind, dadurch, dass ihre Wirkungssphären fast zusammenfallen, eine einheitliche Strahlung, Sphärenbildung etc. erzeugen; wir haben aber beim Leukocyten ßadiärfäden, die von 2, 3, 4 Centralkörpern ausgehen, sodass die gemeinschaftliche Strahlung aus 2, 3, 4 Sektoren besteht u. s. f. Ferner halte ich es nicht für angebracht darin eine erhebhche Differenz zu sehen, dass ich wohl bei Leukocyten, nicht aber bei den B,iesenzellen (Megacaryocyten) die primären Centrodesmosen auffinden konnte. Es kann dies für die BovERi'sche Auffassung, dass wohl die Mikrocentren der Leukocyten, nicht aber die der ßiesenzellen Einheiten höherer Ordnung seien, in Wahrheit keinen Stützpunkt abgeben. Denn die Centralkörper -Brücken sind überhaupt schwer nachzuweisen und oft findet man sie auch bei solchen Zellen nicht, bei denen sie nach- weislich doch vorhanden sind. Ich hatte es früher überhaupt für überflüssig gehalten in den Centralkörpergruppen der Knochenmarks- Riesenzellen nach den verbindenden Substanzbrücken genauer zu suchen, jetzt kann ich wenigstens soviel sagen, dass sie in den Neben- gruppen mitunter gut sichtbar sind. Da jede irgendwie grössere Nebengruppe von auch nur 5 — 6 Centralkörpern von mehreren Spindelpolen sich herleiten muss, so stürzt die Boveei' sehe Argumentation vollständig in sich zusammen, d. h. es liegt erstlich kein Grund vor^ warum man die Centralkörperhaufen der Megacaryocyten nicht als Mikrocentren ansehen sollte, ja im Gegen- theil, es sprechen viele haltbare Gründe dafür, und zweitens ergeben sich nach allem Angeführten die histologischen Elemente der Mikro- centren, die Centralkörperchen, als durchgehends gleichwerthige Bil- dungen. Alles in Allem genommen, muss ich es als wilkür- 1 i c h bezeichnen, wenn Boveei behauptet, dass ich durch 272 ^^- Heidenhain. die Art der Parallelisirung von Centralkörpern und Mikrocentren bei verschiedenen Zellen „den That- sachen Gewalt angetlian'' „nn d die Verwirrung gar auf den Höhepunkt gebracht hätte/' Schliesslich noch eine sachliche Bemerkung. Boveei hält es nicht für passend die „Centrosomen" durch ihr Verhalten gegenüber den Farbstoffen zu charakterisiren. Da hat Boveei ganz recht, denn die Centrosomen sind ja bei ihm bald Sphären, bald Centralkörper oder Gruppen von solchen. Wie sollten aber die Sphären ebenso reagiren können wie die Centralkörper selbst? Insofern ist das „Centrosoma" gewiss, wie der Autor sich ausdrückt, nicht verpflichtet sich in Eisen- hämatoxylin zu färben. Aber die Centralkörper können durch eben diese Methode bei einer vorsichtigen Technik sehr gut zur Dar- stellung gebracht werden, und zwar so, dass sie eine überein- stimmende Erscheinungsweise zeigen. Da die Centralkörper ausserdem auch noch durch die BiONDi'sche Lösung, durch das EHRLiCH'sche Triacid, durch das Säureviolett, durch die FLEMMiN&'sche Färbung in der nämlichen Weise darstellbar sind, so kann man sagen, dass sie zum mindesten durch ihr Verhalten gegenüber einer solchen Kombination verschiedener Farbstoffe in tinktorieller Beziehung genügend charakterisirt sind. Zusammenfassung und Schluss. Ich komme nun dazu die vorstehenden etwas weitschichtigen Er- örterungen zu einem Gesammtbild zusammenzufassen. Als Ausgangs- punkt für diese Rekapitulation mag Boveri's Definition des „Centro- soma" dienen. Diese lautet bekanntlich : „Unter Centrosoma verstehe ich ein der entstehenden Zelle in der Einzahl zukommendes distinktes dauerndes Zellenorgan, das, durch Zweitheilung sich vermehrend, die dynamischen Centren für die Ent- stehung der nächst zu bildf^nden Zellen liefert." Boveri hat natürlich vollständig Recht, wenn er eine solche Defi- nition nach allgi^meinen physiologischen Gesichtspunkten giebt. Es ist z. B. keine Definition für den Zellenbegriff, zu sagen, dass die Zelle aus Kern und Protoplasma bestehe, denn hierdurch werden für den, der mit der Sache selbst noch nicht vertraut ist, nur zwei neue Unbe- kannte eingeführt. Die Definition der Zelle muss vielmehr ihren physiologischen Zweck in erster Linie berücksichtigen, und ganz ähn- lich muss auch hier verfahren werden. Indessen füiile icli mich durch die BovERi'sche Aufstellung nicht im Geringsten befriedigt, besonders da, wie ich schon früher hervorhob, durch diesen Satz gleichwie durch einen Ukas die freien Rechte der Natur gefesselt werden sollen. Im Einzelnen habe ich Folgendes anzuführen. Ueber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen etc. 273 Ich beanstande zunächst den Ausdruck „Centrosoma", da er für gewisse Formen der cellulären Centralgebilde nicht passt (Riesenzellen, siehe oben) und wähle statt dessen den Sammelnamen „Mikrocentrum". Ferner halte ich den Passus „ein der entstehenden Zelle in der Einzahl zukommendes distinktes dauerndes Zellenorgan" für verfehlt, denn 1. es bleibt an sich unverständlich, warum ein Gegensatz zwischen einer entstehenden und einer fertigen Zelle konstruirt werden soll, wenn man nicht weiss, dass diese Art sich auszudrücken bei BovEEi lediglich auf ein Sopbisma (petitio principii, siehe oben S. 251) hinausläuft. Ausserdem haben fertige Zellen de facto häufig mehrfache räumlich getrennte Mikrocentren (Megacaryocyten , pflanzliche Zellen). Nimmt man als eine ,. entstehende*' Zelle im Sinne der Definition eine solche an, welche aus der Mitose zurückkehrt, so kommen der ent- stehenden Riesenzelle des Knochenmarks mehrere Mikro- centren zu. Das Gleiche wird wahrscheinlich bei manchen pflanzlichen Objekten der Fall sein. 2. Ferner muss man bei Vermeidung aller Voreingenommenheit sagen, dass es viel Konventionelles an sich trägt, wenn man bei einer Centralkörpergruppe von 2. 3, 4 Constituenten, — dies der gewöhnliche Fall bei ruhenden Zellen — nicht schlechtweg von 2, 3, 4 Centren spricht, sondern das Ganze ein einfaclies Mikrocentrum nennt (siehe oben S. 253 f.). Die letztere Bezeichnung kann im Grunde genommen nur wegen der in der Statik und Dynamik der thierischen Zelle zu Tage tretenden physikalischen Einheit der Centralkörper- gruppe gerechtfertigt werden, während wie früher hervorge- hoben, die Organeinheit einer plurikorpuskulären Centralkörper- gruppe gering ist. Es handelt sich in dem Mikrocentrum viel- mehr um ein physikalisches, denn um ein morphologisches Individuum. Also wollen wir in der weiter unten noch unsererseits aufzustellenden Definition lieher nicht von dem „der entstehenden Zelle in der Einzalil zukommenden*' Cen- tralgebilde sprechen, weil dies sehr leicht zu gänzlich missver- ständlichen Auffassungen Veranlassung geben könnte. 3. Ausserdem kann ich nicht billigen, dass in die Definition die Bestimmung des cellulären Centralgebildes als eines dauern- den Zellenorganes aufgenommen werden soll. Ich bin gewiss auch der Meinung, dass es sich hier um permanente Organe handelt; allein diese Frage ist noch immer nicht definitiv ent- schieden, und die Mikrocentren bleiben auf alle Fälle, sie mögen dauern oder nicht, das, was sie einmal sind und leisten so oder so dasselbe. Morpbolog. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 18 274 ^^- Heidenhain. Weiterhin erkläre ich es für nicht zutreffend ausgedrückt, wenn das BovEßi'sche ,,Centrosoma'' oder das Mikrocentrum so schlechtweg als „ein durch Zweitheilung sich vermehrendes Zellen- organ'' hingestellt wird. Denn hierdurch wird der Anschein erzeugt, als wäre von einer wahren Fortpflanzung die Rede, während die allein fortpflanzungsfähigen Grebilde ganz allein die Oentralkörper sind, die ihrerseits erst wiederum die Elemente der bei ruhenden Zellen stets zusammengesetzten Mikrocentren vor- stellen. Tritt die Zweitheilung oder Vermehrung des Mikrocentrums zu Beginn der Mitose ein, so handelt es sich nicht um die Fort- pflanzung eines bestimmten morphologischen Individuums, sondern lediglich darum, dass die Centralkörpergruppe, welche in physikalischer Beziehung bisher eine Einheit vorstellte, nämlich den gemeinschaft- lichen Angriffspunkt für die in dem zugehörigen centrirten Systeme ausgelösten Kräftewirkungen bildete, nunmehr in zwei derartige physikalische Einheiten, die Tochtermikrocentren zerlegt wird. Der Fortpflanzungsprocess, welcher dieser räumlichen Sonderung zu Grunde liegt und diese allererst möglich macht, hatte sich schon lange vorher, meist während der nächst vorangegangenen Mitose oder sogar noch früher, an den Oentralkörper n vollzogen. Wir streichen somit auch den Passus „durch Zweitheilung sich vermehrend", da er zum mindesten sehr zweideutiger Natur ist, ausserdem aber den Thatsachen insofern direkt widerspricht, als beim Uebergang etwa eines Leukocyten oder rothen Blutkörperchens in die pluripolare Mitose die Mehrfachtheilung des Centrums ungeachtet des BovEßi'schen Widerspruchs dennoch eintritt. Am meisten begründet wäre noch die Aussage, dass die Mikro- centren „die dynamischen Centren für die Entstehung der nächst zu bildenden Zellen" liefern. Schon Boveei hatte eine innere Beziehung zwischen der Orientirung der mitotischen Tochter- centren und der äquatorialen Einschnürung der Zellen erkannt. AVelcher Art diese Beziehung sei, das ist erst von mir auf Grund des Spannungsgesetzes dargethan worden und ich habe kürzlich gezeigt, dass sich ein Modell zum Spannungsgesetz construiren lässt, das sich selbstthätig in zwei Hälften zerlegt, sobald sein Centrum getheilt wird. Allein die BovERi'sche Fassung wäre doch zu allgemein gehalten, denn „die dynamischen Centren für die Entstehung der nächst zu bildenden Zellen" könnten in letzter Linie vielleicht, — einer herr- schenden Anschauung zu Folge — die Kerne sein (?). Ausserdem bin ich überhaupt nicht damit einverstanden, dass in einer Definition dessen, was man unter einem cellulären Centrum, dem Mikrocentrum, zu verstehen habe, die Beziehung zur Mitose den fast ausschliesslichen Gesichtspunkt der ganzen Auseinandersetzung ab- giebt, wie dies bei Boveri der Fall ist. Gewiss ist die Beziehung zur Ueber die Mikrocentren mehrkerniger Rieseuzelleu etc. 275 Mitose ungeheuer wichtig und bei der Erforschung der Centralgebilde wird die Untersuchung dieses Verhältnisses einen Hauptgegenstand aus- machen. Im Verfolg dieser Aufgabe bin ich selber dazu gekommen einen wesentlichen Schritt nach vorwärts zu thun, indem ich im Hin- blick auf die so oft behandelte Dynamik der Zell entheilun g mich veranlasst sah als ein nothwendiges Korrelat zu dieser Dynamik die Grundzüge einer Statik der ruhenden Zelle zu entwerfen. Wenn nun auch die specifische Abwägung der relativen Kräfteverhält- nisse in diesem von mir aufgedeckten Zustande des statischen Gleich- gewichts offenbar darauf angelegt ist, der nächsten Mitose vorzuarbeiten und ihr den regelrechten Ablauf zu sichern, so ist es doch nicht ge- rechtfertigt, das Mikrocentrum der ruhenden Zellen und die mit ihm in Zusammenhang stehenden Einrichtungen lediglich unter dem Ge- sichtspunkt der Mitose zu betrachten ; vielmehr hat das Mikrocentrum auch ohne Rücksichtnahme auf die Theilungserscheinungen als ein inte- grirender Bestandtheil der cellulären Architektonik allen Anspruch auf Beachtung. Ferner kommen bei „ruhenden" Zellen hier und dort Be- wegungserscheinungen vor, bei denen das Mikrocentrum eine erhebliche Rolle spielt. Dies ist beim Leukocyten, bei dessen amöboider Be- wegung nachgewiesenermaassen der Fall und kann vermuthet werden für die Chromatophoren der Fische und deren Pigment- wanderungen. Mithin ist das Mikrocentrum auch ausserhalb der Mitose unter Umständen nicht nur, wie schon erwähnt, für die normale Architektonik und die normale Vertheiluug der Spann- kräfte, sondern auch für die normale Funktion der Zelle von aktu- eller Bedeutung. Viele Autoren freilich neigen dazu das Mikrocentrum lediglich als ,,Theilungsorgan" anzusehen, ein Ausdruck, hinter dem bei Lichte besehen, recht wenig steckt, ausser man stellt sich auf den früheren Standpunkt Boveri's und nimmt an, dass dieses Organ die Mitose „beherrscht". Im Gegensatz hierzu möchte ich gelegentlich der Aufstellung einer näheren Definition für den Begriff „Mikocentrum" das Verhältniss zur Mitose nicht in den Vordergrund drängen, da meiner Meinung nach die Rolle des Centrums während der Zellenruhe und während derZellentheilungim Prin- cip die nämliche ist. Die Mitose erscheint dann ledig- lich als ein Specialfall der Verwerthung der Centren. Welche positive Daten sollen aber in eine solche Definition herein- genommen werden? Ich glaube, diese Frage kann in einer sehr einfachen Weise beantwortet werden. Wenn man von allgemeinen physiologischen Gesichtspunkten ausgeht, so kann man, wie ich schon in meinen früheren Arbeiten dargethan habe, „die Centralkörper, bezw. die Mikrocentren auch als celluläre „Insertionsmittelpunkte" bezeichnen. Denn sie stehen im Mittelpunkte eines Systems centrirter Zellenfäden und ihre Ober- 18* 276 M. Heidenhain. fläche dient diesen letzteren zur Insertion.- In diesen AVorten ist eigent- lich alles enthalten, was zu einer Definition dienen kann, nur muss die Fassung verbessert werden. Der Ausdruck „Insertionsmittelpunkt", der gelegentlich noch immer Verwendung finden kann, ist vielleicht nicht ganz geschickt. Ausserdem ist die hier vorliegende histologische Auffassung der centrirten Systeme vielleicht manchen Autoren nicht genehm. Also wird man vielleicht sagen können: „U nter einem Mikroceutrum soll ein Organ der Zelle verstanden werden, welches die Angriffspunkte eines centrisch geordneten Systems motorischer Kräfte der Zellsubstanz auf sich vereinigt." Hiermit ist gesagt, dass das Mikroceutrum wie ein Zünglein in der Wage zwischen diesen Kräften schwebt'). Der Untersucher wird nachdrücklich darauf ver- wiesen, zwischen der Zellsubstanz und den Centren zu unterscheiden, damit er nicht in den Fehler Boveri's verfalle, beides zu verwechseln. Dagegen wird von der genaueren histologischen Konstitution nicht ge- sprochen, da diese verschieden sein kann. Ausserdem ist die Fassung des Satzes derart, dass der Leser bereits darauf aufmerksam gemacht wird, wie bei der mechanischen Kalkulation, d. h. der physikalischen Berechnung, das Mikroceutrum durch einen geometrischen Punkt ersetzt werden kann, welcher alsdann unter dem Bilde des gemeinschaftlichen Angriffspunktes aller centrirten Kräfte erscheint. Diese Erklärung lautet allerdings ganz anders als diejenige Boveri's. Wenn in der Definition dieses Autors die Beziehung des Centrums zu den charakteristischen in der Richtung der Radien sich entfaltenden Kräftewirkungen keine Erwähnung findet, so halte ich dies für einen grundsätzlichen Fehler. Denn der Umstand, dass bei Boveri allgemein von „dynamischen Centren" die Rede ist, bietet für diese Unterlassung keinen Ersatz. Bei mir ferner wird lediglich das hervorgehoben, was in jedem Zustande des Zellenlebens, während der Zellenruhe und der Zeilentheilung, durchgehend als das Wesentliche erscheint, sobald über- haupt von einer Leistung des Mikrocentrums für das Leben gesprochen werden darf. Das Wesentliche finde ich also darin, dass das celluläre Centrum oder Mikroceutrum für eine ganze Reihe einzelner Kräftewirkungen, welche sämmtlich auf die Bewegung des Zellinhaltes abzielen, den ge- meinschaftlichen und daher im allgemein en central gelegenen Ort des Angriffs abgiebt. Erst durch die Existenz eines solchen Or- gans werden die betreffenden Einzelkräfte zu einer systematischen. ^) Mit dem obigen Satze wird aber natürlich nicht gesagt, dass bei Gegenwart eines Mikrocentrums jeder Zeit eine radiäre histologische Differenzirung vor- handen sein müsse, denn es ist denkbar, dass Zustände vorkommen, wo das Cen- trum funktionslos ist und eine centrische Kräftewirkung ebensowohl wie eine radiäre Differenzirung fehlt. lieber die Mikrocentren niehrkerniger Riesenzellen etc. 277 nämlich centrischen Ordnung zusammengefasst. Hierdurch werden dann aber diese Einzelkräfte gleichzeitig in eine bestimmte gegenseitige Abhängigkeit gebracht, da die Kraftwirkung sich durch Vermitte- lung des Centrums von einem Sektor der Zelle auf den anderen fort- pflanzt. An einem solchen Kräfte System ist ferner erst dadurch, dass dessen specifische, centrische Ordnung jederzeit durch die Gegenwart des Mikrocentrums verbürgt wird, der Eintritt einer inneren Ko- ordination der Kräftewirkungen möglich und das Gesetz dieser Koordination ist das Spannungsgesetz. Es bleibt noch übrig mit kurzen Worten auf die Centralkörper und ihr Verhältniss zu den Mikrocentren zurückzukommen. Eine detaillirte histologische und physiologische Charakteristik der Centralkörper habe ich bereits früher gegeben und in dieser Arbeit wiederum zum Ab- druck gebracht (S. 247 u. 248). Ich möchte indessen diese Charakteristik in der Art neu abfassen, dass sie der obigen Definition der Mikrocentren ergänzend an die Seite gesetzt werden kann. Somit würde ich mich etwa wie folgt ausdrücken : Unter Centralkörpern wollen wir die in den Mikrocentren vorfind- lichen histologischen Elemente verstehen, welche der Gestalt nach sich als solide, specifisch färbbare, meist kuglige Granula von sehr ge- ringer Grösse darstellen und die deutlichen Charaktere besonderer Individuen an sich tragen, insofern sie nämlich die Fähigkeiten der Assimilation, des Wachsthums und der Fortpflanzung besitzen, Eigen- schaften, durch welche sie ihrerseits das Wachsthum und die Theilungs- fähigkeit der aus ihnen gebildeten Mikrocentren gewährleisten. Würzburg, Anfang September 1896. Literaturverzeichniss. 1. BüLLES Lee: Sur le nebenkeru et sur la formation du fuseaux daus les spermatocytes des Helix. La cellule L XI. 2. BovEKi: Ueber das Verhalten der Centrosomen bei der Befruch- tung des Seeigeleies nebst allgemeinen Bemerkungen über Centrosomen und Verwandtes. Verh. d. Phys. med. Gesellsch. zu Würzburg. N. F. XXIX. Bd. 1895. 3. 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Cohn: Ueber die Mikro- centren in den Geweben des Vogelembryos etc. Siehe die diesem Artikel voranstehende Arbeit. 20. Herla: Etüde des variations de la mitose chez l'Ascaride Mega- loc6phale. Arch. de Biol. I. XIII. 1893. 21. VON KosTANECKi UND A. WiEBZEJSKi: Ucbcr das Verhalten der sogen, achromat. Substanzen im befruchteten Ei. Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 47. 1896. 22. VON KosTANECKi: Untersuchungen an befruchteten Echinoderraen- eiern. Anzeiger d. Acad. der Wiss. in Krakau. (Die aus- führl. Arbeit polnisch in den Abhandlungen der Krakauer Akademie von 1895). 23. VON Lenhossek: Centrosom und Sphäre in den Spinalganglien- zellen des Frosches. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. 46, 1895. 24. C. F. W. Mo Clure : On the presence of centrosomes and attraction spheres in the Ganglion cells of Helix pomatia, with remarks upon the structure of the cell Body. The Princeton College Bulletin, Vol, VIII. 1896. 25. Mead: Some observations on Maturation and Fecundation in Chaetopterus pergmentaceus. Journ. of Morphology. Vol. X. 1895. 26. NiESSiNa, Zellenstudien. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXXXVI. 27. Prenant, Sur le corpuscule central. Extract du Bull, de la Societe des Sciences de Nancy. 1894. 28. VOM Hath: Neue Beiträge zur Frage der Chromatinreduktion in der Samen- und Eireife. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. 46. 1895. 2 80 ^i- fleidenhain. 29. Derselbe : Beiträge zur Kenntniss der Spermatogenese von Sala- mandra maculosa. Zeitschrift für wissenschaftl. Zoolog. Bd. 57. 1893. 30. Derselbe: Ueber den feineren Bau der Drüsenzellen des Kopfes von Anilocra raediterranea etc. Ibidem. Bd. 60. 1895. 31. Reinke: Zellenstudien II. Arch. f. mikr. Anat. Band 44. 1894. 32. Derselbe: • Untersuchungen über Befruchtung und Furchung des Eies der Echinodermen. Sitzungsber. d. königl. preuss. Akad. d. Wiss. 1895. XXX. 33. J. RüCKERT : Zur Befruchtung von Cyclops strenuus. Anat. Anz. 1895. X. Band. .34. LuiGi Sala: Experimentelle Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung der Eier bei Ascaris megalocephala. Archiv für mikr. Anat. Bd. 44. 35. VON SiEDLECKi: Ucber die Struktur und Kerntheilungsvorgänge bei den Leukocyten der Urodelen. Anzeiger der Akad. der Wissensch. in Krakau. 1895. Ausführl. Arbeit mit schönen Abbildungen in den Abhandl. der Akademie von 1895. 36. Spueer: Beiträge zur Histiologie und Histogenese der Binde- und Stützsubstanz. Anatom. Hefte 1896. 37. Strassburger: Karyokinetische Probleme. Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik. 1895. 38. VAN der Stricht : La maturation et la fecondation de l'oeuf d'Amphioxus lanceolatus. Bull, de l'Acad. royale de Belgi- que. 1895. 39. Waldeyer: Die neueren Ansichten über den Bau und das Wesen der Zelle. Deutsch, med. Wochenschr. 1895. Nr. 43 ff. 40. Wheeler: The behavior of the centrosomes in the fertilized egg of Myzostoma glabrum. Journ. of Morphol. Vol. X. 1895. 41. Wilson and Mathews: Maturation, Fertilization and Pularity in the Echinoderm Egg. Journ. uf Morph. Vol. X. 1895. 42. Wilson: Archoplasme, Gentrosome and Chromatin in the Sea Urchin Egg. Journ. of Morph. Vol. XI. 1895. 43. H, E Ziegler: Untersuchungen über die Zelltheilung. Verband. d. Deutsch, zoolog. Gesellsch. 1895. 44. K. W. Zimmermann: Studien über Pigmentzellen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 41. M,mA Wl^_ (, s,l.>v,ll„lM Vll T;i|-. I. Fi /•>,/.'/.//,//"",/ /„, •-/:- t^^^ ^ Flr/Jin iy milil.i")' ■ n.Jrfh< Fi.iJ.m.c'',' ' r'" Fii/- W-< Fiif.'.'/ll^l Fi,/.:/?(f\> Fii/.ZI.C-r F,., ■■",."",' von Guslav f'isfluT ;i. ',:;, EMYS LUTAF;I/\ TAURICA. (\i ^ Fi,/ -.'H, / ^V . ,W .\lnipli..\il.. ^ (;.S(liwallj.'.li(IATI. ■ Gustav Hsrher . Struthio '"AMELUS. Fh Morph. Arfa. heraus^egv. G Sthwalhe. BiLVÜ. lal m. lu./A .Figm>^'_ ^_ /»//r? \--)- Firl.tl't.l'V f |- 1 isi/*;"^ # ... ■" ,^' '■■Hl : /' Struthio CAMELUS. ^ r-' u yj .M(rri)li..\i-b.r.-rji.;j v(i. .Schw-illii- lid.lll. %, Fig.l. Fig. 2. Kig.l5. Fuj, n. Hg. 3. ^ Fuiie. ^.«^^^ä*S?^k-:. Fu, '!■ .^^ Fü] 18. Fuj.Ü. Fic). 7. Fk|. 5. ;Ä*«?^«««»«*SÄi7^iSÄ«i^^ #Mfc-' '■'■'' Fig]9. Fig. 20. Fuj. 12. hV, :-! Fig.-23 Fig25 Fig2li. Fig 8. Fiq.i) ,v/ ,„ v/ '■"'J'-''- f^^^f!?^^m^^ .^.^s^^^b^ f?^te?s^* F.ij.lO. 1 ^"'"^ ' ^ '"' «^-:-i;'-:'.-.'.ü-;.:' ■ .; - .^...^... -.=..:.. ....,.x:. Fiq 'iL'. Jf, --"% m;iV. ".- Fiy.'iS ■■''^. fakj V Olistiv n.s.lu-i Mol-pli-.Vb.L: l Srlm .11 < li 1 \1I Fig32 I'ic(.:29. Flg. 30. ^..'^ Fu| :>! Füi.'»2 .*»»^"- F„, y,. /"■ Fi^'t3 f^?^^^^mf:'r^^W- Fiy.52 /^^ ^ Fiij.54. M > Fi., : Fii| .Mi /" \. Fi;,,: Fi.j.:is. -. F.^3'.) 1 I 1 , tl IHK ■; ' J!s> iri K Vorlag v Gilita' Fi.scIot, .Ter.? '..:*4".c ir3l4iie V E Sdw sl , Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme Dr. Martin Heidenliain, Doceut und Prosector in Würzburg. Mit 27 Abbildungen im Text. Auf der letzten Anatomen -Versammlung zu Berlin habe ich ein neues Modell zur Illustration des Spannungsgesetzes vorgelegt und den Grundzügen nach besprochen. Leider musste das Manuskript des betreffenden Vortrages abgeliefert werden (Nr. 8), ohne dass ich die vollständige Beschreibung des neuen Apparates gleich hätte mitgeben können, denn die definitive Form desselben stand damals noch nicht ganz fest uud die Ausführung der nöthigen Abänderungen durch den Mechaniker hat hinterher noch längere Zeit in Anspruch genommen. So ist es mir erst heute möglich das Ver- säumte nachzuholen ; gleichzeitig erlaube ich mir unter Bezugnahme auf die Versuche, die mein Ajiparat ermöglicht, einige bisher noch nicht erörterte Momente der cellulären Statik und Dynamik zur Be- sprechung zu bringen. Im Voraus sei bemerkt, dass ich gelegentlich dieses Aufsatzes nicht die Absicht habe mich in eine detaillirte Polemik, welche die Zellenmechanik betreffen müsste, einzulassen, denn man kann fast mit Sicherheit voraussagen, dass im Verlauf der nächsten Jahre die Zahl derjenigen Untersuchungen, welche sich gegen meine theoretischen Ausführungen erheben werden, noch beträchtlicher als bisher anwachsen wird. Es liegt somit weder in meinem noch auch im allgemeinen Interesse, in der Zwischenzeit fortlaufend neue ausgedehnte literarische Kämpfe heraufzubeschwören; vielmehr erscheint es mir angemessen, erst dann Morpholog, Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VII. ' 19 282 ^i- Heidenhain. in eine ausführliche Beantwortung der gegnerischen Schriften ein- zutreten, wenn die gegenwärtige Entwicklung in ein ruhigeres Fahr- wasser eingetreten sein wird. Ausserdem will es mir scheinen, dass diejenigen Autoren, die mit meinen Auseinandersetzungen nicht ein- verstanden sind, sich auf leichte Weise die von mir zu erwartenden Ein- wendungen vorstellig machen könnten, wenn sie sich die Mühe nehmen wollten, meine in Frage stehenden Darlegungen von meinem Stand- punkte aus wirklich einmal gründlich nachzurechnen. Ferner vollzieht sich auf dem in Betracht kommenden Gebiete der Zellenlehre eine fortwährende reichliche Produktion neuen Thatsachen - Materials und auch dies ist für meine Absichten günstig, da immerfort neue Daten zum Vorschein kommen, welche meiner cellular- mechanischen Theorie entsprechen. Schliesslich vertreten bereits einige Autoren den von mir selber eingenommenen theoretischen Standpunkt und ich möchte vor allem den in Gang begriffenen Publikationen dieser Autoren den Vortritt lassen. Inzwischen sei mir gestattet, meine Theorie in posi- tivem Sinne weiter zu entwickeln und nebenbei wenigstens einigen laut gewordenen Zweifeln zu begegnen. Ich denke, wie früher schon (Nr. 6. 7, 8 und 10), aucli ferner noch zu zeigen, dass eine sehr bedeutende Reihe von Einzel- thatsachen der Zellenlehre unter dem Gesichtspunkte des Spannungs- gesetzes einer gemeinsamen ursächlichen Beurtheilung fähig ist. Ich möchte hier daran erinnern, dass noch Niemand vor mir daran gedacht hatte, eine so grosse Summe scheinbar ganz zusammenhangsloser und noch dazu zum Theil sehr unscheinbarer Daten der Cellularhistologie und -Physiologie auf Grund eines gemeinsamen Principiums der Kausalität zu einem einheitlichen Bilde zusammen- zufassen. In dieser Beziehung werden meine Schriften, wie ich hoffe, stets vorbildlich bleiben. Eine Reihe derartiger Daten, welche die ruhende Zelle betreffen, sei hier zunächst zusammengestellt. Niemals vor mir war erwogen worden, welches in meclianischem Sinne der natürliche Ort des Kerns sei und ob eine bestimmte Ur- sache namhaft gemacht werden könne, welche jeweilen die Lage des Kerns bedingt. Dass nun der Kern bei einfachen Zellformen stets excentrisch liegt, ist eine Entdeckung, die erst durch mich bei dem Versuch, die physiologische Verfassung der ruhenden Zelle zu er- gründen, ans Licht gezogen wurde (Nr. 6, S. 490 ff ; Nr. 7, S. 493 ff). Denn vorher war das Faktum selbst wohl schon unzählige Male zeich- nerisch wiedergegeben worden ; dass aber hierin eine Thatsache von der grössten physiologischen Bedeutung enthalten sei, das war noch Niemandem zum Bewusstsein gekommen. So habe ich dann zunächst die excentrische Lage des Kerns mit der nachweislich centripetal ge- richteten Bewegungstendenz des Mikrocentrums in kausalen Zusammen- hang gebracht und gezeigt, dass es ein Gesetz giebt, das Spannungs- Neue Erläuterungen zum Spannun^sgesetz der centrirten Systeme. 283 gesetz, durch welches das Mikrocentrum nach der Zellenmitte, der Kern nach der Peripherie getrieben wird. Hierbei werden gleicherzeit die drei kritischen Punkte der Zelle, die Mitte des Kerns, die Mitte des Mikrocentrums und die Zellenmitte, auf eine gerade Linie eingestellt, welche ich als Zelle nachse (Hauptachse, Radius yector, erster Leitstrahl) bezeichnete (Nr. 6, S. 708; Nr. 7, S. 497; Nr. 10). Ich habe dann wahrscheinlich gemacht, dass auch die äussere Ge- stalt der ruhenden Zelle durch dieses Gesetz beeinflusst wird (Nr. 7. S. 514). da sie nämlich bei excentrischer Lage des Mikro- centrums sich in der Richtung ihrer Achse zu verlängern strebt, eine Thatsache, von welcher noch weiter unten die Rede sein wird. Ferner führte ich die äussere Gestalt des Kerns, speciell die bei dem Leukocyten zu beobachtende Polymorphie desselben und seine ami- totische Fragmentirung auf das Spannungsgesetz zurück (Nr. 6, S. 508 ff, Nr. 7. S. 511) und erklärte ebenso das merkwürdige Faktum, dass das Mikrocentrum zwar in die nächste Nachbarschaft des Kerns eintreten, nicht aber an die Kernwand selbst sich anlagern kann (Nr. 7, S, 529 f). Schliesslich zeigte ich neuerdings (Nr. 10), wie eben dasselbe Gesetz die gegenseitige Orientirung doppelter Central- körper mitbedingt und dass es nur ein verschiedenartiger Effekt der nämlichen kausalen Wirkungsweise ist, wenn die Stellung zweier Centralkörper beim Leukocyten variabel, bei der Cyliuderzelle in bestimmter Richtung fixirt erscheint. Es können somit schon an der ruhenden Zelle eine grosse Reihe von Thatsachen namhaft gemacht werden, Avelche sich dem Spannungs- gesetze fügen oder von ihm beherrscht werden, wobei ich hervorhebe, dass an die genetische Zusammengehörigkeit so vieler höchst ver- schiedenartiger Einzelfakta früher nicht gedacht worden ist. Die grundsätzliche Bedeutung meiner theoretischen Ausführungen über die ruhende Zelle ist aber in dem Nachweis enthalten, dass ihre ge- sammte Verfassung ^) einem Grundgesetz, dem Spannungsgesetz, unter- than ist, durch welches eine bestimmte Form des physikalischen Gleichgewichtes des Zellinhalts garantirt wird. Der Nachweis eines solchen Gleichgewichtes ist objektiv er- bracht, da die konstante Lagerung der drei kritischen Punkte auf dem Radius vector der Ausdruck dieses Gleichgewichtes ist. Es ist mit- hin möglich, auch ohne irgend eine specielle Vorstellung von den im Gleichgewicht stehenden Kräften zu entwickeln, etwas über die Ver- ^) Der Begriff der „Verfassung" wird hier nicht zufällig, sondern mit beson- derer Absicht auf den physiologischen Status der ruhenden Zelle angewendet, um zu bezeichnen, dass den morphologischen Anordnungen eine physiologische Konsti- tution bestimmter Art entspricht, welche durch ein organisches Grundgesetz „ver- fassungsmässig" garantirt ist. 19* 284 M. Heidenhain. tlieilung dieser Kräfte im ruhenden Zellkörper auszusagen ; es muss nämlich zu beiden Seiten jeder Ebene, welche durch die Zellenachse hindurchgelegt wird, die auf Kern und Centrum wirkende Kräftesumme die gleiche sein (vergl. Nr. 6, S. 506; Nr. 8, S. 68). Dieses Sym- metriegesetz der Kräfte ist Ursache der genuinen Sym- metrie der Zelle (Nr. 6, S. 705 ff). Ebenso dürfte kein Wider- spruch sich gegen die Behauptung erheben , dass gewisse langsame typische ßewegungserscheinungen im Zellenleibe (wie z. B. die Be- wegung des Centrums gegen die Zellenmitte, die des Kerns nach der Peripherie) dadurch bedingt sind, dass die Zellbestandtheile sich der Gleichgewichtslage zu nähern suchen , so lange bis sie diese erreicht haben. Während somit früher immer nur von der Dynamik der Zelle, insbesondere der Mitose, die Rede war, betrachte ich grundsätzlich auch den anfänglich gegebenen statischen Zustand und bin somit der Erste, der die Lehre von der Statik der rulieiideii Zelle vertritt, mit der Behauptung, dass diese die Grundlage für die Dyna- mik der Mitose sein müsse. Dies unterscheidet meine theoretischen Ausführungen scharf von denen aller anderen Autoren, dass ich jede Bewegung des Zellinhaltes als eine Störung eines vorher vorhandenen Gleichgewichtes auffasse und zu zeigen versuche, wie die aus jener Störung resultirende BcAvegung wiederum zu einer neuen Gleichge- wichtslage führen muss. Was nun speciell das Spannungsgesetz anlangt, so repräsentirt diese Theorie, wie ich denke, die einfachste Annahme, welche in Betreff der von dem Centrum ausgehenden Strahlen gemacht werden kann. Dass diese Strahlen, wenn ihre kontraktile Natur zugegeben wird, sobald sie gleich lang sind, die gleiche Spannung besitzen und mithin jeweilen bei gleicher Länge auch die gleiche Kräftewirkung haben müssen, sollte sich fast von selbst verstehen. Indessen erfuhr dieses Gesetz durch mich eine specielle Begründung, die ich der be- sonderen histologischen Erscheinungsweise der Radiärsysteme entnahm (Nr. 6, S. 498 ff). Es ist nun zwar kein Zustand der Zelle denkbar, in welchem einmal alle Radien gleichlang wären; sie v;erden de facto in der Zelle ungleich lang getroffen, da sie unter verschieden- artigen Bedingungen stehen. Meine Hyi^othese sagt aber aus, dass die absolute Länge aller Radien die nämliche sei. Dieser Satz soll aber richtig verstanden werden; denn in der Natur sind niemals zwei Dinge einander vollkommen gleich, sondern immer werden wenigstens geringe Verschiedenheiten vorhanden sein müssen. So würden auch die Radiärstrahlen, wenn wir sie wirklich vom Stand- punkt des Absoluten aus betrachten könnten, bezüglich ihrer wahren Länge geringe Unterschiede aufweisen, nur sind diese so klein anzu- nehmen, dass sie bei den für gewöhnlich vorkommenden Berechnungen Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 285 ausser Acht gelassen werden können.^) Doch habe ich gezeigt, dass besondere Verhältnisse im Zellenorganismus vorkommen , die gerade eben durch die geringen Verschiedenheiten der Radien ihre ursäch- liche Erklärung finden (Polymorphie des Kerns). Können nun solche Kontraktionserscheinungen und Kräftepro- duktionen, welche eventuell auf Grund specifischer die Zellsubstanz trefi'ender Reizwirkungen zu Stande kommen könnten, ausgeschlossen werden, dann ist die nothwendige Folge des Spannungsgesetzes, dass jeder einzelne Radiärstrahl bei einer beliebig gewählten, bestimmten Stellung des Centrums nicht eine beliebige, sondern eine bestimmte Kraftwirkung hat. Diese würde sich ihrem wahren Maasse nach er- mitteln lassen, wenn wir über die elastischen Eigenschaften der Zell- substanz etwas Genaueres wüssten ; da dies nicht der Fall ist, so kann die Wirksamkeit des einzelnen Radius vorläufig nur ungefähr im Ver- hältniss zu den übrigen nach seiner messbaren Länge taxirt werden, da nach dem Spannungsgesetz immer der längere Radius den stärkeren Bewegungseffekt hervorzubringen vermag. Das Spannungs- gesetz besagt also nicht allein, wie Einige zu meinen scheinen, dass die Radien in Spannung befindlich sind, — denn mit dieser Aussage allein wäre kein Gesetz beschrieben, sondern es wird behauptet, dass bei jedem erdenklichen Zustand der ruhenden oder in Theilung be- griffenen Zelle, sofern specifische Erregungen der Zellsubstanz ausge- schlossen werden können, die Kräfte (Spannungen) aller Radien je- weilen in einer ganz bestimmten Weise gegen einander abgemessen sind, so zwar, dass, wenn die Radien sich sämmtlich auf dieselbe Länge reduciren Hessen, sie die gleiche Spannung aufweisen würden. Es wird dies, wie mir scheint, ganz allgemein übersehen, dass es in Ansehung der cellularen Mechanik nicht bloss unsere Aufgabe ist, allgemein zu zeigen, dass die Radiärstrahlen eine Wirkung auf die Centren, den Kern und den Zeilumfang haben, durch welche Bewe- gungen dieser Theile erzeugt werden; vielmehr ist das eigentliche mecha- nische Problem darin enthalten, nachzuweisen, wie in jedem Zustande der Zelle aus der Summe der gesetzlich bestimmten Einzelwirkungen aller Radien eine bestimmte Resultante der Bewegung oder ein Gleich- gewichtszustand folgt. Es muss mithin ein Gesetz angegeben werden, nach welchem die Kraftentfaltung jedes einzelnen Radius zu jeder Zeit normirt wird und dies Gesetz ist nach meiner Meinung das Spannungs- gesetz. Ohne die Angabe eines solchen Gesetzes ist die Entwicklung einer cellularen Mechanik unmöglich und wenn in der Literatur von *) Man kann die absolute Länge der Strahlen gleich x -{- a, x + b, x-j-c u. s. f. setzen, wobei a, b, c , . . . — kleine, aber verschieden grosse Bruchteile von x vorstellen. Diese Formulirung würde dem realen Verhältniss in Wahrheit allein an- gemessen sein (vgl. Nr. 10). 286 M. Heidenhain. den Bewegungseffekten, die durch die Radiärstrahlcn zu Stande kommen, gesprochen wird, so laufen solche Erwägungen fast immer darauf hinaus, in willkürlicher Weise einzelne Strahlengruppen für eine be- stimmte Bewegung in Anspruch zu nehmen, während doch bei jeder denkbaren Bewegung und bei jedem denkbaren Zustande des Gleich- gewichtes die Kräftewirkungen aller Radien betheiligt sind, welche sich zu einer gemeinsamen Resultante zusammenlegen. Meine Bemühungen gingen dahin, die cellulare Statik und Dynamik einer rein physikalischen, einer mathematischen Fassung näher zu bringen. Obwohl wir hiervon nun himmelweit entfernt sind, so geht aus der Art meiner Darstellung doch hervor, dass für jeden Zustand des Gleichgewichtes eine Gleichung der Kräfte vorhanden sein muss, deren algebraische Fassung in allgemeinster Form für einen Physiker von Fach vielleicht möglich wäre. Ja, dass überhaupt ein mathematisches Kalkül hier und dort schon jetzt möglich ist, habe ich für einen be- stimmt angenommenen Fall, welcher der ungefähren Berechnung der am ruhenden Muttermikrocentrum ausgeübten relativen Kräftewirkungen dienen sollte, bereits nachgewiesen (Nr. 7, S. 537 ff). Da nun die exakte physikalische Berechnung mangels der nöthigen Unterlagen noch nicht möglich ist, so habe ich die Zustände des Gleich- gewichtes und der Bewegung, welche an den centrirten Systemen wahr- nehmbar sind, in anderer Weise zur unmittelbaren Anschauung gebracht, indem ich einen idealen Zellendurchschnitt, welcher dem Spannungsgesetz gehorcht, im Modell konstruirte (Nr. 7, S. 523 ff); da die kontraktile Fibrille von jeher, seit Jahrzehnten, bei den Physiologen einem Gummifaden verglichen worden ist, so wurden in dem Modell die Radiärstrahlcn durch Gummifäden ersetzt. Der Wert einer solchen Demonstration am Modell ist darin enthalten, dass für den Physiker von Fach die durch dasselbe veranschaulichten statischen und mechanischen Phänomene exakt zur Berechnung ge- bracht werden könnten. Wäre es möglich hier die entsprechenden Formeln zu finden, so wäre es vielleicht auch denkbar, dass nach ge- nauer Ergründung der Elasticitätsverhältnisse des Muskelfadens in jene Formeln die wahren Werthe eingesetzt werden könnten. Wie dies alles im Einzelnen in Angriff genommen werden müsste, darüber kann ich zur Zeit keine Auskunft geben. Indessen müssen bei der Darstellung umfangreicher Hypothesen wenigstens zugleich die Wege aufgezeigt werden, die in Zukunft zu weiteren Fortschritten, zu einer Befestigung und Vertiefung unseres theoretischen Wissens führen können; und dafür mögen die obigen Andeutungen genügen. Es ist nun mehrfach behauptet worden, dass die Radien nicht durch kontraktile Kraft wirken, sondern durch eine „Propulsionskraft", und dies wäre ein Princip, welches dem in meiner Theorie zur Ver- werthung gekommenen direkt entgegengesetzt sei; darum, — so wird Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 287 gefolgert. — seien meine theoretischen Betrachtungen unbrauchbar. Dies ist nicht richtig! Wenn wir eine Waage haben, so bleibt die Gleichung der Kräfte dieselbe, ob wir nun an den Waagschalen durch Zug oder durch Druck wirken; mithin ist von vornherein klar, dass, an vielen Stellen wenigstens, der allgemeine Sinn der mechanischen Betrachtung sich nicht ändern wird, ob nun Propulsions- oder Kon- traktionskräfte zu Grunde gelegt werden. Führt daher Jemand eine „Propulsionskraft" der Radien ein und setzt an die Stelle des Spannungs- gesetzes ein analoges Gesetz, nach welchem die Kraftwirkung des einzelnen Radius jederzeit normirt wird, so würde ich darin nur eine Abänderung meiner Theorie erblicken. Ich für meinen Theil konnte dem Hereinziehen von „Propulsions"-, „Repulsions"- oder „Attraktions- kräften" bisher keinen Geschmack abgewinnen. Mir scheint es das Naheliegendste zu sein, dass man sich an diejenigen Kräfte hält, welche in der Fachphysiologie bekannt sind, nicht aber an solche, die nur in den Schriften einiger weniger anatomischer und zoologischer Autoren eine fragwürdige Existenz führen. Viele Einwendungen gegen das Spannungsgesetz sind von den histologischen Strukturverhältnissen der Zellen abgeleitet worden. Wenn nun die Autoren meine den Bau des Leukocyten betreffenden Angaben in Zweifel gezogen haben, so kann ich hierauf kein Gewicht legen. Ich habe diese Untersuchungen an weissen Blutkörperchen, welche aus dem Jahre 1891 stammen, zweimal in verschiedenen Jahren von Grund aus wiederholt und bin dabei zu denselben Resul- taten gekommen; ausserdem hat Siedlecki (Nr. 17) alle meine An- gaben bis ins Einzelne bestätigt und so haben sie die genügende objektive Sicherheit. Auf einige Details werde ich weiter unten noch zurückkommen. Aber es sind auf Grund der mikroskopischen Bilder noch Ein- wendungen ganz anderer Art erhoben worden. Erstlich hat man ge- sagt, dass die centrirte Struktur bei weitem nicht allen ruhenden Zellen zukommt; zweitens soll die periphere Festheftung' der Strahlen in den meisten Fällen fehlen und drittens sei die centrirte Struktur über- haupt ganz wechselnder Art, so dass an ihr besonders während der Mitose mancherlei Umbildungen, Neubildungen und Abänderungen vorkommen. Auf derartige Einwürfe glaubte sich noch letzthin Meves (Nr. 20) stützen zu können. Alle diese Momente können aber überhaupt nicht zur Entkräftung meiner Aufstellungen ver- werthet werden. Gewiss sind die centrirten Systeme in den ruhenden Zellen, von denen ich ausging, nur sehr selten nachweisbar (vergl. hierzu Nr. 6, S. 645 f ; Nr. 7, S. 572). In der Ueberzahl der Fälle scheinen sie erst im Beginn der Mitose von Neuem zu entstehen. Gerade aus diesem 288 M. Heidenhain. Grunde sind eben jene Zellen, bei denen sich die cen- trirte Struktur während der Ruhe erhält, besonders ge- eignet für ce 11 ularme ch anische Untersuchungen, da eben im entgegengesetzten Falle das Emportauchen neu entstehender Radiärsysteme so viel des Räthselvollen in sich birgt, dass wir mit unserem ürtheil an einen derartigen Process nicht mehr heranreichen. Ist aber die radiäre Struktur hier und dort auch während der Zellen- ruhe vorhanden, so vereinfacht sich für diese Objekte die mechanische Betrachtung in enormem Grade, da wir eben einen festen Ausgangspunkt besitzen. Ja wenn nirgends in normalen Geweben ruhende Zellen mit centrirter Struktur vorkämen, so müssten wir allen Ernstes daran denken, solche in pathologischen Gewebeformen aufzusuchen oder sie auf experimentellem Wege zu erzeugen. Der Physiker hat die Gelegenheit nach seinem Willen die Umstände, unter denen ein Naturgesetz wirksam wird, zu leiten; somit giebt er seinen Experimentalversuchen eine bestimmte, gewollte, einfache (!) Anordnung, wie sie vielleicht ausserhalb seines Laboratoriums in der ganzen Welt nicht wiederkehrt, und er weiss, dass das unter den ein- fachsten Bedingungen ermittelte Gesetz nothwendig überall gilt, auch wenn in der Natur selbst ein solches Gesetz durch das Dazwischen- treten massenhafter Nebenursachen in seiner Wirkung bis zur Un- kenntlichkeit verändert werden sollte. Wir können nicht lebende Zellen bauen mit einer bestimmten, gewollten, einfachen inneren An- ordnung; aber wir können suchen solche Zellen ausfindig zu machen, die einen denkbar einfachen Aufbau zeigen, und wenn solche Zellen- formen auch nur ausnahmsweise vorkommen, so können und müssen sie doch zur Grundlage mechanischer Untersuchungen dienen. Solche einfach geartete Zellformen sind aber eben die Leukocyten gerade darum, weil sie sehr vollständige Radiärsysteme schon in der Zellenruhe zeigen und wir auf diese Weise bei diesem Objekte um die heikle Frage herumkommen, wie solche Radiärsysteme von Neuem entstehen mögen (vergl. Nr. 7, S. 475—479). Wenn ferner ein Beweis gegen meine Auffassung der mechanischen Vorgänge im Zellkörper darin gefunden worden ist, dass bei vielen Zellformen die Festheftung der Radiärstrahlen an der Peripherie nicht nachweisbar ist, so kann ich nur erwidern, dass es auch ganz gleich- gültig ist, ob sie die Peripherie erreichen oder nicht, wenn nur die Zellsubstanz unter sich zusammenhängend ist und die Radiärfäden mit dieser ein Kontinuum bilden, so dass eine Uebertragung der Kraftäusserung bis an die Zellenperipherie erfolgen kann. Auch das ist im Princip gänzlich ohne Belang, ob die radiäre Struktur während der ganzen Dauer der Mitose eine in gleicher Art fortdauernd persistirende ist, oder ob einige Strahlen währenddessen zu Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 289 Grunde gehen, andere neu entstehen : wenn nur die Strahlen, welche gerade eben vorhanden sind, dem Spannungsgesetz unterliegen. E.einke (Nr. 16, S. 12) hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass der Wechsel der Struktur an sich nicht das Geringste mit diesem Gesetz zu thun hat. Ja ich gehe noch weiter : Ich habe das Gesetz zwar aus der cen- trirten Struktur abgeleitet, anwendbar ist dasselbe aber auch auf alle anderen Fälle, wofern nur eine kontraktile Zellsubstanz vorhanden ist, denn diese kann ja natürlich immer in einem solchen Spannungs- zustande befindlich gedacht werden, welcher dem Spannungsgesetze entspricht (Nr. 8, S. 77). Hierbei könnte die sichtbare histologische Struktur jede beliebige sein. Ja auch ein anscheinend homogener Zellkörper könnte dem Spannungsgesetz Folge leisten. Es müsste aber für alle Fälle angenommen werden, dass diesem eigentümlichen Zustande innerer Spannung jederzeit eine seriale, centrische Anordnung der die Kontraktion verbürgenden Moleküle entspricht. Wenn ich mit- hin der Anwendbarkeit des Gesetzes, nachdem es einmal aus der sicht- baren centrirten Struktur hergeleitet ist, eine derartige Ausdehnung zu geben geneigt bin, so stelle ich mich auf den Standpunkt des Physikers, der z. B. die Molekulartheorie an einem beschränkten Orte, aus den Erscheinungen der Kompressibilität der permanenten Gase, herleitet, sie aber auch auf solche Körper anwendet, die niemals in die Form permanenter Gase gebracht werden können, und ich erwarte hierbei, genau wie der Physiker, dass die allgemeine Giltigkeit der Theorie mit der Zeit per deductiouem sich erweist. Wie man sieht ist es also an sich verfehlt, auf Grund der blossen histologischen Erscheinungsweise der Zellsubstanz diese mechanische Theorie kritisiren zu wollen. Vielmehr ist sie ihrem Charakter nach in weitem Umfange von der sichtbaren Zellstruktur unabhängig und lässt sich auch ohne jedwede Berücksichtigung derselben aus den blossen Erscheinungen des cellulären Gleichgewichtes und der Bewegung her- leiten. Hierin beruht ihre Stärke , denn jeder Erfahrene wird be- stätigen können, dass Zellen, die ihrem histologischen Charakter nach ein ganz verschiedenes Aussehen an sich tragen, die gleichen Erscheinungen der cellulären Statik und Dynamik darbieten. So kann man mitotisch sich theilende Zellen treffen, welche in sehr verschiedenem Grade fibrillär, homogen, granulirt oder auch in starkem Maasse va- kuolisirt erscheinen. Hierbei läuft die Mitose in den Grundzügen nach demselben Schema ab und es ist anzunehmen, dass auch die statischen und dynamischen Grundgesetze in allen Fällen die nämlichen sein werden. Die enge Anlehnung an die FLEMMma'sche Filartheorie ist aber für cellular-mechanische Untersuchungen in jedem Falle gerecht- fertigt, da nach den Erfahrungen der Fachphysiologie die Kontraktions- erscheinungen, mit denen wir es hier an erster Stelle zu thun haben, 290 M. Heidciihain. an eine reihe n weis e Anordnung der die Kontraktion verbürgenden Moleküle gebunden sind. Diesen kontraktionsfähigen Molekülreihen, welche in jedem kontraktilen Plasma vorausgesetzt werden müssen, kann die histologische Differenzirung entsprechen, sie muss es aber nicht. In dem ersteren Fall haben wir die Filarstruktur Flemming's, in dem letzteren Fall würde sich die sichtbare histologische Struktur auch nach Nebenumständen richten können, welche in mechanischer Beziehung kein besonderes Gewicht haben. Ausserdem möchte ich hervorheben, dass mit dem Vorhanden- sein kontraktiler Molekül reihen immer eine feste Struk- tur der Zelle implicite gegeben ist; denn man muss sich vorstellen, dass die in Betracht kommenden Moleküle in Reihen unter einander zusammenhängen wie die Glieder einer Kette. Die feste Verfassung der lebenden Zelle wäre also auch dann gegeben, wenn sie nebenher 99 "/„ Wasser enthalten sollte. Mit dieser An- schauung betreffend den festen Aggregatzustand der lebendigen Materie bleibe ich auf dem Boden der Fachphysiologie stehen und ich werde mich hierin nicht beirren lassen, auch wenn noch so oft wiederholt werden sollte, dass im Zellenkörper gelegentlich Strömungserscheinungen beobachtet werden können, welche anscheinend einer nach Zeit und Umständen bestimmten Architektonik der Zelle widersprechen. Desgleichen kann ich keinen stichhaltigen Einwand gegen meine mechanische Theorie darin finden, dass bei manchen Zellformen während der Mitose reichliche amöboide Bewegungen stattfinden (BÜTSCHLi, H. E- Zieglee). Dieser Fall zeigt eben nur, dass trotz der Interkurrenz der amöboiden Bewegungen, dennoch jene Gesetze dauernd wirksam bleiben, welche den Ablauf der Mitose regeln und sie ihrem schliesslichen Ende entgegenführen. Es ist selbstverständ- lich, dass die amöboiden Bewegungen und die Mitose an demselben lebenden Materiale gleichzeitig ablaufen; dies scheinen einige Autoren sich nicht vorstellen zu können. Wenn ein Blatt von einem Zweige sich ablöst, so wird es zur Erde fallen; das eine Mal, bei AVindstille, fällt es vielleicht senkrecht zu Boden, das andere Mal, bei Sturmwind, kann es in nahezu beliebiger Weise durch die Luft dahingetragen werden : aber es kommt doch schliesslich herab zur Erde, weil die Anziehungskraft fortdauernd wirkt. Wenn ich nun die Fallgesetze studiren will, dann werde ich mir nicht die ungeordneten Bewegungen eines vom Sturme dahingetragenen Blattes zum Muster nehmen, sondern ich werde Windstille abwarten. So werden wir auch beim Studium der Mitose zunächst von jenen Fällen absehen müssen, wo gleichzeitige für unser Auge ungeordnete amöboide Bewegungen den gesetzmässigen Verlauf der Mitose in mannigfacher Weise ab- ändern. Denn obwohl die Mitose auch hier zum glücklichen Schlüsse kommt, zeigt sie uns in diesem Falle doch kein reines Bild der in Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 291 Betracht kommenden Processe, und der gerade Weg der Untersuchung ist allein der, sich von vornherein an solche Zellformen zu halten, die ungeordnete Bewegungen nicht erkennen lassen. In jenem Fall, wo die in Mitose begriffene Zelle gleichzeitig amöboide Bewegungen ausführt, ist es also der gesetz massig normirte Durch- schnittder Kräfte Wirkung, welcher den gesetz massigen Ablauf der Mitose zu Wege bringt. Ein anderes Beispiel ähnlicher Art haben wir an den amöboid beweglichen Leukocyten. Ein grosser Theil derselben wird bekanntlich von jenen Zellen repräsen- tirt, welche die Pathologen einfach als ., Rundzellen" bezeichnen; das sind Elemente mit bläschenförmigem Korn, welche im fixirten Präparat durchaus den Habitus einer ruhendeR, nicht-beweglichen Zelle zeigen. Da man sie heerdenweise auch innerhalb der Epithelien findet, so ist ihr Charakter als Wanderzellen erwiesen. Mithin ist hier die bei der amöboiden Bewegung stattfindende Kräfteentwicklung durchschnittlich derart beschaffen , dass trotz aller im Sinne des Spannungsgesetzes heterotypischen Kontraktionen die dem Ruhezustande eigen- thümliche Lage des Kerns und des Mikrocentrums dauernd gewahrt bleibt. Dies Beispiel ist auch insofern passend, als in den Leukocyten Zellen vorliegen, die trotz der amöboiden Beweglichkeit, welche ja so oft als ein Anzeichen der flüssigen Konstitution der lebendigen Materie angesehen worden ist, eine centrirte Filarstruktur aufweisen, aus deren Verhalten im Ruhezustande das Spannungsgesetz abgeleitet werden konnte. Meine theoretischen Untersuchungen sind, wie bekannt, vom Leukocyten ausgegangen und ich habe den Bau desselben durch das Schema der Fig. 1 illustrirt. Ein Autor, VON Eelanger (Nr. 4, S. 3), hat aus diesem Schema gefolgert, dass ich dieQuerverbindungen der Zellenfäden leugne; dies ist mir garnicht eingefallen. Im Gegentheile habe ich in der Schrift „Ueber Kern und Protoplasma" die Gegenwart von Querverbindungen ausdrücklich zugegeben (S. 151 f). Nur war nicht nöthig diese Querver- bindungen in das Schema aufzu- nehmen, da sie in mechanischer Beziehung erst in zweiter Linie in Betracht kommen. Ausserdem halte Fig. l. 292 M. Heidenhain. ich sie für plastischer . bildsamer Natur, da sie den mannigfachen Umformungen des Kerns auf die Dauer keinen wesentlichen Widerstand entgegensetzen. Dass die in den Zellenfäden enthaltenen Cytomikrosomen durch quere Aneinanderreihung Mikrosomenschichten bilden können, aus denen bei Gelegenheit durch wahre Querverbindung Membranen hervor- gehen, habe ich für die Riesenzellen des Knochenmarks wahrscheinlich ge- macht. Ich zweifle an der queren Verbindung der Fäden des Cytomitoms um so weniger, als ich mit van Beneden die vollkommene Analogie der Zellen- und Muskelfibrille annehme; für den quergestreiften Muskel ist es aber sehr leicht nachzuweisen, dass seine Fibrillen auf der Höhe der Endscheiben durch die ganze Dicke des Primitivbündels hin- durch unter einander in Querverbindung stehen. Dies zeigt jede gute Protoplasmafärbung. Die mechanische Bedeutung dieser die Fibrillenzüge im Muskel und in der Zelle quer überschreitenden Ver- bindungszüge ist, wie ich denke, nicht schwierig einzusehen. Wir haben hier eine ähnliche Einrichtung wie in den Streckbandsystemen der Knochenspongiosa. Kontrahirt sich die Muskelfaser, so wächst ihr Querschnitt und die queren Verbindungszüge müssen in Spannung ge- rathen; hierdurch würde beim Kontraktionsakte ein seitliches Aus- einanderfahren der Fibrillen hintangehalten werden. Die quere Ver- kupplung würde somit jederzeit die parallele Lage der Fibrillen und ihr Verbleiben in der grösstmöglichen Zugwirkung garantiren. Die mechanische Leistung der transversalen Verbindungen im Cytomitom kann mit Wahrscheinlichkeit von einem analogen Gesichtspunkte aus beurtheilt werden ; ihre Bedeutung für die Erhaltung der gegenseitigen Lagebeziehuug der Theile dürfte nicht unerheblich sein. In dem Schema der Fig. 1 habe ich den Kern so eingezeichnet, dass er die Radiärstrahlen auseinanderspreizt; man sieht die Strahlen sämmtlich an der Zellenperipherie, keinen am Kern enden. Die Behauptung einer derartigen Anordnung hat mehrfachen Wider- spruch hervorgerufen ; insbesondere hat Boveri sich bemüht das wissen- schaftliche Publikum davon zu überzeugen, dass diese meine Darstellung eigentlich durch nichtsn begründet sei. Indessen werden die von mir für meine Auffassung vorgebrachten positiven Daten nicht näher gewürdigt. Es giebt aber eine ganze Reihe von cellularhistologischen Thatsachen, welche ausschliesslich durch die Aufstellung eines derartigen Schemas erklärlich sind. Bisher hatte ich folgende in Betracht kommenden Punkte geltend gemacht. 1. Der Kern drängt sich gelegentlich zwischen die Sphärenstrahlen ein und spreizt sie auseinander (dies ist von vielen Autoren abgebildet worden, z. B. von Hermann, Drüner Nr. 3, Fig. 44. M. Heidenhain Nr. 1. auch von Kostanecki Nr. 13; ferner SiEDLECKi). Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 293 2. Die durch die quere Aneinanderreihung der Cytomikrosomen hervorgebrachten koncentrischen Kreise (Phänomen der kon- centrischen Kreisfiguren), insbesondere das van BENEDEN'sche Mikrosomenstratum (Nr. 6, S. 504) schneiden, wenn die von ihnen gebildeten Kurven auf den Kern treffen, mit der Ober- fläche desselben plötzlich ab, so dass sie also vor dem Kern nicht ausweichen (vergl. das Schema Fig. 1; entsprechende Abbildungen bei Drüner und vom Rath). 3. Das Phänomen der koncentrischen Kreise ist in der Nähe der Sphäre deutlicher, weiter von ihr entfernt undeutlicher, ferner im Allgemeinen bei Zellen mit einfachem, kugligem Kern schwerer auffindbar als bei Zellen mit polymorphem Kern — alles Dinge, die nur durch mein Schema verständlich werden (Nr. 6, S. 499 f Anmerkung). 4. Hebt sich die Zellsubstanz (beim Leukocyten !) auf artificiellem Wege vom Kern ab, so erscheinen die ßegrenzungsränder der entstehenden Lücke glattrandig (Nr. 6, S. 504). 5. Am Ende der Mitose wächst der Kern, nachdem er sich schon mit einer Membran umgeben hat, noch sehr stark an, so dass also hierdurch bei solchen Zellen, bei welchen das Radiär- system während der Zellenruhe persistirt, nothwendig das Strahlensystem auseinandergedrängt und in specifischer Weise gespannt werden muss (Nr. 6, S. 506). [6. Den Verlauf der Strahlen um den Kern herum hat Platner bereits abgebildet (Spermatocyte von Paludina vivipara).] Auf Grund der obigen Daten habe ich den meiner Meinung nach unausweichlichen Schluss gezogen, dass die Radiärfäden um den Kern herumlaufen und sich schliesslich an der Zellenperipherie inseriren. Ich hatte nun bisher nicht alle Momente, welche zu Gunsten meiner Auffassung sprechen, aufgeführt, da ich einige Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen für mich zurückbehalten wollte. So glaubte ich den Verlauf der Radien um den Kern herum beim Kaninchen- leukocyten direkt beobachtet zu haben, wollte mich aber gerade auf dieses Objekt nicht gerne stützen, da der Kaninchenleukocyt, weil zu klein, im Allgemeinen für Plasmastudien ungeeignet ist. Ferner hatte ich in Erwägung gezogen, ob es nicht vielleicht gerade der Natur der Sache entsprechen könnte, dass die dem Kern nächstbenachbarten Strahlen schwerer sichtbar sind als die ganze Sehaar der übrigen. Diese Frage muss nun unbedingt bejaht werden, da, wenn wirklich eine Ausein- anderspreizung der Radien in meinem Sinne vorliegt, letztere noth- wendig im Umfange des Kerns um Vieles dichter liegen müssen als anderen Orts in der Zelle. Schliesslich hatte ich bei den grossen in der Leber des Proteus vorfindlichen Phagocyten sehr eigen- 294 ^^- Heidenhain. artige Anordnungen aufgefunden, welche direkt auf mein Schema be- zogen werden konnten. Die von mir untersuchten Leberstückchen waren in Sublimat fixirt und die Schnitte wurden theils mit BiOKDi'scher, theils mit EnKLiCH'scher Flüssigkeit, theils mit Eisenhämatoxylin gefärbt. Ausser in der ßinden- schicht des Organs fanden sich auch im Inneren reichliche Anhäufungen leukocytärer Elemente, hier meist in inselartigen Ansammlungen. Die erwähnten Phagocyten waren zum Theil enorm grosse Zellen; sie zeigten einen relativ kleinen kugligen Kern an der Zellenperipherie und das Mikrocentrum nächst der Zellenmitte. Sie waren ferner viel- fach in Degeneration, in körnigem Zerfall begriffen. Nun habe ich schon früher erwähnt, dass bei dem cellulären Zerfall die dichtesten Theile der Zellstruktur der Auflösung am längsten widerstehen, so vor Allem die Sphäre, die sich in untergehenden Zellen auf lange Zeit hinaus zu erhalten vermag. In jenen Phagocyten fand ich nun mit- unter eine derbe Strahlung vor, die sich nach allen Eichtungen hin aus- dehnte und den grössten Theil der Zelle durchsetzte ; oft war sie aber in mehr oder minder hochgradigem Zerfall begriffen, und es trafen sich dann gar nicht selten Stadien, wo vor Allem gerade solche Theile der Strahlung noch erhalten waren, welche nach Ausweis meines Schemas die Radien in der vergleichsweise dichtesten Zusammenordnung ent- halten müssen. Ich bitte hier zunächst die Figuren 9 und 10 zu be- trachten, welche mein neues Modell vorstellen. Wenn die Radien durch den Kern auseinandergespreizt werden, so haben wir naturge- mäss zwischen dem Mikrocentrum und dem Kern einen strahlenfreien Raum von konischer Gestalt. Die Spitze des Konus fällt mit dem Mikrocentrum zusammen, in die peripheriewärts gewandte Basis des- selben tritt der Kern mit einem Abschnitt seiner Oberfläche ein. Mithin bilden die Strahlen in der Begrenzung dieses Raumes einen Kegelmantel und diesem entsprechend müssen sie in besonders dichter Lagerung befindlich sein, da sie ja durch den Kern bei Seite gedrängt werden. Bei degenerirenden Phagocyten, bei denen der grösste Theil der Zellsubstanz schon körnig zerfallen ist, findet man nun gar nicht selten als letzten bedeutenden Rest der Strahlung eine stark färb- bare, ziemlich grobe Faserung, welche vom Mikro- centrum ausgehend in den Richtungen der Tangente gegen den Kern hin verläuft; mithin folgt diese Faserung, ge- nau nach Analogie meines Modells, der Form eines Kegelmantels, dessen Basis der Kernoberfläche aufsitzt. Diese Erscheinung war in meinen Präparaten um so auffallender, weil bei der häufig sehr be- deutenden Grösse der Phagocyten oft das Mikrocentrum vom Kern weit entfernt lag und der besprochene Strahlenkegel somit ebenfalls eine bedeutende Grösse besass. Obwohl nun diese Beobachtungen ganz und gar mit meinem Neue Erläuterungen zum 8pannungsgesetz der centrirten Sjsteme. 295 Schema der Leukocyten zusammenfielen, hielt ich sie dennoch bisher für keiner besonderen Erwähnung werth, da es mir nämlich auf lange Zeit hinaus nicht gelingen wollte, die in der Richtung der Tangente an den Kern sich anlegenden Strahlen um den Kern herum weiter zu verfolgen. Aber ich gewann die Ueberzeugung, dass das gleiche Strukturj^hänomen wie bei Phagocyten so auch bei den gewöhnlichen weissen Blutkörperchen vorhanden sein müsse, und ich hoffte, dass bei diesen die bisher lückenhaften Beobachtungen sich in geeigneter Weise ergänzen lassen würden. Somit habe ich im Sommer 1895 die Untersuchung des Leuko- cyten zum dritten Male von Grund aus wiederholt und berichte hierüber kurz Folgendes. Ich schnitt, wie schon früher, in Sublimat fixirte Salamanderdärme, färbte zunächst die Kerne und Mikrocentren mit Eisenhämatoxylin , dann nachfolgend die Zellsubstanz mit Rubin. Einen sehr grossen Prozentsatz der Mikrocentren erhielt ich diesmal, wie man aus den beigefügten Abbildungen ersieht, als Verklumpungs- figuren; die Centren erschienen aus diesem Grunde relativ gross und fielen stark ins Auge. Was die Strahlung angeht, so war sie bei der in Anwendung gezogenen Färbungsprocedur derart beschaffen, dass sie in den meisten Fällen etwa wie eine radiäre Schraffirung erschien, so jedoch, dass innerhalb derselben die Verfolgung einzelner Fibrillen über grössere Strecken hin erschwert war. Es hatte dies darin seinen Grund, dass die innerhalb der Radiärfäden gelegenen Cytomikrosomen sehr stark hervortraten und im mikroskopischen Bilde vorherrschend erschienen. Um die Erscheinungsweise der Strahlung in diesen Präpa- raten noch deutlicher zu bezeichnen, sei es mir erlaubt einen Vergleich anzuziehen. Wenn man ein nach Weigert gefärbtes Präparat etwa der MeduUa oblongata bei schwacher Vergrösserung betrachtet, so wird man recht gut unterscheiden können, dass an vielen Stellen eine in bestimmter Richtung angeordnete „Faserung" vorhanden ist, ohne dass jedoch eine Möglichkeit vorliegt, die einzelne Faser genauer zu verfolgen. So erschien auch hier in häufigen Fällen eine recht ausgesprochene Radiärfaserung, ohne dass in dieser viele einzelne Fasern über grössere Strecken hin deutlich unterscheidbar gewesen wären. Bei einigem Herumsuchen gelang es jedoch Zellenexemplare wie die abgebildeten herauszufinden, bei denen sich einzelne Fibrillen vom Mikrocentrum aus bis zur homogenen Grenzschicht der Zelle hin verfolgen Hessen. Die direkte Insertion der Fasern an dem Centrum einerseits und an der Peripherie andrerseits konnte wiederum in vielen Fällen auf das Schlagendste zur Anschauung gebracht werden. Be- sonders möchte ich auch erwähnen, dass, wenn die Darstellung iso- lirter Centralkörper im Mikrocentrum gelungen war, hier und dort mit Deutlichkeit festgestellt werden konnte, wie die von verschiedenen 296 M. Heidenhain. Seiten her zusammenlaufenden Zellenfibrillen entsprechend ihrer Orientirung an verschiedenen Centralkörpern zur Insertion kamen. Diesmal konnte nun auch die in dem Schema der Fig. 1 darge- stellte Durchbiegung der Fibrillenzüge durch den Kern und ihr Ver- lauf paratangential zur Oberfläche desselben oftmals mit voller Ge- wissheit festgestellt werden (Fig. 2a oben; in b links unten). Die Befestigung der durchgebogenen Strahlen an der Peripherie war hier und dort kenntlich. Was ferner die faser freien Kegel anlangt, welche zwischen dem Mikrocentrum einerseits und dem Kern andrer- seits vermuthet werden mussten, so konnten auch diese aufgefunden werden, wie nach den Befunden an den Phagocyten des Proteus und nachdem schon so häufig die Auseinanderspreizung der Sphärenstrahlen beobachtet worden war, garnicht anders erwartet werden konnte.. Allerdings ist die Auffindung dieser „SpreizungskegeP' (Fig. 2 d, e, f), wie ich sie kurz nennen will, ungemein erschwert und zwar aus folgenden Gründen. Liegt die Achse des Kegels nicht genau horizontal im Schnitt, so muss man naturgemäss bei verschiedener Einstellung wegen der Figur 2. Wanderzellen von Salamandra maculata. Vergrösserung : 2500. Mikrocentren verklumpt. Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 297 Kleinheit des Objektes allerhand komplicirte optische Durchschnitts- bilder, „Kegelschnitte'' der verschiedensten Art, erhalten, welche schwer erkennbar sind. Nur wenn die Achse des Kegels in eine be- stimmte optische Durchschnittsebene längelang hineinfällt, erhält man ein so regelmässiges Bild, wie in Fig. 2 bei d, e und f. Nun treten aber diejenigen Fibrillen, welche von dem Centrum ausgehend über oder unter dem Kern hinweglaufen, meistentheils in das mikros- kopische Bild hinein, und so erhält man gewöhnlich eine Anordnung wie in Fig. 2e. Hier sieht man Fibrillen gegen den Kern hinziehen und scheinbar an ihm enden ^); hat nun das mikroskopische Bild die genügende Deutlichkeit, so kann man durch einen vorsichtigen Ge- brauch der Mikrometerschraube konstatiren, dass die gegen den Kern hin gerichteten Radiärfäden nach oben und unten auseinanderweichen, um den Kern zwischen sich zu fassen. Fälle, in denen die über und unter dem Kern hinwegziehenden Fasern durch das Messer wegge- schnitten sind, kommen sehr selten vor (Fig. 2 f). Der ,,Spreizungs- kegel" verräth seine Natur günstigen Falls selbst bei nicht genauem Zusehen dadurch, dass er sich in etwas lichterem Farbenton von der Umgebung abhebt, wie dies namentlich bei Fig. 2 d hervortritt. Für die Beobachtung aber wiederum erschwerend ist der Umstand , dass der „Spreizungskegel*' nicht vollkommen leer, klar, farblos ist, sondern dass die in ihm befindliche Masse einen Farbenton annimmt, also wie der übrige Zellenkörper gefärbt erscheint. Dies war mir schon früher bei der Beobachtung der durch die Auseinanderspreizung der Sphärenstrahlen zu Stande kommenden freien Räume aufgefallen. Es breitet sich demgemäss zwischen den Fibrillen eine besondere Grundmasse aus, welche identisch ist mit der Interfilarsubstanz im Sinne Flemming's und wahrscheinlich nicht als schlechtweg flüssig aufgefasst werden darf. Gut zu beobachten sind schliesslich die ,,Spreizungskegel'' nur dann, wenn das Mikrocentrum dem Kern nicht zu nahe liegt, so dass der Kegel einige Längenausdehnung gewinnt; anderen Falls sind diese Bildungen zu unscheinbarer Natur, um in irgendwie auffälliger Form hervortreten zu können. Ich glaube somit, dass die histologischen Grundlagen, von denen ich ausgehe, durchaus gesichert sind, und dass ich nicht erst seit heute, sondern auch früher schon im Recht war, wenn ich die Verfassung der ruhenden Zelle durch das Schema der Fig. 1 und durch das diesem entsprechende Spannungsgesetz umschrieb. Betreffs der detail- lirten Ableitung muss ich auf meine früheren Schriften verweisen. Da meiner Lehre so viele Zweifel begegnet sind, so erlaube ich ') Derartige Bilder hat Boveri im Auge, wenn er behauptet, dass von mir Abbildungen geliefert worden sind, die der Annahme der Auseinanderspreizung der Kadien durch den Kern widersprechen (Nr. 1, S. 44). MorphoUig. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 20 298 M. Heidenhain. mir noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass ich vor Kurzem ausführlich dargethan habe, wie die sämmtlichen Versuche, welche sich auf die Furchung unter Pressung beziehen (Pflüger, Roux, Born, Driesch, H. E. Ziegler, 0. Schultze), den experimentellen Beweisgang zu dem Spann ungsgesetz bilden (Nr. 7, S. 549—564), da die unter diesen Umständen zu beobachtenden Theilungserscheinungen dem Span- nungsgesetz völlig entsprechen, und wenn solche Ver- suche überhaupt noch nicht angestellt wären, so würde man die zu erwartenden Resultate nach meinem Gesetz voraussagen können. Es scheint aber, dass meine literarischen Gegner keine Neigung haben, schlagende Argumente zu berücksich- tigen ; andernfalls bleibt mir unerklärlich, dass man bisher auf diesen Punkt nicht die geringste Rücksicht genommen hat. Nunmehr beschreibe ich mein neues Modell zum Spannungs- gesetz, will aber hierbei von der älteren Form desselben ausgehen, da in den wesentlichen Theilen die ältere und die neue Konstruktion Figur 3. übereinstimmen. Zugleich weise ich die Zumuthung eines meiner Kritiker zurück, welcher behauptet, ein solches Modell sei nur ein „leeres Schema" (R. von Erlanger). Ein Schema pflegt keinem Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 299 Naturgesetz zu gehorchen ; meine Apparate aber unterliegen dem Spannungsgesetz, ebenso wie die Zelle. Daher können die mechanischen Wirkungen des in Frage stehenden Gesetzes in einer Weise, die von dem Willen des Experimentirenden unabhängig ist, ausgemittelt und zur Anschauung gebracht werden. Das ältere (wie auch das neuere) Modell ist als ein idealer Zellen- durchschnitt gedacht (Fig. 3). In diesem werden die radiären Proto- plasmastrahlen durch Gummifäden ersetzt, während das Mikrocentrum durch einen, bezw. durch zwei mit einander verbundene Ringe dargestellt wird. Hauptaufgabe war, die Gummifäden so zu wählen, dass sie dem Spannungsgesetz gehorchen, d. h. dafür zu sorgen, dass sie jeweilen bei gleicher Länge die gleiche Spannung besitzen. Dies erreichte ich, indem ich jene Kautschukringe benutzte, die man heutzutage überall in den Ge- schäften zur Umschnürung kleiner Packete verwendet (Elastic bands). Diese werden aus weiten Schläuchen durch quere Segmentirung gewonnen und sind somit von ziemlich gleichartiger Beschaffenheit, daher sie wenigstens mit Annäherung der Forderung entsprechen, dass sie bei gleicher Länge die gleiche Spannung besitzen. Ich nahm nun eine Holztafel, zog auf ihr einen grossen Kreis aus und schlug der Peripherie desselben folgend in gleichen Abständen starke Nägel ein Stück weit in die Platte ein ; sie mussten um mehrere Centimeter über das Niveau der Platte emporragen. Besser nimmt man an Stelle der Nägel, wie ich das später gethan habe, starke Schrauben. Darauf zog ich eine entsprechende Anzahl jener Kautschukringe auf einen Sprengring ^) auf und spannte sie andererseits über die Scliraubenköpfe an der Kreisperipherie hinweg. Es ist klar, dass der das Mikrocentrum dar- stellende Metallring sich in die Mitte des Apparates einstellen muss (Fig. 3), denn in der Richtung aller Radien unterliegt er der gleichen Kräftewirkung (Genaueres siehe in Nr. 6 S. 523 f). Man kann nun ferner den Kern in der Weise darstellen, dass man eine kreisrunde Schachtel zwischen die Gummifäden einklemmt (Fig. 4) ; dann stellen sich sogleich die drei kritischen Punkte unseres idealen Zellendurch- schnittes auf eine gerade Linie ein, welche dem Radius vector durch- aus entspricht. Will man sich von vornherein die Möglichkeit offen halten, das Centrum später theilen zu können, so kann dasselbe durch 2 grössere Federringe dargestellt werden, welche durch einen dritten kleineren unter einander verbunden sind (Fig. 5). Man hat dann eine Anordnung, die einem Mikrocentrum gleicht, welches aus 2 Central- körpern mit dazwischen gelegener Centrodesmose besteht. In den beiden angezogenen Figuren (Fig. 4 und 5) -) bemerkt man, wie das ^) Gewöhnlich benutzte ich die sogenannten „Federringe" , wie sie bei den Juwelieren erhältlich sind. ^) Alle Abbildungen dieser Arbeit, welche sich auf die Modelle beziehen, sind genaue Wiederholungen photographischer Aufnahmen. Herr Dr. Sobotta 20* 300 M. Heidenhain. Figur 4. f^^^^BKn^^ßS^HN^H^IN 1^ L=^=^^^^^^ ^^^^=^=-==J 1 LJ 1 Figur 5. hat die Güte gehabt, eine grosse Anzahl von Negativen so zu dichiren, dass die Photographie direkt überzeichnet werden konnte. Auch verdanke ich die zu Fig. 10 gehörige Originalaufnahme der photographischen Kunst meines verehrten Kollegen. Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 301 Centrum des Modells sich um ein kleines Stück von dem „Kern" ab- hebt. Diese Thatsache kann unter den nämlichen Bedingungen über- all in der Natur beobachtet werden und sie zeigt auf das Klarste, dass von den Strahlen wirklich eine Zugwirkung ausgeht. Durch die x^nnahme einer „Propulsionskraft" der Radien wäre eben diese That- sache keinesfalls erklärlich (vergl. Nr. 6, S. 529 f). An diesem älteren Modell konnte nun die Rückwirkung des Spannungsgesetzes auf dieäussereGestaltderZelle nicht demonstrirt werden, und aus diesem Grunde versuchte ich die Peripherie des Modells beweglich, nachgiebig zu machen. Wenn nun blos die Aufgabe vorläge einen in sich beweglichen Kreisbogen zu konstruiren, an welchem die peripheren Enden der Gummifäden befestigt werden könnten, so würde man vielleicht nach verschiedenen Principien vor- gehen können. Allein man ist in der Notlage zugleich den Turgor der Zelle in entsprechender Weise ersetzen zu müssen. Soll daher der Apparat einigermaassen einfach bleiben, so ist man darauf an- gewiesen eine biegsame Stahlschiene zur Peripherie des Modells zu machen. Wird eine solche auf sich selbst zurückgebogen, so bildet sie, falls sie in allen Theilen von gleichartiger Beschaffenheit ist, einen vollkommenen Kreis. In diesem Falle wird der Turgor durch die Federkraft der Schiene ersetzt. Aber dieses Aushilfsmittel ist unvollkommen, da in der Natur von der weichen Grenzschicht der Zellen den gestaltenden Kräften des Zellinhalts kein wesentlicher Widerstand entgegengesetzt wird, während am Modell in entsprechenden Fällen von der Stahlschiene ein bedeutender Widerstand ausgeht; dieser ist ferner nicht zu jeder Zeit immer der nämliche, sondern wenn eine Gestaltsveränderung des Modells eintritt, dann wächst der Widerstand, je stärker die Stahlfeder durchgebogen wird. Schliesslich ist ein besonderer Uebelstand der, dass in bestimmten Fällen an der Peripherie des Modells sich Hebelwirkungen geltend machen können ; diese sind an der Grenzschicht der Zellen total un- möglich und so haben wir auch hierin eine unliebsame Abweichung von den natürlichen Verhältnissen. Durch die gerügten Umstände werden nun zwar die Versuchs- resultate im Einzelnen abgeändert, im Princip aber bleiben die Effekte des Spannungsgesetzes doch die nämlichen. Ja es lässt sich sagen, dass wenn die mit der Federkraft der Stahlschiene gegebenen specifischen Widerstände sich eliminiren Hessen, die Versuche für den Experimen- tator noch bei weitem günstiger ausfallen müssten. Hierauf hat schon Roux hingewiesen, als das Modell auf der Berliner Anatomenver- sammlung vorgelegt wurde. Ich verwendete eine Stahlfeder von 22 mm Breite ; in Fig. 6 a ist sie in natürlicher Breite zur Abbildung gekommen ; da vor Allem auch die Möglichkeit gegeben werden sollte, die Durchschnürung des Zell- 502 M. Heidenhain. leibes am Modell zu wiederholen, wie dies die Figg. 23—26 zeigen, so ergab sich die Nothwendigkeit den ganzen Umfang des Modells in zwei gleich grosse Stücke zu zerlegen, welche durch Charniere mit ein- ander verbunden werden mussten. Die theoretische Berechti- Figur 6. gungzur Einführung von Charnieren an gegenüberhegenden Stellen des Modells wird weiter unten schlagend nachgewiesen werden. Jede Halbschiene hatte eine Länge von 540 mm; der Gesammtumfang des Modells betrug somit 1080 mm, der Durchmesser d^s Reifens Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 303 ca. 344 mm. Um die Kautschukringe an der Peripherie befestigen zu können , wurden an dem Reifen Häkchen angebracht, deren Form aus Fig. 6 b ersehen werden kann. Diese Häkchen wurden nun nicht etwa an der Stahlfeder festgelöthet, denn dies hätte ihre Elasticität jedenfalls ungünstig beeinflusst, sondern sie sind nur durch ent- sprechende Durchbohrungen der Feder hindurchgesteckt und werden in dieser dadurch festgehalten, dass auf ihr Aussenende eine Schrauben- mutter aufgedreht wird. Die Häkchen hängen somit nur lose an ihrem Orte, wenn das Modell nicht mit den Kautschukfäden montirt ist (Fig. 7). Jeder Quadrant des Apparates enthält 9 Häkchen, die somit in gleichen Abständen von 30 mm befindlich sind. Eine saubere Ausführung verlangen die Charniere und die zu- gehörige Sicherungsvorrichtung, welche dazu dient erstere zeit- weilig festzustellen. Die Charniere sind nach beiden Seiten hin beweglich. Ist die Sicherung ausser Funktion, so geht der sonst Figur 7. runde Reifen in die Form der Fig. 7 über, da die beiden Halbschienen den geringsten Grad der Krümmung anzunehmen streben.' Ohne Zweifel würden die Schienen einander parallel zu liegen kommen, wenn nicht an ihren Gelenkenden auf der Innenseite einige Schraubenköpfe befindlich wären (Fig. 6 b), welche bei der aus Fig. 7 ersichtlichen Form des Apparates auseinandersperrend wirken. Die Vorrichtung, welche der Fixirung der Charniere dient, hat folgende Konstruktion. An der Aussenseite der Gelenkverbindung haben wir einerseits einen stählernen Sperrhaken, welcher in Fig. 6 a zurückgeschlagen wurde und dazu bestimmt ist, eine auf der anderen Gelenkseite ihm gegenüberstehende Schraubenspindel zu umgreifen (Fig. 6 b). In dieser letzteren Stellung kann der Haken durch kräftiges Anziehen einer auf der Spindel beweglichen Schraubenmutter voll- kommen festgestellt werden (Fig. 6 b). Die Schraubenspindel (Fig. 6 c) ist nur lose in den Reifen eingesetzt und sie empfängt beim Auf- drehen der Mutter ihren Widerhalt dadurch, dass der ihr zugehörige auf der Innenseite des Reifens befindliche Schraubenkopf sich gegen das Charnier anstemmt. Nach Lösung der Sicherung und nach dem 304 M. Heidenhain. Abdrehen der Mutter kann somit die Schraubenspindel völlig entfernt werden, was zum Zwecke des Durchschnürungsversuches nothwendig ist. Die Schraubenspindel wird in eine quadratische Perforation des Charniers eingesetzt und der Form dieser Oeffnung entspricht zwischen Schraubengang und -Kopf ein vierkantiges Zwischenstück (Fig. 6 c). Hierdurch wird verhindert, dass beim Aufdrehen der Mutter sich die Spindel um ihre eigene Achse dreht. Diese hier beschriebene Sicherung des Charniers ist ungemein widerstandsfähig, vorausgesetzt, dass der Sperrhaken aus gutem Stahl besteht und nicht durchgebogen werden kann. — Ich habe es nicht für nöthig gehalten in den hier mitgegebenen Abbildungen die Charniere immer wieder vollständig einzeichnen zu lassen und es sind, um ihre Lage anzudeuten, an Stelle derselben immer nur kleine Kreise in den die Stahlfeder vorstellenden peripheren Kontour der Zeichnung ein- getragen worden. Da die Federringe, welche bei meinem älteren Modell das Mikro- centrum vorstellten, leicht Schaden nehmen, so verwende ich sie jetzt meist nicht mehr. An ihrer Statt benutze ich lieber die in Fig. 6 abgebildeten Ringe, welche paarweise zusammengekoppelt werden können; dies ist dadurch ermöglicht, dass dem einen Ring ein Haken aufge- löthet wurde , in welchen der andere eingehängt werden kann. In dem einen Fall (unter e in Fig. 6) haben wir in der That weiter nichts als zwei allseitig geschlossene Messingringe, und dann müssen die Kautschukbändchen durch den Ring hindurchgezogen und mit den beiden schleifenförmigen Enden über den peripheren Haken gelegt werden, wie die Figur zeigt. Da auf diese Weise jeder Radius schliess- lich aus einem vierfachen Gummifaden besteht, so ist die hierbei er- zeugte Kräftewirkung eine relativ hohe. In dem anderen Fall (Fig. 6f) ist jeder Messingring an einer Stelle seiner Peripherie quer durchsägt und durch diesen Spalt hindurch können die Kautschukringe auf- gereiht werden ; dass sie im Zustande der Spannung, beim Experiment, durch dieselbe Lücke hindurch nicht wieder ausrutschen, wird durch zwei kleine Zähne verhindert, welche zu beiden Seiten der Konti- nuitätstrennung nach einwärts schauen. Sie geniigen, um das AVieder- hindurchgleiten der Kautschukringe völlig zu verhindern. Bei dieser Art der Befestigung besteht jeder Radius nur aus einem doppelten Gummifaden. Uebrigens hebe ich hervor, dass ich in allen Fällen, in denen es der Zweck des Versuches erlaubt, lieber mit einem einfachen als mit einem doppelten Ringe arbeite, aus Gründen, die durch die mechanischen Verhältnisse des Apparates geboten sind und weiter unten noch besprochen werden sollen. ^) Es ist nun nicht so leicht den Apparat richtig zu montiren. Der 1) Herr Universitätsmechaniker Siedentopf (Würzburg, Schönleinstrasse) liefert den Apparat zu Mk. 30,00. Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 305 heikle Punkt ist darin gegeben, dass die von den Radien ausgeübte Zugwirkung in einem zweckentsprechenden Verhältniss zur Kraft der Stahlfeder stehen muss. Hat man zu schwache Radien, so werden die Gestaltsveränderungen der Peripherie nicht ausgesprochen genug sein ; sind sie zu stark, so wird der „Turgor" des Modells überwunden und die Stahlschiene an irgend einer Stelle ihres Umfangs in konkaver Form nach einwärts hereingestülpt. Will man nur die typischen Ge- staltungsverhältnisse der ruhenden Zelle zur Darstellung bringen, so genügen relativ schwache Radien und man wird dann nicht in Verlegenheit kommen. Soll aber der Durchschnürungsversuch gemacht werden (Fig. 23 — 25), wobei jede Halbschiene auf sich selbst zurückgebogen werden muss, so ist eine starke Kraftentwicklung vonnöthen. Ich habe nun eine Menge verschiedener Arten der hier- orts käuflichen Gummibändchen durchprobirt und fand dabei, dass sie für das in meinen Händen befindliche Modell alle insofern nicht recht passend waren, als sie beim Durchschnürungsversuch den Apparat ent- weder nicht zur vollständigen Halbirung brachten oder, weil zu stark wirkend, den dauernden Bestand des „Turgor" in der oben er- wähnten Weise gefährdeten. Ich konnte mir nur dadurch helfen, dass ich eine bestimmte Sorte schwächerer Kautschukringe doppelt nahm (wie Fig. 6e zeigt) und die in Folge dessen übermässig starke Wirkung der Radien dadurch in entsprechender Weise herabminderte, dass ich eine Reihe symmetrischer Strahlen vollständig eliminirte (über- haupt nicht einspannte ; Fig. 22). In theoretischer Hinsicht ist dies gewiss kein Fehler, obwohl es ja besser gewesen wäre, wenn ich nicht zu einem solchen Nothbehelf hätte greifen müssen. Beim Durch- schnürungsversuch (und nur bei diesem) hatte daher das Modell die Form der Fig. 22 ; man sieht, dass 8 Strahlen fehlen, von denen immer je zwei einander genau gegenüberliegen. Freilich hätte ich ja zum Zwecke dieses Versuches so lange verschiedene Gummibändchen eigens schneiden lassen können, bis ich auf die passenden gestossen wäre; dies hätte aber unter umständen auf ein sehr langwieriges Herum- suchen hinauslaufen können und so habe ich davon Abstand genommen. Wenn man sich nun daran macht, den Apparat mit dem System seiner elastischen Strahlen zu montiren, so bemerkt man alsbald, dass schon die Zugkraft eines einzigen Strahls genügt, um eine relativ starke Einwirkung an der Peripherie hervorzurufen. Soll also der Apparat während der Zeit, in der das Montirungsgeschäft vor sich geht, nicht einer starken Verzerrung ausgesetzt sein, so ist man ge- halten, möglichst jedem Radius, welcher ausgespannt wurde, alsbald seinen Antagonisten folgen zulassen. Man wird mithin, um das Centrum erstmals in die Mitte des Apparates hineinzubringen, zunächst zwei gegenüberliegende Strahlen fixiren, alsdann jene beiden, welche die ersteren rechtwinklig überkreuzen. Von da ab wird man, wie gesagt, 306 M- Heidenhain. am besten jedem weiteren Radius sogleich seinen Antagonisten bei- geben. Hierbei ist in Rechnung zu ziehen, dass nur in An- sehung der Bewegung des Centrums die einander direkt entgegengesetzten Strahlen Antagonisten sind, während diese auf die Gestaltsveränderung der Peripherie als Synergisten einwirken. Die bei dem Formwechsel der Zelleund ebenso unseres Apparates inantagonistischem Sinne wirkenden Strahlen überkreuzen einander senk- recht ! Wenn ich nun an meinem Apparate einen einfachen Ring als Centrum habe und alle Strahlen gleichmässig ausspanne, so zeigt sich, dass der Reifen dennoch keinen vollständigen Kreis bildet. Der Durchmesser sollte etwa 344 mm betragen, thatsächlich beläuft er sich von Charnier zu Charnier gemessen etwa auf 339, in einer Richtung senkrecht hierzu auf 346 mm. Auf 100 mm des kürzeren Durchmessers kommen mithin 102,06 mm des längeren Durchmessers oder wir haben eine „Streckung" des Reifens von 2,06%. Ursache hierfür sind geringe Variationen der Elasticität des Stahlreifens an verschiedenen Stellen, und vermuthlich sind es speciell die Charniere, die an diesem Fehler schuld sind. Die oben gefundene Ziffer (2,06 %) bitte ich im Gedächtniss zu behalten ; wie sich bald herausstellen wird, sind unsere Versuche so grober Natur, dass wir die durch diese Ziffer uns angezeigte Fehlerquelle ohne weiteres vernachlässigen können. Eine typische Gestalts Veränderung des Apparates erhalten wir sofort, wenn wir an Stelle eines einfachen einen doppelten Ring als Centrum einführen (Fig. 22). In diesem Falle streckt sich das Modell im Sinne jener Achse, welche durch die beiden Ringe hindurchgelegt wird. Bei der Zelle bezeichne ich, wenn nur 2 Centralkörper im Mikrocentrum vorhanden sind, ihre Verbindungslinie als FLEMMma'sche Achse, Nebenachse oder zweiten Leitstrahl, und ich möchte nun bitten, dies für die Zukunft festzuhalten, dass das Modell, bezw. die Zelle die Tendenz hat sich im Sinne der FLEMMiNG'schen Achse zu strecken. Die Ursache dieser Erscheinung ist leicht nachzuweisen, wenn man von einem ex- tremen Falle ausgeht, wie er z. B. in Fig. 8 gegeben ist, wo die beiden Ringe in sehr weiter Entfernung von einander stehen; dass sie in diesem Falle untereinander nicht mehr direkt verbunden sind, ist für unsere augenblickliche Betrachtung nebensächlich. Es handelt sich bei dieser Abbildung um das ältere Modell, dessen peripherer Umfang nicht beweglich ist, so dass die eventuell auf die Umformung der Zell- gestalt einwirkenden Kräfte nach der relativen Länge der einzelnenRadien taxirt werden können. Wir ersehen ohne weiteres, dass dieStrahlen, wenn sie an zwei Ringen je zur Hälfte befestigt sind, immer eine ungleiche Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 307 Länge und damit auch eine ungleiche Spannung besitzen müssen. Die beiden Strahlen , welche in der Richtung der Verbindungslinie beider Ringe liegen, sind am kürzesten und daher am schwächsten gespannt. Wenn wir von diesen ausgehend in den benachbarten Quadranten des Modells je nach rechts und links allmählich um 90^ herumwandern, so sehen wir, wie die Radien sich immer mehr verlängern und daher Figur 8. immer stärker wirksam werden. Es müssen also die Strahlen immer ungleich stark gespannt sein, wenn zwei Ringe vorhanden sind, auch wenn diese nur um wenige Millimeter von einander entfernt sein sollten. Ist nun die Peripherie beweglich, so muss das Modell in einer Richtung senkrecht zur Verbindungslinie beider Ringe (FLEMMiNG'sche Achse, Nebenachse oder zweiter Leitstrahl) zusammengepresst werden, oder mit anderen Worten : es verlängert sich im Sinne eben dieser Linie. In einem bestimmten Falle, ähnlich dem der Fig. 22, betrug der Durch- messer des Modells in der Richtung der FLEMMiNG'schen Achse bei drei verschiedenen Proben 351, 350 und 354 mm und in einer Richtung senkrecht hierzu nur 332, 334 und 330 mm, wobei die Mittelpunkte der mit einander verbundenen Ringe einen Abstand von nur 17 mm (!) inne hielten. Die Längendiiferenz der gekreuzten Durchmesser geht hier weit über die Fehlerquelle hinaus, denn wir haben eine Streckung von ca. 6 %. 