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HERAUSGEGEBEN VON CARL GEGENBAUR, PROFESSOR IN HEIDELBERG. ~ SECHZEHNTER BAND. MIT 25 TAFELN UND 52 FIGUREN IM TEXT. LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGELMANN. 1890. £ FR u ge iF REN a per a tek ‘Vint i os Ir ta x r “4! Ai it A 4 | Inhalt des sechzehnten Bandes. Erstes Heft. Ausgegeben am 17. Juni 1590. Seite Die Titiscanien, eine Familie der rhipidoglossen Gasteropoden. Von eevee a MIG Maia lh rat ee recs ony, sas a st es 1 Beitriige zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. Von ene aun (TE afer Ve EN) ne NS ae ee a DE Zur Morphologie der Fischschuppen und zur Geschichte der Hartsubstanz- gewebe (I—II). Von H. Klaatsch. (Mit Taf. VI-VIL) ..... 9 Die erste Anlage der Milz und das erste Auftreten von lymphatischen Zellen bei Amphibien. Von F. Maurer. (Mit 2 Figuren im Text.) . 203 Zweites Heft. Ausgegeben am 2. September 1890. Zur Morphologie der Fischschuppen und zur Geschichte der Hartsubstanz- be. MV VIE) VoncHr Klastachh sh lat eee se eo 209 Die Morphologie der Prosobranchier, gesammelt auf einer Erdumsegelung durch die königl. italienische Korvette »Vettor Pisanie II. Von LIGA er ee N EP RE 259 Über die ursprüngliche Hauptschlagader der hinteren Gliedmaße des Men- schen und der Säugethiere, nebst Bemerkungen über die Entwicklung der Endäste der Aorta abdominalis. Von F. Hochstetter. (Mit RT DEE a ae a. et 300 Beiträge zur Kenntnis der Oreodontidae. Von W. B. Scott. (Mit Taf. ET 2. > ss 8k ss Yi eee 319 Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. Von G. v. Koch. (Mit 2 Fig. TE A er nee EEE" os. ae a ee 396 Drittes Heft. Ausgegeben am 10. Oktober 1890. Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hinterglied- sen. VowG Tornier (Mit Taf. XVH u XVII)... .... 401 Über den Ursprung der Arteria subelavia der Vögel. Von F. Hochstetter. BD Bremer). cy. ate wo er Mu BR. se ne 484 IV Seit Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden und über ” die systematische Stellung letzterer Ei Von J. E. V. Boas. Cet, aia, oars Text.) , . ; mn 5 vs . 494 Uber den Metatarsus der Wiederkäuer. Von J. E. V. Boas. Mit 6 “Fig, ENT UOXt;) bs Perea as ee sad &: ob 8” ee + 2 Da 525 Ein Fall von vollständiger Ausbildung # des 2. und 5. nantes beim Rind. Von J. E. V. Boas. (Mit 2 Fig. im Text.) ... 530 Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. Von G. v. Koch. (Mit 4 Fig. IM Taxe) 4 eee. EEA BEE ENTE, - . 534 Viertes Heft. Ausgegeben am 9. December 1590. Untersuchungen über die Entwicklung des Beckengürtels der Emys lutaria taurıca. Vou BE. Mehnert. (Mit Taf. XX.)...... 2. ge 537 Über die Entwicklung der A. vertebralis beim Kaninchen, nebst Bemer- kungen iiber die Entstehung der Ansa Vieussenii. Von F. Hoch- stetter. (Mit Taf. XXI u. 1 Holzschn.) : . - » . .. >... esse 572 Über den Descensus testiculorum. Von H. Klaatsch. Mit Taf. XXII u. RATE Bowie 3 Fig. im Text) -. - 2... 1.2.1.5: . . Pr 597 Über ein transitorisches Rudiment einer knöchernen Clavicula bei Embry- onen eines Ungulaten. Von H. Wineza. (Mit Taf. XXIV.) . .. . 647 Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. Von R. Mahn. DE re er Se 652 Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. Von 6. v. Ko h. (Mit 3 Fig. TSE 0 ok Se So EGLO & Sere ae An 686 Die Titiscanien, eine Familie der rhipidoglossen Gasteropoden. Von Dr. R. Bergh. Mit Tafel I—III. Von der Gruppe der gasteropoden Mollusken sind in den letzten zwei Jahrzehnten die Pulmonaten und die Opisthobranchier Gegenstand der Untersuchungen einer Reihe von Verfassern gewesen, während die Prosobranchier lange sehr vernachlässigt blieben. Auch in der Beziehung muss der so frühe Tod von J. Brock be- dauert werden, welcher dieser großen Abtheilung seine besondere Aufmerksamkeit zugewendet und für die eingehende Behandlung derselben ein größeres Material während seiner Reise zusammenge- bracht hatte!. Die vor wenigen Jahren (1887) erschienene, breit angelegte, sehr tüchtige Arbeit von Bouvier? hat jetzt unsere Kennt- nis der ganzen großen Gruppe sehr bedeutend erweitert, sowie die vor Kurzem (1888) erschienenen » Beiträge zur Morphologie der Proso- branchier« von BELA HALLER°. Von den Prosobranchiern sind die sogenannten Rhipidoglossen (TROSCHEL, GRAY) wieder die gewesen, die besonders vernachlässigt ! EHLERS, JOHANNES Brock. Leopoldina. XXV. 1889. Nr. 13—16 (Separat pag. 5). 2 Bouvier, Systeme nerveux, morphologie générale et classification des gaster. prosobr. (These de Paris. 1887). Ann. des sc. nat. Zool. 7. 8. II. 1887. pag. 1—510. pl. 1—19. 3 BELA HALLER, Die Morphologie der Prosobranchier. Morph. Jahrbuch. XIV. 1888. pag. 54—169. Taf. III—IX. Morpholog. Jahrbuch. 16. | a ) R. Bergh worden sind. Nur ganz einzelne Typen derselben, besonders die Haliotiden und die Fissurellen, waren in etwas neuerer Zeit! unter- sucht worden. Die ausgezeichneten » Untersuchungen über marine Rhipidoglossen von BéLA Harter? behandeln bisher leider so zu sagen nur das Centralnervensystem einiger wenigen Formen (Fissu- rella. Haliotis. Turbo); die vorzügliche und talentvolle Arbeit Bou- vıer’s berücksichtigt zwar auch hauptsächlich das Nervensystem, fußt aber auf einer größeren Anzahl von Formen und ist mehr ge- nerell sowie systematisirend gehalten. Von den Rhipidoglossen waren und sind noch die Neritaceen, die fast am allerwenigsten berücksichtigten gewesen. Wenn von den wenigen Notizen (IHERING, SIMROTH, oder Arbeiten (BELA HALLER, Bovvier) über das Nervensystem abgesehen wird, be- schränkt sich unsere Kenntnis dieser Gruppe zum größten Theil noch auf die alten und veralteten Angaben von Quoy und GAIMARD® und von CLAPAREDE’. Auf dem Standpunkte der letzterwähnten fran- zösischen Verfasser steht noch eine Mittheilung FiscHEr's über die Neritopsis °. Die Prosobranchier, die eine rhipidoglosse Zungenbewaffnung besitzen, gehören sicherlich nicht alle phylogenetisch zusammen, und IneRING® hat gewiss mit Recht, zum Theile nach dem Vorgange von TROSCHEL, die Fissurelliden und die Haliotiden von den Neri- taceen weggestellt. In der letzten Zeit hat Bouvier (l. c. pag. 456 —457) wieder versucht, die zwei letzten Gruppen einander zu nähern und innerhalb seiner »rhipidoglossen Diotocardien« zu vereinen: die 1 LACAZE DUTHIERS, Mém. sur le syst. nervy. de l’Haliotide. Ann. des se. nat. Zool. 48. XII. 1859. pag. 247—305. pl. 9—11. — H. WEGMANN, Contrib. 4 Vhist. nat. des Haliotides. Arch. de zool. exper. et gener. 2. S. II. 1884. pag. 289—378. pl. XV—XIX. — L. un Rech. sur lanat. et le développement de la Fissurelle. Arch. de zool. 2. S. III. 1887. pag. 1—173. — L. BOUTAN, Con- trib. ä l'étude de la masse nervy. ventrale de la Fissurelle. 1. c. 2. S. VI. 1888. pag. 375—421. pl. XXI— XXI. 2 Morph. Jahrb. IX. 1883. pag. 1—9S. Taf. I—VII. — XI. 1886. pag. 321 —436. Taf. XVII—XXIV. 3 Quoy et GAIMARD, Voy. de l Astrolabe. Zool. III. 1834. pag. 179—180. pl. 65. Fig. 32, 36—38. 4 CLAPAREDE, Anat. und Entwicklungsgeschichte von Neritina fluviatilis. Jo. MÜLLER, Arch. 1857. pag. 109—248. Taf. IV—VIIL. 5 P. FiscHER, Sur lanat. des Neritopsis. Journ. de conchyl. XXIII. 1875. pag. 197—204. pl. XI. 6 H. vy. IHERING, Vergl. Anatomie d. Nervensyst. u. Phylog. d. Mollusken. 1877. pag. 102. Die Titiscanien. 3 Neritaceen haben aber, wie aus den untenstehenden Untersuchungen hervorgeht, nicht zwei Vorkammern des Herzens. Die Neritaceen bilden, wie erst von Bouvier mit Sicherheit nachgewiesen, mit den Helicinaceen zusammen eine von den übrigen Prosobranchiern eigenthümlich abweichende Gruppe. Das Centralnervensystem, obgleich im Ganzen mit dem der chiasto- neuren Prosobranchier übereinstimmend, unterscheidet sich doch von dem anderer solchen durch das Fehlen der Chiastoneuri da- durch, dass das supraintestinale Ganglion ganz weggefallen ist; die (links liegende) Kieme scheint vom linken pleuralen Ganglion inner- virt, wenn nicht der Nervus branchialis doch aus dem rechten her- kommen sollte und, durch das subintestinale Ganglion passirend, erst an der Oberfläche des linken pleuralen Ganglions frei hervor- träte. — Der wiederholten Behauptung Bouvier’s gegenüber, dass die Neritaceen wie andere Rhipidoglossen zwei Vorkammern des Herzens besitzen sollten, muss solches bestimmt verneint werden, sie haben nur eine schräg vor der Kammer liegende. — Übrigens finden sich in der Kenntnis der Neritaceen auch nach den unten- stehenden Untersuchungen sehr bedeutende Lücken. Innerhalb der Gruppe der Neritaceen zeichnen sich die Neri- topsiden durch das Fehlen von medianen Zahnplatten aus!. Vor- läufig scheint es daher, dass die unten untersuchte neue Form, die erste bekannte nackte (schalenlose) unter den Prosobranchiern, hier- hin zu stellen wäre. Titiscania Bgh. nov. gen. Corpus limaciniforme, nudum (sine testa). Diese neue, schalenlose, fast limaxartige Thierform gehört durch ihren inneren Bau, besonders durch die Beschaffenheit ihrer Kieme, dann ihrer Zungenbewaffnung ganz bestimmt in die Gruppe der Neritaceen und durch den Bau der Raspel, durch das Fehlen der medianen Platten, wahrscheinlich in die Abtheilung der Neri- topsiden. Titiscania limacina Bgh. n. sp. R. BerGu, Malacolog. Untersuchungen. (Semper, Philipp. I, II.) Bem IX. 1875, Taf. XLI Fig. 10. ! P. FiıscHEr, Man. de conchyliologie. 1887. p. 806—808. 1 is 4 R. Bergh Hab. M. philippin. (ins. Camiguin), M. africano-ind. (ins. Maurit.). Taf. I Fig. 1—23; Taf. II Fig. 1—16. SEMPER hat das lebende Thier (1. e.) abgebildet, welches er mit einem kleinen gelblichen Pleurobranchus zusammen bei der Insel Camiguin gefischt hatte. Dasselbe hatte ausgestreckt eine Länge von 10,5 mm. Die Farbe der Rückenseite hell gelblich, mehr weiß- lich an der Mitte, wo ein Eingeweide violettgrau durchschimmert, und mit einigen weiblichen Querbändern. Die Form langgestreckt oval, vorn und hinten gerundet. Von dieser Form lagen von SEMPER seit 1859 zwei einander in Form- und Größenverhältnissen ganz ähnlichen, in Alkohol bewahr- ten, etwas erhärteten Individuen vor. Später (1884) ist eine große Reihe von ganz Ähnlichen (18) Individuen zugekommen, die von MoE- plus bei Ile aux Fouquets (im Mauritius-Meere) 1874 gefischt wurden. Einige dieser Individuen waren von derselben Größe wie die von SEMPER gefischten, die meisten aber kleiner; einige derselben waren viel reichlicher mit weißen Punkten bedeckt, unter denen mitunter eine Reihe von etwas größeren längs des Randes; an der Mitte des Rückens schimmerte bei den meisten Individuen ein gräuliches Ein- geweide durch. Die zwei ersterwähnten Individuen waren weiblich, von den anderen (18) nur die vier männlich. Die 17 Individuen wurden dissecirt. Die Linge betrug bis 9 bei einer Breite von kaum 4 und‘ einer Höhe von 2—2,5 mm, die Länge der Tentakel 1,5 mm. Die Farbe war durchgehends weißlich; kein Durchschimmern der Eingeweide mit Ausnahme der bei den Weibchen stark durchscheinenden vor- deren Genitalmasse. Die Form war fast Limax-artig (Taf. I Fig. 1), langgestreckt oval, mitunter vorn ein wenig breiter. Die obere Seite gewölbt, die untere ganz abgeplattet (Fig. 2), beide am ziemlich (bis 1,6 mm) breiten und scharfen, ein wenig wellenförmigen Rande zusammen- treffend. Die Rückenseite fast ganz eben, nur mit einzelnen weißen vortretenden Punkten; vorn an derselben die quere Kiemen- spalte, mitunter ein bischen weiter nach rechts (Fig. 2), als nach links reichend; die Spitze der Kieme bei mehreren Individuen mehr oder weniger aus der Spalte (Fig. 1) hervorragend. Vor der Kie- menspalte der flache, ziemlich breite Kopf (Fig. 2) mit ziemlich lan- gen, spitz zulaufenden Tentakeln (Fig. 3) mit schwarzen, wenig Die Titiscanien. 5 vorspringenden Augen außen am Grunde. Bei den Männchen hinter dem rechten Auge ein kleiner weißlicher Höcker oder eine Ver- tiefung (Öffnung) für das Ende des Samenganges. Das Vorderende des Kopfes applanirt, gegen den gleichsam fransigen Rand verdünnt (Fig. 2), unten mit (dreieckigem) Außenmunde: der Kopf unten in einen Ausschnitt der Fußseite des Körpers passend (Fig. 2): die Seitentheile des Kopfes hinter den Augen in den Rücken neben den Ecken der Kiemenspalte übergehend. Die Unterseite des Körpers flach: durch ihre ganze Länge zeigt sich das volle mittlere Drittel gleichsam von den Seitentheilen ausgeprägt. mitunter fast fußähnlich (Fig. 2). Die Kiemenspalte (Fig. 1, 2) leitet in die relativ ziemlich weite, aber niedrige Kiemenhöhle, deren Boden gleichsam von der Fort- setzung des Genickes (des Kopfes) gebildet ist. Vom niedrigen Hintergrunde derseiben springt etwas links die Kieme frei hervor, welche platt liegt, abgeplattet und lancettförmig ist, bis etwa so lang wie die Tentakel, an beiden Seiten (der oberen wie der unte- ren) mit nicht niedrigen Querblättern versehen, deren Zahl 35—40 betrug (Taf. II Fig. 10 aa): die Kieme ist nach vorn und meistens (Taf. I Fig. 1) ein wenig rechts gerichtet, mitunter ragt die Spitze oder selbst die Hälfte des Organs, wie erwähnt, aus der Kiemen- spalte hervor (Fig. 1). Rechts am Grunde der Kieme streckt sich die meistens etwas gelbliche Analröhre (Taf. II Fig. 2 a) hervor, die bis etwa halb so lang wie die Kieme ist (Taf. II Fig. 2 ec); der Rand der Analöffnung rundzackig (Taf. I Fig. 5a, 6). Mit der rechten und unteren Seite der Analröhre ist bei den Weibchen der an der rechten unteren Seite der ganzen Länge nach gespaltene Ausführungsgang der Schleimdrüse verbunden (Taf. II Fig. 10 e); auch dieser ist mitunter am Ende rundzackig (Taf. I Fig. 5 d). In der Tiefe unter der Kieme an ihrem Grunde findet sich die von zwei starken Lippen eingefasste, längliche, senkrecht oder schräg lie- gende Öffnung der Niere (Taf. I Fig. 7). — Hinter dem Grunde der Kiemenhöhle liegen die die hintere Eingeweidehöhle ganz füllenden Organe; vor der Gegend des Kiemenhöhlengrundes steht noch ein Dissepiment gerade hinab und scheidet diese hintere von der vor- deren Eingeweidehöhle, welche das Centralnervensystem, den ganzen Schlundkopfkomplex, die Speiseröhre und den größten Theil des Darmes enthält. Das Centralnervensystem (Taf. I Fig. $) schien wesentlich 6 R. Bergh mit dem anderer Rhipidoglossen tibereinzustimmen; es lag ziemlich weit nach vorn, die Mundröhre oder den vorderen Theil des Schlund- kopfes umfassend. Die oberen, die cerebralen, Ganglien liegen an den Seiten der Mundröhre oder des Schlundkopfes, durch eine Kommissur verbunden, die wenigstens etwa so lang wie der größte Durchmesser der Ganglien ist (und gar keine Nerven abgiebt‘. Diese Ganglien sind (Fig. 8 aa) etwas zusammengedrückt, von gerundet dreieckigem Umrisse, hinten in einen kurzen, am Ende gerundeten (labialen) Zipfel ausgezogen!. Der Gehirnknoten giebt nach vorn mehrere Nn. rostrales und labiales ab, ferner den ziemlich dieken N. tentacularis und den ganz dünnen N. opticus, mehrere Nerven an die Wände des Kopfes und einen ganz dünnen, aber deutlichen (Fig. 8) N. acusticus; vom erwähnten Zipfel gehen zwei Nerven aus, einer, der mit dem entsprechenden der anderen Seite die’ Com- missura labialis (Fig. 8 ce) bildet, und einer, der wahrscheinlich an das buccale Ganglion geht (vgl. Taf. III Fig. 2 mm). Vom Hinter- rande des Ganglions gehen ferner das cerebro-pleurale und das ce- rebro-pedale Connectiv an die untere Ganglienmasse ab; die Connec- tive sind ziemlich kurz (Fig. 8). Die untere Ganglienmasse (Fig. 8 ddf) ist ziemlich abgeplattet, aus zwei Hälften bestehend, von denen jede kaum oder nur wenig größer als einer der Gehirn- knoten; sie ist an dem vorderen Theile des Fußes befestigt. Die Masse ist fast central durchbohrt: die Öffnung vorn von den Fub- knoten, seitwärts von den pleuralen Ganglien und hinten von dem pleuro - subintestinalen Connective begrenzt. Die pedalen Gan- glien (Fig 8 dd) sind rundlich, an der Unterseite dicker, durch eine kurze Kommissur verbunden. Vom vorderen Theile der Fußganglien gehen mehrere Nn. pediaei antt. an das Vorderende des Fußes. An der Unterseite verlängern die Pedalganglien sich in die dieken pe- dalen Stränge (Fig. 8 gg), die in der Gegend des Randes des oben besprochenen mittleren Theiles der Fußfläche nach hinten und fast bis an das Ende derselben verlaufen; sie liegen nicht in dem Fuße, sondern an seiner oberen Seite. Diese Pedalstränge geben nach außen viele Nerven ab, die in die Seitentheile des Fußes eindringen; nach innen andere, die sich mitunter zu verbinden schienen und eine Art von Kommissuren bilden. Die pleuralen Ganglien (Fig. 8 ee) sind vorn mit den pedalen verwachsen: von denselben gehen nach ! Ein ähnlicher labialer Process kommt bei Nerita und Helicina (BOUVIER), bei Haliotis (LacazE DUTHIERS), bei Fissurella (BELA HALLER) u. a. vor. Die Titiscanien. 7 außen mehrere palliale Nerven ab; vom linken noch ein besonderer N. branchialis an die Kieme. Mit dem rechten pleuralen Ganglion wie verwachsen findet sich das halbkugelförmige (Fig. 8 f) sub- intestinale Ganglion, durch ein kurzes Connectiv mit dem linken pleuralen verbunden; vom Hinterende des Ganglions geht ein N. visceralis (Fig. 8 4) aus, der längs der rechten Seite der unteren Eingeweidehöhle verläuft und am Grunde der Analpapille oder etwas mehr rechts ein kleines viscerales Ganglion bildet. Die bucea- len Ganglien (Taf. I Fig. 9) sind länglich, durch eine Kommissur verbunden, die länger als die Ganglien selbst sind: von der Kom- missur gehen Nerven an die Raspelscheide und an den Schlund- kopf ab, ferner, wie es schien, an die große Buccaldrüse. — Die Ganglienzellen des Centralnervensystems sind wie bei allen Rhi- pidoglossen klein und kontrastiren gegen die theilweise kolossalen Nervenzellen der Opisthobranchier; an den Pedalsträngen bilden sie ein corticales Lager!. Die außen am Grunde der Tentakel (Fig. 3) vorspringenden Augen waren von dem bei den Rhipidoglossen gewöhnlichen Bau, also offen. Die Ohrblasen waren ganz kurzstielig, neben ein- ander hinter der (eigentlichen) pedalen Kommissur befestigt; der lange, dünne N. acusticus ließ sich mehrmals bis an den Gehirn- knoten verfolgen (Fig. 8). Die Otocysten waren kugelrund (Fig. 10), von 0,055 mm Diam., mit zahlreichen Otokonien von runder oder ovaler Form, meistens klein, von einem Diam. von 0,005—0,007 mm, mitunter kam ein größerer, kugeliger unter denselben (von 0,02 mm Diam.) vor (Fig. 10). In der Haut fanden sich keine verkalkte Zel- len, auch nicht am Rücken: sie war nicht stark mit Drüschen aus- gestattet. Im Vorderrande des Fußes kein stärkeres Drüsenlager. In den Lippen des Mundes zahlreiche kleine Drüschen. Die Mundröhre ziemlich kurz und weit (Taf. II Fig. 6 a), mit Längs- falten der Innenseite, von einer feinen gelblichen Cuticula überzogen, hinten ohne Grenze in den Schlundkopf übergehend; in dieser letz- teren Gegend heften sich oben und unten kürzere Muskelbänder (Fig. 6 a), die von der Stirne und dem Vorderende des Fußes ent- ! Bei Acanthopsole sah TrıncHEsE (Note zool. Rendie. dell’ acc. delle se. dell’ istituto di Bologna. 17 Maggio 1877. p. 12) das äußerste Lager des N. opt. von Nervenzellen gebildet, oder dasselbe war »ausschließlich« von solchen ge- bildet (Intorno ai generi Hermaeina e Acanthopsole. Mem. dell’ Acc. — di Bo- logna. S. III. T. V. 1874. p. 8). S R. Bergh springen, und an jeder Seite nach unten zu ein starker Retraktor, der sich von der Körperwand etwa in der Gegend des großen Disse- piments löst. — Der Schlundkopf ist von gewöhnlicher (Fig. 6 5) Form, etwas länger als breit, etwa 1,25 mm lang, etwas abgeplattet, hinten gerundet-abgestutzt, mit fast parallelen Seitenrändern, vorn ein wenig schmäler, hinten ein wenig höher als vorn; die Wände sind dünn und lassen die Zunge durchschimmern, die hauptsächlich den Schlundkopf bildet. Vom Hinterende des Schlundkopfes geht median die Speiseröhre aus (Fig. 6 f) und unter derselben die lange geschlungene Raspelscheide (Fig. 6 ccc), die etwa von der Dicke der Speiseröhre war und beiläufig 6mal so lang wie der Schlund- kopf; links oder rechts liegt neben der Speiseröhre die Buccal- drüse (Fig. 6 e). Die große Zunge ist mit Ausnahme ihrer Spitze mit der unteren Wand des Schlundkopfes ganz verwachsen: sie wird wie bei anderen Prosobranchiern hauptsächlich von den mächtigen Schlundkopf- oder Zungenknorpeln gebildet. Dieselben zeigen sich, von den starken und besonders vom hinteren Theile entspringenden Muskeln befreit, von der gewöhnlichen gestreckten und zusammengedrückten Form (Taf. I Fig. 11, 12), kalkweiß. nur vorn etwas gelblich. Sie sind mit dem Unterrande sowie mit dem Vorderende einander mehr genähert, vorn durch ein kleines selb- ständiges Knorpelstück verbunden. Sie bestehen aus einem größeren vorderen und einem kleineren hinteren Stücke, die sich nicht leicht von einander lösen lassen. Das vordere Stück ist vorn kaum höher als hinten, mit scharfem unteren und mehr gerundeten oberen Rande; die Außenseite etwas gewölbt:; die Innenseite etwas konkav. hinten mit einer schiefen Facette für das hintere Stück, das an der Innen- seite das Hinterende des vorderen etwas überragt (Fig. 12): außen am Vorderende des vorderen Knorpelstückes ein etwas vorspringen- der Kamm (Fig. 11) für Muskelinsertion. Das hintere Knorpelstück hat beiläufig nur '/, oder '/, der Größe des vorigen, ist plankonvex (Fig. 13). Die Knorpel waren vom gewöhnlichen (fibro-cartilaginösen) netzartigen Bau mit starken quergehenden Balken und mit einge- lagerten Zellen und Zellengruppen. Die über den Zwischenraum zwischen den Zungenknorpeln ausgespannte Raspel (Fig. 14) gelb- lich, 15—20 Zahnplattenreihen enthaltend, von welchen die 3—13 vordersten mehr oder weniger inkomplet, die allervordersten zu dem äußersten Theil der Außenplattenreihe reducirt (Fig. 14 a). Am Grunde der Raspel das kielförmige Raspeldach, unter welchem der Anfang der langen Raspelscheide (vgl. Fig. 25 a) sich zusammen- Die Titiscanien. 9 faltet. Diese letztere enthielt bei zehn in dieser Beziehung untersuchten Individuen 180—205 Zahnplattenreihen, von welchen etwa die hintere Hälfte fast ganz farblos (vgl. Fig. 25 e), und die hintersten (4—5) noch unvollständiger entwickelt. Die Raspelscheide zog sich (Taf. II Fig. 6 ccc) links an der Rückenseite und an der linken Seite durch die untere Eingeweidehöhle in langen Schlingen bis an das Hinterende der letz- teren hin, wo das weiße aufgerollte Ende durch einen feinen weißen Faden befestigt ist (Fig. 25 d, 6 d). Die Rhachispartie ist nackt, an der Zunge ziemlich breit (Fig. 14): es fehlen nämlich nicht allein die medianen Platten, sondern auch die breiten Zwischenplatten. Die innersten Platten sind die zwei Stützplatten, die innere etwas kürzer als die äußere, jene beiläufig 0,04, diese 0,055—0,06 mm an Länge messend. Die innere ist abgeplattet, am Innenrande hin- ten schräg geschnitten, im Außenrande verdickt, mit kurzem um- geschlagenen spitzen Haken (Taf. I Fig. 15 a, 16 a). Die äußere auch abgeplattet, am Außenrande hinten schräg abgeschnitten, im Innenrande verdickt, ohne Haken (Fig. 15 d, 16 4). Die Seitenplatten viel stärker als die vorigen, 0,06—0,07 mm lang, vorn breiter, nach hinten verschmälert, mit gerundeten vorderen Ecken; der Haken kurz, stark, gerundet (Fig. 16 e, 17). Dieser Platte schließt sich die gebogene Reihe von Außenplatten an (Fig. 14), wenigstens 100 Platten enthaltend: die Höhe der innersten beiläufig 0,05 mm betragend, die Höhe sich allmählich zu etwa 0,075 mm erhebend, um nach und nach (Taf. II Fig. 5) bis zu 0,01 mm zu sinken. Die Platten sind stark zusammengedrückt, sich von einem dünnen Fuß- stücke mehr oder weniger schräg erhebend, an der Spitze ziemlich stark hakenartig gebogen; die innersten (Fig. 18, 19) kräftig, die äußeren (Taf. II Fig. 2, 3) und äußersten sehr schmächtig (Taf. I Fig. 5). An den stärkeren kam sehr oft ein Zähnchen oben am Haken vor (Fig. 23). Unregelmäßige Zahnplatten (Fig. 22) und Verschmelzungen von Zahnplatten fehlten (Taf. II Fig. 4) nicht. Die stärkeren Zahnplatten waren gelbfarbig, der Haken der Seiten- platten braun, die Stützplatten meistens fast und die äußeren Außen- platten ganz farblos. — In der Pulpe der Raspelscheide die ge- wöhnlichen großen odontogenen Zellen. Die Seitentheile des pharyngealen Anfanges der Speiseröhre scheinen stark drüsig; besondere Speicheldrüsen schienen aber zu fehlen. Dagegen findet sich ein mächtiges, mit dem Schlundkopfe in Verbindung stehendes drüsiges Organ, die Buccaldrüse. Die- selbe (Taf. II Fig. 6 e) ist gelblichweiß, meistens wenigstens etwas 10 R. Bergh mehr als die Hälfte der Größe des Schlundkopfes betragend, sack- firmig, kurz gestielt, bei allen den männlichen Individuen an der rechten oder unteren, bei allen den weiblichen an der linken Seite der Speiseröhre liegend, am hinteren Ende des Schlundkopfes und links in den Pharynx einmündend. Die Wände der Drüse dick, mit sehr starken Längsfalten, der kurze Gang mit feineren Längs- falten. Die Höhle war immer leer. Am Hinterende des Schlundkopfes wird die, mit dem vor der Mitte desselben liegenden weiten Pharynx anfangende Speiseröhre frei, geht an der oberen Seite der Wurzel der Raspelscheide, längs der (meistens rechten) Seite der großen Buecaldrüse nach hinten (Fig. 6 f, 7 a) einige nicht bedeutende Biegungen bildend (mitunter an einer Stelle (Fig. 6) etwas erweitert) und geht in den der oberen Eingeweidemasse gehörenden Magen über; die vorderste Strecke der Speiseröhre zeigt ziemlich starke Längsfalten, die weiter nach hinten niedriger werden. Der nicht große, kurz sackförmige gelbliche Magen (Fig. 6 g, 7 4, 9 5) an der linken Seite des Vor- derendes der Geschlechtsdrüse liegend (Fig. 9), bei den weiblichen Individuen (durch die Schleimdrüse) etwas mehr nach links ver- schoben. Derselbe zeigt (meistens) nach vorn eine starke eirkuläre Falte (Fig. 6) und sonst ziemlich starke Längsfalten; in seine untere Seite mündet der ganz kurze Gallengang; vom linken Ende des Magens, unweit von der Cardia (Fig. 9 a), geht der gelbliche Darm aus (Fig. 9c). Dieser geht unter der Speiseröhre (Fig. 6 4), macht eine große Schlinge (Fig. 7 ccc) nach vorn und mehrere nach hin- ten, steigt hinauf, durchbohrt den vorderen Theil der Herzkammer, biegt rechts und verläuft bei den (Taf. II Fig. 10 be) weiblichen Indi- viduen hinter der Samenblase, bei den männlichen hinter der Niere, und geht in leichten Biegungen bis an die Analpapille und öffnet sich an der Spitze derselben (Taf. I Fig. 4 a, 5 a, 6). Die ganze Länge des Darmes betrug beiläufig 10—13 mm bei einem Durch- messer von meistens 0,4 mm. — Der Inhalt der Verdauungs- höhle war unbestimmbare thierische Masse mit feinen Sandkörnern und wenigen Polythalamien vermischt. Die nicht große, mit einem grünlichen Anfluge gräuliche Leber liegt hinter dem Magen (Taf. II Fig. 9 d): bei den weiblichen In- dividuen mit diesem letzteren zusammen mehr links und nach unten verschoben, sich aber noch zwischen dem Magen und der Schleim- drüse (©) oder dem Hoden (g!) einschiebend; sie ist an der Oberfläche gleichsam körnig wegen des feinlappigen Baues; Die Titiscanien. hit sie öffnet sich fast direkt in die Unterseite des Magens (Taf. II Fig. 8). Das Pericardium nicht recht weit. Vorn an der Aortenwurzel schien eine pericardialdrüsenartige Bildung vorzukommen. Vor- und Herzkammer fast von derselben Größe. Die Kammer schien in ihrem vordersten Theile von dem Darme durchbohrt. Die Aorta ant. verläuft in der Nähe der Speiseröhre durch die ganze Länge der unteren Eingeweidehöhle bis an den Schlundkopf, unweit von ihrer Wurzel dem Rücken eine starke Art. dorsalis abgebend. Die Verhältnisse der weißlichen Niere konnten nicht genau eruirt werden. Sie liegt bei den weiblichen Individuen, wo sie kleiner ist, zwischen der Schleimdrüse und den Samenblasen; bei den männlichen ist sie größer, scheint an beiden Seiten des Rec- tums zu liegen, der linke Lappen dunkler, der rechte heller zu sein. Sie stößt immer an die hintere (rechte) Seite des Pericardiums und _ öffnet sich mit der erwähnten kleinen Spalte in die Kiemenhöhle (Taf. I Fig. 7). Die Geschlechtsdrüse (Taf. II Fig. 9 ee) ist immer sehr groß, den größten Theil der oberen Eingeweidehöhle aufnehmend, bis 6 mm lang, innerhalb der Körperwand aber frei liegend. Der Hoden ist kegelförmig, weißlich, so auch das ganze Hinter- ende; die Unterseite aber vor demselben grau (wegen der absteigen- den Ausführungsgänge [Taf. II Fig. 11] der Follikel); der Unter- seite und theilweise der rechten Seite weiter nach vorn schließen sich die dichten Windungen des Samenganges an. Die Drüse be- steht aus hohen, nach unten und innen konvergirenden, sehr oft am Scheitel mehr oder weniger tief gegabelten Läppchen, welche reifen Samen enthielten (Fig. 11). Am hinteren Drittel der unteren Seite fängt der Samenleiter an, der sich in dicht an einander liegenden, bis 0,4 mm (Diam.) dicken, opak-gelblichgrauweißen Windungen, die von Samen strotzen, nach vorn erstreckt, am Vorderende des Hodens frei wird und dünner, rechts biegt und sich in der seitlichen Körperwand (dem Kontraktionszustande des Thieres gemäß) mehr gestreckt oder in kurzen Windungen bis an die Penisöffnung ver- folgen lässt; der Durchmesser des in der Körperwand eingeschlos- senen Theiles betrug beiläufig 0,06 mm. Der Eierstock ist von ganz derselben Form wie der Hoden, kegelförmig, vorn abgestutzt, aber dottergelb und so durch seine ganze Länge. Die Drüse besteht (Fig. 12) aus unter einander dicht gedrängten und durch gegenseitigen Druck oft unregelmäßigen, in 12 R. Bergh der Oberfläche aber meistens kurz kegelförmigen Läppchen, welche aber nur bei einem Individuum große Eierzellen enthielten. Der wenig geschlungene weißliche Eierleiter geht an den hinteren Theil der Unterseite der Schleimdrüse über. Diese letztere ist konvex-plan, sehr groß und schimmert, wie oben erwähnt, schon außen durch (wodurch die, immer auch etwas größeren weib- lichen Individuen von den männlichen schon äußerlich leicht zu unterscheiden sind), die Größe etwa die Hälfte der des Ovariums be- tragend. Die obere und rechte Seite freiliegend; die untere und linke an den Eierstock, die Leber und den Magen stofend: das Hinterende an das Ovarium, das Vorderende an die Niere und den Darm. Um das Organ (Taf. II Fig. 14—16) schlingt sich schräg oder S-förmig ein chokoladebraunes, selten etwas helleres, am Rande fein gekräuseltes starkes Band, dessen Enden sich mitunter fast be- gegnen, aber wenigstens’ gewöhnlich doch durch eine gelbbraune Partie hinten an der Unterseite mit einander in Verbindung treten: sonst ist die Drüse schön milch- und kalkweiß, zwischen diesen wenigen weißen Windungen tauchen aber hier und da ein oder zwei braune Flecken aus dem Inneren auf, besonders einer am Vorderende: die ganze Masse lässt sich leicht in eine größere hintere, eine mitt- lere und eine vordere kleinere Partie theilen. Vom Vorderende der Masse geht unten der kurze Schleimdriisengang (Taf. II Fig. 14 a, 15 a) aus, der an das Rectum verläuft und als eine an der Unter- seite gespaltene Röhre längs der rechten oder unteren Seite der- selben streicht (Taf. I Fig. 4 5, 5 5; Taf. II Fig. 10 e). Mit der Schleimdrüse oder ihrem Gange steht in einer mir nicht auszufinden- den Weise als eine Art Samentaschen (Receptacula seminis) ein eigenthümliches scheibenartiges Organ am Grunde der oberen Seite der Kieme in Verbindung (Taf. II Fig. 10 d). Dasselbe bestand aus 12—14 kugelrunden Säckchen von einem Durchmesser bis 0,5 mm, die neben und auf einander in einem mitunter vollstän- digen Ringe gelagert waren, dicht an einander stoßend und fast ohne Stiel mit einander kommunicirend; sie enthielten immer Samen. Zum Vergleiche habe ich zwei andere mir zugängliche Neri- taceen untersucht. Die dürftigen Resultate der bei dem sparsamen Materiale unvollständigen Untersuchung habe ich unten hingestellt. weil bei der jetzigen geringen Kenntnis dieser Thierformen auf ein- zelnen Punkten doch nicht ganz ohne allen Werth. Die Titiscanien. 13 Nerita peloronta L. Taf. I Fig. 24—28; Taf. II Fig. 17—21; Taf. II Fig. 1-11. Von dieser großen Form des Antillenmeeres habe ich vier größere (weibliche) Individuen untersucht, deren Schale an Länge etwa 3,8 cm betrug bei einer Höhe bis 2,3 em; ferner ein kleineres (weibliches) von einer Länge von beiläufig 1,6 cm. Das Thier füllte nur wenig mehr als den weiten letzten Umgang der Schale, und die kleine Spira zeigte sich mit Kalkmasse gefüllt, die innere Schalenwand daselbst mitunter mit tiefschwarzen Flecken, die leicht weggeschoben wurden, bedeckt. Das Thier zeigte an der gelblichweißen Stirne zahlreiche schmale, häufig zerstückelte Querbänder: der Stirnrand war sehr schwach und fein rundzackig; die Ophthalmophorien weißlich, mit schwarzem Ende (Auge), kurz und dick, 2,25 mm hoch; der Grund der 5 bis 6 mm langen Tentakel durchschimmernd schwarz, übrigens gelblich: in ihrer größten Länge waren sie fein schwarz gestreift. Der vom Grunde des Tentakels anfangende und sich nach hinten in den Deckelträger fortsetzende epipodiale Saum gelblich. Der Außen- mund und das Kinn weißlich und gelblich; das Geniek weißlich. Der Boden der Kiemenhöhle (die Fortsetzung des Genickes) gelb- lich. Die obere Seite des Fußes wie der Stirn geziert; die Bänder aber stärker und etwas weniger unterbrochen, mehr anastomosirend. Durch die dünne obere Wand der Kiemenhöhle schimmerten links die Kieme und am Hinterende der Darm, die Niere und das Herz durch. Die langen Facetten der Schalenmuskel gelb, grob querstreifig; die linke dunkler, stärker (Taf. I Fig. 24), 11 mm lang bei einem Durchmesser bis 3 mm. — Die hintere Eingeweidemasse theil- weise (rechts) gelb oder röthlichgelb (Geschlechtsdrüse); an der oberen Seite sowie an der hinteren und unteren gräulich (Leber), mit zer- streuten größeren und kleineren, pechschwarzen, mitunter fast zu- sammenfließenden Flecken ihres Überzuges (Fig. 24). Diese Masse, die meistens eine Breite von 19 bei einer Länge (von vorn nach hinten) von 11 und einer Höhe von 12 mm hatte, ist stark rechts und nach vorn hakenartig gebogen (Fig. 24 a); der Haken an der rechten Seite hoch, stark und schief abgeplattet, wie abgestutzt. Die Kiemenhöhle ist weit, aber niedrig, das Dach dünn; nur der (etwa 2,5—3.5 mm breite) Vorderrand (Fig. 24) dicker und mehr gelblich (Mantelgebräme); an dem Dache kommen auch hier und da schwarze Flecken und meistens gruppirte Strichelehen zerstreut vor. 14 R. Bergh Ganz links, unweit vom Hinterende des linken Schalenmuskels streckt sich vom hinteren Theile der oberen Wand der Höhle die Kieme schräg nach rechts durch die Höhle hervor. Die Kieme ist gelblich, ganz frei, flachliegend. langgestreckt, lancettartig: die Spitze meistens etwas ausgezogen: an beiden Rändern mit einem, nach hinten allmählich breiteren, die Gefäße enthaltenden Frenulum ver- sehen. von welchen das rechte etwas breiter: die Länge meistens 18—19 mm betragend. bei einer Breite der eigentlichen Kieme (ohne Frenula) von 3—4 mm: die Kieme zeigt an beiden Seiten dicht- stehende feine Blätter, die sich von den beiden Rändern gegen die zugespitzte Mitte allmählich etwas erheben. Links und hinter dem Grunde der Kieme schimmert das Pericardium durch. Längs des Hinterrandes der Kiemenhöhle verläuft das Rectum, von oben theil- weise durch die Niere und von unten zum Theil von der Schleim- drüse bedeckt. Unweit von der Kiemenspalte findet sich die Anal- öffnung. mehr nach links die Öffnung der Niere und nahe dem Anus, unterhalb desselben. die Öffnung des Schleimdrüsenganges (Taf. II Fig. 1 3). Die Auskleidung der unteren Eingeweidehöhle schwarz und schwarzgrau. Das Centralnervensystem (Taf. III Fig. 2) weißlich. Die cerebralen Ganglien ziemlich abgeplattet, gerundet-dreieckig, die Spitze nach unten und vorn kehrend (Fig. 2 aa. durch eine lange Kommissur, die wenigstens 4—5 mal so lang als der Querdurchmesser des Ganglions war (Fig. 2 4, verbunden: sie lagen an den Seiten des vorderen Theiles des Schlundkopfes. Das cerebrale Ganglion war durch zwei starke, fast gleich dicke und lange Connective mit der unteren Ganglienmasse verbunden (Fig. 2 de de). Die die eerebralen Ganglien verbindende lange Kommissur giebt keine Nerven ab (Fig. 2 4). Die Ganglien verlängern sich nach vorn und unten in einen kurzen labialen Fortsatz (Fig. 2), der nach innen sich in eine dünne, an den entsprechenden Fortsatz gehende ‘Fig. 2 c) labiale Kommissur fortsetzt, die jederseits an ihrem Grunde einen N. labialis abgiebt: nach oben giebt der Fortsatz das cerebro-buccale Conneetiv ab (Fig. 2 m). Von der Innenseite und vom Vorderrande des Ganglions gehen 5—6 Nerven, Nn. rostrales und Nn. labiales, an die Mundröhre und die Mundlippen ab: von der Außenseite der ziemlich starke, durch die ganze Länge des Fühlers aufsteigende N. tentacularis und der dünne N. opticus, ferner ein N. nuchalis. Die mit den cerebralen Ganglien durch die Die Titiscanien. 15 doppelten Connective verbundene, etwas abgeplattete untere Gan- glienmasse (Fig. 2 /gghi, Fig. 3) ist durch mehrere starke, über dieselbe quer hinstreichende Muskelbündel an die obere Seite des vordersten Theiles des Fußes befestigt. Die Masse ist an der oberen Seite flach, mitunter etwas konkav, fast central durehbohrt; der dicke Ring vorn von den viel dickeren und an der Unterseite vor- springenden pedalen, seitwärts von den pleuralen Ganglien (Fig. 2 gg, 3 5b) gebildet, nach hinten durch das Connectiv zwischen dem linken pleuralen und dem subintestinalen Ganglion geschlossen. Die pedalen Ganglien sind (Fig. 2 f, 3 a) ziemlich rundlich, an der Unterseite stärker vortretend, unmittelbar mit einander ver- bunden; ihre Unterseite verlängert sich in die, in ihrer größten Länge ganglionären pedalen Nervenstränge, die im oberen Lager des Fußes nach hinten verlaufen. Vom vorderen Theile der Ganglien gehen mehrere Nerven an die vordere Partie des Fußes ab: die pedalen Stränge (Fig. 3) geben in gewöhnlicher Weise nach außen und nach innen Nerven ab. Die pleuralen Ganglien sind (Fig. 2 gg, 3 bb), von oben gesehen, von etwa derselben Größe wie die pedalen; das rechte kaum größer als das linke; sie sind vorn mit den pe- dalen Ganglien verbunden, von denselben durch eine leichte Ein- kerbung geschieden; hinten sind die Ganglien durch das subintesti- nale Ganglion und durch das kurze flache, aber ziemlich breite Connectiy vom linken pleuralen an das subintestinale Ganglion ver- bunden. Von den pleuralen Ganglien gehen seitwärts 2—3 palliale Nerven ab, ferner je ein in seinen Schalenmuskel eindringender N. musculi cochlearis und noch 2—3 feine Nerven. Vom linken pleu- ralen Ganglion kann noch ein N. branchialis an und in den Grund der Kieme verfolgt werden. Am rechten Ende der quasi-interpleu- ralen Kommissur findet sich endlich in Verbindung mit beiden pleu- ralen Ganglien noch das rundliche subintestinale Ganglion (Fig. 2 2, 3 e), oft kaum halb so groß wie das pleurale und von demselben wenig abgeschnürt; es giebt einen ziemlich starken N. visceralis ab (Fig. 2 7, 3 d), der der rechten Seite der vorderen Eingeweidehöble folgt, unterhalb des Rectums verläuft und unweit von der, Nierenöffnung (rechts) ein kleines Ganglion viscerale bildet, das wahrscheinlich die nach hinten liegenden Organe ver- sorgt. Die buccalen Ganglien (Fig. 2 ») liegen dicht am Grunde des Pharynx, sind gestreckt-spindelförmig, winklig zu einander stehend, durch eine ganz kurze Kommissur verbunden; von der Gegend der Kommissur geht ein medianer Nerv, N. vaginae radu- 16 R. Bergh laris (Fig 4 a) an die Raspelscheide und zwei laterale, Nn. bulbi phar. postt., an den Hintertheil des Schlundkopfes ab; nach hinten ferner ein N. oesophagalis und nach vorn (außer dem absteigenden cerebro-bucealen Connectiv, Fig. 2 mm) 1—2 Nn. bulbi phar. antt.'