FORAIHE PEOPLE FOR EDVCATION FOR SCIENCE LIBRARY OF THE a MUSEUM NATU RAL HISTORY MORPHOLOGISCHES JAHRBUCH. | u: GA EINE ZEITSCHRIFT ANATOMIE UND ENTWICKELUNGSGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON CARL GEGENBAUR, PROFESSOR IN HEIDELBERG. ZEHNTER BAND. MIT 29 TAFELN UND 20 FIGUREN IM TEXT. LEIPZIG, VERLAG VON WILHELM ENGELMANN. 1885. f o ir Ee zen 2, 3 7 gr eg Inhalt des zehnten Bandes, Erstes Heft. / Seite „/ Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. Das Cranium der Characiniden nebst allgemeinen Bemerkungen über die mit einem Weber’schen Apparat versehenen Physostomenfamilien. Von M. Sage- men eit Tas. I u: sowie 1 Holzschn.) *. . 3° . za ge 1 Zur Organisation der Echinorhynchen. Von A.Saefftigen. (Mit Taf. III—V.) 120 Über die Verwandtschaftsbeziehungen der Onchidien. Von R. B ergh. (Mit ee nn len ee ee Supe eae ce 172 Kleinere Mittheilungen: Bemerkungen über die Polydactylie des Pferdes. Von J.E.V.Boas . . 182 Besprechung: A. A. Carlier, Anatomie philosophique Bog 0. FUSE Rae eae, tls eke 185 Zweites Heft. ’ Uber die Pharyngealtaschen der Scarinen und das »Wiederkäuen« dieser Fische. Von M. Sagemehl. (Mit 1 Holzschmi) "iste. mene. . - 193 Erythropsis agilis. Eine neue Protozoe. Von R. Hertwig. (Mit Taf. VI.) 204 Über Zelltheilung. Von C. Rabl. (Mit Taf. VIL-XIH und 5 Holzschn.) 214 Besprechung: L. Testut, Les anomalies musculaires chez !’homme .......... 331 Drittes Heft. EMER ON (rye sr MENEBE EVEN So) oe ian Vet glee xe es Ww FE a 337 / x das Vorkommen spindeliger Körper im Dotter junger Froscheier. Von Untersuchungen über Pori abdominales. Von H. Ayers. (Mit Taf. XV.) 344 Beiträge zur Kenntnis des Gastropodenauges. Von C. Hilger. Mit Taf. ee ce Se ee 351 Nachschrift zu vorstehender Arbeit. Von 0. Biitschli......... 372 Dy SE ee ES MRR te ww Pr MAT a. Bp WR 4 See oe IV 7 Seite Studien über die Entwicklung des Medullarstranges bei Knochenfischen, nebst Beobachtungen über die erste Anlage der Keimblätter und der Chorda bei Salmoniden. VonN.Goronowitsch. (Mit Taf. XVIII—-XXL) 376 Dinosaurier und Vögel. Eine Erwiederung an Herrn Prof. W. Dames in Berlin, Von G. Barmen ee er een A 446 Über das Centrale carpi der Säugethiere. Von G. Baur ........ 455 Zur Morphologie des Tarsus der Säugethiere. Von G. Baur. ...... 458 Bemerkungen über die Abdominalporen der Fische. Von C. Gegenbaur 462 Viertes Heft. Zur Morphologie des Nagels. Von C. Gegenbaur. (Mit 8 Holzschn.). . 465 Über direkte Kerntheilung in der Embryonalhülle der Skorpione. Von Fo. blotuimann. (Mit, Tar. ZUM.) 2.0.2, „0. 0 0 een 480 Zur Herleitung des Nervensystems der Nematoden. Von O. Biitschli. Aa ae. KOR) a EEE 486 Studien zur Entwicklungsgeschichte des Coeloms und des Coelomepithels der Amphibien. Von B.Solger. (Mit Taf. XXIV u. XXV.) ... . 494 Einige Bemerkungen iiber gewisse Organisationsverhiltnisse der sog. Cilio- flagellaten und der Noctiluca. Mit einem Beitrag von E. Askenasy. Von O. Biitschli. (Mit Taf. XXVI—-XXVII u. 4 Figuren im Text.) 529 Das Foramen Magendii und die Offnungen an den Recessus laterales des IV: Ventrikels. Von C. Hess. (Mit Taf. XXIX.) +... 7 zen 578 Entgegnung an Herrn Dr. Baur. Von W.Dames............ 603 Bemerkungen über das Becken der Vögel und Dinosaurier. Von G. Baur 613 Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. Von M. Sagemehl. III. Das Cranium der Characiniden nebst allgemeinen Bemerkungen über die mit einem Weber’schen Apparat versehenen Physostomenfamilien. Mit Tafel I und II, so wie einem Holzschnitt. Einleitung. Bei der Untersuchung des Schädels einer größeren Anzahl von Physostomenfamilien bin ich zu dem, allerdings durchaus nicht über- raschenden, Resultate gelangt, dass die bekannten vier, mit einem Wepser’schen Apparat versehenen Teleostierfamilien, nämlich die Welse, Gymnotiden, Characiniden und Cyprinoiden eine höchst natürliche, gut begrenzte Gruppe des großen Teleostierstammes wilden. An der Wurzel des letzteren schließt sich diese Gruppe an niedriger stehende Formen, denen unter den jetzt lebenden Amia am nächsten steht, innig an; nach oben läuft sie in mehrere divergirende Äste aus, die mit einander in näherem Zusammenhange stehen, jedoch gegenüber den übrigen Teleostierfamilien, und namentlich auch gegenüber den übrigen Physostomen, ganz selbständig dastehen. Da die Verwandtschaft dieser vier Familien bis jetzt nicht erkannt, oder zum mindesten nicht genügend betont worden ist, so bedarf es, bevor wir an die specielle Beschreibung des Schädels der Chara- einiden schreiten können, einer ausführlicheren Motivirung für die hier vertretene Anschauung. Was könnte es auf den ersten Blick Verschiedeneres geben, als Morpholog. Jahrbuch. 10. 1 2 M. Sagemehl etwa die Siluroiden und die Gymnotiden?! Die gepanzerten Gattungen der Welse erinnern in so auffallender Weise an gewisse Panzerganoi- den, dass diese — wie ich glaube — bloß äußerliche Ähnlichkeit von hervorragenden Morphologen zur Begründung eines wirklichen genetischen Zusammenhanges benutzt worden ist, während die Gym- notiden bis in die neueste Zeit unbedenklich als die nächsten Ver- wandten der Aale betrachtet werden. Auf der anderen Seite scheinen die Cyprinoiden und die Characiniden mit den vorigen beiden Fami- lien in gar keinem engeren Zusammenhange zu stehen, so wie sie auch unter sich, nach der Ansicht eines der hervorragendsten unter den jetzt lebenden Ichthyologen, nach GÜNTHER !, nicht näher ver- wandt sein sollen. Wenn ich nun auf Grund von anatomischen Untersuchungen, die auf eine größere Anzahl von Repräsentanten dieser vier Fami- lien ausgedehnt werden konnten, zu entgegengesetzten Resultaten gekommen bin, so entspricht das so wenig den gewöhnlichen Anschau- ungen über die Verwandtschaftsverhältnisse der Teleostier, dass ich mich, um gegen den Vorwurf der übereilten Schlussfolgerung ge- sichert zu sein, ausführlich rechtfertigen muss. In den nachfolgenden Seiten soll der Nachweis versucht werden, dass die unterscheidenden Merkmale zwischen den Repräsentanten der uns interessirenden Familien nicht genügen, um deren Verwandt- schaft zu widerlegen und sie im System von einander zu entfernen, und dass andererseits die Übereinstimmungen derartige sind, dass sie nicht durch bloße Anpassung an gleiche Lebensbedingungen erklärt werden können, vielmehr mit Nothwendigkeit zur Annahme eines genetischen Zusammenhanges zwischen diesen Familien führen müssen. Der wesentlichste und schwerwiegendste Unterschied zwischen den vier mit einem WEBERr’schen Apparat versehenen Physostomenfami- lien liegt zweifellos in der Verschiedenheit der Hautbedeckungen. Während die Characiniden, die Cyprinoiden und die Gymnotiden, mit Ausnahme weniger ganz nackter Gattungen, Cycloid- oder in seltenen Fällen Ctenoidschuppen?2 besitzen, lassen sich die Bedeckungen der Welse nur von Placoidschuppen ableiten. Die Welse besitzen bekanntlich in sehr zahlreichen Fällen Knochentafeln, welche den 1 A. GÜNTHER, Introduction to the study of Fishes. Edinbourgh 1880. pag. 606. 2 Einige Arten der Characinidengattung Curimatus (vgl. JOH. MÜLLER, Über den Bau und die Grenzen der Ganoiden, |. c. pag. 162,) sodann die Gat- tungen Xiphostoma und Distichodus. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 3: Kopf bedecken und die sich in selteneren Fallen auch auf den Rumpf erstrecken können. Diese Knochentafeln sind, wie O. Herr- wıg ! auf das Überzeugendste nachgewiesen hat, durch Verschmelzung von Hautzähnchen entstanden zu denken. Wie ich bemerken will, _ist die Haut der eines Panzers entbehrenden Siluroiden ebenfalls nur selten ganz glatt, vielmehr zeigt sie in den meisten Fällen weiche Zotten, die bisweilen so dicht zusammenstehen können, dass die Haut eine sammetartige Beschaffenheit erhält (Malapterurus); es scheint mir durchaus nicht unwahrscheinlich zu sein, dass diese Zotten reducirte und nicht mehr verkalkende Hautzähne vorstellen. Diese auffallende Verschiedenheit in den Hautbedeckungen der Siluroiden und der übrigen drei uns beschäftigenden Physostomenfami- lien würde ganz entschieden als gewichtiges Argument gegen eine nähere Verwandtschaft derselben verwerthet werden können, wenn es sich nachweisen ließe, dass die Grenze zwischen Hautzähnen auf der einen und Cyeloid- resp. Ctenoidschuppen auf der anderen Seite eine scharfe sei und dass die Bildung von Cycloid- resp. Ctenoid- schuppen nur einmal in der Reihe der Fische stattgefunden habe, so dass sämmtliche mit dieser höher differenzirten Schuppenform ver- sehenen Fische monophyletischen Ursprungs sind. Beide Voraussetzungen lassen sich leicht widerlegen. Schon der Umstand, dass die Dipnoer? mit Cycloidschuppen be- deckt sind, lässt die Annahme einer einmaligen Entstehung dieser Schuppen ganz unwahrscheinlich erscheinen. Wir müssten denn zu- geben, dass die Dipnoer mit der größten Zahl der mit typischen Schuppen versehenen Teleostier in engerem Zusammenhang stehen, ‚als die letzteren mit den Siluroiden oder mit gewissen Cata- phracten ete., was einfach eine Absurdität wäre. Außerdem lässt es sich leicht nachweisen, dass in engeren, gut begrenzten Teleostierfamilien Gattungen mit typischen Schuppen und mit direkt von Hautzähnen ableitbaren äußeren Bedeckungen 10. Hertwic, Über das Hautskelet der Fische. Th. I. Siluroiden und Acipenseriden. Morphol. Jahrb. Bd. II. 1876. pag. 328. 2 Eine genaue Beschreibung der Schuppen von Protopterus hat WIEDERSHEIM (Archiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. XVI. 1880) gegeben. Der Umstand, dass die Oberfläche dieser Cycloidschuppen mit mikroskopischen in der Epidermis ver- steckten Hautzähnchen besetzt ist, ist allerdings sehr auffällig. und weist auf einen sehr niederen Zustand hin. Immerhin sind es typische Cycloidschup- pen, welche auch bei anderen Fischen, wie z. B. nach meinen Untersuchungen auch bei Osteoglossum, mit Hautzähnen besetzt sind. 1* 4 M. Sagemehl angetroffen werden. Ein gutes Beispiel bieten die Cottiden und die Cataphracten, deren nahe Verwandtschaft keinem Zweifel unterliegen kann. Und doch sind die ersteren mit typischen Ctenoidschuppen bedeckt, die nur längs der Seitenlinie bisweilen durch knöcherne Schilder ersetzt werden, während die Repräsentanten der Cata- phracten stets mit Panzern bedeckt werden, welche, wie O. HERT- wıG ! nachgewiesen hat, durch Vereinigung von Hautzähnen ent- standen sind. Einen parallelen Fall bietet Cyclopterus, dessen Haut Zähne führt und dessen nahe Verwandtschaft mit den gewöhnlich beschuppten Gobiiden nicht zu verkennen ist. Unter den Batrachiden besitzen einige Arten von Batrachus Ctenoidschuppen, während die nahe verwandten Pedieulati in zahlreichen Fällen typische Hautzähne in ihren Be- deekungen erkennen lassen. Etwas ganz Ähnliches finden wir auch in der sehr gut abgegrenzten Familie der Sclerodermen. Die Gattung Balistes besitzt Schuppen, die als eine Übergangsform zwischen zahn- tragenden Hautknochenplatten und zwischen wirklichen Ctenoid- schuppen aufgefasst werden können; bei Monacanthus? treffen wir sehr verschieden gebaute Hautzähne an, und Ostracion ist mit derben, wahrscheinlich aus verschmolzenen Hautzähnen entstandenen Knochen- platten bedeckt. Ein weiteres Beispiel treffen wir in der Familie der Beryciden. Während die meisten Gattungen mit Ctenoidschuppen bedeckt sind, besitzt Monocentris. eigenthümliche, stark verknöcherte Schuppen, welche den Schuppen von Ballistes. einigermaßen ähnlich sind und eine Mittelstellung zwischen Ctenoidschuppen und zahntragenden Kno- chenplatten einnehmen. Diese beliebig herausgegriffenen Beispiele, die man noch ver- mehren könnte, genügen wohl vollständig, um den vollgültigen Nach- weis zu liefern, dass diese Verschiedenheiten in den Körperbedeekungen nicht einmal hinreichen, um Gattungen zu verschiedenen Familien zu rechnen; um so viel weniger können sie für sich allein dienen, um die Nichtverwandtschaft zweier Familien im System zu begründen, wenn nicht andere Gründe für eine solche Entfernung vorhanden sind. Dasselbe gilt auch für die den Flossen entnommenen Merk- male. Eine Übereinstimmung im Bau der Flossen lässt in den Fällen, wo dieselbe nicht durch konvergente Entwicklung erklärt 10. Hertwic, Morphol. Jahrb. Bd, VII. 1881. pag. 19. 2 0. HERTWIG, J. e,, Morphol. Jahrb. Bd. VII. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 5 werden kann, den Schluss auf nahe Verwandtschaft zu; doch genügt eine bloße Verschiedenheit in den Flossen niemals, um den nega- tiven Schluss auf Nichtverwandtschaft zu ziehen. Namentlich gilt dieses von der zur Umgrenzung von Familien vielfach benutzten Fettflosse. Schon der Umstand, dass wir dieselbe in sehr scharf umgrenzten Familien, wie z. B. bei den Welsen, in allen Stadien der beginnenden Ausbildung, bis zur vollständigen Rückbildung an- treffen, muss zur Vorsicht mahnen. Die primitivste Form der unpaaren dorsalen Flosse bietet unter den Welsen die Gattung Heterobranchus!, welche eine kontinuirliche lange Dorsalis besitzt, die in ihrem vorderen Abschnitt knöcherne Strahlen führt und in ihrem hinteren Theil den Charakter einer Fett- flosse annimmt. In der Unterfamilie der Siluridae proteropterae? ist eine weitere Differenzirung erfolgt und es hat sich die eigentliche Dor- salis von einer gut entwickelten Fettflosse getrennt; und bei den Silur. heteropterae treffen wir beide dorsalen Flossen in allen Stadien der Rückbildung an, bis zum völligen Schwunde. Sehr eigenthümlich ist die außerordentlich entwickelte Analis der Gymnotiden, welche den ganzen Habitus dieser Fische bestimmt. Doch lässt sich der Beginn der bei Gymnotiden bis zum Excess ge- steigerten Verlängerung der Analis und die damit Hand in Hand gehende Wanderung des Afters nach vorn, auch bei Siluroiden beobachten. Die Gattungen Cryptopterus, Callichrous, Wallago, Schilbe u. a. m. bieten die schönsten Belege dafiir®. Gleichzeitig mit der Ausbildung der Analis beobachten wir bei diesen Gattungen - eine kompensatorische hochgradige Reduktion der unpaaren dorsalen Flossen; auch die paarigen Bauchflossen verkümmern allmählich, und die wenig entwickelte Schwanzflosse krümmt sich derartig nach unten, dass sie eine direkte Fortsetzung der Analis zu sein scheint. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass eine Weiterentwick- lung in dieser Richtung zu einem reinen Gymnotidenhabitus geführt haben würde. 1 Cf. eine Abbildung in Georrroy St. HıLAıRE, Description scientifique de l’Egypte. Histoire naturelle. Poissons, Atlas pl. 16 Fig. 2. 2 In der Nomenklatur und systematischen Eintheilung habe ich mich überall streng an GÜNTHER’s »Catalogue of Fishes in the collection of the British Mu- seum« gehalten. 3 Cf. Abbildungen in P. BLEEKER, Atlas Ichthyol. Silur. 4 Die eben beschriebenen korrelatiren Umbildungen: Die Verlängerung 6 M. Sagemehl Das Vorhandensein einer rudiméhtiren Caudalis und einer Fett- flosse bei der Gymnotidengattung Sternarchus weist ebenfalls darauf hin, dass diese Fische von Formen abstammen, die entwickelte und, was besonders wichtig ist, von einander getrennte unpaare Flossen besessen haben, von denen die hintere eine Fettflosse war. Letzte- rer Umstand ist von besonderer Bedeutung, weil er den Beweis liefert, dass die Vorfahren der Gymnotiden jedenfalls nicht unter den mit kontinuirlichem, in seiner ganzen Ausdehnung von knöcher- nen Strahlen gestützten Flossensaum versehenen Aalen gesucht wer- den dürfen. Wichtige unterscheidende Merkmale zwischen den Repräsentan- ten der uns interessirenden vier Familien werden im Bau der Kiefer angegeben. Der obere Rand der Mundspalte soll in der Familie der Siluroiden nur vom Zwischenkiefer begrenzt werden; das rudimen- täre Maxillare liegt über dem Mundwinkel und dient einer Bartel zur Stütze!. An der Begrenzung der Mundspalte der Cyprinoiden betheiligen sich ebenfalls nur die Zwischenkiefer, doch sind die Ober- kiefer gut entwickelt und hinter den ersteren parallel gelagert ?. Bei den Characiniden soll der obere Rand der Mundspalte medial vom Zwischenkiefer, lateral von den Maxillaria gebildet werden ®. Eben so sollen sich auch die Gymnotiden verhalten ®. der Analis, die Reduktion der unpaaren dorsalen Flossen und der Ventrales und die Verlagerung des Afters nach vorn, werden nicht nur in den Familien der Siluroiden und Gymnotiden, sondern auch bei anderen Süßwasserfischen beobachtet; nämlich bei der Characinidengattung Anacyrtus (cf. CuvIER et VALENCIENNES, 1. c. Atlas pl. 645) und — in besonders auffallender Weise — bei der eigenthümlichen Gattung Notopterus (CUVIER et VALENCIENNES |. c. Atlas pl. 613). Was die letztere Gattung betrifft, so könnte man, um die auffallende Ähnlichkeit mit gewissen Welsen zu erklären, an einen Fall von »Mimiery« denken. Der harmlose Notopterus hätte dann zum Schutz gegen Nachstellungen den Habitus der räuberischen und — was das Wichtigste ist — mit Sperrstacheln der Pectorales bewaffneten Welse angenommen. Für Ana- eyrtus trifft jedoch diese Erklärung nicht zu. Diese Gattung gehört der neo- tropischen Region an, während die Siluroiden , denen sie ähnlich sieht, in der orientalischen und zum geringeren Theile der äthiopischen Region zu Hause sind. Es bleibt, um diese Ähnlichkeit zu erklären, somit nichts Anderes übrig, als eine durch korrelative Abhängigkeit der einzelnen Theile komplicirte konver- gente Entwicklung anzunehmen. 1 GÜNTHER, Catalogue of Fishes in the British Museum. Vol. V. pag. 1. 2 GÜNTHER, |. c. Vol. VII. pag. 3. 3 GUNTHER, |. c. Vol. V. pag. 278 4 GÜNTHER, |. c. Vol. VII. pag. 1. Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 7 Dem gegeniiber muss ich konstatiren, dass diese Angaben nicht in ihrem vollen Umfange aufrecht erhalten werden können; dass vielmehr zwischen diesen scheinbar grundverschiedenen Bil- dungen vielfache Übergangsformen existiren, welche sie mit einan- der verknüpfen. Wir beginnen mit der Characinidengattung Tetragonopterus, welche die relativ primitivsten Verhältnisse zu bieten scheint. Der obere Rand der Mundspalte wird medial vom Intermaxillare, lateral vom Maxillare gebildet; das erstere trägt Zähne und auch das letz- tere besitzt rudimentäre Zahnbildungen, die sich entweder auf den ganzen Rand des Knochens erstrecken, oder, bei anderen Arten, auf dessen medialen ‘Abschnitt beschränkt sind. Ganz ähnlich ist auch der obere Kieferbogen vieler anderen Characiniden gebaut, mit dem einzigen Unterschiede, dass das Maxillare gewöhnlich vollkommen zahnlos ist. Ähnliche Verhältnisse weist auch die Gymnotidengat- tung Sternopygus auf; von ihr unterscheidet sich Gymnotus nur durch etwas geringere Ausbildung der Maxilla, die mehr nach dem Mund- winkel hin gerückt erscheint. Diese Verlagerung der Maxilla nach dem Mundwinkel hin ist bei der Gymnotidengattung Carapus und bei dem Characiniden Citharinus so weit fortgeschritten, dass man schon zweifelhaft sein kann, ob das Maxillare an der Begrenzung des oberen Mundspaltenrandes Theil nimmt oder nicht. Weiter in derselben Richtung entwickelt sind die Verhältnisse bei den Welsen, bei denen das rudimentäre Maxillare ganz im Mundwinkel liegt und deren stark entwickelter Zwischenkiefer für sich allein den oberen Rand der Mundspalte begrenzt; eine ähnliche Begrenzung der Mundspalte weist auch die Characinidengattung Ser- rasalmo auf!. In dieser Weise verhält sich die größte Mehrzahl der Welse; doch nicht alle. Callichthys z. B. macht eine bemerkenswerthe Aus- nahme. Bei dieser Gattung ist der Zwischenkiefer ganz redueirt und begrenzt die kleine Mundspalte nur medial; lateral wird die obere Begrenzung derselben von dem Maxillare gebildet, welches viel stärker entwickelt ist, als der Zwischenkiefer und einen medialen aufsteigenden Fortsatz besitzt. Ganz ähnlichen Verhältnissen begegnen wir bei dem Cyprinoi- den Catostomus; auch bei dieser Gattung nimmt nicht der Zwi- schenkiefer allein an der Begrenzung der Mundspalte Theil; nur ist 1 CUVIER et VALENCIENNES, I. c. Tome XXII. pag. 266. 8 M. Sagemehl der ganze Kieferapparat stärker entwickelt, als bei Callichthys. Die große Mehrzahl der Cyprinoiden endlich zeigt den oberen Rand der Mundspalte nur vom Zwischenkiefer begrenzt, hinter welchem das gut entwickelte Maxillare liegt, welches an der Begrenzung der Mundspalte gar keinen Theil mehr hat. Diese ganz willkürlich herausgegriffenen Beispiele, die unter einander selbstverständlich in gar keinem näheren Zusammenhange stehen, lehren wohl zur Genüge, dass der Bau des oberen Kiefer- bogens in jeder der uns interessirenden vier Familien kein konstan- ter ist, dass vielmehr in ein und derselben Familie nieht unbe- trächtliche Verschiedenheiten vorkommen können, und dass die extremen Bildungsverhältnisse im Kieferbau auf diese Weise durch Übergangs- formen verknüpft sind. | Das Letztere gilt auch von den dem Darmkanal entnommenen Merkmalen, namentlich von der An- oder Abwesenheit der Appendices pyloricae. Schon der eine Umstand, dass diese Appendices in der sehr gut begrenzten Familie der Clupeiden bald vorhanden sind und bald vollkommen fehlen, wie HyrrL! nachgewiesen hat, muss zur größ- ten Vorsicht bei der Verwerthung dieses Merkmals zur Beurtheilung von Verwandtschaftsverhältnissen mahnen. Auch bei Salmoniden treffen wir wechselnde Verhältnisse an. Während die meisten Gat- tungen Appendices pyloricae besitzen, fehlen die letzteren bei Mi- crostoma, die sonst, wie ich bestätigen kann, in allen anatomischen Verhältnissen, namentlich auch im Bau der bis jetzt, wie es scheint, noch nicht untersuchten weiblichen Geschlechtsorgane, ein echter Salmonide ist. : Das waren die hauptsächlichsten unterscheidenden Merkmale zwischen den uns beschäftigenden vier Physostomenfamilien; und ich glaube den vollgültigen Nachweis geliefert zu haben, dass die- selben nicht ausreichend sind, um diese Fische im System von ein- ander zu entfernen. Es bleibt mir nun die schwierigere, aber auch dankbarere Aufgabe den Nachweis der recht zahlreichen Übereinstim- mungen im Bau zu führen und den Beweis zu liefern, dass diese Übereinstimmungen nicht durch Anpassung entstanden sein können, sondern einzig und allein durch die Annahme einer gemeinsamen Abstammung der Siluroiden, Gymnotiden, Characiniden und Cypri- noiden zu erklären sind. ı S, Hyrtt, Uber die accessorischen Kiemenorgane der Clupeaceen etc. Denkschriften d. Wiener Akad. d. Wissensch. Bd. X. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 9 Vor Allem ist es die Existenz des WEBER'schen Gehör- knöchelapparates, die zweifellos auf eine nähere Zusammen- gehörigkeit dieser vier Familien hinweist!. Die Thatsache, dass diesen Fischen — wie es scheint ohne Ausnahme? — der von WEBER entdeckte und nach ihm benannte Apparat zukommt, ist schon seit lange bekannt; weniger bekannt ist es, dass dieser Apparat bei sämmtlichen Fischen, denen er zu- kommt, nach einem unveränderlichen Typus gebaut erscheint. Diese äußerst wichtige Thatsache ist bisher, meines Wissens, niemals nachdrücklich hervorgehoben worden, ja es ist sogar von hervor- 1 Nach dem Referate von Carus (Zoologischer Jahresbericht der Station zu Neapel für 1880 pag. 53) soll Francıs Day auch bei Gymnarchus den WEBERrR’schen Apparat gefunden haben. Es muss das entschieden ein Irrthum ‘Sein, da ich an einem sehr großen, gut konservirten Exemplar von Gymnarchus niloticus, den ich speciell auf diese Angabe hin untersuchte, nichts Derartiges firden konnte; eben so wenig wie früher ERDL und Andere, welche den Gym; narchus in Händen hatten. 2 Als Siluroiden, die keine Schwimmblase und folglich auch keiner WE- BER'schen Apparat besitzen, hat Jou. MÜLLER die Gattungen Cetopsis, Arges, Brontes, Loricaria, Rhinelepis, Hypostoma und Callichthys angeführt. Ein Gleiches hat VALENCIENNES (Hist. nat. des Poiss. T. XV. pag. 150—153, und T. XVIII pag. 491 und 503) für die Gattungen Hypophthalmus, Bagarius, Glypto- sternum, Trichomycteres und Eremophilus angegeben. Für die Panzerwelse hat zuerst REISSNER (MÜLLER's Archiv 1859 pag. 421) den Nachweis einer allerdings sehr verborgenen, von den erweiterten und mit dem Schädel ver- wachsenen Querfortsätzen der ersten Wirbel umschlossenen kleinen Schwimm- blase geführt; und da, wie GÜNTHER auf das Überzeugendste nachgewiesen hat (Catalogue of Fishes in the British Museum, T. V. pag. 221), die Gattungen Arges, Brontes und ihre Verwandten als ungepanzerte Panzerwelse aufzufassen sind, so scheint es mir höchst wahrscheinlich zu sein, dass denselben ebenfalls eine Schwimmblase zukommen wird. Auch Bagarius und Glyptosternum be- sitzen, wie F. Day angegeben hat (Proceedings of the zoolog. Society of Lon- don 1876. pag. 794) und wie ich bestätigen kann, eine von Knochen umschlos- sene Schwimmblase. Dasselbe gilt auch, wie ich gefunden habe, für Tricho- mycteres, und da Eremophilus dessen nächster Verwandter ist, auch wohl für den letzteren. Es bleiben somit nur die Gattungen Cetopsis und Hypophthal- mus übrig, die jedoch, wie aus dem Angeführten ersichtlich, noch einer gründ- lichen Revision bedürfen, bevor man ihnen definitiv eine Schwimmblase ab- sprechen darf. Unter den Cyprinoiden wird als eine Gattung ohne Schwimmblase ganz allgemein Homaloptera angegeben. Auch das ist nach meinen Untersuchungen nicht richtig. Homaloptera besitzt, eben so wie viele Cobitidinen, eine in einer Knochenkapsel eingeschlossene Schwimmblase, die zum größten Theil in dem Querfortsatze des zweiten Wirbels gelegen ist. 10 M. Sagemehl ragenden Forschern, wie z. B. von VALENCIENNES! die Verschieden- heit dieses Apparates in den verschiedenen Familien besonders betont worden. Auch JoH. MÜLLER ist von dem Vorwurf nicht ganz freizusprechen in seinen klassischen Arbeiten über die Anatomie der Fische mehr die Differenzen im Bau des Weser’schen Appara- tes hervorgehoben zu haben, als dessen typische Übereinstimmung. Er betrachtete die Organisationsverhältnisse eben mehr vom Stand- punkte des Physiologen als des Morphologen; und doch musste ihm der Gedanke nahe liegen, dass das Vorhandensein des WEBER’schen Apparates zur Begründung einer näheren Verwandtschaft zwischen scheinbar ganz entfernt stehenden Formen genüge, da er nur auf Grund der Existenz desselben die früher zu den Clupeiden gerech- neten Erythrininen mit einem Theil der Cuvirr’schen Salmoniden zur Familie der Characiniden vereinigte?. Bei einer solchen Auf- fassung der Verhältnisse ist es nur als eine Inkonsequenz zu bezeich- nen, wenn JOH. MÜLLER nicht auch alle mit diesem Apparat ver- sehenen Fische den übrigen Physostomen gegenüber, als eine sehr natürliche, enger begrenzte Gruppe zusammenfasste. Den Angaben von der typischen Differenz des WEBER’ schen Apparates bei den mit ihm ausgestatteten vier Familien muss ich auf Grund von ziemlich ausgedehnten Untersuchungen entschieden entgegentreten. In einer späteren, speciellen Arbeit hoffe ich meine Resultate in ausführlicher Weise darlegen zu können und will hier nur das Wesentlichste kurz hervorheben. Es sind stets die vier ersten Wirbel, die an der Bildung des WEBER’schen Apparates Theil nehmen. Der vorderste dieser Wirbel ist sehr redueirt; ein oberer Bogen fehlt ihm vollkommen, und dessen Stelle nehmen das sog. Claustrum und der Stapes ein, welche eine zwischen dem Occipi- tale laterale und dem oberen Bogen des zweiten Wirbels beste- ‚ hende Lücke ausfüllen. Das Hauptstück des Apparates, der Mal- leus, ist sehr verschieden gestaltet, doch besitzt er ohne Ausnahme Beziehungen zum Körper des dritten Wirbels, als dessen einer spe- ciellen Funktion angepasste Rippe er aller Wahrscheinlichkeit nach 1 CUVIER et VALENCIENNES, Histoire naturelle des poissons. Tome XIX. pag. 498: »C’est une organisation analogue, mais complétement differente dans les trois familles, que nous rappelons ici.« 2 Jon. MÜLLER, Über den Bau und die Grenzen der Ganoiden. Abhandl. der Berlin. Akad. d. Wissensch. a. d. Jahre 1844. pag. 178. Auf pag. 206 derselben klassischen Arbeit bezeichnet Jon. MÜLLER die Characiniden direkt als die nächsten Verwandten unserer Karpfen. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 11 betrachtet werden muss. Ganz konstant zieht ferner ein fibröses Band von dem vorderen Ende des Malleus zum Stapes, und in die- sem Bande ist der Umbo eingeschaltet. Die typische Übereinstim- mung erstreckt sich auch auf die Spinalnerven, welche zwischen diesen Stücken austreten. Diesen ganz konstanten Lagerungsverhältnissen gegenüber sind die, allerdings äußerst mannigfaltigen, Verschiedenheiten in der Ge- stalt der einzelnen Skeletstücke des Apparates irrelevant; nach Allem darf hier nicht mehr von einer »organisation analogue« gesprochen wer- den, sondern von einer vollständigen Homologie, die einzig und allein durch Ererbung dieses Apparates von einer den vier Physostomen- familien gemeinsamen Stammform erklärt werden kann. Wie groß wäre in der That die Wahrscheinlichkeit, dass ein so eigenartiger, einer ganz besonderen Funktion angepasster Apparat, zu dessen Zustandekommen eine ganz große Reihe von unabhängigen Momen- ten mitwirken musste, mehrere Mal in der Reihe der Fische ent- standen sei? Wenn wir nun gar sehen, dass es stets dieselben homologen Theile sind, welche denselben konstituiren, so muss diese Wahrscheinlichkeit unbedenklich gleich Null gesetzt, und zur Erklä- rung der Thatsache auf die gemeinsame Ererbung recurrirt werden. Entsprechend dem großen, leider zu wenig beobachteten Gesetze der Korrelation der Theile im Organismus, hat dieser eigenthümliche Apparat einen großen umgestaltenden Einfluss auch auf andere Or- gane ausgeübt. Vor Allem auf die beiden Organe, die er mit einan- der in Verbindung setzt: auf die Schwimmblase und das Gehörlabyrinth. Bei einer großen Zahl der zu den uns beschäftigenden Familien gehörigen Gattungen besteht die Schwimmblase aus zwei mit ein- ander durch einen engen Verbindungsgang in Kommunikation ste- henden Abtheilungen: aus einer größeren, wenig elastischen, hinteren, und einer kleineren, außerordentlich elastischen, vorderen. So ver- hält sich die größte Mehrzahl der Cyprinoiden, unter denen nur wenige, bei der speciellen Beschreibung dieser Famile zu berück- sichtigende Ausnahmen vorkommen; eben so alle bis’ jetzt auf die Sehwimmblase untersuchten Characiniden!. Ähnlichen Verhältnissen begegnen wir bei den Gymnotiden, nur dass die beiden Schwimm- blasen bei diesen Fischen mit einander nicht direkt kommuniciren, ! Reiches Detail darüber findet man in CuviER et VALENCIENNES, l. c. T. XIX u. XXII und in Jon. MÜLLEr’s, Bau und Grenzen der Ganoiden und in der Vergleichenden Anatomie der Myxinoiden. Theil III. 12 M. Sagemehl sondern durch lange, enge Kanäle mit dem gemeinsamen Ductus pneumaticus sich verbinden !. Eine solche Zweitheilung der Schwimm- blase soll auch bei einigen Welsen vorkommen (z. B. bei Auchen- aspis und Auchenipterus nach VALENCIENNEs’ Autorität); fürs Ge- wöhnliche ist die Umbildung dieses Organs bei Siluroiden noch weiter fortgeschritten und ganz besonderen Verhältnissen angepasst ?. Da eine solche Theilung der Schwimmblase in dieser Weise bei anderen Teleostiern nicht vorkommt, so kann dieselbe als etwas sehr Charakteristisches für die uns beschäftigenden vier Physostomen- familien angesehen werden, und dieser Umstand könnte entschieden als neuer, gewichtiger Grund für die Zusammengehörigkeit derselben verwerthet werden, wenn die Abhängigkeit dieser Zweitheilung vom WEBER'schen Apparat nicht vollkommen evident wäre. Der Vortheil dieser Zweitheilung der Schwimmblase ist leicht zu verstehen. Die durch veränderte Druckverhältnisse des äußeren Medium bedingte Volumzunahme oder -Abnahme der in der ganzen Schwimm- blase enthaltenen Luft wird bei dem eigenthümlichen Bau der Blase fast ausschließlich in einer entsprechenden Volumschwankung der kleineren, sehr elastischen, vorderen Blase ihren Ausdruck fin- den, die hintere, wenig elastische wird davon kaum betroffen werden. Auf diese Weise werden noch Veränderungen des Druckes des um- gebenden Medium zur Perception gelangen können, welche, wenn die Elastieität der Blase eine gleichmäßige wäre, unter der Wahr- nehmungsschwelle gelegen hätten. Die Einrichtung ist also auf eine größere Empfindlichkeit des ganzen Apparates abgesehen. Es ist im Grunde genommen dasselbe Prineip, welches der Mechaniker befolgt, wenn er bei der Herstellung eines Thermometers, um eine größere Empfindlichkeit des Instruments zu erzielen, eine möglichst . sroße Kugel und eine möglichst dünne Röhre wählt. Es ist mir nicht unbekannt, dass Jou. MULLER? noch eine an- dere eigenthiimliche hydrostatische Bedeutung dieser Verdoppelung 1 Vergleiche: J. REINHARDT, Om Svömmeblaeren hos Familien Gym- notini. Videnskabelige Meddelelser fra den naturhistoriske Forening i Kjöben- havn. 1852, pag. 135, wo auch der WeEBER’sche Apparat einiger Gymnotiden beschrieben ist. 2 Cf. Cuvier et VALENCIENNS, |. c. Tome XIV u. XV und Jon. MÜL- LER, Vergleichende Anatomie der Myxinoiden. Th. III. Abhandl. d. Berl. Akad. d. Wiss. vom Jahre 1843 und Bau und Grenzen d. Ganoiden |. c. 3 Jon. MÜLLER, Vergleichende Anatomie der Myxinoiden. Th. IV. Un- tersuchungen iiber die Eingeweide der Fische. pag. 160. Abhandl. der Berl. Akad. d. Wissenschaften vom Jahre 1843. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 13 der Schwimmblase angenommen hat. Bei der Zunahme des intra- abdominalen Druckes durch gesteigerten Tonus der Rumpfmusku- latur muss nach physikalischen Gesetzen die elastischere, weniger widerstandsfähige vordere Abtheilung der Blase in rapiderer Progres- sion an Volum abnehmen, als die hintere. In Folge dessen muss der Fisch beim Tiefersinken sich mit dem Kopfe nach unten stellen. Das Umgekehrte muss natürlich beim Aufsteigen des Fisches erfolgen. Schon die einfache Erwägung, dass eine sehr große Zahl der hierher gehörigen Fische, vermöge ihrer ganzen Organisation darauf angewiesen sind, am Boden der Gewässer zu leben, wo eine solche specielle hydrostatische Vorrichtung ganz unnütz wäre, so wie der Umstand, dass es doch zu sonderbar wäre, warum diese anschei- nend so nützliche Einrichtung nicht bei einer größeren Zahl von Fischen durchgeführt wäre, sondern nur einem Theil der mit einem Weser’schen Apparat versehenen Formen zukäme, lässt es unwahr- scheinlich erscheinen, dass dieses der Hauptzweck der Doppelung der Blase ist. Wie ich glaube, ist die von JoH. MÜLLER angege- bene Funktion der getheilten Blase nur eine Nebenwirkung, und die Hauptbedeutung derselben die von mir angegebene; genauere Belege für diese Anschauung sollen später angeführt werden. Bei den Welsen, deren Schwimmblase nur in den seltensten Fällen eine Zweitheilung aufweist, treffen wir eine andere Einrich- tung, durch welche auf einem ganz anderen Wege dasselbe physio- logische Resultat, nämlich eine größere Empfindlichkeit der Fische für die in dem umgebenden Medium sich abspielenden Druckschwan- kungen erreicht wird. Bei vielen Ariinen, aber auch bei anderen . Welsen, z. B. Callichrous’, Cryptopterus, Schilbe u. a. m. ist die Schwimmblase nicht auf die eigentliche Bauchhöhle beschränkt, son- dern erstreckt sich mit ihren lateralen Theilen zwischen die ventra- len und dorsalen Portionen des Seitenrumpfmuskels, bis dicht unter die äußere Haut. Auf diese Weise gewinnt sie ziemlich direkte Beziehungen zum umgebenden Medium und wird nun auf Druck- schwankungen in demselben viel prompter reagiren, als eine all- seitig in der Bauchhöhle eingeschlossene Blase. Selbstverständ- lich ist eine solche Schwimmblase sehr wenig geeignet als hydrostati- scher Apparat, der das Auf- und Niedersteigen regulirt, zu dienen, da ein gesteigerter Tonus der Rumpfmuskulatur, statt die Blase auf ein geringeres Volum zusammenzupressen, hauptsächlich nur eine Vorwölbung der lateralen, an das Integument grenzenden Wand be- wirken wird. Doch ist dieser Nachtheil wohl kaum ein bedeuten- 14 M. Sagemehl der, da die meisten Welse, wie aus ihrem ganzen Habitus hervorgeht, Grundfische sind, die sich fast konstant am Boden der Gewiisser aufhalten und ein hydrostatischer Apparat fiir sie daher nur geringe Bedeutung haben kann. Weitere eigenthümliche Umbildungen und Anpassungen der Schwimmblase der Welse, die alle die Herbeiführung einer größeren Empfindlichkeit des Werser'schen Apparates zum Zweck haben, können erst bei der speciellen Beschreibung der Welse zur Sprache kommen. Was die Funktion des Werer’schen Apparates betrifft, so dürfte die ältere von dem Entdecker desselben vermuthete Bedeutung als einer Einrichtung, welche dazu bestimmt ist die Schallwellen ähn- lich einem Resonanzboden zu verstärken, wohl allgemein verlassen sein. Hasse!, auf dessen Arbeit ich hier verweise, hat sehr ge- wiehtige Gründe für die Anschauung angeführt, dass wir es hier mit einem barometrischen Apparat zu thun haben, durch dessen Ver- mittlung den mit ihm ausgestatteten Fischen die Füllungszustände der Schwimmblase, welche von dem auf ihr lastenden Drucke ab- hängig sind, unmittelbar zum Bewusstsein gebracht werden. Auch die von mir angestellten Beobachtungen an einer viel größeren Zahl von Formen, als sie den früheren Untersuchern zu Gebote stand, haben mich in dieser Anschauung nur bestärkt Es sei mir schon hier gestattet zu bemerken, dass ich durch eine ganze Reihe von Thatsachen zu dem Ergebnis geführt worden bin, dass die Druckschwankungen des umgebenden Medium, welche durch den Weser’schen Apparat den Fischen zur Perception gelan- gen, weniger diejenigen der auf ihnen ruhenden Wassersäule sind, als vielmehr die athmosphärischen Druckschwankungen. Mit einem Worte, dass der Weser’sche Apparat nicht dazu da ist, um dem Fisch die "Tiefe, in der er sich befindet, anzuzeigen, sondern dass er in erster Linie eine Vorrichtung ist, welche den Thieren athmo- sphärische Druckschwankungen und die im Gefolge derselben auftre- tenden Wetterveränderungen angiebt. Eine genauere Begründung dieser Hypothese behalte ich mir für eine spätere ausführliche Arbeit über den Weper’schen Apparat vor. Einen weiteren wichtigen Einfluss hat die Ausbildung des WEBER- schen Apparates auf die Gestaltung des Gehörlabyrinths gehabt. ı C, Hasse, Anatomische Studien. Th. XIV. Beobachtungen über die Schwimmblase der Fische. Leipzig, 1573. / Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 15 Die Saceuli beider Seiten sind bei den uns interessirenden Fischen durch einen queren Kanal verbunden, welcher nach hinten mit dem Cavum sinus imparis in Verbindung steht. Durch die Ausbil- dung dieses Cavum sinus imparis, das einen nicht unbeträcht- lichen Theil der Schädelbasis in der Occipitalregion für sich in Anspruch nimmt, sind die Sacculi stark komprimirt und allem Anschein nach zu physiologisch unwichtigen Organen geworden. Kompensatorisch haben sich dagegen die Lagenae der uns inter- essirenden Fische sehr mächtig entwickelt, doch sind auch diese, offenbar ebenfalls in Folge des Raummangels, in den hintersten, untersten Winkel der Occipitalregion gedrängt und von den Sacculi fast abgeschnürt. Auf diese Weise erlangt das Labyrinth dieser Fische eine höchst charakteristische Gestalt '. Auch diese Eigenthtimlichkeit kann, da sie notorisch als An- passung an den Weper’schen Apparat betrachtet werden muss, nicht als besonderes Argument für die Verwandtschaft der uns beschäf- tigenden vier Physostomenfamilien benutzt werden. Doch fehlt es nicht an anderen Zeugnissen für die Verwandtschaft dieser Familien. Eine große Rolle bei der Beurtheilung von Verwandtschaftsver- hältnissen bei Teleostiern muss ganz entschieden dem primären Schultergürtel zugestanden werden?. Durch die Untersuchung einer größeren Anzahl von Fischen, besonders von Physostomen, kann man leicht die Überzeugung gewinnen, dass dieser Skelettheil innerhalb größerer natürlicher Gruppen eine gewisse Konstanz im Bau zeigt, während andererseits hinreichende Differenzen bestehen, um die Trennung der größeren zusammenhängenden Gruppen von einander zu ermöglichen. Es ist das leicht verständlich, wenn man erwägt, dass die vordere Extremität der Knochenfische bei der Fortbewegung derselben eine relativ sehr unbedeutende Rolle spielt und daher den verschiedenartigen Anpassungen weniger unterworfen ist, als andere Organe. Dazu kommt noch der günstige Umstand, dass die ver- schiedenen, im Bau des primären Schultergürtels zu unterscheidenden ! Vgl. Hasse, Anatomische Studien. Th. X. 1873. pag. 417 ff. (Cypri- noiden) und G. Rerzıus, Das Gehörorgan der Wirbelthiere. Th. I. pag. 76 bis 79. (Cyprinoiden, Malapterurus, Silurus). Für Characiniden und Gymno- tiden kann ich nach eigenen Untersuchungen den gleichen Typus in der Ge- staltung des Labyrinths konstatiren. 2 Der Bau des sekundären Schultergürtels ist selbst bei nahestehenden Formen häufig so verschieden, dass er zur Beurtheilung von Verwandtschaften nur in beschränktem Maße benutzt werden kann. 16 M. Sagemehl Typen sehr leicht auf einander zurückzuführen sind und dass man über die sonst häufig kaum zu entscheidende Frage, was primär und was davon abgeleitet ist, beim Schultergürtel kaum jemals im Unklaren bleibt. Was die Detailverhältnisse betrifft, so muss ich auf die aus- führlichen Arbeiten von METTENHEIMER! und GEGENBAUR ? verweisen und kann hier nur kurz die zum Theil auf die erwähnten Arbeiten, zum Theil auf eigene Untersuchungen gegründeten Resultate anführen. GEGENBAUR, dem wir die erste vergleichende Beschreibung und Deutung des Schultergürtels der Fische verdanken, unterscheidet bekanntlich bei den Teleostiern drei Typen, die sich von einander leicht ableiten lassen. Bei dem ersten Typus kommen dem primären Schultergürtel drei mit der Clavicula verbundene Fortsätze zu: ein oberer — Scapulare, ein vorderer — Procoracoid und ein unterer; außerdem besitzt diese Form des Schultergürtels ein Spangenstück. Der zweite Typus entspricht vollkommen dem ersten, nur fehlt der untere Fortsatz, der auch schon bei Siluroiden in solchen Fällen, wo der erste Brustflossenstrahl weich ist, wie ich gefunden habe, fehlen kann; so z. B. bei der auch in anderen Verhältnissen sehr eigenthümlichen Gattung Malapterurus. Durch eine weitere Reduktion kommt der dritte Typus zu Stande, bei welchem, außer dem unteren Fortsatz, auch noch das Spangen- stück fehlt. Von den uns interessirenden Fischen besitzen die Welse einen primären Schultergürtel, der nach dem ersten Typus gebaut erscheint, welcher in der Reihe der Teleostier, außer den Siluroiden, in kei- ner Familie angetroffen wird. Es ist das entschieden eine sehr primitive Form des Schultergürtels, die sich am leichtesten noch mit dem entsprechenden Skelettheil der Knorpelganoiden vergleichen lässt. Von diesem Siluroidentypus lässt sich der zum zweiten Typus gehörige Schultergürtel der Cyprinoiden ? leicht ableiten; der untere Fortsatz des primären Schultergürtels verliert seine Selbständigkeit und verbindet sich mit dem Procoracoid, ohne die Clavicula zu er- 1 METTENHEIMER, Disquisitiones anatomico-comparatae de membro piscium pectorali. Berolini 1847. 2 C. GEGENBAUR, Untersuchungen z. vgl. Anatomie der Wirbelthiere. Heft II. Schultergürtel der Wirbelthiere und Brustflosse d. Fische. Leipzig, 1865. 3 Es wurden von mir eine ganze Reihe von Gattungen, aus fast allen von GÜNTHER unterschiedenen Gruppen untersucht, ohne dass ich jedoch wesentliche Modifikationen des von GEGENBAUR beschriebenen Typus auffand. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 17 reichen. Die Modifikation, durch welche der Schultergürtel der Welse sich von demjenigen der Cyprinoiden unterscheidet, ist eine verhältnismäßig geringe und, wie GEGENBAUR mit Recht be- merkt, ist »die Trennung der Schultergürtelformen der Cyprinoiden und Siluroiden keine so scharfe, wie aus der ersten Vergleichung dieser Theile hervorgeht«!. Wie ich hinzufügen will, ist das um so weniger der Fall, als auch schon bei Welsen, wie oben erwähnt ist, der untere Fortsatz einer Reduktion verfallen kann. Der Schultergürtel der Characiniden ist ebenfalls nach dem zweiten Typus gebaut »und ist ein engerer Anschluss an die Cypri- noiden nicht zu verkennen«?. Diesem Urtheil GEGENBAUR's muss ich mich nach eigenen Untersuchungen ? vollkommen anschließen. Die drei eben erwähnten Familien lassen somit nach Allem einen engeren Zusammenbang im Bau des primären Schultergiirtels leicht erkennen. Im Gegensatz hierzu besteht eine nicht unbeträchtliche Verschiedenheit zwischen dem bis jetzt noch niemals untersuchten Schultergürtel der Gymnotiden* und dem der eben beschriebenen Formen. Der ‘relativ sehr kleine primäre Schultergürtel von Gymno- tus gehört zu dem zweiten von GE- GENBAUR aufgestellten Typus und ist sehr einfach gebaut, indem er nur aus einer viereckigen, mit der Clavi- cula verbundenen Platte besteht, die von zwei Nervenöffnungen durch- bohrt ist und die an ihrer hinteren, medialen Fläche von einer Spange überbrückt wird. Die beigegebene Abbildung wird von den Verhältnis- sen eine bessere Vorstellung geben, als die ausführlichste Beschreibung. Das Auffallendste an diesem Schul- prmsrer schuttergirtel und Brustflossen- ov - 3 skelet von Gymnotus electricus. tergürtel ist der Umstand, dass er 5, Schultergürtel; Sp Spange desselben; Helles fast ganz aus Knorpel besteht, und "": Nervenlöcher; Amis 1.78 Brusttios die Ossifikationen nur einen geringen Theil desselben einnehmen. Die 1 GEGENBAUR, |. c. pag. 122. 2 GEGENBAUR, ]. c. pag. 124. 3 Untersucht wurden die Gattungen: Macrodon, Erythrinus, Hydrocyon, Anacyrtus, Citharinus, Alestes und Tetragonopterus. * Zur Untersuchung kamen die Gattungen Gymnotus, Carapus und Ster- nopygus. Morpholog. Jahrbuch. 10. 2 - 18 M. Sagemehl größte Ossifikation liegt am unteren Rande des Procoracoidtheils des primären Schultergürtels und reicht bis zum unteren Nervenloch; eine andere kleinere Ossifikation liegt an der oberen Peripherie der oberen großen Nervenöffnung:; die dritte Ossifikation nimmt das dünne Span- genstück ein. Der Bau dieses Schultergürtels, dem die entsprechenden Skelet- theile bei Carapus und Sternopygus ähnlich sind, steht in der Reihe der Knochenfische ganz vereinzelt da, und wenn wir nach einem An- schluss suchen, so müssen wir auf die Ganoiden rekurriren und zwar auf Amia, deren Schultergürtel noch die größte Ähnlichkeit mit Gym- notus aufweist!; der Hauptunterschied liegt in dem Umstande, dass Amia am Schultergürtel keine Spur von Verknöcherungen besitzt. Eben so eigenartig, wie der Schultergürtel, ist auch das Skelet der Brustflosse bei Gymnotus gebildet. Während bei allen anderen bis jetzt auf die Brustflossen untersuchten Teleostiern sich in der ersten Radienreihe im besten Falle fünf in einer Reihe liegende, ziemlich gleichmäßig entwickelte Strahlen vorfinden, besitzt Gymno- tus in der ersten Reihe acht Radien (vgl. den Holzschnitt). Der am meisten lateral gelegene Radius besteht aus einem kleinen, rund- lichen Knorpelstiickchen. Sehr bemerkenswerth ist es auch, dass, während dieser erste Radius bei allen bis jetzt untersuchten Teleo- stiern innige Beziehungen zum ersten Knochenstrahl der Brustflosse gewinnt?, diese Beziehungen bei Gymnotus vollständig fehlen. Um ähnliche Verhältnisse anzutreffen, müssen wir in der Reihe der Fische hinuntersteigen bis zu den Ganoiden, unter welchen sich Spatularia annähernd eben so verhält. Der zweite Radius von Gym- notus ist plattenartig verbreitert und wird von einer knöchernen peri- pheren Schale derartig umgeben, dass das distale und das proximale Ende, als Knorpelapophysen frei bleiben. Ähnlich verhalten sich der dritte und vierte Radius; nur sind sie mehr in die Länge ge- streckt. Der fünfte Radius artikulirt nicht direkt mit dem Schulter- gürtel, sondern wird mit dem letzteren durch einen länglichen Zwischenknorpel verbunden, der wohl als ein abgetrenntes Stück dieses Radius betrachtet werden kann. Die beiden nachfolgenden Radien sind von der Artikulation mit dem Schultergürtel ebenfalls ausgeschlossen; und zwar verbindet sich der sechste Radius mit dem erwähnten Zwischenknorpel, während der siebente an die late- 1 Vergleiche die Abbildung bei GEGENBAUR, 1. c. Taf. VI Fig. 4. 2 GEGENBAUR, |. c. Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 19 rale Seite des achten Radius sich anheftet, wie auf der beigegebenen - Figur abgebildet ist. Wenn man dieses Brustflossenskelet auf den von GEGENBAUR aufgestellten Typus zurückzuführen versucht, so kann es kaum einem Zweifel unterliegen, dass ursprünglich auch der sechste Radius vom Gymnotus am achten befestigt gewesen sein muss, und dass somit der am weitesten medial gelegene, etwas stärker ent- wickelte Radius Träger der anderen Radien gewesen ist, so dass Gymnotus in diesem Verhalten die deutlichsten Spuren eines wirk- lichen Metapterygium besitzt. Die Brustflosse von Gymnotus ist die primitivste Teleostierflosse, die bis jetzt bekannt ist. Das Flossenskelet der beiden anderen von mir untersuchten Gymnotidengattungen und das aller übrigen Knochenfische lässt sich von diesem Typus leicht ableiten. Wir brauchen uns bloß vorzu- ‘stellen, dass die beiden mit dem achten Radius verbundenen Radien redueirt werden und dass der rudimentäre erste Radius schwindet, um die typischen Verhältnisse der Knochenfische zu erhalten. Wenn wir in der Reihe der Fische Verhältnisse finden wollen, mit denen Gymnotus im Bau des Flossenskelets am meisten über- einstimmt, so müssen wir uns abermals bei den Ganoiden umsehen; und zwar sind es hier die Gattungen Spatularia, Amia und Lepi- dosteus, welche die größte allgemeine Ähnlichkeit mit Gymnotus zeigen, ohne dass sich jedoch das Flossenskelet des letzteren direkt von dem Skelet einer der erwähnten Formen ableiten ließe. Um Alles zusammenzufassen, so können wir im Bau der vorderen Extremität bei den uns interessirenden vier Physostomenfamilien zwei Formen unterscheiden, die beide für Teleostier sehr primitive Bil- dungen vorstellen, und einen Anschluss an Ganoiden erkennen lassen. Der Schultergiirtel der Siluroiden lässt sich leicht von dem der Knorpelganoiden ableiten; anders verhält es sich mit dem Brust- flossenskelet der Welse; dasselbe hat schon eine so weit gehende ‚Reduktion erfahren, dass eine direkte Ableitung desselben von den Ganoiden nicht möglich: ist. An die vordere Extremität der Silu- roiden schließt sich diejenige der Cyprinoiden und Characiniden an, welche direkt durch Reduktion gewisser Theile der Extremität der Welse entstanden zu denken ist. Das ist die eine Form. Der anderen Form begegnen wir bei Gymnotiden, deren Schultergiirtel ebenfalls gegenüber demjenigen der Welse als redu- eirt zu betrachten ist, ohne dass er von dem letzteren abzuleiten wäre. Er schließt sich vielmehr an gewisse redueirte Schultergürtel- formen der Ganoiden an (Amia?). I%* 20 M. Sagemehl Der Bau des Brustflossenskelets der Gymnotiden ist viel primitiver, als derjenige der anderen drei Physostomenfamilien mit WEBER’schem Apparat und aller übrigen Teleostier und lässt eine große allgemeine Ahnlichkeit mit dem der Ganoiden nicht verkennen, allerdings ohne einen Anschluss an eine bestimmte, jetzt lebende Gattung zu ge- statten!. Wenn wir nicht so viele andere entscheidende Momente hätten, welche einen innigen Zusammenhang der Gymnotiden mit den anderen uns augenblicklich beschäftigenden Physostomen, vor Allem mit den Siluroiden, zweifellos bewiesen, so müssten dieselben, auf den Bau ihrer vorderen Extremität hin, eine ganz abgesondert stehende Gruppe der Knochenfische bilden. Es ist dies ein neuer Beweis dafür, wie vorsichtig man bei der Beurtheilung von Ver- wandtschaftsverhältnissen nach Merkmalen, die einem einzigen Organ entnommen sind, verfahren muss. Ein weiteres wichtiges Merkmal, das in verschiedenen Gattungen der uns interessirenden vier Familien angetroffen wird, und für deren Zusammengehörigkeit spricht, ist die schon seit lange bekannte, me- diale Längsfontanelle der Schädeldecke zwischen den Parietalia und den Frontalia, welche sonst bei keiner anderen Gruppe von Teleo- stiern bekannt ist. Diese Längsfissur, welche eine sehr verschiedene Ausdehnung besitzt und bisweilen durch eine Brücke in einen vor- deren und hinteren Abschnitt getheilt ist, kommt der größten Mehr- zahl aller Siluroiden zu. Unter den Characiniden scheint sie nur den Erythrininen und einigen Hydrocyoninen zu fehlen. Bei Cyprinoiden 1 Ich kann es mir hier nicht versagen, darauf aufmerksam zu machen, dass auch die Gestalt der ganzen Brustflosse von Gymnotus eine ganz eigenartige ist, die meines Wissens in der Reihe der Knochenfische einzig dasteht. Die Brustflosse des Zitteraals besitzt ein großes, fast kreisförmiges, centrales Feld, das von dem Skelet der Flosse eingenommen wird und das von einer weichen schuppenlosen Haut überkleidet wird. Dieses große, centrale Feld ist von dem durch sehr schwache Flossenstrahlen gestützten Flossensaum umgeben. Diese Flossenbildung steht in der Reihe der Knochenfische ganz einzig da und er- innert in hohem Grade an die charakteristische Flosse der Crossopterygier (T. Huxrey: »Preliminary Essay on the systematic arrangement of the Fishes. of the Devonian epoch.« Memoirs of the Geologie. Survey of the United Kingdom, Decade X. 1861), von der sie sich nur durch den Umstand unter- scheidet, dass das centrale Feld keine Schuppenbildung besitzt. Dieser sehr primitiven äußeren Form der Brustflosse, die als »nackte Crossopterygierflosse« charakterisirt werden kann, entspricht auch der Bau des Flossenskelets, der, wie ich schon erörtert habe, sich von dem gewöhnlichen Verhalten der Teleo- stier entfernt und sich an die in dieser’Hinsicht viel primitiveren Ganoiden anschließt. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 21 kommt sie in der Gruppe der Catostominen konstant vor; sehr ver- breitet ist sie bei den Cobitidinen und eben so wenig felilt sie den Ho- malopterinen; auch bei den Barbiden kommt sie sporadisch vor. In der Familie der Gymnotiden traf ich diese Längsfissur bei der Gat- tung Sternopygus an. Weitere zahlreiche, dem Bau des Cranium entnommene Merkmale, welche für eine Zusammengehörigkeit aller mit einem WEBEr'schen Apparat versehenen Fische sprechen, sollen erst bei der speciellen Beschreibung des Schädels genauer betrachtet werden. Außer den schon angeführten Charakteren, giebt es noch andere, weniger allgemein verbreitete, die bei verschiedenen, zu differenten Familien gehörigen Gattungen angetroffen werden und die man nicht mit derselben Sicherheit zum Beweise der Verwandtschaft dieser Gattungen herbeiziehen kann, wie die eben erwähnten Merkmale. Hierher gehören die harten, häufig gezahnten Knochenstrahlen der Dorsalis vieler Cyprinoiden und Welse, die sonst bei ande- ren Physostomen in dieser Weise nicht angetroffen werden. In der Familie der Cyprinoiden ist es gewöhnlich der dritte Strahl, der diese eigenthümliche Beschaffenheit erlangt, während die beiden vordersten Strahlen rudimentär werden; und in diesem Punkte stimmen auch die Welse überein, bei welchen ebenfalls die Dorsalis an ihrem vordersten Ende einen Reduktionsvorgang erkennen lässt; der erste nachweisbare Strahl ist, wie es scheint, immer rudimentär und dient als eine Sperrvorrichtung für den Stachel. Einer anderen, ganz auffallenden Übereinstimmung begegnen wir im Bau des Opercularapparates bei Gymnotus und bei den Welsen. Den letzteren fehlt bekanntlich ganz konstant ein Subopereulum !. Der erste, etwas verbreiterte Bronchiostegalradius schließt sich direkt an den unteren Rand des Operculum an, so dass man ihn in der That für ein eigenthümlich gestaltetes Suboperculum halten könnte, wenn er nicht am Zungenbein angeheftet wäre. Diese selbe, in der Reihe der Knochenfische nicht gewöhnliche, Bildung weist auch Gym- notus auf, während die beiden anderen von mir untersuchten Gat- tungen Carapus und Sternopygus ein, allerdings nicht sehr gut ent- wickeltes, wirkliches Subopereulum besitzen. In den vorstehenden Seiten glaube ich mich provisorisch darüber 1 Wenn STANNIUS in seinem Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere pag. 79 den Welsen das Interoperculum abspricht, so ist das offenbar ein Lap- sus calami. 2) ) oinro MG; Sagemehl gerechtfertigt zu haben, dass ich bei der Schilderung des Schädel- baues die mit einem WEBER’schen Apparat versehenen Fische ver- einigt habe, und den Nachweis geliefert zu haben, dass die betreffen- den vier Physostomenfamilien unter sich in der That in näherer Ver- wandtschaft stehen und eine sehr natürlich begrenzte Gruppe bilden. Es erwächst nun die Frage, ob es nicht noch andere Teleostier- familien giebt, die zu dieser selben Gruppe gerechnet werden müssen. Außer den angegebenen vier Physostomenfamilien sind zur Zeit keine anderen bekannt, die einen WEBER’schen Apparat besitzen und die sich durch die Existenz desselben, als nahe Verwandte der osta- riophysen! Knochenfische charakterisiren würden. Doch wäre es noch immerhin möglich, daran zu denken, dass unter den jetzt leben- den Knochenfischen solehe existiren, deren Vorfahren einen WEBER- schen Apparat besessen und ihn allmählich durch Rückbildung verloren haben. Solche Familien würden ihre Zusammengehörigkeit mit den von mir zur Gruppe der Ostariophysen vereinigten Formen dadurch kund geben, dass sie in einer Reihe von Merkmalen, die von dem WEBER’schen Apparat unabhängig sind, mit denselben über- einstimmten. Nach einer sorgfältigen Untersuchung einer größeren Reihe von Physostomenfamilien, muss ich nun allerdings gestehen, dass mir nur zwei Familien begegnet sind, die an eine solche Möglichkeit überhaupt entfernt denken lassen. Es sind das die Muraeniden und die Symbranchier. Die Schädel aller übrigen untersuchten Physo- stomen sind nach ganz anderen Typen gebaut, als diejenigen der Ostariophysen und lassen an die letzteren keinerlei direkten An- schluss erkennen. Anders verhält es sich mit den Muraeniden und mit den Symbranchiern, deren Schädel eine gewisse Ähnlichkeit mit denjenigen der Welse und Gymnotiden nicht verkennen lassen. Bei einer genaueren Untersuchung erkennt man jedoch, dass diese Ähnlichkeit hauptsächlich auf der geringen Ausbildung und Abgrenzung der Orbitae beruht und somit ein Merkmal ist, welches nachweislich mit der relativ geringen Ausbildung der Augen und deren Muskulatur zusammenhängt. Es ist klar, dass eine solche Ähnlichkeit eine reine Anpassungsähnlichkeit ist und zur Begründung einer näheren Verwandtschaft dieser Familien nicht verwerthet wer- den kann. Ein anderes, sehr eigenthümliches anatomisches Merkmal, das 1 Von osteovov, Knöchelchen, pvon Blase (Schwimmblase) abgeleitet. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. pe den Muraeniden und den Gymnotiden zukommt, nämlich ein unge- wöhnliches Verhalten des Seitennervensystems, könnte schon eher zur Annahme einer näheren Verwandtschaft dieser beiden Familien ver- führen und bedarf daher einer genaueren Betrachtung. Beim Aal ist es ein Ast des Facialis!, welcher den Ramus lateralis superfieialis bildet. Derselbe tritt hinter dem Facialis durch eine besondere Öffnung im Cranium aus, verläuft medial vom Hyomandibulare nach hinten, tritt unter den Schultergürtel, empfängt sodann eine Anasto- mose vom Vagus, und verläuft nun, nachdem er noch einige Zweige zur Haut der vorderen Extremität abgegeben hat, oberflächlich über der Seitenlinie. Diesen eigenthümlichen Ast des Aales hält Srannıus für identisch mit dem bekannten, hinteren Schädelhöhlenaste des Trigemi- nus, dem sog. Ramus lateralis trigemini. Es scheint mir das nicht rich- tig zu sein, und möchte ich diesen Facialisast viel eher durch eine besondere Ausbildung einer bei manchen Knochenfischen zwischen dem Ramus opercularis facialis und zwischen einem ziemlich konstan- ten, aufsteigenden Aste des Ramus lateralis vagi existirenden Anasto- mose entstanden denken?. Damit stimmen die topographischen La- gerungsverhältnisse aufs beste und auch der Umstand, dass, nach STANNIUS *, gerade beim Aal, als seltene Ausnahme unter den Kno- chenfischen, ein selbständiger aufsteigender Ast des Lateralis vagi vermisst wird, spricht dafür. Ähnlich wie der Aal verhalten sich nach meinen eigenen Untersuchungen in dieser Hinsicht auch Conger vulgaris und Muraena helena. Eine genauere Beschreibung dieser eigenthümlichen Verhältnisse, die ich hier nur andeuten konnte, be- halte ich mir für eine spätere Arbeit vor. Nach einer Entdeckung von Jon. MULLER! zeigt nun merkwürdi- gerweise auch Gymnotus ein ähnliches Verhalten wie der Aal; ich kann dieses bestätigen und möchte nur noch besonders hervorheben, dass bei Gymnotus der vom Facialis entspringende Stamm des Seitennerven ! Nach Stannius (Peripher. Nervensystem der Fische pag. 51) ist es ein Ast des Trigeminus. Da jedoch dieser Ast die Schädelhöhle durch eine dicht hinter dem Facialisloch gelegene Öffnung verlässt, so halte ich es für korrek- ter diesen Nerv für einen Ast des Facialis anzusehen. Die Art des Ursprungs vom Gehirn, auf welche STANNIUS seine Ansicht basirt, beweist bei Knochenfischen, wo Trigeminus und Facialis bei ihrem Ursprunge innig mit einander verbun- den und durchflochten sind, gar nichts. 2 STANNIUS, |. c. pag. 61. 3 STANNIUS, 1. c. pag. 97. 4 Archiv für Anatomie und Physiologie. Jahrgang 1837. 24 M. Sagemehl zum mindesten dreimal so stark ist, als die vom Vagus kommende, dem Lateralis vagi entsprechende Anastomose. Genau eben so wie bei Gymnotus finde ich das Verhalten des Seitennerven auch bei den anderen beiden von mir untersuchten Gymnotidengattungen: bei Ca- rapus und Sternopygus. Diese eigenthümliche Übereinstimmung in einem so ungewöhn- lichen Verhalten des Seitennerven, würde entschieden ein gewichti- ges Argument zu Gunsten einer näheren Zusammengehörigkeit der Aale und Gymnotiden abgeben, wenn wir nicht durch neuere Unter- suchungen wüssten, dass ähnliche Verhältnisse bei einem Fisch vor- kommen, der weder mit Aalen, noch mit Gymnotiden das Geringste zu thun hat: nämlich bei Ceratodus!. Zwar verläuft der entspre- chende Nervenast bei Ceratodus im Gegensatz zu den Aalen und Gymnotiden, bei denen er zwischen Hyomandibulare und der late- ralen Schädelwand liegt, im Inneren des Knorpels der Labyrinth- region selbst, doch giebt die bei den Dipnoern stattgefundene Ver- schmelzung des Suspensorialapparates mit dem Schädel, wie ich glaube, eine genügende Erklärung für dieses scheinbar abweichende Verhalten. Es ist nach diesem die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass diese Eigenthümlichkeit auch bei den Aalen und bei den Gymnoti- den ganz unabhängig von einander zu Stande gekommen ist; jeden- falls darf sie, da sonst gar nichts für eine nähere Verwandtschaft zwischen diesen so ganz differenten Familien spricht, für sich allein nicht als Argument für eine solche benutzt werden. Gar keine Repräsentanten habe ich von den folgenden Physo- stomenfamilien erhalten können: Stomiatidae, Haplochitonidae, Heteropygii, Gonorhynchidae, Percopsidae, Pantodontidae, Kneriidae, Halosauridae und Bathythrissidae. Von diesen Familien schließen sich die Stomiatiden ganz eng an die Sternoptychidae an, von denen sie sich eigentlich nur durch den Besitz einer fleischigen Bartel am Unterkiefer unterscheiden; und ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass man sie zukünftig mit den letzteren zu einer Familie wird vereinigen müssen. Die Haplo- chitoniden scheinen nahe Verwandte der Salmoniden und der Gala- xiden zu sein: eben so wird es sich möglicherweise auch mit den 1 BEAUREGARD, Encéphale et nerfs cräniens du Ceratodus Forsteri. Jour- nal de Anatomie et Physiologie. Vol. 17. 1881. pag. 230—242. u Beitrige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 35 Percopsiden verhalten, die sich von den Salmoniden, so weit bekannt ist, nur durch einen anderen Habitus und durch den Besitz von Ctenoidschuppen unterscheiden. Die Heteropygier sind nach GÜNTHER mit den Cyprinodonten verwandt; doch wird es noch einer genaueren anatomischen Unter- suchung der ersteren bedürfen, ehe man diese Verwandtschaft, als gesichert annehmen kann. Der unbeschuppte Kopf und das Vorhandensein von Pylorusanhängen, die bei Cyprinodonten niemals beobachtet werden, mahnen zur Vorsicht, obgleich auf sie allein natürlich eine Entfernung der Heteropygier von den ersteren nicht begründet werden kann. Jedenfalls stehen sie den Ostariophysen ganz fern. Die Kneriiden haben mit der Gruppe der Cobitidinen aus der Familie der Cyprinoiden, zu denen sie von STEINDACHNER zuerst gestellt worden sind, nichts gemeinsam als den Habitus. Vielleicht sind sie als zahnlose Cyprinodonten aufzufassen, mit denen sie in einigen anatomischen Merkmalen übereinstimmen. Die Pantodontiden, Gonorhynehiden, Halosauriden und Bathy- thrissiden sind so eigenartige und so wenig gekannte kleine Phy- sostomenfamilien, dass selbst jede Vermuthung über deren Ver- wandtschaft mit anderen besser gekannten Familien, als verfrüht gelten müsste. Es wäre nicht unmöglich, dass die eine oder- die andere derselben nähere Beziehungen zu den Ostariophysen erken- nen lassen wird, obgleich ich dieses nach dem Wenigen, was über den anatomischen Bau dieser Fische bekannt ist, für unwahrschein- lich halte. Wir schreiten nun zur speciellen Beschreibung des Schädels, der mit einem WEBERrR’schen Apparat versehenen Physostomen und beginnen mit den Characiniden. Ihnen sollen sodann die Cyprinoi- den, Welse und Gymnotiden folgen. Specieller Theil. Als einer der glücklichsten Griffe, die der Begründer des jetzt allgemein geltenden ichthyologischen Systems, JOHANNES MÜLLER, gethan hat, muss die Vereinigung einer Anzahl bis zu seiner Zeit zu den Salmoniden gerechneter Gattungen mit den früher zu den Clupeiden gestellten Erythrininen zu der Familie der Characiniden 26 M. Sagemehl gelten!. Wie sehr auch die von ihm zu dieser letzteren Familie ver- einigten Fische im Flossenbau und in der Bezahnung unter einan- der abweichen, so bilden sie nichtsdestoweniger, wie die anatomische Untersuchung lehrt, eine der natürlichsten Familien der Knochen- fische, und müssen die seither von mehreren Seiten? geäußerten Zweifel an der Berechtigung der Characinidenfamilie entschieden zurückgewiesen werden. Es wurden folgende Gattungen und Arten untersucht ®: Gruppe Erythrinina: Macrodon trahira Spix. — Columbien, ' Erythrinus unitaeniatus Spix. — Brasilien, Lebiasina bimaculata C. V. — Peru, Citharinina: Citharinus Geoffroyi Cuv. — Senegal, Tetragonopterina: Alestes dentex Hasselq. — Nil, Tetragonopterus fasciatus Cuv. — Guatemala, Tetragonopterus melanurus Bl. — Surinam, Tetragonopterus maculatus L. — Trinidad, Hydrocyonina: Anacyrtus gibbosus L. — Brasilien, Hydroeyon Forskalii Cuv. — Nil, Hydrocyon brevis Gnth. — Nil, Sarcodaces odoé Bl. — Congo. Bei einer genaueren Priifung der in den Bestand dieser Physo- stomenfamilie eingehenden Gattungen, gewinnt man ganz leicht die Überzeugung, dass die zahlreichen, von GÜNTHER unterschiedenen Gruppen einander durchaus nicht gleichwerthig sind, dass vielmehr, wie der eben erwähnte Autor es auch schon in seiner Synopsis* an- deutet, die Erythrininen, die sich schon äußerlich durch den Man- gel einer Fettflosse von den übrigen Characiniden unterscheiden, auch im Bau des Skelets, speciell des Cranium, eine Sonder- 1 Jos. MÜLLER, Vergleichende Anatomie der Myxinoiden. Th. IV. Ab- handlung der Berl. Akademie d. Wissenschaften, aus dem Jahre 1843. Über den Bau und die Grenzen der Ganoiden etc. Ebendas. aus dem Jahre 1844. JoH. MÜLLER und TROSCHEL, Horae ichtyologicae. Th. I—III. 2 R. Kner, Ichthyologische Beiträge zur Familie d. Characiniden. Denk- schrift. der Wiener Akad. d. Wissenschaften. Mathemat. - naturwissenschaftl. Klasse. Jahrg. 1859. pag. 138. CUVIER et VALENCIENNES, Histoire naturelle des poissons. T. XIX. pag. 480 und T. XXII, pag. 1. 3 Was die Nomenklatur betrifft, so halte ich mich in dieser, so wie in den nachfolgenden Arbeiten ganz streng an GUNTHER’s »Catalogue of Fishes in the collection of the British Museum«: 4 Catalogue of Fishes in the Collect. of the British Museum. Vol. V. pag.. 287. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 37 stellung einnehmen. Sie sollen in den nachfolgenden Seiten den übrigen von mir untersuchten Gattungen, die ich unter der Bezeich- nung »echte Characiniden« zusammenfasse, gegenübergestellt werden, die letzteren theile ich wiederum in zwei Gruppen: die phytopha- gen Characiniden, zu denen von den untersuchten Gattungen nur Citharinus gehört, und in die sarcophagen, welche die übrigen Gat- tungen in sich begreifen. Unter den letzteren schließt sich die Gattung Sarcodaces in gewissen Organisationsverhältnissen den Erythrininen an, so dass die Trennung dieser beiden Gruppen keine ganz scharfe ist. Die Litteraturangaben über den Schädel der uns beschäftigen- den Fische sind höchst spiirliche. Außer den wenig genügenden Beschreibungen, die VALENCIENNES! von dem Cranium von Erythri- nus und Macrodon giebt, besitzen wir nur noch einige aphoristische, zum Theil unrichtige Angaben von KöstLin? über Hydroeyon, Ci- tharinus und Erythrinus. Da ich in der Lage war, die Schädel der von diesen Autoren untersuchten Arten nachuntersuchen zu können, so sollen ihre Angaben, um den Gang der Darstellung nicht zu stö- ren, nur ausnahmsweise weitere Berücksichtigung erfahren. Das Cranium der Characiniden erinnert, wenn man es mit einem allgemein bekannten Teleostierschädel vergleichen will, am meisten an den Schädel unserer einheimischen Cyprinoiden. Es ist ein gut proportionirter Schädel, der sich durch eine gleichmäßige Ausbil- dung aller Regionen auszeichnet und der eine sehr vollkommene Verknöcherung aufweist, so dass von dem knorpeligen Primordial- schädel nur geringfügige Reste übrig bleiben. Man unterscheidet bei der Beschreibung desselben ganz zweckmäßig vier Flächen: die Decke des Schädels, die beiden in der unteren Mittellinie in einer mehr oder weniger ausgebildeten Kante zusammentreffenden Seiten- flächen und die schräg nach hinten und unten abfallende hintere Schädelfläche. Bei Erythrininen ist die Neigung dieser hinteren Fläche eine verhältnismäßig geringere, und dieselben erinnern in die- ser Beziehung noch sehr an die Verhältnisse bei niederen Haien und bei Amia; stärker wird die Neigung bei den echten Characiniden, bei welchen die hintere Schädelfläche mit dieser Decke häufig einen fast rechten Winkel bildet. Die Schädeldecke der Erythrininen hat annähernd die Gestalt 1 CUVIER et VALENCIENNES, Histoire naturelle des poissons. Tome XIX. pag. 493 u. 515 (1846). 2 0. KöstLın, Vom Bau des knöchernen Kopfes in den vier Klassen der Wirbelthiere. Stuttgart 1844. 28 M. Sagemehl eines Vierecks, dessen Winkel durch die hinteren lateralen Schädel- ecken und die Antorbitalfortsätze bezeichnet werden (Taf. I Fig. 1 und Taf. II Fig. 1, 12); nach vorn ist sie in eine dreieckige Spitze ausgezogen. Im Ganzen erinnert ihre Gestalt in hohem Grade an die Verhältnisse bei Amia. Von vorn nach hinten und von einer Seite zur anderen erscheint die Decke des Cranium bei Erythrininen sehr wenig gewölbt (Taf. I Fig. 5—10). Durch Ausbildung von Muskelgruben, Muskelfortsätzen und Fontanellen zwischen einzelnen Knochen der Schädeldecke, so wie auch durch eine stärkere Wölbung der Sehädeldecke in frontaler Richtung, entfernt sich die Gestalt derselben bei den echten Characiniden nicht unbeträchtlich von der eben geschilderten. Am hinteren Rande der Schädeldecke entwickelt sich bei den letzteren eine, bei Erythrininen nur angedeutete, Spina occipitalis, die sich zwischen die beiden dorsalen Portionen des Seitenrumpfmuskels erstreckt und bei einzelnen Characinidengattungen eine Ausbildung erhält, wie kaum in einer anderen Physostomen- familie. An den Seitenrändern der Schädeldecke sehen wir in der Höhe des Postorbitalfortsatzes jederseits eine eigenthümliche, von einer scharfen Kante umgebene Depression auftreten, welche dem M. dilator operculi! zur Insertion dient (Taf. I Fig. 1, 12, 17). Eine mediale Längsfissur zwischen den Knochen der Schädeldecke, die schon im einleitenden Theil dieser Abhandlung erwähnt wurde, kommt ganz konstant bei allen echten Characiniden mit Ausnahme von Sarcodaces vor. Auch am vorderen, ethmoidalen Abschnitt der Schiideldecke sehen wir bei den echten Characiniden, gegenüber den Erythrininen, die in dieser Hinsicht ein einfacheres Verhalten be- wahren, verschiedene später ausführlich zu beschreibende Knochen- fortsätze auftreten, welche den Kieferknochen zur Anlagerung dienen. An der hinteren Fläche des Schädels fallen auf den ersten Blick die sehr entwickelten Temporalhöhlen auf?, die sich weit nach vorn, unter die Knochen der Schädeldecke erstrecken und die von einer Zacke der dorsalen Portion des Seitenrumpfmuskels ausgefüllt werden (Taf. I Fig.5, 9, 10, Taf. Fig. 5, 10, 16, 18). Die beträchtliche Weite der Temporalhöhlen ist für die Characiniden sehr charakte- 1 Bei der Bezeichnung der Muskeln des Kopfes der Fische bin ich der von VETTER angegebenen Nomenklatur gefolgt. Vgl. B. VETTER, »Unter- suchungen zur vergl. Anatomie der Kiemen- und Kiefermuskulatur der Fische. Th. Il.« Jenaische Zeitschrift f. Naturwissenschaft. Bd. XII. 1878. pag. 431 bis 550. 2 Über den Begriff der Temporalhöble vergleiche man meine Abhand- lung über das Cranium von Amia calya. Morphol. Jahrb. Bd. IX. pag. 188. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 39 ristisch und führt konstant zu einer Unterhöhlung und schließlichen Fenestration der nach hinten vorspringenden, von den Exoccipitalia eingenommenen Vorsprünge an einer oder an zwei Stellen, so dass diese Vorsprünge schließlich nur aus zwei oder drei hinten zusammen- stoßenden Knochenspangen bestehen (die eit. Abbild.). Die hinteren lateralen Schädelecken sind in Fortsätze ausgezogen, die nach hinten und unten gerichtet sind und die den Supraclavicularknochen zur An- lagerung dienen. An der Seitenfläche (Taf. I Fig. 3, Taf. II Fig. 4 u. 14) können wir drei von einander deutlich getrennte Abschnitte unterscheiden. Der vordere, der Nasalregion entsprechende, beherbergt die große, gut ausgeprägte Nasengrube. Der mittlere Abschnitt der Seitenfläche wird von der tiefen und gut begrenzten Orbita eingenommen. Seine vordere Grenze bildet der gut ausgeprägte Antorbitalfortsatz; seine hintere der ebenfalls stets deutlich zu unterscheidende Postorbitalfortsatz. Ein Orbitaldach ist stets vorhanden; eben so trifft man ganz konstant zwischen den beiden Orbitae ein mehr oder weniger entwickeltes, unpaares Inter- orbitalseptum an (Taf. I Fig. 7 u. Taf. II Fig. 8), das an mehreren Stellen fenestrirt erscheint. Nach hinten und unten setzen sich die Orbitae in einen bei allen Characiniden ausgebildeten Augenmuskel- kanal fort (Taf. I Fig. 4, Taf. II Fig. 6 u. 15). Der hintere Abschnitt der Seitenfläche gehört der Labyrinth- ‘und dem vorderen Theil der Occipitalregion an, und wird oben von der Hyomandibularpfanne eingenommen. An seiner unteren, hinteren Ecke ist häufig eine blasenartige Auftreibung zu bemerken, welche der Lagena und einem Theil des Sacculus zur Einlagerung dient (Taf. I Fig. 3 u. 5 und Taf. II Fig. 4 u. 5). Die Schädelhöhle der Characiniden erstreckt sich sehr verschieden weit nach vorn (Taf. I Fig. 4 und Taf. I Fig. 6 u. 15); doch kann man im Allgemeinen sagen, dass sie niemals bis unmittelbar an die Nasen- gruben reicht, obgleich sie bei einigen Gattungen, z. B. Citharinus, den letzteren sehr nahe kommt. In anderen Fällen wiederum, z.B. bei Maerodon, ist die Schädelhöhle bedeutend verkürzt und reicht kaum bis zum hinteren Drittel der Orbita. Nach dieser kurzen allgemeinen Schilderung gehen wir zur spe- ciellen Beschreibung der einzelnen Regionen und Knochen über. An der Bildung der Schiideldecke der Characiniden nelmen folgende phylogenetisch von Hautossifikationen ableitbare Knochen Theil: das Ethmoid, die beiden Frontalia prineipalia, die Parietalia, 30 M. Sagemehl die Squamosa und außerdem die in weniger innigem Zusammenhang mit dem Schädel stehenden Nasalia. Der vorderste Knochen der Schädeldecke ist das Ethmoid, wel- ches bei Characiniden sich nicht auf die Decke des Schädels beschränkt, sondern auch an der Bildung des internasalen Septum betheiligt ist und sogar an der unteren Fläche der vorderen, prodominirenden Spitze des Cranium sichtbar wird (Taf. I Fig.2 u. Taf. IL Fig.2 u. 13). Von oben betrachtet, hat das Ethmoid die Gestalt eines Rhomboids, dessen eine Spitze nach vorn vorragt, während die entgegengesetzte mehr oder weni- ger tief zwischen die beiden Frontalia nach Art eines Keils eindringt. So verhalten sich die meisten untersuchten Gattungen (Taf. I Fig. 1 und Taf. II Fig. 12 und 17); nur bei Anacyrtus ist das Ethmoid nach hinten gerade abgestutzt, und bei Citharinus (Taf. I Fig. 1) besitzt es sogar hinten einen ziemlich weit nach vorn reichenden Einschnitt. Vorn besitzt dieser Knochen bei den meisten Chara- einiden eine konische Verlängerung, an deren lateralen Rändern die aufsteigenden Schenkel der Zwischenkiefer durch mehr oder weniger straffe Bänder befestigt sind. Auch die lateralen Ränder der auf- steigenden Schenkel des Zwischenkiefers erhalten in vielen Fällen besondere, lateral und nach vorn gerichtete Fortsätze des Ethmoid zur Stütze. Die letzteren sind verschieden differenzirt: bei Ery- thrininen und Sarcodaces fehlen sie vollkommen (Taf. I Fig. 1), während sie bei Tetragonopterus, Hydrocyon und ganz besonders bei Alestes gut entwickelt erscheinen (Taf. II Fig. 12 und 17). Nur bei Citharinus, dessen Intermaxillaria lose am vorderen Ende des Schädels befestigt sind und keine aufsteigenden Schenkel be- sitzen, fehlt sowohl die vordere Verlängerung, als auch der lateral gerichtete Fortsatz des Ethmoid (Taf. II Fig. 1). Die relativ wenig entwickelten lateralen Flächen des Ethmoid bilden den vorderen Theil der medialen Begrenzung der Nasengruben. Wie schon früher erwähnt, biegt sich das vordere Ende dieses Knochens an der Spitze des Schädels nach unten um und wird an der unteren Fläche des- selben sichtbar. Er besitzt an der unteren Fläche bisweilen zwei laterale Gelenkhöcker, welche den schon erwähnten lateralen Fort- sätzen angehören und zur Verbindung mit der Maxillaria dienen. Bei Hydrocyon und Alestes sind diese Gelenkhöcker stark ent- wickelt (Taf. II Fig. 13), während sie den Erythrininen, Sarcodaces und Citharinus vollkommen fehlen (Taf. I Fig. 2 u. Taf. II Fig. 2). Der Umstand, dass das Ethmoid der Characiniden nicht auf die Schädeldeeke beschränkt bleibt, wie bei der größten Mehrzahl Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 31 der Knochenfische, sondern auch an den lateralen und an der unteren Fläche des Schädelendes Theil hat, fordert zu einer näheren Prüfung dieses Verhaltens auf. An Schädeln, welche der Länge nach durch- sägt sind, überzeugt man sich nun mit Leichtigkeit, dass das Ethmoid der Characiniden kein bloßer Deckknochen ist, sondern Beziehungen zum pränasalen Theil des Primordialschädels gewonnen hat. Dem primitivsten Zustande dieses Knochens begegnen wir bei der Gattung Citharinus!, bei welcher das Ethmoid noch ein Deck- knochen zu sein scheint, der die knorpelige Spitze des Cranium wie eine Kappe bedeckt. Doch überzeugt man sich bei genauerer Unter- suchung, dass er dem Knorpel bereits direkt, ohne Zwischenlage- rung einer Bindegewebsschicht aufliegt und an demselben fest haftet. In ähnlicher Weise verhält sich auch noch Anacyrtus. Bei allen an- deren untersuchten Characiniden konnte ich mich leicht üherzeugen, dass von der Oberfläche dieses Knochens aus überall Knochenbilkchen in den vascularisirten und von Markräumen durchzogenen Knorpel der Schnauzenspitze hineingewuchert waren. Dieser makroskopische Befund konnte durch die mikroskopische Untersuchung sicher gestellt werden. Bei Erythrinus ergaben Schnitte von der Grenze zwischen dem Ethmoid und dem letzten Rest des ethmoidalen Knorpels ein typi- sches Bild einer »primären« Verknöcherung. Ganz besonders interes- sant ist in diesem Falle Erythrinus, weil bei demselben das Ethmoid, eben so wie die anderen Knochen der Schädeldecke, nur einen äußerst dünnen Cutisüberzug besitzt, und an seiner Oberfläche die für Haut- knochen charakteristischen Skulpturen trägt. Dieser Fall ist also ein vollkommenes Seitenstück zu dem von mir früher beschriebenen Befunde bei Amia calva und ist ein neuer Beweis dafür, dass der von KÖLLIKER? und ©. Herrwiıg verthei- digte Satz: ein Hautknochen könne niemals Beziehungen zum Primor- dialskelet gewinnen, einer genaueren Kritik nicht Stand hält. Dieses bemerkenswerthe Verhalten des Ethmoid bei Characiniden ist wohl dar- auf zurückzuführen, dass gerade bei dieser Familie das vordere Ende des Schädels zu einer ganz besonders innigen Anlagerung der starke Zähne tragenden Kieferknochen benutzt wird und daher einer größeren Resistenzfähigkeit bedarf, als bei den meisten anderen Teleostiern. 1 Es mag ausdrücklich bemerkt sein, dass ich nur junge Exemplare des Citharinus von 12—15 cm Länge untersucht habe. 2 A. KÖLLIKER, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. II. Auflage. 1879. pag. 462—465. 3 0. HerTwic, Das Zahnsystem der Amphibien. Archiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. XI. Supplem. 32 M. Sagemehl Damit wiirde es auch stimmen, dass Citharinus, welcher eine ganz rudimentiire Bezahnung besitzt und dem entsprechend auch schwach entwickelte Kiefer hat, im Verhalten des Ethmoid zum Primordial- skelet den primitivsten Zustand unter allen Characiniden bewahrt hat. Ähnliche Erfahrungen in anderen Teleostierfamilien, die bei der Beschreibung der letzteren ausführlich erörtert werden sollen, berechtigen uns zu diesem Schlusse. Lateral vom Ethmoid liegen die Nasalia, welche dem Cranium nur ganz lose angelagert sind. Sie tragen zur Überdachung der Nasengrube bei und sind bei den echten Characiniden kleine un- bedeutende Knochenplättehen (Taf. II Fig. 12 Na). Bei den Ery- thrininen dagegen, bei welchen sie vom Ethmoid theilweise durch die zwischen diese beiden Knochen hineindringenden aufsteigenden Fortsätze des Zwischenkiefers getrennt werden, erreichen sie eine unter Teleostiern seltene Größe (Taf. I Fig. 1 Na) und erinnern in dieser Beziehung an die Verhältnisse bei Amia und Polypterus. Ähnlich wie die Erythrininen verhält sich auch Sarcodaces. Hinter dem Ethmoid liegen die beiden Frontalia prinei- palia (Taf. I Fig. 1 u. Taf. U Fig. 1, 12 u. 17 Fr). Jedes Fron- tale ist eine länglich viereckige Knochenplatte, die mit ihrer vor- deren lateralen Ecke dem Antorbitalfortsatz, resp. dessen Verknöche- rung, dem Postfrontale aufliegt. Der laterale Randtheil des Frontale überdacht die Orbita und bildet deren Decke. Nach hinten grenzt dieser Knochen medial an das Parietale, lateral an das Squamosum. Die hintere laterale Ecke des Frontale zeigt bei fast allen echten Chara- einiden eine Depression, die durch das Übergreifen der Ansatzstelle des M. dilator operculi vom Postorbitalfortsatz aus auf die Schädeldecke entsteht. Bei den Erythrininen und Sarcodaces ist diese Muskelgrube nicht entwickelt (Taf. I Fig.1); schwach ausgebildet ist sie bei Ana- cyrtus, während sie bei den übrigen Characiniden in guter Ausbil- dung besteht (Taf. II Fig. 1, 12 u. 17). Diese Verhältnisse sollen weiter unten noch genauer besprochen werden. Hinter den Frontalia liegen die beiden breiten aber kurzen, annähernd viereckigen Parietalia. Eben so wie die vorhergehen- den Knochen, sind sie in der Mittellinie entweder durch eine Naht vereinigt, oder durch den hinteren Abschnitt der medianen Fissur des Schädeldaches getrennt. Das bei vielen Teleostiern zu beob- achtende Auseinanderweichen der Parietalia durch eine zwischen sie dringende, bis an die Frontalia reichende Fortsetzung des Occi- pitale superius kommt in der Familie der Characiniden nicht vor. Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 33 An jedem Parietale kann man zwei Theile unterscheiden: einen größeren, vorderen, der in einer Ebene mit den Frontalia und dem ganzen eigentlichen Schädeldach liegt, und einem kleineren nach hinten, gegen die hintere abschüssige Schädelfläche, sich absenken- den Theil. Diese beiden Theile des Parietale, die schon bei Amia angedeutet sind, werden durch eine scharfe Knochenleiste von ein- ander getrennt. Letztere beginnt an der Basis der dem Occipitale superius angehörigen Spina oceipitis, zieht quer über das Parietale und erstreckt sich noch weiter lateral bis an die hintere laterale, vom Squamosum eingenommene Schädelecke; sie entspricht der vorderen Insertionslinie der dorsalen Portion des Seitenrumpfmuskels am Schä- del. Bei den wenig differenzirten Schädeln der Erythrininen ver- läuft diese »Linea nuchae« in einer fast geraden, nur ein wenig nach vorn konvex gebogenen Linie quer über den hinteren Theil des Schädels, ähnlich wie bei Amia (Taf. I Fig. 1), während sie bei den echten Characiniden jederseits einen sehr stark konvexen Bogen bil- det (Taf. II Fig. 1, 12 und 17). Diese Verschiedenheit im Verhal- ten findet in einem bei den echten Characiniden erfolgten nach vorn Wandern der Insertionslinie des Seitenmuskels ihre Erklärung. Das Parietale der Characiniden verbindet sich mit folgenden Kno- chen: nach vorn mit dem Frontale, von welchem es mehr oder weniger überlagert wird; seine hintere mediale Ecke liegt auf dem Occipitale superius; der mittlere Theil des hinteren Randes bedeckt das Exoceipitale, und die hintere, laterale Ecke, so wie der ganze laterale Rand, das Squamosum. Die hintere, laterale Ecke des Schädeldaches wird vom Squa- mosum eingenommen, von welchem jedoch, wie oben erwähnt, ein großer Theil durch das Parietale bedeckt wird, und das daher erst nach Entfernung des letzteren vollständig sichtbar wird. Da das Squamosum der Characiniden, eben so wie bei allen anderen Teleo- stiern, Beziehung zum Primordialschädel gewonnen hat, und im Gegensatze zu Amia, wo es noch ein reiner Belegknochen ist, »pri- mär« geworden ist, so soll es erst später, bei der Beschreibung des Primordialschädels genauer zur Sprache kommen. Vorläufig will ich nur erwähnen, dass der an der Oberfläche des intakten Schädels sichtbare Theil dieses Knochens, nach vorn an das Frontale und das Postfrontale, lateral an das Parietale grenzt. Nach hinten und unten ist das Squamosum bei den echten Characiniden in einen langen Fortsatz ausgezogen, welcher dem Supraclaviculare zur Be- festigung dient (Taf. II Fig. 1, 12 und 17). Bei den Erythrininen, Morpholog. Jahrbuch. 10. 3 34 M. Sagemehl deren Squamosum nur von einer dünnen! Cutis bedeckt wird und noch mit den charakteristischen Hautknochenskulpturen versehen ist, wird dieser Fortsatz nur durch eine geringe Vorragung der hinteren, lateralen Ecke des Knochens angedeutet (Taf. I Fig. 1 u. 3). Auch in diesen Verhältnissen bewahrt das Squamosum der Erythrininen einen mehr primitiven Charakter und erinnert ganz außerordentlich an Amia calva. Es ist hier der passende Ort, um die schon mehrfach erwähnte Längsfissur der Schädeldecke genauer in Augenschein zu nehmen. Bei Citharinus erstreckt sich eine breite, direkt ins Cavum eranii hineinführende Lücke vom vorderen Ende der Frontalia bis an den hinteren Rand der Parietalia; ja sie reicht noch etwas wei- ter nach hinten und bedingt eine nicht unbeträchtliche Ausrandung des Occipitale superius (Taf. II Fig. 1). Auch der schon früher be- schriebene tiefe Einschnitt am hinteren Rande des Ethmoid bei die- ser Gattung muss als eine direkte Fortsetzung der Längsfissur nach vorn betrachtet werden, die allerdings an dieser Stelle nur den Deck- knochen in ihren Bereich zieht und den unterliegenden praenasalen Theil des knorpeligen Primordialschädels unberührt lässt. Ungefähr in der Mitte ihrer Länge ist diese Längsspalte durch eine Brücke un- terbrochen, die von zwei in der Mittellinie zusammentretenden Fort- sätzen der Frontalia gebildet wird. Dieselben bedecken eine Knor- pelspange, welche in der Höhe der Postorbitalfortsätze von einer Seite zur anderen, quer über die große Lücke im Dache des Primor- dialschädels hinüberzieht und der Epiphysis cerebri zur Anheftung dient (Taf. II Fig. 3 pe.b.). Diese Ephiphysarspange entspricht der von mir beschriebenen Epiphysarleiste von Amia calva und ist als der letzte Rest des knorpeligen Daches des Primordialschädels bei Characiniden zu betrachten. In ähnlicher Ausdehnung wie bei Citharinus treffen wir diese mediale Längsfontanelle auch bei Te- tragonopterus und bei Anacyrtus an, nur dass sie keine sich auf das Ethmoid erstreckende Fortsetzung besitzt und dass bei der letz- teren Gattung die Brücke viel breiter geworden ist. Bei Alestes reicht diese Fontanelle vom hinteren Rande der Parietalia an nur etwa bis zur Mitte der Frontalia (Taf. II Fig. 17). Noch weniger weit nach vorn reicht sie bei Hydrocyon Forskalii (Taf. II Fig. 12), und bei Hydrocyon brevis ist sie auf ein längliches Loch reducirt, das zwischen den Parietalia liegt. Bei den Erythrininen und Sarcodaces endlich fehlt jede Spur dieser Schädellücke (Taf. I Fig. 1). Wie man sieht, bilden diese Befunde eine ganz kontinuirliche u Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 35 Reihe von Stadien, und es entsteht nur die Frage, welches Ende der Reihe wir fiir den Ausgangspunkt halten miissen? Ist das kleine, interparietale Loch von Hydrocyon brevis als der Ausgang fiir die Bildung dieser Fontanelle anzusehen, oder stellt es nur den letzten Rest der sich allmählich schlieBenden Schädellücke vor? Um diese Frage an Charaeiniden zu entscheiden, fehlt es mir an dem nöthigen Material, dagegen will ich nieht unterlassen zu bemerken, dass ich durch Untersuchung von Cyprinoiden, bei denen dieselbe Schädel- lücke in nicht seltenen Fällen gefunden wird, zu dem Ergebnis ge- langt bin, dass sich eine Reduktion derselben während der indivi- duellen Entwicklung bemerkbar macht. Es wird also, aller Wahr- scheinlichkeit nach, auch für die verwendeten Characiniden dasselbe gelten, und die Gattungen mit weit nach vorn reichender Schädel- fontanelle, als die primitivere Verhältnisse bietenden zu betrachten sein. Doch soll das nur für die echten Characiniden gelten; ob die Erythrininen und die sich in so vielen Organisationsverhältnissen an dieselben anschließende Gattung Sareodaces von Formen mit einer Schädelfontanelle abstammen, muss vorläufig zweifelhaft gelassen wer- den; bei der unverkennbaren Ähnlichkeit derselben mit niedereren Typen, vor Allem mit Amia, die ein ganz solides Schädeldach be- sitzt, halte ich es sogar für sehr unwahrscheinlich. Diese Fontanelle wird durch eine dicke, feste Membran geschlos- sen, die hauptsächlich von der verdickten äußeren Lamelle der Dura mater gebildet wird. Eine an Tetragonopterus vorgenommene Untersuchung der Schädelfontanelle sammt der sie verschließenden Membran an mikroskopischen Querschnitten, ergab eben so wenig, wie die makroskopische Untersuchung, irgend welche Beziehung der Fontanelle zu inneren Organen der Schädelhöhle. Namentlich kann ich mit Bestimmtheit behaupten, dass das Labyrinth in keiner Verbin- dung mit dieser Schädelfontanelle steht und dass dieselbe somit bei der Zuleitung von Schallwellen, wie WEBER! es als Vermuthung für die ähnliche, bei Cobitis bestehende Fontanelle angegeben hat, keine Rolle spielen kann. Die funktionelle Bedeutung derselben muss vorläufig im Unklaren gelassen werden; am wahrscheinlichsten scheint es mir noch zu sein, dass diese Fontanelle einfach durch mechanische Wachsthumsvorgänge am Cranium zu Stande kommt, und daher gar keine wichtigere physiologische Bedeutung besitzt. Um Missverständ- nissen vorzubeugen, sei hier noch ausdrücklich hervorgehoben, dass ! WEBER, De aure et auditu hominis et animalium. Lipsiae 1820. 36, M. Sagemehl diese Längsspalte nur zwischen den Deckknochen des Schädels be- steht und mit den am Dache des Primordialschädels auftretenden Fensterbildungen in keinem niiheren Zusammenhange steht. Alle eben beschriebenen von Hautknochen ableitbaren Ossifika- tionen des Schädeldaches werden von einem System von Schleim- kanälen durchzogen. Bei Amia verläuft, wie früher von mir beschrieben worden ist, jederseits ein Schleimkanal, der am vorderen Ende des Nasale be- ginnt, successiv das Frontale, das Postfrontale und das Squamosum durchsetzt, an der hinteren lateralen Ecke des letzteren Knochens in das Extrascapulare, sodann in das Suprascapulare tritt und als Schleimkanal der Seitenlinie weiter nach hinten verläuft!. Bei den Characiniden ist, wie schon früher hervorgehoben wurde, das Post- frontale von der Schädeloberfläche in die Tiefe gerückt, indem der Dilatator operculi die obere Fläche des Postorbitalfortsatzes zur In- sertion benutzt hat. Dadurch hat der ursprünglich kontinuirliche- Schleimkanal an dieser Stelle eine Unterbrechung erfahren und ist in einen vorderen, supraorbitalen und einen hinteren, temporalen Ab- schnitt zerlegt worden (Taf. I Fig. 1 und Taf. II Fig. 1, 12 u. 17). Der supraorbitale Abschnitt beginnt medial von der Nasenöffnung am vorderen Ende des Os nasale, durchsetzt dasselbe, tritt sodann in das Frontale, und mündet an dessen hinterer lateralen Ecke aus. Noch im Frontale giebt er einen nach hinten gerichteten, star- ken Nebenast ab, welcher direkt nach hinten in das Parietale tritt und nahe dessen hinterem Rande nach außen mündet. Dieser Nebenast besteht schon bei Amia, ist jedoch nicht so gut entwickelt, wie bei den Characiniden. Das vordere Ende des temporalen Ab- schnittes beginnt ganz dicht an der hinteren Ausmündung des supra- orbitalen Theils, ohne jedoch mit dem letzteren in Zusammenhang zu stehen. Der Kanal durchsetzt sodann das Squamosum der ganzen Länge nach und giebt an dessen hinterer Ecke einen Nebenast ab, der im Praeoperculum und sodann im Unterkiefer verläuft; der Haupt- kanal setzt sich weiter nach hinten in das Extrascapulare, das Su- prascapulare und das Supraclavieulare fort und wird schließlich zum 1 In meiner Beschreibung des Schädels von Amia fasste ich einen im Pa- rietale ausmündenden Nebenast, als die hintere Fortsetzung des Hauptkanals der. Schädeldecke auf, so dass eine Verschiedenheit in der hier gegebenen kurzen Schilderung und in der dort gegebenen ausführlichen Beschreibung entstanden ist. Doch wie ich hervorheben will, bezieht sich diese Differenz nur auf die verschiedene Auffassung, nicht auf den thatsächlichen Befund. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 37 ‚Schleimkanal der Seitenlinie. Am vorderen Ende des temporalen Abschnittes des Hauptkanals des Schädels nimmt ein anderer Ne- benast seinen Ursprung. Es ist das. der Ast, welcher den Subor- bitalbogen durchsetzt und vorn, lateral von der Nasenöffnung aus- mündet. Wie man auf den ersten Blick sieht, liegen hier Verhält- ‚nisse vor, die sich von den bei Amia beschriebenen leicht ableiten lassen. Der Hauptunterschied liegt in der schon angeführten, durch die veränderte tiefe Lage des Postfrontale bedingten Unterbrechung des bei Amia einheitlichen Schleimkanals. Bei Amia findet sich hinter dem Cranium eine Queranastomose ‚zwischen den beiderseitigen Längskanälen, und zwar verläuft diese Anastomose in den Extrascapularia, die bei Amia in der Mittellinie zusammentreffen. Auch bei Characiniden ist an dieser Stelle eine Quer- anastomose vorhanden, die jedoch, abweichend von Amia, in den Ossa parietalia liegt und daher aller Wahrseheinlichkeit nach eine selb- ständige Bildung ist, die sich mit der Anastomose von Amia nicht direkt vergleichen lässt. Wenigstens kann ich mir nicht wohl vor- stellen, wie eine derartige Verlagerung zu Stande gekommen sein könnte. Das sind die bei allen Characiniden vorkommenden, typischen Schleimkanäle der Schädeldecke. Indem dieselben sekundäre Aste abgeben, entstehen mannigfaltige Modifikationen, die, sowohl bei den einzelnen untersuchten Formen, als auch sogar bei Individuen der- selben Species, Verschiedenheiten aufweisen können. Eine nähere Betrachtung dieser variablen Verhältnisse hätte aus diesem Grunde kein tieferes morphologisches Interesse. Was die Lagebeziehung der Deckknochen des Schädeldaches zum Integument betrifft, so ist zu bemerken, dass diese Knochen bei den Erythrininen und bei Sarcodaces nebst deren Verwandten nur von einer äußerst dünnen Cutis überkleidet werden, und an ihrer Oberfläche eigenthümliche riffartige Skulpturen aufweisen. Es sind mit einem Worte typische Hautknochen. Bei den echten Characiniden sind dieselben mehr in die Tiefe gerückt und von einer dicken, fettreichen Cutis bedeckt. Wenn ich so eben gesagt habe, dass die Knochen in die Tiefe gerückt sind, so könnte das die irrthümliche Vorstellung er- wecken, als bilde sich von der Oberfläche des Knochens aus eine neue Cutisschicht. So hat es auch, falls ich ihn richtig verstehe, O. Hertwic! aufgefasst. Das ist nicht der Fall; vielmehr erfolgt 1 0. HerrwıG, Das Zahnsystem der Amphibien. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. IX. Supplement. 38 M. Sagemehl dieses scheinbare in die Tiefe riicken dadurch, dass der Knochen von seinen Rändern her überwachsen wird, so dass zuerst seine Periphe- rie einen stärkeren Cutisüberzug erhält, und später erst das Centrum von der Cutis überwuchert wird. Dieser Vorgang lässt sich an ein- zelnen Knochen von Amia und Polypterus, eben so bei vielen Silu- roiden, wie z. B. Clarias, Callichthys und anderen sehr gut beob- achten und soll bei der Beschreibung der Siluroidenschädel noch genauer zur Sprache kommen. Während die Hautknochen der Schädeldecke allmählich immer mehr in die Tiefe rücken, folgen die ursprünglich in ihnen verlau- fenden Schleimkanäle nicht in gleichem Maße. Es scheint für die letzteren nothwendig zu sein, dass sie eine gewisse Tiefe nicht über- schreiten, um ihre ungestörte Kommunikation mit der Außenwelt nicht zu beeinträchtigen und ihre Funktion, als Träger von Sinnes- organen, erfüllen zu können. Dem entsprechend sehen wir denn auch, dass die Schleimkanäle, welche bei den Erythrininen tief im Inneren der Knochen gelegen sind, bei den echten Characiniden an die Oberfläche dieser Knochen emporstreben, ja bei Citharinus, des- sen Kopfschwarte besonders dick ist, über die Oberfläche der Kopf- knochen, als besondere, den letzteren aufgelagerte Knochenröhren beträchtlich prominiren (Taf. II Fig. 1). Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass das eben Gesagte nicht nur für die Familie der Characiniden gilt, sondern für die größte Mehrzahl der Knochen- fische als Regel aufgestellt werden kann. Bei gewissen Formen der Teleostier schreitet der eben geschilderte Vorgang noch weiter, so dass es schließlich zur vollständigen Abschnürung der eben er- . wähnten Knochenröhren von den Knochen des Schädeldaches kommt. In solchen Fällen sind die Schleimkanäle des Kopfes in besonderen Knochenröhren eingeschlossen, die zuerst von Srannivs! als ein eigenthümliches »Nervenskelet« beschrieben worden sind und deren Deutung den älteren Morphologen viele Schwierigkeiten bereitet hat. Derartigen Verhältnissen begegnet man bei Gymnotus, bei vie- len Muraenoiden, bei einigen Cyprinoiden und anderen Familien. Die dermatogenen Knochen der Mundhöhle sind das Para- sphenoid und der Vomer, welche beide in der Familie der Characiniden niemals zahntragend angetroffen werden. Der erstere bewahrt seine Deckknochennatur, während der letztere bei Characi- niden ganz konstante Beziehungen zu den ihm anliegenden Theilen ! Srannius, Handbuch d. Anatomie der Wirbelthiere. II. Aufl. Th. I. pag. 43. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. II. 39 des knorpeligen Primordialschädels eingeht und, wenigstens zum Theil, »primär« wird. Das Parasphenoid ist ein langgestreckter, flacher Knochen, welcher vorn etwa in der Höhe der Antorbitalfortsätze beginnt und sich nach hinten bis nahezu zum Hinterhauptgelenke fortsetzt. In seinem zwischen den Orbitae gelegenen Theil besitzt er bei den meisten untersuchten Gattungen eine niedrige und schmale, aber scharfe Längsleiste, die dem Adductor arcus palatini zur Insertion dient (Taf. II Fig. 13). Bei einigen Characiniden besitzt das Para- sphenoid in der Gegend des hinteren Orbitalrandes eine kleine Quer- leiste, die sich mit der eben erwähnten Längsleiste kreuzt (Taf. II Fig. 2 und 13). Sie dient den vorderen Enden der Pharyngobran- chialia des ersten Kiemenbogens zur Befestigung. Die an der hin- teren Grenze der Orbitalregion gelegenen, bei Amia und bei Polypterus so mächtig entwickelten Seitenflügel des Parasphenoid sind bei Characiniden nur angedeutet und erreichen niemals das Postfrontale, höchstens überdecken sie den vorderen unteren Winkel des Petro- sum, wie z.B. bei Hydrocyon (Taf. II Fig. 14). Das hintere Ende des Parasphenoid läuft, eben so wie bei fast allen anderen Teleo- stiern, in zwei Spitzen aus. Während nun bei den Erythrininen das Parasphenoid mit seinem hinteren Theil der Basis cranii von unten her fest aufliegt, erstreckt sich bei den meisten echten Cha- raciniden eine Fortsetzung des Augenmuskelkanals bis zum hintersten Ende des Knochens, so dass derselbe rinnenartig eingerollt und von der Schädelbasis abgehoben wird. Ganz eigenthümlich verhält sich das hintere Ende des Para- sphenoid bei Citharinus. Bei diesem Fische erstreckt sich nämlich ein langer, dünner und flacher Knochenfortsatz vom Parasphenoid aus nach hinten und unten, unter die ersten Wirbel (Taf. II Fig. 2, 4 und 5). Dieser Knochenfortsatz, welcher bei den von mir unter- suchten Exemplaren asymmetrisch auf einer Seite, und zwar auf der rechten, später entwickelt war, muss als eine vom Parasphenoid aus nach hinten fortschreitende, partielle Ossifikation eines beson- deren Bandes betrachtet werden, das sich von der hinteren Schä- delbasis zur Schwimmblase erstreckt (Taf. II Fig. 11), und dessen morphologische Bedeutung später erörtert werden soll. Der Vomer ist ein, in seinem vorderen, dem Primordialcranium direkt aufliegenden Theil, breit abgerundeter Knochen, der sich hin- ten zuspitzt und in seinem hinteren Abschnitt durch das Parasphe- noid vom Primordialschädel geschieden wird (Taf. I Fig. 2 und 40 M. Sagemehl Taf. II Fig. 2 und 13). Denselben Vorgang, der bei der Beschrei- bung des Ethmoid der Characiniden ausführlich geschildert wurde, sehen wir auch am Vomer vor sich gehen: derselbe geht Schritt für Schritt aus einem Belegknochen in eine zum größten Theil pri- mire Ossifikation über. Bei Citharinus und bei Anacyrtus liegen die einfachsten Ver- hältnisse vor. Der Vomer ist in diesen beiden Gattungen ein fla- cher Knochen, der jedoch an seinem vorderen Abschnitt zwei dünne Knochenlamellen in den anliegenden Knorpel hineinsendet und an dieser Stelle mit dem letzteren fest verbunden ist. Es ist dieses der erste Beginn des Einwachsens dieses Knochens in den Knorpel der Schnauzenspitze. Bei Hydrocyon ist bereits der ganze vordere Theil des Vomer, der von dem knorpeligen Primordialschädel durch das zwischen beiden gelegene Parasphenoid nicht getrennt wird, verdickt und weist eine spongiöse Beschaffenheit auf; beim Versuch ihn vom Cranium abzuheben; sieht man, dass er an dieser Stelle festhaftet und sich ohne Verletzung des Primordialcranium nicht entfernen lässt. Ähnlich verhalten sich auch Tetragonopterus und Alestes. Bei den Erythrininen endlich ist das ganze zwischen den beiderseiti- gen Nasengruben gelegene, Septum im unteren Theil vom Vomer aus verknöchert. Die an Erythrinus vorgenommene mikroskopische Untersuchung ergab in der That, dass das vordere Ende des Vomer auf Kosten des Knorpels der Ethmoidregion gebildet war. Es ist das ein Verhältnis, welches später in einer besonderen Ar- beit noch ausführlich erörtert werden soll. Da die Entstehung des Vomer aus verschmelzenden Zähnen der Mundhöhlenschleimhaut von Herrwic! für Amphibien und von WALTHER? für den Hecht auf das Unzweifelhafteste festgestellt und damit jeder Zweifel an der Hautknochen- resp. Schleimhautknochennatur desselben beseitigt ist, so kann dieser Fall, als ein weiteres, instruktives Beispiel dafür dienen, dass Hautknochen bei Teleostiern in gar nicht seltenen Fäl- len Beziehungen zum Primordialskelet eingehen können. Ganz be- sonders möchte ich noch auf den Umstand aufmerksam machen, dass der Vomer bei denselben Gattungen der Characiniden innigere Bezie- hungen zum ursprünglich knorpeligen vorderen Ende des Schädels gewinnt, wie das Ethmoid. 1 O0. Herrwic, Das Zahnsystem der Amphibien. 1. ce. 2 J. WALTHER, Die Entwicklung der Deckknochen am Kopfskelet des Hechtes. Jenaische Zeitschr. f. Naturwiss. Bd. 16. pag. 59. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 41 Es muss somit in beiden Fällen eine und dieselbe Ursache wirksam gewesen sein. Es ist das die erhöhte Anforderung an die Festigkeit des vorderen Schädelendes, die, wie schon erwähnt wurde, wiederum durch die mächtige Ausbildung des zähnetragenden Zwi- schenkiefers und dessen feste Anlagerung an den Schädel be- dingt ist. Nachdem die Frontalia, die Parietalia und das Parasphenoid durch Maceration entfernt und die hinteren Theile des Vomer und Ethmoid ebenfalls beseitigt sind, stellt der übrigbleibende Rest an- nähernd das Primordialeranium vor. Die Decke des Primordialschädels zeigt bei den Cha- raciniden zwei hinter einander liegende große Fenster (Taf. II Fig. 3). Das vordere Schädeldachfenster ist eine langgestreckte, von allen Seiten von knorpeligen Resten des ursprünglichen Primordial- schädels umgebene Lücke, welche das Dach desselben in der ganzen Ausdehnung der Orbitalregion einnimmt, von den Postorbital- bis zu den Antorbitalfortsätzen. Bedeckt und verschlossen — wenigstens bei den Gattungen mit kurzer oder fehlender Schädeldachfontanelle — wird das vordere Fenster von dem vorderen Theil der Ossa frontalia. Zwischen den beiden Postorbitalfortsätzen geht von einer Seite zur anderen eine schmale Knorpelspange, durch welche das eben erwähnte vordere Schädeldachfenster von dem hinteren getrennt wird. Diese Knorpelspange ist die schon erwähnte Epiphysarspange, welche der vom Gehirn aus schräg nach oben und vorn aufsteigen- den Epiphyse zur Anheftung dient. Das hintere Schädeldach- fenster ist breiter und gewöhnlich etwas länger, als das vordere und häufig, mit Ausnahme seines hinteren Randes, wo es an das Os oceipitale superius grenzt, von einem knorpeligen Rande um- geben. Es wird vom hinteren Theile der Ossa frontalia und von den Parietalia verschlossen. Wenn wir uns bei niedriger organisirten Fischen nach Bildun- gen umsehen, welche mit den Fenstern in der Schädeldecke der Characiniden zu vergleichen wären, so ist es vor Allem die Prae- frontalliicke der Selachier, die in Betracht gezogen werden muss. Ein besonderes Gewicht möchte ich auf den Umstand legen, dass die hintere knorpelige Begrenzung der Praefrontallücke bei Haien ganz gewöhnlich der Epiphysis cerebri zur Anheftung dient!. In 1—. EuLers, Die Epiphyse am Gehirn der Plagiostomen. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. XXX. 4? M. Sagemehl dieser Beziehung verhält sich die hintere Begrenzung der Praefron- talliicke ganz ähnlich, wie die hintere Begrenzung des vorderen Schädeldachfensters der Characiniden — die Epiphysarspange. Wenn die Praefrontallücke der Selachier vor den Antorbitalfortsätzen ge- legen ist, während das Fenster bei Characiniden nach hinten bis nahe an die Postorbitalfortsätze reicht, so ist das nicht von so großem Belang und lässt sich durch die relativ bedeutendere Volumentfal- tung des ganzen Schädels bei Knochenfischen und das dadurch be- dingte scheinbare Zurückweichen des Gehirns mit der Epiphyse nach hinten erklären. Jedenfalls ist die Möglichkeit, dass das vor- dere Schädeldachfenster der Characiniden mit der Praefrontallücke der Selachier in genetischem Zusammenhange stehen könnte, nicht von der Hand zu weisen. Das hintere Schädeldachfenster dieser Fische ist sicher eine Neubildung, welcher nichts bei niederen For- men Vorkommendes an die Seite gestellt werden kann. Eben so wie an der Schädeldecke, begegnen wir auch an der Schädelbasis einem Fenster, das nach Abhebung des Parasphenoid sichtbar wird. Bei den Characiniden bildet es an der Basis cra- nii eine schmale, in der Mittellinie zwischen den beiden Ossa petrosa verlaufende Längsspalte, welche an der hinteren Grenze der Orbi- talregion beginnt und sich nach hinten bis an den vorderen Rand des Occipitale basilare fortsetzt. Sie führt direkt in den Augen- muskelkanal. Da nun, wie ich in meiner Arbeit über das Cranium von Amia calva nachgewiesen habe, der Augenmuskelkanal, als ein sekundär abgetrennter Raum des Cavum cranii angesehen werden muss, so werden wir diese Längsspalte, als homolog mit dem direkt ins Cavum cranii führenden Hypophysarfenster von Amia zu be- trachten haben. Der basale, hintere Theil des Primordialschädels wird von dem Occipitale basilare eingenommen. Wir haben an diesem Kno- chen einen hinteren, kleineren, nach Art eines Wirbelkörpers gebau- ten Abschnitt, der zur Artikulation mit dem ersten Wirbel dient, von einem vorderen zu unterscheiden, welcher bei Characiniden zur Um- schließung von Theilen des Labyrinth benutzt wird. Der hintere Abschnitt des Oceipitale basilare besitzt eine konische, mehr oder weniger tiefe Aushöhlung, die von einem fast kreisrunden zuge- schärften Rande umgeben wird, und die von dem bekannten gallert- artigen Chordagewebe erfüllt ist (Taf. I Fig. 5 und Taf. II Fig. 5). Der Rand dieser Aushöhlung wird durch eine lockere Bandkapsel mit der Feripherie der planen oder in geringem Grade konvexen Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 43 Vorderfläche des ersten Wirbelkörpers verbunden. Es müssten so- mit, nach dem anatomischen Bau, alle Bewegungen, deren ein Kugel- gelenk fähig ist, in diesem Oceipitalgelenk der Characiniden ausge- führt werden können. Das findet in der That jedoch nicht statt, indem eine Hemmvorrichtung existirt, die gewisse Bewegungen un- möglich macht. Von dem oberen Rande der Hinterhauptsöffnung nämlich, bis zur Spina oceipitis legen sich die zu einer vertikal stehenden Platte verschmolzenen Dornfortsätze der ersten Wirbel an die hintere Fläche des Schädels an und verbinden sich mit demsel- ben durch straffe Bänder. Auf diese Weise werden Bewegungen um eine frontale Achse — Nickbewegungen — und Rotationsbewe- gungen des Kopfes ausgeschlossen und nur Seitenbewegungen dessel- ben gestattet. Das eben Angeführte gilt für die meisten Characiniden; bei zwei Gattungen derselben passt sich jedoch das Hinterhauptgelenk in ganz specieller Weise an die ausschließlich mögliche Art der Bewegung an. Bei Hydrocyon verdicken sich die lateralen Ränder der Gelenk- aushöhlung des Occipitale basilare ein klein wenig und indem sich ent- sprechende, allerdings ganz wenig ausgeprägte Vertiefungen an den Seitenrändern der vorderen Fläche des ersten Wirbels ausbilden, erken- nen wir die ersten Anfänge einer höheren Differenzirung des Hinter- hauptgelenks (Taf. II Fig. 16). Weiter fortgeschritten ist diese Bildung bei Alestes, bei welcher Gattung die lateralen, callösen Verdickungen bedeutend stärker entwickelt sind, so dass man mit einem gewissen Rechte schon von zwei sich ausbildenden Condylen sprechen könnte (Taf. Fig. 18). Die vordere Fläche des ersten Wirbelkörpers wird durch eine niedrige, aber breite senkrechte Leiste in zwei flache la- terale Gruben geschieden, die mit diesen Condylen artikuliren. Durch diese Bildungsverhältnisse am Oceipitalgelenk sind die Seitenbewe- gungen des Kopfes ausgiebigere geworden, als bei den mit einem indifferenteren Hinterhauptgelenk versehenen Fischen. Dieser in der Familie der Characiniden gemachte Versuch zu einem höher differenzirten, einer besonderen Bewegungsweise ange- passten Occipitalgelenke zu gelangen, ist, so weit ich nach dem aller- dings nur spärlichen mir zu Gebote stehenden Material urtheilen kann, weder in der Familie der Characiniden, noch bei einer anderen mir bekannten Form von Teleostiern weiter geführt; doch ist es zweifellos, dass bei einer weiteren Differenzirung in derselben Richtung, ein ganz eigenthümliches, höher organisirtes Gelenk sich ausgebildet hätte. 44 M. Sagemehl Der vordere Theil des Oceipitale basilare ist ein massiver, spon- siöser Knochen, der lateral in zwei dünne Seitenfliigel ausläuft, welche zur seitlichen Begrenzung der Lagenae und zum Theil auch der kleinen Sacculi beitragen!. Die Entwicklung dieser Sei- tentheile des Occipitale basilare hängt vollkommen von der Größe der Lagena und des in derselben liegenden Otolithen ab. Während sie bei Hydrocyon über das Niveau der Seitenwände des Schädels kaum prominiren (Taf. II Fig. 14), helfen sie bei den Erythrininen, . bei Anacyrtus, Sarcodaces, Alestes, Tetragonopterus und namentlich bei Citharinus die Bulla acustica lagenaris bilden, deren laterale Begrenzung unten vom Occipitale basilare, oben vom Occipitale laterale gebildet wird (Taf. I Fig. 2, 3, 5 u. Taf. Il 2, 4 u. 5). Das Ocei- pitale basilare verbindet sich mit folgenden Knochen: nach hinten mit dem ersten Wirbel: lateral und nach oben grenzt es an die Oceipitalia lateralia; vorn an die Petrosa, und seinem vorderen Ab- schnitt liegt von unten das hintere Ende des Parasphenoid an. Die beiden Oceipitalia lateralia sitzen dem Oceipitale basilare auf und stoßen im Inneren des Schädels durch besondere horizontale Knochenlamellen in der Mittellinie, unter dem Hinter- hauptloch zusammen, so dass sie allein an der Begrenzung dieser Öffnung Theil nehmen und das Oceipitale basilare davon ausge- schlossen ist (Taf. I Fig. 5 und Taf. I Fig. 5, 16 und 18). Über der Hinterhauptöffnung vereinigen sich die beiden Occipitalia late- ralia in einer ziemlich langen Mittelnaht, welche bei Citharinus durch einen breiten Knorpelstreifen repräsentirt wird. An jedem Oceipitale laterale können wir bei der Betrachtung von außen zwei Flächen unterscheiden: eine nach hinten gerichtete, welche zur Bildung der hinteren Schädelfläche beiträgt, und eine lateral und ein wenig nach unten sehende Fläche, welche die Sei- tenwand des Schädels bilden hilft: beide Flächen sind durch eine knöcherne Leiste von einander getrennt. Außerdem besitzt jedes Oceipitale laterale die schon erwähnte, medial gerichtete, horizon- tale Knochenplatte, die im Inneren des Schädels über dem Oceipitale basilare mit ihrem Antagonisten zusammenstößt und den Boden des Cavum cranii bilden hilft. Die laterale Fläche des Occipitale late- 1 Wie schon in der Einleitung erwähnt ist, gleicht das Labyrinth der von mir untersuchten Characiniden in hohem Grade dem Labyrinth der Cyprinoi- den, das wir durch die schönen, schon mehrfach eitirten Untersuchungen von HAssE und RETZIUS kennen gelernt haben. Beitrige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 45 rale trägt bei den Characiniden, denen eine Bulla acustica lagenaris zukommt, zur Bildung des oberen Theils dieser Bulla bei, wie schon früher erwähnt ist. Bei Citharinus, dessen Bulla ganz besonders stark entwickelt ist, bleiben Occipitale basilare und Occipitale laterale, die sonst durch eine quer über die Bulla verlaufende Naht verbun- den werden, an dieser Stelle durch eine dünne, ziemlich breite, drei- eckige Knorpelplatte getrennt (Taf. II Fig. 2 und 5). Jedes Occipitale laterale verbindet sich durch Naht mit fol- genden Knochen: unten liegt es überall dem Occipitale basilare auf. An seiner hinteren Fläche ist es in der Mittellinie mit seinem Antagonisten verbunden; nach oben mit dem Occipitale superius, und mehr lateral mit dem Exoccipitale. Die laterale Fläche verbin- det sich nach oben mit dem Squamosum und nach vorn mit dem Petrosum. In der Naht zwischen Occipit. laterale, Exoceipitale und Squamo- sum finden wir bei allen Characiniden einen kleinen Knochen von außen eingekeilt, welcher nach hinten in eine schwache, vorragende Spitze ausläuft (Taf. I Fig.2 u. Taf. II Fig. 2, 13 u. 17 Zc). An dieser Spitze befestigt sich ein Band, das vom unteren, nach vorn gerichteten Schen- kel des Suprascapulare seinen Ursprung nimmt. Durch seine topogra- phische Lage und durch die Beziehung zum Suprascapulare charakteri- sirt sich dieser Knochen als das Intercalare. So weit ich mich über- zeugen konnte, ist der centrale Theil des Intercalare mit dem Cranium in fester Verbindung und aller Wahrscheinlichkeit nach durch Ossifi- kation von knorpelig präformirten Theilen entstanden. Doch reicht der Knochen an keiner Stelle durch die ganze Dicke der Schädel- wand und ist von der Begrenzung des hinteren Bogenganges, dem er allerdings sehr nahe kommt, überall ausgeschlossen. In dieser Hinsicht verhalten sich die Characiniden gerade so wie Amia, deren Intercalare jedoch ein viel mächtiger entwickelter Knochen ist. Der periphere Theil des Intercalare besteht aus einer dünnen Knochen- lamelle, die sich über die benachbarten Knochen an der Außenfläche des Schädels ausbreitet. Bisweilen reicht dieser verdünnte Theil so weit nach vorn, dass er die ganze Naht zwischen Squamosum und Occip. laterale überdeckt, und es auf den ersten Blick den Anschein hat, als berührten sich diese beiden Knochen nicht, sondern wären überall durch das zwischen sie eingeschobene Intercalare getrennt. Bei genauer Untersuchung mit der Lupe sieht man jedoch unter diesem Theil des Intercalare die Naht zwischen dem Oceip. laterale und dem Squamosum durchschimmern und überzeugt sich leicht von 46 M. Sagemehl dem wahren Sachverhalte. So finde ich es bei Alestes. Die anderen Characiniden verhalten sich ganz ähnlich. Die bei den Teleostiern zu beobachtende Reduktion des Inter- calare, von der nur die Gadiden eine Ausnahme machen !, gegen- über der bei Amia so mächtigen Entwicklung dieses Knochens, ist eine beachtenswerthe Thatsache und findet, wie ich glaube, ihre Erklärung darin, dass bei Knochenfischen ein neuer Knochen, welcher bei Amia und bei den übrigen Knochenganoiden eine bloße dermale Ossifikation vorstellt, Beziehungen zum Primordialeranium gewinnt und allmählich die Stelle des Intercalare einnimmt. Es ist dieses das Squamosum der Fische. Die laterale, hintere Ecke des Cranium und der hintere untere Rand der Temporalhöhle, welche bei Amia vom Intercalare gebildet wurden, werden allmählieh bei Teleostiern vom Squamosum eingenommen, und das einst so gut entwickelte Intercalare wird schließlich zu einem kleinen Knöchelchen degradirt, welches einzig und allein zur Anheftung des Suprascapulare an das Cranium zu dienen scheint. Mit der Reduktion des unteren, nach vorn gerichteten Fortsatzes des letzteren Knochens schwindet endlich auch das Intercalare. Dieser Vorgang kann jetzt nur an- gedeutet werden; bei Betrachtung einer anderen Reihe von Physo- stomenfamilien, die ebenfalls mit Amia beginnt und durch die Osteo- glossiden zu den Clupeiden, Esociden, Salmoniden und Galaxiden und schließlich zu den Acanthopteren führt, soll er genauer ins Auge gefasst werden. Über den Oceip. lateralia liegt an der Grenze zwischen dem Schädeldach und der hinteren Schädelfläche das Occipitale su- perius, (Tafel. Fig. 1.5 u. Pat. Fig, A E11; 1 REDE Nach vorn und oben wird dieser Knochen von den hinteren Rändern der Parietalia überlagert; lateral und nach hinten grenzen die Exoc- cipitalia und nach unten die Occipitalia lateralia an denselben. Nach hinten ist er in eine sehr verschieden entwickelte Spina oceipitalis ausgezogen. Bei Erythrininen, und bei Sarcodaces, der sich auch hierin an dieselbe anschließt, besteht ein einfaches Verhalten, indem diese Spina auf einen kurzen Knochenzapfen beschränkt ist (Taf. I Fig. 1). Bei den echten Characiniden ist sie dagegen mächtig ent- wickelt und zwar in einem Grade, wie er sonst in der ganzen Ab- theilung der Physostomen nur selten angetroffen wird. Verhältnis- ! Vgl. VROLIK, Studien über die Verknöcherung und die Knochen des Schädels der Teleostier. Niederländ. Archiv f. Zoologie. Bd. I. 1873. Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 47 mäßig am kürzesten ist die Spina oceipitis noch bei Tetragonopterus und Hydrocyon (Taf. II Fig. 12); sie hat bei diesen Gattungen etwa ein Drittel der Länge des ganzen übrigen Schädels.. Schon länger ist sie bei Alestes und bei Citharinus (Taf. II Fig. 1), und bei Anacyr- tus beträgt die Spina oceipitis etwa drei Viertel der Länge des ganzen übrigen Schädels. Bei allen diesen Gattungen ist ihre obere Fläche tief rinnenartig ausgehöhlt. Nach unten und hinten schärft sich die Spina oceipitis zu einer dünnen Knochenlamelle zu, welche zu der zwischen den beiderseitigen dorsalen Portionen des Seitenrumpfmuskels liegenden Fascie die innigsten Beziehungen hat, und die Vermuthung aufkommen lässt, dass die Spina der Characiniden zum größeren Theil durch Übergreifen der Ossifikation des Oceipitale superius auf diese Fascie entstanden ist. Jedes Exoceipitale hat annähernd die Gestalt einer drei- seitigen Pyramide, deren Spitze nach hinten und oben gerichtet ist, und deren Flächen nach oben, lateral und nach hinten und medial sehen. Die laterale Fläche dieses Knochens bildet die mediale Be- grenzung der Temporalhöhle. Indem nun der in der Temporalhöhle liegende Theil des Seitenrumpfmuskels sich vergrößert, wird das Exoceipitale unterwühlt und dessen Wandungen an einzelnen Stellen derartig verdünnt, dass es zur Bildung von Fenstern kommt. Bei den Erythrininen und Sarcodaces erfolgt eine solche Fenestration des Exoceipitale an der oberen Fläche dieses Knochens, so dass dort ein Defekt entsteht, der direkt von oben in die Temporalhöhle hin- einführt, und der nach vorn und medial bis an das Occip. superius reicht (Taf. I Fig. 1 u. 5). Bei Tetragonopterus, Alestes, Hydrocyon und Anacyrtus entsteht, außer dem eben beschriebenen Defekt an der oberen Fläche des Exoceipitale, noch ein ganz ähnlicher Defekt an der hinteren Fläche des Schädels zwischen Exoceipitale, Occip. sup. und Occip. later. (Taf. II Fig. 12, 16, 17 und 18). Auf diese Weise bleiben schließlich vom ganzen Exoceipitale nur drei Spangen nach, welche an der Spitze des Knochens zusammentreffen. Citharinus ver- hält sich in so fern ganz eigenthümlich, als ihm nur die zuletzt be- schriebene Fenestration an der medialen, unteren Fläche des Exocci- pitale zukommt und ein Defekt an der oberen Fläche nicht vorhanden ist (Taf. II Fig. 1 und 5). Wie ich noch einmal hervorheben will, dienen die beiden von Membranen verschlossenen Fenster des Ex- oeeipitale nicht zum Durchtritt irgend welcher Weichtheile und scheinen lediglich zur Erzielung einer größeren Leichtigkeit des Knochens entstanden zu sein, so dass man sie von demselben 48 M. Sagemehl Gesichtspunkte beurtheilen muss, wie etwa die bekannten Fenster- bildungen im Sternum vieler Saurier und andere derartige Bil- dungen. Ähnliche Fensterungen des Exoceipitale sind, außer bei dem Gymnotiden Sternopygus, meines Wissens bei keinem anderen Fische anzutreffen und bilden eines der charakteristischen Kennzeichen des Characinidencranium. Die Verbindungen des Exoccipitale mit benachbarten Knochen sind folgende: oben wird es ein klein wenig vom Parietale überlagert; medial grenzt es an das Occip. superius; nach unten an das Occipitale laterale; lateral, über der Temporal- höhle an das Squamosum, unter derselben an das Intercalare. Das wären die einzelnen Knochen der Occipitalregion, und es bleibt noch übrig, die ganze Region im Zusammenhang mit den benachbarten Weichtheilen und Skelettheilen zu betrachten; die Verbindung des Cranium mit der Wirbelsäule ist schon oben eingehend geschildert worden. Zunächst sind die Knochen des Schultergürtels, die mit dieser Region in Verbindung treten, zu betrachten. Der oberste, zum Hautknochenkomplex des Schultergürtels ge- hörige Skelettheil ist das Extrascapulare (Taf. I Fig. 1 u. Taf. I Fig. 12 Es). Es ist das bei den untersuchten Characiniden ein kleiner, schuppenförmiger Deckknochen, welcher über dem Eingange zur Tem- poralhöhle gelegen ist, und über den nichts Besonderes zu bemerken ist. Hinter und etwas unter dem Extrascapulare finden wir die obere, medial gerichtete Zinke des Suprascapulare (Taf. I Fig. 1 und Taf. II Fig. 12 Sc). Die andere, viel kürzere Zinke liegt viel tiefer in der Muskulatur und ist ziemlich genau medial gerichtet; wie schon erwähnt, heftet sie sich an das Intercalare an. Bei den Ery- thrininen ist diese Zinke verhältnismäßig gut entwickelt; viel schwächer ist sie bei den echten Characiniden, so dass sie besonders bei Citharinus den Eindruck eines ganz rudimentären Skelettheils macht. In dieser Hinsicht erinnern die Verhältnisse der höheren Characiniden sehr an diejenigen ihrer nächsten Verwandten, der Cyprinoiden, bei denen diese Zinke fast vollkommen fehlt, und deren Intercalare dem entsprechend zu einem ganz kleinen, rudimentären Knöchelchen reducirt erscheint. Das Supraclaviculare lagert sich an die hintere, laterale, vorspringende Ecke des Schädels mit seinem oberen Abschnitt an. Außerdem besitzt es ganz konstant noch eine weitere Befestigung an der Hinterhauptregion. Von dem unteren lateralen Theile dieser Region, speciell von der Bulla acustica lagenaris und von deren Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 49 Umgebung entspringt nämlich ein starker Muskel, der zum Schulter- gürtel tritt. Es ist’ das der Attractor des Schultergürtels der Knochenfische, der eine Differenzirung der dorsalen Portion des Seitenrumpfmuskels vorstellt und mit dem sehr ähnlichen M. tra- pezius der Selachier, wie VETTER hervorgehoben hat, nicht zu ver- wechseln ist. In dem unteren Theil dieses Muskels findet man nun ganz konstant ein derbes Band eingelagert, das mehr oder minder fest mit der perimuskulären Fascie verbunden ist und als Differen- zirung derselben aufgefasst werden muss. Dieses starke Band ent- springt dieht unter der Bulla acustica und befestigt sich am unteren Ende des Supraclavieulare, so dass dieser Knochen durch den Zug des Seitenrumpfmuskels nicht nach hinten gezogen werden kann, ohne den Kopf mit zur Seite zu wenden. Eine besondere Bedeutung erlangt dieses bei Fischen sehr verbreitete Band dadurch, dass es bei einigen Formen, wie z. B. bei Siluroiden, ossifieirt und einen be- sonderen, knöchernen Fortsatz des Supraclaviculare vorstellt, der sich an der Schädelbasis befestigt. Ein anderes, ebenfalls von der Hinterhauptsregion entspringendes Band nimmt unser Interesse in viel höherem Grade in Anspruch, weil es auf gewisse, sonst schwer zu verstehende Organisations- eigenthümlichkeiten ein unerwartetes Licht wirft. Dieses Band ent- springt vom vorderen Ende der Schwimmblase und heftet sich an der Basis der Occipitalregion, am Occipitale basilare und am Para- sphenoid an. Die Schwimmblase der Characiniden ist, wie schon in der Einleitung gesagt wurde, stets gedoppelt. Die vordere, kleinere Ab- theilung derselben besitzt an ihrem vorderen Ende eine horizontal verlaufende leichte Einkerbung, so dass die Blase vorn in zwei über einander gelegene Ausbuchtungen getheilt ist. Die obere Ausbuch- tung lehnt sich, eben so wie bei den Cyprinoiden, an eine vom Körper des vierten Wirbels absteigende Apophyse an, und tritt mit dem Weper’schen Apparat, speciell mit den hinteren Enden der Mallei ‘in Beziehung. Von dem vorderen, breit abgerundeten Ende der unteren Ausbuchtung entspringt das erwähnte Ligament. Die dünne Tunica interna der Schwimmblase endet abgerundet am vorderen Ende der unteren Ausbuchtung derselben. Anders verhält sich die Tuniea externa. Die derben Fasern, aus denen sie sich zusammen- setzt, laufen nach vorn zusammen und bilden schließlich einen derben, - drehrunden Strang, welcher unmittelbar über dem Oesophagus nach vorn und oben verläuft (Taf. II Fig. 11). An der Basis eranii spaltet Morpholog. Jahrbuch. 10. 4 50 M. Sagemehl sich dieser Strang in zwei seitliche Schenkel, welche die der Schä- delbasis anliegende Aorta zwischen sich fassen, und sich sodann zu beiden Seiten derselben an das Occipitale basilare und namentlich an das hintere Ende des Parasphenoid inseriren. In diesen Strang hinein erstreckt sich ganz konstant ein starkes, arterielles Gefäß, das von der Aorta seinen Ursprung nimmt und im Bande einge- schlossen nach hinten verläuft. An der Insertionsstelle des Bandes an der Schwimmblase verlässt die Arterie dasselbe und verzweigt sich an der Schwimmblase und am Oesophagus, wie ich mich an einem gut konservirten Exemplar von Macrodon überzeugen konnte. Allem Anschein nach, ist dieses Gefäß die für die Einge- weide bestimmte Arteria coeliaco-mesenterica, die bei den Characi- niden ganz auffallend weit nach vorn von der Aorta ihren Ursprung nimmt. Die Länge des eben beschriebenen Bandes ist sehr ver- schieden und hängt natürlich davon ab, wie weit die Schwimmblase nach vorn reicht: bei Citharinus, dessen Schwimmblase fast bis an die Basis cranii reicht, ist das Band in Folge dessen recht kurz. Vermisst habe ich es in keiner Characinidengattung. Der eben beschriebene Befund kann wohl kaum anders erklärt werden, als durch die Annahme, dass die Schwimmblase bei den Vorfahren der jetzt lebenden Characiniden ursprünglich bis an die Basis eranii gereicht hat, und mit dem Schädel an dieser Stelle in Beziehung stand. Allmählich fand dann ein nach hinten Wandern des vorderen Endes der Schwimmblase statt, in der Weise, dass sich zunächst die Tunica interna zurückzog; die Tunica externa, welche inzwischen Beziehungen zu der Arteria coeliaco-mesenterica eingegan- gen war, folgte ihr nicht in gleichem Maße nach und wurde zu einem Ligamente ausgezogen, das uns den Weg des sich zurück- ziehenden vorderen Endes der Schwimmblase angiebt. Das ist die einfachste Erklärung für den merkwürdigen Befund. Gestützt wird sie durch die bekannten Verhältnisse bei solchen Teleostiern, die eine direkte Verbindung zwischen Schwimmblase und Labyrinth aufweisen. Beim Hering z. B., der eine solche direkte Kommunikation der Schwimmblase mit dem Labyrinth, inner- halb des Cavum cranii besitzt, finden wir die Schwimmblase nach vorn in ein Ligament ausgezogen, das sich genau eben so, wie das entsprechende Band der Characiniden an der Schädelbasis be- festigt. Der Unterschied liegt nur darin, dass beim Hering sich in dieses Band hinein auch die Tunica interna und der von der letzteren umschlossene Hohlraum der Schwimmblase fortsetzt. An Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. II. 51 der Schädelbasis spaltet sich die von der Tuniea interna gebildete Röhre in zwei Schenkel, welche aus dem Bande heraustreten, durch besondere Öffnungen der Occipitalia lateralia in die Schädelhöhle gelangen und dort mit dem Labyrinth in Beziehung treten !. Die Übereinstimmung dieses Befundes beim Hering mit dem geschilderten bei Characiniden, ist so auffallend, dass man unwill- kiirlich zu der Annahme gedrängt wird, auch die Vorfahren der Characiniden hätten eine direkte Verbindung zwischen Schwimmblase und Gehörlabyrinth besessen und dieselbe allmählich gegen die in- direkte, durch den WEBEr’schen Apparat vermittelte, eingetauscht. Durch diese Annahme wird dem WeBer’schen Gehörknöchelapparat von seinem räthselhaften Charakter Einiges genommen. Wir lernen erkennen, dass die direkte Verbindung der Schwimmblase mit dem Labyrinth, die auch gegenwärtig in annähernd gleicher Weise bei sehr verschiedenen Familien von Knochenfischen angetroffen wird 2, und schon durch diesen Umstand — wenn man nicht eine polyphy- letische Entstehung dieses höchst eigenthiimlichen Organisationsver- hältnisses annehmen will — auf ihr hohes Alter hinweist, als die ursprünglichere zu gelten hat, von welcher aus die, aller Wahrschein- lichkeit nach physiologisch vollkommenere, indirekte Verbindung durch den Weger’schen Apparat abzuleiten ist. Bevor ein WEBERr’scher Ap- parat sich ausbildete, müssen eben schon physiologische Beziehungen zwischen Schwimmblase und Gehörlabyrinth existirt haben und da eine Actio in distans zwischen der, als Divertikel des Vorderdarms entstandenen, in der Leibeshöhle gelegenen Schwimmblase und dem im Cranium eingeschlossenen Gehörlabyrinth undenkbar ist, so sind wir zur Annahme einer schon früher existirenden, direkten Verbindung zwischen den beiden Organen gezwungen. Wie diese ursprüngliche, direkte Verbindung zu Stande gekommen ist, darüber können vor der Hand nicht einmal Vermuthungen aufgestellt werden; es muss uns genügen, dass sie in der That bei vielen Fischen existirt, und ! Vgl. WEBER, De aure et auditu hominis et animalium Lips. 1820 und C. Hasse, Anatomische Studien. Th. XIV. > Unter den Physostomen bei vielen Clupeiden, bei Notopteriden, Hyodon- tiden; unter Anacanthinen bei Macruriden; unter Acanthopteren bei Beryciden, Gerriden u. a. Vgl. Srannius, Handbuch d. Anatomie d. Wirbelthiere. Th. I. Aufl. II, wo alles darauf Beziigliche zusammengestellt ist. Auch bei einigen Gadiden, wie z. B. bei Physiculus und Uraleptus, und bei dem Sele- rodermen Balistes finde ich eine direkte Verbindung der Schwimmblase mit dem Gehörlabyrinth. = 4* 52 M. Sagemehl dass die größte Wahrscheinlichkeit, wie die Characiniden lehren, dafür besteht, dass diese Verbindung die primäre ist, von welcher aus die indirekte, durch den WEBER’schen Apparat vermittelte, sich ableitet. Den speciellen Vorgang muss man sich, wie ich glaube, so vorstel- len, dass zuerst innerhalb der Dura mater entstandene, durch Knochen allseitig abgeschlossene Lymphräume sich zwischen Labyrinth und das sich allmählich zurückziehende vordere Ende der Schwimmblase ein- schalteten; darauf gewannen, bei dem noch weiteren Zurücktreten der Schwimmblase, auch andere, extracranial zu beiden Seiten der Wir- belsäule gelegene Lymphräume Beziehungen zum Labyrinth; und schließlich wurden auch die in diese sich vergrößernden Lymphsäcke hineingelangten Theile der ersten Rumpfwirbel, als Mittelglieder in den Apparat einbezogen. Diese Anschauung muss vorläufig leider Hypothese bleiben, da bei den jetzt existirenden Fischen, der WE- BER’sche Apparat in vollkommener Differenzirung angetroffen wird und frühere Zustände, in welchen man die ersten Anfänge seiner Aus- bildung antreffen könnte, nicht bekannt sind. ! Die inder Oceipitalregion austretenden Hirnnerven sind der Glossopharyngeus, der Vagus und ein Occipitalnerv (Hypo- glossus der Autoren). Der stärkste von diesen Nerven ist der Vagus. Er tritt durch eine große, an der lateralen Fläche des Occipitale laterale, dicht über der Bulla lagenaris gelegene Öffnung aus und bietet in seinen stärkeren Ästen nichts von dem gewöhnlichen Befunde bei Knochen- fischen Abweichendes (Taf. I Fig. 2, 3 und Taf. II Fig. 2, 4, 13, 14 v9). Dicht vor dem Vagus tritt durch eine besondere, kleine Öffnung des- selben Knochens der Glossopharyngeus aus, über den ich eben- falls nichts Besonderes zu bemerken habe (dieselbe Abbild. ¢g.ph). Der Oceipitalnerv verlässt das Cranium durch eine ziemlich große Öffnung, an der hinteren Fläche des Oceipitale laterale, nicht weit von dem Hinterhauptloche (Taf. I Fig. 5 und Taf. II Fig. 5, 16 und 18 oc). Er entspringt bei den Characiniden von der Medulla oblongata mit einer starken, ventralen und einer sehr schwachen, dor- salen Wurzel, die noch innerhalb des Schädels ein sehr kleines Ganglion bildet, und theilt sich unmittelbar nach seinem Austritt in einen schwächeren, dorsalen Ast, welcher in die dorsale Portion des Seitenrumpfmuskels tritt, und einen stärkeren, ventralen, der längs dem Schultergiirtel nach unten und vorn verläuft, und zusammen mit Fasern des ersten Spinalnerven die zwischen dem Schulter- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. II. 53 gürtel und dem Unterkiefer liegenden ventralen Längsmuskeln versorgt. Zwischen der Stärke dieses Nerven und dem Durch- messer seiner Austrittsöffnung besteht bei allen untersuchten Cha- raciniden ein bedeutendes Missverhältnis, indem die Öffnung be- deutend größer ist, als es für den Nerven erforderlich wäre. Der nicht vom Nerven ausgefüllte Theil der Öffnung wird von einer straffen Membran geschlossen. Bei den Erythrininen ist dieses Miss- verhältnis nicht besonders auffallend; bedeutender wird es schon bei den echten Characiniden, unter denen die Gattung Anacyrtus relativ die größte Öffnung besitzt; sie ist bei dieser Gattung größer, als die Vagusöffnung, welche einem etwa viermal so starken Nerv zum Durchtritt dient. Hinten grenzt an diese Öffnung ‘unmittelbar der Saccus paravertebralis, jener zur Seite der Wirbelsäule gelegene Raum, in dem die WEBER'schen Gehörknöchelchen liegen. Ich würde auf die an dieser Nervenöffnung zu beobachtende Fensterbildung gar kein Geiewht gelegt haben, wenn nicht bei den verwandten Cyprinoi- den eine direkte Kommunikation zwischen dem Saccus paravertebra- lis und den Lymphräumen des Cavum cranii durch die vergrößerte Öffnung des Occipitalnerven existirte. Das Fenster an der Peripherie des Oceipitalnerven bei Characiniden ist in der That dem großen, be- kannten lateralen Occipitalloch der Cyprinoiden homolog, und somit se- hen wir bei den Characiniden die ersten Anfänge eines eigenthiimlichen Verhaltens, welches bei den Cyprinoiden weiter gefiihrt ist und dem Schädel der letzteren einen sehr eigenartigen Charakter verleiht. In meiner Arbeit über das Cranium von Amia calva! habe ich ge- zeigt, dass der Schädel dieses Ganoiden einem primitiven, mit dem Vagus abschließenden Cranium, wie es die meisten Selachier besitzen, nicht vollkommen homolog ist, sondern einem Selachierschädel plus den drei (oder mehr) ersten Wirbeln entspricht. Die zu diesen Wirbeln zugehörigen Bogen und die zwischen ihnen austretenden Nerven wa- ren bei Amia zum Theil noch nachweisbar, während die Körper dieser Wirbel unter einander und mit dem Occipitale basilare vollkommen verschmolzen waren. Wie verhalten sich die Characiniden in dieser Hinsicht? Lassen sich bei ihnen ebenfalls mit dem Schädel verschmol- zene Wirbel nachweisen, oder repräsentiren sie einen ganz anderen Typus, der auf die bei Amia gefundenen Verhältnisse gar nicht zurückzuführen ist? Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten und erfordert vor 1 Das Cranium von Amia calva. Morphol. Jahrb. Bd. IX. 54 M. Sagemehl Allem eine genaue Betrachtung der ersten, an das Cranium sich an- schließenden Wirbel und der ersten Spinalnerven. Während es bei Amia ganz leicht ist die Grenze zwischen dem Schädel und dem ersten diskreten Wirbel anzugeben, ist das bei allen mit einem WE- BER’schen Apparat versehenen Fischen ohne genaue Analyse der betreffenden Theile nicht möglich. Zwar ist die Grenze zwischen dem Occipitale basilare und dem Körper des ersten Wirbels ebenfalls eine ganz scharfe; doch ist das an den Theilen, welche den Wirbelbo- gen entsprechen, nicht der Fall. An der Stelle, wo die oberen Bogen sitzen müssten, treffen wir einige kleine Skelettheile an, die dem Weper’schen Apparat angehören und über deren Zugehörigkeit zum Cranium oder zum ersten Wirbel Zweifel bestehen können. Eine ausführliche Schilderung des Weper’schen Apparates in allen vier Teleostierfamilien, in denen er angetroffen wird, soll in einer beson- deren Arbeit erfolgen, und kann an dieser Stelle auf denselben nur so weit eingegangen werden, als es für das Verständnis des Schä- dels durchaus erforderlich ist. Wie bei jedem Versuch die ursprüngliche Metamerie eines Kör- perabschnittes festzustellen, so sind es auch in diesem Falle die Nerven, welche vor Allem in Betracht zu ziehen sind. Sie sind un- ter allen Organen als die konservativsten anzusehen; primär treten an ihnen so gut wie niemals Veränderungen auf, und den durch Anpassung der übrigen Organe des Skelet- und Muskelsystems an neue Bedingungen erzeugten Veränderungen fügen sich die Ner- ven nur langsam, und — wenn ich mich so ausdrücken darf — zö- gernd an. In der Familie der Characiniden, die, wie ich hier erwähnen will, sich im Bau des Weser’schen Apparates primitiver verhält, als die Cyprinoiden, ja in gewissen Verhältnissen sogar noch primi- tiver, als die Siluroiden, sind es die vier ersten Wirbel, die sich mit einander verbinden und die zur Stütze der dem Apparat gehö- rigen Theile dienen. Der hinterste Wirbel besitzt bei Hydrocyon — an den ich mich hauptsächlich halte — einen gut ausgebildeten Körper, dem ein breiter oberer Bogen aufsitzt, welcher sich noch weit nach vorn über den Körper des vorhergehenden Wirbels hinüberlegt, und der nahe seinem hinteren Rande von einem Spinalnerven durchbohrt wird. Dieser Spinalnerv liegt in seinem weiteren Verlaufe vor der Rippe des fünften Wirbels und gehört nach diesem Verhalten ganz offen- bar zu dem Intervertebralraum zwischen viertem und fünftem Wirbel. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 55 Von der unteren und zum Theil auch von der lateralen Fläche des vierten Wirbelkörpers, entspringt jederseits ein eigenthümlicher, mit dem Wirbelkörper durch Naht verbundener, absteigender Fortsatz, der sich mit einem Antagonisten verbindet und eine zur Anlagerung des vorderen Endes der Schwimmblase bestimmte Platte bildet. Da der vierte Wirbel keine Rippe besitzt, so geht man wohl kaum fehl, wenn man eben diesen absteigenden Fortsatz für eine modifieirte Rippe desselben ansieht. Die Körper des zweiten und des dritten Wirbels sind bei den Characiniden stets von einander getrennt, im Gegensatz zu den Cyprinoiden, bei denen sie fast immer verschmol- zen erscheinen !; doch ist es bemerkenswerth, dass diesen beiden ge- trennten Wirbelkörpern nur ein einziger oberer Bogen aufsitzt. Zwi- schen dem letzteren und dem mit ihm durch Naht verbundenen Bogen des vierten Wirbels tritt ein Spinalnerv aus, der zu dem Intercostal- raume zwischen drittem und viertem Wirbel gehört. Ein anderer Spinalnerv, der zwischen den zweiten und dritten Wirbel gehören muss, durchbohrt diesen Bogen und weist auf eine Konkrescenz des schein- bar einheitlichen Bogens aus zwei Bogen hin. Die Rippe des drit- ten Wirbels ist zum »Malleus« umgestaltet; diejenige des zweiten zum Incus, der an der Begrenzung des Rückenmarkkanals niemals irgend welchen Antheil hat und der somit auch kein oberer Bogen sein kann, als welcher er von vielen Autoren? gedeutet wird. Der Körper des ersten Wirbels ist stark von hinten nach vorn komprimirt und trägt keinen oberen Bogen; an der Stelle, wo der obere Bogen des ersten Wirbels sich befinden müsste, zwi- schen Occipitale laterale und dem Bogen des zweiten Wirbels, findet man zwei kleine über einander gelegene Knöchelchen. Das untere dieser Knöchelchen ist frei beweglich und stellt den Stapes vor, während das über dem Stapes gelegene bei Characiniden mit dem nächst hinteren, sehr großen, oberen Bogen durch Naht verbun- den ist. Durch Vergleichung mit anderen Formen, wie z. B. mit Cyprinoiden, ergiebt es sich ganz zweifellos, dass dieses obere kleine Knöchelchen dem Claustrum entspricht. Der zum Intervertebralraum zwischen erstem und zweitem Wirbel zugehörige Nerv, tritt vor dem 1 BAUDELOT, Comptes rendus hebdomad. de l’Acad. Sciences. T. 66. pag. 330. 1868. 2 Vgl. A. MüLLer, Beobachtungen z. vgl. Anat. d. Wirbelsäule. MÜL- LEeR’s Archiv 1853. — B. Grassı, Lo sviluppo della colonna vertebrale ne’ pesci ossei. Reale accademia dei lincei. Roma 1883. pag. 20—23. — 0. Nuss- BAUM, Zoolog. Anzeiger 1881, pag. 552. 56 M. Sagemehl großen, dem zweiten Wirbel aufsitzenden Bogen aus, und weist darauf hin, dass die vor demselben gelegenen Theile, also Stapes und Claustrum, zum ersten Wirbel resp. zur Occipitalregion des Cranium zu rechnen sind. Es fragt sich nun, welche morphologische Bedeutung diesen beiden Knöchelchen beizulegen ist. Dass sie zum oberen Bogen- system gehören, beweist ihre konstante Betheiligung an der latera- len Begrenzung des Wirbelkanals, und es ist nur die Frage, ob man sie beide als Theile des ersten Wirbelbogens aufzufassen hat, oder ob eines von ihnen zum Hinterhaupte gehört und einen um- gebildeten Oceipitalbogen vorstellt. Von den eben beschriebenen Verhältnissen bei Characiniden ist kein Argument für die eine oder die andere der beiden angeführten Möglichkeiten zu entnehmen, dagegen wird die Frage, wie ich schon hier erwähnen will, durch die Betrachtung der hierher gehörigen Verhältnisse in der Fa- milie der Siluroiden, speciell bei Silurus glanis, den ich am ge- nauesten untersucht habe, leicht entschieden. Beim Welse, der in dieser Gegend einen Nerven mehr besitzt, als die Characiniden und Cyprinoiden, tritt dieser Nerv zwischen Stapes und Claustrum aus und weist somit auf eine Zugehörigkeit des Claustrum zur Oceipitalregion des Schädels hin, während der Stapes dem ersten Wirbel angehört. Wie bei den Cyprinoiden, so schließen sich auch bei Charaeini- den die oberen Bogen der ersten drei Wirbel über dem Rückenmark nicht zusammen, sondern lassen eine Lücke frei, welche durch ein besonderes, mit den vorderen, großen Bogen durch Naht verbundenes Skeletstück ausgefüllt wird. Dieses »Tegularstiick« ist schwer zu deuten, vielleicht ist es mit den unpaaren Schlussstücken an den Wir- beln der Selachier in Zusammenhang zu bringen. Eine genauere Be- gründung der hier gegebenen Deutungen behalte ich mir für eine spä- tere Arbeit vor. Hier kam es mir nur darauf an zu zeigen, dass das Claustrum zur Hinterhauptsregion des Schädels gehört; und diese auf Untersuchung der Nerven gegründete Deutung würde eventuell auch durch eine andere Auffassung der übrigen Theile des WEBER’schen Apparates nicht alterirt werden. Es fragt sich nun, wie die bei den Characiniden gefundenen Verhältnisse mit dem von mir bei Amia beschriebenen Befunde zu vereinigen sind, und vor Allem, ob das überhaupt möglich ist? Schon der Umstand, dass das Cranium der Characiniden nach hinten nicht mit dem Vagus abschließt, sondern dass hinter dem Vagus noch ein nach dem Typus eines Spinalnerven gebildeter Nerv folgt, beweist auf das Zweifelloseste, dass bei diesen Fischen zum Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 57 mindesten ein Wirbel dem urspriinglichen Cranium angeschlossen ist. Einen zweiten Occipitalbogen haben wir im Claustrum kennen gelernt: der dazu gehörige Nerv fehlt allerdings spurlos, was aber auch nicht zu verwundern ist, wenn man bedenkt, dass er zwischen diesen ge- wöhnlich sehr beweglichen Knöchelehen und dem an dieselben un- mittelbar grenzenden ebenfalls beweglichen Cranium hätte verlaufen müssen, wo er mechanischen Insulten in hohem Grade ausgesetzt gewesen wäre. Es ist dieses gewiss ein genügender Grund, um die Reduktion dieses Nerven zu erklären. Unter analogen Bedingungen sehen wir auch bei ganz anderen Gruppen von Wirbelthieren ähnliche Verhältnisse auftreten. z. B. bei den Anuren. Bekanntlich fehlt den- selben der erste Spinalnerv, der sich bei Urodelen stets vorfindet. Auch in diesem Falle scheint es die große, zwischen dem ersten Wirbel und dem Hinterhaupte bestehende Beweglichkeit zu sein. welche die Reduktion des Suboceipitalnerven veranlasst hat. Die große Beweglichkeit im Occipitalgelenk der Anuren, auf welche schon die in vielen Fällen ganz enorm entwickelten Hinterhauptcondylen hinweisen, ist als eine Erscheinung aufzufassen, welche kompensa- torisch für die durch Verkürzung der Wirbelsäule resultirende, ver- minderte Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule eingetreten ist. Unter den Anuren besitzen nur die Aglossen einen Suboceipitalnerv!, der aber — was unter Anuren als einziger Fall dasteht — durch den oberen Bogen des ersten Wirbels tritt und auf diese Weise vor mecha- nischen Insulten geschützt wird. Gewiss ein guter Beweis für die Richtigkeit der hier geäußerten Anschauungen, welche durch diese Ausnahme nur eine neue Bestätigung erhalten. Von den drei bei Amia vorhandenen, mit dem Cranium verschmol- zenen Wirbeln, wären somit zwei bei den Characiniden nachgewie- sen, und es fragt sich nur, wo der dritte Wirbel geblieben ist? Die durch den Mangel eines dritten, nachweisbaren Wirbels bei Characiniden entstehende Schwierigkeit ist nach meiner Ansicht am einfachsten durch die Voraussetzung zu beseitigen, dass der einzige Occipitalnerv der Characiniden nicht dem ersten, sondern dem zwei- ten Occipitalnerven von Amia entspricht, der zwischen dem Occipi- tale laterale und dem ersten freien Occipitalbogen austritt, und dass der erste, das Occipitale laterale durchbohrende Oceipitalnerv von Amia bei Characiniden vollkommen fehlt. Diese Annahme macht um so weniger Schwierigkeit, als der erste Occipitalnerv schon 1 Vgl. Inerıng, Über die Wirbelsäule von Pipa. Morph. Jahrb. Bd. VI. 1880. — M. FÜRBRINGER, Zur vgl. Anat. der Schultermuskeln. Jen. Zeitschr. Bd. VIII. 58 M. Sagemehl bei Amia nur durch ein ganz dünnes Fädchen vorgestellt wird, keine dorsale Wurzel mehr besitzt und alle Merkmale eines rudimentär werdenden Nerven aufweist. Ob er nun ganz redueirt oder — was ebenfalls möglich ist — mit dem zweiten Occipitalnery von Amia verschmolzen ist, lässt sich nicht entscheiden. Jedenfalls wäre es eine sehr gezwungene Annahme, wenn wir diesen ganz rudimentären Nerven von Amia mit dem starken, gut ausgebildeten Occipitalnerven der Characiniden homologisiren wollten, da die Characiniden in den meisten Verhältnissen gegenüber Amia in der Entwicklung weiter fortgeschritten sind. Wenn man diese Erklärung nicht acceptiren will, so muss man annehmen, dass Amia und die Characiniden, was den Bau der Hinterhauptregion und der zu derselben zugehörigen Theile betrifft, direkt mit einander nicht zu vergleichen sind. Es wäre das gewiss nicht unmöglich, doch spricht der Umstand, dass die Characiniden, speciell die niedrig stehende Gruppe der Erythrininen sonst in einer großen Reihe von Organisationsverhältnissen des Schä- dels sich direkt an Amia anschließt, dagegen. Um noch einmal Alles zu rekapituliren, so fehlt der vorderste Oceipitalnerv von Amia bei den Characiniden; er ist entweder total rückgebildet, oder aber mit dem folgenden Nerv verschmolzen. Da er nicht mehr nachzuweisen ist, so ist damit auch alle Möglichkeit genommen, am Hinterhaupte dieser Fische einen dem vordersten, schon bei Amia mit den Occipitalia lateralia verwachsenen Occipi- talbogen entsprechenden Bezirk abzugrenzen. Der mittlere Occipi- talnerv von Amia wird durch den einzigen Occipitalnerven der Cha- raciniden repräsentirt; der erste freie Occipitalbogen von Amia ent- spricht der zwischen der Austrittsöffnung des Occipitalnerven und dem Hinterhauptsloche der Characiniden gelegenen, mit dem Occi- pitale laterale verwachsenen Knochenspange. Der hinterste Oceipi- talnerv von Amia fehlt bei Characiniden spurlos; dagegen erhält sich der letzte freie Occipitalbogen von Amia bei den Characiniden und wird durch das Claustrum repräsentirt. Durch die Analyse der in der Hinterhauptregion von Amia be- stehenden Verhältnisse war ich zu dem Schlusse gelangt, dass die bei höheren Fischen in das Cranium einbezogenen Wirbel, von vorn nach hinten fortschreitend, ihre individuelle Selbständigkeit verlieren und, indem die zugehörigen Nerven allmählich reducirt werden, schließlich vollkommen in den Bestand des Schädels eingehen. Es bedarf wohl nicht der ausführlichen Erörterung, um nachzuweisen, dass die Befunde bei Characiniden mit dieser Anschauung vollkom- Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 59 men in Einklang stehen. Wenn die Reduktion und Assimilation der dem Cranium verbundenen Wirbel bei Characiniden nicht ganz regel- mäßig fortschreitend von vorn nach hinten statt hat, sondern einige Abweichungen bietet, so ist die Erklärung dafür in der Anpassung der Occipitalregion an den WEBER’schen Apparat und an die dadurch bewirkte Änderung des funktionellen Werthes dieser Theile zu suchen. Zur Labyrinthregion des Schädels der Characiniden rechnen wir das Squamosum, das Petrosum und das Postfrontale. Um den Bau des Squamosum vollständig zu verstehen, müs- sen wir auf die einfacheren, bei Amia bestehenden Verhältnisse die- ses Knochens zurückgehen. Bei Amia besteht das Squamosum aus einer Knochenplatte, welche die Decke der Temporalhöhle bildet und die dem Primordialeranium nicht aufliegt, sondern von demsel- ben durch die in die Temporalhöhle dringende Portion des Seiten- rumpfmuskels getrennt wird. Einzig und allein die laterale Kante der Knochenplatte tritt mit Theilen des knorpeligen Primordialschä- dels in Verbindung und zwar mit dem zugeschärften lateralen Rande desselben. An dieser Berührungslinie ist das Squamosum in zwei dünne Lamellen gespalten, welche den knorpeligen Rand zwischen sich fassen; doch will ich noch einmal ausdrücklich hervorheben, dass der Knochen auch an dieser kritischen Stelle bei Amia keine näheren Beziehungen zum Knorpel gewinnt, vielmehr von dem letz- teren überall durch eine Perichondriumschicht getrennt wird !. Bei den Characiniden hat sich das geändert; das Squamosum hat an dieser Stelle Beziehungen zum Primordialschädel gewonnen und hat die ganze, bei Amia noch knorpelige, laterale Fläche und den Boden der Temporalhöhle verknöchert. Somit besteht dieser Knochen bei den Characiniden aus zwei Theilen: aus einer Kno- chenlamelle, welche in gleichem Niveau mit den Deckknochen des Schädeldaches liegt und den Charakter eines Belegknochens besitzt und aus einer zweiten Lamelle, die medial gerichtet erscheint, und den Boden und die laterale Begrenzung der Temporalhöhle bildet; diese letztere Lamelle hat einen spongiösen Bau und charakterisirt sich dadurch, als ein Skelettheil, der durch Verknöcherung eines knorpelig präformirten -Theils entstanden ist (Taf. I Fig. 9 und 10 und Taf. II Fig. 10). An der lateralen Kante des Knochens sind beide Lamellen mit einander verbunden. Die obere Lamelle des 1 Vgl. meine Arbeit iiber das Cranium von Amia. Morphol. Jahrb. IX. pag. 188. 60 M. Sagemehl Squamosum enthält einen Schleimkanal und wird zum größten Theil von dem dariiber gelagerten Parietale verdeckt, so dass sie erst nach Entfernung desselben vollkommen sichtbar wird. Bei den Erythrininen und Sarcodaces wird dieser Theil des Squamosum, eben so wie die iibrigen Knochen des Schideldaches, von einem außerordentlich dünnen Cutisüberzug bedeckt und besitzt auch die charakteristischen Skulpturen der Hautknochen. Die untere La- melle des Squamosum ist zum Theil auch an der lateralen Wand der Labyrinthregion des Schädels sichtbar, wo sie weit hinunter- steigt und sich an der Bildung des hinteren Theils der Hyomandi- bularpfanne betheiligt (Taf. I Fig. 2 und Taf. II Fig. 2 und 13). Nach hinten und unten zieht sich das Squamosum in einen bei ver- schiedenen Gattungen verschieden langen, stielförmigen Fortsatz aus, der nur bei den Erythrininen schwach entwickelt ist (Taf. I Fig. 1). Etwas besser ist er bei Tetragonopterus und Anacyrtus ausgebildet, und erreicht bei Hydrocyon, Alestes und Citharinus eine beträcht- liche Länge (Taf. II Fig. 1, 12 und 17). Wie schon früher erwähnt, dient er dem Supraclavieulare zur Befestigung. Die Verbindungen des Squamosum sind folgende: seine obere La- melle wird vorn und medial vom Parietale überlagert; nach vorn wird sie vom Postfrontale begrenzt. An der hinteren Peripherie der Temporalhöhle stößt sie medial an das Exoceipitale und bildet zu- sammen mit dem letzteren die obere Begrenzung der hinteren Aus- gangsöffnung dieser Höhle. Am Boden der Temporalhöhle grenzt die untere Lamelle des Squamosum ebenfalls medial. an das Exoc- cipitale. An der lateralen Fläche des Schädels verbindet sich das - Squamosum durch Synchondrosen nach hinten mit‘ dem Occipitale laterale, nach unten mit dem Petrosum und nach vorn mit dem Post- frontale. Das ist nun innerhalb der Familie der Characiniden das dritte Beispiel einer dermatogenen Ossifikation, welche allmählich Beziehun- gen zum Primordialeranium gewonnen hat, und wenigstens partiell zu einer unzweifelhaft primären Ossifikation geworden ist. An dem Os petrosum der Characiniden (Taf. I Fig. 3 und Taf. II Fig. 4 und 14 Pe) kann man zwei Abschnitte unterscheiden; einen größeren hinteren, der an der Bildung der lateralen Schädel- wand im Bereich der Labyrinthregion Theil hat, und einen viel kleine- ren, vorderen, der schon in der Orbita liegt und die hintere Begrenzung derselben bilden hilft. Außerdem giebt dieser Knochen, ungefähr in seinem unteren Drittel, eine horizontale, medial gerichtete Knochen- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. II. 61 platte ab, welche am Boden der Schädelhöhle mit ihrem Antagoni- sten zusammenstößt und das eigentliche Cavum cranii von dem Augenmuskelkanal trennt (Taf. I Fig. 4 und 9 und Taf. II Fig. 6, 9, 10 und 15 Pe). Am Boden des Augenmuskelkanals verbinden sich die beiden Petrosa nicht mit einander, sondern bleiben durch eine lange, schmale Spalte getrennt, die schon früher beschrieben worden ist und die dem Hypophysarfenster des Primordialschädels von Amia homolog ist. Nach hinten verbindet sich das Petrosum unten mit dem Occipitale basilare, oben mit dem Occipitale laterale und mit dem Intercalare; sein oberer Rand grenzt hinten an das Squamosum, vorn an das Postfrontale; der vordere Rand des Petrosum verbindet sich mit dem Alisphenoid. Das Postfrontale der Characiniden (Taf. I Fig. 3 und Taf. II Fig. 3, 4 und 14 Pf) besitzt annähernd die Gestalt einer dreiseitigen Pyramide, deren Flächen, nach oben, nach vorn — gegen die Orbita und lateral und nach unten gerichtet sind. Es grenzt nach hinten an das Squamosum, nach unten an das Petrosum und vorn an das Alisphenoid; oben wird es vom Frontale überlagert. Die obere Fläche des Postfrontale, welche bei Amia noch an der Bildung der Schädeldecke Theil hat und noch die charakteristischen Haut- knochenskulpturen trägt, ist bei den uns beschäftigenden Fischen ganz in die Tiefe, unter das Niveau des Schädeldaches, gerückt. Diese Verlagerung wird bedingt durch die Differenzirung eines neuen Muskels aus der gemeinsamen Masse des ursprünglichen Levator palati, des Dilatator operculi', der bei Amia und den übrigen Kno- chenganoiden noch fehlt und der bei Characiniden und — wie ich gleich hinzufügen will — den meisten Knochenfischen von der obe- ren Fläche des Postfrontale und den angrenzenden Theilen des Fron- tale seinen Ursprung nimmt. Dieser Muskel ist bei den echten Characiniden und bei der Gattung Lebiasina sehr mächtig entwickelt und besitzt eine besondere, von mir schon früher berücksichtigte Muskelgrube, welche vorn und medial von scharfen Rändern um-' geben ist und welche die ganze obere Fläche des Postorbitalfort- satzes einnimmt. Abweichend von den echten Characiniden verhal- ten sich die Gattungen Erythrinus und Macrodon, bei denen dieser Muskel in der Orbita selbst entspringt, und um zum vorderen oberen Rande des Opereulum zu gelangen den Postorbitalfortsatz durchbohrt. ! B. VETTER, Untersuchungen zur vgl. Anatomie der Kiemen- und Kie- fermuskulatur der Fische. Th. II. Jenaische Zeitschrift f. Naturwissensch. Bd. XII. 1878. 62 M. Sagemehl Seine in der Orbita fächerartig von der ganzen unteren Fläche des Frontale entspringenden Bündel konvergiren nach hinten und vereinigen sich zu einer starken Sehne, welche durch einen kurzen aber brei- ten Kanal des Postorbitalfortsatzes, der durch Auseinanderweichen des Postfrontale und des dasselbe bedeckenden Frontale entsteht, hindurchtritt, um zu ihrer Insertionsstelle zu gelangen (Taf.I Fig. 2). Bei der Erythrininengattung Lebiasina wird die laterale Begrenzung der erwähnten, den Postorbitalfortsatz durchbohrenden Öffnung redu- eirt, so dass wir an Stelle der letzteren nur einen tiefen Einschnitt zwischen dem Postorbitalfortsatz und dem dasselbe überdachenden Frontale antreffen. Ähnlich verhält sich Sareodaces, nur ist bei dem- selben der Einschnitt zwischen Frontale und Postfrontale fast gar nicht ‚ausgebildet, so dass die Verhältnisse sehr an Amia erinnern. Durch die Differenzirung dieses Dilatator operculi, welcher der mächtigste und, wie es scheint, auch physiologisch wichtigste Muskel des Opercularapparates bei Knochenfischen ist, wird die Beweglichkeit des Operculum bei den Knochenfischen eine viel beträchtlichere, als bei den Ganoiden. Damit tritt auch dieser Skelettheil, der bei den Ganoiden vorwiegend als Schutzapparat der Kiemen zu dienen scheint', in den Dienst einer neuen Funktion — der Athmung. Es ist gewiss nicht uninteressant zu beobachten, wie bei den höheren Ganoiden, deren Opereularapparat nicht geeignet ist, den Wasserwechsel in der Kiemenhöhle zu unterhalten, andere, zur Errei- chung dieses Zweckes dienende Einrichtungen sich entwickelt haben. Bei Polypterus begegnen wir einer sehr breiten und auffallend dieken Branchiostegalmembran, die eine außergewöhnlich entwickelte Mus- kulatur besitzt und sich durch einen vollständigen Mangel der knö- chernen Radii branchiostegi auszeichnet. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass diese ganz eigenthümliche Membrana branchiostega durch abwechselnde Kontraktionen und Relaxationen einen lebhaften Wasserwechsel in der Kiemenhöhle bewirken kann. Noch eigenthümlicher verhält sich in dieser Hinsicht Amia calva. Die hintere und untere Fläche der Kiemenhöhle, die von der Clavi- 1 An Acipenser ruthenus, den ich häufig zu beobachten Gelegenheit hatte, habe ich niemals respiratorische, auf den Wasserwechsel in der Kiemen- höhle abzielende Bewegungen des Opercularapparates wahrgenommen. Es feh- len ihm in der That auch die dazu erforderlichen Muskeln; eben so werden sich wohl auch Polypterus und Amia verhalten, die sehr gering entwickelte, nur auf einen Adductor beschränkte Opercularmuskeln besitzen. Nur Lepido- steus besitzt einen besonderen, allerdings sehr schwachen Heber des Kiemen- deckels, der dem Dilatator der Knorpelfische zu entsprechen scheint. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III, 63 eula begrenzt wird, besitzt nämlich in ihrem Schleimhautüberzuge eine ganze Anzahl besonders gestalteter, geriffter Knochenplättchen. die zu zwei größeren Platten vereinigt sind. An der unteren Be- grenzung der Kiemenhöhle löst sich nun die obere dieser Platten. die aus einer Reihe kleinerer Plättchen gebildet wird, sammt dem unter ihnen liegenden Bindegewebe von der Unterlage in der Weise ab, dass ein langes, plattgedrücktes, stabförmiges Gebilde entsteht. Dasselbe befestigt sich an der oberen Fläche des horizontalen Theils der Clavicula und ist mit der freien Spitze nach hinten und oben gerichtet, liegt somit, parallel dem unteren Rande des Suboperculum, in dem Eingang zur Kiemenhöhle.. An der Basis dieses Stäbchens inseriren sich besondere Muskeln, die dasselbe am lebenden Fisch aller Wahrscheinlichkeit nach in fortwährende Bewegung setzen und auf diese Weise den Wasserwechsel in der Kiemenhöhle unterhalten. Dieses merkwürdige Gebilde, das in hohem Grade an das Flagellum der decapoden Crustaceen erinnert, ist, obgleich es beim Abheben des Kiemendeckels sofort in die Augen fällt, der Aufmerksamkeit der Zoologen fast vollständig entgangen. In der ganzen Litteratur finde ich es nur einmal von B. G. WILDER ! beschrieben, doch ohne dass eine Deutung desselben versucht worden wäre. In den übrigen, doch recht zahlreichen Arbeiten über Amia ist es nicht einmal er- wähnt. In mehr rudimentärem Zustande finden sich Knochenplätt- chen an derselben Stelle auch bei Lepidosteus und es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass das »Flagellum« von Amia seine Ent- stehung von solchen indifferenten Hautknochen im Bereich der hin- teren Peripherie der Kiemenhöhle seine Entstehung genommen hat. Den übrigen Ganoiden gehen accessorische, auf Unterstützung des Wasserwechsels in der Kiemenhöhle hinzielende Einrichtungen ab, doch besitzen dieselben bekanntlich (mit Ausnahme von Scaphirhyn- chus) eine halbe Kieme mehr als Polypterus und Amia, indem die Opereularkieme bei denselben entweder ganz, oder zum Theil respi- ratorisch thätig ist. und genügen auf diese Weise einem gesteigerten Respirationsbedürfnisse. Die Pfanne des Hyomandibulargelenks, deren Lage bei Characiniden schon beschrieben worden ist, bietet manches Bemer- kenswerthe. Man kann an dieser schräg von hinten oben nach vorn 1 Burr. G. WILDER, On the serrated appendages on the throat of Amia. Proceed. of the American Association for the Advancement of Science. Buffalo Meeting, August 1876. 64 M. Sagemehl und unten verlaufenden, langgestreckten Pfanne zwei Abschnitte un- terscheiden: einen hinteren, dem Squamosum angehörigen, und einen vorderen, der oben vom Postfrontale, unten vom Petrosum gebildet wird. Bei Citharinus, dessen Pfanne unter den Characiniden die einfachsten Verhältnisse bietet, ist dieselbe ganz gerade gestreckt und bietet nichts von dem bei den meisten anderen Knochenfischen anzu- treffenden Verhalten Abweichendes. Bei allen anderen Characiniden tritt eine höhere Differenzirung des einfachen Gelenks ein, indem der vordere und der hintere Abschnitt der Pfanne nicht mehr in einer geraden Linie verlaufen, sondern gegen einander in einem stumpfen, nach unten offenen Winkel geknickt erscheinen; zu gleicher Zeit treten am vorderen Theil besondere Umbildungen auf. Bei Erythrinus beobachten wir am vorderen Abschnitt der Hyomandibu- larpfanne eine callöse Verdickung der oberen, dem Postfrontale an- gehörigen Lippe der Pfanne (Taf. I Fig. 2). Weiter fortgeschritten ist dieses Verhalten bei den Gattungen Macrodon, Hydrocyon, Te- tragonopterus, Sarcodaces und Anacyrtus, bei denen diese Verdiekung der oberen Lippe zu einem überknorpelten Condylus geworden ist, auf welchem der vordere Abschnitt des Hyomandibulare, der die ursprüng- liche Pfanne verlassen hat, nunmehr artikulirt (Taf. II Fig. 13). Noch weiter ist dieser Differenzirungsvorgang bei Alestes fortge- schritten, bei welchem dieser Condylus einen rundlichen, überknor- pelten Knopf bildet, der sich von dem hinteren, vertieften Theil der Hyomandibularpfanne, welcher seine ursprüngliche Beschaffenheit beibehalten hat, ganz getrennt hat. Es ist ganz selbstverständlich, dass die Artikulationsfläche des Hyomandibulare sich entsprechend den an der Pfanne stattfindenden Umbildungen umformt, und dass auch die ganze Bewegungsart am Gelenk eine andere wird. Wäh- rend bei dem schlammfressenden Citharinus und den meisten Kno- chenfischen nur eine einfache Adduktion und Abduktion des Hyo- mandibulare stattfindet, tritt bei den carnivoren Characiniden mit der Abduktion zu gleicher Zeit eine Drehung des vorderen Theils des Hyomandibulare nach auswärts ein, und wird die dadurch be- wirkte seitliche Erweiterung der Mundhöhle beim Verschlingen eines Bissens eine ausgiebigere. Eine solche Drehung des Hyomandibulare nach auswärts wäre nicht denkbar, wenn die Verbindung dieses Knochens mit dem vorn am Schädel befestigten Palatinbogen eine feste wäre, wie sie es bei den meisten Fischen ist. Und in der That sehen wir auch, dass das Hyomandibulare der Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 65 Characiniden, wie man am frischen Skelet leicht sehen kann, mit den übrigen Knochen des Palatinbogens derartig locker verbunden ist, dass es gegenüber den letzteren ziemlich beträchtliche Bewegungen ausführen kann. Ubrigens kommt ein derartiges Verhalten des Hyo- mandibulare nicht bloß in der Familie der Characiniden vor, son- dern wird auch bei anderen Fischen, wie z. B. bei vielen Cyprinoi- den, die ein ganz einfaches Gelenk zwischen dem Hyomandibulare und: dem Schädel besitzen, beobachtet. Aus diesem Grunde darf auch diese Eigenthümlichkeit der Characiniden nicht als eine Anpassung an die Umformung der Hyomandibularpfanne aufgefasst werden. Letz- tere ist vielmehr möglich geworden, weil eben das Hyomandibulare der Characiniden, eben so wie bei anderen Fischen, mit den übrigen Knoehen des Palatinbogens schon früher beweglich verbunden war. Die Nerven der Labyrinthregion sind der Acusticus und der mit dem Trigeminus bei seinem Ursprunge innig verbundene Faeialis. Uber den Acusticus habe ich nichts Besonderes zu bemerken. Der Facialis entspringt vor der Basis des Gehirns mit zwei. von einander gesonderten Portionen. Die hintere Portion, welche den sogenannten Ramus palatinus bildet, tritt gleich nach ihrem Ursprunge in ein besonderes Loch des horizontalen Fortsatzes des Petrosum und gelangt in den Augenmuskelkanal, an dessen latera- ler Wand sie nach vorn zieht und, nachdem sie in die Orbita gelangt ist, nahe dem lateralen Rande des Parasphenoid zur Schleim- haut der Mundhöhle verläuft. Die vordere Portion des Facialis tritt in einen kurzen Kanal des Petrosum ein. Innerhalb die- ses Kanals anastomosirt der Nerv mit dem Trigeminus und tritt, nachdem er noch einen Verbindungsast nach unten, zum Ramus pa- latinus abgegeben hat, durch eine besondere Öffnung des Petrosum an der lateralen Fläche dieses Knochens, als Ramus hyoideo-man- dibularis aus. So verhält sich Alestes, bei welchem ich die Ver- hältnisse genau untersucht habe. Die anderen Gattungen schienen keine wesentlichen Abweichungen , zu bieten (Taf. I Fig. 2 und Taf. U Fig. 2 und 13 fa). Außer den eben beschriebenen Nervenöffnungen besitzt das Pe- trosum noch zwei für den Austritt von Venen bestimmte Öffnungen. Die eine derselben liegt hinter der Facialöffnung und ist für die Vena jugularis bestimmt (Taf. I Fig. 2 und Taf. II Fig. 2 und 13 yu), die andere, kleinere liegt dicht unter der Faeialöffnung und lässt eine von mir nicht weiter verfolgte Vene aus dem Schädel austreten (ve). Die für die Carotis bestimmte Öffnung, durch welche die Morpholog. Jahrbuch. 10. 5 66 M. Sagemehl Arterie zunächst in den Augenmuskelkanal gelangt, liegt zwischen dem unteren Rande des Petrosum und dem Parasphenoid (Taf. I Fig. 2 und Taf. II Fig. 2 und 13 ca). Wenn man den letzteren Knochen entfernt, überzeugt man sich, dass die Carotiden durch die lange, zwischen den beiden Petrosa befindliche Längsspalte des Pri- mordialschädels, die vom Parasphenoid verschlossen wird, und welche, wie schon früher nachgewiesen wurde, dem Hypophysarfenster von Amia entspricht, in die Schädelhöhle resp. den Augenmuskelkanal gelangen. Es ist sehr bemerkenswerth, dass auch bei den höheren Wir- belthieren in früher, embryonaler Zeit die Carotiden durch ein Fen- ster der Basis cranii, das unter der Hypophysis liegt, in das Cavum cranii gelangen! und in dieser Hinsicht ein Verhalten repräsentiren, das in modifieirter Form bei vielen Knochenfischen zeitlebens besteht. Eine andere Frage ist es, ob die bleibenden Verhältnisse bei Knochen- fischen und die vorübergehend embryonal auftretenden der höheren Vertebraten in einem causalen Zusammenhange stehen? Wenn man in Erwägung zieht, dass das in der Ontogenie der Amnioten auftretende, hinten von der Basalplatte, seitlich von den Trabekeln und vorn von der Ethmoidalplatte begrenzte große Fenster der Basis cranii. wahrscheinlich als Anpassungserscheinung des sich entwickelnden Schädels an die durch das Gehirn — in diesem Falle speciell das Infundibulum — gegebenen räumlichen Verhältnisse aufzufassen ist, so scheint es in der That bedenklich zu sein, das bei Teleostiern unter ganz anderen Bedingungen auftretende Hypophysarfenster mit dem ersten für homolog zu erklären. Auf jeden Fall muss diese Frage vorläufig unentschieden gelassen werden. Der größte Theil der lateralen Fläche der Labyrinthregion wird zur Insertion der Levatores arcuum branchialium benutzt. Nur eine verhältnismäßig kleine Stelle hinter der Facialisöffnung wird von diesen Muskeln nicht eingenommen, und an dieser Stelle legt sich die Schleimhaut der Kiemenhöhle dicht an den Knochen an. Es ist das der von mir bei der Beschreibung des Schädels von Amia ausführ- lich erörterte, vordere obere Zipfel der Kiemenhöhle, welcher dem nach oben abgeschlossenen Spritzloch der Selachier entspricht. Im Innern des Schädels liegt dem Petrosum an der entsprechenden Stelle der Utriculus mit dem Otolithen an. Labyrinth und äußeres schalllei- 2 Vgl. z. B. PARKER und BETTAnY, Die Morphologie des Schädels. Übers. v. VETTER. 1879. pag. 220, 226, 252. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. II. 67 tendes Medium kommen an dieser Stelle in direkteste Berührung und das scheint mir die Bahn zu sein, auf welcher vorwiegend die Schallwellen zum Labyrinth gelangen. Über die Bedeutung dieser Verhältnisse, die bei allen untersuchten Characiniden in annähernd gleicher Weise gebildet sind, habe ich in der mehrfach eitirten Ar- beit über den Schädel von Amia genauere Angaben gemacht, auf die ich verweise. Zwischen die Orbitae der Characiniden erstreckt sich mehr oder weniger weit nach vorn eine Fortsetzung der Schädelhöhle. Bei Citharinus, der sich in diesen Verhältnissen am primitivsten verhält, reicht diese Fortsetzung der Schädelhöhle fast bis an die Nasengrube (Taf. II Fig. 6); bei den übrigen Characiniden erreicht dieselbe höchstens das vordere Drittel der Orbitae und bei Macro- don erstreckt sie sich kaum bis zum hinteren Drittel der Augen- höhlen. Zugleich mit dieser Verkürzung des interorbitalen Theils der Sehädelhöhle, tritt auch eine Reduktion desselben in der Höhe ein. Bei Amia reicht die Schädelhöhle, zwischen den Orbitae von der Schädeldecke an bis zu der vom Parasphenoid bedeckten Basis des Schädels, wie es ein Querschnitt durch die Orbitalregion dieses Fisches lehrt (cf. Taf. X Fig. 9 der eitirten Arbeit). Wenn man damit einen Querschnitt durch die entsprechende Region der Characiniden vergleicht, so überzeugt man sich leicht, dass das Cavum cranii der letzteren an der Stelle nicht so weit nach unten reicht (Taf.I Fig. 7 und Taf. II Fig. 8), dass vielmehr die beiden Orbitae unten durch i eine unpaare Scheidewand von einander getrennt werden. Dieses Emporheben der interorbitalen Fortsetzung der Schädelhöhle über die von dem Parasphenoid gebildete Basis der Orbitae erstreckt sich nach hinten bis in die Gegend der Optieusfenster. ‘In Folge dessen verschmelzen die beiden, bei Amia gesonderten, Opticusfenster zu einem einzigen, unpaaren, das am Boden des hinteren Theiles der interorbitalen Fortsetzung der Schädelhöhle gelegen ist und sich direkt nach unten in die Orbitae öffnet. Fig. 8 auf Taf. I, die einen Querschnitt durch das Optieusfenster bei Erythrinus vorstellt, giebt die Verhältnisse besser wieder, als die ausführlichste Beschrei- bung. Die Details in der Bildung des unpaaren, interorbitalen Septum sind äußerst mannigfaltige. Bei Macrodon sind die vorderen zwei Drittel der Orbita von einem knorpeligen, nur hinten vom Orbito- sphenoid aus verknöcherten Septum eingenommen; der hinterste, unter dem Opticusfenster gelegene Theil dieses Septum ist mem- x * 19] 68 M. Sagemehl brands. Ähnlich verhält sich auch Sarcodaces. Außer diesem Fenster des Septum interorbitale entwickelt sich bei Erythrinus noch ein vorderes, kleineres Fenster dicht hinter der durch das Praefrontale gebildeten vorderen Begrenzung der Orbita (Taf. I Fig. 4 ff.). Der zwischen den eben beschriebenen, durch Membranen geschlossenen Fenstern liegende Theil der interorbitalen Scheidewand verknöchert vom Orbitosphenoid aus und bildet eine unpaare, abstei- gende Leiste des letzteren Knochens, die bis an das Parasphenoid reicht. Ganz ähnlich verhalten sich auch die meisten echten Characiniden, nur dass bei diesen die Orbitae viel höher werden, als bei den Ery- thrininen und im Zusammenhang damit auch das interorbitale Septum und namentlich dessen hinteres Fenster an Höhe zunimmt (vgl. Taf. I Fig. 7 und Taf. I Fig. 8). Abweichungen von dem Verhalten bie- tet Tetragonopterus, bei welchem das ganze interorbitale Septum membranös wird und Citharinus, bei dem noch ein drittes, kleines Fenster in dem vom Orbitosphenoid gebildeten, mittleren Abschnitt des Septum auftritt (Taf. II Fig. 4 fra). Der eben geschilderte Vorgang: die Reduktion des interorbitalen Theils der Schädelhöhle und der Ersatz desselben durch ein weniger Raum in Anspruch nehmendes, unpaares Septum ist durch die stär- kere Ausbildung des Augapfels bei Characiniden gegenüber den dureh- wegs mit kleineren Augen versehenen Ganoiden bedingt, und kann um so leiehter vor sich gehen, als der vordere Theil der Schädel- höhle bei diesen Fischen von physiologisch wichtigen Theilen nur die sehr dünnen Traetus olfaetorii beherbergt und im Übrigen von dem bekannten, interduralen Fettgewebe! eingenommen wird. Die Ossifikationen der Orbitalregion sind die Alisphenoidea und das unpaare Orbitosphenoid. Jedes Alisphenoid nimmt den hinteren Winkel der Orbita ein (Taf. I Fig. 3 u. Taf. U Fig. 4 u. 14). Nach hinten grenzt es an das Petrosum und das Postfrontale, nach vorn an das Orbitosphenoid ; zwischen beiden Alisphenoidea liegt in der unteren Medianlinie das unpaare Opticusfenster (Taf. I Fig. 8). Vor den Alisphenoidea liegt das unpaare Orbitosphenoid, das aus den beiden in der unteren Mittellinie verschmolzenen Orbito- sphenoidea von Amia abzuleiten ist. Die Ursache für diese Ver- schmelzung fällt zum Theil, wie es scheint, mit der schon erörterten | Vgl. meine Arbeit über die Gehirnhäute der Fische. Morphol. Jahrb. Bd. IX. pag. 457 ft. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 69 Ursache für die Bildung eines unpaaren Interorbitalseptum zusam- men. Doch muss ich bemerken, dass auch die Siluroiden, welche keine Spur einer Bildung des unpaaren Interorbitalseptum zeigen, bereits ein unpaares Orbitosphenoid besitzen und dass daher bei der Verschmelzung der paarigen entsprechenden Knochen von Amia auch noch andere Ursachen maßgebend gewesen sein müssen. Das Orbitosphenoid erstreckt sich in der Regel so weit nach vorn, als die interorbitale Fortsetzung der Schädelhöhle reicht. Dem entsprechend finden wir es bei Macrodon und Sarcodaces weit nach hinten gerückt: bei den meisten anderen Characiniden reicht es bis zu den vorderen zwei Dritteln der Orbita, doch bleibt es von der vorderen Begren- zung derselben durch das schon beschriebene Fenster getrennt und nur bei Alestes erreicht es das Praefrontale, mit dem es sich zum Theil verbindet. Bei dieser letzteren Gattung zieht sich das Orbito- sphenoid jederseits in eine lateral und nach vorn gerichtete Knochen- röhre aus, welche sich mit einer ähnlichen, vom hinteren Rande des Praefrontale entgegenkommenden verbindet. Auf diese Weise ent- steht ein kurzer, geschlossener Knochenkanal, der lateral und nach vorn gerichtet ist und welcher aus der interorbitalen Fortsetzung der Schädelhöhle in die Nasengrube führt; in ihm verläuft der Ner- vus olfactorius. Dieser Knochenkanal prominirt in ganz bedeutendem Maße in den vorderen Theil der Orbita hinein, so dass über und unter ihm je eine tiefe Bucht entsteht, in welcher die Mm. obliqui des Auges ihren Ursprung nehmen. Ähnlich, wie Alestes, verhält sich auch Hydrocyon, nur dass bei dieser Gattung der von dem Prae- frontale gebildete Theil der eben beschriebenen Knochenröhre redu- eirt ist (Taf. II Fig. 14). Die kurze, dem Orbitosphenoid angehörige, vorn offene Röhre ist etwas blasig aufgetrieben und enthält den Bul- bus olfactorius, von welchem aus ein dieker Riechnerv quer durch das vordere Drittel der Orbita zieht, um in eine Öffnung des Prae- frontale zu treten und zu der Riechgrube zu gelangen. Genauere De- tails über die Verhältnisse des Nervus und Tractus olfactorius der Characiniden werden weiter unten gegeben werden. Nach unten und hinten setzen sich die beiden, an der Stelle durch das hintere interorbitale Fenster mit einander in Kommunikation stehenden Or- bitae in den allen Characiniden! zukommenden Augenmuskelkanal fort, dessen ausführliche Schilderung bei der Beschreibung des Ca- vum cranii erfolgen soll. 1 Wenn Késruin (1. c. pag. 309) behauptet, dass Erythrinus keinen Augen- muskelkanal besitzt, so ist das ein Irrthum. 70 M. Sagemehl Zu den Nerven der Orbitalregion rechnen wir den Trigeminus, die Augenmuskelnerven und den Opticus. Es ist eine ganz bemerkenswerthe Thatsache, dass die drei Aste des Trigeminus bei Characiniden den Schädel durch eine einzige Öffnung verlassen (fr) und dass denselben somit eine beson- dere, für den ersten Ast bestimmte Öffnung, die den meisten anderen Fischen zukommt, vollständig fehlt. Die gemeinsame, für den gan- zen Trigeminus bestimmte Öffnung liegt im vorderen, orbitalen Theil des Petrosum und ist schon früher beschrieben worden. Gleich nach dem Austritt zweigt sich vom Trigeminus der Ramus ophthalmicus ab, der längs dem oberen Rande der Orbita, nicht weit vom Orbi- taldach nach vorn verläuft. Während seines Verlaufs giebt er auf- steigende Zweige für das Frontale und die in demselben liegenden Schleimkanäle ab und durchbohrt sodann das Praefrontale, um zum medialen Rande der Nasengrube zu gelangen. Der Verlauf der beiden anderen Äste des Trigeminus hat für unsere Zwecke kein specielles Interesse. Das eben geschilderte, bei Fischen ziemlich selten anzu- treffende Verhalten des Trigeminus ist sicher kein primitives, son- dern ist als eine sekundäre Vereinigung der Ophthalmicuséffnung mit der für den Truncus maxillaris communis bestimmten aufzufassen. Die in der Art des Austritts aus dem Schädel und in der peripheri- schen Vertheilung der Hirnnerven viel primitiver sich verhaltenden Selachier und Ganoiden !, welche stets eine besondere Öffnung für den Ramus ophthalmicus besitzen, lehren das auf das Unzweifelhafteste. Der Opticus verlässt die Schädelhöhle durch das schon beschrie- bene, vorn von den Alisphenoidea, hinten von den Petrosa begrenzte Opticusfenster. Der Oculomotorius tritt bei den meisten Characiniden eben- falls durch das Opticusfenster an dessen lateralen, hinterem, von den Petrosa begrenztem Rande in die Orbita; nur bei Macrodon fand ich fiir denselben eine besondere Offnung im Petrosum ganz dicht bei dem Opticusfenster. Er vertheilt sich sofort nach dem Eintritt in die Orbita in den Mm. rect. superius, inferior und internus, nachdem er einen langen, am Boden der Orbita nach vorn verlaufenden Ast zum Obliquus inferior abgegeben hat. 1 GEGENBAUR, Uber die Kopfnerven von Hexanchus. Jenaische Zeitschr. f. Naturw. Bd. VI und Untersuchungen z. vgl. Anatomie d. Wirbelthiere. Th. III. Das Kopfskelet der Selachier. Leipzig 1872. — J. van WısuE, Über das Visceralskelet und die Nerven des Kopfes der Ganoiden u. v. Ceratodus. Niederl. Arch. f. Zoolog. Bd. V. 1882. Beitrige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 71 Der Trochlearis scheint bei allen Characiniden durch eine besondere, sehr feine Offnung des Alisphenoid in die Orbita zu ge langen. Bei Macrodon legt sich dieser Nerv, welcher in Folge der weit nach hinten gerückten Lage des Alisphenoid einen sehr langen Verlauf hat, dem Ramus ophthalmieus dicht an, so dass er bei nicht sehr genauer Untersuchung leicht für einen Zweig des er- sten Trigeminusastes gehalten werden könnte. Es scheint mir nicht unwahrscheinlich zu sein, dass eine Anzahl in der Litteratur sich findender Angaben, dass Augenmuskeln von Zweigen des Trigeminus innervirt werden, auf ähnliche Täuschungen zurückzuführen sein dürfte. Der Abducens der Characiniden tritt in der Orbita gar nicht zu Tage und soll daher erst weiter unten, bei der Schilderung des Augenmuskelkanals beschrieben werden. Die hintere Ossifikation der Nasalregion, und zwar die Ossifika- tion des Antorbitalfortsatzes, ist das Praefrontale. Dasselbe trennt die Orbita von der Nasengrube und hat die Gestalt einer drei- seitigen Pyramide, mit nach unten und lateral gerichteter Spitze. Bei den Erythrininen und bei der Gattung Sarcodaces, die auch hier, das -indifferentere Verhalten bewahren, ist die Spitze dieser Pyramide weniger ausgezogen, als bei den höher differenzirten echten Charaeiniden. Das Praefrontale besitzt eine nach unten ge- richtete Fläche, welche zum Theil noch von Knorpel bedeckt wird, der zur Artikulation mit dem vorderen Ende des Palatinbogens dient. Eine andere Fläche ist nach hinten gerichtet und bildet die vordere Begrenzung der Orbita. Von der oberen Kante die- ser Fläche erstreckt sich eine Knochenlamelle nach hinten, die unter dem vorderen Abschnitt des Frontale liegt und im vorderen Theil der Orbita in geringem Grade an der Bildung des Orbitaldachs Theil nimmt. Diese Knochenlamelle kommt ebenfalls in ausgebilde- ter Form nur den echten Characiniden zu; bei den Erythrininen ist sie wenig entwickelt. Die dritte Fläche des Praefrontale ist nach vorn und oben gerichtet und bildet die hintere und, zum geringeren Theil, auch die untere Begrenzung der Nasengrube. Das Praefrontale wird von zwei Kanälen durchbohrt, die aus der Orbita in die Nasengrube führen. Der untere, weitere liegt ge- wöhnlich mehr medial und dient dem N. olfaetorius zum Durchtritt; während der obere, engere mehr lateral gelegen ist und für den Ramus Seiden trigemini bestimmt ist. Die Nasengruben der Characiniden werden, wie schon er- 72 M. Sagemehl wähnt, nach hinten von den Praefrontalia begrenzt; medial und unten sind sie bei Citharinus von knorpelig bleibenden Theilen des Primordialschädels umgeben, die, wie ich schon früher beschrieben habe, bei den anderen Characiniden ossificiren; und zwar die untere Knorpellamelle und der untere Theil des internasalen Septum vom Vomer aus, der obere Theil des Septum vom Ethmoid (Taf.I Fig. 4 und Taf. I Fig. 15). Die Decke der Nasengrube wird vom Nasale gebildet, das bei den Erythrininen sehr groß ist, während es bei den echten Chara- ciniden zu einem kleinen Plittchen reducirt erscheint. Seine genauere Beschreibung ist schon oben gegeben worden. Über die Nasenhöhle selbst ist wenig zu bemerken. Dieselbe kommunicirt mit der Außenwelt bei allen Characiniden, eben so wie bei den meisten Knochenfischen, durch zwei Nasenlöcher. Der Na- senflügelknorpel, den ich bei Knochenfischen zuerst gefunden und auf dessen morphologische Bedeutung hingewiesen habe!, wird bei Characiniden in selten schöner Ausbildung angetroffen, so dass er bei größeren Exemplaren sogar mit Skalpell und Pincette präpa- rirt werden kann. Bei Alestes, den ich als Beispiel wähle, besteht dieser Nasenflügelknorpel aus einer breiten nach vorn konkaven Knorpelplatte, welche von der zwischen den beiden Nasenlöchern befindlichen Hautbrücke in das Innere der Nasenhöhle wie ein Vor- hang hineinhängt, und von deren oberem Rande aus je zwei nach vorn und nach hinten gerichtete Knorpelfäden ausgehen, welche die beiden Nasenlöcher umfassen. Es ist hier der Ort, um die das Vorderhirn und die Riechmembran verbindenden Theile des Nervensystems näher ins Auge zu fassen, über welche ich schon in meiner Arbeit über den Schädel von Amia calva einige Bemerkungen von mehr allgemeiner Natur machen konnte, auf die ich hier verweise. . Die erwähnten Theile sind: der Traetus olfactorius sammt dem vorderen verdickten Theil des- selben, dem Bulbus und der von dem letzteren ausgehende Ner- vus olfactorius. Der primitivste Zustand dieser Theile ist ganz zweifellos bei Citharinus anzutreffen, bei welchem sehr lange Tractus in der inter- orbitalen Fortsetzung. des Cavum cranii verlaufen und in der Gegend der vorderen Winkel der Orbitae zu Bulbi anschwellen. Jeder Bul- bus wird von dem Orbitalraum durch eine in der eben beschriebenen 1 Das Cranium von Amia calva. Morphol. Jahrb. Bd.IX. 1883. pag. 177. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 73 Lücke, zwischen dem Praefrontale und dem Orbitosphenoid ausge- spannte Fascie getrennt und von ihm aus geht ein äußerst kurzer, aber dieker Nervus olfactorius ab, welcher durch eine besondere Öffnung des Praefrontale zur Riechmembran gelangt. Wenn man die eben erwähnte Faseie, als eine membranös gewordene Stelle der lateralen Orbitalwand auffasst, was — wie ich glaube — nicht unberechtigt ist, so erstreckt sich die direkte Fortsetzung der Schädelhöhle bei Citharinus bis an die hintere Fläche der Praefrontalia und ist der Nervus olfactorius desselben in keinem Theile seines Verlaufs inner- halb der Orbita selbst gelegen. Ähnlich sind die Verhältnisse bei Hydrocyon; nur liegt der Bulbus olfactorius schon etwas mehr nach hinten, als bei Citharinus in einer besonderen Auftreibung des Orbi- tosphenoid und ist der etwas längere Nervus olfactorius schon ganz deutlich in der Orbita selbst gelegen. Bei Alestes und Tetrago- nopterus ist die Verkürzung des Tractus und die kompensatorisch eintretende Verlängerung des Nervus olfactorius noch weiter gedie- hen; doch verläuft der letztere nicht frei in der Orbita, wie man erwarten sollte, sondern wird von einer besonderen, schon oben be- schriebenen, von dem Orbitosphenoid und vom Praefrontale gebilde- ten Knochenröhre umschlossen. Es dürfte wohl kaum fehlgegriffen sein, wenn man die Bildung dieser Knochenröhre, die sonst bei kei- nem Teleostier angetroffen wird, für einen sekundären Vorgang hält. die durch Übergreifen des Ossifikationsprocesses auf die den Olfacto- rius umgebende Fascie zu Stande gekommen ist. Die Erythrininen besitzen, wie die größte Mehrzahl der Knochenfische, Bulbi olfactorii, welche den Vorderlappen des Gehirns (Hemisphären der Autoren) ansitzen, und repräsentiren somit, wie ich es in meiner Arbeit über Amia nachgewiesen habe, in der Familie der Characiniden den in diesen Verhältnissen am weitesten differenzirten Zustand. Bei Ery- thrinus finden wir den durch eine besondere Öffnung des Orbito- sphenoid in die Orbita tretenden Nervus olfactorius im vorderen Drittel der letzteren frei verlaufend, eben so liegt bei Lebiasina und bei Macrodon, dessen Orbitosphenoid, wie schon früher beschrieben worden ist, sehr weit nach hinten gerückt ist, der Olfactorius fast in der ganzen Länge der Orbita frei zu Tage, dicht unter dem Ra- mus ophthalmicus. Es ist nicht ohne Interesse die eben beschriebenen Verhältnisse der das Gehirn mit der Riechschleimhaut verbindenden Organe in der ganzen Reihe der Fische und der Cyclostomen näher zu betrach- ten und dabei auch einen Blick auf deren Ausbildung zu werfen. 74 M. Sagemehl Bei Embryonen von Teleostiern, die ich darauf untersucht habe, (Cyprinoiden, Hecht, Forelle) und auch noch bei jungen, ausgeschlüpf- ten Fischehen in der ersten Zeit des freien Lebens, liegt die Schä- delkapsel dem Gehirn dicht an, so dass das später so auffallende Missverhältnis zwischen dem Cavum cranii und dem Gehirn noch nicht besteht. Die Bulbi olfaetorii sitzen den Vorderlappen des Ge- hirns an und reichen mit ihren vorderen Enden bis dieht an die Riechmembran, zu der sie zahlreiche, feine, gesonderte Nervenfäd- chen entsenden. Es ist somit in diesem Stadium, wie man an mit Salpetersäure isolirten Gehirnen feststellen kann, weder ein Tractus noch ein einheitlicher Nervus olfactorius vorhanden. Dieses in der Ontogenie der Fische vorübergehend auftretende Verhalten besteht bei den Cyelostomen als ein bleibendes; das Gehirn von Petromy- zon' und von Myxine? füllt die kleine Schädelhöhle fast vollständig aus und besitzt Bulbi olfaetorii, welche dem Vorderhirn direkt auf- sitzen und vorn unmittelbar an den Nasensack grenzen. Dieser Typus soll in Beziehung zu den Fischen (die höheren Vertebraten sollen hier nicht berücksichtigt werden) als der Cyclostomentypus be- zeichnet werden. Indem sich nun der Schädel gegenüber dem Gehirn unverhält- nismäßig vergrößert, entfernen sich die Riechgruben von dem an der Basis cranii durch die durchtretenden Nerven fest angehefteten Ge- hirn, und den Riechgruben folgen auch die den peripherischen Ge- ruchsorganen ansitzenden Bulbi. Auf diese Weise werden die ur- sprünglich ganz kurzen, verbindenden Stränge zwischen den Vorder- lappen und den Bulbi zu langen Tractus ausgezogen. Ein relativ niederes Stadium in der Ausbildung der Tractus olfactorii ist bei den Selachiern anzutreffen, deren Tractus noch verhältnismäßig kurz und dick sind. Bei den Knochenfischen, welche Tractus olfactorii besitzen, sind dieselben, entsprechend dem relativ größeren Schädel- volum, stets viel mehr in die Länge gestreckt, als bei Selachiern und dabei sehr dünn. Dieser Typus, den ich, nach seiner allge- meinen Verbreitung unter den Selachiern, als den Selachiertypus bezeichnen will, kommt unter Teleostiern nur einigen wenigen, tief stehenden Familien der Physostomen- und Anacanthinengruppe zu, und zwar den Siluroiden, Cyprinoiden, Mormyriden und Gadiden. Die Ursache für die gegenüber dem Gehirn so unverhältnis- ı Vgl. HuxLey, On Petromyzon. Journ. of Anat. X. pag. 412. 2 Jon. MÜLLER, Vergleichende Anatomie d. Myxinoiden Th. III. Ab- handlungen d. Berlin. Akad. d. Wissensch. v. Jahre 1540. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 75 mäßige Volumzunahme des Cranium bei Fischen, das noch bei Cyclo- stomen einzig und allein als Gehirnkapsel fungirt, muss in den Anpas- sungen des Schädels an neue Funktionen gesucht werden, namentlich in der Verwendung desselben zur Umschließung der höheren Sinnes- organe, die bei den Cyelostomen bekanntlich mit der eigentlichen Schädelkapsel in keiner näheren Beziehung stehen, und namentlich in der Verwendung des Schädels als Stütze für das Kieferskelet und zur Insertion der mächtigen Muskulatur desselben, Theilen, die bei Cyclostomen von der eigentlichen Schädelkapsel vollständig ge- sondert sind. Zur Verfolgung der ontogenetischen Entwicklung dieser Organi- sationsverhältnisse hatte ich leider nur einige wenige Stadien von Cyprinoiden .und von Lota vulgaris zur Verfügung; der ganze Ein- druck, den ich gewonnen habe, ist, dass die embryonale Entwick- lung in diesem Falle die phylogenetische Entwicklung vollkommen rekapitulirt. Zuerst sitzen die Bulbi olfactorii den Vorderlappen des Gehirns an und reichen vorn bis zur Riechmembran; zwischen der letzteren und den Bulbi ist nur eine dünne, von den sehr kur- zen Fäden des Olfactorius durchbrochene Lage von Bindegewebe zu finden. Erst allmählich erfolgt ein Abrücken der Bulbi und ein Ausspinnen des Tractus olfactorii, die bei den eben ausgeschlüpften Fischehen noch gar nicht existiren. Auch bei Selachiern scheint nach Mine MarsHALL’s! Angaben der Entwicklungsgang wesentlich in derselben Weise zu erfolgen und die Tractus olfaetorii sich erst se- kundär zu bilden. Die Traetus olfactorii der erwähnten Teleostierfamilien liegen in einer direkten Fortsetzung der Schädelhöhle. Bei höher stehenden Familien der Knochenfische tritt nun in Folge der Ausbildung eines unpaaren Septum interorbitale und der Verdrängung des interorbi- talen Theils des Cavum eranii nach oben und hinten, eine kleine, durch eine Membran geschlossene Lücke an der vorderen Ecke der Orbita auf; zugleich erscheint auch schon der Bulbus von der Riechmembran ein wenig abgedrängt und steht mit der letzteren durch einen ganz kurzen Riechnerven in Verbindung. Indem sich nun diese Lücke immer mehr vergrößert, wird die interorbitale Fortsetzung der Schädelhöhle in den hinteren Theil der Orbita zurückgedrängt und vorn durch eine unpaare, interorbitale Scheide- | Minne MARSHALL, Morphology of the vertebrate olfactory organ. Quar- terly Journ. of Microsc. Science. Vol. XIX. 1879. 76 M. Sagemehl wand ersetzt. Dabei gelangt der sich mehr und mehr-ausspinnende Olfactorius ganz naturgemäß in die Orbita. Indem dieser Vorgang immer weiter fortschreitet, gelangen die Bulbi olfaetorii schließ- lich an ihre Ausgangsstelle, an die Vorderlappen des Gehirns; die Verbindung zwischen ihnen und der Riechmembran wird nun durch die neugebildeten, in der Orbita verlaufenden, langen Riech- nerven hergestellt. Dieses ist der Organisationstypus der größten Mehrzahl der Teleostier, den ich daher auch kurzweg als den Te- leostiertypus bezeichnen will. Den Weg, auf welchem diese an- scheinend so einfache Bildung erreicht wird, zeigen uns die Characi- niden, bei denen der Selachier- und der Teleostiertypus durch eine fast kontinuirliche Serie von Übergangsformen verbunden sind. Die bei Citharinus von mir oben beschriebenen Organisationsverhältnisse schließen sich noch ganz eng an die typischen, bekannten Verhält- nisse der Cyprinoiden an, während :Macrodon den Teleostiertypus in vollster Ausbildung repräsentirt. In der Mitte zwischen diesen beiden Extremen stehen die anderen Characinidengattungen. Außer diesen von mir gefundenen Übergangsformen zwischen dem Selachier- und dem Teleostiertypus in der Bildung der Geruchs- organe hat Srannius! einen ähnlichen Fall in der Familie der Ga- diden beschrieben. Es betrifft das den Raniceps fuscus, bei wel- chem der Bulbus olfactorius ebenfalls auf halbem Wege zwischen der Riechschleimhaut und dem Gehirn stehen geblieben ist, und mit der ersteren durch einen Nerven, mit dem letzteren durch einen Traetus verbunden erscheint. Da Srannivus keine genauere Beschrei- bung der topographischen Verhältnisse dieser Theile gegeben hat, und Raniceps mir selbst nicht zur Verfügung steht, so ist es leider nicht möglich diesen interessanten Fall mit den Verhältnissen bei Chara- einiden genauer zu vergleichen. Jedenfalls beweist er aber, dass der Vorgang der Ausbildung des Teleostiertypus aus dem primitive- ren Selachiertypus in der Reihe der Knochenfische mehr als einmal, unabhängig von einander zu Stande gekommen ist. Es ist nicht ohne Interesse, die ontogenetische Entwicklung eines typischen, nach dem Teleostiertypus gebauten Geruchsorgan zu verfolgen. Als Beispiel sei die Forelle gewählt. Die Entwicklung erfolgt hier, so weit ich verfolgen konnte, in ganz direkter Weise von dem von mir als Cyelostomentypus bezeichneten Entwicklungs- stadium aus, indem die Riechschleimhaut beim Wachsen des Schädels 1 Srannius, Das peripherische Nervensystem der Fische. 1849. pag. 2. Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 77 vom Gehirn sich entfernt und ein die beiden Organe verbindender Riechnery sich ausspinnt, der von Anfang an in die sich ausbildende Orbita zu liegen kommt. Zur Bildung eines Tractus olfactorius kommt es zu keiner Zeit!. Es lässt diese Art der Entwicklung die Vermuthung aufkommen, dass nicht alle mit einem sitzenden Bulbus versehenen Knochen- fische von Formen abzuleiten sind, die einen langen Tractus und vom Gehirn weit entfernten Bulbus besessen haben, sondern dass neben diesem Modus der phylogenetischen Entwieklung noch ein an- derer direkt vom Cyclostomen- zum Teleostiertypus fortschreitender existirt hat, und dass die Geruchsorgane der Salmoniden phylogene- tisch auf diese Weise entstanden seien. Wenn man jedoch die all- gemeine Verbreitung von gestielten Bulbi olfactorii bei Selachiern und das Vorhandensein derselben bei vielen Teleostiern in Betracht zieht, so erscheint eine solehe Annahme als sehr schwach begrün- det. Auf der anderen Seite muss aber bedacht werden, dass ein vollständiger Ausfall von Entwicklungsstadien, die in der Phylogenie eines Organismus ganz bestimmt existirt haben, während der kurzen ontogenetischen Rekapitulation der ersteren sehr häufig statt hat; es scheint mir, dass wir auch in diesem Falle unbedenklich das letztere annehmen müssen. . In einer vergleichend-anatomischen Arbeit von G. WINTHER über das Gesicht der Fische?, die in dänischer Sprache geschrieben ist und in Deutschland kaum bekannt geworden zu sein scheint, finde ich die Angabe, dass den Teleostiern, wenigstens in embryonaler Zeit, ein Jacobson’sches Organ zukomme. Es scheint mir nicht überflüssig zu sein, diese Beobachtung, die leicht in Lehrbücher der vergleichenden Anatomie übergehen könnte, zeitig richtig zu stellen. Was WıntHer als Jacobson’sches Organ deutet, ist eine kleine, bei älteren Embryonen und bei eben ausgeschlüpften Lachsen medial von den Nasengruben gelegene, angeblich blinde Tasche. Ganz abgesehen davon, dass nicht jede in der Nähe der Nase gele- gene Einstülpung gleich ein Jacobson’sches Organ sein muss, sondern dass zum Kriterium des letzteren die Innervation durch den Olfacto- rius ganz wesentlich ist, beruht die Angabe von WINTHER auf einer ganz ungenauen Beobachtung. Einem Jeden, der mit Teleostier- ı Damit stimmen auch die Beobachtungen von MILNE MARSHALL I. c. 2G. Wintuer, Fiskenes Ansigt. Naturhistorisk Tidskrift 3. R. 10. B. 1875 und 76. Kjöbenhavn. = 78 M. Sagemehl embryonen nur etwas vertraut ist, muss schon bei der Betrachtung der Abbildung, die WINTHER von diesem »Jacobson’schen Organ« giebt, der Verdacht aufsteigen, dass die gezeichneten Öffnungen (Taf. II Fig. 16 und Taf. III Fig. 1, 3, 4 und 5) nichts weiter sind, als Öffnungen von Schleimkanälen des Kopfes. Die vorgenommene Untersuchung an jungen, eben ausgeschlüpften Forellen, die vom Lachse ja kaum verschieden sind, bestätigte diese Vermuthung in vollem Umfange. Genau an derselben Stelle, wie es WINTHER angiebt und zeichnet, fand ich ebenfalls eine sehr kleine Öffnung, welche einem, allerdings nur in embryonaler Zeit bestehen- den, zwischen den Nasengruben verlaufenden Querkanal angehörte. Es ist das derselbe Kanal, der an dieser Stelle bei Amia zeitlebens existirt und den ich in meiner mehrfach eitirten Arbeit ausführlich beschrieben habe!. Durch diesen Nachweis glaube ich diese irr- thümliche Angabe des sonst sorgfältigen norwegischen Forschers richtig gestellt, und das Jacobson’sche Organ der Teleostier definitiv beseitigt zu haben. Wir schreiten nunmehr nach dieser kleinen Abschweifung zur Betrachtung des Cavum ceranii. Bei einem Blick von oben in einen Schädel, dessen Decke ent- fernt ist, überzeugt man sich, dass der Boden des Schädels, welchem das Gehirn aufliegt, in der Occipitalregion von den Occipitalia late- ralia und vor diesen, in der Labyrinthregion, von den Petrosa gebil- det wird, und zwar von den schon früher erwähnten, horizontal ge- richteten Lamellen dieser Knochen. Dieser Schädelboden ist nicht die wirkliche Basis des Schädels; die letztere liegt vielmehr unter demselben, durch Hohlräume von ihm geschieden. Es besitzt somit der Schädel der Characiniden in der Occipital- und in der Labyrinth- region einen doppelten Boden, zwischen dessen beiden Knochenplat- ten Hohlräume gelegen sind, welche zu den höheren Sinnesorganen, resp. zu den Hilfsapparaten derselben Beziehungen besitzen, und welche durch Anpassung an die letzteren entstanden zu denken sind. Der unter den horizontalen Platten der Petrosa liegende Hohlraum ist der Augenmuskelkanal (Taf. I Fig. 4 und Taf. IH Fig. 6 und 15 MA), während die Occipitalia lateralia einen Raum zudecken, der von dem vorigen durch eine Scheidewand vollständig getrennt ! In einer später erscheinenden, speciellen Arbeit über das Kopfskelet der Salmoniden, in welcher ich auch auf die Ontogenie desselben eingehen will, sol- len alle diese Verhältnisse ganz genau zur Sprache kommen. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 79 ist und der zur Bergung von Theilen des Gehörlabyrinth benutzt wird (Os). Dieser hintere Raum kommunicirt durch eine quergestellte. zwischen den horizontalen Fortsätzen der Petrosa und denjenigen der Oceipitalia lateralia gelegene Öffnung (/s?) mit der Schädelhöhle und wird von den Occipitalia lateralia und dem Oceipitale basilare umschlossen. Die obere Fläche des Occipitale basilare ist etwas ausgehöhlt und lässt zwei, zu beiden Seiten der Mittellinie der Länge nach verlaufende, scharfe Knochenkämme erkennen, durch welche die obere Fläche dieses Knochens in drei Rinnen zerlegt wird. In- dem nun die horizontalen Knochenlamellen der Oceipitalia lateralia diese obere Fläche des Occipitale basilare bedecken und sich mit den Knochenkämmen derselben durch korrespondirende, absteigende Leisten verbinden, wird der zwischen den erwähnten zwei Knochen gelegene Raum in drei Kammern zerlegt, welche nach vorn und oben durch die schon erwähnte Öffnung mit dem Cavum cranii in Verbindung stehen. Die beiden lateralen Kammern dienen zur Bergung der La- genae und von Theilen des Sacculus; sie sind nach hinten vollkommen abgeschlossen, und bei stärkerer Ausbildung der Lagenae prominiren sie an den lateralen Flächen des Schädels in der Occipitalregion, als die schon erwähnten Bulbi acustiei lagenares (vgl. auch Taf.I Fig. 11 CZ). Die mittlere Kammer ist das sog. Cavum sinus imparis (Taf. I Fig. 4 und 11 und Taf. II Fig. 6 und 15 Csz). Sie besitzt nach hinten eine Öffnung, das Atrium sinus imparis, die durch Aus- einanderweichen der Oceipitalia lateralia an deren hinterem Rande entsteht und durch welche das Cavum sinus imparis, unter dem Hin- terhauptsloch in den Rückenmarkkanal sich öffnet (Taf. I 4 und 5 und Taf. II Fig. 5 und 6 As). Die Wände dieser Kammer werden vorn vom Occipitale basilare und den beiden Oceipitalia lateralia, hin- ten von den letzteren allein gebildet, und in ihr liegt der Sinus impar, jener zuerst von WEBER beschriebene Lymphraum, welcher vorn an den die beiden Saceuli mit einander verbindenden Canalis com- municans stößt und hinten sich in einen zwischen der Dura des Rückenmarks und dem Stapes gelegenen Lymphraum öffnet und auf diese Weise die Verbindung zwischen dem Labyrinth und dem vor- dersten Knöchelchen des Weser’schen Apparates herstellen hilft. Diese Verhältnisse des Cavum sinus imparis sind bei allen unter- suchten Characiniden dieselben; höchstens kommen Differenzen in der relativen Größe dieser Theile vor. So ist z. B. dasselbe bei 80 M. Sagemehl den Erythrininen sehr auffallend in die Länge gestreckt: bei den echten Characiniden ist es bedeutend kürzer. An der vorderen Pe- ripherie der gemeinsamen, aus dem Cavum cranii zu den Kammern der Lagenae und zum Cavum sinus imparis führenden Öffnung be- merken wir jederseits einen nach vorn und lateral gerichteten blin- den, ziemlich kurzen Knochenkanal, der zur Bergung des vorderen, wie bei den Cyprinoiden!, etwas vorgezogenen Endes des Sacculus dient (Taf. I Fig. 4 und Taf. II Fig. 6 und 15 Rs). Die lateralen Wände der Schädelhöhle haben im hinteren Schä- delabschnitt, da sie zur theilweisen Umschließung von Theilen des Gehörlabyrinth benutzt werden, einen ziemlich komplicirten Bau. Zur Bergung des häutigen Labyrinth dient bei den Characi- niden, eben so wie bei Amia, eine Nische, welche jedoch bei den ersteren viel flacher ist, als bei Amia, und welche nach hinten und nach oben hin keine scharfen Grenzen mehr besitzt, sondern allmählich in die Wandungen der Schädelhöhle verstreicht. Die laterale Wand dieser Labyrinthnische, an welcher die Öffnungen für den hinteren und den äußeren Bogengang sichtbar sind, besteht zum Theil aus Knochen, zum Theil aus Knorpel und bindegewebigen Membranen. Um die Verhältnisse vollkommen zu verstehen, muss man sich die Bildung des von mir als Temporalhöhle bezeichneten Hohl- raumes ins Gedächtnis zurückrufen. Diese Temporalhöhle entsteht, wie ich in meiner Abhandlung über das Cranium von Amia aus- führlich begründet habe, dadurch, dass ein Theil der den hinteren Abschnitt des Schädels bedeckenden Hautknochen, dem knorpeligen Primordialschädel, nicht direkt aufliegt, sondern von dem letzteren durch eine sich auf die Schädeldecke erstreckende Portion des Sei- tenrumpfmuskels getrennt bleibt. Auf diese Weise entsteht am ma- cerirten Schädel eine von hinten her zugängliche große Höhle, die oben und lateral vom Deckknochen, unten und medial von Theilen des Primordialschädels begrenzt wird, und die am frischen Objekt vollständig von Muskeln ausgefüllt ist (vgl. Taf. I Fig. 9 und 10 und Taf. II Fig. 10 Th). Der Boden dieser Temporalhöhle ossifieirt nun, wie schon frü- her beschrieben worden ist, bei Characiniden zum Theil von dem Squamosum aus. Anders verhält sich die mediale Wand der Tem- poralhöhle, welche zugleich die laterale Begrenzung der Schädel- | Vgl. Rerzrus 1. c. Tab. XIII Fig. 5 und 6, und Hasse, »Über das Ge- hörorgan der Fische« in: Anatomische Studien. Bd. I. 1873. Th. X. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 81 höhle resp. der in die letztere weit geöffneten Labyrinthnische bildet. Dieselbe erhält sich bei Characiniden zum Theil knorpelig, zum Theil wird sie membranös und bildet den oberen Theil der lateralen Be- grenzung der Labyrinthnische. Wie aus dem eben Gesagten her- vorgeht, gelangt man nach Entfernung dieser dünnen, knorpeligen Lamelle, die an trocken aufbewahrten Schädeln wohl immer fehlen wird, aus der Schädelhöhle unmittelbar in die Temporalhöhle. Die- ses, auf den ersten Blick so paradoxe Verhalten, findet, wenn man sich die erste Entstehung der Temporalhöhle in der Reihe der Fische (Amia) vergegenwärtigt, seine ganz naturgemäße Erklärung. Der untere Theil der lateralen Begrenzungswand der Labyrinth- nische ist knöchern und wird von dem Petrosum und dem Occipitale laterale gebildet. Nach Wegnahme dieses Theils der Schädelwand gelangt man nicht mehr in die Temporalhöhle, sondern unmittelbar an die Außenfläche des Schädels. Zur besseren Orientirung in die- sen Verhältnissen verweise ich auf die Fig. 10 auf Taf.I und Fig. 10 auf Taf. II, welche Querschnitte durch diese Region an Characini- denschädeln darstellen. Die Knochen, die an der Begrenzung der Labyrinthnische Theil nehmen, sind, wie schon erwähnt, das Oceipitale laterale, das den unteren hinteren Theil, und das Petrosum, das den unteren vorderen Theile der Nische herstellen hilft; dieht über dem Petrosum und ein wenig vor demselben betheiligt sich außerdem auch das an der in- neren Fläche des Schädels zu Tage tretende Postfrontale mit einem kleinen Abschnitt an der Bildung der Nische. Oben wird die late- rale Wand der Nische von der schon erwähnten knorpeligen Scheide- wand zwischen Temporal- und Schädelhöhle gebildet. In ihrem hinteren Theil ist diese knorpelige Lamelle ganz konstant mit einem großen, runden, durch eine Fascie verschlossenen Fenster versehen (Taf. I Fig. 4 und Taf. II Fig. 6 und 15). Die Detailverhältnisse der in ihren gröberen Zügen beschriebe- nen Labyrinthnische können nur im Zusammenhang mit dem Laby- rinth verstanden werden, zu dessen Beschreibung wir nun schreiten. Wie ich schon mehrfach zu bemerken Gelegenheit hatte, ist das Labyrinth der Charaeiniden demjenigen der Cyprinoiden täuschend ähnlich gebaut. Der Utriculus ist groß, langgestreckt und nimmt den ganzen unteren Theil der Labyrinthnische ein. Nach hinten und unten hängt ihm mit einem langen, dünnen Verbindungskanal der kleine, eylindrische Saceulus an, welcher einen kleinen, lancett- förmigen Otolithen enthält. Der vordere Zipfel des Sacculus steckt Morpholog. Jahrbuch. 10. 6 $2 M. Sagemehl in dem schon beschriebenen, vom Petrosum gebildeten, blinden Knochenkanal. Der hintere Theil desselben erstreckt sich nach hin- ten und unten zusammen mit der umfangreichen, mit einem großen runden Otolithen versehenen Lagena. in den schon früher beschrie- benen, lateral vom Cavum sinus imparis gelegenen Raum. Die bei- derseitigen Sacculi werden, wie bei den Cyprinoiden, durch eine quer vor dem Eingang in das Cavum sinus imparis verlaufende, unter dem Gehirn gelegene Verbindungsröhre mit einander in Kommuni- kation gesetzt — den Canalis communicans!, Von dem oberen Theil des Utrieulus erhebt sich der lange und enge Sinus superior von Rerzius (Bogenkommissur, Hasse), der längs der inneren Wand der das Cavum cranii von der Temporalhöhle trennenden Knorpel- lamelle aufsteigt und an dem oberen Rand der Labyrinthnische sich in zwei Schenkel theilt. Der nach vorn gerichtete Schenkel ist das Anfangsstück des vorderen, der nach hinten und lateral gerichtete des hinteren Bogenganges. Der hintere Bogengang begiebt sich in eine besondere Offnung des Occipitale superius (Taf. I Fig. 4 und Taf. II Fig. 6 und 15) und tritt, nach einem kurzen Verlauf in diesem Knochen, in das Exoccipitale, in welchem er nach unten umbiegt. In dem Exocci- pitale, das bei den Characiniden, wie schon früher beschrieben, an mehreren Stellen nach der Temporalhöhle hin fenestrirt ist, verläuft der hintere Bogengang nun derart, dass er bei den echten Characi- ! Der eben erwähnte Verbindungskanal zwischen den beiden Sacculi wird von; Nuspaum (Zoologischer Anzeiger 1881 No. 95), der ihn bei Cyprinoiden sehr sorgfältig untersucht hat, unbegreiflicherweise für die mit einander ver- schmolzenen Aquaeducti vestibuli (Recessus labyrinthi) angesehen. Wenn man berücksichtigt, dass bei niederen Vertebraten die Aquaeducte stets lateral und über dem Gehirn verlaufen, und der fragliche Verbindungsgang unter dem Gehirn liegt, so ist eine solche Deutung eine morphologische Unmöglichkeit und glaube ich nicht zu irren, wenn ich den Verbindungsgang zwischen den beiden Saceuli für eine Bildung sui generis halte, die durch Anpassung an den WEBER'schen Apparat entstanden zu denken ist. Übrigens ist durch die Untersuchungen von RETZIUS (l. c.) der direkte Nachweis geführt worden, dass bei dem Cy- prinoiden Idus melanotus neben der Verbindungsröhre zwischen den Saceuli noch ein wirklicher Aquaeductus besteht, welcher dieselben Lagerungsyerhält- nisse besitzt, wie bei allen Knochenfischen und die erstere somit mit den Aquae- ducten ganz bestimmt nichts zu schaffen hat. Ich würde diese ganz unmög- liche Deutung von Nuspaum nicht besonders erwähnt haben, wenn nicht WIEDERSHEIM (Lehrbuch d. vgl. Anatomie d. Wirbelthiere pag. 475) dieselbe in ganz kritikloser Weise, nachdem er wenige Seiten früher die Lage des Re- cessus labyrinthi der Fische ausführlich beschrieben hat, acceptirt hätte. Unter solchen Umständen hielt ich es für geboten, diese falsche Auffassung bei Zeiten richtig zu stellen. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 83 niden in der Knochenspange liegt, welche zwischen dem oberen und dem medial und. nach hinten gerichteten Fenster bestehen bleibt (Taf. II Fig. 5, 16 und 18). Bei den Erythrininen, denen das me- diale Fenster abgeht, verläuft derselbe am medialen und hinteren Rande des oberen Fensters. Aus dem Exoccipitale tritt dieser Bo- gengang in einen weiten Knochenkanal des Occipitale laterale, in welchem er gemeinsam mit dem Endstück des äußeren Bogenganges verläuft und, nachdem er sich zu einer Ampulle erweitert hat, an den Utriculus tritt (Taf. I Fig. 4 und Taf. II Fig. 6 und 15 esp). Der vordere Bogengang besitzt bei den Characiniden kei- nen besonderen, knöchernen Abschluss nach der Schädelhöhle hin, sondern liegt ganz frei in der letzteren und wird nur durch den vorderen, etwas zugeschärften Rand der Labyrinthnische ein wenig überdeckt (vgl. die eitirte Figur). Er verläuft auf diese Weise in einem Halbkanal, der oben von der mehrfach erwähnten Knorpel- lamelle, im ‚mittleren Theil vom Postfrontale und unten vom Petrosum gebildet wird. Am ‚vorderen Zipfel des Utrieulus mündet er mit einer Ampulle ein. Der äußere Bogengang beginnt an der lateralen Wand des Utrieulus, etwa in der Mitte desselben. Er tritt in eine Öffnung des Petrosum (cit. Abbil. cse) und sodann in das Squamosum. Aus dem letzteren tritt er direkt in den Knochenkanal des Occipitale laterale, der auch den unteren Abschnitt des hinteren Bogenganges umschließt. Er mündet schließlich mit einer Ampulle in das hintere Ende des Utrieulus. An der Stelle, wo der äußere Bogengang aus dem Squa- mosum in das Oceipitale laterale tritt, steckt in der Naht zwischen diesen beiden Knochen das kleine Intercalare und es hat auf den ersten Blick den Anschein, als ob sich das letztere an der Umschließung dieses Bogenganges ebenfalls. betheilige. Nur durch eine sorgfältige Untersuchung mit der Lupe, so wie auch an Durch- schnitten kann man sich überzeugen, dass das nicht der Fall ist, indem das Intercalare nicht so weit in die Tiefe reicht, um den Bo- gengang erreichen zu können. Das sind die Verhältnisse der das Labyrinth umgebenden Ske- lettheile, die bei allen von mir untersuchten Characiniden in wesent- lich, gleicher Weise gebildet sind und nur untergeordnete Abweichun- gen zeigen. Wenn wir den Bau der Labyrinthnische und der benachbarten Skelettheile bei den Characiniden mit denjenigen von Amia verglei- chen, so müssen wir eine sehr beträchtliche Komplikation im Bau o* 84 M. Sagemehl bei den ersteren konstatiren. Zunächst ist zu bemerken, dass Kno- chen, die bei Amia noch keinerlei Beziehungen zu Theilen des La- byrinth boten, bei den Characiniden solche erlangt haben. Einerseits sind das Knochen, die bei Amia reine Hautknochen waren, wie das Squamosum, oder aber doch nicht durch die ganze Dicke der knor- peligen Schädelwand reichten, wie das Postfrontale und das Exocci- pitale. Dieselben sind nunmehr durch die ganze Dicke der urspriinglich knorpeligen Schidelwand durchgewachsen und haben auf diese Weise Beziehungen zum Labyrinth gewonnen, die sie früher nicht besaßen. Zu dieser Kategorie ist auch das Oceipitale superius zu rechnen, das bei Amia und bei den anderen Knochenganoiden bekanntlich gar nicht existirt. P Auf der anderen Seite finden wir aber auch, dass Knochen, die schon bei Amia an der Bildung der Schädelhöhle sich betheili- gen, jedoch zu Theilen des Labyrinth noch keine Beziehungen auf- weisen, bei den Characiniden solche erlangt haben. Hierher gehört das Occipitale laterale und das Oceipitale basilare. Da der letztere Knochen bei Amia annähernd dieselbe Ausdehnung an der Innenseite des Schädels besitzt, wie bei den Characiniden (vgl. Fig. 7 der ci- tirten Arbei über Amia), so sind seine neuerlangten Beziehungen zu Theilen des Labyrinth nur durch die Vergrößerung des letzteren und durch die damit zusammenhängende Verlagerung von Theilen dessel- ben zu erklären. Dasselbe gilt auch für das Occipitale laterale, wenngleich zugegeben werden muss, dass dieser Knochen selbst bei Characiniden eine größere Ausdehnung gewonnen hat. Bei Amia reicht sein vorderer Rand nur bis zur Vagusöffnung (vgl. die eitirte Abbildung), während er bei Characiniden nicht nur die letztere, son- dern auch die Glossopharyngeusöffnung umschließt. Doch ist ganz zweifellos auch eine Vergrößerung und Verlagerung von Theilen des Labyrinth selbst anzunehmen, da es sonst nicht verständlich wäre, wie es kommt, dass der hintere Theil des Sacculus und die Lagena der Characiniden unter und hinter der Vagusöffnung liegen, während sie bei Amia ein gutes Stück vor derselben entfernt bleiben. Diese konstatirte Volumzunahme des Labyrinth giebt auch eine genügende Erklärung für den Umstand, dass die bei Amia sehr deutlich ausgeprägte Umgrenzung der Labyrinthnische bei den Cha- raciniden mehr verwischt ist und die ganze Nische auf diese Weise mehr in den Bestand der Schädelhöhle eingegangen ist. Auch die Atrophie der bei Amia vorhandenen, den vorderen Bogengang gegen die Schädelhöhle hin deckenden Knorpelspange, findet in der Volum- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 85 zunahme des Labyrinth ihre Erklärung (vgl. die Fig. 7 der eitirten Arbeit mit Taf. I Fig. 4 und Taf. II Fig. 6 und 15). Eine andere Reihe von Veränderungen im hinteren Abschnitt der Schädelhöhle, namentlich an der Basis derselben, ist durch An- passung des Labyrinth an die durch die Ausbildung des WEBER- schen Apparates gegebenen Verhältnisse zu erklären. Wie ich schon bei der Beschreibung des Schädels von Amia hervorgehoben habe, liegt bei diesem Fische die Hinterhauptöffnung nicht in gleicher Flucht mit der inneren, basalen Fläche des Occipi- tale basilare , sondern beträchtlich höher. Es kommt dieses daher, weil der hintere Theil dieses Knochens, der morphologisch einem, oder mehreren, mit dem Schädel verschmolzenen Wirbelkörpern gleich zu setzen ist, auch wie ein Wirbelkörper gebaut ist und viel höher ist, als der vordere, flache Theil des Occipitale basilare (Fig. 7 der eitirten Arbeit). Indem nun die Medulla oblongata und der vordere Theil des Rückenmarks sich über den vertieften, vorderen Abschnitt des Knochens hinüberspannt, entsteht unter der ersteren ein Raum, der von interduralem Fettgewebe eingenommen ist, und der unten vom Occipitale basilare, lateral von den Occipitalia lateralia begrenzt wird. Dieser, schon bei Amia präformirte, jedoch zu speciellen phy- siologisehen Zwecken nicht weiter verwerthete Raum, dessen erste Entstehung, wie schon erwähnt, auf die Assimilation von Wirbeln zum Cranium zurückzuführen ist, wird bei den Characiniden und bei den anderen mit einem WEBERr’schen Apparat versehenen Physosto- menfamilien zur Bildung des Cavum sinus imparis und zur Bergung der Lagenae benutzt. Seine Abschließung gegen die eigentliche Schädelhöhle kommt allem Anschein nach dadurch zu Stande, dass der Verknöcherungsprocess von den Oceipitalia lateralia aus auf Theile der Dura mater übergreift und der Raum auf diese Weise durch eine Knochenlamelle gedeckt wird (Taf. I Fig. 4 und Taf. II Fig. 6 und 15). Dass dieses in der That sich so verhält, beweisen junge Entwicklungsstadien von Cyprinoiden (Chondrostoma nasus), an wel- chen man sich leicht überzeugen kann, dass die horizontale Lamelle, welche das Cayum sinus imparis bedeckt, nicht knorpelig präformirt ist, sondern durch Ossifikation von Bindegewebe, das der Dura ma- ter angehört, entsteht. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass dieses auch für die Characiniden gilt, die ja genau denselben Bau dieser Theile besitzen, wie die Cyprinoiden. Unter den horizontalen Platten der Petrosa finden wir den Augenmuskelkanal (Taf. I Fig. 4 und 9 und Taf. I Fig. 6, 9, 86 M. Sagemehl 10 und 15 cm). Derselbe kommt allen von mir untersuchten Cha- raciniden zu, auch der Gattung Erythrinus, bei welcher er von KöstLix! ausdrücklich geleugnet wird. Der Augenmuskelkanal, der sich bekanntlich in den hinteren, unteren Theil, der an dieser Stelle vermittels des Opticusfensters mit einander kommunicirenden Orbitae öffnet, ist bei den Characiniden sehr verschieden stark entwickelt. Bei den Erythrininen ist er, entsprechend der geringeren Ausbildung der Augäpfel und deren Muskeln, niedrig und reicht nach hinten nur bis zum vorderen Rande des Oceipitale basilare. Seine Decke wird von den schon beschriebenen, horizontalen Platten der Petrosa gebildet, seine Seitenwände von den absteigenden Fortsätzen der- selben Knochen, die jedoch unten nicht zusammentreten, sondern durch eine Längsspalte getrennt sind. Die letztere wird unten durch das Parasphenoid geschlossen, das auf diese Weise den Boden des Augenmuskelkanals bildet. Bei den echten Characiniden ist die Höhe des Augenmuskelkanals eine beträchtlichere und derselbe er- streckt sich auch weiter nach hinten unter das Occipitale basilare, zwischen den letzteren Knochen und das Parasphenoid. Wie ich in meiner Abhandlung über das Cranium von Amia calva nachgewiesen habe, ist bei diesem Fische der an der Basis cranii gelegene Raum, in welchen der M. rectus externus mit seiner Insertion hineinwandert, präformirt und wird erst sekundär von die- sem Muskel benutzt. Ferner machte ich darauf aufmerksam, wie gut dieses Verhalten mit der Anschauung von GEGENBAUR in Ein- klang steht, der den Augenmuskelkanal der Knochenfische aus dem Canalis transversus der Selachier hervorgehen lässt?. Es freut mich nun das an der Stelle als Vermuthung Geäußerte, nun durch sichere Thatsachen stützen zu können. Denselben Raum, der bei Amia zur Einlagerung des Rectus externus benutzt wird, fand ich auch bei Lepidosteus, jedoch noch ohne irgend welche Beziehung zu diesem Muskel und in einer Lage, die es als ganz zweifellos erscheinen ließ, dass er der Canalis transversus der Selachier ist. Bei Lepidosteus wird durch besondere Fortsätze der Petrosa ein nach vorn gegen die Schädelhöhle geöffneter Halbkanal gebildet, der dicht hinter der Hypophyse von einer Seite zur anderen verläuft und nach vorn, also gegen die Hypophyse hin, durch eine Mem- ı 0. Köstuin, |. ce. pag. 309. ' 2 Das Cranium von Amia Calva. Morphol. Jahrb. IX. 1883. pag. 216. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 87 bran vollständig abgeschlossen und zu einem allseitig gedeckten Querkanal verwandelt wird, welcher von lockerem Fettgewebe er- füllt ist. Lateral reicht dieser an der Basis eranii dicht hinter der Hypophyse verlaufende Kanal bis an den hinteren, unteren Winkel der Orbita, nach welcher hin er vollständig verschlossen erscheint. Abge- sehen von dem letzteren Umstande besitzt dieser Raum genau diesel- ben Verhältnisse, wie der von GEGENBAUR beschriebene Canalis transversus der Selachier; der Verschluss gegen die Orbitae ist wohl ein sekundärer. Auf der anderen Seite kann es eben so we- nig einem Zweifel unterliegen, dass dieses der Augenmuskelkanal von Amia ist, wenn man die hier gegebene Beschreibung mit der Fig. 7 meiner Arbeit über Amia vergleicht, wo der unter dem hori- zontalen Fortsatz des Petrosum und vor demselben gelegene durch eine Fascie (die nicht abgebildet ist) zugedeckte Raum von dem Rectus externus eingenommen wird. Die von GEGENBAUR vertretene Hy- pothese kann somit durch weitere Thatsachen gestützt werden. Nach dieser kleinen Abschweifung kehren wir zum Augenmus- kelkanal der Characiniden zurück. Derselbe wird nicht von sämmtlichen vier geraden Augen- muskeln zur Einlagerung benutzt, sondern nur vom M. exter- nus und vom M. inferior. Und zwar entspringt der erstere vom hintersten Ende des Kanals und verläuft somit durch die ganze Länge desselben, während der letztere nur im vordersten Drittel des Kanals seinen Ursprung nimmt. Die beiden anderen geraden Augen- muskeln haben keine Beziehungen zum Kanal, sondern entspringen in der Orbita selbst. Es ist hier der Ort den Nervus abducens zu erwähnen, welcher bei allen von mir untersuchten Characiniden die horizontale Knochenplatte des Petrosum, die den Augenmuskelkanal zudeckt, etwas hinter der für den Ramus palatinus nervi facialis bestimmten Öffnung durchbohrt, in den Augenmuskelkanal tritt und sich sofort im Rectus externus vertheilt, ohne in die Orbita selbst zu gelangen. Dieht vor den horizontalen Platten des Petrosum, also im hinteren Theil der für den Durchtritt der Optiei bestimmten Off- nung, senkt sich die Hypophyse, die in einen besonderen, von der Dura mater gebildeten Sack eingeschlossen ist, in den Augen- muskelkanal hinein, wo sie zwischen den Augenmuskeln gela- gert ist. Wir sind nun am Ende der Beschreibung des Charaeinidenschädels angelangt, und es bleibt uns noch übrig die verschiedenen Characi- 88 M. Sagemehl nidengattungen unter einander zu vergleichen und ihre Stellung zu anderen, tiefer stehenden Formen festzustellen. Wie ich schon in der Einleitung erwähnt habe, lassen sich die von mir untersuchten Characiniden in drei Gruppen sondern: die Erythrininen, die durch Citharinus repräsentirten pflanzenfressenden Characiniden und die fleischfressenden Gattungen, zu denen Alestes, Tetragonopterus, Anacyıtus, Hydrocyon und Sarcodaces, welcher allerdings in vielen Verhältnissen sich an die Erythrininen anschließt, zu rechnen sind. Die Erythrininen repräsentiren in der allgemeinen Konfiguration des Schädels, der sich durch geringe Ausbildung von Cristen und Muskelfortsätzen auszeichnet, und dessen Deckknochen noch den reinen Typus der Hautknochen gewahrt haben, gegenüber den übri- gen Characiniden, die in dieser Hinsicht höher differenzirt sind, einen niedereren Typus der Entwicklung. Sarcodaces steht ihnen in vie- len Verhältnissen nahe. Unter den echten Characiniden nehmen die durch Citharinus reprä- sentirten pflanzenfressenden Formen, gegenüber den fleichfressenden ebenfalls eine tiefere Stufe ein, und es ist bemerkenswerth, dass Ci- tharinus in gewissen Organisationsverhältnissen, obgleich der ganze Habitus des Schädels einen höheren Typus repräsentirt, sich noch primitiver verhält, als die Erythrininen. An eine direkte Ableitung der pflanzenfressenden Characiniden von den Erythrininen ist jeden- falls gar nicht zu denken. Die Hauptpunkte, in welchen Cithari- nus eine niederere Stufe der Entwicklung bewahrt hat, als die Erythrininen, sind: 1) Die weite Erstreckung der Schädelhöhle nach vorn und der damit zusammenhängende Besitz von langen Tractus olfactorii; 2) die gegenüber den Erythrininen weniger weit fort- geschrittene Verknöcherung des Primordialschädels, namentlich im Bereiche der Ethmoidregion; 3) die einfach gebaute, nicht differen- zirte Pfanne für das Hyomandibulare. Was den Bau des Schädels der fleischfressenden Characiniden betrifft, so, ist mir kein einziges Organisationsverhältnis bekannt, welches nicht als direkte Fortent- wicklung der bei den pflanzenfressenden Formen zu beobachtenden angesehen werden könnte. Wenn man daraus auf eine direkte Abstammung der ersteren von den letzteren schließen wollte, so wäre es voreilig. So schließt sich z. B. der Bau des Kieferapparates der fleischfressenden For- men an denjenigen der Erythrininen eng an und sind ihm gegenüber die Organisationsverhältnisse dieser Skelettheile bei pflanzenfressenden Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 89 Characiniden in einzelnen Punkten als primitivere zu betrachten: auch im Bau des Hyomandibulargelenks ist ein engeres Zusammen- schließen der Erythrininen und der fleischfressenden Charaeiniden nicht zu verkennen. Aus dem eben Gesagten folgt, dass wir es hier mit drei Gruppen zu thun haben, die nur an der Wurzel zusammen- hängen, von denen jedoch eine jede ihren eignen Weg gegangen ist und sich selbständig weiter differenzirt hat. Aus diesem Grunde ist es auch kaum möglich zu bestimmen, welche der Characinidengruppen als die primitivste anzusehen ist. Das Einzige was man sagen kann, ist dass die fleischfressenden Characiniden die höchste Entwicklung aufweisen und am weitesten specialisirt sind. Eine tiefere Stufe nehmen die Erythrininen und die pflanzenfressenden Formen ein, welche beide Gruppen jedoch zu einander keine nähere Beziehung erkennen lassen. Wie ich erst später bei der Beschreibung des Schädels anderer Physostomen ausführlich begründen kann, nehmen die Characiniden in der Reihe der Knochenfische eine relativ niedere Stelle ein und lassen leichter, als die meisten anderen Familien einen Anschluss an tiefer stehende Formen erkennen. Es ist namentlich Amia, an elche die Characiniden zweifellose Anschlüsse bieten. Die anderen jetzt lebenden Ganoiden sind so eigenartig differenzirt, und entfernen sich so weit von der muthmaßlichen direkten Vorfahrenlinie der Kno- chenfische, dass eine Vergleichung mit Teleostiern kaum möglich ist. Die entschiedene Verwandtschaft zwischen Amia und den Characiniden, speciell den Erythrininen, prägt sich schon im ganzen äußeren Habi- tus des Cranium der letzteren aus. Die knöcherne Schädeloberfläche der Erythrininen und die Beschildung der Seitenfläche des Kopfes der letzteren durch die verbreiterten Orbitalknochen, die mit denjeni- gen von Amia in der gröberen Anordnung recht gut übereinstimmen, erinnert in bedeutendem Maße an die Verhältnisse von Amia. Die Betrachtung der Mundhöhle erhöht noch diesen Eindruck; bei bei- den liegen zahntragende Platten des Palatinbogens fast unbedeckt von der Schleimhaut zu Tage; bei beiden sind die Kiefer und deren Bezahnung fast in gleicher Weise gebildet. Nur in dem Umstande, dass das Parasphenoid und der Vomer keine Zähne mehr tragen, lassen die Charaeiniden Amia gegenüber eine Rückbildung und Weiterent- wicklung erkennen. Der unmittelbare Eindruck einer verhältnismäßig nahen Ver- wandtschaft zwischen Amia und den Erythrininen wird durch eine 90 M. Sagemehl genaue Analyse der Organisationsverhaltnisse dieser Formen nur noch befestigt. Wir beginnen mit dem Cranium. Die Schädeldecke bietet nur geringe Verschiedenheiten, deren wichtigste in der tieferen, subeutanen Lage der Post- und der Praefron- talia besteht. Das Ethmoid ist bei Characiniden stärker entwickelt; es hat Beziehungen zum Primordialschädel gewonnen und hat seine früheren, bei Amia existirenden Beziehungen zu einem Schleimka- nal verloren. Die Extrascapularia der Characiniden sind an Größe beträchtlich reducirt. Im Ganzen ist die Ähnlichkeit des Schädel- daches von Amia und demjenigen der Erythrininen eine sehr große, und es lassen sich die bei den letzteren zu beobachtenden Verhält- nisse von ersterer leicht ableiten. Dasselbe gilt auch für die meisten Organisationsverhiltnisse der Occipitalregion. Hier sind es vor Allem die schon ausführlich besprochenen Verschiedenheiten im Verhalten der Occipitalbogen und der zugehörigen Nerven, die ins Auge fallen. Von den beiden in- differenten Oceipitalbogen von Amia sehen wir den vorderen bei Characiniden dem Cranium assimilirt, den hinteren einer speciellen Funktion angepasst und zum Claustrum umgebildet. Ein wesent- licher Unterschied ist durch das Auftreten einer neuen, bei Amia fehlenden Ossifikation — dem Occipitale superius — bedingt, auf dessen erste Entstehung ich in meiner nächsten Monographie des Cyprinoidenschiidels noch einmal zurückkomme. Die Temporalhöhle ist bei Characiniden größer geworden und es sind im Zusammenhang damit die für diese Familie so charakteristischen Fenestrationen am Exoceipitale aufgetreten. Wie die vorhergehenden, so sind auch diese Verhältnisse — mit Ausnahme des Auftretens eines Occip. superius — unschwer, als direkte Fortentwicklung von schon bei Amia bestehen- den aufzufassen. In der Labyrinthregion ist eine wesentliche Verschiedenheit durch das Verhalten des Squamosum bei Amia und bei Characiniden bedingt. Während dieser Knochen bei der ersteren noch ein reiner Deckknochen ist, hat er bei Characiniden, eben so wie bei allen anderen Teleostiern, Beziehungen zum Primordialschädel gewonnen. Auf Rechnung des größeren Umfanges, den dieser Knochen bei den letzteren erlangt hat, ist auch die Reduktion des Intercalare zu setzen, welches bei Ganoiden zum Theil das Squamosum der höhe- ren Fische funktionell ersetzt. Die Verschiedenheiten der Orbitalregion des Schädels bei Amia Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 91 und bei Characiniden sind durch vollkommenere Anpassung dieser Region bei den zuletzt genannten an den Augapfel und dessen Be- wegungen bedingt. Auf diese Weise erklärt sich die größerere Aus- bildung des Antorbitalfortsatzes bei Characiniden, der dem Augapfel bei der Aktion der Musculi obliqui einen Widerstand entgegensetzt und an Stelle von Exkursionsbewegungen, Rotationen des Bulbus treten lässt. Ebenfalls durch Vergrößerung des Bulbus entstanden zu denken ist die Ausbildung des unpaaren, interorbitalen Septum und die damit zusammenhängenden Umbildungen: die Vereinigung der beiden Opticusfenster von Amia zu einem unpaaren und vielleicht auch die Verschmelzung der bei Amia paarigen Orbitosphenoide zu einem Knochen. Ein Augenmuskelkanal ist, wie ich schon früher beschrieben habe, in unvollkommener Weise bei Amia vorhanden; bei Characiniden ist seine Ausbildung eine vollständige. Sehr be- merkenswerth ist es, dass bei allen Charaeiniden und, wie ich hier gleich bemerken will, bei allen ostariophysen Knochenfischen; ein Basisphenoid spurlos fehlt, während es doch bei Amia, durch kleine, paarige Ossifikationen repräsentirt wird. Bei den Ostariophysen ist dieser Knochen entweder geschwunden, oder aber es stammen die- selben von Formen ab, welche tiefer als Amia standen und noch gar kein Basisphenoid besaßen. In der nasalen Region haben wir bei Characiniden, gegenüber Amia, ebenfalls einen Knochen weniger zu verzeichnen; den ersteren fehlt das Septomaxillare. Ob dasselbe reducirt worden ist, oder ob es niemals existirt hat, ist vor der Hand nicht zu entscheiden. Vielleicht giebt die Kenntnis neuer Formen in diesem Falle eine sicherere Antwort. Außerdem ist der bei Amia paarige Vomer un- . paar geworden, wie bei allen Teleostiern. Sehr schwer ist es zu entscheiden, ob die komplieirten, an der Basis der Occipital- und Labyrinthregion im Inneren des Schädels der Charaeiniden zu beobachtenden Eigenthümlichkeiten, die durch Anpassung an den Weser’schen Apparat entstanden sind, direkt von dem bei Amia nachweisbaren Verhalten abzuleiten sind. Un- möglich wäre das letztere nieht, doch ist die Kluft zwischen den beiden Formen in diesen Verhältnissen eine so große, dass sichere Schlüsse kaum möglich sind. Die Verhältnisse der Labyrinthnische habe ich bereits bei der speeiellen Beschreibung der letzteren in ausführlicher Weise mit den entsprechenden von Amia verglichen und bin zu dem Resultate gelangt, dass in dieser Beziehung ein direkter Anschluss der Characiniden an Amia zu erkennen ist. 92 M. Sagemehl Wenn wir Alles zusammenfassen, so ergiebt es sich, dass die Characiniden und speciell die Erythrininen, was ihren Schädel be- trifft, sich direkt an Amia anknüpfen und eine Weiterentwicklung von Terälioieien erkennen lassen, die in ihren ersten AnfAnBER schon bei Amia nachweisbar waren. Dass die Characiniden trotzdem nicht etwa als direkte Nach- kommen von Amia zu betrachten sind, lehrt eine Vergleichung der übrigen Organsysteme. Der Suspensorialapparat der Characiniden bietet so man- ches Bemerkenswerthe, so dass eine etwas ausführlichere mit Abbil- dungen versehene Schilderung desselben, namentlich da bis jetzt noch keine Beschreibung existirt, nicht überflüssig sein dürfte. Von jedem der drei Typen: den Erythrininen, den pflanzenfressenden und den fleischfressenden Characiniden, habe ich je ein Beispiel zur ausführlichen Beschreibung gewählt, es sind das die Gattungen: Erythrinus, Citharinus und Hydrocyon (Taf. I Fig. 12, 13 und 14). Das Hyomandibulare (Hm) zeigt das gewöhnliche Verhal- ten der Teleostier und erinnert in seiner Gestalt am meisten an den entsprechenden Knochen bei den nahe verwandten Cyprinoiden. Von der eigenthümlichen, einer speciellen Bewegung angepassten Aus- bildung der Gelenkfläche desselben ist schon früher in Kürze Er- wähnung gethan worden. Auch der Umstand, dass dieser Knochen mit den übrigen Theilen des Palatinbogens am frischen Skelet der- artig verbunden ist, dass er leichte Rotationen ausführen kann. ist schon oben berührt worden. An das Hyomandibulare schließt sich nach unten und hinten das Symplecticum (Sy) an, das von dem ersteren durch eine unver- knöchert bleibende Partie des ursprünglichen Hyomandibularknorpels getrennt wird. Bei der Gattung Erythrinus liegt dieser Knochen, der sonst gewöhnlich zwischen zwei Zinken des Quadratum eingekeilt ist, hinter dem letzteren fast ganz verborgen und ist bei der Ansicht von der lateralen Fläche gar nicht zu sehen; außerdem ist er mit dem Qua- dratum so innig verbunden, dass es schwer ist die trennenden Nähte zu erkennen. Erst eine Vergleichung mit den sonst ähnlich gebau- ten Theilen bei Macrodon und Lebiasina legt die Verhältnisse klar. Nach vorn und unten schließt sich an das Hyomandibulare das Metapterygoid (Mt) an, ein Knochen, der in der Familie der Characiniden recht groß ist, entsprechend den mächtigen Kaumus- keln, die von seiner lateralen Fläche entspringen. Nach unten schließt sich an die beiden eben besprochenen Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 93 Knochen das Quadratum (Qu) an, welches eine dreieckige Ge- stalt hat und mit dem Gelenk zur Aufnahme des Unterkiefers ver- sehen ist. Zwischen Quadratum, Metapterygoid und Sympleeticum finden wir bei allen untersuchten Characiniden ein rundliches Fenster, das durch eine Membran verschlossen wird, und das für diese Familie sehr charakteristisch ist. Klein ist es bei Lebiasina, während es bei den anderen Formen sehr beträchtlich entwickelt ist. Eine beson- dere physiologische Bedeutung kommt demselben wohl kaum zu, und es scheint nur zur Erreichung einer größeren Leichtigkeit des gan- zen Apparates da zu sein. Der ganze vordere Abschnitt des Palatinbogens, der von Ekto- Entopterygoid und Palatinum gebildet wird, zeigt in dieser Familie sehr wechselnde Verhältnisse. ‚Ein relativ primitives Verhalten finden wir bei der Gattung Ci- tharinus. Bei diesem Fisch zieht von der knorpeligen Naht zwischen Metapterygoid und Quadratum aus ein Knorpelstreifen nach vorn, der sich allmählich verbreitert. Der vordere, angeschwollene Theil desselben artikulirt mit der unteren Fläche der Ethmoidalregion des Sehädels und wird von einer dünnen Knochenplatte an der unteren Peripherie schalenartig umhüllt. Die obere Peripherie bleibt von Knochen frei und bildet den Gelenkknopf. Diese dünne, kleine Knochenplatte stellt, wie ein Vergleich mit anderen Formen lehrt, das Palatinum vor (Taf. I Fig. 11 P7), Es ist kein reiner Beleg- knochen, sondern liegt der knorpeligen Unterlage ohne Vermittlung einer perichondralen Schicht auf, ohne jedoch in die Tiefe des Knor- pels einzudringen. Diese Beziehung des Palatinum zum vorderen Ende des knorpe- ligen Palatinbogens ist in der Reihe der Teleostier und auch schon bei Knochenganoiden ganz allgemein verbreitet und durchaus keine besondere Eigenthümlichkeit der Panzerwelse, wie es Herr GOLpI' in einer vor Kurzem erschienenen Arbeit angiebt. Mir ist wenigstens in der ganzen Reihe der Teleostier kein Fall bekannt, in welchem das Palatinum ein reiner Belegknochen wäre; es ist stets, mag es nun Zähne tragen oder nicht, mit dem vorderen Ende des knorpeligen 1 Emit GöLpı, Kopfskelet und Schultergiirtel von Loricaria, Balistes und Acipenser. Jenaische Zeitschr. f. Naturwiss. Bd. XVII. 1884. pag. 416 und Zoologischer Anzeiger. Jahrg. VI. Nr. 145. (1883). 94 M. Sagemehl Palatinbogens innig verbunden und hat den Knorpel des letzteren häufig bis auf kleine Reste ganz verdrängt. - Es ist merkwürdig, dass dieses Verhalten von dem sonst so sorg- fältigen und gewissenhaften O. Hertwic nicht in genügender Weise berücksichtigt worden ist. Es ist in der That geeignet den Satz, dass ein Belegknochen niemals primär werden könne, als zu weitgehend hinzustellen. An einer Homologie des Palatinum der Fische und der Amphibien liegt kein Grund zu zweifeln, obgleich dieser Knochen bei den ersteren primär ist, während er bei den anderen, so wie bei den Amnioten, stets ein Deckknochen bleibt. O. Hertwic hält zwar eine Homologie dieser beiden Knochen für nicht zweifellos und von seinem Standpunkte ist es auch durchaus gerechtfertigt. Nach den anderen Beispielen, die ich für die Umwandlung von Deckknochen in primäre Ossifikationen habe anführen können, liegt für mich kein Grund vor an einer Homologie der Palatina der Kno- chenfische und Amphibien zu zweifeln. Ihr verschiedenes Verhalten ist durch die Verschiedenheit in der Ausbildung des vorderen Endes des Palatinbogens bedingt. Bei Fischen spielt derselbe eine große mechanische Rolle, indem er den vorderen, festen Stützpunkt für den beweglich mit dem Cranium verbundenen, Suspensorialapparat ab- giebt. Ganz anders verhalten sich die Amphibien. Indem der hin- tere Abschnitt des Palatinbogens, der Quadratumabschnitt, sich mit dem Cranium fest verbindet, wird der vordere Theil desselben, der Palatinfortsatz des Palatoquadratum, zu einem mechanisch unwichti- gen Skelettheil und erfährt eine mehr oder minder tiefgreifende Reduktion. In dem ersteren Falle verbindet sich das, als Belegkno- chen der Mundschleimhaut entstehende Palatinum mit dem Palatin- knorpel und erhöht dessen Resistenzfähigkeit, im anderen Falle behält es seinen ursprünglichen Charakter, während der Palatinknor- pel redueirt wird. An das mittlere Stück des Palatinknorpels lagern sich bei Ci- tharinus zwei Belegknochen an, oben das breite Entopterygoid (Taf. I Fig. 11 Ent), welches die Knorpelspange zum Theil auch medial deckt, unten das lange, stielförmige Ektopterygoid (Fig. cit. Ect), welches nach hinten bis zum Quadratum reicht. Durch eine geringere Ausbildung des ganzen vorderen Abschnit- tes des Palatinbogens bei einer weiter fortgeschrittenen Ossifikation des vorderen Endes desselben von Seiten des Palatinum, zeichnen sich die earnivoren Characiniden aus: die Gattungen Alestes, Tetra- gonopterus und Anacyrtus. Doch sind die Theile des Palatinbogens Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 95 immerhin noch recht gut entwickelt und nimmt das Entopterygoid in ‚nicht unbeträchtlichem Grade an der Bildung des Bodens der Orbita Theil. Im Gegensatz dazu ist der ganze vordere Abschnitt des Pala- tinbogens bei Hydrocyon in ganz auffallender Weise rückgebildet und zu einem funktionell offenbar ganz unwichtigen Theile gewor- den. Das Palatinum ist ein ganz kleines Kniéchelchen, das mit dem Cranium auch nicht mehr gelenkig artikulirt, sondern der unteren Fläche der Ethmoidalregion einfach anliegt und locker durch Bänder angeheftet ist. Eben so sind das Ekto- und Entopterygoid, die mit einander nur locker verbunden sind, ganz kleine Knochenschüppchen. Die Erythrininen verhalten sich ähnlich den carnivoren Chara- .einiden, doch haben sie darin ein primitiveres Verhalten. bewahrt, als ihnen stets Zähne auf den der Mundhöhle zugewandten Flächen des Palatinum und Ektopterygoid zukommen. Bei den carnivoren Characiniden sind diese Knochen, eben so wie bei allen pflanzen- fressenden Gliedern dieser Familie, gewöhnlich zahnlos; nur in we- nigen Gattungen sollen Gaumenzähne vorhanden sein {bei Oligo- sarcus Günth., Xiphorhamphus Cuv., Xiphostoma Spix., Serrasalmo Wicd! my) Das Palatinum der Erythrininen ist ein kurzer, derber Kno- chen, der bei der Gattung Erythrinus mit dem hinter ihm liegenden Ektopterygoid in späterem Alter sich so innig verbindet, dass die trennende Naht kaum zu sehen ist; bei Macrodon und Lebiasina sind diese beiden Knochen dagegen stets deutlich getrennt. Bei Macrodon liegt medial und vor dem Palatinum eine kleine zahntragende Ossifikation der Mundschleimhaut, die mit den übrigen Knochen des Palatinbogens nur locker verbunden erscheint und, meines Wissens, bisher bei keinem anderen Fisch beobachtet worden ist. Die Bedeutung dieses kleinen Knöchelchen, das schon Jon, MÜLLER? gekannt hat, und das ich als accessorisches Palati- num bezeichnen möchte, ist schwer zu bestimmen. Vielleicht weist die Existenz desselben darauf hin, dass bei den Vorfahren der jetzt lebenden Teleostier die Mundhöhle von zahlreicheren, zahntragenden Ossifikationen ausgekleidet war, als bei den jetzt lebenden Formen, was durchaus nicht unwahrscheinlich wäre. ı Vgl GÜNnTHer's Catalogue ete. T. V. 2 Jos. MÜLLER und TROSCHEL, Horae ichthyologicae II. pag. 6. Taf. II Fig. 2. 96 M. Sagemehl Es ist hier der Ort um das Praeopereulum zu erwähnen, welches besser zum Suspensorialapparat gerechnet wird, als zu den Opercularknochen, mit denen es weder in morphologischer noch in physiologischer Beziehung das Geringste zu thun hat. Das Praeopercu- lum der Fische fasse ich als einen Knochen auf, dessen urspriingliche Bedeutung in der Bergung des hinteren Abschnittes des weiterhin im Unterkiefer verlaufenden Schleimkanals liegt!. In dieser Hinsicht verhält es sich ganz analog den Knochen des Suborbitalbogens, und wir haben allen Grund zu vermuthen, dass auch an Stelle des ein- heitlichen Praeopereulum ursprünglich eine ganze Kette von Haut- knochen sich befand. Bei vielen Siluroiden finde ich nämlich, dass das dorsale Ende des Praeoperculum mit der lateralen Kante des Schädeldaches durch Vermittlung von einem oder zwei röhrenartig ge-. bildeten Knöchelehen verbunden ist, welche den Schleimkanal ent- halten. Ein ähnliches Verhalten finde ich auch am ventralen Ende des Praeopereulum, zwischen dem letzteren und dem hinteren Winkel des Unterkiefers; es liegen an dieser Stelle bei einer ganzen Anzahl von Welsen ebenfalls ein oder zwei kleine, den Schleimkanal bergende Knöchelehen. In diesen Fällen haben wir somit eine ganze Kette von Ossifikationen an der Stelle des Praeoperculum, von denen aller- dings die eine — eben das Praeoperculum selbst — auf Kosten der übrigen sehr an Größe gewonnen hat. Die Ausbildung dieses Knochens ist offenbar dadurch zu Stande gekommen, dass er neue Beziehungen erlangt hat, hauptsächlich indem die von der lateralen Fläche des Hyomandibulare entspringenden Kaumuskeln sich nach hinten auf das Praeoperculum ausgedehnt haben und das letztere somit eine ihm ursprünglich ganz fremde Bedeutung erhalten hat. Dadurch ist auch die bei den meisten Fischen innige Verbindung dieses Knochens mit dem Hyomandibulare, Symplecticum und Qua- dratum zu erklären, denn die Ursprungsfläche der mächtigen Kau- muskeln musste nothwendig eine einheitliche, feste Fläche sein. Jedenfalls rechtfertigen diese Verhältnisse das Praeoperculum als einen Knochen des Suspensorialapparates anzusehen und ihn aus der Reihe der Opereularknochen zu entfernen. Das Praeoperculum der Characiniden ist bei allen Formen, die ich untersucht habe, gut ausgebildet und mit dem Hyomandibulare 1 Damit stimmt die Angabe von McMurrich (Zool. Anzeig. Nr. 168), dass das Praeoperculum bei Amiurus um einen Schleimkanal sich bilde, sehr gut überein. Dieselbe ist mir erst nach Absendung des Manuskripts bekannt geworden. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 97 und Quadratum sehr fest verbunden. Etwas Besonderes ist über dasselbe nicht zu bemerken. Wenn wir den Suspensorialapparat der Characiniden mit demjenigen der Ganoiden vergleichen, so ist es ebenfalls nur Amia, welche Anschlüsse, und zwar sehr innige, erkennen lässt. Polypte- rus und Lepidosteus haben diese Theile nach ganz anderen Typen gebaut, so dass ein direkter Vergleich mit Knochenfischen durchaus nicht ausführbar ist. Die Hauptunterschiede zwischen dem Suspensorialapparat von Amia, welchen wir durch BripgE! kennen und demjenigen der Cha- raciniden betreffen 1) das Verhalten des Sympleeticum, welches bei Amia bedeutend größer ist, als bei den Characiniden und sich auch an der Bildung des Gelenks für den Unterkiefer zusammen mit dem Quadratum betheiligt. 2) Die Ausdehnung der Bezahnung auf das Metapterygoid und Entopterygoid, welches bei den Characiniden stets zahnlos ist. 3) Den Mangel des bei den Charaeiniden zwischen Metapterygoid und Quadratum gelegenen Fensters. Während es fraglich bleiben muss, wie der erste Punkt zu be- urtheilen ist, kann kaum gezweifelt werden, dass in 2) und 3) Amia primitivere, weniger differenzirte Bildungsverhältnisse auf- weist. Auf jeden Fall steht Amia den Characiniden in dem Ver- halten des Suspensorialapparates recht nahe und sind es namentlich die Erythrininen, welche die größte Annäherung erkennen lassen. Citharinus verhält sich sehr eigenthümlich; das Verhalten des Pala- tinum weist auf einen noch niedereren Zustand hin, als er bei Amia gegeben ist, während der allgemeine Mangel von Zähnen auf eine weit fortgeschrittene Rückbildung zu beziehen ist. Der Kieferapparat der Characiniden bietet manches Bemerkens- werthe, und zum besseren Verständnis desselben sei es mir gestattet etwas ausführlicher auf die allgemeinen Verhältnisse im Bau dieses Apparates in der ganzen Reihe der Teleostier einzugehen. Man sollte glauben, dass gerade der Kieferapparat der Fische, der in der Systematik eine so hervorragende Rolle spielt, auch gründlich untersucht sei. Die genauere Durchsicht der betreffenden Litteratur lehrt jedoch, dass das keineswegs der Fall ist und dass eine erneuerte Bearbeitung desselben dringend Noth thut. Selbst- 1 BRIDGE, The cranial osteology of Amia calva. Journ. of Anat. a. Physiol. T. XI. 1877. Morpholog. Jahrbuch. 10. : 98 M. Sagemehl verständlich kann in der hier gegebenen, kurzen Skizze keine er- schöpfende Behandlung dieses Gegenstandes erwartet werden; später, wenn mir mehr Material vorliegt, hoffe ich auch diese Frage besser bearbeiten zu können. Bekanntlich hat schon Cuvier den Ober- und den Zwischenkiefer der höheren Wirbelthiere, speciell die betreffenden Skeletstücke der Teleostier!, für Homologa der Lippenknorpel der Selachier erklärt. Nachdem in den 50er und 60er Jahren unseres Jahrhunderts durch eine Reihe von klassischen Arbeiten das Verhältnis der knorpeligen und knöchernen Skelettheile zu einander klar gestellt worden war, und nachdem man erkannt hatte, dass der Ober- und Zwischenkiefer zu den Belegknochen gehören, musste von einer direkten Homologisi- rung derselben mit den Lippenknorpeln der Selachier selbstverständ- lich abgesehen werden. Die ganze Frage gestaltete sich nunmehr dahin, ob diese Kieferknochen in der phylogenetischen Entwicklung des Teleostierstammes sich im Anschluss an die Lippenknorpel der Selachier entwickelt haben, indem sie die letzteren als Unterlage be- nutzten, oder ob sie ganz unabhängig von den Lippenknorpeln ent- standen sind. Die meisten Autoren scheinen sich der letzteren Auffassung zugeneigt zu haben. Meines Wissens ist GEGENBAUR der Einzige, welcher die alte Cuvier’sche Anschauung in der durch die neueren Erfahrungen über Knochenbildung gebotenen, modifieir- ten Form aufrecht erhielt?. Außer dem Umstande, dass es schlech- terdings undenkbar sei, dass Knochen, die aus Konkrescenz von Zähnen hervorgegangen sind, sich ohne feste Grundlage gebildet haben sollten, war für ihn der Umstand maßgebend, dass die Lage- rungsverhältnisse der oberen Kieferknochen der Teleostier und der Lippenknorpel der Selachier dieselben sind, und dass sich in der That, wenigstens unter den Zwischenkiefern der Knochenfische, bis- weilen ein Knorpelrudiment nachweisen ließ. Bei der Untersuchung einer größeren Zahl von Teleostiern auf ! An der Homologie des sog. Zwischenkiefers und des Oberkiefers der Teleostier mit den gleichnamigen Skelettheilen der übrigen Wirbelthiere kann, wie ich glaube, kein vernünftiger Zweifel bestehen. Meines Wissens ist auch Wintuer (Fiskenes Ansigt 1. ec. pag. 354) der Einzige, der an dieser Homolo- gie zweifelt und die betreffenden Knochen der Fische für Lippenknochen hält, welche denselben allein zukommen. Eine ausführliche Widerlegung dieser An- schauung, die niemals Anklang gefunden hat, und die auch kaum aufrecht zu erhalten ist, würde mich hier zu weit von meinem Thema abbringen, und glaube ich mir dieselbe ersparen zu können. 2 C. GEGENBAUR, Grundzüge der vgl. Anatomie. II. Aufl. 1876. pag. 545 und: Das Kopfskelet der Selachier. 1872. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 99 diese Verhältnisse fand ich, dass die dem primären, knorpeligen Ske- let angehörige Grundlage des Zwischen- und Oberkiefers in der Reihe der Teleostier viel weiter verbreitet ist, als man bisher anzu- nehmen geneigt war. Nur der Umstand ; dass bisher die meisten Untersuchungen an trockenen Skeletten vorgenommen wurden, wobei derartige kleine Knorpel bis zur Unkenntlichkeit einschrumpfen, hat deren Entdeckung verhindert. Wir beginnen mit der Beschreibung der Zwischenkiefer. Jeder dieser aus Verschmelzung von Zähnen entstandenen Knochen besteht bei Teleostiern typisch aus zwei Theilen: aus einem die Begrenzung der Mundspalte bildenden, gewöhnlich mit Zähnen aus- gestatteten Alveolartheil und einem von dem medialen Ende des letzteren ausgehenden, nach oben und hinten gerichteten aufsteigenden Fortsatze (branche montante Cuv.). Durch diesen Fortsatz, der sel- ten fehlt (z. B. bei allen Siluroiden), verbindet sich der Zwischen- kiefer direkt oder indirekt mit dem vorderen Ende des Cranium. In- dem die beiden aufsteigenden Fortsätze sich an einander legen und durch Bänder zusammengehalten werden, kommt eine mehr oder minder innige Verbindung der beiderseitigen Zwischenkiefer zu Stande. Zu einer wirklichen Verwachsung kommt es jedoch nur ausnahmsweise, wie z. B. bei den Mormyriden und dem ver- wandten Gymnarchus. In der Mittellinie, unter den beiden Zwischenkiefern, nament- lich zwischen den beiden aufsteigenden Schenkeln derselben, trifft man nicht selten ein Skeletstück, welches sich an das vordere Ende des Schädels anschließt und welches schon durch den Umstand, dass es häufig ganz knorpelig bleibt, sich als zu einer ganz ande- ren Kategorie, als die Zwischenkiefer zugehörig darstellt. Es ist ein dem primordialen Knorpelskelet angehöriger Theil, der allerdings bisweilen auch verknöchern kann. Die Verbreitung dieses Skelettheils, das ich Rostrale' zu 1 Während die älteren Autoren, und auch noch GEGENBAUR, einzig und allein die im Mundwinkel der Selachier sich vorfindenden Knorpelstücke als Labialknorpel bezeichnet haben, hat sich in neuerer Zeit, namentlich in Eng- land, die Unsitte — anders kann ich es nicht nennen — eingebürgert, ein jedes im Bereich des vorderen Kopfendes gelegene, vom Cranium getrenntes Knorpel- stückchen, das man sonst nicht gleich unterbringen konnte, als Labialknorpel zu bezeichnen. So sind die von GEGENBAUR so gut charakterisirten Nasen- flügelknorpel, das von mir hier als Rostrale bezeichnete Stück und noch manche andere mit den wirklichen Labialknorpeln in einen Topf geworfen worden. Es mag das sehr bequem sein, doch trägt ein solches Verfahren nicht dazu bei, 7*+ 100 M. Sagemehl nennen vorschlage, ist in der Reihe der Teleostier ein sehr ausge- dehntes ; es findet sich in den am weitesten aus einander stehenden Gruppen und weist dadurch auf ein Ererbtsein von einer sehr weit zurückliegenden Stammform hin. Charakterisirt ist es gegenüber den anderen accessorischen Knorpelstückehen durch seine Unpaarig- keit, durch seine Lage, dieht vor dem vorderen Schädelende und durch seine Beziehungen zu den Zwischenkiefern. Gefunden habe ich es bisher bei Physostomen in der Familie der ,Scomberesociden (Belone), Cyprinodontiden, Scopeliden (Saurus); eben so kommt es in verknöchertem Zustande und in ganz eigenthümlichen Beziehungen zu den Zwischenkiefern bei allen Cyprinoiden vor; es liegt nämlich in einem schlingenartig gebogenen Bande, welches die Zwischen- kiefer mit dem vorderen Schädelende verbindet und welches bei dem Vorstrecken der Schnauze dieser Fische eine Rolle spielt. Unter den Anacanthinen fand ich diesen Knorpel bei jungen Exemplaren von Macrurus. Bei Acanthopteren ist es weit verbreitet; gut ausgebil- det ist es z. B. bei Perea, bei welchem Fisch es zwischen den In- termaxillaria liegt und, mit den letzteren innig verbunden ist. Bei Pleetognathen finde ich es z. B. bei Balistes. Es wird sich noch bei vielen Formen nachweisen lassen, da bis jetzt auf das Vorkom- men des Rostrale kaum geachtet worden ist. | Nach seinen Beziehungen zu den Zwischenkiefern haben wir, wie ich glaube, allen Grund zur Annahme, dass es ursprünglich die Grundlage dieser Knochen gebildet hat. Der Umstand, dass es bei sehr weit von einander stehenden Formen von Knochenfischen vor- kommt, lässt, wie ich schon erwähnt habe, auf ein hohes Alter dessel- ben schließen und dürften wir daher erwarten, es auch noch bei tie- fer stehenden Fischen zu finden. Bei Ganoiden findet sich zwar, wie ich angeben kann, nichts, was wir auf das Rostrale der Knochenfische beziehen könnten, dagegen existirt bei einigen Selachiern ein Skelet- stück, dessen topographische Lage sehr gut mit dem Rostrale der Teleostier übereinstimmt. Bei Heptanchus finde ich zwischen den beiden in der Mittellinie bekanntlich weit aus einander stehenden Palatoquadratstücken, in dem Bande, welches die Zähne trägt, ein- gebettet, ein kleines, rundliches Knorpelstück , das von GEGENBAUR nicht erwähnt wird. Ein ganz ähnliches ist auch bei Carcharias anzutreffen, nur stoßen bei diesem Hai die Palatoquadrata in der Mittellinie zusammen und liegt daher das Knorpelstück dorsal von Klarheit in das dunkle Gebiet der accessorischen Skeletstücke des Kopfes zu bringen. Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 101 der Verbindung der Palatoquadrata. Gerade der Befund bei Hep- tanchus scheint darauf hinzuweisen, dass wir es hier mit einem dem Rostrale der Teleostier homologen Skelettheil zu thun haben. Das Rostrale von den Labialknorpeln der Selachier abzuleiten ver- bieten zwei Umstiinde: erstens die Unpaarigkeit desselben und zwei- tens der Umstand, dass, wie gleich noch weiter nachgewiesen wer- den soll, bei Knochenfischen sich andere Skeletstiicke finden, welche den Labialknorpeln der Selachier aller Wahrscheinlichkeit nach ho- molog sind. In welchen Beziehungen das Rostrale der Teleostier und das entsprechende Knorpelstück der Selachier zum Visceralskelet stehen, ist zur Zeit nicht möglich zu entscheiden. Das Maxillare der Knochenfische hat bekanntlich eine sehr verschiedene Lagerung gegenüber dem Zwischenkiefer. Bald liegt es lateral von dem letzteren und nimmt an der Begrenzung der Mundspalte Theil, bald liegt es hinter demselben. Das erstere Ver- halten finden wir nur bei einigen Physostomenfamilien ; das andere ist weit verbreitet. Außer vielen Physostomen treffen wir es noch bei allen Anacanthinen und bei allen Acanthopteren an. Schon durch diese Art der Verbreitung wird der Verdacht erregt, dass die Lage des Maxillare lateral vom Zwischenkiefer die primäre ist, von welcher die andere sich ableitet. Es wird das durch eine andere Erwägung klar bewiesen. Nur in dem ersteren Falle nämlich, also nur wenn das Maxillare den lateralen Theil des oberen Mundrandes bildet, treffen wir es zahntragend an (selbstverständlich kann es auch in diesem Falle zahnlos sein). In den viel zahlreicheren Fäl- len, in welchen das Maxillare hinter dem Zwischenkiefer liegt, ist es ohne Ausnahme zahnlos. Da nun der zahntragende Zustand die- ses Knochens ganz zweifellos der primäre ist, so ist auch die Lage dieses Knochens, lateral vom Zwischenkiefer, als die ursprüngliche anzusehen. Dieser Umstand, der bis jetzt merkwürdigerweise voll- ständig ignorirt worden ist, gewinnt bei der Vergleichung der Kiefer- apparate der verschiedenen Teleostierfamilien und bei der Beurthei- lung der Stellung derselben zu einander eine große Bedeutung. An das hintere Ende des Maxillare schließen sich bei einer gan- zen Anzahl von Teleostiern kleine, schuppenartige Knochenplittchen an, die jederseits bald zu einem, bald zu zweien vorhanden sind, und die man treffend als Supramaxillaria bezeichnet hat. Sie fin- den sich bei den Clupeiden und bei den Salmoniden unter den Physostomen und außerdem bei vielen Acanthopteren. Diese weite Verbreitung derselben scheint auf ein hohes Alter hinzuweisen und 102 M. Sagemehl es ist nicht unwahrscheinlich, dass man sie auf einen Zustand be- ziehen kann, wo der Oberkiefer aus einer Reihe hinter einander gelegener, zahntragender Knochen bestand, ähnlich dem Verhalten, welches unter den lebenden Formen Lepidosteus bietet. Eben so, wie der Zwischenkiefer, so scheint auch das Maxillare als Belegknochen auf dem knorpeligen Primordialskelet zugehörigen Theilen sich gebildet zu baben. In allerdings verhältnismäßig sel- tenen Fällen haben sich dieselben noch erhalten. Diese Skelet- stücke, die ich als Submaxillaria bezeichnen möchte, liegen medial den Maxillaria an und helfen die Verbindung der letzteren mit dem vorderen Ende des Palatinbogens oder dem vorderen Schä- delende selbst herstellen. Ihre Zahl ist eine wechselnde. Die srößte Zahl traf ich bei einigen Cyprinoiden an (z. B. bei Catosto- mus), bei welchen auf jeder Seite drei Submaxillaria waren, durch deren Vermittlung das Maxillare sich sowohl mit dem vorderen Ende des Os palatinum, als auch mit dem Cranium selbst verband. Bei anderen Cyprinoiden reduciren sich diese Skeletstiicke auf zwei, auf eines, oder schließlich auch vollständig. Zwei Submaxillaria finde ich auch bei dem weiter unten ausführlicher beschriebenen Citharinus. Ein eigenthümliches Verhalten zeigt Gymnotus, bei welchem der Oberkiefer dorsal in einen aus Knorpel bestehenden Fortsatz ausläuft, der sich an das vordere Ende des Palatinbogens anlagert. Da es nun ganz sicher ist, dass das Maxillare ein reiner Belegknochen ist und es daher undenkbar scheint, dass demselben eine knorpelige Apophyse aufsitze, so ist, wie es mir scheint, dieser Befund nur so zu erklären, dass das Maxillare sich mit einem Sub- maxillare verbunden hat. Eine genaue Schilderung dieses sehr bemerkenswerthen Verhaltens soll bei der speciellen Beschreibung der Gymnotiden gegeben werden, auf welche ich hier auch verweise. Auch bei Perca finde ich eine Spur eines Submaxillare, in Ge- stalt eines kleinen Faserknorpels, welcher in dem Bande liegt, durch welches die Verbindung des Maxillare mit dem vorderen Schädelende hergestellt wird. Es ist gewiss nicht ohne Bedeutung, dass Submaxil- laria embryonal auch bei solchen Formen angetroffen werden, denen sie in erwachsenem Zustande fehlen. Für mich wenigstens kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die von PARKER! bei Lachsembryo- nen beschriebenen Labialknorpel meinen Submaxillaria entsprechen. Eben so wie im Rostrale, so glaube ich auch in den Submaxillaria ı W. K. PARKER, On the structure and development of the skull in the Salmon. Philosophie. Transact. 1873. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 103 ganz typische Skeletstücke erkennen zu können, die durch ihre Beziehungen zum Maxillare und durch ihre Lage, lateral vom vor- deren Ende des Palatinbogens oder dicht vor demselben am Cranium selbst, scharf charakterisirt sind. Wenn wir uns die Frage stellen, welchen Theilen des Selachier- schädels die Submaxillaria der Teleostier entsprechen, so scheint es mir sehr wahrscheinlich zu sein, dass wir in ihnen die oberen Labialknorpel zu erblicken haben; namentlich die Beziehungen zum Os palatinum, welches die vorderste Ossifikation des Palatoquadra- tum vorstellt, spricht für diesen Umstand, da ja auch die oberen Lippenknorpel der Selachier dem Palatoquadratum lateral anliegen. Gegen diese Deutung könnte der Umstand angeführt werden, dass die Maximalzahl der Submaxillaria bei Knochenfischen drei (bei eini- gen Cyprinoiden) betragen kann, während bei Selachiern höchstens zwei obere Labialknorpel angetroffen werden. Ein großes Gewicht darf übrigens auf diesen Einwand nicht gelegt werden, da wir durchaus nicht wissen, ob die Zahl der Labialknorpel bei den Vor- fahren der jetzt lebenden Selachier nicht eine größere war. In die- sem Falle würden sich gewisse Teleostier noch primitiver verhalten, als sämmtliche jetzt lebenden Selachier, wogegen a priori auch kein ernstlicher Einwand gemacht werden könnte, da ähnliche Verhält- nisse auch in anderen Organsystemen angetroffen werden, wie z.B. im Verhalten des uropoetischen Systems. Eine andere Möglichkeit wäre darin zu suchen, dass das eine der drei Submaxillaria bei Cyprinoiden eine ganz accessorische Sehnenverknorpelung vorstellt, wofür, wie bei der speciellen Beschreibung des Cyprinoidenschädels erörtert werden soll, manche Anzeichen sprechen. Jedenfalls halte ich es vorläufig noch für geboten die Homologie der Submaxillaria der Knochenfische mit den Labialknorpeln der Sela- chier mit Reserve aufzustellen. Das ist auch der Grund, wesshalb ich diesen Skelettheilen einen neuen Namen zu geben für zweckmäßig hielt, statt dieselben, wie es z. B. PARKER gethan hat, einfach als Lippenknorpel zu bezeichnen. Das dunkle Gebiet der accessorischen kleinen Skeletstiickchen im Bereich des vorderen Kopfendes kann eben nur dadurch ins Klare kommen, wenn die einzelnen Bildungen scharf unterschieden und charakterisirt werden und dem alten Schlendrian, dieselben ohne Unterschied unter der Kollektivbezeichnung »Labial- knorpel« zusammenzufassen, ein Ende gemacht wird. Wir schreiten nach diesen allgemein einleitenden Worten zu der speciellen Untersuchung des Kieferapparates der Characiniden. Die 104 M. Sagemehl Verhältnisse der Erythrininen (Taf. I Fig. 13) lassen sich ganz leicht an die bei niederen Fischen, speciell an die bei Amia bestehenden, anknüpfen. Die Ähnliehkeit mit dem Kieferapparat von Amia ist in der That geradezu frappant. Eben so wie bei dem letzteren Fisch ist die Verbindung des Zwischenkiefers mit dem Cranium eine feste; nur erfolgt sie in anderer Weise. Während dieser Knochen bei Amia mit seinem aufsteigenden Fortsatze den Boden der Nasen- grube bilden hilft und dem Knorpel der Ethmoidalregion dicht auf- liegt, liegt er bei Erythrinus (die anderen Erythrininen verhalten sich ganz ähnlich) ganz oberflächlich und legt sich dem lateralen Rande des Ethmoid an. Der Oberkiefer, welcher bis zu seinem hin- teren Rande bezahnt ist, erstreekt sich weit nach hinten unter den Praeorbitalknochen — ganz wie bei Amia. Vorn entsendet er einen medial gerichteten Fortsatz, der sich über das vordere Ende des Palatinbogens legt und sich an das Cranium selbst anheftet. Von Submaxillarknorpeln ist keine Spur zu finden. Dieses Verhalten erinnert ebenfalls in hohem Grade an Amia. Von den Erythrininen aus lassen sich die fleichfressenden Cha- raciniden leicht beurtheilen (Taf. I Fig. 13). Die Unterschiede be- stehen hauptsächlich darin, dass die Oberkiefer eine weniger aus- gebildete Bezahnung besitzen und dass der erwähnte, medial gerichtete Fortsatz dieser Knochen weniger entwickelt ist; er erreicht nicht mehr den Schädel. Der Oberkiefer wird in seiner Lage gehalten durch seine sehr feste Verbindung mit dem Zwischenkiefer. Man kann dieses Verhalten ganz ungezwungen von dem bei Erythrininen be- stehenden und, in weiterer Linie, von dem bei Amia bestehenden ableiten. Ganz anders verhalten sich die pflanzenfressenden Chara- einiden, speciell die von mir genauer untersuchte Gattung Citharinus (Taf. I Fig. 14). Der Oberkiefer ist auf Kosten des Zwischenkie- fers redueirt und in den Mundwinkel gedrängt. Auch hat der letz- tere Knochen seinen aufsteigenden Fortsatz, bis auf ein Rudiment, eingebüßt und ist mit dem vorderen Ende des Schädels nur ganz lose verbunden. Der Oberkiefer selbst, welcher durch einen kleinen, schup- penförmigen Knochen vorgestellt wird, verbindet sich mit dem Schädel durch Vermittlung von zwei Submaxillarknorpeln, von denen der vordere direkt dem Cranium unter der Nasengrube anliegt, während der hintere sich mit dem vorderen Ende des Palatinum verbindet. Da die Submaxillarknorpel ein sehr altes Erbstück vorstellen und, wie ich oben erörtert habe, wahrscheinlich den oberen Labial- knorpeln der Selachier homolog sind, so verhält sieh Citharinus — Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische 105 und wahrscheinlich auch die übrigen pflanzenfressenden Characiniden — in dieser Beziehung weit primitiver, als die Erythrininen und die im Bau des Oberkieferapparates ganz ähnlich gebildete Amia, und weist auf noch ältere Zustände hin, als diejenigen, die sich bei der letzteren Gattung erhalten haben. Es ist das eine Stellung der pflanzenfressenden Characiniden, die schon aus der Betrachtung des Schädels hervorging, und die durch die nachfolgende Beschreibung der übrigen Organsysteme noch gestützt werden wird. Der Unterkiefer der Characiniden zeigt die gewöhnlichen drei typischen Knochen der Teleostier: ein Dentale, ein Artieu- lare und ein Angulare, welches letztere nur bei Citharinus fehlt. Gegenüber Amia, welche außer diesen Knochen noch ein Supra- angulare und ein großes, nebst mehreren kleinen accessorischen Oper- cularstiicken besitzt', ist eine Reduktion zu erkennen. Dasselbe gilt auch für die knorpelige Grundlage des Unterkiefers, den MECKEL- schen Knorpel, welcher bei Characiniden einen einfachen, schlan- ken Stab vorstellt, während er bei Amia an seinem distalen Ende eine breite, plattenartige Verbreiterung besitzt, welche lateral vom Supraangulare gedeckt wird. Das vorderste Ende des MeckEL’schen Knorpels weist bei Amia eine Ossifikation auf, die »Mento-MECKEL- sehe« Ossifikation von Parker; bei den Characiniden ist es unverknöchert. Auf das ähnliche Verhalten der Knochen des Suborbitalbogens bei Amia und bei den Erythrininen, an welche sich die übrigen Characiniden leicht anschließen lassen, habe ich schon aufmerksam gemacht. 3 Eben so groß ist die Ähnlichkeit im Verhalten des Opercular- apparates; die einzelnen Stücke des letzteren stimmen bei Amia und bei Characiniden, namentlich bei Erythrininen, fast ganz überein. Das Skelet der Kiemenbogen von Amia zeichnet sich vor demjenigen der meisten Teleostier dadurch aus, dass das Kopular- stück des Hyoidbogens (Basihyale, Os entoglossum) nur eine geringe Ausbildung zeigt. Außerdem besitzt Amia zwischen den unteren Schlundknochen ein unpaares, knorpeliges Skeletstück, das an seiner gegen die Schlundhöhle zugewandten Oberfläche von mehreren klei- nen, zahntragenden Knochenplättchen bedeckt ist, und das als ein Kopularstück des fünften Kiemenbogens aufzufassen ist. Bei Ery- "it Vgl. die Beschreibung, die BRIDGE in seiner schon mehrfach eitirten Arbeit giebt. - 106 M. Sagemehl thrinus traf ich ebenfalls einen kleinen unpaaren, länglichen Knorpel, das Rudiment dieses Kopularstiicks, zwischen den beiden unteren Schlundknochen an. Bei Macrodon war dieser kleine Knorpel schon mit dem Kopulare des vierten Bogens verschmolzen und bei den übrigen Characiniden keine Spur desselben mehr zu entdecken. Bei der Gattung Citharinus fand ich auBerdem noch einen ande- ren, auf sehr primitive Verhältnisse hinweisenden Skelettheil : nimlich ein Epibranchiale des fiinften Bogens, das in zwei Stiicke zerfallen war und mit dem Epibranchiale des vierten Bogens in Verbindung stand. Dasselbe dient dem accessorischen Kiemen- organ dieser Gattung, das weiter unten erwähnt werden soll, zur Stütze. Ähnliche Reste des fünften Epibranchiale, die sich, wie es scheint, immer in Verbindung mit accessorischen Kiemenorganen er- halten haben, sind von HyRTL! und GEGENBAUR? bei einigen Clu- peiden und von dem ersterwähnten Autor auch bei dem Charaeini- den Prochilodus beschrieben worden. Da Amia nichts Entsprechendes aufweist, so muss dieser Skelettheil ein Erbstück von Formen sein, die sich im Bau des Kiemenskelettes weit primitiver verhalten haben, als diese Ganoidform. Das Basihyale ist bei den Characiniden viel stärker entwickelt, als bei Amia, und vor demselben finde ich bei einigen Gattungen (z. B. Erythrinus, Alestes) noch ein knorpeliges, unpaares Skeletstück, das, aller Wahrscheinlichkeit nach, als ein abgelöstes Stück des Basihyale aufzufassen ist. Wenn wir den Kopf verlassen und andere Skelettheile in Be- tracht ziehen, so ergiebt es sich, dass die Ähnlichkeit zwischen Amia und den Characiniden allerdings eine geringere ist. Was zunächst die Wirbelsäule anbetrifft, so stehen mir eigene Erfahrungen nicht zu Gebote, und da ich auch in der Litteratur, außer einer Notiz von Jon. MÜLLER, der die Angabe macht, dass die oberen Bogen mit den Wirbelkörpern nicht verwachsen, sondern nur durch Naht vereinigt seien, wie bei einigen anderen Teleostier- familien, nichts darauf Bezügliches finde, so muss ein Vergleich mit Amia unterbleiben. | Über den Schultergürtel habe ich schon in der Einleitung ausführlich berichtet und darauf hingewiesen, dass der primäre ı HvRTL, Uber die accessorischen Kiemenorgane der Clupeaceen. Denk- schriften d. Akad. d. Wiss. z. Wien. Bd.X. 1855 und: Über besondere Eigen- thümlichkeiten der Kiemen ete. von Lutodeira. Ibid. Bd. XXI. 1862. 2 GEGENBAUR, Uber das Kopfskelet von Alepocephalus rostratus. Morphol. Jahrb. Bd. IV. Suppl. 1878. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IH. 107 Schultergürtel der Charaeiniden keinen direkten Anschluss an Amia gestattet, sondern sich von einer Form ableitet, die dem Schulter- gürtel der Siluroiden nahe stand, welche ihrerseits an Formen an- schließt, die sich primitiver als Amia verhalten und Verhältnisse aufweisen, wie etwa die jetzt lebenden Acipenseriden. Der sekundäre Schultergürtel der Charaeiniden zeichnet sich vor demjenigen von Amia dadurch aus, dass sein oberstes Stück, das Extrascapulare, viel geringer entwickelt ist, als bei der letzte- ren. Außerdem finde ich bei Characiniden ganz konstant den in morphologischer Beziehung noch räthselhaften, stielförmigen, nach hinten und unten gerichteten Hautknochen, der von Cuvier als Co- racoid bezeichnet worden ist; bei Amia fehlt derselbe, so weit ich mich überzeugen konnte. Sonst stimmen die Verhältnisse des Schul- tergürtels ziemlich überein. Wenn wir auf die vertikalen Flossen übergehen, so müssen wir als Stammform der Characiniden einen Fisch annehmen, der eine lange, fast bis zum Schwanzende reichende Dorsalis besaß, wie Amia, die sich jedoch darin primitiver verhalten haben muss, als die Rückenflosse von Amia, dass sie in ihrem hinteren Abschnitt keine knöchernen Flossenstrahlen besaß, sondern nur Hornfäden, also eine Flosse ähnlich derjenigen, wie sie bei der Siluroidengattung Hetero- branchus angetroffen wird. Nur von einer solehen Rückenflosse können die beiden Dorsales der echten Characiniden abgeleitet wer- den, von denen die hintere bekanntlich eine Fettflosse ist. Was die Eingeweide betrifft, so kann ich mich kürzer fassen. Der Tractus intestinalis der Characiniden ! ist konstant mit sehr zahlreichen Pylorusanhängen ausgestattet; im Übri- gen verhält er sich sehr verschieden. Relativ kurz ist er bei den Erythrininen und bei den fleischfressenden Charaeiniden, während er bei den pflanzenfressenden Gattungen eine beträchtliche Linge erreicht und viele Windungen besitzt. Der Magen hat gewöhnlich die Gestalt eines Blindsacks; bei einigen pflanzenfressenden Gattun- gen, wie z.B. Curimatus, Prochilodus, Hemiodus, verdickt sich der aufsteigende Schenkel sehr beträchtlich und bildet einen wahren Muskelmagen?. In allen diesen Verhältnissen ist gegenüber Amia, die einen Darm mit wenigen Windungen, ohne Pylorusanhänge und ! Zahlreiche Detailangaben bei Cuvier et VALENCIENNES, l.c T. XIX und XXI. 2 Jou. MÜLLER, Vgl. Anat. d. Myxinoiden. Th. IV. 1. c. 1843. pag. 159. 108 M. Sagemehl eine rudimentäre Spiralklappe im Enddarm besitzt, eine Weiterent- wicklung und Specialisirung zu erkennen. Die Schwimmblase der Characiniden ist, wie es scheint ohne Ausnahme, gedoppelt und besteht ganz ähnlich, wie bei unseren einheimischen, bekannten Cyprinoiden, aus einer kleineren, vorderen und größeren, hinteren Abtheilung. Beide sind durch ein kurzes, dünnes Zwischenstück verbunden und von dem vorderen Ende der hinteren Abtheilung nimmt der gewöhnlich lange und dünne Ductus pneumaticus seinen Ursprung; derselbe ist bei Macrodon nach Art eines Rosenkranzes abwechselnd verengert und verbreitert. Bei den Gattungen Erythrinus und Lebiasina besitzt das vordere Ende der hinteren Schwimmblasenabtheilung, wie schon seit langer Zeit bekannt ist, einen zelligen Bau. Die Zellen in der Wand der Schwimmblase sind klein und zahlreich und recht regelmäßig ange- ordnet. Im Ganzen hat ihr Verhalten mit der ebenfalls zelligen Schwimmblase von Amia unter allen ähnlich gebauten Schwimmbla- sen noch die größte Ähnlichkeit. Bei den echten Characiniden mündet der Luftgang der Schwimm- blase in den Schlund dorsal ein, während die Erythrininen in dieser Hinsicht (wenigstens die bisher untersuchten Gattungen Erythrinus, Macrodon und Lebiasina; wie sich die anderen verhalten ist nicht bekannt) ein bemerkenswerthes Verhalten zeigen, indem der Ductus pneumaticus lateral in den Schlund mündet und zwar auf der linken Seite. Dieses Verhalten, welches in der ganzen Reihe der Teleostier einzig dasteht, verdient einer näheren Betrachtung unterzogen zu werden, um so mehr, als meines Wissens bisher kein Versuch gemacht worden ist, dasselbe zu erklären. Wenn auch gegenwärtig wohl kein Anatom an der Homologie der unpaaren, dorsal vom Tractus intestinalis gelegenen Schwimm- blase mit den paarigen, ventral von dem letzteren liegenden Lungen zweifelt, so ist doch das nähere Verhältnis der beiden Organe zu einander noch keineswegs klar gestellt, und bleibt es noch eine dankenswerthe Aufgabe, dasselbe genauer zu erforschen. Meines Wissens ist der einzige in dieser Richtung gemachte Versuch von Boas! ausgegangen. Nach Boas ist die dorsale Lage der Lunge resp. Schwimmblase die primäre; dabei ist das Organ unpaar, etwa in der Art, wie es 1 J. E. V. Boas, Über den Conus arteriosus und die Arterienbogen der Amphibien. Morphol. Jahrb. Bd. VII. pag. 566 u. ff. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 109 bei Lepidosteus angetroffen wird. Dieses unpaare Organ spaltet sich nun der Länge nach, mitsammt seinem Ausführungsgange und die von einander unabhängig gewordenen Theile wandern sammt ihren Mündungen an der Peripherie des Oesophagus nach unten, bis sie schließlich ventral einmünden. Nunmehr verschmelzen die beiden Mündungen in der ventralen Mittellinie mit einander, und es re- sultirt ein Verhalten, wie es unter den Fischen bei Polypterus und bei sämmtlichen mit Lungen versehenen Wirbelthieren angetroffen wird. Diese Hypothese, wie gesagt die einzige, die über das Ver- hältnis der Lungen zu der Schwimmblase aufgestellt worden ist, giebt zu manchen Bedenken Veranlassung. Es sind vor Allem drei Schwierigkeiten, welche durch die Hypothese von Boas nicht besei- tigt werden. 1) Ist keine Ursache denkbar, welche es bewirken sollte, dass die dorsal gelegene Lunge sich in zwei Theile spalte, welche ventral wanderten und sich dann wiederum, wenigstens mit ihren Ausführgängen, vereinigten. 2) Sind in das von Boas auf- gestellte Schema, solche Schwimmblasen, wie diejenigen der Ery- thrininen und der Dipnoer, deren Ausführgang lateral in den Schlund mündet, gar nicht, oder doch nur höchst gezwungen unterzubringen. 3) Spricht das Verhalten der Lungenarterien bei Ceratodus direkt gegen die Annahme, dass die dorsale Lage der Lunge die ursprüng- liche ist. Was den ersten Einwand betrifft, so halte ich ihn für einen sehr gewichtigen. Die Aufgabe der vergleichenden Anatomie kann nicht bloß darin liegen, für die sich allmählich vollziehenden Um- wandlungen der einzelnen Organe Reihen aufzustellen. Das ist nur die eine Seite der vergleichenden Anatomie. Eine andere Aufgabe muss in der Feststellung der Ursachen, welche bei den Umbildungen der Organe thätig sind, liegen. Erst wenn die letzteren festgestellt sind, haben wir eine Garantie dafür, dass die aufgestellte Reihe nicht ganz willkürlich zusammengestoppelt ist, sondern eine innere Be- rechtigung hat. Für eine sekundäre Wanderung der Lungen von der dorsalen nach der ventralen Seite ist nun schlechterdings kein vernünftiger Grund anzugeben, dagegen ist eine Verlagerung im entgegengesetz- ten Sinne leicht genug zu verstehen. Wenn wir uns vorstellen, dass die hydrostatische Funktion der Schwimmblase eine allmählich er- worbene ist, und dass dieses Organ ursprünglich eine andere Funktion hatte, so musste nothwendigerweise eine Verlagerung desselben dor- sal in dem Maße erfolgen, als es eine hydrostatische Bedeutung 110 M. Sagemehl erlangte. Eine Schwimmblase in ventraler Lagerung ist eben nicht denkbar, da das Gleichgewicht unter solehen Umständen nicht auf- recht erhalten werden könnte; der Fisch müsste den Bauch nach oben kehren. Von diesem Standpunkte aus sind dann auch die Verhältnisse der Erythrininen und der Dipnoer zu verstehen, während sie nach Boas schlechterdings unerklärlich bleiben. Ich stelle mir eben vor, dass das bei Erythrininen zu be- obachtende Verhalten eine Übergangsform zwischen der ventralen Schwimmblase von Polypterus und der gewöhnlichen dorsalen der übrigen Fische repräsentirt. Das Organ selbst hat seine definitive Lage bereits eingenommen, während der Luftgang auf halbem Wege ste- hen geblieben ist und noch lateral in den Schlund mündet. Wenn man hier annehmen wollte, dass die dorsale Lage des Organs die primitive sei, so würden wir kein plausibles Motiv für die Lage- veränderung des Ductus haben, welcher primär seine Lage wohl kaum verändern kann. Sehr bemerkenswerth ist die absolute Unpaarigkeit der Schwimm- blase der Erythrininen und das asymmetrische Verhalten des Ductus pneumaticus. Wenn meine Auffassung richtig ist, so kann die Schwimmblase der Erythrininen, und natürlich auch diejenige aller übrigen Fische, nur der einen der beiden ventralen Schwimmblasen von Polypterus entsprechen, die andere muss reducirt worden sein. Es ist das, wie ich zugeben will, eine sehr gewagte Hypothese, jedoch die einzige, die alle Verhältnisse in ungezwungener Weise erklärt. Ähnlich, wie die Verhältnisse der Erythrininen, müssen auch die bei Dipnoern bestehenden erklärt werden. Die Lunge der Dipnoer liegt bekanntlich dorsal und ist bei Ceratodus ein einfacher Sack, wäh- rend sie bei Protopterus in ihrem hinteren Abschnitt paarig erscheint. Der Ductus pneumaticus schlägt sich rechts um den Oesophagus herum und miindet ventral in denselben. Nach Allem sind die Verhiltnisse denjenigen der Erythrininen ähnlich und unterscheiden sich nur dadurch, dass — was unwesentlich ist — der Ductus nicht lateral einmündet, sondern noch vollständig seine ursprüngliche ventrale Lage bewahrt hat, und dadurch, dass — was sehr wesentlich ist — der ganze Ductus nicht links, sondern rechts vom Oesophagus liegt. Dieses Verhalten ist von der größten Bedeutung; es zeigt ganz klar, dass die Organisationsverhältnisse der Erythrininen und der Dipnoer nicht in kausalen Zusammenhang gebracht werden können. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 111 sondern ganz unabhängig von einander entstanden sein müssen. Die dorsale Lage der Schwimmblase bei Erythrininen und den von denselben sich ableitenden übrigen Teleostiern und bei Dipnoern muss ganz selbständig zu Stande gekommen sein; bei den ersteren ist das Organ links vom Oesophagus — bei den letzteren rechts von demselben dorsal gewandert. Eine solche Auffassung hat bei den verwandtschaftlichen Verhältnissen, welche zwischen Ganoiden, Teleo- stiern und Dipnoern bestehen, nichts Auffallendes. Eine genauere Betrachtung der Art. pulmonales der Dipnoer stützt — wie es mir scheint — die hier ausgeführte Hypothese in hohem Grade. Wenn wir den Versuch machen, die Lunge der Dipnoer auf die bei anderen Fischen bekannten Verhältnisse zurück- zuführen, so sind nur zwei Annahmen möglich. Entweder ist die- selbe von einer unpaaren, dorsal liegenden Schwimmblase abzuleiten, deren Ductus pneumaticus längs der Seite des Oesophagus nach unten gewandert ist, bis er schließlich ventral einmündete; oder aber leitet sich das Organ von einem ursprünglich ventral gelegenen ab, welches dorsal gewandert ist, ohne dass der Luftgang mitfolgte. In dem ersteren Falle müssten die Art. pulmonales, da ja die Lunge selbst ihren ursprünglichen Platz bewahrt hat und nur der Ductus .pneumatieus verlagert worden ist, in gewöhnlicher Weise dorsal verlaufen und die rechte von der rechten Seite, die linke von der linken an die Lunge treten. Ganz anders im zweiten Falle. Wenn die Lunge ursprünglich ventral lag und die Art. pulmonales von oben an ihre Seiten traten, so muss bei einer dorsalen Verlagerung der Lunge um die rechte Seite des Oesophagus, die linke Art. pulmonalis sich schließlich ventral um den Oesophagus schlagen und von unten an die Lunge treten. In dieser Weise verhält sich nun in der That Ceratodus nach den Angaben von Boas', der in dieser Hinsicht gewiss unpar- teiisch ist. Nach Boas nehmen die Lungenarterien aus den vierten Kiemenbogen ihren Ursprung; die rechte, schwächere verläuft direkt nach hinten und versorgt den dorsalen Theil der Lunge, während die weit stärkere linke sich unter den Oesophagus schlägt und sich an dem ventralen Abschnitt der Lunge verzweigt. Dieses Verhalten, für welches Boas keine Erklärung giebt, ist, 1 J. E. V. Boas, Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. Morphol. Jahrb. Bd. VI. pag. 321 u. ff. 112 M. Sagemehl wie ich glaube, nur durch meine Hypothese zu verstehen und ist auch das stärkste Argument zu Gunsten derselben. Um Alles noch einmal zusammenzufassen, so stellt die bei Po- lypterus zu beobachtende, paarige, ventral gelegene Schwimmblase, die primitivste, noch existirende Form dieses Organs vor. Von ihr aus lassen sich die bei den Amphibien und weiter bei den Amnioten vorhandenen Lungen in ganz ungezwungener Weise ableiten. Auf der anderen Seite leitet sich auch die Schwimmblase der Teleostier von dem Befunde des Polypterus ab; und zwar entspricht sie nur der linken von den beiden, bereits bei diesem Fisch ungleich großen Schwimmblasen, welehe, indem sie eine ausschließlich (oder fast aus- schließlich) hydrostatische Bedeutung erlangte, ihre ursprüngliche ventrale Lage gegen eine dorsale vertauschen musste. Ein Zwischen- stadium stellen die Verhältnisse bei Erythrininen vor, deren Schwimm- blase zwar schon die definitive Lage erlangte, deren Ductus pneumaticus jedoch nicht vollständig nachgefolgt ist. Auch ist die Gefäßversorgung eine andere geworden, indem die Schwimmblase nicht von der vierten Kiemenvene, sondern von der Aorta aus ver- sorgt wird. Eine den Teleostiern analoge Reihe bilden die Dipnoer, deren Schwimmblase ebenfalls dorsal gewandert ist, doch nicht auf der linken Seite des Oesophagus, sondern auf der rechten. Die Gefäß- versorgung ist bei Dipnoern dieselbe, wie bei Polypterus, nämlich von den vierten Kiemenvenen aus. Die hier vorgetragene Anschauung scheint mir die Thatsachen besser zu erklären, als die Hypothese von Boas, und gestattet auch die Verhältnisse der Erythrininen und der Dipnoer, welche bei der Annahme der anderen Hypothese keinen naturgemäßen Platz finden, unterzubringen. Vorläufig Hypothese — gegen Hypothese. Eine genauere Kenntnis der erwachsenen Formen und vor Allem die Kennt- nis der Entwicklungsgeschichte, die gerade in dieser speciellen Frage, wie ich glaube, entscheidend sein kann, wird nachweisen, welche der beiden Hypothesen die größere Wahrscheinlichkeit für sich hat. Der hier vorgetragenen Anschauung steht die Thatsache scheinbar entgegen, dass bei Selachierembryonen von MiıcLucHo-MAcLAy! eine kleine, blindsackartige Ausstülpung der dorsalen Wand des Schlundes entdeckt wurde, die allgemein für ein Rudiment der Schwimmblase gehalten worden ist. Wenn diese Deutung richtig ist, so würde sie 1 MicLUCHO-MACLAY, Jenaische Zeitschr. f. Naturwiss. Bd. III. 1868, _ Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. II. 113 ganz entschieden zu Gunsten einer ursprünglich dorsalen Entstehung der Schwimmblase sprechen. Nun ist diese Deutung aber nichts weniger als sicher. Als eine Schwimmblase im Moment ihrer ersten Entstehung kann das Organ von MicLucHo-MAcrAY gewiss nicht an- gesprochen werden, da es offenbar eine rudimentäre, funktionslose Bildung vorstellt. Und die Annahme, dass ein in der Reihe der Fische fast allgemein verbreitetes Organ, gerade bei den am tiefsten stehenden Formen redueirt sein sollte, hat sicher keine große Wahr- scheinlichkeit für sich. Jedenfalls kann zur Zeit, ehe die Bedeutung des von MicLucHo-MAcLAy entdeckten, rudimentären Organs der Selachier nicht mit größerer Sicherheit bekannt ist, daraus kein schwer wiegender Einwand gegen meine Hypothese herbeigezogen werden. Nach dieser kleinen Abschweifung kehren wir zur Vergleichung der Charaeiniden mit Amia zurück. Über die Respirationsorgane ist wenig zu bemerken. Die Kiemen von Amia und diejenigen der Characiniden haben den ge- wöhnlichen Bau und zeigen keinerlei Abweichungen. Bekanntlich besitzt Amia eine gut ausgebildete Opercular- pseudobranchie!. Den Characiniden soll dieses Organ fehlen?. Diese Angabe ist nicht ganz richtig. Bei jungen Exemplaren von Citharinus (12—15 em) finde ich eine sehr deutliche, unter der Schleimhaut liegende Pseudobranchie, die sogar noch knorpe- lige Kiemenstrahlen besitzt. Bei älteren Stücken ist das Organ redueirt. An der entsprechenden Stelle finde ich bei den fleisch- fressenden Gattungen Hydrocyon, Anacyrtus, Tetragonopterus und Alestes unter der Schleimhaut eine drüsige, anscheinend aus ein- zelnen Follikeln zusammengesetzte Masse, die aber keine knorpe- ligen Kiemenstrahlen mehr enthält. Obgleich ich mir durch eine mikroskopische Untersuchung dieser Masse keine klare Vorstellung vom Bau derselben verschaffen konnte, da der Erhaltungszustand der untersuchten Fische kein geniigender war, so kann es doch, wie ich glaube, keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass es ein ! Die Bezeichnung »Pseudobranchie« ist in der neueren Zeit von mehreren Autoren verworfen worden. Ich möchte dieselbe beibehalten und unter diesem Worte ein nach Art einer Kieme gebautes und aus einer Kieme entstandenes Organ verstehen, das jedoch nicht mehr respiratorisch thätig ist. Die Plagiosto- men besäßen somit eine Spritzlochpseudobranchie; vielen Ganoiden käme eine Opercularkieme zu, die bei Teleostiern zur Opereularpseudobranchie würde. ? GÜNTHER, Catalogue of fishes in the British Museum T. V. pag. 278. Morpholog. Jahrbuch. 10. 8 114 M. Sagemehl der Pseudobranchie homologes Organ ist. Nur bei den Erythrininen finde ich keine Spur desselben. Somit schließen sich auch in die- sen Verhältnissen die Characiniden an tiefer stehende Formen enger an, als man bis jetzt annehmen durfte. Die pflanzen- und schlammfressenden Characiniden besitzen ein accessorisches Kiemenorgan, das zuerst von Kner! ent- deckt und kurz beschrieben worden ist, und zwar bei den Gattungen Curimatus, Caenotropus und Hemiodus; wie ich hinzufügen will, kommt dasselbe auch bei Prochilodus vor. Bei allen diesen Formen besteht es aus einem blinden Sacke, der von dem oberen Rande der letzten Kiemenspalte entspringt und in welchen hinein die Reusenzähne resp. Papillen des letzten Kiemenbogens sich erstrecken. Dieses Or- gan hat somit genau denselben Bau, wie die von HyRrL? und GEGEN- BAUR ? beschriebenen Organe vieler Clupeiden. Bei Citharinus sind diese accessorischen Branchialorgane viel komplieirter gebaut, indem dem eben beschriebenen Blindsack , der aus dem dorsalen Abschnitt der letzten Kiemenspalte entstanden zu denken ist, muskulöse, hohle Läppchen aufsitzen, die im Inneren Knorpelstäbe enthalten. Eine ausführliche Beschreibung dieses merkwürdigen Organs soll demnächst erscheinen, und will ich hier nur erwähnen, dass ich auf Grund sorgfältiger Untersuchung zu dem Resultat gelangt bin, dass wir es hier mit einem Organ zu thun haben, das aus der Kieme des fünften Bogen (unterer Schlundknochen) entstanden ist. Es ist das von großer Bedeutung, da unter den jetzt lebenden Ganoiden keine Gattung existirt, die auch nur Spuren einer fünften Kieme erkennen ließe. Erst unter den Selachiern, und zwar unter den am tiefsten stehenden, stoßen wir auf Formen, bei denen diese Kieme ausgebildet ist. Dass dieselbe aber früher viel weiter verbreitet gewesen ist, wird durch den Umstand bewiesen, dass sie auch bei der von den Notidaniden so weit entfernten Dipnoergattung Protopterus* gefunden wird (aber nicht bei Lepido- siren und Ceratodus). Es ist dies hier abermals ein Fall, in wel- chem bei niederen Teleostiern existirende Organisationsverhältnisse ! Kner, Die Kiemenanhänge der Characiniden. Verhandl. d. zoolog.-bota- nischen Gesellsch. in Wien. Bd. XI. 1861. 2 HyRTL, Uber die accessorischen Kiemenorgane der Clupeaceen. Denkschr. d. k. Akad. zu Wien. Mathem. naturw. Klasse. Bd. X. 1855. 3 GEGENBAUR, Uber das Kopfskelet v. Alepocephalus rostratus. Morphol. Jahrb. Bd. IV. 1878. Suppl. 4 PETERS, MULLER’s Archiv f. Anatomie 1845. pag. 1. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 115 keinen Anschluss an die jetzt lebenden Ganoiden gestatten, sondern .auf Formen hinweisen, die viel niedriger organisirt waren, als die letzteren. Über das uropoetische System kann ich nur wenig berich- ten. Die Urnieren der Characiniden erstrecken sich weit nach vom und ihr sehr mächtig ausgebildeter Kopftheil ist, wie bei so vielen Teleostiern, in eine Masse umgewandelt, die aus eytogenem Gewebe besteht'!. Wie sie sich zu den Urnieren der Ganoiden, speciell zu den- jenigen von Amia verhalten, kann ich bei der mangelhaften Kennt- nis der letzteren nicht angeben. Uber die Geschleehtsorgane der Characiniden widersprechen sich die Litteraturangaben. Während Jon. MürLLEer? angiebt, dass geschlossene Eierstöcke vorkommen, sollen nach VALENCIENNES ? die letzteren — wie bei Salmoniden — einen lamellösen Bau be- sitzen, und die Eier aus der Bauchhöhle durch Pori abdominales entleert werden. Ich habe mich überzeugen können, dass Jou. Mür- LER Recht hat, und dass die Ovarien der Characiniden vollkommen geschlossene Säcke sind. Uber die paarig vorhandenen Hoden habe ich nichts zu bemerken. Auf eine Vergleichung der Geschlechtsorgane der Characiniden mit denjenigen von Amia muss ich leider verzieh- ten, da die letzteren zu ungenügend gekannt sind. Was das Gefäßsystem betrifft, so ist eine beträchtliche Verschie- denheit im Bau des Herzens zu konstatiren. Bei Amia besitzt dasselbe bekanntlich einen deutlichen Conus arteriosus mit drei Reihen von Klappen, während die Charaeiniden * das gewöhnliche Verhalten der Teleostier zeigen, d. h. der Conus arteriosus ist redueirt und von den Klappenreihen hat sich nur eine, aus zwei Klappen bestehende erhalten. Genaueres über den Bau des Herzens ist leider nicht be- kannt. : Übrigens ist der Unterschied im Bau des Herzens zwischen Amia und den Teleostiern, wie Boas® hervorgehoben hat, kein so großer, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, vielmehr schlie- Ben sich gewisse Knochenfische (Albula) ganz ungezwungen an Amia an. Im Bau des Gehirns scheinen zwischen Amia und den Chara- 1 F. M. BaLrouR, On the nature of the Head-kidney ete. Quart. Journ. Microsc. Se. Vol. 22. 1882. 2 Jon. MÜLLER, Untersuchungen über die Eingeweide der Fische. 1. ce. pag. 159. 3 CUVIER et VALENCIENNES; |. c. T. XIX u. XXII. 4 Jou. MÜLLER, Bau und Grenzen der Ganoiden. 1. e. pag. 131. 5 J.E. V. Boas, Uber den Conus arteriosus bei Butirinus und anderen Kno- chenfischen. Morphol. Jahrb. Bd. VI. 1880, 8* 116 M. Sagemehl ciniden nicht unbeträchtliche Verschiedenheiten zu bestehen. Das Gehirn der letzteren hat in der ganzen Konfiguration, so weit ich mich bei einer, an theilweise defekten Gehirnen angestellten Unter- suchung überzeugen konnte, eine gewisse allgemeine Ähnlichkeit mit demjenigen der Cyprinoiden. Das Cerebellum ist bei allen Chara- ciniden sehr eigenartig gestaltet und wölbt sich, etwa wie ein römi- scher Helm, zum Theil über das Mittelhirn. In der äußeren Gestalt hat es wenig Ähnlichkeit mit dem Gehirn von Amia, das sich durch ein kleines, wie bei Amphibien gebildetes, Cerebellum auszeichnet. Da jedoch genauere Details über den Bau des Centralnervensystems weder von Amia noch von Characiniden bekannt sind, so muss ich mich eines speciellen Vergleichs enthalten. Die Verhältnisse der Centraltheile und Leitungsbahnen des Ge- ruchsorgans sind schon Gegenstand ausführlicher Diskussion ge- wesen und möchte ich an dieser Stelle nur in Erinnerung bringen, dass dieselben bei Amia und bei Characiniden nicht in unmittelbaren Zusammenhang zu bringen sind. Die Verhältnisse bei den letzteren leiten sich von Formen ab, die entschieden tiefer als Amia stan- den und verhalten sich zum Theil auch noch primitiver, als bei der letzteren. In dem peripherischen Nervensystem bestehen nur unter- geordnete Differenzen. Dasselbe gilt auch für die höheren Sinnesorgane. Das Auge von Amia zeigt keine Spur einer Chorioidealdriise; bei allen unter- suchten Characiniden dagegen finde ich dieselbe gut entwickelt; auch bei Erythrinus, bei dem sie nach Srannius! rudimentär sein soll. Eben so sind die Verschiedenheiten im Labyrinth von Amia? und demjenigen der Characiniden, das, wie ich schon angegeben habe, große Ähnlichkeit mit dem der Cyprinoiden besitzt, nur untergeordnete und betreffen ausschließlich die Gestalt desselben, und einige durch Anpassung an den Weser’schen Apparat erworbene Verhältnisse, wie z. B. die Existenz eines Canalis communicans zwischen den bei- derseitigen Sacculi, und die größere Ausbildung der Lagena. Wir sind nun am Ende der Vergleichung der Organisation der Characiniden mit derjenigen von tiefer stehenden Fischen, speciell von Amia, angelangt und können nun Alles zusammenfassen. ! Srannius, Handbuch d. Anatomie d. Wirbelthiere. 2. Aufl. Fische. 1854. pag. 219. 2G. Rerzıus, Das Gehörorgan der Wirbelthiere. Th. I. Fische u. Am- phibien. Stockholm 1851. Beitrige zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 117 Wie es sich klar ergiebt, lassen sich die Characiniden in den meisten Organisationsverhiltnissen direkt an die bei Amia bestehen- \ den anschließen, und zwar ist es die Gruppe der Erythrininen, wel- ‘ che die größte Ubereinstimmung erkennen lässt. Nur in wenigen Punkten ist ein Anschluss nicht möglich und müssen wir in diesen Fällen auf tiefer stehende Formen als Amia zurückgehen. Jedenfalls stand die Stammform der Characiniden nicht fern von Amia.. Hiermit schließe ich die vorliegende Arbeit. In einer Reihe von nachfolgenden Abhandlungen sollen die anderen Familien der Kno- chenfische, zunächst die Physostomen, die eine große Mannigfaltig- keit in ihren Organisationsverhältnissen bieten, in derselben Weise behandelt und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen unter einander und zu tiefer stehenden Fischen ausführlich untersucht werden. Se wird es vielleicht möglich sein zu einem Verständnis ihrer Ver- wandtschaften zu gelangen, für welche das gegenwärtig geltende, in den Hauptzügen von JoH. MÜLLER festgestellte System doch nur einen unvollkommenen Ausdruck bietet. Heidelberg, den 15. Mai 1884. Erklärung der Abbildungen. Bezeichnungen, die für alle Figuren der Schädel gelten. Ob Occipitale basilare, oe Öffnung für den Occipitalnerven, Ol Occipitale laterale, v Vagusöffnung, Ex Occipitale externum, gph Glossopharyngeuséffnung, So Occipitale superius, fa Facialiséffnung. Ie Intercalare, Tr Öffnung für den Trigeminus, Pe Petrosum, op Opticusfenster, Sq Squamosum, trch Öffnung f. d. Trochlearis, Psf Postfrontale, ol Olfactoriuséffnung, Prf Praefrontale, ca Öffnung f. d. Carotis, Pa Parietale, ju Öffnung f. d. Vena jugularis, F Frontale, em Augenmuskelkanal, Ps Parasphenoid, cs Canalis semicire. anterior, Na Nasale, ce Canalis semic. extern, Eth Ethmoid, cp Canalis semic. post., Vo Vomer, ep Epiphysarleiste, Pmz Praemaxillare, tg Temporalhöhle, Os Orbitosphenoid, hm Hyomandibularpfanne, As Alisphenoid, est Cavum sinus imparis. 118 Rae. Fig., 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Fi, 9. Fig. 10. Fig. 11. Fig. 12. Fig. 13. Fig. 14. Pie. 4 Fig. 2 Fig. 3 Fig. Fig. 5 Fig. 6 Fig. 7 Fig. 8 Fig. 9 Fig. 10 Fig. 11 M. Sagemehil Tafel I. 4 Schädel von Erythrinus unitaeniatus (11/gmal vergrößert), dorsale An- sicht. fs oberes Fenster der Temporalhöhle. (Die Schleimkanäle sind durch eine unterbrochene‘ Linie angedeutet.) Schädel von Erythrinus unitaeniatus, ventrale Ansicht. Schädel von Erythrinus unitaeniatus, laterale Ansicht. Der Länge nach durchsägter Schädel v. Erythrinus. 2 Eingang zur Bulla lagenaris, ft durch eine Membran verschlossene mediale Wand der T'emporalhöhle. Ansicht von hinten desselben Schädels. fs oberes Fenster der Tem- poralhöhle. Querschnitt durch den Schädel von Erythrinus in der Region der Na- sengrube. Natürliche Größe. Dessgl. durch den vorderen Abschnitt der Orbita. Dessgl. durch die Gegend des Opticusfensters. Dessgl. in der Gegend des Facialislochs. Dessgl. vor der Glossopharyngeusöffnung. Dessgl. in der Höhe der Bulla acustica lagenaris. O2 Hohlraum der Bulla acustica. Suspensorial- und Kieferapparat von Erythrinus. 1!/amal vergrößert. Hm Hyomandibulare, Qu Quadratum, Sy Symplecticum, Pl Pa- latinum, Mpt Metapterygoid, Het Ektopterygoid, Ent Entopterygoid, Pmx Zwischenkiefer, Mx Oberkiefer, og Gelenkkopf für das Operculum, fn Fenster zwischen Metapterygoid, Symplecticum und Quadratum, Dt Dentale, Art Articulare, Ang Angulare, Pro Praeoperculum. Suspensorial- und Kieferapparat von Hydrocyon Forskalii. Natürl. Größe. Dieselben Bezeichnungen. Derselbe Apparat von Citharinus. 3mal vergrößert. Sm Submaxil- larknorpel. Tafel II. Schädel von Citharinus Geoffroyi. 3mal vergrößert. Dorsale An- sicht. Derselbe, ventrale-Ansicht. pr Fortsatz des Parasphenoid. Derselbe nach Entfernung der Deckknochen (Ethmoid, Frontalia und Parietalia), dorsale Ansicht. Derselbe, laterale Ansicht. Derselbe von hinten. fm mediales- hinteres Fenster der Temporal- höhle. Derselbe der Länge nach durchschnitten. fs wie Taf. I Fig. 5. Querschnitt durch den Schädel von Citharinus, durch die Region der Nasengruben. 2mal vergrößert. Dessgl. durch den vorderen Abschnitt der Orbita. Zs membranöses Septum interorbitale. Dessgl. durch die Gegend des Facialislochs. Dessgl. dieht vor dem Glossopharyngeusloch. Der vordere Abschnitt der Schwimmblase und die Basis des Schädels von Citharinus von unten präparirt. vn om “- num wm Morpholog. Jahrb. Ba.X. Tevet Enyalmen, Doses Tih Rute Werer a Bat Fae vor 4 Mater Fraxbert’s Morpholog. Jahrb Ger Sagemehl Morpholog: Jahrb BAX. ; ; 1 ; of. ~ Ne Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. 119 Vn vorderes, zwei Ausbuchtungen bildendes Ende der Schwimm- blase, Zg von derselben zur Schädelbasis ziehendes Band, Ps Para- sphenoid, pr Fortsatz desselben, der in dem erwähnten Bande einge- schlossen ist, do Aorta, welche das Band durchbohrt, Bl Bulba acustica, v Vagus, oc Occipitalnerv, Mr Musculus retractor claviculae, R vorderes Ende der Kopfnieren. Schädel v. Hydrocyon Forskalii, nat. Größe. Dorsale Ansicht. Js wie Taf. I Fig. 5. Ese Extrascapulare, Ses Suprascapulare. Derselbe, ventrale Ansicht. Derselbe, laterale Ansicht. Schädel von Hydrocyon brevis, der Länge nach durchsägt. Schädel von Hydrocyon Forskalii von hinten. jm mediales unteres Fenster der Temporalhöhle. Schädel von Alestes dentex, nat. Größe, ventrale Ansicht. Derselbe von hinten. Zur Organisation der Echinorhynchen. Von A. Saefftigen. Mit Tafel III—V. Aus dem Zoologischen Institut zu Heidelberg. Vorliegende Arbeit wurde Ende November 1882 im zoologischen Institut zu Heidelberg in Angriff genommen, urspriinglich Behufs einer genaueren Erforschung der Körperwand und der Muskulatur der Echinorhynchen. Erst später zeigten sich interessante Verhält- nisse an den Geschlechtsorganen, so dass die Untersuchung über das Maß des beabsichtigten Umfangs ausgedehnt wurde. Das Echi- norhynchengewebe ist theilweise so eigenartig, von dem anderer Würmergruppen abweichend und in mancherlei Hinsicht (z. B. das Muskelgewebe) bisher noch so wenig erforscht, dass ich meine Hauptaufmerksamkeit weniger auf topographische Verhältnisse, als auf histologische Details richtete. In der Hoffnung, dass folgende Zeilen unsere derzeitigen Kennt- nisse der Organisation der Echinorhynchen, wenn auch um weni- ges Neue bereichern werden, halte ich es für eine angenehme Pflicht, meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. O. BürschLı meinen innigsten Dank auszusprechen für das meiner Arbeit unaus- gesetzt erwiesene Interesse. Bei der Litteratur der Echinorhynchen brauche ich mich nicht aufzuhalten, da bereits BALTZER! die auf unsere Thiere bezüglichen ! CARL BALTZER, Zur Kenntnis der Echinorhynchen. Arch. f. Nat. 1880. TUT Zur Organisation der Echinorhynchen. 121 Schriften in chronologischer Reihenfolge kurz skizzirt hat. In den letzten Jahren ist die Echinorhynchenlitteratur nur um Weniges be- reichert worden; auf eine Abhandlung von Mü&cnın will ich weiter unten zu sprechen kommen. Das Material zur Untersuchung liefer- ten mir Ech. proteus Westrumb, Ech. angustatus Rudolphi und Ech. clavaeceps Zeder; alle drei Species fanden sich zu allen Jahreszeiten und in beträchtlicher Anzahl (am seltensten war Ech. angustatus) im Darme von Barbus fluviatilis und Esox lucius. Außerdem stand mir ein Exemplar von Ech. gigas aus der Heidelberger Sammlung zur Verfügung, das aber, da es schon über 50 Jahre in Alkohol gelegen hatte, für die histologische Untersuchung wenig brauchbar war. Bevor ich zur Besprechung der einzelnen Organsysteme übergehe, möchte ich noch Einiges über Untersuchungsmethoden und über die Wirkung chemischer Reagentien anführen. Es ist sehr schwer, die Echinorhynchen momentan zu tödten, sowohl Sublimatlösungen wie starke Osmiumsäure leisten hierin, selbst bei vorheriger Betäubung der Echinorhynehen durch Chloro- formdämpfe oder Tabaksrauch nur Unvollkommenes; die Thiere kontrahiren sich stark und bleiben nach dem Tode faltig. Weit günstigere Resultate werden erzielt, wenn man die Thiere allmählich absterben lässt. Sie quellen zwar hierbei ein wenig durch Imbibition des Reagens, indessen ist dieser Umstand nieht besonders störend für die Untersuchung. In den meisten Fällen dürfte 0,1 procentige Osmiumsäure zu empfehlen sein; in Säure von geringeren Koncen- trationsgraden können die Echinorhynchen noch über einen Tag leben bleiben. Sie kontrahiren sich während der ersten Stunden, strecken sich aber vor dem Tode wieder und bleiben vollständig prall. Für die histologische Untersuchung ergiebt die Osmiumsäure, wenn man von ihrer ungünstigen Einwirkung auf Kerngebilde absiebt, bei Wei- tem die besten Resultate. An Exemplaren, die etwa 24 Stunden in 0,1 procentiger Osmiumsäure gelegen haben, lassen sich bei vorsich- tiger Manipulation unter dem Präparirmikroskop die Ringmuskulatur von der Subeutieula und die Längsmuskulatur von ersterer vollstän- dig in ihrer ganzen Ausdehnung ablösen. Die Muskelfibrillen und das protoplasmatische Netzwerk gelangen auf solchen Flächenpräparaten sehr schön zur Darstellung. Für das Ligament, die Uterusglocke, überhaupt für alle muskulös differenzirten Organe ist Osmiumsäure von geringen Koncentrationsgraden am meisten zu empfehlen. Bei Untersuchung innerer Organe sind die Echinorhynchen sofort nach ihrem Tode aufzuschneiden und in etwa 0,01 procentige Osmiumsäure 122 A. Saefftigen überzuführen. Als Untersuchungsmedium und zur ferneren Konser- virung dient dann essigsaures Kali in koncentrirter Lösung. Ich habe auf diese Weise behandeltes Gewebe, nach Auswaschen der Säure, in eine sehr verdünnte Lösung des Kali acetic. gebracht und diese dann im offenen Gefäß tagelang verdunsten lassen. SchlieB- lich wurde das Präparat zur Erreichung größtmöglichen Aufhellens in eine koncentrirte Lösung übergeführt. Man erhält so die schön- sten Bilder. Für nervöse Elemente leistet die Osmiumsäure weniger, als man erwarten sollte. Hier bedient man sich besser der Chromsäure und nachträglicher intensiver Tinktion in Boraxkarmin. Diese Behand- lung eignet sich vornehmlich um den Verlauf der Nerven an Schnitt- serien zu kontrolliren. Die Querschnitte der Nervenfasern erscheinen im umgebenden Gewebe, das intensiv roth gefärbt ist, hell, aber deutlich konturirt. Um den Verlauf der Nervenfasern an Total- präparaten, in der Körperwand und in der Rüsselscheide, dessgleichen um das Geschlechtsganglion nebst abtretenden Nerven zu studiren, lässt man am besten einprocentige Ameisensäure mehrere Tage lang einwirken. Schließlich erhält das stark gequollene Gewebe eine sroße Durchsichtigkeit, und die Nerven lassen sich gut verfolgen. Trennt man von einem auf diese Weise behandelten Exemplar die Körpermuskellage von der Subcuticula, so lassen sich in ersterer nach Imprägnirung mit Chlorgold oder Goldchloridnatrium die La- teralnervenstämme recht deutlich demonstriren. Zur Untersuchung der Subeutieula eignet sich am besten Chrom- säure. In 0,1 procentiger Lösung leben die Echinorhynchen (nament- lich Ech. proteus) noch Tage lang, bleiben aber, nachdem sie abge- storben, vollständig gestreckt. Solehe Exemplare habe ich entweder nach Alkoholbehandlung sofort gefärbt, oder zuerst nach tagelangem Auswaschen in fließendem ‚Wasser der Einwirkung von Osmiumsäure “unterworfen, wodurch bei nachträglicher Färbung in Boraxkarmin sehr schöne Schnittpriparate gewonnen wurden. Die KLEINENBERG’sche Pikrinschwefelsäure, die seit einer Reihe von Jahren ein beliebtes Reagens geworden ist, leistet in koncen- trirten Lösungen gar nichts, die Thiere kontrahiren sich zu unförm- lichen Gestalten. In bedeutender Verdünnung (auf 1 Th. der Säure 8—10 Th. Wasser) dagegen wirkt sie ähnlich wie die Chromsaure. Namentlich für die Geschlechtsorgane , von denen man Schnittserien gewinnen will, ist die verdünnte Pikrinschwefelsäure sehr zu em- pfehlen. Zur Organisation der Echinorhynchen. 123 Das Gewebe der Echinorhynchen lässt sich sehr schwer färben. Ich habe vergebliche Versuche gemacht gute Tinktionen durch Anwen- dung von ammoniakalischer Karminlösung, GRENACHER’schem Alaun- karmin, Haematoxylin, Brazilin, verschiedenen Anilinfarbstoffen etc. zu erhalten. Nur Boraxkarmin bei der bekannten nachträglichen Behandlung mit Salzsiure hat mich selten im Stich gelassen; in- dessen auch hier ist oft ein tagelanges Verweilen des Gewebes in der Tinktionsflüssigkeit nothwendig. Außere Körperwand. Der Körperschlauch der Echinorhyn- chen wird bekanntlich aus folgenden vier Schichten gebildet: einer außerordentlich dünnen, bei Ech. proteus und angustatus circa 0,0008 mm dieken, wenig restistenten Cuticula, einer mächtig ent- wickelten Subeuticula von muskulösem Charakter, einer äußeren Ring- und einer inneren Längsmuskellage. Wenden wir uns zunächst zur Betrachtung der Subeuticula. Ich war in ihrem Studium schon weit vorgeschritten, als mir die Arbeit BaLrzer’s zugänglich wurde und kann seine ausführlichen Angaben für Ech. proteus, angustatus und gigas nur bestätigen. Die Subcuticula wird aus einem komplicirten Fasergeflecht zu- sammengesetzt, eine körnige Grundsubstanz fehlt vollständig. An ihrem Aufbau nehmen in der tieferen, an die Muskulatur grenzen- den Region, nur radiäre Fasern theil, die sich zu einzelnen cylin- drischen Bündeln gruppiren (Taf. III Fig.1) und dadurch die radialen Grenzen der Hohlräume des Kanalsystems bilden. Nach innen und außen werden die Kanäle durch bogenförmig abbiegende Fasern dieser Cylinder begrenzt. Solch ein isolirter Cylinder hat daher die Form einer Garbe und besitzt keine eigentliche Wand, so dass die ernährende Flüssigkeit nicht ausschließlich die Kanäle füllt, sondern auch ins Innere der Fasercylinder eindringt. Sie erscheint auf Schnitten körnig geronnen, durch Boraxkarmin ziemlich intensiv gefärbt, gleichmäßig die ganze Subcuticula durchtränkend. An le- benden Ech. clavaeceps, wo die Bewegung der Flüssigkeit in den Hauptkanälen stellenweise durch riesige Kerne gehemmt wird, lässt sich manchmal in der Gegend dieser Kerne eine Strömung im äuße- ren, dichtfaserigen Theile der Subeutieula konstatiren. Auch ‚kön- nen die später zu beschreibenden Kerne, die bei Ech. elavaeceps nur in den Kanälen angetroffen werden, bei den anderen Arten in die Fasereylinder selbst eintreten, ja bei jungen Exemplaren von Ech. proteus findet man sie fast ausschließlich in den Fasercylindern gelagert (Taf. V Fig. X). Nach außen folgt in der Subeuticula 124 A. Saefftigen auf die Zone der radiären Fasern ein komplicirtes dichtes Geflecht, das zuerst von BALTZER richtig gedeutet wurde als in einander ge- schaltete Systeme von eirkulär und longitudinal verlaufenden Fasern. Diese äußere Zone (Taf. III Fig. 1 c), welche nicht von Kanälen dureh- setzt wird, besteht bei Ech. proteus aus sechs eirkulären und aus sechs mit diesen abwechselnden longitudinalen Fasersystemen, findet sich we- niger entwickelt bei Ech. angustatus und kaum ausgedrückt bei Ech. clavaeceps und gigas wieder. In diese äußere Zone dringen auch viele Fasern aus der tieferen ein, ihr Verlauf bleibt radial bis zur Cuticula. An Quer- und Längsschnitten treten sie scharf hervor, da sie die Cirkulär- und Longitudinalfasern an Dicke übertreffen. Noch weiter nach außen findet sich eine feingestreifte, 0,0035 mm dicke Schicht, BaurzEr’s »Streifeneutieculac. Der Kürze wegen behalte ich den Ausdruck bei, muss aber darauf aufmerksam machen, dass sie nicht den Eindruck einer gesonderten Lage macht, sondern vielmehr eine Grenzzone der Subcuticula zur Cuticula hin bildet, in welche die Longitudinalfasern abbiegen und sich hier streng parallel und dicht an einander gereiht gruppiren. Dass sie nicht eine innere Cuticulaschicht ist, wie bisher angenommen wurde, dafür spricht auch der Umstand, dass sie sich leichter von der homogenen Cuticula als von der Subeu- ticula trennen lässt. Auch kann weder auf Quer- noch auf Längsschnit- ten eine scharfe Grenze zwischen ihr und der übrigen Subcuticula wahrgenommen werden. Manchmal ließ sich eine Faser aus einer tie- feren Region auf ihrem Wege durch die Cireulär- und Longitudinal- fasersysteme hindurch bis in die Streifeneutieula hinein verfolgen, wo sie dann, abgesehen von ihrer größeren Stärke, sich durch nichts von den übrigen radiären Streifen unterschied. Es können letztere nicht auf eine Porosität der Streifeneutieula bezogen werden, wie das z. B. Leuckarr! und GrEEFF? gethan haben, sondern sind als Fibrillen anzusehen. Sie tingiren sich in Boraxkarmin eben so, wie die Fasern der Subcuticula, nur dadurch, dass sie so dicht bei einander stehen, erscheint auf Schnitten die ganze Zone dunkler als die übrige Sen Im Halse und Rüssel tritt kein riissätläehi Unterschied im Bau der Subeutieula auf. Die radiären Fasern lassen sich in ihrer Gruppirung zu einzelnen Cylindern bis zum Rüssel verfolgen, ' Die menschlichen Parasiten. Bd. II. 1867. 2 Untersuchungen über d. Bau und d. Entwicklungsgeschichte von Ech, wiliarius. Zenk. Arch. für Naturgesch. 1864. Th. I. Zur Organisation der Echinorhynchen. 125 dessgleichen die nach vorn abnehmenden Systeme der Cirkulär- und Longitudinalfasern. Letztere herrschen im Rüssel, wo ihr Verlauf aber nicht mehr so regelmäßig ist, vor, während die Radialfasern, die die Subeutieula in ihrer ganzen Dicke durchsetzen, sich fast aus- schließlich um die Haken gruppiren. Von ‘den Hakenwurzeln schräg nach außen gerichtet, machen sie den Eindruck von Retraktoren und Protrusoren der Haken; erstere würden die Radialfibrillen, welche sich zum vorderen Hakenwurzelfortsatz richten, bilden, letz- tere solche, die an den hinteren Hakenwurzelfortsatz herantreten (Taf. IV Fig. 6 und 7). Was die Natur der Subeutieulafasern anbetrifft, so hat man ihnen in letzter Zeit (SCHNEIDER, LEUCKART, BALTZER) einen mus- kulösen Charakter zugeschrieben. Ihre ganze Anordnung macht eine solehe Erklärung sehr plausibel. In ihren optischen Eigenschaften, ihrer Tinktionsfähigkeit, unterscheiden sie sich auch nicht von Muskel- fibrillen. Ein etwaiger organischer Zusammenhang zwischen Muskulatur und Subeutieula wird an den kleinen Arten bei der Feinheit der Ver- hältnisse wohl kaum mit Sicherheit konstatirt werden können (An- deutungen für solch einen Zusammenhang finden sich auf Taf. III Fig. 9). Bei Ech. gigas glaube ich Fibrillen der Ringmuskelschicht in die Subcuticula, wo sie sich dann durch nichts von den übrigen Fasern unterschieden, eindringen gesehen zu haben: es würde das an Verhältnisse erinnern, die in jüngster Zeit von ROHDE! bei Ne- matoden beschrieben worden sind, indessen habe ich trotz obiger Be- obachtung keine absolute Überzeugung von der Thatsächlichkeit eines solchen Zusammenhanges gewinnen können, um so mehr, als das Material, das ich in Gestalt nur eines schlecht konservirten Ech. gigas besaß, ungenügend war. | Die Lemnisken erscheinen, wie das von verschiedenen Auto- ren angegeben worden ist, als unmittelbare Fortsetzung der Sub- euticula des Halses. Die Grenze zwischen letzterer und den Lem- nisken bildet der von GREEFF, LEUCKART und Anderen erwähnte Ringkanal an der Basis des Halses. Unmittelbar neben und hinter dem Ringkanal findet sich die Cutieulafalte, welche die Subcuticula des Halses von der des Rumpfes scheidet. Die Trennung ist eine vollkommene. Auf einem passenden Längsschnitt durch einen mit Osmiumsäure behandelten Echinorhynchus erscheinen die Subcuticula ! Beiträge zur Kenntnis der Anat. der Nematoden. Zoologische Beiträge herausg. v. A. SCHNEIDER. 1883. 126 A. Saefftigen des Halses und die Lemnisken schwirzlich, während die Subcuticula des Rumpfes nur gebräunt ist. Was die Struktur der Lemnisken betrifft, muss ich wieder auf BALTZER verweisen, der sie ausführlich fiir Ech. proteus und an- gustatus beschrieben hat. Bei Ech. clavaeceps, dessen Lemnisken die Länge des halben Körpers und darüber erreichen, ist der Faser- verlauf sehr verworren und schwer zu erkennen (Taf. III Fig. 8), es finden sich aber auch hier radial-, ring- und längsverlaufende Fasern wieder. Die bei den anderen Arten vorhandene Rinde von radiären Parallelfasern fehlt'. Der Ringkanal entsendet nach hinten in die Lemnisken zwei Gefäße, deren jedes sich bei Ech. proteus und angustatus sofort nach dem Eintritt in den Lemniseus in zwei Kanäle spaltet, welche letz- teren in seiner ganzen Länge durchziehen. Zwischen diesen Haupt- kanälen treten, wie Querschnitte lehren, noch mehrere sekundäre Kanäle auf, die gleichfalls längslaufend sind, sich aber nicht auf längere Strecken verfolgen lassen (Taf. II Fig. 6). Während die Haupktkanäle die tieferen Lagen durchsetzen, treten viele der klei- neren Kanäle hart an die Rindenschicht heran (Taf. III Fig. 7), so, dass diese an den betreffenden Stellen wulstförmig vorspringen kann. Die eylindrischen, auf dem Querschnitt regelmäßig kreisrund erscheinenden Lemnisken von Ech. elavaeceps werden nur von einem axialen Kanal durchsetzt. Nach vorn entsendet der Ringkanal zahlreiche Äste, die im Halse von Ech. proteus und angustatus ein dichtes, regelloses Netz- werk bilden, das bei Ech. elavaeceps wegen des außerordentlich kurzen Halses nicht zur Darstellung gebracht werden kann. Im Rüssel wird der Verlauf der Gefäße durch die Anordnung der Haken bestimmt. | Das Gefäßsystem des Hinterleibes besteht bei Ech. proteus und angustatus aus zwei weiten Seitenkanälen, die ich aber niemals habe bis zum Ringkanal des Halses sich erstrecken sehen. Von diesen Kanälen zweigen sich reehtwinklig zahlreiche kleine Kanälchen ab, um sich sofort wieder zu spalten, mit den benachbarten Kanälchen zu anastomosiren und auf diese Weise ein ähnliches Maschenwerk wie im Halse zu bilden. Bei Ech. elavaeceps, wo die Hanptgefäße nicht lateral, sondern dorsal und ventral verlaufen, ist das Kanal- 1 S. d. Anmerkung am Schluss. Zur Organisation der Kehinorhynchen. 127 system regelmäßiger. Die von den beiden Längsgefäßen sich recht- winklig abzweigenden Sekundärkanäle verlaufen dicht neben einander streng ringförmig und kommuniciren mit einander durch kurze Längs- kanälehen dritter Ordnung. Der Inhalt dieser Kanäle ist eine körnchenreiche, helle Flüssig- keit. Die Körnehen haben das Ansehen von Fetttropfen oder ÖL kügelehen und werden von Osmiumsiiure geschwiirzt. Bei Ech. proteus sind sie (namentlich in den Lemnisken und im basalen Theil des Halses) bräunlich-roth und verleihen dem ganzen Thiere ein oranges, opakes Aussehen. Bei den anderen Arten sind sie farblos, daher sind diese auch durchsichtiger. Außer diesen Körnchen finden sich in den Kanälen linglich- ovale, oft abgeplattete Kerne (nicht Zellen, wie BALTZER sie be- zeichnet). Bei Ech. proteus und angustatus sind sie in großer An- zahl vorhanden. Im Hinterleibe beträgt ihr größter Durchmesser durchschnittlich 0,04 mm, kann aber auch bis zu 0,065 mm an- wachsen. Im Halse und in den Lemnisken sind sie fast rund und messen nur 0,015 mm. Dieser Unterschied in Form und Größe kann auch mit als Beweis dienen, dass das Kanalsystem des Vor- derkörpers und der Lemnisken von dem des Hinterkörpers isolirt ist, denn sonst müssten doch diese kleinen Kerne durch den Strom aus dem Ringkanal des Halses, wo sie sich in großer Menge finden, in den Hinterkörper getrieben werden können. BALTZER giebt an, dass die Subeutieula des Rüssels keine Kerne besitzt, indessen finden sie sich sowohl bei Ech. proteus, wie angu- status, allerdings in geringerer Anzahl auch hier wieder (Taf. II Fig. 5 und 6 ze). Wie schon oben bemerkt, liegen die Subcuticula- kerne der beiden letzten Arten nicht ausschließlich in den Kanal- lumina sondern oft auch in den Fasercylindern. BALTZER hat sehon darauf aufmerksam gemacht, dass ihre große Anzahl in den ausgebildeten Formen gegen die Ansicht LEUCKART'S, Greerr’s! und Linsrow’s? spricht, nach welcher diese Kerne schon im Larvenzustande zur Bildung der Gefäße dienen sollten; der Um- stand, dass sie bei jugendlichen aber schon definitiv organisirten Echinorhynchen fast ausschließlich auf die Fasereylinder beschränkt 1 Untersuchungen über den Bau und die Naturgeschichte von Ech. milia- rius Zenk. (polymorphus). WıEGMAnN’s Archiv 1864. 2 Zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Ech. angust. Rud. WieGMann’s Archiv 1872. 128 A. Saefftigen sind und in den Kaniilen nur vereinzelt angetroffen werden, diirfte auch gegen obige Auffassung zeugen. Die Subcuticulakerne von Ech. proteus und angustatus, die gewöhnlich eine regelmäßige ovale Kontur besitzen, finden sich nicht selten in abenteuerlichen Formen (Taf. III Fig. 1), die den Eindruck machen, als befänden sie sich im Zustande der Vermehrung dureh Knospung, indessen sind diese un- regelmäßigen Kernformen nur ein Resultat von Einschniirungen, ob später eine Loslösung der abgeschnürten Partien und somit eine wirk- liche Theilung erfolgt, scheint fraglich. Bei Ech. elavaeceps haben die Subcuticulakerne einen mächtigen Umfang, ihr größter Durchmesser übersteigt oft 0,2 mm. Die un- regelmäßige Gestalt, die fast maulbeerförmig ist, ist wohl Schuld daran, dass man sie früher als Drüsen bezeichnete. Sie sind bei dieser Speeies nur in beschränkter Anzahl, ausschließlich in den Kanälen, und zwar in den Hauptkanälen, deren ganzes Lumen sie einnehmen , vorhanden. Im Dorsalgefäß finden sich ihrer vier bis fünf, im Ventralgefäß zwei, dessgleichen ein bis zwei in jedem Lem- niscus. In letzteren sind sie fast eben so groß, wie in der Sub- cuticula, so dass sie nicht nur das Lumen des Centralkanals voll- ständig versperren, sondern auch die Lemniskenwand wulstförmig nach außen auftreiben (Taf. II Fig. 8). Neben einem verhältnis- mäßig großen Kernkörper enthalten die Subeuticulakerne sämmtlieher von mir untersuchter Echinorhynchenarten mehrere, oft viele, klei- nere Körnchen von gleichem Bau und Eigenschaften. Bei Ech. clavaeceps haben Haupt- wie Nebenkernkörper eine netzförmige Struktur, die an das Netzwerk, wie es in letzter Zeit in vielen Kernen beobachtet worden ist, erinnert. Die Nebenkernkörper scheinen vom Hauptkernkörper ihren Ur- sprung zu nehmen, manche der ersteren sieht man noch dureh mehr oder minder dieke Stiele mit dem Hauptkernkörper verbunden. BALTZER spricht von einem die Subeutieula gegen die Ringmus- kulatur abgrenzenden Bindegewebe, ein echtes Bindegewebe dürfte aber im ganzen Körper der Echinorhynchen wohl kaum zu finden sein. Das, was BALTZER an verschiedenen Orten als Bindegewebe bezeichnet, tritt als strukturlose, höchstens gestreifte, helle, cuticula- ähnliche Schicht auf, ist besonders entwickelt an der Rüsselscheide und im Rüssel, kann unter Umständen, z. B. im Rüssel, wo sie zur solideren Befestigung der Hakenwurzeln beiträgt, wohl die Funktion des Bindegewebes übernehmen, darf aber in so fern nicht als selb- ständiges Gewebe betrachtet werden, als es kein Derivat specieller Zur Organisation der Echinorhynchen. 129 Zellen ist, sondern ein sekundäres Ausscheidungsprodukt von Mus- kelzellen. Es findet sich überall dort, wo Muskeln in flächenhafter Ausbreitung auftreten. SCHNEIDER! nennt es Neurosarkolemm ; die lateralen Nervenstränge der Körperwand scheinen allerdings in dieser Schieht — ich will sie in Zukunft mit Sarkolemm bezeichnen — zu verlaufen, indessen kann bei den vorderen Nerven in der Rüssel- scheide, so wie bei denen, die frei die Leibeshöhle durchsetzend an das Geschlechtsganglion der männlichen Echinorhynchen herantreten, in keinem Fall von irgend einem Uberzuge die Rede sein, der mit einem Neurilemm verglichen werden könnte. Die hinteren lateralen Nerven werden zwar auf ihrem Wege zwischen Riisselscheide und Körperwand von einer Scheide (Retinaculum) umgeben, diese hat aber den morphologischen Werth eines Muskels. Muskulatur. Das eigentliche Muskelgewebe dient den Eehi- norhynchen als Material zum Aufbau der meisten Organe. Wo sich Muskelgewebe in flächenhafter Ausbreitung findet, bildet es eine kontinuirliche, nur durch kleine Lücken unterbrochene Schicht, die meistentheils eine große Anzahl von Kernen einschließt. Die Kon- turen der zugehörigen Zellen sind nirgend wahrnehmbar, man kann daher die Muskelschichten als Syneytien betrachten, oder, um mich eines von SCHNEIDER für die sogenannten Holomyarier gebrauchten Ausdrucks zu bedienen, als vielkernige Blasteme. Aus diesem Grunde kann man bei unseren kleineren Arten nicht von »Zellzonen« sprechen, die SCHNEIDER in der Körpermuskulatur von Ech. gigas beschrie- ben hat. Im Allgemeinen bietet das Muskelgewebe der Echinorhynchen viel Anknüpfungspunkte mit dem der Nematoden dar. Wie dort besteht es: 1) aus einer fibrillär differenzirten kontraktilen Substanz, 2) aus einer Markschicht, die aus netzartigem Protoplasma, in deren Hohlräumen Muskelflüssigkeit enthalten ist, gebildet wird; in dieser Schicht liegen auch die Muskelkerne, 3) aus einer strukturlosen, lichtbrechenden Membran, die SCHNEIDEr’s Sarkolemma der Nemato- den entspricht. Das Hineinragen der Muskelmarkbeutel in die Leibeshöhle, wie es unter den Polymyariern der Nematoden so aus- gebildet ist, tritt uns auch, wenn auch nur in beschränktem Maße, an der Körpermuskulatur der Echinorhynchen entgegen. Wenden wir uns zunächst zum Körpermuskelsehlauch. Er be- steht bei Ech. proteus und angustatus aus einer kontinuirlichen 1 Über den Bau der Acanthocephalen, MÜLLEr’s Archiv 1868. Morpholog. Jahrbuch. 10. 9 130 A. Saefftigen äußeren Ring- und inneren Liingsmuskelschicht. Bei Ech. elavae- ceps ist die Längsmuskelschicht, wie es auch theilweise bei Ech. gigas nach LEUCKART und SCHNEIDER der Fall ist, in einzelne Züge gesondert und weniger entwickelt als die Ringmuskulatur. Die kontraktilen Fibrillen sind in jeder dieser Lagen zu dicht neben einander hinziehenden und häufig anastomosirenden hohlen Cy- lindern (Muskelfasern), deren Durchmesser bei Ech. proteus und an- gustatus 0,012—0,018 mm beträgt, gruppirt und liegen im äußeren, der Subcuticula zugewandten Theile der Muskelschicht. Die Mark- substanz ist den Fasern innen aufgelagert und tritt auch in den Hohlraum der Fasern ein. Die Mächtigkeit dieser Schicht wechselt; stellenweise verschwindet sie vollständig, an anderen Orten, zumal dort, wo ein Kern liegt, bildet sie ansehnliche Hügel, die an die Markbeutel der Nematoden erinnern, indem sie wie diese in die Leibeshöhle vorspringen. Die Marklage wird von innen, die Fibrillenlage von außen von einem Sarkolemma (Zellmembran) begrenzt. Beide Muskelschich- ten werden von zahlreichen ovalen Löchern durchbrochen, an deren Peripherie das innere Sarkolemma in das äußere übergeht, die Flächenansicht bietet somit das Bild einer gefensterten Membran dar (Taf. IV Fig. 2). Betrachten wir einen Querschnitt durch die Ringmuskulatur (Taf. II Fig. 9), so treten uns die Durchschnitte der in radialer Rich- tung abgeplatteten Muskelfasern in ovaler Form entgegen. Die kontraktile Substanz ist hauptsächlich an der äußeren Wand der Fasern gesammelt (SCHNEIDER hat dieses Verhalten auch an den Muskelfasern von Ech. gigas konstatirt (vgl. Taf. III Fig. 10); sie vertheilt sich selten über die ganze Peripherie, d. h. die Fasern sind im größten Theil ihres Verlaufs von innen offen, Behufs Kommunika- tion des Marks ihres Hohlraums mit der allgemeinen Markschicht. Es kann sich aber auch hier und da eine Faser, nachdem sie einen vollständigen Überzug von Sarkolemma erhalten, von der Ringmus- kelschicht loslösen, um sich bald darauf wieder mit ihr zu ver- einigen. Der Bau der Längsmuskulatur weicht in einigen Punkten von dem der Ringmuskulatur ab. Die Fasern (Taf. III Fig. 1) erschei- nen noch mehr abgeplattet, bandförmig, und sind im Vorderkörper dicker als die Ringmuskelfasern, im Hinterkörper dünner. Die kon- traktile Substanz in ihnen ist gleichmäßig über die ganze Peripherie vertheilt, nur dort, wo Kerne auftreten, werden die Fibrillen an der Zur Organisation der Echinorhynchen. 131 Innenseite der Fasern unterbrochen, um den Markbeutel heraustreten zu lassen (Taf. III Fig. 9). Es sei hier erwähnt, dass an Osmium- säurepräparaten in den Fasern häufig vereinzelt laufende spiralige Fibrillen beobachtet werden konnten, namentlich in der Region, wo die Retinacula sich der Längsmuskulatur inseriren. Die Markschicht liegt der Faserlage nicht wie bei der Ringmuskulatur in fast unun- terbrochener Schicht an, sondern beschränkt sich beinahe ausschließ- lich auf die Gegend der Kerne. Sehr schön lässt sich hier an Längsschnitten ihr protoplasmatisches Netzwerk veranschaulichen (Taf. III Fig. 9), welches sich von hier aus in die Hohlräume der Fibrilleneylinder hinein erstreckt. Letztere sind viel größer als die Hohlräume der Ringmuskelfasern. Kerne finden sich in der Ringmuskulatur in großer Anzahl, sie sind von fast runder Gestalt, der Durchmesser beträgt 0,03 mm. In mehreren Fällen konnten sie bei noch nicht ausgewachsenen Indivi- duen von Ech. proteus in Zuständen wahrgenommen werden, die auf eine Theilung zu schließen erlaubten (Taf. IV Fig. 2). Solche Theilungszustände wurden in verschiedenen Phasen angetroffen : die Theilung geht vom Kernkörper (Hauptkernkörper) aus, nach Forma- tion zweier Kernkörper hat der Kern eine längliche Gestalt, hierauf trennt sich auch der Kern in zwei Kerne mit je einem Kernkörper, die noch beide von gemeinschaftlicher protoplasmatischer Markmasse (Markbeutel) umringt werden, später aber, beim Auseinanderrücken der Kerne sondert sich auch diese Markmasse in zwei Partien, deren jede einen Kern birgt. Niemals ließ sich an den kleineren Species eine so regelmäßige Anordnung erkennen, wie SCHNEIDER sie an den Kernen resp. Zellen von Ech. gigas beschrieben hat. Die Kerne der Längsmuskulatur sind größer, oval (größter Durch- messer 0,06 — 0,08 mm) und zum Studium geeigneter. Ihre Sub- stanz ist hell und durchsichtig, so dass es sehr schwer ist sie im frischen Gewebe zu erkennen. Außer einem großen, oft granulirten, stark lichtbrechenden und sehr tinktionsfähigen Kernkörper treten überall noch kleinere, gleich stark lichtbrechende und färbbare Körn- chen auf. Letztere hat Roupe! auch an Muskelkernen von Nema- toden beobachtet. Gleiches haben wir auch an den Kernen der Subeutieula kennen gelernt. Das Protoplasma erscheint an Alkohol-, Osmium- und Chromsäurepräparaten als eine, den Kern umschlie- 1 Beiträge zur Kenntnis der Anat. der Nematoden. Zool. Beiträge her- ausg. v. A. SCHNEIDER. 1883. 9* 132 A. Saefftigen Bende, oft deutlich doppeltkonturirte Kapsel!, die nach allen Rich- tungen hin in das erwähnte Protoplasmanetz sich auflöst. Ring- und Längsmuskulatur stehen durch zahlreiche dünne Sar- kolemmzüge mit einander in Verbindung. Diese nehmen von der inneren Ring- und äußeren Längsmuskelwand in Gestalt eines klei- nen Trichters ihren Ursprung. In der Achse des Trichters konnte häufig noch eine Fibrille wahrgenommen werden, und in solchen Fällen schien ein direkter Zusammenhang zwischen den kontraktilen Elementen beider Schichten sehr wahrscheinlich. Von der Körpermuskulatur zweigen sich einzelne Partien ab, die theils auf den männlichen Geschlechtsapparat übergehen, theils den Lemniskenmantel bilden, theils sich der Rüsselscheide inseriren. Am Hinterende liegen Fasern der Längsmuskulatur und bilden hier beim Weibchen von Ech. proteus und angustatus, wie wir sehen werden, den äußeren Überzug der Scheide; beim Männchen biegen die Längsmuskelfasern am Hinterende auch um, um die eingestülpte Bursa zu begleiten. Der Körpermuskelschlauch wird von LEUCKART als ein vorm offener Sack geschildert, der den Rüssel in sich aufnimmt. »Die Muskulatur des Vorderleibes,« sagt LEUCKART, »beschränkt sich auf einen Ringmuskel« .... »nur in seltenen Fällen (Ech. gigas) trifft man daneben noch in der unteren Hälfte auf eine dünne Lage von Liingsmuskelfasern.« Im Gegensatz’ hierzu habe ich sowohl Ring- wie Längsmuskulatur im ganzen Halse von Ech. proteus und an- gustatus gefunden. Nur im Bulbus von Ech. proteus fehlt die Ring- muskulatur. Letztere ist im Halse bei den ersteren Arten wenig entwickelt und namentlich im vordersten Theile nur an Längsschnit- ten, die durch die Achse des Halses geführt worden, deutlich zu erkennen. Die Längsmuskulatur ist gut ausgebildet und besonders mächtig im basalen Theile des Halses von Ech. proteus, wo ihre Fasern sich, wie das auch von BALTZER beobachtet wurde, in zwei Lagen sondern. Die äußere ist die unmittelbare Fortsetzung der Körperlängsmuskulatur, die innere kann als eine Schicht betrachtet werden, die dem Lemniskenmantel der anderen Echinorhynchenarten entspricht. So weit bis jetzt beobachtet worden, ist Ech. proteus 1 Diese eigenthiimliche Formation des Protoplasma ist es wohl gewesen, die PAGENSTECHER Veranlassung gegeben hat, die ähnlichen Muskelkerne im Ligament als Ganglienzellen, so wie GREEFF, die nämlichen Kerne bei den Männchen als einzellige Drüsen zu deuten. Zur Organisation der Echinorhynchen. 133 die einzige Species, bei der kein eigentlicher Lemniskenmantel exi- stirt. Die innere Längsmuskelschicht des Halses lässt sich eine Strecke weit in den Rumpf hinein verfolgen und inserirt sich der Längsmuskulatur des Hinterkörpers an der ganzen inneren Periphe- rie, nieht weit von der Insertionsstelle der Retinakeln. In der Re- gion, wo die Lemnisken entspringen, also zwischen Hals und Hinter- körper, treten in den Fasern dieser Schicht mächtige Muskelkerne auf (Taf. III Fig. 3). Die Fasern erscheinen, wie die des Lemnisken- mantels von Ech. angustatus und clavaeceps (Taf. III Fig. 11) in Röhrenform mit weitem, markhaltigem Hohlraum. In der Wand der Röhre ist die kontraktile Substanz in längslaufende Fibrillen- eylinder gruppirt. In der Achse des Rohrs liegen die Muskelkerne, sie finden sich nicht in allen Fasern und sind von einem voluminö- sen Protoplasmanetz umgeben, so dass die Fasern hier mächtig an- schwellen (Taf. III Fig. 3 »e). Letztere anastomosiren mit ein- ander. Die Längsmuskeln des Halses von Ech. proteus gehen auf den Bulbus über, bilden hier ein regelmäßiges, weitmaschiges Netz und enden an der Befestigungsstelle der Rüsselscheide an die Rüsselbasis. Der größte Theil der weniger entwickelten Halslängsmuskeln von Ech. angustatus und clavaeceps geht in den Compressor lem- niscorum, den Lemniskenmantel, über. Dieser legt sich den Lem- nisken allseitig eng an und umhüllt sie bei Ech. angustatus und wahrscheinlich auch bei Ech. clavaeceps vollständig, im Gegensatz zu Ech. gigas, wo die Lemnisken nach SCHNEIDER aus dem Mantel mit ihren hinteren Theilen heraustreten. Der Mantel von Ech. an- gustatus hat die Form eines Trichters, in dessen nach hinten diver- girenden Wänden die Lemnisken seitlich gelegen sind. Hinten inserirt er sich der Längsmuskelschicht, wie bei Ech. gigas, in Form zweier Zipfel. SCHNEIDER giebt von Ech. gigas an, dass der Lemniskenmantel aus zwei Zellen bestehe, bei unseren Arten ist solches nicht der Fall, denn es finden sich, zumal bei Ech. elavaeceps mehrere Kerne in seinen Fasern. Die Hautmuskulatur des Rüssels wird von der übrigen Körper- muskulatur durch den Ansatzring der Rüsselscheide getrennt und besteht nur aus einer bei Ech. proteus und angustatus gut ent- wickelten Ringmuskellage, in welcher eben so wenig, wie in der Halsmuskulatur Kerne nachgewiesen werden konnten. 134 A. Saefftigen Von der Subcuticula wird die Ringmuskulatur durch die oben erwähnte, von LEUCKART chitinös bezeichnete, helle, hier und da gestreifte, sonst aber strukturlose Schicht getrennt, die bei Ech. an- gustatus kontinuirlich zu sein scheint (Taf. IV Fig. 5 ch), bei Ech. proteus (Taf. IV Fig.6 und 7) aber durch Lücken, die zwischen den Hakenwurzeln auftreten, unterbrochen wird. Die Wurzeln der Haken ragen in diese Schicht hinein. Sie wird von LEUCKART und BALTZER als Bindegewebe bezeichnet, macht aber durchaus nicht den Eindruck eines Gewebes, sondern vielmehr den eines Abschei- dungsproduktes. Längsschnitte lassen ihren Zusammenhang mit der Rüsselscheide erkennen (Taf. V Fig. VII ch). Die Haken gruppiren sich bei Ech. proteus zu 16 (bei anderen Individuen zu 18), bei Ech. angustatus zu 10 alternirenden Längs- reihen. Der Rüssel von Ech. clavaeceps ist verhältnismäßig mit nur wenigen Haken bewaffnet, deren Anordnung schwer zu erken- nen ist, da sie bei den einzelnen Individuen abzuweichen scheint. Die Haken der Echinorhynchen gehen nach LEUCKART aus je einer, an ihrer Oberfläche chitinisirenden Zelle hervor, deren äuße- rer Fortsatz nach Durehbrechung der Subcuticula von der Cuticula umkleidet wird. Bei Ech. proteus, schwerer bei Ech. angustatus, lässt sich auch an geschlechtsreifen Thieren noch das Rudiment des Bildungszellkerns wahrnehmen. Bei letzterer Species scheint er in der Hakenwurzel gelegen zu sein, bei ersterer der Hakenwurzel in- nen anliegend. Ein Centralkanal lässt sich durch die Pulpa des Hakens verfolgen und reicht fast bis zur Hakenspitze (Taf. IV Fig. 3). Die Hakenpulpa ist weich und tingirt sich in Borax- karmin. Die Form der Haken ist bereits von BALTZER beschrieben wor- den, ich begnüge mich daher mit einer Abbildung (Taf. IV Fig. 4). Wie man sich an lebenden Echinorhynchen leicht überzeugen kann, ist die Bewegung der Haken abhängig einerseits von der Kontraktion der Rüsselrückzieher, andererseits von der Wirkungs- weise der Rüsselscheide, die den Rüssel wieder zum Ausstülpen bringt. Daneben aber macht die Gruppirung um die Haken herum und die Richtung der hier schräglaufenden Radiärfibrillen der Sub- euticula eine Funktion derselben als Retraktoren resp. Protrusoren der Haken nicht unwahrscheinlich. Die Rüsselscheide der Eehinorhynehen erscheint in Form zweier in einander gelagerter und aufs innigste mit einander verbundener Muskeleylinder, die einen hinten geschlossenen Sack bilden. Vorn Zur Organisation der Echinorhynchen. 135 inserirt sich dieser Sack an der ganzen inneren Peripherie der Rüs- selbasis, und sein Hohlraum kommunieirt mit dem Rüsselhohlraum. So weit bekannt, kehrt dieser Bau der Rüsselscheide bei sämmtlichen Arten wieder, nur die von Ech. gigas ist nach den Beschreibungen von LEUCKART und SCHNEIDER bedeutenden Modifikationen unterwor- fen. Auch die Rüsselscheide von Ech. clavaeceps weicht vom all- gemeinen Typus in so fern ab, als ihr äußerer Muskelcylinder nicht als geschlossene Röhre den inneren Cylinder umgiebt, sondern in Ge- stalt eines Halbrohrs ihm auf der Ventralseite aufliegt. Wie das schon BALTzER beobachtet, besteht die äußere Rüssel- scheide von Ech. proteus, bei dem der ganze Apparat sehr ent- wickelt ist, aus zwei Halbeylindern, die auf Querschnitten halbmond- förmig erscheinen und mit ihren Enden in Verbindung stehen. Auf der herauspräparirten Rüsselscheide sieht man an den entsprechenden Stellen zwei laterale, die Scheide in ihrer ganzen Länge begleitende Suturen. Die innere Rüsselscheide von Ech. proteus, so wie beide Scheiden von Ech. angustatus und clavaeceps scheinen einheitlich zu sein. In ihrer histologischen Struktur haben beide Cylinder viel Ähn- lichkeit mit der Körperringmuskulatur. Sie bestehen aus einer äuße- ren kontraktilen und einer inneren Marksubstanz (Taf. III Fig. 2 und 3). Die kontraktilen Fibrillen sind zu Ringfasern gruppirt, die gesondert einander parallel hinziehen; Anastomosen sind nicht vor- handen. Ihr Verlauf steht nicht streng senkrecht zur Achse der Rüsselscheide, sondern etwas schräg. Betrachtet man die äußere Rüsselscheide von Ech. proteus von der Dorsal- oder Ventralseite, so sieht man ihre Ringfasern bogenförmig, die Krümmung nach vorn gerichtet, hinziehen, ihre Enden stoßen seitlich in der Sutur dach- artig auf einander. Das Sarkolemma beider Cylinder ist bedeutend mächtiger als das der Körpermuskulatur und springt sowohl von außen wie von innen septenartig in die Substanz der Cylinder ein. Außen scheiden diese Septen die einzelnen Ringfasern von einander, verlaufen also ihnen parallel, innen dringen sie in die Marksubstanz ein und richten sich der Scheidenachse parallel, so dass auf Quer- schnitten die Marksubstanz papillenartige Vorsprünge zeigt. Das netzartige Protoplasma findet sich auch hier wieder, ist aber zum srößten Theil um die Kerne herum gelagert. Letztere liegen im Grunde beider Scheidencylinder; ihre Anordnung veranschaulicht Fig. V auf Taf. V bei Ech. proteus. Die innere Rüsselscheide besitzt vier lateral und symmetrisch vertheilte Muskelkerne, zwei vordere, 136 A. Saefftigen etwas auf die Dorsalseite gerückte 2c und zwei hintere nc!.. Die äußere Scheide beherbergt zwei auf die Ventralseite geriickte Kerne (Taf. V Fig. V xc? und Taf. III Fig. 3 »e!). Außerdem finden sich im Grunde der Rüsselscheide noch zwei Paar seitlich gelegener Muskel- kerne ne’, nc*, die aber nicht eigentlich ihren Wandungen angehören, sondern in den Wurzeln der Retinacula liegen. Die vorderen Kerne der inneren Rüsselscheide sind bei Ech. angu- status weit nach vorn gerückt und treten bei ausgestrecktem Halse etwa im vorderen Dritttheil desselben auf (Taf. III Fig. 2). An jungen Exem- plaren sind sie bei günstiger Lage des Thieres durch die Körperwand hindurch zu erkennen, und man kann sich dann auch von der Eigen- thiimlichkeit dieser Kerne überzeugen, sich zu kontrahiren. An zwei Exemplaren gelang es solche Gestaltveränderungen in gewisser perio- discher Reihenfolge zu beobachten. Im Zustande der Kontraktion, der 15—20 Sekunden dauerte, hatte der Kern ein maulbeerförmiges Äußere und sein Volumen war um etwa ein Dritttheil redueirt. Im bedeutend länger währenden Zustande der Expansion erschien er prall, hell mit glänzendem Kernkörper. Eine besondere Struktur in der Kernsubstanz ließ sich durch die Körperwand hindurch ‘nicht wahrnehmen, sie schien homogen zu sein. A priori sollte man versucht sein diese Gestaltveränderung der Kerne durch eine von der Kontraktion der Reträktoren des Rüssels verursachte Kompression zu erklären, indessen konnte man sich auch bei sonst vollständig unbeweglichem Vorderkörper der Thiere von obigen Kontraktionen überzeugen. Das Innere der Rüsselscheide wird von den Rüsselretraktoren eingenommen. Sie sind in der Vierzahl, jeder mit einem Kern ver- sehen, vorhanden und besitzen eine Röhrenform. Das Sarkolemma ist außerordentlich dünn, kaum wahrnehmbar. Die nur unvollkom- men, meist gar nicht zu Cylindern gruppirten kontraktilen Längs- fibrillen bilden eine gleichmäßige dünne Rindenlage (Taf. IV Fig. 5 und 7), das weite Innere wird von Muskelflüssigkeit und spärlichem Protoplasmageäder erfüllt. Die vier Kerne liegen in der Achse der Retraktoren, alle vier annähernd in einer Querebene. Sie werden nicht, wie das sonst bei den Muskelkernen häufig ist, von einer protoplasmatischen Kapsel umgeben, sondern stehen mit der kon- traktilen Schicht oft nur an einem Punkt ihres Umfanges vermittels ausstrahlender Protoplasmafäden in Verbindung. Manchmal findet sich an der Stelle, wo die Protoplasmastrahlen den Kern berühren, ein kleines Knöpfehen (Taf. V Fig. VII). Zur Organisation der Echinorhynchen. 137 Im lebenden Zustande sind die ovalen bei Ech. proteus und angustatus circa 0,04 mm messenden Kerne der Retraktoren (sie sind bei jungen Thieren durch Körper- und Scheidenwand hindurch zu beobachten) hell, mit glänzendem, großem Kernkörper und da- neben einem spindelförmigen, vacuolenähnlichen, zur Längsachse des Kernes senkrecht stehenden Gebilde versehen, welches als eine be- sondere Differenzirung des Kernplasma anzusehen ist; es färbt sich in Karmin dunkler als die übrige Kernsubstanz. Die Anordnung der Retraktoren in vier Röhren lässt sich nur im kleinsten Theile ihres Verlaufs in der Region der Rüsselbasis verfolgen, denn sie theilen sich bei Ech. proteus und angustatus nach vorn und hinten in eine größere Anzahl Fasern, die wiederum mit einander anastomosiren können. Die nach vorn ziehenden Re- traktorenfasern behalten ihre axiale Lage bis zur Rüsselspitze, wo sie, in radialer Richtung aus einander weichend, in dem so entstandenen centralen Raum zwei, bei Ech. proteus und angustatus zuerst von BALTZER gefundene, Zellen umfangen. Hier biegen die Rüssel- retraktoren um und laufen der Rüsselwand anliegend rückwärts bis zur Insertionsstelle der Rüsselscheide, wo sie sich an die Körperwand anheften. Bei Ech. proteus verändert sich ihr Bau in diesem letz- ten Theile ihres Verlaufes in so fern, als die kontraktile Substanz sich ausschließlich an ihrer äußeren, der Ringmuskulatur des Rüssels zu- gekehrten Wand gruppirt, während die Innenwand nur von Sarko- lemma gebildet wird. Eine Vereinigung der rücklaufenden Fasern der Retraktoren, wie BALTZER sie sich vorstellt, findet nicht statt, er sagt: »Je zwei benachbarte Ränder (die Ränder der rücklaufen- den Retr.) treten, sich nach innen einschlagend, in Verbindung. Über den eingerollten Rand setzt sich aber das die Muskelmasse über- ziehende Bindegewebe fort und bildet eine in den Hohlraum des Rüssels einspringende Papille.« Die hinteren Verzweigungen der vier ursprünglichen Retraktoren treten, nachdem sie das Ganglion allseitig umfasst, zu einer bei Ech. clavaeceps deutlich in zwei Partien gesonderten Muskelmasse zusam- men und gehen, wie passende Längsschnitte beweisen, unmittelbar in die Retraktoren der Rüsselscheide über. Indessen dürften letztere kaum als bloße Fortsetzungen der Rüsselretraktoren anzusehen sein, da sie ihre eigenen Kerne besitzen. Die Retraktoren der Rüsselscheide stellen ein ventrales und ein dorsales langes abgeplattetes Band dar, deren jedes wiederum aus zwei neben einander hinziehenden und an den einander zugewandten 138 A. Saefftigen Kanten theilweise verwachsenen, mit je einem Kern versehenen Bän- dern besteht. Die zwei Kerne liegen bei Ech. proteus dicht bei einander, etwa in der Mitte der Retraktoren. Jedes der beiden Bän- der in einem Retraktor stellt einen Muskel vor, der sich nur in sei- nem Aussehen, nicht im Prineip des Baues, von den Rüsselretraktoren unterscheidet. Die Längsfibrillen liegen hier als sehr dünne Schicht in der Wand des bandförmig abgeplatteten Rohres. Das protoplasma- tische Netzwerk tritt außerordentlich deutlich hervor und bildet ein fast regelmäßiges Geflecht aus sechsseitigen Maschen. Die Ver- schmelzung je zweier Bänder zu einem Retractor receptaculi ist keine vollständige, indem sie sich in ihrem Verlauf für kurze Strecken trennen, es kann der Zusammenhang zwischen ihnen stellenweise auch durch sekundäre Abspleißungen hergestellt werden. Die Retractores receptaculi von Ech. clavaeceps bestehen gleichfalls aus je zwei Bändern, die aber im vorderen Theil vollständig verschmol- zen sind, so dass sie hier auf Querschnitten ein gemeinschaftliches Lumen aufweisen; nach hinten zu theilen sie sich und inseriren sich getrennt an der Körperwand. Bei Ech. proteus geschieht diese Insertion mit verbreiterter Basis, die sich in mehrere Züge trennt. Letztere lösen sich schließlich in einzelne Fibrillen auf, die sich den Längsfasern der Körpermuskulatur beimischen. An diesen Vereini- gungsstellen kommen noch Konglomerationen kernähnlicher Gestalt, offenbar protoplasmatischen Ursprungs zu Stande, die mir vollständig unverständlich geblieben sind. Die oben erwähnten zwei Zellen an der Rüsselspitze zwischen den Riisselretraktoren sind bei allen drei Arten vorhanden. Bei Ech. proteus und angustatus liegen sie neben einander und messen 0,04 mm, bei Ech. elavaeceps liegen sie hinter einander, haben eine ovale Gestalt und sind im Verhältnis zur geringen Körpergröße die- ser Species kolossal, die hintere übertrifft die vordere an Umfang und erreicht eine Größe von 0,09 mm. BALTZER, der diese Zellen bei beiden erstgenannten Arten be- obachtet hat, nimmt für sie in dubio eine Tastfunktion in Anspruch, indessen ist es mir nie gelungen ihren Zusammenhang mit dem Ner- vensystem nachzuweisen ; von Ganglienzellen haben sie weder im Äußeren noch in ihrer Struktur Ähnlichkeit. Lesp&s!, der sie bei Ech. clavaeceps beobachtete, will in dieser Gegend einen Darm- kanal gesehen haben, indessen sind weder die von Lesp&s beschriebe- ! Journal de l’anat. et de la physiologie. Paris 1864. Zur Organisation der Echinorhynchen. 139 nen kernlosen Epithelzellen vorhanden, noch findet sich eine Öffnung an der Rüsselspitze. Bei Ech. clavaeceps sind beide Zellen wenig durchsichtig und besitzen einen kleinen deutlichen Kern. Ihr Protoplasma ist körnig und oft gelblich. Bei lebenden Thieren machen sie den Eindruck, als lägen sie in einem Sack, da sich aber auf Schnitten niemals dessen Wandungen erkennen ließen, so nehme ich an, dass die vier Rüsselretraktoren, indem sie nach den Seiten ausbiegen, einen sack- formigen Raum begrenzen, in welchem diese Zellen liegen. Bei eingezogener Rüsselscheide und eingestülptem Rüssel legen sie sich dicht vor das Ganglion und werden durch einen Zwischen- raum von der inneren Rüsselspitzenwand getrennt. Beobachtet man einen Ech. elavaeceps im Moment des Ausstülpens des Rüssels, so sieht man, wie die beiden Zellen, gleich nachdem die vordersten Ha- ken sich nach außen gekehrt haben, plötzlich vorgeschnellt werden. Die sogenannten Retinacula der Echinorhynchen stellen Nerven- scheiden dar und umschließen die hinteren Seitennerven. Wie auch BALTZER angiebt, ist jedes Retinaculum eigentlich eine zusammen- gerollte lange Muskelplatte, deren Ränder zusammenwachsen, so dass ein Rohr entsteht. Die Naht ist nach außen d. h. der Körperwand zugekehrt und wird durch Lücken unterbrochen, so dass der Hohl- raum des Retinaculum mit der Leibeshöhle in Verbindung steht. Dass eine solche Kommunikation in der That vorhanden ist, beweist das gelegentliche Eindringen reifer Eier in das Retinaculum. Ein Querschnitt (Taf. III Fig. 13) zeigt an der äußeren Peripherie eine Sehicht Längsmuskelfibrillen, die indessen hier zu nicht bedeutender Entwicklung gelangt, das Sarkolemma hingegen ist mächtig ent- wickelt; ihre kontraktile Fähigkeit scheinen die Fibrillen auch ein- gebüßt zu haben, bei vorgeschobener Rüsselscheide erscheinen die Retinakeln gespannt und verlaufen in schräger Richtung durch die Leibeshöhle, bei rückgezogener Rüsselscheide biegen sie sich schlin- genformig zusammen ohne sich zu kontrahiren. Bei Ech. proteus nehmen sie ihren Ursprung aus der Riisselscheide beiderseits ver- mittels zweier Wurzeln, deren eine in der inneren Riisselscheide, die andere in der äußeren liegt (Taf. V Fig. V). In jeder dieser Wurzeln findet sich ein Kern xc? und vc. Beim Austritt aus der Rüs- selscheide trennen die Retinacula die lateralen Suturen zwischen den äußeren Scheidenhalbcylindern. Bei Ech. clavaeceps bestehen die Retinacula in ihrer Hauptmasse nur aus dem Nervenstrang. Der muskulöse Überzug schwindet bald 140 A. Saefftigen nach ihrem Austritt aus der Rüsselscheide, nur das Sarkolemma be- gleitet sie auf ihrem Wege bis zur Körperwand in Gestalt einer außerordentlich dünnen Membran (vgl. Taf. III Fig. 14 @ und 8). Ihr Austritt erfolgt hier in der Weise, dass sie auf der Ventralseite einander genähert beide die äußere halbrohrförmige Rüsselscheide durchbrechen (Taf. III Fig. 5). Nervensystem. Der centrale Theil des Nervensystems der Echinorhynchen besteht aus dem bekannten, im Grunde der Rüssel- scheide gelegenen Ganglion. Die dasselbe zusammensetzenden Zel- len sind verhältnismäßig groß, mit deutlichem, immer prallem Kern und sehr stark lichtbrechendem Kernkörper?. Außer diesem einzi- gen Kernkörper finden sich keine anderen ihm ähnliche Einschlüsse, wie wir solche bei Muskelkernen kennen gelernt haben. Die Gan- glienzellen sind mit Ausnahme der Ei- und Samenelemente fast die einzigen Zellen im Echinorhynehenkörper, die an ihrer ganzen Peri- pherie deutliche Konturen aufweisen, resp., natürlich mit Ausnahme der Übergangsstelle in den Nerv, eine geschlossene Zellmembran besitzen, indessen begegnen wir auch hier ähnlichen primitiveren Ver- hältnissen, wie beim Muskelgewebe. Ein Schnitt durch das Ganglion (Taf. III Fig. 12) zeigt nämlich eine peripherische Lage von Ganglienzellen mit deutlichen Konturen und einen centralen Theil, der aus netzartigem Protoplasma mit zahlreichen Vacuolen und einzelnen Kernen besteht. Im Centrum selbst finden sich keine Kerne, wohl aber in dem Theile des retiku- lären Protoplasma, der an die peripherische Zellenlage grenzt und hier schon eine gleichartigere Struktur aufweist. Stellenweise konn- ten Zellen in der Rindenschieht gefunden werden, wie eine solche auf beigegebener Zeichnung abgebildet ist, deren sonst gleichartiges feingekörntes Protoplasma unter Vacuolenbildung unmittelbar in das centrale Netzwerk überging. Die Zellen der Ganglienrinde sind meist mit nur einem Ausläu- fer versehen (bipolare giebt es wenige), wovon die meisten, zu Nerven zusammentretend nach außen ihren Verlauf nehmen. Namentlich gilt das für die vordere Partie des Ganglion. Hierbei ist nicht 1 Messungen haben folgende Zahlen ergeben: Ech. gigas, Ganglienzellen: 0,062 mm, deren Kerne: 0,02 mm. Ech. proteus u. angustatus, Ganglienzellen: 0,025 mm, Kerne: 0,01—0,012 mm. Ech. clavaeceps, Ganglienzellen : 0,015 mm, Kerne 0,007 mm. 2 Selbst bei vollständigem Abschluss durchfallenden Lichtes sind die Kernkörper an Schnittpräparaten als helle Pünktchen auf schwarzem Grunde wahrnehmbar. Zur Organisation der Echinorhynchen. 141 gesagt, dass sämmtliche Fasern eines abtretenden Nerven benachbarten Zellen entspringen. So konnten z. B. einzelne Fasern nach vorn ausstrahlender Nerven an Serien von Querschnitten bis in die hin- tere Region des Ganglion verfolgt werden, in Fig. 12 Taf. III 2’ sind solche Faserdurchschnitte, die dem vorderen Mediannerv angehören, abgebildet. Andererseits senden einige Zellen der Rinde ihre Fortsätze ins Innere des Ganglion. Sowohl an Quer- wie an Längsschnitten fin- den sich neben den Vacuolen » von diesen oft schwer zu unter- scheidende Nervenfaserdurchschnitte, die auf eine Faserkreuzung innerhalb des Ganglion schließen lassen. Solche Faserkreuzung konnte bei Ech. proteus, angustatus und am deutlichsten bei Ech. elavaeceps in der mittleren Region des Ganglion beobachtet werden. Verfolgt man eine Serie von Querschnitten, so tritt die Kreuzung dort auf, wo beiderseits die Zellen liegen, deren Fortsätze zur Bil- dung der die Retinacula durchsetzenden Nerven zusammentreten. Manchmal schien es sogar, als wenn eine Faser des rechten Seiten- nerven, das Ganglion durchsetzend, in den linken Nerven überginge, ohne durch eine Zelle unterbrochen zu werden. PAGENSTECHER’S Angabe, die Zahl der Ganglienzellen sei nicht viel größer als die der abtretenden Nervenfasern, habe ich bestätigt gefunden. Auf Schnittserien konnten sowohl bei Ech. proteus als auch angustatus etwa 70 Kerne gezählt werden. Der Umstand, dass trotz dem Vorhandensein von bipolaren Ganglienzellen die Zahl der Kerne größer ist, als die der austretenden Fasern, dürfte dadurch zu erklären sein, dass den Kernen des inneren, reticulären Theils des Ganglion keine Nervenfasern entsprechen. Die Zahlen, die Leuckarr von den dem Ganglion entspringen- den Fasern angiebt, sind zu niedrig gegriffen. Eine bindegewebige Hülle, die PAGENSTECHER erwähnt, besitzt das Ganglion nicht. Was das peripherische Nervensystem betrifft, so nehmen fol- gende Nervenstimme vom Ganglion ihren Ursprung: 1) Vordere Mediannerven, 1—3 an der Zahl (GREEFF's vordere Hauptnerven- stimme, BALTtzeEr’s vorderer Median- + vordere Seitennerven), 2) ein vorderes laterales Nervenpaar, 3) ein hinteres Lateralnerven- paar. Den hinteren Mediannerven, der nach LEUCKART in den Re- traktor der Rüsselscheide, nach anderen Autoren ins Ligament eintreten soll, gelang es niemals zur Anschauung zu bringen, auch konnten weder in den Retraktoren der Rüsselscheide, noch im Ligament der kleineren Arten, die aufs eingehendste darauf hin untersucht wurden, 142 A. Saefftigen jemals Nerven konstatirt werden; indessen kann die Existenz eines solehen hinteren Mediannerven durch obige negative Resultate noch nicht in Abrede gestellt werden, zumal die Beobachtung durch die Anastomosen der Rüsselretraktoren in dieser Region sehr erschwert wird; andererseits gebrach es an Material von Ech. gigas, bei dem diese Verhältnisse wohl leichter zu erkennen sein mögen. In Bezug auf den Verlauf der vorderen Mediannerven verhalten sich die verschiedenen Species nicht gleich. Bei Ech. angustatus ist es nur ein einziger starker Stamm, der den größten Theil des Halses durchzieht, aber vermittels mehrerer, gewöhnlich dreier Wur- zeln aus der vorderen Region des Ganglion seinen Ursprung nimmt. Diese Wurzeln laufen eine Zeit lang zwischen den Rüsselretraktoren hin, richten sich dann zur Wand der inneren Rüsselscheide und zie- hen längs dieser zum Rüssel hin, zu einem starken Bündel von min- destens 18 Fasern vereint. Dieser Nervenstamm hält sich beständig an die Dorsalseite der inneren Rüsselscheide, der Querschnitt Fig. 2 auf Taf. III zeigt ihn zwischen den oben erwähnten kontraktilen Kernen, eine Lage, die beständig wiederkehrt. Auch an lebenden jungen Exemplaren von Ech. angustatus sieht man die beiden Kerne zu Seiten des Nervenstammes liegen. Dort, wo die Rüsselscheide sich an die Basis des Rüssels inserirt, weichen die Fasern dieses Nerven aus einander und bilden unter dichotomischer Theilung eine Anzahl von Bündeln. Ein Querschnitt aus dem basalen Abschnitt des Rüssels zeigt diese Nervenbündel über die ganze Peripherie vertheilt und zwischen den rücklaufenden Retraktoren angeordnet. Zwischen den axialen vier Retraktoren oder deren Anastomosen konnten keine Nerven beobachtet werden. Der Hals von Ech. proteus wird gewöhnlich seiner größten Länge nach von drei medianen Nervenstämmen durchzogen, die frei zwischen den Retraktoren liegen; in einigen Fällen konnten nur zwei soleher Stämme wahrgenommen werden. Sie sind, wie sämmt- liche Nerven der Echinorhynehen, von keiner bindegewebigen Hülle umsehlossen und krümmen sich bei Kontraktion der Rüsselretraktoren schlingenförmig zusammen. Dieser Umstand macht ihre Verfolgung auf Serien von Querschnitten sehr schwierig, und da andererseits bei unversehrten Exemplaren die scharfen, wellenförmig verlaufen- den Konturen der Riisselretraktoren die Nervenstimme maskiren, so muss ich es vor der Hand noch dahingestellt sein lassen, ob für Ech. proteus die Zwei- oder Dreizahl der Mediannerven typisch ist. Während nun die der vorderen Region des Ganglion entspringenden Zur Organisation der Echinorhynchen. 143 Stämme sich bei Ech. angustatus bald vereinigen, erfolgt solches bei Ech. proteus erst in der Bulbusregion, wo sie zu einem eben- falls mächtigen Stamm zusammentreten. Bisher verliefen sie, nicht wie bei Ech. angustatus an der Innenwand der Rüsselscheide son- dern zwischen und neben den Rüsselretraktoren; nach ihrer Ver- einigung biegen sie zur Wand der Scheide ab und verfolgen sie bis zur Insertionsstelle derselben an dem vorderen Bulbusrand. Hier theilen sich ihre Fasern in etwa 10 Partien, die auf einem Querschnitt, wie bei Ech. angustatus, über die ganze Peripherie vertheilt sind. Noch immer verlaufen sie vollständig frei, denn man sieht sie bald an der Innenseite der rücklaufenden Retraktoren, bald zwischen diesen und der Rüsselwand. Jedes dieser Bündel besteht im basalen Dritttheil des Rüssels aus 8—10 Fasern, so dass man in dieser Region bis zu 100 Nervenfaserdurchschnitten zählen kann. Nach vorn weichen sie aus einander und treten theils an die Rüsselretraktoren, theils an die basale Region der Rüsselhaken heran. Einzelne Fasern lassen sich bis fast zur Rüsselspitze verfolgen, niemals konnte aber ein Zusam- menhang zwischen ihnen und den hier vorhandenen beiden Zellen konstatirt werden. Bei Ech. clavaeceps sind die vorderen medianen Nerven wenig entwickelt, sie treten gewöhnlich in Gestalt einzelner Fasern auf, welche die Rüsselretraktoren begleiten, ihr weiterer Verlauf nach vorn ist mir unbekannt geblieben. Die vorderen Seitennerven konnten nur bei Ech. proteus und clavaeceps beobachtet werden. Bei ersterer Species sind es feine, höchstens aus drei Fasern bestehende Stämme; bei letzterer sind sie fast eben so mächtig wie die hinteren Seitennerven. Hier wie dort entspringen sie beiderseits aus der Mitte des Ganglion, neben den hinteren Seitennerven, begleiten diese bis zur Rüsselscheidenwand und richten sich dann nach vorn. Bei Ech. proteus halten sie sich hart an die Scheidenwand und lassen sich nicht über das hintere Dritttheil der Scheide hinaus verfolgen. Bei Ech. clavaeceps durch- ziehen sie die ganze Scheide und scheinen auch zu den Rüsselretrak- toren in Beziehung zu treten. Die hinteren Seitennerven sind bei allen drei Arten bei Wei- tem die stärksten. Ihre Austrittstelle aus dem Ganglion wird durch die oben erwähnte Faserkreuzung bestimmt. Sie richten sich schräg- seitwärts und nach hinten und treten hart an die in den Wurzeln der Retinacula gelegenen Kerne heran, so dass die in der inneren 144 . A. Saefftigen Scheide befindlichen Kerne (Taf. V Fig. V net) (von JARSCHINSKY ! vermuthlich als Ganglion laterale gedeutet) nach Quellung des Prä- parates in Ameisensäure eine Furche erkennen lassen, durch welche der Nervenstamm zieht. Hierauf dringen die hinteren Nerven jeder- seits ins Retinaculum ein, wo sie bis zur Anheftungsstelle dieses an die Längsmuskulatur des Körpers wellenförmig verlaufen. An ge- lungenen Querschnitten eines Retinaculum lässt sich erkennen, dass der Nerv bei Ech. angustatus aus mindestens 16, bei Ech. clavaeceps aus mindestens 18 Fasern zusammengesetzt wird (Taf. III Fig. 13 und 14). L An der Körperlängsmuskulatur angelangt, theilt sich der Sei- tennerv in einen vorderen und einen hinteren Ast. Beide legen sich ausschließlich der Längsmuskulatur an und begleiten bei Ech. proteus und angustatus die Hauptkanäle der Subcuticula, so dass ein Sagittalschnitt durch die Ebene dieser Kanäle auch die Nerven- stämme treffen müsste. Bei Ech. elavaeceps liegen die Verhältnisse anders; die beiden Längsgefäße der Subcuticula fallen in die Me- diane, die Nervenstämme verlaufen lateral. Uber die weitere Innervation des Rumpfes hat ScHwEIDER Beob- achtungen an Ech. gigas veröffentlicht. Bei unseren Arten sind die Verhältnisse so minutiös, dass sich Abzweigungen von den Körperner- venstämmen nicht beobachten ließen, eben. so wenig ein Nervenplexus im hinteren Körperende der Männchen. Wohl aber findet sich bei den männlichen Individuen aller drei Arten außer dem Hirnganglion ein zweites fast eben so gut entwickeltes Nervencentrum, das Ge- schlechtsganglion. Es liegt der Bursalmuskelkappe auf und umfängt den Duetus ejaculatorius (Taf. V Fig. X Gim). Seine Zellen sondern sich unvollständig zu zwei lateralen Haufen, die durch eine dorsale und eine ventrale Kommissur in Verbindung stehen. Namentlich letz- tere ist faserreich, aber auch zellenhaltig. Vom Geschlechtsganglion nehmen mindestens sechs Nervenstämme ihren Ursprung: zwei late- rale vordere, zwei laterale hintere und zwei hintere Stämmchen, die sich in der Mediane nähern und die Bursalmuskelklappe zu innerviren scheinen. Das hinterste Nervenpaar ist das mächtigste, es begleitet die eingestülpte Bursa, oder vielmehr die Muskelzüge, die als Fortsetzung der Körperlängsmuskulatur sich der Bursa anlegen (Taf. V Fig. X N). ! Arbeiten der Petersburger Versammlung russischer Naturforscher. St. Petersburg 1868 (russisch). Zur Organisation der Echinorhynchen. 145 Diese Nerven vereinigen sich am Körperhinterende mit den beiden Nervenstämmen des Rumpfes und bringen auf diese Weise einen Zusammenhang zu Stande zwischen Hirn- und Geschlechtsganglion. Das vordere Nervenpaar innervirt die Geschlechtsorgane; es dringt in die Muskelscheide, welche die Samenleiter und die Kitt- gänge umgiebt, ein (Taf. V Fig. X N!) und findet sich auf Quer- schnitten beiderseits vom Vas efferens (Taf. V Fig. XI 3-4). Die Zellen des Geschlechtsganglion unterscheiden sich durch nichts von denen des Hirnganglion, sie erreichen sie nahezu an Größe, ihre Fortsätze aber sind bedeutend mächtiger. Das von LEUCKART angegebene Ganglion am hinteren Körperende der weiblichen Echinorhynchen kann ich nicht bestätigen. Geschlechtsorgane!. Bevor wir uns zu den Genitalien der Echinorhynchen wenden, dürfte es hier am Platz sein mit einigen Worten eines Organs zu gedenken, das bei den Männchen theilweise, bei den Weibchen ausschließlich dazu dient, den ganzen Geschlechts- apparat in seiner axialen Lage zu erhalten, das ist das sogenannte Li- gament. Es entspringt dem hintersten Rüsselscheidenende und inserirt sich zwischen der äußeren und inneren Rüsselscheide. Dass es auch die innere Rüsselscheide durchbricht, wie LEUCKART dies an Ech. gigas gesehen, scheint bei unseren Arten nicht der Fall zu sein, die Beobachtung wird sehr erschwert durch die hier die innere Rüssel- scheide durchsetzenden und den Ursprung des Ligaments theilweise maskirenden Rüsselretraktoren. Die muskulöse Natur des Ligaments ist schon von GREEFF er- kannt worden. Es bietet einen geschlossenen hohlen Cylinder mit einfacher Wandung dar, dessen histologischer Bau sich im Prineip von dem der Körpermuskellagen durch nichts unterscheidet: eine retieuläre, von zahlreichen ovalen Öffnungen durchbrochene Grund- substanz wird von sehr feinen Muskelfibrillen, die häufig anastomosi- ren, durchsetzt. Die Richtung dieser Fibrillen ist longitudinal, nur in der Umgebung der Kerne (Taf. IV Fig. 1) existirt noch eine zweite, innere Schicht von quer- resp. ringlaufenden Fibrillen. Eine Gruppirung zu Fasern wird bei den Fibrillen des Ligaments ver- misst. Die Kerne liegen in der Grundsubstanz, die auch hier als 1 Ich muss bemerken, dass die Untersuchungen nur an vollständig ent- wickelten Thieren vorgenommen wurden, Larven standen mir nicht zur Ver- fügung. Morpholog. Jahrbuch. 10. 10 146 A. Saefftigen Muskelmark anzusehen ist, sind nur spärlich vorhanden, von ovaler Gestalt und messen in der Längsachse 0,08—0,1 mm. Neben dem sroßen, glänzenden Kernkörperchen nimmt man wieder eine Anzahl von Nebenkernkérperchen wahr. Das Protoplasma umgiebt den Kern in Form einer deutlichen starken Kapsel, die allmählich in die all- gemeine Grundsubstanz übergeht. Ein wesentlicher Unterschied in der Gestalt des Ligaments ist bei den kleinen Species nicht vorhanden. Bei Ech. proteus ist es eine langgezogene Spindel, deren Hohlraum, wie man sich an Osmium- säurepräparaten leicht überzeugen kann, immer von Eizellen erfüllt ist. Hinten, unmittelbar vor der Uterusglocke, läuft es in zwei solide Stränge aus. Das Ligament von Ech. angustatus gleicht einem dünnen Strange, dessen Lumen nur im vorderen Dritttheil deutlich erkannt wird, hier ist es sehr weitmaschig, auch kann ein völliger Durehbruch, behufs Entleerung der Eier in die Leibeshöhle eintreten. Eine Theilung findet am Hinterende nicht statt. Ech. clavaeceps besitzt ein so zartes Ligament, dass es nur in Fetzen zur Anschauung gebracht werden konnte, wahrscheinlich ist es auch im normalen Zustande zerrissen; es läuft nach hinten nicht in einen soliden Fortsatz aus, sondern geht an der ganzen Peripherie in den Rand der vorderen Uterusglockenöffnung über, so dass die Eier hier aus dem Ligament direkt in den Glockenraum eintreten können. Eine Kommunikation zwischen Ligamental- und Glockenhohlraum hat auch LEUCKART bei Ech. angustatus und WAGNER bei Ech. acus beobachtet. Die ursprünglichen Ovarien der Echinorhynchen finden sich nach den Untersuchungen von GREEFF und LEUCKART als vom Ligament gesonderte und von diesem nur umschlossene Organe ausschließlich in früheren Entwieklungszuständen der Larven vor, da letztere mir aber nicht zu Gebot standen, so habe ich mir auch keine eigene Ansicht von diesen Verhältnissen bilden können. Indessen konnten bei vollständig entwickelten Echinorhynchen Zellen aus dem Liga- ment hervorsprossend gesehen werden, die sich durch nichts von jungen Eizellen unterschieden. Ein Ähnliches hat auch PaGENsTE- CHER! bei Ech. proteus beobachtet und abgebildet. Die Zellen liegen in Nestern, die oft von trichterförmiger Gestalt sind, ihre Spitze läuft dann in viele Fibrillen aus, vermöge deren sie an der Innen- 1 Zur Anatomie von Ech. proteus. Zeitschr. für wissenschaftl. Zoologie. 1863. Zur Organisation der Echinorhynchen. 147 fläche des Ligaments festsitzen (Taf. III Fig. 17). Es konnten aber solche Nester auch in lamellen- oder muldenförmiger Gestalt gefunden wer- den, wo dann ihre Ränder sich in Fibrillen auflösen, wie es auf Taf. HI Fig. 16 dargestellt ist. Die kleinsten, jüngsten Zellen la- gen im Grunde der Mulde resp. des Trichters, die größten über ihnen und lösten sich offenbar allmählich ab; in letzteren traten in einzelnen Fällen Bildungen von Tochterzellen auf!. Ob nun die Nester Reste des im Larvenzustande vorhandenen Ovarium sind und ihr Zusammenhang mit dem Ligament ein sekun- därer, oder ob es Differenzirungen des Ligaments selbst sind, muss vor der Hand noch dahingestellt bleiben. Bekanntlich ist bei geschlechtsreifen Echinorhynchen die ganze Leibeshöhle mit Eiern und Eiballen angefüllt, die aus dem Innern des Ligaments nach dessen Sprengung — eine specielle Entleerungs- öffnung ist nicht vorhanden — ausgetreten sind. Bei Ech. proteus bleibt neben der Leibeshöhle auch das Ligament stets von Geschlechts- produkten erfüllt. Bei Ech. angustatus entleert sich das Ligament der erwachsenen Thiere fast vollständig seines Inhalts und konsolidirt sich in seiner größten Ausdehnung zu einem dünnen Strange, nur im vorderen Dritttheil bewahrt es noch seine maschige Struktur und beherbergt mehrere große Eiballen. Es ist dieses die Gegend, wo ursprünglich der Riss, oder auch nur eine Lösung der Maschen, ein- getreten ist, behufs Entleerung der Geschlechtsprodukte in die Lei- beshöhle. Die Ausführungsgänge der weiblichen Echinorhynchen bestehen aus der Uterusglocke, zwei Eileitern, und einem Uterus nebst Scheide. Alle diese Theile besitzen starke muskulöse Wandungen, in denen die Muskelfibrillen ringförmig verlaufen, was LeYDIG bewo- gen hat hier quergestreifte Muskeln zu vermuthen. Die Querstreifung ist der Ausdruck der Muskelfibrillen, nicht, wie BALTZER annimmt, einer bindegewebigen Einstrahlung. Der histologische Bau ist sehr ähnlich dem der Rüsselscheide und der männlichen Genitalscheide. Auf einem Querschnitt liegt die fibrilläre Schicht an der äußeren, die Markschicht an der inneren Peripherie, deren Kontur durch 1 Es sei erwähnt, dass diese Bildungsstätten von Eizellen bloß bei Ech. proteus verhältnismäßig selten, und nur an Osmiumsäurepräparaten gefunden werden konnten. Von etwa vierzig darauf hin untersuchten Thieren besaßen sie nur acht Exemplare, deren Leibeshöhle schon von reifen Eiern und Eiballen er- füllt war. 10* 148 A. Saefftigen papillenähnliches Vorspringen festonirt erscheint; große, durch pro- toplasmatische Fäden fixirte Kerne liegen in der Marksubstanz. Obgleich der unmittelbar hinter der eigentlichen Glocke gelegene, von LEUCKART mit Glockenschlund bezeichnete Theil bei unseren drei Arten auf den ersten Blick wesentliche Verschiedenheiten dar- bietet, so kann doch bei genauerem Studium der Verhältnisse, wie wir sehen werden, eine Analogie der ihn aufbauenden Elemente ge- funden werden. Wählen wir uns als Ausgangspunkt den Ech. an- gustatus, wo die Verhältnisse am klarsten liegen. Die Anheftung der Uterusglocke an das Ligament erfolgt in der Weise, dass letzte- res sich in toto als einseitig geschlitztes Rohr! in den Glockenhohl- raum einsenkt und in zwei laterale Zipfel gespalten sich in dem Glockengrund inserirt (Taf. V Fig. 1 7, 2, 3). Kurz vor dem Ein- tritt in die Uterusglocke finden sich beständig zwei Kerne im Liga- ment, sie liegen in einer Querebene. Die beiden Zipfel des Liga- ments umfassen zwei axiale, neben und hinter einander gelegene, langgestreckte Zellenpaare d und %. Wie die entsprechenden Zellen- paare von Ech. proteus sind sie muskulös, nichts spricht für eine etwaige drüsige Natur, die BALTZER für sie in Anspruch nimmt. Sie sind auf den Abbildungen Taf. V roth gezeichnet, die Kerne der Zellen d liegen in einem nicht abgebildeten Schnitt zwischen / und 2. Die Glocke selbst (blau) ist bedeutend größer als die von Ech. proteus. Vom vorderen Glockenrande bis zum vorderen Uterusrande misst der ganze Apparat 0,65 mm, die Breite beträgt eirca 0,2 mm. Dadurch, dass sie nicht weit vom Vorderrande eine, namentlich während der Kontraktion in der Längsrichtung deutliche Einschnü- rung aufweist, erscheint ihre Gestalt vasenförmig. In der ventralen Glockenwand, ziemlich weit hinten, sind zwei Kerne vorhanden (Taf. V Fig. I 3, e und Taf. IV Fig. 9e), es sind das die größten Kerne im ganzen Schluckapparat; bei den anderen Arten liegen sie neben einander, hier vor einander. In der Umgebung der Kerne durchziehen außer den eirkulären noch longitudinale und schräge Muskelfibrillen die Markschicht der Glocke und bilden mit den Pro- toplasmafäden, von denen sie oft schwer zu unterscheiden sind, ein 1 Es ist zu bemerken, dass der Glockenhohlraum nicht mit der Ligament- höhle kommunicirt, da, wie schon erwähnt, der Ligamentstrang in seinem größten Theile solid ist. Es können also keine Eier aus dem Ligament in die Uterusglocke eintreten, ohne ihren Weg erst durch die Leibeshöhle genom- men zu haben. Zur Organisation der Echinorhynchen. 