308 M. Heidenhain. Ich will nun auf einige Verhältnisse, welche die Statik der ruhenden Zelle angehen, näher eingehen. Hier möchte ich zunächst einen Punkt kurz hervorheben, der vor einiger Zeit von mir zum ersten Male näher gewürdigt wurde (Nr. 10, S. 217 ff.). Wenn wir ein centrirtes System in der Zelle haben, welches dem Spannungsgesetze folgt, dann ist die gegenseitige Lage zweier im Mikrocentrum enthaltener Centralkörper in Beziehung auf den Zellumfang (nicht in Beziehung auf den Kern) in weitem Umfange unveränderlich. Dies kann man sich an meinem Modell leicht anschaulich machen. Nehmen wir zunächst die ältere Form desselben zur Hand (Fig. 5) und setzen einen grossen ,,Kern'' an den verschiedensten beliebig gewählten Stellen zwischen die Radien hinein, so werden wir die Erfahrung machen, dass die FLEMMiNa'sche Achse niemals einer Rotation unterliegt, sondern bei allen möglichen Verschiebungen im Räume immer demselben Durch- messer des Modells parallel bleibt. Pressen wir dann ferner das neue Modell, zunächst ohne einen .,Kern'' einzuführen (Fig. 22), in den ver- schiedensten Raumesrichtungen kräftig zusammen, so können wir ebenso konstatiren, dass bei allen möglichen Formänderungen der Peripherie dennoch die beiden Ringe fortdauernd in jenen Durch- messer zu liegen kommen , in dem sie schon ursprünglich befindlich waren. Hatten wir bei diesem Versuch das Modell zweckmässiger Weise so montirt, dass die beiden Ringe zu Anfang in die Verbin- dungslinie beider Charniere zu liegen kamen, so können wir diesen Durchmesser leicht mit dem Auge fixiren und die Stellung der Flem- MiNG'schen Achse jeweils danach abtaxiren. Es ergiebt sich, dass wir durch eine in bestimmter Richtung vorgenommene starke äussere Pressung den die beiden Charniere enthaltenden Durchmesser bedeutend zu rotiren vermögen; indem wir aber dies thun, rotiren wir gleich- zeitig die FLEMMiNG'sche Achse in gleichem Sinne und um den näm- lichen Winkelwerth, so dass die beiden Ringe zuletzt doch wieder wie anfänglich in der Verbindungslinie beider Charniere befindlich sind. Um dies Gesetz noch weiterhin zu prüfen, geben wir alsdann dem durch einen Doppelring dargestellten Centrum beliebig gewählte, ver- schiedene sehr stark excentrische Stellungen; jedes Mal wechselt gleicher Zeit die äussere Form des Modells in entsprechender AVeise, aber es stellt sich heraus, dass die Verbindungslinie der Ringe, die FLEM- MiNG'sche Achse, immer parallel zu jenem Durchmesser steht, in welchem sie ursprünglich befindlich waren. Wir können dann schliess- lich unter Einschaltung eines „Kerns'' die Versuche repetiren; wir erhalten immer wieder entsprechende Resultate. Dieses ,, Gesetz der relativen Konstanz der Nebenachsen" wäre mechanisch nicht ganz leicht zu begründen und ich muss um dessentwillen für heut noch davon Abstand nehmen. Es sei jedoch daran erinnert, dass Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 309 ich bereits a. a. 0. darauf aufmerksam gemacht habe, dass für die ursächliche Erklärung der gegenseitigen Orientirung der Centralkörperin den Cylinderzellen dies Gesetz der relativen Konstanz der Nebenachsen von fundamentaler Bedeutung ist (Nr. 10, S. 217 ff.). Es ist klar, dass dieses Prinzip sinngemäss auch auf Mikro- centren mit mehr als zwei Centralkörpern Anwendung finden müsste, doch würden wir da auf so komplicirte Verhältnisse kommen, dass wir diesen für heute nicht nachgehen wollen. Wir kommen nun dazu an der Hand des neuen Modells den Einfluss des Spannungsgesetzes auf die äussere Form der ruhenden Zellen näher zu erläutern. Nach den Abbildungen, die in der Literatur vorliegen, und nach meinen eigenen Beobachtungen darf es als feststehend gelten, dass die ruhende Zelle eine Tendenz zeigt, sich in der Richtung des Radius vector zu verlängern. Zu dieser Einsicht gelangt man leicht, wenn man die verschiedenen Ruheformen der Leukocyten durch- untersucht (Nr. 5, Figuren 9 und 16) oder die Abbildungen mit einander vergleicht, die verschiedene Autoren von den Spermatogonien und Spermatocyten der Amphibien gegeben haben. Bei den grossen Geschlechtszellen des Proteus fand ich die in Rede stehende Form- gebung charakteristischer Weise in einem hohen Procentsatz der Fälle vor. Mit einer derartigen äusseren Zellgestalt pflegt gar nicht selten eine Verlagerung des Mikrocentrums in der Richtung gegen die Zellperipherie einherzugehen; hierbei verbleiben aber die drei kritischen Punkte der Zelle nach wie vor auf einer Geraden, dem Radius vector, so dass die ganze Veränderung darin besteht, dass das Centrum sich um ein mehr oder weniger er- hebliches Stück vom Zellenkern in der Richtung peripherwärts ent- fernt. Während also im gewöhnlichen Falle sich das Centrum so weit wie möglich der Zellenmitte zu nähern sucht und seine Gleichge- wichtslage erst dann erreicht hat, wenn es in der Zellenmitte ange- kommen ist oder wenigstens bis auf eine geringe Entfernung sich der Kernoberfläche genähert hat (entsprechend dem Schema der Fig. 1), so haben wir jetzt einen Fall, wo das Centrum freiwillig in excent- rischer Lage stehen bleibt. Man muss nun wohl merken , dass die Streckung der Zelle im Sinne der Hauptachse zwar eintreten kann, aber nicht muss, ebenso wie auch das Entlanggleiten des Centrums auf der Achse gegen die Peripherie nur einen Eventualfall vorstellt, der von dem Zusammen- treffen bestimmter Bedingungen abhängig ist. Alle diese Erscheinungen kommen nun nicht zu Stande, wenn der Durchmesser des Kerns kleiner ist als der Radius der kuglig angenommenen Zelle ; in diesem Falle steht das JViikrocentrum rein central und eine Zelle, welche nicht durch 310 M. Heidenhain. äussere Pressung beeinflusst ist, wird dann immer der Kugelgestalt zustreben. So werden auch die ruhenden Leukocyten, deren Mikro- centrum in der Zellenmitte befindlich ist, kuglig gefunden. Wird dem Mikrocentrum aber eine Stellung in einiger Entfernung von der Zellen- mitte aufgenöthigt, weil der Diameter des Kerns grösser ist als der Halbmesser der Zelle, so kann unter Umständen die besprochene Gestaltsveränderung des Zellkörpers und mit ihr eventuell auch die Lageverschiebung des Mikrocentrums in der bezeichneten Weise vor sich gehen. Wenden wir uns nun zunächst zu dem Schema der Fig. 1 zurück, so ist klar, dass eine Zelle von dieser allgemeinen Form nur dann ihre Gestalt wird verändern können, wenn die Möglichkeit einer Vergr össeru ng ihrer Oberfläche gegeben ist. Denn das gleiche Volumen vorausgesetzt, hat ein Körper von Kugelform immer die möglichst kleine Oberfläche, während jeder anders geformte Körper eine verhältnissmässig grössere Oberfläche haben würde. Trifft also bei einer Zelle, welche unserem Schema entspricht, diese Bedingung nicht zu, dass die Oberfläche wachsen kann, so ist das ganze System stabil. Ist aber ein Wachsthum zulässig, dann erhalten wir Verände- rungen der äusseren und inneren Konfiguration. Wir begreifen dem- geraäss, dass Zellen, welche in morphologischer Hinsicht principiell die gleiche Struktur besitzen, in Bezug auf die äussere Form und die innere Lage der Theile sich verschieden verhalten können. Wir nehmen nun für unser Beispiel der Fig. 1 an, dass eine Oberflächenvergrösserung ermöglicht ist, entweder durch wahres Wachs- thum oder durch blosse Dehnung der äusseren Grenzschicht des Zell- leibes; dann muss natürlich auf Grund des Spannungsgesetzes eine Streckung des Zellkörpers im Sinne der Hauptachse eintreten. Denn die Radien, welche nach rechts und links hin verlaufen, sind relativ lang und stark gespannt, die in der Richtung nach aufwärts gelegenen hingegen relativ kurz und schlaff. Somit muss eine solche Zelle in seitlicher Richtung zusammengepresst werden, woraus die Verlängerung im Sinne der Hauptachse unmittelbar folgt. Hierbei werden sich die nach aufwärts gelegenen Radien etwas strecken und anspannen, während die nach den Seiten hin ausstrahlenden sich um etwas verkürzen und demgemäss erschlaffen. Dies würde wiederum zur Folge haben, dass das Centrum im Sinne des Radius vector (Linie ab) um etwas nach dem peripheren vom Kern abgewendeten Ende desselben ent- weicht. Dieses Ende der Hauptachse werde ich fernerhin als das positive, das entgegengesetzte den Kern durchquerende entsprechend als das negative Ende bezeichnen, um mich leichter verständlich zu machen. Ebenso sollen die beiden gegenüberliegenden durch den Radius vector bestimmten Z e 1 1 p o 1 e der positive und der negative heissen. Neue Erläuterungeü zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 311 Figur 9. Ob nun die obige Berechnung zutreffend ist, das können wir sehr leicht durch den analogen Versuch an unserem Modell genauer kon- trolliren. Wir zwängen in das System der elastischen Strahlen einen „Kern" von 190 mm Grösse ein, der somit den Halbmesser des Modells (:= 175 mm) bedeutend übertrifft, und zwar soll zunächst der erste Leitstrahl (Radius vector) den zweiten (Flemming- sche Achse) senkrecht überkreu- zen, wie Fig. 9 zeigt. Wir er- halten dann sofort die Streckung des Apparates im Sinne des ersten Leitstrahls. Bei dem Ver- such, welcher der citirten Ab- bildung zu Grunde liegt, verhält sich der erste Strahl zum zwei- ten wie 64 : 55 (ausgemessen an der photographischen Reproduk- tion). Bei einem ganz analogen Versuch, bei welchem die Dimen- sionen des Apparates direkt bestimmt wurden , betrug das nämliche Verhältniss 372:334. Diese Differenz geht natürlich weit über die Fehlerquellen hinaus, denn sie bedeutet eine Streckung von 10,07%. Nun wird man sich entsinnen, dass der Reifen an und für sich eine Tendenz hat, sich im Sinne der Nebenachse zu verlängern (siehe oben S. 306 f.). Es über- kreuzen sich aber in demVersuch der Fig. 9 Haupt- und Neben- achse genau senkrecht, also haben wir hier die denkbar un gü nstigste Anordnung ge- wählt. Wir wiederholen daher den Versuch und gehen diesmal zum anderen Extrem über, indem wir beide Achsen zusammenfallen lassen (Fig. 10). Sofort ergiebt sich eine noch viel bedeutendere Streckung im Sinne des Radius vector. In zwei verschiedenen Figur 10. derartigen Versuchen betrug die Länge desselben im Verhältniss zum 31^2 ^- Heidenhain. kürzeren Durchmesser das eine Mal 389:287, das andere Mal 385:295. Die Differenz beider Strahlen betrug mithin bis über 100 Milli- meter und wir berechnen eine Streckung von 33 o/^. Fällt somit der Versuch in Ansehung des erwarteten äusseren Formwechsels äusserst schlagend aus, so ist dies bezüglich der Ver- schiebung des Centrums, welche nach dem positiven Ende der Haupt- achse hin erfolgen sollte, nicht in gleichem Maasse der Fall, Das Centrum wird zwar ziemlich weit vom Kern abgehoben (Fig. 9 und 10), von einer dem absoluten Betrage nach bedeutenden Exkursion ist aber nicht die Rede. Dies hat offenbar darin seinen Grund, dass trotz der stark augenfälligen äusseren Formänderung des Apparates dennoch ein bedeutender Wechsel in den Spannungsverhältnissen der Strahlen nicht eintritt. Nun ist aber Thatsache, dass in den Zellen unter Bedingungen, die bisher unbekannt waren, eine sehr be- trächtliche positive Verschiebung des Centrums eintritt. Die ursächliche Erklärung hierfür haben wir in einer noch nicht in Rech- nung gezogenen Wirkung der Radiärstrahlen zu suchen, welche sich unmittelbar auf die Zellenperipherie geltend macht, mittelbar aber auf die Stellung des Centrums zurückwirkt. Diese gedachte Be- thätigung der Radien ist ebenso für die ruhende wie für die in Theilung begriffene Zelle von Wichtigkeit, und ich denke daher, dass die folgenden Betrachtungen über die Entwicklung von Tangential- kräften an der Zelienperiplierie die Aufmerksamkeit der Zellen- theoretiker verdienen. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass wenn einmal irgend ein Naturgesetz, wie das Spannungsgesetz, eine ganz bestimmte physikalische Fassung erhalten hat, dass es dann unerlässliche Pflicht ist die Folge- wirkungen des Gesetzes in möglichst vollständiger Weise zu deduciren und zu zeigen, dass die möglichen Wirkungen in allen Fällen, in denen die Bedingungen ihres Zustandekommens sich erfüllen, zu wirklichen Ereignissen werden. Unsere Theorie, deren in Betracht kommendes Gebiet ein besonders umfangreiches ist, kann nur über die Dauer der Zeit hin durch fortgesetzte Deduktion auf die Objekte der Natur allmählich zur Wahrheit erhoben werden. In diesem Sinne möge man es auffassen, wenn hier zunächst aus dem bekannten Princip neue unerwartete Ableitungen gemacht werden, die dann aber, wie weiterhin gezeigt werden soU, ihren Gegenstand in der Natur finden. Seit ich im Jahre 1894 bei Gelegenheit der Besprechung der Ur- sachen der äquatorialen Durchschnürung der in Mitose begriffenen Zelle von Neuem darauf hinwies, dass die Radiärstrahlen nicht allein auf die Bewegung der Centren wirken, sondern auch für die äussere Gestaltsveränderung der Zelle in Betracht kommen, ist diese Vor- stellung schnell eine allgemein geläufige geworden. Es ist indessen die Wirkung der Radien auf den Zellumfang bisher noch nicht in ge- Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 313 nauerer Weise diskutirt worden, und daher ist ein sehr wichtiges Ver- hältniss bis zum heutigen Tage gänzlich übersehen worden. Um dies zu erläutern, möge die Fig. 11 dienen. In dieser ist ein kugeliger Zell- umfang angenommen und das Centrum O soll zunächst genau in der Mitte stehen. In diesem Falle wird ein grosser Theil der Radien, soweit sie nicht etwa durch den Kern, auf welchen in dieser Zeichnung keine Rücksicht genommen wurde, abgelenkt werden, am Zellumfang in vertikaler Richtung inseriren. In Folge dessen wird der in Spannung befindliche Radius Ow z. B. die Tendenz haben, den Punkt w in gerader Richtung auf das Centrum hin nach einwärts zu ziehen. Kann der Punkt 0 fest gedacht werden und ist für w die Bewegungs- möglichkeit gegeben, so wird der zugehörige Radius mit seiner ganzen Kraft in w wirksam werden, Ist ein stabiler Gleichgewichtszustand vorhanden, so ist die Gleichung der Kräfte darin gegeben, dass der Binnendruck im Zellinnern (D) gleich sein rauss dem Druck, der aus der Spannung der Wand resultirt (S) plus der Pressung (P), die durch die Zugkraft der Radien in einer Richtung senkrecht zur Oberfläche auf den Inhalt ausgeübt wird (mithin D = S -f- P). Für den angezogenen Fall des Radius Ow ist klar, dass er mit seiner ganzen Kraft in w senkrecht zur Oberfläche wirkt. Wenn nun aber das Centrum aus der Zellenmitte heraus gegen die Peripherie verschoben ist (Oj). dann steht der nämliche Radius O^ w in w nicht mehr lothrecht zur Oberfläche, sondern er ist gegen die Tangente in einem bestimmten Winkel OjWx geneigt. Die Folge davon ist, dass die Kraft des Radius 0^ w bei ihrer Wirkung auf die Peripherie sich in zwei Komponenten zerlegt, von denen nur die eine senkrecht zur Oberfläche wirksam ist, während die andere in die Richtung der Tangente fällt. Sei die an der Peripherie zur Wirkung gelangende Kraft des Radius 0^ w porportional der Linie w V, so haben wir in w x und w y die beiden Komponenten : die erstere — w x — bezeichne ich als Taiigentialkrafl, die letztere — w y — als Radialkrafti Die Radialkraft hat den bereits erwähnten, leicht übersichtlichen direkten Einfluss auf den Turgor der Zelle. Die Folgewirkungen der Tangentialkraft hingegen sind komplicirt und bedürfen genauerer Erörterung. Die Grenzschicht der Zelle besteht wohl ganz sicher aus einer Materie, welche in Betreff ihrer physikalischen und physiologischen Eigenschaften in allen wesentlichen Zügen mit eben jener Materie, aus der die Radien bestehen, übereinstimmt. Am Objekt selbst, z. B, beim Leukocyten, ist sie als ein feiner fortlaufender Kontour wahrnehmbar, welcher die gleichen färberischen Eigenschaften zeigt wie die Zellsub- stanz. Demgemäss habe ich dieser Grenzschicht schon früher die elastischen Eigenschaften der kontraktilen Materie zugeschrieben. Morpholog. Arbeiten, hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 21 314 M. Heidenhain. Hat nun irgend eine kugelig angenommene Zelle bereits einen so hohen Turgor, dass die Grenzmembran, — so darf man ja wohl sagen — , einen sehr hohen, dem Maximum nahe stehenden Grad von Spannung aufweist, dann wird die Tangentialkraft nicht von wesentlichem Ein- fluss sein können. Ist aber die Zellwand noch dehnbar, ist die Spannkraft der Radien im Verhältniss zur Spannung der Wand eine relativ hohe, dann wird die Tangentialkraft einen sehr bedeutenden Einfluss auf den Zustand der Zellwand haben. Wir sehen nämlich, dass in einem derartigen centrirten Systeme, wie es die Fig. 11 zeigt, rechts und links von der Symmetrieachse R,V die Tangentialkräfte die entgegengesetzte Richtung haben, wie die Pfeile andeuten. In Folge dessen wird es zu einer relativ starken Dehnung und Spannung der Wand in der unteren Hälfte des Figur 11. Systems kommen, während in der oberen Hälfte eine entsprechende Relaxation der ursprünglichen Spannung erfolgen wird. Dies ist gewiss leicht einzusehen; denn die zu dem Radius O^a gehörige Tangential- kraft wird den Wandabschnitt Ra derart dehnen und spannen, dass eben dieser Radius später vielleicht die Lage O^aj haben wird und ebenso würde der hierzu symmetrische Radius O i c später etwa in der Richtung O ^ c i liegen. Mithin müssen sich in unserem Falle durch Wirkung der Tangentialkraft die peripheren Insertionspunkte sämmt- licher Radien in der Richtung nach dem positiven Ende der Sym- metrieachse (V) verschieben. Aber noch mehr! Die von dem Strahl Keue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 315 Ojb entwickelte Tangentialkraft wird nicht allein zur Dehnung und Spannung der Wandstrecke ab verwerthet, sondern ihre Wirkung er- streckt sich auf den ganzen Wandabschnitt Rb. Ebenso wird jeder noch weiter nach aufwärts gelegene Strahl an der Spannung der ganzen hinter ihm gelegenen Wandstrecke Theil nehmen. Hieraus ist ersichtlich, dass Dehnung und Spannung der Wand bei R am bedeutendsten sein müssen, während, wenn wir von diesem Punkte aus nach rechts und links hin aufwärtsgehend um die Figur herumschreiten, Dehnung und Spannung gleicher Weise allmählich abnehmen müssen. Bei V wird dann die Grenzmembran im Zustande der grösstmöglichen Erschlaffung befindlich sein. Nun wäre noch die Verschiebung der peripheren Insertionspunkte der Radien im Besonderen zu berücksichtigen. Wir haben bereits ge- sehen, dass die Strahlen durch Wirkung der Tangentialkraft je zu beiden Seiten der Symmetrieachse nach aufwärts wandern. Es wird somit ein Theil der Radien aus der unteren Hälfte des Systems in die obere überwandern. Ebenso wird ein Theil derselben die Grenz- punkte u und Uj überschreiten; der Strahl 0^ Wj könnte z. B. später die Lage Oj Wg haben. War nun vorher das Centrum im Gleichge- wicht, so wird in Folge der Vermehrung der Strahlen in dem oberhalb der Linie uu^ gelegenen Bezirke eine Rückwirkung auf das Centrum erfolgen, welches sich unfehlbar nach V hin verschieben müsste. Im Allgemeinen wird aber die Anordnung der Radien eine derartige sein, dass sie von R aus anfangend in immer kleineren Abständen auf einander folgen, da ja die Dehnung der Wand bei R am grössten ist und von dort aus nach beiden Seiten hin allmählich geringer wird. Somit wird die stärkste Ansammlung der Radien in dem um V herum liegenden Bezirke erfolgen, während sie bei R am weitesten auseinanderstehen. Diese ganze Auseinander- setzung wird aus dem Folgenden noch um Vieles klarer werden. Uebrigens ist das bisher angenommene Beispiel der Fig. 11 irreal und soll nur dazu dienen in unseren Gegenstand einzuleiten. Die Anwendung auf die Zelle ergiebt sich aus den schematischen Darstellungen der Fig. 12 und 13, welche in Anlehnung an die Ver- hältnisse meines Modells in physikalischem Sinne vereinfacht sind. In beiden Abbildungen hat man je rechts und links zwei verschiedene Zustände ; ich habe hier die Gesammtwirkung der Tangentialkraft in verschiedene Phasen zerlegt, womit indessen nur rein logische Unterscheidungen gegeben werden sollen, da in der Natur die noch näher zu charakterisirenden Bewegungen simultan verlaufen. Ich gehe nun nicht von einer kugeligen Zelle aus, sondern gebe unserem idealen Zellendurchschnitt von vornherein eine im Sinne des Radius vector gestreckte Gestalt. Ich erinnere nämlich daran, dass wir die 21* 316 M. Heidenhain. Wirkung der Radialkraft auf die äussere Zellgestalt und das Cen- trum bereits vollständig besprochen hatten und dass wir an unserem neuen Modell die theoretisch geforderte Längsstreckung veranschau- lichen konnten (Fig. 9 und 10). An der Stahlschiene des Modells kann nun die Tangentialkraft schlechterdings nicht zur Wirksamkeit gelangen, und da wir es weiterhin nur mit dieser zu thun haben wollen, so gehen wir von einem Zellendurchschnitte aus, der so beschaffen ist, als ob die Radialkraft bereits gewirkt hätte; wir geben daher unserem Schema eine äussere Form, wie sie etwa der Fig. 10 entspricht. An Stelle des Doppelringes, der in dieser Figur sichtbar ist, habe ich, um Komplikationen zu vermeiden, nur ein einfaches Centrum ange- nommen; diese Abänderung (in Fig. 12 und 13) ist aus dem Grunde vollständig gerechtfertigt, weil man bei einer Wiederholung des Ver- suches der Fig. 10 mit einem einfachen Ring ebenfalls eine sehr be- deutende Längsstreckung erhält. (So übertraf bei einer „Kern"- Grösse von 200 mm der Radius vector um 90 mm den ihn lothrecht überkreuzenden Durchmesser.) Wir betrachten nun zunächst die linke Hälfte der Fig. 12. Hier sieht man 15 Strahlen A bis P alle in gleichen Abstän- den an der Peripherie inse- riren und es fällt sogleich auf, dass diejenigen unter ihnen , welche durch die Einschiebung des Kerns bei Seite gedrängt werden, in relativ starker Weise gegen die Oberfläche geneigt sind. Also werden die Tan- gentialkräfte im Um- kreis des Kerns am stärksten entwickelt sein. Wir ersehen so- gleich, dass bei den im Zu- stande deräussersten Spann- ung befindlichen Strahlen (A, B und die nächstfol- genden) die tangentiale Komponente ausserordentlich viel grösser sein wird als die radiale. Ferner wird entsprechend der Abmin- derung der Neigung gegen die Oberfläche die tangentiale Kompo- nente von A aus bei den jeweils weiter aufwärts folgenden Radien immer melir und, in dem von uns gewählten Beispiel, auch immer Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 317 schneller abnehmeo. Von M anfangend stehen die Strahlen bei der ziemlich willkürlich gewählten Form der peripheren Kurven ungefähr senkrecht zur Oberfläche. Die Details dieser schematischen Zeich- nung haben natürlich keinen allgemeinen Werth mehr ; indessen werden ganz ähnliche Fälle gewis auch in der Natur gelegentlich vorkommen. Aus der rechten Hälfte der nämlichen Figur ist dann ferner zu ersehen, wie sich ungefähr das Bild der Strahlenverschiebung unter der Einwirkung der Tangentialkräfte gestalten würde. Radius A rückt am weitesten nach aufwärts, etwa bis A^ ; Radius B bleibt schon etwas zurück und wandert bis B ^ und so fort. Gegen den positiven Pol der Figur hin drängen sich die Strahlen erheblich zusammen ; dort liegen sie sehr dicht, während sie am negativen Pol viel weiter auseinander- stehen. Das Flächenstück R A^, ist am meisten gedehnt und am stärksten gespannt, am meisten erschlafft das gegenüberliegende Flächen- stück V P^ Es ist nun gewiss nicht zu bezweifeln, dass bei der Zelle die Wanderung der Radien dem Principe nach sich in dieser Weise abspielen muss. Dann ist aber auch die frühere Gleichgewichtslage des Centrums nicht mehr möglich, da die Zahl der das Cen- trum kernwärts herabziehen- den Fasern vermindert, da- gegen die in entgegengesetztem Sinne wirkenden erheblich ver- mehrt sind. Somit muss sich das Centrum nach dem posi- tiven Ende des Radius vector hin verschieben bis eine neue Gleichgewichtslage erreicht ist. In der Figur l'd, linke Hälfte der Zeichnung, habe ich da- her das Centrum ein Stück weit nach aufwärts verlegt, um die mit der Strahlenver- schiebung einhergehende Wan- derung desselben schematisch zur Anschauung zu bringen. Die Bilanz der Kräfte wird, wie ersichtlich, im Allge- meinen dadurch hergestellt, dass die Strahlen A, B und die ihnen folgenden von neuem gespannt werden , während umgekehrt ihre Antagonisten (P, 0, N etc.) erschlaffen. Die in mechanischem Sinne ungemeine Komplexität dieser Vor- 313 ^' Heidenhain. gänge findet nun einen neuen Ausdruck darin, dass durch die Orts- veränderung des Oentrums auch wieder die Lage der Strahlen und ihre mechanischen Effekte sich ändern. Es liegt mir nun ferne^ alle Einzelheiten, die hier etwa in streng physikalischem Sinne in Betracht kommen könnten, in Rechnung zu hringen, denn von den neu auftretenden Umständen sind , wie ich denke , nur wenige von erheblichem Belang. Vergleicht man Fig. 13 links mit Fig. 12 rechts, so sieht man, dass mit dem Ausweichen des Centrums in positiver Richtung die Tangentialkräfte wachsen, da die Neigung der Radien gegen ihre Tangenten erheblich wächst, und zwar nehmen sie offenbar im oberen Abschnitte der Figur (etwa zwischen P und G) erheblicher zu als im unteren. Es fragt sich nun, ob hierdurch die Bewegungstendenz des Centrums begünstigt wird oder nicht. Ich denke, dass dies bis zu einem gewissen Grade der Fall ist; denn durch einen Zuwachs der Tangentialkraft wird die Verschiebung der Insertionspunkte der Radien in der Richtung nach dem positiven Ende des Radius vector begünstigt; durch diese Ver- schiebung ward aber gerade die Wanderung des Centrums eingeleitet. Dennoch kann letztere nicht beliebig weit gehen, vielmehr ist sie in enge Grenzen gebannt. Mit dem Aufsteigen des Centrums würde nämlich die Tangentialkraft der zwischen P und G gelegenen Radien sehr rasch in steigendem Maasse zunehmen, in dem nämlichen Maasse müsste aber die Radialkraft, welche die unmittelba re Ursache der Wanderung des Centrums ist, abnehmen. Für die positive Bewegung des Centrums müsste also bald ein bestimmter Grenzwerth erreicht werden, der indessen zur Zeit nur experimentell in ungefährer Weise ermittelt werden könnte. Ausserdem ist in Rechnung zu ziehen, dass der vom Centrum intendirten Bewegung, je mehr dasselbe sich dem positiven Ende des Radius vector nähert, auch immer mehr Antagonisten erwachsen, was leicht klar wird, wenn man den Radius Fj der Fig. 12 rechts mit dem entsprechenden Radius F der Fig. 13 links vergleicht: dort ist der Radius Synergist, hier ist er Antagonist der Bewegung. Wenn der Leser bis hierher gefolgt ist, so wird er das Bedürfniss haben, sich diesen ganzen Vorgang kurz und drastisch vorzustellen, und ich glaube, man wird das Richtige treffen, wenn man sagt, dass bei Zellen mit mehr oder minder dehnbarer Wand sich dasRadiär System in entsprechend höherem oder geringe- rem Grade über dem Kern zusammenzieht und im extremen Falle seinem grössten Antheile nach sozusagen neben den Kern zu liegen kommt, während dieser selbst an dem plasmatischen Zellleibe gleichsam eine Ausbauchung verursacht. Das Radiärsystem hat mithin die Fähigkeit sich unter Umständen, die von der Beschaffenheit der Zellwand abhängen, über dem Kern zu kontrahiren, etwa wie der Uterus Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 319 bei der Geburt über dem Kinde, nur dass der Kern nicht ausgestossen wird, sondern in eine Art von Aussackung der Zelle zu liegen kommt. Dies mitunter zu beobachtende Verhältnis zwischen Kern und Zellleib ist schon von von Lenhossek gelegentlich gewürdigt worden (Nr. 14, S. 366). Es bleibt nur noch übrig die Frage aufzuwerfen, ob mit dem so- eben beschriebenen Vorgang nicht auch ein äusserer Gestalts- wechsel der Zelle verbunden sein kann. Dies lässt sich nur schwer mit vollkommener Gewissheit bestimmen, darf aber mit einiger Sicher- heit vermuthet werden. Betrachten wir nämlich in Fig. 13 linkerseits die zwischen P und G befindlichen Radien, so liegt der Gedanke nahe, dass ihre Spannung bei der allmählich sich vollziehenden Verschiebung ihrer Insertionspunkte nach aufwärts schliesslich dem absoluten Maasse nach eine sehr geringe sein wird. Hieraus ist nicht der Schluss zu zu ziehen, dass sie das Centrum nicht vom Kern abzuziehen vermöchten, denn der grösste Theil aller Radien liegt in dem oberen Abschnitte der Figur und ihre Wirkung auf das kleine Centrum summirt sich an diesem in ausserordentlichem Grade. Hiervon vermag man sich leicht an meinem Modell zu überzeugen: eine grosse Anzahl gering gespannter Radien üben in ihrer Gesammtheit eine be- deutende Kraft auf das Centrum aus. Wollen wir nun aber die Wirkung eben dieser Radien auf die Peripherie taxiren, so ist in Rechnung zu ziehen, dass die von ihnen entwickelten Radialkräfte sich auf einen verhältnismässig weit ausgedehnten Flächenabschnitt vertheilen. Mithin kann eine grössere Anzahl schlaff gespannter Radien wohl zu einem bedeutenden Effekt an dem Centrum als dem gemein- schaftlichen Angriffspunkt der Kraft führen, während demgegenüber die von ihnen an der Peripherie ausgeübten bewegenden Kräfte oder Widerstände gering sind. Wir nehmen nun an, was wahrscheinlich in der Natur vielfach der Fall sein wird, dass diejenigen Radien, welche im weiteren Umfang des positiven Poles der Zelle, zwischen P und G in unserer Figur 13, ge- legen sind, schliesslich eine überhaupt nur geringe Spannung noch auf- weisen, dann würde gegenüber dem cellulären Binnendruck die Ein- heit des Flächenabschnittes in eben diesem Bereiche auch nur einen geringen Widerstand zu leisten vermögen. Der Turgor ist ja gleich dem cellulären Binnendruck plus der Spannung der Wand plus der Radialkraft (T = D -j" ^ -|- P). Die Höhe des Turgors muss auch an allen Stellen der Zelloberfläche den nämlichen Werth erreichen. Der Druck im Innern ist aber selbstverständlich an allen Stellen der Zelloberfläche der gleiche. Sollte also die von der Flächeneinheit der Zellwand auf den Zellinhalt ausgeübte Pressung (S -\- P) in einen be- stimmten Bereich sinken, so muss nothwendig eine Gestaltsveränderung der Zelle erfolgen. Wir haben nun aber an der Hand unserer Sehe- 320 M- Heidenhain. raata (Figur 12 rechts und Figur 13 links) bereits gesehen, dass die Spannung der Zellwand (S) in der Richtung nach dem positiven Pol immer mehr abnimmt, und ist nun auch, wie wir dies als möglich voraussetzten, die Spannkraft der Strahlen auf eben jener Strecke eine sehr geringe, so wird die von der Flächeneinheit der Zellwand ebendort ausgeübte Pressung oder ihr Widerstand (S -|- P) gegen den Binnendruck (D) ebenfalls gering sein, trotzdem hier mehr Radien auf das Einheitsmaass der Fläche entfallen als anderen Orts in der Zelle. Es ist also, wenn die mechanischen Bedingungen alle zutreffen, und diese werden bei der Vielgestaltigkeit der Natur des öfteren gegeben sein, sehr wahrscheinlich, dass die am positiven Pole von der Wandschicht auf den Zellinhalt ausgeübte Druckwir- kung nicht mehr im Gleichgewicht ist mit dem vom Zell- inneren her ausgeübten Gegendruck (D). In diesem Falle folgt eine Gestaltsveränderung der Zelle, so zwar, dass der positive Pol vorgebaucht wird, wäiirend weiter abwärts davon, der Aequatorial- region benachbart, die Zellwand einsinkt, oder kurz ausgedrückt: der Zellkörper muss sich im Sinne des Radius vector (R V) strecken. Diese Gestaltsveränderung habe ich in Figur 13 rechter Hand ange- deutet. Folgebewegung dieser Veränderung wäre ein abermaliges Aus- weichen des Centrums nach dem positiven Ende des Radius vector hin, wie dies ebenfalls in Fig. 13 rechts angedeutet wurde. — Ich er- innere daran, dass auch die Konstruktion dieser letzteren „Phase" der Bewegung auf einer logischen Unterscheidung beruht, da unter der Bedingung der Dehnbarkeit der Zellwand die sämmtlichen geschilder- ten Bewegungen simultan zum Ablauf kommen müssen. Es wird übrigens wohl ohne Weiteres klar sein, dass mit der Kontraktion des Radiärsystems über dem Kern eine Streckung der Zelle im Sinne ihrer Hauptachse mit grosser Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf. Fasse ich Alles zusammen, was in Betreff der definitiven Gleichgewichtslage ruhender Zellen von mir ermittelt wor- den ist, so ergiebt sich, dass der Zustand des statischen Gleichgewichtes sich in mikroskopischer Hinsicht unter ver seh i eden en Bildern prä- sentiren kann. Eine erste Form wird durch das Schema der Figur 1 dargestellt; hier sind die Spannkräfte der Radien und der Zellwand, sowie die Widerstände des Kerns und der Binnendruck alle unterein- ander im Gleichgewicht, wobei der Turgor relativ hoch sein muss. Beispiel: Viele der gewöhnlich vorkommenden Leukocytenformen, namentlich solche der kleinsten Art. Setzen wir nun den Fall, dass der Kern dem auf ihm lastenden Druck nachgiebt, so erhalten wir eine Umformung des Kerns zur Sack-, Hufeisen- und Ringform, wobei das Centrum allmählich nach der Zellenmitte einrückt. Hier sei kurz erwähnt, dass Boveei eine Um- Neue Erläuterurgen zum Sjiannungegesetz der cenfrirttn Syste«ie. 321 formung des Kerns auf Grund des Spannungsgesetzes nicht für mög- lich hält und glaubt, dass meine eigenen Abbildungen dem widersprechen. BovERi hat sich aber geirrt, denn diejenigen Momente, welche von Seiten des Kerns aus hier in Betracht kommen, sein Turgor und sein Volumen im Verhältniss zum Zellkörper, sind von BovERi garnicht in Rechnung gezogen worden. Ausserdem geht der Autor von der absoluten Identität der Strahlen aus, eine An- nahme, die erkenntnisstheoretisch falsch ist (siehe oben S. 284). — Je nach den Widerständen, die der Kern entwickelt, und je nach der Kraft der betheiligten Radien kann die definitive Gleichgewichts- lage früher oder später erreicht werden, so dass nicht nothwendig jeder sackförmige Kern sich schliesslich in einen ringförmigen umwandeln und ebenso nicht nothwendig das Centrum in jedem Falle die Zellen- mitte erreichen muss. Beispiel hierfür sind wiederum viele der ge- wöhnlich vorkommenden Leukocytenformen mit polymorphem Kern (Nr. 6, S. 508; Nr. 7, S. 511). Setzen wir ferner, wiederum von dem Schema der Fig. 1 aus- gehend, den Fall, dass nicht der Kern nachgiebt, wohl aber die Zell- wand, indem sie (ad I) einem gleichmässigen Wachsthum in allen ihren Theilen unterliegt, so folgen hieraus schliesslich stabile Zellformen, welche der Fig. 9 und 10 analog sind, da die Radial- kraft in Bethätigung tritt. Sollte ferner die Zellwand (ad II) mehr oder weniger dehnbar sein, dann haben wir nicht nur eine bedeutende Streckung im Sinne des Radius vector, sondern auch eine ebenso be- deutende Abhebung des Centrums vom Kern, wie in dieser Arbeit hergeleitet wurde. Beispiele für diese Formen der Ruhelage findet man unter den Leukocyten und besonders bei den Geschlechtszellen. Es giebt endlich noch eine andere, sehr erheblich abweichende Form des cellulären Gleichgewichts, welche indessen nur theilweise aus dem Spannungsgesetz verständlich wird. Repräsentanten sind hier die Cylinderepithelzellen, bei denen allerdings die drei kritischen Punkte der Zelle immer noch auf eine Gerade (Radius vector) fallen; aber das Centrum nimmt dabei in typischen Fällen eine extrem periphere Stellung ein, die nur durch die Mitwirkung besondrer, bisher unbekannter Nebenursachen bedingt sein kann (Nr. 10). Ich schliesse nun das obige Kapitel und komme weiterhin auf die Mitose zu sprechen. Es ist durchaus nicht meine Absicht, die ganze Mechanik der Mitose im Sinne des Spannungsgesetzes von Neuem durchzusprechen, denn diese kleine Arbeit soll nur eine Ergänzung zu meinen früheren Schriften bilden, wobei ich den äusserlichen Zweck verfolge zu zeigen, 322 M. Heidenhain. wie mein neues Modell geeignet ist, bis zu einem gewissen bescheidenen Grade die für die mitotischen Bewegungen in Betracht kommenden Kräfterelationen zu demonstriren. Da nun in Nachfolgendem gezeigt werden soll, dass das Spannungs- gesetz bei den äquivalenten Zelltheilungen, d. h. bei jenen Theilungen, bei denen gleiche Tochterzellen geliefert werden, ein Hauptfaktor bei dem Zustandekommen des an dem Zellleibe sich vollziehenden äusseren Formwechsels ist, so habe ich das Bedürfniss empfunden, die in Be- tracht kommenden äusseren Umgestaltungen der Form im Verhältnis zu den Bewegungser seh einungen der beiden mitotischen Centren noch einmal genau durchzuuntersuchen ; denn es muss ja die jeweilige Stellung der Centren in einer näheren Be- ziehung zu der Form und zu den Bewegungen des Zellumfanges stehen, da nämlich das Spannungsgesetz nach beiden Richtungen hin gleicher Weise von Einfluss ist. Für diese von mir beabsichtigte Untersuchung (welche in den Monaten Mai und Juni 1896 zur Ausführung kam) durften gewöhn- liche Gewebezellen nicht zu Grunde gelegt werden, denn diese werden in ihrer äusseren Form sehr wesentlich durch die Nachbarelemente, bezw. durch die räumlichen Verhältnisse der Umgebung beeinflusst und eine spezifische, zwangsweise von aussen h e r aufgenöthigte Zell- gestalt könnte ja, durch Vermittlung des Spannungsgesetzes, auch wiederum die Lage der Centren beeinflussen. Den denkbar einfachsten äusseren und inneren Bedingungen würde gewiss nur eine kugelige Zell- form entsprechen, welche frei im umgebenden Medium suspendirt wäre und die Struktur des Leukocyten besässe. Allein die indirekte Thei- lung am weissen Blutkörperchen nach den oben angegebenen Rich- tungen hin genauer zu untersuchen, das wäre nach meinen bisherigen Erfahrungen eine Aufgabe, die auf enorme Schwierigkeiten stossen würde. Ich habe mich daher mit einem Objekt, das den theoretischen Anforderungen weniger genau entspricht, begnügt und die Untersuch- ung am rothen Blutkörperchen des Entenembryos durch- geführt. Diese Zellen haben im Ruhezustande meist die Gestalt einer sehr regelmässigen bikonvexen Linse, an deren scharfem Rande der von mir aufgefundene und von Dehlee (Nr. 2) genauer beschriebene durch Eisenhämatoxylin schwarz färbbare Reifen liegt (siehe Fig. 10 in Nr. 11). Innerhalb dieses Reifens ist die Masse der Zelle ausgespannt wie ein Tropfen in einer Oese. Wir hätten hier also eine specifische Abwei- chung von der Kugelgestalt der Zelle, welche indessen für die beab- sichtigte Untersuchung wenig in Betracht kam, da nämlich die Blut- zellen im Beginne der Mitose sich kugelig abrunden. Viel übler war ruf mich in Rücksicht auf den gedachten Zweck der Umstand, dass, wenigstens bei jener Serie von Präparaten, von der ich alle meine Ab- Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 323 bildungen hergenommen habe, die Mikrocentren der ruhenden Blut- körperchen keine konstante Lage hatten. Beim Hühnerembryo fand Dehler die Stellung der Centren im Grossen und Ganzen gerade so beschaffen wie beim Leukocyten : sie liegen nächst der Zellenmitte oder, wenn sie von dieser durch den Kern abgedrängt wurden, so entfielen die drei kritischen Punkte auf eine Gerade, die Zellenachse. Eine Reihe von Abweichungen wurde allerdings schon damals von Dehler beobachtet, jedoch nach gemeinsamer Besprechung dahin erklärt, dass die betreffenden Individuen wahrscheinlich noch in der Telophase der Mitose befindlich seien. Hier beim Entenembryo finde ich nun die Abweichungen von der normalen Stellung wohl ebenso häufig wie diese selbst. Nun ist es aber möglich, dass die von mir untersuchten Em- bryonen der ersten Entwicklungstage sehr rasch gewachsen sind, so dass vielleicht der grösste Theil aller Blutkörperchen zwischen zwei aufeinanderfolgenden Mitosen überhaupt nicht völlig zur Ruhe kam, daher auch die definitive Gleichgewichtslage der Centren nicht erreicht wurde. Ich gedenke diesen Punkt experimentell weiter zu verfolgen, da man wahrscheinlich den Gang der Entwicklung durch niedrige Tem- peraturen zunächst verzögern und darauf folgend durch langsame Ab- kühlung zum völligen Stillstand bringen kann. Es würde unter diesen Bedingungen wohl eine konstante Einstellung der Centren, wie sie der gewöhnlichen Form der Ruhelage, d. h. dem Spannungsgesetze ent- spricht, zu beobachten sein. Da ich, wie gesagt, schon bei den ruhenden Zellen keine konstante Orientirung des Centrums finden konnte, so habe ich in meinen Prä- paraten auch im ersten Beginn der Mitose das schon getheilte oder noch ungetheilte Mikrocentrum nicht in regelmässig fixirter Lage ge- trofi"en. Indessen stehen mir gerade für die initialen Stadien der Thei- lung grössere Erfahrungen nicht zu Gebote, da es bei diesem kleinen Objekt sehr schwer ist, ihrer überhaupt habhaft zu werden. Es könnte wohl möglich sein, dass sich bei einem üeberblick über eine grössere Reihe von Individuen, welche gerade eben in die Mitose eintreten, herausstellen würde, dass das Mikrocentrum zu dieser Zeit in der Mehrzahl der Fälle oder dem Durchschnitte nach an einen bestimmten Platz einrückt. Bei unserem Objekt wird ausserdem das Urtheil über den natürlichen Ort des Centrums zu Beginn der Theilung dadurch besonders erschwert, dass in dieser Epoche die Zelle häufig eine irre- guläre Form zeigt. Man trifft da Knäuelstadien (Fig. 15a) von lappigem Umriss, von mitunter so unregelmässiger Gestaltung, dass es kaum angängig erscheint, sich die betreffenden Individuen in bestimm- ter Art orientirt zu denken. Dann entfällt natürlich die Möglichkeit, die Lage des Mikrocentrums in Beziehung auf den Kern und den Zeilumfang einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Wenn nun derartige unregelmässige Formen mitotischer Knäuel- 324 M. Heidenhain. Stadien vorliegen, wie Fig. 15 a eine zeigt, ist man begreiflicher Weise geneigt, an amöboide Bewegungen zu denken. Dennoch ist das eigen- thümliche Gepräge der Zellgestalt für unsere Fälle mit Wahrschein- lichkeit nicht auf Eigenbewegungen zurückzuführen, sondern diese Er- scheinungen dürften folgenden Grund haben. Es verschwindet im Be- ginn der indirekten Theilung, wie schon Dehler beobachtete, der periphere B,eif. Die bikonvexe Linsengestalt wird aufgegeben und die Zelle zeigt die Tendenz sich abzurunden. Nun ist natürlich die Ober- fläche einer bikonvexen Linse bei Weitem grösser als die einer Kugel von gleichem Volumen. Ist also der periphere Reif verschwunden, so muss folgerecht die straffe, oft nahezu mathematisch regelmässige Linsenform verloren gehen, und der Zellkörper repräsentirt dann zeit- weilig einen schlaffen Sack, bei welchem die Oberfläche relativ gross und das Volumen relativ klein ist. Daher die stumpflappigen Aus- buchtungen an der Oberfläche. Wahrscheinlich kommt die spätere Kugelform der Zelle nicht durch Zunahme des Volumens, sondern durch Verminderung der Zelloberfläche zu Stande. Die völlige Ab- rundung tritt bald etwas früher, bald etwas später ein, denn man findet einerseits feinfädige Knäuel, die s c h o n Kugelgestalt besitzen, während daneben grobfädige existiren, die noch immer das amöboide Aussehen zeigen. In den frühen Knäuelstadien^) findet man neben den Chro- matinfäden häufig noch grobe Chromatinstücke (Fig. 14 a und b) ; sind diese geschwunden, so lässt sich im günstigen Falle ein deutliches Pol- feld am Kern gewahren. Den Moment der Theilung des Mikrocen- trums konnte ich bei diesen kleinen Zellen nicht mit Sicherheit erhaschen. Findet man am Knäuel nur ein einfaches Centrum vor (Fig. 15 a), wie das häufig der Fall ist, so liegt immerhin der Zweifel nahe, ob nicht das zweite Centrum durch das Messer weggeschnitten sein könnte. Bei den Zellindividuen der Fig. 14a und 15a ist aber wohl nur ein Cen- trum vorhanden gewesen, denn dieses erschien im Präparate hier wie dort besonders gross, während bekanntermaassen die beiden Theil- centren der Mitose mindestens anfänglich im Verhältniss zum Mutter- mikrocentrum der ruhenden Zelle durch ihre Kleinheit sich aus- zeichnen. Die Zusammensetzung des Muttermikrocentrums aus einzelnen Centralkörpern, welche nach den Erfahrungen an der ruhenden Zelle angenommen werden rauss, ist in Fig. 14 a nur angedeutet, in Fig. 15 a nicht erkennbar. Im Hinblick auf den Zweck dieser Untersuchung lag mir nichts daran, die einzelnen Centralkörper herauszudifferenziren, vielmehr kam es mir nur auf die möglichste Deutlichkeit der ganzen Mikrocentren an, und so habe ich mich an solche Serien gehalten, wo ^) Die Vergrösserung der Zellen in Fig. 14 und 15 ist gleich 2500! Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 325 die Mikrocentren leicht als relativ grosse, sehr stark tingirte Gebilde hervortreten. In diesem Falle verschmelzen die Centralkörpergruppen gerne zu grösseren Verklumpungsfiguren. Mithin kann ich bei den hier beigefügten Mitosebildern dafür die Garantie nicht übernehmen, dass die in ihnen sichtbaren scheinbar einheitlichen Centren wirklich nicht mehr in sich zusammengesetzt sind; ja es ist geradezu anzunehmen, dass in vielen meiner Zeichnungen grobe Verschmelzungsprodukte der eigentlichen Elemente der Centren. der Centralkörper, vorliegen. Sind die Mikrocentren bereits verdoppelt, so trifft man die Tochter- centren meist schon ziemlich weit von einander entfernt (Fig. 14 b u. c). Zwischen ihnen spannen sich nicht selten dunklere oder hellere Sub- stanzstreifen aus, welche ich auf die Anlage der Centralspindel (ausser- halb des Kerns !) beziehe. Die Centren wandern nun in nächster Nachbarschaft der Knäuelfigur um dieselbe herum; sie bewegen sich mithin paratangential zur Kernoberfläche und zwar offenbar in ent- gegengesetzten Richtungen. Ob die Wegstrecke des einen Centrums genau so gross ist wie die des anderen, lässt sich bei diesem Objekte nicht ausmachen, da bei den rothen Blutkörperchen die festen Orien- tirungspunkte fehlen, in Beziehung auf welche die Bewegung der Cen- tren taxirt werden könnte. Die Centren nehmen nun schliesslich, ehe noch die kuglige Form des Knäuels verloren geht, ehe also die Chromatinfigur in die Umord- nungsphasen eintritt, an dem jetzt häufig central gelegenen Kern eine Gegenüberstellung ein. Es entspricht dann die präsumptive Spindelachse einem Durchmesser der kugligen Zelle (Fig. 14 d, 15b), Man hat den Eindruck, als ob ein jedes Tochtercentrum von der Anfangsstellung aus um 90 " am Kern herumgewandert wäre. Diese Knäuelfiguren mit einander gegenübergestellten Centren sind in meinen Präparaten ganz ungemein häufig. Die Centren nehmen übrigens gar nicht selten auch bei späten Knäuelstadien nicht genau die gegen- überliegenden Kernpole ein, so dass, wenn der Kern selbst central liegt, die Verbindungslinie der Centren nicht die Mitte des kugligen Zellkörpers schneidet, sondern peripher verschoben erscheint. Daraus kann dann eventuell beim Uebergang zur Monasterfigur eine e x c e n - tri sehe Lage der Spindel folgen (vergl. das Umordnungsstadium der Fig. 14 e). Nimmt der Knäuel selbst eine excentrische Stellung in der Zelle ein (Fig. 14 d), so werden die Centren wahrscheinlich die entgegengesetzten Pole des Kerns niemals erreichen; vielmehr werden sie voraussichtlich nur so weit am Kern entlang wandern, bis ihre Verbindungslinie im Durchmesser des kugligen Zellkörpers steht (Fig. 14 d); Bilder, welche dieser Situation entsprechen, sind thatsäch- lich in den Präparaten vielfach anzutreffen. Noch mehrere Punkte müssen für diese Stadien der Theilung be- sonders hervorgehoben werden. 326 M. Heidenhain. VS ■■'«sj a ^7' ■j9.7 y .7 Ä V ^*ic^g^3>^ S '^«S^) ^ *^ ^ 5" Figur 14. Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. 327 Erstlich leidet keinen Zweifel, dass das Tochtercentrum schon jetzt in sich getheilt sein kann, so dass es dann aus zwei Central- körpern besteht (Fig. 14 d, 15 b). Zweitens ist zu beachten, dass der Kern bei diesem Objekt meist im Verhältniss zum Zellkörper recht gross ist; so kommt es, dass gewöhnlich schon in den Prophasen die Tochtercentren der Zellperi- pherie nahe gerückt sind, wie man sich leicht nach Analogie der Tri s 1> Figur 15. Figur 14 c wird vorstellen können; ist der Kern sehr gross, so können die beiden Centren sogar hart an der Zellenperipherie stehen. Ist der Kern dagegen klein, so liegen die Centren mehr nach ein- wärts (Fig. 15 b). Liegt ferner der Kern excentrisch, so kann das eine Centrum dem Zeilumfang näher liegen als das andre (Fig. 14 c); hieraus leiten sich offenbar die häufigen Fälle einer stark excentrischen Stellung der 328 ^1- Heidenhain. Spindel im Muttersternstadium ab (Fig. 15 i). Wir haben mithin schon im Anfang der Mitose eine ganze Reihe von Variationen in der räum- lichen Anordnung der Theile zu verzeichnen. Ein Faktum wäre schliesslich noch zu erwähnen, welches offenbar mit der Mechanik der Mitose auf diesen Stadien unmittelbar zusammen- hängt. Man findet nämlich ganz gewöhnlich die späteren Knäuel- formen derart abgeplattet, dass der optische Durch- schnitt des Kerns in einer Richtung senkrecht zur Ver- bindungslinie der Centren verlängert er scheint (Fig. 14 d). Dabei sind die Centren nach wie vor in unmittelbarer Nachbarschaft des Kerns gelegen. Man hat den Eindruck, dass dem Kern die ab- geplattete Gestalt durch Druckwirkung in der Richtung von beiden Centren her aufgenöthigt wird. Ueber die sogenannten Umordnungsphasen (Fig. 14 e , 15c und d) habe ich wenig zu sagen ; sie sind wie die Knäuel in meinen Präparaten recht häufig. Der Process der Verlagerung der Chromo- somen ist schon bei den gewöhnlichen Gewebe-Mitosen des Salaman- ders, also bei einem günstigen Objekte, schwer zu verfolgen. Hier, bei so enorm kleinen Zellen, lassen sich genauere Feststellungen über den Modus der Schleifenwanderung nicht machen. Bemerkens werth ist, dass bei den gewöhnlichen Eisenhämatoxylinpräparaten — ohne Nach- färbung — um diese Zeit die Spindel in einigen Fällen deutlich sicht- bar ist (siehe die angezogenen Figuren), Die stärkeren Fibrillen, die in ihr von nun an immer kenntlicher werden, gehören wahrschein- lich ohne Ausnahme dem Spindelmantel an. Mit vollkommener Sicherheit lässt sich dies selbst für die Muttersternstadien bei der Kleinheit des Objektes nicht aussagen, doch habe ich ein Durch- laufen der gröberen Fasern von Pol zu Pol niemals beobachtet. Die ausgebildete Spindelfigur des Monaster Stadiums (Fig. 14 f, 15 e und f , i und der nächst anschliessenden Phasen (Fig. 14 g, h,i) tritt in sehr vielen Fällen bei einem gewissen nicht zu hohen Grade der Ex- traktion sehr stark hervor und es lassen sich dann an ihr einige interessante Einzelheiten beobachten. Die auffallend starke Färbbar- keit der Spindel beruht auf der Anwesenheit relativ grober Fibrillen, welche zum Pole konvergirend dem Anscheine nach in einiger Entfernung vom Mikrocentrum plötzlich enden. Daher sehen die Spindelspitzen wie quer abge schnitten aus und es macht den Eindruck, als ob das Mikrocentrum an jenem Orte, welcher der idealen Verlängerung der Spiudelfibrillen entspricht, frei über dem ab- geplatteten Pol schwebt. Dieser Zustand der Spindelfigur repräseutirt nicht etwa einen selten zu beobachtenden Ausnahmefall, sondern eben dieses Faktum kann man unzählige Male immer und immer wieder beobachten. Sieht man sich die Sache genauer an, so gewahrt man, dass die Fibrillen am abgestumpften Ende der Spindel mit geringen Neue Erläuterungen zum Spatinungsgesetz der centrirten Systeme. 329 nicht sehr scharf abgesetzten Anschwellungen enden. Diese letz- teren pflegen die Farbe etwas stärker zurückzuhalten, so dass mit- hin im optischen Längsschnitt die Spindel in der Nähe der Pole mit einer dunklen Querlinie aufhört. Wenn wir dieser am Prä- parate unsere besondere Aufmerksamkeit widmen , so können wir, obwohl mit Mühe , feststellen , dass das Spindelende in Wahrheit nicht quer abgestutzt ist, sondern dem Mikrocentrum mit einer ge- ringen Konkavität zugewendet ist, denn der entsprechende End- kontour verläuft in einer Reihe von Fällen deutlich koncentrisch zur Oberfläche des Mikrocentruras, eine Thatsache, die nur aus dem Grunde sich nicht stärker bemerkbar macht, weil das Spindelende einen sehr geringen Querdurchmesser besitzt. Hat sich die Spindel besonders stark tingirt, so erhält man im günstigen Falle den Ein- druck, dass sie sich über ihr scheinbares Ende hinaus doch noch bis zum Mikrocentrum hin fortsetzt, wenn auch bei meinen Prä- paraten in einer kaum merklichen Weise. Freilich kann die einzelne Spindelfibriile nicht mehr als solche bis zum Centrum verfolgt werden, sondern die Spindelspitze präsentirt sich als ein homogenes Gebilde, das sich nur durch einen etwas dunkleren Farbenton von der Um- gebung abhebt. — Die an den Spindelpolen befindlichen Mikrocentren sind selten drehrund; meist erscheinen sie rundlich eckig und deuten auf diese Weise schon an, dass sie wiederum in sich zusammengesetzt sind. Wie schon auf früheren Stadien, so waren auch jetzt häufig an Stelle des Mikrocentrums zwei isolirte Centralkörper wahrzunehmen, von denen der eine kleiner war als der andere. Die Lage der ausgebildeten Spindel ist nach dem, was schon früher über die Lage der Centren während der Prophasen ge- sagt wurde, leicht zu ermessen. In der Regel wird die Spindelachse durch den Zellmittelpunkt hindurchgehen; hierbei kann eine genau symmetrische Stillung der Centren vorhanden sein (14 f, 15 e), oder die Spin/er Vn.va. f;; J^'-'';;^^ ,iuer»cbnitte '^'^-t^^^^^::^:^'^^^^^!^.. bC bintere Kom- ausl davon gewahrt man eine schwache RmgmnskeUage. ^_^ 380 Johannes bauen. wärts gerückt. Daher liegt er oberflächlich, man kann sagen: direkt unter der Epidermis, und begleitet die Mittellinie der hinteren Kom- missur entsprechend ihrer kaudalwärts gewandten , schräg geneigten Fläche. Also wäre der Muskel vielleicht als ein Hautmuskel im engeren Sinne zu betrachten. Schneidet man durch einen Flachschnitt die ganze Masse der Vulva herunter (Fig. 3), so trifft man den Muskel ziemlich genau quer und er erscheint dann als ein rundliches Bündel. Einerseits gegen die Wirbelsäule hin habe ich ihn oft bis zu den Hämapophysen verfolgen können, doch war mir dies nicht immer mög- lich. Andrerseits strahlt er in der Haut aus. Auf Querschnittsserien bekommt man leicht das Bild, als ob der Muskel bei seinem Verlauf in der Richtung ventralwärts sich gabelt, was mir eine Zeitlang darauf hinzudeuten schien, dass der Muskel paarig angelegt ist. Dies mag sein; indessen könnte das Bild der Gabelung auch in zufälliger Weise auf anderem Wege zu Stande kommen, nämlich dann, wenn die glatte Muskulatur der Kloakenlippen beim Absterben des Gewebes sich stark kontrahirt. In diesem Falle bildet sich genau in der Ver- laufsrichtung des Muskels auf der äusseren Haut eine mediane, mehr oder weniger tiefe, rinnenförmige Einziehung, ^) welche auf Schnitten mitunter wie eine Tasche aussehen kann. Es scheint so, als ob der Muskel; welcher ja ganz oberflächlich liegt, auf seiner ventralen Strecke durch diese mediane Einziehung in zwei Theile aus einander gedrängt werden kann, welche zu beiden Seiten der Medianebene zu liegen kommen. Dass ich auf diese Vermuthung gerathen bin , kann nicht Wunders nehmen, denn es ist bekannt, wie hochgradig die Verzerrung der Theile im mikroskopischen Bilde sein kann, wenn Organe, die viel glatte Muskulatur enthalten, in stark kontrahirtem Zustande zur Ab- tödtung gelangen. Am stärksten ist die Muskulatur der Kloakenlippen in der vor- deren und hinteren Kommissur ausgebildet. Hier trifft man auf massenhafte Querfasern (Fig. 3), welche in der ganzen Höhenausdeh- nung der Kommissur entwickelt sind. Auf Flachschnitten zeigt sich, dass diese Querfasern die Neigung haben, mit ihren beiderseitigen lateralen Enden von vorn und hinten her in die Kloakenlippen einzu- biegen; aus diesem Verhalten geht mit Deutlichkeit hervor, dass die Querfasern der Kommissuren einem Konstriktorensystem zugehören, welches durch viele in den Kloakenlippen längelang verlaufende Fasern ergänzt wird. Diese Längsfasern (welche wegen der ungemein schwachen Vergrösserung an meinen Abbildungen nicht wiedergegeben werden konnten) liegen grösstentheils oberflächlich, nahe der Epidermis, in be- sonders dichter Schicht, und zwar erstrecken sie sich durch die ganze ^) Diese ist in Figg. 4, 6 und 7 tangential, bezw, etwas schief durchschnitten^ lieber eine rudimentäre Driiae beim weiblichen Triton. 381 Höhenausdehnuug der Lippen, ventralwärts bis in die Nähe des Kloaken- spaltes. Nachdem wir in der Beschreibung der ganzen Region, mit der wir es zu thun haben, so weit gekommen sind, ist es leicht klar zu legen, wo sich die riidiiiicntärc Bauchdrüse des Weibchens be- findet. Wie schon früher erwähnt, sind die ventralen Flächen der Kloaken- lippen und der Kommissuren im ganzen Umfange von kurzen Papillen bedeckt, welche allen Untersuchern seit Rathke bekannt sind. Diese Papillen bilden bei den grösseren Tritonenarten kurze , gedrungene Höcker, bei den kleineren Species werden sie im Verhältniss zur Breite spitziger gefunden. Sie gehören dem System der äusseren Haut an und ihr bindegewebiger Grrundstock wird somit von dem vielschich- tigen Pflasterepithel der Epidermis überzogen. Diese Papillen bedecken an der hinteren Kommissur auch deren kaudalwärts gewandte, schräg abgedachte Endfläche, welche sich gegen die Unterseite des Schwanzes hin ziemlich scharf abgrenzt, mitunter sogar durch eine Querfurche, sobald nämlich die Muskulatur der Vulva sich etwas stärker kontra- iVe* k M Hn Of/c 4 Figur. Triton helveticus. Querschnitt am kaudalen Ende der hinteren Kommissur. P. Integumentalpapillen, enthaltend die Schläuche des Bauchdrüsenrudimentes ; Gdr Giftdrüsen der Haut; kM kaudaler Vertikalrauskel; Mu Stammmuskulatur. 382 ■ Johannes Daueu, hirt. Nähern wir uns in einer Querschnittsserie von der Schwanzseite her der hinteren Kommissur, so fallen zunächst die Papillen in den Schnitt (Fig. 4 P). Diese werden Anfangs nahezu quer getroffen, da sie entsi^rechend der steilen Aufrichtung der kaudalen Begrenzungs- fläche der hinteren Kommissur horizontal oder nahezu horizontal nach rückwärts schauen. Auf der Spitze dieser Papillen nun entspringen die Tubuli der Bauchdrüse von der Epidermis her, so dass die ekto der male Natur des Organs keinem Zweifel unterliegt. Ich habe in der Epidermis selbst, wie auch M. Heidenhain, keinerlei Poren entdecken können, welche zu diesen Schläuchen als Ausmündungsstellen gerechnet werden müssten; so können sie mit Sicherheit als beiderseits blind geendigt angesehen werden. Ueber allen anderen (funktionirenden) Hautdrüsen findet man ja einen die Epidermis perforirenden Kanal, welcher von röhrenartig zusammengebogenen flachen Zellen ausgekleidet wird; hier ist aber davon nichts zu sehen. Da die Drüse im Uebrigen ja stark variirt, so halte ich es aber nicht für ausgeschlossen, dass nicht in Zukunft in vereinzelten Fällen wahre Ausführungsgänge getroö'en wer- den, vielleicht bei ausländischen Species, deren es ja so viele giebt. — Die Epithelzelleu der Schläuche gehen in die unterste Lage der Epi- dermiszellen über und sitzen somit an der Epidermis fest. Innerhalb der Papillen liegen die Tubuli ventral (Fig. 5) und das umgebende Bindegewebe ordnet sich zu ihnen konceutrisch. Sie sind jeweils an ihrem Beginn sehr schmal und unan- sehnlich, können auch leicht im mikro- - _,'*' f^o^ ^ ^^ s skopischen Bilde mit den Schaltstücken #■ £/ der Hautgiftdrüsen verwechselt wer- ^ '. ^ ^ den. Diejenigen Papillen, welche an der Basis der hinteren Kommissur be- ' ' Ö# tindlich sind, fallen zuerst in den „- -• ,. '^i Schnitt, da sie am meisten nach rück- » •* ^ < I' ' ' / wärts gelegen sind. Verfolgt man darauf eine einzelne Papille in der , / Querschnittsserie nach vorn, so sieht ^ ü.^ man an ihrem Grunde den Schlauch in ^^w». '-^ das Gewebe der hinteren Kommissur eintreten. Mittlerer Weile fällt eine ^'^"'' ^• A 111 1 1 Triton helvcticus. Querschnitt immer grossere Anzahl der mehr kra- , , • , . . , -n a ° durch eine integumentaliDapiUe, deren nialwärts gelegenen Papillen ebenfalls i^^^res einen Bauchdrüsentubulus ent- in den Schnitt und die Gesammtzahl hält. der auf einmal sichtbaren Schläuche nimmt erheblich zu. Haben wir dann in der Serie immer weiter nach vorn fortschreitend sämmtliche von der kaudalen Fläche der hinteren Kommissur sich erhebende Papillen passirt (Fig. 6), so haben wir jedenfalls auch den grössten Ueber eine rudimentäre Drüse beim weiblichen Triton. 383 Theil aller überhaupt vorhandenen Drüsenschläuche bereits im mikro- skopischen Bilde, denn die noch weiter kopfwärts auf der Ventralfläche der Kommissur stehenden Papillen liefern keine Schläuche mehr. Figur 6. Triton helveticus. Querschnitt durch die hintere Kommissur nahe ihrem kau- dalen Ende. Mu quergestreifte Stammmuskulatur; kM kaudaler Vcrtikalmuskel ; Tub Tubuli der ßauchdrüse, jcderseits 10 Stück, der oberste Schlauch rechterseits ist zwei Mal angeschnitten. Nach ihrem Eintritt in das Gewebe der Kommissur (Fig. 6) halten die Schläuche eine dorsoanteriore Richtung inne; zugleich zeigen sie, aber nur eine kurze Strecke weit, eine Tendenz medianwärts zu ziehen. Sie können an dieser Stelle, an ihrem Beginn, den kaudalen Vertikal- muskel durchsetzen. Nehmen wir den Fall an, dass wir auf einem be- stimmten Schnitt bereits 20 Schläuche im Granzen getroffen hätten, so werden wir jederseits 10 zählen und zwar in ganz symmetrischer Gruppirung. Diejenigen Schläuche, welche am meisten kaudalwärts entsprangen, die wir mithin schon über eine grössere Anzahl von Schnitten hin nach vorn verfolgt haben, liegen am meisten dorsal und auch am meisten median ; die anderen, wie sie der Reihe nach von den mehr kopfwärts gelegenen Papillen herkommend in der Serie zum 384 Johannes Danen. Vorschein kamen, liegen jeweils etwas mehr ventral und lateral. So sind die Querschnittsbilder der Tubuli entsprechend zwei sich dorso- medianwärts schneidenden Linien angeordnet , die mithin etwa eine A-Figur bilden (Fig. 7); dies ist ein recht charakteristisches Bild. Im weiteren Verfolg der Querschnittsserie zeigt sich , dass die Schläuche ihre Richtung nach vorn und aufwärts im Allgemeinen bei- behalten, jedoch biegen sie gleicherzeit lateralwärts aus, manchmal unter ziemlich scharfer Knickung. Viele Schläuche kommen aber '''!/> ijj Figur 7. Triton helveticus. Schnitt aus derselben Gegend, wie bei der vorhergehenden Figur, etwas stärkere Vergrösserung. Hf eine median gelegene Hautfalte, welche auf der kaudal gelegenen Fläche der hinteren Kommissur entlang läuft und tangen- tial angeschnitten wurde. Pap eine schlauchführende Integumentalpapille, welche nahe ihrer Basis quer getroffen ist. Jederseits sind 10 ßauchdrüsenschläuche sichtbar. Überhaupt nicht mehr dazu, diese Biegung in lateralem Sinne mitzu- machen, denn sie endigen schon vorher. Es triift sich häufig, dass die Schläuche überhaupt nur kurze Stummel sind und bedeutende Grösse ist ihnen nur in seltenen Fällen zu eigen. Bei verschiedenen Individuen der nämlichen Species findet man beträchtliche Verschieden- heiten in der durchschnittlichen Länge der Schläuche und selbst bei ein und demselben Geschöpf sind sie gewöhnlicher Weise nicht Ueber eine rudimentäre Drüse beim weiblichen Triton. 385 alle gleich lang. Immer aber ist das Verhalten auf beiden KöriDerseiten symmetrisch, so dass, wenn wir z. B. rechter- und linkerseits mehrere sehr lange Schläuche haben, diese sich in ihrem Verlauf und in ihren Biegungen fast völlig entsprechen. Wir nehmen nun eben 11 5 11 5 11 9 11 5 11 1 ,1 0 11 0 11 0 20,. . .— 21,0 11 11 5 11 4 11 6 11 5 11 1 ,1 1 11 0 11 0 21,. . .— 22,0 !1 3 11 2 11 4 8 11 0 „ 0 11 0 11 0 22,. 23,0 !J 11 2 11 3 ,v 6 11 6 11 1 ,1 0 11 0 11 0 23,. ..— 24,0 )) ;; 4 H 5 11 10 I) 5 " 11 o „ 0 n 0 11 0 Eiu Beitrag zur Kenntuiss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 479 — 25 Jahr M. 4 W. 4 M. 4 W. 3 M. 1 W. 1 M. 0 W. 0 24, .— 25 26 — 30 31 — 35 36 — 40 41 — 45 46 - 50 51 - 55 56 — 60 61 — 65 66 — 70 71 — 75 76 — 80 81 — 85 86 — 90 91 - 95 96 —100 32 )5 23 )i 39 11 36 n 5 » 2 , 0 11 0 26 » 14 )i 52 )) 39 » 8 ff 6 , l 11 0 22 n 12 )5 29 11 35 )) 10 „ 8 1 1 11 0 18 » 8 H 51 » 48 „ 13 )) 7 1 1 11 2 24 )i 7 ., 60 11 38 n 18 11 12 , 11 11 1 23 ., 10 I) 48 11 52 » 21 11 5 , 24 11 11 27 )7 10 „ 40 11 36 )5 16 11 12 1 41 11 15 15 H 9 ,, 24 11 28 ■n 19 11 7 1 32 11 17 12 >J 5 M 26 11 29 » 16 11 9 1 49 11 29 11 >1 3 11 13 11 23 » 3 » 4 1 48 11 41 3 » 4 ,, 7 n 8 n 1 )i 2 , 50 11 53 0 » 0 H 0 11 4 „ 0 )i 1 1 26 11 28 0 » 0 0 „ 0 11 0 » 0 1 7 11 11 0 n 0 0 yt 0 11 0 11 0 2 11 3 0 n 0 n 0 „ 0 n 0 )i 0 \ 1 11 0 Ohne weiteres lässt sich aus dieser Zusammenstellung entnehmen, dass wir aufwärts beim Manne nur bis zum 45., beim Weibe bis zum 50. Lebensjahre gehen dürfen, da jenseits dieses Zeitpunkts eine stärkere Latenz der Haarfarbe beginnt. Schwieriger ist zu bestimmen, wann das „Nachdunkeln" aufhört. Da die Zahl der Fälle innerhalb eines grossen Theils der Rubriken zu klein sind, so ziehe ich die Beobachtungen in folgender Tabelle zu- sammen. Tabelle II: Haarfarben in %. Männer Alter Fälle blond braun schwars ! grau 0,. .— 1,0 Jahr 54 88,9% 11,1% — — 1,. .— 2,0 11 66 92,4 „ 7,6 „ — — 2,. .— 5,0 11 85 90,6 „ 9,4 „ — — 0,. .- 10,0 11 28 75,0 „ 25,0 „ — — 10,. .— 15,0 11 16 31,3 „ 68,8 „ — — 15,. .— 20,0 11 64 29,7 „ 65,6 „ 4,7 «0 — 20,. .— 25 ., 51 35,3 „ 58,8 „ 5,9 „ — 26 — 30 11 76 42,1 „ 51,3 „ 6,6 „ — 31 - 35 11 87 29,9 „ 59,8 „ 9,2 „ 1,1% 36 — 40 11 62 35,5 „ 46,8 „ 16,1 „ 1,6 „ 41 — 45 11 83 21,7 „ 61,4 „ 15,7 „ 1,2,1 46 — 50 11 113 21,2 „ 53,1 „ 15,9 „ 9,7 „ 51 — 55 11 116 19,8 „ 41,4 „ 18,1 „ 20,7 „ 56 — 60 11 124 21,8 „ 32,3 „ 12,9 „ 33,1 „ 61 — 65 11 90 16,7 „ 26,7 „ 21.1 ,1 35,6 „ 66 — 70 11 103 11,7 „ 25,2 „ 15,5 „ 47,6 „ 71 — 75 11 75 14,7 „ 17,3 „ 4,0 „ 64,0 „ 76 — 80 11 61 4,9 „ 11,5 „ 1,6 11 82,0 „ 81 — 85 11 26 — — — 100,0 „ 86 - 90 11 7 — — — 100,0 „ 91 — 95 11 2 — — — 100,0 „ 96 -100 » 1 — — — 100,0 „ 480 W. Pfitzner. Weiber Alter Fälle blond braun schwarz grau 0,. .— 1,0 Jahr 37 81,1% 18,9«/o — — Iv .- 2,0 n 55 83,6 ,. 16,4 „ — — 2,. .- 5,0 „ 76 76,3 „ 23,7 „ — — 5,. .— 10,0 H 38 78,9 „ 21,1 „ — — 10„ .— 15,0 » 22 59,1 „ 36,4 „ 4,5% — 15, .— 20,0 » 36 50,0 „ 50,0 „ — — 20,. .— 25 )5 47 38,3 „ 57,4 „ 4,3 „ — 26 — 30 )) 61 37,7 „ 59,0 „ 3,3 „ — 31 — 35 I) 59 23,7 „ 66,1 „ 10,2 „ — 36 — 40 11 55 21,8 „ 63,6 „ 14,5 „ — 41 — 45 n 65 12,3 „ 73,8 „ 10,8 „ 3,1% 46 — 50 n 58 12,1 „ 65,5 „ 20,7 „ 1,7 „ 51 — 55 )) 78 12,8 „ 66,7 „ 6,4 „ 14,1 „ 56 — 60 n 73 13,7 „ 49,3 „ 16,4 „ 20,5 „ 61 — 65 » 61 14,8 „ 45,9 „ 11,5 „ 27,9 „ 66 — 70 « 72 6,9 „ 40,3 „ 12,5 „ 40,3 „ 71 — 75 )) 71 4,2 „ 32,4 „ 5,6 „ 57,7 „ 76 — 80 >•. 67 6,0 „ 11,9 „ 3,0 „ 79,1 „ 81 — 85 )) 33 — 12,1 „ 3,0 „ 84,8 „ 86 — 90 )5 11 — — — 100,0 „ 91 — 95 )) 3 — — — 100,0 „ 96 —100 H — — — Aus dieser Tabelle ersehen wir, dass nur kaum 10 ^^ (M.) resp. 20 7o (W.) schon in den ersten Lebensjahren dunkelhaarig ist. Die weitere Dunkelhaarigkeit entwickelt sich durch Nachdunkeln; die Schwarzhaarigkeit sogar nur auf diesem Wege. (Um falschem Citirt- werden zu entgehen, betone ich ganz besonders, dass ich hier wie überall nur von ansässigen Unterelsässern spreche!) Also Blond wandelt sich in Braun um, Braun in Schwarz. Die Umwandlung des Blond beginnt hauptsächlich nach dem 2. Lebens- jahre. Sie ist anscheinend keine ganz gleichmässige. Beim männlichen Geschlecht ist sie der Hauptsache nach mit dem 10. Lebensjahre be- endet; vom 10. bis zum 40. ist der Procentsatz der Blonden ziemlich stabil bei etwa 30''/,,. Um diese Zeit herum findet ein weiteres Sinken von 30 % auf den Satz von etwa 20 % statt ; welcher Satz wiederum etwa bis zum 60. Lebensjahre stabil bleibt. Jenseits desselben nimmt er nur noch ab durch Latentwerden der Haarfarbe. Beim weiblichen Geschlecht sinkt der Procentsatz der Blonden an- scheinend gleichmässiger. Von den ca. 80 % der ersten Jahre sinkt er so bis auf ca. 20%, welcher Satz etwa vom 30. bis zum 40. Lebens- jahre stabil bleibt. Um das 40. Jahr herum findet ein weiteres Sinken auf den Satz von etwa 13 "/o statt, welcher Satz etwa vom 40. bis zum 65. Lebensjahre stabil bleibt, um dann durch Latentwerden der Haar- farbe weiter, bis auf Null, zu sinken. Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 4:81 Das Schwarz entsteht durch Nachdunkeln des Braun etwa vom 10.— 15. Lebensjahre an. Bis etwa zum 30, Lebensjahre bleibt der Procentsatz bei etwa 5% stabil, steigt dann im 30. — 35. auf etwa 10 *%, im 35.-40. auf etwa 15%, welcher Satz etwa bis zum 70. Lebensjahre stabil bleibt. Bis zum 40. Lebensjahre also nimmt Braun von Blond Zuwachs auf und giebt an Schwarz Zuwachs ab. Schwierig ist dagegen zu ent- scheiden, ob nach dem 40. Lebensjahre noch Braun in Schwarz nach- dunkelt. Das Stabilbleiben des Procentsatzes für Schwarz könnte ja dadurch bewirkt werden, dass Schwarz ebensoviel durch Latentwerden verlöre, als es durch Nachdunkeln von Braun gewönne. Diese Frage wird sich ev. später, wenn sie einmal an grösserem Material wieder- holt worden, lösen lassen. Indem ich der Unsicherheit der einzelnen Mittelwerthe Rechnung trage und mich mehr an die allgemeine Bewegung halte, wie sie in dem Gesammtcharakter der Veränderungen zum Ausdruck kommt, darf ich es vielleicht versuchen, folgende abgekürzte Tabelle zu kon- struiren. Tabelle III: Haarfarben in 7oj abgerundet. blond braun schwarz grau Alter: M. W. M. W. M. W. M. w. 0— 5: 90 80 10 20 — — — — 5— 10: 75 80 25 20 — — — — 10— 15: 30 60 70 35 — 5 — — 15— 20: 30 50 65 45 5 5 — — 20- 25: 30 40 65 55 5 5 — — 25— 30: 30 35 65 60 5 6 — — 30— 35: 30 25 60 65 10 10 — — 35— 40: 30 20 55 65 16 16 — — 40— 45: 25 15 60 70 15 15 — — 45— 50: 20 15 55 70 15 15 10 — 50— 55: 20 15 45 65 15 15 20 10 55— 60: 20 15 35 50 15 15 30 20 60— 65: 15 15 30 45 15 10 40 30 65— 70: 15 10 25 40 10 10 50 40 70— 75: 10 5 20 35 5 5 65 55 75— 80: 5 5 10 15 — 5 85 76 80- 85: — — — 10 — 5 100 85 8.5—100: — — — — — — 100 100 Es ist dies nur ein Versuch, die Bewegung zu veranschaulichen, wie sie in der Umänderung und schliesslich dem Latentwerden der Haarfarbe zu Tage tritt. Indessen vermag diese Tabelle, trotz ihrer Unsicherheit im Einzelnen, uns schon in Bezug auf die Hauptfrage, die wir diesem Kapitel voranstellten, Folgendes erkennen zu lassen: c 482 W. Pfitzner. 1. Der Procentsatz für Blond ist mit Ausnahme einer kurzen Uebergangszeit beim männlichen Geschlecht stets höher als beim weiblichen, 2. Das Latentwerden der Haarfarbe durch Ergrauen tritt beim männlichen Geschlecht früher und energischer auf als beim weib- lichen; da es nun die dunklen Haarfarben rascher und stärker ver- schwinden lässt als die blonden, so fällt das Ueberwiegen der ersteren über die letzteren beim männlichen Geschlecht noch geringer aus, als es ohne dieses Moment schon ist. Der erste Satz findet seine Bestätigung, wenn ich statt willkür- licher Ausgleichung der Unregelmässigkeiten durch Bildung grösserer Rubriken die Zuverlässigkeit der Mittelzahlen vergrössere: Tabelle IV: Haarfarben in o/o- Fälle blond brauu schwarz grau Alter M. W. M. W. M. W. M. W. M. W. 0,. .— 2,0 120 92 90,8 82,6 9,2 17,4 — — — — q ,— 10,0 113 114 86,7 77,2 13,3 22,8 — — — — 10,. .— 20,0 80 58 30,0 53,4 66,3 44,8 3,8 1,7 — — 20, .— 30 127 108 39,4 38,0 54,3 58,3 6,3 3,7 — — 31 — 40 149 114 32,2 22,8 54,4 64,9 12,1 12,3 1,3 — 41 - 50 196 123 21,4 12,2 56,6 69,9 15,8 15,4 6,1 2,4 51 — 60 240 151 20,8 13,2 36,7 58,3 15,4 11,3 27,1 17,2 61 — 70 193 133 14,0 10,5 25,9 42,9 18,1 12,0 42,0 34,6 71 - 80 136 138 10,3 5,1 14,7 22,5 2,9 4,3 72,1 68,1 81 — 90 33 44 — — — 9,1 — 2,3 100,0 88,6 91 —100 3 3 — — — — — — 100,0 100,0 Der Procentsatz für Blond ist auf dieser Tabelle beim männlichen Geschlecht in allen Altersperioden stets höher als beim weiblichen mit einziger Ausnahme des Alters von 10 — 20 Jahren — und gerade in dieser Rubrik ist die Zahl der zu Grunde gelegten Fälle besonders klein, sind also die Mittelwerthe besonders wenig zuverlässig! Nebenher muss auf dieser Tabelle auffallen, dass die Schwarz- haarigen beim männlichen Geschlecht fast immer stärker vertreten sind als beim weiblichen. Es tritt dies besonders klar hervor, wenn ich die Haarfarben sämmtlicher Erwachseneu, d. h. derer, die das 25. Lebensjahr überschritten haben, zusammenstelle: Fälle blond braun schwarz grau Männer 1026 20,8 37,9 12,7 28,7 Weiber 767 13,7 49,0 9,8 27,5 Unter den Erwachsenen ist also die Häufigkeit der Blondhaarigen beim männlichen Geschlecht etwa V/^ Mal so gross als beim weib- lichen; andernseits ist aber auch die Häufigkeit der Schwarzhaarigen Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 483 beim männlichen Geschlecht etwa 1 '/a Mal so gross als beim weib- lichen. — Wir haben bisher das procentische Verhältniss der einzelnen Haar- farbe zu der Zahl der Individuen überhaupt berechnet; jetzt müssen wir noch speciell feststellen, wie sich die Zahl der thatsächlich Blondhaarigen zu der der thatsächlich Braunhaarigen resp. Schwarz- haarigen verhält, also ohne Rücksicht auf die latenten Blond-, ßraun- und Schwarzhaarigen — mit anderen Worten, unter Ausschluss der stärker Ergrauten. Ich habe aus Tabelle III geschlossen, dass in Folge des stärkeren und frühzeitigeren Ergrauens der Männer gegenüber den Frauen und der dunklen Haarfarben gegenüber den blonden mehr Braun und Schwarz verschwinden muss als Blond, und zwar beim Manne noch mehr als beim Weibe. Wenn wir also nur die Individuen mit erkenn- barer Haarfarbe berücksichtigen, so muss, nachdem der Process des Nachdunkeins beendet ist, in Folge des Ergrauens der Procentsatz für Braun und Schwarz sinken, für Blond steigen , und zwar beim männ- lichen Geschlecht stärker als beim weiblichen. Wir sehen dies be- stätigt in folgender Tabelle : der Procentsatz für Blond sinkt bis etwa zum 40. Lebensjahre in Folge Umwandlung in Braun und steigt von dieser Zeit an wieder in Folge des stärkeren Latentwerdens der braunen und schwarzen Haarfarbe durch das Ergrauen. Tabelle V: Erkennbare Haarfarben in "/o* Fälle blond braun schwarz Alter M. W. M. W. M. W. M. W. 0,. .- 2,0 120 92 90,8 82,6 9,2 17,4 — — 2,. .— 10,0 113 114 86,7 77,2 13,3 22,8 — — 10,. .— 20,0 80 58 30,0 53,4 66,3 44,8 3,8 1,7 20,. .— 30 127 108 39,4 38,0 54,3 58,3 6,3 3,7 31 — 40 147 114 32,7 22,8 55,1 64,9 12,2 12,3 41 — 50 184 120 22,8 12,5 60,3 71,7 16,8 15,8 51 — 60 175 125 28,6 16,0 50,3 70,4 21,1 13,6 61 — 70 112 87 24,1 16,1 44,6 65,5 31,3 18,4 71 -100 38 49 36,8 14,3 52,6 71,4 10,5 14,3 Wir sehen aus allem diesem, dass das Verhältniss zwischen blonden und dunkeln Haarfarben nicht festgestellt werden kann durch Zählung von beliebigen Individuen; es müssen vielmehr die beiden wichtigen Momente dabei berücksichtigt werden, die Umwandlung der Farbe durch Nachdunkelung und ihr Latentwerden durch Ergrauen. Der typische Unterschied zwischen beiden Geschlechtern tritt vielleicht am klarsten bei folgender Betrachtung hervor: Zur Zeit der 484 W. Pfitzner. Geburt und noch in der ersten Lebenszeit sind von 100 M. etwa 91 blond, nach Beendigung der Umwandlungsperiode, also etwa im 40. bis 45. Lebensjahr, nur noch etwa 21; es sind also etwa 70 in Dunkel- haarige umgewandelt. Beim weiblichen Geschlecht haben wir zur Zeit der Geburt unter 100 Individuen etwa 83 blonde, nach dem 40. Jahre nur noch etwa 13 ; es sind also von je 100 ebenfalls 70 umgewandelt. Das ergiebt also: von je 100 M. sind dunkelhaarig geboren 9, dunkelhaarig geworden 70 „ „ 100 W. „ „ „ 17, „ „ 70 „ „ 100 M. „ blondhaarig „ 91, blondhaarig geblieben 21 „ „ 100 W. „ „ „ 83, „ „ 13 Mit anderen Worten : Das männliche Geschlecht hat von Geburt au einen Vorsprung in der Blondhaarigkeit, das weibliche einen solchen in der Dunkelhaarigkeit. Dieser Vorsprung bleibt durch das ganze. Leben hindurch konstant; nur wird er nach dem 40. Lebensjahre durch ungleiches Latentwerden der Haarfarbe in ungleicher Stärke ver- schleiert. Wir können also die diesem Kapitel als Ueberschrift dienende Frage dahin beantworten : In der unterelsässischen Bevölkerung sind die Blon- den beim männlichen Geschlecht um etwa Vg — V» ^^^ ^^" sammtsumme stärker vertreten als beim weiblichen. Anhang. Als echt Roth haarige waren bezeichnet: unter 1396 M. 5 = 0,360,0 „ 1084 W. 6 = 0,550/0 II. Augenfarbe. Bestehen typische Unter schiede betr. der Augen färbe (Irisfärbung) zwischen beiden Geschlechtern? Um nicht zu viele und zu schwache Unterabtheilungen zu be- kommen, ordne ich meine Notizen nach folgenden Rubriken : a) hell: blau, blaugrau, grau; b) gemischt: grün, graugrün, graubraun, bräunlich grau, grau mit braunem Innenring; c) braun: hellbraun, braun, dunkelbraun, schwarzbraun. Totale Verschiedenheiten zwischen rechtem und linkem Auge finden sich nicht notirt. Ich persönlich habe viele Jahre lang eine ältere, jetzt verstorbene Dame gekannt, die ein rein graues und ein dunkelbraunes Auge besass. Sehschärfe beider- seits normal ; Emmetropie, im höheren Alter geringe Presbyopie. Weder die Eltern noch die — sehr zahlreichen — Geschwister, Kinder und Enkel, von denen eine sehr grosse Anzahl mir persönlich gut bekannt, hatten etwas Aehnliches aufzu- weisen. — Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 485 Dass die Iris ihre Färbung ändern kann, steht fest; es werden Kinder mit schön blauen Augen geboren, die später gemischtfarben oder gar rein braun werden. Ebenso wäre es denkbar, dass die Iris nachträglich, etwa im Greisenalter, abblassen könnte. Ich muss des- halb meine Notizen, ausser nach dem Greschlecht, auch nach dem Lebensalter sondern : Tabelle VI: Irisfarbe. hell gemischt dunkel Alter M. W. M. W. M. W. 0,. .— 1,0 24 14 4 1 24 8 1,..— 2,0 31 25 — 2 33 24 2,..— 3,0 14 15 1 2 15 20 3,..— 4,0 15 11 1 — 13 8 4,..- 5,0 7 5 — — 8 10 5,..— 10,0 13 11 1 1 13 23 10,..— 15,0 5 8 2 2 10 10 15,. .— 20,0 20 15 4 4 41 17 20,. .— 25,0 17 23 9 2 23 22 25,. .— 30 36 19 5 8 35 33 31 — 35 35 27 6 2 45 29 36 — 40 27 14 6 6 28 33 41 - 45 38 24 5 8 38 33 46 — 50 57 18 13 2 39 36 51 — 55 54 29 8 7 57 42 56 — 60 63 31 6 10 62 31 61 — 65 44 29 10 8 35 21 66 — 70 45 25 9 12 41 34 71 — 75 35 22 6 6 31 40 76 — 80 35 27 6 7 20 30 81 — 85 8 12 6 3 12 12 86 — 90 2 3 — 1 3 7 91 - 95 1 1 — — 1 2 96 —100 — — 1 — — — Ziehen wir diese Angaben gleich in grössere Rubriken zusammen — ich wähle dieselben, da ich auf Tabelle IV für die Haarfarben ge- wählt hatte — so bekommen wir folgende Procentsätze: Tab eile VII: Iris färbe in ^o« Fälle hell gemischt dunkel Alter M. W. M. W. M. W. M. W. 0,. .- 2,0 116 74 47,4 52,7 3,4 4,1 49,1 43,2 2,. .— 10,0 100 106 49,0 39,6 2,0 2,8 49,0 57,5 10,. .- 20,0 80 56 31,3 41,1 5,0 10,7 63,8 48,2 20,. .— 30 125 107 42,4 39,3 11,2 9,3 46,4 51,4 31 — 40 147 111 42,2 36,9 8,2 7,2 49,7 55,9 41 — 50 190 121 50,0 34,7 9,5 8,3 34,7 57,0 51 — 60 240 150 48,8 40,0 5,8 11,3 45,4 48,7 61 — 70 184 129 48,4 41,9 10,3 16,5 41,3 42,6 71 —100 167 173 48,5 37,6 11,4 9,8 37,6 52,6 486 "W, Pfitzner. Auch diese Zusammenstellung lässt keine typischen Verschiebungen erkennen. Dasselbe gilt für die Zusammenstellung der Unterfarben, die ich hier deshalb nicht wiedergebe. Einzig die Rubrik: „blau" deutet ein typisches Verhalten an : Tabelle VIII: Häufigkeit der blauen Augen. AlterO,. .-2,0 2,. .— 10 10,..— 20,0 20,. .— 30 31—40 41—50 51-60 61—70 71—100 M. 12,9 4,0 3,8 2,4 2,7 4,2 2,9 2,2 2,4 W. 9,5 2,8 3,6 3,7 1,8 — 2,0 3,1 1,7 Rein blaue Augen scheinen also in den ersten beiden Lebensjahren besonders häufig zu sein, während später sich ihre Häufigkeit nicht mehr wesentlich ändert: 0,. .— 2,0 2,. .-100 Jahr M. 116:15 = 12,9% 1233:37 = 3,Oo/o W. 74: 7 = 9,5 „ 953:21 = 2,2 „ Hierin haben wir also eine Andeutung von Umfärbung, die aber in der Haupttabelle nicht weiter zum Ausdruck kommt. Auf letzterer können wir daher die Altersstufen vernachlässigen und sämmtliche Fälle zusammenziehen. Wir erhalten alsdann : Fälle hell gemischt dunkel M. 1349 46,40/, 7,9% 45,7% W. 1027 39,7 „ 9,2 „ 51,1 „ Wir haben also beim weiblichen Geschlecht eine etwas stärkere Vertretung der dunkleren Farben. Damit stimmt überein, dass, wie wir eben gesehen, die rein blaue Farbe sowohl in den beiden ersten Lebensjahren (M. 12,9 %, W. 9,5 "/o) wie späterhin (M. 3,0 %, W. 2,2 «/o) beim männlichen Geschlecht ausgesprochen häufiger auftritt als beim weiblichen. Nebenbei bemerkt scheint mir für die Fortführung dieser Unter- suchung die Eintheilung der Augen nach den einzelnen Farben mehr Aussicht auf greifbarere Resultate zu versprechen als die nach Farben- gruppen. — Die Hauptfrage dieses Kapitels können wir also dahin beant- worten: Die dunkleren Augenfarben kommen beim weib- lichen Geschlechte um etwa 6 — 7 7o häufiger vor als beim männlichen. Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlecht sunterschiede beim Menschen. 487 III. Beziehungen zAvischen Haarfarbe und Augenfarbe. Bestehen typische Unterschiede zwischen männ- lichem und weiblichem Geschlecht im Zusammentreffen von blonder resp. brünetter Haarfarbe mit heller resp. dunkler Augen färbe? Hier können wir natürlich nur die Individuen mit deutlich erkenn- barer Haarfarbe berücksichtigen. Nun haben wir gesehen, dass die Häufigkeit der einzelnen Haarfarben sich mit zunehmendem Alter be- ständig ändert, während die Augenfarbe konstant bleibt. Damit ist gegeben, dass die Kombination bestimmter Haar- und Augenfarben ihre Häufigkeit ebenfalls mit dem Lebensalter wechselt. Wir müssen also das Vorkommen der einzelnen Kombinationen nach den Lebens- jahren trennen. Dabei ist im Voraus zu erwarten, dass die Umände- rungen der einzelnen Haarfarbe sich innerhalb der zu ihr gehörenden Kombination nicht gleichmässig vollziehen werden. Wir haben z. B. blondes Haar mit hellen Augen und blondes Haar mit dunklen Augen : wenn durch Nachdunkeln das Blond in Braun übergeht, so werden wir wohl von vornherein erwarten, dass dieser Process die Dunkeläugigen in stärkerem Maasse ergreifen wird als die Helläugigen. Ebenso ist nicht ausgeschlossen, dass das Latentwerden der Haarfarbe — welches, wie wir gesehen, das Braun stärker befällt, und dadurch den Procent- satz für Blond nachträglich wieder steigen lässt — zugleich bestimmte Augenfarben bevorzuge. Ich gebe jetzt zuerst eine Zusammenstellung der Häufigkeit der einzelnen Kombinationen, berechnet nach der Gesammtzahl der In- dividuen mit erkennbarer Haar- und Augenfarbe. Tabelle IX: Haar- und Augenfarbe. A. Haar blond. Männl. Iris: Weibl. Iris: Alter Fälle hell gemischt dunkel Fälle hell gemischt dunkel 0, .