. Die Augen wie bei verwandten Formen offen?. Die Ohr- blasen waren schon unter der Lupe als stark kalkweiße Punkte am Grunde der pedalen Ganglien sichtbar (Fig. 2, 3); ein dünner Nerv konnte an dieselben verfolgt werden. Sie waren in eine Scheibe eingeschlossen, deren Durchmesser kaum doppelt so groß wie der der Otoeysten war, und die Scheiben durch ein flaches Band ver- bunden ; der Durchmesser dieser Otocysten war beiläufig 0,2 mm, sie strotzten von ganz kleinen Otokonien von einem Durchmesser von 0,0035 —0,007 mm. Die Mundröhre weit, kurz, beiläufig 3—4 mm lang, weißlich oder gräulich: die Zunge ragte meistens stark in dieselbe ein. — Der Schlundkopf in eine lose anhängende, schwarze, braungraue und graue Hülle eingeschlossen; meistens etwa S—6 mm lang bei einer Breite bis 6—5,5 und einer Höhe bis 3,5—4,5 mm?. Die Form ist abgestutzt-eiförmig, etwas niedergedrückt, an der Mitte der oberen Seite etwas eingesenkt. Sehr zahlreiche und sehr starke Retraktoren heften sich am vorderen Theile des Schlundkopfes an. Der Pharynx findet sich ziemlich weit nach vorn. Nach Wegnahme der besonders nach hinten starken, dunklen (schwarzen) Hülle, die besonders längs der Speiseröhre, hinten und unten in der Mittellinie fest anhängt, zeigt sich der Schlundkopf hauptsächlich von der großen Zungenmasse gebildet. Dieselbe zeigt sich, von ihren starken Muskeln befreit, als wesentlich aus zwei langgestreckten Knorpel- massen von der Länge und Höhe des Schlundkopfes zusammenge- stellt. Die Knorpel sind vorn durch ein kielförmiges, ziemlich hohes 1 Bis auf weniger wesentliche Abweichungen sind die Verhältnisse des Centralnervensystems also wie von BOUVIER (I. c. pag. 46—54, 388. pl. 2 Fig. 6,7; pl. 3 Fig. 14) dargestellt. 2 Diese offenen Augen wurden bei rhipidoglossen Gastraeopoden erst von mir (bei Margarita) nachgewiesen (Vidensk. Meddel. fra den naturh. Foren. i Kjöbenhavn. 1866. pag. 110 Anm. Tab. IV A. Fig. 16, 17). Später sind diese » Molluskenaugen mit embryonalem Typus« von FrAısse mehr eingehend (Zeitschr. f. wiss. Zool. XXXV. 1881. pag. 461—476. Taf. XXV—XXVI) behandelt, sowie von CARRIERE (Die Sehorgane der Thiere. 1885. pag. S—12) und von HILGER (Beitr. z. Kenntn. d. Gastropodenauges. Morph. Jahrb. X. 1885. pag. 351—371 (356, 358, 367]). Taf. XVI, XVII. 3 Die angegebenen Maße beziehen sich überhaupt auf die größten Indi- viduen. Die Titiscanien. 17 Zwischenstück verbunden, sonst von einander frei. Jeder Knorpel besteht aus einem längeren vorderen und einem kleineren hinteren Stücke, die genau mit einander verbunden sind, aber von einander leicht lösbar. Das vordere Stück ist langgestreckt, an der Kante stehend, hinten ein wenig höher als vorn, mit scharfem Unter- und mehr gerundetem Oberrande, die Innenseite der Länge nach etwas ausgehöhlt, die Außenseite konvex; das Vorderende gerundet und schräg nach unten abfallend; das Hinterende abgestutzt, der Höhe nach etwas ausgeschweift: ein starker Kamm (für Muskelan- heftungen) zieht sich im vorderen Drittel außen längs des oberen Randes hin, hinten mit einem vorspringenden Höcker endigend. Dieses Knorpelstück ist kalkweiß an der Innenseite, an der Außen- seite grau, längs des erwähnten Kammes und am Rande der Facette des Hinterendes schwarz. Das hintere Knorpelstück hat etwa !/, der Größe des vorderen, ist dicker und kompakter, mit drei sehr aus- geprägten Facetten; die kleine vordere entspricht der Facette des vorderen Knorpels, ist kalkweiß, am Rande schwarz; die hintere äußere Facette ist die größte, stark konvex von oben nach unten, etwas weniger von außen nach innen, grau und schwarzfleckig mit schwarzem Rande; die innere Facette endlich ist etwas kleiner als die vorige, bildet wie eine Fortsetzung der Innenseite des vorderen Knorpels, ist weißlich und schwarzfleckig. Der kleine Verbindungs- knorpel zwischen den zwei großen Knorpeln ist oben breiter als unten, jederseits durch ein kurzes Band an diese befestigt; weiß- lich, nur hinten schwärzlich. Der Bau der Knorpel der gewöhnliche netzartige mit starken quergehenden Balken und eingestreuten Zel- len. Auf der gewöhnlichen oben zwischen den Knorpeln ausge- spannten Tragmembran findet sich dann die wegen der Zahnplatten bräunlich-horngelbe, schillernde, 3—4 mm lange und 3 mm breite Raspel, die bei vier untersuchten Individuen 16—26 Zahnplatten- reihen enthielt, von welchen die 2—5 vordersten meistens auf den größten Theil des Außenplattenkammes reducirt. Die hinten zu- sammengebogene Raspel (Taf. I Fig. 25 a) schließt mit dem Raspel- dache ab; dasselbe ist kielartig, am Vorderende abgeplattet, mit- unter an der oberen Seite mit einem kleinen zungenartigen Vorsprung. Die hier anfangende Raspelscheide ist sehr lang, im Ganzen bei den erwähnten, fast gleichgroßen Individuen an Länge 5—6 cm messend; die vordere Hälfte der Scheide braungelb (Fig. 25 4), die hintere gelblichweiß (Fig. 25 c); sie ist in eine, hier und da, be- sonders hinten, schwarze Scheide gehüllt; der Diam. derselben Morpholog. Jahrbuch. 16. 2 18 R. Bergh durchgehends beiläufig 1,2 mm betragend. Die Raspelscheide er- streckt sich, erst vom Magen umschlossen, dann in Furehen an und zwischen den Gedärmen und an der gelben Fußdrüse an der oberen und linken Seite der unteren Eingeweidemasse weit nach hinten, wieder in Biegungen weit nach vorn (Fig. 25 , biegt dann (gelblich- weiß) wieder nach hinten und verläuft meistens unter den vorigen braungelben) Windungen, bis an das Hinterende der unteren Einge- weidehöhle, wo die Scheide sich in einen kohlsehwarzen, nicht ganz dünnen, 5—6 mm langen Strang (Fig. 25 d, 26 a fortsetzt, der an der Scheide anliegend, sich mit dieser in der Ecke unter dem Leber- gange befestigt. In der Raspelscheide kamen bei den vier unter- suchten Individuen 230—270 Zahnplattenreihen vor. von welchen wenigstens die fünf hinteren noch nicht ganz entwickelt!. Die hell gelblichen medianen Platten (Taf. II Fig. 17 a, 19) hinten an der Zunge etwa 0,16 mm lang, in der vorderen Hälfte verdiekt. Die folgende breite dünne Zwischenplatte (Fig. 17 4) etwas dunkler, noch mehr die zwei kleinen Stützplatten (Taf. II Fig. 18 a: Taf. II Fig. 5). Die großen Seitenplatten (Taf. I Fig. 27: Taf. II Fig. 18 3) stark gelb, mit breitem umgeschlagenem Haken, fast 0,5 mm breit (Fig. 18 4). Dicht an diese letzte Platte schließt sich die lange, gebogene kammartige Reihe von Außenplatten. Die Anzahl der Glieder derselben ist bedeutend, meistens etwa 120—130 betragend. Die Platten sind im inneren Viertel der Reihen gelb, die übrigen gelblich und schließlich fast oder ganz farblos. Die innersten (Taf. III Fig. 7, 8) (meistens 5—6) dieser Platten nur etwa 0,16—0.2 mm hoch, die Höhe bis zu 0,4 mm steigend, sich dann ziemlich erhaltend und nur im äußersten Theile der Reihen sich bis etwa 0,03 mm senkend. Die innersten 35—40 Platten stark zusammengedriickt, aber in einem einfachen löffelartigen Haken umgebogen (Taf. II Fig. 20, 21): der größte Theil der Platten ist aber viel schlanker, ihr Löffel viel kleiner, mehr rechtwinklig umgebogen. meistens mit 10—12 ganz feinen spitzen Dentikeln: weiter nach außen wird der Löffel zu 1 Die Zungenbewaffnung von Nerita peloronta ist in den grübsten Zügen schon von TROSCHEL (Das Gebiss der Schnecken. II. 1875. pag. 189—190. Taf. XVII Fig. 4) und von Gray (Guide. I. 1857. pag. 136. Fig. 70) darge- stellt, bei dem letzteren besonders schlecht. Wahrscheinlich gehört hierhin auch die von EBERHARD (Programm der herzogl. Realschule zu Koburg. I. Über die Schneckenzungen. 1865. pag. 15. Taf. IV Fig. 75) gelieferte Abbildung, die doch weit besser als die von TROSCHEL ist; die Zahl der Zahnplattenreihen von N. peloronta wird hier zu 248 angegeben. Die Titiscanien. 19 einem umgebogenen, allmählich fast verschwindend fein dentikulirten Rand reducirt (Taf. III Fig. 6). In der Raspelpulpa die gewöhnlichen großen odontogenen Zellen. Besondere Speicheldrüsen scheinen den Magen und den Darm eine lange Strecke zu begleiten. In der linken Seite der unteren Eingeweidehöhle, fast 1/, der- selben aufnehmend, und sich durch einen großen Theil derselben erstreckend, längs des Schlundkopfes sich an die Mundröhre deh- nend, liegt eine große, innerhalb ihrer schwärzlichen Hülle weiß- lichgelbe Drüsenmasse, die Gland. pediaea. Dieselbe ist länglich, von unregelmäßiger Form, mehr oder weniger zusammengedrückt, von tiefen Furchen für die Raspelscheide und die Windungen des Darmes ausgepflügt. Ihre Länge betrug 9—13 mm, bei einer Höhe von 4—5 und einer Breite von 3-—8 mm, fast immer war die Drüse nach vorn dünner; sie zeigte an der Oberfläche oft Furchen, die eine Auffassung des Organs als ein dickes, aufgerolltes Rohr fast erlauben könnten; die Drüse schien kompakt, nur vorn mit einer kleinen Höhle. Sie mündet durch einen kurzen und dieken Gang (dieht hinter dem linken pleuralen Ganglion) in eine mediane Grube, die sich in einen engen Kanal fortsetzt, weleher sich wahrschein- lich vorn an der Fußsohle öffnet!, Der Pharynx findet sich vorn am Schlundkopfe, ist nach vorn etwas halbmondartig erweitert, am Rande gekräuselt, mehr gelb- lich, sonst wie die übrige Speiseröhre schwarz. Diese letztere ist an die obere Seite des Schlundkopfes angeheftet, an dessen Hinter- ende sie sich in einen von vorn nach hinten ziemlich kurzen (2,5— 3,5 mm langen) Sack erweitert, der auf der Raspelscheide reitet und dieselbe fast ringartig umfasst, indem er sich dem Hinterende des Schlundkopfes innig anschmiegt. Dieser Magen ist wie der ganze folgende Theil des Verdauungskanals schwarz; die Innenseite zeigt starke Längsfalten. Median oder mehr links geht vom Magen der Darm (an der linken Seite der Raspelscheide) aus, der, erst ein paar Schlingen bildend, sich bis an die Leber erstreckt, da den von der oberen Eingeweidemasse kommenden Gallengang aufnimmt, wie- der nach vom bis an den Magen geht, nach hinten umbiegt, längs des linken Schalenmuskels bis an die Gegend des Pericardiums ver- läuft, hier die schwarze Hülle mit einer grauen vertauscht, den vor- deren Theil der Herzkammer durchbohrt und sich, in der folgenden ! Mit der Verdauungshöhle schien die Drüse absolut in keiner Verbindung zu stehen. 2* 20 R. Bergh Strecke meistens von keiner pigmentirten Hille eingeschlossen, rechts biegt und nun weiter gegen rechts und vorn, längs der oberen Seite des Schleimdrüsenganges, an der unteren der Nierenverlängerung, längs des rechten Schalenmuskels verläuft und sich nicht weit von der rechten Ecke der Kiemenhöhle etwas verengert öffnet. Das Anal- ende 1—1,5 mm frei hervortretend, mitunter schwiirzlich; der Anus mit einem vortretenden Lappen (Taf. III Fig. 1 a oder mit vier kleinen gerundeten Lappen, zwei hinteren und zwei kleineren vorderen. Die Hüllen der in der unteren Eingeweidehöhle liegenden Darmwindun- gen sind durch kurze schwarze Bindesubstanz an einander geheftet, daher schwer von einander zu lösen. Die ganze Länge des Darmes vom Pharynx bis an die Analöffnung schien beiläufig 6—7 em zu betragen bei einem Durchmesser von meistens 4—2 mm; an der Innenseite des Darmes feine Längsfalten. — Der Inhalt der Ver- dauungshöhle war unbestimmbare thierische Masse; die vordere Hälfte derselben fast immer leer, die hintere vollgestopft. Die Leber bildet fast den größten Theil der oberen Eingeweide- masse, aber nur an der unteren und hinteren und an den unteren Theil der vorderen Seite an die Oberfläche der Masse reichend: an Schnitten zeigt ihre Farbe sich hell grünlich oder schwach grünlich gelb. Das Organ enthält kommunicirende größere und kleinere Hohl- räume, besonders einen größeren ganz vorn und unten, welcher (Gallengang) durch eine runde Öffnung mit dem Darme kommuni- eirt. In der Substanz der Leber zahlreiche größere und kleine, kalkartige, drusenartige Körperchen, von Krystallen gebildet, die mit Säuren nur wenig brausten. Das Pericardium weit ‘von 9 mm größten Diam.), an der Wand derselben konnte keine Nierenöffnung gesehen werden. Das Herz groß; die Vorkammer (Taf. III Fig. 9 5) so lang wie die Kammer, dünnwandig, an allen (5) untersuchten Individuen an der einen Seite höckerartig vortretend; die Kammer (Fig. 9 ec) etwa 4 mm lang, ihr vorderster Theil von dem Darme (Fig. 9 aa) durch- bohrt. Am vorderen Ende der Kammer und an derselben be- festigt fand sich jederseits die weißliche Pericardialdrüse, eine vordere (rechte) größere, von einem größten Durchmesser von einem vollen Millimeter (Taf. I Fig. 28), unregelmäßig halbmondförmig. und eine ganz kleine hintere (linke). Vielleicht kamen verwandte drüsen- artige Bildungen am Vorhofe vor. — An Querschnitten des Fußes zeigt sich, zum Theil zwischen den pedalen Gangliensträngen ver- laufend. eine ziemlich weite Vena pediaea. Die Titiscanien. 21 Die gelbliche Niere den ersten Theil des vom Pericardium umbiegenden Darmes von oben und vorn deckend, mit dem Unter- rande an die Schleimdrüse stoßend, mit dem oberen hinteren an die Geschlechtsdrüse; der blättrige Bau meistens durchschimmernd. Die wahrscheinlich vorhandene Öffnung in die pericardiale Höhle konnte nicht nachgewiesen werden, dagegen rechts, unweit vom Grunde der Kieme, eine spaltenartige Öffnung. Die untersuchten Individuen schienen alle (5) Weibchen zu sein. Der Eierstock (Taf. I Fig. 24 a) deckte mit einem 2—3 mm dicken, gelblichen, gelblichweißen oder selten röthlichen Lager den oberen und rechten Theil der Leber. Das Organ aus senkrecht stehenden, fast eylindrischen, sich meistens zu zwei verbindenden Läppchen (Taf. III Fig. 10) gebildet, daher an der Oberfläche ganz feinkörnig. Die Läppchen meistens mit unentwickelten Geschlechts- elementen, nur bei einem Individuum mit großen Eierzellen. Die feinen weißen Ausführungsgänge der Liippchen sich nach und nach vereinigend und an der Oberfläche der Leber kriechend. An der Vorderseite der Leber und des Eierstockes lehnend liegt eine sehr große gelbliche Drüse, die Schleim- und Eiweißdrüse (2), vorn theilweise vom Pericardium gedeckt. Das Organ ist zun- genformig, 10—11 mm lang bei einer Höhe von 5—5,5 und einer Dicke von 4—4,5 mm, etwas gebogen, mit etwas konkaver Vorder- seite, oben schief abgeplattet, mit ziemlich tiefer Furche für den querlaufenden Darm; der untere Rand ziemlich scharf; an der vor- deren Fläche, besonders unten, schräg und senkrecht oberflächlich gefurcht, meistens etwas körnig in der Oberfläche. Das Organ enthielt kaum eine Höhle. Nach rechts ein wenig verschmälert geht das Organ in seinen langen Ausführungsgang über, der, Anfangs allmäh- lich etwas verjüngt, längs der Unterseite des Darmes bis an den Anus verläuft, von wo ab er sich noch als eine der Länge nach ge- spaltene Röhre eine kurze Strecke fortsetzt (Taf. IH Fig. 14). Die Länge dieses Ganges, welcher sich ziemlich leicht von dem Darme lösen ließ, betrug beiläufig 10—12 mm bei einem Durchmesser von 0,75—0,5 mm. Die Höhle des Ganges war immer leer; nur dicht an seinem Grunde (?) oder in der Schleimdrüse selbst (?) kamen bei zwei Individuen 2—5 weiße oder gelbweiße, S—10 mm lange, spin- delförmige, in dem einen Ende fadenartig ausgezogene, nicht ganz dünnwandige Spermatophoren (Taf. III Fig. 11) vor, von langen Spermatozoen vollgepackt. Kurz vor dem Übergange der Schleim- drüse in ihren Ausführungsgang liegt an ihrer Vorderseite ein etwas 29 R. Bergh zusammengedrücktes, rundliches oder dreieckig rundliches, schwar- zes oder schwarzgrünliches Organ von einem größten Durch- messer von 5—6 mm. Das Organ zeigte sich als ein endloses Ge- wirr eines unendlich gewundenen dünnen Fadens von einem Durch- messer von 0,02—0,04 mm, leer und von schwarzer Farbe. Nur bei einem Individuum (mit Spermatophoren) war der Faden weißlich, ein wenig dicker, zeigte eine sehr schöne Epithelauskleidung und war mit Zoospermen gefüllt. Nach unten wurde der Faden dicker, machte zahlreiche Schlingen und schien, noch etwas dieker geworden, an den Unterrand der Schleimdrüse hinabzusteigen. — Weiter rechts, am Anfange des Ausführungsganges, fand sich immer ein gegen rechts winklig gebogenes gelbliches Rohr und mehr nach innen ein parallel laufendes dickeres. Bei dem vorliegenden Materiale konn- ten die ganz unklaren Verhältnisse dieser Theile nicht genauer eruirt werden !. Neritella pulligera (L., Lamarck). Taf. III Fig. 12. Unter den mir im Jahre 1859 von Semper aus dem philippini- schen Meere geschickten Nudibranchien fand sich zufällig und ohne Schale das Thier einer Neritace, aber mit noch anhängendem Deckel von einem größten Durchmesser von 16 mm; dem zufolge war das Thier eine N. pulligera oder eine mit dieser wenigstens sehr ver- wandte Art. Die Formverhältnisse des Thieres schienen fast dieselben wie bei der Nerita peloronta. Der Vorderrand des Kopfes schwarz, eben so der ganze Fuß, das Genick schwarz gesprenkelt. 1 Quoy und GAIMARD haben (1. c. pag. 179—180), wie erwähnt, Notizen zur Anatomie einer Nerita (vielleicht der N. albieilla, Lmk.) geliefert, sie em- pfehlen aber ausdrücklich die Nothwendigkeit einer Nachuntersuchung der Ver- hältnisse des Genitalsystems. Sie scheinen männliche Individuen unter- sucht zu haben, deren Samenleiter sich bis zu einer Länge von 2 Fuß ausrollen ließ (s. oben}, und sie scheinen denselben bis an den kurzen Penis am Grunde des rechten Tentakels verfolgt zu haben. Bei den weiblichen Individuen haben sie die Schleimdrüse gesehen (pl. 65 Fig. 32 h, 36 5), in deren Höhle (s. oben) fanden sie »plusieurs corps en massue allongée finissants en filaments, — résistants, comme fibreux et paraissant grenus a la loupe« (Fig. 37, 35); ferner beschrieben die französischen Verf. einen Uterus (Fig. 32 i, 36 ec) und einen an denselben gehefteten »renflement« mit »runden, weißen, kalkartigen Eiern« (Fig. 32 n, 36 e); der Oviduct soll dick, lang und geschlängelt sein (Fig. 32 en, 36 9). Die Verf. erwähnen und bilden ferner zwei große Speichel- drüsen ab! Die Titiscanien. 23 Das Centralnervensystem sowie die Augen und die Otocysten wie in der vorigen Thierform. Im vorderen Theil des Fußes eine starke Drüse. Der Rand des Außenmundes schwarz; jederseits in der kaum 2 mm langen Mundröhre ein schwarzer Fleck. — Der gelbliche Schlundkopf, nach vorn etwas verschmälert, 7 mm lang bei einer Breite hinten von 6 und bei einer fast durchgehenden Höhe von 4 mm: die Form und der Bau wie oben. Die Zungenknorpel ganz wie oben, jeder auch aus einem größeren vorderen und einem klei- neren hinteren Stück bestehend, aber ohne schwarzes Pigment. Die langen Knorpelstücke ganz kalkweiß, nur an der Spitze rosa- röthlich. Der kleine Zwischenknorpel länger als in der vorigen Form. Die Raspel stark gelb, 3,5 mm lang, gegen den sonstigen weißen Zungenüberzug stark kontrastirend; mit ihren (bewahrten) Randpartien auch die Ränder der Unterseite der Zunge deckend. In der Raspel im Ganzen 34 Zahnplattenreihen, von welchen die 12 vordersten inkomplet (die 5 vordersten bis auf ein Stück der Außenplattenreihen reducirt); die Raspel und die Raspelscheide zu- sammen 2,5 cm lang; die Raspelscheide beiläufig wie oben ver- laufend, in den zwei vorderen Dritteln horngelb, im hinteren weiß- lich. Die Zahl der Zahnplattenreihen im Ganzen beiläufig 185, von welchen die etwa 35 hinteren ganz blass oder fast farblos. In Formverhältnissen stimmten die Platten im Ganzen mit denen der vorigen Art, doch waren sie von denselben leicht unterscheidbar. Die Breite der medianen Platten 0,11 mm betragend, die der Zwi- schenplatten 0,43 mm; die Länge der zwei Stützplatten 0,11 und 0,13 mm; die großen Seitenplatten 0,3 mm breit, die Höhe der Außenplatten bis 0,37 mm. Speicheldrüsen wurden nicht mit Sicherheit gesehen. Die oben erwähnte mächtige Fußdrüse schien zu fehlen. Die Speiseröhre wie oben, eben so der Magen, der oben in derselben Weise sich an das Hinterende des Schlundkopfes schmiegte und die Wurzel der Raspelscheide umfasste. Der weißliche Darm lang, nach Ausrollen seiner Schlingen beiläufig 2,5 em messend bei einem Durchmesser von 1—2 mm; ganz hinten, dicht vor der Leber, eine Erweiterung von beiläufig 7 mm Länge und 3 mm Breite bil- dend, in welche sich die Leber durch eine weite Gallenöffnung öffnet. Die letzte Strecke des Darmes ganz wie oben verlaufend. — Der Inhalt der Verdauungshöhle unbestimmbare thierische Masse, mit feinen Sandkörnern vermischt. 24 R. Bergh Die Leber an der Vorderseite gräulichweiß und schwarz mar- morirt. Die braungraue Kieme 13 mm lang bei einer Breite des eigent- lichen Organs von 4 mm; die Frenula wie oben. — Das Pericar- dium und das Herz wie oben. Am vorderen Ende der Kammer kam jederseits eine kleine, etwa 0,75 mm lange weißliche, abgeplattete Perieardialdrüse vor, an der Aortawurzel befestigt'. — Die schmutziggelbe Niere, wie es schien, wie oben. Der röthlichgelbe Eierstock beiläufig wie oben; in den Läpp- chen große Eierzellen. — Die Schleimdrüse mit einer Höhle von S mm größtem Durchmesser; durch die Wand derselben schimmerten die gelblichen Spermatophoren (Fig. 12); dieselben (in Allem 13) er- reichten eine Länge bis 3 em bei einem Durchmesser bis 1 mm; vorn spindelförmig, im einen Ende ein wenig spitzer (Fig. 12 a als im anderen, mit dicker, fester, gelber Cutieula, von etwas ungleicher Größe: sie lagen aufgerollt oder verschiedenartig gebogen. Erklärung der Abbildungen. Tafel I. Titiscania limacina Bgh. Fig. 1. Das lebende Thier, nach einer Figur von SEMPER. Nebenbei Maß der natürlichen Größe. Fig. 2. Vorderende des Thieres, von der Unterseite. Vorn Kiemenspalte mit zurückgezogener Kieme, dann Tentakeln, Außenmund und Fußsohle. Fig. 3. Tentakel mit Auge. Fig. 4. Von einem weiblichen Individuum und von der Seite; a Analröhre, b Ausführungsgang der Schleimdrüse. Fig. 5. a Analröhre, 5 Schleimdrüsengang (eines anderen Individuums); mit Cam. gezeichnet (Vergr. 100). Fig. 6. Analpapille. Fig Ai Öffnung der Niere in die Kiemenhöhle. 1 Eine Pericardialdriise scheint bei verschiedenen, von den Neritaceen nieht zu weit abstehenden, Formen, Turbo, Trochus, Haliotis, Parmophorus, Fissurella vorzukommen. Vgl. GROBBEN, Die Pericardialdrüse der Lamelli- branchiaten und Gasteropoden. Zool. Anza 1886. Nr. 225. Fig. Rat. o Die Titiscanien. 25 Centralnervensystem, mit Cam. luc. gezeichnet (Vergr. 55); @ Ganglia cerebralia, 5 intercerebrale Kommissur, c labiale Kommissur; dd pe- dale Ganglien, sich in die gg-Pedalstriinge auf der Unterseite fort- setzend; ee pleurale Ganglien, f subintestinales Ganglion, A N. vis- ceralis. Buccale Ganglien, mit Cam. gezeichnet (Vergr. 55). Otocyste, mit Cam. gezeichnet (Vergr. 350); a N. acusticus, vom Ge- hirnknoten hinabsteigend (vgl. Fig. 8). Schlundkopfknorpel, von der Außenseite; a Vorderende. Derselbe, von der Innenseite; a vorderes, 6 hinteres Stück. Das hintere Stiick, von der Hinterseite. Fig. 11—13 mit Cam. gezeichnet (Vergr. 55). Raspel, mit Cam. gezeichnet (Vergr. 100); a vorderste inkomplete Reihen, 5 hinterste am Eintreten der Raspel in ihre Scheide unter- halb des Raspeldaches. Die zwei innersten Stiitzplatten; a innerste. Drei ‘innerste Zahnplatten zweier Reihen ; a innerste, 5 äußerste Stütz- platten; e Seitenplatten. Seitenplatte, flach liegend. Die innerste der Außenplatten. Eines der innersten Elemente der Außenplattenreihen. Platte aus der Außenplattenreihe. Fig. 15—20 mit Cam. gezeichnet (Vergr. 350). Ähnlich wie Fig. 20. Abnorme Zahnplatte. Obere Hälfte einer abnormen Zahnplatte. Fig. 21—23 mit Cam. gezeichnet (Vergr. 750). Nerita peloronta Bis Das (in Alkohol bewahrte) aus der Schale herausgezogene (kontrahirte) Thier, von oben; a rechtes Ende des Hinterkörpers (Geschlechtsdrüse). Durch das Dach der Kiemenhöhle schimmert der ganz zuriickgebogene Vorderkörper. a Raspel; 5 braungelber Theil der Raspelscheide, ce gelblichweißer Theil; d schwarzer Strang am Hinterende der Scheide. Hinterende der Scheide mit Strang, stärker vergrößert. Eine Seitenplatte linker Seite, von hinten; mit Cam. gezeichnet (Vergr. 100). Pericardialdrüse, an « Herzkammer befestigt. Tafel II. Titiscania limacina Bgh. Äußeres Ende der Seitenplattenreihe. Einzelne Platten derselben. Eine einzelne Platte derselben. Fig. 1—3 mit Cam. gezeichnet (Vergr. 350). Durch Verschmelzung entstandene Platte. Äußerste Platte der Reihe. Fig. 4—5 mit Cam. gezeichnet (Vergr. 750). Verdauungskanal; a Mundröhre mit Retraktoren, 5 Schlundkopf; 26 Fig. Fig. Fig. IV . R. Bergh, Die Titiscanien. ce Raspelscheide, d Endstrang derselben; e Buccaldrüse, f Speise- röhre, g Magen, A Darm. a Speiseröhre, 5 Magen, cece Darm. Die Leber nach Wegnahme des Magens; «a freier Lappen ‘yon oben). a Speiseröhre, b Magen, ce Darm, d hinter dem Magen liegende Leber, ee Hoden (Männchen). aa Kieme, b Rectum, c freie Analpapille, d zwischen Kieme und Ree- tum liegende Samenblasen (?), e freier Schleimdrüsengang, f rechte Ecke der Kiemenhihle; mit Cam. gezeichnet (Vergr. 55). Senkrechter Durchschnitt des Hodens. Senkrechter Durchschnitt des Eierstockes. Läppchen des Hodens, mit Cam. gezeichnet (Vergr. 55). Schleimdrüse, von oben; a Ausführungsgang (?). Dieselbe, von der rechten Seite; a wie oben. Dieselbe, von der unteren Seite. Nerita peloronta L. a mediane Platte, 5 Zwischenplatte, linker Seite; von oben.- a innere Stützplatte, 5 Seitenplatte, rechter Seite; von oben. Fig. 17—18 mit Cam. gezeichnet (Vergr. 100). Mittelzahnplatte, von oben. Seitenplatte, von der Seite. Spitze einer Seitenplatte, von der Fläche. Fig. 20—21 mit Cam. gezeichnet (Vergr. 350). Tafel III. Nerita peloronta L. a Rectalende des Darmes, 5 Schleimdrüsengang. Centralnervensystem; aa cerebrale Ganglien mit labialem Fortsatz, b intercerebrale Kommissur, ce labiale Kommissur; dd cerebro-pedale Connective, ee cerebro-pleurale Connective; f pedale Ganglien mit ihren Fortsiitzen AA den pedalen Strängen; gg pleurale Ganglien, h pleuro-subintestinales Connectiv; 2 subintestinales Ganglion, / N. visceralis magnus; mm cerebro-buccale Connective, » buccale Ganglien. Pedo-pleurale Ganglienmasse, von der Unterseite (Vergr. 55); a pe- dale Ganglien mit Ursprung der Pedalstränge; hinter denselben 55 die pleuralen Ganglien, die Otocysten, das pleuro-subintestinale Con- nectiv, ¢ das subintestinale Ganglion, d N. visceralis magnus. Die buccalen Ganglien, mit Cam. gezeichnet (Vergr. 55); « N. vaginae radularis. a innere, 5 äußere Stiitzplatte. Die Seitenplatten, von der Fläche. Eine der inneren Seitenplatten, von der Seite. Eine andere der inneren Seitenplatten. Fig. 5—8 mit Cam. gezeichnet (Vergr. 350). aa Darm; 6 Vorkammer, ce Kammer des Herzens. Läppchen des Eierstockes. Spermatophor. Nerita pulligera L. Spermatophor; a spitzeres Ende. en Morpholog. Jahrb. Bd XV. a's ’ R.Bergh gez. > Verlag v.Wilh. Engelmann ın I er, WE Morpholog. Jahrb. Bo XV. | = Verlag w Wilh, Engelmann in Teig. n Aue == Morpholog. Jahrb. Ba. XV. R.Bergh ger. Verlag v.Wilh. Engelmann inl er nn ae el = ’ = i aa | Morpholog. Jahrb. Bd. AV. 5 = Tatil — A toroholog. Jahrb. Bd. XV. a Bergh gez. Verlag v. Wilh. Engelmann in Leipzig. f Moroholog. Jahrb. Bd. XV. x 8 Verlag Wilh. Engelmann sy [eipag. Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. Von Dr. med. Carl Röse. Mit Tafel IV und V. Als ich im Anfange vorigen Jahres über die Entwicklung des Säugethierherzens arbeitete, kam mir der Plan, ausgedehntere ver- gleichend-anatomische Studien über die phylogenetische Entwick- lung des Herzens der Vertebraten anzustellen. Es mangelte mir in Heidelberg sowohl an Zeit als an Material. Letzteres wurde mir nun im zoologischen Institute zu München von Herrn Prof. RICHARD HERTWIG in der ausgedehntesten und liberalsten Weise zur Ver- fügung gestellt, so dass ich nicht umhin kann, genanntem Herrn hiermit öffentlich meinen Dank auszusprechen! — — — — Aufgabe dieser Arbeit wird es sein, darzuthun, in wie weit sich die einzelnen Entwicklungsstadien des Säugerherzens auf Herzzu- stände niederer Vertebraten zurückführen lassen. Wir werden da- bei erkennen, dass sich auch hier das biogenetische Grund- gesetz glänzend bestätigt. — Bei der weiten Ausdehnung vorliegenden Themas besteht über die einzelnen Theile desselben eine ausgedehnte Litteratur. Zur Zeit, als ich meine Untersuchungen begann, geschah dies ohne Kenntnis jener Litteratur. Erst nachträglich gelang es mir einen Überblick über dieselbe zu erhalten; und da fand sich denn besonders bei älteren Schriftstellern, wie JOHANNES MÜLLER, STANNIUS u. A. manche 28 Carl Röse treffende Bemerkung, manche schöne Entdeckung, die ich bestäti- gen konnte. Das Gleiche gilt von der Monographie SABATIER's. Es ist sehr leicht möglich, dass hier und da noch manche versteckte Angabe von mir übersehen wurde, was man dem Angeführten zu- folge leicht entschuldigen wird. In Folge des überreichen Stoffes habe ich es unterlassen, eine zusammenhängende historische Übersicht zu geben, welche doch nur mangelhaft ausgefallen wäre, sondern habe die Autoren an den diesbezüglichen Stellen des Textes erwähnt. Als meine Unter- suchungen schon fast beendet waren, erschien die Arbeit von GAscu: »Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Vögel und Reptilien«. Verfasser bietet in Übereinstimmung mit meinen Unter- suchungen sehr viele schöne Einzelresultate. Da die Arbeit jedoch überall auf His recurrirt, so muss ein großer Theil derselben als verfehlt betrachtet werden, weil ja Hıs bekanntlich, wie durch die Arbeiten von Born und mir nachgewiesen wurde, in vielen Punkten zu falschen Resultaten gekommen ist. Was die Behandlung des Stoffes betrifft, so habe ich die ein- zelnen Herzabschnitte im Zusammenhange dargestellt und zwar 1) Sinus venosus, 2) Lungenvenen und Septum atriorum, 3) Atrioventrieularklappen und Septum ventriculorum. Was den Truncus arteriosus betrifft, so liegen über dies Thema von RATHKE, Boas u. A. so ausgezeichnete Arbeiten vor, dass ich es füglich unterlassen konnte, näher darauf einzugehen. — Bezüglich der Orientirung möchte ich bemerken, dass ich mir das Herz eben so wie in meinen früheren Arbeiten stets aufgerichtet denke, die Spitze der Ventrikel nach unten, die Basis mit den Vor- höfen nach oben, den Sinus venosus hinten, die ventrale Fläche und der Ursprung der arteriellen Gefäße vorn. Was das Material anbetrifft. welches ich zu meinen Unter- suchungen verwendet habe, so standen mir meist in Alkohol kon- servirte Thiere und die Eingeweide derselben zur Verfügung. Bei denen, welche ich lebend erhalten konnte, wurde das Herz mit Chromsäure oder Alkohol von einer Vene aus injieirt und sodann herauspriiparirt. Von verschiedenen Gattungen standen mir auch Embryonen zur Verfügung, deren Herzen entweder mit der Lupe untersucht oder in Schnittserien zerlegt wurden. Folgende Vertebraten dienten mir als Untersuchungsobjekte: ww DD u aur wn, — Pon = Nm See Beiträge zur vergleichenden Anatomie A. Leptocardii. . Amphioxus lanceolatus. B. Pisces. I. Cyelostomi. Ammocoetes branchialis. Petromyzon marinus. II. Selachii. Acanthias vulgaris. Seyllium eapense. Seyllium canicula (Embryo). III. Ganoidei. Lepidosteus platystomus. Lepidosteus huronensis. Polypterus bichir. Amia calva (2 Exemplare). IV. Teleostei. Tetrodon Physa. Conger vulgaris. Pimelodus Catus. Cyprinus carpio. Coregonus Wartmanni. Salmo fario. V. Dipnoi. . Ceratodus Forsteri (isolirtes, schlaf- fes Herz). Protopterus annectens (2 Exemplare). C. Amphibia. I. Urodela. Siredon pisciformis (Larve). . Proteus anguineus. Sieboldia maxima (Cryptobranchus japonicus). Triton cristatus. . Salamandra maculata (Larve). Il. Batrachia. Rana temporaria. Rana Gigas. Pipa americana. . Bufo vulgaris. . Pseudobufo subasper. . Hyla arborea. ore wo Ww = me ww PON nw des Herzens der Wirbelthiere. 29 D. Reptilia. I. Ophidia. Boa constrictor. ‘Tropidonotus natrix. Coluber Aesculapii. Naja haje. Pelias berus (Embryo). U: Sa ri i Hatteria punctata. Chamaeleo senegalensis. Trachisaurus rugosus. Cylodus Boddaertii. Lacerta agilis. Lacerta muralis. Varanus Bellii. III. Chelonia. Chelonia Midas. Emys europaea. Podicnemys expansa (Embryo). Terrapene clausa (Cistudo Carolina). IV. Crocodilia. . Crocodilus vulgaris (3 Exemplare). E. Aves. I. Cursores. . Rhea americana. Il. Natatores. Anser vulgaris. III. Grallatores. Oxydromus australis. IV. Gallinacei. Pullus domesticus. Tetrao medius. Chionis alba. Megacephalon Maleo. V. Columbinae. . Columba domestica. Didunculus strigirostris. VI. Passeres. . Ploceus textor. Corvus monedula. 30 lp Carl Rise VIL. Raptatores. Buteo vulgaris. F. Mammalia. I. Monotre mata. Echidna hystrix. Ornithorhynchus paradoxus (2 Exem- plare). II. Marsupialia. Thylacinus cynocephalus. . Phascolomys Wombat. 3. Didelphys Opossum (Embryonen). — we . Erinaceus europaeus c. Ruminantia. Moschus javanicus. Ovis aries (Embryonen). Bos taurus (Embryonen). d. Rodentia. Lepus cuniculus (Embryonen). Mus rattus (Embronen). e. Insectivora. Embryonen). Talpa europaea (Embryonen). f. Carnivora. III. Placentalia 1. Felis domestica (Embryonen). a. Edentata. g. Chiroptera. Dasypus setosus. 1. Pteropus poliocephalus. Bradypus tridactylus. 2. Myotus murinus (Embryonen). Myrmecophaga jubata (Fötus). h. Prosimiae. Manis Gigas (Fötus). Dasypus novemeinetus (jung). 1. 6. Bradypus didactylus (Fötus. vun = Stenops gracilis. i. Primates. b. Pachydermata. 1. Satyrus Orang. 1. Sus scrofa (Embryonen). 2. Homo sapiens (Embryonen), Es lässt sich gegenwärtig nicht mit voller Sicherheit feststellen, in welcher Weise sich zuerst bei den Vertebraten ein eigentliches Herz als Hauptmotor im Gefäßapparat entwickelt hat, da zwischen den Leptocardiern und den Petromyzonten keine Zwischenstufen existiren. Befragen wir die Entwicklungsgeschichte. so legt sich bei Em- bryonen von Fischen und Amphibien nach den Untersuchungen ÖELLACHER'S und Rasw’s das Herz als unpaares Gebilde an, wel- ches sehr bald $-förmig gekrümmt erscheint. Die paarige Anlage des Herzens, wie sie sich bei den Amnioten findet, ist bekanntlich eine sekundäre, von der Entwicklung des Eidotters abzuleitende Erscheinung. — Die beiden Schenkel des $-förmig gekrümmten Herz- schlauches liegen nicht in einer Ebene, sondern der venöse Schenkel ist bei allen Vertebratenembryonen stets mehr nach hinten gelegen als der arterielle. Damit ist die nun folgende Verschränkung der Herzschleife an- gebahnt, welche darin besteht, dass die Anfangs schwach gekrümmte S-Form gleichsam in einander geschoben und stark verkürzt wird. Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 31 Zugleich wird durch vermindertes Wachsthum die Mitte des Schlauches zu dem sogenannten Ohrkanale, welcher die erste Differenzirung im Herzen darstellt, nämlich die Abgrenzung des bisher einheitlichen Herzschlauches in einen venösen und einen arteriellen Theil. Die Verschränkung der Herzschleife findet statt um den gleichsam fixen Punkt des Ohrkanals. Der venöse Herztheil kommt somit nach hinten, der arterielle nach vorn zu liegen: beide debnen sich zu stark erweiterten Hohlräumen aus, während der Ohrkanal sowie die zu- und abführenden Gefäßschlingen sich nicht erweitern. Wir haben somit die Differenzirung des Herzens in Vorhof und Ventrikel. Im Ohrkanale findet eine starke Wucherung des Endocards statt; besonders an der ventralen und der dorsalen Seite bilden sich je ein aus succulentem Bindegewebe bestehendes Endocardpolster. Die- selben hängen aus dem Ohrkanale in den Ventrikel herein und ver- mögen bei der Systole desselben durch Aneinanderlagerung einen gewissen Abschluss gegen den Vorhof hin zu erzielen. Durch den Blutdruck werden nun auf ihrer ventrieularen Fläche die Endocard- kissen mehr und mehr ausgehöhlt, ihr Gewebe wird fester, straffer, kurz die Endocardkissen werden zu zwei bindegewebigen Taschen- klappen. Die zuführenden Venen haben sich unterdess zu einem ge- meinsamen, selbständig pulsirenden Behälter vereinigt. dem Sinus venosus, mit weiter Mündung ins Atrium. Allmählich verengt sich diese Mündung durch Vorwachsen der umgebenden Muskelfalten. Dabei legen sich Vorhofswand und Sinuswand eine Strecke weit an einander und bilden zwei scharf umrandete, ins Vorhofslumen vor- springende Falten, die beiden Sinusklappen. Wir haben somit die Gestaltung des Herzens, wie sie sich bei Fischen zeitlebens vorfindet. Die weitere Gestaltung des Vertebra- tenherzens soll nun von hier ausgehend bis zum Menschen in seinen einzelnen Abschnitten durchgehend besprochen werden. I. Sinus venosus. Der Sinus venosus ist ein gemeinsamer Behälter, in welchem das Blut aller Körpervenen sich vereinigt, bevor es ins Atrium ein- strömt. Der Rückfluss des Blutes bei der Systole des Vorhofs wird gehindert durch die zwei Sinusklappen, welche ich durchgehends als Valvula sinistra und dextra bezeichne, obwohl sie in einigen Fällen besser als obere und untere zu bezeichnen wären. Es ent- 32 Carl Rise Ju spricht in diesen letzteren Fällen die obere stets der linken, die untere der rechten Klappe. Bei meinen Untersuchungen über den Sinus venosus der Verte- braten musste naturgemäß das ganze Venensystem mit berücksichtigt werden. Da jedoch von RATHKE, JOHANNES MÜLLER, HOCHSTETTER u. A. das Gebiet der Körpervenen in genügender Weise beschrieben und dargestellt worden ist, konnte ich mich lediglich auf die Dar- stellung der Hauptvenenstämme beschränken, so weit sie für die Bildung des Sinus von Wichtigkeit sind. 3ei den Petromyzonten wird, wie Fig. 1 zeigt, der Sinus venosus lediglich durch das Zusammentreten der beiderseitigen Duc- tus Cuvieri gebildet und stellt ein an der Unterseite des Vorhofs gelagertes, quer verlaufendes Rohr dar, welches derart zwischen Ventrikel und Vorhof eingebettet ist, dass man es erst zu Gesicht bekommt, wenn man, wie in Fig. 1 geschehen, den Ventrikel vorn oder den Vorhof hinten emporhebt. Die Mündung des Sinus liegt auf der dem Ventrikel zugekehrten, also vorderen Vorhofsseite und stellt ein queres Oval dar, das von zwei dünnhäutigen Klappen ein- gefasst ist. Diese Sinusklappen stehen bei Petromyzon fast genau horizontal. Der rechte Ductus Cuvieri wird lediglich durch das Zusammen- treten der Vena jugularis und V. cardinalis gebildet. In den linken Ductus Cuvieri mündet außerdem noch die Vena jugularis inferior. Es ist dies ein Gefäß, welches, von RATHKE zuerst er- wähnt. nur bei Fischen sich vorfindet und sein Blut von den Mus- keln der Kiemengegend, vom Zungenbeine und dem unteren Theile des Kiemendeckels bezieht; außerdem nimmt es noch auf einige Venae bronchiales und Venae nutritiae der Kiemenbögen. Das Ge- fäß ist bald paarig, bald unpaar und lässt sich nach JOHANNES MÜLLER vielleicht mit der Vena tbyreoidea inferior der höheren Verte- braten in Parallele setzen (?). Bei Petromyzon zieht die unpaare V. jugularis inferior in der linken Furche zwischen Vorhof und Ventrikel herab derart, dass es gleich dem Sinus theilweise verdeckt erscheint. Die Lebervenen münden bei Petromyzon noch nicht von unten her direkt in die Mitte des Sinus venosus, sondern ergießen ihr Blut zu einem oder in zwei Stämme vereint in den linken Ductus Cuvieri. Uber den Sinus der Myxinoiden haben Rerzıus sowie JOHANNES MÜLLER so genau berichtet, dass ich mich lediglich auf die Wieder- gabe ihrer Berichte beschränken kann. Danach findet sich bei den Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 33 Myxinoiden im Gegensatze zu den Petromyzonten und den meisten übrigen Fischen eine Störung der Symmetrie derart, dass eigentlich nur der linke Ductus Cuvieri völlig entwickelt ist, während der rechte fehlt. An seiner Stelle verläuft der unpaare Stamm der Vena jugularis inferior, welche wir bei Petromyzon in den linken Ductus Cuvieri münden sahen. Von den beiden Venae cardinales (Venae vertebrales posteriores) ist die rechte ein schwaches Gefäß, das mit der linken in Verbindung tritt. Somit ergießt sich das ganze Blut der unteren Körperhälfte in den linken Ductus Cuvieri. Die Lebervenen, welche ihr Blut bekanntlich indirekt aus der Pfortader beziehen, münden in zwei gesonderten Stämmen direkt in den Sinus venosus. Auch bei Myxine beschreibt Rerzius die bei- den Sinusklappen in ähnlicher Weise, wie wir sie bei Petromyzon vorfanden. Bei den Selachiern liegt eben so wie bei den Cyclostomen der Vorhof an der hinteren Ventrikelwand. Der Sinus jedoch liegt nicht mehr mit seiner Mündung auf der vorderen Vorhofsseite direkt unter dem Ostium atrioventriculare, sondern befindet sich in Gestalt eines quer ovalen Sackes frei an der Unterseite des Vorhofs und ist hier mit dem Herzbeutel eng verwachsen. Von links und rechts her münden wiederum die beiden Ductus Cuvieri ein, welche ihrerseits außer den Venae jugulares und cardinales noch die hier zuerst als selbständiges Gefäß auftretende Vena subelavia jederseits aufnehmen. Zudem findet sich bei den Selachiern noch jederseits eine Vena epigastrica oder Seitenvene, welche ihr Blut hauptsächlich aus den Leibesdecken beziehen. Die bei Petromyzon unpaar vorhandene Vena jugularis inferior tritt bei den untersuchten Selachiern doppelt auf, jederseits in die Ductus Cuvieri mündend. Ein wei- terer Fortschritt gegenüber Petromyzon zeigt sich in dem Verhalten der Lebervene. Dieselbe mündet mit zwei gesonderten Öffnungen von unten her in den Sinus venosus direkt ein. Die Mündung des Sinus in den Vorhof liegt nach unten und rechts vom Ostium atrioventrieulare und ist ebenfalls von zwei Klap- pen eingefasst. Dieselben stehen jedoch nieht horizontal, sondern, wie Fig. 2 zeigt, genau sagittal, so dass man hier speciell von einer rechten und linken Klappe sprechen kann. Die im Vorhofe der Fische zahlreich vorhandenen und netzartig durchflochtenen Musculi peetinati fehlen im Bereiche der Sinusklappen: rings um dieselben jedoch bilden sie stärkere Lagen. Besonders an den beiden Vereinigungswinkeln der Klappen nehmen Morpholog. Jahrbuch. 