149 dichtes verworrenes Netzwerk, das wie ein Ringpolster im Glocken- grunde liegt und wohl am meisten die Funktion des Eieinschluckens übernimmt. Der hinterste Theil der eigentlichen Glocke wird sphincterartig von einem zweiten kurzen Muskelrohr (grau) umfasst, welches zwei Zellen entspricht, deren Kerne f in der hinteren Region, wo noch eine Scheidewand zwischen beiden Zellen wahrgenommen wird, lie- gen. Dieser Mantel erstreckt sich weiter nach hinten als die eigent- liche Glocke und bildet zwei laterale Taschen, die auch LEUCKART erwähnt, und die BALrzeEr’s »Seitenzellen« von Ech. proteus entspre- chen. Die Ränder der Taschen, die bei geschlechtsreifen Individuen gewöhnlich mit reifen und unreifen Eiern (0) gefüllt sind, weichen auf der Rückseite in der Mediane aus einander, und so kommt eine hintere dorsale Glockenöffnung zu Stande (Taf. V Fig. 15 und Taf. IV Fig. 8 4Do). Im Centrum sind noch immer die axialen Zel- len % wahrzunehmen. Gleich hinter der dorsalen bildet sich eine ventrale hintere Glockenöffnung (Taf. V Fig.16 u. Taf. IV Fig. 9%Do), die bisher noch bei keiner Species erwähnt wurde und bei Ech. proteus und clavaeceps auch jedenfalls fehlt. Sie wird begrenzt durch zwei hier zugleich mit den Zellen / (vertikal schraffirt), welche - den hinteren Rand der dorsalen Öffnung (vgl. Taf. IV Fig. 8) bilden, auftretende Zellen ¢ (horizontal schraffirt). An noch weiter hinten entnommenen Schnitten (Taf. V Fig. 17, 8) kann man sich über- zeugen, dass die rechte Zelle © sich mit der rechten Zelle % einer- seits, und die linke Zelle © mit der linken Zelle % andererseits zu zwei nach hinten ziehenden, lateral liegenden Röhren Od vereini- gen, die in den Uterus (grün, Taf. V Fig. 19) eintreten und als Eileiter aufzufassen sind. Diese Eileiter sind bei Ech. angusta- tus etwas länger als bei Ech. proteus, kaum ausgebildet bei Ech. clavaeceps und entsprechen dem »Trichter«!, den GREEFF als un- paares Organ bei Ech. proteus abbildet. Sie werden scheinbar durch je eine zusammengerollte Muskelplatte gebildet, deren jede aber de facto aus zwei Zellen 2 und © zusammengesetzt wird. Eine Sutur? ist noch wahrnehmbar und verläuft längs den einander zuge- wandten Wänden beider Eileiter (Taf. V Fig. 18). LEUCKART 1 Uber die Uterusglocke und d. Ovarium d. Echinorhynchen. WIEGMANN’s Archiv 1864. 2 Ich gebrauche den Ausdruck Sutur, weil ich bei Ech. angustatus so wenig wie bei Ech. proteus hier einen »Spalt« gesehen habe, den BALTZER bei letzterer Species beobachtet hat. 150 A. Saefftigen spricht nur von einem einzigen »Eikanal« in dieser Region bei Ech. angustatus, GREEFF erwähnt auch nur einen centralen Kanal, der den Hohlraum der Uterusglocke mit dem Uterus (letzteren bezeichnet GREEFF mit Eileiter) bei Ech. miliaris und proteus verbinde, in- dessen glaube ich mit Bestimmtheit behaupten zu dürfen, dass bei unseren drei Species immer zwei Eileiter vorhanden sind, und dass nur durch diese eine Kommunikation zwischen Glocken- resp. Lei- beshöhle und Uterus hergestellt wird. Häufig konnten innerhalb der Eileiter reife Eier wahrgenommen werden (Taf. V Fig. 17, 0). Auf der ventralen Seite, in der hintersten Region des Schluck- apparates, liegen noch drei unpaare Kerne (gelb, Taf. V Fig. 17, 8 und Taf. IV Fig. 9 y), deren Bedeutung mir unklar geblieben ist; ihrer Lage nach entsprechen sie der einzigen unpaaren Zelle g bei Ech. proteus (gelb, Taf. V Fig. II 3, 4, 5, 6 und Taf. IV Fig. 10 und 11 9). Aus Obigem resultirt also, dass am Aufbau des Schluckappara- tes von Ech. angustatus 15 Zellen Theil nehmen. Wir werden gleich sehen, dass die meisten dieser Zellen bei Ech. proteus wieder an- getroffen werden und dass die Analogie ziemlich streng durchge- führt werden kann. Die Gewebselemente der Echinorhynchen zeigen in allen Orga- nen eine Tendenz mit einander zu verschmelzen, das haben wir in der Körpermuskulatur, im Ganglion ete. gesehen. Auch im Schluck- apparate verleugnen sie diese Fähigkeit nicht. So gehen z. B. die grauen Zellen f (Taf. V Fig. 15) nach vorn, indem sie einen Ring bilden, so vollständig in einander über (Taf. V Fig. 14, 3), dass keine Trennungsflächen mehr wahrzunehmen sind; eben so vollstän- dig verschmelzen die Zellen % und 7 zu Eileitern. Dass die eigent- liche Glocke ursprünglich aus zwei Zellen besteht, beweisen die beiden Kerne in ihrer Wand (Taf. IV Fig. 9 e). Dieses Verschmelzen der Elemente bietet eine große Schwierigkeit bei der Untersuchung, tritt namentlich bei Verfolgung einer Zelle auf Schnittserien störend entgegen und ist der Hauptgrund, wesshalb es so schwer ist, sich ein vollkommen richtiges Bild von der Topographie des Schluck- apparates zu machen. | Was nun die histologische Natur des besprochenen Apparates betrifft, so ist sie als durchaus muskulös zu bezeichnen. Wir haben es hier nur mit Muskelzellen und Muskelkernen zu thun. Als in dubio sekretorisch dürften ihrer Form und ihrem optischen Verhal- ten nach die körnigen Zellenpaare d, % und / (Taf. IV Fig. 14) von Zur Organisation der Echinorhynchen. 151 Ech. clavaeceps bezeichnet werden; dieselben entsprechen zwar durch ihre Anordnung den gleich bezeichneten Zellen von Ech. angustatus; an der Peripherie letzterer sind indessen auf Schnitten längslaufende Muskelfibrillen nachweisbar, und sie können daher unmöglich als einzellige Drüsen, wie GREEFF und BALTZER die analogen Zellen d und g von Ech. proteus nennen, angesehen werden. Die Uterusglocke von Ech. proteus ist bereits mehrfach beschrieben und abgebildet worden. Das Ligament spaltet sich hier bekanntlich in zwei solide Stränge (Taf. V Fig. II / Lg), in deren dorsalem zwei große Muskelkerne 5 liegen!. Dieser Strang heftet sich außen an den Glockenschlund und geht, wie sich an Quer- und Längsschnitten verfolgen lässt, un- mittelbar in die Wand des Uterus über. Der ventrale Strang be- herbergt nur einen mächtigen Kern «a (Taf. IV Fig. 10, 11) und dringt in die Glockenhöhle ein. Seine Fibrillen gruppiren sich zu einzel- nen Fasern, welche die beiden axialen Zellen d umfassen (Taf. V Fig. U 7, d). Diese letzten Ausläufer des ventralen Ligamentstran- ges lassen sich nicht so tief wie bei Ech. angustatus in den Glocken- grund hinein verfolgen. Die beiden hinteren axialen Zellen (roth, Taf. V Fig. II 5, %) verschmelzen zu einer mächtigen Muskelmasse, die anfänglich in Gestalt einer Säule den Glockenschlund durchzieht (Taf. V Fig. II 3, 4) und sich in der Mediane an die Wand des letzteren anlegt, so dass zwei laterale Hohlräume entstehen (Fig. II 3 auf Taf. V), ähnlich wie bei Ech. angustatus (vgl. Taf. V Fig. I 3), die unmittelbar in die Lumina der Eileiter übergehen. Diese Muskelmasse bildet in der Region, wo sich die Eileiter Od (Taf. V Fig. II 5) bereits formirt haben, indem sie letztere vollständig umhüllt, den voluminösesten Theil des ganzen Organs. Sie bietet ein dichtes, vacuolenreiches Protoplasmanetz dar (BALTzEr’s Maschenwerk), das sich an der Peripherie zu feinen Ringmuskelfibrillen differenzirt, die nur in der Flächenansicht wahrzunehmen sind bei Betrachtung einer ganzen Uterusglocke von der Seite. Zwei große Kerne (A) liegen neben einander im Netzwerk. Die eigentliche Uterusglocke ist kleiner und gedrungener, als die von Ech. angustatus, ihre beiden Kerne (Taf. IV Fig. 10 1 BALTZER sagt, der Ligamentalstrang trete an diese Zellen (?) heran, rech- net sie also zum Schluckapparat, daher die Zahl der von mir in letzterem be- obachteten Kerne (13) mit BALTZERr’s (15) nicht stimmt. 152 A. Saefftigen und 11e¢, Taf. V Fig. Il 7, e) liegen wie dort im hinteren Theile der ventralen Wand, aber nicht median, sondern neben einander. Auch bei Ech. proteus treten zwei seitliche Taschen (Taf. V Fig. I 2, Git) hinter der Glocke, und dazwischen eine dorsale hin- tere Öffnung Do in die Leibeshöhle auf. Die Taschen werden aus den nämlichen Zellen f (grau) gebildet, die vorn gleichfalls sich zu einem muskulösen, hier stärker entwickelten, die hintere Glocken- partie umfassenden Ringe vereinigen. Die triehterförmig beginnen- den Eileiter (Taf. V Fig. Il 4, 5, 6, Od) entstehen aus den näm- lichen Zellen A und ¢ (Taf. V Fig. I 3). Die hintere ventrale Öffnung fehlt. Längs der ganzen ventralen Seite des Glockenschlundes zieht sich eine unpaare Zelle g (gelb) hin (Taf. V Fig II 2, 3, 4, 5, 6, 9), die scheinbar den drei unpaaren gleich gelegenen Zellen bei Ech. angustatus entspricht. Der Kern liegt in der Mitte der Zelle; nach vorn und hinten läuft sie in zwei Fortsätze aus, deren einer in die Glocke, der andere in den Uterus eindringt (Taf. I Fig. 10 g). Der aus zwölf Zellen bestehende Schluckapparat von Ech. clavaeceps (Taf. IV Fig. 13, 14, 15, Taf. V Fig. III) lässt sich schwerer mit den eben besprochenen vergleichen. Analog den gleich bezeichneten der anderen Arten dürften jedenfalls die Kerne resp. Zellen e, f und 7 sein. Erstere (e) gehören der hier mäch- tig entwickelten Glocke an und sind in deren Ventralwand neben einander wie bei Ech. proteus gelegen (Taf. IV Fig. 13e). Die beiden Taschen f sind hier noch ausgebildeter als bei Ech. angusta- tus; an ihrem freien dorsalen Rande nehmen ‚zwei laterale Längs- muskeln (Taf. IV Fig. 13, 147 und Taf. V Fig. IT 2—6, 7 ihren Ursprung (die korrespondirenden Stellen sind bei den beiden anderen Arten, wo diese Muskeln fehlen, auf den Abbildungen mit einem Kreuz bezeichnet). Diese schmalen Muskelbänder konvergiren in ihrem Verlauf nach hinten und inseriren sich neben einander auf der Dorsalseite dem die Scheide umhüllenden Muskelüberzuge (Taf. IV Fig. 13). In ihrem vorderen Dritttheil beherbergen sie je einen Kern r. An lebenden Thieren lässt es sich konstatiren, dass diese Ränder zu den Schluckbewegungen der Uterusglocke in Beziehung treten. Da, wie schon bemerkt, das Ligament bei Ech. clavaeceps sich nicht in die Uterusglocke einsenkt, sondern in seinem ganzen Um- kreise in den vorderen Rand derselben übergeht — die Glocke er- scheint hier wie ein differenzirter Theil des Ligaments —, so bietet Zur Organisation der Echinorhynchen. 153 es auch keinen Halt fiir axiale Zellen dar. Nur aus Riicksicht auf ihre einigermaßen übereinstimmende Lage, sie schieben sich nämlich auch mehr oder weniger in den Hohlraum des Glockenschlundes ein, sind die Zellenpaare d und / (Taf. IV Fig. 14, Taf. V Fig. III 2, 3) mit den axialen Zellen der anderen Arten gleich bezeichnet. Sie schei- nen eben so wie die Zellen %, die hier wie bei Ech. proteus und an- gustatus im Verein mit dem Zellenpaar 7 (Taf. V Fig. III 4), ohne indessen mit letzterem zu verschmelzen, die Lumina der Eileiter begren- zen, drüsiger Natur zu sein. Durch ihr gleichartig gekiérntes, kein Netzwerk bildendes Protoplasma unterscheiden sich die Zellenpaare d, k, h von den innen maschig, peripherisch fibrillär gebauten Zellen e, f, i, und werden nach Chromsäureeinwirkung fast undurch- sichtig. Wie Ech. proteus besitzt Ech. elavaeceps nur eine hintere, dor- sale, nach vorn schauende Glockenöffnung (Taf. V Fig. III 2). Die Eileiter sind sehr kurz und dürften wohl kaum, wenn man sie an dieser Species zum ersten Male sieht, als solche gedeutet werden; an der unversehrten Glocke sind sie überhaupt nicht zu er- blicken. An der ventralen Seite geht die Uteruswand in derselben Weise, ~ wie sie sich bei Ech. proteus mit dem dorsalen Ligamentstrang ver- bindet, unmittelbar in den zu einem Zipfel verlängerten Theil der eigentlichen Glocke über (Taf. IV Fig. 15). Das Gewebe des Uterus (GrEEFF's Eileiter) stimmt in seinen histologischen Details mit dem der Glocke überein (Taf. IV Fig. 8 bis 15 Ut). Im Allgemeinen sind die Uteruswände mächtiger als die Glockenwände, und die gleichfalls ringlaufenden Muskelfibrillen sind dicker. Die auf Querschnitten papillenartig ins Lumen vorspringen- den Partien der Marksubstanz rühren von Wiilsten her, die den Uterus der ganzen Länge nach durchziehen. Konstant finden sich zwei große Muskelkerne in der Marksubstanz ; bei Ech. proteus und angustatus liegen sie unmittelbar hinter der Mündung der beiden Eileiter (Taf. IV Fig. 8, 10, 12 c), bei Ech. elavaeceps (nach GREEFF’S Zeichnung zu urtheilen auch bei Ech. miliaris) im Hinterende des Uterus dieht vor der Scheide (Taf. IV Fig. 13 c), überall in der dor- salen Wand. Die Muskulatur der Uteruswand geht nicht, wie GREEFF von Ech. miliaris angiebt, auf die Scheide über. Letztere besteht, wie Leuckart das bei Ech. angustatus, BALTzER bei Ech. proteus beob- achtet hat, aus einem inneren, schwächeren und einem äußeren, 154 A. Saefftigen stärkeren Sphincter. Die Uteruswand reicht nur bis zur Ansatzstelle des äußeren Sphincter. Die Befestigung des letzteren geschieht bei Ech. proteus (Taf. V Fig. IX «), wo er nur in seinem mittleren Theile einen massiven Ring darstellt, vorn und hinten aber in einzelne, dicht an einander liegende, spiralig verlaufende Muskelfasern über- geht, in der Weise, dass seine vorderen Fasern den Uterus, wie Querschnitte erweisen, kranzförmig umfassen. Verfolgt man eine Serie von Querschnitten aus dieser Region von hinten nach vorm, so werden die Zwischenräume zwischen diesen Fasern, indem letz- tere an Volum abnehmen, immer größer und schließlich verschwin- den die Fasern. In der Zone zwischen Uterus und innerem Sphincter liegen in zwei neben einander nach vorn auslaufenden Fasern des äußeren Sphincters zwei große, von protoplasmatischer Kap- sel umschlossene Muskelkerne, die den Kernen zc? auf Taf. IV Fig. 13 von Ech. clavaeceps entsprechen. Alle nach hinten sich richtenden Ausläufer des äußeren Sphincters vereinigen sich mit der Längsmuskulatur des Körpers; an der Übergangsstelle sind mehrere Muskelkerne vorhanden. Der innere Sphincter (Taf. V Fig. IX) besteht aus zwei verschmol- zenen Ringen, einem mächtigen vorderen, £ der in der Totalansicht das Aussehen einer Kugel hat, und einem hinteren kleineren y. Beide Theile stehen in vollständigem organischen Zusammenhange und werden nur durch eine leichte Einschnürung getrennt. In der Einschnürung lie- gen neben einander auf der Seite, die den beiden Kernen des äuße- ren Sphincters zugewandt ist, wiederum zwei Muskelkerne, die sowohl dem vorderen wie dem hinteren Theile des Sphincters anzugehören scheinen. Sie entsprechen den Kernen zc? auf Taf. IV Fig. 13 von Ech. clavaeceps, liegen aber bei Ech. proteus hinter den beiden Kernen des äußeren Sphincters. Was den histologischen Bau des inneren Sphincters anbetrifft, so besteht er aus einem protoplasmatischen, sehr feinen Netzwerk, das von Muskelfibrillen durchsetzt wird. Im hinteren Theile ver- laufen die Fibrillen ringförmig, im vorderen spiralig, wobei ihre Richtung an der äußeren Wand senkrecht zu den Fasern des äuße- ren Sphincters steht, das heißt, wenn die Spiralfasern des letzteren von rechts vorn nach links hinten verlaufen, so richten sich die Fibrillen an der Außenwand des inneren Sphincters von links vorn nach reehts hinten. Außer diesen Spiralfibrillen, die sich haupt- sächlich an der äußeren Wand hinziehen, hier BALTZER’s »nach innen zackig vorspringende Randzone« bilden, aber theilweise auch auf die Zur Organisation der Echinorhynchen. 155 innere Wand iibergehen, treten noch andere entweder radial oder auch spiralig sich richtende Fibrillen auf, die den Sphincter in sei- ner ganzen Masse durchsetzen, indem sie sich beiderseits an seine äußere und innere Wand heften. Letztere Fibrillensysteme machen die Funktion dieses bisher als Sphincter bezeichneten Muskelringes, eine Verringerung des Schei- denlumens zu bewirken, zweifelhaft und lassen ihn eher als Anta- gonisten des äußeren Sphincters erscheinen, dessen Wirkung bei Kontraktion seiner längsspiralig verlaufenden Fasern offenbar nur eine Zusammenschnürung des Scheidenlumens sein kann. Das kleine Lumen des inneren Sphincters wird gewöhnlich voll- ständig erfüllt von dem mittleren Theil eines — um mich eines Vergleiches von LEUCKART zu bedienen — stundenglasförmigen Ge- bildes, dessen vordere Kugel im Uterus liegt, die hintere unmittel- bar an die Subeuticula, welche die Geschlechtsöffnung einrahmt, grenzt. Das Ganze wird von einem centralen Kanal durchsetzt und bildet somit die innerste Auskleidung der Scheide. LEUCKART hat diesen Theil bei Ech. angustatus beschrieben und abgebildet; seine vier vorderen und vier hinteren in den beiden erweiterten Partien gelagerten Kerne konnten in der Vollzahl nur bei Ech. clavaeceps wie- dergefunden werden (Taf. IV Fig. 13 ne, nc’). Bei Ech. proteus, wo die vordere Kugel kleiner ist als die hintere und bei jungen Exemplaren in becherförmiger Gestalt auftritt, wie GREEFF das auch bei Ech. mi- liaris abbildet, sind nur in der hinteren vier Kerne wahrzunehmen, dessgleichen bei Ech. angustatus, wo die vordere Kugel fast ver- schwindet, die hintere dagegen mächtig ausgebildet und voluminöser ist als der ganze Muskelapparat der Scheide. LEUCKART nimmt für diese innerste Scheidenauskleidung eine sekretorische Funktion in Anspruch, BALTZER erklärt sie für mus- kulös. Ohne eine eventuelle Kontraktilität absolut leugnen zu kön- nen, da von vorn nach hinten laufende, Muskelfibrillen ähnliche, Streifen sich auf Längsschnitten zeigten, muss ich LEUCKART'S An- sicht beitreten, und zwar aus folgenden Gründen: die eben erwähnten Streifen lassen sich nie in Karminlösungen tingiren, während sonst Muskelfibrillen eine intensiv rothe Färbung annehmen, die Kerne haben keine Ähnlichkeit mit Muskelkernen, erscheinen blasiger, ihre Kernkörper, die bei Muskelzellen außerordentlich stark lichtbrechend sind, werden hier kaum wahrgenommen. In sämmtlichen musku- lösen Elementen haben wir folgende Differenzirungen des Inhaltes gefunden: Marksubstanz (das ist protoplasmatisches Netzwerk + 156 A. Saefftigen Muskelflüssigkeit) und ausschließlich in der Randzone verlaufende kontraktile Fibrillen. Hier dagegen fehlt jegliches Netzwerk und die ganze sonst strukturlose Masse des Organs wird von Streifen durch- setzt. Schließlich erscheint dieser innerste Einschluss der Scheide in frischem Zustande fast undurchsichtig und gelb pigmentirt, was bei Muskelgewebe niemals der Fall ist. Der männliche Geschlechtsapparat der Echinorhynehen (s. Fig. IV auf Taf. V) besteht bekanntlich aus zwei, selten drei Hoden! (7) mit je einem Samenleiter (vd), die sich, nachdem jeder von ihnen drei beutelförmige Ausstülpungen gebildet (v.s), im hinte- ren Körperabschnitt zu einem gemeinschaftlichen Vas efferens (v.ef) vereinigen; die drei Ausstülpungen des rechten Samenleiters sind den dreien des linken paarig, wenn sie auch durch Verschiebung unsymmetrisch gelagert erscheinen. Das Vas efferens erhält einen muskulösen Überzug und mündet als Ductus ejaculatorius nach län- gerem, bei eingezogener Bursa (Drs) schlingenartig gewundenem Verlaufe im Penis (P). Als drüsige Anhangsorgane treten an unse- ren drei Arten nur noch drei Paar sogenannter Kittdrüsen (Adr) auf, alles Übrige ist muskulöser Natur. Das Ligament (Zg) tritt scheinbar als solider Strang an den vordersten Hoden heran, umfasst ihn indem seine Wände trichter- artig aus einander weichen und überzieht als ununterbrochene Mem- bran, die histologisch mit dem Ligament der Weibchen übereinstimmt, beide Hoden nebst Samenleitern so wie die Kittdrüsen. Faltenbildungen, wie sie im Ligament von Ech. gigas beschrie- ben worden sind, fehlen hier, eben so wenig existirt ein Zusammen- hang mit der Körperwand, der beim Männchen von Ech. gigas durch Muskelzüge, die sich von der Körpermuskulatur loslösen und an das Ligament herantreten, gebildet wird. Im Innern des Ligaments werden die Hoden noch von einer zweiten außerordentlich dünnen strukturlosen Membran umschlossen: ob diese sich auch auf die Kittdrüsen erstreckt, konnte nicht kon- statirt werden. Das Ligament lässt sich bis in die weiter unten zu beschrei- 1 Lınstow hat beide Hoden bei jungen Ech. angustatus vereinigt gesehen; auch ich fand zufällig ein junges Exemplar dieser Species mit nur einem länglichen Hoden, aus dessen vorderem und hinterem Theil je ein Samenleiter entsprang ; die Zweitheilung war schon eingeleitet durch eine in der Mitte des Hodens ringförmig und schräg zur Achse verlaufende Einschnürung. Zur Organisation der Echinorhynchen. 157 bende Genitalscheide (GS) hinein, mit der es sich vereinigt!, ver- folgen. Weder einzellige Driisen, noch Ganglienzellen finden sich in ihm, sondern es treten in seiner Wand, wie bei den Weibchen, vereinzelte Muskelkerne auf, die fiir erstere gehalten worden sind. Die drei beutelförmigen Erweiterungen an jedem Samenleiter von Ech. proteus (Taf. V Fig. IV) und Ech. angustatus variiren bei verschiedenen Individuen in ihren Dimensionen und können, aller- dings in seltenen Fällen, den Kittdrüsen an Umfang nahezu gleich kommen. Histologisch stimmen sie mit den Samenleitern überein, d. h. ihre Membran ist die unmittelbare Fortsetzung der sehr dün- nen Wand des Samenleiters, und ihr Inhalt besteht auch nur aus Spermatozoen. Wenn bei den Echinorhynchen von Samenblasen die Rede sein kann, so müssen diese Beutel als solche betrachtet werden, wie das auch LEUCKART und PAGENSTECHER thun. Wir werden weiter unten sehen, dass dasjenige Organ, welches bisher von anderen Autoren als Samenblase gedeutet wurde, rein muskulöser Natur ist. Der Verlauf der Samenleiter ist bei Ech. elavaeceps komplieir- ter, es finden dort Schlingenbildungen der Samenleiter statt, dabei vereinigen sich je zwei paarige Vesiculae seminales beider Samen- leiter zu einer verhältnismäßig umfangreichen Blase. Die Verschmel- zung ist eine vollständige, und die ursprüngliche Zweitheiligkeit des Organs nur noch durch eine ringförmige Einschnürung angedeutet, im Innern ist keine Scheidewand mehr vorhanden. Es werden also die bei den anderen Species in der Sechszahl auftretenden Samen- blasen bei Ech. clavaeceps auf drei reducirt. Die Form und Lage der Kittdrüsen von Ech. angustatus und clavaeceps stimmt mit den von Ech. proteus (Taf. V Fig. IV Kar) überein, ihr Umfang verhält sich bei den drei Arten proportional zur Körperlänge. Die sekretorischen Elemente der Kittdrüsen bilden zarte, membranlose Zellen, deren Grenzen sich zwar nicht unterschei- den lassen, die aber auf Schnitten doch einzeln wahrnehmbar sind durch ihr gestreiftes Protoplasma. Die Streifung läuft zum Aus- führungsgange hin (Taf. III Fig. 15). Diese Zellen besitzen einen runden Kern (ne) von 0,01 —0,03 mm Durchmesser; der Kernkör- per ist weniger lichtbrechend als in Muskelkernen. Dort, wo die Kittdrüse in den Ausführungsgang übergeht, findet sich ein geräu- ı Manchmal schien es, als löse sich das Ligament hinten in die Muskel- bänder mk und mk! (Taf. V Fig. X und XI) auf. 158 A. Saefftigen miger, gewöhnlich von Kittmasse erfüllter Hof (7), der nur von den secernirenden Zellen begrenzt wird. Die Kittmasse scheint durch einen Degenerationsprocess der Zellen zu entstehen. Alles Obige gilt von geschlechtsreifen Thieren. In früheren Entwicklungsstadien wurden die Kittdrüsen innen vollständig ho- mogen, oft gleichmäßig fein gekörnt gefunden, von Kernen war nichts zu sehen, auch der Hof fehlte. Nach außen werden die Kitt- drüsen durch eine außerordentlich dünne, kaum wahrnehmbare Membrana propria begrenzt!. Darüber zieht sich das Ligament hin. Der hinter den Kittdrüsen gelegene Theil des männlichen Ge- schlechtsapparates ist am eingehendsten von LEUCKART bei Ech. gigas geschildert worden. Gleich hinter dem letzten Kittdrüsenpaar werden die zu einer Säule gruppirten Kitt- und Samengänge der drei von mir untersuchten Arten von einer muskulösen Scheide, der Genitalscheide, umkleidet (Taf. V Fig. IV, X und XI GS). LEUCKART hat schon bemerkt, dass diese bei den kleineren Arten, ähnlich wie der Lemniskenmantel, von der Körpermuskulatur ihren Ur- sprung nimmt. Das geschieht in Gestalt zweier von den Längs- muskeln des Körpers sich abzweigender, lateraler Muskelstränge (Taf. V Fig. IV und X mstr), die sich mantelförmig um die Kitt- gänge und Samenleiter zu einer sich nach hinten erstreckenden cylindrischen Genitalscheide vereinigen. Diese Scheide ist 0,02 mm diek und erinnert in ihrem Bau an die Rüsselscheiden. Die kon- traktilen Fibrillen sind an der äußeren Wand zu Ringmuskelfasern gruppirt; einzelne große Kerne (auf Grenrr’s Zeichnung mit e bezeichnet und als Nervenzellen gedeutet) liegen zumeist in der hin- teren Region in der Marksubstanz (Taf. V Fig. X u. XI rc), welche auf Lingsschnitten ähnliche, nur weniger ausgeprägte, papillöse Vorsprünge nach innen zeigt, wie die Rüsselscheiden. Innerhalb der Genitalscheide liegen, wie Querschnitte (Taf. V Fig. XI) zeigen, in der Mediane auf der Ventralseite die beiden Samenleiter (Schnitt 1 vd); diese vereinigen sich im mittleren Dritt- theil der Scheide zu einem Vas efferens (Schnitt 3 und Fig. IV v.eff)), welches sich vor dem Übergange in den Ductus ejaculatorius (Schnitt 6, 7) bedeutend erweitert. Symmetrisch zu beiden Seiten der Sa- menleiter liegen je drei Kittgänge (Kg), die nach einleitender Er- weiterung (Schnitt 5), zu einem gemeinsamen Reservoir verschmelzen, 1 SCHNEIDER hält die entsprechenden Organe von Ech. gigas für einzellige Drüsen. Zur Organisation der Echinorhynchen. 159 in welches ihre urspriinglichen geschlossenen Wandungen septenartig hineinragen (Schnitt 6). Dieses Reservoir ergießt sich hier in den Ductus ejaculatorius, nicht, wie es GREEFF schien, und wie auch Linstow von Ech. angustatus angiebt, vermittels zweier Ausführungsgänge, die rechts und links vom Penis münden sollen, direkt nach außen in die Bursa. Für die Funktion der Kittdrüsen und die Bedeutung ihres Sekrets als »Stopfmasse«, wie es bezeichnet worden ist, wären allerdings gesonderte Öffnungen plausibler, aber trotz des eifrigsten Nachforschens an Serien von Längs- und Querschnitten gelang es nicht, solche Mündungen, wie sie von Linsrow bei Ech. angustatus rechts und links vom Penis angegeben werden, wiederzufinden. Andererseits wurde an zwei Exemplaren von Ech. proteus auf Schnitten Kittmasse im Ductus ejaculatorius konstatirt; sie lässt sich von der Samenmasse leicht unterscheiden, da ihre Partikel stark lichtbrechend sind. Gegen die Existenz zweier Ausführöffnungen spricht auch das oben erwähnte gemeinsame Reservoir der Kitt- gänge. Die Genitalscheide trennt sich hinten wieder in zwei Partien, deren ventrale die Bildung des muskulösen Duct. ejacul. übernimmt. Auf Querschnitten aus dieser Region erhält man folgende Bilder: Das ventrale dem Vas efferens anliegende Segment der ursprünglich in Kreisform auftretenden Genitalscheide löst sich vom größeren, dor- salen ab und umfasst das Vas efferens erst in Gestalt eines Halbmon- des (Schnitt 6), dann vollständig, um ein geschlossenes Muskelrohr zu formiren, in dessen starker Wand mehrfach Kerne eingelagert sind (Taf. V Fig. XI 7, det). Dieser Ductus besitzt eine beträchtliche Länge; bei eingezogener Bursa tritt das nicht so deutlich hervor, weil er sich dann schlingenartig faltet; schließlich mündet er auf der Spitze des muskulösen Penis nach außen (Taf. V Fig. X P). Das hintere Körperende der männlichen Echinorhynehen er- scheint gewöhnlich eingestülpt in Form einer sogenannten Bursa (Taf. V Fig. IV und X Brs), in deren Grunde sich zwei Bursaltaschen (Bt) rechts und links vom Penis differenziren. Die Weite der Öffnung, durch welehe die Hohlräume der Taschen mit dem der eingestülpten Bursa kommuniciren, verändert sich durch die Wirkung der Muskelkappe M%, welche im Grunde der Bursa deren Subcuti- eula vorn aufliegt; gewöhnlich erscheinen die Bursaltaschen in Ge- stalt zweier Hohlkugeln. Bei ausgestülpter Bursa werden auch die Taschen ausgestülpt, und das hinterste Körperende breitet sich dann aus. 160 A. Saefftigen Die Bursa besteht in ihrer Hauptmasse aus einer Fortsetzung der Subeuticula, nur in ihrem Grunde reducirt sich letztere zu einer dünnen Schicht (Taf. V Fig. X). Hier wird sie kappenartig von einem mächtigen glockenférmigen Muskel (Mk) umfangen, wel- cher am meisten zur Formirung der Bursaltaschen und des Penis beiträgt. Um den Penis herum bildet er mit Betheiligung des Uber- zuges von Subeuticula zahlreiche Papillen (pl). Einzelne winzige Kerne finden sich in dieser Region der Subcuticula. Etwaige Ner- ven, welche zu diesen Papillen herantreten, konnten nicht gefunden werden. Nach hinten läuft die Bursalmuskelkappe in zahlreiche lange Zacken aus, welche in Gestalt einer Krone die eingestülpte Bursa außen umfangen (Taf. V Fig. IV). Der Bau der Muskelkappe stimmt mit dem allgemeinen Typus des Muskelgewebes überein, d. h. die Fibrillen treten zu Fasern zusammen, die ringförmig an den Außenwänden verlaufen; das weite Innere wird von Muskelflüs- sigkeit erfüllt und von einem spärlichen Protoplasmanetz durchzogen; Kerne sind nicht vorhanden. An ihrem Scheitel steht die Muskel- kappe vermittels eines hohlen Stieles (Taf. V Fig. X und XI S#) in Zusammenhang mit einer großen, dünnwandigen birnförmigen Blase, die in der Genitalscheide dorsal vom Vas efferens liegt und vielfach als Samenblase bezeichnet wurde (Taf. V Fig. X und XI M2). LEUCKART und SIEBOLD, welche auch diesen Ausdruck gebrauch- ten, war schon der drüsige Charakter dieses Organs zweifelhaft. Liystow behauptet zwar in demselben Samen gesehen zu haben, in- dessen dürfte diese Beobachtung wohl auf einem Irrthum beruhen, da das Gebilde mit den Ausführungsgängen des Geschlechtsappara- tes durchaus in keinem Zusammenhange steht und überhaupt einer Mündung nach außen entbehrt. Es ist vielmehr ein Muskelmark- beutel, dessen Wände durch den, bei eingestülpter Bursa gewunde- nen, oben erwähnten Stiel (.S¢) in die der Bursalmuskelkappe übergehen. Im Inneren des Beutels finden sich konstant bei allen drei Species zwei große Muskelkerne im protoplasmatischen weitmaschigen Netz- werk eingebettet (s. Fig. X auf Taf. V). Es sind das Verhältnisse, die sehr an die in den Rüsselretraktoren beschriebenen erinnern, nur dass sich an der Wand des Markbeutels kein fibrillär differenzirtes Muskelplasma findet, wie dort. Die Hohlräume im Protoplasmanetz werden von der nämlichen Muskelflüssigkeit erfüllt, die wir in der Bursalmuskelkappe gefunden. Nach Einwirkung von Chromsäure und Alkohol erhält sie ein überaus feinkörniges, überall gleichartiges Aussehen und färbt sich in Boraxkarmin verhältnismäßig intensiv. Zur Organisation der Echinorhynchen. 161 Dieser große Markbeutel wird von einer überall eng anliegenden Muskelscheide umgeben, die genau so gebaut ist, wie die Genital- scheide (Taf. V Fig. X und XI S), vorn ist sie geschlossen, hinten scheint ihre Wand mit der Genitalscheide im Zusammenhang zu stehen. Da der Markbeutel wegen Mangels an kontraktilen Elemen- ten keiner selbständigen Kontraktion fähig ist, so dient dieser Mus- kelüberzug dazu, ihn zu komprimiren und seinen Inhalt in die Bursalkappe zu treiben. Auf diese Weise tritt der ganze Apparat augenscheinlich zur Ausstülpung der Bursaltaschen und vielleicht auch zur Erektion des Penis in Beziehung. Von den übrigen Einschlüssen der Genitalscheide seien noch zwei Muskelbänder erwähnt, welche hinten (Taf. V Fig. XI Schnitt 6 »%) mächtiger, vorn (Schnitt 3) dünner, von den Nervenstämmchen N! begleitet, zu beiden Seiten des Vas efferens hinziehen und aus der vorderen Offnung der Genitalscheide heraustretend sich in einzelne Fasern auflösen, die beide Samenleiter umgeben und scheinbar mit dem Ligament sich vereinigen. Die Längsmuskelfasern des Körpers setzen sich auch auf die eingestülpte Bursa fort (Taf. V Fig. X), die Ringmuskulatur nicht. Erstere überziehen Bursa nebst Bursalkappe und treten an die hin- tere Öffnung der Genitalscheide heran. Anmerkung: P. M&enin (Recherches sur loorganisation et le développement des Echinorhynques. Bulletin d. 1. Soc. Zoolog. de France. 7. année No. 5. 1882) hält die Lemnisken für rückge- bildete Darmkaniile, und das giebt ihm Veranlassung die Echino- rhynchen im System näher zu den Trematoden zu stellen. Im Lar- venzustande sollen die Echinorhynchen einen zweigetheilten Darmkanal besitzen. MrGNrN stützt sich auf Beobachtungen an eingekapselten Larven von Ech. proteus und anderen unbestimmten Arten, die er in Varanus und Machetes gefunden hat. Die beigegebenen ober- flächlichen Zeichnungen sind für eine derartige Auffassung wenig überzeugend. Das was Me£esnın Mund (ouverture buccale) nennt, sieht aus wie das Lumen des basalen Theiles des eingestülpten Halses, sein Pharynx dürfte dem Halse selbst entsprechen, an dem die beiden Lemnisken hängen, wie das auch beim eingestülpten Halse eines erwachsenen Ech. angustatus der Fall ist. Dass dieser Theil ampullenförmig aufgetrieben erscheint, verursacht die Lage Morpholog. Jahrbuch. 10. 11 162 A. Saefftigen der Lemnisken, die bei Méanin’s Larve einander genähert und ne- ben einander befestigt sind. Hierdurch würde ein einseitiger Zug auf den eingestülpten Hals ausgeübt werden und dieser in Folge dessen eine Aussackung zeigen. Die bei ausgebildeten Thieren mit stark verzweigten Kanälen ausgestatteten und in ihrer Gestalt gedrungenen Lemnisken sollen im Larvenstadium als den Körper an Länge übertreffende, daher gekriimmte Darmkanäle in Schlauchform mit einem einzigen ramifi- eirten Centralkanal versehen sein — daher die Analogie mit dem Trematodendarm. Indessen citirt MEGnIın selbst eine Species, den Ech. brevicollis aus Balaenoptera Sieboldi, eine entwickelte Form, bei welcher die Lemnisken gleichfalls sehr lang und schlauchförmig sind. Diese Organe könnten doch unmöglich die Funktion von »ga- stro-intestins«, wie sie genannt werden, übernehmen, wenn sie in den »canal annulaire cervical« münden, der dem Ringkanal des Hal- ses unserer Arten entspricht, und von dem auch Mranin zugiebt, dass er mit dem äußeren Medium in keine direkte Beziehungen tritt. Eben so sahen wir bei Ech. claviceps sehr lange Lemnisken in Ge- stalt diekwandiger cylindrischer Röhren; hielte man diese gleichfalls für abortive Darmkanäle, was sollten dann die riesigen Kerne in ihrem Achsenkanal für einen Sinn haben? Gesetzt es fänden sich in Larvenzuständen, wie MEGNINn das beschreibt, Mündungen der Lemnisken nach außen, die bei ent- wickelten Thieren jedenfalls fehlen, so würde demnach bei der auf Taf. II Fig. 1 abgebildeten Larve der eingestülpte Rüssel einen Hohlraum bilden, der mit den Darmkanälen kommunicirte, die Rüs- selhaken lägen also in einem Anhange des Darmkanals, denn eine Scheidung beider Theile resultirt weder aus dem Text, noch aus den Zeichnungen. MEGNIN basirt seine Ansicht offenbar nur auf Beobachtungen an Totalpräparaten, sonst wäre ihm wohl schwerlich das Vorhandensein der komplieirten Uterusglocke der Weibchen, des Ligaments der Männ- ‘chen entgangen. Das weibliche Ligament nennt M&enin »rudiment d’ovaire«, später in der Periode der Eireife »sac ovarien«, und schließ- lich soll es zum Uterus werden. Bei geschlechtsreifen Thieren, sagt er, kleide das Ovarium die ganze innere Leibeshöhle aus und setze sich unmittelbar fort (Ech. proteus nicht ausgenommen, die Zeichnungen sind gerade nach dieser Species entworfen) in den »oviducte, sous forme d’un tube a plusieurs renfléments, termine en avant en pavillon de trompette« (letzterer offenbar unsere Uterus- Zur Organisation der Echinorhynchen. 163 glocke). Dass die Eier aus dem »sac ovarien« in die Leibeshöhle gerathen, giebt der Autor nicht zu; aus ersterem nehmen sie ihren direkten Weg in den »oviducte« und werden nach außen gefördert nicht durch die Schluckbewegungen der Glocke, sondern bloß durch Körperkontraktionen. Das Alles sind Verhältnisse, wie sie speciell bei Ech. proteus schon längst als falsch erkannt worden sind. Auf der Darstellung, welche M&EGNın von einem männlichen Ech. proteus giebt, hängen die Hoden an zwei Strängen, die sich durch nichts von den am Weibchen abgebildeten beiden »Ligaments du receptacle« (wahrscheinlich retinacula) unterscheiden, am Grunde der Rüsselscheide. Der eine Hoden setzt sich in einen unförmlichen nach hinten laufen- den Schlauch fort, der andere erscheint isolirt. Die sechs Kittdrüsen werden mit »vésicules seminales« bezeichnet, die gleichen langgezoge- nen Drüsen von Ech. brevicollis hält MEsnıv für Samenleiter. Die Hoden letzterer Species werden durch nichts in ihrer Lage fixirt, sondern schweben, nach der Zeichnung zu schließen, frei in der Lei- beshöhle. Die eingestülpte Bursa wird »canal urethral« genannt und der Penis, auf der Zeichnung in seiner richtigen Lage angedeutet, ins äußerste Ende des canal urethral verlegt. Heidelberg,- den 22. Februar 1884. Erklärung der Abbildungen. Bedeutung der Buchstaben. a die beiden Zellen an der Rüsselspitze und Kerne im ventralen Li- gamentstrang von Ech. proteus, « äußerer Sphincter der weiblichen Scheide, B Ausführungsgang einer Kittdrüse, b Kerne im dorsalen Ligamentstrang von Ech. proteus, 8 vordere Partie des inneren Sphincters der weiblichen Scheide, Brs Bursa, Bt Bursaltaschen, e Kerne in der Uteruswand, ch chitinihnliche Schicht im Rüssel, ck Centralkanal der Haken, elf Cirkulär- und Longitudinalfasersysteme der Subcuticula, ct Cuticula, d vorderes Achsenzellenpaar der Uterusglocke, det Ductus ejaculatorius, Dk dorsaler Kanal in der Subeuticula von Ech. elavaeceps, e Kerne der eigentlichen Uterusglocke, f Kerne in den Glockentaschen, fb Muskelfibrillen, fk Nervenfaserkreuzung im Ganglion, G Hirnganglion, g unpaare ventrale Kerne des Glockenschlundes, y hintere Partie des inneren Sphincters der weiblichen Scheide, Gl eigentliche Uterusglocke, Gin Geschlechtsganglion, Gilt Glockentaschen, GS männliche Genitalscheide, H Hof in den Kittdrüsen, h dorsales Zellenpaar des Glockenschlundes, hDo hintere Dorsalöffnung der Glocke, hl Hohlraum in den Muskelfasern und in den Retinakeln, hVo hintere ventrale Glockenöffnung, hW hinterer Fortsatz der Hakenwurzel, i seitliche Zellen des Glockenschlundes, k hinteres Achsenzellenpaar der Glocke, Kdr Kittdrüsen, ' Kg Kittgänge, Zur Organisation der Echinorhynchen. 165 KR gemeinsames Reservoir der Kittgänge, I Lemniskea, ? Muskelbänder an der Uterusglocke von Ech. elavaeceps, Lg Ligament, !k Längskanäle der Subcuticula und der Lemnisken, IM Lemniskenmantel, Lm zweite Körperlängsmuskelschieht von Ech. proteus dem Lemnis- kenmantel entsprechend, Im Körperlängsmuskulatur, m Marksubstanz der Muskulatur, Mb großer Markbeutel, Mk: Bursalmuskelkappe, mstr Muskelstringe, N, N!, N? vom Geschlechtsganglion entspringende Nerven, n, n!, n® vom Hirnganglion entspringende Nerven, ne, nel, nc?, ned, ne Kerne, nel Kernkörper, ° nel! Nebenkernkörper, o Eier, od Eileiter, P Penis, p Pulpa der Haken, pfs Parallelfaserschicht der Lemnisken, pl Papillen um den Penis, r in der Achse des Halses verlaufende Rüsselretraktoren, r' rücklaufende Rüsselretraktoren, Rr Retraktoren der Riisselscheide, af Radialfaserschicht der Subcuticula, Rk Ringkanal der Subcuticula, rm Ringmuskelfasern, RS äußere Rüsselscheide, RS’ innere Rüsselscheide, rtn Retinacula, S Muskelscheide des Markbeutels, sc Subcuticula, sct sogenannte Streifencuticula, si Sarkolemm, St Markbeutelstiel, T Hoden, Ut Uterus, v Vacuolen, vd Vasa deferentia, v.eff Vas efferens, Vk ventraler Kanal in der Subeutieula von Ech. clavaeceps. vs Vesiculae seminales, vw vordere Fortsätze der Hakenwurzeln. 166 Fig. Fig. Fig. Fig. {or} “1 A. Saefftigen Tafel III. Ech. proteus. Querschnitt durch die Körperwand. ct Cuticula, set sogenannte Streifencuticula, c/f Circuliir- und Longitudinalfasern der Subeutieula, 7f radiäre Fasern der Subcuticula, ne Subcuticulakerne in der Zone der radiären Fasern, rm Ringmuskulatur, ve’ ein Kern derselben, 7m Längsmuskulatur, 7k Längskanäle in der Subcuticula. Vergr. 190. Ech. angustatus. Querschnitt durch die Mitte des Halses. se Subcuticula, Zm Längsmuskelfasern der Körperwand, RS äußere, RS! innere Rüsselscheide, nc die beiden Kerne der inneren Rüssel- scheide, welche den gleichbezeichneten Kernen von Ech. proteus ent- sprechen (s. Taf. V Fig. V ne), n der vordere Nervenstamm, r Re- traktoren des Riissels. Vergr. 230. Ech. proteus. Querschnitt durch den vordersten Theil des Rumpfes, gleich hinter den Lemniskenwurzeln geführt. (Die Subcuticula se ist bei geringerer Vergrößerung entworfen, als die übrige Zeichnung.) Im innere Längsmuskelschicht der Körperwand, analog dem Lemnis- kenmantel der anderen Arten, nc Kerne in deren Fasern, // Längs- kanäle in den Lemnisken, nc! Kerne der äußeren Riisselscheide (s. Taf. V Fig. V ne), rtn Wurzeln der Retinacula, G Ganglion. Die übrigen Bezeichnungen wie oben. Vergr. 145. Osmiumpräparat. Ech. clavaeceps. Querschnitt durch den Vorderkörper bei einge- zogenem Rüssel. WA Ventralkanal der Subcuticula, DA Dorsalkanal, Rk Ringkanal, Z Lemnisken, gleich hinter ihrer Anheftungssteile an der Körperwand durchschnitten, ZM Lemniskenmantel, a eine der beiden Zellen (hintere), die zwischen den Retraktoren des Riissels liegen. Übrige Bezeichnungen wie oben. Vergr. 300. Ech. clavaeceps. Querschnitt durch die Rüsselscheide in der Ge- gend des Ganglion. RS Äußere, RS! innere Rüsselscheide, r Rüssel- retraktoren, G Ganglion, im Inneren desselben sieht man die Kreuzung fk der Fasern der Nervenstämme »!, welch letztere in die Retina- cula eintreten, und die Faserkreuzung f%!, an der die Fasern der vor- deren lateralen Nervenstämme Theil nehmen (vgl. den Austritt der Nerven »! und n? aus dem Ganglion auf Fig. VI, Taf. V). Vergr. 440. Ech. proteus. Querschnitt durch einen Lemniscus. /k die beiden Hauptlängskanäle, 7/1 sekundäre Kanäle, pfs peripherische Parallel- faserschicht, rf Radialfasern, den Radialfasern der Subeuticula ent- sprechend, ne Kerne. Vergr. 145. Ech. proteus. Längsschnitt durch einen Lemniscus. /% Hauptlängs- kanal zahlreiche Kerne ne bergend, pfs Parallelfaserschicht, 7f radiäre Fasern. Ech. elavaeceps. Querschnitt durch einen Lemniscus. Der große Kern n erfüllt vollständig das Lumen des Längskanals, ne? Haupt- kernkörper, nel! Nebenkernkörper.- Vergr. 270. Osmiumpriparat. Ech. proteus. Längsschnitt durch die Körperwand. 7f radiäre Fasern der Subcuticula (die Cirkulär- und Longitudinalfasersysteme sind nicht mit gezeichnet), m Ringmuskulatur, die kontraktilen Fi- brillen /5 verlaufen zu Muskelfasern gruppirt theilweise in der allge- meinen Markschicht m, theilweise von dieser getrennt, nc Kern in der 18.11, Fig. Fig. Sle 12. „13. , 14) . 16. ist: Zur Ornanisation der Echinorhynchen. 167 Ringmuskelschicht, /m Längsmuskulatur, m! ihre Marksubstanz Fb! ihre kontraktilen Fibrillen, ne! Längsmuskelkern, ne? Kernkörper, nel! Ne- benkernkörper, s? Sarkolemm. Vergr. 230. Ech. gigas. Querschnitt durch eine Ringmuskelfaser. fb zu Platten gruppirte kontraktile Fibrillen, m Marksubstanz, 72 Hohlraum in der Faser, sl Sarkolemm. Alkoholpräparat. Ech. elavaeceps. Querschnitt durch eine Muskelfaser des Lem- niskenmantels. Unmittelbar unter dem Sarkolemm s/ bilden die Fi- brillencylinder fd eine peripherische Lage, im Centrum der Faser die Kerne ne von Marksubstanz m umgeben. Vergr. 270. Ech. angustatus. Querschnitt mitten durch das Ganglion. n! hin- tere laterale, in die Retinacula eintretende Nerven, fz Kreuzung ihrer Fasern, n nach vorn sich richtende Nervenfasern. An der Peripherie des Ganglions liegen deutlich konturirte Nervenzellen mit Kernen ne und Kernkörpern nel. Im Centrum protoplasmatisches Netzwerk mit zahlreichen Vacuolen v. Vergr. 440. Ech. angustatus. Querschnitt durch ein Retinaculum. x! hinterer lateraler Nervenstamm im Hohlraum des Retinaculum AZ gelegen, wel- cher mit der Leibeshöhle kommunieirt. f5 Muskelfibrillen. Vergr. 440. Ech. elavaeceps. Querschnitte durch ein Retinaculum, J gleich nach dem Austritt aus der Rüsselscheide, ZZ unweit der Ansatzstelle an die Körperwand durchschnitten. Bezeichnungen wie auf Fig. 13. Vergr. 440. Ech. proteus. Längsschnitt durch eine Kittdriise. ne Kerne der sekretorischen Elemente, H Hof, B Ausführungsgang, Zg umhüllende Fortsetzung des Ligaments. Vergr. 110. Ech. proteus. Ligament. o junge Eizellen an einem Nest, das vermittels der Fibrillen fd am Ligament hängt. Vergr. 230. Osmium- präparat. Ech. proteus. Trichterförmiges Nest mit Eiballen, vom Ligament abgetrennt. ov! Eiballen mit vielen Kernen (Theilungsprodukte des ur- sprünglichen Eizellkerns), ov? Eiballen, in welchem sich das Protoplasma eben um die Kerne sondert, ov? Eiballen mit definitiv ausgebildeten Tochterzellen erfüllt. Vergr. 170. Osmiumpräparat. Tafel IV. Ech. proteus. Ligament. Über der allgemeinen, gefensterten, Längsfibrillen enthaltenden Ligamentschicht Zy die zweite, auch ge- fensterte Schicht Zg!, vorzugsweise querlaufende Fibrillen enthaltend, ne Kern des Ligaments, nc/ Kernkörper. Vergr. 230. Osmiumpräparat. Ech. proteus. Ringmuskulatur der Körperwand. fb kontraktile Fi- brillen zu Muskelfasern gruppirt, m Markschicht, ne Kern. Vergr. 270. Osmiumpriiparat. Ech. angustatus. Längsschnitt durch die Rüsselspitze. sc Sub- cuticula, ct Cuticula, p Hakenpulpa, ck Centralkanal der Haken, vw vordere Fortsätze der Hakenwurzeln, Aw ihre hinteren Fortsätze, % Kanäle in der Subeuticula, + nach vorn ziehende Rüsselretraktoren, r! ihre rücklaufenden Theile, a die beiden Zellen zwischen den Re- 168 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. -! 10. Mile 12. A. Saefftigen traktoren. Die chitinartige Schicht zwischen der Subeuticula und Ringmuskulatur rm ist nicht abgebildet. Vergr. 110. Ech. angustatus. Ein Haken aus dem mittleren Theil des Rüssels in halb seitlicher Ansicht. Ech. angustatus. Querschnitt durch die Mitte des Rüssels. Be- zeichnungen wie auf Fig. 3. ch chitinähnliche Schicht, me Kerne in der Subeutieula. Ech. proteus. Querschnitt durch den Rüssel nicht weit von der Spitze. Dieselben Bezeichnungen. Vergr. 230. Ech. proteus. Querschnitt durch den hinteren Theil des Rüssels, n Nerven, übrige Bezeichnungen wie auf Fig. 3. Die rücklaufenden Riisselretraktoren enthalten nur an der äußeren, der Ringmuskulatur zugekehrten Wand: kontraktile Fibrillen, die innere Wand besteht nur aus Sarkolemm s/. In der starken chitinösen Schicht ch finden sich groBe Liicken. Vergr. 230, Ech. angustatus. Uterusglocke in Dorsalansicht. Zg Ligament, Gl eigentliche Glocke, Git Glockentaschen, Do hintere Dorsalöffnung, Od Eileiter, Ut Uterus, d und %k axiale, vom Ligament theilweise um- schlossene Zellenpaare, A und 7 paarige Zellen des Glockenschlundes durch Zusammenkrümmung jederseits den Eileiter herstellend. Vor den Zellen % die hintere herzförmige dorsale Glockenöffnung, e die beiden Kerne in der Uteruswand. Die numerirten Pfeile zeigen die Stellen an, aus welchen die Querschnitte 1—9 auf Fig. I Taf. V ent- nommen sind. Vergr. 155. Verdünnte Pikrinschwefelsäure, Glycerin. Ech. angustatus. Die nämliche Uterusglocke in Ventralansicht. Bezeichnungen wie auf voriger Figur. Das Zellenpaar % ist durch die dicke Glockenwand hindurch nicht wahrnehmbar. e die beiden Kerne der Glockenwand, f Kerne der Glockentaschen, g drei unpaare Kerne des Glockenschlundes, der einzigen gleichbezeichneten Zelle von Ech. proteus entsprechend, vor ihnen die hintere, ventrale Glocken- öffnung hVo (vgl. Taf. V Fig. I). Vergr. 155. Verdünnte Pikrin- schwefelsäure, Glycerin. Ech. proteus. Uterusglocke eines jungen Thieres von $ mm Länge in Seitenansicht. «a ein Kern im ventralen Ligamentzipfel, 2 die zwei Kerne im dorsalen Ligamentzipfel (sie decken sich in der Seiten- ansicht), ov unreife Eiballen im Ligament. Übrige Bezeichnungen wie auf Fig.$ und 9. Die numerirten Pfeile bezeichnen die Richtung, in welcher die Schitte 1—6 auf Taf. V Fig. II geführt worden sind. Vergr. 155. Ech. proteus. Die nämliche Uterusglocke in Ventralansicht. Be- zeichnungen wie in den vorigen Figuren (vgl. Taf. V Fig. II 1-5). Vergr. 155. Ech. proteus. Die nämliche Uterusglocke in Dorsalansicht, mit den nämlichen Bezeichnungen, wie oben, » Vacuolen in den Kernen des Uterus. Vergr. 155. Ech. clavaeceps. Uterusglocke in Dorsalansicht nebst Uterus und Scheide. 7 die Kerne in den beiden Muskelbändern. Die Kerne ¢ in der Uteruswand sind bei dieser Species nach hinten gerückt. ne zwei der vier vorderen, ve! zwei der vier hinteren Kerne im Fig. Fig. Fig. Zur Organisation der Echinorhynchen. 169 innersten, driisigen Einschluss der Scheide, letztere entsprechen den gleichbezeichneten Kernen von Ech. proteus, vgl. Fig. IX auf Taf. III. n? die beiden Kerne des inneren Sphincters, vgl. die Kreuze auf Taf. V Fig. IX. x? die beiden Kerne im äußeren Sphincter, vgl. die Doppelkreuze auf Taf. V Fig. IX. o reifes Ei in der Glockenhöhle, sc Subeuticula des hinteren Körperendes. Die übrigen Bezeichnungen wie auf den Abbildungen der beiden anderen Arten (Fig. 8—12). (Vgl. die Schnitte 1—6 auf Taf. V Fig. II.) Vergr. 155. Osmiumpräparat. Uterusglocke eines kleineren Exemplars derselben Species in Seiten- ansicht. Vergr. 155. Die nämliche Uterusglocke in Ventralansicht. Die numerirten Pfeile bezeichnen die Stellen, wo die Querschnitte 7—6 auf Taf. V Fig. III entnommen sind. Bezeichnungen wie oben. Vergr. 155. Tafel V. Halbschematische Zeichnungen. Ii—9. Ech. angustatus. Aus einer Serie von Querschnitten durch III. EN die Uterusglocke. Die einzelnen Kerne, resp. Zellen, sind mit den- selben Buchstaben bezeichnet, wie auf den Totalabbildungen auf Taf. IV. Die neun Schnitte sind durch die Stellen der Uterusglocke geführt, die auf Fig. 8, Taf. II mit den numerirten Pfeilen bezeichnet sind. Auf Schnitt 5 sind die entsprechenden Stellen an den Rändern der Glockentaschen, wo bei Ech. elavaeceps die beiden Muskelbin- der ? entspringen, mit Kreuzen bezeichnet. . JI 1—6. Ech. proteus. Aus einer Serie von Querschnitten durch die Uterusglocke. Die einzelnen Kerne, resp. Zellen, sind mit denselben Buchstaben bezeichnet, wie auf den Totalansichten Fig. 10—12 Taf. IV. Auf Schnitt 2 sind die entsprechenden Stellen an den Rändern der Glockentaschen, wo bei Ech. clavaeceps die beiden Muskelbänder / entspringen, mit Kreuzen bezeichnet. Die numerirten Pfeile auf Fig. 10 Taf. IV zeigen die Querebenen an, durch welche diese sechs Schnitte geführt wurden. Ech. clavaeceps. Aus einer Querschnittserie durch die Uterus- glocke. Die eigentliche Glocke ist nur in ihrem hintersten Theile getroffen. Die Bezeichnungen sind dieselben, wie auf den Totalansich- ten Fig. 13—15 Taf. IV. Ech. proteus. Männlicher Geschlechtsapparat. Zg Ligament, T Hoden, vs Samenblasen, vd die beiden Samenleiter, Kdr die sechs Kittdriisen (ihre Ausfiihrungsgiinge so wie das gemeinschaftliche Kitt- reservoir [s. Fig. XI] sind nicht gezeichnet), v.eff Vas efferens, P Penis, MB großer Markbeutel (grün), Anhangsorgan der Muskel- kappe MK, GS Genitalscheide, B Bursa, Bt Bursaltaschen, Gln Ge- schlechtsganglion, N Nervenstiimme, welche das Geschlechtsganglion mit den beiden lateralen Körpernervenstämmen, resp. mit dem Hirn- ganglion verbinden, N! zwei laterale, in die Genitalscheide eintretende und den Geschlechtsapparat versorgende Nerven, N? längs der Bursa nach hinten ziehende Nerven, mstr Muskelstränge zwischen Genital- 170 Fig. VI. Fig. VO. A. Saefftigen scheide und Körperwand. Roth sind alle muskulösen Theile markirt. Vergr. 70. Ech. proteus. Grund der Rüsselscheide mit Hirnganglion und den Ansatzstellen der Retinakeln. Das Ligament ist nicht gezeichnet n vordere Mediannervenstämme, »! hintere in die Retinacula 7tn ein- tretende Lateralnervenstämme, n? nach vorn umbiegende Lateralner- venstiimme, 7 Rüsselretraktoren, welche den Grund der Rüsselscheide durchbrechen und als Retraktoren der Riisselscheide Rr die Leibes- höhle als dorsales und ventrales Band durchsetzen, ne vorderes, ne! hinteres Kernpaar in der Wand der inneren Rüsselscheide, ne? Kerne in der Wand der äußeren Rüsselscheide, nc? paarige Muskelkerne in den Wurzeln der Retinacula, die zwischen innerer und äußerer Riis- selscheide liegen, rc? paarige Kerne der in der inneren Rüsselscheide liegenden Retinakelwurzeln. Vergr. 155. In 1°%/iger Ameisensäure gequollenes Präparat. Ech. clavaeceps. Vorderkörper, Rüssel und Riisselscheide. « die beiden großen Zellen zwischen den Riisselretraktoren 7, Rr dorsaler und ventraler Retraktor der Rüsselscheide, »! hintere Lateralnerven- stimme, welche in die Retinacula »Z» eintreten, n? nach vorn umbie- gende und zum Rüssel ziehende Lateralnervenstämme. In 1%%iger Ameisensäure gequollenes Präparat. Ech. angustatus. Längsschnitt durch die Riisselbasis. ci Cuti- cula, se Subcuticula, ne ein Kern in derselben, p Hakenpulpa, ch chi- tinähnliche Schicht, »m Ringmuskelfasern, RS äußere, RS! innere Riisselscheide, » Rüsselretraktor mit Kern, »’ rücklaufender Riissel- retraktor, Zm Längsmuskelschicht der Halswand. Vergr. 230. Fig. VII. Ech. proteus. Rüsselretraktor mit an protoplasmatischen Fäden Pig. IX. Fig. X, befestigtem Kern. Ech. proteus, ©. Sagittaler Längsschnitt mitten durch die Scheide. Die muskulösen Theile sind roth gezeichnet, die drüsigen grau, die Sub- cuticula des hintersten Körperendes grün. Ut Uterus, « äußerer Sphincter im Zusammenhange mit der Längsmuskulatur des Körpers /m, seine beiden Kerne (den Kernen ne? auf Fig. 13 Taf. IV von Ech. clavaeceps entsprechend) liegen neben einander in einem vor der Ebene der Zeichnung gedachten Schnitt und sind mit den Doppelkreuzen be- zeichnet, die Kerne des inneren Sphincters (den Kernen ne? auf Fig. 13 Taf. IV von Ech. clavaeceps entsprechend) liegen gleichfalls neben ein- ander und in einem vor der Ebene der Zeiehnung gedachten Schnitt. sie sind mit einfachen Kreuzen bezeichnet, 3 vorderer voluminöserer Ring des inneren Sphincters mit spiraligen Fibrillen im Innern, y hin- terer Ring des inneren Sphincters mit vorwiegend ringlaufenden Mus- kelfibrillen, nc! zwei der vier Kerne in der hinteren Kugel des stun- denglasförmigen Gebildes, den gleichbezeichneten Kernen von Ech. clavaeceps Fig. 13 Taf. IV entsprechend. Vergr. 150. Ech. proteus, 5. Längsschnitt durch das hintere Körperende. Grün ist die Subeuticula gezeichnet, roth alle muskulösen Organe, blau die Kittdrüsen mit ihren Ausführungsgängen, grau Samenleiter, gelb nervöse Organe. Lg Ligament, Kdr Kittdrüse, Ag Ausführungsgänge der Kitt- ur ZT 2 Yon f Pa nanth be Re gee 3 ae Venn aaensro 20, yee e Verlag von Wilh Engelmann in Leipzig a em f hod a) gr Raving ih. Vole we With. Engelmann 524 oo a es er a SA A ae —— en ee = Verlag vm Wilh. Engelmumm % Leipzig. Zur Organisation der Echinorhynchen. 174 drüsen, v.eff Vas efferens, det Ductus ejaculatorius, mst Muskel- stränge, durch welche die Genitalscheide GS mit der Körpermusku- latur in Zusammenhang steht, mA von der Genitalscheide umschlossene, zu beiden Seiten des Vas efferens hinziehende Muskelbänder, Mb gro- ßer Markbeutel, der, dorsal vom Vas efferens gelegen, den größten Theil des Genitalscheidenhohlraumes einnimmt und vermittels des Stieles St mit der Bursalmuskelkappe M% verbunden ist, in seinem Innern zwei Kerne von Marksubstanz umschlossen, außen liegt ihm eine muskulöse Scheide S eng an, B£ Bursaltaschen, p/ Papillen um die Basis des Penis P, Brs Bursa, Gin Geschlechtsganglion, N einer (rechter) der beiden nach hinten laufenden Nervenstränge, welche mit den zwei lateralen Nerven der Körperwand in Verbindung treten. N! rechter, das Innere der Genitalscheide durchsetzender und das Muskelband ms begleitender Nerv, Zm Längsmuskulatur der Körper- wand (die Ringmuskulatur ist nicht dargestellt). Der Schnitt hat die linke Bursaltasche halbirt, die rechte und den Penis tangential ge- troffen. Fig. XI 1—7. Ech. proteus. Aus einer Querschnittserie durch den hinteren Theil der Ausführwege des männlichen Geschlechtsapparates. Be- zeichnungen wie auf Fig. I. vd Vasa deferentia, mf die Bursalmus- kelkappe begleitende, auf Fig. I nicht gezeichnete Längsmuskelfasern. Sämmtliche Figuren, bei denen in der Beschreibung der Abbildungen die Herstellungsweise der Präparate nicht angegeben ist, sind von Präparaten ent- worfen worden, die mit 0,10%/yiger Chromsäure behandelt und nachträglich mit Boraxkarmin gefärbt worden sind. Uber die Verwandtschaftsbeziehungen der Onchidien. Von Dr. Rud. Bergh ‚in Kopenhagen. Mit einer Figur in Holzschnitt. Die bemerkenswerthe Gruppe der marinen oder amphibilischen ichnopoden Mollusken, die schon lange unter dem Namen von On- chidium bekannt ist, hat öfter wissenschaftliche Kontroverse her- vorgerufen, die, besonders in den letzteren Jahren, auch die Ver- wandtschaftsbeziehungen dieser Thiere und somit ihre Stellung im System zum Gegenstand gehabt haben. In ihren äußeren Formverhältnissen erinnern diese Thiere stark an Doriden, sind auch wie diese marin oder wenigstens am- phibilisch und gehören, wie die Doriden, vorzugsweise den indo- pacifiken Meeresgebieten. Genauer untersucht, im inneren Baue, zeigen sich die Onchidien aber, trotz der »opisthobranchiaten« Lage des Herzens, von jenen sehr abweichend, viel mehr mit den Pul- monaten übereinstimmend, auch darin, dass sie mit Lunge versehen sind. Während besonders BLAINVILLE noch die Onchidien (Peronien) neben die Doriden innerhalb der Gruppe der Nudibranchien stellte. haben desshalb auch die allermeisten Untersucher und Systematiker seit Cuvier und FErUssAc sie zu den Pulmonaten gebracht. In neuester Zeit ist, wie erwähnt, ein ganz interessanter Kon- trovers über die systematische Stellung dieser Thiere entbrannt. H. v. Inerine hat, wie bekannt, eine frühere Auffassung von MILNE- Uber die Verwandtschaftsbeziehungen der Onchidien. 173 Epwarps (1857) aufgenommen und hat nachweisen wollen, dass die sogenannte Lunge der Onchidien morphologisch ihrer Hauptmasse nach dem erweiterten Endabschnitte der Niere anderer marinen Ich- nopoden oder einer Kloake entspreche. InErına zufolge wären die Onchidien somit die niedersten Formen, die Stammformen der von ihm so genannten Nephropneusten (stylommatophoren Pulmona- ten) und wären vielleicht der Ordnung der Pulmonaten einzuverleiben ; doch stehen »sie den marinen Nacktschnecken nahe«!, von diesen letz- teren (zunächst vielleicht den Phanerobranchien) wären die Onchidien abzuleiten. Gegen diese Theorie IHERING’s lässt sich nun aber Vieles ein- wenden, was theilweise auch schon durch SEMPER geschehen ist?. SEMPER wendet sich hauptsächlich gegen die ImErıng’sche Ablei- tung der Lunge der Nephropneusten aus einem Endabschnitte der Niere der Phanerobranchien, und weist nach, dass die Wände der Lungenhöhle der Onchidien keine Harnkonkremente enthalten, somit keiner Niere gehören, welche sich dagegen von der Lunge einge- schlossen findet. Diese Niere bestehe noch dazu aus den beiden typischen Abschnitten, der eigentlichen Niere mit Urinkammer und dem Urinleiter; nebenbei finde sich eine Lungenhöhle, welche so- mit nicht Endabschnitt der Niere darstellen könnte. Die Lunge ist, SEMPER zufolge, nicht aus der Niere der Phanerobranchien entstanden, ist dagegen (wie bei den anderen Stylommatophoren) eine zur Luftathmung angepasste Kiemenhöhle, hat sich aus der Kiemenlunge der Basommatophoren entwickelt. In den Verhältnissen der Geschlechtsorgane der Onchidien sieht er ferner eine Bestätigung seiner Auffassung der Verwandtschaftsbeziehungen dieser Thiere, die er als Pulmonaten betrachtet. Gegen die Ableitung von nackten Pulmonaten (wie die Onchi- dien) von schalentragenden wird im Ganzen nichts einzuwenden sein, besonders aber eben nicht innerhalb dieser Gruppe. Es kommen hier so viele Übergangsglieder von Thierformen vor mit großer äußerer Schale, die das Thier ganz aufnehmen kann, zu solchen mit rudimentärer Schale, die das Thier nicht bergen kann (Testacella), weiter zu ı H. v. Inerine, Über die systemat. Stellung von Peronia. 1877. pag. 30. — Vergl. Anat. des Nervensystems und Phylogenie der Mollusken. 1877. pag. 223: »Man könnte sie wohl mit demselben Rechte zu den Phanerobran- chien wie zu den Nephropneusten stellen.« 2 SEMPER, Einige Bemerk. über die Nephropneusten, v. IuERınG. Arbei- ten aus dem zoolog. zoot. Institut in Würzburg. III. 1877. pag. 480—488. 174 Rud. Bergh solchen mit kleiner halbverborgener (Parmacella) bis zu solchen mit ganz innerer Schale (Limax). Selbst innerhalb der einzelnen Grup- pen der Stylommatophoren kommen nackte und beschalte Formen neben einander vor, Limax neben Vitrina, Arion neben Helix!. Jetzt, nachdem eine Schale in der Larve von Onchidium nachgewiesen worden ist, existirt jene Schwierigkeit gar nicht mehr. Kürzlich ist nämlich in einer monographischen Arbeit von JOYEux- LAFFUIE? die Entwicklungsgeschichte, wenn auch nicht eines typi- schen Onchidiums, doch die des Onch. celticum bekannt gewor- den. Aus der Darstellung des Verfassers geht deutlich hervor, dass das Thier als Larve eine Schale besitzt, die abgeworfen wird. Was sonst die anatomischen Verhältnisse des Thieres betrifft, hebt JOYEUX-LAFFUIE vor Allem hervor, dass das Onchidium »kein Organ besitzt, das die Lungen- oder Kiemenhöhle darstelle«; die sogenannte Lunge ist nur die Höhle der echten Niere, deren Gefäßsystem auch in der für die Mollusken überhaupt charakteristischen Weise in die venöse Blutbahn eingeschoben ist; fungiren thut aber das Organ doch als Lunge, nebenbei hebt er aber die Athmung durch die (bei vielen Onchidien [Peronien| verästelten) Hautpapillen als die wesentlich- ste hervor, hat auch in denselben (wie schon von IHERING gegen SEMPER behauptet) eine starke Gefäßentwicklung nachgewiesen; außerdem hat er experimentell die vorwiegende Bedeutung dieser Haut- oder Kiemenathmung dokumentirtd. JoYEUX-LAFFUIE hebt ferner die Übereinstimmung der Onchidien und der Pulmonaten im Baue des Nervensystems und der Verdauungsorgane hervor und be- trachtet im Ganzen die Onchidien als »marine kiemenathmende Mol- lusken, die gegen Lungenathmung und Landleben tendiren«e. Mehr also eigentlich durch physiologische als morphologische Gründe be- wegt. stellt der Verfasser dennoch die Thiere zu den Pulmonaten, noch dabei auf die bekannten Erfahrungen Forew’s in Beziehung auf die Lymnaeen des Genfer Sees (L. abyssicola) hinweisend. Von der Monographie von JOYEUX-LAFFUIE hat nun Brock ein eingehendes Referat mit einer daran geknüpften kritischen Beleuch- ı H. v. IHERING, Über die systemat. Stellung von Peronia. 1877. pag. Bae 2 JovEux-LAFFUIE, Organis. et développem. de l’Gncidie. These de Paris. 1882. pag. 1—159 und: Arch. de zool. expérim. et génér. X. 1882. pag. 225 — 333. pl. XIV—XXIL. 3 JOYEUX-LAFFUIE, |. c. pag. 148 (372). 41. c. pag. 53 (277). pl. XV. Fig. 4. 5]. ec. pag. 56 (280). Uber die Verwandtschaftsbeziehungen der Onchidien. 175 tung! geliefert, kommt aber dadurch zu ganz anderen Sehliissen als der franzisische Verfasser. Ihm zufolge ist die Ähnlichkeit, die die Onchidien im Baue des Nervensystems und der Geschlechtsorgane mit den entsprechenden Organen besonders der basommatophoren Pulmonaten darbieten, »ganz oberflächlicher Natur«; so wie er sonst auch verschiedenen anderen anatomischen Verhältnissen der Onchidien, die sich bei den Pulmonaten wiederfinden, keine Bedeutung zuschreibt. entweder weil sie (Lage des Samenganges) »nur« bei atypischen Pulmonaten (Vaginulus) vorkommen, oder weil sie (Lage der typischen Augen) in anderer Weise als bei den Pulmonaten entstanden sein sollen?. In Beziehung auf die Niere meint Brock, dass »wo man auch immer für die Phylogenie der Pulmonaten anknüpfen mag, die Niere der Onchidien ist eine echte Niere und nur in Anpassung auf die Luftathmung in einem Funktionswechsel begriffen, welcher, auch wenn man das Organ als werdende Lunge betrachtet, jedenfalls mit der analogen Anpassungserscheinung bei den Pulmonaten mor- phologisch nichts zu thun hate. — Ganz entscheidend für die Ver- wandtschaftsbeziehungen dieser Thiere sind ihm aber die Entwick- lungsvorgänge, wie sie durch JoYEux-LAFFUIE vorliegen. Leider hat diese an und für sich so interessante Ontogenie desshalb im Augenblicke weniger Interesse, weil das Tertinm comparationis, eine vollständige, die ersten Stadien umfassende Entwicklungsgeschichte eines der sogenannten Nudibranchien so zu sagen vollständig fehlt. Am wenigsten darf wohl aber hier die starke Entwicklung des Velum bei der Onchidium-Larve zu voreiligen Schlüssen verleiten ; SEMPER hat schon? angegeben, dass die Larven »verschiedener Arten der zu den Pulmonaten gehörigen Gattungen Auricula und Scarabus Deckel tragen«, und an den (noch nicht veröffentlichten) Skizzen der Larven, die mir SEMPER geschickt hat, trägt die Larve ein großes Velum, ganz wie die Onchidium-Larve, mit welcher? die SEMPER- schen Figuren eine sehr große Ähnlichkeit haben’. Die Pulmonaten- Natur des Scarabus kann aber doch kaum angezweifelt werden’. Inerine hat, iiberhaupt augenblicklich wenigstens, gewiss theilweise 1 J. Brock in Biolog. Centralblatt. III, 12. 1883. pag. 370—374. 2 BROCK, 1. c. pag. 372. 3 SEMPER, Die natiirl. Existenzbeding. d. Thiere. II. 1580. pag. 101. 4 Vgl. JoYEUx-LAFFUIE, |. ce. pl. XX. Fig. 8, 9; pl. XXI. Fig. 1—3. 5 Vgl. auch: IHERING, Vergl. Anat. d. Nervensyst. 1877. pag. 203, 221. 6 SEMPER, Die nat. Existenzbed. I. 1830. pag. 238. 176 Rud. Bergh Recht, wenn er! gegen die Uberschiitzung der Ontogenie fiir Deu- tung phylogenetischer Verhältnisse und für systematisirende Ver- werthung opponirt, und HAECKEL so wie SEMPER gegenüber die vergleichende Anatomie bei der Discussion solcher Fragen in den Vor- dergrund schiebt. Aus seiner ganzen Revision der erwähnten Arbeit folgert Brock, dass das Onchidium »ein — vielleicht in einzel- ‘nen Punkten aberranter Nudibranchier« sei, der im Begriffe ist luftathmend zu werden 2?. Gegen diese Auffassung des Onchidiums als ein Nudibranchier muss die vergleichende Anatomie, meine ich, einen absoluten Ein- spruch machen. Von den im Äußeren oberflächlich ähnlichen Dori- den stehen diese Thiere sehr entfernt; und es giebt überhaupt keine einzige Gruppe jener formenreichen Ordnung, an die sich die On- chidien anschließen, oder von welcher sie sich würden naturgemäß ab- leiten können, nicht einmal von den Ascoglossen mit ihrem abweichen- den Nervensystem. Viel eher wäre jedenfalls eine Verwandtschaft mit, oder Ableitung von den Steganobranchien (Tectibranchien) möglich. Die vergleichende Anatomie muss aber ganz bestimmt die Onchidien als Pulmonaten reklamiren. Die Untersuchung eines großen (neuen) Onchidium (O. melanopneumon, Bgh.) aus dem stillen Meere (Fidschi-Inseln), von der Challenger-Expedition her- rührend, so wie die anderer Onchidien (O. tonganum Q. et G., O. verruculatum Cuv.), haben mir wenigstens nichts Anderes gelernt®. Das Centralnervensystem der Onchidien stimmt mit kei- nem der bei den Nudibranchien vorkommenden Typen, jedenfalls kommt nur eine oberflächliche Ähnlichkeit mit den übrigens so fern stehenden (von den Steganobranchien abstammenden) Ascoglossen vor. Es ist fast unverständlich, wie ImErmG hier! »ganz den bei den Aeolidien und Doriden ausgeprägten Typus des Nervensystemes« 1 IHERING, Ub. die system. Stell. von Peronia. 1877. pag. 37—38. 2 BRoeg, 1. c. pag. 372. 3 R. BERGH, Report on the Nudibranchiata. Rep. on the scient. res. of the explor. exped. of H. M. S. Challenger during the years 1873—76. Vol. IX. 1854. pag. 126—150. pl. IV. Fig. 25—27; pl. V. Fig. 1—27; pl. VI. Fig. 5—21; pl. VII. Fig. 1—12; pl. VIII. Fig. 14. 4 Vergl. Anat. d. Nervensyst. 1877. pag. 232. as Uber die Verwandtschaftsbeziehungen der Onchidien. 177 hat sehen können. Im Gegentheile weicht das Nervensystem der Peronien von dem der Pulmonaten nicht wesentlich ab. Bei den letzteren wird dasselbe, wie bekannt, aus zwei obe- ren Cerebralganglien, den zwei unteren Pedalganglien und mehreren (bis 5—6) unter den letzteren mehr oder weniger asymmetrisch lie- genden hauptsächlich dem Visceralnervensystem gehörenden Ganglien gebildet. Von dieser Art ist auch das Nervensystem der Onchidien, der unterste Theil nur mehr zusammengedrängt und redueirt. Das Centralnervensystem! des Onch. Tonganum zeigt sich, wenn noch in seiner Scheide eingeschlossen, als ein (von vorn nach hinten) breiter Ring, dessen oberer und unterer Bogen stark abgeplattet sind; wo die Bogen zusammenstoßen, tritt eine starke Verdickung auf (Gehirnknoten), und der mehr nach hinten stehende untere Bogen ist dieker als der obere, dazu von einer starken Arterie extramedian (rechts) durehbohrt. Es hält sehr schwer das mit allen seinen Par- tien braungelb oder gelb durchschimmernde Nervensystem aus seiner weiblichen fest anhängenden Scheide auszupräpariren, welche sich weit hinaus um die dickeren Nerven fortsetzt. Die Ganglien sind alle grobknotig; die Knoten an der Oberfläche stark vorspringend, mit- unter gestielt. Die cerebralen Ganglien von gerundet dreieckiger Form, etwas abgeplattet (Fig. 5b). Die intercerebrale Kommissur (Fig. a) dünn, mitunter kaum !/, der Breite (von vorn nach hinten) des oberen Ringes einnehmend, länger als der Querdurchmesser des Ganglions. Das linke cerebro-pedale Konnektiv ist ganz kurz, das rechte viel länger (vgl. die Figur cc). Das linke pedale Gan- elion ist größer als das suhmedian liegende rechte, beide abgeplat- tet (Fig. dd), von ovaler Form, drei oder vier starke Nn. pediaei abgebend; die pedale (Fig. e) Kommissur kurz? Hinter und unter den vorigen Ganglien liegen ganz asymmetrisch die drei viscera- len Ganglien. Das größte und ziemlich dicke rechte (Fig. f) ist fast unmittelbar, durch ein ganz kurzes cerebro-viscerales Kon- ! Wegen Mangel an Material habe ich das Centralnervensystem der von mir früher untersuchten Onchidien nicht genauer definiren können (vgl. 1. ce. pag. 130, 141, 147), und die bisher von diesem vorliegenden Untersuchungen (vgl. Inerıng, |. c. pag. 230, Taf.IV Fig. 16) sind kaum brauchbar. Ich habe dess- halb diese Untersuchung an zwei großen Exemplaren des Onch. Tonganum, Q. et G. aus den Nicobaren wieder aufgenommen. Die Verhältnisse der Gan- glien waren an beiden Individuen ganz übereinstimmend. 2 Eine Doppelheit dieser Kommissur, wie sie von JoyEUX-LAFFUIE bei dem Onch. celticum (l. e. pag. 19 [303], pl. XVII Fig. 4a, b) angegeben ist, kommt hier nicht vor. Morpholog. Jahrbuch. 10. 12 178 Rud. Bergh nektiv, mit dem Gehirnknoten, und durch ein sich mit dem cerebro- pedalen Konnektive verbindendes viscero-pedales Konnektiv mit dem rechten Fußknoten verbunden. Das rechte viscerale Ganglion ist durch eine kurze Kommissur mit dem also auch rechts (Fig. g) lie- senden mittleren (genitalen) verbunden, und dasselbe steht durch eine lange und kräftige Kommissur mit dem linken Ganglion in Verbindung; hinter der letzteren Kommissur (Fig. 7) liegt die viel dün- nere subcerebrale Kommissur (Fig. :), die sich bis in die Gehirnknoten verfolgen lässt. Das linke viscerale Ganglion (Fig. %) ist mehr als die anderen abgeplattet, und steht durch ein ziemlich langes Kon- nektiv mit dem Gehirn- und durch ein etwas kürzeres mit dem Fußknoten in Verbindung. Wie in den Pulmonaten fehlen auch hier die bei den Dorididen (vielleicht mit Ausnahme vieler Polycera- den !) immer vorkommenden gastro-oesophagalen Ganglien. Die Ophthalmophorien der Onchidien sind wie die der styl- ommatophoren Pulmonaten, und wie sie sonst bei keinen andern Gastraeopoden vorkommen. Wenn es auch wirklich so sein sollte, wie es JOYEUX-LAFFUIE (l. c. pag. 141 [365]) darstellt, dass sich ı Vgl. R. BERGH, Beitr. zur Kenntn. d. Polyceraden. III. Verh. d. k. k. zool. bot. Ges. in Wien. XXXIII. 1883. pag. 157. Uber die Verwandtschaftsbeziehungen der Onchidien. 179 hier das Auge zuerst am Kopfe bildet und nachher erst mit dem Ophthalmophore emporsteigt, während es bei den Stylommatophoren sonst erst später am bereits gebildeten Ophthalmophore sich durch Einstülpung (E1ste, Fou) entwickelt: dann hat solches jedenfalls nicht die Bedeutung, welche Brock diesem Verhältnisse hat beilegen wollen. Das Verhältnis der Fußdrüse der Onchidien ist dem der Stylommatophoren sehr ähnlich. Während diese Drüse bei einigen Arten (O. tumidum Semper) noch wie bei Philomycus ganz oder meistens in dem Fuße eingeschlossen bleibt!, ragt sie mit dem hin- teren Theile bei den meisten mehr oder weniger in die Körperhöhle hinein?. Noch viel stärker entwickelt und mehr freiliegend ist die Drüse bei Limax marginatus Drıp.°, in Janella‘, Limax pectinatus >, besonders aber in Triboniophorus®. Das Verdauungssystem der Onchidien (mit Einschluss der Leber) unterscheidet sich kaum wesentlich von dem der Stylomma- tophoren. Die Onchidien sind zwar »opisthobranchiat«, das sind aber auch die Veronicellen, ja selbst Arion und Limax’, welche doch alle unzwei- felhafte Pulmonaten sind. Diese Lage des.Herzens ist somit hier ohne jede systematische Bedeutung, um so mehr nicht, weil es auch Opisthobranchien giebt, die prosobranch sind (Acera, Gaste- ropteron). Die Niere der Onchidien ist — was bei den Nudibranchien nie der Fall ist — parenchymatös; sie ist zum größten Theile von. der Lungensubstanz eingeschlossen oder tritt wenigstens nur an ein- zelnen Punkten an die Wand der Lungenhöhle. Sie verhält sich wieder wesentlich wie bei den Pulmonaten; nur ist die angrenzende 1 R. BERGH, Unters. d. Triboniophorus Schütteii, K. Verh. d. k. k. zool. bot. Ges. in Wien. XX. 1870. pag. 860, 865. 2 KEFERSTEIN, Zur Anat. von Philomycus carolinensis. Ztschr. f. wissensch. Zool. XVI. 1866. pag. 187. Taf. IX. Fig. 2 gp. — R. Bureau, Challenger- Exped. 1. c. pl. VOL Fig. 1. 3 Ztschr. f. wiss. Zool. VIII. 1857. pag. 351 (SEMPER). 4 KEFERSTEIN, Üb. die Anat. d. Janella bitentaculata. Ztschr. f. wiss. Zool. XV. 1865. pag. 449, Taf. XXXIV Fig. 3 gp. 5 Malakolog. Blätter. 1865. pag. 107. Taf. II Fig. 3 gp. 6 KEFERSTEIN, Über die zweitentakeligen Landschnecken. Ztschr. f. wiss. Zool. XV. 1864. pag. 84. Taf. VI Fig. 4gp. — R. BERGH, 1. c. 1870. pag. 850. 7 Vgl. InEerıng, Nervensyst. 1877. pag. 226. 12* 180 Rud. Bergh Lungenhöhle viel kleiner, weil die Respiration zum sehr großen Theil cutan ist. Wenn Joyeux-Larrure dem O. celticum alle wirk- liche Lungensubstanz, alles Lungengewebe abspricht, und das be- zügliche Organ ausschließlich aus Nierengewebe bestehen lässt, dann ist diese Behauptung kaum richtig und wird kaum durch spätere Untersuchungen bestätigt werden. Das bei den Nudibranchien im- mer vorkommende Kommunikationsorgan zwischen Pericardium und Nierenhöhle (Nierenspritze, Ber.) ist in den letzteren Jahren durch SEMPER! und durch NüssLıv? auch bei verschiedenen Pulmonaten Helix, Vaginulus; nachgewiesen. Das von JoYEUX-LAFFUIE und Brock hervorgehobene Fehlen dieses Organs bei dem. Onchidium ist noch dazu unrichtig, weil ich dasselbe bei dem O. tumidum, S. nachgewiesen habe3. Die ganz feine Öffnung im Perikardium findet sich unterhalb des Grundes der Vorkammer ein wenig links. Am hintersten Theile der oberen Wand der Lungenhöhle findet sich die feine Nierenpore; dieselbe leitet in eine erst engere, dann weitere Urinkammer, welche sich ziemlich oberflächlich, mit der Niere gebogen, durch die ganze Länge der Niere erstreckt. Die Lunge ist also kein erweiterter Endabschnitt der Niere, um so mehr nicht, weil die Structur der Niere und die der eigent- lichen Lungenwand ganz verschieden sind. Ganz besonders tritt aber noch die Verwandtschaft der Onchidien mit den Pulmonaten im Baue des Genitalsystems hervor. Was vor Allem hier auffällt ist die Lage des Samenleiters in der seitlichen Körperwand. Ein ähnliches Verhältnis kommt bei keinem Nudibranchier vor und ist überhaupt nur bei Pulmonaten nachgewie- sen. Bei den Veronicellen (Vaginulen) ist die Lage des Samenleiters dieselbe, nur ist die in die Körpermuskulatur eingeschlossene Strecke des Ganges kürzer, weil die Vulva hier mehr nach vorn, an die Mitte der Körperlänge verlegt ist. In den Auriculaceen und bei den Lymnaeen zeigt sich wieder dasselbe anatomische Verhältnis, aber die eingeschlossene Strecke des Ganges ist noch kürzer geworden. Der Versuch IHErRING’s*, die Flimmerrinne der Onchidien mit der- jenigen der Steganobranchien zu homologisiren und den Samenleiter 1 SEMPER, |. c. 1877. pag. 485 Note 1. 2 QO. Nissin, Beitr. zur Anat. u. Physiol. der Pulmonaten. 1879. pag. 14, 15. Fig. 3. 3 R. BERGH, Challenger-Exped. 1. c. pag. 137 Note 2. 4 4H. v. IHERING, Uber die system. Stell. von Peronia. 1877. pag. 29. Uber die Verwandtschaftsbeziehungen der Onchidien. 181 jener als nur ein vom Boden der Flimmerrinne abgeschnürtes Gefäß zu deuten, ist kaum sehr gliicklich. Somit stimmen dann die Onchidien mit den Pulmo- naten im Baue des Nervensystems, in dem Dasein einer Lunge und einer parenchymatösen Niere, in dem Vorhandensein der eigenthümlichen Fußdrüse und in verschiedenen Verhältnissen des Genitalsystems überein. Nach meiner ziemlich ausgedehnten Kenntnis der sogenannten Nudibranchien muss ich die Onchidien als von denselben ziemlich weit abstehend betrachten. Sie stammen im Gegentheil von den Pulmonaten ab, sind Pulmonaten, die sich einer amphibialischen oder marinen Lebensweise an- gepasst haben. Kopenhagen, März 1884. Kleine Mittheilungen. Bemerkungen tiber die Polydactylie des Pferdes’. Von Dr. J. E. V. Boas in Kopenhagen. An der Seite des Fußes (meistens an der inneren Seite des Vorderfußes) findet man beim Pferde zuweilen eine überzählige Zehe. Der Vergleich der- selben mit einer Nebenzehe des Hipparions liegt so nahe, dass es nicht Verwunderung erregen kann, dass man sie bisher ohne Weiteres als atavi- stisch aufgefasst hat, selbst in Fällen, in welchen von einer näheren Unter- suchung nicht die Rede sein konnte. Die Untersuchung einiger Präparate, welche mir in der neueren Zeit zur Hand gekommen sind, zeigt jedoch, dass jene Auffassung keineswegs berechtigt ist, dass vielmehr eine genaue Prüfung in jedem einzelnen Falle geboten ist, ehe man eine solche Zehe für atavistisch erklärt. Das eine der genannten Präparate ist der (skelettirte) rechte Hinterfuß eines Füllens, an dessen innerer Seite eine überzählige dreigliedrige Zehe ent- wickelt ist (l.c. Fig.1—3). Betrachtet man denselben von vorn, so hat man ganz den Eindruck einen Fuß vor sich zu haben, dessen Metatarsale II kräftiger als gewöhnlich entwickelt und zehentragend ist. Kehrt man das Präparat um und untersucht es von hinten, so sieht man jedoch, dass der kräftige zehentragende Mittelfußknochen kein Metatarsale II sein kann, sondern einen überzähligen Mit- 1 Auf meinen Wunsch gab der Herr Verfasser den nachstehenden Auszug eines dänisch geschriebenen Artikels: »Bidrag til Opfattelsen af Polydaktyli hos Pattedyrene« (mit 1 Tafel), welcher neulich in Videnskab. Meddelelser fra Naturhist. Forening i Kjöbenhayn 1883 publieirt worden war. Da ich in einem in Bd. VI dieses Jahrbuches gedruckten Aufsatze über Polydactylie die vielfach als Atavismus gedeutete Polydactylie der Schweine nicht als Rückschlag gelten lassen konnte, dagegen diese Auffassung den Angaben früherer Autoren gemäß für das Pferd zugestand, so musste es mir erwünscht sein, nun auch für die Polydactylie beim Pferde Aufklärung zu erlangen. Der Lehre vom Atavismus geschieht kein Eintrag, wenn sie von Fällen gereinigt wird, welche nicht die genauere Prüfung bestehen können, wie bestechend diese Fälle dem ober- flächlichen Anblicke auch sein mögen. Der Herausgeber. Kleine Mittheilungen.” 183 telfußknochen repräsentirt: das wirkliche Metatarsale II ist nämlich inganz normaler Entwicklung und Lage vorhanden, während das überzählige Metatarsale erst innerhalb desselben seinen Platz hat. Von Atavismus kann somit in diesem Falle keine Rede sein. In der That stehen wir hier einer unvollständigen Verdoppelung des Fußes gegenüber, welche ganz ähnlich auch bei anderen Säugethieren, namentlich beim Schweine, auftritt. Bei letzterem Thiere findet man bekanntlich nicht allzu selten eine Entwicklung überzähliger Zehen an der inneren Seite des Vorderfußes. Diese Entwicklung beruht, wie die Untersuchung einer größeren Anzahl polydactyler Schweinefüße mir zeigt, jedenfalls sehr häufig nicht auf einer Verdoppelung einer einzelnen Zehe, sondern auf einer Verdoppelung des Fußes, und zwar so, dass der überzählige Fuß ein mehr oder weniger vollständiges Spiegel- bild des normalen Fußes ist, von dessen Innenseite er entspringt: ein an einem rechten Fuß sitzender überzähliger Fuß ist — in einer mehr oder weniger karrikirten Form — einem linken Fuß ähnlich, und umgekehrt. In einem sehr regelmäßigen Exemplar dieser Art waren von dem überzähligen Fuß die beiden Hauptzehen (III und IV) mit zugehörigen Metacarpalia und Carpalia entwickelt; der normale Fuß war fast ganz regelmäßig ausgebildet. Ganz ähnlich wie die- ser Schweinefuß verhält sich der oben erwähnte Pferdefuß: der kräftige zehentragende Mittelfußknochen ist das Metatarsale III eines überzähligen Fußes, dessen Metatarsalia II und IV nicht ent- wickelt wurden. Ähnlich verhält sich ein anderer mir vorliegender Pferdefuß (Vorderfuß), an dessen Innenseite eine überzählige Zehe vorhanden war (l. e. Fig. 4—6) ; auch hier haben wir es mit einer Verdoppelung des Fußes zuthun. Das Stück unter- scheidet sich jedoch vom oben erwähnten dadurch, dass das normale Metacar- pale II nur spurweise (aber ganz sicher) nachzuweisen ist; andererseits ist der überzählige Fuß in so fern ein vollständigeres Spiegelbild des normalen Fußes, als er ein kurzes Metacarpale IV besitzt (für das Speciellere muss ich auf den citirten Artikel und auf die dort gegebenen Abbildungen verweisen). Es ist außer Zweifel, dass man nach einer bloß äußeren Untersuchung, das heißt während die Gliedmaßen noch mit den Weichtheilen bedeckt sind, nach der bisher üblichen Praxis die beiden erwähnten Fälle als atavistisch erklärt hätte; — während die nähere Untersuchung etwas ganz Anderes ergab. Hiermit ist aber zugleich die Nothwendigkeit gegeben, die Fälle, welche bis- her als Rückschläge zu dem Hipparion-Stadium galten, einer kritischen Revi- sion zu unterziehen. Bei einer solchen Revision müssen nun erstens alle diejenigen Fälle von der atavistischen Liste ausgeschlossen werden, in welchen es sich nur um eine amputirte Zehe handelt, eben so wie auch diejenigen, in welchen man sich auf eine äußere Untersuchung beschränkt hatte; in solchen Fällen kann man vom morphologischen Werth der überzähligen Zehe gar keine begründete Meinung haben. Nur diejenigen Fälle, welche (von ARLOING!, WEHENKEL?, HENSEL®, ! Annales des Seiene. nat. Zool. 5. Ser. Tome 8. pag. 61 u. fig., Pl. 1. 2 La polydactylie ch. 1. Solipedes. Extr. d. Journ. publ. p. 1. Soc. r. d. Sc. med. et nat. de Brux. 1872. 3 Abhandl. d. K. Akad. d. Wiss. z. Berlin f. 1860. pag. 72—73. 184 "Kleinere Mittheilungen. Woop-Mason!, ERCOLANI? und mir?) etwas näher beschrieben wurden, sind dann noch übrig. Von diesen sind nun einige sicher nicht atavistisch, sondern in derselben Weise wie die beiden oben erwähnten Fälle aufzufassen. Dies gilt nament- lich von einem von ARLOING ausführlich beschriebenen Fall, welcher ein Pen- dant zu dem letzten meiner oben erwähnten Pferdefüße ist: die überzählige Zehe ist auch in dem von ARLOING beschriebenen Fuß der Dig. III eines über- zähligen Fußes; was er als ein Metacarp. I auffasst, ist in der That das Meta- carp. IV des überzähligen Fußes, etc. (Von dem normirten Metacarp. II sieht man nichts in ARLOING's Figuren, ohne dass man jedoch hieraus auf das gänz- liche Abhandensein desselben schließen dürfte) Ganz ähnlich ist auch der »deuxieme cas« von WEHENKEL (l. ce.) aufzufassen. — Von den HENSEL’schen Fällen darf ich nur sagen, dass es nach ‘den Angaben des Verfassers nicht möglich ist zu entscheiden, ob sie wirklich atavistisch sind oder nicht. Überhaupt kennt man nur ein paar Fälle, in welchen die überzählige Zehe wirklich ganz zweifellos eine der beiden Nebenzehen des Hipparions reprä- sentirt. Den einen derselben habe ich selbst beschrieben und abgebildet (I. ce. Fig. 4); eine wiederholte Untersuchung der Gelenkflächen ete. hat es mit aller Sicherheit bekräftet, dass wir es hier mit einer Entwicklung der äußeren Sei- tenzehe (Dig. IV) des Hipparions zu thun haben. Zweifellos atavistisch, und wegen seiner sehr regelmäßigen Entwicklung besonders als Paradigma verwerth- bar, ist der von Woop-Mason kurz erwähnte Fall; eine Betrachtung der beigege- benen sehr guten Figuren stellt es außer Zweifel, dass der zehentragende Mit- telfußknochen wirklich das Metacarpale IV ist“. — Sehr wahrscheinlich sind auch der »premier cas« von WEHENKEL und der von ERCOLANI Do BE Fall wirklich atavistisch. Das Resultat unserer Untersuchung ist demnach das folgende: Die an der Seite des Fußes beim Pferde auftretenden überzähligen Zehen sind keineswegs immer atavistisch. Man kennt zwar eine — nicht große — Anzahl von Fällen, in welchen die überzählige Zehe unzweifelhaft einer der Seitenzehen des Hippa- rions entspricht; andererseits kennt man aber eine verhältnismäßig nicht geringe Anzahl von Fällen, in welchen die nähere Untersuchung dargelegt hat, dass die Polydactylie auf einer unvollständigen Verdopplung des Fußes beruht, und diese Fälle sind, wenn die Füße von den Weichtheilen bedeckt sind, nicht von jenen zu unterscheiden, ja selbst im Knochenbau können sie jenen so ähnlich sein, so dass erst eine genauere Untersuchung die Sache ins Klare bringen kann. 1 Proceed. Asiat. Soc. Bengal 1871. pag. 18. 2 Mem. d. Accad. d. Scienze dell’ Istituto di Bologna. Ser. 4 Tome 3. pag. 761—762, Tav. 1 Fig. 2. 3 Deutsche Zeitschr. f. Thiermed. und vergl. Path. 7. Bd. 4 Das oberste Ende desselben verhält sich ganz wie an einem normalen Pferde-Vorderfuß; dessen Verbindung mit dem Hamatum und dem Metacarp. III ist vollkommen normal. | ‘>: = Besprechung. Anatomie philosophique. Les cing vertébres céphaliques. La 3° paire des membres chez homme et les autres vertébrés. These pour le Doctorat en médecine, par AUGUSTE AD. CARLIER. Paris, BAILLIERE et FıLs, 1883. Es ist eine leider nicht zu bestreitende Thatsache, dass in den letzten Jahrzehnten das Interesse für die vergleichende Anatomie der Wirbelthiere und namentlich für die vergleichende Osteologie bedeutend abgenommen hat. Einen Maßstab für dieses geringere Interesse bietet die geringe Zahl der Arbeiten, welche dieses Gebiet der Morphologie zum Gegenstande haben, im Gegensatz zu der kaum mehr zu bewältigenden Masse von Abhandlungen über die Ana- tomie der Wirbellosen und der embryologischen Arbeiten. Das Gebiet, auf welchem die wissenschaftliche Morphologie ihre ersten Triumphe feierte und das schon durch die glänzenden Namen, die mit der Geschichte der verglei- chenden Osteologie verknüpft sind, eine besondere Anziehung üben sollte, wird gegenwärtig relativ selten betreten. Zum größten Theil ist der Umstand an dieser Erscheinung Schuld, dass osteologische Untersuchungen eine nicht unbeträchtliche Litteraturkenntnis erfordern, wenn sie mit Erfolg betrieben werden sollen, und dass neue Entdeckungen auf diesem gut durchgearbei- teten Felde nicht so leicht zu machen sind, wie in den eben erst betre- tenen Gebieten aus der vergleichenden Anatomie der Wirbellosen und der Ontogenie. Um so freudiger begrüßt man jeden Beitrag zur vergleichenden Osteolo- gie, der neue Thatsachen oder neue Ideen der Wissenschaft zuführt. Vor uns liegt eine französische Doktordissertation (These pour le doctorat en médecine), die Herrn AUGUSTE CARLIER zum Verfasser hat und die im vo- rigen Jahre (1883) unter dem viel versprechenden Titel »Anatomie philosophique« in Paris erschienen ist. Das Buch ist gut ausgestattet. Der Verfasser hat es sich zum Ziel gesetzt eine zusammenfassende, allgemeine Anatomie der Wirbel- thiere zu geben etwa in dem Sinne wie RıcH. OWEN in seinem bekannten Werke »On the Archetype and the Homologies of the vertebrate sceleton«. In der That finden wir auch in dem ganzen, 357 Oktavseiten starken Buche keine ein- zige neue Thatsache angeführt, vielmehr hat Herr CARLIER den Schwerpunkt auf die Entwicklung neuer Ideen gelegt. Es ist seine Absicht gewesen, die all- gemeinen, im Skeletsystem bestehenden Homologien auf Grund der bereits fest- gestellten Thatsachen aufzudecken, und es ist die Berechtigung einer solchen 186 Besprechung. Arbeit durchaus nicht zu bestreiten. In der That wire es kein kleines Ver- dienst um die Wissenschaft, das angehiiufte Material von Thatsachen einmal zusam- menzufassen und von einem einheitlichen, modernen Standpunkte zu beleuchten. Die Art und Weise jedoch, wie Herr CARLIER seiner Aufgabe gerecht wird, ist eine derartige, dass sie nicht verfehlen kann in allen Kreisen, die der morphologischen Wissenschaft Interesse entgegenbringen, das peinlichste Auf_ sehen zu erregen. Wenn freilich eigene Schiitzung und die verwendete Zeit für den wissenschaftlichen Werth eines Buches maßgebend wären, so müsste die »Anatomie philosophique« eine bemerkenswerthe Leistung sein. Nicht weniger als sechs Jahre hat der Verfasser derselben an seinem Thema gearbeitet und die ab- sprechende Art, wie er Männer wie CUVIER, GEOFFROY ST. HILAIRE, BLAIN- VILLE, OKEN, MECKEL und andere belehrt, wäre nur unter der Voraussetzung, dass Herr CARLIER hervorragender Leistungen sich zu rühmen hätte, einiger- maßen zu entschuldigen. Das gerade Gegentheil ist der Fall, und wir können ohne irgend welche Übertreibung unser Urtheil über das Buch dahin abgeben, dass in der ganzen neueren‘ Litteratur über die vergleichende Anatomie der Wirbelthiere, die an traurigen Erscheinungen leider nicht arm ist, uns keine Arbeit begegnet ist, die ein so unerquickliches Gemisch von Eigendünkel, Unwissenheit und Unfähigkeit böte, wie die »Anatomie philosophique« des Herrn CARLIER. Mit einem Gefühl der Beschämung, dass so etwas in unserer Zeit möglich ist, legt man das Buch aus der Hand. Schon durch den Umstand, dass dem Verfasser dieser Arbeit die modernen Grundbegriffe der morphologischen Wissenschaft, die Begriffe Analogie und Ho- mologie mit ihren Unterabtheilungen : allgemeine und specielle Homologie, Ho- modynamie etc. fremd geblieben sind, beweist er, wie wenig er in das Wesen dieser Wissenschaft eingedrungen ist. Herr CARLIER gebraucht die Worte analog und homolog als Synonyme und begiebt sich selbst damit der funda- mentalen:logischen Hilfsmittel der Morphologie. Schon die Geschichte der Entstehung dieses Buches, die an eine Karrika- tur eines berühmten Musters erinnert, verdient beachtet zu werden. Bei der Stadt Algier fand der Verfasser, wie er auf pag. I—V erzählt, einen ge- bleichten Hundeschädel, der sich mit Leichtigkeit in eine Anzahl von Segmen- ten zerlegen ließ. Nachdem Herr CARLIER diesen unglückseligen Hundeschä- del zwei-Wochen lang studirt hatte, kam er zu dem Resultat, dass derselbe aus einer Anzahl mit einander verbundener Wirbel bestehe. Nun fiel es ihm denn allmählich auch ein, die ihm zugänglichen Handbücher der Anatomie von CRUVEILHIER und SAPPpEY zu konsultiren und da fand er zu seiner grenzenlosen Überraschung, dass schon Andere vor ihm denselben Gedanken hatten. Doch ließ er sich dadurch nicht abschrecken und nach weiteren sechs Jahren des Nach- denkens und der Beobachtung konnte er als Frucht seiner Mühe der Mitwelt die »Anatomie philosophique« vorlegen. Wem fällt nicht GoETHE ein! Das Buch zerfällt in zwei Abschnitte; der erste handelt von den Skelet- gebilden des Rumpfes, den Wirbeln und deren Derivaten, dem Sternum und dem Schädel; der zweite von den Skelettheilen der Gliedmaßen, zu denen Herr CARLIER außer den beiden allgemein angenommenen Extremitätenpaaren auch noch den Unterkiefer rechnet. Nach einer kurzen Einleitung behandelt der Verfasser der »Anatomie phi- losophique« auf pag. 3—8 die allgemeine Anatomie der Geschlechtsorgane, die Besprechung. 187 dem Leser einen Vorgeschmack von der Methode, die er befolgt, geben soll. Das Resultat der Vergleichung der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane des Menschen, das Herr CARLIER in einer Tabelle zusammenfasst und durch schematische Holzschnitte illustrirt, ist zu charakteristisch, als dass'wir es dem Leser dieses Referates vorenthalten dürften: Ostium abdom. tubae = Schwanz des Nebenhodens, Morgagnische Hydatide = Vas aberrans, Tuba = Vas deferens, Hörner des Uterus (bei Säugethieren) = Vesiculae seminales, Uterus = Prostata + Vesicula prostatica. Man sollte es kaum für glaublich halten, dass es noch Menschen giebt, die anatomische Arbeiten schreiben und nichts von den Müller'schen und Wolff- schen Gängen und von der morphologischen Verschiedenheit der Ausführgänge der Geschlechtsdrüsen beim Manne und Weibe gehört haben! Und doch gehört Herr CARLIER zu dieser ganz speciellen Art von Anatomen. Dass er nicht etwa eine oberflächliche Analogie meint, die sich übrigens auch nicht stützen ließe, geht aus seinem eigenen Geständnis und aus den schematischen Figuren hervor. Mit Ausnahme dieser wenigen Seiten ist das übrige Buch dem Skeletsystem gewidmet und giebt Herr CARLIER zuerst eine allgemeine Eintheilung der Kno- chen, die er in Hautknochen (Dermato-squelette), in Sinnesknochen (os senso- riaux), Wirbel (élements vertébraux) und Knochen der Gliedmaßen eintheilt. Zu den Hautknochen rechnet der Verfasser beim Menschen nur die Squama occipitis, die Parietalia, die Frontalia und Nasalia. Die dermatogene Natur der Clavicula, des Maxillare und Intermaxillare, des Vomer, Palatinum, Pterygoid, des Squamosum, Tympanicum, Jugale u. a. ist ihm vollständig unbekannt und rechnet er dieselben theils zu den Wirbeln, theils zu den Extremitätenknochen. Im Übrigen erfahren wir auf diesen Seiten (pag. 15—18) Sachen, die für jeden Zoologen von größtem Werth sein müssen. So z. B. dass die fossilen Laby- rinthodonten, deren Sternalplatten Herr CARLIER erwähnt, große vorsündfluth- liche Gürtelthiere waren (grands tatous antediluviens), dass noch gegenwärtig ein kleiner Labyrinthodont, die triassische Gattung Micropholis, lebt und Hautschilder um den Larynx herum besitzt. Etwas weiter erzählt der Verfas- ser dieser wunderbaren Anatomie philosophique, dass der »Hals« von Brachy_ cephalus von drei Hautschildern bedeckt werde, welche auf den ersten acht Wirbeln liegen. Offenbar hat Herr CARLIER die Angabe, dass die ersten acht Wirbel dieser Kröte von Hautschildern bedeckt werden, irgend wo gefunden und ohne zn wissen, dass Kröten überhaupt nur acht Rumpfwirbel besitzen, die- selben auf die Halsregion bezogen! In dem Kapitel über die Sinnesknochen wird es gewiss jeden Morphologen interessiren zu erfahren, dass die »Iris« der Vögel und Schildkröten einen Ring von Knochen besitzt, der den Bewegungen derselben förderlich sei; sehr selten, wie z. B. bei Ichthyosaurus, kämen Ossifikationen auch in der Sclera vor! (pag. 22). Weiter als es hier geschehen ist, kann die Unwissenheit und Kon- fusion wohl kaum gehen, und doch kommt es noch besser! Die Entstehung des Gehörorgans steht nach der Ansicht des Herrn Car- LIER in engstem Konnexe mit der Ausbildung der phonetischen Organe. Was hätte ein Thier für einen Nutzen von seinem Gehör, wenn sein Genosse nicht reden könnte? So fragt der Verfasser, der von den stummen Fischen offenbar 188 Besprechung. nie etwas gehört hat, und führt als Beleg für seinen Satz — die Taubstum- men an. Der einsichtsvolle Philosoph erkenne übrigens den inneren, morphologischen Zusammenhang zwischen dem Gehörorgan und dem stimmenerzeugenden Organ schon an dem Bande, das vom Processus styloides zum kleinen Horn des Zun- genbeins zieht (pag. 24). Dieser letzte Fall, den wir von vielen anderen herausgegriffen haben, kennzeichnet die »Methode« des Verfassers der »Anatomie philosophique« in vor- trefflicher Weise. Nun geht Herr CARLIER zur Besprechung der Wirbelelemente über, und definirt das Wirbelthier, als ein verlängertes Ovoid, von welchem, als accesso- rische Elemente, paarweise symmetrisch gelagerte Äste ihren Ursprung nehmen — die Gliedmaßen (pag. 30)! Jeder Wirbel besteht aus einem centralen Stücke und einem oberen und unteren, mit dem ersteren verbundenen Ringe. Die un- teren Ringe werden bei den Brustwirbeln von den Rippen gebildet, doch fehlen sie auch den meisten übrigen Regionen der Wirbelsäule nicht. Für die Hals- wirbel des Menschen führt der Verfasser in weitläufiger Weise aus, dass die Rippen derselben in den vorderen Spangen der Querfortsätze zu suchen seien. Bei der absoluten Unkenntnis der elementaren anatomischen Litteratur, die Herr CARLIER auf jeder Seite seines Buches dokumentirt, darf es durchaus nicht Wunder nehmen, wenn er diese Entdeckung für neu hält und den Ruhm derselben sich selbst zuzuschreiben scheint. Eine lange Betrachtung ist der Frage gewidmet, warum die Rippen sich gewöhnlich nicht an die Wirbelkörper selbst, sondern an die Zwischenwirbel- scheiben befestigen, und die Lösung derselben ist so sinnreich, dass sie verdient nicht mit Stillschweigen iibergangen zu werden. Versuchen Sie mit einem scharfen Instrumente die Knorpelscheibe zwischen zwei Wirbelkörpern zu zer- schneiden, so fordert Herr CARLIER seinen Leser auf. Wenn Sie nicht vorher die Rippen entfernt haben, so wird Ihr Messer von denselben aufgehalten wer- den. Folglich dient diese Art der Befestigung der Rippen dazu, um die Wirbel- säule vor einer Zerspaltung zu schützen! Die Rippen sind Schilde (boucliers osseux), welche die Wirbelsäule vor einer Kontinuitätstrennung bewahren (pag. 67)!! Die übrigen Betrachtungen, die Herr CARLIER über die Wirbelsäule zum Besten giebt, halten wir nach dieser Probe seines Scharfsinns nicht für werth weiter besprochen zu werden, und begnügen uns seine originelle Ansicht über das Brustbein zu erwähnen. Ein wenig bewanderter Anatom könnte, wie Herr CARLIER meint, sehr leicht ein Sternalstiick des Hundes oder des Kaninchens mit einem Schwanzwirbel oder mit dem Körper eines typischen Wirbels ver- wechseln, so groß wäre die Ähnlichkeit. Die Sternalstücke sind nach dem glei- chen Typus gebildet wie die Wirbeleentra. Folglich ist das Sternum eine ven- trale Wirbelsäule! So zu lesen auf pag. $1 der »Anatomie philosophique«. Bis jetzt waren das nur die Präliminarien zu den Hauptkapiteln des Wer- kes, die von den Wirbeln des Schädels handeln. Die historische Einleitung, die Herr CARLIER zu der Wirbeltheorie des Schädels giebt, zeichnet sich durch Ungenauigkeit aus, und macht durch die überlegene Art und Weise, wie er seine Vorgänger von oben herab behandelt einen geradezu peinlichen Eindruck. Den Litterarhistoriker wird es gewiss inter- essiren zu erfahren, dass es GOETHE’s liebste Idee war daran zu denken, dass er in demselben Jahre geboren wurde, in welchem das große Werk von BUFFON Besprechung. 189 erschien (pag. 95). Spix und seine Cephalogenesis kommen schlecht weg, dess- gleichen OKEN und MECKEL, deren Irrthümer Herr CARLIER ohne Schonung auf- deckt. Auch GEOFFROY St. HILAIRE, dessen Resultate einfach als »détestable« bezeichnet werden, hat einen schweren Stand gegen Herrn CARLIER. Als Geg- ner der Wirbeltheorie des Schädels wird Cuvier angeführt. Von den neue- ren Autoren, die gegen diese Theorie aufgetreten sind, werden HuxLEy und GEGENBAUR erwähnt. Von Huxrey, dessen Arbeiten offenbar nicht übersetzt sind, weiß Herr CARLIER nur, dass er ein Gegner der Wirbeltheorie ist. Nicht so leichten Kaufes kommt GEGENBAUR weg, dessen »Grundziige der vergleichen- den Anatomie« ins Französische übersetzt sind und daher dem Verfasser der »Anatomie philosophique« zugänglich waren. Das Argument von GEGENBAUR, dass der knorpelige Primordialschädel, der doch, wenn die alte Schädelwirbeltheorie richtig wäre, vor Allem eine Gliede- rung zeigen müsste, stets ungegliedert ist, widerlegt Herr CARLIER mit dem Hinweis auf die Chorda dorsalis, die ursprünglich auch ungegliedert sei und erst später eine Segmentation, von welcher Herr CARLIER die Bildung der Wir- bel abzuleiten scheint, erkennen lasse! (pag. 116). Dagegen lässt der Verfasser die von GEGENBAUR hervorgehobene That- sache, dass die Parietalia und Frontalia Hautknochen seien und daher nicht Elemente von Schädelwirbeln vorstellen können, gelten, und betrachtet diese Knochen als accessorische Schlussstücke der Schädelwirbel. Übrigens schreibt er die Entdeckung, dass diese Knochen im Bindegewebe, ohne Betheiligung von Knorpel sich bilden, Herrn RoUGET in Montpellier zu, was bei seiner vollstiin- digen Unkenntnis der anatomischen Litteratur nicht Wunder nehmen darf. Als eine klassische Leistung, die alles Vorhergehende in den Schatten stellt, werden die wenigen Seiten, die SAPPEY in seiner »Anatomie descriptive« der Wirbeltheorie des Schädels widmet, hingestellt. Die genaue Analyse der recht absurden, eignen Theorie des Herrn Car- LIER kann nach den Proben, die wir von dessen Kenntnissen und dessen Ur- theilsfähigkeit angeführt haben, nicht Aufgabe dieses Referates sein. Es sei kurz erwähnt, dass der Verfasser fünf Kopfwirbel unterscheidet, von denen die drei hinteren dem Schädel, die beiden vorderen dem Gesicht angehören. Außer- dem gehen in die Zusammensetzung des Cranium noch Knochen ein, die den Sinnesorganen eigen sind, wie das Petrosum und Tympanicum und Knochen, die dem dritten Gliedmaßenpaar, dem Unterkiefer, angehören, nämlich das Squa- mosum und der Unterkiefer selbst. Der Ober- und der Zwischenkiefer, deren bindegewebige Entstehung Herrn CARLIER vollständig unbekannt ist, werden als untere Bogenstücke der Gesichtswirbel betrachtet. An eine Idee von OKEN und BLAINVILLE anknüpfend, bringt Herr Car- LIER jeden Schädelwirbel mit einem specifischen Sinnesorgan in Verbindung. Der Occipitalwirbel ist der Wirbel des Geschmacks; auf ihn folgen nach vorn die Wirbel des Gehörs und des Gesichts. Der hintere Facialwirbel steht in Beziehung zum Geruchsorgan. Für den vorderen Facialwirbel, zu welchem als Körper das Septum cartilagineum, als oberes Bogenstück die Cartilago triangu- laris der Nase und als unterer Bogen die Zwischenkiefer gehören, bleibt kein Sinnesorgan mehr übrig. Und gerade hier offenbart sich die Genialität des Herrn CARLIER in glän- zender Weise und bringt etwas zu Tage, das in den Annalen der Morphologie zur steten Erinnerung vermerkt zu werden verdient. Der vordere Gesichtswirbel 190 Besprechung. ist der Wirbel des Tastsinns, sein specifisches Sinnesorgan — das Jacobson- sche Organ!! Der beschränkte Raum gestattet uns nicht auf die Art und Weise einzu- gehen, wie der Verfasser der »Anatomie philosophique« zu beweisen bestrebt ist, dass Anatomen und Physiologen bis jetzt jämmerlich geirrt haben, wenn sie glaubten, dass die ganze Haut Sitz des Tastsinnes sei, und müssen wir den wissbegierigen Leser auf die pag. 131—133 des Originals verweisen. Genug, Herr CARLIER kommt zum Resultate, dass der Tastsinn sein specifisches Sin- nesorgan haben müsse. Und wo anders könne dasselbe gelegen sein, als am vorderen Körperende? Und wie könnte es etwas Anderes sein, als das Jacob- son’sche Organ? Bei welchem Thiere sei das letztere besser ausgebildet, als beim Schwein, und welches Thier taste mit seinem Rüssel so fein, wie ein Schwein? Also ist das Jacobson’sche Organ das specifische Tastorgan! In dieser kaum glaublichen Weise argumentirt Herr CARLIER auf pag. 133—134. Etwas weiter findet der wissbegierige Zoologe eine ausfiihrliche Abhand- lung iiber Schnauzen und Riissel sammt den Abbildungen eines Elephanten- riissels, einer Spitzmaus, eines Schwertfisches (Xiphias) und einer Heuschrecke, »que j'ai rencontrée en Afrique«. Er erfährt zugleich, dass der Schwertfisch sein »Schwert« zum Tasten benutzt, ähnlich wie das Schwein seinen Riissel, mit welchem der gelehrte Herr CARLIER die Waffe des Xiphias vergleicht (pag. 138). Nach diesen Proben erlässt man uns wohl auf die Schädelwirbeltheorie des Verfassers der »Anatomie philosophique« weiter einzugehen und glaubt uns wohl aufs Wort, wenn wir versichern, dass diese Kapitel sich an die vorhergehen- den, was Unwissenheit und absolute Unfähigkeit des Urtheils betrifft, würdig anreihen. Die pag. 207—279 sind dem neuentdeckten, dritten Gliedmaßenpaar gewid- met, dem Unterkiefer. Derselbe ist eine Gliedmaße und nichts Anderes, da er zum Greifen dient. Herr CARLIER geht von den Vögeln aus und vergleicht das Quadratum derselben mit dem Humerus resp. Femur. Um den Leser von der Richtigkeit dieser Ansicht zu überzeugen, wird auf pag. 265 der Humerus eines Maulwurfs abgebildet, der, wie Herr CARLIER hervorhebt, dem Quadratum eines Vogels außerordentlich ähnlich ist. Nachdem diese Übereinstimmung be- wiesen ist, ist die übrige Vergleichung leicht. Das Articulare mit dem Supra- angulare, die der Verfasser für einen einzigen Knochen zu halten scheint, ent- sprechen der Ulna; das Angulare und Spleniale dem Radius. Das Dentale wird mit dem ganzen Handskelet verglichen! Zwischen dem Articulare und dem Quadratum im hinteren Winkel entdeckt Herr CARLIER bei einer Krähe ein kleines Knöchelchen und dasselbe muss für die Patella resp. das Olekranon der dritten Gliedmaße herhalten. Wenn Herr CARLIER nicht bloß eines der an der Peripherie des Trommelfells gelegenen kleinen Knöchelchen gesehen hat, was uns nicht unwahrscheinlich zu sein scheint, so wäre die »Rotule maxillaire«, welcher er ein eigenes Kapitel widmet, die ein- zige wirkliche Entdeckung, die er gemacht hat. Die Säugethiere unterscheiden sich von den Vögeln durch den Umstand, dass die Knochen des Unterkiefers mit einander verschmelzen und dass auch das Quadratum sich mit dem Kiefer verbindet und dessen Gelenkfortsatz bil- det (sic!). Herr CARLIER widerlegt in ausführlichster Weise die Ansicht von GEOFFROY ST. HILAIRE, der das Quadratum der Vögel mit dem Tympanicum a Besprechung. 191 der Säugethiere verglich. Dass inzwischen eine Reihe von Arbeiten über diese Frage erschienen ist, und zwar von bahnbrechenden Arbeiten, dass in- zwischen eine andere Ansicht über die Homologie dieser Knochen allgemein angenommen worden ist, das Alles ist an dem Verfasser der »Anatomie philo- sophique« spurlos voriibergegangen. Wie sollte er es auch wissen! Es sind ja erst 47 Jahre (1837) seit REICHERT die Entdeckung gemacht hat, dass der proximale Abschnitt des knorpeligen Kieferbogens, der bei Vögeln zum Quadra- tum wird, bei Säugethieren den Amboss hervorgehen lässt. Statt dessen kramt er seine eigene Ansicht hervor, deren Unrichtigkeit seit bald einem halben Jahr- hundert, so weit gebildete Anatomen und Zoologen leben, allgemein anerkannt ist. Im Weiteren vergleicht der Verfasser das Squamosum mit der Scapula resp. mit dem Ileum und den Processus jugularis mit dem Acromion; das Jochbein entspricht der Clavicula! Auch die Embryologie wird einmal zur Ab- wechselung zu Rathe gezogen und findet Herr CARLIER, dass die Schläfen- schuppe beim Embryo und auch noch beim Neugeborenen ganz flach sei und dem Schulterblatt vollständig gleiche. Von dem fundamentalen Unterschied in der Entwicklung beider Knochen, indem der eine sich im Bindegewebe bildet, während der andere knorpelig präformirt ist, weiß Herr CARLIER eben so wenig, wie von anderen elementaren Thatsachen der Anatomie. Wozu auch für einen Mann, der »Anatomie philosophique« treibt? Auf eine ernste Kritik der in diesem Buche niedergelegten Ansichten ein- zugehen können wir verzichten. Sie richten sich selbst. Der letzte Abschnitt des Werkes von Herrn CARLIER handelt von den vorderen und hinteren Extremitäten und von der Vergleichung derselben. Es genügt wohl zur Charakteristik dieses Theils der »Anatomie philosophique« wenn wir bemerken, dass der Verfasser als das Neueste, was über die vergleichende Anatomie der Extremitäten geschrieben worden ist, die 1863 erschienene Arbeit von CHARLES MARTINS »Sur l’'homologie des membres pelviens et thoraciques de lhomme« citirt. Der außerordentliche Aufschwung, den gerade die verglei- chende Anatomie der Extremitäten in den letzten 20 Jahren genommen hat, so dass sie gegenwärtig zu den am besten gekannten Abschnitten der Morphologie der Wirbelthiere gehört, ist an Herrn CARLIER eben so spurlos vorüber gegan- gen, wie alle übrigen Fortschritte, welche die Anatomie in dem letzten halben Jahrhundert gemacht hat. Es ist komisch und mitleiderregend zu gleicher Zeit, zu sehen, wie er seine Mühe an die Lösung von Problemen verschwendet, die längst keine Probleme mehr sind. Nach dem gegebenen Referate, das wir möglichst unparteiisch zu geben bemüht waren, wird der Leser gewiss ersehen, dass unser Urtheil über die Anatomie philosophique kein ungerechtes war. Eine andere Frage ist es, ob es sich denn überhaupt gelohnt hat von einer Arbeit, die sich nur durch ne- gative Eigenschaften auszeichnet, eine so lange und ausführliche Besprechung zu geben. Wenn diese Arbeit einen vollständig privaten Charakter tragen würde — gewiss nicht. Die »Anatomie philosophique« ist jedoch eine »Thése pour le doctorat en médecine«, die der medicinischen Fakultät zu Paris vorgelegt und von dieser gut geheißen worden ist. Ein Kollegium von drei Richtern, die auf dem Titel- blatt genannt sind, unter dem Vorsitze des Prof. der Anatomie Herrn SAppey, hat die Genehmigung zum Druck derselben gegeben. Und wenn auch die medicinische Fakultät, wie es auf der Rückseite des Titelblattes steht, die Verantwortung für die in den Dissertationen vertretenen Meinungen nicht übernimmt, so kann 192 Besprechung. das eben nur von den einzelnen Ansichten des Verfassers gelten. Die moralische Verantwortung für den ganzen Geist, in welchem eine Arbeit verfasst ist, fällt jenen zur Last, von denen die Arbeit als Speeimen eruditionis gefordert wird, und der Umstand, dass die Beurtheiler der »Anatomie philosophique« in dersel- ben nichts unbedingt Abzuweisendes sahen, muss im gelindesten Maße als höchst auffallend erachtet werden. Ob man dort wohl das Gebiet der Anato- mie philosophique für einen Tummelplatz beliebiger Meinungen hält? Um übrigens nicht ungerecht zu sein, wollen wir noch erwähnen, dass die Disposition des Stoffes und der Stil, in welchem das Buch verfasst ist, durchweg elegant und klar sind, so dass die zahlreichen absurden Behauptun- gen, die Herr CARLIER vorbringt, auf den ersten Blick hervortreten und sich nicht hinter unklaren Wendungen zu verstecken suchen. In dieser Hinsicht unter- scheidet sich die »Anatomie philosophique« zu ihrem Vortheil vor einigen in den letzten Jahren in Deutschland publieirten Werken. Heidelberg, den 7. Februar 1884. M. Sagemehl. Uber die Pharyngealtaschen der Scarinen und das „Wiederkäuen‘ dieser Fische. Von M. Sagemehl. Mit 1 Holzschnittfigur. Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, dass bei Wirbelthie- ren, die im Wasser leben, die Mundhöhle entweder gar keine secer- nirenden Drüsen besitzt oder doch nur Rudimente von solchen er- kennen lässt. Namentlich ist bis jetzt in der Klasse der Fische kein Beispiel einer Drüse der Mundhöhle bekannt geworden. Um so auffallender muss eine von VALENCIENNES in seiner zusammen mit Cuvier begonnenen »Histoire naturelle des poissons« gemachte Angabe erscheinen, dass bei der Labroidengattung Scarus (die unter- suchte Art ist nicht genauer angegeben, doch ist es wahrscheinlich Searus cretensis) zu beiden Seiten des unteren Schlundknochens eine Aussackung der Schleimhaut vorhanden ist, die wahrscheinlich ein Sekret absondert. »La membrane du fond de la bouche, en avant de ces os (pharyngiens) est trés-veloutée, ainsi que le voile, qui est derriere les mächoires et le commencement de l’oesophage. Il y a plus profondément aux deux cötes de la lame verticale du pharyn- gien inférieur, sous la membrane du pharynx deux bourses muqueu- ses, herissées en dedans de papilles et dont les orifices s’ouvrent entre cet os et les supérieurs de chaque cété, probablement pour verser quelque humeur propre 4 favoriser la mastication«'. 1 QUVIER et VALENCIENNES, Histoire naturelle des poissons, Tome XIV. pag. 158 (1839). Morpholog. Jahrbuch. 10. 13 194 M. Sagemehl Von späteren Autoren ist, meines Wissens, Srannivus! der ein- zige, welcher die Angabe von VALENCIENNES wiedergiebt, ohne dass er eigene Beobachtungen tiber diese Frage angestellt hiitte. Da an eine sekretorische Drüse in der Mundhöhle eines Fisches nicht wohl gedacht werden konnte, so schien es mir nicht unwahr- scheinlich zu sein, dass Scarus ein accessorisches Branchialorgan besitzt, ähnlich dem von HyrrL? bei vielen Clupeiden entdeckten. Um so lieber benutzte ich die Gelegenheit, die mir durch die außer- ordentliche Liebenswürdigkeit des Herrn Geheimrath GEGENBAUR ge- boten wurde, eine Anzahl von Arten aus der Gruppe der Scarinen selbst zu untersuchen. Meine Vermuthung bestätigte sich zwar nicht, doch fand ich zu meiner Überraschung bei sämmtlichen untersuchten Scarinen eigen- thümliche Aussackungen der Pharyngealschleimhaut, die nach den weiter unten genauer geschilderten Befunden nur als Baekentaschen, zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln, fungiren konnten. Ganz abgesehen davon, dass ähnliche Organe bis jetzt bei Fischen nicht bekannt waren, und diese zufällig gemachte Entdeckung schon aus diesem Grunde ein gewisses Interesse beanspruchen durfte, kam in diesem Falle noch der Umstand hinzu, dass die schon von ARISTO- TELES gemachte Angabe, dass der Sx@oog ein Wiederkäuer unter den Fischen sei, die stets für eine Fabel erklärt worden war, im vollsten Umfange bestätigt werden konnte. Untersucht wurden fol- gende Gattungen und Arten aus der Gruppe der Scarinen?: Scarus radians Val., Bermudas (20—22 cm, 2 Exempl.) Pseudoscarus Dussumierii Val., Indisch. Ocean (33 em, 1 Exempl. - viridis Günth., - - (16—18 em, 2 Ex.) - aeruginosus Val., - - (14—15 em, 2 Ex.) - pyrrhosthetus Bleek., - - (31 em, 1 Exempl.) Searichthys eoeruleopunctatus Bleek., Indisch. Ocean (20 cm, 1 Ex.) Callyodon spinidens Bleek., Indisch. Ocean (7—S em, 2 Ex.). Die schnabelartig geformten Kiefer der Scarinen, welche diesen Fischen in vielen Sprachen den Namen von Papageifischen verschafft 1 Srannius, Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. II. Aufl. Th. I. pag. 186. 2 Hyrrt, Uber die accessorischen Kiemenorgane der Clupeaceen. Denk- schrift d. Akad. d. Wiss. in Wien, Mathemat.-naturwiss. Klasse. Bd. X. 1855. 3 In Betreff der Nomenclatur habe ich mich an GUNTHER’s Catalogue of Fishes in the colleetion of the British Museum Vol. IV gehalten. Die Pharyngealtaschen der Scarinen u. das Wiederkiiuen dieser Fische. 195 haben, werden von Zähnen bedeckt, die sowohl unter einander, als auch mit den Kieferknochen fest verbunden sind. Die oberen Kiefer werden von den Intermaxillaria, die unteren von den Dentalia gebildet. Am wenigsten weit ist der Process der Verschmelzung an den Kie- ferzihnen bei der Gattung Callyodon gediehen, wenigstens bei den jungen, von mir untersuchten Exemplaren, an deren Kiefern man noch die einzelnen Zahnreihen, die nach Art von Kämmen angeordnet sind, sehr deutlich unterscheiden kann. Weiter ist dieser Ver- schmelzungsprocess bei Scarichthys vorgeschritten, doch lassen sich die einzelnen Zahnreihen, welche in die Bildung des Kieferschnabels eingehen, noch ganz deutlich unterscheiden; auch sind die nackten Kieferränder selbst viel niedriger, als bei den Gattungen Scarus und Pseudoscarus, von denen sich Scarichthys außerdem noch durch weichere, biegsame Flossenstrahlen der Dorsalis unterscheidet. Bei den beiden zuletzt erwähnten Gattungen ist die Verschmel- zung der Kieferzähne unter sich eine sehr innige, und nur die mo- saikartige, eigenthümliche Skulptur der Kieferränder deutet die ur- sprünglichen Grenzen der einzelnen Zähne an. Der feinere Bau dieser Kiefer und der Wechsel der dieselben bedeckenden Zähne ist von OwEn! und später von Boas? ausführlich beschrieben worden, auf welche Arbeiten ich hier verweise. Die sehr scharfen Ränder der Kiefer sind leicht gezähnelt, und bei der Gattung Scarus über- ragt der obere Kiefer den unteren, während bei Pseudoscarus das Umgekehrte stattfindet. Diese Verschiedenheit in der Stellung der Kiefer ist auch der wesentlichste zoologische Unterschied zwischen den beiden sonst sehr ähnlichen Gattungen. Das Kiefergelenk ist bei allen von mir untersuchten Scarinen derartig beschaffen, dass bei einer Abwärtsbewegung des Unterkiefers zu gleicher Zeit eine Aufwärtsbewegung des Oberkiefers stattfindet. Es kommt dieses dadurch zu Stande, dass das kleine, hinter dem Zwischenkiefer ge- legene Maxillare sich mit einem aufsteigenden, dem Dentale des Unter- kiefers angehörigen Fortsatze gelenkig verbindet. Bei einer Abwärts- bewegung des Unterkiefers wird nun der ganze Oberkieferapparat um eine frontale Achse gedreht. Die Bewegungen des Unterkiefers selbst erfolgen bei den Scarinen, wie schon VALENCIENNES richtig angegeben hat, nicht in dem gewöhnlichen Gelenk zwischen Qua- ! R. Owen, Odontography, pag. 112 u. ff. London 1840. 2 Boas, Die Zähne der Scaroiden. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. 32. (1879). 13% 196 M. Sagemehl dratum und Articulare, sondern vorwiegend zwischen dem letzteren und dem Dentale, die statt synostotisch mit einander verbunden zu sein, nur durch Ligamente locker zusammengehalten werden. Nach meinen an Spiritusexemplaren angestellten Versuchen kön- nen die Scarinen mit ihren Kiefern nur einfache Beißbewegungen ausführen, und es erscheint mir ganz unverständlich, wie VALEN- CIENNES von einer Vor- und Rückwärtsbewegung der Kiefer, durch welche die Nahrungsmittel zermahlen werden, hat sprechen können !. Der ganze Kiefermechanismus ist vielmehr ein derartiger, dass alle Bewegungen, außer einfacher Öffnung und Schließung absolut un- möglich sind; überdies weisen auch schon die messerscharfen Kie- ferränder, die niemals auch nur eine Spur von Abschleifung erkennen lassen, darauf hin, dass sie zur Zermahlung von Nahrungsmitteln durchaus ungeeignet sind. Die Mundhöhle der Scarinen wird im ganzen vorderen Theile von einer dünnen und glatten Schleimhaut ausgekleidet, die keiner- lei Papillen oder andere Unebenheiten erkennen lässt. Nach der Kiemenhöhle hin führen auf jeder Seite vier Kiemenspalten. Der vierte Kiemenbogen der Scarinen trägt, eben so wie bei allen übri- sen Labroiden, nur eine halbe Kieme und die hinter ihm gele- gene fünfte Kiemenspalte ist obliterirt, wie bei allen Fischen, die nur eine halbe Kieme am vierten Bogen besitzen ?. Die den fünften Kiemenbogen repräsentirenden Schlundknochen sind bei den Scarinen zu einer unpaaren Platte verschmolzen, welche von eigenthümlich gebauten Zähnen bedeckt ist (vgl. die Abbild. Ph.z.). Die letzteren stehen bei Scarus radians in 9—11 Querreihen und jeder Pharyngealzahn hat die Gestalt einer länglich viereckigen Leiste, die cirea 1-—2!/, mm lang und °/, mm breit ist und deren längerer Durchmesser in der Frontalachse steht. Dabei ist noch zu bemer- ken, dass die Zähne der einzelnen Querreihen nicht in geraden Linien hinter einander stehen, sondern mit einander alterniren. Die Zahl der Zähne in jeder Querreihe beträgt fünf bis sechs. Der Ersatz der abgenutzten Zähne erfolgt von hinten her, so dass die vordersten Zähne der unteren Pharyngealplatte die am meisten ab- seschliffenen sind. Die ganze zahntragende Platte der verschmolzenen unteren ! CUVIER et VALENCIENNES |. c. T. XIV. pag. 152. 2 Vgl. Jou. MÜLLER, Uber den Bau und die Grenzen der Ganoiden und das natürliche System der Fische. Abhandl. d. Berl. Akad. d. Wissensch. v. Jahre 1844. Die Pharyngealtaschen der Scarinen u. das Wiederkiiuen dieser Fische. 197 Schlundknochen prominirt beträchtlich über das Nievau der sie um- gebenden Schleimhaut. Ihr Kontur ist bei der Gattung Scarus queroval, bei Pseudoscarus liingsoval; bei beiden ist diese Platte von vorn nach hinten konkav ausgehöhlt, in leichtem Grade bei Scarus, ganz beträchtlich bei Pseudoscarus. Die Länge der ganzen Platte beträgt bei Scarus radians, an den ich mich bei der Beschrei- bung halte, 8 mm, ihre größte Breite 10 mm. Die oberen Schlundknochen der Scarinen sind sehr derb gebaut und lagern sich in besondere rinnenartige Aushöhlungen des Occi- pitale basilare, in denen sie vor- und rückwärts gleiten können. Beide Knochen sind in der Mittellinie durch Bandmassen fest mit einander verbunden, so dass sie sich bei allen Bewegungen annä- hernd wie ein einziges Stück verhalten. Die der Mundhöhle zuge- kehrte Fläche eines jeden dieser Knochen ist eirca 16 mm lang und 5mm breit und wird von drei Längsreihen von leistenartigen Zähnen eingenommen, die zu je 11—12 in einer Reihe stehen (P%A.s.). Umge- kehrt wie am unteren Schlundknochen findet der Ersatz der abge- riebenen Zähne von vorn nach hinten statt. Die ganze von den Pharyngea superiora gebildete zahntragende Fläche ist annähernd längsoval und ziemlich stark von vorn nach hinten konvex gebogen. Die Bewegungen der oberen Schlundknochen sind Gleitbewegungen von vorn nach hinten, bei denen zu gleicher Zeit, da die Schlitten- flächen des Occipitale basilare leicht gewölbt sind, eine schwache Ro- tation dieser Knochen um eine frontale Achse stattfindet. Sowohl der untere, als auch die oberen Schlundknochen besitzen zu ihrer Bewegung eine mächtig ausgebildete Muskulatur, deren specielle Beschreibung außerhalb des Planes der vorliegenden Arbeit liegt. Das Ganze stellt einen höchst vollkommenen Triturationsapparat vor, von dessen Wirksamkeit man sich durch die Untersuchung des Ma- geninhalts dieser Fische leicht überzeugen kann. Wie schon Va- LENCIENNES richtig angegeben hat, findet man im Magen der Searinen einen fast homogenen Speisebrei, dessen Herkunft selbst mittels des Mikroskops schwer festzustellen ist; so fein sind die Nahrungsstoffe zermahlen! Hinter diesem Mahlapparat verengt sich die Schlundhöhle ziemlich schnell und geht in den relativ sehr engen (bei Scarus radians 4 mm im Durchmesser) Oesophagus über. Der interessanteste Theil der Mundhöhle ist der unmittelbar vor den Schlundknochen gelegene Theil derselben. Während die Schleimhaut der Mundhöhle im ganzen vorderen und mittleren Theil dünn und glatt ist, erscheint sie vor dem 198 M. Sagemehl Pharyngealknochen betrichtlich verdickt und wulstig. Die Verdickung der Schleimhaut an diesen Stellen ist auf Rechnung einer starken, aus quergestreiften Fasern bestehenden Muscularis zu setzen, die mit der sie bedeckenden Mucosa innig verbunden ist. Außerdem ist die ganze Oberfläche der Mucosa in diesem Theil tief zerklüftet und an einzelnen Stellen mit sehr deutlichen, großen Papillen besetzt. Eine genauere mikroskopische Untersuchung war wegen des nicht genügenden Erhaltungszustandes der mir zu Gebote stehenden Exem- plare nicht gut ausführbar, doch zeigte das makroskopische Verhal- ten dieser modifieirten Theile der Mundschleimhaut eine so auffal- lende Ähnlichkeit mit dem sogenannten kontraktilen Gaumenorgan der Cyprinoiden!, dass es mir höchst wahrscheinlich erscheint, dass auch bei den Scarinen an diesen Stellen willkürliche oder reflekto- risch ausgelöste Kontraktionen stattfinden, durch welche die ver- schluckten Bissen weiter nach hinten befördert werden. Der Theil der Mundschleimhaut, welcher diese modifieirte Be- schaffenheit aufweist, hat am Boden der Mundhöhle annähernd die Gestalt eines Dreiecks, dessen Spitze nach vorn gerichtet ist (vgl: die Abbildung). Die Basis dieses Dreiecks grenzt an den unteren Schlundknochen, seine Seiten werden von den letzten, nach vorn konvergirenden Kiemenspalten begrenzt. Von den hinteren lateralen Ecken dieses von gewulsteter Schleimhaut gebildeten Dreiecks er- streckt sich längs der lateralen Theile der Mundhöhle zur Decke derselben ein Streifen von ähnlich beschaffener Schleimhaut. An der Decke bildet die Sehleimhaut vor den oberen Schlundknochen eine nach unten hängende, dicke Falte, die in der Mittellinie gespalten ist. Die Seitentheile dieser Falte, welche schon VALENCIENNES tref- fend mit dem Gaumensegel der Säugethiere verglichen hat, werden von den Pharyngobranchialstiicken des ersten Kiemenbogens ge- stützt. Dicht vor dem unteren Schlundknochen, zu beiden Seiten des- selben, bemerken wir, an den Stellen, wo sonst bei den meisten Fischen die letzten Kiemenspalten liegen, die breiten Eingänge zu zwei großen, blinden, taschenartigen Aussackungen der Mundschleim- haut (PAt.) Die Öffnungen, die in die Säcke hineinführen, sind oval und 1 Namentlich ist die Ähnlichkeit mit dem Gaumenorgan der Catostominen, die unter den Cyprinoiden eine relativ geringe Differenzirung dieses Organs aufweisen; eine sehr auffallende, Die Pharyngealtaschen der Scarinen u. das Wiederkiiuen dieser Fische. 199 haben bei Scarus radians eine Liinge von 5 mm bei einer Breite von 3 mm. Die Säcke selbst, die ich als Pharyngealtaschen bezeichnen will, erreicht man bequemer, als von der Mundhöhle aus, von der Kiemenhöhle. Wenn man die letzte halbe Kieme des ‚vierten Kiemenbogens zur Seite drängt und zwischen dem vierten Kiemenbogen und der von der Clavieula gebildeten hinteren Wand der Kiemenhöhle die Schleimhaut durchtrennt, so gelangt man ganz unmittelbar in einen von glat- ten Wänden begrenzten Raum, in welchem ganz lose die uns interessi- rende Pharyngealtasche liegt. Die Tiefe dieser Tasche beträgt bei dem circa 20 em langen Searus radians fast Mund- und Beeps pon Scarus Aes dians von oben eröffnet und aus ein- 1,5 em, ihre größte Breite in collabir- ander gefaltet. tem Zustande 18 mm. Bei den anderen J" Zwischenkiefer; Ks. 1—2 Kiemen- 3 4 spalten; Pht Eingang zur Pharyngeal- untersuchten Searinen, die alle ohne Aus- tasche; Ph. unterer Schlundknochen; nahme! Pharyngealtaschen besitzen, ist ?-s oberer Schlundknochen; Oe Ein- gang zum Oesophagus. deren relative Größe ungefähr dieselbe. Was die morphologische Bedeutung der Pharyngealtaschen der Searinen betrifft, so kann nach der ganzen topographischen Lage, wie ich glaube, nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, dass es hier die letzte (fünfte) Kiemenspalte der Teleostier ist, die obli- terirt und darauf zu einem eigenthümlichen Organ umgestaltet ist. Die Lage der Pharyngealtaschen und ihre Beziehungen zu benach- barten Organen sind, wie man sich aus meiner Beschreibung über- zeugen kann, genau diejenigen der fünften Kiemenspalte der Kno- chenfische. Die Wandungen der Pharyngealtaschen lassen drei Schichten unterscheiden. Die äußerste Schicht ist die dünne, glänzende Serosa, die dadurch zu Stande kommt, dass jede Pharyngealtasche mit ihrer Umgebung nicht verwachsen ist, sondern frei in einer weiten, glatten ! An dem von mir untersuchten Exemplar von Scarichthys coeruleopuncta- tus war der untere Pharyngealknochen entfernt worden und mit ihm auch die Taschen. Dass die letzteren jedoch existirt hatten, konnte man noch aus dem Vorhandensein der glatten Höhlungen schließen, die oben beschrieben worden - sind. 200 M. Sagemehl Höhle hängt. Unter der Serosa folgt eine Muscularis, die aus Bün- deln von quergestreiften Muskelfasern gebildet wird, welehe haupt- sächlich als schräge Bogenfasern den Sack umspinnen. Die Dicke dieser Schicht ist sehr verschieden und hängt hauptsächlich von dem Kontraktionszustande der ganzen Pharyngealtasche ab. Im relaxir- ten Zustande war sie bei Scarus radians eirca 0,75 mm dick; an einer stark kontrahirten Tasche von Pseudoscarus Dussumierii betrug ihre Dicke fast volle 1,5 mm. Die Mucosa wird von einem feinen Netzwerk von Bindegewebsfasern gebildet, in welchem zahlreiche gekörnelte Zellen liegen, die meistens, entsprechend der Faserrich- tung, in ziemlich regelmäßigen Längszügen angeordnet sind. Die Oberfläche der Mucosa ist bei Scarus radians in Falten erhoben, die sich mannigfaltig durchkreuzen und auf diese Weise eine grobma- schige Zeichnung erzeugen. Bei anderen Scarinen, z. B. bei Pseudo- scarus Dussumierii, sind diese Maschen viel enger und die von ihnen umzogenen Zellen tiefer; am Boden des Sackes erheben sich sogar von der Höhe der Falten zahlreiche, dicht gestellte Papillen. Eine vollständige Bedeckung der Mucosa mit Papillen, wie sie VALEN- CIENNES bei dem von ihm untersuchten Scarus angiebt, habe ich an meinen Arten nicht angetroffen. Das die Mucosa bedeckende Epi- thel hatte sich an den meisten Stellen durch Maceration abgelöst: doch habe ich immerhin so viel feststellen können, dass es ein mehr flaches Epithel ist, das mit dem von auffallend hohen Zellen ge- bildeten Cylinderepithel des Magens der Scarinen nicht die mindeste Ähnlichkeit besitzt. Wie ich noch ausdrücklich hervorheben will, habe ich trotz besonders darauf gerichteter Aufmerksamkeit keine Spur von Drüsen oder drüsenartigen Bildungen in den Pharyngeal- taschen der Scarinen entdecken können, so dass die Ansicht von VALENCIENNES, dass diese Taschen ein bei der Verdauung wirken- des Sekret absondern, wohl kaum aufrecht erhalten werden kann. Nach der ganzen topographischen Lage und nach dem Bau dieser Taschen muss man sie für Behälter hal- ten, in welchen die mit den Kiefern abgebissenen Nah- rungsmittel aufbewahrt werden, um später in aller Ruhe zwischen den Pharyngealzähnen zermahlen zu werden. Die vorgenommene Untersuchung des Inhalts der Pharyngeal- taschen der Scarinen bestätigte diese Ansicht zur Evidenz. Unter den von mir untersuchten Exemplaren fand ich die Pha- ryngealtaschen nur ein einziges Mal vollständig leer, und zu gleicher - Die Pharyngealtaschen der Scarinen u. das Wiederkiiuen dieser Fische. 901 Zeit in stark kentrahirtem Zustande; in allen übrigen Fällen ent- hielten dieselben stets Nahrungsmittel und waren in nicht seltenen Fallen strotzend angefüllt. Die mikroskopische Untersuchung des Inhalts der Pharyngeal- taschen ergab, dass es zum größten Theil Algen sind, welche den Scarinen als Nahrung dienen; und zwar fand ich sowohl größere Büschel von Fadenalgen, als auch kleine abgebissene Stücke von Tangen; namentlich die jungen Spitzen der Äste. Von den sonstigen, weniger häufig angetroffenen Nahrungsmitteln erwähne ich noch Stücke eines Hydroidpolypen, die ich zwischen dem übrigen Inhalt der Taschen bei Pseudoscarus Dussumierii in größerer Zahl antraf. Nicht selten waren Nadeln von Kieselschwämmen zu finden und in mehreren Fällen auch größere Stücke der letzteren. Endlich traf ich noch häufig eigenthümliche Bröckel von kohlensaurem Kalk an, die in einem Falle, bei Pseudoscarus viridis, sogar den alleinigen Inhalt des strotzend angefüllten Sackes bildeten, und die ich auf Fragmente von Korallen glaube beziehen zu können. Alle diese Nahrungspartikel fanden sich zwar in ziemlich kleinen Stückchen vor, doch gut erhalten und durchaus nicht zu Brei zermahlen. Im Ge- gensatz dazu fand sich im Magen, wie ich schon früher erwähnt habe, ein fein zerriebener Speisebrei. Nach allen diesen Befunden können wir uns ein ziemlich voll- ständiges Bild von der Art der Nahrungsaufnahme bei den Scarinen machen. Mit ihren scharfen, wie Scheren wirkenden Kiefern beißen und schaben sie von den Felsen oder Korallenriffen, in deren Nähe sie sich aufzuhalten pflegen', Algen, Hydroidpolypen, Schwämme, Korallen ete. ab. Der konstante, durch die Athembewegungen erzeugte Wasserstrom befördert die abgebissenen Partikel bis in die Gegend der letzten Kiemenspalte, in welche letztere zu gelangen dieselben durch den bei Scarinen allerdings wenig entwickelten, von den mo- difieirten Pharyngealstrahlen gebildeten, Reusenapparat abgehalten werden. Hinter der letzten Kiemenspalte werden die Nahrungspar- tikel aller Wahrscheinlichkeit nach durch Kontraktionen der musku- lösen, gewulsteten Schleimhaut weiter nach hinten befördert, — in die Pharyngealtaschen hinein. Wahrscheinlich spielt auch die oben beschriebene, nach Art eines Gaumensegels gestaltete Schleimhaut- falte an der Decke der Mundhöhle bei dieser Thätigkeit eine ge- wisse Rolle. 1 Vgl. Cuvier et VALENCIENNES |. c. T. XIV. pag. 150. 202 M. Sagemehl Nachdem nun der Fisch genügend »gegrast« und seine Pharyn- gealtaschen angefüllt hat, sucht er sich eine ruhigere Stelle auf und beginnt die Nahrungsmittel, die durch Kontraktionen der muskulösen Pharyngealtaschen wieder in die Mundhöhle gelangen, zwischen dem durch die Schlundknochen gebildeten Mahlapparat zu Brei zu zer- reiben. Es kann, wie ich glaube, kaum zweifelhaft sein, dass es diese am ruhenden Fisch zu beobachtende Mahlbewegung war, welche die alten Autoren zu dem, wie man zugeben muss, ganz treffenden Vergleiche des Scarus mit einem Wiederkäuer veran- lasst hat. Diese Eigenthümlichkeit des Nx«@g05 musste um so mehr auffal- len, als dieser Fisch wegen seines Wohlgeschmackes zu den aller- populärsten des Alterthums gehörte und über ihn mehr Berichte vor- liegen, als über irgend einen anderen Fisch. An der Identität des griechischen Sx«oog mit unserem Scarus eretensis kann, wie VALEN- CIENNES ausführlich erörtert hat, gar kein vernünftiger Zweifel be- stehen. Noch jetzt ist der Scarus cretensis ausschließlich auf den östlichsten Theil des Mittelmeers beschränkt; noch immer heißt er auf Creta »Searo« und vor Allem passen alle Angaben der alten Autoren über den Sxa@oos vollständig auf ihn, bis auf die eine An- gabe, dass er wiederkäue, die man in neuerer Zeit für eine Fabel gehalten hat. Unter den alten Schriftstellern, die über das Wiederkäuen des Searus berichten, steht nach VALENCIENNES!, der die darauf bezüg- lichen Angaben sehr sorgfältig zusammengestellt hat, ARISTOTELES an der Spitze. An drei verschiedenen Stellen seiner auf die Zoolo- gie bezüglichen Schriften hat er diese Eigenthiimlichkeit des Scarus erwähnt. PLixıus, AELIAN, der heilige Amprosıus und der heilige BasıLıus haben die Angaben des ARISTOTELES reprodueirt. Unter den Dichtern sind es Ovip und Oppian, welche ebenfalls vom Wie- derkäuen dieses Fisches reden. Schon diese zahlreichen, ganz übereinstimmenden Angaben über einen Fisch, der den Alten weit genauer bekannt war, als heut zu Tage, der zur Zeit der Imperatoren sogar in besonderen Vivarien mit an- deren geschätzten Seefischen gehalten wurde, ließen es als wahr- scheinlich erscheinen, dass ihnen irgend etwas Thatsächliches zu Grunde liegen muss. Um so mehr freut es mich das »Wiederkäuen« der Scarinen, so 1 CUVIER et VALENCIENNES, |. c. T. XIV. pag. 132—143. Die Pharyngealtaschen der Scarinen u. das Wiederkiiuen dieser Fische. 203 weit es aus dem bloßen anatomischen Befunde, ohne direkte Beob- achtung der Fische möglich ist, vollkommen bestätigen zu können und damit den nicht wenigen erst in der neueren Zeit zu Ehren ge- brachten Beobachtungen des ARISTOTELES eine weitere anreihen zu können. Vielleicht geben diese Zeilen einem Zoologen, der in der günsti- sen Lage ist, diese Fische lebend beobachten zu können, die Ver- anlassung auf das viel bezweifelte Wiederkäuen derselben ein beson- deres Augenmerk zu richten. Ihr Zweck wäre damit erfüllt. Heidelberg, den 18. März 1884. Erythropsis agilis. Eine neue Protozoe. Von Dr. Richard Hertwig, in Bonn. Mit Tafel VI. Als ich während der Osterferien 1884 in Sorrent die ersten Ent- wicklungsvorgiinge im Ei der Seeigel untersuchte, fand ich in einem Uhrschälchen, in welchem so eben befruchtete Eier in frisch auf- gegossenem Seewasser lagen, bei sehr schwacher Vergrößerung (ZEISS A, Oc. I) einen höchst eigenthümlichen Organismus, welcher in sei- ner äußeren Gestalt am meisten einer Appendicularie glich, einen länglich runden Körper, welcher in einen sehr kontraktilen schwanz- artigen Fortsatz ausging. Ich übertrug das Thier zur näheren Untersuchung auf einen Objekttriger und -bedeckte es mit einem Deckgläschen, musste mich aber leider überzeugen, dass trotz aller angewandten Vorsicht der kleine Körper gelitten hatte, indem der schwanzartige Fortsatz unter lebhaften Kontraktionen sich loslöste und zerfiel, ehe ich noch Zeit hatte, eine stärkere Vergrößerung zum genaueren Studium anzuwenden. Ich entschloss mich daher rasch das Thier mit Osmiumsäure abzutödten und mit Pikrokarmin zu fär- ben, um so den Haupttheil des Körpers wenigstens zu konserviren. Später machte ich ein Glycerinpräparat, welches ich mit nach Bonn nahm und hier weiterhin untersuchte. Leider war ich genöthigt bei der Beobachtung mich auf dies einzige Exemplar zu beschränken. Da ich einen Tag später Sorrent verließ, hatte ich nicht mehr Zeit. um durch Schöpfen von Meer- Erythropsis agilis. 205 wasser mir reichlicheres Material zu verschaffen. Auch ließ sich bei der Ungunst der Witterung, welche damals herrschte, von vorn herein kein günstiger Erfolg von weiteren Anstrengungen erwarten. Gleich- wohl hielt ich es für gerechtfertigt mit der Veröffentlichung meiner Beobachtungen nicht zu zögern. Ich fand nämlich, dass es sich um einen einzelligen Organismus handelte, welcher eine ganz selbstän- dige Stellung einnimmt und durch den hohen Grad seiner Differenzi- rung selbst die so eigenthümlichen früher von mir beschriebenen Protozoen Leptodiseus medusoides und Sticholonche Zanelea über- trifft!. Ich möchte daher die Aufmerksamkeit der Fachgenossen, namentlich solcher, welchen es vergönnt ist längere Zeit am Meer zu leben, auf den auffallenden Organismus richten und ihn genauerer fortgesetzter Untersuchung empfehlen. So sehr ich mich auch be- müht habe, das mir zu Gebote stehende Material auszunutzen, so sind doch die äußeren Verhältnisse zu ungünstig: gewesen, als dass ich nicht selbst eine Erweiterung und Prüfung meiner Beobachtungen auf das lebhafteste wünschen sollte. Zu den Abbildungen habe ich noch zu erwähnen, dass die Fig. 8, welche das lebende Thier bei sehr schwacher Vergrößerung darstellt, nach der Erinnerung entworfen wurde und daher nur den allgemeinen Habitus veranschaulichen kann; die anderen Abbildungen wurden dagegen nach dem fixirten Präparat mittels des ABBE’schen Zeichen- apparates gezeichnet. Möglicherweise ist ihre äußere Form nicht ganz natürlich, da dieselbe beim Abreißen des Stieles und bei der Reagentienbehandlung gelitten haben kann. Ich nenne das Thier Erythropsis agilis, weil es in seinen Bewegungen sehr lebhaft ist und die Aufmerksamkeit des Beobachters sofort durch den intensiv braun- rothen , augenähnlichen Pigmentfleck am vorderen Körperende wach ruft. Der Körper der Erythropsis ist wie der Körper der Infusorien asymmetrisch; man kann an ihm zwar ein vorn und hinten, ein links und rechts. dorsal und ventral unterscheiden, aber alle diese Regionen sind einander ungleichwerthig und durch den verschiede- nen Charakter der daselbst befindlichen Organe näher charakterisirt. Die einzelnen Durchmesser des Körpers sind dagegen, wenn wir vom Schwanzanhang absehen, nahezu gleich lang, höchstens ist der 1 RıcHARD Hertwic, Über Leptodiscus medusoides, eine neue den Nocti- lucen verwandte Flagellate, und: Studien tiber Rhizopoden. Jenaische Zeit- schrift. Bd. XI. pag. 307 und 324. 206 R. Hertwig Körper ein wenig längsgestreckt und dorsoventral etwas abge- plattet. Auf der ventralen Seite befindet sich eine tief einschneidende Furche, welche namentlich bei der Betrachtung von einem der Pole (Fig. 3) der Längsachse am deutlichsten zu erkennen ist. Sie ist am tiefsten und schmalsten etwa in der Mitte des Körpers und ver- flacht und verbreitert sich nach beiden Enden zu allmählich. In ihrem Umkreis lagern die einzelnen Organe, welche wir am Körper unter- scheiden können, in folgender Weise. Beiderseits wird sie einge- fasst von zwei Gebilden, auf der linken Seite vom Pigmentfleck, auf der rechten Seite vom Sporenträger; an ihrem Grund be- festigt sich die Pigmentspirale. Nach vorn wird sie überwölbt von dem Deckelapparat. Von ihrem hinteren Ende aus ent- springt der appendicularienähnliche Schwanzanhang. Dorsal end- lich von ihr und mehr auf der linken Seite gelagert finden wir den Kern. Zum größten Theil besteht der Körper aus einem soliden, völlig vakuolenlosen Protoplasma, in welches zahlreiche gröbere und feinere Körnchen eingelagert sind. Darunter sind zahlreiche intensiv rothbraune Pigmentkörnchen, welche namentlich auf der rech- ten Seite des Thieres dicht angehäuft sind; auch bemerkt man scharf konturirte Stäbchen von starkem Lichtbrechungsvermégen nach Art der Bakterien; man könnte sogar vermuthen, dass es hineingerathene Bakterien sind. da manche von ihnen aussehen, als wären sie aus kleinen hinter einander gereihten Körnern gebildet. Auf seiner ganzen Oberfläche wird das Protoplasma von einer deutlich doppelt kontu- rirten im Ganzen strukturlosen Cuticula überzogen. Wenn dieselbe am hintersten Ende des konservirten Thieres nicht recht deutlich war, so hatte das wohl darin seinen Grund, dass hier der Körper durch die Loslösung des Schwanzanhangs eine Verletzung erlitten hatte. Von allen Theilen, welche wir oben aufgeführt haben, lenkt am meisten der Pigmentfleck das Auge des Beobachters auf sich. Er ist eine schön rostbraune Masse, aus welcher ein stark licht- brechender, an einen Otolithen oder auch an eine Linse erinnernder kugeliger Körper herausschaut. Am Osmiumkarminpräparat hatte die Pigmentmasse eine schmutzig braune Farbe angenommen; sie besaß ein homogenes, etwas an Fett erinnerndes Aussehen und ließ sich in Stücke zerquetschen, welche scharfe rissige Ränder zeigten, wie sie feste und spröde Substanzen ergeben (Fig. 7). In ihrer gesammten Gestalt lässt sich die Pigmentmasse einem Napfkuchen Erythropsis agilis. 207 vergleichen; die breite konvex abgerundete Basis schaut dabei nach hinten und dorsal, das schmale, scharf abgestuzte vordere Ende nach vorn und ventral. In letzterem liegt der kugelige Körper derart ein- gebettet, dass er nur zum kleinsten Theil verdeckt wird und minde- stens mit */, seines Umfangs über die Pigmentschale hervorragt. Uber die Beschaffenheit des kugeligen Körpers oder wie ich ihn nennen will, der Linse, im frischen Zustande kann ich nur das We- nige sagen, was ich bei der fliichtigen Untersuchung mit schwacher Vergrößerung wahrnehmen konnte; darach schien er mir vollkom- men homogen und stark lichtbrechend wie eine Ölkugel zu sein. Ich war daher überrascht bei der Behandlung mit Osmiumsäure wahr- zunehmen, dass er zum Theil eine Auflösung erfuhr, ähnlich den Otolithen in den Hörbläschen der Medusen, welche bei der Behand- lung mit Säuren zum größten Theil zerstört werden. Im vorliegen- den Fall blieb — vielleicht weil die Osmiumsäure nicht lange genug gewirkt hatte — ein ansehnlicher Rest übrig, welcher in eine Rinden- schicht und einen Kern gesondert war. Die Rindenschicht war in Folge der Osmiumbehandlung schwach gebräunt, am dünnsten im Innern der Pigmentschale, am frei hervorstehenden Ende dagegen siegelringartig verdickt. Der Kern hatte eine dunklere Färbung und war koncentrisch geschichtet nach Art der Stärkekörner und Kalk- konkretionen. Er lag nicht genau in der Mitte, sondern mehr nach dem basalen Ende des linsenförmigen Körpers zu. Auch war er etwas walzenförmig in die Länge gestreckt, womit es zusammenhing, dass die einzelnen koncentrischen Schichten nicht überall von gleicher Dicke waren. Das gesammte hier in seinen einzelnen Theilen ge- schilderte Organ ist in eine ringförmig vorspringende Falte der Cu- ticula derart eingefasst, dass nur der ölglänzende Körper darüber hervorschaut, die Pigmentmasse dagegen sich im Protoplasma des Körpers befindet. Es liegt zugleich auf einer kleinen Erhöhung, welche da beginnt, wo vorderes und mittleres Drittel des Körpers an einander grenzen. Das Organ gehört somit dem vorderen Kör- perende an. Etwas rückwärts davon erhebt sich auf der rechten Seite und daher durch die Furche vom Augenfleck getrennt der Sporen- träger. Die Cuticula des Körpers ist hier besonders stark und noch weiter von feinen leistenartigen Verdiekungen gestützt, welche auf dem optischen Querschnitt gesehen als scharfe Kämme in das Kör- perinnere vorspringen (Fig. 4). Von der Fläche betrachtet bilden sie zarte unregelmäßig verlaufende Linien. Die Gestalt eines höcker- 208 R. Hertwig artigen Vorsprungs scheint im Wesentlichen dadurch bedingt, dass die Cuticula von dem darunter befindlichen Protoplasma abgehoben ist. Wenigstens finde ich zwischen der Cuticula und dem Protoplasma eine helle Partie, welche die dem Protoplasma des konservirten Thieres sonst zukommende und durch Osmiumsäure bedingte bräunliche Färbung nicht besitzt, sondern nur von feinkörnigen netzförmig angeordneten Strängen durchsetzt wird. Man muss daher mit der Möglichkeit rech- nen, dass es sich um ein Kunstprodukt handelt und dass der Höcker nur durch Quellung des oberflächlichen Protoplasma entstanden ist. Auf der Spitze des Höckers liegt der Sporen, ein schwach ge- krümmter stumpfspitzer Haken, welcher sich über die ventrale Furche herüber legt. Er kann leicht übersehen werden und ist nur bei einigen wenigen Lagen des Thierkörpers gut erkennbar, nämlich wenn man genau von der ventralen Seite aus die Furche betrachtet (Fig. 1) oder wenn man das Thier auf seinem vorderen Ende balaneirt, wo- bei man dann von hinten in die Furche blickt (Fig. 3). Der Sporen ist hohl und von starken cuticularen Wandungen umgeben, welche an der Basis in die allgemeine Körpercuticula hinein sich fortsetzen. Am Sporenträger begegnen wir außerdem noch dem Ende eines höchst eigenthümlichen funktionell gänzlich unverständlichen Gebil- des, eines in regelmäßige Spiralwindungen gelegten Fadens (Fig. 4). Um denselben zu verstehen, müssen wir jedoch erst den Deckel- apparat kennen lernen, an welchem der Spiralfaden seinen Anfang nimmt. Wie wir schon gesehen haben, verflacht und verbreitert sich die ventrale Furche mehr und mehr nach vorn, nach links läuft sie ganz allmählich aus, nach rechts wird sie noch von einem kleinen wenig ausgeprägten Protoplasmahöcker begrenzt (Fig. 1); dagegen wird sie nach vorn abgeschlossen durch den Deekelapparat, einen Körperanhang von komplicirtem und schwer zu verstehendem Bau und eben so räthselhafter Funktion. Trotz vieler Bemühungen bin ich über die Struktur desselben nicht ganz zur Klarheit gekommen und muss mich daher mit einer nicht ganz erschöpfenden Schilde- rung begnügen. Hier hatte ich es am meisten zu beklagen, dass ich bei meinen Untersuchungen nur auf ein einziges dazu nicht mehr lebendes Exemplar angewiesen war. Das vordere Ende des Körpers verlängert sich nach der ven- tralen Seite hin in einen dachartigen Vorsprung, welcher in mancher Hinsicht an die Wimperscheibe der Vorticellinen erinnert, ohne aber — wenigstens gilt das für das mir vorliegende Präparat — wie diese Erythropsis agilis. 209 Wimpern zu tragen. Das Dach ist nach der ventralen Seite des Körpers etwas geneigt und ist auf seiner Oberfläche tellerförmig aus- gehöhlt. Verfolgt man den Dachrand, so findet man folgende spira- lige Anordnung, wie das ja auch bei der Wimperscheibe der Vorti- cellen der Fall ist. Die Spiraltour beginnt auf der Spitze des vor- deren Körperendes, verläuft nach rechts und ventral, wendet sich in schön geschwungenem Bogen auf die linke Seite, um endlich rechts und dorsal sich in eine Kante fortzusetzen, welche eine Strecke weit auf dem Körper der Erythropsis sich verfolgen lässt. In die- sem letzteren Theil ist der Verlauf nicht mehr bogenförmig sondern etwas unregelmäßig, wie die Figuren 2 und 4 erkennen lassen. Längs dem Dachrand und der beschriebenen Kante verläuft ein fei- ner Faden, welcher wie eine Sprungfeder in Spiraltouren von gleichem Durchmesser gelegt ist. Er nimmt die Stelle ein, welche beim Dach der Regenrinne zukommt und ist am Rande des Vorsprungs durch eine kleine nach abwärts ragende Kante befestigt. Ich konnte ihn lange Zeit nur bis zu der Stelle verfolgen, wo er zum zweiten Mal von der Rückseite nach der Bauchfläche umbiegt. Erst beim Zer- quetschen des Thieres fand ich sein anderes Ende und zwar, wie ich schon gelegentlich hervorgehoben habe, am Sporenträger. Durch das Zerquetschen war die Cuticula aus ihrer natürlichen Lagerung gebracht; stellenweise geradezu umgekehrt, so dass ihre Innenseite nach außen gewandt war wie bei einem umgestülpten Handschuh- finger. Hier fand ich nun in einer von glatten Rändern begrenzten Furche den Spiralfaden, wenn auch nicht im Zusammenhang mit dem übrigen Theil wieder. Seine Windungen wurden immer kleiner, bis er schließlich ganz aufhörte. Von großem Interesse wäre es zu wissen, ob der Spiralfaden eine einfache cuticulare Bildung vorstellt, oder ob er kontraktil ist. Im ersteren Falle wäre er histologisch leichter verständlich, im letz- teren Falle würden seiner funktionellen Deutung weniger Schwierig- keiten im Wege stehen. Dann wäre es das Wahrscheinlichste, dass er die Wimperspirale der Vorticellen ersetzt und durch rhythmische Kontraktionen Nahrungsbestandtheile nach der Ventralfurche trans- portirt. Ich habe daher mir Mühe gegeben, hier eine zur Nahrungs- aufnahme geeignete Stelle, ein Cytostom, ausfindig zu machen, bin aber dabei zu keinem sicheren Resultat gekommen. Die einzige Struktur, welche in diesem Sinne gedeutet werden könnte, ist die oben kurz erwähnte Pigmentspirale, eine gegen die Umgebung ziemlich scharf abgesetzte Pigmentmasse, welche etwas mehr als Morpholog. Jahrbuch. 10. 14 210 R. Hertwig eine Spiraltour im Innern des Körperplasma beschreibt. Die erste Hälfte der Tour beginnt am Grund der Bauchfurche dieht unter der Cuticula und schließt auf der anderen Seite mit einem dicken Pig- mentpolster ab, von welchem aus gerechnet das Pigment sich in zwei Straßen anordnet; die eine Straße führt die nunmehr etwas enger werdende Spirale weiter und steigt, vergleichbar der Windung eines Schneckenbaues. nach dem vorderen Ende des Thieres zu etwas auf, die andere Straße zweigt nach der entgegengesetzten Richtung ab, um im Protoplasma bald aufzuhören. Eine Unterbrechung der Cuticula, welche festen Körpern den Eintritt in das Protoplasma ge- statten möchte, habe ich nicht wahrnehmen können. Auch waren im Inneren keine Körper nachweisbar, von denen man mit Sicherheit eine Aufnahme von außen hätte annehmen können. Im Protoplasma liegt endlich noch ein rundliches Gebilde, wel- ches ich für den Kern halte. Dasselbe färbte sich intensiv roth in Pikrokarmin, während das umgebende Protoplasma keine Färbung annahm. Namentlich haftete die rothe Färbung an einem spongiö- sen Gerüst, welches in Folge dessen auch besonders deutlich wurde, wenn man den Agge’schen Beleuchtungsapparat ohne eingeschobene Diaphragmen anwandte. In den peripheren Partien des Kerns ging das Gerüst in eine Lage feiner und gleichförmiger Körnchen über (Fig. 6). Auch war hier eine feine Membran deutlich erkennbar, als ich den Kern durch Zerquetschen isolirte, und zwar am deut- lichsten an einigen Stellen, wo der Kerninhalt, wie es mir schien, in Folge ungenügender Konservirung sich zurückgezogen hatte. Beim lebenden Thiere geht der Körper der Erythropsis am hin- teren Ende in einen schwanzartigen Anhang über, welchen ich leider nicht genauer habe untersuchen können, da er beim Über- tragen auf den Objektträger unter heftigen Kontraktionen abriss und zerfiel. Er ist von cylindrischer Gestalt, so weit ich mich erinnere im Zustand der größten Ausdehnung 3—4mal so lang als der Körper des Thieres selbst und noch etwa 2mal so lang, wenn er sich kontra- hirt hat. Seine Breite ist nicht sehr bedeutend, sie nimmt zu, wenn eine Kontraktion eintritt; seine Substanz ist homogen, stark licht- brechend und erinnert in ihrem Aussehen an den Stielmuskel der Vorticellen ; sie scheint von einer feinen Cuticula überzogen zu sein ; denn bei den zum Zerfall führenden Kontraktionen löste sich ein feinkörniger Überzug in Falten ab. Der Anhang ist ein sehr energischer Fortbewegungsapparat, mit Hilfe dessen sich das Thier auf weite Strecken durch das Wasser Erythropsis agilis. 211 schnellt. Eine. spirale Einrollung, wie beim Stielmuskel der Vor- ticellen, tritt dabei nicht ein, höchstens vielleicht ein Einkrümmen nach der einen Seite; wahrscheinlich beschränkt sich aber die ge- sammte Gestaltveränderung auf eine einfache Verkürzung und zu- nehmende Verbreiterung und zeigt somit den Modus. welchen wir auch sonst bei der kontraktilen Muskelsubstanz wahrnehmen. Bemerkungen. Zum Schluss noch wenige Worte zur Beurteilung der oben dar- gestellten Befunde! Zunächst können wir es wohl als ziemlich sicher betrachten, dass die Erythropsis zu den Protozoen, d. h. zu den einzelligen Thieren gehört. Ein positiver Beweis dafür ist in der Anwesenheit eines großen einfachen Kerns gegeben, wie wir ihn in der Klasse der Infusorien zumeist antreffen. Denn für die Deutung des wurst- förmigen Körpers als Kern spricht seine Struktur und sein Verhalten gegen Karmin. Einen negativen Beweis für die Einzelligkeit finde ich in dem gänzlichen Mangel anderweitiger Kerne, welche bei der Durehsichtigkeit des Protoplasma und der Genauigkeit der von mir vorgenommenen Durchmusterung wohl schwerlich übersehen worden wären, wenn sie sich überhaupt vorfänden. Mit der Annahme der Einzelligkeit ist der relativ hohe Grad von Organisation, welchen die Erythropsis besitzt, nach unseren neue- ren Anschauungen vom Wesen und von der Umbildungsfähigkeit der Zelle recht wohl vereinbar, wenn auch zugegeben werden muss, dass die Erythropsis nach dieser Richtung hin das Bedeutendste leistet, was wir zur Zeit kennen. Ich glaube, dass sie hierin nicht einmal von so abenteuerlichen Formen, wie dem Leptodiscus und der Nocti- luca erreicht wird. Am auffallendsten ist unzweifelhaft der Pigmentfleck, den man wohl wird als Auge deuten müssen und zwar als ein Auge von nahezu gleicher optischer Wirksamkeit, wie die Ocellen vieler Medusen und Würmer. Gegen die Deutung kann nicht geltend gemacht werden, dass der linsenförmige Körper in seiner chemischen Beschaffenheit an die Otolithen erinnert, da bei der Art seines Vorkommens an eine Funktion als Gehörstein gar nicht gedacht werden kann. Be- sondere Aufmerksamkeit möchte ich noch auf den Umstand lenken 14% 212 R. Hertwig, Erythropsis agilis. dass der Pigmentfleck gegen das umgebende Protoplasma scharf ab- gesetzt ist, weil dies einen höheren Entwicklungsgrad bezeichnet, als wenn das Pigment allmählich sich in die Umgebung hin verlöre. Es würde von hohem Interesse sein das Verhalten des Thieres gegen Licht genauer zu prüfen. Über die Funktion des Deckelapparates und der Fadenspirale habe ich schon oben die Vermuthung ausgesprochen, dass sie für die Nahrungsaufnahme von Wichtigkeit sind. Vielleicht gilt ein Gleiches auch von dem Sporen, welcher recht wohl den Zweck haben könnte, die gewonnene Beute zurückzuhalten. Eine andere Deutung könnte man darin finden, dass er dazu dient, das Thier an Fremdkörpern zu fixiren und zu verankern. Um die Stellung des Thieres im Kreise der Protozoen genauer zu bestimmen haben wir in seinem Bau keine Anhaltspunkte gege- ben. Am meisten bin ich geneigt, es in die Nähe der Infusorien zu bringen und es im Anschluss an die Vorticellen zu behandeln. Hierfür spricht die Anwesenheit der Cutieula, die Ähnlichkeit des Kerns mit dem Kern der Infusorien und endlich die Ähnlichkeit des Deckel- apparates mit der Wimperscheibe der Vorticellen. Immerhin darf nicht aus dem Auge gelassen werden, dass zwingende Gründe für die Vereinigung mit den Infusorien nicht vorliegen, dass vor Allem das charakteristische Wimperkleid fehlt oder wenigstens nicht nach- gewiesen ist. Bonn, den 21. Juni 1884. Morpholog. Jahrb. Bd.X. Haws, I, Verlag v Wilh, Engelmann in Leipzig. Sates EA i Ta Erklärung der Abbildungen. wann Tafel VI. Sämmtliche Figuren mit Ausnahme von Fig. 8 sind bei Zeiss J. Oc. 1 nach dem Osmium-Karmin-Präparat mit dem AgpE'schen Zeichenapparat Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. one 9. Fig. 6. 7 8 gezeichnet. Ansicht der Erythropsis von der ventralen Seite. Dorsale Ansicht. Ansicht vom hinteren Pole aus. . Die Cuticula des Sporenträgers durch Zerzupfen isolirt; man sieht das Ende des Spiralfadens und die leistenartigen Verdickungen der Cuti- eula. Die Pigmentspirale von oben gesehen. Der Kern durch Zerquetschen des Thieres isolirt. Der Pigmentkörper isolirt und zerquetscht. Die Erythropsis agilis im frischen Zustand und bei schwacher Ver- größerung nach der Erinnerung gezeichnet. Ansicht des Thieres von der rechten Seite. Ansicht des Thieres von der linken Seite. Upper Zelitwertnne. Von Dr. Carl Rabl, Prosektor und Privatdocent der Anatomie in Wien. „ Mit Tafel VII—XIII und 5 Holzschnitten. Angeregt durch die schönen Arbeiten STRASBURGER’s und FLEM- mine’s habe ich zu Weihnachten 1882 angefangen, den bei der Zelltheilung ablaufenden eigenthümlichen Vorgängen größere Auf- merksamkeit zu schenken, als ich bis dahin gethan hatte. Ich habe mich zunächst an Proteus gewendet, da mir dieser schon aus früherer Zeit für derartige Untersuchungen besonders geeignet er- schien. Bald aber wuchs die Arbeit immer mehr an und ich ging nun auch daran, die bei Proteus erzielten Resultate an den Objek- ten FLEMMING’s und RETzIıUs’, an Salamandra und Triton, zu prüfen und weiter zu verfolgen. Als ich dann meine Resultate niederzuschreiben begann, schien es mir gerathen, auch die Erfahrungen, welche ich im Laufe der letzten zehn Jahre in den zoologischen, physiologischen, pathologisch- anatomischen und anatomischen Instituten in Wien, Jena und Leipzig gesammelt hatte, zu ordnen und in die vorliegende Abhandlung mit einzuflechten. So ist es gekommen, dass aus dem kleinen, ursprüng- lich beabsichtigten Aufsatz eine Arbeit von bedenklicher Länge ge- worden ist. Vielleicht darf ich aber hoffen, dass die Darstellung meiner, in so verschiedenen Wissenszweigen gesammelten Erfahrun- gen in die Frage nach dem Wesen und der Bedeutung der Zelle und ihrer Bestandtheile etwas Klarheit bringen werde. Wenn ich in der Feststellung der bei der Zelltheilung ablau- Über Zelltheilung. 215 fenden Vorgänge etwas weiter gekommen bin, als meine Vorgänger, so verdanke ich dies nicht bloß den günstigen Objekten und den verbesserten Untersuchungsmethoden, sondern in hervorragendem Grade auch der liebenswürdigen Unterstützung und Aufmunterung, die mir FLEMMING zu Theil werden ließ. Die Abhandlung zerfällt in zwei Theile: der erste handelt von der ruhenden und der sich theilenden Zelle, der zweite von einigen allgemein wichtigen histologischen Problemen. Die erste Hälfte des ersten Theiles allein rechtfertigt den Titel; aber ich wollte lieber zu wenig als zu viel versprechen. I. Theil. Erster Abschnitt. Zu einer Arbeit, wie der vorliegenden, gehören Geduld und Methode. Die Methode zerfällt in die Art der Behandlung und die Art der Beobachtung. Da ich in beider Hinsicht neue Wege eingeschlagen habe, die, wie sich Jeder überzeugen kann, rascher und sicherer zum Ziele führen, als die alten, so will ich der Darlegung meiner Resultate eine kurze Beschreibung der Methoden vorausschicken. Es versteht sich von selbst, dass ich alle wichtigeren, von mei- nen Vorgängern angewendeten Methoden durchgeprüft habe. So habe ich namentlich das von FLEMMING so warm empfohlene Chrom- Osmium-Essigsäuregemisch, so wie Chromsäure allein, Pikrinsäure, Chlorgold in 1/,—!/,°/,iger Lösung und dergleichen mehr zur Fixi- rung der Theilungsfiguren angewendet. Auch die von Rerzius empfohlene Ameisensäure habe ich versucht. Gegen das Chrom- Osmium-Essigsäuregemisch möchte ich nur einwenden, dass die Prä- parate leicht nachdunkeln; gegen Chlorgold, dass, namentlich im Sommer, selbst bei Lichtabschluss, im Alkohol die Reduktion beginnt und dadurch auch die Zellsubstanz violett gefärbt wird; Pikrinsäure und Ameisensäure, jede für sich, bieten keinerlei Vorzüge vor der Chromsäure. Die besten Resultate habe ich mit Chrom-Ameisensäure und mit Platinchloridlösung erhalten. Die Chrom-Ameisensäure wird in der Weise bereitet, dass man zu etwa 200 Gramm einer !/;°/)igen 216 C. Rabl Chromsäurelösung 4—5 Tropfen koncentrirter Ameisensäure setzt. Die Flüssigkeit muss jedes Mal vor dem Gebrauch frisch bereitet werden. Die Objekte werden frisch in kleinen Stücken in die Lö- sung gegeben, nach 12 bis 24 Stunden gut in Wasser ausgewaschen, dann langsam in Alkohol erhärtet. Man nimmt Anfangs 60—70%/,igen und erst nach 24—36 Stunden absoluten Alkohol. Platinchlorid ver- wende ich gleichfalls in !/, °/,iger Lösung: es wirkt in ähnlicher Weise wie Goldchlorid, hat aber den Vortheil, dass es durch Licht und Wärme nicht redueirt wird. Die Objekte werden wieder etwa 24 Stunden in der Lösung gelassen, dann ausgewaschen und in ähnlicher Weise, wie die Chrom-Ameisensäurepräparate weiter behan- delt. Durch Chrom-Ameisensäure quellen die Chromatinfäden etwas auf, so dass die Längsspaltung der Fäden des Knäuels und des ersten Stadiums des Muttersterns meistens verschwindet. Durch Platinchlorid verschrumpfen die Chromatinfäden etwas, die unter dem Namen der PrirzNer’schen Chromatinkugeln beschriebenen Ge- bilde werden deutlich sichtbar (gerade so wie nach Goldchlorid- behandlung) und die Längsspaltung der Fäden und Schleifen tritt außerordentlich scharf hervor. Beide Methoden ergänzen sich also: die Fehler der einen werden durch die der anderen ausgeglichen. Sind die Theilungsfiguren fixirt, so handelt es sich darum, sie möglichst gut zu färben. Sehr intensive blaue Färbung taugt nichts, da man dann die Fäden und Schleifen nicht mehr in ihrem ganzen Verlauf verfolgen kann; daher habe ich z. B. das Gentianaviolett vermieden: ich habe mit ihm immer zu intensive Färbungen erhal- ten: vielleicht habe ich aber noch zu wenig Übung damit. Ich habe fast ausschließlich GRENACHER’sches Hämatoxylin und Safranin ver- wendet. Ich verwende nur solehes Hämatoxylin, welches schon lange, mindestens ein paar Monate, gestanden hat; es wirkt dasselbe, wie schon Ranvier und FLEMMING angegeben haben, besser, als frisch bereitetes. Man färbt in einer mit destillirtem Wasser sehr stark verdünnten Lösung und wäscht die Präparate, nachdem sie etwa 24 Stunden in derselben gelegen haben, in destillirtem Wasser und dar- auf in salzsaurem Alkohol aus. Oder man färbt in stärkerer oder mäßig verdünnter Lösung kurze Zeit: wenn man will, bei gelinder Erwärmung. Allzu intensiv darf man nicht färben, da man sonst die Fäden nicht mehr verfolgen kann. — Die Safraninlösung wird in der Weise bereitet, dass man eine überschüssige Menge von Sa- franin in absoluten Alkohol giebt, mehrmals aufrührt, 24 Stunden stehen lässt, abfiltrirt und das Filtrat mit der gleichen oder doppelten Uber Zelltheilung. 217 Menge Wassers verdünnt (vgl. PFITZNER, STRASBURGER und FLEM- MING). Es wird angegeben, man solle die Präparate 12—24 Stun- den in einer solchen Lösung liegen lassen; es genügen aber meist 2—4 Stunden, um eine gute Färbung zu erzielen, nur muss die weitere Behandlung eine vorsichtige sein. Aus der Safraninlösung werden die Präparate in absoluten Alkohol gebracht, daselbst wie- derholt umgewendet und so lange darin gelassen, als beim Umwen- den noch eine sichtbare Farbwolke zurückbleibt. Es genügen meist zwei Minuten. Jedoch lässt sich in dieser Beziehung keine allge- mein gültige Regel aufstellen und Jeder, der sich zum ersten Mal des Safranins zum Färben bedient, wird sich auf das Misslingen zahlreicher Färbungen gefasst machen müssen. — Aus dem Alko- hol werden die Präparate in Nelkenöl gebracht und schließlich in Dammarlack eingeschlossen. Wie lange sie in Nelkenöl bleiben müs- sen, hängt von der Beschaffenheit desselben ab; ich habe einmal ein Nelkenöl gehabt, durch das auch nach vierzehn Tagen das Sa- franin aus den Chromatinfäden nicht extrahirt war. Meistens ist es aber, wie schon FLEMMING angeführt hat, rathsam, die Präparate nur kurze Zeit, wenige Minuten, im Nelkenöl zu lassen. Sowohl mit Hämatoxylin als mit Safranin erzielt man ganz prächtige, scharfe Tinktionen. Später bin ich durch Zufall, — in Folge einer missglückten Färbung — auf eine Methode verfallen, die noch erheblich bessere Resultate giebt, als die beiden genannten. Sie besteht in einer Doppelfärbung mit Hämatoxylin und Safranin. Mischt man beide Färbemittel, so bekommt man regelmäßig einen sehr feinen Nieder- schlag, weil das Hämatoxylin in Körnern und Flocken ausgeschie- den wird. Filtriren nützt nichts, da im Filtrat alsbald wieder ein Niederschlag auftritt. Man muss daher beide Färbemittel nach ein- ander einwirken lassen und dadurch wird die Methode etwas kom- plieirt. Die außerordentliche Schärfe und Pracht der Tinktionen entschädigt aber reichlich für das Bischen mehr Mühe, das man an die Präparate wendet. Man färbt zuerst sehr schwach mit Hä- matoxylin, so schwach, dass man die Präparate ohne nachträgliche Färbung nicht weiter brauchen könnte, wäscht dann gut in Wasser und darauf in schwach angesäuertem Alkohol aus und färbt nun mit Safranin in der oben angegebenen Weise. Diese Methode wird von keiner anderen erreicht. Was die Art der Beobachtung betrifft, so versteht es sich wohl von selbst, dass ich mich der besten optischen Hilfsmittel 218 C. Rabl bedient habe. Ich habe meistens mit Zeiss’ homogener Immersion !/;, und dem Asse’schen Beleuchtungsapparate gearbeitet. Später habe ich auch die ausgezeichnete Harrnack’sche homogene Immersion Nr. III, !/,,, benutzt. Mit Vorliebe habe ich bei grünem Licht un- tersucht, das man sich am einfachsten durch eine grüngefärbte, zwischen Mikroskop und Lichtquelle gestellte Glasplatte verschaffen kann; es wurde diese Methode zuerst von ENGELMANN in einer Ar- beit iiber Flimmerzellen in Pruiiger’s Archiv empfohlen. Die nach der zuletzt angegebenen Methode gefärbten Figuren sehen in grünem Lichte aus, als ob sie mit Tinte gezeichnet wären. Eine wesentliche Verbesserung der Untersuchungsmethoden habe ich dadurch erreicht, dass ich mir Objektträger konstruirte, die es mir ermöglichten, die in Theilung begriffenen Zellen von beiden Seiten anzusehen. Da sich diese Methode auch für andere Untersuchungen, so namentlich für die Beobachtung von Furchungsstadien bei kleinen Eiern, empfiehlt, so will ich die Herstellung dieser Objektträger genauer beschreiben. Es werden zwei Gläser von der Dicke der gewöhnlichen Objektträger in einiger Entfernung von einander auf eine ebene Fläche gelegt und mit Kanadabalsam, der in Chloroform gelöst ist, überstrichen. Ich habe diese beiden Gläser in der von mir benutzten Größe auf der beigegebenen Figur mit starken Li- nien gezeichnet (a und 5). Diese beiden Objektträger werden nun durch zwei Glasstäbe (ce und d) mit einander verbunden: zwischen i ag; die Glasstäbe klebt man auf die beiden Objektträger Gläser von der auf der Figur angegebenen Größe (e und f). Durch die Verbindung aller dieser Stücke wird ein Rahmen gebildet. Um das Festwerden des Kanadabalsams zu beschleunigen, legt man den Objektträger Uber Zelltheilung. 219 auf den Ofen oder erwärmt ihn auf einem Drahtnetz über der Gas- flamme. Sodann kehrt man den Rahmen um, bestreicht die Glas- stäbe e und d an ihrem inneren Rande in der Mitte mit Kanada- balsam und legt über die Öffnung des Rahmens ein Deckgläschen von der dünnsten Sorte und von der auf der Figur mit punktirten Linien angegebenen Größe (7). Dieses Deckgläschen dient nun als eigentlicher Objektträger. Man bringt auf dasselbe das Präparat mit einem Tropfen Dammarlack und bedeckt es natürlich wieder mit einem möglichst dünnen Deckgläschen. Das Präparat ist also zwischen zwei gleich dünnen Deckgläschen eingeschlossen und kann nun von beiden Seiten mit den stärksten Systemen angesehen werden. Es ist wohl begreiflich, dass man durch die Betrachtung von beiden Seiten einen viel besseren Einblick in die Figuren gewinnt, als bei der bisher allein geübten Betrachtung von nur einer Seite. Einige der wichtigsten Resultate verdanke ich ausschließlich dieser Methode. Ich habe die meisten Figuren mit Hilfe*der Camera von NacHEr bei ausgezogenem Tubus (Zeıss’sches Stativ V“) auf einer wegen der sonst statthabenden Verzerrung der Bilder schiefen Ebene in der Höhe des Mikroskopfußes bei Ocular II und Zeıss !/,, skizzirt. Die dem Beschauer zugewendeten Fäden und Schleifen habe ich dunkel, die abgewendeten blass gehalten. Die Zeichnungen entspre- chen genau den Präparaten; ich habe jedes Schematisi- ren ängstlich vermieden und jede Schleife und jeden Faden genau in derselben Anordnung, Länge und Form gezeichnet, wie sie zu sehen sind. Wenn ich mir in irgend einem Punkte eine Freiheit gestattet habe, so ist dies im Text aus- drücklich erwähnt; übrigens ist dies nur selten und nur in zweifel- los unwichtigen Fällen geschehen. Ich möchte diese Vorbemerkungen mit den Worten FLEMMING’s schließen: »Ich würde eine Kritik und Nachprüfung meiner Resul- tate nur dann als vollgültig anerkennen können, wenn man sich dabei der erwähnten Mittel oder anderer, gleich guter, oder gar besserer bedienen will.« Die Litteratur über die indirekte oder, wie man sie nach SCHLEI- CHER nennt, karyokinetische Zelltheilung ist in jüngster Zeit ganz außerordentlich angewachsen und fast jedes Heft jeder biologischen Zeitschrift bringt neue Thatsachen. Es beweist dies das lebhafte 220 C. Rabl Interesse, welches man allgemein diesem Gegenstande zuwendet; denn, wenn man auch noch weit entfernt ist, einen vollständigen Einblick in die bei der Zelltheilung ablaufenden Vorgänge zu be- sitzen, so fühlt man doch unwillkürlich die große Wichtigkeit, welche eine genaue Kenntnis dieser Vorgänge für das Verständnis des Baues und der Lebenserscheinungen der Zelle und damit zugleich des ganzen Körpers besitzt. In der Erforschung der Zelltheilung machen sich schon jetzt zwei Richtungen bemerkbar. Die eine sucht die Verbreitung dieser Erscheinung im Thier- und Pflanzenkörper und ihre Beziehung zum Wachsthume zu ermitteln, die andere beschäftigt sich vorwiegend mit den feineren Details der Erscheinung. Auch hat man bereits angefangen, die Bedeutung der Zelltheilung für pathologische Pro- cesse zu untersuchen, und es ist zu erwarten, dass namentlich die Lebren von der Entzündung und Neubildung, von der Metastasirung der Geschwülste u. dgl. m. eine festere Basis erlangen werden. Ich will im Folgentlen auf die Litteratur nur in so weit ein- gehen, als es unumgänglich nothwendig ist. Dies glaube ich mir um so eher gestatten zu dürfen, als ohnedies erst vor Kurzem FLEMMING in seinem Werke über »Zellsubstanz, Kern und Zellthei- lung« eine geradezu musterhafte und nahezu erschöpfende historische Auseinandersetzung gegeben hat. Seit dem Erscheinen dieses Werkes sind nur wenig Arbeiten erschienen, die auf das Detail der Vorgänge Bezug nehmen. Die wichtigsten Arbeiten über Zelltheilung sind folgende: WALTHER FLEMMING, Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebenserschei- nungen. Archiv f. mikr. Anatomie. I. Theil, 16. Bd. 1879. — II. Theil, 18. Bd. 1880. — III. Theil, 20. Bd. 1882. Derselbe, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung. Leipzig, VoGEL. 1882. EDUARD STRASBURGER, Über den Theilungsvorgang der Zellkerne und das Verhältnis der Kerntheilung zur Zelltheilung. Arch. f. mikr. Anatomie 21. Bd. 1882. Derselbe, Die Kontroversen der indirekten Kerntheilung. Arch. f. mikr. Anatomie. 23. Bd. 1584. Gustav Rerzius, Studien über die Zellentheilung. Biologische Untersuchungen. ‘ Herausgegeben von G. Rerzıus. Stockholm. Erschienen am 20. Dee. 1581. Emit Heuser, Beobachtungen über Zellkerntheilung. Botanisches Centralblatt. 1884. Nr. 1—5. Dureh diese Aufzählung soll keineswegs gesagt sein, dass die Arbeiten SCHLEICHER’S, PEREMESCHKO’s, MARTIN’S, ARNOLD's, Ba- RANETZKY’s ete. nicht viel des Wichtigen und Interessanten ent- Uber Zelltheilung. 231 halten; aber fiir die Kenntnis der feineren Details der Kern- und Zelltheilungsvorgänge haben sie doch eine geringere Bedeutung als die angeführten. Mit einer interessanten, für das Verständnis der Zelltheilung vielleicht wichtigen Thatsache sind wir auch durch Baugranı (Comptes rend. 1876) und Prirzner (Morphol. Jahrb. 1882) bekannt geworden. Die Schriften des letztgenannten Autors, in denen von Zelltheilung die Rede ist, sind folgende: 1) Die Leypia’schen Schleimzellen in der Epidermis der Larve von Salamandra mac. Diss. Kiel 1879. — 2) Die Epidermis der Amphibien. Morphol. Jahrb. 6. Bd. 1881. — 3) Uber den feineren Bau der bei der Zelltheilung auftretenden fadenförmigen Differenzirungen des Zell- kerns. Morphol. Jahrb. 7. Bd. 1882. — 4) Nervenendigung im Epithel. Ebenda. — 5) Beobachtungen iiber weiteres Vorkommen der Karyokinese. Arch. f. mikr. Anatomie. 20. Bd. 1882. — 6) Bei- trige zur Lehre vom Bau des Zellkerns und seinen Theilungs- erscheinungen. Arch. f. mikr. Anatomie, 22. Bd. 1883. — Für wichtig halte ich nur die dritte der citirten Schriften; jedoch be- merke ich, dass ich die Schrift über die »LEyp1e’schen Zellen« nicht gelesen habe, was übrigens gewiss nicht von Belang ist, da sich bei PFITZNER in den späteren Schriften fast Alles wiederholt, was in den früheren enthalten war. Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse der Zelltheilung ist folgender !: Die indirekte oder karyokinetische Zelltheilung geht mit einer Metamorphose des Zellkerns einher. Diese besteht in der Bildung einer aus Fäden zusammengesetzten Figur, der Kerntheilungs- oder Kernfigur. Die Kerntheilungsfigur setzt sich aus der achro- matischen Figur oder Kernspindel und aus der chromatischen Figur zusammen. Die achromatische Figur baut sich aus den mit den specifischen Kernfärbemitteln nicht färbbaren Substanzen des Kerns (FLEMMING) oder vielleicht des Zellkörpers (STRASBURGER) auf und stellt ein Fädenbündel von meist spindelförmiger, manchmal cylin- drischer Gestalt dar, das die beiden Theilungspole der Zelle mit einander verbindet. Von den Enden der Spindel laufen Strahlen in die Zellsubstanz aus. — Die chromatische Figur baut sich aus den färbbaren Substanzen des Kerns, den Nucleolen und Gerüstfäden, auf und durchläuft während der Theilung eine regelmäßige Reihen- folge von Formationen. Zunächst ordnet sich die ganze chromatische 1 Ich folge in dieser Darstellung hauptsächlich FLEMMING. 222 C. Rabl Substanz zu einem Faden an, der in dichten, unregelmäßigen Win- dungen den Kern durchzieht: indem sich der Faden allmählich ver- kürzt und dicker wird, werden die Windungen weniger zahlreich und der Knäuel im Ganzen lockerer. Darauf theilt sich der Faden in einzelne Abschnitte oder Segmente, welche sich wahrscheinlich schon frühzeitig der Länge nach in paarige Hälften spalten (FLEM- MING). Alle diese verschiedenen Formationen werden unter der Bezeichnung der Knäuelform des Mutterkerns zusammen- gefasst. Eine Regelmäßigkeit in der Anordnung und dem Verlauf der Fäden lässt sich zu dieser Zeit noch nicht erkennen: eben so wenig lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Knäuelbildung und dem Auftreten der Pole und Strahlungen nachweisen (FLEMMING). Dagegen ist nach HEUSER bei langgestreckten Kernen von Pflanzen im Verlauf der Knäuelfäden immerhin in so fern eine Regelmäßigkeit zu erkennen, als sie der Mehrzahl nach quer zur Längsachse des Ker- nes ziehen. Da nun die Pole der Kernspindel später an den Län- genseiten des Kernes auftreten, so lässt sich vermuthen, dass ein Zusammenhang zwischen der Knäuelbildung und dem Auftreten der Kernspindel existire. Die weitere Ausbildung geht in der Weise vor sich, dass sich die Fadensegmente gegen den Aquator des Kernes zusammenziehen und um die Mitte des achromatischen Fadenbündels anordnen. Sie nehmen dabei die Form von Schleifen an, die so angeordnet sind, dass die Schleifenwinkel nach dem Centrum, also gegen den Mittel- punkt der Theilungsachse, die freien Enden der Schleifenschenkel nach außen sehen. Dadurch erhält die Figur die Form eines Ster- nes: FLEMMING bezeichnet daher dieses Stadium als Sternform des Mutterkerns (Srraspurcer’s Kernplatte). Wenn auch ab und zu die Längsspaltung der chromatischen Fäden sich verzögert, so ist sie doch regelmäßig am Ende dieses Stadiums vollendet (FLemuine). Diese zuerst von Rerzius und PFITZNER bestätigte Erscheinung wurde von STRASBURGER lange bestritten, bis er sie neuerlich, namentlich unter dem Einflusse der Untersuchungen HEU- SER's, gleichfalls bestätigte. Aus der Sternform geht die chromatische Figur nach FLEMMING in das Stadium der Umordnung oder Aquatorialplatte über; es geschieht dies in der Weise, dass die Schwesterhälften je einer Schleife, die durch die Längsspaltung entstanden sind, aus einander weichen und die eine nach dem einen, die andere nach dem anderen Pol hinwandert. Der Modus, nach welchem dies geschieht, Uber Zelltheilung. 223 und die Veränderungen, welche die Fäden in ihrer Form dabei er- fahren, wurden von HEUSER festgestellt. In diesem Stadium erscheint die chromatische Figur parallel mit der Äquatorial- oder Theilungs- ebene an beiden Seiten abgeplattet; daher der von FLEMMING ur- sprünglich gewählte Ausdruck Aquatorialplatte, den er aber neuer- dings lieber durch »Umordnungsphase« ersetzt wissen will. Auf das Detail des ganzen Vorganges soll später eingegangen werden. Die beiden Hälften der Äquatorialplatte weichen nun aus ein- ander, indem sie gegen die Pole vorrücken. Nach FLEMMING behal- ten dabei die Fäden ihre Schleifenform bei, während nach Heuser und STRASBURGER der eine Schenkel jeder Schleife zunächst mehr polar, der andere mehr äquatorial gerichtet ist; darauf biegt sich das polare Ende jedes Fadens hakenförmig um, während die frühere Biegung sich ausgleicht. Auf diese Weise bilden sich wieder Schlei- fen aus, deren Schenkel Anfangs von ungleicher Länge sind und deren Winkel sich nach den Polen der Kernspindel kehren. Die beiden Hälften der chromatischen Figur nehmen dadurch wieder Stern- form an, wesshalb FLEMMING dieses Stadium als das der Tochter- sterne oder der Sternform der Tochterkerne bezeichnet hat. Darauf bilden sich durch theilweise Verbindung der Schleifen der Tochtersterne die Tochterknäuel oder Knäuelform der Tochterkerne aus. Aus dieser Form geht dann wieder das Ge- rüst des ruhenden Kernes hervor. Es wiederholt demnach jeder Tochterkern bei seiner Ausbildung in umgekehrter Reihenfolge die Stadien des Mutterkernes (FLEMMING). Die Angaben Rerzius’ unter- scheiden sich nur in untergeordneten und z. Th. schon aufgeklärten Punkten von denen FLEMMING’s. FLEMMING giebt folgendes Schema der Hauptphasen der Kern- theilung : Mutterkern (Geriist, Ruhe). Tochterkern (Gerüst, Ruhe). 1) Knäuelform (Spirem). 5) Knäuelform (Dispirem). y2) Sternform (Aster). 44) Sternform (Dyaster). — 3) Umordnungsphase (Metakinesis). Angesichts der so genauen Arbeiten FLemMine’s, RErzıus' und STRASBURGER’s musste ich mir gleich von Anfang an bewusst sein, dass es schwer halten würde, viel Neues und Wichtiges zu finden. Nur schien mir die ganze Darstellung des Vorganges so komplieirt und unverständlich zu sein, dass ich hoffen durfte, bei aufmerk- samer Untersuchung denn doch noch etwas mehr Klarheit in die Sache bringen zu können. Ja, ich nährte im Stillen sogar die etwas 224 C. Rabl unbescheidene Hoffnung, wenn mich die Geduld nicht im Stiche ließe, zu einer Theorie des ruhenden Kerns und dadurch vielleicht auch der Zelltheilung selbst zu gelangen. Ich habe mich, wie gesagt, zunächst an Proteus gewendet, dessen Gewebe mir schon vor längerer Zeit durch die Größe ihrer Zellkerne aufgefallen waren. Später habe ich aber fast ausschließ- lich Salamanderlarven als Untersuchungsobjekt verwendet und hier einerseits die an Proteus gewonnenen Resultate bestätigen, anderer- seits dieselben nicht unerheblich erweitern können. Die Salamander- larven haben vor Proteus zwei entschiedene Vortheile: erstens sind die Zellkerne hier noch größer, als selbst bei Proteus, und zweitens ist es nicht nöthig, Schnitte anzufertigen. Ich habe hier hauptsäch- lich die Epithelplatte vom Mundboden des Kiemengerüstes verwen- det, die sich, wie schon FLEMMING hervorhob, durch die einfache Schichtung der Zellen zu Kerntheilungsstudien besonders eignet. Die Präparation dieser Epithelplatte hat mich FLemmine gelehrt und ich bin ihm dafür zu großem Danke verpflichtet. Von Proteus habe ich hauptsächlich die Haut und die Nieren verwendet; die Haut desshalb, weil ich hoffte, hier etwas Näheres über die Stellung der Pole und die Beziehung der Zelltheilung zum Wachsthum zu erfah- ren; die Nieren, weil es mir aufgefallen war, dass man hier an den Kerntheilungsfiguren die achromatische Spindel meist deutlicher sieht, als an den Zellen anderer Organe. Auch Tritonlarven habe ich mehrmals zur Untersuchung herangezogen und hier wiederholt Gelegenheit gehabt, die Zelltheilung am lebenden Objekte zu stu- diren. Etwas Neues ist aber dabei nicht herausgekommen und ich halte mich daher bei meiner Beschreibung ausschließlich an die Be- funde an fixirten und gefärbten Präparaten. Ich gehe nun zur Beschreibung meiner Befunde über. Die mei- sten von FLEMMING aufgestellten Bezeichnungen will ich beibehalten, obwohl nicht alle ganz glücklich gewählt sind. 1) Phase: Knäuelform der Kernfigur. Mutterknauel. Die ersten Veränderungen, die man an Zellen gewahrt, die sich zur Theilung anschicken, bestehen in einer Vergrößerung des Ker- nes und einer Vermehrung der chromatischen Substanzen ; ungefärbt erscheinen solche Kerne stärker lichtbrechend, gefärbt dunkler. Zu- gleich bemerkt man, dass das Chromatin sich namentlich an der Über Zelltheilung. 225 Oberfläche des Kerns, dicht unter der jetzt deutlicher hervortreten- den achromatischen Hülle, ansammelt. Die Nucleolen und nucleolen- artigen Gebilde, die im Gerüste oder Netzwerke ruhender Kerne liegen, schwinden allmählich und gehen in der Bildung eigenthiim- licher Fäden auf, die scheinbar regellos den Kern durchziehen. Diese Fäden haben Anfangs unregelmäßige, gezackte, rauhe Ränder und färben sich auch bei langer Einwirkung der specifischen Kern- färbemittel viel blasser als später, wenn sie glattrandig geworden sind. Sie sind, wie gesagt, an der Oberfläche des Kerns viel reich- licher vorhanden als in dessen Binnenraum, der nur von verhältnis- mäßig wenigen Fäden durchsetzt wird. Von den rauhen Rändern derselben sieht man zu dieser Zeit häufig zarte Fortsätze ausgehen, die wieder mit anderen ähnlichen Fortsätzen benachbarter Fäden in Verbindung treten und ein feines Netzwerk bilden können. Es ist schwer und meist nur bei Berücksichtigung späterer Stadien möglich, sich davon zu überzeugen, dass schon jetzt die Fäden nicht mehr ganz regellos und ohne Ordnung über und durch den Kern verlaufen; doch kann man bei genügender Ausdauer und bei Vergleichung zahlreicher Präparate erkennen, dass sie bei länglichen Kernen eine Vorliebe zeigen, quer zur Längsachse zu verlaufen. Die unregelmäßig gezackte Form der Fäden und der Umstand, dass man von ihren Rändern zuweilen zarte Fortsätze auslaufen sieht, scheinen mir für das Verständnis des Zustandekommens des Knäuels von großer Wichtigkeit zu sein. Denn es gewinnt dadurch den Anschein, als ströme das Chromatin von allen Seiten her aus zarten vorgebildeten Bahnen zusammen, um schließlich den gröberen Fäden des Knäuels den Ursprung zu geben. Bemerkenswerth ist auch, dass während in ruhenden Kernen die gröberen Massen des Chromatins, vor Allem die Nucleolen, im Binnenraume des Kerns liegen, sie, allerdings in anderer Form, beim Beginn der Theilung vornehmlich die Oberfläche aufsuchen. Die Regelmäßigkeit des Fadenverlaufes, die man in solchen Anfangsstadien oft mehr vermutben muss, als klar erkennen kann, tritt alsbald mit größerer Entschiedenheit hervor. Zugleich werden die Fäden dieker, nehmen Tinktionsmittel begieriger auf und ziehen die zarten seitlichen Fortsätze vollends ein. Ihre Ränder bleiben aber noch durch geraume Zeit rauh und uneben und sie selbst zei- gen ein eigenthümliches körniges Aussehen, auf das ich später noch genauer zu sprechen kommen werde. Mit dem Auftreten dieser Veränderungen tritt der Kern in das Stadium des dichten Morpholog. Jahrbuch. 10. 15 226 Lote al Knäuels ein. Ich habe einen solchen auf Taf. VIL Fig. 1 in Ober- flächenansicht abgebildet. Man sieht da vor Allem, wie die Fäden in vielen dichten Windungen, mit ungefähr gleichen Abständen von einander die Oberfläche des Kerns überziehen. Man sieht aber auch, dass sich schon eine gewisse Ordnung geltend macht. Na- mentlich ist es eine bestimmte, aber keineswegs scharf begrenzte Stelle an der abgebildeten Kernhilfte. die durch den Verlauf der Fäden besonders charakterisirt wird. Ich habe diese Stelle auf der beigegebenen Orientirungstafel mit einer punktirten Linie umzogen und mit dem Buchstaben P bezeichnet. Ich will sie aus einem später zu erörternden Grunde als Polfeld bezeichnen und die be- treffende Kernseite als Polseite des Kerns; die entgegengesetzte, von mir nicht abgebildete, sondern nur auf Taf. XII Fig. 1 c schema- tisch dargestellte Hälfte will ich die Gegenpolseite nennen. Der Fadenverlauf ist nun folgender. Zahlreiche Fäden, wie die mit / bis 9 bezeichneten, ziehen, von der Gegenpolseite kommend, an der Polseite bis in die Nähe des Polfeldes oder in dieses selbst, - biegen hier schleifenförmig um und kehren dann wieder in vielen kleinen, unregelmäßigen, zackigen Windungen in die Nähe ihres Ausgangspunktes zurück. Meistens halten sie sich in ihrem ganzen Verlauf dieht an der Oberfläche oder ziehen auch, wiewohl seltener, nachdem sie im Polfeld eine Schlinge gebildet haben, durch den Binnenraum des Kerns zur Gegenpolseite zurück (vgl. 7). Andere Fäden, deren Zahl übrigens immer eine kleinere ist (/0, 71, 12, 13, 18), ziehen, gleichfalls von der Gegenpolseite kommend, quer durch die Kernhöhle zum Polfeld, bilden hier gleichfalls eine Schlinge und benutzen wieder die Kernhéhle zum Rückweg. Man könnte also zwischen peripherischen und centralen Fäden unterscheiden: doch ist zwischen beiden kein prineipieller Unterschied. Es giebt endlich auch Fäden, welche in die Nähe des Polfeldes ziehen und hier scheinbar plötzlich endigen (/4, 16, 17); doch kann man sich durch Tieferstellen des Tubus meistens überzeugen, dass sie an ihren scheinbaren Enden in den Binnenraum hinabtauchen. Natürlich müssen auch dadurch Schleifen zu Stande kommen, die nur beträcht- lich weiter oder offener ausfallen, als die anderen. Zuweilen (79, 20) berühren die Schleifen nur mit ihrem Scheitel die Oberfläche. Wendet man ein solches Präparat um und betrachtet es von der anderen Seite, so erhält man ungefähr den Eindruck, den ich mit meinem Schema / c, Taf. XI, wiederzugeben gesucht habe. Die Fä- den sind in ihrem Verlauf meist quer zur Längsachse des Kerns Uber Zelltheilung. 