- 2,0 109 46,8 2,8 41,3 79 48,1 5,1 30,4 2,. .— 10,0 95 47,4 2,1 35,8 105 35,2 1,0 41,0 10,. .— 20,0 76 19,7 — 10,5 55 25,5 3,6 21,8 20,. .— 30 124 24,2 5,6 8,9 108 25,0 4,6 6,5 31 — 40 146 21,1 2,0 8,2 111 17,1 0,9 5,4 41 — 50 179 15,1 2,8 3,4 116 8,6 2,6 0,9 51 — 60 172 20,3 0,6 8,1 126 12,7 1,6 2,4 61 — 70 109 16,5 1,8 3,7 83 15,7 — 1,2 71 —100 37 24,3 2,7 10,8 48 8,3 — 6,3 488 W. Pfitzner. B. Haare braun, Männl. Iris: Weibl. Iris: Alter Fälle hell gemischt dunkel Fälle hell gemischt dunkel 0,..— 2,0 109 1,8 — 7.3 79 1,3 — 15,2 2,..- 10,0 95 3,2 — 11,6 105 1,9 1,0 20,0 10,. .— 20,0 76 9,2 5,3 51,3 65 18,2 5,6 26,5 20,. .— 30 124 16,9 4,8 33,9 108 13,0 4,6 40,7 31 — 40 146 18,4 4,8 32,2 111 21,6 5,4 38,7 41 - 60 179 26,8 6,1 27,9 116 25,9 4,3 42,2 51 — 60 172 17,4 3,5 29,7 126 25,4 8,7 35,7 61 — 70 109 16,5 9,2 20,2 83 21,7 10,8 32,5 71 —100 37 29,7 2,7 18,9 48 14,6 12,5 43,8 C. Haare schwarz. Männl. Iris: Weibl. Iris: Alter Fälle hell gemischt dunkel Fälle hell gemischt dunkel 0,..- 2,0 109 — . — — 79 — — — 2,. .— 10,0 96 — — — 105 — — — 10,. .— 20,0 76 1,3 — 2,6 55 — — — 20,. .— 80 124 0,8 0,8 4,0 108 0,9 — 4,6 31 — 40 146 3,4 0,7 8,9 111 — 0,9 9,9 41 — 50 179 8,4 0,6 8,9 116 — 1,7 13,8 51 — 60 172 8,1 0,6 11,6 126 4,0 1,6 7,9 61 — 70 109 11,0 2,8 18,3 83 — 4,8 13,8 71 -100 37 5,4 — 5,4 48 2,1 — 12,5 Aus dieser Zusammenstellung geht mit Sicherheit fast nur das hervor, dass das Blond der Dunkeläugigen stärker „nachdunkelt" (in Braun übergeht) als das der Helläugigen, und zwar beim weiblichen Geschlecht noch wieder stärker als beim männlichen. Vielleicht übersehen wir den Gang der Umänderungen besser, wenn wir nur Blondhaarige und Dunkelhaarige — unser „Schwarz" scheint ja im Allgemeinen nur ein besonders dunkles Braun zu sein — unter- scheiden : Tabelle X: Haar- und Augenfarbe. A. Männl. Haare blond. Haare dunkel. Alter Iris hell gemischt dunkel Iris hell gemischt dunkel 0,. .- 2,0 46,8 2,8 41,3 1,8 — 7,3 2,. .— 10,0 47,4 2,1 35,8 3,2 — 11,6 10,. .— 20,0 19,7 — 10,5 10,5 5,3 53,9 20,. .— 30 24,2 5,6 8,9 17,7 5,6 37,9 31 — 40 21,1 2,0 8,2 21,8 5,5 41,1 41 — 50 15,1 2,8 3,4 35,2 6,7 36,8 51 — 60 20,3 0,6 8,1 25,5 4,1 41,3 61 — 70 16,5 1,8 3,7 27,5 12,0 38,5 71 —100 24,3 2,7 10,8 35,1 2,7 24,3 Ein Beitrag zur KenntnisB der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 489 B. Weibl. Haare blond. Haare dunkel. Alter Iris hell gemischt dunkel Iris hell gemischt dunkel 0,. .- 2,0 48,1 5,1 30,4 1,3 — 15,2 2.. .— 10,0 35,2 1,0 41,0 1,9 1,0 20,0 10,. .— 20,0 25,5 3,6 21,8 18,2 5,5 25,5 20,. .— 30 25,0 4,6 6,5 13,9 4,6 45,3 31 — 40 17,1 0,9 5,4 21,6 6,3 48,6 41 — 50 8,6 2,6 0,9 25,9 6,0 46,0 51 — 60 12,7 1,6 2,4 29,4 10,3 43,6 61 — 70 15,7 — 1,2 21,7 15,6 45,8 71 -100 8,3 — 6,3 16,7 12,5 56,3 Auch diese Zusammenstellung lässt die Verschiebungen nicht klarer und übersichtlicher hervortreten; und ebensowenig kommen die Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern auf dieser oder auf der vorhergehenden Tabelle zum klaren Ausdruck. Um das letztere wenigstens einigermassen formuliren zu können, vergleiche ich die Häufigkeiten in einer Gesammtrubrik : Erwachsene. Als solche wähle ich die Zeit vom 31. Lebensjahre an. Der Verlust, den das Blond jetzt noch erleidet, wird ausgeglichen durch das stärkere Latentwerden von Braun und Schwarz in den folgenden Decennien. Tabelle XI: Haar- und Augenfarbe Erwachsener vom 31. Lebensjahre an (643 M. und 484 W.). a. Haare blond Iris hell gemischt dunkel Männer: 18,7% 1,9% 6.2% Weiber: 12,8 „ 1,2 „ 2,9 „ b. Haare braun Männer: 20,8 „ 5,4 „ 27,5 „ Weiber: 22,9 „ 7,6 „ 38,2 „ c. Haare schwarz Männer: 7,6 „ 0,9 „ 11,0 „ Weiber: 1,2 „ 1,8 „ 11,2 „ (d. Haare dunkel Männer: 28,3 „ 6,3 „ 38,5 „ Weiber: 24^1 „ 9,4 „ 49,4 „ ) Folgende Kombinationen zeigen etwas beträchtlichere Häufigkeits- verschiedenheiten : 1. Haar blond, Iris hell: 2. „ „ „ dunkel: 3. „ braun, „ dunkel: 4. „ schwarz, „ hell: Die Verschiedenheiten in den ersten drei Kombinationen waren zu erwarten nach den beiden uns bekannten Erscheinungen, dass das Morpholog. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 32 M. 18,7, W. 12,8 — M. W. = 1'/,: 1 ,, 6,2, « 2,9 - )) „ =2 : 1 „ 27,5, „ 38,2- » « = 1 l'/3 „ 7,5, „ 1,2 - » „ = 6 :1 490 ^- Pfitzner. Blond beim Manne sich weniger häufig in Braun umwandelt als beim Weibe, und dass beim Weibe die dunklen Augenfarben häufiger sind als beim Manne. Auffallend ist dagegen die vierte Differenz. Schon auf Tabelle IX, C. tritt uns die Kombination : Haar schwarz, Iris hell, als eine besondere Gruppe entgegen, die fast ausschliesslich beim Manne vertreten ist. Merkwürdigerweise ist mir schon früher unter den Lebenden diese Kombination als einer geschlossenen Gruppe angehörend aufgefallen, wie ich auch bereits vor 4 Jahren mitgetheilt habe. ^) Aber die ganzen bisherigen Ergebnisse sind sehr unbefriedigend, und daran scheint mir der Gang der Untersuchung schuld zu sein. Ich bin bei letzterer dem Herkommen gefolgt, wonach man die Indi- viduen nach ihrer Haarfarbe eintheilt und innerhalb dieser Gruppen Unterabtheilungen nach der Irisfarbe gewinnt. Nun haben wir aber in den ersten beiden Kapiteln gesehen, wie die Irisfarbe während des ganzen Lebens konstant bleibt, während die Haarfarbe sich beständig ändert. Es erscheint mir daher durchaus geboten, einmal den umge- kehrten Weg zu gehen. Wer im ersten Lebensjahre helle Iris hat, behält sie — von seltenen Ausnahmen abgesehen, in denen aber die Umwandlung auch schon vor Schluss des ersten Lebensjahres abgeschlossen ist — während seines ganzen Lebens, und dasselbe gilt für die andern Irisfarben. Wir haben also drei abgeschlossene Gruppen, die zeitlebens von einander getrennt bleiben; ein Uebergehen von einer Gruppe zur anderen ist ausgeschlossen. Diese drei Gruppen stehen einander fast so selbst- ständig gegenüber wie die beiden Geschlechter; daher muss auch jede für sich untersucht werden. Mit anderen Worten, wir müssen die Untersuchungen des Kapitel I, die wir an der Gesammtheit angestellt hatten, jetzt an diesen drei Abtheilungen einzeln wiederholen. Tabelle XII: Irisfarbe und Haarfarbe. A. Individuen mit heller Iris. Männl. Alter Fälle blond braun schwarz grau 0,..— 2,0 53 96,2 3,8 — — 2,. .— 10,0 48 93,8 6,3 — 10,. .— 20,0 23 65,2 30,4 4,3 20,. .— 30 52 57,7 40,4 1,9 ^) „So scheinen mir z. ß. die Individuen mit rein schwarzem (nicht tiefdunkel- braunem) Kopfhaar, das früh ergraut, und grauer Iris (meistens hohe schlanke Ge- stalten, ohne Neigung zu Embonpoint, die Hautfarbe ohne bräunlichen Ton, viel- mehr mit einer leichten Beimischung von Grau, schmale lange Hände und Füsse) eine besondere Gruppe zu bilden, die besondere Beachtung verdient." Morphol. Arbeiten Bd. II, S. 201. 1892. JEin Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 491 31 — 40 63 49,2 42,9 7,9 — 41 — 50 95 28,4 50,5 15,8 5,3 51 — 60 116 30,2 25,9 12,1 31,9 61 — 70 90 20,0 20,0 13,3 46,7 71 —100 79 11,4 Weibl. 13,9 2,5 72,2 Alter Fälle blond braun schwarz grau 0,. .- 2,0 39 97,4 2,6 2,. .— 10,0 39 94,9 5.1 — 10,. .— 20.0 24 58,3 41,7 — . — 20,. .— 30 42 64,3 33,3 2,4 — . 31 — 40 43 44,2 55,8 — — 41 — 50 41 24,4 73,2 — 2,4 51 — 60 61 26,2 52,5 8,2 13,1 61 — 70 56 23,2 32,1 — 44,6 71 —100 65 6,2 10,8 1,5 81,5 B. Individuen mit mischfarbiger Iris. Männl. Alter Fälle blond braun schwarz grau 0,, ,.- 2,0 3 100,0 — — — 9 •"1' ,.— 10,0 2 100,0 — — — 10„ ,.— 20,0 4 — 100,0 — — 20,. .— 30 14 50,0 42,9 7,1 — 31 — 40 12 25,0 58,3 8,3 8,3 41 — 50 18 27,8 61,1 5,6 5,6 51 — 60 14 7,1 42,9 7,1 42,9 61 — 70 20 10,0 50,0 15,0 25,0 71 —100 17 5,9 Weibl. 5,9 88,2 Alter Fälle blond braun schwarz grau 0,. .— 2,0 4 100,0 — — — 2,. .— 10,0 2 50,0 50,0 — — 10, .— 20,0 5 40,0 60,0 — — 20,. .- 30 10 50,0 50,0 — — 31 — 40 8 12,5 75,0 12,5 — 41 — 50 10 30,0 50,0 20,0 — 51 — 60 17 11,8 64,7 11,8 11,8 61 — 70 20 — 45,0 20,0 35,0 71 -140 17 — 35,3 — 64,7 C. Individuen mit dunkler Iris. Männl. Alter Fälle blond braun 0,..- 2,0 53 84,9 15,1 2,..— 10,0 45 75,6 24,4 10,..— 20,0 49 16.3 79,6 schwarz 4,1 grau 32* 492 W. Pfitzner. 20,. ..— 30 58 19,0 72,4 8,6 31 — 40 73 16,4 64,4 17,8 1,4 41 — 50 77 7,8 64,9 20,8 6,5 51 — 60 106 13,2 48,1 18,9 19,8 61 — 70 75 5,3 29,3 26,7 38,7 71 —100 68 5,9 Weibl. 10,3 2,9 80,9 Alter Fälle blond braun schwarz grau 0,. .- 2,0 86 66,7 33,3 — — 2,. .— 10,0 64 67,2 32,8 — — 10,. .— 20,0 26 46,2 53,8 — — 20,. .— 30 56 12,5 78,6 8,9 — 31 — 40 61 9,8 70,5 18,0 1,6 41 — 50 67 1,5 73,1 23,9 1,5 51 — 60 72 4,2 62,5 13,9 19,4 61 — 70 54 1,8 50,0 20,4 27,8 71 —100 92 3,3 22,8 6,5 67,3 Trotzdem die Zahl der zu Grunde liegenden Fälle durch die Drei- theilung verkleinert ist, sind die Mittelwerthe bedeutend regelmässiger geworden. Wenn wir von Abtheilung B (Iris mit gemischten Farben) absehen, wo z. Th. die Zahl der Fälle absolut zu klein geworden ist, erkennen wir bei Vergleichung mit Tabelle IV, wie in den einzelnen Gruppen die Verschiebung der Farben eine viel regelmässigere ist als vorher am ungetheilten Material. Wir sehen den Uebergang von Blond in Braun, von Braun in Schwarz viel gleichmässiger verlaufen, und ebenso das Latentwerden durch Ergrauen. Selbst in Abtheilung B tritt trotz der verschwindend kleinen Anzahl der Fälle dennoch der ganze Gang der Umwandlung klar hervor. Die Unterschiede, die zwischen beiden Geschlechtern in der Um- färbung bestehen, sind in bemerkenswerther Weise modificirt. Erstens ist die stärkere Vertretung des Blond beim männlichen Geschlechte jetzt in allen Altersstufen eine gleichmässigere und zwar bei den Hell- äugigen bedeutend geringer als bei den Dunkeläugigen ; zweitens ist die Ausnahme: stärkere Vertretung des Blond beim Weibe im 10. — 20. Lebensjahre, jetzt auf die Dunkeläugigen beschränkt. Das häufigere Vorkommen des Schwarz beim männlichen Geschlecht löst sich dahin auf, dass bei Mischfarbigen und Dunkeläugigen fast gar kein Unter- schied besteht, während bei den Helläugigen die Rubrik: Schwarz im weiblichen Geschlecht fast garnicht vertreten ist. Drittens verläuft die Nachdunklung bei den Helläugigen gleichmässiger und langsamer und schliesst etwa mit dem 40. Lebensjahre ab, während sie bei den Dunkel- äugigen sehr rasch verläuft und beim männlichen Geschlecht sich hier, fast überstürzt, in der Zeit vom 10. bis zum 20. Lebensjahre, beim weiblichen, etwas langsamer, in der Zeit etwa vom 10. bis zum 30. Lebensjahre vollzieht. Schliesslich tritt das Ergrauen jedes Mal Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Gescblechtsunterschiede beim Menschen. 493 bei den Männern frühzeitiger und stärker auf als bei den Weibern, aber ebenso beim helläugigen Typus frühzeitiger und stärker als beim dunkeläugigen. Wir müssen jetzt noch die Einwirkungen des Ergrauens auf die Häufigkeit der einzelnen Haarfarben untersuchen. Wir haben im Kapitel I gesehen, wie das ungleiche Latentwerden der Haarfarben den Procentsatz für Blond wieder steigen Hess, wenn wir nur die Fälle mit deutlich erkennbarer Haarfarbe berücksichtigten; eben da nach Schluss der Nachdunklungsperiode die dunklen Haarfarben mehr ver- lieren als die blonden. Ich gebe auch hier eine Zusammenstellung nur der Fälle mit erkennbarer Haarfarbe — schon weil hiernach das Ver- hältniss zwischen blondem und dunklem Haartypus innerhalb einer Bevölkerung allein berechnet zu werden pflegt. Tabelle XIII: Häufigkeitsverhältniss der Haarfarben. A. Helläugiger Typus. Fälle blond braun schwarz W. 2,4 9,4 61 — 70 48 31 37,5 41,9 37,5 58,1 25,0 — 71 —100 22 12 40,9 33,3 50,0 58,3 9,1 8,3 Alter M. W. M. W. M. W. M. 0,. .- 2,0 53 39 96,2 97,4 3,8 2,6 — 2,. .— 10,0 48 39 93,8 94,9 6,3 5,1 — 10,. .- 20,0 23 24 65,2 58,3 30,4 41,7 4,3 20, .- 30 52 42 57,7 64,3 40,4 33,3 1,9 31 — 40 63 43 49,2 44,2 42,9 55,8 7,9 41 — 50 90 40 30,0 25,0 53,3 75,0 16,7 51 — 60 79 53 44,3 30,2 38,0 60,4 17,7 B. Gemischtäugiger Typus. Fälle blon( i braun schv ?arz Alter M. W. M. W. M. W. M. W. 0,. .— 2,0 2 4 100,0 100.0 — — — — 2,. .— 10,0 3 2 100,0 50,0 — 50,0 — — 10,. .— 20,0 4 5 — 40,0 100,0 60,0 — — 20,. .— 30 14 10 50,0 50,0 42,9 50,0 7,1 — 31 — 40 11 8 27,3 12,5 63,6 75,0 9,1 12,5 41 - 50 17 10 29,4 30,0 64,7 50,0 5,9 20,0 51 — 60 8 15 12,5 13,3 75,0 73,3 12,5 13,3 61 — 70 15 13 13,3 — 66,7 69,2 20,0 30,8 71 —100 2 6 50,0 — 50,0 100,0 — — C. Dunkeläugiger Typus. Fälle blond [ braun schwarz Alter 31. W. M. W. M. W. M. W. 2,..— 10,0 45 64 75,6 67,2 24,4 32,8 — — 10,. .— 20,0 49 26 16,3 46,2 79,6 53,8 4,1 — i4 W. PfiUner. 20,. .- 30 58 56 19,0 12,5 72,4 78,6 8,6 8,9 81 — 40 72 60 16,7 10,0 65,3 71,7 18,1 18,3 41 — 50 72 66 8,3 1,5 69,4 74,2 22,2 24,2 51 — 60 85 58 16,5 5,2 60,0 77,5 23,5 17,2 61 — 70 46 39 8,7 2,6 47,8 69,2 43,5 28,2 71 -100 13 30 30,8 10,0 53,8 70,0 15,4 20,2 Wir sehen aus dieser Tabelle, dass wir eine ganz verschiedene Häufigkeit der einzelnen Kombinationen von Haar- und Augenfarbe bekommen, je nachdem wir Schulkinder, Rekruten, „Erwachsene" oder dergl. untersuchen, und dass solche partiellen Untersuchungen durch- aus nicht hinreichen, uns ein Bild von der Bevölkerung zu geben. Die stabilsten Verhältnisse finden wir etwa zwischen dem 40. und 50. Lebens- jahre. In den Jahren vor dieser Lebensperiode erleiden die Haar- farben Verschiebungen durch die Nachdunklung, in denen nach ihr durch das Latentwerden; und zwar ist der Grad dieser Verschiebungen verschieden sowohl in beiden Geschlechtern als auch in den drei Augentypen. Die Verschiebungen, die das Nachdunkeln hervorruft, haben wir im Anschluss an Tabelle XI besprochen. Das ungleichmässige Latent- werden bewirkt erstens eine steigende Häufigkeit des Blond, besonders stark im dunkeläugigen Typus; zweitens auch noch ein anfängliches Steigen des Schwarz, dem aber im höheren Alter (nach dem 70. Jahre) ein starker Abfall folgt. Wenn wir hier wiederum für die Rubrik „Erwachsene" die Jahr- gänge vom 30. aufwärts wählen, so bekommen wir folgende Uebersicht über die Verschiedenheiten, die zwischen beiden Geschlechtern sich in der Vertheilung der Haarfarben innerhalb der drei Augentypen kund- geben : Tabelle XIV: Gesclilechtsverschiedenheiten. Erwachsene (vom 31. Lebensjahre an). a) helläugiger Typus Männer (302 Fälle) Weiber (179 „ ) b) mischäugiger Typus Männer (53 Fälle) Weiber (52 „ ) c) dunkeläugiger Typus Männer (288 Fälle) Weiber (263 „ ) Beträchtlichere Verschiedenheiten zeigen sich an folgenden Punkten (den mischäugigen Typus lasse ich wegen der allzugrossen Unsicher- heit der AVerthe ganz ausser Betracht) : 1. Bei den helläugigen Männern ist braunes Haar etwas weniger aar blond braun schwarz 39,7% 44,4% 15,9% 34,6 „ 62,0 „ 3,4 „ 22,6 ., 66.0 „ 11,3 „ 11,5 „ 71,2 „ 17,3 „ 13,9 „ 61,5 ,. 24,7 „ 0,5 ,, 73,1 „ 21,3 „ Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 4^5 häufig (etwa 3 : 4), schwarzes Haar viel häufiger (etwa 4 : 1) als bei helläugigen Weibern. 2. Bei den dunkeläugigen Männern ist blondes Haar viel häufiger (etwa 2 : 1), braunes Haar etwas weniger häufig (etwa 5 : 6) als bei dunkeläugigen Weibern. 3. Uebereinstimmend ist bei allen drei Typen blondes Haar häufiger bei den Männern, braunes häufiger bei den Weibern. Wir kommen also zu etwas anderer Festsetzung der Geschlechts- verschiedenheiten, wenn wir die Vertheilung der Haarfarben innerhalb der drei Augentypen vergleichen, oder wenn wir nach herkömmlichem Gebrauche aus Haarfarbe und Augenfarbe als gleichwerthigen Kom- ponenten Kombinationsrubriken für die Eintheilung der Gesammtheit der Fälle bilden. Ich betone nochmals, dass ich das Letztere nicht für richtig halten kann, und noch weniger, dass man, wie bisher, von der Haarfarbe ausgeht; eintheilen kann man nur in feststehende Rubriken, nicht in solche, deren Grenzen während des ganzen Lebens in einer beständigen Verschiebung begriften sind. — Unsere Hauptfrage aber können wir dahin beantworten : Es bestehen typische Unterschiede derart, dass helle Augen und helles Haar häufiger beim männlichen, dunkle Augen und dunkles Haar häufiger beim weiblichen Ge- schlecht vereinigt ist. Von den Mischformen ist als besondere Gruppe abzuzweigen die Kombination von schwarzem Haar und hellen (rein grauen, selten blauen) Augen, die fast ausschliesslich auf das männliche Geschlecht fällt. In den übrigen Misch formen überwiegen die Männer, wenn das Haar hell (mischfarbige Augen, blondes Haar; dunkle Augen, blondes Haar), die Weiber, wenn das Haar dunkel (helle Augen, braunes Haar; mischfarbige Augen, dunkles Haar) ist; also bei den Männern finden sich häufiger dunklere Augen und helleres Haar, bei den Weibern häufiger hellere Augen und dunkleres Haar. Bei den ßothhaarigen fand ich folgende Kombinationen: M. 6 Jahre Iris grau W. 4 Jahre Iris dunkelgrau 17 „ „ dunkelbraun ., 9 H „ dunkelgrau 30 „ „ (nicht notirt) „ 17 11 „ grau 71 „ „ grau „ 19 » „ grün 77 „ » grau „ 21 . 53 » n „ grau „ braun. Von 10 Fällen gehören also 7 dem helläugigen Typus an, 1 dem gemischten, und 2 dem dunkeläugigen. 496 W, Pfitzner. Anhang zu Kapitel I — III. Erklärungsmögliclikeiten. Die nach Haar- und Augenfarbe ungleiche Zusammensetzung des männlichen und des weiblichen Theils der Bevölkerung könnte etwa nach folgenden beiden Weisen zu erklären versucht werden: 1. Die dunklere Färbung von Haar und Iris ist eine immanente Eigenthümlichkeit des weiblichen Geschlechts. 2. Sie ist das Produkt der Mischung ethnologisch verschiedener Elemente. Der erste Weg würde an greitbaren Ursachen a) die specielle Lebensweise (Beschäftigung etc.), b) die specifischen Geschlechts- funktionen als Quellen vermehrter Pigmentbildung beim weiblichen Geschlecht nahelegen. In Lebensweise, Beschäftigung etc. des weib- lichen Geschlechts liegt aber bei keinem Volk etwas, was vermehrte Pigmentbildung veranlassen könnte; vielmehr wirken entsprechende Momente (Insolation etc.) stärker auf das männliche ein. Die speci- fischen Geschlechtsfunktionen des Weibes dagegen bewirken allerdings periodisch eine Vermehrung der Pigmentbildung im Allgemeinen (z. B. in der Haut bei Gravidität). Ob die Farbe von Haar und Iris dadurch beeinflusst wird, müsste sich bei Thieren entscheiden lassen: wir müssten bei ihnen auch eine durchgehende dunklere Färbung von Haar und Iris bei den Weibchen finden. Der zweite Weg der Erklärung wäre der, anzunehmen, dass zur Entstehung des Volkes oder dergl. die Mischung eines hauptsächlich blonden männlichen und eines hauptsächlich brünetten weiblichen Ele- ments zusammengewirkt hätten; und dass dieser Entstehungsmodus bei den Nachkommen noch in der Weise sich geltend mache, dass beim männlichen Geschlecht mehr die Charaktere der männlichen Vorfahren, bei den weiblichen mehr die der weiblichen wieder zum Vorschein kämen. Es wäre dieses also die Geschichte von den bekannten „blonden Eroberern", die ein Land mit dunkelfarbiger Urbevölkerung unter- jochen, die Männer todtschlagen und die Frauen und Töchter heirathen. Wenn nun vielleicht auch die Eroberer es nicht ganz so schlimm machen, es wird nach der Eroberung gewiss eine Zeitlang eine stärkere Vertretung des hellen Typus und ein Zurückdrängen des dunklen Typus in der männlichen Bevölkerung bestehen, zum mindesten bei dem Theil, der zur Fortpflanzung schreitet ; und die Nachkommen dieser blonden Väter wieder werden gewisse Chancen vor denen der dunkelhaarigen Väter voraus haben. Aber gesetzt auch, dass die Bedingungen soweit verwirklicht wären — ist es sicher, dass die Töchter mehr dem mütter- lichen, die Söhne mehr dem väterlichen Typus nacharten? Ich kenne nur eine Untersuchung, die diese Frage zu lösen sucht. Allerdings hat der Verfasser dazu nicht den richtigen Weg einge- Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 497 schlagen, aber wir können sein Material verwerthen. Es bestätigt sich hier wieder einmal die Erfahrung, dass so häufig die Mittheilung der bei einer Untersuchung gemachten Beobachtungen weit wichtiger und werthvoller ist als die vom Bearbeiter daraus gezogenen Schlüsse. Hätte der Verfasser im vorliegenden Falle nur die Einzelheiten aus- führlicher mitgetheilt, so wäre der Aufsatz viel werthvoller, unbeschadet der theils gänzlich verfehlten, theils ungenügend begründeten Schluss- folgerungen. Diese trotz alledem sehr verdienstvolle Arbeit, ein 1862 im REiCHERT-DuBOis'schen Archive für Anatomie erschienener kurzer Auf- satz: „Ueber Vererbung der Färbung" (S. 777—780) hat zum Verfasser den Dr. med. BERanoLZ, der, wahrscheinlich als praktischer Arzt, in Puerto-Cabello in Venezuela lebte. B. stellt zusammen die Haar- und Augenfarben der Kinder von solchen Ehepaaren, von denen der eine Theil blondhaarig und hell- (blau-)äugig, der andere dunkelhaarig und dunkeläugig war, und zwar stets im ausgesprochensten Maasse. Er giebt die Nationalität der Eltern nicht an; da aber Puerto-Cabello eine Hafenstadt mit grossem Handel und Seeverkehr ist, mit reichen englischen und deutschen Handlungshäusern, so haben wir in den helläugigen Blonden wohl An- hörige eingewanderter Angelsachsen und Hansastädter, in den dunkel- äugigen Brünetten wohl Kreolen zu vermuthen. Die Angaben lauten nun: 14 Ehepaare mit brünettem Vater und blonder Mutter hatten 28 Söhne und 20 Töchter. Von den 28 Söhnen waren 15 blond, 13 brünett; 12 helläugig, 16 dunkeläugig. Von den 20 Töchtern waren 12 blond, 8 brünett; 7 helläugig, 13 dunkeläugig. — Ferner hatten 9 Ehepaare mit blondem Vater und brünetter Mutter 20 Söhne, davon 12 blond, 8^) brünett, resp. 9 helläugig, 11 dunkel- äugig; und 17 Töchter, davon 8 blond, 9-) brünett, resp. 7 helläugig, 10 dunkeläugig. B, giebt nicht an, wie bei den Kindern Haar- und Augenfarbe kombinirt waren; ebenso nichts über das Alter der „Kinder", doch geht aus einer weiteren Angabe hervor, dass es sich (ganz oder grössten- theils) um Nichterwachsene handelt. Stellen wir uns nun diese 23 Familien als „Bevölkerung" vor, z. B. als die einer entlegenen Insel. Wir haben alsdann in dieser Be- völkerung: helle Augen dunkle Augen helles Haar dunkles Haar Erwachsene (46) 50 « o 50 % 50 « o 50 »o Kinder (85) 41,2 „ 59,8 „ 55,3 „ 44,7 „ ^) u. ^) Im Text stehen hier die Zahlen 6 resp. 11 — ein unauflöslicher Rechen- fehler. Die grössere Wahrscheinlichkeit spricht für die hier versuchte Verbesserung. Uebrigens kommt hier, wie wir sehen werden, wenig darauf an. 498 W. Pfitzüer. Bei den KiDdern hat die Dunkeläugigkeit zugenommen, ebenso die Hellhaarigkeit. Bezüglich letzterer rechnet aber B. selbst damit, dass bei einem Theil der hellhaarigen Kinder sie noch durch Nachdunkeln in Dunkelhaarigkeit übergehen werde. Wir werden alsdann in der zweiten Generation eine stärke Dunkeläugigkeit haben als in der ersten, und eine mindestens ebenso starke, wahrscheinlich aber ebenfalls stärkere Dunkelhaarigkeit. Trennen wir aber die „Bevölkerung", wie unumgänglich noth- wendig, nach dem Geschlecht: helle Augen dunkle Augen helles Haar dunkles Haar Erwachsene M. 39,1 W. 60,9 M. «0,9 W. 39,1 M. 39,1 W. 60,9 M. 60,9 W. 39,1 Kinder „ 43,8 „ 37.2 „ 56,3 „ 62,8 „ 56,3 „ 54,1 „ 43,8 „ 45,6 Beim männlichen Geschlecht ist die zweite Generation hell- äugiger und hellhaariger, beim weiblichen dagegen dunkel- äugiger und dunkelhaariger geworden. Wenn die zweite Gene- ration erwachsen ist, wird die Dunkelhaarigkeit noch weiter zuge- nommen haben. Das wichtigste ist hier die Augenfarbe als die stabile Färbung. Hier hat die dunkle Farbe beim männlichen Geschlecht dauernd abgenommen und beim weiblichen Geschlecht dauernd zuge- nommen. Dass es sich nicht um einen Ausgleich zwischen väterlicher und mütterlicher Färbung handelt, erkennen wir beim weiblichen Ge- schlecht, wo die Mittelzahl weit überstiegen wird. Die ganze Untersuchung basirt auf etwas zu geringem Material, weitere Untersuchungen würden wohl manches modificiren ; aber es ist nicht zu erwarten, dass sie die Verhältnisse total umkehren werden. Wir sehen also an diesem Beispiel, wie bei einer Mischung von hellen und dunklen Bevölkerungselementen die Pigmentirung von Haar und Auge beim männlichen Geschlecht abnimmt, beim weiblichen zu- nimmt. Eine stärkere Vererbung vom Vater auf den Sohn, von der Mutter auf die Tochter zeigt sich nicht, im Gegentheil! Nach den Haar- und Augenfarben der Kinder würde man ja schliessen müssen, dass bei den Vätern mehr helle Augen und mehr helles Haar vertreten gewesen sei als bei den Müttern — währeiid es gerade umgekehrt der Fall gewesen ist! Sofern dieses Beispiel zuverlässig ist, ergiebt demnach die Kreuzung einer hellen und einer dunkeln Bace eine Mischung, in der das weib- liche Geschlecht das männliche an Pigmentirung übertrifft, selbst wenn bei den Stammeltern das männliche Geschlecht das stärker pigmen- tirte war. Die Pigmentverarmung des männlichen, die Pigmentanreicherung des weiblichen Geschlechts scheint also eine specifischeGe- Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 499 schlechtseigenschaft zu sein; und damit ist die erstere der Ein- gangs aufgestellten Erklärungsmöglichkeiten bejaht. Sehr wünschenwerth wäre allerdings eine bessere Begründung durch ausgedehntere Untersuchungen, am einwandfreiesten anzustellen an den Kreuzungsergebnissen zweier getrennten Racen, z. B. Europäer und Neger, Europäer und Mongolen ; oder mindestens Nordgermanen und Südeuropäer u. dgl. IT. Körperlänge. Die Körperlänge ist an der Leiche in der Weise gemessen, wie es Herr Dr. Mehnert ausführlich beschrieben hat. ^) Die so gewonnene „Leichenlänge" übertrifft bei Erwachsenen die am Lebenden im Stehen gemessene „Körpergrösse", wie für die aus Gefängnissen eingelieferten Leichen aus den beigegebenen Personalpapieren zu entnehmen war, um 0 — 3 cm, in weitaus der grössten Mehrzahl der Fälle um genau 2 cm. Wenn also die von mir hier gegebenen Werthe mit anderweit ge- fundenen verglichen werden sollen, so muss diese Differenz berück- sichtigt werden ; hier ist sie bedeutungslos, da es sich nicht um die ab- soluten Zahlen, sondern um die Beziehungen zwischen den Zahlen handelt. (Uebrigens würden wohl beim Lebenden die bekannten recht bedeutenden Tagesschwankungen, die doch das Gesammtresultat beein- trächtigen müssen, fortfallen und damit die Messungen selbst genauer werden, wenn man auch die Lebenden stets im Liegen messen würde ; die „Leichenlänge" ist ein genaueres Körpermaass als die „Körper- höhe".) Ich gebe jetzt die Maasse nach Alter und Geschlecht getrennt: Tabelle XV: Körperlänge. Mäunl. Weibl. Alter Fälle Mittel Fälle Mittel M. : W. 0.. .- 1,0 48 0,615 29 0,604 100 98,21 1,- .— 2,0 62 0,770 55 0,758 !5 98,44 2,. .— 3,0 36 0,851 38 0,845 n 99,29 3,. .- 4,0 30 0,953 17 0,905 )5 94,96 4,. .— 5,0 16 1,018 18 0,971 n '• 95,38 5,. .— 6,0 11 1,084 12 1,041 !) 96,03 6,. .— 7,0 10 1,130 12 1,069 n 94,60 7,. .- 8,0 3 1,197 4 1,178 15 98,41 8,. .— 9,0 3 1,157 9 1,178 yi 101,82 9,. .— 10,0 3 1,297 2 1,280 jj 98,69 10,. .- 15,0 16 1,486 21 1,360 )) 91,52 15,. .— 20,0 59 1,632 37 1,567 )-, 96,02 ^) Ernst Mehnert, Bericht über die Leichenmessungen am Strassburger ana- tomischen Institut. Morphol. Arbeiten Bd. IV, S. 1—30. 1894. 500 W. Pfit. .ner. 20,. .— 25,0 46 1,667 47 1,567 100 93,99 25,. .— 30 73 1,667 64 1,560 93,59 31 — 40 144 1,675 105 1,563 n 93,31 41 — 50 194 1,662 114 1,554 H 93,50 51 — 60 229 1,653 142 1,556 n 94,13 61 — 70 185 1,655 129 1,547 )i 93,47 71 - 80 135 1,636 131 1,525 » 93,22 81 — 100 34 1,619 42 1,501 » 92,71 Nach dieser Zusammenstellung erreicht die Körperlänge ihr Maxi- mum beim weiblichen Geschlecht bereits ums 20, Lebensjahr herum, beim männlichen erst zwischen dem 30. und dem 40. Von diesem Zeitpunkt an nimmt die Körperlänge wieder gleichmässig ab. Diese Abnahme ist so selbstverständlich eine Alterserscheinung, dass man nicht um eine andei'weitige Erklärung besorgt zu sein braucht. Wir wissen aus eigener Erfahrung, aus der langjährigen Beobachtung uns nahestehender Personen, dass mit dem Alter der Körper gewisser- maassen zusammensinkt ; die anatomisch-physiologische Erklärung ist leicht gegeben, es ist die zum Dauerzustand gewordene Tagesabnahme der Körperhöhe: Kompression, Schwund, Elasticitätsverlust der Zwischen- wirbelscheiben etc. Die einzige sonst noch mögliche Ursache dieser Abnahme der durchschnittlichen Körpergrösse würde die sein, dass mehr kleine Leute ein höheres Alter erreichen als grosse Leute. Es müssten also Individuen mit kleinerer Statur bessere Aussichten auf eine lange Lebensdauer haben als solche mit grösserer Statur. Das schien mir aber nicht anzunehmen zu sein; zur Vorsicht aber stellte ich folgende Tabelle zusammen: Tabelle XVI: Erreichtes Alter besonders kleiner und besonders grosser Individuen. Es starben kleine Männer grosse Männer kleine Weiber grosse Weiber im Alter vuu (141 -150 cm) (176 -190 cm) (131 -145 cm) (166- -175 cm) 20,. .— 25,0 2 5 2 1 25,..- 30 4 7 4 4 31 — 40 5 22 4 10 41 — 50 13 17 6 2 51 - 60 15 14 9 5 61 — 70 11 5 1 4 71 — 80 14 7 14 3 81 —100 5 — 11 — 20,. .— 50 22 51 16 17 51 -100 45 26 35 12 E in B eitrag zur Kenntniss der sekun dären Geschlechtsunt erschiede beim Menschen . 50 1 Das Resultat war für mich äusserst überraschend : von kleinen In- dividuen sterben also mehr nach als vor dem 50. Lebensjahr, von grossen mehr vor als nach diesem Termin. Das wäre ja die gefürchtete „Auslese durch den Tod" ! Die aus unseren Messungen hervorgehende Abnahme der mittleren Körperlänge wird also nicht ausschliesslich dadurch bewirkt, dass jedes einzelne Individuum mit dem Alter an Körperlänge abnimmt, sondern auch dadurch, dass unter den Leichen der in höherem Alter Verstorbenen sich mehr Leute mit kleiner Statur und weniger Leute mit grosser Statur befinden, als unter den in jüngeren Jahren Verstorbenen. Dann repräsentiren auch die älteren Leute nicht mehr die Gesammtbevölkerung; mit jedem Jahr werden durch den Tod von dem einen Bestandtheil mehr ausgeschieden als von dem anderen, und so wird allmälig die Zusammensetzung eine ganz andere. Die Statur aber ist ein wichtiger ßacencharakter ; wir haben also zu befüchten, dass, wenn sich diese Andeutung bewahr- heitet, die Gruppirung der ethnologischen Elemente durch diese Aus- lese beeinträchtigt wird, derart, dass der ethnologische Charakter der einzelnen Altersklassen ein ganz verschiedener wird. Es wird also er- forderlich, diese Frage genauer zu untersuchen. Dazu theile ich mein Material (Erwachsene, von 20,0 Jahren an) in folgende Grössenklassen ein: A. Männer, a) kleine: 1,41 — 1,60 m, b) mittlere: 1,61 — 1,70 m, c) grosse: 1,71 — 1,90 ra. B. Weiber, a) kleine: 1,31 — 1,50 m, b) mittlere: 1,51 — 1,60 m, c) grosse: 1,61 — 1,75 m. Ich werde jetzt zusammen- stellen, welcher Procentsatz der kleinen, der mittleren und der grossen Männer bez. Weiber innerhalb der einzelnen Altersklassen stirbt, resp. welcher Procentsatz die verschiedenen Altersstufen erreicht. Tabelle XVII: Verhältniss zwischen Statur und erreichtem Lebensalter. Es starben im Alter von 20,. .—30 31-40 41—50 51-60 61-70 71-100 Von kleinen Männern 8,0 9,2 15,1 22,7 19,8 25,6 o/o „ mittleren „ 12,0 13,7 18,3 24,3 16,7 15,0 „ „ grossen „ 13,4 18,4 22,6 17,2 18,8 9,6 „ „ kleinen Weibern 8,6 10,6 11,7 16,5 17,6 35,1 „ „ mittleren „ 14,7 14,1 15,6 17,5 17,0 21,1 „ „ grossen „ 'J0,5 15,8 15,8 23,3 14,4 10,3 „ „ Männern überhaupt 11,4 13,8 18,6 22,3 17,8 16,2 „ „ Weibern „ 14,3 13,5 14,7 18,3 16,6 22,5 „ Die Unterschiede treten noch deutlicher hervor bei folgender Zu- sammenstellung : 502 W. Pfitzner. Tabelle XVIII: Verhältniss zwischen Statur und Lebensdauer. Es erreichten das 30ste 40ste 50ste 60ste 70ste J 'or i kleinen Männern (238) 92,0 82,8 67,7 45,0 25,6 % n mittleren „ (568) 88,0 74,3 56,0 31,7 15,0 „ n grossen „ (239) 86,6 68,2 45,6 28,4 9,6 „ n kleinen Weibern (188) 91,4 80,8 69,1 52,7 35,1 „ n mittleren „ (441) 85,3 71,2 V 55,6 38,1 21,1 „ » grossen „ (146) 79,5 63,7 47,9 24,7 10,3 „ n Männern überhaupt (1045) 88,6 74,8 56,2 34,0 16,2 „ )) Weibern „ (775) 85,7 72,2 57,5 39,1 22,5 „ Damit scheint also die Auslese bewiesen zu sein : in grösster Regelmässigkeit vollzieht sich bei beiden Geschlechtern die Zunahme der Eliminirung mit der Zunahme der Statur. Aber gerade diese Regelmässigkeit ist mir verdächtig; sie deutet nicht auf Auslese, die mehr uugleichmässig, anschwellend und abschwellend, sich geltend machen würde, sondern gerade auf Einwirkungen allgemeiner Natur, wie hier das Altern und seine Folgen. Nehmen wir nun einmal au, die ganze Abnahme der Körperlänge sei eine Folge des Alterns. Dann würden dieselben Männer, die im Alter von 31 — 40 Jahren 1,675 m messen, im Alter von 20 — 30 Jahren 1,667 m, von 41—50 Jahren 1,662 m, von 51—60 Jahren 1,653 m, von 61 — 70 Jahren 1,655 m, von 71 — 100 Jahren 1,633 messen. Un- gefähr also würde die Länge mit jedem Jahrzehnt um 1 cm abnehmen, beim weiblichen Geschlechte ebenso. Beim Manne hätten wir ferner vom 21. — 30. bis zum 31.— 40. Jahre noch eine Zunahme um 1 cm, beim Weibe ein Stehenbleiben. Nach dieser Annahme wollen wir die Grenzen für Kleine, Mittlere und Grosse neu reguliren. Sie wären als- dann folgende: Männer Alter kleine mittlere grosse 20,. .— 30 1,41—1,59 1,60-1,69 1,70—1,90 31 — 40 1,41-1,60 1,61—1,70 1,71—1,90 41 — 50 1,41—1,59 1,60—1,69 1,70-1,90 51 — 60 1,41—1,58 1,59-1,68 1,69-1,90 61 — 70 1,41—1,57 1,58—1,67 1,68—1,90 71 —100 1,41—1,56 1,57-1,66 Weiber 1,67—1,90 Alter kleine mittlere grosse 20,..— 30 1,31-1,50 1,51—1,60 1,61—1,75 31 — 40 1,31—1,50 1,51—1,60 1,61—1,75 41 — 50 1,31-1,49 1,50—1,59 1,60—1,75 51 — 60 1,31—1,48 1,49—1,58 1,59—1,75 61 — 70 1,31—1,47 1,48—1,57 1,58-1,75 71 -100 1,31—1,46 1,47-1,56 1,57—1,75 Es erreichten das 30ste 40ste öOste 60ste 70ste Jahr 89,3 74,6 52,6 28,6 15,3 % 88,0 73,8 55,9 33,3 17,5 „ 89,3 76,6 58,4 37,3 14,5 „ 86,1 68,7 53,9 38,3 27,0 „ 85,5 71,7 56,3 39,9 23,2 „ 85,7 74,9 61,7 37,7 18,4 „ Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 503 Nach diesen, auf Annahme des Alterns als alleiniger Ursache der Grössenabnahme basirenden, Grenzbestimmungen will ich jetzt Tabelle XVIII korrigiren: Tabelle XIX: Beziehungen zwischen Statur und Lebensdauer. Von kleinen Männern (150) „ mittleren „ (549) „ grossen „ (340) „ kleinen Weibern (115) „ mittleren „ (448) „ grossen „ (212) Wie man sieht, ist die ganze Regelmässigkeit der Differenzen ver- schwunden, und ebenso ihre Beträchtlichkeit ; sie sind fast immer von unwesentlicher Grösse und sind ferner bald zu Gunsten des einen, bald zu Gunsten des anderen Typus, wie sie auch' keineswegs immer bei beiden Geschlechtern auf derselben Altersstufe gleichnamig sind. Alles dieses scheint mir für die Richtigkeit unserer Annahme zu sprechen, wonach der grössere Typus nicht deshalb auf der nächsten Altersstufe in geringerer Häufigkeit auftritt, weil er mehr Individuen durch den Tod verloren hat, sondern weil eine gewisse Anzahl Individuen, die vorher zu ihm gehörten, wegen Längenabnahme in den nächstniedrigen Typus einrangirt werden mussten. Andernseits ist eine Längenab- nahme vom 30.— 40. bis zum 80. — 100. Lebensjahre um 5 — 6 cm, also um etwa 3%, doch gewiss nichts Auffallendes, nichts Unbegreifliches; im Gegentheil, wir würden fast eine grössere erwarten. Ich habe an diesem Beispiel die Möglichkeit bezw. Wahrschein- lichkeit von Auslese-Erscheinungen so ausführlich erörtert, weil ihre Wirkungen natürlich die Zuverlässigkeit und Verwendbarkeit unserer Zahlen und Mittelwerthe auf's schwerste beeinträchtigen würde. Nach- dem ich nunmehr nachgewiesen habe, dass ihr Eingreifen äusserst un- wahrscheinlich ist, kehre ich wieder zu Tabelle XV zurück. Das Verhältniss der männlichen Mittelwerthe zu den weiblichen bleibt bei den Erwachsenen ziemlich stabil ; vorher schwankt es stärker, doch lässt sich als Grundzug erkennen, dass die weiblichen Mittel- werthe zur Zeit der Geburt weniger von den männlichen verschieden sind und erst im Laufe der Entwicklung allmälig hinter ihnen zurück- bleiben. Um die einzelnen Schwankungen, an denen die zu geringe Anzahl der benutzten Fälle schuld ist, mehr auszugleichen, ziehe ich die Altersstufen zu grösseren Rubriken zusammen: 504 W. Pfitzner. Tabelle XX: Verhältniss zwischen männlicher und weiblicher mittlerer Körperlänge. Männl. Weibl. Alter FäUe Mittel Fälle Mittel M. 0,..— 1,0 48 0,615 29 0,604 100 1,..— 2,0 62 0,770 55 0,758 „ 2,..- 4,0 66 0,897 55 0,864 4,..— 10,0 46 1,097 57 1,059 10,. .— 20,0 75 1,601 58 1,492 20,. .— 25,0 46 1,667 47 1,567 25,.. -100 1000 1,6559 732 1,5463 „ W. 98,21 98,44 96,32 96,64 93,19 93,99 93,38 Leider sind die Fälle aus der Periode vom 2. bis zum 25. Lebens- jahre viel zu schwach vertreten, um über den verschiedenen Gang der Entwicklung bei beiden Geschlechtern Auskunft zu geben ; doch existiren über diesen Punkt ja bereits genügend ausführliche Unter- suchungen. Das definitive Verhältniss der männlichen Körperlänge zur weib- lichen ist 100 : 93—94. ^) Es schwankt — vgl. Tabelle XV — nur zwischen 100 : 92,71 und 100 : 94,13, obgleich die Zahl der Fälle in einzelnen Rubriken sehr gering war. Es fragt sich nun, ob die einzelnen Fälle bei beiden Geschlechtern in gleicher Weise um die Mittelzahl gruppirt sind. Eine und dieselbe Mittelzahl kann ja auf die verschiedenste Weise zu Stande kommen. Es können z. B. das eine Mal hauptsächlich mittlere Grössen vertreten sein, das andere Mal hauptsächlich sehr niedrige und sehr hohe. Die verständlichste und übersichtlichste Darstellung giebt uns in solchen Fällen die graphische Darstellung. Ich benutze sie auch hier, um die Vertretung der einzelnen Körperlängen bei beiden Geschlechtern ver- gleichen zu können. Natürlich sind nur Erwachsene vertreten, von dem Beginn des 26. Lebensjahres an; die Körperlängen sind in Centi- metern ausgedrückt. Die mittlere Differenz zwischen beiden Geschlechtern beträgt — vgl. Tabelle XX — 0,1096 m, also genau 11 cm. Ich habe auf Fig. 1 die — punktirte — Kurve für die Weiber mit der männlichen Kurve darnach zur Deckung gebracht, indem ich sie um 11 cm verschob. Die für die weiblichen Fälle bestimmten oberen Centimeterzahlen differiren also von den für die männlichen Fälle geltenden unteren um diese 11 cm. Ferner habe ich die Häufigkeit der einzelnen Maasse auf je 1000 Fälle berechnet — beim Manne waren es zufällig gerade 1000; beim Weibe 732 Einzelmaasse. 1) Genau dasselbe Verhältniss fand ich auch stets bei meinen Messungen am Hand- und Fussskelet eingehalten! Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 505 Beim Betrachten der Fig. 1 fällt die grosse Uebereinstimmung beider Kurven auf. Es heben sich keine charakteristischen Unter- schiede ab ; die einander entsprechenden Grössen sind in genau gleicher 5* T "f"t?" •o "*"! t 1 «0 s 0) «0 N 1 •e Jx K .> ■^ N *. 1 ■» ; «^ 1 N T TT t !>, --] -- ^- _. ^ Tt ": Ci J_J_ ' T «0 ' 1 t * . 1 .= K : ^11 1 1 ' 4^4. •O lii ' >* 1 -- "i|!~lll]if|' f1 1 ^< i .tkiri,r^!!ri:3^^ ' "^ 1 ^ii_!t-l-:t:::::::::: :'L^]ü7^^E':;j^n ^ i 'i • ! ^^ ■ Mi^ tlJSitu^SB 1 Jl ^^TH t_T£_:r3 : Hl •c M 1 ^^' ' J , + ''' ' 'ux-ill J^ : : ' 1 ■ : : ' : ■ , : i • , 1 t ^T !i 1 ' T ' ^ j ^^.»-.,rt.j.„,4... T-^^^--^^--j-|- '^ '='■■*■"-■ IJ-*"^ 1 ''ttdiiji^ni^t: ** ; ii , :1 ' ' : <^ i'^ Mi! H .'■■' «.J« 1 1 ; 1 ; ^ !!|l 1 !! Ijl :!!i , ,' ,.'. : , ' • ' ' i 1 , ' : ■ ' i :. TT ii •^ ' ' ulxuimJi'CLZ. ^AT'"T""ii'T^-.: '*--rI-^-|-r i^'l I , jt t "7 '1 1 1 1 ' 1 ihi 1 1 iIH Jl : * 't I h *i +7"rt';M e^ j'lli'j ^ -I^JJ Ifi[.......t ) i -J.- ..j_ ^ \y\ 1 :■ "^Wt-SV-' -------- T 1 1 •^SiMtil TT" ^ ■ i ' ' 1 i 1 "1 ^' 1 ! 1 ■ 720 57 99 78,09 Wir sehen aus dieser Zusammenstellung, dass der Unterschied zwischen beiden Geschlechtern während der Entwicklungszeit keine typischen Züge aufweist, dass aber unverkennbar die Höhe des Kopfes während dieser Zeit abnimmt (zurückbleibt). Ziehen wir beide Geschlechter zusammen, so gleichen sich die Unregelmässigkeiten mehr aus : Alter: 0,..— 1,0 1,. .-2,0 2,. .-5,0 5,. .—10,0 10,. .—15,0 15,..— 19,9 20,. .—100 Fälle 69 108 138 .59 34 64 1605 Index 83,2 82,6 81,2 81,0 79,9 79,0 78,2 Die Kopfhöhe nimmt also von der Geburt bis zur Beendigung des Wachsthums ausgesprochen und ziemlich regelmässig ab. Die graphische Darstellung (vgl. Fig. 3) lässt uns wiederum er- kennen, dass beide Geschlechter nach einem gemeinsamen Grundplan gebaut sind. Die Uebereinstimmung der Mittelzahlen ist keine zu- fällige, sondern beruht darauf, dass die einzelnen Indices bei beiden Geschlechtern in gleicher Häufigkeit vorkommen. Bei unserem Material ist also die Häufigkeit der hypsi-, meso- und chamäcephalen Kopfformen bei beiden Geschlechtern die gleiche. 3. Gesichtsindex. Wir haben im fünften Kapitel auf Tabelle XXI gesehen, wie die Jochbogenbreite des Weibes zu der des Mannes in annähernd normalem Maassverhältnisse steht, während die Gesichtshöhe des Weibes be- trächtlich zu klein ist. Auf folgender Tabelle sehen wir, wie dieser Unterschied sich allmälig herausbildet: Ein Beitrag zurKenntniss der sel^iundärenGeschlechtsunterschiede beim Menschen. 511 Tabelle XXV: Breite n -Höh enind ex des Gesichtes. Männer. Weiber. Alter Fälle Min. Max. Mittel Fälle Min. Max. Mittel 0,. .- 1,0 44 57 88 72,5 30 58 86 70,8 1,. .- 2,0 64 56 89 73,4 54 60 97 72,7 2,. .- 5,0 77 66 92 76,6 72 59 92 75,3 5,. .— 10,0 30 68 93 80,8 37 67 91 81,0 10,. .- 15,0 15 77 99 86,1 22 66 103 81,7 15,. .— 19,9 41 89 104 88,9 24 95 97 86,0 20, .—100 889 73 114 90,5 716 68 112 86,9 HO iz; ZZL 1 1 — 1 1 1 1 1 E E = 1 E 1 1 1 1 FE 1 1 E E =1 E E E 1 1 1 1 E = z^ :^ ICO ^- ^ +" =t = = E = =: 3i: E E ^-f--- — - E E E 1 E E — 1 E E E E 90 T = E e; — — 1 4e E E E E = ^ --E= E U- ~ r: E ^ E 1 E "^ = 1 1 rE 1 E E E SO 1 1 = = ^ E ^ E E — = E — 1 E = = E — !_ 1 >.i zz E =^ '-_ 1 E E E E E ^ E E E E E r= 1 — E E E 70 60 SO 1 E E E — E E 1 E er E E E 1 E Mi ^ E 1 — E E 1 E E ^ E 1 E 1 ^ 1 = E = = = E E E E 30 20 = E 1 E rr E E E E E E ^ i 1 1 E = E 1 E = 1 1 E 1 1 — E E 1 = E E E E 10 E ^ 7? ^ ^ ^ 1 1 1 i J E E E E E E = E E E E :zi E E E ^ s rr: Li j^ in: sn E E ^ ä: 7 ö 960 t Z 3 'J 5 G 7 8 9 70 f Z 3 li S G 7 S 980 i 2 3 ii S C 7 8 9 90 ^ Z 3 ^i S 6 7 8 3 Fig. 3. Der Gesichtsindex ist zur Zeit der Geburt bedeutend geringer als beim Erwachsenen. Er nimmt allmälig zu, indem das Gesicht länger wird, und zwar bis zum 10. Jahre bei beiden Geschlechtern — möglicher- weise besteht schon von Anfang an eine konstante kleine Differenz zu 512 W. Pfitzner. Gunsten des männlichen Geschlechts. Zwischen dem 10. und 20. Lebens- jahre aber nimmt er beim Manne fast doppelt so stark zu wie beim Weibe. Wenn wir jetzt auf Fig. 4 die graphische Darstellung der Ver- theilung der Indices ansehen, so können wir uns wieder überzeugen, Otq' dass der ganze Unterschied in einem gleichmässigen Zurückbleiben der weiblichen Indices besteht. Rücken wir die weibliche Kurve um 3 oder 4 Stellen nach rechts, so würde sie ebenfalls mit der männlichen Kurve zusammenfallen. Ein Beitrag zur Kenntniss der sekundären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. 513 DerUnterschied zwischen männlicher und weiblicher Gesichtsform besteht ausschliesslich in der stärkeren Beibehaltung der infantilen Gesichtsform. Zusammenstellung der Ergebnisse. Das Hauptergebniss dieser Untersuchung ist die absolute Ueberein Stimmung beider Geschlechter in allen hier be- rücksichtigten ethnologischen Charakteren. Auf keinem Punkte tritt eine Andeutung auf, als kehrten die ethnologischen Ele- mente, die sich an der Entstehung und den Aufbau der jetzigen Be- völkerung von Unterelsass betheiligt haben, bei dem einen Geschlechte in anderer Häufigkeit wieder als bei dem andern. Mit einem der Chemie entlehnten Vergleiche möchte ich es so ausdrücken : die ethno- logische Formel, die ethnologische Konstitution ist für beide Ge- schlechter die gleiche. Ich will die Berechtigung dieser Behauptung in einer zusammenfassenden Besprechung kurz wiederholen: 1. Haarfarbe: Das Weib ist durchweg weniger blond als der Mann und 2. Augenfarbe: das Weib ist durchweg dunkeläugiger als der Mann. Dieser Unterschied beruht, wie die von Bergholz mitgetheilten Beobachtungen beweisen, auf specifischen Geschlechtseigenthümlichkeiten, und nicht auf ethnologischen Momenten. 3. Beziehungen zwischen Haar- und Augenfarbe. Die hier ob- waltenden Unterschiede sind die naturgemässen Konsequenzen der in den- beiden einzelnen Komponenten bestehenden Abweichungen. Nur eine Ausnahme besteht, und das ist zugleich die einzige An- deutung einer möglicherweise bestehenden ethnolo- gischen Verschiedenheit: das Auftreten einer besonderen Gruppe mit schwarzem Haar und hellen Augen, die beim erwachsenen Manne etwa viermal so stark (15,9 ^o) vertreten ist als beim erwachsenen Weibe (3,40/0). 4. Körperhöhe. Die Längenmaasse des Weibes sind nach einem bestimmten Verhältniss verkleinerte Wiederholungen der Maasse des Mannes. 5. Kopf- und Gesichtsmaasse. Für sie gilt dasselbe wie für die Körperhöhe, nur ist die Verkleinerung bei den Gesichtsmaassen, namentlich bei der Gesichtshöhe, eine stärkere, was sich aber als ein- fache Konservirung mehr infantiler Zustände erklärt. 6. Kopf- und Gesichtsformen. Die stärkere Neigung des weib- lichen Geschlechts zur Dolichocephalie und zur Chamäcephalie ist so ausserordentlich gering, dass sie nicht in Betracht kommen kann; 514 W. Pfitzner. die ausgesprochene Chamäprosopie dagegen bedeutet ein einfaches Beharren bei mehr infantiler Form. In der Häufigkeit der einzelnen Typen und Formen zeigen sich ferner keine typischen Verschieden- heiten ; selbst beim Gesichtsindex wiederholen sich alle Indices des Mannes in gleicher Häufigkeit, nur im gleichmässig verminderten Werthe, beim Weibe. — Schlusswort. Ich kann es nicht oft genug betonen, dass ich stets nur vom körperlichen Unterschied zwischen Unterelsässer und Unter elsässerin geredet habe. Nichts hat mir ferner ge- legen, als den generellen Unterschied zwischen Mann und Weib feststellen zu wollen; nicht einmal an der Hand meines Materials als eines blossen Beispiels oder Paradigmas. Ich habe es deshalb auch ängstlich vermieden, auf die Befunde anderer Beobachter einzugehen, zu vergleichen, abzuschätzen, zu kritisiren. Diese Mittheilung will nicht Fragen lösen ; sie will nur und ausschliesslich Material zur Lösung herbeitrageu. Dieser Beitrag an Material, sowie der Umstand, dass es bereits etwas geordnet und gesichtet ist, wird hofi"entlich denen nicht unwillkommen sein, für die er bestimmt ist, den berufenen und verdienten Bearbeitern dieser Frage, in erster Linie Herrn Havelock Ellis. Strassburg i. Eis., 12. Nov. 1896. Taf.VI Verlag v.6ua»a^-Pi;c>ier, Jem blfcAnst.vü C Miiller, Jena. Mon)h. Art). ,heraus9eavG.Sdm'albeBd.Vg Taf.MI. Verkgv Ciisavfisctier, Jena L* AnsIvGCMuller.iIena. Moi-pkAi-lji lJ. ;\jvG Schwalbe Bd. \1I. Taf.VÜI Küartholdy dd Verlag v ßQslayF:sc>iPj-,»Jena lithjlnsl viX Mulier,Jena. Morph. Ärb. lierausije.j v, ü.Sdiwall)eEd.\11 Tül'. IX. Terlaqv Gusrav'B&cfier, 'Jeriü Moiph.^b. /,,:/-,;. ;^, . (j Schwalbe ßil.ra W. .\ I.iftAiiätv5CMkJem 'Moiph. Arb. herausjegvG Schwalbe Bd.YII, Taf. XI. Moi])]!. Arb. !i- :.;:.:;,'. (i.SflwalkBd.YII Taf.ai Iferlagv irasta\rtiattB-,;Ifni ütliAiistveCKülifr.-Jena. MoipluArt. rioifusjeiv (i SclmTilbi' Bd^tl. Taf.XIlL Vm-ci% V. 'i-.isidv Rs^lierdbiid bftiRns'r.''. C Jit;3?r ■• Murpli. AA. :.r_:,. .4 . (i SdmdbdM •liir. W. jMurph. ,liii. 7a1ä9V. Giiätä'f'si'T ,1,3.. r« hi%i r li C Mtr Jaa Morph.Arb.heraiisöegr/.G.Schwalbe.Bd."VII. Taf.Xn. Fig. 7. I JCreu gez. Verlag von Gustav Fischer m Jena. iithinsirv-Jü/ÄsserJena. Der Fartenweclisel von Varanus griseus, Uromastix acanthinurus und Agame inermis Dr. G. Thilenius, Privatdocent an der Universität Straesburg i. E. Hierzu Tafel XVII u. XVIII. Chamaeleo vulgaris gilt von Alters her als Prototyp für den Farbenwechsel, und seine reiche Farbenskala hat seit Aeistoteles die Aufmerksamkeit bald des Kuriositätenfreundes, bald des beobachtenden oder theoretisirenden Forschers auf dieses populärste Reptil gelenkt Allein erst die neuste Zeit vermochte Aufklärung über das Phaenomen zu bringen; während in den 40 Jahren vor dem Erscheinen der klassischen Arbeit Brückes^) etwa 20 Veröffentlichungen erschienen, beträgt die. Zahl der seither bekannt gewordenen nur fünf, und diejenigen der letzteren, welche auf genauen Beobachtungen beruhen^ bestätigen nur die Untersuchungen von Beücke. Es könnte danach fast erscheinen, als wäre vorläufig nichts principiell Neues mehr über den Farbenwechsel des Chamaeleo zu ergründen, es ist dies sogar wahrscheinlich, soweit die anatomische Seite in Frage kommt, seit der Untersuchung von Pouchet^) und der unlängst er- schienenen Arbeit von Keller^), welche eine Darstellung der verschiedenen Formen von Chromatophoren und der optischen Wirkungen giebt: Die anatomischen Grundlagen des Farbenwechsels sind soweit bekannt, ^) Brücke, Unters, üb. d. Farben w. des afrik. Chamaeleons. Denkschr. K. Akad. Wien 18.52. ®) PoüCHET, Des changements de coloration. Journ. de l'anat. et physiolog. T. XII. 1876. ^) Keller, lieber d. Farbenwechsel des "Chamaeleons und einiger anderer Reptilien. Arch. f. ges. Physiol. Bd. 61 1895. Morpholog. Arbeiten, hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 34 516 Dr. G. ThileniuB. dass die jeder Färbung des Thieres entsprechende Gruppirung von Chromatoplioren angegeben werden kann. Weit weniger verständlich ist bis jetzt die physiologische Seite. Plinius' Ansicht, dass das Chainaeleo die Farbe seiner Umgebung an- nehme, wurde zur Zeit des Höhepunktes der Anpassungstheorie als Thatsache ausgegeben trotz der vorurtheilsfreien Beobachtungen des Fabriciüs von Peiresc (vergl. Brücke a. a. O. S. 181), nach welchen nicht die Umgebung, sondern Licht und Schatten den Farbenwechsel be- einflussen. Indessen hat die letztgenannte aus dem 17, Jahrhundert stammende Angabe lediglich eine Bestätigung erfahren, so oft auch die Thiere unter natürlichen Verhältnissen oder im Laboratorium ohne Vor- eingenommenheit beobachtet wurden. Dass es sich um Licht-, nicht um Temperaturwirkungen handelt, ist von Brücke experimentell erwiesen worden ; er kommt zu dem Schlüsse, dass Licht Dunkelung der Haut, Schatten Aufhellung veranlasst. Keller vermag dem hin- zuzufügen, dass Strahlen verschiedener Wellenlängen in den Farben- tönen keinerlei Unterschiede herbeiführten; er konnte ferner in taktilen Erregungen ein Moment finden welches das Erscheinen einer Flecken- zeichnung auslöst. Wenn nun auch je eine Ursache — abgesehen von künstlichen Mitteln — für das Hell und Dunkel, sowie für das Auftreten einer Zeichnung erkannt wurde, so ist damit nur wenig gewonnen für das Ver- ständniss der einzelnen Farben, abgesehen von ihrer Intensität und lokalen Verbreitung. Es mag dies einer der Gründe sein, durch welche die Zuständigkeit der Anpassungstheorie wenn auch mit Modifikationen gestützt werden könnte, etwa „ex supposita necessitate." Andrerseits führte die Unzulänglichkeit von Licht und Schatten für die Erklärung aller Färbungen dazu, psychischen Momenten grossen Einfluss auf das Farbenkleid zuzugestehen: Krukenberg ^) ging so weit, dass er die Ursache für „einige dunkele Strichelchen oder Flecke und am Schwänze einige schwarze Ringe" an nachtschlafenden Chamaeleo, die gewöhnlich ganz hell sind, in Traumbildern suchte. An sich ist es freilich nichts weniger als unwahrscheinlich, dass Gemüthsbewegungen die Hautfärbungen beeinflussen. Auch Brücke erwähnt sie, ohne freilich ihre Wirkungen näher bestimmen zu können ; einmal verursachen sie Hellfärbung, ein anderes Mal sieht er die Thiere vor Zorn schwarz werden. Milne Edwards, Brücke, Pouchet, Keller fanden bei der histologischen Untersuchung der Haut von Chamaeleo die an sich un- erwartete Thatsache, dass den einzelnen Grundfarben nicht ebensoviel Pigmente entsprechen; es giebt wohl rothe, weisse, gelbe, braun- ') Krukenberg, Ueber d. Mechanik des Farbenwechsels bei Chamaeleo vulg. Cuv. Vergl. physiol. Studien III. 1880. Der Farbenwechsel von Varanus griseus etc. 517 schwarze Chromatophoren, aber weder grüne noch blaue oder violette, welch' letztere beiden indessen bei Wirbellosen (Crustaceen, Cephalopoden) bekannt sind. AVährend die vorhandenen Pigmentarten sich kombiniren und die Intensität einer bestimmten Färbung beeinflussen können, kommt Blau durch Reflexion seitens eines „trüben Mediums" zu Stande, ebenso seine Mischfarben von Grün bis Violett. Ueber die Bedingungen, unter welchen die Farben selbst auftreten oder sich kombiniren, ist nichts Sicheres ermittelt. Nach Allem scheint es, dass gerade der Reichthum an Farben^), welcher immer von Neuem die Beobachter anzog, gleichzeitig die Untersuchung erschwert. Weder die rein histologische Methode, noch die physiologische vermochten allein zu vollständigen Resultaten zu gelangen ; vielleicht wird man an die komplicirten Verhältnisse bei Chamaeleo mit mehr Aussicht auf Erfolg herantreten können, wenn man den Weg der Vergleichung einschlägt und nicht nur Wirbellose, Fische und Amphibien heranzieht, sondern auch an Reptilien mit ein- fachem Farbenwechsel allmählich eine Basis zu gewinnen sucht. Allein die Vergleichung kann naturgemäss in der Erklärung des Farbenwechsels von Chamaeleo ihren Abschluss nicht finden, sondern wird vor Allem feststellen müssen, ob etwa ein Farbenwechsel stets auf derselben anatomischen Grundlage sich abspielt, und wird für die Untersuchung diejenigen Formen bevorzugen, deren Farbenspiel möglichst nur aus einer physiologischen Ursache entspringt. Unter den Lacertiliern erscheint Varanus griseus als geeignet zur Untersuchung einfachen Farbenwechsels, ihm entsprechen unter den Agamiden Uromastix acanthinurus und, wenigstens zum Theil, Ägame mermis. Chamaeleo gegenüber, bei welchem nicht nur Farbe und Zeichnung veränderlich sind, sondern auch der Wechsel die gesammte Haut mit Ausnahme des „Bauchstreifs" betrifft, zeigen die genannten Formen eine weit beschränktere Veränderlichkeit. Zunächst besitzen sie alle eine Zeichnung, welche zwar durch den Farbenwechsel in ihrer Intensität ab- oder zunehmen kann, in ihren Grundzügen jedoch fest- steht und auch erhalten bleibt. Dazu kommt die Scheidung in Bauch- und Rückenseite, von denen nur die Letztere — mit einer unten zu be- sprechenden Ausnahme — dem Farbenwechsel unterliegt. Beide Besonderheiten sind am ausgeprägtesten bei Varanus griseus: bei Männchen und Weibchen jeden Alters ist die Unterseite von der Kehle bis zum Schwänze weiss, während die Oberseite weiss-gelb und ^) Unter den 50—60 Chamaeleo, welche ich längere Zeit in ihrer Heimat ge- fangen hielt, sah ich selten mehr als zwei nicht etwa gleich, sondern nur ähnlich gefärbte und gezeichnete Exemplare zu gleicher Zeit ; die Tiere befanden sich trotz- dem in einer grossen als Käfig hergerichteten Kiste stets unter den gleichen äusseren Bedingungen und in der gleichen Umgebung. — Näheres vergl. Herpetologische Notizen aus Süd-Tunis, Zoologische Jahrbücher, Bd. 10 S. 135—153 Abt. f. System. 34* 513 I^^- ^* ThileniuB. braun gefärbt ist. Diese beiden Farben sind derart vertheilt, dass auf bellem, gelblichen Grunde eine braune Zeichnung liegt, welche am Kopf und Nacken aus Längs-, am Rumpf und Schwanz aus Querbinden besteht. Die Trennung ist indessen keine strenge, insofern als in den braunen Binden vereinzelte helle gelbliche Schuppen, in der Grundfarbe versprengte braune Schuppen auftreten können, doch wird dadurch der Charakter der Zeichnung nicht im geringsten verändert. Der Farben- wechsel führt nun zu zwei extremen Erscheinungsformen : In dem einen Falle ist die Zeichnung dunkelbraun und gut begrenzt auf dem gelb- lichen Grunde (Tafel XVII, Fig. 1 a), in dem anderen Falle ist sie hell- braun, ihre Kontur verwaschen, und die ganze Rückseite erscheint isabellfarben getönt (Tafel XVII, Figur 1 b). Nach den am Chamaeleo beobachteten Verhältnissen ist nun zu erwarten, dass neben einem weissen, zumal der Bauchseite angehörenden, sich ein gelbliches und ein braunes Pigment in der Cutis vorfinden werden. Wenn man die Epidermis in grösseren Lappen ablöst, so erscheint die erwähnte Zeichnung schwarz auf dem weissen Grunde der Lederhaut. Schnitte zeigen anscheinend, dass die Cutis aus zwei Lagen besteht, einer unteren und einer oberen (Tafel XVII, Fig. 4). Diese Täuschung wird hervorgerufen durch die Lokalisirung des weissen Pigmentes, des bekannten Guaninkalkes, welches im auffallenden Lichte weiss, im durchfallenden bräunlich opak aussieht. Es erfüllt vollständig die Hauptschuppe und den Kranz sie umgebender Neben- schuppen, reicht jedoch nur wenig unter deren gemeinsames basales Niveau ; es bleibt daher ein Theil der Cutis frei von weissem Pigment, und da letzteres in seiner Hauptmasse mit einer ziemlich geraden Linie abschliesst, so ist die Pigmentschicht zwischen den Schuppen am niedrigsten, oft sogar nur auf einen, schmalen Streifen beschränkt oder unterbrochen. Löst man den Guaninkalk mit verdünnter Salzsäure, so treten die bisher verdeckten derben Bindegewebszüge der Cutis hervor, und zwischen letzteren, zumal nalie der Oberfläche, werden Zellen, sichtbar, in welchen die Körnchen des weissen Pigmentes abgelagert waren, doch liegt letzteres auch wohl frei in der Cutis, Die Zellen, sind gross mit entsprechendem Kern, nahe der Oberfläche rundlich, in der Tiefe zu verschiedenen Formen verzerrt durch die Bindegewebs- bündel, besonders die in der untersten Cutislage bis in die Nähe der Muskulatur hier und da eingelagerten. Betrachtet man ein Stück Cutis im auffallenden Lichte, so er- scheinen auf weissem einheitlichen Grunde die zierlichen von einem Punkte ausgehenden Verästelungen der schwarzen Pigmentzellen (Tafel XVII, Fig. 3). In allen grossen und kleinen Schuppen sind sie vorhanden, fehlen jedoch in den Zwischenräumen und sind ungleich- massig vertheilt. Schnitte zeigen diese Melanophoren in zwei Schichten angeordnet. In der oberflächlichen stehen sie ziemlich dicht neben Der Farbenwechsel von Varanus griseus etc. 51^ einander, in der nahe der basalen Grenze des weissen Pigmentes ge- legenen tiefen in weiten, unregelmässigen Zwischenräumen. Entfernt man das letztere durch Säurebehandlung, so treten die sonst nur im auffallenden Lichte deutlichen Melanophoren als einzige pigmentirte Zellen hervor. Ihre Form ist die bekannte an nach Golgi imprägnirte Kleinhirnzellen erinnernde: Von einem rundlichen Zellkörper ziehen radiär gestellte und verästelte Ausläufer zur Oberfläche, welclier sie eine Strecke weit folgen und an der sie frei enden. Die Ausläufer ■benachbarter Zellen durchkreuzen sich dabei, ohne jedoch in Ver- bindung mit einander zu treten (Tafel XVIT, Fig. 5a). Es bezieht sich ■dies zunächst auf die oberflächliche Melanophorenschicht, gilt indessen auch für die tiefe, nur dass die Zellen der letzteren nicht die Ober- fläche erreichen und weniger reiche Verästelungen zeigen, die zwischen den Bindegewebsbündeln und weissen Pigmentzellen der Cutis liegen. Die Melanophoren selbst unterscheiden sich nicht von denen des Chamaeleo, wie sie Brücke und Keller beschrieben haben. Die erwähnte Zeichnung der Rückenfläche kommt nun durch zwei Momente zu Stande. In den Schuppen, welche zu den Längs- und Querbinden gehören, stehen die Melanophoren der oberflächlichen Schicht dicht gedrängt, in der tiefen in weiten Zwischenräumen ; in den Schuppen dagegen , welche dem unbewaffneten Auge rein weiss erscheinen, fehlt die oberflächliche Schicht bis auf vereinzelte Melano- phoren völlig, die tiefe ist unverändert (Tafel XVII, Fig. 4). Letztere kann daher kaum zur Geltung kommen, und die Zeichnung erscheint lediglich abhängig von der oberflächlichen Melanophorenschicht. Ver- stärkt wird dieser Eindruck noch durch die Vertheilung des weissen Pigmentes : Auch abgesehen von dem Einflüsse der Raumverhältnisse ist die weisse Pigmentschicht dünn in den rein schwarzen, um so dichter in den weissen Schuppen. Die Melanophoren sind es nun ausschliesslich, von denen der Farbenwechsel abhängt. Letzterer vollzieht sich allerdings nicht mit derselben Schnelligkeit wie bei Chamaeleo, auch nicht mit gleichen Kontrasten. Infolgedessen sind auch die bei letzterem vorhandenen Extreme in der Pigmentvertheilung nicht in gleichem Maasse zu finden. Wohl ist mit dem scharfen Hervortreten der Bindenzeichnung ein Zustand verbunden, bei welchem die braun-schwarzen Pigmentkörn- chen die Ausläufer der Zelle bis an das äusserste subepidermoidale Ende gleichmässig erfüllen (Tafel XVII, Fig. 5 a). doch steht dem keine voll- ständige Ballung des Pigmentes in dem kugeligen Zelltheil gegenüber. In flautstückchen von Thieren, welche das obengenannte andere Extrem, die helle Färbung zeigen, sind eine Anzahl von Ausläufern noch mit Pigment erfüllt, jedoch nur eine Strecke weit vom Zellkörper; un- mittelbar unter der Epidermis ist kein Pigment zu finden (Tafel XVII, Fig. 5 b). Es tritt also keine vollständige Ballung, sondern nur ein 520 Dr. Gr. Thilenius. Zurückweichen des Pigmentes aus der Peripherie ein; die Binden- zeichnung wird heller, ihre Grenze unscharf, sie verschwindet aber nicht vollständig. Ein gelbliches Pigment, welches nach dem gelblichen Ton der Grundfarbe, dem isabellfarbenen und braunen der Bindenzeichnung zu erwarten wäre, ist in der Cutis nicht zu finden. Zum Theil mögen diese Farben auf zufälligen Momenten beruhen. Die Schuppen des Waran ergeben in ihrer Gesammtheit ein sehr komiDlicirtes Relief, Detritus und vor Allem der staubfeine, röthliche Wüstensand können von demselben festgehalten werden und einen entsprechenden Farben- eindruck hervorrufen. Allein anch unmittelbar nach der Häutung ist derselbe, wenn auch weniger intensiv zu beobachten, muss also im Wesentlichen im Bau der Haut begründet sein. Es ist dies auch der Fall, nur ist die Ursache in derEpidermis, nicht in der Cutis zu suchen. Wie jede Hornschicht, so verleiht auch die des Waran (Stratum corneum -|- Epitrichialschicht )unter ihr belegenen opaken Flächen einen bestimmten Farbenton, welcher in der Eigenfarbe der Hornsubstanz und in dem Grade ihrer Durchsichtigkeit begründet ist ; der Gegen- satz des Weiss — Schwarz der Cutis wird abgemildert zu einem hellen und dunklen ßraungelb. Zu dieser an sich schwachen Tönung tritt beim Waran noch eine eigne Pigmentirung der Epidermis und der Hornschicht. Abgelöste Lappen der Epidermisgeben genau die Zeichnung wieder, welche die unter ihnen gelegene Cutis aufweist (Tafel XVII, Fig. 2). Während aber letztere die Farben Schwarz und Weiss zeigt, beruht die Grundfarbe der Epidermis auf einem lichten Braungelb, ihre Bindenzeichnung auf einem kräftigen Hellbraun. Im Einzelnen entspricht die Bindenzeichnung der Epidermis so genau der der Cutis, dass das Pigment der ersteren nicht nur auf die dunkelen Schuppen beschränkt ist, sondern auch nur den Schuppen, nicht deren Zwischenräumen entspricht. Lupenvergrösserung zeigt das Epidermis- pigment besonders reichlich an den höchsten Stellen der dunkelen Schuppen, während es den weissen fast gänzlich fehlt. Mit Hülfe der Immersionssysteme erkennt man eine bestimmte Anordnung des Pigmentes im Flächenbilde der Hornschicht; die einzelnen Körnchen liegen in Perlschiiüren, die sich zu engmaschigen Netzen vereinigen. In jeder Masche ist eine verhornte Zelle gelegen, deren Kern sich oft durch Zusatz von Beagentien nachweisen lässt, die, wie Essigsäure, gleichzeitig den Verband der Epitrichialschicht in flache Zellen auf- lösen. In der Epitrichialschicht selbst ist allerdings das Netzwerk undeutlich und oft unterbrochen, es wird um so vollständiger, je mehr man sich dem Stratum mucosum nähert. In letzterem ist die Matrix des Epidermispigmentes zu finden. Zwischen den rundlichen Zellen dieser Schicht liegt ein Pigmentnetz, welches kaum unterbrochen sich von der Cutisgrenze bis zur Oberfläche erstreckt. Die einzelnen Fäden. Der Farbenwechsel von Varanus griseus etc. 521 des Netzes sind wenig in der Stärke verschieden und bilden fast rechte Winkel mit einander, da die Epidermiszellen, zwischen denen sie ver- laufen, ungelähr gleich gross sind. Das Pigment selbst ist weniger dunkel als das der Melanophoren der Cutis und weniger gleichförmig. Es ist schon desshalb nicht zu erwarten, dass das Epidermispigment mit dem Cutispigment in Zusammenhang steht, um so weniger als die letzten Ausläufer der Melanophoren etwa 2 — 3 mal stärker sind als die Züge des epidermoidalen Netzes. Die Thatsache der Selbstständigkeit des letzteren ergiebt sich daraus, dass starke Vergrösserungen es in einzelne Komplexe auflösen, deren jedem ein rundlicher Zellkörper mit eigenem Kerne angehört. Die Verzweigungen von Pigment- zellen der Epidermis bilden demnach zwischen den Epithelzellen derselben ein unterbrochenes Netzwerk, und beide Zellformen betheiligen sich an der Bildung der Hornschicht über den Schuppen der ßindenzeichnung. lieber den weissen Schuppen kommen die Pigmentzellen bei ihrer geringen Zahl nicht in Betracht. Die beiden durch den Farbenwechsel verknüpften Extreme in der Färbung, welche anscheinend auf drei veränderlichen Cutispigmenten beruhen, finden also in Folgendem ihre histologische Grundlage: Die durch weisse und schwarze Pigmentzellen hervorgebrachte ßinden- zeichnung der Cutis kombinirt sich mit einer entsprechenden braunen Bindenzeichnung der Epidermis und der Hornschicht ; der Gesammt- eindruck der Hautfärbung ist daher der brauner Binden und Schuppen neben gelblichweissen. Die Erfüllung der Melanoplioren mit Pigment bis unter die Epidermis lässt die Binden dunkelbraun und scharf begrenzt erscheinen. Tritt das Pigment der Melanophoren aus den subepidermoidalen Theilen der Cutis zurück, so wird in den Binden das helle Epidermispigment überwiegenden Antheil an dem Farbeneindruck gewinnen, mithin die Zeichnung isabellfarben erscheinen, ihre Grenzen verwaschen, da die unterlagernde Cutiszeichnung nicht mehr in dem vollen Kontrast von Weiss und Schwarz vorhanden ist. An Stelle des letzteren ist ein Grau getreten, die Mischfarbe aus dem unveränderten weissen und dem von der Oberfläche in die Tiefe ge- tretenen schwarzen Pigment. An die einfachen Verhältnisse bei Varanus griseus schliessen sich die bei Uromastix arruitliininiis bestehenden an, welche indessen insofern komplicirter erscheinen, als hier den beiden Geschlechtern ver- schiedene Hautfärbungen und -Zeichnungen zukommen, wozu beim Männchen noch Altersverschiedenheiten treten. Während die Bauchseite des Weibchens stets das opake Weiss- grau des Guaninkalkes zeigt, gilt dies nur für jüngere Männchen ; bei älteren tritt an Stelle dieser Farbe allmählich ein Schieferschwarz, zunächst an der Kehle in einzelnen Flecken, dann an Intensität und Ausdehnung zunehmend, bis schliesslich die ganze Unterseite mit 522 -Dr. G. Thilenius. Ausnahme einzelner meist seitenständiger Fleckchen die genannte Farbe trägt. Für alle Altersstufen gilt dagegen die Verschiedenheit der Rück- seite bei beiden Geschlechtern, welche jedoch die Oberseite des von einer dicken Hornschicht bekleideten Schwanzes nicht mit betrifft. Es handelt sich im Wesentlichen um Unterschiede der Zeichnungen, welche beim Männchen ein in der Längsrichtung des Körpers verschobenes Netzwerk, beim Weibchen eine nicht zusammenhängende Punktirung darstellen (Tafel X VIT, Fig. 6 a, 8 a). Das Netzwerk ist schieferschwarz auf gelblich-weissen, die Punktirung dunkelbraun auf braunem Grunde. An den Seiten geht die Färbung allmälig in die der Unterseite über, wobei die Zeichnung sich verliert; an der Schwanzwurzel hört sie geradlinig auf mit dem Beginn der Dornschuppen. Die Färbung bleibt nun bei Uromastix so wenig wie bei Varanus stets gleich, sondern unterliegt gleichfalls dem Wechsel. Anscheinend wird beim Männchen vorwiegend die Zeichnung davon betroffen, beim Weibchen die Färbung;, das Netzwerk des ersteren löst sich unzu- sammenhängende, etwas hellere und schmälerere Linien auf (Tafel XVII, Fig. 6 b), beim Weibchen erhält sich die Punktirung, dagegen ändert sich die braune Grundfarbe durch hellbraun bis zu einem sehr hellen braungrau (Tafel XVII, Fig. 8 b). Im Gegensatz zum Waran vermag die Betrachtung der Cutis- Oberfläche im auffallenden Lichte keinen wesentlichen Aufschluss für das Zustandekommen der Pigmentirung zu gewähren. Man sieht weisse und schwarze Schuppen nebeneinander, aber an letzteren ist wenig mehr als die Farbe selbst zu erkennen. Erst Schnitte zeigen in der Cutis Pigment und Pigmentzellen, beide entsprechen den oben für den Waran erwähnten. Indessen unterscheiden sie sich von letzteren durch Anordnung und Form. Die Körner und Schollen von Guanin- kalk in rundlichen oder passiv veränderten grosskernigen Zellformen kehren unverändert wieder; verschieden, wenn auch nicht wesentlich, sind die dunkelen verästelten Pigmentzellen. Zunächst sind die von Uromastix acanthinurus erheblich grösser als die des Varanus griseus und die Ausläufer der einzelpen Zelle beanspruchen ein weit grösseres Gebiet (Tafel XVII, Fig. 5 a, b, IIa, b) ; hierzu kommen Verschiedenheiten des Pigmentes. Bestand dasselbe bei Varanus aus oft reihenartig an- geordneten tiefbraunen Körnchen, so findet sich bei Uromastix neben diesem auch noch einerseits schwarzes, andrerseits hellbraunes Pigment. Allein der Unterschied in der Farbwirkung beruht in weiten Grenzen auf der Dichtigkeit und Zahl der Körnchen in dem gleichen Räume ; da auch das chemische Verhalten gegenüber Miueralsäuren und Alkalien bei den dunkelen Chromataphoren der beiden Reptilien das gleiche ist, so mag den schwarzen und dunkelbraunen Chromatophoren des Uromastix die Bezeichnung Melanophoren verbleiben; eine Bezeichnung, welche Der Farbenwechsel von Varanus griseus etc. 523 von Keller den dunkelen Chromatophoreu von Charaaeleo vulgaris ge- geben wurde und nur auf dem- Verhalten des Pigmentes, nicht dem der Zelle beruht. Für die hellbraun erscheinenden möge zur Unterscheidung die Bezeichnung Xanthophoren gelten, ohne dass hiermit mehr be- zeichnet würde als lediglich der Farbeneindruck. Auch die Zellformen von Uromastix und Chamaeleo stimmen bezüglich der Anordnung des Pigmentes, der Lage des Kernes u. s. w. im Wesentlichen überein; ihre Ausläufer gelangen unter spitzwinkeliger Theilung und Abnahme des Kalibers bis unmittelbar unter die Epidermis (Tafel XVII, Fig. 10, IIb). Das weisse Pigment in den Leukophoren (Keller) ist vollständig beschränkt auf die Schuppe selbst und erfüllt auch diese nicht ganz ; es bleibt an der Unterseite der Schuppe sowohl, wie zwischen je zwei Schuppen ein pigmentfreier Abschnitt. Die Leukophorenschicht selbst ist wiederum am dichtesten unter der Epidermis und wird um so un- zusammenhängender, je weiter sie sich von ihr entfernt. Die feineren und feinsten Ausläufer der stets in einfacher Lage vorhandenen Melanophoren liegen somit in der dichten Leukophorenschicht, der Zell- köri^er in der unterbrochen pigmentirten oder auch zum Theil in der pigmentfreien Cutis. Doch ist darum der Zellkörper nicht unmittelbar zwischen die Bindegewebsbündel eingelagert. Es umgeben ihn vielmehr feine dicht verlaufende und circulär angeordnete Bindegewebsfasern, welche noch auf den Anfangstheil jedes primären Ausläufers zu ver- folgen sind ; zwischen und auf diesen Circulärfasern liegen Leukophoren dicht neben einander. Es kommt dadurch eine kapselartige Umhüllung mit etwa gleichstarken Wänden zu Stande, welche sich scharf von der weiss pigmentirten oder unpigmentirten Cutis absetzt und zumal im' auffallenden Licht deutlich hervortritt (Tafel XVII, Fig. Ha). Dieser Guaninkorb der Melanophore erinnert in mancher Beziehung an die Hülle der Chromatophoren, wie sie die Cephalopoden besitzen. Leucophoren, Melanophoren und Xantophoren sind demnach die Pigmentträger, welche seitens der Cutis für Farbe und Farbenwechsel in Frage kommen; ihr quantitatives Verhältniss beeinflusst die Zeichnung. Am Einfachsten liegen die Verhältnisse beim Männchen : In weissen Schuppen überwiegen bei Weitem die Leukophoren, in schwarzen die Melanophoren. Die wenigen in weissen Schuppen vorhandenen Melanophoren kommen trotz ihrer oberflächlichen Lage und Grösse für das unbewaffnete Auge nicht in Frage oder höchstens dadurch, dass statt des reinen Weiss ein helles Grau wahrgenommen wird. Um- gekehrt gelangen die Leukophoren der schwarzen Schuppen nur dort etwas zur Geltung, wo beide Farben nebeneinander liegen, mithin an den Rändern des Netzwerkes. Die Xanthophoren finden sich nur ganz vereinzelt. Vergleicht man die Melanophoren des Netzes untereinander, so er- scheinen sie in zweierlei Formen, die indessen nicht getrennt, sondern 524 ^^' ^- Thilenius. nebeneinander vorkommen. Beiden gemeinsam sind der rundliche (meistens den Kern enthaltende) Zellkörper, sowie die nach der Epidermis verlaufenden Ausläufer. Die eine Torrn nun zeigt diese peripheren Ausläufer sich mit ziemlicher Regelmässigkeit weiter theilend und nach der epidermoidalen Cutisfläche aufsteigend. Ihr Pigment erscheint körnig, der oben genannte Guaninkorb umhüllt den Zell- körper. Ihnen steht die andere Form gegenüber, deren Ausläufer nicht nur zur Oberfläche hin, sondern auch seitlich in die Cutis verlaufen, Sie haben statt der zierlichen ßegelmässigkeit unregelmässige, klumpige Formen, ihr opak erscheinendes Pigment lässt nur hier und da Körnchen unterscheiden, und der Guaninkorb fehlt entweder ganz oder besteht nur aus wenigen, schwach mit Leukophoren besetzten Zügen. Gegen- über den erstgenannten Melanophoren kann daher das ganze Pigment der Letzteren fast ungeschwächt zur optischen Wirkung gelangen, sie bedingen das kräftige Blauschwarz der Zeichnung (Tafel XVII, Fig. 10). Ein weitergehendes Interesse verbindet sich mit dieser Melanophoren- form dadurch , dass dieselben besonders reichlich in den schwarzen Schuppen der Unterseite älterer Männchen zu finden sind. Es nimmt die Haut dieses Abschnittes an dem Farben Wechsel nicht theil; und dies führt zu der Annahme, dass in den genannten Melanophoren invariabele Pigmentzellen vorliegen. Für diese Auffassung kann zu nächst das Verhalten der Bauchhaut des Weibchens geltend gemacht werden. Dieselbe unterliegt gleichfalls nicht dem Farbenwechsel, und das leichte Grau, das sie stellenweise zeigt, beruht vorzugsweise auf vereinzelten Melanophoren der letztgenannten Art. Besonders ins Gewicht fällt indessen, dass in dem Netzwerk der Oberseite des Männchens neben der invariabelen die gewöhnliche Form nachweisbar ist, von denen die erstere sich auch dann erhält, wenn durch den Farbenwechsel das Netzwerk sich in unzusammenhängende Linien aufgelöst hat, während in letzteren eine Ooncentrirung des Pigmentes sich findet. Wenn also mit dem Farbenwechsel eine Aufhellung der weisslichen Grundfarbe und eine Trennung und Aufhellung der schwarzen Zeichnung verbunden ist, so erfolgt dieselbe nur durch die Veränderung der variabelen Melanophoren. Letztere besteht wie allgemein nicht in einem Einziehen der Ausläufer, sondern nur in einer centripetalen Bewegung des Pigmentes innerhalb derselben, was schon allein daraus zu folgern ist, dass nicht selten vereinzelte Pigmentkörnchen in der Peripherie der Ausläufer liegen bleiben. Das erwähnte histologische und physiologische Verhalten der Melanophoren könnte nun als genügend verschieden angesehen werden, um daraufhin eine principielle Unterscheidung zu gründen. Allein ein solcher Versuch kann vorläufig noch nicht hinreichend motivirt werden. Es lässt sich vielmehr die Thatsache anführen, dass der Farben- Der Farbenwechsel von Varanus griseus etc. 52& Wechsel in der geschilderten ausgiebigen Form vorwiegend bei jüngeren Exemplaren auftritt, während er bei älteren meist auf die Aufhellung der Grundfarbe beschränkt bleibt. Ein zahlenmässiger Nachweis über das Verhalten der beiden Formen von Melanophoren ist freilich schwer zu erbringen, ganz abgesehen von seinem relativen Werthe, indessen legt gerade die wahrscheinliche Beeinflussung der Intensität des Farben- wechsels durch das Alter des Männchens die Vermuthung nahe, dass die invariabelen Melanophoren aus variabeleu hervorgegangen sein können. Ein wesentlich anderes Aussehen bietet die Oberfläche der ßückencutis des Weibchens. Die reine Trennung in Schwarz und Weiss wie beim Männchen findet sich nirgends, statt deren ist ein unbestimmtes Grau mit braunen Flecken vorhanden. Unter der Lupe erst lösst sich das Grau soweit, dass man seine Ursache in Schuppen erkennt, welche schwarze, braune und weisse Töne führen ; die tiefbraunen Flecken dagegen beruhen auf rein braun gefärbten Komplexen von 5 — 6 Schuppen. Schnitte durch die Cutis ergeben das Vorkommen von Leukophoren, Melanophoren und Xantho- phoren, von denen die beiden letzteren Formen in Guaninkörben ruhen. Lediglich ihre quantitative Vertheilung bedingt die Farbwirkung; während in den braunen Schuppen der Fleckzeichnung auf Kosten der Melanophoren die Xanthophoren weit überwiegen, treten in den grauen Schuppen die letzteren mehr oder weniger zurück; die Menge der Leukophoren erscheint nicht wesentlich verringert, wenn man von der durch die Raumverhältnisse gebotenen Verminderung absieht. Ganz vereinzelt finden sich in den seltenen schwarzen Schuj^pen die oben als invariable bezeichneten Melanophoren. Der Vergleich von Hautstückchen, welche verschiedenen Individuen in extremen Stadien des Farbenwechsels (Tafel XVII, Fig. 8 a, b) ent- nommen waren, lehrt auch hier, dass letztere Erscheinung auf centri- petaler Wanderung des Pigmentes innerhalb der Ausläufer beruht (Tafel XVII, Fig. IIa, b). Indessen vollzieht sich diese Bewegung innerhalb der Melanophoren sowohl, als innerhalb der Xantophoren. Je nach dem Ueberwiegen in den einen oder anderen kann nicht nur verschiedene Intensität einer Farbe, sondern auch eine andere Farb- mischung aus Schwarz und Braun zu Stande kommen , wie das auch den am lebenden Thiere zu beobachtenden Färbungen entspricht — soweit die Cutis in Frage kommt ; der Epidermis fällt gleichfalls eine wesentliche Rolle zu, welche beim Weibchen weit mehr hervortritt als beim Männchen. Die abgelöste Epidermis lässt zunächst klar erkennen, dass der Cutiszeichnung eine Epidermiszeichnung entspricht, ähnlich wie bei Vara- nus griseus. Auch bei Uromastix ist die Uebereinstimmung beider eine ins Einzelne gehende. Beim Weibchen besteht eine aus 5 — 6 Schuppen zusammengesetzte braune Punktirung (Tafel XVII, Fig. 9), beim Männchen 526 -Dr. Gr. Thilenius. findet sich eine bräunliche Linienzeichnung (Tafel XVII, Fig. 7), beides in fast farbloser Umgebung. Die Epitrichialschicht erweist sich als Verband von verhornten und abgeplatteten Zellen nicht nur unter der Einwirkung von Reagentien , sondern auch auf Grund der Pigment- vertheilung. Schnüre von braunen Pigmentkörnchen umziehen, stellen- weise unterbrochen, die Epithelzellen in den der Zeichnung ent- sprechenden Schuppen; wenn man dieses Pigment in das Stratum mucosum verfolgt, so findet man hier die in drei Ebenen weithin ver- zweigten braunen Zellen der Epidermis (Tafel XVII, Fig. 12), deren reiche Ausläufer und kleinen Zellkörper beim Verhornungsprocess mit in das Stratum corneum aufgenommen werden. Diese die Cutiszeichnung wiederholende Epidermiszeichnung be- einflusst natürlich den Farbeneindruck insofern als ein leichter bräunlicher Ton sich überall geltend macht; selbst da wo unpigmentirte Epidermis über einer reinen Leukophorenschicht liegt, wird eine leichte Tönung? der Ausdruck überlagernder Hornsubstanz, erscheinen. Andrerseits müssen die Cutisfarben um so reiner erscheinen, je dünner die pigmentirte und unpigmentirte Epidermis ist. In der That ist die kontrastreichste Färbung kurz nach der Häutung zu finden, wenn die Epidermis noch nicht durch eine nennenswerthe Epitrichialschicht verdickt, mithin heller ist. Bei Varanus griseus und Uromastix ist also die Epidermis wesent- lich betheiligt au dem Zustandekommen der verschiedenen Färbungen, wenn auch nur passiv ; sie tritt mehr in den Vordergrund oder zurück, je nach der Pigmentvertheilung in der Cutis, welche ihrerseits in dem unbeweglichen Pigment der Leukoplioren einen opaken Lichtschirm besitzt. Die verästelten Chromatophoren stellen das einzige aktive Element dar. Ihre auf Schwarzbraun resp. Hellbraun beschränkten und daher an sich wenige Töne ermöglichenden Eigenfarben werden durch die Pigmentirung der Epidermis soweit kompensirt, dass eine grössere Farbenskala verfügbar wird, welche allerdings hauptsächlich auf verschiedener Intensität der gleichen Farbe und deren Mischfarben beruht. Eine grössere Zahl reiner Farben, damit auch der Mischfarben, kann nur auf dem Wege einer Vermehrung der Pigmente zu Stande kommen, welche in der Epidermis, der Cutis oder den verästelten Chromatophoren neben den bereits bekannten auftreten. Von diesen drei Möglichkeiten ist eine bei Agame inermis ver- wirklicht, deren Cutis ein weiteres Pigment führt. Insofern repräsentirt sie Varanus und Uromastix gegenüber eine höhere Stufe derselben auf die Zahl der verwendbaren Cutispigmente gegründeten Reihe. Be- rücksichtigt man dagegen die Pigmentirung der Epidermis, so erscheint Agame inermis eher niedriger stehend, ihr fehlt das Epidermispigment, und die Zeichnung beruht lediglich auf der Cutis. Das Thier nimmt daher eine Mittelstellung ein, es verknüpft einfachere Formen des Der Farbenwechael von Varanus griseue etc. 527 einen Typus , wie Varanus und Uromastix , welche eine Epidermis- zeichnung führen, mit den komplicirten Formen eines anderen Typus, wohin Chamaeleo mit mehreren Pigmenten der Cutis und der ver- ästelten Chromatophoren, aber ohne solche der Epidermis, zu rechnen ist. Es ist zunächst wiederum die Rückenseite, welche bei Agame iner- mis dem Farbenwechsel unterliegt. Für den letzteren kann die Epi- dermis nicht in Frage kommen, da sie nicht nur eigenes Pigment ent- behrt, sondern auch auffallend schwach ist. Ihr Stratum mucosum besteht aus 1 — 2 Lagen abgeplatteter Zellen ; darüber folgt ein dünnes Stratum corneum, dieses wieder bedeckt eine Epitrichialschicht, welche auch ohne Reagentien ihre Zusammensetzung aus Zellen erkennen lässt und ein den einzelnen Zellgrenzen entsprechendes Relief trägt. Um so reicher ist die Cutis an pigmentirten Zellformen. Leuko- phoren bilden das stabile Element und sind am zahlreichsten vertreten. Sie erfüllen die Schuppen in Gestalt einer dichten etwa gleichhohen Lage, welche von der Oberfläche bis zur Tiefe und auch an der Unter- seite der Schuppe lockerer ist. Die anscheinend kompakte weisse Schicht löst sich an der Basis der Schuppe zu einzelnen Strängen auf, welche einander parallel in der Cutis eine Strecke weit verlaufen (Tafel XVIII, Fig. 16, 19, 20). Getrennt von ihnen findet sich eine zweite dünne Leukophorenschicht dicht über der Muskulatur in der Cutis wie auch bei Varanus (vergl. Tafel XVII, Fig. 4) und zeigt auf Schnitten den Schuppen entsprechende Erhebungen. In der Leucophorenschicht liegen verästelte Chromatophoren mit verzweigten, zur Oberfläche ziehenden Ausläufern und einem meistens in der weniger dichten weissen Schicht gelagerten rundlichen Zell- körper, den ein schwacher, weder scharf noch regelmässig begrenzter Guaninkorb umgiebt. Nach dem Pigmentinhalt sind diese Chromato- phoren Melano- und Xanthophoren, von denen erstere weit überwiegen, und treten, obgleich nirgends ganz fehlend, in bestimmten Komplexen von Schuppen besonders zahlreich und zwar in einfacher Schicht auf (Tafel XVIII, Fig. 15 a, b). Nach dem Vorkommen dieser Chromato- phoren wird man ohne Weiteres braune und schwarze Färbungen wechselnder Intensität, sowie das Hervortreten einer jenen Komplexen entsprechenden Zeichnung erwarten dürfen ; indessen trifft nur das letztere zu. Jederseits von der Wirbelsäule treten 2 Reihen bilateral-symme- trischer Flecken von rhombischer Gestalt auf (Tafel XVIII, Fig. 13 b), welche am Nacken und Kopf die Form von Längsbinden annehmen. Sie sind nicht immer wahrnehmbar, sondern ihr Auftreten steht im Zusammenhang mit dem Farbenwechsel, und ihre Farbe hat dann nicht einen den Melano- und Xanthophoren entsprechenden Ton, sondern ist ein tiefes Rostroth. Entfernt man die trübend wirkende Epidermis, so fällt der Farbeuton mehr in Gelbroth, und diese Farbe zeigt sich 528 Dr. G. Thilenius. unter der Lupe begrenzt auf die Spitze und deren nächste Umgebung aller zu dem rothen Fleck gehörenden Schuppen (Tafel XVIII, Fig. 14 b). Das entsprechende im auffallenden und durchfallenden Lichte gelb- rothe Pigment scheint dem der Leucophoren nahe zu stehen ; es unter- liegt wie dieses der schnellen Lösung durch Salzsäure, findet sich gleichfalls in der Form kleiner Körnchen und Schollen und ist in grossen rundlichen oder wenig gelappten Zellen abgelagert, welche im Allgemeinen grösser sind als die benachbarten Leukophoren. Schnitte zeigen diese Pigmentzellen eingelagert in die Oberfläche der Leuko- phorenschicht doch so , dass sie eine ununterbrochene gelegentlich sogar zweischichtige Lage bilden, ihre Längsaxe steht dabei senkrecht zur Oberfläche der Schuppe. In Uebereinstimmung mit dem Flächen- bilde, sieht man sie beschränkt auf die Oberseite der Schuppe und be- sonders dicht an deren Spitze (Tafel XVIII, Fig. 16). Aehnlich dem weissen