16. 3 34 Carl Rise starke Muskelbündel ihren Ursprung. Sie haben die Funktion, bei der Vorhofssystole die Sinusklappen zu spannen und somit den Riick- tritt des Blutes zu hindern, man könnte sie demgemäß als M. ten- sores valvularum sinus venosi oder als Spannmuskeln der Sinusklappen bezeichnen. Bei Petromyzon finden sie sich nicht in so ausgesprochener Form als bei den übrigen Fischen. Im Gegensatz zu den Angaben Hyrri’s habe ich in Uberein- stimmung mit GEGENBAUR speciell bei den Selachiern, aber auch bei vielen Ganoiden und Teleostiern unzweifelhafte Herzvenen aufge- funden. Dieselben münden stets in der Tiefe des Sinus in der Nähe der Klappen, entweder kurz unterhalb oder zwischen den Klappen, meist in deren vorderer Kommissur. Sie sind entweder paarig vor- handen, z. B. bei Seyllium oder münden wie bei Acanthias mit ge- meinsamer Öffnung. Die Herzvenen verlaufen stets in der unteren und rechten Furche zwischen Vorhof und Ventrikel, nehmen sehr feine Ästehen von Sei- ten des Vorhofs, diekere Gefäße vom Ventrikel auf. Ein Venenast umkreist den Conus arteriosus da, wo er sich vom Ventrikel abhebt, in horizontaler Richtung und sendet von hier senkrecht verlaufende Ästchen ab, sowohl nach unten für die vordere Ventrikelpartie als auch nach oben für den Conus arteriosus. Der Sinus der Teleostier weicht in seiner Gestalt als quer ovaler, der Unterseite des Vorhofs aufliegender Behälter nicht we- sentlich ab von dem der Selachier. Bezüglich der in ihn einmün- denden Venenstämme jedoch herrschen große Verschiedenheiten. Konstant vorhanden scheinen die beiden Ductus Cuvieri zu sein; doch ist auch von ihnen oft der eine sehr stark entwickelt, der andere dem entsprechend reducirt. Die Lebervenen münden selten durch einen gemeinsamen Stamm (Tetrodon physa), meist sind zwei, mitunter auch vier Lebervenenstiimme vorhanden, die immer an der unteren Fläche des Sinus einmünden. Venae epigastricae fehlen meist, dagegen sind die Venae jugulares inferiores gut entwickelt, bald gedoppelt, bald zu einem Stamme vereint. Nach JOHANNES MÜLLER münden die V. jug. inf., wenn sie doppelt vorhanden sind, wie z. B. beim Hecht, Wels, Zander, immer in je einen Ductus Cuvieri; wenn eine unpaare V. jugularis inferior sich vorfindet, wie z. B. bei Thymnus vulgaris, so mündet dieselbe direkt in den Sinus venosus. Was die zwei Sinusklappen anlangt. so haben dieselben meist eine schräg geneigte Stellung und verlaufen von rechts oben nach Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 35 e links unten. In anderen Fällen, z. B. bei Tetrodon, verlaufen die Klappen wieder nahezu horizontal, ähnlich wie bei Petromyzon. Die Spannmuskel der Sinusklappen sind bei den Teleostiern gut entwickelt. In vielen Fällen. z. B. bei Conger vulgaris, tritt der von der rechten oberen Kommissur ausgehende besonders stark ins Vorhofslumen vor. Die freien Ränder der Sinusklappen sind in vie- len Fällen leicht gezähnelt. Nicht immer geht das gesammte Venenblut durch den Sinus venosus ins Atrium. Beim Aal z. B. treten viele kleine Blutgefäße durch den Herzbeutel hindurch und münden direkt in den Vorhof. Herzvenen konnte ich bei diesem Fische nicht auffinden, dagegen waren solche deutlich vorhanden bei Pimelodus Catus und bei Te- trodon physa. — — — — Leider war es mir nicht möglich, Knorpelganoiden zu unter- suchen, so dass ich über den Sinus derselben keine eigenen An- gaben machen kann. Nach Stanntus treten bei Acipenser, ähnlich wie beim Aal, viele kleinere Blutgefäße durch den Herzbeutel direkt ins Atrium. Es findet sich jedoch, ähnlich wie bei den Teleostiern, ein Sinus venosus mit Klappen an seiner Mündung. Die letzteren sind jedoch nicht in der typischen Zweizahl vorhanden, sondern wesentlich modificirt. Es besteht ein Klappenring, bestehend aus zwei Hälften, von denen die eine vier, die andere fünf Taschen be- sitzt und welche durch starke Fäden an die Vorhofsmuskulatur be- festigt sind. Bei Spatularia finden sich zwei große Sinusklappen, deren jede in ihrer Mitte der Tasche durch eine Chorda mit der Wand des Atriums verbunden ist. Bei den Knochenganoiden ergeben sich bezüglich des Sinus venosus große Abweichungen von dem bisherigen Typus sowohl als auch unter einander. Bei Amia findet sich noch ein einheitlicher Sinus, ähnlich wie bei den Teleostiern (Fig. 6). Die Venae subelaviae münden jedoch nicht, wie gewöhnlich, in die Ductus Cuvieri oder in die Venae ju- gulares, sondern direkt in den Sinus, und zwar auf dessen unterer Fläche. Die Venae jugulares inferiores sind paarig vorhanden. Eben so finden sich zwei Lebervenen, die jedoch dicht neben ein- ander in den Sinus münden. Die linke Lebervene ist bedeutend größer als die rechte. Ihre Mündungen in den Sinus sind von einem unregelmäßig gestalteten, gelbbraunem Wulste umwachsen, der be- deutend in das Sinuslumen vorspringt. In Fig. 6 ist dieser Wulst dargestellt als- »durchschimmernd« durch die hintere Sinuswand. 3* 36 Carl Rise Auf mikroskopischen Durehschnitten besteht er aus grobmaschigem sindegewebe, welches nach außen von einer derberen fibrösen Hülle umschlossen und von spärlichen Blutgefäßen durchsetzt ist. An den Knotenpunkten der Maschen finden sich Kerne eingelagert, die jedoch in dem von einem alten Spirituspräparate stammenden Ob- jekte sich nur unvollständig gefärbt hatten. Die Maschen selbst sind meist ohne Inhalt. In einigen derselben jedoch sieht man größere und kleinere hellglänzende Körnchen, die viel Ähnlichkeit mit Fettkörnchen haben. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine Art von Fettgewebe. Eine besondere Bedeutung kann ich dem Gebilde nicht zuerkennen, doch fand es sich in gleicher Weise bei beiden untersuchten Herzen von Amia vor. Eben so wie bei den übrigen Knochenganoiden findet sich auch bei Amia das Atrium nicht mehr genau hinter dem Ventrikel ge- lagert, sondern es ist in die Höhe gewandert. Dem entsprechend hat auch der Sinus venosus seine Lage verändert und liegt nicht mehr genau der unteren Fläche des Vorhofs auf, sondern ist auf die hintere Wand desselben emporgetreten. Bei Amia liegt die Sinus- mündung im untersten Theile der hinteren Vorhofsfläche und ist von zwei quer verlaufenden Sinusklappen eingefasst. Die letzteren sind jedoch wesentlich modifieirt, springen nicht mit scharfen Rändern ins Vorhofslumen vor, sondern sind durchsetzt und eingefasst von einer Menge größerer und kleinerer fibröser Knötchen, welche ihrerseits wieder durch fibröse Fädehen mit der Muskulatur des Vorhofs in Verbindung stehen. — — Bei Lepidosteus findet sich, wie schon Boas kurz erwähnt, eine Abweichung derart, dass der Sinus nicht einheitlich, sondern doppelt vorhanden ist. Es mündet nämlich der rechte Duetus Cuvieri gesondert ins Herz und stellt somit einen Nebensinus dar. Der Hauptsinus (Fig. 3) wird gebildet vom linken Duetus Cuvieri, der außer den gewöhnlichen noch eine unpaare Vena epigastrica aufnimmt, ferner von der einheitlichen Lebervene und der ebenfalls unpaaren Vena jugularis inferior. Der Eingang der beiden Sinus ins Atrium stellt sich wie bei Amia als eine quer verlaufende Spalte dar, welche durch einen vertikalen Bindegewebsstrang in zwei ungleich große Hälften ge- theilt erscheint. Auf dieselbe Weise sind auch die zwei Sinusklap- pen in ihrer Kontinuität unterbrochen und statt zwei findet man vier Klappen, je zwei an jeder Mündung. Die Klappen selbst ver- halten sich ähnlich wie bei Amia, nur sind die fibrösen Knötchen Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 37 weniger hervortretend. Im Übrigen stehen die Sinusklappen eben so wie beim vorigen Genus durch feine Fiidchen mit der Atrium- muskulatur in enger Verbindung. Noch weiter differenzirt treffen wir den Sinus venosus bei Po- lypterus an. Der eigentliche Sinus wird hier lediglich von der Lebervene gebildet (Fig. 4 und 5). Diese Vene ist als dicker einheitlicher Stamm vorhanden, mündet jedoch ins Atrium mit zwei gesonderten Öffnungen, die durch eine Bindegewebsspange von ein- ander getrennt sind. Ob dies regelmäßig der Fall ist, vermag ich nicht zu sagen, da ich in der Litteratur keine hierher bezüglichen Angaben fand. JOHANNES MÜLLER erwähnt nur, dass Polypterus einer von den wenigen Fischen sei, bei dem sich eine einheitliche Lebervene findet. — Die beiden Ductus Cuvieri, von denen im un- tersuchten Falle der rechte den linken bedeutend überwog, münden jeder gesondert ins Atrium mit einer spaltförmigen Öffnung, welche zu beiden Seiten der vorderen Lebervenenmündung in Fig. 5 deut- lich zu sehen sind. Die Sinusklappen sind bei Polypterus besonders stark modificirt. An Stelle regelrechter Klappen findet man nämlich die Lebervenen- mündungen umsäumt von einem Kranze warzenförmiger, knotiger Gebilde, welche an ihrer Basis durch sehnige Fiidchen mit der Vorhofs- muskulatur in Verbindung stehen. Es finden sich also bei Polypterus in ausgesprochener Form Veränderungen an den Sinusklappen, wie wir sie bei Amia und Lepidosteus schon vorgebildet fanden. In der Litteratur fand ich nur spärliche Angaben über den Sinus der Ganoiden. Boas erwähnt zuerst die Sinusklappen und sagt bei Lepidosteus: »An der Grenze zwischen Sinus und Atrium befinden sich einige Gebilde, die zweifellos als Klappen fungiren; ein Paar finde ich mehr klappenförmig, andere sind Knoten. Diese Gebilde sind bindegewebiger Natur; eigentliche Klappen sind es doch nicht; es gehen keine bindegewebigen Fädehen zur Wand, viel- mehr stehen die Klappen mit den Muskelfäden des Atrium in Zu- sammenhang.« — Diese Argumentation von Boas, wonach er den besprochenen Gebilden die Klappennatur abspricht, ist mir nicht ganz klar. — Eben so wie in der ganzen Form des Sinus, so sind auch bezüglich der Sinusklappen bei den Ganoiden mehr oder min- der bedeutende Modifikationen entstanden. Dessenungeachtet bleiben die Gebilde an der Sinusmündung immerhin Klappen. Ihre Entstehung erkläre ich mir in folgender Weise: Die freien Ränder der Sinusklappen, wie wir sie bei den übrigen Fischen 38 Carl Rise antreffen, gehen bei den Ganoiden eine mehr oder minder vorgeschrittene Riickbildung ein. Es wird nun, ähnlich wie dies bei der Entstehung der sekundären Atrioventrieularklappen der Fall ist, die umgebende Muskulatur des Vorhofs in demselben Maße zur Bildung der Sinus- klappen herbeigezogen, in welchem die eigentlichen Klappen an ihren freien Rändern sich rüekbilden und zu knötchen- resp. war- zenförmigen Gebilden werden. Die sekundär zur Klappenbildung ver- wendeten Muskelbündel werden nun mehr oder weniger bindegewebig umgewandelt und die Fädehen, welche die Knötchen mit der Vor- hofsmuskulatur verbinden, sind eben weiter nichts als sehnig modi- ficirte Muskeltrabekel des Vorhofs. Es erklärt sich nach dieser Auffassung auch sehr leicht der Umstand, dass die Fädchen stets an der Basis der Knötchen inseriren. Bei Polypterus sind die klappenartigen Häutchen an der Um- grenzung der schlitzformigen Öffnungen der gesondert ins Herz miin- denden Ductus Cuvieri lediglich als aus modifieirter Vorhofsmusku- latur entstanden zu denken. — — Herzvenen konnte ich als feine Gefäßehen bei allen untersuchten Ganoiden auffinden. Besonders deutlich waren sie bei Amia vorhanden. Die Herzarterien sind bei Fischen viel schwerer nachzuweisen. Sie scheinen meist an der Grenze von Conus und Truncus zu entspringen, wenigstens fand ich es also bei den Selachiern und bei Amia. — — — — Das Herz der Dipnoer zeigt so viele Besonderheiten, dass es nur unter Berücksichtigung des Ganoidenherzens möglich ist, einiger- maßen zum Verständnis des ersteren zu gelangen. — Bei Protopterus zeigt der Sinus venosus abweichend von seiner gewöhnlichen Gestalt eine ganz besondere Ausdehnung in der Längs- richtung. Die einheitliche Lebervene mündet von unten her ein und geht ohne scharfe Grenze in den Sinus über (Fig. 7). Der eigent- liche Sinus beginnt in der Gegend der spindelförmigen Erweiterung der Lebervene; er ist mit dem sehr festgewebten, fibrösen Herzbeutel auf seiner ganzen Rückseite verwachsen dergestalt, dass es nur mit Mühe gelingt, den Sinus sammt der innig mit ihm verbundenen Lungenvene herauszupräpariren. Etwa in der Mitte seiner Länge nimmt der Sinus die beider- seitigen Ductus Cuvieri auf, welche nur mit ihrem sehr kurzen End- sticke innerhalb des Pericards liegen, während die vier den Ductus zusammensetzenden Venen außerhalb des Herzbeutels sich vereinigen. Es sind dies die Venae jugulares, cardinales, subelaviae und jugu- lares inferiores, welche letztere bei Protopterus wieder paarig vor- Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens:der Wirbelthiere. 39 handen sind. Bei Polypterus waren die Venae jugulares inferiores überhaupt nicht vorhanden. Vor seiner Mündung ins Atrium verengt sich der Sinus von Protopterus wieder ein wenig. Er hat demnach die Form einer längsgerichteten Spindel. An der Einmündungsstelle ins Atrium finden sich an der Rückwand des Sinus zwei rudimentäre Klap- pen dicht neben einander. Diese reichen jedoch durchaus nicht hin, um bei der Systole des Vorhofs einen Abschluss gegen den Sinus zu bewirken. Diese Funktion übernimmt ein anderes Gebilde, wel- ches nur bei den Dipnoern sich vorfindet. — Es ist dies ein binde- gewebiger Wulst (Fig. S w), welcher an der hinteren unteren Grenze zwischen Atrium und Ventrikel, unterhalb der Sinusmündung entspringend, kuppelförmig in den Vorhof vorragt und sich dann, spitz keilförmig zulaufend, in den Ventrikel hinein erstreckt, mit dessen Muskulatur seine Spitze durch fächerförmig sich vereinigende Muskelfasern in Verbindung tritt. Boas spricht die Vermuthung aus, dass dieser Wulst entstanden sei aus einer Umbildung und Ver- schmelzung eines Theils der bei den Ganoiden sich findenden vier hinteren Atrioventrieularklappen, andererseits der schon bei Polyp- terus zu fibrösen Knoten entarteten Sinusklappen. — Die angeführte Erklärung erscheint plausibel, zumal sich dann die doppelte Funktion des Wulstes gut erklären ließe. Neben dem Abschluss des Vorhofs gegen den Sinus bewirkt er nämlich auch noch, wie wir später sehen werden, einen Abschluss des Ventrikels gegen den Vorhof bei der Systole des ersteren. Dennoch will es mir scheinen, als sei der Wulst nur aus einer Umwandlung der Atrioveritricularklappen entstanden, während die Sinusklappen zu den oben erwähnten Rudimenten zusammenschrumpfen. Eine exakte Lösung dieser Frage lässt sich selbstverständlich nur auf embryo- logischem Wege erzielen! — Die untere Vorhofswand ist bei «den Dipnoern derart verkürzt, dass der von hinten und unten mündende Sinus fast direkt an das Ostium venosum grenzt. Dabei liegt die Sinusmündung rechts vom erwähnten Bindegewebswulste, während die Lungenvene, wie wir später sehen werden, links von demselben mündet. — Was die histologische Struktur dieses Wulstes betrifft, so be- steht er bei Ceratodus aus einem kernarmen, fibrillären Bindege- webe mit nur sehr spärlichen elastischen Fasernetzen im Bereiche des Endocards nahe der Oberfläche. Da wo der Wulst mit der 40 Carl Röse Ventrikelmuskulatur in Verbindung tritt, wird diese Verbindung her- gestellt durch straffes, sehniges Gewebe. Bei Protopterus ist der Wulst komplicirter zusammengesetzt. Seine Hauptmasse besteht aus einem Kern bindegewebigen Faser- knorpels. Die Grundsubstanz desselben ist nicht hyalin, wie Boas anzunehmen scheint, sondern besteht aus einem zierlichen Netzwerk gröberer und feinerer bindegewebiger Balken. In den Maschen des Netzwerks lagern die Knorpelzellen theils einzeln, theils zu mehreren durch Kapseln vereint. Rings um den Knorpelkern lagert sich ein Mantel sehr zellreichen Bindegewebes. Bei Behandlung mit Kali- lauge findet sich in demselben ein sehr zierliches Netzwerk feiner elastischer Fasern, welche hier und da eine kurze Strecke weit sich in die Grundsubstanz des Knorpels hinein erstrecken. Die Hauptmasse des Knorpels jedoch enthält keine elastischen Fa- sern. Beim Übergange des Wulstes in die Ventrikelmuskulatur findet sich auch bei Protopterus straffes, sehniges Gewebe. — Wie aus Obigem zu ersehen, findet sich auch bei Ceratodus ein ähnlicher fibröser Wulst wie bei Protopterus. Über die Form des Sinus bei Ceratodus vermag ich keine Angaben zu machen, weil bei dem mir zur Verfügung stehenden Herzen der Sinus nicht erhalten war. Auch in der Litteratur finden sich nur spärliche An- gaben von GÜNTHER und Boas. Danach sollen sich an der Mün- dung des Sinus ins Atrium auch bei Ceratodus spärliche Klappen- rudimente finden. Dieselben waren auch an meinem Exemplare zu sehen, jedoch nieht so ausgeprägt wie bei Protopterus. Es lässt sich annehmen, dass der Sinus von Ceratodus auch in jeder anderen Hinsicht dem von Protopterus sehr ähnlich ist. — — — * Sobald in der Vertebratenreihe ein Vorhofsseptum auftritt, nämlich von den Dipnoern an, zeigt sich die bemerkenswerthe Thatsache, dass der Sinus venosus stets rechts von diesem Septum, also in den rechten Vorhof mündet. Es muss diese Thatsache besonders aus dem Grunde betont werden, weil sehr viele frühere Forscher, bis in die neuere Zeit herein, meist auf Grund falsch gedeuteter embryologischer Befunde annahmen. der Sinus venosus münde Anfangs in den linken Vorhof und wandere erst allmählich nach rechts herüber! Aus der bisherigen Darstellung ersehen wir, dass der Sinus venosus, welcher Anfangs an der vor- deren unteren Vorhofswand mündete, mit dieser seiner Mündung allmählich auf die untere, dann auf die hintere Vorhofsfliche - Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 41 wanderte. Bei Amia liegt die Mündungsebene etwa in gleicher Höhe, bei Polypterus schon oberhalb der Ebene des Ventrikeleinganges. Bei den Amphibien nun wandert die Einmündungsstelle des Sinus nicht allein noch weiter an der Hinterfläche des Vorhofs hinauf, son- dern es beginnt auch der Sinusraum selbst, welcher bisher völlig außerhalb lag, in das Lumen des rechten Vorhofs sich einzustül- pen. Fig. 9 zeigt den Sinus venosus von Sieboldia maxima. Derselbe ist noch deutlich vom rechten Vorhofe abgegrenzt und liegt der hinteren unteren Fläche desselben auf. Seine Wände sind sehr dünnwandig und weisen hier und da leichte trabekuläre Zeichnung auf. Von unten her mündet die sehr umfangreiche Vena cava inferior ein, welche bekanntlich bei den Amphibien zuerst als selbständiges Gefäß sich entwickelt und die Lebervenen als Theiläste aufnimmt. Die Vene ergießt ihr Blut in den Sinus durch zwei Mündungen, eine linke Hauptmündung und eine rechte viel kleinere Nebenmündung. Zwischen beiden springt von hinten her eine sichelförmige Bindegewebsfalte in die Vene und den Sinus vor und bewirkt so die Trennung der beiden Mündungen. Diese Leiste entspringt gerade an der Stelle, wo die beiden Äste der mit dem Sinus eng verwachsenen Lungenvene zusammentreten, scheint also ihren Ursprung aus dem Lungengekröse zu nehmen. Scheinbar ist bei Sieboldia der Sinus weit nach links hinüber- serückt. Dies wird jedoch dadurch bewirkt, dass, wie bei den Urodelen überhaupt, eine seitliche Verschiebung der Herzabtheilun- gen stattgefunden hat derart, dass der Ventrikel nicht vorn, sondern nach rechts, der linke Vorhof dagegen gerade nach vorn gelagert erscheint (Fig. 10). In Folge dessen ist auch der rechte Ductus Cuvieri viel länger als der linke. In den ersteren münden bei Sie- boldia die Herzvenen ein mit einfacher oder doppelter Mündung (Fig. 9). Sie scheinen ihr Blut lediglich vom Ventrikel und vom Conus arteriosus zu beziehen; wenigstens konnte ich an den Vor- höfen keine gesonderten Herzvenen auffinden. Der Sinus venosus mündet bei den Urodelen dicht neben dem Vorhofsseptum in den rechten Vorhof mit einer spaltförmigen Öffnung, welche scheinbar senkrecht zu stehen scheint. An der Sinusmün- dung finden sich wiederum die zwei typischen Sinusklappen. An der unteren inneren Kommissur ist ihr Spannmuskel sehr kurz und verwächst sofort mit dem Septum atriorum. An der oberen resp. äußeren dagegen entspringt, ähnlich wie bei Fischen, der von nun an einzige Spannmuskel als ein verstärkter Vorhofstrabekel 42 Carl Röse und läuft an der hinteren Vorhofswand in die Höhe, wo er sich dann im Netzwerke der übrigen Vorhofsmuskulatur verliert. Die linke mediale Klappe ist bei den Urodelen etwas stärker als die rechte und läuft an der oberen Kommissur fast in der Art eines Brückenbogens über die rechte Klappe hinüber. Bei den Batrachiern ist der Sinus schon sehr weit in den rechten Vorhof eingestiilpt und lässt sich bei äußerer Ansicht nicht mehr mit derselben Deutlichkeit vom Vorhofe abgrenzen wie bei den Urodelen. Die Lebervenen münden meist tiefer unten in die V. caya in- ferior, so dass diese als einheitlicher Stamm das Blut der unteren Körperhälfte birgt (Pipa, Bufo). Bei Pseudobufo dagegen münden die Lebervenen entweder in mehreren Stämmen vereint direkt in den Sinus oder in die Cava inferior kurz vor ihrem Eintritte- in den- selben. Die Ductus Cuvieri sind bei den Batrachiern beiderseits gleich lang. An ihrer Mündungsstelle in den Sinus findet sich, von hinten vorspringend, je eine sichelförmige endocardiale Falte als Abgrenzung gegen den Sinus. — Besondere in den Sinus mündende Herzvenen habe ich trotz aufmerksamen Suchens nicht finden können. Dieselben könnten mir jedoch in Folge ihrer Kleinheit ent- gangen sein. Nach HyrrL sind bei Batrachiern überhaupt keine Herzgefäße vorhanden. Die sogenannte Vena cardiaca sammelt nach HYRTL nur das Blut des Truncus arteriosus und mündet in die Vena abdominalis inferior kurz bevor diese in die Pfortader sich ergießt. Die Sinusmündung liegt bei Batrachiern wiederum fast quer zur Längsachse des Herzens. Die beiden Sinusklappen sind ziemlich gleich groß und nicht sehr stark entwickelt. Die linke obere läuft an der medialen unteren Kommissur ähnlich wie bei den Urodelen an der äußeren, brückenbogenartig über die rechte untere Klappe hinweg (Fig. 11). Bei den Batrachiern sahen wir also den Sinus venosus schon theilweise in die hintere obere Wand des rechten Vorhofs einge- stülpt; immer aber war er noch von außen als selbständige Herz- abtheilung abgegrenzt. Bei den Reptilien nun verwischt sich dieses Verhältnis mehr und mehr. Der Sinusraum wird immer tiefer in den rechten Vor- hof einbezogen. Zuletzt erkennt man äußerlich die Lage des Sinus nur noch an den zuführenden drei Hauptvenenstämmen. Nach Srtaynıvs entstehen bei Reptilien die Ductus Cuvieri bei- derseits durch Zusammenfluss folgender Venen: 1) V. jugularis, Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 43 2) V. vertebralis anterior, entstanden durch Vereinigung querer Kör- pervenen der vorderen Körperhälfte, 3) V. subelavia, 4) V. cardi- nalis oder vertebralis posterior. Von diesen Venen scheint mir die Vena vertebralis anterior als selbständiger Stamm nicht konstant vorhanden zu sein. In meinen Abbildungen ist sie demgemäß auch nicht dargestellt. Der Sinus von Hatteria punctata steht unter den Reptilien am tiefsten. Er stellt ein der hinteren unteren Vorhofswand auf- liegendes, quer verlaufendes Rohr dar, welches nur wenig ins rechte Atrium vorspringt. Von unten her mündet in die V. cava inferior, von beiden Seiten je ein Ductus Cuvieri ein. Die Herzvenen münden, zu einem Stamme vereint, genau in der Mittellinie in den Sinus. Die spaltförmige Sinusmündung verläuft eben so wie bei den übri- gen Sauriern von rechts oben nach links unten und ist von den zwei typischen Klappen begrenzt. An der linken unteren Kommissur der Sinusmündung gehen die Klappen nach ihrer Vereinigung sofort in den Basaltheil des Septum atriorum über. Von der rechten oberen Kommissnr dagegen entspringt, wie bei allen Reptilien, ein aus- gesprochener Musculus tensor valvularum sinus venosi. Derselbe läuft von der oberen Ecke der Sinusmündung über die obere nach der vorderen Vorhofswand, wo er, in die dortige Muskulatur aus- strahlend, seine Befestigung nimmt. Mit der zunehmenden Einbeziehung des Sinus ins rechte Atrium geht auch eine mehr und mehr veränderte Lage der Venenmündun- gen in den Sinus einher. Zunächst rücken die Mündungen näher an einander. Während aber die Vena cava inferior die Lage ihrer bis- herigen Einmündung etwa in der Mitte der hinteren Sinuswand beibehält, wandert die Mündung des rechten Ductus Cuvieri nach oben, diejenige des linken Ductus Cuvieri dagegen nach unten an die tiefstgelegene Stelle des Sinusraumes. Gleichzeitig ändert sich der Verlauf dieser Venenstämme. Der rechte mündet, von oben herabsteigend, direkt in den Sinus ein. Der linke Ductus Cuvieri dagegen muss, entsprechend der Verschiebung des Sinus nach rechts, einen Umweg machen. Sein Endstück biegt an der unteren Grenze des bei Reptilien schon oberhalb des Ventrikels sich lagernden linken Atriums fast rechtwinklig um, bettet sich mehr und mehr in die Grenzfurche zwischen linken Vorhof und Ventrikel ein und gelangt so zu seiner Einmündungsstelle in den Sinus. — — — Bei den Sauriern läuft das Endstück des linken Ductus Cuvieri noch ziemlich frei auf der Hinterfläche des Herzens quer herüber. 44 Carl Röse Der bisher einheitliche Sinus jedoch beginnt sich zu differenziren. Genau in der Mittellinie springt halbmondförmig, die Konkavität nach vorn gerichtet, eine bindegewebige Leiste in den Sinus vor. Man könnte sie wohl als Septum Sinus venosi bezeichnen. Die Leiste entspringt an der tiefsten Stelle des Sinus von der Valvula dextra und läuft nach oben und links in die Valvula sinistra aus; sie hat Ähnlichkeit mit der bei Sieboldia beschriebenen, welche die Mündung der V. cava inferior trennt. Bei den Reptilien bewirkt diese Leiste eine von hinten nach vorn fortschreitende Scheidung des Sinus in zwei ungleiche Hälften: links mündet der linke Ductus Cuvieri. rechts die Vena cava inferior und der rechte Ductus Cuvieri. — Die Leiste steht nahezu immer senkrecht zur Längs- achse der Sinusmündung, also bei querer Lage derselben genau sagittal, z. B. bei den Ophidia. Je mehr nun die Sinusachse in die bei Säugern und Vögeln konstante senkrechte Richtung übergeht. um so mehr nimmt das Sinusseptum eine schiefe Lage ein von rechts unten nach links oben. Zuletzt, wenn die Sinusklappen in senk- rechter, sagittaler Richtung verlaufen, scheidet das Sinusseptum, welches unterdess die freien Klappenränder erreicht hat, den Sinus in einen oberen und einen kleineren unteren Theil, so bei den mei- sten Vögeln und Säugern. Bei Reptilien findet sich diese voll- ständige Scheidung des Sinus nicht durchgeführt. — Die Angabe von Gascu, wonach bei Chamäleon der linke Ductus Cuvieri bereits vom übrigen Sinusraume, ähnlich wie bei den Passeres, abgeschieden sei, beruht wohl auf einem Irrthume. Ich habe lediglich dieser Angabe zufolge das Herz von Chamäleon sene- galensis untersucht und fand genau dieselben Verhältnisse wie bei den anderen Sauriern. Es fanden sich die zwei großen typischen Sinusklappen; das Sinusseptum war nicht stärker entwickelt als bei den anderen Eidechsen. Es wäre ja auch wunderbar, wenn Chamäleon allein unter allen Reptilien eine Ausnahme machen sollte, da es doch seiner ganzen Entwicklung nach tiefer steht als z. B die Krokodile u. a. Bei einigen Eidechsen, z. B. Lacerta viridis, ist das Sinussep- tum, ähnlich wie bei Hatteria, sehr schwach entwickelt: bei den meisten Sauriern inkl. Chamäleon springt dasselbe stärker vor, doch erreicht es die freien Ränder der Sinusklappen nicht. Bezüglich der Herzvenen ergeben sich einige Verschieden- heiten. Bald münden sie in einen Stamm vereint (Cyclodus), bald _ Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 45 in mehreren kleinen Stämmen (Varanus, Trachysaurus), immer je- doch entweder links oder gerade in der Mitte vor dem Sinussep- tum in den Sinus ein. Bei den Schlangen vereinigen sich nach ScHLEMM die vor dem Herzen gelegenen Körpervenen zu einer unpaaren Vena verte- bralis anterior. Diese verbindet sich mit der Vena jugularis dextra zum rechten Ductus Cuvieri. Die linke Vena jugularis ist viel dünner und soll nach ScnLeum’s Angabe direkt in den rechten Vorhof münden. Diese letztere Angabe ist nicht ganz korrekt. Die Sinusmündung liegt bei den Schlangen fast quer und ist ebenfalls von den zwei bekannten Sinusklappen eingefasst. Das Sinusseptum steht dem oben Gesagten zufolge etwa sagittal und springt sehr weit ins Sinuslumen vor, erreicht jedoch die freien Ränder der Sinus- klappen eben so wenig, als dies bei den Sauriern der Fall ist. Der linke, durch den Ausfall der erwähnten Venen redueirte Ductus Cuvieri bettet sich bei Schlangen tief in die Furche zwischen Vorhof und Ventrikel ein und mündet links vom Sinusseptum, jedoch noch innerhalb der Sinusklappen. Von Herzvenen fand ich bei Boa constrictor mehrere Stämmehen, die sich in den linken Ductus Cuvieri ergießen. Bei den Schildkröten ist der Sinus wiederum sehr einheitlich. Das trennende Septum ist hier nur andeutungsweise vorhanden (Emys, Cestudo), oder etwas stärker vorspringend (Chelonia). Bei Chelonia Midas münden, wie durch Sranxıus bekannt, nur einige wenige Lebervenen in den Stamm der Cava inferior. Das Gros die- ser Venen mündet mit vielen größeren und kleineren Öffnungen direkt in den Sinus derart, dass das Mündungsgebiet ein ausgesprochen siebartiges Ansehen gewinnt. Merkwürdig ist, dass diese letzteren Lebervenen fast alle links vom Sinusseptum in Gemeinschaft mit dem linken Ductus Cuvieri münden. Nur eine einzige miindete bei dem von mir untersuchten Exemplare rechts direkt neben der Vena cava inferior und dem Ductus Cuvieri dexter. Den komplicirten Klappenapparat, welchen Gascu bei Chelonia beschreibt, konnte ich nicht entdecken. Es scheint mir überhaupt die Vermuthung naheliegend, dass dieser Autor jedes Endocardfält- chen für eine Klappe ansprieht! Die Herzvenen münden bei Che- lonia in einen gemeinsamen Stamm, welcher sich von dem Pericard des Herzens abhebt und als ringsum freies Gefäß zum Sinus empor- tritt, in dessen rechter Hälfte es direkt vor der V. cava inferior mündet. Auch bei Terrapene elausa münden einige Lebervenen 46 Carl Röse direkt in den Sinus venosus, jedoch in dem rechten Theil desselben. Bei Emys münden die Lebervenen in das Endstück der Cava in- ferior, kurz vor ihrem Eintritte in den Sinus. Wie schon erwähnt, ist das Sinusseptum bei den letztgenannten Schildkröten nur schwach angedeutet: doch hat es seine gewöhnliche Lage an der rechten Seite der Mündung des linken Ductus Cuvieri. Die Herzvenen verlaufen bei Terrapene und Emys im Gegensatze zu Chelonia unter dem Pericard wie gewöhnlich und vereinigen sich in einen Stamm, der an der tiefsten Stelle des Sinus genau in der Mittellinie mündet. Die Sinusmündung verläuft bei den Schildkröten ähnlich wie bei den Sauriern in schräger Richtung von rechts oben nach links unten und ist von zwei großen, etwas fleischigen Klappen eingefasst. Der Spannmuskel dieser Klappen ist bei Schildkröten besonders gut entwickelt. Bei den Krokodilen ist das Sinusseptum wieder sehr gut ent- wickelt und tritt stärker hervor. In Fig. 16 ist es, vom Vorhofe aus gesehen, abgebildet. Die Richtung der Sinusmündung und die Beschaffenheit der Klappen ist ähnlich wie bei den Schildkröten. Der linke Ductus Cuvieri ist ebenfalls nicht in die Herzfurche ein- gebettet, sondern verläuft, in seinem Endstücke erweitert, ziemlich frei über den linken und einen Theil des rechten Vorhofs hinweg (Fig. 15). Die Herzvene verhält sich ähnlich wie bei Chelonia, jedoch mündet sie nicht in den Sinus, sondern in die V. cava in- ferior (Fig. 15). So finden wir also bei den Reptilien den Sinus venosus zwar schon mehr oder minder tief in den rechten Vorhof einbezogen, je- doch noch als selbständige Herzabtheilung mit den zwei typischen, schlussfähigen Mündungsklappen. Dass die letzteren während des Lebens funktioniren, lässt sich aus der guten Ausbildung ihres Spannmuskels erkennen. Die Scheidung des Sinus in zwei Räume ist zwar mehr oder minder deutlich angelegt, jedoch nirgends defi- nitiv durchgeführt. — Bei den Vögeln geht der Sinus weitere Modifikationen ein. Gerade bei dieser Abtheilung lässt sich die Rückbildung des Sinus aufs klarste bis zu jenen Stadien verfolgen, wo die drei Hauptvenen- stämme jeder gesondert ins rechte Atrium zu münden scheinen. Der üblichen Terminologie gemäß habe ich bei Vögeln und Säugern die Ductus Cuvieri als Venae cavae superiores bezeichnet, obgleich man prineipiell den ersteren Namen beibehalten könnte. Es existiren, wie ich in Übereinstimmung mit GascH konstatiren Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 47 kann, bei Vögeln drei verschiedene Typen der Venenmündung: entweder münden alle drei gemeinsam, oder die linke V. cava su- perior mündet gesondert für sich, die V. cava inferior sowie die V. cava superior dextra dagegen münden noch gemeinsam: oder drittens es münden alle drei Venen gesondert ins Atrium. Der erste Typus zeigt sich nur bei den Cursores. Es findet sich hier ähnlich wie bei den Krokodilen und Reptilien überhaupt ein zwar tief in den rechten Vorhof eingestülpter. aber noch ein- heitlicher Sinus venosus mit den typischen zwei Klappen und ihrem Spannmuskel. — — Dieser letztere ist bei Rhea americana sehr stark entwickelt und verläuft an der oberen Vorhofswand weit hinein in den nach links sich hinüber erstreckenden Theil vom rechten Vor- hofe. Die linke V. cava superior ist von den beiden anderen Stäm- men durch das bekannte, jedoch nicht einmal besonders stark her- vortretende Sinusseptum geschieden. Was die Herzvenen anbetrifft, so finden sich bei Rhea eben so wie bei den Vögeln überhaupt stets mehrere selbständige Stämme. Zunächst trifft man fast konstant 1—2 Venenmündungen an der linken Seite des Limbus Vieussenii. Sie.sammeln das Blut speciell vom Truneus arteriosus und von der oberen Partie der Vorhöfe. Die Venen der Ventrikel münden ebenfalls in 1—2 Hauptstämmen, oft aber gemeinsam entweder in die linke V. cava superior oder vor dem Ostium derselben direkt in den rechten Vorhof (Fig. 17). Bei Rhea americana münden die Ventrikelvenen ebenfalls durch einen gemeinsamen Stamm direkt ins Atrium unterhalb der rechten Sinusklappe und nicht in den Sinus selbst, wie sich erwarten ließe. Der zweite Typus der Venenmündung findet sich nach Gascu bei Cornix und den Fringillae. Ich sah ihn außerdem noch bei Pullus. Es ist hier das oft erwähnte Sinusseptum als horizontale Scheidewand in dem rein senkrecht resp. sagittal verlaufenden Sinus vorgewachsen, hat die freien Ränder der Sinusklappen erreicht und ist zu besonderer Mächtigkeit ausgebildet, so dass es meist den An- schein hat, als setze sich die rechte Sinusklappe direkt in diese Bindegewebsleiste fort. Die Vena cava superior sinistra ist also jetzt völlig aus dem Sinus geschieden und bildet mit ihrem Endstück gewissermaßen einen Sinus für sich. Der in ihrer rechten Umwan- dung liegende untere Theil der rechten Sinusklappe, die Valvula Thebesii, pflegt bei Vögeln mehr oder weniger zu atrophiren. Manch- mal schwindet sie vollständig, z. B. bei Corvus, Tetrao. Columba, Me- gacephalon, Diduneulus u. a., so dass dann die linke obere Hohlvene 48 Carl Rise einer eigentlichen Klappe entbehrt und unter dem in der Fortsetzung der Valvula Eustachii liegenden Sinusseptum wie unter einem Ge- wölbe hervorkommt. — Die linke Sinusklappe pflegt im Bereiche der linken oberen Hohlvene stets mit dem unteren Sinusseptum zu verschmelzen und in Gemeinschaft mit diesem in die untere Partie des Septum atriorum überzugehen. Schon bei den unter dem zweiten Typus erwähnten Vögeln ist die rechte obere Hohlvene mehr und mehr nach vorn gewandert. Der obere Sinusraum ist also sehr in die Länge gezogen. Bei den meisten Vögeln entsteht nun in ähnlicher Weise wie das die linke obere Hohlvene abscheidende untere Sinusseptum eine zweite Quer- leiste, ein oberes Septum, welches die Mündung der nach vorn ge- wanderten V. cava superior dextra von derjenigen der Cava inferior trennt (Fig. 17). $Wir haben sodann drei gesonderte Venenmündungen, welche jedoch immer noch mehr oder minder deutlich von Theilen der ursprünglichen zwei großen Sinusklappen umrandet sind, so dass sich das Gebiet des ursprünglichen Sinus immer noch bestimmt ab- grenzen lässt von dem eigentlichen Gebiete des rechten Vorhofs. Ein ferneres Unterscheidungsmerkmal beruht darauf, dass sich im Bereiche des früheren Sinus weder bei Vögeln noch bei Säugern Musculi pectinati finden; dieselben beginnen erst an der Grenze des ursprünglichen Sinusraumes. — — Wir finden also bei den meisten Vögeln den Sinus differenzirt in drei über einander liegende sekundäre Mündungsräume. Durch den mittleren, größten ergießt sich die V. cava inferior, durch den oberen die V. cava superior dextra, durch den unteren die V. cava superior sinistra. Entsprechend müssten auch aus dem ursprüng- lichen großen Klappenpaare drei sekundäre entstanden sein. Wir haben jedoch bereits gesehen, dass im Bereiche der linken oberen Hohlvene die linke Klappe stets, die rechte sehr oft schwindet. Im Bereiche der V. cava inferior bleiben die Klappen beide sehr gut ausgebildet. Die rechte derselben entspricht der Valvula Eustachii der Säuger. Im Bereiche der rechten oberen Hohlvene ist die linke Klappe gleichfalls meist gut erhalten, die rechte dagegen schwindet bei den Columbinae, Passeres und Raptatores mehr und mehr, wo sie fast unmerklich mit der Vorhofsmuskulatur verschmilzt. — Der Spannmuskel der Sinusklappen bildet sich natürlich in Folge der verminderten funktionellen Thätigkeit mehr und mehr zurück. Durch die Wanderung der rechten oberen Hohlvene nach vorn ist Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 49 er an und für sich verkürzt. Der Muskel wird flach und läuft in mehrere Bündel aus, mit denen entweder beide Enden der Klappen sich verbinden (Fig. 17) oder es läuft, wie es GascH bei Cygnus darstellt, nur die linke Klappe in ein solches Muskelbündel aus, während die rechte in der flachen Vorhofswand sich verläuft. Bei den Säugethieren schreitet die Rückbildung des Sinus noch viel weiter vor als dies bei den Vögeln der Fall ist. Der Sinus der Monotremen ist bereits so weit redueirt, dass die drei Hohlvenen gesondert ins Herz münden. Die Klappen zei- gen ein eigenartiges Verhalten (Fig. 19) derart, dass die drei Mün- dungen von einem einzigen Klappenpaare umsäumt erscheinen. Zwischen je zwei Venenmündungen nähern sich die beiden Klappen bis zur Berührung, ohne jedoch mit einander zu verschmelzen. Born beschreibt nur in der Umgrenzung der V. cava inferior Klap- pen; im Bereiche der linken oberen Hohlvene dagegen hat er keine gesehen. Dem gegenüber muss ich hervorheben, dass sowohl in meinem Exemplare von Echidna als auch bei den beiden Omitho- rhynchus die Klappenverhältnisse fast genau in der Weise sich dar- stellten, wie ich es in Fig. 19 abgebildet habe. Die rechte obere Hohlvene ist sehr weit nach vorn verschoben. In ihrem Bereiche allerdings sind die Klappen mehr oder minder rudimentär, immer aber deutlich nachweisbar. In der Umrandung der linken oberen Hohl- vene dagegen ist besonders die rechte Klappe deutlich ausgesprochen, die linke ist etwas kleiner. Merkwürdig ist allerdings der Umstand, dass die Klappen sich sehr weit nach links ins Lumen der linken Hohlvene hinein erstrecken. Die unteren Klappenenden vereinigen sich unter einander und gehen in den hintersten Basaltheil des Sep- tum atriorum über. Der Spannmuskel der Sinusklappen ist zwar bedeutend reducirt, jedoch noch immer nachweisbar als ein kurzer, dieker Muskelstrang, der sich von der vorderen Umrandung der rechten oberen Hohlvene nach der vorderen Wand des rechten Vorhofs hinüber erstreckt. Der Muskel steht besonders mit dem oberen Ausläufer der rechten Sinus- klappe in inniger Verbindung. Bezüglich der Herzvenen finden sich bei den Monotremen ganz ähnliche Verhältnisse wie bei Vögeln. Zunächst münden ebenfalls 1—2 Venen direkt in den rechten Vorhof vorn links vom Limbus Vieussenii in den als Spatium intersepto-valvulare bezeichneten Raum. Diese sammeln das Blut ebenfalls von den Vorhöfen und vom Trun- cus arteriosus. Die Ventrikelvenen verlaufen bei Echidna zu einem Morpholog. Jahrbuch. 