227 gerichtet. Bekommt man ein solches Stadium von der Seite zu Ge- sicht, so nimmt es sich etwa aus, wie ich es auf dem Schema 7 a dargestellt habe. Es ist übrigens außerordentlich schwierig, solche Bil- der vollkommen naturgetreu zu zeichnen und ich habe mich daher nach vielen missglückten Versuchen entschlossen, außer der Zeichnung auf Taf. VII Fig. 1 nur einige Schemata zu geben. Ich kenne übrigens im ganzen Verlauf der Kerntheilung kein Stadium, das mühsamer zu untersuchen wäre, als das des dichten Knäuels, und ich bin erst ganz zu Ende meiner Arbeit, nachdem ich alle späteren Stadien untersucht und gezeichnet hatte, und nur durch genaue Berücksich- tigung des Fadenverlaufes im lockeren Knäuel zu einem Verständ- nis dieses Stadiums gelangt. Bei oberflächlicher Betrachtung glaubt man ein buntes Gewirr von Fäden vor sich zu sehen, das von keiner Ordnung beherrscht wird. Man muss schon ziemlich geübt und an solche Bilder gewöhnt sein, um sich vom queren Verlauf der Fäden zu überzeugen. Noch schwieriger ist es, die Schlingenbildung am Polfeld zu konstatiren. Am leichtesten kann man sich noch davon überzeugen, dass die Fäden der Mehrzahl nach an der Peripherie des Kerns verlaufen und nur eine verhältnismäßig geringe Zahl den Binnenraum durchsetzt. Stellt man auf die Oberfläche ein, so gewahrt man die zahlreichen dichten Fadenwindungen; bei tieferer Einstellung sieht man am Rande die op- tischen Durchschnitte der Fäden, einen dicht neben dem anderen, und im Inneren nur einige wenige Fadendurchschnitte oder spär- liche schief oder horizontal verlaufende Fäden; geht man schließ- lich noch weiter in die Tiefe, so wiederhölt sich das frühere Ober- flächenbild. Es wäre jetzt noch die Frage zu erörtern, ob, wie STRASBURGER meint und wie auch FLEMMING vermuthet, die chromatischen Substanzen einen einzigen kontinuirlich zusammenhängenden Faden bilden, oder aber, ob eine größere, vielleicht von allem Anfang an bestimmte Zahl von Fäden vorhanden sei. Ich werde diese Frage weiter unten noch genauer erörtern und bemerke hier nur, dass, meiner Erfahrung nach, die Zahl der Fäden eine ziemlich große ist. Allerdings gelingt es oft genug, einen Faden auf weite Strecken hin zu verfolgen, so dass ich selbst Anfangs geneigt war, mir alle Fäden mit einander in Zusammenhang zu denken, bei großer Geduld aber kommt man doch regelmäßig an eine Stelle, wo jede weitere Verfolgung unmöglich wird, entweder weil hier mehrere Fäden mit einander verschmolzen sind oder der verfolgte Faden thatsächlich endigt. 15* 228 C. Rabl Zwischen den Fäden und im Binnenraum des Kerns findet sich eine klare, nicht färbbare Substanz, die ich mit R. Herrwie als Kernsaft bezeichnen will, da sie sich zweifellos aus dem Kern- saft des ruhenden Kerns herleitet. Eine Strahlung oder irgend eine Struktur habe ich daran zu dieser Zeit nicht wahrnehmen können. Gegen den Zellleib wird der Kern von einer dünnen achromatischen Hülle begrenzt. Was das Verhalten des Zellleibes selbst betrifft, so kann ich darüber nur wenig berichten. Alles, was ich weiß, beschränkt sich darauf, dass der Kern von einer hellen, körnchen- und fadenlosen, durchsichtigen Substanz umgeben wird. Eine Strahlung habe ich auch am Zellleib nicht gesehen. Bei der Lektüre der Arbeiten FLEMMING’s, STRASBURGER’s und Rerzius’ merkt man alsbald, dass diese Forscher unter denselben Schwierigkeiten gelitten haben, die ich oben hervorgehoben habe. Auch entsprechen die Zeichnungen FLEMMrING’s und Rerzıus’ nicht genau den thatsächlichen Verhältnissen. Nirgends ist der Unterschied zwischen peripherischen und centralen Fäden hervorgehoben, nirgends auch der quere Fadenverlauf zu erkennen. Die Zeichnung bei RETzıus, Fig. 2 4, entspricht schon desshalb dem Sachverhalte nicht, weil die Fäden zu glattrandig erscheinen. Am getreuesten ist noch das Bild STRASBURGER's auf Taf. XXVI Fig. 182, nur dass sich die Kern- figur schon mehr dem lockeren Knäuel nähert. S’TRASBURGER be- merkt auch ganz richtig, dass der oder die Fäden Anfangs nicht glattrandig seien. Die Angaben PEREMESCHKO's kann ich füglich übergehen. Aus dieser Form des dichten Knäuels geht, wie schon FLEM- MING, RETZIUS und STRASBURGER und neuerdings auch HEUSER her- vorgehoben haben, durch allmähliche Verkürzung und Verdickung der Fäden der lockere, dickfadige Knäuel hervor. Ubergangsstadien vom dichten zum lockeren Knäuel habe ich auf Taf. VII Fig. 2 u. 3 abgebildet. Beide Figuren sind bei Oberflächeneinstellung gezeichnet. Die erste derselben führt uns wieder die Polseite eines Knäuels vor Augen, während die andere einen Kern aller Wahrscheinlichkeit nach schief von der Seite, also nicht ganz rein vom Pol, darstellt. Ich will mich hauptsächlich an die erste der beiden Figuren halten, da sie die verständlichere ist. Die Fäden sind mehr glattrandig gewor- den und tingiren sich noch intensiver als früher mit den specifischen Kernfärbemitteln. Die größeren wellenförmigen Biegungen weisen, wie auch früher, kleine sekundäre Knickungen und Krümmungen auf, Uber Zelltheilung. 229 die aber schon weniger zahlreich geworden sind. Auf der Orienti- rungstafel habe ich wieder das Polfeld der Fig. 2 mit einer punk- tirten Linie umzogen. Hier sieht man wieder zahlreiche, etwa zwan- zig oder etwas mehr Schlingen, welche sich bald mehr, bald weniger regelmäßig mit ihrem Winkel gegen das Polfeld stellen. Freilich sieht es an vielen Stellen aus, als hörten die Fäden oder Schlingen plötzlich auf; dies ist aber nicht der Fall, denn ich habe mich am Präparate aufs sicherste überzeugt. dass am Polfeld sich kein ein- ziges wirkliches Fadenende vorfindet. Wo also die Fäden an der Oberfläche verschwinden, tauchen sie in die Tiefe, um die Gegen- polseite aufzusuchen. Hier finden sich nun allerdings viele thatsäch- liche Fadenenden vor; auch habe ich an der Gegenpolseite der abgebildeten Figur ein nucleolenartiges Gebilde an der Oberfläche des Kerns im Verlauf eines Fadens gesehen. Um wirkliche Nucleo- len handelt es sich aber in solehen Fällen nicht: vielmehr sind diese schon längst in die Fadenbildung aufgegangen. Wenn ich sage, dass am abgebildeten Präparate keine wirk- lichen Fadenenden am Polfelde zu sehen waren, so soll damit keineswegs gesagt sein, dass solche absolut fehlen müssen. Auf der Fig. 3 sieht es an ein paar Stellen aus, als ob dichotomische Theilungen von Fäden vorkämen. Dies ist aber nur scheinbar und rührt daher, dass der eine Faden dicht an einen benachbarten her- antritt und hier in den Binnenraum des Kerns umbiegt. An zwei Stellen sieht man gröbere Massen von Chromatin, die offenbar durch Verquellung und Verschmelzung je zweier Fäden zu Stande gekom- men sind. Die Fig. 4, 5 A und B, 6 A und B auf Taf. VII, so wie die Fig. SA und B auf Taf. X führen uns typische Bilder wohl ausgebildeter lockerer Knäuel vor Augen. Sie stammen alle aus der Epidermis der Salamanderlarve und ich will nur bemer- ken, dass die letzterwähnte Figur ein etwas weiter entwickeltes Stadium darstellt, als die anderen. Ich beziehe mich bei der Be- schreibung zunächst auf die Fig. 6 A und B. Ich habe diese Figur in zwei Ansichten gezeichnet: von der Oberfläche und zwar von der Polseite des Kerns (6 A) und im optischen Schnitt (6 B). Auf der Orientirungstafel habe ich wieder das Polfeld mit punktirten Linien umzogen. Man sieht auf der abgebildeten Figur, die, wie alle an- deren, vollkommen naturgetreu dargestellt ist, vor Allem wieder die Schleifenbildung im oder in der Nähe des Polfeldes. Die Zahl der hier zusammentreffenden Schleifen beträgt, wie schon früher beim ” 230 C. Rabl dichten Knäuel, etwa zwanzig, denn von allen gezeichneten Fäden endigen nur zwei (5 und /3) an dem einen Ende frei an der Oberfläche des Kerns. Am schönsten tritt die Schleifenbildung an den Fäden /, 2, 4, 10, 11, 15, 19 und 20 hervor; aber auch an den Fäden 9, 13, 16, 17 und 22 ist sie ganz wohl erkennbar; man braucht nur das Durehschnittsbild auf Seidenpapier zu zeichnen und über die Oberflächenansicht zu legen. Dann wird man sich auch überzeugen, dass die beiden unscheinbaren Punkte /2 und 27 nichts Anderes als die Scheitel ähnlicher, mehr central durch den Kern verlaufender Schleifen sind und dass endlich auch z. B. der Faden 7 an seinem polaren Ende in die Tiefe umbiegt, also wieder eine Art Schleife bildet. Wir haben also hier eine ganz typische Anordnung der Fäden vor uns, eine Anordnung, die darin besteht, dass die Fä- den ihrer übergroßen Mehrzahl nach von der Gegenpolseite auslau- fen, in mehreren sanften wellenförmigen Biegungen entweder an der Kernoberfliiche oder durch den Binnenraum nach der Polseite ziehen, in der Nähe des Polfeldes schleifenförmig umbiegen und nun wieder in mehreren Windungen zur Gegenpolseite zurück- kehren. Wesentlich dasselbe lehrt auch die Fig. 5 A und 5. Ich habe dieselbe von beiden Seiten, der Polseite 4 und der Gegenpolseite DB, gezeichnet. Man merkt sofort den Unterschied zwischen den beiden Knäuelseiten. Von der Polseite nimmt er sich ganz ähnlich aus, wie der Knäuel der Fig. 6; auch hier treffen am Polfeld etwa zwanzig Schleifen zusammen. Sehr lehrreich ist eine aufmerksame Betrach- tung der Gegenpolseite (Fig. 5 B), wenngleich man dabei einige Unklarheiten merken wird. Die Fäden sind hier der Mehrzahl nach ganz deutlich in ihrem Verlauf quer zur Längsachse des Kerns an- geordnet; auch sind die Fadenenden einander meist sehr genähert, ja selbst z. Th. mit einander verquollen, so dass man sich leicht versucht fühlen könnte, die Existenz eines einzigen kontinuirlichen Fadens anzunehmen. Eine weitere Eigenthümlichkeit, die man bei der Untersuchung des Knäuels von der Gegenpolseite gewahrt, be- steht darin, dass einzelne Fäden oder Schleifen in ihrem ganzen Verlaufe dieser Seite angehören. Eine solche Schleife findet man z. B. auf der abgebildeten Figur mit einem Sternchen bezeichnet. Die Zahl solcher, wie ich sie nennen möchte, entlegener oder dis- locirter Schleifen ist nie sehr groß; ich habe selbst in extremen Fällen nur etwa vier bis fünf gezählt. — Manchmal, und dies ist namentlich bei sehr flachen Kernen der Fall, findet man, dass die * Uber Zelltheilung. 231 beiden Schenkel einer Schleife fast in ihrem ganzen Verlaufe der Gegenpolseite angehören, während der Scheitel derselben sich nach dem Polfeld kehrt (vgl. 74 auf der Orientirungstafel). Ein hübsches Bild eines lockeren Knäuels führt uns auch die Fig. 4 vor. Sie betrifft einen sehr langgestreckten Kern und zeigt uns den Knäuel in fast reiner Seitenansicht. Das Polfeld ist ohne Weiteres erkenntlich. Die Zahl der gezeichneten Schleifen beträgt 13; doch waren auch einige im Binnenraum und an der anderen Seite des Kerns vorhanden, die ich aber bei Oberflächenansicht nicht darstellen konnte. Alles in Allem mögen auch hier etwa zwanzig mit ihrem Scheitel dem Polfelde zugewendete Schleifen vorhanden ge- wesen sein. Sehr klar tritt hier die quere Anordnung der Fäden hervor. Endlich möge man noch die Fig. SA und B auf Taf. X be- trachten ; sie stellt einen etwas weiter entwickelten Knäuel von der Polseite A und der Gegenpolseite B dar. Auf der Orientirungstafel habe ich das Polfeld in die Gegenpolseite eingezeichnet, um das Verhältnis der beiden Kernseiten zu einander besser hervortreten zu lassen. Dass in der That dieser Knäuel im Verhältnis zu den auf Taf. VII Fig. 5 und 6 abgebildeten weiter entwickelt ist, beweist die größere Entfernung der Kernfäden von einander auf der Gegen- polseite. Im Übrigen zeigt der Knäuel fast ganz dasselbe Verhal- ten, wie diese; nur sind auch die kleinen unregelmäßigen Knickun- gen an den größeren, wellenförmigen Biegungen verschwunden, die man noch an den Knäuelfäden der Figuren 5 und 6 gewahrt. Ein Verhalten, das uns schon am Knäuel der Figur 5 B aufgefallen war, findet sich auch hier, wiewohl noch besser und klarer ausgeprägt, wieder. Es ist dies das Vorkommen dislocirter Fäden oder Schlei- fen. Solcher Fäden findet man hier etwa drei oder vier. Überhaupt muss ich bemerken, dass ich die Anwesenheit solcher disloeirter Fäden für eine ganz gewöhnliche und regelmäßig vorkommende Er- scheinung halte. Zum Schluss verweise ich noch behufs einer bequemeren Über- sicht des lockeren Knäuels auf das auf Taf. XII Fig. 2 gegebene Schema. Ich habe in demselben auch an der Gegenpolseite ein paar Fäden oder Schleifen eingezeichnet. In « sehen wir den Knäuel von der Seite, in 2 von der Polseite und in e von der Gegenpolseite. Der quere Verlauf der Fäden tritt namentlich in « und ec hervor, muss aber bei der Ansicht 5 natürlicherweise verschwinden. Ich habe in das Schema in a@ und 5 auch eine ganz kurze Kern- 22 C. Rabl spindel mit ihren Polen eingezeichnet und will dies hier zu recht- fertigen suchen. Ausführlicher und, wie ich hoffe, vollkommen ge- nügend werde ich wohl durch die Darstellung der späteren Stadien selbst gerechtfertigt werden. Ich bitte den Leser, auch auf die fol- genden Schemata 3 bis 6 einen kurzen Blick zu werfen und die für die Kerntheilungsvorgänge übliche Nomenclatur im Gedächtnis zu behalten. Als Theilungsachse bezeichnet man die Linie, welche die Pole der Kernspindel verbindet: als Theilungsebene die Ebene, welche man durch den Mittelpunkt der Theilungsachse und senk- recht auf diese legt. Die Schemata sollen nun zeigen, dass die Theilungsachse sich immer mehr verlängert und dabei ihre Stellung gegen die Kernoberfläche verändert; Anfangs nur unter sehr kleinem Winkel gegen die Oberfläche der Längenseite des Kerns geneigt, tritt sie, länger werdend, unter wachsendem Winkel gegen die Kern- oberfläche, bis sie endlich unter nahezu rechtem Winkel die Längs- achse des Kerns kreuzt. Ich bemerke ausdrücklich, dass ich in so frühen Stadien, wie sie sich auf das Schema 2 beziehen lassen, noch nichts von der Kernspindel gesehen habe, wohl aber in einem Stadium, welches dem Schema 3 entspricht. Aber es schien mir gleich Anfangs sehr nahe gelegen, die eigenthümliche Verlaufsweise der Fäden und ihre Schlin- genbildung mit der Anlage der Pole in Zusammenhang zu bringen. Um darüber etwas Sicheres zu erfahren, habe ich zunächst die Epi- dermis von Proteus untersucht und mich an senkrechten Durchschnit- ten über die Stellung der Pole orientirt. Die Zellen der tieferen Epidermisschichten besitzen, wie dies bekanntlich bei vielen ge- schichteten Epithelien der Fall ist, langgestreckte elliptische Kerne, deren Längenachse senkrecht auf der Oberfläche der Cutis steht. Zwischen diesen Zellen findet man noch die sogenannten LEYDIG- schen Zellen und ab und zu noch in der Tiefe, der Cutis meist ganz genähert, rundliche Zellen mit mehreren rundlichen Kernen. Die ersteren Zellen sind es nun, an die wir uns zu wenden ha- ben. Wenn wir uns zunächst an solche Stadien halten, in denen die Stellung der Pole ohne Weiteres klar zu erkennen ist, also an Tochtersterne oder Tochterknäuel oder an Umordnungsstadien, so fin- den wir die Pole regelmäßig der Längenseite der Kerne entspre- chend angeordnet; mit anderen Worten, es steht die Theilungsachse mehr oder weniger quer zur Längsachse des Kerns, also mehr oder weniger parallel zur Oberfläche der Cutis; ganz genau parallel steht sie allerdings meistens nicht, sondern ist unter einem sehr kleinen Uber Zelltheilung. 235 Winkel zur Oberfläche geneigt. Die Theilungsebene steht demnach mehr oder weniger senkrecht auf der Oberfläche der Cutis. Nur in den seltensten Fällen und in den oberflächlichen Epidermisschich- ten mit mehr rundlichen Zellkernen häufiger als in den tiefen, ste- hen die Pole direkt über einander, die Theilungsachse also senkrecht auf der Hautoberfläche. Es wurde auf diesen Gegenstand und auf seine Wichtigkeit für die Kenntnis des Wachsthumes erst in jüngster Zeit wieder von ARTHUR KOLLMANN in einer recht sorgfältigen Arbeit über den Tastapparat der Hand hingewiesen und ich kann die meisten seiner hierauf bezüglichen Ergebnisse bestätigen. Wenn man nun in der untersten Epidermisschicht, nachdem man sich über die Stellung der Pole in späteren Theilungsstadien klar seworden ist, nach jungen Theilungsstadien, vor Allem nach Kniuel- formen sucht, so findet man hier regelmäßig die Fäden in ihrem Verlauf quer zur Längsachse des Kerns, also parallel zur Theilungs- achse späterer Stadien angeordnet. Daraus geht wohl mit Entschie- denheit hervor, dass sie zu den Polen in einer ganz bestimmten Beziehung stehen. Es würde aber nahe liegen, anzunehmen, dass die Pole gleich ursprünglich an den einander gegenüber liegenden Kernseiten auftreten, so dass also die Fäden gewissermaßen die bei- den Pole verbinden würden. Ich war in der That lange Zeit dieser Ansicht, bis ich endlich den verschiedenen Bau der beiden Knäuel- hälften erkannte. Aber auch da wäre noch immer die Annahme möglich, dass die beiden Pole des Knäuels einander ungleichwerthig seien, wie ja auch bei sich furchenden Eizellen ein animaler und ein vegetativer Pol unterschieden werden können. Dass wirklich beide Pole an einer und derselben Knäuelseite auftreten und sich erst später von einander entfernen, davon hat mich erst die Unter- suchung älterer Knäuelformen überzeugt; denn hier trifft man stets beide Pole, allerdings schon in etwas schiefer Lage zu einander, an einer und derselben Seite. Auch kann ich hierfür eine interessante, bisher ganz unverständliche Beobachtung Fremnming’s ins Feld führen. Dieser Forscher zeichnet und beschreibt nämlich bei einem eben be- fruchteten Ei von Sphaerechinus brevispinosus, in welchem Sperma- kern und Eikern sich noch nicht vereinigt haben, sowohl am Sper- makern als am Eikern eine einseitige, in den Dotter auslaufende Strahlung (Abh. III, Fig. 9). Übrigens ist auch, wie ich weiter unten aus einander setzen werde, Angesichts der späteren Theilungs- stadien, namentlich auch in Anbetracht der Ausbildung des ruhen- 234 C. Rabl den Kerns aus dem Tochterkniuel, die Annahme eines ursprünglich einseitigen Auftretens beider Pole nicht von der Hand zu weisen. Ich kehre nun wieder nach dieser Abschweifung zur Betrachtung der Kerntheilungsfiguren zuriick. In den bisher beschriebenen Zel- len habe ich im Zellleib eben so wenig, wie im Binnenraum des Kerns eine Strahlung wahrnehmen können. Die achromatische Kern- hülle ist deutlich erkennbar; eben so findet man auch wieder den hellen, den Kern umgebenden Hof. Wesentlich dasselbe Verhalten, welches der Knäuel in der Epi- dermis der Salamanderlarve zeigt, trifft man auch in anderen Ge- weben. So habe ich auf Taf. X Fig. 10 einen lockeren Knäuel aus dem Bindegewebe dieser Larve abgebildet. Man wird auf den er- sten Blick die große Ähnlichkeit dieser Figur mit der Fig. 8 A aus der Epidermis erkennen. Der Knäuel ist von der Polseite abgebil- det und man findet hier zweiundzwanzig Schleifen; ein paar ent- legene Schleifen glaube ich an der Gegenpolseite erkannt zu haben. Ein Unterschied gegen den Knäuel aus der Epidermis scheint mir nur in so fern gegeben zu sein, als im Bindegewebe die Schleifen etwas dichter liegen und, wenn ich mich nicht täusche, etwas rei- cher an Chromatin sind. Die Fortsätze, welche vom Zellleib aus- gehen, verhalten sich so, wie bei ruhenden Zellen. Endlich habe ich noch auf derselben Tafel zwei lockere Knäuel vom Proteus abgebildet; den einen (Fig. 1) aus der Epidermis in der Nähe der Kiemen, den anderen (Fig. 2) aus der Niere. Ich muss übrigens bemerken, dass ich die Fig. 1 noch zu einer Zeit gezeich- net habe, als ich die Gesetzmäßigkeit des Fadenverlaufs und die Ungleichwerthigkeit der beiden Knäuelhälften noch nicht erkannt hatte; auch war ich damals noch wenig geübt im Verfolgen der Fäden und im Zeichnen der Kerntheilungsfiguren und es mag daher der eine oder andere Faden nicht ganz vollkommen genau ausge- fallen sein. Ich habe aber die Figur dennoch hier eingefügt, weil sie den queren Verlauf der Fäden ganz deutlich erkennen lässt. Der Knäuel aus der Niere ist dagegen vollkommen getreu gezeich- net. Man sieht direkt auf das Polfeld; es treffen hier sechs Schlei- fen zusammen und außerdem sieht man sieben Fäden, die z. Th. vielleicht am Pol umgebogen und dureh den Binnenraum des Kerns gezogen sein mögen. War dies der Fall, so ist es immerhin denk- bar, dass auch hier die Zahl der Schleifen ursprünglich eine größere gewesen ist; etwas Sicheres konnte ich hier nicht in Erfahrung brin- sen, weil die andere Kernhälfte am Präparate weggeschnitten war. Über Zelltheilung. 235 Im Ganzen ist Proteus für die Beobachtung solcher Kernfiguren viel weniger günstig als Salamandra. Auch bei Triton habe ich einmal an einem mit Goldchlorid fixirten und mit Safranin gefärbten Präparate aus der Epidermis das Zusammenlaufen der Schlingen am Polfelde gut gesehen !. Damit kann ich zugleich auch dem etwaigen Einwande ent- gegentreten, dass die von mir rücksichtlich der Salamanderlarye ge- schilderte Verlaufsweise der Knäuelfäden nur bei ganz flachen Kernen vorkommen möge, bei anderen Kernen dagegen sich anders verhalte. Ich gehe nun in Kürze auf einige der wichtigsten Litteratur- angaben ein. Es ist begreiflich, dass einem Forscher, wie FLEMNING, der quere Verlauf der Fäden im Knäuel nicht ganz entgehen konnte. Dass er denselben gesehen hat, beweisen seine Figuren 32 (Knäuelform aus dem Endosperm von Lilium eroceum) und 34 iKnäuel aus dem Epithel von Salamandra) auf Taf. III « seines Hauptwerkes. Ganz besonders schön ist aber der Fadenverlauf in Fig. 3 Taf. VII seiner zweiten Abhandlung zu sehen. Die Figur stellt einen Epithelkern von Salamandra dar, beim Übergang vom dichten zum lockeren Kniiuel; sie lässt ganz deutlich rechts das Polfeld erkennen. An dieser Stelle er- scheint der Knäuel etwas abgeflacht und auch das entspricht einem Verhalten, das man häufig genug antrifft. Ja es kommt sogar vor, dass der Kern am Polfeld eine kleine Delle zeigt. Ich kann aber im Text nirgends eine Stelle finden, an der auf den Fadenverlauf aufmerksam gemacht wird, vielmehr erwähnt FLEMMING ausdrücklich, dass die Knäuelbildung »so gar keine formelle Anknüpfung« an das Auftreten der Pole erkennen lasse (Hauptwerk, pag. 200 u. 201). Auch Rerzius hat den queren Fadenverlauf gesehen; ich verweise nur auf seine Figuren 3 und 5 auf Taf. XII. Er hebt auch ausdrücklich hervor, dass »die Schlingen, obwohl in gewundenem Verlaufe, größtentheils und in der Regel quer über den Kern, also ziemlich senkrecht gegen seine Längenachse ziehen« (pag. 115). Selbst die Abflachung oder Einbuchtung des Polfeldes ist ihm nicht entgangen. Er schreibt: »An dem einen Längsrande des Kerns bemerkt man, wie bei dem ruhenden Kern, sehr oft einen Einschnitt, einen Hilus, in welchen das Protoplasma hineinschieBt« (pag. 115). Abgesehen vom Hinein- schießen des Protoplasmas ist die Angabe vollkommen richtig. Man vergleiche ferner auch die Fig. 74 Taf. XXVI bei STRASBURGER (die ! Nachtr. Bemerk. Ich habe mich in diesem Sommer überzeugt, dass auch an der Mundbodenplatte des Triton an jedem Kniiuel die beschriebene Anord- nung der Fäden klar zu erkennen ist. 236 C. Rabi erste der eitirten Abhandlungen): sie stellt einen lockeren Knäuel von Fritillaria imperialis mit deutlichem queren Fadenverlauf dar. Bei der Lektüre der STRASBURGER'schen Abhandlungen bin ich mir aber nicht ganz klar geworden, ob dieser Forscher den queren Fa- denverlauf für eine konstante, mit der Anlage der Pole in Verbin- dung stehende Erscheinung hält. Das Detail des Fadenverlaufs hat er sicherlich nicht erkannt. Einer ausführlicheren Berücksichtigung bedürfen die Angaben Heuser’s, denn dieser treffliche Forscher war knapp daran, den Fadenverlauf auch im Detail richtig zu erkennen. Vorerst will ich aber einer Angabe gedenken, die sich wie eine Erb- stinde durch fast alle Arbeiten über Zelltheilungen hindurchzieht und die sich auch bei Heuser wiederfindet. Ich meine die bereits früher berührte Behauptung, dass beim Beginn der Knäuelbildung ein ein- ziger, kontinuirlich zusammenhängender. windungsreicher Faden den ganzen Kern durchziehe. Es mag wohl dazu die bekannte, neuer- dings von FLEemmisG und Leypie bestätigte Entdeckung BALBIANTS Veranlassung gegeben haben, dass in den Kernen der Speicheldrü- senzellen und anderer Organe der Chironomuslarve ein einziger, vielfach gewundener Faden vorhanden sei, der entweder mit seinen beiden Enden in je ein Kernkörperehen tauche, oder dessen beide En- den in einem einzigen Kernkörpereben stecken. Ich werde bei der Besprechung ruhender Kerne noch des Genaueren aus einander setzen, wie ich mir diese. auf den ersten Blick befremdende Thatsache er- kläre; hier aber möchte ich nur betonen, dass es sehr fraglich ist, ob man diesen Zustand ruhender Kerne zur Erklärung des Baues sich theilender Kerne heranziehen dürfe. Denn es ist ganz wohl denkbar, dass dieser Zustand mit dem raschen Wachsthume der Larven im Zusammenhange steht, ohne direkte Beziehungen zur Theilung darzubieten; es müsste erst untersucht werden, wie sich der Kernfaden bei der Theilung verhalte, und ob er, wie zu erwarten stünde, wenn jener Vergleich mit dem supponirten unsegmentirten Knäuelfaden zulässig wäre, selbst schon eine Art Knäuelfaden dar- stelle und nur in einzelne Segmente zu zerfallen brauche, um zu späteren Theilungsstadien hinüberzuführen. So lange solehe Beob- achtungen ausständig sind, würde es gut sein, zur Erklärung der bei Pflanzen oder bei Salamanderlarven gefundenen Verhältnisse nicht erst Chironomuskerne, sondern einfach auch wieder Kerne von Pflanzen oder von Salamanderlarven heranzuziehen. Der Bau von Salamanderkernen rechtfertigt aber, trotz der gegentheiligen Versiche- rungen STRASBURGER’s, die Annahme eines kontinuirlichen Knäuel- Uber Zelltheilung. 237 fadens sicherlich nicht; man müsste denn dafür ganz besonders vor- eingenommen sein. Glaubt man denn etwas Besseres, etwas mehr Histologisches, zu wissen, wenn man nür einen einzigen, statt vieler Fäden findet? Bleiben nicht der Zellkern und die ganze Zelle auch dann noch ein eben so großes ungelöstes Räthsel? Dazu kommt noch, dass, wie schon RErzıvs hervorhob, selbst wenn ein kontinuir- licher Faden existirte, es nur bei sehr mäßiger Länge desselben möglich wäre, ihm in seinem ganzen Verlaufe zu folgen. Bei Sala- manderkernen und Kernen von Amphibien überhaupt müsste jeder darauf hinzielende Versuch wegen der großen Länge des Fadens scheitern. Da ich nun, wie oben angeführt, selbst in ganz jungen, diehten Knäueln an der Gegenpolseite Unterbrechungen im Faden- verlauf gesehen und ich keinen Grund zur Annahme habe, dass ich es da mit Kunstprodukten zu thun hatte, und da ferner im lockeren Knäuel ganz sicher zahlreiche Kontinuitätstrennungen vorkommen, so kann ich der namentlich von STRASBURGER und HEUSER vertre- tenen Ansicht nicht zustimmen. Über das Zustandekommen des Knäuels sagt HEUSER: »Die kurzen, vielfach hin und her gebogenen Windungen ordnen sich nun vom Inneren des Kerns aus gegen seine Peripherie, annähernd parallel zu einander und zur kurzen Achse des Kerns, wobei durch Streckung die Umbiegungen des Fadens sich vermindern und abgerundeter werden, bis schließlich auch die peripheren Win- dungen zum großen Theil schwinden und eine gewisse Regelmäßig- keit im Verlauf des Fadens unverkennbar wird.« »In den meisten Fällen ordnen sich nun die Fäden (die durch Quertheilung des kon- tinuirlichen Knäuelfadens entstanden sein sollen) in dem linsenförmi- gen Kerne so zu einander an, dass ihre Gesammtheit die Form eines ovalen Tuibans annimmt« (pag. 58). Auch die Zeichnungen, welche HEUSER giebt, lassen sich trefflich mit den Bildern in Einklang brin- gen, die man von Salamanderkernen erhält; vor Allem gilt dies von der auf Taf. VII Fig. 6 gegebenen Abbildung eines turbanähnlichen Knäuels, der Jeden sofort an meine Fig. 4 erinnern wird. — Die nun folgenden Stadien bezeichnet FLEMMING als diejeni- gen des segmentirten Knäuels. Der Bau der chromatischen Figur und die Anordnung der Fäden erfahren in denselben in der That so tiefgreifende Veränderungen, dass eine Trennung von den vorherge- henden vollkommen gerechtfertigt erscheint. Ich will mich bei der Beschreibung wieder an ganz bestimmte Figuren halten, da dadurch das Verständnis wesentlich erleichtert 238 C. Rabl wird. Ich wende mich zunächst zur Beschreibung der Fig. 7; in A sieht man den Knäuel von der Folseite, in B von der Gegenpol- seite. Die dem Beschauer zugewendeten Fiiden habe ich dunkel, die abgewendeten blass gezeichnet: was also auf der einen Zeich- nung dunkel erscheint, erscheint auf der anderen blass und umge- kehrt. Man wird sich schon jetzt von dem Werth der Doppelbilder überzeugen können. Diese Knäuelform ist aus einer Form, wie sie uns die Fig. 6 Taf. VII oder noch besser die Fig. S Taf. X zeigt, offenbar dadurch entstanden, dass die Schlingen am Polfelde aus einander gerückt sind, so dass dieses frei von solchen erscheint. Zugleich sind die Fäden kürzer und dieker geworden, so dass sie mit ihren Enden weiter von einander abstehen und die Unterbrechungen überall so scharf hervor- treten. dass sie auf den ersten Blick erkannt werden können. Die Zahl der Fäden beträgt vierundzwanzig. Ich muss es dahingestellt sein lassen, ob schon früher, in dem Stadium der Fig. 8 Taf. X, die Fäden in derselben Zahl vorhanden gewesen seien, und kann daher auch die Frage nicht entscheiden, ob die Seg- mentirung an einen bestimmten Zeitpunkt der Karyokinese geknüpft sei. Es ist möglich und selbst wahrscheinlich, dass Anfangs eine geringere Anzahl von Fäden vorhanden war und erst allmählich durch weitere Quertheilung größerer Fadenstücke deren vierundzwanzig entstanden sind. Die meisten Fäden sind so gestellt, dass sie in weitem Um- kreise das Polfeld umgeben. Sie haben fast durchgehends Schleifen- form und kehren den Winkel dem Polfelde zu. Von den, der Gegen- polseite angehörigen Fäden bilden einige gleichfalls Schleifen (23, 24 , aber mit weniger scharfem Winkel, als ihn die Polschleifen zeigen, an- dere (2/) ziehen in sanft gebogenem, wellenförmigen Verlaufe durch die Mitte des Gesichtsfeldes, wieder andere endlich (20) halten in der Art ihres Verlaufes ungefähr die Mitte zwischen beiden. Die Schleifenschenkel sind entweder yon gleicher oder nahezu gleicher Länge (7, $, 10, 13, 14, 15 ete.), oder aber es ist der eine sehr beträchtlich länger als der andere (3, 5. 6). Mit Vorliebe sind sie wellenférmig gebogen (7, 73, 23 etc.) oder selbst winkelig ab- geknickt (70, 14: sind die Schenkel von ungleicher Länge. so weist meistens nur der längere eine Krümmung auf, während der kürzere mehr gerade gestreckt ist (7, 2, 5, 6 ete.). Diese Krümmungen der Schleifenschenkel will ich als sekundäre Schleifenwinkel von den, dem Polfelde zugekehrten, primären, unterscheiden. Die Uber Zelltheilung. 239 primären sind offenbar dieselben, die wir schon früher beim locke- ren und selbst schon beim dichten Knäuel im Bereich des Polfeldes kennen gelernt haben. Die sekundären sind wahrscheinlich aus den größeren Wellenbiegungen hervorgegangen. Die einzelnen Fadensegmente sind von ungleicher Länge: neben ganz kurzen, wie 3 und 79, finden sich solehe von sehr beträcht- licher Länge (20, 27, 24). Natürlich muss man sich, wenn man die Fadenlänge bestimmen will, zunächst an solche Segmente halten, die in ihrer ganzen Ausdehnung parallel zum Objektträger verlaufen: bei den anderen lässt sich die Länge meist nur annäherungsweise durch Verschieben des Tubus ermitteln. Die dünne achromatische Hülle, welche bisher eine scharfe Grenze zwischen Kern und Zellleib bildete, ist jetzt verschwunden. In der Mitte des Polfeldes und mit der Längsachse etwas gegen die- ses geneigt, habe ich an der abgebildeten Figur eine kurze, blasse Spindel gesehen. Ich habe dieselbe vielleicht etwas deutlicher ge- zeichnet, als sie auf dem Präparate zu sehen ist; aber ich habe sie an anderen Figuren des gleichen Stadiums, die nur mit Rücksicht auf die chromatische Figur etwas schwieriger zu durchblicken waren, mindestens eben so klar gesehen, wie ich sie hier gezeichnet habe. Im Zellleib habe ich auch jetzt noch nichts von einer Strahlung ge- sehen; doch muss ich bemerken, dass ich die Präparate in Nelkenöl aufgehellt und in Dammarlack eingeschlossen habe. Obgleich in diesem und den folgenden Stadien an den Chrom- Ameisensäurepräparaten keine Kernmembran mehr vorhanden ist, bewahrt doch der Kern noch durch geraume Zeit die Totalform des ruhenden Kerns. | Wesentlich dasselbe Bild, wie die Figur 7, zeigt uns auch noch die Figur 8 derselben Tafel. Ich habe diese Figur wieder von bei- den Seiten gezeichnet und man kann ohne Weiteres den Unterschied der Polseite A von der Gegenpolseite B erkennen. An der Polseite ist wieder das Polfeld frei von Schleifen: in weitem Umkreise ord- nen sie sich, mit ihren Winkeln nach innen und ihren Schenkeln nach außen gekehrt, um das chromatinfreie Feld herum an. Auf der Gegenpolseite trifft man wieder theils Schleifen, theils mehr ge- streckte oder sanft wellenförmig gebogene Fäden. Es lässt sich darüber streiten, ob z. B. Fäden, wie die mit 2 oder 7 bezeichne- ten, der Polseite oder Gegenpolseite angehören. Fasst man aber die Figur als Ganzes ins Auge, so wird man finden, dass auch diese Schleifen den Totaleindruck nicht stören, vielmehr sich ganz 240 C. Rabl ungezwungen dem Schema einordnen lassen, das man von einer sol- chen Figur entwerfen kann. Die Zahl der Fadensegmente betrigt auch in die- sem Falle vierundzwanzig. Alles, was ich über die Länge und Form der Segmente mit Beziehung auf die Fig. 7 gesagt habe, gilt auch für diese Figur; die Unterschiede lassen sich fast sämmt- lich auf eine ganz zufällige Ursache zurückführen: man sieht näm- lich bei der Fig. 7 A direkt aufs Polfeld, während auf der Fig. 8 A dasselbe etwas nach rechts verschoben erscheint. Damit hängt auch, wie ich glaube, zusammen, dass die primären Schleifenwinkel der letzteren Figur mehr abgerundet und bogenförmig, die der ersteren mehr zugeschärft sind. Ein weiteres Stadium von ungefähr demselben Alter habe ich auf Taf. X Fig. 9 A und B abgebildet. Es betrifft ebenfalls einen Knäuel aus der Epidermis des Mundbodens der Salamanderlarve. Die Fig. 9 A zeigt uns den Knäuel wieder von der Polseite, die Fig. 9 B von der Gegenpolseite. Die Zahl der Segmente be- trägt auch hier vierundzwanzig. An den beiden zuletzt erwähnten Figuren habe ich nichts von einer Kernspindel sehen können, was darin seinen Grund haben mag, dass dieselbe in so frühen Stadien eine sehr geringe Resistenz zu besitzen scheint. Auch was ich an der Zellsubstanz gesehen habe, ist bald gesagt: es beschränkt sich darauf, dass ich die chro- matische Figur wieder von einem hellen homogenen Hof umgeben gefunden habe und dass die Zellsubstanz erst an der Peripherie der Zelle ein mehr fein granulirtes oder zart streifiges Aussehen darbie- tet. Von einer Strahlung aber habe ich eben so wenig etwas im Zellleib gesehen, als früher. Die drei zuletzt beschriebenen Figuren (Taf. VII Fig. 7 u. 8, Taf. X Fig. 9) lassen sich auf das Schema 3 der Tafel XII zurück- führen oder, mit anderen Worten, es lässt sich von ihnen und zahl- reichen ihres Gleichen das erwähnte Schema ableiten; nur ist im Schema die Kernfigur von der Seite gezeichnet, während sie uns auf den Abbildungen in mehr oder weniger reiner Ansicht vom Pol- felde entgegentritt. Bevor ich auf die Litteraturangaben, die man auf dieses Sta- dium beziehen kann, eingehe, will ich noch zwei weitere Entwick- lungsstadien des Knäuels besprechen. Das erste von ihnen habe ich auf Taf. VII Fig. 9 A und B von beiden Seiten abgebildet. Es ist dieses Stadium wieder eines der schwierigsten, die sich im Uber Zelltheiiung. 241 Ablauf der Kerntheilungsvorgänge finden. Auch hier führt nur die Beobachtung zahlreicher Figuren zum richtigen Verständnis. Übrigens trifft man derartige Figuren viel seltener, als die in Fig. 7 und 8 abgebildeten. Was ich früher von der Länge und Form der Segmente, von den primären und sekundären Schleifen- winkeln und dgl. gesagt habe, gilt auch für diese Figur; selbst die Zahl der Fäden ist wieder die gleiche; sie beträgt auch hier vierundzwanzig. Wir haben uns also nur über die Anordnung der Fäden ins Klare zu kommen. Vielleicht wird man die Figur am leichtesten verstehen, wenn man für einen Augenblick annimmt, es lägen die Schleifen 27, 22, 23 und 24 der Fig. 9 A auf der hier dem Beschauer zugewen- deten Fläche; in Wirklichkeit sind sie abgewendet, liegen in der Tiefe und erscheinen daher erst, wenn man das Präparat von der anderen Seite (Fig. 9 B) betrachtet, an der Oberfläche. Denkt man sie sich aber, wie gesagt, der Seite der Fig. 9 A zugewendet, so wird man sofort das typische Bild des Polfeldes wiedererkennen. Die Ähnlichkeit mit der Fig. 8 A tritt dann auf den ersten Blick hervor: so wie hier die Sebleifen 7, 3, 4, 5, 6, 8, 10, 11, 12 und 13 in weitem Umkreise das Polfeld umgeben, würde dies jetzt in Fig.9 4A mit den Schleifen 7, 2, 3, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 21, 22, 23 a: 24 der Fall sein. Auch würde dann die erischhon der Fig. 9 derjeni- gen der Fig. 8 auffallend ähnlich werden. In Wirklichkeit sind nun aber die Knäuelseiten der Fig. 9 ein- ander viel ähnlicher, als dies im vorhergehenden Stadium der Fall war, und dies rührt augenscheinlich daher, dass einige ursprünglich der Polseite angehörige Schleifen (27/—24) in die Tiefe gerückt sind. Es hat also an einem Theile der Schleifen eine Verschiebung statt- gefunden und es drängt sich alsbald der Verdacht auf, dass diese Verschiebung mit einer veränderten Stellung der Pole und der Thei- lungsachse der achromatischen Figur in Zusammenhang stehe. An der abgebildeten Figur habe ich nun allerdings von einer Spindel nichts gesehen und habe es daher auch unterlassen, etwas davon einzuzeichnen. Wenn man aber andere Figuren desselben Entwick- lungsstadiums zum Vergleiche heranzieht, so findet man oft genug und namentlich schön in reinen Seitenansichten, dass die Pole in der Weise schief gestellt sind, dass die Theilungsachse sowohl ge- gen die Längsachse als gegen die Querachse des Kerns geneigt er- scheint. Die Theilungsachse hat also in solehen Stadien eine schiefe Morpholog. Jahrbuch. 10. 16 242 C. Rabl Richtung und ich habe auf der beigegebenen Orientirungstafel ver- sucht, die Lage der beiden Pole mit punktirten Linien anzugeben. Statt eines einzigen, einheitlichen Polfeldes lässt also jetzt die Fi- gur deren zwei erkennen, wiewohl das der ursprünglichen Gegen- polseite (Fig. 9 B) angehörige noch eine gewisse Unregelmäßigkeit zur Schau trägt. Die Bezeichnungen »Polseite und Gegenpolseite des Kerns« haben von diesem Stadium an ihre Berechtigung verlo- ren und wir dürfen nunmehr von zwei einander gegenüber liegenden Polfeldern sprechen. Das Verständnis dieses Stadiums mag auch noch durch die Be- trachtung des Schema 4 auf Taf. XII gefördert werden; nur möge man einstweilen von der dort angezeigten Längsspaltung der Schlei- fen absehen. Man sieht hier den Knäuel wieder von der Seite, während er in Fig. 9 A und B von den Polen dargestellt ist. Wie oben angeführt, begegnet man solchen Theilungsfiguren relativ selten; selbst bei Salamanderlarven, in deren Epidermis Theilungsfigur an Theilungsfigur steht, sucht man oft vergebens da- nach; sie sind, so weit ich dies nach meinen Präparaten beurtheilen kann, selbst noch spärlicher, als Umordnungsstadien, deren Selten- heit schon von FLEMMING hervorgehoben wurde. Es scheint mir dies auf eine kurze Dauer dieses Stadiums hinzuweisen und es würde sich empfehlen, lebende Theilungsfiguren nach dieser Richtung zu studiren. Zur Zeit, als ich mich mit der Beobachtung der Karyo- kinese in lebenden Geweben beschäftigte, war ich über die Stellung der Pole in solchen Knäuelstadien noch nicht ins Reine gekommen und hatte seither noch nicht Gelegenheit, lebende Larven zu unter- suchen. Im Vergleich mit den bisher beschriebenen Stadien bieten alle folgenden keine namhaften Schwierigkeiten mehr. Dies gilt schon für die auf Taf. VIII Fig. 10 4 und B abgebildete Figur. Ich fasse dieselbe noch als Knäuelstadium auf, weil sie noch die Totalform des ruhenden Kerns zeigt, obwohl sich bereits die Schleifen nach dem Centrum der Theilungsachse zusammenzudrängen beginnen. Allerdings lässt sich dies bei reiner Polansicht nur schwer sagen, aber man kann sich doch immerhin durch Höher- und Tieferstellen des Tubus auch eine Vorstellung von der Tiefenausdehnung oder Dicke einer solehen Figur verschaffen. Die Figur ist ohne Weiteres verständlich. Die beiden Pole, an denen man ganz hübsch die radienförmig angeordneten Spindelfasern sieht, liegen zu dieser Zeit schon einander gegenüber. Es hat also die Theilungsachse eine Uber Zelltheilung. 343 Stellung angenommen, die der definitiven schon ziemlich genau ent- spricht. Die Fäden haben fast durchweg Schleifenform und kehren den Winkel der Theilungsachse zu: die Enden der Schleifenschenkel richten sich demnach nach außen. Da man auf die Figur genau in der Verlängerung der Theilungsachse sieht, so kann man sich zu- gleich überzeugen, dass die Mitte der Kernspindel frei von chro- matischen Fäden ist. Ich bemerke übrigens, dass dies nicht im- mer der Fall ist und es häufig genug vorkommt, dass auch in der Mitte Schleifen liegen. Ich habe dies nicht bloß beim Salamander, sondern auch bei Proteus wiederholt gesehen. Außer den primären oder eigentlichen Schleifenwinkeln sieht man wieder hier und da se- kundäre Winkel an den Schleifenschenkeln (7, 9, 21, 24 etc.). Alles, was ich früher von der Länge der Fadensegmente und der Schleifenschenkel gesagt habe, gilt auch für diese Figur. Es ist leicht, sich wieder davon zu überzeugen, dass die Länge der Fäden außerordentlich variabel ist und neben ganz kurzen solche von sehr ansehnlicher Länge vorkommen. Auch die Zahl der Fäden ist die- selbe, wie bei den früher beschriebenen Figuren: sie beträgt wieder vierundzwanzig. Zum Schluss will ich noch auf eine Erscheinung aufmerksam machen, die uns auf der abgebildeten Figur entgegentritt und die man auch sonst ziemlich oft, aber keineswegs konstant wiederfindet. Sie besteht darin, dass die Kernspindel die chromatische Figur nicht genau central, sondern excentrisch durchsetzt, so dass also in der Ansicht Fig. 10 A an der rechten, in derjenigen von Fig. 10 B an der linken Seite weniger Schleifen liegen, als anderwärts. Die Fäden habe ich der Klarheit des Bildes zu Liebe, um eine Spur schmäler gezeichnet, als sie am Präparate zu sehen sind. Mit diesem Stadium schließt die erste Entwicklungsphase des Kerns, der Knäuel, ab. Ich vermeide es absichtlich, ein Resume meiner Darstellung zu geben, weil ich denke, dass sich Jeder, der meine Arbeit aufmerksam liest, ein solches mit Leichtigkeit wird bilden können. Wem aber die Geduld fehlt. sich in die Arbeit zu vertiefen, mag sie schnell wieder bei Seite legen. Ich komme nun noch auf eine Erscheinung zu sprechen, die für das Verständnis der Zelltheilung von der größten Wichtigkeit ist und die durch lange Zeit die Gemüther in mächtiger Aufregung erhalten hat, bis sich endlich vor Kurzem der Sturm zur allgemeinen Zufrie- denheit gelegt hat. Ich meine die Längsspaltung der chro- 16 * 244 C. Rabl matischen Fäden; ich spreche schon jetzt davon, weil es mir nicht ausgeschlossen erscheint, dass diese Erscheinung in der Regel schon am Ende der ersten Entwicklungsphase auftritt. Ich halte mich zunächst ausschließlich an die Ergebnisse, die man durch Fixi- rung der Theilungsfiguren mittels Platinchlorid erhält. Am lebenden Objekte kann man sich, wie FLemmine (Hauptwerk pag. 215) an- giebt, nur von der Existenz der Längsspaltung überzeugen, ohne über den Zeitpunkt ihres Auftretens ins Klare zu kommen. Fixirt man die Theilungsfiguren mit Chrom-Ameisensäure, Chromsäure oder den üblichen Osmiumgemischen, so kann man zwar in späteren Sta- dien die Längsspaltung ganz deutlich sehen, in frühen dagegen quellen die Doppelfäden auf, so dass sie zur Verschmelzung gebracht werden und man dann einfache Fäden vor sich zu haben glaubt. Leider kann ich mich mit Rücksicht auf das erste Auftreten der Längsspaltung nur an Präparate von Proteus halten; zur Zeit, als ich die günstigen Wirkungen des Platinchlorids bemerkte, waren keine Salamanderlarven mehr zu haben und die im Sommer konser- virten Larven waren sämmtlich in Chrom-Ameisensäure gehärtet. Untersucht man nun Platinchloridpräparate, so findet man vor Allem, dass alle unzweifelhaften Muttersterne Doppelfäden zeigen. Unter den lockeren Knäueln findet man aber nur sehr selten solche mit durchwegs längsgespaltenen Fäden. Einen solchen Knäuel aus der Epidermis von Proteus habe ich auf Taf. X Fig. 3 abgebildet. Die Schwesterfäden liegen zumeist in ihrer ganzen Länge parallel neben einander; nur ab und zu entfernt sich der eine vom anderen am Ende oder in der Mitte des Verlaufes. Zuweilen zieht ein Fa- den eine Strecke weit iber oder unter dem Schwesterfaden hinweg und dann gewinnt es den Anschein, als wäre der Faden einfach. Eine regelmäßige Anordnung der Fadensegmente habe ich bei der abgebildeten Figur nicht herausfinden können, obwohl, wie aus den bisher geschilderten Befunden hervorgeht, eine solche schon existi- ren muss. Möglicherweise ist aber ein Theil der Knäuelfäden am Präparate weggeschnitten, so dass schon dadurch die Regelmäßig- keit des Fadenverlaufs getrübt sein kann. Nebenbei möchte ich noch bemerken, dass ich an den Chlorplatinpräparaten meist noch in den Endstadien des Knäuels ziemlich deutlich eine achromatische Hülle sehe. Ich glaube aber, dass meine Befunde nicht genügen, um zu entscheiden, ob die Längsspaltung konstant im Endstadium des Knäuels auftrete. Mit Sicherheit beweisen sie nur, dass die Längs- spaltung selbst eine ganz konstante Erscheinung ist; es wäre aber Uber Zelltheilung. 245 möglich, dass sie de norma nicht schon im Knäuel sondern erst in den Anfangsstadien des Muttersterns erfolgte '. Die Chlorplatinpräparate geben auch noch über eine andere. zuerst von PFITZNER beschriebene Erscheinung einen willkommenen Aufschluss. Es ist dies die Zusammensetzung der Fäden aus Kör- nern oder Kugeln, die man nach ihrem Entdecker als »Prirzner’sche Chromatinkugeln« zu bezeichnen pflegt. Mit Rücksicht auf die Frage, wem die Priorität der Entdeckung gehört, PFITZxER oder BALBIAN. verweise ich auf die Litteratur. Eben so wenig habe ist Lust, mich in den unfruchtbaren Streit über die Bedeutung der Körner zu men- gen und konstatire nur, dass die langathmige und geradezu wider- liche Polemik zwischen PrirzNer und BLOCHMANN nicht das Geringste zu Tage gefördert hat, was uns einem Verständnis der Kerntheilung näher bringen kann. Untersucht man mit Platinchlorid fixirte und mit Safranin oder Hämatoxylin gefärbte Präparate, so findet man, dass schon in ganz Jungen Knäueln die chromatischen Fäden ein körniges oder knotiges Aussehen haben und dass die einzelnen Körner in den einfachen Fäden in einfacher, in den längsgespaltenen Fäden späterer Stadien aber in doppelter Reihe hinter einander liegen, so dass also in den letzteren jeder Schwesterfaden wieder aus einer einfachen Körner- reihe besteht, wie ich dies auf Taf. X Fig. 3 abgebildet habe. Die Körner oder, richtiger, knotigen Anschwellungen der Fäden haben eine annäherungsweise kugelige Gestalt und einen Durchmesser, der dem Dickendurchmesser der Fäden entspricht. Sie haben, wie man sich mit HARTNACK 1/3, oder auch Zeıss '/;; und ABBE’schem Beleuch- tungsapparate bei mittlerer Blendung überzeugen kann, eine rauhe Ober- fläche, was möglicherweise auf eine schrumpfenmachende Einwirkung der Fixirungsflüssigkeit zurückzuführen ist. Zuweilen gelingt es auch, nach Chromsäurehärtung ohne nachfolgende Platin- oder Goldchlorid- behandlung die Körner zu sehen und in diesem Falle zeigen sie stets eine viel glattere Oberfläche. Goldchlorid hat denselben Effekt, wie Platinchlorid: ich habe mich davon an Präparaten vom erwach- senen Triton und von Tritonlarven überzeugt. An lebenden Objek- ten habe ich von den Kérnern nichts Sicheres sehen können. An Chromsäure - Safraninpräparaten von der Zunge eines hungernden 1 Nachträgl. Bemerk. Nach meinen im vergangenen Sommer an Triton angestellten Untersuchungen tritt die Längsspaltung stets schon am Ende der Knäuelphase auf und ist selbst in ganz jungen Muttersternen schon vollendet. Ferner ist zu jener Zeit immer noch eine achromatische Hülle vorhanden. 246 C. Rabl Salamanders habe ich einmal die Kérner deutlich durch schmale helle Zwischenriume getrennt gesehen. Auch sonst kann man zuweilen einzelne vom übrigen Faden abgelöste Körner sehen. Für gewöhn- lich sieht man aber nur Einkerbungen am Rande der Fäden, den Zwischenräumen zwischen den knotigen Anschwellungen entsprechend. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch eines Befundes gedenken, der vielleicht einiger Beachtung und einer weiteren Verfolgung werth ist. Ich habe einmal, bei Beginn meiner Untersuchungen, in den meisten Kernen der Nierenepithelien, der Muskeln und des Sternal- knorpels eines jungen, reichlich gefütterten Proteus die Fäden aus eigenthümlichen, an beiden Enden häkchenförmig umgebogenen Stäbchen zusammengesetzt gefunden; die Stäbchen waren etwa dop- pelt so lang als breit und ihre Länge entsprach beiläufig der Dicke eines Chromatinfadens. Die untersuchten Organe waren, wenn ich mich recht entsinne, in Chromsäure gehärtet. Später habe ich nie wieder etwas dergleichen gesehen; leider habe ich meine damaligen Präparate in der Hoffnung, später noch bessere zu erhalten, nicht aufbewahrt. Was für Gebilde hier vorgelegen und in welcher Be- ziehung sie zu den »Chromatinkugeln« gestanden haben, weiß ich nicht, muss aber mit Bestimmtheit dem etwaigen Einwande begeg- nen, dass ich es vielleicht mit Bakterien zu thun hatte. Die Häk- chen waren nur in den Kernen zu finden und fehlten in der Zell- substanz vollständig. Angesichts solcher Erfahrungen wird man sich so recht klar bewusst, dass man über das feinere und feinste Detail der Theilungserscheinungen ganz und gar nichts Vernünftiges weiß. Es liegt natürlich die von PFITZxER erörterte Annahme nahe, dass bei der Längsspaltung der Chromatinfäden jedes Korn sich in zwei Körner spalte; vorläufig müssen wir uns aber damit beschei- den, die Längsspaltung überhaupt konstatiren zu können, und die Untersuchung des Details auf eine Zeit versparen, wo uns hoffent- lich noch viel bessere optische Hilfsmittel zu Gebote stehen werden. Die Prirzner’sche Körnelung ist mit dem Querbau des Fadens in den ruhenden Kernen der Speicheldrüsen von Chironomus, wie ihn Baugranı beschrieben hat, und mit dem Querbau der Fäden oder Gerüststränge in jungen Ovarialeiern von Siredon, wie ihn FLEM- MING nachgewiesen hat, verglichen worden. Hinsichtlich der Quer- scheiben von Chironomus besitze ich keine Erfahrung; dagegen habe ich bei Ovarialeiern von Proteus genau dieselben Strukturen gefun- den, wie sie FLENMING von Siredon beschrieben hat. Ich werde darauf später genauer eingehen und bemerke hier nur, dass ich jenen Uber Zelltheilung. 247 Vergleich nicht fiir berechtigt halte und dass die Faden der Ovarial- eier überhaupt nicht ohne Weiteres mit den Chromatinfäden homolo- sisirt werden dürfen. Ich gehe nun in Kürze auf die über die Endformen des Knäuels vorliegenden Litteraturangaben ein. Zuerst FLEMMING. In seiner ersten Arbeit bezeichnet er die lockere Knäuelform als »Korbform des Mutterkerns«, ein Ausdruck, der in der That für Formen, welche meiner Fig. 7, Taf. VII ent- sprechen, ganz wohl passt. Später aber hat er diesen Ausdruck wieder fallen lassen und in seinem Hauptwerk geschieht desselben keiner Erwähnung mehr. Seine Figuren 6 und 7, Taf. XVII erin- nern auf den ersten Blick an meine Fig. 10, Taf. VIII. In seiner zweiten Abhandlung erörtert er ausführlich die Frage, ob die Seg- mentirung des ursprünglich wahrscheinlich kontinuirlichen Knäuel- fadens an einen bestimmten Zeitpunkt der Karyokinese gebunden sei, und kommt zu dem Schluss, dass dies wahrscheinlich nicht der Fall ist, es vielmehr vorkommen kann, dass sich die Segmentirung selbst bis in die Übergangsstadien vom Knäuel zum Stern verzögere. Dieselbe Ansicht spricht er auch später in seinem Hauptwerke aus. In seiner dritten Abhandlung theilt er mit, dass es ihm in drei Fäl- len gelungen sei, die Zahl der Fäden zu zählen; er fand jedes Mal vierundzwanzig. Einen neuen vierten Fall theilt er in seinem Haupt- werke mit; auch da betrug die Zahl vierundzwanzig. In III, pag.52 schreibt er: »In etwa zwanzig anderen Fällen, Epithel und Binde- substanz betreffend, ließen sich die meisten Schleifen zwar deutlich abgrenzen, an einigen Stellen aber, wo die Fäden in optischen Schnit- ten und dichter lagen, blieb die Entscheidung unmöglich, ob Unter- brechungen vorhanden waren und ob sonach einige Schleifen mehr oder weniger vorlagen. In diesen eirca 20 Fällen betrug die Zahl der gezählten Schleifen 17 bis 22, die der übrigen, unsicheren war der Schätzung nach so, dass auch hier überall die Annahme von 24 zulässig wäre.« Dagegen sagt er in seinem Hauptwerk (pag. 210 und 211), er habe das zeitraubende Zählen aufgegeben, da er »von vorn herein sah, dass es sich um ein ganz durchgehendes Zahlen- gesetz hier nicht handeln kann«. Es sei zwar vollkommen möglich, dass für die meisten Gewebe des Salamanders die Schleifenzahl stets 24 betrage; dagegen »machen die Hodenepithelien hier, wie in an- deren Dingen, wieder eine Ausnahme«; denn wenn es auch bisher nicht gelingen wollte, hier die Schleifen mit Sicherheit zu zählen, so sei doch jedenfalls so viel sicher, dass sie »bedeutend weniger zahl- 248 C. Rabl reich wie bei Hautepithel- und Bindesubstanzzellen« sind. Ferner macht FLeunmise darauf aufmerksam, dass bei vielen Pflanzenzellen eine viel größere Anzahl von Schleifen vorhanden sei, als nach den bisherigen Erfahrungen bei Thierzellen; und endlich hebt er noch hervor, dass nach Rerzıus’ Schätzung bei Triton ihre Zahl im Mit- tel 12—16 betrage und dem Wechsel unterworfen sei (vgl. RErzıus, pag. 116). In den Echinideneiern ist schätzungsweise die Schleifen- zahl eine ähnliche, wie in Salamanderepithelien, nur sind die Schlei- fen sehr kurz und klein. Da ich diesen Gegenstand für äußerst wichtig halte, so will ich etwas länger dabei verweilen. Ich habe, wie oben angeführt, in fünf Knäuelfiguren die Fäden mit Sicherheit zählen können und habe gerade so wie FLEMMING vierundzwanzig gefunden. Außerdem habe ich in zwei Muttersternen mit Sicherheit vierundzwanzig Schleifen gezählt. In einer größeren Anzahl von Knäueln habe ich zwan- zig bis zweiundzwanzig Schleifen gezählt und es blieb dann noch ein Rest, dessen Fadenzahl nicht sicher zu eruiren war. Alles in Allem sind also bisher die Schleifen in elf Fällen mit voller Si- cherheit gezählt worden, in vieren von FLEMMING, in sieben von mir, und in allen diesen Fällen betrug die Zahl vierundzwanzig. Dagegen sind in keinem einzigen mit Sicherheit mehr gezählt wor- den und in allen Fällen, in denen weniger gefunden wurden, war noch ein Rest zurückgeblieben, der aus so vielen Schleifen bestan- den haben mochte, dass sich die Gesammtzahl auf 24 stellte. Ich halte daher diese Zahl für die Epithel- und Bindegewebszellen der Salamanderlarve für konstant. Ich habe auch bei Proteus die Schleifen zu zählen versucht, bin aber zu keinem ganz sichern Resultat gekommen. Der Haupt- grund davon liegt darin, dass ich nur Schnitte untersuchte und ich mir daher die Möglichkeit vor Augen halten musste, dass eine oder die andere Schleife weggeschnitten war. Ich habe aber doch zum allermindesten tausend Theilungsfiguren gesehen und darf daher wohl eine Schätzung der Schleifenzahl wagen. Ich glaube kaum, weit fehl zu gehen, wenn ich die Zahl auf ungefähr eben so hoch anschlage, wie beim Salamander. Auffallend ist aber, dass auch hier, wie dies FLEMMING vom Salamander angiebt, die Zahl der Schleifen in den Hodenfollikelepithelien und eben so in den Eierstockfollikelzellen beträchtlich geringer ist; ich möchte sie hier auf etwa 16 schätzen. Endlich möchte ich noch einer Beobachtung Nusspaum’s geden- ken, die neuerdings auch von Ep. v. BENEDEN bestätigt wird. und aus ites ‘ete Uber Zelltheilung. 249 der hervorgeht, dass sowohl in den Spermatocyten, als später in den Furchungskugeln von Ascaris megalocephala bei der Zelltheilung vier Schleifen auftreten. Hier ist also die Schleifenzahl äußerst gering, so gering. wie in keinem zweiten bisher bekannten Fall. Was die Pflanzen betrifft, so verweise ich auf die Angaben STRASBURGER’S in der ersten der eitirten Abhandlungen. Er führt an, dass die Zahl der »Kernplattenelementpaare« bei den Pollen- mutterzellen von Lilium candidum und eroceum und eben so bei Fri- tillaria meist 12 betrage; überhaupt zeigen die meisten Liliaceen an- nähernd dieselbe Zahl (pag. 494); nur bei Funkia Sieboldiana beträgt sie circa 24, dagegen bei Alstroemia chilensis, einer Amaryllidee, ziemlich konstant 8; bei Hemerocallis fulva 12 ete. In anderen Fällen, wie in den Sporenmutterzellen von Equisetum limosum und Psilotum triquetrum ist die Zahl der, allerdings nur ganz kurzen Kernplattenelemente eine sehr beträchtliche; bei Psilotum etwa 140 (pag. 504) ; eben so ist im Wandbeleg des Embryosackes verschiede- ner Monocotyledonen die Zahl eine ziemlich große. Endlich möge man noch die Arbeit E. Hruser’s damit vergleichen. Da ich in botanicis viel zu wenig bewandert bin, um mir einen Schluss auf die morphologische und physiologische Werthigkeit der verschiedenen’ Zellen und Gewebe erlauben zu dürfen, so bemerke ich, dass Alles, was ich im Folgenden über die Bedeutung der Schleifenzahl sagen werde, zunächst nur für thierische Zellen und Gewebe gilt. Hoffentlich werden STRASBURGER und HEUSER, denen die Lehre vom Bau und Leben der Zelle schon so viel des Wissens- werthen und Interessanten verdankt, auch hier eingreifen und zur Erklärung einer Erscheinung beitragen helfen, für die eine bloße Kenntnis der Thierhistologie nicht völlig ausreicht. Vorerst muss ich nun betonen, dass es, wenn die Schlei- fenzahl und die Menge der chromatischen Substanz in Betracht kommen, nicht erlaubt ist, die Zellen und Gewebe weit von einander entfernter Thierkreise mit einander zu vergleichen. So ist es z. B. nicht erlaubt, die Zellen eines Salamanders mit denen eines Säugethieres oder Vogels, geschweige denn mit denjenigen eines Echinodermen zu vergleichen. Will man vielmehr die Zellen des gefleckten Erdsalamanders mit denjenigen anderer Thiere verglei- chen, so wird man sich zunächst etwa an diejenigen der Salamandra atra oder perspicillata zu wenden haben; erst in zweiter Linie können andere, entfernter verwandte Salamandrinen, vor Allem die Tritonen, in Betracht kommen: in noch weiterer Instanz kann man dann die 250 C. Rabl Perennibranchiaten auf der einen, die Batrachier auf der anderen Seite zum Vergleich heranziehen. Dagegen hat man schon die größte Vorsicht und Reserve zu beobachten, wenn man vielleicht die Zellen eines Perennibranchiaten mit denen eines Dipnoers oder Se- lachiers vergleichen wollte. Zweitens darf man nur die Zellen homologer Gewebe und Or- gane mit einander vergleichen; es ist beispielsweise nicht erlaubt, die Epidermiszellén des einen Thieres mit den Hodenepithelien eines anderen zu vergleichen. Denn es könnte ja sein, dass de norma in gewissen Zellen die Menge der chromatischen Substanz und die damit zusammenhängende Zahl der Schleifen größer wären, als in anderen. Wir haben uns also mit Rücksicht auf die Frage, ob die Schlei- fenzahl konstant sei, jedes Mal an ganz bestimmte Zellen zu halten, und in dieser Beziehung bin ich der Überzeugung, dass für jede Zellenart ein ganz bestimmtes Zahlengesetz existirt. So bin ich aus den oben angeführten Gründen überzeugt, dass in den Epidermiszellen der Salamanderlarve ganz konstant 24 Schlei- fen auftreten, dass ferner diese Zahl auch für die Bindegewebszellen gilt und dass endlich in den Hodenepithelien die Schleifenzahl stets eine geringere, aber gleichfalls ganz konstante ist. Bei anderen Thieren kann und wird die Zahl eine größere‘oder kleinere sein. Aber ich bin zu sehr von der Gesetzmäßigkeit aller, auch der un- scheinbarsten Vorgänge überzeugt, als dass ich mit Rerzius glauben könnte, die Schleifenzahl könne bei einem und demselben Thiere und in demselben Gewebe einem Wechsel unterworfen sein!. Es wäre von der allergrößten Wichtigkeit, zu untersuchen, wie sich die Schleifenzahl während der Entwicklung eines Thieres ver- ändert. So leiten sich die Hodenepithelien und die Bindegewebs- zellen in letzter Linie von den Zellen des mittleren Keimblattes ab und doch beträgt die Schleifenzahl in den ersteren etwa 16, in den letzteren 24; es muss also in einer gewissen Entwicklungsperiode die Zahl sich geändert haben. Ferner ist es kaum glaublich, dass, abgesehen von den Spermatocyten und Ureiern bei Ascaris megalo- cephala, in den Zellen des erwachsenen Thieres bei einer Theilung stets nur 4 Schleifen auftreten sollten, wie in den ersten Furchungs- 1 Nach meiner Erfahrung beträgt die Schleifenzahl bei Triton stets mehr als 16, mindestens 20, vielleicht sogar, wie beim Salamander, 24. RETZIUS ist hier entschieden im Irrthum. Uber Zelltheilung. 251 kugeln. Auch ware zu untersuchen, wie sich die Schleifenzahl bei der inäqualen Furchung und inäqualen Zelltheilung, falls eine solche bei erwachsenen Thieren vorkommt, verhält. Kurz, hier hat jede Frage zahlreiche andere im Gefolge. So weit ich die bisher bekannt gewordenen Thatsachen über- blicken kann, will es mir fast scheinen, als ob in embryonalen Zellen die Menge desChromatins und, damit im Zusam- menhang, die Zahl oder aber Größe der Schleifen eine geringere wäre, als in fertigen Geweben. Ich werde im zweiten Theile noch ausführlich von den Charakteren embryonaler Zellen und Zellkerne sprechen und will hier nur hervorheben, dass die Hoden- und Eierstocksepithelien die embryonalen Zellcharaktere reiner zu bewahren pflegen, als alle anderen Zellen oder Gewebe. Von diesem Standpunkte kann man, wie mir scheint, mehrere der bekannten Thatsachen mit einander in Einklang bringen. So wird es einigermaßen verständlich, wie es kommt, dass sowohl beim Salamander, als beim Proteus die Schleifenzahl im Hoden eine ge- ringere, als in der Epidermis und im Bindegewebe ist; damit stimmt ferner auch die geringe Schleifenzahl in den Furchungskugeln und Spermatocyten von Ascaris überein; endlich auch die geringe Größe der Schleifen in den Eiern der Echiniden. Doch muss man bei der Beurtheilung solcher und ähnlicher Fälle die größte Vorsicht walten lassen und sich eines bestimmten Urtheiles so lange enthalten, als nicht eine viel größere Zahl von Beobachtungen vorliegt, als gegen- wärtig. Wenn Proteus, den man zu den Perennibranchiaten stellt, in Be- ziehung auf die Schleifenzahl mit den Salamandriden übereinstimmt, so passt dies wieder vortrefflich zu den neueren Ergebnissen über den anatomischen Bau dieses Thieres. Es ist schon seit längerer Zeit bekannt, dass sich Proteus in seinem Skelet viel mehr an die Salamandriden anlehnt, als an die Perennibranchiaten und in jüngster Zeit hat Boas auf Grund seiner Untersuchungen des Aorten- systems der Amphibien die Vermuthung ausgesprochen, dass Proteus eine modifieirte, geschlechtsreife Salamandridenlarve sei, welche die Fähigkeit, sich umzuwandeln, verloren habe. Zu einem ganz ähn- lichen Resultate ist auch unlängst KLAUSSNER durch die Untersuchung des Rückenmarkes gelangt. Er ist zu dem Schlusse gekommen, dass »das Mark des erwachsenen Proteus den embryonalen Charak- ter des Markes der höheren Wirbelthiere in ausgeprägterem Grade zeigt, als dies von anderen Vertebraten bekannt ist«. Ich kann die- 252 C. Rabl sen Satz nach Untersuchungen, welche Herr cand. med. F. Hocu- STETTER im letzten Sommer im hiesigen anatomischen Institute aus- geführt hat, vollinhaltlich bestätigen, nur mit der Modifikation, dass ich sagen möchte, Proteus zeige im Bau seines Riickenmarkes eine große Ähnlichkeit zunächst mit einer Salamandridenlarve, und erst in weiterer Folge mit gewissen Embryonen höherer Wirbelthiere. Dasselbe embryonale oder, richtiger ausgedrückt, larvale Verhalten des Proteus spricht sich auch in dem Bau seiner Haut und seines Darmes aus. Von dem Bau der Haut haben wir, abgesehen von den mehr gelegentlichen Bemerkungen Lrypie’s und MaLpranc’s vor Allem durch die bekannte Arbeit Bouenion’s (Recherch. sur les organes sensitifs etc. Lausanne 1873) Kenntnis erhalten. Über den feineren Bau des Darmes sind mir aus der Litteratur nur ein paar kurze Angaben Lrypie’s bekannt; ich habe aber selbst Haut und Darm des Proteus genauer untersucht und mit den entsprechenden Organen der Larve von Salamandra maculosa verglichen und mich von der großen Ähnlichkeit beider in allen wesentlichen Punkten überzeugt. — Ich verlasse diesen Gegenstand wieder, um zur Besprechung einiger anderer, den Knäuel betreffenden Litteraturangaben über- zugehen. Ich habe schon erwähnt, dass nach FLemMine die »Zertheilung des kontinuirlichen Fadenknäuels in einzelne Fadenstücke« wahr- scheinlich an keinen ganz bestimmten Zeitpunkt der Karyokinese geknüpft sei; in ganz ähnlichem Sinne spricht sich auch Rerzius aus. Er sagt (pag. 115): »Man sieht zuerst an einer Stelle, dann an mehreren, den gewundenen Faden der Quere nach unterbrochen werden und die entstandenen Enden etwas aus einander ziehen. Die- ser Vorgang setzt sich immer mehr fort, so dass zuletzt der ganze Faden in eine Anzahl kurzer, ziemlich, aber nicht ganz gleich langer Abschnitte zerfallen ist. Die Fäden liegen zu Anfang ihrer Entstehung ganz ungeordnet neben und über einander; ete.« Wie hier Rerzıus, haben auch Fuemmine und in neuester Zeit HEUSER, an mehreren Orten angegeben, dass die einzelnen Faden- segmente alle annähernd gleiche Länge haben. Ich habe aber oben gezeigt, dass die Länge der Fadensegmente sehr beträchtlich variirt und in einem und demselben Knäuel Fäden von sehr ungleicher Länge angetroffen werden können. Eine Täuschung ist in dieser Beziehung ausgeschlossen. Auch die Länge der Schleifenschenkel variirt, wie oben gezeigt wurde; bald trifft man Schleifen mit gleich Uber Zelltheilung. 253 langen, bald solche mit auffällig ungleich langen Schenkeln. Auch in dieser Beziehung ist eine Täuschung ausgeschlossen. Über die Anordnung der Fadensegmente findet sich in den Ar- beiten meiner Vorgänger nichts von Belang. Auf die Angaben über die Bildung der Kernspindel und die Veränderungen der Zellsubstanz werde: ich weiter unten zurück- kommen. 2. Phase: Sternform der Kernfigur. Mutterstern. Aus der Knäuelform geht die chromatische Figur in die Stern- form über. Die Vorgänge, durch welche dies geschieht, sind zum Theil dieselben, die wir schon kennen gelernt haben; sie bestehen zunächst in einer zunehmenden Verkürzung und damit verbundenen Verdiekung der Fadensegmente. Als ein neues Moment, das sich übrigens gleich- falls schon in den Endstadien des Knäuels vorbereitet hat, kommt hinzu, dass sich die Schleifen in der Äquatorialebene zusammen- drängen, so dass sie sich mit ihren primären Winkeln gegen das Cen- trum der Theilungsachse, mit ihren Schenkeln nach außen kehren. Dieser Vorgang ist in der Weise aufzufassen, dass man sich vorstellt, die Schleifen rücken längs der Theilungsachse und vielleicht entlang den Spindelfasern von den Polen gegen den Äquator. Die nächste Folge davon ist, dass sich die Totalform der chro- matischen Figur gründlich verändert. Betrachtet man sie von einem der Pole, so zeigt sie die Form eines Sternes, dessen Strahlen von den Schenkeln der Schleifen gebildet werden und dessen Mitte das Bündel achromatischer Fäden, das die Kernspindel aufbaut, durch- setzt. Eine scharfe Grenze zwischen Knäuel und Stern existirt aber dennoch nicht. Das einfachste und natürlichste Unterscheidungs- merkmal zwischen den Endformen des Knäuels und den Anfangs- formen des Muttersterns liegt darin, dass jene noch im Allgemeinen die Totalform des ruhenden Kerns bewahren, diese dagegen eine andere, neue Form angenommen haben. Ich werde mich bei der speciellen Beschreibung der Ausbildung und der Entwicklungszustände des Muttersterns wieder an ganz be- stimmte Bilder halten. Zunächst verweise ich auf die Figur 11 A und B auf Taf. VIII; sie stellt eine Anfangsform des Muttersterns von beiden Polen dar. 254 C. Rabl Die Zahl der deutlich abgrenzbaren Fäden beträgt etwa 20; dann bleibt noch ein Rest, der wohl aus vier Schleifen bestehen mag. Die Fäden haben fast durchgehends Schleifenform und kehren den primären Winkel der Theilungsachse zu; nur an der in Fig. 114 ab- gebildeten Seite sieht man eine Schleife, die ihren Winkel nach außen gegen die Zellsubstanz kehrt. Solche Schleifen bilden aber Ausnahmen von der allgemeinen Regel und treten gegen die über- sroße Mehrzahl der anderen, mit dem Winkel centralwärts gekehr- ten Schleifen ganz in den Hintergrund. In diesem Stadium wird die Sternform in den meisten Fällen noch durch den Umstand ge- trübt, dass zahlreiche Schleifen an ihren Schenkeln sekundäre Win- kel aufweisen, die, an der Peripherie der Kernfigur gelegen, den Anschein erzeugen, als wären hier die Fäden innig mit einander verschlungen oder als hingen sie noch an ihren Enden theilweise zu- sammen. In der That treten die sekundären Schleifenwinkel in diesem Stadium auffallender hervor und zeigen schärfere Knickungen als frü- her. Es hat dies seinen Grund in den räumlichen Verhältnissen der Zelle. Wenn sich die Schleifen von den Polen entfernen, an der Kernspindel nach abwärts rücken und sich mit ihrem Winkel gegen den Mittelpunkt der Theilungsachse kehren, so werden sie bei dieser Ortsveränderung nicht Raum genug finden, ihre Schenkel in gestreckter Lage zu erhalten und diese werden sich, falls nicht eine sehr beträchtliche und rasche Verkürzung derselben erfolgt, stärker krümmen müssen. Ein Schema wird das Verständnis er- leichtern. Fig. 2. d B .? Pp mo ++ ++ RE + | x y x et | y pr ms Es stelle x y die Theilungsebene, PP’ die Theilungsachse dar. In A sehen wir eine Schleife in einem Kniiuelendstadium, in wel- Uber Zelltheilung. 255 chem die beiden Pole P und P schon einander gegenüberliegen. Bei + sehen wir den scharfen primären, bei ++ die beiden stumpfen sekundären Schleifenwinkel. In B ist dieselbe Schleife im ersten Stadium des Muttersterns dargestellt. Der primäre Winkel ist dem Centrum der Theilungsachse zugewendet, die beiden sekundären ++ erscheinen in Folge dessen schärfer geknickt. Es ist klar, dass sekundäre Schleifenwinkel nur bei Schleifen mit langen Schenkeln zu Stande kommen können und dass, wenn der eine Schenkel lang, der andere kurz ist, nur der erstere eine sekundäre Knickung zeigen wird. Tritt die Verkürzung rasch ein oder sind die Schleifenschenkel an und für sich so kurz, dass sie auch in gestreckter Lage in der Zelle Platz finden, wie z. B. in den Hodenepithelien, so werden sekundäre Knickungen überhaupt nicht auftreten. In diesem Stadium ist auch an meinen Platinchloridpriparaten nichts mehr von einer achromatischen Hülle zu sehen. Die Kern- spindel tritt, namentlich in Seitenansichten, an Chrom-Ameisensäure- präparaten meist sehr schön und scharf hervor; in Polansichten ist sie gewöhnlich weniger gut zu sehen. Es ist eigenthümlich, dass an keinem meiner Platinchloridpräparate auch nur eine Spur von der Kernspindel zu sehen ist. Es ist klar, dass in Folge der Ortsveränderungen der chroma- tischen Schleifen auch an dem Kernsaft Verschiebungen auftreten müssen. Diese können natürlich nur darin bestehen , dass derselbe alle die Stellen einnimmt, welche von den Schleifen verlassen wur- den. Die chromatische Figur, so wie die Kernspindel, erscheinen von einem hellen Hofe umgeben: die Substanz, die diesen Hof er- füllt, ist wohl einerseits Kernsaft, andererseits aber auch jene Flüs- sigkeit, welche den gleich bei Beginn der Theilung den Kern um- gebenden Hof erfüllt. Eine Grenze zwischen beiden ist nicht vorhanden und es lässt sich überhaupt über das Verhalten und die etwaigen Veränderungen des Kernsaftes nichts Sicheres aussagen. An der abgebildeten Figur tritt auch an der Zellsubstanz eine nicht uninteressante Eigenthümlichkeit hervor, die sich, wie es scheint, schon in den Endformen des Knäuels vorbereitet. Diese besteht darin, dass der nach außen von dem hellen Hofe gelegene Theil der Zellsubstanz zwei, übrigens nicht scharf geschiedene Zonen erkennen lässt: eine dichtere Innen- und eine weniger dichte Außenzone. Solehe und ähnliche Stadien beginnender oder bereits formirter Muttersterne sind von FLemMine früher als Kranzformen bezeichnet 256 C. Rabl und als Stadien charakterisirt worden, in denen »nicht bloß die blei- benden centralen, sondern auch hier und da periphere Umbiegungs- schlingen der Fäden« vorkommen. Die peripherischen Schlingen sollen darauf hinweisen, dass »die Segmentirung an Stellen, die ge- rade in der Peripherie liegen, noch nicht erfolgt ist«. In neuerer Zeit hat aber FLEMMING, nachdem inzwischen auch Rerzıus durch seine Untersuchungen an Triton zu ähnlichen Anschauungen gelangt war (Rerzius pag. 117), die Kranzform als typische Form auf- gegeben. Er sagt (Hauptwerk pag. 212): »Im Ganzen ist das, was an Mutter- oder an Tochterfiguren als ‚Kranzform‘ imponirt, nichts Anderes als eine schon radiär geordnete, oder auf dem Wege dazu begriffene Form zu nennen und verdient also nicht besonders von den Sternformen unterschieden zu werden.« Ich stimme darin mit FLEMMING und Rerzius vollkommen überein. Dagegen hält FLeu- MING auch heute noch daran fest, dass sich ab und zu die Segmen- tirung an einzelnen Stellen bis in dieses Stadium verzögern und dass eben durch diesen Umstand solche Anfangsformen des Mutterstern gebildet werden können. Allerdings giebt er zu, dass es sich dabei »zum Theil« um Sterne handle, »die schon vollständig durchsegmen- tirt sind und bei denen die freien Fadenenden der Schleifen nur umgerollt liegen«. Ich muss nun mit aller Bestimmtheit der An- sicht entgegentreten, dass sich die Segmentirung manchmal bis in dieses Stadium verzögern könne. Ich habe zwar oben angeführt, dass ich nicht entscheiden konnte, wie viele Fäden Anfangs vorhan- den sind und ob die Segmentirung schon im »lockeren« Knäuel be- endigt ist, dagegen bin ich der Überzeugung, dass in dem Stadium meiner Figuren 7 und 8 keine weitere Quertheilung mehr statthat, vielmehr stets schon 24 Segmente vorhanden sind. FLEMMING be- ruft sich unter Anderem auf eine Figur (I, Taf. XVU Fig. 11), an der zwei Schlingen an ihren peripherischen Enden noch mit einander zusammenhängen. Obgleich ich nicht im geringsten zweifle, dass die Figur vollkommen naturgetreu ist, so meine ich doch, dass solche Bilder auch dadurch zu Stande kommen können, dass zwei benachbarte Fäden an ihren Enden mit einander verquellen oder sich so über einander legen, dass es den Anschein gewinnt, als gingen sie in einander über. Habe ich mich doch selbst davon überzeugt, wie außerordentlich schwierig es zuweilen ist, zwei Fäden in ihrem Verlaufe und namentlich an ihren Enden aus einander zu halten; in solehen Fällen hilft oft nur die Beobachtung von beiden Seiten. Sehr zutreffend sind die Angaben, die Rerzius in Beziehung Uber Zelltheilung. 257 auf die beginnenden Sternformen macht. Nachdem er aus einander gesetzt hat, dass er »die ganze Kranzform, wenigstens als eine typi- sche, aufgeben möchte«, sagt er: »Eine Kranzform wird hin und wieder dadurch vorgetäuscht, dass die äußeren Enden der sternför- mig angeordneten Fadenschleifen stark nach unten oder oben umge- bogen sind, als ob es ihnen an Raum gebriche, sich voll- ständig auszustrecken; bei genauerer Betrachtung findet man dann aber die quer abgestutzten Enden dieser umgebogenen Fäden« (pag. 117). Es stimmt dies ganz trefflich zu meiner Beschreibung der Entstehung der sekundären Knickungen. Was endlich die Angaben STRASBURGER'S über diese »Kranz- formen« betrifft, so würde mich eine ausführliche Berücksichtigung wohl zu weit führen. Ich will daher nur das Wichtigste berüh- ren. STRASBURGER sagt: »Jeder Faden beschreibt (— bei der Kranz- form —) eine mehr oder weniger regelmäßige doppelte Schleife, die so orientirt ist, dass zwei Umbiegungsstellen nach innen, eine nach außen gekehrt erscheinen. Die beiden Schleifen eines jeden Fadens liegen nicht in gleicher, vielmehr in verschiedener Höhe, so zwar, dass die beiden Schleifen auf die beiden Kernhälften vertheilt sind« (pag. 553). Dazu bemerke ich Folgendes: die »doppelten Schleifen«, welche STRASBURGER im Auge hat, sind meine Schleifen mit den zwei sekundären Knickungen; die zwei nach innen gewendeten (oder richtiger nach innen offenen) Umbiegungsstellen sind demnach meine sekundären, die nach außen gewendete (nach außen offene) meine primäre Kniekung. Die beiden Schleifenschenkel brauchen nicht nothwendig in gleicher Höhe zu liegen, doch liegen sie viel häufiger in gleicher, als in verschiedener Höhe; nie aber gehört der eine Schleifenschenkel der einen, der andere der anderen Kernhälfte an. STRASBURGER’s Erfahrungen sind in dieser Beziehung und spe- ciell mit Rücksicht auf den Salamander nicht zahlreich genug. Die Schlüsse, die er daraus zieht und die man in seiner Abhandlung nachlesen mag, treffen, wenigstens für die Zelltheilung beim Sala- mander, nicht zu. Ich habe auch bei Proteus, namentlich schön in der Niere, solche »Kranzformen« wiederholt gesehen. Auch hier finden sich außer den primären noch je zwei sekundäre Schleifenwinkel. Die Mitte der Kernspindel, die in der abgebildeten Fig. 11 frei von Schlei- fen erscheint, wird zuweilen von einigen, bald längeren bald kürze- ren Fadensegmenten durchsetzt. Ein etwas weiter entwickeltes Stadium, in welchem die Stern- Morpholog. Jahrbuch. 10. 17 258 C. Rabl form schon viel schärfer hervortritt, als in den »Kranzformen«, stellt die Fig. 12 A und B Taf. VIII dar. Die Figur ist von beiden Seiten in der Ansicht vom Pol gezeichnet und man sieht, wie die Kern- spindel jederseits einen Strahlenkegel bildet. dessen Basis der chro- matischen Figur zugewendet ist. Zugleich wird man finden, dass die beiden Pole etwas schief über einander liegen und dass auch hier, wie früher, die Mitte der Kernspindel von Fäden frei ist. Der wesentliche Unterschied gegen früher lässt sich auf die betriichtlichere Verkürzung und die damit verbundene Verdiekung der Schleifen zurückführen. In Folge dessen sind auch die sekundären Schleifen- winkel ganz oder nahezu ganz ausgeglichen und man bemerkt nur mehr an einem Theil der Schleifenschenkel als Reste dieser Winkel leichte wellenförmige Krümmungen. Man wird sich zugleich auch von der Richtigkeit der schon von RErzıus ausgesprochenen Vermuthung über- zeugen können, dass die sekundären Winkel nur die Folge des Um- standes sind, dass die Anfangs sehr langen Schleifenschenkel zu we- nig Raum haben, um sich gerade ausstrecken zu können. Während aber die sekundären Winkel verschwunden sind, treten nunmehr die centralen oder primären Winkel um so schär- fer und entschiedener hervor; ja es sieht oft aus, als hätten sich die Schleifen hier noch nachträglich der Quere nach in je zwei Stücke getheilt. Ich war auch in der That lange im Zweifel, ob nicht doch, wie STRASBURGER früher wollte, im Stadium des Muttersterns wenigstens an einem Theil der Fäden, nämlich an den langen Schlei- fen, eine zweite Segmentirung erfolge. Durch Beobachtung späterer Stadien des Muttersterns, so wie durch Zählung der Schleifen in solchen Stadien, endlich auch durch Zählung der Schleifen in An- fangsstadien des Tochterknäuels bin ich aber zur Überzeugung ge- kommen, dass eine solche sekundäre Quertheilung nicht statthat, dass vielmehr die scheinbare Quertheilung der Schleifen im Bereich des centralen Winkels nur durch die Verschärfung eben dieses Win- kels vorgetäuscht wird. Die Fäden erscheinen flachgedrückt, band- förmig, mit länglichem Querschnitt und man kann an vielen von ihnen jetzt auch an den mit Chrom-Ameisensäure fixirten Objekten die Längsspaltung erkennen. Die Figur wird, wie früher, wieder von einem hellen Hof um- geben, an dessen Bildung, wie oben erwähnt, wohl außer dem Kern- saft auch ein Theil der Zellsubstanz Antheil nimmt. An der Grenze dieses Hofes sieht man wieder eine dichtere, grobfädige oder grob- körnige Innenzone der Zellsubstanz. Uber Zelltheilung. 259 Auf Taf. IX Fig. 15 habe ich einen Mutterstern von der Seite abgebildet. Die Figur hält ungefähr die Mitte zwischen der »Kranz- form« und dem zuletzt beschriebenen Stadium. Sie ist ohne Weiteres verständlich und ich möchte daher nur auf ein paar Punkte beson- ders aufmerksam machen. Vorerst beachte man die rechts unten gelegene Schleife, die, von den anderen getrennt, ihren Winkel ge- gen den einen Pol kehrt. Es ist das offenbar eine Schleife, die die Ortsverinderung der anderen Schleifen nicht mitgemacht hat und an ihrem ursprünglichen Platze zurückgeblieben ist. Solche Schlei- fen trifft man, wie schon FLeumm@G und RETzZIUS hervorgehoben haben, gar nicht selten; es ist natürlich keineswegs ausgeschlos- sen, dass sie noch später das Versäumte nachholen und sich mit ihrem Winkel dem Mittelpunkte der Theilungsachse zuwenden. Ein zweiter Punkt, auf den ich aufmerksam machen möchte, betrifft die Strahlung, die von den Polen in die Zellsubstanz ausläuft. Die Strahlen oder Fäden unterscheiden sich wesentlich von den Spindel- fasern: sie sind viel weniger stark lichtbrechend als diese und schei- nen sich aus der Substanz des die Theilungsfigur umgebenden hellen Hofes aufzubauen. Endlich möge man auch die zarten von der Außenzone der Zellsubstanz auslaufenden Fortsätze beachten: es sind dies »Intercellularbrücken«, welche die Zwischenräume zwischen den benachbarten Zellen durchsetzen und bekanntlich früher für »Riffe« oder »Stacheln« gehalten worden sind. In solchen und späteren Stadien habe ich zuweilen an den Polen ein mattglänzendes, wie es schien, scharf umschriebenes Korn gese- hen; es entspricht dies dem schon vor längerer Zeit von VAN BENEDEN und Anderen beschriebenen Polkörperchen (corpuscule polaire). FLEemuInG beschreibt es als »eine körperlich differenzirte, stärker lichtbrechende kleine Substanzportion«.. Das Ding ist beim Salaman- der zu klein, um eine genaue Beobachtung zu gestatten. Im ersten Augenblick erweckt es den Verdacht, als ob es nur durch das Zu- sammentreffen der Spindelfäden zu Stande käme; in Anbetracht der Untersuchungen aber, welche Mark, VAN BENEDEN u. A. an Eiern, bei denen die Polkérperchen viel größer sind, angestellt haben, muss man annehmen, dass man es hier in der That mit einer »körperlichen Differenzirung der Theilungspole« zu thun habe. Ich sehe die Pol- körperehen am deutlichsten an Präparaten, die ich in der oben an- gegebenen Weise zuerst schwach mit Hämatoxylin, darauf stark mit Safranin gefärbt habe. Ich gehe nun zur Beschreibung desjenigen Stadiums über, in ie 260 C. Rabl welchem die Sternform ihre schönste Entfaltung zeigt. Ich habe zwei solche Figuren auf Taf. VIII Fig. 13 und 14 abgebildet. Die Bilder sind so klar, die Schleifen so scharf von einander abgrenzbar, dass man sich kaum noch deutlichere und schönere Figuren wünschen kann. Die Sternform prägt sich namentlich bei der Fig. 14 A und B sehr klar aus; bei der Fig. 13 ist die ganze chromatische Figur etwas nach der Seite verschoben und die Kernspindel, im Zusammenhang damit, excentrisch angeordnet. Daher tritt auch hier die Sternform etwas zurück; jedoch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass beide Figuren demselben Entwicklungsstadium angehören. Ein Umstand, der, wie ich glaube, wesentlich zur größeren Klarheit und leichteren Durchblickbarkeit der Figuren beiträgt, be- steht darin, dass in beiden Fällen eine Anzahl von Fäden eine ganz auffallende Kürze zeigt. In anderen Fällen, in denen die Schleifen im Allgemeinen die gleiche oder doch wenigstens nicht eine sehr verschiedene Länge haben, gelingt es gewöhnlich nicht, die Schlei- fen zu zählen und von einander abzugrenzen. Mir ist es wenigstens nur bei den beiden abgebildeten Figuren dieses Stadiums gelungen, die Schleifen mit Sicherheit zu zählen, aber auch das war nur bei Beobachtung der Figuren von beiden Seiten möglich. Für gewöhn- lich decken sich einzelne Schleifenschenkel oder es schieben sich ‘die Winkel so durch und über einander, dass eine Zählung ganz un- möglich wird. Die Zahl der Schleifen beträgt in beiden Fällen 24; also genau eben so viel, wie in den Endformen des Knäuels. Wenn ich hier von Schleifen spreche, so ist das mit einiger Vorsicht auf- zunehmen; es zeigen nämlich nur die langen Fadensegmente durch- wegs Schleifenform, wogegen sich unter den kurzen auch solche befinden, welche nur leicht gebogen oder selbst ganz gerade gestreckt sind. Einige Schleifen sind nur in einer Ansicht zu sehen, wie z. B. die kurze Schleife 77 der Fig. 13 nur in der Ansicht von der Seite B; bei der Betrachtung von der anderen Seite ist sie hinter den Schleifen 7 und 3 versteckt; freilich, sobald man sich einmal von ihrer Anwesenheit überzeugt hat, gelingt es auch, sie bei der Betrachtung von der Seite A durch Tieferstellen des Tubus, obgleich nicht ganz klar, zu sehen. Die Fäden sind in beiden Figuren durchwegs der Länge nach gespalten und an einzelnen weichen sogar die Spalthälften an den Fadenenden gabelförmig aus einander. Jede Spalthälfte oder jeder Schwesterfäden, wie ich sie schon jetzt nennen will, hat einen kreis- Uber Zelltheilung. 261 runden Querschnitt, zum Unterschiede von dem länglichen Querschnitte der ungespaltenen Fäden früherer Stadien. Die Doppelfäden stellen sich, wie mir scheint, mit Vorliebe derart, dass sie ihre Breitseite der Theilungsachse zukehren, also mit ihren Kanten oder Schmalseiten nach den Polen sehen. Die sekundären Schleifenwinkel sind voll- ständig verschwunden; auch von den sanften wellenförmigen Biegungen des früheren Stadiums ist nichts mehr zu sehen. Es hat dies offenbar seinen Grund in der nun ad maximum getriebenen Verkürzung und Verdickung der Schleifen. Ich will nun in Kürze jede der beiden Figuren für sich bespre- chen. Die Fig. 13 ist, wie erwähnt, entschieden die unregelmäßi- gere von beiden. Unter den langen, schleifenförmigen Segmenten findet man mehrere von sehr ansehnlicher Länge und gleich langen Schleifenschenkeln (7, 6, 7, 8, 10, 11, 13): sodann solche mit ungleich langen Schenkeln (3 und 5), wiewohl zu bemerken ist, dass in diesem Falle die Länge des kürzeren Schenkels nicht sicher zu eruiren ist, da er dem Objektträger nicht parallel liegt; endlich kommen auch ein paar mit sehr wenig ausgesprochener Krümmung vor (2 und /2), was übrigens gleichfalls nieht mit voller Sicherheit zu erfahren ist. Unter den kurzen und mittellangen Segmenten trifft man einige, an denen eine Krümmung überhaupt gar nicht zu er- kennen ist, andere wieder mit deutlicher, mitunter hakenförmiger Krümmung. Nicht ganz ohne Interesse ist der Umstand, dass eine Anzahl ganz kurzer Segmente stark nach der Seite hin verschoben ist (74, 15, 16, 23 und 24). — Die Pole und Strahlungen der achromatischen Figur sind scharf ausgeprägt und auch der Unter- schied zwischen den Spindelfasern und den in die Zellsubstanz auslaufenden Radien ist deutlich zu erkennen. Regelmäßiger und in mancher Hinsicht noch interessanter ist die Fig. 14 A und B. Das Erste, was Jedem, der die Figur aufmerk- sam ansieht, in die Augen fällt, ist wohl die merkwürdige Verthei- lung der kurzen und langen Fadensegmente auf die beiden Seiten des Sterns. Der Seite 74 A sind im Allgemeinen nur die langen, der Seite 74 B dagegen nur die kurzen Fadensegmente zugekehrt. Im ersten .Momente fühlt man sich versucht, eine Ungleichwerthig- keit der Pole anzunehmen und zu glauben, dass sich noch eine Andeutung der Schleifenvertheilung des Stadiums der Fig. 9 bis in dieses Stadium erhalten habe. Denn auch in jener Figur war ja un- mittelbar nach erfolgtem Durchtritte des einen Poles auf die ur- sprüngliche Gegenpolseite das Polfeld der einen Seite noch nicht 362 C. Rabl ganz demjenigen der anderen gleichwerthig. Ich habe daher wochen- und monatelang nach solchen Muttersternen gesucht, von zahlreichen Skizzen angefertigt und mich schließlich überzeugt, dass die ungleich- mäßige Vertheilung der langen und kurzen Schleifen keine konstante Erscheinung ist. Einmal habe ich sogar einen Stern desselben Alters mit gerade so eigenthümlicher und merkwürdiger Schleifenvertheilung gefunden; und doch wurde gerade auch durch sie die Annahme einer Ungleichwerthigkeit der Pole sofort ausgeschlossen. Der Stern, den ich noch heute unter meinen Präparaten zeigen kann, lag mit der Theilungsachse parallel dem Objekttrager und die kurzen und langen Schleifen waren zu zwei Gruppen angeordnet, von denen die eine — wenn ich so sagen darf — nach rechts, die andere mit den langen Schleifen nach links von der Theilungsachse zu liegen kam, so dass die ganze chromatische Figur die Gestalt eines Fächers dar- bot. In weitaus der Mehrzahl der Fälle findet man die Schleifen ganz gleichmäßig vertheilt, die kurzen und langen bunt durch einan- der und beide Pole von demselben Aussehen, so dass also von einer typischen Ungleichwerthigkeit der Pole nicht die Rede sein kann. Ich bemerke, dass ich nur in der Fig. 14 B alle Schleifen gezeichnet habe, während in der Fig. 14 A einige der kurzen weg- gelassen sind. Wenn auch, wie gesagt, im Allgemeinen die langen Schleifen der Sternseite /4 A angehören, so liegen doch nicht alle in ganz derselben Höhe. Bei ganz hoher Einstellung kommen zu- nächst nur die Schleifen 2, 4, 5, 0 und 24 zu Gesicht, während z.B. die Schleifen 3, 9, 13 u. a. schon mehr der Äquatorialebene genähert sind. Die Schleifenwinkel sind meist ziemlich scharf, nur an einer (15) trifft man einen ganz auffallend stumpfen Winkel. Wie früher, weichen auch jetzt an einigen Schleifen die Schwesterfäden gabelig aus einander (vgl. 4, /5). Die Zahl der kurzen Fadensegmente be- trägt 10; zwei davon (/8 und 79) sind etwas länger als die übrigen. Auf Taf. IX Fig. 16 und 17 habe ich zwei Muttersterne dieses Stadiums von der Seite abgebildet. In der ersten der Figuren sind die je eine Schleife zusammensetzenden Schwesterfiiden fast durch- wegs mit einander verquollen, so dass nur an ein paar Stellen die Längsspaltung zu erkennen ist. An der zweiten Figur tritt aber die Längsspaltung sehr klar und deutlich hervor. Natürlich kann man in eine solche Seitenansicht nur die dem Beschauer zugewendeten Schleifen einzeichnen; wollte man auch die abgewendeten in die Zeichnung eintragen, so würde diese ein so verworrenes Aussehen bekommen, dass man sich unmöglich daran zurecht finden könnte. Uber Zelltheilung. 263 Uberhaupt thut man gut, sich bei der Beobachtung dieser Stadien an Polansichten zu halten und die Seitenansichten nur zum Vergleich und zur Kontrolle heranzuziehen. Auf Taf. X Fig. 11 habe ich einen Mutterstern aus dem Binde- gewebe der Mundbodenplatte der Salamanderlarve abgebildet, doch sind nicht alle Schleifen gezeichnet. Interessant ist, dass die Total- form der Zelle sich noch gar nicht geändert hat und dass auch hier, serade so wie in den Epidermiszellen an der Zellsubstanz eine dich- tere grobkérnige Innenzone und eine hellere Außenzone, von der die Fortsätze ausgehen, zu unterscheiden sind. — Auf derselben Tafel, Fig. 4, habe ich einen Mutterstern aus der Epidermis des Proteus gezeichnet; er zeigt durchwegs längsgespaltene Fäden, an denen die Prirzner’sche Körnelung zu sehen ist. Endlich vergleiche man noch die Figuren 12 und 13 derselben Tafel. Die Fig. 12 zeigt einen Mutterstern aus einer Hodenepithel- zelle des Proteus, die Fig. 13 einen solchen aus einem Hämatoblasten der Milz desselben Thieres. Wenn auch bei letzterem die Fäden einfach erscheinen, so haben sie doch schon einen länglichen Quer- schnitt, was darauf hinweisen dürfte, dass, da ja sonst schon in die- sem Stadium die Längsspaltung vollzogen ist, die Spalthälften unter dem Einfluss des Fixirungsmittels wieder mit einander verquollen sind. Beim Mutterstern aus dem Hoden sind aber die Schleifen durchwegs deutlich längsgespalten und ich mache zugleich darauf aufmerksam, dass die Hodenepithelien das günstigste Objekt sind, wenn man sich rasch von der Längsspaltung überzeugen will. Zwischen beiden Figuren bemerkt man mehrere wesentliche Differenzen: im Hoden ist die Kernspindel von außerordentlicher Länge, in der Milz ist sie kurz; im Hoden sind die chromatischen Schleifen kurz und dick, in der Milz lang und dünn; im Hoden ist (was allerdings auf der Zeichnung nicht hervortritt, da ich nicht alle Schleifen gezeichnet habe) die Schleifenzahl gering, in der Milz groß; endlich ist im Hoden die in die Zellsubstanz auslaufende Strahlung sehr schön und scharf ausgeprägt, während ich in den Hämatoblasten nie etwas davon habe sehen können. Dazu will ich noch, ohne mich aber vor der Hand in weitere Reflexionen einzulassen, bemerken, dass wir es bei den Hodenepithelien mit exquisit embryonalen Zellen zu thun baben, während uns in den Hämatoblasten Zellen entgegentreten, die sich weit vom embryonalen Zustande entfernen und nahe auf der Höhe ihrer Ausbildung angelangt sind. Die über die Sternform vorliegenden Litteraturangaben habe ich 264 C. Rabl schon z. Th. bei der Besprechung der sogenannten Kranzformen be- riicksichtigt. Auch über die entwickelte Sternform verdanken wir das Meiste, was wir darüber wissen, FLemminc. Vor Allem sind es zwei Sätze, die FLEmMInG sicher gestellt hat; der erste lautet: »in der Sternform kehren sich die Winkel der Schleifen nach dem Centrum, die Enden der Schenkel nach der Peripherie«; der zweite, haupt- sächlich gegen die Angaben STRASBURGER’s gewendete, lautet: »die centralen Umbiegungen der Fäden in der Kranz- und Sternform tren- .nen sich nicht«. Ich kann nach dem oben Gesagten beide Sätze vollinhaltlich bestätigen. Dass die Längsspaltung, dieser für die Theilung der chromatischen Substanzen wichtigste Vorgang, gleich- falls von FLEMMInG entdeckt und zuerst genau beschrieben wurde, habe ich schon oben erwähnt. Die Resultate Rerzius’ stimmen in allen wesentlichen Punkten mit denjenigen FLemMine’s überein. Mit Rück- sicht auf die Mechanik des Zustandekommens der Sternform sagt Rerzius, es scheine »im Centrum des Kerns eine Kraft vorhanden zu sein, welche gerade den gebogenen Theil jedes Fadens an sich ziehec. Er erwähnt auch, dass einzelne Fäden noch lange periphe- isch liegen bleiben können, »als ob die anziehende Kraft auf sie nicht hinreichend wirksam sei« (pag. 116). Von solchen peripherie- wärts gelegenen Schleifen war schon früher die Rede und ich möchte hier noch erwähnen, dass ich manchmal die Schleifen zu zwei Grup- pen geordnet fand, die die beiden Pole umgaben; Ähnliches findet man auch bei FLEMMInG angegeben; einmal habe ich sogar gefun- den, dass die durchwegs längsgespaltenen Fäden, obwohl sie alle in der Nähe der Äquatorialebene lagen, zur Hälfte mit ihrem Scheitel gegen den einen, zur anderen Hälfte gegen den anderen Pol sahen, so dass eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Äquatorialplatte daraus resultirte. Es existirt eben, gerade so, wie in der Anordnung der Fäden im Knäuel, auch hier eine gewisse Freiheit. Einige eigenthümliche Angaben finden sich bei STRASBURGER. Nach diesem Forscher erfolgt bei Pflanzen die Segmentirung des Knäuelfadens in zwei getrennten Schritten und er glaubt, diese An- gabe durch seine Beobachtungen an Salamanderlarven auch auf die Theilung thierischer Zellen ausdehnen zu können. Er sagt, dass beim Übergang der Kernfigur aus der Kranz- in die typische Sternform »die nach außen gekehrten Umbiegungen der Schleifen«, meine pri- mären Schleifenwinkel, »geöffnet« werden (pag. 554) und sucht da- mit auch die Angabe FLemmine’s in Einklang zu bringen, dass die Segmentirung an keinen bestimmten Zeitpunkt der Karyokinese ge- Uber Zelltheilung. 265 knüpft sei. Ich habe schon oben die große Schwierigkeit betont, sich in gewissen Stadien des Muttersterns davon zu überzeugen, dass die primären Schleifenwinkel sich nicht lösen und also keine zweite Segmentirung erfolgt. Stadien, wie ich sie in Fig. 13 und 14 ab- gebildet habe, hat STRASBURGER offenbar nie zu Gesicht bekommen, sonst würde er wohl kaum seine Annahme für stichhaltig befunden haben. STRASBURGER hat durch lange Zeit mit großer Entschiedenheit die Längsspaltung der Schleifen bestritten und erst in neuester Zeit, nachdem inzwischen die Arbeit HEUSER’s erschienen war und Srras- BURGER dessen Präparate gesehen hatte, dieselbe anerkannt. Damit sind auch seine früheren Erörterungen über diesen Vorgang gegen- standslos geworden und ich darf daher mir und meinen Lesern eine Berücksichtigung derselben ersparen. Über die Veränderungen der Zellsubstanz sagt STRASBURGER u. A.: »Die Grenze gegen das umgebende Cytoplasma wird jetzt (nämlich zur Zeit, wann die Halbirung der Schleifen erfolgen soll) aufgegeben und letzteres wandert zwischen die Fadenwindungen ein. Das muss freilich an Hämatoxylin-Präparaten studirt werden, wo das Plasma mitgefärbt erscheint; an Safranin-Nelkenöl- Präparaten ist kaum etwas von diesem Vorgang zu sehen« (pag. 554). Da das Eindringen des Cytoplasma in die Kernhöhle in STRASBUR- GER’S Arbeit eine große Rolle spielt, so möchte ich mir nur erlauben, darauf aufmerksam zu machen, dass STRASBURGER zweiundzwanzig Seiten früher erwähnt, dass von seinen Salamandra-Präparaten nur eines mit Hämatoxylin gefärbt war. Seine Untersuchungen an Salamander-Larven haben aber nur den Zweck gehabt, die Analo- gien zwischen der Theilung thierischer und pflanzlicher Zellen auf- zusuchen und sich, wie er selbst sagt, »ein eigenes Urtheil über den Aufbau der Zellkerne, sowohl im Ruhezustande als auch während der Theilung zu bilden«; sie reichen aber keineswegs aus, um mit Bestimmtheit ein Urtheil über das Eindringen der Zellsubstanz und den Aufbau der Kernspindel abzugeben. Dagegen hat STRASBURGER sehr sorgfältige und ausgedehnte Untersuchungen an Pflanzen angestellt, die ihn zu der Ansicht geführt haben, dass hier konstant das Cyto- plasma in die Kernhöhle eindringe und die Kernspindel aufbaue. Er hat auch erkannt, dass die Bildung der Kernspindel eine ganz konstante, stets mit der Zelltheilung einhergehende Erscheinung ist und die Schwierigkeiten wohl erwogen und gewürdigt, die der Be- antwortung solcher Fragen im Wege stehen. 266 C. Rabl Bevor ich aber auf diesen Gegenstand eingehe, will ich ein paar Sätze aus PrirzNer’s noch immerhin bester Abhandlung (III, pag. 307) anführen, um zu zeigen, mit welcher Leichtfertigkeit Prrrz- NER solche Fragen behandelt. Es heißt da unter Anderem: Die Rolle, welche das Achromatin bei dem karyokinetischen Processe spielt, »tritt gegen die des Chromatins ganz in den Hintergrund, so- wohl optisch als physiologisch, so dass wir es vorläufig ganz von der Betrachtung ausschließen konnten. Wir sehen indess bisweilen achromatische Fadenfiguren auftreten, die einige Forscher mit zur karyokinetischen Figur rechnen wollen. Dass sie jedenfalls nichts Primäres, überhaupt nichts für den Process Wesentliches darstellen, beweist wohl ihre Unscheinbarkeit und Inkonstanz. So wenig wir auch vom Achromatin wissen, so können wir doch mit gewisser Sicherheit behaupten, dass es aus sehr verschiedenen Stoffen beste- hen und eine wechselnde Zusammensetzung haben muss. Es wird wahrscheinlich Moleküle von sehr verschiedenem Werthe besitzen, neben solchen von ziemlich hohem, auch welche von ganz niedrigem Molekulargewicht, stets aber an letzterem weit hinter dem Chroma- tin zuriickstehend. Die Chromatinkugeln üben ihre molekularen Wirkungen natürlich nieht nur auf einander, sondern auch auf die umgebenden Moleküle aus und wenn sich im Achromatin eine grö- Here Anzahl relativ großer Moleküle vorfinden, so können diese Wir- kungen auch dadurch einen optischen Ausdruck gewinnen, dass sich im Anschluss an die chromatische Figur eine sekundäre karyokine- tische Figur zeigt, ja vielleicht noch eine tertiäre im Zellprotoplasma.« Doch genug davon. In dieser Molekularthätigkeit geht die Arbeit weiter. Wer an solcher Philosophie noch nicht genug hat, der lese desselben Autors »Beiträge zur Lehre vom Bau des Zellkerns und seinen Theilungserscheinungen«. Ich bin längst entwöhnt, mich durch wohlklingende Phrasen verblüffen zu lassen und schätze eine einzige gute Beobachtung — selbst dann, wenn sich der betreffende Forscher gar nichts dabei gedacht hat — weit höher, als diese Sorte von »Reflexionene. Man wird daher auch begreifen, wenn ich mich auf eine Berücksichtigung der Ansichten Prirzner’s über die »äquipotenten Segmente«, die Zu- sammensetzung der Pole aus zwei Komponenten, die Spannungsver- hältnisse des Kerns in der Ruhe und Theilung und was dergleichen Dinge mehr sind, nicht weiter einlasse. Ich gehe nun auf die Bildung der Kernspindel ein. Die aus- führlichste und zusammenhängendste Schilderung des Eindringens Uber Zelltheilung. 267 des Cytoplasmas und des Aufbaues der Kernspindel finde ich bei STRASBURGER in der ersten seiner eitirten Arbeiten auf pag. 540 und 541. Er sagt da: nachdem (bei den Pollenmutterzellen) die einzel- nen Fadenstücke zusammengeklappt sind, beginnt das Cytoplasma in die Kernhöhle vorzudringen, während gleichzeitig die Kernwan- dung schwindet. Er nimmt an, dass hierbei »das enge Gerüst- werk, welches die Hautschicht bildet, sich nur zu erweitern, die Elemente desselben nur auseinander zu treten brauchen«. Alsbald ist die ganze Kernhöhle von Cytoplasma erfüllt und die isolirten Stücke des Kernfadens werden durch das vordringende Cytoplasma nach der Mitte des ursprünglichen Kernraumes zusammengedrängt. Erst nachdem der ganze Raum mit Cytoplasma erfüllt ist, weichen die Fadenstücke wieder aus einander und die Kernfigur erweitert sich wieder. »Jetzt nimmt das im Innern der Zelle befindliche Cytoplasma streifige Struktur an« und es bilden sich die nach zwei Polen hin konvergirenden Spindelfasern aus. »Die Spindelfasern sind feine Stränge von Cyto-Hyaloplasma, mit sehr kleinen, oft äußerst spär- lichen Cyto-Mikrosomen versehen« und gehen nach dem Gesagten aus dem Cytoplasma hervor (pag. 541). Man vergleiche auch die Zu- sammenstellung der Resultate auf pag. 5701. Ganz anders beschreibt FLEMMING die Bildung der Kernspindel. In segmentirten Knäueln, die noch die Totalform des ruhenden Ker- nes und eine achromatische Hülle haben, sieht man zuweilen zwi- schen den chromatischen Fäden zarte, anscheinend granulirte, achro- matische Stränge, die Anfangs noch ganz unregelmäßig verlaufen, bald aber sich zu zwei blassen Sternen anordnen, deren Strahlen in das Innere der Kernfigur sich fortsetzen. Die Centren, gegen welche sich die Sterne richten, liegen dicht an der Kernmembran, jedoch lässt sich nicht eruiren, ob sie nach innen oder nach außen von ihr liegen. FLEMMING nimmt an, sie lägen außen und die blassen, nach innen gerichteten Stränge würden zur Kernspindel. »Nach dieser Auffassung entstände also die achromatische Figur mit aus dem Kern« (pag. 228, Hauptwerk). Es stehen sich also hier die Angaben FLEemumg’s und STRAS- BURGER’S sehr schroff gegenüber und ich will nun untersuchen, wie sich meine Resultate dazu verhalten. Wie erwähnt, habe ich die ! In ähnlichem Sinne spricht sich STRASBURGER auch in seiner letzten Arbeit aus. 268 C. Rabl erste Anlage der Spindel in Stadien beobachtet, welche meinen Fi- guren 7 und 8 Taf. VII entsprechen; es sind dies lockere, segmen- tirte Knäuelstadien im Sinne FrLemming’s. Hier kommt aber der Umstand in Betracht, dass an meinen Präparaten zu dieser Zeit keine Kernmembran’ mehr wahrzunehmen ist; freilich habe ich an den Platinchloridpräparaten von Proteus zu dieser Zeit meist noch eine deutliche achromatische Hülle gesehen!. Es ist nun möglich, dass die Kernmembran in späteren Knäuelstadien aufquillt und dass diese Quellung durch Chrom-Ameisensäure so erhöht wird, dass nun nichts mehr von der Membran zu sehen ist; und dass andererseits durch Platinchlorid die gequollene und in Auflösung begriffene Kern- membran zum Schrumpfen gebracht und wieder deutlich sichtbar gemacht wird. Aber es ist auch nicht kurzweg auszuschließen, dass sich Proteus und Salamander in solchen Punkten verschieden ver- halten. Leider zerstört, wie erwähnt, Platinchlorid die Spindelfasern und es lässt sich daher kaum hoffen, mit Hilfe der heutigen Metho- den Spindelfasern und Kernmembran gleichzeitig zur Anschauung zu bringen. Man ist also hier darauf angewiesen, eine möglichst rich- tige und ungezwungene Deutung des Beobachteten anzustreben, und das ist immer eine missliche Sache. Denn eine bessere Methode würde alles Deuten und Deuteln überflüssig machen. Es ist nun vor Allem zu bedenken, dass die Stelle am Zellkern, an welcher die Kernspindel auftritt, häufig eine kleine Delle, eine Art Nabel, trägt, so dass hier gewiss am allerleichtesten Zellsubstanz in die Kernhöhle eindringen könnte. Der Kern ist aber schon in den Anfangsstadien des Knäuels von einem hellen Hofe umgeben, und die Substanz, die diesen Hof erfüllt, würde zunächst in den Kern ein- strömen müssen. Der Kernsaft, der den Binnenraum des Kerns und die Zwischenräume zwischen den chromatischen Fäden erfüllt, müsste von dem einströmenden Zellsafte verdrängt werden. Es ist kaum denkbar, dass all’ dies ohne Verschiebung der chromatischen Schlei- fen erfolgen sollte. So lange man die Anordnung der Fäden im Knäuel nicht kannte, hatte man allerdings leichtes Spiel: sie er- schien nach dem vermeintlichen Eindringen des Zellsaftes eben so unregelmäßig wie früher; die Unregelmäßigkeit brauchte nur eine andere geworden zu sein. So wie man aber einmal zur Einsicht gekommen ist, dass gleich von Anfang an eine strenge Regelmäßig- keit existirt und die Fäden nirgends unordentlich durch einander 1 Vgl. die nachtr. Bemerkung auf pag. 245. Uber Zelltheilung. 269 laufen, würde man eine Unregelmäßigkeit sofort erkennen müssen. Nun ist aber nirgends davon etwas zu entdecken und der Knäuel zeigt nach dem Auftreten der Spindel eine eben so große Regelmäßig- keit, wie zuvor. Auch ein anderer Umstand scheint mir die An- nahme eines Eindringens von Zellsaft zu verbieten; es ist das die Länge der Spindel. Diese ist Anfangs sehr kurz und kann im Be- reich des Kerns, auch an der Peripherie, ganz gut Platz finden; erst später nimmt die Länge zu, so dass ihre Enden, die Pole, an Stellen zu liegen kommen, die früher in den Bereich des Zellleibes fielen. Ich werde auf diesen Punkt noch später zurückkommen. Nach dem Gesagten erscheint es mir außerordentlich wahrscheinlich, dass die Spindelfasern aus dem Kernsaft und nicht aus eingedrun- genem Cytoplasma hervorgehen. Freilich, ob auch die Polkörperchen aus Kernsaft entstehen, ist eine andere Frage. Ganz anders verhält es sich mit den in die Zellsubstanz aus- strahlenden Fasern. Diese bieten, wie erwähnt, gleich Anfangs ein anderes Aussehen dar; sie sind weit schwächer lichtbrechend und erscheinen reichlich mit Körnchen besetzt. Sie laufen direkt in die Zellsubstanz aus, gehen in dieselbe über und nehmen wohl auch zwei- fellos aus ihr ihren Ursprung. Ich habe wiederholt und mit den verschiedensten Mitteln ver- sucht, die Spindelfasern zu färben. So habe ich Silbernitratlösung und darauf Chromsäure, wodurch chromsaures Silber entsteht, ver- wendet; ferner Goldchlorid mit nachfolgender Behandlung mit Zinn- dichlorid und Tetrachlorid, wodurch »Goldpurpur« entsteht; dann noch andere Metallchloride, endlich Chrom-Alaun und noch vieles Andere, aber Alles ohne nennenswerthen Erfolg. Am besten ist immer noch Hämatoxylin, worauf schon von FLEMMING hingewie- sen wurde. 3. Phase: Umordnung der chromatischen Figur. Aquatorialplatte. Die Vorgänge, welche diese, für das physiologische Verständnis der Zelltheilung so wichtige Entwicklungsphase des Kerns charakte- risiren, laufen darauf hinaus, dass die durch die Längsspaltung ent- standenen Schwesterhälften jeder Schleife aus einander weichen und in der Art nach den Polen vorrücken, dass jedes Mal die eine Hälfte dem einen, die ande*e dem anderen Pole zugeführt wird. Durch die 270 C. Rabl Längsspaltung sind aus den ursprünglichen vierundzwanzig Schlei- fen achtundvierzig entstanden, die in den Endstadien des Muttersterns noch paarweise an einander liegen und jetzt derart in zwei Gruppen getheilt werden, dass auf jeden der beiden Tochterkerne wieder vier- undzwanzig Schleifen entfallen. Es handelt sich also vor Allem darum, die Processe kennen zu lernen, die eine solche, vollkommen gleichmäßige Vertheilung der Spalthälften ermöglichen und sichern. Ich habe auf Taf. IX Fig. 18, 19 und 20 drei Umordnungsstadien aus dem Epithel der Mundbodenplatte der Salamanderlarve und auf Taf. X Fig. 5 und 6 zwei eben solche aus der Niere des Proteus ab- gebildet. Dazu möge man auch die schematischen Darstellungen der Umordnung auf Taf. XII Fig. 7 und S beachten. Die allerersten Anfänge der Umordnung sind wegen der dichten Lage der Schleifen äußerst schwer naturgetreu wiederzugeben und ich habe mich daher entschlossen, mich zunächst an solche Figu- ren zu halten, in denen die Umordnung schon im vollen "Gange ist und die Schleifenwinkel schon etwas weiter von der Aquatorial- ebene entfernt sind. Der Unterschied der abgebildeten Figuren gegen etwas jüngere liegt nur darin, dass bei diesen die Schenkel der Spalt- hälften noch in größerer Ausdehnung an einander liegen und die ganze chromatische Figur daher von den Polen her stärker zusammen- gedrückt erscheint. Doch lassen die abgebildeten Figuren noch mit voller Sicherheit den Process der Umordnung durchschauen. Der- selbe besteht in Folgendem: Die beiden Spalthälften jeder Schleife weichen zunächst am Schleifenwinkel aus einander und es kehrt sich der Schleifenwinkel der einen Hälfte dem einen, derjenige der anderen dem anderen Pole zu; wir können des besseren Verständnisses wegen die Spalthälften je einer Schleife als Tochterschleifen bezeichnen, zum Unterschiede von der Mutterschleife, wie wir einen chromatischen Faden so lange nennen wollen, als seine beiden Hälften noch in ihrer ganzen Ausdehnung an einander liegen. Jede Mutterschleife besteht also noch am Ende des Stadiums des Muttersterns aus zwei Tochterschleifen. Die beiden Tochterschleifen treten also nicht sofort in ihrer gan- zen Ausdehnung aus einander, sondern zunächst nur an ihren Win- keln, so dass die Schenkel mit einander noch einige Zeit in Berüh- rung bleiben. Dadurch aber, dass sich die Winkel nach den Polen kehren, erfahren ihre Schenkel eine Knickung, die um so mehr ge- gen das peripherische Ende derselben hinausrückt, je mehr sich die Uber Zelltheilung. 271 Winkel den Polen nähern. Schließlich berühren sich die Schenkel der Tochterschleifen nur mehr an ihren äußersten Enden, bis sie sich auch hier von einander trennen. Ein Schema wird dies versinnbildlichen : Fig..3. Von diesem Verhalten giebt es aber eine wichtige Abweichung, die leicht irre leiten und eine andere Art der Umordnung vortäuschen könnte. Sie findet sich dann, wenn die Schleifen auffallend ungleich lange Schenkel haben. Weichen die beiden Spalthälften einer sol- chen Schleife an ihren Winkeln aus einander, so bleiben nur die langen Schleifenschenkel noch durch einige Zeit mit einander in Berührung, während die kurzen sich alsbald vollständig von einander entfernen. Jede Tochterschleife weist also in diesem Fall zu einer gewissen Zeit zwei Winkel auf: einen. der sich nach dem Pol kehrt, und einen zweiten, der in der Theilungsebene liegt. Fig. 4. eg Sind beide Schleifenschenkel kurz, so werden sich die beiden Tochterschleifen alsbald nach Beginn der Umordnung nirgends mehr berühren. Treffen endlich die beiden Schenkel einer Mutterschleife unter sehr stumpfem Winkel auf einander, so wird sich dies auch wieder an den Tochterschleifen zu erkennen geben. Von diesen Gesichtspunkten aus, zu denen ich erst durch lange, eigens darauf gerichtete Untersuchungen gelangt bin, wird man, wie ich glaube, die abgebildeten Umordnungsstadien ohne Weiteres verstehen. So sieht man auf Fig. 18 an zahlreichen Stellen ‘s. Orientirungstafel «—h und a. a. O.) die Schleifenschenkel je zweier zusammengehöriger Tochterschleifen in mehr oder minder großer i ie C. Rabl Ausdehnung an einander liegen. An zwei Stellen sieht man die kreisrunden Querschnitte solcher Schenkel, die dadurch so scharf hervortreten, dass sich die Fäden senkrecht gegen den Objektträger stellen. An anderen Stellen wieder (wie bei 2 und 2’) sieht man kurze Schleifen, die sich schon ganz von einander getrennt haben. We- sentlich dasselbe Bild bietet auch die Fig. 19, nur ist sie auf den ersten Blick etwas weniger klar. Sehr instruktiv ist die Fig. 20; sie stellt ein Umordnungstadium in schiefer Ansicht dar; vor Allem möge man die Schleife d und die dazu gehörige Schwesterschleife der Gegenseite beachten. Die Schleifenschenkel liegen noch etwa zu einem Drittel ihrer Länge dicht an einander. Bei a, 5 und e sieht man drei Kreise; es sind das die Scheitel dreier Schleifen; stellt man etwas tiefer ein, so sieht man am Präparat ganz deutlich, wie jeder der Kreise in zwei Kreise aus einander weicht, die eben den Durch- schnitten je zweier Schleifenschenkel entsprechen. Die Figuren vom Proteus lehren ganz dasselbe, wie diejenigen vom Salamander. Die Fig. 6 stellt ein beträchtlich jüngeres Stadium dar, als die Fig. 5. Bei der Fig. 5 habe ich nur etwa ein Drittel der auf dem Präparate sichtbaren Fäden gezeichnet; bei der Fig. 6 alle dem Beschauer zugewendeten. Namentlich beachte man in die- ser Figur den Faden rechts unten; er wird aus dem zweiten der oben gegebenen Schemata verständlich: man sieht an ihm einen polaren — den eigentlichen — Schleifenwinkel und einen zweiten, entsprechend der Theilungsebene. Durch die abgebildeten Figuren, denen ich leicht noch zahlreiche andere hinzufügen könnte, wird mit voller Sicherheit bewiesen, dass in der That immer die eine Spalthälfte einer Mutterschleife dem einen, die andere dem anderen Pole zugeführt wird. Damit wird ohne Weiteres der Sinn der Längsspaltung verständlich. Zugleich aber geht aus den angeführten Thatsachen auch, wie ich glaube, ganz unzweifelhaft hervor, dass der primäre Winkel der Mutter- schleifen beim Auseinanderweichen der Spalthälften erhalten bleibt, dass also, mit anderen Worten, der primäre Winkel der Tochter- schleifen auf den primären Winkel der Mutterschleifen zurückzuführen ist. Aus dem ganzen Vorgange resultirt eine Lagerung der Schleifen, die sich mit FLEMMING am besten mit den Worten charakterisiren lässt: »Winkel nach dem Pol, Schenkelenden nach dem Äquator«. Es ließe sich darüber streiten, ob man die Fig. 6 vom Proteus noch als Umordnungsstadium, oder schon als Stadium der Tochtersterne aufzufassen habe. Im Grunde genommen bleibt sich dies auch ganz Uber Zelltheilung. 273 sleichgültig, da eine scharfe Grenze zwischen je zwei auf einander folgenden Stadien selbstverständlich nirgends existirt. Ich rechne aber noch alle jene Stadien zur Umordnungsphase, in denen sich eine größere Anzahl von Schleifen mit ihren Schenkeln in der Theilungs- ebene berührt. Es ist ja klar, dass ab und zu die Spalthälften einer Mutterschleife rascher aus einander weichen können, als andere, vielleicht benachbarte, aber eine Störung des Gesammtbildes wird dadurch nicht bewirkt. So einfach sich jetzt der ganze Vorgang präsentirt, so ist die Erkenntnis desselben doch nur nach langen Mühen möglich gewor- den. FLEMMING, dem wir auch hier den besten Theil unseres Wis- sens verdanken, sagt: »Die Bewegung in dieser Phase ist, kurz gefasst, diese: die Schleifen, nachdem sie vorher in dem Form- wechsel des Sterns verschiedentliche Ansätze dazu gemacht haben, - formiren sich in der Art in zwei Gruppen, dass ihre Winkel nach den Polen, ihre Schenkel theils schräg, theils senkrecht gegen die Aquatorialebene zu stehen kommen.« Auch das verschiedene Aus- sehen der Schleifen bei der Umordnung ist FLemMine nicht entgan- gen. Er bemerkt ausdrücklich, dass man oft lange, ziemlich gerad- linig verlaufende Fäden finde, welche nur nahe dem einen Ende kurz umgeschlagen sind, also erheblich ungleich lange Schenkel zeigen. Er glaubt daraus den Schluss ziehen zu dürfen, dass der Knickungswinkel, der in der Sternform in der Mitte gelegen habe, »jetzt am Faden entlang schwanke«, bis er später wieder ganz oder nahezu in der Mitte anlange. Sehr wichtige Angaben über das Verhalten der freien Enden der Schleifenschenkel in der Metakinese, wie er auch die Umord- nungsphase nennt, finden sich auch schon in den älteren FLEMMING- schen Abhandlungen. So wirft er schon in seiner ersten Arbeit die Frage auf, ob die Fäden zu Beginn der Umordnung im Aquator zusammengehangen haben und kommt zu dem Resultate, dass »in einzelnen Fällen« solehe Zusammenhänge sicher zu finden seien; nur, meint er, könnten sie auch sekundäre Zusammenlagerungen sein (pag. 383). In ähnlichem Sinne spricht er sich auch in seiner zweiten Abhandlung aus (pag. 209 und ff.). In neuerer Zeit hat FLEMMING, in Anbetracht der Ergebnisse STRASBURGER’s, die Möglich- keit zugegeben, dass die Deutung, die letzterer seinen Befunden an Pflanzenzellen gegeben hat, auch für die Theilung thierischer Zellen zulässig sei. Ich werde darauf später zurückkommen. Morpholog. Jahrbuch. 10. 18 274 C. Rabl Retzıus beschreibt die Umordnung in derselben Weise wie FLEMMING. Nachdem er aus einander gesetzt hat, dass aus einem Sterne zwei Sterne, aus einer monocentrischen Kernfigur eine dicen- trische entstanden ist, fährt er fort: »Die Schleifen scheinen sich in zwei ungefähr gleich große Gruppen zu vertheilen; in welcher Weise dies geschieht, bleibt uns bis auf Weiteres eben so räthselhaft, wie die trennende oder anziehende Kraft selbst. Durch die Annahme, dass sich die durch die FLeuming’sche Längsspaltung der Fäden entstandenen feinen Fadenschleifen zu zwei solchen verschiedenen Gruppen anordneten, ließe sich Einiges erklären: es liegen aber noch keine direkten Beweise dafür vor, dass die zwei Zwillingsfäden jedes Mutterfadens nach den beiden entgegengesetzten Centren sich trennen und ziehen lassen« (pag. 119). Sehr interessante Angaben finden sich bei STRASBURGER. In seiner ersten Abhandlung heißt es!: »Die Trennung der beiden Kernplattenhilften wird durch eine Umbiegung (Andersbiegung) der Kernplattenelemente eingeleitet. Aus der J- oder U-férmigen Ge- stalt gehen sie, durch C- oder $-férmige in eine im Allgemeinen f- oder N-förmige über. Die Umbiegung erfolgt direkt, indem sich das polare Ende krümmt, während das äquatoriale sich gerade streckt; oder es schreitet die Umbiegung bei sehr langen Kernfäden an den- selben entlang nach dem Pol zu fort, so dass «&-Gestalten den Über- gang vermitteln. — Während der Umbiegung stellen sich die gegen- über liegenden, zu je einem Paar gehörenden Fäden mit ihren äquatorialen Enden auf einander. — Der Umbiegung folgt das Auseinanderweichen; die umgebogene Stelle geht voran.« Dazu muss ich bemerken, dass sich STRASBURGER zu jener Zeit von der Längsspaltung der Fäden noch nicht hatte überzeugen können und dass er annahm, dass im Stadium des Muttersterns eine zweite Quer- theilung der Kernfäden erfolge. Nunmehr hat er die letztere An- nahme aufgegeben, die Längsspaltung bestätigt (vgl. Il. Abhandl. pag. 255). Die Umordnung schildert er in ganz ähnlicher Weise wie Heuser, wesshalb ich zunächst auf dessen Angaben eingehe. Es ist das unstreitige und jedenfalls sehr große Verdienst HEtseER's, zuerst mit Sicherheit nachgewiesen zu haben, dass von den Zwillingshälften je eines Mutterfadens immer die eine dem einen, die andere dem anderen Pole zuwandert und also eine vollständig 1 Ich folge hier der Zusammenstellung seiner Resultate auf pag. 572, da mich eine Berücksichtigung der Detailangaben wohl zu weit führen würde. Uber Zelltheilung. 275 gleichmäßige Vertheilung der Spalthälften auf die beiden Tochter- kerne stattfindet. Ich war ganz unabhängig von HEUSER durch meine Untersuchungen an Proteus zu demselben Resultate gelangt und habe darüber in einer der Sitzungen der anatomischen Sektion auf der Naturforscherversammlung in Freiburg i. B. Mittheilung ge- macht. Später habe ich auch beim Salamander dasselbe Verhalten wiedergefunden. Ich erwähne dies nur, weil ich betonen möchte, dass ich ganz unabhängig von HEUSER zu wesentlich demselben Er- gebnis gelangt bin und nicht etwa, weil ich ihm die Priorität streitig machen möchte. Ich habe auch weder für das Tagblatt, noch für den amtlichen Bericht der Naturforscherversammlung ein Manuskript eingeschickt. Es gebührt also Heusrr nicht bloß die Priorität der Entdeckung, sondern auch die Priorität der Publikation. Zudem hat Heuser den Nachweis für die Pflanzen, ich aber für die Thiere geliefert. Übrigens stimmen wir auch in einzelnen Details nicht überein und es entspricht Hruser’s Darstellung mehr den Ansich- ten, die ich mir Anfangs gebildet und auch noch in Freiburg ver- treten hatte, später aber in einem nicht ganz unwichtigen Punkte modifieiren musste. Ich hatte nämlich, irre geleitet durch die verschiedenen Form- zustände ungleichschenkeliger Schleifen, Anfangs geglaubt, dass sich die Schleifen vor Beginn der Umordnung gerade streckten und erst dann die beiden Spalthälften nach den Polen aus einander rückten; in der Nähe der Pole angelangt, würden sie hakenförmig umgebo- gen, so dass nun wieder Schleifen entständen. HEUSER scheint nun in der That eine solche Lingsstreckung der Schleifen unmittel- bar vor der Umordnung anzunehmen (vgl. namentlich das Schema Fig. 35 a). Er unterscheidet zwischen äußeren und inneren Strahlenpaaren und führt an, dass die äußeren fast oder ganz pa- rallel zur Äquatorialebene verlaufen, die inneren dagegen mehr in der Richtung der Spindelfasern gelagert sind. Bei den äußeren Strahlenpaaren geht die Umordnung ganz einfach in der Weise vor sich, dass sich die Spalthälften an ihren centralen Enden von einander entfernen und gegen die Pole vorrücken. (Man vergleiche das auf meiner Taf. XII Fig. 14 nach Heuser gegebene Schema.) Die Tren- nung der nach innen gelegenen Elemente ist dagegen nicht ganz frei von Nebenerscheinungen. Die Elemente befinden sich hier so dieht zusammengedrängt, dass die Mehrzahl wohl nicht im Stande sein dürfte, sich in dem beschriebenen Maße frei zu bewegen. Um nun doch, ohne den Nachbar mehr als nöthig aus seiner Lage zu 195 276 | C. Rabl bringen, mit dem der äquatorialen Mitte zunächst gelegenen Ende zu dem Pole zu gelangen, könnte. ein Theil dieser centralen Spalt- strahlen die von STRASBURGER entdeckte eigenthümliche Umbiegung erfahren. Die Anfangs. J-förmigen Elemente würden sich in diesem Falle zunächst gerade strecken und alsdann dicht oberhalb der frü- heren hakenförmigen Umbiegungsstelle eine scharfe Knickung zeigen, die in wellenförmiger Bewegung an den Elementen gegen die Pole hin fortschreitend, dieselben durch die $-Form in die f-Form über- führen würde. Ob dieser ..... Vorgang in voller Reinheit ver- läuft, oder ob nicht doch bloß ein einfaches Zusammenklappen mit nachheriger Umbiegung des polaren Endes den geschilderten ähn- liche U- und $-Formen herbeiführt, habe ich zwar mit voller Sieherheit nicht zu entscheiden vermocht, jedoch sprechen die meisten der beobachteten Fälle für diese letztgenannte Annahme« (pag. 88). . Man vergleiche dazu die nach Heuser kopirten Schemata auf Taf. XII Fig. 14 und 15. HEUSER nimmt an, dass immer nur einer von zwei Tochterstrahlen die beschriebene Umbiegung erfährt. Die Beschreibung bezieht sich auf die Zelien des Wandbeleges des Embryosackes von Fritillaria imperialis. Es fragt sich, wie sich diese Darstellung der Umordnung mit der von mir gegebenen in Einklang bringen lässt. Da möchte ich nun vor Allem bemerken, dass mir die Fig. 35.@ des HEusEr’schen Schemas nicht ganz mit den sowohl von diesem Forscher, als später von STRASBURGER gegebenen, gewiss sehr naturgetreuen Zeichnungen nach Präparaten tibereinzustimmen scheint.. In dem Schema zeich- net er die Strahlenpaare vollständig gerade gestreckt, die änßeren senkrecht, die inneren mehr oder weniger parallel zur Theilungs- achse gestellt. Auf Taf. VIL Fig. 11, 12 und 13, und namentlich schön und scharf in Fig. 14, welche der Umordnung unmittelbar vorhergeht, sieht man an den äauatorialen Enden der inneren und oft auch an den centralen Enden der äußeren Strahlenpaare je zwei scharf umschriebene schwarze Punkte, welche nach HEUSER's eigner Angabe anzeigen sollen, dass hier die Strahlenpaare sich gegen den Beschauer richten. Daraus ergiebt sich aber der Schluss, dass die Strahlenpaare nicht gerade gestreckt sind, sondern schleifenförmig mit centralwärts gerichtetem Winkel. Dass dieser Schluss richtig ist, wird durch STRASBURGER direkt bestätigt; man vgl. seine Figu- ren 6, 7 und namentlich 8 und den erläuternden Text. Da heißt es auf pag. 255 wörtlich: »Jedes Segment ist im Aquator umgebogen und zeigt ein lingeres polaresund kürzeres Uber Zelltheilung. 277 äquatoriales Ende. Die Segmente, welche das Innere der Kern- platte einnehmen, sind einander und der Längsachse der Kernspin- del annähernd parallel; die an den Rändern der Kernplatte befind- lichen neigen mit dem polaren Ende nach außen.« Demnach sind also auch hier Schleifen vorhanden mit centralwärts gekehrtem Win- kel, aber, allem Anscheine nach, mit auffallend ungleich langen Schenkeln. Es fehlen also an dem beanstandeten HEvser'schen Schema die kurzen Schleifenschenkel und es können demnach auch seine Schemata 35 6 und 35 e, die ich auf Taf. XII Fig. 14 und 15 kopirt habe, unmöglich ganz richtig sein; auch hier fehlen durch- wegs die kurzen Schleifenschenkel. Das Schema der Umordnung muss sich also so stellen, wie ich es in dem Holzschnitt Fig. 4 dargestellt habe; und damit wäre nun auch in diesem Punkte die Übereinstimmung in der Theilung bec licher und thierischer Zellen hergestellt. Die Auffassung, dass die Fäden bei der Umordnung aus der J-Form in die $-Form und aus dieser in die f[-Form übergehen, ist nur für ungleichschenkelige Schleifen zulässig und auch da nur in folgendem Sinne: J-förmig sind die Schleifen noch vor Beginn der Umordnoung im Endstadium des Muttersterns; so wie die primären Schleifenwinkel aus einander weichen, werden sie $-förmig, weil ihr längerer Schenkel eine sekundäre Knickung erfährt; so wie sie endlich in der Äquatorialebene aus einander rücken, streckt sich der sekundäre Winkel wieder und die Schleifen werden f-förmig. 4. Phase: Sternform der Tochterkerne. Tochtersterne. Als Tochtersterne bezeichne ich mit FLEMMING alle Formen der chromatischen Tochterfiguren, welche radiären Bau haben und in denen die Schleifen so gestellt sind, dass ihre Winkel nach dem Pol, ihre Schenkel nach der Äquatorialebene gerichtet sind. Ich schließe davon, wie schon angeführt, diejenigen Formen aus, bei welchen sich die beiden Tochterhälften der chromatischen Figur noch in größerer Ausdehnung in der Äquatorialebene berühren. Die Tochtersterne kommen, wie nicht weiter ausgeführt zu werden braucht, dadurch zu Stande, dass die beiden Hälften der Äquatorial- oder Kernplatte nach den Polen aus einander weichen. 278 C. Rabl Man kann in dieser Entwicklungsphase wieder zwei Stadien unter- scheiden: im ersten liegen die Schleifen ziemlich lose neben einan- der, im zweiten sind sie so dicht gedriingt, dass sie sich nur aus- nahmsweise in ihrem ganzen Verlaufe verfolgen lassen. Die Zahl der Schleifen muss nach dem früher Mitgetheilten in jedem Tochterstern 24 betragen, also eben so viel wie in den End- stadien des Knäuels und im Mutterstern; jedoch muss ich bemerken, dass ich in den Tochtersternen nie mit Sicherheit alle Schleifen habe zählen können. So viel ich sehe, ist dies auch FLEMMING nicht ge- lungen. In späteren Stadien, in lockeren Tochterknäueln, habe ich mehrmals nahe an 24 Fäden gezählt und hier ist es FLEMMING ein- mal gelungen, in der That mit Sicherheit 24 Schleifen zu zählen. Daraus, so wie namentlich aus der Art der Umordnung darf der Schluss gezogen werden, dass auch in den Tochtersternen 24 Schlei- fen vorhanden sind. Die Schleifen haben ein verschiedenes Aussehen; wie früher im Mutterstern, trifft man auch hier wieder lange und kurze, gleich- schenkelige und ungleichschenkelige, solche mit stumpfem und andere mit spitzem Winkel oft bunt durch einander. Zuweilen zeigt ein Schleifenschenkel eine sekundäre Knickung, vielleicht als Rest des sekundären Schleifenwinkels im Umordnungsstadium. Bei ungleich- schenkeligen Schleifen kann der kurze Schenkel nach außen oder nach innen sehen. Gerade so, wie es Muttersterne mit durchwegs gleichschenkeligen Schleifen giebt, kommen auch derartige Tochter- sterne vor und diese zeigen dann stets ein ungemein regelmäßiges Aussehen. Nicht selten sind die Schleifenschenkel vollkommen ge- rade gestreckt und der ganze Stern erinnert in seiner Form an das Gerüst eines Regenschirmes mit gerade gestreckten Spangen. Ich habe auf Taf. IX Fig. 21 und 22 zwei junge Tochtersterne aus dem Epithel der Mundbodenplatte der Salamanderlarve abgebil- det; die Fig. 23 stellt ein etwas älteres Stadium dar. In Fig. 21 und 23, weniger in Fig. 22, bei welcher die Spindelfasern nicht deutlich zu sehen sind, trifft man ein Verhalten, das sich, so weit meine Erfahrung reicht, ganz konstant im Stadium der Tochtersterne vorfindet. Man bemerkt nämlich, dass die Spindelfasern nicht in der direkten Verlängerung der Schleifenschenkel liegen, sondern mit denselben unter einem, allerdings sehr stumpfen Winkel zusammen- treffen; oder genauer ausgedrückt: wenn man durch beide Schleifen- schenkel eine Ebene hindurchlegt, den Schleifenwinkel halbirt und die Halbirungslinie gegen den Pol hinaus verlängert, so trifit diese Uber Zelltheilung. 279 Linie nicht den Pol, sondern sie schneidet die Theilungsachse in ihrer Verlängerung über den Pol hinaus (Fig. 5). Der Kegel von Spindel- fasern erscheint also gewissermaßen in das Centrum des chromati- schen Sterns hineingedrückt. Der Stern zeigt daher an seiner po- laren Seite eine Delle. Dies tritt am schärfsten an den Tochtersternen sanz flacher Zellen hervor, wie eine solche in Fig. 23 abgebildet ist. Dasselbe trifft man aber auch in Big. 5. den untersten Epidermisschichten des Proteus, in 7 den Nierenepithelien, ja selbst in den Hämatobla- a sten der Milz. Auch in den Follikelepithelien des 7. Hodens habe ich es gesehen. Es kommt also in | allen möglichen Zellen ganz unabhängig von deren ® | Form vor und kann daher auch nicht in äußeren Nu Verhältnissen den Grund haben. Schon während der Umordnung, noch mehr aber während des Auseinanderrückens der Tochtersterne macht sich eine ganz allmähliche Verkürzung und Verdickung der Fadenschlei- fen bemerkbar und dies mag auch zum Theil der Grund sein, wess- -halb man in den Endformen der Tochtersterne, wie in der Fig. 23, nicht mehr im Stande ist, die einzelnen Schleifen in ihrem ganzen Verlaufe mit Sicherheit aus einander zu halten. Sehr leicht und oft genug selbst bei sehr sorgfältiger Behandlung verquellen die Schlei- fen an ihren polaren Enden, so dass der ganze Stern dann einen Klumpen darstellt, aus dessen äquatorialer Seite die einzelnen Schlei- fenschenkel wie die Borsten aus einer Bürste hervorragen. Sobald einmal die Tochtersterne etwas weiter aus einander ge- rückt sind, kann man sehen, wie von den freien äquatorialen Enden der Schleifenschenkel zarte blasse Fäden ausgehen, die gegen die Theilungsebene hinziehen und hier mit sclehen der Gegenseite zu- sammentreffen. Zuweilen bilden diese Fäden ein zartes Netzwerk, wie ich dies in Fig. 23 abgebildet habe. Die Fäden oder Stränge sind viel weniger lichtbrechend, als die Spindelfasern und treten im Farbenbilde des Beleuchtungsapparates meist ganz zurück. Am be- sten sind sie bei Anwendung enger Diaphragmen zu sehen. Hinsichtlich des Baues und der Zusammensetzung der Tochter- sterne stimmen die Angaben der Autoren im Wesentlichen überein und ich will mich daher nur an die Angaben FLemMine’s und Rerzıvs’ halten, zumal ich mit FLEMMING in einem mir wichtig erscheinenden Punkte nicht übereinstimmen kann. Die Annahme, dass während und unmittelbar nach der Umordnung der polwärts 280 C. Rabl gerichtete Schenkel gestreckt sei und erst später eine Abknickung, die zur Bildung eines Schleifenwinkels führt, erfährt, habe ich schon oben kritisirt. Die Anordnung der Schleifen und die Verkürzung und Verdickung ihrer Schenkel sind von FLEMMING sehr genau und sorgfältig beschrieben worden. Auch bemerkt er, dass man zu dieser Zeit, gerade so wie schon früher, veinzelne Segmente finde, die viel kürzer sind, als alle übrigen« (pag. 236). Diese Beobach- tung selbst ist vollkommen korrekt; die Betrachtung dagegen, die er an diesen Befund knüpft, und die Auffassung der ganzen Erschei- nung kann ich durchaus nicht billigen. Er sagt nämlich: »Je- denfalls ist dies (die ungleiche Länge der Schleifen) nichts Regu- läres; man muss es möglich lassen, dass es sich dabei wirklich um eine vitale Abtrennung kleinerer Segmente handelt, wahrscheinlicher ist es mir aber, dass die Sache auf einer künstlichen Zerfällung durch die fixirenden Reagentien beruht.« Er kommt dann auf die Beurtheilung der Fadenlängen und Dicken zu sprechen und hebt die Kautelen hervor, die man dabei zu beachten hat. In diesen Punk- ten stimme ich mit ihm vollkommen überein und ich habe ja selbst schon früher ausdrücklich betont, dass man sich zunächst an solche Fäden und Schleifen zu halten habe, die in ihrem ganzen Verlaufe parallel dem Objektträger liegen. Aber ich muss auch hier, wie schon früher, aufs entschiedenste die Angabe bekämpfen, dass die Schleifen de norma gleich lang und gleichschenkelig seien. Man sehe sich einmal ein Dutzend schöner Tochtersterne an und führe folgendes einfache Rechenexempel aus: wenn die Schleifen gleich lang und gleichschenkelig wären, müssten von der äquatorialen Seite des Sterns 48 Fäden hervorragen; nun findet man aber in den meisten Fällen nur etwa 30 längere und eine Anzahl kürzere Schleifenschenkel; es kann daher unmöglich die Schlei- fen- und Schenkellänge durchwegs die gleiche sein. Dasselbe lehrt aber auch die Beobachtung der oberflächlich gelegenen Schleifen. Wenn ab und zu die Länge der Tochterschleifen durch- weg dieselbe ist, so halte ich dies für eine Ausnahme von der all- gemeinen Regel. Abgesehen von diesem einen Punkte stimme ich mit FLEMMING überall überein. Was Rerzivs betrifft, so kann ich nicht um- hin, zu bemerken, dass seine Tochtersterne doch etwas gar zu schön und regelmäßig sind. In der Beschreibung stimmt Rerzıus mit Fremming überein. Er bestätigt dessen Angaben über die Stellung der Schleifen, die Verkürzung und Verdickung der Schlei- Uber Zelltheilung. 281 fenschenkel u. dgl. und erwähnt auch, dass an der Polseite des Tochtersternes »eine größere oder kleinere Einbuchtung, ein Hilus«, bestehe, der »bis auf Weiteres von der achromatischen Substanz ausgefüllt zu sein scheine« (pag. 121). 5. Phase: Knäuelform der Tochterkerne. Tochterkniuel. So wie die Tochtersterne etwas weiter aus einander gerückt sind, krümmen sich die Enden der Schleifenschenkel nach einwärts gegen die Theilungsachse und die chromatische Figur bekommt eine zarte achromatische Hülle. Die Verkürzung und Verdickung der Fäden macht dabei Anfangs noch weitere Fortschritte, bis endlich die Rän- der der Fäden rauh und zackig werden, die Fäden seitliche Fort- sätze treiben und der Kern zur Ruhe übergeht. Diese Vorgänge sind es, welche die letzte Phase der Kerntheilung charakterisiren. Da ich über die Anfangsformen der Tochterknäuel und den Übergang der Tochtersterne in dieses Stadium nichts wesentlich Neues mittheilen kann, werde ich mich sehr kurz halten. Anfangs- formen der Tochterknäuel habe ich auf Taf. IX Fig. 24 aus der Epidermis der Salamanderlarve, auf Taf. X Fig. 7 aus der Niere des Proteus abgebildet. Solche Kerne haben eine eigenthümliche Form: sie zeigen polarwärts eine Delle, den von Rerzivs erwähn- ten Hilus, den auch FLEMMING genau beschreibt und auf seinen Figuren zur Anschauung bringt, und an der entgegengesetzten Seite, der Theilungsebene zugewendet, eine ähnliche, nur tiefere, Einsen- kung. Die kurzen, dieken Knäuelfäden halten im Allgemeinen eine zur kurzen Achse des Kerns parallele Richtung ein und zeigen wesent- lich denselben Verlauf, wie in den Anfangsstadien des Mutterknäuels: sie beginnen an der äquatorialen Seite, die wir jetzt wieder als Gegenpolseite des Kerns bezeichnen können, ziehen quer über die Oberfläche oder auch, wiewohl im Ganzen seltener, durch den Bin- nenraum des Kerns zur Polseite und ins Polfeld, biegen hier schlin- genförmig um und kehren wieder zur Gegenpolseite zurück. Mit anderen Worten, die Fäden bilden Schleifen, deren Winkel nach dem Pol, deren freie Schenkelenden nach der Aquatorialebene sehen; nur ist zu beachten, dass der junge Kern an der Gegenpolseite schon durch eine achromatische Hiille abgeschlossen wird: dasselbe ist auch allenthalben an den Seiten der Fall. Dagegen möchte ich bezwei- feln, dass in solchen Anfangsformen des Tochterknäuels auch am 282 C. Rabl Pol schon eine achromatische Hülle vorhanden sei. Hier sieht man zunächst eine helle, stark lichtbrechende Masse, die wohl unzweifel- haft aus dem Rest der Spindelfasern hervorgegangen ist, aber keine faserige Struktur mehr erkennen lässt und die sich in die kleine polare Delle des Kerns einlagert und dieselbe vollständig ausfüllt. Vom Polkörperchen ist keine Spur mehr zu sehen. Die Fäden sind, wie erwähnt, dicker als in den vorhergehen- den Tochterfiguren, treten aber an ihren freien Enden mit einander nieht in Verbindung. In manchen Knäuelformen, wie z. B. in den Tochterknäueln aus der Niere des Proteus, sind sie so kurz, dass man auf den ersten Blick Körner statt Fäden vor sich zu haben glaubt. Untersucht man etwas ältere Kerne, so fällt Einem außer der nicht unbeträchtlichen Größenzunahme namentlich das körnige, rauhe Aussehen der Fäden auf. Die Schleifen haben ihre glattrandige Beschaffenheit verloren, ihre Ränder sind unregelmäßig zackig ge- worden und senden ganz kurze, dünne Fortsätze von körnigem Aus- sehen aus. Es ist ganz wohl möglich, dass die Schleifen jetzt zum Theil an ihren freien Enden mit einander verschmelzen und die Zahl der Kernfäden dadurch eine geringere wird. Dafür spricht wenig- stens der ganze Habitus solcher Kerne; aber ich muss doch ge- stehen, dass ich mich von einer solchen von manchen Autoren be- haupteten Verbindung gröberer Fäden mit Sicherheit nicht habe überzeugen können (vgl. Fig. 25). Die Kerne nehmen in der Folge rasch an Größe zu und ihre ganze Ausbildung läuft wesentlich darauf hinaus, dass die chroma- tische Substanz immer gleichmäßiger vertheilt wird. Einen schon ziemlich weit entwickelten Kern habe ich auf Taf. IX Fig. 26 ab- gebildet. Er lässt noch in groben Zügen die Zusammensetzung jüngerer Knäuel erkennen; statt einheitlicher, kontinuirlicher Fäden finden sich aber nur mehr grobe, eckige Körner, die durch derbere Gerüststränge mit einander in Verbindung stehen und von deren Ecken Fortsätze ausgehen, die sich ihrerseits wieder weiter verzwei- sen und mit anderen benachbarten Fäden in Verbindung treten, so dass ein reiches Netzwerk zu Stande kommt. In dieser Weise geht auch die ganze weitere Ausbildung von Statten: einerseits nimmt der Kern allmählich an Größe zu, anderseits verfeinert sich das Geriist- oder Netzwerk durch Aussendung zarter Fäden und Bälk- chen immer mehr und mehr. Von den gröberen Gerüststrängen, den Resten der früheren Knäuelfäden, bleibt wenig mehr zurück und Uber Zelltheilung. 283 auch die größeren Ansammlungen chromatischer Substanz schwin- den immer mehr, so dass schließlich kaum mehr etwas auf den Bau des Knäuels und die typische Anordnung seiner Schleifen hinweist. Nur an der ursprünglichen Polseite des Kerns bleibt zuweilen, wie schon Rerzius erkannt hat, als Rest der polaren Delle eine seichte Impression zurück. Auf den Bau des fertigen Kerns werde ich ohnedies später noch des Genaueren zurückkommen. Der Zellleib erleidet im Stadium der Tochtersterne keine merk- lichen Veränderungen. Er zeigt zu dieser Zeit im Wesen die gleiche Beschaffenheit, wie früher während der Umordnung und während des Stadiums des Muttersterns. Die einzige wichtigere Veränderung betrifft diejenigen Theile der Zellsubstanz, welche die äquatorialen Flächen der beiden Tochtersterne verbinden und auf die bereits früher aufmerksam gemacht wurde. Um so wichtiger sind die Ver- änderungen, die sich im Beginn der Knäuelphase einleiten und die binnen Kurzem zu einer Theilung des Zellleibes in zwei gleiche oder doch nahezu gleiche Partien führen. Die helle Innenportion der Zellsubstanz, welche die beiden Tochtersterne mit einander verbindet, verschmälert sich immer mehr und mehr und zugleich macht sich an der dunkleren Außenportion eine Einschnürung des Zellleibes bemerkbar. Es tritt an der Peri- pherie der Zelle, ungefähr der Mitte zwischen den beiden Tochter- knäueln entsprechend, eine Ringfurche auf, welche (wie es scheint, ganz konstant) an der einen Seite tiefer in den Zellleib einschneidet, als an der entgegengesetzten. Dies ist wenigstens in der Mehrzahl der Fälle direkt zu beobachten und wenn man auch ab und zu Zellen findet, welche an beiden Seiten gleich tiefe Furchen zeigen, so liegt doch die Vermuthung nahe, dass die Furche an der dem Beschauer zu- oder abgewendeten Seite tiefer eindringt, als an der entgegengesetzten. Am Boden der Furche zieht eine stark lichtbrechende, mit Häma- toxylin sich ziemlich intensiv färbende Substanz rund um die Zelle (vgl. Taf. X Fig. 16), die sich auch auf die beiden Zellleiber fort- setzt, dabei aber immer dünner wird und schließlich ganz verschwin- det. Dieser stärker färbbare Theil der Zellsubstanz ist an derjenigen Seite der Zelle, an welcher die Ringfurche tiefer eingreift, mächti- ger entwickelt und setzt sich auch auf die beiden Tochterzellen weiter fort, als an der entgegengesetzten Seite. Endlich schneidet die Furche vollständig durch und theilt die 284 C. Rabl Zelle in zwei ungefähr gleich große Hälften. An den beiden Toch- terzellen erkennt man noch durch geraume Zeit die beiden, schon von früher her bekannten Zonen der Zellsubstanz: die hellere Innen- und die dunklere Außenzone. Beide sind an gut fixirten Präparaten meistens recht scharf von einander geschieden. Die Innenzone geht direkt in den hellen, den Kern umgebenden Hof über. Der ganze Process der Theilung des Zellleibes geht ziemlich rasch von Statten. Er beginnt, wie gesagt, in den ersten Anfängen der Tochterknäuel und ist schon vollendet, noch bevor die Knäuel- fäden ihre glattrandige Beschaffenheit verloren und Fortsätze aus- zutreiben begonnen haben. Vieles von dem hier über das Stadium der Tochterknäuel Ge- sagten wird man schon in den Abhandlungen FLEMMING’s in ganz ähnlicher Weise ausgesprochen finden und ich habe das Ganze nur des Zusammenhanges und der Vollständigkeit wegen erörtert. Im- merhin wird man aber auch manches Neue und gewiss auch Wich- tige in meinen Auseinandersetzungen finden. Eine geordnete Zu- sammenstellung des bisher Bekannten und des neu Hinzugekommenen schien mir aber namentlich zum Verständnis der theoretischen Be- trachtungen über die Zelltheilung und den Bau des Zellkerns, mit welchen ich diesen Abschnitt schließe, von Wichtigkeit. Es konnte keinem meiner Vorgänger entgehen, dass im Stadium der Tochterknäuel die chromatischen Fäden parallel zur kurzen Achse des Kerns verlaufen. Dies ist auch von allen hervorgehoben worden. Eine merkwürdige Übereinstimmung besteht aber auch in einem anderen Punkte. FLEMMING und Rerzıus eben sowohl, wie STRASBURGER und HEUSER, geben an, dass die Knäuelfäden an ihren Enden mit einander verschmelzen und dass aus dieser Verbindung »ein einziger Tochterkernfaden« hervorgehe. Ich habe oben die Möglichkeit zugegeben, dass einzelne Fäden mit einander zu größe- ven Fadenabschnitten verschmelzen und will sogar nicht bestreiten, dass bei gewissen Kernen alle Knäuelfäden mit einander in Ver- bindung treten. Ich habe mich aber weder beim Salamander, noch beim Proteus mit Sicherheit davon überzeugen können, obwohl doch meine Untersuchungsmethoden mindestens eben so viel, meiner Ansicht nach aber beträchtlich mehr leisten, als die meiner Vorgänger. Dass die feinen Fortsätze, welche nach meinen Befunden von den Knäuel- fäden ausgehen, so wie die Knäuelfäden selbst, nachdem sie sich sehr viel verfeinert haben, zur Bildung eines Gerüst- oder Netzwerkes Uber Zelltheilung. 285 zusammentreten, habe ich oben gesagt; aber eine Verschmelzung aller gröberen Fäden in solchen Stadien, in denen man noch von einer Knäuelform reden kann, kommt beim Salamander und Proteus, wenn überhaupt, nur ganz ausnahmsweise vor. Endlich möchte ich noch erwähnen, dass FLEMMING angiebt, die Zellsubstanz färbe sich mit Hämatoxylin bei sich theilenden Zellen intensiver, als bei Zellen in der Ruhe. Ich kann dies in der Hauptsache bestätigen, muss aber bemerken, dass solche Häma- toxylinpräparate keineswegs Musterpräparate sind. Woher es kommt, dass manchmal die ruhenden Zellen keine Farbe annehmen, die Zel- len in Theilung aber dieselbe sehr zähe an sich halten, kann ich nicht sagen. Für tadellose Hämatoxylinpräparate trifft FLEMMING's Angabe nicht zu. An stark gelockerten Tochterknäueln aus dem Hoden vom Pro- teus habe ich mehrmals nach Fixirung mit Chrom-Osmium-Essig- säure und Safranin-Färbung eine interessante Eigenthümlichkeit an den Knäuelfäden wahrgenommen (vgl. Taf. X Fig. 14). Die chro- matische Substanz bildete hier nicht kompakte Stränge, zeigte sich auch nicht in Form der sogenannten Prrrzxer’schen Chromatin- kugeln, sondern war in äußerst feinen Körnchen vorhanden, die in blasse, nicht färbbare Stränge eingelagert waren. Mit anderen Wor- ten, die Knäuelfäden bestanden aus blasser, »hyaloplasmatischer« Substanz, in welche zahllose feine chromatische Körnchen eingelagert waren. Diese Körnchen waren schon FLEMMING bekannt, nur scheint er sie zuweilen mit den PrirzNer’schen Körnern verwechselt zu haben. Manchmal scheinen die Körner in Doppelreihen zu liegen, so dass es aussieht, als ob die Knäuelfäden der Länge nach ge- spalten wären. Dies dürfte jedoch niemals der Fall sein und ich nehme an, dass die scheinbare Längsspaltung dadurch zu Stande kommt, dass die Körnchen in den hyaloplasmatischen Strängen nicht gleichmäßig vertheilt sind, sondern hauptsächlich an deren Oberfläche liegen; betrachtet man dann einen Knäuelfaden im optischen Längs- schnitte, so muss eine Längsspaltung vorgetäuscht werden. Ob auch in früheren Theilungsstadien eine solche Zusammensetzung der chro- matischen Fäden aus hyaloplasmatischer Grundsubstanz und darin ein- gelagerten chromatischen Körnchen vorkomme, vermag ich nicht zu entscheiden. Es mag sein, dass sich die scheinbare Längsspaltung der chromatischen Fäden im Stadium der Tochtersterne, die FLEu- MING und auch ich in vereinzelten Fällen beobachtet haben, in ähnlicher Weise erklärt, wie jene Längsspaltung der Knäuelfäden ; 286 C. Rabl möglich auch, dass zuweilen durch eine engere Aneinanderdrän- gung zweier benachbarter Fäden eine Längsspaltung vorgetäuscht wird. Ich will nun noch kurz folgende Punkte besprechen: 1) die Dicke der chromatischen Fäden und die Länge der Theilungsachse in den auf einander folgenden Stadien; 2) die Beziehungen der indirekten Zelltheilung zur Ernährung und zum Wachsthum, zur Entzündung und Neubildung; 3) drei- und mehrpolige Kernfiguren; 4) patholo- gische Kernfiguren; und endlich 5) direkte Theilung und Zerklüf- tung. Ich habe aber nicht die Absicht, das von anderen Forschern Mitgetheilte zu wiederholen und in Ordnung zu bringen, sondern be- ziehe mich fast ausschließlich auf meine eigenen Ergebnisse. 1) Wenn es sich darum handelt, die Dicke der chromatischen Fäden und die Länge der Theilungsachse in den auf einander folgen- den Stadien zu bestimmen, muss man einige Vorsicht walten lassen. Vor Allem darf man Messungen nur an sehr gut fixirten Objekten anstellen und zweitens müssen alle Figuren, von denen man Maße nimmt, in genau derselben Weise behandelt sein. Es ist selbst- verständlich, dass man die Kernfäden nicht das eine Mal an Chrom- Ameisensäurepräparaten und das andere Mal an Platinchloridpräpa- raten messen und dann die Zahlen mit einander vergleichen darf. Die von mir mitgetheilten Zahlen wurden abgenommen von einem außerordentlich schönen Chrom-Ameisensäurepräparat eines Kiemen- blättehens der Salamanderlarve, das mit Hämatoxylin-Safranin ge- färbt war. Ich gebe die Zahlen in Theilstrichen des Ocularmikro- meters (Zeıss II) bei einer Tubuslänge von 220 mm; ein Theilstrich bedeutet 0,000909 mm. Man kann sich, wenn man es für nöthig findet, die wirklichen Maße daraus leicht berechnen. Die Entfernung der Pole beträgt: im Stadium der Fig. 7 (Mutterknäuel) . . . . . . . ca. 11 Theilstriche - - - - 15 (erstes Stadium des Muttersterns! . 17—15 - = - - = Io, TUDIOTONUNEY“ go > se ee u) — = - - 8222493 Dochtersteriie)s A MAINE ay So A een = = = - - 24 (Tochterknäuel, gemessen vom einen zum anderen Hilus) . . . . . 28—32 - Daraus geht hervor, dass die Entfernung der Pole kontinuirlich zunimmt und zwar am langsamsten zwischen Mutterstern und Um- ordnung, am raschesten von der Umordnung bis zu den Tochter- Uber Zelltheilung. 287 knäueln. Zugleich drängt sich die Vermuthung auf, dass urspriing- lich statt zweier Pole oder zweier Attraktionscentren nur ein solches vorhanden war, das erst später in zwei aus einander gewichen ist. Die Dicke der Fäden kann nur ganz beiläufig gemessen, oft nur geschätzt werden. Sie beträgt: im Stadium der Fig. 2 (Übergang vom dichten zum lockeren Knäuel) . . . . . . nicht ganz 1:Theilstrich = - - = 7 (loekerer Mutterkniuel) . . . . ca. 1,4 > - - - - 15 (erstes Stadium des Muttersterns) . ca. 1,6 - - - - - 17 (Mutterstern mit deutl. Längsspaltung) nicht ganz 2 3 - = - + 19 (Umordnung); ein Fadenmisst: - - 1 5 - - - - 24 (Tochterknäuel); ein Faden misst: . 1 a Es nimmt also die Dicke der Fäden zu bis zur Längsspaltung, dann nimmt die Dicke jeder Spalthälfte in ähnlicher Weise zu. 2) Dass die Ernährung einen wichtigen Einfluss auf die Häufig- keit der Zelltheilungen habe, war schon von vorn herein zu er- warten, zumal wir längst wissen, dass auch bei den Individuen höherer Ordnung, den Personen und Stöcken, die Produktion von Nachkommen mit den Ernährungsverhältnissen in innigem Zusam- menhange steht. In der That haben nun auch FLEMMING und Rerzius gezeigt, dass »reichliche Ernährung das Eintreten reichlicher Zelltheilungen befördern, und Nahrungsmangel es hindern kann«. Rerzius sagt (pag. 112): »Wenn man die Larven mehrere Tage hungern lässt, wird die Zellentheilung immer sparsamer und hört endlich ganz auf, so dass man keine einzige sich theilende Zelle aufzufinden vermag.« Ich habe nun folgendes, für die Kenntnis des Zellenlebens gewiss interessante Experiment angestellt; ich habe mehrere Exemplare von Salamandra atra von Ende August 1882 bis Ende Januar 1883, also volle fünf Monate, hungern lassen und dann in mehreren Organen nach Theilungsfiguren gesucht. Die Thiere hatte ich in ein Glasgefäß gesetzt, in dasselbe etwas Moos gegeben, das ich aber zuvor von den darin befindlichen Limaciden gereinigt hatte und dann von Zeit zu Zeit etwas Wasser zugegossen. Als ich die Thiere Ende Januar untersuchte, fand ich sie hochgradig abgemagert, alles Fett geschwunden, im Magen einiger Exemplare spärliche Mengen von Moos; letzteres konnte gewiss nicht als Nah- rung, sondern nur zur Befriedigung des Lokalgefühles der Magen- leere gedient haben. Die übrigen, am Leben gelassenen Exemplare gingen Mitte März an Inanition zu Grunde. Nun ist allerdings zu bedenken, dass die Thiere auch im Freien während des Winters 28s C. Rabl hungern; doch dürfte das Hungern kaum länger als drei Monate dauern. Ich erinnere mich wenigstens, schon wiederholt Ende Oktober und Anfangs November Salamander eingefangen zu ha- ben, die im Magen einen Arion empiricorum oder Limax maximus hatten, der nur an der Oberfläche geringe Spuren der Einwirkung des Magensaftes zeigte, so dass es noch möglich war, die Species zu bestimmen. Ich war nun Anfangs erstaunt, als ich in den Zungendrüsen und in der untersten Epidermisschicht der untersuchten Thiere ziemlich reichliche Zelltheilungsfiguren fand. Und doch glaube ich, dass diese Beobachtung den Erfahrungen FLEMMING’s und ReErztus’ nicht widerspricht; wissen wir ja, dass erwachsene Thiere das Hungern weit besser ertragen als junge und wir brauchen nur diesen Erfah- rungssatz auf die Zellen zu übertragen und zu sagen: erwachsene Zellen ertragen das Hungern besser als junge und embryonale. Es ist auch klar, dass in beiden Fällen die Ursache der Resistenz die- selbe sein muss: bei jungen Thieren und jungen Zellen ein lebhafter Stoffwechsel, bei alten oder erwachsenen ein träger oder doch lang- samerer Stoffwechsel. In jüngster Zeit ist von einem Forscher die Ansicht ausge- sprochen worden, die chromatische Substanz in den Zellen stehe in irgend einer Beziehung zur Ernährung und ihre Menge müsse daher beim Hungern abnehmen. Dem gegenüber kann ich nur versichern, dass ich an den Theilungsfiguren der hungernden Salamander keine Abnahme des Chromatins habe wahrnehmen können. Es ist gewiss keinem meiner Vorgänger entgangen, dass man oft in großen Stücken der Mundbodenplatte oder eines Kiemenblätt- chens oder auch der Epidermis anderer Körperregionen nur ganz vereinzelte Theilungsfiguren antrifft, während sich die übergroße Mehrzahl der Zellen »in Ruhe« befindet. Auch sonst habe ich nie gefunden, dass sich alle Zellen irgend einer Region gleichzeitig theilten. Was der Grund davon ist, wissen wir nicht; wir wissen aber auch nicht und sehen es einer Zelle nicht an, ob sie besser oder schlechter ernährt werde als ihre Nachbarn. Es ist immerhin möglich, dass hier die Ernährungsverhältnisse mitspielen. Ich er- innere übrigens an das analoge Verhalten bei der inäqualen Fur- chung: auch da theilen sich nicht alle Furchungskugeln gleichzeitig, sondern die der animalen Seite im Allgemeinen rascher und öfter, als die der vegetativen. Uber Zelltheilung. 289 Ich habe oben der sorgfältigen Arbeit ARTHUR KOLLMANN’s über den Tastapparat der Hand und der darin niedergelegten Resultate iiber die Beziehung der Karyokinese zum Wachsthum der Epidermis gedacht. Außerdem haben auch FLEMMING, EBERTH, MAYZEL und Andere über die Regeneration der Epithelien Untersuchungen ange- stellt und gezeigt,. welche wichtige Rolle dabei der indirekten Thei- lung zukommt. Wenn Drascu auf Grund seiner Untersuchungen über die Regeneration des Trachealepithels zu dem Schlusse kommt, dass in den Flimmerzellen keine Theilungsfiguren vorkommen, so steht dies doch sicherlich nicht mit der Ansicht im Gegensatz, dass die Epithelregeneration nur auf karyokinetischem Wege erfolgt. DrascuH selbst giebt ja die Möglichkeit zu, dass eine »Karyokinese vorausgegangen sein könne, als die Flimmerzellen noch Basalzellen waren«. Freilich meint er, »man stehe nun abermals vor der Frage warum denn gerade nur die eine der beiden Tochterzellen bis zur Flimmerzelle sich entwickelte, die andere aber in dieser ganzen Zeit im Wachsthume still gestanden ist«. Ich kann nicht umhin, eine solehe Fragestellung etwas naiv zu finden. Hat denn Drascu gar nicht bedacht, dass es im Laufe der Entwicklung eines Thie- res tausend- und abertausendmal vorkommt, dass von je zwei Tochterzellen sich die eine zu dieser, die andere zu jener Zellart entwickelt? Was müsste nur für ein sonderbares Gewebe aus dem Mesoderm werden, wenn immer je zwei Tochterzellen denselben Ent- wicklungsgang einschlügen? Und ist denn die Epithelregeneration nicht auch eine Entwicklungserscheinung ? DrascH ist der Ansicht, »dass die Regeneration des Flimmer- epithels so vor sich geht, dass in den pyramidenförmigen Anschwel- lungen der Fortsätze der Flimmer- und Keilzellen oft noch zur Zeit ihres Zusammenhanges mit, meist aber nach ihrer mechanischen Abschnürung von den Zellen durch andere Zellen ein Kern sich bildet und die »Rudimente« dadurch zu Rudimentzellen, den klein- sten Zellen in der Basalzellenregion werden«, dass also, kurz ge- sagt, die Kerne durch »freie Kernbildung« entstanden sind. Meiner Ansicht nach übernimmt Derjenige, der eine freie Kernbildung be- hauptet, auch die Verpflichtung, sie zu beweisen. Bis dies ge- schehen sein wird, halte ich an dem bekannten Satze fest: »Omnis nucleus e nucleo«. Fiir das Verstiindnis des Wachsthumes und der Regeneration geschichteter Epithelien scheint mir die oben mitgetheilte Beobach- Morpholog. Jahrbuch. 10. 19 290 C. Rabl tung von Wichtigkeit zu sein, dass bei der Theilung die Theilungs- achse sich nicht genau der Cutisoberfläche parallel stellt, sondern gegen dieselbe unter einem spitzen Winkel geneigt ist. Dadurch kommt die eine Tochterzelle etwas höher und oberflächlicher zu lie- gen‘, als die andere. Findet eine solche Theilung dicht unter der oberflächlichsten Zellschicht statt, so wird die tiefer gelegene Tochter- zelle den Charakter der Mutterzelle beibehalten, während die höher gelegene und ganz an die Oberfläche gerückte sich mit einer Stab- cheneutieula bekleiden wird, nach Art ihrer Nachbarinnen. In einem solehen Falle haben wir dann eine divergente Ausbildung zweier Zellen gemeinsamen Ursprunges vor uns. Von derselben Wichtigkeit, wie für die Erkenntnis des Wachs- thumes ist auch der Nachweis der Karyokinese für die Lehren von der Entzündung und Neubildung. Über das Wesen und Zustande- kommen der Entzündung stehen sich bekanntlich die Ansichten STRICKER’S und COHNHEIM’s sehr schroff gegenüber und es darf wohl von den mit Berücksichtigung der Karyokinese angesteliten Untersuchungen eine Lösung dieser Frage erwartet werden. In neuerer Zeit haben Homen und KLEMENnsIEwIcz! reichliche karyo- kinetische Figuren in den fixen Hornhautzellen des Frosches nach künstlich durch Ätzmittel erzeugter Entzündung nachgewiesen; da- gegen war KLEMENSIEWICZ nicht im Stande, in irgend einer von jenen Zellen, »welche ihrer Form und Lage nach als Wanderzellen bezeichnet werden müssen«, eine Kerntheilungsfigur aufzufinden. Im Epithel der entzündeten Frosch- und Kaninchencornea wurden schon viel früher (1876) von EBERTH in einer für jene Zeit ganz ausgezeichneten Arbeit karyokinetische Figuren in großer Menge nachgewiesen. Fast gleichzeitig und unabhängig davon hat auch MavzeL Ähnliches mitgetheilt. Endlich haben kürzlich Unna (ZIEN- ssEN’s Handbuch, XIV. Bd., I) und Osrry in der Haut des Menschen bei entzündlichen Processen Kerntheilungsfiguren beobachtet. UNNa hat sie in spitzen Condylomen, Osrry gleichfalls in spitzen Con- dylomen, ferner in syphilitischen Papeln, beim Lupus, bei der syphi- litischen Initial-Selerose ete. gefunden (vgl. Zeitschr. f. Heilkunde, Bd. IV. Prag, 1884). Das was an den Arbeiten ARNoLD’s, MAyZEL’s, Marrıv’s u. A. über die Karyokinese in Geschwülsten, vor der Hand wenigstens, 1 Die Untersuchung Hom&v’s kenne ich nur aus KLEMENSIEWICZ, Cen- tralbl. f. d. med. Wiss. 1884. Nr. 11. Uber Zelltheilung. 291 von dem grüßten Interesse erscheint, ist Folgendes: erstens die große Häufigkeit von Theilungsfiguren in den Careinomen und Sar- komen, also in exquisit malignen Tumoren ; zweitens die relativ ge- ringe Menge von chromatischer Substanz und die mächtige. Ausbil- dung der Kernspindel in solchen Figuren und drittens das Vorkom- men drei- und mehrpoliger Kernfiguren. Ich werde auf die beiden ersten Punkte noch im zweiten Theile zurückkommen. 3) Nachdem schon ARNOLD darauf hingewiesen hatte, dass drei- und mehrpolige Theilungsfiguren in rasch wachsenden Geschwiilsten, namentlich in Sarkomen und Carcinomen, »eine ganz gewöhnliche Erscheinung« sind, wurden solche Figuren später von MARTIN in einem Falle von Brustdrüsenkrebs, »der sehr rasch gewachsen war und im Verlauf von sieben Monaten die ganze Brustdrüse ergriffen hatte«, genauer untersucht. Dreitheilung wurde häufiger angetroffen, als Viertheilung. Das Interessanteste dabei ist, dass in solchen Fällen nicht bloß drei bis vier Kernspindeln vorhanden sind, son- dern auch die aus den chromatischen Elementen bestehende Kernplatte in drei oder vier Strahlen aus einander weicht. Die Angaben EBERTH’s und HEGELMAIER’s, deren Beweiskraft mit Recht von FLEMMING und STRASBURGER bestritten wurde, kann ich fiiglich übergehen. Bei Pflanzen wurden schon wiederholt Kernspindeln mit drei Polen ge- sehen; so von STRASBURGER und SOLTWEDEL im Wandbeleg des Embryosackes von Leucoium aestivum. Ich selbst besitze über solche Figuren keine Erfahrung; aber ich möchte doch eine Beobachtung erwähnen, die geprüft und weiter verfolgt werden sollte. Ich habe einmal in einem Hämatoblasten aus der Milz des Proteus drei Tochtersterne gesehen, die so gestellt waren, dass sie ihre konkave Seite einer gemeinsamen Mitte zu- kehrten; der betreffende Hämatoblast befand sich aber in einem Schnittpräparat und es wäre daher möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, dass ein vierter Tochterstern weggeschnitten war. In diesem Falle könnte eine zweikernige Zelle vorgelegen haben, deren Kerne sich ohne vorherige Theilung des Zellleibes wieder weiter theilten, ähnlich wie dies FLEMMING einmal in einer Epithel- zelle der Salamanderlarve gesehen hat. Wichtig wäre es, zu erfahren, wie sich bei solchen pluripolaren Theilungen die Spalthälften der chromatischen Fäden verhalten. Sind 24 Schleifen vorhanden mit 48 Spalthälften, so könnten diese so vertheilt werden, dass bei einer Dreitheilung auf jeden Kern 16 Fäden entfielen. 19” 292 C. Rabl 4) Gerade so, wie »ruhende« Zellen von Krankheiten befallen werden können, kann sich auch während der Theilung ein krank- hafter Process einstellen, der dann zur Bildung pathologischer Kern- figuren führt. Es ist freilich schwer, immer genau aus einander zu halten, was noch als gesund und was schon als krank bezeichnet werden muss. Dass zuweilen beim Übergang vom Knäuel zum Stern einzelne Schleifen zurückbleiben können, wurde bereits erwähnt; solche Fälle sind auch von FLEmuInG und Rerzivs beschrieben wor- den. Aber man darf dieselben, wie ich glaube, nicht kurzweg als pathologische Formen bezeichnen, zumal es nicht auszuschließen ist, dass solche disloeirte Schleifen noch später sich in die Reihe der übri- gen stellen. Es ist eben zu bedenken, dass bei allen an organisirten Wesen ablaufenden Processen sich eine gewisse Freiheit und Varia- bilität kund giebt: in der Natur herrscht überall ein festes Gesetz, aber nirgends Pedanterie. Ich bezeichne daher nur solche Figuren als pathologisch, bei denen jeder Zweifel an ihrer Krankhaftigkeit ausgeschlossen ist. Einen derartigen, sehr schönen Fall habe ich auf Taf. X Fig. 15 abgebildet; er stellt eine Nierenepithelzelle von Proteus mit ungleich großen Tochtersternen vor. Der eine Stern ist etwa halb so greß oder vielleicht noch etwas kleiner, als der andere: dabei ist die Dicke der Fäden in beiden Sternen dieselbe. Wie dieser Fall zu erklären ist, ist schwer zu sagen; vielleicht wird er noch am ersten durch die Annahme verständlich, dass ursprünglich abnormerweise drei Pole vorhanden gewesen seien, von denen zwei dicht neben einander gelegen und später sich mit einander vereinigt haben. Ich muss mich aber darüber einer bestimmten Meinungsäußerung enthal- ten. Ein zweites Mal ist mir etwas dergleichen nicht vorgekommen. Einen anderen Fall habe ich auf derselben Tafel, Fig. 16 ab- gebildet. Während die beiden Tochterknäuel ein ganz »gesundes« Aussehen zeigen, ist in der Mitte zwischen ihnen ein Stück einer Schleife zurückgeblieben; es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass in einem solchen Falle, wo die beiden Tochterkerne schon so weit aus einander gerückt und so weit ausgebildet sind, noch eine Wieder- vereinigung erfolgen könne. Bemerkenswerth ist, dass das kleine zurückgebliebene Fadenstück gerade so, wie die Tochterknäuel selbst, von einem hellen homogenen Hofe ormgahes ist. Solche Fälle habe ich mehrmals beobachtet. Einen dritten Fall führt uns die Fig. 17 vor; die beiden Toch- terkerne sind schon zur Ruhe übergegangen, stehen aber doch noch Uber Zelltheilung. 293 durch einen dünnen Faden mit einander in Verbindung. In der einen der beiden Tochterzellen sieht man neben dem eigentlichen Kern, ganz außer Zusammenhang mit ihm, einen kleinen, mit einem Hof umgebenen Nebenkern. Solche Fälle können leicht zu Miss- verständnissen Veranlassung geben, indem sie zur Annahme verlei- ten, die beiden Tochterkerne seien durch direkte Theilung eines Mutterkerns nach dem Remax’schen Schema entstanden. Mit Rück- sicht auf den kleinen Nebenkern muss ich aber doch die Möglich- keit hervorheben, dass er durch Abschnürung von dem größeren Kern entstanden sei. Wenn die Fixirung gut gelungen ist, so sieht man sehr häufig die Kerne ganz unregelmäßig buchtig und lappig geformt; es ist dies keineswegs Effekt einer Schrumpfung, sondern die Bilder entsprechen genau den vitalen Formveränderun- gen, die man an ganz gesunden und lebenskräftigen Kernen beob- achtet. Nun findet man nicht selten einzelne Lappen an ihrer Basis mehr oder weniger tief eingeschnürt und ich habe auch mehrmals kleine rundliche Kernpartien, wie in dem abgebildeten Falle, von dem Mutterkern vollständig losgetrennt gefunden; es liegt daher die Annahme nahe, dass auch intra vitam zuweilen einzelne Kernpartikeln sich abschnüren und einige Zeit neben dem eigentlichen Kern lie- gen bleiben können, bis sie sich vielleicht später wieder mit ihm vereinigen. 5) Es führt mich dies zur Besprechung der sogenannten direk- ten Theilung, d. h. derjenigen Zelltheilung, bei welcher der Kern keine Metamorphose erleidet, sondern sich direkt in zwei oder mehr gleich oder nahezu gleich große Hälften theilt. Auf die zahlreichen darüber vorliegenden Litteraturangaben gehe ich nicht ein: theils weil sie zu unbestimmt sind, theils weil sie zumeist einer Zeit ent- stammen, zu der man von der indirekten Theilung nichts oder nur wenig wusste. Es kann für mich, eben so wie für FLEMMING und STRASBUR- GER, auch nicht einen Augenblick zweifelhaft sein, dass die indi- rekte oder karyokinetische Zelltheilung der bei Weitem häufigste und wichtigste Process der Zellenvermehrung ist. Fast überall, wo man mit Sicherheit eine Zelltheilung nachzuweisen vermag, — im Epithel und Endothel, im Bindegewebe, in der glatten und quer- gestreiften Muskulatur, im Centralnervensystem — erfolgt sie auf dem Wege der Karyokinese. Sie ist nicht bloß im Thier- und Pflanzenreiche außerordentlich weit verbreitet, sondern findet sich auch, wie erst jüngst Gruser und Rich. Hertwic gezeigt haben, 294 C. Rabl unter den Protisten. Und wenn auch vielleicht, wie HERTwIG meint, hier etwas einfachere Verhältnisse vorliegen, so ist doch klar, dass der Process seiner Wesenheit nach der gleiche ist. Gegenüber der karyokinetischen Theilung tritt die direkte ganz in den Hintergrund. Damit soll aber keineswegs gesagt sein, dass sie überhaupt nicht existirt; aber es scheint, als sei sie auf bestimmte Zellarten beschränkt. Sie dürfte namentlich unter den Leukoeyten eine weite Verbreitung besitzen und hier ist sie auch von RANVIER schon vor längerer Zeit direkt beobachtet und verfolgt worden. Man trifft bekanntlich in den Leukocyten häufig ganz eigenthümlich ge- staltete, gelappte Kerne, in anderen wiederum zwei oder mehr fer- tig ausgebildete Kerne, so dass sich die Vermuthung aufdrängt, dass hier eine Kernvermehrung dureh Einschnürung und ohne Meta- morphose erfolgt. Solche Bilder, wie sie FLemnınG beschreibt und abbildet, habe ich selbst wiederholt gesehen. In derartigen Fällen braucht nieht nothwendig einer Kerntheilung eine Theilung des Zell- leibes nachzufolgen und aus diesem Verhalten erklärt sich das Vor- kommen mehrkerniger Leukocyten. Freilich folgt auch bei der Karyokinese nicht immer auf die Theilung des Kerns eine Theilung des Zellleibes und es können daher mehrkernige Zellen auch auf karyokinetischem Wege entstehen. Dies ist z. B. bei den quer- gestreiften Muskelfasern ganz allgemein der Fall; man darf nur nicht, wie später des Genaueren aus einander gesetzt werden soll, an der alten Max Scuuurze’schen Auffassung der Muskelkörperchen festhalten. Eine Fundstelle mehrkerniger, rundlicher Zellen ist auch die unterste Epidermisschicht des Proteus. Hier findet man zwischen den vielen hohen Cylinderzellen und den Leypig'schen Zellen dicht an der Cutis, kleine, von spärlichem Zellleibe umgebene Kernhaufen ; zuweilen auch statt mehrerer getrennter, einen oder zwei, tief einge- schnürte und gelappte Kerne, so dass es wieder den Eindruck macht, als fände hier eine Kerntheilung auf direktem Wege statt. Eine Theilung des Zellleibes habe ich aber hier nie gesehen und sie dürfte wohl auch nicht vorkommen. Es können daher diese Zellen für die Epithelregeneration gar keine Bedeutung haben. Solcher Zellen giebt es aber nicht in großer Menge und sie unterscheiden sich von den übrigen, in denen die Kernvermehrung mit Karyokinese leicht nachzuweisen ist, durch ihren ganzen Charakter. Alles in Allem genommen, ist das Kapitel der direkten Thei- Uber Zelltheilung. 295 lung noch in großes Dunkel gehiillt und es wird die Aufgabe direk- ter Beobachtung lebender Gewebe sein, hier Klarheit zu schaffen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf die jüngste Arbeit ARNOLD’s über die Kerne und Kerntheilungen im rothen Knochen- mark des Kaninchens (VırcHow's Archiv 93. Bd.) aufmerksam machen. Hier findet man einen Typus der Kernvermehrung, der sich nach ARNOLD’s Ansicht den bisher bekannten Arten der Kern- vermehrung nicht anreihen lässt. »Von der direkten Theilung unter- scheiden sich die in Rede stehenden Processe durch die Zunahme der chromatischen Substanz des Kerns, von der indirekten durch die Anordnung dieser, so wie durch den Modus der Abschnürung, welcher bei der letzteren in der Aquatorialebene beziehungsweise in den Segmentalebenen, bei den Kernfiguren der Riesenzellen an der Oberfläche derselben sich vollzieht« (pag. 30). Er findet es daher nothwendig eine »neue Art oder Unterart der Kerntheilung« aufzustellen und nennt den im rothen Knochenmark, namentlich in den Riesenzellen, gefundenen Theilungsmodus »indirekte Fragmenti- rung«. Zugleich stellt er ein neues Schema der Kerntheilungsvor- gänge auf, indem er zwischen Segmentirung und Fragmentirung unterscheidet und in jeder Gruppe wieder zwei Theilungsmodi, einen direkten und einen indirekten, aufstellt. Es würde mich zu weit führen und wäre auch ohne Abbildungen zu wenig verständlich, wenn ich genauer auf diesen Gegenstand eingehen wollte. So viel ich urtheilen kann, stellt sich die Kerntheilung im Knochenmarke als eine Art Knospung dar und einige Figuren erinnern in der That an diejenigen, welche Rich. Herrwie schon vor längerer Zeit von der Schwirmerbildung von Podophrya gemmipara gegeben hat (Morph. Jahrb. I. 1876). Eine solche Knospung des Kerns, wie sie in der Hertwie’schen Abhandlung sehr genau beschrieben wird, dürfte aber wohl als eine Unterart der direkten Theilung angesehen werden. Zweiter Abschnitt. Als »Ruhezustand« bezeichnet man denjenigen Zustand der Zelle, in welchem sich keine der, während der Theilung auftretenden Strukturveränderungen wahrnehmen lässt. Man fasst also den Be- griff der Ruhe im Gegensatz zu jenem der Theilung. Von einer 296 C. Rabl Ruhe im eigentlichen Sinne des Wortes kann natiirlich, so lange die Zelle lebt, nicht die Rede sein und, was man als Ruhe bezeich- net, ist nur eine besondere Form des Lebens. Bevor ich auf eine Besprechung des Baues der ruhenden Zelle eingehe, ist es nothwendig, ein paar Worte iiber die fiir die Zell- strukturen tibliche Nomenclatur zu sagen: denn, Dank den vielen, in den letzten Jahren erschienenen Arbeiten hat sich eine so kom- plicirte und überflüssige Nomenclatur herausgebildet, dass es für Jeden, der iiber die Zelle schreibt, geboten erscheint, zuerst zu sa- gen, zu welcher Sprache er sich bekenne. Als Protoplasma hat man bis in die jiingste Zeit nach dem Vorgange Max SCHULTZE'S fast allgemein die jetzt so genannte Zell- substanz oder den Zellleib, also die Substanz der Zelle weniger der des Kerns, bezeichnet. Später hat E. van BENEDEN sekundäre Einlagerungen als »Deutoplasma« vom Protoplasma unterschieden. Darauf hat Kuprrer in seinem denkwürdigen Aufsatz »über Diffe- renzirung des Protoplasma an den Zellen thierischer Gewebe« nur einen Theil der Zellsubstanz, nämlich die zu Fäden, Balken oder Netzen geformten Bestandtheile, als Protoplasma, die Zwischensub- stanz dagegen als Paraplasma bezeichnet. Endlich hat STRASBURGER den »ganzen lebendigen Leib der Zelle«, also Zellsubstanz sammt Kern, bei Pflanzen überdies noch die Chromatophoren, Protoplasma genannt. Im ähnlicher Weise, wie STRASBURGER, hatten sich schon früher andere Autoren ausgesprochen. Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn es FLEMMING für angezeigt hält, um der Verwirrung zu steuern, den Namen Protoplasma ganz fallen zu lassen. Er selbst unterscheidet an der Zelle zunächst Zellsubstanz und Kern. Ich kann mich nicht entschließen, das Wort Protoplasma ganz aufzugeben; ich gebrauche es in demselben Sinne, wie STRASBUR- GER. Auf die Resultate der chemischen Untersuchungen von REINKE und RODEwALD über die Zusammensetzung des Protoplasma von Aethalium septicum, so wie auf die Arbeiten ZACHARIAS’ und An- derer über andere Zellbestandtheile (z. B. Nuclein) gehe ich nicht ein; denn so werthvoll diese Arbeiten, konsequent fortgeführt, für das Verständnis des Zellenlebens zu werden versprechen, so können sie doch gegenwärtig auf eine rein morphologische Betrachtung noch von gar keinem Einfluss sein. Wir müssen eben, wie Brass her- vorhebt, immer bedenken, dass wir noch nicht einmal eine vanstän- dige« Formel für einen Eiweißkörper besitzen und dass wir, selbst wenn wir eine solche besäßen, noch unendlich weit entfernt wären, Uber Zelltheilung. 297 etwas über die Zusammensetzung der im Protoplasma der Zelle auftretenden Strukturen zu wissen. An der Zellsubstanz unterscheidet Kuprrer, wie erwähnt, das Protoplasma vom Paraplasma. Was Kuprrer als Protoplasma be- zeichnet, nennt Femme Filarmasse oder Mitom, und was jener Paraplasma nennt, bezeichnet dieser als Interfilarmasse oder Para- mitom. LEYDIG unterscheidet neuerdings die beiden Substanzen als Substantia opaca und Substantia hyalina. Etwas komplicirter ist die von STRASBURGER eingeführte Terminologie; die Zellsubstanz nennt er Zellplasma oder Cytoplasma, die in Form von Fäden und Netzen angeordnete Substanz nach dem Vorgange Hanstem’s Hya- loplasma und die im Hyaloplasma eingebetteten Körnchen Mikroso- men. Die Zwischensubstanz, also FLeunıng’s Interfilarmasse, nennt er Cyto-Chylema. Ich werde im Folgenden nur die Ausdrücke Filar- masse und Interfilarmasse gebrauchen; die Ausdrücke Mitom und Paramitom halte ich für überflüssig: es muss nicht Alles griechisch klingen. Leypie’s Bezeichnungen dürften für den Gebrauch zu schwerfällig sein; bedient er sich doch selbst derselben nur sehr selten. Am Kern unterscheidet STRASBURGER das Nucleo-Hyaloplasma mit den Nucleo-Mikrosomen, dazwischen das Nuleo-Chylema; dann die Nucleolen, die Kernwandung — die er aber vom Zellplasma ableitet, — ferner in einzelnen Fällen noch besondere Gebilde, wie das »Sekretkörperchen« u. dgl. Das Protoplasma, das den gan- zen Kern aufbaut, nennt er Nucleoplasma. FLEMMING unterscheidet am Kern das Kerngerüst (Kernnetz, Kernstruktur), die Nucleolen, den Kernsaft und die Kernmembran. Die Substanz des Kerngerüstes und der Nucleolen wurde schon früher von RıcH. Hertwie als »Kern- substanz« zusammengefasst. Ich halte mich an die Bezeichnungen FLEMMING’S. Es würde mich zu weit führen und liegt auch nicht im Rahmen dieser Arbeit, wenn ich auf alle über Zellsubstanz und Zellkern vorliegenden Litteraturangaben eingehen wollte. Ich beschränke mich darauf, einige eigene Befunde zu schildern und die wichtigsten der bezüglichen Befunde anderer Autoren zu eitiren. A. Zellsubstanz. Ich unterscheide, wie KUPFFER, FLEN- MING, LEYDIG, STRASBURGER u. A. im Zellleib zwei Substanzen, von denen die eine, stärker lichtbrechende, in Form von Fäden an- geordnet ist (Filarmasse), die andere den Raum zwischen den Fäden erfüllt (Interfilarmasse). In Beziehung auf die Anordnung der Filar- masse bestehen zwischen LEYDIG und FLemmine einige Differenzen, 298 C. Rabl die ich kurz hervorheben muss. LEYDIG sagt (»Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der Thiere«, Bonn 1883, pag. 142): »Die Zellsubstanz hat einen schwammigen Bau und die Anordnung des Balkenwerkes zeigt sich verschieden in typischer Weise nach den Gruppen der Zellen und deren Form.« Die Bälkehen und Blättchen können sich zu gleichmäßig maschigem oder netzigem Gefüge verbinden; ein anderes Mal »erscheinen die Netzzüge in der Mitte von derberer Beschaffenheit und nach dem Umfang zu von feinerer Natur. Auch können stärkere faser- und stabartige Züge des Balkenwerkes sich abheben und sich so reihen, dass sie das Protoplasma parallel streifig erscheinen lassen, sei es nach der Länge oder in die Quere«; oder die Bälkehen stellen sich radiär oder ver- laufen koncentrisch und geben dann der Zelle ein radiär- oder koncentrisch-streifiges Aussehen. Die Bälkchen, Fasern oder Stäb- chen entwickeln zwischen sich abermals ein feinstes Maschenwerk ‘pag. 143). — FLEMMING weicht von dieser Darstellung und der ähnlichen früherer Autoren in so fern ab, als er kein Recht findet, die Fadenwerke ohne Weiteres »netzförmig zu nennen«, obgleich er die Möglichkeit eines netzförmigen Baues ganz wohl zugiebt (Haupt- werk, pag. 58 und a. a. O.). Es ist in der That oft ungemein schwer, wenn nicht geradezu unmöglich, zu entscheiden, ob die Fäden nur über und an einander vorbei ziehen oder mit einander in netzartige Verbindung treten. Zuweilen kann man (wenigstens vor der Hand, so lange uns nicht noch stärkere Vergrößerungen zu Gebote stehen) nichts Besseres thun, als sich nach dem allgemeinen Eindrucke richten den das Faden- oder Balkenwerk macht; und gewiss wird sich Jeder, der sich län- gere Zeit mit Protoplasmastudien beschäftigt hat, sagen müssen, dass er über die Anordnung der Fäden unendlich wenig wisse und mit dem Wenigen wieder nur ganz wenig anfangen könne. Auf mich macht das Fadenwerk in den meisten Zellarten den Eindruck, als ob es in der Nähe des Kerns ein schwammiges oder netzartiges Gefüge besäße, im Sinne Leypia’s, und sich gegen die Peripherie, entweder allseitig oder nur an bestimmten Stellen, Fäden, Stäbchen, Balken, Blätt- chen u. dgl. aus dem centralen Netzwerke entwickel- ten, die unter einander nicht mehr netzförmig in Ver- bindung treten. Überdies findet sich in vielen Zellen in unmit- telbarer Umgebung des Kerns ein mehr oder weniger ansehnlicher Hof, der von schwächer lichtbrechender, nicht genetzter Substanz Uber Zelltheilung. 999 erfüllt ist oder in welchen sich bis an den Kern heran nur einzelne Netzziige fortsetzen. a) Epithel- und Drüsenzellen. Ein treffliches Beispiel für die »streifige Struktur des Protoplasmas« oder, wie man jetzt besser sagen kann, für die Differenzirung des Zellleibes in Filar- und Interfilarsubstanz, zeigen uns die sogenannten Stäbchenepithe- lien!. Ich weiß zwar, dass ich hiermit auf Widerspruch stoßen werde; denn das, was ich mit BRETTAUER und STEINACH als »Stäb- chenorgan« bezeichne, wird von den meisten Forschern für eine durchbohrte Cuticula gehalten. So sagt z. B. F. E. Schutze, dass die »Deckelschicht« oder Cuticula solcher Epithelien von einer »großen Zahl kanalartiger Poren« durchsetzt werde und in ähnlichem Sinne haben sich auch KÖLLIKER, Max SCHULTZE und Andere ausgespro- chen. Ich habe die Stäbehenepithelien von der Haut des Petromyzon und Ammocoetes, ferner des Proteus und der Salamander- und Trito- nenlarven, endlich vom Darm der Amphibien und Säugethiere unter- sucht und schon längst die Überzeugung gewonnen, dass die ver- meintliche Cutieula aus zahlreichen kleinen Stäbchen besteht. Ich fasse diese Stäbchen als Filarsubstanz auf, die am freien Ende der Zelle eine so mächtige Entwicklung gewinnt, dass von der Zwischen- substanz kaum mehr etwas übrig bleibt. Wie die Stäbehen mit dem feinfaserigen Netzwerk, das den Kern umgiebt und die Hauptmasse des Zellleibes bildet, zusammenhängen, lässt sich nicht entscheiden; selbst, dass der Zellleib einen faserigen Bau zeigt, lässt sich, we- nigstens bei Proteus und den Salamanderlarven, nur daraus erkennen, dass die kleinen Körnchen häufig reihenweise angeordnet sind. Am schönsten ist das Stabchenorgan meiner Erfahrung nach beim Petro- myzon, wo es schon lange bekannt und namentlich von F. E. SCHULZE und LANGERHANS als poröse Cuticula beschrieben ist. Meine Auf- fassung der Stäbchenepithelien schließt sich ziemlich eng an die neuerlich von LEvpıG vertretene Auffassung an. Eine sehr merkwürdige Erscheinung habe ich am Stäbchen- epithel der Mundbodenplatte der Salamanderlarve beobachtet. Bei oberflächlicher Einstellung sieht man hier nach geeigieter Behand- lung zahlreiche, äußerst zarte, gekörnte, mäandrisch verschlungene Linien, welche in ungefähr gleichen Abständen von einander die ganze freie dem Stäbehenorgan entsprechende Oberfläche der Zellen Ich bezeichne damit nicht bloß Drüsenzellen mit Stäbchenorgan, son- dern auch die hier erwähnten Epithelien. 300 C. Rabl überziehen (Taf. XI Fig. 8). Die Linien erleiden an der Grenze der Zellen keine Unterbrechung, sondern setzen sich kontinuirlich von einer Zelle auf die andere fort. An Zellen, die sich in Theilung befinden, sind sie eben so scharf und in derselben Anordnung zu sehen, wie bei ruhenden Zellen. Stellt man etwas tiefer ein, so verschwinden die Linien und an den Grenzen der Zellen sieht man die, in letzter Zeit so ausführlich beschriebenen, von feinen Zell- fortsätzen überbrückten Intercellularliicken. Ähnliche Protoplasma- strukturen, wie die hier beschriebene, hat GROBBEN in den Zellen der Antennendrüse von Leueifer beobachtet, nur mit dem Unterschied, dass sie sich hier im Zellleib selbst vorfinden, beim Salamander da- gegen nur an der Oberfläche der Zellen. Ich suche mir die Beobachtung in der Weise zurecht zu legen, dass ich mir denke, die Stäbchen stehen reihenweise neben einander und bilden Platten, deren jede aus einer einfachen Reihe von Stäb- chen besteht: die Zwischenräume zwischen den einzelnen, ein Stäb- chenorgan zusammensetzenden Platten werden durch jene zarten, gekörnten Linien markirt. Da das Ganze auf eine sehr weitgehende Differenzirung der Zelle hindeutet und daher wohl einer weiteren Verfolgung werth ist, so gebe ich die Methode an, nach welcher die betreffenden Präparate hergestellt wurden. Die Larven wur- den 24 Stunden in Chrom-Ameisensäure gelassen, ausgewaschen, in Alkohol gegeben, dann in sehr verdünntem GRENACHER'schem Hämatoxylin 24 Stunden lang gefärbt, dann schwach mit Safranin nachgefärbt. Der Verdacht, dass man es mit einem Kunstprodukt zu thun habe, ist ausgeschlossen. Interessant ist, dass sich die Linien, wie erwähnt, kontinuirlich von einer Zelle auf die andere fortsetzen. Es erinnert dies an ein ähnliches Verhalten der obersten, verhornten Epidermisschicht der Reptilien; wenn man z. B. einer Natter kurz vor der Häutung die oberste Hornschicht, welche beim Häutungsprocesse abgestoßen wird, abstreift und diese mit stärkeren Vergrößerungen untersucht, so findet man an ihr Epithelialstrukturen, die jenen der Stäbchenepithe- lien der Amphibien nicht ganz unähnlich sind; man sieht an ihr zarte Linien (vielleicht Riffe), die ohne Unterbrechung von einer Hornzelle auf die andere hinüberziehen und sich oft auf sehr weite Strecken verfolgen lassen. Nur sind diese Linien viel weniger zart, als bei den Amphibienlarven, und haben überdies einen gestreckten Verlauf. Bei dieser Gelegenheit will ich noch einer anderen Eigenthüm- lichkeit der Hornzellen gedenken. Bekanntlich lassen sich in ihnen Uber Zelltheilung. 301 keine Kerne nachweisen; färbt man aber mit Hämatoxylin, so nimmt die ganze Hornschicht gleichmäßig die Farbe an, obwohl doch sonst dieses Färbemittel, wenn auch nicht exelusiv, so doch vor- wiegend die Kerne tingirt. Ganz merkwürdig verhält sich die oberste Epidermisschicht erwachsener Amphibien gegen reine Kern- färbemittel. Bekanntlich führt hier jede Zelle ihren Kern (Leypie, F. E. ScHULZE, EBERTH u. A.). Zieht man nun einem erwachsenen Triton eristatus oder taeniatus nach Chromsäure-Alkoholhärtung die oberste Epidermisschicht vom Leibe und färbt sie mit Safranin, so kann man schon mit freiem Auge sehen, dass selbst, wenn man sehr lange in Alkohol und Tage lang in Nelkenöl entfärbt hat, der Farbstoff aus der Epidermis nicht vollständig extrahirt wurde. Aber, interessanter als das; man findet, dass der Farbstoff nur von einzelnen, rundliehen, in ziemlich regelmäßigen Abständen von ein- ander entfernten Zellgruppen oder -Inseln zurückgehalten wurde, während die Zwischenräume blass erscheinen. Ein solches Stück Epidermis hat ein eigenthümlich scheckiges Aussehen. Nimmt man dann das Mikroskop zu Hilfe, so findet man, dass die rothen Inseln den Stellen entsprechen, unter denen die Drüsen gelegen sind; in der Mitte jeder solchen Insel findet man den Ausführungsgang einer Drüse. In den hellen, blassen Zwischenräumen stehen in ziemlich regelmäßigen Abständen vereinzelte, nie zu größeren Gruppen ver- einigte Zellen mit ziemlich intensiv tingirtem Zellleib zwischen an- deren ganz hellen und ungefärbten Elementen. In den gefärbten Zellen findet man bald mehr, bald weniger Pigmentkörnchen. Ich erwähne diese Verhältnisse, obwohl sie nicht direkt mit meinem Thema zusammenhängen, bloß, weil sie nicht bekannt sind. Die Verschiedenheit im Verhalten gegen Kernfärbemittel scheint hier mehr auf eine Verschiedenheit in der chemischen Beschaffenheit der Zellsubstanz, als auf eine Verschiedenheit des morphologischen Baues hinzuweisen. Eine schöne und zuweilen sehr regelmäßige Anordnung der Filarsubstanz trifft man bei den Flimmerzellen an. Nachdem schon im Jahre 1866 EBERTH! sich durch seine Untersuchungen des Flim- merepithels aus dem Darm von Anodonta von einer Fortsetzung der Flimmerhaare ins Innere der Zellen überzeugt hatte, wurde diese ! »Zur Kenntnis des feineren Baues der Flimmerepithelien.« VIRCHOW's Archiv, XXXV. pag. 477. Ich lese hier, dass sich schon früher VALENTIN, BUHLMANN und FRIEDREICH in ähnlichem Sinne geäußert haben. 302 C. Rabl Angabe bald darauf von Marcnı! bestätigt. Zwei Jahre später trat aber RABL-RÜCKHARD? dieser Auffassung entgegen und meinte, dass die Streifung der Zellen, die er bestätigte, durch eine Faltenbildung der Zellmembran hervorgerufen werde. Dieser Auffassung ist un- längst Lreypie@? beigetreten, indem er sich dahin aussprach, dass man es hier mit »Skulpturstreifen der Cuticularschicht der Zellen« zu thun habe. Wenige Jahre früber hatte sich aber ENGELMANN + der Ansicht Eserru’s und Marcurs angeschlossen. Ich ging nun Angesichts dieses Widerstreites der Meinungen an die Untersuchung der Flimmerzellen an den Kiemenleisten von Unio pietorum und Dreissena polymorpha. An den Kiemenleisten von Unio habe ich in einer, ENGELMANN unbekannt gebliebenen kleinen Arbeit? mehrere Zellarten unterschie- den. Meine naturgetreue Abbildung wurde dann von Posxer® sche- matisirt und die verschiedenen Zellarten wurden von ihm mit be- sonderen Namen belegt, als: Höhenzellen, Eckzellen, Schaltzellen, Seitenzellen ete. An den verschiedenen Arten der Flimmerzellen sind die Flimmern in verschiedener Weise vertheilt; an den Höhen- zellen stehen sie ganz gleichmäßig an der Oberfläche vertheilt, an den Eckzellen stehen sie in zwei parallelen Reihen, an den Seiten- zellen in zahlreichen schrägen Linien. ENGELMANN hat nun nicht bloß an diesen Zellen der Muscheln, sondern auch an verschiedenen Flimmerzellen höherer Thiere 'Luftröhrenschleimhaut des Kaninchens, Nasenschleimhaut des Frosches u. a.) intracellulare Fortsetzungen der Flimmern, die er als »Wimperwurzeln« bezeichnet, beobachtet. Ich verweise mit Rücksicht auf das Detail auf ENGELMANN’s Arbeit und bemerke nur, dass ich sowohl die von ihm geschilderte Anord- nung der Flimmern, als auch die Zusammensetzung derselben aus einer Reihe auf einander folgender Abschnitte bestätigen kann. Über die Wimperwurzeln der sogenannten Eckzellen kann ich aber eine ı MArchHı, »Betrachtungen iiber Wimperepithel«. Arch. f. mikr. Anat. II. pag. 467. 