Pigmente der Leukophoren wirkt das gelb- rothe als Deckfarbe, und da die Ausläufer der Melanophoren nur bis in die Nähe seiner Schicht gelangen, während nur vereinzelte Xantho- phoren in sie eindringen, so werden Pigmentverschiebungen in den ver- ästelten Chromatophoren wesentlich die Intensität der röthlichen Fär- bung beeinflussen können. Der Umfang der vorkommenden Variationen ist allerdings verhältnissmässig gross, da die Pigmentbewegung bei Agame inermis zu sehr extremen Zuständen führt. Die bei Varanus und Uromastix vermisste Ballung des Pigmentes der verästelten Chromatophoren in dem rundlichen Zellkörper tritt bei Agame sehr ausgiebig und allgemein ein (Tafel XVIII, Fig. 15 a). In allen Schuppen findet man nur die kugeligen schwarzbraunen Pigmentkörper. Da letztere von Leukophoren umgeben, überdies von einer dichten Lage derselben bedeckt sind, so können sie keinerlei deutliche optische Wir- kung^ ausüben, und das Thier wird in diesem Falle gelblichgrau, stellen- weise mit schwachen röthlichen Tönen erscheinen, mithin je nach Um- ständen eine zufällige Anpassungsfarbe zeigen (Tafel XVIII, Fig. 13 a). Gelangt dagegen das Pigment der den rothen Schuppen angehörenden Melanophoren in die Ausläufer hinein, so wird damit zunächst eine scharfe Begrenzung der einzelnen Flecke erreicht werden, mithin die Zeichnung erscheinen (Tafel XVIII, Fig. 13 b). Ausserdem aber wird die Intensität ihrer Färbung zunehmen; je nachdem, ob alle Ausläufer bis in die äussersten Spitzen (Tafel XVIII, Fig. 15 b) oder nur die Mehrzahl bis etwa zur Hälfte ihrer Länge mit Pigment erfüllt werden, müssen rostbraune bis rostrothe Töne zu Stande kommen. Inwiefern hierbei den gelbrothen Pigmentzellen eine aktive Rolle zufallen könnte, ist schwer zu ermitteln, da das Lösungsmittel des weissen Pigmentes das gelbrothe zwar isolirt, aber gleichzeitig auch zerstört, sogar schneller als jenes. Es ist zwar bei den Exemplaren, welche eine graugelbe Sandfarbe zeigen, nicht nur eine völlige Ballung des Melanophoren- Der Farbenwechsel von Varanus griseus etc. 529 pigmentes eingetreten, sondern auch der subepidermoidale Streifen gelb- rothen Pigmentes ist augenscheinlich dünner und unterbrochen gegen- über dem Verhalten bei deutlich braun gefleckten Exemplaren. Da es sich indessen eben um verschiedene Exemplare handelt, welche die untersuchten Hautstücke lieferten, so ist die Beeinflussung der Menge des rothgelben Pigmentes durch individuelle Variation zu bedenken. Immerhin sind es zwei Punkte, welche es wenigstens wahrscheinlich machen, dass auch eine Bewegung des rothgelben Pigmentes stattfinden kann. Dahin gehört zunächst die Beobachtung, dass ein deutlicher rother Fleck auch zu Stande kommen kann durch eine relativ breite rothgelbe Pigmentlage ohne Mitwirkung der Melanophoren (Tafel XVIII, Fig. 16); ausserdem ist anzuführen, dass die Zellen, welche das frag- liche Pigment enthalten, oft eine gelappte Form zeigen, mithin sehr wohl die Möglichkeit der Koncentration und Expansion des Pigmentes bieten, welche sich in dem schwächeren oder stärkeren Hervortreten dieser Schicht äussern müsste. Das Verhalten dervariabelen Chromatophoren bei Agameinermis stimmt also vollkommen überein mit dem bei Varanus und Uramastix beobachteten. Bei allen Dreien bestimmen sie die Begrenzung der Zeichnung; ihre Eigen färbe kommt indessen nur dort zur Geltung, wo eine wenig pigmentirte Epidermis sie überlagert (Uromastix nach der Häutung), in allen anderen Fällen kom- binirt sich dieselbe mit der der pigmenti rten Epidermis oder ei n es überlagernden C utispigmentes zu einerMisch- arbe, deren Intensität dem Grade der Pigmentaus- breitung in den verästelten Chromatophoren entspricht. Damit ist indessen die mit den bisher genannten Mitteln erreich- bare Farbenskala noch nicht erschöpft. Weisse und tiefgelbe Pig- mentzellen, Melano- und Xanthophoren finden sich auch an der Kehle von Agame inermis, doch kommt hier kein gelbrother Ton, sondern Blaufärbung zu Stande, welche andererseits nie an den Rückenflecken beobachtet wird. Ueberdies ist das Auftreten dieser Farbe auf die Kehle des Männchens beschränkt, welche sonst die bekannte grauweisse Farbe zeigt, ebenso wie die ganze Unterseite des Tieres (Tafel XVIII, • Fig. 17). Eine besondere Eigenthümlichkeit der Färbung besteht in dem plötzlichen Erscheinen und Verschwinden der kobaltblauen breiten Längsstreifen auf dem weissen schmale Bänder oder Sternfiguren bilden- den Grunde, während im Allgemeinen der Farbenwechsel eine gewisse Zeit beansprucht, so dass die Uebergangstöne und -färben der Be- obachtung zugänglich ist. Hautstücke, welche weissen Kehlen entnommen waren, zeigen nun in der Cutis die mehrfach erwähnte Vertheilung des weissen Pigmentes. Es ist am dichtesten vorhanden nahe der Oberfläche der Schuppe, 530 ^^- ^- Thilenius. nimmt nach der Tiefe zu, sowie an der Unterfläche der Schuppe ab üiid erscheint in der eigentlichen Cutis in Strängen, welche zwischen den Bindegewebsbündeln verlaufen. In der dichten Leukophorenschicht nahe ihrem Uebergange in die weniger dichte sind verästelte Chromato- phoren mit schwarzbraunem resp. hellbraunem Pigmente eingelagert, jedoch ist letzteres auf den von einem schwachen Guaninkorb um- gebenen Zellkörper und die Anfangsstücke der Verästelungen be- schränkt; sie liegen in einfacher Schicht, sind indessen nicht in allen Schuppen vorhanden (Tafel XVIII, Fig. 19, 21a). Ueber den Leukophoren bis zur Epidermis hin findet sich eine deutlich von ersterer abgegrenzte , der Unterseite der Schuppen und ihren Zwischenräumen fehlende Lage eines Pigmentes, welches im durch- fallenden Lichte gelb bis gelbbraun, im auffallenden weisslich mit einem nach der Schnittdicke verschiedenen blauen Ton erscheint (Tafel XVIII, Fig. 20, 23). Es ist in feinen Körnchen vorhanden, die grössere schol- lige Aggregate bilden, und in eigenen Zellen abgelagert. Letztere sind von kubischer Gestalt und liegen in zwei Reihen der Epidermis parallel (Tafel XVIII, Fig. 24). Diese ßegelmässigkeit in der Anordnung; zusammen mit dem Farbeneindruck verursacht die scharfe Grenze gegen die Leukophorenschicht der Cutis, und man könnte die Zellen zur Epidermis rechnen, widerspräche dem nicht in entscheidender Weise der Umstand, dass aus der Cutis aufsteigende Bindegewebsbündel wenn auch spärlich bis in die Pigmentschicht gelangen und jenseits erst an den gelegentlich leicht granulirten, abgeplatteten Epithelzellen enden. Vergleicht man mit solchen weissen Hautstücken andere, welche blauen Kehlen entnommen sind, so finden sich die Schichten der Leuko- phoren und die des gelben Pigmentes wieder. Die Veränderung be- zieht sich allein auf die verästelten Chromatophoren. Zunächst fällt an den Ausläufern auf, dass sie in fast geradem Verlaufe zur Ober- fläche ziehen und, solange sie in der Leukophorenschicht liegen, keine nennenswerthen Verzweigungen aufweisen (Tafel XVIII, Fig. 24). Im Gegensatze zu dem bisher geschilderten Verhalten gelangen die Aus- läufer auch nicht bis an die Grenze der Cutis, wie bei Varanus oder Uromastix, hören auch nicht noch innerhalb der Leukophorenschicht auf, wie in den rothen Rückenflecken der Agamen, sondern enden ge- nau an der Grenze der gelben Pigmentschicht gegen die Leukophoren. Hier erst findet die Verästelung der Melanophoren statt, und zwar so plötzlich und in einem so niedrigen Räume, dass das so entstehende dichte Gewirr einander durchkreuzender Ausläufer auf Schnitten wie eine dunkele zusammenhängende Linie auch noch bei mittleren Vergrösserungen erscheint (Tafel XVIII, Fig. 20, 23). Erst Schiefschnitte lassen die Zusammensetzung dieser „Linie" erkennen ; dasselbe gilt von starken Vergrösserungen, welche weiterhin auch zeigen, dass nur die Melanophoren an der Bildung des Der Farben Wechsel von Varanus griseug etc. 531 schwarzen Schleiers bet heiligt sind, während die vereinzelten Xanthophoren ihre hellbraunen, kaum verzweigten Ausläufer bis an die Epidermis hin senden (Tafel XVIII, Fig. 20, 24). Das gelbe Pigment und die eigenartige Verästelung der Melanophoren erscheinen demnach als die Faktoren, welche die Blaufärbung ermöglichen. Die Betheiligung des ersteren ist aus optischen Gründen von vornherein wahrscheinlich, nicht so klar ist die Bolle, welche den Melanophoren zufallen soll. Hier ver- mag die Untersuchung identischer Hautstellen beim Weibchen Auf- klärung zu geben. Leukophoren und gelbes Pigment, letzteres in ge- ringerer Menge, sind bei demselben in gleicher Anordnung wie beim Männchen vorhanden, mag man dessen blaue oder weisse Kehlfärbung heranziehen. Anders steht es mit den verästelten Chromatophoren. Man kann davon absehen, dass sie in vielen Schuppen ganz fehlen, in anderen höchstens vereinzelt vorkommen — es könnten ja kleine blaue Fleckchen entstehen, welche ihnen entsprächen, — der wesentliche Unterschied liegt in der Art der Verästelung selbst. Melanophoren aus der Kehlhaut des Weibchens erinnern in dieser Beziehung voll- ständig an die des Weibchens von Uromastix. Die Ausläufer treten aus einem Zellkörper heraus, den ein dichter Guaninkorb umgiebt, verästeln sich sehr bald und regelmässig weiter, und ihre letzten Enden bilden keinen Schleier, liegen auch nicht unterhalb der gelben Pigmentschicht, sondern treten durch dieselbe hindurch bis an die Epidermis (Tafel XVIII, Fig. 18, 22). Sucht man daraufhin beim Männchen den anatomischen Befund mit dem optischen Phaenomen in Einklang zu bringen, so scheint die von Keller für die gleiche Erscheinung bei Chamaeleo gegebene Deutung die ungezwungenste. Geht man von dem Koncentrationsstadium der Me- lanophoren aus, so kann deren optische Wirksamkeit als ausgeschlossen betrachtet werden angesichts ihrer tiefen Lage und dichten Umhüllung mit Leukophoren, Die Schicht der letzteren sowohl als die des gelben überlagernden Pigmentes sind optisch als „trübe Medien" aufzufassen, ein Theil des auffallenden Lichtes wird hindurchgelassen, ein anderer, besonders die kurzwelligen blauen Strahlen, reflektirt. Dies gilt für das gelbe Pig- ment in höherem Maasse, als für das weisse; in gleich dünnen Schnitten erscheint ersteres im auffallenden Lichte bläulich, während letzteres noch rein weiss ist. Allein das gelbe Pigment kommt optisch gegenüber dem weissen nicht als selbstständige Lage in Betracht bei dessen unverhältnissmässig dicker Schicht. Da nun dickere Schichten trüber Medien überhaupt auffallendes Licht diffus reflektiren, soweit es nicht absorbirt wird, so erscheint die Kehlhaut weiss, — solange das Pigment der Melanophoren koncentrirt bleibt. Damit das gelbe Pigment zur Wirkung komme — ein Pig- Morpholog. Arbeiten, hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 35 532 ^^- ^- Thilenius. ment also, welches vorzugsweise langwellige Strahlen hindurchlässt und dem entsprechend kurzwellige reflektirt — muss dasweisse Pig- ment ausgeschaltet werden. Es geschieht dies durch den dichten schwarzen Schleier, welcher im Expansions- stadium der Melanophoren über den Leukophoren und unter dem gelben Pigmente geschaffen wird. Damit ist ein dunkeler Hintergrund für das „trübe Medium" geschaffen, er absorbirt die durchtretenden langwelligen Strahlen, und nur die kurzwelligen blauen gelangen zur Reflexion. Es ist dieselbe Erscheinung, für welche aus der anorganischen und organischen Welt zahlreiche Beispiele be- kannt sind : Das Blau des Himmels, der Iris, der Tätowirungen u. s. w. Aus der Art, in welcher die Melanophoren zur Wirkung gelangen, ergiebt sich ohne Weiteres, warum die Blaufärbung beim Weibchen fehlt, beim Männchen plötzlich in voller Intensität eintritt. Es muss einmal das weisse Pigment ausgeschaltet, zweitens ein absorbirender zusammenhängender Hintergrund geschaffen werden. Beides vermögen die Melanophoren des Weibchens nicht zu leisten, deren Endveräste- lungen nicht nur zu weit auseinanderliegen. also ungenügend absorbiren, sondern auch das „trübe Medium" des gelben Pigmentes bis zur Epi- dermis vielfach durchsetzen und damit unwirksam machen. Das unvermittelte Erscheinen des Blau dagegen hängt damit zu- sammen, dass es überhaupt nur durch den vollständigen Schleier ermöglicht ist. Dieser ist indessen erst vorhanden, wenn das Pigment der Melanophoren die Grenze der Leukophoren überschritten hat; zwischen diesem Momente und dem bezüglich des Blau unwirksamen, in welchem das Pigment noch innerhalb der oberflächlichen Leuko- phoren, sich befindet, liegt ein so kurzer Zeitraum, dass die Färbung plötzlich einzutreten scheint. Das Interesse, welches sich an den Farbenwechsel knüpft, wie er oben für Varanus griseus, Uromastix acanthinurus und Agame inermis im Einzelnen besprochen wurde, ist ein zwiefaches. Auf der einen Seite steht die Frage nach dem anatomischen Sub- strate, welches dem Farbenwechsel zu Grunde liegt; und hier ergiebt sich, dass bei aller Mannigfaltigkeit von Farben und Farbentönen das aktive Element des E'arbenwechsels jene peripher ver- ästelten Chromatophoren der Cutis sind. Stets handelt es sich darum, ob das in ihnen enthaltene Pigment im tiefgelegenen Zellkörper konzentrirt oder in sämmt- lichen peripheren Ausläufern bis zu deren Enden hinver- theilt ist. Die Art, in welcher sie optisch hervortreten, ist eine mehr^ Der Farbenwechsel von Varanus griseus etc. §^3 fache ; bald erscheinen sie mit ihrer Eigenfarbe, bald nur zur Ver- stärkung anderer Farben, immer jedoch bleibt ihre Funktion wesentlich für das Auftreten dieser oder jener Färbung. Unter den drei genannten Sauriern dürfen die einfachsten Verhältnisse bei Varanus griseus vor- liegen: Der auf eigenen Pigmentzellen beruhenden Zeichnung der durch eine Hörn- und Epitrichialschicht verstärkten Epidermis ent- spricht eine solche der Cutis, nur dass die Chromatophoren der letzteren die Fähigkeit besitzen ihr Pigment in wechselnde Verteilung zu bringen. Das Pigment der Epidermis ist braun, das der Cutis schwarzbraun, infolge dessen ist die Expansion des letzteren gleich- bedeutend miteiner Summirung des braunen Farben- effektes. Wenn also andere Farben, richtiger Farbentöne, er- scheinen, so handelt es sich weniger um Farben-, als vielmehr um Intensitätswechsel; tritt dann mit der höheren Intensität der Farbe auch die Zeichnung klarer hervor, so bedeutet dies nur, dass die an sich weniger scharfe Zeichnung der Epidermis eine Präcisirung erfährt, sobald die auf Schwarz und Weiss beruhende, sehr kontrast- reiche Cutiszeichnung sich mit ihr kombinirt (Tafel XVII, Fig. 1 — 5). Das Hervortreten der Eigenfarbe der verästelten Chromatophoren dagegen ist am Ausgesprochensten bei Uromastix accmthinurus und damit steht die auffallende Grösse dieser Chromatophoren zumal gegenüber Varanus im Einklang: Der um das Gebiet der ein- zelnen Zelle beschriebene Kegel hat eine relativ ausgedehnte subepider- moidale Basis. Die optische Wirksamkeit scheint vor- wiegend an die Verästelungen gebunden, während der Zell- körper mehr als Pigmentreservoir dient, da jedenfalls ein grosser Theil seiner Farbwirkung nicht nur durch die tiefe Lage, sondern vor Allem durch den Einschluss in einen dichten Guaninkorb aufgehoben ist. Als weitere Differenzirung kann auch angesehen werden, dass in den verästelten Chromatophoren zweierlei Pigmente ent- halten sind, — in den einen schwarzes bis schwarzbraunes, in den anderen hellbraunes, — die bei aller chemischen Verwandtschaft doch optisch stets verschieden erscheinen. Der letztere Umstand rechtfertigt ihre Unterscheidung in Melanophoren und Xanthophoren. Damit ist die Farbenskala um eine Anzahl von braunen Tönen bereichert. Zunächst freilich kommt in der qualitativen Vertheilung dieser beiden Formen von Chromatophoren der Geschlechtsunterschied zum Ausdruck, während durch die quantitative, ähnlich wie bei Varanus eine Zeichnung gebildet wird, welche in die weisse Grundfarbe des in Leukophoren abgelagerten Guaninkalkes eingetragen ist. Bei der Bildung des schwarzen Netzwerkes des Männchens sind Melanophoren fast ausschliesslich betheiligt, neben denen die sehr vereinzelten Xanthophoren nicht zur Geltung kommen können. Umgekehrt beruht die braune Punktirung des Weib- 35* 534 ^r. Ct. Thilenius. chens nur auf der Anhäufung von Xantliophoren. Während aber die Zwischenräume des Netzwerkes weiss erscheinen, also im Wesentlichen frei sind von Melanophoren, ruht die Punktirung auf einem helleren Grunde, den Melanophoren und Xanthophoren gemein- sam neben den Leukophoren bilden. Zu dieser Pigmentirung der Cutis tritt wiederum eine solche der Epidermis, welche auf eigenen weitverzweigten braunen Pigmentzellen beruht, und der Zeichnung, dem Netzwerk des Männchens und der Punktirung des Weibchens, entspricht. Die Pigmentirung der Epidermis tritt nun beim Männchen gegenüber den darunter gelegenen dichten Melanophoren vollständig zurück, dagegen kombinirt sie sich mit der Punktirung des Weibchens. Ersteres wird schwarz , letzteres braun gezeichnet erscheinen (Tafel XVII, Fig. 6 a, 8 a). Tritt nun in den verästelten Chromatophoren eine Koncentration des Pigmentes ein, so wird davon zunächst die Zeichnung beeinflusst, sie wird kleiner und heller werden (Tafel XVII, Fig. 6 b), und diese Veränderung beruht auf der nun geringeren Intensität der schwarzen resp. braunen Eigenfarbe der Chromatophoren. Ein wirklicher Farbenwechsel ist beim Männchen ausgeschlossen, da hier die vereinzelten Xanthophoren überhaupt unwirksam bleiben. Ein solcher findet sich erst beim Weibchen und zwar in ein- fachster Form; es sind zwei Eigenfarben (Melanophoren und Xan- thophoren), welche sich zwar kombiniren, aber auch vertreten können, wenn sie in einer annähernd gleichartigen Vertheilung vorhanden sind, wie in der Grundfarbe. In der That sieht man durch Uebergänge ver- bunden sehr oft entsprechende Färbungen: Bald ist die dunkelbraune Punktirung auf dem gleichfarbenen Grunde kaum wahrnehmbar, bald erscheint sie auf hellgrauem (Melanophoren) oder weisslich-braunem (Xanthophoren), in letzterem Falle durch den Farbengegensatz am deutlichsten (Tafel XVII, Fig 8 b). Es liegt indessen in der Natur der optisch einander so nahe stehen- den braunen und schwarzen Pigmente, dass bei ihnen der Gegensatz zwischen hell und dunkel, der Wechsel der Intensität also, überall da im Vordergrunde stehen wird, wo sie die Kosten der Pigmentirung fast allein tragen. Erst durch die Mitwirkung der Epidermis und das Vorkommen einer auf jenen beruh enden Zeich- nung kann eine Kontrastwirkung der Grundfarbe hinzu- kommen. Durch die nun möglichen verschiedenen Kombinationen kann der Eindruck des Farbenwechsels hervorgerufen werden, der sich allerdings immer in braunen und schwarzen Tönen vollziehen wird. Dieser unmittelbaren Betheiligung verästelte r Chro- matophoren an der Farbengebung steht die nur mittel- bare gegenüber, wie sie sich bei Agame. inermis findet. Zwar wirken sie mit bei dem Zustandekommen der Zeichnung und sind nur an Der Farben Wechsel von Varanus griseus etc. 535 den Stellen in wirksamer Zahl vorhanden, welche dieser entsprechen, aber nicht ihre Eigenfarbe, sondern lediglich ihre Funk- tion steht im Vordergrunde. Dementsprechend finden sich Extreme ihrer Pigmentvertheilung, wie sie bei Varanus und Uromastix vergeb- lich gesucht werden. Auch sonst bietet Agame inermis im Vergleich mit den beiden Anderen Neues; der Epidermis fällt keinerlei Einfluss auf die Färbung zu, sie ist vergleichsweise dünn und kann, soweit sie Hornschicht ist, nur leichte Trübungen tiefer gelegener Farben wahr- nehmen lassen. Der Schwerpunkt der Färbung liegt aus- schliesslich in der Cutis. Die bilateral symmetrischen Rücken- flecken verdanken ihre Farbe einem rothgelben leuchtenden Pigmente, das der auch hier vorhandenen Leukophorenschicht aufgelagert und in entsprechenden Schuppen lokalisirt ist. Die vollständige Koncentration des Melanophorenpigmentes lässt dieses Roth eben als eine schwache Tönung der sonst sandfarbenen Rückenseite des Thieres erscheinen (Tafel XVIII, Fig. 13 a). Umgekehrt hat die völlige Expansion in den Melanophoren nicht nur scharfe Zeichnung und Kontrastirung, sondern auch eine rostbraune Farbe der Flecken zur Folge. Das Roth des Pigmentes wird beeinflusst durch die Annäherung eines dunkelen Grundes (Tafel XVIII, Fig. 15 b). Es ist indessen nicht aus- zuschliessen, dass auch das gelbrothe Pigment in den gelappten Zellen, welche es enthalten, einer Koncentration und Expansion unterliegen, also direkt die Intensität der Fleckzeichnung bedingen kann. Das Phaenomen der Blaufärbung, welches an der Kehle des Männchens auftritt, beruht dagegen nicht auf der Anwesenheit eines eigenen Pigmentes, sondern auf der Wirkung eines gelb- lichen Pigmentes als „trübes Medium", dessen absorbirende Unterlage die Verästelungen der Melanophoren bilden. Es ist ein dichter schwarzer Schleier (Tafel XVIII, Fig. 20, 23, 24), den letztere über den Leukophoren bilden, während gleiche Zellen unter dem Pigmente der rothen Rückenflecke nicht nur die Leucophorenschicht nicht überschreiten, sondern auch statt eines fast lückenlosen Schleiers nur eine oft unterbrochene Schicht frei und unregelmässig endender Verästelungen bieten, welche letztere nicht die Funktion des ersteren zu leisten vermag (Tafel XVIII, Fig. 18, 22). Ist damit auch der anatomische Befund bei jedem einzelnen Thiere in Uebereinstimmung gebracht mit dem Farbeneindruck, wie ihn das unbewaffnete Auge am lebenden Thiere wahrnimmt, so bleibt doch noch die Frage nach den äusseren Ursachen zu beantworten, welche die centripetale oder centrifugale Strömung des Pig- mentes in den verästelten Chromatophoren auslösen, während es in anderen Pigmentzellen unbeweglich zu bleiben scheint. Auch diese biologische Frage ist am Sichersten zu beantworten 536 Dr. G. Thilenius. für Varanvs und Uromastix; beide Thiere bieten den Vortheil, dass nur eine Ursache den, übrigens langsam verlaufenden, „Farbenwechsel" zur Folge hat. Von beiden Arten hielt ich etwa je hundert mehrere Monate lang in ihrer Heimath gefangen, und zwar in grossen Käfigen; unter ihren Sandboden lag Drahtgeflecht, welches auch die Seitenwände zum grössten Theile bildete; oben waren die Käfige vollständig offen. Ich sah nun, dass Warane, welche in der Sonne gefangen worden waren, allmälig dunkler wurden, wenn sie in den im Schatten stehenden Käfig verbracht wurden; abends, spätestens am anderen Tage hatten sie das oben beschriebene dunkelbraune Farbkleid (Tafel XVII, Fig. 1 a). Um- gekehrt nahmen dem Käfig entnommene dunkele Exemplare schon nach 1 — 2 Stunden die helle Färbung an (Tafel XVII, Fig. Ib), wenn ich sie im Hofe der grellen Sommersonne des 33. Breitegrades aussetzte. Daran wurde nichts geändert, wenn durch dichtes Umwickeln des Kopfes mit einheimischen undurchsichtigen Wollstoffen die Augen im Dunkeln blieben. Wurden dagegen einzelne Theile dunkler Thiere in dieser Weise geschützt, so blieben dieselben auch nach langer Besonnung dunkler als die unbedeckten. Andere verfügbare Reizmittel, unter denen allerdings der elektrische Strom fehlte, blieben ohne Wirkung. So er- scheint das direkte Sonnenlicht als einzige natürliche Ur- sache des Farbenwechsels und zwar im Sinne einer Aufhellung: Die Koncentration des Pigmentes in den Melanophoren ist dann als Reizzustand anzusehen. Diese Wirkung des Lichtes auf die Haut des Waran, findet ihre Analogien in den Beobachtungen von Steinach *), welcher den direkten Einfluss des Lichtes auf die pigmentirte Iris- muskulatur bei Fischen und Amphibien nachwies, sowie in den noch kürzlich im Anschluss an Andere von Flemming ^) an Salamanderlarven festgestellte aufhellende Wirkung des Lichtes, ferner in den zahlreichen Beobachtungen, welche in das Gebiet des Heliotropismus gehören. Ein ähnlich kräftige Wirkung seitens der Wärme halte ich bei Waranen nicht für wahrscheinlich, um so weniger, als dunkele Warane bei der im Juli und August nicht eben seltenen Schattentemperatur von 45 — 50 " C. dunkel blieben, dagegen in der früheren Morgensonne hell wurden, noch ehe das in der Nacht auf 15 — 20" C. gesunkene Thermometer in der Sonne 30 " C. erreicht hatte. Genau das Gleiche gilt für Uromastix. Nachts waren alle Thiere dunkel, auch noch in den Morgenstunden ; sobald aber das direkte Sonnenlicht in den Käfig fiel, begannen die Thiere heller zu werden und erreichten das Maximum schon nach 1 — Vj^ Stunden (Tafel XVII, Fig. 6 a, b und 8 a, b). Der umgekehrte Vorgang fand mit derselben 1) Verh. d. anat. Ges. V. 1891 S. 270—272. «) Arch. f. mikr. Anat. Bd. 48. H. 4. S. 690—692. Der Farbenwechsel von Varanus griseua etc. 537 Regelmässigkeit abends statt. Versuche mit theilweiser Umhüllung führten zu demselben Resultate wie bei Waranen. Auch bei Uro- mastix erscheint demnach die helle Färbung als Folge direkter Wirkung des Sonnenlichtes auf die Chromatophoren. Es liegt kein Grund vor zu der Annahme komplicirter Vorgänge, wie sie von Reflexwirkung und der etwas vagen „Anpassung" gefordert werden. Dass natürlich Annäherungen, selbst Uebereinstimmungen in der Färbung der Thiere und ihrer Umgebung gelegentlich beobachtet werden können, ist ohne Weiteres anzunehmen. Allein diese Zu- fälligkeiten dürfen um so weniger mit dem präjudicirenden Ausdruck „Anpassung" bezeichnet werden, als genau der gleiche Farbenwechsel in durchaus unveränderter Um- gebung sich vollziehen kann. Weit weniger verständlich scheint der Farbenwechsel der Aganie iner- mis. Früh morgens, und spät abends, wenn in der grossen, als Käfig hergerichteten Kiste fast Halbdunkel herrschte, sah ich bei allen Exem- plaren die braune Fleckenzeichnung in voller Ausdehnung, ebenso bei Thieren, welche längere Zeit in den landesüblichen kleinen Leder- säckchen transportirt waren. Umgekehrt erschienen viele Agamen, welche ich selbst in den Nachmittagsstunden fing sandfarben und dunkelten während des Aufenthaltes in einem undurchsichtigen Be- hälter. Es würde dies Alles in das Gebiet des Heliotropismus gehören und in der direkten Wirkung des Sonnenlichtes auf die Melanophoren beruhen, mithin mit dem Verhalten von Varanus und Uromastix übereinstimmen. Indessen fand ich tagsüber unter den spielenden und kletternden Thieren, die sich alle, unter der gleichen Einwirkung der Sonne befanden, nicht immer nur gleichgefärbte Exemplare. Einzelne zeigten hellbraune Flecken, andere leuchtend rostrothe, während die grosse Mehrzahl eine unbestimmte Sandfarbe aufwies. Nur letzteres stimmt mit der Annahme direkter Sonnenwirkung überein, welche oben erläutert wurde. Es liegt daher die Vermuthung nahe, dass die Färbung der Agamen nicht ausschliesslich vom Sonnenlichte abhängig ist; da weiterhin die abweichend gefärbten Exemplare Farben zeigten, welche unter der Voraussetzung ausschliesslicher Lichtwirkung nur im Dunkeln auftreten, so ist ausser dem direkt wirkenden Lichte ein Agens anzunehmen, dessen Reiz mit jenem in ein antago- nistisches Verhältniss treten kann, Dass Wärme bei dem gleichen Thiere eine dem Lichte entgegengesetzte Wirkung äusserte, entbehrt zur Zeit der Analogie; Kellee hat für Chamaeleo nachgewiesen, das ungewohnte taktile Erregungen der Fuss- und Handfläche eine Zeich- nung hervorrufen können, allein die oben genannten Agamen befanden sich durchaus auf gewohntem Boden. Es Hessen sich noch andere 538 Dr- Gf- Thilenius. äussere Erregungsmöglichkeiten anführen, indessen unter den bestehen- den Verhältnissen nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit. Auf der anderen Seite stehen die „inneren Gründe", in erster Linie psychische Momente; ihre Unkontrollirbarkeit bedingt freilich ein gerechtfertigtes Misstrauen, und letzteres hat nicht abgenommen seit dem weitgehenden Gebrauche, welchen Krukenberg von psychi- schen Momenten machte um den Farbenwechsel von Chamaeleo ver- ständlich erscheinen zu lassen. Dennoch wird diesem Erklärungsversuche näher zu treten sein, wenn man die Blaufärbung an der Kehle des Männchens mit in den Kreis der Betrachtung zieht. Diese Färbung tritt nach früheren An- gaben zur ßegattungszeit ein und wäre daher als Hochzeitskleid aufzu- fassen ähnlich dem von Leydig,^) bei Rana temporaria beschriebenen. Hochzeitskleider pflegen allerdings eine Zeit lang sich konstaut zu er- halten, dies ist bei Agame nicht der Fall. Ueberdies liegt die Paarungszeit der Agame im Juni, während ich die Blaufärbung noch im Juli und August sah; zum Mindesten also ist sie nicht aus- schliesslich Hochzeitskleid. Ich hatte häufig Gelegenheit ihren Eintritt zu beobachten, jedes- mal unter gleichen Umständen. Mitte Juli brachte ich von einem Ausflug in die Steppe, mehrere Exemplare von Eumeces Schneider! mit, welche ich zu den Agamen setzte, da ich sie nicht gleich unter- bringen konnte. Die Ankunft der dreimal grösseren Scinke verursachte grosse Aufregung unter den Agamen, die um so grösser wurde, als auch die neuen Ankömmlinge sich nicht gleich beruhigten, sondern wild in der Kiste herumfuhren. Bei dieser Gelegenheit sah ich an allen Männchen die Blaufärbung auftreten, sobald die Scinke ihnen nahe kamen. Nach einigen Tagen erst iiatten die Agamen sich an die Eumeces gewöhnt; nur wenn einer der letzteren gar zu nahe an einer Agame aus dem Sande stiess, wurde die Kehle des Männchens sofort blau, um ebenso schnell wieder abzublassen, wenn der Gegenstand der Ueberraschung erkannt war. Frisch gefangene Männchen pflegten die gleiche Reaktion zu zeigen bei blossem Klopfen an die Kiste oder plötzlichem hastigen Hineingreifen in dieselbe; erst später trat eine ge- wisse Gewöhnung ein, wenigstens blieb die Blaufärbung aus. Es dürfte nicht leicht sein, eine plausiblere Erklärung hierfür zu finden, als die, dass Schreck die Blaufärbung hervorruft. Psychische Erregungen vermögen also thatsächlich Farbenwechsel auszulösen, und das Männchen von Agame inermis ist ein Beispiel dafür, dass Farbenwechsel aus- schliesslich auf Grund solcher „innerer Ursachen" vor- 0 Leydig, Ueb. rl. Blau in d. Farbe d. Thiere. Zoolog. Anz. Bd. VIII No. 212. 1895. Der Farbenwechsel von Varanus griseus etc. 539 kommt. Dass in dem vorliegenden Falle eine so schwer zu über- sehende Färbung erscheint, beruht auf dem besonderen oben geschilderten Bau der betreffenden Hautabschnitte, und wenn man sich erinnert, dass die Melanophoren bei dem Vergleiche weisser und blauer identischer Hautstellen sich als die veränderlichen Elemente erwiesen, so folgt daraus, dass sie wesentlich betheiligt sind. Da das Blau auf dem Expansionszustande ihres Pigmentes beruht, so erscheint die psychische Erregung als Antagonist des Lichtes, welches die Koncentration des Pigmentes zunächst freilich an anderen Hautstellen verursacht. Man wird nun annehmen können, dass auch die Kehle des Weibchens in derselben Weise reagirt, nur dass hier aus bestimmten anatomischen Gründen (s. oben S. 531) eine Blaufärbung nicht zu Stande kommen kann, höchstens eine Schwärzung, ^s ist indessen auch nicht wahr- scheinlich, dass benachbarte Hautstellen nur je einem Reize zugäng- lich sein sollten ; die unter gleichen äusseren Verhältnissen ungleiche Färbung der Agamen (vergl. S. 537) lässt es vielmehr durchaus an- nehmbar erscheinen, dass auch das Pigment der Melanophoren der Rückenseite durch i:)sychische Erregungen in Bewegung versetzt werden kann, und zwar in centrifugale. Für die Melanophoren der Agame inermis ergiebt sich daraus, dass Licht und psychische Erregung als Reize in einem an- tagonistischen Verhältnisse stehen; ersteres ist dabei als direkter, letztere als indirekter, durch Nerven vermittelter Reiz anzusehen. Man wird vielleicht nicht fehl gehen, wenn man auf Grund aller bisherigen Untersuchungen die verästelten Chromatophoren der Fische, Amphibien und Reptilien als analoge Gebilde ansieht. Abgesehen von den direkten Beobachtungen, welche ja immerhin irgend eine Fehler- quelle enthalten könnten, ist nun von Steinach^) durch Auflegen von Schablonen auf die von allen Nervenverbindungen getrennte Frosch- haut die direkte Lichtempfindlichkeit der Melanophoren erwiesen worden. Erkennt man die erwähnte Analogie an, so folgt daraus, dass das Protoplasma der Melanophoren allgemein auf Licht direkt reagirt, und es steht dies in keiner Weise im Widerspruch mit that- sächlich Gesehenem. Dass auch Wärme die Melanophoren beeinflusst, ist durch die neuen Untersuchungen von Fischel'-) und Flemming^) erwiesen, man wird also die gleiche Erscheinung auch bei anderen Thieren als den Salamanderlarven erwarten können. Ob die Wärme freilich ausschliesslich auf das Protoplasma wirkt, scheint nicht sicher entschieden. ») Steinäch, Ueb. Farbenw. b. niederen Wirbelth. Centralbl. f. Phys. 1891 H. 12. ^) Fischel, Ueb. Beeinflussung u. Entwickl, d. Pigments. Arcb. f. mikr. Anat, Bd. 47. 1896. ^) Flemmixg, Weitere Bemerk, üb. d. Einfl. v. Licht u. Temperatur auf die Färbg. d. Salamanderlarve. Arch. f. mikr. Anat, Bd. 48, 1897. 540 Dr. G. Thilenius. Diesen äusseren, direkt auf das Protoplasma wirken- den Reizen stehen andere gegenüber, welche indirekt auf reflektorischem Wege eine Pigmentbewegung aus- lösen. BiEDEEMANN^) hat gezeigt, dass das Ergrünen und Dunkeln des Laubfrosches davon abhängt, ob seine Haftscheiben an grünen Blättern oder unebenen Gegenständen ruhen; diesem experimentellen Ergebniss entspricht Keller's Beobachtung, dass regelmässig beim Charaaeleo eine schwarze Zeichnung auf hellem Grunde erscheint, wenn man dasselbe zwingt, sich auf dem Erdboden fortzubewegen, statt an dem gewohnten Geäst. Taktile Erregungen vermögen also die Chromatophoren in ganz bestimmter Weise zu be- einflussen. Hierzukommt endlich die. oben mitgetheilte Beobachtung, dass psychische Erregungen in ausschliesslicher Weise sehr energische Reaktionen der Melanophoren hervorrufen können. Eine reflektorische Erregbarkeit der Melanophoren ist damit sicher- gestellt, und es ist für die Sache selbst irrelevant, welches Sinnesorgan den primären Reiz empfängt. Wesentlich dagegen ist die Feststellung, dass Zellen der Cutis direkt unter dem Einflüsse des Centralorgans stehen. Dadurch erscheint der Schritt von reflektorischen zu willkürlichen Erregungen der Chromatophoren nicht so ausserordentlich, dass nicht auch letztere im Bereiche der Möglichkeit liegend zu denken wären. Nach den herrschenden Anschauungen würde dies allerdings einer hohen Stufe der Difi'erenzirung entsprechen und eine so weitgehende Selbstständigkeit einzelner Zellen voraussetzen, wie man sie Wirbel- thieren nicht zuzugestehen gewohnt ist. Allein man vergegenwärtige sich das anatomische Substrat, die Haut. Sieht man überhaupt in der Ausbildung morphologisch verschiedener und funktionell specialisirter Gebilde den Ausdruck höherer Differenzirung , so wird unbedenklich die Haut der Reptilien auf eine recht hohe Stufe zu stellen sein im Vergleich zu der der Säugethiere ; selbst die Haut der Amphibien und Teleostier wird von manchem Gesichtspunkt aus nicht eben ganz so primitiv erscheinen , als sie müsste , wenn die Verallgemeinerung der Primitivität eines Organsystems oder nur einzelner Theile eines solchen auf das ganze Thier mehr wäre als Hypothese. Dass ein Thier mit primitivem Skelet nothwendig auch eine primitive Haut habe, ist noch nicht ausgemacht, es scheint vielmehr, als ob eine derartige Korrelation der Organe, nicht vorhanden ist. Daraus würde folgen, dass die vom Einfachen zum Komplicirten führenden Reihen der Phylogenie nicht für Thierformen, sondern für Organformen aufzustellen sind und die 1) Biedermann, Ueb. d. Farbenw. d. Frösche: Pflüger's Archiv ßd. 51. 1892. Der J*'arbenwechsel von Varanue griaeus etc. 54 1 Reihen der letzteren zwar neben einander, aber in weiten Grenzen unabhängig von einander verlaufen. Für die vorliegende Frage des Farbenwechsels ist daraus zu schliessen, dass dessen höchste Ausbildung durchaus nicht an ein „hoch- stehendes" Thier geknüpft sein muss, ebensowenig wie seine einfachste Form von vornherein bei einem „tiefstehenden" zu erwarten ist. Das gilt zunächst von der anatomischen Grundlage des Phänomens, nicht minder aber auch von seiner Physiologie ; es ist nicht nur die Frage, ob Farbenwechsel im weitesten Sinne nur unter dem Bilde der Pigmentbewegung in specialisirten Zellen verläuft, sondern auch, ob thatsächlich im reflektorischen Farbenwechsel die höchste in der Thierwelt erreichte Stufe bekannt ist. Zunächst freilich werden überall, wo es sich um Farbenwechsel handelt, für seine Auslösung die vier oben genannten natürlichen Momente in Frage kommen, ohne dass andere a priori auszuschliessen wären. Vielleicht wird aus graduellen Verschiedenheiten und anta- gonistischen Gruppirungen sich später die Möglichkeit ergeben, die Einzelbeobachtungen unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte zu ver- einigen. Die Erkenntniss der kausalen Momente wird dann dazu führen können, den oft als Lückenbüsser dienenden etwas vagen Aus- druck der Anpassung weiter aufzulösen , wie es bereits begonnen ist durch den Nachweis, dass als einfaches Resultat direkten Lichtreizes sich darstellt, was auf indirektem, komplicirterem Wege entstanden gedacht werden musste, so lange man es als Anpassung auflfasste. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII— XVIII. Varanus griseus, Text S. 518—521, 532—533, 535. -Fig. 1. Stücke der Rückenhaut nahe dem Uebergang in die Bauch- haut, a) von einem beschatteten, b) von einem besonnten Exem- plare {{). Fig. 2, Abgelöste Epidermis von der Oberseite der Schwanzwurzel; Pigmentirung als Zeichnung. Flächenbild in durchfallendem Licht (f). Fig. 3. 2 Cutisschuppen der Rückenhaut nach Entfernung der Epi- dermis; Vertheilung des Melanophoren und ihrer Gebiete. Flächenbild (L^). Fig. 4. Schnitt durch eine Schuppe der Rückenhaut (Theil). Ver- theilung des Leukopigmentes. Auffallendes Licht (•'y^). Fig. 5. Schnitte durch Rückenschuppen (Theile). Leukopigment durch HCl entfernt ; Verzweigung der Melanophoren , Pigment- vertheilung in denselben im Schatten (Expansion) : a) und in der Sonne (Koncentration): b) (y^). Uromastix acanthinurus. Text S. 521—526, 533—534, 536. Fig. 6, Stücke der Rückenhaut vom Männchen, a) von einem be- schatteten, b) von einem besonnten Exemplare ((^). Fig. 7. Stück der abgelösten Epidermis vom Rücken des Männchens. Durchfallendes Licht (f). Fig. 8. Stücke der Rückenhaut vom Weibchen, a) von einem be- schatteten, b) von einem besonnten Exemplare ({). Fig. 9. Stück der abgelösten Epidermis vom Rücken des Weibchens. Durchfallendes Licht (f) Erklärung der Abbildungen. 543 Fig. 10. Schnitt durch eine Rückenschuppe des Männchens; Leuko- pigment durch HCl entfernt; invariabele Melanophore (\^). Fig. 11. Schnitte durch Schuppen der Rückenhaut vom Weibchen; a) von einem besonnten Exemplare; Vertheilung des Leuko- pigmentes, Guaninkorb, Koncentration des Pigmentes in der braunen Chromatophore, Auffallendes Licht {%^). — b) Ex- pansion des Pigmentes im Schatten, Leukopigment durch HCl gelöst; durchfallendes Licht (^y^). Fig. 12. Schiefschnitt durch das Stratum mucosum der Epidermis, Rückenhaut. Theil einer verzweigten Pigmentzelle der Epi- dermis (^^"). Agame inermis. Text S. 526—532, 534—535, 537—538. Fig. 13. Stücke der Rückenhaut von der Medianlinie; a) von einem lange besonnten, b) von einem beschatteten Exemplare ({■). Fig. 14. Stück der Cutis des Rückens ; Vertheilung des rottjgelben Pigmentes auf dem rothen Fleck angehörenden Schuppen (f). Fig. 15. Querschnitte durch Rückenschuppen: a) von einem besonnten (Koncentration des Pigmentes), b) von einem beschatteten (Expansion des Pigmentes) Exemplare; Leukopigment durch H Cl gelöst (\8). Fig. 16. Längsschnitt durch eine rothe Rückenschuppe. Vertheilung des rothen und weissen Pigmentes, in letzterem Melanophoren mit koncentrirtem Pigment. Auffallendes Licht (ß^). Fig. 17. Kehlhaut des Männchens ; oben in der Ruhe, unten in der Erregung (Blaufärbung) {{). Fig. 18. Kehlhaut des Weibchens. Fig. 19. Schnitt durch Schuppen von der Kehlhaut des Männchens. Vertheilung des Leukopigmentes. Auffallendes Licht (\^). Fig. 20. Schnitt durch Schuppen von der Kehlhaut des Männchens. Erregung. Vertheilung der Pigmente. Schleier der Melano- phoren ausläufer. Auffallendes Licht (Y). Fig. 21. Schnitte durch Schuppen von der Kehlhaut des Männchens a) Ruhe, Koncentration des Pigmentes, b) Erregung, Schleier der Melanophorenausläufer (Schiefschnitt). Leukopigment durch H Cl gelöst (V). Fig. 22. Schnitt durch die Kehlhaut des Weibchens. Vereinzelte Melanophore, Expansion des Pigmentes. Leukopigment durch H Cl gelöst (V). 545 Erklärung der Abbildungen. Fig. 23. Schnitt durch die Kehlhaut des Männchens. Erregung. Schleier der Melanophorenausläufer ; gelbes Pigment. Durch- fallendes Licht (vergl. Fig. 20) {%^). Fig. 24. Detail zu Fig. 23. Nur Melanophoren betheiligen sich an dem absorbirenden Schleier, die Xanthophoren gelangen bis zur Epidermis. Durchfallendes Licht (^f-**). Beiträge zur Zahnentwicklung der Knoolieiiflsclie. Von Emil Friedmann, approb. Zahnarzt. (Aus dem kgl. anatomischen Institute zu München.) Mit 16 Abbildungen im Texte. Es ist auffallend, dass die grosse Fischfauna in Bezug auf die Entwicklung der Zähne an einer ununterbrochenen Serie von Embryonen noch sehr wenig untersucht wurde. RösE war der einzige neben Caelsson, der die Salmoniden in dieser Art und Weise studirte. Mit grosser Freude ging ich deshalb auf den liebenswürdigen Vorschlag des Herrn Privatdozenten Dr. Rose ein, eine vollständige embryonale Entwicklungsreihe von Esoxlucius L. und Cyprinus Carpio L., sowie erwachsene Thiere dieser beiden Fischarten in Hinblick auf die Zahnentwicklung zu untersuchen. An dieser Stelle ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn Ge- heimrat Professor Dr. von Kupffer geziemenden Dank zum Ausdrucke zu bringen für die dargebotene Gelegenheit, in dem histologischen Laboratorium der anatomischen Anstalt zu München das vorliegende Thema zu bearbeiten ; desgleichen ganz besonders Herrn Dr. Rose für die gütige Angabe des Themas, sowie die vielfachen wissenschaftlichen und technischen Unterweisungen, wofür ich auch Herrn Prosector Dr. A. Böhm und Herrn Dr. Neümayer, Assistenten des histologisch- embryologischen Institutes, grossen Dank schulde. Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Rose stand mir eine grössere Anzahl von erwachsenen Gadiden, Gadus morrhua sowohl als Gadus aeglefinus, zur Verfügung; die Zähne der betreffenden Thiere wurden ebenfalls einiger histologischen Details halber bearbeitet. Ferner verdanke ich Herrn Dr. Rose einen Kiefer von Hexanchus, der vergleichshalber untersucht wurde. 546 Emil FriedmanQ. Geschichtlicher Ueberblick. Untersuchungen über den Bau der Fischzähne waren schon sehr frühzeitig ein Lieblingsthema verschiedener Autoren, wenngleich die embryonale Entwicklung hiebei nicht stets die verdiente Berück- sichtigung fand. Besonders weist jedoch die Literatur unseres Jahr- hunderts eine grosse Anzahl von Arbeiten auf diesem Gebiete auf, unternommen von Männern, deren Namen mit der Geschichte der Wissenschaft aufs engste verknüpft sind. Von früheren Autoren nenne ich Namen wie Owen, Eetzius, J. Müllee, Pander, 0. Hertwig, Heincke, Tomes etc. In neuerer Zeit hat man die Zähne der Fische gegenüber denen der höheren Yertebraten etwas vernachlässigt. Erst im Jahre 1894 erschienen fast gleichzeitig zwei Aufsätze von Rose und Caelsson, die das Interesse wieder auf die Zahnentwicklung der Fische lenkten. Die Arbeiten von Owen, Agassiz und Pander beschränkten sich ausschliesslich auf Trockenschliffe. Diese Forscher richteten ihr Haupt- augenmerk auf die histologischen Details der harten Zahngewebe von erwachsenen Thieren. Trotzdem sie mit sehr mangelhaften Hülfs- mitteln arbeiteten, erreichten sie doch Resultate, die auch für die heutige Wissenschaft noch maassgebend sind. Die übrigen Autoren, die ich oben anführte, bearbeiteten nicht nur die Hartsubstanzen, sondern auch die Weichtheile der Zähne erwachsener Thiere einerseits und der Embryonen anderseits. Ihre Untersuchungen waren dann auch für die Histologie und ganz besonders für Embryologie von grösster Bedeutung. Um nun ein möglichst genaues Bild der Ergebnisse der Zahnforschung bei Fischen früherer Zeit bis zum heutigen Tage zu geben, werde ich in kurzen Auszügen die diesbezüglichen Arbeiten, die bisher erschienen sind, citiren, soweit sie mir zugänglich waren. Leeuwenhoek 1678 war wohl der erste, der die Zähne histologisch untersuchte. Er beschrieb dieselben als hohle Gebilde, welche aus un- verzweigten, von der Pulpa bis zur Peripherie verlaufenden Fasern beständen. Die Entwicklung der Zähne führt er zurück auf die Aus- schwitzung eines Keimes, und zwar soll der Keim schichtenweis abge- lagert werden. F. und S. Cuvier 1805 huldigten in Bezug auf Entwicklung der Zähne den Ansichten Leeuwenhoek's ; dagegen hatten sie schon Kennt- niss vom röhrigen Bau des Dentins verschiedener Fischzähne. Sie haben jedoch die Röhren, sie nannten sie Fibern, als ungetheilt und parallel von der Savitas pulpae bis zum Ende des Zahnknochens verlaufend be- trachtet. Sie führten auch einige termini technici über Form und Be- Beiträge zur Zahnentwicklung der Knochenfische. 547 festigung der Zähne in die damalige Wissenschaft ein. So bezeichneten sie die kleinen Zähne, die man nur durch Tasten wahrnehmen kann, als Dentes villiformes, so z. ß. die Zähnchen auf der Zunge des Hechtes; längere Zähne, die die Stelle, welche sie besetzen, einem Reibeisen ähnlich machen, nannten sie Dentes raduliformes und endlich lange und elastische Zähne Dentes setiformes. L. JüEiNE 1821 war der Ansicht, dass die Cyprinoiden in Folge ihres eigenthüralichen Baues der Schlundknochen und der Zähne Wieder- käuer wären. G. Born 1827 untersuchte verschiedene Fischzähne histologisch und kam zu ganz neuen Resultaten. Er theilte die Fischzähne folgender- maassen ein : I. Zähne, die nur aus Horngewebe bestehen: A) solche, die bloss als höhere Entwicklung des die Mundhöhle auskleidenden Epithels anzusehen sind. (Hornzähne der Cyclostomen.) B) solche, welche sich schon analog den Zähnen höherer Thiere in Säckchen ausbilden. (Zähne von Chaetodon und Pimelodes.) BoEN bezeichnet den Schmelz als homogene Hornmasse. IL Ueb erlegte Zähne d.h. aus 2 verschiedenen über einander liegenden Substanzen bestehend: A) solche, die aus Fasersubstanz bestehen und mit Schmelz über- legt sind. Die Keimsubstanz setzt sich in den einzelnen hohlen Fasern fort. B) solche, die im Innern eine von Knochensubstanz umgebene Keimhöhle haben und, soweit sie aus dem Zahnfleische hervorragen, von Schmelz bedeckt sind. Dieser ist im vollkommenen Zustande milch- weiss, durchscheinend, glänzend und äusserst hart ; bei einigen Fischen auch gelbbraun, hornartig und weniger fest. Die Pflasterzähne von Sparus, die Zähne des Hechtes und der Haie, die hieher gehören, zeigen den Schmelz am mächtigsten ausgebildet. Befestigt sind die Zähne nach Born: I. im Zahnfleische II. in Alveolen eingekeilt, III. durch Epiphysen auf dem Knochen IV. an der Wurzel mit dem Knochen verschmolzen. Die Fischzähne entwickeln sich nach ihm alle in Säckchen, mit Ausnahme der Cyclostomen und Gymnodonten. Ein solches Säckchen soll aus 2 Häutchen bestehen und unten mit dem Zahnfleische zu- sammenhängen. Etliche Jahre später wurden jedoch mit verbesserten Methoden von berühmten Forschern die Zähne, besonders auch diejenigen niederer Wirbelthiere einer eingehenden histologischen Untersuchung unterworfen. Man fand, dass das Dentin nicht eine Fasersubstanz sei, sondern dass dasselbe von röhrenförmigen Fasern, die sich verästeln, Morpholog. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 36 548 Emil Friedmann. durchzogen wird. Ferner fand man bei den meisten niederen Wirbel- thieren Schmelz und ein denselben erzeugendes Organ, das Schmelz- organ. Die Bildung des Dentins, das man sich bisher als eine Abscheidung der Papille dachte, wurde jetzt als eine allmähliche von aussen nach innen fortschreitende Verkalkung beschrieben. Owen (1845) spricht den meisten Fischzähnen den Schmelz ab und deshalb nach der Ansicht jener Zeit natürlich auch die Entwicklung im Zahnsäckchen. Er macht nur eine Ausnahme, So beschreibt er bei Hecht und Karpfen ein geschlossenes Zahnsäckchen ; er denkt sich das geschlossene Zahnsäckchen sei so zustande gekommen, dass die Papille von der Membran, aus der sie entsteht, umwachsen wird. Dieses Zahnsäckchen soll nun nach seiner Beschreibung bei Esox und Cyprinus frei in der Mucosa liegen. Im Dentin beschreibt Owen 2 Arten von Kanälen: 1. grössere Kanäle, die Blutgefässe beherbergen; 2. kleinere, die aus ersteren entspringen, die eigentlichen Zahn- beinröhrchen. Ferner unterscheidet Owen 3 Arten von Zahnbein, die meist bei einem Fischzahne anzutreffen seien: Vascular Dentin oder Vaso- d entin nennt er den inneren Theil des Zahnbeins, welcher die grösseren und kleineren Kanäle beherbergt. Als zweite Schicht liegt auf dem- selben das sogenannte einfache Dentin, welches nur Zahnröhrchen enthält, die meistens parallel nach der Peripherie zulaufen. Die letzte oberflächlichste Schicht ist das Vitrodentin. Hier finden sich äusserst feine Kanäle nahe bei einander, die ganz parallel verlaufen. Das Vitrodentin bildet einen sehr harten, durchscheinenden, schmelz- artigen Ueberzug. A. Retziüs (1837) untersuchte embryologisch und histologisch ver- schiedene Fischzähne; er beschreibt folgende Resultate: Die Zahn- knochen von Sparus ßondeletii und Balistes Vetula gleichen in ihrem inneren Bau am meisten denen der Säugethiere und der Amphibien. Der Zahnknochen wäre hier weiss und hart wie Elfenbein und zeige unter dem Miskroskope schöne, regelmässige, freie und parallele Stamm- röhren. Bei Esox lucius konnte er keine Schmelzbedeckung finden. Den Zahnknochen des Hechtes theilt er ein in einen inneren mit grossen Röhren versehenen Kern und einen äusseren dünneren Theil, welch' letzterer die Bedeckung des ersteren bildet und mit feinen parallelen Röhren versehen ist. Das äusserste Stratum von Zahn- knochensubstanz giebt den Durchschnitten des Hechtzahnes ein eigenes hübsches Ansehen und ähnelt bei schwacher Vergrösserung einer Schmelz- schicht. Auch die Härte der äussersten Oberfläche liess ihn vermuthen, dass Schmelz vorhanden wäre ; doch konnte er ihn mikroskopisch nicht nachweisen. Beiträge zur Zahnentwicklung der Knochenfische. 549 Die Zähne des Cyprinus Iclus besitzen nach seiner Beschreibung eine grosse Cavitas pulpae, welche sich zum Theil auch noch in den unterliegenden Knochen weiter fortsetzt. Schmelz konnte er hier eben- falls nicht nachweisen. Fr. Leydig (1867) vermisste bei den Zähnen der Fische und Am- phibien das Schmelzorgan und den daraus sich entwickelnden Schmelz. Er kommt zu dem Schlüsse, dass die Zähne niederer Wirbelthiere nichts anderes wären, als verkalkte freistehende Papillen. In seiner Arbeit: „Ueber die Molche der würtenbergischen Fauna" vertritt er über die Entstehung der Zähne niederer Wirbelthiere die Ansicht: Hier entstünden die Zähne am Grunde des Schleimhautepithels im Innern eines Konglomerates von Epithelzellen. In der Mitte dieses Zellhaufens weichen die Zellen zu einer Spalte auseinander. Die Zellen, welche die Wand dieser Spalte bilden, scheiden eine erhärtende Zahn- masse ab, die den Grund zum späteren Zahne legt. Der Zahn besteht nach seiner Meinung nur aus epithelialen Elementen; er ist also aus- schliesslich ein Produkt des Epithels. Eine ähnhche Ansicht vertritt viel später auch Klaatsch 1894. KÖLLiKEß (1859) spricht den Pischzähnen ebenfalls den Schmelz ab und deutet die periphere Schicht des Zahnes als verdichtetes Dentin, in welchem die Dentinröhrchen entweder ganz fehlen oder nur rudimentär vorhanden seien. 0. Hertwig (1874) beschreibt bei den Selachierzähnen Schmelz, der von zahlreichen feinen Röhrchen durchzogen wird. Diese sind sowohl an Schliffen als dunkle mit Luft erfüllte Kanälchen, als auch mit gleicher Deutlichkeit an Schnitten durch entkalkte Zähne als feinste Röhrchen mit einer besonderen festeren Wandung wahrzunehmen. Sie sind Fortsetzungen und die feinsten Endästchen der Zahnbeinröhrchen. In entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht wurden folgende Ergebnisse geliefert: Leydig (1857) war der Ansicht, dass die Fischzähne sich nicht in Säckchen entwickeln und sprach ihnen auch, wie schon oben bemerkt, Schmelz und Cement ab. Milne Edwards (1860) beurtheilt die Einsenkung der Zähne in das unterliegende Bindegewebe als sehr wichtig. Diesen Umstand benützt er auch als Eintheilungsprincip und sondert die Zähne in zwei Gruppen : Die eine Gruppe, in welcher die Zähne frei auf der Schleimhaut aus freien Papillen entstehen, nennt er dents phanerogenetes. Dieselben Zähnchen nennt er auch dents gymnosomes, weil hier das Zahnbein entblösst sein soll Er bemerkt an diesen Zähnen eine Art Glasur, erklärt aber ausdrücklich, dass dies kein Schmelz sei, sondern nur eine festere Rindenschicht des Dentins, nämlich Vitrodentin. Die II. Abtheilung nennt er dents cystigenetes. Die Zähne ent- 36* 550 Emil Friedmann. wickeln sich hier im unterliegenden Bindegewebe und zwar in Säckchen ; sie besitzen Schmelz, Dentin und Cement. Bevor ich nun auf die epochemachende Arbeit O. Hertwig's näher eingehe, möchte ich bemerken, dass schon von früheren Forschern die Verrauthung ausgesprochen wurde, dass die Schuppen der Haie den Zähnen homologe Gebilde wären. So stellten diese Hypothese WiLLiAMSON, HuxLET, Leydig , Gegenbaur auf, doch keiner hat den wirklichen Nachweis dafür geliefert. Diese Hypothese nun zur unum- stösslichen AVahrheit gestempelt zu haben, ist das grosse Verdienst 0. Hertwig's. Die Ergebnisse, die Hertwig in seiner Arbeit: „lieber Bau und Entwicklung der Placoidschuppen und der Zähne der Selachier" niedergelegt hatte, sind hurz gefasst folgende: Die Entwicklung der Haifischzähne beginnt mit der Bildung einer Zahnleiste am Innenrand der Kiefer. Diese ist der als Schmelzkeim bezeichneten Epithelleiste der Säugethiere homolog und durch An- jjassung an den Zahnwechsel entstanden. An der Aussenseite der Leiste entstehen die Zahnanlagen in gleicher Weise, wie die Placoid- schuppen auf der freien Hautoberfläche. Die Entwicklung der Säuge- thierzähne von den Schmelzkeimen ist im ganzen dieselbe und weicht nur in untergeordneten Umständen ab. Die Entwicklung der Zahn- gewebe ist bei den Selachiern dieselbe, wie bei den Säugethierzähnen und stimmt vollkommen mit der Entwicklung, welche Hertwig für die gleichen Gewebe der Placoidschuppen aufgestellt hat, überein. Die Placoidschuppen und Zähne der Selachier sind homologe Bildungen d. h. sie sind aus einer ursprünglich vollkommen gleichen Uranlage durch Differenzirung entstanden. Heincke (1873) hatte eine grosse Anzahl von Fischen histologisch und embryologisch untersucht und viele Thatsachen festgestellt, die auch heute noch unumstösslich sind. Uns interessiren hier am meisten seine Resultate über Esox und Cyprinus. Da er aber keine Embry- onen zur Verfügung hatte, so beschränkte er sich meist auf histologische Untersuchungen, die ich hier in Kürze wiedergeben werde : Zunächst beschreibt Heincke bei den Cyprinoiden, dass die Er- satzzähne durch Einwucherung eines Epithelzapfens in das Bindegewebe entstehen. Das Ende des Zapfens ist kolbig verdickt, ihm entgegen wächst das Bindegewebe; dasselbe stülpt den Epithelkolben ein, und es bildet sich dasEpithelorgan. Er beschreibt beim Epithelorgan 2 Schichten, eine innere mit hohen cylindrischen Zellen, welche er Schmelzmembran benennt; eine äussere, die an das umliegende Bindegewebe angrenzt und aus mehreren rundlichen Zelllageu besteht. Die letztere Schicht nennt er äusseres Epithel. — Eine Schmelzpulpa konnte er nicht finden. Heincke glaubt, dass der Schmelz am ausgewachsenen Thiere nicht mehr vorhanden ist; dagegen ist er bei dem noch nicht durch- gebrochenen Zahne zu finden. Ueber die Schmelzbildung selbst kam er Beiträge zur Zahnentwicklung der Knochenfische. 551 ZU keinem bestimmten Resultate; doch neigte er sich zur Ansicht Kollmann's hin, dass der Schmelz ein Abscheidungsprodukt der Schmelzzellen sei. Ueber die Verkalkung der Papille schreibt er, dass die Struktur des Dentins längst fertig gebildet sei, ehe es auch nur eine Spur von Kalk- salzen aufzuweisen vermöge. Die Ablagerung der Kalksalze beginnt immer an irgend einem Punkte, wahrscheinlich gleichzeitig auf einer grösseren Strecke in der Mitte des Dentins und schreitet von da nach aussen und innen fort. Zuerst wird von der fortschreitenden Ver- kalkung die äussere Grenze des Dentins erreicht. Ueber die Zähne des Esox lucius bemerkt er: „Alle Zähne des Hechtes haben wirklichen Schmelz ; er bekleidet nur in sehr geringer Masse die äusserste Spitze des Zahnes. Seine äusserste Schicht setzt sich als feines strukturloses Häutchen noch eine Strecke von der Spitze aus auf den Zahn fort, und so kommt es, dass die obersten Partien des Zahnes wegen dieser harten Schmelzbekleidung eine bedeutende Resistenzkraft erlangen. Die Ersatzzähne des Hechtes entwickeln sich in der Weise, dass ein schräg nach unten gerichteter Epithelzapfen in das unterliegende Bindegewebe einwuchert. Eine ßindegewebsparthie wächst dem Epithel- zapfen entgegen und stülpt ihn von unten her ein. Wie bei den Cypri- noiden besteht das Schmelzorgan aus 2 Schichten. Die innerste Schicht besteht aus cylindrischen Zellen, die äussere Schicht aus gewöhnlichen Epithelzellen." Heincke lässt sich noch in verschiedene histologische Details ein, die ich, da sie zu weit führen würden, hier nicht angeben kann. Ende der 80 er Jahre erschienen nun die ersten Arbeiten C. Röse's. Derselbe hat in einer grossen Reihe von Arbeiten, die bis in die jüngste Zeit herein datiren, eine grosse Anzahl von neuen Thatsachen konstatirt. In äusserster Kürze will ich das wiederbringen, was er über Fischbezahnung publicirt hat. RösE ist der Ansicht, dass das Epithel den ersten Anstoss zur Zahn- und Schuppenbildung abgiebt, ganz ähnlich wie bei der Bildung von Haar und Nägeln. Das unterliegende Bindegewebe antwortet allerdings sofort mit einer entsprechenden Wucherung von Rundzellen. Es findet immer eine gleichzeitige, gegen einander gerichtete Wucherung von Epithel und Bindegewebe statt. Die ersten Zähnchen der Knochenfische, der Ganoiden und eben- so auch der geschwänzten Amphibien bilden sich ganz nach Art der Placoidschuppen als einfache Papillen im Bereiche der Kieferschleim- haut. RösE bezeichnet dieses ursprüngliche Verhalten der Zahnent- wicklung als „placoides Stadium" oder als „Stadium der freien Papillenbildung" und versteht darunter jenen Zustand, in dem die Zahnpapille über die tiefst gelegene Cylinderzellenschicht 552 Emil Friedmann. ins Epithel hinein und manchmal sogar halbkugelig über die Epithel- oberfläche emporragt. Erst der Nachweis dieses placoiden Stadiums der Zahnentwicklung bringt den endgültigen Beweis, dass auch die Zähne der genannten Thiergruppen ursprünglich aus einfachen Haut- schuppen entstanden sein müssen. Die Ersatzzähne der Knochenfische bilden sich in der Tiefe der Schleimhaut, theils an einer zusammen- hängenden Zahnleiste, theils an gesonderten Epithelzapfen. Wenn mehrere solche Zapfen dicht neben einander liegen und an ihrer Basis theilweise in einander laufen, dann entsteht ein Uebergangsstadium zur ausgeprägten Zahnleistenbildung. — Bei mehrreihiger Zahnstellung der Knochenfische werden entweder sämmtliche Zähne von einer gemeinsamen Zahnleiste gebildet, ähnlich wie bei den Haifischen und bei den Parasphenoid-Zahnplatten gewisser Amphibien: oder aber jede einzelne Zahnreihe hat ihre eigene, mehr oder weniger vollständige Zahnleiste. — Die placoiden Schleimhautzähnchen bilden die ursprünglichste Zahnform, aus der alle übrigen sich ent- wickelt haben müssen. Die einfachsten Zähne sind die Kegelzähne der Fische und kiemenathmenden Amphibien. Der Kegelzahn dient lediglich dem Er- fassen und Festhalten der Nahrung. Jede Aenderung der Nahrung be- dingt gleichzeitig eine Aenderung der Zahnform. Schon bei den Fischen finden sich vielfach grössere und zusammengesetzte Zahnformen, die von der ursprünglichen Kegelgestalt sehr abweichen. Diese grösseren Zahngebilde dienen dazu, die aufgenommene thierische oder pflanzliche Nahrung bereits im Munde zu zerkleinern und damit den Magen zu entlasten. Pflanzen fressende Thiere haben im Allgemeinen die höchst entwickelten Zähne. Bei den Fischen, Amphibien, und selbst noch bei den Reptilien hie und da, ist die ganze Mundschleimhaut imstande, Zähne zu bilden. Demnach finden sich bei diesen Thieren gelegentlich Zähne auf allen Belegknochen der Mundhöhle. Bei manchen Knochen- fischen stehen die Zähne hechel- oder bürstenförmig dicht neben ein- ander, und zwar entweder ganz unregelmässig durcheinander, meistens jedoch in mehr oder minder deutlichen Parallelreihen. Bei den viel- zahnigen Haifischen sind diese sehr deutlich erkennbar. Die Zähne einer solchen Reihe bilden sich ungefähr gleichzeitig an der Zahu- leiste. Jede derartige Querreihe von neben einander stehenden Zähnen bildet eine Zahnreihe oder Dentition. Bei den älteren Haifisch- formen stehen die Zähne in gerader Reihe hinter einander, bei den jüngeren Formen dagegen in schrägen Reihen. Letztere Zahiistellung, die sogenannte Quincunxstellung, herrscht wie Rose in Ueberein- stimmung mit Schwalbe hervorheben will, bei allen höheren Wirbel- thieren bis herauf zum Menschen vor. Rose stellt den Satz auf, dass die Anwesenheit einer wohl ausgeprägten Zahnleiste an und für sich beweist, dass das betreffende Thier entweder selbst mehrere Zahnreihen Beiträge zur Zahnentwicklung der Knochenfische. 553 besitzt, oder dass es doch von Vorfahren abstammt, die mehrere regel- mässige Zahnreihen (Dentitionen) besessen haben. Bei denjenigen Wirbelthieren, welche ausser den Kieferzähnen auch noch Gaumen- zähne besitzen, die in Reihen angeordnet sind, entwickelt sich die Gaumenzahnleiste völlig unabhängig von der Kieferzahnleiste. Diejenigen Fische und Amphibien, welche zahlreiche, kleine Kegel- zähne besitzen, haben einen sehr lebhaften Zahnwechsel. Die kleinen Zähnchen werden rasch abgenützt und müssen durch neue ersetzt werden. Es liegen bisher keine genauen Beobachtungen darüber vor, wie viele Zahnreihen oder Dentitionen bei den tiefer stehenden Wirbelthieren überhaupt vorkommen können ; doch beläuft sich ihre Zahl bei manchen Thieren sicherlich auf 100 und noch mehr. Je grösser, und vor allem je sorgfältiger ausgebildet die einzelnen Zähne sind, um so länger bleiben sie in Thätigkeit und um so mehr beschränkt sich die Häufig- keit des Zahnwechsels. Fast gleichzeitig mit Röse's eben citirter Arbeit gab Albertina Carlsson 1894 eine ziemlich umfangreiche Abhandlung „über die Zahnentwicklung bei einigen Knochenfischen" heraus. Dieselbe unter- suchte 11 Embryonen verschiedener Teleostier und kam zu Resultaten, die ich weiter unten anführen werde. Gleich hier möchte ich bemerken, dass manche der von Carlsson beschriebenen Thatsachen mit meinen Resultaten nicht übereinstimmen; die diesbezüglichen Punkte werde ich jedoch erst im Laufe der Aus- führung auseinandersetzen. In der Nachschrift ihrer Arbeit kommt Carlsson in eine Kontroverse mit Rose bezüglich der ersten Anlage der Zähne bei den Teleostiern ; sie bestreitet nämlich ein freies Papillen- stadium, stellt aber auf ihren Zeichnungen zweifelsohne freie Papillen dar. Nach meiner Ansicht stimmen die Untersuchungen von Rose und Carlsson in den wirklichen Thatsachen völlig überein. Es handelt sich lediglich um einen Wortstreit darüber, was unter dem „placoiden Stadium" Röse's zu verstehen ist. Die Ergebnisse von Carlsson sind folgende : I. Eine Schmelzleiste zieht sich ununterbrochen über die ganze Länge der zahntragenden Knochen. IL Die Schmelzleiste ist durch eine ansehnliche Breite gekenn- zeichnet. III. Der erste Anstoss der Zahnbildung geht vom Boden der Schmelzleiste und zwar durch Verlängerung der Zellen derselben aus. IV. Die Zähne legen sich im Embryonalstadium nicht in einer ununterbrochenen Reihe an, sondern aus der unverbrauchten Schmelz- leiste entwickeln sich später zwischen den zuerst entstandenen Zähnen neue. V. Die Schmelzleiste bleibt das ganze Leben hindurch bestehen, 554 Emil Friedmann. kann aber bisweilen im mittleren Theile des Kiefers zwischen den Zähnen resorbirt werden. (Esox.) VI. Die Schmelzkeime der Ersatzzähne gehen entweder vom Boden oder von der lingualen Seite der Schmelzleiste aus. VII. Eine Schmelzpulpa fehlt. VIII. Bisweilen finden sich in jüngeren Stadien mehr Zahnanlagen resp. Zähne als beim erwachsenen Thiere. IX. Die Abschnürung der Zahnanlagen von der Schmelzleiste findet sehr spät statt. X. Die Zahnbildung steht, im Gegensatz zu dem Verhalten bei den Amphibien, in keinem Zusammenhang mit dem Auftreten der zahntragenden Knochen, sondern Dentin und Knochen bilden sich un- abhängig von einander. Eigene Untersuchungen. Esox lucius L. Die Hechtembryonen, die in einer vollständigen Entwicklungsreihe vorhanden waren, wurden in lückenlose Serienschnitte zerlegt, und zwar betrug die Dicke des Schnittes 5 f^i. Die Serien der älteren Thiere, an welchen die Ersatzzähne studirt werden sollten, wurden 15 — 20 (.i dick geschnitten. Die älteren Thiere entkalkte ich mit 3 — 4 % Trichlor- essigsäure ; die Entkalkung war gewöhnlich nach 24 — 36 Stunden ein- getreten. Als Färbungsmittel wurde Alauncochenille benützt; nach- gefärbt wurden nur die Embryonen und zwar mit Bleu de Lyon. Der embryonale Knorpel und die ersten Anlagen des Dentins färben sich bei dieser Methode sehr schön hellblau. Die Hechteier erhielt ich aus der Fischzuchtanstalt Starnberg; sie wurden dort künstlich befruchtet und im anatomischen Institute zu München in einem Brutapparat weitergezüchtet, sodass stündlich die fortschreitende Entwicklung beobachtet werden konnte. Bevor ich jedoch auf die mikroskopischen Verhältnisse näher ein- gehe, möchte ich hier zum besseren Verständnisse die makroskopischen Verhältnisse beim erwachsenen Thiere ganz kurz angeben. Nach Siebold verhalten sich die Zähne des Esox folgendermaassen : Das Maul ist weit gespalten, oben am Gaumen mit vielen Hechelzähnen, unten auf dem Unterkiefer mit einzelnen grossen Zähnen. Die zahl- reichen Zähne seines weiten Maules sind sehr verschieden gebildet. Am oberen Theile des Maules tragen die beiden Zwischenkiefer und Gaumenbeine viele hinter einander stehende grössere Hechelzähne, während der Vomerknochen und das Zungenbein mit feinen Bürsten- zähnen ausgestattet sind und der Unterkiefer derbe konische, nach rück- wärts gebogene Zähne von ungleicher Grösse enthält. Beiträge zur Zahnentwicklung der Knochenfische. 555 Am 16. Tage nach der Befruchtung waren die meisten Eier ge- platzt und die Embryonen ausgeschlüpft. Die Stadien vor dem Austreten wurden, nachdem sie aus den Eiern geschält waren, in Pikrinsublimat fixirt. Pikrinsäure 1 Vol. Sublimat 1 Vol. Aqua dest. 2 Vol. Erst am 23. Tage nach der Befruchtung zeigten sich die ersten Spuren einer beginnenden Zahneutwicklung und zwar im Oberkiefer sowohl als im Unterkiefer. ^) Stadium A: Esox lucius L. 23 Tage alt, 9,5 mm lang. Knorpel ist bereits entwickelt und hat annähernd die Gestalt einer Bohne. Die Epithelzellen des rete Malpighii im Bereiche des vorderen Abbildung 1. Esox lucius L. 9,5 mm lang. 23 Tage nach der Befruchtung. Grössere der beiden vorderen ersten Zahnanlagen im Oberkiefer Z^, links genau durch die Mitte der Papille, rechts in schiefer Richtung getroffen. Ep = Kieferepithel. Epi = Epithelfalte des Oberkiefers. Ca = Knorpel. Vergrösserung = 375. Theiles des Os maxillare verlängern sich um das Doppelte ihrer ge- wöhnlichen Länge und wölben gleichzeitig die über ihnen gelegenen unveränderten, jedoch etwas vermehrten Epithelzellen über das Niveau der übrigen Epithelpartie hervor. Gleichzeitig merkt man im Binde- ^) Das späte Auftreten der ersten placoiden Zahnanlagen erklärt sich durch den langen Verbleib des Dottersackes; der 2 Monate alte Embryo ist immer noch im Besitze eines ansehnlichen Dottersackes. 556 Emil Friedmann. gewebe eine Zellvermehrung, welche Avohl darauf zurückzuführen ist, dass durch den Reiz der Epithelverdickung auch das Bindegewebe an- geregt wurde, neue Zellen zu bilden. Der dem Mesoderm angrenzende Theil des Epithels der ersten Zahnanlage hat vier Mesodermzellen um- wachsen und damit die erste Andeutung zur späteren Zahnpapille ge- geben. Diese erste Zahnanlage ist noch sehr winzig und nur auf fünf Schnitten sichtbar. Die untersten Zellen, welche an diese erste Zahn- anlage angrenzen, behalten noch eine ganz kurze Strecke ihre cylinde- rische Form bei, um allmälig, immer kürzer werdend, die gewöhnliche Form wieder anzunehmen. Dicht neben und hinter der ersten Zahn- anlage folgt eine zweite noch kleinere, auf drei Schnitten sichtbar. Zwei Schnitte rückwärts beginnt dann die dritte grösste Zahnanlage, Abbildung 2. Esox lucius L. Embryo 9,5 mm lang. 23 Tage nach dei" Befruchtung. Z = hinterste, grösste der drei ersten Zahn- anlagen im Oberkiefer. Ej) = Kieferepithel. Ef^ = Epithel- falte des Oberkiefers. Vergrösserung = 376. welche auf zwölf Schnitten bemerkbar ist. Sehr deutlich ist hier die Aktivität des Epithels und das mehr passive Verhalten des Mesoderms zu erkennen. Die Hechtzähne entwickeln sich nun nach diesen Thatsachen nach placoidem Typus und zeigen also die ursprünglichsten Verhältnisse, ganz homolog der Bildung der Haifischschuppen. Um die Verhältnisse klarer zur Anschauung zu bringen, habe ich ein Modell vom Ober- kiefer des vorliegenden Stadiums bei 500 maliger Vergrösserung ange- fertigt. Abbildung 3 zeigt dieses Modell in verkleinertem Maassstabe. Man sieht deutlich die drei vorhandenen Zahnanlagen als runde Hügel über die Oberfläche des Epithels sich vorwölben, genau ebenso, wie RösE es an seinem ersten Modelle von der Entwicklung der Krokodil- zähne dargestellt hat. AVir bemerken zwei grössere Anlagen und eine kleinere, alle mit ansehnlicher Mesodermpapille bereits versehen ; auf- fälligerweise jedoch besitzt die grösste hinterste placoide Zahnanlage die flachste Mesodermpapille. Die Papillen stehen alle in schiefer Richtung im Epithel. Beiträge zur Zahnentwicklung der Knochenfische. 557 Im Unterkiefer ist in diesem Stadium von 9,5 mm Länge der MECKEL'sche Knorpel ebenfalls schon entwickelt. Es sind zwei winzige Zahnanlagen vorhanden, die nur auf wenigen Schnitten sichtbar sind. Die erste ist nur auf zwei Schnitten zu bemerken. Das Epithel wird hiebei weniger vorgewölbt als im Oberkiefer; denn je kleiner die Zahn- anlage, desto weniger werden die obersten Schichten des Epithels nach aussen vorgedrängt. Vier Schnitte rückwärts findet sich zu derselben Zeit die zweite Zahnanlage, die ebenfalls sehr klein und auch nur auf drei Schnitten zu verfolgen ist. Die untersten Zellen des Epithels behalten nach jeder Zahnanlage noch einige Schnitte weiter rückwärts ihre hohe cylindrische Form bei; eine unregelmässige Anhäufung von cylindrischen Zellen hinter dem letzten Zahnkeim, die eine deutliche mit der Konvexität Abbildung 3. Esox lucius L. Embryo 9,5 mm lang. 23 Tage nach der Befruchtung. 3 Zahnanlagen Z^, Zr*-v> CaC. Abbildung 14. Cyprinus Carpio L. Embryo 137 Stunden nach der Befruchtung. 0,8 cm lang. Zi = vorderste Zahnanlage, links in Gestalt eines Epithelzapfens; rechts ist bereits eine Papille umwachsen. Ph = Pharynx. Ep = Schlundepithel. Ca = Knorpel. Vergrösserung = 375. Papille. Die Zahnanlage der linken Seite ist peripher getroffen und erscheint deshalb als einfacher Zapfen ohne Papille. Am 8. Tage nach der Befruchtung sehen wir beim Karpfen die Zähne schon vollständig verkalkt; zum Theil haben sie bereits das Schlundepithel durchbrochen. Auf der Abbildung 15 bemerken wir Zahn 2 und 3 rechts mit einem knöchernen Sockel. Da die beiden Sockel zusammenstossen, scheint es, als ob die Zähnchen selbst ver- schmolzen wären, was natürlich nicht der Fall ist. Auch kann man, wie schon früher beim Hecht beschrieben, sehen, wie die Verknöcherung vom Zahnsockel successive weiter geht, Zelle um Zelle umschliessend, zum Knorpel zieht und diesen allmälig durch Knochenbildung ver- drängt. Auch auf der linken Seite finden wir die gleichen Verhältnisse, 572 Emil Friedmann. wie sie eben beschrieben wurden; nur ist auf dem Schnitte Zahn 2 mehr peripher getrofien und ebenso in der Abbildung wiedergegeben. Die Odontoblasten , welche der Pulpa anliegen, sind grosse ovoide Zellen mit grossem Kern, deren Zellleib zu Fortsätzen ausgezogen ist. Es dürfte von Interesse sein, hier einiges über die Verknöcherung des Schlundbogens beizufügen. Heincke schreibt, es habe ihn sehr überrascht, dass er nirgends eine Spur des jeden Visceralbogen zugrunde liegenden Knorpels im Schlundknoclien entdecken konnte, selbst nicht bei 2 — 3 cm langen Thieren. Der Primordialknorpel muss nach seiner Ansicht schon sehr frühzeitig Abbildung 15. Cyprinus Carpio L. Embryo 8 Tage nach der Befruchtung. Z, u. Z^ rechts bereits mit ihren knöchernen Basalsocken K verwachsen. Ca — Knorpel. M = Muskelfasern. PA = Pharynx. £2^ = Schlundepithel. Vergrösserung = 375. verschwinden, oder hier Knochenbildung ohne präformirten Knorpel stattfinden. Hoppe bemerkt hiezu folgendes: „Da es mir trotz vielfacher Be- mühung nicht gelang, ganz junge Exemplare des Fisches zu erhalten, konnte ich nicht nachweisen, inwieweit der Knorpel an der Bildung des Schlundknochens betheiligt ist." Ich bin nun in der Lage, an der Hand meiner Präparate eine be- stimmte Entscheidung dahin zu treffen, dass bei Cyprinus an Stelle des späteren Schlundknochens ursprünglich eine Knorpelspange vor- handen war. Der Knorpel wird vom ßindegewebsknochen allmälig umwachsen und soweit resorbirt, dass beim erwachsenen Thiere keine Spur des Knorpels mehr vorhanden ist. Was die Odontoblastcn be- Beiträge zur Zahnentwicklung der Knochenfische. 573 trifft, so wendet sich Hoppe gegen Beincke, der über diese Zellen folgendes schreibt : „Bevor ich einige Stadien der Dentinentwicklung näher beschreibe, will ich gleich zu Anfang Leydig gegenüber eine Thatsache betonen. Niemals habe ich bei den Cyprinoiden ein Stadium der Papille angetroffen, wo vor Bildung des ersten Dentinscherbchens unterhalb der Schmelzmembran, und von dieser durch eine Spalte ge- trennt, ein Epithel die Oberfläche bedeckte, das irgendwie die Schmelz- membran oder überhaupt Epithelzellen, wie sie in den untersten Schichten der Schleimhaut vorzukommen pflegen, verglichen werden könnte. Ebenso wenig unterscheiden sich die obersten Zellen der Papille iii irgend einem Stadium derselben, welches vor der Bildung des ersten Dentins liegt, von den übrigen Zellen derselben auch nur durch die geringsten Eigenthümlichkeiten. Vielmehr tritt bei der Entwicklung der Cyprinoidenzähne der mit der Ansicht von Leydig über die Zahnent- wicklung durchaus unverträgliche Umstand ein, dass zu einer Zeit, wo die Schmelzzellen schon längst ihre charakteristische Form erlangt haben und schon ein bedeutender Theil von Dentin gebildet ist, die das letztere bildende Zellen weder eine Spur von längerer Form noch regel- mässiger Anordnung erkennen lassen. Beides finden wir bei unseren Fischen erst in einer viel späteren Periode der Zahnentwicklung." Hoppe schreibt dagegen : „Wenn ich auch mit Leydig nicht geradezu von einem Epithel an der Peripherie der Pulpa sprechen will, so haben doch die die Papille begrenzenden Zellen mit ihrer etwas ge- streckten ovalen Form immerhin eine Aehnlichkeit mit Epithelzellen. Jedenfalls gehen die Zellen, welche die Aussenschicht der Papille bilden, schon vor der ersten Dentinbildung gewisse Veränderungen ein." Nach den Befunden meiner Präparate neige ich mich mehr auf Seite Heincke's ; denn die Zellen sowohl vor, als nach der Dentinbildung haben absolut nichts epithelähnliches. Die Pulpazellen sind etwas grösser und ovoider, als die Mesodermzellen zu sein pflegen ; doch sind sie immerhin als solche zu erkennen. Eine regelrechte Anordnung findet man auch höchst selten ; auf keinen Fall ist eine solche Anordnung der Zellen etwas Herkömmliches. Mit einem Worte: Die Odonto- blasten der jungen Zähne von Karpfen und Hechten haben ganz die Gestalt der Osteoblasten. Ersatzzähne von Cyprinus Carpio L. Die Ersatzzähne des Karpfens beginnen sich am 11. Tage nach der Befruchtung anzulegen. Die Ersatzzähne des Karpfens entwickeln sich genau nach dem Typus der Entwicklung der Ersatzzähne beim Hechte. Auch hier ist keine Spur von einer gemeinsamen Schmelzleiste zu bemerken; die 574 Emil Friedmann. Ei'satzzähne entwickeln sieb sammt und sonders an von einander ge- trennten Epithelzapfen. Aus der beigefügten Abbildung können diese Verhältnisse genau ersehen werden. Wir bemerken hier 4 funktionirende Zähne, von denen 3 mit Er- satzzähnen versehen sind. Auf der linken Seite der Abbildung sehen wir eine ganz junge Zahnanlage sich entwickeln; es ist dies der 5. Zahn. Derselbe ist schief getroffen und zeigt bereits eine deutliche Papille, doch noch keine Spur von einem Dentinscherbchen. Es ist diese späte Entwicklung nicht sehr merkwürdig, da bekanntlich bei den Cyprinoiden dieser letzte Zahn nie konstant vorkommt. Abbildung 16. Cyprinus Carpio L. Embryo 12 Tage nach der Befruchtung. Flächenschnitt durch die fünf Schlundzähne: Z^ — Z^ sammt ihren Ersatzzähnen 'EZo '^^ Dicke als Schmelz. Dem gegenüber kann ich wiederum die Richtigkeit der Beobachtung von Heincke be- stätigen. Auf durchgebrochenen funktionirenden Zähnen von Karpfen lässt sich keine Spur von Schmelz nachweisen. Dagegen findet man in vorsichtig entkalkten Zahnkeimen hie und da unmittelbar auf dem Zahnbein eine Schicht körniger Detritusmasse. Sie bildet den letzten Rest des abgeschiedenen, aber noch nicht fertig verkalkten Schmelzes, der noch reich an organischer Masse ist. Aus der Sammlung De. Röse's standen mir zwei Dünnschlifi'e durch einen eben vollendeten, aber noch nicht durchgebrochenen Zahn von Leuciscus Meidingeri zur Verfügung. Aus diesen Schliffen hebt sich eine dünne, doppelbrechende Schmelzschicht, besonders im polarisirten Lichte, scharf von dem da- runter liegenden Zahnbein ab. Die Schicht ist durchschnittlich nur 0,002 mm dick und verdickt sich an einer Stelle an der Seite des Zahnes auf 0,004 mm. Es besitzen also die Zähne der Cyprinoiden, ähnlich wie die Basis der Hechtzähne, einen rudimentären Schmelz- belag. Zahnbein. Das Zahnbein der Cyprinoiden ist ein echtes, einseitig wachsendes Dentin, wie es die Säugethiere und Saurier besitzen. Die Pulpahöhle ist einheitlich. Die letzten Ausläufer der Zahnbeinkanälchen verlaufen ähnlich wie beim Hecht parallel zu einander und sind durch keine Seitenästchen unverkalkter Grundsubstanz verbunden. Der Aufbau des H e c h t z a h n e s ist dagegen viel komplicirter und gleicht vollständig demjenigen vieler Haifische. Durch Entwicklung zahlreicher Hartgewebsbälkchen frei im Innern der Pulpa ist der ein- heitliche Pulparaum in zahlreiche sekundäre Hohlräume gespalten. Owen nannte ein derartiges Zahnbein Vasodentin = Gefässzahnbein. Im Jahre 1878 waes jedoch Tomes darauf hin, dass bei zahlreichen Knochen- fischen, insbesondere aus der Klasse der Gadiden und Pleuronectiden ein Zahngewebe vorkommt, welches allein den Namen Vasodentin verdient. Meine Untersuchungen an Gadus morrhua und Gadus aeglefinus haben die Richtigkeit der ToMEs'schen Ausführungen bestätigt. Es findet sich hier ein einseitig wachsendes Zahnbein mit einheitlicher Pulpahöhle, welches jedoch ein Netz von gleich weiten Kanälen ent- Morpholog. Arbeiten hrsg. t. G. Schwalbe. VII. 38 580 Emil Friedmann. liält, in welchem Blutkai)illaren verlaufen. Für dieses Zahnbein allein möchte ich im Vereine mit Tomes und Rose den Namen Vasodentin gewahrt wissen. Das Zahnbein des Hechtes dagegen besteht zwar ebenfalls aus einer dünnen Rinde von einseitig wachsendem echten Zahnbein, aber schon nach kurzer Zeit hört das Wachsthum dieses Zahnbeines auf. Dann schiessen, wie Tomes sehr richtig angiebt, ver- kalkende Trabekeln rapid vom Innern der primitiven Dentinkappe durch die gesammte Substanz der formativen Pulpa. Das später ent- stehende Kanalsystem aber verdankt sein Zustandekommen der Ver- schmelzung jener Trabekeln mit Zurücklassung von Interstitialräumen. Tomes nennt dieses trabekuläre Hartgewebe, welches unabhängig von der Odontoblastenschicht frei im Innern der Pulpa entsteht, Osteo- dentin. Der Autor hält das Vorhandensein oder Fehlen von ein- geschlossenen Knochenzellen für nebensächlich. Sternfeld beschreibt die Struktur des trabekulären Kernes vom Hechtzahn ganz richtig als ein Gewebe, welches zwischen dem knoclienkörperchenfreien Binde- gewebsknochen des Wurzelstückes und dem wahren Dentin die Mitte hält. Danach konnte man erwarten , dass Steeneeld das Gewebe, welches zwischen wirklichem Knochen-Os und wirklichem Zahnbein- Dentin die Mitte hält, gleich Tomes als Osteodentin bezeichnen würde. Merkwürdiger Weise aber zieht Sternfeld die alte OwEN'sche Be- zeichnung Vasodentin dem Osteodentin vor. Mit diesem Namen hat aber Owen die ganze Zahnbeinmasse des Hechtzahnes einschliesslich der Rindenschicht und der verzweigten Pulpa bezeichnet. Diese Rindenschicht besteht aber aus echtem Zahnbein. Der Name Vasodentin ist, wie oben bereits bemerkt, für das wirkliche Gefässzahnbein der Gadiden etc. in Anspruch zu nehmen. Der Ausdruck Osteodentin ist nach allgemeinem Gebrauche ebenfalls bereits vergeben für ein Übergangsgewebe zwischen echtem Knochen und Zahnbeine. Somit muss für das eigenartige Balkenwerk im Inneren des Hechtzahnes eine neue Bezeichnungsweise geschaffen werden. Rose hat dafür den sehr treffenden Namen „Trabecular d e ntin'^ auf- gestellt. Röse's Untersuchungen werden in Kürze in extenso ver- öffentlicht werden, und kann ich mir darum eine Wiederholung seiner Ergebnisse ersparen. Schliesslich möchte ich noch einen Irrthum aufklären, der MuMMERY bei seinen Untersuchungen über die Struktur der Gadiden- zähne unterlaufen ist. Während Tomes bei Merlucius eine Schicht überaus hoher Odontoblasten abbildet, stellt Mummery an gleicher Stelle eine Schicht büschelförmiger Bindegewebsfasern dar. An gut erhaltenen Präparaten kann man sich nun mit Leichtigkeit davon über- zeugen, dass die fragliche Scliicht zweifellos aus ganz ungewöhnlich langen Odontoblasten besteht. Die Zellen sind so lang und dünn, dass der Irrthum Mummeey's leicht begreiflich ist. Literaturverzeiclmiss. 1. 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Zugleich musste die Stellung, welche dieses Organ in phylogenetischer Beziehung zu be- anspruchen hat, ins Auge gefasst werden. Wenn auch in den letzten Jahren das äussere Ohr ein be- liebtes Untersuchungsobjekt der Embryologen gewesen ist, so ist doch die Entwicklung seines Knorpels nur von wenigen selbstständig bearbeitet worden. Meines Wissens haben nur Schwalbe (1889 a, b, c) und Tatakof (1887) darüber ausführlicher geschrieben. Um einen möglichst genauen Einblick in die Formverhältnisse des Knorpels des äusseren Ohres zu gewinnen, habe ich eine Reihe von Stadien nach der Methode von Born in Wachs modellirt. 50 [.l dicke Schnitte wurden bei 20facher Vergrösserung mittelst eines Abbe- schen Zeichenapparates mit einer Nadel auf 1 mm dicke Wachsplatten aufgezeichnet, dieselben ausgeschnitten und unter Zugrundelegung von Richtungslinien, die durch einen KEiBEL'schen Ritzer angebracht waren, genau aufeinandergepasst und zusammengeklebt. Nach dieser Methode habe ich sechs Modelle angefertigt. Vier davon, die ich mit A, C, E, F bezeichnen werde, waren aus Horizontal schnitten von Ohren hergestellt, die Embryonen von 48, 57, 96, 142 mm Scheitel-Steiss- Länge entnommen waren. Um mich von der Ungenauigkeit, die der 584 Francis E. Münch. Schnittrichtung anhaftet, freizumachen, habe ich die symmetrischen Ohren von A und C in Frontalschnitte zerlegt und nach diesen zwei weitere Modelle hergestellt, ß und D. Letztere Modelle sind nament- lich zur Einsicht in die Formverhältnisse des Gehörgangs werthvoll. Ausserdem habe ich noch zahlreiche andere Schnittserien von Embryonen bis zu 19 mm Scheitel-Steiss-Länge herunter untersucht, um über eine möglichst vollständige Entwicklungsreihe zu verfügen. Welch em- pfindliche Lücken meine Arbeit trotzdem aufweist, weiss ich selbst nur zu wohl. Dass dieselben nicht ausgefüllt wurden, hat seinen Grund darin, dass ich mit Fragen zusammenstiess, über die unsere Kenntnisse noch keineswegs abgeschlossen sind, wie individuelle Variation der Formverhältnisse des Knorpels und Histogenese des Knorpels, anderer- seits auch darin, dass ich durch äussere Verhältnisse mich veranlasst sah, diese Arbeit zum Abschluss zu bringen. Immerhin glaube ich, wird sie einige neue Gesichtspunkte bringen und sie mag insofern der Publikation nicht unwerth erscheinen. Ich werde zunächst eine Beschreibung meiner Modelle geben und zwar wird es zur Uebersicht zweckmässig sein, nicht jedes Modell einzeln zu beschreiben, sondern für jeden Abschnitt des Ohrknorpels, wie ihn die klassische Anatomie schildert, die Entwicklung vergleichend durch die ganze Reihe der Modelle hindurch zu studiren. Nach dieser Special- beschreibung werden in einem zweiten Theil dieses fragmentarische Bild vervollständigt, zugleich weitere Detail- sowie allgemeinere Verhältnisse erörtert werden. Zum Schluss sollen dann noch einige anthropologisch interessante Maasse mitgetheilt werden. §1- Beschreibung. 