16. 4 50 Carl Röse Stamme vereint in der Herzfurche, dann über den rechten Vorhof empor und münden in die Vena cava inferior (Fig. 19. sei den Marsupialien ist der Sinus sammt seinen Klappen so weit zurückgebildet, wie es selbst beim Menschen nicht der Fall ist. Der ursprüngliche Sinusraum lässt sich nur daran erkennen, dass in seinem Bereiche die Vorhofswand glatt ist und der Museuli pecti- nati entbehrt. Von Klappen fand ich bei Thylacinus keine Spur; bei Phascolomys Wombat ließen sich nur äußerst geringe Spuren derselben nachweisen (Fig. 20). Es verläuft hier eine ganz schwache Leiste vom unteren Ende der rechten oberen Hohlvene zum oberen Ende der linken. Dieselbe halte ich für den freien Rand der völlig mit dem Septum atriorum verschmolzenen linken Sinusklappe. Ent- lang dem rechten Rande des ursprünglichen Sinusraumes, zwischen V. cava inferior und der weit nach vorn gerückten V. cava superior dextra, hat sich bei den Marsupialien die Vorhofsmuskulatur zu einem stärker vorspringenden Grenzstrange angeordnet, mit dem der betreffende Theil der rechten Sinusklappe verwachsen ist. Dieser Muskelzug findet sich auch bei allen höheren Säugern bis herauf zum Menschen. Hıs hat ihn Taenia sagittalis genannt. Als Rest des Spannmuskels der Sinusklappen finden sich 1—2, zwischen der Mündung der V. cava sup. dextra und der vor- deren Vorhofswand frei ausgespannte Muskeltrabekel, unter welchen man leicht eine Sonde durchführen kann. Nach hinten zu stehen sie an der rechten Umrandung der Vene mit dem Muskelzuge der Taenia sagittalis in Verbindung. — Auch bei Marsupialien finden sich, ähnlich wie bei Monotremen und Vögeln, mehrere Herzvenen. 1—2 Stämme münden im Atrium der rechten oberen Hohlvene und beziehen ihr Blut speciell von den Vorhöfen. Die Ventrikelvenen münden ebenfalls in 1—3 Stämmen theils in die linke obere Hohl- vene selbst, theils in ihr Atrium. Wenn nun auch bei erwachsenen Beutelthieren der Sinus ve- nosus sammt seinen Klappen außerordentlich redueirt erscheint, so muss doch bemerkt werden, dass im Embryonalstadium bis zu einer ziemlich späten Zeit ein deutlicher Sinus mit zwei großen Klappen vorhanden ist. Unter den placentalen Säugern ist der Sinus venosus am wenigsten zurückgebildet bei den Edentaten. Bei Dasypus setosus z. B. finden sich ganz ähnliche Verhältnisse wie bei der Gans oder Echidna. Nur in einer Beziehung tritt bei den Edentaten eine neue Abänderung auf. Es schwindet nämlich die linke obere Hohl- Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 51 vene, und die rechte führt nun das ganze Blut der oberen Körper- hälfte zum Herzen. Schon bei den Monotremen (Fig. 18) findet sich ein querer Ver- bindungsast zwischen den beiden oberen Hohlvenen, eben so bei den Marsupialien. Bei den Edentaten nun fließt das ganze Blut der linken durch diesen Verbindungsast in die rechte Vene und das zwischen dem Herzen und dem bezeichneten Aste gelegene Stück der V. cava superior sinistra atrophirt. Es bleibt von ihr -nur das aus dem linken Sinushorne entstandene Endstück in der Herzfurche übrig und zwar desshalb, weil die Herzvenen an verschiedenen Stellen in es einmünden. Der Sinus der linken oberen Hohlvene ist somit bei den Edentaten zum Sinus coronarius cordis geworden (Fig. 21 V.ce). — Die frühere rechte Sinusklappe umsäumt bei Da- sypus (Fig. 21) als membranöse Klappe fast das ganze Gebiet des Sinus nach rechts zu. Im Gebiete der unteren Hohlvene ist sie am stärksten ausgebildet, und dieser Theil wird besonders Valvula Eustachii genannt. Nach oben hin setzt sich die Klappe, schwä- cher werdend, zur rechten Umgrenzung der oberen Hohlvene fort. Nach unten zu steht sie trotz geringer durch das oft genannte untere Sinusseptum bewirkter Einkniekung in ununterbrochenem Zusammen- hange mit der Valvula Thebesii, die eben nur den untersten Theil der rechten Sinusklappe darstellt. Die linke Sinusklappe ist bei Dasypus gleichfalls im Bereiche der V. cava inferior sehr gut entwickelt. Nach unten läuft sie ins untere Sinusseptum und mit diesem in die Basis des Septum atrio- rum aus. Nach oben nähert sie sich, ähnlich wie es Born bei Myrmecophaga beschreibt, der rechten Klappe, biegt aber dann nach unten ab und verläuft sich oberhalb des Limbus Vieussenii in der Vorhofsmuskulatur. — Zwischen der linken Klappe und dem Sep- tum atriorum ist noch ein tief nach hinten vordringender kapillarer Spalt vorhanden, den Born ganz richtig als Rest seines Spatium intersepto-valvulare auffasst. Dies Spatium verschwindet nun bei den übrigen placentalen Säugern mehr oder minder vollständig dadurch, dass die linke Sinusklappe von hinten nach vorn fortschreitend mit dem Septum atriorum verwächst, und zwar vollständig bis zum freien Rande. Die oberen und unteren Ausläufer der Klappe vereinigen sich mehr oder weniger mit den- jenigen des Limbus Vieussenii und schließen denselben nach hinten zum vollständigen Ringe, zum Annulus foraminis ovalis der Autoren ab. — Bei Edentaten existirt dieser Annulus noch nicht; 4» 52 Carl Röse sein hinterer Abschluss fehlt, weil die linke Klappe noch nicht mit dem Septum atriorum verwachsen ist. Es hat für meine Zwecke wenig Interesse, bei den übrigen Säugern den Spuren des Sinus und seiner Klappen nachzuforschen. Es finden sich wohl im Allgemeinen die Verhältnisse ähnlich wie beim Menschen. Hier besteht bekanntlich die Eusracui’sche Klappe als Rest der rechten Sinusklappe in der Umrandung der Vena cava inferior. Ihr unteres Ende vereint sich mit dem unteren Sinussep- tum und verläuft mit diesem zur Basis des Septum atriorum. Die Herzyene mündet meist unter dieser dachartig vorspringenden Leiste. Die Valvula Thebesii hat in den meisten Fällen keinen direkten Zusammenhang mehr mit der Evsracui’schen Klappe; doch finden sich auch beim Menschen Fälle (Fig. 22), wo beide Klappen direkt zusammenhängen. Es scheint dieser Fall sogar nicht sehr selten zu sein, wenigstens fand ich unter dem wenigen untersuchten Ma- teriale fünf derartige Fälle. In der Umrandung der oberen Hohlvene finden sich bei den Säugern, wie es scheint, nur ausnahmsweise Klappenüberreste: da- gegen findet sich regelmäßig als rechte Grenze des ursprünglichen Sinusraumes die oben beschriebene Taenia sagittalis zwischen oberer und unterer Hohlvene. Der Spannmuskel der Sinusklappen ist na- turgemäß bei placentalen Säugern völlig geschwunden. Er müsste sich vor der Mündung der rechten oberen Hohlvene befinden. Nun ist diese aber immer mehr vorgewandert bis an die Grenze der vor- deren Vorhofswand. In gleichem Maße ist der Spannmuskel ge- schwunden, doch lässt sich ab und zu, z. B. bei Kaninchen, noch ein geringer Überrest in Form einer kleinen Muskelleiste nachwei- sen, die sich an der vorderen Vorhofswand unterhalb der Mündung der rechten oberen Hohlvene befindet. Die Valvula Thebesii ist eben so wie die V. Eustachii bald stärker, bald schwächer ausgebildet. Manchmal fehlt sie ganz, z. B. beim Kaninchen, Pteropus u. a. Die Herzvene resp. linke obere Hohlvene mündet dann ohne Klappe unter dem dachartig überhän- genden unteren Sinusseptum. — Die linke Sinusklappe ist bei allen placentalen Säugern, mit Ausnahme der Edentaten, mit dem Septum atriorum verwachsen und begrenzt von hinten das Foramen ovale. Nur ausnahmsweise findet sich, wie ich bei Kaninchen beobachtete. eine freie linke Klappe vor, indem dieselbe nicht mit dem Septum atriorum verwachsen war. — Die linke obere Hohlvene, welche bei den Edentaten obliterirte, Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 53 fehlt außerdem noch bei den Primaten, Prosimien, Carnivoren und Cetaceen. Vorhanden war sie dagegen bei allen von mir unter- suchten Nagern. Insektenfressern, Diekhäutern, Wiederkäuern und Fledermäusen. Die Stärke dieser Vena cava superior sinistra wechselt sehr. Bald ist sie von gleicher Stärke mit der rechten oberen Vene, bald sehr eng. Es hängt dies, wie mir scheint, nicht nur davon ab, wie viel Blut die linke Jugularvene durch den Verbindungsast in die rechte sendet, sondern auch von der Mündungsweise der Venae cardinales. Dieselben bleiben bekanntlich nicht immer unverändert bestehen da, wo zwei obere Hohlvenen vorhanden sind, vielmehr überwiegt oft der eine Ast über den anderen, der bis zum Ver- schwinden redueirt sein kann. Die einheitliche Cardinalvene oder Vena azygos mündet dann bald in die rechte, bald in die linke Cava superior. Ob nun aber eine linke obere Hohlvene vorhanden ist oder nicht, immer münden bei placentalen Säugern die Herzvenen in den Endstamm derselben, in den Sinus coronarius. Die rechte Miin- dungsklappe ist, so weit sie vorhanden, immer als Valvula Thebesii zu bezeichnen und als solche der unterste Theil der ursprünglichen rechten Sinusklappe. Es darf aber nicht, wie Born richtig bemerkt. das untere Si- nusseptum mit der Valvula Thebesii verwechselt werden in den Fällen, wo die letztere redueirt ist. wie beim Kaninchen. Die Abtrennung der Mündung der Cava superior dextra von derjenigen der Cava inferior findet bei Säugern nicht wie bei Vögeln (Fig. 17) statt durch eine scharfe Leiste, ein oberes Sinusseptum, sondern sehr allmählich durch Auseinanderrücken der Mündungen. Bei Dasypus könnte man fast noch von einer einheitlichen Mündung der beiden genannten Venen reden, in so fern die beiden Mündungen zwar aus einander gerückt, aber noch von denselben Klappen um- schlossen werden. Schwinden nun diese Klappen und rücken die Venen noch weiter aus einander, so entstehen naturgemäß zwei ge- trennte Mündungen. Dagegen ist die Mündung der linken oberen Hohlvene oder der Herzvene von der darüber liegenden Cava inferior immer scharf abgegrenzt durch das untere Sinusseptum. 54 Carl Röse Il. Lungenvenen und Septum atriorum. Wie ich bereits in einer anderen Arbeit erwähnte, beruht das Causalmoment der Entstehung des Septum atriorum nicht, wie His annimmt, auf im Herzen selbst gegebenen mechanischen Verhiilt- nissen, sondern die Entstehung des Vorhofsseptums leitet sich wesentlich von einer Anpassung an die Lungen- athmung her. Die Erfahrung bestätigt es, dass die Lungenvene niemals, auch nicht im ersten Beginne, rechts vom Septum atriorum in den Sinus venosus mündet! Bekanntlich finden wir in der phylogenetischen Reihe unter den Vertebraten zuerst bei den Dipnoern einen ausgesprochenen Lungen- kreislauf sowohl als auch die ersten Spuren eines Septum atriorum. — Es lag nun der Gedanke nahe, dass speciell bei den Ganoiden sich die ersten Anfänge zur Bildung eines besonderen Lungenkreis- laufes finden müssten. Die Schwimmblase der Ganoiden steht be- kanntlich der Dipnoerlunge so nahe, dass viele Forscher, z. B. Hyrrt, Boas u. A. einfach auch von einer Ganoidenlunge reden. Um zunächst kurz die Schwimmblasengefäße der Teleostier zu erwähnen, so entspringen, wie wir vorzüglich durch JOHANNES MÜLLER wissen, die Arterien bald aus der Aorta, bald aus der Cö- liaca. Die Venen münden bald in die Pfortader, bald in die Venae vertebrales seu cardinales. Die Schwimmblase der Teleostier wird also bezüglich ihrer Blutgefäße in ähnlicher Weise versorgt wie die anderen Eingeweide und zeigt noch keine besonderen Verhältnisse. Von den Ganoiden schließt sich in dieser Beziehung Lepidosteus eng an die Teleostier an. Wie zuerst HYRTL zeigte, entspringen bei diesem Fische die Lungenarterien als zahlreiche kleine Äste direkt aus der mit der Schwimmblase eng verbundenen Aorta abdominalis. Die Lungenvenen münden ebenfalls als zahlreiche kleinere Gefäß- chen in die Venae cardinales. — Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bei Polypterus und Amia. Bei diesen giebt die letzte Kiemenvene vor ihrer Vereinigung mit den drei oberen zum Stamme der Aorta abdominalis jederseits einen starken Ast ab, der sich nicht mit der Aorta vereint, sondern direkt jederseits zu der betreffenden Seite der Schwimmblase tritt. Wie Boas ganz richtig beschreibt, verlaufen diese beiden Lungen- arterien bei Polypterus an der dorsalen Seite der Schwimmblase (Fig. 4), bei Amia dagegen an der ventralen, zu beiden Seiten des mittleren glatten Längsstreifens (Fig. 6). — Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 55 Über die Lungenvenen von Amia und Polypterus fand ich in der Litteratur nur kurze, flüchtige Angaben, so dass eine genauere Darstellung wünschenswerth erscheint. Wie Fig. 4 zeigt, sammeln sich bei Polypterus die Schwimmblasenvenen in zwei Stämmen an der Innenseite der ventralen Fläche, treten dann durch die Wand hindurch an die Oberfläche und vereinigen sich zu einem unpaaren Stamme. Derselbe verläuft eine Strecke weit unterhalb der eben- falls einheitliehen Lebervene, durchbohrt dann die Wand derselben und mündet ähnlich wie der Ureter. Die Venen, welche in den beiderseitigen Spitzen der Schwimmblase verlaufen, sammeln sich in besondere kleine Gefäße, welche ganz ähnlich wie der Haupt- stamm in dessen Nähe in die Lebervene münden (Fig. 4). — Bei Amia nehmen die Schwimmblasenvenen einen ganz anderen Verlauf. Wie Fig. 6 zeigt, sammeln sich ebenfalls zwei Haupt- stämme auf der ventralen Fläche der Schwimmblase. Sie sind mit den beiderseitigen Lungenarterien sehr eng verbunden, haben jedoch ein viel größeres Kaliber als letztere. Dicht oberhalb des Ductus pneumatieus vereinigen sich die beiden Äste der Lungenvene zu einem gemeinsamen Hauptstamm, welcher sich nach links wendet und in den Ductus Cuvieri sinister einmündet. — — Wir finden so- mit bei Amia und Polypterus gegenüber Lepidosteus und den Tele- ostiern den bedeutsamen Fortschritt, dass die Schwimmblase im Gegensatze zu allen anderen Eingeweiden ihr arterielles Blut direkt aus dem letzten Kiemenbogen erhält. Die Lungenvenen münden zwar noch in die Körpervenen, jedoch erst, nachdem sie in einen gemeinsamen Stamm vereint sind. — Bei den Dipnoern findet sich nun der weitere Fortschritt, dass auch die Lungenvene direkt in den Vorhof mündet. Das Zustandekommen dieser Neuerung ist gar nicht schwer zu erklären. Wir brauchen uns nur bei Polypterus den Lungenvenenstamm etwas verlängert zu denken und dorsal von der Lebervene verlaufend. so wird er dann nicht mehr in den Sinus der Lebervene, sondern direkt ins Herz münden, wie dies thatsächlich bei den Dipnoern der Fall ist. Zugleich mit dieser direkten Einmündung der Lungenvene ins Atrium tritt nun eine weitere Neuerung auf, nämlich die erste An- lage eines Septum atriorum, welches später beschrieben wer- den soll. Über die Lungengefäße von Ceratodus machte zuerst GÜNTHER nähere Angaben, die jedoch später von Boas in vielen Punkten widerlegt und richtig gestellt werden mussten. Die Angaben von 56 Carl Rise Boas scheinen mir um so mehr zuverlässig zu sein, als bei Protopte- rus, wie wir später sehen werden, ganz ähnliche Verhältnisse sich vorfinden. Ich selbst habe Ceratodus in dieser Hinsicht nicht unter- sucht und beschränke mich demgemäß auf die Wiedergabe der An- gaben von Boas. Danach entspringt eine schwiichere rechte Arteria pulmonalis von der vierten Kiemenvene und verzweigt sich hauptsächlich in der rechten (?) Reihe der Lungenkammern. Die von der vierten linken Kiemenvene abgehende linke Lungenarterie ist viel stärker, läuft zuerst links und dorsal vom Ösophagus, schlägt sich dann auf die ventrale Seite desselben, kommt auf der rechten Osophagealseite wieder zum Vorschein und tritt sodann in die Lunge ein, wo sie sich in zwei Äste verzweigt. Von der linken Lungenarterie geht ein Ast zum Ösophagus ab. — Die Lungenvene hat GÜNTHER, wie mir scheint, ganz richtig beschrieben. Wir treffen demnach hier ähnliche Verhältnisse wie bei Protopterus. Über die Lungengefäße von Protopterus liegen bisher zwei Ori- ginaldarstellungen vor, und zwar von OWEN und von PETERS. Boas schließt sich ziemlich eng an die Darstellung von PETERS an. Owen stellt in seinen Abbildungen den Verlauf von Lungen- und Lebervene, sowie die ventrale Lungenarterie ganz richtig dar: dagegen ist die Darstellung des Herzens und der Kiemenbögen sehr schematisch und unrichtig dargestellt! Die Angaben von PETERS sind nach einem Injektionspräparate gemacht, und daraus erklären sich wohl die bezüglich der Lungenarterien gemachten irrthümlichen Angaben; während bezüglich der übrigen Kiemenbögen die Darstel- lung von PETERS ziemlich korrekt erscheint. Nach PETERS existirt bei Protopterus nur eine Lungenarterie und zwar die linke, welche aus der linken Aortenwurzel entspringt. Diese Darstellung ist völlig unrichtig! Gerade so wie Ceratodus hat auch Protopterus zwei Lungenarterien, welche beiderseits aus dem Ende der vierten Kie- menvene entspringen, kurz bevor diese in die bei den Dipnoern vor- handenen Aortenwurzeln einmünden. Die beiden Lungenarterien sind von nahezu gleicher Stärke. Wie Fig. 7 zeigt, verläuft die linke nahezu in derselben Weise, wie es Boas bei Ceratodus beschreibt, nämlich erst links und dorsal vom Ösophagus. Die Arterie schlägt sich dann auf die ventrale Fläche desselben über, umkreist ihn voll- ständig, kommt an der rechten Ösophagealseite wieder zum Vorschein, läuft dorsalwärts bis zur Mittellinie und tritt sodann in die ventrale Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 57 Lungenfläche ein. Hier läuft sie eine Strecke weit am rechten Rande der linken Lungenhälfte, theilt sich dann in zwei gleich starke Äste, von.denen einer in der bisherigen Richtung weiter läuft, wäh- rend der andere auf die rechte Lungenhälfte übergeht und am lin- ken Rande derselben verläuft. Die linke Lungenarterie versorgt also die ventrale Partie beider Lungenhälften mit Blut. Außerdem giebt sie bei ihrem Verlaufe um den Ösophagus noch 1—2 Astchen an denselben ab. Die rechte Lungenarterie hat genau denselben Ursprung wie die linke aus der vierten rechten Kiemenvene. Sie bleibt immer dorsal vom Ösophagus und tritt dorsalwärts in die Lunge ein, wo sie sich sofort in zwei gleiche Gabeläste spaltet, welche die dorsalen Lungenflächen mit Blut versorgen und ziemlich genau in der Mitte der beiderseitigen Lungenhälften ihren Verlauf nehmen. Die Lungenvenen sammeln sich bei Protopterus in zwei ven- tralen Längsstämmen, welche parallel zu den dorsalen Arterien- ästen, ebenfalls der Mitte der beiderseitigen Lungenflügel entlang, verlaufen. Die linke Vene kreuzt die linke Arterie und vereint sich dann mit der rechten Vene zum einheitlichen Stamme der Lungen- vene. Dieselbe verläuft eine Strecke weit auf der dorsalen Seite der Lebervene, bevor diese in den Sinus übergeht, verwächst dann mehr und mehr mit der Sinuswand (Fig. 7) und sinkt gleichsam in den Sinus ein, so dass in der Nähe des Herzens auf Durchsehnitten ein Bild entsteht, wie es in Fig. 8 gezeichnet ist und wie es Boas bei Ceratodus ganz richtig darstellt. — Wie ich schon erwähnte, tritt im Anschlusse an die direkte Ein- miindung der Lungenvene ins Atrium und den dadurch bewirkten besonderen Lungenkreislauf die erste Anlage einer Scheidewand- bildung im Herzen auf, und zwar des Septum atriorum. Bisher hat nur HyrrL die erste Anlage dieses Septum beschrieben und zwar bei Lepidosiren. HyrTL schreibt: »Bei Eröffnung beider Vorkammern erscheint das Septum atriorum nicht als kontinuirliche einfache Mem- bran, sondern als Gewebe von muskulösen feinen Balken, welche mit den übrigen, beide Vorkammern durchziehenden Trabeculis in Verbindung sind. Zwischen diesen Balken gelangt man an jeder Seite mit einer vorsichtig geführten Sonde von einer Vorkammer in die andere. Gegen die Atrioventrieularöffnung wird dies Balken- geflecht lockerer, die Maschen weiter, und verliert sich in vier kon- vergirende Fäden, welche mittels seröser Zwischenhäutchen mit ein- ander verbunden werden und gegen die Kammeröffnung gehen.« 58 Carl Rise Die gegebene Beschreibung passt im Großen und Ganzen auch auf das Septum atriorum, wie es sich, nur weniger ausgebildet, bei Pro- topterus und Ceratodus findet. Nur bezüglich der »serösen Zwischen- häutchen« vermuthe ich, dass Hyrri damit die rechte Lungen- venenklappe gemeint hat, welche ich bei ihm nicht erwähnt finde. Das Herz der Dipnoer ist ein außerordentlich komplieirtes Ge- bilde. Es ist besonders der im vorigen Kapitel beschriebene fibrise Wulst und sodann die sich an ihn anschließende große Lungen- venenklappe, welche bei Eröffnung des linken Vorhofs bei Dipnoern sofort in die Augen springen. In der That haben diese beiden Ge- bilde den Hauptantheil bei der Scheidung des Vorhofs der Dipnoer. Das eigentliche Vorhofsseptum tritt dem gegenüber sehr in den Hinter- grund und ist daher bei Ceratodus und Protopterus bisher wohl öfters iibersehen worden, wenigstens finde ich in der Litteratur keine hier- her bezüglichen Angaben. Ich selbst hielt zuerst die Lungenvenen- klappe für das Vorhofsseptum, bis ich mich dann von meinem Irr- thume überzeugte. . In Fig. 8 sind die Verhältnisse des von links eröffneten Atriums von Protopterus möglichst naturgetreu dargestellt. Wie man sieht, sind beide Vorhöfe von einem Netzwerk muskulöser Stränge durch- zogen. Es sind dies dieselben Museuli pectinati, welche wir schon bei den Cyelostomen antrafen. Bei Eröffnung des Atriums springt sofort der fibröse Wulst (W) in die Augen, welcher die Vorhöfe zum größten Theile trennt. Der Sinus venosus mündet rechts von dem Wulst. Seine Mündung ist natürlich auf der Zeichnung nicht zu sehen. Die Lungenvene mündet links vom Wulst, aber nicht. direkt in den Vorhof. Ihre Mündung ist vielmehr von zwei Klap- pen eingefasst, welche beide Fortsetzungen der Venenwand ins Atri- um hinein darstellen. Ähnlich wie die bei Dipnoern rudimentären Sinusklappen bei anderen Vertebraten, so sind diese Lungenvenen- klappen histiologisch zusammengesetzt aus einem Gemisch von Venen- gewebe und quergestreiften Herzmuskelelementen. Dierechte Klappe ist die bei Weitem mächtigere. Sie setzt sich in bogenförmigem Ver- laufe an den fibrösen Wulst an und bildet über der Lungenvenen- miindung ein nischenartiges Gewölbe derart, dass das Blut nicht, entsprechend dem Verlaufe der Vene, nach oben und vorn ins Atri- um einströmen kann, sondern gezwungen ist, seine Richtung zu ändern, so dass beim Verlassen der Klappe der Blutstrom nach unten und vorn direkt gegen das Ostium atrio-ventrieulare gerichtet ist. Auf ihrer Oberfläche zeigt die beschriebene Klappe eben so wie Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 59 ein Theil des fibrösen Wulstes ein zierliches Netzwerk schwarz pig- mentirter Linien. Das Pigment besteht aus einer zahllosen Menge unendlich kleiner Pigmentkörnchen, die nicht in Zellen eingeschlossen sind, sondern direkt unter dem Endothel in den bindegewebigen Spalträumen zu feinen Strängen angeordnet sind. Möglicherweise handelt es sich hierbei um Lymphbahnen. Die linke Klappe der Lungenvene ist viel unscheinbarer und fast ganz von der rechten bedeckt, so dass sie schwer zu sehen ist. — Das eigentliche Septum atriorum (Fig. 8 Sa) entspringt an der hinteren oberen Wand ziemlich genau in der Mittellinie des Atriums. Äußerlich ist die betreffende Stelle durch eine geringgradige Ein- schnürung angedeutet. Es besteht das Septum aus mehreren, stärker ins Vorhofslumen vorspringenden, und vorn durch eine zusammen- hängende sichelförmige Leiste verbundenen Muskelbalken, welche hinten links und rechts mit den übrigen Muskelbalken des Vorhofs direkt zusammenhängen. Eine endotheliale Membran, welche die Maschen des Muskelbalkennetzes auskleidet, konnte ich nicht ent- decken. Hinten und unten stützt sich das Septum atriorum mit seinen einzelnen Balken pfeilerartig auf den fibrösen Wulst, und zwar direkt rechts neben der Einmündung der Lungenvene und dem Ansatze der rechten Klappe. In ganz ähnlicher Weise wie ich soeben bei Pro- topterus geschildert habe, fanden sich die Verhältnisse bei Ceratodus; nur war das Vorhofsseptum noch weniger ausgebildet und bestand nur aus einigen wenigen vorspringenden Muskelbalken. Ob nun bei Lepidosiren, einem Thiere, das nach den jetzigen Anschauungen mit Protopterus sehr nahe verwandt ist, sich wirklich ein Fortschritt findet derart, dass Endothelhiutchen zwischen den Maschen des Vorhofsseptum ausgespannt sind, erscheint mir unwahr- scheinlich; vielmehr glaube ich, wie schon erwähnt, dass HyrrL die rechte Klappe der Lungenvene dem Septum atriorum zugezählt und beschrieben hat. Wie aus Fig. 8 ersichtlich, wird dem eigentlichen Septum atrio- rum bei Dipnoern kein bedeutender Antheil zukommen bei der Me- ehanik, durch welehe das Lungenvenenblut vom Körpervenenblute innerhalb des Vorhofs geschieden wird. Prineipiell jedoch ist das erste Auftreten des späteren Septum atriorum bei den Dipnoern außerordentlich wichtig, indem dadurch auch in phylogenetischer Hinsicht die Ansicht wesentlich gestützt wird, wonach die Entstehung des Septum atriorum durch die Anpassung an die Lungenathmung bedingt wird. 60 Carl Rise Es ist jedoch die Entstehung des Vorhofsseptums nur die erste Folge dieser Anpassung. Als weitere Folge ergiebt sich die ganze weitere Entwicklung des Herzens und seiner Septen tiberhaupt. wo- durch ja lediglich eine möglichst vollständige Trennung des Lungen- kreislaufes vom Körperkreislaufe erzielt und bei den Säugern sowie Vögeln endgültig erreicht wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Organismus verschie- dene Wege einschlug, um das fragliche Ziel der Trennung des Lun- genkreislaufes vom Körperkreislaufe auch innerhalb des Herzens zu erreichen. Bei den Dipnoern z. B. seben wir drei Wege angedeutet, auf denen die Scheidung innerhalb des Atriums erzielt werden kann. Erstens durch Ausbildung des fibrösen Wulstes, welcher nebenbei noch andere Funktionen hat: zweitens durch Ausbildung besonderer Klappen an der Pulmonalismündung. Erst in dritter Hinsicht kommt hier die Ausbildung eines muskulösen Septum atriorum in Frage! Aus der weiteren Entwicklung wissen wir, dass das letztere System endgültig den Sieg davon trug im Kampfe ums Dasein und dass die fernere Entwicklung des Herzens bei höheren Vertebraten daran an- knüpft. Bei den Amphibien ist das Septum atriorum schon sehr weit ausgebildet und scheidet die beiden Vorhöfe nahezu vollständig von einander. Die Angaben von Frirscu, der an mit Talg ausgespritzten Froschherzen das Septum atriorum oft nicht auffand und daraus schließt, es sei überhaupt nicht vorhanden gewesen, sind, wie schon Boas bemerkt, völlig belanglos und eine Folge ungenauer Unter- suchungsmethode. Normalerweise ist bei Amphibien stets ein Sep- tum atriorum vorhanden. Dasselbe ist, wie zuerst LANGERHANS bei Salamandra und Triton beschrieb, in der Gattung der Urodelen immer mehr oder weniger durchlöchert. In besonders schöner Weise zeigt sich dies nach Boas bei Menopoma. — Bei den von mir unter- suchten Urodelen fanden sich stets solche Durchlöcherungen, bald mehr bald weniger zahlreich, bald feiner, bald gröber. In Fig. 10 sind sie deutlich zu sehen. Boas fand sie ferner bei Amphiuma, Siren, Coecilia und Menobranehus. Bei den Urodelen scheint demnach eine Durchlöcherung des Septum atriorum Regel zu sein. Das Septum der Urodelen besteht hinsichtlich seiner Struktur aus einem Maschenwerke durchflochtener Muskelbündel. ähnlich wie Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 61 dies bei den Dipnoern der Fall war. Nur sind bei den Urodelen die Maschen des Muskelbalkennetzes ausgefüllt durch endocardiale Häutchen, welche sich aus dem die Muskelbalken iiberziehenden Endocard entwickelten. Dieses Endocard füllt aber nicht gleich- mäßig alle Maschenräume aus; und da, wo es fehlt, finden sich eben die bekannten Lücken in dem Vorhofsseptum. — Im Gegensatze zu den Urodelen ist bei den Batrachiern das Septum atriorum stets solid. Zwar besteht es ebenfalls (Fig. 11 aus einem Maschenwerk sich durchflechtender Muskelbündel: doch sind die Maschen viel enger als bei den Urodelen und eine un- unterbrochen zusammenhängende Endocardschicht überkleidet das Netzwerk der Muskelbalken von beiden Seiten. Dasselbe Verhalten scheint auch schon bei den Batrachierlarven zu bestehen, wenigstens konnte ich bei Froschlarven keine Durchlöcherungen im Septum atriorum nachweisen. Während bei den Urodelen in Folge der eigenthümlichen Lage der Vorhöfe das Septum als windschiefe Wand von links hinten nach rechts vorn verläuft, hat es bei den Batra- chiern. wo die Vorhöfe schon an die endgültige Stelle oberhalb des Ventrikels gerückt erscheinen, eine nahezu sagittale Richtung. An der Stelle, wo vorn die großen arteriellen Gefäße über dem Vorhofe verlaufen, findet sich bei Batrachiern nahezu in der Mitte die Wand des Vorhofs an der vorderen und oberen Seite ziemlich scharf nach innen eingebuchtet. Bei den Urodelen ist diese Erscheinung eben- falls schon angedeutet, jedoch lange nicht so klar als bei den Ba- trachiern. An Stelle dieser Einbuchtung springt natürlich die Vor- hofswand als mehr oder minder scharf ausgeprägte Leiste ins Lumen vor; außen dagegen verwachsen die beiden Theile der eingestülpten Wand bindegewebig mit einander, kurz, wir haben bei Batrachiern in seinen ersten Anfängen das Gebilde vor uns, welches später als Limbus Vieussenii eine große Rolle spielt. Es ist nun bemerkenswerth, dass von Anfang an das Septum atriorum immer links vom Limbus Vieussenii sich an die vordere Vorhofswand ansetzt. Dadurch bekommt es sowohl bei Batrachiern als auch bei Reptilien und Vögeln eine schiefe Riehtung von rechts hinten nach links vorn. Zwischen Septum atriorum einerseits, dem Limbus Vieussenii und der mit ihm später sich verbindenden linken Sinusklappe an- dererseits befindet sich nun ein Raum, um welchen der rechte Vor- hof größer ist als der linke. Dieser Raum ist es, den ich in etwas weiterer Ausdehnung nach Born mit dem Namen Spatium inter- 62 Carl Rise septo-valvulare bezeichnen möchte. Bei Batrachiern ist dieses Spatium besonders vorn unten sehr ausgedehnt, wie ja überhaupt hier der linke Vorhof gegen den rechten an Größe ziemlich weit nach- steht. — Weder bei den Urodelen noch bei den Batrachiern scheidet das Septum atriorum die Vorhöfe vollständig. Es endigt mit einer scharf begrenzten Bogenlinie über dem Ostium atrioventrieulare, welches vom Septum gleichsam überbrückt wird. Die beiden Pfeiler dieses Briickenbogens verbinden sich mit den beiden später zu beschreiben- den Atrioventrieularklappen (Fig. 10 und 11). — Bei den Batrachiern ist das Septum atriorum, wie schon Gom- PERTZ bei Rana richtig beschreibt, von mehreren dickeren Muskel- strängen durchzogen, wodurch es an Festigkeit gewinnt. Diese Bündel scheinen bei allen Batrachiern nahezu denselben Verlauf zu haben. Die Abbildung des Vorhofsseptums von Rana, welche Gom- PERTZ liefert, weicht wenig von der meinigen bei Pseudobufo ab (Fig. 11). Es finden sich konstant zwei Längsbündel, welche. unten wurzel- artig ausstrahlend, an die Atrioventricularklappen sich ansetzen. Ferner finden sich bei Rana ein, bei Pseudobufo zwei Querbündel, welche im oberen Septumtheil verlaufen und von der vorderen Vor- hofswand ihren Ursprung nehmen. An der Kreuzungsstelle der obe- ren Quer- und des vorderen Längsbündels findet ausgedehnte Ana- stomosenbildung zwischen den gröberen Muskelbündeln statt. — GOMPERTZ sagt nun: »Das obere Querbündel und hintere Längs- bündel treten mit zwei halbmondförmigen Leisten in Verbindung, welehe von dem oberen und unteren Rande des Sinuseinganges vor- springen und sich einerseits an die hintere Wand des rechten Vor- hofs, andererseits an die rechte Fläche der Vorhofsscheidewand an- setzen. Beide Leisten sind mit Längsmuskeln belegt. Die Muskel- fasern der oberen Leiste gehen in das obere Querbündel, die der unteren Leiste in das hintere Längsbündel der Scheidewandmusku- latur über.« — — Diese Darstellung erscheint mir nicht ganz richtig! Die zwei Sinusklappen, als welche die beschriebenen Leisten zweifel- los aufzufassen sind, lassen ihre Muskelfasern zwar in die beschrie- benen Muskelbündel der Vorhofsscheidewand übergehen, doch nicht in der von GOMPERTZ beschriebenen Weise. Wenn man die Scheide- wand vom linken Vorhofe aus betrachtet, so sieht man vielmehr, dass alle vier Muskelbündel des Septum atriorum, nachdem sie mit der Muskulatur der Sinusklappen in Kommunikation getreten sind, Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 63 nach hinten oben weiter verlaufen und nach einem gemeinsamen Punkte hinstreben, nach der Einmündungsstelle der Lungen- vene in den linken Vorhof. Hier endigen die Muskelbündel, indem sie gleichsam eine muskulöse Scheide um die Mündung der Vene bilden. Was die Vena pulmonalis betrifft, so finden sich bei Sieboldia (Fig. 9 und 10) ähnlich wie bei den Dipnoern zwei Stämme, welche sich gerade da vereinigen, wo die frühere Lebervene, jetzige Vena cava inferior in den Sinus venosus übergeht. Die vordere Lungen- partie ist bei Sieboldia mit der unteren Hohlvene und dem Heız- beutel eng verwachsen, und somit ist es nicht auffallend, dass auch die Äste der Lungenvene mit der Wand der Hohlvene eng verbunden sind. Die einheitliche Lungenvene verläuft nun, gleichsam in die Wand des Sinus venosus eingelassen, nach links hinüber und kommt mit ureterähnlicher Mündung in der linken unteren Ecke des linken Atriums, dicht neben dem Septum atriorum, zum Vorschein (F ig. 10). Diese schiefe Einmündungsweise behält die Lungenvene von nun an immer bei. Bei der Vorhofssystole werden dann die Wandungen der Vene auf einander gepresst und der Rückfluss des Blutes wird ge- hindert. Die schiefe Einmündungsart der Lungenvene er- setzt also bei derselben funktionellgewissermaßen die Klappen des Sinus venosus. Eigentliche Klappen besitzt die Lungenvene, außer bei den Dipnoern, nicht. Dieselben sind überflüssig geworden. Es erscheint mir auch der Gedanke von Gascu nicht glücklich, nämlich das Septum atriorum als Klappe der Lungen- vene zu bezeichnen! — Ahnlich wie bei Sieboldia ist der Verlauf der Lungenvene bei Siredon. Auch bei den Salamandrinen ist eine einheitliche, aus zwei Theilästen entstandene Lungenvene vorhanden, deren Stamm jedoch nicht mehr mit der Wand des Sinus venosus verwachsen ist, sondern frei über denselben hinwegläuft. Bei den Batrachiern sind die zwei Theiläste der Lungenvene dem Herzen so nahe gerückt, dass bei oberflächlicher Betrachtung zwei Lungenvenen vorhanden zu sein scheinen, welche sich wieder- um in der Lunge jederseits in zwei Gabeläste spalten. Man kann jedoch immer noch einen kurzen einheitlichen Lungenvenenstamm außerhalb. des Herzens nachweisen, der bald etwas länger ist (Rana), bald sehr kurz (Bufo, Pseudobufo). Dieser Stamm mündet bei den Batrachiern in der hinteren oberen Ecke des linken Vorhofs mit schiefer Mündung. 