2 „Einiges über Flimmerepithel und Becherzellen.« Arch. f. Anat. u. Phys. 1868. pag. 72. 3 LEYDIG, 1. ¢. pag. 57 u. <8. 4 Tu. W. ENGELMANN, »Zur Anatomie und Physiologie der Flimmerzellen«. PrLüger’s Arch. XXIII. 1880. 5 „Bemerkungen über den Bau der Najadenkieme.« Jenaische Zeitschr. f. Nat. XI: Bd. 1877. 6 »Histologische Studien iiber die Kiemen der acephalen Mollusken.« Arch. f. mikr. Anatı XV. mit Uber Zelltheilung. 303 neue, gewiss sehr interessante Thatsache beibringen. Die Eckzellen haben einen rechteckigen Querschnitt und die lange Seite des Recht- eckes steht senkrecht auf der Längsachse der Kiemenleiste: die Cilien entspringen hier, wie ENGELMANN ganz richtig angiebt, »oben auf jeder Zelle von zwei den langen Seitenrändern (des freien Zel- lenendes) parallelen Leistchen, die nichts Anderes sind, als die ver- schmolzenen oder, richtiger, reihenweise an einander gefügten Fuß- stücke der elementaren Cilien« (pag. 512). Betrachtet man nun diese Zellen, nachdem man sie mit Chlorgold fixirt und darauf isolirt hat. von der schmalen Seite mit homogener Immersion und bei engem Diaphragma, so kann man die Wimperwurzeln ganz deutlich als äußerst feine variköse Fäserchen sehen, welche zu den Fußstücken der Flimmern hinziehen. Man kann aber auch sehen, dass sich die Wimperwurzem der beiden Flimmerreihen überkreuzen, so dass die oberhalb des Kerns entspringenden zu der unteren, die unterhalb des Kerns entspringenden zu der oberen Flimmerreihe gelangen (Taf. XI Fig. 9). Ich habe dies besonders schön an den Eckzellen der Kie- menleisten von Dreissena gesehen. Manchmal ist es gut, bei schie- fer Beleuchtung zu untersuchen. Wie die Wimperwurzeln im Zell- leib entspringen, habe ich eben so wenig, wie ENGELMANN, entscheiden können; sie werden in der Nähe des Kerns als feine Fäden sichtbar, treten aber mit dem Kern selbst sicher nicht in Verbindung. Auf ENGELMANN’S und GAvLE’s Ansichten über die physiologische Be- deutung dieser Wimperwurzeln werde ich im zweiten Theile zurück- kommen. Allgemein bekannt ist die streifige Struktur der Sinnesepi- thelien. Sie findet sich eben sowohl bei Wirbelthieren, als bei Wirbellosen und ist fast von allen Forschern, die über Sinnesepi- thelien gearbeitet haben, gesehen und beschrieben worden. Sie muss gleichfalls auf eine bestimmte Anordnung der Filarsubstanz bezogen werden. Ich gehe nicht weiter darauf ein und bemerke nur, dass eines der besten Objekte, um sich von ihr zu überzeugen, die Sei- tenorgane des Proteus sind, wo sie zuerst von BuGxıon sorgfältig untersucht wurde. Zugleich benutze ich die Gelegenheit, um eine Angabe Lrypie’s gegenüber LANGERHANS zu bestätigen. LANGER- HANS, der eine kurze Arbeit über die Epidermis der Larve von Salamandra maculosa geschrieben hat, giebt an, dass die birnförmi- gen Zellen des »zelligen Innenkörpers« (LEYDIG) »in ein glänzendes feines und ziemlich langes Haar« auslaufen, das, wie es scheine, mit gezähnelter Basis der Zelle aufsitze. Levpıg dagegen hat an- 304 C. Rabl gegeben, dass die Zellen mit kurzen geknöpften Härchen endigen. Wenn man nun Salamanderlarven mit 1/,°/,iger Chlorgoldlösung be- handelt, gut auswäscht, die Haut abzieht und mit PricHarp’scher Flüssigkeit gut redueirt, so dass die ganze Epidermis tief dunkel- violett gefärbt wird, und nun Schnittserien durch die Seitenorgane anfertigt, so kann man an den durch die Mitte eines Organes ge- führten Schnitten an den freien Zellenenden ganz deutlich kurze, mit einem kleinen Knopfe endigende Härchen sehen, ganz wie sie LeyvpiG beschrieben hat. Auffallend ist ferner, dass das äußere freie Ende der Zellen, so wie die Härchen sich mit Chlorgold und nach- heriger Reduktion viel intensiver färben, als das den Kern umge- bende Protoplasma. Schon LAnGERHANS und F. E. Schutze haben ein ähnliches Verhalten der birnförmigen Zellen gegen Osmiumsäure beobachtet. Ganz ausgezeichnet schön präsentiren sich die Fäden der Filar- substanz in den Epidermiszellen der Haftballen des Laubfrosches. Auch hier hat sie zuerst LEeypıG beobachtet (»Organe eines sechsten Sinnes« pag. 23 u. ff.), so wie man denn überhaupt, wenn man sich mit Protoplasmastudien befasst, auf jedem Schritt und Tritt auf den Namen des Altmeisters Leypic stößt. Vor etwa einem Jahre hat Herr cand. med. ScuLöss im hiesigen anatomischen Institute Präparate von den Haftballen angefertigt und ich habe mich an den- selben von der streifigen Struktur der Zellsubstanz überzeugen kön- nen. Die Sache verhält sich, kurz, folgendermaßen: Die oberfläch- lichste Epidermisschicht besteht aus niedrigen, schief gestellten, verhornten Zellen mit den von LeypIG beschriebenen Epithelial- strukturen; die zweite, dritte und vierte Schicht wird von hohen, senkrecht gestellten Cylinderzellen zusammengesetzt; darauf folgen einige Schichten niedriger, nicht besonders charakteristischer Zellen. In den Cylinderzellen ist die Streifung am deutlichsten; die rund- lichen Kerne derselben stehen nahe dem Cutisende der Zellen. In der Nähe der Kerne treten nun Fäden auf, die schon mit verhält- nismäßig schwachen Vergrößerungen gut sichtbar sind und den gan- zen peripherischen Theil der Zellen in parallelen Zügen durchsetzen. Sieht man diese Fäden mit starken Systemen an, so findet man, dass sie ein variköses Aussehen besitzen oder, richtiger, die ganzen Fäden stellen Körnerreihen dar. Dass man aber nichtsdestoweniger von Fäden sprechen darf, ist klar; denn eine rosenkranzförmige Aneinanderreihung der Körner kann doch wohl nur dadurch zu Stande kommen, dass Fäden vorhanden sind. Dass es sich nicht etwa Uber Zelltheilung. 305 um Falten- oder Leistenbildungen an der Zellmembran handelt, da- von kann man sich am besten iiberzeugen, wenn man die Epidermis eines Haftballens flach abträgt und nun die Zellen bei wechselnder Einstellung von der Fläche betrachtet. — An feinen, senkrechten Durehschnitten kann man noch eine andere Beobachtung machen; man sieht da an der Grenze zwischen der äußeren verhornten Zellschicht und der ersten Schicht von Cylinderzellen, aber schon in das Bereich der letzteren gehörig, den Zellgrenzen entsprechend, kleine rundliche Lücken; sieht man die Epidermis von der Fläche an, so findet man, dass diese Lücken einem Kanalsysteme entsprechen, welches den Kanten der äußeren Cylinderzellenschicht entlang die Epidermis durchzieht. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass dieses Kanalsystem aus Intercellularlücken hervorgegangen ist. Eben so allgemein bekannt, wie die streifige Struktur der Sin- nesepithelien, ist diejenige der verschiedensten Drüsenzellen. Ich werde im zweiten Theile darauf ausführlicher zurückkommen und erinnere hier nur an die schönen Untersuchungen HEIDENHAIN’s und seiner Schüler, ferner Nusspaum’s, SCHWALBE'S u. A. . Auch die bekannten Angaben Priiicur’s über die Nervenendigung im Epithel der Speicheldrüsen dürfte sich durch die Anwesenheit intracellulärer Fäden, die den Zellen selbst, nicht den eindringenden Nerven an- gehören, erklären. In neuerer Zeit hat namentlich LeypigG in sehr dankeuswerther und wirklich bewunderungswürdiger Weise unsere Kenntnisse in dieser Richtung wesentlich bereichert und gezeigt, dass sich die Differenzirung in Filar- und Interfilarsubstanz, oder nach seiner Bezeichnung Substantia opaca und hyalina, auch in den Drüsenzellen wirbelloser Thiere findet. Ich selbst habe die strei- fige Struktur namentlich schön in der Niere der Eidechse und des Salamanders, so wie in den großen Epithelien der Malphighi- schen Gefäße der Larve des Hydrophilus gesehen. In den letzteren zeigt die Filarsubstanz ein eigenthümliches Verhalten. Man sieht auf Schnitten in den Zellen nahe dem rundlichen Kerne kleine kugelige oder auch unregelmäßig gestaltete Säckchen, deren enger Ausführungs- gang in das Lumen der Drüse führt. Die Wand der Säckchen ist dick und zeigt ein senkrecht streifiges Aussehen; man würde sie früher gewiss als durchbohrte Cuticula bezeichnet haben. Eine in- teressante Ausnahme von dem sonstigen Bau der Drüsenepithelien machen die durch F. E. ScHULzZE zuerst näher bekannt gewordenen Becherzellen, über deren Bedeutung bekanntlich noch heute die An- sichten getheilt sind. Während sie von den Einen für schleimig Morpholog. Jahrbuch. 10, 20 306 C. Rabl metamorphosirte Flimmer- oder Drüsenepithelien gehalten werden, werden sie von Anderen, vor Allem von F. E. SCHULZE, LEYDIG und FLEMMING, als einzellige Drüsen gedeutet. Indem ich mich der Ansicht der zuletzt genannten Autoren anschließe, verweise ich als auf das günstigste mir bekannte Objekt zu ihrer Untersuchung auf die großen, schon mit freiem Auge sichtbaren Becherzellen der Haut der Pteropodenlarven, oder, als auf ein näherliegendes Objekt, auf die von BOLL, CARRIERE u. A. beschriebenen Becherzellen der Haut unserer einheimischen Schnecken. Interessant ist auch ein Vergleich der Becherzellen junger, mit denen alter Thiere; die Kerne der Becherzellen des Pharynx und Oesophagus der Salamanderlarve z. B. stehen etwa in halber Höhe der Zelle, die des erwachsenen Thieres sind tief bodenständig. Die (ektodermalen) Becherzellen des Gaumens der Salamanderlarve haben aber gleichfalls boden- ständige Kerne. Oft bemerkt man an der spärlichen den Kern der Becherzellen umgebenden Zellsubstanz eine reihenweise Anordnung der kleinen Körnchen, die, wie ich glaube, wieder auf die Existenz einer Filarsubstanz hinweist. Einen sehr eigenthümlichen Bau zeigen ferner auch die zuerst yon LeypiG als »Riesenzellen« beschriebenen Zellen der Parotidendrüse des Salamanders und anderer Amphibien. Denselben Bau, wie diese Riesenzellen der Parotis, zeigen übrigens auch alle anderen, in ihrem Sekrete der Parotidendrüse verwandten Hautdrüsen der Amphibien. Beim Triton wurden sie von KLEIN genau beschrieben; ich habe anf Tafel XI Fig. 10 ein Stück einer solchen Zelle aus einer Drüse des Rückenkammes von Triton eristatus abgebildet. Man sieht hier ganz hübsch das von Kreis beschriebene intracellulare Netzwerk und die von demselben umschlossenen Hohlräume (Kreın's Va- cuolen). In jedem Hohlraum sieht man einen Sekrettropfen; zwei oder mehr solcher Hohlräume können mit einander in Verbindung treten und die Sekrettropfen zusammenflieBen. Eine scharfe Grenze gegen das Lumen der Drüse existirt nicht. Man kann sich nun eine Becherzelle ganz einfach aus einer solchen Drüsenzelle dadurch hervorgegangen denken, dass man annimmt, es seien alle Vacuolen mit einander verschmolzen und das Sekret zu einem einzigen, gro- Ben Tropfen zusammengeflossen. — Einen ähnlichen Bau zeigen auch die Zellen der einen der beiden Arten der Kloakendrtisen'; 1 Ich bemerke hier, dass bei Triton, vielleicht auch bei anderen Amphi- bien, zwei Arten von Kloakendrüsen vorkommen, die sich in ihrem Bau auf die beiden Arten von Hautdrüsen zurückführen lassen. Uber Zelltheilung. 307 bemerkenswerth ist vielleicht, dass sich die Sekrettropfen dieser Drüsen gegen Safranin und Hämatoxylin ganz ähnlich verhalten, wie die chromatischen Substanzen des Kerns. Karmin dagegen färbt das Sekret nur ganz wenig. Ob das intracellulare Netzwerk solcher Drüsenepithelien bloß der Filarsubstanz entspreche oder ob hier Filarsubstanz und Inter- filarsubstanz nicht von einander getrennt sind, ist mir nicht klar. Eigenthümlicherweise zeigen gewisse Zellen der Epidermis der Amphibienlarven und des erwachsenen Proteus einen ganz ähn- lichen Bau, wie diese Parotidenzellen. Es sind dies die von Lry- pig als Schleimzellen, neuerdings als Lrypia’sche Zellen beschrie- benen Gebilde. Am schönsten finde ich sie beim Proteus; sie stellen hier sehr große, ovale Zellen mit rundlichen, dem Cutisende genä- herten Kernen dar. Die Zellsubstanz zeigt im Wesen den gleichen Bau, wie bei den Parotidenzellen; nur finden sich an dem äuße- ren Zellende mehrere große Vacuolen. Eine Ausmündungsöffnung an der Hautoberfläche habe ich nie gesehen, auch bei den Salaman- der- und Tritonenlarven nicht. Diese Zellen sollen nach F. E. SCHULZE den Becherzellen der Haut der Fische homolog sein; ich habe sie, wie schon vor Langem SCHULZE, auch in der Epidermis vom Petromyzon und Ammocoetes gesehen, mich aber auch hier nicht von einer Ausmündungsöffnung überzeugen können. Ich will nun noch ein paar Worte über ein eigenthümliches Verhalten der Zellsubstanz oder des Dotters mittelreifer Eier des Proteus sagen. Wenn man das Ovarium aufschneidet und in Al- kohol oder Chromsäure oder Chrom - Ameisensäure oder endlich Chrom - Osmium - Essigsäure härtet und nun Schnitte anfertigt, so kann man schon mit ganz schwachen Vergrößerungen sehen, dass der Dotter aus zwei Schichten besteht: einer inneren, das Keim- bläschen umhüllenden, fein granulirten, die ich der Kürze halber als inneren Dotter bezeichnen will, und einer äußeren, ziemlich grobfaserigen, die ich äußeren Dotter nenne. Am äußeren Dotter kann man ohne Weiteres die Zusammensetzung aus einer Filar- und Interfilarsubstanz erkennen; der innere Dotter dagegen zeigt, wie erwähnt, nur eine äußerst zarte feinkörnige Beschaffenheit und ich habe mich auch mit den stärksten Vergrößerungen nicht von der Existenz von Fäden überzeugen können. Die beiden Schiehten gehen nicht etwa kontinuirlich in einander über, sondern sind durch eine scharfe Grenze von einander geschieden; zu bemer- ken ist noch, dass beide Schichten an der vegetativen Seite des Iu%* 308 C. Rabl Eies eine mächtigere Entfaltung zeigen, als an der animalen, so wie ja auch das Keimbläschen der animalen Seite genähert liegt. Untersucht man solche Eier im frischen Zustande, so ist von einer Grenze zwischen den beiden Dotterschichten kaum etwas Sicheres zu sehen. An der vegetativen Seite des Eies sieht man in den größeren Eiern ziemlich zahlreiche, glänzende Fetttröpfehen. Lässt man nun Osmiumsäure zulaufen, so tritt sofort im Dotter die Grenze scharf hervor; die Fetttrépfchen erscheinen an der Grenze beider Dot- terschichten, gehören aber gewiss nur dem äußeren Dotter an. Das Keimbläschen ist sowohl im frischen Zustande, als auch nach Zu- satz von Osmiumsäure deutlich erkennbar und man kann sich ohne Mühe davon überzeugen, dass es in Folge des Osmiumzusatzes keine Formveränderung erleidet. An ganz jungen Eiern ist noch kein Unterschied im Dotter wahrnehmbar; bei etwas älteren tritt um den Kern herum ein heller Hof auf; dieser wird allmählich größer und die Grenze zwischen ihm und dem äußeren Dotter tritt schärfer hervor. Nach dem Ge- sagten kann es wohl nicht zweifelhaft sein, dass wir es hier mit einer normalen, physiologischen Erscheinung zu thun haben, die mit der Reifung und dem Wachsthume des Eies im innigsten Zusammen- hange steht. Eine ganz ähnliche Zusammensetzung des Dotters haben Iwa- Kawa an den Eierstockseiern von Triton pyrrhogaster und FLEMMING an mittelreifen Eiern von Siredon beobachtet. FLEMMING meint aber, dass der helle, oft recht große Raum um den Kern »möglicherweise durch eine schrumpfende Zurückziehung des Eikörpers nach der Peripherie« entstehen könne. Ich kann nach dem Gesagten eine solche Möglichkeit nicht zugeben: man sieht nach Osmiumsäure- behandlung nichts, was auf eine Schrumpfung des Dotters hinwei- sen würde. Es müsste, wenn eine solche statthätte, wohl auch das Keimbläschen eine Veränderung erfahren; dieses ist aber stets glatt und kugelig, ganz wie bei frischen Eiern, die Kernmembran nirgends eingezogen oder ausgebuchtet, und auch die Grenze zwischen inne- rem und äußerem Dotter zeigt keinerlei Unregelmäßigkeiten. Übri- gens haben E. vaN BENEDEN und SELENKA an ganz frischen, vollkommen durchsichtigen und mit keinerlei Reagentien behandelten, mittelreifen Eiern von Echinodermen ganz genau die- selbe Erscheinung beobachtet. Ja, SELENKA unterscheidet sogar drei Schiehten am Dotter, indem er die Grenzschicht als selbständige, mittlere Dotterschicht auffasst. Uber Zelltheilung. 309 b) Nerven-. Bindesubstanz- und Muskelzellen. Meine Erfahrungen über die Anordnung der Filarsubstanz in den Ganglien- zellen müssen gegen diejenigen anderer Forscher ganz zurücktreten. Um mich von der Existenz der Fäden in der Zellsubstanz zu über- zeugen, habe ich bisher nur das Rückenmark und die Spinalganglien des Frosches und den Bauchstrang des Flusskrebses nach den neuen Methoden und mit den neuen Linsen untersucht und hier auch ganz dentlich die Filarsubstanz gesehen. Etwas Neues habe ich nicht gefunden und ich verweise daher auf die Arbeiten Max SCHULTZE’s, ScHWALBE’s, HANS SCHULTZE'Ss, FREUD's, FLEMMING’s und LEypic’s. Auch in verschiedenen Arten von Bindesubstanzzellen habe ich die Fäden in der Zellsubstanz gesehen; namentlich schön in den Knorpel- zellen des Sternums des Frosches und der Salamandra atra. Allerdings befanden sich in den von mir untersuchten Zellen die Fäden nicht in so lebhafter Bewegung, wie dies SCHLEICHER in so drastischer Weise geschildert hat. Auch in den embryonalen Bindegewebszellen der Salamanderlarven kann man zuweilen, wie dies FLEMMING be- schrieben hat, die Filarsubstanz sehen. Übrigens hoffe ich noch in einer späteren Arbeit auf die Auffassung der Gewebe der Binde- substanzen zurückzukommen. Nachdem schon vor langer Zeit SCHWALBE, WAGENER und An- dere auf das Vorkommen von Fibrillen in den. glatten Muskelfasern bingewiesen hatten, wurden dieselben in neuerer Zeit namentlich von KÖLLIKER und ENGELMANN genauer untersucht und. beschrie- ben. Wer sich von dieser Fibrillenstruktur überzeugen will, dem empfehle ich die großen, die Ausführungsgänge der Kloakendrüsen des Triton umspinnenden Muskelfasern als das beste Objekt. Nur muss man auf der Hut sein, diese Muskelfasern, wenn man sie auf Schnitten untersucht, für Epithelien zu halten; die Muskel- fasern liegen dicht nach außen vom Epithel und umgeben die Aus- führungsgänge in Form von Ringen. Das Epithel selbst besteht aus sehr flachen plattgedrückten Zellen mit wenig prominirenden Ker- nen. Auch an den von Marco, FrEummngG und mir beschriebenen Zellen des Schließmuskels der Najadenembryonen kann man die fibrilläre Struktur ganz leicht sehen. Es kann wohl nicht zweifelhaft sein, dass diese Fibrillen der glatten Muskelfasern mit den Fäden der Filarsubstanz anderer Zellen homologisirt werden müssen. Ich muss nun noch ein paar Worte über die Bedeutung der quergestreiften Muskelfasern und ihre Stellung zu den anderen Zel- len sagen, da in dieser Beziehung durchaus keine Klarheit und 310 C. Rabl Übereinstimmung herrscht, mir aber gerade die richtige Deutung der quergestreiften Muskelfasern von Wichtigkeit für das Verständnis der Bedeutung der Substanzen des Zellleibes zu sein scheint. Bekanntlich hat Max SCHULTZE in seinem Aufsatz »über die Muskelkörperchen und das, was man eine Zelle zu nennen habe«, als »Muskelkörperchen« die »Kerne sammt dem umgebenden Proto- plasma, aber ohne das Protoplasma zwischen den Fibrillen« bezeich- net, während WELCKER, der diesen Ausdruck zuerst gebrauchte, nur die Kerne allein damit bezeichnet hatte. Hinsichtlich der Bedeutung dieser Muskelkörperchen kommt SCHULTZE zu dem Schluss, dass sie »wirkliche Zellen« seien. Er fährt dann fort: »Zum Begriff einer Zelle gehört zweierlei, ein Kern und Protoplasma, und beides muss Theilprodukt der gleichen Bestandtheile einer anderen Zelle sein. Beide Bestandtheile sind gleich wichtig, ein Schwinden des einen wie des anderen zerstört den Begriff der Zelle« Ich kann mich mit dieser Definition der Zelle nicht unbedingt einverstan- den erklären, sondern halte mit Bricxe den Kern zwar für einen überaus häufigen, keineswegs aber unbedingt nothwendigen Bestand- theil einer Zelle. Dagegen halte ich es für den Begriff der Zelle für wesentlich, dass sie, falls sie kernlos ist, in ihrer Jugend einen Kern besessen habe, und durch Theilung aus einer kernhaltigen Zelle hervorgegangen sei. Es ist mit Definitionen immer eine missliche Sache, aber man kann sich ihrer nicht völlig entschlagen. In jüngster Zeit hat FLEMMING in seinem Hauptwerk ‘pag. 72—76) eine Definition der Zelle zu geben gesucht und es ist dieselbe gewiss auf alle Zellen nach dem gegenwärtigen Stand unseres Wissens anwendbar. Aber seine Definition ist eine Definition voller Klauseln und sie wollte mir daher schon gleich von Anfang an nicht recht behagen. Es scheint mir am zweckmäßigsten, den Begriff der Zelle in genetischem Sinne zu fassen und demnach die Zelle in folgender Art zu definiren: Die Zelle ist ein räumlich begrenztes, organisirtes Gebilde, das durch Theilung aus einem ähnlich oder gleich gearteten, mit einem (und zwar nur einem einzi- gen)! Kerne versehenen Gebilde entstanden ist. — Diese Definition empfiehlt sich vor Allem durch ihre Einfachheit und ferner dadurch, dass sie nur ganz weniger Einschränkungen be- darf. Diese betreffen den Ausdruck »räumlich begrenzt« und ich schließe mich in dieser Hinsicht vollkommen den Ausführungen 1 Dieser Zusatz gilt nur mit Rücksicht auf die Zellen der Metazoen. Uber Zelltheilung. 311 FLEMMING’S an, die man in dem eitirten Werke nachlesen möge. Dagegen erscheint es nothwendig, der Definition eine kurze Erläu- terung beizufügen. Vor Allem einige Bemerkungen über das Wort »organisirte. Ich verstehe unter Organisation solche Bau- oder Strukturverhältnisse, welche eine Aufnahme und Assimilation frem- der Substanzen ermöglichen. Ich befinde mich hierin im vollen Einklange mit BRÜCKE, der‘ in seinen »Elementarorganismen« sagt: »Wir können uns keine lebende vegetirende Zelle denken mit ho- mogenem Kern und homogener Membran und einer bloßen Eiweiß- lösung als Inhalt, denn wir nehmen diejenigen Erscheinungen, welche wir als Lebenserscheinungen bezeichnen, am Eiweiß als solehem durchaus nicht wahr. Wir müssen desshalb der leben- den Zelle, abgesehen von der Molekularstruktur der organischen Verbindungen, welche sie enthält, noch eine andere und in anderer Weise komplieirte Struktur zuschreiben, und diese ist es, welche wir mit dem Namen Organisation bezeichnen.« Eine solehe Or- ganisation wird also sowohl der Zellsubstanz als dem Kern zuzu- schreiben sein und es ist das Verdienst der histologischen Forschung des letzten Decenniums, diese Organisation wenigstens in einigen all- gemeinen Umrissen thatsächlich nachgewiesen zu haben. Bei solchen Zellen, bei denen der Kern zu Grunde gegangen ist, wie bei den Hornzellen und den rothen Blutkörperchen der Säugethiere, lässt sich am Zellleib die Organisation noch ganz wohl erkennen. Es wurde schon früher auf die eigenthümlichen Epithelialstrukturen der Hornzellen hingewiesen und in neuerer Zeit hat MEISELSs in einer kleinen Abhandlung über das Zooid und Oekoid gezeigt, dass sich selbst an den rothen Blutkörperchen der Säugethiere durch Bor- säurelösung noch die Zusammensetzung aus diesen beiden Theilen nachweisen lasse, nur enthalte hier das Zooid »keinen Kern als be- sonderen Bestandtheil«. Es kann für mich nicht zweifelhaft sein, dass das, was BRÜCKE bei den rothen Blutzellen der Amphi- bien als Zooid bezeichnet hat. nichts Anderes ist, als der Kern sammt der Filarsubstanz des Zellleibes und dass also das Oekoid der Interfilarmasse oder dem Kurrrer’schen Paraplasma entspricht. Wenn also auch, wie bei den Säugethieren, der Kern der rothen Blutkörperchen zu Grunde gegangen ist, so sind doch die beiden Substanzen des Zellleibes, Filar- und Interfilarmasse, erhalten ge- blieben und haben sich nun auf Borsäurezusatz als Zooid und Oekoid von einander getrennt. Demnach dürfen wir also auch den kern- losen Zellen eine Organisation nicht absprechen. 312 C. Rabl Ich habe gesagt, dass es wesentlich zum Begriff der Zelle gehöre, dass sie aus einem ähnlich oder gleich gearteten, mit einem, und zwar nur einem einzigen Kern versehenen Gebilde durch Thei- lung entstanden sei. Dieser Satz enthält allerdings eine Hypothese, aber eine Hypothese, die so gut begründet ist, dass ich sie nicht weiter zu rechtfertigen brauche. Zu dem, zuerst von VIRCHOW auf- gestellten Satze »omnis cellula e cellulac kommt noch als Corollar der zuerst — wenn ich nicht irre — von STRASBURGER ausgespro- chene: »omnis nucleus e nucleo«. — So wie aber einerseits der Kern einer Zelle zu Grunde gehen oder rudimentär werden kann, wenn die Funktionen ausfallen, die sonst der Kern zu leisten hat, so können andererseits durch Theilung des ursprünglich einfachen Kerns später deren mehrere oder viele entstehen, ohne dass der Theilung des Kerns eine Theilung des Zellleibes nachfolgt. Auf diese Weise entstehen mehrkernige Gebilde, die ich so lange noch als einfache Zellen auffasse, als die formelle räumliche Abgrenzung erhalten bleibt. Die Größe solcher Zellen kann gewiss keinen Grund abgeben, sie als Aggregate mehrerer oder vieler Zellen auf- zufassen ; denn wir wissen, dass auch einkernige Zellen, über deren Zellennatur kein Zweifel existiren kann, konstant oder unter gewis- sen Umständen zu ganz kolossaler Größe auswachsen können. Ich erinnere nur an die langen glatten Muskelfasern von Nephelis- Embryonen oder an die ähnlichen Gebilde des schwangeren Uterus. Eben so wenig aber kann uns die Mehrkernigkeit solcher Ge- bilde veranlassen, sie für Zellaggregate anzusehen. Es wird gewiss Niemand eine zweikernige Leber- oder Knorpelzelle oder eine zwei- kernige Ganglienzelle aus dem Sympathicus der Säugethiere (SCHWALBE) oder einen zweikernigen Kolben aus der Epidermis des Petromyzon (F. E. Scuunze), oder einen Myeloplaxen oder eine Riesenzelle aus einem Riesenzellensarkom und dgl. für Aggregate eben so vieler Zellen, als Kerne vorhanden sind, halten wollen. Hier giebt eben die Entwicklungsgeschichte das Kriterium an die Hand, was noch als einfache Zelle und was als Komplex mehrerer Zellen anzusehen sei. Ich halte aus den angefiihrten Griinden auch die quergestreiften Muskelfasern für einfache, aber (in den meisten Fallen) mehrkernige Zellen und glaube an dieser Auffassung so lange festhalten zu dür- fen, als ihre unicelluläre Abstammung nicht widerlegt ist. Damit stelle ich mich allerdings in Gegensatz zu Max SCHULTZE, der, wie erwähnt, die Muskelkörperehen für echte Zellen, die ganzen Muskel- Uber Zelltheilung. 313 fasern also für Aggregate zahlreicher solcher Zellen gehalten hat. In ganz demselben Sinne, wie ich, fasst auch FLemmine die quer- gestreiften Muskelfasern auf. Als Filarsubstanz der Muskelzellen betrachte ich die Fibrillen, als Interfilarsubstanz die Zwischensub- stanz; an der Filarsubstanz ist aber hier noch in so fern eine weitere Differenzirung aufgetreten, als dieselbe in Segmente oder Metameren getheilt erscheint. Jede Fibrille besteht also aus einzelnen Metameren. den Muskelelementen MERKEL's; aber auch an der Zwischensubstanz lässt sich eine ganz deutliche, wiewohl wahrscheinlich nur passive Differenzirung nachweisen. Es ist hier wohl der Ort, in Kürze auf die neuerdings von Rerzius beschriebenen Körnerreihen, die durch Chlorgold mit nachfolgender Reduktion dargestellt werden können, ein- zugehen. Ich darf diese Arbeit als bekannt voraussetzen und will dazu nur Folgendes bemerken: das, was Rerzıus als Zwischensubstanz be- zeichnet, ist nicht Zwischensubstanz, sondern besteht aus den Fibrillen und das, was sich mit Chlorgold färbt, ist die eigentliche Interfilar- substanz. Man kann sich davon am besten überzeugen, wenn man die Flügelmuskeln eines Hydrophilus oder Dytiscus, nachdem man sie mit Chlorgold gefärbt hat, mit ähnlichen Präparaten der Extre- mitätenmuskeln vergleicht. In den Flügelmuskeln haben die Fibril- len eine viel größere Selbständigkeit, sind viel dieker und erschei- nen durch eine bedeutend reichlichere Zwischensubstanz von ein- ander getrennt. Diese Zwischensubstanz, die als solche hier gar nicht zu verkennen ist, besteht aus großen ovalen Körnern und ver- hält sich gegen Chlorgold genau eben so, wie die Substanz, aus der die Rerzıus'schen Körnerreihen in den Extremitätenmuskeln bestehen. Der Körnerreihe erster Ordnung entspricht an den Fi- brillen die Grundmembran Kravse’s oder Endscheibe MERKEL’s, der Körnerreihe zweiter Ordnung der Hensen’sche Streifen, der Körner- reihe dritter Ordnung endlich aller Wahrscheinlichkeit nach die Nebenscheibe. Die einzelnen Kérnerreihen stehen unter einander nur längs der auf dem Querschnitte von der Umgebung des Kerns ausstrahlenden Membranen, die von Rerzıus beschrieben wurden, in Verbindung, aber nicht quer durch die Fibrillen hindurch, wie dies Rerzıus beschreibt und abbildet. Ich führe dies an, weil es viel- leicht gegen meine Auffassung der Fibrillen und der Zwischensub- stanz ins Feld geführt werden könnte !. 1 Genauer wird darüber eine von Herrn Cand. med. ZERNER im hiesigen Institute ausgeführte .Arbeit berichten. 314 C. Rabl Ich werde auf diesen Gegenstand noch im zweiten Theile zu- riickkommen. B. Kern. Ich gehe bei meinen Erörterungen von solehen Ker- nen aus, die sich ganz zweifellos im Zustand »tiefer Ruhe« befinden. Sie stammen aus der Harnblase des Proteus. Ich hatte die Harn- blase mäßig mit Chromsäure gefüllt, dann abgebunden und ausge- schnitten und in Chromsäure gelegt, so dass also die Fixirungs- flüssigkeit gleichzeitig von innen und außen einwirken konnte. Später, nach dem Auswaschen in Wasser und dem Härten in Alko- hol, wurde die Harnblase in Stücke geschnitten und diese gefärbt und untersucht. Es fand sich nun unter den vielen Tausenden von Ker- nen aus dem Epithel, der Muscularis und der Serosa kein einziger, der auch nur die geringste Spur einer beginnenden oder eben abge- laufenen Theilung zeigte, geschweige denn sich gerade in Theilung befand. Ich habe daher wohl Recht, wenn ich hier von ruhenden Kernen spreche. Ich habe auf Taf. XI Fig. 1—4 solche Kerne aus den einzelnen Schichten abgebildet. Fig. 1 stellt einen Kern einer Epithelzelle, Fig. 2 einen solehen aus einer glatten Muskelfaser, Fig. 3 einen Bindegewebskern und Fig. 4 einen Kern einer Endothelzelle dar. Ich will diese Kerne zunächst für sieh und dann alle zusammen besprechen. In Fig. 1 sehen wir ein außerordentlich zartes, reich verzweigtes Netzwerk von Fasern oder Fäden, die nach den ver- schiedensten Richtungen hin verlaufen und von denen sich ein Theil an der Oberfläche des Kerns verbreitet, während andere den Bin- nenraum durchziehen. An mehreren Stellen sieht man im Kern gröbere Chromatinmassen von unregelmäßiger, zackiger oder eckiger Begrenzung, nucleolenartige Bildungen, von denen wieder feine Fä- den oder Fortsätze auslaufen. Stellt man scharf auf den Rand eines solchen Kernes ein, so bemerkt man an demselben an einzelnen Stellen gleichfalls gröbere Chromatinmassen und dadurch, dass auch an der Oberfläche ein reichliches Netzwerk chromatischer Substanz vorhanden ist, gewinnt man bei nicht sehr genauer Betrachtung den Eindruck, als ob eine chromatische Wandschicht vorhanden wäre. Eine Regelmäßigkeit in der Anordnung der Fäden des Netzwerkes ist nicht zu erkennen und nur die excentrische Lage der gröberen Chromatinmassen und der excentrische Verlauf der gröberen Gerüst- fäden weist darauf hin, dass dem Kern als Ganzem gleichfalls ein excentrischer Bau zugeschrieben werden muss. An der Fig. 2, welche den Kern einer glatten Muskelfaser vor- Über Zelltheilung. 315 stellt, sieht man vor Allem, dem Lingsdurehmesser des Kerns ent- sprechend, in dessen Mitte oder nur wenig davon entfernt, grobe, eckige Chromatinmassen, die zumeist unter einander durch derbere Gerüstbalken in Verbindung stehen und von denen gegen die Kern- oberfläche hin feinere Balken auslaufen, die wieder zu gröberen Massen anschwellen können. Die chromatische Substanz solcher Kerne färbt sich mit Safranin und Hämatoxylin außerordentlich in- tensiv. Eine Eigenthümlichkeit solcher Muskelkerne besteht darin, dass sie häufig an dem einen oder an beiden Enden in längliche Zipfel auslaufen, die von dem übrigen Kern durch eine seichtere oder tiefere Furche geschieden sind (vgl. das untere*Ende des ab- gebildeten Kerns). Wesentlich denselben Bau zeigen auch die Bindegewebskerne ‘Fig. 3) und es lassen sich wohl alle Differenzen des Baues durch die verschiedene Form der Kerne erklären. Entsprechend der we- niger gestreckten, mehr rundlichen Form sind auch die Chromatin- massen mehr gleichmäßig vertheilt und man könnte höchstens in so fern einen wichtigeren Unterschied zwischen Muskel- und Bindegewebs- kernen statuiren, als in den letzteren, wenigstens allem Anscheine nach, die groben Chromatinmassen etwas lockerer unter einander verbunden sind, als in den Muskelkernen. Den Bindegewebskernen in der Anordnung der chromatischen Substanz sehr ähnlich erscheinen auch die Kerne der Endothelzellen (Fig. 4); nur sind diese viel blässer und nehmen Tinktionsmittel weniger begierig auf. Vergleicht man nun alle vier Kernarten mit einander, so wird man ohne Weiteres finden, dass die Muskel-, Bindegewebs- und Endothelkerne unter sich eine viel größere Ähnlichkeit zeigen, als mit den Kernen des Epithels. In allen vieren findet man ein Netz- werk, das aus chromatischer Substanz besteht; aber während dieses Netzwerk in den Epithelkernen eine außerordentliche Zartheit be- sitzt, erscheint es in den drei anderen Kernarten von mehr derbem Gefüge. Vielleicht ist dieser Unterschied im Bau und der Anord- nung des Gerüstes auch von genetischer Bedeutung; denn während die Muskel-, Bindegewebs- und Endothelzellen dem mittleren Keim- blatte entstammen, leiten sich bekanntlich die Epithelien der Harn- blase von Zellen des inneren Keimblattes ab. An den beschriebenen Kernen haben wir zweierlei Substanzen zu unterscheiden: die eine ist geformt, bildet Netze oder Gerüste und ist tinktionsfähig, die andere ist ungeformt, erfüllt die Maschen 316 C. Rabl des Geriistwerkes und lässt sich mit den specifischen Kernfärbemit- teln nicht tingiren. Die erstere will ich mit R. Herrwic Kernsub- stanz oder mit FLEMMING chromatische Substanz nennen, die letztere mit Herrwic Kernsaft. Nucleolen kann man an den beschriebenen Kernen nicht unterscheiden; man müsste denn die gröberen Chro- matinmassen, die in den Knotenpunkten des Kernnetzes liegen, Nucleolen nennen. Ich glaube aber, dass man nur solche Gebilde als Nucleolen bezeichnen sollte, die scharf begrenzt sind, eine kuge- lige oder nahezu kugelige Form und eine glatte Oberfläche haben. — Eben so wenig kann man an unseren Kernen eine achromatische Hülle wahrnehmen, obgleich es ganz wohl möglich ist, dass eine solche vorhanden ist. Wie schon früher erwähnt, tritt eine solche achro- matische Hülle namentlich an denjenigen Kernen hervor, welche sich eben zur Theilung anschicken oder gerade aus einer Theilung hervorgegangen sind, also bei Mutter- und Tochterknäueln. Später aber, wenn die Kernsubstanz der Knäuelfäden sich mehr ausbreitet und gleichmäßiger vertheilt, oder aber früher, bevor die chromati- sche Substanz in die Bildung der Knäuelfäden aufgegangen ist, kann man in den meisten Fällen selbst mit den stärksten Vergrößerungen von einer achromatischen, vielleicht, wie STRASBURGER meint, der Zellsubstanz angebörigen Membran nichts sehen. Ich halte den geschilderten Bau des Kerns für typisch für den Ruhezustand; denn es kann, wie erwähnt, einerseits nicht zweifelhaft sein, dass in diesen Kernen keinerlei Veränderungen Platz gegriffen haben , die einer Theilung vorausgehen oder nach- folgen, andererseits dürften wohl kaum so namhafte funktionelle Veränderungen an den Zellen der Harnblase auftreten, dass dadurch der Bau der Kerne wesentlich beeinflusst würde. Jedoch kann man in letzterer Beziehung in seinem Urtheile kaum vorsichtig genug sein. Vorläufig wissen wir allerdings über die funktionellen Veränderungen des Epithels der Harnblase durch die Untersuchungen Paner#'s und Lonpon’s nur so viel, dass die Zellen je nach dem Füllungszustande der Blase eine verschiedene Form annehmen; aber wenn es richtig ist, dass der Harn durch Diffusion in der Blase koncentrirter wird, so bleibt die Möglichkeit offen, dass dabei die Epithelien und vielleicht sogar die andern Zellen irgend eine Veränderung erleiden. Man trifft aber den beschriebenen Bau so häufig in Kernen an, die man mit allem Grund für rubende halten darf, dass ich nicht anstehe, denselben für typisch zu halten. Ich stimme hierin voll- kommen mit Rerzıus überein, der die ruhenden Kerne aus der Uber Zelltheilung. 317 Epidermis der Tritonlarve fast genau eben so zeichnet, wie ich die Kerne aus dem Harnblasenepithel des Proteus. Dagegen kann ich Rerzıus nicht zustimmen, wenn er die gröberen Ansammlungen chromatischer Substanz als Nucleolen bezeichnet. Rerzıus sagt: »Die Nueleolen hängen stets durch Fortsätze direkt mit dem Balken- gerüste zusammen und sind eigentlich nur als Ansammlungen der Substanz desselben zu betrachten. Sie sind sehr verschiedener Größe und Zahl, je nach der Menge der Gerüstsubstanz ; zuweilen findet man nur einige wenige sehr kleine Nucleolen, zuweilen und öfter eine mehr oder weniger bedeutende Menge größerer Nucleolen in der Kernsubstanz zerstreut.« Diese Beschreibung stimmt voll- kommen zu meinen eigenen Befunden, nur kann ich eben Retzıvus in seiner Deutung der Chromatinmassen als Nucleolen nicht folgen. Ich stimme ferner auch darin mit Rerzivs und eben so mit FLEMMING und Anderen überein, dass ich die Existenz einer kontinuirlichen, chromatischen Wandschicht nicht zugeben kann. Ob die achroma- tische Kernmembran, wenn eine solche konstant oder doch häufig vorkommen sollte, allseitig abgeschlossen oder aber stellenweise durchbrochen sei, kann ich eben so wenig entscheiden, wie die ge- nannten Forscher. Ich lasse nun noch die Beschreibung einiger anderer Kerne fol- gen. Das beschriebene Kernnetz oder Kerngerüst kann man mit nur geringfügigen Modifikationen in den Zellkernen der verschiedensten Organe und Gewebe wiederfinden. Mag man bei Proteus die Kerne der Epidermis oder der Schleimhautepithelien oder der Nierenzellen untersuchen, überall trifft man wesentlich dieselben Verhältnisse. Ich habe auf Taf. XI Fig. 5 einen Kern aus dem Schleimhautepi- thel des Afters abgebildet und man wird auch hier wieder das Kern- gerüst und die excentrische Lage der gröberen Gerüststränge und der nucleolenartigen Gebilde erkennen. Eine merkwürdige Übereinstimmung zeigen die Kerne der Wan- derzellen. Ich habe in Fig. 6 einen solchen Kern einer Wander- zelle aus dem Nierenepithel abgebildet und genau eben so sehen - die Kerne der Wanderzellen aus den verschiedensten Geweben aus. Stets sieht man in der Mitte eine Anzahl gröberer Chromatinmassen, wiewohl auch an der Oberfläche die chromatische Substanz nicht ganz fehlt. In Fig. 7 sieht man einen Kern aus der oberflächlichsten Epi- dermisschicht eines erwachsenen Triton cristatus. Er stammt aus einer der dunklen Epidermiszellen, die, wie erwähnt, über den Haut- 318 Cc. Rabl drüsen liegen. Hier ist die chromatische Substanz gleichmäßiger vertheilt, als dies sonst bei Kernen, auch Epidermiskernen, der Fall zu sein pflegt; das Safranin lässt sich aus solchen Kernen selbst bei langem Liegen in Alkohol und Nelkenöl nicht extrahiren. Ho- mogen erscheinen aber, wie man an der Abbildung auf den ersten Blick sieht, auch hier die Kerne nicht. In ähnlicher Weise verhal- ten sich auch die Kerne der rothen Blutkörperchen gegen specifische Kernfärbemittel; es wurde schon von FLEMMING erwähnt, dass sich dieselben mit Safranin außerordentlich intensiv färben: sie bekom- men ein eigenthümlich glänzendes, gelblichrothes Aussehen und werden dadurch auch für ganz schwache Vergrößerungen leicht von allen anderen Kernen unterscheidbar. Homogen sind aber auch diese Kerne nicht; wenn man das frisch aus den Gefäßen fließende Blut eines Proteus in ein Uhrschiilchen mit !/,Y,iger Chlorgoldlösung fließen lässt und dann die Kerne untersucht, so findet man ganz deutlich begrenzte, grobe, zum Theil zu plumpen Haken geformte Chromatinmassen. Noch deutlicher treten diese hervor, wenn man die mit Chlorgold behandelten Blutkörperchen mit PricHarp'scher Flüssigkeit reducirt oder, ohne Reduktion, mit Safranin färbt. Aller- dings sieht man häufig genug rothe Blutkörperchen mit scheinbar homogenem Kern; aber daran trägt regelmäßig die Behandlung Schuld. Dass solche Chromatinmassen auch in den Kernen lebender Blutkörperchen nicht fehlen, kann man an den hellen, stark licht- brechenden Gebilden erkennen, die man bei Untersuchung des fri- schen Blutes in den Kernen sieht. In neuerer Zeit sind von FLEMMING in den Keimbläschen der Eierstockseier von Siredon eigenthümliche Stränge beschrieben wor- den, die einen queren Bau besitzen und in bald längeren, bald kür- zeren Stücken den Kern durchziehen. FLEMMING giebt an, dass er auch bei anderen Amphibien- und selbst bei Fischeiern ähnliche Ver- hältnisse vorgefunden habe. Ich habe ganz ähnliche Gebilde, wie FLEMMING beim Siredon, beim Proteus, und zwar an mittelreifen Eiern gefunden und will, da ich in einigen Punkten von diesem Forscher in meiner Auffassung der Theile solcher Keimbläschen ab- weiche, eine kurze Beschreibung folgen lassen. Ich stütze mich auf Präparate, die mit Chrom-Ameisensäure, so wie mit Chrom-Osmium- Essigsäure gehärtet und mit Safranin gefärbt waren. Ein solches Präparat habe ich auf Taf. XI Fig. 11 bei ganz schwacher Vergrö- Berung abgebildet. Meine Beschreibung bezieht sich jedoch zumeist auf das, was man mit starken Vergrößerungen sieht. Ich habe Uber Zelltheilung. 319 solche Eier auch ganz frisch in Speichel und ohne allen Zusatz untersucht und dabei Folgendes gefunden. Das Keimbläschen wird von einer ziemlich derben, strukturlosen, durchsichtigen Hülle umschlossen, die zugleich eine Grenze gegen den früher beschriebenen inneren Dotter abgiebt. An der Innenseite dieser Membran sieht man in unregelmäßigen Abständen von’ ein- ander kugelige, stark glänzende, wie Öltropfen aussehende Körper- chen; dieselben liegen durchweg der Membran dicht an und fehlen in der Höhle des Keimbläschens vollständig. In dieser sieht man blasse, nach verschiedenen Richtungen verlaufende, undeutliche Stränge. An gehärteten Eiern sieht man auf- Schnitten, wie FLEMMING ganz richtig angiebt, schon mit mittelstarken Linsen an den Strän- gen eine unregelmäßige Querzeichnung und mit stärkeren Linsen kann man sich ohne Mühe überzeugen, »dass von den Querportionen feinere Fäden mit blasserer Tinktion aus den Strängen herauszie- hen, verästelt den Raum zwischen diesen durchsetzen und mit an- deren Strängen zusammenhängen« Auf dem optischen Querschnitt geben die Stränge das Bild von Sternen mit dunkler Mitte und blassen Strahlen. Bis hierher stimme ich mit FLEMMING überein; dagegen kann ich seine Auffassung der oben beschriebenen, schon im frischen Zustande sichtbaren Körperchen nicht billigen. FLEM- MInG hält dieselben für »wahre Nucleolen« und beschreibt sie als »kleine, kugelige Körper, welche theils in gröberen Netzsträn- gen, theils in dem feinen Faserwerk dazwischen suspendirt, oft anscheinend freiliegend vorkommen. Sie bleiben ... bei Häma- toxylinfärbung blasser als die Gerüststränge«. Es ist nun allerdings vollkommen richtig, dass man auf Schnit- ten — und an solchen hat FLEMMING seine Untersuchungen ange- stellt — häufig die anscheinenden Nucleolen ganz regellos im Keim- bläschen zerstreut findet. Dies kommt aber nur daher, dass sie beim Schneiden von dem Messer mitgenommen und an Stellen getra- gen werden, an denen sie ursprünglich nicht gelegen hatten. Man kann sich davon auf zweierlei Weise überzeugen: erstens durch die Untersuchung der Eier in toto, wobei man, wie erwähnt, die runden Körper nur an der Innenseite der Kernmembran antrifft, und zweitens, wenn man die Eier schneidet, nachdem sie vollkommen mit Celloidin durchtränkt sind. Im letzteren Falle müssen die Sehnitte mit Origanumöl aufgehellt werden; nimmt man Nelkenöl, so können, so wie das Celloidin gelöst wird, die Körperchen von 320 ©. Rabl ihren Plätzen leicht weggeschwemmt werden und an Stellen liegen bleiben, wo sie früher nicht gewesen waren. — Die Lage dieser Körperehen spricht nun entschieden gegen ihre Nucleolennatur; denn wenn auch die Nucleolen gleichfalls eine excentrische Lage zu be- sitzen pflegen, so liegen sie doch kaum jemals direkt an der Peripherie der Kerne. Es wäre kaum denkbar, dass bei einer so großen Zahl von Nucleolen kein einziger im Inneren des Kerns gelegen sein sollte. Gegen die Annahme, dass man es hier mit Nucleolen zu thun habe, spricht auch ihr Verhalten gegen specifische Kernfärbe- mittel, wie Safranin. Während sich doch sonst die Nucleolen kon- stant mehr oder weniger intensiv tingiren, nehmen diese Körper nur eine ganz blass rosarothe Farbe an. Ich bin daher der Ansicht, dass man es hier nicht mit Nucleolen zu thun habe. Was die Gebilde sind und welche Bedeutung sie besitzen, kann ich allerdings nicht angeben. Sie machen, wie gesagt, im frischen Zustande den Eindruck von Oltropfen; jedoch bestehen sie ganz ge- wiss nicht aus Fett: denn sie werden von Äther nicht gelöst und von Osmiumsäure nicht geschwärzt. Gegen Osmiumsäure verhalten sie sich ähnlich, wie Eiweiß; sie nehmen nämlich, wie dieses, eine bräunliche Farbe an. Auffallend ist der geringe Gehalt der Gerüststränge, so wie der ganzen Keimbläschen, an färbbarer Substanz ; selbst wenn die Binde- gewebskörperchen sehr intensiv gefärbt sind, erscheinen die Ge- rüststränge der Eier noch ziemlich blass. Es ist dies auch FLEMMING aufgefallen; er giebt an, dass ihm eine gute Färbung von Osmium- schnitten durch die Ovarien von Siredon »leider bisher mit keinem Mittel gelungen« sei. Ich glaube, dass der Grund davon nicht so sehr in der Methode, als in der chemischen Zusammensetzung der Gerüste zu suchen sei. In ganz jungen Eiern von Proteus habe ich ein paar Mal sehr lange, gewundene Fäden gesehen, von ganz ähnlichem Querbau, wie die beschriebenen Gerüststränge in älteren Eiern. Ja, es schien mir sogar einmal, als ob ein einziger kontinuirlich zusammen- hängender Faden vorhanden wäre, ganz ähnlich, wie dies von BALBIANI, FLEMMING und neuerdings auch von LEyDiG von den Kernen der Speicheldrüsenzellen der Chironomuslarve beschrieben worden ist. In Ovarialzellen, die sich wohl später zu Eizellen ent- wickeln mögen, aber noch nicht als Eier bezeichnet werden dürfen, ist von einem Kernfaden noch nichts zu sehen. Vielmehr findet sich statt eines solchen ein Gerüst- oder Netzwerk, ähnlich dem in Uber Zelltheilung. 321 jungen Hodenepithelien. Es scheint demnach, dass ein quergebauter Faden erst später, wenn das Ei rascher zu wachsen beginnt, auf- trete, derselbe aber bei weiterer Größenzunahme wieder in einzelne Stücke zerfalle. Endlich will ich noch der Kerne der sogenannten Riesenzellen in den früher erwähnten Hautdrüsen der Amphibien gedenken. Wie die ganzen Zellen, zeigen auch deren Kerne eine ganz kolos- sale Größe (Fig. 10). Sie sind tief bodenständig und durch eine deutliche achromatische Hülle vom Zellleib geschieden. Im Innern enthalten sie sehr reichliche, derbe, unregelmäßig geformte Chroma- tinmassen; oft sind diese noch reichlicher, als in dem abgebildeten Falle. Außer diesen chromatischen Bestandtheilen bemerkt man noch blasse Stränge im Kern, die mit kleinen Körnchen durch- setzt sind. Damit will ich die Beschreibung ruhender Kerne schließen. Ich verzichte darauf, Kerne abzubilden und zu beschreiben, in de- nen wahre Nucleolen vorkommen, da in der Litteratur bekannt- lich genug solcher Fälle beschrieben sind. Riickblick und Schluss. Das Studium des Baues und der Lebenserscheinungen der Zelle ist vielleicht mehr als irgend ein anderes geeignet, uns die Klaglich- keit unseres Wissens vor Augen zu führen. Wir finden im Kern und im Zellleib eigenthümliche Strukturen und wissen nicht, wozu sie da sind; wir sehen bei der Theilung merkwürdige, fast absonder- liche, Figuren auftreten und wissen nicht, was sie bedeuten; ja, wir sind nicht einmal im Stande, eine bündige und bestimmte Ant- wort auf die Frage zu geben, was der Zellkern sei. Und doch weist Alles, was wir an und in der kleinen Fabrik, die wir Zelle nennen, sehen, klar und unverkennbar darauf hin, dass ein großes Gesetz dem Ganzen zu Grunde liegt. Wir begeg- nen denselben oder doch sehr ähnlichen Vorgängen, wie wir sie bei der Theilung thierischer Zellen antreffen, auch bei der Theilung pflanzlicher Zellen, und wir sehen sogar wesentlich den gleichen Process bei der Theilung jener niederen Organismen ablaufen, die wir mit Sicherheit weder zu den Thieren noch Pflanzen stellen dür- fen. Es berechtigt uns dies wohl zu dem Schluss, dass auch in der ruhenden Zelle eine typische Übereinstimmung des Baues vor- handen sein müsse. — Aber einem solchen Schlusse scheint die Morpholog. Jahrbuch. 10. 21 322 C. Rabl direkte Beobachtung nicht günstig zu sein; denn nicht bloß im Zell- leib, sondern auch im Kern zeigt sich je nach den verschiedenen Zellarten eine so mannigfache Verschiedenheit, dass es auf den ersten Blick ganz unmöglich und unzulässig erscheint, alle Erschei- nungen unter einen einheitlichen Gesichtspunkt zu bringen. Ich will vom Zellleib ganz absehen, da dieser mehr direkt an den specifi- schen Funktionen der Zelle betheiligt zu sein scheint und je nach de- ren Verschiedenheit auch Differenzen im Bau und der Anordnung seiner Substanzen zur Schau tragen muss; im. hohen Grade auffal- lend muss es dagegen erscheinen, dass auch im Bau des Zellkerns durchaus nicht jene Übereinstimmung wahrzunehmen ist, die man erwarten sollte. Denn, wenn uns nicht Alles trügt, fallen dem Zell- kern vornehmlich solche Funktionen zu, welche allen Zellen in wesent- lich gleicher Weise zukommen; im zweiten Theile werde ich den Nachweis zu liefern suchen, dass der Zellkern hauptsächlich zwei Funktionen zu versehen hat: Ernährung: und Fortpflanzung, und dass immer und überall mit dem Verschwinden des Kerns auch ein Ausfall dieser beiden Funktionen verknüpft ist. Es ist daher wohl der Versuch gerechtfertigt, alle die verschie- denen Kernformen auf ein gemeinsames Schema zurückzuführen. Ich unternehme diesen Versuch im Vertrauen auf die Erfahrung, dass schon oft, wenn alle anderen Erklärungsversuche gescheitert waren, die Entwicklungsgeschichte das erlösende Wort sprach und ganze Gruppen von Erscheinungen klar legte, die vorher jeglicher Erkennt- nis hartnäckig widerstanden hatten. Die Theilung des Kerns ist ja, im Grunde genommen, nichts Anderes, als ein Stück. Entwick- lungsgeschichte und ich will ihr daher bei meinen Arie die Führerschaft überlassen. Es ist gewiss kein Spiel des Zufalls, dass junge Tochterknäuel den Anfangsknäueln des Mutterkerns in ihrem Bau so auferordent- lich ähnlich sehen. So wie sich ein Kern zur Theilung anschickt oder aus einer Theilung hervortritt, lässt er ganz deutlich eine Pol- seite und eine Gegenpolseite erkennen und an der Polseite selbst wieder eine enger begrenzte Stelle, das Polfeld.. Die einzelnen Re- gionen werden durch den Verlauf der Fäden charakterisirt. Diese laufen von der Gegenpolseite aus, ziehen nach der Polseite und. ins Polfeld, biegen hier schlingenförmig um und kehren wieder zur Ge- genpolseite zurück. Nur in so fern weichen die Tochterknäuel von den jungen Mutterknäueln ab, als in ihnen die Fäden dicker sind und weniger gewunden verlaufen. Diese typische Übereinstimmung Uber Zelltheilung. 323 in den Anfangs- und Endstadien der Theilung findet sich nicht allein, wie ich gezeigt habe, bei den Thierzellen, sondern kommt, wie man aus den Untersuchungen STRASBURGER’s und HEuser’s schließen darf, in derselben Weise auch bei den Pflanzenzellen vor. Es ist nun nicht denkbar, dass in der ruhenden Zelle keine Spur von dieser Anordnung mehr vorhanden sein sollte. Niemand wird annehmen wollen, dass die Fäden im Mutterknäuel anschießen, wie die Kry- stalle in einer Mutterlauge, oder dass, beim Übergang des Tochter- knäuels zur Ruhe, die Fäden sich vollständig auflösen oder in Stücke zerfallen. Kann man doch direkt beobachten, wie die Fadenbildung ganz allmählich anhebt, wie die Fäden Anfangs rauhe, zackige Rän- der besitzen, gleiehsam als stünden sie hier noch durch zarte Aus- läufer mit einem feinsten Fasernetz in Verbindung, und wie, in den Endstadien' der Theilung beim Übergang zur Ruhe, die Fäden wie- der knotig werden und feine Fortsätze ausschicken. Es liegt daher wohl die Annahme nahe, dass auch im Ruhe- zustand, nach der Ausbildung des Kerngerüstes oder Kernnetzes, ein Rest dieser Fäden erhalten bleibt mit wesentlich derselben Ver- laufsweise, wie im Knäuel. Von diesen Fäden, die ich als »primäre Kernfäden« bezeichnen will, gehen, wie ich annehme, feine sekundäre Fäden als seitliche Fortsätze aus, von diesen vielleicht noch tertiäre, ete. Die einzelnen Fäden können unter einander in Verbindung treten und in den Knotenpunkten des dadurch entstandenen Netzes können sich gröbere Chromatinmassen zu nucleolenartigen Gebilden sammeln. Erreichen dann solche Chromatinmassen eine größere Selbständig- keit gegenüber dem Kernnetz, so können sie zu wahren Nucleolen werden. Ich habe auf Taf. XII Fig. 12« und 125 den Bau des ruhenden Kerns schematisch darzustellen gesucht. Fig. 12 « stellt den Kern in seitlicher Ansicht, Fig. 12 4 in der Ansicht vom Pol- felde dar; linkerseits habe ich nur die primären Kernfäden gezeich- net, rechterseits das Kernnetz mit einigen gröberen Chromatinmassen. Wenn man diese Hypothese zulässig findet, so wird man die Erscheinungen der Kerntheilung, wie ich glaube, um Vieles besser verstehen. Man braucht dann nur anzunehmen, dass beim Beginn einer Theilung die chromatische Substanz auf vorgebildeten Bahnen in die primären Kernfiden ströme ; dadurch wird in der einfachsten Weise der Mutterknäuel aufgebaut. Der Winkel, welchen die pri- mären Fäden am Polfelde bilden, bleibt, wie wir gesehen haben, während der ganzen Theilung erhalten und geht direkt in den Win- kel über, welchen die Fäden des Tochterknäuels am Polfelde zeigen. 324 C. Rabl Beim Ubergang des Tochterknäuels zur Ruhe treiben die Knäuel- fäden seitliche Sprossen, welche ihrerseits selbst wieder Fortsätze aussenden können und längs dieser Sprossen und Fortsätze vertheilt sich wieder die chromatische Substanz mehr gleichmäßig durch den ganzen Kern. Die Theilung der chromatischen Substanz des Kerns ist also in letzter Instanz auf eine Längsspaltung der Knäuelfäden zurückzuführen und ich kann mir — vorausgesetzt, dass meine Hy- pothese des Zellkerns richtig ist — keinen einfacheren Modus der Kerntheilung denken, als den, welchen wir thatsächlich beobachten. Es ist für meine Auffassung ganz gleichgültig, ob die Kern- fäden nur aus einer einzigen Substanz oder aber, wie STRASBUR- GER meint, aus zwei Substanzen, den Hyaloplasmasträngen und den eingelagerten chromatischen Mikrosomen, bestehen; in Anbe- tracht der früher mitgetheilten Beobachtungen über den Bau der Tochterknäuel im Hodenepithel gewinnt die Ansicht STRASBURGER’S einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Auch andere, von FLEMMING mitgetheilte Befunde lassen sich für STRASBURGER’s An- sicht verwerthen. — Ich will nun einige der bekanntéren Kernformen auf mein Kernschema zurückzuführen suchen. In voller Übereinstimmung mit meiner Ansicht steht die bekannte Erfahrung, dass sowohl die grö- beren Gerüstfäden, als auch die Nucleolen (falls solche vorhanden sind) eine excentrische Lage zeigen und dass überhaupt niemals im Kern eine regelmäßige koncentrische oder auch radiär-koncentrische Anordnung der chromatischen Substanz vorkommt. Es ist klar, dass je nach der verschiedenen Ausbildung und Rückbildung der primären Kernfäden und je nach der Art der Verbindungen, die sie oder ihre Ausläufer eingehen, sehr verschiedene Kernarten zu Stande kommen müssen. Treten die Fäden eines Tochterknäuels an ihren freien Enden wechselseitig mit einander in Verbindung, so muss daraus ein einfacher, kontinuirlich zusammenhängender, in Folge des Quer- baues der Knäuelfäden gleichfalls quergebauter Kernfaden resultiren, wie wir einen solchen in der That in den Chironomus-Kernen an- treffen und in den Keimbläschen junger Eier des Proteus vermuthen. Vielleicht ist ein solcher Bau charakteristisch für rasch wachsende Kerne und Zellen. Ein anderes Mal kann es geschehen, dass die primären Kernfäden an ihren polaren Winkeln durch Ausläufer oder direkte Aneinanderlagerung und Verschmelzung in Verbindung treten, so dass Kerne entstehen, wie sie z. B. R. Herrwie in den Mal- pighi’schen Gefäßen einer Sphingidenraupe beobachtet hat. Wieder Uber Zelltheilung. 325 ein anderes Mal können sich alle oder einige Fäden sehr beträchtlich verkürzen und verdicken und zu massigen, unregelmäßigen, von der Umgebung mehr oder weniger getrennten Gebilden werden; dadurch werden Kerne entstehen, ähnlich denjenigen, welche wir in den Riesenzellen der Amphibien angetroffen haben. Endlich können noch in der oben beschriebenen Weise wahre Nucleolen auftreten, wenn einzelne Theile des Kerngerüstes sich schärfer begrenzen, abrunden und eine größere Selbständigkeit erlangen. Um solche Nucleolen können sich helle Höfe bilden und im Umkreis dieser Höfe kleine sekundäre Körner absetzen, so dass dann Formationen entstehen, ähnlich den Eımer’schen Körnerkugeln. Kurz, es ergiebt sich eine große Mannigfaltigkeit der möglichen Bauverhältnisse des ruhenden Kerns. Es ist ganz gut denkbar, obwohl es bisher nicht bewiesen ist, dass bestimmte Formzustände des Kerngerüstes immer auch bestimmten Funktionszuständen des Kerns entsprechen. Eben so erscheint es ganz wohl möglich und sogar wahrscheinlich, dass, wenn sich im ruhenden Kern nur ein- zelne scharf abgegrenzte Chromatinmassen, aber kein chromatisches Kernnetz vorfindet, dennoch als Reste der ursprünglichen Fäden zarte Hyaloplasmastränge im Sinne STRASBURGER’s zurückgeblieben sind. FLEMMING hat die Formenfolge der chromatischen Figur durch folgendes, schon früher erwähntes »Repetitionsschema« zum Aus- drucke gebracht: (Progressiv) (Regressiv) Mutterkern. Tochterkern. y (Gerüst, Ruhe). (Gerüst, Ruhe). 1) Knäuel 5) Knäuel + y 2) Stern 4) Stern # —> 3) Umordnung. > Es soll demnach der Tochterkern in umgekehrter Reihenfolge die Stadien des Mutterkerns wiederholen. Ich will diesen Satz, dem FLEMMING eine große Wichtigkeit beimisst, etwas näher be- leuchten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass aus dem Gerüst des Mutterkerns sich der Knäuel aufbaut, gerade so, wie umgekehrt aus dem Tochterknäuel das Gerüst des ruhenden Kerns hervorgeht. Es kann ferner keinem Zweifel unterliegen, dass der Knäuel des Mutterkerns in seinen Anfangsstadien wesentlich denselben Bau zeigt, 326 C. Rabl wie der Knäuel des Tochterkerns; ja, es ist diese Übereinstimmung noch viel größer, als sie von FLEMMING vermuthet wurde. Es kann endlich nicht geleugnet werden, dass die Tochtersterne eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Mutterstern besitzen. Aber trotzdem kann ich mich der Auffassung FLEMMING’s nicht anschließen. Vor Allem muss ich betonen, dass die scheinbare Wiederholung eine ungemein lückenhafte und oberflächliche ist; es werden vom Toch- terkern alle die zahlreichen Stadien, die zwischen den ersten An- fängen des lockeren Knäuels und der Ausbildung des Muttersterns liegen, übersprungen. Nun sind aber gerade diese Stadien für die Theilung von der größten Wichtigkeit. Aber auch ganz abgesehen davon bin ich der Ansicht, dass FLemMinG’s Auffassung im Prin- eip nicht berechtigt sei. Denn es scheint mir doch etwas gewagt, die Endstadien der Entwicklung des Mutterkerns mit den An- fangsstadien der Entwicklung des Tochterkerns zu vergleichen. Es ist ja auch sonst in der Entwicklungsgeschichte Regel, dass man nur homologe, gleichalterige, Stadien mit einander vergleiche und es dürfte wohl kaum ein zwingender Grund vorliegen, hier die Methode der Ver- gleichung umzukehren. Man wird daher, meiner Ansicht nach, den Tochterknäuel nicht mit dem, zu Anfang der Theilung auftretenden Mutterknäuel, sondern mit jenem Knäuel vergleichen müssen, . wel- chen der Mutterkern in seiner Jugend durchlaufen hat. Eben so wird man den Übergang des Tochterknäuels in das Gerüst nicht mit dem Übergang des Gerüstes in den Knäuel, sondern gleichfalls mit den homologen Stadien des Mutterkerns vergleichen müssen. Wenn man bei der Vergleichung in dieser Weise vorgeht, so wird man finden, dass der Tochterkern bei seiner Entwicklung die Stadien des Mutterkerns nicht in umgekehrter, sondern in völlig gleicher Reihenfolge wiederholt. Und dies stimmt auch mit unseren allge- meinen biologischen Erfahrungen überein. Kein Thier und keine Pflanze wiederholt die Entwicklungsstadien der Vorfahren in umge- kehrter, sondern immer und ausnahmslos in gleicher Reihenfolge. Was aber für jeden vollendeten Organismus gilt, gilt aueh für jedes Organ. Ich fasse den Zellkern (und darin stimme ich mit FLEMMING überein) als Organ der Zelle, die Zelle selbst als einen Elementar- organismus auf und dieser Elementarorganismus und seine Organe folgen denselben Gesetzen, denen auch die Organismen höherer Ord- nung unterworfen sind. Wenn also in dem kurzen Stück Entwieklungsgeschichte, das wir bei der Theilung beobachten, die Mutterfoımen dem Anscheine 4 Über Zelltheilung. at nach in’ umgekehrter Reihenfolge von den Tochterformen kopirt werden, so“ hat dies, meiner Überzeugung nach, einzig und allein seinen Grund in dem oben geschilderten Bau des ruhenden Kerns. Vor etwa einem Jahre hat Roux in einer kleinen, tief durch- dachten und klar abgefassten Schrift »über die Bedeutung der Kern- theilungsfiguren« die Frage aufgeworfen, welchen Nutzen die kompli- eirten Vorgänge der Karyokinese für den Endzweck der Theilung des einfachen Kerns in seine zwei Hälften haben. Er sagt: »Da hier ein elementarer Vorgang vorliegt, welchen fast alle Zellen bei ihrer Thei- lung durchmachen, welcher aber Zeit und Kraft erfordert, so muss er einen sehr evidenten Nutzen haben, um überhaupt durch allmäh- liche Züchtung entstanden und erhalten worden zu sein. Er muss also in viel höherem Maße den biologischen Bedürfnissen entsprechen, als der Zeit und Kraft sparende Vorgang der direkten Halbirung des' Kerns ‘durch 'Ein- und Absehnürung in der Mitte desselben.« Roux führt dann aus, dass eine direkte Theilung nur dann dem Zweck der Kerntheilung vollkommen entsprechen würde, wenn alle Theile des Kerns einander gleichwerthig wären und es nur darauf ankäme, die Masse des Kerns zu halbiren und die beiden Hälften von einander zu trennen. Dagegen würde dieser Vorgang nicht ausreichen, wenn'es sich darum handelte, eine größere Anzahl ver- schiedener Qualitäten zu sondern und in je zwei gleiche Theile zu zerlegen. Aus den komplicirten Verrichtungen der scheinbar homo- genen chromatischen Substanz sei nun in der That der Schluss zu ziehen, dass im Kern eine große Menge verschiedener Qualitäten aufgespeichert sei. Die Kerntheilungsfiguren seien nun »Mechanismen, welche es ermöglichen, den Kern nicht bloß seiner Masse, sondern auch der Masse und Beschaffenheit seiner einzelnen Qualitäten nach zu theilen«. Der wesentliche Kerntheilungsvorgang sei also die Thei- lung der Mutterkörner; »alle übrigen Vorgänge haben den Zweck, von den durch diese Theilung entstandenen Tochterkörnern desselben Mutterkornes immer je eines in das Centrum der einen, das andere in das Centrum der anderen Tochterzelle sicher überzuführen«. Ich ‘habe schon mehrmals die Überzeugung ausgesprochen, dass der Zellkern eine komplieirte Struktur, einen hohen Grad von Orga- nisation, besitzt, aber ich kann mich eben so wenig, wie STRASBUR- GER zu der Ansicht bekennen, dass jedes Mutterkorn der Träger einer andern Qualität sei. Es mag immerhin sein, dass die einzel- nen Kernfäden einander nicht durchweg gleichwerthig sind, aber es 328 C. Rabl liegt bisher keine Nöthigung vor, jedem Korn eine andere Qualität zu- zuschreiben. Die Form der Kerntheilungsfiguren, namentlich aber der Verlauf der Knäuelfäden, scheint sich mir eben am besten zu er- klären, wenn man das von mir gegebene Kernschema adoptirt. — Ich habe bei meinen allgemeinen Betrachtungen die Kernspindel ganz außer Acht gelassen, weil wir über ihre Bedeutung nichts Sicheres wissen; am wahrscheinlichsten dürfte es sein, dass die Spindelfasern der Ausdruck von Strömungen, die Pole Attraktions- centren sind. Übrigens möge Jeder selbst darüber ins Reine zu kommen suchen, ob bei der Theilung Attraktion oder Repulsion, Oberflachenspannung oder Elektrieität, und was dergleichen Dinge mehr sind, im Spiele sei. Ich zweifle nicht, dass es uns durch ge- naue Beobachtung noch gelingen wird, einen befriedigenden Einblick in das bei der Theilung wirksame Kräftespiel zu erlangen; vor der Hand aber sind wir noch nicht einmal im Stande, eine auch nur einiger- maßen plausible Theorie der Theilung aufzustellen. Gute Theorien, wie gute Gedanken, lassen sich nicht erzwingen; man muss schon warten, bis sie selber kommen. (Schluss des ersten Theiles.) Erklärung der Abbildungen. rn Alle Figuren der Tafeln VII, VIII und IX stellen Theilungsstadien aus der Epidermis der Mundbodenplatte und der Kiemenblättchen der Larve von Salamandra maculata dar. Mit Ausnahme der Fig. 24 der Taf. IX sind alle mit Hilfe der Camera von NACHET bei ausgezogenem Tubus (ZEıss’sches Statif Va) in der Höhe des Mikroskopfußes bei Ocular II und Zeiss’ homogener Im- mersion !/ig skizzirt. Die Fig. 24 ist bei eingeschobenem Tubus mit HART- NACK’s homogener Immersion Nr. III, !/o4 gezeichnet. Taf. VII. Fig. 1. Kern beim Übergang vom dichten zum lockeren Knäuel. Ansicht schief vom Polfeld. Fig. 2 und 3. Etwas späteres Stadium. Fig. 4. Lockerer Knäuel. Fast reine Seitenansicht. Fig. 5 A und 5 B. Lockerer Knäuel. 5A von der Polseite, 5 B von der Gegenpolseite. Fig. 6 A und 6 B. Lockerer Knäuel. 6 4 von der Polseite, 6 B bei Einstel- lung auf die Kernmitte. Fig. 7 A und 7 B. Späteres Knäuelstadium von beiden Seiten. 7 4 Polseite, 7 B Gegenpolseite. Auftreten der Spindel. 24 Fäden. Fig. 8 A und 8 B. Knäuel von gleichem Alter mit dem vorigen. 8 A schief von der Polseite, 8 3 schief von der Gegenpolseite. 24 Fäden. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Uber Zelltheilung. 329 Taf. VIII. 9 A und 9 B. Etwas älterer Knäuel von beiden Seiten. 24 Fäden. 10 A und 10 B. Endstadium des Knäuels mit gegenüber liegenden Polen von beiden Seiten. 24 Fäden. (In 10 4 und eben so in der ent- sprechenden Figur der Orientirungstafel ist eine kleine, links von der Schleife 14 gelegene Schleife weggeblieben.) 11 A und 11 B. Anfangsstadium des Muttersterns von beiden Polen. Fa- denzahl nicht genau bestimmbar. 12 A und 12 B. Etwas älterer Mutterstern von beiden Polen. Gleichfalls . nicht alle Fäden deutlich abgrenzbar; an einzelnen die Längsspaltung deutlich hervortretend. 13 4 und 13 3. Entstadium des Muttersterns von beiden Polen. 24 Fa- denpaare; Längsspaltung durchwegs deutlich. 14 A und 14 B. Mutterstern desselben Alters von beiden Polen. 24 Fa- denpaare; in 14 A nicht alle gezeichnet. Taf. IX, 15. Mutterstern von der Seite; ungefähr dem Stadium der Fig. 12 A und 12 B entsprechend. 16. Alterer Mutterstern in Seitenansicht mit fast durchwegs verquollenen Spalthälften. 17. Endstadium des Muttersterns mit deutlicher Längsspaltung der Schleifen. 18. Stadium der Umordnung. 19 und 20. Dessgleichen. Fig. 20 in schiefer Seitenansicht. 21 und 22. Erstes Stadium der Tochtersterne. 23. Zweites Stadium der Tochtersterne. 24. Tochterknäuel nach vollzogener Theilung des Zellleibes. 25. Alterer Tochterknäuel. 26. Tochterknäuel beim Übergang zur »Ruhe«. Taf. X. Theilungsfiguren aus verschiedenen Geweben. Fig. 1—7 Theilungsfiguren vom Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Proteus. 1. Knäuel aus der Epidermis in der Nähe der Kiemen. 2. Knäuelhälfte aus dem Nierenepithel. 3. Knäuelendstadium aus der Epidermis nach Platinchloridhärtung und Safraninfärbung. 4. Mutterstern aus der Epidermis. 5 und 6. Umordnungsstadien aus der Niere. 7. Tochterknäuel aus der Niere. 8 A und 8 B. Knäuel aus der Epidermis der Salamanderlarve von beiden Seiten gesehen. 9 A und 9 B. Etwas älterer Knäuel eben daher, schwächer vergrößert. 9 A Polseite, 9 B Gegenpolseite. 24 Fäden. . 10. Bindegewebsknäuel der Salamanderlarve; von der Polseite gesehen. .11. Mutterstern im Bindegewebe der Salamanderlarve. . 12. Mutterstern in einer jungen Hodenepithelzelle des Proteus. .13. Dessgleichen in einem Hämatoblasten der Milz. In Fig. 11, 12 und 13 nicht alle chromatischen Fäden gezeichnet. .14. Tochterknäuel aus dem Hodenepithel des Proteus. Chrom-Osmium- Essigsäuregemisch. — Safranin, 330 C. Rabl, Uber, Zelltheilung. Fig. 15— 17. Pathologische Theilungsfiguren. Fig. 15 aus der Niere des Pro- teus. Fig. 16 und 17 aus der Epidermis der Salamanderlarve. Die Fig. 1—8 und 14 bei ausgezogenem , die we bei ee Tubus gezeichnet. Oc. II; Zeıss he: | Taf. XT’ Fig. 1—4. Kerne aus der ‘Harnblase des Proteus; bei anivehhciieecll ‘Tubus, Ocular II und HARTNACK 1/4 in der Höhe des Mikroskopfußes me Hämatoxylin. fi art Fig. 1. Zellkern aus dem: Blasenepithel. Fig. 2. Zellkern einer Muskelfaser. OH Fig. 3.. Zellkern aus dem Bindegewebe. iDaset et gid Fig. 4. Zellkern aus dem Endothel der Serosa. Fig. 5. Zellkern aus der Schleimhaut des Afters von Proteia: ZEISS 1/18. Safranin. Fig. 6. Kern einer Wanderzelle aus dem Nierenepithel des Proton. ZEISS 1/1. Safranin. Fig. 7. Kern aus der oberflächlichen Epidermisschicht von Triton cristatus vor der Hiutung. Zeiss 1/8. Safranin, - Fig. 8. a der Epidermis der Larve yon ‘Salamandra maculosa. EISS 1/ıg Fig. 9. Zwei Eckzellen einer Kiemenleiste von Dreissena polymor pha. Zeiss "hig. Fig. 10. Stück einer Drüsenzelle aus dem Riickenkamm eines Triton crist. _ Fig. 11. Mittelreifes Ei des Proteus bei schwacher Vergrößerung mit Einzeich- nung der bei stärkerer Vergrößerung sichtbaren Strukturen. % Keim- bläschen; Af Fäden in demselben; m Membran desselben; ¢ die der- selben anliegenden Körperchen; Da äußerer, Di innerer Dotter; g Grenze zwischen beiden. | Taf. XII. Schemata der Kerntheilung und des ruhenden Kerne». Fig. 1. Dichter Knäuel; a von der Suite, 6 vom Polfeld, e von der Gegen- polseite. Fig. 2. Lockerer Knäuel; a, 5 und ce wie in Fig. 1. Fig. 3. Späteres Knäuelstadium. Fig. 4. Endstadium des Knäuels mit are Fäden. Fig. 5. Anfang, des Muttersterns. Fig. 6. Ende des Muttersterns. Fig. 7. Umordnung. Fig. 8. Ende der Umordnung. Fig. 9. Stadium der Tochtersterne. Fig. 10. Tochterkniuel (Anfang). Fig. 11. Alterer Tochterknäuel. etal Fig. 12a und 12... Schema. des, ruhenden Kernes.. 12.@ von der Seite, 12 vom Polfeld. In der linken Kernhälfte sind nur die primären Kern- fäden gezeichnet, in der rechten das Kernnetz. Fig. 13. Schema einer Drüsenzelle. Fig. 14 und 15. Schemata der Umordnung nach HEUSER. Taf. XIII. Orientirungstafel. Die mit punktirten Linien umzogene und mit P bezeichnete Stelle giebt das Polfeld an. Im Übrigen erklärt sich die Tafel von selbst. —— ti Normkolog« > TGS Mn oe Re a a | we = x eo Bo & By SE Se RO ae BS N 4 ww ie K a RK Pe a Monpholog Jahrb BX. 2509, 10. WRAY forıhologJahrh Ba X VerizWilE Engels zen CRabl ad 2 a 2 < © © © © #& oe us Ge Be ae m DD | el IL “AI i) in» UU we Morpholog. Jahrb. Bd X N Taf MU. Ortentirungs Tafel. Taf Fig 4 Taf l Fig. 6A _ Ld Werl Wilh. Exgelmann, Leipzig. ZukAnct v Werner a Winter, Frandture X I —— A Ä Besprechung, L. Testur, professeur aggrege et chef des travaux anatomiques de la fac. de med. de Bordeaux. Les anomalies musculaires chez Yhomme expliquées par l’anatomie comparee leur importance en Anthropologie. ; Précédé d’une preface par M. le prof. Duvau. 8. Paris, Masson. 1884. XV, 844 pag. Die wissenschaftliche Anatomie hat nicht: erst in neuester Zeit begonnen ihr Augenmerk den Abweichungen zuzuwenden , welche im Bereiche der Orga- nisation des Menschen an den einzelnen Organsystemen auftreten. Fiir alle ‚jene Bildungszustände, welche nicht als krankhafte, Störungen der normalen Existenz des Organismus einleitende oder bedingende gelten können, hat man längst versucht Beziehungen zu entdecken, gleichwie die pathologische Anato- mie jene anderen Zustände gleichfalls in Beziehungen, eben zu pathologischen Processen gesetzt hat. Darin besteht eben alle Wissenschaft, dass sie die Dinge kritisch betrachtet und sie in kausale Verbindungen setzt. ' Jene Abnormitäten, welche wir hier im Auge haben, hat man meist in “zwei große Gruppen geschieden, indem man einen Theil auf ontogenetische Zu- stände zurückführen konnte, und sie von einer Fortdauer jenes Verhaltens ablei- tete. Für einen anderen Theil hat sich eine andere Verknüpfung klar dargestellt. Das sind solche, deren Ableitung von embryonalen Befunden versagte, sei es auch nur, weil die Ontogenie der Organe fiir manche Systeme der letzteren noch zu lückenhaft sich erwiesen hat. Für einen großen Theil solcher Zustände haben sich »Thierähnlichkeiten« herausgestellt, und für viele Befunde, besonders des Muskelsystemes, ist es längst kein Geheimnis mehr, dass sie uns in jenen Beziehungen verständlicher werden könner. Wer nicht darin bloße »Naturspiele« ‘sieht, — und das ist auch durch die Annahme nicht anders, dass da oder dort aus überschüssigem Materiale ein Muskelbauch sich gebildet habe, der eigent- lich nicht hierher gehört — der wird nach einem tieferen Grunde suchen ge- ‘hen, und den findet er in der Verknüpfung jener Bildungen mit denen ande- rer, verwandter Organisationen. Wenn man aus alle dem, worin Übereinstim- mungen der Organisation des Menschen mit jener der ihm zunächst stehenden Säugethiere zu erkennen sind, ein Motiv gewinnt für die Begründung eines solidarischen Verhaltens jener, so hat man nothwendigerweise auch für jene Abweichungen von der Norm die Verbindungen mit niederen Formen aufzu- 332 Besprechung. suchen und wird in jenen aus einem niederen Zustande tiberkommene Erb- stiicke sehen. Solche Versuche sind fiir einzelne Variationen des Muskelsystems mehrfach unternommen worden. In großem Maßstabe ausgeführt finden wir jene Aufgabe in dem oben bezeichneten Werke, zu dessen Anzeige und Be- sprechung uns die Bedeutung des Gegenstandes eingeladen hat. Wir brauchen dabei kaum vorauszuschicken, dass der Verfasser vollkom- men auf dem Standpunkte der Entwicklungslehre steht, denn von jedem ande- ren aus wäre die Behandlung des Themas unmöglich gewesen. Diesem Stand- punkt begegnen wir auch in der Einführung von DUVAL. Das Buch ist in fünf Abschnitte getheilt. Im ersten werden die Muskel- anomalien des Stammes behandelt, im zweiten jene des Halses und des Nackens, der dritte und vierte Abschnitt sind den Gliedmaßen gewidmet. In einem fünf- ten endlich ist eine Anzahl von Betrachtungen vereinigt, welche die Häufigkeit jener Anomalien, ihr Verhalten zur Erblichkeit, ihr Vorkommen bei Negerrassen, das Verhalten der Muskulatur des Menschen zu jener der Affen und ähnliche Fragen betreffen. Es repräsentirt dieser letzte Abschnitt somit einen allge- meinen Theil. In jedem der ersten vier Abschnitte sind die Muskeln nach Gruppen ge- ordnet, welche den traditionell unterschiedenen so ziemlich entsprechen. Dann folgen die einzelnen Muskeln, auch die sogenannten überzähligen sind jeder Gruppe beigegeben. Jeder einzelne Muskel wird zuerst in seinem normalen Verhalten beschrieben, dann in seinen Variationen, die wieder nach ihrer Qualität geord- net sind. Jeder Variation oder Anomalie folgt als »vergleichende Anatomie« eine Darstellung des Befundes bei Thieren, unter welchen die Mammalia selbstver- ständlich die bevorzugten sind. Aber auch auf Reptilien und Vögel wird eingegangen, manchmal sogar auf Amphibien. Ein bibliographischer Anhang bei jedem Muskel giebt die Litteraturnachweise, sowohl bezüglich der Va- rietäten als der Befunde bei Thieren. So viel über die äußere Einrichtung des Werkes, in welchem ein überaus reichhaltiges Material verarbeitet ist, und mit vielen neueren Angaben auch die durch die Litteratur bekannten in sehr vollständiger Weise zur Verwerthung kommen. Nicht behandelt sind die Kau- muskeln, die mimischen Muskeln des Gesichtes, so wie die kurzen Muskeln der Hand und des Fußes. Diese letzteren sollen in einer besonderen Schrift: »La main et le pied dans l’ordre des Primates« später zur Darstellung gelangen (pag. 575). In der eingehaltenen regionalen Behandlung bei der einzig das räumliche Beisammensein bestimmend wird für die Gruppirung, möchten wir einen Man- gel erblicken. Es wird dadurch zwar keineswegs der Vergleichung mit Thieren ein großes Hindernis in den Weg gelegt, allein es erwachsen doch für die Zwecke und Ziele der Vergleichung Schwierigkeiten aller Art, denn es wird dadurch morphologisch Zusammengehöriges geschieden und man verliert den Weg zur Erkenntnis des indifferenten Zustandes, aus welchem die differenzirten einzelnen Muskeln hervorgegangen sind. Je mehr wir die Ansicht für begründet halten müssen, dass die myologische Forschung ihren Zielpunkt in der Zurückfüh- rung der Muskulatur auf einfachere Zustände haben muss, oder die Ableitung der komplieirteren, weil differenzirter von einfacheren, indifferenteren, desto größeres Gewicht müssen wir auf ein Princip legen, welches ein wissenschaft- licheres ist, als das rein topograpbische, und eben desshalb auch sicherer leitet, wo es sich um die Frage der Zusammengehörigkeit handelt. Dieses Princip Besprechung. 333 beruht in der Riicksichtnahme auf die Innervation; seine Anwendung wird postulirt durch die Betrachtung des Muskels als eines Endorganes des Ner- ven. Die grundlegenden Arbeiten M. FÜRBRINGER’s, dem manche Andere ge- folgt sind, haben den Werth jener Auffassungsweise zur Genüge erwiesen. Wir brauchen sie hier nicht des Näheren darzulegen. Was aber für die ver- gleichende Myologie, wenn sie heute mit Neuem hervortritt, unerlässlich er- scheint, da es einen ganz bedeutenden Fortschritt anbahnt, das können wir auch für die Berücksichtigung der Anomalien oder Varietäten nicht für ent- behrlich halten. Für die sogenannten überzähligen Muskeln, die zuweilen wie Fremdlinge in Gesellschaft bekannter Muskeln auftreten, ist das in er- ster Reihe erforderlich. Das Gewicht der Vergleichung mit Muskeln von Thieren wird durch jene Rücksichtnahme verdoppelt, das Ergebnis in positive- rer Weise sicher gestellt. Man wird hiergegen einwenden können, dass jener Anforderung desshalb nicht entsprochen werden kann, weil fast die gesammte große Litteratur über Muskelvarietäten auf das Verhalten zu den Nerven keine Rücksicht nimmt, dass also die ganze Arbeit von mehr als einem Jahrhundert im Momente unverwerthbar ist. In diesem Momente, ja; aber nicht in einem späteren, wenn man von den allmählich immer wiederkehrenden Variations- befunden auch die Nerven aufgesucht und damit der Variation oder dem über- zanligen Muskel seinen bestimmten Platz angewiesen haben wird, dann sind auch die früheren Angaben der gleichen Fälle brauchbar, sie bieten statistisches Material. Nirgends, woes sich um einen wissenschaftlichen Fortschritt handelt, darf ja die Frage, was mit dem Alten geschehen soll, für den Vollzug des Fortschritts ein Hindernis sein. Das ist ja eben so in anderen Gebieten der Anatomie der Fall gewesen. Wir glauben übrigens, dass der Verfasser der von uns hier vertretenen Auffassung nicht ganz fern steht, denn er hat unsere früher einmal gegebene Deutung des hinteren Bauches des M. omo-hyoideus der HENLE’schen gegenüber acceptirt, und dabei gleichfalls auf die Innervation Gewicht gelegt. Eben so bringt er beim M. praesternalis (Sternalis brutorum) die BARDELEBEN’sche Annahme zur Geltung. Desshalb sind wir darüber verwundert, dass nicht auch bei anderen Muskeln deren Innervation für eine richtigere Auffassung verwerthet wurde. Ein sehr eklatantes Beispiel liefert der M. digastricus, dessen vorderer Bauch dem Trigeminus, der hintere dem Facialis-Gebiete angehört. Das Fehlen des vorderen Bauches lässt den Mus- kel mit seinem hinteren Bauche abnorm am Unterkieferwinkel inseriren, wie es bei Carnivoren und anderen als Regel gilt. Auch beim Orang scheint es, nachdem jetzt eine Reihe von Fällen dasselbe konstatirt hat, die Regel zu sein. Der vordere oder Trigeminus-Bauch wäre dann im Mylohyoideus zu suchen, der seinen Nerven von hinten, nicht von unten her empfängt. Vielfache Varietäten des vorderen Bauches zeigen die (beim Menschen) normale sagittale Rich- tung der Faserung in eine transversale übergeführt, in dieselbe, die dem M. mylohyoideus zukommt. Der Nerv tritt von oben her in den vorderen Muskelbauch des Digastricus, so wie er in den Mylohyoideus von unten her ge- langt. Durch all’ dieses giebt sich der vordere Bauch des Digastricus als ein zum Mylohyoideus gehöriger Muskel zu erkennen; der Digastricus ist aus zwei Muskeln zusammengesetzt. Im Fall einer angularen Insertion des hinteren Bauches kann also nicht ohne Weiteres von einem »Fehlen« des vorderen Bauches (pag. 272) gesprochen werden, sondern es ist der Nervus mylohyoideus zu prü- fen, ob er am hinteren Rande des M. mylohyoideus eintritt, oder von dessen 334 Besprechung. unterer Fläche her. Im letzteren Falle erst kann von einem wirklichen Defekte die Rede sein, im ersteren Falle dagegen besteht nur ein Indifferenzzustand des vorderen Digastricus-Bauches, der noch mit dem M. mylohyoideus vereinigt ist, mit ihm einen einzigen Muskel bildet. Dieselbe genetische Auffassung, wie sie aus der vergleichenden Betrachtung entspringt, ist auf viele Muskeln und ihre Varietäten anwendbar, so z. B. auf das Verhalten des Trapezius zum Sterno - eleido - mastoideus, wo die inter- mediären Portionen die Zusammengehörigkeit beider Muskeln eben so aus- drücken, wie die seltenen Fälle einer vollkommenen Kontinuität. Beide Mus- keln finden aber eine Behandlung an verschiedenen Stellen (pag. 89 u. 212). Ein wichtigerer Punkt als der vorhin aufgeführte betrifft die Vergleichung der theromorphen Befunde. Hierzu ist ein überaus reicher Apparat aufgeboten und man kann dem großen hierbei kundgegebenen Fleiße die verdiente Aner- kennung nicht entziehen. Betrachten wir uns an einzelnen Fällen das Verfah- ren des Verfassers. Beim M. rhomboides handelt es sich unter anderen Varia- tionen auch um die Reduktion der Insertionsstelle an der Scapula, der Muskel inserirt sich an dem unteren Winkel des Schulterblattes. Als »Anatomie com- parée« wird aufgeführt: »Das Kamel bietet uns nach MECKEL eine absolut ähnliche Disposition. Der Rhomboides bietet in der That bei dieser Art eine dreieckige Gestalt, und von den beiden ersten Dorsalwirbeln entspringend, be- festigt er sich einzig an dem hinteren Winkel der Scapula« (pag. 136). Von den Varietäten des Ursprungs des Sterno-hyoideus (Sterno - cleido -hyoideus) wird gesagt: »Diese verschiedenen Anfügungen treffen sich als normale Zustände in der Reihe der Wirbelthiere; so sehen wir den Muskel entspringend 1) vom Sternum allein (Sterno-hyoideus) bei Myrmecophaga (MECKEL) und bei der Mehrzahl der Edentaten (CuviER), bei den Lemuren (MILNE-EDWARDS), 2) von der Clavicula allein (cleido-hyoideus) bei den Cheloniern (MECKEL), 3) vom Knorpel der ersten Rippe (chondro- s. costo-hyoideus) beim Hunde (MECKEL) und bei der Katze (Srrauss- DÜRCKHEIM)« pag. 238. Beim Ursprunge des glenoidalen Kopfes des Biceps brachii wird auf den ähnlichen Befund bei den Chiropteren und den Vögeln verwiesen pag. 342. Diese Beispiele mögen genügen. Sie zeigen, dass der Verfasser die Ano- malien als nichts absolut Fremdartiges betrachtet wissen will, sondern als Zu- stände, welche in der Wirbelthierreihe als normale Einrichtungen realisirt sind. Wir halten zwar schon diese Auffassung für einen Fortschritt, besonders jener gegenüber, welche die Thatsachen der Variation einfach ignorirt oder ohne jede Beziehung betrachtet, aber wir glauben nicht, dass es bei dieser Behandlungs- weise bleiben darf. Was soll durch jene Vergleichung ausgedriickt werden? Doch nicht bloß das Bestehen ähnlicher Zustände der Muskulatur in verschie- denen Abtheilungen. Damit würde nicht viel geleistet sein. Jene Variationen sollen auch erklärt werden; erklärt durch Ableitung von verwandten Formen auf dem Wege der Vererbung. Die Anomalien der Muskeln wollen durch die vergleichende Anatomie verständlich gemacht werden, »expliquées par l’anato- mie comparée« sagt unser Verfasser schon auf dem Titel des Werkes und auch sonst finden wir diese Absicht ausgedrückt. Wir können nicht finden, dass ein Muskelbefund beim Kamel, beim Ameisenbär, bei einem Vogel a einer Schildkröte eine beim Menschen vorkommende Varietät explieirt, denn wir vermögen uns nicht vorzustellen, dass die atayistische Reihe bis zu jenen hjn- führt. Es ist nicht die Länge des Weges, die uns Schwierigkeiten böte, denn Besprechung. 335 für manche Muskeln, man denke an den M. pyramidalis, muss eben so weit zurückgegangen werden, — sondern es ist die abseits von der atavistischen Reihe liegende Stellung jener Formen, auf welche sie bezogen wird. Der Ver- fasser hat auch gewiss nicht die Absicht von Pferden und Kamelen, Cetaceen und Edentaten her Muskeln des Menschen abstammen lassen zu wollen, und er ist mehrfach, wo bei den Quadrumanen reicheres Vergleichungsmaterial vor- lag, bei diesem geblieben, ohne auf andere Ordnungen einzugehen. So z. B. bei dem M. levator claviculae (pag. 100). Allein dieser Standpunkt hätte durch- geführt werden sollen, und eine schärfere Scheidung jener Zustände, die sich als wirklich homologe darthun lassen, von den anderen, deren Homologie in hohem Grade zweifelhaft ist, wäre nicht unschwer ausführbar gewesen. Wie nahe der Verfasser dem Standpunkte steht, den wir für den richtigen ansehen, zeigt seine Ansicht über die eben erwähnte Biceps-+ Varietät, die er mit Fleder- maus- und Vogelbefunden vergleicht. In dem Ubertritte des Ursprungs des Glenoidkopfes des Biceps brachii auf den Humerus sah SABATIER eine Unter- breehung der Ursprungs-Sehne und betrachtet daher den Zustand als einen sekundären. Er nimmt daher einen Grund, jenen Kopf des Muskels nicht als einen humeralen gelten zu lassen. Wohl mit Recht. TesTUT acceptirt für die ähnliche ‘Variation beim Menschen diese Meinung; und glaubt, dass folglich gar kein Grund bestehe, eine Verschiedenheit beider Zustände aufrecht zu er- halten. Wir sind der Meinung, dass auch hier schärfer hätte unterschieden werden missen. Die Anomalie beim Menschen’ und der normale Befund bei den meisten Vögeln haben nichts mit einander gemein, als dass sie jede vollkommen von einander unabhängig auf dieselbe Art entstanden sind. Das Gleiche gilt von den Chiropteren. Es sind analoge Befunde mit dem äußeren Anscheine der Homologie. Denn es wird doch Niemand, der kritisch verfährt, die Anomalie beim Menschen als ein von den Vögeln oder Chiropteren her überkommenes Erb- stück betrachten. Wir sagen, Niemand der kritisch vesfährt, denn von Ande- ren steht auch die Aufnahme fliegender Organismen in die Ahnenreihe des Menschen zu erwarten, zumal da Aussicht besteht, wie für alles Paradoxe, bal- digst Anhänger zu finden! Doch wir kehren zu unserem Buche zurück, und bemerken nur, dass jene schärfere Scheidung durch Eingehen auf die Genese der Variation der Absicht des Verfassers, der gewiss ebenfalls keine Ableitung von den Vögeln will, besser entsprochen hätte. Die Bezugnahme auf Vögel und Chiropteren wäre dann als ein Beispiel der Ähnlichkeit des Vorganges in- struktiv gewesen, und das hätte genügt. Unter den gleichen Gesichtspunkt fällt eine große Anzahl anderer Varie- täten. Wir werden also solche, die als ererbte Einrichtungen sicher gelten können, atavistische Varietäten, von jenen aus einander halten, für die ein sol- cher Nachweis nicht erbracht werden kann. Diese theilen sich dann wieder in zwei Klassen, eifimal Varietäten, die im Bereiche der Wirbelthiere zwar als Normalbefunde bestehen, aber nicht direkt von daher auf den Menschen bezo- gen werden können, und zweitens solche, welche gar nicht von jenen Normal- befunden ableitbar sind und höchst wahrscheinlich nur aus individuellen Schwan- kungen der Muskulatur hervorgingen. Hierher gehört das Heer der Kapsel- spanner und zahlloser anderer Formationen. Wenn es auch mehr ein negatives Merkmal ist, welches letztere zusammenhält und von den ersteren unterschei- det, so ist doch, scheint mir, die Trennung durchaus geboten und jedenfalls besteht für beide eine Verschiedenartigkeit des Werthes und der Bedeutung der Fälle. 336 Besprechung. Zu der im Anschlusse an das TEsTuT’sche Werk gegebenen Besprechung des Weges, der nach unserer Auffassung fiir die Behandlung der Muskelvarie- täten einzuschlagen wäre, möchten wir noch beifügen, dass auch die ontogene- tische Prüfung der Muskeln Vieles aufzuklären vermag. Wir besitzen bereits mehrere in jener Richtung gehende Arbeiten, so von G. RuUGE über die M. in- terossei pedis, und können daraus ersehen, wie viel von dieser Richtung bei ihrer ausgedehnteren Verfolgung zu erwarten steht. Zunächst wäre die Unter- suchung von Embryonen überall da zu empfehlen, wo es sich um Muskeln han- delt, die beim Menschen diskret geworden, bei Säugethieren noch indifferent, d.h. mit einem anderen Muskel zusammen bestehen. Von den den letzten Abschnitt des Werkes zusammensetzenden Kapiteln wollen wir nur jenes hervorheben, welches über die Reproduktion der den Affen zukommenden Eigenthümlichkeiten der Muskulatur beim Menschen han- delt (pag. 806). Es wird darin mit Bezugnahme auf die vorhergehenden mehr deskriptiven Abschnitte nachgewiesen, wie alle jene Besonderheiten im Bereiche des Muskelsystems des Menschen als Varietäten wiederkehren. Trstur gelangt dabei zu dem Schlusse, dass es möglich sei, aus allen den einzelnen Fällen, wie sie beim Menschen vorkommen, ein Muskelsystem zu konstruiren, welches als das eines Affen gelten könne. Durch solche Verhältnisse sieht Verfasser die Kluft schwinden, die man innerhalb der Primaten angenommen hatte, denn es verliert sich das absolut Charakteristische, indem es nicht so ausschließlich, wie man wollte, nur der einen Abtheilung zugetheilt ist, sondern auch bei den anderen seine Geltung noch nicht verloren hat. Die Ausstellungen, die wir an dem Buche machen mussten, halten uns nicht ab, die vortheilhaften Seiten, welche das Werk bietet, zu unterschätzen. Wir sehen in dem Buche einen unzweifelhaften Fortschritt angebahnt und sind der Meinung, dass es Jedem unentbehrlich sein wird, der sich mit der Myologie des Menschen wissenschaftlich beschäftigt. C. G. Uber das Vorkommen spindeliger Körper im Dotter junger Froscheier. | Von Prof. 0. Hertwig, in Jena. Mit Tafel XIV. Seit einer Reihe von Jahren ist zum ersten Male von Fou! an jungen Eiern von Ascidien die eigenthümliche Erscheinung entdeckt worden, dass Kerntheile aus dem Keimbläschen auswandern, eine Zeit lang als Höcker auf der Oberfläche seiner Membran haften blei- ben und schließlich an die Eioberfläche emporsteigend zu Kernen von Follikelzellen werden, die sich aus dem Dotter entwickeln. Spä- ter beschrieb SCHÄFER ? außerhalb des Keimbläschens gelegene Kern- theile, welche er im Dotter von jungen Säugethiereiern beobachtet hatte. In jüngster Zeit endlich hat uns BALBIANI® sehr interessante Befunde von Myriapodeneiern mitgetheilt, bei welchen in einer ge- wissen Entwicklungsperiode nicht nur Kerntheile sich im Dotter zer- streut vorfinden, sondern sogar im Keimbläschen selbst eine beson- dere Öffnung zu ihrer Entleerung präformirt ist. Als FoL seine oben erwähnte Entdeckung machte, verbrachte ich mit ihm gleichzeitig den Winter in Messina, und da ich von ihm auf das Verhalten der Ascidieneier aufmerksam gemacht wurde, ließ i Fou, Sur l'oeuf et ses enveloppes chez les Tuniciers. Recueil Zoologique Suisse. ;.T..I., 1,1883, 2 SCHÄFER, On the structure of the immature ovarian ovum in the common fowl and in the rabbit. Proceedings of the royal Society. No. 202. 1880. 3 BALBIANI, Sur l’origine des cellules du follicule et du noyau vitellin de loeuf. Zool. Anzeiger Nr. 155 u. 156. Morpholog. Jahrbuch. 10. 22 338 0. Hertwig ich die Gelegenheit nicht vorübergehen, mir auch an Ascida intesti- nalis die Verhältnisse anzusehen und Zeichnungen zu entwerfen. Ich habe dieselben, sowie meine Beobachtungen hierüber, später nicht benutzt, da ich zu dem Bericht, welchen FoL von seiner Entdeckung gegeben hat, nichts Neues hätte hinzufügen können. Bestätigungen trafen bald auch von anderer Seite ein. Doch habe ich seit der Zeit die Frage nach dem Vorkommen besonderer Körper im Dotter junger Eier nicht aus dem Auge verloren. Vor etwa Jahresfrist beobachtete ich nun in jungen Froscheiern mit großer Konstanz auftretende, sehr charakteristisch geformte Ge- bilde, welche, wie mir scheint, seither nicht erwähnt worden sind. Ich will daher über dieselben einen kurzen Bericht geben, obwohl ich mich in der Frage nach ihrer Herkunft, ihrem Schicksal und ihrer Bedeutung noch jeglichen Urtheils enthalten muss. Zur Untersuchung dienten mir theils die Eierstöcke überwintern- der Froschweibchen, theils solcher Thiere, welche im Frühjahr kür- zere oder längere Zeit abgelaicht hatten. Die Beobachtung kann an frischen Objekten in Jodserum oder in physiologischer Kochsalz- lösung vorgenommen werden, noch mehr aber empfiehlt es sich den Eierstock während 2 oder 3 Minuten in ein Gemisch einer 0,30/,igen Osmiumsäure mit einer 0,1°/,igen Essigsäure einzulegen und dann in Jodserum oder chromsaures Kali zu übertragen, damit die Nachschwiirzung thunlichst vermieden wird. In Folge der Ein- wirkung der Osmiumsäure gerinnen die Eier vollständig homogen, so dass sie auch bei einer schon ansehnlichen Größe noch durch- sichtig bleiben. Wenn aber dieses Reagens allein zur Anwendung kommt, bleiben die Konturen des Keimbläschens, der Nucleoli und anderer Körper ziemlich undeutlich, dagegen treten sie sofort sehr scharf hervor durch den Zusatz einer stark verdünnten Essig- säure. Zugleich nehmen die Keimflecke ein etwas dunkleres, grün- bräunliches Kolorit an. Mit dieser günstigen, differenzirenden Wir- kung der Essigsäure ist aber zugleich der eine Nachtheil verknüpft, dass die Osmiumschwärzung viel rascher und intensiver erfolgt. Da- her darf die Mischung nur kurze Zeit einwirken. Überschwärzung kann übrigens theilweise wieder rückgängig gemacht werden durch die von SoLGER empfohlene Nachbehandlung mit Wasserstofisuperoxyd. Durch Einlegen in Glycerin kann man sich leicht Dauerpräparate herstellen, an welchen ich nach 6 Monaten alles Detail noch mit derselben Deutlichkeit wie zu Anfang sehe. Schnitte wurden nicht angefertigt, sondern nur die durch Zerzupfen der Eierstockslamellen Uber das Vorkommen spindeliger Körper im Dotter junger Froscheier. 339 aus einander gelegten jungen durchsichtigen Eier genauer betrach- tet. Wenn wir zuerst ziemlich große aber noch durchsichtige Eier, an welchen der sogenannte Dotterkern schon eine ansehnliche Größe besitzt, untersuchen, so treffen wir ziemlich verschiedenartige Be- funde. Bei einem Theil (Taf. XIV Fig. 1) liegt ein großer spindel- förmiger Körper bald dem Keimbläschen dicht an, bald zwischen ihm und der Dotterhaut, bald ganz in der Eirinde. Er erreicht zu- weilen eine Länge von 0,08 mm und eine Dicke von 0,007 mm. Er setzt sich durch eine glatte, scharf gezeichnete Kontur von dem ho- mogen geronnenen, aber zahlreiche Körnchen enthaltenden Dotter ab, so wie er sich von ihm auch durch die andersartige Beschaffen- heit seiner Substanz unterscheidet. Denn diese Substanz ist ganz körnchenfrei, hyalin, wie die Substanz der Keimflecke; auch bräunt sie sich in Osmiumessigsäure in ähnlicher Weise wie die letztere und wird dunkler gefärbt als das Dotterplasma, so dass die Spin- deln bei der von mir angegebenen Präparationsweise sofort bei schwachen und starken Vergrößerungen außerordentlich deutlich zu sehen sind. Die Form der Spindeln ist eine eigenthümliche. In der Mitte am dicksten laufen sie in der Regel in lange dünne und feine Spitzen aus. Niemals sind sie ganz gerade gestreckt; meist sind sie s-förmig gewunden (Fig. 1, 7, 8, 10), indem die eine Spitze nach der einen, die andere Spitze nach der entgegengesetzten Richtung umgebogen ist, selten sind sie halbmondförmig gekrümmt, zuweilen in mehr unregelmäßiger Weise geschlängelt (Fig. 4, 5, 6); einmal sah ich das eine Ende eingerollt (Fig. 3). In einem andern Falle war nur das eine Ende scharf zugespitzt und gekrümmt, während‘ das entgegengesetzte sich zu einer Keule verdickte (Fig. 9). Ein- mal beobachtete ich, wie ein Körper (Fig. 11) an seinem einen Ende in zwei Spindeln, die aus einander wichen, gleichsam gespalten war, so dass er etwa eine y-Figur angenommen hatte. Wo in den Eiern die oben beschriebenen großen spindelförmigen Körper auftreten, ist ihre Anzahl ausnahmslos eine sehr beschränkte. Selten sind ihrer drei, zuweilen zwei, gewöhnlich aber ist nur ein einziger zu sehen. Von den großen Formen ausgehend kann man alle möglichen Übergänge zu sehr kleinen spindeligen Gebilden auffinden (Fig. 7 8, 10). Entweder kommen sie neben den ersteren (Fig. 1), oder allein und zwar dann stets in großer Anzahl in einem Eie vor (Fig. 2). Am häufigsten sind solche, welche eine Länge von 0,03 mm erreichen, seltener sind die noch feineren, mehr fadenförmigen Gebilde, 22* 340 0. Hertwig wie sie in den Figuren S und 10 dargestellt sind. Auch diese kleinen und kleinsten Spindeln sind in ihrer Mitte verdickt und beiderseits zugespitzt, selten gerade gestreckt, meist geschlängelt oder s-förmig gebogen. Ihre Zahl ist schwankend. Manchmal habe ich ihrer 10—14 in einem Ei, das schon einen Dotterkern entwickelt hatte, gezählt. In der Regel ist ihre Lage im Dotter eine sehr oberflächliche, so dass sie nur durch wenig Rindensubstanz von der Dotterhaut ge- trennt sind. Hierbei sind sie in ziemlich regelmäßigen Abständen in der Eiperipherie vertheilt, indem ihr längster Durchmesser eine tangentiale Riehtung einhält. Man sieht daher einen Theil der Spin- deln von der Fläche, einen andern, der im Aquator des Kies gele- gen ist, im optischen Querschnitt. Im letzteren Falle kann man die Dicke der Dotterschicht, welche sie von der Eihaut trennt, genauer messen. Den in der Oberfläche des Eies gelegenen kleinen Spindeln können zuweilen Faltenbildungen in der Dotterhaut, die auch ge- schlängelt sind, sehr ähnlich sein, doch ist bei einiger Aufmerksam- keit eine Verwechslung der zwei ganz verschiedenen Dinge nicht möglich. Denn die Spindeln sind stets, wie man sich bei stärkeren Vergrößerungen und genauer Einstellung auf die im Äquator des Eies gelegenen überzeugen kann, in den Dotter selbst eingebettet. Die spindelförmigen Körper und zwar meist diejenigen von mittlerer und geringerer Größe finden sich auch in solehen Eiern vor, die noch keinen sogenannten Dotterkern gebildet haben und daher bloß aus ziemlich körnchenfreiem Plasma bestehen. Hierbei verdient aber besondere Erwähnung, dass wenn ich bei den zu verschiedenen Zeiten untersuchten Froschweibchen in ihren Eierstöcken die Spindeln fast stets nachweisen konnte, ich doch auch Eier hier und da zu Gesicht bekam, in welchen ich keinen einzigen besonders unterscheidbaren Körper außer dem Dotterkern im Dotter zur Darstellung bringen konnte. Endlich vermisste ich die spindeligen Körper stets in sehr kleinen Eiern. Anstatt dessen trat mir hier zuweilen ein Befund wie fol- gender entgegen: Außerhalb des schon ziemlich ansehnlichen Keim- bläschens, welches mit einer nieht unbedeutenden Anzahl größerer und kleinerer Keimflecke versehen war, lagen in der Höhe seiner Membran mehrere ovale und kugelige Körper im Dotter. Dieselben bestanden aus einer hyalinen, glänzenden Substanz, welche in dem Osmiumessigsäuregemisch ein ähnliches Aussehen wie die Keim- Uber das Vorkommen spindeliger Körper im Dotter junger Froscheier. 341 flecke und die oben beschriebenen spindeligen Körper darboten. Hier und da fanden sich in ihrer Nähe auch zahlreichere kleinere Kiigelchen derselben Substanz. Auch kam es vor, dass derartige Körper der Oberfläche des Keimbläschens mit breiter Basis außen aufsaßen. Der Befund bei Rana temporaria veranlasste mich auch die Eierstockseier anderer Anurenarten auf das Vorkommen spindelför- miger Körper zu prüfen. Hierbei vermisste ich dieselben, im Juni und Juli, wo ich die Untersuchung vornahm, beim Laubfrosch, bei der gewöhnlichen Kröte und der Feuerkröte. Dagegen stießen mir bei Weibchen von Rana esculenta, die kürzlich abgelaicht hatten, ähnliche Gebilde wie bei Rana temporaria auf. Doch sind sie hier leichter zu übersehen, theils weil sie meist nur in der Einzahl vor- kommen, theils weil sie kleiner sind. Sonst aber fand ich sie, wenn auch nicht mit der Konstanz, wie bei Rana temporaria, sowohl in ganz kleinen Eiern, als auch solchen von ganz ansehnlicher Größe, die aber ihre Durchsichtigkeit nicht eingebüßt hatten. In ihrer Form zeigen sie Besonderheiten. Niemals sah ich hier die charakteristische s-förmige Krümmung. Gewöhnlich sind die kleineren Spindeln gerade gestreckt (Fig. 12, 14, 15, 16, 17), ent- weder laufen sie in zwei scharfe Spitzen aus (Fig. 15) oder nur an ihrem einen Ende (Fig. 12, 16, 17), während das andere ein wenig keulenartig verdiekt ist. Nicht selten sind auch solche Formen, an welchen beide Enden verdickt und abgerundet aufhören (Fig. 14). In allen Fällen, wo die Spindeln keulenartige Enden besitzen, fin- den sich in diesen kleine Öffnungen, wodurch das Ganze ein ösen- artiges Aussehen gewinnt (Fig. 14). Seltener habe ich auch Spindeln beobachtet, welche zu einem Halbbogen oder zu einem Kreise zu- sammengekrümmt waren (Fig. 18, 19). Bei Rana esculenta liegen die spindeligen Körper meist zwischen Keimbläschen und Dotterhaut mitten inne. Wenn wir jetzt nach der Bedeutung dieser Gebilde fragen, so habe ich mir über dieselbe ein festes Urtheil noch nicht bilden kön- nen, erstens desswegen, weil ich über ihre Entstehung keine Beob- achtung habe machen können, und zweitens weil ich auch nicht anzugeben vermag, was schließlich in älteren Eiern aus ihnen wird. Sind die Spindeln Kerngebilde, die aus dem Keimbläschen abstam- men, und sind sie mithin an die von Fon, SCHÄFER und BALBIANI gemachten oben erwähnten Befunde anzuschließen? Oder haben wir es mit eigenthümlichen Konkrementbildungen zu thun, die sich viel- 342 Hertwig, Ub. d. Vork. spindeliger Körper im Dotter junger Froscheier. | leicht später in Dotterplättchen auflösen? Hierüber können nur aus- gedehntere Untersuchungen, von welchen ich zur Zeit Abstand nehmen muss, Licht verbreiten. Zum Schluss noch einige Worte über eine Arbeit von WILL!, welche, vor einigen Wochen erschienen, über die Entstehung des Dotters und der Epithelzellen bei den Amphibien und Insekten han- delt. Nach ihm sollen aus dem Keimbläschen von Anfang bis zum Ende seiner Entwicklung beständig Keimflecke auswandern. Sie sollen zerfallen und zu Dotterkérnchen werden. Durch das bestän- dige Nachrücken neuer sich umwandelnder Keimflecke soll die Dotterschieht immer mehr verdickt werden, bis schließlich das ganze Ei mit solehen Dotterkörnern angefüllt ist. Da es Kernsubstanz sei, die in die Bildung der Dottersubstanz eingehe, so solle es sich er- klären, woher das Ei das Baumaterial für die Massen der späteren Embryonalkerne nehme«. Nach Wut ist das Ei seiner Entstehung nach keine Zelle; vielmehr laufe der ganze Process der Eibildung auf die Bildung eines Produktes hinaus. Es ist auffällig, dass WILL in seiner Mittheilung nichts von den spindelförmigen Körpern erwähnt, welche den Gegenstand dieser Untersuchung bilden. Auf der anderen Seite sah ich an Eiern mit eben entwickeltem Dotterkern niemals ein Auswandern von Keim- flecken und einen Zerfall derselben, auch habe ich die Oberfläche des Keimbläschens stets glatt konturirt und niemals mit Höckern besetzt gefunden. Mit meinem Urtheil über die Angaben Wırr's muss ich indessen zurückhalten, so lange nicht die ausführlichere Arbeit mit Zeichnungen vorliegt; doch kann ich auch jetzt wohl schon so viel sagen, dass mir die Art, wie der Dotter gebildet wer- den soll, und die ganze Auffassung, welche Wit von der Eizelle gewinnt, den Verhältnissen wenig entsprechend erscheint. Jena, den 22. Juli 1884. 1 Wi, Über die Entstehung des Dotters und der Epithelzellen bei den Amphibien und Insekten. Zoologischer Anzeiger Nr. 167, 168. ‘ a ¢ vv \} x » Dias A % En Morpholog. Jahrb. Bd.X z Taf XIV. ——- fig 3 Fig. 5. Fig 16, he Betay di, Terlagw Wilh. Engelmam sn Lepzir. Tei dnt EAP unk Leyes Erklärung der Abbildungen. Tafel XIV. Fig. 1. Ei von Rana temporaria mit Dotterkern und zwei spindeligen Kör- pern. ZEISS D. Oc.?. Fig. 2. Ei von Rana temporaria mit Dotterkern und vielen spindeligen Kör- pern. ZEISS D. Oc.2. Fig. 3—11. Verschieden geformte größere und kleinere spindelige Körper von Rana temporaria. Fig. 12. Sehr junges Ei von Rana temporaria mit ovalen Körpern außerhalb des Keimbläschens, Fig. 13—19. Verschieden geformte spindelige Körper von Rana esculenta. Untersuchungen über Pori abdominales. Von H. Ayers. Mit Tafel XV. Ein noch ungelöstes Problem in der vergleichenden Anatomie ist der Ursprung, die Entwicklung und Bedeutung der Pori abdo- minales der Wirbelthiere. Der Grund davon lag wohl darin, dass alle Forscher, welche sich mit dem Studium desselben beschäftigt ha- ben, nur auf vergleichend-anatomischem Wege vorgegangen sind, und die entwieklungsgeschichtlichen Gesichtspunkte außer Acht gelassen haben. Da nun für mich die Überzeugung feststand, dass sich nur auf letzterem Wege befriedigende Resultate gewinnen lassen würden, so beschloss ich, das in Frage stehende Thema an Fisch-Embryonen zu studiren. Begonnen wurden die Untersuchungen auf Veranlas- sung des Herrn Geh. Rath Prof. GEGENBAUR im Anatomischen In- stitut zu Heidelberg, zu Ende geführt wurden sie in der Anatomie zu Freiburg. Zu diesem Zweck standen mir Salmo fario und sa- lar, so wie Petromyzon Planeri mit seinen Ammocoetes-Stadien zu Gebote. Die Beobachtungen wurden sowohl an lebenden Embryonen, als auch mittels der Schnittmethode an Alkoholpräparaten gemacht. Was zunächst den Salm betrifft, so konnte der Ausführungsgang der Harnblase, seiner außerordentlichen Feinheit wegen, nur dadurch von demjenigen des Tractus intestinalis unterschieden werden, dass sich an ersterem peristaltische Bewegungen unter gleichzeitiger Flüssig- keitsabsonderung konstatiren ließen. Die Körperhöhlen erstrecken sich bekanntlich unter schlauchartiger Verjüngung jederseits vom Untersuchungen über Pori abdominales. 345 Enddarm bis in die Schwanzwurzel, d. h. nach jenseits des Afters. Die Entwicklung der Pori abdominalis beim Salm und Neunauge ist prineipiell dieselbe, und gestaltet sich folgendermaßen. Hier wie dort handelt es sich um eine vorausgehende Verdünnung und darauf folgende Durchbrechung der Leibeswand in der unmittelbaren Nähe des Afters; oder mit anderen Worten, um Herstellung einer Kom- munikation des Coeloms mit der äußeren Welt. Ich wende mich zu- nächst zu Salmembryonen. Gegen den zwanzigsten Tag der Entwicklung kann man das Reetum und das hintere Ende des Harnausführungsganges leicht bis zur ventralen Oberfläche verfolgen; zu dieser Zeit zeichnen sich beide Gänge durch stark lichtbrechendes Epithel aus; von einer Öffnung derselben nach außen ist aber noch keine Rede. Der zwi- schen beiden liegende Raum, ist äußerst gering und an manchen Stellen kommt es sogar zu direkter Berührung. Die Kloakengegend ist deutlich ausgebuchtet und springt als Wulst vor, in dessen Mitte sich später der Verdauungskanal öffnet. Am fünfundzwanzigsten Tage ist dies geschehen, und auch die Harnausführgänge sind zum Durchbruch gelangt. Alle diese Gänge öffnen sich auf dem Grunde einer, zur Körperlängsachse querliegenden Einfaltung der äußeren Haut, und diese liegt genau an der Stelle des früheren Kloakenwulstes. Bei dem ganzen Bildungsvorgang spielt das Wachs- thum des ventralen Flossensaumes eine wesentliche Rolle. Harn- _ und Darmöffnungen liegen so dicht neben einander, dass sie nur durch die Dicke der Kanalwände getrennt sind; später aber wird der Abstand ein großer, so dass er mindestens der Weite des Trac- tus intestinalis gleichkommt. Gegen die Mündung zu bleiben sie jedoch nach wie vor in direkter Berührung. Bei einem vierzigtägi- gen Embryo aber rücken sie auch hier aus einander, und der betref- fende Zwischenraum zeigt sich durch schwammartiges mesodermales, aus unregelmäßigen und häufig sternförmigen Zellen bestehendes Gewebe ausgefüllt. Dieselben Zellen bilden auch das Baumaterial für den größten Theil der ventralen Flossenmembran. Am einund- sechzigsten Tage hat der Abstand zwischen den beiden Kanälen noch weiter zugenommen und das mesodermale Gewebe ist nun in beharrlicher Rückbildung resp. Resorption begriffen, so dass schließ- lich die Leibeshöhle nur noch durch eine sehr dünne, im Wesent- lichen nur noch aus Peritonealepithel bestehende Membran von der Außenwelt abgeschlossen ist. Jene Membran wird übrigens von ihrer Außenseite durch ektodermales Epithel verstärkt. 346 H. Ayers Indem nun Intestinalkanal und Harnkanäle immer weiter von einander abrücken, verwandelt sich die Kloakenbucht, unter gleich- zeitigem Größenwachsthum der ventralen Flossenmembran in einen immer tiefer einsinkenden becherartigen Hohlraum, welcher nun auch von beiden Seiten her durch eine paarige, halbmondförmige Hautfalte abgeschlossen wird. Auf der eben beschriebenen Stufe verharren die betreffenden Bildungen noch längere Zeit; und man bekommt den Eindruck, dass ein unbedeutender Umstand genügen würde, um einen Durchbruch der Leibeswand zu erzielen. Was nun Ammocoetes anbelangt, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die vorhandene Kloakenhöhle trotz ihrer vom Salm verschiedenen Entstehung ein der Salmoniden- Kloake homologes Organ darstellt, und dasselbe gilt auch für die schlauchartig sich verjüngenden Hinterenden des Peritonealsackes. Diese Ansicht wird unterstützt durch die entsprechende Lage des Harn- und Darmkanals ; und was nun die eben berührte genetische Verschiedenheit betrifft, so handelt es sich, wie ich oben gezeigt habe, bei Salmoniden um eine, durch das Vorwachsen der Körperwände bedingte Buchtbildung, während letztere bei Ammocoetes primär, d. h. durch direkte Ein- sinkung des Integumentes entsteht. Von einem prineipiellen Unter- schied kann also entgegen der Annahme von BripGe! nicht die Rede sein. Offenbar handelt es sich bei den durch BrinGE loc. cit. und Turner beschriebenen Peritonealpapillen der Selachier und Sauropsiden um reine Homologa der dünnen, ektodermalen Wand, die später bei Salm zur Papille wird. Aus Obigem dürfte zu ersehen sein. dass die Stelle der Kloake, welehe von den Pori abdominales durchbrochen wird, nur von ektodermalem Gewebe gebildet wird und dass dabei das Entoderm gar keine Rolle spielt. Von den ScoTT- schen Behauptungen?, welche BALFOUR eitirt, weiche ich ganz und gar ab (BALFoUR® pag. 514): »This section would appear ..... sr to be derived from a part of the hypoblastic cloacal section of the alimentary tract.« ! Die nach hinten sich erstreckenden, seitlich vom Traetus intesti- nalis liegenden Enden des Coeloms, werden dorsalwärts durch ein 1 J. W. Bripge, Pori abdominales of Vertebrata. Journ. of Anat, and Physiol. Vol. XIV. 1879. 2 W. B. Scott, Vorläufige Mittheilung üb. d. Entwicklungsgeschichte der Petromyzonten. Zool. Anz. Nr. 63 und 64. Jahrg. III. 1880. 3 J. W. BaLrour, Comparative Embryology. London 1881. Vol. II. pag. 81 und 514. Untersuchungen über Pori abdominales. 347 primitives Mesenterium getrennt, während sie an der ventralen Seite des Darmes mit einander in freier Verbindung stehen. Noch weiter nach hinten, d. h. an der Stelle, wo sich der Enddarm in die Kloake herabsenkt, ist die Scheidung auch ventralwärts erreicht. Im Innern der dorsalwärts einspringenden Mesenterialfalte findet sich ein schwammartiges mesodermales Gewebe, weiter nach hinten jedoch kommt es zu direkter Berührung des die Kloake auskleidenden Epithels mit dem zelligen Peritonealbelage. Letzteres (das Perito- nealepithel) zeigt sich an der betreffenden Stelle beträchtlich ver- diekt und besteht hier aus mehreren Schichten. Diese Thatsache kommt um so unerwarteter, als später gerade an dieser Stelle der Durchbruch in die Kloake stattfindet. Die ganze Verdickung erin- nert aufs genaueste an den der Bildung der Geschlechtsdrüsen vor- ausgehenden epithelialen, an der dorsalen Körperwand gelegenen Wall, doch lassen sich zwischen beiden keine Beziehungen nach- weisen, und von Flimmerepithel ist bei der in Frage stehenden Bil- dung keine Rede. Was die von BRIDGE! und BALFOUR? angeführten, in der Nach- barschaft der Pori abdominales liegenden, taschenförmigen Einstül- pungen der Kloakenwand anbetrifit, so kann ich über ihre Bedeutung keine sichere Auskunft geben, nur so viel steht fest, dass sie mit der Bildung der Pori abdominales nichts zu schaffen haben. Wenn es erlaubt ist von dem von mir untersuchten, verhältnis- mäßig geringen Material aus, weitere d. h. allgemeinere Schlüsse zu ziehen, so möchte ich behaupten, dass es sich bei der Bildung der Pori abdominales stets um eine nur einfache Durchbrechung der Kör- perwand, und stets in der ganzen Thierreihe um homologe Bildungen handelt; und dass ferner die sogenannten Peritonealpapillen und Peritonealtaschen ontogenetisch unwichtige Gebilde sind, welche ohne ersichtliche Ursache innerhalb derselben Art und auch inner- halb desselben Individuums, je nachdem es sich in geschlechtsreifem oder noch in unausgebildetem Zustande befindet, vielfach variiren. Keinesfalls stehen die Öffnungen, welche die Verbindung zwi- schen der Leibeshöhle und dem umgebenden Medium herstellen, in irgend welchen nachweisbaren Beziehungen zu bestimmten anderen Gebilden, wie z. B. zu den Segmentalorganen, MÜüLLERr’schen Gän- 1 J. W. Bripge, Pori abdominales of Vertebrata. Journ. of Anat. and Physiol. Vol. XIV. 1879. 2 J. M. BALFoUR, The Urogenital organs of Vertebrata. Journ. of Anat. and Physiol. Vol. X. 1876. 348 H. Ayers gen, oder dem embryonalen Schwanzdarm. Diese Ansicht wird durch eine ganze Reihe bekannter Thatsachen unterstützt, während keine einzige gegen sie spricht (vgl. TURNER’s Beschreibung von dem ausgewachsenen Exemplar von Seyllium canicula, und den bei- den Embryonen [resp. 9°/, Zoll lang] von einer unbekannten Art von Carcharias [TURNER', pag. 101, 102]). Obgleich schon in sehr früher embryonaler Zeit angelegt, kom- men sie doch erst zur Zeit der Geschlechtsreife zum Durchbruch, und da es einstweilen durch Resorption des mesodermalen Zwischen- gewebes zu direkter Berührung der Kloakenwand und des Peritoneal- epithels gekommen ist, so erscheint jener gewissermaßen nur als ein zufälliges durch rein mechanische Momente (Berstung der gespann- ten und verdünnten Epithelschichten) herbeigeführtes Ereignis. Dass die Pori abdominales bei gewissen Fischen (Cyclostomen, Salm, Mormyrus, ete.) in direkter Beziehung zum Geschlechtsappa- rat stehen, d. h. als Ausführwege der Geschlechtsprodukte dienen, ist bekannt; viel schwerer ist nun aber die Frage zu entscheiden, was sie bei Thieren, die außer ihnen noch besonders differenzirte Geschlechtswege haben, für eine Rolle spielen mögen. Gleichwohl scheinen auch hier zwischen ihnen und dem Sexualsystem gewisse Beziehungen zu bestehen, da sie, wie BRIDGE und TURNER mitthei- len, zur Zeit der Geschlechtsreife, so gut wie der ganze übrige Ge- schlechtsapparat, einer gesteigerten Vascularisation unterliegen. Vielleicht dürfte man erwarten, auf experimentalem Wege zu sicheren Resultaten zu gelangen. Man könnte die Thiere in ein mit Karmin oder einem anderen Stoffe gefärbtes Fluidum lebend ein- setzen und so beobachten, ob man bei nachfolgender Sektion die gefärbten Massen innerhalb der Leibeshöhle antrifft —; oder man könnte Farbstoffe in die Leibeshöhle einbringen und dann zusehen, ob sie durch die Pori abdominales ausgeschieden würden. Es ist dieser Gedanke sehr naheliegend, weil doch bei allen Anamnia, so weit bei ihnen Nephrostomen nachgewiesen sind, ein in ihrer Rich- tung sich bewegender Strom von Peritonealflüssigkeit zu konstatiren ist (vgl. die Untersuchungen SPENGEL’s über das Urogenitalsystem der Amphibien). Es handelt sich somit bei den genannten Thieren, wie es scheint, um die Nothwendigkeit, das gesammte oder wenigstens einen Theil 1 TURNER, Pori abdominales of some Sharks. Journ. of Anat. and Physiol. Vol. XIV. 1879. Untersuchungen über Pori abdominales. 349 des Fluidum peritoneale aus dem Körper zu eliminiren; und es wäre nicht unmöglich, dass es sich dabei um eine regressive Metamorphose stickstoffhaltiger Substanzen handeln könnte. Ensteht ja doch auch der Exkretionsapparat, d. h. die Nieren sämmtlicher Vertebraten, aus einer Wucherung, resp. einer Differenzirung des Peritonealepi- thels, und so wäre vielleicht der Gedanke erlaubt, dass die Pori ab- dominales uralte Erbstücke aus einer Zeit sind, wo es sich noch um keine differenzirte Vorniere, sondern nur um eine diffuse secer- nirende Peritonealfläche gehandelt hat. Zum Schluss verweise ich, was die Verbreitung der Pori abdo- minales in der Thierreihe anbelangt, auf die frühere Litteratur, wie vor Allem auf das Lehrbuch der vergl. Anatomie von WIEDERS- HEIM!. Ich möchte nur noch dem Gedanken Raum geben, dass die Pori abdominales bei niederen Wirbelthierformen öfter vorkommen mögen, als man bis jetzt annimmt, denn ein Versuch, sie mittels Injektion von Flüssigkeiten in die Körperhöhle nachzuweisen, schlägt oft fehl wegen der Leichtigkeit, mit der die inneren Öffnungen durch Bauchfellfalten oder benachbarte Eingeweide geschlossen werden. Bedeutungsvoll bleibt es immerhin, dass der Apparat seine Hauptverbreitung bei den niedersten Vertebraten findet und es ist als eine noch offene Frage zu betrachten, warum sich in der ganzen Reihe der mit den Fischen doch im Allgemeinen so nahe verwandten Amphibien keine Spur davon nachweisen lässt, während er dann bei einigen Reptilienformen, nämlich bei Cheloniern und Krokodilien, plötzlich wieder in die Erscheinung treten soll. Freiburg i. Br., 10. Juni 1884. 1 R. WIEDERSHEIM, Vergleichende Anatomie der Wirbelthiere. Jena 1884. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Fig. 9. Erklärung der Abbildungen. aan Tafel XV. Optischer Sagittalschnitt durch die Mitte des rechten Peritonealkanals von einem 32tägigen Embryo von Salmo fario. Vergr. 50. Derselbe von einem 40tägigen Embryo. Vergr. 50. Derselbe von einem 88tagigen Embryo. Vergr. 50. Optischer Sagittalschnitt durch den linken Peritonealkanal von einem 6ltägigen Embryo von Salmo salar. Vergr. 50. Ein Durchschnitt durch den Körper eines Embryo von Salmo salar mit Einschluss der Kloakalregion. Vergr. 10. Schnitt durch den rechten Peritonealkanal eines 87tégigen Embryo. Vergr. 40. Querschnitt von einem Ammocoetes von Petromyzon fluviatilis 6 cm lang. Der Schnitt ist von einem hinter den Öffnungen der Wourr'schen Gänge und des Afters liegenden Punkte aus genommen und führt durch die Gegend, wo sich das Peritoneum und die Kloakenwand berüh- ren. Vergr. 50. Die Kloakalgegend von demselben Schnitt, stärker vergrößert, um den zelligen Bau der Wand zu zeigen. Schema der Kloakalgegend eines Petromyzon Planeri (Ammocoetes- stadium). Zeichen-Erklärung: a After, Mm Muskelmasse. c.i Intestinalhöhle, Ms Mesenterium, cl Kloake, p.a Porus abdominalis, c.p Peritonealhöhle, u Harnröhre, ec.v Blasenhohle, v venöse Gefäße, d Aorta. v.c Vena cava ascendens. fl Flosse. Morphol Jahrbuch Bd X. —— Cav._periton. ATV oh nis Cac. intestin Cav. pertton. LS S. Sarto Su £losse, Poe Verlag v Wilh. Engelmann, Leip zig. Lith. Anstv. J.GBach =) Leipzig PAR pa Bein! N Beiträge zur Kenntnis des Gastropodenauges. Von C. Hilger. Mit Tafel XVI und XVII. Die erste Kenntnis des Schneckenauges verdanken wir Swam- MERDAMM (31). Seine Beschreibung des Auges von Helix lautet: »Ich habe fünf unterschiedene Theile am Auge der Schnecken mit- tagklar befunden; als eine äußere Haut, die Traubenhaut, drey Feuchtigkeiten oder Säffte innwendig, als die wässerige, die cry- stallen und die gläserne und um diese die spinnwebige Haut.« Von diesen Theilen sind die »äußere Haut«, die »Traubenhaut« und die »krystallene Feuchtigkeit« sicher als die Ausbreitung des Sehnerven, die Retina und die Linse aufzufassen, während eine sichere Deutung der »spinnwebigen Haut«, der »wässerigen« und »gläsernen Feuchtigkeit«, wenn man unter einer der letzteren nicht etwa die Trümmer der Stäbchen verstehen will, nicht möglich ist. Später untersuchte SPALLANZzANnT (30) dasselbe Objekt und konnte denn, wenn auch sonst mit SwAMMERDAMM übereinstimmend, diese drei Theile nicht auffinden. Dieser Beobachtung gegenüber, die ja der Wirklichkeit fast entspricht, ist die Arbeit Stıeser’s (29) als ein entschiedener Riickschritt zu bezeichnen. Er hält nämlich die Anschwellung des Tentakelnerven für das Auge und dieses selbst für die Iris. Der nächste Forscher, der sich mit dem in Frage stehenden Organe beschäftigte, war BLAINVILLE (3). Er untersuchte das Auge 352 C. Hilger von Voluta cymbium und fand eine faserige Hülle, eine Chorioidea, eine große Linse und eine ziemlich konvexe Cornea. Die Arbeit HuscHke’s (15) zeigt in so fern einen bedeutenden Fortschritt, als wir hier zum ersten Male das Vorkommen unpigmen- tirter Stellen in der Chorioidea erwähnt finden. Im Übrigen schließt sie sich der Ansicht SPALLANZANTs an, ohne aber in Betreff des Feh- lens oder Vorhandenseins des Glaskörpers zu einem sicheren Schluss zu kommen. Home (13), der zu gleicher Zeit mit Huscuke unser Thema behandelte, kam zu dem merkwürdigen Resultat, dass den Sehnecken die Augen überhaupt fehlten; eine Behauptung, welche, wie es scheint, wenig oder gar keine Berücksichtigung gefunden hat, da spätere Beobachter (bis KEFERSTEIN) davon keine Notiz nehmen. Es folgen nun eine Anzahl Arbeiten von J. MÜLLER (23 und 24) und Kroun (18), von welchen der Erstere die Ansicht SPALLANZANTS, Letzterer die SWAMMERDAMM'’S vertritt, wozu er dadurch geführt wurde, dass es ihm gelungen war, das Vorhandensein eines Glaskörpers im Auge von Paludina vivipara nachzuweisen. Außerdem fand er einen der Chorioidea aufliegenden grauen Überzug, den er Retina nennt: die Stäbchenzone. Wesentlich derselben Ansicht wie KRoHN und von diesem haupt- sächlich nur dadurch differirend, dass die Existenz eines Glaskör- pers (außerdem eines Humor aqueus) überall als sicher angenommen wird, ist Mogum-Tanpon (25), der, wie es scheint, nur einen Auszug aus der Arbeit von Lesp&s (19), die ich leider nicht auf- treiben konnte, giebt. Während alle bisherigen Arbeiten fast ausschließlich den allge- meinen Bau des Auges behandelten, ohne auf die Histologie Rück- sicht zu nehmen, beschäftigen sich die folgenden vorwiegend mit dem histologischen Bau der Augentheile. LeypiıG (22) beschreibt eine zwischen der Umhüllung des Augen- bulbus und der Pigmentzone gelegene zelligkörnige Schicht, die auch von KEFERSTEIN (16) erwähnt und als äußere Retina bezeich- net wird. Zugleich wird von diesem darauf aufmerksam gemacht, dass zwischen dieser »äußeren Retina und der Pigmentzone eine scharfe Grenze nicht existire, sondern dass beide in einander über- gehen, was LeypiG (21) später dahin berichtigte, dass äußere Re- tina und Chorioidea nicht zwei verschiedene Strata darstellen, son- dern ein und denselben Zellen angehörten. Fast gleichzeitig fand Hensen (11), dass die sog. Sklera nicht Beiträge zur Kenntnis des Gastropodenauges. 353 eine einfache Membran darstelle, sondern sich aus zwei Schichten zusammensetze. Als ganz bedeutender Fortschritt sind Bapucutn’s (1) Resultate zu verzeichnen. Danach zerfällt die Retina ihrer ganzen Dicke nach in regelmäßige, zusammengesetzte Gebilde, die er Stäbehen nennt. Jedes derselben baut sich aus einem mittleren, unpigmentirten Theil (Centralzelle) und einer Anzahl diesen umschließender, pigment- -führender Gebilde auf und trägt an seinem vorderen Ende einen »Ansatz«. Eine weitere Arbeit Hensen’s (12) bestätigt, wenigstens theil- weise — die von BABUCHIN beschriebenen unpigmentirten Zellen konnte er bei dem von ihm untersuchten Objekt nicht auffinden — diese Ansicht über den Bau der Retina. Die Basucutn’schen Ansätze werden von HENSEN Stäbchen genannt und als diekwandige Röhren mit im Innern verlaufendem »Faden« beschrieben. Zuletzt! beschäftigte sich mit unserem Thema SımRoTH (27). Da ich in Folgendem wiederholt auf dessen Beobachtungen zurück- zukommen haben werde, will ich hier nicht näher auf dieselbe ein- gehen. Es erübrigt nun noch einer Reihe von Untersuchungen zu ge- denken, die sich weniger mit dem feineren Bau des Sehorgans als vielmehr mit einer merkwürdigen Form desselben beschäftigen. Rup. BERGH (2) fand bei einigen niederststehenden Prosobran- chiern Augenformen, die von denen der übrigen in auffallender Weise abweichen, Sie erscheinen als einfache Einsenkungen des Tentakelepithels und entbehren (wenigstens theilweise) nicht nur der Linse, sondern auch des Glaskörpers (?). Seine Vermuthung, dass ein ähnliches Verhalten auch bei an- deren, auf derselben Stufe stehenden Thieren zu finden sein möge, wurde zuerst durch Braun (4), der bei Fissurella offene Augen fand, bestätigt. Eine weitere und zwar die erste genauere diesbezügliche Arbeit lieferte Fraısse (7), der die Augen von Patella, Haliotis und Fissu- rella beschreibt. Das Auge von Patella bildet eine kleine becher- förmige, von der Retina ausgekleidete Einsenkung und soll jeglicher lichtbrechender und leitender Apparate entbehren, wogegen das 1 Der Vollständigkeit wegen ist hier noch die Arbeit von HuGUENIN (14), der ungefähr auf dem Standpunkte STIEBEL'S steht, zu erwähnen. SRO wurde dieselbe von FLEMMING (6) besprochen. Morpholog. Jahrbuch. 10. 23 354 C. Hilger ebenfalls geöffnete Auge von Haliotis asinina und tuberculata sowohl ein lichtbrechendes Medium als auch einen Sehnerven besitzt. Die von FrAıssE untersuchten Fissurella-Arten hatten geschlossene Augen. Da alle ewähnten Arbeiten sich nur mit ganz wenigen Formen beschäftigen, war es meine Aufgabe, meine Untersuchungen vor Allem auf eine möglichst große Anzahl von Arten auszudehnen !, wozu mir durch die Güte meines hochverehrten Lehrers, Herrn Prof. BürschLı, der mir in liberalster Weise das Material der hiesi- gen zoologischen Sammlung zur Verfügung stellte, die Möglichkeit gebo- ten wurde und möchte ich hier, nicht nur allein dafür, sondern auch für seine freundlichen Rathschläge und das Interesse, das er dem Fortschreiten meiner Arbeit zuwendete, meinen herzlichsten Dank aussprechen. Mögen nun noch einige Worte in Betreff der Untersuchungs- methode erlaubt sein. Zur Konservirung des zu Schnitten bestimmten Materials war theils Mürter’sche Flüssigkeit, theils Pikrinschwefelsäure, theils koncentrirte Sublimatlösung, oder aber auch bloß Alkohol verwendet worden. Allgemein zu sagen, welches von diesen Mitteln das zweckmäßigste wäre, ist unmöglich; bald bietet das eine, bald das andere bessere Dienste, doch ist zu erwähnen, dass durch koncen- trirte Sublimatlösung fast regelmäßig die Stäbchen ausgezeichnet er- halten wurden. 1 Untersucht wurden: Cyclobranchia: Patella, rota Chemn., yul- gata L., coerulea L.; Nacella pellucida Leach. Aspidobranchia: Fissu- rella graeca L., nodosa, Züppellii Sow.; Haliotis tuberculata L.; Turbo crenife- rus Kiem., Chemnitzianus Reeve; Trochus dentatus Forsk., erythraeus Br., ficti- lis Jon., articulatus L., cinereus L., magus L.; Nerita polita L., quadricolor Gm. Rumphii, undaL. Ctenobranchia: Oliva inflata L., Mitra episcopalis Lam., Murex hystrix Mart., virgineus Bolt, trunculus L., brandaris L.; Fusus Syracu- sanus L.; Euthria cornea L.; Pyrula paradisiaca Mart.; Columbella rustica L.; Fasciolaria trapezinum L.; Buccinum undatum L.; Nassa mutabilis L.; Conus accuminatus Brug., arcuatus Hw., lineatus Chemn., mediterraneus Brug., su- matrensis Lmk.; Littorina intermedia Phil.; Cyclostoma elegans Miill.; Paludina vivipara Lmk.; Cerithium vulgatum Br.; Cypraea melanostoma Sow., pantherina Sol., turdus L., arabica L.; Strombus fasciculatus Born, lentiginosus L., tricornis Mart.; Pteroceras lambis L.; Rostellaria magna Schn.; Dolium galea L., olea- rium L.; Cassis suleosa Lam.; Cassidaria echiniphora L.; Tritonium corruga- tum Bl., nodiferum L., parthenopaeum Salis.; Pulmonata: Limnaea stagna- lis L.; Planorbis corneus L., carinatus Miill.; Vitrina brevis Fer., pellucida Miill., Helix fruticum Miill., lapicida L., ericetorum Miill., arbustorum L., hor- tensis Müll., nemoralis L., pomatia L.; Arion empiricorum Fer., Limax agre- stis L., cinereoniger Wolf. Beiträge zur Kenntnis des Gastropodenauges. 355 Von den mannigfachen Färbemitteln, die versucht wurden, be- währte sich am besten das Hämatoxylin und fand ich es vortheil- haft, das Objekt ziemlich stark zu überfärben und dann je nach Bedarf mehrere Stunden bis einige Tage in schwache Alaunlösung einzulegen. So behandelte Präparate zeigen nicht nur eine äußerst distinkte Kernfärbung, sondern lassen auch die Zellgrenzen sehr deutlich hervortreten. Die Art der Untersuchung betreffend, ist zu erwähnen, dass die- selbe sowohl an Schnittserien, wie an Macerationspräparaten durch- geführt wurde. Zu ersterem Zweck wurde das Objekt in der be- kannten Weise in Paraffin eingebettet, mit Hilfe des June’schen Mikrotoms in feine (0,005—0,003 mm) Schnitte zerlegt, diese nach der GIESBRECHT’schen Methode aufgeklebt und wie gewöhnlich wei- ter behandelt. Als Macerationsmittel leisteten koncentrirte, zur Hälfte ver- dünnte Oxalsäurelösung, sehr verdünnte MüLLer’sche Flüssigkeit und besonders eine schwache Lösung (?—3°/,) von Kali chromic. gute Dienste. Bei frischem Material genügte meist schon das Einlegen während einiger Stunden; bei Augen, die vorher gehärtet waren, musste dies jedoch manchmal auf mehrere Wochen ausgedehnt werden. Stärker wirkende Macerationsmittel, wie Essig- und Salpeter- säure, sowohl verdünnt als auch koncentrirt und in Verbindung mit chlorsaurem Kali und eben so Chlorwasser, boten in einzelnen weni- gen Fällen einigen Vortheil, wurden aber nur dann angewandt, wenn die erhaltenen Resultate in anderer Weise zu kontrolliren waren, da durch sie die Gewebe zu sehr angegriffen wurden, um zweifellose Schlüsse zu gestatten. Da bei den durch Maceration des ganzen Organs gewonnenen Präparaten in den meisten Fällen die Orientirung ungemein schwie- rig ist, verwendete ich zu Isolationspräparaten fast ausschließlich Sehnitte. Bei hinreichendem Material empfiehlt es sich, das bereits macerirte und gefärbte Objekt in Schnitte zu zerlegen, die dann, nachdem das Einbettungsmaterial entfernt, sofort weiter behandelt werden können. Andernfalls kann die Maceration auch am Schnitt selbst vorgenommen werden. In beiden Fällen wurde die Trennung der Elemente nach der von Hertwia angegebenen Methode durch leichtes Klopfen auf das Deckglas bewerkstelligt. Das Pigment erweist sich gegen Reagentien ungemein wider- standsfähig. Die zuerst versuchte Salpetersäure, die GRENACHER 23* 306 C. Hilger beim Arthropodenauge mit so gutem Erfolg verwendete, erwies sich als völlig unbrauchbar. Nicht besser ging es mit anderen, sowohl verdünnten als koncentrirten Säuren. Caustica, Natron- und Kali- lauge zerstören die Gewebe rascher als das Pigment. Durch Ko- chen des Objektes in koncentrirter Salpetersäure und chlorsauerm Kali, eben so durch längeres Einlegen desselben in Chlorwasser tritt zwar eine Entfärbung ein, aber diese Mittel wirken gleichzeitig sehr energisch auf das Gewebe ein, wodurch ihre Anwendung aus- geschlossen wird. Die Entfernung des Pigmentes auf mechanischem Wege, durch Druck, ist natürlich ohne Eingriffe in die Integrität der Elemente nicht möglich und desshalb ebenfalls unzulässig. Bei der Betrachtung der Sehorgane der in Frage stehenden Thiere sind zwei Gruppen zu unterscheiden. Bei der ersten bleibt das Auge gewissermaßen auf einem embryonalen Stadium stehen und bildet nur eine kleine Einstülpung des Körperepithels; bei der anderen dagegen erscheint es als vollständig geschlossene, in das Bindegewebe eingesenkte: Kapsel. Augen der ersten Art finden sich ausschließlich nur bei den niederststehenden Prosobranchiern, bei Cyclobranchiern und Aspido- branchiern und wurden, wie Eingangs erwähnt, durch Rup. BERGH (2), Braun (4) und FRaIssE (7) nachgewiesen bei Margarita groen- landica, striata und Helicina, Fissurella rosea und sp.?, Patella coe- rulea, Haliotis asinina und tuberculata. Auferdem fand ich noch solche bei Nacella pellucida, Patella crenata, rota (Fig. 1), vulgata, Trochus magus (Fig. 2) und Tr. erythraeus. Das Auge dieser Thiere erscheint als eine becher- oder glocken- formige Einstülpung des Körperepithels, die wenigstens bei Patella und Nacella in keiner Weise nach außen abgeschlossen ist. Bei Halio- tis und Trochus konnte ich über dieses Verhalten zu einem sichern Sehlusse nicht gelangen. Meistens allerdings ließ sich auch hier nichts nachweisen, wodurch das Auge nach außen begrenzt worden wäre, doch fanden sich dann und wann Schnitte, von denen ich einen in Fig. 15 darstelle, bei denen es scheint, als ob die Cuticula sich als äußerst dünne Lamelle (z) über den vorderen Theil des Glas- körpers fortsetze. Über dieses Verhalten zu einem sichern Schlusse zu kommen war unmöglich, da das fragliche Gebilde (Fig. 15 ) immer nur als sehr kleines, der Cuticula anhängendes Fragment beobachtet wurde. Beiträge zur Kenntnis des Gastropodenauges. 357 Die Augeneinstülpung wird von der Retina ausgekleidet, die nach vorn unmittelbar in das Körperepithel übergeht und nach außen von der Ausbreitung des Sehnerven umschlossen wird. Den Hohl- raum erfüllt bei Haliotis und Trochus eine zähe Gallerte, der Glas- körper, an dessen Stelle sich bei Patella und Nacella eine fein granulirte Masse findet. Über das diesbezügliche Verhalten bei Margarita und Fissurella rosea lässt sich aus der äußerst knappen Beschreibung BERGH’s nichts entnehmen. Die Augen der zweiten Art (Fig. 3, 4, 5) bilden eine Kapsel, deren größerer, hinterer Theil von der Retina mit der ihr nach außen aufliegenden Nervenausbreitung gebildet und nach vorn durch den inneren Zellenbelag der Pellucida abgeschlossen wird. Ihr In- neres ist entweder von Linse und Glaskörper oder wenigstens von einem der beiden ausgefüllt. Das Auge wird vollständig vom Binde- gewebe des Tentakels oder Ommatophors eingehüllt. Seine Gestalt ist auf Schnitten je nach der Art rundlich (Conus, Cypraea, Pyrula ete.), elliptisch, bald ausgezogen in der Richtung der Sehachse (Fu- sus, Mitra, Nassa etc.), bald senkrecht zu derselben (Euthria, Murex etc.), oder aber kegel- resp. birnförmig mit nach hinten ge- richteter Spitze (Cassidaria, Columbella u. a. m.). Der Nervus opticus. Der Sehnerv, meist ein einfacher Strang, manchmal aber auch in einzelne Züge aufgelöst, tritt an der ungefähr der Pellucida oder Augenöffnung gegenüber liegenden Stelle zum Auge heran und brei- tet sich über den ganzen Bulbus aus, die Pellueidaregion ausgenom- men. In der Regel bildet diese Ausbreitung eine ganz gleichmäßige Schieht. Nicht gar selten aber zeigt sie auf ihrer ganzen Oberfläche größere wulstige Verdickungen, in denen, wie dies FrAıssE (7) bei Haliotis beschreibt, Ganglienzellen eingelagert sind. Die Ganglienzellen selbst anlangend, glaube ich mich von ihrem Vorhandensein bei allen untersuchten Prosobranchiern überzeugt zu haben. Des öftern treten sie zwar nur in äußerst spärlicher Zahl auf, so dass manchmal auf mehreren auf einander folgenden Schnitten nicht eine einzige zu finden ist, andermals zeigt wieder jeder Schnitt dieselben in großer Anzahl. Solehe Verschiedenheiten sind aber keineswegs durch die Art bedingt, sie finden sich bei Thieren derselben Species, ja selbst bei den Augen ein und desselben Thieres. 358 C. Hilger Weniger sicher scheint mir das Vorhandensein von Ganglien- zellen in der Ausbreitung des Nervus opticus des Pulmonatenauges zu sein. SImRotTH (27) fand sie vollständig frei von solchen. Einige Male fand ich kleine spindelförmige Elemente in der Nerven- masse eingelagert, konnte aber nicht schlüssig werden, ob dieselben als Ganglienzellen angesprochen werden dürfen. Eine Isolation der- selben war nicht möglich. Nach Fraısse (7) soll dem Auge von Patella der Sehnerv fehlen. Dem entgegen konnte ich mich bei allen untersuchten Augen von Patella und Nacella aufs sicherste von seinem Vorhandensein über- zeugen. Meine theils in der oben angegebenen Weise mit Hämatoxylin tingirten oder mit 0,1°/,iger Osmiumsäure behandelten Präparate lassen den Nervus opticus als feinen, 3,6 « dicken, an der Zu- trittstelle zum Bulbus eine kleine Anschwellung zeigenden Strang erkennen (Fig. 1). Die Retina. Die Retina, ein aus radiär angeordneten Elementen zusammen- gesetztes Stratum, überzieht die Innenseite des Augenbechers oder der Augenblase. Ihre größte Mächtigkeit besitzt sie im Fundus des Auges, gegen vorn nimmt sie an Dicke ab und verschwindet in der Nähe der Pellucida oder der Öffnung des Augenbechers. Abweichend von dieser Regel springt bei Turbo (Fig. 4 und 12) und Nerita (Fig. 3 und 13) die Retina hinter der Pellucida wulst- förmig vor. Dieses Verhalten kommt dadurch zu Stande, dass einer- seits die Augenhöhle an der Pellucidaperipherie etwas eingeschnürt wird, dann aber hauptsächlich dadurch, dass die in der Nähe der Pellueida noch ziemlich langen Retinazellen sich ganz plötzlich ver- kürzen. Bei den offenen Augen von Patella und Nacella findet ein all- mählicher Übergang der Retinazellen in das Körperepithel nur an der proximalen Augenseite statt (Fig. 1 und 11), während an der distalen (Fig. 10) die Zellen der Retina sich kaum verkürzen und ganz unvermittelt neben denen des Körperepithels stehen. Einer Eigenthümlichkeit wäre hier noch zu erwähnen, die zwar nicht regelmäßig ist, aber doch so häufig vorkommt, dass die An- nahme einer zufälligen Missbildung ausgeschlossen scheint. Bei mehr als dem dritten Theile der untersuchten Augen von Nerita Beitrige zur Kenntnis des Gastropodenauges. 359 polita, quadricolor, Rumphii und undata zeigte sich in so fern eine Abweichung yom normalen Verlauf der Retina, als dieselbe an den Seiten der Augenhöhle ihre größte Dicke erreicht und den Fundus nur als sehr dünne Membran überzieht (Fig. 14). Die, die Retina bildenden Zellelemente sind zweierlei Art: pig- mentführende und pigmentfreie. Letztere waren bis jetzt nur bei Helix und Arion durch BaspucHm (1) und bei Fissurella durch FRatssE (7) [auf die »Stabchen« Sımrorm’s (27) werde ich später einzugehen haben] bekannt, kommen aber allen Prosobranchiern, Pulmonaten und wahrscheinlich auch Opisthobranchiern zu, wie ich später zeigen werde. Der Zahl nach stehen die unpigmentirten Zel- len gegen die Pigmentzellen sehr zurück. Die Gestalt der Pigmentzellen ist ungemein variabel und nur durch Wachsthumsverhältnisse bedingt. Am dicksten sind sie an ihrem inneren Ende oder kurz hinter demselben (Fig. 6, 7, 8) und verjüngen sich nach außen mehr oder minder rasch, oft Anschwel- lungen an der Einlagerungsstelle des Kernes zeigend. Der Kern, der durchgängig oval ist, imbibirt sich mit Häma- toxylin und Karmin äußerst intensiv. Einzelne Zellformen sind in Fig. 6, 7, 8 dargestellt. Die häufigste, hauptsächlich dem Fundus angehörende Form Fig. 6a, 7a, stellt sich als diekeres oder dünneres fadenförmiges Gebilde dar, das sich nach vorn kegelförmig erweitert und an der Stelle, wo der Kern eingelagert ist eine spindelförmige Anschwel- lung zeigt. Mehr gegen die Peripherie finden sich Formen wie Fig. 65 und 7c. Der Kern ist der vorderen Erweiterung der Zelle näher gerückt und erscheint die Zelle nur ein Weniges vor dem Zellkern eingeschnürt. Bei den der Pellucida noch näher stehenden Zellen ist auch diese Einschnürung verschwunden, der Kern ist noch mehr nach vorn gerückt und die ganze Zelle stellt nun ein mit seiner Spitze nach außen gerichtetes kegelförmiges Gebilde dar. Das centrale Ende dieser Zellen ist durch Einlagerung von Pigment dunkelbraun bis schwarz gefärbt. Die größte Ansammlung desselben ist im Fundus des Auges; gegen vorn nimmt dasselbe an Masse allmählich ab, ohne aber mit dem Kürzerwerden der Zellen gleichen Schritt zu halten, denn während in der Tiefe des Auges höchstens etwas über die vordere Zellhälfte mit Pigment erfüllt ist, sind die Zellen in der Nähe der Pellucida fast vollständig pigmentirt. Von da gegen die Pellucidaperipherie tritt wieder ein Schwinden 360 C. Hilger des Pigments in den Zellen ein und erscheinen die der Pellucida zunächst befindlichen nur an ihrem centralen Ende ganz schwach ge- farbt (Fig. 16, 17, 18). Das Pigment selbst ist in den Zellen nicht in Lösung vorhan- den, sondern lagert sich denselben in Form kleiner Körner ein. Setzt man Theile der Retina nach Behandlung mit Kali chromic. oder dgl. einem leichten Druck aus, so tritt das Pigment aus den Zellen aus und diese schrumpfen dabei etwas ein. Solche gequetsch- ten Zellen zeigen auch gar nicht selten eine leichte Querfaltung, wie sie SIMROTH (27) in Fig. 44, 46, 47 darstellt. Die mit mehreren Nucleoli versehenen Zellkerne, deren eigen- thümliches Verhalten zu Tinktionsmitteln bereits erwähnt wurde, befinden sich oftmals in gleicher Höhe in den Zellen. Andermals wieder sind sie zerstreut, oft mehr gegen das peripherische Zellende, oft mehr dem centralen eingelagert. Das äußere Ende der Pigmentzellen läuft in eine oder mehrere feine Fasern aus, die sich direkt in die Fasern des Nervus opticus fortsetzen. Die Zellen der zweiten Art, die ich aus später zu ersehendem Grunde Stäbehenzellen nennen will, sind vollständig pigmentfrei. Sie sitzen der Nervenschicht, mit der sie durch oft sehr zahlreiche und immer relativ starke Ausläufer unmittelbar zusammenhängen. mit breiter Basis auf, verjüngen sich gegen die Pigmentzone, durch- dringen sie und erheben sich über dieselbe entweder als feine Fort- sätze (Fig. 25, 27, 9) (Prosobranchier und Basommatophora) oder als kolbenförmige Anschwellungen (Fig. 24 und 26) (Stylommato- phora). Ihr Protoplasma scheint sich centralwärts etwas zu verdichten, was durch stärkere Neigung zur Aufnahme von Farbstoffen charak- terisirt ist. Wie bei den Pigmentzellen ist auch hier die Lage der Zellkerne eine wechselnde; bald liegen sie mehr central, bald mehr periphe- risch und oft in gleicher Höhe mit denen der Pigmentzellen. Gleich jener besitzen sie mehrere Nucleoli, unterscheiden sich aber von ihnen scharf durch die durchgängig rundliche Form und die viel geringere Neigung sich zu tingiren. i Konische Fortsätze, die nach BABucHIn (1) vom Zellkern aus- sehen sollen, konnte ich niemals beobachten. Bei Macerationsprä- paraten, und auf solche stützen sich ja BaBucuin’s Beobachtungen hauptsächlich, scheint es zwar oftmals, als ob die Stäbchenzellen Beitrige zur Kenntnis des Gastropodenauges. 361 der Länge nach fein gestreift wären, manchmal zeigen sie auch eine schwache körnige Trübung. Beides dürfte durch die Art der Prä- paration hervorgerufen worden sein; auf Schnitten ist davon nichts wahrzunehmen. SIMROTH (27) beschreibt ein festes Gerüst, in dessen inneren Hohlraum die Stäbehenzellen hineinpassen. Ich konnte davon, ob- gleich ich danach aufs sorgfältigste suchte, keine Spur bemerken, möchte aber das Vorhandensein eines solchen (vgl. Fig. 19, 20 und 21) nicht gerade in Abrede stellen. Die Art der Vertheilung der Stäbchenzellen zwischen den Pig- mentzellen lässt sich am besten auf Schnitten, die senkrecht zur Richtung der Retinazellen in der Höhe der Pigmentregion geführt sind, erkennen. Die Fig. 19 und 20 zeigen solche Schnitte: lauter Polygone, deren einzelne Theile nach dem gleichen Schema ange- ordnet sind. Eine Anzahl (4—8) dunkler Felder umlagern eine helle Mitte, die durchschnittene Stäbchenzelle. Vergleichen wir damit einen Schnitt, der parallel mit dem er- sten durch die Region der Zellkerne geführt ist (Fig. 21), so finden wir folgendes Verhalten. Die größeren polygonalen, durch den run- den, nur schwach tingirten Kern als Durchschnitte der Stäbehen- zellen sich dokumentirenden Felder werden durch eine meist ein- fache Lage von Zelldurchschnitten getrennt, die, wie theils durch die Kerne, theils durch das noch da und dort vorhandene Pigment sich erkennen lässt, den Pigmentzellen angehören. Bemerkenswerth ist ferner, dass, während bei dem zuerst betrachteten Schnitt jede Stäbchenzelle von höchstens acht Pigmentzellen umgeben war, hier die Zahl derselben eine größere ist. Daraus ergiebt sich, dass die Retina aus einzelnen gleichartig gebauten Zellgruppen zusammengesetzt wird. Je eine Stäbchenzelle wird von einer Anzahl Pigmentzellen umgeben, die centralwärts einen geschlossenen Mantel um dieselbe bilden. Da aber, wie erwähnt, die Stäbchenzellen sich nach hinten verdicken, wogegen sich die Pigmentzellen verjüngen, so ist es natürlich, dass die Pigmentzellen der einen Stäbchenzelle zwischen die der anderen hineingedrängt werden müssen. Dabei ist eine Krümmung derselben unvermeidlich, woraus es sich auch erklärt, dass diese Verhältnisse auf Schnitten pa- rallel mit der Richtung der Zellen nur sehr selten und nur unter ganz besonders günstigen Umständen beobachtet werden können. Nach innen sitzen der Retina helle, unpigmentirte, äußerst vergängliche Gebilde, die Stäbchen, auf. Ihre Gestalt ist die 362 C. Hilger vielseitiger Prismen, deren vorderes an den Glaskörper oder die Linse stoßendes Ende sich leicht hervorwölbt. Am längsten sind sie im Augengrunde, werden nach vorn allmählich kürzer und verschwinden. zusammen mit der Retina. Das Verhältnis ihrer Länge zu der der Pigmentzellen ist bei den Prosobranchiern und Basommatophoren, bei denen sie auch relativ schmäler und schlanker sind als bei den Stylommatophoren, ungefähr 1: 3 bis 1:4, bei letzteren dagegen etwa wie 1:4 bis1:5. Ein axialer Theil, der im Gegensatze zu der ihn umgebenden Hülle, dem Stäbehenmantel, mit Tinktionsmitteln sich leicht färbt, durchzieht das Stäbchen fast bis zu seiner Spitze, wo er entweder allmählich verschwindet, oder aber in einer — bei den Stylommato- phoren manchmal recht ansehnlichen — Anschwellung endigt. Einen Centralkanal, der nach Hensen (12) das Stäbchen durch- setzen und feine Fäden einschließen soll, konnte ich nicht wahr- nehmen. Der Stäbehenmantel war öfters durch Blasen und Hohlräume zerklüftet, die jedenfalls auf die Behandlung mit Chemikalien zu- rückzuführen sind. Im Übrigen war er vollständig homogen und strukturlos und zeigte besonders niemals Querstreifungen, wie sie bei Cephalopoden und Heteropoden (M. ScHuLTze, 17) nachgewiesen wurden. Doch glaube ich die Frage, ob eine solche bei Prosobran- chiern und Pulmonaten vorhanden oder nicht, offen lassen zu müs- sen, da diese äußerst feinen Strukturverhältnisse wohl kaum an konservirtem Material wahrgenommen werden können. Von größe- ren marinen Formen stand mir aber frisches Material nicht zur Ver- fiigung und unsere einheimischen Arten eignen sich zum Studium derartiger Details wegen der ungemeinen Kleinheit der in Frage stehenden Elemente sehr schlecht. In welchem Verhältnisse stehen nun die Stäbchen zur Retina? Die Antwort darauf geben Bilder wie Fig. 9, 24, 25, 26, 27. Das vordere Ende der Stabchenzelle setzt sich direkt in das Stäbchen fort und bildet dessen axialen Theil, über den sich der glocken- förmige auf den Pigmentzellen ruhende Stäbehenmantel stülpt. Manchmal gelingt es bei der Maceration von Schnitten Präpa- rate zu erhalten, bei denen der Zusammenhang der Elemente in der in Fig. 27 dargestellten Weise gelöst ist. Die eine der beiden Pig- mentzellen trennte sich von der Stäbchenzelle, blieb aber in festem Zusammenhang mit dem Stäbehenmantel. BaBucHIN (1) erkannte bereits den Zusammenhang der Stäbchen, Beiträge zur Kenntnis des Gastropodenauges. 363 die er aber nicht als solche deutete, mit der Retina. Er beschreibt bei Helix und Limax ein Gebilde, das den einzelnen Zellgruppen als Kapitäl aufsitzt, eine radiäre Streifung und einen fein granulirten axialen Körper zeigt. Im Allgemeinen bestätigt dies auch HENsEN (12), fasst aber den axialen Theil, wie erwähnt, als Kanal auf, »der mit ziemlich starker knopfförmiger Erweiterung blind im Stäbchen endigt«. Ähnlich lässt er auch die Stäbchen von Pteroceras von einem Kanal durchzogen sein, in welchem ein Faden liegt, der von 2—4 Fadenzellen geliefert wird, die eine »zugespitzte Zelle« umgeben, während die Substanz des Stäbchens von einer Anzahl am Ende »verbreiterter Zellen« ausgeschieden wird. Dass ein’ Kanal in den Stäbchen nicht vorhanden, habe ich be- reits erwähnt. Was nun die eben erwähnte Hypothese HEnsEn’s betreffs des Baues der Retina und ihres Zusammenhanges mit den Stäbehen betrifft, so ergiebt sich schon aus der Betrachtung der von den erwähnten Zellformen gegebenen Abbildungen, die alle nur verschiedenen Formen der Pigmentzellen darstellen, dass sie mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. SIMROTH (27) kennt — wenigstens bei Helix, bei Limax bleibt er zweifelhaft — die Stäbchen gar nicht und hält bald die Stabchen- zellen — seine Stäbchen besitzen Kerne — bald, wie sich aus sei- nen Zeichnungen ergiebt, Pigmentzellen, aus denen das Pigment durch Druck entfernt ist, für dieselben. Seiner Angaben über Stäb- chenstruktur habe ich oben bei der Besprechung der Pigmentzellen bereits gedacht. Betrachten wir nochmals in Kürze den Bau der Stäbehen: Als Stäbehenachse erscheint unmittelbar der vordere Theil der Stabchen- zelle und um diese legt sich eine cuticulare, von der Gesammtheit der die Stäbchenzelle umgebenden Pigmentzellen ausgeschiedene Hülle, der Stäbchenmantel. Dazu kommen vielleicht noch in der Stabchenachse verlaufende Nervenfasern, deren Darstellung mir aber, wie erwähnt, nicht gelungen ist. Wir haben demnach in dem Stäb- chen ein eigenartiges Gebilde, an dessen Aufbau sich sämmtliche Elemente der Retina sowohl und zwar in erster Linie die zelligen, dann aber auch die nervösen betheiligen. Vergleicht man mit diesen Befunden diejenigen MAx ScHULTZE’S (26) bei den Heteropoden, so zeigt sich sofort eine auffallende Ähn- lichkeit. Auch hier setzen sich die Stäbchen aus einem axialen — aber im vorliegenden Falle pigmentführenden — Theil und einem diesen umschlieBenden Mantel zusammen. Uber die Art des Zu- 364 C. Hilger sammenhanges der Stäbehen mit der übrigen Retina giebt uns der genannte Forscher zwar keinen Aufschluss, doch lässt sich aus sei- nen Fig. 1, 8, 9, 11 und 12 entnehmen, dass der axiale Stäbchen- theil durch das vordere Ende der Stäbchenzelle gebildet wird und dass der Stibchenmantel nicht auf dieser, sondern auf den dieselbe umgebenden Zellen (in keiner der Figuren gezeichnet) aufsitzt. Genau eben so gebaut wie bei den Prosobranchiern sind auch, so weit wenigstens meine Erfahrung reicht, die Stäbchen bei den Opisthobranchiern, wie denn überhaupt beider Augen, wenigstens in den wichtigeren Punkten, vollständig übereinzustimmen scheinen. Demnach kommen Stäbchen von der erwähnten Bauart den Augen aller Gastropoden und wie es scheint nur diesen zu. “Bei analogen Gebilden, wie sie von den Augen der Cephalopoden (MAx SCHULTZE, 26), Aleiopiden (R. GREEFF, 8, 9) und dem Stemma der Dyticus- und Cybisteterlarven (GRENACHER, 10) bekannt sind, nehmen nie mehrere Zellen am Aufbau des Stäbchens Theil; Stiibchenachse und Stäbchen- mantel verdanken ein und derselben Zelle ihren Ursprung. Die Pellueida. Das äußere Epithel der Pellucida wird durch Differenzirung des Körperepithels gebildet. In der Regel nehmen die Cylinderzellen des Körperepithels vor dem Auge an Höhe ab, während sie gleich- zeitig an Breite zunehmen (Fig. 16, 17). Doch ist auch der Fall, dass die Zellen des äußeren Pellucidaepithels und Körperepithels gleiche Höhe haben, nicht gerade selten (Fig. 18). Immer aber unterscheidet sich das Epithel der Pellucida von dem des Körpers durch den vollständigen Mangel anderweitiger Elemente wie Drüsen, Kalk- und Pigmenteinlagerungen ete. Das innere Epithel, die sog. Cornea, besteht aus einer Schicht äußerst niederer, breiter (Prosobranchier) (Fig. 16 u. 18) oder etwas hö- herer auf dem Querschnitt quadratischer (Pulmonaten) Zellen (Fig. 17). Im ersteren Falle füllt der Kern die Zelle, deren Form er sich auch meist anschließt, fast vollständig aus, im letzteren ist derselbe viel kleiner als das Lumen der Zelle, meist rundlich regelmäßig 'ge- gen die äußere Zellwand und nie über dieselbe hinaus gegen innen gelegen. Die Dicke dieser Epithelschicht bleibt im ganzen Verlaufe die- selbe und findet eine Höhenzunahme der Zellen gegen die Retina, wie dies auch SIMROTH bei Helix nachgewiesen, nie statt. Beitrige zur Kenntnis des Gastropodenauges. 365 Die zwischen beiden Epithellagen gelegene Bindegewebsschicht zeigt je nach der Thierspecies die wechselndste Mächtigkeit; bald ist es eine verschwindend diinne Lamelle (Fig. 18), bald erlangt sie eine verhältnismäßig bedeutende Dicke (Fig. 16), wird aber nie so mächtig, wie ich dies bei einigen Opisthobranchiern (Aplysia depi- lans L. — Durehmesser des Auges 239 u, der Bindegewebsschicht 63 u — Aplysia punetata Cuv. — Durchmesser des Auges 237 u, der Bindegewebsschicht 58 u — Dolabella dolabifera — Durchmesser des Auges 230 u, der Bindegewebsschicht 56 u —) beobachtet habe. Linse und Glaskörper. Die Linse des ausgebildeten Thieres ist immer vollständig struk- turlos und zeigt niemals, weder in frischem Zustande, noch auf Sehnitten koncentrische Schichten, wie sie HENsEN (12) beschreibt und deren Zahl von Moquin-Tanpon (25) auf 5—7 angegeben wird. Die embryonale Linse dagegen, wenigstens von Paludina vivipara, die ich hierauf allein untersucht habe, ist regelmäßig koncentrisch geschich- tet und lässt außerdem eine feine radiäre Streifung erkennen (Fig. 32). Eigenthümliche Veränderungen zeigt die Linse von Helix, Limax und Arion nach Zusatz von schwacher Ammoniakflüssigkeit. Es grenzt sich ein heller Randtheil (Fig. 31 4) ziemlich scharf ab, wäh- rend gleichzeitig im Innern Blasenbildung (Fig. 31 c) auftritt; außer- dem erscheint manchmal an den beiden Linsenpolen eine nach innen konvex begrenzte helle Stelle (Fig. 31 aa). HENnsen (11) zieht diese Erscheinung zur Deutung der SwAMMERDAMM’schen Befunde herbei. Es entspräche dann der hellere Mantel dem SwamMERDAMM’schen Glaskörper und die Grenze zwischen diesem und dem Innern, der Linse, der Arachnoidea. SIMROTH (27), der diese Verhältnisse bei der Helixlinse des Ge- naueren untersuchte, fasst die beiden an den Polen sich abgrenzenden Partien (Fig. 31 aa) als sekundäre Linsen, von denen die vordere allein das Retinabild erzeugen soll, auf. Außerdem, dass durch diese Annahme die Bedeutung der hinteren Linse unerklärt bleibt, sprechen auch noch andere Umstände gegen dieselbe: Bei in indifferenten Flüssigkeiten untersuchten Linsen konnte ich die erwähnte Erschei- nung niemals beobachten und auch nach Behandlung mit Ammon. caust. tritt dieselbe, wie dies auch SmrrorH erwähnt, keineswegs regelmäßig auf. Die Substanz der Linse ist ziemlich fest. und elastisch. Nach Behandlung mit konservirenden und erhärtenden Reagentien erreicht 366 C. Hilger sie einen ganz bedeutenden Grad von Härte und Sprödigkeit, so dass sie beim Schneiden unter dem Messer knirscht und splittert. Auf Schnitten zeigt dieselbe beinahe ausnahmslos Tropfen- und Vacuolen- bildung, was ohne Zweifel auf die vorhergehende Behandlung zu- riickzufiihren ist, da niemals bei frischen, in indifferenten Fliissigkei- ten untersuchten Linsen etwas Ahnliches zu bemerken war. Bei Objekten, die in der Eingangs erwähnten Weise mit Häma- toxylin tingirt waren, zeigte sich auf Schnitten niemals eine Durch- färbung der Linse. Der Rand derselben war am stärksten imbibirt und verschwand die Färbung nach innen ziemlich rasch, die Linsen- mitte in ihrer ursprünglichen, schwach gelblichen, bernsteinartigen Fär- bung belassend. Ähnlich tingirt nach Fraısse (7) auch Pikrokarmin. Die Gestalt der Linse ist bei den Prosobranchiern und Basommato- phoren entweder kugelig oder in der Richtung der Sehachse komprimirt und dann entweder beide Kugelsegmente mit gleichem oder verschie- denem Radius; bei den Stylommatophoren hat sie die Form eines Rotationsellipsoids, dessen lange Achse die Sehachse ist. Die Masse des Glaskörpers ist gallertig, vollständig homogen und durchsichtig. Seine Konsistenz anlangend, zeigten sich bei den darauf untersuchten Arten (Cyclostoma elegans und Paludina vivi- para) die bedeutendsten individuellen Verschiedenheiten. Bald er- scheint er relativ fest und zähe, so dass es sehr leicht gelingt, nicht nur denselben zusammen mit der Linse unverletzt aus dem Auge zu entfernen, sondern auch seinen Zusammenhang mit letzterer, an die er überhaupt fester anhaftet als an die Retina, zu lösen, ohne einen der beiden Theile zu verletzen. In anderen Fällen ist er wieder so wenig konsistent, dass er ohne jeglichen Druck aus dem geöffneten Auge ausfließt. Nach Behandlung mit Hämatoxylin färbt sich der Glaskörper schwach und gleichmäßig durch. Nicht immer kommen beide brechenden Medien zusammen vor, sondern je nach dem Fehlen des einen oder anderen, oder vielleicht beider, sind mehrere Fälle zu unterscheiden. Linse und Glaskörper finden sich bei den meisten Prosobran- chiern (Neurobranchia, Ctenobranchia und verschiedenen Arten von Fissurella). Der Glaskörper erfüllt dann den hinteren, von der Linse frei gelassenen Theil des von der Retina umschlossenen Hohlraumes, hüllt die Linse aber nicht vollständig ein, wie dies Hensen (12) und Leypic (20) angeben. Genau mediane Schnitte zeigen die Linse immer unmittelbar dem inneren Epithel der Pellucida anliegend. Beiträge zur Kenntnis des Gastropodenauges. 367 Durch KEFERSTEIN (16) wissen wir, dass der sogenannte Glas- körper des Pulmonatenauges, schon seit SWAMMERDAMM ein stritti- ger Theil, aus stabförmigen Gebilden zusammengesetzt und ein Theil der Retina ist. Auch Hensen (11) spricht im Anfang gegen die Existenz eines Glaskörpers, widerruft dies aber in einer späteren Ar- beit (12), da er an Schnitten von einem Alkoholpräparat sich von dem Vorhandensein des Glaskörpers überzeugt zu haben glaubte. Durch meine Präparate bin ich zur Überzeugung gelangt, dass ein Glaskörper bei den stylommatophoren Pulmonaten nicht existirt. Ich sah, eben so wie SIMROTH, dessen Angaben ich hiermit nur be- stätige, den vorderen Theil der Retina (die Stäbchen) immer unmit- telbar an die Linse anstoßend. Betreffs der brechenden Medien verhalten sich, ähnlich dem von Fraısse (7) beschriebenen Haliotisauge, noch die Augen einer Anzahl in die Gruppe der Aspidobranchier gehöriger Arten (Turbo [Fig. 4], Trochus [Fig. 2], Nerita [Fig. 3]). Eine Linse fehlt hier und ist die ganze Augenhöhle von einer sich völlig gleichmäßig tingirenden Masse, dem Glaskörper ausgefüllt. Bei den offenen Augen der Cyclobranchia war ein lichtbrechen- der Apparat niemals zu konstatiren; doch muss ich die Frage offen lassen, ob ein solcher in der That nicht existirt, oder ob er nur bei dem mir zur Verfügung stehenden Material zerstört war. Ich glaube auf Grund von Befunden bei Trochus und Haliotis das Letztere an- nehmen zu müssen. Gar nicht selten fanden sich bei den erwähn- ten Thieren im Inneren der Augenhöhle nur Spuren einer trüben, körnigen Substanz als Reste des auf irgend welche Weise zerstör- ten Glaskörpers. Es liegt die Annahme sehr nahe, dass die von der Stäbchenzone in den Augen von Patella und Nacella regelmäßig zu findende Masse, die FrAısse (7) für kleine Faserchen hält, ebenfalls nichts Anderes als die Rudera eines Glaskörpers sind. Dass eine Zerstörung dieses Körpers bei konservirten Cyclobranchiern, wie es scheint, regelmäßig vorkommt, dürfte nichts Wunderbares bieten, wenn man die Form des Augenbechers in Betracht zieht. Ob die Augen von Margarita groenlandica, striata und helicina zu dieser letzten Abtheilung zu stellen sind, oder ob sie einen Glas- körper besitzen, lässt sich aus den unbestimmten Angaben R. BeRGnu’s (2) nicht entnehmen. Heidelberg, im Juni 1884. 368 C. 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Nachrichten der K. Gesellschaft der Wissenschaften der Universitit Gottingen. Jahrgang 1864. Nr. 11. 17) KEFERSTEIN, BRONN’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs. Bd. ILI. 18) KROHN, Uber das Auge der lebendig gebärenden Sumpfschnecke. Archiv tür Anatomie und Physiologie 1837. 19) Lesp&s, Recherches sur l'oeil d. Mollusques gastéropodes terrestres et flu- viatiles de France (These de Toulouse). Auszug im Journal de Con- chyliologie. Bd. II. 1851. 20) LEYDIG, Über Paludina vivipara. Zeitschr. für wissensch. Zoologie. Bd. I. 1850. 21) Leypia, Zur Anatomie und Physiologie der Lungenschnecken. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. I. 1865. 43) = I Beitrige zur Kenntnis des Gastropodenauges. 369 22) Leypic, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. 1857. 23) J. MÜLLER, Über das Auge von Murex tritonis. MEckEL's Archiv. 1829. 24) J. MÜLLER, Mémoire sur la structure des yeux chez les Mollusques gasté- ropodes et quelques Annélides. Annales d. sc. nat. Bd. XXII. 1831. 25) Moquin-TANDON, Histoire naturelle des mollusques terrestres et fluviatiles de France. 1855. 26) M. SCHULTZE, Die Stäbchen in der Retina der Cephalopoden und Heteropo- den. Archiv für mikroskop. Anatomie V. 1869. 27) SIMROTH, Uber die Sinnesorgane unserer einheimischen Weichthiere. Zeit- schrift f. wissensch. Zoologie. Bd. XXVI. 1876. 28) STEINLEIN, Beiträge zur Anatomie der Retina. \Verhandlungen der St. Gal- lischen nat. Ges. 1865—1866. 29) STIEBEL, Uber das Auge der Schnecken. MeckEr’s Archiv. Bd. V. 1819. 30) SPALLANZANI, Risultati di esperienza sopra la Riproduzione della Testa nelle Lumache terrestri. Memorie di Matematica e Fisica della So- cieta Italiana. Tom I. 1782. 31) SWAMMERDAMM, Bybel der natuure. Leydae 1837 und 1838. Deutsche Übersetzung: Bibel der Natur ete. etc. nebst HERMANN BOERHAYE’s Vorrede vom Leben des Verfassers. Leipzig, GLEDITSCH 1752. Erklärung der Abbildungen. Tafel XVI u. XVII. I. Bedeutung wiederholt gebrauchter Buchstaben. Bg Bindegewebe, E iuBeres, : e inneres Epithel der Pellucida, Gl Glaskörper, Gz Ganglienzelle, Ke Körperepithel, L Linse, Nsch Ausbreitung des Sehnerven, nsch Nervenscheide, No Nervus opticus, P: Pigmentzelle, Rt Retina, St Stäbchen, ' Sim Stäbehenmantel, Stz Stiibchenzelle und Stäbchenachse. Morpholog. Jahrbuch. 10. 24 370 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. C. Hilger Il. Erklärung der Figuren. Die Figuren wurden mit Hilfe der Camera lucida gezeichnet und sind die jeweils zur Anwendung gelangten Kombinationen der Oculare und Objektive in Folgendem in Klammern beigefügt. Verwendet wurden die Oculare 2 und 3 von Zeiss, dessen Objektive B, D und F, die Wasserimmersion VII SEIBERT und die homogenen Immersionen 1/jga SEIBERT und !/ı6 LEITZ. ADE ig. 26. Auge von Patella rota, Längsschnitt. (D. 2.) Auge von Trochus magus, Längsschnitt.. (B. 2.) Auge von Nerita polita, Längsschnitt. (B. 3.) Auge von Turbo creniferus, Lingsschnitt. (B. 2. Auge von Murex brandaris, Längsschnitt. (B. 3.) Pigmentzellen aus der Retina von Paludina vivipara. a Zellen aus dem Fundus des Auges, 5 aus der Nähe der Pellucida. Pigmentzellen aus der Retina von Helix pomatia. a und b Zellen aus dem Augengrunde, e solche aus der Nähe der Pellueida. Pigmentzellen aus der Retina von Haliotis tuberculata. (VII. 2.) Theil der Retina von Nacella pellucida. (VII. 2.) Vordere, der Tentakelspitze zugekehrte Seite des Auges von Patella rota. (12 - 3.) Hintere der Tentakelbasis zugekehrte Seite vom Auge desselben Thieres. (1/;2 . 3.) Vordere an der Grenze zwischen Pellueida und Retina gelegene Re- gion des Auges von Turbo Chemnitzianus. (VII. 3.) Derselbe Theil des Auges von Nerita polita. (VII. 3.) Die der Pellucida diametral gegenüber gelegene Partie der Retina von Nerita polita. (VII. 3.) Vorderer, den Übergang zwischen Retina und Körperepithel darstellen- der Theil des Auges von Trochus magus. ('/j2.3.) 2 vielleicht ein Rest einer das Auge nach vorn abschlieBenden Membran. Vordere Partie der Retina und peripherische der Pellucida von Murex brandaris. (D. 3.) Dieselbe Partie von Helix pomatia. (D- 3.) Dieselbe Partie von Euthria cornea. (F. 2.) Schnitt senkrecht zur Richtung der Retinazellen in der Höhe der Pig- mentzone von Helix pomatia. (1/16 - 3.) Eben solcher Schnitt von Buceinum undatum. (Yıs - 3.) Schnitt durch die Retina, senkrecht zur Richtung ihrer Zellen, unter- halb der Pigmentzone von Cassidaria echiniphora, (!/ıs - 3.) Querschnitt der Retina in der Höhe der Stäbchenzone von Helix po- matia. (1/16 - 3.) Querschnitt durch die Stäbchen von Patella coerulea. (VII. 2.) Theil der Retina von Helix pomatia, Längsschnitt. (Yıs . 3.) Eine Stäbehen- und zwei Pigmentzellen, von denen die eine noch einen Theil des Stäbehenmantels trägt, von Helix pomatia. (Präparat erhalten durch Maceration eines Schnittes.) Eine Stiibchen- und zwei Pigmentzellen, wovon die eine noch einen ee ie 4 - - ’ Pr D ‘ | Morpholog Jahrb. BAX. Taf XV. | Tat XVII. | Al @lalol\ae ele I Seelen ~ Morpholog. Ja 6 Hilger del. w Tat XVII Morpholog. Jahrb. Bd. 4. ö - . : = 2 E - . u | Fig 27. Fig IS : Ke 9 Fig.22 A [ > e g 7925 fig 20 ste. | N 2 2 st A y | By 6 | ng Ste ~ | | x Stm = | Stx | | = Fig.29. | FF / 8 | he =e : L = | 4 | a nich 5 Pr 4 er Fig. 2% la fig 7 1g: N 19 = __————— ) 9 ® | Stm N | | \ | z Bg q Fig.30 | = 1g | L | = | #923. d GL stz | | | Ste i | Stm Fig.32. | Fig.2! Som > 2 Fig £6 Fee | f a 3 8 = > | : = 8 9 fn , X N : | # 2 4 Fig.16 FS a 2 | ; f = 4 Pe 4 a ’ q IF, Hy 7 v ö stz | N | " ? Pr ) x \ ) b a 2 = J z - = te: a IN J | | a P ie 5 : | | | | Wilh. Engelmann Fig. : Fig. Beiträge zur Kenntnis des Gastropodenauges. 371 Theil des Stiibchenmantels (Stm) trägt, von Helix pomatia L. (Präparat erhalten durch Maceration eines Schnittes.) Vorderer Theil einer Stiibchen- und zweier Pigmentzellen. Die eine der Pigmentzellen mit dem ihr aufsitzenden Theil des Stibchenman- tels hat sich auf ihrer ganzen Länge von den Stiibchenzellen gelöst. (Macerirter Schnitt.) Zwei Pigmentzellen aus der Retina von Paludina vivipara mit ihren fadenförmigen Ausläufern im Zusammenhang mit einer Ganglienzelle. (Erhalten durch dreistündige Maceration des frischen Organs in Kali chromic. 20/9.) Linse und Glaskörper von Paludina vivipara. (B. 3, auf die Hälfte reducirt. ) Linse und Glaskörper von Cyclostoma elegans. (B. 3, auf die Hälfte reducirt.) { Linse von Helix pomatia nach Einwirkung sehr schwachen Ammon. caust. aa sog. Sekundärlinsen SIMROTH's, b äußerer heller, e innerer blasiger Theil. Schnitt durch das embryonale Auge von Paludina vivipara. 24 * Nachschrift zu vorstehender Arbeit. Von 0. Bütschli. Erst nach Abschluss der vorliegenden Arbeit des Herrn C. Hır- GER erschienen die hochinteressanten Untersuchungen GRENACHER’S über den Bau der Retina bei den Cephalopoden!. Da nun eine fliichtige Durchsicht der beiden Untersuchungen schon deutlich zeigt, dass, wie dies ja auch in Betracht der verwandtschaftlichen Bezie- hungen der behandelten Gruppen zu erwarten war, wichtige Vergleichs- punkte im feineren Bau der Retina bei beiden Abtheilungen bestehen, so scheint eine nachträgliche Vergleichung der erzielten Resultate mit denen GRENACHER’s sehr wünschenswerth. Indem nun Herr Hır- GER augenblicklich auf einer wissenschaftlichen Reise in Norwegen begriffen ist, habe ich mich mit seiner Zustimmung entschlossen, diesen Punkt hier am Schlusse zu besprechen, damit das Erscheinen der Arbeit keine Verzögerung erleide. Zunächst finden wir in den beiden zu behandelnden Abtheilun- gen eine wichtige Übereinstimmung im Bau der Retina darin, dass sich bei beiden zweierlei Zellen an deren Aufbau betheiligen, Zellen, die auch wenigstens in einem ihrer wichtigsten Unterscheidungs- merkmale übereinstimmen, dass nämlich die einen Pigment führen, die anderen dagegen dasselbe entbehren. Die letzteren, die sog. Stäbehenzellen des Gastropodenauges (HıLGER) bieten auch noch in anderer Hinsicht mit den pigmentfreien sog. Limitanszellen GRE- NACHER’s aus dem Cephalopodenauge eine gewisse Übereinstimmung dar, indem sie nämlich mit ihren fadenartigen Ausläufern in das ! H. GRENACHER, Abhandl. zur vergl. Anatomie des Auges. I. Die Re- tina der Cephalopoden. Abhandl. d. naturf. Gesellsch. z. Halle. 1884. Bd. XVI. Nachschrift zu vorstehender Arbeit. 373 Innere der Rhabdome eingeschlossen und sammt diesen von Grup- pen der pigmenthaltigen Zellen umstellt sind. Wenn nun auch auf diese Weise eine gewisse Vergleichbarkeit der erwihnten Zellen in den Augen der beiden Gruppen sich ergiebt, so bleiben doch andererseits Differenzpunkte, welche es zur Zeit unmöglich machen, diese Vergleichung weiter auszudehnen, oder sie auch nur für ganz gesichert zu halten. GRENACHER leugnet nämlich gegen HENSEN sehr entschieden, dass die Limitanszellen lichtempfindliche seien und mit Nervenfasern in Verbindung ständen, er schreibt ihnen im Ge- gentheil die Abscheidung der sog. Membrana limitans zu,. eines Ge- bildes, für welches uns auf Grund der jetzigen Untersuchungen im Gastropodenauge nichts Gleichwerthiges begegnet. Im letzteren dagegen zeigen uns die vorliegenden Untersuchungen, dass beide Zellsorten mit den Opticusfasern in Verbindung treten und dies so- wohl wie der hervorgehobene Mangel einer Limitans nöthigt uns die beiden Zellsorten hier für lichtempfindlich zu halten, oder doch: wenig- stens den pigmentfreien Stäbchenzellen die Lichtempfindlichkeit nicht abzusprechen. Mancherlei lässt sich meiner Ansicht nach sogar dafür anführen, dass speciell die Stäbchenzellen die wichtigsten lichtempfindlichen Sinneszellen sind; einmal dürfte hierfür ihre Bezie- hung zu den Stäbehen sprechen, welchen ihre Enden axial eingelagert sind und dann der Umstand, dass wir in den lichtempfindlichen Zellen, so weit unsere Erfahrungen reichen, doch gewöhnlich kein intensiv gefärbtes dunkles Pigment antreffen, sondern dieses gewöhn- lich in Zellen der Umgebung der eigentlich lichtempfindlichen vor- finden. Aus diesen Gründen erscheint mir daher die GRENACHER- sche Ansicht über die Bedeutung der sog. Limitanszellen des Cepha- lopodenauges noch ein wenig unsicher und ich glaube, dass die Vergleichbarkeit der Retinabildung der beiden Abtheilungen eine viel innigere würde, wenn weitere Untersuchungen ergäben, dass die sog. Limitanszellen in die Kategorie der Sinneszellen gehörten. Hinsichtlich des Stiibchenbaues haben die vorliegenden Unter- suchungen in beiden Abtheilungen eine gewisse principielle Über- einstimmung ergeben, welche als ein wichtiges Resultat zu verzeich- nen sein wird. In beiden Fällen nämlich ist das sog. Stäbchen kein einfaches Gebilde, in dem Sinne, dass es von einer Zelle er- zeugt würde, wie bei den Wirbelthieren ete., sondern es handelt sich um eine Rhabdombildung, welche von einer Zellgruppe ge- schieht. Wenn nun auch in dieser allgemeinen Hinsicht Überein- stimmung herrscht, so finden sich doch im Speciellen sehr wesentliche 374 0. Bütschli Unterschiede. In beiden Abtheilungen sind es die pigmenthaltigen Zellen, welche die rhabdomartigen Stäbehen hervorbringen. Wäh- rend sich nun bei den Gastropoden mehr oder minder regelmäßige Gruppen von Pigmentzellen um je eine pigmentfreie Stäbchenzelle als Achse bilden und je eine solche Gruppe auf ihrem centralen Ende ein Stäbehen erzeugt, welches, so weit bekannt, ganz einheit- lich erscheint, nichts von den Antheilen erkennen lässt, welche die einzelnen Zellen an seiner Erzeugung haben, ist bei den Cephalo- poden eine solche Gruppenbildung der pigmentführenden Zellen nicht deutlich. Es beruht dies wesentlich darauf, dass die Lage der Stäb- chen zu den Pigmentzellen hier eine ganz andere ist, indem sie sich nieht über den freien centralen Enden derselben bilden, sondern zwischen denselben, längs der an einander stoßenden Zellseiten. Vier benachbarte Pigmentzellen erzeugen so gewöhnlich zwischen sich ein Stäbchen, dessen den einzelnen Zellen angehörige Antheile sich wenigstens noch in der tieferen Region der Stäbehenzone nachweisen lassen. Indem es sich jedoch in der Cephalopodenretina nicht um scharf geschiedene Gruppen der Pigmentzellen handelt, ist es ver- ständlich, dass sich hier eine und dieselbe Pigmentzelle gewöhnlich an der Erzeugung zweier benachbarter Stäbchen betheiligt, woraus sich eine Schwierigkeit für das Verständnis der Funktionirung der Retina ergiebt, welche vielleicht auch eine geringere wird, wenn sich die Limitanszellen als die wichtigeren lichtempfindlichen Ele- mente ergeben sollten. Obgleich wir daher in der Rhabdombildung der beiderlei Augen eine prineipiell höchst wichtige Übereinstimmung zu verzeichnen haben, so fehlt uns doch leider noch gar viel, um die Vergleichung ins Einzelne durchzuführen, ja es ließe sich unter Umständen sogar die Ansicht mit gewissen Gründen vertheidigen, dass die in ihrer Lagerung so verschiedene Stäbehenbildung des Gastropodenauges ge- wisse Beziehungen zu der Limitans des Cephalopodenauges darbiete. Leider muss ich mich mit diesen in vieler Hinsicht schwanken- den Vergleichungen begnügen, doch ist begründete Hoffnung vor- handen, dass durch die weitere Ausdehnung der GRENACHER’schen Untersuchungen unser Einblick in diese interessanten Verhältnisse bald erweitert und dadurch die unzweifelhaft vorhandene innigere Übereinstimmung dargelegt werden dürfte. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir noch auszusprechen er- lauben, dass auch ich durch selbständiges Überlegen der Bauverhält- nisse der Arthropodenaugen zu der Ansicht geführt wurde, dass die EEE. Nachschrift zu vorstehender Arbeit. 375 Ableitung der sog. zusammengesetzten Augen durch Zusammentritt zahlreicher kleiner einfacher Augen schwerlich durchführbar sein dürfte. Mit LANKESTER und BOoURNE! neige auch ich mich der Auf- fassung zu, dass die zusammengesetzten Augen durch Differenzirung einer anfänglich gleichmäßig beschaffenen Retina hervorgegangen sind und bezüglich der Möglichkeit eines derartigen Entwicklungs- ganges ist es nicht unwichtig, wenn wir im Auge der Gastropoden eine so deutliche Gruppenbildung der Retinaelemente antreffen. Für das zusammengesetzte Auge der Arthropoden scheinen mir die Verhältnisse der Phyllopoden entscheidend, wo die Zusammen- gesetztheit sich auf den Bau der Retina beschränkt und die Cornea unbetheiligt bleibt; dass wir unter den Copepoden Formen begeg-. nen, deren Auge uns den einfachen Bau einer einzelnen Retinula darbietet, scheint mir ohne tiefere Beweiskraft für die gegentheilige Ansicht zu sein, da ja diese Abtheilung, wie ziemlich allgemein anerkannt ist, als eine rückgebildete betrachtet werden muss, wo- gegen gerade die Phyllopoden zu den ältesten Arthropoden gehören dürften. Herrenalb, den 4. September 1884. 1 Quart. journ. micr. science. N. s. V. 23. pag. 177. Studien über die Entwicklung des Medullarstranges bei Knochenfischen, nebst Beobachtungen über die erste Anlage der Keimblätter und der Chorda bei Salmoniden. Von N. Goronowitsch, Arzt aus Moskau. Mit Tafel XVIII — XXI. Eine kurze Schilderung des Standes der Frage iiber die Ent- wicklung des Centralnervensystems der Knochenfische wird, wie ich glaube, die vorliegende Arbeit genügend motiviren. Die ersten Angaben iiber die Entwicklung des Medullarrohres bei Knochenfischen finden wir bei RATHKE (24). Dieser Forscher hat nicht die Anfangsstadien der Entwicklung untersuchen können, und die erste Form, die er eingehend beschrieb, hatte schon einen aus- gebildeten Centralkanal, über dessen Entstehung er sich ver- muthungsweise aussprach, als sei er durch die Verbindung der zwei Laminae dorsales entstanden. BAER (7) bestätigte später die Ansicht von RATHKE und in seiner Arbeit über Cyprinoiden gab er sehr ge- naue Angaben über die Bildung der Rückenfurche von den frühesten Stadien an. Er beschrieb ganz richtig das Verhalten der Deck- schicht während des Einfaltungsprocesses und entdeckte die That- sache, dass die noch nicht eingefaltete Medullarplatte der Cyprinoi- den im Kopftheile drei Regionen aufweist, die eine Übereinstimmung mit ähnlichen Vorgängen bei der Ausbildung der Medullarplatte der Batrachier zeigen. BAER konnte aber mit den damaligen Methoden der Forschung den ganzen Process der Einfaltung nicht verfolgen, Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 377 und die Thatsache, dass es im Gange der Entwicklung einen Zu- stand giebt, wo das centrale Nervensystem in Form eines soliden Stranges erscheint, in welchem der Centralkanal erst nachträglich sich bildet, musste ihm unbekannt bleiben. C. Voer (23) theilte die Ansicht von BAER über den Schluss der Rückenfurche, beschrieb auch für jüngere Stadien (1. e. pag. 49) die Ausbildung der Gehirnregionen vor dem Schlusse der Einfaltung, war aber wegen des Standes der damaligen Technik im Unklaren über die ontogenetische Bedeutung der Medullarplatte selbst. Er hielt für möglich, dass aus deren Anlage Muskeln, Sehnen, Kno- chen, Nervenfasern und Ganglienzellen hervorgingen, und sagte (l. c. pag. 53): »On ne peut done pas dire que les carénes, y compris le sillon, soient le systeme nerveux central ou son enveloppe; ils ne sont que les analogues de ces parties quant a la forme.« Die Bil- dung des Centralkanals war auch von Voer nicht richtig dargestellt, da er für Stadien mit beinahe resorbirtem Dottersack einen noch offenen Zustand des Rückenmarks angiebt (l. e. pag. 70). Die späteren Arbeiten von LEREBOULLET (21, 22) sind nicht für unsere Frage maßgebend, denn dieser Forscher war der An- sicht, dass die »carénes dorsales« nur als die Anlage des lokomoto- rischen Apparates zu betrachten seien. Nach dem Schlusse der Rückenfurche sollte in dem so entstandenen Kanal das centrale Nervensystem erst nachträglich in Form zweier soliden parallelen Stränge entstehen. Später erschien die Abhandlung von STRICKER (33), wo kurz angegeben wurde, dass bei der Forelle der Centralkanal durch Schluss der Rückenfurche entstehe. Eine Arbeit von Kuprrer (6) endlich hat die Thatsache nach- gewiesen, dass es in der Entwicklung des Medullarrohres der Kno- chenfische einen Zustand giebt, in welehem es als ein solider Strang erscheint. Die Entdeckung dieser Thatsache veranlasste aber Kupr- FER die Resultate der früheren Forscher ganz zu negiren, indem er der Rückenfurche bei der Ausbildung des Centralkanals jede Bedeu- tung absprach. Nach seiner Ansicht entsteht er in sehr späten Sta- dien (bei Embryonen mit Linsenbildung) durch allmähliche Vertiefung einer neu gebildeten Furche, ein Vorgang, welcher unter dem ein- schichtigen Integument stattfinde. Diese Bildung einer soliden An- lage des Centralnervensystems wurde zuerst von GOETTE (16), später von SCHAPRINGER (36), Wer (15) und OELLACHER (1) bestätigt, nicht aber der von Kuprrer geschilderte Modus der Bildung des 378 N. Goronowitsch Centralkanals. SCHAPRINGER und Wer ließen den Centralkanal durch einen im Innern des Stranges vor sich gehenden Spaltungs- process, OELLACHER durch Zerstörung der centralen Zellen, ent- stehen. Über die Art und Weise der Entstehung dieser soliden Anlage des Nervensystems gaben weder die Arbeiten von KUPFFER, noch die ausführliche Abhandlung von OELLACHER (1) einen richtigen Aufschluss. Sie ließen es entweder durch lokale Zellvermehrung, oder durch Abspaltung von einer axialen Zellmasse (Achsenstrang) entstehen. Von dieser Seite hat GoETTE die Frage behandelt (16, 20, pag. 185 und bes. 19). Er lieferte den Nachweis, dass die in früheren Stadien ausgebreitete Medullarplatte (Achsenplatte) der Knochenfische sich in späteren Stadien zu einem medianen, nach unten vorragenden, Kiel zusammenzieht, »indem die in der Median- ebene gegen einander gestauten beiderseitigen Zellmassen nach unten ausweichen, und die Achsenplatte so gewissermaßen in der- selben Richtung eine geschlossene Falte schlägt«. Dieser ektoder- male Kiel entsprach der von KuPpFFEr gefundenen soliden Anlage des centralen Nervensystems. Den Centralkanal ließ GoETTE ent- stehen durch Auseinanderweichen der seitlichen Hälften der so einge- falteten, und von dem übrigen Ektoderm abgeschnürten Medullarplatte und zeigte somit, dass die Abweichung in der Entwicklung des cen- tralen Nervensystems bei Knochenfischen von den für andere Wir- belthiere bekannten Vorgängen nur eine scheinbare ist. In den Arbeiten von GOETTE sind aber einige wichtige Fragen unberührt geblieben. Die histologischen Vorgänge im Centrum des Medullarstranges, die »die geschlossene Falte« als ein mehr konkre- tes Gebilde uns darstellen sollten, waren nicht genügend untersucht, was GOETTE (19 pag. 148) und später C. Horrmann (13, II pag. 11) zu dem irrthümlichen Schlusse geführt hat, dass die Grundschicht des Ektoderms im Bereiche der Medullarplatte keinen Antheil an dem Einfaltungsprocess nehme, so dass also außer der Deckschicht noch eine Zellschicht nicht in das Centrum des Stranges geriethe. ~ In den Arbeiten von Gorrre war auch die äußere Form der Embryonen nicht behandelt worden. Detaillirte Untersuchungen über Schnittserien haben GoETTE zu der Ansicht geführt, dass die seit- lichen Theile der Medullarplatte, oder besser gesagt eine verdickte ektodermale Platte, die in direktem Connex mit dem schon gebil- deten Medullarstrang steht und ihn saumartig umgiebt (Sinnesplatte), die Anlagen der drei höheren Sinnesorgane liefert. Nach der Bil- Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 379 dung dieser Anlagen sollten die Theile dieser Platte, die zwischen den bereits angelegten Sinnesorganen liegen, nachträglich sich dem Medullarstrange anschließen. Es stellt sich uns nun die Frage, ob nicht die »Sinnesplatte« von GOETTE in irgend welchem Zusammenhange mit den von BAER beschriebenen Regionen der Medullarplatte stehe? Da aber spätere Arbeiten (ZIEGLER, HOFFMANN), die Anlage des Gehörorgans ohne jede Beziehung zur Medullarplatte entstehen ließen, so ist zu ver- muthen, dass GoETTE im Unklaren war über den Schlussmoment der Einfaltung, und die seitlichen noch nicht eingefalteten Theile der Medullarplatte als »Sinnesplatte« auffasste. Romirr (12) und CALBERLA (11) behandelten die Frage über die Herkunft der Zellen, die den in späteren Stadien erscheinenden Centralkanal bekleiden sollen. Beide Forscher aber schenkten dem Gange der Entwicklung des ektodermalen Kieles (im Sinne von GOETTE) zu wenig Aufmerksamkeit und kamen außerdem zu dem, den früheren Beobachtungen widersprechenden Schlusse, dass die Elemente der Deckschicht in den schon fertigen, soliden Medullar- strang einwachsen, oder sich »einsenken«. Hıs (3) hat im Ganzen die Bildung des Medullarstranges im Sinne von GoETTE behandelt. Das Hauptresultat seiner Unter- suchungen war, dass er wieder die Ausbildung der Gehirnregionen im offenen Zustande der Medullarplatte besprach, und dabei die Stelle der Hinterhirnregion bezeichnete. Die äußere Körperform der - Jüngeren Stadien ward von ihm eingehend, aber sehr abweichend von den früheren Darstellungen von OÖELLACHER, beschrieben. Die von ihm beobachteten Thatsachen benutzte Hıs, um ein Schema der Bil- dung der Körperform für Knochenfischembryonen zu geben, das in Ausbiegungen einer ursprünglich bogenförmigen Falte vor sich ge- hen sollte. Von besonderer Wichtigkeit wegen der Berücksichtigung aller Momente des Einfaltungsprocesses der Medullarplatte der Knochen- fische ist die neuere Arbeit von ZIEGLER (4). Dieser Forscher hat die Vergleichung des Einfaltungsprocesses der Medullarplatte der Knochenfische mit dem der Batrachier in allgemeinen Zügen behan- delt. Das Studium der äußeren Körperform der Embryonen ist aber auch von ZIEGLER nicht ausführlich berührt worden. Diese Seite der Frage behandelt die neueste Arbeit von Kupr- FER (5), seine Darstellungen sind aber wieder sehr abweichend von den früheren Angaben von OELEACHER und Hrs, indem der von His: 380 N. Goronowitsch als Hinterhirnanlage bezeichnete Theil von KuUPFFER als »Prostoma« bezeichnet wird. Aus dieser kurzen, historischen Einleitung dürfte hervorgehen, dass eine erneute Prüfung der Frage über die erste Anlage des Centralnervensystems bei Knochenfischen nicht überflüssig ist, wäre es auch nur zu dem Zwecke, um eine möglichst zusammenfassende Darstellung der Vorgänge zu geben. Die äußere Veranlassung für die vorliegende Arbeit war die Frage über die Ausbildung der Ge- hirnregionen bei noch offenem Zustande der Medullarplatte, die ge- löst sein musste, um eine festere Basis für weitere Untersuchungen über die Morphologie des Centralnervensystems bei Knochenfischen zu gewinnen, ein Thema, das mir von Geh.-Rath GEGENBAUR, in dessen Laboratorium ich diese einleitende Untersuchung ausgeführt habe, vorgeschlagen wurde, und für dessen Leitung ich hier meinen innigsten Dank auszusprechen mir erlaube. Als Beobachtungsmaterial habe ich von den Salmoniden Salmo salar und Salmo fario benutzt. Die eingehendsten Studien habe ich über Salmo salar gemacht. Im Laufe der Wintermonate hatte ich Gelegenheit, den Entwicklungscyklus der Stadien, die im Kreise die- ser Arbeit liegen, dreimal zu verfolgen. Das hat sich als noth- wendig gezeigt, weil das Studium der äußeren Form der Embryonen Schwierigkeiten bietet, hauptsächlich wenn man eine vollständige Reihe darstellen will. Dieses Studium aber schien mir aus oben erörterten Gründen von besonderer Wichtigkeit. Die Entwicklung von Salmo fario habe ich zweimal verfolgt und da ich mich eben sowohl von der allergrößten Übereinstimmung in der Entwicklung der beiden Formen, als auch davon überzeugt habe, dass einige Stadien ziemlich genau von OELLACHER darge- stellt sind, habe ich bloß im Text einige Abweichungen notirt. Von Cyprinoiden ist es mir gelungen künstlich befruchtete Eier von Chon- drostoma nasus zu bekommen. Der Vortheil dieses Materials liegt in der außerordentlich locker liegenden, und daher leicht abtrag- baren Eihiille. Die interessantesten Thatsachen hat mir der Hecht geliefert, leider aber fehlte mir für ein wichtiges Stadium reicheres Material, so dass ich für dieses Stadium nur eine einzige Schnittserie erhielt. Diese Serie, so wie alle anderen Präparate, die das Mate- rial dieser Arbeit liefern, sind in dem anatomischen Institut der Heidelberger Universität aufbewahrt. Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 381 Für das Studium der äußeren Form ‘habe ich ein von RABL-RÜCKHARD (44) empfohlenes Verfahren in etwas modificirter Weise benutzt. Ich legte das Ei in eine 5°%/,ige Salpetersäurelösung, und ließ es dort liegen bis die äußeren Konturen des Embryo anfingen, durch die Eihülle durchzuschimmern, was ge- wöhnlich nach etwa drei Minuten geschieht. Länger darf das Ei in der Lösung nicht liegen, damit der Dotter nicht gerinne. Dann übertrug ich das Ei in eine Alaunlösung von etwa 5°/,; nach einer Stunde erschien der Dotter ganz durchsichtig, und nur der Embryo mit dem Randwulste schimmerte weiß hin- durch. In derselben Alaunlösung halbirte ich das Ei aus dem Grunde, weil die Alaunlösung im Überschuss die Dottermasse auflöst, was den großen Vor- theil hat, dass der Embryo sich nicht mit den äußerst störenden weißen Flocken geronnenen Dotters bedeckt, wie es beim Arbeiten mit anderen Reagentien außer Pikrinschwefelsäure geschieht. Die vorsichtig ausgeschälte Keimscheibe wurde gewöhnlieh bei künstlichem Licht einer RANvrer’schen Lampe unter- sucht. Sogar sehr verdünnter Alkohol (400/,) bringt jüngere Keimscheiben zur Schrumpfung, ist also für diese Studien unbrauchbar. Das Aufbewahren sol- cher Keimscheiben gelingt schwer; am besten empfiehlt sich behufs Anfertigung späterer Zeichnungen die Aufbewahrung in 10%/,igem Glycerin mit etwas Su- blimat. Die günstigsten, optischen Kombinationen für solehe Beobachtung habe ich mit HARTNACK Oc. I. Syst. 2 gefunden. Beim Erhärten für Schnittserien habe ich die KLEINENBERG'sche Lösung benutzt, worin ich den Embryo drei Stunden liegen ließ, dann in Alkohol, 40, 70 und 90°, nach bekannten Maßregeln übertragen. Ich lege besonderes Gewicht darauf, dass man den Embryo möglichst schnell von der Eihülle befreie. Beim Arbeiten mit der KLEINENBERG’schen Lösung habe ich diese Operation gewöhnlich 10 Minuten nach dem Einlegen vorgenommen, also wenn der Embryo durch die Eihülle durchzuschimmern be- gann. Das gelingt in KLEINENBERG’scher Lösung besser, als an Chromsäure- präparaten, da jene Lösung im Anfange ihrer Wirkung den Dotter nicht coa- gulirt. Falls man aber den Embıyo etwa für ein paar Stunden unter der durch Reagenswirkung sich zusammenziehenden Eihülle seinem Schicksale überlässt, so bekommt man, wie es RABL-RÜCKHARD (44, pag. 118) richtig angiebt, die verunstalteten Formen, welche Veranlassung gaben eine nicht existirende Asym- metrie der Salmoniden- Embryonen anzunehmen (vgl. PARKER und BETTANY, Die Morphologie des Schiidels). Die möglichst frühzeitige Befreiung der Em- bryonen aus der Eihülle halte ich für die wichtigste Bedingung auch für das Studium der Flächenbilder, so wie für die richtige Beurtheilung der Verhält- nisse der Medullarplatte. Nach Paraffin-Einbettung hatte ich ganz regelmäßige und vollständige Schnittserien von 0,015 Dicke dem ganz vorzüglichen Mikrotome von THOMA zu verdanken. Jede der benutzten Serien war Schnitt für Schnitt durch das Zeichenprisma auf Pauspapier projieirt, was die Beurtheilung des Entwicklungs- ganges sehr erleichterte, und die richtige Feststellung der Körperregionen mög- lich machte. Alle an Flächenbildern gemachten Messungen wurden nicht an Alkohol- material vorgenommen, sondern direkt in Alaunlösung, oder an Präparaten, welche in 100/,igem Glycerin aufbewahrt waren. Alle Zeichnungen sind mit der Camera angefertigt. 382 N. Goronowitsch 1. Die Anfangsstadien der Ausbildung des Embryo und die Anlage der Keimblätter und der Chorda. Während der Anfangsstadien der Dotterumwachsungsperiode, wo die Keimscheibe bei Salmo salar einen Durchmesser von ungefähr 2 mm erreicht, bietet sie die Form eines Kugelsegments, dessen Radius etwas kleiner ist, als der der Dotterkugel, so dass sie auf der Oberfläche des Eies einen schwach gewölbten Ansatz darstellt. Bei auffallendem Lichte sind zu dieser Zeit auf der Keimscheibe keine besonderen Bildungen bemerkbar: sie hat bei der beschriebe- nen Behandlungsweise eine einförmige, weiße Farbe. Bei durch- fallendem Licht aber sieht man, dass eine ziemlich breite Randzone dunkler ist als das centrale Feld und dass diese Randzone nicht überall die gleiche Breite hat; etwa ein Viertel der Peripherie ist etwas breiter. Von beiden Seiten nimmt diese Verbreiterung allmäh- lich zu, so dass die ganze verbreiterte Stelle die. Form eines Halb- mondes besitzt, dessen Konkavität gegen das Centrum der Keim- scheibe gerichtet ist. Die inneren Konturen der Randzone sind verwischt und der Übergang in das mittlere helle Feld ist ein ganz allmählicher. Die verbreiterte Stelle der Randzone ist das Embryo- nalfeld, da es die Gegend ist, in welcher die Ausbildung des Em- bryo in späteren Stadien vor sich geht. Auf Grund der künftigen Orientirung der embryonalen Längsachse bezeichnen wir diejenige Hälfte der Keimscheibe, wo das Embryonalfeld sich befindet, als hintere Hälfte; die entgegengesetzte als vordere. Nach dem Ab- lösen einer erhärteten Keimscheibe vom Dotter findet man, dass ihr mittleres Feld dünner ist, als die Randzone, und dass das cen- trale Feld ein Gewölbe über einer Höhle bildet, die zwischen ihm und dem Dotter liegt, und von einer wahrscheinlich serösen Flüs- sigkeit angefüllt ist. Es ist die sogenannte Keimhöhle. Dieses Stadium ist das erste, welches ich wegen der angegebenen Merkmale beim Einbetten sicher orientiren konnte. Ein Medianschnitt dieser Keimscheibe zeigt, dass ihr mittlerer Theil etwa in der Dicke aus 6 Zellenreihen besteht; der hintere Theil, der dem Gebiete des Embryonalfeldes angehört, und der dia- metral entgegengesetzte Theil verdieken sich ganz allmählich; der hintere mehr und auf einer längeren Strecke, als der vordere. Diese Verdickungen verursachen das Erscheinen der dunklen Randzone. Bei den entsprechenden Stadien der Forelle habe ich, wie das auch Studien iiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 383 ZIEGLER angiebt, eine stiirkere Verdickung des hinteren Theils ge- funden. Die beiden Ränder der Keimscheibendurchschnitte enden nicht frei in der Rindenschicht des Dotters, sondern scheinen ven- tralwärts eingefaltet. Die Falte des hinteren Theils der Keimscheibe besitzt etwas diekere Schenkel, und der freie Schenkel der Falte setzt sich weiter centralwärts fort als der freie Schenkel der vorde- ren Falte. Indem ich diese Randtheile als Falten beschreibe, will ich durchaus nicht sagen, dass sie als Einfaltungen entstanden sind, denn davon habe ich keine feste Überzeugung gewonnen; ich ge- brauche den Vergleich mit Falten, weil er am besten den vorlie- genden Verhältnissen entspricht. Oft sind die beiden Schenkel der Falten etwas aus einander gezogen, so dass ein offener Spalt zwischen ihnen besteht; dies ist aber nicht bei allen Keimscheiben der Fall, wie verschiedene Schnittserien lehren. An solchen Serien, an welchen die Ränder der Keimscheibe auf der Oberfläche des Dotters fest- haften, und die Decke der Keimhöhle keine durch starke Schrumpfung entstandene Ausbiegungen zeigt, sind beide Schenkel der Falten in Kontakt mit einander, so dass ich das erst beschriebene Verhalten für ein Kunstprodukt halte. ZIEGLER (4, pag. 24) bezweifelt auch die normale Existenz dieses Spaltes (vgl. 26). Der freie Schenkel der hinteren Falte endigt mit einigen zusammenhangslos auf der Rindenschicht des Dotters liegenden Zellen, was für die vordere Falte selten und nicht in so ausgeprägter Weise zu beobachten ist. Die Längendifferenz der beiden Falten besteht für dieses Stadium nur in diesem Ansatz von zusammenhangslos liegenden Zellen. Die Dicke der Faltenschenkel ist für den hinteren Theil immer um das Doppelte größer; in diesem Stadium wird also der Embryo- naltheil der Keimscheibe nur durch massivere Ausbildung derselben Anlagen charakterisirt, die, wie man sieh an Schnitten beliebiger Richtung überzeugen kann, auf der ganzen Peripherie der Keim- scheibe vorhanden sind. Der Randtheil, der sich ventralwärts eingebogen darstellt, ist das primäre Entoderm; die ganze übrige zellige Masse ist als Ekto- derm aufzufassen. Die ganze Oberfläche des Ektoderms ist mit einer Schieht von Zellen bedeckt, die anders beschaffen sind, als die Zellen der unte- ren Schichten; in dem Centraltheil der Keimscheibe sind sie stark abgeflacht, ihre Kerne sind auch nicht so lebhaft gefärbt. Diese Zellschicht ward von Gorrre Deckschicht benannt. Am Rande des 384 N. Goronowitsch Präparates hört sie plötzlich auf, indem sie die Rindenschicht des Dotters berührt, setzt sich also nicht auf die ventrale Fläche des Entoderms fort. Selten babe ich beobachtet, dass die Deckschicht eine kurze Strecke sich distalwärts auf der Oberfläche des Dotters verbreitet, wie das OELLACHER für die Forelle beschrieb (1 pag. 16). In diesem Randgebiet, wo die Deckschicht aufhört, haben ihre Zel- len konstant einen indifferenten Charakter. Sie sind größer und rundlicher. Oft habe ich gesehen, dass hier mehrere Zellen auf einander liegen. Hier und da kann man den Übergang der äußersten Zellen der Deckschicht in die Zellen des Randtheils des Ektoderms verfolgen. Die Rindenschicht des Dotters, auf welcher die Keimscheibe ruht, hat ein anderes Aussehen, als die übrige Dottermasse; sie ist nicht so homogen, besteht aus einer körnigen, durch Karmin sich schwach färbenden Masse, die in der Mitte einen dünnen Überzug auf dem darunter liegenden Dotter bildet, und sich allmählich gegen die Ränder der Keimscheibe verdickt. In dieser Masse liegen hier und da zerstreut schwach gefärbte Kerne, welche die unregelmäßigsten Formen zeigen. Echte Zellen habe ich in dieser Schicht für so frühe Stadien niemals finden können. Es ist dies das sogenannte Parablast. Vorübergehend will ich bemerken, dass diese »Parablastschicht« eine mit Dotterkörnern überlagerte Protoplasmamasse darstellt, die sich in früheren Stadien der Furchung, zur Zeit da der Keim etwa acht Segmente aufweist, von den unteren Segmenten ablöst. Sie hat also einen »archiblastischen« Ursprung. Damit bestätige ich die über diese Frage angestellte Untersuchung von Kuen (32). Die erste Entstehung der Kerne im »Parablaste« habe ich nicht genauer beobachten können, da die Salmoniden-Eier wegen ihrer Größe, kein so günstiges Material liefern, als die kleinen, durchsichtigen Eier, welche Horrmann (13, I) auf diese Frage geprüft hat!. Das von mir eben beschriebene Stadium war gewöhnlich am sechsten bisweilen am siebenten Tag nach der Befruchtung zu beobachten. Ein weiter entwickeltes Stadium des siebenten Tages, dessen Keim- scheibe für Salmo salar einen Durchmesser von etwa 2,4 mm Länge 1 Ich behalte in meiner Arbeit die mir wenig treffend scheinende Bezeich- nung dieser im Nahrungsdotter sich befindenden Protoplasmamasse als »Para- blast«, mit entschiedener Bestreitung der Ansichten über dessen vom übrigen Keime heterogenen Ursprung. Studien iiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 385 hat, zeigt schon bei auffallendem Licht ein dunkles, centrales Feld, welches von einer weißen Zone umgeben ist. Das dunkle Feld ent- spricht der Keimhöhlendecke, die jetzt bedeutend dünner ist, und die darunter liegende, dunklere Dottermasse durchschimmern lässt. Die peripherische Zone ist schärfer von dem centralen Felde abge- srenzt; man sieht, dass ihre verbreiterte Stelle, die dem Gebiete des embryonalen Feldes angehört, eine andere Kontur besitzt, als in dem zuerst beschriebenen Stadium. Sie ist schwach konvex ge- gen das Centrum der Keimscheibe. Ihre Länge ist wegen der un- sicheren Konturen schwer anzugeben; sie beträgt ungefähr 0,75 mm. Die übrige Peripherie der Randzone, die wir von jetzt an Rand- wulst nennen werden, hat eine Breite von 0,4 mm, und ist cen- tralwärts bedeutend schärfer abgegrenzt, als das Embryonalfeld. Bei seitlicher Ansicht findet man, dass das Gebiet des Embryonal- feldes eine schwache Erhöhung bildet, die aber ganz allmählich in die übrige schwach gewölbte Oberfläche der Keimscheibe übergeht, ohne eine Falte auf ihrer Oberfläche zu bilden. Die allgemeinen Umrisse eines Medianschnittes dieses Stadiums sind dieselben, wie die der vorhergehenden. Man findet aber, dass das Ektoderm im Bereiche der Keimhöhlendecke beträchtlich dünner ist. In der Mitte besteht sie aus vier Reihen von Zellen, deren oberste die Deckschicht bildet. Diese Deckschicht zeigt überall dieselben Ver- hältnisse, wie in dem zuerst beschriebenen Stadium, nur bieten ihre Elemente im Gebiete der centralen Theile der Keimscheibe eine größere Abflachung. Die zweite und dritte Reihe besteht aus rund- lichen Elementen. Es ist leicht zu sehen, dass diese im Gebiete der Keimhöhlendecke nicht so kompakte Reihen bilden, wie im Gebiete des Embryonalfeldes und des Ektoderms des Randwulstes. Zwischen einzelnen Zellen sind Interstitien vorhanden. Die unterste Zellen- lage bietet einige Eigenthümlichkeiten. In der Mitte der Keimscheibe liegen ihre Elemente gruppenweise, oft durch große Zwischenräume getrennt; sie bestehen aus blasigen Gebilden, die eine kleine Menge von blass gefärbtem Protoplasma und hier und da einen körnigen, ge- schrumpften Kern enthalten. Ich fand diese Gebilde auch auf der unteren Fläche des Ektoderms im Bereiche des Embryonalfeldes, aber viel sparsamer. Es ist bekannt, dass in späteren Stadien die untere Schicht des Ektoderms durch hohe Cylinderzellen gebildet wird. Ein dünner Schnitt durch solche Cylinderzellen bei einer etwas schiefen Richtung, könnte ungefähr ein ähnliches Bild hervorrufen, und man sollte allerdings dann erwarten, immer intakte Zellen und Kerne zu Morpholog, Jahrbuch. 10. 25 386 N. Goronowitsch finden. Bei diesen Präparaten habe ich aber nie welche gefunden. Ich habe auch an Isolationspräparaten die oben beschriebenen Ge- bilde gesehen. Da diese Gebilde in friiheren Stadien nicht zu finden sind, und da das Aussehen dieser Gebilde sie als degenerirende Zellen charakterisirt, so scheint mir erlaubt, an ein atrophisches Verhalten der untersten Schicht des Ektoderms der Keimhöhlendecke denken zu dürfen. Im Bereiche des Embryonalfeldes ist das verdickte Ektoderm von dem ventral liegenden primären Entoderm durch eine deutliche Grenze getrennt, die aber auf dem Medianschnitt nicht so weit nach hinten sich erstreckt, wie es an den seitlichen Sagittalschnitten der Fall ist. Je seitlicher der Schnitt fällt, desto weiter nach hin- ten erstreckt sich diese Grenze, und desto mehr nimmt auch die Länge des Entoderms ab. Wir gewinnen also bei der Untersuchung einer sagittalen Schnittserie die Vorstellung, dass die beiden Keim- blätter auf einer gewissen kurzen Axialstrecke noch nicht getrennt sind, obgleich seitlich von dieser Achse diese Trennung schon ein- getreten ist. Diese axiale, noch nicht in Keimblätter getrennte Strecke des Embryonalfeldes nenne ich aus später zu erörternden Gründen den hinteren Achsenstrang. Die ganze Strecke vom Rande der Keimscheibe bis zum Ende des Entoderms im Gebiete des Embryonalfeldes hat ungefähr die Länge von 0,5mm, dieselbe Strecke am Randwulste hat 0,2mm Länge. An einer Querschnittserie fand ich die Bestätigung der oben beschriebenen Verhältnisse. Ein Querschnitt in der Nähe des Ran- des der Keimscheibe zeigt, dass unter der Deckschicht eine kom- pakte Zellenmasse liegt, wie es für ein späteres Stadium auf Taf. XIX Fig. 13 dargestellt ist. Diese kompakte Masse zeigt für dieses Sta- dium noch keine koncentrische Anordnung ihrer Zellelemente ; diese tritt erst später ein. Weiter nach vorn erscheinen seitlich zwei Grenzen, welche die oberen, dem Ektoderm angehörenden Zellschich- ten von den unteren entodermalen trennen (Taf. XIX Fig. 14). Das- selbe Verhalten der Grenzen im hinteren Theile des Schildes be- — schrieb auch OELLACHER für die Forelle. Die medianen Enden dieser Grenzen rücken allmählich gegen einander, indem sie sich dorsalwärts umbiegen, und in den noch weiter nach vorn liegenden Schnitten vereinigen sich schließlich diese doppelseitigen Abgrenzungen. Ihre mediale Streeke bildet also einen dorsalwärts konvexen Bogen (Taf. XIX Fig. 15). Dieser Verlauf der Grenzfläche zeigt, dass das ektodermale Blatt dieser Region aus einem dünneren, me- Studien iiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 387 dianen Theil und zwei verdickteren lateralen, das entodermale aber im Gegentheil aus einer medianen verdickten und zwei lateralen dünneren besteht, wie das schon Gorrre (17, 19) beschrieben hat. Diese mediane Verdickung des Entoderms werde ich »vorderen Achsenstrang« nennen, um ihn von der axialen nicht in Keim- blätter gespaltenen Zellmasse des hinteren Theiles des Embryonalfel- des zu unterscheiden. . Im vorderen Theile des Embryo kommt man in eine Gegend, wo das Entoderm keine mediane Verdickung mehr zeigt und noch weiter nach vorn einen zungenförmigen Vorsprung bildet, der eine Strecke weit gegen das Centrum der Keimscheibe sich fortsetzt und der, wie oben gesagt, mit einem Ansatz endigt, dessen Zellen an Schnitten zusammenhangslos zu liegen scheinen, wahrscheinlich aber eine netzförmig angeordnete Zellenlage bilden. Das Ektoderm, das über dieser lockeren Zellenlage liegt, ist nicht in der Mitte verdünnt, es geht allmählich in die dünne Keimhöhlendecke über. Die beträchtliche Verdünnung der Keimhöhlendecke, die schon in diesem Stadium ausgeprägt ist, kann auf Grund ihrer struktu- rellen Umänderungen erklärt werden. Die lockere Beschaffenheit der mittleren Schichten der Keimhöhlendecke, die im Anfange der Umwachsungsperiode nicht zu beobachten war, zeigt, dass hier eine allmähliche Umlagerung von Zellen möglich erscheint, die als Orts- veränderung in engen Grenzen aufzufassen ist, indem eine Reihe von Zellen in die Lücken zwischen anderen sich einschiebt. Eine theilweise Atrophie der unteren Zellschichten scheint mir nach den oben erörterten Gründen für Salmoniden annehmbar. Beim Hecht und bei Chondrostoma habe ich nie ein atrophisches Verhalten der Keimhöhlendecke gefunden. Beim weiteren Gange der Umwachsung des Dotters durch die Keimscheibe wird ihre außer der Embryonalanlage befindliche Oberfläche immer dünner, und wenn schließlich der Randwulst den Äquator des Eies erreicht, besteht sie nur aus der Deckschicht und einer unteren, an vielen Stellen durchbrochenen Schicht. Die An- lagen des Embryonalfeldes dagegen werden immer mächtiger. In dem Stadium, welches auf Taf. XVIII Fig. 1 dargestellt ist, finden wir, dass der Randwulst ganz scharf von dem Centralfelde abgegrenzt ist, auch das Embryonalfeld tritt schärfer hervor. Es hat bei Salmo salar eine Länge von 0,9 mm bei einem Durchmesser der Keimscheibe von 2,73 mm. In der Seitenansicht findet man, dass der mittlere Theil des Feldes sich auf der Oberfläche der Keim- 23* 388 N. Goronowitsch scheibe mehr erhebt, als die seitlichen Theile, die allmählich zu beiden Seiten in den Randwulst übergehen. Dieser centrale, höher liegende Theil des Feldes ist von Kuprrer als Embryonalschild be- zeichnet. Das ist die erste, am Flächenbild wahrnehmbare Umgren- zung des Embryonalkörpers, welche annähernd die Form eines der Längsachse nach querliegenden Ellipsoidsegments besitzt, was die Bezeichnung von OELLACHER als Stadium des querovalen Schildes rechtfertigt. Die hintere Peripherie dieses Ellipsoids geht allmählich in einen kleinen, birnförmigen Vorsprung über, den wir nach OEL- LACHER als Schwanzknospe bezeichnen werden; diese hat die Form eines Sphäroids, dessen vorderer ausgezogener Pol eine kurze Crista auf der Medianlinie des Schildes bildet. Trotz aller Versuche ist es mir weder an Alaunpräparaten, noch an Alkoholpräparaten ge- lungen, irgend welche Spuren von Faltungen oder Rinnen auf der Oberfläche der Keimscheibe zu finden. An einer Sagittalschnittserie dieses Stadiums fand ich, dass die Strecke vom Randtheile der Keimscheibe bis zum annähernden Ende des Entoderms gemessen zunahm, sie betrug 0,8 mm. Eine Quer- schnittserie bietet die schon beschriebene Erscheinung von zwei, seitlich vom Achsenstrang liegenden Grenzen, die allmählich mit ihren medialen Enden zusammenfließen, indem sie ein ektodermales median verdünntes Blatt von einem entodermalen median verdickten abtrennen. Für dieses Stadium ist die so beschaffene Streeke viel länger geworden. Das gesammte entodermale Blatt ist bedeutend mächtiger geworden und bedingt dadurch das Relief des Embryonal- schildes. Weiter nach vorn gleicht sich die mittlere Verdickung des Entoderms aus, indem wir bald die vordere Grenze seines Gebietes finden. Das Ektoderm geht allmählich in die verdünnte Keimhöh- lendecke über. Das beschriebene Stadium ist am 8. und 9. Tag der Entwicklung zu beobachten. Die Keimscheibe (Taf. XVIII Fig. 2) hatte einen Durchmesser von ungefähr 3,2 mm Länge. Die Länge des Embryo 1,15 mm, seine hintere Peripherie ist im Vergleiche mit dem vorher beschrie- benen Stadium nach hinten ausgezogen und endigt mit der Schwanz- knospe, die jetzt einen kleinen Vorsprung über den Rand der Keim- scheibe bildet. Der ganze Embryonalschild ist deutlich von den umgebenden Theilen abgegrenzt, und da seine Längsachse größer als seine Querachse ist, so ist seine Form mit einem Eie zu verglei- chen, dessen hinterer Pol etwas stärker verlängert erscheint. Von der vorderen Peripherie der Schwanzknospe sieht man eine schmale Studien iiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 389 Furche verlaufen, die zur Zeit nur im Bereiche des hinteren Drittels der Längsachse liegt. Dieses Stadium erreicht der Embryo am 9. und 10. Tag der Entwicklung. Da ich meines großen Materials wegen sicher bin, keine Lücken in der Reihenfolge meiner Beobachtungen zu haben, und da diese frühen Stadien von Salmo salar und Salmo fario ganz übereinstim- men, so bezweifle ich die Existenz der von OELLACHER (1 pag. 21) als Stadium des runden Embryonalschildes beschriebenen Form, die wahrscheinlich zu einer der früheren durch Alkoholwirkung verän- derten Formen zu rechnen ist. Querschnitte durch das Bereich der Schwanzknospe zeigen, wie bei dem vorher beschriebenen Stadium, eine noch nicht in Keim- blätter geschiedene Zellmasse, deren Elemente koncentrisch ange- ordnet sind. Spuren dieser koncentrischen Anordnung waren auch im Bereiche des Achsenstranges in dem vorher beschriebenen Stadium zu sehen. Die in der Mitte liegenden Zellen Fig. 13 sind größer und haben eine runde Form; man findet zwischen ihnen oft solche, die in Theilung begriffen sind. Die mehr peripherisch dazu befind- lichen Zellen sind schwach abgeplattet und lagern in kreisförmigen Schichten um die centrale Masse. Auf etwas weiter nach vorn lie- genden Schnitten findet man das doppeltseitige Erscheinen der Keim- blättergrenze. Die untere Schicht des Ektoderms besteht jetzt in der Mitte jeder abgegrenzten Strecke aus vertikal in die Länge aus- gezogenen Zellen. | Indem ich die Konturzeichnungen der Querschnittserien der Stadien Taf. XVIII Fig. 1 und 2 mit einander verglich, fand ich, dass die Zahl der Schnitte durch die Gegend des Embryo, in welcher noch keine Abgrenzung der Keimblätter in der Mittellinie ange- deutet ist, für beide Stadien ungefähr dieselbe ist, so dass also die Länge des hinteren Achsenstranges für beide Stadien auch unver- ändert blieb, obgleich die Länge des Embryo zugenommen hat. Die große Regelmäßigkeit der Serien, die das Mikrotom von THoma lie- fert, erlaubt diesen Schluss zu ziehen. Weiter nach vorn findet man auf fünf bis sechs Schnitten ein in der Mitte verdünntes Ektoderm, und kommt allmählich ins Gebiet der Rückenfurche, welche am Querschnitt als eine Einbiegung er- scheint, über deren Boden die Deckschicht sieh brückenartig lagert (Fig. 16). Man sieht, dass die obersten Schichten des Ektoderms, die unmittelbar unter der Deckschicht liegen, eine viel lockerere Be- schaffenheit in der Mitte des Präparats, als auf den seitlichen Theilen 390 N. Goronowitsch desselben zeigen. Die Zellen dieser obersten Schicht sind von run- der Form, was sie von den Zellen der unteren Schichten scharf unterscheidet, da die letzteren im Allgemeinen eine mehr oder we- niger in die Länge gezogene Gestalt besitzen. Im vorderen Theile des Embryonalschildes, wo keine Rückenfurche vorhanden ist, ist diese lockere Beschaffenheit der obersten Schicht des Ektoderms nicht zu beobachten. An der Stelle der Längsausdehnung des Em- bryo, wo die Riickenfurche am tiefsten ist, findet man, dass die seitlichen Theile des Entoderms sich stark verdickt haben, was in früheren Stadien nicht der Fall war, wie es aus dem Vergleiche der beiden Fig. 15 und 16 Taf. XIX deutlich zu sehen ist. Daher sind auch die seitlichen Theile des Ektoderms etwas von der Oberfläche des Dotters erhoben, der mittlere dagegen ruht auf der Oberfläche des vorderen Achsenstranges, welcher annähernd dieselbe Dicke behält. Die Erhebung der seitlichen Theile des Entoderms könnte für dieses Stadium als Hauptmoment des Erscheinens der Rückenfurche betrachtet werden. Eben so muss auch das Ausweichen des mittle- ren Theils des Ektoderms nach unten, welches durch sein Flächen- wachsthum bedingt wird, in Betracht gezogen werden, obgleich es durch direkte Beobachtungen nicht zu konstatiren ist. Der beschriebene Zustand ist nur im Bereiche der primären Furche zu beobachten; weiter nach vorn bietet das ältere Stadium dieselben Verhältnisse des Ektoderms und des darunter liegenden Entoderms, wie es für die jüngeren Stadien beschrieben wurde. Auf den vordersten Schnitten sind die seitlichen Theile des Entoderms gar nicht vorhanden. Das Entoderm bildet hier den, für das vorher beschriebene Stadium zungenförmigen Vorsprung, in des- sen medianer Linie kein vorderer Achsenstrang nachzuweisen ist. Wenn ich die Zahl der Schnitte, auf welchen nur der mittlere Theil des En- toderms ohne die seitlichen vorhanden ist, berücksichtige, so finde ich, dass sie bedeutend größer ist, als in dem vorigen Stadium. Es hat sich also das Entoderm weiter nach vorn zu ausgedehnt. Taf. XVIII Fig. 3 stellt ein Stadium vor, dessen hintere Hälfte bedeutend nach hinten verlängert ist, auch das vordere Ende sieht mehr zugespitzt aus, und setzt sich von den seitlichen Theilen als ein spitzer Fortsatz ab. Die beiden seitlichen Theile sind mehr auf die Oberfläche der Keimscheibe gehoben, daher ihre Konturen viel schärfer. Die Längsfurche hat an Länge zugenommen und endigt in der vorderen Hälfte des Körpers. Die Länge des Embryo dieses Stadiums beträgt 1,32 mm. Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 391 Dieses Stadium tritt auf am 10. Tage der Entwicklung. Wenn man Fig. 1, 2 und 3 mit einander vergleicht, so findet man, dass das vorderste Ende des Embryonalschildes etwas nach vorn gewachsen ist; in Fig. 1, wo die seitlichen Abgrenzungen des Schildes im Anfange ihrer Ausbildung begriffen sind, ist das vordere Ende des Schildes gleichmäßig abgerundet. In Fig. 2 bildet das vordere Ende schon einen deutlichen Vorsprung. In Fig. 3 endlich ist dieser Vorsprung als ein ansehnlicher zu bezeichnen. Wir haben gesehen, dass in dem Stadium Fig. 2 das Entoderm sich weiter nach vorn fortsetzt als im Stadium Fig. 1. Im Stadium Fig. 3 ist diese Verlängerung des Entoderms eine noch größere; sie erreicht in die- sem Stadium die Stelle, wo das Ektoderm des Embryonalfeldes die allmählich dünner werdende Strecke bietet, durch welche sie in die Keimhöhlendecke übergeht. Da das Entoderm, indem es sich verlängert, einen nach vorn gerichteten zungenförmigen Fortsatz bil- det und da das es bedeckende Ektoderm an diesen Fortsatz sich anpasst, wie es aus dem Querschnitte (Taf. XIX Fig. 17) zu sehen ist, so ist durch diese Verhältnisse die Ausbildung des vorderen zugespitzten Endes des Embryonalschildes erklärt. Der Vergleich des hinteren Abschnittes des Embryonalschildes zeigt auch eine allmählich sich vollziehende Verlängerung dieses Ab- schnittes, die gleichzeitig mit der Ausbreitung der Keimscheibe über die Oberfläche des Dotters vor sich geht. Im Bereiche des hinteren Achsenstranges dieses Stadiums zeigen die Querschnitte dieselben Verhältnisse wie in den früheren. Das Erscheinen der Grenzlinien zwischen den Keimblättern geht nach demselben Gesetz. Die Länge des Gebietes, wo die Keimblätter nieht durch die ganze Breite des Präparates geschieden sind, bleibt ungefähr dieselbe. Die koncentrische Anordnung der Zellen ist jetzt sehr deutlich ausgeprägt und ist nicht bloß im hinteren Achsenstrange zu finden, sondern setzt sich eine kurze Strecke weiter nach vorn in den vorderen Achsenstrang, d.h. in den mittleren verdickten Theil des Entoderms fort. Aus dem Vergleiche der mittleren breiteren Theile der Embryo- nen auf Fig. 2 und 3 erscheint deutlich, dass sie in allen drei Sta- dien dieselbe Breite behalten. Diese Thatsache diente mir, um beim Vergleiche der Konturzeichnungen der Querschnittserien dieser drei Stadien ungefähr die entsprechenden Mittelregionen festzustellen, und danach den Gang des Wachsthums des hinteren und vorderen Ab- schnittes des Embryonalschildes zu beurtheilen. 392 N. Goronowitsch Aus dem Vergleiche der drei Figuren ist ersichtlich, dass die Schwanzknospe sich allmählich von dem breitesten Theile des Schil- des entfernt, indem sie nach hinten rückt. Da aber in der Schwanz- knospe sich die axiale, nicht in Keimblätter geschiedene Zellmasse befindet, so kann man sagen, dass der hintere Achsenstrang allmäh- lich nach hinten rückt, indem er dabei dem Rand der Keimscheibe folgt, der, wie ich weiter besprechen werde, bei der Umwachsung des Dotters sich allseitig gegen den entgegengesetzten Pol des Eies mit seiner ganzen Peripherie hin bewegt. Mir scheint mit ÖELLACHER (1, pag. 49, 54) wahrscheinlich an- zunehmen, dass der centrale Theil des hinteren Achsenstranges als ein Vermehrungsherd von Zellen aufzufassen ist. Ich habe nämlich zwischen diesen centralen Zellen oft solche gefunden, die in Thei- lung begriffen waren. Die centralen Zellen haben die runde Form, die für neu entstandene, indifferente Elemente charakteristisch ist. Je mehr man sich vom Centrum entfernt (Taf. XIX Fig. 13), desto mehr abgeplattet erscheinen die Zellen bis zu einer gewissen Grenze, von welcher an sie wieder ihre rundliche Form annehmen. Diese Anordnung der Zellen ist scheinbar durch Druckverhältnisse zu er- klären. Die Vermehrung der centralen Zellen und das Wachsthum der neu entstandenen Elemente übt einen gewissen Druck auf die umgebenden Zellschichten, wodurch diese abgeplattet werden. Die peripherischen Zellen aber behalten, da sie einem geringeren oder gar keinem Druck unterworfen sind, ihre rundliche Form bei. In- dem der Achsenstrang sammt der übrigen Peripherie der Keimscheibe nach hinten rückt, hinterlässt er eine Zellmasse, die beträchtlich durch Zellvermehrung wächst und sich allmählich in Keimblätter spaltet. Da die am meisten peripher vom Achsenstrange liegenden Zellen als die ältesten zu betrachten sind, so ist das Erscheinen der beiden Grenzen im hinteren Theile des Achsenstranges weit lateralwärts erklärlich aus dem Grunde, weil die Zellen eine gewisse Specialisirung erfahren müssen, um die Sonderung der Keimblätter darzustellen. Im Gebiete des embryonalen Schildes kann man also der Länge nach zwei Abschnitte unterscheiden. Der eine umfasst den vorder- sten Theil des Embryo, dessen Entoderm keinen Achsenstrang aufweist. Diese Strecke des Entoderms war zum Theil angelegt in dem zuerst von mir beschriebenen Stadium, also zu der Zeit der Entwicklung, wo der hintere Achsenstrang noch nicht ausgebildet ist. Bei späteren Stadien verlängert sich diese Strecke des Ento- Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 393 derms durch Wachsthum nach vorn, indem sich das vordere zuge- spitzte Ende des Embryo allmählich ausbildete. Der andere, hintere Abschnitt des Schildes ist bei der Ausbildung des hinteren Achsen- stranges entstanden. Sein Ektoderm und Entoderm zeigen von den ersten Anlagen an Verhältnisse, die am vorderen Abschnitte nicht zu beobachten waren, nämlich im Entoderm den vorderen Achsen- strang und den medianen, verdünnten Theil des Ektoderms. Es ist unmöglich eine bestimmte Grenze zwischen den beiden Abschnitten zu ziehen, da es eine kurze Übergangsstrecke zwischen denselben giebt, die etwa in der Mitte des breitesten Theiles des Embryo liegt. Während des beschriebenen Entwicklungscyklus hat sich also der hintere Abschnitt des Schildes durch Anlage neuer, in Keimblätter geschiedener Zellmassen nach hinten verlängert, während der vor- dere nach vorn ausgewachsen ist. Die Rückenfurche ist in diesem Stadium weit nach vorn zu ver- folgen und es ist zu bemerken, dass an derjenigen Strecke des Em- bryo, in welcher für das vorher beschriebene Stadium die Rücken- furche vorhanden war, schon die beiden seitlichen Theile stark nach oben gewölbt sind, was mit einer starken Verdickung der seitlichen Theile des Entoderms gleichen Schritt geht (Taf. XIX Fig. 18). Der mittlere Theil des Ektoderms dieser Gegend bildet einen schwachen kielartigen Vorsprung, der gegen den Dotter sich zu senken scheint, resp. gegen das Entoderm. Ich habe an dem vorigen Stadium auf gewissen Strecken der Mittellinie des Embryonalschildes eine Lockerung der obersten Schich- ten des Ektoderms unmittelbar unter der Deckschicht beschrieben. Dieser Zustand ist jetzt durch die ganze Länge der Rückenfurche zu beobachten. Es ist möglich, dass diese Elemente ihre runde Form durch Verminderung des seitlichen Druckes bei der Ausbiegung des Ektoderms erhalten haben. Indem wir das Centralgewebe des ektodermalen Kiels an der Stelle, wo er am meisten ausgebildet ist, näher betrachten, finden wir, dass diese runden Zellen der obersten Schichten des Ektoderms nicht bloß bis zum Boden der Rückenfurche nach unten zu verfol- gen sind, sondern es liegen einige im kompakten Gewebe des Kiels eingefaltet und sind dabei durch ihre runde Form scharf von den übrigen Zellen des Kiels zu unterscheiden, wie es auf Taf. XIV Fig. 18 Cz wiedergegeben ist. In den Regionen, wo der ektodermale Kiel schon ausgebildet ist, findet man, dass die lateralen Theile des Ektoderms so stark 394 N. Goronowitsch erhoben sind (Fig. 18), dass zwischen ihnen eine leichte Rinne sich auszubilden anfängt. Am Boden dieser Rinne verläuft die Rücken- furche, über welcher die Deckschicht immer etwas abgehoben er- scheint. Es ist interessant bei diesem Schnitte die von GOETTE schon beschriebene Stellung der verlängerten Zellen der mittleren Schichten des Ektoderms zu betrachten. Man findet, dass sie sich von beiden Seiten her zur Mittellinie neigen und durch diese Stel- lung, welche in früheren Stadien noch vor der Ausbildung des ektv- dermalen Kiels nicht zu beobachten war, auf den Gang des Proces- ses der Kielbildung hinweisen, der darin besteht, dass die lateralen Theile des Ektoderms sich von dem Dotter nach oben entfernen, während der mittlere Theil stehen bleibt. Es bildet sich somit eine Falte, deren Schenkel sich an einander legen, indem die obersten aus runden Zellen bestehenden Schichten des Ektoderms, vom ersten Anfang der Faltenbildung an in diese Falte eingeschlossen werden. Im vorderen Theil des Embryo ist die Zahl der Schnitte, welche nur den mittleren Theil des Entoderms ohne die seitlichen zeigen, eine bedeutend größere. Auf dieser Verlängerung beruht, wie wir früher bemerkt haben, die Bildung des vorderen Abschnittes des Embryo. Es bleibt für dieses Stadium noch übrig einen wichtigen Fort- schritt in der Entwicklung des primären Entoderms zu besprechen. In der Region, in welcher der Anfang der Kielbildung vor sich geht, ist der vordere Achsenstrang durch zwei dünnere Strecken des ento- dermalen Blattes mit den beiden seitlichen stark verdickten Theilen verbunden, wie es die Fig. 16 (Taf. XIX) aus früheren Stadien uns zeigt; noch weiter nach vorn sieht man in den seitlichen Theilen des Entoderms zwei deutliche Grenzen erscheinen, welche die oberen Zellenreihen von den 2—3 unteren scheiden. Diese Grenzen er- scheinen als helle Linien und sind wie alle anderen Grenzlinien im ersten Momente des Erscheinens deutlicher mit schwacher, als mit starker Vergrößerung wahrnehmbar. Noch weiter vorwärts, wo die Grenze deutlicher ausgeprägt ist, sieht man sie bei beliebiger Ver- srößerung (Taf. XIX Fig. 18). Die so im Bereiche der seitlichen Theile des Entoderms ent- standenen Grenzen trennen vollständig die beiden seitlichen, verdick- ten Theile dieses Blattes von den darunter liegenden Schichten, so wie vom vorderen Achsenstrang. Die beiden seitlichen abgegrenzten Theile sind die Mesodermplatten. In der Gegend, in welcher der vordere Achsenstrang aufhört, sind die beiden Mesodermplatten durch 2—3 Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 395. Zellenreihen dargestellt, die noch vom Entoderm deutlich abgegrenzt sind. Die Mesodermplatten sind also als zwei seitlich von der Medianlinie entstandene solide Auswüchse des Entoderms zu betrachten, die sich allmählich vom En- toderm abgrenzen, in diesem Sinne geben die Bildung des Me- soderms auch ZIEGLER für Lachs (4, pag. 46), CALBERLA (11, pag. 240) für Syngnathus und Salmoniden an. Horrmann (13, I, pag. 155) hat eine andere Auffassung über die Entstehung der paarigen Mesodermplatten; er sagt, dass in frü- heren Stadien das Mesoderm als eine unpaare, mittlere Schicht er- scheint, die zwischen dem einschichtigen Entoderm (13, II, pag. 9) und dem Ektoderm liegt, und erst später durch das Eindringen des ektodermalen Kieles in zwei laterale Hälften getheilt wird. Diese Angabe kann ich nicht bestätigen. Das Entoderm ist ferner in diesen, so wie auch in späteren Stadien nur in gewissen Regionen seiner seitlichen Theile als einschichtig zu bezeichnen, wie es auf meinen Tafeln angegeben ist. Auch habe ich nie gesehen, dass das Mesoderm ohne dazwischen liegendes En- toderm auf den seitlichen Theilen des Schnittes die sogenannte Para- blastschicht berührt, wie das HorrmMann darstellt. Durch den dargestellten Gang der ersten Bildung des ektoder- malen Kiels ist also konstatirt, dass die obere Schicht des Ekto- derms, die unmittelbar unter der Deckschicht liegt, im Centrum des Kiels eingefaltet wird. Über diesen Punkt war Gorrre im Unkla- ren, da er in seiner letzten Arbeit über Knochenfische (19, pag. 150) sagte: »Nur muss ich entschieden bestreiten, dass eine obere kon- tinuirliche Zellschicht — von der sich nicht verändernden, bisweilen sogar abgehobenen Deckschicht ganz zu schweigen — sich von oben her faltenformig in den von den übrigen Zellschichten gebildeten Kiel einsenkt und so zur Auskleidung einer kontinuirlichen, wenn auch noch so engen Spalte wird, welche sich später zum Central- kanal der Cerebromedullarréhre erweiterte. An Hunderten von Durchschnitten des Forellenkeims habe ich nichts Derartiges gesehen.« Diese, nicht den Thatsachen entsprechende Darstellung ist auch in der neueren Arbeit von HorrMann wiedergegeben (13, II, pag. 13). Er bestätigt im Ganzen die Ansichten von Gorrre und beschreibt, dass bei der Bildung des Kiels die Zellmassen des Ektoderms zur Medianlinie gegen einander rücken, indem sie eine einfache Zellenlage als Grundschicht der Oberhaut zurücklassen. 396 N. Goronowitsch Dass die Deckschicht nicht in das Centrum des Kiels geräth, wird von allen Autoren bestätigt, welche die Entwicklung des Cen- tralnervensystems bei Knochenfischen im Sinne einer Einfaltung ver- standen haben, nur nicht von Romitr (12) und CALBERLA (11). Die Arbeiten dieser Forscher, die sich hauptsächlich mit der Frage über die Herkunft der Zellen, die den späteren Centralkanal bekleiden sollen, beschäftigen, enthalten aber keine bestimmten Angaben über die Art und Weise des Entstehens des ektodermalen Kiels, wie ich es weiter unten näher besprechen werde. An demselben Bebrütungstage findet man immer Embryonen, bei denen die Rückenfurche vollständig an Flächenbildern geschwunden ist, an Schnitten aber kann man für dieses, wie überhaupt für alle späteren Stadien der Dotterumwachsungsperiode, unmittelbar vor der Schwanzknospe, eine kurze Strecke erkennen, auf welcher die Rückenfurche vorhanden ist. Diese Embryonen haben stets die auf Taf. XVIII Fig. 3 dargestellte Form; der einzige Unterschied, den sie bieten, ist die Abwesenheit der Riickenfurche. An Flächenbildern ist keine Depression auf dem Rücken des Embryo zu finden, an Sehnitten aber sah ich die flache Rinne, die ich schon in dem vori- gen Stadium beobachtet habe. Im Übrigen sind keine wichtigen Fortschritte zu beobachten. Diese konstant vorkommende embryonale Form geht über in die, welche auf Taf. XVIII Fig. 4 dargestellt ist. Sie ist gewöhn- lich am 10. und 11. Tag der Entwicklung zu beobachten. Die äußere Form dieses Stadiums zeigt keine besonderen Abweichungen von den vorigen, ihre Länge ist auch dieselbe. Statt der Rücken- furche aber findet man eine im vorderen Theile verbreiterte und tiefere Rinne, die sich nach hinten schmäler werdend fortsetzt, und in der Nähe der Schwanzknospe endigt. Diese Rinne ist die Me- dullarrinne; an Querschnitten war sie in schwach ausgeprägtem Zustande schon im vorderen Theil der früheren Stadien nach- weisbar. Die Region der Schwanzknospe und die unmittelbar vor ihr liegende zeigen dieselben Verhältnisse wie in den vorher beschrie- benen Stadien. Man findet im hinteren Theil des Embryo eine Strecke, in welcher das Vorhandensein der Rückenfurche nachweis- bar ist; diese Furche erweitert sich allmählich, indem sie weiter nach vorn in die Medullarrinne übergeht. Der ektodermale Kiel dieser Gegend ist bedeutend stärker ausgebildet. Der unter dem Kiel liegende vordere Achsenstrang ist gegen den Dotter gedrängt, Studien iiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 397 dessen Oberfläche, entsprechend seinem Verlaufe, rinnenförmig de- primirt erscheint. Beim Vergleiche der Konturzeichnungen der Querschnittserien dieser Stadien mit den vorher beschriebenen ward es mir klar, dass das Ektoderm in den vorderen und mittleren Ab- schnitten des embryonalen Körpers sich besonders in seinen seitlichen eingefalteten Theilen verdickt hat. Ein Querschnitt aus dem breitesten Theil des Embryo (Taf. XIX Fig. 19) hat, wie OELLACHER sich ausdrückte, die Form eines Arm- brustbogens, da zu beiden Seiten der Medullarrinne zwei starke, wellenförmige Ausbiegungen des Ektoderms entstanden sind, deren erste Andeutungen auf Querschnitten schon in früheren Stadien zu beobachten waren und die jetzt so stark entwickelt sind, dass sie am Flächenbilde das Erscheinen der Medullarrinne hervorrufen. Die unter diesen Ausbiegungen des Ektoderms liegenden Mesodermal- platten bestehen nicht, wie in früheren Stadien, aus kompakten Zell- massen, sondern sind stark aufgelockert, manchmal etwas vom En- toderm abgehoben, indem sie dem sich bogenförmig krümmenden seitlichen Theile des Ektoderms in seiner Gestaltung folgen. In späteren Stadien, wo der ektodermale Kiel dem fortschreitenden Processe der Einfaltung gemäß tiefer in den Dotter sich senkt, legen sich wieder die Mesodermalplatten den übrigen Keimblättern an. Diese Ablösung der Mesodermalplatten kann auf Reagenswirkung zurückgeführt werden, allein die Auflockerung des mesodermalen Gewebes, die nichts mit Reagenswirkung zu thun hat, beweist genügend, dass hier die Erhebung der seitlichen Theile des Ek- toderms nicht hauptsächlich durch Wucherung des Mesoderms, son- dern durch Flächenwachsthum des Entoderms vor sich geht, wobei ihr mittlerer Theil nach unten ausweicht und durch Einfaltung den Kiel bildet. Das zeigt auch die in diesem Stadium in dem breitesten Theil des Embryo stark ausgesprochene rinnenförmige Depression des Dotters. Der Einfaltungsprocess, welcher die Aus- bildung des Kiels bedingt, wird von denselben, in früheren Stadien beschriebenen, histologischen Erscheinungen begleitet. Diese be- stehen in der speciellen Anordnung der Längsachsen der Zellen und in der Beschaffenheit der medialen Zellen des Kiels. Es ist aber zu bemerken, dass diese Zellen in diesem Stadium schon eine Eigenthümlichkeit bieten (Taf. XIX Fig. 19 Cz), die hervorge- hoben werden muss. Auf Querschnitten der früheren Stadien (Fig. 18) sahen wir, dass die zwei oder drei kolonnenartig angeordneten Zel- lenreihen, deren rundliche Form sie als Derivate der obersten Schicht 398 N. Goronowitsch des Ektoderms aufweist, sich näher zur unteren Peripherie des Kiels erstrecken, als es in dem späteren Stadium der Fall ist. In der mittleren Region des Körpers ist in diesem Stadium der Kiel viel länger, obgleich die kolonnenartig angeordneten Zellen (Cz) bloß in seinen oberen Theilen deutlich nachzuweisen sind. In dem unteren Theil des Kiels haben die mittleren Zellen ganz dieselbe Beschaf- fenheit wie die übrigen, weil sie sich schon durch ihre Form an die übrigen centralen Zellen des Kiels angepasst haben. Diese Thatsache erklärt, dass man nicht an allen Regionen des Embryo mit der wünschenswerthen Deutlichkeit die von CALBERLA beschriebene Anordnung der centralen Zellen des Kiels beobachten kann. Am deutlichsten sieht man sie nur da, wo die Einfaltung rascher vor sich geht; also für das betreffende Stadium im mittleren Theil des Embryo, wo der Kiel stärker ausgesprochen ist und un- mittelbar vor der Schwanzknospe, wo das Vorhandensein der Rücken- furche noch nachzuweisen ist. Ich kann also für die von mir unter- suchten Fische die Angabe von CALBERLA, als seien die Centralzellen des Kiels von Anfang ihrer Entstehung an bis zur Abschniirung des Medullarstranges von den sie umgebenden Zellen durch ihre Form und Größe zu unterscheiden, nicht bestätigen. Es ist von Kuprrer (8, pag. 217) bemerkt worden, dass aus dem Texte der Arbeit von CALBERLA nicht ersichtlich sei, wesshalb die centralen Zellen des ektodermalen Kiels auf seinen Figuren dunkler konturirt sind als die übrigen. Ich muss bemerken, dass bei verschiedenen ‚Fischen die im Kiel eingefalteten Elemente einige Verschiedenheiten zeigen, besonders was die Schärfe der Konturen betrifft. Beim Hecht z. B. erscheinen diese Zellen in bestimmten Zeiten der Entwieklung mit außerordentlicher Schärfe der Konturen, wie es auf meiner Taf. XXI Fig. 42 für ein späteres Stadium der Entwicklung wiedergegeben ist. Bei allen von mir untersuchten Fischen besteht die Deckschicht zur Zeit der Entwicklung des Kiels aus sehr platten Zellen, ich vermuthe daher, dass CALBERLA diese Schieht übersehen hat, denn auf seinen Tafeln besteht die oberste Schieht des Ektoderms aus zu voluminösen Zellen, um für die Deckschicht gehalten werden zu kön- nen, diese blieb wahrscheinlich an der Eihülle haften; nur so er- kläre ich mir, dass diesem Beobachter ein so klarer Vorgang, wie der, dass die Deckschicht keinen Antheil am Einfaltungsprocesse nimmt, entgehen konnte. In der Arbeit von Romiri (12) ist die richtige Deckschicht ab- Studien tiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 399 gebildet; ich kann aber seine Angaben nicht fiir tiberzeugend halten, denn seine beiden Figuren 1’ und 2', welche verschiedene Vergrö- Rerungen eines und desselben Bisntuntoa zeigen, haben sehr wenig Ubereinstimmendes mit einander. In Fig. 1’ könnte man eine Ein- biegung von zwei höchstens drei kernhaltigen Zellen in der Furche des stark entwickelten Kiels annehmen. Die Form dieser Zellen entspricht der Form der Zellen der Deckschicht, die aber ohne Kern abgebildet sind; Fig. 2’ dagegen zeigt sechs kernlose Zellen, die durch ihre Form den Deckschichtzellen entsprechen, sich sehr scharf von den umgebenden Zellen unterscheiden, und zu wenig sich sen- ken, um wirklich ihr Eindringen in das Centrum des Kiels annehm- bar zu machen. Diese Zellen stehen nämlich alle in einer fast horizontalen Reihe und sind nicht kolonnenartig gegen das Centrum des Kiels geordnet. Ich habe, wie oben gesagt, gefunden, dass es beim Lachs und bei Forellenembryonen ein Stadium giebt, in welchem die Rücken- furche verschwindet. Am Flächenbilde ist keine Andeutung einer Einfaltung zu erkennen. An Schnitten aber findet man immer noch vor dem Verschwinden der Rückenfurche die erste Andeutung der Medullarrinne, die allmählich in die Taf. XIX Fig. 19 dargestellte Rinne übergeht. OELLACHER hat (1, pag. 23) zwei Rückenfurchenbildungen un- terschieden, seine Angaben differiren aber von den meinigen, wie ich es bei der Zusammenstellung seiner Resultate über die äußere Form der Embryonen besprechen werde. In meiner vorläufigen Mittheilung (Zool. Anz. VU. Bd.) habe ich die Beziehungen der beiden Rückenfurchenbildungen unrichtig zu einander dargestellt. Die Rückenfurche ist nicht das Ergebnis einer Ausgleichung der Dicke der Medullarplatte in ihrem mittleren verdünnten Theile, sondern das Ergebnis der ersten Ausbildung des Kiels, d. h. der Einfaltung, die zu der Zeit hauptsächlich durch die Erhebung der seitlichen Theile des Ektoderms durch das wuchernde Mesoderm entsteht. Diese Furche ist also im Grunde vollständig identisch mit der Medullarrinne, oder wie ich sie in meiner vorläufi- gen Mittheilung genannt habe, mit der »Einfaltungsrinnec. Die bei- den Furchenbildungen erscheinen als Ergebnis des gleichen Processes der Einfaltung und bezeichnen nur quantitative Verschiedenheiten desselben Processes. Bei der Einfaltungsrinne werden nur größere, seitliche Strecken des Ektoderms bogenförmig aufgehoben. Das Entoderm zeigt in diesem Stadium das Erscheinen einer 400 N. Goronowitsch deutlichen Grenze, welche sein mittlerer, verdickter Theil (vorderer Achsenstrang) (Taf. XIX Fig. 18 vAz) von den darunter liegenden zwei bis drei Zellenreihen trennt; damit ist die Anlage der Chorda gegeben. Die Chorda-Anlage ist in diesem Stadium nur-im hinte- ren Drittel deutlich abgegrenzt. Weiter nach vorn setzt sich bis zum vorderen Drittel der Serie der noch nicht abgegrenzte vordere Ach- senstrang fort. 2. Die Anlage der Gehirnregionen und die vollständige Abgrenzung der Chorda. Das auf Taf. XVIII Fig. 5 dargestellte Stadium vom Lachs hatte eine Länge von 1,7 mm. Ich habe es meistens am 12. Tag der Entwicklung beobachtet. Seine Medullarrinne zeigt eine weitere Ausbildung und kann in drei Abschnitte getheilt werden. Wir se- hen vorn (Z) eine ovale, vertiefte Stelle, die dem vorderen Theil der Medullarrinne der früheren Stadien entspricht. Nach hinten er- hebt sich allmählich der Boden dieser ovalen Vertiefung und bildet so eine Strecke, die zwischen zwei Erhebungen liegt. Diese Strecke der Medullarrinne verbindet die ovale Grube mit einer Vertiefung von unregelmäßiger, rhomboidaler Form; man kann also diese Vertiefung als zweiten (JZ) Abschnitt bezeichnen. Die hintere Ecke dieser rhomboidalen Vertiefung verlängert sich nach hinten, indem sie in eine sehr schmale Rinne übergeht, welche den dritten Abschnitt der Me- dullarrinne (Z7Z7) bildet. Entsprechend diesen drei Abschnitten der Medullarrinne ist der Körper des Embryo in drei Regionen geglie- dert. Die vordere Region umschließt die ovale Verbreitung der Me- dullarrinne; sie verlängert sich nach vorn in das oben besprochene zugespitzte Ende. Die beiden seitlichen Theile dieser Region er- scheinen als zwei dicke Wülste, deren hintere Abschnitte höher liegen als die vorderen. In der Mitte sind diese seitlichen Theile stark verbreitert. Die Region des Embryo, in welcher die rhomboi- dale Grube sich befindet, zeigt zwei Ausbuchtungen der seitlichen Konturen, welche sie von der hinteren bis zur Schwanzknospe all- mählich dünner werdenden Region abgliedern. Diese letzte Region entspricht dem Verlaufe des verschmälerten Theils der Medullar- rinne. Später werde ich versuchen den Beweis zu liefern, dass die Region, welche die rhomboidale Verbreiterung der Medullarrinne enthält, der Deutung von His entsprechend als Hinterhirnanlage auf- ‘Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 40 f zufassen ist. Die hintere Region entspricht der Riickenmarksanlage, ist also als Rumpf aufzufassen. Die von mir gegebene Beschreibung dieses Stadiums ist an nicht mit Alkohol behandelten Objekten gemacht, eben so wie die beige- gebene Zeichnung. An Alkoholpräparaten traten gewisse Erscheinun- gen auf, die an mit Alaunlösung behandelten Objekten nicht zu sehen waren. An Alkoholmaterial findet man nämlich eine viel deutlichere Abgrenzung der rhomboidalen Verbreiterung, der Medul- larrinne, und an der Stelle ihrer seitlichen Ecken erscheinen zwei grubenartige Vertiefungen. Dieses Stadium ist mit den vorher be- schriebenen durch einige Zwischenformen verbunden. Man findet nämlich an denselben, öfters aber am 11. Entwicklungstag, Formen, bei welchen die seitlichen Theile des vorderen Abschnitts sich nicht so stark von der Oberfläche des Dotters abheben. Die rhomboidale Verbreiterung ist aber schon bei diesen Formen angedeutet. Der Rumpfabschnitt hat ungefähr dieselbe Länge wie Fig. 4 und zeigt die mediale Rinne. Bei Forellenembryonen (Fig. 6) ist die rhomboidale enlekkriee viel schmäler; ihre seitlichen Ecken verlängern sich lateralwärts, indem sie in zwei grubenartige Vertiefungen (7G) enden. Diese Verhältnisse bei der Forelle sind ohne Alkoholbehandlung wahrzu- nehmen. Es sind also die zwei seitlichen Gruben der Hinterhirn- region bei Forellen deutlicher ausgesprochen, als beim Lachs, bei welchem sie nur an Alkoholpräparaten nachzuweisen sind. Die Querschnitte durch die Schwanzknospe zeigen dieselbe kon- centrische Anordnung der Zellelemente, wie es früher beschrieben ward. Nach vorn ist eine Strecke vorhanden, wo der mittlere Theil des Ektoderms auf fünf bis sechs Schnitten dünner als die seitlichen Theile erscheint. Weiter treffen wir Schnitte, welche das Erschei- nen der Rückenfurche zeigen. Diese Furche geht, indem sie sich allmählich erweitert, in die Gegend der Medullarrinne über, wo schon ein starker ektodermaler Kiel ausgebildet erscheint. Wir finden also, dass der hintere Theil in diesem Stadium, in welchem die Rumpfgegend bedeutend länger geworden ist, in Bezug auf die Ausbildung des Ektoderms genau dieselben Verhältnisse zeigt, wie in früheren Stadien. In der Nähe der rhomboidalen Verbreiterung der Medullarrinne sind die seitlichen Theile des Ektoderms stark verdickt, wie es für ein späteres Stadium (Taf. XX Fig. 25) dargestellt ist. Durch die Morpholog. Jahrbuch. 10. 26 402 N. Goronowitsch Bildung dieser Verdickungen unterscheidet sich die Hinterhirnregion von der Rumpfgegend, in welcher die seitlichen Theile der Medullar- platte ganz allmählich in das übrige zweischichtige Ektoderm über- gehen. An der Stelle wo diese Verdickungen am stärksten aus- gesprochen sind und welche am Flächenbilde den seitlichen Ecken des Rhombus entsprechen, finden wir zwei lateralwärts von der Me- dianlinie liegende grubenartige Einsenkungen des Ektoderms (HG). Sie liegen zu beiden Seiten einer medianen Einsenkung, die der Mitte des Kiels entspricht. Am Boden dieser Einsenkung sind gewöhn- lich die eingefalteten Zellen der oberen Schicht des Ektoderms (Cz) sehr deutlich ausgesprochen. Die Deckschicht ist über die mediane Einsenkung eben so wie über die lateralen brückenartig ausgespannt. Aus der beigegebenen Fig. 25 ist zu sehen, dass der Übergang der seitlichen Theile der Medullarplatte in das übrige Ektoderm durch eine wulstartig dorsalwärts konvexe Falte dargestellt ist. Den Schei- tel dieser Falte, der die Übergangsstelle zwischen Medullarplatte und Ektoderm bildet, bezeichne ich mit ZIEGLER als Medullarwulst (JZ). Weiter nach vorn gleichen sich die seitlichen Verdickungen allmählich aus, und wir finden eine Reihe von Schnitten, auf welchen die seitlichen Theile der Medullarplatte keine seitlichen Verdickun- gen zeigen und so, allmählich sich verdünnend, in das übrige Ek- toderm übergehen, wie es in der Rumpfgegend der Fall ist. Ein Sehnitt dieser Gegend durch den breitesten Theil des Embryo ist auf Taf. XIX Fig. 20 dargestellt. Diese Region werde ich als Mit- telhirnregion bezeichnen; sie charakterisirt sich in diesem Stadium durch ihre Breite und ihren außerordentlich stark entwickelten Kiel. Wir können eine Strecke weit in der kompakten Substanz des Kiels die eingefalteten Zellen der oberen Schicht von oben her verfolgen. Weiter nach vorn finden wir noch eine Region, aus welcher ein Querschnitt durch ein jüngeres Stadium auf Fig. 21 dargestellt ist. Die seitlichen Theile des Ektoderms sind ebenfalls sehr stark verdiekt, bedeutend stärker als in der Hinterhirmregion. In dem betreffenden Stadium sind auf diesen lateralen Verdickungen noch keine seitlichen Gruben vorhanden. Erst in späteren Stadien bilden sich solche aus. Diese Region bezeichne ich als Region des primä- ren Vorderhirns und die seitlichen Verdickungen als Anlagen der Augenblasen; die Richtigkeit dieser Bezeichnungen wird sich aus den weiteren Darstellungen ergeben. Ganz allmählich geht diese Region in das kurze, zugespitzte Ende des Embryo über. Ein Querschnitt dieser Gegend ist für ein etwas älteres Stadium auf Taf. XX Fig. 28 Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 403 dargestellt. Wenn man diesen Schnitt mit den entsprechenden der früheren Stadien Taf. XIX Fig. 17 vergleicht, findet man, dass eine Einfaltung vor sich gegangen ist, welche durch dieselben Erschei- nungen, wie es für andere Regionen beschrieben war, gekennzeich- net wird. Die abgegrenzte Chordaanlage ist für dieses Stadium bis zum Anfang der Mittelhirnregion deutlich zu verfolgen. Weiter nach vorn setzt sich beinahe durch die ganze Mittelhirnregion der vom Entoderm unabgegrenzte vordere Achsenstrang fort. Auch in spä- teren Stadien (am Schlusse der Dotterumwachsungsperiode) verlängert sich die Chorda nicht nach vorn. Es geht also nicht der ganze vordere Achsenstrang in die Chordaanlage über, sondern es bleibt unter dem Mittelhirn eine gewisse Strecke des vorderen Achsen- stranges, die in späteren Stadien eine Reduktion zu erfahren scheint. Ehe ich die Beschreibung des nächsten Stadiums gebe, will ich die Angaben der Autoren, welche die Entwicklung der Chorda bei Knochenfischen auf Schnitten studirt haben, kurz besprechen. Wir haben gesehen, dass das primäre Entoderm nur in dem vor- dersten Abschnitt seiner Anlage keinen verdickten, axialen Theil aufweist. Es ist der Abschnitt, der noch früher angelegt ist als die axiale Bildung entsteht, welehen ich hinteren Achsenstrang nannte und wo primäres Ektoderm und Entoderm axial nicht von einander getrennt sind. Dieser vorderste Abschnitt des Entoderms verlängerte sich später nach vorn und bildete mit dem darauf liegenden Ekto- derm das vorderste zugespitzte Ende des Embryo. In dem zweiten von mir beschriebenen Stadium wird der hintere Achsenstrang ange- legt. Beim fortschreitenden Process der Umwachsung des Dotters rückt der hintere Achsenstrang immer rückwärts und hinterlässt dabei eine Zellmasse, welche in Keimblätter sich spaltet. Es wird dabei das Entoderm mit einer centralen, axialen Verdickung abge- spaltet, die ich als vorderen Achsenstrang bezeichnete, um diese Bildung irgend wie von der wesentlich verschiedenen axialen, nicht in Keimblätter geschiedenen Bildung, die in der Schwanzknospe und etwas weiter nach vorn liegt, zu unterscheiden und die ich mit OELLACHER als Zellvermehrungsherd auffasste. Später verdicken sich die seitlichen Theile des primären Entoderms und grenzen sich allseitig ab; so entstehen die paarigen Mesodermplatten. Erst in dem nächsten Stadium erscheint die Abgrenzung des vorderen Achsen- stranges, der zur Chordaanlage wird. Der Process der Abgrenzung geht rasch von hinten nach vorn vor sich und bei dem Stadium, das 26* 404 N. Goronowitsch die erste Anlage der Gehirnregionen aufweist, ist das diinnere Ende der Chorda deutlich bis zum Anfang der Mittelhirnregion zu verfolgen. Diese Vorgänge sind bei genügender Anzahl von Schnitt- serien leicht nachweisbar. Die Chorda entsteht also bei Salmoniden entodermal durch Ab- spaltung einer von Anfang an im Keimblatte gegebenen Anlage. Wie sich das Mesoderm und die Chorda bei Esox und Chondrostoma bilden, habe ich des spärlichen Materials wegen nicht untersuchen können. OELLACHER lässt die Chorda aus dem Rumpf- und Schwanz- knospentheil seines Achsenstranges entstehen (1, pag. 46). Er fasst aber den Achsenstrang in einem ganz anderen Sinne und lässt ihn durch nachträgliche Verschmelzung der einmal getrennten Keimblät- ter entstehen. Abgesehen davon, dass eine nachträgliche Verschmel- zung der Blätter nicht annehmbar ist und auf einer unrichtigen Feststellung der Grenzen der Axialgebilde beruht, wie das schon GoETTE (19 und 20) ausführlich hervorgehoben hat, ist auch die Lehre von ÖELLACHER nicht mit der wünschenswerthen Klarheit entwickelt, wie es aus folgender Zusammenstellung seiner Angaben hervorzugehen scheint. Für frühere Stadien beschreibt OELLACHER (1, pag. 20) die Verschmelzung der Keimblätter als etwas Thatsächliches. Im vorde- ren Theil der späteren Stadien dagegen ist nach seiner Meinung nur eine scheinbare Verschmelzung vorhanden (1, pag. 45), die darauf beruhe, dass in den centralen Theilen des Kiels eine Zell- vermehrung stattfinde, welche die untere Cylinderzellenreihe, die so deutlich das Ektoderm yom Mesoderm scheidet, aus einander schiebt und somit eine scheinbare Verschmelzung des Ektoderms mit Meso- derm hervorrufe. Wenn das so wäre, so könnte das durch schein- bare Verschmelzung der Keimblätter entstandene Gebilde überhaupt nicht verglichen und mit demselben Namen bezeichnet werden, wie dasjenige, bei welchem OELLACHER (1, pag. 20) es zweifelhaft lässt, ob in ihm die Keimblätter von Anfang an getheilt waren. Man kann es auch nicht mit demjenigen axialen Theil des Rumpfes ver- gleichen, in welchem nach OELLACHER eine nachträgliche axiale Verschmelzung der Keimblätter stattfand. Alle drei Abschnitte wer- den aber dennoch »Achsenstrang« bezeichnet. Den Rumpf- und Schwanztheil des Achsenstranges hielt OEL- LACHER (1, pag. 46) »größtentheilse dem mittleren Keimblatt, den Kopftheil des Achsenstranges dem Sinnesblatte angehörend. Aus Studien iiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 405 dem ersten Theile ließ er nach Abspaltung der ektodermalen Ele- mente die Chorda (1, pag. 50), aus dem Kopftheil des Achsenstran- ges das Gehirn entstehen. GoETTE (19, pag. 191, 20, pag. 415) ist der Ansicht, dass das primäre Entoderm zuerst sich in zwei über einander liegende Keimblätter spalte: in ein oberes, kontinuirliches Mesodermalblatt, das median einen axial verdickten Theil des primären Entoderms (Achsen- strang) aufweist, und in ein unteres entodermales, das keine me- diane Verdickung zeigt. Später soll sich diese mediane Verdickung des Mesoderms als Chordaanlage abgrenzen, indem die seitlichen Theile des Blattes die Mesodermplatten bilden. GOETTE bemerkt aber hierzu (19, 1. e.): »Immerhin muss ich auf Grund zahlreicher Vergleichungen annehmen, dass die Ablösung des Achsenstranges vom Darmblatte etwas träger erfolgt, als an den Seitentheilen und dass selbst die seitlich eben abgesonderte Chorda- anlage unten nicht so glatt und rein, wie die Segmentplatten vom Darmblatte getrennt ist.« Aus dem Texte von GoOETTE ist mir nicht ersichtlich, ob er seine Embryonen mit der peripherischen Dotterschicht geschnitten hat, oder nicht. Die Abbildungen seiner Taf. VII (19) geben Schnitte ohne Dotterschicht. Bei Abtrennung der erhärteten Keimscheibe vom Dotter werden sehr leicht die natürlichen Verhältnisse des Entoderms verunstaltet, wie ich mich oft überzeugt habe. Die unteren Zellen- reihen des primären Entoderms lassen sich künstlich eher von den oberen abtrennen, als die natürlichen Abgrenzungen stattfinden. In- dem ich die Figuren der Taf. VII von GoETTE mit meinen Präpara- ten vergleiche, finde ich, dass seine Fig. 1 einen Querschnitt eines Stadiums darstellt, bei welchem noch keine Abgrenzung des defini- tiven Entoderms existiren kann, da dieser Vorgang erst dann statt- findet, wenn die Kielbildung schon im Gange ist. Auch soll sie viel weiter fortgeschritten sein als es die Fig. 2 von GOETTE dar- gestellt. Beide Figuren aber zeigen ein abgegrenztes Entoderm. Anders kann ich die Divergenz unserer Ansichten mir nicht er- klären, als durch die Annahme, dass Gorrre durch künstliche Verhältnisse vom richtigen Wege abgeleitet wurde. RADWANER (30) lässt die Chorda bei Salmoniden aus dem Ektoderm entstehen, in- dem ihre Anlage durch Abgrenzung des unteren Theiles des Kiels sich bildet. Dieser Forscher hat aber, wie es mir scheint, die Zeit der Abgrenzung der Chorda nicht richtig gefasst, denn alle seine Figuren, welche die erste Bildung der Chorda darstellen sollen, 406 N. Goronowitsch gehören sehr späten Stadien an, bei welchen die Chorda schen an- gelegt sein muss. Das beweist der weit fortgeschrittene Gang der Einfaltung der Medullarplatte, den diese Figuren darstellen. CALBERLA konnte für Syngnathus acus nicht bestimmt angeben (11, pag. 241), ob die Chordaanlage aus Ektoderm oder Entoderm abzuleiten sei. Die Anlage des Mesoderms beschrieb er als paarig (l. e. pag. 240). Für Salmoniden behauptet CALBERLA positiv einen entodermalen Ursprung der Chorda, leider ohne seine Untersuchun- gen näher vorzuführen. HorrMann (13, I, pag. 156) giebt einen entodermalen Ursprung der Chorda an. Bezüglich dieser Frage muss ich aber einigen Detail- angaben dieses Forschers widersprechen. Es ist schon oben bemerkt, dass HorrMANN die erste Entstehung des Mesoderms unrichtig dar- gestellt hat. Indem er seine Anschauungen über die Anlage der Chorda und Keimblätter bei Knochenfischen mit der Coelomtheorie von O. und R. HERTwIG zusammenstellt, sagt er (l. c. I, pag. 152), . dass das Mesoderm paarig erscheint »in dem Stadium, in welchem die Chorda sich anzulegen anfängt. Das Zellmaterial der Chorda ist aber von Anfang an vorhanden. Man kann also bei Salmoniden nur von einer Abgrenzung der Chorda vom übrigen Entoderm spre- chen. Ferner ist zu betonen, dass zu keiner Zeit vor der Abgrenzung der Chorda, zwischen ihrer Anlage und dem Ektoderm ein koati- nuirliches mesodermales Blatt vorhanden war. Weiter sagt Horr- MANN (13, II, pag. 32): »Die Chorda ist also ein Produkt des Entoderms, ihre Bildung fängt am hinteren Theil des Embryo an, und ihre Entwicklung schreitet allmählich nach vorn zu fort; dabei bleibt dann die Chorda noch eine Zeit lang mit dem Entoderm in kontinuirlichem Zusammenhang und schnürt sich erst später voll- ständig vom unteren Keimblatt ab.« Diesen Gang der Chordaent- wicklung von hinten nach vorn kann ich gleichfalls nicht bestä- tigen. ZIEGLER (4, pag. 45) leitet die Chorda ebenfalls vom Entoderm ab. Er sagt aber, dass der »Bildungsvorgang der Chorda immer weiter nach vorn schreitet und die entstandene Chorda sich durch Wachsthum und durch mit Verdünnung verbundener Streckung ver- längert«. Ich bestätige die von ZIEGLER und von HOFFMANN ange- gebene Thatsache, dass die ursprüngliche Anlage der Chorda viel voluminöser in früheren, als in späteren Stadien ist. Aber ZIEGLER’S Meinung, dass die Verdünnung der Chorda durch Streckung dersel- ben erklärt werden könne, muss ich bestreiten. Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 407 Die Anlage der Chorda erscheint als abgegrenzter Strang, der bei dem von mir zuletzt beschriebenen Stadium den Anfang der Mittelhirnregion erreicht. Später verlängert sich ihr vorderes Ende nicht mehr, da seine Lagebeziehungen zu den umgebenden Theilen dieselben bleiben. Dennoch wird die Anlage der Chorda bedeutend dünner und zwar in dem Stadium, in welchem der Rand der Keim- scheibe den Äquator des Eies erreicht. Die Verlängerung der Chorda nach hinten geschieht durch Ablagerung neuer Zellmassen von hin- ten, durch die Zellvermehrung im hinteren Achsenstrang, wo wäh- rend der ganzen Dotterumwachsungsperiode die Keimblätter angelegt werden, indem das Entoderm mit der Zellenlage der künftigen Chorda (vorderen Achsenstrang) zugleich erscheint. Obgleich es unmöglich ist ein interstitielles Wachsthum des Embryo während der Dotterumwachsungsperiode ganz zu leugnen, muss man es doch für außerordentlich minimal halten im Vergleiche zu dem Wachsthum des hinteren Endes des Embryo, durch Apposition neuer Zellmassen des Achsenstranges. Während der Periode der Umwachsung bis zum Überschreiten des Aquators verlängert sich nämlich der Kopftheil des Embryo von dem in Fig. 5 bis 10 dargestellten Stadium gar nicht, wie man sich durch Abmessen der Länge vom vordersten Ende des Embryo bis zur Mitte der rhomboidalen Verbreiterung überzeugen kann. Es ist also in dieser Gegend kein interstitielles Wachsthum nachzuweisen. Ich finde auch keine Gründe um ein in- terstitielles Wachsthum des Rumpfes für die betreffenden Stadien an- zunehmen, wenigstens kein solches Wachsthum, welches die starke Verschmälerung der Chordaanlage erklären könnte. Ich finde im- mer neue beträchtliche Keimblätterstrecken von hinten angelegt, die eine genügende Erklärung für die Verlängerung des Rumpfes ge- ben. Bedingungen einer Dehnung der Chorda, die ihre Verdünnung erklären könnten, sind mir nicht erkennbar. Das nächstfolgende Stadium Taf. XVIII Fig. 7 zeigt in seiner äußeren Form die größte Übereinstimmung mit dem vorher beschrie- benen. Es ist nur zu bemerken, dass die Region der ovalen Ver- breiterung der Medullarrinne bedeutend schmäler ist. Die Länge vom vorderen Ende des Embryo bis zur Mitte der rhomboidalen Grube ist dieselbe geblieben. Die gesammte Länge des Embryo beträgt 1,72 mm. Dieses Stadium ist am 12. Tag der Entwicklung zu beobachten. Am Boden der ovalen Verbreiterung der Medullar- rinne sieht man eine schmale, lineär erscheinende Furche verlaufen. Am vordersten Theil der Medullarrinne ist eine Bildung entstanden, 408 N. Goronowitsch die am Flächenbilde als eine etwas vertiefte Stelle sich erweist. Am Boden der rhomboidalen Verbreiterung findet man auch eine lineäre Längsfurche. Den seitlichen Ecken des Rhombus entsprechend erscheinen deutlich die oben beschriebenen seitlichen Gruben dieser Gegend. Die Hinterhirnregion dieses Stadiums zeigt außer einer stärkeren Ausbildung der seitlichen Gruben dieser Gegend dieselben Verhält- nisse wie in dem vorher beschriebenen Stadium. In der Mittelhirn- region finden wir, dass die seitlichen Theile der Medullarplatte ähnliche Verdickungen bilden, wie es für die Hinterhirnregion be- schrieben war. Ein Schnitt (Taf. XX Fig. 22) durch die Grube des vorderen Theiles der ovalen Verbreiterung der Medullarrinne trifft die Augenblasengegend. Aus dem Vergleiche dieses Schnittes mit dem entsprechenden der früheren Stadien ist ersichtlich, dass die seit- lichen Theile des Ektoderms in dem späteren Stadium sich beträcht- lich verdickt haben. Zu beiden Seiten der Medianlinie sind zwei Gruben entstanden: die zwischen diesen Gruben befindliche mittlere Strecke des Ektoderms bildet einen dorsalwärts konvexen Vorsprung. In der Mitte dieses Vorsprungs sind nicht mehr die eingefalteten Zellen der oberen Schichten des Ektoderms in dem Kiel zu verfol- gen, wie es auf Taf. XIX Fig. 21 der Fall war. Der Kiel hat sich wenig in dorsoventraler Richtung verlängert, die seitlichen Theile des Ektoderms sind dorsalwärts gekrümmt. Die Medullarwülste (JZ), die in Fig. 21 am Anfang ihrer Ausbildung begriffen waren, sind stark ausgeprägt. Der Fortschritt in der Entwicklung der betreffen- den Gegend besteht also in der Ausbildung der seitlichen Verdickun- gen des Ektoderms, die ich als die erste Anlage der Augenblasen- bildung bezeichnet habe. Eine gewisse Strecke des Ektoderms zu beiden Seiten des Kiels wächst bei diesem Vorgang in Fläche und Dicke, wobei ihr mittlerer Theil nach unten ausweichen muss und so die erwähnten seitlichen Gruben bildet. Fig. 8 zeigt ein älteres Stadium vom 12. bis 13. Tag der Ent- wicklung. Die Länge des Embryo beträgt 1,9 mm. Der vordere Theil des Embryo ist noch schmäler geworden und nimmt allmäh- lich eine ellipsoidale Form an, indem die seitlichen, im früheren Stadium stark lateralwärts vorspringenden Theile sich mit den vor- deren in ihren Konturen ausgleichen. Alle diese Erscheinungen sind, wie wir gleich aus Querschnitten erfahren werden, auf Einfal- tung zurückzuführen, indem zur Seite des Medullarstranges liegende Ektodermstrecken dem letzteren sich anschließen. Am Boden der Studien iiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 409 ovalen Verbreiterung sind zwei grubenartige Vertiefungen wahrzuneh- men; die eine am vordersten Ende, die andere etwa in der hinteren Hälfte. Die rhomboidale Verbreiterung ist viel schmäler geworden, und die lateralen Gruben dieser Gegend stark gegen einander gerückt. Querschnitte durch die hinterste Rumpfgegend zeigen dieselben Verhältnisse in Bezug auf die Abgrenzung der Keimblätter, wie es für die früheren Stadien beschrieben ward. Taf. XX Fig. 23 zeigt einen Schnitt durch die hintere Rumpfgegend, wo die Ausbildung des Kieles schon weit vorgeschritten ist. An solehen Schnitten fin- det man die besten Objekte für die Darstellung der histologischen Vorgänge, welche die Einfaltung der Medullarplatte bei Knochen- fischen begleiten. Man sieht deutlich, dass die unmittelbar unter der Deckschicht liegenden Zellen des Ektoderms von Anfang der Kielbildung an ins Centrum des Stranges eingefaltet werden. Da- bei behalten sie längere Zeit ihre charakteristische rundliche Form, wie es auch Taf. XX Fig. 24, ein Querschnitt aus dem vorderen Rumpfabschnitt desselben Stadiums, darstellt. Diese Deutlichkeit der Einfaltungsfiguren ist in der Rumpfgegend durch den Mangel an störenden Wirkungen des seitlichen Druckes bedingt. Im Kopftheil dagegen, wo die seitlichen Theile der Me- dullarplatte bei der Ausbildung der Gehirnregionen in starkem Wachsthum begriffen sind, werden diese runden Zellen bald abge- plattet und nehmen die Form der übrigen Zellen des Kieles an. Aus der Vergleichung der beiden Fig. 21 und 22, die zwei verschie- dene Stadien der Augenblasengegend darstellen, treten diese Wir- kungen des seitlichen Druckes deutlich hervor. Auf Fig. 22 sieht man sogar den medialen Theil des Kiels dorsalwärts wulstartig emporgehoben. Die Vergleichung der Größe der Flächen der beiden Fig. 23 und 24, die denselben Vergrößerungen entsprechen, ergiebt, dass die Schnittfläche des Ektoderms in der hinteren Rumpfgegend bedeutend kleiner ist als in der vorderen. Es ist also im hinteren Rumpf- abschnitt das ektodermale Blatt dünner angelegt. In früheren Sta- dien aber, bei welchen, wie gesagt, der Rumpfabschnitt bedeutend kürzer als in den späteren ist, fanden wir auf den hintersten Schnitten (Taf. XVII Fig. 15) schon eine mächtige Anlage des Ektoderms. Je älter der Embryo wird, desto dünner findet man die Anlage des Ektoderms auf den hintersten Schnitten. Es ist dies eine Thatsache, die beweist, dass das Wachsthum des Rumpfes während der Dotterumwachsungsperiode hauptsächlich, wenn nicht 410 N. Goronowitsch exclusiv durch Anschluss neu angelegter Keimblätterstrecken vor sich geht. Auf diese Thatsache werde ich später bei der Besprechung des Ganges der Umwachsung des Dotters zurückkommen. Ein Querschnitt aus der Hinterhirnregion dieses Stadiums ist auf Fig. 25 dargestellt. Von den entsprechenden nicht abgebildeten Schnitten der früheren Stadien unterscheidet er sich dadurch, dass die seitlichen Gruben dieser Region bedeutend näher an einander liegen, da die Zwischenstrecke in den Kiel eingefaltet ist. Dadurch wird auch eine Verlängerung des Kieles hervorgerufen, so wie eine Verschmälerung des Kopfes in dieser Gegend. Die Übergangs- stellen der Medullarplatte in das übrige Ektodern, die ich als Me- dullarwülste bezeichnet habe, sind viel stärker abgehoben als in den früheren Stadien. Ein Schnitt durch die Mittelhirnregion ist auf Fig. 26 abgebildet. Man findet im Ganzen die größte Ähnlichkeit mit der Ausbildung der vorher beschriebenen Region. Der Unter- schied liegt bloß in dem massiveren und viel längeren Kiel, so wie in einer sehr starken Entwicklung der verdickten seitlichen Theile, die bedeutend breiter geworden sind. Die seitlichen Gruben sind dagegen viel kleiner. Diese Region ist von der vorher beschriebenen durch eine Reihe von Schnitten getrennt, die keine seitlichen Gruben zeigen; es ist die Gegend, wo die Übergangsstrecke zwischen der rhomboidalen und ovalen Verbreiterung der Medullarrinne liegt. Weiter nach vorn von den Gruben der Mittelhirnregion ist noch eine Strecke, welche keine seitlichen Gruben zeigt. Das Mesoderm die- ser Gegend ist äußerst schwach entwickelt. Noch weiter nach vorn liegt die Region des primären Vorderhirns (Taf. XX Fig. 27). Die seitlichen Gruben dieser Region sind bedeutend vertieft in latero- ventraler Richtung. Die seitlichen verdickten Theile, die ich als Augenblasen bezeichnet habe, haben eine andere Stellung angenom- men, als in dem vorher beschriebenen Stadium, wie es aus der Vergleichung der Fig. 22 und 27 ersichtlich ist. In diesem Sta- dium erhalten sie eine lateralwärts gerichtete Stellung, indem die Medullarplatte sich nach oben hebt und dorsalwärts krümmt, und damit ein allmähliches Gegeneinanderrücken der beiden Augenblasen bewirkt. Diese Erhebung der lateralen Theile der Medullarplatte der betreffenden Region ist gar nicht durch eine mechanische Wir- kung des darunter liegenden Mesoderms erklärbar, da dieses in die- ser Gegend außerordentlich schwach entwickelt ist. Die Einfaltung wird (deutlich bewiesen durch die, auf der Zeichnung wiedergege- bene, Stellung der Längsachsen der Zellen. Das Ektoderm außer- Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 411 halb des Medullarwulstes ist stark auf die ventrale Peripherie der seitlichen, verdickten Theile der Medullarplatte aufgerollt. Dasselbe Verhalten ist auch für die übrigen Regionen des Gehirns nachweis- bar; hauptsächlich für die Hinterhirnregion. Es verläuft also jetzt der Einfaltungsprocess der Medullarplatte im Kopftheile anders, als in den Anfangsstadien. Während der Bil- dung des Kiels wird eine Falte gebildet, deren Schenkel dorsalwärts konvex sind (Taf. XIX Fig. 19). Die beiden Schenkel legen sich sofort an einander nach Art einer geschlossenen Falte, wie das GoETTE dargestellt hat. Wenn aber die Ausbildung der Gehirn- regionen eintritt, so biegen sich die noch nicht in den Kiel einge- falteten seitlichen Theile der Medullarplatte gegen einander, und die Medullarwülste nähern sich allmählich. Am meisten ist dieses zweite Moment der Einfaltung im Kopftheile ausgesprochen. ZIEGLER (4, pag. 43) hat mit Recht diese zwei Momente des Einfaltungsprocesses der Medullarplatte der Knochenfische mit ent- sprechenden Momenten bei Batrachiern verglichen, indem er die me- diane Einfaltung, welche bei Batrachiern bei der Bildung der Rücken- furche stattfindet, der medianen Einfaltung bei der Kielbildung der Knochenfische als entsprechend ansah. In der That kann die me- diane Einfaltung der Medullarplatte der Batrachier als rudimentärer Kiel angesehen werden. Ich habe schon oben besprochen, dass die paarigen Gruben jeder Region in jüngeren Stadien weiter von ein- ander als in älteren liegen. Dieses Verhalten beruht darauf, dass die mediane Strecke der Medullarplatte, die zwischen diesen Gruben liegt, in späteren Stadien in den Kiel eingefaltet wird. An Flächen- bildern erscheinen die Gruben der Mittel- so wie der Vorderhirnregion erst dann, wenn sie stärker ausgebildet sind: dann aber liegen die Gruben paarweise so nah an einander, dass sie das Bild zweier ein- fachen Vertiefungen am Boden der ovalen Verbreiterung der Medul- larrinne hervorrufen, wie ich es für Stadium Taf. XVIII Fig. 8 beschrieben und abgebildet habe. . Erst an Querschnitten kann man sich von der Paarigkeit jeder am Flächenbilde als unpaar erschei- uenden Grube überzeugen. Jene an Flächenbildern wahrnehmbaren Verhältnisse der den Regionen entsprechenden Gruben haben OEL- LACHER, wie ich gleich besprechen werde, irre geleitet. Aus der Untersuchung der zuletzt beschriebenen Stadien habe ich also die Ansicht gewonnen, dass der Kopftheil der Medullar- platte einige Differenzirungen erfährt, die im Wesentlichen darin bestehen, dass durch Verdickung, also durch Wachsthum ihrer seit- 412 N. Goronowitsch lichen Theile, drei Regionen entstehen, die durch zwei intermediäre Strecken mit einander verbunden sind, in welchen nur eine schwache Verdickung der seitlichen Theile nachzuweisen ist. Die Bildung der Gruben, die diesen Regionen entsprechen, erkläre ich mir durch Ver- größerung der wachsenden Flächen, welche grubenartige Einsen- kungen bilden. Später wird der Nachweis geliefert, dass diese grubentragenden Regionen am Schluss des Einfaltungsprocesses in die primären Regionen des Gehirns des Embryo übergehen. Das hintere Grubenpaar entspricht der Hinterhirnregion des ausgebildeten Ge- hirns, das vordere der primären Vorderhirnregion, das mittlere Gru- benpaar der Mittelhirnregion. Das Wesen des Vorgangs ist also die Bildung der Anlagen für künftige Abschnitte des Centralnervensystems bei noch offenem Zu- stande der Medullarplatte. Aus der im Jahre 1835 erschienenen Arbeit von BAER (7, pag. 13) ersehe ich, dass dieser Forscher schon ganz genau die soeben dar- gestellten Thatsachen an Cyprinus erythrophthalmus-Embryonen beob- achtet hat. Er sagte nämlich: »Im Kopfe kann derjenige, der die Entwicklung der Batrachier genau verfolgt hat, mit ziemlicher Be- stimmtheit drei Regionen unterscheiden, von denen nur die vor- derste geschlossen ist. Schaut man in die noch geöffneten Hirnzellen hinein, so glaubt man deutlich zu erkennen, dass seitlich schon ein Theil der Wand als Grübehen nach außen drängt, — die erste Spur der Hervorstülpung des Auges.« Die vorderste »geschlossene Gehirn- region« war wahrscheinlich die kurze Strecke des Vorderhirns, welche vor den Augenblasen liegt, und welche während des ganzen Einfal- tungsprocesses keine Medullarrinne sondern nur eine Rückenfurche (Taf. XVIII Fig. 11 Rf) aufweist, die leicht am Flächenbilde zu übersehen ist und danach die noch nicht geschlossene Gehirnregion für eine solche zu halten. An Chondrostoma habe ich nicht so viel Stadien untersuchen können, um eine vollständige Schilderung der Vorgänge der Einfaltung zu geben, daher sind mir die Gruben der Augenblasenregion für diese Form entgangen. Eine andere Angabe über die Bildung einer Gehirnregion be- steht von Hıs (45, 2, pag. 17; 3, pag. 182). Er bezeichnet die ıhomboidale Verbreiterung der Medullarrinne als »Rautengrube«, eine Bezeichnung, welche für eine noch offene Medullarplattenstrecke zwar wenig passend erscheint, aber die örtlichen Beziehungen rich- tig darstellt. Ehe ich zur Beschreibung der weiteren Entwicklung der Medul- Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 413 larplatte bei Salmoniden komme, will ich die Angaben anderer Autoren über die äußere Form der Salmoniden-Embryonen mit mei- nen Angaben vergleichen. In diesem Punkt stimme ich am meisten mit OELLACHER (1) überein, muss aber bemerken, dass ich an sei- nen Figuren eine durch den Druck der Eihülle hervorgerufene Ab- plattung der Embryonen zu erkennen glaube. Die dorsale Fläche aller Embryonen ist zu flach gedrückt, daher hat die Medullarrinne nicht die normale Breite, und die erwähnten Gruben, die am Boden der ovalen Verbreiterung der Medullarrinne liegen, müssen sehr scharf als ausgebreitete vertiefte Stellen einer schmalen Furche sich darstellen. Die seitlichen Gruben der Hinterhirnregion liegen nach seinen Zeichnungen an der breitesten Stelle des Kopfes, was nie- mals von mir beobachtet wurde. An Fig. 11 von OFLLACHER muss ich auch bezweifeln, dass sie ein normales Aussehen besitze. Fer- ner sehe ich an Fig. 14 die Andeutung einer Asymmetrie des Kopfes, was mich noch mehr zweifeln lässt, dass OELLACHER eine frühzei- tige Befreiung der Embryonen aus der Eihülle vorgenommen hat, eine durchaus nothwendige Bedingung für solehe Untersuchungen. Ich habe schon bemerkt, dass die äußere Form der Forellen und Lachsembryonen für frühere Stadien, die dem Entwicklungs- cyklus bis zu meiner Taf. XVII Fig. 10 vom Lachs entsprechen, eine höchst übereinstimmende ist. Dies erlaubt mir die Forellen- formen von OELLACHER direkt mit meinen Lachsembryonen zu ver- gleichen. Oben habe ich schon die Existenz des Stadiums des runden Schildes bezweifelt, welches OELLACHER auf Fig. 7 darstellt. Es ist möglich, dass das querovale Schild Fig. 8 von OELLACHER eine Rückenfurche aufweist, doch habe ich dies nicht beobachtet; abge- sehen davon entspricht seine Schilderung dieses Stadiums meiner Fig. 1. Zwischen den Stadien 8 und 9 von OELLACHER sind zwei For- men zu bemerken, deren eine meiner Fig. 3 gleicht, und eine andere, welche keine am Flächenbilde wahrnehmbare Furchen oder Rinnen hat. Dass die Fig. 9 von ÖELLACHER meiner Fig. 4 ungefähr ent- spricht, beweist mir die Stellung der Rückenfurche im vorderen Theil des Embryo, und die Kürze des Rumpfabschnittes. Wenn die Übereinstimmung festzustellen wäre, so könnte ich nur gegen OEL- LACHERS Figur bemerken, dass der nachträglich nach vorn wach- sende Abschnitt nicht dargestellt ist; das könnte auf einen Mangel der Strecke der Medullarplatte hinweisen, die später vor die Augen- blasen zu liegen kommt, was für dieses Stadium unrichtig wäre. 414 N. Goronowitsch Ferner, wenn das Stadium Fig. 9 yon ÖELLACHER meinem Stadium Fig. 4 entsprechen soll, so müsste es schon die Medullarrinne, also sekundär erscheinende Furchenbildung, nicht aber die primäre Furche, wie OELLACHER meint, enthalten. Zwischen den Stadien Fig. 9 und 10 von ÖELLACHER sind noch zwei Stadien zu notiren; das eine Stadium gab ich auf Fig. 6. Es ist nach einem in Alkohol gehärteten Forellenembryo abgezeichnet und zeigt die größte Übereinstimmung in der Form und Größe mit dem Lachsembryo Fig. 5. Nur die Schärfe der Gruben der Hinter- hirnregion bildet, wie für alle Forellenstadien, den Unterschied. Am Boden der ovalen Verbreiterung der Medullarrinne dieser Form findet man keine vertiefte Stellen. In dem Stadium Fig. 7 erscheint, wie ich es schon oben geschildert, eine vertiefte Stelle in dem vorderen Theil der ovalen Verbreiterung. Ein entsprechendes Stadium für Forellen hat OELLACHER nicht beschrieben. Das Stadium Fig. 8 entspricht dem Stadium Fig. 10 vou OELLACHER. Man sieht eine zweite Vertiefung im hinteren Theil der ovalen Verbreiterung ent- stehen. Ich habe oben gesagt, dass die paarigen Gruben, welche auf dem Flächenbilde jedoch wie eine ungetrennte Grube erscheinen, die Gehirnregionen örtlich, wie zeitlich, bezeichnen. ÜÖELLACHER hat auch diese Gruben beobachtet, hat aber ihre Entstehung als paarige Gebilde nicht gefunden. Und da er die eben besprochenen Zwi- schenstadien nicht beobachtet hat, so konnte er auch keinen richti- gen Aufschluss über die Zeit ihrer Entwicklung geben. OELLACHER war der Ansicht, dass diese Gruben örtlich den primären Gehirn- abtheilungen des schon fertigen Medullarstranges entsprechen. Als Anhänger der Lehre der Entwicklung des Centralnervensystems der Knochenfische aus einer ektodermalen Verdiekung, konnte OELLACHER nicht die wahre Bedeutung der Medullarrinne und auch der Gruben, die als Differenzirungen der Medullarrinne aufzufassen sind, richtig verstehen. Er erklärte sich ihre Entstehung durch lokale Einsen- kungen des Medullarstranges gegen den Dotter, oder durch .den Druck des wachsenden Mesoderms. Wie gesagt, jede dieser Vertiefungen der ovalen Verbreiterung der Medullarrinne ist als gleichwerthig den Gruben der Hinterhirnregion zu betrachten. OELLACHER dagegen hält (1, pag. 52) mit einiger Unsicherheit (1, pag. 57) die Gruben der Hinterhirnregion für die Ge- hörorgananlage, und giebt dabei die Anfangsgründe der »Sinnes- platten-Theorie« von GOETTE, indem er sagt: »Beim Gehör, so wie Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 415 beim Sehorgan ist die erste Anlage eine mehr diffuse Anschwellung (Ausbauchung beim Auge, Einsenkung beim Ohre) der Seitentheile des Sinnesblattes, resp. des Medullarstranges, ete. Den allmählichen Gang der Entwicklung der betreffenden Gru- ben beschreibt OELLACHER wie folgt: »Zuerst erscheint die Grube der Mittelhirnregion (v seiner Fig. 10), die er dem Ende der Medul- larrinne für entsprechend hält (© Fig. 9), was jedoch nicht richtig ist, da wir wissen, dass die Verlängerung des Embryo in diesem Stadium nur durch das Wachsthum des Rumpfes, und nicht durch das des Kopfes vor sich geht, wie es ja auch OELLACHER annimmt (1, pag. 40, 53). Daher kann o Fig. 9 nur ov” Fig. 10 entsprechen, da diese Gruben der beiden Figuren gleich weit vom vorderen Ende des Embryo entfernt liegen. vo” Fig. 10 müsste also nach OBLLACHER zuerst erscheinen. Die beiden Bildungen sind aber nicht gleich- werthig, denn die Gruben der primären Vorderhirnregion erschei- nen nicht eher, als die der Hinterhirnregion, deren erste Entstehung OELLACHER nicht beobachtet hat. Also v Fig.9 ist nur das vordere Ende der Medullarrinne, da bei diesem Stadium noch keine Hinter- hirnanlage vorhanden ist. vo Fig. 10 ist auch nicht gleichwerthig mit v’, da es das Centrum der rhomboidalen Verbreiterung darstellt. Diese Bildung lässt OELLACHER als die zweite erscheinen und die allervorderste (primäres Vorderhirn) zuletzt. Im größtem Widerspruche mit den Angaben von Hıs (3) stehen meine Beobachtungen über die äußere Form der Lachsembryonen. Ich habe schon oben, bei der Beschreibung der äußeren Form der Embryonen bis meiner Fig. 3 speciell betont, dass ich trotz aller Anstrengung keine an Flächenbildern wahrnehmbaren Faltungen an nicht durch Alkohol behandelten Keimscheiben beobachten konnte. Dasselbe negative Resultat erhielt ich an mit KLEINENBERG’scher Lö- sung behandelten Objekten. Ich habe Faltungen (Schrumpfungen) im Gebiete der Keimhöhlendecke nur nach dem Übertragen der Keimscheibe in 40 °/,igen Alkohol beobachtet. Diese Kunstprodukte waren, was Form und Ausdehnung betrifft, sehr inkonstant, und ich konnte in ihnen keine »typische Reagenswirkung« erkennen. Hıs beschreibt für den Lachs eine Reihe von Formen, die offenbar dem Entwicklungseyklus bis meinem in Fig. 5 dargestellten Stadium ent- sprechen, dessen Schild verschiedene Faltenbildungen aufweist. Die Metamorphosen dieser Falten haben Hıs zur Folgerung Veranlassung gegeben (3, pag. 187), »dass die ersten Anfänge embryonaler For- mung auch beim Knochenfischkeim als Faltungen sich einleiten«. 416 N. Goronowitsch Dieser wichtige Schluss ist aber nicht vorsichtig genug aufgestellt. His sagt nämlich 3, pag. 186): »Die erste auf die Embryogliede- rung hinweisende Oberflichenformung macht sich an Keimscheiben von 2 bis 2,4 mm geltend. Man begegnet zu der Zeit einer gewis- sen Mannigfaltigkeit von Gestaltungen, die Anfangs auf Ungleich- heiten der Reagenswirkung, oder auf individuelle Schwankungen hinzuweisen scheinen. Letztere mégen auch, gleich wie in den ent- sprechenden Entwicklungsstufen des Hühnerkeimes, vorkommen, allein eine genügende reichliche Durchmusterung von Keimen lässt bald gewisse Erscheinungen als typische erkennen und erlaubt die Entwerfung eines Gesammtbildes«. Obgleich ich solche typische Er- scheinungen, wie gesagt, nicht beobachtet habe, die Möglichkeit sol- cher lässt sich dennoch denken. Das dickere Embryonalfeld ist vorn von der stark verdünnten Keimhöhlendecke umgeben. Die schrumpfendmachende Reagenswirkung ist also gewissermaßen limi- tirt durch das verdickte Embryonalfeld, welches jener Wirkung einen Widerstand bietet, so dass die Faltungen sich um die Peripherie des Embryonalfeldes gruppiren können. Das hat aber mit der norma- len Entwicklung nichts zu thun, wie dies die nicht durch schrum- pfend - machende Reagentien behandelten Keimscheiben genügend beweisen. Das Stadium Fig. 5 von Hıs (3), habe ich niemals im Flächen- bilde beobachtet. An Sagittalschnitten habe ich Bilder wie seine Sagittalschnitte Fig. 5 B und Taf. IX Fig. 3 1. e. oft gesehen, aber deren »Bogenwulst« erweist sich mir als höchst inkonstant; öfters war er nur im Bereiche der Keimhöhlendecke zu beobachten und griff nicht in jene Region des embryonalen Schildes, in welcher das Entoderm vorhanden war. Die Breite des Wulstes war ebenfalls höchst inkonstant. Dieses inkonstante Verhalten des Bogenwulstes und hauptsächlich die Thatsache, dass er nur an durch schrumpfend- machende Reagentien behandelten Keimscheiben vorhanden ist, er- weisen mir diese Bildung als ein Kunstprodukt. Ferner bildet niemals das embryonale Schild ein Relief außerhalb des verdickten Ektoderms, auch erscheint das normale Relief niemals so bogenför- mig, wie Hrs auf seinem Schnitt es darstellt. Die Fig. 3 1. ¢ scheint meiner Fig. 4 zu entsprechen, obgleich die Länge der Embryonen nicht stimmt. Der von His hat die Länge von 1,4mm, da aber der Embryo von Hıs noch keine rhomboidale Verbreiterung der Medullar- rinne besitzt, so'muss ich annehmen, dass unsere Fig.3 u. 4 ungefähr denselben Stadien angehören. Die Zeiehnung von His ist aber viel Studien iiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 417 zu schematisch. Der die Medullarrinne umgebende Wulst ist zu stark übertrieben dargestellt. Das zeigen auch die von ihm auf Fig. 4 beigegebenen Querschnitte dieses Stadiums, da dessen »Bo- genwulst« am Flächenbilde nicht ein solches Relief geben kann, wie Fig. 3 1. e. uns zeigt. Diese schematische Behandlung der Figuren veranlasst ihn auch zu einer nicht der Wirklichkeit entsprechenden Beschreibung. Hıs sagt nämlich (3, pag. 185): »Der Embryo wird auch hier durch einen vom Rande schleifenförmig abgehenden Wulst umgrenzt.« Die durch ihre Rumpfanlage charakteristische Form, die ich in Fig. 2 darstellte, erscheint früher als die Medullarrinne oder irgend welche Faltenbildung, außer der linear erscheinenden Rücken- furche, eine Bildung, die aber nicht die äußere Form des Embryo beeinflusst und also nichts mit den »ersten Anfängen embryonaler Formung« zu thun hat. Die erste Embryogestaltung geht also durch Wachsthum vor sich und lässt keineswegs »Faltenbildungen« er- kennen. Aus dem Studium der Querschnittserien von verschiedensten Stufen, die zwischen meiner Fig. 4 (1,34 mm Länge) und Fig. 9 (2,2 mm Länge) liegen, bin ich zum Resultate gekommen, dass die Bildung, welche His (3, pag. 181) »Parallelfurche« nennt, zu keiner Zeit der embryonalen Entwicklung als eine, längs der Seitentheile der Medullarplatte kontinuirlich verlaufende Furche existirt. Es können bloß zwei Regionen in der ovalen Verbreiterung der Medul- larrinne Querschnitte liefern, die meiner Taf. XX Fig. 26 oder 27 der Form nach entsprechen, und wo wir zwei seitlich von der Me- dianlinie stehende Einbuchtungen, als Querschnitte einer »Parallel- furche« im Sinne von Hıs auffassen können. Die beiden Regionen sind aber vom ersten Entstehen der Einbuchtungen an, bis zum Schlussakte der Medullarplatte durch eine Zwischenregion geschie- den, deren Querschnitte keine Einbuchtungen darstellen, sondern nur die mediane winkelartig einspringende Medullarrinne zeigen, die in späteren Stadien ausgeprägter erscheint. Somit ist eine Diskon- tinuität der Einbuchtungen auf jeder Seite der Medullarplatte nach- zuweisen, die sich also als Gruben, nicht als kontinuirliche Furchen darstellen. Es ist mir auch unverständlich, wie Hıs (3, pag. 183) auf dem Querschnitte e seiner Fig. 2, welcher der Region der rhomboidalen Verbreiterung der Medullarrinne auf seiner Fig. 1 entspricht, nicht die in dieser Region außerordentlich deutlich ausgesprochenen Gruben der Hinterhirnanlage gesehen hat. Die Form seines Schnittes Morpholog. Jahrbuch. 10. A| 418 N. Goronowitsch e Fig. 2, welcher der Medianlinie entsprechend eine Riickenfurche aufweist, wie es aus dem Vergleiche mit meiner Fig. 23 klar ist, muss der Riickenmarkregion entsprechen, also caudalwirts von der von His sogenannten »hinteren Querrinne« (Hinterhirnanlage) liegen. Ich nehme folglich an, dass in dem hinteren Theile des Embryo, den Hıs auf Fig. 1 dargestellt hat, eine Verlängerung der Medullar- rinne nach hinten von seiner Querrinne vorhanden war, was allein schon die Ausbildung einer Rumpfanlage beweist, obgleich Hıs sie in diesem Stadium vermisste. Durch eigene Beobachtungen an reichem Material, und durch die mit meinen Figuren in diesem letzten Punkte übereinstimmenden Zeichnungen von OELLACHER, habe ich mich überzeugt, dass die Rumpfanlage schon längst vorhanden ist. Sie ist schon früher als irgend welche Spuren der rhomboidalen Verbreiterung der Medullar- rinne zu sehen, was mich zum Widerspruche gegen die Angabe von Hıs (2, pag. 19) zwingt, dass die erste Anlage im Knochenfisch- embryo nur die Anlage des Kopfes, ohne Rumpfabschnitt sei. Auf die Kontrolle dieser Angabe habe ich ein besonderes Gewicht gelegt, da sie mir für allgemeine ontogenetische Schlüsse von Wichtigkeit schien. Auch solche Formen wie Fig. 1.(3) und Fig. 2 (2) von His, habe ich nie beobachtet. Die seitlichen Theile der Mittelhirnregion, die Hıs, wie weiter bewiesen wird, unrichtig für Augenblasen hält, sind zu stark vorspringend und zu abgerundet abgebildet. Die Sehwanzknospe ist gar nicht als kugeliger Vorsprung zu sehen ete. Ich halte für nöthig in diese Details einzugehen, weil Hıs sich über die im Ganzen richtigen Zeichnungen von OELLACHER folgender- maßen ausdrückt (2, pag. 17): »Von den meinigen differiren sie in erheblichem Maße. Ob Schrumpfung in Folge zu starker Chrom- säure, ob Vertrocknung seine Präparate verunstaltet haben, oder ob er sie bei ungenügender Beleuchtung gezeichnet, und das undeutlich Gesehene ergänzt hat, — vermag ich nicht zu entscheiden.« Und er bezweifelt unter Anderem die richtigsten Fig. 9 und 10 von OEL- LACHER. Was die Beleuchtung betrifft, benutzte His »koncentrirtes Sonnenlicht«, nach meinen Erfahrungen eine höchst ungünstige, für das Wahrnehmen zarter Reliefgegenstände zu sehr blendende Beleuch- tung!. ZIEGLER (4) schilderte ganz richtig den Gang der Einfaltung ! Bei Sonnenlicht geben schwache Reliefgegenstände unter dem Mikroskope keine Schatten. Die Rückenfurche z. B. ist sehr schwer zu erkennen, denn Studien tiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 419 der Medullarplatte, und ich kann seine Angaben iiber diesen Punkt im Ganzen bestätigen. Die Bildung der Gehirnregionen ist ihm aber entgangen, so dass er veranlasst war, die »Parallelfurche« von His im Kopftheile anzunehmen, und sie als eine Einknickung der Sei- tentheile der Medullarplatte zu betrachten. Diese Annahme lässt eine Lücke in dem von ihm so glücklich vorgeschlagenen Vergleich der Medullarplatte der Teleostier mit jener der Batrachier, den ich oben besprochen habe. Ich muss aber entschieden ZIEGLER wider- sprechen, wenn er die Richtigkeit der Fig. 5 (3) von Hıs bestätigt (4, pag. 39). Dagegen kann ich ZıEGLEr's Fig. 5 und 6 Taf. II als sehr richtige bezeichnen. Der Vergleich meiner Figuren mit denen von Kuprrer (5) zeigt, dass wir bezüglich der äußeren Form der Salmoniden-Embryonen nicht mit einander übereinstimmen können. Noch weniger aber kann ich seiner Bestätigung des Stadium Fig. 1 (3) von Hıs, das er in einer Kopie wiedergiebt (5, pag. 23), beistimmen. Ferner schil- dert und deutet Kuprrer (5, pag. 22) ganz anders die Vorgänge der Entwicklung der rhomboidalen Verbreiterung der Medullarrinne, welche Hıs örtlich, als dem Hinterhirne entsprechend, richtig auf- gefasst hat. Er sagt nämlich: »die nächste Erscheinung besteht in einer Einsenkung oder Einstülpung der Oberfläche des Schildes, wie am Blastoporus der Reptilien oder Vögel«. Weiter beschreibt Kupr- FER, dass der Rand dieser Einstülpung die Form eines Rhombus annimmt und sagt: »Es kann wohl eben so wenig einem Zweifel unterliegen, dass diese kreuzförmige Grube der Medullargrube von Hıs am Lachskeim entspricht, wie es bezweifelt werden kann, dass dieser Einstülpungsvorgang dem am Reptilien-Eie beobachteten zu vergleichen sei.«c Es halt also Kuprrer die rhomboidale Verbreite- rung der Medullarrinne als entsprechend dem Prostoma der Reptilien und Vögel. Aus dem vorher Beschriebenen ist klar, dass ich diese Deutung als unrichtig erklären muss. Ich habe beim Lachs und bei der Forelle die sie bedeckende Deckschicht glänzt zu stark. Die Schwanzknospe ist auch meistens als kugeliger Vorsprung unsichtbar. Die ganze Oberfläche des Embryo irisirt in jenem Licht sehr stark, was die Beorachtung außerordentlich stört. Tiefere Einsenkungen, wie z. B. die Medullarrinne in späteren Stadien, sind sehr dunkel schattirt, was ein richtiges Urtheil über ihre wahre Tiefe unmög- lich macht. Diese ungünstigen Eigenschaften des Sonnenlichtes erklären mir viele der Fehler von Hıs, z. B. das Übersehen der Rumpfanlage, die unrichtige Darstellung der Schwanzknospe, die außerordentlich tiefe Medullarrinne einiger seiner Figuren etc. 27° 420 N. Goronowitseh die betreffende Bildung vom Anfang ihrer Entstehung verfolgt und an Querschnitt- so wie Sagittalschnittserien studirt. Ich fand dabei, wie gesagt, dass diese rhomboidale Grube eine verbreiterte Stelle der Medullarrinne ist und folglich keine lokale Einsenkung des Ek- toderms darstellt. Noch mehr wird diese Deutung als nicht annehm- bar erscheinen durch die Thatsache, dass zur Zeit des Auftretens dieser rhomboidalen Verbreiterung der Medullarrinne zwischen dem ektodermalen Kiel und Entoderm die vollständig abgegrenzte Chorda- anlage liegt, die von dieser Stelle nach vorn und nach hinten un- unterbrochen sich fortsetzt. Eine weitere Kritik dieser Auffassung werde ich nach dem Erscheinen des zweiten Theiles der Arbeit von KUPFFER geben, welcher die Resultate seines Studiums dieser Frage auf Schnitten behandeln wird. 3. Der Schluss des Einfaltungsprocesses der Medullarplatte und Besprechung der Dotterumwachsungsperiode. An einem am 13. Entwieklungstag beobachteten Stadium (Taf. XVIII Fig. 9), welches eine Körperlänge von 2,2 mm besaß, findet man keine Spur der ovalen Verbreiterung der Medullarrinne, es ist nur eine lineäre Furche vorhanden, die zwei schwach erweiterte Stellen darbietet. Die hintere Erweiterung entspricht der Mittelhirnregion, . die vordere der Augenblasengegend. Indem ich die Länge des vorderen Theiles der von mir darge- stellten Embryonen vom vordersten Ende bis zur Mitte der Hinter- hirnanschwellung messe und mit einander vergleiche, so finde ich, dass diese Länge noch immer dieselbe geblieben ist; sie beträgt 0,83, die Breite aber, durch den breitesten Kopftheil gemessen, nimmt in späteren Stadien immer mehr ab. Diese Messungen sind an meinen Zeichnungen leicht auszuführen, denn sie entsprechen alle einer und derselben Vergrößerung (13,5 lin.). Jene Thatsache hat auch OELLACHER beobachtet (1, pag. 48). Seine Erklärung war aber keine glückliche, da er die Entwicklung des centralen Nerven- systems nicht durch Einfaltung annimmt. Er meint, dass der Em- bryo in diesen Stadien »mit dem größten Theile seiner Masse in dem Dotter steckt, während der Kiel in diesem Stadium die größte Tiefe besitzt. Da aber der Kiel im Kopftheil und vorderen Rumpftheil nach seiner Meinung durch Wucherung des mittleren Theiles des Sinnesblattes sieh vergrößert, so kann dieser Vorgang keine Erklä- rung der Verschmälerung des Embryo geben. Die Ausbildung des Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 421 Kiels durch Einfaltung der in früheren Stadien ausgebreiteten Me- dullarplatte, wie das His (2, pag. 18) schon angegeben hat, ist die richtige Erklärung dieser Erscheinung. In der Hinterhirnregion des Stadiums Fig. 9 finden wir an der Stelle der rhomboidalen Grube eine sehr schwach ausgeprägte Ver- tiefung; in der Rumpfgegend ist keine Spur mehr von der Medullar- rinne zu sehen. Die Rumpfgegend zerfällt in einen mittleren und zwei laterale Theile. Die lateralen Theile erscheinen am Flächen- bilde als Ausdruck der” medialen verdiekten Theile der Mesodermal- platten, die bald in Ursegmente zerfallen werden. Das mittlere Feld bietet eine longitudinale, wulstförmige Erhebung, welche dem Rücken- marke entspricht. Der Randwulst erreicht bei diesem Stadium den Äquator der Dottersphäre. Die hinteren Querschnitte durch den Embryo dieses Stadiums zeigen, wie es in früheren Stadien beschrieben war, dieselben Ver- hältnisse in Betreff der allmählichen Spaltung der Zellmassen des hinteren Achsenstranges in Keimblätter. Es ist auch für eine kurze Strecke des hinteren Theiles des Embryo das Vorhandensein der Rückenfurche zu konstatiren. In diesem Stadium findet man unter der Chorda die von Kupr- FER beschriebene Blase, deren erste Entstehung als Einstülpung des Entoderms in sehr frühen Stadien, die etwa meiner Fig. 5 entspre- chen, zu konstatiren ist. Doch will ich hier nicht näher die Ver- hältnisse dieser Bildung besprechen. Ein Schnitt etwa aus der Mitte des Rumpfes (Taf. XX Fig. 29) zeigt keine Spur einer Einfaltungsrinne. Dorsal ist der Rücken- markstrang dieker als ventral. In den lateralen Theilen des Rücken- markes sieht man den diekeren Theil von dem übrigen zweischich- tigen Ektoderm abgetrennt, noch nicht aber median, wo der Strang kontinuirlich in das zweischichtige Integument übergeht. Der ganze Strang bietet noch kein Lumen. Die centralen Zellen im ventralen Abschnitte haben die längliche Form der äußersten Zellschichten dieser Gegend. Ihre Längsachse ist horizontal gerichtet. Die cen- tralen Zellen des dorsalen angeschwollenen Abschnitts haben eine rundliche Form; es ist also für diese im Schlussakte begriffene Strecke des Medullarstranges noch die auf Einfaltung hinweisende Anordnung der centralen Zellen zu beobachten. Auf derselben Fig. 29 findet man die eigenthümlichen Umände- rungen, welche die Bildungen im Dotter zu dieser Zeit erfahren (siehe oben pag. 384). Jedes der dort erwähnten Gebilde besteht 422 N. Goronowitsch jetzt aus einem runden scharf begrenzten und lebhaft gefärbten Kern, welcher das Ganze als echte Zellen charakterisirt; sie sind auch viel größer geworden als in früheren Stadien. Diese Umänderungen ge- hen schon früher allmählich vor sich. Ich habe mehrere Mal gesehen, dass ein solches zelliges Element zwei Kerne aufweist; niemals aber konnte ich Kerntheilungsfiguren wahrnehmen. Sehr selten habe ich Bilder bekommen, welche hätten erkennen lassen, dass solche para- blastische Zellen den unteren Schichten des Entoderms in den seit- lichen Theilen des Embryo sich anschließen. Ein Schnitt durch die Stelle der Grube (Taf. XVIII Fig. 9 Hh), die der Hinterhirnregion entsprach, zeigte den Rest der Einfaltungs- rinne, an deren Boden zwei Reihen von rundlichen Zellen eine Strecke weit in die kompakte Masse des Medullarstranges zu verfolgen wa- ren. Die seitlichen, dorsalen Abschnitte der Medullarplatte waren bis zur völligen Schließung gegen einander eingefaltet. Der Schnitt Taf. XX Fig. 30 entspricht der Mittelhirnregion. Der Vergleich der Fig. 26 und 30 zeigt einige Eigenthümlichkeiten. Der Kiel ist in dorsoventraler Richtung stark zusammengepresst und auf Fig. 30 des späteren Stadiums kürzer, dabei aber viel dieker geworden; die Zellen des Kiels sind stark in der Richtung des Druckes abge- plattet; die mediane, dorsale Strecke des Kieles ist wulstartig auf- getrieben, wie es oben (Taf. XX Fig. 22) für die Augenblasengegend beschrieben war. Dabei ist zu bemerken, dass der vordere Achsen- strang nach rechts geschoben ist. Diese am Schlusse der Einfaltung der Medullarplatte zu beob- achtenden Erscheinungen treten konstant auf, und sind als normale Vorgänge zu betrachten. Am deutlichsten sind sie in der Gegend des Hinter- und Mittelhirns d. h. da, wo die Gehirnanlagen stark in dorsoventraler Richtung ausgedehnt sind. Bei Forellenembryonen ist, wie es schon OELLACHER (1) beschrieben hat, der Kiel der Hin- terhirnregion am Schlusse der Einfaltung konstant stark $-förmig gekrümmt. Bei Lachsembryonen ist diese Erscheinung auch, obgleich in nicht so ausgesprochener Weise wie bei Forellen, zu beobachten. ZIEGLER (4, Taf. III Fig. 12) hat eine sehr starke S-förmige Krüm- mung für Lachsembryonen in der Hinterhirnregion dargestellt. Der Schnitt Taf. XX Fig. 31 entspricht der Gegend der Augenblasen des Stadiums Fig. 9. Die Augenblasen dieses Sta- diums werden noch durch eine kompakte Zellmasse gebildet, de- ren Mitte aber aus lockerer liegenden Zellen besteht. Die beiden Augenblasen, welche in früheren Stadien etwas ventralwärts gerich- Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 423 tet waren, stehen jetzt ganz lateral. Als letzte Spur einer Einfal- tungsrinne ist die kleine Grube Mr geblieben. Die seitlichen Theile der Medullarplatte sind aber noch nicht vollständig eingefaltet. Lateralwärts liegt noch eine ziemlich große Strecke von verdiektem Ektoderm, die in dem nächsten Stadium in den Medullarstrang ein- geht, durch welchen Process die Augenblasen ventralwärts geschoben werden. Der Rest der Medullarrinne ist noch im Querschnitt als schmale Einsenkung der oberen Kontur des Schnittes wahrzunehmen, die im Flächenbilde als schwach ausgeprägte Grube VA erscheint. Einen ähnlichen Schnitt, offenbar aus dem vorderen Theil der Augen- blasenregion, bildet OELLACHER ab (1, Taf. VIII Fig.5). Die Bildung der Grube erklärt OELLACHER als durch von unten her wirkenden Druck des Mesoderms entstanden (1, pag. 58), was nicht richtig sein kann, weil das Mesoderm dieser Gegend sehr schwach entwickelt ist, wie es auf meiner Fig. 31 Ms zu sehen ist. Daher kann von da keine mechanische Wirkung auf das Ektoderm ausgeübt werden. Ich bespreche diese Figuren, eben so wie die Fig. 3 Taf. IV (1), auch aus dem Grunde, weil OELLACHER’s Zeichner die in den Me- dullarstrang eingefalteten Zellen der obersten Schichten der Medul- larplatte außerordentlich klar darstellte, wie das CALBERLA schon bemerkt hat. Diese Zellen beweisen auch, dass der Einfaltungspro- cess nicht abgeschlossen ist. Vor der Augenblasengegend findet man noch einen kurzen ektodermalen Strang, dessen Ausbildung, wie aus dem vorher Gesagten klar wird, ebenfalls durch Einfaltung zu erklären ist. Am 14. Tag der Entwicklung trifft man Embryonen, deren Kör- perlänge 2,3 mm beträgt. Ein solches Stadium ist auf Fig. 10 dar- gestellt. Im Kopftheil ist der Medullarstrang dieser Embryonen vollständig vom Integument abgegrenzt. Der Einfaltungsprocess ist somit zum Schlusse gekommen. Man sieht schon auf dem Flächen- bilde die Stelle, welche den Augenblasen entspricht. Es sind die vordersten Theile des ovalen vorderen Abschnittes des Körpers. Aus dem vorher Gesagten ist klar, dass von Anfang der Ent- wicklung an die Augenblasen als Anschwellungen der Medullar- platte nicht in der Gegend des breitesten Kopftheiles des Embryo angelegt sind, wie das OELLACHER (1, pag. 60) und His (3, pag. 182) meinen, sondern weiter nach vorn zu. Entsprechend der Stelle ihrer ersten Anlage erscheinen sie auch in späteren Stadien am Flächen- bilde nicht am breitesten Kopftheil, sondern weiter vorn. Wie schon OELLACHER bemerkt hat (l. e.), können auch die Augenblasen in 424 N. Goronowitsch früheren Stadien nicht am Flächenbilde wahrnehmbar sein, da sie zu der Zeit am Embryonalkörper keine äußeren Hervorragungen bil- den. Desshalb ist auch die Deutung, welche Hıs den zwei seitlichen, auf seiner Fig. 1 (3) abgebildeten, Vorsprüngen giebt, keine richtige. Es können keine Augenblasen sein, denn sie sind in einem sehr frühen Stadium am Flächenbilde zu sehen, und ihre Stellung ent- spricht dem breitesten Theil des Kopfes. Ich kann diese Theile demnach nur als die unrichtig dargestellte Mittelhirnregion an- sehen. Man sieht die Hinterhirnregion (Fig. 10) als eine Anschwellung, welche zwischen Rumpf und Vorderkopf liegt. Indem wir die ge- sammten Flächenbilder vergleichen, finden wir, dass die Gliederung des embryonalen Körpers in Vorderkopf, Hinterhirnregion und Rumpf schon auf dem Stadium Fig. 5 angegeben war, und dass die Deu- tung desjenigen Theils, welcher der rhomboidalen Verbreiterung der Medullarrinne entspricht, ganz richtig von Hıs als Hinterhirn gege- ben wurde. Auf Schnitten, die unmittelbar vor der Schwanzknospe liegen, findet man, eben so wie es für frühere Stadien beschrieben war, eine mediane noch nicht in Keimblätter getrennte Zellmasse. Die Abgrenzung des Ektoderms von dem darunter liegenden Entoderm erscheint etwas weiter nach vorn an den lateralen Seiten des Schnit- tes. Man sieht, dass auch in diesem Stadium der Dotterumwach- sungsperiode die Spaltung der Keimblätter vom Achsenstrange gerade so wie in den früheren Stadien stattfindet. Ich muss demnach die Angabe von HOFFMANN, dass im hinteren Theile des Knochenfischembryo alle Organe und Gewebe unmittelbar sich ohne vorhergehende Bildung von Keimblättern anlegen (13, U, pag. 2) und dass hier der Process der Keimblätterbildung »über- sprungen« wird (l. e. pag. 31), so dass verschiedene Organanlagen direkt von indifferenten Zellen der Endknospe hervorgehen, für un- richtig halten. Der Medullarstrang dieses Stadiums hatte in der mittleren Rumpfgegend eine unregelmäßig viereckige Form; die dorsale Hälfte des Stranges war noch etwas breiter als die ventrale. Sie war überall von dem zweischichtigen Integument deutlich abge- grenzt. Ein Sehnitt durch die Hinterhirnregion dieses Stadiums ist auf Taf. XXI Fig. 32 gegeben. Wir sehen eine vollständige Ab- grenzung des Medullarstranges vom Integument. Der dorsale Ab- schnitt ist breiter, und diese Verbreiterung besteht aus rundlichen Zellelementen, die medialwärts allmählich in die länglichen Zellen Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 425 des Medullarstranges übergehen (Fig. 32 GZ). Diese neu entstandene Anlage bildet zu jeder Seite der Medianlinie einen Vorsprung, der in den nächstfolgenden Stadien sehr bedeutend in latero-ventraler Richtung auswächst. In dem betreffenden Stadium kann man an Querschnitten diese Anlage von dem Hinterhirn bis zum primären Vorderhirn ohne Unterbrechung verlaufen sehen. Im Vorderhirn ist sie bedeutend schwächer entwickelt, doch lässt sie sich in der Ge- gend der Augenblasenstiele (Taf. XXI Fig. 33 GZ) leicht erkennen. Diese Anlage bildet also eine zu jeder Seite der dorsalen Medianlinie des Gehirns kontinuirlich verlaufende dicke Leiste. In diesem Stadium ist sie von dem überall deutlich abgegrenzten zweischichtigen Ekto- derm getrennt. Doch konnte ich Spuren ihrer Anlage noch früher, als die vollständige Trennung des Ektoderms vom Gehirnstrang statt- findet, beobachten. Diese leistenförmige Bildung ist zuerst von BALFOUR (28, pag. 348) für die Rückenmarkregion der Selachierembryonen beobachtet und als Anlage der dorsalen Wurzeln der Spinalnerven aufgefasst wor- den. Später hat MARSHALL (38, 39) diese Leiste im Kopftheile der Hühnerembryonen genau untersucht, als Anlage der Cranialnerven gedeutet, und »Neural Crest« genannt. MARSHALL fand, dass sie angelegt wird, ehe der Schluss der Medullarplatte stattfindet und dass ihre Anlage bis zur Augenblasengegend sich erstreckt. Von BALFOUR und PARKER ward diese Leiste von Lepidosteus (27) er- wähnt und abgebildet. Horrmann hat (13, IL, pag. 47) dieselbe Bildung in der Gegend des Hinterhirns bei Knochenfischen beobach- tet, und auch als die Anlage der Hirnnerven gedeutet. SAGEMEHL (40) hat dieselbe Bildung in der Rückenmarkgegend von Petromyzon, Hecht, Frosch und Amnioten untersucht und fand, dass diese Leiste nicht die Anlage der Nerven, sondern die der Ganglien ist. Vorläufig kann ich mich keiner dieser Meinungen positiv an- schließen, da mir noch weitere Untersuchungen über Stadien, die nicht im Kreise dieser Arbeit liegen, nöthig sind. Im zweiten Ab- schnitt meiner Arbeit werde ich die Entwicklung dieser Leiste, so wie die Angaben von Horrmann näher besprechen. Etwa der Mitte der Hinterhirnanlage entsprechend bildet das Ektoderm zu beiden Seiten des Gehirnstranges eine Einsenkung (Taf. XXI Fig. 32 GO), über welcher die Decksicht abgehoben er- scheint; das ist die erste Anlage des Gehörorgans. Die centralen Theile der dorsalen Hälfte des Mittelhirns beste- hen aus einer kompakten Zellmasse: in der ventralen Hälfte aber 426 N. Goronowitsch findet man eine starke Auflockerung des centralen Gewebes. In der Augenblasenregion hat der vollständige Schluss der Medullar- platte stattgefunden. Die Augenblasen sind ventralwärts gerückt Taf. XXI Fig. 33), was auf der Einfaltung der distalwärts von ihnen gelegenen Strecke der Medullarplatte berubt. Das centrale Gewebe der Augenblasen ist sehr stark aufgelockert und stellen- weise durch Lücken unterbrochen. In dem vorher beschriebenen Stadium (Taf. XX Fig. 31) hatten die Augenblasen das Aussehen von sitzenden, starken Ausbuchtungen des Medullarstranges.. An horizontalen Schnitten (Taf. XXI Fig. 34) des betreffenden Stadiums findet man, dass diese Augenblasenanschwellungen sich stark nach hinten gegen das Mittelhirn und eben so dorsalwärts ausdehnen. Die ursprüngliche Verbindung der Augenblasenanschwellungen mit dem Medullarstrang behält indessen dieselbe Breite und bildet so- mit den Augenblasenstiel. Das Stadium Fig. 10 ist das erste, bei welchem der Schluss des Einfaltungsprocesses durch die vollständige Abtrennung des Medullarstranges vom Ektoderm im Kopftheile und im größten Theile des Rumpfes ausgeführt ist. Die Gehirnregionen sind bei diesem Stadium, wie es aus der Betrachtung der Entwick- lung der noch offenen Medullarplatte zu erwarten war, durch ihre Maßdifferenzen von einander zu unterscheiden. Das Hinterhirn in der Gegend der Gehörorgane hat eine Breite von 0,12 mm; in dorso- ventraler Richtung beträgt es 0,39 mm. Das Mittelhirn hat in sei- nem breitesten Theil 0,19 mm, dorsoventral 0,62 mm. Das primäre Vorderhirn in der Gegend der Augenblasenstiele hat dorsoventral 0,39 mm. Aus der von mir geschilderten Bildung der Gehörorgananlage, deren Entwicklung ich bis in spätere Stadien verfolgt habe, ist er- sichtlich, dass sie als Derivat des schon vom Medullarstrange abge- lösten Ektoderms zu betrachten ist. Diese Thatsache haben schon ZIEGLER und HOFFMANN festgestellt. Nach den Untersuchungen dieser Autoren hat also die Anlage des Gehörorgans keinen gleich- werthigen Ursprung mit der Anlage der Augenblasen; es sind dem- nach die seitlichen Theile der Medullarplatte nicht im Sinne GoETTE’s als Sinnesplatte aufzufassen. So weit ich nach den Konturzeichnungen von GOETTE (19) ur- theilen kann, scheint mir die Feblerquelle GoETTE’s darin zu liegen, dass er den Schlussakt des Einfaltungsprocesses nicht richtig aufge- fasst hat. Die seitlichen Theile der noch zum Theil ausgebreiteten Medullarplatte bilden die Sinnesplatte. Alle Figuren der Taf. VIII Studien iiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 427 von GOETTE müssen Stadien angehören, bei denen noch kein Schluss des Einfaltungsprocesses stattgefunden hat; das beweisen die dicken, seitlich vom Kiel liegenden Ektodermstrecken. Auf diesen Schnit- ten kann man also keine Anlage des Gehörorgans finden, wie es von GoETTE geschah. Daher sind auch die auf seiner Fig. 26 darge- stellten Verdiekungen sp’ nicht als Gehörorgane zu deuten, sondern wahrscheinlich als seitliche Theile der Hinterhirnanlage. Die Fig. 27 l. e. kann schon aus dem Grunde kein Gehörorgan darstellen, weil auf dem Schnitte keine Chorda zu finden ist, welche in dem ganzen Gebiete der Gehörorgananlage vorhanden sein muss. Dasselbe gilt auch für Fig. 37 Taf. IX von GOETTE. Ehe ich zur Darstellung meiner Beobachtungen über die Einfal- tung der Medullarplatte beim Hecht und bei Chondrostoma übergehe, will ich noch einige Bemerkungen über den Gang des Processes der Umwachsung des Dotters bei Salmoniden hinzufügen. OELLACHER (1, pag. 45) hat die Ansicht ausgesprochen, dass bei der Umwachsung diejenige Stelle des Randes der Keimscheibe, die der Lage der Schwanzknospe entspricht, als unbeweglich im Gegensatz zu den übrigen Theilen des Randes zu betrachten sei. Die Umwachsung geschieht also nach OELLACHER indem der ganze Rand der Keimscheibe, außer der Schwanzknospengegend, allmählich über den Dotter hingleitet und am Ende der Umwachsungsperiode diese unbewegliche Gegend erreicht. Hier findet der Schluss des Dotterlochs statt. Diese Ansicht ist von verschiedenen Seiten in Abrede gestellt worden. KUPFFER (8, pag. 212) hat den sicheren Beweis geliefert, dass am Ei des Herings, so wie des Stichlings, die Umwachsung des Dot- ters vom Anbeginn bis nach Überschreiten des Aquators in allseitig gleichmäßiger Weise vor sich geht, und also der ganze Rand der Keimscheibe sich auf dem Dotter vorschiebt. Kuprrer gelangte zu diesem Resultat, indem er ein fixirtes Stichlingsei während der Um- wachsung in bestimmten Intervallen photographirte. ZIEGLER (4, pag. 34) kam zu demselben Resultat, indem er die Umwachsung eines Eies von Rhodeus amarus beobachtete. Die längliche Form dieser Eier erlaubte genau die Beziehungen des Randes der Keim- scheibe zur Längsachse des Eies in verschiedenen Stadien der Um- 'wachsung festzustellen. In den Anfangsstadien der Dotterumwach- sungsperiode, die einer Reihe von Stadien bis etwa zu meinem Stadium Taf. XVIII Fig. 5 entsprechen, wo der Rand der Keim- scheibe das erste Viertel der Dottersphäre erreicht, lassen sich auch 428 N. Goronowitsch fiir Salmoniden direkte Beobachtungen anstellen, welche die An- nahme einer allseitigen Umwachsung rechtfertigen. Indem ich die Medianschnitte verschiedener Stadien aus der be- zeichneten Periode mit einander vergleiche, finde ich, dass die ver- diekten Randtheile des Parablasts sich in späteren Stadien allmählich nach vorn und hinten ausbreiten, während der oben besprochene verdünnte Centraltheil denselben Durchmesser und dieselbe centrale Lage in Bezug auf die Keimhöhlendecke behält. Die verdickten Randtheile werden aber immer durch Zuwachs breiter: da bei Sal- moniden der äußerste Rand der Parablastschicht immer in der Nähe des äußersten Randes der Keimscheibe bleibt, so ist klar, dass die Umwachsung des Dotters in diesen Stadien eine regelmäßig, allseitige ist. Die Dottermasse bietet auch eine besondere Beschaf- fenheit in den Theilen, welche dem Centrum der Keimscheibe ent- sprechen. Zu der Zeit, da die Umwachsung des Dotters noch nicht begonnen hat, liegt der durchfurchte Keim in einer flachen Grube des Dotters. Die den Keim reichlich umgebenden und in den Rin- denschichten des Dotters eingebetteten Öltropfen erscheinen kon- stant unter dem Keim bedeutend kleiner, als in der Peripherie. An in Alkohol gehärteten und nachträglich durch Xylol oder Terpentinöl aufgehellten Präparaten findet man die Öltröpfehen aufgelöst und an deren Stelle in der geronnenen Dottermasse eine Anzahl von Vakuolen, die in dem centralen Theil konstant kleiner, als in dem peripherischen sind. In den ersten Stadien der Dotterumwachsungs- periode, etwa bis zu dem auf Fig. 5 abgebildeten Stadium, sind diese Strukturverhältnisse des Dotters oft sehr deutlich ausgeprägt. Bei der Ausbreitung der Keimscheibe behält diese fein vakuolisirte Stelle des Dotters ihre centrale Stellung. Die Beobachtungen von Kuprrer und ZIEGLER, 80 wie die so eben von mir angeführten Thatsachen beweisen, dass die Umwach- sung des Dotters eine allseitige ist, und dass also bei diesem Pro- cess der Rand der Keimscheibe ganz gleichmäßig gegen den ent- gegengesetzten Pol des Eies allmählich vorgeschoben wird. Aus meinen Fig. 1 und 2 ist zu ersehen, dass bei diesen noch sehr frühen Stadien der vorderste Kopftheil des älteren Embryo weiter vom Centrum der Keimscheibe entfernt liegt. als der des jüngeren. Je älter der Embryo wird, desto weiter entfernt sich der vorderste Kopftheil vom Centrum der Keimscheibe. Diese Thatsache ist sogar an jüngeren Embryonen bis zum Stadium meiner Fig. 3° nachzuweisen, an welchen, wie oben geschildert, das vorderste zu- Studien iiber die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 429 gespitzte Ende des Embryo nach vorn, d.h. gegen das Centrum der Keimscheibe, sich verlängert; dessenungeachtet ist das Vorschreiten des Embryo gegen den unteren Eipol so bedeutend, dass durch das rasch vor sich gehende Wachsthum des Vorderendes des Embryo die Entfernung desselben vom Centrum der Keimscheibe noch zunimmt. In späteren Stadien ist diese Bewegung noch leichter zu kon- statiren. Der vorderste Kopftheil des Embryo entfernt sich immer weiter vom oberen Pole des Eies, welche Verhältnisse von STRICKER (33) in seinen Fig. 12—14 ganz richtig dargestellt worden sind. Diese leicht nachweisbare Rückbewegung des Salmoniden- embryo spricht gegen die unmotivirte Ansicht von Hıs (2, pag. 21), dass das Kopfende des Salmonidenembryo bei der Beurtheilung des Ganges der Umwachsung des Dotters als unbeweglich zu betrachten sei. Ich muss also annehmen, dass der Gang der Umwachsung bei Salmoniden von Hıs unrichtig verstanden wurde, und dass die Schließung des Dotterloches beim Lachs nicht, wie Hıs meint, weit entfernt vom unteren Pol, sondern in der unmittelbaren Nähe des- selben stattfindet. Die Rückbewegung des Kopfendes des Embryo geht selbstver- ständlich langsamer vor sich, als die Bewegung des Randes der Keimscheibe, da der Embryo während der ganzen Umwachsungs- periode selbst in die Länge wächst; dieses Wachsthum besteht, wie oben gesagt, hauptsächlich aus der Verlängerung des hinteren Endes des Rumpfes, indem immer neue Keimblätterstreeken vom Achsen- strange abgespaltet werden, um in die Anlagen des wachsenden Rumpfes überzugehen. Ich habe schon oben besprochen, dass es leicht ist, durch Vergleichung der Konturzeichnungen zweier Quer- schnittserien durch Embryonen verschiedenen Alters, z. B. des Em- bryo Fig. 3 und 5, sich zu überzeugen, dass in älteren Stadien das ektodermale Blatt am hinteren Ende des Embryo dünner angelegt wird. Das entodermale Blatt dagegen behält in seiner Anlage un- gefähr dieselbe Dicke. Hıs hat diese Thatsache nicht berthsichriige und eine Meinung geäußert, die gegen die Keimblätterlehre gerichtet sein könnte. Er sagt (3, pag. 199), dass in späteren Stadien »las Ektoderm in sei- ner anfänglichen Abgrenzung nicht beisammen bleibt, sondern dass, wenigstens in gewisser Ausdehnung, Bestandtheile desselben sich ablösen, um in die Mesodermanlage überzugehen. Mit dieser An- nahme stimmen auch die planimetrischen Messungen«. Der erste Grund für diese Annahme von Hıs ist der, dass die Grenzen der 430 N. Goronowits2h Keimblätter sich vorübergehend verwischen sollen. Den zweiten liefert die Berechnung der Summe der Flächen des Ektoderms einer- seits, und der unteren Schicht andererseits, für eine Reihe von hinte- ren Schnitten zweier, weit von einander abstehender Stadien, näm- lich Fig. 5 B und Fig. 1 D1. e. Das von His gefundene Resultat dieser Vergleichung ist folgendes: bei B (Schnitte von hinten 1—11) Gesammtfläche 3,086 mm, wo- von Ektoderm 1,809, untere Schicht 1,277 ; bei D (Schnitte von hinten 1—14) Gesammtfläche 2,980 mm, wo- von Ektoderm 1,463, untere Schicht 1,517; Was den ersten Grund betrifft, so ist freilich eine vorübergehende Verwischung der Grenzen der Keimblätter zu beobachten möglich, wenn das in Einfaltung begriffene Ektoderm fester an das Mesoderm zu liegen kommt. Zumal wenn Hıs Schnitte von 0,05 mm Dicke untersucht (3, pag. 181). Was den zweiten Grund betrifft, so ist derselbe desshalb hinfällig, weil Hıs, wie oben gesagt, die Verhält- nisse des nach hinten wachsenden Embryo nicht in Betracht gezogen und bei seinen Berechnungen zwei in ihren anfänglichen Anlagen nicht gleiche Strecken benutzt hat. Am Ende der Umwachsungsperiode treten mitunter gewisse Un- regelmäßigkeiten ein, die eine ovale Form des Dotterloches bedingen. Es geschieht nämlich, wenn die Stelle des Randes der Keimscheibe, welche dem hinteren Ende des Embryo entspricht, etwas in der Umwachsung zurückbleibt. Diese Erscheinung ist nicht als Regel zu betrachten. Öfter ist am Schlusse der Umwachsung ein rundes Loch zu beobachten. 4. Beobachtungen an Esox und Chondrostoma. Allgemeine Betrachtungen. Ich habe versucht mir außer Salmoniden, an welchen ich des reichen Materials wegen vollständigere Untersuchungen anstellen konnte, noch Material aus anderen Familien zu verschaffen, um meine Resultate verallgemeinern zu können. Das schien mir aus dem Grunde wichtig, weil KuUPFFER, der Gelegenheit hatte ein sehr mannigfaltiges Knochenfischmaterial zu untersuchen, auf die großen Variationen, die in der Ontogenie der Teleostei herrschen sollen, auf- merksam macht (8, pag. 217). Dabei war mein Hauptzweck, den Einfaltungsprocess zu konstatiren und die Anlage der Gehirnregionen festzustellen. Das Verschaffen anderen Materials als Salmoniden Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 431 ist mir aber in Heidelberg nicht so leicht gelungen. Beim Hecht und noch mehr bei Chondrostoma, deren fiir die Einfaltung der Medullar- platte kritische Stadien in 24 Stunden verlaufen, ist es unmöglich, die Entwicklung an einer Anzahl auf gleicher Stufe stehender Eier genauer zu verfolgen. Da die Hauptbedingung für diese Untersuchungen in dem frühzeitigen Befreien der Embryonen aus der Eihülle besteht, eine Ope- ration, die für kleine Eier sehr umständlich ist, so wird dadurch das Sammeln des genügenden Materials in so kurzer Zeit bedeutend er- schwert. Ich versuchte mir dadurch zu helfen, dass ich die Eier mit aufgeschnittener Eihülle in konservirende Flüssigkeit legte, um den Druck, welehen die sich zusammenziehende Eihülle auf den Embryo ausübt, so viel als möglich zu verhindern. Dabei aber war ich manch- mal angewiesen, die Embryonen mit der Eihülle zu schneiden, um sie bei nachträglichem Herausschälen nicht zu verletzen. Eine andere Er- schwerung der Untersuchung der Gehirnregionen bei Cyprinoiden wird durch die starke Krümmung des Embryo gebildet, die eben zwischen der flachen Hinterhirnanlage und dem Mittelhirn am mei- sten ausgesprochen ist und schon in den frühesten Stadien eintritt. In wesentlichen Punkten stimmt die Entwicklung der Medullarplatte der Chondrostoma mit der der Salmoniden, wie ich es an meinem sparsamen Material feststellen konnte, überein. Die Keimblätter- frage habe ich bei Hecht und Chondrostoma nicht berührt und daher will ich meine an Salmoniden gemachten Beobachtungen durchaus nicht gegen die von Kuprrer (6, 8), van BAMBEKE (14) und van BENEDEN (9) an Fischen mit kleinen Eiern gewonnenen Resultate sprechen lassen. Der Beginn der Umwachsung des Dotters bei Chondrostoma ge- schieht auf dieselbe Weise, wie es KUPFFER (6, pag. 223) für Go- bius-Arten beschrieben hat. Das erste Erscheinen des Embryonalfel- des ist aber früher wahrnehmbar, als dieser Forscher es für Gobius angiebt. Im Anfange der Umwachsung hat die Keimscheibe nicht, wie bei Salmoniden, einen verdickten Rand, sondern einen verdünnten. Noch früher als dieser Rand bei der Ausbreitung den Äquator des “ Eies erreicht, ist an einer Stelle seiner Peripherie eine Verdickung wahrzunehmen, die bei Drehung des Eies unter dem Mikroskope ganz scharf hervortritt. Diese Randverdickung ist die erste Anlage des Embryonalschildes; sie sieht bei Chondrostoma ganz so aus, wie es VAN BAMBEKE (14, Taf. I) für Leuciscus rutilus dargestellt hat. Sehr bald nach dem Erscheinen dieser Verdickung bildet sich 432 N. Goronowitsch rings um die Peripherie der Keimscheibe der verdickte Randwulst. Sobald dieser Randwulst den Äquator überschritten hat, ist es leicht durch Behandlung des Eies mit verdünnter Salpetersäure nachzu- weisen, dass der Randwulst einen zungenförmigen Vorsprung hinter- lassen hat, dessen Basis der Verdickung des Randwulstes entspricht. Das ist das Embryonalfeld. Aus dem geschilderten Gange seiner Bildung ist also ersichtlich, dass der Schild nicht als ein sekundä- rer Auswuchs nach vorn zu betrachten ist, sondern als eine Anlage, die während des Ganges der Umwachsung sich allmählich ausgebil- det hat. Den im Wesentlichen gleichen Gang der Bildung des Schildes habe ich auch für den Hecht konstatirt. Er erscheint bei dieser Form als eine Verdickung des sehr breiten Randwulstes, ungefähr zu der Zeit als er das Drittel der Dottersphäre erreicht hat. Die Ausdehnung des Schildes nimmt zu, indem bei fortschreitendem Pro- cess der Umwachsung sein hinteres Ende sich verlängert. Beim Hecht bildet sich also der Schild nicht so, wie KUPFFER das für Gasterosteus aculeatus (6, pag. 222) und Clupea (8, pag. 211) an- giebt, der, wie er sagt, ein Auswuchs des Randwulstes sei, der cen- tralwärts sich verlängert und schließlich den oberen Pol des Eies erreicht. Die kurze Strecke des Vorderhirns ist wahrscheinlich beim Hecht und bei Chondrostoma eben so wie es für Salmoniden nach- gewiesen war, als eine nachträglich durch Auswuchs entstandene zu betrachten. Ausführliche Beobachtungen über diesen Punkt feh- len mir. An einem Querschnitt durch die Rumpfanlage eines Chondro- stoma-Embryo des Stadiums, welches auf Taf. XVIII Fig. 11 darge- stellt ist, fand ich den ektodermalen Kiel bereits angelegt. Ent- sprechend der Mittellinie war eine schwach ausgebildete Rückenfurche zu finden, von deren Boden gegen das Centrum des Kiels sich zwei scharf konturirte Zellreihen fortsetzen. Ich fand auch die auf Einfaltung hindeutende charakteristische Stellung der Längsachsen der Zellen der seitlichen Theile der Medullarplatte. Das ganze En- toderm war dabei von einer Reihe stark abgeplatteter Elemente der Deckschicht bedeckt. Die Chordaanlage war schon deutlich von j Entoderm und Mesoderm abgegrenzt. Das Entoderm war einschich- tig und seine Elemente durch Form und Größe von den blasigen, kernartigen Gebilden, die in der dünnen Parablastschicht eingebettet liegen, sehr scharf zu unterscheiden. Ein Querschnitt durch die Hinterhirnanlage, die sich am Flächen- Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 433 bilde durch die zwei sehr flachen und in die Länge ausgezogenen Gruben charakterisirt, ist auf Taf. XXI Fig. 35 abgebildet. Man sieht entsprechend diesen Gruben das ektodermale Blatt schwach verdickt. Die Gruben erscheinen am Querschnitt als flache Einsenkungen, sind nicht so scharf vertieft, wie es bei Salmonidenembryonen der Fall war, sind aber bedeutend länger und breiter. Der Kiel dieser Ge- gend ist in diesen Stadien nicht stark ausgebildet und ruht auf der abgegrenzten Chordaanlage. Weiter nach vorn ist die Region des Mittelhirns, die hier durch die abweichende Form der Medullarplatte und durch ihre voluminö- sere Anlage charakterisirt wird, nicht aber durch grubenartige Bil- dungen, die ich für Chondrostoma niemals an meinem freilich spär- lichen Material gesehen habe. Der Kiel dieser Gegend ist stark ausgebildet, die lateralen verdiekten Theile der Medullarplatte gehen allmählich in das übrige Ektoderm über. Dem Boden der schwach ausgebildeten Rückenfurche entsprechend sah ich in diesem Stadium mit außerordentlicher Deutlichkeit die die Einfaltung bezeichnenden centralen Zellen, wie es auch ein Querschnitt (Taf. XXI Fig. 36) durch die Hinterhirnanlage eines späteren Stadiums zeigt. Für einige Stadien von Chondrostoma kann ich dieselben scharfen Konturen der centralen Zellen, wie sie in CaALBERLA’s Figuren von Syngnathus angegeben wurden, bestätigen. Manchmal habe ich auch bemerkt, dass diese centralen Zellen eine stärkere Färbung, als die umgeben- den, annehmen. An weiter nach vorn liegenden Schnitten kommt man in die Region des Vorderhirns, die aber in diesem Stadium noch keine stark ausgebildeten Augenblasenverdickungen besitzt. Taf. XXI Fig. 36 zeigt ein vorgeschrittenes Einfaltungsstadium der Hinterhirnregion; man sieht die seitlichen Theile des Ektoderms auf die gegen einander rückenden Hälften der Medullarplatte aufgerollt. Es ist somit die Einfaltung weit vorgeschritten; auch sind auf diesem Schnitt die eingefalteten medialen Zellen außerordentlich scharf zu sehen. Die voluminösere Mittelhirnanlage zeigte im Ganzen sehr ähn-. liche Verhältnisse, wie die auf Fig. 36 vom Hinterhirn dargestellten. Der Querschnitt Fig. 37 ist aus dem vorderen Theil der Augenbla- sengegend genommen. Die beiden Medullarwülste sind stark gegen einander gerückt. Vom Boden der Medullarrinne lassen sich die eingefalteten Zellen der oberen Schicht des Ektoderms deutlich ins Centrum des Stranges verfolgen. Diese Zellen divergiren radien- artig gegen die Peripherie der Augenblase in zwei etwas bogenför- Morpholog. Jahrbuch. 10, 28 434 N. Goronowitsch mig gekriimmten Linien. Aus dieser Gruppirung der centralen Zellen des Medullarstranges dieser Gegend vermuthe ich, dass fiir diese Ge- gend die Ausbildung der Gruben in relativ friihen Stadien stattfinde. Die Betrachtung dieser zwei geschilderten Stadien giebt die genügende Überzeugung, dass die Ausbildung des Medullarstranges bei Chondrostoma nach demselben Prineip der räumlich beschränkten Faltenbildung vor sich geht, wie ich in detaillirter Weise für Salmo- niden beschrieben habe. Auch die Ausbildung des Hinterhirns ist bei Chondrostoma genau dieselbe, wie bei Salmoniden. Die übrigen Gehirnregionen waren an den von mir untersuchten Stadien durch die abweichende äußere Form der noch nicht eingefalteten Medullar- platte von einander zu unterscheiden. - Ein gutes Flächenbild der Anfangsstadien der Hechtentwicklung hat Kuprrer (5, Taf. II Fig. 18) gegeben, wozu ich nur bemerke, dass ich das, was KUPFFER in dieser selben Figur als »Prostoma- bildung« darstellte, weder an Flächenbildern noch an Querschnitt- serien dieser, so wie einiger anderer diesem naheliegender Stadien jemals gesehen habe. Ein solches Stadium ist von mir auf Taf. XVIII Fig. 12 wiedergegeben; die Schwanzknospe, welche KupFFER etwas zu scharf für das vorige Stadium abgebildet hat, verliert ihre kuge- lige Form; ihr vorderes Ende verlängert sich nach Art einer Crista, der Medullarrinne des Embryo entsprechend ; hinten ist eine leichte Einbuchtung zu sehen. Die seitlichen Theile des Embryonalschildes sind nicht scharf von dem umgebenden Embryonalfelde abgegrenzt: unmittelbar vor dem Ende der Crista erscheint die schmale Medul- larrinne. Etwa in der Mitte des Schildes bildet sie eine kleine rhomboidale Verbreiterung, deren laterale Ecken sich gegen zwei runde Vertiefungen verlängern. Das ist die Hinterhirnregion. Nach vorn verlängert sich die Medullarrinne und endet mit einer Er- weiterung, die der Mittelhirnregion entspricht. Ein Schnitt durch die Hinterhirnanlage dieser Form zeigt einen sehr schwach ent- wickelten Kiel. Die noch ganz ausgebreiteten seitlichen Theile der Medullarplatte bilden zwei verdickte Stellen; diesen entsprechen zwei schwach ausgeprägte flache Einbiegungen, wie es in Taf. XXI Fig. 35 von Chondrostoma dargestellt ist. Unter dem Kiel sieht man die voluminöse Chordaanlage, die abgegrenzten Mesodermplatten und das einschichtige Entoderm, dessen Zellen sich auch, wie bei Chon- drostoma, durch Form und Größe von den Parablastkernen unter- scheiden. Die stark verdickte Medullarplatte der Mittelhirnregion (Fig. 38) besitzt einen schwach entwickelten Kiel und eine sehr Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 435 breite Medullarrinne. In der kiinftigen Augenblasengegend ist keine Medullarrinne vorhanden; man sieht nur die flach ausgebreitete sehr verdickte Medullarplatte, deren seitliche untere Kontur noch keine Anschwellungen hat. Von einem späteren und interessanten Stadium hatte ich leider nur zwei Exemplare. Die Linge des Embryo dieses Stadiums war 1,6 mm. Die Umwachsung des Dotters war bald zu Ende: die Riickenfurche ging noch durch die ganze Länge der Rumpfanlage: die gegen einander geriickten Gruben der Hinterhirnregion waren nicht mehr von einander zu unterscheiden, und erschienen als eine Ausbreitung der Medullarrinne dieser Gegend. In der Mittelhirn- region sah ich eine starke Ausbreitung und Vertiefung der Medullar- rinne. Nach hinten stand sie durch eine schmale Rinne in Ver- bindung mit der Hinterhirnregion. Nach vorn war die Medullar- rinne ziemlich scharf abgeschnitten. Das vordere Ende des Embryo war stumpf abgerundet und bildete vor der Medullarrinne der Mit- telhirnregion eine breite Fläche, auf welcher ich, zu beiden Seiten der Mittellinie, zwei Furchen bemerkte, deren hintere Enden mit der Medullarrinne in Verbindung standen. Ein Schnitt aus der Mittelhirnregion dieses Stadiums ist auf Taf. XXI Fig. 39 darge- stellt; der mittlere Theil der Medullarplatte zeigt keine Kielbildung ; er ist nach oben hervorgewölbt die beiden seitlichen Theile sind stark geknickt und gegen einander gebogen, während zwischen ihnen und dem mittleren Theil ein breiter Faltenraum entsteht. Die Me- dullarwülste sind sehr scharf ausgebildet und man sieht die knie- förmige Einbiegung der Medullarplatte in das übrige Ektoderm scharf angedeutet. Ein Querschnitt der Augenblasengegend (Fig. 40) zeigt ein sehr interessantes Verhalten der Medullarplatte. Sie bietet wie in dem früheren Stadium eine dieke kompakte, breite Platte, die aber vom übrigen Ektoderm sich scharf absetzt. Ihre seitlichen Theile bilden zwei große laterale Vorsprünge (4d). Die obere Kon- tur des Schnittes zeigt zwei seitlich zur Medullarlinie stehende Einkerbungen, die dem Querschnitte der beiden Furchen dieser Gegend im Flächenbilde entsprechen. Aus dem Vergleiche der dargestellten Schnitte der Mittelhirn region dieses Stadiums mit den entsprechenden der vorher beschrie- benen, glaube ich den Vorgang der Entwicklung der Medullarplatte dieser Gegend mir folgendermaßen erklären zu können. Die Mittelhirnregion der Medullarplatte der nicht beobachteten Zwischenstadien erfährt eine beträchtliche Flächenausdehnung in 28* 436 N. Goronowitsch Folge einer Zellvermehrung, indem die seitlichen Theile stark nach unten ausweichen und die charakteristische ‚Einfaltungsrinne die- ser Gegend bilden. Die mittlere Strecke kriimmt sich dabei etwas dorsalwärts. In der Augenblasengegend ist wahrscheinlich außer einer Flächenvergrößerung noch eine starke Verdickung der Medul- larplatte zu konstatiren, die das Ausweichen in diesem Stadium wahrscheinlich hindert, obgleich sie in späteren Stadien eintritt. Einen Querschnitt durch die Mittelhirnregion eines älteren Stadiums zeigt die Fig. 41. Der Process der Einfaltung ist weiter fortge- schritten, man sieht, wie bei diesem Process der ‘mittlere Theil der Medullarplatte, der bei Salmoniden dem Kiel entspricht, nach unten sedrängt wird, während die Faltenräume, die zwischen dem seit- lichen und mittleren Theile der Medullarplatte sich befinden, gegen einander rücken und den nach unten gegabelten Raum der tiefen spaltförmigen Medullarrinne bilden. Beim Hecht sind diese Processe außerordentlich klar, die Augenblasengegend zeigt das Verhalten, welches auf Fig. 42 dargestellt ist. Man sieht die dicke Medullarplatte dieser Gegend gebogen; sie hat dabei ihr seitliches Relief sehr ge- ändert, indem der mittlere Theil stark nach unten gedrängt wird und ein schwacher, kielartiger Vorsprung sich bildet. Die Medullar- rinne ist sehr tief und schmal; von deren Boden sieht man, ent- sprechend den Radien der Augenblasen, die länglichen centralen Zellen divergiren. Aus diesem flüchtig geschilderten Gang der Ent- wicklung der Medullarplatte des Hechtes ist es klar, dass der Ein- faltungsprocess dieser Form außerordentlich deutlich ausgesprochen ist, und dass man eigentlich hier den Ausdruck »geschlossene Falte« nur in sehr beschränktem Sinne gebrauchen darf. Freilich ist auch beim Hecht der Zustand, in welchem das centrale Nervensystem einen soliden Strang bildet, nach meinen Beobachtungen in späteren Stadien vorhanden, dauert aber nur sehr kurze Zeit. Im centralen Theile der Region des Mittelhirns besteht immer eine auffallend lockere Beschaffenheit des Gewebes. Der außerordentlich schwach ausgeprochene Kiel ist eine bemerkenswerthe Eigenthümlichkeit des Hechtes, eine Eigenthümlichkeit, welche die Entwicklung der Me- dullarplatte dieser Form auf gleiche Vorgänge wie die, welche für alle übrigen Wirbelthiere bekannt sind, zurückführt. Die Ausbildung der Gehirnregionen ist durch die differente Beschaffenheit der ver- schiedenen Gegenden des Kopftheiles der Medullarplatte deutlich angegeben. Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 437 Am Schlusse dieses Abschnitts meiner Arbeit will ich noch die interessante Thatsache der Anlage der Gehirnregionen beim offenen Zustande der Medullarplatte näher besprechen. Es ist eine Erscheinung, welche von verschiedenen Seiten fast für sämmtliche Wirbelthiere angegeben wurde. Sie scheint jedoch am deutlichsten bei Ichthyopsiden und Säugethieren ausgesprochen zu sein. Ohne speciell darauf gerichtete Untersuchungen ist es frei- lich schwer ins Klare zu kommen, ob bei der Bildung dieser Regionen in verschiedenen Gruppen genau dieselben Verhältnisse sich offenbaren, oder ob dabei gewisse Variationen sich zeigen, deren Feststellung für die Beurtheilung der Frage, in wie weit es sich hier um, für Wirbelthiere primitive, oder um in engeren Gruppen entstandene ontogenetische Processe handelt, von Interesse sein konnte. Das Wesen dieser Vorgänge, wie es aus meiner Darstellung für Knochen- fische ersichtlich ist, besteht in der frühzeitigen Anlage des Bildungs- materials für künftige Anschwellungen des Gehirnrohrs, die wir als Gehirnblasen bezeichnen. Diese Erscheinung also ist eine ontogene- tische Heterochronie (25, pag. 412). Wir sahen, dass bei Knochenfischen der breiteste und am mei- sten verdickte Theil der Mittelhirnregion entspricht; das ist ein Verhältnis, welches die äußere Form der frühen Stadien der Kno- chenfischembryonen bedingt, indem ihr Kopftheil in der Mitte stark verbreitert erscheint. Der primäre Vorderhirnabschnitt ist schmäler, daher hat der Kopftheil, wie Hıs sich ausdrückte, eine kleeblatt- ähnliche Form. Diese embryonale Form ist, wie mir scheint, für simmtliche Knochenfische als charakteristisch zu bezeichnen. Ich will hier die mir bekannten Angaben der Autoren über die Bildung der Gehirnregionen bei offenem Zustande der Medullarplatte für sämmtliche Wirbelthiere zusammenstellen, um den ontogenetischen Werth dieser Thatsache noch näher zu schätzen zu versuchen. BALFOUR (29, pag. 72) giebt für die Selachier an, dass durch die Entstehung der löffelförmigen Verbreiterung des Kopftheils der Me- dullarplatte der Selachier sie viel früher in Gehirn und Rückenmark getheilt wird, als der Schluss der Medullarplatte stattfindet. Aus den Tafeln von BALFOUR kann man sehen, dass ein etwas spä- teres Stadium von Pristiurus (Taf. VIF) an dieser Verbreiterung deutlich zwei Regionen aufweist, die durch eine etwas verengte Strecke mit einander verbunden sind. Die erste Andeutung dieser zwei Regionen sehe ich auch bei einem viel früheren Stadium | (Taf. VI C). Diese Thatsachen bestätigt auch die Zeichnung eines 438 N. Goronowitsch Pristiurusembryo von His (10, Fig. 5), worauf alle drei Regionen deutlich ausgesprochen sind. Die Fig. 3 1. ec. von His giebt eine Form, die eine große Übereinstimmung in den Umrissen des Kopf- theils mit Knochenfischembryonen hat, und die wahrscheinlich durch die breite Mittelhirnanlage bedingt wird, was aber ohne eigene Un- tersuchungen sich schwer entscheiden lässt. Die Entwicklung der Medullarplatte der Selachier bietet eine Erscheinung in Übereinstimmung mit dem nämlichen Processe an der Vorderhirnregion des Hechtes. BALFOUR fand (29, pag. 72) nämlich, dass der Kopftheil der Medullarplatte der Selachier in eine flache, ventralwärts gekriimmte Platte »cephalic plate« wächst, die erst später ihre, für andere Wirbelthiere normale, dorsalwärts gerichtete Krüm- mung erhält. Derselbe Process ist für die Region des primären Vorder- hirns des Hechtes nachzuweisen. Für Salmoniden glaube ich diese Erscheinung an der Vorder- hirnplatte in früheren Stadien zu erkennen. Die Bildung einer Kopfplatte, wie ich es aus eigenen Beobach- tungen so wie aus den Tafeln von GOETTE (20, Taf. III Fig. 59—61) schließen muss, kommt auch bei Batrachiern vor, indem sie in der Vorderhirnregion die größte Übereinstimmung in Betreff der Form mit der nämlichen Bildung des Hechtes zeigt. Nach SaLensky (54, I, pag. 121) ist auch bei Acipenser ru- thenus der Kopftheil der Medullarplatte durch eine löffelförmige Ver- breiterung angedeutet; bestimmte Angaben über die Bildung der einzelnen Regionen bei Ganoiden sind mir nicht bekannt. Für die Batrachier hat BAER (42, pag. 286) und später Remax (37, pag. 147) ausführlich angegeben, dass die noch nicht eingefal- tete Medullarplatte zuerst zwei, dann drei seitliche Vorsprünge zeigt, deren mittlere, größere, sich später als die Anlage der Augenblasen erweist. REMAK giebt dabei an, dass unter beschleunigter Entwick- lung, bei höherer Temperatur, der Schluss der Medullarplatte oft früher als die Ausbildung der Gehirnregionen zu Stande kommt. Diese Angaben wurden später von GOETTE (20, pag. 178) in Ab- rede gestellt. Dieser hielt die Erweiterung der Medullarplatte als Vorragungen, die ihre Entstehung »den in den Wülsten einge- schlossenen äußeren Kopfsegmenten« verdanken. In den neueren Arbeiten von v. BAMBEKE (43, pag. 321) ist für den Axolotl, von ScHULTZE (35, pag. 14) für Rana fusca, die Bildung der Gehirn- regionen bestätigt worden. So weit ich Gelegenheit hatte Embryonen von Rana temporaria Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 439 an Flächenbildern und Schnitten zu untersuchen, bin ich zur Über- zeugung gekommen, dass die Medullarplatte hier wirklich im Kopf- theile drei Regionen aufweist, die nicht bloß durch ihre seitliche Ausdehnung, sondern auch durch die Dicke und die gesammte Konfiguration der Medullarplatte von einander zu unterscheiden sind. Ferner muss ich im Gegensatz zu GoETTE angeben, dass das Hirnrohr der Batrachier nach dem Schlusse der Medullarplatte nicht gleichmäßig, ohne Erweiterungen, verläuft, sondern drei An- schwellungen seiner Wände deutlich erkennen lässt, wie man es sogar auf der Taf. VI Fig. 98 1. e. von GoETTE recht deutlich er- kennen kann. Die Anlage der Gehirnregionen bei offenem Zustande der Me- dullarplatte ist auch durch Minnes MaArsHAarL (39, pag. 11) für Hühnchenembryonen angegeben. Bei Vögeln ist dieser Vorgang nicht so klar ausgesprochen, wie bei Ichthyopsiden; er beeinflusst nicht so wesentlich die äußeren Konturen der Medullarplatte, und es ist interessant, dass im Vergleich mit den Knochenfischen es nicht der mittlere, sondern der vorderste Theil die Region der Augenblasen | ist, die sich bei Vögeln als die breiteste erweist. Es ist also bei verschiedenen Gruppen eine Inkonstanz in diesen Vorgängen nach- zuweisen. Bei Säugethieren treten die Anlagen der Gehirnregionen nach KÖLLıkeEr (41, pag. 243) viel bestimmter als beim Hühnchen hervor, indem die Anlage des Vorderhirns als die breiteste erscheint. Diese Vorderhirnanlage des Säugethieres ist, wie ich nach KOLLIKER’s Figuren beurtheilen kann, im Vergleich mit Vogelembryonen außer- ordentlich mächtig entwickelt. Aus der Zusammenstellung dieser Thatsachen ziehe ich den Schluss, dass obgleich die Anlage der Gehirnregionen beim offenen Zustande der Medullarplatte eine für sämmtliche genauer studirte Wirbelthiere allgemeine Erscheinung ist, sie doch gewissen Varia- tionen unterworfen ist, die ihr keinen primitiven ontogenetischen Charakter zutheilen, demgemäß muss ich meine hierüber früher geäußerte Ansicht (Zool. Anz. VII. Bd.) als unhaltbar betrachten. Die Ursache dieser Variationen können wir, wie mir scheint, in dem anatomischen Bau des erwachsenen Gehirns erblicken. Das Mittelhirn der Knochenfische erweist sich als der am meisten ent- wickelte Theil; es wird auch im embryonalen Zustande durch eine mächtige Anlage im Vergleiche mit den übrigen Gehirnregionen he- terochronisch dargestellt. Bei Säugethieren dagegen tritt in den Vor- 440 N. Goronowitsch dergrund die Anlage des primären Vorderhirns, was mit den Verhält- nissen des erwachsenen Zustandes stimmt. Die beinahe gleich breite Medullarplatte der Vögel bietet in dieser Beziehung einen mittleren Zustand. 1) 2) 12) 13) Moskau, den 20. November 1884. Litteraturverzeichnis. J. OELLACHER, Beiträge zur Entwicklung der Knochenfische nach Beob- achtungen am Bachforelleneie. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoolo- gie. Bd. XXIII. 1873. W. Hıs, Untersuchungen über die Entwicklung von Knochenfischen, be- sonders über diejenige des Salmens. Zeitschrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Bd. I. 1876. W. His, Untersuchungen über die Bildung des Knochenfischembryo IL. ‘Salmen). 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G Grenze der Keimblätter, Ds Deckschicht, Ee Ektoderm, p.En primäres Entoderm, En definitives Entoderm, Ms Mesoderm, PbK Kerne des sogenannten »Parablast«, PbZ Zellen des Parablast, HAx hinterer Achsenstrang, vAx vorderer Achsenstrang, Rw Randwulst, Sk Schwanzknospe, Mw Medullarwulst, Rf Riickenfurche, Cz centrale Zellen des Kieles, HG Gruben im Hinterhirn, Hh Hinterhirnanlage, Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen etc. 443 Vh Stelle der Gruben der Vorderhirnanlage, VhA Vorderhirnanlage, Mh Stelle der Gruben der Mittelhirnanlage, MhG Gruben des Mittelhirnes, Mr' Rest der Medullarrinne, 4b Augenblasenanschwellungen, Ch Chorda, Gil Ganglienleiste (SAGEMEHL), Go Gehörorgananlage, SchS Schlundsegment. Die abgebildeten Schnitte sind an den Flächenbildern seitlich durch Num- mern auf den entsprechenden Körperregionen notirt. Taf. XVIII. Die Flächenbilder Fig. 1 bis Fig. 10 entsprechen einer Vergrößerung von 18,5. Fig. 1. Fig. 2. Fig. Fig. Fig. Fig. 6 Fig. 7 Fig. 8 Fig. 9 Fig. 10 Fig. 11 Fig. 12 Fig. 11 und 12 Vergr. 20. Keimscheibe von Salmo salar, vom 8. bis 10. Entwicklungstage. Schild ungefähr 0,9 mm Länge. Rw Randwulst. i Keimscheibe desselben, vom 9. bis 10. Entwicklungstage, Schild 1,15 mm Linge. Embryo desselben vom 10. Tag. 1,32 mm Länge. Embryo desselben vom 10. bis 11. Tag. 1,34 mm Länge. Embryo desselben vom 12. Tage, 1,7 mm Länge. J Ovale Verbreite- rung der Medullarrinne. Regionen des primären Vorder- und Mittel- hirnes. JZ Rhomboidale Verbreiterung der Medullarrinne. Region des Hinterhirnes. III Rückenmarksregion der Medullarrinne. Rumpf- abschnitt. HG Stelle der Gruben des Hinterhirnes. Embryo von Salmo fario des 11. Tages. 1,5 mm Länge. Nach einem Alkoholpriparat. HG Gruben des Hinterhirnes. Embryo von Salmo salar vom 12. Tage. 1,72 mm Länge. VA Stelle der Gruben des primären Vorderhirnes. Embryo desselben vom 13. Tage. 1,9 mm Länge. VA Stelle der Gruben des primären Vorderhirnes. MA Gruben des Mittelhirnes, Hh des Hinterhirnes. Embryo desselben vom 13. Tage. 2,2 mm Länge. Der Randwulst dieses Stadiums erreicht den Aquator der Dottersphäre. Embryo des 14. Tages. 2,3mmLänge. 45 durchschimmernde Augen- blasen. Vorderer Theil eines Embryo von Chondrostoma nasus vom 4. Ent- wicklungstage. HG Gruben des Hinterhirnes. Embryo vom Hecht. 1,4 mm Länge. HG Gruben des Hinterhirnes. 444 Fig. 13. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. N. Goronowitsch Taf. XIX. Alle Figuren sind Querschnitte von Embryonen von Salmo salar unter einer Vergrößerung von 160 gezeichnet. 14. 21. Schnitt aus der Schwanzknospengegend eines Embryo von 1 mm Länge (etwas älter als der Embryo Fig. 1). Ds Deckschicht, PbK Kerne des Parablast. Einer der nächst nach vorn liegenden Schnitte. Zu beiden Seiten des hinteren Achsenstranges H4z erscheinende Keimblättergrenzen G, Ec Ektoderm, pEn primäres Entoderm. Ein etwas nach vorn liegender Schnitt desselben Stadiums zeigt das Zusammenfließen der beiderseitigen Keimblittergrenzen. VAzx vorde- rer Achsenstrang. Aus der Gegend der Riickenfurche eines der Fig. 2 entsprechenden Stadiums. Aus der Gegend des vorderen zugespitzten Endes eines der Fig.3 ent- sprechenden Stadiums. Aus dem hinteren Drittel der Körperlänge desselben Embryo. Mp Mesodermplatten, Cz eingefaltete centrale Zellen des Kieles. Aus dem breitesten Theil des Körpers eines Stadiums wie Fig. 4. MR Medullarrinne. Aus der ovalen Verbreiterung der Medullarrinne eines Stadiums wie Fig.5. Die eingefalteten Zellen der oberen Schichten der Medullar- platte Cz sind am Präparate stärker gefärbt, wie dieses sehr oft zu beobachten ist. Aus der Augenblasengegend eines mittleren Stadiums zwischen Fig. 4 und 5. Ab Augenblasenanschwellungen. Taf. XX. Alle Figuren sind Querschnitte durch Salmo salar-Embryonen, unter einer Vergrößerung von 160 gezeichnet. 22. Aus der Augenblasengegend eines Stadiums wie Fig. 7. 23 und 24. Zwei Querschnitte aus dem hinteren und vorderen Theil des 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. Rumpfes eines der Fig. 8 entsprechenden Stadiums. Die centralen Zellen des Kieles beider Präparate sind stärker gefärbt, was an die Zeichnungen von CALBERLA erinnert. Aus der Hinterhirnregion desselben Stadiums. HG Die Gruben, der Hinterhirnregion. Aus der Mittelhirnregion desselben Stadiums in der Gegend der Gru- ben MG dieser Region. Aus der Augenblasengegend desselben Stadiums. 4b Augenblasen- anschwellungen. Querschnitt durch das zugespitzte vordere Ende desselben Stadiums. Aus der Mitte des Rumpfes eines Stadiums wie Fig. 9. Aus der Mittelhirnregion desselben Stadiums. Ax vorderer Achsen- strang. Der Schnitt entspricht bezüglich der Gegend Fig. 26. Aus der Augenblasengegend desselben Stadiums. Mr’ Rest der Me- dullarrinne. a Taf. AH. a2 WMDs anawitech LinAratın BA Pure leyuy Verlagy Wilh Engelmann m Leyaug Morpholog. Jahrb. BAX. eragyWilh. Engelmann iy Lepaig. = = Te Morpholog. Jahrb. Bd x. Gers. N. Geroeomitech, Ds _ 6) 6.% 9 ag anes 4 DR a Bier Verlag vW. Engelmann in Leipzig. os ‘a hte! aim) ae a ® ae Taf XX. teh Anat v EA Pinks Lope _ Tat XX. Lith AnstvEAFunke,Leipzig. Verlaov With Engelmam ın Lois Morpholog. Jahrb Bd X. Gra xiCorenwitsch Fig. 32, Studien über die Entwickl. des Medullarstranges bei Knochenfischen ete. 445 Taf. XXI. Die Fig. 32 und 33 ‘sind unter einer Vergrößerung von 160 gezeichnet, die Fig. 35 bis 42 unter einer Vergrößerung von 95. Querschnitt durch das Hinterhirn eines Stadiums, wie Fig. 10 in der Gegend der Gehörorgananlage GO. GI Ganglienleiste (SAGEMEHL), Ch Chorda, SchS Schlundsegment. Das zweischichtige Integument besteht aus der Deckschicht Ds und einer Grundschicht Gis. Querschnitt aus der Augenblasengegend desselben Stadiums. @? Ganglienleiste. Horizontalschnitt desselben Stadiums, zeigt die Ausbreitung der Augen- blasen nach hinten. VAA kurzer Vorderhirnabschnitt, welcher vor den Augenblasen liegt. Querschnitt durch die Hinterhirnregion eines Chondrostoma-Embryo wie Fig. 11. HG Gruben des Hinterhirnes. Aus der Hinterhirnregion eines viel späteren Stadiums. Querschnitt aus der Augenblasengegend eines Stadiums von Chon- drostoma am Schlusse des Einfaltungsprocesses. Cz sehr deutlich wahrnehmbare eingefaltete Zellen der oberen Schicht des Ektoderms. Querschnitt durch die Mittelhirnregion eines Embryo vom Hecht!. Querschnitt aus derselben Gegend eines älteren Hechtembryo. Die linke Hälfte eines Querschnitts aus der Augenblasengegend des- selben Embryo. 46 Augenblasenanschwellungen. Querschnitt aus der Mittelhirnregion eines späteren Stadiums. Querschnitt aus der Augenblasengegend eines Hechtembryo in späte- ren Stadien des Einfaltungsprocesses der Medullarplatte. ! Die runden Lücken A auf den Querschnitten von Hechtembryonen wa- ren auf allen von mir untersuchten Exemplaren zu beobachten, ihre Anordnung lässt keine Regelmäßigkeit erkennen. Es sind keine Kanäle, sondern abge- schlossene Räume, und sind nicht als pathologische Erscheinungen zu deuten, da ich bei sehr geringem Verlust meine Fische bis zur Resorption des Dotter- sacks beobachten konnte. Solche Lücken habe ich mitunter an Forellenembryo- nen beobachtet und konstant an Coregonus albula-Embryonen. Dinosaurier und Vogel. Eine Erwiederung an Herrn Prof. W. Dames in Berlin. Von Dr. G. Baur, Newhaven, Conn. Yale College Museum. Endlich ist die längst erwartete Abhandlung über den Berliner Archaeopteryx erschienen; langwierige und fiir den Verfasser Herrn Professor W. Dames in Berlin schwierige Vorstudien waren der Grund der Verzögerung gewesen. Nun liegt das Werk fertig da: 80 Seiten in Quart, mit einer Tafel und 5 Holzschnitten, erschienen im 3. Heft des 2. Bandes der Paläontologischen Abhandlungen, herausgegeben von W. Dames und E. Kayser, Berlin, Druck und Verlag von GEORG REIMER, 1884. Am Ende dieser Abhandlung wird auch meine »Inaugural-Dis- sertation« besprochen: »Der Tarsus der Vögel und Dinosaurier, eine morphologische Studie.« Morphol. Jahrb. Bd. VIII, 1882, und der Herr Professor kommt durch das Studium derselben genau zum ent- gegengesetzten Resultat, nämlich die Dinosaurier nicht für die Stammeltern der Vögel zu halten. Sehen wir etwas näher nach, welche Gründe Herr Prof. DAmEs gegen meine Anschauung vorführt! Er stellt zuerst die am Schlusse meiner Arbeit aus einander gesetzten 6 Hauptgründe meiner Ansicht zusammen und am sechsten beginnend sagt er pag. 65 (181): »Der letzte oder sechste Punkt, der von einer allmählichen Reduktion der Zehen bei den Dinosauriern spricht, ist unrichtig, denn in den beiden ältesten Familien der Dinosaurier, welche gleichzeitig gelebt haben, sind Vertreter mit stark redueirter und solche mit unreducirter Zehenzahl. Bei der Dinosaurier und Vögel. 447 Familie der Zauclodontidae finden sich vorn und hinten fünf Zehen, bei den Amphisauridae vorn fünf, hinten nur drei, wie Core und MaArsH übereinstimmend angeben, also gleich unter den ältesten bis- her bekannten Dinosauriern ist derselbe Unterschied in der Zehen- zahl vorhanden, welcher sich noch in der Zeit des oberen Jura und der Wealdenformation geltend macht; von einer im Verlauf jün- gerer geologischer Zeiten allmählich sich einstellenden Verringerung der Zehenzahl ist keine Rede.« Gut! Nun erlauben Sie mir einige Bemerkungen hierzu. 1) Marsı kennt selbst die hintere Extremität von Amphisau- rus nicht, sondern stützt seine Behauptung lediglich auf die An- gabe von ÜOPE. 2) Wenn Sie, Herr Professor Dames, sich die Mühe genommen hätten, meine Bemerkungen über den Tarsus von Amphisaurus zu lesen und sich nicht mit den am Schlusse meiner Arbeit zusammen- gestellten Resultaten begnügt hätten, so hätten Sie dort pag. 443 (31) Folgendes gefunden: »CoPpE glaubt aus der Stellung des Cu- boideum auf die Existenz eines fünften rudimentären Metatarsale, ähnlich wie es bei den Krokodiliern vorkommt, schließen zu können. — Wenn wirklich eine fünfte rudimentäre Zehe vorhanden war, so ist höchst wahrscheinlich auch die erste Zehe vorhanden gewesen, mir wenigstens ist unter den Dinosauriern kein Fall bekannt, wo die äußerste und innerste Zehe zugleich rudimentär wäre.« Hieran habe ich heute, nachdem ich das große Material des Yale College Museums kennen gelernt habe, nur das zu ändern, dass ich das »höchst wahrscheinlich« in ein »ganz sicher« umwandle. Es ist eine Thatsache, dass die Reduktion des Fußes der Dinosau- rier immer von der fibularen Seite ausgeht, dass also die fünfte Zehe immer vor der ersten verschwindet. Wenn nun in der That ein Rudiment einer fünften Zehe vorhanden sein soll, was die Ansicht von Corr, des Einzigen, welcher die hintere Extremität von Amphi- saurus kennt, ist, so muss eine erste Zehe vorhanden sein. Aber auch angenommen, Amphisaurus hätte wirklich nur drei Zehen besessen, so würde dies an meiner Meinung absolut nichts ändern, im Gegentheil, es würde mir nur beweisen, dass wir die ursprüngliche Form des Dinosaurierfußes, die fünfzehige, noch vor der Trias zu suchen hätten. Denn dass die Ahnen von Amphisau- rus, wenn dieser wirklich nur dreizehig war, fünf Zehen gehabt haben müssen, dies wird Herr Professor Dames mir doch nicht bestreiten wollen. 448 G. Baur Nun geht der Herr Professor, meinen fünften Punkt übersprin- gend, zum vierten über. Pag. 65 (181): »Der vierte Punkt hat allerdings scheinbar in so fern eine größere Bedeutung, als der auf- steigende Fortsatz des Astragalus bei den ältesten Dinosauriern in der That noch nicht beobachtet ist. — Zwar halte auch ich sein Vorhandensein für unwahrscheinlich, da ein aufsteigender Fortsatz des Astragalus mit einem fünfzehigen Fuß zusammen nicht zu er- scheinen pflegt, aber die direkte Beobachtung fehlt noch.« So? Also Sie glauben, dass MArsH jene Behauptung, Zauclo- don besitzt keinen aufsteigenden Fortsatz, einfach aus der Luft gegriffen habe, vielleicht, weil dieser Punkt recht hübsch in sein System passte ! Prof. Marsh theilt mir persönlich mit, dass er in Stuttgart Zauclodon genau untersucht und keinen aufsteigenden Fortsatz ge- funden habe. Also auch dieser Grund gegen meine Ansicht fällt weg und Sie haben kein Recht, zu behaupten, dass die letzte von mir aufgestellte Behauptung entschieden irrig, und die vierte unbe- wiesen sei. Meine vier anderen Beweisgründe sind unanfechtbar, sagen Sie, wenn man sie für sich hinstellt; und nicht, wie ich behaupten will, dass im Lauf der Fortentwicklung der Dinosaurier während der geologischen Perioden eine Annäherung an den Vogelfuß stattfindet. »Während der geologischen Perioden !« Bitte sagen Sie mir doch die Stelle, wo ich von geologischen Perioden gesprochen habe, ich habe vergeblich danach gesucht. Ich sagte, während. der Fort- entwicklung der Dinosaurier, natürlich ihrer morphologischen Fort- entwicklung! Wenn Sie aber der Meinung sind, ich hätte die Fort- entwicklung während der geologischen Perioden gemeint, so ändert auch dies an der Sache nichts. Ihr Hauptgegengrund ist, dass Morosaurus, Stegosaurus, Campto- notus, Leosaurus mit den so verschieden ausgebildeten Extremitäten, alle zugleich in derselben Zeit gelebt haben; dass Scelido- saurus mit der schlanken Fibula geologisch ‚älter ist, wie jene ge- nannten Dinosaurier aus den Atlantosaurus-Beds; dass Compsogna- thus, der vogelähnlichste aller Dinosaurier, geologisch älterist, als die Dinosaurier des Wealden. Heute können wir noch hinzufügen, dass in den Atlantosaurus-Beds ein Dinosaurier vorkommt, dessen hintere Ex- tremität mehr reducirt ist, wie die aller anderen Dinosaurier derselben Schicht. ©. C. Mars#: On the united metatarsal bones of Cerato- saurus. Amer. Journ. Sc. Vol. XXVIII. Aug. 1884. pag. 161—162. Dinosaurier und Vögel. 449 Hier haben wir die drei Metatarsalien verwachsen und in der zweiten Tarsusreihe nur ein Tarsale, welches die Mitte des proxi- malen Endes derselben einnimmt. In denselben Schichten, den Atlantosaurus-Beds, finden wir also alle Stufen der Reduktion, vom fünfzehigen Fuß mit getrennten Metatarsalien, bis zum dreizehigen mit verwachsenen Metatarsalien ! Aber dies ist kein Beweis gegen, nein vielmehr ein Beweis für meine Behauptung. Sie sagen selbst, dass Sie die Dinosaurier für eine Gruppe hal- ten, welche einst dieselbe Rolle gespielt hat, wie heute die Säuge- thiere in den verschiedenen Ordnungen, diese Ansicht wird wohl Niemand verwerfen. Wenn wir die Säugethiere, welche heute unsere Fauna bilden, überblicken, so finden wir Monotremen, Marsu- pialier, Aplacentalier. Trotzdem dass diese verschiedenen Formen zur gleichen Zeit leben, zweifelt doch wohl Niemand mehr daran, dass die Eutheria (Placentalia) von den Metatheria (Marsupia- lia) und beide von den Prototheria (Monotremata) abstammen. Nehmen wir ein anderes Beispiel! Unter den Ungulaten (im weitesten Sinn genommen) haben wir in unserer heutigen Fauna alle Übergänge bis zum einzehigen Fuß des Pferdes und dem rela- tiv noch mehr redueirten zweizehigen der Giraffe, und doch sprechen wir ganz ruhig den Satz aus, dass sich die Ungulatenextremität, während der Fortentwicklung dieser Ordnung, redueirt hat, trotzdem, dass alle möglichen Formen zu ein und derselben Zeit leben. Das Pferd zum Beispiel ist paläontologisch zurückführbar bis zum vierzehigen Orohippus. Unsere jetzt lebenden Hirsche sind embryologisch d. h. morphogenetisch und z. Th. paläontologisch zurückführbar auf Formen mit vier getrennten vollständigen Meta- tarsalien und wohl entwickelten Zehen. Hier kennen wir zwar noch nicht alle Zwischenformen, aber dass sie existirt haben, beweist uns die Morphogenie. Wenn wir also in den Atlantosaurus-Beds alle möglichen For- men von Extremitäten bei den Dinosauriern vorfinden, so beweist dies absolut nichts gegen mein ausgesprochenes Gesetz der Reduk- tion, sondern es zeigt uns nur, dass wir es schon hier mit einer bedeutend modifieirten Gruppe zu thun haben, deren ursprüngliche fünfzehige Formen eben in älteren Formationen als die Trias zu suchen sind; dass Scelidosaurus einen mehr redueirten Fuß hat, wie mancher Dinosaurier, welcher aus einem jüngeren Horizont stammt, ändert nichts, wenn wir in dem jüngeren Horizont Formen kennen, Morpholog. Jahrbuch. 10. 29 450 G. Baur welche noch redueirte Extremitäten haben, wie Scelidosaurus, eben so verhält es sich mit Compsognathus. Wer wird also noch bestreiten wollen, dass sich die Extremi- täten im Lauf der Fortentwicklung der Dinosaurier reducirt haben? Was bleibt also hiernach noch übrig von den Einwürfen, welche Professor Dames macht? Er sagt, es existirt kein Schädel eines Dinosauriers mit irgend welcher Ähnlichkeit mit dem der Vögel. Aber was kennen wir denn bis jetzt von Dinosaurier-Schädeln? Allerdings lassen sich die Schädel von Hypsilophodon, Brontosaurus, Diplodocus, Iguanodon, Ceratosaurus, Megalosaurus, nicht direkt mit dem der Vögel vergleichen; auf eine solche Idee würde wohl auch kaum Jemand kommen; es wäre dasselbe, als wollte Einer sagen, die Prototheria sind die Stammeltern der Eutheria, folglich muss der Schädel von Ornithorhynchus »Ähnlichkeit« mit dem eines Equus haben! Compsognathus wird, glaube ich, bei einer genauen Untersuchung wohl manche wenn auch nur undeutliche Anklänge an den Schädel der Vögel zeigen, und ich glaube, dass, wenn wir uns vorstellen, wie durch Vergrößerung des Gehirns der Dinosaurier die Knochen allmählich nach außen gedrängt worden sein müssen, wir uns ganz wohl ein Bild von der Beschaffenheit des Vogelschädels machen können, wie ihn die Ahnen gehabt haben müssen. Nachdem wir nun die Einwürfe des genannten Autors geprüft, wollen wir sehen, was er sich für eine Vorstellung von den Ahnen der Vögel gemacht hat. Er sagt, dass die Vogelähnlichkeit im Becken und der hinteren Extremität der Dinosaurier eben nur eine Ähnlichkeit, nicht aber unmittelbar in phylogenetischer Begründung verwerthbar ist. Aber keinen einzigen Grund giebt uns Professor DameEs für diese seine Anschauung, er sagt nur, VOGT und SEELEY sind dersel- ben Ansicht, und wir kennen eben von den Ahnen der Vögel noch gar nichts. Ich frage nun, ist es mehr gerechtfertigt, eine Hypothese aufzu- stellen. für deren Wahrscheinlichkeit eine Menge von Thatsachen sprechen, oder eine solche, zu deren Gunsten nichts redet! Bis Herr Professor Dames keine besseren Gründe gegen meine Auffassung, als die jetzt vorgebrachten, aufzuweisen hat, bleibe ich fest bei meinem Satz, an dem ich auch heute, nachdem ich das Ma- terial des Yale College gesehen, nichts zu ändern habe, dem Satz: Die Dinosaurier sind die Ahnen der Vögel! Dinosaurier und Vögel. 451 Damit könnte ich nun schließen, wenn nicht eine Menge von anderen Punkten in derselben Arbeit über Archaepoteryx, von der Unexaktheit und Kritiklosigkeit ihres Verfassers sprächen. Lassen wir die schönen Untersuchungen von MARSHALL, ROSENBERG und SrupeR, welche der Herr Verfasser benutzt, bei Seite, so bleibt uns nicht mehr viel übrig von eigener Arbeit. Nur auf drei Punkte möchte ich aufmerksam machen. 1) Prof. Dames über das Becken von Archaeopteryx. Zu den Anschauungen, zu welchen Professor Damzs, über das Becken des Archaeopteryx, als eines wahren Vogels, gekom- men ist, hätte er wohl nie gelangen können, wenn er überhaupt eine Idee von der Morphologie des Beckens der Vögel gehabt hätte, welche er sich außer in anderen Arbeiten, namentlich in zwei neue- ren Arbeiten, von welchen die eine allerdings auch nur eine »Inau- gural-Dissertation« ist, hätte aneignen können. 1) BunGE, Au., Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte des Beckengiirtels der Amphibien, Reptilien und Vögel. Inaug.- Dissert. Dorpat. 1880. 2) Jounson, A., On the Development of the Pelvic Girdle and Skeleton of the Hind Limb in the Chick. Quart. Journ. Microse. Se. London. July 1883. Herr Professor Dames hätte dann nicht auf Ideen kommen können wie: Pubis ist mit Ilium verwachsen, Postpubis mit Ischium, son- dern er hätte sich einfach logisch sagen müssen, »wenn Archaeopteryx ein wahrer Vogel ist, wie ich annehme, so muss ich auch ein Becken finden, welches sich morphologisch verhält wie das der Vögel, und zwar, da Archaeopteryx viele Charaktere von Embryonen der Vögel zeigt, wie das embryonaler Végel«. Ich für meine Person bin voll- kommen überzeugt, dass Archaeopteryx, wie die Embryonen der Vögel, ein von den übrigen Beckenknochen getrenntes Pubis-Post- pubis besessen hat; wahrscheinlich ein kleines Pubis, und ein wohl entwickeltes relativ kräftiges Postpubis. Derselben Meinung ist MarsH, wenigstens was das Getrenntsein betrifft (Amer. Journ. Se. Vol. XXII. Nov. 1881. pag. 338). Entweder ist es also nicht er- halten geblieben oder liegt noch unter dem Gestein begraben. 2) Prof. Dames über die Fibula von Apteryx. Pag. 36 (152) macht uns Herr Prof. Dames mit der neuen Ent- deckung bekannt, die Fibula von Apteryx wire distal ausgedehnt, wie er aus den Figuren von OwEN und DoLLo wahrzunehmen glaube. 29* 452 G. Baur Ich kann dieses an den Figuren absolut nicht finden. Hätte Herr Prof. Dames Apteryx in natura untersucht (ein Skelet findet sich doch sicherlich im Berliner Museum), so hätte er sich leicht von der Unrichtigkeit seiner Behauptung überzeugen können. Die Fibula von Apteryx verhält sich genau wie die der anderen Vögel, sie wird distal immer schlanker. 3) Prof. Dames über Clavicula und Sternum des Ar- chaeopteryx. Pag. 53 (169) findet sich folgende Stelle: »Das Vorhandensein einer Furcula ist aber noch nach zweierlei Richtung wohl beachtenswerth. Einmal besitzen eine solche nur die Carinaten unter den Vögeln (sie!) und es weist also der Besitz der Fur- cula darauf hin, dass Archaeopteryx diesem anzureihen ist; — dann ist zweitens durch das Vorhandensein der Furcula wenigstens auch das Vorhandensein der Elemente, aus welchen sich die Crista des Brust- beins bildet, erwiesen. Nach den Untersuchungen von GOETTE ent- steht die Sternalerista durch das Verwachsen der distalen Enden der Claviculae, also der Furcula, unter sich und mit dem Sternum, nach Abschnürung von den proximalen Claviculaenden.« Betrachten wir den ersten Punkt; nur die Carinaten besitzen eine Fureula, heißt es daselbst. Wenn Professor Dames sich etwas mehr mit der anatomischen Litteratur beschäftigt hätte, hätte er diesen Satz nicht aussprechen können. Nach HERMANN PFEIFFER: Zur vergleichenden Antomie des Schultergerüstes und der Schultermuskeln bei Säugethieren, Vögeln und Ampbibien. Inaugural - Abbandlung, Gießen 1854, besitzt der neuholländische Kasuar, Rhea Novae Hollandiae, eine Fureula, welche allerdings distal unvollständig ist; Rhea Novae Hollandiae ist aber bekannt- lich kein Carinate. In der Erklärung der Abbildungen lesen wir: »Fig. VI Schultergerüst von Rhea Novae Hollandiae (nach einem Präparate des Berliner Museums)«. Also in Berlin findet sich Gele- genheit dieses zu studiren. GEGENBAUR, C., Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. II. Heft. 1) Schulter- gürtel der Wirbelthiere. Leipzig, 1865, pag. 30 bestätigt dies. Huxuey, T. H., A manual of the anatomy of vertebrated animals. London, 1871 sagt pag. 290: »In the Emeu, and in sundry Cari- natae (some Parrots and Owls), the clavicles remain distinct from one anathor; or connected only by fibrous tissue.« W. Kircnen PARKER: A Monograph on the structure and de- Dinosaurier und Vögel. 453 velopment of the shoulder-girdle and sternum in the vertebrata. London, 1868 bildet die Clavikel bei zwei Ratiten ab. Pl. XVII Fig. 3, Casuarius Bennetii (ripe chick) and Fig. 4, Dromaeus irroratus (7 weeks incubation). Doch ich wollte es dem Professor Dames noch nicht einmal verar- gen, dass er diese Stellen nicht berücksichtigt oder wohl auch nicht gekannt hat, obgleich HuxLeyY’s Anatomie doch ein, auch bei »Palä- ontologen« ziemlich verbreitetes Buch ist, wenn nicht in Marsı's großem Werk über die Odontornithes, welches Herr Professor Dames »so oft citiren musstec, ein Nicht-Carinate mit einer wohl entwickelten Furcula beschrieben wäre, nämlich Hesperornis, einer der Hauptrepräsentanten von Marsm’s Werk. Sehr befremdend ist, dass einem Paläontologen in Berlin dies entgangen ist, obgleich Alles genau beschrieben und abgebildet wird. Gehen wir nun zum zweiten Punkt über. Gorrre hat nach- gewiesen, dass die Crista sterni von der Furcula aus gebildet wird: die Anwesenheit einer Furcula bedingt aber darum noch lange nicht die Anwesenheit einer Crista. Denn die Furcula ist das Primäre, die Crista aber das Sekundäre; eine Abbildung in Parker’s citirtem Werk zeigt uns Taf. XV Fig. 1. Vanellus eristatus (one-third of incubating period) eine vollständige Clavicula, von einer Crista aber keine Spur. Beide Punkte von Herrn Prof. Dames sind also falsch und in Folge dessen kann er auch keine Schlüsse für Archaeopteryx dar- aus ziehen. Dass also Archaeopteryx ein Carinate gewesen ist, ist aus seinen Erörterungen sicher absolut nicht bewiesen. Zum Schlusse ein Punkt, welcher zeigen wird, dass Herr Prof. DamMEs nicht einmal die Litteratur über Archaeopteryx selbst genau kennt. Pag. 4-5 (120— 121) lesen wir, dass er gefunden habe, der Londoner Archaeopteryx liege nicht, wie OwEn meinte, auf dem Riicken , sondern in Wahrheit auf dem Bauche. »Als ich bei der Bearbeitung des Berliner Exemplars und durch Vergleich zwischen ihm und dem Londoner diese Beobachtung machte, fiel mir ein, dass mein leider zu früh verstorbener Freund W. KowALEvsKY, noch bevor das zweite Exemplar iiberhaupt aufgefunden war, miindlich schon Ähnliches über die OweEn’sche Beschreibung mitgetheilt hatte. Ich habe mich aber vergeblich in der englischen Litteratur umge- sehen, um etwas hierauf Bezügliches aufzufinden, und auch mehrere an englische Fachgenossen gerichtete Fragen hatten keinen Erfolg.« ROSENBERG und Marsu, fährt Herr Prof. Dames fort, haben dieselbe 454 G. Baur, Dinosaurier und Vögel. Beobachtung gemacht. Sehr einfach! KOWwALEVSKY, ROSENBERG, Marsu haben eben die Litteratur besser gekannt, und es ist in der That sehr sonderbar, dass Herrn Professor Damzs eine Arbeit von Hux- LEY entgangen ist. Der Titel dieser wohlbekannten Arbeit lautet: »Remarks upon Archaeopteryx lithographica.« erschienen I. in: Roy. Soc. Proc. XVI. 1868. pag. 243—248. II. in: Ann. Mag. Nat. Hist. I. 1868. pag. 220—224. Huxey weist dort ganz evident nach, dass der Londoner Ar- chaeopteryx nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauch liegt. Hvuxrey ist also derjenige, welcher dies zuerst sah! Auch die Verbesserung, welche Herr Prof. Dames pag. 25 (141) an der Öwen’schen Anschauung macht, ist schon von HuxLey gelie- fert worden: Dames sagt pag. 25 (141): (es handelt sich um das Coracoid) »R. Owen hat diesen Knochen, welcher nach ihm auf den trsten Blick das humerale Ende des Coracoids zu sein scheint, als einen Theil des Humerus gedeutet, — —. Aus der Lage geht aber her- vor, dass das nicht der Fall ist.« Huxuey sagt: Roy. Soc. Proc. XVI 1868. pag. 246. »I think, then, there can be no question that the parts marked 51’ and ein Plate I of the memoir eited are the reight scapula and the glenoidal end of the right coracoid, and not as the author affirms, the left sca- pula and a tuberosity of the humerus.« Indem wir damit schließen, geben wir den Interessenten anheim, die beregte Abhandlung »Über Archaeopteryx« sich näher anzusehen. New-Haven, Conn., 26. August 1884. Über das Centrale carpi der Säugethiere. Von Dr. 6. Baur, New-Haven, Conn. Prof. H. Lesoucg hat in seinen »Recherches sur la morpholo- gie du carpe chez les mammiferes« (Arch. de Biol. Tome V. 1884. pag. 35—102, pl. HI—V) über das Centrale carpi der Säugethiere ge- naue Mittheilungen gemacht. Einige Beobachtungen, welche LeBouca’s Resultate noch erweitern, möchte ich kurz bemerken: Ich werde an diesem Orte nur vom Centrale carpi sprechen und auf die anderen von ihm erörterten Punkte in einer größeren Arbeit: Morphogenie des Carpus und Tarsus der Vertebraten«, mit welcher ich gegenwär- tig beschäftigt bin, näher einzugehen haben. Wie LeBoucg konnte ich ein isolirtes Centrale bei Embryonen von Mensch, Hund und Katze finden. Embryonen von Fledermäu- sen und Beutelthieren standen mir leider bisher nicht zur Verfügung. Außer beim Hund und der Katze konnte ich ein freies Centrale auch noch bei zwei anderen Carnivoren nachweisen: Bei einem 50 mm langen Embryo von Lutra und bei einem etwa 25 mm langen Em- bryo von Mustela vulgaris. Bei Lutra war das Centrale noch voll- kommen frei und mächtig entwickelt. Radiale und Intermedium waren verschmolzen. Bei dem bedeutend kleineren und jüngeren Embryo von Mustela vulgaris begann das Centrale schon mit dem Radiale und Intermedium zu verschmelzen und zwar an der dem Radiale zugekehrten Seite. Während bei Lutra Radiale und Inter- medium schon verschmolzen waren, zeigten sich bei Mustela noch Spuren des früheren Getrenntseins. | Bei einem Embryo von Erinaceus europaeus von 65 mm Länge fand ich keine Spur eines freien Centrale, eben so wenig eine An- 456 G. Baur deutung einer Verwachsung desselben mit dem Radiale und Inter- medium. Die erste Carpusreihe bestand aus zwei isolirten Knorpel- stiicken, einem 7-+7 und einem w. Bei einem erwachsenen Erina- ceus collaris fand ich dieselben Verhältnisse, wie bei dem genann- ten Embryo. Da in den verschiedenen Familien der Insektivoren ein Centrale theils frei vorhanden ist, theils fehlt, so halte ich es nicht für unmöglich, dass man bei allen Insektivoren, bei welchen bisher ein Centrale noch nicht beobachtet worden ist, ein Centrale nachweisen könnte, wenn man nur in der Lage wäre, die passenden embryologischen Stadien untersuchen zu können. Was die Marsupialier betrifft, so hatte ich, wie schon bemerkt, bisher keine Gelegenheit Embryonen untersuchen zu können; am Handskelet folgender erwachsener Formen konnte ich aber, eben so wie LEBOUCQ, nachweisen, dass das Centrale mit dem Radiale ver- schmolzen ist: Didelphis Azarae; Perameles lagotis, Dasypus ma- culatus. | Dasselbe kann ich für Ornithorhynehus und Myrmecophaga te- tradactyla behaupten. Wir hätten also ein Centrale carpi bei allen Ordnungen der Säugethiere mit Ausnahme der Ungulaten (im weitesten Sinn) ! und der Cetaceen nachgewiesen. Hyrax capensis besitzt bekanntlich ein wohl entwickeltes und freies Centrale. Die Hyracoidea werden von Corr? mit den Condylarthra zusammen als Taxeopoda bezeichnet und als älte- ste Ungulaten betrachtet. Wenn also bei einem der ältesten Ungulaten, bei Hyrax capensis, ein freies Centrale vorhanden ist, so muss es auch bei dessen nächsten Verwandten und den Nachkommen der Taxeopoden noch nachweisbar sein und ich zweifle nicht daran, dass man ein solches bei Embryonen von Elephas, Tapir, Rhino- ceros und Hippopotamus noch antreffen wird. Ob es mit dem Ra- diale oder dem Tarsale, (Trapezoideum) verschmolzen oder überhaupt atrophisch geworden ist, kann noch nicht entschieden werden. (Nach FLoweEr, Osteol. of Mamm. II edit. pag. 266 verschmilzt bei Hyrax dorsalis das Centrale mit dem Trapezoideum.) Es wäre sehr inter- essant zu wissen, ob bei den Periptychidae, Phenacodontidae und den Meniscotheridae, den drei Familien der Condylarthra*, sich Spu- 1 Hyrax capensis besitzt ein Centrale, auf welches ich gleich zu sprechen kommen werde. 2 Corr, E. D., The Classification of the Ungulate Mammalia. (Read be- fore the Am. Phil. Soc. May 19, 1882.) Pal. Bull. No. 35. 3 Copp, E. D., The Condylarthra. Am. Naturalist. Aug. and Sept. 1884. Uber das Centrale carpi der Säugethiere. 457 ren des Centrale noch nachweisen ließen, ich möchte kaum daran zweifeln. Am Ende hätten wir also nur noch die Cetaceen zu besprechen. Wenn die Idee Leroucg’s, bei den Cetaceen gewisse »métacarpiens« als »earpo-metacarpiens« zu betrachten, sich durch die Morphogenie der vorderen Extremität der Cetaceen verwirklichen sollte, so hätten wir auch diesen letzten Punkt überwunden. — Weitere morphoge- netische Untersuchungen am Extremitätenskelet der Vertebraten kön- nen noch viele vorhandene Lücken und Ungenauigkeiten beseitigen; ich erlaube mir daher an alle Fachgenossen die Bitte zu richten, mich mit passendem embryologischen Material zu weiteren Untersuchun- gen versehen zu wollen. Am wichtigsten sind diejenigen Stadien, bei welchen Knorpel eben differenzirt wird und schon differenzirt ist. Durch fernere Studien hoffe ich nicht allein die Morphologie des Extremitätenskelets der Wirbelthiere im Allgemeinen klar legen zu können, sondern auch Anhaltspunkte für die gegenseitigen Bezie- hungen der Vertebraten unter einander zu liefern im Stande zu sein. Yale College Museum, New-Haven, Conn., im Oktober 1884. Zur Morphologie des Tarsus der Säugethiere. Von | Dr. 6. Baur, Neu-Haven, Conn. Mit einer größeren Arbeit über das Extremitätenskelet der Ver- tebraten beschäftigt, gelangte ich zu einigen neuen Anschauungen über die Homologie der Tarsalelemente der Säugethiere, welche, wie ich glaube, nicht ohne Interesse zu sein scheinen, und die ich darum schon jetzt mittheilen möchte. Schon lange war mir ein Knochenstück im Tarsus mancher Säuger, namentlich der Nager aufgefallen, welches bisher stets als »Sesambein« betrachtet worden war. FLowER (Osteol. of Mamm. II edit. pag. 317) macht darüber nur die Bemerkung: »There is a large sesamoid bone on the tibial side of the tar- sus, articulating with the astragalus, navicular, and internal cunei- form.« GEGENBAUR, welcher so viel für die Morphologie der Extremitä- ten der Vertebraten geleistet hat, bemerkt (Untersuch. zur vergl. Anat. d. Wirbelth. I. Carpus u. Tarsus. Leipzig 1864) pag. 110 bis 111: »Eine Vermehrung der Tarsuselemente ist bei Nagethieren vor- handen, von CuvIER wie von MECKEL ausführlich beschrieben. Es wird diese Vermehrung aus einer Theilung des Naviculare abgelei- tet und aus dem Hinzutreten eines überzähligen Knochen, der am inneren Fußrande dem Cuneiforme! angelagert ist. Der aus der Theilung des Naviculare entstehende zweite Knochen liegt gleich- Zur Morphologie des Tarsus der Säugethiere. 459 falls am inneren Tarsusrande, hinter dem vorhin erwihnten, ist dem Kopfe des Astragalus seitlich angefügt und stößt überdies noch mit dem eigentlichen Naviculare und auf eine kurze Strecke mit dem Cuneiforme! zusammen. Wenn auch seine Lagerung am Astragalus und seine Verbindung mit dem eigentlichen Naviculare die Ansicht von seiner Entstehung, wie sie die oben genannten Autoren äußern, als sehr wahrscheinlich erscheinen lassen, so halte ich sie doch noch nicht für fest begründet. Das Vorkommen des zweiten Knochens, so wie ähnlicher überzähliger Stücke im Tarsus der Monotremen schließt die Möglichkeit nicht aus, dass auch das aus einer Theilung des Naviculare entstanden sein sollende Stück ein Accessorium ist. Daran wird wenigstens so lange festgehalten werden dürfen, bis der Nachweis einer Theilung des Naviculare aus der Entwicklung ge- liefert ist.« Ich konnte dasselbe nicht als Sesambein betrachten aus folgenden Gründen: 1) Wegen seiner Lage; es artikulirt mit scharfen wohl entwickel- ten Gelenkflichen mit dem Tars.! (Cuneif.'), in dessen proximaler Verlängerung es liegt, mit dem Naviculare und dem Astragalus. Bei vielen Nagern artikulirt es mit der vollständigen proximalen Fläche des Tars.! (Cuneif.'). 2) Wegen seiner Genese. Bei Cavia fand ich es immer zu gleicher Zeit mit den anderen Elementen des Tarsus und von diesen vollkommen isolirt sich entwickeln. 