1. Helix. — Das jüngste Stadium, welches ich untersuchte, gehörte einem Embryo von 20 mm Scheitel-Steiss-Länge an. Bei dem- selben bildete der Knorpel des gesammten äusseren Ohres eine ein- heitliche, zusammenhängende Platte. Dieselbe stellte sich dar als eine dichte Anhäufung von Zellen. An zwei Stellen waren die Zellen dichter gehäuft, weiter gewuchert, älter. Diese beiden Lokalitäten sind durch die Abwesenheit der rothen Farbe in Figur 7 angedeutet. Man er- kennt hier, dass die eine der Region des Tuberculum Darwinii ent- spricht. Die zweite wird durch eine breite Zone dargestellt, welche Ueber die Entwicklung des Knorpels des äusseren Ohres. 585 den ganzen Gehörgangsknorpel umfasst, ferner die vordere Hälfte des Muschelknorpels bis zur Höhe des Crus helicis, soweit sie vor dem Grus inferius helicis liegt, mit Ausnahme des Antitragus, dann das Crus anthelicis superius und die untere Hälfte der Fossa intercruralis. Die allgemeine Gestalt, die Modellirung und die Reliefverhältnisse waren bei den mir zu Verfügung stehenden Embryonen durchaus die- selben, soweit ihre Scheitel-Steiss-Länge zwischen 20 mm und 50 mm sich bewegte. Ich werde der Beschreibung der Formverhältnisse des Ohrknorpels in diesem Stadium einen Embryo von 48 mm Scheitel- Steiss-Länge zu Grunde legen. Die Helix bildet hier einen bogenförmigen Streifen, der im all- gemeinen senkrecht steht auf dem Muschelknorpel, d. h. direkt lateral gerichtet ist. Er beginnt vorne bei T. I. an einem kleinen Höcker, der sich am vorderen Rande des Muschelknorpels da befindet, wo das horizontale Crus helicis sich in die aufsteigende Helix umbiegt Tuberculum innominatum. Nach oben zu verbreitert sich die Helix und erreicht ihre grösste Breite (8 mm) ^) in der Höhe des unteren Randes der Spina helicis. Hier ist der laterale Theil der Helix auch nach hinten etwas abgebogen. Y/eiterhin nimmt die Breite der Helix ascendens wieder ab bis zum Ohrscheitel und zieht dann etwa gleich- massig breit nach abwärts bis in die Gegend des Tuberculum Darwinii, wo sie sich ziemlich plötzlich abermals verbreitert. Die breiteste Stelle (9 mm) befindet sich hier genau am hervorragendsten Punkte der DARWiN'schen Spitze, Dieselbe befindet sich in derselben Höhe wie der untere Rand der Spina helicis, so dass je die breiteste Stelle der Helix ascendens resp. descendens in derselben Horizontale liegt. Unterhalb der DARWiN'schen Spitze wird der umgeschlagene Rand des Helix wieder schmaler und hört auf an einer Kerbe E des hinteren Helixrandes, welche in derselben Horizontalebene liegt wie das beschriebene Tuberculum in- nominatum, 18 mm von demselben nach hinten. Unterhalb dieser Ein- kerbung, die auch bei Affen vorkommt, buchtet sich der hintere Rand des Muschesknorpels nach hinten vor und geht so in den hinteren Rand der Cauda helicis über. Der freie Rand der Helix ist vom Tuber- culum innominatum bis zum Tuberculum Darwinii abgerundet, unter- halb des letzteren zugeschärft, und zwar ist in dieser zweiten Partie der Theil oberhalb der Kerbe, der lateral gerichtet ist, zu unterscheiden von der Portion unterhalb der Kerbe, wo er direkt nach hinten schaut. Die Helix bildet hier einen bogenförmig gewölbten Knorpelstreifen, von dem der eine Rand der Muschelplatte aufsitzt, der andere frei ist und lateral blickt. Dieselben Verhältnisse fand ich im Princip bei dem Modell, welches ^) Dieses Maass, sowie die folgenden sind, sofern nicht besonders bemerkt, die auf den bei 20facher Vergrösserung ausgeführten Modellen gefundenen. 586 Francis E. Münch. das symmetrische linke Ohr desselben Embryo darstellte (Modell ß). Die unterschiede, welche zwischen diesem Modell und dem vorhin be- schriebenen bestehen, sind wohl auf die verschiedene Schnittrichtung zurückzuführen, welche ich freilich in diesem Modell zur Beurtheilung der Verhältnisse des Muschelknorpels für ungünstiger erachte. Aber was das Charakteristische war an dem rechten Ohr, findet sich auch hier vollständig deutlich ausgeprägt wieder. (In der Figur, welche das Modell des linken Ohres wiedergiebt, ist dasselbe mehr von vorne ge- sehen als das rechte in Figur 1.) Auch hier steht die Helix senkrecht auf der Muschelplatte, ist lateral gerichtet. Die Verbreiterung der- selben findet sich an denselben Stellen wie oben für das rechte Ohr beschrieben wurde : in der Höhe des unteren Randes der Spina helicis und am Tuberculum Darwinii. Der umgeklappte Theil der Helix hat Anfang und Ende in derselben Horizontalebene (der betreffende Ab- stand wird hier mit 16 mm gemessen). Am Anfang der Helix ascendens ist ein Tuberculum iunominatum deutlicher erkennbar als in Modell A, eine Kerbe am hinteren Rande des Muschelknorpels weniger deutlich. Während in Modell A der Ohrscheitel einen sanft gekrümmten Bogen darstellt, ist in dem linken Ohr eine Andeutung von Satyrspitze, wie sie Schwalbe (1889 a) definirt, vorhanden, indem hier der Muschelrand spitzwinklig abgeknickt ist. An dieser Stelle ist die Helix am wenigsten eingerollt, auch am schmälsten: 2 mm. War die Helix in den beiden beschriebenen Modellen fast in ihrer ganzen Ausdehnung dargestellt durch eine Knorpelplatte, nicht bloss durch einen Rand, so ist an den älteren Embryonen eine Umkrempung des Randes nur bis zur höchsten Stelle der Ohrmuschel zu erkennen, also in der Helix ascendens. Die DAßwiN'sche Spitze ist an den von mir untersuchten Objekten immer vorhanden und theilt den Theil der Helix, der zwischen Ohrscheitel und Cauda helicis liegt, in zwei Ab- schnitte ein ; einen oberhalb dieser Spitze, obere Helix ; einen unter- halb derselben, absteigende Helix. Bei dem Modell ü (Fig. 3), dem das rechte Ohr eines Embryo von 57 mm Scheitel-Steiss-Länge zu Grunde liegt, ist das Tuberculum innominatum T. I. gut ausgeprägt und springt lateral vor. Von ihm nach oben erstreckt sich, etwas nach hinten geneigt, die Helix ascendens. Dieselbe ist im ganzen flach, eben, in der Mitte ihrer Höhe etwas cylindrisch und hier mit dem abgerundeten freien Rand nach hinten schauend. Dieser letztere ist mit zwei seiciiten Ausbuchtungen (Fig. 3) versehen. Die umgeklappte Helix ascendens erreicht die höchste Stelle der Ohrmuschel und setzt sich hier unter stumpfem Winkel in die obere Helix fort. Der Scheitel dieses Winkels entspricht dem Ohr- scheitel und ist, wenn auch gut ausgeprägt, doch deutlich abgestumpft. Sein Abstand vom Tuberculum innominatum beträgt 29 mm. Die obere Helix bildet eine S förmige Figur, die kurz oberhalb des Tuberculum Ueber die Entwicklung des Knoi'pels des äusseren Ohres. 587 Darwinii durch einen kleinen spitz-zackigen nach hinten gerichteten Vorsprung unterbrochen ist. Der untere Theil der Helix descendens ist durch eine Kerbe unterbrochen, welche in den Knorpel scharf ein- schneidet, in derselben Horizontalen liegt wie das Tuberculum in- nominatum und offenbar der an Modell A geschilderten Kerbe E ent- spricht. Die Helix descendens stellt, im ganzen genommen einen winkligen, scharfkantigen, etwas ausgezackten Rand dar, in dessen Umbiegungsstelle das spitze Tuberculum Darwinii nach hinten vorspringt. An dem Modell, welches mittelst einer frontalen Schnittserie des linken Ohres desselben Embryo hergestellt wurde (Modell D, Fig. 4), ist nur die untere Hälfte der Helix ascendens umgeklappt, etwa bis zum oberen Rande der Spina helicis. Auf diese untere, umgekrempte Hälfte steht senkrecht die obere, nicht umgeklappte. Am obersten Ende dieser letzteren Hälfte setzt sich an dieselbe unter ziemlich genau rechtem Winkel die obere Helix an, welche ziemlich geradlinig bis zur DARWiN'schen Spitze verläuft. Die Helix stellt einen unbedeutend aus- gezackten Bogen dar, der nach hinten konvex ist. Die DARWiN'sche Spitze ist an diesem Präparat durch eine stumpfwinklige, abgestutzte Ecke angedeutet. Auch dieses Modell illustrirt die Ungenauigkeit, welche eine Frontalserie zur Veranschaulichung der Helixverhältnisse mit sich bringt. Bei einem Embryo von 96 mm Scheitel-Steiss-Länge bildet der Helix ascendens (Fig. 5) eine sagittale Platte von der Gestalt eines stumpf winkligen Dreiecks , dessen Basis nach hinten liegt und dessen Spitze an der Wurzel der Spina helicis liegt. An der unteren Ecke dieses Dreiecks befindet sich ein wohl ausgeprägtes Tuberculum innominatum. An dieser Stelle nimmt die Helix ascendens ihren Anfang mit einem 12 mm breiten Streifen, der sich nach oben verbreitert. Der hintere Rand der Helix ascendens ist glatt, abgerundet und fliesst 27 mm unterhalb des Ohrscheitels mit dem vorderen Rande des Muskelknorpels zusammen, so dass hier nur ein verhältnissmässig geringer Theil der Helix um- gekrempt ist. Diese umgeklappte Partie erreicht in der Höhe der Spina helicis auch ihre grösste Breite mit 25 mm. Gleich oberhalb dieser Partie ist die Helix ascendens lateral vorgebuchtet, entsprechend dem Grus inferius anthelicis. Unterhalb dieser Vorwölbung der Helix ascendens trifft man auf eine dreieckige Perforation des Knorpels. Diese Rima helicis, wie sie Albinus nennt, hat einen 5 mm langen, sagittal- horizontalen oberen Rand, einen vorderen und einen hinteren, 10 mm langen Rand, welche sich unten sehr spitzwinklig mit einander vereinigen. An die hintere Seite der Umrandung dieses Loches setzt sich ein bindegewebiges, dasselbe verschliessendes Diaphragma an, über welches der Musculus helicis minor lagert. An dem abgerundeten Ohrscheitel geht die Helix ascendens unter stumpfem Winkel in die obere Helix über. Letztere stellt einen ziemlich geradlinigen Rand dar, der vorne 588 Francis E. Münch. abgerundet, nach hinten zu sich zuschärft. Die ÜAEWiN'sche Spitze wird durch zwei Zacken dargestellt, welche den Uebergang der oberen Helix in die absteigende deutlich markiren , wenn auch die Spitze nicht so stark nach hinten vorspringt wie bei dem vorhin beschriebenen Modell C. Die Helix descendens stellt einen nach hinten im Ganzen schwach konvexen, zugeschärften und vielfach ausgezackten Rand dar. Sie verläuft nach unten und etwas nach vorn und hat etwa dieselbe Länge als die obere Helix. Auch hier findet sich eine tiefe Kerbe am hinteren Rande in der Höhe des Tuberculum innominatum. Bei einem Embryo von 142 mm Scheitel-Steiss-Länge (Fig. 6) ist die ganze aufsteigende Helix bis zum Oberscheitel hin nach hinten umgelegt und erscheint als eine im Ganzen sichelförmige Knorpelplatte, Auch hier ist das Tuberculum innominatum sehr stark ausgeprägt. Die Helix ascendens nimmt hier mit einem ganz schmalen Streifen ihren An- fang, der nach oben regelmässig an Breite zunimmt bis zur Höhe der Spina helicis, hier 25 mm erreicht und dann allmählich regelmässig wieder an Breite abnimmt bis zur Satyrspitze. Dieses Modell hat mit dem vorigen an der Helix ascendens zwei Eigenthümlichkeiten gemein- sam : die laterale Vorwölbung entsprechend dem Grus authelicis inferius, und die Anwesenheit der Rima helicis. Letztere erscheint hier als ein unregelmässiges Oval, dessen verticale, etwa um 45 " gegen die Verti- cale geneigter Längsdurchmesser 11 mm und dessen horizontaler Quer- durchmesser 9 mm beträgt. Im Uebrigen bietet er hier dieselben Be- sonderheiten wie sie das Modell E erkennen lässt. Die obere Helix stellt einen scharfen, etwas angezackten Rand dar. Sie misst nur etwa ^3 der Länge der vertikalen Helix descendens. Die DARWiN'sche Spitze ist gekennzeichnet durch den Uebergang dieser beiden Abschnitte in ein- ander, springt aber keineswegs besonders nach hinten vor. Die Helix descendens ist zugeschärft, leicht ausgezackt, zeigt aber nicht die an den früher beschriebenen Modellen so gut charakterisirte Kerbe. 2. Spina helicis. — Die Modelle A und B (Fig. 1 u. 2) zeigen in der Gestalt der Spina so übereinstimmende Formverhältnisse, dass wir sie bei der Beschreibung zusammenfassen können. Die Spina helicis stellt einen abgestutzten Kegel dar, welcher von innen nach aussen ab- geplattet und mit einer breiten Basis der Mitte des vorderen, ange- wachsenen Theiles des Helixrandes aufsitzt. Diese Basis hat die Gestalt einer Ellijjse, deren vertikale lange Axe 8 mm, deren frontale kleine Achse 5 mm misst. Die laterale Fläche ist vertico-cylindrisch und setzt sich von der Helix durch eine deutliche vertikale Rinne ab. Die mediale dagegen setzt sich unmerklich in die innere Fläche des Muskel- knorpels fort und hat auch dieselbe Krümmung. Die Spina springt 6 mm nach vorn vor. Im Modell C (Fig. 3) ist die Spina sehr wenig ausgebildet. Sie stellt einen kleinen spitzen Kegel dar, welcher 7 mm über dem Tuber- Ueber die Entwicklung des Knorpels des äusseren Ohres. 589 culum innominatum dem vorderen Rande des Olirknorpels mit siner 5 mm im Durchmesser messenden Basis aufsitzt und 3 mm nach vorn gerichtet hervorragt. Im Modell D (Fig. 4) ist die Insertionsbasis (11 mm über Tuber- culum innominatum) etwas breiter als im vorigen Modell: 8 mm im Durchmesser. Doch springt die Spina nicht mehr wesentlich vor, frei- lich mit der Spitze etwas nach vorn und unten gerichtet, als ein kleines, niedriges kegelförmiges Gebilde. Etwas anders liegen die Verhältnisse im Modell E (Fig. 5). Hier sitzt an dem am stärksten prominirenden Theile des vorderen Randes des Ohrknorpels eine hakenförmige Spina mit dünnem Stiele auf. Die 5 mm hohe Implantationsbasis des letzteren verläuft nach unten und hinten. Demnächst ist ein 3 mm breiter Hals zu unterscheiden und hierauf eine verdickte Partie, spornartig, oben rund, unten zugespitzt und 9 mm lang. Auch gegen die mediale Fläche des Ohrknorpels ist der Stiel durch eine Rinne abgegrenzt. Die Spina des Modells F (Fig. 6) hat die Form eines 10 mm langen Stachels, der nach vorn und etwas nach unten gerichtet ist. Sie sitzt mit einem etwas eingeschnürten 5 mm breiten Hals dem vorderen Rande des Ohrknorpels auf, 34 mm oberhalb des Tuberculum innominatum und verbreitert sich bis zu 6 mm. Ihre mediale Fläche ist von derjenigen des Ohrknorpels nicht abgesetzt. 3. Anthelix. Im Modell A (Fig. 1) stellt der Muschelknorpel im Allgemeinen eine einzige, sehr tiefe Grube dar mit hoch erhabenen Rändern, auf deren Grund das Anthelixsystem nur ein unbedeutendes Relief bildet. Zwischen der Tiefe der Ohrmuschel und einer Ebene, welche über dem freien Rande der Helix geführt wird, ist ein Abstand von 8 mm (für eine Ohrhöhe von 44 mm). Das Grus inferius anthelicis beginnt 5 mm hinter dem vorderen Rand des Muschelknorpels sehr schmal, wird dann nach hinten zu viel breiter (4 mm). Es ist vom Reste der Anthelix durch eine flache Rinne getrennt, die jedoch über dem Niveau des Muschelgrundes erhaben ist. Das Grus superius ant- helicis ist am oberen Ende ganz flach und entsteht ganz allmälig, so dass sein Beginn nicht genau festzulegen ist. Dasselbe wird nach unten schmäler und höher, besonders der Stammtheil, in den sich das Grus superius unmittelbar fortsetzt, ohne jedoch das Niveau des freien Randes der Helix descendens zu erreichen, deren Vorsprung wohl dreimal so beträchtlich ist. Der Stammtheil läuft in die Incisura anti- trago-helicina aus. Die ganze Anthelix verläuft wenig gekrümmt und fast vertikal, besonders auffallend am Grus inferius. Der Winkel zwischen der Längsrichtung des Grus superius und derjenigen des Grus inferius beträgt nur 25 ^. Im Modell B (Fig. 2) ist die Anthelix im Grus superius sehr wenig ausgeprägt. Dasselbe beginnt sehr flach unterhalb des Ohrscheitels und 590 Francis E. Münch. etwas vor demselben. Es verläuft dann fast vertikal und verbindet sich mit dem Crus inferius. Dies letztere nimmt seinen Anfang 3 mm hinter dem vorderen Rand des Muschelknorpels, gleich sehr schmal und, im Verhältniss zum Crus superius, sehr stark prominirend. Der Stamm- theil ist etwas breiter und weniger hoch, und endigt an der Incisura antitrago-helicina. Die Fossa intercruralis ist rinnenförmig. Die ganze Anthelix liegt als kaum wellenförmige Erhebung in der Tiefe der 9 mm hohen muldenartigen Muschel. Auch im Modell C (Fig. 3) sind die Reliefverhältnisse schwach entwickelt. Das Crus anthelicis inferius zieht, 3 mm breit, 10 mm lang, nicht bis an den vorderen Eand der Muschel, und ist hinten vom Crus superius bei der Bifurkation durch eine schwache aber deutliche Rinne getrennt. Dasselbe prominirt höchstens um 2 mm über die Fossa intercruralis. Am deutlichsten sind noch das Crus superius und der Stammtheil ausgebildet. Beide stellen nach vorn konkave Bögen dar und stossen unter einem Winkel zusammen, der nach vorn konvex abgerundet ist. Das Crus superius endet oben am Ohrscheitel, der Stammtheil wird unten durch die Incisura antitrago-helicina be- grenzt. Das Crus superius ist am breitesten oberhalb der Bifurkation, hier aber auch am flachsten, der Stammtheil ist stärker gewölbt und schmäler, am meisten unmittelbar über seinem unteren Ende. In seinen 20 untersten Millimetern stösst die Anthelix unmittelbar an den hinteren Rand der Muschel an. Die obere Grenze dieses Abschnittes wird durch die oben beschriebene Kerbe E bezeichnet. Im ModellD (Fig. 4) verläuft das Crus inferius als scharfkantige, kammartige Leiste, 15 mm lang, 4 mm breit, von oben und vorn nach unten und hinten. Sein vorderes Ende liegt 5 mm hinter dem vorderen Rande des Muschelknorpels. Zu dieser Leiste parallel verläuft das flache, 9 mm breite Crus superius, welches gleich am vorderen Rande des Knorpels, aber unterhalb des Oberscheitels beginnt, dann nach hinten zieht unter Verbreiterung. Es verläuft zunächst parallel zum Crus in- ferius, parallel auch zum oberen Theile der Helix descendens. An der Stelle, wo es am breitesten ist (12 mm), biegt es nach unten ab und zieht nun unter allmäliger Verschmälerung weiter parallel zum hinteren Rande des Ohrknopels bis oberhalb vom Antitragus, wo es endet, von demselben durch eine sagittal nach unten verlaufende Furche getrennt bleibend. Die Fossa intercruralis stellt sich als eine Rinne dar, welche eine weitere Rinne nach hinten als Ausläufer aussendet und durch diese mit der Cymba conchae in Kommunikation steht. Diese zweite Rinne trennt so das Crus inferius als Crista anterior anthelicis ab vom Crus superius sammt Stammtheil. Im Modell E (Fig. 5) beginnt das Crus superius am vorderen Knorpelrande unmittelbar unter dem Ohrscheitel, 24 mm breit und ganz flach gewölbt und zieht dann unter einem vorn unten konkaven Bogen Ueber die Bntwieklung des Knorpels des äusseren Ohres. 591 unter Verschmälerung und Zunahme der Krümmung nach hinten und unten, um mit dem hinteren Ende des Crus inferius zusammenzustossen, von demselben durch eine nur ganz schwach angedeutete Rinne getrennt. Hier geht das Crus superius unmittelbar in den vertikalen Stammtheil über, der nach unten schmäler wird, eine stärkere sagittale Krümmung annimmt und über der Incisura antitrago-helicina sein Ende erreicht, nachdem seine Breite auf 16 mm gesunken ist. Das Crus inferius bildet eine hohe Leiste, welche fast horizontal, etwas nach hinten unten verläuft. Es ist auf der Höhe seiner Wölbung breiter als an seiner Basis, so dass es über die Concha überhängt. Diese überragt es um 21mm, die Fossa intercruralis um 14 mm. Die letztere bildet ein sehr spitzwinkliges Dreieck, dessen Spitze hinten flach in die Bifurkation ausläuft. Seine untere Seite wird von der Basis des steil abfallenden Crus inferius gebildet, während in seine obere Seite das Crus superius sich allmälig abflacht. Die Basis dieses Dreiecks liegt am vorderen Knorpelrand. Im Modell F (Fig. 6) springt das Crus inferius sehr stark lateral vor. Es fällt steil in die Concha ab, ebenso schroff in die Fossa inter- cruralis, wenigstens in der hinteren Hälfte. Der obere Abhang ist bis 13 mm, der untere bis 18 mm hoch. In seiner hinteren Hälfte stellt das Crus inferius eine etwa 8 mm breite Leiste dar, welche nach vorn allmälig zur Fossa intercruralis sich abflacht, während in die Concha der Ueber- gang hinten sehr steil, vorn immerhin noch ziemlich jäh zu nennen ist. Das Crus superius beginnt am vorderen Muschelrand, vom Ohrscheitel noch durch eine Rinne getrennt. Es springt kaum erheblich weniger stark lateral vor als das Crus inferius. Es ist sehr breit, gut 3 cm an der Basis, sanft gewölbt. Die Krümmung ist nach hinten zu stärker als vorn, während gleichzeitig die Breite etwas abnimmt. Der Stamm- theil endet unten auf der Incisura antitrago-helicina. Seine Krümmung ist nicht so stark wie am Crus inferius, stärker als am Crus superius. Auch hier wächst nach unten die Krümmung, indess die Breite ab- nimmt. Die Achse des Stammtheils verläuft in den oberen ^j^ ziemlich genau vertikal ; gegen diesen Theil ist das unterste Viertel winklig ab- geknickt und verläuft nach vorn und unten. Durch den Zusammen- fluss der beiden Crura anthelicis und des Stammtheiles entsteht eine erhabene Fläche, von der sich nach unten eine Rinne G abzweigt un- gefähr parallel zum Stammtheil. Diese Rinne verliert sich nach unten allmälig in die Concha und insofern stellt sie über die Bifurkation hinweg eine Kommunikation her zwischen Fossa intercruralis und Concha — ein Rest derjenigen Rinne, welche ursprünglich die Crista anterior vom übrigen Anthelixsystem abtrennt (Modell D Fig. 3). 4. Cauda lielicis. Im Modell A (Fig. 6) bildet die Cauda helicis einen 5 mm langen, gleichmässig nach unten sich verjüngenden abge- stutzten Kegel, dessen vertikale Längsachse etwas lateral koncav gebogen 592 Francis E. Münch. ist. Die laterale Fläche misst an der Basis 4 mm, unten noch 2,5 mm. Der Querschnitt ist nicht deutlich dreieckig. Im Modell B (Fig. 2) ist die Schnittrichtung sehr ungünstig, weil sie mit der Längsache der Cauda helicis zusammenfällt. Dem ent- sprechend ist hier die Cauda nur als ein kleiner stumpfer Höcker zu erkennen, der nach unten vorspringt. Im Modell C (Fig. 3) hingegen stellt die Cauda helicis eine Pyramide mit 3 Flächen dar, deren Längsachse etwas nach vorn konkav ist, so dass von der Seite betrachtet die Cauda helicis die Gestalt eines Komma zeigt. Die Stelle der 8 mm langen Basis A B ist durch einen sagittal verlaufenden Wulst ausgezeichnet, welcher die Cauda helicis von dem übrigen Muschelknopel trennt. Sonst ist die äussere Fläche der Cauda helicis im Allgemeinen lateral konkav, ebenso die mediale Fläche. Anders die dritte Fläche. Dieselbe ist an der Basis genau nach vorn gerichtet, ändert aber ihre Orientirung derart, dass sie, an der Spitze der Cauda angekommen, lateral schaut. Sie bildet also eine Spirale von der Amplitude eines Viertels Schraubengang, Der hintere Rand ist unregelmässig ausgezackt. Vom Modell D (Fig. 4) gilt das oben vom Modell B Gesagte. Hier ist die Cauda helicis sogar nur als eine kleine, kurze Spitze vor- handen, welche durch eine Incisur vom Tragus getrennt ist. Auch im Modell E (Fig. 5) ist die 18mm lange Basis AB durch einen sagittalen Wulst markirt. Die laterale Fläche ist in ihrer oberen Fläche lateral konkav, in ihrer unteren lateral konvex ; nur die Spitze schaut wieder etwas lateral. An der Stelle der grössten lateralen Kon- vexität findet sich auch die grösste sagittale Breite mit 24 mm. Die mediale Fläche der Cauda ist im Ganzen analog gebildet; nur an der Basis ist sie schmäler: 11mm. Die vordere Fläche endet auch hier auf der lateralen Fläche, jedoch bereits auf der Hälfte des vorderen Randes, An der Basis sieht man, wie sie sich aus der hinteren Hälfte des Sulcus anthelicis der medialen Fläche der Ohrmuschel entwickelt. Damit ist ausgesprochen, dass sie an der betreffendenStelle parallel zur Medianebene orientirt ist, so dass sie im Ganzen eine halbe Schrauben- windung beschreibt. Der hintere Rand ist stark ausgezackt, der mediale vordere weniger, der laterale vordere ist glatt und abgerundet, er hört bei C in der halben Höhe der Cauda helicis auf. Der Querschnitt der Cauda ist in der oberen Hälfte dreieckig, in der unteren streifenförmig. Die Entfernung der Spitze derselben von der Basis beträgt 34 mm. Im Modell F (Fig. 6) ist die 22mm breite Basis AB der Cauda helicis noch durch einen schärfer ausgeprägten Wulst ausgezeichnet. Die laterale Fläche ist im Allgemeinen von vorn nach hinten cylindrisch ausgehöhlt. Nur am untersten Pol befindet sich bei D eine bucklige laterale Vorwölbung. Entsprechend der rinnenförmigen Beschaffenheit der lateralen Fläche der Cauda helicis findet sich auch auf der medialen lieber die Entwicklung des ICnorpels des äusseren Ohres. 593 Fläche eine gleichbeschafFene, die sich vertieft entsprechend der cirkum- skripten, lateralen konvexen Stelle. Die vordere Fläche der Cauda bietet hier genau dieselben Verhältnisse wie in dem vorigen Modell Nur tritt an ihrem unteren Ende als Fortsetzung des vorderen lateralen Randes der Cauda eine Leiste auf, welche die vordere Fläche von der lateralen abgrenzt. Dadurch erhält die laterale Fläche eine komma- förmige Gestalt, und die drei Ränder laufen in einer Spitze C aus, welche nicht die tiefste Stelle der Cauda einnimmt. Senkrecht zur Längsache der Cauda gelegte Querschnitte fallen hier in jedem Falle dreieckig aus. Die drei Ränder sind sämmtlich mehr oder minder ausge- zackt, am meisten der hintere, am wenigsten der vordere laterale. Die Entfernung der tiefsten Stelle der Cauda helicis von ihrer Basis be- trägt 35 mm, ihre gekrümmte Längsache dagegen ist länger. 5. Coucha. — Im Modell A ist die Concha eine sehr schmale 11 mm breite), längliche halbmondförmige Figur, welche mit ihrer Längsachse fast vertikal als leichte Rinne verläuft. Die Abgrenzung oben und hinten durch die Anthelix ist entsprechend der mangelhaften Entwicklung der letzteren einigermaassen unbestimmt. Doch ist sie unten, vorne wie hinten, durch den freien Rand des Muschelknorpels leicht bestimmbar. Am Tuberculum innominatum T. I. das etwa in der Mitte der Hohe der Concha liegt, setzt sich die Helix als Crus helicis nach unten fort, eine Strecke weit den Rand verfolgend, dann nach hinten umbiegend, um mit der Anthelix in der Höhe der Basis der Cauda helicis zusammenzulaufen. Der freie Rand der Concha vom Tuberculum innominatum bis zur Incisura terminalis verläuft bogen- förmig, lateral leicht konkav und ist glatt. Im Modell B sind die Verhältnisse auffallend ähnlich. Auch hier tritt das Crus helicis sehr stark, auch sehr breit hervor, indem es nahezu vertikal verläuft. Stellte in den beiden vorhergehenden Fällen die Concha eine kahn- förmige Figur dar, oder, wenn man will, eine vertikale Rinne, deren Ränder oben und unten unter Bildung einer Spitze sich mit einander verbinden, so bietet sie im Modell C eher das Bild einer flachen Knorpelplatte, welche spiralig aufgewunden ist und durch das Crus helicis in zwei Abschnitte getheilt wird. Diese beiden Theile, Cymba conchae und Concha propria, werden durch das Crus helicis nur un- vollständig von einander geschieden, da letzteres die Anthelix nicht erreicht. Dasselbe verläuft ziemlich parallel dem Crus inferius anthelicis, um etwa 35 " gegen den Horizont geneigt. Zwischen Concha und Helix ascendens wird eine sehr tiefe Grube gebildet; der Niveauunterschied beträgt 11 mm. Auch hier ist der freie Rand der Concha unterhalb des Crus helicis lateral konkav, ausserdem auch konkav nach vorne. Das Tuberculum innominatum theilt den vertikalen Durchmesser der Concha in dem Verhältniss von 2 zu 3. 594 Francis E. Münch. Bei dem Modell D des symmetrischen Ohres deckt sich der Befund mit dem soeben erhobenen trotz der differenten Schnittrichtung derart, dass ich, um Wiederholungen zu vermeiden, von einer speciellen Beschreibung absehen kann. Ebenso ist im allgemeinen die Gestaltung der Concha im M o d el 1 E. Sie zeichnet sich hier nur durch eine feinere Modelliruug aus. Zu- nächst findet sich in dem Winkel, in welchem Grus anthelicis inferius und Stammtheil zusammenstossen, eine hügelartige Vorwölbung der Knorpelplatte. Sie entspricht dem vorderen Abhang der Binne, welche, wie beschrieben (p. 591), die Fossa intercruralis mit der Cymba conchse verbindet und bei der Zunahme der Erhebung der Anthelix über das Niveau der Concha mit emporgehoben wurde. — Ueber der Cymba conchae ist die Helix ascendens eingebuchtet, so dass die Niveau differenz zwischen beiden vermindert wird. — Das Crus helicis ist wenig ausgeprägt, nur als schmale, horizontale Leiste vorhanden, die kaum die Hälfte der Concha durchzieht. — Unterhalb desselben findet sich nahe am vorderen Bande eine Perforation des Knorpels von gleicher Form und Orientirung wie die Bima helicis. Dieses Loch ist durch ein bindegewebiges Septum verschlossen. Um den medialen, hinteren Winkel der dreieckigen Oeffnung schlägt sich ein kleines Gefäss, das mit seinem Durchmesser in keinem Verhältniss steht zur Grösse des Foramen. — Entsprechend der Verbindungslinie der Tiefe der beiden Incisurae antitrago-helicina und terminalis ist der Knorpel durch eine lineare Vorbuchtung nach hinten wie eingeknickt, durch deren Mitte zwei kleine Gefässe durch entsprechende Oefifnungen durch den Knorpel treten. Die obere Hälfte dieser Einknickung bildet die untere laterale Grenze einer gruben- förmigen Vorbuchtung des Knorpels, die nach hinten stark buckelig vorspringt. — Das Tuherculum innominatum liegt etwas unterhalb des oberen Drittels des Höhendurchmessers der Concha. Im Modell F lagen die Verhältnisse analog wie in dem vorigen. Die zuletzt beschriebene Vorbuchtung war, wenn auch deutlich aus- geprägt, doch keineswegs lateral durch eine Einknickung des Knorpels begrenzt, welche hier durchaus fehlte. Auch vermisste ich hier das grosse Foramen unterhalb des Crus helicis. Der Wulst, welcher die die Fossa intercruralis mit der Concha verbindende Binne vorne be- grenzt, war in höherem Maasse ausgebildet als im Modell E. 6. Aiititragus. — Der Antitragus stellt bei den zwei jüngsten modellirten Ohren nur einen kleinen Vorsprung des lateralen Bandes der Concha dar, ohne übrigens die Sagittalebene zu überschreiten, welche lateral das Niveau der Muschel begrenzt. Wohl aber springt übereinstimmend bei den beiden Ohren des nächstälteren Embryo der Antitragus über diese Fläche stark vor als eine frontal gestellte, dreieckige Platte, deren Basis mit der Muschel zusammenhängt, deren Spitze lateral gerichtet ist. Diese Platte beginnt sich nach vorne „um- lieber die Entwickelung des Knorpels des äusseren Ohres. 595 zuklappen", in der durch das Modell E dargestellten Phase der Ent- wicklung, welche Bewegung im Modell F vollendet ist, indem hier der obere Rand des Antitragus sagittal gestellt ist. Zugleich hat sich die Spitze des Dreiecks horizontal umgelegt, so dass die nunmehr laterale Fläche des Antitragus lateral konkav ausgebuchtet ist. Gleich- zeitig hat sich der von Anfang an bis zum vorigen Stadium frontal gerichtete Isthmus mit dem lateralen Ende nach vorn begeben, so dass er mit der Sagittalebene einen nach vorn offenen Winkel von 45 " bildet. Dadurch ist übrigens die ursprünglich dreieckige Fläche des Antitragus (im weiteren Sinn) vergrössert und in ein Parallelo- gramm umgewandelt. 7. Mediale Fläche der Muschel, Ponticulus. — Ueber die mediale Fläche des Muschelknorpels ist wenig Specielles mitzutheilen, insofern ihre Reliefverhältnisse das Negativ der lateralen Ansicht wiedergeben. Eine besondere Erwähnung verdient nur die Fossa intercruralis , welche in allen Modellen sehr viel stärker prominirt als ihrer lateralen Ausbuchtung entspricht ; ganz besonders auffallend aber tritt sie in die Erscheinung in den jüngeren Stadien , wo sie inmitten eines kaum angedeuteten Reliefs sofort durch die starke Prominenz imponirt. — Der Ponticulus verläuft überall nach dem vorderen Rande des Knorpels parallel zum Stammtheil der Anthelix, also vertikal. Nur im Modell F zieht er etwas nach unten und vorn. Er beginnt in der Horizontalen des Tuberculum innominatum, überschreitet das Crus helicis und findet sein Ende etwa in der halben Höhe zwischen dem erwähnten Tuberculum und der Incisura terminalis. 8. Gehörgaiigskuorpel. — Bei der Darstellung des Gehörgangs- knorpels ist der Beschreibung diejenige Eintheilung desselben zu Grunde gelegt worden , welche Schwalbe in His-Beaune's Archiv 1889 beim Neugeborenen giebt. Von derselben mag hier nur das hervorgehoben werden, was zum Verständniss der folgenden Beschreibung unbedingt nothwendig ist. Durch Verbindung der Incisura intertragica mit der Incisura terminalis wird der Muschelknorpel vom Gehörgangsknorpel abgegrenzt. Letzterer zerfällt in drei Abschnitte : Tragusplatte, Mittel- spange und Basalstück. Die Tragusplatte umfasst denjenigen Theil des Gehörgangsknorpels, der lateral von der Incisura Santorini major liegt. Er stellt die Verbindung zwischen Muschelknorpel und Gehör- gangsknorpel dar. Das Basalstück liegt medial von der Incisura San- torini minor und verbindet sich medial mit dem Os tympanicura. Der übrig bleibende Theil des Gehörgangsknorpels, zwischen den beiden Incisurae Santorini, wird als Mittelspange aufgeführt. Im M 0 d e 1 1 A ist die Incisura Santorini major noch ausgefüllt durch dasselbe Gewebe, aus dem auch der übrige Ohrknorpel besteht. Die be- treffende Stelle ist markirt durch eine Rinne m k, die in k den vorderen Rand des Gehörgangsknorpels erreicht. Nach hinten setzt sich die Grenze Morpholog. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 39 596 Francis E. Münch. zwischen Tragusplatte und Mittelspange bis zur Incisura terminalis fort und ist als eine seichte Furche me auf der unteren Seite des Ge- hörgangsknorpels erkennbar. Die Incisura Santorini minor IJi trennt als ein von hinten einspringender Spalt die Mittelspange vom Basal- stück, welche hinten ganz von einander getrennt sind, während sie vorn in der Strecke hi continuirlich in einander übergehen. Als Mittel- spange wird die Partie emkilli aufgefasst. Die Länge derselben be- trägt, sagittal gemessen, 15 mm, die Breite, frontal gemessen, 13 mm. Die Mittelspange ist vorn viel schmäler als hinten, wo sie einen schwach entwickelten Processus posterior trägt. In ihrem oberen Theile ist sie stark konvex, in dem unteren leicht konkav. Die Tragusplatte ist im Ganzen schwach entwickelt. Nur der oberste Theil ahc ist etwas knopfförmig aufgetrieben. Das Tuberculum supratragicum h, dessen Gewebe aus jüngerem Knorpel besteht, ist scharf ausgeprägt, zwischen ihm und dem Tragus a ist eine leichte Kerbe x. Das Basal- stück stellt ein längliches Ovo'id dar von 10 mm Länge, 4 mm Breite und 6 mm Höhe. In dem Modell B (Fig. 2) des symmetrischen Ohres, in dem ent- sprechend der günstigeren Schnittrichtung die Verhältnisse besser zu übersehen sind, bildet der Gehörgangsknorpel im Ganzen eine halb- cylinderförmige Rinne, deren Längsachse ziemlich genau frontal gerichtet und um etwa 54 *' gegen den Horizont geneigt ist. Er wird in seine drei Bestandtheile abgetheilt durch zwei Furchen ec und h i (Fig. 2). Die erste Furche ec stellt mit ihrem mittleren, etwas stärker ausgeprägten Drittel mk die Incisura Santorini major dar. Das vordere Drittel kc besteht aus jüngerem Knorpel und verbreitert sich etwas "nach vorn. Die Furche hi, welche Mittelspange und Basalstück trennt, besteht durch- weg aus jüngerem Gewebe und umfasst die Incisura Santorini minor. Die Tragusplatte zeigt eine Konformation, die wesentlich mit der des Modells A übereinstimmt. Der Tragus a prominirt wenig lateral. Ueber demselben befindet sich das Tuberculum supratragicum b aus etwas jüngerem Knorpel bestehend und eine knotenförmig verdickte Ecke der Tragusplatte darstellend. Die Mittelspange ecih, 30 mm lang, 9 mm breit, hat einen fast runden Querschnitt. Sie geht hinten in den 4 mm langen, senkrecht nach oben strebenden Processus posterior über, der sammt dem hinteren Viertel der Mittelspange aus jüngerem Knorpelgewebe besteht. Das Basalstück ist der Mittelspange sehr ähn- lich gestaltet, nur etwas kürzer (16 mm) und wird von ihr nach vorn überragt. Indem vorn und hinten dieses Basalstück schmaler wird, nimmt sein medialer etwas ausgezackter Rand fg eine bogenförmige Gestalt an. Der grösste Theil desselben , mehr wie % j besteht aus jüngerem Knorpelgewebe. Da zu gleicher Zeit die ganze Furche, welche Mittelspange und Basalstück trennt, aus jüngerem Gewebe be- steht, so entsteht in der vorderen medialen Ecke des Gehörgangs eine lieber die Entwicklung des Knorpels des äusseren Ohres. 597 Substanzinsel ifxy, welche histologisch weiter entwickelt ist als das umgebende Gewebe, aber auf derselben Stufe wie die Hauptmasse des Knorpels des betreffenden Ohres. Im Modell C (Fig. 3) ist die Eintheilung des Gehörgangsknorpels schon bei der Betrachtung von unten zu erkennnn. Deutlicher tritt die- selbe hervor bei der Betrachtung von oben her, wo man gleichsam drei Etagen in das Innere des Ohres führen sieht. Die Tragusplatte wird von der Mittelspange getrennt durch eine Furche emki. Der mittlere Theil derselben mk, ausgezeichnet durch Breite und Tiefe, entspricht der lucisura Santorini major. Die Mittelspange wiederum wird vom Basalstück durch eine Furche hi geschieden, welche keineswegs be- sonders ausgeprägt ist und der Lokalität nach der Incisura Santorini minor entspricht. Die Tragusplatte ahcikmed ist an diesem Ohr be- sonders kräftig entwickelt, namentlich nach vorn zu, wo sie als eine dünne Lamelle die vordere AVand des Gehörgangs bildet. Soweit die Tragusplatte die vordere Begrenzung der Incisura intertragica bildet (dab), ist sie bedeutend verdickt. In Folge dessen erscheint die vordere "Wand des Gehörgangs von hinten sehr viel schärfer konkav , als von vorn konvex. Verbindet man die Mitte des Bandes ad mit m, so er- hält man eine Grenze, welche die Tragusplatte in zwei Abschnitte trennt. Die vordere mediale , also mit Einbegriff des Tragus besteht aus jüngerem Gewebe als der hintere laterale. Dasselbe jüngere Ge- webe füllt auch die Stelle der Incisura Santorini major tnk aus. Die Mittelspange emih ist 7 mm breit, 15 mm lang, davon bilden 5 mm den medialen Rand der Incisura terminalis e. Das Basalstück Jiifg 17 mm X 6 mm) wird hinten von der Mittelspange um 7 mm über- ragt. Es entsendet nach hinten den Processus triangularis p. t. als kleine, 3 mm lange Spitze, die aus jüngerem Knorpel besteht. Das Modell D (Fig. 4, Fig. 4') stimmt mit dem Modell C ausser- ordentlich überein; namentlich was die Tragusplatte ahikmed angeht, wie auch für die künftige Incisura Santorini major mk liegen die Ver- hältnisse ganz analog. Die Mittelspange ist verhältnissmässig breit: 11mm (13 mm lang und im Mittel 6 — 7 mm breit). Ihr stumpfes, hinteres Ende bildet den Processus posterior p.p., der den 4mm hohen medialen Band der Incisura terminalis e darstellt. Das Basalstück ik hgf, 13 mm lang, überragt vorn und hinten die Mittelspange. Seine Gestalt ist im Ganzen kegelförmig, indem es sich nach vorn etwas verjüngt. Sein Querschnitt ist durchweg kreisrund, mit Ausnahme des- jenigen Theiles, welcher nach hinten die Mittelspange überragt. Hier nämlich entsendet das Basalstück eine dreieckige, kurze Platte nach unten, den Processus triangularis j;. i. Dieser Theil besteht aus jüngerem Gewebe. Dasselbe gilt von dem Gewebe, das die Furche ausfüllt, welche Mittelspange und Basalstück trennt. In dem Modell E (Fig. 5 u. 5') ist die Tragusplatte abckmoqed 39* 598 Francis E. Münch, von der Mittelspange eqrnlyxh grösstentheils durch einen Spalt qc getrennt. Das Stück eq wird durch eine Furche dargestellt. Der Spalt qc zerfällt in drei Theile: Von hinten nach vorn aufgezählt kann man einen schmalen kurzen abschnitt qo unterscheiden, der sich nach vorn zu einem unregelmässig dreieckigen mornk erweitert; von der Spitze k dieses Dreiecks nimmt ein dritter, schmaler, langer und mit etwas unregelmässigen Rändern ausgestatteter Spalt kc seinen Ursprung. Aus dem dreieckigen Theil moriik der Spalte, der fron- tal 15 mm, sagittal 12 mm misst, geht die Incisura Santorini major hervor. — Die spindelförmige Incisura Santorini minor xij, auf der Grenze zwischen Mittelspange und Basalstück, ist an diesem Ohre bereits in endgültiger Form vorhanden. Die besagte Grenze wird nach vorn und hinten je durch eine Fursche yl und xh fortgesetzt. — Der Tragus a ist wenig ausgebildet, um so stärker das Tuberculum supratragicum b ausgeprägt. Die im Allgemeinen dreieckige Mittel- s^jange eqrnlyxh ist hinten sehr breit (30mm). Der Processus posterior, den er an dieser Stelle trägt, ist kurz und bildet mit dem vorderen Muschelrand die Incisura terminalis e, die sich an diesem Ohr sehr rasch nach oben verbreitert. Das Basalstück lixylyf weist an der hinteren medialen Ecke f eine Andeutung des Processus triangularis p. t. auf. Auch in dem Modell F (Fig. 6 u. 6') wird die Tragusplatte demka durch einen langen Spalt 7)ik von der Mittelspange emrntlyxh getrennt. An diesem Spalt sind jedoch nur zwei Partien zu unterscheiden, welche den beiden oben an zweiter und dritter Stelle aufgestellten Ab- schnitten entsprechen. Der dreieckige Abschnitt mnk ist ähnlich wie oben gestaltet, wenigstens bezüglich der Lageverhältnisse. Er wird von zwei Vorsprüngen r und t eingeengt, welche von der unteren und der medialen Seite in denselben vorragen. Der obere enge Spalt kl ist nur 4 mm lang und wird medial von dem vorderen Ende des Basal- stücks überragt. Die Mittelspange und das Basalstück hlgf werden von einander wesentlich durch die Incisura Santorini minor xy abge- grenzt. Dieselbe ist sagittal gestellt, spindelförmig, 22 mm lang, 5 mm breit. Vor und hinter derselben sind Mittelspange und Basalstück durch Knorpel verbunden. — Der oberste Theil der Tragusplatte (oberhalb bk) ist gegen den Hauptheil um etwas 90" abgeknickt als eine drei- eckige Platte, welche, medial nach unten orientirt, der Decke des äusseren Gehörgangs angehört. Die eine Ecke dieser dreieckigen Platte liegt am Tuberculum supratragicum b, die andere am oberen Rande der Incisura Santorini major bei k, die dritte steht etwa 15 mm über der Mitte der Incisura Santorini minor xy. An der hinteren Seite der Mittelspange springt nach hinten der gut entwickelte Processus posterior p. p. (Fig. 6), der den 9 mm langen medialen Rand der Incisura terminalis e abgiebt. An der hinteren medialen Ecke g des Basal- Ueber die Entwicklung des Knorpels des äusseren Ohres. 599 Stücks ragt nach aussen und hinten wie ein Sporn der 2 cm lange Processus triangularis p. t. vor. § 2. Beurtheilung der Befunde. 1. Uebersicht über die Eutwickliiug des Olirkuorpels. Bei einem Embryo von 20 mm Scheitel-Steiss-Länge sieht man den Knorpel des äusseren Ohres angelegt als eine einheitliche Platte, die im Ganzen spiralig aufgewunden erscheint und bereits durch den Isthmus in den Muschelkuorpel und den Gehörgangsknorpel geschieden ist. An demselben sieht man (Fig. 7) das Tuberculum Darwinii sowie die vordere Hälfte des Muschelknorpels sammt Gehörgangsknorpel bereits aus weiter vorgeschnittenem Gewebe bestehen mit Ausnahme jedoch der Cymba conchae, der Spina sowie der Helix ascendens bis zur Spina herauf. In diesem Stadium bildet der Muschelknorpel eine löffelähnliche Lamelle, auf deren Grund der Anthelix sich schwach in Gestalt von 2 Leisten erhebt: einerseits Crus inferius, andrerseits Grus superius sammt Stammtheil. Diese Phase der Entwicklung zeichnet sich noch durch eine andere Eigenthümlichkeit aus. Am hinteren Rande der Muschel besteht nämlich vom Ohrscheitel bis zu der Kerbe, welche oben am hinteren Rande mehrfach beschrieben wurde, zwischen dem Knorpel und dem Epithel der Haut ein inniger Kontakt. Ueber dem ganzen Hautbezirk, welcher dem äusseren Ohre entspricht, hat das Epithel eine eigenthümliche Beschaffenheit, welche dasselbe von dem- jenigen der Umgebung unterscheidet und sich wieder in der Region des Auges vorfindet. Zunächst kann man eine stärker entwickelte Basalmembran unterscheiden. Was aber viel auffälliger, ist nach aussen von derselben eine Lage sehr hoher Epithelzellen, deren Kerne in die Peripherie gerückt sind, so dass in gefärbten Präparaten eine sehr breite farblose Zone an der Grenze des Epithels auftritt, die man bei genauer Einstellung in einzelne Zellen zerfeldern kann. Da dieses Epithel nach allen Seiten das Ohr etwas überschreitet, erlaubt die farb- lose Zone, wenn man eine Schnittserie durchmustert, die Stelle zu be- stimmen, an der in den folgenden Schnitten ein Durchschnitt des Ohres erscheinen wird, bevor man an den betreffenden Schnitt kommt. In diesem Bezirk mit hohen Basalzellen ist auch die Anzahl der Epithel- schichten vermehrt. Der Kontakt zwischen Epithel und Knorpel ist an der besagten Lokalität ein durchaus inniger, ohne bemerkbare Zwischen- 600 Francis E. Münch. lagerung irgend eines differenten Gewebes. An bestimmten Schnitten (Fig. 10, 11.) erscheinen gewisse Bilder, in denen ich zwischen Epithel und Knorpel auch bei der genauesten und sorgfältigsten Einstellung absolut keine Grenze zwischen den beiden Substanzen zu ziehen ver- mochte, und welche den Gedanken nahe legen, es bestünde ein Zu- sammenhang zwischen Epithel und Knorpel, — eine Thatsache, welche allerdings von der weitgehendsten Bedeutung sein würde. Schwalbe hatte bereits (1889 b) diesen innigen Kontakt des Epithels mit der Knorpelanlage beobachtet, aber ohne sich dadurch zu der Annahme eines kontinuirlichen Zusammenhanges des Knorpels mit dem Epithel verleiten zu lassen. Es veranlasste ihn aber dieser Befund, den Ohr- knorpel als „peripheren KnorpeP' den Skelettknorpeln gegenüber zu stellen. Man kann in der Deutung solcher Bilder nicht vorsichtig genug sein. Sind dieselben Paraffinschnitten, zumal dünnen Paraffinschnitten entnommen, so gestatten sie überhaupt kein sicheres Urtheil, in Folge der regelmässigen Verschiebung, welche im Schnitt entsteht bei der Herstellung desselben. Eine weitere Fehlerquelle liegt in Schräg- schnitten. Ich habe nie die Ueberzeugung gewinnen können, dass es sich in meinen Präparaten um eine wirkliche Kontinuität handele. Die Modellirung der Muschel, erst recht des Muschelknorpels, ist so fein, ihre Krümmung so mannigfach, dass man auf einem und demselben Schnitt Partien senkrecht, andere schief treffen muss. An jenen tritt dann die breite farblose Basalzone auf, welche in diesen aus leicht verständlichen Gründen nicht in die Erscheinung tritt und dadurch eine Kontinuität der beiden dichtkernigen Gewebe vortäuscht. Immerhin aber lasse ich die Möglichkeit einer Kontinuität offen und so interessant die Frage auch ist, so wird sie doch erst dann zu lösen sein, wenn man sie an besonders günstig konservirten Embryonen mit speciellen Tinktionsmethoden verfolgt. Während in den folgenden Stadien die Reliefverhältnisse des Muschelknorpels sich wenig ändern, tritt in dem Gehörgangsknorpel eine weitere Differenzirung ein. Die anfangs sehr stark gekrümmte Rinne', welche dieselbe darstellt, flacht sich allmälig ab und ferner kann man nach dem Alter des Knorpels verschiedene Partien unter- scheiden. Die Tragusplatte ist nur insoweit angelegt, als sie dem Tragus selbst entspricht. Der Processus posterior ist noch nicht so weit entwickelt. Desgleichen auch der mediale Wulst. Letzterer wächst von vorn nach hinten nach. Dieses Wachsthum ist bei einem 57 mm langen Embryo fast vollendet. Hier ist aber die mediale Furche noch in ganzer Ausdehnung nicht so weit entwickelt. Nur das vordere und hintere Ende wachsen aus. Der mittlere Theil der- selben verschwindet später als Knorpel und wird durch Bindegewebe ersetzt unter Bildung des Incisura Santorini minor. Aus dem Gehör- gangsknorpel ist die Tragusplatte hervorgewachsen aus jüngerem Ueber die Entwicklung des Knorpels des äusseren Ohres. 601 Knorpel bestehend. Gleichzeitig hat sich die Helix descendens nach hinten flach gelegt, um — wenigstens bei einem Theil der Individuen — sich später wieder nach vorne umzukrempen, unter Bildung eines tiefen Sulcus helicis. Inzwischen wird auch das Relief des Muschelknorpels viel stärker ausgeprägt. Die bedeutendsten Veränderungen jedoch gehen am Gehörgangs- knorpel vor sich. Hier sind nämlich zwei Partien in der Entwicklung weiter fortgeschritten, während zwischen ihnen ein Streifen ursprünglich knorplig angelegte Substanz bindegewebig gefunden wird. Die Ränder dieses Spaltes legen sich mit ihrem hinteren und vorderen Drittel später aneinander und verwachsen knorplig. Auch in das mittlere, ursprüng- lich dreieckige Drittel ragt Knorpelsubstanz hinein von der unteren und lateralen Seite, in Form je eines Zapfen, ohne denselben entsprechend seiner beträchtlicheren Grösse auszufüllen. Er wird zur Incisura Santorimi major. Die wesentlichste Veränderung, welche hierauf am Ohrknorpel noch eintritt, betrifft den Gehörgangsknorpel. Nach der Geburt wächst der Annulus tympanicus zu einer Knochenlamelle aus. Diesem ungleich- massigen Wachsthum muss sich auch der am Tympanicum fixirte Ge- hörgangsknorpel anbequemen. Dadurch wird seine Richtung wesent- lich modifizirt. Man kann sich denken, dass der hintere mediale Winkel des Bodentheils festbleibt, während der vordere mediale nach aussen wandert. Dies bestimmt eine veränderte Orientirung der Axen der Santorinischen Incisuren. Während die kleine früher sagittal verlief, die grosse transversal, ist jene nunmehr lateral nach vorn, diese lateral nach hinten gerichtet. Eigenthümliche Richtungsveränderungen machen im Laufe der Entwicklung auch die Cauda helicis und der Tragus durch. Jene, ursprünglich eine dreiseitige Pyramide, beschreibt eine schraubenförmige Bahn. Diese anfangs als transversale Platte lateral gerichtet, klappt sich allmälig nach vorn um zu einer sagittalen Lamelle. Nach alledem ist die knorplige Anlage des äusseren Ohres einheit- lich. Durch ungleichmässiges Wachsthum differenziren sich besondere Theile aus demselben heraus. Andere bleiben zurück und diese können nun ein verschiedenes Schicksal erleiden. Die mediale Furche des Gehör- gangknorpels, welche die Mittelspange vomBasalstück trennt, ist einer der so zurückgebliebenen Theile. In seinem mittleren Theile, wo die Incisura Santorini minor entsteht', verschwindet der Knorpel — ob durch Re- sorption, Durchreissen oder Rückbildung, lasse ich dahingestellt. Die beiden Enden dieser Furche hingegen schreiten in ihrer Entwicklung weiter und werden zu Knorpel. Bei manchen Thieren, z. B. den Ungulaten, kann in ganzer Ausdehnung in dieser Furche — wohl mag Muskelaktion diesem Processe nicht fremd sein — Bindegewebe auftreten, wodurch die Cartilago annularis abgetrennt wird. Diese ßQ2 Francis E. Münch. entspricht also dem medialen Wulst des menschlichen Embryo, dem Basalstück Schwalbe's (1889 c), das also nicht ursprünglich selbständig, sekundär beim Menschen mit der Mittelspange verwächst, sondern beim Menschen theilweise, bei den langohrigen Thieren vollständig von der ursprünglichen Anlage abgesondert wird. Die Incisura Santorini major ist der Rest einer grösseren Spalte, welche theils die Tragusplatte vom Bodentheil abtrennte, theils die Tragusplatte in zwei ungleich grosse Abschnitte schied. Auch diese primäre Spalte war ursprünglich durch zurückgebliebenes Knorpel- gewebe ausgefüllt. Nach dem Schwunde desselben wird sie durch Bindegewebe ausgefüllt. Später tritt eine sekundäre Verwachsung der Knorpelränder ein, nur wo der primäre Spalt am breitesten war, ist die Knorpelverlötung eine ungenügende und es bleibt als Rest der primären Spalte die Incisura Santorini major. Dass dieselbe bei den Säugethieren ihr Homologon besitzt, scheint mir aus den Ergebnissen vergleichend-anatomischer Untersuchungen hervorzugehen. Jeden- falls gibt sie eine ungezwungene Erklärung für eine Thatsache, auf die Tatarof (1887 p. 42) die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Derselbe stellte fest, dass eine der konstantesten Durchtrittsstellen der Gefässe durch den Ohrknorpel in einer Linie liegt, welche der Verlängerung der Incisura Santorini major nach oben entspricht. Die Durch- wachsung des Knorpels durch die Gefässe findet jedenfalls zu einer Zeit statt , wo der primäre Spalt nur durch ein bindegewebiges Diaphragma verschlossen ist ; durch die Verklebung der Knorpelränder werden dann die Gefässe von wachsenden Knorpel gleichsam um- mauert. Dass die Spina helicis, das Rudiment des Scutulum der lang- ohrigen Thiere, beim Menschen in einer Anlage mit dem Muschel- knorpel entsteht, hat bereits Schwalbe (1889c p. 259) festgestellt. Dieselbe ist im Verhältniss zum Ohrknorpel desto grösser, je jünger der untersuchte Embryo ist. Bei den jüngsten Embryonen ist die Basis, mit der er dem Helix ascendens aufsitzt, enorm breit, wird aber mit zunehmendem Alter schmäler und findet am Uebergang von Helix in Spina einen Hals oder Stiel. Geht dieser Abschnürungsprocess weiter, so kann die Spina durch vollständige Absprengung zum Scutulum werden. Noch eine Partie des Muschelknorpels ist nach Schwalbe's Unter- suchungen beim Menschen rudimentär: die Ohr falte. Sie entspricht demjenigen Theil der Muschel, wo der Knorpel in Kontakt steht mit dem Epithel bis zu Embryonen von 50 mm Scheitel-Steiss-Länge (p. 17). Noch durch eine andere Eigenthümlichkeit zeichnet sich diese Region aus: durch die dichtere Anhäufung der Kerne, durch das langsamere Wachsthum des Knorpels. Nimmt man diese beiden Thatsachen zu- sammen, so liegt die Vorstellung nahe, dass erstens die Hauptfalte der üeber die Entwicklung des Knorpels des äusseren Ohres. 603 Muschel, vornehmlich ihr Epithel, in der Entwicklung relativ zurück- bleibt. Inzwischen wächst die Knorpelstütze derselben weiter in die Länge und erreicht zunächst mit ihrem freien Ende das Epithel. Nun- mehr ist die Falte des Integuments über die Knorpellamelle wie eine Haube über dieselbe gespannt und verhindert, dass zwischen den beiden Enden der Lamelle die Distanz zunehme. Schreitet das Längen- wachsthum derselben trotzdem noch weiter, so muss sie sich in trans- versale Palten legen. Dass solche Spannungsverhältnisse bestehen, hat Tatarof durch die Anordnung der Haarbälge und des Fettes nach- gewiesen. Dass man aber mit dieser rein mechanischen Vorstellung, so einleuchtend dieselbe auch erscheinen mag, nicht auskommt, dafür ist der beste Beweis der Umstand, dass, nachdem im späteren Wachs- thum zwischen Epithel und Knorpel sich bereits wieder Bindegewebe dazwischen gelagert hat, die Einfaltung der „Ohrfalte" doch noch weiterschreitet. Auch müsste man an den konkaven Stellen des Knorpels eine durch gegenseitigen Druck bewirkte grössere Verdichtung der Kerne wahrnehmen. Nun findet man gerade in diesen späteren Stadien — sie entsprechen etwa denjenigen Phasen, wo man ein deut- liches Perichondrium statuiren kann— an der konvexen Fläche eine grössere Vermehrung der Knorpelkerne. Man könnte also hier ein ungleichmässiges Dickenwachsthum des Knorpels postuliren, welches die Gestalt der ganzen Muschel bedingt. 2. Foramiiia vascularia. — Auch auf die Grefässlöcher des Ohr- knorpels will ich hier mit kurzen Worten eingehen, aber nur insoweit sie in meinen Modellen zum Ausdruck kommen. Nur diejenigen Ge- fässlöcher sind in dieselben aufgenommen, deren Durchmesser mindestens gleich der Schnittdicke waren und daher auf dem Schnitt als Unter- brechung des Knorpels wahrgenommen wurden. Dementsprechend sind sie auch bloss in den beiden grösseren Modellen vertreten. Zunächst findet sich ein Gefässloch in beiden an der unteren Fläche des Grus helicis, 7 mm nach hinten von Tuberculum innominatum. Dasselbe entspricht jedenfalls dem sub A 1 von Tatarof (1887 p. 41) angeführten; im Gegensatz zu seiner Beschreibung jedoch finde ich dieses Gefässloch etwas hinter der Umlegungsstelle des Grus helicis in die Helix ascendens. Ferner finden sich im Modell F an beiden Theilen der Helix descendens Gefässlöcher, auf der ganzen Strecke, die zwischen dem Sulcus helicis und dem freien Rande liegt. Auf dem Modell E nimmt man ähnliche Löcher war, doch bleiben sie auf den unteren Theil der Helix ascendens beschränkt. Diese zuletzt erwähnten Gefässlöcher sind ein neuer Hinweis auf die Homologie der „freien Ohrfalte" von Schwalbe mit dem „Löffel" der langen Ohren. Bei letzteren ist die Perforation des Knorpels so beträchtlich, dass er zu einer wahren Lamina cribrosa wird, wie die Figur 8, welche mir von Herrn Professor Schwalbe zur Publikation überlassen wurde, sowie die Figur 9 zur Genüge darthun. Ausserdem 604 Francis E. Münch. findet sich im Modell E auf der Höhe des Stammtheils der Anthelix auf deren untersten Theil 2 Gefässlöcher, ferner eines auf der Cauda helicis dicht unter ihrer Basis. Im Modell F sieht man auch ein Ge- fässloch auf dem unteren Theile der Cauda helicis. 3. Dimensionen und Proportionen. — Um ein Bild von dem Wechsel der Grössenverhältnisse zwischen Muschelknorpel und Gehör- gangsknorpel während der Entwicklung zu erhalten, wurden 2 Linien, die besonders geeignet schienen, ausgewählt und ihre Maasszahlen durch- einander dividirt. Für den Muschelknorpel wurde die Entfernung des Ohrscheitels vom Grunde der Incisura intertragica gewählt. Am Ge- hörgangsknorpel wurde die Länge derjenigen Geraden gemessen, welche von dem Grunde der Incisura intertragica zur Mitte des medialen Randes des Bodentheils geführt war. Die Messungen ergaben folgende Zahlen, denen ich noch das Ergebniss der Messung bei drei Ohren Erwachsener hinzufüge. i äe- A .44 : 21 B 45 : 21 C 56 : 25 D 63 : 25 E 120 : 61 F 134 : 73 Erwachsener 41 : 19 Erwachsener 49 : 21 Erwachsener 51 : 21 2,1 2,1 2,2 2,5 2,0 1,8 2,2 2,3 2,4 Daraus ergiebt sich, dass der Muschelknorpel im Vergleich mit dem Gehörgangsknorpel ursprünglich rascher wächst, dann aber zurück- bleibt, um schliesslich durch stärkeres Wachsthum wieder voranzueilen. Um eine Vorstellung von den Grössenverhältnissen in meinen Modellen zu geben, theile ich folgende Zahlen mit, die anthropologisches Interesse haben dürften. a) Entfernung des Ohrscheitels von dem Grunde der Incisura intertragica. ß) Breite in der Höhe des Grus anthelicis inferius. y) Entfernung des Ohrscheitels vom unteren Rande des Grus anthe- licis inferius in der Vertikalen. ö) Entfernung des Ohrscheitels vom obersten Rand des Antitragus. f) Entfernung des Ohrscheitels vom Tuberculum innominatum. Q Länge der Concha propria. Ueber die Entwicklung des Knorpels des äueaeren Ohres. 605 rf) Breite der Concha propria. ^) Entfernung des Tragus vom Antitragus. i) Länge der Incisura intertragica. /) Entfernung der Ohrspitze von dem Tuberculum innominatum. k) Entfernung der Ohrspitze von dem Antitragus. ^) Entfernung der Ohrspitze von der Bifurkation der Anthelix. v) Entfernung der Ohrspitze von der Incisura intertragica. A B C D E F a 44 45 56 63 120 134 ß 26 21 36 47 107 100 y 19 16 23 22 47 65 § 38 42 54 71 94 93 e 26 28 35 40 70 101 s 33 32 38 48 76 95 1 15 11 28 26 57 53 d- 14 17 26 25 63 32 l 7 8 9 9 28 38 X 24 18 43 40 100 105 l 36 33 67 124 109 i" 12 11 24 18 60 55 V 39 37 61 58 128 131 Zusammenfassung. I. Die knorplige Anlage des äusseren Ohres des Menschen ist einheitlich. II. Die Differenzirung , welche diese Anlage beim Menschen und den langohrigen Säugethieren erfährt, ist divergent. Durch die Er- haltung der Einheit des Knorpels wird dem menschlichen Ohr ein primitiver Charakter verliehen gegenüber dem Zerfall in mehrere Knorpelstücke bei thierischen Ohren. III. Bei der ersten Anlage befindet sich die Helix superior et descendens mit dem Epithel der Haut in Kontakt, aber nir- gends in Kontinuität. IV. Die Spina helicis steht ursprünglich durch eine sehr breite Implantationsbasis mit der Helix in Verbindung. Die knorplige Verbindungsbrücke zwischen Spina und Helix wird immer dünner, ohne jedoch beim Menschen vollständig zu verschwinden. V. Der Tragus, ursprünglich eine transversale Platte, klappt sich nach vorn zu einer sagittalen Lamelle um. VI. Die Cauda helicis, anfangs eine dreiseitige Pyramide be- schreibt eine schraubenförmige Bahji. VII. Die S an torini 'sehen Incisuren verändern im Laufe der Entwicklung ihre Richtung im Verhältniss zu den Körperachsen. VIII. Die Incisura Santorini major reicht in einem frühen Stadium der Entwicklung bis an den vorderen Rand des Gehörgang- knorpels, während die Incisura Santorini minor am vorderen Ende stets von Knorpel resp. Vorknorpel begrenzt wird. Ueber die Entwicklung des Knorpels des äusseren Ohres. 607 IX. Das Faltensystem der A n t h e 1 i x bildet sich erst später aus als der Helix. Zum Schluss verfehle ich nicht die Gelegenheit, auch an dieser Stelle, Herrn Professor Gr. Schwalbe für die Anregung zu dieser Arbeit sowie für die Unterstützung durch Rath und That, durch die er mich stets verpflichtete, meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen. Citirte Literatur. 1887 D, Tataeof, lieber die Muskeln der Ohrmuschel und einige Be- sonderheiten des Ohrknorpels. Archiv für Anatomie und Physio- logie. Anatomische Abtheilung (His-Braune). Seite 35 — 58. 1889 a G. Schwalbe, Das DAEwm'sche Spitzohr beim menschlichen Embryo. Anatomischer Anzeiger. Jhrg. 4. Seite 176 — 189. 1889 b Derselbe, Ueber die vergleichende Anatomie und Entwick- lungsgeschichte des Ohrknorpels. Vortrag gehalten im natur- wissenschaftlich-medicinischen Verein in Strassburg. Deutsche medicinische Wochenschrift (Börner - Gtüttmann) Jhrg. 15. Seite 303. 1889c Derselbe, Inwiefern ist die menschliche Ohrmuschel ein rudi- mentäres Organ? Archiv für Anatomie und Physiologie. Anatomische Abtheilung (His-Braune) Supplementband. Seite 240—269. 1891 Derselbe, Beiträge zur Anthropologie des Ohres. Internationale Beiträge zur wissenschaftlichen Medicin. Festschrift für ViR- CHOW. Band I. Erklärungen der Abbildungen auf Tafel XIX — XXI. Allgemeine Zeichenerklärung. D. = ÜAEWiN'sche Spitze. S. = Ohrscheitel. /Sp. = Spina helicis. 2.1. = Tuberculum innominatum. E. = Einkerbung an der Helix descendens. AB. = Basis der Cauda helicis. d. = Incisura intertragica. e. = Incisura terminalis. p.p. == Processus posterior. p.t. == Processus triangularis. Die rote Färbung deutet an, dass der betreffende Theil in einem jüngeren histologischen Entwicklungsstadium als die übrigen Partien desselben Ohres sich befindet. (Nicht aber sind die rothgekenn- zeichneten Stellen verschiedener Ohren in derselben Phase.) Tafel XIX. Sämmtliche Modelle sind bei 20facher Vergrösserung hergestellt und bei der Zeichnung auf etwa ^j^ reducirt. Fig. 1. Rechtes Ohr eines menschlichen Embryo von 48 mm Scheitel- steiss-Länge. Seitenansicht des Modell A (aus Horizontal- schnitten zusammengesetzt). Fig. 2. Linkes Ohr desselben Embryo. Seitenansicht des Modell B (aus Frontalschnitten zusammengesetzt). Fig. 3. Rechtes Ohr eines menschlichen Embryo von 57 mm Scheitel- steiss-Länge. Seitenansicht des Modell C (aus Horizontal- schnitten hergestellt). Fig. 4. Linkes Ohr desselben Embryo. Seitenansicht des Modell D (aus Frontalschnitten hergestellt). Fig. Fig. 4' 5. Fig. 5', Fig. 6. Fig. 6'. Fig. 7. 610 Francis E. Müncli. Dasselbe Modell, Ansicht des Geliörgangkiiorpels von unten. Rechtes Ohr eines menschlichen Embryo von 96 mm Scheitel- steiss-Länge. Seitenansicht des Modell E (nach Horizontal- schnitten konstruirt). Dasselbe Modell, Ansicht des Gehörgangknorpels von unten und vorn. Linkes Ohr eines menschlichen Embryo von 142 mm Scheitel- steiss-Länge. Ansicht des Modell F von der Seite und etwas von vorn (nach Horizontalschnitten modellirt). Dasselbe Modell, Ansicht des Gehörgangknorpels von unten und etwas von vorn. Umrisse von Modell A, in welche die histologischen Ent- wicklungsstadien des Knorpels so eingetragen sind, wie sie bei einem Embryo von 20 mm Scheitelsteisslänge sich zeigten, dessen Ohr dieselben Reliefverhältnisse hatte als das dem Modell A zu Grunde liegende Ohr. Die rothe Farbe be- deutet jüngeren Knorpel. Tafel XX. Fig. 8. Ohrknorpel von Macr opus ruf US. (Diese Figur wurde mir von Herrn Professor Schwalbe zur Publikation überlassen.) Fig. 9. Ohrknorpel von Lepus cuniculus. Tafel XXI. Fig. 10. Horizontalschnitt des rechten Ohres eines menschlichen Embryo von 58 mm Scheitelsteiss-Länge, in der Höhe der Spina helicis (Sp.), bei lOOfacher Vergrösserung mit einer Camera lucida (nach Zeiss) gezeichnet, zur Erläuterung der Verhältnisse von Epithel und Knorpel an der Helix descendens (H.d.). H.a. ^^ Helix ascendens. Fig. 11. Derselbe Schnitt bei 410facher Vergrösserung. Nur die Stelle der Helix descendens (H.d.) ist dargestellt. 28. Dec. 1896. Zur Entwicklungsgescliichte des uropoetisclieii Apparates bei Säugern, mit besonderer Berück- sichtigung der TJrniere zur Zeit des Auftretens der bleibenden Mere. Von Siegfried Weber, cand. med. (Aus dem anatomischen Institut zu Freiburg i. Br.) Hierzu Tafel XXII-XXIII. Auf die Anregung meines hochverehrten Lehrers, des Herrn Prof. Keibel beschäftigte ich mich im Wintersemester 1896 — 97 mit dem Studium des Urogenitalapparates der Amnioten. Meine Aufmerksam- keit war dabei besonders auf drei Punkte gerichtet: 1. auf die Eröffnungsart des Sinus urogenitalis und auf die Zeit, zu welcher sie statthat; 2. auf die Entwicklung und Ausbildung der Urnieren im Verhältniss zur Entwicklung und Ausbildung der definitiven Niere ; 3. auf die erste Anlage der bleibenden Niere und die „Wanderung" des Ureters am WoLFF'schen Gang entlang bis zur definitiven Mündung des Harnleiters in die Blase. Beeinflusst wurde die schon begonnene Untersuchung durch einen Aufsatz Nagel's 97, in welchem er sich gegen die Arbeit Keibel's: „Zur Entwicklungsgeschichte des menschlichen Urogenitalapparates" wandte. Da die Arbeit meines Lehrers der Ausgangspunkt meiner Untersuchungen gewesen war, galt es jetzt die Fundamente der eigenen Untersuchung, soweit sie in Erage gestellt waren, nachzuprüfen. Auf alle Fälle musste die Kritik des auf dem Gebiete des Urogenitalsystems so vielgeschäftigen Forschers sorgfältige Berücksichtigung finden, und so sah ich mich veranlasst, den Angaben Nagel's weiter nachzugehen und sie auf ihre Richtigkeit an einem grösseren Material von Säuge- Morpholog. Arbeiten, hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 40 Q12 Siegfried Weber. thierembryonen zu prüfen. Bei der "Wichtigkeit, welche so Nagel's Arbeit für meine Untersuchungen erhielt, seien gleich hier die Punkte hervorgehoben, mit welchen ich mich werde besonders beschäftigen müssen. Nagel führt, indem er das von Keibel seiner Arbeit zu Grunde gelegte Material an menschlichen Embryonen kritisirt, aus (97 p. 350) : „Ferner verlange ich, um den Embryo für wissenschaftlich verwerthbar zu erklären — ganz abgesehen von den Verhältnissen, unter welchen er geboren und seinem sonstigen Aussehen — , dass der Canalis uro- genitalis bei Embryonen von mindestens 8 mm Länge offen in die Kloakengrube nach aussen münde und die Kloakenplatte bis auf die in der Spitze des Geschlechtshöckers vorhandene Epithelplatte ver- schwunden sei." ,,Um diese Zeit besitzt nämlich der menschliche Embryo einen wohlausgebildeten WoLFP'schen Körper mit verhältniss- mässig zahlreichen MALPiGHi'schen Körperchen, welches auf einen regen Stoffwechsel des Embryo mit Eecht schliessen lässt. Da aber der AUantoisgang innerhalb des Bauchstieles um diese Zeit bereits obliterirt ist, so kann man mit Recht fragen, wo denn das von der Urniere ge- lieferte Sekret bleiben sollte, falls die Kloakenplatte noch unversehrt vorhanden wäre." "Wir werden Gelegenheit haben, bei Erörterung der ersten beiden Punkte der vorliegenden Untersuchung wiederholentlich und eingehend auf die citirten Thesen einzugehen und zu untersuchen, ob die Nagel- schen Sätze wirklich so gesichert sind, wie sie es ihm zu sein scheinen. Meine Auseinandersetzung mit Nagel kann um so mehr eine rein sach- liche sein, als Keibel (97 a) ja im Uebrigen bereits auf Nagel's Angriff geantwortet hat. Bevor ich aber zum Bericht der eigenen Untersuchungen übergehe, will ich aus der ausserordentlich reichen Literatur über das Urogenital- system dasjenige anführen, was mir für die hier interessirenden Fragen wichtig erscheint. Der Uebersichtlichkeit wegen ordne ich dabei die Literatur nach den Gesichtspunkten, welche für die später mitzutheilenden Beobachtungen massgebend waren. Literatur. Die Entstehung des Sinus urogenitalis wird noch heute von den verschiedenen Forschern zum Theil verschieden beurtheilt. Principiell stimmen die Arbeiten von Born 94, Hertwig 96, His 80, Koelliker 84, Lieberkühn 82, Keibel 91, 93, 96, Rathke 32, Reichel 93 a, b. Retterer 90, Tourneüx 88, 92, darin überein, dass der ven- trale Theil der primitiven entodermalen Kloake dadurch zum Sinus urogenitalis wird, dass ein Septum, sei es nun aus 2 lateralen Falten (Retterer) oder einer frontalen, cranio-caudal sich vorhangartig herab- senkenden Falte gebildet, die Kloake in 2 ungleichgeräumige Teile zerlegt. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 613 Diese Auftheilung ist nach Keibel, Retteree, Tourneux eine voll- ständige und erreicht die Kloakenmembran, den ventralen Abschluss der primären Kloake noch ehe die Membran durch Auseinanderweichen ihrer Zellen den Kanälen die freie Mündung nach aussen giebt. Hertwig, Koelliker, Tiedemann 13, Born und vielleicht auch Nagel 88, 89, nehmen dagegen einen offenen Kloakenafter an, d. h. sie nehmen an, die Kloakenmembran öffne sich, bevor das frontale Septum sie erreicht hat. Ich sage vielleicht theilt Nagel diese An- sicht. Es ist mir nämlich nicht möglich gewesen, aus den Arbeiten Nagel's eine präcise Anschauung über den Verbleib der Kloaken- membran und über das Herabsteigen des Septum Douglasii zu ge- winnen, weil des Autors Schilderungen seiner jüngsten Embryonen die diesbezüglichen Angaben vermissen lassen. Wir lesen (92 a p. 178): „Die von mir nach der BoRN'schen Plattenmodellirmethode ausgeführte plastische Rekonstruktion des Urogenitalapparates von einem 8 mm ^langen menschlichen Embryo zeigt'^: ,, oberhalb der Einmündung der vier Gänge (der beiden Ureteren und der WoLFE'schen Gänge) zeigt der Allantoisgang keine weitere Formveränderung als die durch die hörnerartigen Ausbuchtungen der hinteren Wand bedingte Erweiterung. Der unterhalb der erwähnten Mündungsstelle liegende Abschnitt, der Canalis urogenitalis also, ist in bedeutender Ausdehnung von dem Darme vollkommen getrennt, ehe derselbe in die Kloake ein- mündet." Auf gleich alte Embryonen beziehen sich die Worte (p. 177) : „Weiter abwärts vereinigt sich der Canalis urogenitalis mit dem Darm zu einem gemeinschaftlichem Hohlraum, welcher von Alters her mit dem Namen Kloake belegt worden ist." Soviel erfahren wir von Nagel über die Beziehungen des Canalis urogenitalis zur Kloake; über die Kloakenmembran, deren etwa noch bestehende Kontinuität, also den Abschluss der Kloake nach aussen (worauf das Wort Hohlraum hin- weisen könnte) erfahren wir nichts. Leider bekommen wir auch in der Schilderung des Embryo F (12 mm nach der Härtung) keine Antwort auf unsere Frage. Da heisst es [89 p. 276]: „Distalwärts hat der Sinus urogenitalis auf dem Querschnitt eine ovale Form und ist mit einem kubischen, anscheinend mehrschichtigen Epithel be- kleidet: Die vordere Wand mit kubischem (Epithel des Sinus), die hintere Wand und der grösste Theil der beiden seitlichen Wände mit einem cylindrischen (Epithel des Rectum) ; der Uebergang von dem einen Epithel zum anderen ist aber ein allmählicher." Diese Schilde- rung, mit seinem oben erwähnten Postulat von der Eröffnung des Sinus urogenitalis bei 8 mm langen Embryonen an, zusammengehalten, ist wohl dahin zu ergänzen, dass der untere Theil der vorderen Kloaken- wand fehlt, d. h. dass die Kloakenmembran schon eingerissen ist. Demnach hätte man die Eröffnung des Sinus urogenitalis nach Nagel 40* 6i4 Siegfried Weber. vor der völligen Auftheilung des (auch nach Nagel sicher entodermalen) Kloakenraumes anzunehmen. Eine ganz andere, abweichende Ansicht von den Schicksalen der Kloake und des Sinus urogenitalis entwickelt Mihalcovics 85 in seiner grossen Monographie. Er nimmt nämlich überhaupt keine Auftheilung der primitiven Kloake an, sondern lässt sie zur Bildung resp. Verlänge- rung des Enddarmes herangezogen werden, während „die Mündung des Urogenitalkanales einzig und allein aus dem Endtheil der Allantois entsteht, aus jener Stelle, welche ursprünglich über der Kloake lag und frei in dieser hinein mündete, die Kloake hat an der Bildung des Uro- genitalkanales gar keinen Antheil".^) Die Aftermündung entsteht aus dem Rest des Schwanzdarmes, nach Durchbruch der Aftermembran. Ueber die Zeit der Eröffnung des Sinus urogenitalis finde ich sehr verschiedene Angaben. Koelliker (1. c. p. 437) giebt in der vierten Woche der embryonalen Entwicklung die „Kloaken- mündung" an. Es wäre dies bei Embryonen unter 7 mm Länge. Ihm, schliesst sich Born an. Tiedemann beschreibt das Auftreten der gemeinschaftlichen Oeffnung für After und Genitalien vom Embryo der fünften und sechsten Woche. Meyer 90 fand bei 8 mm langen Embryonen das Darmrohr ganz geschlossen, wie auch seine Rekon- struktion anzeigt. Keibel ^) giebt vom Embryo Hg (Nackenl. 14 mm, Alter 36 — 37 Tage) der His'schen Sammlung an : „Der Schwanz liegt der noch geschlossenen Afteranlage dicht an und deckt auch noch einen Theil der Ausmündung des Sinus urogenitalis, der sich eben nach aussen geöffnet hat." Reichel 93 b p. 776 „fand bei 2 menschlichen Embryonen von 18 resp. 20 mm Steissnackenlänge den Sinus urogeni- talis im hinteren Abschnitt des Kloakenseptum eröffnet, den Mastdarm indes noch völlig blind endigend". Tourneux 92 b giebt in seiner Fig. 27 einen Sagittalschnitt vom Embryo 8 mm wieder, welcher auf das deutlichste den Verschluss der geräumigen entodermalen Kloake illustrirt. In der Textfigur III sehen wir einen embryon 14 mm section sagittale et axile de l'extremite inferieure, apres fixation par le liquide de Mueller et durcissement par le gomme et l'alcohol: „Le sinus urogenital (canal allantoidien) communique encore largement avec le rectum par la cavite du cloaque; celle ci est limitee en bas par le bouchon cloacal, dont la partie posterieure repondant au rectum est dejä reconnaissable comme membrane anale. La saillie du tubercule genitale s'etend superieurement jusqu'au cordon ombilical; sa moitie inferieure est occupee sur la ligne mediane par le bouchon cloacal". Im Allgemeinen giebt Tourneux die Eröffnung des Sinus urogenitalis durch die sondure du buchon cloacal „entre les Stades 18 et 20 mm" •) 8B p. 312. *) 96 p. 82. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 616 an. Bei His 80 finden wir Rekonstruktionen des Eingeweiderohres vom Embryo Sj 12,5 nmi. Nach Tabelle I ist der Erhaltungszustand dieses Embryo „vorzüglich", die Kloake ist ventral geschlossen. Ferner das Eingeweiderohr des Embryo Sch^ 13,8 mm, der ebenfalls „vorzüglich" erhalten war. Auch hier ist das Eingeweiderohr noch geschlossen. Zwischen dem Ende der Bursa und der Steissbeinspitze des Körpers ist ein Einschnitt entstanden, der anfangs nicht vorhanden war. Im Grunde dieses Einschnittes bildet sich die Afteröffnung aus. Nagel nimmt, im Gregensatz zu Keibel, His, Reichel, Toukneux, Meyer, mit KoELLiKER die Eröffnung des Sinus urogenitalis bei Embryonen von 8 mm an, wie aus seinen oben citirten Worten hervorgeht. An dieser Stelle sei auf eine auffällige Inkongruenz zwischen den Ausfüh- rungen Nagel's im Text ^) und seiner Fig. 1, Taf. XV hingewiesen. Im Text lesen wir die viel citirte Beschreibung der „normalen" Kloaken- grube. Er fährt fort: „Sagittale Längsschnitte durch Embryonen der erwähnten Grösse (1 1 — 13 mm) zeigen in klarer Weise (cf. Fig. 1, Taf. XV), dass wir eine einzige Grube vor uns haben". „In diese Grube münden hinten der Darm, vor diesem der Sinus urogenitalis oder Canalis urogenitalis, wie Rathke ihn besser benennt." Ver- gleichen wir die Figur, so finden wir nach p. 286, dass es sich um den Sagittalschnitt eines 19 mm langen Embryo handelt, und einem solchen entspricht er auch vollkommen (cf, Tourneux 1. c. Fig. 28). Es ist in hohem Maasse bedauerlich, dass Nagel in der grossen Reihe von Abbildungen, die seine zahlreichen Arbeiten bieten, keinen einzigen Schnitt abbildet, der seine Behauptung stützen könnte. Denn wer könnte aus der Betrachtung einer Zeichnung wie Fig. 2 Taf. XV, „Aeussere Genitalgegend e. menschl. Embr. v. 10 mm", die Ueber- zeugung gewinnen, hier mündet Darm und Sinus urogenitalis frei nach aussen? Diese Unterlassung ist aber um so mehr zu bedauern, als wir keine Abbildung eines menschlichen Embryo von 11 — 13 mm be- sitzen, bei dem der Sinus urogenitalis frei nach aussen mündet. Bei Säugethierembryonen wurde der Sinus urogenitalis von Kanin- chen, Schaf und Schwein als Paradigmen untersucht von Retterer 90, MiHALCOvics 85, Strahl 86, Tourneux 90, Keibel 94, 97 , Reichel 93 a, b. 2) Für das Kaninchen geben Retterer, Mihalcovics, Strahl die Eröffnung des Sinus bei 11 — 12 mm langen Embryonen, am 14. Tage ca., an. Mihalcovics giebt eine detaillirte Beschreibung des Vorganges 1) 89 p. 266, 267. ") Dass sich noch in zahlreichen anderen Arbeiten Hinweise auf die Bildung des Sinus urogenitalis bei verschiedenen Säugern finden, braucht kaum erwähnt zu werden. Für die vorliegenden Untersuchungen erschien es genügend, die haupt- sächlichsten Arbeiten anzuführen, die sich mit den uns interessirenden Fragen ein- gehender beschäftigen. Q\Q Siegfried Weber. und erläutert sie durch zahlreiche Abbildungen (Taf. IV, 48 — 53). Da diese Beschreibung seiner oben angegebenen abweichenden Ansicht zu Grunde liegt und diese begründen soll, so verlohnt es sich hier darauf einzugehen. Die Fig. 52 stellt einen Sagittalschnitt durch einen 10 mm langen, die Fig. 53 einen solchen durch einen 12 mm langen Kaninchen- embryo dar. Diese beiden Figuren sollen illustriren, dass „die Mün- dung des Urogenitalkanales (Fissura urogenitalis) einzig und allein aus dem Endteil der Allantois" hervorgeht, „aus jener Stelle, die ursprüng- lich über der Kloake lag und frei in diese hineinmündete". Folgen wir seinen Figuren und der Bezeichnung, so geht dieses auch unzweifel- haft aus denselben hervor. Doch meine ich, dürfen wir von seinen Figuren nicht ohne weiteres auf die Lage der Theile in der Wirklich- keit schliessen, denn — sie sind Schemata, wie z. B. sofort aus einem Vergleich mit Retterer's Figuren hervorgeht. Es ist interessant, dass wir bei Eetterer 90 in den Fig. 21 u. 22 PI. V genau die gleichen Stadien in Längsschnitten finden wie bei MiHALCOVics. Doch sind die Abbildungen grundverschieden. Fig. 21 bei E.ETTERER entspricht Fig. 52 bei Mihalcovics. Der wesentlichste Unterschied ist die Lokalisation der Kloakenmembran. Sie ist von Mihalcovics an ganz anderer Stelle gegeben als von Retteeer. Bei Letzterem sehen wir deutlich die vom anderen Gewebe scharf unter- schiedene Kloakenmembran, bei Ersterem ist die Stelle zwischen Schwanz- darm und Körperoberfläche als Aftermembran (t c 1) bezeichnet, doch sehen wir keine Grenze derselben nach oben oder unten. In Fig. 53 soll ein schwacher Schatten, mit sug bezeichnet, die Stelle andeuten, wo der Sinus urogenitalis frei mündet, bei Eetterer finde ich Fig. 22 dort die dicke Kloakenmembran. Sodann wäre auf die sehr ver- schiedene Lage des Septum Douglasii in den Figuren der beiden Autoren hinzuweisen, und andere zahlreiche Differenzen, die weit über das Maass der individuellen Schwankungen innerhalb der physiolo- gischen Breite hinausgehen. ToüRNEüx's 88 Untersuchungen über den Sinus urogenitalis des Schafes führen zu dem Ergebniss: „II ne nous parait pas possible de preciser des maintenant l'epoque a la quelle se perfore le bouchon cloacal. Sur un embryon de 32 mm (sexe femelle) le sinus urogenital s'ouvre librement ä l'exterieur et se continue sous forme de gouttiere (urethrale) le long du bord inferieur de la lame cloacale. Par contre chez un embryon male de 45 mm le bouchon cloacal est encore eutiere- ment plein." Reichel schildert beim Schwein die Oeffnung des Sinus urogenitalis : „Bald nachdem das Septum Douglasii den Boden des Kloakenganges erreicht hat, beginnt sich das Kloakenseptum zu entfalten. Seine Zellen weichen von der Oberfläche nach der Tiefe zu einfach auseinander, ohne dass ein nennenswerter Zerfall von Zellen dabei stattfindet. Mit Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 617 vollendeter Entfaltung des Septum durch seine ganze Tiefe mündet die Kloake und zwar zunächst der Sinus urogenitalis frei nach aussen ; die Erö£fnung des Mastdarmes erfolgt etwas später." Bei seinen 22 mm langen Embryonen münden der Mastdarm und das hinterste Ende des noch andeutungsweise vorhandenen Kloaken- ganges frei nach aussen, während die Genitalrinne erst an ihrem hinteren Ende dadurch entstanden ist, dass die Entfaltung des Kloaken- septum in 2 seitliche Schichten von aussen nach innen eben beginnt. 25 mm lange Embryonen zeigen die Mündung des Sinus urogenitalis mit enger Oeffnung am tiefsten Punkte der Genitalrinne. Keibel schliesst sich diesen Ausführungen an. Auf die specielleren Ergebnisse, besonders Keibel's, werde ich noch ausführlich weiter unten einzugehen haben. ^) Exkretionsdrüsen. Urniere und bleibende Niere der Amnioten haben eine sehr ein- gehende Untersuchung erfahren. Es existirt eine bedeutende Literatur über die Entwicklung beider Organe. Jedoch sind die Gesichtspunkte, welche für die Autoren bei ihren Untersuchungen maassgebend waren, meist andere als die uns hier interessirenden. Die Höhe der Aus- bildung des specifischen Urnierenparenchyms, die zeitlichen und funk- tionellen Beziehungen zwischen Mesonephros und Metanephros bei den verschiedenen Säugern, das waren die Gesichtspunkte, nach denen die Literatur über die Exkretionsdrüsen von mir durchgegangen wurde. Urniere. Sehr eingehende Behandlung des WoLEF'schen Körpers beim Menschen finden wir bei Nagel 89 a, b, H. Meyer 90, Mihal- covics 85 und anderen. Besonders die NAGEL'schen Arbeiten verdienen eine genauere Berücksichtigung, weil in ihnen fast alle Fragen erörtert werden, welche hier untersucht werden sollen. Nach Nagel kann es nicht zweifelhaft sein, dass in den Wolef- schen Körpern durch die Ausbildung der MALPiGHi'schen Körperchen und der Querkanälchen bei 12—13 mm langen menschlichen Embryonen die Sekretionsfähigkeit potentia gegeben ist. Er resumirt (89 a p. 289) : „Der Schluss scheint mir berechtigt, dass die Glomeruli des Wolef- ^) Bei Vögeln ist die Eröffnung des Sinus urogenitalis von Mihalcovics studirt und am 7. — 8. ßebrütungstage angegeben. Dem steht die eingehende Untersuchung Wenkenbach's (genauer referirt im Braun Kl. u. Ordn. Bd. VI) gegenüber, welcher das primitive Urodaeum mit dem Proctodaeum erst am 15. — 16. ßebrütungstage in freie Verbindung treten lässt. Soweit meine eigenen Beobachtungen hierüber reichen, konnte ich bei 160 Stunden bebrüteten Hühnchenembryonen noch keine freie Verbindung des Uro- daeum mit dem Proctadaeum sehen. Die WALDEYER'sche (70) Angabe von der Er- öffnung der Kloake um die 99. Bebrütungsstunde entspricht wohl nicht den that- sächlichen Verhältnissen. 618 Siegfried Weber. sehen Körpers, so lange sie die erwähnte Uebereinstimmung in ihren Grössenverhältnissen zeigen, auch funktionsfähig sind und dass ihr Wachsthum wenigstens bis zu einer Grösse des Embryo von 22 mm Schritt hält mit dem Wachsthum des Embryo." Ihm wie Mihalcovics ist die unverhältnissmässige Grösse der MALPiGHi'schen Körperchen aufgefallen, Nagel deutet sie aber anders als Mihalcovics. Nagel nimmt zur Stütze seines Schlusses auf die Sekretion eine quasi kom- pensatorische Hypertroj)hie der Glomeruli an : Die relativ geringe Anzahl der Gefässknäuel bürde jedem einzelnen eine grössere Arbeits- last auf, welche Mehrforderung den verhältnissmässig grossen Umfang bedingt. Mihalcovics dagegen ist der Ansicht, dass die Blutbildung eine der Funktionen der ürniere sei und erklärt durch diese die Grösse der Glomeruli, auf den ausserordentlichen Blutreichthum im WoLFE'schen Körper hinweisend. In gleicher Richtung könnte man, wenigstens für die Bildungszeit der Glomeruli, Angaben von Bornhaupt und Braun über die Urniere von Vögeln und Reptilien verwerthen. Genannte Forscher fanden in den Glomerulusanlagen Blutkörperchen zu einer Zeit, wo noch keine zuführenden Gefässe den Glomerulus mit dem Blute des fötalen Kreislaufs verbanden, Blutkörperchen, die also nur in loco entstanden sein konnten. H. Meyer 90 beschreibt die Gefäss- bildung in dem anfangs soliden Zellhaufen der Glomerulusanlage als dadurch anstanden, dass durch Zerfall centraler Zellen Lichtungen ent- standen, in welche das Blut aus den angelagerten Blutgefässen sich er- giesst. Anhaltspunkte für eine Blutbildung in den Glomerulis kann er nicht finden. Die Rückbildung der Urniere beim Menschen erörtert Nagel: „Nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge ist es meines Erachtens nicht möglich, den Zeitpunkt der beginnenden Rückbildung der Urniere bestimmt anzugeben. Erschwert wird die Entscheidung dieser Frage durch den Umstand, dass im proximalen Theile die Glo- meruli von vornherein kleiner, die Kanälchen enger sind als in der übrigen Urniere.'