64 Carl Rise Die Angabe von GoMPERTZ, wonach die adventitiellen Gefäß- scheiden des Sinus venosus und der Lungenvene mit einander ver- schmelzen und unmittelbar in die Scheidewand des Vorhofs tiber- gehen sollen, ist nicht richtig. Das muskulöse Septum geht nie unmittelbar in die bindegewebigen Gefäüßscheiden über, sondern verschmilzt mit der hinteren muskulösen Vorhofswand, welche ihrer- seits die betreffenden Bindegewebspartien aufgelagert hat. Die Lungenarterien gehen bei den Amphibien eben so wie bei den Dipnoern vom letzten Kiemenbogengefäße ab. Bekanntlich unterscheidet man nach dem Ausfalle der Kiemenathmung nicht mehr Kiemenarterien und -Venen, sondern spricht nur noch von Arterien- bögen. Eben so ist bekannt, dass der vierte Bogen stets zum Haupt- stamme der Aorta wird, während die ersten später zu Körperarterien werden. Nun finden wir schon von den Ganoiden ab regelmäßig von der aus dem letzten Kiemengefäßbogen entspringenden Pulmo- nalis einen Ast zum vierten Bogen abgehen. Dieser Ast ist bei Säugerembryonen identisch mit dem Ductus Botalli. Es liegt je- doch, wie schon erwähnt, nicht im Bereiche meines Themas, die Verhältnisse der Arterienbögen näher zu verfolgen. Der vorletzte, fünfte Arterienbogen wird stets frühzeitig zurückgebildet und nimmt Boas, wie mir scheint, mit Recht an, dass er auch bei Säugern vorübergehend vorhanden sei. Freilich ist er bis jetzt noch nicht aufgefunden worden. — — — In dem Herzen der Reptilien scheidet das Septum atriorum nicht nur die Vorhöfe vollständig, sondern trägt auch zur Scheidung der Ostia atrioventrieularia wesentlich bei. GascH beschreibt das Septum atriorum der Reptilien als membranös. Wenn dies etwa so viel heißen soll als bindegewebig, so muss ich dem entschieden widersprechen. Wie bei allen Vertebraten, so besteht auch bei Rep- tilien die Vorhofsscheidewand ihrer Genese gemäß hauptsächlich aus einer, wenn auch oft dünnen Lage von quer gestreiften Herzmus- kelzellen, und ist beiderseits vom Endocard überzogen, welches dem Volum nach allerdings oft das Übergewicht über die Muskelelemente bekommt. ähnlich wie dies z. B. auch beim Septum atriorum (Val- vula foraminis ovalis) des Menschen der Fall ist. — — — — Eben so wie bei den Batrachiern verläuft auch bei allen Rep- tilien das Septum atriorum von rechts hinten nach links vorn. Der Limbus Vieussenii zeigt sich bald mehr bald weniger scharf aus- gesprochen. Am deutlichsten findet er sich bei den Schlangen, am schwächsten bei den Schildkröten ausgebildet. Dem entsprechend / Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 65 ist auch das Spatium intersepto-valvulare bald mehr, bald weniger deutlich ausgesprochen, stets aber vorhanden. Bei allen Reptilien bildet das Septum atriorum eine solide undurchbrochene Scheidewand zwischen den beiden Vorhöfen. Es muss dieser Satz besonders betont werden gegenüber den alten Angaben von TREVIRANUS und Munniks, wonach bei Terrapene clausa und tricarinata durchbrochene Vorhofssepta be- stehen sollen. Es erschien mir an und für sich sehr unwahrschein- lich, dass allein diese beiden Schildkröten eine Ausnahme machen sollten von der allgemeinen Regel bei Reptilien. Um diese alten Angaben, welche sich in mehreren Arbeiten erwähnt finden, auf ihren wahren Werth zu prüfen, habe ich speciell das Herz von Terrapene clausa untersucht und daselbst, wie zu erwarten war, ebenfalls ein undurchbrochenes, solides Septum gefunden. Das Septum atriorum ist bei Terrapene eben so wie bei den meisten übri- gen Schildkröten außerordentlich dünnwandig. Bei den kleineren Schildkröten hat es meist eine ähnliche Beschaffenheit wie bei den Batrachiern. Seine Muskellamellen bilden nämlich keine zusammen- hängende Schicht, sondern weichen hier und da aus einander, so dass schlitzformige Zwischenräume resp. Lücken entstehen, welche je- doch durch das Endocard vollständig verschlossen sind. Bei Terrapene tritt nun diese Erscheinung besonders hervor. Der vorderste Theil des Septum atriorum ist hier nicht straff ausgespannt, sondern ballonartig in den linken Vorhof hinüber getrieben. Die Kuppel des ballonartigen Septumtheils ist frei beweglich und lässt sich bei einiger Vorsicht eben so leicht in das Spatium intersepto- valvulare des rechten Vorhofs hinüber vorbauchen. Gerade dieser sackförmige Septumtheil nun ist bei Terrapene clausa besonders dünn. Es finden sich hier vorzüglich die oben beschriebenen Spal- ten in der Muskulatur. Da das ausfüllende Endocard sehr dünn und durchscheinend ist, so macht es in der That hier und da den Eindruck, als sei das Septum hier schlitzförmig durchbrochen. Bei starker Lupenvergrößerung kann man sich jedoch leicht überzeugen, dass das Endocard ununterbrochen über diese Lücken in der Mus- kulatur hinwegzieht. Bei geeigneter Lagerung des ballonartigen Theils konnte ich mir das Septum atriorum von Terrapene in ganz ähnlicher Weise zur Ansicht bringen, wie es Trevıranus abbildet. Die irrthiimlichen Angaben dieses Autors und eben so von Mun- NIKS finden also leicht ihre Erklärung. Aber selbst wenn es bei Schildkröten wirklich einmal vorkommen Morpholog. Jahrbuch. 16, 5 66 Carl Röse sollte, dass an einer oder der anderen Stelle das Endocard tiber den Muskellücken rarefieirt würde, so dass wirkliche Lücken entstanden wären, so dürften dieselben durchaus nicht identifieirt werden mit den sekundären Durchbrechungen bei Vögeln und Säu- gern, sondern würden sich an die primären Durchbrechungen an- schließen, wie wir sie bei Urodelen finden. — Bei den Schlangen, Eidechsen und Krokodilen ist das Vor- hofsseptum immer viel derber und dicker als bei Schildkröten. Es findet sich nirgends, auch nicht bei Krokodilen, irgend eine Durch- brechung. Was die Lungenvenen betrifft, so finden wir bei den Sauriern durchgehends einen gemeinsamen Endstamm mit zwei nach hinten sich wiederum dichotomisch verzweigenden Ästen. Bei Cyclodus, Trachisaurus, Lacerta und Hatteria ist dieser einheitliche Stamm der Lungenvene ziemlich lang, bei Chamaeleon kiirzer, bei den Varaniden endlich sehr kurz, ähnlich wie bei den Kröten. Bei den Schlangen findet sich naturgemäß ein einheitlicher langer Lungenvenenstamm. Da bei ihnen nur die eine, rechte Lunge ausgebildet ist, so sind mit den anderen auch ihre Gefäße reducirt. Es ist demnach bei Schlangen der rechte erste Theilast zur direkten Fortsetzung des Lungenvenen-Endstammes geworden. — Bei den Schildkröten und Krokodilen ist der Endstamm der Lungenvene sehr kurz, jedoch immerhin noch als gemeinsamer Stamm außerhalb des Herzens zu erkennen. Dieser Lungenvenenstamm nun mündet bei allen Reptilien in der hinteren oberen Ecke des linken Vorhofs mit ureterähnlich die Vorhofswand durchsetzender Mündung dicht neben dem Septum atrio- rum aus, so dass es den Anschein hat. als würde die Wurzel des Septum selbst von der Lungenvene durchsetzt. In Wirklichkeit ist dies jedoch nicht der Fall. Die Mündung der Lungenvene erweitert sich nach dem Vorhofslumen zu trichterförmig. Dieser Raum ge- hörte früher dem Stamme der Vene an und wird schon bei den Reptilien mehr oder weniger ins linke Atrium einbezogen. Die Venen- wandung verschmilzt mit der Vorhofswand und dem Septum atrio- rum, resp. setzt sich auf dieselben fort. In den meisten Fällen nun geschieht dies ganz allmählich; bei einigen Sauriern jedoch springt die linke Venenwand faltenförmig ins Vorhofslumen vor und bildet somit gleichsam eine dachförmige Klappe an der hinteren und oberen Umgebung der Venenmündung. Diese klappenartige Falte inserirt einerseits an der hinteren Vorhofswand, Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 67 andererseits am Septum atriorum (Fig. 13). Am deutlichsten ist sie vorhanden bei Cyclodus, Trachisaurus und Lacerta. Von dem Da- sein einer doppelten Klappe, wie sie GascH beschreibt, konnte ich mich nicht überzeugen. Bei Varanus, Crocodilus und den von mir untersuchten Schildkröten fehlt die Falte vollständig. Unter den Ophidiern ist sie am deutlichsten bei Naja Haje. GascH beschreibt das Septum atriorum der Vögel als aus zwei Theilen bestehend, einem membranösen zarten Theile und einem stärkeren von elastischer Beschaffenheit. Letzterer erscheint als Verlängerung der Pulmonalvenenwand ins linke Atrium. Bei einer Abtheilung der Vögel, nämlich bei den Passeres, fehlt nun dieser sogenannte zweite Theil. Wir finden hier die Verhältnisse sanz ähnlich wie bei Reptilien. Ein ziemlich dünnwandiges, durch- sichtiges Septum atriorum bildet die einzige Scheidewand zwischen den Vorhöfen. Histiologisch ist es ganz ähnlich gebaut wie das Septum der Reptilien, also nieht »membranös«. Seine Lage ist genau dieselbe wie bei Reptilien. Es entspringt hinten in der Mitte zwischen beiden Vorhöfen und verläuft als etwas nach links geneigte Ebene nach links und vorn. Bei allen Vögeln findet sich bald mehr, bald weniger ausgesprochen ein deutlicher Limbus Vieussenii. Zwi- schen ihm und dem Septum atriorum ist bei Vögeln der vordere Theil des Spatium intersepto-valvulare ziemlich ausgedehnt vorhan- den. Nach hinten zu, zwischen linker Sinusklappe und Septum atriorum, wird dieser Raum schmaler; im Ganzen hat er die Form eines nach hinten spitz zulaufenden Keils. Wenn man das Septum atriorum der Passeres vom linken Vor- hofe aus betrachtet, so bildet es ähnlich wie z. B. bei den Schild- kröten eine dünne durchscheinende Wand, an deren hinterem Ur- sprunge die Lungenvene schief ins Atrium einmündet, ohne die Spur einer Klappe zu besitzen. — Bei allen anderen Vögeln empfängt aber das Vorhofsseptum auf seiner linken Seite eine Verstärkung durch die theilweise ins Atrium aufgenommene Wandung der Lun- genvene. Man braucht sich nur die bei Cyclodus beschriebene klap- penähnliche Falte stärker ausgebildet und mit dem Vorhofsseptum verwachsen zu denken, so haben wir die Verhältnisse, wie sie sich bei den meisten Vögeln finden. Diese sekundäre, von der Vena pulmonalis stammende Verstär- kung des Vorhofsseptums ist nun allerdings in vielen Fällen, z. B. bei Rhea, Oxydromus, Anser u. a. so stark entwickelt, dass sie als dach- artiger, mehr oder weniger schief geneigter und in eine scharfe Kante 5% 68 Carl Röse zulaufender Fortsatz ins Lumen des linken Vorhofs über der Mün- dung der Pulmonalis hineinragt. Der nicht damit verwachsene dünn- wandige Rest vom Septum atriorum erscheint dann sehr redueirt und ist nur noch in der vorderen oberen Ecke des linken Vorhofs vorhanden. Auf Seite des rechten Vorhofs entspricht diese Stelle dem am meisten vorn und nach links gerückten Theile des Spatium intersepto-valvulare. An dieser Stelle des Vorhofsseptums finden sich während der Embryonalzeit die noch zu besprechenden sekundären Durehbrechungen. Was die histiologische Struktur der oben erwähnten Verstärkung des hinteren Theiles vom Vorhofsseptum betrifft, so besteht dieselbe naturgemäß aus ähnlichen Elementen, wie beim Sinus venosus be- schrieben wurde, aus einem Gemisch von quer gestreifter Herzmus- kulatur, fibrillärem und elastischem, endocardialem Bindegewebe und von glatten Muskelzellen. Bald überwiegt das eine, bald das andere. Daher kommt es wohl auch, dass GAscH die Struktur bald als »ela- stisch«, bald als »fleischig« beschreibt. Lungenvenen sind bei Vögeln konstant zwei vorhanden. Bei Rhea vereinigen sie sich kurz bevor sie ins Pericard eintreten, bei den anderen Vögeln erst beim Durchtritt durch die Herzwand. Ihr gemeinsamer Endstamm ist ins Lumen des linken Vorhofs aufge- nommen worden, bildet allerdings bei Vögeln einen vom übrigen Vorhofsraume ziemlich scharf abgesonderten, glattwandigen, trichter- förmigen Raum, muss jedoch meiner Meinung nach mit demselben Rechte zum linken Vorhofe gerechnet werden. wie man die Reste des Sinusraumes zum rechten Atrium rechnet. Wie ich schon früher bemerkte, erscheint es mir angezeigt. nur dann von einer einheitlichen Lungenvene zu sprechen, wenn der Hauptstamm noch außerhalb des Pericards als solcher kenntlich ist. In dieser Hinsicht haben alle Vögel, mit Ausnahme vielleicht der Cursores, zwei Lungenvenen. Bei Vögeln erleidet das Septum atriorum während der Em- bryonalzeit Veränderungen, wie sie in ähnlicher Weise auch bei den Säugern vorkommen, nämlich sekundäre Durehbrechungen. Während auch bei den höchstentwickelten Reptilien, bei den Krokodilen, der völlige Abschluss des Lungenkreislaufes vom Körper- kreislaufe noch nicht erzielt ist, findet dies bei Vögeln schon wäh- rend der Entwicklungsperiode im Ei statt. Nun sind aber die Lungen um diese Zeit noch nicht funktionsfähig, ihre Blutgefäße können noch nicht so viel Blut aufnehmen, als zur Herstellung des Gleichgewichtes Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 69 zwischen beiden Kreisläufen erforderlich wäre. Bei den Reptilien konnte in diesem Stadium der Ausgleich in der Cirkulation leicht hergestellt werden, weil erstens die Ventrikelräume nicht völlig ge- trennt sind, vorzugsweise aber weil bei Reptilien speciell auch beim Krokodile aus jedem Ventrikelraume eine Aorta entspringt. Wenn also der linke Ventrikel nicht genug Blut liefert für den Kör- perkreislauf, so gleicht dies die aus dem rechten Ventrikel entsprin- gende linke Aorta aus. Bei Vögeln nun ist bekanntlich nur eine, die rechte Aorta vor- handen, die linke ist ausgefallen. Ferner findet bei Vögeln schon in relativ früher Embryonalzeit durch das von LinpEs entdeckte Septum aorticum ein völliger Abschluss der Ventrikel resp. der Bulbi arteriosi statt. Nothwendigerweise mussten nun neue Ein- richtungen getroffen werden, um das gestörte Gleichgewicht im Blutkreislaufe wieder herzustellen. Je mehr die Ventrikeltheile von einander geschieden wurden, um so mehr musste der Blutdruck im rechten Herzen gegenüber dem linken zunehmen. Die natürlichste Folge bestand darin, dass das dünnwandige, schon fertig gebildete Septum atriorum vom rechten Vorhofe aus durchbrochen wurde, und somit der linke Vorhof den zum Ausgleich nöthigen Theil seines Blutes durch diese neugebildeten Löcher hindurch aus dem rechten Atrium erhielt. Bei Vögeln nun findet, wie wir durch LinDEs wissen, diese Durchbrechung des Vorhofsseptums in der Weise statt, dass siebartig zahlreiche größere und kleinere Löcher entstehen. Sobald nun nach dem Verlassen des Eies die Lungenathmung beginnt, bekommt der linke Vorhof von Seiten der erweiterten Lunge Blut in völlig ausreichender Menge; der Druck in beiden Vorhöfen ist nahezu gleich und die Durchlöcherungen des Vorhofsseptums haben ihre funktionelle Bedeutung verloren. Sie werden demgemäß ganz allmählich durch Endocardwucherung verschlossen. Nicht bei allen ist dies jedoch der Fall. Einige der größten und am weite- sten nach vorn gelegenen Löcher kommen in sehr vielen Fällen nicht zum völligen Verschlusse. Man findet also in diesen Fällen auch beim erwachsenen Vogel eine geringgradige Kommunikation zwi- schen beiden Vorhöfen. Eine Mischung der beiden Blutarten wird bei dem gleichen Drucke in beiden Vorhöfen dadurch jedoch kaum bewirkt. Beim erwachsenen Vogel lässt sich der im Embryonal- leben durchbrochene Theil der Vorhofsscheidewand leicht erkennen. Er hat eine netzartige Struktur, nach RokrraNsky ein »gestricktes Aussehen«. An den Stellen, wo die muskulöse Scheidewand früher 70 Carl Rise durchbrochen war, findet sich jetzt reichlich elastisches Gewebe, welches aus dem gewucherten Endocard entstanden ist. Das Herz der Monotremen steht in vielen Beziehungen dem- jenigen der Reptilien und Vögel näher als dem Herzen der placen- talen Säuger, so ganz besonders bezüglich des Septum atriorum. Ähnlich wie bei den meisten Reptilien ist die Partie, mit welcher die beiden Vorhöfe zusammenhängen. ziemlich klein und eben so natürlich das Septum atriorum nicht sehr groß. Bei Ornithorhynchus und Echidna findet sich ein Limbus Vieussenii und an seiner lin- ken Seite ein Spatium intersepto-valvulare, ähnlich wie z. B. bei Schlangen. Dies Spatium erscheint wie ein nach links ausge- bauchtes Divertikel des rechten Vorhofs. Der Eingang in dasselbe ist (Fig. 19) etwas längsoval gestaltet und hat demgemäß viel- fach Veranlassung gegeben, fälschlich bei Monotremen ein Foramen ovale anzunehmen. Schon LAnkESTER hat auf das Unrichtige dieser Anschauung hingewiesen. Die vordere Umgrenzung dieses ovalen Einganges zum Diver- tikel, welche durch den Limbus Vieussenii gebildet wird, ist ziem- lich scharf. Hinten dagegen wird die Umgrenzung durch den hin- teren Theil des Septum atriorum selbst gegeben: die Umgrenzung ist demnach hier weniger scharf. Die linke Sinusklappe betheiligt sich durchaus nicht an der Umgrenzung des Einganges zum diver- tikelartigen Spatium intersepto-valvulare. Der im Hintergrunde des Divertikels sichtbare Theil des Vorhofsseptums bietet dasselbe » ge- strickte« Aussehen wie der betreffende Septumtheil bei Vögeln. Es ist zweifellos. dass sich im Embryonalstadium der Monotremen hier dieselben siebartigen Durchlöcherungen gefunden haben, wie sie Lix- pDEs bei Vögeln beschreibt. Dass man demnach bei Monotremen nicht von einem Foramen ovale sprechen kann, versteht sich von selbst. — — Bei Monotremen findet sich ein ausgesprochener einheitlicher, mehrere Millimeter langer Lungenvenenstamm, wel- cher sich nach hinten zu sehr bald doppelt dichotomisch theilt (Fig. 19). Die Mündung der Lungenvene ist ausgesprochen ureterartig, genau wie wir es bei Reptilien und Vögeln fanden. Besondere klappen- artige Gebilde, wie bei den meisten Vögeln und einigen Reptilien vorhanden, fehlen vollständig. Auch bei Marsupialien findet sich eben so wenig wie bei Monotremen ein Foramen ovale. Die Verhältnisse liegen jedoch hier ganz anders. Ein Limbus Vieussenii fehlt den Beutelthieren in der Form, wie wir ihn bisher fanden. Die ihn bildende Einfaltung der Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. ran muskulösen Vorhofswand ist schon in sehr früher Zeit mit dem ziemlich dicken muskulösen Septum atriorum eng verwachsen. Ein Spatium intersepto-valvulare existirt demnach bei erwachsenen Beut- lern absolut nicht. Das Septum atriorum ist bei den Marsupialien so dick und an- scheinend homogen, dass ich Anfangs glaubte, hier könne unmög- lich jemals eine Durchbrechung bestanden haben.» Ich nahm an dass zur Zeit, in der das Beuteljunge extra-uterin zu athmen beginnt, das Septum ventriculorum noch nicht völlig ausgebildet, demnach eine sekundäre Durchbrechung des Vorhofsseptums unnötig gewesen sei. Um so mehr überraschte es mich, als ich bei den Opossum- embryonen Professor SELENKA’s in Erlangen zwar ganz meine Ver- muthung betrefis der Unvollständigkeit des Ventrikelseptums zur Zeit der Geburt bestätigt fand, dass aber trotzdem ganz unzweifelhafte mehrfache Durchbrechungen des Vorhofsseptums vorhanden waren. Die Kommunikation und der Ausgleich der beiden Blutströme durch das Foramen interventriculare scheint also demnach doch hier nicht zu genügen. Bei Vögeln fällt nun der linke, bei Säugern der rechte Aortenbogen aus, und dieser Ausfall des einen Aortenbogens, die Entstehung eines einheitlichen einseitigen, nur aus dem linken Ventrikelraume entspringenden Aortenstammes halte ich für das Causalmoment der Entstehung sekundärer Durchbrechungen im Septum atriorum. Die kleine Lücke im Septum ventrieulorum der Beutelembryonen, welche dieselben noch bei der Geburt aus dem Uterus besitzen, genügt eben so wenig zum Ausgleich der Volum- und Druckdifferenzen des fötalen Kreislaufes als wie bei den Krokodilen das Foramen Panizzae dazu genügen würde. Die Durchbrechungen des Vorhofsseptums bei Beutlern sind lange nicht so zahlreich als bei Vögeln und Monotremen, doch werden sie in ganz gleicher Weise allmählich durch Endocardwucherung ge- schlossen. Auf Durchschnitten durch das Herz erwachsener Beutel- thiere kann man die Stellen der früheren Durchbrechungen noch deutlich erkennen, indem hier die kontinuirliche dicke Muskellage des Vorhofsseptums durch quer hindurch verlaufende elastische Binde- gewebsstränge unterbrochen wird. Bezüglich der Lungenvenen ergeben sich bei Beutlern mehr- fache Variationen, ähnlich wie dies auch bei placentalen Säugern der Fall ist. Bei Phylacinus finde ich vier Lungenvenen, von denen sich zwei noch außerhalb des Herzens zu je einem kurzen Stamme 72 Carl Rise vereinigen. Diese zwei Stämme nun stehen schon ziemlich weit von einander entfernt und münden an verschiedenen Stellen in den be- schriebenen trichterférmigen Raum des linken Vorhofs, welcher an seinem Vorhofsende durch eine bei Beutlern stark hervortretende Ringmuskelschicht gegen das übrige Lumen ziemlich deutlich ab- gesetzt erscheint. Die Wirkung der schiefen Einmündungsweise der Lungenvene wird also bei Beutlern eben so wie bei den meisten placentalen Säugern verstärkt durch besondere Muskellagen, die am centralen Ende des früheren einheitlichen, ins Atrium einbezogenen Hauptstammes der Lungenvene gelegen sind und bei der Vorhofs- systole den Eingang zum trichterförmigen Raume verengen. Bei Phascolomys verlaufen die beiden linken Lungenvenen ge- trennt bis zur Herzoberfläche, die rechten dagegen haben sich schon in I em Entfernung zu einem gemeinsamen Stamme vereint. Sonst finden sich dieselben Verhältnisse, wie vorhin beschrieben. — — Erst bei den placentalen Säugern setzen die sekun- dären Veränderungen ein, welche mit der Bildung des sogenannten Foramen ovale zusammenhängen. Es ist das Verdienst von Born. zuerst die sekundäre Durch- brechung des Vorhofsseptums auch bei placentalen Säugern nach- gewiesen zu haben, während mir dieser Vorgang bei der Abfassung meiner ersten Arbeit entgangen war. In einer zweiten entwicklungs- geschichtlichen Arbeit bin ich dann ausführlich auf diesen Punkt zurückgekommen. An dieser Stelle mag daher nur kurz auf diesen Vorgang hingewiesen werden. — Das Septum atriorum der placentalen Säuger entsteht als mus- kulöse Membran in ähnlicher Weise, wie wir sie bei Reptilien finden. Es findet dann mit dem Schwinden des rechten vierten Arterienbogens die sekundäre Durchbrechung statt. Nach Born’s Auffassung geschieht dies stets in Form eines einzigen Loches. meinen Anschauungen zufolge findet sich bei placentalen Säugern bald ein- bald mehrfache Durchlöcherung. Dies Letztere scheint mir häufiger zu sein als das Erstere. Selbst beim Menschen kommen mehrfache Durchlöcherungen vor und ist dies durchaus kein abnormes Vorkommnis, wie Born annimmt. Während aber nun bei Vögeln, Monotremen und Marsupialien diese sekundären Durchlöcherungen des Vorhofsseptums sich ver- hältnismäßig frühzeitig durch Endocardwucherung wieder schließen, bilden sich bei placentalen Säugern durch Anpassung an den Pla- centarkreislauf ganz neue Verhältnisse aus. Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 73 Der schon von den Batrachiern her bekannte Limbus Vieus- senii bildet sich bei placentalen Säugern zu einer ziemlich weit und scharf ins Lumen des rechten Vorhofs vorspringenden sichel- förmigen Leiste aus, welche später den durchlöcherten vorderen Theil des Septum atriorum von rechts her fast völlig deckt. Ist nur ein Loch vorhanden, wie gewöhnlich bei Mensch und Kaninchen, so bleibt dies bestehen, sind mehrfache Durchlöcherungen vorhan- den, wie beim Rind, Schaf, Pferd ete., so werden die kleineren Lö- cher meist durch Endocardwucherung geschlossen. Eines oder auch mehrere der am weitesten nach vorn gelegenen und größten Löcher bleiben eben so wie im vorhergehenden Falle während der ganzen Fötalzeit offen und vermitteln den sonst unmöglichen Ausgleich des Blutkreislaufes. Unterdessen ist nun bei allen placentalen Säugern die vordere Partie des Spatium intersepto-valvulare völlig geschwun- den, so dass Limbus Vieussenii und Septum atriorum in der Ruhe- stellung einander bis zur Berührung nahe gerückt sind, und die jetzt meist einfache, am vordersten Septumende gelegene Durchbre- chung vom Limbus völlig von rechts her gedeckt erscheint. Während der Vorhofssystole aber wird der hinter der Durchbrechung ge- legene flottirende Theil vom Septum atriorum unzweifelhaft nach links ausgebaucht und somit zwischen Limbus Vieussenii und Sep- tum atriorum ein schiefer Spalt gebildet, durch den das Blut zu- nächst durehtreten muss, ehe es zu dem am vorderen Septumende gelegenen Loche in der Vorhofsscheidewand kommt. Wie wir früher schon sahen, schwindet bei den placentalen Säugern mit Ausnahme der Edentaten auch der hintere Theil des Spatium intersepto-valvulare. Die linke Sinusklappe verbindet sich mit dem Limbus zum Annulus Vieussenii und somit ist bei placentalen Säugern ein sekundäres ringförmiges Hilfssep- tum entstanden. Dieses ganz sekundär entstandene, aus verschiedenen Anlagen sich zusammensetzende Gebilde nun bezeichnete die bis- herige Terminologie als Vorhofsseptum xar 2%0y7v, während das eigentliche Vorhofsseptum als Valvula foraminis ovalis benannt wurde. Unter Foramen ovale versteht man den inner- halb des Annulus Vieussenii gelegenen Raum, indem man annahm, hier habe früher ein Loch bestanden, welches erst sekundär durch die Va. for. oval. bedeckt wurde. Diese Ansicht ist durchaus un- richtig. Das Loch im Septum atriorum liegt zu der Zeit, wo der Annulus sich bildet, auch wenn es, wie beim Menschen nach Born, hinten entsteht, sicherlich schon am vorderen Ende des Septum 74 Carl Röse und wird nach rechts vom Limbus bedeckt. Der Name Foramen ovale ist also eigentlich inkorrekt, doch mag er als regionale Bezeichnung immerhin bestehen bleiben ! Die eigentlichen sekundären Durchlöcherungen im Vor- hofsseptum bezeichnet man wohl am einfachsten als Foramen resp. Foramina septi atriorum. Der Name Ostium II von Born dürfte weniger geeignet sein, da bei Säugern, z. B. beim Rind u. a. selbst bei der Geburt noch zwei und selbst mehrere Löcher bestehen ; außerdem würde sich die Bezeichnung Ostium II auf die Vögel, Monotremen und Marsupialien nicht anwenden lassen! — Der Limbus Vieussenii ist bei manchen Säugern, z. B. bei den Wiederkäuern, sehr bedeutend ausgebildet, so dass die Region des Foramen ovale weit nach hinten verschoben erscheint. Meist jedoch liegt diese Partie eben so wie beim Menschen ziemlich in der Mitte der medialen Begrenzung des rechten Vorhofs. Nach der Geburt legt sich das Septum atriorum bei placentalen Säugern bekanntlich flach an den Limbus Vieussenii an und verwächst meist mit dem- selben. Diese Verwachsung ist eine rein bindegewebige und kommt nicht immer zu vollkommenem Abschlusse, so dass man nach Bruck u. A. fast in der Hälfte aller Fälle immer noch eine kleine Stelle findet, wo keine Verwachsung stattgefunden hat. Was die Lungenvenen anlangt, so finden sich ähnlich wie bei den Marsupialien konstant vier Stämme. Dieselben münden bald gesondert mit vier getrennten Mündungen wie meist beim Menschen, den Affen u. a., bald vereinigen sich beide Paare, bald auch nur eines derselben zu einem gemeinschaftlichen Stamme. Der trichterformige Mündungsraum, den wir noch bei Beutlern deutlich vorfanden, flacht sich mehr und mehr ab und geht allmählich ins Lumen des linken Atriums über. Bei Kaninchen eben so bei Edentaten sowie bei Stenops gracilis ist der trichterförmige Raum noch ziemlich ausge- prägt. Beim Menschen und den Primaten ist dies Gebiet des frühe- ren einheitlichen Endstammes der Lungenvenen. wie Born richtig bemerkt, glatt in die Vorhofswand eingetreten. Die Mündungen der sekundären vier Lungenvenen erscheinen demnach hier weiter aus einander gerückt. Zwischen beiden Typen finden sich nun bei den placentalen Säugern die mannigfachsten Übergänge, so dass es nicht viel Interesse bietet. hier noch Einzelheiten aufzuzählen. — — — Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 75 Ill. Septum ventriculorum und Atrioventricularklappen. Bei allen Fischen besteht bekanntlich keine zusammenhängende Ventrikelhöhle. sondern das Innere ist durchsetzt von einer zahllosen Masse sich netzartig durchflechtender Muskeltrabekel, so dass man das ganze Gefüge dem eines Badeschwammes sehr wohl vergleichen kann. Nur in der Nähe des Atrioventricularostiums findet sich ein kleiner einheitlicher Hohlraum. Eine Scheidewandbildung irgend welcher Art ist nicht vorhanden. Bei den Dipnoern findet sich von diesem Typus eine Abände- rung derart, dass sich der fibröse Wulst in die Ventrikelhöhle hinein erstreckt und somit eine unvollständige Trennung in zwei Räume bewirkt. Bei den Amphibien zeigt sich wieder äbnlich wie bei Fischen das netzförmige Trabekelwerk, welches fast den ganzen Ventrikel- raum ausfiillt. Die einzelnen Trabekel sind jedoch, wie Gompertz sehr richtig beschrieben hat, ziemlich regelmäßig angeordnet, so dass eine größere Reihe radiär angeordneter Kammerräume und Nebenräume entsteht. Die Anlage eines Ventrikelseptums ist auch bei Amphibien nicht vorhanden. — — Auch bei den meisten Reptilien ist, wie Frirscu, Gascu u. A. gezeigt haben. die Trennung des Ventrikelraumes in zwei Hälften eine sehr wechselnde und mehr oder minder zufällige. Zwar findet sich bei allen Reptilien, besonders an der hinteren Wand, ein aus mehreren Trabekeln entstandener kompakterer Muskelzug, derselbe ist jedoch sowohl nach Lage als auch nach Ausdehnung sehr wech- selnd. Am ausgebildetsten findet sich derselbe bei Varanus vor, wo bereits eine Verwachsung der Muskelleiste mit der hinteren Partie der Atrioventrieularklappen stattgefunden hat und der Ventrikel schon deutlich in zwei Räume getheilt erscheint. Es ist jedoch auch noch bei Varaniden der Ventrikelraum größtentheils von dem Trabekel- netzwerk ausgefüllt. Die Krokodile machen unter den Reptilien eine Ausnahme, in- dem hier eine nahezu völlige Scheidung in zwei Ventrikelräume stattgefunden hat. Diese Verhältnisse sollen später weiter bespro- chen werden in Gemeinschaft mit den Atrioventricularklappen. Die letzteren entstehen bei den Vertebraten sehr frühzeitig. Schon bei Fischen sind sie vorhanden als zwei echte, im Ohrkanale oder Ostium atrioventrieulare ausgespannte Taschenklappen. Sie ent- 76 Carl Röse stehen ursprünglich durch Wucherung des Endocards als zwei ent- gegenstehende solide Endocardpolster bei Fischen sowohl wie bei Säugerembryonen. Durch den Blutstrom werden dieselben bei Fischen bald von der Ventrikelseite her ausgehöhlt und zu zwei echten Ta- schenklappen umgebildet, welche ihren Ursprung an der Grenze zwi- schen Vorhof und Ventrikel haben und bei der Ventrikelsystole wohl geeignet erscheinene das Ostium venosum abzuschließen. Bei den Cyclostomen, wo der Vorhof genau hinter dem Ven- trikel liegt und der Ohrkanal nach vorn schaut, lassen sich die Klappen als obere und untere bezeichnen. Ähnliche Verhältnisse zeigen sich auch noch bei den Teleostiern und Selachiern. Im Herzen der Ganoiden findet man, wie in verschiedenen anderen Punkten, auch bezüglich der Atrioventrieularklappen Ab- änderungen. Zunächst haben mit der Aufrichtung des Vorhofs auch diese Klappen eine veränderte Stellung zur Achse des Herzens ein- genommen. Man muss sie jetzt korrekt als ventrale und dorsale unterscheiden, wobei die ventrale der früheren oberen, die dorsale der unteren entspricht. Es ist nun die ventrale Klappe, wie schon Boas ganz richtig erwähnt, bei den Ganoiden in ihrer ursprünglichen Größe und Ausdehnung vorhanden; die dorsale dagegen zerfällt in mehrere kleinere Taschenklappen. Bei Polypterus finde ich drei hintere Klappen, eine kleine mittlere und zwei größere seitliche. Auch bei Amia finde ich nur drei hintere Klappen, bei Lepidosteus jedoch deutlich fünf. Unter den einzelnen Klappen ist die Ventrikel- muskulatur, besonders deutlich bei Polypterus, nischenähnlich ausgehöhlt; zwischen je zwei Klappen dagegen springt dieselbe leistenartig vor, und von diesen Leisten gehen strahlenartig nach links und rechts einige Muskelfäserchen aus, welche in der Tiefe der Nischen sich an die hinteren unteren Flächen der Taschenklap- pen inseriren. — — Bei den Dipnoern sind, wie schon oben erwähnt, überhaupt keine Taschenklappen vorhanden. Die ventrale wird ersetzt durch den von Boas richtig beschriebenen scharfen Rand zwischen Conus arteriosus und Ventrikeleingang. Die dorsalen Klappen der Ga- noiden sind bei den Dipnoern umgebildet zu dem erwähnten binde- gewebigen Wulst, welcher bei der Systole gegen den scharfen Conus- rand angedrückt wird und somit das Atrioventrieularostium ver- schließt. Bei den Amphibien finden wir wieder die beiden Taschen- klappen, welehe bei Urodelen entsprechend der Verschiebung der Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 77 Herztheile zu einander ebenfalls nicht genau quer verlaufen, son- dern mehr schief, von links hinten nach rechts vorn. Bei den Ba- trachiern dagegen stehen die Klappen genau quer, so dass man eine vordere oder ventrale und eine hintere oder dorsale unterscheiden kann. Gegenüber den entsprechenden Klappen der niederen Fische weisen jedoch die Amphibien schon wesentliche Fortschritte auf. — Ähnlich wie dies schon bei den Ganoiden angedeutet war, findet sich bei Amphibien an der Unterfläche der zwei Taschenklappen die Ventrikelwand nischenartig ausgebuchtet. Die Muskeltrabekel sind an diesen Stellen rarefieirt und stellen sich dar als mehr oder we- niger isolirte, von der Ventrikelwand zur unteren Klappenfläche ver- laufende Fasern, welche theilweise ihre muskulöse Struktur ver- loren haben und sehnig umgewandelt sind. Das Septum atriorum überbrückt bei Amphibien das Ostium veno- sum commune und setzt sich vorn und hinten an die obere Fläche der Taschenklappen an, mit deren Basis es innig sich verbindet. Bei den Reptilien ist der freie untere Rand des mehr oder minder sagittal verlaufenden Septum atriorum tiefer ins Ostium atrio- ventrieulare hinabgewachsen und hat sich mit den Taschenklappen inniger verbunden. Sobald sein unterer Rand die freien Ränder der Atrioveutricularklappen erreicht hat, ist die Trennung des bisherigen gemeinsamen Ostiums in ein linkes und ein rechtes perfekt gewor- den. Wenn dieser Zustand bestehen bliebe, so würden die beiden Ostien je zwei freie Taschenklappen besitzen, je die Hälften der früheren Klappen. Nun beginnt aber bei Reptilienembryonen genau so wie bei Säugerembryonen in Folge des Hinabwachsens vom Vor- hofsseptum eine breite Verwachsung der vorderen und hinteren Ta- schenklappe mit einander in der Richtung von vorn nach hinten. In Folge dessen entsteht jederseits durch Verwachsung je einer vorderen und hinteren Hälfte der durch das Vorhofsseptum hal- birten primären Taschenklappen eine neue Klappe. Es sind also aus den beiden primären Taschenklappen des Ostium venosum commune der Amphibien bei Reptilien zwei neue Taschenklappen entstanden, für jedes sekundäre Ostium eine solche Klappe, welche jederseits medial befestigt sind und ihren freien Saum der late- ralen Kammerwand zuwenden. Diese Klappen kann man, entspre- chend ihrer Stellung, bei Reptilien als rechte und linke bezeich- nen. Dass dieselben durch Verwachsung der primären vorderen und hinteren Taschenklappe entstanden sind, lässt sich bei erwachsenen Reptilien überall mehr oder minder deutlich erkennen, am besten 78 Carl Röse bei Chelonia (Fig. 14). Hier lassen sich deutlich die Spuren friiher stattgehabter Verwachsung nachweisen, wenn man den Ventrikel der- art halbirt, dass man von unten auf die Unterfläche der Klappen schaut. Es zeigen sich dann die Reste der freien Ränder der pri- mären zwei Klappen deutlich als zwei quer verlaufende erhabene Leisten. Die Muskeltrabekeln, welche sich bei Amphibien an der Unterseite der primären Taschenklappen ansetzten, setzen sich bei den sekundären Taschenklappen der Reptilien naturgemäß an den vorderen und hinteren Endpunkten derselben an. Bei allen Reptilien mit Ausnahme der Krokodile hat man in jedem Ostium atrioventriculare nur diese eine medial befestigte Taschenklappe und dieselbe scheint völlig zum Verschlusse des Ostiums ausreichend zu sein. — — Bei den Varaniden bereits sahen wir, dass die eine den Ven- trikelraum unvollständig trennende Muskelleiste hinten mit der Mitte der verschmolzenen primären Taschenklappen zu verwachsen begann. Bei den Krokodilen nun ist dieser Process noch weiter vorgeschritten. Es haben sich hier unstreitig mehrere Muskelbalken zur Bildung eines muskulösen Septum ventriculorum vereinigt. Vorn steigt dies Septum am weitesten in die Höhe. Hinten und in der Mitte ist es gegenüber dem Ansatze des Septum atriorum mit der Unterseite der verschmolzenen primären Taschenklappen verwachsen. Diese Ver- wachsung ist bindegewebiger Natur, so dass an dieser Stelle der oberste Theil des Septum ventrieulorum durchscheinend ist. Die vorderen Muskelbalken des Ventrikelseptums sind bei Kro- kodilen zwar weiter in die Höhe gewachsen als die hinteren, mit den Taschenklappen verbundenen. Eine völlige direkte Vereinigung mit der hinteren Partie des Septum ventriculorum jedoch kann aus dem Grunde nicht erfolgen, weil sich vorn in der Mitte der Truncus arteriosus inserirt. Derselbe besteht bei Reptilien bekanntlich aus drei Stämmen, zwei Aorten und der Pulmonalis. Während nun bei Krokodilen die linke Aorta und die Pulmonalis, durch einen Muskel- vorsprung von einander getrennt, aus dem rechts und vorn gelegenen rechten Ventrikelraume entstehen, lagert sich der Anfangstheil des aus dem linken Ventrikelraume entspringenden rechten Aortenstam- mes genau in die Lücke ein, welche zwischen dem vorderen und hinteren Schenkel des Ventrikelseptums noch bestand. Die Scheidung der Stämme des Truncus arteriosus selbst erfolgt durch die Bulbus- leisten, ähnlich wie es Liwpes schon bei Vögeln beschrieb. Jedoch geschieht diese vom distalen nach dem centralen Truncusende fort- Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 79 schreitende Verwachsung der Bulbusleisten bei Krokodilen nicht voll- ständig. Es bleibt am centralen Ende innerhalb der Semilunar- klappen eine Spalte zwischen rechtem und linkem Aortenstamme übrig, wo die Verwachsung nicht stattgefunden hat. Es ist dies das bekannte Foramen Panizzae. — Bezüglich der Atrioventrieularklappen besteht bei Krokodilen ebenfalls eine viel komplieirtere Gestaltung als bei den anderen Reptilien. Während hier das eigentliche Cavum des Ventrikels im- mer noch sehr klein ist, haben sich die Ventrikelräume bei Kroko- dilen schon ziemlich erweitert durch Rarefikation der schwammartig angeordneten Muskelmasse. Die einfache Taschenklappe würde nun- mehr beiderseits nicht mehr ausreichen zum völligen Abschluss der Ostia venosa, die sich ebenfalls entsprechend erweitert haben, und so finden sich denn bei Krokodilen die ersten Anfänge der se- kundären, aus Ventrikelmuskulatur entstehenden Atrio- ventrieularklappen. Im rechten Ostium ist diese Muskelklappe durch GEGENBAUR sehr richtig beschrieben worden. Indem die Muskeltrabekel der Ventrikel mehr und mehr schwanden, blieb in der lateralen Umgrenzung des rechten Ostium venosum eine Mus- kelplatte übrig, welche mehr und mehr vom Blutstrome unterwühlt wurde, auf ihrer Unterseite jedoch noch durch verschiedene gribere und kleinere Bündel mit der Muskulatur der Ventrikelwand in Ver- bindung steht. Auf ihrer oberen Seite ist diese Muskelplatte glatt und sieht gegen das Vorhofslumen. An der Grenze zwischen Vorhof und Ventrikel befand sich schon bei den Fischen eine bedeutende ringförmige Einschnürung, in welche sich pericardiales Bindegewebe zwischen Vorhof und Ventrikelmus- kulatur hinein erstreckte. Diese Verhältnisse haben sich auch in der höheren Vertebratenreihe erhalten. Indem nun bei Krokodilen der Ventrikelraum mehr und mehr unter der Muskelklappe nach außen sich ausdehnte, wurde sekundär weiter und weiter die pericardiale Bindegewebsschicht ins Innere der Muskelklappe aufgenommen. Die- selbe besteht also bei Krokodilen auf ihrer Unterseite aus einer Platte zusammenhängender Kammertrabekel, auf ihrer Oberseite aus der Muskelplatte der lateralen unteren Vorhofswand. Zwischen beide schiebt sich eine Schicht pericardialen Bindegewebes ein. Wir sahen oben, dass bei den übrigen Reptilien die beiden medialen Taschenklappen an ihrem vorderen und hinteren Ende mit den Muskeltrabekeln der Kammer in Verbindung standen. Bei den Krokodilen wird natürlich auch an diesen Stellen die ursprüngliche SO Carl Röse Kammermuskulatur unterwiihlt, und die Flächen der bisher rein endocardialen medialen Taschenklappen werden anihrer vorderen und hinteren Partie vergrößert durch sekundäre Unterwühlung der mit ihnen zusammenhän- genden Muskelplatten. Am linken Ostium venosum der Krokodile finde ich ganz ähn- liche Verhältnisse wie rechts. Es besteht auch hier eine mediale größtentheils endocardiale Taschenklappe, welche wie ein Segel über den Aorteneingang herabhängt. Die laterale Kammerwand hat sich auch am linken venösen Ostium von Crocodilus zu einer Muskelklappe umgebildet, die genau dieselbe Entstehung und Zusammensetzung zeigt wie die rechte Muskelklappe. Bei Vögeln ist das Ventrikelseptum viel fester und solider ge- webt als bei Krokodilen. Die Ventrikelhöhlungen sind weiter aus- gedehnt: die frei ins Lumen herein ragenden Trabecularmuskeln mehr oder minder reducirt. Da bei Vögeln der linke Aortenbogen ausgefallen ist, so entspringt aus dem rechten Ventrikel lediglich die Pulmonalis, deren Lumen von dem der Aorta völlig getrennt ist. Was die Atrioventrieularklappen betrifft, so ist bei Vögeln am rechten Ostium die mediale endocardiale Taschenklappe der Kroko- dile vollständig geschwunden. Doch finden sich. wie GEGENBAUR bei Sarcorhamphus beschreibt, von dieser Klappe ab und zu Rudi- mente in Form einer endocardialen Leiste, welche am Ventrikel- septum verläuft. Es ist dies wohl zweifellos der freie Rand der im Embryonalleben bestehenden medialen Taschenklappe, welche später mit dem Ventrikelseptum verwachsen ist. Ich habe dieselbe Leiste bei Oxydromus und in geringerem Grade auch bei Corvus monedula beobachtet. — Die am lateralen Umfange des rechten Ostium veno- sum entspringende Muskelklappe der Vögel entspricht genau dem gleichen Gebilde bei Krokodilen. Sie unterscheiden sich beide nur graduell von einander. Bei Vögeln ist die Unterwühlung der Klappe und die Rarefieirung der Trabecularmuskeln auf ihrer Unterseite noch weiter gegangen, so dass die Klappe als freies Muskelsegel erscheint, welches nur vorn durch einen einzigen Trabecularmuskel an die Kammerwand angeheftet ist. Bei den Cursores sitzt dieser Befesti- gungsmuskel bekanntlich fast am vorderen Ende der Muskelklappe. Hinsichtlich der histiologischen Struktur und Zusammensetzung ent- spricht die Klappe genau dem gleichen Gebilde an der lateralen Wand des rechten Ostium venosum der Krokodile. Bezüglich der Klappen des linken venösen Ostiums zeigen die Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 8] Vögel gegenüber den Reptilien einen großen Fortschritt. Die über den Aorteneingang herabhängende endocardiale Klappe ist in der oben an- gegebenen Weise durch Apposition sekundärer Muskelplatten an ihren Ursprungstheilen vergrößert worden. Eine Reihe der früheren Trabekel ist Jedoch zu beiden Seiten stehen geblieben und gleich dem muskulösen Zuwachs der Klappe bindegewebig umgewandelt. Diese bindegewebig degenerirten Muskeltrabekel werden jetzt als Chordae tendineae der medialen Klappe bezeichnet. Sie inseriren naturgemäß nur an den früheren Randtheilen der ursprünglichen endocardialen Klappe und lassen in der Mitte dieser Klappe zwischen sich einen größeren oder kleineren freien nicht mit Sehnenfäden versehenen Rand übrig, weleher der früheren Ausdehnung der Endocardklappe entspricht. Das Bindegewebe, aus dem die ausgebildete mediale Klappe des linken Ostiums der Vögel besteht, ist also verschiedenen Ursprunges. In den mittleren Partien haben wir ursprüngliches, aus dem Endo- card entstandenes, in den Randpartien aus Muskelgewebe sekundär- umgewandeltes Bindegewebe. Die bei Crocodilus vorhandene muskulöse Klappe des linken Ostiums hat sich bei Vögeln in zwei Klappen differenzirt und ist ebenfalls bindegewebig umgewandelt. Die Trabecularmuskeln der Kammerwand haben sich größtentheils rückgebildet bis auf drei kurze Muskelsäulen, echte Papillarmuskeln. Von diesen liegt be- kanntlich zu beiden Seiten der medialen Klappe je ein Muskel, der dritte an der gegenüberliegenden lateralen Kammerwand. Diese drei Papillarmuskeln nun senden die Chordae tendineae aus zu den drei Klappen des linken Ostium venosum der Vögel. Bei den Monotremen ist das Ventrikelseptum ähnlich gebaut wie bei den Vögeln. Es ist etwa von gleicher Stärke wie die kom- pakte Wand des linken Ventrikels, um den sich der rechte ähnlich wie ein Mantel umlagert. Auch bezüglich der Atrioventrieularklappen herrschen große Ähnlichkeiten zwischen Ornithorhynchus und Echidna einerseits und den Vögeln andererseits. Es ist dies um so auf- fälliger, da diese beiden Thierklassen bekanntlich im Übrigen durch- aus keine nahen verwandtschaftlichen Beziehungen haben. Abgesehen von MECKEL und OwEN giebt zuerst GEGENBAUR eine genaue Beschreibung eines Ornithorhynehusherzens. Er beschreibt eine marginale, theilweise muskulöse und eine septale, binde- gewebige Taschenklappe und führt danach aus, dass das Monotremen- herz bezüglich der Atrioventrieularklappen viel mehr Ähnlichkeit habe mit demjenigen vom Krokodil als mit dem Vogelherz. Morpholog. Jahrbuch. 