3) Wegen seines Verhaltens bei einigen phylogenetisch alten Formen von Nagethieren: Cercolabes und Erethizon. Bei diesen Formen schließt sich an das genannte Stück immer ein klauenartiges stark entwickeltes Gebilde an, und nimmt ihm dadurch vollkommen den Charakter eines »Sesambeins«. Hier wird es also eingeschlossen vom Astragalus, Naviculare, Cuneiforme! und dem klauenartigen Stück. G. R. WATERHOUSE, A natural history of the mammalia. Vol. II, giebt Taf. 18 Fig. 4 eine gute Abbildung der hinteren Extremität von Cercolabes Novae Hispaniae, bezeichnet aber die beiden genann- ten Knochenstücke nur als »supernumerary bones« pag. 405—406. Sehen wir nach dem Verhalten des betreffenden Knochenstücks bei anderen Säugethierordnungen. Bei Hyrax finde ich zwischen Astragalus und Naviculare ein kleines Knochenstückchen, welches ich nur mit dem genannten »Sesambein« homologisiren kann. Bei den 460 G. Baur Carnivoren scheint es wie bei Lepus mit dem Naviculare verschmol- zen zu sein, wenigstens finde ich am inneren aufsteigenden Theil des Naviculare immer Spuren einer ehemaligen Trennung. Bei einem Hundeembryo von 65 mm fand ich noch ganz deutliche Zeichen einer einstigen Trennung. Es fragt sich nun, was haben wir in diesem Knochenstück zu erblicken. Nach Allem was ich bis jetzt darüber kennen gelernt habe, muss ich es dem Tibiale homolog setzen. Der Astragalus würde dann dem Intermedium allein und der Calcaneus dem Fibu- lare homolog sein. Zu diesem Schluss komme ich: 1) durch die Lage des betreffenden Stückes; es liegt in der ersten Tarsusreihe neben dem Astragalus; 2) durch die Genese des Tarsus der Säugethiere. Es ist mir nicht gelungen, ein »Intermedium« im Sinne BARDELEBEN’s bei Em- bryonen der Säugethiere nachzuweisen. Ich finde bei Embryonen den Astragalus immer nur aus einem Stück bestehend und nie ein Knorpelstück zwischen Astragalus und Caleaneus. Bei erwachsenen Säugethieren finde ich BARDELEBEN’S »Intermedium« namentlich wohl entwickelt bei den Marsupialiern, aber ich kann diesen Knochen nur als eine Sehnenverknöcherung betrachten. Die Homologie des Tarsus der Säugethiere wäre demnach folgende: Tibiale = Sesambein, Intermedium = Astragalus, Fibulare — Calcaneus, Centrale = Naviculare (Centrale + Tibiale = Naviculare), Tarsale! — Cuneiforme!, Tarsale! — Cuneiforme!, Tarsale!! — Cuneiforme™, Tarsale'Yt+V — Cuboideum. Wenn wir uns nach Anknüpfungspunkten bei den unter den Mam- maliern stehenden Vertebraten umsehen, so müssen wir unwillkürlich auf die von Core neuerdings beschriebenen Theromorpha aus dem Perm stoßen, welche so sehr im Bau des Tarsus den Säugethieren glei- chen sollen!. Ich möchte das klauenartige Stück, welches sich bei 1 Späterer Zusatz: Prof. Cope theilt mir heute mit: »The foot of Thero- morpha sustains your view that the »internal navicular« is the tibiale. In them this bone is large, and is probably in direct contact with the tibia.« Zur Morphologie des Tarsus der Säugethiere. 461 Cercolabes und Erethizon im Tarsus findet, als den Rest einer sechs- ten Zehe betrachten und mit demselben bei den Batrachiern vor- kommenden Gebilde vergleichen. In meiner größeren Arbeit über die Extremitäten der Wirbelthiere im Allgemeinen werde ich näher auf diese Verhältnisse einzugehen haben. Yale College Museum, New-Haven, Conn., im Oktober 1884. Bemerkungen über die Abdominalporen der Fische, Von C. Gegenbaur. Die innerhalb der niederen Abtheilungen der Fische vorkommen- den Abdominalporen sind in neuerer Zeit mehrfach, und zwar in verschiedenen Beziehungen Gegenstand der Behandlung gewesen, worüber man die Arbeiten von BRIDGE, so wie die Bemerkungen von TURNER im Journal of Anatomy and Phys. Vol. XIV, ferner den Ar- tikel von AyErs (pag. 344 dieses Jahrbuches) vergleichen mag. Es ist aber über diese Gebilde bis jetzt noch keinerlei Licht verbreitet worden, welches sie uns in morphologischer oder physiologischer Hin- sicht klar machte, denn man wird nicht behaupten können, dass etwa die Angabe, die Pori abdominales leiteten ihre Abstammung von niederen Zuständen ab, als eine Aufklärung anzusehen sei. Wenigstens so lange, als ein ganz bestimmter niederer Zustand, von dem sie abstammen, noch nicht nachgewiesen ist, wird man diese Objekte für morphologisch dunkle Punkte halten müssen, denn der allgemeine Hinweis auf Würmer möchte die Angelegenheit eher noch mehr verwickeln als aufhellen. Fürs Erste scheint mir die Frage von größtem Belange, ob diese Pori abdominales der Fische (die Reptilien seien noch ganz außer Betracht gelassen) überhaupt homologe Bildungen seien. Die Pori für sich betrachtet machen das zwar nicht unwahrscheinlich, doch wird man sich mit so einem Schein der Wahrheit nieht beruhigen dürfen. Die Beziehungen der Pori abdominales zum Coelom, und des- sen Beziehungen zum Genitalapparat fordern zu einer kritischeren Behandlung auf, machen sie eigentlich unabweisbar. Wenn bei Lachsen und Aalen die Geschlechtsprodukte ins Coelom entleert und Bemerkungen tiber die Abdominalporen der Fische. 463 durch die Pori abdominales ausgeführt werden, so spricht das zunächst für andere morphologische Verhältnisse der Keimdrüsen als sie sonst die Teleostier besitzen, deren Keimdrüsen in unmittelbare Ausführ- gänge fortgesetzt sind, und gegen diese Thatsache tritt die bloße Plausibilität der Annahme, dass bei einigen Physostomen-Familien die von den Selachiern oder Cyelostomen her ererbten Pori abdomi- nales sich forterhalten hätten, sehr in den Hintergrund. Diese Erörterung wollte ich vorausschicken, um damit zu zeigen, wie die Prüfung der mit einem Gegenstande in Zusammenhang ste- henden Dinge den ersteren in einem anderen Lichte erscheinen lässt, als wenn er simpel an sich betrachtet wird. Aus der richtigen Würdigung des gesammten in Betracht zu ziehenden Organkom- plexes ergiebt sich also ein Umstand, welcher sehr stark gegen eine Homologie der Abdominalpori der Teleostier mit jenen der Se- lachier, Chimären etc. spricht. Dazu kommt noch eine andere schon seit 60 Jahren bekannte Thatsache, die hier hervorgehoben werden muss. Wir lesen nämlich bei RATHKE über die Geschlechts- theile der Fische (Beiträge zur Geschichte der Thierwelt. 2. Abthei- lung. Halle, 1824) pag. 159 Folgendes: »Dass den Lachsen ein eigentlicher Eileiter fehle, ward schon mehrmals bemerkt, zugleich aber auch, dass sie dem unerachtet ein Analogon desselben be- säßen. Dieses nun besteht in einem platten Bande, das gewöhn- lich an der oberen und hinteren Ecke des tafelförmigen Eierstockes entsteht, nur schmal ist, je weiter nach hinten an Breite immer mehr abnimmt, und sich am Ende der Bauchhöhle gänzlich verliert, bei dem eigentlichen Lachse verschwindet dasselbe auf der Schwimm- blase, da wo etwa das letzte Fünftel der Bauchhöhle anfängt, bei den Forellenarten an der Seite des Darmes, unfern dem After, bei den Maränen an dem Darme, dieht vor dem Ende desselben.« ‚Den Übergang von diesem bandartigen und häutigen Fortsatze an den Eierstöcken der höheren Lachsarten zu dem Eileiter der meisten Fische finden wir auf eine merkwürdige Weise bei den Stin- ten ausgedrückt. Vom Ende eines jeden Eierstockes nämlich geht bei diesen ein zarter hautartiger Fortsatz, eigentlich nur eine Dupli- katur des Bauchfells nach hinten ab, deren oberer Rand sich an die Nierenmasse, der untere aber an die Bauchdecken ansetzt. Auf diese Weise liegt dann also hinter jedem Eierstocke eine Höhle, deren äußere Seite von der Seitenwand des Bauches, die innere Wand von jenem Bande gebildet wird. Lösen sich die Eier, so fallen sie in diese nach hinten sich allmählich verschmälernde Höhlen und 464 C. Gegenbaur, Bemerkungen über die Abdominalporen der Fische. gehen endlich durch eine gemeinsame, dicht hinter dem After gele- gene Öffnung zum Leibe heraus. Zwischen beiden Höhlen liegt das Ende des Darmes. Da übrigens der linke Eierstock noch weit von dem hinteren Grunde der Bauchhöhle entfernt ist, so hat auch der beschriebene, sonderbar gestaltete Eileiter desselben eine beträcht- liche Länge. Der rechte Eileiter aber ist nur sehr kurz, da der rechte Eierstock sehr weit nach hinten gerückt ist.« Von Srannius (Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere) wird pag. 270 f. dieses Verhältnis ausführlich mitgetheilt und dabei auf die Nothwendigkeit neuer Untersuchungen aufmerksam gemacht. Solehe konnten manche Aufklärungen bringen, ohne dass desshalb bei der Frage des Abdominalporus die RATHKE’sche Angabe von Osmerus außer Betracht bleiben durfte. Wie wichtig sie ist, geht aus der Darstellung von HuxLey hervor, der die Beobachtung RATHKE’s für bedeutend genug hält um sie in extenso wiederzugeben. (On the ovi- ducts of Osmerus, Proceedings Zoolog. Soc. 1883. P. I. pag. 132.) Er kommt, nachdem er die Einrichtung auch vergleichend-anatomisch ge- prüft hat, dabei zu folgendem Resultate: »Thus the arrangement in Osmerus represents simply the third term of a series of modifications, tending towards a separation of the ureteric from the oviducal ducts, two terms of which are presented by the Ganoids. And it follows that the arrangement of the parts which obtains in the ordinary Salmo- nidae is a fourth term in the same series, that is to say, the abor- tion of the oviducts, commenced in Osmerus is completed in Salmo, and all that remains of the primitive arrangement is the fold de- seribed by RATHKE and the so-called »abdominal pore« which, it will be observed, is the homologue of halfe of the urogenital opening of the Ganoids, and has nothing to do with »abdominal pores« of these fish and of the Selachians. « Daraus diirfte hervorgehen, dass man bei der Frage von der Bedeutung der Abdominalporen noch andere Instanzen mit in Rech-: nung nehmen muss. Auch die von Ayers gefundene Eigenthümlich- keit bei Ammocoetes, die in einer epithelialen Verdickung der Peri- tonealauskleidung an der zum Durchbruch bestimmten Stelle besteht, und die als eine unerwartete Thatsache bezeichnet wird, scheint mir nicht ganz gleichgültig zu sein. Jedenfalls sind wir noch nicht so weit, um behaupten zu können, dass die Pori abdominales sämmt- lich homologe Bildungen seien und dass sie nichts mit dem Ge- schlechtsapparate zu thun hätten. Heidelberg, Oktober 1884. Zur Morphologie des Nagels. Von C. Gegenbaur. Mit acht Figuren im Text. Dass die mannigfaltigen Horngebilde, welche den Endphalangen der Finger und Zehen der amnioten Wirbelthiere zukommen, homo- loge Bildungen seien, ist eine wohl von Niemand bezweifelte An- nahme, die aber erst in der jüngsten Zeit eine feste Begründung erfahren hat. Zwei von einander unabhängige, von sehr verschiede- nen Gesichtspunkten aus unternommene, sich gegenseitig ergänzende Arbeiten, haben auf diesem Gebiete einen nennenswerthen Fortschritt angebahnt. Sie widersprechen sich nicht, sondern verhalten sich gegenseitig ergänzend, machen aber nicht bloß eine zusammenfas- sende und zugleich etwas breiteren Boden suchende Darstellung wiinschenswerth. Die eine dieser Arbeiten, von Boas (vgl. dieses Jahrbuch Bd. IX pag. 389), unterscheidet bei den Krallen-, Huf- und Nagelbildungen der Säugethiere bestimmte Theile, die sie bei den einzelnen Formen auf einander zurückführt. Sie hat überdies das Verdienst, auch am Nagel der Primaten ein Gebilde nachgewie- sen zu haben, welches, bis jetzt daselbst übersehen, dem sogenann- ten »Sohlenhorn« der Hufthiere entspricht. Diese Stelle findet sich beim Menschen saumartig am Übergange des Nagelbettes in die leistehentragende Haut der Fingerbeere und kann, da sie bei der Nagelbildung keine bedeutende Hornbildung trägt, passender als »Nagelsaum« bezeichnet werden. Wie mit dieser Bildung ein engerer Zusammenschluss der sämmtlichen Hornbedeekungen der Alorpholog. Jahrbuch, 10. 30 466 C. Gegenbaur Endphalangen ermöglicht wird, so dass sie von einander ableitbar erscheinen, so ist durch die zweite Arbeit, von ZANDER, für die Ver- gleichung jener Gebilde ein ontogenetisches Fundament gewonnen worden. (Die frühesten Stadien der Nagelentwicklung und ihre Beziehungen zu den Digitalnerven. Archiv für Anatomie, 1884, pag. 103.) Diesen Untersuchungen zufolge ist die erste Anlage des menschlichen Nagels ein terminales Gebilde, welches nur wenig mehr dorsal als volar oder plantar! übergreift. Die gleiche Form der Anlage besteht auch fiir die Kralle. Während aber bei dieser das terminale Verhältnis sich mehr oder minder forterhält, findet beim Nagel eine Lageveränderung statt, durch die derselbe mehr und mehr in rein dorsale Lage übertritt. Die speciellen Ausführungen ZANDER’S stellen diese Veränderungen in überzeugender Weise dar, decken aber auch einige Verschiedenheiten auf, die vom ersten bis zum fünften Finger so wie eben so an den Zehen bestehen. Davon ist das Bemerkenswertheste, dass die Nagelanlage an Daumen und Großzehe die dorsale Lagerung früher als an den übrigen Fingern und Zehen gewinnt, und dass die letzteren sich in jenem Vorgange kontinuirlich an erstere anschließen. Dass auch hierbei die Hand dem Fuße vorangeht, war nicht anders zu erwarten und ist jeden- falls von geringerer Bedeutung. Wie schon die Überschrift der Ab- handlung andeutet, so ist »durch diese Untersuchung der Nachweis geführt, dass die von den Nervi digitales volares und plantares ver- sorgten Abschnitte auf der dorsalen Finger- und Zehenoberfläche eine Lageveränderung von der volaren, beziehentlich plantaren Fläche her durchgemacht haben« (pag. 143). Dieser Nachweis bildete für ZANDER den Ausgang der Untersuchung. Indem er bei Amphibien und Reptilien die Zehenrückennerven bis zur Zehenspitze verfolgen konnte, gab sich darin ein »primärer Zustand« zu erkennen, welcher auch für die Säugethiere vorauszusetzen war. Bei den Nägel tra- genden ist dieser Zustand mit der in Folge jener Wanderung der Nagelanlage dorsal entfalteten Nagelbildung geändert und es sind, von der plantaren oder volaren Seite her, die bezüglichen Nerven mit emporgetreten. So weit läge die Sache anscheinend klar und man kann nicht nur verstehen wie jene Änderung des Innervationsgebietes nur eine scheinbare ist, durch Verschiebung dieses Gebietes entstanden, sondern man erkennt noch deutlich in jenem primitiven Zustand einen 1 Wie von ZANDER geschehen, werde auch ich statt »volar oder plantar« die Bezeichnung »ventral« brauchen. Zur Morphologie des Nagels. 467 den Säugethieren mit niederen Abtheilungen gemeinsamen Ausgangs- punkt, von dem aus mannigfaltige Arten der Hornbedeckung der Endphalangen sich herleiten und an die Krallenbildung der Reptilien und Vögel angeknüpft sind. Unklar aber ist ein Punkt geblieben, der durch die Arbeit von Boas angeregt wird. Es fragt sich nämlich, ist das, was ZANDER als Nagelanlage darstellt, die Anlage, so weit aus ihr die Nagelplatte hervorgeht, oder umfasst sie auch noch den Nagel- saum. Letzterer wird von dem genannten Autor nicht als etwas Besonderes unterschieden, denn nur ganz nebenbei (pag. 131) ge- schieht seiner bei der Kaninchenzehe Erwähnung, »als schmaler Strang weichen Gewebes«, der bis gegen das Ende des Nagels in der ventralen Rinne hinzieht. Es geht also aus dem Texte nichts Positives über das fragliche Verhalten hervor. Dagegen ist etwas Bestimmteres zu ersehen aus der Berücksichtigung der ventralen Abgrenzung der Anlage. Eine scharfe Einsenkung grenzt hier die Nagelanlage gegen die Finger- oder Zehenbeere ab. Darüber be- steht bei ZANDER nicht der geringste Zweifel, sowohl im Texte wie auf den Abbildungen, wie er ja diese Einsenkung benutzt, um von da zur dorsalen Einsenkung eine Linie zu legen, welche mit der durch die Längsachse der Endphalange gezogenen Linie die mehr oder minder terminale Stellung des primären Nagelgrundes oder der Nagelanlage ausdrückt. Es ist also kaum ein Bedenken daran, dass die Fingerbeere unmittelbar an das, was als primärer Nagelgrund aufgefasst wird, angrenzt. Daraus folgt nun, dass das Sohlenhorn oder dessen reducirter Zustand, der Nagelsaum, in der gesammten Anlage mit inbegriffen ist. Ist aber dieses der Fall, so enthält die Anlage nicht bloß dorsale sondern auch ventrale Bildungen, nicht bloß die Anlage der Nagelplatte oder des eigentlichen Nagels, son- dern auch einen Theil, den man dem Nagel nicht beizurechnen pflegt. Dass der primäre Nagelgrund Zanper’s nicht bloß die An- lage der Nagelplatte oder des Nagelbettes einschließt, geht nicht nur aus den Grenzmarken jenes primären Nagelgrundes, sondern auch aus der Konfiguration hervor, die er allmählich empfängt. An den Figuren ZANDER’s kann man sehen, wie die gleichmäßigen Bogen- konturen jener Anlage später derart unregelmäßigere Verhältnisse darbieten, dass der gegen die Gliedspitze gerichtete Abschnitt gegen den rein dorsalen in eine deutliche Winkelstellung tritt. Man kann so sagen, dass der primäre Nagelgrund eine Art von terminaler Knickung erfährt. Obwohl das nicht überall gleichmäßig erscheint and auch in späteren Stadien, wie in Fig. 16 (Zehe eines 15—16- 30* 468 C. Gegenbaur wöchentlichen Embryo), die gleichmäßige Wölbung noch fortbesteht, wie beim 9—12wöchentlichen, so ist doch bei den meisten Figuren von Embryonen aus der 12.— 16. Woche jene Ausbildung zweier Strecken aus der anfänglich einheitlichen unverkennbar. Damit erheben sich gegen die Zanper’sche Deduktion nicht ge- ringe Bedenken. Es fragt sich also, da die Zanper’sche Nagel- anlage nicht bloß die Nagelplatte umfasst, ob die von ZANDER dar- gestellte und behauptete Lageveränderung nicht etwa nur auf Rechnung von Veränderungen kommt, welche das Sohlenhorn eingeht, bevor es zum Nagelsaum reducirt wird. Bei Affen ist es noch eine recht ansehnliche Bildung, wie die Fig. 11 von Boas zeigt. Auch bei ZANDER ist es in dessen Darstellung von Zehendurchschnitten von Macacus eynomolgus unterscheidbar, mehr in Fig. 11, weniger in Fig. 10. Wie schon oben bemerkt, hat ZANDER diesen Theil nicht gewürdigt. Damit man aber desshalb nicht vielleicht die schemati- sirte Figur von Boas für weniger richtig halte, gebe ich zwei Durch- schnitte, die nicht schematisirt sind. Figur I ein Sehnitt durch die vierte Zehe eines Cercopitheeus, Figur II durch den zweiten Finger von Macacus ater. Man sieht die Nagelplatte (x) als rein dorsales Gebilde, und erkennt ven- tral (s) das »Sohlenhorn«. Bei Cynocephalus ist I: letzteres noch viel beträchtlicher auf der Unter- 5 fläche der krallenartigen Nägel fortgesetzt, so 2 dass man es noch nicht als Nagelsaum bezeichnen. zZ 3 kann. Diese Zustiinde lassen erwarten, dass b auch beim Menschen ein ähnlicher Befund, wenn auch nur vorübergehend existire. Aus Unna’s Darstellung (Archiv f. mikr. Anat. Bd. XII pag. 728 ff. u. Taf. XXXII Fig. 26 u. 28) kann ersehen werden, dass an der Stelle des Nagel- saumes beim Neugeborenen und auch später noch eine gegen die Fingerbeere scharf abgesetzte Partie besteht. Diese Einsenkung be- zeichnete Unna, der sich nur mit den histologischen Verhältnissen der Nagelentwicklung beschäftigte, als »obere Bucht«. Von dieser aus bis zum vorderen Ende des Nagelbettes erstreckt sich eine be- deutende epidermoidale Verdickung. Sie repräsentirt den Nagelsaum, oder das Sohlenhorn von Boas. Aus diesem Befunde ergiebt sich eine neue Instanz für die Auffassung, dass in der oben erwähnten Nagelanlage auch der Nagelsaum mit inbegriffen ist. Die als »obere Bucht« von Unna bezeichnete Einsenkung des Integumentes würde dann der Einsenkung entsprechen, welche ZANDER’s ventrale Grenze Fig. 1 und 2. Zur Morphologie des Nagels. 469 der primären Nagelanlage ist. Diese Grenze rückt nun allerdings dorsalwärts, wie ZANDER gezeigt hat. Aber die obere dorsale Grenze bleibt sich nahezu konstant, wenigstens in Bezug auf ihre Lage zur Endphalange. Wenn man auf den Zanper’schen Figuren von jener dorsalen Einsenkung aus eine Linie senkrecht auf die Längs- achse der Endphalange legt, so trifft diese Linie nur bei einem 9 —10wöchentlichen Embryo auf die proximale Endfläche der Pha- lange, bei den späteren Stadien ist sie in die Phalange selbst ge- rückt. Man könnte also bei dieser Grenze von einem Distalwärts- rücken sprechen. Auf keinen Fall aber kann man sagen, dass die dorsale Nagelgrenze eine proximale Ausdehnung erfährt. Da nun die ventrale Grenze bestimmt nicht jene des Nagels ist, sondern noch etwas der Nagelplatte Fremdes mit umschließt, so darf die von ZANDER nachgewiesene Lageveränderung derselben, ihre Verschie- bung gegen die Dorsalseite zu, durchaus nieht ohne Weiteres als eine Lageveränderung des Nagels selbst gedeutet werden. Vielmehr besteht aller Grund dafür, dass jene Veränderung resp. Verschiebung der An- lage nur den in den Nagelgrund übergehenden Abschnitt der primären Anlage oder des »primären Nagelgrundes« ZANDER’s betrifft, wie sie ja auch nur den distalen Theil angeht. Auch eine Begründung der Wanderung des Nagels von einer ter- minalen Stellung in eine dorsale, ist durch die vergleichende Anatomie nicht zu liefern, wenigstens nicht in der Weise, die von ZANDER ver- sucht worden ist. Derselbe sagt: »In der Klasse der Mammalier gehen die Nägel aus der endständigen Lage in die dorsale über. Endständig sind sie bei den Monotremen.« Dieses wird für Echidna hystrix näher erläutert (pag. 120). »Die sichelförmig gestaltete Endphalanx wird auf ihrer ganzen dorsalen Seite von der Hornsubstanz des Nagels überzogen. Die Oberhaut, welche bei Reptilien in einem flachen, bei Vögeln in einem stärkeren, mit der Konvexität gegen die Zehenspitze gerichteten Bogen gegen den Nagel auf der ventra- len Fläche sich abgrenzte, dringt bei Echidna keilförmig weiter vor. In der Mittellinie hört in Folge dessen die Hornbekleidung un- gefähr an der Grenze vom zweiten und letzten Drittel der Endphalanx auf. Die hintere (proximale) Kante des Nagels liegt also in einer Ebene, die gegen die Achse der Phalanx einen sehr spitzen Winkel bildet. Der Nagel überragt die Spitze der Phalanx fast um ein Dritttheil der Länge der letzteren.« An dieser Darstellung fällt auf, dass unser Autor zwar von einer dorsalen Bedeckung der End- phalange durch einen Nagel spricht, auch vom vorderen Ende der 470 C. Gegenbaur Integumentbekleidung auf der Sohlfläche, aber er sagt nicht, dass daran der »Nagel« sich anschließt, sondern spricht nur von einer »Hornbekleidung«. In der That ist es unmöglich von einem die Pha- lange auch ventral überziehenden »Nagel« zu sprechen. Betrachten wir diese Verhältnisse etwas ge- nauer, wie es in Fig.III, dem Dureh- schnitte der zweiten Zehe von Echidna setosa dargestellt ist. Wäh- rend die überaus feste, schwarz- braun gefärbte Hornmasse sich in starker Krümmung dem Rücken der Phalanx anschmiegt und sich darüber hinaus scharfrandig fortsetzt, findet sich ventral, zum Theil die vom freien Ende des Nagels gebildete Rinne ausfüllend, - eine schiefergrau gefärbte Epidermoidalschicht sehr lockeren Ge- füges und daher mit Leichtigkeit zum Abschilfern gebracht. Das ist die vorerwähnte »Hornbekleidung«, welche nichts weniger als das Gefüge oder die Textur des Nagels besitzt. Dieser Ver- schiedenheit hat auch ZANDER in seiner Figur 6 einigen Ausdruck gegeben, indem er dort diese ventrale Schicht von der dorsalen ganz richtig abgrenzte und ihr sogar eine andere Schraffirung gab. Man kann also hier nicht von einer auch ventral entwickelten, die Endphalange terminal vollständig umfassenden Nagel- oder Krallen- bildung sprechen, denn die in jenem Befunde sich treffende »Hornbil- dung« ist durchaus keine gleichartige. Sie ist dorsal ganz anders beschaffen als ventral, dorsal ist sie ein Nagel, ventral dagegen nicht. Ähnlich verhält sich auch Ornithorhynchus. Man hat also kein Recht zu sagen, dass bei den Säugethieren noch endständige Nägel vorkämen, was auch Boas zurückweist. Dass auch bei den Ungulaten keine terminalen Nagelbildungen bestehen, das brauche ich hier nicht specieller zu erörtern, da ich auf Boas verweisen kann. Es bleiben noch die Reptilien und Vögel übrig. von denen Zan- DER die Endständigkeit des Nagels behauptet hat, und zwar wären diese von um so größerer Wichtigkeit, als der terminale Nagel hier noch weiter als bei Monotremen auch die ventrale Seite des Pha- langenendes umfasst. »Es ist nämlich der Nagel wie eine Kappe der letzten Phalanx aufgesetzt. Längsschnitte zeigen das mit Deut- lichkeit.« »Auf der dorsalen Fläche reicht dieser Hornmantel bis zum Grunde der Phalanx, auf der ventralen bis zum unteren Vier- theil jener; an den Seitenflächen grenzt er sich demgemäß in einer Zur Morphologie des Nagels. 471 gegen die Zehenachse geneigten Linie von der Haut ab.« So wird es von Alligator lucius angegeben. Ich finde diese Beschreibung rich- tig, bis auf den kritischen Punkt. Der »Hornmantel« ist nämlich keineswegs gleichartig. Er hat wieder nur dorsal die Nageltextur und besteht ventral aus Wenig resistentem Horngewebe, welches jedoch in größeren Platten sich ablöst als bei den Säugethieren. Dieses füllt die von den Nagelrändern seitlich begrenzte ventrale Vertiefung aus, deren Boden die Endphalange bildet. Diese Masse ist so sehr von der Konsistenz des Nagels verschieden, dass sie beim Durchschneiden zumeist sehr unvollständig zu erhalten ist. Von an- deren Reptilien habe ich auch einige Eidechsen (Hydrosaurus und Iguana) so wie Hatteria untersucht, ferner auch Schildkröten. Die letzteren sollen weiter unten erwähnt werden. Für die ersteren sämmtlich habe ich nur zu bemerken, dass sie in nichts Wesentlichem von dem abweichen, was für Alligator angegeben ist. Auch bei ihnen ist das Gewebe ventral vom eigentlichen Nagel von letzterem verschieden. In Übereinstimmung mit den angeführten Reptilien finde ich die Vögel, deren Nägel eben so wenig endständig sind als jene der ge- nannten Reptilien. Der Nagel deckt auch hier die dorsale, lateral weit abwärts reichende Fläche der Endphalange und endigt vorn mit mehr oder minder bedeutendem meist schma- lerem Vorsprunge, in welchen auch die seitlichen Nagelränder fortgesetzt, sind. Die ventrale Fläche der Endphalange wird dagegen von der Stelle an, wo das auf sie sich fortsetzende, der Zehen- a beere oder dem Zehenpolster der 7 A = Säugethiere entsprechende Integument mn endigt, bis zum distalen Phalangen- ende mit einem ebenfalls vom Nagel ganz differenten Horngewebe überkleidet. Man vergleiche hierzu die nebenstehenden Figuren, von denen IV ein Zehendurchschnitt von Rhea, V einen solchen vom Haus- hahne darstellt. Die Konsistenz jenes Gewebes ist jenem bei man- chen Saugethieren und beim Alligator ähnlich, stets um Vieles weicher als am Nagel, und kann in größeren oder kleineren Plätt- chen leicht abgelöst werden. Seine Ausdehnung nach vorn geht bis an die Spitze des Nagels, so dass letztere davon frei bleibt. Nicht anders ist es bei Raubvögeln, deren Nagel, wie auch die Endphalange, Fig. 4 und 5. 472 C. Gegenbaur bedeutend gekrümmt ist. Bei der auch starken Wölbung des Nagels nach der plantaren Seite zu kommt an letztere, besonders distalwärts nur ein schmaler Streif jenes Gewebes zu liegen, aber es genügt, dass dieser da ist, um zu sagen, dass der Nagel die Endphalange nicht völlig schei- denartig umfasst. Wollte man nun diese Verhältnisse so ansehen, dass jenes »Sohlen- horn« noch zum Nagel gehörte, weil es aller- dings, wie das ja nicht anders sein kann, in ihn übergeht, so hätte man damit den Begriff des Nagels, als eines Gebildes von ganz bestimmter Struktur, aufgelöst, und gelangte dazu alle möglichen Zustände der epidermoidalen Horngebilde als »Nägel« an- zusehen. Es besteht auch durchaus kein Grund zu einer solchen Vereinigung, vielmehr wird man bei objektiver Prüfung finden, dass im »Sohlenhorn« etwas vom Nagel Verschiedenes vorliegt, welches nicht einmal zum Zwecke der Annahme einer Dorsalwanderung des Nagels, wie wir gleich sehen werden, benutzt werden kann. Wenn bei den bisher betrachteten Formen bei aller Verschie- denheit im Detail die Übereinstimmung gegeben war, dass der eigent- liche Nagel ein rein dorsales Gebilde vorstellte, welches die letzte Phalange niemals terminal umschließt, indessen auf der ventralen Seite im seitlichen und terminalen Anschluss an den Nagel Horn- gewebe von anderer Beschaffenheit eine verschieden ausgedehnte Verbreitung hat, so ergeben sich hiergegen etwas andere Verhält- nisse bei Schildkröten. Ich will sie von Testudo genauer schildern. Dorsal verhält sich die Nagelplatte wie bei den übrigen, setzt sich aber an der Spitze sowohl als seitlich in das gleiche nur durch die Färbung etwas verschiedene Gewebe fort, welches hier etwas mehr als die Hälfte der Länge der Endphalange überzieht. Es ist also hier einendständiger Nagel vorhanden, und wenn es auch schei- nen wollte, als ob der ventrale Theil nicht die ganze Festigkeit des dorsalen besäße, so ist doch jedenfalls kein so bedeutender Unter- schied wie in den bisher beschriebenen Fällen. Aber eine nicht unwichtige Differenz muss betont werden; der ventrale Nageltheil schiebt sich nicht in einen Falz ein, wie der dorsale, sondern geht direkt in die verhornte Epidermis des Integumentes über. Ob dieses Verhalten etwas Primäres vorstellt oder nicht, d. h. ob die Fig. 6 und 7. Zur Morphologie des Nagels. 473 ventrale Entfaltung sich selbständig bildete oder aus einer nagel- ähnlichen Verdickung des Sohlenhorns entstand, ist nicht sicher zu entscheiden. Für unsere Zwecke ist es auch irrelevant, zumal an- dere Schildkröten nichts von Sauriern Abweichendes bieten. Ich habe Trionyx und Cistudo untersucht und in beiden das Sohlenhorn, wenn auch wie sonst mit der Nagelplatte zusammenhängend, doch scharf vom Nagel gesondert angetroffen. Am bedeutendsten war es bei Trionyx durch weichere Beschaffenheit vom Nagel verschieden. Unter den Amphibien sind zwar gleichfalls Nagelbildungen be- kannt, sie sind mir aber zur eigenen Prüfung nicht zugängig gewe- sen, so dass ich mich darauf beschränken muss, die gewöhnlicheren, vorzüglich von LEYDIG genauer gewürdigten Zustände aufzuführen, in denen epitheliale Modifikationen dem Phalangenende zugetheilt sind ; von diesen sind solche Befunde für uns von Bedeutung, in welchen das Phalangenende eine auch ventral sich erstreckende epidermoidale Verdiekung mit Verhornung der oberflächlichen Schichten besitzt. Dieses sind die ersten Differenzirungszustände des Nagels, wie es auch von ZANDER angegeben wurde. Sehen wir nun zu, welchen Gang die Nagelbildung bei den Amnioten aufweist, indem wir die Formenreihe aufsteigend betrach- ten, von der oben das Wesentlichste hervorgehoben ist. Dann müs- sen wir die Schildkröten am tiefsten stellen, wenn auch die Kluft, die sie von den Amphibien trennt, immerhin noch eine bedeutende ist. Denn bei den Schildkröten begegnen wir einem bereits ausge- bildeten dorsalen Nagel mit Nagelfalz. Aber dieser Nagel erstreckt sich, auch ventral, er umfasst die Endphalange; er ist eine termi- nale Bildung mit vorwiegend dorsaler Entfaltung. Ventral ist aber auch hier schon eine Art von Reduktion eingetreten und damit die Richtung bestimmt, welche fernerhin maßgebend bleibt. Diesem Zustande reihen sich die übrigen Reptilien mit den Vögeln an, aber mit dem Unterschiede, dass der bei Schildkröten schon dominirende dorsale Theil des Nagels zum wesentlichen geworden ist. Der ven- trale kann von nun an nicht mehr als »Nagel« bezeichnet werden. Sein Gefüge besitzt eine andere Konsistenz. Er ist nach Boas das Sohlenhorn. Im Vergleiche mit Testudo stellt dieses eine Rückbil- dung vor. Es ist diese Rückbildung wahrscheinlich einer Verschie- . denheit der Funktion entsprungen, deren Schwerpunkt auf den dor- salen Theil des primitiven Nagels zu liegen kommt. Es kann leicht verstanden werden, wie bei einer Kriimmung der dorsalen Nagel- 474 C. Gegenbaur platte, die sich auch lateral der Endphalange angeschlossen hat, diesem Theil die Hauptfunktion des Nagels beim Scharren oder Graben, oder auch beim Anklammern zufällt. Die Krümmung der dorsalen Nagelplatte, deren Kurve von der Krümmung der Dorsal- fläche der Endphalange bestimmt zu werden scheint, wird begünstigt durch die Nichtbetheiligung des ventralen Horngewebes, welches bei dem Wachsthume der dorsalen Platte eine mehr passive Rolle spielt. Ich lege absichtlich auf die Funktion der dorsalen Nagelplatte das Hauptgewicht, denn es wäre irrig dabei das Sohlenhorn in seiner Reduktion eine bedeutende Rolle spielen zu lassen, da wir vielerlei andere in Kurven wachsende Horntheile kennen, bei denen das Horn- gewebe nicht jene Sonderung in zwei sich gegenüber stehende struk- turell verschiedene Theile besitzt. Genug, die dorsale Nagelplatte stellt jetzt den wichtigsten Theil der gesammten Bildung vor. Von einer Verschiebung des ventralen Nageltheiles auf die Dorsalfläche kann aber bei einer Vergleichung des Schildkrötennagels mit dem der Eidechsen und Krokodile keine Rede sein, denn erstens ist der ventrale Theil ja auch bei den letzteren vorhanden, wenn auch mo- difieirt, doch immer deutlich erkennbar, und zweitens hat die Nagel- platte keine größere dorsale Ausdehnung gewonnen, als sie schon bei den Schildkröten besitzt. Man vgl. hierüber die Fig. IV—VL. Haben wir uns diese Verhältnisse klar gemacht, so ist es nicht schwer, auch die Befunde der Säugethiere zu verstehen, wo eine größere Mannigfaltigkeit der Nagelbildungen obwaltet. Bei allen Säugethieren besteht nur eine dorsale Nagelplatte, an welche das Sohlenhorn, oder sein Homologon, ventral sich an- schließt. Mit der Nagelplatte zeigt auch das Sohlenhorn gleich be- deutende Verschiedenheiten, von denen ich nur zwei extreme Zutände hervorhebe. In dem einen gelangen beide eng an einander geschlossen zu bedeutender Volumsentfaltung: bei den Ungulaten (siehe Boas). Im anderen hat die Nagelplatte die überwiegende Bedeutung: bei den unguiculaten Säugethieren. Hier ist es die Entfaltung des Finger- oder Zehenpolsters, welches das Sohlenhorn beschränkt, oder es wird dieses durch die Gestaltung der Nagelplatte bedingt. Letzteres trifft sich bei den Feliden am deutlichsten ausgeprägt. Die Kralle der Katzen ist nichts Anderes als eine dorsale Nagel- platte in eigenthümlicher Krümmung und seitlicher Kompression. Auf der ventralen Seite erstreckt sich das Sohlenhorn längs der Konkavität der Krümmung bis zur äußersten Spitze. An den Kral- len des Tigers ist das ganz deutlich zu erkennen. Zur Morphologie des Nagels. 475 Die Reduktion des Sohlenhornes unter Ausbildung des Finger- oder Zehenballens nach vorn zu trifft sich in der Reihe, an die auch der menschliche Nagel sich anschließt. Es ist gleichgiiltig, ob wir da eine Krallenform als primitiven Zustand annehmen oder nicht, jedenfalls spielt das Sohlenhorn auch hier eine nicht geringe Rolle und begleitet die Vermittelungsstadien zur Kralle. Bei Cyno- cephalus weiß man nicht, ob man die Nägel der Zehen nicht als Krallen bezeichnen soll. Die mindere terminale Zuspitzung und die geringere laterale Kompression im Vergleiche zu anderen Krallenbil- dungen theilen sie mit manchen Carnivoren, bei denen man nicht von »Nägeln« zu sprechen pflegt. Die Stellung des Sohlenhorns zur Längsachse der Endphalange ist bei vielen Affen noch die gleiche wie bei den übrigen. Die ver- längerte Längsachse fällt genau oder‘doch nahezu an die Anschluss- stelle des Sohlenhorns an die Nagelplatte. Man kann also auch hier, selbst ohne die Vergleichung mit anderen Säugethieren, keinen Zweifel daran haben, dass der bezügliche Theil ein ventrales Ge- bilde vorstellt. Das Maß der Reduktion des Sohlenhorns ist selbst innerhalb der Quadrumanen ein sehr verschiedenes. Aus den oben gegebenen Figuren I und II ist das schon zu ersehen gewesen. Man darf diese aber nicht für extreme Zustände ansehen, denn wie schon bemerkt ist bei Cynocephalus noch eine viel mächtigere Ausbildung des Sohlenhorns da. Selbst bei den sogenannten anthropoiden Affen bestehen noch enge Anschlüsse an die übrigen Affen, aber Manches kann zum Verständnis der menschlichen Nagelbildung dienen. Ich habe Hylobates, den Orang und Schimpanse in Betracht gezogen. Bei allen sind die Finger und Zehen mit bedeutendem Sohlen- horn ausgestattet. Da die Fingerbeere weiter nach vorn gerückt scheint, stellt es mehr einen Beleg auf der ventralen Fläche des Nagels vor. An Daumen und Großzehe ist ein Nagelsaum vorhan- den, aber der Nagel des Daumens ist noch ein Kuppennagel, wäh- rend jener der Großzehe mehr die Gestalt eines Plattnagels hat. An den übrigen Fingern und Zehen sind die Nägel durch distale so wie durch seitliche Krümmung noch sehr weit von der Platten- form entfernt, sie nähern sich gegen den 5. Finger und die 5. Zehe sogar etwas der Kralle. Alle diese Verhältnisse sind auch beim Orang und Schimpanse vorhanden, aber stufenweise abgeschwächt. Am entschiedensten trägt die Großzehe einen Plattnagel, während am Daumen in der Nagelkrümmung noch ein niederer Zustand be- steht. An diese Verhältnisse schließt sich die Nagelbildung des 476 C. Gegenbaur Menschen, zwar nicht so eng als die Anthropoiden unter sich ver- kniipft scheinen, aber immer noch deutlich genug, denn auch beim Menschen ist eine Modifikation der Gestalt des Nagels vom 1.—5. Finger bemerkbar. Der Nagel des Daumens ist platter als die übri- gen, die gegen den 5. Finger an seitlicher Krümmung zunehmen. Diese Krümmung zeigt sich am Nagel des 5. Fingers zuweilen so- gar sehr hochgradig. Wie der Daumennagel phylogenetisch am frühesten in die Plattenform übergeht und sein Sohlenhorn zum Nagelsaum reducirt, indess die folgenden Finger sich der Reihe nach anschließen, so zeigt auch der ontogenetische Process (s. ZANDER) den Daumen den übrigen Fingern voranschreitend, und ähnlich verhält es sich auch am Fuße. In allen Punkten hat man bei den Affen die Zustände vor sich, durch welche niedere Formen mit dem Verhalten beim Menschen verknüpft werden. Die Reduktion des Sohlenhorns zu dem unansehn- lichen Gebilde des Nagelsaumes ist jedoch keine erst bei den Pri- maten zum Ausdruck kommende Erscheinung. Sie besteht schon bei den Prosimiern. So ist z. B. bei Stenops der freie Rand der kleinen Nagelplatten von einem unansehnlichen Saume umgeben, der darin dem menschlichen Verhalten nichts nachgiebt. Wir sehen also bei durchgehends gleichbleibender dorsaler La- gerung des eigentlichen Nagels, der Nagelplatte, ein bedeutendes Schwanken im Befunde des sogenannten Sohlenhorns. Und dieses Schwanken endigt mit seiner Riickbildung zu dem sehr unbedeuten- den Gebilde des Nagelsaumes. Man kann den Process als eine Verdrängung gegen die Nagelplatte bezeichnen. Hier erhält sich der letzte Rest des »Sohlenhorns«. Aber er überschreitet nicht die dorso- ventrale Grenze des terminalen Gebietes, er rückt desshalb auch nicht dorsal, da bildet die Nagelplatte eine Schranke, denn diese nimmt das Dorsalgebiet der Endphalange bis nach vorne ein. Diese Ver- änderung kann auch nicht als ein Dorsalwärts-rücken bezeichnet wer- den, denn die vordere Grenze des Sohlenhorns ist immer stabil; es besteht also nur ein Schwinden des letzteren von hinten nach vorn zu. Demnach ist der distale Pol einer durch einen Finger zu legen- den Längsachse nicht an der Fingerbeere selbst, sondern über der- selben zu suchen, am Nagelsaum, oder streng genommen zwischen diesem und dem Ende des Nagelbettes. Dieser Vorgang der Reduktion des Sohlenhorns ist begleitet und augenscheinlich auch bedingt durch Veränderungen des weichen Inte- gumentes, welches proximal vom Sohlenhorn sich findet. Dieses er- Zur Morphologie des Nagels. 477 streckt sich bei Reptilien und Vögeln, wie bei der Mehrzahl der Säugethiere, nicht über den proximalen Theil der Ventralfläche der Endphalange. Dadurch eben wird dem Sohlenhorn Raum verschafft. Denn Integument bildet da den Finger- oder Zehenballen, über des- sen Verhalten bei den Ungulaten ich wieder auf Boas verweise. Innerhalb der Petras Säugethiere gewinnt dieser Theil eine mehr und mehr terminale Lage, indem er sich in dem Grade distalwärts erstreckt, als das Sohlenhorn von hinten her schwin- det. Man vergleiche nur die nebenste- hende Figur VIII, welche den Durchschnitt der Zehe eines Hundes vorstellt, mit den in Fig. I und II gegebenen Figuren von Affen. Beim Hunde nimmt das Hautpolster (4) kaum die Hälfte der Endphalange ein; bei jenen Affen erstreckt es sich längs der ganzen Endphalange. Es umgreift hier aber auch noch die Spitze der Endphalange, wie solches bei manchen Prosimiern und beim Menschen der Fall ist. Diese Ausbildung der Fingerbeere als eine Ursache von Veränderungen des »primären Nagelgrundes« hat auch ZANDER hervorgehoben, und ich muss ihm darin vollkommen beistimmen. Während jedoch ZANDER darin nur den ontogenetischen Vorgang im Auge hat, möchte ich den phylogenetischen Process betonen, welcher sich bei der erwähnten Vergleichung der Stellung der Fingerbeere zur Endphalange kund giebt. Wenn wir betrachten, was mit der Ausbildung der Fingerbeere und durch ihre fast terminale Stellung zum Finger erreicht ist, so werden wir nicht verkennen, in wie ganz anderem Maße sich danach die Hand zu einem Tastapparate eignet. Es führt also die Reihe jener Verände- rungen zur Ausbildung der Hand als eines Tastapparates. Auch zum Greifen und Fassen wird sie geschickter, als da, wo das distale Phalangenende ventral noch vom Sohlenhorn eingenommen wird. So tritt mit dem Vorrücken der Fingerbeere die Endphalange ganz in den Dienst jener Verrichtungen, die den Organismus auf eine höhere Stufe seiner Lebensökonomie führen. Wie mit der Hand so ist es auch mit dem Fuße des Menschen. Das mit den Fingern gleiche terminale Verhalten der Zehen lehrt, dass wir auch hier gleiche funktionelle Ursachen anzunehmen haben: die Ausbildung des Fußes zu einem Greif- und Tastapparate, wie er heute noch bei den Affen besteht. Die aufden Tastapparat verweisenden Einrichtungen haben sich erhalten, wenn sie auch nicht mehr benützt werden. 478 C. Gegenbaur Aus diesen Darlegungen ergiebt sich: 1) dass der Nagel in der aufsteigenden Thierreihe durchaus nicht dorsalwärts rückt, wie ZANDER angiebt, 2) dass es ein vom Nagel wohl zu unterscheidendes Gebilde, das Sohlenhorn, ist, welches bis zum Menschen von der proxima- len Seite her Rückbildungen erleidet. Wie sehr diese Thatsachen auch der Zanper’schen Auffassung widerstreben, so sind sie doch nicht im Gegensatze zu seinen Beob- achtungen über den Entwicklungsgang des »primären Nagelgrundes«. Ks ist schon oben gesagt worden, dass man diesen nicht als der eigent- lichen Nagelplatte zugehörig betrachten darf. Begreift man darin auch noch die Anlage des Sohlenhornes, so sind die ZANDER’schen Angaben mit meiner Auffassung in vollstem Einklange. Was jene ventrale Ausdehnung des sogenannten »primären Nagelgrundes« be- dingt, ist nicht von Seite der eigentlichen Nagelanlage gebildet, sondern von jenem Sohlenhorn. Dessen Anlage ist es, die sich mehr und mehr verkürzt und der Anlage des Nagels angeschlos- sen bleibend, ein Dorsalwärts-rücken vortäuscht. An der erwiesenen Thatsache, dass der Nagel zwar einem Formwechsel aber keinem Ortswechsel unterworfenist, wird auch dureh die Unterstellung einer Zusammengehörigkeit des Nagels mit dem Sohlenhorn nichts geändert. Wollte man sagen, diese beiden Theile gehören als Horngebilde zusammen, der eine Theil, das Sohlenhorn, erliegt Veränderungen, also ist es nicht irrig, solche auch dem Gan- zen zuzuschieben, so ist auch damit nichts gewonnen, denn jene Veränderungen bestehen eben niemals in einem Dorsalwärts-rücken. Etwas Anderes ist es mit der Frage, in wie fern der »primäre Nagelgrund« in seiner terminalen Lage sich nicht doch von einer terminalen Nagelbildung ableiten ließe, die freilich nach dem von mir Vorgeführten viel weiter zurück liegen müsste, als es ZANDER angenommen hatte. Bis jetzt, glaube ich, ist diese Frage noch nicht mit Sicherheit zu beantworten. Denn das, was ich von Testudo an- gab, steht zu vereinzelt und der ventrale Theil des Nagels ist doch nicht so ganz gleichartig mit dem dorsalen, um daraus eine sichere Grundlage für jene Auffassung zu gewinnen. Hat man sich mit den Thatsachen bezüglich des Nagels abge- funden, so kann man auch die Zanper’sche Erklärung bezüglich der Innervationsgebiete der Endphalangen nicht in dem Umfange gelten lassen, wie es der Autor will. Es ist bei diesem Erklärungsver- suche schon etwas Missliches durch das Factum, dass Zehen, Dau- Zur Morphologie des Nagels. 479 men, kleiner Finger die von ZANDER angenommene »primäre Art der Nervenvertheilung« zeigen, d. h. dass bei diesen dorsale und ven- trale Nerven ihr Gebiet nicht überschreiten. Denn für die Nägel jener Glieder ward ja die gleiche Lageveränderung des Nagels nach- gewiesen, wie für die Übrigen. Bei jenen soll also die gleiche Ur- sache nicht wirksam sein? Auch die Vermuthung (pag. 119) kann ich nicht theilen, »dass es von der Größe eines zu innervirenden Abschnittes, ferner von der Länge der Strecke, welche die Nerven von dem Hauptstamme aus zu durchlaufen haben, abhänge, ob ein dorsaler Digitalnerv in dem speciellen Falle den Nagel erreicht, oder nichte. Man kann doch nicht sagen, dass der 2.—4. Finger zu lang seien, um dorsal ganz von den Dorsalnerven versorgt zu werden! Das hieße ein vorher bestimmtes Maß für die Länge die- ser Nerven setzen, welches jene Finger zu überschreiten sich er- laubt hätten! Es werden also, wie auch zugegeben ist, andere Ursachen bestehen. Endlich ist auch das von ZANDER sehr sorg- fältig gewürdigte Bestehen proximal oder distal aus dem Verlaufe der Volarnerven nach der Rückenseite abgegebener Zweige ein die Aufstellung einer festen Norm sehr störendes Moment, welches wie das ganze Kapitel der Variationen sensibler Nerven einer wirklichen Aufklärung noch nicht zugängig gemacht worden ist. Auch auf den einen Fall, welehen ZANDER sehr genau untersuchte, ist wenig Ge- wicht zu legen, in so fern derselbe doch keine »Norm« abgeben kann. Dazu bedürfte es einer größeren Reihe. Aus dem phylogenetischen wie ontogenetischen Entwicklungs- gange des Nagels erhellt aber doch Einiges auch für die Nerven- vertheilung. Es wird dadurch wenigstens verständlich, dass die ventralen Nerven sich bis zum Nagelsaume und auch zum seitlichen Theile des Nagelwalles verbreiten, welchen Theilen eine scheinbar dorsale Lage zukommt. Dies ist ein mit der Ausdehnung der Fingerbeere, nicht bloß längs der ganzen Endphalange, sondern auch noch vor dieselbe, erworbener Zustand. Dafür sind die ZANDER- schen Beobachtungen, auch in der Deutung, die ich ihnen gegeben habe, von Wichtigkeit. Dagegen bleibt die Versorgung des Nagel- bettes von volaren Nerven noch dunkel. Uber direkte Kerntheilung in der Embryonalhiille der Skorpione. | Von Dr. F. Blochmann, Assistent am zool. Institut zu Heidelberg. Mit Tafel XXII. Vor einiger Zeit erhielt ich durch die Güte des Maschinen- ingenieurs Herrn Poppen einen trächtigen weiblichen Skorpion !, der, jedenfalls aus Brasilien stammend, beim Ausladen eines Farbholzschiffes in Mannheim gefangen wurde. Das Thier enthielt eine große Anzahl schon sehr weit fortgeschrittener Embryonen, bei deren Betrachtung mir sofort die kolossalen Zellen der Embryonal- hülle auffielen; gleich im ersten Präparate fanden sich einige Sta- dien der Kerntheilung, die ich im Folgenden näher beschreiben will. Vorher möchte ich noch kurz Einiges über den Bau der Em- bryonalhüllen im Allgemeinen bei dem von mir untersuchten Skorpion sagen, da sich einige, wenn auch nur geringfügige Differenzen mit den Befunden METSCHNIKOFF’s? am europäischen Skorpion ergeben haben. Die Embryonalhülle ist bei der von mir untersuchten Art, wie bei dem europäischen Skorpion, aus einer doppelten Zellschieht gebildet (cf. Fig. 1 und 7). Die Zellen der äußeren Schicht (Fig. 1Z,) ! Eine genauere Bestimmung war leider nicht mehr möglich. Die zu be- schreibende Kerntheilung dürfte sich jedoch bei anderen Arten finden, denn ich fand gleich im ersten Präparate, welches ich von konservirten Embryonen einer anderen Art anfertigte, ganz übereinstimmende Theilungszustände. ? METSCHNIKOFF, Embryologie des Skorpions, Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXI. 1871. pag. 204. Über direkte Kerntheilung in der Embryonalhiille der Skorpione. 481 sind von bedeutender Größe, sie messen ungefähr 0,5—0,8 mm im Durchmesser, sind dabei aber sehr dünn flächenhaft (Fig. 7 Z,), so dass der Kern immer eine Ausbuchtung noch innen verursacht. Sie be- sitzen einen, gewöhnlich jedoch (wenigstens bei den von mir unter- suchten älteren Stadien) zwei große Kerne von ungefähr 0,05 bis 0,07 mm Durchmesser. Die Kerne erscheinen von einem etwas dunkleren Hof umgeben, was, wie der Querschnitt Fig. 7 zeigt, daher kommt, dass eben die Zelle in der Umgebung der Kerne dicker ist wie an den Rändern. Die Grenzen dieser großen Zellen sind sehr deutlich und zeigen durchweg eine bemerkenswerthe Struktur, in so fern als überall in den Grenzen selbst feine Fibrillen verlaufen (Fig. 1). Die innere Schicht (Fig. 1 Z) der Embryonalhülle besteht aus ziemlich kleinen polygonalen Zellen, bei denen ich regelmäßig nur einen Kern habe finden können. Diese Zellen bilden auf der inne- ren Seite der Embryonalhülle einen sehr dünnen Überzug (Fig. 7 23). Da wo die Kerne der großen äußeren Zellen nach innen vorsprin- gen, ist die innere Schicht oft kaum noch zu bemerken. Die innere Schicht liegt der äußeren überall dieht an, ich konnte nirgends eine Trennung derselben von der äußeren wahr- nehmen, wie sie METSCHNIKOFF für den europäischen Skorpion be- beschreibt und abbildet (l. c. Taf. XV Fig. 3 und 5). Auch an dem hinteren Theil der Embryonalhülle ist die innere Schicht ganz eben so entwickelt, wie in der vorderen Hälfte. Bei dem europäischen Skorpion fehlt sie nach METSCHNIKOFF in der hinteren Hälfte ganz. Was nun die Kerne der großen, äußeren Zellen anlangt, so zeigen dieselben im ruhenden Zustande nichts Besonderes. Sie ent- halten ein ziemlich grobmaschiges Kerngerüst, welchem gewöhnlich ein oder auch mehrere kleine unregelmäßig gestaltete Nucleolen ein- gelagert sind! (z. B. Fig. 6). Wie schon oben bemerkt, enthalten bei den von mir untersuch- ten Embryonen nur wenige der großen Zellen noch einen Kern, die meisten enthalten zwei und in vielen trifft man Theilungs- stadien. Es finden sich nicht gerade selten Kerne von stark ! Die Schilderung bezieht sich auf mit Pikrinschwefelsäure gehärtete, theils mit Safranin, theils mit Hämatoxylin oder Boraxkarmin gefärbte Präpa- rate. Die Untersuchung des frischen Gewebes war mir nicht mehr möglich, da ich erst nach Konservirung der Embryonen auf die Theilungen aufmerksam wurde. Morpholog. Jahrbuch. 10, 31 482 F. Blochmann elliptischer Gestalt (Fig. 8), die man wohl als Anfangsstadien der Theilung betrachten darf; mit vollständiger Sicherheit lässt sich dies jedoch nicht sagen, da ihr Inneres keinen Unterschied gegen die anderen Kerne zeigt. Auch die den beiden Enden genäherten Nu- cleolen, wie sie der abgebildete Kern zeigt, lassen nicht direkt darauf schließen. Man beobachtet allerdings auch bei deutlich erkennbaren, schon weiter fortgeschrittenen Theilungsstadien oft, dass in jeder Kernhälfte ein Nucleolus sich findet, regelmäßig ist dies jedoch durchaus nicht, denn ich habe bei solchen Stadien manchmal auch beide Nucleoli in der einen Hälfte oder auch den einen auf der Verbindungsbrücke beider Tochterkerne getroffen. Die beginnende Theilung macht sich jedoch leicht und sicher bemerkbar, sobald eine Einschnürung an dem Kern auftritt (Fig. 2). Diese Einschnürung liegt regelmäßig in der Mitte des Kernes und dringt allmählich tiefer in denselben ein, ohne dass sich im Inneren desselben irgend welche Veränderungen bemerkbar machen (Fig. 3fg.). Das Kerngerüst zeigt bei den in Theilung befindlichen Kernen genau dasselbe grob netzmaschige Aussehen, wie in den Kernen vor und nach der Theilung. Die beide Kernhälften verbindende Substanzbrücke wird allmäh- lich dünner (Fig. 4) und zieht sich schließlich, indem die Tochter- kerne ziemlich weit aus einander rücken, zu einem dünnen Faden aus (Fig. 5). Dieser Faden färbt sich mit Hämatoxylin einigermaßen, mit Safranin dagegen nicht. Schließlich reißt der Faden ein, und wir haben zwei getrennte Kerne, die noch die Reste des durch- gerissenen Fadens einander zukehren (Fig. 1 links unten). Diese verschwinden auch, wahrscheinlich dadurch, dass sie in die Kerne zurückgezogen werden, und es finden sich dann zwei getrennte Kerne (Fig. 6) in derselben Zelle. Zu einer mit dieser Kerntheilung im Zusammenhang stehenden Zelltheilung kommt es wohl überhaupt nie. Ich habe in allen meinen Präparaten niemals eine Andeutung einer Zelltheilung gesehen, auch spricht für das Unterbleiben der Zelltheilung die große Masse der zweikernigen Zellen, die sich in allen Theilen der Embryonalhiille finden. | Es dürfte schwer sein, sich ein richtiges Urtheil über den ge- schilderten Kerntheilungsvorgang zu bilden. Die Embryonalhülle ist ein vergängliches Gebilde, welches jedenfalls bald nach diesen Theilungen dem Untergang anheimfällt. Man könnte diese Theilung als eine Zerfallserscheinung betrachten, damit ist aber auch nichts Uber direkte Kerntheilung in der Embryonalhiille der Skorpione. 483 erklirt, besonders da die Theilungen fast durchweg in der regel- mäßigsten Weise verlaufen und da die Kerne, die aus der Theilung hervorgehen, wieder genau denselben Bau wie die ungetheilten zei- gen. Allerdings muss ich hier beifügen, dass ich in manchen Prä- paraten verschiedene Zellen mit zwei Kernen gefunden habe, deren Kerne den scharfen Umriss verloren hatten und deren Inhalt unregel- mäßig zusammengeballt war, was man ja schließlich als beginnenden Zerfall ansehen kann. Da es jedoch nicht möglich war die Zellen im Leben zu beobachten, eben so auch nicht die Embryonalhüllen älterer Embryonen zu untersuchen, so wage ich es nicht ein endgül- tiges Urtheil über diese Vorgänge zu fällen. Der geschilderte Theilungsvorgang stimmt in mancher Beziehung mit anderen schon früher bekannt gewordenen Fällen von direkter Kerntheilung überein. So zeigen besonders die direkt sich theilen- den Kerne der Leukocyten nach den Beobachtungen von BirscHLt' und FLemminc? ebenfalls noch einen langen Verbindungsfaden bei- der Tochterkerne. Nach den Untersuchungen von ARNOLD? finden sich in den Leukocyten des leukämischen Blutes zahlreiche Theilungs- zustände, die zu dem Typus der indirekten Fragmentirung zu rechnen sind, wahrscheinlich aber auch solche mit dem Typus der direkten Fragmentirung. Gewöhnlich findet hier auch keine Zell- theilung statt, in manchen Fällen wurde jedoch eine solche beobachtet *. Eben so finden sich direkte Kerntheilungen manchmal bei den In- fusorien; so entstehen die zwei bis vielen Kerne der ausgewachsenen Opalinen nach ZELLER® durch direkte Theilung des ursprünglich einfachen Kernes des jungen Thieres. Auch in pathologischen Fäl- len kommen möglicherweise direkte Kerntheilungen vor®. Häufiger als bei thierischen Zellen scheinen sich direkte Kern- 1 BUTSCHLI, Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge etc. Abhandl. d. SENCKENBERG’schen Gesellsch. Bd. X. 1876. Taf. VI Fig. 21, 22. 2 FLEMMING, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung, Leipzig 1882. pag. 349. und Taf. Ila Fig. 24. 3 ARNOLD, Weitere Beobachtungen an den Knochenmarkzellen und der weißen Blutkörperchen. VircHow’s Arch. 1884. 4 RANVIER, Traité technique pag. 160—162. 5 ZELLER, Untersuchungen über die Fortpflanzung und Entwicklung der in unseren Batrachiern schmarotzenden Opalinen. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXIX. 1877. pag. 370. 6 ARNOLD, Über Kern- und Zelltheilung bei akuter Hyperplasie der Lymphdrüsen und der Milz. VırcHow’s Arch. Bd. XCV. 1884. cf. Taf. III Fig. 48—54. 31* 484 F. Blochmann, Ub. direkte Kernth. i. d. Embryonalhiille d. Skorpione. theilungen in Pflanzenzellen zu finden. Ich will hier nur zwei Fälle erwähnen, welche zugleich dadurch interessant sind, dass bei ihnen neben einander direkte Kerntheilungen und solche, bei denen sich schon gewisse Differenzirungen geltend machen, beobachtet wurden. Solche verschiedene Theilungen finden sich neben einander in derselben Zelle bei den von Scumirz! sogenannten Siphonocladiaceen und an derselben Pflanze bei den Characeen. Bei den ersteren finden sich vielkernige Zellen, deren Kerne im vorderen Theil der wachsenden Zelle sich unter deutlicher Differen- zirung des Inhalts theilen, während die Kerne im hinteren Theil sich durch direkte Abschnürung vermehren. Bei den Charaeen findet sich am Vegetationspunkt indirekte Kerntheilung, während die Kerne der sich streckenden Internodialzellen durch direkte Abschnürung sich vermehren. In diesen beiden Fällen kommt es eben so wie in vielen anderen bei Pflanzen beobachteten direkten Kerntheilungen nicht zu einer Theilung der Zelle und da damit die wenigen bis jetzt bei thierischen Zellen beobachteten direkten Kerntheilungsvorgänge übereinstimmen, so können wir vor der Hand wenigstens dem Satze, dass auf direkte Kerntheilung keine Zelltheilung folgt, allgemeine Gültigkeit zuer- kennen. Ein sicheres Urtheil über die Bedeutung der direkten Kern- theilung und über etwaige Beziehungen derselben zu der indirekten wird aber erst möglich sein, wenn noch mehr hierhergehörige Fälle genauer untersucht worden sind. Heidelberg, den 6. Juli 1884. 1 Scumitz, Beobachtungen über die vielkernigen Zellen der Siphonocladia- ceen. Halle 1879. 2 JoHow, Die Zellkerne von Chara foetida. Bot. Zeit. 1881. Nr. 45 und 46 (hier auch Angabe der weiteren Litteratur) (zuerst SCHMITZ in Sitzber. der niederrh. Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn. 4. Aug. 1879. pag. 25). Erklärung der Abbildungen. Taf. XXII. Z, große Zellen der äußeren ) Z kleine Zellen der inneren | ch Chorion. Schicht der Embryonalhülle, Fig. 1 ist nach Zeıss Objekt B, Oc. 2 mit dem Zeichenapparat entworfen. Alle anderen Figuren nach SEIBERT hom. Immers. !/ı und dann etwas redueirt. Fig. 1. Ein Stück der Embryonalhülle, die innere kleinzellige Schicht ist nur auf einem Theil der Ansicht angegeben. Fig. 2—6. Fünf auf einander folgende Theilungsstadien des Kernes. Fig. 7. Querschnitt durch die Embryonalhülle. Fig. 8. Ein wahrscheinlich im Beginn der Theilung sich befindlicher Kern. Zur Herleitung des Nervensystems der Nematoden. Von 0. Bütschli. Mit Tafel XXIII. Da ich mich bei früherer Gelegenheit mit dem Nervensystem der Nematoden eingehender beschäftigt habe, lag es mir nahe, diesem Gegenstand auch ferner noch einige Aufmerksamkeit zu widmen, wenn auch nicht durch eigene Forschungen auf diesem Gebiet, so doch durch gelegentliches Nachdenken über die morpho- logische Vergleichbarkeit des Nervenapparates der fraglichen Ab- theilung mit dem anderer Würmer, denn dieser Apparat schien in vieler Hinsicht eigenthümlich isolirt zu stehen. Schon durch die interessanten Arbeiten von A. Lane über das Nervensystem einer Reihe von Plathelminthen wurde ich auf die Ideen über eine mögliche Ableitung des Nematodennervensystems geführt, welche ich in Nachfolgendem kurz aus einander zu setzen gedenke und wozu mich namentlich noch der Umstand veranlasst, dass die Anschauungen, welche ich mir im Laufe der letzten Jahre über die- sen Gegenstand gebildet hatte, durch zwei Mittheilungen neueren Datums, von welchen die eine, von GAFFRON!, den Nervenapparat eines Distomum, die andere, von JOSEPH 2, das Nervensystem gewis- ser Nematoden behandelt, eine gewisse Bestätigung erfahren haben. Nachdem namentlich die Arbeiten von Lang? gezeigt hatten, ! E. GAFFRON, Zum Nervensystem der Trematoden. Zoologische Beiträge, herausgegeben von A. SCHNEIDER. Bd. I. 1884. pag. 109. 2G. JosEPH, Beiträge zur Kenntnis des Nervensystems der Nematoden. Zoolog. Anzeiger. VIII. Jahrg. 1884. pag. 264. 3 §. Mittheilungen der zoolog. Station zu Neapel Bd. I—II1. Zur Herleitung des Nervensystems der Nematoden. 487 dass der Nervenapparat der Plathelminthen keineswegs die einfache Beschaffenheit besitzt, welche demselben lange Zeit zugeschrieben wurde und dass außer den zwei gewöhnlich beschriebenen Längsstäm- men der Bauchseite nicht selten und speciell wohl entwickelt bei den Trematoden noch andere, wenn auch meist schwächere Längsnerven sich finden, war eine Vergleichung des Apparates der Nematoden mit dem gewisser Plathelminthen ermöglicht. Wie schon angedeutet, glaube ich, dass uns besonders die Ver- hältnisse bei den Distomeen, wie sie GAFFRON neuerdings bei dem Distomum isostomum des Krebses in so schöner Weise aufklären konnte, eine Ableitung des Nematodennervensystems gestatten. Um nun meine Ansicht hierüber in Kürze vorzutragen, wird es nöthig sein, ganz flüchtig die Anordnung des Systemes bei diesem Distomum nach den Ergebnissen von GAFFRON zu rekapituliren, indem ich gleichzeitig bemerke, dass auch bei den übrigen Trematoden eine im Allgemeinen übereinstimmende Bildung desselben sich findet und dasselbe auch mit den bei den Turbellarien bestehenden Ver- hältnissen leicht in Verbindung gebracht werden kann. Von dem vorn gelegenen sogenannten Gehirn (s. Fig. 1 G) oder dorsalen Schlundganglion entspringen mit ganz kurzem gemeinsamem Stamm jederseits ein Paar nach hinten gehender Längsnerven, von welchen das stärkere Paar als Bauchnerven (4m) längs des Bauches nach hinten eilt, während das andere (rm) in ähnlichem Verlaufe über den Rücken zieht. Dicht bei dem gemeinsamen Ursprung der erwähnten Nerven entspringt aus jeder der Anschwellungen des Ge- hirnes seitlich je ein weiterer hinterer Längsnerv, welcher an den Seiten des Körpers bis in das Hinterende zu verfolgen ist und der daher als Seitennerv (sz) bezeichnet werden kann. Die sechs im Obigen beschriebenen Längsnerven stehen nun unter einander in ziemlich gleichen Entfernungen durch quere Kom- missuren (Qu) in Verbindung, deren einzelne Abschnitte sich je zwischen zwei benachbarten Längsnerven ausspannen; auch können sich an gewissen Stellen des Körpers zwischen diesen Kommissuren noch feinere plexusartige Verbindungen bilden, wie solches ja bei verwandten Plattwürmern nach den Untersuchungen Lana’s noch viel reichlicher der Fall ist. Aus den seitlichen Anschwellungen des Gehirnes entspringen auch einige vordere Nerven, welche wir jedoch, da sie für unsere morphologische Betrachtung unächst ohne besondere Wichtigkeit sind, außer Betracht lassen können. Von einer solchen Bildung des Nervenapparates lässt sich nun, 488 , O. Biitschli wie bemerkt, eine Ableitung des eigenthiimlichen Systems der Ne- matoden versuchen, welche mir nicht unnatiirlich scheint. Bei letzterer Abtheilung (s. Fig. 3) findet sich bekanntlich weit vorn im Körper, um den Osophagus ein centrales Nervensystem in Gestalt eines Ringes (Nr), von welchem, in den sogenannten Medianlinien eingebettet, zwei ansehnliche Längsnerven nach hinten bis zu dem hinteren Körperende im Allgemeinen verlaufen, der Bauch- (dx) und der Rückennerv (r»). Auch in den Seitenlinien entspringt aus dem Nervenring ein nach hinten gerichteter Nerv (sz), welcher jedoch nach sehr kurzem Verlauf nach der Bauchlinie abbiegt (Q’) und, durch die Subcuticula hinziehend, mit der Wurzel des Bauchnerven in Verbindung tritt. Ganglienzellen sind dem Nervenring bekannt- lich an den Abgangsstellen der beiden Mediannerven und der ge- schilderten Seitennerven eingelagert, so dass man von einem Bauch-, Rücken- und zwei Seitenganglien sprechen kann!. Versuchen wir nun, nachdem wir uns so weit über die Einrich- tungen bei den Nematoden orientirt haben, die geschilderten Theile ihres Nervenapparates von den bei den Trematoden bestehenden Verhältnissen abzuleiten. Zu diesem Behufe kann uns die hypothe- tische Fig. 2 dienen, welche ein Übergangsstadium von den Einrich- tungen, wie sie bei den Trematoden etwa vorhanden sind, zu denen der Nematoden darstellen soll. Von dem einfachen Gehirn der Plattwürmer gelangen wir leicht zu dem den Ösophagus umgebenden Nervenring der Nematoden, wenn wir uns vorstellen, dass bei den letzteren ein allmähliches Zusam- menrücken der beiden Bauchnervenstämme der Plathelminthen ein- getreten sei, bis sich dieselben schließlich zu einem gemeinsamen, in der Bauchlinie verlaufenden Bauchstamm vereinigten. Ein solches Zusammenrücken ist um so leichter vorstellbar, als wir einem sol- chen auch in anderen Abtheilungen begegnen (Anneliden), wo es gleichfalls schließlich zu einer völligen Vereinigung der beiden Stränge führen kann und da ferner die Kommissuren, welche, wie früher geschildert wurde, zwischen den beiden Bauchsträngen der Plattwürmer existiren, ein solch allmäbliches Zusammenrücken und schließliehes Verschmelzen einzuleiten und zu begünstigen scheinen. 1 Über die speciellen Bauverhältnisse des Nervensystems der Nematoden vgl. A. SCHNEIDER, Monographie der Nematoden; BürschLı, Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. X; RoHDpe, Beiträge z. Kenntnis der Anatomie der Nematoden, in: Zoologische Beiträge herausgegeb. von A. SCHNEIDER Bd. I pag. 11; auch die Mittheil. von JoserH im Zoolog. Anzeiger 1882. pag. 603. Zur Herleitung des Nervensystems der Nematoden. 489 In gleicher Weise haben wir uns nun vorzustellen, dass auch der einfache Riickennervenstrang der Nematoden aus der Vereinigung der beiden Rückenstränge eines plattwurmartigen Vorfahren entstan- den ist. Hinsichtlich beider Mediannerven der Nematoden scheint der mehr oder weriger deutlich paarige Ursprung ihrer Fasern aus dem Nervenring noch auf die ursprüngliche Paarigkeit hinzuweisen. Auch die Eigenthümlichkeit, dass bei nicht wenigen freilebenden Nemato- ‚den der Ring eine recht schief von der Bauchseite nach dem Rücken und nach vorn aufsteigende Richtung besitzt, lässt sich mit seiner ursprünglichen Ableitung noch in Beziehung setzen. Endlich gesellt sich als gewichtigster Umstand, der für eine Ableitung in dem an- gegebenen Sinne sprieht, hinzu, dass Josepu (1884) sowohl bei jun- gen Ascariden wie bei einem Pleetus noch einen deutlich paarigen Bauchstrang beobachtete und auch zwischen den beiden Strängen Queranastomosen fand, wie sie nach Analogie der Verhältnisse bei den Plattwürmern zu erwarten waren. Bekanntlich tritt bei den Nema- toden in den beiden Geschlechtern dicht vor dem After eine Thei- lung des Bauchstranges unter Bildung eines Ganglions auf; doch scheint es mir nicht ganz sicher, ob diese Theilung auf die ursprüng- liche Paarigkeit des Stranges zu beziehen ist, oder ob die beiden Theiläste in die Kategorie der gleich zu besprechenden Querkom- missuren gehören, da bei den Männchen auch noch hinter dem After in der Bauchlinie Nervenfasern zu finden sind, welche doch nur eine Fortsetzung des Bauchstranges darstellen können. Es erhebt sich nun die Frage, ob bei den Nematoden auch die beiden Seitennerven vertreten sind, welche wir oben bei den Tre- matoden besprachen. Dass dieselben höchstens in rudimentärem Zustande vorhanden sein können, folgt schon aus der früher gege- benen Skizze des Apparates. Es scheint mir wohl annehmbar, ‚dass bei den Nematoden allgemein noch ein vorderster, von dem Nervenring in den Seitenlinien nach hinten abgehender Rest dieser Seitennerven existirt (Fig. 3 sz), welcher aber fast seine sämmtlichen Fasern in eine zu dem Bauchstrang gehende Querkommissur schickt (@'), die nichts weiter sein dürfte, als eine der vielen Querkommis- suren zwischen den Seitennerven und den Bauchsträngen bei den plattwurmartigen Vorfahren. Weiter nach hinten ist in den Seiten- linien der jetzt lebenden Nematoden der Seitennerv, so weit bekannt, nicht mehr zu verfolgen. Entweder müssen wir also eine Reduktion desselben annehmen, oder dass derselbe schon bei den Vorfahren nur wenig entwickelt war. Immerhin scheint mir jedoch noch ein 490 O. Bütschli anderer Nerv der Nematoden auf den Seitennerv der plattwurmartig - gebauten Vorfahren rückführbar zu sein, ein Nerv aber, welcher nur bei den Männchen entwickelt ist, deren Nervus bursalis nämlich. Derselbe (Fig. 3 dr) ist bekanntlich die wieder nach vorn in den Seitenlinien umbiegende Fortsetzung der beiden Theiläste des Bauch- nerven und lässt sich so weit nach vorn verfolgen, wie die männliche Bursalmuskulatur reicht. Seine Verbindung mit dem Bauchnerv scheint mir nun gleichfalls auf eine ursprüngliche Querkommissur bezogen werden zu müssen; auch werden noch eine ganze Anzahl Querkommissuren zwischen dem Bauchnerv und dem Bursalnerv vor dem After angetroffen, indem aus ersterem in gewissen Abständen Fasern austreten und durch die Subeuticula zu dem Bursalnerv verlaufen. Diese Verhältnisse scheinen nun darauf hinzuweisen, dass der Bursalnerv als ein hinterer, bei den Männchen erhaltener Theil des ursprünglichen Seitennerven zu betrachten sein dürfte und dadurch wird andererseits wieder wahrscheinlicher, dass bei den Vorfahren der Nematoden ein Seitennerv in vollständiger Ausbildung vorhanden war. Wenn nun auch der Seitennerv wenigstens} bei den Weibchen fast in seiner ganzen Ausdehnung einer Reduktion unterlag, so gilt dies doch nicht von den queren Kommissuren, welche sich zwischen ihm und den Bauchnerven einer- und den _ Rückennerven andererseits ausspannten. Mit dem Ausfall der Seiten- nerven wurden diese Kommissuren jedoch natürlich zu solchen, welche sich direkt zwischen den vereinigten Bauch- und Rückensträngen erstrecken. So finden wir es denn auch thatsächlich noch bei den jetzt lebenden Nematoden. Besonders reichlich im vorderen und hinte- ren Theil des Körpers begegnen wir zahlreichen, in gewissen Abständen sich wiederholenden Kommissuren, die den angegebenen Weg nehmen (s. Fig. 3 Qu) und die entweder nur aus einer einzigen, häufiger dagegen aus zwei dicht neben einander verlaufenden Fasern beste- hen, welche durch die Subcuticula ziehen. Ich zweifle nicht, dass diese, seiner Zeit von SCHNEIDER entdeckten Kommissuren thatsäch- lich denen der Plattwürmer entsprechen und dass damit ihre morpho- logische Auffassung erheblich klarer geworden ist. Die Abweichung, welche darin liegt, dass bei den Nematoden die Kommissuren der rechten und der linken Seite gewöhnlich nicht in gleicher Höhe lie- gen, scheint mir nicht wichtig genug, um an der morphologischen Übereinstimmung derselben mit denen der Plattwürmer zu zweifeln. Wenn wir uns der oben entwickelten Ansicht hinsichtlich der Deutung der in den Seitenlinien aus dem Nervenring nach hinten Zur Herleitung des Nervensystems der Nematoden. 491 entspringenden kurzen Nervenstränge (Fig. 3 sz) als Homologa der Seitennerven des unserer Betrachtung zu Grunde gelegten Disto- mum anschließen, so lässt sich aus diesem Verhältnis vielleicht noch Einiges hinsichtlich der genaueren Beurtheilung des Ner- venrings ableiten. Da nämlich diese Seitennerven bei dem Distomum aus dem äußeren Rande der seitlichen Gehirnanschwellungen ent- springen, so dürfte der Schluss vielleicht gerechtfertigt sein, dass die gangliösen Anschwellungen des Nervenrings in den Seitenlinien der Nematoden mit den seitlichen Gehirnanschwellungen zu verglei- chen sind und dass daher die dorsale Partie des Ringnerven auf das Gehirn der Plattwürmer, die ventrale dagegen auf die nach Ver- einigung strebenden beiden Bauchnerven zurückzuführen sei, eine Auffassung, welche ja auch bei Annahme der versuchten Ableitung schon von vorn herein plausibel erscheint. Wir haben bis jetzt die sechs Nerven, welche bei den Nemato- den von dem Nervenring nach der Kopfspitze entspringen /s. Fig. 3) außer Acht gelassen und es scheint mir auch zur Zeit keine sichere Möglichkeit vorzuliegen, dieselben mit den Kopfnerven der Platt- würmer zu vergleichen, andererseits kann ich darin jedoch auch keine Schwierigkeit für die im Obigen versuchte Vergleichung er- kennen. Auch die geringfügigen von mir entdeckten Sublateral- nerven (Fig. 3 s/n) bieten keine sicheren Beziehungen dar, was jedoch ebenfalls die allgemeine Vergleichbarkeit nicht alteriren dürfte. Die allgemeinen Beziehungen, welche ich im Vorstehenden zwi- schen dem Nervenapparat gewisser Plathelminthen und dem der Ne- matoden festzustellen suchte, scheinen mir, wie gesagt, für das all- gemeine Verständnis der Verhältnisse bei den letzteren nicht unwichtig, doch möchte ich, um Missverständnisse zu verhüten, am Schlusse dieser kleinen Studie noch besonders betonen, dass ich nicht etwa die heu- tigen Plathelminthen für die Vorfahren der Nematoden halte, wenn auch beide Abtheilungen aus einer gemeinsamen Quelle entsprungen sein dürften. Meine Vorstellungen über die Phylogenie dieser Ab- theilungen sind heute noch die nämlichen, welche ich schon im Jahre 1876 dargelegt habe!. ! Untersuchungen über die freilebenden Nematoden etc. Zeitschr. für wissensch. Zoologie. Bd. XXVI. pag. 363. 492 O. Biitschli, Zur Herleitung des Nervensystems der Nematoden. Ich kann diese Mittheilung nicht schlieBen, ohne noch kurz auf den zwar sehr nahe liegenden Gedanken hingewiesen zu haben, dass die neueren Ergebnisse über den Bau des Nervensystems der Plattwür- mer und speciell der Turbellarien auch noch zur Aufklärung dessel- ben Apparates anderer Abtheilungen von dem höchsten Werth scheinen. So halte ich es für sehr naheliegend das interessante System der sogenannten Amphineuren von den Einrichtungen bei den Turbella- rien herzuleiten; die beiden Längsnervenpaare der ersteren sind in dem Nervenapparat der sogenannten polycladen Turbellarien deut- lich vorgezeichnet. Da sich nun aber weiter von einem den Amphi- neuren entsprechenden Apparat derjenige der Mollusken entwickelt hat, so führt die Kette noch weiter zu diesen. Ein anderer Punkt in dem Bau des Nervensystems der Anne- liden und Arthropoden scheint mir möglicherweise gleichfalls durch das Nervensystem der Plattwürmer eine gewisse morphologische Aufklärung zu erfahren, ich meine nämlich das dem Gehirn entsprin- gende sogenannte Eingeweidenervensystem der ersteren. Es scheint mir sehr wohl möglich, dass dasselbe einen Rest des dorsalen, aus dem Gehirn entspringenden Systems von rückwärts verlaufen- den Längsnerven darstellt, wie sie speciell bei den Trematoden durch Lane und Garrron aufgefunden wurden. Die Kommissuren- bildung zwischen diesen Eingeweide- oder Schlundnerven der Anne- liden und Arthropoden erinnert in mancher Hinsicht lebhaft an die primitiven Verhältnisse der erwähnten Plattwürmer. Jedenfalls gehört in diese Kategorie auch der mediane Rückennerv, welchen HuBRECHT bei den Nemertinen beschrieben hat, während das als Vagus bezeichnete Paar von Darmnerven wegen seines ventralen Ur- sprungs am Gehirn in seiner Hierhergehörigkeit zweifelhaft ist!. Heidelberg, den 18. September 1884. ! Ich habe mich bei der vorliegenden Studie ausschließlich auf vergleichend- anatomische Gesichtspunkte gestützt, kann jedoch nicht unbetont lassen, dass das Wenige, was bis jetzt über die Ontogenie des Nervensystems der Nemato-- den bekannt ist, meines Erachtens nichts enthält, was gegen die vorgetragene Ansicht spräche. Im Gegentheil ließe sich sogar die GAnın’sche Angabe, dass der ventrale Theil der ursprünglichen Anlage aus zwei seitlichen Strängen be- stehe, wohl in unserem Sinne verwerthen. GOETTE hat zwar neuerdings, im Anschlusse an seine Untersuchungen über die Entwicklung der Rhabdonema nigrovenosa eine sehr abweichende Ansicht über das Nervensystem der Nema- toden vorgetragen, doch halte ich, wie gesagt, die ontogenetischen Ergebnisse nicht für ausreichend, um dieselbe zu begründen. (Vgl. hierüber, wie über die Ontogenie der Nematoden GoETTE, Abhandl. z. Entwicklungsgeschichte der Thiere 1. und 2. Heft. Leipzig 1882—1884.) Taf AMM Morpholog. Jahrb Ba.x. autogr O Fitts Pies tf. Fig. 2. Erklärung der Abbildungen. ann Taf. XXIII. Schema des Nervensystemes eines Trematoden (nach GAFFRON’s Ergebnissen an Distomum isostomum). Cg die Cerebralganglien oder das Gehirn, dn Bauchnerven- und rn Rückennervenstränge; sn die beiden Seitennerven; Qu Querkom- missuren, welche sich ringförmig zwischen diesen sechs Längsnerven- strängen ausspannen. Schema einer hypothetischen Übergangsstufe zwischen dem in Fig. 1 dargestellten Nervensystem und dem eines Nematoden. Indem sich die beiden Bauchnervenstränge (bn) in der ventralen Mittellinie sehr genähert haben, hat sich die Anlage eines den Schlund umgebenden Nervenringes gebildet. In ähnlicher Weise haben sich auch die Rücken- nervenstränge (rm) in der dorsalen Rückenlinie einander genähert. Die Seitennerven sind reducirt bis auf ein vorderes (sn) und ein allein bei den Männchen erhaltenes hinteres Stück (sn punktirt), welches letztere dem sogenannten Bursalnerven der männlichen Nematoden entspricht. Eine vordere Querkommissur zwischen den Bauchnerven und dem Rest der Seitennerven (Qu’) hat sich ansehnlicher entwickelt, die übrigen Querkommissuren haben durch den Ausfall der Seiten- nerven in der größeren Ausdehnung des Körpers entsprechende Mo- difikationen erfahren. Schema des Nervensystemes eines Nematoden. Indem sich die beiden Bauchnervenstränge (bn) in der ventra- len Mittellinie völlig vereinigten und auch die Rückenstränge .(rn) eine entsprechende Vereinigung erfuhren, hat sich ein Schlundring gebildet (Nr), von welchem nach vorn die beiden vorderen Seiten- nerven (sn’) und die vier Submediannerven (sbr) entspringen. Die beiden Seitenganglien (Sg) dieses Schlundringes entsprechen wahr- scheinlich den beiden Cerebralganglien. Von den Seitennerven, welche nach hinten verlaufen, ist vorn nur noch ein ganz kurzes Stück (sr) vorhanden, welches den Beginn der noch ansehnlicher entwickelten Querkommissur (Qw’) bildet. Bei den Männchen sind die hinteren Theile der Seitennerven als die sogenannten Bursalnerven (bdsm) vor- handen, die, sammt ihrem Ursprung aus dem Analganglion (Ag) des hinteren Endes des Bauchstranges, durch punktirte Linien (bsn) darge- stellt sind. Bei den Männchen setzt sich der Bauchstrang in der durch die punktirte Linie angegebenen Weise auch noch hinter den After (a) fort. sin die beiden Sublateralnerven jeder Seite. Studien zur Entwicklungsgeschichte des Coeloms und des Coelomepithels der Amphibien. Von Bernhard Solger, Prosector und außerord. Professor in Halle a. §, Mit Tafel XXIV und XXV. Das Peritonealepithel (GEGENBAUR, O. HeRtwie, KöLLı- KER, TOLDT, WALDEYER) der Batrachier erfährt, wie ein Blick auf die der vorliegenden Abhandlung beigegebenen Tafeln lehren wird, im Laufe seiner Entwicklung eine Reihe sehr beträchtlicher Form- veränderungen, von denen namentlich die Abflachung gewisser Be- zirke des Peritonealepithels, wie sie auf Schnitten sich nachweisen lässt, schon von verschiedenen Seiten — ich erinnere an die Arbei- ten von WALDEYER, GOETTE, M. FÜRBRINGER, NUSSBAUM — hervor- gehoben worden ist. Was NussBAuMm, der neueste Autor, der unsern Gegenstand berührt, darüber beibringt, soll ausführlich hier mitge- theilt werden. »Die Versilberung frischer Präparate,« sagt der Ver- fasser!, nachdem er von dem »Übergang der kubischen Peritoneal- epithelien in die späteren flachen und breitgezogenen Formen« gesprochen hat, »lässt an der vorderen Bauchwand, auf den Nieren weit geschwungene Netze schwarzer Zellengrenzen erkennen, während auf den Geschlechtsdrüsen noch das kubische Epithel persistirt.« Diese Umbildung vollzieht sich nach demselben Autor bei Rana fusca an Larven von 6 ecm Länge, bei Rana esculenta und Alytes 1 NuUSSBAUM, Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. Arch. f. mikroskop. Anatomie. Bd. XVIII. pag. 79. Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 495 obstetricans an solchen von 4cm Länge. An einer späteren Stelle! spricht NussBaum von den »proteusartigen Gestaltungen« des Peri- tonealepithels, aber weniger mit Bezug auf Form- und Größen- veränderungen des Coelomepithels, als im Hinblick auf die verschie- denen Abkömmlinge des ursprünglichen Zellenbelags der embryonalen Bauchhöhle, nämlich auf »die flachen sogenannten Endothelien, die Wimperzellen des Peritoneums weiblicher Frösche, die Eileiterdrüsen, die Epithelien der Niere, den Fettkörper«. Das Interesse unseres Autors musste der Aufgabe, die er sich gestellt hatte, entsprechend, sich folgerichtig nur den Regionen der Leibeshöhle zuwenden, die für die Frage nach der Differenzirung des Geschlechts von Bedeu- tung sind. Der weitaus größte Theil der als Coelomepithel persistirenden zelligen Auskleidung der Leibeshöhle der Batrachier war also einer umfassenden, planmäßigen Untersuchung bisher noch nicht unter- zogen worden. Es galt daher in erster Linie, den Thatbestand zu eruiren, und die typische Folge der Zellformen durch die Beobach- tung festzustellen. Auf diesem Gebiete ist ja überhaupt noch sehr viel zu thun übrig. Die Aufstellung einer »Reihe auf einander fol- gender Formen« ist nun aber freilich — darin stimme ich Hıs (Un- sere Körperform) gern bei — noch keine Erklärung und so war denn weiterhin wenigstens der Versuch zu machen, die Momente aufzufinden, von denen die Formen des Coelomepithels beeinflusst werden. Hier- bei macht vor Allem der »Boden, auf dem die Zellen stehen«, seinen Einfluss geltend, freilich so viel ich sehe, nicht in dem Sinne, in dem RIEDEL?, dem der angeführte Passus entlehnt ist, dieses Ver- hältnis auffasst. Die Vermehrung der Zellen durch Theilung, so argu- mentirt der Verfasser, setzt eine größere vitale Energie voraus, als die einfache Ausdehnung, diese Energie ist abhängig von der Ernährung der Zellen, welche durch das unterliegende Gewebe vermittelt wird. »Zellen, die einem reich von Blutgefäßen durchzogenen Stratum auf- sitzen, wie die Peritonealzellen, sind desshalb bequem im Stande, neue Generationen zu produeiren.« So kommt es, dass die »Endothel- zellen« des Dünndarm - Mesenteriums beim neugeborenen Säugethier eben so groß sind, als beim erwachsenen; »sie müssen sich also fortwährend vermehren, um stets das unterliegende sich vergrößernde 1 1. ce. pag. 109. 2 B. RIEDEL, Das postembryonale _Wachsthum der Weichtheile, pag. 96, in: Untersuch. a. d. anatomischen Institut z. Rostock, herausgegeben von FR. MERKEL, 1874. 496 B. Solger Gewebe zu deeken«. Ich habe also, wie schon angedeutet, an den von mir untersuchten Objekten keinen Beweis für die Richtigkeit der von RIEDEL vertretenen Auffassung, so plausibel sie klingt, auf- finden können; so einfach liegen die Dinge jedenfalls nicht. Ja an Coelomzellen, die unmittelbar über größeren Blutgefäßen liegen, konnte bei ausgebildeten Batrachiern, die ja noch fortdauernd weiter- wachsen, sogar das Gegentheil von dem konstatirt werden, was nach RieDEw’s Hypothese hätte eintreten müssen. Solche Elemente ver- hielten sich, wie in dem zu den Figuren 26 und 27 gehörigen Text dargelegt werden soll, gerade so, wie diejenigen, »welche einer hya- linen Membran zunächst aufliegen, welche ein blutgefäßloses Organ begrenzt«, und die, weil sie »ihre Ernährung nur mühsam bewerk- stelligen können, sich mit einfacher Ausdehnung begnügen«. Statt eines einzelnen Gewebes, des Blutes, das mit größerer oder gerin- gerer Berechtigung für so viele, normale und pathologische Vorgänge des thierischen Organismus verantwortlich gemacht wird, hat sich mir als das die Wandlungen des Coelomepithels bestim- mende Moment die Entwicklungsstufe des zugehörigen Organs, insbesondere der Zustand der Entfaltung, die Riickbildung und das nochmalige Wachsthum des Darm- kanals ergeben. An dem unmittelbar über Blutgefäßen sich ausbreitenden Zellenbelage konnte dagegen der Einfluss mechanisch wirkender Zugkräfte deutlich er- kannt werden. Der vorliegenden Untersuchung fiel aber noch eine weitere, nicht minder wichtige Aufgabe zu, die nämlich, in einer Streitfrage von prineipieller Bedeutung Stellung zu nehmen. Durch das vortreffliche Buch: »Die Coelomtheorie«', das die Gebrüder HERTwIG zu Verfas- sern hat, ist die Diskussion über die richtige Auffassung der Leibes- höhle, wie die binnen Kurzem veröffentlichten Aufsätze von Hıs einerseits, von KÖLLIKER und WALDEYER? andererseits beweisen, wieder aufs Neue in Fluss gekommen. Endothel und Epithel sind die Losungsworte, unter denen die Parteien sich bekämpfen. Ich habe mich im Anschluss an eine Reihe gewichtiger Autoritäten für die Bezeichnung Peritonealepithel entschieden. Hıs dagegen be- zeichnet es als gänzlich unstatthaft, von einem »flimmernden Peritoneal- 10. und R. Herrwic, Die Coelomtheorie. Versuch einer Erklärung des mittl. Keimblattes, in: Jen. Zeitschr. f. Nat., Bd. XV, 1881; auch. sep. Jena. 2 Die beiden zuletzt genannten Autoren sind freilich wieder bezüglich der Lehre vom Archiblast und Parablast entgegengesetzter Meinung. & Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 497 epithel« bei Amphibien und Fischen zu reden. »Was flimmert,« sagt er wörtlich!, »ist ein echtes Epithel, das mit dem Peritoneum eben so wenig zu thun hat, als das Epithel der Fimbrien oder das Keim- epithel des Eierstocks«. Denn »die serösen Säcke sind sekundäre Bekleidungen einer ursprünglich rein archiblastisch umgrenzten Höhle«?. Auch die Wandung der Leibeshöhle erfährt nach Hıs? eine parablastische Invasion, indem Bindesubstanzzellen die Mus- kelanlagen der Leibes- und Darmwand durchwachsen. Auf diese Weise gelangt parablastisches Bildungsmaterial »an die Begrenzungs- fläche der Binnenhöhlen und kleidet als seröse Haut diese letzteren aus«. Die zelligen Elemente, welche die Oberfläche derselben über- ziehen, sind also unechte Epithelien oder Endothelien. So die Lehre von Hıs. Ich darf wohl gleich hier an dieser Stelle darauf hin- weisen, dass ich bei den von mir untersuchten Anuren von dem allerersten Auftreten der Leibeshöhle im rein zel- ligen Mesoblast an bis nach Vollendung der Metamor- phose auch nicht die geringste Andeutung eines solchen von Hıs beim Hühnchen »durch die Beobachtung kon- trollirten« Vorgangs wahrnehmen konnte. Später aller- dings, nach Abschluss der Metamorphose (vgl. Fig. 18, 20, 21, 22), schieben sich neue Elemente zwischen die schon vorhandenen Coelomepithelien ein, Zellen, von denen ich es wahrscheinlich machen werde, dass sie aus einer tieferen Mesodermschicht aufsteigen. Allein sie assimiliren sich vollkommen dem bereits vorhandenen Epithel, so dass sie später nicht mehr herauszufinden sind. Man wird also die jün- geren Elemente nicht in prineipiellen Gegensatz zu den älteren brin- gen dürfen. Es wird zweckmäßig sein, dem ausführlichen Bericht über die - erhaltenen Befunde einige Worte über das Material, auf das sich die Beschreibung stützt, und über die Behandlung desselben voraus- zuschicken. Für die Untersuchung der jüngeren embryonalen Sta- 1 W. His, Die Lehre vom Bindesubstanzkeim (Parablast). Rückblick nebst kritischer Besprechung einiger neuerer entwicklungsgeschichtl. Arb., in: Arch. f. Anat. und Phys., Antom. Abtheilung. 1882. pag. 100. — Vgl. da- gegen WALDEYER, Archiblast und Parablast, in: Arch. f. mikr. Anat., "Bd. XXI. pag. 67. 2."e.’ pag. 99. 3 W. His, Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes. Die erste Entwicklung des Hühnchens im Ei. 1868. pag. 172 und 174. Morpholog. Jahrbuch. 10. 39 498 B. Solger dien dienten mir besonders Larven von Bufo cinereus, die ich aus abgesetzten Laichschnüren erzog (Fig. 1—6, 10 und 11). Die spä- teren Stadien wurden an einer zusammenhängenden Entwicklungs- reihe von Larven des Pelobates fuscus untersucht, die nur eine erhebliche Lücke aufwies, da die Zwischenformen zwischen den Lar- ven von 6 mm und solchen von 1 cm Körperlänge durch einen unglück- lichen Zufall mir verloren gegangen waren (Fig. 7—9, 12—18, 28 und 29). Kontinuirliche Entwicklungsreihen der späteren Periode standen mir ferner von Rana esculenta zu Gebote; zur Ausfüllung anderweitiger Lücken dienten jüngere und ältere Exemplare von Rana fusca, Bombinator igneus und endlich Salamandra maculosa. Daran reihen sich endlich noch einige an Petromyzon fluviatilis erhaltene Befunde (Fig. 34 und 35). — Um Querschnitte durch den ganzen Larvenkörper zu erhalten, wurden die Objekte auf kurze Zeit in 1/, 0/jige Chromsäure gebracht, dann in Alkohol ausgewaschen und nachgehärtet, hierauf mit dem von GRENACHER empfohlenen alko- holischen Boraxkarmin in toto gefärbt und schließlich, um zusam- menhängende Schnittreihen zu erhalten, in Celloidin eingebettet. Bei älteren Entwicklungsstadien kam es mir namentlich auf Flächen- ansichten an. Zu diesem Behufe wurden die frischen Gewebsstücke in eine Mischung gleicher Volumina !/,°/,iger Lösung von Argen- tum nitricum und Osmiumsiiure! getaucht. Ich habe den Zusatz von Osmiumsäure als zweckmäßig befunden, weil die allzu stürmi- sche Silberreduktion, die dem ganzen Gewebsstück einen stark braunen Ton verleiht, meiner Erfahrung nach dann auszubleiben pflegt, oder doch weniger störend sich geltend macht, als wenn das Silbersalz für sich allein eingewirkt hatte, und weil zweitens die oberflächlich gelegenen Gewebselemente ihrer Unterlage, die durch die Osmiumsäure gleichfalls fixirt wird, inniger anhaften, was bei der späteren Übertragung der Präparate in Kanadabalsam oder Dam- marharz von Bedeutung ist. Als weiterer Vortheil kann noch hervor- sehoben werden, dass die bekannte Osmiumwirkung auf Fett, Nerven- mark und dgl. durch die Gegenwart des Silbersalzes nicht alterirt wird. Um brauchbare Präparate zu erhalten, genügt es, von dem Gewebsstiickchen nach der Reduktion des Silbersalzes direkt oder nach Einwirkung von dünnerem Alkohol mit einer feinen Schere dünne Splitterchen zu entnehmen, die man zweckmäßig so zurecht- schneiden kann, dass sie auch noch auf dem Objektträger die Rich- 1 S. Centralblatt f. d. med. Wissensch. 1883. Nr. 19. Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 499 tung der Lingsachse des Organs, des Darmkanals z. B., erkennen lassen. Besonderes Gewicht legte ich auf die genaue Wiedergabe der Dimensionen der untersuchten Organe oder Gewebselemente. Die weitaus größte Anzahl der Figuren ist mit dem Zeichenappa- rat entworfen und bei einem und demselben Abstand wiedergegeben, so dass größere Reihen der Abbildungen direkt mit dem Zirkel mit einander verglichen werden können. Natürlich musste für diejenigen Zeichnungen, welche Durchschnitte durch den ganzen Larvenkörper darstellen, ein anderer Maßstab gewählt wer- den, als für die Flächenansichten und Durchschnitte des Peritoneal- epithels. Für die ersteren (mit + hinter der Nummer der Figur be- zeichnet) wurde Obj. I und Ocular O des Scureck’schen Zeichen- Apparats verwendet, für die letzteren (mit ++ markirt) Obj. VII und Oc. O; der Abstand des Zeichenapparats war stets derselbe und entsprach der Entfernung des Prismas von dem Objekttisch. Selbst- verständlich begnügte ich mich bei der Untersuchung mit diesen Systemen nicht, sondern verwandte, wo es angängig war, stärkere Linsen, besonders auch die homogene Immersion Nr. I von HART- NACK, die mir durch die Güte des Herrn Professor Dr. EBERTH zur Verfügung stand. Auch sonst bin ich den Direktoren des anatomi- schen Instituts, den Herren Professoren WELCKER und EBERTH, für die liberale Bewilligung der Mittel zur Ausführung der Untersuchung zu größtem Dank verpflichtet. Zur Erlangung lebender Neunaugen, die in der nächsten Umgebung von Halle leider nicht oder nur ganz vereinzelt vorkommen, war mir Herr Dr. SCHÖNLEIN freundlichst behilflich. Den Stoff gliedere ich in sechs Hauptabtheilungen mit folgen- dem Inhalt: I. Das Auftreten der Leibeshöhle (hierzu Fig. 1—11); II. die Umwandelungen des visceralen Peritonealepithels im Be- reich des Darmkanals (hierzu Fig. 12—24) ; III. Beispiele von Formveränderungen der Coelomepithelzellen, die in Anpassung an darunter liegende Gebilde (lymphoide Plaques, Blutgefäße) zu Stande kommen (hierzu. Fig. 25 bis 27); IV. Bemerkungen über das viscerale Pleural- und Pericardial- epithel (hierzu Fig. 283—30) ; 32" 500 B. Solger V. Bemerkungen über die sogenannten Stomata des Bauchfells der Batrachier (hierzu Fig. 32 und 33) und endlich VI. Notizen über das Coelomepithel von Petromyzon fluviatilis (hierzu Fig. 34 und 35). I. Das Auftreten der Leibeshöhle (hierzu Fig. i—11). (Eigene Beobachtungen.) Bei Larven von Bufo cinereus, von 2 mm Länge (Fig. 1), findet sich von einer Leibeshöhle (Pleuro- peritonealhöhle) keine Spur. Eben so wenig entdeckt man an zu- sammenhängenden Schnittreihen durch solche Objekte eine Andeutung des Segmentalgangs (WoLrr'schen Gangs der Autoren). Die Meso- blastanlagen, deren man nach O. HERTWIG drei unterscheiden muss, nämlich zwei (paarige) dorsale und eine (unpaare) ventrale, haben im hinteren und vorderen Leibesabschnitt den Dotter vollständig umwachsen (Fig. 2); sie sind dagegen in den mittleren Bezirk, wie sowohl Querschnitte (Fig. 3) als Längsschnitte lehren, in der ven- tralen Mittellinie noch nicht zur Vereinigung gelangt. In dem vor- dersten ventralen Abschnitt des Mesoblast beginnt zu dieser Zeit die’ Pericardialhöhle ventral von der Anlage des Vorderdarms als bogen- förmige Spalte aufzutreten. — Braunes Pigment findet sich nicht nur im Epiblast und dessen Abkömmling, dem centralen Nerven-. system, sondern auch in den das primitive Darmlumen ringsum begrenzenden Entoblastzellen, so wie ventral von denselben, ferner in der Chorda so wie in dem unteren, medialen Winkel der Mesoblast-Somiten (Urwirbel), die sich zum Theil schon von dem übrigen Mesoblast abgegliedert haben. Ein Segment der zwei äußeren Keimblätter aus dem in Fig. 2 abgebildeten Querschnitt, wie es sich bei Untersuchung mit stärke- ren Systemen ausnimmt, ist in Fig. 10 abgebildet. Der Maßstab ist genau derselbe wie in den später folgenden Flächenansichten des Coelomepithels älterer Entwicklungsstadien. Die dargestellte Strecke gehört der seitlichen embryonalen Leibeswand an; man bemerkt, dass der dem zweischichtigen Epiblast eng anliegende Mesoblast hier gleichfalls aus zwei Zellenschichten sich zusammensetzt, die mit oft unterbrochenen zackigen Konturen in einander greifen. An Pelobateslarven von etwa 6 mm Länge war, wie ich hier einschalten möchte, an Frontalschnitten, die ventral von dem Seg- mentalgang geführt waren, der Mesoblast im vorderen Abschnitt, wo schon die Leibeshöhle aufzutreten begonnen hatte, mehrschichtig, in Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 501 ‘der hinteren Körperhälfte dagegen gleichfalls deutlich aus zwei Zel- lenlagen zusammengesetzt, deren Zellengrenzen in gleichem Abstand von der lateralen und medialen Fläche des Mesoblast und koncen- trisch mit demselben verliefen. Auf diese Weise entstand der Anschein eines glattrandigen Spaltes zwischen zwei Zellenlagen. An anderen Präparaten der gleichen Entwicklungsstufe des Mesoblast war von einer Trennungslinie inmitten der Mesoblastzellen keine Spur wahrnehmbar. Es handelt sich also um ein mehroder weniger scharf aus- gesprochenes Hervortreten der Zellengrenzen, nicht aber etwa um eine Andeutung eines ehemaligen Hohl- raums. Ich verweise bezüglich dieses Punktes auf die Angaben ‘von O. Hertwie. Nach diesem Autor entsteht zwar bei Triton die ‘hier in Frage kommende Mesoblastpartie durch Einfaltung von dem Epithel des Urdarms aus, und zwar in Form paariger, peripherisch ‘in einander umbiegender epithelialer Lamellen, einer parietalen und ‘einer visceralen. Aber diese beiden Lamellen sind hier schon, wenn ihre Verbindung nicht durch den Zug des Messers beim Schneiden ge- lockert wird, normalerweise fest auf einander gepresst. Von dem- selben Autor ist aber weiterhin für die Batrachier der Nachweis geliefert worden, dass hier von Anfang an die dorsalen, paarigen Mesoblastanlagen, um die es sich zunächst handelt, als kompakte Zellenwucherungen auftreten, die mehr als zwei über einander ge- schiehtete Zellenlagen erkennen lassen. Einen weiteren Unterschied zwischen der Entwicklung des Mesoblast bei den Tritonen einerseits und den Anuren andererseits findet endlich OÖ. Herrwic darin, dass bei den ersten Formen derselbe vom Entoblast, bei den letzteren dagegen vom Ektoblast abzuleiten sei. Für diese Entwieklungsweise des Mesoblast bei den Anuren spricht nach dem eitirten Forscher besonders auch die Pigmentirung dieses Keimblatts. Diesem letzteren Argument kommt freilich nur beschränkte Beweis- ‘kraft zu, denn es unterliegt der Grad der Pigmentirung der drei ‘Keimblitter, aus leicht ersichtlichen Gründen, bei den einzelnen Amphibienformen der größten Verschiedenheit. Für Bufo cinereus ‚meldet schon STRICKER, dass die »Wand des Urdarms, welche dem Achsenblatt angehört«, also die dorsale Wandung desselben, braun gefärbt sei. Nach meinen Erfahrungen erstreckt sich später die Pigmentirung auch auf die (primitive) ventrale Wand! 1 Wo man sie, wenn man erwägt, dass das Ei von Bufo cinereus zur Zeit ‘der Gastrulabildung an seiner Oberfläche durchaus schwarz erscheint, gleich von Anfang an erwarten sollte, 502 B. Solger desselben und tief indieselbe hinein, ja es erhalten sick sogar Pigmentschollen in reichlicher Menge bis zur vollen- deten Umbildung der Entoblastzellen in echte eylindri- sche Dünndarm-Epithelzellen, wie ich an mehreren etwa 2cm langen, fußlosen Larven derselben Species, deren Darm schon län- gere Zeit die bekannte Aufrollung in Form einer doppelten Spirale zeigte, auf Flichenansichten und Querschnitten feststellen konnte. Die Figuren 4—6 beziehen sich auf ein etwas weiter entwickel- tes Stadium von Bufo. Der Embryo hatte etwa eine Körperlänge von 3 mm, der Schwanz war im Begriff hervorzuwachsen. Der Querschnitt, welcher Fig. 5 zu Grunde liegt, ist in der Richtung der Horizontallinie bei V (Fig. 4) durch den Körper hindurch geführt, derjenige der Fig. 6 weiter oralwärts bei VJ. Der Seg- mentalgang (sg in Fig. 5) hat sich von dem Mesoblast seiner ganzen Länge nach abgeschniirt, die Vorniere (vz in Fig. 6) ist be- reits aufgetreten, allein die ventralen Enden der paarigen Mesoblast- anlage sind auch jetzt noch nicht unter sich zur Vereinigung ge- langt!. So kommt es, dass der Hohlraum des sogenannten Leberdivertikels, dessen Boden durch die Resorption der dort liegenden Dotterzellen auf die Strecke von einigen Schnitten resorbirt ist, in der Gegend der ven- tralen Mittellinie direkt von dem Epiblast überbrückt wird. Was uns aber hier am meisten interessirt, ist das Auftreten eines noch wenig ausgedehnten, auf dem Querschnitt dreieckigen, wei- ter nach hinten zu linearen Spaltes, der Leibeshöhle (Fig. 6). Die Leibeshöhle tritt also bei Bufo cinereus zuerst in dem vordersten, dorsalen Abschnitt des (nach Abgliederung der Somiten übrig bleibenden) Mesoblast auf, medial von der Vorniere. Die weitere Entwicklung habe ich an einigen Stadien von Pe- lobates fuseus untersucht, dort war es aus Mangel an Material lei- der nicht möglich, dieselbe bis zur vollkommenen Ausbildung zu verfolgen. Das erste Auftreten der Leibeshöhle macht sich auch hier in demselben Mesoblastbezirk wie bei Bufo bemerklich. Bei Larven von etwas über 2 mm Körperlänge, deren Schwanz eben hervorsprosst, sieht man an der bezeichneten Stelle ein spindel- förmiges Lumen, das aber zu dieser Zeit nur über wenige Schnitte nach hinten sich fortsetzt. Während in diesem Stadium die Leibes- ! In wie weit sich der unpaare, ventrale Mesoblaststreifen an dem Schluss dieser Lücke betheiligt, lasse ich einstweilen dahingestellt, Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 503 höhle nur eine dorsale (zugleich parietale) und eine ventrale (zugleich viscerale) Wandung unterscheiden lässt, ändert sich bald darauf das Bild. Zu den beiden Begrenzungsflächen gesellt sich, wie bei Bufo, noch eine dritte, mediale hinzu, die dem Lumen eine konvexe Fläche zuwendet und deren Konkavität die Anlage der Glomeruli der Vorniere birgt. Zerlegt man endlich eine 6 mm lange Larve von Pelobates mit äußeren Kiemen, wie eine solche in Fig. 7 in dreifacher Vergrößerung wiedergegeben ist, in der Richtung vom Schwanz- gegen das Kopfende in Schnitte, so begegnet man den bezeichneten Entwicklungsstadien der Leibeshöhle in der Reihen- folge, wie sie geschildert wurden. Man trifft im Bereich des hinteren Leibesendes den Mesoblast noch ungespalten, weiter nach vorn innerhalb seines dorsalen Abschnit- tes einen linearen, dann spindelförmigen Spalt, der noch mehr oralwärts dreieckig wird und zunächst noch in Form und Ausdehnung symmetrisch sich verhält. Noch näher gegen das Kopfende hin ändert sich aber das Bild. Die Form der Leibeshöhle ist asymmetrisch, denn rechts erscheint sie im Querdurchmesser weit geräumiger als links (Fig. 9). Es hängt diese Asymmetrie mit der weiteren Entwicklung des Darm- kanals und seiner Adnexa zusammen, bezüglich deren ich auf die von GoETTE! mitgetheilten Abbildungnn verweise. Übrigens ist auch linkerseits eine Besonderheit wahrzunehmen. Die Leibeshöhle zeigt auf dem Querschnitt zwei Lumina, ein dorsales, welches von dem Gefäßknäuel bis etwa zur Mitte der Vorniere sich herab erstreckt, und eine ventral davon gelegene spaltartige Lichtung. Beide sind durch die wieder bis zur Berührung einander genäherten Lamellen, der parietalen und der visceralen Mesoblastlamelle, von einander getrennt. Ich werde weiter unten auf dieses zuerst von GOETTE bemerkte Verhalten zurückkommen. Über die Formverhältnisse des Coelomepithels, das mit dem Moment des Auftretens einer Leibeshöhle unterscheidbar wird, bemerke ich Folgendes. So lange die Leibeshöhle spaltförmig ist, unterscheidet sich die zellige Ausklei- dung derselben in nichts von den übrigen Mesoblast- zellen; diese sind eben nur einfach aus einander gewichen. Nun treten aber gerade in der dorsalen Hälfte des Mesoblasts die Gren- zen der einzelnen Zellen nur sehr wenig hervor, so dass man zur 1 A. GOETTE, Entwicklungsgesch. der Unke. Taf. XX Fig. 352—355, 504 B. Solger Beurtheilung der Zellenform auf die Form und den Abstand ihrer Kerne angewiesen ist. Fasst man diese Merkmale zusammen, so gelangt man zu der Vorstellung von mehr niedrigen als hohen Ele- menten, deren breitere Flächen dem Epiblast, resp. dem Dotter zu- gewendet sind, und die also zwischen typischen Cylinderzellen und - Plattenepithelzellen die Mitte halten. Weit mannigfaltiger aber sind die Formen geworden, wenn man die Auskleidung der auf dem Quer- schnitt dreieckigen Leibeshöhle untersucht. Die viscerale Wandung trägt schon Elemente, die von den niedrigen Schiippchen, welche den weitaus größten Theil des ausgebildeten Peritoneums überziehen, sich wenig (Fig. 11, Bufo) oder gar nicht mehr (Pelobateslarven von 6 mm Körperlänge) unterscheiden. Im Bereich der parietalen Wand scheint sich, wohl im Zusammenhang mit der Entwicklung der Vor- niere,. die Form leicht gewölbter Zellen etwas länger zu erhalten, während die gegen die Leibesmitte zu konkave, mediale Wand von einer einfachen Schicht halbkugeliger Zellen überkleidet wird. Ganz ähnlich lautet die Schilderung, die FÜRBRINGER von den Formveränderungen des Peritonealepithels der Amphibien (Rana temporaria und Triton alpestris) von entsprechender Entwicklungs- stufe entwirft; er sagt wörtlich wie folgt: »Die Epithelzellen des Peritoneums sind Anfangs, namentlich im Bereiche des visceralen Blattes, von ansehnlicher Höhe und nicht so sehr von denen der Vorniere unterschieden, werden aber mit der höheren Entwicklung und der größeren Ausdehnung der Bauchhöhle immer niedriger, bis sie endlich am Ende der Entwicklungsperiode ganz flache Plattenepithel- zellen von nur 0,003—0,005 mm Höhe darstellen, die nun bedeutend von denen der Vorniere abweichen«!. Uber die Deckepithelien des Glomerulus der Vorniere meldet er Folgendes: Sie »gehen bereits beim Entstehen des Glomerulus eine eigenartige Differenzirung gegen- über den übrigen Zellen des visceralen Peritoneums ein, indem sie sich wie bei Bombinator igneus (GoETTE?), auch bei Rana tempo- raria und Triton alpestris zu rundlichen und ungleich großen Zellen entwickeln, welehe dem Glomerulus eine unregelmäßig höckerige Oberfläche verleihen und ihre eigenthümliche Gestalt auch noch eine Zeit lang bewahren, nachdem die anliegenden Epithelzellen des Pe- ritoneums sich bereits abgeflacht haben«?. 1M. FÜRBRINGER, Zur vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgesch. d. Exkretionsorgane der Vertebraten, in: Morphol. Jahrb. Bd. IV, pag. 7. 2 1.-e.ipag:'B24, 3 ]. c. pag. 8. Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 505 Von rein mechanischen Momenten, wie Druck oder Zug, sind diese Formveränderungen unmö li Vabzuleiten. Ich betone aus- 8 vg drücklich, dass ich den Einfluss 5 Faktoren keineswegs leugne. Dass die Zellen der Schleimhäute mit dem ala stand der Or- sane, welche sie überkleiden, ihre Form verändern, ist so allgemein bekannt, dass es genügen wird, hier n urz darauf hingewiesen zu haben. Ich erinnere an das Verhalten der Epithelien der Lunge {HüTTNer [1876], DE LA Crorx [1883)) und der Harnblase (PAnerH [1876], Lonpon [1881], OÖBERDIECK [1884]). Weniger bekannt dürfte es sein, dass auch die sogenannten »Endothelien« (im Sinne von His‘), deren vollkommen abgeplattete Gestalt als charakteristisch für sie angesehen wurde, unter gewissen Umständen regelmäßig kegelförmig und selbst kubisch werden können. So hat z. B. Renavur? vor Kurzem (1881) nachgewiesen, dass die Gefäßendothelien in Abhän- gigkeit von der Spannung der Gefäßwand auf dem Querschnitt sehr verschiedene Formen zeigen. Denselben Nachweis hatte früher schon Kuri für die zellige Bekleidung der Pleura pulmonalis geliefert, und zwar besonders schlagend an der Lunge des Meerschweinchens. Nach ihm ist das Endothel der Lungenpleura nur im Zustand der Inspiration so abgeplattet, wie es als typisch gilt. Bei der Ex- spiration ändert sich mit dem Volumen der Lunge auch die Gestalt der Zellen ihrer Serosa. Statt abgeflachter Plättchen sehen wir nun konische, oder selbst eylindrische Zellen, deren Kern in die Mitte des Zellenleibes gerückt ist. In unserem Fall freilich, bei der Formveränderung des Coelom- epithels der Batrachierlarven trifft wenigstens für das in den Fig. 6, 9 und 11 abgebildete Entwicklungsstadium die Voraussetzung rein ! RAnvIer's Vorschlag (s. dess. techn. Lehrb. pag. 231 Anm.), als Endothel jedes Epithel zu bezeichnen, das aus einer einzigen Schicht von Zellen besteht, welches auch sein Ursprung sei, hat in Deutschland wohl auf keiner Seite Zustimmung gefunden. Bei der großen Bedeutung, welche der ver- gleichenden Histologie und ganz besonders der vergleichenden Embryologie für die richtige Auffassung des fertigen und des werdenden menschlichen Orga- nismus zukommt, wird man doch immer, wenn es sich um derartige Neuerungen handelt, im Auge behalten müssen, eine allgemein gültige Bezeichnung in Vorschlag zu bringen. Nach RANVIER müsste man beispielsweise das aus einer einfachen Zellenlage bestehende Ektoderm gewisser Spongien (Spongelia, F. E. SCHULZE), das mit seinen platten, polygonalen Elementen die gesammte äußere Oberfläche überkleidet, als Endothel bezeichnen. — Vgl. auch ZOERNER, Bau und Entwicklung des Peritoneum. Dissert. Halle 1881. pag. 8. 2 Arch. de phys. 1881. pag. 191. 506 B. Solger mechanischer Momente ganz und gar nicht zu. Wenn dem wirklich so wire, dann miisste die Wirkung derselben an den verschiedenen Wandungen in gerade entgegenbesetzter Weise sich äußern. Die Lo- kalität, auf weléhe am ehesten ein energischer Zug, und zwar durch Wucherung benachbarter Gebilde ausgeübt werden könnte, ist offen- bar die mediale Wand @es Coeloms. Aber hier gerade sehen wir das Gegentheil von dem, was unter dieser Voraussetzung eintreten müsste, nämlich halbkugelig gewölbte Zellenkörper, während die vis- cerale Wand, die weder in ihrer Form noch ihrer Ausdehnung irgend eine erkennbare Änderung erleidet, ganz flache Schüppehen trägt. Druck- und Zugkräfte beeinflussen wohl wäh- rend des postembryonalen Lebens mit zwingender Ge- walt die Struktur und die Form der Organe aus der Bindesubstanzgruppe, für die sie die Rolle eines adae- quaten Reizes spielen, allein vor dem Auftreten der Stützgewebe (Bindegewebe, Knorpel, Knochen) im Embryonalleibe wird ihre Wirkungsweise auf die Ge- webe eine vorwiegend destruirende sein müssen. Man wird also darauf verzichten müssen, die Abflachung des Coelomepithels auf so einfache mechanische Weise zu erklären. Es fragt sich weiterhin, wie man sich den Mechanismus der Spaltung des Mesoblast, dessen Resultat eben die Bildung der Lei- beshöhle ist, vorzustellen habe. Das Coelom entsteht ja, wohl bei vielen Wirbellosen, den Echinodermen, Brachiopoden, Enteropneusten und Chaetognathen, und bei Amphioxus, wie mit Sicherheit nachge- wiesen wurde, als paariges Divertikel der Darmhöhle. Allein bei den Amphibien, und namentlich bei den Anuren, ist dieser Entwick- lungsmodus, wie schon erörtert, mehr oder weniger verwischt und insbesondere entbehrt der Mesoblast Anfangs einer Lichtung. Die spätere Leibeshöhle steht zu keiner Zeit ihrer Entwicklung mit dem Lumen der Urdarmhöhle Archenteron BaLrour) in offener Kommu- nikation; sie muss also das Ergebnis späterer Entwicklungsvorgänge sein, für die wir zur Zeit eine befriedigende Erklärung nicht geben können. Für Bombinator igneus konstatirte GoETTE! die Thatsache, dass »die seröse Leibeshöhle sich zuerst im Bereiche der noch jungen Urnierenanlage? und zwar nur im nächsten Umfang der peritonealen 1]. e. pag. 823. 2 Vorniere (W. MULLER). Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 507 Mündungen dieses Organs« sich öffnet. Es ist dies aber nicht so zu verstehen, als ob das Lumen der Vorniere unabhängig von der Leibeshöhle sich bilde. Die Leibeshöhle ist allerdings zur Zeit der Bildung der Vorniere (»Urnierenanlage«) nur »spaltförmig«; allein sie kommunicirt dort frei durch einen »hohlen Stiel« mit jener taschen- artigen Ausstülpung, welche die erste Entwicklungsstufe jenes Or- gans darstellt. Ganz ähnlich spricht sich FÜRBRINGER! aus. Bei Embryonen von Rana temporaria von circa 2,5 mm Länge (und eben so bei solchen von Triton alpestris von circa 2,0 mm Länge) »entwickelt sich die erste gemeinsame Anlage der Vorniere und ihres Ganges beiderseits in Gestalt einer rinnenartigen Ausstülpung des aus circa 0,02 mm hohen kubischen Epithelzellen zusammengesetzten parietalen Peritoneums; und zwar bildet sich dieselbe zuerst im vor- dersten Bereiche der Bauchhöhle, wo sie zugleich die größte Breite zeigt und die erste Anlage der Vorniere repräsentirt und setzt sich von hier aus verjüngt als Anlage des Vornierenganges in successive abnehmender Entwicklung distalwärts nach hinten fort«. Also auch hier besteht -schon die Leibeshöhle zur Zeit der beginnenden Aus- stülpung (s. FURBRINGER’s Fig. 1). Die erste Anlage der Vorniere und ihres Ausführungsganges kenne ich leider weder bei Bufo noch bei Pelobates aus eigener Anschauung. Der Vorgang vollzieht sich jedenfalls sehr rasch, und die von mir geschnittenen Embryonen waren entweder zu jung (Fig. 1) oder schon zu weit vorgeschritten (Fig. 4). Ich kann also auch nicht sagen, ob für diese Formen die ältere von FÜRBRINGER im Anschluss an W. MÜLLER und GoETTE bekämpfte Anschauung, nach welcher die Vorniere und deren Gang »retroperitoneal an der Grenze der Haut- und Mittelplatten als ursprünglich solide Anlage, die erst sekundär hohl wird«, sich differenzirt, für Bufo und Peloba- tes wieder zu rehabilitiren ist. Auffallend ist aber doch der Um- stand, dass nach Abschnürung des Vornierenganges, dessen Lumen deutlich wahrnehmbar ist, eine Zeit lang im Bereich desselben? bei Bufo und Pelobates keine Spur einer Leibeshöhle zu erkennen ist. Wahrscheinlich legen sich das parietale und das visce- rale Blatt nach Absehnürung des Vornierenganges wie- der innig an einander. Es wäre dieser Vorgang direkt jenem an die Seite zu stellen, der bei Bombinator igneus (GOETTE), bei Mlle. pares 3: 2 Ob auch lings der Vorniere, muss dahin gestellt bleiben. 508 B. Solger Rana temporaria und Triton alpestris (FURBRINGER), ferner bei Bufo und Pelobates (vgl. Fig. 9) zu einem vorübergehenden Abschluss des Vornierentheils der Bauchhöhle von dem Hauptabschnitt dersel- ben führt. II. Die Umwandlungen des visceralen Peritonealepithels im Bereich des Darmkanals (hierzu Fig. 12—24). Da bei der hochgradigen Abflachung des Peritonealepithels, die schon so frühzeitig in größter Ausdehnung Platz greift, von Quer- schnitten ein befriedigendes Ergebnis nicht zu erwarten war, be- diente ich mich zur weiteren Untersuchung, um über die bei der Flächenansicht erkennbaren Formveränderungen ins Klare zu kom- men, besonders der Imprägnation mittels des Silber - Osmium- Gemisches. Schon in den Vorbemerkungen wurde darauf hingewie- sen, dass es mir leider unmöglich war, die Lücke des Untersuchungs- materials, die zwischen den 6 mm langen Pelobateslarven und solchen von 1 cm Körperlänge bestand, auszufüllen. Die ersten Flächenansichten setzen daher erst bei dem zuletzt genannten Sta- dium ein. Die Stelle des Darmkanals, von der die Präparate der Serosa entnommen wurden, findet sich in der Tafelerklärung stets ausdrücklich bemerkt. Wenn vom Dünndarm schlechtweg die Rede ist, so ist dies immer in dem Sinne zu verstehen, dass mittlere Bezirke desselben zur Untersuchung gedient haben. Pelobates. Bei Larven mit äußeren Kiemen, von 1 cm Kör- perlänge, besteht das viscerale Peritonealepithel des Dünndarms aus unregelmäßig vierseitigen vollkommen abgeplatteten Schiippchen, deren Kerne nur sehr wenig über die freie Fläche prominiren. Die Konturen derselben zeigen nach der Einwirkung des Silbersalzes breitere, lappenartige Fortsätze und kleinere Zähnelungen (Fig. 12). Der längste Durchmesser des Zellenkörpers beträgt etwa 0,05 bis 0,06 mm. Es ist wohl beinahe überflüssig zu versichern, dass es sich bei einer so typischen Formenreihe, wie die Fig. 12—24 sie vorführten, die bei einer großen Anzahl von Individuen jedes Mal in derselben Folge sich ergab, unmöglich um Kunstprodukte handeln kann. Überdies wurde mehrfach nachträglich noch mit Hämatoxylin gefärbt, um innerhalb der verschieden geformten Fel- der die zugehörigen Kerne hervortreten zu lassen. — Die folgende Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeioms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 509 Figur (Fig. 13) ist einer nur wenig größeren Larve (von 1,2 em Körperlänge, äußere Kiemen schon zurückgebildet) entnommen. Die zelligen Elemente sind mehr in die Länge gestreckt und ihre Um- risse außerdem weit reicher verästelt. Eine große Menge längerer und kürzerer Fortsätze falzt sich in entsprechende Vertiefungen der benachbarten Elemente ein, so dass der Vergleich mit den vielfach ausgebuchteten Holzplättehen des bekannten Geduldspiels, den AEBY und RANVIER in ihren Lehrbiichern zur Veranschaulichung ähnlich gestalteter »Endothelzellen« gewisser Lymphkapillaren gebrauchen, auch für unsere Gebilde vollkommen passend erscheint. Das Schalt- plättehen bei s ist wohl dadurch entstanden, dass die Silbernieder- schläge, die den Kittleisten folgen , über der schmalen Substanz- brücke, welche den Fortsatz mit dem Zellenleib verbindet, zusam- mengeflossen sind. Fig. 14; deren Vorlage einer 3 cm langen Larve entstammt, zeigt die Ramifikation zur höchsten Entfaltung gelangt. Hand in Hand mit dieser zunehmenden Verästelung geht auch das Längenwachsthum des in doppelter Spi- rale aufgerollten Darmkanals, das bald seinen Höhe- punkt erreicht hat. Ich will bei dieser Gelegenheit die Bemer- kung einschalten, dass die Bilder wesentlich in derselben Weise wiederkehren, mag man eine prall mit Ingestis gefüllte Darmschlinge zum Präparat ausersehen haben, oder den Darm vor dem Eintauchen in das Reagens durch Anschneiden seiner Wand vollkommen entleert haben. Die mit B, C und D bezeichneten Abbildungen der Fig. 15 deuten schon auf die beginnende Rückbildung des Larvendarms hin. Einer 7,5 cm langen Larve wurde ein Rechteck von der Größe A aus der Wandung der mittleren Partie des Dünndarms heraus- geschnitten und in. der bekannten: Weise behandelt. Im Bereich dieses kleinen Stiickchens waren nicht weniger wie drei deutliche Zellenvarietäten, möchte ich sagen, vertreten, nämlich eine den Stei- nen des Geduldspiels: ähnliche Form (B), eine zweite nur sehr wenig ramifieirte von unregelmäßig viereckiger Gestalt (D) und eine mitten innen ‚stehende Ubergangsform (C), die außerdem noch eine deut- liche Gliederung in Gruppen (g,9)! von 4—6 Zellenindividuen‘ er- kennen ließ, die durch gleiche Form des Zellenleibes und gleiche Richtung ihrer längsten Durchmesser übereinstimmten. Eine der- ! Eine solche Anordnung habe ich auch bi etwas älteren Larven von Bufo wahrgenommen. 510 B. Solger artige Anordnung ist tibrigens auch noch bei der Form D angedeu- tet. — Von den zuletzt erwähnten Elementen bei D ist eben so- wohl hinsichtlich der Form, als der Größe ein ziemlicher Sprung zu der nächsten von mir festgestellten Zellenformation (Fig. 16). Wohl vier oder fünf dieser letzteren Elemente wären erforderlich, um das Feld einer einzigen Zelle von dort zu decken. Die Fortsätze sind ganz eingezogen, die Zellenkörper stellen ziemlich regelmäßige Fünf- oder Sechsecke dar. Sie stammen von einer vierbeinigen Larve von 6 em Körperlänge, deren Schwanz sich zurückzubilden begonnen hatte. Die gleichzeitig vorgenommene Untersuchung des Darmkanals ergab eine sehr beträchtliche Längen- reduktion desselben; die spiraligen Touren sind ganz verschwunden, und die Anordnung des Nahrungsrohres gleicht wesentlich derjenigen der erwachsenen Indi- viduen. — Die folgende Figur (17) zeigt einige, aber nur gering- fügige Verschiedenheiten von der vorhergehenden, die vielleicht aus einer neuerdings auftretenden Längenzunahme des Darmtractus, für die sich bald noch deutlichere Merkmale ergeben werden, sich erklären lassen. Das der Figur zu Grunde liegende Präparat war aus der Dünndarmserosa einer vierbeinigen (3 cm langen) Larve hergestellt worden, deren Schwanz fast ganz zurückgebildet war. Ist dann die Metamorphose vollendet, so treten zwischen den voluminöser gewordenen älteren Coelomzellen neue Elemente (Fig. 16d) auf, drängen sie gleichsam aus einander und gelangen auf diese Weise allmählich vollkommen in das Niveau derselben. Ihre bald spindel- förmige, bald rundliche Gestalt erklärt sich daraus, dass sie allmäh- lich immer weniger von den benachbarten Elementen überlagert wer- den. Sie fallen, mit der Silber-Osmium-Mischung behandelt, sofort durch ihr dunkles körniges Aussehen auf. Da ich sie bei der gleichen Behandlung einer sehr großen Anzahl von Objekten, aus den früheren Entwicklungsperioden niemals bemerkte, muss ich sie für Bildungen erklären, welche dem Larvenleben fremd sind. Rana. Ganz übereinstimmende Befunde erhält man von den ent- sprechenden Entwicklungsstufen von Rana. Fig. 19, deren Original einer Froschlarve (Rana esculenta) mit drei Extremitäten entnommen ist, kann der Fig. 15, die Fig. 20 und 21 der Fig. 18 an die Seite gestellt werden. Die in Fig. 16 und 17 von Pelobates dargestellten Zwischenstufen habe ich hier nicht beobachtet. Nach der Vollendung der Metamorphose, wenn der Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 511 Darmkanal den äußersten Grad der Rückbildung er- reicht hat, beginnt für dieses Organ wieder eine neue Wachsthumsperiode, welche natürlich auch auf das viscerale Coelomepithel ihren Einfluss geltend macht. Derselbe äußert sich einmal in der deutlich hervortretenden Neigung der Coelom- zellen, neuerdings Fortsätze freilich nicht so mannigfaltiger Form wie früher, auszusenden (Fig. 20), und sodann in dem Auftreten jener rundlichen, körnigen Elemente, die ein- zeln oder paarweise in den Zwischenräumen der bisherigen Zellen- mosaik zum Vorschein kommen. Da die älteren Elemente bei Anwendung der Silber-Osmium-Mischung lichtgrau erscheinen, während die mit d bezeichneten neuen Gebilde einen intensiv schwarzbraunen Farbenton annehmen, so resultirt aus diesem ver- schiedenen Verhalten das charakteristische Bild, wie es in meh- reren der Figuren wiedergegeben ist. Als weiterer Unterschied kommt noch hinzu. dass nach Behandlung mit genannten Reagentien die Kerne der älteren Elemente ohne Anwendung von Kernfärbungs- mitteln (z. B. Hämatoxylin) gar nicht oder nur sehr schwer hervor- treten, während sie innerhalb des Zellenleibes der körnigen Ele- mente meist ohne Weiteres deutlich sichtbar sind (Fig. 20 und 21). Das weitere Schicksal der mit d bezeichneten Gebilde geht aus Fig. 22 hervor. Sie verlieren ihr dunkles Aussehen, was jedenfalls darauf hindeutet, dass sie protoplasma- ärmer werden, nehmen eine mehr spindelförmige oder dreieckige Gestalt (d) an und sind, nachdem auch ihr Kern unsichtbar geworden ist (d’), von den umgebenden älteren Coelomzellen nur noch durch die glatteren Um- risse zu unterscheiden, welche übrigens nach der Silberimpräg- nirung auch weniger kräftig markirt erscheinen. Das betreffende Präparat stammt von dem Dünndarm einer einjährigen, im März frisch eingefangenen Rana fusca, während das der folgenden Figur einem Fröschehen (Rana esculenta) von 3 cm Rnmpflänge angehörte, das wohl schon als Beispiel für das Verhalten des in Rede stehen- den Gewebes bei erwachsenen Individuen gelten darf. Die »körni- gen« Zellen kommen übrigens, wie aus RANviER’s Abbildung! er- sichtlich ist, auch auf der Serosa des erwachsenen Frosches zur Beobachtung. Es fragt sich nun: Wie entstehen diese körnigen Zellen \ 1]. e. Fig. 140. 512 B. Solger und wie sind sie aufzufassen? Am nächsten liegt es, sie aus den schon vorhandenen, »gewöhnlichen Endothelienc (RANVIER, 1. c. pag. 365) durch Theilung hervorgehen zu lassen. Ist eine solche protoplasma- arme Coelomzelle, wie ALTMANN' am bloßgelegten Froschmesente- rium nachgewiesen hat, im Stande, zu einer »Quelle für Eiterkörper- chen« zu werden, so könnte man wohl daran denken, dass rundliche, protoplasmareiche Elemente auch unter normalen Verhältnissen, wenn auch in spärlicherer Anzahl, aus ihnen hervorgehen möchten. Allein gegen eine solche Annahme spricht vor Allem die Thatsache, dass — nach meinen Erfahrungen — die »gewöhnlichen Endo- thelzellen« sich vollkommen passiv verhalten, während in ihrer Nachbarschaft eines jener körnigen Elemente aus der Tiefe aufzutauchen beginnt. Es ist weiterhin auch nicht zulässig, die gepaarten dunklen Elemente (z. B. dp in Fig. 21) als in der Theilung begriffene »gewöhnliche« Coelomzellen anzusehen, die schon lange vorher an diesem Platze gewesen wären und die, wie dies nach FLEMMInG? konstant zu geschehen pflegt, während sie sich zur Theilung anschicken, eine rundliche Form angenommen hätten. Denn diese gepaarten Elemente (dp) stimmen in ihrem Ver- halten gegen die bekannten Reagentien mit den isolirt auftretenden Gebilden, von denen zuerst schmale, allmählich aber sich vergrö- Bernde Segmente in den Zwischenräumen zwischen den unverändert bleibenden »gewöhnlichen« Coelomzellen sichtbar werden, vollkommen überein; sie sind also vielmehr durch Theilung aus den einzeln stehenden hervorgegangen und beiderlei Gebilde gehören zusammen. Da es daher nicht statthaft erscheint, die körnigen Zel- len von dem schon vorhandenen Coelomepithel abzu- leiten, so stammen sie wohl aus einer tieferen Schicht; schieben sich von hier erst allmählich zwischen die schon vorhandenen Coelomzellen ein und dringen bis in das Niveau derselben vor. Da keine Thatsache dafür spricht, dass das Coelomepithel im Bereich der Bauchhöhle? ein zwei- schichtiges ist, so wird die Quelle für die körnigen Zellen wohl nur in den darunter gelegenen Mesodermbezirken gesucht werden dürfen. ı R. ALTMANN, Über die Veränderungen des serösen Epithels am bloß- gelegten Froschmesenterium, in: Arch. f. mikrosk. Ant. Bd. XVI. pag.111 fg. ? W. FrLemming, Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebens- erscheinungen, in: Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XVI. pag. 302. 3 Das viscerale Pericardialepithel der Anuren ist, wie ich gefunden habe, stellenweise zweischichtig (8. u.). Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 513 Denselben Ursprung haben wahrscheinlich auch die bekannten Flim- merinseln (Fig. 31), die namentlich bei weiblichen Individuen ver- breitet sind und hier eine wichtige Verwendung bei der Überführung der Eier in die Tube finden!. Ich plaidire also für die Erzeu- sung des Coelomepithels durch Elemente, die einer und derselben Quelle, nämlich dem Mesoblast?, entstammen, aber nicht im Sinne von Hıs für einen Ersatz einer Zel- lengeneration durch eineandere, genetisch von ihr dif- ferente. Es wird sich bei Besprechung der Zellen, welche die Stomata (Enfoncements citernaux) verschließen, Gelegenheit finden, auf diese Frage zurückzukommen. Dass übrigens die Zellen des einschichtigen Coelomepithels an ihren Rändern nicht so innig mit einander verkittet sind, dass nicht tiefer gelegene zellige Elemente sie aus einander drängen könnten, geht ganz überzeugend aus zwei Beobachtungen hervor, die das Eindringen von sternförmigen Pigmentzellen in die genannte Gewebs- form betreffen, und die ich zur Stütze obiger Erörterungen hier an- führen möchte. Das Eindringen derartiger Gebilde, die von den meisten Autoren zu den Bindegewebszellen gerechnet werden, in epitheliale Bezirke hinein, ist ja gar nichts Seltenes; ich brauche hier nur an das konstante Vorkommen derselben in der Epidermis niederer Wirbelthiere und an das vorübergehende Auftreten dersel- ben in der Haut von Reptilien-Embryonen (KERBERT) zu erinnern. Aus dem Coelomepithel werden eingelagerte Pigmentzellen wohl zum ersten Mal hier erwähnt. Fig. 24 bezieht sich auf das viscerale Peritonealepithel von dem Dünndarm einer kurz nach dem Erwachen aus dem Winterschlaf (März) frisch eingefangenen einjährigen Rana fusca. Eine weitere Beobachtung machte ich an dem Peritoneal- überzug der Gallenblase eines !/,jährigen, vollkommen metamorpho- sirten Exemplars von Pelobates. Hier traten mitten in dem von mehr geradlinigen Konturen dargestellten Silbernetz mehrere Inseln eines tief schwarzen Maschenwerkes auf, dessen Schenkel mit den Silberlinien zusammenfielen; doch waren erstere gleichzeitig breiter als diese und mit kurzen seitlichen Ausläufern besetzt. In beiden Fällen hatten also aus der Tiefe nach oben wandernde sternförmige Pigmentzellen sich in Form mehr oder ! Vgl. NEUMANN, Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XI. pag. 356. 2 Die Bezeichnungen Mesoblast und Mesoderm sind hier im Sinne der Gebrüder HERTwıG (Coelomtheorie pag. 122 u. 123) gebraucht. Morpholog. Jahrbuch. 10. 33 514 B. Solger weniger engmaschiger Netze zwischen die ursprüng- lichen Coelomzellen eingelagert. Uber das weitere Schick- sal dieser Elemente weiß ich nichts anzugeben. III. Beispiele von Formveränderungen der Coelomepithelzellen, die in Anpassung an darunter liegende Gebilde (lymphoide Plaques, Blutgefäfse) zu Stande kommen (hierzu Fig. 25—27).. An der serösen Oberfläche von Darmschlingen fußloser Frosch- larven kann man mit Leichtigkeit durch Anwendung verdünnter Salpetersäure (2%) kleine, spindelförmige Felder sichtbar machen, deren Längsdurchmesser senkrecht zur Längsachse des Darmrohrs zu stehen pflegt (Fig..25 Aj. Ich bin über ihre Bedeutung nicht ganz ins Klare gekommen, vielleicht handelt es sich um Gebilde, die in die Gruppe der lymphoiden Organe gehören, die ja auch bei den Amphibien nicht fehlen (ToLpr, 1868). Worauf es mir hierbei hauptsächlich ankam, war die Verschiedenheit in dem Aussehen des Coelomepithels, je nachdem es diese Plaques oder die übrige Darm- wand überkleidet. Statt der vielfach ausgebuchteten Formen begeg- nen wir, wie ein Blick auf Fig. 25 C und B lehren wird, an ersterer Stelle einer weit weniger ausgesprochenen Verästelung der Umrisse als bei B. Noch schlagender sind die in den beiden folgenden Figuren (Fig. 26 und 27) dargestellten Belege, die sich freilich nicht mehr auf embryonale Gewebe beziehen und iiber welche ich in einer der anatomischen Sektion der Naturforscher-Versammlung zu Freiburg vorgelegten autographirten Mittheilung! Folgendes bemerkte: »Form und Anordnung der Zellen des Peritonealepithels zeigen sich bei er- wachsenen Batrachiern auf längere oder kürzere Strecken von dem Verlauf der Blutgefäße (Arterien und Venen) deutlich beeinflusst. Der oberflächlichere oder tiefere Verlauf derselben ist ohne Zweifel für diese interessante Erscheinung gleichfalls von Bedeutung. Wäh- rend zu beiden Seiten des Blutgefäßes die einzelnen unregelmäßig polygonalen Elemente ihren längsten Durchmesser, der den zweiten häufig nur wenig übertrifft, parallel oder schief zur Achse des Ge- fäßes orientirt zeigen, begegnen wir über der Gefäßwandung selbst ı S, das Referat in HormAnn’s und SCHWALBE’s Jahresbericht für 1883. Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 515 häufig einer sehr regelmäßigen Zeichnung der Epithelgrenzen. Die Zellen sind deutlich indemzur Längsachse des Gefäßes senkrecht stehenden Durchmesser verlängert. Eine Ver- wechslung mit Endothelzellen des Gefäßes oder der Lymphscheide - ist absolut ausgeschlossen. Mag man nun diese Formverschiedenheit von der mechanischen Spannung seitens der mit der Serosa ver- wachsenen Gefäßwand ableiten oder in ihr die Wirkung gleicher Wachsthumsintensität des betreffenden Peritonealabschnitts und der zugehörigen Gefäßwand sehen, jedenfalls wird man hierin den Aus- druck der Anpassung einer Epithelstrecke an den Ver- lauf und die Richtung von Blutgefäßen erkennen.« Dasselbe Verhalten habe ich übrigens wiederholt auch in der Nachbarschaft von oberflächlich verlaufenden Blutgefäßen bei Fischen und Reptilien wahrgenommen. Ich füge noch einige Bemerkungen bei, die das Zustandekommen dieser Anpassungserscheinung zu er- läutern geeignet sind. Sie kommt meinen Erfahrungen zufolge nur bei ausgebildeten Individuen vor, wo ja, eben so wie es für die Druck- und Zugkurven der Substantia spongiosa des Knochens er- forderlich ist, erst die Vorbedingungen für das Wirksamwerden oft wiederholter, regelmäßig angreifender Druck- und Zugkräfte gege- ben sind. Diese Anpassungserscheinung findet sich, wenn es sich um Blutgefäße handelt, die zwischen den beiden sich an einander legenden Platten eines Mesenteriums verlaufen, regelmäßig nur auf einer Seite ausgeprägt, während der Epithelüberzug der entgegen- gesetzten Fläche keine Besonderheiten aufweist. Auf Querschnitten erkennt man, dass solche Gefäße sich über das Niveau der einen Fläche des Mesenterium beträchtlich hervorwölben; auf der anderen Fläche ist dies nicht der Fall. In diesem Verhalten liegt der Grund für den Formunterschied der dem Gefäß anliegenden Coelomepithel- zellen ; die regelmäßig angeordneten und senkrecht zur Längsachse des Gefäßes verlängerten Zellen gehören natürlich der gewölbten Partie an. Passirt eine stärkere Blutwelle das Gefäß, so werden in der Richtung des Blutstroms successive auf einander folgende-Quer- schnitte desselben an Umfang zunehmen. Diese Volumsvergrößerung führt zu einer ihr entsprechenden stärkeren Spannung der Wandung, wobei es gleichgültig ist, ob das Gefäß eine Lymphscheide besitzt oder nicht. Denn auf die Coelomzellen wird in beiden Fällen, im ersteren Fall direkt, im zweiten indirekt, ein dem Querschnitt gleich- sinnig gerichteter Zug ausgeübt werden, der schließlich zu einer bleibenden Verlängerung der Zellen in der bezeichneten Richtung 33* 516 B. Solger führen wird, während der darauf senkrecht stehende Durchmesser im Wachsthum zurückbleibt. Diese Anpassungserscheinung fällt unter das Roux’sche! Gesetz der dimensionalen Hypertrophie, welches lautet: »Bei verstärkter Thätigkeit vergrößert sich jedes Organ bloß in derjenigen, resp. denjenigen Dimensionen, welche die Verstär- kung der Thätigkeit leisten.« IV. Bemerkungen über das viscerale Pleural- und Pericardial- epithel (hierzu Fig. 23—30). (Pleura.) In dem vorhergehenden Abschnitt konnte das Zu- standekommen einer bestimmten regelmäßigen Anordnung und Form von Coelomzellen auf rein mechanisch wirkende Momente zurück- geführt werden. Die Zellenformen, welche in Fig. 28 bei 5, e und d sich dargestellt finden, fügen sich einer derartigen Erklärung nicht, obwohl es sich um ein Organ handelt, dessen Elemente im späteren Leben, wie wir ja zum Theil schon früher gesehen hatten, von rhythmisch auftretenden Zugkräften unverkennbar in ihrer Form beeinflusst werden, nämlich um die Lungen. Allein was für den erwachsenen Organismus Geltung hat, darf doch nicht ohne Weiteres auf ein embryonales oder Larven-Organ übertragen wer- den, das in vollem Wachsthum begriffen ist und dessen Dimensionen von Tag zu Tag sich ändern. Bei « (Fig. 28) ist die 2 mm im Durchmesser haltende Lunge einer | cm langen Pelobateslarve in vergrößertem Maßstab abgebildet. Die zierliche, aus polygonalen und rundlichen Elementen gebildete Zellenmosaik, welche den hinteren Blindsack des Organs an seiner freien Oberfläche überkleidet, trägt deutlich das Gepräge einer Wucherungszone. Auch für die beiden übrigen Zellenformen der Pleura pulmonalis, von denen die bei 4 dargestellte die dorsale und die ventrale Fläche überziehen, während die langgestreckten Elemente bei c den Rändern angehören, weiß ich eine strenge Erklärung nicht zu geben. Denn wenn man von excessivem Wachsthum in dem einen Durchmesser reden wollte, so liegt es doch auf der Hand, dass damit nichts Anderes geleistet ist, als eine Umschreibung des schon aus dem Bilde ersichtlichen That- bestandes. 1 W. Roux, Kampf d, Theile, pag. 16, Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u, d. Coelomepithels d. Amphibien. 517 (Pericard.) Während man an der alten Lehre von der Ein- schichtigkeit des Peritonalepithels auch fiir die Amphibien wird fest- halten müssen, liegt für das viscerale Pericardialepitkel, wie aus den Fig. 29 und 30 hervorgeht, die Sache doch anders. . Hier habe ich wiederholt sowohl an Larven (Fig. 29), als an erwachsenen Thieren (Fig. 30), im ersteren Fall an der Vorkammer, im zweiten an der Hinterfläche der Herzkammer’deutlich zwei über einander liegende Schichten platter Zellen wahrgenommen. Die nicht unbeträchtlichen Formverschiedenheiten zwischen den Zellen der beiden Objekte werden theils auf das verschiedene Alter dersel- ben, theils auf die verschiedene Fundstätte zurückzuführen sein. An dieser Stelle werden auch einige Erörterungen am Platze sein, welche die erste Entwicklung der Pericardialhöhle betreffen. An solehen Entwicklungsstadien von Bufo cinereus, an denen der Schwanz eben hervorzusprossen beginnt, begegnet man auch den ersten Vor- bereitungen zur Bildung des Herzens und der Pericardialhéhle. Nach OrLLACHER! liegt zu jener Zeit die Herzanlage »noch fast ganz über dem hinteren Theile jenes Hautlappens an der Bauchfläche des Kopfbruststückes, der sich später zu dem bekannten Haftorgan aus- ' bildete. Der Entwicklungsgang ist unserem Autor zufolge dieser: In der Gegend der Herzanlage ist die »Spaltung des mittleren Keim- blattes in Hautmuskel- und Darmfaserplatte im ganzen Umfange des Darmkanales ausgesprochen. Die beiden Platten berühren sich jedoch gegenseitig mit Ausnahme zweier am unteren Umfang des Darmes, seit- lich von der Medianlinie gelegenen Stellen«. Hier kommt es nämlich zu einer nach unten konvexen Ausstülpung der Darmfaserplatte?, die oben vom Darmdrüsenblatt überbrückt wird. Die Ausstülpung ragt in einen muldenförmigen Hohlraum, die spätere Pericardialhöhle, hinein, der je- doch zum Theil von zelligen Elementen erfüllt wird. Diese Zellen häu- fen sich an etwas weiter entwickelten Embryonen um das Herz selbst diehter an und »dürften somit vielleicht das Material für ein Endo- thel des Pericards oder für dieses selbst liefern«. Ich finde nach eigenen Untersuchungen an derselben Species (Bufo cinereus) die 1 J. OELLACHER, Über die erste Entwicklung d. Herzens u. d. Pericardial- oder Herzhöhle bei Bufo cinereus, in: Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. VII. pag.159. 2 Schon einige Jahre vor OELLACHER hatte übrigens GOETTE an Bombi- nator igneus den Nachweis erbracht, »dass das Batrachierherz durch eine Aus- buchtung des Visceralblattes unter der Schlundhöhle und eine darauf folgende Abschnürung des ausgebuchteten Stückes entstehe« (A. GOETTE, Die Entwick- lungsgeschichte der Unke. pag. 776). 518 B. Solger Darstellung OBLLACHER’S vollkommen zutreffend, bis auf den letzten Punkt. Ich habe mich besonders noch von dem »zelligen Inhalt des Herzens«, den OELLACHER wohl mit Recht mit dem Blut in geneti- sche Beziehung bringt, wiederholt überzeugen können. Dagegen konnte ich von einer Zellenmasse, welche die Pericardialhohle theil- weise erfüllen soll, hier eben so wenig etwas wahrnehmen, als in der eigentlichen Leibeshéhle. Der Zellenbelag der Pericardialhöhle, die OELLACHER selbst für ein »Analogon der ganzen Pleuroperitoneal- höhle« erklärt und die man, auf vergleichend-anatomische Thatsachen gestützt, geradezu als ein Divertikel des Coeloms auffassen kann, würde, wenn OELLACHER Recht hätte, nach einem anderen Modus sich entwickeln, als das Coelomepithel, welches vom Auftreten der Leibeshöhle an sesshaft ist und erst nach dem Abschluss der Meta- morphose eine Ergänzung erfährt. Demnach wird GoETTE! wohl im Recht sein, wenn er bei Besprechung der Arbeit OELLACHER’S zu dem Ausspruch gelangt: »die Anwesenheit der freien Zellenmassen in der Pericardialhöhle, welche vermuthungsweise mit der Bildung _ des Pericardiums in Zusammenhang gebracht werden, ist lediglich auf beschädigte Präparate zu beziehen«. V. Bemerkungen über die Stomata des Bauchfells der Batrachier (hierzu Fig. 32 und 33). Der anatomische Bau der in der Überschrift genannten Gebilde, um dessen Erforschung sich namentlich SCHWEIGGER-SEIDEL und TOURNEUX? verdient gemacht haben, darf hier wohl als bekannt vorausgesetzt werden. Es war natürlich, dass zu der Zeit, in der die Auffassung der großen serösen Höhlen des Leibes als echter Lymphräume in den Vordergrund trat, sich auch für die sogenannten Stomata der Bauchhöhle des Frosches, die ja überdies in so nahe Lagerungsbeziehungen zu einer unbestrittenen Lymphspalte, der Abdominaleysterne, stehen, eine dieser Anschauung entsprechende Auffassung geltend machte. Man erklärte sie ebenfalls, wie die 117%. Dass 170, 2 Fr. TOURNEUX, Recherches sur l’epithelium des sereuses, in: Journ. de lanat. et de la phys. 1874. pag. 66 ff. — TOURNEUx et HERMANN, Re- cherches sur quelques epitheliums plats dans la serie animale, ebenda, 1876. pag. 199 und 386 ff. 4 Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 519 weniger ins Auge fallenden gleichnamigen Gebilde bei den höheren Wirbelthieren, für Anfänge von Lymphgefäßen, für Abflusswege der Lymphe. Später hat Tourneux in Gemeinschaft mit HERMANN diese _ Auffassung der sogenannten Stomata oder Enfoncements eiternaux der französischen Autoren, wie mir scheint, mit Recht bekämpft und sie vielmehr als Zellenbildungscentren gedeutet. Die genannten Forscher stützen sich besonders darauf, dass im Centrum der radiär angeordneten Coelomzellengruppe kein eigentliches Stoma, also keine eigentliche Durchbrechung sich vorfinde, sondern nur eine Vertiefung, die durch protoplasmareiche, rundliche Zellen geschlossen werde. Jedenfalls steht es fest, dass in der Mehrzahl der Fälle an sorg- fältig gefertigten Präparaten eine Kommunikation mit dem benach- barten Lymphraum durchaus nicht nachweisbar ist. In dem Präpa- rat z. B., welches der Fig. 32 zu Grunde liegt, schließen die (roth eingezeichneten) Konturen des Lymphraumendothels sich durchweg so innig an einander, dass an dieser Stelle eine direkte offene Ver- bindung zwischen den beiderseitigen Hohlräumen mit Sicherheit aus- geschlossen werden kann. Aber selbst, wenn dem so wäre, so würde die ursprüngliche Bedeutung des sogenannten Stomas als Zellenbildungscentrum hierdurch nicht im geringsten alterirt; es würde sich eben dann um einen sekundären Vorgang handeln, der an und für sich für die Zugehörigkeit der Bauchhöhle und des be- treffenden » Stoma« zum Lymphgefäßsystem eben so wenig beweis- kräftig wäre, wie das Zustandekommen eines Foramen Magendie die Hirnventrikel und den Centralkanal des Rückenmarks zu einem Lymphraum stempelt (WALDEYR). Um verwickelte Formverhältnisse unserem Verständnis näher zu bringen, werden wir uns in erster Linie der genetischen Methode hedie- nen, und so habe ich mich denn auch bemüht, über die Entwicklung dieser Zellengruppen etwas in Erfahrung zu bringen. Allein ich muss gestehen, dass ich bisher unter allen den untersuchten Larven und einjährigen Thieren nirgends auf eine Zellengruppirung gestoßen bin, die ich mit den charakteristischen Rosetten des geschlechtsreifen Thieres ohne Weiteres in Verbindung hätte bringen können, auch nicht in der Nachbarschaft der Urogenitalorgane und des Rectums, wo sie später so häufig nachweisbar sind. Nur eine Art von Zel- lengruppen giebt es, die zwar auf den ersten Blick nur wenig Ähnlichkeit mit den Zellen der sogenannten Enfoncements erkennen lässt, bei näherer Überlegung aber dennoch wichtige, beiden gemein- same Merkmale darbietet: ich meine die in den Fig. 18, 20 und 21 520 B. Solger abgebildeten und im Text ausführlich besprochenen körnigen Zellen. In beiden Fällen handelt es sich um tiefer gelegene protoplasma- reiche Zellen, die im Begriff sind, durch Lücken der gewöhnlichen Coelomzellen an die freie Oberfläche zu gelangen oder wirklich schon dorthin gelangt sind, um sich weiterhin den Coelomzellen der Um- gebung zu assimiliren (Fig. 22, ferner Tourneux’ Fig. 3, Taf. II im Journ. de l’anat. et de la phys., und Ranvier's! Fig. 140 in dessen techn. Lehrb.; die zum Verständnis meiner Fig. 32 und 33 nöthigen Bemerkungen finden sich in der dieser Arbeit beigegebenen Tafelerklärung). Die protoplasmareichen Elemente leite ich hier wie dort aus tieferen Mesodermschichten ab, und bemerke zur Stütze dieser Annahme Folgendes: - FÜRBRINGER hat besonders an Embryonen von Salamandra ma- eulata den Nachweis geliefert?, dass die hinteren primären (ventra- len) Urnierenstränge, die Anlagen der späteren Segmentalröhren, und eben so die sekundären und tertiären (dorsalen) in anderer Weise sich entwickeln, als die vorderen primären. »Im vorderen Bereich sind diese Urnierenstränge als solide Wucherungen des parietalen Peritonealepithels zu erkennen, für den hinteren gelingt dies nicht, da sich hier die etwas kürzeren Stränge innerhalb des Bindegewebes ohne nachweisbare direkte Abstammung vom Peritoneum entwickeln« (l. e. pag. 14). Es ist sonach recht wohl möglich, dass Mesoblastkeime (-Zellen natürlich) auch noch länger »innerhalb des Bindegewebes« sich erhalten, um später in Epithelien sich zu differenziren. Nach SEDGEWICK ent- stehen sogar diese Urnierenstränge »beim Frosch durchweg im Me- soblast ohne Betheiligung des Peritonealepithels«?, und dennoch finden wir später beim Frosch, eben so wie bei Salamandra, die Segmental- röhren mit ihrem unbestreitbar »echtem« Epithel in direktem Zusam- menhang mit der zelligen Auskleidung der Bauchhöhle (Wimper- trichter). — Dass es sich bei den protoplasmareichen Zellen (Cellules 1 Nach Ranvier (Lehrb. pag. 617) sind die kleinen Zellen, welche den Grund der Vertiefungen (»Stomata«) auskleiden, keine fixen Elemente, sondern haben die Fähigkeit, aus einander zu weichen und können auf diese Weise feste Partikelchen (Karminkörnchen, Milchkügelchen etc.) hindurch passiren las- sen. Es würde sich also »um eine Art Ventil mit beweglichen Lippen« handeln. Vgl. dagegen TOURNEUX und HERMANN, 1. c. pag. 419. 2 FÜRBRINGER, Exkretionsorg. d. Vertebr., pag. 14. 3 Citirt nach BAarLrour's Handbuch der vergleichenden Embryologie. Deutsche Ausgabe. Bd. II. pag. 637. Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 521 protoplasmatiques), welche den Grund dieser kraterförmigen Einsen- kungen bilden, nicht einfach nur um eingekeilte Leukocyten han- delt, wie auch ToLpr! meint, geht aus der Differentialdiagnose hervor, die TOURNEUX und HERMANN geben: »Elles (les cellules protoplasmatiques) possedent un noyau ovoide ou sphérique, muni dun nucléole brillant, ce qui les différencie A premiere vue des leu- cocytes« (l. e. pag. 419). Die angezogene Stelle von ToLpr giebt mir schließlich noch zu einer letzten Bemerkung über diesen Gegenstand Veranlassung. Es wird dort im Widerspruch mit allen anderen Autoren und gewiss mit Unrecht das, was von der charakteristischen Anordnung der dem Bauchfell angehörigen Epithelzellen? gilt, der zelligen Auskleidung des Lymphraumes zugeschrieben. VI. Notizen über das Coelomepithel von Petromyzon fluviatilis (hierzu Fig. 34 und 35). Da die Amphibien zu den Cyclostomen enge phylogenetische Beziehungen zu haben scheinen, so erschien es passend, auch Ver- treter dieser interessanten Wirbelthiergruppe in den Kreis der Unter- suchung zu ziehen. Leider kommt aber Petromyzon bei Halle nicht vor, und ich war daher, da nur lebendes Material für mich ver- wendbar war und die Thiere gegen den Transport ungemein empfind- lich sind, darauf angewiesen, das Passiren der stromaufwärts wandernden Neunaugen (Petromyzon fluviatilis) außerhalb unserer Universitätsstadt, in dem Flussgebiet der Mulde, abzuwarten. Ich habe bei der beschränkten Zeit, über die ich verfügen konnte, doch wenigstens von verschiedenen Stellen der Leibes- und der Pericar- dialhöhle zuverlässige Flächenbilder mittels der Silbermethode er- ı C. ToupT, Lehrbuch der Gewebelehre. II. Aufl. 1884. pag. 360. 2 Auch ToLpr lässt die großen serösen Körperhöhlen von einem »Epithel« ausgekleidet sein, 1. c. pag. 359. — Die fragliche Stelle (pag. 360) lautet wörtlich folgendermaßen: »Durch eine eigenthümliche Anordnung der dem Lymphsack angehörigen Endothelzellen in der nächsten Umgebung der Stomata, und namentlich dadurch, dass die Kerne der ersteren sich dicht um den Rand der letzteren gruppiren, wird man auch dann auf Stellen, wo sich derartige Öffnungen befinden, aufmerksam gemacht, wenn diese durch Aneinanderlegung ihrer Ränder oder durch eingekeilte lymphoide Zellen und dgl. verschlossen sind.« 529 B. Solger halten und außerdem Material in geeigneter Weise konservirt, um die betreffenden Elemente auch auf dem Querschnitt studiren zu können. Im Bereich des parietalen Coelomepithels scheinen bezüg- lich der Dimensionen der Zellenköpfe nur geringfügige Schwankun- gen vorzukommen. Als Beleg hierfür verweise ich auf die beiden Zeichnungen B und C der Fig. 34. Auf Querschnitten (Fig. 34 A) erscheinen die Zellen als niedrige Cylinderzellen oder doch wenigstens als kubische Gebilde. Der Basaltheil der- selben, der den Kern enthält, ist von körnigem Material durchsetzt, der Kopftheil dagegen von homogener Beschaffenheit. Die Elemente des visceralen Peritonealepithels erscheinen im Bereich des Mitteldarms auf dem Flächenbild als polygonale Felder von weit ansehnlicherer Ausdehnung als die soeben geschilderten. Sie haben eine beträchtliche Abplattung erfahren und treten auf Querschnitten nur als nahezu lineäre Schüppchen uns entgegen. Die Beschreibung des Serosaepithels des Mitteldarms, die von LANGER- HANS! gegeben wurde, lautet etwas anders. Er berichtet, dass die Serosa dieses Darmabschnittes bei Ammocoetes allerdings von einem wimperlosen, bei Petromyzon aber von einem stellenweise wimpern- den niederen Epithel bekleidet werde, »dessen Zellen ungefähr die Würfelform haben«. Eine Abbildung oder Maßangabe ist der Be- schreibung nicht beigegeben, auch über die Behandlung des der Beschreibung zu Grunde liegenden Objektes finde ich keine Notiz. Die Differenz unserer beiderseitigen Angaben würde übrigens kaum durch die Annahme zu heben sein, dass sie durch die Anwendung verschiedenartiger Reagentien hervorgerufen worden sei. Auch an eine Täuschung ist bei einem so erfahrenen Histologen wie LANGER- HANS nicht zu denken. Es wird sich daher nur um eine Verschie- denheit der beiden zur Untersuchung gelangten Arten (Petromyzon Planeri und fluviatilis) handeln. Petromyzon Planeri würde dann die ursprüngliche Form des Coelomepithels in aus- gedehnterem Maße beibehalten haben als Petromyzon fluviatilis. Während ferner bei der zuletzt genannten Form ein kurz eylindrisches oderkubisches Epithel sich noch im Bereich des parietalen Peritoneums vorfindet, hat bei den Amphibien auch an dieser Stelle die Ab- flachung Platz gegriffen. 1 P. LANGERHANS, Untersuchungen über Petromyzon Planeri, in d. Be- richten über d. Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft z. Freiburg i. Br. Bd. VI. (1873); Heft 3, pag. 43. Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 593 Übrigens ändert sich der Charakter des Epithels einigermaßen auch mit der Jahreszeit. Ich konnte zu der Zeit, in der ich die Untersuchung vornahm (erste Woche des Monat April), weder am frischen Präparat Flimmerbewegung wahrnehmen, noch war ich im Stande, an Schnittpräparaten unzweideutige Spuren eines vorhanden gewesenen Besatzes von Flimmerhaaren aufzufinden. Dagegen hebt STANNIUS! ausdrücklich hervor, man könne im Mai bei beiden Ge- schlechtern von Petromyzon? an der zelligen Auskleidung der Bauch- höhle, namentlich am Ende derselben, Flimmerbewegung nachweisen. Schlussbemerkung. Zur Erlangung einer raschen Über- sicht der wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung erlaube ich mir auf die im Text gesperrt gedruckten Stellen, so wie auf die mit Rücksicht hierauf angeordneten Abbildungen und deren Erklärung zu verweisen. Von einer nochmaligen Zusammenfassung der Resul- tate darf ich daher wohl Abstand nehmen. Halle a. S., Anatom. Institut, Mitte August 1884. Litteraturiibersicht’. I) ALTMAnN, R., Uber die Veränderungen des serösen Epithels am bloßgelegten Froschmesenterium. Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. XVI. pag. 111. 2) BALFOUR, F. M., Handbuch der vergleichenden Embryologie. Zwei Bände. Übersetzt von B. VETTER. Jena 1880/81. 3) FÜRBRINGER, M., Zur Entwicklung der Amphibienniere. Heidelberg 1877. 4) —— Zur vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Exkre- tionsorgane der Wirbelthiere. Morphol. Jahrb. Bd. IV. pag. 1. 5) GOETTE, A., Entwicklungsgeschichte der Unke (Bombinator igneus). Mit Atlas. Leipzig 1875. 1 Srannius, Zootomie der Fische, pag. 268. 2 Jedenfalls Petromyzon fluviatilis, wie aus Anmerkung 4 hervorgeht. 3 In dieser Zusammenstellung sind nicht die Publikationen aller Autoren aufgeführt, die in dem Text überhaupt erwähnt wurden, sondern nur solche Arbeiten, welche direkt auf das Coelomepithel der Wirbelthiere und besonders der Amphibien Bezug haben und von mir benutzt werden konnten. 524 B.Solger, Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels ete. 6) Hertwic, O. und R., Die Coelomtheorie. Versuch einer Erklärung des mittleren Keimblattes. Jen. Zeitschr. f. Nat. Bd. XV. 1881. 7) — 0., Die Entwicklung des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere. Jen. Zeitschr. f. Nat. Bd. XV. pag. 286 und Bd. XVI. pag. 247. 8) His, W., Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes. Die erste Entwicklung des Hühnchens im Ei. Leipzig 1868. 9) —— Die Lehre vom Bindesubstanzkeim (Parablast). Rückblick nebst kriti- scher Besprechung einiger neuerer entwicklungsgeschichtlicher Arbei- ten. Arch. f. Anat. u. Phys., Anat. Abth. 1832. pag. 62. 10) LANGERHANS, P., Untersuchungen über Petromyzon Planeri. Berichte über d. Verh. d. naturf. Gesellsch. z. Freiburg i. Br., Bd. VI, Heft II. 11) NEUMANN, Die Beziehungen des Flimmerepithels der Bauchhöhle zum Ei- leiterepithel beim Frosche. Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. XI. pag. 356. 12) NussBAUM, M., Zur Differenzirung des Geschlechts im Thierreich. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XVII. pag. 1. 13) OELLACHER, J., Über die erste Entwicklung des Herzens und der Pericar- dial- oder Herzhöhle bei Bufo einereus. Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. VII. pag. 157. 14) Ranvier, L., Technisches Lehrbuch d. Histologie. Deutsche Übersetzung. 1.—6. Lfg. Leipzig 1877—1882. 15) STRICKER, S., Untersuchungen über die ersten Anlagen in Batrachiereiern. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. IX. pag. 315. 16) TOLDT, C., Lehrbuch d. Gewebelehre. Zweite Auflage. Stuttgart 1894. 17) TOURNEUX, FRr., Recherches sur l’epithelium des sereuses. Journ. de Yanat. et de la phys. 1874. pag. 66. 18) —— et HERMANN, Recherches sur quelques epithéliums plats dans la série animale. Ibid. 1876. pag. 199 und 386. 19) WALDEYER, W., Archiblast und Parablast. Arch. für mikroskop. Anat. Bd. XXII. pag. 1. Erklärung der Abbildungen. Tafel XXIV u. XXV. Die Figuren 1— 33 beziehen sich auf Entwicklungsstadien und erwachsene Exemplare von Amphibien (Bufo, Pelobates, Rana, Bombinator, Salamandra). Die Zeichen + und ++ bedeuten, dass die betreffenden Figuren bei gleicher Fig. Fig. Fig. Fig. DT dt, Ors Vergrößerung mit der Camera aufgenommen worden sind. Larve von Bufo cinereus, 2mm lang, dreifach vergrößert. Die Linien bei den Ziffern ZI und III entsprechen der Richtung, in welcher die in Fig. 2 und 3 abgebildeten Schnitte geführt sind. Querschnitt durch den 2 mm langen Embryo von Bufo cinereus in der Richtung bei ZI (Fig. 1). Camera-Zeichnung, SCHIECK Obj. I, Oc. 0, Abstand des Objekttisches. — ec Ectoblast, mes Mesoblast, D Dotterzellen, X deutet die Stelle an, von der die bei stärkerer Vergrößerung gezeichnete Figur 10 entnommen ist. Querschnitt durch dieselbe Larve bei ZZI (Fig. 1), also weiter oral- wärts. d ventrales Divertikel des Darmlumens, sog. Leberdivertikel; ventral von demselben haben sich die paarigen (dorsalen) Mesoblast- lamellen noch nicht vereinigt. Larve von Bufo einereus, etwa 3 mm lang, dreifach vergrößert. Die Linien bei den Ziffern V und VI entsprechen der Höhe, in welcher die in Fig. 5 und 6 abgebildeten Querschnitte geführt sind. Querschnitt durch die in Fig. 4 abgebildete Larve bei V. Der Meso- blast, von dem sich der Segmentalgang sg (BALFOUR) abgeschnürt hat, erscheint in seinem ventralen Abschnitt beträchtlich höher, als in dem dorsalen. Von der Leibeshöhle ist noch keine Spur zu sehen. Querschnitt durch dieselbe Larve in der Höhe von VJ (Fig. 4), also viel weiter oralwärts. Ein deutlicher Spalt im Mesoblast ist vorhan- den: die Leibeshöhle (coe). Die Ausdehnung derselben beziehungs- weise ihrer zelligen Auskleidung ist durch den rothen Kontur deutlicher gemacht. 92 Anlage des Glomerulus, durch welche die mediale Wand der Leibeshöhle in die Lichtung desselben eingebuchtet erscheint, vn Vorniere, d ventraler Divertikel der Darmhöhle (sog. Leberdiver- tikel), das in der ventralen Mittellinie unmittelbar vom Epiblast über- brückt wird. 526 B. Solger Fig. 7. Larve von Pelobates fuscus mit äußeren Kiemen, etwa 6 mm lang, dreifach vergrößert. Die mit den Ziffern VIII und IX bezeichneten Linien entsprechen der Richtung, in welcher die in den beiden folgen- den Figuren 8 und 9 abgebildeten Schnitte geführt sind. Fig. 8+. Querschnitt durch die in Fig. 7 dargestellte Larve bei VIII. Meso- blasthälften ventral vereinigt. coe Coelom rechts, auf der linken Seite ist die Spaltung des Mesoblast noch nicht erfolgt, v venöses Gefäß (Stammvene, GOETTE). Fig. 9+. Querschnitt durch dieselbe Larve in der Höhe von IX (Fig. 7). coe Coelom, v Stammvene, 92 Glomerulus der Vorniere. Fig. 10++. Segment der beiden äußeren Keimblätter (ec Ektoblast, mes Meso- blast) und des Dotters (D), dem in Fig. 2 abgebildeten Querschnitt von Bufo cinereus aus der seitlichen Leibesgegend bei X (Fig. 2) entnom- men. Camera-Zeichnung : SCHIECK Obj. VII, Oc. 0, Abstand des Ob- jekttisches. Die Dimensionen sind in den mit ++ bezeichneten Figuren (Fig. 10—24, 29, 31, 34, 36 und 37) dieselben. Fig. 11++. Linke dorsale Partie des in Fig. 6 abgebildeten Querschnitts bei stärkerer Vergrößerung, um das Coelomepithel (cep) und besonders den verschiedenen Grad der Abflachung, wie eran den drei Wandbezir- ken desselben zu Tage tritt, zu erläutern. gl Anlage des Glomerulus der Vorniere. Fig. 12++. Viscerales Peritonealepithel (mittlerer Abschnitt des Dünndarms) mit Silber-Osmium-Mischung, aa 1/39/) behandelt von einer 1 cm lan- gen Pelobateslarve mit äußeren Kiemen. Fig. 13++. Dasselbe Gewebe, derselben Lokalität entnommen, von einer 1,2 cm langen Larve von Pelobates (äußere Kiemen rückgebildet). Behand- lung wie in voriger Figur. Fig. 14++. Dasselbe Gewebe von einer 3 cm langen Pelobateslarve. Fig. 15++. Zeigt die verschiedenen Zellformen des visceralen Peritonealepithels einer 7,5 cm langen Pelobateslarve, wie sie auf dem in natürlicher Größe bei a wiedergegebenen, wenig ausgedehnten Bezirk zur Beob- achtung kamen. Bemerkenswerth ist bei e die Gliederung des Epithels in Gruppen (gg), die durch die gleiche Form und Anordnung ihrer Elemente sich kennzeichnen. Fig. 16++. Viscerales Peritonealepithel (mittlerer Abschnitt des Diinndarms) einer vierbeinigen Pelobateslarve (Länge 6 cm, Schwanz in Rück- bildung begriffen). Fig. 17++. Dasselbe Gewebe von derselben Stelle einer vierbeinigen Peloba- teslarve (Länge 3 em, Schwanz fast ganz zurückgebildet). Fig. 18++. Dasselbe Gewebe von einem Knoblauchkrötchen (Pelobates fuscus) nach der Metamorphose, von 2,5 cm Rumpflänge. d dunkle, körnige Zellen. Behandlung wie in den vorhergehenden Figuren, mit Silber- Osmium-Mischung. Fig. 19++. Dasselbe Gewebe (Dünndarm) von einer dreibeinigen Froschlarve (Rana esculenta), deren rechte vordere Extremität noch nicht durchge- brochen war. Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels d. Amphibien. 527 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 20++. Dasselbe Gewebe (Dünndarm) von einem Fröschehen (Rana escu- lenta) nach vollendeter Verwandlung. d wie in Fig. 18. 21++. Dasselbe Gewebe vom Magen desselben Exemplars. d wie in Fig. 18, dp ein Zellenpaar, jedenfalls durch Theilung entstanden. 22++. Dasselbe Gewebe (Dünndarm) von einer einjährigen Rana fusca (im März frisch eingefangen). Die in Fig. 18, 20 und 21 mit d be- zeichneten dunkelkörnigen Elemente erscheinen hier heller mit deut- lichem Kern (d’), oder sie reduciren die Silber-Osmium-Mischung nicht intensiver als die älteren Elemente, von denen sie jetzt nur mehr durch ihre glatteren Umrisse sich unterscheiden (d’’). 23++. Dasselbe Gewebe (Dünndarm) von einem 3 em langen Fröschehen (Rana exculenta); gleicht im Wesentlichen demjenigen von älteren In- dividuen. 24++. Dasselbe Gewebe mit sternförmigen Pigmentzellen (st) durchsetzt. Dünndarm eines einjährigen Exemplars von Rana fusca (im März frisch eingefangen). 25. A. Dünndarmschlinge einer älteren Froschlarve, mit verdünnter Salpe- tersäure behandelt, um die nach dieser Behandlung auftretenden hel- len spindelförmigen Felder — zwei derselben sind in der Zeichnung sichtbar — zu zeigen. — DB. Viscerales Peritonealepithel außerhalb des Bereiches dieser Felder, C dasselbe unmittelbar über den- selben. 26. Mesenterialepithel neben und über einem Blutgefäß (Vene) mit Blut- körperchen (64) von Salamandra maculata. Silber-Osmium-Mischung, Camera-Zeichnung. 27. Viscerales Peritonealepithel (Dünndarm) neben und über einer Arterie von Rana esculenta. 28++. Die Abbildungen a—d beziehen sich auf die Lunge und das pul- monale Pleuraepithel einer 1 cm langen Pelobateslarve. a Lunge ver- größert (1 mm im Längsdurchmesser). 5, ce und d Epithel der Pleura pulmonalis. 5 gehört der dorsalen oder ventralen Lungenfläche an (Lungenepithel durchscheinend), e dem lateralen oder medialen Rande, d dem hinteren Blindsack der Lunge. 29. Viscerales Pericardialepithel, zweischichtig, von einer 7 cm langen Pelobateslarve. ob oberflächliche Lage, ¢ tiefe Schicht desselben. 30++. Dasselbe von der Hinterfläche der Herzkammer einer ausgewach- senen Rana esculenta. ob oberflächliche, ¢ (in rothen Umrissen) die tiefe Lage desselben. 31. Flimmerinsel von dem parietalen Peritoneum der vorderen Bauchwand von Bombinator igneus (weibliches Exemplar). Silber-Osmium-Mischung, Alaunkarmin. 32++. Parietales Peritonealepithel (pe), von der Wand der Cysterna lym- phatica magna eines erwachsenen Exemplars von Bufo cinereus, ¢ zel- lige Auskleidung des Lymphraumes, ec kraterförmige Vertiefung (Stoma« der Autoren), auf deren Grunde Andeutung einer Kittlinie. Von Kernen in der Umgebung der Vertiefung war hier nichts wahr- zunehmen. Auch die Andeutung einer Kittlinie auf dem Grunde 528 B. Solger, Stud. zur Entwicklungsgesch. d. Coeloms u. d. Coelomepithels ete. derselben spricht dafiir, dass die Assimilation an die Umgebung hier schon Platz gegriffen hatte. Fig. 33, Ein gleiches Gewebsstiickchen nach Behandlung mit Osmium, Bleichung durch Wasserstoffsuperoxyd und nachfolgender Imprägnation mit Ar- gentum nitricum. Das Protoplasma der Bindegewebszellen (dz) und der im Bereich eines Stoma gelegenen Zellen (d) hebt sich wegen seiner intensiven Bräunung von der faserigen Zwischensubstanz deut- lich ab. Die Figuren 34 und 35 beziehen sich auf Petromyzon fluviatilis. Fig. 34++. Parietales Peritonealepithel von Petromyzon fluviatilis. — 4 auf dem Durchschnitt, B und C von der Fläche, Fig. 35++. Viscerales Peritonealepithel von dem Mitteldarm des Flussneun- auges. 2B Soler de Verlv HERE Ergeleaen Deez Lith dest Werner LW ter Frade 3 (me. : ff ) a £ IN TE \ ARE 7 7 Be REF a Einige Bemerkungen über gewisse Organisations- verhältnisse der sog. Cilioflagellaten und der Noctiluca. Von 0. Bütschli. Mit einem Beitrag von E. Askenasy. Mit Taf. XXVI—XXVIII u. 4 Fig. im Text. Veranlassung zur Entstehung der in nachfolgenden Zeilen nie- dergelegten Beobachtungen gab die mir bevorstehende Bearbeitung der Cilio- und Cystoflagellaten für mein Buch über die Protozoen. Unter diesen Umtänden konnte es sich, wie dies auch bei aus ähn- licher Veranlassung früher publieirten Studien der Fall war, nicht um eine erschöpfende Bearbeitung des Gegenstandes handeln, son- dern nur um orientirende Studien, bei welchen einige wohl der Mit- theilung werthe Erfahrungen gemacht wurden, die den Gegenstand des Nachfolgenden bilden sollen. Das Vorstehende möge als Erläute- rung des Charakters dieser Mittheilung dienen. Mit der Untersuchung der Noctiluca beschäftigte ich mich schon im Frühjahr 1883 und habe denn auch das Wichtigste, was sich dabei ergab, schun auf den mit Lieferung 23—25 meines Protozoenwerkes, Ende des Jahres 1883, erschienenen Tafeln 49 und 50 dargestellt, so wie in der Figurenerklärung kurz erläutert. Das Material, welches mir zu diesen Studien diente, bestand in Noctilucen, welche ich im Jahre 1878 in Helgoland mittels Osmiumsäure konservirt hatte und die sogar noch über feine Verhältnisse, wie die Wimper und dergleichen, sicheren Aufschluss gaben. Wenn ich in diesen Zeilen nochmals etwas aus- führlicher auf diese Beobachtungen zu sprechen komme, so geschieht dies desshalb, weil in neuerer Zeit von verschiedenen Seiten zwi- Morpholog. Jahrbuch. 10. 34 530 O. Biitsehli schen den Cysto- und Cilioflagellaten Beziehungen festzustellen ver- sucht wurde. Das Material, welches mir zu den Beobachtungen iiber Cilio- flagellaten dienen konnte, bestand einerseits in einer ziemlich be- schränkten Anzahl Individuen von Glenodinium einetum Ehrb. und weiter in vortrefflich konservirtem, fast reinem Cilioflagellaten- auftrieb aus der Kieler Bucht, den ich der großen Güte des Herrn Kollegen Mögıus verdanke. Die Konservirungsart bestand in Be- handlung mit Pikrinschwefelsäure und Aufbewahrung in Alkohol. Von der Güte der Konservirung zeugt jedenfalls der Umstand, dass bei den meisten Formen die Geißeln ausgezeichnet erhalten wa- ren. Speciell die Geißelverhältnisse der Cilioflagellaten mussten mich ja zu eigenen Untersuehungen veranlassen, weil die im Jahre 1883 erschienene Arbeit von Kress! hierüber ganz neue und von den seitherigen abweichende Gesichtspunkte eröffnete, wodurch die systematische Stellung der Gruppe, wie sie noch BERGH? im Jahre 1882 festhielt, sehr wesentlich verändert wurde. Eigene Uber- zeugung wurde also hier nothwendig und meine Untersuchungen, die ich schon vor Erscheinen der zweiten Mittheilung von KLEBS? vorgenommen habe, führten mich denn, was die wichtigen Geißel- verhältnisse angeht, in allen Punkten zu einer erwünschten Be- stätigung der KLegs’schen Angaben, wie ich gleich bemerken will. Außer den Geißeln erregten namentlich noch die eigenthümlichen Kerne meine Aufmerksamkeit. Ich gehe nun zunächst dazu über meine Beobachtungen an den Cilioflagellaten in Kürze darzustellen. 1. Beobachtungen an Glenodinium cinctum Ehrb. Da diese Form die einzige ist, welche ich lebend untersuchen konnte, so will ich ihr hier einen besonderen kleinen Abschnitt widmen. Der kleine Cilioflagellat, welcher in einem Bassin des botanischen Gartens zu Karlsruhe gefunden wurde, scheint mir ohne Zweifel mit dem EHRENBERG’schen Glenodinium cinetum identisch, was sowohl aus den allgemeinen Gestaltsverhältnissen, wie nament- 1G. Kress, Über ‘die Organisation einiger Flagellatengruppen und ihre Beziehungen zu Algen- und Infusoriengruppen. Unters. aus dem botanischen Instit. zu Tübingen. Bd. I. pag. 233—262 Taf. II u. II. 1883. ?2 G. Kress, Ein kleiner Beitrag zur Kenntnis der Peridineen. Botani- sche Zeitung. Jahrg. 42, 1884. pag. 722—733 u. pag. 737—745. Taf. X. 3 R. S. BERGH, Der Organismus der Cilioflagellaten. Morph. Jahrbuch Bd. VII. pag. 177—288. 1882. Taf. XII—XVI. Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 531 lich aus der Anwesenheit des großen und sehr charakteristisch ge- stalteten Stigmas (Augenfleck) hervorgeht. Ob die von StEm! als Glenodinium cinctum aufgeführte Form gleichfalls hierher gehört, könnte etwas zweifelhaft erscheinen, da sie ohne Augenfleck abge- bildet wird. Doch bildet er auch einige Formen mit einem blutrothen Oltropfen, von der für Gl. cinctum charakteristischen hufeisenförmi- gen Gestalt ab, giebt aber die Vorderhälfte des Körpers als Sitz dieses Tropfens an, während er sich bei dem eigentlichen Glenodi- nium stets in der hinteren Hälfte findet, wie auch EHRENBERG? deut- lichst angab. Da nun aber CLAPAREDE und LACHMANN versichern, häufig stigmalose Exemplare dieser Form gesehen zu haben, so möchte ich dennoch glauben, dass auch das Stein’sche Gl. einc- tum hierher gehört. Andererseits kann ich aber auch nicht zweifeln, dass das von STEIN als Gl. oculatum beschriebene Wesen mit der von mir untersuchten Form identisch ist und vereinige dasselbe daher auch mit Gl. cinctum Ehrb. Die studirten Wesen variiren in ihren Gestaltsverhältnissen nicht unbeträchtlich. Die kleineren erscheinen in der Bauch- oder Rücken- ansicht meist nahezu kreisrund (Fig. 1), die größeren sind dagegen gewöhnlich länger gestreckt bis ziemlich oval im Umriss. Die Färbung schwankt zwischen gelb- und grünbraun und ist gewöhnlich ziemlich intensiv. Ungefärbte Exemplare fand ich nicht. Dorsoventral ist stets eine gewisse Abplattung vorhanden, welche in Verbindung mit der Längsfurche, die die ventrale hintere Körper- hälfte durchzieht, in der Ansicht von vorn oder hinten eine etwa nierenförmige Gestalt bewirkt (Fig. 2). Diese Abplattung ist bei den größeren eiförmigen Thieren stärker entwickelt als bei den kleineren und kugligen. Die Bewegungen sind ziemlich lebhaft und anhaltend und geschehen stets in der Weise, dass die den Augenfleck tragende hintere Körperhälfte nach hinten gerichtet ist, wobei der Körper fortdauernd um seine Längsachse rotirt. Während nun bei den Flagellaten die Rotation gewöhnlich wenigstens längere Zeit in derselben Richtung erfolgt, wechselt bei unserem Glenodi- nium die Rotationsrichtung fortdauernd und rasch. Alle gesehenen Individuen waren ausgesprochen photophil, wenn auch nicht in dem Maß, wie die in dem Wasser gleichzeitig vorhandenen Pandori- nen und Ulothrixschwärmer. Sie sammelten sich in dem Unter- 1 FR. v. STEIN, Der Organismus der Infusionsthiere. III. Abth. 2. Hälfte. Leipzig 1883. ? Die Infusionsthiere als vollk. Organismen. Leipzig 1838. 34* 532 O. Biitschli suchungstropfen stets an der Lichtseite an, kehrten von dieser wieder eine Strecke weit nach der Schattenseite zuriick, um sich dann nach der Lichtseite zurückzubegeben, wobei sie jedoch auch häufig län- gere Strecken senkrecht zu dem Lichteinfall schwammen. Im All- gemeinen macht ihre Bewegung denselben Eindruck wie die vieler ciliaten Infusorien. Auszeichnend für unsere Wesen ist ihre große Empfindlichkeit gegen die Wirkung des Abschlusses unter dem Deckglas. Häufig hatten schon alle in dem Untersuchungstropfen befindlichen Individuen nach wenigen Minuten ihre Geißeln abge- worfen und waren zur Ruhe gelangt und dieser Umstand war recht störend für die Beobachtung der Geißeln im lebenden Zustand. Nicht immer trat aber der Ruhezustand so schnell ein und dies hängt vielleicht damit zusammen, dass dieser Übergang in den ruhenden Zu- stand überhaupt mit einer gewissen Regelmäßigkeit erfolgt und der Geißelverlust dann leichter eintritt, wenn die Zeit der Ruhe nahe ist. Sowohl mir wie Herrn Prof. AskEnasy, welcher das Glenodi- nium zuerst gefunden und gleichfalls vielfach beobachtet hat, ist es nämlich aufgefallen, dass in den nach Hause gebrachten Wässern, welche eine mäßige Zahl dieser Protozoen beherbergten, gegen Mit- tag gewöhnlich die Zahl der beweglichen Individuen sich verminderte und am Nachmittag meist kaum noch eines zu finden war. Am nächsten Morgen waren dann wieder bewegliche Individuen vorhan- den und im Laufe des Tages stellte sich die gleiche Abnahme wie- derum ein. Es scheint nun, wie gesagt, nicht unmöglich, dass diese allmähliche Abnahme auf dem Übergang in den geißellosen Zustand beruht und das Wiederauftreten beweglicher Formen auf Neubildung der Geißeln zurückzuführen ist!. Über den Process der Geißelabwer- fung werde ich unten noch einige Bemerkungen mitzutheilen haben. ! Die oben versuchte Erklärung der eigenthümlichen Periodieität in dem Auf- treten des Glenodinium cinctum stützt sich auf die Thatsache, dass dasselbe seine Geißeln so sehr leicht abwirft. Es darf jedoch nicht unbeachtet gelassen werden, dass sich auch vielleicht noch eine einfachere Erklärung dieser Er- scheinung darbietet, auf welche mich Prof. ASKENASy hinwies und deren Mög- lichkeit ich auch zuvor schon gelegentlich selbst erwog. Es könnte nämlich der Fall sein, dass sich die Glenodinien nur bei relativ beträchtlicher Intensität des einfallenden Lichtes an der belichteten Seite des Wasserrandes ansam- meln und sich des Nachmittags, namentlich im Spätherbst, wo die Beobachtun- gen angestellt wurden, bei Abnahme der Lichtintensität zerstreuten. Da sich nun in den untersuchten Wässern nur eine mäßige Zahl der Glenodinien fanden, so dass nur am Lichtrande auf den Fang derselben zu rechnen war, so würde es sich zur Genüge erklären, dass bei deren Zerstreuung durch die gesammte Wassermasse, keine oder doch nur noch sehr wenige zu finden waren. Obgleich nun Einige Bemerk. iiber gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten ete. 533 Zunächst sind es die Geißelverhältnisse, die eine kurze Betrach- tung erfordern. Es war bei diesen kleinen Formen recht schwie- rig darüber zu einer gesicherten Vorstellung zu kommen. Die hin- tere, lange bekannte Geißel ist im lebenden Zustande schon leicht sichtbar und scheint auch während den Bewegungen ziemlich ge- streckt nach hinten gerichtet getragen zu werden (Fig. 1—3 g). In der Querfurche, welche den Körper in ganz niedrig schraubigem Verlauf umgürtet, gelang es mir, wegen der rastlosen Bewegungen im Leben nur selten, eine Wellenbewegung wahrzunehmen. Zunächst wurde die Wirkung der Osmiumsäuredämpfe versucht, welche auch untadelhaft, ja wohl nur zu gut konserviren. Die hin- tere Geißel beobachtet man an solchen Präparaten gewöhnlich ganz ausgezeichnet als einen in ganzer Länge gleich dicken, ziemlich gerade gestreckten oder doch nur in wenigen weiten Windungen ge- schlängelten Faden, der, wie ich ‘aus der Vergleichung vieler Indi- viduen schließen muss, ziemlich in der Mitte der Längsfurche über dem Stigma entspringt (Fig. 1—3 g). Ob sieh in der Querfurche eine Geißel findet, lässt sich an den Osmiumpraparaten nicht mit voller Sicherheit entscheiden, jedenfalls kommt man aber mittels derselben zu der sicheren Überzeugung, dass von einem Cilienkranz keine Rede sein kann. Was man be- ' merkt, ist, dass in der Querfurche ein wellig geschlängelter feiner Faden verläuft, der unter günstigen Umständen, jedoch schwierig, in Bauch- oder Rückenansicht zu erblicken ist (Fig. 1 fg), besser dagegen bei günstigen Präparaten in der Ansicht von vorn oder hin- ten (Fig. 2). Man sieht den Faden dann wenigstens auf eine Strecke weit über den Rand der Querfurche geschlängelt hervorragen. Es könnte dieses Bild nun recht wohl der freie Rand einer kontraktilen Membran sein, wie sie BERGH den meisten Cilioflagellaten in der Querfurche zuschreibt, doch deuten schon gewisse Modalitäten der Osmiumpräparate darauf hin, dass dies nicht der Fall sein dürfte. Wie es in Fig. 2 dargestellt ist findet man nicht selten, dass der geschlängelte Faden ziemlich verschieden weit abstehende Wellen in der Querfurche bildet und ferner ist häufig zu beobachten, dass diese Erklärung durch ihre Einfachheit viel Bestechendes besitzt, halte ich sie doch nicht für sehr wahrscheinlich, da nämlich die schwärmenden Individuen sich schon zu einer Zeit (zwischen 12 und 1 Uhr Mittags) verloren, wo die In- tensität der Belichtung noch nicht wesentlich nachgelassen hatte, auch wenn wir berücksichtigen, dass die Lage unserer beiderseitigen Untersuchungsfenster eine östliche war. 534 O. Biitschli der Faden an einer oder der anderen Stelle der Querfurche bruch- sackartig, in mehrfachen Schlingen aufgeknäuelt, hervorhängt, wie es in Fig. 1 bei fg, jedoch nur in geringer Ausbildung, angedeutet ist. Dieses Verhalten harmonirt nun weit mehr mit der von KLEBS ver- tretenen Ansicht, dass in der Querfurche eine zweite geschlängelte Geißel verlaufe. Eine Bestätigung dieser Anschauung erhielt ich durch Herstellung von Präparaten mit schwacher Chromsäure (1 °/,), welcher 1/0 °/) Osmiumsäure zugesetzt war. Jetzt treten zwei Geißeln deut- lich hervor (Fig. 3), die uns schon bekannte hintere g, welche nach dieser Behandlung etwas mehr. gewunden ist und eine zweite längere (fg), welche vor dieser, in der Höhe des Beginns der Querfurche entspringt und sehr vielfach eng geschlängelt ist. Ich muss nun mit KLEBS diese zweite geschlängelte Geißel als die in der Quer- furche gelegene betrachten und finde auch keine Anhaltspunkte dafür, dieselbe nur als einen losgerissenen kontraktilen Saum zu betrachten. Behandelte ich nur mit 1°/,iger Chromsäure, so fand sich seltsamerweise nur diese geschlängelte lange Geißel vor, welche immer irgend wo aus der Querfurche hervorragte und mit ihrem freien Ende am Deckglas oder Objektträger angeklebt war. Ich kann mir dies Verhalten nur dadurch erklären, dass unter diesen Umständen die hintere Geißel abgestoßen wird. Dass nun die Deutung der Geißelverhältnisse, wie ich sie in Be- stätigung der Kreps’schen Resultate vorgetragen habe, die richtige sein dürfte, wird sich bei der Besprechung der an den marinen For- men gemachten Beobachtungen ferner ergeben. Zunächst will ich kurz mittheilen, was ich über die so häufige Abstoßung der Geißeln beobachten konnte. Die Glenodinien stellen zunächst allmählich ihre Bewegungen ein und liegen ruhig da, wobei von der hinteren Gei- Bel nichts mehr zu sehen ist. Dann bemerkt man plötzlich, wie sich in der Gegend der Querfurche eine Geißel zu einem dichten korkzieherartigen Gewinde aufrollt und desshalb, über den Rand des Wesens vorspringend, sichtbar wird. Ganz kurz darauf löst sich diese zu einem kleinen Packet aufgerollte Geißel mit einem Ruck von dem Körper ab und bewegt sich ein Stück weit fort. Dieses kleine Geißelpacket kann nun zunächst einige Sekunden ruhig liegen bleiben und dann plötzlich in heftige umherflatternde Bewe- gungen übergehen oder es schwimmt gleich nach der Abstoßung in dieser Weise weiter. Diese Bewegung der abgelösten Geißel dauert etwa eine Minute oder wenig länger lebhaft fort, so dass es mit stärkeren Vergrößerungen recht schwierig ist, ihr zu folgen. Dabei Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten ete. 535 bleibt die Geißel stets eng aufgerollt. Endlich gelangt sie zur Ruhe, indem sie ohne Zweifel völlig abstirbt. Ich glaube nun nicht fehl zu gehen, wenn ich den eben be- schriebenen Process, den ich vielleicht ein dutzend Mal und mehr in gleicher Weise beobachtet habe, für die Ablösung der Quer- furchengeißel halte. Auch glaube ich mich ein- oder zweimal über- zeugt zu haben, dass die hintere Geißel, schon bevor das Glenodi- nium seine Bewegungen völlig einstellt, abgestoßen wird und zwar ohne sich dabei aufzurollen, doch kann ich dies nicht mit aller Be- stimmtheit behaupten, wenn ich auch fest überzeugt bin, dass die sich ablösende Geißel wirklich die der Querfurche ist. Es bedarf wohl kaum eines besonderen Hinweises, dass die im Obigen geschilderte Beobachtung einer sich noch nach der Ablösung eine Zeit lang lebhaft bewegenden Geißel, eine besondere Wichtig- keit für die Beurtheilung der Kontraktionsbewegungen dieser Organe besitzt. Obgleich nämlich die Ansicht, dass der Sitz der Bewegung der Geißeln in ihrer eigenen Substanz zu suchen sei, sich wohl ziem- lich allseitige Zustimmung erworben hat, fehlte es doch bis jetzt an direkt überzeugenden Nachweisen hierfür. Durch die Thatsache, dass eine Geißel sich unter Umständen auch nach Ablösung von ihrer Befestigungsstätte noch lebhaft bewegen kann, scheint dieser Nachweis jedoch in bestimmtester Weise erbracht. So viel ich weiß, wurde eine ähnliche Beobachtung bis jetzt noch nicht gemacht, wenigstens konn- ten unzweifelhaft aktive Bewegungen abgelöster Geißeln bis jetzt noch nicht festgestellt werden. Die Schilderung der übrigen Organisationsverhältnisse, so weit ich dieselben beobachtet habe, kann ich kurz fassen. Eine dünne, dem Körper direkt aufliegende Hülle ist bei allen von mir beobach- teten Individuen vorhanden gewesen, womit ich jedoch nicht in Ab- rede stellen will, dass zuweilen auch ganz nackte auftreten mögen. Die Hülle wird erst deutlich sichtbar, wenn sich der Körper unter dem Einfluss tödtender Reagentien kontrahirt und von der Hülle etwas entfernt. Auch bei den nach Verlust der Geißeln ruhend ge- wordenen Individuen tritt die Hülle nach einiger Zeit deutlich her- vor, da sich der Weichkörper etwas zusammenzieht. Bei solchen ruhenden Formen tritt, so weit ich die Sache verfolgen konnte, eine besondere Cystenhülle nicht auf, sondern es ist die umhüllende Haut direkt aus der Hülle der beweglichen Wesen hervorgegangen, ob- gleich an der Hülle eine Andeutung der Querfurche gewöhnlich nicht mehr zu sehen ist. Dies beruht wohl darauf, dass dieselbe allmäh- 536 0. Bütschli lich verstreicht. Die Cellulosereaktion der Hiille ist leicht und deut- lich zu erhalten. Die Färbung des Körpers wird von einer dichten, einschichtigen Lage von Chromatophoren (ch) bewirkt, welche sich in der periphe- rischen Plasmaregion finden. Es sind etwas stäbchenartig gestaltete Gebilde (Fig. 1), die senkrecht zu der Oberfläche des Körpers an- geordnet sind, sich in ihrer Gesammtheit also radiär gruppiren. Werden dieselben durch Zerdrücken der Glenodinien isolirt, so er- scheinen sie als rundliche oder ovale Körperchen (Fig. 6 a—6 0), welche nicht vollständig von gefärbter Substanz gebildet werden; die letztere erscheint vielmehr dem ganz hellen und blassen Umriss in Gestalt einer oder auch zweier unregelmäßiger Massen eingela- gert. Jedenfalls beruht dieses Aussehen auf einer Quellung der iso- lirten Chromatophoren, scheint mir aber dennoch auf besondere Verhältnisse hinzuweisen. In physiologischer Verbindung mit den Chromatophoren stehen die stets in ziemlich reichlicher Zahl vor- handenen Stärkekörnchen ; morphologisch erscheinen sie jedoch von den Chromatophoren gesondert, liegen nicht etwa in denselben, son- dern mehr central, um den Nucleus angehäuft (Fig. 1 a). Sie bläuen sich mit Jod lebhaft und zeigen nach der Isolation ovale, oder etwas eckige bis unregelmäßige doppeltkonturirte Umrisse, wie sie über- haupt kleinste Stärkekörnchen häufig darbieten. Das Stigma (oc) war, wie bemerkt, als ansehnliches Gebilde bei allen von mir gesehenen Individuen vorhanden und fand sich stets an der für dasselbe bei den Cilioflagellaten charakteristischen Stelle, nämlich in der Längsfurche (Fig. 1—3 oe). Es ist eine ziem- lich breite, lebhaft rubinroth gefärbte Platte, welche die ganze Breite der Längsfurche erfüllt und wie bei den meisten Flagellaten ganz peripherisch, dicht unter der Oberfläche der Furche liegt, wie die Betrachtung im optischen Schnitt (Fig. 2—3) deutlich verräth. Sein vorderer Rand ist etwas konkav ausgeschnitten, der hintere konvex vorspringend, so dass die Gesammtgestalt eine annähernd hufeisen- förmige wird, was auch EHRENBERG schon deutlich abbildete. Na- türlich ist die Stigmaplatte, da sie sich der Furche innig anschmiegt, ausgehöhlt wie diese. Bei genauerem Zusehen erscheint sie wie bei zahlreichen Flagellaten, speciell den Euglenen, aus kleineren Körn- chen zusammengesetzt (Fig. 7) und zerfällt auch bei dem Zerdrücken der Glenodinien leicht in kleine Kérnchen oder Kügelchen. Dass es sich hier um ein Gebilde handelt, welches in jeder Hinsicht den Augenflecken der Flagellaten entspricht, ergiebt sich Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten ete. 537 auch aus seinem Verhalten gegen Jod, durch welches es schwarz- blau wird und gegen koncentrirte Schwefelsiiure, die gleichfalls eine schwarzblaue Färbung bewirkt. Es lässt sich also das Vorkommen echter Stigmen bei den Cilioflagellaten nicht bezweifeln. Nicht selten treten jedoch bei unseren Glenodinien auch im cen- tralen Plasma mehr oder minder unregelmäßig gestaltete bräunliche bis bräunlichrothe Körper auf, von jedenfalls fettartiger Natur. Speciell bei den ruhenden Formen bildet sich dieses Fett wie bei zahlreichen Flagellaten allmählich in größerer Menge aus, was hier wie bei den Flagellaten wohl damit zusammenhängen könnte, dass im ruhenden Zustand ein geringerer Verbrauch dieses Assimilationsproduktes statt- hat. Schon- die abweichende Färbung genügt jedoch, diese Ein- schlüsse von dem Stigma zu unterscheiden, womit ich jedoch nicht behaupten will, dass beiderlei Gebilde auch chemisch wesentlich verschieden seien. Nahezu im Centrum des Körpers liegt der relativ ansehnliche kuglige Nucleus (»), welcher im lebenden Zustand als hellerer Fleck erscheint. An präparirten und gefärbten Exemplaren, besser jedoch an durch Zerdrücken isolirten Kernen (Fig. 9), ergiebt sich die Nucleusstruktur als eine sehr fein-netzige mit dunkleren und etwas diekeren Knotenpunkten der Maschen. Von einer besonderen Kernmembran ließ sich auch am isolirten Nucleus nichts wahrneh- men. Die Deutung der Kernstruktur wird uns erst später bei den marinen Cilioflagellaten besonders beschäftigen. Eine kontraktile Vacuole konnte auch ich nicht auffinden, da- gegen finden sich nicht selten eine bis mehrere gewöhnliche Vacuolen auf der Ventralseite der vorderen Körperhälfte oder auch auf der Grenze der beiden Körperhälften. Zum Schluss der Betrachtung des Glenodinium cinetum habe ich noch der eigenthümlichen ruhenden Zustände, die in Fig. 4 und 5 dargestellt sind, und welche sich recht häufig vorfanden, kurz zu gedenken. Dieselben sind stets oval, größer wie die gewöhnlichen Individuen und immer durch Vorhandensein zweier Stigmata und zweier Kerne ausgezeichnet. Die ersteren liegen entweder in gera- der Linie hinter einander oder sind wie in Fig. 5 zu der Längsrich- tung des Ganzen etwas schief gestellt. Die Kerne besitzen dieselbe Struktur wie die der gewöhnlichen Individuen, wovon ich mich durch Präparation und Färbung überzeugte, dagegen gewöhnlich eine abwei- chende Gestalt. Im Gegensatz zu der kugligen Form der gewöhn- lichen Kerne sind nämlich die der fraglichen Zustände ellipsoidisch 538 O. Bütschli und zwar so gestellt, dass ihre unter einander parallelen Längsachsen ziemlich senkrecht zu der Längsrichtung der betreffenden Ruhe- zustände gerichtet sind. Man beobachtet weiter deutlich die Quer- furche, welche in sehr steiler Schraubenlinie den Körper umkreist, so dass ihre beiden ventralen Enden weit von einander gerückt er- scheinen (Fig. 4). Die beschriebenen Zustände sind nun ganz ähn- lich den von KLegs bei verschiedenen Formen geschilderten schiefen Theilungszuständen ruhender Formen und auch den von Stein Taf. XII Fig. 24 abgebildeten schiefen Theilungszuständen in Cysten, welche wahrscheinlich zu Peridinium cinetum gehörten. Ihre Entstehung kann man sich in der Weise vorstellen, dass sich das Glenodinium in die Länge streckte, wobei die Querfurche zu einer steilen Schraube wurde, ein zweiter Augenfleck auftrat (und zwar wäre dann der mitt- lere der neue) und der Kern sich getheilt hätte. Diese Auffassung wird noch dadurch gestützt, dass ich bei manchen dieser Zustände eine schwach ausgeprägte Einschnürung beobachtete, welche nahezu senkrecht zu der Querfurche verlief und dieselbe etwa in der Mitte ihres Verlaufs kreuzte, aber über die ventrale Seite hinzog, nicht über die dorsale, wie der größte Theil der Querfurche. Diese Ein- schnürung wäre dann als die erste Andeutung der Durchschnürung der Theilhälften zu betrachten. Wenn nun auch diese Auffassung der beschriebenen Zustände als Theilungen recht plausibel erscheint, so konnte doch an keinem der zahlreich untersuchten Exemplare, trotz viele Tage fortgesetzter Beobachtung, eine Veränderung be- merkt werden. Unter diesen Umständen erhebt sich die Frage ob es sich hier vielleicht um Kopulationsformen handle. Aber auch diesem steht entgegen, dass eine weitere Veränderung nicht zu be- obachten war; die Vereinigung der beiden Abschnitte machte keine Fortschritte. Daher halte ich es für das Wahrscheinlichste, dass hier Thei- lungszustände vorliegen, welche aus irgend welchen Gründen nicht zur Vollendung gelangten. Wir wissen, dass bei gewissen Flagel- laten solehe Zustände nicht selten vorkommen und auch beweglich werden können. Letzteres trifft wohl auch für unsere Form zu, denn Prof. AskenasY fand auch bewegliche Zustände der beschriebenen Art und Kregs ist ja auch der Ansicht, dass die von STEIN be- schriebenen vermeintlichen Copulationsformen nur solche beweglich gewordene unvollständige Theilungszustände waren, eine Ansicht, der man (vielleicht mit Ausnahme der bei Amphidinium beobachteten Erscheinungen) wohl zustimmen muss. Ich kann nun aber an dieser Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten ete. 539 Stelle nicht unberiicksichtigt lassen, dass sich Prof. ASKENASY bei unserem Glenodinium von dem Vorkommen wirklicher Kopulation bestimmt überzeugt haben will und auch die oben geschilderten Ruhezustände für Kopulationsformen hält. Seiner Freundlichkeit ver- danke ich hierüber, wie über den Process des Wiederausschlüpfens der gewöhnlichen Ruhezustände den nachfolgenden Bericht, welcher um so mehr Interesse besitzt, als gesicherte Beobachtungen über Kopulation der Cilioflagellaten bis jetzt noch nicht vorlagen. »A. Kopulation. Ich habe mehrfach kopulirende Paare von Glenodinium cinctum beobachtet und in einigen Fällen dasselbe Paar längere Zeit bis zum Aufhören der Bewegung verfolgt. Die kopu- lirenden Exemplare finden sich zwar nicht gerade häufig, doch habe ich zuweilen bei reichlichem Material in jedem Tropfen unter vielen einzelnen sich bewegenden Formen immer auch je 1 oder 2 kopuli- rende Paare angetroffen. Die kopulirenden Formen haften zunächst an einem Punkte zusammen und zwar regelmäßig so, dass der hin- tere mit Augenpunkt versehene Pol des einen Individuums an dem vorderen des anderen anhaftet. Sie bewegen sich dann längere Zeit in Zusammenhang bleibend im Wasser umher. Sie reißen sich aber auch manchmal wieder von einander los und man sieht dann oft, dass sich die betreffenden Individuen wieder an andere anhängen. Wenn aber ein solches Paar längere Zeit in Verbindung geblieben ist, bemerkt man, dass das Anhaften inniger und fester geworden ist. Die beiden Individuen haften nun nicht mehr.nur an einem Punkte an einander, sondern mit mehr oder weniger breiter Fläche, zuweilen auch so, dass sie seitlich etwas über einander geschoben er- scheinen. Man erkennt solche Paare unter den einzeln sich bewe- genden sofort an der unregelmäßigen Gestalt und der schwerfälligen, unregelmäßigen Bewegungsweise. Die Bewegung der Paare dauert recht lange, ich habe sie auf dem Objektträger einige Male über eine Stunde lang verfolgt. Schließlich hört sie plötzlich auf, man er- kennt noch an den ruhig liegenden kurze Zeit das Schwingen der langen Geißeln.. Dann hört auch dies auf und die Zygote (wenn man das Kopulationsprodukt so nennen darf) bleibt ruhig liegen. Je nach Umständen ist die Größe der Kopulationsstelle und danach das Aussehen der Zygote verschieden. Manchmal erstreckt sich die Verbindungsstelle nur auf einen geringeren Theil der Außenfläche, manchmal auf einen größeren. Immer aber ist bei denjenigen For- men, deren zur Ruhekommen ich direkt unter dem Mikroskop beob- 540 O. Bütschli achtete, die Gestalt eine etwas biskuitförmige. An der Zygote sind die zwei Augenflecke und eben so die zwei Zellkerne deutlich zu erken- nen. Der eine Augenfleck befindet sich gewöhnlich nahe an der Verbindungsstelle der beiden Individuen, doch etwas seitlich davon. An der Verbindungsstelle selbst findet man eine deutliche Kontinui- tit des Plasmas. Unter dem untersuchten Material finden sich nicht selten regelmäßig ellipsoidische Glenodinien, etwa doppelt so groß wie die Einzelindividuen mit zwei Zellkernen und zwei Augenflecken. Ich stehe nicht an, diese für Kopulationsprodukte zu halten; die minder regelmäßige Gestalt bei denen, deren Kopulation ich direkt beobachtete, ist wohl einfach eine Folge der ungünstigen Einwirkung der äußeren Verhältnisse, die mit der Beobachtung im hängenden Tropfen oder auf dem Objekttriger nothwendig verbunden ist, und für welche die Glenodinien sehr empfindlich sind. Unter diesen Umständen wird die Bewegung früher sistirt als sonst und die wäh- rend derselben allmählich erfolgende Verschmelzung des Plasmas an den sich berührenden Flächen der beiden Individuen findet nicht in normaler Weise statt. An den zur Ruhe gekommenen Zygoten be- merkt man deutlich eine (doppelt konturirte) Membran. Die kopu- lirenden Individuen sind aber wahrscheinlich ohne eine solche; wenigstens konnte ich dies in einem Falle sicher ermitteln. Ein kopulirendes Paar, das ich etwa eine Stunde beobachtet hatte unc das augenscheinlich nahe daran war in Ruhezustand überzugehen, erfuhr durch allmähliche Verdunstung des Wassers einen stätig ge- steigerten Druck seitens des Deckglases; plötzlich schwoll es gewal- tig zu einem beträchtlich größeren Volumen an und zerplatzte schließlich, wobei sich der Inhalt in mehrere kuglige Tropfen ballte, ohne dass irgend etwas von einer Hülle sichtbar war, die doch beim Zerdrücken gewöhnlicher Einzelindividuen sehr deutlich sichtbar wird. Eine weitere Entwicklung der Zygoten wurde nicht beobach- tet, doch wurden einzelne zygotenähnliche Körper gefunden, die in der Mitte eine deutliche Querscheidewand zeigten. B. Häutung. Wenn man schwärmende Individuen von Gle- nodinium auf dem Objektträger oder im hängenden Tropfen beobach- tet, so bemerkt man, dass sie nach kürzerer oder längerer Zeit, spätestens nach ein bis zwei Stunden, zur Ruhe kommen und ihre Cilien abwerfen. Ich bewahrte eine Anzahl soleher Individuen im hängenden Tropfen im dampfgesättigten Raume auf und untersuchte sie Jeden Tag zwei oder dreimal unter dem Mikroskop. Das Wasser des Tropfens wurde von Zeit zu Zeit erneuert. Mehrere Tage hindurch Einige Bemerk. tiber gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 541 konnte ich keinerlei Anderung bemerken. Als ich aber nach Ver- lauf einer Woche eines Abends die betreffende Musterung vornahm, fand ich, dass die Mehrzahl der Individuen sich. gehiutet hatte. Die alten seitlich an der einen Grenze der Querfurche aufgerissenen Häute lagen hier und da herum, eben so die ausgetretenen mit neuer Haut versehenen Exemplare, die den alten ganz ähnlich gebildet und sämmtlich in den Ruhezustand übergegangen waren. Einzelne steck- ten noch theilweise in ihrer Hülle, waren aber (wahrscheinlich beim Austreten) abgestorben, wie man (bei sonst unverändertem Aussehen) aus ihren unregelmäßig begrenzten Vacuolen mit lebhafter Molekular- bewegung erkennen konnte. Am nächsten Tage Nachmittags gelang - es mir ein Glenodinium zu beobachten in dem Augenblick, wo es aus der alten Hülle austrat. Dieses Austreten geschieht durch einen seitlichen Spalt an der äquatorialen Furche. Der Spalt war in dem beobachteten Fall ziemlich eng, man konnte deutlich bemerken, wie der Körper des Glenodinium beim Austreten gedehnt wurde. Selbst der Kern zeigte deutlich eine durch Zerrung bewirkte. Gestaltände- rung. Der Vorgang bot ganz dasselbe Bild dar wie wenn ein nack- ter Algenschwärmer aus seiner Mutterzelle durch eine seitliche Öffnung austritt. Danach glaube ich denn auch mit Sicherheit be- haupten zu dürfen, dass das Glenodinium während des Ausschlüpfens aus der alten Hülle eine feste Membran noch nicht besitzt. Die Dauer des Austritts betrug nur etwa eine Minute oder weniger; so wie der ganze Körper des Glenodiniums aus der alten Hülle sich befreit hatte, nahm er sofort die normale Gestalt an. Er bewegte sich dann einige Minuten in gewohnter Weise, dann hielt er plötz- lich still; die Geißeln wurden abgeworfen und er ging in Ruhezustand über. Er zeigte sich dann anscheinend bereits mit einer Membran umhüllt, so weit man dies durch lediglich optische Mittel feststellen konnte. Bemerkenswerth scheint mir, dass, nachdem mehrere Glenodi- nien sich gehäutet hatten, unter der nicht sehr großen Zahl von In- dividuen, die im hängenden Tropfen gezogen wurden, mehrere an dem doppelten Zellkern und den zwei Augenflecken kenntliche Zy- soten waren, die ich früher nicht bemerkt hatte. Ich glaube dar- aus schließen zu dürfen, dass namentlich frisch ausgeschlüpfte haut- lose oder dünnhäutige Glenodinien kopuliren, wofür auch die früher erwähnte Beobachtung über das Zerplatzen eines kopulirenden Paa- res spricht.