^ ^) V. Mihalcovics verlegt die höchste Entwicklung der menschlichen Urniere in die sechste bis siebente Woche, Ackeren 89 und Beaure- GARD 77 haben schon die Rückbildung bei je einem Embryo von 21 und 20 mm beobachtet. Nach meinen Untersuchungen bin ich geneigt, den Zeitpunkt etwas weiter hinauszuschieben; bei Embryonen von 22 mm Länge beiderlei Geschlechts habe ich noch keine beginnende Rückbildung mit Sicherheit nachweisen können.^" An anderer Stelle *) Die Beobachtungen von H. Meyer 90 (p. 163) widersprechen dieser Be- hauptung. Die Glomeruli sind bei 8 mm langen Embryonen im obersten Viertel der Urniere am grössten und am weitesten ausgebildet. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 619 89 b, finden wir die funktionellen Beziehungen zwischen Urniere und Niere behandelt (p. 146): „Die Niere übernimmt von diesem Zeit- punkte an (Ende des zweiten Schwangerschaftsmonats) die Funktion des WoLFF'schen Körpers nach und nach, zumal der fötale Bau der Niere, wie oben nachgewiesen, eine solche zulässt. Die Niere über- nimmt die Harnsekretion nicht plötzlich, denn ein funktionsfähiger WoLFF'scher Körper ist zur Zeit, wo die bleibende Niere schon ziem- lich entwickelt ist, noch vorhanden. Eine Zeit wirken also beide Sekretionsorgane, das provisorische und das bleibende, gemeinschaftlich." Vergleichen wir aber Nagel's Angaben über den Eintritt der Urniereninvolution mit den Daten des ersten Auftretens der Glomeruli in der definitiven Niere, so will uns der Uebergang nicht so glatt und allmählich erscheinen, wie Nagel es schildert. „Die ersten Glomeruli" (in der Niere) „habe ich bei Embryonen von 30 mm gesehen" heisst es bei Nagel (1. c. p. 134). Die Urniere aber beginnt sich nach den übereinstimmenden Untersuchungen aller Forscher bei 22 mm langen Embryonen zu involviren. Diese Sätze lehren uns die bedeutsame Thatsache, dass der mensch- liche Embryo während der Zeit, die zur Vergrösserung seines Körpers von 22 auf 30 mm erforderlich ist, also um 8 mm, eine anfangs nur relative, alsbald aber auch absolute, progrediente Reduktion der secer- nirenden Oberfläche in seiner Urniere erleidet, bis die definitive Niere soweit entwickelt ist, dass ihre ältesten Glomeruli potentia die Fähig- keit der Urinsekretion erhalten haben. Auf die Bedeutung dieser Thatsache für die Funktion der Urniere einzugehen, wird später Ge- legenheit sein. Von Säugethieren ist die Urniere des Meerschweinchens, des Kaninchens und des Schweines am genauesten untersucht. Bischoef 52 p. 45 bemerkt über den WoLFF'schen Körper des Meerschweinchens, dessen spätes Auftreten schon Leuckart aufgefallen war: „Die Allantois verschwindet, wie ich oben angegeben, schon am 18. Tage. Aber erst am 21. Tage erscheint die erste Spur des WoLFF'schen Körpers. Hier herrscht also gar kein Zusammenhang zwischen beiden Organen. Die Allantois ist in keiner Weise ein Behälter der Ab- sonderung des WoLFF'schen Körpers, sondern spielt hier rein die Rolle des Trägers der Nabelgefässe des Embryo. Uebrigens entwickeln sich Harnwerkzeuge und Genitalien, sich an die WoLFF'schen Körper an- lehnend, ganz in der anderweitig bekannten Art und Weise." MiHALCOVics giebt sehr ausführliche Angaben über die Ausbildung und den Bau des WoLFF'schen Körpers besonders bei Kaninchen und Schwein. Die Höhe der Entwicklung erreicht die Urniere bei 18 bis 20 mm langen Kaninchen-, bei 25—30 mm langen Schaf- und Rinderembryonen. Das Schwein hat als 5 — 6 cm langer Embryo eine ausgebildete Urniere von 8 — 9 mm Länge, ein stark konvexes keulen- 620 Siegfried Weber. förmiges Organ, oben 3, unten 2 mm breit. Die Struktur der ausge- bildeten Urniere gleicht nach dem Autor im Wesentlichen dem Bau der bleibenden Niere, doch fällt die excessive Grösse der Malpighi- schen Körperchen auf, die beim 5 — 6 cm langen Schwein 0,5 mm gross sind. lieber die gewundenen weiten Theile der Urnierenkanälchen 15 mm langer Kaninchen theilt Mihalcovics mit: „Die Cylinderzellen sind höher, ihr gelbliches Protoplasma bindet den Farbstoff kaum und ist mit vielen kleinen Körnchen vollgestopft ; ihre Zellen zeigen ver- schwommene Grenzen, so dass man an Schnitten oft in ein diffus gelb- liches Protoplasmalager eingestreute Kerne zu sehen meint, woraus zu folgern ist, dass der Zellkörper sehr weich ist; vom freien Ende der Zellen gehen unregelmässige farblose Fortsätze ab, die mit einem das Lumen des Kanälchens ausfüllenden geronnenen Netzwerke zusammen- hängen. Alles das beweist zur Genüge, dass hier der sekretorische Abschnitt des Urnierenkanälchens vorliegt." Dieser Deutung schliessen sich Nagel und Janosik 85 an. Die histologischen Vorgänge bei der Involution der Urniere finden eingehende Besprechung bei Mihalcovics. Ich kann es mir nicht ver- sagen, diese Schilderung hier in extenso wiederzugeben, da es sehr wichtig erscheint, feste Anhaltspunkte zur Beurtheilung beginnender oder fortgeschrittener Rückbildung zu besitzen. Diese Vorgänge bei 16 — 18 mm langen Kaninchen- und Hühnerembryonen vom 8. — 9. Be- brütungstage „bestehen zunächst darin , dass keine neuen Urnieren- knospen und -kanälchen entstehen und die Windungen der schon vor- handenen nicht mehr zunehmen ; die weiten sinuösen Blutgefässe zwischen den Kanälchen gestalten sich zu Gefässen gewöhnlicher Dimensionen und die dadurch entstandenen Räume werden durch inter- stitielles Bindegewebe ausgefüllt, das vor diesen Vorgängen in äusserst geringer Menge zwischen den Kanälchen vorhanden und von sehr lockerer Beschaffenheit war. Zugleich verändert sich das Epithel in den gewundenen Kanälchen ! Die für die Sekretionsabschnitte charakte- ristische Beschaffenheit geht allmählich verloren und die Zellen ge- stalten sich zu gewöhnlichen Cylinderzellen, deren Körper sich stärker färbt wie vorher. In diesem Zustande verbleiben die Kanälchen beim Hühnchen vom 8.— 16. oder 17. Tage, beim Kaninchen bis 3,5 und 4 cm Länge, — dann beginnen sie zu veröden. Die Zeichen der be- ginnenden Schrumpfung sind daran zu erkennen, dass die gewundenen Kanälchen enger werden, in einem grossen Theile der Zellen treten viele kleine Fettkörnchen auf und der Zellkörper löst sich zu einem fettigen Detritus auf, welcher das Lumen der Kanälchen erfüllt; an Stelle der Kanälchen findet man dann gewundene solide Zellstränge, bestehend aus den noch nicht zu Grunde gegangenen Zellen der Kanälchen, die von einem zellenreichen Stroma wenig abstechen und Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 621 darum der Beachtung leicht entgehen. Inzwischen erstrecken sich die Veränderungen auch auf die MALPiGHi'schen Körperchen; ihre Ver- ödung beginnt mit der Schrumpfung der zuführenden Gefässe ; der kleiner gewordene Glomerulus füllt die BowMAN'sche Kapsel nicht mehr ganz aus, wodurch in deren Inneren ein grösserer Zwischenraum um den Gefässknäuel entsteht. Auch die Kapsel folgt dem zurück- weichenden Gefässknäuel, legt sich in Falten an letzteren an und dann findet man an Schnitten die Reste der MALPiGHi'schen Körperchen in Form solider Zellknospen zwischen den in Schrumpfung begriffenen Urnierenkanälchen . " Im Allgemeinen giebt Mihalcovics das Eintreten der geschilderten regressiven Veränderungen an für Vögel im ersten Drittel, Säuger im ersten Viertel und für den Menschen im ersten Fünftel der Ent- wicklung. Der Autor erklärt diese Thatsache dadurch, „dass die Funktion der Urniere als Exkretionsapparat auf eine immer geringere Zeit des Embryonallebens zurückversetzt wird, weil dessen Organisation bei den höheren Amnioten den gesteigerten Anforderungen der Ex- kretion schon in früher Zeit nicht genügt, was selbstverständlich eine frühere Entfaltung der bleibenden Niere nach sich zieht". Wir finden also auch hier die Beziehung des Metanephros zu Mesonephros, als „selbstverständlich" funktionell im Individuum einander ablösend, betont. Sehr interessante Mittheilungen über die Urniere bei den Beutel- thieren verdanken wir Selenka 87, Die Beuteljungen verlassen be- kanntlich in sehr unreifem Zustande den mütterlichen Uterus. Am 13. Tage nach der Begattung im Beutel von Didelphys gefundene Beuteljunge weisen Urnieren auf, welche „noch deutlich die ursprüng- liche Segmentiruug (?) erkennen" lassen. Auf dem gezeichneten Schnitte, einem etwas schematisirten Querschnitt, wird die Urniere als ein sehr umfängliches Gebilde („der Schnitt hat zufällig keine Glomeruli ge- troffen") dargestellt. Die Dauerniere ist in diesem Stadium noch sehr klein. Diese leider sehr fragmentarischen Angaben Selenka's beweisen, dass beim Opossum auch nach der Trennung von Mutter und Kind die Urniere persistirt, und daher fasst Selenka sie in Ansehung der geringen Entwicklung der Niere als harnabsonderndes Organ auf. In einer späteren Arbeit (Gadow u. Selenka in Bkaun's Klassan und Ordn. Bd. VI 91) spricht sich Selenka über die Funktion der Urniere dahin aus : „Bei den Vögeln und Säugethieren scheint sie nie, auch nicht im Embryo zu funktioniren, sondern sie tritt nur als rudi- mentäres Organ auf, welches sich wieder auf kleine Spuren rückbildet (Nebenhoden, Nebeneierstock)." ^) ^) Beim Hühnchen beginnt nach Sedgwick (94), Mihalcovics (85), Bornhaupt (67), Jänosik (85) und Rehiack die Bildung der Urniere am 3. oder 4. Bebrütungstage. Nach JüiHALCOYics sind am 5. Bebrütungstage ca. die Glomeruli soweit entwickelt, 622 Siegfried Weber. Definitive Niere. So ausgedehnt die Untersuchungen über die Herkunft der epithelialen Elemente in der bleibenden Niere sind und so viel erörtert die Frage nach der Entstehung der MALPiGHi'schen Körperchen und gewundenen Kanälchen aus dem Nierenblastem, oder durch Ausstülpungen aus der primitiven Nierenknospe, der Ureter- anlage, ist, so wenig habe ich über die Zeit des Auftretens der Glome- ruli finden können. Und doch ist man wohl zu der Annahme berechtigt, dass erst von der Zeit ab von einer Harnausscheidung in der Niere die Rede sein kann, da sich wohigebildete gefäss- und bluthaltige Glomeruli in denselben finden. Nagel giebt, wie schon oben erwähnt, das erste Auftreten der fertigen Glomeruli beim Menschen von 30 mm Länge an. Keibel ^) sah bei Schweineembryonen von 1,9 cm Länge die ersten Anlagen der Glomeruli und Tubuli contorti in den definitiven Nieren; bei 2,4 cm langen Embryonen fertige Glomeruli. Ove Hambukger 90 beschreibt sehr eingehend die Entwicklung der definitiven Niere bei der Maus (Mus musculus). AVenn ich seine Beschreibung richtig deute, sind bei dass ßie ihre von Mihalcovics angenommene exkretorische Funktion übernehmen können. Am 8. — 9. Bebrütungstage sah Mihalcovics bereits regressive Verände- rungen in dem Urnierenparenchym. Ich habe bei 80 Stunden alten Embryonen in den ürnieren Glomeruli gesehen, deren Grösse und Ausbildung den Glomeruli eines 22 — 23 Tage alten Meerschweinchens entsprachen. In der zweiten Hälfte des 7. Bebrütungstages konnte ich kräftig entwickelte WoLFp'sche Körper ohne Anzeichen beginnender Involution konstatiren. In dem Nierenmesenchym treten nach Boenhaupt am 9. Bebrütungstage die ersten Glomerulusanlagen auf, ein Zeitpunkt der mir nicht zu spät angegeben er- scheint, da ich in der zweiten Hälfte des 7. Bebrütungstages noch keine An- deutungen von Anlagen der Tubuli contorti oder Glomeruli sah. Keinesfalls sind am 9. Tage in der Nierenanlage schon fertige funktionsfähige Glomeruli vorhanden. Ein Vergleich der Zeit beginnender Rückbildung der Urniere (am 8 — 9. Tage) mit der Zeit vollendeter Ausbildung der Nierenglomeruli ergiebt auch für das Hühnchen einen Zeitraum, in dem eine Stockung der Sekretion anzunehmen wäre, wenn wir nicht auf Grund des hierin liegenden „Widersinnes" die Annahme einer irgendwie beträchtlichen Harnsekretion der Urniere fallen lassen. Ganz anders verhält sich die Urniere der Reptilien, welche nach den Arbeiten von Braun (77), Wiedersheim (90), Hofpmann (91) (in Bronn (91), Klassen u. Ordn.) ihre hohe Ausbildung weit über die Dauer des Embryonallebens hinaus behält, so dass sie im jungen Reptil „sehr lange über das erste Lebensjahr hinaus" noch als Harndrüse funktionirt. Zwar beginnen die Rückbildungsprocesse nach Hoffmann schon in einer ziemlich frühen Zeit des Embryonallebens, schreiten aber ganz ausserordentlich langsam vor sich und vermindern nur die relative Grösse des Organs, während die absolute Grösse noch zunimmt. Nach Wiedersheim ist die Ursache der Rückbildung der Urniere bei den Aranioten zu einem Theil in mechanischen Verhältnissen der Organlage und -grosse zu suchen. ^) 97 N. T. Tabelle 90, 92. 94 Studien II. Tabelle 68, 69. Äur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 623 11 — 12 mm langen Embryonen die MALPiGHi'schen Körperchen als potentia funktionsfähig anzusehen. Dass die erste Anlage der Niere als Ausstülpung aus dem untersten Theile der dorsalen Wand des WoLrr'schen Ganges ent- steht, welche vom Nierenblastem umgeben ist, ist eine Annahme, welche von fast allen Autoren als Thatsache aufgefasst wird. Sie ist in neuester Zeit von Keibel 96 wiederum besonders hervorgehoben und für menschliche Embryonen ausser allen Zweifel gestellt. Um so auf- fallender ist es, dass kein geringerer als Gegenbaur 92 noch immer schreibt (Bd. II p. 124): . . . „So verhält es sich noch beim Hühnchen, indes bei Säugethieren die Anlage der Niere eine grössere Selbstständig- keit gewonnen hat, da der Nierengang nicht mehr vom TJrnierengange aus, sondern vom Urachus entsteht." Keibel beschreibt die erste Nierenanlage eines menschlichen Em- bryo von 6,5 mm gr. L. An seinem Wachsmodell sieht man deut- lich die Nierenknospe „dorsal, ja mediodorsal aus dem WoLFE'schen Gange hervorsprossen". Seine Embryonenreihe zeigt, „dass die Ein- mündungsstelle des Ureters in den WoLFF'schen Gang allmählich ganz auf die laterale Seite herüberrückt. Gleichzeitig mit diesem Entwick- lungsvorgang bahnt sich die Trennung vom WoLFF'schen Gang und Ureter dadurch an, dass das Stück des WoLFF'schen Ganges, welches kaudal von der Einmündung des Ureters liegt, immer kürzer wird" (p. 137). Bezüglich des entwicklungsmechanischen Vorganges bei der Ureterenwanderung schliesst sich der Autor der von Mihalcovics für das Kaninchen gegebenen Erklärung an. Nagel giebt von seinem 8 mm langen Embryo an, der Ureter münde lateral in gleicher Höhe wie der WoLFF'sche Gang in eine seitliche hornartige Ausbuchtung des Allantoisganges. Hierzu ist zu bemerken, dass sowohl der Embryo Ru der His'schen Sammlung von 9,1 mm Nl. Fig. 12 der Normentafel, wie der Embryo H.s. Bul. 11,5 mm Nl. Keibels, noch einen deutlichen, wenn auch kurzen Allantoisschenkel besitzen, wie das besonders deutlich aus dem Modell des H.s. Bul. hervorgeht. Das jüngste Stadium der Nierenanlage beschreibt Nagel nicht, er erklärt die Lageveränderung der Ureteren von seinem 8 mm langen Stadium zur definitiven Lage dadurch, dass er sagt: „Durch die Er- weiterung und das Längenwachsthum des Allantoisganges werden die Ureterenmüudungen in die Höhe genommen,^) bis dieselben ihre natür- liche, den Verhältnissen Erwachsener entsprechende Lage bekommen." Sowohl Keibel wie Böen 94 halten Nagel's Erklärung für „absolut unzureichend". ^) Bei menschlichen Embryonen über 22 — 24 mm Länge. 624 Siegfried Webef. An Säugethiereu 0 ist die erste Anlage der definitiven Niere von KuPFFER 65 an Schaf- (und Hühner)embryonen gefunden worden. Bei 8 mm langen Schafembryonen stellte er fest, „dass das bleibende Harnsystem zuerst als blindsackförmige Ausstülpung aus der Rück- wand des WoLFP'schen Ganges hervorgeht". Die Trennung der Ure- teren vom "WoLFF'schen Gange beschreibt er: „Während nämlich beim Schaf der beiden Kanälen gemeinschaftliche Stamm sich zunächst ver- längert, wird die Leiste, die beide Kanäle umschliesst, derartig dislocirt, dass ihr Beckenende allmählich von der Bückenwand nach vorn an die Bauchwand rückt, bis die Leisten beider Seiten in der vorderen Mittellinie mit ihren Enden zum Genitalstrang verschmelzen, dabei findet zugleich eine solche Drehung statt, dass der ursprünglich aus der hinteren Wand des WoLFF'schen Ganges entspringende Nieren- kanal jetzt zwischen WoLFF'schem Gang und der Blase zu liegen kommt und seine Kommunikation auf dem kürzesten Wege herrstellt. Anders geht es beim Hühnchen vor sich! Hier beginnt gleich nach der Entstehung der blindsackförmigeu Nierenanlage ihre Trennung vom WoLFF'schen Gange, indem beide abwärts gegen die Kloake sich von einander lösen. Da das beiden gemeinschaftliche Stück ohnehin kurz ist, so ist bereits nach 20—24 Stunden die Trennung erfolgt und die Nierenkanäle münden etwas oberhalb der WoLFF'schen Gänge in die Kloake. So trifft man die Verhältnisse am Ende des 6., Anfang des 7. Tages." Ebenfalls Schafembryonen wurden von Eiede 87 auf die Ureterenausstülpung untersucht. 8 mm lange Embryonen zeigten die erste Anlage der Nierenknospe dorsal am WoLFF'schen Gange ; auf der einen Seite war die Ursprungs- stätte sogar ein wenig gegen die mediale Seite gewendet. In den Stadien zwischen 9 und 10 mm trat die Wanderung der Ureteren an die laterale Seite des WoLFF'schen Ganges ein, und war bei 10 mm langen Embryonen schon vollendet. Ueber die Ursachen dieser Wande- ^) Beim Hühnchen sah ich, übereinstimmend mit den Angaben von Born- haupt (67), KuPFFER (66), Sedgwick (94) und anderen, die Nierenknospe aus dem mediüdorsalen Wandtheil des distalen Endes des WoLFF'schen Ganges hervorsprossen. Bei 80 Stunden alten Embryonen war die Ureterausstülpung noch sehr kurz. Sie legt sich seitlich an das geringentwickelte Nierenblastem an. Die Nierenknospe ändert ihre Lage, wie ich im Gegensatz zu der Angabe Kupffer's bemerken will, nicht innerhalb 20—24 Stunden durch Aufnahme des Allantoisschenkels in das Uro- daeum. 120 Stunden bebrütete Embryonen zeigten noch deutlich einen kurzen AUantoisschenkel, der erst bei 140 Stunden alten Hühnchen verschwunden war. Eine Verschiebung der Uretereinmündung lateral am WoLFF'schen Gange tritt nicht ein, entsprechend der Lage des Ureters im erwachsenen Thiere medial vom Wolff- schen Gange. Bei Tropidonotusnatrix zeigte sich das schon von Braun (77) beschriebene ganz analoge Verhalten der Ureterenausstülpung und bei Lacerta agilis an jedem WoLFF'schen Gange eine cranial- und eine caudalwärts gerichtete Nierenknospe. Zur Entwicklungsgescliichte des eufopöetischeü Apparates bei Säugern etc. 625 rung macht er keine Angaben, „da sie wohl nicht zu ermitteln wären". Sedgwick Minot 94 schliesst sich dieser Darstellung Kupffer's an. MiHALCovics' Untersuchungen über diesen Gegenstand beziehen sich im Wesentlichen auf Kaninchenembryonen. Das erste Auftreten der Nierenknospe finden wir bei ihm nicht verzeichnet, sehr genau aber schildert er die Wanderung der Ureteren und erklärt, Küpffer kriti- sirend, die Verlagerung des distalen Ureterenendes an die Harnblase „auf eine viel einfachere Weise, als es Kupffer angab, nämlich durch Aufnahme der kurzen Allantoisschenkel in die Wand des Urogenitalkanales, welchem Vorgang eine Ver- kürzung und Verbreiterung der ersteren vorangeht. Nach der Auf- nahme der Allantoisschenkel münden beide Gänge gesondert in den Urogenitalkanal, aber anfangs noch ganz nahe an einander, der lateral- wärts gelegene Ureter etwas höher als der WoLFr'sche Gang. In der Folge rücken aber die Einmündungsstellen der Ureteren an der hinteren Wand des Urogenitalkanales immer höher, bis sie an die Grenze der spindelförmig erweiterten Harnblase, dann an deren hintere Wand ge- langen. Dabei soll man natürlich nicht an ein aktives Hinaufwandern denken , sondern einfach an eine eingeschobene Verlängerung der hinteren Wand der Allantois zwischen den Einmündungsstellen beider Gänge." Eine Drehung der Ureteren um die Achse der WoLFF'schen Gänge findet nicht statt. Eeichel 93 a, b, kommt nach seinen Untersuchungen an Schweine- embryonen zu der Annahme, „dass einmal die seitlichen Abschnitte des oberen Theiles des Sinus urogenitalis — die Ureteren gingen ja seitwärts der WoLFF'schen Gänge ab — stärker nach oben wachsen als die mittleren, dass andrerseits die vorderen Ränder der ja doch zu Spalten umgeformten unteren Theile der Urnierengänge von oben nach unten eine Strecke weit mit einander verwachsen. Dadurch geht ihre Kommunikation mit der Blase verloren und rückt ihre Mündung auf die Rückwand der pars prostatica urethrae." Bei allen diesen Erklärungen ist das Stadium als das erste ange- nommen, wo der Ureter bereits seine laterale Lage zum WoLFF'schen Gange erreicht hat, wir vermissen Angaben darüber, wie es kommt, dass die dorsale, ja mediodorsale Lage des Ureters sich in die laterale verwandelt, eine Frage, die, wie mir scheint, Küpffer allein zu er- klären versuchte durch die Drehung des WoLFF'schen Ganges um 180". Eine phylogenetische Begründung der primär dorsomedialen, später lateralen Lage des Ureters am WoLFF'schen Gang giebtKEiBEL.^) Nach ihm war die Einmündung der Ureteren in die dorsomediale Wand des WoLFF'schen Ganges das phylogenetisch primitive. „Bei Beutlern 1) 96 p. 148. 626 Siegfried Weber. bleibt das primitive Verbalten so lange bestehen, bis das untere Ende des WoLFF'schen Ganges in die Blase aufgenommen ist. Der Ureter liegt nun medial vom "WoLFF'schen Gange; bei den höheren Säugern dagegen gewinnt der Ureter, bevor das untere Ende des WoLFF'schen Ganges in die Blase aufgenommen wird, die laterale Seite des Ganges ; so liegt dann der Ureter später lateral von den WoLFF'schen Gängen und ebenso lateral von den MÜLLEß'schen Gängen." Eigene Untersuchungen. Vorangestellt sei eine Uebersicht des untersuchten Materials in Tabellenform. Die Tabellen wurden nach dem Vorbilde der in den KEiBEL'schen Normentafeln zur Entwicklungsgeschichte des Schweines gegebenen angelegt. Sie sollen einmal den Vergleich ermöglichen der Embryonen verschiedener Species mit einander nach Maassgabe ihrer Entwicklungsstufe, sodann aber auch die Beziehungen veranschaulichen, in denen die Ausbildung der einzelneu Theile des Exkretionsapparates zu einander und zur allgemeinen Entwicklungshöhe steht. An die Spitze der Tabellen wurden die Entwicklungsstatus zweier menschliclier Embryonen von 11,5 mm Nl. gestellt, deren einer vom H. s. Bul. der KEiBEL'schen Arbeit, erhoben wurde. Der zweite Embryo H.S.J2 wurde mir von Herrn Prof. Keibel gütigst zur Bearbeitung übergeben und soll zum Vergleich mit H. s, Bul. dienen. Dann folgen von den Säugern mit frühzeitig geschlossener oder sehr enger Allantois Maus (Mus musculus) und Meerschweinchen, endlich von solchen mit persistirender Allaiitoisblase Maulwurf und Schwein. Vom Schwein wurden zwei wichtig erscheinende Stadien aus der Normentafel zur Entwicklungsgeschichte des Schweines von Prof. Keibel wiedergegeben. Bezüglich anderer Stadien sei auf die in dem erwähnten Werke ge- gebenen zahlreiclien Tabellen verwiesen. Leider war es aus äusseren Gründen nicht möglich, vollständige Parallelreihen der verschiedenen Species zu geben. Das Material verdanke ich zum weitaus grössten Theil der liebens- würdigen Unterstützung meines hochverehrten Lehrers Prof Keibel, der mir sein bedeutendes Material an ungeschnittenen und geschnittenen Ainniotenembryonen bereitwilligst zur Verfügung stellte. Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle Herrn Prof. Keibel meinen ehrerbietigsten schuldigen Dank auszusprechen für die weitgehende Unterstützung und das fördernde Interesse, die er meinen Unter- suchungen angedeihen Hess. Herrn Prof. Zumstein verdanke ich eine Reihe von Meerschweinchenserien. Bearbeitung des Materiales. Der menschliche Embryo H. s.Jg wurde in Alkohol konservirt. Die Mäuse waren, in Chromessig- säure, dem Uterus entnommen, dann in Pikrinsublimat fixirt und in Alkohol gehärtet; sie wurden mit Boraxkarmin gefärbt, in Salzsäure- Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc- 627 alkohol differenzirt, dann in Alkohol wasserfrei gemacht, dem Methyl- grün zur schärferen Differenzirung zugesetzt war (nach Felix), endlich nach dem bekannten Verfahren der Paraffineinhettung behandelt und in Serien zerlegt. In ganz derselben Weise wurden die Embryonen vom Meerschweinchen und Maulwurf behandelt. Die Schwein- und Meerschweinchenserien der KEiBEL'schen Sammlung sind in ihrer Genese in den Normentafeln und den anderen bezüglichen Arbeiten des Autors beschrieben. Morpholog. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VII- ^^ 628 Siegfried Weber. Bez. Maasse Aller I ^:^- Chorda Nerven- system Auge Ohr Nase Hypophyse Mensch H.s. Bul. Tab. 1. N.L. 11,5 mm. 32—33 Tage. Die Chorda noch un- . ge- gliedert. Medullar- rohr reicht bis zur Schwanz- spitze. Das Ge- biet des 4. Ven- trikels schon äusserlich gut kenntlich. Hemi- sphären deutlich gebildet. Das Linsen- bläschen durch wenige Meso- dermzellen vom Ekto- derm ge- trennt. Die ver- dickte hin- tere Wand füllt etwa die Hälfte des Lumens aus. Anlage des Glaskörpers. Pigment- schicht der Retina mit wenig Pig- ment. Labyrinth Primitive beginnt sich Choanen in Bogen- nach der gangs- und Mund- Cochieartheil höhle zu zu sondern, noch ab- Ductus endo- lymphaticus als langer, blind enden- der Kanal vorhanden. ge- schlossen. Der Hypo- physen- auswuchs der Mundbucht steht mit dieser noch frei in Kom- munikation. Das Infundi- bulum stülpt ihn wenig vor. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 629 Ver- dauungs- traktus, Leber, Pankreas Respi- ratious- traktus, , Thymus, apparat Thyreoiden Urogenital- Herz und Gefässe Integu- ment Skelet Extremi- täten Allantois Bemer- kungen Der Magen hat seine rechte Seite nach hinten, die linke nach vorn ge- wendet. Schwanz- darm noch in Resten vor- handen, cf. Anra.2. Leber umfäng- liches Organ. Pan- kreas- anlage einheit- lich. Duct. chole- dochus, mit D. Wirsun- gianus vereint, mündet in Pfleicher Höhe mit Duct. Santori- nianus. In den Lungen- anlagen sind Haupt- und einige Neben- bronchen. Anlage des Dia- phragma. Tliyreoid- an lagen noch nicht ver- einigt. Thymus angelegt. WoLFp'scher Körper wohl entwickelt mit zahlreichen Glomerulis und gewundenen Quer- kanälchen. WoLFF'scher (rang ent- sendet an seinem unter- sten Teil nach lateral den Nierengang. Nierenanlage lässt die An- lage des Nierenbeckens deutlich er- kennen. Septum Dou- glasii hat fast die Kloake aufgetheilt. Sinus uro- genitalis durch Kloaken- platte ver- schlossen, lässt cranial deutlich die Harnblasen- anlage er- liennen, cf. Anm. 3. In letztere münden W. Gr. und Harn- leiter, zu kurzem AUantois- schenkel ver- einigt. Keimdrüse an- gelegt, noch nicht differen- zirt. Ventrikel stehen noch in breiter Kom- muni- kation. Conus ar- teriosus in der Theihing begriffen ; deutliche Venen- klappen. Schmidt'- sche Milch- platte vor- handen, erste Milch- drüsen- anlage. Axen- skelet im vor- knorpeli- gen Stadium. Allantois- g^ang im Embryo noch offen, geht in die Spitze der Harn- blasen- anlage über. Zwischen Fig. 15 u. 16 der His'schen Normen- tafel. *) Anat. Anz. 1893 Nr. 1 Rüse: Ueber d. erste An- lasse der Zahn- leiste beim Men- schen. 2) Arch. f. An. u. Physiol. 1891 Keibel: Ueber den Schwanz des mensch- lichen Embryo. ») Arch.f. An. u. Entw. 1896 Keibel : Entw.- Gesch. d. menschl. Uro- genital- appa- rates. 41* 630 Siegfried Weber. 1 1 Bez. Maasse Alter Körper- form Chorda Nerven- system Auge Ohr Nase Hypophyse Mensch N.L. 32-33 Zwischen Keine Wie beim Linsenbläs- Vorderer Choanen Breite Kom- H. s. 11,5 mm. Tage. Fig. 14 intraver- vorigen. chen liegt und hori- nach der munikation J. 2 Scheitel und 15 tebralen dem Ekto- zontaler Mund- der Hypo- Berlin Nacken- der His'- Ein- derm nahe Bogengang höhle zu physenaus- linie : 8 schen schnü- an. deutlich. noch ver- stülpung mit| | mm. Normen- tafel. Sehr stark ausge- sprochene Nacken- rungen der Chorda. Das Lumen ist knapp zur Hälfte aus- gefüllt. In der Pigment- schicht wenig Pig- ment. vom Cochlear- theil ziem- lich scharf getrennt. Ductus schlössen. Jakob- soN'sche Organe stehen mit der der Mund- bucht; das Infundi- bulum ragt wenig weit in sie hinein. beuge. Rücken endolymph. lang, endet Nasen- höhle in zieml. ge- streckt. blind. freier Kom- Tal). 2. Ausge- bildeter, äusserer Schwanz. 29 Ur- wirbel äusserlich sichtbar. Anlage des Glaskörpers. muni- kation. Maus Gr. L. Rücken- Die Medullar- Die Linse ist Die Laby- Deut- Hypophysen- I 4 mm. fläche Chorda rohr noch nicht rinthblase liches anlage als N.L. massig zeigt reicht bis vom Ekto- liegt der Nasenfeld zieml. breite 3,7 mm. stark ge- keine zur äus- derm abge- Haut nahe, und Ausstülpung krümmt. Ein- sersten schnürt, aber ist noch nicht Nasen- der Mund- Die Ex- tremi- täten lassen noch keine schnü- Schwanz- nach aussen in Bogen- grübchen. bucht zum rungen. spitze. abgeschlos- gangs- und Vom Zwischen- D. Hemi- sphären d. Gross- hirns sen. Sie be- ginnt die primäre Augenblase einzustülpen. Cochlear- theil ge- schieden. Ductus endo- Jakob- soN'schen Organ noch hirn. Von einem aussprossen- den Infundi- Differen- deutlich. lymphaticus. keine An- bulum noch Tab. 3. zirungen äusserlich erkennen. Schwanz stark ein- gerollt. deutung. nichts zu sehen. Zur E iitwicklungsgeschichte des i uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 631 Ver- Eespi- dauungs- rations- Urogenital- Herz und Integu- ment Extremi- Bemer- Mund traktus, ! traktus, Leber, f Thymus, apparat Gefässe Skelet täten Allantois kungen Pankreas Thyreoidea D. Zahu- Der Trachea WoLFp'scher Ventrikel Milch- Vorknor- Die obere D. intra- Der leisten Magen mit Körper reicht noch in leiste an- peliges Extremi- embryo- Embryo wie bei hat seine Haupt- zieml. weit breiter gelegt. Stadium. tät: deut- nale Theil zeigt fast H. s. Bul. Quer- und 1 cranialwärts, Kom- liche des Al- völlige angelegt. drehung Neben- enthält reich- muni- Ellen- lantois- Ueberein- noch bron- lich Glomeruli kation. bogen- ganges ist stimmung nicht vollendet. Leber kräftig chen. Thyreoi- deaan- lagen und Tubuli secretorii et collectivi. Nierenanlage Conus arteriosus beginnt sich zu beuge und erste Andeu- tung von Differen- offen. im Ent- wick- lungs- stadium der Organe mit H. s. Bul. ent- noch zeigt Andeu- theilen. wickelt. D. Pan- nicht ver- einigt. tung des Nieren- beckens. zirung der End- platte. creas ist einheit- Anlage des Kloake kurz, Untere Extrem. ohne End- lich, die beiden Thymus. Sinus uro- genitalis und Aus- Kloake durch führungs- die Kloaken- platte. gänge platte ver- münden schlossen. wie bei Keimdrüsen- H. s. Bul. anlage nicht in den differenzirt. Darm. W. G. u. Ure- teren wie bei H. s. Bul. Magen Trachea WoLFF'scher Ventrikel Keine Beide Nicht Un- hat noch in zwei Körper mit in brei- deut- Extre- deutlich günstige seine Haupt- Querkanälen, ter Kom- lichen mitäten- zu ver- Schnitt- primit. bronchen keine Glome- muni- Skelet- paare an- folgen. richtung Längs- getheilt. ruli. kation. anlagen. gelegt; am stellung. Schwanz- darm lang. Leber ziemlich klein. Sehr kurze Nierenknospe als dorsome- diale Ausstül- pung des untersten Ab- schnittes des WoLFF'schen Vorhofs- u. Ven- trikel- septen angelegt. keine An- deutung d. Ellen- bogen- beuge. Keine End- platte. Schwanz- ende in Folge der starken Ein- rollung. Fig. 16. Pankreas Ganges. mit doppelter Der W.G. endet i Anlage. blind kurz vor der Kloake. Kloake relat. geräumig, ven- tral durch die Kloakenmem- bran ver- schlossen. 632 Siegfried Weber. Körper- Nerven- Bez. Maasse Alter forra Chorda system Auge Ohr Nase Hypophyse Maus Gr. L. 4,2 Stärkere Medulla Linse noch Labyrinth- Nasen- Kein deut- 11 N. L. 3,7 Ein- bis zur nicht vom blase noch grübe liches In- Stirn krüm- Schwanz- Ektoderm dicht unter vertieft. fundibulum. Scheitell. 1,8. mung des Rückens als bei I. Keine spitze. Gross- birnhemi- sphären abgeschnürt, ihre Wand überall gleichmässig dick. der Haut. Schwache Andeutung der Auf- Andeu- tung des Jakob- soN'schen Von der Mundbucht Hypophysen- ausstülpung Dift'eren- deutlich. theilung in Organes. nach der zirungen D. Augen- Bogen- Basis des an den blase ist ein- gangs- und Zwischen- Extremi- gestülpt, die Schnecken- hirns. täten. eingestülpte theil. Tab. 4. Starke Ein- Wand dicker als die äussere. Ductus endo- rollung lymphaticus des Breite Kom- blind enden- Schwan- munikation der Gang. zes. der Augen- blase mit den Hirnblasen. Maus Gr.L. 5,7 Rücken- Chorda D. Gross- Linsenbläs- Die Sonde- Primitive Deutliche III N.L. 5,2. fläche ohne hirnhemi- chen fast rung in Choanen Hypophysen- stark ge- intra- sphären ganz vom Bogen- noch ausstülpung krümmt. vertebrale ziemlich Ektoderm gangs- und nicht in der Mund- Ein- stark ent- abgeschnürt. Cochlear- die Mund- bucht und schnü- wickelt. Die Wand theil bucht des rungen. ist überall gleichmässig dick. Die äussere Wand der sek. Augen- blase ist des Laby- rinthes hat begonnen. mündend. Anlage des Jacob- soN'schen Organs, breite Zwischen- hirns. Infundi- bulum buchtet das Hypo- physen- Tab. 5. durch Ein- Ver- säckchen lagerung ge- ringer Menge Pigment zur Pigment- bindung mit der Nasen- vor. grube. schicht ge- worden. Anlage d. Glaskörpers. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 633 Ver- Respi- j dauungs- rations- Urogenital- Herz und Integu- . - Extremi- Bemer- Mund traktus, Leber, Pankreas traktus, Thymus, Thyreoidea apparat Gefässe ment Skelet täten Allantois kungen Magen Zwei WoLLF'sche Ventrikel Keine Extremi- Nicht noch in Haupt- Körper mit in breiter deut- täten deutlich Längs- bronchen Querkanäl- Kom- lichen noch un- zu ver- stellung. in der chen, aber muni- Skelet- differen- folgen. Leber Lungen- ohne kation. anlagen. zirt. wohl ent- anlage. Glomeruli. wickelt. Nierenknospe Anlage dorso-medial der aus dem cau- Gallen- dalen Ende blase. des W. G. ent- Doppelte springend. Anlage WoLLF'sche des Pan- Gänge münden kreas. in die Kloake. Langer Kloake durch Schwanz- Kloaken- darm. membran ver- schlossen. Silagen Trachea WoLFFSche Ventrikel] Axen- An der Eine Fig. 9 noch in mit Körper mit in breiter skelet im vorderen Strecke Fig. 12 Längs- Haupt- Querkanäl- Kom- vorknor- Extremi- weit u. 13. stellung. u. Neben- chen aber ohne muni- peligen tät wird oberhalb Leber volumi- bronchen. Glomeruli. kation. Stadium. die Ellen- der Harn- Sehr wenig bogen- blasen- umfängliche beuge anlage ist nös. Organe. kenntlich. der Ura- i 1 i 1 ! Pankreas paarige Anlagen. Kurzer Schwanz- darm. Nierengang verlängert, mündet dorsal in den cau- dalen Theil des W. G. W. G. mündet lateral in den Sinus urogeni- talis. Kloake ver- i D. End- platte an- gelegt. An der hinteren Extremi- tät noch keine deut- lichen Difi'eren- chus ob- literirt und nicht weiter zu verfolgen. kürzt, durch zirungen. ventrale j Kloakenplatte nach aussen verschlossen. Anlage der indifferenten 1 Keimdrüsen. . 1 634 Siegfried Weber. Bez. Maasse Alter Körper- form t/horda Maus IV, G.L. 6,5 N.L. 5,7 Tab. 6. Rücken- krüm- mung nicht bedeu- tend. Schwanz weniger eingerollt als bei III u. II Deutliche Anlage des äusseren Obres. Chorda ohne Ein- schnü- rungen. Nerven- system Auge Ohr Medullär röhr er- reicht die Schwanz- spitze. Starke Entwick- lung der Hemi- sphären. Linse durch Mesoderm vom Ekto- derm ge- trennt. D. Lumen ist über die Hälfte aus- gefüllt. Anlage d. Glaskörpers. Pigment- schicht der ßetina. D. Lumen des Opticus bedeutend enger als bei m. Bogengangs' theil und Schnecken- anlage in der Trennung von ein- ander. Vorderer Bogengang. Nase D. linke prim. Choane in freier Verbin- dung mit d. Mund- bucht, d. rechte durch sehr zarte Mem- bran ge- trennt. Jakob- soN'sches Organ kommuni- zirt mit d. Nasen- höhle. Andeu- tung des Nasen- knorpels u. d. Muscheln als schwache Kon- touren Hypophyse D. Hypo- physe steht nur durch dünnen soliden Strang mit d. Mund- bucht in Verbindung. Infundi- bulum stülpt sich be- deutend vor. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 635 Mund Ver- dauungs- traktus, Leber, Pankreas Respi- rations- traktus, Thymus, Thyreoidea Urogenital- apparat Herz und Gefässe Integu- ment Skelet Extremi- täten Allantois Bemer- kungen Anlage von Schmelz- leisten. Magen beginnt seine linke Seite nach vorn, die rechte nach hinten zu drehen. Schwa- cher Rest des Schwanz- darms. Im phy- siol. Nabel- bruch mehrere Darm- schlingen. Pankreas ansehn- liche paarige Drüsen- anlage. Leber umfäng- lich, in Lappen getheilt. Gallen- blase vor- handen. Duct. choled. mit Duct. Wirsung. mündend, Haupt- und zahl- reiche Neben- bronchen ; Lungen zeigen Theilung in Lappen. Anlagen d. Thy- mus und Thy- reoidea. Anlage des Dia- phragma, WoLFp'sche Körper unbe- deutend an Ausdehnung, treten gegen die Keim- drüsenanlage zurück. Nur Quer- kanälchen, keine Glome- ruli. Def. Niere zeigt dicho- tomische Theilung der Ureteranlage im Nieren- mesenchym. WoLFF'scher Gang nimmt lateral die Ureteren auf, mündet lateral in die Harn- blasenanlage mit dem AUantois- schenkel. Kloakengang. Sinus urogeni- tal, u. Mast- darm duch d. Kloaken- platte nach aussen ver- schlossen. Anlage des MüLLER'schen Ganges. Ventrikel kom- muni- ziren noch in ihren oberen Ab- schnitten. Conus arteriosus beginnt sich zu theilen. Vorknor- peliges Stadium des Axen- skeletes. Ober- u. Unter- Extremi- täten zeigen Ellen- bogfen- u. Knie- beuge. End- platten tragen Andeu- tungen der Finger- strahlen. Kurz oberhalb der Ham- blasen- anlage ge- schlossen, 636 Siegfried Weber. Bez. Maasse Alter Körper- form I Chorda Nerven- system Ausre Ohr Nase Hypophyse Maus IV a. Tab. 7. in utero ge- schnitten, daher nicht ge- raessen. Keine Ein- schnür- ungen in der Chorda. Hemi- sphären stark aus- gebildet. Mesoderm trennt die Linsenblase vom Ekto- derm. Linse zu -/s ihres Lumens ausgefüllt. Glaskörper- anlage. Sehr wenig Pigment auch in der Pigment- schicht. Vorderer und hori- zontaler Bogengang mit dem Utriculus vom Sacculus getrennt. Duct. endol. lang. Innere Choanen münden frei in die Mund- bucht. Andeu- tung der Nasen- muscheln und des Nasen- knorpels. Jakob- soN'sches Organ in freier Kom- muni- kation. Sehr dünner Hypophysen- stiel. Hypophyaen- säckchen umfangreich, beginnt zwei Schläuche auszusenden. Maus V. Tab. S. G. L. 8 mm N. L. 7 mm. Deut- licher Maus- fypuB durch Verlänge- rung des Schnau- zen- theiles. Aeusserps Ohr und Lid- anlage. Intra- verte- brale Ein- schnü- rungen der Chorda. Linsenlumen ca. zu •''/i ausgefüllt. Wenig Pig- ment in der Pigment- schicht. Sacculus von Utri- culus schärfer ge- sondert. Deut- liche An- lage der Nasen- knorpel. Nasen- muscheln stärker vorsprin- gend. Kein Hypo- physenstiel mehr nach- weisbar. Zwei seit- liche Hypo- physen- schläuche beginnen hervorzu- sprossen. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 637 i Ver- Respi- dauungs- rations- Urogenital- Herz und Integu- „, , Extremi- Bemer- 3Iund tTaktus, Leber, traktus , Thymus, apparat Gefässe ment Skelet täten Allantois kungen Pankreas Thyieoidea : Quer- Haupt- Bietet die Ventrikel Vorknor- In den Kurz Wurde in drehung und An- gleichen Ver- kom- peliges End- über d. dem des zahl hältnisse wie muni- stadium. platten Harn- Uterus Magens Neben- Maus IV. ziren sind noch blasen- ge- noch bronchen. noch mit keine anlage ge- schnitten. nicht vollendet. Anlagen der Thy- einander. deut- lichen Skelet- anlagen schlossen. Im Nabel- Leber umfäng- mus Thy- strang keine lich, in Lappen reoidea. Dia- phragma. zu er- kennen. Allantois mehr getheilt. Paarige nachweis- bar. wohlge- bildete Pan- kreas- anlage. Deutliche Magen Lappen- WoLFp'sche Conus Ueber- D. End- Allantois Fig. 10. Anlage in fron- bildung Körper ganz arteriosus gang zum platten ge- von taler den rudimentäre getheilt. knorpe- beginnen schlossen. Schmelz- Stellung. Lungen- Organe mit Ven- trikel- septum erreicht fast das Endothel- ligen in ihrem leisten. Pankreas ansehn- liches Organ. Leber sehr um- anlagen. Querkanäl- chen, ohne Glomeruli. Defin. Niere mit dichot. Stadium. Inneren knorpe- lige Strahlen zu bilden. Verzweig, d. Ur. 1. bis kissen an der Basis fänglich. 3. Ordn. cordis. Sehr kurzer Anlagen gewunde- ner Kanäl- chen. Schwanz- darmrest. Keimdrüsen ziemlich be- deutend, aber indifferent. Ureter und W.G. fast gleichzeitig in d. Harnblasen- anlage mündend. Sinus urogeni- talis, After ge- schlossen. ■ MüLLER'scher Gang reicht ziemlich weit ! abwärts. 638 Siegfried Weber. Bez. Maus VI. 9 Maasse G. L. 9,5. Alter Körper- form Tab. 9. Sehr deut- licher Mäuse- typus. Chorda Mit intra- verte- bralen Ein- schnü- rungen. Nerven- system Auge Ohr Die Me- dulla er- reicht die Schwanz- spitze nicht mehr. Mächtige Ausbil- dung der Hemi- sphären, weite Seiten- ventrikel. For. Monroi enger ge- worden. Linsenlumen ganz ausge- füllt. Ductus naso- lacrymalis erreicht die Nasenhöhle. Augenlid- anlage. Vollendete Trennung d. Sacculus und Utriculus. Anlage des knöchernen Labyrinthes. Duct. endo- lymph. enden an d. Innen fläche der Schädel- kapselanlage. Ohrmuschel- anlage. Nase Hypophyse Starke Entwick- lung der Nasen- muscheln und -Knorpel. Jakob- soN'sches Organ mit der Nasen- höhle in freier Kom- muni- kation, Anlage von Hypophysen- schläuchen am vorderen Hypophysen- läppchen. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 639 Mund Ver- dauungs- traktus, Leber, Pankreas Respi- rations- traktus, Thymus, Thyreoidea Urogenital- apparat Herz und Gefässe Integu- ment Skelet Extremi- täten Beraer- Allantois kungen Zahn- leisten. Sehr zahl- reiche Dünn- darm- schlingen im Nabel- bruch. Reich verzweig- ter Bron- chial- baum in den Lungen. Quer- Dia drehung phragma des 1 fast ge Magens | schlössen, vollendet. Pankreas grosse acinöse Drüse. Leber sehr um- fäng- liches, tief ge- lapptes Organ. After ge- öffnet. "VVoLFF'sche Körper ganz unbedeutende Organe ; wenige Q,uer- kanälchen. Ovarien zieml, grosse ei- förmige Organe. Definit. Niere mit Anlagen von Tubuli contorti und Malpighi'- schen Körper- chen. W.G. einwärts und etwas caudal vom Ureter mündend. MüLLER'sche Gänge reichen bis zum Sinus urogenitalis herab. Sinus uro- genitalis im Begriff, sich zu entfalten. Ganz kurzer Damm ge- bildet. Septum ventri- culorum erreicht das Endo thelkissen des Ostium atrio-ven- triculare. Vorhofs- septum bis auf d. For. ovale vollstän disr. Haar- anlagen. Milch- leisten. Knorpe- liges Stadium im Axen- Skelett und in den Ex- tremi- täten. Deutliche Einger- und Zehen- anlagen in den End- platten der Extremi- täten. Knorpe- lige Skelet- anlagen darin. Allantois ge- schlossen. 640 Siegfried Weber. Bez. Maasse 1 Alter Körper- form I Nerven- Ohorda j gygtem Auge Ohr Nase Hypophyse Meer- ichweia- chm. 1. Tab. 10. 18—19 Tage. Chorda ohne Ein- schnü- rungen. Medullar- rohr reicht bis zur Schwanz- spitze. Gross- hirn- hemi- sphären deutlich erkenn- bar. Linsenblase durch Me- soderm vom Ektoderm getrennt. Lumen etwas mehr als zur Hälfte aus- gefüllt. In der Retina kein Pig- ment. Glaskörper- anlage. Labyrinth- bläschen vom Ekto- derm ganz getrennt, lässt noch keine Diffe- renzirung des Schnecken- vom Bogen- gangstheil erkennen. Duct. endo- lymph. lang ausge- zogener Kanal. Primit. Choanen noch ge- schlossen. Jakob- soN'sche Organe angelegt als me- diale Ausstül- pungen des Nasen- ganges. Hypophysen- säckchen durch sehr engen Gang mit der Mundbucht in Ver- bindung. Infundi- bulum aus- gestülpt. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischeh Apparates bei Säugern etc. 641 Ver- dauungs- traktus, Leber,, Pankreas Respi- rations- traktus, Thymus, Thyreoidea Urogenital- iipparat Herz und Gefässe Integu- ment. Skelett Extremi- täten AUantois Bemer- kunsren Magen steht schräg zur Sagit- tallinie des Körpers. Leber kräftig ent- wickelt, lässt Lappung erkennen. Anlage der Gallen- blase. Trachea mit Haupt- und je zwei Neben- bronchen. WoLFF'scher Körper mit Querkanäl- chen und jungen Glome- rulusanlagen. Nieren- knospe epithelialer blind ge- schlossener kolbig aufge- triebener Gang, vom mediodorsalen Wandtheil des WoLFF'schen . Ganges her- vorgesprosst. Kloake ziem- lich geräumig; ventral durch Kloaken- membran ver- schlossen. Schwanzdarm ziemlich lang. MüLLER'scher Gang nicht angelegt. Anlage der Keimdrüsen. Septum ventri- culorum noch sehr niedrig. Septum I et II atriorum angelegt. Vor- knorpe- liges Stadium Enger schlitz- förmiger Kanal. Serie des Herrn Prof. ZUMSTEIN. 642 Siegfried Weber. Bez. Maasse Alter Xörper- form Chorda Nerven- system Auge Ohr Nase Hypophyse schwein- ehen. IL Tab. 11. 7,5 mm Gr.L. 6,3 N.L. 21-22 Tage Chorda ohne Ein- schnü- rungen. Medullar- rohr bis zur Schwanz- spitze reichend. Gross- hirn- hemi- sphären sehr deut- lich aus- geprägt. Linsen- lumen bis auf einen engen Schlitz aus- gefüllt. Pigment- schicht der Retina ent- hält Pig- ment. Labyrinth- bläschen hat seine Differen- zirung noch nicht be- gonnen. Ductus endo- lymphaticus deutlich. Choanen gegen die Mund- bucht zu ge- schlossen. Jakob - soN'sches Organ eine Aus- buchtung des Nasen- ganges. Hypophysen- bläschen durch einen soliden dünnen Strang mit der Mund- bucht in Verbindung. Infundi- bulum aus- gestülpt. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 643 Ver- Respi- I dauungs- rations- Mund I .traktus, traktus, Leber, Thymus, Pankreas Thyreoidea Urogenital- apparat Herz und I Grefässe Integu- ment Skelett Extremi- täten Allantois Bemer- kungen Zahn- leisten nicht er- kennbar. Magen steht fast ganz quer. Leber kräftiges Organ, deutlich gelappt. Gallen- blase an- gelegt. Trachea mit Haupt- und je zwei Neben- broncheu. WoLFp'scher Körper mit Querkanälchen und Glome- rulusanlagen. Keine aus- gebildeten Malpighi'- schen Körper- chen. Nierenknospe ohne Aus- sjarossungen des kolbig erweiterten Endes im dichten Nieren- blastem. Keine DifFe- renzirungen in letzterem. Kloake in ihrem oberen Abschnitte aufgetheilt. In den Sinus urogenitalis münden die Allantois- schenkel, dor- sal in den WoLFF'schen Gang die Ureteranlage. Schwanzdarm vorhanden. Kloakenmem- bran bildet ventralen Ab- schluss der Kloake. Anlage der Keimdrüsen. MüLLER'scher Gang noch nicht nach- weisbar. Septum ventri culorum niedrig. Breite Kom- muni- kation der Ven- trikel. Sept. I et II atriorum angelegt. Vorknor- peliges Stadium. Vordere Extremi- tät lässt die Ellen- bogen- beuge er- kennen ; hintere Extremi- tät ohne sichtbare Andeu- tung einer Gliede- rung. Allantois enger Kanal mit schlitz- förmigem Lumen. Serie des Herrn Professor ZUMSTEIN. Fig. 7 u. IL Morpbolog, Aibeiten hrsg. t. G. Schwalbe VII. 42 644 Siegfried Weber, Bez. Maasse 1 Alter Heer- sthwein- chen. III. N.L. 14 mm Gr.L. 16 mm. Tal). 12. 25 Tage. Körper- form Chorda Nerven- system Rumpf ziemlich gestreckt, Chorda zeigt in- traverte- Kopf von brale Ein- der Brust schnü- rungen. hoben. Deut- liches Hervor- treten der Gross- hirnhemi- sphären. Nacken- höcker noch deutlich. Scheitel- höcker stark promi- nent. Deutliche Anlage der Ohr- muschel. Vorder- und Hinter- Extremi- täten mit theilweise getrenn- ten Finger- und Zehen- anlagen. Medullar- rohr in der Schwanz- spitze sehr rudimen- tär. Gross- hirnhemi- Sphären umfang- reich. Auge Ohr Nase I Hypophyse Linse ganz ausgefüllt. Trennung vom Ekto- derm voll- ständig. Anlage des Thränen- nasenganges, des Augen- lides, Mus- keln des Bulbus. Retina be- ginnt sich in Schichten zu sondern. Deutliche Anlage der Ohrmuschel. Cochlear- u. Bogengangs- theil des Labyrinthes getrennt. Freie Kom- muni- kation der Nasen- höhle durch die Choanen mit der Mund- bucht. Nasen- muscheln kräftig ent- wickelt. Jakob- soN'sches Organ mit der Nasen- bucht durch engen Gang ver- bunden. Knorpe- lige An- lage der Nasen- rauscheln und des Septura. Hypophysen- säckchen nicht mehr in Verbin- dung mit der Mund- bucht, beginnt Schläuche auszu- senden. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 645 Mund Ver- dauungs- trakt US, Leber, Pankreas Respi- rations- traktus, Thymus, Thyreoidea Urogenital- apparat Herz und Gefässe Integu- ment Skelet Extremi- täten AUantois Bemer- kungen Leber sehr grosses Organ mit Gallen- blase. Ductus choledo- tus mündet mit Duc- tus Wir- sungi- anus ver- einigt in gleicher Höhe mit dem Duct. Santori- nianus in den Darm, Pankreas doppelte Anlage, kräftig ent- wickelt. Magen hat seine definitive Lage einge- nommen. Reich verästel- ter Bron- chial- baum in den um- fäng- lichen Lungen- anlagen. "WoLFF'sche Körper mit weiten und engen Q,uer- kanälchen- abschnitten. In den Glome- rulis z. Th. regressive Verände- rungen. Definitive Niere: Kappenförmig auf den Ureteren- zweigenden aufsitzende Anlagen der Tubuli con- torti. Zahl- reiche Sammelgänge. Keimdrüse 5» Penis mit dorsaler Genitalrinne. Kloake ganz aufgetheilt. Sinus urogeni- talis, After verschlossen. MüLLEn'sche Gänge reichen weit abwärts. Ureteren von den WoLEp'- schen Gängen getrennt, münden lateral von den letzteren. Ventrikel getrennt. Septum atriorum bis auf Fofiimen ovale ge- schlossen. Haar- anlagen. Axen- skelet im knorpe- ligen Stadium. In den Extremi- täten deutliche knorpe- lige Skelet- anlagen. AUantois, so weit im Nabel- strang zu verfolgen, sehr eng. 42* 646 Siegfried Weber. Bez. Maasse Alter Körper- form Chorda Nerven- system Auge Ohr Nase Hypophyse Maul- wurf I* Gr. L. 7 Nl. 6, 3 Tab. Rücken- krüm- mung massig stark. Nacken- beuge sehr deut- lich. Chorda ohne intra- verte- l)rale Ein- schnü- rungen. Das Me- dullar- rohr reicht bis zur Schwanz- spitze. Gross- hirn- hemi- sphären deutlich. Das Linsen- bläschen hat eine praline- artige Form, ist mit breiter Basis dem Ektoderm eng ange- lagert. Sein Lumen ist noch nicht zur Hälfte ausgefüllt. Sehr starke Pignien- tirung der äusseren ßetina- hälfte. Bogengangs und Cochleartheil des Laby- rinths be- ginnen sich zu sondern. Zieml. la,nger Duct. endo- lymphaticus, als langer schmaler blind enden- der Gang vorhanden Primitive Choanen noch von der Mund- bucht ge- trennt. Keine Andeu- tung der Nasen- knorpel. Unbe- deutende Anlage der Nasen- muscheln, Jakob - soN'sches Organ ang-elest. Hypophysen bläschen durch soliden Strang mit der Mund- höhle in Verbindung. Das Infundi bulum um- greift das Hypophysen' bläschen. *) Maulwurf la, Gr. L. 7,5 Nl. 6,7 obere Hälfte in Querschnitte, untere in Längsschnitte zerlegt, bot sehr ähnliche Entwicklungsverhältnisse. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 647 Mund Ver- dauungs- traktus, Leber, Pankreas Respi- rations- traktus, I Thymus, [Thyreoidea Urogenital- apparat Herz und Gefässe Integu- ment Skelett Extremi- täten Allantois Bemer- kungen Magen noch in der Längs- richtung des Körpers. Pankreas aus 2 kräftigen drüsigen Anlagen be- stehend. Leber sehr volu- minös. Oeso- phagus mit deut- licher Diiferen- zirung seiner AVand- schichten. Kurzer Rest von Schwanz- darm. Trachea mit Haupt- und einigen Neben- bronchen. WoLFp'scher Körper: um- fängl. Organ, zahlreiche Glomeruli und Querkanäl- chen, Niere: Zahl- reiche Ver- zweisfungen des Ureters, auf deren Enden die Anlagen der Tubuli contorti aufsitzen. W. (t. mündet, mit dem lateral ent- springenden Ureter zum Allantois- schenkel ver- einigt in die Harnblasen- anlage. Kloakengang vorhanden. After, Sinus urogenitalis verschlossen ! Erste Anlage der MiJLLER- schen Gänge. Keimdrüse in- different. Ventrikel kom- municiren durch unbe- deutende Oeffuung des Sep- tum. Conus arterio- sus be- ginnt sich in Aorta und Pul- monalis zu theilen. Vor- knorpe- liges Stadium des Axen- skelets. In der vordem Extr. beginnen die End- platten sich zu differen- ziren. An der hinteren ist die Knie- beuge an- gelegt. Keine Differen- zirung der End- platte. Durch- weg durch- . gängig, jedoch an mehreren Stellen stark stenosirt. 648 Siegfried Weber. Bez. Maasse Alter Körper- form Chorda Nerven- system Auge Ohr Nase Hypophyse Maul- wurf II. Gr. L. 8,5 N. L. 7,5 Tab. 14. Nacken- beuge deutlich. Der Schnau- zentheil des Ge- sichtes ist ver- längert. Die Extremi- täten zeigen sehr deutliche Finger- und Zehen- anlageii. Chorda ohne intra- verte- brale Ein- schnü- rungen. Das Medullar- rohr ist im äusser- sten Theile des Schwan- zes stark rudimen- tär. Lumen der Linsenblase etwa zur Hälfte aus- gefüllt. Sehr starke Pigment- schicht der Retina. Das Laby- rinth zeigt fortge- schrittene Differen- zirung des Schnecken- und Bogen- gangtheiles. Choanen kom- muni- ziren frei mit der Mund- bucht. Jäkob- soN'sches Organ in Verbin- dung mit der Nasen- höhle. Das Hypo- physenbläs- chen ist von der Mund- bucht ge- trennt, sendet ein- zelne Schläuche aus. Infundi- bulum ragt weit hinein. Maul- wurf III. 9 Tab. 15. Gr.L. 9 mm N.L. 8,3 mm. Deutlich erkenn- barer Maul- wurfs- typus. Kopf liegt der Brust noch nahe an. Aeusseres Ohr deut- lich. Nacken- beuge weniger deutlich als bei II. Chorda zeigt leichte intra- verte- brale Ein- schnü- rungen. Medullär röhr in der Schwanz- spitze sehr ru- dimentär. Anlage des Augenlides und des Thränen- nasenganges. Linse zum grössten Theil aus- gefüllt. Horizontaler und vorderer Bogengang sehr deut- lich. Abschnü- rung des Sacculus vom Utri- culus weiter vorge- schritten. Deutliche Entwick- lung der Nasen- muscheln und der knorpe- ligen Theile der Nase. Jakob- soN'sche Organe kom- muni- ziren durch engen Gang mit der Nasen höhle, Hypo- physen- schläuche. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoctischen Apparates bei Säugern etc. 649 Ver- Respi- : Mund dauungs- ti-aktus, Leber, rations- traktus, Thymus, Urogenital- apparat Herz und Gefässe Integu- ment Skelet Extremi- täten Allantois Bemer- kungen Pankreas Thyi-eoidea Schmelz- Magen Die Urniere stark Das Im In den Durch- leisten ist in Bronchen entwickeltes Septum Axen- End- weg angelegt. der sind Organ. ventri- skelet platten durch- Drehung seiner linken durch zahl- reiche Def. Niere mit zahlreichen Anlagen von Tubulis con- tortis und Glomerulis. culorum hat fast das Endo- be-. ginnende knorpe- der vorderen Extremi- gängiger, aber theil- Seite nach vorn be- dicho- tomische Thei- thelkissen des Atrio- lige An- lagen. tät deut- lich strahlige weise stark ver- engter griffen. lungen ventri- knorpe- Canal. Pankreas stark ent- wiokelt. ver- Keimdrüsen cularosti- lige mehrt. indifferent. MüLLER'scher um er- reicht. Skelet- anlagen. Auch die Leber deutlich in Lobi abge- Gang im oberen Bereich des W. G. gebildet. hintere Extr. beginnt ihre End- theilt. WoLFF'scher platte zu Zahl- reiche Dünn- Gang mündet differen- in gleicher Höhe mit ziren. dem Ureter darm- in die Harn- schlingen im blasenanlage. Nabel- Kloake ganz bruch. aufgetheilt. Schwanz- After, Sinus darm urogenitalis nicht verschlossen. mehr vor- handen. Zahn- Quer- Urniere Ventrikel Haar- Knorpe- Allantois- leisten drehung kräftig ent- kommuni- anlagen, lige An- gang mit des wickelt, hat ciren nur Milch- lagen der offen. Zahn- Magens aber an durch leiste. Wirbel- papülen. fast voll- endet. Längenaus- dehnung enge Spalte körper und After ge- merklich ab- am Endo- Wirbel- schlossen. genommen. thelkissen bogen. Zahl- DasParenchyn der reiche trägt Zeichen Atrio- Darm- beginnender ventri- schlingen Involution. kular- im Nabel- Def.' Niere: ostien. bruch. zahlreiche An- lagen der Tubuli con- Conus arteriosus getheilt. torti, keine ■ ausgebildeten 1 Glomeruli. Keimdrüsen 1 weiblich, Sinus urogenitalis 1 geschlossen. 650 Siegfried Weber. Bez. Maasse Alter Körper- form Chorda Nerven- system Auge Ohr Nase Hypo- physe Maul- wurf IV 5 Tab. 16. Gr. L. 11 mm. N. L. 10,3. *) Deutl. Maul- wurfs- typus. Ohr- muschel deutlich, Augen- lider. Zehen ziemlich scharf von ein- ander ge- sondert. Rücken wenig ge- krümmt. Intra- vertebrale Ein- schnü- rungen. Augenlider. Thränen- nasengang erreicht fast die Nasen- höhle. Linse aus- gefüllt. Sacculus und Utriculus scharf ge- schieden. Ductus endolympha- ticus lang, endet blind. Nasen- muscheln gut ent- wickelt. Hypo- physen- schläuche. Schwein 273 Tab. 17. Gr. L. 8,6. N. L. 8,4. Stirn- scheitel 3,1. 20 Tage. DerEmbryo ist nur noch wenig spiralig von rechts nach links ge- dreht. Deutl. Schwanz. Im Sinus praecer- vicalis ein deutl. vierter Kiemen- bogen. Kräftiger Oberkiefer- fortsatz. Linsen- anlage äusserlich kenntlich. 41 Urwirbel deutlich. Trige- minus- gang- lion äusser- lich kennt- lich. Das Me- dullar- rohr reicht bis an die Schwanz- spitze. Ausgebildete sekundäre Augenblase. Die Linsen- anlage ist im Begriff sich vom Ekto- derm abzu- schnüren, Zellen im Linsenlumen. Ohrbl. ganz abge- schlossen. Anlage des Duct. endo- lymphaticus. Aeusserl. deutl. Nasen- grüb- chen, lateraler und medialer Nasen- fortsatz. Hypo- physe. *) Maulwurf IV a 5 Gr. L. 11,2, N. L. 10,6 in Längsschnittserie zerlegt, bot ganz überein- stimmende Befunde. Fig. 1. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 651 Mund Ver- dauuiigs- traktus, Leber, Pankreas Eespi- rations- traktus, Thymus, Thyreoidea Urogenital- apparat Herz und Gefässe Integu- ment Skelet Extremi- täten AUantois Bemer- kungen Zahn- papillen und Schmelz- membran sehr deutlich. Magen hat seine Quer- drehung vollendet. After geöffnet. Lungen umfäng- liche ge- lappte Organe mit reich- lichen Bron- chial- verzwei- gungen. Diaphra- gma eine starke Mem- bran. Urniere zeigt beträchtliche Reduktion seiner Länge und des Par- enchyms. In der Niere zahlreiche und z. Th. wohl- entwickelte kleine Glome- ruli. Hoden kräftig entwickelt. Penis mit dor- saler Genital- rinne. Sinus uro- genitalis ge- schlossen ! Kurzer Damm. MüLLFß'sche Gänge reichen bis zum Sinus urogenitalis herab. Septum ventri- culorum ge- schlossen. Atria kom- muni- ziren noch durch das Foramen ovale. Milch- leisten. Viele kleine Haar- follikel. Knorpel- skelet. Keine Ver- knöche- rungen. Deutliche Knorpel- anlagen der Zehen in beiden Extremi- täten- paaren. AUantois- gang ofl'eu. Magen bereits ziemlich weit ge- dreht. Leber in Lappen getheilt. Geson- derte ventrale und dorsale Pan- kreas- anlage. Der Schwanz - darm in Rück- bildung begriffen. Lungen- anlage. Mediale Thyreoi- dea. Erste Anlage der late- ralen Thyreoi- dea frag- lich. (?) Erste Anlage der Nieren- knospe. Die Wolff'- schen Gänge münden noch in die Kloake Das Sep- tum ven- tricu- lorum er- reicht nahezu das Endo- thelkissen des Ostium atrioven- triculare ; ebenso das Sep- tum pri- mum. Das Sept. II be- ginnt sich zu bilden. Deutliche Venen- klappen. 1 Alle vier Extremi- täten haben Flossen- form. AUantois, Länge 16 mm Breite 4(3 mm. Studien II Tab. 61. N.T. Tab. 71. Keibel : Studien II Fig. 61a 61b. Fig. 4, 14. 652 Siegfried Weber. Körper- form Nerven- Bez. Maasse Alter Chorda system Auge Ohr Nase Hypophyse Schwein Gr.L. 23 Ausge- Chorda Pia und Augenlider, Ausgeprägte Das vordere 317 KL. 19 sproche- im Dura ge- Plica semilu- Anlage des Hypophysen- Schnau- ner Rumpfe sondert. naris ange- äusseren läppchen be- zen- Schwei- rosen- Das im legt. Ohres. ginnt in Scheitel ne- kranz- Sch\A'anze Thränen- Schläuche 10,8. typus. förmig. sehr rudi- auszu- Stirn- Nasen- mentäre MeduUar- rohr ist nicht nasengang erreicht die wachsen. Scheitel 8,8. höcker sehr Nasenhöhle. Scheitel - gering. mehr bis Nacken D. vor- zur 6,2. 1 deren Schwanz- Extremi- spitze zu täten be- verfolgen. ginnen ihre plan- taren Flächen Tab. kaudal zu 18. kehren. Der Sinus urogenitalis, Mesonephros und Metanepliros der einzelnen Säugethierembryonen. Mensch H. s. Bul. Tab. 1. Die Ableitungswege des Urogenital- apparates dieser Embryo sind so eingehend in Wort und Bild von Keibel (96) geschildert, dass bezüglich dieser auf jene Arbeit zu ver- weisen ist. Die Urnieren bieten genau den gleichen Befund wie die des gleich zu beschreibenden H. s.Jo. Mensch H.s.J., Berlin. Tab. 2. Wie schon erwähnt, wurde dieser Embryo als Vergleichsobjekt zu H. s. Bul. untersucht, gegen den der Angriff Nagel's vornehmlich gerichtet ist, da dieser Embryo seiner Schilderung der normalen „Kloakengrube*' und der freien Ausmündung des Sinus urogenitalis und Afters nicht entspricht. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 653 Mund Ver- dauungs- traktus, Leber, Pankreas Respi- rations- traktus, Thymus, Thyreoidea Urogenital- apparat Herz und Ueft Integu- ment Skelet Extremi- täten Allantois Bemer- kungen Zahn- leisten, Mund- drüsen. Damm eben ge- bildet, After offen. Trachea ca. 37, 20 fi Thyreoi- deaanlage ver- schmol- zen, late- rale nicht mehr in Verbin- dung mit ihrem Mutter- boden. Thymus- anlagen haben sich er- reicht ; sie sind vom Mutter- boden schnürt. Muskel- anlagen im Zwerch- fell. Das Zwerch- fell ist fast ge- schlossen, In der Niere bilden sich reichlich Glomeruli und Tubuli contorti. Die Ureteren münden kurz vor der Aus- mündungs- stelle des W. G. in diese ein. Geschlechts- drüse indiffe- rent. Die MüLLER'schen Gänge eine Strecke weit angelegt. Mam- mar- anlagen voll- kommen geson- dert. Haare im Kopf- gebiet deutlich angelegt. Häutiger und knor- peliger Schädel, auch sonst aus- gebilde- tes Knorpel- skelet. Noch kein Knochen. Ausge- sprochene Hand- und Fuss- strahlen. Normen- tafel Tab. 92. Schw. ßerl. 96 41. N. T. Eis. 29. Um den wichtigsten Punkt voran zu stellen : Der Sinus urogenitalis, der enge Kloakengang und damit auch das Ende des Mastdarms sind vollständig durch die Kloakenplatte von der Aussenwelt geschieden! Das Septum Douglasii hat die entodermale Kloake bis auf einen schmalen Gang, den sogenannten Kloakengang üeichel's, aufgetheilt. Es gelingt leicht jedem Schnitte dieser Serie die Stelle zu geben, welche er im KEiBEL'schen Modelle einnehmen würde und ergiebt sich aus dieser Betrachtung die völlige Uebereinstimmung des H. s.Jg mit dem im Modelle dargestellten Embryo H. s. Berl. sogar bis zu den Einzel- heiten in der Form der einzelnen Theile. Dass die Schnittbilder der Serien nicht mit einander kongruent sind, ergiebt ohne weiteres die verschiedene Schnittrichtung. Auch die Anlage des Nierenbeckens in der Niere, die Mündung der Ureter lateral in den WoLFF'schen Gang, 554 Siegfried Weber. der kurze Allantoisschenkel, entsprechen vollkommen den Befunden Keibel's bei H. s. Bul. Die WoLFF'schen Körper sind ziemlich umfängliche , wohlausge- bildete Organe mit zahlreichen Glomerulis und Querkanälchen, die deutlich engere und weitere Abschnitte mit den bekannten Epithel- unterschieden erkennen lassen, doch wurde der von Mihajlcovics den Tubulis secretoriis zugeschriebene geronnene Inhalt vermisst, und wo etwa ein solcher sich fand, da ergab die Vergleichung mit voran- gehenden und folgenden Schnitten , dass hier das Protoplasma der Zellen der gegenüberliegenden Wand angeschnitten war und die netz- förmigen Gebilde höchst wahrscheinlich Zellgrenzen darstellen. Genau quer oder längs getroffene ,, Tubuli secretorii'' zeigten keine derartige Ausfüllung der Lumina. An Querschnitten durch die MALPiGHi'schen Körperchen fällt die relative Höhe des Epithels auf, welches die Ge- fässschlingen überzieht und in beträchtlichem Grade sich von dem niedrigen Plattenepithel unterscheidet, das die äussere BowMAN'sche Membran bildet. Dies Verhalten entspricht ganz dem der von Nagel geschilderten MALPiGHi'schen Körperchen in der definitiven Niere junger Embryonen, doch konnte ich bei diesem Autor keinen Hinweis auf die analogen Verhältnisse in den Glomerulis der Urniere finden. Mihal- covics spricht von niedrigem Plattenepithel auf den Gefässschlingen menschlicher, 15 — 18 mm langer Embryonen. Bei dem Embryo H.s.for der KEEBEL'schen Sammlung, 6,5 mm gr. L. fand ich die Epithelien auf den Glomeruli noch bedeutend höher als beim H. s.J„. Mus Musculus. Maus I Tab. 3. In Folge der ausserordentlich starken Ein- rollung des Schwanzes ist die Schnittrichtung im untersten Abschnitte des Körpers ungünstig. Der Darm erweitert sich an seinem kaudalen Ende zu einer relativ geräumigen Kloake, die nach rechts und links eine Ausbuchtung zeigt. Ventral ist sie durch die noch flächenförmige Kloakenmembran abgeschlossen. In den Schwanz hinein zieht von der Kloake aus der lange dünne Schwanzdarm. Die WoLFF'schen Gänge haben noch nicht ganz die Kloake erreicht; man sieht ganz kurz vor ihrem blinden Ende die Anlage der Nierenknospe als eine unbedeutende dorsomediale Ausstülpung in das zellreiche Nierenmesenchym hinein- ragen (cf. Fig. 16). Die WoLFE'schen Körper sind in der Längsrichtung getroffen und über 14 Schnitte (a 15 i.i) zu verfolgen. Sie enthalten Querkanälchen, die in den WoLEE'schen Gang münden und durch ihr sehr enges Lumen, Cylinderepithel und intensiv gefärbten Kerne sich vom Epithel des WoLEE'schen Ganges unterscheiden. In maximo wurden 8 Quer- Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 655 kanälchen auf einem Schnitt gezählt. Fertige Glomeruli oder Anlagen solcher sind nicht vorhanden. Maus II Tab. 4 bietet ein etwas weiter entwickeltes Stadium. Die WoLFF'schen Gänge münden in die seitlichen Ausbuchtungen der geräumigen Kloake. Die Kloakenmembran schliesst ventral die Kloake ab. Sie ist in ihrem kaudalen Abschnitte dünn, flächenförmig, weiter kranial legt sie sich zu der aus 2 Lamellen bestehenden und jetzt eher als Kloakenplatte zu bezeichnenden Bildung zusammen.^) Der Schwanz- darm erstreckt sich weit in den Schwanz hinein. Die "WoLFE'schen Körper sind in der Längsrichtung getroffen und über 14 Schnitte mit Kanälcheu erfüllt. In maximo wurden auf einem Schnitte 10 Querkanälchen gezählt. Letztere bieten ganz ähnliche histologische Befunde wie beim Embryo I, doch sind hier Unterschiede zwischen bedeutend intensiver gefärbten, hohen Cylinderepithelien der vom WoLFF'schen Gange entfernteren Theile und blasseren, flacheren Epithelien der unmittelbar aus dem WoLFr'schen Gang abzweigenden Theile der Querkanäle vorhanden. Man könnte hier also vielleicht mit MiHALCOvics von Tubuli secretorii und collectivi reden, doch ist hervorzuheben, dass den „Tubuli secretorii^' hier gerade die Charaktere abgehen, die einem solchen nach Mihalcovics zukommen sollen (cf. oben p. 620). Von Glomerulusanlagen konnte an den blinden Enden der Ur- nierenkanälchen nichts wahrgenommen werden. Die Nierenknospe entspringt dem mediodorsalen kaudalen Wand- theil des WoLFF'schen Ganges, zeigt im Nierenmesenchym eine keulen- förmige Anschwellung und ist im Ganzen etwas länger als bei Maus I. Maus III Tab. 5. Der Sinus urogenitalis ist durch tieferes Herabtreten des Septum Douglasii dorsal eine Strecke weit selbständig geworden, doch ist noch eine deutliche entodermale Kloake vorhanden mit Abschluss gegen aussen durch die kaudal merabranöse, weiter nach oben mehr lamellöse und tiefere Kloakenmembran. An der tiefsten medialen Stelle des Septum Douglasii zeigt die Kloake T-Form mit nach ventral gelegenem horizontalen T-Schenkel, weiter kaudal nimmt sie Dreieckform an. Der Schwanzdarm besitzt noch ziemliche Länge, ist aber sehr dünn. Die WoLFE'schen Gänge sind kurz vor ihrer Mündung in den als Harnblasenanlage anzusprechenden Theil des Sinus urogenitalis zu den Allantoisschenkehi erweitert. In diese münden von dorsal her die Ureterenanlagen hinein. In den WoLFF'schen Körpern sind die Querkanälchen anscheinend länger geworden, haben sich zu der hier deutlich konstatirbaren S-Form eingerollt, zeigen aber auch hier keine Andeutung von Glomerulus- anlagen an ihren blinden Endtheilen (Fig. 9, 12 u. 13). Die Zahl der Querkanälchen ist eine geringe, die einzelnen sind durch eine ziem- ^) cf. hierzu die Erörterungen über die Cloakenmembran bei Keibel 96 p. 128 f. 656 Siegfried Weber. lieh beträchtliche Masse embryonalen Gewebes von einander getrennt. Die Gefässentwicklung in der Urniere und rings herum ist reichlich. Im Ganzen wurden auf 20 Schnitten (ä 15 in) in der schräg getroffenen Urniere Kanälchen oder deren Querschnitte gesehen. Die Nierenanlage hat an Länge der Ureteranlage und Umfang des Blastems zugenommen. Im proximalen kolbig angeschwollenen Ende der Nierenknospe war von Ausbuchtungen nichts zu sehen. Maus IV Tab. 6.^) Das Septum zwischen Darm und Sinus uro- genitalis ist soweit herabgetreten, dass nur ein Kloakengang beide Kanäle mit einander verbindet. Der Schwanzdarm ist ziemlich kurz. Ventral schliesst die Kloakenmembran den Sinus urogenitalis, Kloaken- gang und damit auch den Darm vollständig gegen aussen ab (cf. Fig. 3). Der Geschlechtshöcker, der schon bei Maus III deutlich vorhanden war, hat an Grösse zugenommen und ist bis über die Hälfte seines Längsschnittes von der zur Genitallamelle zusammengeschobenen Kloakenmembran durchsetzt.-) Auch hier zeigt sich noch keine Tendenz zum Auseinanderweichen der Lamellen : eine Genitalrinne ist noch nicht sichtbar. Die Allantois ist wenig oberhalb der Harnblasenanlage obliterirt. Einen ganz sicheren Beweis für diese Angabe liefert uns, ausser der vergleichenden Betrachtung von Längs- und Querschnittsserien, die Untersuchung von Serien schwangerer Mäuseuteri der hierher gehörigen Stadien. Die Tabelle 4 a zeigt uns die Stellung eines der in utero geschnittenen Mäuseembrjonen an, dessen Länge wir auf 6,5 — 7 mm schätzen. In Serien dieser Art kann der ganze Nabelstrang von seiner Insertion an der mütterlichen, resp. kindlichen Placenta ab bis in den Leib der Frucht verfolgt werden, und darin die Allantois. Es fand sich, dass im Nabelstrang nirgend ein Lumen oder deutlicher solider Strang vorhanden war, aus dem man auf die Persistenz eines Theiles der Allantois hätte schliessen können. Der WoLFF'sche Gang nimmt an seinem untersten Ende von lateral den Ureter auf und mündet in den seitlichen Zipfel der Harn- blasenanlage. Es ist schwer zu entscheiden, ob man hier noch von einem Allantoisschenkel sprechen darf, oder ob das unterste Ende des WoLFF'schen Ganges von der Stelle der Einmündung des Ureters ab schon dem sich rasch erweiternden seitlichen Zipfel der Harnblasen- anlage zuzuzählen ist. Die WoLFF'schen Körper 'zeigen keine Grössenzunahme, auch die innere Differenzirung ist nicht fortgeschritten, vor allem sind keine ^) Eine Anzahl Scbnittserien von 6 — 7,5 mm langen Embryonen bot so grosse Aehnlichkeiten im Allgemeinen und im Besondern, dass aus dieser Reihe nur ein Embryo beschrieben werden soll. "j Die Längsschnittserie eines 7 mm langen" Mäuseembryo bestätigt durchaus diesen Befund, cf. auch die Eigurenerklärung" zu" Fig. S. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 657 Glomerulusanlagen aufgetreten, wovon ich mich durch eingehende Prü- fung aller Serien der hierher gehörigen Stadien überzeugen konnte Die Keimdrüsen dagegen am medialen Rande der Urnierenleiste haben, bedeutend an Umfang zugenommen und sind ansehnlichere Organe als die Urniere, wie das namentlich Längsschnitte deutlich zeigen. In der Nieren anläge hat sich der Ureter zweimal dichotomisch getheilt. Auf den blinden Enden der Zweige sitzen kajDpenförmig An- häufungen von Nierenmesenchym, erste Andeutungen zu den Anlagen der Tubuli contorti. Maus V Tab. 7. Der Sinus urogenitalis ist in diesem Stadium fast vollständig vom Darm getrennt; der Klokengang ist äusserst eng und kurz. Es besteht noch immer völliger Abschluss von Darm und Sinus urogenitalis nach aussen. Die Kloakenplatte hat noch nicht be- gonnen auseinanderzuweichen. Ein ganz unbedeutender Rest Schwanz- darm ist noch vorhanden. Die WoLFF'schen Gänge münden mit den lateral gelegenen Ureteren auf gleicher Höhe in den Sinus urogenitalis, ihr Epithel gleicht völlig dem der seitlichen zipfelförmigen Ausbuch- tungen der Harnblasenanlage, ist kubisches niederes Epithel, während in den unteren Partien des Sinus urogenitalis die Epithelauskleidung mit den Zellen der Kloakenmerabran auffällig übereinstimmt. Die WoLFr'schen Körper machen einen sehr rudimentären Ein- druck, namentlich den stark gewachsenen Keimdrüsen gegenüber. Die Querkanälchen sind spärlich, auf R. 20, L. 22 Schnitten (ä 15 (.i) über- haupt sichtbar^), durch interstitielles Gewebe weit von einander getrennt. Glomeruli sind nicht sichtbar. Die Nierenanlage hat bedeutend an Volumen und innerer Diffe- renzirung zugenommen. Der Ureter hat dichotomische Theilungen dritter Ordnung erfahren, auf den blinden, etwas erweiterten Enden liegen die Anlagen der Tubuli contorti, noch ausser Verbindung mit den Sammel- röhrchen. Maus VI Tab. 8, das älteste untersuchte Stadium. Der Sinus urogenitalis hat sich in seinem untersten, der Schwanzwurzel nächsten Theil durch Auseinanderweichen der Kloakenmembran geöffnet. Die beiden Lamellen, welche bei Maus V noch dicht aneinanderlagen, sind einfach auseinandergewichen, ganz in der Weise, wie es Reichel vom Schwein schildert. Vom Kloakengang ist nichts mehr zu sehen. Der primitive kurze Damm ist gebildet und hinter ihm öffnet sich der Mast- darm frei nach aussen, vom Schwänze überdacht. Der WoLFF'sche Gang mündet jetzt deutlich getrennt vom lateral gelegenen Ureter in die Harnblasenanlage. Die MüLLEE'schen Gänge erreichen den Sinus urogenitalis. Die Urnieren sind sehr rudimentär, treten gegen die deutlich zu ^) Auf 5 Schnitten in der Continuität der Urniere fehlen Querkanälchen gänzlich. ggg Siegfried Weber. Ovarien differenzirten Keimdrüsen ganz zurück, Sie führen auf 14 resp. 17 Schnitten Urnierenkanälchen, aber keine Glomeruli. Die definitive Niere ist sehr umfänglich. Sie entspricht ganz der Schilderung, welche Ovb Hambueger von seinen jüngsten Mäuse- embryonen von 10 mm Länge gab. Wir lesen bei ihm (90, p. 21): „Der Ureter, welcher mitten am medialen Eande der kaum 1 mm langen Drüse eintritt, theilt sich ungefähr im Centrum der Niere dichotomisch in einen auf- und absteigenden Ast, die beide sich wieder theilen und nach 1, höchstens 2 dichotomischen Theilungen enden die Ureterzweige blind oder etwas erweitert (als die sogenannten Ampullen) dicht unter der Nierenoberfläche. An jeder Ampulle sind 2 Körperchen angeknüpft; die kleinsten derselben bestehen aus einer rundlichen Zellengruppe, die — jedenfalls scheinbar — nur in Kontiguität mit der Ampulle liegt, die weiter entwickelten dagegen, welche hakenförmig umgebogen erscheinen, stehen in der Regel in kontinuirlicher Verbin- dung mit der Ampulle. Während die Zwischenräume zwischen den Ureterzweigen von einem aus gewöhnlichen Mesenchymzellen bestehenden Gewebe ausgefüllt sind, werden die Ampullen von einer epithelähnlichen Zellschicht bekleidet." Besonders hervorgehoben sei, wie auch aus dieser Beschreibung ersichtlich ist, dass in diesem Stadium von Mal- piGHi'schen Körperchen nur die ersten Anlagen konstatirt werden konnten. Bei 11 mm langen Embryonen beschreibt Hambuegee die Anlagen MALPiGHi'scher Körperchen in der Niere : „Die ältesten BowMAN'schen Kapseln, welche noch schalenförmig sind, liegen ungefähr am Centrum der Niere, da wo der Ureter seine erste Theilung macht." 11 — 12 mm lange Embryonen endlich enthielten in ihren Nieren ca. 130 Anlagen zu den „geschlängelten Rohren", davon haben „die ältesten eben be- gonnen, die HENLE'schen Schleifen in centraler Richtung auszuschicken, während gleichzeitig ihre BowMAN'schen Kapseln die Kugelform an- genommen haben." Ob Hamburger dieee Niere für funktionsfähig hält, spricht er nicht aus, der histologische Befund scheint die Mög- lichkeit nicht ganz auszuschliessen. Erwägt man aber die mächtige formative TLätigkeit, in welcher das gesammte Nierenparenchym in diesem Entwicklungsstadium sich noch befindet, so erscheint eine irgend wie beträchtliche specifische funktionelle Leistung seitens der in leb- hafter Zelltheilung begriffenen, zum Theil sich erst aus dem Mesenchym herausdifferenzirenden Epithelien nicht sehr wahrscheinlich. Leider finden wir bei Hambueger keine Angaben über das Ver- halten der WoLFr'schen Körper, auch in der Arbeit von Kollmann ^) vermissen wir Bemerkungen über die Urniere, deren Ausführungsgang der Autor untersucht hat. ^) üeber Verbindungen zwischen Coelom und Nephridium. Basel 1882. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 659 ßesumiren wir kurz die bemerkenswertesten Befunde bei der Maus, so konnten wir konstatiren: 1) Die auffällig geringe, von den bekannten Verbältnissen anderer Säuger vollständig abweichende Entwicklung der Urniere. Es fehlten in den untersuchten Stadien die Glomeruli vollkommen. 2) Das sehr späte Auftreten von Grlomeruli überhaupt. 3) Den frühzeitigen Verschluss des Allantoisganges. 4) Die Eröffnung des Sinus urogenitalis vor dem ersten Auftreten von Glomerulis in den harnbereitenden Organen, in einem Entwick- lungsstadium, wo er sich auch bei anderen Säugern zu öffnen pflegt.^) 5) Die völlige Uebereinstimmung der Nierenbildung der Maus mit den an anderen Säugethieren gemachten Erfahrungen. Aus diesen Ergebnissen ziehen wir zunächst den einen wichtigen Schluss : Die Maus bedarf bis zu einer weit vorgeschrittenen Stufe ihrer Entwicklung überhaupt keiner Harnsekretion, hat sie doch bis zu 11 mm Länge überhaupt kein harnsekretionsfähiges Organ ! Und doch muss der Stoffwechsel im jungen Mäuseembryo ein ausserordentlich reger sein, wie die rapide Entwicklung aller Organe in kurzer Frist lehrt. Auf weitere Konsequenzen einzugehen, wird weiter unten Gelegen- heit sein. Meerschweinchen. Meerschweinchen, 18 Tage nach dem letzten Wurf dem Muttertiere entnommen. Die Kloake ist ein geräumiger, ventral durch die Kloakenmembran verschlossener Hohlraum, der in den Schwanz einen wohlentwickelten Schwanzdarm entsendet, dorsal in der Mittel- linie den Darm aufnimmt und von beiden Seiten her von den kaudalen Enden der WoLFF'schen Gänge berührt wird. Nach ventral und oben geht die Kloake in den Allantoisgang über, einen, soweit die Quer- schnittsserie verfolgbar ist, überall durchgängigen Kanal. In den wenig umfänglichen schmalen bandförmigen WoLrr'schen Körpern sind gewundene Urnierenkanälchen, durch ziemlich konstante Zwischenräume von einander getrennt, vorhanden. Die dem Wolff- schen Gange näheren Theile der Querkanälchen haben um ein geringes niedrigeres Epithel als die etwas weiteren, stärker gewundenen Ab- schnitte, welche an ihrem Ende junge Anlagen von Glomerulis mit sichelförmigem Lumen tragen. Der Wandtheil, in dem die Bildung des Gefässknäuels stattfindet, trägt das unveränderte Epithel des Quer- kanälchens, während die spätere BowMAN'sche Kapsel schon jetzt sehr abgeflachtes plattenförmiges Epithel darbietet. In den Glomerulus- ^) cf. d. Tabellen Maus, Maulwurf, Schwein. Nicht übereinstimmend beim Meerschweinchen. Bei Maulwurf und Schwein sind nur Tabellen kurz vor voll- ständiger Eröfi'nung des Sinus urogenitalis angegeben. Morpholog. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 43 660 Siegfried Weber. anlagen finden sich bereits hier und da Blutkörperchen und feine Ge- fässchen. Die Nierenknospe ist auf einem sehr frühen Stadium getroffen. Sie stellt eine mediodorsale, über 4 Schnitte (ä 20 fc) auf dem Querschnitt zu verfolgende Ausstülpung des unteren Abschnittes des WoLFF'schen Ganges dar, und zwar dort, wo der letztere den nach vorn und einwärts offenen Winkel macht, um an die Kloakenwand zu gelangen. Das Nierenblastem umgiebt die Nierenknospe allseitig ziemlich gleichmässig. Meerschweinchen 20 Tage nach dem letzten Wurfe. Die Längsschnittserie zeigt aufs deutlichste die noch geräumige, ventral abgeschlossene Kloake und deren bekannte, hier nicht näher auszu- führende Einzelheiten. Der AYoLFF'sche Gang erreicht, mit dem von dorsal und etwas medial abgezweigten Ureter zum weiteren Allantois- schenkel vereinigt, die Kloake, doch ist einschränkend zu bemerken, dass aus den Längsschnitten sehr klar hervorgeht, wie der WoLFr'sche Gang mit seinem Epithel sich zwar sehr eng der Kloakenwand anlegt, aber ohne sein Lumen in freie Kommunikation mit dem Kloakenraum zu setzen (Fig. 15). Die Kloakenwand erscheint an den Stellen vor- gebuchtet. Auffallend ist die Lage des Ureters am Scheitel des Winkels ; dessen Schenkel der proximale Theil des WoLFP'schen Ganges und sein AUantoisschenkel bilden. Der Allantoisschenkel liegt genau in der Verlängerung der Ureteranlage ventralwärts, er zeigt das höhere Epithel der Ureteranlage und ist in einem fast rechten Winkel scharf von der ursprünglichen Richtung des WoLFF'schen Ganges ab- gesetzt. Die Nierenanlage besteht aus dem kugelförmig angeschwollenen blinden Ende der Ureteranlage, um welche herum das noch undifferen- zirte aber ziemlich scharf von der Umgebung abgesetzte Blastem ge- lagert ist. Die WoLFF'schen Körper liegen als ziemlich schmale längliche Leisten nahe der Wirbelsäule den Venae cardinales an und enthalten in ziemlich regelmässigen Abständen Querkanälchen, welche vom WoLFF'schen Gang ausgehend, nach unerheblicher Schlängelung in den noch schalenförmigen Glomerulusanlagen medial enden. Meerschweinchen von 23 — 24 Tagen. Die Auftheilung der Kloake hat bedeutende Fortschritte gemacht. Der Sinus urogenitalis hat sich eine Strecke weit gebildet. In die Harnblasenanlage ragen lateral zwei Papillen hinein, welche aus zwei Epithellagen bestehen und das untere Ende der WoLFF'schen Gänge bezeichnen. Auch hier münden nämlich die Urnierengänge mit ihren Allantoisschenkeln nicht frei aus, sondern ihr blindes, vom Epithel des Kanales gebildetes Ende ragt gegen das Harnblasenepithel vor und buchtet es nach innen ein. In den WoLFF'schen Körpern sind deutliche runde, kleine Mal- PiGHi'sche Körperchen, darin Gefässschlingen, enthalten. Die Epithel- bekleidung der Glomerulusgefässschlingen besteht aus ziemlich hohen, Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 66l intensiv gefärbten, dicht neben einander stehenden Zellen, während die eigentliche BowMAN'sche Kapsel das bekannte niedrige Plattenepithel trägt. An den Querkanälchen konnten die von Mihalcovics unter- schiedenen Abschnitte nicht deutlich wahrgenommen werden. An den zahlreichen Zwischenstadien der Entwicklung vom 20. — 23. Tage, die mir durch die Güte des Herrn Prof. Zumstein zur Verfügung standen, kann mit Sicherheit gesehen werden, dass am 21.— 22. Tage der Ent- wicklung die Glomeruli der Urniere noch keineswegs als fertig gebildet bezeichnet werden können (Fig. 7 u. 11). Die Eintrittsstelle der Ge- fässe ist noch mehr oder weniger breit und liegt nicht der Ausmün- dung des Tubulus gegenüber. Der Gefässknäuel ist noch von dem ganz oder fast unverändert hohen Epithel der Urnierenkanälchen über- zogen und noch nicht kugelig abgerundet. Die Nierenanlage mündet etwas dorsolateral in den WoLrr'schen Gang, Sie ist vergrössert; eine längliche Höhle, nach oben und unten vom Uretereintritt ins Nierenblastem aus sich ausdehnend, ist die An- lage des Nierenbeckens, Im Mesenchym beginnt eine epithelartige Anordnung der Zellen um das Nierenbecken herum, Meerschweinchen, 24 Tage alt. Das Septum Douglasii hat die Kloake bis auf einen ziemlich engen Kloakengang getheilt, der aber ebenso wie der Sinus urogenitalis durch die Kloakenplatte ventral völlig gegen aussen abgeschlossen ist. Die Allantoisschenkel enden unter den beim vorigen Embryo beschriebenen seitlichen Papillen ziem- lich hoch oben im Harnblasentheil des Canalis urogenitalis. Die Ureteren münden lateral in die WoLFr'schen Gänge; die Allantois- schenkel sind bedeutend kürzer geworden, aber noch immer sind die Mündungen durch eine Epithelmembran verschlossen. Im WoLFF'schen Körper finden wir eine Anzahl wohlgebildeter aber kleiner Glomeruli (cf, Fig. 8), an denen wiederum der Epithel- belag auf den Gefässschlingen durch seine Höhe und deutliche Aus- prägung auffällt. An den Querkanälchen konnten keine Veränderungen gegen das Verhalten bei dem nächst jüngeren Embryo bemerkt werden; vielleicht sind sie um ein Weniges stärker gewunden. Die Nierenanlage ist beträchtlich weiter difi'erenzirt als beim 23 Tage alten Embryo durch dichotomische Theilungen des Ureters erster bis dritter Ordnung und durch das erste Auftreten schärfer ab- grenzbarer Anlagen von Tubulis contortis, Meerschweinchen, 25 Tage alt. Die Auftheilung der Kloake ist vollendet. Der Sinus urogenitalis, ebenso der Mastdarm ist durch die Kloakenmembran noch völlig gegen aussen abgeschlossen, wie das die Querschnitt- und Längsschnittserien ganz sicher beweisen. Die Ureteren erreichen die Harnblasenanlage seitlich und deutlich oberhalb der WoLPr'schen Gänge, sind aber wie jene durch das Epithel 43* ßg2 Siegfried Weber, der Harnblasenwand, welches sie papillenförmig hervorwölben, ver- schlossen. Der WoLFr'sche Körper steht in genauen Querschnittserien um ein beträchtliches an Längenausdehnung hinter der Niere zurück. An den kranialwärts gelegenen Theileu der Urniere sind deutliche Zeichen regressiver Veränderung wahrzunehmen. Das Zwischengewebe, welches auch in den mittleren Partien reichlich ist, scheint hier noch vermehrt. Die vielfach sehr engen — auch in den dem Glomerulus nächst liegenden Abschnitten — Urnierenkanälchen sind schwer von dem gleich stark gefärbten interstitiellen Gewebe zu unterscheiden. Verschieden weite Theile eines Querkanälchens sind nicht abgrenzbar. Die ziemlich kleinen Glomeruli tragen auch hier noch hohe Epithelien. In den mittleren Partien sind die Urnierenkanälchen etwas schärfer vom Stützgewebe abgrenzbar, aber auch hier keine Tubuli secretorii von Tubuli coUectivi deutlich zu unterscheiden. Die MALPiGHi'schen Körperchen enthalten einen in wenig Schlingen aufgewundenen Gefässknäuel, dessen Endothel hie und da deutlich er- kennbar ist, meist aber von dem überziehenden hohen Epithel verdeckt wird. Neue Anlagen von MALPiGHi'schen Körperchen im distalen Ur- nierentheil wurden nicht beobachtet. In der definitiven Niere finden sich zahlreiche Sammelröhrchen und deutliche Anlagen der Tubuli contorti ; die letzteren entsprechen ganz den von der Maus bekannten Anlagen. Meerschweinchen, 26 Tage alt. Auch hier ist der Sinus urogenitalis sowie der After völlig verschlossen, dieser durch die zarte Aftermembran, jener durch die Kloakenplatte, den vorderen Eesttheil der primitiven Kloakenmembran. Die Ureteren und WoLFF'schen Gänge haben ihre Lage zur Harnblasenanlage nicht verändert (cf. Eig. 2). In den WoLFF'schen Körpern sind die regressiven Veränderungen sehr deutlich. Das ganze Organ ist verkleinert, die Urnierenkanälchen liegen in dem vermehrten, zellreichen Strom.n, sehr wenig durch ihre Epithelien sich abhebend, sind in ihrem ganzen Verlaufe gleichmässig schwach wie das Stroma gefärbt und von überall ziemlich gleichem Lumen. Die Glomeruli sind wenig zahlreich, zeigen auf den Gefäss- schliugen noch das hohe Epithel wie früher, sind hier und da ge- schrumpft und lassen dann einen weiten Zwischenraum zwischen äusserem und eingestülptem Theil der BowMAN'schen Kapsel erkennen. Die Entwicklung der Niere fand ich in zwei Längsschnittserien und einer Querschnittserie etwa auf derselben Höhe wie beim 25 Tage alten Embryo. Meerschweinchen, 29 Tage alt. Der Sinus urogenitalis ist ge- öffnet, der Mastdarm noch durch eine dünne Membran verschlossen. Die Ureteren sind an der Harnblasenwand beträchtlich hinaufgerückt; soweit Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischeu Apparates bei Säugern etc. 663 dies aus der vorliegendeu Querscbnittserie zu ersehen ist, ist auch jetzt noch sowohl Ureter wie WoLFF'scher Gang membranös verschlossen. Die Urniere ist stark reducirt und entspricht ganz der Schilderung MiHALCOVics' vom vorgerückten Stadium der sich involvirenden Urniere. In der Niere sind reichliche Glomerulusanlagen, jedoch noch keine ausgebildeten kugeligen MALPiGHi'schen Körperchen. Bei einem 30 Tage alten Embryo, dem ältesten untersuchten Meerschweinchen, konnte eine freie aber sehr enge Mündung der Wolpf- sclien Gänge auf den mehrerwähnten Papillen nachgewiesen werden, im Uebrigen war die Ausbildung der Organe die gleiche. Fassen wir die Ergebnisse der mitgetheilten Beobachtungen am Meerschweinchen kurz zusammen, so konnten wir feststellen : 1) Die späte Entwicklung der WoLFF'schen Körper, die erst mit dem 23. Tage ca. fertig ausgebildete MALPiGHi'sche Köperchen besitzen. 2) Die baldige Rückbildung der ausgebildeten Urniere schon am 25. Tage des intrauterinen Lebens, mithin die sehr kurze Dauer einer etwaigen specifischen Funktion, welche ausser durch diese Thatsache unwahrscheinlich wird durch (3. — 5.): 3) die Beschaffenheit der Glomeruli. Diese besitzen, wie wir ge- sehen haben, ständig auf ihren gering entwickelten Gefässschlingen ein ziemlich hohes Epithel, welches ohne Zweifel eine Sekretion durch die Glomeruli beeinträchtigen muss ; 4) den distalen membranösen Verschluss der WoLFF'schen Gänge, welcher unmöglich als eine zufällige Abnormität bezeichnet werden kann, da er sich in übereinstimmender Art bei allen untersuchten Embryonen einer grossen Anzahl von Serien der verschiedenen Stadien fand; 5) die Involution der Urniere beträchtlich vor der Ausbildung der Dauerniere. Letztere zeigt noch bei 30 Tage alten Embryonen keine ausgebildeten MALPiGHi'schen Körperchen. Aus diesem Befunde dürfte für das Meerschweinchen der Schluss berechtigt sein, dass hier von einer ablösenden Funktionsübernahme des Metanephros vom Meso- nephros keine Rede sein kann. 6) Die späte Entfaltung des Sinus urogenitalis nach aussen ist hervorzuheben. Besonders der Umstand, dass auch noch bei 26 Tage alten Meerschweinchen der Sinus urogenitalis geschlossen gefunden wurde, ist wichtig. Nagel behauptet nämlich (92 a), dass wir be- rechtigt seien, die Befunde an 15 mm langen Meerschweinchenembryonen (26 Tage alt) auf menschliche Embryonen von 8—10 mm Länge zu übertragen. Nehmen wir diese, uns recht gewagt erscheinende Be- hauptung für den Augenblick an, so finden wir beim Schluss vom Meerschweinchen auf den Menschen ein neues Gegenargument gegen Nagel's Postulat der offenen Kloake bei 8 — 10 mm langen mensch- lichen Embryonen. 664 Siegfried Weber, Maulwurf. Maulwurf I, Tab. 13. Dieses jüngste von mir untersuchte Stadium bietet schon weit vorgeschrittene Entwicklungsverhältnisse gegenüber den jüngsten Mäusen und Meerschweinchen. Wir konnten daher leider die Frage nach der ersten Nierenanlage beim Maulwurf nicht beantworten. Das allgemeine Entwicklungsstadium entspricht ungefähr einem ebenso langen Mäuseembryo, doch zeigen die Urogenitalorgane einz'elne wesentliche Unterschiede. Die Kloake finden wir bis auf einen engen Kloakengang durch das Septum Douglasii aufgetheilt. Nach aussen bildet die Kloakenplatte einen vollkommenen Abschluss. Die WoLrr'schen Gänge münden fast gleichzeitig mit den von dorsal und lateral abzweigenden Ureteren in die Harnblasenanlage. Die Allantois verdünnt sich oberhalb der Harnblasenanlage sehr beträchtlich und behält die Enge ihres Lumens durch die grösste Enge ihres intraembryonalen Verlaufes bei. Ihr Lumen beträgt hier noch nicht die Hälfte des Durchmessers einer Umbilicalarterie und ist auch enger als der Darmquerschnitt. ^) Die WoLFF'schen Körper bieten durchaus andere Entwicklungs- verhältnisse dar, als wir sie bei Maus und Meerschweinchen kennen gelernt haben. Die Urnieren sind umfängliche, ziemlich hoch hinauf reichende Organe, in denen eine beträchtliche Zahl umfänglicher Glo- meruli, und stark gewundene, dicht neben einander liegende Quer- kanälchen entwickelt sind. An den ürnierenkanälchen sind sehr deut- lich zwei verschieden gestaltete Abschnitte zu erkennen. Der eine, dem Glomerulus näher liegende Theil zeigt ausserordentlich hohe Cylinderepithelien mit wandständigen, schwach gefärbten Kernen. Die einzelnen Zellgrenzen sind an mit Pikrinsäure stark differenzirten Hämatoxylinfärbungen scharf zu sehen und zeigen, wie nahe die innersten Zellkonturen dem Centrum der Kanälchen stehen, dass also das freie Lumen dieser Abschnitte sehr eng ist, obwohl der Querschnitt im Ganzen sehr viel grösser ist, als der der sogenannten Tubuli collec- tivi. Sind die Kanälchen schräg durch die Schnittrichtung getroffen, so fällt das enge Lumen oft gar nicht in die Schnittfläche. Von einem geronnenen Sekret in den Kanälchen habe ich nichts gesehen, halte vielmehr die theils körnigen, theils netzförmigen Massen für Proto- plasma oder die Grenzen der einzelnen Epithelzellen. Die Stützsubstanz zwischen den Kanälchen ist spärlich und sehr stark vaskularisirt. Die ^) Diese Bemerkung scheint mir aus dem Grunde nicht überflüssig, weil sich aus der angegebenen Thatsache bei der Annahme einer irgend wie beträchtlichen Sekretion der IJrniere, die unannehmbare Folgerung ergeben müsste, dass dann das Sekret den Darm aufwärts als Ableitungsweg benutzen würde. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 665 Glomeruli sind durch einen stark gewundenen Gefässknäuel, auf dem ein stark gefärbtes, ziemlich hohes Epithel sitzt, ausgezeichnet. Die Gefässschlingen sind stark mit Blut injicirt. In der Nierenanlage sind ausser zahlreichen Sammelröhrchen An- lagen der Tubuli contorti vorhanden. An dem nur wenig älteren Stadium: Maulwurf la, einer Längs- schnittserie, treten besonders der Kloakengang, der Verschluss des- selben und des Sinus urogenitalis durch die Kloakenplatte sowie der kurae Allantoisschenkel des WoLFF'schen Ganges und Ureters, mit aller Klarheit hervor. Im Schnitte durch die grösste Länge der WoLFF'schen Körper wurden 15 MALPiGHi'sche Körperchen gezählt; am grössten erscheinen die Glomeruli des mittleren Theiles (cf. Fig. 6). Mau Iwurf II, Tab. 14. Zwischen Darm und Sinus urogenitalis besteht keine Kommunikation. Beide Kanäle sind gegen aussen ver- schlossen. Am WoLFr'schen Körper sind keine Veränderungen gegen das vorige Stadium wahrzunehmen. In der definitiven Niere ist die Anzahl der Anlagen der Tubuli contorti und Glomeruli vermehrt, doch finden sich keine ausgebildeten MALPiGHi'schen Körperchen. Maulwurf III, Tab. 15. Der Sinus urogenitalis verhält sich wie bei Maulwurf IL Der After ist durch die dünne Aftermembran ver- schlossen. An den WoLFF'schen Körpern bemerkt man deutliche Anzeichen beginnender Involution. Die Längen ausdehnung hat abgenommen, was vielleicht mit der starken Entwicklung der Keimdrüsen in Beziehung zu bringen ist. Jedenfalls machen die an den Ovarienanlagen gelegenen Theile der Urniere einen verkümmerten Eindruck den distalen, unteren Partien gegenüber. Der Blutgefässreichthum der Urniere ist vermindert, das inter- stitielle Gewebe vermehrt, in den Querkanälchen sind die hohen Cylinderepithelien zum Theil sehr viel niedriger und undeutlicher ge- worden, lassen ein weiteres Lumen offen, andere Querkanälchen dagegen zeigen noch vollkommen das oben gegebene Verhalten. In der Niere sind noch keine ausgebildeten MALPiGHi'schen Körperchen vorhanden, Maulwurf IV, Tab. 16. Hier finden wir den After eröfi'net, den Sinus urogenitalis aber noch immer durch die Kloakenplatte ver- schlossen (cf. Fig. 1). Die Ureteren münden lateral und ein wenig oberhalb der WoLFF'schen Gänge in die Harnblase. Die Längsschnitt- serie IVa zeigt alle hier in Frage kommenden Verhältnisse mit vollster Deutlichkeit. An dieser ist auch die eingetretene starke Reduktion des WoLFF'schen Körpers durch einen Vergleich mit Stadium la sicher nachzuweisen. Die grosse Keimdrüse und die Dauerniere nehmen jetzt 666 Siegfried Weber. die Stelle ein, wo beim Embryo la noch zahlreiche wohlentwickelte Glomeruli und Querkanälchen der Urniere lagen. In dem proximalen Urnierentheile sind die Glomeruli zum Theil verödet, die Querkanälchen haben ihren früheren Umfang und das hohe Cylinderepithel verloren, im ganzen Bereich der Urniere ist das interstitielle Gewebe bedeutend vermehrt. An den Glomeruli des unteren Urnierentheiles und an den dazu gehörenden Kanälen konnten keine deutlichen Zeichen der Rück- bildung wahrgenommen werden. Die Niere übertrifft an Grösse die Urniere. Sie enthält kugelige MALPiGHi'sche Körperchen mit injicirten Glomerulis, auf denen die be- kannten hohen Epithelien zu erkennen sind, namentlich in den cen- tralen Theilen der Niere. Sie ist von ihrer Lage am kaudalen Ende des WoLFF'schen Körpers, wo wir sie im Stadium la finden, hinauf- gerückt bis an das proximale Ende desselben. Aeltere Embryonen von dem Maulwurf standen mir leider nicht zur Verfügung. Aus den untersuchten Embryonen geht hervor, dass: 1) die Urniere des Maulwurfs beträchtlich höher entwickelt ist als die des Meerschweinchens und der Maus ; 2) der Beginn der Involution der Urniere einsetzt, bevor die Dauerniere MALPiGHi'sche Körperchen enthält. In dem Stadium, wo wir die ersten runden, aber noch kleinen Glomeruli in der Niere sahen, hat die Urniere schon eine bedeutende Rückbildung erfahren ; 3) der Verschluss des Sinus urogenitalis gegen aussen in einem späteren Stadium der allgemeinen Entwicklung als bei der Maus auf- gehoben wird. Schwein. Schweineembryonen. Der uropoetische Apparat dieser Em- bryonen ist von Keibel (95 a, 97), Reichel (93 a, b), Mihalcovics (85, cf. p. 14), Janosik (85), Nagel (89) untersucht, auch Kallat (85) hat über die Nierenknospe eines Schweineembryos gearbeitet; wir werden daher erst die speciellen Ergebnisse der genannten Forscher zu be- rücksichtigen haben, ehe wir in Anlehnung an die Normentafeln und das reiche Material Keibel's auf einige Punkte der Entwicklung ein- gehen. Reichel hat den Umbildungsvorgängen der Kloake besondere Auf- merksamkeit geschenkt (cf. oben p. 616 u. 625). Er verlegt die Eröff- nung des Sinus urogenitalis auf eine frühere Entwicklungsstufe als die des Mastdarms (bei 22 — 25 mm langen Embryonen). Es interessiren uns ferner seine Beobachtungen über die Ureterenwanderung. Bei 11 mm langen Embryonen fand er 11 Schnitte (ä 10 fi) kranial von der Abgangsstelle der AVoLFF'schen Gänge von ihrer dorsalen Seite ab- zweigend den Nierengang. „Anfangs sehr eng, erweitert er sich nach Zur Eutwickluugsgeschichte des uropoetischeu Apparates bei Säugern etc. 667 oben ziemlich erheblich, endet aber schon auf dem 38. Schnitte blind, ohne sich irgendwie zu verästeln." Zweifellos haben wir es hier schon mit einer etwas älteren Anlage zu thun, wie aus Keibel's und Nagel's Angaben hervorgeht. 13 mm lange Embryonen zeigten den Ureter von den sehr weiten WoLFF'schen Gängen genau in den Einmündungsstellen in den Sinus urogenitalis aussen hinten abzweigend, um rasch stark verengt in kaudal konvexem Bogen nach hinten medial abbiegend in die Höhe zu ziehen. Bei 22 mm langen Embryonen endlich münden die "WoLFF'schen Gänge und Ureteren „gemeinschaftlich'' in den Sinus urogenitalis ein. 25 mm lange Embryonen zeigten im unteren Theil der Rückwand der Blasenanlage eine mediane Leiste und zwei von rechts nach links stark abgeplattete Spalträume, „die nichts anderes sind als die Ausmündungen der in ihrem ganzen unteren Abschnitte stark abgeplatteten WoLEp'schen Gänge". ,,Von der äusseren Seiten- wand dieser zwei Spalträume etwas oberhalb ihres unteren Endes gehen die Nierengänge ab." Die völlige Loslösung der Ureteren von den WoLrF'schen Gängen beobachtete Reichel erst bei 30 — 31 mm langen Embryonen. Die Ureteren münden lateral von den WoLFE'schen Gängen „an einer Stelle, die an der Grenze von Blase und Urethra zu liegen scheint". Des Autors Ansicht über den mechanischen Vor- gang der Ureterenwanderung ist bereits wiedergegeben. Nagel's Untersuchungen über die bleibende Niere des Schweines beziehen sich besonders auf hier weniger interessirende Fragen. Eine sehr junge Nierenanlage schildert er von einem 8 mm langen Embryo „als wohlgebildeten Kanal", welcher ,,in den Sinus urogenitalis nach aussen von dem WoLEp'schen Gange" einmündet. Er fährt fort (S. 365) : „Eigentlich wäre es richtiger, zu sagen, dass der Ureter in das distale Ende des WoLFE'schen Ganges mündet, denn der Uebergang des WoLFF'schen Ganges in den Sinus urogenitalis geschieht unter all- mählicher Erweiterung des erstgenannten Gebildes, weswegen es un- möglich ist, die Grenze zwischen Sinus urogenitalis und WoLFF'schem Gang genau zu bestimmen," ^) Uebrigens giebt Nagel schon von diesem Stadium an, dass die epitheliale Nierenanlage zum Theil sehr kurze Ausbuchtungen besitzt. Janosik berührt nur ganz kurz die Nierenanlage und stellt den „ersten Anfang der Nierenentwicklung" von einem 2,5 cm (!) langen Schwein dar. In der Figur (Taf. IV Fig. 55) mündet in der einen Hälfte ^) Hierin muss ich Nagel widersprechen, da es bei den mir vorliegenden KEiBEL'schen ßeconstruktionen vom Menschen und vom Kaninchen (cf. fig. 18) sowie an geeigneten Schnitten von Schweine- und Meersehweinchenembryonen (cf. Fig. 15) nicht schwierig ist die Grenze des Allantoisschenkels gegen den Sinus uro- genitalis hin anzugeben. Doch muss ich Nagel Hecht geben, dass ohne Recon- struktion aus Querschnittsserien allein eine klare Anschauung fast unmöglich zu ge- winnen ist. ßg3 Siegfried Weber. des Schnittes der Nierengang medial neben dem WoLFF'schen Gange in die „Kloake". Die andere Hälfte des Schnittes hat nur die „erste Nierenanlage" getroffen, ein sehr wenig umfängliches rundliches Bläschen in dem central der Querschnitt des Nierenganges mit hohem Cylinder- epithel. Die Figur steht in so auffallendem Gegensatze zu dem, was Reichel und Keibel beobachtet haben , hat auch nicht die geringste Aehnlichkeit mit den Nierenanlagen , die mir in den KEiBEL'schen Schweineserien zu Gesicht kamen, so dass nur eine Missbildung oder ein Irrthum dieser Zeichnung zu Grunde gelegen haben kann. Ebenfalls sehr merkwürdige Angaben über die Niere im frühen Stadium des Embryonallebens liefert Kallat. Seine Forschungen an einem 1,1 cm langen Embryonen sind bereits von Nagel (89 a) S. 364 kritisirt und richtig gestellt worden. Ich brauche daher hier nicht weiter auf dieselben einzugehen. In den sehr ausführlichen und zahlreichen Tabellen der Normen- tafel zur Entwicklungsgeschichte des Schweines von Keibel finden wir eine Reihe wichtiger Angaben. Ueber die Anlage des uropoetischen Apparates lesen wir: „Die erste Anlage des uropoetischen Systems tritt beim Schwein sehr früh und mit grosser Regelmässigkeit im gleichen Entwicklungsstadium auf. Sie findet sich bei Embryonen von 6—7 Urwirbeln (Tab. 20 u. 22—26) [3— 4 mm]. Die Glomeruli der Urnieren treten erst verhältnismässig spät auf (Tab. 60 — 63, 64, 65) [6 — 7 mm]. Die erste Anlage der Nierenknospe finden wir auf Tab. 69 — 72 [8,2 — 8,6 mm] verzeichnet, die erste Anlage der Glomeruli der bleibenden Niere wieder beträchtlich später (Tab. 89—91), [19,5 mm], erst in einem Stadium , in welchem schon die Anlage der Milchdrüsen kenntlich ist." Das ausserordentlich starke Wachsthum der Urniere beginnt in der Entwicklungsperiode des Auftretens der Glomeruli in der Urniere, und bedingt die plötzliche auffallende Veränderung der Körperform wie sie die Fig. 11 und 12 der Normentafel illustrieren. Der Autor giebt die Möglichkeit zu, dass die Urniere (S. 31) „nachdem die WoLEP'schen Gänge die Kloake erreicht haben und die Glomeruli auf- getreten sind, vielleicht jetzt schon in Funktion tritt. Wenigstens kann man sich denken, dass mit dem in Funktion Treten der Urniere und der Einmündung der WoLEp'schen Gänge in die Kloake auch das plötzliche und mächtige Wachsthum der AUantois in Beziehung steht." Ueber die Entfaltung der Kloakenplatte finde ich in den Tabellen keine Notiz. Die Eröffnung des Afters ist zuerst bei einem 1,95 mm langen Embryo (Tab. 90) angegeben. Bei dem 23 mm langen Embryo der Fig. 29 der Normentafel sah ich deutliches Auseinanderweichen der Kloakenplatte vor dem Sinus urogenitalis , aber noch keine freie Eröffnung desselben nach aussen, wenngleich an dem der Afterüffnung Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 669 nächstliegenden Theil die Entfaltung fast bis zum Sinus urogenitalis (resp. Kloakengangsrest Keichel's) hinanreicht. Hiermit stehen die ßEiCHEL'schen Befunde in Uebereinstimmung. (cf. S. 616). Betrachten wir die Urniere des Schweines etwas genauer und ver- gleichen sie mit den Organen der anderen Embryonen, so fällt vor allem ihre sehr bedeutende Grösse auf. Sie ist ganz unverhältnissmässig viel grösser als beim Maulwurf oder gar beim Meerschweinchen. Ihre Grösse und volle Ausbildung bleibt nach Mihalovics der Urniere noch bei Embryonen von 5 cm Länge. — In der Urniere des grössten mir zur Verfügung stehenden Embryo von 3,3 cm Länge konnte ich keine Symptome beginnender Involution konstatiren. Die Glomeruli besitzen sehr zahlreiche Gefässschlingen und sind sehr gross, bei weitem grösser als beim Maulwurf. An jüngeren Embryonen sieht man noch sehr deutlich den kubischen stark färbbaren Epithelsaum um die einzelnen Gefässschlingen herumziehen, besonders in den distalen, jüngeren Theilen der Urniere. Aeltere Embryonen haben viel niedrigeres Epithel auf ihren Glomerulis, so dass die zarten Gefässwände sehr deutlich hervor- treten und stellenweis ganz von Epithel entblösst scheinen. Bei 19 — 23 mm langen Embryonen boten auch die distal gelegenen Glomeruli der Urniere dieses Aussehen. Es erscheint darnach die Annahme gerecht- fertigt, dass um diese Zeit des Embryonallebens keine neuen Glome- ruli in der Urniere entstehen, denn zweifellos sind doch die Glome- ruli mit dem hohen Epithelbesatz als Jugendformen anzusehen, und wenn solche fehlen, wird man annehmen dürfen, dass die Neubildung junger Glomeruli aufgehört hat. Die Urnierenkanälchen zeigen bei jüngeren und älteren Embryonen verschiedenes Verhalten, indem bei 20 — 22 Tage alten Schweinen die Tubuli collectivi von den Tubulis secretoriis gut zu unterscheiden waren durch die Höhe der Epithelien der weiteren Abschnitte und geringere Eärbbarkeit. Im Ganzen sind die Querkanälchen sehr weit. Bei älte- ren Embryonen waren die Kanälchen noch bedeutend weiter , aber die Unterschiede der Epithelien sind selbst bei genauerer Betrachtung kaum nachweisbar. Janosik sah auch hier Differenzen (1. c. S. 138). Der Urnierengang ist sehr weit. Das interstitielle Gewebe der Urniere ist locker, gering entwickelt und von zahlreichen weiten Gefässen durch- setzt. Die erste Nierenanlage wurde entsprechend den Embryonen der Tabellen 69—72 [6,4 — 8,6 mm Embryonen] als dorsomediale kurze schlauchförmige Ausstülpung des WoLFF'schen Ganges beobachtet, an der Stelle , wo letzterer den nach ventral innen offenen Winkel macht, um in die Kloake zu gelangen ; an der Nierenknospe waren keine Aus- stülpungen zu sehen, wie im Gegensatz zu Nagel's Beoachtung hervor- gehoben sei. Die von Nagel angegebenen Ausbuchtungen der Nieren- anlage habe ich in erster Andeutung beim 9 mm langen Embryo der 670 Siegfried Weber. Tab. 73, deutliclier beim 10 mm langen der Tab. 74 gesehen. Nach Reichel zeigen noch 11 mm lange Embryonen keine Abzweigungen der Ureterenanlage. An den Serien der KEiBEL'schen Tabellen sind sämmtliclie Stadien der Ureterenwanderung zu verfolgen, es ergiebt sich völlige Uebereinstimmung sowohl mit Reichel's Befunden am Schwein, wie mit dem Riede's am Schaf. Die Serien ergänzen aber dis Befunde von Reichel darin, dass sie auch noch jüngere Stadien geben. Eben bei diesen jüngsten Stadien finden wir die sehr auffallende Erscheinung, dass die Richtung der Nierenknospe primär von aussen oben nach unten innen gerichtet ist und auf den Schnittbildern ganz mediodorsal den WoLFF'schen Gang verlässt. Diese Richtung setzt der entwick- lungsmechanischen Erklärung des Vorganges der Wanderung um den WoLFF'schen Gang herum nach aussen eine gewisse Schwierigkeit entgegen. In der definitiven Niere finden wir noch bei 23 mm langen Em- bryonen auf den ziemlich kleinen, rundlichen Glomerulis hohes Epithel. Fassen wir jetzt unsere Befunde am Schwein kurz zusammen, so können wir sagen : 1) Dass die Eröffnung des Sinus urogenitalis spät statthat zu einer Zeit, in welcher die WoLFF'schen Körper bereits eine ganz ausserordentliche Grösse erreicht haben, und in der Niere schon Glo- meruli in grösserer Zahl gebildet sind. 2) Die Anlage der Nierenknospe stimmt mit den Befunden anderer Säugethierembryonen überein. 3) Die ganz ausserordentlich voluminöse Entwicklung der ürnieren, die weit über das hinausgeht, was bei Mensch, Maulwurf, Meerschweinchen und Maus gesehen wurde. 4) Die Niere bildet sich aus lange vor Eintritt der regressiven Veränderungen in der Urniere, die ja erst bei 5 — 6 cm langen Em- bryonen frühestens (cf. S. 620) einsetzen sollen (nach Mihalcovics). Nach der Schilderung der von den einzelnen Embryonen erhobenen Befunde will ich jetzt zu einer kurzen zusammenfassenden Betrachtung der eingangs gestellten Fragen übergehen. Der Sinus urogenitalis und die Zeit seiner Eröffnung. Was den Modus der Eröffnung des Sinus urogenitalis bei den Säugethieren betrifft, so kann nach den Bildern, welche wir bei der Maus, beim Meerschweinchen und Schwein erhielten, kein Zweifel da- rüber sein, dass das Auseinanderweichen der Kloakenplatte diesen Vor- gang bedingt. Es wäre überflüssig, diese von der Mehrzahl der Autoren übereinstimmend gemachte S^rfahrung zu wiederholen , wenn nicht Mihalcovics an der Hand seiner bereits S. 616 besprochenen Abbildungen ein ganz anderes Verhalten konstruirt hätte. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 671 Wenn wir die Zeit der Eröffnung des Sinus urogenitalis bei ver- schiedenen Säugern mit einander vergleichen wollen, so kann das kaum durch Verwertung der Länge oder des Alters der Embryone geschehen, sondern einmal durch die Vergleichung der Entwicklungshöhe des Gesammtorganismus, dann aber besonders durch die des Entwicklungs- grades des Urogenitalsystems. Ein Vergleich der ErÖffnungszeit des Sinus in Beziehung zur Entwicklung der Körperorgane im all- gemeinen ergiebt schon aus den wenigen mitgetheilten Tabellen, dass wir es nicht mit einer überall gleichzeitig auftretenden Bildung zu thun haben. Beim Meerschweinchen von 25 Tagen der Tab. 12 haben wir eine Entwicklungshöhe des Organismus, welche der einer 9,5 mm langen weiblichen Maus fast entspricht und doch ist bei letzterer der Sinus urogenitalis geöffnet, während erst 29 — 30 Tage alte Meerschweinchen diese Erscheinung zeigen. Toukneux hat übrigens für das Schaf (cf. oben S. 616) auf grosse individuelle, vielleicht auf sexueller Basis beruhende Verschiedenheiten in der ErÖffnungszeit aufmerksam gemacht. Für Maus, Schwein, Maulwurf fand ich ziemlich überein- stimmende Entwicklungsstufen der Organe zur Zeit der Eröffnung des Sinus urogenitalis, für den Menschen konnte ich nur feststellen, dass zu einer Zeit, in welcher seine allgemeine Organentwicklung der eines 25tägigen Meerschweinchens ungefähr entspricht, bei 11,5 mm langen Embryonen, der Sinus noch völlig geschlossen ist. Ich muss daher auf Grund dieser Beobachtung den NAGEL'schen gegenteiligen Behauptungen widersprechen, Behauptungen die mir nach einem eingehenden Studium von Nagel's Arbeiten auch durch die Befunde dieses Autors durchaus nicht gerechtfertigt erscheinen und die er vor allen Dingen versäumt hat durch Abbildungen klarzustellen. Dass die von Nagel an ent- sprechender Stelle citirte Abbildung nicht einem Embryo dieses Sta- dium sondern einem sehr viel älteren Embryo entnommen ist, darauf wurde schon S. 615 hingewiesen. Grosses Interesse bietet die Frage: Auf welcher Stufe der Aus- bildung stehen die Exkretionsdrüsen zu der Zeit, in welcher die Ab- leitungswege ihre freie Oeffnung nach aussen erhalten? Nagel hat Beziehungen zu erkennen geglaubt und nimmt an, der Sinus urogeni- talis öffnet sich dann, wenn die Urniere soweit entwickelt ist, wie sie das beim 11 mm langen menschlichen Embryo ist, also nach ihm funk- tionsfähig erscheint, daher auch funktionirt, und wenn ausserdem die Allantois obliterirt ist.^) Dass -die Dinge so einfach liegen, wie Nagel angiebt, davon habe ich mich nicht überzeugen können, bin viel- mehr zu dem Resultat gekommen, dass ein Abhängigkeitsverhältnis ^) Nur nebenbei sei hier bemerkt, dass Nagel hier ein Irrthum untergelaufen ist; der Allantoisgang ist beim menschlichen Embryo dieses Stadiums noch keines- wegs obliterirt. 672 Siegfried Weber. zwischen Ausbildung der Exkretionsdrüsen und Entfaltung der Kloaken- platte in keinem der von mir untersuchten Säugethierembryonen zu konstatiren ist. Im Einzelnen gestalten sich die Verhältnisse folgender- maassen. Für den Menschen nehme ich mit Keibel (cf. S. 614) bei 14 mm langen Embryonen Eröffnung des Sinus urogenitalis an. Solche Embryonen haben eine gut ausgebildete Urniere, auch die Niere ist zu Anlagen der Tabuli contorti und Glomeruli differenzirt. Die Urnieren sind aber qualitativ d. h. ihrem inneren Bau nach nicht merklich, ver- ändert, quantitativ etwas vergrössert gegen die Urnieren der 11,5 mm langen Embryonen. Die WoLFF'schen Körper der letzteren secerniren nicht^), denn, „so kann man mit Nagel mit Recht fragen, wo denn das von der Urniere gelieferte Sekret bleiben sollte", da ja der Sinus uro- genitalis und der enge Allantoisgang ^nur minimale Sekretmengen auf- nehmen könnten. Secernieren die WoLEF'schen Körper aber hier nicht, so wäre es nicht gerechtfertigt, auf die Sekretion des histologisch fast ganz gleich gebauten Körpers bei dem etwas älteren Embryo zu schliessen. Wir haben somit keinen Anhaltspunkt dafür, eine functionelle Beziehung zwischen Urniere und Eröffnung des Sinus beim Menschen anzunehmen. Bezüglich der Maus konnten wir S. 659 zusammenfassend sagen: Die Eröffnung des Sinus urogenitalis erfolgt vor dem ersten Auf- treten von Glomerulis in den harnbereitenden Organen. Die Wolff- schen Körper sind stark rudimentär, die bleibenden Nieren erst im Stadium lebhafter Differenzirung, noch ohne rundliche Glomeruli. Dieses Verhalten zeigt sehr deutlich das Fehlen von Beziehungen in der zeitlichen Ausbildung der ableitenden Wege und der Sekretions- organe. Bemerkt sei noch, dass der Allantoisgang der Maus sehr früh- zeitig geschlossen ist und dass die Urniere vor der Entfaltung der Kloakenplatte in keinem Stadium für funktionsfähig angesehen werden kann. Das Meerschweinchen ist das dritte Säugethier mit dauernd sehr enger, als Harnrecipient untauglicher Allantois. Wir fanden den Sinus bei 26 Tage alten Embryonen (cf. S. 662) noch geschlossen^), bei 29 Tage alten Meerschweinchen, dem nächst älteren untersuchten Stadium, geöffnet. Die WoLFF'schen Körper sind schon in Bückbildung, ehe die Entfaltung erfolgt und in den Nieren sind noch keine fertigen Glomeruli zur Zeit, wo bereits eine freie Oeffnung besteht. Demnach bestehen auch beim Meerschweinchen keine Beziehungen dieser Bildungen. ^) Allerdings käme hier noch die Diffusion durch die Körperwand des Embryo hindurch in Frage. Man könnte sich vorstellen, dass die physiologische Kapillar- sekretion des übrigen Körpers in den Kapillaren der Urniere eine specifische Harn- sekretion sei, direkt in das die Kapillaren allseitig umgebende, den Körper durch- tränkende Fruchtwasser hinein. ") Die von Nagel festgestellte Kommensurabilität des ürogenitalapparates von Mensch und Meerschweinchen in diesen Stadien ist S. 663 besprochen. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 673 Sehen wir, wie sich beim Maulwurf diese Vorgänge gestalten, so haben wir zunächst die Ausbildung einer grossen, mit der Harnblase in Verbindung stehenden Allantoisblase hervorzuheben. Der Sinus öffnet sich nach eingetretenen Rückbildungsvorgängen in der Urniere und nachdem in der Dauerniere reichliche kugelige Glomeruli zur Ent- wicklung gekommen sind, wiederum ein ganz anderes Verhalten als bei den bisher besprochenen Embryonen, das man aber vielleicht auf die Persistenz der Allantois zurückführen könnte. Das Schwein hat gleichfalls eine grosse offene Allantois. Bei ihm finden wir die Eröffnung (cf. S. 668) des Sinus urogenitalis zur Zeit sehr hoher Entwicklung der mächtig grossen Urniere, die aber schon lange vorher ein relativ gleich voluminöses Organ war und wenn man überhaupt eine beträchtliche Sekretion annimmt, auch in jenen früheren Entwicklungsperioden Urin secernirt haben muss.^) In den Meren finden sich reichliche kleine Glomeruli zur Zeit der allmälichen Ent- faltung der Kloakenplatte. Auch die mit offener Allantois versehenen Säugethiere Schwein und Maulwurf bieten also differentes Verhalten ihrer Exkretionsdrüsen zur Zeit der Eröffnung des Sinus. Mesonephros, Metanephros; ihre Beziehungen zu einander und ihre Funktion. Die Urniere haben wir bei den untersuchten Embryonen in sehr abweichenden Ausbildungsformen gesehen. Zunächst fiel die sehr ver- schiedene Grösse und Differenzirung des Organes im ausgebildeten Zu- stande auf. Im Schwein fanden wir ein ganz ausserordentlich grosses den grössten Raum der Abdominalhöhle einnehmendes und weit gegen das Kopfende hinaufreichendes Organ, bei der Maus in einem reich- lichen interstitiellen Gewebe nur wenige vereinzelte Querkanälchen, nirgends Glomeruli. Das Parenchym nahm nur einen sehr beschränkten Bezirk der Urnierenleiste ein. Zwischen diesen Extremen stehen die WoLFP'schen Körper des Menschen, des Maulwurfs und des Meerschweinchens in absteigender Folge aufgezählt. Nach der Beschreibung der Kaninchenurniere durch Mihalcovics würde das Kaninchen nach der Höhe seiner Urnierenausbildung nach *j Nehmen wir eine früh einsetzende lebhafte Harnsekretion der Urniere an, so bleibt unerklärt, weshalb die Kloakenplatte der dauernd herrschenden positiven Druckdifferenz in den ableitenden Wegen erst so spät nachgiebt. Selbst dann würde noch die Schwierigkeit bestehen, die allmälige Eröffnung von aussen nach innen, „ohne nennenswerthen Zerfall von Zellen", zu erklären. ß74 Siegfried Weber. dem Schwein kommen, so dass wir die absteigende Reihe Schwein, Kaninchen, Mensch, Maulwurf, Meerschweinchen, Maus erhalten würden, wobei zu bemerken ist, dass zwischen Meerschweinchen und Maus der Unterschied am grössten ist. Das erste Auftreten der Glomeruli als rundliche gefässhaltige Körper wird für den Menschen bei ungefähr 7 mm langen Embryonen (His : Embryo — A. und B. ca. 28 Tage) anzunehmen sein. Beim Schwein von 17 Tagen (6 — 7 mm Länge) ca. finden sich nach Keibel in der Urnierenanlage schon Glomeruli, in 7 mm langen Maulwurfsurnieren fanden wir schon wohlausgebildete Glomeruli und für das Meerschweinchen konnten wir am 23. Tage nach dem letzten Wurfe die ersten ausge- bildeten Glomeruli nachweisen. Bei der Maus ist es uns überhaupt auf keinem der Stadien von 4 — 10 mm Länge gelungen, Glomeruli in der Urniere zu linden. Was die Dauer des Bestandes der Urniere vom ersten Auftreten wohlgebildcter Glomeruli in dem WoLFF'schen Körper bis zum Beginn der regressiven Veränderungen betrifft, so konnten auch hierin sehr wesentliche Verschiedenheiten festgestellt werden. Die Maus ist für diese Frage überhaupt nicht zu verwerthen , denn ihre Urniere besitzt keine Glomeruli. Für das Meerschweinchen ist die Zeitspanne sehr kurz, haben wir doch schon am 25. Tage der Entwicklung deutliche Zeichen der Rückbildung in den WoLFP'schen Körpern gesehen. Aehn- liches gilt für den Maulwurf, dessen 9 mm lange Embryonen uns schon eine beginnende Involution der Urniere zeigte. Ganz anders aber ver- hält sich das Schwein, dessen 5 cm lange Embryonen frühestens Invo- lutionserscheinungen am WoLFF'schen Körper bieten und auch für den Menschen haben wir den beträchtlichen Zeitraum, der zwischen 7 mm und 22 mm langen Embryonen liegt, als Zeit der absoluten Zunahme der Urniere bis zum Beginn der Involution. Mit der Entwicklung der Urniere steht nach weit verbreiteter An- sicht die Entwicklung der bleibenden Niere in engem Zusammenhange. „Die definitive Niere bildet sich zu einer Zeit, da die Urniere bereits die Höhe ihrer Ausbildung fast erreicht hat, um dann im Verlaufe der Rückbildung der Urniere die Funktion der Harnabsonderung nach und nach zu übernehmen'', dies ist ein Satz, dem man wiederholt in der einschlägigen Literatur begegnen kann. Nach den mir vorliegenden Serien kann ich dieser Annahme nicht beipflichten. Bei der Maus haben wir ja überhaupt keine nennenswerthe Entwicklung der Urniere, die ziemlich spät auftretenden ersten Glomeruli und Tubuli contorti der Dauerniere können also auch in keiner ablösenden Beziehung zum WoLEF'schen Körper stehen. Beim Meerschweinchen und beim Maulwurf haben wir vor Ausbildung der Niere Involutionserscheinungen an der Urniere und auch beim Menschen kommen die Glomeruli der Niere zu spät, wenn sie die Insuf- Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 675 ficienz oder den Verlust von Urnierenglomeruli ersetzen sollen, sehen wir doch bei 22 mm langen Embryonen den Beginn der Rückbildung der Urniere, aber erst 30 mm lange Embryonen haben wirkliche Nieren- glomeruli aufzuweisen. Dabei haben wir aber noch gar nicht die wich- tige Frage berücksichtigt: Sind wir überhaupt berechtigt, von den kleinen, noch in starkem Wachsthum begriffenen MALPiGHi'schen Körperchen mit dem hohen Epithel auf den Gefässschlingen eine irgend wie belang- reiche funktionelle Leistung anzunehmen? Ich glaube, man wird diese Frage schwerlich mit Ja beantworten können. Ganz anders als bei den erwähnten Thieren vollzieht sich die Nierenentwicklung beim Schwein, denn hier sahen wir in der Niere Glomeruli bei 25 mm langen Ebryonen , also lange vor Beginn der Involution in der Urniere. Wenn aber der WoLFF'sche Körper des Schweines bis zu einer Grösse des Embryo von 5 cm , dieser Vergrösse- rung proportional zunimmt, so ist es wohl fraglich, ob die Nieren- glomeruli ihre spätere Funktion gleich nach erreichter Ausbildung übernehmen. Es besitzen also die von uns untersuchten Säugethierarten mit Ausnahme des Schweines keineswegs jene allmälige Ersetzung des Mesonephros durch den Metanephros, vielmehr haben wir einen mehr oder weniger beträchtlichen Zeitraum zwischen der Involution des einen und der vollendeten Evolution des anderen Organes nachweisen können. Hierdurch gerathen wir in Konflikt mit der These von der gleichmässigen fötalen Harnsekretion und werden die Gründe zu erörtern haben, welche für und wider diese sprechen. Bekanntlich ist der Mesonephros der Anamnia die dauernd funk- tionirende Harndrüse und auch bei den Reptilia überdauert die sekre- torische Funktion desselben um ein Bedeutendes die Zeit des embryonalen Lebens. Daraus hat man dann auch für die höheren Amniota den Schluss ziehen zu dürfen geglaubt, dass die Urniere auch hier während ihres entwickelten Zustandes Harn secernire. Mir will diese einfache Uebertragung nicht berechtigt erscheinen. Auf exakte Weise hat man die Frage der fötalen Harnsekretion durch chemische Untersuchungen festzustellen versucht, doch haben die Experimente von Gussekow (78), Doederlein (90), Fehlinq (79), ZuNTZ (84), Prochownik, Wiener (83), Krukenberg (85), recht ver- schiedene Resultate ergeben. Gusserow experimentirte an Kreissenden und Schwangeren der letzten Monate, seine Resutate sind daher für die uns interessirenden jungen Entwicklungszustände nicht zu verwerthen, überdies ist die Methode der Versuchsanordnung von Ahlfeld (79), als nicht einwandsfrei angezweifelt. Preter (85), folgert aus der Hippur- säurebildung im Foetus, welche bekanntlich Gusserow nachgewiesen zu haben glaubt, „dass im menschlichen Foetus schon sehr lange vor der Ge- Morpholog. Arbeiten breg. v. G. Schwalbe. VII. 44 676 Siegfried Weber. burt dieselben chemiscben Processe wie beim Erwachsenen ablaufen, ohne direkte specifische Beteiligung des sich differenzirenden embryonalen Protoplasma in allen Fällen." Fehling hat seine Untersuchungen auch über jüngere Embryonen ausgedehnt und fand im Fruchtwasser eine sehr geringe Menge Harnstoff, einen Gehalt, welcher nicht einmal der Harnstoffmenge des Blutes gleichkommt. Da aber jede seröse Flüssig- keit zwischen 0,006 und 0,06 ^% (einige enthalten sogar bis zu 0,16 %) Harnstoff enthält, so wäre nach Preyee die Ableitung des im Frucht- wasser normaler Weise gefundenen Harnstoffes allein aus der fötalen Niere nicht gerechtfertigt. Nach Fehling beweist diese Anwesenheit von Harnstoff im Fruchtwasser weder Thätigkeit der fötalen Niere noch der Haut. Eine viel grössere Bedeutung legt der Autor den Gefässen der Nabelschnur bei , auf deren lebhafte osmotische Thätigkeit er hin- weist. Auch die Abhängigkeit der Fruchtwassermenge vom höheren oder tieferen Sitze der Placenta lässt wohl einen Schluss zu auf die Bedeutsamkeit der extraembryonal in der Fruchtblase stattfindenden Diffusionsvorgänge. Doedeblein's Untersuchungen an Rindsembryonen der verschie- densten Altersstufen führten zu dem Ergebnis, dass in allen Stadien der Entwicklung eine Urinsekretion bestehe. Der Autor untersuchte die beim Rindsembryo leicht getrennt zu erhaltende Allantois- und Amnios- Flüssigkeit und konnte in der ersteren Harnbestandtheile auch in seinen jüngsten Embryonen nachweisen.^) — Zunächst muss im Anschluss an diese Angaben aber daran erinnert werden, dass auch beim Rind eine Trennung der Allantois- von der Amnios-Flüssigkeit nur so lange be- stehen kann, als der Sinus urogenitalis ventral geschlossen ist, dass später eine Mischung stattfinden kann, auf dem Wege von der Allantoisblase durch den Urachus, die Harnblasenanlage, Sinus uro- genitalis in die Amnioshöhle. Sodann aber finde ich die enorme Vas- cularisation der Allantois, des „Gefässträgers" gar nicht berücksichtigt. Könnten nicht mit ebensoviel Recht die ungemein zahlreichen Gefässe der Allantois für die Transsudation oder Sekretion der Flüssigkeit verantwortlich gemacht werden wie die Nieren des Embryo? Zumal wir durch Zuntz und Cohnstein wissen, dass in den fötalen Nieren die Blutdruckverhältnisse zu einer Sekretion die denkbar ungünstigsten sind, und zwar um so ungünstiger, je jünger der Fötus ist, da der arterielle Blutdruck kaum die Hälfte des Blutdruckes nach der Geburt beträgt und der venöse Druck sehr viel höher ist. Wir können also ^) Es muss hervorgehoben werden, dass der jüngste von Doederlein untersuchte Kindsfoetus 33 gr (!) wog (cf. 1. c. p. 149 Tabelle). Er soll dem zweiten Schwanger- schaftsmonat entstammen. Zum Vergleich sei erwähnt, dass ein Meerschweinchen- embryo vom 23. Tage 0,077 gr. wog. Die von Doederlein untersuchten Foeten er- scheinen daher viel zu alt, um über so frühe Stadien, wie sie uns in dieser Arbeit interessiren, irgend welchen Aufschluss zu geben. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugein etc. 677 aus Doedeelein's Versuchen nurschliessen, dass die Stoffwechselprodukte des Embryo in der AUantoisflüssigkeit zur Ausscheidung gelangen, ob aber die Nieren oder die Allantoisgefässe den „Harn" ausscheiden, ist durch diese Untersuchungen nicht entschieden. Wie DoEDERLEiN, Spricht sich Wiener für eine lebhafte und regel- mässige Nierenthätigkeit des Fötus^ aus. Seine Experimente setzten aber die Embryonen unter so abnormen Bedingungen, dass nach Peeyee und Keukenberg ein Schluss auf das physiologische Verhalten nicht berechtigt ist. Höchstens kann die Möglichkeit der ürinsekretion durch die fötale Niere gefolgert werden. Krukenberg injicirte dem Mutterthier Jodkali, konnte dieses aber in den veraschten fötalen Nieren nicht nachweisen. Er kommt nach seinen Experimenten zu dem Resultate, „dass eine regelmässige und ausgiebige Thätigkeit der fötalen Niere nicht existirt." Ahlfeld hat endlich an Föten mit vollständigem Mangel beider Nieren den Nachweis erbracht, „dass die Niere ein Organ ist, welches während des intrauterinen Lebens bedeutungslos sein kann." ^ Sehr eingehend discutirt finden wir die Frage der foetalen Harn- sekretion bei Peeyee (85). Er stimmt im Allgemeinen den Folgerungen von Fehling, Keukenbeeg, Zuntz, Ahlfeld bei und urtheilt über die chemischen Untersuchungen der AUantoisflüssigkeiten von Rindern, Schweinen etc., dass sich „irgend welche physiologische Schlussfolge- rungen über die Funktion der Urnieren nicht ableiten" lassen. Gewähren uns die angeführten Untersuchungen auch keine Gewiss- heit über die Funktion der embryonalen Exkretionsdrüsen in den Stadien, welche unseren Untersuchungen vorlagen, so scheinen sie mir doch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gegen eine Urinsekretion der Urniere und der jungen Nieren zu sprechen. Sucht man nach weiteren Gründen, welche diese Wahrscheinlichkeit erhöhen könnten, so finden wir dieselben in den morphologischen Eigenthümlichkeiten des Exkretions- apparates selbst, im Gegensatze zu Nagel, (89 b.), der „in Erwägung des anatomischen Verhaltens der Urniere", diese als absonderndes Organ betrachtet. Nach Nagel's Beoabachtungen haben wir die Urniere eines 11 mm langen Embryo als ein „in voller Thätigkeit sich befindendes absonderndes Organ" zu betrachten, welches „sein Aussehen nicht ändert bis zu dem Zeitpunkte, wo die Bückbildung anfängt". Wir haben uns oben überzeugen können, dass dieses „in voller Thätigkeit sich befindende absondernde Organ" bei 11,5 mm langen Embryonen keinen Becipienten für sein Exkret besitzt, da der Sinus urogenitalis noch verschlossen ist, erst bei 14 mm langen Föten sich eröfinet, und die Allantois einen ganz engen Gang darstellt. Sonach müssten wir uns zu der Annahme einer Sekretstauung in den ableitenden Wegen mit all' ihren Folgen verstehen, oder wir müssen, und das ist wohl zweifellos das richtigere, auf die Annahme der lebhaften absondernden Funktion verzichten. 44* ß78 Siegfried Weber. Bieten aber die WoLrr'schen Körper bis zu ihrer Rückbildung gleiches histologisches Verhalten, so sehe ich keinen Grund , für einen 20 mm langen Embryo z. B. eine andere funktionelle Thätigkeit anzunehmen als für den 11 mm messenden, nämlich keine irgendwie in Betracht kommende Sekretion. Uebrigens sei auch bemerkt, dass die Angabe Nagel's, die Urniere ändere ihr Aussehen während der Zeit ihres Be- standes nicht, mir insofern nicht ganz korrect erscheint, als die Glo- meruli mit zunehmender Grösse des Embryo und der Urniere eine fortschreitende Abflachung des Epithels erfahren, das die Gefäss- schlingen überzieht, eine Veränderung, die funktionell der Urniere förderlich sein müsste. Ueber den wichtigen Punkt des Funktionsüberganges von der Ur- niere auf die Dauerniere geht Nagel ziemlich leicht hinweg, indem er auf den Widersinn hinweist, der in der Annahme einer Stockung der Harnsekretion liegen würde und daher die Rückbildung der Urniere in einer fortgeschrittenen Stufe der Entwicklung annimmt, wo die Niere so weit ausgebildet ist, dass man ihr eine Sekretion zutrauen darf. Wir haben schon oben (p. 618) (p. 674) diesen Punkt behandelt und gezeigt, dass nach den einwandfreien anatomischen Befunden, wenn man den Urnieren eine irgendwie beträchtliche Funktion nach Art der Dauerniere zuschreibt, in der That eine „Stockung der Sekretion" ein- treten müsste. Wir sehen darin einen zweiten, sehr gewichtigen Grund gegen die Annahme einer Harnsekretion vor und während jener Zeit. Wie oben gezeigt, besitzen ausser dem Menschen noch das Meerschweinchen, der Maulwurf und die Maus Urnieren, welche vor der Entwicklung der bleibenden Niere regressive Veränderungen erleiden, wir können daher für diese schon aus dem einen Grunde keine be- trächtliche Sekretion annehmen, und das um so weniger, wenn wir den oben geschilderten Bau der WoLFp'schen Körper bei Maus und Meerschweinchen, den Verschluss der ableitenden Wege bei denselben Säugern, endlich den kurzen Bestand der ausgebildeten Urniere bei Meerschweinchen und Maulwurf in Betracht ziehen. Eine ganz, abweichende Stellung nimmt das Schwein ein , dessen Exkretionsapparat, in frühen Stadien schon, nach der anatomischen Untersuchung die Ausübung einer sekretorischen Funktion nicht un- möglich erscheinen lässt und bei dem auch die Niere zur Zeit, zu welcher die Rückbildung der Urniere einsetzt, bereits so weit in der Entwicklung vorgeschritten ist, dass nicht wie beim Menschen, Maul- wurf und Meerschweinchen eine Stockung der Sekretion eintreten müsste. Ob man aber, nachdem die Verhältnisse bei allen anderen bis dahin untersuchten Säugern durchaus gegen eine Funktion der Urniere sprechen, ohne positive Beweise beim Schwein eine solche wird annehmen dürfen, das ist eine Frage, welche ich glaube mit Nein beantworten zu müssen. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 679 Die Nierenknospe und ihre Lagebeziehungen zum WoLFE'schen Gang. Wie schon oben mitgetheilt, konnte ich sehr junge Nierenknospen von der Maus, dem Meerschweinchen, beim Schwein und vom Kaninchen beobachten. Den Angaben der Autoren entsprechend wurden sie am untersten Theile des WoLFp'schen Ganges als dorsale, ja dorsomediale Ausstülpungen gefunden. Schon oben (p. 625) wurde hervorgehoben, dass die entwicklungs- mechanischen Erklärungsversuche, welche zur Verlagerung der Ureteren im Urogenitalapparat gegeben wurden, fast alle erst dann einsetzen, wenn der Ureter bereits seine Lage an der lateralen Wand des Ur- nierenganges erreicht hat. Da die von Küpffer gegebene Darstellung einer Drehung des WoLFF'schen Ganges 180 " um seine Achse nicht hinreichend begründet erscheint, das Phänomen der Verlagerung der Nierenknospe vom dorsomedialen an den lateralen Theil der Wand zu deuten, so versuchte ich, auf anderem Wege mir über die mechanischen Ursachen dieser „Wanderung" klar zu werden. Bevor ich dazu übergehe, im Folgenden eine von den bisher aus- gesprochenen abweichende Ansicht zu geben, hebe ich ausdrücklich hervor, dass ich ihr nicht den Werth einer Hypothese, sondern nur den eines Anlaufes dazu beilege. Ich muss mich ganz zu den Sätzen Eoux's (96) bekennen, dass „der Nachweis der Uebereinstimmung in allen besonderen, d. h. für die angenommenen Ursachen charakteri- stischen Wirkungen bis in die Merkmale und Differentiale zweiter und ev. dritter Ordnung'' zu erbringen ist, und ferner, dass wir zu prüfen haben, „ob nicht andere Faktoren ebenso weit die gleiche Wirkung hervorbringen können, als von uns die thatsächliche Uebereinstimmung der beiderseitigen Erscheinungen festgestellt wurde''. Beiden Forde- rungen konnte zur Zeit noch nicht im ganzen Umfang entsprochen werden. Einmal wurde der der ganzen Betrachtung zu Grunde liegende Gedanke nicht bis in die feinsten Einzelheiten und Modifika- tionen verfolgt, wie sie sich in der grossen Reihe der Formen bieten. Dann aber konnte die Möglichkeit anderweitiger Deutung nicht aus- geschlossen werden, wenn auch zur Zeit keine andere Deutung vorliegt, weiche unsere specielle Frage beantwortet.^) Der WoLFF'sche Gang macht in seinem kraniokaudalen Verlauf ziemlich weit unten einen scharfen Winkel nach vorn und medial- wärts,-) kurz bevor er in die Kloake ausmündet. Gerade am Scheitel 1) Hierbei ist abgesehen von der KuPFFER'schen Annahme einer Drehung des WoLFP'schen Ganges um 180 ", welcher die von Roux geforderten Vorbedingungen zur Drehung fehlen. ^) Die Grösse dieses Winkels scheint nach der mir vorliegenden Rekonstruktion für Mensch, Kaninchen und Schwein verschieden gross zu sein, woraus ein etwas 680 Siegfried Weber. dieses Winkels sprosst die Nierenknospe hervor. Es erscheint diese Stelle des WoLFF'schen Ganges für die Ausstülpung gewissermaassen disponirt, indem ja schon zur Ermöglichung der Schwenkung des Ur- nierenganges hier besonders lebhafte Zellproliferationen stattfinden mussten. Sehen wir etwas näher zu, welcher Theil der Urnierenwand nächst dem Scheitel des Winkels am stärksten sich zur winkligen Biegung vergrössern musste, so finden wir nicht einfach eine Zone parallel zur Achse des Kanales an der Konvexität, sondern eine schräg um den Winkel an der Wandperipherie herumlaufende, von hinten oben auf den Scheitel und von da nach vorn ventral und einwärts ziehende Linie. Dieser schräge Verlauf erklärt sich daraus, dass der WoLiT'sche Gang eine spiralige Einwärtsbiegung gemacht hat, wie das aus Fig. 18 zu sehen ist, einer Zeichnung nach dem Plattenmodell eines Kaninchenembryos aus der Sammlung meines verehrten Lehrers, Prof. Keibel. Die angegebene Linie ist sozusagen die Führungslinie der Nieren- knospe, denn sie bezeichnet den Weg, auf dem die Mündung des Ureters an den lateralen Theil des WoLFF'schen Ganges gelangt. Die jüngste Nierenanlage des Schweines hat von ihrer Ursprungs- stelle am Scheitel des hier sehr scharf winklig umgebogenen Wolff'- schen Ganges eine nach dorsal und aussen gerichtete Lage. Diese Richtung stimmt sehr wohl überein mit der Zone grössten Wachs- thums am WoLFF'schen Gang, welche der Nierenknospe die Entstehung gab. An dem etwas älteren Stadium der Nierenanlage im Modelle des Kaninchens ist der Winkel des WoLFF'schen Ganges und die spiralige Eindrehung recht deutlich. Die üreteranlage liegt hier in der Verlängerung des unteren kurzen Schenkels des WoLFF'schen Ganges, nach medialwärts etwas abgewichen, entsprechend der Linie, welche die Zone stärkster Zellproliferation am Urnierengang beschreibt. Dieselbe Lage des Ureters in der Verlängerung des WoLFF'schen Ganges zeigt die Fig. 15 der Nierenknospe eines Meerschweinchens. Die Verschiebung der Oeffnung der Nierenknospe am WoLFF'schen Gange entlang aus der primär dorsomedialen Lage am Scheitel des Winkels zur immer weiter lateral und der Kloake näher gelegenen Mündung, dem Verlaufe der raehrerwähnten Linie folgend, könnte man sich etwa folgendermaassen denken : Die Vergrösserung der Nierenknospe erfolgt theils durch die Zell- thätigkeit der Epithelzellen des Nierenganges selbst, theils durch die Epithelien, welche an der Zone lebhaftesten Wachsthums gelegen, noch direkt dem Lumen des Urnierenganges angehören, aber durch ihr excentrisches Wachsthum in der Richtung der Nierenknospe, allmählig verschiedener Verlauf der stärksten "Wachsthumszone am Urnierengang folgen würde. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 681 sich vom WoLFF'schen Gange von hinten nach vorn zu sondern und in das Lumen des Nierenganges aufgenommen werden. Schreitet nun dieses Wachsthum und damit die Trennung vom WoLFF'schen Gang weiter nach der Kloake zu fort, so kommt die Mündung des Ureters allmählig immer weiter lateral am WoLFr'schen Gang zu liegen, und wird schliesslich ganz emancipirt von diesem lateral in die Harnblasen- anlage münden. Die Erweiterung des Endstückes vom WoLFF'schen Gang zum Allantoisschenkel würde dem Gesagten zufolge auf selbst- ständiger Erweiterung des "WoLFF'schen Ganges beruhen. Den weiteren Verlauf der Verlagerung des Ureters an der Harn- blasenanlage nehmen wir nach v. Mihalcovics an. Zum Schlüsse erfülle ich die angenehme Pflicht, Herrn Prof. Keibel für die Ueberlassung dieser Arbeit und seine gütige stets hülfs- bereite Unterstützung meinen verbindlichsten Dank zu sagen. Herrn Hofrath Prof. Wiedeesheim spreche ich meinen ergebensten Dank aus für die Gewährung der Erlaubniss in seinem Institut zu arbeiten und die Hülfsmittel seiner Bibliotek zu benützen. Endlich bin ich Herrn Prof. Zumstein für die liebenswürdige Ueberlassung einer grossen Anzahl vorzüglicher Serien von Meer- schweinchenembryonen zu besonderem Danke verpflichtet. Literatur. VAN Ackeren (89): Beitrag zur Entwicklgs.gesch. der weiblichen Sexual- organe d. Menschen. I.-D. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 48. Ahleeld (79): Ueber einen Monopus mit vollständigem Mangel der äusseren Genitalien u. d. Afters. Arch. f. Gyn. Bd. 17 (1879.) Beaueegard (77) : Contribution ä l'etude de develloppement des organes genitaux urinaires chez les mammiferes. These de Paris Nr. 240. 1877. Bischöfe (52): Entwicklungsgeschichte d. Meerschweinchens. Giessen 1852. Born (94): D. Entwicklung d. Ableitungswege d. ürogenitalapparates u. d. Dammes beim Menschen. Berichte von Merckel u. Bonnet. 1894. Bornhaupt (67): Untersuchungen über d. Entwicklung d. Urogenital- systems beim Hühnchen. I.-D. Dorpat (Riga) 1867. Braun (77): D. Urogenitalsystem d. einheimischen Reptilien. 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Querkanälchen der Urniere. D. Darm. D. s. c. Depression sous-caudale Toueneux's (88), Gg. Keimdrüse. Gh. Geschlechtshöcker. Gl. Glomerulus des WoLFF'schen Körpers. Gp. Genitalplatte. L. Leber. M. G. MüLLER'scher Gang. N. Niere. Nb. Nierenblastem. Ng. Nierengang. Nk. Nierenknospe. P. Penis. Pa. Pankreasanlage. Pe. Peritonealepithel. Ph. Peritonealhöhle. PL Damm. Sd. Schwanzdarm. Su. Sinus urogenitalis. ür. Ureter. V. Gl. Gefäss des Glomerulus. W. G. WoLFr'scher Gang. W.K. WoLrr'ßcher Körper. ßgg Siegfried Weber. Fig. 1 — 3. Sagittale Längsschnitte durch den Sinus urogenitalis und die Kloakenplatte von Maulwurf-, Meerschweinchen- und Mäuse- embryonen. Die Zeichnungen zeigen den Sinus in seiner grössten Längenausdehnung, und die Kloakenplatte an ihrer in der Mittellinie des Körpers gelegenen dünnsten Stelle. Fig. 1. Sinus urogenitalis und Geschlechtsglied (P.) eines 11 mm langen Maulwurfembryo (cf. Tab. 16). Die Schnittrichtung verläuft cranialwärts nicht ganz genau in der Mittellinie, wie aus der gezeichneten medialen "Wand des ausmündenden WoLFF'schen Ganges hervorgeht. Der Sinus urogenitalis er- reicht in diesem Schnitte den tiefsten Punkt. Die Genital- platte durchzieht den Penis in seiner ganzen Länge, verschliesst aber den Sinus urogenitalis noch vollständig gegen aussen. Der Damm (Pi.) ist gebildet. Der Darm mündet frei durch den After nach aussen. Die Peritonealhöhle (Ph.) reicht weit zwischen Darm und Sinus hinab. Vergr. 50. Fig. 2. Sinus urogenitalis und Geschlechtsglied eines 26 Tage alten Meerschweinchenembryo. Die Kloakenplatte ist an dieser ihrer dünnsten Stelle noch vollkommen erhalten, doch fällt ihre viel geringere Höhe im Vergleich zu Fig. 1 auf. In die Harublasenanlage ragt der WoLrr'sche Gang hinein, zeigt sich aber noch durch eine dünne Membran verschlossen. Der Darm ist durch die Aftermembran verschlossen. Letztere zeigt sich auf noch weiter medialwärts gelegenen Längs- schnitten noch dünner, doch wurde vorliegender Schnitt aus- gewählt, weil dieser die dünnste Stelle der Kloakenplatte zeigt. Vergr. 50. Fig. 3. Sinus urogenitalis, Kloake und Geschlechtshöcker eines 7,0 mm langen Mäuseembryo. Hier ist noch eine Kloake vorhanden. Der Schwanzdarm ist noch eine Strecke weit erhalten. Die Kloakenmembran (Cp.) zeigt eine Lücke, die aber nicht die Kloake mit der Aussenwelt verbindet, sondern in deren Masse eingebettet liegt. Im Geschlechtshöcker reicht die Kloaken- platte über dessen Spitze hinaus auf die dorsale Fläche hinüber. Vergr. 50. Fig. 4 — 13. Schnitte durch die ürniere von: Schwein, Maulwurf, Meerschweinchen und Maus zur Veranschaulichung der verschieden- artigen Ausbildung des WoLFr'schen Körpers bei diesen Säugethieren. Fig. 4. Querschnitt durch den WoLFF'schen Körper eines 20 Tage alten Schweineembryo (Tab. 17 Schwein 273 N. T. Tab. 71) aus dem mittleren Drittel des Organs. Vergr. 25. Die Grösse der Glomeruli und die Zahl der Querkanälchen, sowie die geringe Entwicklung des interstitiellen Gewebes ist hervor- zuheben. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 687 Fig. 5. Querschnitt durch einen Maulwurfsembryo von 8,5 mm gr. L. (Tab. 14) in Höhe des mittleren Drittels der Urniere. Vergr. 25. Hinter dem WoLFF'schen Körper ist die Niere im Quer- schnitt mit Anlagen der Tubuli contorti getroffen. Die Leber ist in ihrer äussersten Spitze angeschnitten. In dem Nabelbruch liegen eine Anzahl Darmschlingen. Der WoLrr'sche Körper hat in der Figur Dimensionen seines Querschnittes, welche in höher oder tiefer gelegenen Schnitten nicht oder nur sehr wenig übertroffen werden. Ein Vergleich mit Fig. 4 zeigt die ganz bedeutend geringere Aus- bildung der Maulwurfsurniere gegen die des Schweins. Fig. 6. Längsschnitt durch die untere Rumpfhälfte eines 7,5 mm laugen Maulwurfsembryo. Vergr. 25. Die Urniere ist in ihrer grössten Längenausdehnung getroffen, zeigt an ihrer ventralen Fläche 14 Glomeruli, dorsal eine grosse Anzahl gewundener, quer- geschnittener Kanäle. Die geringe Grösse der Glomeruli im Vergleich zu Fig. 4 ist sehr deutlich. Der Schnitt hat den Gesclilechtshöcker seitlich vom Be- reich des Sinus urogenitalis getroffen. Vor der Urniere die mächtige Leber und Darmschlingen. Fig. 7. Querschnitt durch den Rumpf eines 21 — 22 Tage alten Meer- schweinchenembryo (Tab. 11. Serie des Herrn Prof. Zum- STEiN.) Vergr. 25. Mittleres Drittel des AVoLFF'schen Kör- pers. Sehr geringe Entwicklung der Urniere. Die in der Figur linke Urniere ist in Figur 11 bei stärkerer Vergrösserung gezeichnet. Fig. 8. Querschnitt durch den Rumpf eines 24 Tage alten Meer- schweinchenembryo (Serie des Herrn Prof. Zumstein) im mittleren Drittel der Urniere. Vergr. 25. Man sieht im WoLFF'schen Körper einige enge Querkanälchen mit niederem Epithel und kleine rundliche Glomeruli, deren hoher intensiv gefärbter Epithelüberzug auffällt. Das interstitielle Gewebe ist reichlich entwickelt. Im Vergleich zu Schwein und Maul- wurf ganz rudimentäre Urniere! Der MÜLLEn'sche Gang ist auf der einen Seite lateral vom WoLFE'schen Gang zu sehen, Fig. 9. Querschnitt durch das untere (stark eingerollte) Rumpfende einer 5,7 mm gr. L. messenden Maus (Tab. 5). Vergr. 25. Der Schnitt verläuft senkrecht zur grössten durch den Körper zu führenden Geraden, hat in Folge der starken Einkrümmung des Beckenendes des Embryo, das Medullarrohr an zwei Stellen getroffen. Der erste, in der Fig. obere Querschnitt (M.') liegt dem Schwanzende näher und geht gleichzeitig durch die Hinterextremitätanlage. Der zweite Querschnitt des Medullär- ggg Siegfried Weber. rohres (M.) ist weiter cranial gelegen und trifft im Rumpfe die Urniere, das untere Leberende und die Pankreasanlage (Pa.). Vom Darm ist nur das Mesenterium (Me.) getroffen. Der WoLFF'sche Gang ist jederseits 2 mal getroffen. Medial und dorsal vom kaudalen Querschnitt des W. G. liegt das Nieren- blastem. Von der Urniere ist jederseits nur ein Kanälchen ge- getroffen, welches in mesodermales Gewebe eingebettet weder auf diesem noch irgend einem anderen Schnitte mit einer Glomerulusanlage in Verbindung steht. Die Urniere ist hier nur in minimalen Andeutungen vorhanden. Die eine, in der Figur linke Urniere ist mit dem darauf folgenden Schnitt der Serie in den Figg. 12 und 13 bei stärkerer Vergrösserung gezeichnet. Fig. 10. Querschnitt durch den Rumpf eines Mäuseembryo von 8,0 mm gr. L. (Tab. 8). Vergr. 25. Es wurde ein Schnitt ausgewählt, welcher möglichst viel Parenchym im WoLFF'schen Körper enthält. Diese Schnitte liegen cranialwärts von der Zone stärkster Querschnittsdicke der Keimdrüsen. Die letzteren ragen auch in der Figur als wohlausgebildete rundliche Ge- bilde vom medialen Eande der Urnierenleiste in die Leibes- höhle hinein. Fast der ganze Raum der letzteren wird von der gefässreichen Leber eingenommen. In der Urnierenleiste sind ausser dem MüLLEß'schen und WoLFF'schen Gange eine geringe Anzahl von Urnierenkauäl- chen, aber keine Glomeruli zu sehen. Man vergleiche hiermit Figg. 4, 5, 8! Fig. 11 giebt die in der Fig. 7 linke Urniere des 21^22 Tage alten Meerschweinchens bei stärkerer Vergrösserung. (Zeiss Oc. 2 Ob. D.) Die hier gegebene Ausbildung der Glomeruli ist für jenes Entwicklungsstadium charakteristisch, in dem auch die weiter cranial gelegenen Glomerulusanlagen dem gezeichneten entsprechen. Das Urnierenparenchym der Figur wird durch ein ge- wundenes Kanälchen dargestellt, dessen blindes Ende eine typische, sehr junge Glomerulusanlage aufweist. Das unver- ändert hohe Epithel des Ganges i) ragt über einen Gefäss- querschnitt in das erweiterte Lumen des Kanals hinein; die ^) v. MiCHALCovics bildet von seinen Kaninchenembryonen ganz abweichende Glomerulusanlagen ab. Er giebt an dem Wandtheil der Urnierenkanälchen. welcher der Glomerulusanlage aufliegt, sehr niederes Plattenepitbel an. Ich habe in den Meerschweinchenserien des Herrn Prof. Keibel und des Herrn Prof. Zümstein nur das iu Fig. 11 dargestellte Verhalten gesehen. Zur Entwicklungsgeschichte des uropoetischen Apparates bei Säugern etc. 689 gegenüberliegende Wand zeigt sehr deutlich die Abflachung des Epithels wie es die spätere BowMAN'sche Membran besitzt. Figg. 12 u. 13, zwei aufeinander folgende Querschnitte durch die Urniere eines 5,7 mm langen Mäuseembryo (cf. Fig. 9). Sie zeigen das ganze Urnierenparenchym in der Urnierenleiste, darge- stellt durch ein gewundenes Urnierenkanälchen. Fig. 12 ent- hält die in Fig. 13 fehlenden Abschnitte des Kanales. Der Kanal endet blind, ohne irgend eine Spur der Glomerulus- anlage. An der vorderen Kante der Urnierenleiste ist die Keimdrüsenanlage zu sehen. Figg. 14 — 17. Schnitte durch die Nierenknospen von Schwein, Meerschweinchen, Maus und Kaninchen an ihren Abgangsstellen vom "WoLFF'schen Gange. Fig. 14. Querschnitt durch die Gegend der Schwanzwurzel eines 20 Tage alten Schweineembryo (Tab. 17 N. T. Tab. 71). Vergr. 50. Der Schnitt hat die Nierenknospe (Nk.) an der Stelle ge- troffen, wo sie aus dem dorso-medialen Theil der Wand des WoLFF'schen Ganges hervorgesprosst ist. Medial von ihr liegt das Nierenmesenchym. Auf der anderen Seite des Schnittes ist nur der WoLFF'sche Gang und das Nierenblastem ge- troffen. Ventral von den Urnierengängen ist die Peritoneal- höhle, rechts weiter als links eröffnet. In der Mittellinie liegt der Darm, der sich mit dem darunter liegenden Sinus uro- genitalis noch nicht zur Kloake verbunden hat. Links ist der Sinus schon nahe an den WoLFF'schen Gang herangetreten. Unterhalb des Sinus urogenitalis ist die Allantois im Quer- schnitt und ganz unten in der Figur die Peritonealhöhle des Rumpfes eröffnet. Fig. 15. Aus einem Längsschnitt durch die untere Rumpfhälfte eines 20 Tage alten Meerschweinchens. Vergr. 50. Aussprossung der Nierenknospe am Scheitel der winkligen Abknickung des WoLFF'schen Ganges. Die Nierenknospe ist im Nierenblastem kugelig angeschwollen (das Lumen ist in diesem Schnitte nicht enthalten). Der Nierengang liegt in einer Geraden mit dem „AllantoisschenkeP"'. Der WoLFF'sche Gang ist nur eine ganz kurze Strecke in diesem axialen Schnitte zu verfolgen wegen seines nach aussen von der Längsachse abweichenden Verlaufes nach cranialwärts. Der Sinus urogenitalis ist eben angeschnitten. Fig. 16. Querschnitt durch das kaudale Ende eines 4 mm langen Mäuse- erabryo. Vergr. 50. (Tab. 3.) Ventral die durch die Kloaken- platte verschlossene Kloake. Links der WoLFF'sche Gang im Querschnitt, von dessen dorsomedialer Wand aus die sehr 690 Siegfried Weber. kurze Nierenknospe in das Blastem hineinragt. Rechts ist nur das Blastem getroffen. Fig. 17. Querschnitt durch den WoLFP'schen Gang und einen Theil der Urnierenleiste an der Stelle der ersten Anlage der Nieren- knospe eines Kaninchenembryo. Der Urnierengang zeigt am medialen Theil seiner dorsalen Wand mehrschichtiges Epithel und undeutlichere Abgrenzung gegen das hier gelegene Nierenblastera, als im übrigen Theil seiner Peripherie. Diese, genau der späteren Lage ganz junger Nierenknospen ent- sprechenden Stelle der Wand steht im Begriff die Nieren- knospe aus dem Epithel ihrer Wand zu bilden. Fig. 18. Zeichnung eines Plattenmodelles von den Ableitungswegen des Urogenitalapparates eines jungen Kaninchenembryo (Re- konstruktion des Herrn Prof. Keibel). Sehr deutlich sieht man die winklige Biegung des Wolff'- schen Ganges vor seinem Eintritt in die Kloake, sowie die Abgangsstelle des Ureters am Scheitel dieses Winkels. Der Ureter tritt von dorsal und medial her an den unteren und äusseren Wandtheil des WoLFF'schen Ganges heran. Die Erweiterung des WoLFF'schen Ganges kaudal vor dieser winkligen Abknickung, zum Allantoisschenkel tritt deutlich hervor. Die Anlage des Nierenbeckens (Pr,) ist vorhanden. Die AUantois setzt sich als weites dorso-ventral etwas ab- geflachtes Rohr aus der Kloake nach oben zu fort. Beitrag zur Anatomie und Entwicklungs- geschichte der Aeste der Aorta descendens beim Menschen. Von J. Fr(5(l<5ric in Strassburg i/E. (Aus dem anatomischen Institut in Strassburg.) Mit 13 Abbildungen im Texte. Gelegentlich der Präparation der Aorta abdominalis auf dem Prä- parirsaal wurde die Aufmerksamkeit des Herrn Prof. Schwalbe auf eine Anzahl häufig vorkommender kleiner Aestchen gelenkt, welche meistens einen kurzen Verlauf haben und sich im Bindegewebe der Umgebung verlieren. Auch wurde bemerkt, dass die A. iliaca communis zuweilen Aestchen zum mittleren Theil des Ureters abgiebt. Letztere sind in der Literatur allgemein bekannt und werden als Aa. uretericae mediae beschrieben. Hingegen fanden sich über jene kleinen Aeste der Aorta abdominalis nur wenige kurze Angaben bei Hallee, Sömmering, Theile, Meckel, Krause und Henle. Am ausführlichsten schreibt Theile: „Mehrere kleine Aestchen derselben (Bauchaorta) begeben sich zum Plexus coeliacus, zu den auf den grossen Gefässen liegenden Lymphdrüsen, zu den Lendendrüsen, zum mittleren Theil des Harnleiters (uretericae mediae [Haller], die aber auch aus der A. iliaca kommen). Namentlich scheint kurz vor der Theilung ziemlich beständig ein Gefässchen abzugehen, das sich nach unten und rechts zu den Lendendrüsen begiebt und mit Zweigelchen der öamenpulsader anastomosirt, dem auf der linken Seite ein aus dem Anfang der unteren Gekröspulsader kommendes Aestchen entspricht.'-' Es wurde mir nun von Herrn Prof. Dr. Schwalbe die interessante Aufgabe übergeben, eine genauere Beschreibung von der Anordnung und dem Vorkommen dieser Aestchen zu geben und sodann zu unter- suchen, ob und in wiefern diesen Aestchen eine entwickluugsgeschicht- liche Bedeutung zukommt. Morpholog. Arbeiten hrsg. v. G. Schwalbe VII. *•' (592 J. Frederic. Es stellte sich bei der weiteren Präparation heraus, dass dieselben durchaus keine konstante Anordnung zeigen, sondern in jedem einzelnen Fall variiren, sowohl in Zahl als auch in Verteilung und zwar in einem gewissen Verhältniss zu der Anordnung der übrigen Aeste der ßauch- aorta. So z. B. findet man, wenn die A. spermatica interna rechts aus der A. renalis, links aus der Aorta entspringt, dass in gleicher Höhe mit der A. spermatica sinistra rechterseits direkt aus der Aorta ein kleiner Ast abgeht, der zum Bindegewebe der Umgebung zieht. (Fig. III, IV.) Siehe auch unten S. 705. Im Grossen und Ganzen sind die Aestchen als vordere und als seitliche zu unterscheiden; die letzteren finden sich in grösserer Zahl. Es wurde stets auf dem Wege der makroskopischen Präparation nach Wachsinjektion von der Aorta ascendens aus vorgegangen; zur Untersuchung kamen 9 Fälle, 2 vom erwachsenen Menschen, 5 vom Kind und Neugeborenen, 2 von Föten vom 6. — 7. Monat. Von Anfang an stand die Frage offen, ob diese Gefässe Ueberreste eines primitiven Zustandes, oder ob sie in späterer Periode sekundär entstanden sind. Deshalb wurde die Untersuchung auch auf jüngere Individuen, Kinder, Neugeborne und zuletzt auch auf Embryonen aus- gedehnt; hierbei wurden die Gefässchen, wenn auch nicht in grösserer Zahl, so doch in typischerer Anordnung wiedergefunden. Wir können also mit Gewissheit behaupten, dass diese Gefässchen schon bei Embryonen aus verhältnissmässig jungen Stadien vorhanden sind, und wir es also mit Bildungen einer verhältnissmässig frühen Ent- wicklungsperiode zu tliun haben. Welche Bedeutung kommt nun diesen Aestchen zu, wie reihen sie sich unter die übrigen Aeste der Aorta und ferner : wie sind sie entwicklungsgeschichtlich zu beurtheilen ? Ueber die Entwicklungsgeschichte der Aeste der absteigenden Aorta ist nur wenig bekannt. Es existiren in dieser Beziehung zwei Arbeiten von HocHSTETTEE (siehc Literaturverzeichniss 16, 17). In der ersten Arbeit werden ausschliesslich die Aa. ischiadicae, iliacae communes und femorales berücksichtigt. In der zweiten Arbeit finden sich mehrere interessante Beobachtungen über die A. umbilicalis und die A. mesenterica superior. Ueber die übrigen Aeste der Aorta descendens werden indess nur wenige Angaben gemacht. Ferner hat Mackay ein Schema aufgestellt, in welchem eine metamere Anordnung der Aeste der absteigenden Aorta zu Grunde gelegt ist. (Yule Mackay: 18.) M. nimmt an, dass ursprünglich in der Höhe eines jeden Rumpfsegments der Stamm der vereinigten dorsalen (oder wenn dieselben noch getrennt sind, der beiderseitigen Aorten) jederseits drei symmetrische Aeste entsendet, welche sämmtlich in gleicher Höhe entspringen: zwei vordere, zwei seitliche und zwei hintere. Dieselben verlaufen im Bogen nach vorn, d. h. ventralwärts, um hier in der Mittellinie je zu zweien zusammenzutreffen und bilden so ge- Beitrag z. Anatomie u. Entwicklungsgeschichte d. Aeste d. Aorta descendens etc. 693 Wissermassen je zwei einen Kreis, weshalb Mackay sie als ,,circles" be- zeichnet. Die vorderen Aeste versorgen den Darmkanal, die hinteren die Leibeswand und den Rückgratskanal, die seitlichen hauptsächlich den WoLFF'schen Körper und die mit ihm in Verbindung stehenden Organe. Demgemäss unterscheidet M. ,, visceral, parietal und inter- mediate circles". Letzterer, der ,,intermediate circle" entspricht den seitlichen Aesten und wird so bezeichnet, weil die Ursprungsstelle der- selben zwischen der des ,, visceral" und des ,, parietal circle*' liegt. Diese Auffassung Mackat's lässt sich in einigen Punkten mit den Verhältnissen, wie wir sie beim erwachsenen Menschen finden, in Einklang bringen. So ist bei den hinteren Aesten der absteigenden Aorta, den Aa. intercostales und lumbales eine vollständig segmentale Anordnung vorhanden ; bei den vorderen und seithchen Aesten indessen ist eine solche nicht mehr zu konstatiren, ausserdem sind die vorderen Aeste, die Darmarterien, unpaar geworden ; dass dieselben ursprünglich Schema für die ursprüngliche Anordnung der Aeste der Aorta descendens (nach Mackay etwas vereinfacht). ao = Querschnitt der Aorta descendens, Da = Querschnitt durch den Darmkanal, vi = „visceral circle", pa = „parietal circle", int = „intermediate circle". ebenfalls paarig vorhanden waren, wird allgemein angenommen (Quain) und ist von Hochstetter für die A. omphalo-mesenterica bei pinem Katzenembryo nachgewiesen worden (Hochstetter, Entwicklungs- geschichte des Gefässsystems in „Ergebn. der Anat. und Entwicklungs- gesch." 1891. Bd. I) und für die gleiche Arterie auch beiu) mensch- lichen Embryo durch His. (His, Anatomie menschlicher Embryonen I, S. 124.) Es war nun von Interesse, dass beim weiteren Verlauf der Arbeit melirere Beobachtungen gemacht wurden, welche auf eine seg- mentale Anordnung der Aeste der Bauchaorta bei Föten, aber auch in späteren Stadien, sogar bei Erwachsenen zu schliessen erlaubten; besonders war dies der Fall bei den vorderen Aesten der Bauchaorta. Hierbei zeigte es sich, dass die kleinen Aestchen in melireren Fällen rudimentäre Glieder des ursprünglichen metameren Systems darstellen. Ausserdem waren auch die Befunde bei den übrigen Aesten in dieser Beziehung von Bedeutung. (A. coeliaca, A. mesenterica superior et inferior, A. spermatica interna etc.) Dadurch wurde das Gebiet unserer Arbeit etwas erweitert und es wurde auf Grund dieser Thatsachen nachzuweisen versucht, inwiefern 45* 694 J« Frederic. ursprünglich bei den Aesten der Aorta descendens eine metamere An- ordnung vorhanden war und wie aus derselben der fertige Zustand sich entwickelt. Zu diesem Zweck ist der Ursprung eines jeden Gefässes genau bestimmt worden und es ist hierbei besonders auf die Aa. intercostales und die Aa. lumbales Bezug genommen worden, indem diese Gefässe eine feste Grundlage der segmentalen Anordnung liefern. (Siehe S. 693.) Nach den Angaben der Lehrbücher werden die unteren vier Arterien- paare, welche von der Hinterseite der Aorta entspringen, als Aa. lumbales bezeichnet; die Arterie, welche unter der 12. Rippe verläuft, wird als Art. intercostalis XII gezählt. (Sömmering, Hyktl.) ^) Es folgt nun die Beschreibung der einzelnen Befunde in den von mir untersuchten Fällen. Aorta abdominalis. I. Vordere Aeste (visceral circle: Mackay; siehe Figuren S. 712). Die vorderen Aeste der Bauchaorta sind: die A. coehaca, A. me- senterica superior und A. mesenterica inferior ; sie sind alle drei un- paar und versorgen den Darmkanal und seine Drüsen. In Bezug auf die Ursprungsstelle machte ich folgende Beobach- tungen : Die A. coeliaca hat ihren Ursprung beim Erwachsenen gleich unter dem Hiatus aorticus, dicht ober- oder unterhalb der A. lum- balis I (siehe Fig. I, II, auch Tabelle), beim Kind durchschnittlich etwas höher oben zwischen der A. intercostalis XII und der A. lumbalis I (siehe Fig. III, IV, V, VI, VII), in einem Fall bei einem Fötus entspringt die A. coeliaca genau in der Höhe der A. inter- costalis XII. (Siehe Fall VIII.) Die A. mesenterica superior entspringt beim Erwachsenen dicht unterhalb der A. coeliaca, je nach dem Ursprung derselben nahe unterhalb der A. lumbalis I oder oberhalb von der A. lumbalis II; beim Kind durchschnittlich in der der Höhe der A. lumbalis I, ebenso beim Fötus. (Siehe Fig. III, IV, V, VI, VII, VIII, IX.) Ferner besteht bei Kindern und Föten ein grösserer Abstand zwischen dem Ursprung der A. coeliaca und der A. mesenterica ^) Anmerkung: Es wäre wünschenswerth gewesen, dass zur grösseren Ge- nauigkeit die Aa. intercostales und lumbales im Kadaver selbst, vor Herausnahme des Präparats, bestimmt wurden (nach den betreffenden Intercostalräumen) ; doch ist dies nur in einem Falle möglich gewesen. Beitrag z. Anatomie u. Entwicklungsgeschichte d. Aeste d. Aorta descendeni etc. 695 superior; in einzelnen Fällen findet sich zwar das Verhältniss wie beim Erwachsenen (sogar heim Fötus, siehe Fig. IX) ; doch ist in der grössten Zahl der Fälle vom Fötus und Kind der Abstand bedeutend grösser; in einem Fall entspringt die A. mesenterica superior ein ganzes Segment tiefer wie die A. coeliaca (siehe Fig. VIII). Genauere Messungen ergeben folgendes Resultat: (es wurde der Abstand zwischen dem unteren Rande des Ursprungs der A. coeliaca und dem oberen Rande der A. mesenterica superior gemessen; ferner der Abstand zwischen dem unteren Rande des Ursprungs der A, coeliaca und dem oberen Rande der A. mesenterica inferior. Die dritte Reihe giebt den Abstand zwischen je zwei Lendenarterienpaaren). Abstand des Urspr. der Art. coeliaca und mesent. sup. Ab st. des Urspr. der Art. coeliaca und mesent. inf. Abst. zweier Lenden- arterienpaare Fall I erwachsen 0,0 mm 60,0 mm 30,0 mm Fall II erwachsen 0,0 mm 64,0 mm 30,0 mm Fall III 16 Monate altes Kind 2,5 mm 36,0 mm 12,0 mm Fall IV 5 Monate altes Xind 2,0 mm 30,0 mm 10,0 mm Fall V neugeborenes Kind 2,0 mm 23,0 mm 8,0 mm Fall VI neugeborenes Kind 2,0 mm 23,0 mm 7,0 mm Fall VII todtgeborenes Kind 3,5 mm 24,0 mm 6,0 mm Fall VIII Fötus: 6—7 Monate 2,5 mm 13,5 mm 4,0 mm Fall IX Fötus: 6—7 Monate 1,0 mm 13,0 mm 3,5 mm Hieraus geht hervor, dass der Abstand zwischen der A. coeliaca und der A. mesenterica superior beim Erwachsenen Null beträgt, beim Kind und Neugebornen zwischen 2,0—3,5 mm, beim Fötus vom 6. Monat zwischen 1,0 und 2,5 mm schwankt. Aus den beiden anderen Reihen ergiebt sich, dass der Abstand zwischen dem Ursprung der Art. coeliaca und der A. mesenterica inf. mit dem Alter zunimmt; das gleiche zeigt sich bei der dritten Reihe. Ausserdem ist klar, dass die Zahlen der letzten Reihe im Grossen und Ganzen in einem direkten 696 J. Frederic. Verhältniss zu der Körperlänge stehen, indem der Abstand je zweier Lendenarterienpaare ungefähr einer Segmenthöhe entspricht. Beziehen wir die Zahlen der ersten und zweiten Reihe auf die dritte Reihe, so ergiebt sich folgendes Verhältniss: Abstand der Art. coeliaca und Abstand je zweier Lenden- Verhältniss 1 mes sup. arterienpaare Fall I 0,0 mm 30,0 l, = o Fall II 0,0 mm 30,0 0 30 = » Fall III 2,5 mm 12,0 S> = «-- Fall IV 2,0 mm 10,0 1^0-»'- , Fall V 2,0 mm 8,0 sio = »•^»» Fall VI 2,0 mm 7,0 % = «•^«'' Fall VII 3,5 mm 6,0 Fall VIII 2,5 mm 4,0 |-o = "■«2' Fall IX 1,0 mm 3,6 p = »•ää« Vergleichen wir die zweite und dritte Reihe der Tabelle auf Seite 695, so erhalten wir folgende Zahlen; Abstand zwisch. A coeliaca und Abstand je zweier Lenden- Verhältniss A. meseut. infer. arterienpaare Fall I 60 mm 30 30 - '''^ Fall 11 64 mm 30 64 3Ö = 2,133 Fall III 36 mm 12 S-.0 Fall IV 30 mm 10 l - 3,0 Beitrag z. Anatomie u. Entwicklungsgeschichte d. Aeste d. Aorta descendens etc. 697 Abstand zwisch. A- coeliaca und Abstand je zweier Lenden- Verhältniss A. mesent. infer. arterienpaare Fall V 23 mm 8 f = 2,875 Fall VI 23 mm 7 ^ = 3,286 Fall VII 24 mm 6 24 Fall VIII 13,5 mm 4 'f - 8,876 Fall IX 13 mm 3,5 X-'- Unsere Befunde weichen in einer Beziehung von den Angaben Theile's ab; nach Th. entspringt die A. coeliaca, auch beim Er- wachsenen, oberhalb von der A. intercostalis XII (nach Theile's Zählung A. lumbalis I), die A. mesenterica superior zwischen der A. intercostalis XII und der A. lumbalis I (nach Theile's Zäh- lung A. lumbalis I — A. lumbalis II). Von sämmtlichen Autoren aber wird der Abstand zwischen dem Ursprung der A. coeliaca und der A. mesenterica superior als äusserst klein bezeichnet; nur in seltenen Fällen soll er nach Theile 1 Zoll (= 26,16 mm) betragen. Ferner ist noch nachzutragen, dass in Fall III die bekannte Varietät vorliegt, dass die A. hepatica aus der A. mesenterica superior stammt (siehe Fig. III. hep.). Bei der Beurtheilung dieser verschiedenen Befunde sind mehrere Punkte hervorzuheben: 1. Der Abstand zwischen dem Ursprung der A. coeliaca und der A. mesenterica superior ist beim Kind und Fötus grösser als beim Erwachsenen, und zwar nicht nur relativ, sondern absolut. Dieser Unterschied findet sich durchgehend. (Siehe Tabelle Seite 695, 696, 697). Wir betrachten den Befund beim Kind und Fötus als eine frühere Entwicklungsstufe. Wie ist nun der Uebergang in den fertigen Zustand beim Erwachsenen zu erklären? Es ist anzunehmen, dass das Wandungsstück der Aorta, welches zwischen dem Ursprung der A. coeliaca und der A. mesenterica superior liegt, zunächst im Wachsthum allmählich zurückbleibt, sodann allmählich in die Wandung der beiden benachbarten Gefässe aufgenommen wird, sodass schliesslich der Ab- stand vollständig verschwindet So rücken scheinbar die A. coeliaca und die A. mesenterica superior einander entgegen. 