« 542 O. Biitschli 2. Beobachtungen an marinen Formen der Kieler Bucht. Die zur Untersuchung gekommenen Formen waren Ceratium Tripos und Fusus, Peridinium divergens, Gonyaulax polyedra St., Dinophysis acuta und Prorocentrum mi- cans. AuBerdem fanden sich in dem Material noch einige Formen spärlich vor, welche ich nicht geauer studirte. Meine Beobachtun- gen beziehen sich specieller auf die Geißel- und Kernverhältnisse. GeiBeln. Bei allen erwähnten Formen, mit Ausnahme von Prorocentrum, konnte ich die Existenz der beiden uns schon be- kannten Geißeln sicher nachweisen. Bei Prorocentrum habe ich übrigens auf die Geißelverhältnisse auch weniger geachtet und we- nigstens einmal die Anwesenheit zweier Geißeln konstatirt, von Cilien des Vorderendes dagegen nie etwas gesehen, die doch wohl sicher erhalten gewesen wären, da bei den in dem Material nicht selte- nen Tintinnoiden der Cilienkranz stets auf das beste konservirt war. Ich beginne die Besprechung mit dem Ceratium Tripos, bei welchem ich die Gegenwart zweier Geißeln in einer so großen An- zahl von Fällen konstatirte, dass ich an dem allgemeinen Vorkom- men derselben nicht zweifeln kann. Als allgemeine Bemerkung kann ich noch vorausschicken, dass, eben so wenig wie bei Proro- centrum, bei irgend einer der untersuchten Meeresformen Cilien in der Querfurche sich finden. Die hintere, im Leben gewöhnlich ausgestreckt getragene Gei- Bel fand sich bei den konservirten Exemplaren des C. Tripos stets in eine sehr große Anzahl enger Schraubentouren aufgerollt und mehr oder minder in den sog. Geißelspalt zurückgezogen, so dass nur ein beschränkter Theil aus demselben hervorragte (Fig. 10 bis 12 9). Wie bekannt kontrahirt sich die hintere Geißel auch während des Lebens häufig in solcher Weise und zieht sich mehr oder weni- ger in die Geißelspalte zurück. Dass bei unseren Formen dieses Verhalten stets gefunden wurde, beruht ohne Zweifel auf einer ent- sprechenden Kontraktion und Rückziehung der Geißel bei der Tö- dtung durch Pikrinschwefelsäure. Die Ursprungsstelle der Geißel liegt weit nach vorn in der Geißelspalte dicht bei oder neben dem linken Ende der Querfurche (Fig. 10, 11 und 13). Es ist natürlich, dass die genaue Feststellung der Ursprungsstelle gewisse Schwierig- keiten besitzt; bald sah ich sie etwas nach hinten von dem linken Ende der Querfurche, bald dicht neben demselben entspringen. Dicht Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 543 neben der geschilderten Geißel entspringt nun auch die zweite (fg) und zwar deutete die Mehrzahl der beobachteten Fälle darauf hin. dass dieselbe etwas vor der ersteren ihren Ursprung nimmt. Meist erschien diese Geißel als ein in eine unzählbare Menge von schrau- bigen Schlingen gelegter Faden, welcher sich in etwas verschiedenen Richtungen über den Bauchausschnitt erstreckte (Fig. 10). Bei eini- sen Individuen konnte jedoch kein Zweifel herrschen, dass auch die zweite Geißel entweder nur in ihrem proximalen Abschnitt oder in ihrer ganzen Länge in den Längsspalt, neben die erstbesprochene, eingelagert war. Das ersterwähnte Verhalten der zweiten Geißel konnte auch Kress (1884) mehrfach konstatiren. Dass nun aber auch bei Ceratium Tripos diese zweite Geißel gewöhnlich in der Querfurche verläuft, ergaben eine Reihe von In- dividuen, bei welchen sich ihr proximaler Theil noch auf eine mehr oder minder beträchtliche Strecke in der Querfurche befand und nur ihr Ende aus derselben hervorragte (Fig. 11—13). Dabei begiebt sich die Geißel von ihrer Ursprungsstelle natürlich in den linken ventralen Theil der Querfurche, läuft also, von links auf der Ven- tralseite beginnend, über die linke Seite auf den Rücken und schließ- lieh im normalen, ausgedehnten Zustand, wohl auch rechts über die rechte Seite wieder auf die rechte Bauchfläche zurück. Dass die Geißel bei den konservirten Individuen stets nur einen geringen Theil der Länge der Querfurche erfüllte, beruht sonder Zweifel auf ihrer beträchtlichen Zusammenziehung bei der Abtödtung, welche sich ja in der dichten -Schlingenbildung ausspricht. Ob die Geißel auch in dem lebenden Zustand zuweilen aus der Querfurche hervor- gestreckt wird, oder ob das erstbeschriebene Verhalten derselben auch bei Ceratium Tripos nur durch Hervorschnellung bei der Tö- dtung erklärt werden muss, kann natürlich nur an lebendem Material festgestellt werden. Nicht unerwähnt darf ich den zwar nur einmal beobachteten Fall lassen, wo sich mit aller wünschenswerthen Si- cherheit in der Längsspalte zwei nach hinten gerichtete Geißeln fanden und daneben noch die über die Bauchfurche quer nach rechts herübergelegte Querfurchengeißel. Ich kann es daher nicht für un- möglich halten, dass sich zuweilen zwei hintere Geißeln finden, wie sie CLAPAREDE und LACHMANN gelegentlich bei Ceratium cornutum beobachtet haben wollen. Auch Kress neigte sich in seiner ersten Arbeit dieser Ansicht, speciell für die eben erwähnte Form, zu, kommt dagegen in der jüngst publieirten zu der Auffassung, dass diese zweite hintere Geißel wohl die Querfurchengeißel gewesen sei. Wie 544 O. Bütschli gesagt muss ich, nach der zwar nur einmal bei Ceratium Tripos gemach- ten Beobachtung, die gelegentliche Verdoppelung der hinteren Geifel für möglich halten. Es wurde oben mehrfach des Geißelspaltes gedacht, in welchem die hintere Geißel mit ihrem proximalen Abschnitt eingelagert ist und aus dessen hinterem Ende sie frei hervortritt. Die Beschaffen- heit dieses Spaltes und des ganzen sog. Bauchausschnittes (Bauch- furche — Längsfurche) verdient wohl noch einige Worte, da hierüber etwas verschiedene Ansichten geäußert worden sind. Es kann kei- nem Zweifel unterliegen, dass der ganze sog. Bauchausschnitt der Ceratien der Längsfurche der übrigen Cilioflagellaten entspricht und sich von dieser nur durch seine große Verbreiterung unterscheidet. BERGH ist nun wie CLAPAREDE und LACHMANN u. A. der Ansicht, dass in der gesammten Ausdehnung des Bauchausschnittes das Kör- perplasma unbedeckt, nackt sei. Mit Srem muss ich diese Vor- stellung als unrichtig bezeichnen. Der Bauchausschnitt oder die Längsfurche ist von einer dünnen Fortsetzung der Zellhülle über- kleidet, welche Stern die sog. Mundplatte nennt. Nur längs der hin- teren Hälfte des linken Seitenrandes des Bauchausschnittes findet sich eine spaltenförmige Unterbrechung, die Geißelspalte (Fig. 10 2), in der Membran der Bauchfurche, über die ich nach meinen mehr gelegentlichen Beobachtungen Folgendes berichten kann. Diese Geißelspalte beginnt an dem linken Ende der Querfurche und er- streckt sich von hier längs dem linken hinteren Seitenrand des Bauchausschnittes, jedoch in einiger Entfernung von demselben nach hinten bis nahe zu dem Hinterrand der Bauchfurche. Sie wird dadurch gebildet, dass das Plasma des Bauchaus- schnittes in ihrer Ausdehnung sich zu einer ziemlich tiefen Längs- rinne einsenkt, welche in der Ansicht von vorn oder hinten im optischen Querschnitt deutlich wahrzunehmen ist und sich sogar schon auf Enrenpere’s Taf. XXII Fig. 13, 5, dargestellt findet (Fig. 13 2). Der rechte freie Rand (r) dieser Längsrinne legt sich etwas dachartig über dieselbe herüber, wie auf dem optischen Quer- schnitt (Fig. 13) gut zu sehen ist und bewirkt, dass die ventrale Öffnung der Rinne sich als ein enger Längsspalt darstellt. Auch der linke Rand der Rinne scheint sich wenigstens gegen ihr hinte- res Ende zu etwas zu erheben (Fig. 10). Die Membran des Bauch- ausschnittes schlägt sich. nun um den dachartigen rechten Rand herum und hört am Grunde der Rinne auf und auch am linken Rande reicht die Membran bis an den Grund der Furche heran. Einige Bemerk. iiber gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 545 Am hinteren Ende miindet die Rinne auf dem Bauchausschnitt durch ein ovales Loch (Fig. 11 7), aus welchem die hintere Geißel her- vorragt und dessen hinterer Rand sich in den Boden der Rinne fort- setzt, während der vordere Rand gespalten ist, indem er in die beiden Seitenränder der Rinne oder des Geißelspaltes übergeht. Die ganze Einrichtung ist etwas schwer zu verstehen und wird sich an leben- den Exemplaren leichter studiren lassen, da der Plasmakörper bei den konservirten von der Membran zurückgezogen ist und dadurch das Bild komplieirter wird. Stein giebt den Geißelspalt (»Mundspalt« nach ihm) bei den abgebildeten Ceratien richtig an, scheint jedoch gerade bei Ceratium Tripos seine Bildung weniger genau verfolgt zu haben wie bei anderen, namentlich Ceratium cornutum und macroceros, wo er den dachartig vorspringenden rechten Rand der Längsrinne deutlich zeichnet und eben so deren hintere ovale Öffnung. Bei Ceratium Fusus finden wir im Wesentlichen diesel- ben Verhältnisse, indem auch hier zwei Geißeln dicht neben dem linken ventralen Ende der Querfurche entspringen (Fig. 31), von welchen die eine zuweilen auch nach links in der Querfurche ver- lief und eine Strecke weit in dieselbe eingelagert war. Bei dieser Art (in minderem Grad auch bei Ceratium Tripos) ist an den kon- servirten Exemplaren das Körperplasma im hinteren Theil des Bauchausschnittes stets bruchsackartig hervorgequollen und hat die den Bauchausschnitt bedeckende Membran mehr oder minder un- regelmäßig abgehoben. Man muss sich darum bei Ceratium Fusus hüten, nicht etwa den optischen Durchschnitt dieser Membran in der seitlichen Ansicht für eine Geißel zu halten, was bei flüchtiger Untersuchung wohl geschehen kann. Bei Gonyaulax polyedra St., auf dessen Geißelverhältnisse ich nicht besonders achtete, gelang es mir doch einmal an einem in der Rückenansicht beobachteten Individuum (Fig. 20) die hintere Geißel (g) in der Längsfurche auf das deutlichste zu sehen und gleichzeitig die Querfurchengeißel (fg) in dem ganzen dorsalen Ver- lauf der Querfurche nachzuweisen. Besonders interessant erschienen die Verhältnisse bei Peridi- nium divergens. Hier entspringen die beiden Geißeln in der Längsfurche (Fig. 22 a). Die hintere, so weit ich mich zu überzeu- gen vermochte, ziemlich weit hinten, die vordere ziemlich an dem vorderen Ende dieser Furche. Die Querfurchengeißel (fg) fand ich zuweilen eine Strecke weit in die Querfurche eingelagert; an dem Morpholog. Jahrbuch. 10. 35 546 O. Bütschli in Fig. 22 « abgebildeten Exemplar, wo ich sie am deutlichsten stu- diren konnte, war sie jedoch in ganzer Länge aus der Furche hervor- geschleudert. Zunächst fällt auf, dass diese Geißel hier eine viel bedeutendere Länge besitzt wie die Längsfurchengeißel (g) und dann glaube ich mich bei diesem Individuum mit aller Sicherheit über- zeugt zu haben, dass die Querfurchengeißel, wenigstens in fast ihrer ganzen Länge, bandförmig gestaltet ist, entsprechend der Beschrei- bung, welche KLEess in seiner ersten Abhandlung von der Quer- furchengeißel des Peridinium tabulatum gab. Der eine Rand des Bandes war ziemlich gerade gestreckt, der andere vielfach in feine Schlingen gelegt. Bei aufmerksamem Zusehen ließ sich ferner wahr- nehmen, dass dieses Band nicht homogen ist, sondern Reihen feiner Körnchen aufweist (Fig. 22 4), welche in der Längs- wie in der Querrichtung durch feinste Fädchen verbunden sind. Natürlich ließ sich nur an gewissen Stellen des Geißelbandes die Überzeugung ge- winnen, dass eine derartige Struktur vorhanden ist. Ich halte die- selbe für den Ausdruck der Netzstruktur des Plasmas des Geißel- bandes und werde bei späterer Gelegenheit auf dieses wichtige Verhalten nochmals zurückkommen. Es erübrigt uns nun noch, der Dinophysis acuta kurz zu gedenken. Auch bei dieser Form ließ sich die Existenz der bei- den Geißeln mehrfach nachweisen (Fig. 23). Die hintere entspringt, wie es STEIN im Gegensatz zu BERGH angiebt, etwas vor der mitt- leren Verdickungsrippe der großen linken Flügelleiste der Längs- furche und ist beträchtlich kleiner als die Querfurchengeißel. Letztere entspringt ziemlich dicht vor der ersteren und ist auf der Fig. 23 aus der Querfurche hervorgeschleudert; doch beobachtete ich auch ein Individuum, bei welchem sie noch in der Furche verlief und zwar wendet auch sie sich auf die linke Seite und schlägt sich über den Rücken rechts herum. Hiermit habe ich das über die Geißelverhältnisse Beobachtete mitgetheilt und glaube danach, es kann kein Zweifel mehr sein, dass die zuerst von Kress entdeckten Einrichtungen sich bei der ganzen Gruppe in gleicher Weise wiederfinden. Der Bau der Kerne der marinen Formen. Wie die Flagellaten scheinen auch die Cilioflagellaten fast stets einen ein- zigen Kern zu enthalten; nur bei einem Präparat von Ceratium Tripos aus dem Mittelmeer fand ich zwei Kerne neben einander; da dasselbe jedoch nicht gefärbt ist, so will ich auf diese Beobachtung keinen großen Werth legen. Den besten Einblick in den interessan- Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 547 ten Bau der Kerne gewährt eben das Ceratium Tripos. Ich bemerke im Allgemeinen, dass ich die Untersuchung der Kerne an mit Alaun- karmin gefärbten und in Kanadabalsam eingeschlossenen Präparaten vornahm. Der Beschreibung des feineren Baues der Kerne von Ceratium Tripos will ich vorausschicken, dass der Nucleus bei dieser Form stets in der vorderen Körperhälfte liegt und merkwürdig verschiedene Größenverhältnisse aufweist. Auf Fig. 10 ist ein Kern von etwa Mittelgröße eingezeichnet, doch findet man auch solche, welche nieht unbeträchtlich unter dieser Größe bleiben und wieder an- dere, welche die doppelte und dreifache Größe erreichen. Die allgemeine Gestalt des Kernes ist kuglig bis ellipsoidisch. Bei der Durchmusterung der Präparate fallen einem zunächst Kerne auf, welche eine exquisit netzförmige Anordnung der gefärbten Kern- substanz darbieten. Das Bild eines solchen Kernes, natürlich in einem optischen Durchschnitt, giebt die Fig. 14 a. Bei einem Kern, welcher die Netzstruktur so scharf und deutlich zeigt, tritt dieselbe aber nicht nur etwa auf einem bestimmten Durchschnitt hervor, son- dern in gleicher Weise auf allen parallelen Durchschnittsebenen. Im Hinblick auf die in neuerer Zeit mehrfach geäußerte Ansicht, dass das Bild der Netzstruktur ein trügerisches sei, hervorgerufen durch sich kreuzende Schlingen eines Kernfadens, betone ich noch besonders, dass meiner Ansicht nach bei diesen Präparaten kein Zweifel statt- finden kann, dass es sich wirklich um Netzverbindungen der dunk- leren, verdickten Knotenpunkte handelt. Die Maschen des Netzes sind an manchen Kernen so weit und so scharf gezeichnet, wie man es nur wünschen kann. Die äußere Peripherie des Kernes wird in gleicher Weise von Fiidchen und Knotenpunkten gebildet. Man findet nun die verschiedenen Kerne von der verschiedensten Feinheit des Maschenwerkes; neben solchen, wo die Struktur auf das klarste und sicherste festzustellen ist, auch andere, bei denen sie immer feiner wird. Zwischen der Größe der Kerne und der Weite der Netzmaschen scheint keine Beziehung zu existiren. Na- tiirlich könnte man bei den sehr feinnetzigen Kernen nicht mit gleicher Sicherheit ein Urtheil über die Struktur fällen, wenn nicht alle Übergänge in der Weite der Maschen zu beobachten wären. Das Interessante an diesen Kernen ist nun aber, dass sie nur in einer bestimmten Ansicht den Netzbau zeigen. Dreht man näm- lich ein Ceratium mit deutlich netzigem Kern um 90 Grad, so zeigt der Nucleus ein ganz anderes Bild. Derselbe ist nun (Fig. 14 5) 35* 548 0. Biitschli von dickeren Fäden der Kernsubstanz durchzogen, welche einen ziemlich parallelen Verlauf nehmen und von Oberfläche zu Ober- fläche streichen!. Die Fäden besitzen schwache Varicositäten. Hier- aus erhellt, dass die Netzstruktur nur erscheint, wenn diese diekeren Kernfäden im optischen Querschnitt gesehen werden und dass die Knotenpunkte des Netzes den Fäden entsprechen. Unter sich müssen nun diese Fäden wieder verbunden sein, wie die Netzstruk- tur beweist. Da nun aber in der Längenansicht der Fäden von fadenartigen Verbindungen derselben höchstens schwache Spuren zu sehen sind, worauf ich weiter unten noch zurückkomme, so scheint mir hieraus mit Sicherheit zu folgen, dass die scharf sichtbaren Netzfäden zwischen den Querschnitten der Kernfäden nieht faden- artige Bildungen sind, sondern die optischen Durchschnitte von zär- teren Lamellen, welche sich zwischen den Kernfäden in ihrer ganzen Länge ausspannen. Hierfür spricht denn auch, dass man bei Be- trachtung eines netzförmigen Kernes nicht nur die Knoten des Netz- werkes beim Heben und Senken des Tubus in den benachbarten Ebenen weiter verfolgen kann, sondern auch die Verbindungsfäden. Aus diesen Betrachtungen würde sich also ergeben, dass der Bau dieser Kerne nicht ein fädiger sondern ein wabiger ist. Der Kern erwiese sich zusammengesetzt aus von dünnen Scheide- wänden gebildeten, drei- bis mehrseitigen Waben, deren Kanten fadenartig verdiekt sind und deren Hohlräume von einer helleren, schwächer brechenden und wenig färbbaren Masse, dem sog. Kern- saft, erfüllt sind. Alle Bilder sprechen dafür, dass auch die peri- pherischen Enden der Waben durch eine dünne Membran abgeschlos- sen sind, so dass der Kernsaft bei dem wahrscheinlichen Mangel einer Kernmembran nicht mit dem Saft, welcher die Netzmaschen des eigentlichen Plasmas erfüllt, in direkter Kommunikation steht. Die Breite oder Dicke der Waben ist an den verschiedenen Kernen äußerst verschieden und daher auch das auf dem optischen Quer- schnitt erscheinende Netzwerk von sehr verschiedener Weite, wie früher erwähnt. Es finden sich nun Kerne, bei welchen dieses Netzwerk und demnach auch die Waben des Kernes auf dem optischen Querschnitt eine gewisse regelmäßige Anordnung zeigen, indem die Scheide- wände der Waben in sich kreuzenden, mehr oder weniger parallelen ' Es ist bemerkenswerth, dass die Fadenstruktur der Kerne gewöhnlich in seitlicher, so wie Vorder- und Hinteransicht der Ceratien sichtbar ist, also der Verlauf der Kernfäden gewöhnlich der dorsoventralen Achse parallel ist. Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 549 Richtungen angeordnet sind. Die Figur 15 giebt ein sehr charak- teristisches Bild des optischen Querschnittes eines derartigen Kernes. Bevor wir zu den Komplikationen iibergehen, welche das regel- mäßige Gefüge der bis jetzt besprochenen Kerne bei dieser und an- deren Formen erleiden kann, bemerken wir einige Worte über die zuweilen in den Kernen des Ceratium Tripos sich findenden nucleo- lusartigen Gebilde. Im Ganzen finden sich solche Nucleoli nicht gerade häufig und treten in der Ein- bis Zweizahl auf (Fig. 17). Sie liegen in kleinen von Kernsaft erfüllten Räumen in dem Kern- gerüste und sind ziemlich rund. Es lässt sich nun an größeren solchen Nucleoli, welche sich in der Färbung von dem umgebenden Kerngerüst nicht wesentlich unterscheiden, mit Sicherheit nachweisen, dass auch sie aus einem netzförmigen Gerüst gebildet sind, ganz ähnlich dem eigentlichen Kerngerüst; ob zwar diese Struktur auch für die Nucleoli auf eine wabige Beschaffenheit der Substanz hin- deutet, ließ sich nicht sicher feststellen. Ähnliche Nucleoli fanden sich auch zuweilen bei Peridinium divergens. Ich bemerke bei die- ser Gelegenheit gleich, dass ich auch bei marinen Rhizopoden in dem Netzgerüst des Kernes zuweilen Nucleoli gefunden habe, welche ebenfalls das deutlichste netzförmige Gefüge zeigten und hoffe diese Untersuchungen in Bälde veröffentlichen zu können. Nicht immer bietet aber der Kern von Ceratium Tripos die bis- her geschilderte, relativ einfache und leicht verständliche Struktur dar und die übrigen untersuchten Cilioflagellaten zeigten überhaupt nie einen solch einfachen Bau der Kerne. Die Komplikation hat aun darin ihren Grund, dass die bei Ceratium Tripos in so regel- mäßiger Weise, ziemlich parallel verlaufenden Kernfäden einen mehr oder weniger gebogenen Verlauf nehmen und namentlich in den verschiedenen Ebenen des Kernes in verschiedenen Richtungen zie- hen, so dass sie sich kreuzen. Relativ einfach sind die Verhältnisse noch bei Ceratium Fusus. Die entsprechend der Längsstreckung dieser Art auch meist etwas in die Länge gezogenen Kerne zeigen sich gewöhnlich in einer Form, von welcher die Fig.31 einen Begriff zu geben versucht. Man sieht fast stets die Kernfäden in mehr oder weniger regelmäßigem Verlauf, bei dem einen Kern mehr quer, bei dem anderen mehr schief durch den Kern ziehen, bald geräder in ihrem Ver- lauf, bald mehr oder weniger geschwungen. Dass man bei dieser Form die Kerne gewöhnlich in der Ansicht erhält, wo sie den fädigen Bau aufweisen, dürfte wohl darauf beruhen, dass sich das Ceratium Fusus in Folge seiner Gestaltung meist in seitlicher Ansicht darbietet, in 550 O. Biitschli welcher ja auch die Kerne bei Ceratium Tripos den fadigen Bau zeigen. Jedenfalls hat aber schon hier der Verlauf der Faden, respektive der Waben, in Verbindung mit der Streckung des Kernes eine gewisse Unregelmäßigkeit durch Biegung und Schlängelung erfahren. Doch gelingt es auch bei dieser Form, bei richtiger Lage des Kernes, rein netzige Strukturen zu erblicken, nur tritt hier schon die Erscheinung auf, welche wir bei noch verworrenerem Verlauf der Fäden oder Waben deutlicher beobachten werden, dass bei einer gewissen Ansicht meist nicht der ganze Kern das netzige Gefüge zeigt, sondern nur ein größerer oder kleinerer Theil: eine Erschei- nung, welche sich leicht daraus erklärt, dass bei dem in verschie- denen Ebenen verschiedenen Verlauf der Waben nicht mehr alle von einer Ebene quer geschnitten werden können, sondern ein Theil quer getroffen, ein anderer in der Längsansicht erblickt wird. Auch bei Ceratium Tripos finden sich nicht selten ähnliche Unregelmäßigkeiten in den Wabenzügen, welche dann auch Veranlassung zu ähnlichen Bildern geben, wie ich eines auf Fig. 10 gezeichnet habe. Hier zeigt der größte Theil des Kernes den fädigen Bau und nur ein kleiner den netzigen. Die Erklärung dieses Bildes ergiebt sich aus dem Vorbemerkten von selbst. Ein sehr instruktives Bild bietet ein auf Fig. 16 5 wiedergege- bener Kern von Peridinium divergens dar. Er zeigt das fädige Gefüge recht deutlich und zwar in eigenthümlicher, im Wesentlichen koncentrischer Anordnung. Betrachtet man jedoch einen optischen Durchschnitt desselben Kernes in der Längenrichtung, Fig. 16 a, so tritt an den beiden Enden die Netzstruktur sehr klar hervor und dazwischen schief verlaufende Fäden. Die Erklärung des Bildes ist für diesen Fall die schon füher gegebene. Sowohl bei Kernen wie dem letztbesprochenen, wie bei denen des Ceratium Fusus glaube ich mich nun auch überzeugt zu haben, dass zwischen den Kernfäden häufig noch sehr zarte Verbindungsfäd- chen wahrzunehmen sind, welche sich zwischen den Varicositäten derselben erstrecken. Bei Ceratium Tripos konnte ich davon nichts Deutliches sehen. Ich neige mich daher der Ansicht zu, dass auch die Wabenräume der Kerne nochmals von sehr zarten Quer- scheidewänden durchzogen sind. Betrachten wir nun endlich noch einen Kern des Prorocentrum micans (Fig.19), so finden wir denselben von sehr unregelmäßiger Gestalt, in mehrere zipfelföürmige Auswüchse verlängert und zwar findet sich eine der Abbildung ungefähr entsprechende Form des Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten ete. 55% Kernes recht häufig. Doch giebt es auch Individuen mit ziem- lich einfachem, rundlichem Kern. Das fädige Gefüge dieses Kernes ist nun wohl in Verbindung mit seiner Gestaltung noch verworrener und auf der Figur sind die tiefer liegenden Fäden nicht alle ange- deutet, um das Bild nicht zu sehr zu komplieiren. Der Kern des Gonyaulax polyedra ist gewöhnlich von wurst- förmiger bis hufeisenartig gekrümmter Gestalt und in die Äquatorial- ebene eingelagert, so dass er in den Polansichten am besten zu be- obachten ist. Bei ihm ist die Struktur am verworrensten, indem sich die Fäden in den verschiedensten Richtungen unregelmäßig verknäueln. Es scheint, dass eine solche Struktur hier die gewöhn- liche ist, während sie bei den übrigen nur gelegentlich vorkommt. Letzterer Umstand dürfte jedoch beweisen, dass auch der Bau die- ses verworren-fädigen Kernes im Wesen derselbe ist wie der typi- sche bei Ceratium Tripos und es erscheint verständlich, dass es bei einer so verworrenen Anordnung der Fäden und Waben nicht mehr gelingt, die Struktur völlig zu enträthseln. Der geschilderte Bau der Cilioflagellatenkerne hat nun in man- cher Hinsicht ein ziemliches Interesse, wie ich hier noch kurz be- merken will, ohne bei dieser Gelegenheit auf eine allgemeinere Vergleichung desselben mit den neueren Vorstellungen über den Bau der Gewebekerne einzugehen. Namentlich erweckt der verworren knäuelartige Bau unsere Aufmerksamkeit, wegen der großen Ähn- lichkeit mit der Struktur der in Theilung begriffenen Kerne der ciliaten Infusorien. Ich kann nicht zweifeln, dass die seit BALBIANT’s Untersuchungen bekannte Knäuelform der sich theilenden Infusorien- kerne im Wesentlichen auf denselben Strukturverhältnissen beruht, welche wir an den Kernen der Cilioflagellaten beschrieben. Auch stimmt Dasjenige, was ich in den letzten Jahren gelegentlich von der Struktur der Infusorienkerne beobachtete, mit dieser Auffassung gut überein. Wir finden an den ruhenden Hauptkernen dieser For- men entweder eine ziemlich regelmäßige oder eine mehr verworrene Netzstruktur, deren Rückführung auf ähnliche Verhältnisse wie bei den Cilioflagellaten bei genauerer Untersuchung wohl möglich sein wird. Bei den Suctorien scheint auch im ruhenden Hauptkern wie bei den Cilioflagellaten die fädige oder knäuelförmige Struktur nicht selten ausgesprochen zu sein, wie ich aus älteren Untersuchungen entnehmen muss. Auf die früheren Beschreibungen des Kernbaues der Cilio- flagellaten hier näher einzugehen, würde uns zu weit führen. Es 552 _ ©. Bütschli genüge zu erwähnen, dass seither nur Andeutungen des eigentlichen Baues gesehen und als fädige oder stäbehenartige Strukturen ge- schildert wurden. Die erste derartige Wahrnehmung rührt wohl von ALLMAN! her; später haben namentlich Kress, PoucHET und neuerdings auch BLanc? Ähnliches berichtet. Dagegen findet sich bei BERGH und STEIN nur sehr wenig Genaueres über die feinere Struktur der Kerne. Auch die Arbeit von GOURRET? enthält nichts Specielleres über die Kerne. Da BERGH bei dem interessanten Polykrikos neben den Haupt- kernen noch kleine, den Nebenkernen der Ciliaten entsprechende Gebilde gefunden hat, so erhob sich natürlich die Aufgabe, auch bei den übrigen Cilioflagellaten auf solche zu achten. Ich habe nun auch gelegentlich neben dem Kern bei Ceratium und Dinophysis etwas schwächer gefärbte Einschlüsse im Plasma beobachtet, welche allenfalls auf Nebenkerne bezogen werden könnten, doch streitet dawider die Seltenheit ihres Vorkommens. Bei Ceratium Tripos beobachtete ich einmal dicht neben dem Kern ein kleines, schwächer gefärbtes, ganz nucleolenartiges Gebilde; ein ander Mal in einiger Entfernung hinter dem Kern ein größeres, ähnlich gefärbtes, welches ich auf Fig. 29 wiedergebe; der hintere, feinkörnelig erscheinende Abschnitt schien äußerst feinnetzig zu sein. In zwei anderen Fällen dagegen fand sich neben dem Kern ein demselben an Größe ziem- lich gleicher Körper von schwächerer Färbung; in dem einen Fall ziemlich homogen erscheinend, in dem anderen ziemlich deutlich grobnetzig und im Centrum mit einem rundlichen Gebilde von der Größe und Beschaffenheit der oben bei Ceratium Tripos beschriebe- nen Nucleoli. In beiden Fällen waren der Kern und dieses Gebilde dicht an einander gelagert. Einen ziemlich ähnlichen Einschluss fand ich einmal bei Dinophysis acuta etwas vor dem Kern (Fig. 232). Anderer Natur scheinen mir dagegen die neben dem Kern im Plasma bei Ceratium Fusus in einigen Fällen beobachteten Ein- schlüsse zu sein. Es waren dies Gebilde von recht verschiedener Größe, entweder sehr klein, vielleicht von ein Viertel der Kern- länge, oder von den Kern weit übertreffender Größe (Fig. 30 2). ! G. J. ALuman, Observ. on Aphanizom. and a sp. of Peridinia. Quart. Journ. mier. Science V. III. 1855. 2 H. Buanc, Note s. le Ceratium hirundinella. Bullet. soc. vaud. sc. nat. Vol. XK. 1884. 3 P. GOURRET, S. les Peridiniens du golfe de Marseille. Annales du Musée @histoire natur. de Marseille. T. I. 1883. 4 pl. Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 553 Sie bestanden aus einem schwach gefärbten und ziemlich homogen scheinenden Plasma und zwei deutlichen, kräftig gefärbten Kernen, welche den Enden der länglichen Gebilde eingelagert waren. Die letzterwähnten Einschlüsse glaube ich wohl sicher für irgend welche fremdartigen, parasitischen Gebilde halten zu müssen; ob sie iden- tisch sind mit den von Ste bei einer Reihe von Cilioflagellaten gefundenen sog. Keimkugeln, scheint mir sehr zweifelhaft, auch kann ich nicht sicher sagen, ob sie den Körpern entsprechen, welche Kress (1884) zuweilen bei Ceratien neben dem Kern fand und von welchen er einmal bei Ceratium Fusus einen in Gestalt eines kleinen gymnodiniumartigen Wesens aus dem Ceratium hervortreten sah. Ausgedehntere Studien werden aber wohl Aufschlüsse über diese zwei- felhaften Gebilde geben und scheinen interessante Resultate zu ver- sprechen. Entwicklung eines sehr merkwürdigen großen Kör- pers an Stelle des Kernes bei Ceratium Tripos. Unter allen Beobachtungen, welche ich an dem vorliegenden Cilioflagel- latenmaterial machen konnte, hat mich keine mehr interessirt, wie die jetzt noch kurz zu beschreibende und ich bedauere nur, dass die Aufschlüsse, welche ich über dieselbe geben kann, nicht so erschöpfende sind, dass die Natur des fraglichen Vorgangs daraus sicher resultirte. Unter den die Hauptmasse der Cilioflagel- laten bildenden Ceratium Tripos fielen mir sowohl an ungefärbten wie gefärbten Präparaten sofort vereinzelte Exemplare auf, welche an Stelle des Kernes einen großen, sehr eigenthümlich gestalteten Körper enthielten, der in Alaunkarmin eine recht distinkte Färbung annahm, wenn dieselbe auch nicht ganz so kräftig war, wie die des gewöhnlichen Kernes. Die allmählich wachsende Größe dieses Gebildes in den ver- schiedenen beobachteten Exemplaren lässt wohl erkennen, welche Umbildungen dasselbe bei seiner allmählichen Entwicklung erfährt; da jedoch nur eine sehr geringe Zahl von Ceratien den fraglichen Körper enthielten, so war das Beobachtungsmaterial ein recht be- schränktes und die Untersuchung dadurch eine erschwerte. Wie be- merkt, habe ich bei den mit einem solchen Körper ausgerüsteten Individuen nie eine Spur des eigentlichen Kernes gefunden und da- her auch anfänglich nicht gezweifelt, dass der fragliche Körper durch Umbildung des Kernes entstehe. Da ich jedoch später neben dem Kern des Ceratium Tripos zuweilen noch die oben erwähnten, etwas schwächer gefärbten Gebilde auffand, wurde ich in dieser 594 0. Bütschli Annahme wieder zweifelhaft und kann zur Zeit leider diese wich- tigste Frage nicht mit Bestimmtheit entscheiden. Wenn die oben erwähnten Körper neben dem Kern die früheren Entwicklungsstufen der im Folgenden zu beschreibenden Gebilde darstellen, so muss als besonders seltsame Erscheinung verzeichnet werden, dass dieselben bei ihrer weiteren Entwicklung den eigentlichen Kern ganz verdrän- gen. Eines der frühesten Stadien der Entwicklung des fraglichen Körpers stellt die Fig. 24 dar. Der Körper ist oval, jedenfalls etwas abgeplattet und weist ein sehr deutlich koncentrisches Gefüge auf. Dasselbe beruht auf der koncentrischen Anordnung von Fäden, welche den Kernfäden der Ceratien sehr ähnlich sind und auch ähnliche, etwas unbestimmte Varicositäten besitzen. Zwischen den Varicosi- täten benachbarter Fäden sind an günstigen Stellen feinere Verbin- dungsfädchen mit Sicherheit zu erkennen. Nicht der ganze Körper besitzt jedoch diesen koncentrischen Bau, denn senkt man den Tubus, so sieht man, von dem innersten Fadenkreischen ausgehend, eine ziemlich grobnetzige Zeichnung auftreten, welche in der Tiefe mehr und mehr an Durchmesser zunimmt, so dass es scheint, als wenn sich im Inneren des Körpers eine nach der Tiefe kegelig sich erwei- ternde netzige Masse finde. Leider gelang es mir gerade bei solchen Stadien nicht, die Ceratien zu drehen und auf diese Weise Ansich- ten des fraglichen Körpers in verschiedenen Richtungen zu gewin- nen, welche über den Bau noch besseren Aufschluss geben würden. Die Beobachtung anderer Individuen lehrt nun, dass sich der Kör- per allmählich vergrößert (Fig. 25 und 26) und dabei auch eine etwas unregelmäßige Gestalt annehmen kann, indem er sich der Form des Ceratienkérpers, welchen er nun bald völlig ausfüllt, anpasst. Die Struktur bleibt im Wesentlichen dieselbe, nur nimmt die Zahl der koncentrischen Fäden allmählich zu. Die innere Netz- masse (Fig. 25) existirt auch hier noch und an gewissen Exemplaren war zu erkennen, dass das innerste Fadenkreischen bei dem Senken des Tubus wie ein Röhrchen in die Tiefe der Netzmasse zu verfol- gen war (Fig. 25). Der Körper vergrößert sich nun allmählich so sehr, dass er den Centralkörper des Ceratium nahezu erfüllt und nur noch von einer ganz zarten Plasmaschicht umgeben ist, ja dieselbe kann (Fig. 28 a) sogar streckenweise ganz fehlen. Nur die Hörner des Ceratiums sind nun von Protoplasma noch eigentlich er- füllt. Dennoch besitzen auch diese Individuen, wie ich mich auf das Sicherste überzeugte, und wie es auch auf Fig. 27 a abgebildet ist, ihre Geißeln. Mittlerweile hat sich denn auch die Struktur des Körpers Einige Bemerk. über gewisse Origanisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 555 wesentlich geändert. Die Varicositäten der Fäden sind deutlicher und größer geworden und erscheinen als kleine rundliche Körper- chen in der charakteristischen koncentrischen Anordnung und zwar, wie ich mieh durch Drehung nun deutlich überzeugen konnte, so- wohl auf der Bauch- wie auf der Rückseite des Körpers. Auf den Figg. 28 « und 5 ist diese Anordnung von der Rück- und Bauch- seite dargestellt, auf den Figg. 27 a und 6, welche einen anderen Körper gleichfalls von den beiden Seiten wiedergiebt, ist die kon- centrische Anordnung auf der Bauchseite (Fig. 27 a) nicht so deut- lich, dennoch im Präparat deutlicher, als es auf der Figur zu sehen ist. Der Körper macht nun den Eindruck einer innerlich nicht weiter erfüllten Blase; von netziger Masse im Inneren ist nichts mehr zu finden. Auf der Bauchseite des Körpers gewahrt man gewöhnlich eine faltige centrale Einbuchtung (Fig. 28 6, undeutlicher in Fig. 27 a), aus welcher ich einmal recht kenntlich ein réhrchenartiges Gebilde hervorragen sah (Fig. 28 4), das der in Fig. 25 abgebildeten und oben erläuterten röhrchenartigen Bildung recht ähnlich war und der- selben auch wohl entspricht. Wie bemerkt, haben sich die Varicositäten der Fäden zu klei- nen Körperchen verdiekt, zwischen welchen man auf Fig. 27 noch deutlich Verbindungsfadchen wahrnimmt, während auf dem in Fig. 28 abgebildeten Stadium von solchen nichts mehr oder doch höchstens noch Spuren zu sehen waren. Bei letzterem Individuum hatten auch die kleinen isolirten Körperehen ganz das Aussehen sehr kleiner Zellkerne, indem sich eine etwas dunklere Randschicht von einer helleren Innenmasse unterscheiden ließ. Die Auffassung dieser klei- nen Körperchen als Zellkerne erfuhr nun noch weiter dadurch eine Verstärkung, dass auf dem Stadium der Fig. 28 um dieselben, we- nigstens an günstigen Stellen, sehr zarte polygonale Umrahmungen nachzuweisen waren, welehe wohl nur als die Grenzen von kleinen Zellen, in welche der ganze eingeschlossene Körper allmählich zer- lest wird, betrachtet werden können. Auch im optischen Durch- schnitt des Randes traten diese Zellgrenzen theilweise recht deutlich hervor. Hiermit haben meine Untersuchungen über die Entwicklung der fraglichen Körper ihren Abschluss gefunden, namentlich ließ sich bis jetzt kein weiteres Stadium bemerken, bei welchem etwa eine Tren- nung oder ein Ausschwärmen der kleinen Zellen angebahnt gewesen wäre. Wie ich schon Eingangs der Schilderung bemerkt habe, er- heben sich große Schwierigkeiten, wenn man nach einer Deutung 556 ; 0. Bütschli der beobachteten Verhältnisse fragt. Handelte es sich bei der Aus- bildung des fraglichen Körpers wirklich um eine Weiterbildung des Kernes der Ceratien, so wäre die Sache nicht sehr schwer verständ- lich, es würde sich eben schließlich um Auflösung der Kernfäden in eine große Anzahl kleiner Kerne handeln und die Körper der gebilde- ten kleinen Zellen müssten sicherlich aus einem allmählichen Ein- dringen des Plasmas in den sich vergrößernden Kern abgeleitet werden. Es wäre dann die Erscheinung als ein sehr merkwürdiger Fortpflanzungsprocess aufzufassen. Zur Zeit erachte ich jedoch, wie gesagt, eine solche Auffassung noch nicht für erweisbar und möchte es im Ganzen für wahrscheinlicher halten, dass es sich um die Entwicklung eines parasitischen Organismus handle. Aber auch in letzterem Fall müsste wohl eine ähnliche Auflösung des Kernes dieses Organismus bei der Entwicklung der zahlreichen kleinen Kerne angenommen werden. Es erhebt sich nun die Frage, ob der fragliche Körper nicht etwa mit den von STEIN bei einigen Cilioflagellaten gefundenen sog. Keimkugeln identisch ist, welche STEIN, wie bekannt, gleichfalls aus dem Nucleus kopulirter Wesen entstehen lässt. Ich möchte annehmen, dass eine solche Identität nicht vorhanden ist und stütze mich dabei hauptsächlich darauf, dass StEın im Centrum seiner vermeintlichen Keimkugeln stets ein dunkles, von einem hellen Bläs- chen umschlossenes Körperchen einzeichnet, ganz wie dies auch bei den sog. Keimkugeln der Flagellaten von ihm gewöhnlich beobach- tet wurde. Ich glaube daher auch, dass die Keimkugeln der Cilio- flagellaten dasselbe sind wie die der Flagellaten, d. h. parasitische Organismen von im Allgemeinen chytridieenartiger Natur. KLEBS (1884) hat Gebilde, welche er mit den STErn’schen Keimkugeln ver- gleicht, bei marinen Cilioflagellaten zuweilen gefunden, daneben jedoch stets den Kern. Auch Poucuer hat bei Ceratium neben dem Kern derar- tige Körper beobachtet, welche wie die von KLeEBs wohl sicher mit den oben pag. 552 beschriebenen Körpern neben dem Kern identisch waren. Leider bin ich nun auch nicht in der Lage über die geschil- derten Körper weiteren Aufschluss zu geben, doch bietet sich hier sicher ein interessantes Gebiet für fernere Untersuchungen dar. 3. Über die verwandtschaftlichen Beziehungen der Cilioflagellaten. Seit CLAPAREDE und LACHMANN war man ziemlich allgemein der Ansicht, dass die Cilioflagellaten eine die Flagellaten und Cilia- Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten ete. 557 ten verbindende Mittelgruppe darstellten und diese Auffassung hat namentlich in BERGH noch einen beredten Vertheidiger gefunden. Seit der Entdeckung‘ von KLegs lässt sich nun eine solche Auffas- sung nicht mehr festhalten; man könnte höchstens die Ähnlichkeiten im Kernbau heranziehen, doch giebt es auch unter den Flagellaten Formen mit ähnlichen Kernen, namentlich unter den Euglenen. In seiner ersten Mittheilung verwirft nun Kress nicht nur die Beziehung der Cilioflagellaten zu den Ciliaten mit Recht, sondern leugnet auch nä- here Beziehungen unserer Gruppe mit den Flagellaten, indem er die letz- tere Abtheilung sehr eng umgrenzt und im Sinne der Botaniker die Chlamydomonadinen und Volvocinen zu den einzelligen Algen zieht. Er glaubte denn auch den Cilioflagellaten eine Stelle unter den ein- zelligen Algen anweisen zu sollen. Formen wie Prorocentrum, deren Ähnlichkeit mit gewissen Flagellaten so auffallend ist, wollte er von den Cilioflagellaten ganz entfernen und dasselbe auch mit der von mir aufgestellten Gattung Polykrikos thun, einer Form, die ich mit BERGH als eine sichere und sehr interessante Cilioflagellate aner- kennen muss. Durch seine erneuten Untersuchungen (1884) kam er zu einer etwas veränderten Auffassung, indem er jetzt die Pro- rocentrinen, auf das Studium der Exuviaella marina Cienk. (= Di- nopyxis laevis Stein) gestüzt, als Cilioflagellaten anerkennt und wei- terhin zwischen den Prorocentrinen und der Flagellatenfamilie der Cryptomonadinen Beziehungen zulässt. Dennoch hält er es für ver- früht, einen direkten Ursprung der Cilioflagellaten aus den Flagel- laten anzunehmen. Letzteres scheint mir nun ganz unabweisbar, denn ich glaube, dass Niemand einen Augenblick zweifeln würde die Prorocentrinen mit den Flagellaten und speciell den Cryptomo- nadinen zu vereinigen, wenn diese Familie als einzige der Cilio- flagellaten bekannt wire. EHRENBERG hat seiner Zeit schon ganz richtig das Prorocentrum in seine Familie der Cryptomonadina ein- gereiht und ich wäre ihm bei meiner Darstellung der Flagellaten wohl gefolgt, wenn ich nicht durch die Angabe BERGH’s von dem Cilienbesatz des Vorderendes irre geleitet worden wäre. Im Wesent- lichen unterscheiden sich die Prorocentrinen von den Cryptomona- dinen nur durch die Bildung einer zweiklappigen Cellulosehülle, durch die Reduktion des Peristomausschnittes, welcher jedoch bei Exuviaella marina noch angedeutet zu sein scheint und den abwei- chenden Bau des Kernes, sowie die Differenzirung der Geißeln. Doch auch in letzterer Hinsicht glaube ich unter den Cryptomo- nadinen schon Anklänge an die Prorocentrinen zu finden. Wie 558 0. Biitschli ich seiner Zeit nämlich beschrieb'!, nehmen die beiden Geißeln von Crypto- und Chilomonas während den nicht seltenen Ruhepau- sen der Bewegung häufig eine Stellung ein, welche an das Verhalten der Geißeln bei den Prorocentrinen erinnert, indem die eine Geißel mehr nach vorn gestreckt ist, die andere dagegen sich kurz nach ihrem Ursprung nach der Rückenseite zurückschlägt und dabei die erstere kreuzt. Im Allgemeinen ist dies dieselbe Stellung, welche die Geißeln der Prorocentrinen zu einander einnehmen, nur tritt bei diesen, wie es scheint, auch noch ein Unterschied in den Bewegungs- erscheinungen der beiden Geißeln auf. Viel wichtiger wie dieser Unterschied scheint mir aber die Übereinstimmung zwischen Crypto- monaden und Prorocentrinen' in der Lage der Geißeln zu der Be- wegungsrichtung der Organismen; bei beiden gehen nämlich die Geißeln, wie es bei den Flagellaten fast ausnahmslos der Fall ist, bei der Bewegung voraus. In diesem Verhalten unterschei- den sich aber auch die Prorocentrinen von sämmtlichen übrigen Cilioflagellaten, bei welchen die Geißel der Längsfurche nach hin- ten gerichtet ist. Auch der sog. Zahnfortsatz an dem Vorderende von Prorocentrum scheint nichts weiter zu sein wie das Homologon des sog. Stirnfortsatzes oder der sog. Oberlippe der Cryptomona- dinen. Wenn ich nun auf der einen Seite die innige Verwandtschaft der Proroeentrinen und der Cryptomonaden festhalte, kann ich auf der anderen Seite nicht verkennen, dass die ersteren eben so innige Ver- wandtschaft mit den übrigen Cilioflagellaten besitzen und muss daher auch die Ableitung der letzteren von den Flagellaten befürworten. In dieser Hinsicht ist nun eine interessante Gattung, welche ich in meinem System der Flagellaten gleichfalls den Cryptomonadinen eingereiht habe, nämlich die G. Oxyrrhis Duj.? von besonderem Interesse. Einmal ist diese Form marin, was nicht ohne Bedeutung, und dann ist sie die einzige unter den Flagellaten, welche sich dauernd so bewegt, dass die Geißeln nach rückwärts gerichtet sind. Der Kernbau derselben ist, abweichend von Cryptomonas, ein fein- netziger und schließt sich demnach dem Bau der Cilioflagellaten- kerne an. Ich glaube nun, dass sich auch in den sonstigen Bau- verhältnissen dieser Form Beziehungen zu den Cilioflagellaten erkennen 1 Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. XXX. 1878. pag. 244, 2 Vgl. über dieselbe speciell: Kent, A manual of infusoria und BLOcH- MANN in Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. XL. pag. 46. Einige Bemerk. iiber gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 559 lassen, welche die Oxyrrhis noch bestimmter als eine zwischen den Cryptomonaden und Cilioflagellaten (und zwar nicht nur den Prorocen- trinen) vermittelnde Form aufzufassen gestatten. Es lässt sich näm- lich wohl die Möglichkeit erörtern, dass von einer Form wie Oxyrrhis eine einfache Cilioflagellatenform, wie z. B. Hemidinium S$t., entstanden sei. Bei Oxyrrhis findet sich auf der linken Seite des Körpers eine ziemlich tiefe und etwas schief verlaufende, furchen- artige Einsenkung, welche dem Peristom der übrigen Cryptomonaden entspricht. Diese Furche (»/) zieht sich nach hinten (wenn wir das bei der Bewegung voraus gehende Ende wie bei den Cilioflagel- laten als das vordere bezeichnen) und nach rechts noch etwas um die Basis der sehr ansehnlichen Lippe herum (vgl. den nebenstehen- den Holzschnitt Fig. 2). Innerhalb dieser Furche liegen, wenigstens im Ruhezustand, die proximalen Ab- schnitte der beiden an dem Dorsal- rand der Furche entspringenden Geißeln und zwar existirt auch hier entschieden eine Differenz der bei- den Geißeln, auf welehe hauptsäch- lich Kent aufmerksam gemacht hat. Die eine derselben ist im ruhenden Zustand meist vielfach geschlängelt und lagert sieh fast völlig in die Ki." ira ai Furche ein. Ich möchte nun an- Querfurchengeißel und lf die Längsfurche nehmen, dass bei weitergehender mit der nach hinten gerichteten Geißel. Differenzirung der beiden Geißeln ze yor ict der bei der Bewegung vorange- der Oxyrrhis wohl Verhältnisse, bende. pf die Peristomfurche, in welche die 5 3 . ale beiden Geißeln eingelagert sind; n in beiden wie sie bei Hemidinium zu fin- eur Hera den sind, entstehen konnten. Die Peristomfurche differenzirte sich dabei allmählich in die beiden Fur- chen des Hemidinium, die Längs- und die Querfurche, und die letz- tere wurde bei den übrigen Cilioflagellaten allmählich vervollständigt. ‚Der nebenstehende Holzschnitt wird die Möglichkeit einer solchen Ableitung besser zum Verständnis bringen als eine eingehende Be- schreibung!. Nach dieser Auffassung würde demnach das sog. 4 a 1 Die Ahnlichkeit von Oxyrrhis mit den Cilioflagellaten würde noch größer, wenn Oxyrrhis, wie dies KEnT bestimmt angiebt, eine Hülle besäße. Bei den von BLOCHMANN seiner Zeit untersuchten Exemplaren unseres Seewasseraquariums 560 O. Bütschli Hinterende der Cryptomonaden dem Vorderende der Cilioflagellaten (mit Ausnahme der Familie der Prorocentrinen) entsprechen und das Peristom den Furchen, so wie die linke Seite der Cryptomonaden (die Bauchseite nach Stein) der Bauchseite der Cilioflagellaten. Eine gute Übereinstimmung mit dieser Auffassung würde sich erge- ben, wenn sich die Beobachtung Srern’s von der Vermehrung des Hemidinium durch Quertheilung bestätigte, denn, wie bekannt, ge- hört auch die Oxyrrhis zu den wenigen Flagellaten, welche sich durch entschiedene Quertheilung vermehren. Nach der von STEIN gegebenen Abbildung dieses Quertheilungsprocesses zu urtheilen, bin ieh sehr geneigt die Richtigkeit der Beobachtung anzuerkennen, eine Längstheilung lässt sich wenigstens daraus nicht konstruiren. Was nun die Theilung der übrigen Oilioflagellaten angeht, so wäre dieselbe zufolge Kress stets eine schiefe Längstheilung, im Gegensatz zu der Auffassung von STEIN, welcher den Cilioflagellaten im Allgemeinen Quertheilung zuschreibt. Wenn ich nun auch nach den vorliegenden Erfahrungen mit Kress annehmen muss, dass die Theilungsebene in den meisten Fällen schief zu der Längsachse ge- richtet ist, so scheint mir daraus noch nicht mit absoluter Sicherheit zu folgen, dass dieser Vorgang als eine Längstheilung zu betrachten ist, resp. sich von einer ursprünglich reinen Längstheilung herleiten lasse. Zunächst scheint es mir noch zweifelhaft, ob dies der Fall, ja es scheint mir sogar Manches dafür zu sprechen, dass die schiefe Theilung der Cilioflagellaten aus ursprünglicher Quertheilung hervor- gegangen ist. Zur Zeit erachte ich die vorliegenden Angaben über die Theilung, auch die yon KLEBs, für nicht ausführlich genug, um auf Grund derselben eine Entscheidung in dieser Frage zu fällen. Eine Schwierigkeit in der Beurtheilung der Beziehung der Cilio- flagellaten zu den Flagellaten bilden nun namentlich die Gattung Am- phidinium und die eigentlichen Dinophysiden, bei welchen beiden die Querfurche ganz an das Vorderende gerückt ist. Die Schwierigkeit besteht in dem Zweifel: ob diese Formen am Beginn der phylogeneti- schen Reihe stehen, oder ob sie aus den Übrigen durch Verlagerung der Querfurche, resp. Reduktion der vorderen Körperhälfte entstanden sind. Ich neige mich zur Zeit mit StEın der letzteren Auffassung zu, wenn fehlte eine Hülle sicher, dagegen ließen einige in jüngster Zeit nach längerer Frist aufgetretene Exemplare eine Umhüllung ziemlich sicher wahrnehmen. Es scheint daher, dass Oxyrrhis sowohl im nackten, wie umhüllten Zustand auftreten kann und es fragt sich, ob diese Verschiedenheit vielleicht auf ver- schiedene Arten hinweist. Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 561 ich auch annehmen muss, dass die Sonderung der betreffenden For- men von den übrigen auf sehr früher Stufe erfolgte. Wenn die Amphidinien und Dinophysiden, wie dies BERGH und KLEBS ver- treten, umgekehrt die ursprünglichen Formen repräsentiren sollten, so müsste sich die Ableitung der Bauverhältnisse der Cilioflagellaten von den Cryptomonaden in anderer Weise gestalten, als ich dies oben erörtert habe. Wir hätten dann anzunehmen, dass das Vor- derende bei. beiden Abtheilungen auch morphologisch dasselbe sei und die nach hinten gewendete Richtung der Längsfurchengeißel bei den Cilioflagellaten in ähnlicher Weise entstand, wie die Rück- wärtsrichtung der sog. Schleppgeißel bei den von mir als Hetero- mastigoda zusammengefassten Flagellaten. Wer eine solche Ab- leitung vorzieht, wird wohl auch auf eine von STEIN beschriebene Flagellatenform, die Gattung Colponema, Rücksicht nehmen müs- sen, die in ihrer Geißelbewaffnung den Heteromastigoda sich anreiht und in der Anwesenheit einer die ganze Bauchseite überziehen- den Längsfurche, in welche die nach hinten gerichtete Schlepp- geißel eingelagert ist, Ähnlichkeit mit den Cilioflagellaten besitzt. Es wäre auch wohl möglich, Beziehungen zwischen dieser Colponema und den Cryptomonaden anzuerkennen, wenn nicht nach den Anga- ben Srem’s die Bauchfurche der Colponema, die sich recht wohl mit einem weiter entwickelten Peristom der Cryptomonaden verglei- chen ließe, auf der rechten Seite gelegen wäre, während das Peri- stom der Cryptomonaden stets die linke Seite einnimmt. Wie ich schon oben betonte, scheint mir zur Zeit die erstversuchte Ableitung der Cilioflagellaten die wahrscheinlichere. Aus den vorstehenden Erörterungen scheint mir nun aber mit großer Sicherheit zu folgen, dass die sog. Cilioflagellaten von der Flagellatengruppe abzuleiten sind, ja dass es recht zweifelhaft ist, ob dieselben genügende Unterschiede darbieten, um sie als selb- ständige Gruppe der Mastigophoren neben den Flagellaten aufzu- führen. Immerhin halte ich dies bei der eigenthümlichen und cha- rakteristischen Entwicklung, welche die Cilioflagellaten genommen haben, für das Richtigere, wenn ich auch nochmals betonen muss, dass die Familie der Prorocentrinen ohne Anstand bei den eigent- lichen Flagellaten Aufnahme finden könnte. Jedenfalls wird sich aber die Nothwendigkeit ergeben, die Bezeichnung Cilioflagellaten mit einer anderen zu vertauschen, da sie auf einer thatsächlich un- richtigen Auffassung des Baues beruht. Es scheint mir aber auch wenig angemessen, den Namen Peridineen, wie Kress will, für Morpholog. Jahrbuch. 10. 36 562 O. Bütschli die Gruppe zu gebrauchen, da derselbe besser für die speciell um Peridinium sich gruppirenden Formen reservirt wird. Mit SrtEm die Silioflagellaten als arthrodele Flagellaten zu bezeichnen, halte ich auch nicht für empfehlenswerth und möchte daher vorschlagen, die Bezeichnung Dinoflagellata zu gebrauchen, welche einmal in ge- wisser Hinsicht an den früheren Namen Cilioflagellaten erinnert und dann die für die typischen Formen charakteristischste Eigenthiim- lichkeit, nämlich die Ausbildung der Querfurche mit der eingelager- ten Geißel zum Ausdruck bringt. 4. Beziehung der Cilioflagellaten zu Noctiluca. Eine schon im Jahre 1872 von ALLMAN! geäußerte Ansicht von der Verwandtschaft der Noctiluea mit den Cilioflagellaten hat sich in neuester Zeit in Poucner? und STEIN (l. e.) zwei Anhänger er- worben, so dass es wohl gerechtfertigt erscheint, auf diese Frage hier etwas näher einzugehen, da mir, wie früher bemerkt, eigene Beobachtungen über den Bau der Noctiluca zu Gebote stehen. Ich werde dieselben bei der Vergleichung der Verhältnisse beider Grup- pen aus einander setzen. Wenn ich auch nicht in Abrede stellen will, dass der zuerst von ALLMAN betonte Vergleich ein glücklicher war, so erschien derselbe doch seiner Zeit so gewagt und konnte sich auf so wenige Punkte von Bedeutung stützen, dass es erklär- lich ist, wenn er in der Folge keine Beachtung fand. Das Einzige, was von allem dem von ALLMAN Angeführten heute noch festgehalten werden kann, ist der Hinweis darauf, dass sich sowohl bei den Cilio- flagellaten, wie bei Noctiluca, eine den Körper überziehende Längs- furche finde, aus welcher in beiden Fällen das Flagellum entspringe. Alle übrigen Vergleichspunkte sind solche, welche sich mehr oder weniger auf einzellige Protozoen überhaupt anwenden lassen und ALLMAN nahm keinen Anstand sein Peridinium uberrimum, dem er ein allgemeines Cilienkleid der gesammten Körperoberfläche zuschreibt, mit Notiluca zu vergleichen. Wäre bei Peridinium uber- rimum ein solches Cilienkleid wirklich vorhanden, wie ich nicht glauben kannt, so stünde es mit seiner Vergleichbarkeit mit Nocti- 1 Quart. journal mierose. science. N. s. V. XII. pag. 326—332. 2 Journal de l’anatomie et de physiologie 1883. pag. 399—455. 3 Quart. journ. microsc. science. V. III. 1855. pag. 21—25. 4 Wie sich diese seltsame Angabe von ALLMAN erklären lässt, scheint mir recht unsicher, wenn ich nicht glauben soll, dass er den feinen Borstenbesatz Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten ete. 563 luca wohl recht schlecht. Wie gesagt, nahm Poucner die Verglei- chung der Noctiluca mit Cilioflagellaten zuerst wieder auf und sprach sogar die Vermuthung aus, dass die Noctilucen in ihrer Entwicklung ein peridiniumartiges Stadium durchlaufen. Die Gründe, welche er für die Vergleichung mit Noctiluca heranzieht, scheinen mir recht wenig bedeutende zu sein. Ich will sie der Kürze wegen mit den Worten des Verfassers angeben. »Mémes charactéres physico- chimiques de la substance vivante; méme presence d’une lacune aqueuse et de gouttelettes passant du rouge-carmin 4 la nuance chamois; méme asymmetrie par torsion, méme proéminence d’une lévre, méme éxistence d’un flagellum; mémes propriétés phosphorés- centes.« In keinem der angeführten Punkte kann ich eine innigere Beziehung zu den Verhältnissen bei Noctiluca erkennen; ohne auf alle näher einzugehen, hebe ich nur hervor: dass meines Wissens von rothen Tropfen bei Noctiluca nichts bekannt ist — dass die weite Zellhöhle der Noctiluca mit der eigenthümlichen Anordnung des Plasmas doch nicht direkt mit den Vacuolen der Cilioflagellaten vergleichbar ist und dass ich von einer Torsion bei Noctiluca nichts weiß. Das Leuchtvermögen, so interessant es auch erscheint, kann doch höchstens als eine weitere Bestätigung wirklich morphologischer Übereinstimmung aufgeführt werden: hierfür bedarf es wohl keines besonderen Beleges. Die speciellste Vergleichung zwischen Noctiluca und gewissen Cilioflagellaten suchte Stein durchzuführen, ja er ging dieser Ver- gleichung zu Liebe sogar so weit, gewisse von ihm zuerst beobach- tete Cilioflagellaten, seine Gattungen Pyrophacus und Ptycho- discus, in einer Weise zu orientiren, dass sie gegenüber der Stellung, welche er den anderen Cilioflagellaten giebt, gerade um 90 Grad verdreht erscheinen, auf welchen Missgriff schon BERGH! aufmerksam machte. Mit Kress (1884) bin ich der Ansicht, dass diese beiden Gattungen echte Peridineen sind. Da Stem bei Nocti- luca eine Rücken- und Bauchfläche unterscheidet, von welchen der Zellhülle, welehen gewisse Peridinien aufweisen, für ein Cilienkleid gehalten hat. Kent (Manual of infusoria), der sich überhaupt sehr mit der Aufstellung unhaltbarer Gattungen, auf mangelhafte Beschreibungen hin, beschäftigt hat, konnte nicht umhin, auch auf diese offenbar zweifelhafte Beobachtung eine neue Gattung Melodinium zu gründen. Überhaupt ist die Gruppe der Cilio- flagellata bei KENT ein Sammelplatz für das Unzusammengehörigste und Un- sicherste: da findet sich Mallomonas, eine echte Flagellate, und so Zweifelhaftes und Unsicheres wie Stephanomonas, Trichonema und Asthmatos. 1 Kosmos, herausgeg. von VETTER. 1884. pag. 384—390. 36* 564 O. Biitschli die erstere durch das sog. Staborgan bezeichnet wird, so sucht er auch bei den beiden erwähnten Gattungen der Peridineen zwei ent- sprechende Flächen festzustellen; er findet nun in der vorderen Schalenhälfte (die richtige Orientirung in Übereinstimmung mit den übrigen Peridineen ist hier angenommen) eine längliche, etwas un- regelmäßige Platte der Zellhülle, welche bis an den Pol dieser Schalenhälfte aufsteigt und erklärt sie für das Homologon des Staborgans der Noctiluca (oder der Stabplatte, wie sich STEIN aus- drückt). Diese Stabplatte der beiden fraglichen Peridineengattungen lässt sich nun, ihrer Lage und Beschaffenheit nach, ohne Schwierig— keit auf die sog. Rautenplatte in der Hülle von Peridinium und verwandten Gattungen zurückführen und hieraus, wie aus dem all- gemeinen Bau von Pyrophagus und Ptychodiseus, ergiebt sich mit Leichtigkeit, dass, wenn Srtem’s Vergleich überhaupt durchge- führt werden sollte, die von ihm als Rückenfläche bezeichnete Hälfte des Noctilucakérpers der vorderen Hälfte der Peridinien ho- mologisirt werden müsste. Nun fragt es sich aber, ob irgend ein Anhalt zur Vergleichung des Staborgans der Noctiluca mit der Rautenplatte der Peridineenhülle vorliegt. Diese Frage wird sich zunächst anknüpfen an die weitere, ob denn überhaupt eine Hülle, welche der der Cilioflagellaten vergleichbar ist, bei Noctiluca zu finden sei. Dies muss ich nun mit Kress auf das Entschiedenste in Abrede stellen. Ich kann weder mit den stärksten Vergrößerungen, noch vermittels Reagentien auf der Körperoberfläche der Noctiluca eine cuticulare Membran nachweisen, nur an dem Tentakel und dem sog. Zahn halte ich die Existenz einer solchen noch für möglich, wenigstens konnte ich an ersterem (Fig. 35) eine membranartige und ganz fein quergeringelte äußerste Hülle finden (4), doch möchte ich die Ent- scheidung auch hier von einer erneuten Untersuchung abhängig machen, da ich diese Theile nicht wieder untersuchte, seit ich von der Nicht- existenz einer besonderen Zellhaut der Noctiluca überzeugt bin. Die äußere Wand des Noectilucakörpers wird von einer sehr dünnen, im optischen Durchschnitt ganz fein gekörnten Plasma- schicht gebildet, welche ich, wie gesagt, in keiner Weise in eine Cutieula und eine darunter befindliche Plasmalage zerlegen konnte. Betrachtet man diese Plasmaschicht von der Fläche (Fig. 36), so nimmt man zunächst die mehr oder minder regelmäßig polygonalen Plasmanetze wahr, welche von mäßig dicken Fädehen mit kör- nigen Einlagerungen gebildet werden und die schon seit langer Zeit als das oberflächliche Plasmanetz der Noctiluca bekannt sind. Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 565 Bei der Untersuchung mit recht starken Systemen findet man jedoch die Maschenräume dieses Netzes nochmals von sehr zarten Granula- tionen erfüllt und kann sich an recht günstigen Stellen auch über- zeugen, dass diese Granulationen die Knotenpunkte eines äußerst feinen Plasmanetzes sind, welches die größeren Maschen ausfüllt. Ich will an dieser Stelle nicht auf die Auffassung, welche ich von der Bedeutung dieses Plasmanetzes und der Netzstruktur des Plas- mas im Allgemeinen habe, eingehen, sondern nur konstatiren, dass auch die Plasmazüge, welche sich in der bekannten verästelten An- ordnung durch die Zellhöhle der Noctiluca erstrecken, bei genauerem Zusehen ein feines Netzgefüge erkennen lassen (Fig. 37 und 38), welches, wie dies bei in die Länge gezogenen Plasmapartien ge- wöhnlich zu sein scheint, gleichzeitig mehr oder weniger deutlich fibrillär erscheint, indem sich die in der Längsriehtung der Plasmazüge verlaufenden Netzfädehen zu längeren Fibrillen an einander. reihen. Aus den vorstehenden Bemerkungen ergiebt sich, dass von einer sog. Stabplatte bei Noctiluca keine Rede sein kann und die Untersuchung zeigt denn auch, dass das Staborgan eine ganz andere Bedeutung hat. Es hat mich überrascht, dass fast allen Beobachtern dieser interessanten Protozoe die eigentliche Natur dieses Organs ganz entgangen ist, ja dass z. Th. ganz sonder- bare Ansichten über diese im Grund sehr einfache Bildung ge- äußert wurden. Nur in der Abhandlung von ALLMAN sind einige Beobachtungen enthalten, welche zu einer richtigeren Auffassung des Staborgans hätten führen können, welche jedoch nicht in entsprechen- der Weise gedeutet wurden. Um nun das Staborgan in seiner wirklichen Bedeutung schildern zu können, müssen wir einen Augenblick auf die Bildung des Mund- apparates der Noctiluca eingehen, von welchem ich auch nur in der Arbeit von ALLMAN eine ziemlich richtige Darstellung finde. Der Mundapparat besteht in einer tiefen, jedoch sehr schmalen Einsen- kung der Oberfläche, welche in ihrer Längsausdehnung, wenigstens bei großen Formen, wie ich sie untersuchte, 1/,—'/, der Peripherie einnimmt (Fig. 33 — 34 at). Diese Einsenkung liegt in der Median- ebene der Noctiluca und wird mit ALLMAN am besten als das Atrium bezeichnet. Nach außen geht sie wenigstens an den Seiten und vorn, d. h. dem Tentakel (¢) zu, ganz flach abgerundet in die äußere Körperfläche über. Nach innen nähern sich die beiden Seitenwände der Einsenkung sehr rasch, so dass sie in der Tiefe zu einem schmalen Spalt wird. 566 O. Biitschli Von der Seite betrachtet (Fig. 34) erscheint das Atrium etwa wie ein rechtwinkliges Dreieck, indem es sich hinten, d. h. dem Staborgan (st) zu, am tiefsten und nahezu senkrecht zur Oberfläche einsenkt, jedoch mit einem etwas bauchig geschwungenen Verlauf der Hinterwand, während der Boden der Einsenkung, von der tief- sten hintersten Stelle an, ganz allmählich und in ziemlich gerader Linie nach vorn hin aufsteigt. In dem vorderen Theil des Atrium finden sich nun die bekannten Organe der Noctiluca. Dicht am Vorder- ende und von dem hier erst ganz schwach eingesenkten Boden sich erhebend, der Tentakel (¢) und etwas dahinter, von der rechten Sei- tenwand entspringend, der Zahn {z) und die Lippe (J). Der Zahn liegt etwas vor und über der Lippe und an oder dicht bei der Lippe entspringt die sog. Cilie (Fig. 33 g), welche demnach für ge- wöhnlich wohl nicht aus dem Atrium hervorragt und desshalb auch so schwierig zu sehen ist, dass sie sogar neuere Beobachter, wie VIGNAL! und STEIN, nicht finden konnten. Wie gesagt, konnte ich sie auch an dem Osmiummaterial noch auf das deutlichste nach- weisen. Etwas hinter der Lippe beginnt auf dem Boden des Atriums die eigentliche Mundspalte (Fig. 33 m), welche bis an das Hinterende des Atriums reicht, d. h. hier liegt das Centralplasma der Noctiluca frei und unbedeckt, so dass die Nahrung in dasselbe eingeschoben wer- den kann. Die Wände des Atriums zeigen einen etwas anderen Bau als die gewöhnliche Körperwand. Es finden sich nämlich hier nicht weite Netzmaschen, sondern die Wand wird von einer dünnen Lage anschei- nend dicht granulirten, in Wirklichkeit aber sehr feinnetzigen Plasmas gebildet (Fig. 34) und erscheint daher auch dunkler und etwas gelb- licher als die Körperwand. Ich finde übrigens, dass die äußere Kör- perwand schon in der Nähe des Atriumeingangs eine entsprechende Veränderung erfährt. Das Staborgan (st) steht nun mit der Hinterwand des Atri- ums in folgender Verbindung. Von dem Hinterrand des letzteren sieht man sowohl in seitlicher wie Flächenansicht nach der hin- ter der Einsenkung gelegenen Oberfläche der Noctiluca zwei di- vergirende Züge feiner Plasmafäden (fd) ziehen. Jederseits ent- springt von dem ganzen Hinterrand des Atriums eine Reihe solcher Fäden, welche, indem sie sich an die Körperwand anheften, die beiden vorderen oder dem Atrium zugewendeten, divergirenden 1 W. VıenAL, Rech. histol. et physiol. s. les Noctiluques. Arch. de phy- siologies norm. et pathol. 2. ser. T. V. 1878. pag. 415 ff. Ze Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 567 Schenkel des Staborgans bilden. In entsprechender Weise sieht man dann von dem Hinterrand des unter der Mundspalte gelegenen Centralplasmas einen dieken Busch (5) von Plasmafäden entsprin- gen, welcher sich in seinem, in der Medianebene erfolgenden Ver- lauf zur Oberfläche fächerartig ausbreitet und, indem er sich da, wo die oben beschriebenen Fäden aufhören, an die Körperoberfläche ansetzt, die Fortsetzung des Staborganes bildet. Es wird also das ganze Staborgan von nichts Anderem gebildet, als von den nach dem Atrium zu divergirenden und davon weg allmählich zu- sammenflieBenden Ansatzstellen der beschriebenen Plasmafäden an der Oberfläche. Es gelingt auch in keiner Weise, an dem Stab- organ eine besondere membranöse Verdickung oder dergleichen nachzuweisen; auch hier lässt sich eine Membran eben so wenig auffinden wie auf der übrigen Oberfläche. Es scheint fast, als wenn die Plasmafäden eine Art stützende Bedeutung für diesen Theil der Oberfläche hätten, da man die Linien, längs welcher sie sich an die Oberfläche ansetzen, gewöhnlich etwas erhöht und die dazwi- schen liegende Fläche des Staborgans, namentlich in seinem vorde- ren Theil, wo ja die Ansatzlinien divergiren und die eingeschlossene Fläche daher breiter ist, etwas konkav eingesenkt findet, was auch von den meisten Beobachtern deutlich dargestellt wird (Fig. 33). ALL- MAN hat nun alle diese Verhältnisse eigentlich schon ziemlich rich- tig gesehen und abgebildet, sowohl die vorderen divergirenden Plasmafäden wie den hinteren dieken Strang, doch hielt er nur den letzteren für Plasma, während er die ersteren für eine gestreifte Ein- faltung der äußeren Körperwand nahm, innerhalb welcher sich, und zwar in der Nähe des Atriums, der Kanal öffnen sollte, als wel- chen er die hintere Fortsetzung des Staborgans erklärte. Diesem vermeintlichen Kanal glaubte er eine Bedeutung bei der Ausschei- dung der Nahrungsreste zuschreiben zu dürfen und brachte hiermit auch die Funktion des dicken hinteren Stranges von Plasmafäden in Zusammenhang. Dass von einer solchen Auffassung keine Rede sein kann, brauche ich nicht besonders zu betonen. ‘Die allgemeine Natur des Staborgans wurde schon oben hin- reichend erläutert; dagegen lässt sich zur Zeit eine morphologische Vergleichung desselben mit Organen anderer Protozoen nur schwie- rig durchführen; doch soll weiter unten ein Versuch dazu gemacht werden. Bei dem interessanten, von R. HERTwIG! beschriebenen und 1 Jenaische Zeitschr. f. Naturwissensch. Bd. XI. 1878. pag. 307. 568 O. Bütschli aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit Noctiluca näher verwandten Leptodiscus medusoides lässt sich vielleicht etwas Entsprechendes finden. HERTWIG beschrieb bei diesem scheibenförmigen Organismus auf der konvexen Oberfläche ein sog. Cytostom, welches als eine ziemlich tiefe, röhrenartige Einsenkung der Oberfläche erscheint, an deren Grund sich ein breiter Strang von Plasmafäden anheftet, wel- der geraden Wegs von dem im Centrum der Unterseite gelegenen Centralplasma herkommt. Die Auffassung dieser Bildung als Cyto- stom beruht nicht auf direkter Beobachtung der Nahrungsaufnahme, sondern auf der allgemeinen Erwägung, dass diese Stelle wohl hierfür die geeignetste sei. Nun findet sich aber außer dieser als Cytostom gedeuteten Einsenkung auf der Oberfläche des Leptodis- cus noch eine zweite, enger röhrenförmige , welche direkt nach dem Centralplasma der Ventralseite führt und innerhalb welcher die Geißel entspringt. HERTwIıG erwägt zwar auch die Möglich- keit, dass diese sogenannte Geißelscheide das eigentliche Cytostom sein könnte, hält sie jedoch zu eng für eine solche Funktion. Mir scheint nun die Auffassung der Geißelscheide als eines Homologon des Atriums der Noctiluca nicht unmöglich und es wäre dann auf ihrem Grunde die eigentliche Mundöffnung zu suchen. Hinsichtlich der Ernährung des Leptodiscus ist so wenig bekannt, dass aus der Enge der Geißelscheide wohl nicht viel gegen diese Auffassung zu ent- nehmen ist. Als sichere Nahrungskörper fand Herrwic im Plasma nur Algensporen und diese, wie andere kleine Organismen vermöchten doch wohl die nach meiner Berechnung etwa 0,01 mm im Durch- messer besitzende Geißelscheide zu passiren. Ich führe zur Unter- stützung meiner Auffassung noch an, dass die sog. Geißel oder Cilie der Noctiluca auch dicht bei der Mundspalte, tief im Atrium ent- springt, nicht entfernt von dem Mund, wie Hertwie auf Grund früherer Angaben annimmt und weiter, dass bei den Mastigopho- ren die Stelle der Nahrungsaufnahme ganz allgemein an der Geißel- basis gelegen ist. Auch erhält bei dieser Deutung die Geißel des Leptodiscus eine Funktion, welche ihr bei der Herrwıg’schen An- sicht nicht zu geben war. Wenn wir nun diese Auffassung adopti- ren, so ergiebt sich für die von Herrwice als Cytostom gedeutete Einsenkung die wahrscheinlichere Homologie mit dem Staborgan der Noctiluca. Sowohl die allgemeine Lage zu der Atriumröhre wie der Strang von Plasmafäden, welcher zu der Einsenkung zieht, stimmen damit überein. Es hätte sich bei dem Leptodiscus nur das Staborgan, ähnlich wie das Atrium, auf eine kleine Strecke der Einige Bemerk. iiber gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 569 Oberfläche verengt, dagegen jedoch statt der schwachen Vertiefung welche es bei Noctiluca besitzt, eine bedeutende Einsenkung erlangt. Jedenfalls glaube ich, dass sich in dieser Weise eine innigere Über- einstimmung zwischen den beiden Organismen ergiebt, als bei der seitherigen Auffassung. Kehren wir nun wieder zu dem Ausgangspunkt unserer Betrach- tung des Staborgans der Noctiluca zurück, so ergiebt sich, dass an eine Vergleichung desselben mit der Stab- oder Rautenplatte der Peridineen nicht zu denken ist und wir werden auch gleich sehen, dass das Staborgan bei einer Vergleichung der Noctiluca mit den Cilioflagellaten eine andere Lage erhält, wie die Stab- oder Rauten- platte. Ich halte es nämlich nicht für unmöglich, dass gewisse Bezie- hungen zwischen Noctiluca und den Cilioflagellaten existiren. Für diejenigen zwar, welche noch an dem Cilienkranz der letzteren fest- halten, dürfte sich eine solche Beziehung nur sehr gezwungen erge- ben. Die Punkte, wo ein Vergleich wohl einsetzen muss, sind die Längsfurche der Cilioflagellaten und das Atrium nebst Staborgan der Noctiluea und weiter die beiden Geißeln, die gewöhnlich in dem Vorderende der Längsfurche bei den Cilioflagellaten entspringen und die beiden Bewegungsfäden der Noctiluca, welche auch in der Atrium- einsenkung ihren Ursprung nehmen. Ferner gesellen sich hierzu noch wichtige Übereinstimmungen in dem Bau der Jugendform der Noetiluca mit den Cilioflagellaten. Wenn wir eine Vergleichung versuchen wollen, beginnen wir vielleicht am besten mit einer Betrachtung der sog. Schwärmer der Noctiluca, weil sich nach meiner Auffassung in deren Bau eine An- zahl Cilioflagellatencharaktere erkennen lassen. Zunächst kommt in Betracht, dass sich die Schwärmer, wie die Cilioflagellaten, mit nach hinten gerichteter Geißel bewegen, was CIENKOWSKI! speciell be- tont. Es lassen sich ferner an ihnen zwei Körperhälften unterschei- den (s. den umstehenden Holzschnitt Fig. 3), eine vordere, welche CIENKOWSKI den Kopf nennt, und eine hintere, welche er als Stiel- blase bezeichnet. Diese beiden Regionen sind, wenn auch wahr- scheinlich nicht in dem ganzen Umfang des Wesens, durch eine Querfurche (gf) von einander geschieden. Weiter lässt sich eine Bauch- und eine Rückenseite unterscheiden. Die erstere wird da- durch charakterisirt, dass sich über sie, von dem Kopftheil entsprin- 1 Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. VII und IX. 570 O. Biitschli gend, der sog. Stachel hinzieht (st). Was dieser Stachel ist, geht aus CIENKOWSKTs Darstellung nur wenig deutlich hervor; bald er- scheint er auf seinen Abbildungen nur als eine deutlich abgegrenzte, Fig. 3. Ein Schwärmer von Noctiluca von der Bauchseite, nach den Darstellungen von CIENKOwsKI und Rozin kombinirt. gf die vermuthliche Querfurche und s? die Längsfurche oder der sog. Sta- chel CıEnKkowskTr's, g die Geißel und ¢ der rudimentäre Tentakel (fadenförmiger Anhang CıEx- Kowskr’s), n der Kern. Fig. 4. Entwickelte Noctiluca zum Vergleich mit dem Schwärmer. z der Zahn, / die Lippe, at das Atrium, m die Mundspalte; die übrigen Bezeichnungen sind dieselben wie bei dem Schwärmer, so dass die vermnthliche Rückführung der Theile auf die des Schwärmers unschwer gelingt. nach hinten sich zuspitzende Fläche der Bauchseite, bald, und dies ist nur auf relativ wenigen Figuren der Fall, wird sein Hinterende als frei hervorragender Stachel angegeben. Im Allgemeinen macht dieser Stachel auf den Darstellungen unseres Forschers den Eindruck, als sei er ein gewölbt hervorragendes Organ; doch finden sich auch einige Figuren, auf welchen er mehr als eine Einsenkung, eine Furche der Bauchseite, erscheint. Speciell ist dies auch z. Th. auf den Abbildungen der Fall, welche CrenKowskKI von anormalen, blasigen Sehwärmern giebt, die sich nicht von dem Mutterkörper abgelöst ha- ben; hier erscheint das als Stachel bezeichnete Organ manchmal recht ähnlich dem Staborgan der ausgebildeten Notiluca. Die Darstellung, welche Rogın! von dem Bau der Schwärmer ! Rogın, Rech. s. la reprod. gemmip. et fissip. des noctiluques. Journ. de l’anat. et de physiol. 1878. pag. 563 ff. —— ee Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten ete. 571 entwirft, kann wohl dazu dienen, die CienKowskrsche Schilderung zu erläutern, obgleich der französische Forscher leider keine Rück- sicht auf die Beschreibung des ersteren nimmt. Rogın schildert das, was CIENKOWSKI als Stachel bezeichnet, als eine konkave Einsen- kung der Bauchseite des Schwärmers, welche von ziemlich scharfen Rändern begrenzt wird, und die sich von der Querfurche bis an das Hinterende der Schwärmer verfolgen lässt. Ein freies Her- vorragen des Stachels scheint letzterer Beobachter nie beobachtet zu haben. Ich halte es nun nach diesen Schilderungen für recht wahrscheinlich, dass der sog. Stachel nichts weiter ist wie eine Längsfurche der hinteren Körperhälfte und glaube, dass Vieles dafür spricht, ihn mit der Längsfurche der Cilioflagellaten zu vergleichen. Die Insertion der Geißel findet sich an der Querfurche, nach Rosin in der Mitte der Bauchseite, nach Cıenkowskr's Abbildungen mehr seitlich am Vorderende der Längsfurche (seines Stachels) und zwar meist auf der rechten Seite desselben gezeichnet, doch gelegentlich auch auf der linken. Es stimmt demnach auch die Insertion der Geißel mit den Verhältnissen bei den Cilioflagellaten ziemlich über- ein. Außer der Geißel beobachtete CIENKowskı nicht selten noch einen dickeren und kürzeren fadenförmigen Anhang (7), der auf den Abbildungen seinen Ursprung dicht neben der Geißel nimmt. Rosin scheint denselben nie gesehen zu haben. Ich erachte es für recht wahrscheinlich, dass dieser Anhang der junge Tentakel der Noetiluca war, dass derselbe also recht frühzeitig angelegt wird und ursprünglich dicht neben der Geißel entspringt. Ich will nun gleich weiter bemerken, dass ich den Tentakel der Noctiluca für vergleich- bar mit der Querfurchengeißel der Cilioflagellaten halte und daher auch bei dem Schwärmer schon die beiden Geißeln der Cilioflagel- laten finden möchte. Nachdem wir nun in soleher Weise eine Rückführung der Or- ganisation des Schwärmers auf die Verhältnisse der Cilioflagellaten versucht haben, bleibt uns noch übrig den Bau desselben mit dem der ausgebildeten Noctiluca in Verbindung zu setzen. Wir sind dabei leider nur auf Vermuthungen angewiesen, da eine direkte Verfolgung der Umbildung noch nicht möglich war. Ich möchte nun glauben, dass eine solche Verbindung der beiderlei Organisa- tionen nicht allzu schwierig ist, und meine Ansieht hierüber kurz aus einander setzen. Bei dem Auswachsen des Schwärmers ver- liert sich die Querfurche und ein letzter Rest derselben erhält sich vielleicht noch als der vordere Rand des Atriums (vgl. Fig. 4 572 O. Biitschli des Holzschnittes). In dem vorderen Theil des sog. Stachels oder der Längsfurche des Schwärmers bildet sich durch Einsenkung das Atrium (at) aus, dessen seitliche Übergangsränder in die Körper- oberfläche noch die Ränder der ursprünglichen Liingsfurche repräsen- tiren, während sich der dahinter gelegene Theil der Längsfurche als das sog. Staborgan (st) erhält, welches ja, wie früher bemerkt, eine schwache Einsenkung darstellt. Die beiden Geißeln behalten ihren Platz in dem vorderen Theil der Längsfurche. Die eigentliche Gei- bel des Schwärmers wird zu der sog. Cilie der Noctiluca oder deren Mundgeißel, wie man sie auch nennen könnte und repräsentirt nach meiner Auffassung die hintere oder Längsfurchengeißel der Cilio- flagellaten, sie ist auch wie diese weiter nach hinten eingepflanzt, während der Tentakel der Querfurchengeißel entspricht und auch weiter vorn entspringt. Über die Berechtigung dieser Vergleichung des Tentakels mögen hier noch einige Worte zugefügt werden. Ich schöpfe dieselbe namentlich daraus, dass, wie beschrieben, die Quer- furchengeißel der Cilioflagellaten zuweilen ein bandartiges Gebilde ist und dann eine netzig-fibrilläre Plasmastruktur, wenn auch nur schwach, erkennen lässt. Nun ist der Tentakel, wie ich hier be- merken will, da Kress ihn als unbeweglich bezeichnet, ein aktiv bewegtes Organ, wenn auch die Beobachter darin übereinstimmen, dass er keine heftigen Bewegungen mache. Weiter ist derselbe, wie bekannt, im Querschnitt nicht kreisrund sondern flach dreieckig bis nierenförmig, also nahezu bandförmig (Fig. 35 bei ce). Ich finde an dem Tentakel ein äußeres zartes Häutchen (2), an welchem ich zuweilen auf das deutlichste eine sehr feine Querringelung wahrnahm (bei a). Das Tentakelplasma aber zeigt eine netzige Struktur, welche auf den beiden Flächen desselben etwas verschieden erscheint. Auf der platten oder schwach konkaven Fläche finden wir (bei d) in regel- mäßiger Anordnung quere Plasmafädchen, welche die bekannte Quer- streifung des Tentakels hervorrufen. Diese Fädchen zeigen ziemlich dicht und regelmäßig gestellte Knétchen oder Varicositäten, welche in der Längsrichtung des Tentakels wiederum durch feine Fadchen in Verbindung stehen. Auf der konvexen Seite des Tentakels (bei d) beobachtet man ein im Ganzen ähnliches, doch viel unregelmäßi- geres Netz, so dass hier eine Querstreifung nicht hervortritt. Die Plasmastruktur der konkaven Seite stimmt demnach mit der Struktur nicht weniger sog. glatter Muskelfasern ganz überein, wie ich durch eigene gelegentliche Untersuchungen solcher von verschie- denen wirbellosen Thieren bestätigen kann. In Übereinstimmung Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten ete. 573 mit diesem Verhalten steht denn auch die Angabe VIGNAL’s (I. e.), dass nur diese Seite des Tentakels die kontraktile sei, was übrigens auch schon daraus zu entnehmen ist, dass der Tentakel bei den konservirten Exemplaren immer nach dieser Seite eingerollt ist. Dass wir den Zahn und die Lippe der Noctiluea vielleicht mit der auf der rechten Seite der Geißelspalte vorspringenden Leiste vergleichen dürfen, die oben z. B. bei Ceratium Tripos beschrie- ben wurde und die sich nach Srer’s Abbildungen auch bei den Peridinien allgemein entwickelt findet, halte ich nicht für unmöglich, doch lässt sich zur Zeit nur eine dahin gehende Vermuthung aus- sprechen. Was Zahn und Lippe anlangt, so möchte ich bei dieser Gelegenheit nur noch hervorheben, dass dieselben ihrer Masse nach aus Plasma bestehen. Wie nach der Basis des Tentakels, lässt sich auch zu dem Zahn ein fibrillärer Plasmastrang verfolgen, welcher in ihn eintritt. Die freie Schneide des Zahnes fand ich meist zweispitzig, gelegentlich auch drei- und vierspitzig (Fig. 32). Ich glaube, dass nur die genauere Verfolgung der Entwicklungs- geschichte der Schwärmer, d. h. die Aufklärung der allmählichen Ausbildung des Baues der fertigen Noctiluca, über die wahre Stel- lung dieses Organismus sicheren Aufschluss geben kann und die in Vorstehendem niedergelegten Vermuthungen geben möglicherweise Anregung zu erneuten Untersuchungen in dieser Richtung. Unter Berücksichtigung dessen und des weiteren Umstandes, dass wegen der von verschiedenen Seiten betonten Beziehungen der Noctiluca zu den Cilioflagellaten eine Diskussion dieser Frage nicht zu um- gehen war, konnte ich es wagen, die in Vorstehendem enthaltenen Spekulationen eingehender zu formuliren. Erst nach der Abfassung des Manuskripts ist mir eine in der Zeitschrift für wiss. Zoologie Bd. 40 erschienene Arbeit von Dapay bekannt geworden, worin derselbe auf pag. 479 mittheilt, dass er sich bei Amphidinium operculatum von der Nichtexistenz des Wim- perkranzes überzeugt habe. An dessen Stelle fand auch Dapay eine Querfurchengeißel, welche einen undulirenden Saum besitze, dessen Schwingungen die vermeintlichen Cilien vortäuschen. In dieser Mit- theilung interessirt uns namentlich, dass also auch bei Amphidinium die Geißel der Querfurche bandförmig zu sein scheint. Erklärung der Abbildungen. Taf. XXVI—XXVIII. Auf den Figuren der Tafeln XXVI-—XXVIII sind folgende übereinstimmende Fig. 1 Bigs: 42 Fig. 3 Buchstabenbezeichnungen gewiihlt worden. a Amylonkörner, ch Chromatophoren, fg die Querfurchengeißel, g die hintere oder Längsfurchengeißel, n der Zellkern, oc der Augenfleck oder das Stigma, v nichtkontraktile Vacuole. Fig. 1—9. Von Glenodinium einetum. Ansicht eines Individuums von der Ventralseite, die Chromatophoren sind nur im optischen Schnitt angegeben. Ansicht eines Exemplars von hinten. Die Chromatophoren sind hier vollständig eingezeichnet. Fig. 1 und 2 nach mit Osmiumsäure ge- tödteten Individuen. Seitliche Ansicht eines mit Osmiumehromsäure getödteten Exemplares; nur in Umrissen gezeichnet, um die beiden Geißeln zu zeigen. Fig. 4 und 5. Zwei der eigenthümlichen Ruhezustiinde; nach lebenden Exem- plaren gezeichnet. Fig. 6a und 5. Einige isolirte Chromatophoren. Fig. 7. Fig. 8. Pigs. 9. Der Augenfleck in ventraler Ansicht bei stärkerer Vergrößerung. Einige isolirte Stärkekörner. Ein isolirter Kern, welcher, nach der Abtödtung durch Wasser, deut- lich die sehr feine netzförmige Struktur zeigt. Die kuglige Gestalt des Kernes wurde bei der Isolirung durch Pressung verändert. Fig. 10— 15, 17 und 18. Von Ceratium Tripos aus der Kieler Bucht. Fig. 10. Ein Ceratium von der Ventralseite nach einem in Glycerin einge- schlossenen Exemplar, bei welcher Behandlung die Verhältnisse der Hülle besser zu erkennen sind, wie an den in Harzen eingeschlosse- nen. Der Weichkörper hat sich, wie bei den untersuchten For- men überhaupt, von der Hülle etwas zurückgezogen und innerhalb desselben sind nur die Amylonkörner und der Nucleus eingezeichnet. Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 575 Fig. 11, Fig. 12, Fig. 13. Fig. 144 Fig. 15. Fig. 16a Fig. 17. Fig. 18. Fig. 19. Die Verhältnisse des Geißelspaltes (2) sind an dieser Figur allein an- gedeutet und die Längsfurchengeißel ist zum größeren Theil in den Spalt eingelagert. Ein anderes Exemplar von der Bauchseite. Die Querfurchengeiße] liegt hier noch auf eine größere Strecke in der Querfurche. An dem Weichkörper sind die Chromatophoren, der Nucleus und die nicht selten vorhandene Vacuole (v) eingezeichnet. Ein Individuum von der linken Seite, bei welchem gleichfalls die Querfurchengeißel noch auf eine größere Strecke in der Querfurche verläuft. Ein Individuum von der Hinterseite. Man bemerkt die Geißelspalte (2) im optischen Querschnitt und den Ursprung der beiden Geißeln. Weiter ist auf der Figur gut zu sehen, dass der Bauchausschnitt von einer zarten Fortsetzung der Hülle, der sog. Mundplatte (mp) nach STEIN, überzogen wird, welche sich, bei dem bruchsackartigen Her- vorquellen des Weichkörpers aus dem Bauchausschnitt, etwas abge- hoben hat. Doch weist die Bildung des hakenförmig umgebogenen Endes des Durchschnittes dieser Mundplatte noch deutlich darauf hin, dass letztere den dachförmigen Vorsprung an der rechten Seite des Gei- Belspaltes bis zu dem Grunde der Spalte überzog. Vgl. hinsichtlich dieser Verhältnisse die Darstellung des Geißelspaltes in der Flächen- ansicht auf Fig. 10. und 6. Ein sehr deutlich netzförmiger Kern. «a in der Ventralansicht des Ceratiums, 4 in seitlicher Ansicht. Beide Abbildungen geben nur optische Durchschnitte. Der optische Durchschnitt eines ähnlichen Kernes in Ventralansicht. und 5). Ein Kern von Peridinium divergens, in zwei um |90 Grad der Drehung verschiedenen Ansichten. Fig. 165 zeigt ein rein fiidiges Gefüge von eigenthiimlicher Anordnung, welches dadurch noch ein besonderes Interesse besitzt, weil es lebhaft an die koncentri- schen Körper des Ceratium Tripos erinnert, namentlich auch wegen der Deutlichkeit des innersten Kreischens, welches sich bei Senkung des Tubus wie ein Röhrchen in die Tiefe verfolgen ließ und sich da- bei auch verbreiterte. Fig. 16a lässt in anderer Ansicht desselben Kernes deutlich erkennen, dass die Fäden auch hier im optischen Durchschnitt das Bild des Netzes geben. Kern von Ceratium Tripos mit zwei Nucleolen, von welchen der eine ganz dieselbe Netzstruktur wie der Kern zeigt. Kern von Ceratium Tripos, dessen Netzstruktur feiner und durch Unregelmäßigkeit sowie eine gewisse Schlängelung der Maschen ver- worrener geworden ist. Prorocentrum micans in seitlicher Ansicht, Die Geißeln sind nieht angegeben. Fig. 20 und 21. Gonyaulax polyedra Stein. Fig. 20 in der Ansicht von der Rückseite. Die Längsfurchengeißel ist in der Längsfurche deut- lich zu sehen und die Querfurehengeißel über die ganze Rückseite hin in der Querfurche zu verfolgen. Fig. 21. Ansicht auf den vorderen Pol. Um den zuriickgezogenen Weichkörper sieht man eine deutliche innere Hülle (A), wie dies bei den zur Untersuchung gekommenen Gonyaulax fast regelmäßig der Fall war. Fig. 23. O. Biitschli Peridinium divergens. a. Ein Exemplar in seitlicher Ansicht, b. Ein kleines Stück der Querfurchengeißel bei stärkerer Vergröße- rung. Dinophysis acuta in seitlicher Ansicht. In dem zurückgezogenen Weichkörper bemerkt man zwei Vacuolen, den eigenthümlich fädigen Kern und den im Text genauer besprochenen Körper x, welcher sich schwächer wie der Kern gefärbt hat. Fig. 24 bis 29. Von Ceratium Tripos, schildern die Entwicklung des Fig. 27. eigenthümlichen Körpers an Stelle des Kernes. Fig. 24—26 verschie- dene Stadien der Ausbildung des Körpers im koncentrischen Zu- stand. Weiteres Entwicklungsstadium des Körpers, a in der Ansicht von der Bauch- und 5 in der von der Rückenseite. In Fig. 27 5 schien sich- mit ziemlicher Sicherheit zu ergeben, dass die koncentrische Zeich- nung eigentlich eine spiralige ist. Bei anderen Exemplaren machte dagegen die Zeichnung stets den Eindruck wirklicher Koncentrieität, doch ist die Entscheidung dieser Frage sehr schwierig. Fig. 28a und b. Fortgeschrittenstes Entwicklungsstadium des fraglichen Körpers Fig. 29. mit deutlicher Trennung der Fäden in einzelne Kernchen und Bildung von Zellkörpern um letztere. « Ansicht von der Rückenseite, 5 von der Bauchseite. In letzterer Ansicht sieht man aus der dreieckigen Falte in der Mitte des Körpers, welche auf ähnlichen Stadien gewöhnlich vorhanden ist, ein kleines Röhrchen hervorragen, das wohl entschie- den dasselbe Gebilde ist wie das auf Fig. 25 dargestellte. Eigenthümlicher Körper neben dem Kern eines Ceratium Tripos. Fig. 30 und 31. Von Ceratium Fusus. Fig. 30. Exemplar mit eigenthüm- Fig. 31. lichem, ansehnlichem Körper x neben dem Kern. Der Körper enthält in jedem seiner Enden einen deutlichen Nucleus. Der Kern des Ce- ratium scheint sehr redueirt. Exemplar in nahezu seitlicher Ansicht, zeigt deutlich die beiden Gei- ßeln und die Kernstruktur, wie sie sich gewöhnlich darstellt. Fig. 32—38. Von Noctiluca miliaris (nach Osmiumsäurematerial). Fig. 32. Fig. 33. Vierspitziger Zahn eines Exemplares, wie er sich selten findet. Um- risse. Ansicht von oben. Blick auf die Atrialregion einer Noctiluca. Die Ausdehnung der Atrialeinsenkung ist durch Schattirung angedeutet, doch erhellt die- selbe noch besser mit Hilfe der seitlichen Ansicht in Fig. 34. Ganz vorn in der Einsenkung bemerkt man den Tentakel (¢); in einiger Entfernung dahinter an der rechten Seite der Wand des Atrium den Zahn () und die Lippe (7) so wie die Geißel (g). Darauf folgt im Grunde der Einsenkung die eigentliche Mundöffnung (m). Hinten be- merkt man das orale Ende des Staborgans (st) mit seinen beiden nach dem Atrium gerichteten Ausläufern, welche durch die Plasmafäden (fd) gebildet werden; 5 der Busch von Plasmafäden, welche die hin- tere Fortsetzung des Staborganes bilden. Die queren Linien, welche das Staborgan kreuzen sind Falten in der Wand der Noctiluca, die sich bei der Präparation gebildet haben. HrlrBilh Engelmann, kizzıg Lok hist Bemar Westerink fart = ae ut marie th. Anse ¢ Berner kit F Bs o a 20,» rhe be Lae Wie Engelmann, Krir aoe eee nL A Taf XXVM. Techn Zeh. Ansty Kemer & Winter Fi FATA Exactrens, ology Jahrb BAN. Einige Bemerk. über gewisse Organisationsverh. der sog. Cilioflagellaten etc. 577 Fig. 34. Fig. 35. Fig. 36. Fig. 37 Seitliche Ansicht der Atrialregion; die Erklirung ergiebt sich aus dem bei Fig. 33 Bemerkten. Stück eines Tentakels bei starker Vergrößerung. Bei a ist die feine Querringelung der äußeren Hülle des Tentakels zu sehen; bei 5 die Anordnung der Plasmafäden auf der konkaven Tentakelseite, worauf deren Querstreifung beruht; bei e der optische Durchschnitt des Ten- takels und bei d die Anordnung der Plasmafäden auf der konvexen Tentakelseite. Kleines Stück des oberflächlichen Plasmanetzes einer Noctiluca; man bemerkt an einigen Stellen deutlich, dass die größeren Netzmaschen noch von einem feinen Netzwerk erfüllt sind. und 38. Zwei Plasmazüge aus dem Inneren eines Noctilueakörpers, welche das netzförmige Gefüge deutlich zeigen. In Fig. 38 geht der Faden von dem dunkel angedeuteten Centralplasma aus. In beiden Figuren ist nur das eingezeichnet, was deutlich zu erkennen war, daher rühren die scheinbaren Lücken und Unterbrechungen in dem Netzwerk, welche in der Natur sicherlich nicht vorhanden sind. Morpholog. Jahrbuch. 10. 37 Das Foramen Magendii und die Öffnungen an den Recessus laterales des IV. Ventrikels. Von Carl Hess, cand, med, in Heidelberg. Mit Tafel XXIX. Seitdem MAGENDIE 1842 in seinen »Recherches anatomiques et physiologiques sur le liquide céphalo-rachidien« die Angabe gemacht, dass an der Decke des IV. Ventrikels beim Menschen normalerweise sich eine Öffnung vorfinde, durch welche die Subarachnoidalräume des Rückenmarks mit den Hirnhöhlen in Verbindung ständen, wurde über diesen Gegenstand eine Reihe von Untersuchungen vorgenom- men, doch mit so widersprechenden Resultaten, dass von Autoren wie KÖLLIKER, REICHERT und VIRCHOW die Existenz dieses Loches aufs Entschiedenste in Abrede gestellt wird, während LuscHkA, Key und Rerzius, SCHWALBE u. A. die MAGEnDIE'schen Angaben im We- sentlichen bestätigten. Wenn eine neue Untersuchung des Gegenstandes schon aus die- sen Gründen gerechtfertigt erschien, so war sie um so mehr dess- halb nothwendig, weil auch zwischen den Angaben von MAGENDIE, LuscuKa und Key und Rerzıus selbst große Differenzen herrschen in Betreff der Art und Bedeutung dieser Öffnungen, so wie ihrer Be- ziehungen zur Pia mater. Unter den älteren Autoren finden wir ganz unbestimmte Anga- ben über die Öffnungen am IV. Ventrikel bei HaLLer, der ihre Existenz als nothwendig erachtet wegen des Druckes der in den Ven- trikeln befindlichen Flüssigkeit, welche durch diese Öffnungen in die um das Rückenmark gelegenen Räume fließen soll. BıcHAr giebt ausdrücklich an, dass sich vom Kleinhirn zur Medulla oblongata Das Foramen Magendii u. d. Öffnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 579 eine kontinuirliche Membran erstrecke, findet dagegen im III. Ven- trikel eine Öffnung, dadurch entstehend, dass eine von ihm als Arachnoides bezeichnete Haut sich in die Hirnhöhlen einstülpe und einen Kanal bilde, der am oberen Ende des Aquaeduetus Sylvii sich nach vorn öffne. Die erste genaue Beschreibung rührt von MAGENDIE (1) her, der am Calamus scriptorius »eine konstante, nor- male Öffnung« findet, »deren laterale Ränder von Plexus chorioidei gebildet werden und die nach oben von der Valvula Tarini (Velum medullare inferius) begrenzt ist. Die Größe des Loches ist bei den verschiedenen Individuen sehr verschieden und steht in direktem Verhältnis zur Menge der Ventrikelfliissigkeit.< Um es zu sehen, hebt MAGEnDIE das Kleinhirn von der Medulla oblongata etwas ab. Der Beziehungen des Loches zur Pia mater gedenkt er gar nicht. Für den Flüssigkeitsstrom wird diesem Loch eine große funk- tionelle Bedeutung beigelegt, da in zwei Fällen von Hydrocephalus internus sich an Stelle desselben eine verschließende Membran vor- gefunden haben soll. MAGENDIE’S Entdeckung gerieth in Vergessenheit, bis LuscHKA 1855 (2) detaillirtere Angaben machte. Er findet »beim Umbeugen der Medulla aus dem Thal des Kleinhirns nach vorn, und mit Beseitigung der zahlreichen hin- und herziehenden Zellstofffiden in der Tiefe eine kleine Stelle, durch welche man direkt auf die Rautengrube sieht; — es befindet sich das Loch in der Tela chorioidea inferior, d. h. der Membran, die sich nach unten in die Pialbekleidung der Medulla oblongata fortsetzt, nach oben aber, sich umschlagend, zum Überzug des Kleinhirns wird«. Der Rand des Loches ist nach LuscHkA »der freie Rand einer Duplikatur, de- ren eines Blatt in die Pia des Kleinhirns und der Medulla übergeht, während das andere in das Ependym der Rautengrube und des Centralkanals übergeht, d. h. selbst Ependym wird«. LuscHkA fol- gert die Nothwendigkeit der Existenz des Loches aus dem Verlauf der Plexus chorioidei, welche durch dasselbe in die Subarachnoidal- räume eindringen. — Die Ansicht, dass die Pia ins Innere der Ventrikel sich einstülpe, wurde von KoLLMANN (3) widerlegt, welch’ Letzterer über die Begrenzung des Loches die Angabe macht, dass erst gegen Ende des achten Monats des Embryonallebens bindegewebige Balken an der Rautengrube auftreten, die sich vermehren und so zur Be- grenzung der Öffnung werden. 1876 geben Key und Rerzius (4) eine ausführliche Schilderung, die aber nichts wesentlich Neues ent- hält, außer einer richtigen Beschreibung des zungenförmigen plexus- 37% 580 C. Hess tragenden Abschnittes, der sich vom Ventrikel lings des Unterwurms hinaufzieht, und früher von REICHERT (5) zwar gesehen, von diesem ° aber als Kunstprodukt aufgefasst worden war. Key und Rerzıus. weisen nach, dass es eine natürliche Bildung sei. Ihrer morpholo- gischen Bedeutung werden wir später eine eingehende Betrachtung widmen müssen. QuINCKE (6) sieht im Foramen Magendii eine. variable, manchmal gar nicht darstellbare Bindegewebslücke, durch: welche ein Lymphstrom bloß nach außen hin, nieht aber von außen nach innen fließen soll, eben so wenig wie ein abwechselndes Ein- und Ausströmen stattfinde. Eine solche physiologische Bedeutung leugnet Marc SEE (7) vollständig, obschon er sonst im Wesentlichen die Quincke’sche Auffassung theilt: nach ihm soll der Lymphstrom durch mikroskopische Poren seinen Weg finden. Wie SEE und QUINcKE, so bedienten sich später in ausge- dehnterer Weise Key und Rerzius der Injektionsmethoden in die Subarachnoidalräume des Rückenmarks mit flüssiger oder erstarren- der Masse, und sie sehen im Eindringen der Flüssigkeit in die Ven- trikel den striktesten Beweis für die Existenz eines Loches. Die von A. Key und Rerzius gegebene Darstellung wurde später auclı durch SCHWALBE (8) bestätigt. Gegenüber diesen Angaben gelangen nun mehrere Autoren zu dem Resultat, dass das Foramen Magendii überhaupt nicht vorhanden sei: so spricht sich unter den Älteren BurpacH (9) »für einen voll- ständigen Verschluss des unteren Endes der vierten Hirnhöhle aus«; eben so HILDEBRANDT und WEBER; — VircHow (10) sagt darüber in seinem Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie: »Die Sub- arachnoidalräume stehen in keiner offenen Verbindung mit den Hirn- héhlen«. REICHERT (5) sieht die Öffnungen durchaus als Kunstpro- dukte an und will sogar bei sorgfältiger Untersuchung einen Verschluss nachgewiesen haben, und KÖLLIKER (11) sagt: »Die vierte Hirn- höhle ist bei Embryonen jederzeit geschlossen und halte ich dafür, dass dies auch beim Erwachsenen die Regel ist und dass die Öff- nung am Calamus seriptorius, wo sie vorhanden, keine gesetzmäßige Bildung ist, noch weniger die Löcher an den Recessus laterales.« Die Gründe, die gegen die Existenz eines Loches sprechen sol- len, werden von Marc SEE (7) in folgenden drei Punkten zusammen- gefasst: 1) Es sollen die beim Herausnehmen des Hirns aus der Schädel- höhle unvermeidlichen Zerrungen genügen, um eine so feine Membran, wie sie an der Decke des IV. Ventrikels vorkommt, zu zerreißen. Das Foramen Magendii u. d. Offnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 581 2) Schon RENAULT, später auch LuscHkA fanden, dass bei manchen Thieren, z. B. beim Pferde, — auch bei der Ziege, der Ven- trikel geschlossen sei. 3) Die pathologischen Erscheinungen bei einer Überfüllung der Ventrikel mit Flüssigkeit sollen mit der Annahme eines Loches nicht vereinbar sein. Die beiden letzten Punkte bedürfen keiner längeren Erörterung; wenn bei manchen Säugethieren der Ventrikel verschlossen ist, wie ich es in der That bestätigen kann, so dürfen wir daraus auf den Menschen keine Schlüsse ziehen, um so weniger, als bei den meisten Thieren die Entwicklung des Kleinhirns nach der Medulla eine ganz andere ist als beim Menschen; und wollte man etwa von der physiologischen Bedeutung des Loches ausgehend die Nothwen- digkeit seiner Existenz beim Menschen in Abrede stellen, weil es beim Pferde nicht vorhanden ist, so kann man darauf erwiedern, dass durch die stärkere Entwicklung der Öffnungen an den Recessus la- terales eine kompensatorische Einrichtung gegeben sein dürfte. Was den anderen Einwurf betrifft, so mögen in pathologischen Fällen so viele Faktoren zur Verstopfung des Loches beitragen (z. B. Gerinnselbildungen etc.), dass damit für einen normalen Verschluss nichts bewiesen ist. Eine eingehendere Besprechung erfordert dagegen der erste Ein- wurf und wir werden dadurch zugleich auf den Ausgangspunkt un- serer Untersuchung geführt werden. Es liegen unzweifelhaft in der Methode, deren man sich bisher zum Demonstriren des Foramen Magendii bedient hatte, große Feh- lerquellen, die die Gegner anzugreifen wohl berechtigt waren. Ma- GENDIE wie auch LuscHkA und Key und Rerzıvs bogen gewaltsam die Medulla oblongata vom Kleinhirn ab, um das Loch zu sehen; bei diesem Verfahren konnte REICHERT in dem erwähnten zungenförmi- gen Fortsatz wohl ein Kunstprodukt erblicken, und er giebt sogar an, dass »man die vierte Hirnkammer vollkommen verschlossen fin- det, wenn das Gehirn vorsichtig aus dem Schädel entfernt wird und wenn man dann unterhalb des Pons einen Querschnitt durch die vierte Hirnkammer macht« (5). Obschon ich mehrere Male nach der angegebenen Methode verfuhr, konnte ich mich doch von diesem Ver- halten nicht überzeugen. Die verschiedenen Injektionsmethoden konnten eben so zu kei- nem Ziel führen, da die Ergebnisse der Vırcmow’schen und KÖLLI- 582 C. Hess xer’schen Untersuchungen denen von Key und Rerzius gerade ent- gegengesetzt sind. | Bei meiner Untersuchung habe ich nun vorzüglich darauf Rück- sicht genommen, die Lagebeziehungen zwischen Kleinhirn und Me- dulla möglichst unverändert zu erhalten: das Kleinhirn wurde nach Abtrennung vom Großhirn so aus dem Schädel entfernt, dass nach vorsichtiger Durchschneidung der Nerven mit der Schere durch eine möglichst tiefe Durchtrennung des Marks und der Arachnoidea diese letztere an der Basalfläche des Kleinhirns wie am Übergang zur Medulla oblongata vollständig intakt blieb und auch durchaus nicht gezerrt wurde; die Hirne lagen vier Wochen in MüLter'scher Flüssigkeit und zwar die Hemisphären nach unten, Pons und Medulla nach oben, um eine Veränderung der Pia durch den Druck der Kleinhirntheile zu vermeiden; an den nachträglich noch in Alkohol gehärteten Hir- nen suchte ich mich durch Schnittserien in verschiedenen Richtungen zu orientiren; den besten Einblick bekam ich durch Sagittalschnitte, die ich durch die Mitte des Kleinhirns und der Medulla mit einem ganz feinen Rasirmesser legte, wodurch die Pia mater niemals zerrissen wurde; die Garantie dafür lag darin, dass, wo eine noch so feine piale Membran sonst vom Schnitte getroffen wurde, diese scharfe Schnittränder zeigte. Es wurden so über 30 Hirne von Erwachsenen, 10 von Neu- gebornen und 7 von Embryonen verschiedener Stadien (7, 12,5, 15, 16, 17 cm Kopf-Steißlänge) untersucht, und nur in einem einzigen später näher zu betrachtenden Falle fand ich eine dünne piale Mem- bran als Ventrikeldecke erhalten. In günstigen Fällen konnte ich durch der Medulla oblongata parallel gelegte Horizontalschnitte Einsicht in den IV. Ventrikel ge- winnen; wenn nämlich der Vermis wenig nach hinten prominirte, so konnte man unter der über die Tonsillen sich wegspannenden Arach- noides das Foramen Magendii erblicken, so wie seinen unteren zacki- gen Pialrand (a) und seine obere Begrenzung an den Plexus chori- oidei (4) (Fig. 1). Machen wir nun zum genaueren Studium der lateralen Begren- zung des Loches einen Sagittalschnitt in der oben angedeuteten Weise, so sehen wir in sehr vielen Fällen folgendes Bild (Fig.2). Auf dem nervösen Boden des Ventrikels an den Clavae zieht quer über diese ein mehr oder weniger gleichmäßiger scharfer Saum (a), gebil- det von einer Duplikatur der Pia mater. Die untere Lamelle (a) geht über in den Pialüberzug der Medulla oblongata, während die Das Foramen Magendii u. d. Offnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 583 obere (a) in dem Maße, als sie sich von den Clavae entfernt, diin- ner wird, bald vielfach perforirt erscheint, und sich schließlich in ein Netzwerk von gröberen und feineren Fasern auflöst, die sich nach oben mit dem Pialüberzug der Tonsillen (4) vereinigen, und nach hinten direkt an der Arachnoidea (c) sich befestigen. Nach vorn hingegen zeigt diese Lamelle eine stärkere Konsistenz, ist weniger perforirt, biegt am Vermis scharf medianwärts um und entwickelt an dieser Stelle mächtige Plexus (p); es dehnt sich dann die Mem- bran noch etwas über das obere Ende der Zotten hin aus, zeigt hier wieder mehrfache Perforationen (d) und ist mit dem Pialüberzug des Vermis eng verwachsen. Wenige Subarachnoidalfäden ziehen von einer Seite zur anderen. Es zeigt uns dieses Verhalten aufs Deutlichste, dass wir es hier nicht mit einer künstlichen, durch Zerreißung entstandenen Bildung zu thun haben, und ich sehe darin das sicherste Kriterium für deren normales Vorkommen: Das MAGENDIE'sche Loch stellt in unserem Falle sich nicht als einfache Perforation einer Membran dar, derart, dass seine Ränder, in einer Ebene liegend, auf einander zustrebten; vielmehr erscheint dasselbe als das Lumen eines kurzen mehr oder weniger eylindrischen Rohres, dessen vielfach perforirte Wandungen nach oben, d. h. an dem dem Vermis zugekehrten Theile am vollständigsten sind, während nach unten und den Seiten hin die Be- grenzung oft nur durch wenige Subarachnoidalfäden repräsentirt wird. Die unendlich großen individuellen Schwankungen in der Ent- wicklung der Pialmembran machen die Schilderung jedes einzelnen Falles unmöglich; doch können wir, vom geschilderten Verhalten aus- gehend, alle vorkommenden Variationen in zwei größere Gruppen trennen, die selbstverständlich durch vielfache Übergänge eng mit einander verknüpft sind. Die eine Gruppe charakterisirt sich durch eine mangelhaftere Entwicklung der Pia mater, während in der an- deren dieselbe in größerer Ausdehnung sich erhalten hat, und oft eine breite zusammenhängende Membran darstellt. Das Erstere ist das bei Weitem Häufigere: die laterale Pial- membran ist so stark perforirt, dass sie nur noch ein feines Maschen- werk darstellt, und auch dieses kann schwinden; es bleiben dann nur noch einzelne Subarachnoidalfäden übrig, die von einer in der Tiefe zwischen Tonsille und Medulla oblongata sichtbaren zarten Membran heraufziehen, und, sich um die Arteria cerebelli inferior schlingend, theils am Pialüberzug der Tonsille, theils an der Arachnoides sich befestigen. 584 C. Hess Die nervésen Reste der Ventrikeldecke an den Seiten, welche als Ponticuli oder Taeniae beschrieben werden, sind in diesen Fallen schwach entwickelt, doch sieht man oft deutlich, wie sie sich eine kleine Strecke auf die piale Membran fortsetzen, da wo sich dieselbe von den Clavae abhebt. — Geht der Schwund der Pia mater noch weiter, so findet man auch yon den Faden nichts mehr, und es ist dann die laterale Begrenzung des Foramen Magendii dargestellt durch einen ganz scharfen Pialrand, der der nervösen Substanz unmittelbar auf- gelagert erscheint, im Bogen über die Clavae verläuft und oft sich ein wenig verdickt zeigt. Ja sogar noch mangelhafter kann die Pia mater entwickelt sein, so dass die Clavae und die anstoßenden nervösen Theile ohne piale Bekleidung frei zu Tage liegen, wie ich es zweimal zu beobach- ten Gelegenheit hatte, einmal beim Erwachsenen und einmal beim Neugeborenen, wo die Pia mater 2—3 mm vom Obex entfernt auf den Clavae selbst mit scharfem Rand absetzte (Fig. 3). Da wo die Pia mater in ausgedehnterem Maße erhalten ist, zeigt sie meist die- selbe Konsistenz wie an den anderen Theilen des Kleinhirns; zu- weilen ist sie etwas derber und opaker. Am wenigsten verdünnt zeigt sie sich an den plexustragenden Theilen, die sich — weiter oberhalb — dem Vermis anlegen; hier finden wir oft die langen kon- tinuirlichen zungenförmigen Fortsätze. Es lehrt die gegebene Beschreibung, dass die gewöhnliche Schilderung des Foramen Magendii als eines ovalen, scharf begrenz- ten Loches den Thatsachen nicht entspricht, vielmehr haben wir es mit einem Liickensystem zu thun, das durch Rarifikation der Pia oder des Gewebes, aus welchem an den anderen Hirntheilen die Pia entsteht, sich gebildet hat; die größte Lücke allerdings finden wir, wie zu erwarten steht, da, wo sich die Membran frei über einen weiten Raum wegspannen müsste. Weniger häufig, als die Rarifikation der Pia, sind die Fälle, wo dieselbe in größerer Ausdehnung erhalten ist, und sie bieten be- sonderes Interesse wegen der Beziehungen zu den bei Säugethieren vorkommenden, später noch näher zu erörternden Bildungen: Es kann zunächst das Maschenwerk der lateralen Begrenzun- gen zu einer mehr oder weniger zusammenhängenden Membran sich umbilden (Fig. 4), mit vielfach ausgebuchteten, unregelmäßigen Rän- dern, die wiederum in breitere oder schmälere Bänder auslaufen, welche sicb dann an dem Pialüberzug der Tonsille und an der _ nn Das Foramen Magendii u. d. Öffnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 585 Arachnoides anheften, so dass oft Bilder entstehen, die lebhaft an die Valvula mitralis des Herzens erinnern. | Es können weiter diese schmalen Bänder der lateralen Begrenzun- gen unter einander zusammenfließen und so eine kontinuirliche Mem- bran bilden, die sich dann entweder nur an den Seitenrändern fin- det, oder auch vom oberen Ende der Plexus zum Calamus seriptorius sich hinüberspannt; diesen letzteren Fall habe ich indessen nur ein einziges Mal — bei einem Neugeborenen — beobachtet, und es zeigte sich auch hier bei näherem Betrachten die Membran an den seitlichen Theilen von feinen Lücken durchsetzt; nach oben hin löste sie sich in ein feines Fasernetz auf, das einerseits mit der plexustragenden Membran, andererseits mit der Arachnoides eng verwachsen war. Es erscheint also die Decke des IV. Ventrikels in diesem Falle als eine handschuhfingerförmige Ausstülpung mit perforirten lateralen Wandungen (Fig. 5). In solchen Fällen sind Pontieulus, seltener auch Obex stärker entwickelt; ob die nervöse Substanz in solcher Ausdehnung vorhan- den sein kann, dass die beiden Ponticuli zu einer zusammenhängen- den Decke verschmelzen, bleibt dahingestellt; vielleicht sind so die bei- den Fälle zu deuten, die MAGENDIE erwähnt, obzwar er selbst es mit einer pathologischen Neubildung zu thun zu haben glaubt. Key und Rerzius fanden ein einziges Mal eine nur von Pia mater gebil- dete Decke; REICHERT’s Angaben sind so unbestimmt, dass wir nichts Sicheres aus ihnen ersehen können. Es sei schließlich noch einer interessanten Modifikation gedacht, die bis jetzt nicht berücksichtigt worden ist, obschon sie auf die Ge- nese des Foramen einiges Licht wirft. Wir finden nämlich gar nicht selten die plexusbildende Pia mater längs des Unterwurms so stark entwickelt, dass sie nach oben bis zur Arachnoides sich hinzieht, mit der sie entweder nur durch schmälere und breitere Bänder in Verbindung steht oder auch kontinuirlich in größerer Ausdehnung verwachsen sein kann (Fig. 6). Eine von der Verwachsungsstelle der Pia mater mit der Arachnoides zum Calamus scriptorius ziehende Membran, welche doch nach den- jenigen Autoren zu erwarten wäre, welche die Existenz des Fora- men Magendii leugnen, ist auch nicht einmal angedeutet. Uber- gangsstufen zu diesem Verhalten finden wir einmal in der mächtigeren Entwicklung des zungenförmigen Fortsatzes längs des Vermis, dann auch in dem oben gegebenen Stadium des geschlossenen Ventrikels, wo die plexustragende Pia mit der Arachnoides durch ein dichtes 586 C. Hess Netzwerk von Faden verbunden erscheint, ein Verhalten, das wir vielfach bei Säugethieren wiederfinden, und das sogar schon bei Vögeln angedeutet ist. Aus der gegebenen Schilderung geht wohl zur Genüge hervor, dass das Loch an der Decke des IV. Ventrikels beim Erwachsenen und Neugeborenen ein normales Vorkom- men darstellt. Doch seien in Kürze die Punkte hervorgehoben, die die Annahme einer künstlichen Entstehung des Loches unmög- lich machen: 1) Man findet niemals unter Wasser flottirende Ränder oder Reste von Pialmembranen, weder an der lateralen, noch an der oberen oder unteren Begrenzung des Loches, was man bei einer künstlichen Entstehung des Loches doch wenigstens in vereinzelten Fällen finden müsste; die von REICHERT erwähnten Membranreste am Unterwurm konnte ich nie finden. 2) Man kann sich nicht wohl vorstellen, wie bei einem durch Einreißen entstandenen Loch dessen Begrenzung sich als der Um- schlagsrand einer Duplikatur darstellen kann, deren oberes Blatt sich distalwärts ausbreitet. 3) Der Rand eines künstlichen Loches kann sich nicht als regel- mäßiger scharfer, etwas verdickter Saum darstellen, der der nervösen Substanz dicht anliegt. 4) Wenn der Pialüberzug der Clavae ein diskontinuirlicher ist, wo von künstlichem Einreißen ja nicht die Rede sein kann, so wird die Annahme einer kontinuirlichen Membran, die sich über den da- neben liegenden Raum frei wegspannte, auf große Schwierigkeiten stoßen. 5) Bei den Verwachsungen der Pia mater des Unterwurms müsste man doch hier und da wenigstens Reste einer früher vor- handenen, zum Calamus scriptorius verlaufenden Membran finden, was aber nie der Fall ist. Die Verhältnisse beim Neugebornen weichen von denen beim Erwachsenen wenig ab. Vor Allem fällt das viel reichlichere Sub- arachnoidalgewebe auf, welches in dem dreieckigen von Arachnoides, Medulla oblongata und unterer Kleinhirnfläche begrenzten Raum mächtig entwickelt ist; am Unterwurm finden wir den Plexus meist schon so weit hinaufgewachsen, dass er aus der Ventrikelhöhle her- ausragt; der piale Verschluss wurde, wie erwähnt, nur einmal gefunden. Die lateralen Begrenzungen erscheinen gleichfalls etwas vollständiger als beim Erwachsenen durch die reichlichen, vielfach mit a Das Foramen Magendii u. d. Offnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 587 einander verbundenen Subarachnoidalfäden; weiter fällt ein sehr gro- ßer Blutreichthum auf, der jedoch auf die unmittelbare Umgebung der nervösen Substanz lokalisirt ist, hier als ein dichtes Netz viel- fach gewundener Arterien sich darstellend. Wo eine piale Membran vorhanden ist, sieht man an deren Abgangsstelle von der Medulla oblongata die Blutgefäße scharf absetzen, so dass die ganze Mem- bran kaum Spuren von Blutgefäßen zeigt; das Gleiche gilt für die seitlichen Grenzmembranen. Werfen wir nun einen Blick auf die Bildungen, welche wir bei Säugethieren an der Decke des IV. Ventrikels vorfinden, so zei- gen sich zum Theil beträchtliche Verschiedenheiten von den beim Menschen gefundenen Verhältnissen. Die meisten Säugethiere unter- scheiden sich vom Menschen durch eine schwächere Entwicklung der Plexus mediales im Verhältnis zu den Plexus laterales und weiter durch die starke Prominenz der dem Vermis cerebelli ent- sprechenden Hirntheile über den Calamus seriptorius. Sehr schwach entwickelt sind die Plexus unter den Nagern; beı Seiurus ist die Pia mater am IV. Ventrikel eine äußerst zarte Mem- bran; sie erscheint indessen hier, wie auch bei der Ratte, kontinuir- lich ; unter den Insectivoren (welche stark entwickelte seitliche Plexus zeigen) ist die Tela chorioidea bei Talpa äußerst fein, aber konti- nuirlich, bei Erinaceus dagegen von Lücken durchsetzt. Unter den Carnivoren finde ich eine kontinuirliche Membran beim Fuchs, eine vielfach durchbrochene bei der Katze. Bei der Geburt nahen Rindsembryonen ist auf der ganzen, oft ziemlich langen Strecke vom Calamus scriptorius bis zum Beginn der Plexus chorioidei die Pia ersetzt durch ein Maschenwerk von feineren und gröberen Fasern, die nur ganz allmählich vorn und hinten in kontinuirliches Gewebe übergehen. (Ähnliches wie beim Rind fand ich bei einem zur Untersuchung ge- langten Marder.) Bei allen diesen, durch starke Entwicklung der mittleren Klein- hirntheile charakterisirten Formen verhält sich die zwischen Cere- bellum und Calamus scriptorius eindringende Piaduplikatur wie in anderen tieferen Kleinhirnfurchen: sie ist äußerst zart, nicht selten diskontinuirlich und zeigt vielfache Verwachsungen. Unter den Primaten finde ich bei Troglodytes und Inuus große Öffnungen ap den Recessus laterales, dagegen an der Ventrikeldecke bei Inuus eine kontinuirliche, wenn auch sehr zarte Membran. (Über das Verhal- ten bei Troglodytes konnte ich keinen Aufschluss gewinnen.) 588 . C. Hess Ganz andere Verhiltnisse zeigt die Pia in den Fallen, wo der Vermis dem Calamus scriptorius nicht unmittelbar aufgelagert ist, wie beim Pferd und beim Schaf. — Der Plexus ist hier aus dem engeren Bezirk des Ventrikels durch die zwischen Clavae und media- len Kleinhirnpartien bleibende Lücke herausgetreten, indem er sich in eine Ausstülpung der Pia mater hinein entwickelt. Die Gestalt dieser Ausstülpung ist eine handschuhfingerförmige, zeigt sich aber nach den Seiten hin nur wenig ausgebildet, so dass bei Serienschnitten jederseits etwa !/; em vom Calamus scriptorius sich wieder der normale Pia- verlauf findet. Von der Kuppe der Ausstülpung zieht beim Pferd ein festes faseriges Band zur Arachnoides hin, während beim Schaf die Kuppe der Ausstülpung selbst bis zur Arachnoides reicht. In der Aus- stiilpung ist beim Pferd die Pia mater von beträchtlicher Dicke und Festigkeit, so dass man, wie RENAULT angiebt, »eine kleine Nussschale voll Quecksilber durch den Aquaeductus Sylvii eingießen kann, ohne dass sie zerreißte. Die seitlichen, dem Kleinhirn anliegenden Theile sind auch hier viel dünner, doch bleiben sie ohne Unterbrechung. Wir mussten diese Verhältnisse beim Pferd genauer schildern, einmal wegen ihrer großen Wichtigkeit für die Beurtheilung der menschlichen Verhältnisse, dann aber wegen der Irrthümer, die sich über dieses Verhalten in allen früheren Beschreibungen finden: LuscuKa giebt an, der Verschluss komme durch eine von der Arach- noides zur Pia mater reichende Membran zu Stande; eben so hat auch RENAULT, bei welchem wir zuerst die Angabe eines Verschlus- ses des Ventrikels beim Pferde finden, eine falsche Deutung dessel- ben gegeben und bei Key und Rerzıus finden wir eine ganz un- richtige Abbildung, nach welcher sich die Pia mater in geradem Verlauf über den Ventrikel wegspannen soll. Der abgebildete Sa- gittalschnitt (Fig. 7) lässt über das wahre Verhalten wohl keinen Zweifel mehr. Ob eine mangelhafte Entwicklung des Unterwurms nach hinten die Möglichkeit einer Ausstülpung gegeben, oder ob vielleicht eine sehr frühzeitige Entwicklung der Plexus nach hinten die dichte Auflagerung des Kleinhirns auf die Medulla oblongata am Calamus scriptorius unmöglich machte, muss unentschieden blei- ben: ein Pferdeembryo von 15 em Kopf-Steißlänge, in dieser Hin- sicht untersucht, gab uns keine Aufklärung. , Engen Anschluss an das beim Pferd gefundene Stadium bietet das beim Schafhirn sich findende dadurch, dass wir gleichfalls die hand- schuhfingerförmige Ausstülpung der Pia mater, die Entwicklung der Plexus aus dem Ventrikel heraus, vorfinden ; auch hiermit stimmt die bei Das Foramen Magendii u. d. Öffnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 589.. Key und Rerzius gegebene Abbildung nicht überein. Im Unterschied vom Pferd ist aber beim Schaf die von der Kuppe der Ausstülpung zum Calamus ziehende Pialmembran nicht fest und kontinuirlich, sondern vielfach von kleineren und größeren Lücken durchsetzt. Nachdem wir nun so beim erwachsenen Menschen und einer Reihe von Säugethieren im Foramen Magendii eine gesetzmäßige- Bildung kennen gelernt, tritt die Frage nach der Ursache der Entstehung des Loches an uns heran, und wir werden die Lösung derselben erreichen durch eine Betrachtung der embryonalen Ver- hältnisse. KOLLIKER giebt an, »dass die vierte Hirnhöhle menschlicher Em- bryonen jederzeit geschlossen seic; dies habe ich nicht bestätigen können, denn bei Embryonen von 12 cm Kopf-Steißlänge fand ich schon eine Öffnung, eben so bei solchen von 15 em und mehrfach in späteren Stadien, und zwar ging aus der Art und der Um- gebung des Loches wiederum hervor, dass es kein Kunstprodukt sein konnte. Die Verhältnisse bei Embryonen ähneln sehr den- jenigen bei Neugeborenen; bei einem Embryo von 15 cm Kopf- Steißlänge fand ich auch schon eine ausgedehnte Verwachsung der plexusbildenden Pia mater mit der Arachnoides, ohne Reste von einer zum Calamus scriptorius ziehenden Membran: plexusbildendes Gewebe und Pialüberzug des Vermis bildeten einen soliden Zapfen, von dessen unterer Fläche der Plexus nach dem IV. Ventrikel hin wucherte; die vom verlängerten Mark kommende Pia verdünnte sich an den Clavae auffallend und verlor sich unmerklich in dem dich- ten subarachnoidalen Maschengewebe. Bei jüngeren Stadien finde ich den Ventrikel nach außen abgegrenzt durch ganz gleichmäßiges dichtes Maschengewebe, so dass makroskopisch ein Verschluss aller- dings vorhanden scheint; jedoch belehrt uns die mikroskopische Unter- suchung eines Anderen; wir sehen dies noch deutlicher bei verschie- denen Thierembryonen, bei welchen ich zur Vermeidung von Zerrun- gen die Sagittalschnitte durch den ganzen Kopf legte. So finden wir z. B. bei einem Katzenembryo von 10 cm Kopf-Steißlänge (Fig. 8) die an Medulla oblongata und am Kleinhirn schon ziemlich deutlich und scharf differenzirte Pia mater am IV. Ventrikel auffallend viel dünner werden und eine Strecke weit verschwindet sie als zusam- menhängende Membran gänzlich; bei Betrachtung mit blo- Sem Auge kann es den Anschein haben, als finde sich auch hier eine feine kontinuirliche Membran, aber mit der Lupe, noch besser mit dem Mikroskop an einem nicht zu feinen Schnitte, zeigt sich 590 C. Hess deutlich, dass an dieser Stelle die Pia mater durch ein System feiner, lockerer Bindegewebsfasern ersetzt ist, die, viel- fach durchflochten, nach vorn und hinten sich allmählich verdichten, jedoch ohne eine ganz kontinuirliche Membran zu bilden. Die epi- theliale Auskleidung des Ventrikels setzt sich von dem plexustragenden Abschnitt noch eine Strecke weit auf die Pia mater fort und hört dann plötzlich auf. Ich erwähne diesen Befund bei der Katze, weil ich bei menschlichen Embryonen, so weit ich sie untersuchen konnte, wesentlich Gleiches fand, vielleicht mit dem einzigen Unterschiede, dass das Sub- arachnoidalgewebe etwas spärlicher ist, wie auch beim erwachsenen Menschen sich weniger Subarachnoidalgewebe als bei Thieren findet. Solche, auch bei anderen Thierembryonen gefundene Thatsachen können zu der Auffassung hinführen, dass es vielleicht an der Decke des IV. Ventrikels überhaupt niemals zur Bildung einer kontinuir- liehen Pia mater kommt; versuchen wir es, uns die Momente zu vergegenwärtigen, welche für eine solche Auffassung sprechen. Was zunächst die Entwicklung der Pia mater angeht, so spricht HENLE in seinem Lehrbuch der Anatomie zuerst die Ansicht aus, dass Pia mater und Arachnoides genetisch zusammengehörige Bildun- gen seien, hervorgegangen aus derselben bindegewebigen Grundsub- stanz, welche anfänglich Gehirn und Rückenmark gleichmäßig um- giebt; »dieses Bindegewebe verdichtet sich nach innen zur Pia, nach außen zur Arachnoides«. Schärfer noch präeisirt finden wir diese Anschauung bei Key und Rerzıus (4), welche »als weiche Haut die ganze Bindegewebs- lage zwischen Dura einer- und Hirn- und Rückenmarksoberfläche andererseits« bezeichnen und diese »in eine innere und äußere Ver- dichtungslage oder Grenzschicht: Pia und Arachnoides, und in das zwischenliegende Subarachnoidalgewebe« eintheilen. KÖLLIKER sagt {11): Die Arachnoidea ist als eine Abzweigung der Pia aufzufassen und wird erst inden letzten Monaten des Embryonallebens deutlicher. Über die Entwicklung der Pia mater sagt er: »Noch vor der Entstehung des knorpeligen Primordialschädels bildet sich die innerste Lage der häutigen Schädelkapsel in eine weiche ein- fache oder gallertartige Bindesubstanz um, in der zahlreiche Gefäße sich entwickeln, und stellt die erste Anlage der Gefäßhaut des Ge- hirns dar.« Es bildet sich also bei der Anlage des Hirns und Rückenmarks um dieselben eine Schicht lockeren gleichmäßigen Bindegewebes, das den Raum zwischen Dura mater und nervöser Substanz ausfüllt, und Das Foramen Magendii u. d. Offnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 591 demgemäß an den Furchen des Gehirns, so wie an allen Stellen, wo sich dasselbe bei seiner Entwicklung von der Schidelkapsel ab- hebt, stärker entwickelt ist, indem es so ein gleichmäßiges Anschlie- ßen an die umgebende Schädelkapsel ermöglicht. In diesem Sinne fassen wir auch das mächtig entwickelte Sub- arachnoidalgewebe auf, das wir bei den embryonalen Hirnen (s. Fig. 8) zwischen Kleinhirn, Medulla und Dura mater an der Ventri- keldecke vorfinden. Die Verdichtung dieses Subarachnoidalgewebes nach innen zu einer zusammenhängenden Pialmembran findet nach- KÖLLIKER (Entwicklungsgeschichte pag. 578) erst im vierten Monat der Embryonalperiode statt und ist jedenfalls mit der starken Blut- gefäßentwicklung an der Oberfläche der nervösen Substanz in Zusam- menhang zu bringen. Da sich nun, wie wir gesehen haben, an der Decke des IV. Ventrikels nervöse Substanz gar nicht, oder nur höchst rudimentär in Gestalt von Ponticulus und Obex entwickelt, so muss selbstver- ständlich auch die Blutzufuhr zu diesen Theilen aufhören und damit schon ein wichtiger Faktor zur Entwicklung einer kontinuirlichen Pialmembran wegfallen. Es erscheint so schon in früher Embryonal- periode der IV. Ventrikel nach außen nur durch ein gleichmäßi- ges Maschengewebe abgegrenzt, und es kommt dann zur Bildung des Foramen Magendii durch den Zusammenfluss der kleinen Lückenräume des embryonalen Pialgewebes. Wir haben diese Entstehung des Loches direkt bei der Katze ver- folgt (s. o.) und der früher beschriebene Befund bei größeren Rinds- embryonen giebt dazu eine interessante Bestätigung. Bei dieser Auffassung verliert das Foramen Magendii den Cha- rakter des Wunderbaren, den es haben musste, so lange man sich vorstellte, dass ein in seiner Anlage geschlossenes nervöses Rohr sekundär durch Schwund der nervösen Umhüllung mit ihm ganz frem- den Höhlen in Kommunikation trete, und weiter erklärt uns dieselbe alle beschriebenen Variationen auf einfache Weise. Denn wie das embryonale Gewebe sich nach außen und innen zu Arachnoidea und Pia verdichtete, so kann es auch in den zwischen beiden bleiben- den Räumen in der mannigfaltigsten Weise zu kontinuirlichen Mem- branen sich umbilden. Dann verstehen wir die eigenthümliche Begrenzung des Foramen Magendii an den lateralen Rändern, in der wir nicht die Reste einer ursprünglich vorhandenen, sondern Theile einer neuen Membran sehen, die sich aus dem Subarachnoidalgewebe gebildet hat: wir verstehen die ausgedehnten Verwachsungen der 592 C. Hess Pia mit der Arachnoides (s. Fig. 6), die uns so seltsam erschienen waren; wir begreifen, dass es in einzelnen Fällen auch zu einem völligen Verschluss des Ventrikels kommen kann. So wird uns auch die Angabe KoLLMAnN’s (3) verständlich, dass »erst gegen Ende des achten Monats des Embryonallebens Subarachnoidalbalken auftre- ten, die erst allmählich unter einander verschmelzen und so zur Be- grenzung des Loches werden«. Es erübrigt uns noch die Beantwortung der Frage, ob die er- wähnte Entstehungsweise des Foramen Magendii die einzige vorkom- mende sei, und welche Faktoren der Bildung desselben beim Men- schen so viel günstiger sind als bei vielen Säugethieren, wo wir den Ventrikel häufig verschlossen finden. Die erste Frage angehend, so kann sich in manchen Fällen an- fänglich ein dünner nervöser Verschluss erhalten haben, der aber nachträglich entweder rückgebildet wurde wegen mangelhafter Blut- zufuhr, oder durch den Druck der in den Ventrikeln vorhandenen Flüssigkeit, so wie durch den Zug, welchen die sich entwickelnden Kleinhirntheile auf diese zarte Membran ausüben mussten, zerstört wurde. Beim Menschen speciell ist es die Abhebung des Unter- wurms vom Calamus scriptorius, so wie die starke Entwick- lung der Plexus chorioidei längs des Vermis nach außen, welche die Entstehung eines Loches begünstigen, indem eine etwa erhaltene Pialmembran sich frei über einen ziemlich großen Raum wegspannen müsste, während bei den meisten Thieren das Kleinhirn der Medulla oblongata dicht aufgelagert bleibt. Was endlich die funktionelle Bedeutung des Foramen Magendii angeht, so sehen wir in ihm einen wesentlichen Faktor zur Reguli- rung des Druckes der in den Hirnhöhlen vorhandenen Flüssigkeit ; und da wir in den Subarachnoidalräumen des Hirns und Rücken- marks nach dem Vorgang von Key und Rerzıus periencephale Lymphräume sehen, in welchen also ein konstanter Flüssigkeits- strom vorhanden sein muss, so ist es klar, welche Bedeutung diese Kommunikationsöffnung für eine gleichmäßige Vertheilung der Flüs- sigkeit haben muss, während bei den meisten Säugethieren ohne Foramen Magendii durch die stärkere Entwicklung der Öffnungen an den Recessus laterales eine Kompensation gegeben ist. Die Untersuchung der Pialverhältnisse an den Recessus la- terales bietet ungleich größere Schwierigkeiten als die der Decke des IV. Ventrikels, einmal wegen der komplieirten Verhältnisse, Das Foramen Magendii u. d. Offnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 593 welche die Reste des nervösen Verschlusses bieten, dann wegen des sehr schwer zu verfolgenden Verlaufs der Pia mater; doch ist hier die Pia Zerreißungen durch unvorsichtiges Herausnehmen des Klein- hirns aus dem Schiidel weniger ausgesetzt. Die Geschichte der Öffnungen an den Recessus laterales ist, wohl in Folge der genannten Schwierigkeiten, eine’sehr kurze. 1849 er- wähnt BocHDALEK (12), dass die Plexus chorioidei an den Recessus laterales, »aus dem Füllhorn hervordringend, frei unter die Arach- noidea zu liegen kommen«. Dann finden wir bei LuscuKa (2) eine kurze Bemerkung, dass »der äußere Winkel der vierten Hirnhöhle den Ventrikel mit den Subarachnoidalräumen in Verbindung setzt« und dass »die seitlichen Theile des vierten Adergeflechtes frei unter der Arachnoidea liegen«; der Pialverhältnisse wird nicht gedacht. REICHERT beschreibt (1861) die Plexus ausführlicher und findet, »dass dieselben bei genauerer Untersuchung einen häutigen Verschluss zeigen«. An LuscuKa’s Schilderung knüpft die Beschreibung von Key und Rerzıus an (1875), welche die Existenz einer Öffnung aufs Be- stimmteste behaupten. Ihnen schloss sich auch SCHWALBE an. Die beiden zuvor genannten Autoren fanden nur zweimal einen pialen Verschluss an den Recessus laterales. Da die Angaben von Kry und Rerzıus in Betreff der feineren anatomischen Verhältnisse und speciell des Verlaufes der Pia uns im Stiche lassen, und eine ge- naue Kenntnis derselben zum Verständnis der Foramina unerlässlich ist, so wollen wir zunächst der Entwicklung dieser Theile unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Die Anlage der Plexus chorioidei ist ursprünglich eine einheit- liche, in der Weise, dass auf der ganzen halbkreisförmigen Strecke, auf welcher das Cerebellum sich seitlich und hinten über den Cala- mus scriptorius entwickelt, zahlreiche Blutgefäße in dem Maschen- gewebe zwischen Medulla und Kleinhirn auftreten, und dass die nervöse Substanz, welche diese letzteren noch mit einander verband, allmählich bis auf den Epithelbelag der Plexus chorioidei schwindet, welch’ letztere von der blutgefäßhaltigen Pia mater in den Ventrikel eingestülpt werden. So bilden also die Plexus chorioidei in ihrer Anlage einen zu- sammenhängenden Halbkreis von Zotten, der von den Keilsträngen der einen Seite zu denen der anderen Seite hinüberzieht; in dieser Form erscheinen sie uns noch bei fünfmonatlichen menschlichen Embryonen, selten noch bei Erwachsenen. Unter den Thieren bleibt Morpholog. Jahrbuch, 10. 33 594 C. Hess die Entwicklung der Zotten, z. B. bei den Ratten, während des gan- zen Lebens auf dieser Stufe stehen. Wir müssen hier der früher von BURDACH angeregten, von KoLLMANN wieder aufgenommenen Ansicht gedenken, nach welcher »die Gefäßzotten durch direkte Um- wandlung aus den Riemchen entstehen sollen, ohne Betheiligung — der Pia mater«; schon die direkte Beobachtung lehrt uns, dass von der nervösen Substanz nur das Ependym der Medullar- platte in die Zottenbildung eingeht. Beim Erwachsenen finden wir eine Andeutung der ursprünglich einheitlichen Zottenanlage im Verlauf der Arteria cerebelli inferior posterior, die meist tief eingesenkt zwischen Tonsillen und Medulla ob- longata längs der Plexus nach den medialen Theilen des Ventrikels hinzieht. Einmal fand ich beim Erwachsenen das embryonale Ver- halten noch deutlich ausgeprägt: zwischen dem Velum medullare posterius und den Peduneuli ad floceulos einerseits und der mäßig stark entwickelten Taenie andererseits zog ein bogenförmiger Spalt von dem medialen Theil des IV. Ventrikels zu den Recessus latera- les, und auf der ganzen Strecke wucherten Plexus in den Ventrikel- hohlraum. Der regelmäßige Entwicklungsgang jedoch ist der, dass durch die dichte Auflagerung des Kleinhirns auf die Medulla oblon- gata an den Clavae und lateralwärts an dieser Stelle das Lumen des Ventrikels stark vermindert wird, so dass eine Entwicklung der Plexus unmöglich ist. An drei Stellen dagegen können diese sich mächtiger entfalten: medial und an den beiden Seiten, da wo ihnen an der Abgangsstelle des Cerebellum von der Medulla oblongata ein größerer Raum offen steht, und hier finden wir die Plexus schon frühe stärker entwickelt. Die ersten Spuren einer Bildung der Recessus laterales finden wir bei Vögeln, wo sie als konisch sich verjüngende Fortsätze des medialen Ventrikelhohlraumes erscheinen, welche seitlich in die Ner- vensubstanz des Kleinhirns eindringen; diese Fortsätze werden dann bei den Säugethieren mächtiger, biegen nach unten um und schwel- len an den Enden kolbenartig an. Den Schwund der nervösen Substanz und die damit in Zusam- menhang stehende Bildung der Taenie veranschaulicht uns die bei- gegebene Zeichnung (Fig. 9) eines Schnittes durch das Kleinhirn eines fünfmonatlichen menschlichen Embryo, welcher senkrecht auf die Achse des Pons in der Gegend der Recessus laterales durch das Cerebellum gelegt ist. Auf der einen Seite ist von der nervösen Substanz gar nichts mehr vorhanden, als die Taenie, auf der ande- Das Foramen Magendii u. d. Öffnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 595 ren Seite finden wir den Verschluss noch durch einen dünnen Sack nervöser Substanz repräsentirt. Sehr selten finden wir einen nervösen Verschluss beim Er- wachsenen. Ich beobachtete dies nur zweimal in 54 untersuchten Fällen ; LuscHKA giebt an, dass er einmal den Recessus lateralis durch eine »gelbliche, zähe, opake Membran« verschlossen gefunden, die er als Gerinnselbildung auffasst, welche aber möglicherweise auch als solch’ nervöser Verschluss anzusehen ist. Phylogenetisch müssen wir uns die Entstehung der Öffnungen an den Recessus late- rales so denken, dass in dem Maße, als sich hier die Plexus chorioidei reicher entwickeln, die nervöse Kapsel immer mehr ausgedehnt und dem entsprechend verdünnt wird, bis entweder nur noch das Epithel der Plexus oder außerdem eine ganz dünne nervöse Membran übrig bleibt. Ontogenetisch ist der Vorgang derselbe wie an der Ventri- keldecke, und der etwas häufiger vorkommende Verschluss der Re- cessus laterales erklärt sich eben daraus, dass phylogenetisch die Plexus laterales so viel jüngere Bildungen sind. Die Reste des nervösen Verschlusses sehen wir in der Taenie, den Peduneuli ad floceulum und in einem sogleich näher zu beschreiben- den leistenförmigen Fortsatz an dem Flocculus. Die Taenie soll sich nach BocHDALEK in Gestalt eines Füllhorns um den Plexus le- gen; es mag wohl in einzelnen Fiillen damit eine Ahnlichkeit bestehen, doch diirfte diese Bezeichnung wohl kaum als typische in die Anatomie eingeführt werden, da in der großen Mehrzahl der Fälle diese Taenie nichts Anderes darstellt, als ein schmales Band von wechselnder Länge, das von einer solchen Spiraldrehung meist auch nicht eine Spur erkennen lässt. Einen weiteren Rest des nervösen Verschlusses er- kenne ich ferner in einem bis jetzt nicht beschriebenen schmalen, leistenformigen Fortsatz am inneren unteren Rand der Flocke nahe an deren Spitze. Er ist ziemlich konstant vorhanden, läuft etwa der Achse der Medulla oblongata parallel nach oben, und ist in den oberen Flockentheilen meist stärker entwickelt als in den unteren; er zeigt im Grad seiner Entwicklung die größten Schwankungen: meist nur als 2—3 mm breite Leiste sichtbar, kann er in verein- zelten Fällen sich so stark entwickelt zeigen, dass er von der Tae- nie nur durch einen schmalen Spalt getrennt ist. Durch den Schwund der nervösen Substanz öffnet sich für den seitlichen Plexus ein etwa dreiseitiger prismatischer Raum, in wel- chen sich die Zotten mächtiger entwickeln können. Derselbe ist medial von Medulla oblongata, resp. Taenie, dorsal vom Kleinhirn, ventral 38* 596 C. Hess von den Wurzeln des Glossopharyngeus und Vagus begrenzt; nach unten ist er durch die Flocke, nach oben durch die Tonsille unvoll- ständig abgeschlossen. Den Verlauf der Pia mater wollen wir nun an einem der seltenen Fälle untersuchen, wo sich dieselbe kontinuir- lich erhalten hat. Von der ventralen Fläche des Pons, wo sie meist eine ziemlich derbe, feste Membran darstellt, schlägt sich die Pia mater auf die untere Fläche der Taenie um, wird hier bereits auffallend viel dünner, und es zeigen die beiden Blätter in der Furche zwischen Pons und Taenie oft enge Verwachsungen. Vom unteren freien Taenienrand reicht die Pialmembran, einen geschlossenen, von Zotten erfüllten Sack bildend, zur Flocke hinüber und inserirt hier an dem oben beschrie- benen leistenförmigen Fortsatz in dessen ganzer Ausdehnung; dieser Pialsack entwickelt aber nicht an seiner ganzen inneren Oberfläche Gefäßzotten, vielmehr entspringen diese nur an der unteren medialen Wand des Sackes. Eine solche Erhaltung des rein pialen Verschlusses an den Recessus laterales fand ich dreimal in 54 untersuchten Fällen. An zwei Stellen ist die Wand dieses Pialsackes der Arachnoides an- gelagert und mit ihr vielfach verwachsen: einmal da, wo sich die Pia mater von der Flocke abhebt, dann am unteren Taenienrand; frei dagegen, d. h. von der Arachnoides entfernt, verläuft der Theil des Pialsackes, welcher am oberen Taenienrande vom Pons und den Glossopharyngeuswurzeln zu den oberen Flockentheilen hinzieht. Was ist nun das weitere Schicksal dieses Pialsackes? REICHERT sagt darüber: »Häufig sieht man gleich unter der Flocke die Plexus chorioidei frei liegen, ja es erscheint sogar, als ob die Wandung des Recessus lateralis sichelförmig aufhöre; an behutsam herausprä- parirten Hirnen zeigt sich gleichwohl der Recessus lateralis durch eine feine Haut vollständig verschlossen; der eine Theil seiner Wandung ist daselbst mit dem Floceulus verwachsen, der andere wird verdickt durch das Neurilemm der Wurzeln von Vagus und Glosso- pharyngeus.« Mit Rücksicht auf diese Angabe untersuchte ich eine Reihe von Hirnen, bei welchen die Arachnoides intakt erhalten war: schnitt ich die letztere auf, oder untersuchte die Pialverhältnisse an Schnittserien durch das ganze Kleinhirn, so konnte ick allerdings bestätigen, dass an den unteren Abschnitten der Flocke, — also da wo Pia und Arachnoides dieht an einander liegen, sich oft — aber keineswegs immer — eine feinste ohne Lupe zuweilen kaum sichtbare Membran erhalten hatte. Weiter oben dagegen, wo sich an den Glossopharyngeuswurzeln die Arachnoides von der Pia Das Foramen Magendii u. d. Öffnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 597 entfernt, finden wir (außer in den erwähnten drei Fällen) auch von der feinsten Pialmembran nichts mehr und der Plexus ragt frei in den Subarachoidalraum. Zwischen den beiden Extremen eines totalen Verschlusses und einer weiten Öffnung finden sich alle Übergänge vertreten von einem kleinen Loch, durch welches sich einige Zotten hervordrängen, zu den häufigeren Fällen, wo sich als Reste der Pialmembran mehr oder weniger zahlreiche Fadchen und Maschen über die Zotten hin- ziehen, endlich zu den Stadien, wo zwischen Taenie und Flocke auch der letzte Rest einer Verbindung durch piales Gewebe ge- schwunden ist. Schneidet man an der Basalfläche des Hirns die Arachnoides auf, so bietet sich nicht selten ein Bild, wie es Fig. 10 wiedergiebt: aus der Tiefe ist der Plexus bis an die Vaguswurzeln vorgewuchert (a) und schickt sogar zwischen den einzelnen Bündeln des Nerven Zotten hindurch. Nach unten sieht man die Zotten überlagert und begrenzt von der Taenie (4), die mit scharf gebogenem Rand ab- setzt und auch die Pia mater, welche auf der Taenie als feinste Mem- bran sich darstellt, sieht man am Taenienrand plötzlich aufhören. Zwischen Taenie und Plexus dringen vielfach Blutgefäße ins Innere des Ventrikels; auf der Taenie selbst erscheint die Pia mater häufig diskontinuirlich. Am besten lernen wir die Verhältnisse an den Recessus latera- les und die Beziehungen derselben zu dem medialen Theil des Ven- trikels an vertikalen Querschnittserien kennen. Die beiden Zeichnungen (Fig. 11 A und 11 B) sind nach Schnitten an einem Gehirn angefer- tigt, das ziemlich normale Verhältnisse bot und als Ausgangspunkt zum Verständnis der meisten Modifikationen dienen kann. Der Schnitt A ist etwa in der Höhe des Calamus seriptorius senkrecht zur Me- dulla gelegt, B diesem parallel etwa 3 mm höher; auf dem ersten Schnitt sieht man die ziemlich stark entwickelte, mehrfach perforirte Taenie mit ihren charakteristischen fingerförmigen Ausläufern, zwi- schen denen die mächtigen Plexus ohne Pialüberzug hervorragen ; nur unter der Arachnoides, nahe dem Floceulus, ist die Andeutung einer ganz feinen Membran vorhanden. Unterhalb der Taenie, dieser aufgelagert, finden wir die Wur- zeln von Vagus und Glossopharyngeus, zwischen denen gleichfalls Plexus hervordringen. Diese Stelle etwa ist auf dem zweiten Schnitt (B) getroffen, wo von der Taenie nur noch eine Spur zu sehen ist und die Plexus direkt auf den Nervenwurzeln aufliegen; 598 C. Hess nach außen reichen sie ohne Pialüberzug bis dicht an die Arach- noides; am Floceulus ist der kleine Fortsatz deutlich zu sehen, eben so der freie scharfe Rand der Pia. Bezüglich der Verbindung zwischen Pia mater und Arachnoides finden wir an den Recessus laterales ganz ähnliche Verhältnisse wie an der Decke des IV. Ventrikels: mehr oder weniger zahlreiche Subarachnoidalfäden ziehen zwischen beiden hin und her, oft sich zu breiteren Bändern vereinigend. Ausgedehntere Verwachsungen, die nicht eben selten vorkommen, haben wohl zu der wunderlichen Ansicht Veranlassung gegeben, als sei bier konstant durch eben diese Verschmelzung ein arachnoidaler Blindsack für die Plexus chorioidei geschaffen. Es sei endlich noch der Verhältnisse der Pia mater zwischen Plexus medialis und lateralis gedacht, an der Duplikatur zwischen Medulla oblongata und Tonsille, welche Verhältnisse wenig beachtet worden sind, obschon sie uns wegen der engen Beziehungen zu den Verhältnissen bei Säugethieren manche wichtige Aufschlüsse geben. Es verläuft die Umschlagsstelle des dorsalen Pialblattes in das ventrale, wohl gekennzeichnet durch die an vielen Stellen von ihr entspringenden Gefäßzotten, nicht in einer geraden Linie von der Mitte zur Seite hin, sondern meist in einer $-förmigen Krümmung, so zwar, dass die mediale Konvexität nach unten, die laterale nach oben sieht; die ventrale Lamelle ist meist äußerst dünn und nicht selten vielfach perforirt. Wir haben also hier genau die Verhältnisse, wie sie auch bei den meisten Säugethieren noch an der Ventrikeldecke vorkommen, und die uns das Vorhandensein eines Foramen Magen- dii so viel verständlicher machen. Einige Male fand ich in der ventralen Membran isolirte nervöse Kerne, die nach keiner Seite mit nervöser Substanz in Zusammenhang standen und als Reste des Ve- lum medullare posterius aufzufassen sind. Dorsale und ventrale Lamelle der Pia mater sind meist eng mit einander verwachsen, zuweilen sind beide nicht deutlich von einander differenzirt und stellen nur ein mehr gleichmäßiges Maschenwerk dar. Man überblickt diese Verhältnisse am besten, wenn man an gut gehärteten Hirnen die Tonsillen und anliegenden Kleinhirntheile vor- sichtig mit einem Skalpell abträgt, was mit völliger Schonung des Pialüberzugs geschehen kann. Bei Thieren mit schwach entwickeltem Plexus (z. B. Ratte, Maulwurf) sieht man diesen als dunkle Linie von einer Seite zur anderen ziehen. Bei Katzen und Meerschweinchen, noch mehr bei Rindern entwickeln sich die seitlichen Plexus so mächtig, dass die- Das Foramen Magendii u. d. Offnungen an d. Recessus lat. d. IV. Ventrikels. 599 selben bei Entfernung der Arachnoides als großer Zottenkranz frei zu Tage liegen (Fig. 12). Am gewaltigsten sind die Plexus beim Pferd, wo man die Austrittsstelle derselben aus dem durchbrochenen Pialsack besonders deutlich sehen kann, da die Pia mater hier als eine derbe Membran die Öffnung begrenzt, aus der die Gefäßzotten nach allen Seiten sich entfalten. Bei allen untersuchten Thieren fand ich weder von einer Tae- nie noch von anderen nervösen Resten an den Recessus laterales eine Spur, was mit der starken Entwicklung der Plexus in Zusam- menhang zu bringen ist, denn erst bei Troglodytes, wo die seitlichen Gefäßzotten eben so wie beim Menschen relativ schwach entwickelt sind, finden wir diese nervösen Reste wieder. Was die Art der Entstehung der seitlichen Öffnungen angeht, so weisen die Gemeinsamkeit der Anlage, die Verhältnisse der Um- gebung und die Beziehungen zwischen Pia und Arachnoides darauf hin, dass, wie an der Ventrikeldecke, auch hier eine Vergrößerung der Lücken in der von vorn herein diskontinuirlichen Pia mater der wesentlichste Bildungsmodus ist, neben welchem aber auch der Pro- cess einer progressiven Atrophie eines etwa vorhandenen dünnen nervösen Verschlusses einhergehen mag; und da wir in den Plexus- bildungen an den Recessus laterales eine phylogenetisch jüngere Bil- dung kennen gelernt haben, so kann uns dies das etwas häufigere Persistiren eines Verschlusses wohl erklären. Fassen wir die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zu- sammen, so können wir sie in Folgendem darstellen: 1) An der Decke des IV. Ventrikels so wie an den Recessus laterales sind beim Menschen konstant Öffnungen vorhanden, die zu den Subarachnoidalräumen führen; diese stellen sich dar als ein äußerst variables Lückensystem in der Pia mater. 2) Bei Embryonen ist die Decke des IV. Ventrikels nicht jederzeit geschlossen; vielmehr sind weite Kommunikationsöffnungen schon im fünften Monat nachweisbar, wahrscheinlich schon früher vorhanden. 3) Die Entstehung des Loches wird dadurch verständlich, dass sich am IV. Ventrikel unter der pialen Decke kein Gehirntheil ent- wickelt, und dass das Subarachnoidalgewebe an dieser Stelle sich eben desshalb nicht zu einer zusammenhängenden Pialmembran ver- dichtet hat. Die gegebene Auffassung steht mit keiner beobachteten That- 600 €. Hess, Das Foramen Magendii u. d. Öffnungen d. Recessus lat. ete. sache im Widerspruch; sie erklärt uns vielmehr alle auf natürliche Weise; sie vereinigt viele scheinbar widersprechende Ansichten und lässt uns in den drei Kommunikationsöffnungen am Kleinhirn zum mindesten nützliche, wenn nicht nothwendige Einrichtungen er- kennen. Litteratur-Verzeichnis. 1) MAGENDIE, Recherches anatomiques et physiologiques sur le liquide céphalo- rachidien (1842). 2) LUSCHKA, Die Adergeflechte des menschlichen Hirns (1855). 3) KoLLMANN, Entwicklung der menschlichen Adergeflechte (1861). 4) Key und Rerzius, Studien zur Anatomie des Nervensystems und Binde- gewebes (1876). 5) REICHERT, Bau des menschlichen Hirnes (1861). 6) QuINCKE, Archiv von REICHERT und Du Bors-Reymonp (1872): Zur Phy- siologie der Cerebrospinalflüssigkeit. 7) Marc SEE, Revue mensuelle II (1878) und III (1879): Sur la communica- tion des cavités ventriculaires de l’encephale avec les espaces sous- arachnoidiens. 8) SCHWALBE, Medicin. Centralblatt, 1869. Nr. 30: Der Arachnoidalraum 10 11 12 ) ) ) ) ein Lymphraum und sein Zusammenhang mit den Perichorioideal- räumen. 9) BURDACH, Bau und Leben des Gehirns. Bd. II. (1822). m AN VırcHow, Handbuch der speciellen Pathologie u. Therapie (1854). KÖLLIKER, Entwicklungsgeschichte des Menschen (1880). BOCHDALEK, Prager Vierteljahresschrift (1849): Neue Beobachtungen im Gebiet der physiologischen Anatomie. RT... Pe ee Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Erklärung der Abbildungen. „ru Tafel XXIX, Horizontalschnitt durch das Kleinhirn eines Erwachsenen. ¢ Ton- sille, ® Vermis, @ unterer, 5 oberer Rand des Foramen Magendii, (Vergr. 1:1.) Sagittalschnitt durch die Mitte des Kleinhirns. a Rand der Piadupli- katur, a, untere, aa obere Piallamelle, 6 Pialüberzug der Tonsille, c Arachnoidea, p Plexus chorioidei, d zungenförmiger perforirter Fort- satz der Pia mater am Vermis. (Vergr. 1:1.) Sagittalschnitt durch das Kleinhirn eines Neugeborenen. p scharfer Pialrand auf der Clava, act Arteria cerebelli inferior, pl Plexus cho- rioidei, 2 laterale Pialbegrenzung des MAGEnDIE’schen Loches. (Ver- größerung 2: 1.) Sagittalschnitt durch das Kleinhirn eines Erwachsenen. pl Plexus chorioidei, 7 laterale Begrenzung des Foramen Magendii bei reichlich entwickelter Pia mater. (Vergr. 1:1.) Sagittalschnitt durch das Kleinhirn eines Neugeborenen mit fast voll- ständigem Verschluss des Foramen Magendii. «a Arachnoides, p ven- trale glatte, pl dorsale, plexustragende Lamelle der pialen Ausstül- pung, s subarachnoidales Netzwerk zwischen Arachnoides und Pia mater, 7 lateraler, perforirter Theil der Ausstülpung. (Vergr. 2: 1.) Sagittalschnitt durch das Kleinhirn eines Erwachsenen, die ausge- dehnte Verwachsung zwischen Pia mater und Arachnoides zeigend. a Arachnoides, p/ plexustragende Pia, s subarachnoidales Maschen- werk, aci Arteria cerebelli inferior. (Vergr. 1:1.) Sagittalschnitt durch das Kleinhirn des Pferdes. ar Arachnoides, p handschuhfingerförmige Ausstülpung zum Theil mit Plexus erfüllt, Z subarachnoidaler Verbindungsstrang zwischen Pia und Arachnoides. (Vergr. 2 : 3.) Sagittalschnitt durch das Kleinhirn eines Katzenembryo von 10 cm Kopf-Steißlänge. a dreieckiger, von gleichmäßigem Subarachnoidal- gewebe erfüllter Raum über der Ventrikeldecke, p Pia mater, bei pm, auffallend verdünnt, pl Plexus chorioidei. (Vergr. 40: 1.) Schnitt durch das Kleinhirn eines fünfmonatl. Embryo, senkrecht zur Achse des Pons gelegt (halbschematisch). p Pia mater, p/ Plexus chorioidei. (Vergr. 3: 1.) 602 C. Hess, Das Foramen Magendii u. d. Offnungen d. Recessus lat. ete. Fig. 10. Ansicht der Offnung an den Recessus laterales nach Aufschneiden der Arachnoides. ar Arachnoides (umgeklappt), f Floceulus, ¢ Ton- sille, a Vaguswurzeln, über die Plexus hinziehend, 5 zungenförmiger Rest der Taenie, ce Arterien von außen in den Recessus lateralis ein- dringend. p/ Plexus chorioidei, zum Theil die Vaguswurzeln durch- brechend. (Vergr. 1:1.) Fig. 11 A. Schnitt durch den Pons und das Kleinhirn eines Erwachsenen senkrecht zur Achse des Pons in der Höhe des Calamus scriptorius. ar Arachnoides, ¢ Taenie, V Vaguswurzeln, mo Medulla oblongata, fi Flocculus, p/ Plexus chorioidei. (Vergr. 1:1.) Fig. 11 B. Dem Schnitt a parallel, 3 mm höher oben. Bezeichnungen wie in Fig. 12. Fig. 11 A, ferner: p Rest des Pialüberzugs am Floceulus und an der unteren Fläche der Vaguswurzeln, pr der leistenförmige Fortsatz am Floceulus. (Vergr. 1:1.) Äußere Ansicht des Kleinhirns von einem großen Rindsembryo, die starke Entwicklung der Plexus laterales zeigend. mo Medulla oblon- gata, sp Wurzeln der ersten Spinalnerven, pl Plexus laterales. (Ver- größerung 1 : 1.) ——— = rer | Morpholog. Jahrb. Bd.X. . Fig 3. 2 Tat XXIK, Fig. &. > Fig. 5. Fig.10. Age oe pl Pr Mill. Engelmann » Than Lita Li Entgegnung an Herrn Dr. Baur. Von Professor Dr. W. Dames, Berlin. Unter dem Titel »Dinosaurier und Vögel. Eine Erwiederung an Herrn Prof. W. Dames in Berlin« hat Herr Dr. Baur im dritten Heft dieses Bandes meine Abhandlung über Archaeopteryx einer Be- sprechung unterzogen, auf die ich Folgendes entgegne. Der erste Theil des genannten Aufsatzes enthält eine Verthei- digung der von Herrn Dr. Baur in seiner Inaugural-Dissertation auf- gestellten Hypothese, dass die Dinosaurier die Stammeltern der Vögel seien. Dieselbe war durch sechs Punkte begründet worden, von denen ich den letzten unrichtig, den vierten unbewiesen genannt hatte, — Hiergegen wendet sich nun Herr Dr. Baur zunächst. Er giebt an, dass Amphisaurus seinem Dafürhalten nach nicht nur drei Zehen, wie Cope will, gehabt habe, sondern noch das Rudiment einer fünften und damit sicher auch eine erste Zehe besessen habe. — Ich glaubte mich bei der Abwägung dieser Fragen an das Beobachtete und nicht an das Vermuthete halten zu sollen, und da Cope der einzige For- scher ist, der den Fuß von Amphisaurus gesehen und studirt hat, und dieser ihm drei Zehen zuschreibt, so habe ich das angenommen. — In der That ist es hier aber völlig gleichgültig, ob Amphisaurus nur drei Zehen, oder fünf Zehen, von denen I und V rudimentär sind, ge- gehabt hat; an der Unrichtigkeit der Behauptung des Herrn Dr. Baur, dass wir »bei den ältesten Dinosauriern fünf wohlentwickelte Zehen« hätten, wird dadurch nichts geändert. Ein anderer Punkt, welcher das Vorhandensein oder Fehlen eines 604 W. Dames aufsteigenden Fortsatzes behandelt, lautet in Herrn Dr. Baur’s Inau- gural-Dissertation: »Bei den ältesteı Dinosauriern, so wie bei den Jüngsten Vögeln fehlt dieser Fortsatz.« Das habe ich für unbewiesen erklärt und das ist es auch noch bis heute. Von allen »ältesten Dino- sauriern« ist es allein Zanclodon, an welchem der Mangel eines solchen Astragalus-Fortsatzes wirklich beobachtet ist. Also nur für diese Gattung allein hat die Baur’sche Behauptung Gültigkeit, von allen anderen ältesten Dinosauriern kennt man den Tarsus überhaupt noch nicht, oder nicht ausreichend genug, um über das Vorhanden- sein oder Fehlen des betreffenden Fortsatzes urtheilen zu können, und desshalb ist und bleibt es eben unbewiesen, dass die ältesten Dinosaurier keinen aufsteigenden Fortsatz am Astragalus besitzen. — Ich hatte bei der Besprechung dieses Punktes in meiner Abhandlung gesagt, dass MArsH zwar anführe, dass Zanclodon eines solchen Fort- satzes entbehre, dass aber die direkte Beobachtung noch fehle. Hier- aus leitet Herr Dr. Baur die Unterstellung ab, ich glaubte, dass MarsH jene Behauptung einfach aus der Luft gegriffen habe, »viel- leicht, weil dieser Punkt recht hübsch in sein System passte«. Eine derartige Fälschung traue ich keinem meiner Fachgenossen zu, am wenigsten einem Gelehrten von dem Ansehen und der Bedeutung O. C. MarsH’s, dem ich mit allen Vertretern unserer Wissenschaft für vielfache, aus seinen Werken geschöpfte Belehrung dankbar bin und den ich außerdem persönlich zu kennen die Ehre habe. Die von Herrn Dr. Baur inkriminirte Stelle ist lediglich durch dessen Inau- sural-Dissertation hervorgerufen worden. Dort findet sich nämlich (pag. 30) die Marsı'sche Diagnose der Zanelodontidae in Übersetzung wiedergegeben und darin auch die Worte: »Astragalus ohne aufsteigen- den Fortsatz«. Wenige Zeilen später giebt aber Herr Dr. Baur so- wohl bei Zanclodon, wie bei Teratosaurus, den beiden einzigen Ver- tretern der Familie, an, dass man vom Tarsus nichts wisse. Damit ist die Marsu’sche Angabe, wenn auch nicht direkt widerrufen, so doch in Frage gestellt; und da diese Mittheilung des Herrn Dr. BAUR doch sicher auch nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern auf Beob- achtungen und zwar auf solchen neueren Datums beruhen muss, so befand ich mich in dem Dilemma, welche von beiden Angaben denn nun den thatsiichlichen Verhältnissen entspreche. Dem gegenüber habe ich wohl nieht zu viel gethan, wenn ich das Verlangen nach Mittheilung einer direkten Beobachtung aussprach. Diesem ist nun Herr Dr. Baur durch die Nachricht nachgekommen, dass Herr Pro- fessor MARSH, wie er persönlich mitgetheilt hat, selbst in Stuttgart Entgegnung an Herrn Dr. Baur. 605 diese Beobachtung gemacht hat. Das steht also nun fest; aber es wiire doch erwiinscht, wenn Herr Dr. Baur Gelegenheit finden wiir mitzutheilen, auf Grund welcher Beobachtungen er angeben konnte, dass man vom Tarsus der genannten beiden Gattungen nichts wisse. Dass die den Astragalus-Fortsatz betreffende Behauptung des Herrn Dr. Baur auch trotz der Beobachtung an Zanclodon unbewiesen bleibt, habe ich oben dargelegt. Die anderen Punkte des vergleichenden Theils in der erwähnten Inaugural-Dissertation habe ich für unanfechtbar erklärt, »sobald man sie für sich hinstellt und nicht behaupten will, wie es Baur allerdings thut, dass im Laufe der Fortentwicklung der Dinosaurier während der geologischen Perioden eine Annäherung an den Vogel- fuß stattfindet.« Dagegen erfahre ich nun zunächst den Einwurf, dass Herr Dr. Baur die Worte »geologische Perioden« nicht gebraucht habe. Das ist richtig! Wenn er aber im »Vergleichenden Theil« bei allen sechs Punkten stets die »ältesten« oder »älteren« Dinosaurier den »jüngeren« gegenüberstellt, so muss ich gestehen, dass ich auch heute noch, nachdem mir Herr Dr. Baur die Anwendung der Worte »geo- logischer Perioden« vorgehalten hat, in Verlegenheit bin, wie ich mir die »älteren« und »jüngeren« Dinosaurier anders als durch geologische Zeiträume getrennt denken soll. — Ich hatte nun — und ich will das hier nicht in extenso wiederholen — in meiner Archaeopteryx- Arbeit an Beispielen nachgewiesen, dass die geologisch ältesten Dino- saurier nicht die reptilähnlichsten, die geologisch jüngsten nicht die vogelähnlichsten sind, und dass eine allmähliche Annäherung an die Vogel-Hinterextremität nicht stattfindet, wie das zur Stütze der Baur’schen Hypothese nothwendig sei. Hiergegen wendet sich nun der Autor mit dem Einwurf, dass heute Monotremen, Marsupialier und Placentalier zusammen lebten und dass trotzdem doch wohl Nie- mand daran zweifelte, dass die Eutheria von den Metatheria und beide von den Prototheria abstammten. Ich weiß nicht, ob dieser Stamm- baum so über jeden Zweifel erhaben ist, denn die letzten Funde von Säugethierresten in der Trias Süd-Afrikas sprechen nicht sehr zu seinen Gunsten, doch das mag dahingestellt bleiben. Hier handelt es sich aber um ganz etwas Anderes, nämlich darum: ist in der Fortentwicklung der Hinterextremität der Dinosaurier und der Vögel ein Parallelismus vorhanden oder nicht? Mit anderen Worten, macht der Vogelfuß in seinem Embryonalleben dieselben Phasen durch, wie der Dinosaurierfuß im Laufe der — ich muss die Bezeichnung beibehalten — geologischen Perioden? Nur die Feststellung zweier 606 W. Dames parallelen Reihen würde die Baur’sche Hypothese zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit erheben. — Dass heute neben reducirten Artio- dactylen und Perissodactylen noch unreducirte leben, lehrt nur, dass die unredueirten Abkömmlinge der Stammformen neben den redu- cirten Abzweigungen weiter gelebt haben, wie das niemals bestritten worden ist; bei den Dinosauriern ist das aber nicht in dieser Weise der Fall. Lange nach der Zeit, wo schon redueirte Typen (Amphi- saurus) vorhanden waren, treten die gar nicht reducirten, schwer- fälligen, in ihrem Beckenbau reptilienähnlichsten Dinosaurier (Sauro- poda) auf, und diese Thatsache allein genügt, um die Unhaltbarkeit der von Herrn Dr. Baur aufgestellten Hypothese nachzuweisen, die an und für sich schon dürftig genug begründet war, da sie einzig und allein von einem Extremitätenpaar ausging und nur dieses und den dazu gehörigen Gürtel in Betracht zog. Warum aber gerade die Hinterextremität und der Beckengürtel die Urkunden einstiger Ab- stammung beherbergen sollen und wesshalb die übrigen Skelettheile dabei keine Rolle spielen dürfen oder brauchen, das aus einander zu setzen, hat Herr Dr. Baur unterlassen. Dazu kommt noch, dass Herr Dr. Baur seiner Hypothese gerade diejenigen Skelettheile zu Grunde gelegt hat, welche bei einer Veränderung der Stellung eder der Bewegung der betreffenden Thiere zunächst betroffen werden. Wird die Last des Körpers und die Funktion der Bewegung theilweise oder ganz von beiden Extremitätenpaaren auf das hintere übertragen, so ist eine Veränderung nothwendig, und dass sich diese bei zwei Zweigen einer und derselben Stammform, wie man sie wohl für sämmtliche Sauropsiden anzunehmen hat, durch Anwendung der- selben Mittel vollzieht, kann nichts Befremdendes haben. Dass aber diese Tendenz der Grund in der Veränderung des Dinosaurierfußes und -Beckens ist, geht am besten daraus hervor, dass dieselbe sich ganz unabhängig von geologischen Zeiten da einstellt, wo bei der Verkürzung der Vorderextremität die Körperlast von der Hinter- extremität getragen werden soll. In der Veränderung selbst aber ist nichts Anderes als eine Anpassung zu erblicken, aus denselben Mo- menten hervorgegangen, wie der vogelähnliche Metatarsus von Ala- ctaga. — Das, was ich hier soeben kurz angeführt habe, hatte ich etwas ausführlicher schon in meiner Abhandlung besprochen und durch Beispiele zu begründen versucht. Es ist daher unwahr, wenn Herr Dr. Baur behauptet, dass ich für diese Anschauung keinen einzigen Grund angegeben hätte, was auf pag. 67 (183) meiner Abhandlung sogar mit Nummerirung der beiden Gesichtspunkte und mit Hinzu- Entgegnung an Herrn Dr. Baur. 607 fügen von Gründen geschehen ist. — Dass wir von den Ahnen der Vögel noch nichts kennen, ist für mich keine Hypothese, wie Herr Dr. Baur meint, sondern eine Thatsache, und dies darzuthun scheint mir mehr werth, als eine Hypothese aufzustellen, deren Unhaltbarkeit sich so leicht nachweisen lässt. Der zweite Abschnitt der Erwiederung des Herrn Dr. Baur ist bestimmt, meine »Unexaktheit und Kritiklosigkeit« nachzuweisen. Zu diesem Behuf macht Herr Dr. Baur »nur auf drei Punkte aufmerk- sam«, »eine Menge von anderen Punkten in derselben Arbeit« nicht berührend. — Es heißt da auch: »Lassen wir die schönen Unter- . suchungen von MARSHALL, ROSENBERG und STUDER, welche der Herr Verfasser benutzt, bei Seite, so bleibt uns nicht mehr viel übrig von eigener Arbeit.« Für den Leser dieser Zeilen, der meine Archae- opteryx-Abhandlung nicht zur Hand hat, könnte es danach scheinen, als wenn ich die Untersuchungen der genannten Autoren unter nicht genügender Betonung ihrer Autorschaft für meine Arbeit benutzt hätte. Um sich hierüber ein Urtheil zu verschaffen, muss ich auf meine Ab- handlung selbst verweisen. Ich habe eben das Glück gehabt, die genannten ausgezeichneten Arbeiten vorfinden und benutzen zu können; mein Antheil an der Sache liegt lediglich darin, die an lebenden Vögeln von den genannten Autoren gewonnenen wichtigen Resultate auf Archaeopteryx angewendet und verwerthet zu haben. Von den erwähnten drei Punkten nun behandelt der erste meine Deutung des Archaeopteryx-Beckens. Herr Dr. Baur versichert, dass ich zu den Anschauungen, welche ich geäußert habe, nicht hätte gelangen können, wenn ich überhaupt eine Idee von der Morphologie des Vogelbeckens gehabt hätte. Eine solche hätte ich mir aus dem Studium der Inaugural-Dissertation von A. Bunce und einer 1883 erschienenen Arbeit von JOHNSON aneignen können. — Zu diesem Zweck scheinen mir aber gerade diese beiden Arbeiten zusammen- genommen nicht füglich geeignet, da Jounson bis auf die Beobach- tung, dass Pubes und Ischium zuerst vertikal zur Wirbelachse stehen und sich erst später nach hinten wenden, die Bunge’schen Resultate widerlegt, also Jemand, der eine erste Idee über die Morphologie des Vogelbeckens hier zu bekommen hofft, eher verwirrt und enttäuscht, als belehrt werden wird. — Überhaupt ist die Mor- phologie des Vogelbeckens wohl noch einer der unklarsten Punkte in der Morphologie des Vogelskelets überhaupt; fast kein Autor stimmt mit dem anderen überein, und bisher noch unpublieirte 608 W. Dames Arbeiten werden, wie mir von betheiligter Seite mitgetheilt ist, wie- derum neue Ansichten über denselben Gegenstand bringen. — Es wäre aus diesen Gründen wohl verzeihlich gewesen, wenn ich, der ich selbst durch Anfertigung von Präparaten mich zu belehren nicht in der Lage bin und mich nur auf die sehr von einander abweichen- den Angaben, wie sie die Litteratur über den in Rede stehenden Gegenstand bringt, stützen konnte, wenn ich also bei der Deutung des Archaeopteryx-Beckens fehl gegriffen hätte. Ich will aber doch zu zeigen versuchen, dass der vollkommene Mangel einer Idee von der Morphologie des Vogelbeckens nicht unumgänglich nothwendig ist, um zu einer Deutung des Archaeopteryx-Beckens zu gelangen, wie ich sie gegeben habe. — Zunächst ist hervorzuheben, dass Ar- beiten, wie die genannten von Bunce und Jounson, wohl über die erste Anlage und die erste Entwicklung des Vogelbeckens Aufschluss geben, nicht aber darüber, wie sich die einzelnen Theile des Beckens zu einander verhalten, wenn dieselben schon sämmtlich ossifieirt sind und nur darin noch nicht das Becken des ausgewachsenen Vogels erreicht haben, dass alle Elemente zu einem Os innominatum ver- wachsen sind, wo also ein Stadium der Entwicklung vorliegt, in dem die einzelnen Elemente noch durch Nähte getrennt waren. Es musste mir also vor allen Dingen daran liegen, mich darüber zu unterrichten, wie das Beeken lebender Vögel in einem dem Archaeopteryx-Stadium (wenn ich so sagen darf) am nächsten stehenden Grade der Ent- wicklung beschaffen ist, und darüber gab zunächst eine Abbildung, welche GEGENBAUR mitgetheilt hat!, erwünschte Belehrung. Ganz wie bei Archaeopteryx ist auch dort eine Naht unmittelbar hinter dem Processus pectinealis (Tubereulum ilio-pectineum), welcher nach den Untersuchungen von JOHNSON und Anderen bei jungen Vögeln als vorderer Pubis-Ast erscheint. Von mir ist er desshalb in meiner Abhandlung Pubis genannt worden, wie das auch von anderen Au- toren, z. B. Doro, geschehen ist, dem wir auch eine sehr klare Figur von dem Becken eines junges Huhnes verdanken, welche vortrefflich mit der eben eitirten GEGENBAuR’schen Abbildung übereinstimmt. — Ich war daher meines Erachtens nach vollkommen im Recht, wenn ich bei meiner Deutung des Archaeopteryx-Beckens eine Verwachsung des Pubis mit dem Ilium annahm, wobei ich nochmals betone, dass Pubis hier im Sinne von Praepubis oder Pectinealfortsatz gebraucht ist. ! Jenaische Zeitschrift für Medicin und Naturwissenschaften. Bd. VI. 1871. pag. 216. Fig. 5. —_— 3 Entgegnung an Herrn Dr. Baur. 609 Dass dieser mit dem Ilium früher coossificirt, als das Ilium mit den übrigen Beckentheilen, resp. diese unter sich, geht aus den eitirten Figuren von GEGENBAUR und Dorro hervor, und Archaeopteryx ist darin in nichts unterschieden. — Außer dieser Naht zwischen Pe- ctinealfortsatz und Postpubis zeigt das Becken von Archaeopteryx noch eine Naht deutlich, und dass diese zwischen Ilium und Ischium liegt, ist wohl sicher und auch von Herrn Dr. Baur nicht ange- zweifelt worden. Weiter habe ich keine Naht gesehen, eben so wenig wie Marsu, dessen diesbezügliche Worte lauten: »and here (nämlich bei Archaeopteryx) too the ilium is seen separate from the ischium and pubis«. Unter Pubis hat Marsn hier nur den Beckentheil ver- stehen können, den ich mit DorLo als Postpubis bezeichnet habe, d.h. den nach hinten gewendeten schmalen Knochen, welcher in früher Entwicklungszeit der hintere Ast des Pubis ist, wie JOHNSON u. A. nachweisen. Da nun, wie gezeigt wurde, weder Marsn noch ich mehr als zwei Nähte gesehen haben, dieselben aber zwischen Ilium und Ischium einerseits, Pubis (Pectinealfortsatz) und Postpubis (Pubis autt.) andererseits liegen, so musste ich annehmen, dass Postpubis ! mit Ischium früher verwüchsen, als Ischium mit Ilium, und ich habe an dieser Auffassung auch heute nichts zu ändern. Eine Beobach- tung an lebendem Material ist darauf hin noch nicht gemacht und ich hob dies Verhältnis hervor, um darauf aufmerksam zu machen. Dass auch bei lebenden Vögeln Ileum und Postpubis früher mit ein- ander verwachsen, als Ilium und Ischium, wird durch die von DorLo gegebene Figur sehr wahrscheinlich gemacht, an welcher man deut- lich wahrnimmt, dass der Knorpelstreifen zwischen Ilium und Ischium bedeutend breiter ist, als der zwischen Postpubis und Ischium, der der schmalste von allen ist. Denkt man sich diesen letzteren durch weiter- gehende Ossifikation zuerst verschwunden, so entspricht das Bild demjenigen von Archaeopteryx, nur mit dem Unterschiede, dass hier der nach hinten gewendete Theil des Postpubis nicht zu sehen ist. Von ihm habe ich angenommen, dass er noch unter dem Gestein liegt. Wenn nun Herr Dr. Baur dem gegenüber die vollkommene Überzeugung ausspricht, dass Archaeopteryx, wie die Embryonen der Vögel, ein von dem übrigen Becken getrenntes Pubis-Postpubis be- sessen habe, wahrscheinlich ein kleines Pubis und ein wohl ent- wickeltes relativ kräftiges Postpubis, so ist diese Auffassung durch die ! Ich behalte, um Irrthümer zu vermeiden, dieselben Inn wie in meiner Abhandlung bei. Morpholog. Jahrbuch. 10. 39 610 W. Dames eine Thatsache widerlegt, dass unter diesen Umständen eine voll- kommene Umgrenzung des Acetabulum, wie sie das Becken von Ar- chaeopteryx zeigt, durchaus unmöglich ist. An der Begrenzung des Acetabulums nehmen beim Vogel bekanntlich alle Beckenelemente Theil. Wie soll man sich also vorstellen, dass zwei dieser Elemente (Pubis und Postpubis) entweder nicht erhalten sind oder unter dem Gestein begraben liegen, und dass trotzdem das Acetabulum rings- herum lückenlos von Knochen begrenzt ist? Schließlich sei noch er- wähnt, dass gerade für das Becken weniger als für manchen anderen Skelettheil der Umstand ins Gewicht fällt, dass Archaeopteryx viele Merkmale hat, die jetzt nur Vogelembryonen zeigen. Denn gerade die Hinterextremität ist am meisten in der Entwicklung vorgeschritten, und bis auf tiefe Furchen zwischen den ursprünglichen Metatarsal- elementen und die Fibula kann sie gut als die eines lebenden Vogels gelten. Und so ist auch das Becken schon über die Entwicklungs- stadien hinaus, die es beim Vogelembryo erreicht. Man muss es eben mit dem eines jungen Vogels in Vergleich ziehen. Der zweite Punkt betrifft folgende Stelle in meiner Abhandlung: »Am meisten Ähnlichkeit mit Archaeopteryx scheint nach Abbil- dungen von Owen und DoLLo die australische Apteryx zu haben, bei welcher man sogar eine distale Ausdehnung der Fibula wahr- zunehmen glaubt.« Das nennt Herr Dr. Baur »eine neue Ent- deckung«! Konnte ich eine Vermuthung mehr als Vermuthung aus- drücken, als durch die hier gesperrt gedruckten Worte? Ich habe der Sache viel zu wenig Gewicht beigelegt und eben nur eine bei Betrachtung der erwähnten Figuren sich mir aufdrängende Ansicht äußern wollen. Hätte ich diesen Punkt für bedeutungsvoll genug gehalten, so würde ich in der That ein Skelet in natura untersucht haben. Zur Sache selbst bemerke ich, dass die Fibula von Apteryx allerdings nicht, wie ich damals angab, distal ausgedehnt ist, son- dern, wie Herr Dr. Baur angiebt, distal schlanker wird. Es ist jedoch zu beachten, dass dieselbe in der proximalen Hälfte von vorn nach hinten, in der distalen Hälfte in der Richtung von innen nach außen komprimirt ist und in Folge dessen, auf Abbildungen namentlich, das Aussehen erhält, als sei sie distal verbreitert; das äußerste Ende ist allerdings spitz. Ein weiterer Einwurf betrifft die Claviculae und das Sternum. Wie bekannt, besitzt Archaeopteryx eine wohlentwickelte Furcula, wie das Owen längst nachgewiesen hat, und ich glaubte dies Merkmal betonen zu müssen, da eine Furcula nur den Carinaten zukommt Entgegnung an Herrn Dr. Baur. 611 und außerdem durch eine Furcula auch die Elemente gegeben sind, aus welchen eine Sternalcrista entsteht. Nun aber führt Herr Dr. Baur eine Anzahl von Ratiten an, unter ihnen Hesperornis, welche auch eine Fureula besitzen sollen. — Ich habe in der Voraussetzung, dass über den Begriff einer Furcula eine Meinungsverschiedenheit ausge- schlossen sei, es unterlassen, eine Wiederholung der Definition zu brin- gen: sehe aber nun, dass das doch nöthig gewesen wäre. Unter einer Fureula verstehe ich — und ich glaube mich darin mit einer bedeuten- den Majorität der Naturforscher in Übereinstimmung zu befinden — diejenige Modifikation der Claviculae, wie sie durch das Verwachsen der distalen Enden derselben entsteht. Der so gebildete gabelförmige Knochen kann einzig und allein Furcula genannt werden, und nur diese Modifikation habe ich mit Furcula gemeint. Eine solche Verwachsung der Clavieulae zu einer Furcula kommt aber ausschließlich bei Carinaten vor, bei allen Ratiten, die man darauf hin untersucht hat, bleiben die distalen Clavieular-Enden getrennt und auch Hesperornis macht darin keine Ausnahme. Gerade dieser Umstand, dass eine Fur- eula bisher nur bei Carinaten gesehen ist, macht ihr Erscheinen bei Archaeopteryx so wichtig. Man würde auf dieses Merkmal allein hin schon Berechtigung haben, der Archaeopteryx ihre Stellung bei den Carinaten anzuweisen, welche überdies durch die Beschaffenheit des Federkleides und der Vorderextremität gesichert ist. — Ferner hält mir Herr Dr. Baur vor, dass die Anwesenheit einer Furcula noch lange nicht die Anwesenheit einer Crista sterni bedinge. Das habe ich auch nicht behauptet, sondern ich habe nur gesagt, dass durch das Vorhandensein einer Furcula die Elemente zur Bildung einer Crista sterni gegeben seien. Ob diese Elemente in Funktion getreten sind oder nicht, darüber habe ich nur als Vermuthung ausgesprochen, dass ich das Vorhandensein einer Sternalerista für sehr wahrscheinlich halte. Davon kann ich auch jetzt nicht abgehen. Bei allen Vögeln, die eine Furcula besitzen, bil- det sich auch eine Sternalerista aus, und wenn Herr Dr. Baur dagegen anführt, dass ein Kiebitz nach dem ersten Drittel seiner Bebrütungs- zeit zwar Claviculae, aber noch keine Sternalerista besitzt, so beweist das eben nur, dass in diesem frühen Embryonalstadium die Bildung noch nicht vor sich gegangen ist; dass der Kiebitz aber später auch eine solche Crista bekommt, wird kaum zu bestreiten sein. — Da sich aber bei allen Vögeln, die eine Furcula besitzen (und solche sind eben nur Carinaten), auch eine Sternalerista entwickelt, so muss man auch Archaeopteryx eine solche zuschreiben, wie ich es gethan habe; es fragt sich nur, welchen Grad der Entwicklung sie erreicht 39* 612 W. Dames, Entgegnung an Herrn Dr. Baur. hat, und das müssen neue Funde lehren. Im Übrigen verweise ich auch auf das in meiner Abhandlung pag. 78 (194) über diesen Punkt Gesagte. ; Zum Schluss weist Herr Dr. Baur meine Litteratur-Unkenntnis in Bezug auf Archaeopteryx nach. Ich habe allerdings eine kurze Abhandlung von Huxrey in den Annals and magazine of natural history vom Jahre 1868 übersehen. Ich bedaure das namentlich desshalb auf das lebhafteste, als ich dadurch daran gehindert wor- den bin, die Verdienste HuxLey’s um die Kenntnis der Archaeopteryx. gebiihrend hervorzuheben, denn er weist, abgesehen von einigen Din- gen geringerer Wichtigkeit, in diesem Aufsatz zuerst klar nach, dass die Archaeopteryx der Londoner Sammlung nicht, wie OwEN ange- nommen hatte, auf der Riickenseite, sondern auf der Bauchseite liegt. Ich hatte, wie ich das schon in meiner Abhandlung mitgetheilt habe, an dem Gipsabguss des Londoner Exemplars dieselbe Beobachtung gemacht und hatte mich an die Herren Woopwarp und SEELEY brief- lich mit der Bitte gewendet, mir mitzutheilen, ob in der englischen Litteratur darüber etwas veröffentlicht sei. Ich musste wohl anneh- men, dass dem so sei, da einmal mein Freund KowALevsky mir vor langer Zeit mündlich davon etwas mitgetheilt hatte, dann aber für Jeden, der sich etwas näher mit dem Studium des in London auf- bewahrten Skelettes ‚befasst, der Irrthum Owen’s so klar ist, dass es fast unmöglich schien, dass noch kein englischer Forscher den- selben aufgedeckt haben sollte. Leider bin ich auf beide Briefe hin ohne Antwort geblieben, und auch Herr Professor MArsH, mit dem ich im August 1883 in Stuttgart über diesen Irrthum Owen’s sprach, theilte mir nur mit, dass er selbst auch dieselbe Beobachtung gemacht habe, leider ohne die Huxvev’sche Arbeit zu erwähnen, von der er wohl annahm, dass sie mir bekannt sei. Berlin, den 25. Januar 1885. Bemerkungen über das Becken der Vögel und Dinosaurier. Von Dr. 6. Baur, Neu-Haven, Conn. Durch die Arbeiten von HuLKE' und Marsa? ist die Morpholo- gie des Beckens der Vögel und Dinosaurier in ein neues Licht ge- treten. Das was man bei den Vögeln bisher als Pubis betrachtet hatte, stellte nur den postacetabularen Theil des Dinosaurierbeckens vor, während man das eigentliche Pubis in dem »pectineal process« (HuxLey) fand. Der proacetabulare Theil des Schambeins wurde als Pubis, der postacetabulare als Postpubis bezeichnet. Diese An- schauung scheint heute allgemein angenommen zu sein. Nach Untersuchungen an jungen Hühnchen, Wachteln und Enten komme ich zum Schluss, dass der »pectineal process« nicht zum Pubis gehört und in Folge dessen auch nicht dem Pubis homolog sein kann, der Process gehört dem Ilium an. Dasselbe ist von Bunce? behauptet worden und in neuerer Zeit hat sich Doro! darüber ausgesprochen. Trotzdem Dorro richtig fand, dass der »pectineal process« zum Ilium gehört, homologisirt er ihn doch mit dem Pubis, da er annimmt, dieser Fortsatz wäre früher selbständig ‘1 J. W. HuLkE, Appendix to »Note on a modified form of Dinosaurian ilium , hitherto reputed scapula«. Quart. Journ. Geol. Soc. for Aug. 1876. vol. 32, 20. C. MARSH, Principal characters of American Jurassic Dinosaurs. Parts I and II. Amer. Journ. Sei. and Arts. Nov. 1878. Jan. 1879. O0. C. MarsH, Odontornithes. 1880. ; 3 Au. BUnGE, Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte des Becken- giirtels der Amphibien, Reptilien und Vögel. Dorpat 1880, 4 M. L. DoLLo, Troisieme note sur les Dinosauriens de Bernissart. Bull. du Musée Royal d’Hist. Nat. de Belgique. Tome II. 1883. 614 G. Baur gewesen. »En effet, celle-ci étant un organ rudimentaire, pourrait étre ossifiée par usurpation directement avec Jilium, comme notre savant ami, M. le Prof. P. ALBRECHT, .l’a montré pour les cötes et les costoides.« Ferner kommt er zum Schluss, dass das Pubis und Postpubis der Dinosaurier ursprünglich zwei isolirte Bil- dungen gewesen sind. »Il résulte de tout ce que nous venons de dire que le pubis et le post-pubis seraient primitivement des éléments séparés et que, seuls, les Dinosauriens et les Oiseaux posséderaient ce dernier.« Ich kann mich nur dem letzten Punkte anschließen. SABATIER ! hat das Becken eines jungen Kasuars (Casuarius galeatus) abgebildet. Hier geht die Trennungslinie zwischen Pubis und Ilium mitten durch den »pectineal process«; die obere Hälfte des Fortsatzes gehört dem Ilium, die untere dem Pubis an. Damit, glaube ich, können alle Schwierigkeiten beseitigt werden. Der obere Theil des »pectineal process« gehört dem Ilium an und entspricht dem vollständigen »pectineal process« der Carinaten und dem Theil des Iliums der Dinosaurier, weleher mit dem Pubis artikulirt, der un- tere Theil entspricht dem Pubis der Dinosaurier, wel- ches bei den Carinaten vollkommen rudimentär gewor- den ist. Mit dieser Deutung stimmen auch die Untersuchungen von. JOHNSON? überein, wenigstens zum Theil, denn Jonnson betrachtet den »pectineal process« des Huhns als Pubis. Jomnson fand bei Embryonen vom Huhn einen stark entwickelten proacetabularen Theil des Pubis, welcher dem Pubis der Dinosaurier gleich gesetzt wurde; dies ist vollkommen richtig für den unteren und vorderen Theil, während im oberen Theil Elemente des »pectineal process«, also des Iliums zu erblicken sind. Eine scharfe Grenze zwischen Pubis und Ilium kann in diesem Stadium nicht gezogen werden, da beide ein- heitlich knorpelig angelegt sind. Es ist sehr interessant die Entwicklung des Postpubis in der Reihe der Dinosaurier und Vögel zu verfolgen. 1 N. SABATIER, Compar. des ceintures et des membres antérieures et postérieures dans la série des vertébrés. Montpellier 1880. Mém. de l’Ac. des Se. et Lettr. (Sect. des Sciences tom. IX. 1880). Pl. VI Fig. 1. 2 A. Jounson, On the development of the pelvic girdle and skeleton of the hind limb in the Chick. Quart. Journ. eae Se. vol. XXIII. New Series 1883.9E1.226 vet227% Bemerkungen über das Becken der Vögel und Dinosaurier. 615 Die ältesten Dinosaurier besaßen, eben so wie die carnivoren Dinosaurier, kein Postpubis. Bei den Sauropoden beginnt es sich zu entwiekeln, Monosaurus, Atlantosaurus; bei den Stegosauriern ist es schon vollkommen vorhanden. Dann folgen die Ornithopoden, bei welchen es eine immer größere Entfaltung zeigt; zugleich verliert das eigentliche Pubis an Ausdehnung; bei den Ratiten ist nur noch ein kleiner Theil des Pubis vorhanden; bei den Carinaten (ob bei allen? noch fraglich) ist es ganz rudimentär geworden, während das Postpubis seine größte Entfaltung erlangt hat. Beistehende Tabelle zeigt die Verhältnisse. ee EEE Carniv. Sauropoda. |Stegosauria.| Ornithopoda. Ratitae. Carinatae. Dinos. , Pubis. Vorhan- | Wohl ent- | Wohl ent- Wohl ent- | Sehr wenig | Ganz rudi- den wickelt. wickelt. wickelt, be- | entwickelt mentiir. (wohl ent- ginnt aber (unterer wickelt). schon reducirt | Theil des zu werden. | pect. proc.). (Iguanodon.) StR 22 a BER EEE eS ee ee Oem SOE MEN N _ _ __ Postpubis,| Fehlt. |Beginnt auf-, Wohl ent- Wohl ent- Wohl ent- | Sehr stark zutreten. wickelt. wickelt. wickelt. entwickelt. Ischium. Größer | Größer als Wenig Größer oder | Gleich oder | Kleiner als als Post-| Postpubis. | größer als | = Postpubis. | kleiner als | Postpubis. pubis. Postpubis. Postpubis. Auf vorstehender Tabelle habe ich die Entwicklung des post- . acetabularen Theiles des Pubis der Dinosaurier und Vögel zu ver- anschaulichen versucht. Aus der Tabelle geht deutlich hervor, dass die carnivoren Dinosaurier zu den Vögeln in keinem direkten genetischen Zusammenhang stehen. Den carnivoren Dinosauriern geht ein »Postpubis« vollkommen ab, sie scheinen, ohne Nachkommen zu hinterlassen, in der Kreide ausgestorben zu sein. In den her- bivoren Dinosauriern dagegen, und speciell in ornithopodenähn- lichen Formen, haben wir die Stammeltern der Vögel zu suchen, und zwar die Stammeltern der Ratiten, während wir die Carinaten als von den Ratiten abstammend betrachten. Wenn also der älteste bis jetzt bekannte Vogel: Archaeopte- ryx (dass derselbe ein Carinate ist, wie Dames meint, steht ab- 616 G. Baur, Bemerkungen über das Becken der Vögel und Dinosaurier. solut nicht fest), zu gleicher Zeit mit einem Dinosaurier: Com- psognathus, gelebt hat, so braucht uns dies gar nicht Wunder zu nehmen, da Compsognathus ein carnivorer Dinosaurier ist, folglich mit Archaeopteryx, einem wahren Vogel, in keinem direkten genetischen Zusammenhang Stehen kann. Ich bitte daher jene Bemerkung über die eventuell entfernte Ähnlichkeit des Schädels von Compsognathus und Archaeopteryx ! streichen und für Compsognathus irgend einen Ornithopoden ein- setzen zu wollen. Yale-College Museum, Neu-Haven, Conn., Nov. 1884. 1 Vögel und Dinosaurier, eine Erwiederung etc. Morphol. Jahrb. Bd. X. pag. 450, cA, u N Kr PT A fi A fh - EN u 1} a j ' uy t N & MEER iy 4». u i PR, ie . AT A eee ee ee a 18 Nahe a i AM 7 ity ey a ae j N len A ee Oley ht a meee a | a f : \ ee En fi i LE yi ¥ IR N il ” ü | N ur j ur Marl | ah HAN ey Ao AD Bras. .14 ls . Morphologisches JUN 12 1964 T 27 1964 QC 3 1989 APD 9 4 107) » GRP : 8850 wie ee