698 J- Fr6deric. Diese Annahme erklärt auch folgende von mehreren Autoren er- wähnte Varietät; Meckel schreibt: „Sie (d. h. die A. mesenterica superior) bildet nicht ganz selten einen gemeinschaftlichen, bisweilen fast zolllangen Stamm mit der Eingeweideschlagader eine Bildung, die wegen der Schildkrö tenähnli chkeit merkwürdig ist." Diese Varietät dürfte so entstehen, dass die Arterien einander so nahe rücken, dass sie schliesslich zu einem einheitlichen Stamm verwachsen. ^) 2. Die Art coeliaca entspringt beim Kind durchschnittlich höher als beim Erwachsenen, gewöhnlich zwischen der A. intercostalis XII und der A. lumbalis I, bei einem Fötus (siehe Fig. VIII) sogar genau in der Höhe der A. intercostalis XII. 3. Die Art. mesenterica superior entspringt durchschnittlich in der Höhe der Art. lumbalis I. » Diese Th^itsachen machen es wahrscheinlich, dass ursprünglich zwischen dem Ursprung der A. coeliaca und der A. mesenterica superior ein Abstand besteht, der die Höhe eines ganzen Segments beträgt; zweitens: die A. coeliaca gehört dem 12. Intercostalsegment, die A. mesenterica superior dem 1. Lumbaisegment an; d. h. nach dem Princip der MACKAT'schen Theorie: die A. coeliaca entsteht aus dem „visceral circle" des 12. Intercostal = die A. mesenterica superior aus dem „visceral circle" des 1. Lumbaisegments. Die Arteria mesenterica inferior entspringt durchschnitt- lich in der Mitte zwischen der A. lumbalis III und der A. lum- balis IV; in zwei Fällen hat sie einen etwas höheren Ursprung (Fall I, VIII) wobei besonders Fall VIII vom Fötus in Betracht kommen dürfte, wo die Arterie genau in der Höhe der 3. Lendenarterie entsteht (siehe Fig. VIII). Indess rückt der Ursprung zuweilen weiter nach unten, bis dicht oberhalb der A. lumbalis IV (siehe Figg. II, VII). Des- halb ist es schwierig zu entscheiden, welchem Segment die Arterie zu- zurechnen ist; aus mehreren Gründen, die sich noch ergeben werden, dürfte sie indess zum 3. Lumbaisegment gehören. (Siehe unten S. 700.) Ich fand nun in mehreren Fällen kleine Aestchen, die direkt von der Aorta, genau von der Mitte ihrer Vorderseite entspringen und zu 1) Es ist aber nach den neuesten Mittheilungen Hochstetter's (Beiträge zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Blutgetasssystems des Monotremen; Semon, Zoolog. Forschungen in Australien etc. Bd. II, S. 214 ff.) noch eine andere Deutung dieser von Meckel beschriebenen Varietät denkbar, dass nämlich eine ursprünglich selbst ständige A. coeliaca sich frühzeitig mit der Wurzel der A. omphalo-mesenterica verbindet und dann später ihren Aortenurspruug verliert, jene Anastomose aber zum Stamm der A. coeliaca ausbildet. Beitrag z. Anatomie u. Entwicklungsgeschichte d. Aeste d. Aorta descendens etc, 699 dem Bindegewebe der Nachbarschaft etc. verlaufen. Sie verhalten sich ihrem Ursprung nach durchaus wie die grossen Aeste zum Darmkanal. In Fall Nr. VIII (siehe Fig. VIII) bei einem Fötus vom 6. bis 7. Monat entsteht in der Mitte der Vorderseite der Aorta, genau in der Höhe der A. lumbalis II der äusserst feine Ast 1, der nach kurzem Verlauf im subperitonealen Bindegewebe sich verliert. Ausser- dem wird in der Höhe der A. lumbalis IV ebenfalls von der Mitte der Vorderseite der kleine Ast 2 entsendet, der sich nach vorn und abwärts begiebt. Es sind in diesem Falle 5 vordere, unpaare Aeste vorhanden, von denen jeder genau einem dorsalen Aestepaare entspricht: die A. coeliaca der A. inte reo stalis XII, die A. mesenterica superior der A. lumbalis I, Ast 1 der A. lumbalis II, die A. mesenterica inferior der A. lumbalis III, Ast 2 der A. lumbalis IV. In Fall Nr. VI (von einem neugebornen Kind) geht oberhalb der A. lumbalis III der kleine Ast 2 (siehe Fig. VI, 2) direkt von der Aorta ab ; er theilt sich sofort in zwei seitliche Zweige, die beide zu Lymphdrüsen (L) verlaufen. Ein zweiter vorderer Ast entspringt ziem- lich unterhalb von der A. lumbalis IV, steigt vor der Bifurcation nach unten und endigt im Fett- und Bindegewebe (siehe Ast 5). In diesem Falle sind die Verhältnisse nicht so klar wie in Fall VIII, es finden sich ebenfalls 5 vordere Aeste : die A, coeliaca entsteht nahe unterhalb von der A. intercostalis XII, die A. mesenterica superior in gleicher Höhe wie die A. lumbalis I, Ast 2 nahe oberhalb A. lumbalis III, die A. mesenterica in der Mitte zwischen A. lumbalis III und A. lum- balis IV, Ast 5 unterhalb der A. lumbalis IV, genau dem Ursprung der A. sacralis media gegenüber. Ferner fand ich in den meisten Fällen ein kleines Gefäss, welches ziemlich weit unten aus der Aorta ebenfalls von der Mitte der Vorder- seite in der Höhe der A. lumbalis IV oder nahe unterhalb derselben entspringt (siehe Figg. I, III, IV, V, IX; hierzu gehört auch Ast 2 in Fig. VIII, und Ast. 5 in Fig. VI) (siehe oben). Er verläuft gewöhn- lich direkt nach unten und verliert sich in'Bindegewebe vor der Bifurca- tion. Häufig gehen zu beiden Seiten desselben kleine, seitliche Ge- fässe ab, entweder direkt aus der Aorta, oder sie entspringen in gemein- samem Stamm mit demselben (Fig. I, IV, V, VI, IX). In Fall I vom Erwachsenen ist der betreffende Ast viel stärker ausgebildet, länger und dicker und entsteht genau in der Höhe der A. lumbalis IV (siehe Fig. I Ast 5). Er entspringt mit ziemlich dickem, aber sehr kurzem Stamm; dieser theilt sich sofort in 3 Aeste, einen medianen, einen rechten und einen linken. Der mediane ist die eigentliche Fort- setzung des Stammes; er verläuft ziemlich direkt nach unten und endigt im Ansatz des Mesosigmoi'deum. In seinem Anfangstheil giebt er einen ziemlich feinen Ast nach links ab, der vor (*) der A. mesenterica in- ferior verläuft. — 700 J. Frederic. Dieses Gefässchen (siehe vorhergehenden Abschnitt) ist wohl iden- tisch mit dem kleinen Ast, welcher von Theile auch näher beschrieben wird und kurz vor der Theilung der Aorta abgeht (siehe oben Seite 691). In welchem Verhältniss stehen nun diese kleinen Aestchen zu den drei Darmarterien? Zunächst entspringen sie sämmtlich von der Mitte der Vorderseite der Aorta; ferner sind dieselben unpaar. Indess ist keines derselben bis zum Darmkanal zu verfolgen, überhaupt sind die meisten klein und kurz; nur im Fall I scheint eine Beziehung zum Darmkanal vorhanden zu sein, indem hier der ganze Ast besser entwickelt ist und sich bis. in die Nähe des Mesosigmoideum präpariren lässt; ausserdem ist es auch von Bedeutung, dass ein Ast desselben vor der A. mesenterica inferior verläuft. Es liegen also mehrere Grründe vor, welche eine Verwandtschaft dieser Aestchen mit den Darmarterien nicht verleugnen lassen und die Vermuthung erwecken, dass dieselben rudimentäre Darmarterien seien. Ferner ist in dieser Frage wichtig das Verhältniss zu der segmentalen Anlage. Hier kommt hauptsächlich Fall VIII in Betracht, wo in der Höhe jedes Segments ein vorderer Ast aus der Bauchaorta entspringt; drei derselben sind Darmarterien, die zwei anderen sind kleine Zweige zum Bindegewebe (siehe Fig. VIII; siehe oben Seite 699). Es ist äusserst wahrscheinlich, dass letztere den grossen Darmgefässen gleich- zusetzen sind und dass ursprünglich 5 Darmarterien in segmentaler Anordnung aus der Aorta kamen, von denen sich späterhin nur 3 weiter- entwickelt haben, zwei rudimentär geworden sind. Was den kleinen Ast betrifft, der in der Höhe der A. lumbalis IV meistens aber etwas unterhalb derselben entspringt (siehe oben Seite 699), so ist seine Beurtheilung ziemlich schwierig. Nach der MACKAY'schen Theorie ist es wahrscheinlich, dass derselbe dem „visceral circle" des 4. Lumbaisegment entspricht. Doch ist diese Annahme durchaus unmöglich in den, allerdings selteneren Fällen, wo die A. mesenterica inferior tiefer wie gewöhnlich , dicht oberhalb der A. lumbalis TV ihren Ursprung nimmt. (Besondere Schwierigkeiten macht auch Fall VI, wo etwas oberhalb der A. lumbalis III der kleine Ast 2, in der Mitte zwischen der A. lumbalis III und der A. lumbalis IV die A. mesenterica inferior, ziemlich unterhalb A. lumbalis IV der betreffende Ast 5 abgeht.) In der Regel entspringt aber die untere Gekrösarterie höher, zuweilen sogar genau in der Höhe der 3. Lenden- arterie (Fig. VIII), und im Allgemeinen dürfte die Annahme gerecht- fertigt erscheinen, dass die A. mesenterica inferior dem 3. Lumbai- segment, der kleine Bindegewebsast dem 4. Lumbaisegment zuzu- rechnen ist. Dass die Darmarterien ursprünglich in grösserer Zahl vorhanden sind, wird allgemein angenommen und ist in einigen Fällen auch be- Beitrag z. Anatomie u. Entwicklungsgeschichte d. Aeste d. Aorta descendens etc. 701 reits nachgewiesen worden (Hochstetter). Auf Grund unserer Be- funde lässt sich nun die Annahme rechtfertigen, dass die Darraarterien ursprünglich segniental angelegt sind; dieses entspricht im Princip auch der MACKAY'schen Theorie. Das Hauptergebniss lässt sich kurz so zusammenfassen: Die Darmarterien entspringen ursprünglich zu 5 von der Vorder- fläche der Aorta abdominalis in regelmässigen Intervallen von je 1 Seg- ment. Die A. coeliaca ist die Arterie des 12. Intercostal-, die A. mesenterica superior des 1. Lumbal-, die A. mesenterica inferior die Arterie des 3. Lumbaisegments. Die Arterie des 2. und 4. Lumbai- segments werden späterhin rudimentär. Die erstere ist nur noch beim Fötus zu finden (Fig. VIII, Ast 1) ; die letztere ist auch noch beim Kind und Erwachsenen als kleiner Ast zum Bindegewebe zu treffen. Ausserdem haben wir anzunehmen, dass die primitiven Darm- arterien paarweise vorhanden sind, wie dies aus den Untersuchungen von mehreren Autoren hervorgeht (siehe oben Seite 693). Wir hätten also statt 5 Darmarterien 5 Paare aufzuzählen. Die andere Frage ist nur die, wie aus den ursprünglich paarigen Gefässeu, die späteren un- paaren Darmarterien entstehen ? Die Frage ist kurz so zu stellen : verschmelzen die beiderseitigen Gefässe zu einem Stamme oder wird das Gefäss der einen Seite unterdrückt? Quain hält letzteres für wahrscheinlicher; hingegen haben die Untersuchungen Hochstetter's über die Entwicklung der A. omphalomesenterica (bei Katzenembryonen), der späteren A. mesenterica superior, ergeben, dass gewissermaassen hier eine Kombination beider Entwicklungsmodi vorliegt. (Hochstetter: Entwicklungsgeschichte des Gefässsystems.) IL Seitliche Aeste (intermediate circle : Mackay). Die seitlichen Aeste der Bauchaorta entspringen links und rechts von der Seitenwand, zuweilen etwas nach vorn: es sind die Aa. supra- renales, renales und spermaticae internae resp. ovaricae. Ausserdem stellen wir in die gleiche Kategorie die Zahl der kleinen Aeste, die seitlich von der Aorta zu Lymphdrüsen und zum Bindegewebe abgegeben werden. Die Aa. phrenicae haben in der Reihe der Aeste der Bauch- aorta eine eigenthüraliche Stellung inne und werden deshalb gesondert besprochen werden. Die Verhältnisse sind bei den seitlichen Aesten nicht so klar, wie bei den vorderen Aesten, weder beim Erwachsenen noch beim Kind oder Fötus. Eine Metamerie ist nicht mehr zu entdecken, die sym- metrische Anlage aber in den meisten Fällen nachzuweisen ; so bei den 702 J- Frederic. Aa. spermaticae, renales und suprarenales, welche im normalen Zu- stand paarig vorhanden sind und beiderseits in gleicher Höhe ent- springen. Doch ist es nicht selten, dass beide Gefässe in verschiedener Höhe links und rechts abgegeben werden, sodass zuweilen eine beträcht- liche Differenz des Ursprungs besteht. Besonders scheint die rechte Seite für solche Varietäten zu disponiren. Auch gehört hierher die Ver- dopplung eines Gefässes auf einer Seite. Wir haben in den untersuchten Fällen jedes Mal den Ursprung eines jeden Gefässes genau bestimmt und uns hier hauptsächlich auf die Lumbal- und Intercostalarterien bezogen (siehe oben Seite 694). Aa. suprarenales. 1. Die Aa. suprarenales superiores kommen a) am häufigsten aus der A. phrenica der betreffenden Seite (siehe Figg. III, VI, VII, VIII, IX). b) selten aus der Aorta in einem gemeinschaftlichen Stamm mit der A. suprarenalis media (Fig. IV) oder getrennt in der Höhe der A. lumbalis I (Fig. VII). 2. Die Aa. suprarenales mediae entspringen a) am häufigsten aus der Aorta a) jede für sich nahe unterhalb der A. lumbalis I (Fig. VIII), in der Höhe der A. lumbalis I (Fig. V), der A. inter- costalis XII (Fig. V), ß) in einem Stamm mit der A. suprarenalis superior in der Höhe der A. lumbalis I (Fig. IV rechts), y) in einem Stamm mit der A. suprarenalis inferior in der Höhe der A. lumbalis I (siehe Fig. IV links), b) aus der A. renalis, seltener (Fig. IX) in einem Stamm mit der A. suprarenalis inferior (Fig. VII). 3. die Aa. suprarenales inferiores stammen a) aus der A. renalis rechts: Figg. IV, VI. IX, links: Figg. VI, IX, in einem Stamm mit A. suprarenalis media Fig. VII, b) aus der Aorta a) jede für sich in der Höhe der Art. lumbalis I (Fig. III), in der Mitte zwischen der A. lumbalis I und A. lum- balis II, dicht über derA. renalis (Fig. V), ß) in einem Stamm mit der A. suprarenalis media in der Höhe der Art. lumbalis I (Fig. IV links). Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, dass die oberen, mitt- leren und unteren Nebennierenarterien aus der Aorta entspringen können, und zwar die oberen und die mittleren in der Höhe der A. lumbalis I und die unteren in der Höhe der Art. lumbalis I oder tiefer, dicht oberhalb der A. lumbalis II. Als Norm ist (wie in den Lehrbüchern angegeben wird) anzusehen, dass die oberen Neben- Beitrag z. Anatomie u, Entwicklungsgeschichte d. Aeste d. Aorta descendens etc. 703 nierenarterien aus den Aa. phrenicae, die mittleren aus der Aorta, die unteren aus der A. renalis kommen. Wenn die A. phrenica aus der A. renalis oder aus der Aorta dicht über der A. renalis abgeht, so werden in der Begel sämmtliche Neben- nierenarterien von der A. phrenica abgegeben (Figg. III, YII, V.) Man kann dies so erklären, dass die A. phrenica in diesen Fällen einen gemeinschaftlichen Ursprung mit der A. suprarenalis inferior hat, oder vielmehr die A. phrenica stellt einen vergrösserten Ast der Neben- nierenarterie vor. Kleine Aeste der A. suprarenalis media zum Zwerch- fell werden von Theile als regelmässiger Befund erwähnt. Der ge- meinschaftliche Ursprung der A. suprarenalis und der A. phrenica aus der Aorta oder der renalis wird von mehreren Autoren angegeben. (QüAiN, Theile, Meckel). Auch eine A. spermatica aus der A. supra- renalis wird beschrieben. Ausserdem beobachtete ich ziemlich häufig, dass die A. supra- renalis inferior, ob sie aus der Aorta oder der A. renalis entstammt, einen feinen, aber ziemlich langen Ast zur Nierenkapsel abgiebt (Art. adiposa) (siehe Ast nk rechts in Figg, IV, V, VI, VIII, links in Figg. IV, V, VI, VIII.) Auch die A. phrenica giebt, wenn sie aus der A. renalis ent- springt, einen Ast zur Nierenkapsel (Figg. III, VII). In Fall VII er- reicht derselbe bedeutende Stärke und tritt in den oberen Nierenpol ein, so dass er als accessorische Nierenarterie imponirt. Unter den Varietäten der Nierenarterien erwähnt Macalister eine accessorische A. renalis aus der A. suprarenalis. Vermuthlich handelt es sich hierbei ebenfalls um eine stärkere Ausbildung des kleinen Astes der A. suprarenalis zur Niereukapsel. Die Aa. renales entspringen gewöhnlich beiderseits in gleicher Höhe, seltener in verschiedener Höhe (siehe Fig. IV) von der Aorta in der Mitte zwischen der A. lumbalis I und der A. lumbalis II, durchschnittlich der A. lumbalis II näher. Zu erwähnen ist das häufige Vorkommen von zwei oder drei Ge- fässen auf einer Seite, besonders der rechten. Dieselben entstehen entweder nahe bei einander oder weiter von einander entfernt; im ersteren Fall wird gewöhnlich die Erklärung gegeben (Theile, Sappey), dass ursprünglich ein einheitliches Nierengefäss von der Aorta abge- geben wurde, das sich bald nach seinem Ursprung theilte; später ist nun dieser Theilungswinkel centralwärts verschoben worden, so dass die früheren Aeste einer Nierenarterie zu selbstständigen Aesten der Aorta werden (siehe Figg. II, III, VI, IX). Während es sich hier also einfach nur um eine Verdopplung handelt, liegt in Fall IV eine wirk- liche accessorische Nierenarterie vor, welche fast drei ganze Segment- 7Q4 J. Frederic. höhen tiefer entspringt, wie die gleichseitige Hauptarterie (siehe Fig. IV, m). Accessorische Aeste der Nierenarterie (ausser den Aa. supra- renales und den Aa. spermaticae internae) fand ich nur einmal. In Fall II entsendet die rechte Nierenarterie einen kräftigen Ast nach rechts, der längs dem oberen Nierenrand verlaufend bis in das Ge- kröse des Colon ascendens zu verfolgen ist. Aehnliche Aeste werden auch von Macalistee beschrieben (siehe Fig. II, Ast zum Colon ascendens). Die Aa. spermaticae internae resp. die Aa. ovaricae stammen: 1. aus der Aorta, 2. aus der A. renalis (einseitig rechts). 1. Ursprung aus der Aorta. Die Samenarterien entspringen zwischen den Nierenarterien und der unteren Gekrösarterie, entweder dicht unter der A. renalis in der Höhe der A. lumbalis II oder ein ganzes Segment tiefer in der Höhe der A. lumbalis III (Figg. I, IV, VIII; Figg. II, VII, IX). Es existiren also zwei Möglichkeiten des Ursprungs, ein hoher und ein tiefer Ursprung. Dieses Verhältnis wird noch klarer gestellt, wenn die beiderseitigen Gefässe in verschiedener Höhe entsendet werden. Zuweilen ist die Differenz nicht bedeutend, diese Fälle kommen hier nicht in Betracht (Figg. VII, VIII, IX); in anderen beträgt sie gerade den Abstand zweier Lumbalarterienpaare (Figg. V, VI). Beidemale entsteht das rechte Gefäss tiefer, das linke in der Höhe der A. lum- balis II, das rechte in der Höhe der A. lumbalis III. 2. Der Ursprung aus der A. renalis ist seltener und findet sich nur rechts. Die Arterie entspringt in einiger Entfernung vom Ursprung der Nierenarterie (Figg. III, IV). Unter den Varietäten der Aa. spermaticae wird von Theile der Fall angeführt, dass die beiderseitigen Samenpulsadern mittelst eines gemeinschaftlichen kurzen Stammes (von der Mitte der Vorderseite ?) entspringen. Es ist diese Abweichung so zu erklären, dass der Ur- sprung der schon normaler Weise ziemlich nahe bei einander, etwas nach vorn entspringenden Gefässe noch weiter zusammenrückt und schliess- lich verschmilzt. Eine ähnliche Deutung dürfte die analoge Varietät bei den Nierenarterien erfahren, wo beide Nierenarterien mit einem gemeinschaftlichen Stamm vom vorderen Umfang der Aorta kommen, (PoETAL'scher Fall : Anatomie medicale tome 3, Seite 290). Unter den übrigen in der Literatur verzeichneten Varietäten möchte ich noch den Ursprung der Samenarterien aus einer Lenden-, Hüft- und Becken- schlagader, ferner den Ursprung in einem gemeinschaftlichen Stamme mit einer mittleren Nebennierenarterie anführen. Für die A a. phrenicae ist es schwer zu entscheiden, oh sie zu den vorderen oder den seitlichen Aesten der Bauchaorta zu rechnen sind. Nach den einen Autoren entspringen dieselben am häufigsten aus Beitrag z. Anatomie u. Entwicklungsgeschichte d. Aeste d. Aorta descendens etc. 705 der A. coeliaca (Haller, Bichat, Meckel, Hyrtl). Von anderen Autoren werden sie wieder hauptsächlich als Aeste der Aorta ver- zeichnet; in Wahrheit ist wohl der Ursprung aus der A. coeliaca fast gerade so häufig als der Ursprung aus der Aorta (Sömmering, Theile, Sappey, Krause, Henle). In den von mir untersuchten Fällen fand ich folgende Verhältnisse : 1. Ursprung aus der A. coeliaca. Beide Aa. phrenicae kommen getrennt aus der A. coeliaca (Fig. IV, IX). 2. Ursprung aus der Aorta. Beide Aa. phrenicae entspringen dicht nebeneinander, von der Vorderseite der Aorta, nahe über der A. coeliaca (Fig. VI), 3. Die beiderseitigen Gefässe kommen aus verschiedener Quelle: aus der A. coeliaca, Aorta, oder aus einer A. renalis (Figg. 11, III, V, VII, VIII). Dieses Verhältniss findet sich also in der grösseren Zahl der Fälle. Nach Meckel, Sappey indess ist es als ziemlich selten zu betrachten. Ueber den Ursprung aus der Aorta ist noch beizufügen: a) Die A. phrenica entsteht dicht über der A. coeliaca in der Mitte der Vorderseite (Figg. III, VI, VIII), seitlich (Fig. VII), ß) unterhalb der A. coeliaca, neben der A. mesenterica superior, nahe oberhalb der A. renalis (siehe Fig. V, rechts). Ueber den Ursprung aus der A. renalis (siehe oben Seite 703). Welcher Kategorie von Aesten sind nun die Aa. phrenicae zuzu- zählen? In allen Fällen, wo dieselben seitlich aus der Aorta dicht über der A. renalis oder aus ihr selbst entspringen, dürfen wir sie ent- schieden den seitlichen Aesten zurechen ; wenn sie aber aus der A. coeliaca oder aus der Aorta von deren Vorderseite, dicht über der A. coeliaca, kommen, so erscheint es richtiger, dieselben zu den vorderen Aesten zu stellen. Eine sichere Entscheidung ist indess nicht möglich. Die seitlichen kleinen Aeste der Aorta zu Bindegewebe, Lymphdrüsen etc. Es ist unmöglich, eine einheitliche Darstellung dieser Aeste zu geben, da sie, je nach der Anordnung der Hauptäste variiren (siehe oben Seite 692). Nur wenige Aestchen lassen sich in jedem Fall wiederfinden. Wir werden im Folgenden einige Hauptpunkte besprechen und verweisen im Uebrigen auf die Figuren. 1. Ich fand häufig, dass vom Anfangstheil der A. mesenterica in- ferior oder dicht daneben von der Aorta selbst seitlich zwei sehr feine Gefässchen abgegeben werden, welche nach kurzem Verlauf im Binde- gewebe oder in einer Lymphdrüse (Lendendrüse) endigen (siehe Figg. I, III, V, VI). 2. Interessante Beobachtungen machte ich ferner bei gewissen Varietäten der A. spermatica interna. 706 J- Fröderic. a) In Fall IV kommt die rechte A. spermatica interna aus der A. renalis, die linke aus der Aorta, nahe unterhalb der A. lumbal is II. Es entspringt nun, genau in gleicher Höhe wie die A. spermatica sinistra, von der rechten Seitenwand der Aorta ein feiner Ast (siehe Fig. IV, Ast 2), der im Bogen und in ziemlich langem Verlauf, parallel der A. spermatica dextra (aus der A. renalis) nach unten zieht und im Bindegewebe endigt. In Fall III liegt das gleiche Verhältniss vor, wenn auch weniger deutlich; die rechte A. spermatica interna entspringt auch hier aus der A. renalis dextra, die linke aus der Aorta, und zwar zwischen der A. lumbalis II und der Art. lumbalis III. Auf der rechten Seite geht nun, und zwar etwas oberhalb von der A. spermatica sinistra der feine, aber lange Ast 1 ab. In beiden Fällen ist die Ansicht zu rechtfertigen, dass die be- treffenden Aeste als rudimentäre Aa. spermaticae zu beurtheilen sind. Zunächst fehlt die rechte A. spermatica ex Aorta, ferner entspringen die Aestchen gerade gegenüber den linksseitigen Samenpulsadern. Schliesslich sind sie verhältnissmässig lang und lassen sich bis in die Nähe der Samenarterien verfolgen. b) Aehnliche Verhältnisse liegen vor, wenn beide Aa. sper- maticae aus der Aorta, die eine aber ein Segment tiefer entspringen (siehe oben Seite 704). Fall VI. Die A. spermatica sinistra entsteht nahe unterhalb der linken Nierenpulsader, etwas oberhalb der A. lumbalis II, die A. spermatica dextra dicht oberhalb der A. lumbalis III. Gegen- über der A. spermatica dextra entspringt links seitlich fast in gleicher Höhe, nur wenig tiefer, ein kleiner, sehr kurzer Ast (siehe Fig. VI, Ast 3), der zu einer Lymphdrüse geht. Die A. spermatica sinistra hat ihren Ursprung in gleicher Höhe wie die A. renalis dextra. Fall V. Hier entspringt die A. ovarica dextra tiefer, in der Höhe der A. lumbalis III, die A. ovarica sinistra unterhalb der A. lum- balis II; der Abstand ist hier nicht so bedeutend wie in Fall VI. Der rechten Arterie entspricht auf der linken Seite ein dünnes Aest- chen (siehe Ast 2 Fig. V), das etwas höher abgeht und einen ziemlich langen, der A. spermatica sinistra parallelen Verlauf hat; der linken entspricht der feine Ast 1, der in der Höhe der A. Inmbalis II aus der Aorta kommt und ebenfalls ziemlich weit präparirt werden konnte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Aestchen rudimentäre acces- sorische Aa. spermaticae internae resp. ovaricae darstellen. Die Ver- muthung ist naheliegend, dass in vielen Fällen ursprünglich vier, jeder- seits zwei Arterien, zu den Geschlechtsdrüsen resp. Urniere verlaufen, von denen das eine Paar dem zweiten, das zweite Paar dem dritten Lumbaisegment angehört. Es ist nun die Möglichkeit vorhanden, dass sich sämmtliche 4 Arterien weiter entwickeln, so dass auf den beiden Beitrag z. Anatomie u. Entwicklungsgeschichte d. Aeste d. Aorta descendens etc. 707 Seiten die Samenarterien doj^pelt sind. Diese Varietät kommt in der That vor. (Theile.) Oder es entwickeln sich nur 2 Arterien, entweder je eine Arterie von jedem Paar (wie oben in Fall VI, V) oder ein ganzes Paar wird rudimentär, das andere allein entwickelt sich weiter. Die letzte Kombination Hegt vor in Fall II und Fall I. Fall II. Die zwei Aa. spermaticae internae entspringen beider- seits gleich hoch in der Höhe der A. lumbalis III. Dicht unterhalb der Aa. renales gehen nun beiderseits kleine Aestchen zum Binde- gewebe ab, genau an der Stelle des hohen Ursprungs der Samenarterien (siehe oben Seite 704). Wir behaupten, dass dieselben das obere rudi- mentäre Paar darstellen (siehe Fig. II 2. 2a.). In Fall I entstehen die Aa. spermaticae nahe oberhalb von der A. lumbalis II, dicht unter den Aa. renales; in der Höhe der A. lum- balis III entspringt nur rechts ein ziemlich langes und dickes Gefäss- chen, welches nach unten zieht (siehe Ast 2), dicht über demselben der kleinere Ast 1. Auf der linken Seite finden sich zwei ähnliche Aeste (la, 2a), nur ist der untere nicht so stark und so lang wie Ast 2, und der Zwischenraum zwischen beiden ist grösser. Wir betrachten Ast 2 als rudimentäre Samenarterie und Ast 1 als frei gewordenes seit- liches Aestchen derselben. Das gleiche ist auf der linken Seite anzu- nehmen. In diesem Fall ist das untere Paar der Aa. spermaticae rudimentär. 3. Es fiel mir auf, dass oberhalb und unterhalb der A. lum- balis II in einigen Fällen jederseits 2 oder 3 Aestepaare dicht unter- einander an der Seitenfläche der Aorta entstehen und zwar zu oberst eine A. suprarenalis inferior, sodann die A. renalis und die A. sper- matica interna (Fig. I) oder die oberste Arterie ist ein Bindegewebsast (Fig. VI, links) oder fehlt ganz ; dann finden sich auch an Stelle der Aa. spermaticae Bindegewebsäste (Fall II). Die Klassifizirung der seitlichen Aeste der Bauchaorta vom Ge- sichtspunkte einer segraentalen Anordnung ist schwer durchzuführen. Nur für wenige Aeste lässt sich mit einer Sicherheit bestimmen, welchem Segment sie angehören. So z. B. ist die A. spermatica je nach ihrem Ursprung dem 2. oder 3. Lumbaisegment zuzurechnen. Die Aa. renales gehören zum 2. Lumbaisegment, da sie in der Mehrzahl der Fälle in der Höhe der A. lumbalis II oder nahe ober- oder unterhalb ent- springen. In Fall IV besteht eine beträchtliche Ursprungsdifferenz und hier ist offenbar die linke Nierenarterie dem 1. Lumbaisegment, die rechte dem 2. Lumbaisegment zuzuzählen. Nach HocHsTETTEK ist es als wahrscheinlich anzusehen, dass ur- sprünglich eine Reihe „segmental angeordneter Aeste der Aorta lateral- wärts zur Urniere verlaufen", die mit dem Untergang dieses Organs ebenfalls verschwinden. Von denselben sei auch die A. spermatica interna abzuleiten. Die Nieren sollen erst, wenn sie am Ort ihrer Morpholog. Arbeiten, hrsg. v. G. Schwalbe. VII. 46 708 J- Fred6ric. definitiven Lagerung angelangt sind, einen Arterienast und zwar direkt von der Aorta zugetheilt bekommen. (Hochstetter.) Vermuthlich entsteht auch die A. renalis aus einer der segmentalen Urnierenarterien (siehe oben). Was die übrigen Aeste, die Aa. phrenicae, suprarenales und haupt- sächlich viele der kleinen seitlichen Aestchen zum Bindegewebe etc. anbetrifft, so ist es durchaus unmöglich, dieselben nach einem metameren System zusammenzustellen. III. Hintere Aeste der Baueliaorta. Die Aa. lumbales entspringen zu vier Paaren aus der Hinter- seite der ßauchaorta, nicht selten auf beiden Seiten in verschiedener Höhe. Die A. intercostalis XII gehört ebenfalls den Aesten der Aorta abdominalis an, indem sie am unteren Rand der 12. Rippe ver- läuft. Sie entspricht der A. lumbalis I bei Theile und anderen. In der Literatur werden als accessorische Aeste der Arteriae lum- bales genannt: die Aa. spermaticae (Theile), die Aa. renales (aus der 2. oder 3. Lumbaiarterie: Macalister, Quain). IV. Eiidäste der Baueliaorta. 1. Die A. sacralis media ist die Fortsetzung der Aorta. Die- selbe wurde von mir nicht weiter auf ihre Verzweigung untersucht. Wir beschränken uns daher auf einige Angaben der Literatur. Die A. sacralis media giebt gewöhnlich paarweise mehrere kleine seit- liche Aestchen ab; dieselben anastomosiren zuweilen mit den Aa. haemor- rhoidales mediae et inferiores (Krause) ; auch entsendet dieselbe häufig eine ziemlich kräftige A. lumbalis ima (= V), zuweilen entspringt aus derselben auch eine accessorische Nierenarterie. (Besonders bei tiefer Lage der Niere.) Eine interessante Varietät wird von Sömmering be- schrieben: „Die mittlere Heiligbeinpulsader spaltet sich darauf bis- weilen auf dem 4. Wirbel des Kreuzbeines und geht mit einem Aste zum Mastdarm, mit dem anderen nach unten. Der Mastdarmast ist bisweilen so gross, dass er die Stelle der mittleren Mastdarmarterie einer Seite vertritt und sich ausser dem Mastdarm auch an die Urin- blase verbreitet." Eine A. haemorrhoidalis aus der A. sacralis media wird auch von Dubreuil erwähnt (aus Henle). Diese Arterie ist offenbar den grossen Eingeweide- und Darm- gefässen der Bauchaorta an die Seite zu stellen; nach der Mace:ay- schen Theorie dürfte sie aus dem „visceral circle" des 4. Sakralsegments entstanden sein. Beitrag- z. Anatomie u, Entwicklungsgeschichte d. Aeste d. Aorta descendens etc. 709 Es ist sehr wahrscheinlich, dass die A. sacralis media in direkter Fortsetzung der Aorta al)dominalis in metamerer Folge vordere Aeste ursprünglich zum Darmkanal entsendet, welche aher mit dem Rudi- mentärwerden der Schwanzwirbel und der Kaudalaorta rückgebildet werden ; ihr Gefässgebiet wird alsdann von den Beckenarterien ver- sorgt (A. haemorrhoidalis media aus der A. iliaca interna oder aus einer A. sacralis lateralis, A. haemorrhoidalis inferior aus der A. pu- denda communis). 2. Die Aa. iliacae commune s. Die Aa. iliacae communes geben auf ihrer ganzen Strecke nur ganz kleine Aeste ab, zum Ureter, zum M. psoas, etc. Solche Aeste fand ich in drei Fällen : In Fall I entspringt von der Vorderseite der A. iliaca communis dextra ein ziemlich kräftiger Ast und geht mit drei langen Zweigen zum Ureter (siehe Fig. I, ur, U.) In Fall III kommt nahe bei der Bifurcation aus der linken A. iliaca communis ein Ast, der ungetheilt bis zum Harnleiter verläuft und sich erst hier in einem oberen und unteren, stark geschlängelten Ast verzweigt (siehe Fig. III, 5, U). Auf der rechten Seite geht von der A. iliaca communis dextra ungefähr in gleicher Höhe ein kleiner Ast (6) zu einem Nerven (der am vorliegenden Präparat nicht näher bestimmt werden konnte). In Fall IV gehen von beiden gemeinschaftlichen Hüftbeinarterien Aeste zum Musculus psoas major. Mackay sieht in den Aa. iliacae communes eine Vereinigung der visceralen und parietalen Kreise des unteren Endes der Aorta. Die visceralen Kreise werden dargestellt durch die mittleren und unteren Mastdarmarterien und die Blasenarterien; ausserdem seien fünf genau ausgeprägte Parietalkreise vorhanden: die Aa, iliaca externa, obtura- toria, glutea, ischiadica, pubica. Begründeter ist die Ansicht Hochstetter's ; nach H. entsteht die A, iliaca communis in Zusammenhang mit der 4. Lendenarterie und ist ursprünglich nur die Arterie der hinteren Extremität (A. ischia- dica). Im späteren Verlauf übernimmt sie aber den Verbreitungs- bezirk der primitiven A. umbilicalis und erfährt hierdurch eine Er- weiterung ihres Anfangsstückes und die Trennung von ihrem dorsalen Aste, der A. lumbalis IV. Diesen Entwicklungsgang hat H. beim Kaninchenembryo näher verfolgt: die ursprüngliche A. umbilicalis bat mit der A. iliaca nichts zu thun ; sie entspringt von der ventralen Fläche der Aorta in der Gegend des hinteren Rümpfendes und verhält sich vollständig wie eine Darmarterie. „Bald jedoch erfolgt (Kaninchen- embryo vom Ende des 11. Tages) von einer der segmentalen Arterien 46* 7JQ J. Frederic. im Gebiet der Anlage der hinteren Extremität, welche in diese mit Zweigen eintritt, aus die Entwicklung einer Gefässbahn, welche, in der Leibeswand verlaufend, mit der A. umbilicalis in Verbindung tritt, sich rasch erweitert und, indem es zur Obliteration des ursprünglichen Anfangsstückes der A. umbilicalis zwischen Aorta und vorderen Bauch- wand kommt, nun der Allantois alles Blut zuführt. Nun erscheint die Arterie, welche in die Extremitätenanlage eindringt, nur mehr als ein Zweig der so gebildeten Arteria umbilicalis." (Hochstetter.) Inwiefern die kleine Arterie, welche von der Mitte der Vorderseite der Bauchaorta, in der Höhe der A, lumbalis IV oder etwas unterhalb von derselben entspringt, mit der primitiven A. umbilicalis in Be- ziehung zu bringen ist, möchten wir dahin gestellt sein lassen (siehe oben Seite 699, 700). Aorta thoracica. Im Anschluss an die Aorta abdominalis wurden auch die Aeste der Aorta thoracica untersucht. Doch wurden hier keine besonderen Aestchen gefunden, auch konnte eine Metamerie nicht nachgewiesen werden. Wie bei der Aorta abdominalis können wir auch bei der Aorta thoracica 1. Aeste zum Verdauungsschlauch und seinen Adnexen und 2. Aeste zur Leibeswand unterscheiden. Die ersteren sind die Aa. oeso- phageae und die Aa. bronchiales, die letzteren die Aa. intercostales ; seitliche, den Aa. renales, spermaticae internae etc. entsprechende Aeste fehlen an der Brustaorta. Aa. bronchiales. Es sind meistens drei Aa. bronchiales vorhanden, von denen zwei die linke, eine die rechte Lunge versorgen ; die obere linke und die rechte sind gewöhnlich zu einem Stamm vereinigt, wie dies von Haller als das normale Verhalten angegeben wird. In Fall II werden sämmt- liche Arteriae bronchiales von einem Stamme abgegeben, der von der Vorderseite der Aorta, etwas nach rechts entspringt. — Wenn die linke obere und die rechte A. bronchialis isolirt entspringen, kommt die linke meist aus der Aorta, die rechte in der Regel aus der A. inter- costalis aortica dextra prima (Theile). Ferner ist hervorzuheben, dass die Bronchialarterien, welche beim Erwachsenen ziemlich kräftige Gefässe sind, beim Fötus sehr schwach entwickelt sind. Erwähnen möchte ich noch folgende interessante Varietät, welche ich in Fall IV bei einem fünfmonatlichen Kinde fand. Beitrag z. Anatomie u. Entwicklungsgr schichte d. Aeste d. Aorta descendens etc. 711 Aus der Aorta thoracica kommen 2 Aa. bronchiales (siehe Figg. X, XI). 1. Art. bronchialis sinistra superior, entspringt in der Höhe der A. intercostalis IV von der Vorderseite der Aorta. 2. Art. bronchialis sinistra inferior entspringt in der Höhe der A. intercostalis VII. Beide Arterien versorgen nur die linke Lunge; die rechte Lunge erhält keine Gefässe direkt aus der Aorta. Es sind nun zwei accessorische Bronchialarterien vorhanden, eine rechte und eine linke. 1. Die A. bronchialis accessoria sinistra {hrsa, siehe Figg. X, XI) entspringt vom 2. Hauptast, welcher von der Subclavia sinistra {sus) abgegeben wird (da derselbe abgeschnitten war, konnte er nicht näher bestimmt werden), wendet sich medianwärts und läuft eine Strecke lang dem Stamm der A. subclavia parallel, wendet sich dann im Bogen nach aussen, steigt vor der Art. subclavia, einen Ast zum Bindegewebe abgebend, nach abwärts, links von der Aorta. Etwas oberhalb von der Ebene, wo die oberste Intercostalarterie aus der Aorta abgeht, theilt sich die Arterie in zwei Aeste, einen kurzen linken {l) und einen langen rechten (r). Der linke anastomosirt mit der A. bronchialis sinistra superior aus der Aorta ; der rechte Ast geht vor der Aorta {A o, Ao d), dem Oeso- phagus (oe), den beiden Stammbronchien zum Hilus der rechten Lunge; er giebt Gefässe zum oberen und mittleren Lappen. Auf der Strecke, wo der rechte Ast auf den beiden Stammbronchien verläuft, anastomo- sirt er mit den Endästen der A. bronchialis accessoria dextra. 2. Die A. bronchialis accessoria dextra (siehe Fig. X hrad) ist schwächer wie die linke Arterie, entspringt von einem stärkeren, nach vorn und unten gerichteten Ast der A. subclavia dextra (vermuthlich A. mammaria interna). Sie verläuft etwas geschlängelt direkt nach unten, vor der Trachea {tr), und theilt sich circa 2 cm oberhalb der Bifurcation in einen linken und rechten Endast, welche auf der Vorderseite der entsprechenden Stammbronchien weiter nach abwärts verlaufen. Sie münden beide in den rechten Endast (r) der A. bronchialis accessoria sinistra [hras). Ein gleicher Fall wird in der Literatur, soweit ich dieselbe durch- gesehen habe, nicht beschrieben. Besonders interessant ist dabei, dass die beiden accessorischen Bronchialarterien mit einander anastomosiren. — Accessorische Bronchialarterien werden mehrfach erwähnt, und zwar können dieselben aus der A. mammaria interna oder aus der A. sub- clavia (Sömmerinct) entspringen ; von mehreren Autoren werden die- selben Aa. bronchiales anteriores (oder superiores) im Gegensatz zu den Aa. bronchiales posteriores aus der Aorta (oder inferiores) benannt und als zwar variirender, aber doch ziemlich häufiger Befund bezeichnet (Henle, Krause, Meckel, Quain, Gegenbaur, Joeshel). Dieselben sind 712 J- i^rederic. gewöhnlich nur schwach entwickelt. Von Meckel wird auch hervor- gehoben, dass zuweilen stärkere Verbindungsäste zwischen den oberen und unteren Luftröhrenastschlagadern bestehen (wie auch im obigen Fall). In seltenen Fällen kommen die Bronchialarterien anstatt von der Aorta descendens von der Unterseite des Aortenbogens. Die Aa. bron- chiales aus der A. subclavia oder der A. mammaria interna oder auch aus der Aorta ascendens sind als Reste der ursprünglich symme- trischen Aeste der beiderseitigen aufsteigenden Aorten anzusehen. So geben bei den Amphibien die beiden Aortenbögen (vor deren Vereinigung) neben der Armpulsader zugleich Aeste zur Speiseröhre ab (Meckel). Maugaes berichtet über eine interessante Varietät der Bronchial- arterie: eine Arteria bronchialis, welche dicht über der A. coeliaca von der Bauchaorta entspringt. Ein ähnlicher Fall wird von Hey- felder beschrieben. Bei den Reptilien ist dieses das normale Ver- halten (Cuvier). (Aus Varietäten des Aortensystems bei Henle-Krause.) Die Aa. oesophageae entspringen direkt von der Aorta, aus dem vorderen Umfange derselben, von den Aa. bronchiales oder von den Intercostalgefässen. Ihre Zahl schwankt nach Theile zwischen 5 und 7, ich fand in den untersuchten Fällen meistens nur 3 — 4 Speise- röhrenarterien. Kleine Aeste der Aorta zum Bindegewebe etc. des Mittelfellraums (Aa. mediastinales posteriores) habe ich in keinem Falle gefunden. Zum Schlüsse erfülle ich die angenehme Pflicht, meinem hochver- ehrten Lehrer Herrn Prof. Dr. Schwalbe für die Ueberlassung dieser Arbeit meinen innigsten Dank auszusprechen. Die Figuren sind sämmtlich etwas schematisch gezeichnet, indes ist hauptsächlich auf den Abgang eines jeden Astes geachtet. Die horizontalen Linien auf dem Stamm der Aorta be- zeichnen die Ebene, in welcher an der Hinterfläche die Inter- costal und Lumbalarterienpaare abgehen. So bedeutet J XII, L I oder L II (siehe nebenstehende Figur), dass in gleicher Ebene an der Hinterfläche der Aorta die Aa. intercostales XII, lumbales I, lumbales II abgehen etc. Die Umgebung der Aorta, Nieren, Nebennieren, der Hiatus aorti- cus, Ureter, sind nur leicht skizzirt. Zur besseren Uebersicht wurden die Figuren am Schluss der Arbeit zusammengestellt. .ÄL Figuren. Figur I. 75jähriger Mann; Aorta abdominalis, Ansicht von vorne. V3 natür- licher Grösse. Die horizontalen Striche auf dem Stamm der Aorta mit der Bezeich- nung L I, L II etc. bezeichnen die Ebene, wo an der Hinterfläche das erste, zweite etc. Lumbalarterienpaar entspringen. c = A. coeliaca. WS = A. mesenterica superior. mi = A. mesenterica inferior. ph = A. phrenica. sudi = A. suprarenalis dextra inferior. susm = A. suprarenalis sinistra media. Susi = A. suprarenalis sinistra inferior. r -= A, renalis. sp = A. spermatica interna. U = Ureter. UV = A. ureterica media ex. A. iliaca communi dextra. Es sind folgende kleine Aeste zum Bindegewebe vorhanden, die direkt aus der Aorta entstehen: A 8 1 1 und A 8 1 1 a entspringen beiderseits in gleicher Höhe, etwas oberhalb von der A. lumbalis III. A s t 2 und A s t 2 a dicht unter A s t 1 und Ast la; Ast 2 (rechts) ist länger, dicker; ist ziemlich weit zu verfolgen. Ast 3 und Ast 3a entspringen vom Anfangstheile der A. mesenterica inferior. Ast 3a geht zu der Lymphdrüse {l). Ast 4 entspringt von der Aorta, seitlich und unterhalb von der A. mesenterica inferior, und geht zur Lymphdrüse {l). Ast 5 ist der bedeutendste Ast der Aorta zum Bindegewebe. Er entspringt von der Mitte der Vorderseite, genau in der Höhe der A. lumbalis IV, mit kurzem dickem Stamm, spaltet sich alsbald in einen linken, rechten und medianen Ast. Dieser, die eigentliche Fortsetzung des Stammes, giebt noch einen Ast nach links ab, der vor (*) der A, mesenterica inferior verläuft, und endigt im Ansatz des Mesosigmoideum. Figur II. Aorta abdominalis vom Erwachsenen (Geschlecht und Alter un- bekannt). Ansicht von vorn, '/j natürliche Grösse. Die Aorta oberhalb der Bifur- cation abgeschnitten. c = A. coeliaca. ms = A. mesenterica superior. mi = A. mesenterica inferior. phd = A. phrenica dextra. phs = A. phrenica sinistra. sud = Aa. suprarenales dextrae. sus = Aa. suprarenales sinistrae. r = A. renalis. sp = A. spermatica interna. Die Aorta entsendet folgende Aeste zum Bindegewebe. Ast 1 entspringt in der Höhe der Art. lumbalis I, in gleicher Höhe wie die A. phrenica sinistra von der rechten Seitenfläche der Aorta. Ast 2 und Ast 2a entspringen beiderseits fast in gleicher Höhe, dicht unter- halb von den Aa. renales. Der obere Ast der A. renalis dextra giebt, zugleich mit der A. suprarenalis dextra einen kräftigen, sehr langen Ast nach rechts ab, der am oberen Ende der Niere entlang verlaufend, bis in die Nähe des Colon ascendens zieht. (Siehe Figur: Ast zum Colon ascendens.) Figur III. 14 Monate altes, männliches Kind. Aorta abdominalis, Ansicht von vorn, -/q natürliche Grösse. c — A. coeliaca. ms = A. mesenterica superior. mi = A. mesenterica inferior. hep = A. hepatica. phä = A. phrenica dextra. phs =^ A. phrenica sinistra. sp = A. spermatica interna. JJ = Ureter. suis = Aa. suprarenales dextrae sup. sudm = Aa. suprarenales dextrae med. stidi = Aa. suprarenales dextrae inf. süss = Aa. suprarenales sinistrae super. Susi = Aa. suprarenales sinistrae infer. r = A. renalis. ra = A. renalis aecessoria. nk = Ast zur Nierenkapsel. Die A. hepatica stammt aus der A. mesenterica superior. Man sieht folgende kleine Aeste der Aorta zum Bindegewebe verlaufen: Vordere Aeste: Ast 4 entspringt von der Vorderseite der Aorta, in der Mitte, unterhalb der A. lumbalis IV, nahe über der Bifurcation. Seitliche Aeste: Ast 1 entspringt von der rechten Seitenfläche der Aorta, unterhalb der A. lumbalis II, etwas höher wie die A. spermatica sinistra. Ast 2 entspringt dicht über der A. spermatica sinistra, von der linken Seiten- wand der Aorta. A s t 3 und A s t 3 a entspringen zu beiden Seiten der A. mesenterica inferior. Die A. iliaca communis sinistra giebt einen Ast zum Ureter ab. (.5), die A. iliaca communis dentra einen kleinen Ast zu einem Nerv. (Ast 6.) flficjs Figur. IV. 5 monatliches, männliches Kind. Aorta abdominales, von vorn. -js natürliche Grösse. c = A. coeliaca. ra =^ A. renalis accessoria. ms = A. mesenterica superior. r2J = A. renalis principalis. mi = A. mesenterica inferior. sp = A. spermatica interna. phd = A. phrenica dextra. nk = Ast zum oberen !Nierenpol (zur phs = A: phrenica sinistra. Nierenkapsel). r ^ A, renalis. suds =^ Aa. suprarenales dextrae superiores. sndm =^ Aa. suprarenales dextrae mediae. siidi = Aa. suprarenales dextrae inferiores. süss = Aa. suprarenales sinistrae superiores. susm =^ Aa. suprarenales sinistrae mediae. SMS« = Aa. suprarenales sinistrae inferiores. Die A. renalis accessoria (ra) entspringt in der Höhe der A. lumbalis IV und zieht zum unteren Ende des Nierenhilus. Folgende kleine Aeste zum Bindegewebe sind vorhanden: Vordere Aeste. Ast 5 entspringt von der Vorderseite der Aorta, nahe unterhalb von der A. lumbalis IV. Seitliche Aeste. A s t 1 entspringt dicht unter der A. renalis sinistra von der linken Seitenwand der Aorta. Ast 2 entspringt nahe unterhalb der A. lumbalis II. genau der A. spermatica sinistra gegenüber. Ast 3 ein kleines Aestchen entspringt seitlich, in der Höhe der A. lumbalis III. Ast 4 entspringt dicht neben Ast 5, etwas rechts seitlich, nahe unterhalb der A. lumbalis IV. fil\r:V Figur V. Neugeborenes weibliches Kind; Aorta abdominalis, von vorn, natürliche Grrösse. r = A. renalis. ov = A. ovarica. nk = Ast zur Nierenkapsel. covs = Art. coronaria ventriculi sinistra. C = A. coeliaca. ms = A. mesenterica superior. mi = A. mesenterica inferior. phd = A. phrenica dentra. phs = A. phrenica sinistra. suds = Aa. suprarenales dextrae superiores. sudi = Aa. suprarenales dextrae inferiores. süss = Aa. suprarenales sinistrae superiores. susm = Aa. suprarenales sinistrae mediae. Susi = Aa. suprarenales sinistrae inferiores. Die A. coronaria ventriculi sinistra entsendet in diesem Falle einen Ramus hepaticus. Derselbe bildet die eigentliche Fortsetzung des Stammes, während die Magenkranzarterien als seitliche Aeste von diesem abgehen. Folgende Aeste werden von der Aorta abgegeben zum Bindegewebe: Vordere Aeste. Ast 6 entspringt von der Mitte der Vorderseite; verläuft im Bogen nach unten, giebt einen Ast nach links. Seitliche Aeste. Ast 1 entspringt genau in der Höhe der A. lumbalis II, gegenüber der A. ovarica sinistra. Ast 2 entspringt oberhalb von der A. lumbalis III, etwas höher wie die A. ovarica dextra. Ast 3 und 3a entspringen links und rechts zu beiden Seiten der A. mesen- terica inferior; Ast 3a etwas höher. Ast 4 entspringt rechts seitlich, unterhalb der A. lumbalis IV, in gleicher Höhe wie Ast 6. A s t 5 entspringt links seitlich, nahe unterhalb von der A. lumbalis IV. Figur VI. Neugeborenes, männliches Kind, Aorta abdominalis, Ansicht von natürliche Grösse. )• = A. renalis. sj) = A. spermatica interna. nk = Ast zum oberen Nierenpol. L = Lymphdrüse. C = A. coeliaca. ms = A. mesenterica superior. mi = A. mesenterica inferior. plul = A. phrenica dextra. pJis = A. phrenica sinistra. suds = Aa. suprarenales dextrae superiores. sudi = Aa. suprarenales dextrae inferiores. süss = Aa. suprarenales sinistrae superiores. sufii = Aa. suprarenales sinistrae inferiores. Folgende kleine Aeste werden von der Aorta abgegeben: Vordere Aeste. Ast 2 entspringt von der Mitte der Vorderseite, etwas oberhalb der A. lum- balis III, theilt sich in zwei Aeste, die zu Lymphdrüsen ziehen (L). Ast 5 entspringt von der Mitte der Vorderseite, unterhalb der A. lumbalis IV, geht direkt nach unten. Seitliche Aeste. Ast 1 links seitlich, dicht über der A. renalis sinistra. Ast 3 seitlich von Ast 2, gegenüber der A. spermatica dextra; geht zur Lymphdrüse L. Ast 4 und 4a entspringen zu beiden Seiten der A. mesenterica inferior, gehen zu Lymphdrüsen (L). Ast 6 entspringt nahe bei Ast 5, geht ebenfalls zu der gleichen (rechten) Lymphdrüse. Figur VII, todtgeborenes männliches Kind, Aorta abdominalis, von vorn, •^/s natürliche Grösse. C = A. coeliaca. ms = A. mesenterica superior. mi = A. mesenterica inferior. phd = A. phrenica dextra. phs = A, phrenica sinistra. r =: A. renalis. sp = A. spermatica interna. nk =^ Ast zum oberen Nierenpol. suds = Aa. suprarenales dextrae superiores. sudm = Aa. suprarenales dextrae mediae. sudi = Aa. suprarenales dextrae inferiores. süss = Aa. suprarenales sinistrae superiores. susm = Aa. suprarenales sinistrae mediae. SUSI = Aa. suprarenales sinistrae inferiores. Folgende kleine Aeste entspringen direkt aus der Aorta und gehen zum Bindegewebe : S eitliche Aeste. Ast 1 entspringt dicht über der A. spermatica dextra von der rechten Seiten- wand der Aorta, ist sehr dünn, ziemlich lang, verläuft parallel der A. spermatica dextra. Ast 2 und Ast 2a entspringen in der Höhe der A. lumbalis III von der Seitenwand, indessen etwas nach vorn. Ast 3 entspringt von der rechten Seitenwand in gleicher Höhe wie die A. mesenterica inferior. Ferner ist noch als auffallend zu bezeichnen, dass die linke Zwerchfellarterie phs) von der rechten Seitenwani der Aorta entspringt. Figur VIII. Fötus vom 6. — 7. Monat. Männlich (Maasse: Scheitel-Hacke 28,5 cm, Scheitel" Steiss 20,0 cm) Aorta abdominales von vorn; ^/g natürliche Grösse. C = A. coeliaca. r = A. renalis. ms = A. mesenterica superior. sp = A. spermatica interna. mi = A. mesenterica inferior. nh = Ast zur Nierenkapsel. 2)hd = A. phrenica dextra. phs = A. phrenica sinistra. = Aa. suprarenales dextrae superiores. = Aa. suprarenales dextrae mediae. sudi = Aa. suprarenales dextrae inferiores. süss = Aa. suprarenales sinistrae superiores. Susi = Aa. suprarenales sinistrae inferiores. Dieser Fall ist durch die besonders ausgeprägte Metamerie der vorderen Aeste ausgezeichnet. Die A. phrenica dextra entsendet einen kräftigen Ast zur Mitte und haupt- sächlich zur linken Hälfte des Zwerchfells (*). Folgende zwei kleine Aestchen zum Bindegewebe entspringen direkt von der Aorta. Ast 1 entspringt in der Mitte der Vorderseite genau in der Höhe der A. lumbalis II. Ast 2 entspringt in der Mitte der Vorderseite, genau in der Höhe der A. lumbalis IV. Figur IX. Fötus vom 6. — 7. Monat, weiblich. (Maasse: Scheitel-Hacke: = 31,0 cm, Scheitel-Steiss = 19,5 cm) Aorta abdominalis, von vorn. ^'3 natürliche Grösse. C = A. coeliaca. r = A. renalis. ms = A. mesenterica superior. ov = A. ovarica. mi = A. mesenterica inferior. phil = A. phrenica dextra. yhs = A. phrenica sinistra. suds = Aa. suprarenales dextrae superiores. sudi = Aa. suprarenales dextrae inferiores. süss = Aa. suprarenales sinistrae superiores. susM = Aa. suprarenales sinistrae mediae. SUSI = Aa. suprarenales sinistrae inferiores. Auf der rechten Seite sind zwei Aa. renales vorhanden, die gleiches Kaliber haben und dicht beieinander entspringen; die obere entsendet die A. suprarenalis dextra inferior. Die Aorta entsendet folgende Aeste zum Bindegewebe: Vordere Aeste. Ast 2 entspringt von der vorderen Mitte der Aorta, genau in der Höhe der A. lumbalis IV. Seitliche Aeste. A 8 1 1 entspringt von der linken Seitenfläche der Aorta, in der Mitte zwischen der A. lumbalis III und IV. Ast 3 entspringt rechts, seitlich von Ast 2. %.x. Figur X. Arteriae bronchiales accessoriae. 5 monatliches Kind, männlich (gleicher Fall wie in Figur IV) Aorta thoracica, von vorn. tr = Trachea. oe = Oesophagus. aod = Aorta descendens. cad = A. carotis dextra. cas = A. carotis sinistra. sud = A. subclavia dextra. sus = A. subclavia sinistra. an = A. anonyma. brss2) = A. bronchialis sinistra superior aus der Aorta. brad = A. bronchiales accessoria dextra. bras = A. bronchialis accessoria sinistra. r = rechter \ 7 _ linker / Endast der A. bronchialis accessoria sinistra. Fiir.XI Figur XI. Art. bronchialis accessoria sinistra. Gleicher Fall wie Figur X. Ansicht von hinten. Die Aorta ascendens ist etwas nach oben und links verschoben, vom linken Stammbronchus abgehoben, um den rechten Endast (r) der A. bron- chialis accessoria sinistra {hrsa) besser sichtbar zu machen. Ao = Aorta descendens. oe = Oesophagus. tr = Trachea. sus = A. subclavia sinistra. brssp = A. bronchialis sinistra superior aus der Aorta. brsa = A. bronchialis accessoria sinistra. r = rechter ^ l = linker ) Endast der A. bronchialis accessoria sinistra. Verzeichniss der benutzten Literatur. 1. Haller, Alb.: Icones anatomicae, 1756. 2. Sömmeeing: Vom Bau des menschlichen Körpers. Frankfurt a. M. 1791. 3. Sömmeeing-Theile : Lehre von den Muskeln und Gefässen des menschlichen Körpers. Leipzig 1841. 4. Lauth: Neues Handbuch der praktischen Anatomie. Wien 1836. 5. Meckel: Handbuch der menschlichen Anatomie. 6. Henle: Handbuch der Gefässlehre des Menschen. Braunschweig 1876. 7. Krause: Handbach der menschlichen Anatomie. Hannover 1879. 8. Luschka: Die Anatomie des Menschen, 9. Joessel: Lehrbuch der topographisch - chirurgischen Anatomie. Bonn 1884. 10. Gegenbaur: Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Leipzig 1892. 11. Sappey: Traite d'anatomie descriptive. Paris 1879. 12. Quain: Elements of Anatomy, tenth edition. London 1892. 13. Tiedemann, Friedr. Tabulae arteriarum corporis humani. Carls- ruhae. 1822. 14. Macalister: Multiple renal arteries. Journal of Anatomy XVII. 1 5.. Thompson, A. Multiple renal arteries. Journal of Anatomy XXV. 16. Hochstetter: Entwicklungsgeschichte des Gefässsystems, Ergeb- nisse der Anatomie und Entwicklungsgesch. Bd. I. 1891. 17. Derselbe: Ueber die ursprüngliche Hauptschlagader der hinteren Gliedmaasse des Menschen. Morph. Jahrbuch. Bd. XVI. 18. Derselbe, Beiträge zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Blutgefässsystems des Monotremen. Semon, Zoologische For- schungsreisen in Australien und dem Malayischen Archipel IL S. 191fr. 1896. 19. Mackay, Jule: On the arterial System of vertebrates. Memoirs and memoranda in Anatomy. Vol. I. ScIm-iilln'.HilVl' ■.xvn. X'araiius (|riHcus. fiy.;!' liiukenlicuLt li-i Schattt-n r.„ /'' ■>''' ruj. i'. I pidcnni'^ (f) l>'l CaliN (¥) lliu/icii/iaiil r-^i liiukcnlKUit 1^1 ^^' i / '/v Sclwtlcn ,.. f, S,'„„r '■'.'/ ■'i Itiulicnhaul S l'^l l\.l II Ittulu-nliaat o l^J (liisluvKisdiiT .\lor|ili Alb .^ Sdm-iill).'. liil.VlI. ir..v\iii. liiukcnJiaiU li> Fuf l-i'-' '■'■"''"^^Z Atfame inornüs. llÜl/iCIl/llllll I '¥) n,, I.-" '^SS' RüJiCidtaat l'¥) Kehle i 1+) Hit he i Efrciiumj J\\-!ile a liJ Kchlhaul i 1^) I-'ii) L*(f- Eri-tcjviKf h'c/tllianl i l'Jfii ,„»•=?»* ICc/iUiaul f i'¥i JS. %. lii/L"!. Iw/iUuuil o r^) Morph. Arb. iierausg vG.Sehwalbe Bd.VlI Flö. 5'. 96 Modell E Verlaj v. Gast» Fischer, Jciu. I Morph . Arb. herausg. v: Gr. Schwalbe Bd. VH Taf . XX. r-^^-^O O'a ^ ' ''- 11-, Fi^. S. Macropus rufüs. Fig. 9. Lepus cnmit^ulus. Verlag v. Gustav Fiscker, Jena. Lifcotrrjfr'^iie^TE.Sdiaal, Jena, ^ pq I .0 ■ ••'•.♦* / '°3;i",*»v i^ !S^^ CO o o X ^ Morph Aih.vrvjLj v ü Srhw.illiH liil VII hAnavftOiitsch, JeM Morph Arb i.-;M'Jsg V G Schwalbe Bd VII. ScMling gtz Verl V Gusta»risthcrJcna LiUi ÜnslvAGillsch, Jena Uni' ^"^^ Morphologische Arbeiten. Herausgegeben Dr. Gustav Sclnyalbe, JProfeesoT der Anatomie und Director des anatomischeu Instituts an der Universität zu Strassburg i El«. SIEBENTER BAND. Erstes Heft. Inhalt: Melinert, Die Kainogenese. — Schmidt, Ueber normale Hyperthelie menschlicher Embi'yonen und über die erste Anlage der menschlichen Milch- drüsen überhaupt. — Heidenhain, Ueber die Mikrocentren in den Geweben des Vogelembryos, insbesondere über die Cylinderzellen und ihr Verhältniss zum Spannungsgesetz. — Heidenhain, Ueber die Mikrocentren mehrkerniger Riesenzellen, sowie über die Centralkörperfrage im Allgemeinen. Mit 5 Tafeln und 45 Figuren im Text. Jena, Verlaj^ von Oustav Fischer. 1897. Verlag- von Gustaif Fischen in Jena. Vom nächsten Jahre an werden erscheinen: Jahresberichte der Anatomie undEntwicklimgs- g'P^r*llir*lli"P ^^ Verbindung mit zahlreichen Mitarbeitern herausgeg-eben üoLHlLllt". Yon Dr, G. Schwalbe, o. Professor der Anatomie und J-)irektor des anatomischen Instituts der Universität Strassburg i. E. Die früher von Herrn Prof. Schwalbe in Verbindung mit Herrn Prof. Her- mann herausgegebenen „Jahresberichte derAnatomie undPhysiologie" haben mit dem XX. Bande (Literatur 1891 1 aufgehört zu erscheinen. Indessen trat das Bedürfniss nach einem möglichst vollständigen Jahresberichte über die morphologischen Wissenschaften immer mehr hervor, und in den 4 Jahren seit dem Aufhören obiger Jahresberichte ist Herrn Prof. Schwalbe immer wieder das Er- suchen ausgesprochen worden, er möge die Jahresberichte von neuem erscheinen lassen. Derselbe hat sich nunmehr entschlossen, dem so dringend kundgegebenen Wunsche Rechnung zu tragen, und so sollen die „Jahresberichte der Ana- tomie und Entwickelungsgeschichte" von nun an wieder regelmässig herausgegeben werden. Der Band, welcher die Literatur des Jahres 1896 umfassen wird, soll im Herbst 1897 zur Ausgabe gelangen. Um aber dem Literaturbedürfnisse für die aus- gefallenen Jahre 1892—95 zu genügen, soll als erster Band der neuen Folge der Jahresberichte ein, diese Jahre umfassendes Literaturverzeichniss in der Anordnung der bisherigen Jahresberichte, aber nach den einzelnen Jahren geordnet, baldmög- lichst herausgegeben werden; dieser Band befindet sich bereits in Vorbereitung. Die Anordnung der „Neuen Folge" der Jahresberichte wird im wesentlichen diejenige der früheren Jahrgänge sein. Die Herren Referenten werden auf dem Titel des Bandes und am Kopfe der von ihnen bearbeiteten Abschnitte -namhaft gemacht werden. Die „Neue Folge" des alten Unternehmens ist eine direkte Fortsetzung des in zwanzig Bänden erschienenen früheren Werkes, belebt und verjüngt durch die freundliche Mitwirkung vieler neuer Kräfte, getragen vom (reiste der Wissenschaft- lichkeit und Unparteilichkeit. Alle Autoren auf dem Gebiete der morphologischen Wissenschaften werden gebeten, Exemplare ihrer Originalarbeiten stets sofort nach dem Erscheinen an den Herausgeber, Herrn Prof. Dr. Ct. Schwalbe, Strassburg, Artilleriewallstrasse 2- gelangen zu lassen. Nachdem die Verhandlungen mit den Herren Mitarbeitern für die einzelnen Kapitel der neuen „Jahresberichte über die Furtschritte der Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte" nunmehr zum Abschluss gelangt sind, ist der Stoff in folgender Weise an die Herren Referenten vertheilt worden: I. ^ Allgemeine Anatomie. I. Lehrbücher u. Angemeines, II. Technik, Dr. Boehm in München. III. Zelle und Zelltheilung, Dr. Hans Rabl in Wien; Botanische Literatur der ZeHe, Prof. Dr. E. Zacha- rias in Hamburg. IV. Blut u. Lymphe; Blutbildung, Dr. Alb recht in Halle. V. Epithel, VL Bindegewebe, VIL Knorpelgewebe, VIII. Knochengewebe, Verknöcherung, Prof. Dr. Schaff er in Wien. IX. Muskelgewebe, X. Nervengewebe, Prof. Dr. Schief ferdecker in Bonn; Nervenendigungen, Allgemeines, Prof. Dr. W. Krause Berlin. XI. Blut- gefässe, XII. Lymphgefässc, Lymphdrüsen, Prof. Dr. Hoyer in Krakau. II. Specielle Anatomie u. Entwickelungsgeschichte d.Menschen u.d. Wirbelthiere. I. Lehrbücher, Atlanten, II. Technik, Methoden, III. Allgemeines, Topographie, Prof. Dr. Pfitzner in Strassburg. IV. Skeletsystem : A. Kopfskelet, Dr. Gaupp in Freiburg; B, Wirbelsäure, Thorax, Dr. Thilenius in Strassburg; C. Extremitäten, Dr. Mo liier in München ; Paläontologisches, Dr. Thilenius in Strassburg. V. Muskelsystem, Prof. Dr. v. B a r d e - leben in Jena. VI. Gefässsystem : A.Blutgefässe, Herz, Pericardium, Arterien, Venen, Prof. Dr. Eisler in Halle; B. Lymphgefässe, C. Milz, Prof. Dr. Hoyer in Krakau. VII. Darm- system; A. Darmkanal, Prof. Dr. Oppel in München; B. Zähne, Prof. Dr. Kükenthal in Jena; C. Drüsen im Allgemeinen, Drüsennerven, Speicheldrüsen, Prof. Stöhr in Zürich; D. Pancreas. Dr. Benno Schmidt in Strassburg ; E. Coelom, Peritoneum, Pleurae ; F. Thy- reoidea, Thymus; G. Respirationsorgane, Prof. Dr. Ho II in Graz. VIII. Urogenitalsystem; A. Allgemeines, Harnorgane ; B. Nebennieren ; C. Männliche Geschlechtsorgane incl. Spermato- genese, Dr. Eggeling in Zürich; D. Weibliche Geschlechtsorgane, Dr. Ziegenhagen in Berlin; E. Entwickelungsgeschichte des Urogenitalsystems, Prof. Dr. Felix in Zürich. IX. Nervensystem : A. Gehirn und Rückenmark : Makroskopische Anatomie, Prof. Dr. Ziehen in Jena; Mikroskopische Anatomie, Faserung, Prof. Dr. Obersteiner in Wien; B. Cere- brospinalnerven ; C. Sympathicus, Prof. Dr. Sander in Königsberg. X. Integument (Haut, Haare, Federn, Nägel, Drüsen der Haut, Mammarorgane, Tastorgane), Prof. Dr. Keibel in Freiburg. XI. Sinnesorgane: A.Allgemeines, Geruch, Geschmack, Prof. Dr. W. Krause in Fortsetzung auf Seite 3. Golgi Verlag von Gustav Fischer in Jena. Berlin; R. Sehorgan, Prof. Dr. H. Virchow in Berlin; C. Gehörorgan, Prof. Dr. Zucker- kand! in Wien. XII. Physische Anthropologie, Prof. Dr. E. Schmidt in Leipzig. III. Allgemeine Entwlckelungsgeschichte. I. Fortpflanzung im Allgemeinen; II. Vorentwickelung : A.Spermatogenese s. Männliche Geschlechtsorgane; B. Eireifung und Befruchtung, Prof. Fick in Leipzig. III. Heredität, Variabilität, Bastardiruug, allgemeine Dcscendenzlehrc, Dr. Mehnert in Strassburg. IV. Re- generation und Involution, Dr. Thilenius in Strassburg. V. Entwickelungsmechanik, VI. Älissbildungen, Prof. Dr. Enders in Halle. IV. Allgemeine EntAvickelungsgeschichte der Wirbelthiere. I. Lehrbücher, II. Allgemeine und specielle Phylogenie der Wirbelthiere, III. Amphi- oxus, IV. Cyclostomen, V. Selachier, VI. Teleosticr, VII. Ganoiden, VIII. Dipneusten, IX. Am- phibien, X. Keptilicn, XI. Vögel, XII. Säugethicre, Dr. Kopsch in Berlin und Dr. Meh- nert in Strassburg. XIII. Mensch, XIV. Eihäute, Placentation, Prof. Dr. Graf Spee in Kiel. XV. Zusammenfassendes über allgemeine Entwickclung der Wirbelthiere, Dr. K o p s c h in Berlin. Register, Dr. Bauer in Strassburg. Referent für skandinavische Literatur Prof. Dr. Fürst in Lund, für italienische Literatur Prof. Dr. Romiti in Pisa. Referenten für russische und polnische Literatur Proff. DDr. II eye r in Warschau und Krakau. Referent für unga- rische Literatur Dr. Telesn icky in Budapest. Event, vorbehalten Referenten für spanische, italienisclie, amerikanische Literatur. T)poT»r] »lohn, D. Sc, University Leclurer in coraparative Embryology and in UüdiU; vertebrate Zooiogy in Edinburgh. On certajn Problems of Ver- tebrate Embryology. i896. Preis: 2 Mark! Camillo, Professor der allgemeinen Pathologie und Histologie an der l Königi. Universität Pavia. Untersuchungen über den feineren Bau des centralen und peripherischen Nervensystems. Aus dem Italienischen übersetzt von Dr. K. Teuscher in Jena. Mit einem Atlas von 30 Tafeln und 2 Figuren im Text. 1893. Preis: 50 Mark. (tVOOS ^'^^^f !*'''•» I'fofessor an der Universität in Giessen. Die Spiele der -^ Thiere. 1896. Preis: 6 Mark. Handbiioli der Anatomie des Menselien '". J^*^* Banden. In Verbindung mit weil. Prof. Dr. A. von Brunn in Rostock, Prof. Dr. J. Disse in Marburg, Prof. Dr. El)erth in Halle, Prof. Dr. Eisler in Halle, Prof. Dr. Fick in Leipzig, Prosektor Dr. M. Heidenhain in Würzburg, Prof. Dr. F. Höchste tter in Innsbruck, Prof. Dr. M. HoU in Graz, Prof. Dr. Kuhnt in Königsberg, Privatdozent Dr. Mehnert in Strass- burg, Prof. Dr. F. Merkel in Göttingen, Professor Dr. Nagel in Berlin, Prof. Dr. Pfitzner in Strassburg, Prof. Dr. Puschmann in Wien, Prof. Dr. G. Schwalbe in Strassburg, Prof. Dr. Siebenmann in Basel, Prof. Dr. F. Graf Spee in Kiel, Prof. Dr. C. Toi dt in Wien, Prof. Dr. Zander in Königsberg, Prof. Dr. Ziehen in Jena, Prof. Dr. Zucker kandl in Wien herausgegeben von Prof. Dr. Karl von Bardeleben in Jena. Lieferung 1: Skeletlehre. Abteilung I. Allgeraeines. Wirbelsäule. Thorax. Von Professor Dr. J. Disse in Marburg. Mit 69 Abbildungen (Originalholzschnitten) im Text. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes : 3 Mark, Einzelpreis : 4 Mark. Lieferung 2: Harn- und Geschlechtsorgane. Abteilung L Die weib- lichen Geschlechtsorgane. Von Dr. W. Nagel, Professor an der Uni- versität in Berlin. Mit 70 teilweise farbigen Originalholzschnitten. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes: 5,50 Mark, Einzelpreis: 7 Mark. Soeben erschien: Lieferung 3: Skeletlehre. Abteilung I. Kopf. Von Prof. Dr. Graf Spee in Kiel. Mit 102 teilweise farbigen Originalholzschnitten im Text. 1896. Preis für Abnehmer des ganzes Werkes 9 Mark, Einzelpreis 11 Mark 50 Pf. TXpiT|-|-| /-v-|-| Q Dr. Richard, Privatdozent u. Assistent am Zoologischen Institut IXUjmUllC», der Königi. Universität in Berlin. Qie Embryonalentwicke- iung von Dermapteren und Orthopteren unter besonderer Berücksich- tigun^ der Keiniblütterbildung monographisch bearbeitet. Mit 12 litho- graphischen Tafeln und 33 Abbildungen im Text. 1895. Preis : 30 Mark. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Zoologische Jahrbücher, Z:^!tZ Z^ ' mu^Zj für Anatomie und Ontogenie der Thiere. Neunter Baud. Erstes Heft. Mit 16 Tafelu und 36 Abbildungen im Text. 1895. Preis: 24 Mark. Inhalt: Will, Ludwig, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Rep- tilien. — Zernecke, Ernst, Untersuchungen über den feineren Bau der Cestoden. — Plate, Ludwig H., Bemerkungen über die Phj'logenie und die Entstehung der Asymmetrie der Mollusken. — Fuhrmann, Otto, Die Tänien der Amphibien. Zweites Heft. Mit 13 Tafeln u. 4 Abbildungen im Text. 1896. Preis: 17 Mark. Inhalt: Cohn, Ludw., Ueber Myxosporidien von Esox lucius und Perca fliiviatilis, — "Wilder, Harris H., The Amphibian larynx. — Beard. John, The History of a Transient Nervous Apparatur in certain Ichthyopaida. Drittes Heft. Mit 13 Tafeln. 1896. Preis: 15 Mark. Inhalt: Kosenstadt, B., Untersuchungen über die Organisation und post- embryonale Entwicklung von Lucifer reynaudii ]\I.-Edw. — Stafford, Joseph, Anatomical structure of Aspidogaster conchicola. — Freidenfeldt, T., Unter- suchungen zur Neurologie der Acephalen. 1. Ueber das Nervensystem des Mantels von Mactra elliptica Brown. — Coe, W. R., Notizen über den Bau des Embryos von Distomum hepaticum. Viertes Heft. Mit 7 Tafeln u. 42 Abbildungen im Text. 1896. Preis: 12 Mk. 50 Pf, Inhalt: Schneider, Karl Camillo, Mittheilungen über Siphonophoren. JI. Grundriss der Organisation der Siphonophoren. - Markert.F., Die Flossen- stacheln von Acanthias. Ein Beitrag zur Kenntniss der Hartsubstanzgebilde der Elasmobranchier. Nagel Dr. Wilibald, Privatdocent der Physiologie nn der Universität Frei- 2 bürg i. Br., Der Lichtsinn augenloser Thiere. Eine biologische Studie. 1896. Preis: Mk. 2,40. Dr. Albert, Prof. a. d. Universität Freiburg i. Br., LehrbuCh der 0l}P6l -ü- — ^ vergleichenden mikroskopischen Anatomie. Erster Teil. Der Magen. Mit 5 Uthogr. Tafein und 375 Al)bildungen. 1896. Preis: 14 Mark. Inhalt: Einleitung. Bauplan des Wirbelthiermagens. Der Magensaft. Fische. Am- phibien. Beptilien. Vögel. Säuger. Thiertabelle. Literaturverzeichniss. Register. Vergleichung des Entwicklungsgrades der Organe zu verschiedenen Entwicklungszeiten bei Wirbelthieren. 1891. Preis; 7 Mark. TJpf/inS Prof- ^r- fiMstav, Biologische Untersuchungen. Neue Folge. ■HütAlUO) ^,jj^ Ba,nd, Mit 15 Tafeln. Prris: a4 Mark. Inhalt: 1. Ueber ein dem Saccus vasculosus entspreoheudes Webilde am Grehirn des Menschen und anderer Säugethiere. Tafel I. 2. Zur Kenntniss des Gehirnganglions und des sensiblen Nervensystems der Polychäten. Tafel II. u. 111. 3. Das sensible Nervensystem der Crustaceen. Tafel IV -VI. 4. Ueber die Hypo« physis von Myxine. Tafel VII, Fig. 1 u. 2. 5. Ueber den Bau des sog. Parietal- auges von Amraocoetes. Tafel VII, Fig. 8 — 5. 6. lieber das hintere Ende des Rückenmarkes bei Amphioxus, Myxine und Petromyzon. Tafel VIII u. IX. 7. Ueber den Bau des Rückenmarkes der Selachier. Tafel X— XII. 8. Ueber einige normal durch Ankylose verschwindende Kapselgelenke zwisohrn den Bogen der Sacral- wirbel. Tafel XIII. 9. Ueber Molluscum contasriosura. Tafel XIV. 10. Ueber die Vererbung erworbener Eigenschaften. Tafel XV. Um den Käufern dieses Bandes die Anschaffung der vorhergehenden Bände zu er- leichtern, ist der Preis derselben auf 120 Mark ermässigt worden. XinilTIPVni^lllI ^^' '^•' P''of®88or an der Universität Berlin, Morpho- 1 logie und Physiologie des pflanzlichen Zellkerns. Eine kritische Literaturstudie. Mit 84 Abbildungen im Text. 1896. Preis: 5 Mark. Lippert & Co. (G. Pätz'sche Bnchdr.). Naumburg a. ,S. Morphologische Arbeiten. Herausgegeben Dr. Gustav Scli-ssralbe, ProfeseoT der Anatomie und Sirector des anatomischen Instituts an der Universität zu Strassburg i/Els. SIEBENTER BAND. Zweites Heft. Inhalt: Heidenhain, Neue Erläuterungen zum Spannungsgesetz der centrirten Systeme. — Dauen, Ueber eine rudimentäre Drüse beim weiblichen Triton. — Bartholdy, Die Arterien der Nerven. — Pfitzner, Ein Fall von Verdoppe- lung des Zeigefingers. — Pfitzner, Ein Beitrag zur Kenntniss der secun- dären Geschlechtsunterschiede beim Menschen. Mit 11 Tafeln und 44 Figuren im Text. Jena, "Verlag von Gustav Fischer. 1897. Verlag von Gustav Fischer in Jena. T^P'IVfl John, D. Sc, University Lecturer in comparative Erabryology and -Uüai u. vertebraie Zooiogy in Edinburgh. On certajn Problems of Ver- tebrate Embryologie. 1896. Preis: 2 i^iark. Handbuch der Anatomie des Mensclien L". i^^^ Banden. In Verbindung mit weil. Prof. Dr. A. von Brunn in Rostock, Prof. Dr. J. Disse in Marburg, Prof. Dr. Eberth in Halle, Prof. Dr. Eisler iu Halle, Prof. Dr. F ick. in Leipzig, Prosektor Dr. M. Heidenhain in Würzburg, Prof. Dr. F. Hochstetter in Innsbruck, Prof. Dr. M. Ho 11 in Graz, Prof. Dr. Kuhnt in Königsberg, Privatdozent Dr. Mehnert in Strass- burg, Prof. Dr. F. Merkel in Göttingen, Professor Dr. Nagel in Berlin, Prof. Dr. Pfitzner in Strassburg, Prof. Dr. Puschmann in Wien, Prof. Dr. G. Schwalbe in Strassburg, Prof. Dr. Siebenmann in Basel, Prof. Dr. F. Graf Spee in Kiel, Prof. Dr. C. Toi dt in Wien, Prof. Dr. Zander in Königsberg, Prof. Dr. Ziehen in Jena, Prof. Dr. Zuckerkandl in Wien, herausgegeben von Prof. Dr. Karl von Bardeleben in Jena. Lieferung 1: Skeletlehre. Abteilung I. Allgemeines. Wirbelsäule. Thorax. Von Professur Dr. J. Disse in Marburg. Mit 69 Abbildungen (Originalholzschnitten) im Text. 1896. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes: 3 Mark, Einzelpreis: 4 Mark. Lieferung 2: Harn- und GeSCHIecHtSOrgane. Abteilung L Die weib- lichen Geschlechtsorgane. Von Dr. W. Nagel , Professor an der Uni- versität in Berlin. Mit 70 teilweise farbigen Originalholzschnitten. 1896. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes: 5,50 Mark, Einzelpreis: 7 Mark. Lieferung 3: Skeletlehre. Abteilung IL Kopf. Von Prof. Dr. F. Graf Spee in Kiel. 31it 102 teilweise farbigen Original holzschnitten im Text. 1896. Preis für Abnehmer des ganzes Werkes 9 Mark, Einzelpreis 11 Mark 50 Pf. Zoologische Jahrbücher, spengli Z oLseu. Abtheiiung für Anatomie und Ontogenie der Thiere. Neunter Band. Erstes Heft. Mit 16 Tafeln und 36 Abbildungen im Text. 1895. Preis : 24 Mark. Inhalt: Will, Ludwig, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Kep- tilien. — Zernecke, Ernst, Untersuchungen über den feineren Bau der Cestoden. — Plate, Ludwig H., Bemerkungen über die Phylogenie und die Entstehung der Asymmetrie der Mollusken. — Fuhrmann, Otto, Die Tänien der Amphibien. Zweites Heft. Mit 13 Tafeln u. 4 Abbildungen im Text. 1896. Preis: 17 Mark. Inhalt: Cohn, Ludw., Ueber Myxosporidien von Esox lucius und Perca fluviatilis. — AVilder, Harris H., The Amphibian larynx. — Beard, John, The History of a Transient Nervous Apparatus in certain Ichthyopsida. Drittes Heft. Mit 13 Tafeln. 1896. Preis: 15 3Iark. Inhalt: Kosenstadt, B., Untersuchungen über die Organisation und post- embryonale Entwicklung von Lucifer reynaudii M.-Edw. — Stafford, Joseph, Anatomical structure of Aspidogaster conchicola. — Freidenf eldt, T., Unter- suchungen zur Neurologie der Acephalen. 1. Ueber das Nervensystem des Mantels von Mactra elliptica Brown. — Coe, W. R., Notizen über den Bau des Embryos von Distomum hepaticum. Viertes Heft. Mit 7 Tafeln u. 42 Abbildungen im Text. 1896. Preis: 12 Mk. 50 Pf. Inhalt: Schneider, Karl Camillo, Mittheilungen über Siphonophoren, IL Grundriss der Organisation der Siphonophoren. — Markert,F., Die Flossen- stacheln von Acanthias. Ein Beitrag zur Kenntniss der Hartsubstanzgebilde der Elasmobranchier. Zehnter Band. Erstes Heft. Mit 12 Tafeln und 24 Abbildungen im Text. 1897. Preis: 16 Mark. Inhalt: Montgomery, Thos. H., On the Connective Tissues and Body Cavities of the Nemerteans, with Notes on Classification. — Sabussow, Hip- polyt, Turbellarien-Studien. 1. Ueber den Bau der männlichen Geschlechts- organe von Stenostoma leucops O. Schm. — Kathariner, Ludwig, Ueber Bildung und Ersatz der Giftzähne bei Giftschlangen. — Milan i, A, , Beiträge zur Kenntniss der Reptilienlunge. II. Theil. Verlag- von Gustav Fischer in Jena. Oppel Soeben erschien: IVfpllllPl'f ^^' ^^^^^^ Privatdozent an der Universität Strassburg i. E., iTltJlllllJi l , KainogenesiS als Ausdruck (lifferenter phylogenetischer Energien. Mit 21 Textabbildungen und 3 Tafeln. Sonder-Abdruck aus den „Morphologischen Arbeiten", herausgegeben von Dr. Gustav Schwralbe. 1897. Preis: 10 Mark. Dr. Albert, Prof. a. d. Universität Freiburg i. Br., LehrbUCh der - vergleichenden mikroskopischen Anatomie. Erster Teil. Der Magen. Mit 5 nthogr. Tafein und 375 Abbildungen. 1896. Preis: 14 Mark. Inhalt: Einleitung. — Bauplan desWirbeltiermagens: Das Magenepithel. Die Magendrüsen. Der Magensaft. Tunica propria der Mucosa. Submucosa. Muscularis mucosae. Muscularis. Pylorusmuskulatur. Nerven. — Fische: Magen- drüsen. Oberflächenepithel. Physiologisches. Muskelschichten. Muscularis mucosae. Lymphgewebe. Amphioxus lanceolatus. Cyclostomen. Selachii. Granoiden. Teleostier. Dipnoer. — Amphibien : Grenzen des Magens. Epithel. Magendrüsen. Fundus- drüsenzone. Pylorusdrüsen. Muskulatur. Muscularis mucosae. Urodelen. Anuren. Keptilien: Saurier. Ophidier. Chelonier. Krokodile. — Vögel: Drüsenmagen. Muskelmagen. Hornschicht des Muskelmagens. Drüsen des Muskelmagens. Inter- mediäre Zone. Pförtnermagen. Ratitae. Natatores. Grallatores. Gallinacei, Rasores. Columbinae. Scansores. Passeres, ßaptatores. — Säuger : Eintheilung des Säuger- magens. Epithel. Epithel des Hauptmagens (Drüsenraagens). Epithel des Schlund- theils des Magens. Die Magendrüsen. Fundusdrüsen (Haupt- und Belegzellen). Vorkommen von Belegzellen im Drüsenausgang. Voi'kommen von Bauptzellen im Drüsenhals Exzentrische Lage der Belegzellen. Feinerer Bau der Beleg- und Hauptzelle. Mehrkernige Belegzellen. Länge der Fundusdrüsen. Bildung der Haupt- und Belegzellen, Umwandlung der beiden Zellarten ineinander. Ergebnisse der Untersuchung der Magendrüsen nach der Golgi'schen Silbermethode. Cardia- drüsenregion. Pylorusdrüsen. Intermediäre Zone. Nussbaum'sche und Stöhr'sche Zellen. — Magendrüsen der Säugetiere. Physiologischer Theil. Säure des Magen- saftes. Pepsin. Neuere physiologisch - mikroskopische Untersuchungen über die Bildung des Magensaftes; a) Fundusdrüsenregion, b) Pylorusdrüsenregion. Ent- wickelung der Magendrüsen. Schlauchmembran der Labdrüsen (Membrana propria) Eberle's Häutchen. Submucosa. Blutgefässe. Bindegewebe, Lymphgewebe, Lymph- follikel der Mucosa und Submucosa. Muskelschichten. Nerven. Monotremata (Kloakenthiere). Marsupialia (ßeutelthiere). Edentaten. Cetacea (Walfische). Denitceten. Mysticeten. Perissodactyla. Artiodactyla. Bunodonta. Ruminantia (Wiederkäuer), Selenodonta. Sirenen (Seekühe). Proboscidea. Laranungia. Rodentia, Glires (Nagethiere). Carnivora, Ferae (Raubthiere). Pinnipedia. Insec- tivora. Chiroptera (Fledermäuse). Prosimiae. Primates. Mensch. — Thiertabelle : a) In systematischer Reihenfolge, b) In alphabetischer Reihenfolge. — Litteratur- verzeichniss. — Register. Vergleichung des Entwicklungsgrades der Organe zu verschiedenen Entwicklungszeiten bei Wirbelthiereu. 1891. Preis: 7 Mark. TSft/illS ^™^- ^^- ^"s*af. Biologische Untersuchungen. Neue Folge. ' VII. Band. Mit 15 Tafeln. Preis: 24 Mark. Inhalt: 1. Ueber ein dem Saccus vasculosus entsprechendes Gebilde am Gehirn des Menschen und anderer Säugethiere. Tafel I. 2. Zur Kenntniss des Gehimganglions und des sensiblen Nervensystems der Polychäten. Tafel II. u. III. 3. Das sensible Nervensystem der Crustaceen. Tafel IV — VI. 4. Ueber die Hypo- physis von Myxine. Tafel VII, Fig. 1 u. 2. 5. Ueber den Bau des sog. Parietal- auges von Ammocoetes. Tafel VII, Fig. 3 — 5. 6. Ueber das hintere Ende des Rückenmarkes bei Amphioxus, Myxine und Petromyzon. Tafel VIII u. IX. 7. Ueber den Bau des Rückenmarkes der Selachier. Tafel X — XII. 8. Ueber einige normal durch Ankylose verschwindende Kapselgelenke zwischen den Bogen der Sacral- wirbel. Tafel XIII. 9. Ueber Molluscum contagiosum. Tafel XIV. 10. Ueber die Vererbung erworbener Eigenschaften. Tafel XV. Um den Käufern dieses Bandes die Anschaffung der vorhergehenden Bände zu er* leichtern, ist der Preis derselben auf 120 Mark erm&ssigt worden. Soeben erschien: ßotziUS ^^' ^"*'**^> Professor in Stockholm. DaS Menschenhim. Studien ' in der makroskopischen Morphologie. Mit einem Atlas von 96 Tafeln in Lichtdruck und Lithographie. 1897. Preis: 100 Mark. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Vom Jahre 1897 an werden erscheinen: Jahresberichte für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. In Verbindung mit zahh^eiclien Mitarbeitern herausgegeben von Dr. G. Schwalbe, 0. Professor der Anatomie und Direktor des anatomischen Instituts der Universität Strassburg i. E. Die früher von Herrn Prof. Schwalbe in Verbindung mit Herrn Prof. Hermann herausgegebenen „Jahresberichte der Anatomie und Physio- logie" haben mit dem XX. Bande (Litteratur 1891) aufgehört zu erscheinen. Indessen trat das Bedürfniss nach einem möglichst vollständigen Jahresberichte über die morphologischen Wissenschaften immer mehr hervor, und in den 4 Jahren seit dem Aufhören obiger Jahresberichte ist Herrn Prof. Schwalbe immer wieder das Ersuchen ausgesprochen worden, er möge die Jahresberichte von neuem er- scheinen lassen. Derselbe hat sich nunmehr entschlossen, dem so dringend kund- gegebenen Wunsche Rechnung zu tragen, und so sollen die „Jahresberichte der Anatomie und Entwicklungsgeschichte" von nun an wieder regel- mässig herausgegeben werden. Der Band, welcher die Litteratur des Jahres 1896 umfassen wird, soll im Herbst 1897 zur Ausgabe gelangen. Um aber dem Litteraturbedürfnisse für die ausgefallenen Jahre 1892—95 zu genügen, soll als erster Band der neuen Folge der Jahresberichte ein, diese Jahre umfassendes, Litteraturverzeichniss in der An- ordnung der bisherigen Jahresberichte, aber nach den einzelnen Jahren geordnet, baldmöglichst herausgegeben werden; dieser Band wird bereits Anfang April erscheinen. Die Anordnung der „Neuen Folge" der Jahresberichte wird im wesentlichen diejenige der früheren Jahrgänge sein. Die Herren Referenten werden auf dem Titel des Bandes und am Kopfe der von ihnen bearbeiteten Abschnitte namhaft gemacht werden. Die „Neue Folge" des alten Unternehmens ist eine direkte Fortsetzung des in zwanzig Bänden erschienenen früheren Werkes, belebt und verjüngt durch die freundliche Mitwirkung vieler neuer Kräfte, getragen vom Geiste der Wissen- schaftlichkeit und Unparteilichkeit. Alle Autoren auf dem Gebiete der morphologischen Wissenschaften werden gebeten, Exemplare ihrer Qriginalarbeiten stets sofort nach dem Erscheinen an den Herausgeber, Herrn Prof. Dr. G. Schwalbe, Strassburg, Artilleriewall- strasse 2. gelangen zu lassen. Nähere Mitteilungen über den Zeitpunkt des Erscheinens, über Umfang und Preis werden später veröffentlicht werden. Jena, Ende Juli 1896. Die Verlagsbuchhandlung Gustav Fischer. Druck von Lippert & Co. (G. PäU'ache Buchdr.), Naumburg a/S. Morphologische Arbeiten, Herausgegeben Dr. Gustav Sclnzvalbe, Prf.fessoT der Anatomie und Pirector des anaton)ir,ehcn InntitutB an der Universität zu Strassburg i/Els. SIEBENTER BAND. Drittes Heft. Inhalt: Thilenius, Der Farbenwechsel von Varanus griseus, Uromastix acanthi- nurus und Agame inermis. — Friedmann, Beiträge zur Zahnentwicklung der Knochenfische. — Miincli, lieber die Entwicklung des Knorpels des äusseren Ohres. — Weber, Zur Entwickelungsgeschichte des uropoeti- schen Apparates bei Säugern mit besonderer Berücksichtigung des Aus- bildungsgrades der Urniere zur Zeit des Auftretens der bleibenden Niere. — Frederic, Beitrag zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Aeste der Aorta descendens beim Menschen. Mit 7 Tafeln und 13 Figuren im Text. Jena, Voi'lajr \oii Gustav Fitsohei^ 1897. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Handbuch der Anatomie des Menschen '". f '^^ . Banden. In Verbindung- ijiit weil. Prof. Dr. A. von lirunn in Rostock, Prof. Dr. J. Disse in Marburg, Prof. Dr. E))erth in Halle, Prof. Ür. Eisler in Halle, Prof. Dr. Fick in Leipzig, Prosektor Dr. M. Heidenhain in Würzburg, Prof. Dr. F. Hoclistetter in Innsbruck, Prof. Dr. M. HoU in Graz, Prof. Dr. Kallius in Göttingen, Prof. Dr. Kuhnt in Königs1)erg, Privatdozent Dr. Mehnert in Strassburg, Prof.Dr. F.Merkel in Göttingen, Privatdozent Dr. Nagel in lierlin, Prof. Dr. Pfitzner in Strassburg, Prof. Dr. G. Schwalbe in Strassburg, Prof. Dr. Sieben mann in Basel, Prof. Dr. F. Graf Spee in Kiel, Prof. Dr. C. Toi dt in Wien, Prof. Dr. Zander in Königsberg, Prof. Dr. Ziehen in Jena, Prof. Dr. Zuckerkand 1 in Wien, herausgegeben von Prof. Dr. Karl von Bardeleben in Jena. Lieferung 1 : Band I : Ske[etl[ehre. Abteilungl. Allgemeines. Wirbelsäule. Thorax. Von Professor Dr. J. Disse in Marburg. Mit 69 Abbildungen (Originalholzschnitten) im Text. 1896. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes : 3 Mark, Einzelpreis: 4 Mark. Lieferung2: Band VII: Harn- Und GeSClllechtSOrgane. Abteilung I. Die weiblichen Geschlechtsorgane. Von Dr. W. Nagel, Professor an der Uni- versität in Berlin. Mit 70 teilweise farbigen Originalholzschnitten. 189H. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes: .5,50 Mark, Einzelpreis: 7 Mark. Lieferung 3: Band I: Skeletlehre. Abteilung II. Kopf. Von Prof. Dr. F. Graf Sjiee in Kiel. Mit 102 teilweise farbigen Originalholzschnitten im Text. 1896, Preis iür Abnehmer des ganzes Werkes 9 Mark, Einzelpreis: 11 Älark .50 Pf. Lieferung 4: Band VII: Harn- Und GeSChlechJSOrgane. Abteilung II. 2. Teil. Die Mnskeln und Fascien des Beckenausganj;es. (Mänulichei- und weib- licher Damm.) Von Professor Dr. M. Roll in (iraz. Slit 34 Origrinal-Abbil- (lungen im Text. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes: 3 Mark 60 Pf. Einzelpreis: 5 Mark. Lieferung 5: Band V: SinneSOrgane. Abteilung I. Haut (Integunientum commune). Von weil. Prof, Dr. A. von IJrunn in Rostock. Mit 117 teilweise farbigen Original-Abbildungen im Text. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes 4 Mark. Einzelpreis: 5 Mark. Wiener Jledizinische Wochenschrift Xu. ü, 1S'.I7 : Mit dem Ersclieiuen des eben genannten Werkes wird ein Platz ausgefüllt , dessen Leersein sich gewiss Vielen fühlbar gemacht hat. Die Anatomie hat weitaus mehr als andere Zweige der medizinischen Wissenschaft durch den Ansbau der Kntwickkuigsgeschichte und vor allem der vergleichenden Anatomie Timgestaltungen sowohl in der direkten Anschauungsweise als im Verständnis ihrer Formen erfahren. Diese zu verfolgen, kann wohl nur dem einzelnen Fachmanue möglicli sein, wälirend die letzten .T.ihre kein Werk gebracht haben, welches sich zur Aufgabe gemacht hätte, die Resultate vergleichender Forschung im Bereiclie der einzelnen Organe, die oft so überraschendes Licht über bisher rein als Thatsache hingenommene Er- scheinungen ausbreitet, in kompendiöserer, dem Arzte gewissermaseen in bequemer Form vor- zuführen. Diese Lücke auszufüllen, hat sich eine Keihe ausgezeichneter Fachgelelu-ter ver- einigt. In geteiltem Gebiete wird mit Benützung der gesamten Litteratur alles Wissenswerte mit besonderem Hervorheben der Entwicklung der Organe, der Physiologie und allgemeinen Medizin in ihren Beziehungen zu ersterer zur Darstellung gebracht. In acht Bänden werden Skelet, Muskeln, Gefässe, Nervensystem, Sinnesorgane, Darmsystem, Harn- und Geschlechts- organe und endlich allgemeine Anatomie, sowie Gescliichte und Litteratur abgehandelt werden. Eine grosse Anzahl von Holzschnitten, zum Teile in Farben, wird dazu dienen, den Text zu erläutern. Zum Teile werden auch Autotypien zur Verwendung gelangen. Ausserdem wird bereits die neue Nomenklatur der anatomischen Gesellschaft zu Grunde gelegt werden. Der Umfang des Werkes, das bei gleichzeitigem Erscheinen ^•erschiedener Bände in einzelnen Heften bis Ende 1899 vollständig in den Händen der Subskribenten sein soll, ist auf '250 Bogen berechnet. Der Preis wird dabei 125 Mark nicht übersteigen. Was die technische Ausführung anbelangt, bürgt der Name der weltbekannten Verlagsbuchhandlung dafür, dass sie dem Zwecke und der Bedeutung eines derartigen Werkes vollkommen ebenbürtig sein wird. An Verbreitung wird es diesem Werke, das an Vollständigkeit nichts zu wünschen übrig lassen wird, nicht fehlen. lüne wesentliche Erleichterung schallt die Verl.igsbandlung dadurch, dass sie jedes Heft einzeln käuflicli macht. Ludwig Spitzer. üppel Verlag von Gustav Fischer in Jena. ITlllfli'l^'m'l"'/ '^* ^V'^'i®l'**> Prosektor an dem Karolinischeii Institut zu iiuiiAiaiiiZi Stockholm, Das EHenbogengelenk und seine Mechanik. Eine anatomische Studie. Mit 21 Texttiguren u. 4 Tafeln. 1897. Preis: 7 Mark- Normeiitafeln zur Eiitwickelimgsgeschielite der ^Y^-J 1 jl^ /^l 4-l-| -i r^-ij/i ^^^ erbinduno^ mit Dr. X a e s t n e r-Leipzig, Dr. K o p s c h- }} 11 Ut^illllt^lt;. Berlin, Dr. Mehnert-Strassburg i. Eis./ Prof. Dr. C. S. Mi HO t- Boston, U.b.A., Prof. Dr. Nicolas-Nancy. Prof. Dr. Hei chard-Ana Arhor, Dr. S chape r-Boston,U. S. A., Prof Dr.Semon, Dr. Sobotta-Wür/.- burg, Prof. Wh itman- Chicago herausgegeben von Prof. Dr. F. Keibel, Frei- burg i.Br. [. Keibel, Prof. Dr. F., Freiburg i. Br., Normeiitafeln zur Ent- wicklungsgeschichte des Schweines (Sus scrofa doniesticus). Preis : 20 Mark. Dr. Albert, Prof. a. d. Universität Freiburg i. Br., Lehrbuch der - vergieichenden mikroskopischen Anatomie. Erster Teil : Der Magen. Mit 287 Abbildungen im Text u. 5 lithogr. Tafeln. 189(i. Preis : 14 Mark. Berliner Klinische Wochenschrift No. 8, IS'Jl : Das vorliegende Werk, die Frucht jahrelanger und emsigster Arbeit, ist zweifelsohne eine ganz hervorragende Leistung auf dem Gebiete der vergleichenden Anatomie , wie eine solche unseres Wissens in gleicher Ausführlichkeit nicht existiert und seit dem bekannten I.elirbuche von Franz Leydig auch nicht versucht worden ist. Aber das letztere ist au Um- tang und Vertiefung gar nicht mit dem Oppel'schen Werke zu vergleichen, und es wird der Lebensarbeit eifrigsten Schadens bedürfen, um das letztere zu Ende zu bringen. Denn der vorliegende umfängliche L Band beschäftigt sich nur mit einem einzigen Organ, dem Magen, es bleibt also noch genug für eine stattliche Folge weiterer Piiblicationen übrig. Verf. verfolgt die Entwickeluug und Gestaltung des Magens, nachdem er zunächst in eingehendster Weise den Bauplan des Wirbelticrmagens erörtert, durcli die gesamte Wirbeltier- reihe, wobei dann die Litteratur in ausgiebigster AVeise berücksichtigt und durc;h eigene Untersuclumgen des Verf. ergänzt wird. Soweit es das vorhandene Material zulässt, wird auch überall gleichzeitig mit dem anatomischen das physiologische Verlialten erörtert. Zahlreiche ausgezeichnete Abbildungen sind als Holzschnitte und lithogr. Tafeln dem Werke beigegeben. Es ist hier nicht der Ort und aucli nicht unseres Amtes, auf die speziell anatomische Leistung des Verf. einzugehen. Darüber möge sich der Leser in den Fachzeitschriften ein Urteil suchen. Aber das darf anstandslos gesagt werden, dass das Oppel'sclie Werk eine Leistung wissenschaftlichen Fleisses und wissenschaftlicher Gründlichkeit ist, wie sie hervor- ragender kaum gedacht werden kann, und dass der Leser vielfältige Belehrung und Anregung daraus schöpfen wird. Ewald. Ende November erscheint: Zweiter Teil: Schlund und Darm. Mit 343 Textabbildungen u. 4 lithogr. Tafeln. 1897. Preis: etwa üO Mark. Vergleichung des Entwicklungsgrades der Organe zu verschiedenen Entwicklungszeiten bei Wirbeltieren. 1891. Preis: 7 3iark. Tvf^fyillS ^^'°^- ^r. Gustaf, Biologische Untersuchungen. Neue Folge ^ ' yil. Band. Mit 15 Tafeln. Preis: 24 Mark. Inhalt: 1. Ueber ein dem Saccus vasculosus entsprechendes Gebilde am (jehirn des Menschen und anderer Sängethiere. Tafel I. 2. Zur Kenntniss des Gehirnganglions und des sensiblen Nervensystems der Polychäten. Tafel II. u. III. 3. Das sensible Nervensystem der Crustaceeu. Tafel IV — VI. 4. Ueber die Hypo- l)hysis von I\Iyxine. Tafel VII, Fig. 1 u. 2. 5. Ueber den Bau des sog. Parietal- auges von Aminocoetes. Tafel VII , Fig. 3- — 5. (3. Ueber das hintere Ende des Rückenmarkes bei Amphioxus, Myxine und Petromyzon. Tafel VllI u. JX. 7. Ueber ., Prof. Dr. Pfitzner in Strassburg, Dr. Hans RabI in Wien, Prof. Dr. ßoniiti in Pisa, Prof. Dr. Schaffer in Wien, Prof. Dr. Schiefferdecker in Bonn, Prof. Dr. E. Schmidt in Leipzig, Dr. M, B. Schmidt in Strassburg, Prof. Dr. Graf Spee in Kiel, Prof. Dr. Stöhr in Zürich, Dr. Telesnicky in Budapest, Dr. Thilenius in Strassburg, Prof. Dr. H. Virchow in Berlin, Prof. Dr. E. Zacharias in Ham- burg, Prof. Dr. Zander in Königsberg, Dr. Ziegenhagen in Berlin, Prof. Dr. Ziehen in Jena, Prot. Dr. Zuckerkandl in Wien herausgegeben von Dr. G. Schwalbe, 0. ö. Professor dfiv Aiiatoiiiie uiul Diroktoi' des aiiatüiiiisclinn Instituts der Universität Striis.sliin-R i. E. N«ue Folge. Erster Band : Litteratur-Verzeichnis für die Jahre 1892. 189:], 1894, 1895 bearbeitet von Dr. Konrad Bauer in .Stvassbuig. Preis: Iß Mark. Litteratur -Verzeichnis für das .lahr 189(5 liefindet sicli unter der Presse. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sclie Kuchdr.), Naumlnirg a/S. MBL WHOI Librarv - Serials 5 WHSE 00699