16. 6 82 Carl Rise Auf Grund genauer Studien an neun Herzen von Ornithorhynchus tritt nun LANKESTER in Gegensatz zu GEGENBAUR. Derselbe fand nur in zwei Exemplaren Spuren von einem septalen Klappen- theile, wie ihn GEGENBAUR beschreibt, jedenfalls keine bindegewebige Taschenklappe. Auch bei zwei Exemplaren von Echidna fand Lan- KESTER den septalen Theil der Klappe nur in geringem Grade ent- wickelt. Er leitet demnach den ganzen Klappenapparat des rechten venösen Ostiums der Monotremen zurück auf einen Zustand, wie er sich bei Vögeln findet, und hält die Reste eines septalen Klappen- theiles nicht für Überbleibsel der früheren endocardialen Klappe der Krokodile, sondern für eine neu auftretende Differenzirung aus der Muskulatur des Septum ventrieulorum. In Übereinstimmung mit LANKESTER konnte auch ich an den mir zur Verfügung stehenden beiden Ornithorhynchusherzen keine septale Klappe auffinden, so wie sie GEGENBAUR beschreibt. Die Klappen an diesen beiden Herzen zeigten ähnliche Verhältnisse, wie sie Lan- KESTER an seinem ersten Herzen beschreibt. Es findet sich nur eine einzige Klappe, welche rings am marginalen Theile des venösen Ostiums befestigt ist und mit drei stärkeren Muskelsäulen in Ver- bindung steht, welche vom Septum ventrieulorum ihren Ursprung nehmen. Innerhalb der Klappe selbst setzen die Muskelbündel nicht, wie GEGENBAUR schreibt, in fächerförmiger Ausstrahlung ihre Muskelbündel fort, sondern sie verlaufen vielmehr als geschlossene Muskelbündel quer durch die ganze Klappe bis zu deren Ursprunge. Auf beiden Seiten der Muskelbündel ist die Klappe bindegewebig degenerirt. Am septalen Umfange des rechten venösen Ostiums finde ich in Übereinstimmung mit LANKESTER in einem Herzen nur Spuren von klappenähnlichen Gebilden, welche allerdings nur als Fort- setzungen der marginalen Klappe auf den Septaltheil erscheinen. In dem anderen Ornithorhynchusherzen dagegen glaube ich außerdem eine ähnliche Endocardleiste bemerkt zu haben, wie sie oben bei Vögeln als Rudimente der verloren gegangenen Septumklappe er- wähnt wurden. Bei Echidna finden sich bezüglich der besprochenen Klappen, wie LANKESTER richtig angiebt, Modifikationen und Abweichungen von Ornithorhynehus derart, dass die ganz ähnlich entspringenden Muskel- bündel nicht als geschlossene Masse die bindegewebig degenerirten Klappen durchlaufen, sondern schon an ihrem freien Rande endigen, ganz in der Weise, wie LANKESTER es abbildet. Die septale Klappenportion dagegen ist an meinem Herzen von Echidna viel Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 83 ausgeprägter entwickelt und entspricht etwa der Beschreibung, wie sie GEGENBAUR von Ornithorhynchus liefert. Diese septale Klappe steht allerdings hinten in direkter Verbindung mit der marginalen Klappe. ist jedoch ein völlig homogenes, sehr dünnes Gebilde, welches am medialen Ringe des Ostium, dann senkrecht herab am Ventrikelseptum befestigt-ist und unten mit einem scharfen, freien Rande endigt. Im Gegensatze zu GEGENBAUR'S Angaben sehe ich aller- dings feine Muskelfäserchen vom Rande her in diese Klappe ausstrah- len, halte die letztere jedoch in Übereinstimmung mit GEGENBAUR und im Gegensatze zu LANKESTER nicht für eine Neubildung, son- dern für homolog mit der endocardialen Septumklappe der Kroko- dile, die ja auch an ihren Randpartien bereits Verbindungen mit Herztrabekeln eingegangen war. Diese Klappe ist eben bei Vögeln und bei Ornithorhynchus rückgebildet worden; bei Echidna dagegen tritt sie wieder auf und macht in der Folge eine ähnliche Umbildung durch wie von der septalen Klappe des linken Ostiums der Vögel bereits beschrieben wurde. Das linke venöse Ostium der Monotremen zeigt viele Ähnlich- keit mit dem der Vögel. Auch hier finden sich in derselben typi- schen Lage drei Papillarmuskeln, welche jedoch nieht wie bei Vögeln durch Chordae tendineae mit den Klappen in Verbindung stehen, sondern das Muskelgewebe geht als solches bis zu den Klappen heran und strahlt dann fächerförmig in dieselben aus. Es sind ebenfalls drei Klappen vorhanden, welche zwischen den Pa- pillarmuskeln ausgespannt erscheinen. Die mediale ist eben so wie bei Vögeln in ihren mittleren Partien endocardialen, in den Rand- partien muskulären Ursprunges. Die beiden lateralen Klappen sind durchweg muskulären Ursprunges, jedoch bereits, eben so wie bei Vögeln, bindegewebig umgewandelt. Bei den Beutelthieren findet sich in der Umgrenzung des rechten venösen Ostiums der Klappenapparat bereits so weit ent- wickelt, wie wir ihn von nun an mehr oder minder ähnlich bei allen höheren Säugern finden. Es findet sich nämlich eine me- diale oder septale und zwei laterale Klappen. Genau in der- selben Gegend, wo sich nach LANkESTER konstant das stärkste laterale Muskelbündel bei Ornithorhynchus und Echidna (great an- terior muscular column of papillary muscle) findet, nämlich in der Mitte der lateralen Ventrikelwand erhebt sich auch bei den Beutlern ein besonders großer Papillarmuskel, von dem nach links und rechts Chordae tendineae in die beiden also geschiedenen lateralen Klappen 6* 84 Carl Rise ausstrahlen. Die vordere laterale Klappe lässt ihre Sehnenfäden vorn in einen schwächer entwickelten, am Eingange der Lungen- arterie liegenden Papillarmuskel ausstrahlen, welcher genau dem »conal muscular column« von LANKESTER bei Monotremen entspricht. Die hintere laterale Klappe befestigt sich mittels Sehnenfäden an mehreren kleineren Papillarmuskeln, die theils an der Hinter- wand des rechten Ventrikels, meist aber eben so wie die anderen Papillarmuskeln vom Ventrikelseptum entspringen. Sie entsprechen den kleinen binteren Papillarmuskelsäulen (Right anterior muscular column), wie wir sie bei Monotremen fanden. Die mediale Klappe setzt sich mit vielen kleinen Sehnenfäden direkt an die Muskelwand des Ventrikelseptums fest. In ihrer Mitte ist jedoch eine kleine Stelle, welche der Sehnenfäden entbehrt. Es ist dies der restirende Theil der endocardialen rechten Taschenklappe, wie sie bei Reptilien und dann wieder bei Echidna vorhanden ist. Der größere Theil der Klappe jedoch, sowie die vielen kleinen Sehnenfäden sind als Differenzirungen der septalen Muskelwand zu betrachten (Fig. 20). Bei den Marsupialien ist in der Umgrenzung des linken Ostium atrioventriculare die bei Vögeln und Monotremen vorhandene drei- zipfelige Klappe zu einer Valvula mitralis geworden, indem der laterale Papillarmuskel größtentheils geschwunden ist. Die bei- den lateralen Klappen sind also zu einer Klappe vereint, welche von nun an als lateraler Zipfel der Mitralis bezeichnet wird. Der mediale Zipfel, welcher segelartig über den Aorteneingang her- abhängt, hat bei Beutlern genau dieselbe gemischte Zusammensetzung wie bei Vögeln beschrieben wurde, indem er theils aus der früheren linken Endocardklappe der Reptilien, theils aus modifieirter Muskel- wand hervorging. Seine Sehnenfäden befestigen sich an den beiden großen Papillarmuskeln, dem vorderen und dem hinteren, "welche wir von den Vögeln an konstant angetroffen haben. — Bei den placentalen Säugern finden sich bezüglich der Atrio- ventrieularklappen keine wesentlichen Abweichungen von den Zu- ständen, wie sie bei Marsupialien bestehen. Es findet sich überall im rechten Ostium eine Valvula trieuspidalis mit einem medialen und zwei lateralen Zipfeln, im linken Ostium eine Valvula mitralis mit einem medialen und einem lateralen Zipfel. Die lateralen Klap- pen entstehen immer lediglich durch Differenzirung der früheren muskulösen Ventrikelwand. Die medialen Klappen dagegen sind beiderseits gemischten Ursprunges. In Übereinstimmung mit LANKESTER halte ich es für ganz Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 85 unwesentlich, ob die Papillarmuskeln vom Ventrikelseptum oder von der lateralen Wand oder an der Grenze zwischen beiden ent- springen. Sie entstehen stets aus den Resten des vordem den ganzen Ventrikelraum ausfüllenden trabekulären Muskelnetzwerks. Ob diese Reste nun auf der septalen oder auf der lateralen Wand des Ventrikels aufsitzen, ist ziemlich gleichgültig. Außerdem glaube ich nach einigen Beobachtungen schließen zu dürfen, dass die be-. züglichen Verhältnisse selbst bei demselben Genus nicht immer kon- stant sind. So entspringt z. B. beim Menschen der laterale Papillar- muskel des rechten Ostiums meist von der lateralen Ventrikelwand. Es scheint jedoch gar nicht selten zu sein, dass dieser Muskel aus- nahmsweise auch einmal vom Septum oder in der Ventrikelspitze am Übergang beider Muskelwände in einander entsteht. Bei den von mir untersuchten Säugern entsprang dieser Muskel in ähnlich un- regelmäßiger Weise bald von der lateralen Ventrikelwand, bald vom Septum, bald von beiden zugleich. Eine gesetzmäßige Anordnung ließ sich auch bei nahestehenden Thieren einer Familie nicht nach- weisen. Als Typus bezüglich der Papillarmuskeln kann also bei pla- centalen Säugern Folgendes gelten: Im rechten Ventrikel befestigen sich die beiden lateralen Klappen an drei Papillarmuskeln oder Muskelgruppen, eine stärkste laterale, die bald am Septum, bald an der Ventrikelwand ansitzt, eine schwächere vordere oder conale, und einige schwächere hintere. Die mediale Klappe des rechten Atrio- ventricularostiums befestigt sich nur in geringem Grade an den vor- deren und hinteren Papillarmuskeln, ihre Sehnenfäden gehen vielmehr meist direkt in die Wand des Ventrikelseptums über, oft durch Ver- mittlung kleiner Papillarmuskeln. Im linken Ostium finden sich zwei Gruppen von Papillarmuskeln, eine vordere und eine hintere, von welchen die Sehnenfäden der medialen Klappe ausschließlich ausgehen. Die laterale Klappe sendet auch noch einige Chordae tendineae direkt zur lateralen Kammerwand. — — — Über die Entwicklung der aus dem Herzen entspringenden großen Arterienstäimme habe ich, wie schon erwähnt, keine eigenen ein- gehenderen Untersuchungen angestellt. Zudem liegen gerade iiber dies Gebiet ausgezeichnete Untersuchungen von RATHKE, Boas u. A. vor. Boas nimmt neuerdings an, dass auch bei den höheren Verte- braten durchweg sechs primitive Kiemenbogen mit den entsprechen- den Gefäßen vorhanden seien statt fünf, wie man bisher annahm. Der präsumptive fünfte Bogen müsste allerdings bei Säugern ein s6 Carl Röse sehr vorübergehendes Gebilde sein. Nach dieser Anschauung bildet sich der Aortenstamm stets aus dem vierten, der Pulmonalisstamm aus dem sechsten Kiemenbogengefäße. Aus den ersten drei Ge- füßbogen bestehen bekanntlich Körperarterien. Bei den meisten Fischen fehlen die ersten beiden Kiemenbögen, so dass sich hier im ausgebildeten Zustande meist nur vier vorfinden. Nähere Details über diese Verhältnisse sind in den betreffenden Arbeiten nachzusehen. Nachdem ich somit, abgesehen von den Arterienstämmen, mehr oder minder zusammenhängend eine Übersicht über die phylogene- tische Entwicklung des Vertebratenherzens in seinen einzelnen Thei- len gegeben zu haben glaube, liegt es mir jetzt ob, darzuthun, in wie weit sich die ontogenetische Entwicklung des Menschen- resp. Säugethierherzens, wie sie durch die neueren Untersuchungen von LinpEes, Bernays, His, Born und mir bekannt geworden ist, zu- rückführen lässt auf frühere Zustände in der Vertebratenreihe. Wie schon oben erwähnt, findet sich in dieser Beziehung in den Hauptpunkten eine schöne Übereinstimmung. Die Thatsachen der vergleichenden Anatomie geben uns in vielen Punkten die Lö- sung für so manches Räthselhafte in der Entwicklung des Säuger- herzens. Es ergiebt sich, dass die einzelnen Etappen in der Ent- wicklung des embryonalen Herzens der placentalen Säuger und speciell auch des Menschen mehr oder minder vollständig Herzzuständen ent- sprechen, wie sie in niederen Vertebratenordnungen vorkommen und im Kampfe ums Dasein allmählich durch Anpassung erworben wurden. Wir fanden, dass, abgesehen von der bilateralen Herzanlage, wie sie sich bei Amnioten durch sekundäre Anpassung an den Dotter ausgebildet hat, die erste Entwicklung des Herzens bei den Em- bıyonen von Fischen und Säugern nahezu übereinstimmt. Als erste Differenzirung in dem bis dahin einheitlichen Herzschlauche findet sich bei Fischen wie bei Säugerembryonen eine eirkuläre Einschnü- rung zwischen Vorhof- und Ventrikeltheil, der Ohrkanal oder das Ostium atrioventriculare commune. Nach der Ausbildung der betreffenden Abschnitte liegt bei Säugerembryonen der Vorhof Anfangs hinter dem Ventrikel: eben so bei Cyelostomen, Selachiern und Teleostiern. Der Vorhof erhebt sich dann mehr und mehr bei den Ganoiden, Dipnoern und Amphibien; bei den Reptilien ist er bereits in seine nunmehrige endgültige Lage gerückt, nämlich oberhalb des Ventrikeltheiles. Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 87 Entsprechend wandert bei Säugerembryonen der sehr frühzeitig auftretende Sinus venosus von der unteren auf die hintere und obere Vorhofsseite, wo er sich dann mehr und mehr in den rechten Vor- hof einstülpt und als selbständiges Gebilde zu existiren aufhört. Seine beiden Schließungsklappen haben einen besonderen Spann- muskel, der später eben so wie die Klappen mehr und mehr redu- eirt wird, das »Septum spurium« von Hıs. Die geschilderten Vor- gänge finden sich, wie wir sahen, genau in derselben Weise in der Vertebratenreihe fortschreitend vor. Noch bei den Reptilien und den Cursores unter den Vögeln finden wir zwei schlussfähige Sinus- klappen und einen wohl ausgesprechenen oberen Spannmuskel. Bei den übrigen Vögeln und den Säugern geht dann gradatim die Rück- bildung des Sinus und seiner Klappen in gleicher Weise von statten wie bei menschlichen Embryonen. Auch bezüglich der Abscheidung der linken oberen Hohlvene und Entstehung der Valvula Thebesii findet sich völlige Übereinstimmung. — — Als erste Scheidewandanlage findet sich im Anschlusse an die direkte Einmündung der Lungenvene ins Atrium die Entstehung des muskulösen Septum atriorum. Die erste Entstehung aus einer Verschmelzung einzelner Musculi pectinati, wie wir sie bei den Dipnoern finden, hat sich allerdings bei den Embryonen der höheren Vertebraten nicht erhalten ; dieser Vorgang erscheint vielmehr in der ontogenetischen Entwicklung in abgekürzter Form, wie dies ja auch bei anderen Organen häufig vorkommt. Das Vorhofsseptum hat bei den Vertebraten nicht allein den Zweck, die beiden Atrien völlig zu scheiden, sondern es regt auch von den Reptilien an aufwärts die Scheidung des gemeinsamen Osti- um atrioventrieulare in die beiden sekundären an. Der Vorgang der vielfachen Durchbrechung des Septum atriorum bei Vögeln, Mono- tremen und Marsupialien, sowie die Bildung des Foramen ovale bei placentalen Säugern, dies sind ganz sekundäre Erscheinungen, ent- standen durch Anpassung an die eigenthümliche embryonale Ent- wicklung dieser Thiere, speciell in Folge des Ausfalles des einen Aortenbogen, wie oben dargelegt wurde. Die allmähliche Rückbildung des als Spatium intersepto-valvulare bezeichneten Raumes, sowie die Bildung des Limbus Vieussenii bietet in der phylogenetischen Entwicklungsreihe genau dieselben Erschei- nungen dar wie in der ontogenetischen. Das Kammerseptum sahen wir bei Reptilien, speciell bei den Krokodilen, genau in derselben Weise sich bilden durch Verschmel- SS Carl Rise zung mehrerer Muskeltrabekel wie dies bei Säugerembryonen der Fall ist. Weder hier noch dort scheidet dies muskulöse Septum allein die Kammern vollständig. Bezüglich der Entwicklung der Atrioventrieularklappen müssen wir unterscheiden zwischen primären aus Endocardwucherungen ent- standenen bindegewebigen Taschenklappen und den sekundären Klappen. Die zuerst von GEGENBAUR ausgesprochene Angabe, dass die sekundären Atrioventrieularklappen Differenzirungs- produkte der gesammten Kammerwand seien, hat sich in vollem Umfange bestätigt. Die zwei primären Taschenklappen der Fische und Amphibien entsprechen genau den Gebilden, welche Lispes als Atrioventrieularlippen bezeichnete und welche durch die Untersuchungen von His, Born und mir auch bei Säugerembryonen als ursprüngliche Klappen erkannt wurden. Dieselben pflegen aller- dings hier nicht die ausgeprägte Taschenform anzunehmen, wie sie z. B. bei erwachsenen Fischen vorkommt. Sie verwachsen später zuerst mit dem Septum atriorum, dann in breiter Ausdehnung unter einander. Genau derselbe Vorgang hat sich bei den Reptilien voll- zogen. Die Vorgänge der Entstehung sekundärer Atrioventrieularklappen sind von BERNAYS bei Säugerembryonen ganz gut geschildert worden und bot Bernays lediglich eine Bestätigung des schon von GEGEN- BAUR ausgesprochenen, oben erwähnten Gedankens. Die vier Typen, welche Brernays bezüglich der Klappenent- wieklung aufstellt, sind jedoch nur als allgemeines Schema auf- zufassen, welchem durchaus nicht alle Klappen in gleicher Weise folgen. Völlig in Übereinstimmung mit meinen Anschauungen hat bereits Born geltend gemacht, dass bei Säugerembryonen speciell die beiden medialen Klappen aus Resten der früheren Endocardial- klappen bestehen müssen. Über die Genese der lateralen Klappen spricht sich Born nicht ganz bestimmt aus, bestreitet jedoch mit Recht die Angaben von Hıs, welcher die Entstehung der lateralen Klappen erklärt durch seine unbegründete Annahme von der Ein- stülpung des Ohrkanals und durch sekundäre Verwachsung mit den Papillarmuskeln. Meine erst in letzter Zeit beendeten vergleichend - anatomischen Studien haben meine Vermuthung zur Gewissheit erhoben, dass so- wohl in der ontogenetischen wie auch speciell in der phylogene- tischen Entwicklungsreihe lediglich die beiden medialen oder septalen Klappen der venösen Ostien in der von Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 89 BErNAYs angegebenen Weise entstehen, nämlich durch Appo- sition von später bindegewebig degenerirenden Muskelplatten an die Basis der primären endocardialen Taschenklappen. Die lateralen Klappen entstehen dagegen ausschliefslich durch Differen- zirung aus der früheren Kammerwand und spätere binde- gewebige Umwandlung. An diesen lateralen Klappen hat BER- NAys wohl ohne Zweifel das durch sekundäre Umwandlung entstan- dene Bindegewebe mit dem aus den Resten der ursprünglichen endocardialen Taschenklappen bestehenden verwechselt, wie es sich allerdings an den medialen Klappenzipfeln findet. Es sind also dem Angeführten zufolge im rechten venösen Ostium die laterale Muskelklappe der Krokodile, die Muskelklappe der Vögel, die randständigen Klappen der Monotremen, so wie die beiden lateralen Zipfel der Trieuspidalis in morphologischem Sinne homologe Gebilde. Im linken Ostium entspricht die hier befind- liche laterale Muskelklappe von Crocodilus den beiden lateralen Klappen von Vögeln und Monotremen, so wie dem lateralen Zipfel der Mitralis bei höheren Säugern. Die beiden septalen Klappen- zipfel dagegen haben gemischten Ursprung und entstehen ganz in der von Bernays dargestellten Weise. — — Die von demselben beschriebenen Knötchen am freien Rande der sekundären Klappen sind demnach wohl eher als sekundäre endocardiale Wucherungen zu deuten und nicht als Reste der pri- mären Klappen. Auch an den medialen Klappen sind die Reste der primären Taschenklappen nicht zu Knötchen redueirt, sondern bilden, wie auch Born ganz richtig bemerkt, einen Theil der Klappenmembran, der allerdings bei Säugern nicht sehr groß ist. An dem medialen Zipfel der Mitralis lässt sich diese Partie der Klappe ganz gut abgrenzen. Die von beiden Seiten kommenden Sehnenfäden lassen in der Mitte des freien Klappenrandes eine kleine freie Stelle übrig, wo keine Chordae tendineae inseriren. Diese Stelle entspricht dem freien Rande der ursprünglichen endocardialen Klappe. Das frühere Gebiet der letzteren erstreckt sich nun von der beschriebenen Stelle aus eine Strecke weit in das Gebiet der sekundären Klappe hinein. Eine genaue Abgrenzung dieses Ge- bietes der primären Klappe nach hinten zu ist natürlich unmöglich. An der medialen Klappe des rechten Ostiums sind die Verhältnisse nicht ganz so scharf ausgeprägt aber ganz ähnlich wie links. Hinsichtlich der endgültigen Scheidung der Ventrikel sehen wir bei Krokodilen genau denselben Vorgang wie Born bei Säugerembryonen 90 Carl Röse beschrieben hat. Es verwächst nach Born das muskulöse Ventrikel- septum hinten in weiter Ausdehnung mit dem rechten Rand- höcker der verschmolzenen Endocardkissen: bei Crocodilus ent- sprechend mit dem Ursprunge der rechten Taschenklappe, wie auch Gascn ganz richtig angegeben hat. Ferner liegt auch beim Kro- kodil der Conus der Aorta dextra zwischen die linke Fläche des Septum ventriculorum und die linke mediale Taschenklappe ein- gekeilt. Der Rest des Foramen interventriculare wird bei Crocodilus eben so wie bei Säugerembryonen in den Ur- sprung der Aorta einbezogen und bei den höheren Vertebraten durch das Bulbusseptum oder Septum aortieum geschlossen. Bei Crocodilus bleibt dieser Rest des Foramen interventri- culare als Foramen Panizzae bestehen. Es ist naturgemäß, dass sich nicht alle Eigenthümlichkeiten, wie sie sich im Herzen irgend einer Vertebratenfamilie einmal be- sonders vorfinden, vererbt haben und in der Embryonalentwicklung wiedergefunden werden können. So ist es naturgemäß, dass sich weder die eigenartigen Einrichtungen des Ganoiden- und Dipnoer- herzens vererbten, noch die ganz specifisch ausgebildete Muskel- klappe des rechten venösen Ostiums bei Vögeln. Diese betreffenden Thierklassen stehen eben nicht in der direkten Entwicklungsreihe der Vertebraten sondern als Seitenzweige weit ab. Trotzdem fan- den wir z. B. gerade bei Dipnoern die ersten Anfänge des musku- lösen Septum atriorum neben anderen für diese Thierklasse speci- fischen Einrichtungen. Es lässt sich daraus schließen, dass die direkten Vorfahren der Amphibien den Dipnoern ähnlich waren, während die Dipnoer selbst weit seitlich abstehen. Umgekehrt fin- den sich schon in frühen Entwicklungsperioden des Säugerherzens Zustände, die sich nicht durch Vererbung erklären lassen, sondern ganz sekundär durch Anpassung entstanden sind, so hauptsäch- lich die sekundäre Durchlöcherung des Septum atriorum sowie die Bildung des Annulus Vieussenii. Die Entwicklungsgeschichte allein kann hier nicht zum vollen Verständnis verhelfen. Lediglich durch Nebeneinanderstellen mit den Thatsachen der vergleichenden Anatomie lassen sich die palingenetischen von den cänogenetischen Erscheinun- gen trennen und in ihrem wahren Werthe würdigen. Es ließen sich vielleicht noch viele untergeordnete Punkte in der ontogenetischen und phylogenetischen Entwicklung des Verte- bratenherzens in Parallele stellen; mir genügt indess in den be- sprochenen Hauptpunkten den causalen Zusammenhang nachgewiesen zu Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 91 haben. Es bewahrheitet sich demnach, wie ich zum Schlusse nochmals hervorheben möchte, auch in der Entwicklung des Herzens aufs schönste das große biogenetische Grundgesetz: »Die onto- genetische Entwicklung ist ein kurzer Abriss der phylo- genetischen!« —ı 8) 18) München, August 1889. Litteratur. ) JOHANNES MÜLLER, Vergleichende Anatomie des Gefäßsystems der Myxi- noiden. Abhandlungen der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1839. — Bau und Grenzen der Ganoiden. 1846. ) RATHKE, Uber den inneren Bau der Pricke. —— Beiträge zur Geschichte der Thierwelt. IV. Halle 1827. Rerzius, Über das Venensystem von Myxine. Abhandlungen der königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin. 1834. Hyrrt, Lepidosiren paradoxa. Abhandlungen der böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. 5. Folge. Bd. III. 1845. — Über die Schwimmblase von Lepidosteus. Sitzungsberichte der Wiener Akad. math.-naturw. Klasse der kaiserl. Akad. der Wissenschaften. Bd. VIII. 1852. — Über das Gefäßsystem der Fische. Medicinische Jahrbücher des öster- reichischen Staates. Neueste Folge. Bd. XV. 1838. — Uber die Vena cardiaca der Batrachier. Sitzungsberichte der math.- naturw. Klasse der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Bd. XXXIII. 1858. ) BiscHorr, Uber den Bau des Krokodilherzens, besonders von Crocodilus lueius. MÜLLER’s Archiv für Anatomie. 1836. ) SCHLEMM, Über das Venensystem der Ophidier. TIEDEMANN und Trevi RANUS Zeitschrift für Physiologie. Bd. II. 1826. TREVIRANUS, Beobachtungen aus der Zootomie und Physiologie. 1839, Munniks, Observationes variae. Gröningae 1805. PETERS, Uber einen dem Lepidosiren annectens verwandten Fisch von Quellimane. MÜLLER's Archiv. 1845. Owen, Description of Lepidosiren annectens. Transact. of the Linn. So- ciety of London. Bd. XVIII. 1841. GÜNTHER, Descript. of Ceratodus, a genus of Ganoid-Fishes. Philos. Trans- act. for 1871. Srannius, Handbuch der Zootomie. C. BRUCH, Uber den Schließungsprocess des Foramen ovale bei Menschen und Säugethieren. Abhandlungen der SENCKENBERG'schen naturf. Gesellschaft zu Frankfurt. 1865. 92 Carl Röse 19) G. Fritsch, Zur vergleichenden Anatomie des Amphibienherzens. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1869, 20) G. Lınpes, Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Herzens. Inaug.- Diss. Dorpat 1865. 21) J. Arnoup, Ein Beitrag zu der normalen und pathologischen Entwicklungs- geschichte der Vorhofsscheidewand des Herzens. Vırcuow’s Archiv. Bd. LT. 22) LANGERHANS, Notiz zur Anatomie des Amphibienherzens. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. XXIII. 1873. 23) OBLLACHER, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Knochenfische nach Beobachtungen an der Forelle. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoo- logie. Bd. XXIII. 24) C. GEGENBAUR, Zur vergleichenden Anatomie des Herzens. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaften. Bd. II. 1866. Grundzüge der vergleichenden Anatomie. II. Aufl. 1870. 26) J. E. V. Boas, Über Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopte- rus. Morph. Jahrb. Bd. VI. 1880. 27) —— Über den Conus arteriosus und die Arterienbogen der Amphibien. Morph. Jahrb. Bd. VII. 28) —— Beiträge zur Angiologie der Amphibien. Morph. Jahrb. Bd. VII. Über die Arterienbogen der Wirbelthiere. Morph. Jahrb. Bd. XIII. 30) ©. GOMPERTZ, Uber Herz und Blutkreislauf bei nackten Amphibien. Archiv für Physiologie. 1884. 31) Ray LANKESTER, On the valves of the heart of Ornithorhynchus para- doxus compared with those of Man and the Rabbit with some Obser- vations on the fossa ovalis. Proceedings of the Zool. Society of London. 1882. 32) —— Of the right Cardiac Valve of Echidna and of Ornithorhynchus. Pro- ceeding of the Zool. Society of London. 1583. 33) A. C. BERNAYS, Entwicklungsgeschichte der Atrioventricularklappen. Morph. Jahrb. Bd. II. 1876. 34) His, Anatomie menschlicher Embryonen. III. Leipzig 1885. 35) Rasy, Uber die Bildung des Herzens der Amphibien. Morph. Jahrbuch. Bd. XU. 36) F. HOCHSTETTER, Beiträge zur vergleichenden Anatomie und Entwicklungs- geschichte des Venensystems der Amphibien. Morph. Jahrb. Bd. XII. 37) RupoLr Gascu, Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Vögel und Reptilien. Archiv für Naturgeschichte. Jahrg. LIV. 1858. 38) G. Born, Über die Bildung der Klappen, Ostien und Scheidewände im Säugethierherzen. Anat. Anz. III. Jahrg. 1888. 39) —— Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XXXIII. 1889. 40) R. Owen, On the anatomy of the Vertebrates. London 1866—1868. 41) WIEDERSHEIM, Lehrburch der vergl. Anatomie der Wirbelthiere. II. Aufl. 1883. 42) —— Grundriss der vergl. Anatomie der Wirbelthiere. 1888. 43) C. Röse, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Herzens. Inaug.-Diss. Heidelberg 1888. 44) —— Zur Entwicklungsgesch. des Säugethierherzens. Morph. Jahrb. Bd. XV. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 93 6. Erklärung der Abbildungen. Tafel IV und V. Herz von Petromyzon marinus von vorn. Der Ventrikel ist in der Figur in die Höhe gezogen worden, um den zwischen ihm und dem Vorhofe eingebetteten Sinus venosus zu zeigen. Ve Ventrikel, Vh Vorhof, tr Truncus arteriosus, V.c.d Vena cardinalis dextra, V.c.s Vena cardinalis sinistra, Z.c Lebervene, V.j.d Vena jugularis dextra, Vy.s Vena jugularis sinistra, Jj. Vena jugularis inferior. Natürliche Größe. Herz von Acanthias vulgaris von hinten. Der obere Vorhofstheil ist abgelöst und zurückgeschlagen, um Einblick ins Innere desselben zu gewähren. D.C.d Ductus Cuvieri dexter, D.C.s Ductus Cuvieri sinister, Va.d Valvula dextra = rechte Sinusklappe, Va.s Valvula si- nistra = linke Sinusklappe, O.av Ostium atrioventrieulare commune. Co Conus arteriosus, ir Truncus arteriosus, 2a, 2a, 3a, 4a 1., 2., 3., 4. Kiemenarterie. Natürliche Größe. Herz von Lepidosteus huronensis. Hintere Ansicht. V.s.s Vena subelavia sinistra, V.s.d Vena subelavia dextra, V.e Vena epigastrica, Oa Operculararterie. Sonst wie Fig. 1 und 2. Natürliche Größe. Herz von Polypterus Bichir in Verbindung mit der Schwimmblase, welche ventral vom Ösophagus liegt. Der Ventrikel wurde in die Höhe gezogen, um die Einmündung des Sinus venosus sichtbar zu machen. Die Kiemenarterien sind daher nicht zu sehen. Oe Öso- phagus, Z.v Lungenvene, P.s Arteria pulmonalis sinistra, P.d Arteria pulmonalis dextra, Z.Z linke Hälfte der Schwimmblase, R.Z rechte Hälfte der Schwimmblase. Sonst wie vorige Figur. Natürliche Größe. Herz von Polypterus Bichir. Hintere Ansicht. Wie in Fig. 2 ist ein Theil des Vorhofs zurückgeschlagen. Man sieht im Inneren das Ostium atrioventriculare. Davor die beiden Miindungen der Leber- vene, welche von warzenähnlichen fibrösen Wülsten eingefasst sind. Die schlitzförmigen Öffnungen der beiden Duetus Cuvieri in den Vor- hof sind zu beiden Seiten der vorderen Lebervenenmündung zu sehen und von feinen klappenartigen Membranen eingefasst. Der rechte Ductus Cuvieri ist eben so wie in voriger Figur viel stärker ent- wickelt als der linke. Oa.s linke Operculararterie, Oa.d rechte Oper- culararterie. Natürliche Größe. Herz von Amia calva in Verbindung mit der Schwimmblase und dem Kiemenvenengefäßsystem. Dorsale Ansicht. Der Ösophagus liegt ventral von der Schwimmblase, mit welcher er durch den Ductus pneumaticus (D.pn) in Verbindung steht. Links ist ein Theil der Schwimmblasenwand entfernt, um einen Einblick in das Innere zu ge- statten. Der mittlere Theil der ventralen Schwimmblasenwand wird dargestellt durch einen membranösen durchscheinenden Längsstreifen. 94 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 10, 11. 12. Carl Röse Zu beiden Seiten desselben verlaufen die im vorliegenden Falle sehr weiten Lungenvenen, welche sich über dem Ductus pneumaticus zu einem starken Stamme vereinigen, der dann in den linken Ductus Cuvieri mündet. Die beiderseits von der vierten Kiemenvene ent- springenden Lungenarterien sind den Wandungen der entsprechenden Venen eng verbunden. Das Netz der Kiemenvenen ist nach rechts verschoben worden, um die Zeichnung nicht zu verwirren. 1.v, 2.r, 3.0, 4.v 1., 2., 3., 4. Kiemenvene, C.s linke Carotidenstämme, C.d rechte Carotidenstämme, 4.co Arteria coeliaca, Ao.abd Aorta abdo- minalis, D.B Ductus Botalli. Natürliche Größe. Herz von Protopterus annectens mit einem Theile der Schwimm- blase und dem Kiemenvenenplexus. Letzterer ist wie in Fig. 6 nach rechts verschoben. Die beiden ersten Kiemenarterien 1 a, 2a gehen direkt in die betreffenden Kiemenvenen /v, 2» über, ohne sich vorher in die redueirten Kiemenblätter der betreffenden Bogen zu verzweigen. Von den beiderseitigen Operculararterien geht noch jederseits eine Arteria pharyngea ab (4.ph.s, A.ph.d), welche sich in der Muskulatur und dem Bindegewebe des Gaumens verzweigt. Aus der vierten Kie- menarterie entwickeln sich zwei Kiemenvenen (4v und 5v). Sämmt- liche Kiemenvenen vereinigen sich jederseits zu einem gemeinsamen Stamme. Die vierte giebt jederseits an ihrer Mündungsstelle die Lun- genarterien ab. Der komplieirte Verlauf der linken Arterie um den Ösophagus ist in der Figur sehr schön zu sehen. 4.oe Arteria oeso- phagea, C.s Carotis sinistra, C.d Carotis dextra, Ov.d rechte Oper- cularvene. Natürliche Größe. Herz von Protopterus annectens. Ansicht von der linken Seite. Ein Theil der Vorhofswand ist entfernt. Man sieht den fibrösen Wulst WW; ferner die beiden Lungenvenenklappen, von denen die rechte sehr sroß, die linke ziemlich unbedeutend und unter der ersten verborgen ist. Sz.v Sinus venosus, Z.Vh linker Vorhof, R.Vh rechter Vorhof, S.a Septum atriorum, Zv Lungenvene, Co Conus arteriosus. Drei- malige Vergrößerung. Herz von Sieboldia maxima. Dorsalansicht. V.c.i Vena caya in- ferior, V.c.c Vena coronaria cordis = Herzvene. Natürliche Größe. Herz von Sieboldia maxima. Ventralansicht. Die vordere Wand des linken Vorhofs ist entfernt. Man sieht das Septum atriorum (S.a) von vielen kleinen Löchern durchbohrt, besonders links oben, ferner sehr schön die Mündung der Lungenvene und das Ostium atrioventri- eulare (O.av). Natürliche Größe. Herz von Pseudobufo subasper. Ansicht von der rechten Seite. Der größte Theil der Wand des rechten Vorhofs ist entfernt. Man sieht das Septum atriorum mit seinen Muskelzügen, das Ostium atrio- ventriculare sowie den Sinuseingang mit den beiden Klappen, Val- vula sinistra und Valvula dextra. Natürliche Größe. Herz von Cyelodus Boddaertii. Dorsalansicht. Der Sinus ve- nosus ist größtentheils in den rechten Vorhof eingestülpt. Man sieht äußerlich nur die beiden Ductus Cuvieri oder oberen Hohlvenen und die untere Hohlvene. Die Lungenvene ist einheitlich (Z.v); die Lun- genarterien doppelt (P.s P.d). dns Arteria anonyma sinistra, An.d Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. 95 Fig. 13. Fig. 16. Arteria anonyma dextra, Sp.‘ Spatium intersepto-valvulare. Natür- liche Größe. Herz von Cyelodus Boddaertii. Ansicht von der linken Seite. Ein Theil der linken Vorhofswand ist entfernt, der Ventrikel aufge- schlitzt und aus einander gehalten. Man sieht die ureterähnliche Ein- miindung der Lungenvene mit ihrer klappenartigen Mündungsfalte. Ferner ist die linke Taschenklappe; unter derselben der kleine Ven- trikelhohlraum und der Eingang zur Aorta dargestellt. Natürliche Größe. Herz von Chelonia Midas. Der Ventrikel ist halbirt, um von unten her direkt auf die linke und rechte Taschenklappe sehen zu können. Von einer Klappe zur anderen laufen quer herüber zwei er- habene Leisten, die freien Ränder der früheren dorsalen und ven- tralen Atrioventricularklappe. Va.av.s Valvula atrioventricularis si- nistra, Va.av.d Valvula atrioventricularis dextra. Vergrößerung 1/2. Herz von einem jungen Exemplare von Crocodilus niloticus. Dorsalansicht. Sp.’ Spatium intersepto-valvulare, Z7’r.c.c Truncus ca- roticus communis, S.s Arteria subclavia sinistra, S.d Arteria subcla- via dextra, d.s linker Aortenbogen, A.d rechter Aortenbogen, A.m Arteria mesenterica. Natürliche Größe. Herz von Crocodilus niloticus. Ansicht von der rechten Seite. Ein Theil der Vorhofswand ist entfernt. Man sieht das Ostium atrio- ventriculare (O.av); ferner die beiden Sinusklappen Va.d und Va.s. Zwischen beiden bemerkt man in Gestalt einer leicht gebogenen weißen Linie den vorderen Rand des Septum sinus venosi. Natürliche Größe. Herz von Anser vulgaris. Ansicht von der rechten Seite. Die Wand des rechten Vorhofs und Ventrikels ist aufgeschnitten und nach rechts zurückgeschlagen. Man sieht links vom Limbus Vieussenii (Z.Vi), nach links sich hinüber erstreckend, das Spatium intersepto- valvulare. Die beiden Sinusklappen sind vollständig nur noch in der Umrandung der unteren Hohlvene vorhanden. Außer dem unteren Sinusseptum, welches die linke obere Hohlvene abscheidet, findet sich hier noch ein quer von einer Klappe zur anderen verlaufendes oberes Sinusseptum, welches die Mündung der rechten oberen Hohlvene ab- scheidet. V.c.s.d Vena cava superior dextra, V.c.c Vena coronaria cordis, M.% Muskelklappe, 2.4’ vorderer Ansatz der Muskelklappe an die Ventrikelwand. Natürliche Größe. Herz von Ornithorhynchusparadoxus. Dorsalansicht. Man sieht den Verbindungsast zwischen den beiden oberen Hohlvenen. Natiir- liche Größe. Herz von Echidna hystrix. Ansicht von der rechten Seite. Die Wandungen des rechten Vorhofs sind theils entfernt, theils aus ein- ander gezogen. Man sieht in der Tiefe das Spatium intersepto-val- vulare, das »gestrickte« Vorhofsseptum, sowie die Miindungen von zwei Herzvenen (V.c.c’), welche in der Zeichnung fälschlich ein wenig zu weit nach links dargestellt sind. Die Ventrikelvene V.c.c mündet in die V. cava inferior. Die linke obere Hohlvene V.e.s.s ist eine Strecke weit aufgeschlitzt, um den hinteren Ansatz der rechten Sinus- klappe an der Wand der Vene zu veranschaulichen. Vergrößerung ?/3. 96 C. Rise, Beiträge zur vergl. Anatomie des Herzens der Wirbelthiere. Fig. 20. Fig. 21. Fig. 22. Fig. 23. Herz von Phascolomys Wombat. Ansicht von der rechten Seite. Ein Theil der Wandung des rechten Vorhofs und Ventrikels ist ent- fernt. Man sieht die drei gesonderten Mündungen der Hohlvenen, ferner diejenigen der Herzvenen, V.c.c und V.e.e. Vor der oberen Hohlvene sind einige frei ausgespannte Muskelspangen als Reste des Musculus tensor valvularum sinus venosi zu betrachten. Nach riick- wärts verläuft an der rechten Grenze des ursprünglichen Sinus der von Hıs als Taenia sagittalis bezeichnete Muskelzug. Von den Atrio- ventricularklappen ist nur die mediale völlig erhalten. Die beiden lateralen sind größtentheils entfernt. Natürliche Größe. Herz von Dasypus setosus. Ansicht von rechts. Die Wandung des Vorhofs ist theilweise entfernt, die des Ventrikels aufgeschlitzt und aus einander gelegt gedacht. Man sieht die Gegend des Foramen ovale vorn vom Limbus Vieussenii (Z.V7) begrenzt. Hinten fehlt die Umgrenzung, da die linke Sinusklappe noch nicht mit dem Septum atriorum verwachsen ist. Im rechten venösen Ostium sieht man die drei Klappen der Tricuspidalis, sowie die drei typischen Papillar- muskeln. Natürliche Größe. h Fötalherz von Homo sapiens aus dem achten Monate. Ansicht von rechts. Ventrikel- und Vorhofswand zum Theil entfernt. Rechter Vorhof sehr ausgedehnt. Linke Sinusklappe (Va.s) mit dem Septum atriorum verwachsen. Die Valvula Thebesii (Va.7}) steht in direktem Zusammenhang mit der Valvula Eustachii (Va.£). Natürliche Größe. Fötalherz von Homo sapiens aus dem achten Monate. Ansicht von links. Man sieht hier das Septum atriorum oder die Valvula fora- minis oralis (Ta.f.ov.) ringsum in direktem Zusammenhange mit der Muskelwand des linken Vorhofs. T.e.e Querschnitt durch die Vena coronaria cordis, D.B Ductus Botalli. Natürliche Größe. Morpholog. Jahrbuch. Bd. AT. R = A Be Tak w 2 a 15 id. Usd DCS. Ves.d. ns Va. ans. + Va. ard. aiff Morpholog. ‚Jahrbuch. Bd XV. Tet NV Sake) va, ~ Ay a Ons. Jda.abd. a Ao.abd, Zur Morphologie der Fischschuppen und zur Geschichte der Hartsubstanzgewebe. (I—III.) Von Dr. Hermann Klaatsch, Assistent am anatomischen Institut zu Heidelberg. Mit Tafel VI—VIII. Einleitung. Je mehr in unserer Zeit sich die Erkenntnis Bahn bricht, dass kein organisches Gebilde allein aus sich heraus verstanden werden kann, desto dringender wird die Forderung, an die Stelle einer nackten Beschreibung die Schilderung des betreffenden Gebildes mit Rücksicht auf andere verwandte Bildungen zu setzen und seine Eigen- thümlichkeiten auf dem Wege der Ableitung dem Verständnis näher zu bringen. Die Möglichkeit eines solchen Vorgehens ist vielfach beschränkt durch die unvollständige Kenntnis der lebenden Formen oder das Fehlen paläontologischer Urkunden. So giebt es Organe, die zwar als Ausgangspunkt für die Ableitung verwandter Bildungen von Be- deutung sind, die aber für sich betrachtet nicht auf niedere Zu- stände zurückgeführt werden können. Die Placoidorgane treten bei den Selachiern in einer solchen Vollendung und Abgeschlossenheit zu Tage, dass man sie als gegeben hinnehmen muss; hier fehlt das Material zur Erkenntnis der Phylogenese. Die Nothwendigkeit des bezeichneten Vorgehens tritt nicht in allen Fällen, wo die Möglichkeit einer Ableitung besteht, mit gleicher Deutlichkeit hervor. Auch hierfür können die Placoidorgane als Beispiel dienen. Die Specialuntersuchungen über den Bau und die Morpholog. Jahrbuch. 16. a 98 Hermann Klaatsch Entwicklung der Zähne konnten zu einem gewissen Abschlusse ge- führt werden, schon bevor man wusste, dass die Kieferzähne von Integumentalorganen weitester Verbreitung abstammen. Der Zahn und sein Aufbau waren für sich verständlich. Freilich wurde auch hier das Verständnis wesentlich vertieft durch den von GEGENBAUR und O. HErTwIıG geführten Nachweis, dass die Kieferzähne der Selachier von Placoidschuppen sich herleiten. Andere Organe bleiben für sich betrachtet ganz unverständlich. Als Beispiel diene die Schuppe der Teleostier. Es fehlt gewiss nicht an Beschreibungen dieser Gebilde. Aus der großen Litteratur über die Fischschuppen führe ich hier beispielsweise die umfangreichen Abhandlungen von WILLIAMSON und BAUDELOT an. Studirt man das in diesen Werken angehäufte Detail, um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, was denn eigentlich die Fischschuppe sei, woraus sie bestehe, wie sie in der Haut befestigt sei, was ihre Form und An- ordnung zu bedeuten habe, so wird man gestehen müssen, dass die Beschreibung einer Platte aus einer Hartsubstanz, deren Natur nicht bestimmt wird, aus zwei Schichten, die in ihrer beträchtlichen Ver- schiederheit von einander nicht erklärt werden, für das Verständnis der Fischschuppe und die Beantwortung der gestellten Fragen von geringer Bedeutung sind. Einen Theil der Schuppenhartsubstanz, weil er fibrilläre Struktur hat, den »bindegewebigen« Theil derselben zu nennen, trägt wenig zur Klärung bei, wenn nicht seine Be- ziehungen zum Bindegewebe geprüft sind. Kommt man im vorliegenden Falle bei der Beschränkung auf das Objekt nicht einen Schritt weiter, so eröffnet sich eine Reihe interessanter Fragen, sobald man die Schuppe in dem am Eingange bezeichneten Sinne prüft, mit anderen Worten, wenn man ihrer Ge- schichte nachgeht. Man wird hierbei geführt auf den Zusammen- hang der Hautskeletbildungen der Fische mit einander und es stellt sich das Verständnis der Fischschuppe in Abhängigkeit von der Lösung einer Frage allgemeinerer Bedeutung: In welchem Verhält- nis steht die Schuppe der Knochenfische zu derjenigen der Ganoiden und der Selachier? Diesen Weg der Forschung hat GEGENBAUR er- öffnet. Ihm folgte Oscar HErTwıG. Durch die Beschreibung des eigenthümlichen Hautskelets der Siluroiden, durch die Zusammen- stellung zahlreicher Teleostier, welche statt der gewöhnlichen Cycloid- oder Ctenoidschuppen stachelige den Placoidorganen ähnliche Bil- dungen in ihrer Haut führen, verknüpfte er in mehreren Punkten die Teleostier mit den Selachiern. Doch blieb der gewöhnliche Befund Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 99 der Knochenfische, die typische Teleostierschuppe außerhalb des Be- reichs seiner Untersuchungen. Der Versuch, von den durch O. Hertwic beschriebenen Formen die Brücke zum gewöhnlichen Befund zu schlagen, bildete den Aus- gangspunkt meiner Untersuchungen. Die Entwicklung der Forellen- schuppe zeigte mir, dass die Deckung der Schuppen aus einem an- deren Zustand sich herausbildet, in welchem die Schuppen neben einander in der Haut liegen. Hier war ein Angriffspunkt gegeben für die Feststellung der Beziehungen zwischen Teleostier- und Ga- noidenschuppe. Als ich dieselbe zur Vergleichung heranzog, erkannte ich bald die Nothwendigkeit, sie speciell zu untersuchen, um in der Mannigfaltigkeit der Formen den ursprünglichen Zustand zu ent- decken. Um ferner über den Schichtenbau der Schuppen bei Ga- noiden und Knochenfischen ins Klare zu kommen, war die Verglei- chung der Ontogenese bei beiden erforderlich. Wie die allgemeine Stellung der Formen zu einander, so wiesen auch die speciellen Be- funde auf die Placoidorgane hin, als Ausgangspunkt für die Schuppen der höheren Fische. Es ergaben sich namentlich Beziehungen zur Basalplatte. So musste auch die Genese der letzteren studirt werden, da O. Hertwia’s Angaben über die Entwicklung der Placoidschuppen für meinen Zweck nicht ausreichten. So ergab sich allmählich eine Bearbeitung der Schuppen sämmtlicher Abtheilungen der Fische. Sollte das Verhältnis der Teleostierschuppe zur Placoidschuppe, so musste auch dasjenige der Ganoidschuppe zu beiden klargestellt werden. So wurde die Teleostierschuppe als eine reducirte Placoid- schuppe erkannt. Stand dies einmal fest, so galt es die zahlreichen Eigenthümlichkeiten der Schuppen bei Knochenfischen von dem durch die Phylogenese gegebenen einheitlichen Gesichtspunkt aus zu be- leuchten. Dass hierbei auch die Schuppe der Dipnoer und fossilen Ganoiden herangezogen wurde, erwies sich als werthvoll für das Verständnis mancher Punkte der Teleostierschuppe. Daran knüpfte sich die Beurtheilung von Schuppen bei gewissen Amphibien. Die Vorgänge bei der Entwieklung der Schuppen lenkten die Aufmerksamkeit auf die Histiogenese der Hartsubstanzgewebe der Wirbelthiere, des Zahnbeins und des Knochengewebes. Die That- sache, dass ursprünglich ganz indifferente Mesodermelemente bei der Schuppenbildung thätig sind, woran sich sekundär die Betheiligung des Bindegewebes an diesem Vorgange in sehr verschiedenartiger Weise anschließt, gab den Schlüssel für das Verständnis des Baues der Teleostierschuppe und eröffnete in vielen Punkten den Weg, der 7*+ 100 Hermann Klaatsch zum Verständnis des Zusammenhangs der Hartsubstanzgewebe unter einander wie der Beziehungen derselben zu den anderen Gliedern der Bindesubstanzreihe führt. So entstand der letzte Theil dieser Untersuchungen. So ergiebt sich aus der Entwicklung der Arbeit die Wahl und die Disposition des Materials. Wie bei systematischem Vorgehen sich eine Untersuchung aus der anderen mit Nothwendigkeit ergiebt, so stellt die Gesammtheit der niedergelegten Thatsachen und Beurthei- lungen ein gegliedertes Ganzes dar. Ein historischer Rückblick auf die wichtigsten Stadien der Ent- wieklung unserer Kenntnisse über die Fischschuppen lehrt, dass dieselben in früherer Zeit wesentlich als systematische Hilfsmittel die Aufmerksamkeit der Untersucher auf sich lenkten. L. AGassiz sonderte die Fische auf Grund der Schuppen in Placoiden, Ganoiden, Cyeloiden und Ctenoiden, eine Nomenclatur, die für die Schuppen sich erhalten hat. Sodann machte JoH. MÜLLER in seiner berühmten Ab- handlung über den Bau und die Grenzen der Ganoiden viele wich- tige Angaben über die Schuppen sowohl der Ganoiden als auch der Teleostier. War auch für ihn die Schuppe mehr ein Mittel, um die Stellung der Formen zu einander zu bestimmen, als selbst das Ziel der Untersuchung, so wurde zum ersten Mal von GEGENBAUR ver- sucht, alle Schuppenbildungen von einem einheitlichen Gesichtspunkt aus zu beurtheilen. Er wies nach, dass unter den lebenden Fischen die Selachier dem gemeinsamen Ausgangspunkte näher stehen als die Ganoiden und die Teleostier. Er verknüpfte die Ganoidschuppen mit denen der Selachier: »Die Hartgebilde des Integumentes der Ganoiden sind, wenigstens in der rhomboidalen Schuppenform, bestimmt als Modifikationen der Placoidschüppchen der Selachier zu erkennen.« (No. 6, pag. 13.) Den Zustand der Schuppen bei den Teleostiern bezeichnete GEGENBAUR als »ein durch die Mannigfaltigkeit der Formen charakterisirtes Auslaufen des bei den Ganoiden bestehenden von den Selachiern ableitbaren Typus« (pag. 448, Grundriss). War so in allgemeinen Zügen der Weg vorgezeichnet, auf dem die Schuppen der Ganoiden und der Teleostier von einem niederen Zustande abgeleitet werden konnten, so erwuchs die Aufgabe, im Einzelnen die Ableitung der Schuppen auszuführen. Dies ist bisher nicht geschehen. Obwohl O. Hertwic das Hautskelet der Fische zum Gegenstande von drei größeren Abhandlungen machte, die viele wichtige That- sachen sowohl für die Ganoiden als die Teleostier zu Tage förderten, Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 101 so wurde hierdurch das Schuppenkleid dieser Fische nicht aufgeklärt. Bei O. HEerTwIG’s Untersuchungen spielen die Schuppen eine mehr untergeordnete Rolle und kommen nur in so fern in Frage, als auch sie Theile des Hautskelets repräsentiren. Eben so.wie die Haut- knochen des Schädels und des Flossenskelets werden auch die Schuppen von O. HERTWIG auf eine gemeinsame Grundform zurück- geführt. Als diese Grundform erkannte er die Placoidschuppe der Selachier. Es bedarf jedoch der genauen Prüfung, wie sich die Schuppen der Ganoiden und Teleostier auf Grund der von O0. HErTwIG gegebenen Ableitung des gesammten Hautskelets zu den Placoidschuppen verhalten. Für die Ganoiden hat O. HERTwIG eine bestimmte Ansicht hierüber geäußert. In den mit zahlreichen Zähnen bedeckten Schuppen des Lepidosteus erblickt er ein Ver- schmelzungsprodukt eben so vieler Placoidschuppen, als Zähne auf einer gemeinsamen Unterlage vorhanden sind. Dies Resultat stimmt nicht mit demjenigen von GEGENBAUR überein, welcher die Ganoid- schuppen für modificirte Placoidschuppen erklärte in dem Sinne, dass die ursprüngliche Einheit auch durch die Form rhombischer Platten fortgeführt sei. Es liegt also hier ein Punkt vor, der noch der Auf- klärung bedarf, zumal da O. Herrwic die Form der Ganoidschuppe nicht berücksichtigte. Auch da, wo der Zahncharakter verwischt ist, verwerthet O. HErTwıG die Stacheln, die sich von einer Schuppe er- heben, als Mittel zur Verknüpfung mit der Placoidschuppe. Er be- nutzt die Zahl der Stacheln, die sich von einer Platte erheben, als Kriterium, um zu entscheiden, ob die betreffende Schuppe einer Placoidschuppe entspricht, oder ob sie aus der Verschmelzung meh- rerer Placoidschuppen hervorgegangen ist. Wo von einer Platte sich ein Stachel erhebt, da sieht er die Grundform erhalten, wo mehrere Stacheln sich finden, führt er die Bildung auf eine Verschmelzung mehrerer Placoidschuppen mit einander zurück. In diesem Sinne be- urtheilt er die eigenthümlichen Stachelschuppen, die er bei vielen Teleostiern auffand und in ihrer Ähnlichkeit mit Selachierschuppen zuerst genauer kennen lehrte. Auch da, wo ein Stachel an seinem freien Ende in mehrere Spitzen ausläuft, zieht O. Herrwic die An- nahme, dass derselbe aus so viel Einheiten, als Spitzen vorhanden sind, durch Verschmelzung entstanden sei, jedem anderen Erklärungs- versuch vor. Da Oscar Herrwig bei Teleostiern eine Verschmelzung meh- rerer Placoidschuppen zu stacheltragenden Schuppen nicht durch die Beobachtung erwiesen, sondern aus der Mehrstacheligkeit der be- 102 Hermann Klaatsch treffenden Gebilde erschlossen hat, da er ferner bei Formen, die ein ganz regelmäßiges Kleid von Stachelschuppen besitzen, wie Mona- canthus, das Zustandekommen desselben nicht zu erklären versucht hat, so wird es die Aufgabe der speciellen Untersuchung sein, im einzelnen Falle die Phylogenese der Stachelschuppen klar zu stellen; es bedarf jedoch der von O. HErTwIG vertretene Standpunkt der Prüfung, in so fern sich bei konsequenter Durchführung desselben für viele der typischen Cycloidschuppen und Ctenoidschuppen eine Ansicht herausstellt, die eine sehr eigenthümliche Auffassung dieser Gebilde fordert. Ist auch O. HErrwIe in dieser konsequenten Durch- führung nicht weiter vorgegangen, so ist es doch von anderer Seite für die Dipnoer wirklich geschehen. Nach O. Hertwic’s Meinung deutet jede Mehrstacheligkeit auf eine stattgefundene Verschmelzung mehrerer Einheiten hin. Dies gilt auch, wenn die Stacheln, wie bei Balistes, nichts als lokale Er- hebungen der Schuppenhartsubstanz vorstellen. Es muss daher auch Anwendung finden auf die Schuppen vieler Teleostier, welche mit zahllosen kleinen Erhebungen bedeckt sind. Demgemäß ist eine Cyeloidschuppe, die koncentrische Reihen kleiner Spitzchen in einer derartigen Menge trägt, dass eine genaue Zählung wenig Sinn haben würde, zum mindesten vielen Hunderten von Placoidschuppen homo- dynam. Dasselbe gilt für die mit zahlreichen »Spinules« (BAUDELOT) besetzten Ctenoidschuppen. WIEDERSHEIM hat für die mit überaus zahlreichen Spitzchen besetzten Schuppen von Protopterus annectens die Konsequenz gezogen. Ist es in hohem Grade bedenklich, eine Schuppe unserer Knochenfische für ein Homlogon von beliebig vielen Placoidschuppen hinzustellen, abgesehen davon, dass auf die Bildungs- weise der Stacheln und auf die Schuppen im Ganzen gar keine Rücksicht genommen wird, so erwächst bei dieser Art der Ableitung die Schwierigkeit, dass man weder zwischen den Schuppen zweier verschiedener Species, noch zweier Individuen, noch zwischen denen eines Individuum eine Homodynamie annehmen darf. Denn nichts ist variabler als die Spitzenbildungen auf den Schuppen der Teleostier. Aber auch hiervon abgesehen ist der Satz, dass Mehrstachelig- keit eine Verschmelzung von Einheiten bewiese, auf sehr schwache Basis begründet. Ich will davon absehen, dass bei vielen Fischen am Kopfe, an den Flossen ete. Stachelbildungen mannigfachster Art vorkommen, wie sie den Acanthopterygiern den Namen gegeben haben, Bildungen, die wohl Jeder für ganz sekundäre Erscheinungen ohne Beziehung zu Placoidschuppen halten wird, ich will nur auf Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 103 die Placoidorgane selbst hinweisen. Es ist keineswegs die Regel, dass ein Placoidorgan nur in einen einfachen Stachel ausläuft: sehr häufig ist derselbe an seinem freien Theil durch Zacken und Leisten in mannigfacher Weise komplicirt. Bei Seyllium z. B. endet er in drei Zacken (Taf. VII Fig. 7). Hier wäre der Schluss, den Oscar HERTWIG für gewisse Monacanthusschuppen zieht, voll gerechtfertigt; man müsste die Seylliumschuppe als Verschmelzungsprodukt dreier Placoidschuppen auffassen. Nun ist ja aber gerade die Schuppe der Selachier die Einheit, von der auch O. HerrwıG ausgeht; er hat hier nicht die Formen nach der Stachelform gesondert. Für die Kieferzähne wies er nach, dass sie den Placoidschuppen homolog sind. Jeder ist also eine Einheit. Dennoch läuft z. B. der Zahn bei Heptanchus in einen Kamm aus, der vier bis sieben Spitzen trägt. So wenig hier die Mehrstacheligkeit als Grund für die An- nahme einer »Verschmelzung« angeführt wird, so wenig ist ein solches Vorgehen theoretisch gestattet bei anderen Bildungen, für welche ganz andere Möglichkeiten der Erklärung zahlreicher Stacheln in Frage kommen. Wo nun gar diese anderen Möglichkeiten viel näher liegen als der von O. HErTwıG überall herangezogene hypothetische Entwicklungsmodus, da ist der direkte Nachweis einer Verschmel- zung ganz besonders erforderlich. Gestattet somit die Bahn, welche O. HErTwIG bei seiner Ab- leitung des Hautskelets der Fische betreten hat, kein Vorgehen über den Punkt hinaus, mit welchem derselbe seine Forschungen in dieser Hinsicht abschließt, so ist doch bei konsequenter Durcharbeitung des Materials und bei genauer Berücksichtigung aller in Frage kommen- den Faktoren die Möglichkeit vorhanden, die Schuppen aller Fische auf ihre Grundform zurückzuführen. I. Die Schuppen der Selachier. Form, Anordnung und Bau. Indem ich bezüglich der Einzelheiten der Placoidschuppen der Selachier auf O. Herrwıg’s Untersuchungen verweise, stelle ich hier dasjenige zusammen, was in Betreff der Form, des Baues und der Anordnung der fertig ausgebildeten Selachierschuppe für den Zweck der vorliegenden Untersuchung von Bedeutung’ ist!. 1 Ich werde fortan die Placoidorgane, so weit sie das Integument bedecken, 104 Hermann Klaatsch An jeder Placoidschuppe kann man unterscheiden einen basalen Theil, die »Basalplatte« und einen apicalen Theil, den »Schuppen- stachel« (Taf. VI Fig. 6; Taf. VII Fig. 7). Die Basalplatte (Sd) hat die Form eines Rhombus mit leicht abgerundeten Ecken. Von ihrer Mitte erhebt sich der Stachel (Sa); er verjüngt sich entweder gleichmäßig nach außen hin oder ist mit einem unteren etwas ver- schmälerten Abschnitt gegen die Platte abgesetzt. Er läuft oft in eine einfache Spitze aus, kann aber auch durch leistenförmige Vor- sprünge komplicirt sein. Eine Gabelung der Spitze in drei Zacken kommt bei Seyllium vor. An den Kieferzähnen, die Herrwic als vergrößerte Placoid- schuppen nachgewiesen hat, kann der Spitzentheil noch weitere Eigenthümlichkeiten aufweisen. Bei Heptanchus bildet er eine Platte, die in eine größere Anzahl neben einander liegender in vier bis sieben in.der Regel) ausläuft. Die untere Fläche der Basalplatte wird in ihrer Mitte durch- brochen von einem Kanal (C%), der sich im Inneren des Stachels zu einer Pulpahöhle (ph) u von der wiederum ein größeres und viele kleinere verzweigte Kanälchen entspringen. Das größere dieser »Zahnkanälchen« liegt in der Fortsetzung der Pulpahöhle gegen die Spitze des Stachels zu, die kleineren strahlen radiär in die Substanz des Spitzentheiles aus. Neben dieser centralen Durchbrechung der Basalplatte kommen bei vielen Formen auch solche vor, die auf der Grenze von Basal- und Spitzentheil eine Kommunikation der Pulpahöhle mit der Um- gebung vermitteln. An den Basalplatten entsprechen die größeren Durchmesser in ihrer Richtung der Längsachse des Körpers, die stumpfen Winkel des Rhombus sind also dem Rücken und dem Bauch, die spitzen dem Kopf und dem Schwanz zugekehrt. Der Stachel ist schräg nach dem Schwanzende des Thieres gerichtet. Die Platte (Taf. VI Fig. 6) liegt horizontal, der Körperober- fläche nahezu parallel (ihr vorderes Ende finde ich um ein Weniges höher gelegen als das hintere) in den äußeren Schichten der Cutis. Uber die Anordnung der Schuppen macht O0. Hurrwic einige Angaben; sehr klar ist sie durch die Abbildung GEGENBAUR’S (Grund- als Placoidschuppen oder, so weit es sich ausschließlich um Selachier handelt, kurzweg als Schuppen bezeichnen. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 105 riss der vergleichenden Anatomie. 1878. Fig. 219. Centrophorus calceus) wiedergegeben. Am Rumpfe liegen sie »nicht selten in ganz regel- mäßigen schrägen Reihen«. Es wendet somit jede Basalplatte ihre Seiten je vier benachbarten Schuppen zu, und eben so ihre Ecken der gleichen Zahl von Nachbargebilden. Dabei bleiben immer die einzelnen Schuppen durch schmale Hautstreifen von einander ge- trennt. Diese Hautpartien bieten auch beim erwachsenen Thier Spielraum für die Neubildung von Schuppen zwischen den bereits vorhandenen. Die Anordnung der Schuppen in Reihen, welche dia- gonal zur Körperachse den Rumpf umziehen, stimmt überein mit der Richtung, welche andere Bestandtheile des Integumentes einhalten. Die tieferen Partien der Cutis bestehen aus Bindegewebsfibrillen, die in Lamellen geschichtet sind (Taf. VI Fig. 6). O. Herrwic hat schon angegeben, dass die Fibrillen einer Lamelle die der nächst höheren und nächst tieferen senkrecht kreuzen, indem alle Fibrillen einer Lamelle einander parallel verlaufen Wenn er jedoch be- hauptet, dass die Fibrillen einer Lamelle der Längsachse des Körpers parallel angeordnet seien, die der anderen hingegen senkrecht zu der- selben, so muss ich dies korrigiren in dem Sinne, dass der Verlauf der Faserung in allen Lamellen diagonal zur Körperachse verläuft, also der Richtung der Schuppenreihe genau entspricht (Taf. VII Fig. 7). Man erkennt dies bei der Betrachtung eines Hautstückes von der Fläche. Auf Längsschnitten der Haut (Taf. VI Fig. 6, 8) bekommt man demgemäß sämmtliche Fibrillen schräg durehschnitten und nicht, wie O. HErTwIG angiebt, die der einen Lamelle quer, die der benachbarten längs getroffen. Was den Bau der Placoidschuppe! betrifft, so ist derselbe durch O. Herrwig klargestellt worden. Die Angaben früherer Autoren hat er darin ergänzt und berichtigt, dass er die völlige Überein- stimmung in dem histiologischen Aufbau zwischen den Placoidschup- pen und den Kieferzähnen der Haie nachwies. Die Hartsubstanz, welche in Form eines Hohlkegels den Schuppenstachel bedeckt, muss nach der Art ihrer Entstehung als »Schmelz« bezeichnet wer- den (Taf. VI Fig. 6). Die Hartsubstanz, welche den Schuppen- stachel formt, gleicht dem Zahnbein der höheren Wirbelthiere sowohl in ihrer chemischen wie in ihrer morphologischen Beschaffenheit. ! Vgl. auch Zırter’s Handbuch der Paläontologie, pag. 7. Er berichtet, dass RoHon die bereits von 0. HErTwıG erkannte Prismenstruktur des Schmelzes im polarisirten Licht nachweisen konnte. 106 Hermann Klaatsch Sie entbehrt der Zellen in ihrem Inneren, wird hingegen durchsetzt von zahlreichen »Zahnbeinröhren«, die sich distalwärts verästeln (Taf. VII Fig. 7). Dies Zahnbein geht allmählich ohne scharfe Grenze über in die Hartsubstanz der Basalplatte. Das Wesen dieser letzteren bedarf am meisten der Aufklärung. O. Hertwia bezeichnet die Basalplatte als »verknöchertes Binde- gewebe« oder in Analogie mit den Zähnen höherer Wirbelthiere als »Cement«. Sie entbehrt der Zahnbeinkanälchen, auch enthält sie keine Zellen. Wie der von O. Hertwic gewählte Name andeutet, besteht eine nahe Beziehung zu den Bindegewebslamellen der Cutis. Das Innere der Pulpahöhle enthält Blutgefäße, welche durch das centrale Loch der Basalplatte eintreten. Daneben enthält dieser Raum Bindegewebszellen und Elemente, welche der Hartsubstanz von innen her aufliegen. Ein Theil derselben entsendet seine Aus- läufer in die Zahnbeinkanälchen und gleicht den »Odontoblasten« der höheren Vertebraten. Andere Elemente liegen der Hartsubstanz einfach an, ohne in dieselbe mit Ausläufern einzudringen. Sie werden von O. HERTWwIG »Osteoblasten« verglichen. Die gleichen Elemente umgeben allseitig, manchmal wie ein Epithel. die Hart- substanz der Basalplatte. Um über die Bedeutung dieser Zellen und ihre Beziehung zur Schuppe ins Klare zu kommen, bedarf es der Prüfung der Histiogenese der Placoidschuppe, die auch den histio- logischen Charakter der einzelnen Bestandtheile der Schuppe auf- hellen hilft. Entwicklung. Kann ich hier auch in vielen Punkten auf O. Hertwie’s ge- naue Beschreibung verweisen, so nöthigte mich doch die Frage- stellung, von der ich bei meiner Untersuchung ausging, zu einer erneuten Prüfung des Vorganges: es handelte sich darum, einige Punkte klar zu stellen, die für die Vergleichung mit den Schuppen- bildungen der anderen Fische sich als bedeutungsvoll erwiesen. Als Objekte dienten Embryonen resp. jugendliche Exemplare von Seymnus und Seyllium. Ein junger Scymnus (17 em lang), dessen Species nicht bestimmt ist, bot in vorzüglicher Weise eine Übersicht der frühen Entwicklungsstadien, ein Seyllium canicula ließ die späteren Schicksale der Schuppenbildung gut verfolgen. Bevor eine Schuppenbildung auftritt, stimmt die Haut der Se- lachier mit der der Cyclostomen überein. Die Dicke der Epidermis schwankt bedeutend bei den Selachiern je nach der Species. Bei Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 107 Notidaniden besitzt dieselbe nach O. Hertwic’s Abbildungen eine bedeutende Dicke, während sie bei Scymnus auf eine geringe An- zahl, etwa drei bis fünf Zelllagen redueirt ist. In der größeren Dicke der Epidermis, die auch den Cyclostomen zukommt, sehe ich einen ursprünglicheren Zustand erhalten. In der Cutis macht sich bei den Selachiern frühzeitig eine Scheidung bemerkbar in einen äußeren und einen inneren Theil. Der innere überwiegt zunächst, wie dies bei Cyclostomen dauernd ist, und zeigt das Bindegewebe differenzirt zu Lamellen, in denen, wie bereits aus einander gesetzt, die Fasern der einen Lage die der nächsten senkrecht kreuzen, in- dem alle zur Körperachse diagonal verlaufen. In der äußeren unmittelbar unter der Epidermis gelegenen Schicht bewahren sich die Elemente ein mehr indifferentes Verhalten. Ihr Zellleib ist reich an Protoplasma und die Grundsubstanz, in der sie eingebettet sind, zeigt zunächst keinen fibrillären Zerfall (Taf. VI Fig. 1 oc). Diese äußere Cutisschicht bezeichnet O. Hertwie tref- fend als eine Keimschicht des Integumentes. Sie nimmt einen wich- tigen Antheil an der ersten Bildung der Placoidschuppen; ihr Reich- thum an Blutgefäßen zeigt die Schicht als Sitz einer lebhaften Neu- bildung von Elementen. Bei der Anlage der Placoidschuppe vollziehen sich Ver- änderungen in der Epidermis und im Bindegewebe (Taf. VI Fig. 1). Die Epidermis ist bei Scymnus ca. 30 « dick. Die basalen Epi- thelzellen zeichnen sich durch rein kubische Form vor den mehr ab- geplatteten Zellen der höheren Epidermisschichten aus. Im Epithel finden sich reichlich »Schleimzellen« (Z) vor. Die erste Andeutung einer Schuppenbildung ist gegeben durch eine leichte Vorwölbung der Epidermis, bedingt durch eine Zellanhäufung in der äußeren Cutisschicht. Wo die Epidermis, wie bei Scymnus, eine geringe Dicke besitzt, entspricht diesem Vorgange auch eine geringe Er- hebung der Oberfläche der Epidermis, die jedoch bei Formen mit dicker Epidermis fehlt. Dazu kommt bei Seymnus eine lokale Ver- dickung des Epithels im Bereich der Schuppenanlage. Diese Ver- dickung rührt einmal her von der Zunahme der Zelllagen von drei auf etwa fünf, sodann aber verdankt sie ihre Entstehung der Ver- änderung der basalen Epithelzellen (S.M). Sie nehmen an Höhe zu (von 5 « auf 10 «), ihre Kerne werden groß und oval (Durchmesser 3 und 6 «). O. Herrwia’s Abbildungen zeigen dies, doch geht aus ihnen nicht ganz klar hervor, dass die Veränderung auf den Bereich 108 Hermann Klaatsch der Schuppenanlage beschränkt ist. Die Basalmembran zwischen Epidermis und Bindegewebe erscheint auf dem Durchschnitt als eine den basalen Epithelzellen eng angeschlossene Grenzlinie (bm). Der Raum unter dem Epidermistheil der Schuppenanlage wird ausgefüllt durch Elemente der äußeren Cutisschieht (S.K). Sie be- sitzen das Eigenthümliche gegenüber den benachbarten Zellen, dass sie dieht bei einander liegen, dass sie große rundliche oder ovale Kerne (ca. 5—6 « im Durchmesser) besitzen, die reich an Chromatin sind, und dass zwischen den rundlichen Protoplasmamassen der ein- zelnen Zellen nur eine spärliche, jeglicher Differenzirung entbeh- rende Grundsubstanz sich findet. Chromatophoren mit ihren Aus- läufern drängen sich an manchen Stellen durch diesen Zellenhaufen hindurch. Am Rande bestehen ganz allmähliche Übergänge zu den Bindegewebszellen der nicht veränderten Haut, wo die Grundsubstanz fibrillären Zerfall zeigt. Neben den großen Elementen finden sich auch solche mit kleineren Kernen (3—4 u im Durchmesser) in dem Zellenhaufen. Sie überwiegen nach innen zu, da wo die Zellmasse angrenzt an die tiefe lamellöse Cutisschicht, zu deren spindelförmigen Elementen sich Ubergänge auffinden lassen. Kleine Blutgefäße treten dicht an den Zellhaufen heran. Die nächste Veränderung (Taf. VI, Fig. 2) ist dadurch gegeben, dass der bindegewebige Schuppenkeim — aus später sich ergebenden Gründen acceptire ich für ihn nicht den O. Herrwıg’schen Ausdruck : »Dentinkeim« — sich stärker gegen die Epidermis vorwölbt. Wenn an der Oberfläche der Epidermis bei Scymnus keine entsprechende Prominenz sich bildet, so erklärt sich dies daraus, dass die Epider- mis auf der Höhe der Schuppenanlage an Dicke abnimmt, an der Peripherie derselben sich hingegen verdickt. Dadurch entsteht ein ringförmiger Vorsprung der Epidermis nach innen, welcher den binde- gewebigen Schuppenkeim einfasst. Je nach der Dieke der Epider- mis ist derselbe bei den einzelnen Species in sehr verschiedener Weise ausgebildet. Am geringsten findet er sich bei Notidaniden ef. O. Hertwie’s Abbildung Taf. XII Fig. 10). Bei Seymnus stär- ker entwickelt, führt er bei anderen Formen, wo er noch mehr her- vortritt, z. B. nach O. Herrwie bei Acanthias americanus, zu einer theilweisen Einsenkung der ganzen Schuppenanlage in das unter- liegende Bindegewebe. Es vollziehen sich somit an den Anlagen der Placoidschuppen ähnliche Verlagerungen, wie sie an den Kiefer- zähnen in viel höherem Maße zur Beobachtung kommen. Lassen sich die Bilder, welche verschiedene Species der Selachier bezüglich Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 109 des Verhaltens der epithelialen zur bindegewebigen Schuppenanlage bieten, einreihen in eine Stufenfolge, für die als wesentlicher Faktor die Dicke der Epidermis sich darstellt, so geht schon hieraus hervor, dass die wesentliche Übereinstimmung der Vorgänge bei den ein- zelnen Formen dadurch nicht alterirt wird. Im vorliegenden Stadium, wie es durch Fig. 2 erläutert wird, haben die basalen Epidermiszellen bedeutend an Höhe gewonnen (10 w bis 30 wu). Dabei sind die Zellen schmaler geworden, der Kern hat in seiner Größe sich nicht verändert. Er hat jedoch eine ganz typische Lageveränderung erfahren. Er rückt an das äußere Ende der Zelle, die sich damit in einen kernhaltigen und einen kern- freien Abschnitt sondert. Dabei geschieht eine Veränderung des Chromatins, die bisher nieht beachtet worden ist. Dasselbe häuft sich in der Richtung gegen den kernfreien Theil der Zelle in Form einer Kappe an, welche die übrige Substanz des Kerns, die sich viel schwächer tingirt, überdeckt. Im bindegewebigen Schuppenkeim vollzieht sich eine Differenzi- rung, welche dem vorliegenden Stadium ein sehr charakteristisches Gepräge verleiht. Einmal ist die ganze Bildung schärfer als früher gegen das umgebende Gewebe abgesetzt (cf. HERTWIG, pag. 351), sodann zeigen ihre Elemente eine Veränderung: auf der Höhe des Keims liegen rundliche Zellen verschiedener Größe dicht bei ein- ander ohne bestimmte Anordnung; je mehr man sich aber der Grenze gegen das benachbarte Gewebe nähert, desto deutlicher tritt an den Elementen eine Abplattung hervor, die ihnen annähernd Spindelform verleiht. Dabei formiren sie Züge, die unter einander parallel in einem nach außen schwach konkaven Bogen von einem Punkt am Rande des Schuppenkeims zum gegenüberliegenden verlaufen. Diese Sonderung des ursprünglich einheitlichen und in sich gleichartigen Materials des Schuppenkeims hat O. Herrwic nicht beachtet. Auch auf seinen Abbildungen sind wenigstens die ersten Stadien derselben nicht wiedergegeben. Fig. 11 auf Taf. XII stellt ein Stadium vor, bei dem die Erscheinung nicht deutlich ist. Cha- rakteristischer sind in dieser Beziehung die Abbildungen der Schup- penanlagen von Mustelus laevis, welche Fr. HEınckE mehr beiläufig gegeben hat, ohne irgend welche Angaben zu machen, die sich auf diesen Punkt bezögen. Die Bedeutung dieser Differenzirung des Schuppenkeims beruht darin, dass damit an demselben angebahnt wird die Sonderung eines äußeren gegen die Epidermis gewendeten Theiles (Ska) von einem 110 Hermann Klaatsch inneren unterhalb des Bereiches der Epidermis ausgebreiteten Theile (Skb). Der erstere dringt in Form einer Papille gegen die Epider- mis vor, der letztere dehnt sich flächenhaft in der äußeren Cutis- schicht aus. Auf dem folgenden Stadium (Fig. 3) tritt dies noch deutlicher hervor. Der äußere oder Spitzentheil des bindegewebigen Schup- penkeims gewinnt an Umfang und an Zahl der Elemente. Nament- lich in der Richtung der Längsachse des Thieres dehnt er sich stärker aus. Dabei verschiebt sich der höchste Punkt der Erhebung mehr caudalwärts. So resultirt eine Papille, welche mit schräg nach hinten gerichteter Spitze in die Epidermis vordringt (Sha). Der Basaltheil des Schuppenkeims gewinnt eine der Ober- fläche des Körpers parallele Richtung, indem seine spindelförmigen Elemente sich in Zügen anordnen, die nicht wie früher einen bogen- förmigen sondern einen geraden, den Lamellen der tiefen Cutisschicht entsprechenden Verlauf nehmen (572). Die Form der Placoidschuppe ist in diesem Stadium in zelligem Material vorgebildet: der Spitzentheil stellt die Anlage des Schuppen- stachels vor, der Basaltheil liefert die Grundlage für die Basalplatte (Fig. 4). Die Form des Spitzentheils differirt von jetzt an beträchtlich bei den verschiedenen Species. Bei Heptanchus (0. Hertwie Taf. XII Fig. 10) spitz und schlank, ist er bei Seymnus mehr einem stumpfen Kegel ähnlich. Die Einsenkung des Spitzentheils in die Haut, die schon früher begann, ist jetzt bei manchen Formen Scymnus, Seyl- lium) sehr ausgeprägt (Fig. 4), bei anderen, wie Heptanchus, fehlt sie auch in diesem Stadium gänzlich. Hier bleibt die innere Fläche der Epidermis außerhalb des Bereiches der Papille eben; darin liegt ein einfacherer Zustand vor im Vergleich mit Seymnus, wo die ba- sale Epithelschicht umbiegt in eine dünne Zelllage, welche in der Nähe der Spitze die Verbindung mit der übrigen Epidermis ver- mitteln hilft. Der basale Theil des Schuppenkeims, im Vergleich mit dem Spitzentheil von geringer Mächtigkeit, überragt mit seinen Zellen- zügen die Peripherie der Papille nach vorn und hinten. An seinem vorderen Ende zeigt er bei Scymnus eine dichtere Zellanhäufung. Diesen zellig präformirten Basaltheil kann man auf den Abbildungen O. Hertwie’s, namentlich dem Transversalschnitt einer Schuppen- anlage von Heptanchus, Fig. 7 Taf. XII, deutlich erkennen, obwohl seine Bedeutung im Text nicht erörtert wird. Daraus, dass HERTWIG Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 111 diese nicht erkannte, erklärt es sich, dass er über die Entstehung der Basalplatte keinen Aufschluss gewann. Er bemerkt vom vorliegen- den Stadium : »Veränderungen, welche zur Bildung der Basalplatte in Beziehung standen, haben zu dieser Zeit im Cutisgewebe noch nicht stattgefunden« (pag. 355). Im Anschluss hieran beschreibt er »eigenthümlich umgestaltete Zellengruppen, die am ausgewachsenen Thier die Oberfläche der Basalplatten als lockeres Gewebe bedecken«, Er betont ausdrücklich, dass dieselben nichts mit der Entwicklung der Basalplatte zu thun haben, aber er sagt nicht wofür er sie hält. An den Stellen, wo er sie abbildet, finde ich Durchschnitte von Blut- gefäßen, deren O. Herrwic keine Erwähnung thut. Die »zartwan- digen großen Zellen«, die »durch den Schnitt leicht zerstört und herausgerissen werden«, »einen ganz hellen und flüssigen Inhalt« haben, kann ich auf Grund ihrer Lage und auf Grund des Ver- gleiches der O. Herrwıg’schen Abbildungen mit meinen Präparaten nur für Blutkörperchen halten, womit auch die Größenverhältnisse stimmen (cf. Taf. VI Fig. 6 22). Ist die Form der Placoidschuppe in zelligem Material angelegt, so beginnt die Abscheidung der Hartsubstanzen (Fig. 4). Von diesen gelangt der Schmelz am frühesten zur Ausbildung. Wie O. HERTWIG sehe ich in ihm ein Sekret der basalen Epidermis- zellen (SM). Dieselben nehmen in der bereits früher geschilderten Weise an Höhe zu, so dass sie bei Scymnus in maximo eine Länge von 50 w erreichen. Zunächst an der Spitze der Papille erscheint an der inneren Seite der Zellen als eine kontinuirliche homogene Lage der Schmelz und in dem Maße, wie derselbe abgesetzt wird, tritt eine Verkürzung der secernirenden Epithelzellen ein. Als Er- scheinungen, die mit diesem Process verknüpft sind, bemerke ich eine feine Längsstreifung des inneren, kernfreien Theiles der Zelle und eine deutliche Verkleinerung des Kernes nach der Abscheidung. Indem dieser Process von der Spitze aus immer weiter an der Papille fortschreitet, entsteht ein Hohlkegel aus Schmelz (E). Dieser umschließt den zelligen zunächst jeglicher Hartsubstanz entbehrenden Spitzentheil des Schuppenkeims (S%a). An diesem hat sich eine Sonderung der Elemente vollzogen. Die oberflächlichst gelegenen Ele- mente haben in senkrechter Richtung zur Oberfläche des ganzen Zell- haufens sich vergrößert. Da eine Grundsubstanz zwischen ihnen wenig entwickelt ist, so stellen sie eine epithelähnliche Schicht dar (sel). Diese beginnt nun eine homogene Substanz abzuscheiden, die dem Schmelz von innen anliegt. Dass diese Substanz zunächst der 112 Hermann Klaatsch Kalksalze entbehrt, hat O. Herrwıs gefunden (pag. 355, pag. 383). Gegen den Schmelz hin ist die Substanz nicht durch eine gerade Linie abgegrenzt, sondern es greifen beide Schichten in Form einer unregelmäßig gezackten Linie in einander ein. Durch die Aufnahme von Kalksalzen wird die umgebildete Substanz zum »Dentin« (Fig. 5). Die stärker werdende Dentinrinde (D, wird innen ausgekleidet von Zellen, die zum Theil ihre Ausläufer in dieselbe hinein senden. So entstehen Zahnbeinröhrehen. Andere Zellen liegen der Substanz ein- fach an. Die Schicht, welche das Zahnbein liefert, ist gegen die innere Zellmasse der Papille viel weniger scharf geschieden als die bei höheren Wirbelthieren sich findende Odontoblastenschicht (OÖ. HERT- wig). Wenn auch diese sich von den hier vorliegenden Zuständen ableitet, so erfordert doch die niedere Stufe der Entwicklung, auf welcher hier die Hartsubstanzen uns entgegentreten, die Wahl eines anderen mehr indifferenten Namens für die betreffenden Elemente, zumal dieselben auch an der Bildung einer Hartsubstanz betheiligt sind, die nicht als Zahnbein betrachtet werden kann. Ich nenne daher die Elemente der Placoidschuppe, die dem Bindegewebe des Schuppenkeims entstammend, eine Hartsubstanz liefern, »Sclero- blasten« (scZ). Ist der Spitzentheil des Schuppenkeims vollständig von einem Hohlkegel aus Dentin umschlossen, so schreitet der Pro- cess, der das Zahnbein lieferte, weiter in die Tiefe fort. Das zellige Material des basalen Theils gewinnt scleroblastische Funktion und liefert die Hartsubstanz der Basalplatte (Fig. 5 Skd). Für diese Vorgänge sind die an Scyllium canicula gemachten Befunde denen von Scymnus, die nur die erste Dentinbildung zeigen, anzureihen (Fig. 5). An dem neuen Objekt finden sich sämmtliche Stadien der Schuppenentwicklung neben einander. Im Ganzen stim- men die jüngeren Stadien mit denen von Scymnus überein; für die älteren ist ein stärkeres Einsinken der ganzen Anlage in die Cutis und damit eine stärkere Einfaltung der Epidermis an der Peripherie der Papille zu konstatiren. Auch die Cutis zeigt übereinstimmende Verhältnisse, nur sind die histiologischen Elemente weiter differen- zirt. Die äußere Cutisschicht ist sehr reich an Blutgefäßen. Ihre Lumina liegen an manchen Stellen so dicht bei einander, dass nur dünne Bindegewebsstränge übrig bleiben, welche eine an Chromato- phoren reiche subepidermoidale Lage mit einer tieferen verbinden, die unmittelbar auf den geschichteten Lamellen der tiefen Cutisschicht gelegen ist. Diese Lamellen sind hier wohl von einander gesondert und man erkennt deutlich, dass ihre Fibrillenbündel auf dem Längs- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 113 schnitt sämmtlich schräg durchschnitten sind (s/c). Die äußerste La- melle des straffen Bindegewebes ist geringer entfaltet als die anderen und leitet so über zu noch weiter nach außen gelegenen Partien, in denen eine schichtenweise Anordnung der fibrillären Bestandtheile nur angedeutet ist. Neben diesen der Körperoberfläche parallelen Bindegewebslagen kommen sehr reichlich die bereits von OÖ. HErTwIG beschriebenen Faserbündel vor, welche senkrecht zu denselben durch die anderen Schichten hindurchtreten, um in der äußeren Cutisschicht in ihre Komponenten sich aufzulösen, die dann pinselförmig sich aus- breiten (f). Die Elemente der äußeren Cutisschicht sind Bindegewebszellen mit kleineren Kernen und einem nur in geringer Ausdehnung tingir- baren Protoplasmaleib. Gegen die Elemente des Schuppenkeims sind sie nur durch die Anordnung und die Beschaffenheit der Grundsub- stanz geschieden. Bei schwacher Vergrößerung setzt sich die basale Zellenmasse des Schuppenkeims, welche wie bei Scymnus im di- rekten Anschluss an den Spitzentheil die epidermoidale Einschnürung desselben nach vorn und hinten eine Strecke weit überragt, ziemlich scharf gegen das umgebende Bindegewebe ab, bei stärkerer Ver- größerung erscheint diese Grenze minder scharf. Nach innen stößt der Schuppenkeim gegen die Bindegewebs- lamellen. Entsprechend der Einsenkung der ganzen Anlage in der Haut wird die Basis derselben gleichsam gegen die tiefe Cutisschicht vorgedrängt. Nur eine ganz dünne Lage von mehr lockerem Binde- gewebe sondert die basalen Zellenmassen der Schuppe von den La- mellen. Geht man vom Spitzentheil senkrecht in die Tiefe, so trifft man also zunächst eine Schicht von Zellen, welche einer Zwischen- substanz ganz oder fast ganz entbehrend, dicht an einander gelagert sind. In ihren Größenverhältnissen stehen sie etwas hinter den Zellen der Papille zuriick an die sie im Übrigen sich ihrer Be- schaifenheit wie dem Orte nach direkt anschließen. An diese Lage stößt eine zweite, welche die gleichen Elemente, nur in geringerer Zahl besitzt, eingebettet in eine Grundsubstanz, welche eine geringe fibrillare Differenzirung aufweist. Wie beide Lagen allmählich in einander übergehen, so besteht auch keine scharfe Abgrenzung der letzterwähnten gegen die tiefe Cutisschicht, indem zuerst Fibrillen- bündel zu dünneren Lamellen sich anordnen, die zu tieferen und mächtiger entwickelten Gebilden der gleichen Art überleiten. Hier nun haben wir es mit Zellen zu thun, deren Intercellularsubstanz eine hohe und einseitige Differenzirung eingegangen ist. Die Ele- Morpholog. Jahrbuch. 16. 8 114 Hermann Klaatsch mente liegen in Reihen zwischen den Lamellen und gleichen den Zellen im straffen Bindegewebe, wie in den Sehnen der höheren Thiere. Bei dem Wachsthum der tiefen Cutisschicht vollzieht sich die Umbildung ihrer Lamellen an ihrer äußeren Oberfläche; innen stößt sie an die Muskulatur; hier ist in diesem Stadium kein indifferentes Gewebe vorhanden, das neues Material liefern könnte. Die tieferen Partien der äußeren Cutisschicht stellen im Verhalten zur inneren eine Keimschicht dar, die gleiche Rolle spielen sie auch nach außen hin, indem ihr die Elemente entstammen, die sich vermehrend und eng an einander geschlossen den basalen Theil des Schuppenkeimes konstituiren. Das Verständnis der Bedeutung des geschilderten Theiles der Cutis in seinen Beziehungen zu den Placoidschuppen einerseits und zu den Lamellen der tiefen Cutisschicht andererseits ist für die weitere Entwicklung der Schuppen und die Bildung der Basalplatte wichtig (Fig. 5). Die Bildung der Hartsubstanz der Schuppe war verfolgt wor- den bis zu dem Punkte, wo die Papille oder der Spitzentheil von einem Hohlkegel aus Dentin umhüllt ist (D). Die epithelähnliche Anordnung der Scleroblasten des Spitzentheils setzt sich fort auf den basalen Abschnitt. Über die Stelle fort, wo der Spitzentheil gegen den Basaltheil durch die Epidermiseinschnürung halsartig abgesetzt wird, zieht die Scleroblastenreihe bogenförmig nach vorn und hinten in die Tiefe, so dass ihre äußersten Zellen nahezu senkrecht von innen her gegen die Körperoberfläche orientirt sind. Dem entspricht die Ausdehnung der Hartsubstanz (A), die dem Dentinkegel einen basalen Theil hinzufügt, welcher im Verhältnis zur ganzen Schuppenanlage centrifugul in der äußeren Cutisschicht parallel der Körperoberfläche sich ausdehnt. Verdankt auch diese Masse genau demselben Process ihre Entstehung wie der Dentin- kegel, so bietet sie doch einen Differenzpunkt im Vergleich mit dem- selben dar, der sich einfach aus der Örtlichkeit ergiebt. Während in dem Bezirke, der noch von der Epidermis beherrscht wird, also bis zum Übergang der Papille in den Basaltheil die Bildungszellen der Hartsubstanz ihrem Produkte nur von innen her aufsitzen, wird die Substanz der Basalplatte von außen und von innen bedeckt durch Zellen, welche ihr gegenüber als Scleroblasten fungiren (Fig. 5 und 6), Entstand also der zuerst gebildete Theil der Schuppensub- stanz z. Th. durch, z. Th. im engen Anschluss an Vorgänge in der Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 115 Epidermis, so ging diese Beziehung zur Oberhaut für die Basalplatte verloren. Fig. 5 zeigt die erste dünne Lage von Hartsubstanz (A), welche sich zwischen die Zellen des Basaltheils einschiebt. Um diese Zeit vollziehen sich Veränderungen mit der ganzen Schuppe. Bisher noch unter der Epidermis verborgen, beginnt die schmelzbe- deckte Spitze frei nach außen vorzutreten. Sobald sie den Schmelz abgesetzt haben, kehren die basalen Epidermiszellen zu ihrem früheren Umfang zurück. Die Partie der Oberhaut, welche die Spitze der Schuppe deckt, wird wohl durch den von innen her wirkenden Druck zerstört und man findet neben der hervorbrechenden Spitze des Stachels Haufen abgeplatteter und losgelöster Epithelzellen. In tieferen Partien schreitet der Process der Schmelzbildung noch fort (ef. Fig. 5), bis der Stachel so weit hervorgetreten ist, dass sein Halstheil im Niveau der inneren Epi- dermisgrenze gelegen ist. Gleichzeitig mit diesen Vorgängen ver- dickt sich der Mantel von Hartsubstanz bedeutend, der die Papille einhiillt. Dabei gelangen die Zahnbeinröhren zu größerer Entfal- tung und der oberste Abschnitt der Pulpahöhle wird so verengt, dass er selbst wie ein Dentinrohr erscheint. Bezüglich der Einzel- heiten dieser Processe verweise ich auf O. Hertwie’s Arbeit (pag. 356). Die Perforation der Haut durch den Schuppenstachel hat die gesammte Schuppe und damit auch den Basaltheil erhoben und die basalen Zellmassen des Schuppenkeimes von den Lamellen der tiefen Cutisschicht entfernt. Bisher war die Neubildung der Hartsubstanz in centrifugaler Richtung vorgeschritten und es waren dabei die tieferen Partien des basalen Schuppenkeimes unbetheiligt geblieben. Nunmehr werden auch diese Zellen in den seleroblastischen Process einbezogen. Im Vergleich zu früheren Stadien hat sich mit ihnen eine Änderung vollzogen. Sie stellen nicht mehr wie früher eine Zellmasse dar, welche entweder gar keine oder eine geringe Menge nicht differenzirter Zwischensubstanz besitzt, vielmehr findet sich jetzt zwischen ihnen eine Grundsubstanz, die einen fibrillären Zerfall zeigt. Es sind namentlich die Fibrillenbündel hier zu weiterer Aus- bildung gelangt, welche, von der Tiefe her senkrecht zur Oberfläche steigend, sich zwischen den Zellen gleich den Zweigen eines Stammes ausbreiten (Fig. 7). Im Centrum des Basaltheils treten dieselben (f) in das Innere der Schuppe ein und ziehen in der Pulpahöhle auf- wärts, gemeinsam mit Blutgefäßen und Chromatophoren. Nach außen davon gehen sie andere Beziehungen ein. Vom Rande der bisher gebildeten Basalplatte aus schreitet der scleroblastische Process in ge 116 Hermann Klaatsch centripetaler Richtung weiter. Als Scleroblasten fungiren hierbei ein- mal die nach der Pulpahöhle hin gelegenen Zellen, sodann diejeni- gen, welche von innen und unten her der neuen Substanz aufsitzen. Verhalten sich die erstgenannten den bisher geschilderten Sclero- blasten in so fern gleich, als ihre Zwischensubstanz, wo sie tiber- haupt vorhanden ist, keine Differenzirung darbietet, so führt die andere Art von Zellen der Hartsubstanz einen ganz neuen Bestand- theil zu. Die zwischen ihnen aufliegenden Fibrillenbündel werden in die Masse der Basalplatte aufgenommen. Dieser Vorgang ist für die Placoidschuppe von hoher mechani- scher Bedeutung. Es wird durch denselben eine viel festere Ver- bindung mit der Cutisschicht erzielt als sie früher bestand Fig. 8). Indem von beiden Seiten her — von außen und von innen — die centripetal wachsende Platte von Hartsubstanz neuen Zuwachs er- hält, wird die untere Kommunikationsstelle der Pulpahöhle mit dem tieferen Gewebe beträchtlich eingeengt, und diese selbst nimmt eine nahezu kugelige Form an. Wie im Spitzentheil, so weichen auch im Bereich der Basal- platte die Scleroblasten vor ihrem eigenen Produkt zurück, so dass sie demselben zwar immer dicht anliegen, aber niemals von dem- selben umschlossen werden. Zwischen beiden Theilen besteht jedoch in so fern ein wichtiger Unterschied, als in der Basalplatte sich keine Zellenausläufer nachweisen lassen, welche den Zahnbeinröhren entsprächen. Ein zweites wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist ge- geben durch die Beziehung, welche die Basalplatte zu den fibrillären Bestandtheilen der Cutis gewinnt. Es handelt sich hierbei nicht um eine scharfe Trennung der einzelnen Theile der Schuppe von ein- ander, sondern um Processe, die allmählich von einer Partie der Cutis auf die andere übergreifen. In diesem Sinne muss auch die Aufnahme bereits für sich differenzirter Grundsubstanz in die Basal- platte beurtheilt werden. Der Theil der Basalplatte (Sd), bei dem dies sich zeigt, also «derjenige, welcher der Körperoberfläche genau parallel in centripetaler Richtung weiter wächst, verdankt genau demselben Process seine Entstehung, wie der erstgebildete Theil (Sd,); ist er von diesem verschieden, so ist dies nur dem Umstande zuzuschreiben, dass die für ihn in Betracht kommenden Scleroblasten vor der Bildung einer Hartsubstanz bereits eine andere Funktion zu übernehmen begonnen hatten. Von den Faserbündeln, die zwischen ihnen aufwärts ziehen und die nach der Art ihrer Ausstrahlung sich als Zweige einzelner Bündel darstellen, auf welche der von GEGENBAUR Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 117 für andere Objekte gewählte Ausdruck »Wurzelstock« anwendbar ist, mag wohl ein Theil durch die Aufnahme von Kalksalzen er- härten, worauf ihre starke Lichtbrechung und ihr rigides Verhalten hinweisen; ein Theil bleibt jedenfalls unverkalkt, wie der Befund der trockenen Basalplatte beweist: dieselbe zeigt vielfache Durch- brechungen und Vertiefungen, welche der Maceration weicher binde- gewebiger Bestandtheile entspricht. Durch die nahe Beziehung zum Bindegewebe wird der zuletzt gebildete Theil different von dem zu- erst entstandenen. Ich will sie als oberflächlichen (Sd,) und tiefen Theil unterscheiden. Auch bei der späteren, oft recht beträchtlichen Zunahme der Basalplatte an Dicke muss man im Auge’ behalten, dass die Zone, in welcher derselben immer neues Material zugeführt wird, zugleich diejenige Region darstellt, von welcher aus die tiefe lamellöse Cutis- schicht durch Differenzirung der Grundsubstanz neuen Zuwachs er- hält. Allein hierdurch wird es verständlich, dass niemals Zellen ins Innere der Platte aufgenommen werden, selbst dann nicht, wenn scheinbar Theile der tiefen Cutisschicht der Platte einverleibt wer- den (ef. O. Herrwıg, Taf. XIII Fig. 8). Handelte es sich hierbei um die Verkalkung präexistenter Lamellen, so müssten die zwischen den Lamellen befindlichen Zellen mit aufgenommen werden. Wenn aber die Zellen in derselben Weise, wie ich es für die früheren Sta- dien beschrieben, einerseits fortfahren, als Bindegewebszellen eine fibrillär zerfallende Grundsubstanz zu liefern, andererseits zu Sclero- blasten geworden mit ihren Genossen die Eigenschaft theilen, von ihrem eigenen Produkte zurückzuweichen, so lässt sich der thatsäch- liche Befund verstehen als bedingt durch die Kombination zweier Processe, die ursprünglich ganz unabhängig von einander, verliefen. Jedenfalls muss auch das weitere Wachsthum der Basalplatte wie ihre Entstehung nicht als ein bloß chemischer Vorgang beurtheilt werden, sondern als ein an die Elemente der Cutis geknüpfter Pro- cess, der von Zelle zu Zelle, von oberflächlichen Schichten zu tieferen allmählich fortschreitet. Das Endresultat wird der Befund sein, den z. B. die Kieferzähne der Haie zeigen: alles indifferente Ma- terial ist aufgebraucht und die Basalplatte reicht bis zu einer ge- wissen Tiefe in die entsprechend weit nach außen hin ausgedehnte lamellöse Cutisschicht hinein. 118 Hermann Klaatsch Neubildung. STEENSTRUP lenkte zuerst die Aufmerksamkeit auf eine Eigen- thümlichkeit des Schuppenkleides der Knorpelfische gegenüber den Ganoiden und Teleostiern. Während bei den höheren Fischen die Zahl der Schuppen von Anfang an fest bestimmt ist, und nie- mals ein Ausfall und Wiederersatz von Schuppen vorkommt, sind die Placoidschuppen einer beständigen Umbildung unterworfen. »Elles tombent continuellement pour faire place a d’autres.« Wenn er hierin mit Recht eine wichtige Übereinstimmung zwischen Schuppen und Kieferzähnen erkannte »organes du reste trés-semblables par leur forme et leur structure intime«, lange bevor durch O. Herrwıs der wissenschaftliche Beweis für ihre Zusammengehörigkeit geführt wurde, so betonte er doch nicht die Verschiedenheit, welche die Neubildung beider Organe charakterisirt. Während die Schuppen sich allent- halben umbilden, ist bei den Zähnen eine ganz bestimmte Aufein- anderfolge von Reihen ausgeprägt. Es genügt die Betrachtung eines Hautstückes, mag dasselbe einem jugendlichen oder einem vollstän- dig erwachsenen Exemplar entstammen, um sich davon zu über- zeugen, dass beständig zwischen den bereits fertig gestellten Schup- pen neue sich bilden. Hierdurch wird die regelmäßige Anordnung in schrägen Reihen alterirt. Taf. VII Fig. 7 zeigt ein Flächenbild der Placoidschuppen, entnommen der Rückenhaut eines offenbar sehr großen Seyllium, von dem nur der Kopf und ein kleiner Theil des Rumpfes mir zur Verfügung standen. Man sieht, wie außerordent- lich verschieden die Schuppen in ihrer Größe sich verhalten. Die Basalplatten der kleinsten Placoidorgane messen in jeder Richtung noch nicht ein Drittel der dicht daneben stehenden größeren Bil- dungen. Daneben finden sich Schuppenanlagen in allen Stadien, Eins derselben, wo der Spitzentheil noch der Basalplatte entbehrt. ist auf der Figur sichtbar. Über die Art und Weise, wie sich die Placoidschuppen zurückbilden, habe ich keine Beobachtungen ge- macht, auch gelang es mir nicht, zu entscheiden, ob etwa von aus- gefallenen Placoidorganen sich Reste erhalten. An den Stellen, wo eine Lücke auf den Ausfall einer Schuppe hindeutete, fand ich nichts Derartiges. Für die Beurtheilung der Placoidschuppen als eines Ausgangs- punktes für weitere Differenzirungen ist die Beachtung der bestän- digen Vermehrung derselben von großer Bedeutung. Die Ungleichheit der einzelnen Komponenten des auf den ersten Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 119 Blick scheinbar sehr regelmäßigen Schuppenkleides eröffnet der Vor- stellung Spielraum, dass die schon vorhandene Verschiedenheit sich weiter ausbilden kann, dass einige der Placoidorgane ihre Nachbar- gebilde in einer Richtung übertreffen und in ihrer Entwicklung be- einflussen können, dass also gleichsam ein Kampf ums Dasein unter den in ihrer Anlage einander gleichartigen, auf einen engen Raum zusammengedrängten Organen stattfinde. Stehen auch die Selachier der Stammform aller Fische relativ am nächsten. so müssen sie doch auch als der letzte Überrest einer einseitig entwickelten Linie beurtheilt werden. Es darf daher auch ihr Schuppenkleid, wie es jetzt vorliegt, nicht als derjenige Zustand genommen werden, von dem sich die entsprechenden Organe der anderen Fische ableiten. In dieser Beziehung ist es wichtig zu kon- statiren, dass die Zahl der Schuppen, welche beim ersten Auftreten dieser Organe bei den Haien angelegt wird, eine viel geringere ist, als die, welche ältere Thiere zeigen. Es darf daher auch bei For- men, die weniger Schuppen als die lebenden Selachier haben, auf jenen Zustand recurrirt werden, den auch die Haie durchlaufen, und der jedenfalls als der ursprünglichere gelten muss. Es wäre wider- sinnig, anzunehmen, dass die ersten Formen mit Placoidorganen die- selben sofort in einer ungeheuer großen Zahl sich erworben hätten. Differenzirungen der Placoidorgane bei den Plagiostomen. Eine derselben ist gegeben durch die Funktion, welche die- selben an den Kiefern übernehmen, indem sie in den Dienst der Nahrungsaufnahme treten. Während hier durch die neue Leistung, welche den Placoidorganen zufällt, eine neue und eigenartige Ent- faltung derselben angebahnt wird, tritt im Bereich der Haut bei den Plagiostomen allmählich eine Rückbildung hervor. Von den Rochen ist diese allgemein bekannt, hier sehen wir neben der Reduktion der meisten Schuppen eine Vergrößerung anderer zu mächtigen Stacheln. Dass bei diesen Umbildungen die örtlichen Verhältnisse von großer Bedeutung sind, lässt sich vielfach bei den Plagiostomen nachweisen. So finde ich z. B. bei Rhinobatus lignifer, dass die Schuppen an den Stellen, wo ihnen durch eine Annäherung des inneren knorpe- ligen Skelets an die Hautoberfläche einige Stütze gewährt wird, ihre ursprüngliche Beschaffenheit viel besser bewahren als an Stellen, wo ein solcher Halt fehlt. Hier findet man die Schuppen in an- 120 Hermann Klaatsch nähernd regelmäßigen Abständen von einander, auch kann man Spitzentheil und Basaltheil unterscheiden. Aber es bietet die Basal- platte die mannigfachsten Formzustände dar. Statt der regelmäßigen Rhomben findet man theils rundliche, theils unregelmäßig gelappte Platten; bisweilen dringen vom Rande ganz unregelmäßige Buchten ins Innere ein; so deutet Alles auf eine Reduktion der Basalplatte hin. Schnitte lehren, dass diese Reduktion den tiefen Theil der Platte (Sé,) betroffen hat, während der oberflächliche, im Anschluss an den Spitzentheil entstandene, erhalten ist. Dass auch die Schuppenstachel sich eigenartig umbilden können, lehrt Pristis. Die Rückenfläche von Pristis cuspidatus finde ich be- deckt von rundlichen Gebilden, die ohne regelmäßige Anordnung ziemlich weit von einander abstehen. Die schwach gewölbten schei- benförmigen Körper ergeben sich bei der Isolation als veränderte Schuppenstachel. Sie enthalten im Centrum eine Pulpahöhle, von der radiär Zahnbeinkanälchen ausstrahlen. Darunter findet sich eine rundliche Basalplatte. Ähnliche Befunde finden sich in der, unter hEıssxer's Leitung entstandenen Doktordissertation von G. v. BRAKEL zusammengestellt (cf. auch WILLIAMSON 1849). Es liegt nicht in meinem Plane, auf die mannigfaltigen Be- funde bei den einseitig entwickelten Plagiostomen, wie den Rochen, hier näher einzugehen, die angeführten Beispiele genügen, um zu zeigen, dass bereits innerhalb der Gruppe der Knorpelfische sich be- trächtliche Verschiedenheiten im Schuppenkleide finden, die sich ent- weder als Reduktionen oder als einseitige Fortbildung eines indiffe- renten Zustandes erklären, wie ihn die Haie sich relativ am treuesten bewahrt haben. Dass die sogenannten »Hornfäden« in den Flossen der Selachier mit den Placoidschuppen in Beziehung stehen, geht aus der Beschrei- bung hervor, welche O. Hertwie (Morphol. Jahrb. II pag. 36S Anm.) von ihrer Bildung giebt. Auf dem Schnitt durch die Flosse eines Acanthiasembryo, den er abbildet (Taf. XXVIII Fig. 6), erkennt man, dass es der von mir als der »tiefe Theil« unterschiedene Abschnitt der Platte ist, welcher durch die Hornfäden vertreten ist, während das was O. Herrwie als Basalplättchen bezeichnet, nur dem ober- flächlichen Theil der Platte entspricht. Ich habe an Seyllium canicula den Befund geprüft und vollständig gleiche Resultate er- zielt. Je weiter nach dem freien Ende der Flosse zu, desto weniger ist die Substanz der Hornfäden von dem oberflächlichen Theil der Basalplatte geschieden. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 121 Für die Beurtheilung der Umwandlungen, welcher die Placoid- schuppen fähig sind, ist es von großem Interesse, einen Blick auf die außerordentlich mannigfaltigen Modifikationen zu werfen, deren die Kieferzähne der Plagiostomen unterworfen sind. Hat man doch in diesen nichts Anderes als Schuppen zu sehen, die ihrer neuen Aufgabe allein ihre eigenthümliche Entfaltung verdanken. Es er- geben sich für dieselben Komplikationen sowohl im äußeren Habitus wie in der Struktur. Aus dem großen Material, welches für das Studium dieser Veränderung namentlich die paläontologische For- schung ergeben hat, will ich hier nur in Kürze einige Thatsachen herausgreifen, die für die Entscheidung der Fragen von Bedeutung sind, um deren Erledigung es sich in vorliegender Arbeit handelt. Was zunächst die Umwandlungen des Spitzentheils anbelangt, so habe ich bereits darauf hingewiesen, dass derselbe keineswegs allgemein einen einfachen Stachel darstellt. Was unter den lebenden Formen z. B. Heptanchus in dieser Beziehung aufweist, nämlich einen Kamm, der in mehrere Spitzen ausläuft, stellt nur einen wenig aus: geprägten Fall dar, von dem, was fossile Formen in viel größerer Reichhaltigkeit der Befunde erkennen lassen. Indem ich einige dieser Befunde herausgreife, verweise ich auf die zahlreichen bildlichen Darstellungen in Zrrrev/s Handbuch der Paläontologie. Auch die schönen Abbildungen, welche die kürzlich erschienene Abhandlung JAECKEL’s über die Selachier des oberen Muschelkalkes Lothringens begleiten, können zur Vergleichung benutzt werden. Bei Carchorodon finden wir die Seitenränder der mächtig ent- falteten Zähne gleichmäßig fein gezähnelt. Daran reihen sich die Zähne von Hemipristis serra, bei denen die einzelnen Zacken der Seitenränder stärker hervortreten. Bei Galeocerdo, der wie Hemi- pristis den Carchariden zugezählt wird, ist eine der Nebenzacken besonders groß. Bei Lamna cuspidata! findet man zwei kleine Nebenstacheln einem Hauptstachel angefügt, bei anderen Lamniden (Otodus) und bei Seylliden haben die beiden Nebenstacheln sich selb- ständiger entwickelt. Das Gleiche zeigt auch Hybodus plicatilis Ag. (JAECKEL), während ganz nahe verwandte Formen zu weiteren Kom- plikationen in der Stachelzahl führen. So bildet JAECKEL (Taf. VIL Fig. 7) einen Zahn von Hybodus longieonus ab, der neben einem Hauptstachel auf der einen Seite zwei, auf der anderen drei Neben- stacheln trägt, während etwas weiter nach hinten gelegene Zähne ! ef. unten über die völlige Isolirung des Nebenstachels. 122 Hermann Klaatsch desselben Gebisses einerseits vier und andererseits fünf Nebenstacheln aufweisen. Bei Hybodus multiconus stehen die Nebenstacheln dem Hauptstachel nur wenig nach und bei Cladodus (Zırreu pag. 67) haben sich einige der äußersten Nebenstacheln bedeutend mächtiger entfaltet, als die zwischen ihnen und dem Hauptstachel gelegenen Spitzen. Daran reihen sich Befunde bei Xenacanthiden: Zwei seitliche Stacheln überragen eine mittlere (Zirren pag. 89). Bei Diplodus endlich haben wir zwei mächtig entfaltete und eine ganz kleine Mittelspitze. Es lehren diese Befunde, dass der Stachel der Placoid- schuppe sich in vielfacher Weise gliedern kann. Da es sich hierbei um Verschiedenheiten handelt, welche theils innerhalb einer Gruppe von nahe verwandten Formen, theils bei derselben Form auftreten, so kann mit aller Bestimmtheit ausgeschlossen werden, dass es sich um Verschmelzungsprocesse ein- zelner Zähne handele, welche die Mehrstacheligkeit erklären könnten, abgesehen davon, dass bisher die Haifischzähne allgemein als Einheiten betrachtet und von O. HERTwIG jeder derselben mit einer Placoidschuppe homologisirt wurde. Eine andere Modifikation des Stachels. welche ebenfalls hier von Interesse ist, wird dadurch hervorgebracht, dass derselbe sich ab- flacht und dann von seiner Wurzel sich wenig scharf absetzt. Als Beispiel sei Acrodus substriatus (JAECKEL Taf. IX Fig. 1) angeführt. Es erinnert diese Bildung an den Befund, den ich für die Placoid- schuppen oben für Pristis beschrieben habe. Bei Acrodus zieht ein Kamm über den flächenhaft ausgebreiteten Spitzentheil hin, von dem zahlreiche kleinere Leisten ausstrahlen. Bei Polyacrodus sind einige Stellen des Kammes stärker entwickelt (JAECKEL Taf. IX Fig. 9. Bei einigen Zähnen (Vorderzahn) sind etwa drei Spitzen ausgeprägt, bei Seitenzähnen desselben Gebisses ist ein größerer und drei klei- nere Stacheln deutlich ausgeprägt. Mag nun hierbei der einfache Kamm, oder der vielzackige Kamm den ursprünglicheren Zustand repräsentiren, jedenfalls weisen auch diese Formen darauf hin, wie außerordentlich mannigfaltig sich der Stachel der Pla- eoidorgane gestalten kann. Wenn auch die Placoidorgane im Ganzen sehr übereinstimmende Strukturen besitzen, so sind doch in manchen Punkten Veränderungen wahrzunehmen bei solchen Formen, die sich von dem ursprünglichen Zustande dieser Organe etwas entfernen. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 123 Bei Pristis euspidatus wird der Schmelz von überaus zahlreichen einander parallel verlaufenden Dentinröhrehen durchsetzt. Er ge- winnt dadurch eine große Ähnlichkeit mit der äußersten Lage, welche die Schliffe fossiler Haizähne z. B. Hybodus bieten (JAECEEL »Placoinschmelz« Taf. VID. Bei Pristis verhalten sich auch die Odontoblasten in so fern eigenthümlich, als sie in viel größerer Zahl als z. B. bei Seyllium im Inneren der Dentinkanäle liegen. Das Gewebe der Basalplatte oder der »Wurzel« ist bei manchen fossilen Formen sehr eigenthümlich gebaut. An Stelle einer Pulpa- höhle findet sich ein Netzwerk von Kanälen. Von diesen strahlen radiär Zahnbeinkanälchen aus. Vielfach bildet dies Gewebe die ganze Masse des Zahns, abgesehen von einer dünnen Schmelzschicht. Es hat sich für dasselbe bei den Paläontologen der Name »Vaso- dentine (OWEN) eingebürgert, den ich lediglich aus praktischen Gründen gebrauchen werde. Es fehlen auch hier Knochenkörperchen gänzlich. Dies Vasodentin hat bei den ausgestorbenen Fischen eine sehr große Verbreitung besessen und es wird uns in späteren Ab- schnitten der Arbeit wieder begegnen. Ergebnis. Im Anschluss an die von der Epidermis ausgehende Schmelz- bildung stellen indifferente mesodermale Elemente die ge- meinsame zellige Anlage für den Spitzentheil und den oberflächlichen Theil der Basalplatte dar. Die von diesen Elementen — Scleroblasten — ausgehende Bildung von Hart- substanz stellt einen von außen nach innen, von Zelle zu Zelle fort- schreitenden Process dar. Die Bildung des oberflächlichen Theils der Basal- platte erfolgt im direkten Anschluss an die Bildung des Dentinkegels. Der Unterschied zwischen beiden Theilen des Placoidorgans beruht nur darin, dass im Spitzentheil die Sclero- blasten ihrem Produkte allein auf der Innenseite des- selben anlagern, während sie, wo die nahe örtliche Beziehung zur Epidermis aufhört, die sich flächenhaft in der Cutis ausdehnende Basalplatte an der Außen- wie an der Innenseite be- decken. Im Anschluss an die indifferenten Mesodermzellen wer- den andere Elemente in den scleroblastischen Process einbezogen, welche durch die Abscheidung einer fibrillar zerfallen- 124 Hermann Klaatsch den Grundsubstanz sich den differenzirten Bindegewebs- zellen der Cutis anreihen. Dadurch werden bindegewebige Bestandtheile in die Substanz der Basalplatte aufgenommen. So ge- sellt sich zum oberflächlichen Theil der Basalplatte der tiefe Theil derselben hinzu. Innerhalb der Plagiostomen differenziren sich die Placoidorgane in mannigfaltiger Weise. In den Dienst der Nahrungsaufnahme ge- treten, werden sie zu Kieferzähnen, im Dienste der Lokomotion liefern sie die Hornfäden. Der Spitzeutheil komplieirt sich namentlich bei den Kieferzäh- nen vielfach durch sekundäre Gliederung in zahlreiche kleinere und größere Stacheln. Die große Zahl und eine beständige Neubildung der Pla- coidschuppen charakterisirt die lebenden Squaliden. Der Urzustand der Placoiden ist gegeben durch die Be- deckung des Körpers mit ‘einer relativ geringen Zahl von) rhom - bischen stacheltragenden, mit den Rändern einander nicht be- rührenden Platten. IT. Die Rhombenschuppen der Ganoiden. Divergenz der Ordnungen. Die Gruppe der Ganoiden vereinigt sehr divergente Formen. Die Mannigfaltigkeit in der gesammten Organisation dieser von L. Acassız begründeten, durch Jon. MÜLLER schärfer umgrenzten, von €. Voer erweiterten Gruppe, deren Abtheilungen »die letzten Aus- läufer sehr divergenter Formenreihen « (GEGENBAUR) vorstellen, spricht sich auch in der Beschaffenheit des Hautskelets aus!. Wird hier- durch die vergleichende Beurtheilung der Zustände derselben bei den einzelnen Formen erschwert, so trägt doch eine systematische Dureharbeitung namentlich des paläontologischen Materials viel zur Klärung des Ganoidenpanzers bei. Um für die Beurtheilung des Baues der Ganoidenschuppe einen festen Boden zu gewinnen und gewisse in der Litteratur bestehende Unklarheiten zu beseitigen, sei zunächst die Entwicklung der Schuppen bei Lepidosteus osseus beschrieben. Im Anschluss hieran ist es leicht, von dem Wesen der 1 Vgl. die Schilderungen der Ganoiden in ZırTer's Handbuch. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 125 erwachsenen Lepidosteusschuppe, nämlich der Form, dem Bau und der Anordnung derselben eine klare Vorstellung zu gewinnen, die als Basis und Ausgangspunkt für die übrigen Ganoiden dienen kann. Für die Besprechung derselben ist eine Gliederung des Thatsachen- materials nach den einzelnen Abtheilungen erforderlich. Erst auf eine solche systematische Durcharbeitung der Befunde kann der Ver- such gegründet werden, die Ganoidenschuppen mit den Placoidschup- pen auf dem Wege der Vergleichung zu verknüpfen. Die einschlägigen Litteraturangaben sollen bei dieser Behandlung des Stoffes jedes Mal an der betreffenden Stelle zur Sprache kommen. Entwieklung der Lepidosteusschuppe. (Taf. VII.) Über die Entwicklung der Schuppen des Lepidosteus liegen keine genaueren Angaben vor. BALFOUR und PARKER erwähnen, dass bei einer Larve von 11 em Länge sich die Schuppen zu bilden begonnen haben. Mir standen Hautstücke von einem älteren Exemplar von Lepidosteus osseus (18 em) zur Verfügung. Das Objekt, obwohl seit mehr als einem Jahrzehnt in Spiritus konservirt, erwies sich für die histiologische Untersuchung noch recht wohl geeignet: nament- lich war, worauf es in erster Linie ankommt, die Epidermis überall gut erhalten. Der Körper des jungen Thieres zeigte an den meisten Stellen bereits ein wohlentwickeltes Schuppenkleid. Jede Schuppe wird dargestellt durch eine Platte von streng rhombischer Form. Die kleineren Winkel des Rhombus sind dem Vorder- und Hinterende des Thieres zugekehrt. Die dorsoventral gezogene Diagonale misst unge- fähr 1,5, die dazu senkrecht gelegte 2 mm Länge (Taf. VII Fig. 8). Die Schuppen. sind angeordnet in Reihen, die diagonal zur Kör- perachse verlaufen. Dies kommt so zu Stande, dass jede Schuppe mit ihren vier Seiten sich den entsprechenden Seiten von vier Nach- bargebilden anlegt. Namentlich die von vorn dorsal nach hinten ventral absteigenden Schuppenreihen markiren sich sehr deutlich. Jede Schuppe deckt dabei schmale Randstreifen der zunächst hinter ihr gelegenen. Reiht sich in der Richtung von 'vorn dorsal nach hinten ventral immer Schuppe an Schuppe, so kann in der dazu senkrechten Richtung bald die eine, bald die andere der deckenden Schuppen einen größeren Bezirk einnehmen. Ein Blick auf Taf. VII Fig. 8 wird dies verständlich machen. 126 Hermann Klaatsch Geht man weiter am Bauche herab, so ändert sich das Aus- sehen der Schuppen sowie ihre Lage zu einander. Sie werden kleiner, erscheinen mehr rundlich und zwischen ihnen werden je weiter ventral, desto breitere schuppenfreie Hautstreifen sichtbar. Endlich werden Bezirke getroffen, wo jede Spur von Schuppen fehlt an Stellen, die beim erwachsenen Thier vollständig gepanzert sind. Hier ist also ein Terrain geboten, das die Entwicklung der Schuppen zu verfolgen gestattet. Was die Schichten der Haut anbetrifft, so stimmen die Verhält- nisse bei Lepidosteus im Wesentlichen mit denen der Selachier über- ein (Fig. 1). Die Epidermis ist relativ sehr dick, sie misst auf dem Durchschnitt ca. 125 «. Ihre von sehr zahlreichen Zelllagen ge- formte Masse ist durchsetzt von einer großen Menge von kugeligen Räumen (z). Sie rühren her von Schleimzellen, deren Inhalt nicht deutlich konservirt ist, die aber noch durch den Besitz basal ge- legener, bis zur Sichelform abgeplatteter Kerne hinreichend charak- terisirt sind. Die innersten Partien der Epidermis sind frei davon, weiter nach außen stehen sie so dicht bei einander, dass nur ein zartes, von kleinen kubischen Epidermiszellen gebildetes Netzwerk zwischen ihnen bestehen bleibt. Die basale Epidermisschicht ist nicht besonders markirt. Eine Basalmembran ist wohl entwickelt. An manchen Stellen durchsetzen Chromatophoren mit reichen Aus- läufernetzen die ganze Dicke der Oberhaut (Fig. 4). Wo noch keine Schuppenbildung aufgetreten ist, lässt sich an der Cutis ein äußerer Theil von einem inneren sondern. Die Ge- sammtdicke der Cutis beträgt ca. 100—150 u, wovon auf beide Schichten je die Hälfte des Betrages kommt. Die subepidermoidale Schicht wird gebildet von lockerem Bindegewebe, in welches Blut- gefäße reichlich eingebettet sind. Daneben kommen Spalträume vor ohne zellige Wandung und ohne geformten Inhalt. Chromatophoren breiten sich besonders dicht unter der Epidermis weithin aus. Die lockere Beschaffenheit des Gewebes geht allmählich über in das straffe Bindegewebe der tiefen Cutisschicht. Diese ist bei den unter- suchten Ganoiden von viel geringerer Dicke als bei entsprechenden Altersstufen der Selachier. Wie bei diesen kommen in ihr Lamellen aus Fibrillenbiindeln zu Stande, nur dass die einzelnen Lamellen eine etwas geringere Mächtigkeit erlangen (Fig. 1 und 2). Die Richtung der Fibrillenbündel zur Körperachse ist annähernd dieselbe wie bei den Selachiern. Auch hier herrscht in beiden Fa- sersystemen eine zur Körperlängsachse diagonale Verlaufsrichtung; Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 127 die Kreuzung beider Systeme mit einander geschieht nicht unter einem Rechten, sondern so, dass nach vorn und hinten stumpfe Winkel (von ca. 105°) gebildet werden (Fig. 8). Auf Längsschnitten zur Körperachse trifft man also alle La- mellen schräg — wie bei den Selachiern. Fig. 1 und 2 stellen Sehnitte dar, die nicht in der bezeichneten Weise, sondern der Rich- tung einer von vorn dorsal nach hinten ventral verlaufenden Schup- penbinde folgend angelegt sind. (Bei der schwachen Vergrößerung treten nur die längs durchschnittenen Lamellen deutlich hervor.) Sehr deutlich sind bei Lepidosteus die Faserbündel entwickelt, welche senkrecht aufsteigend die Lamellen kreuzen und sich in der äußeren Cutisschicht ausbreiten (f). Blutgefäße (7) folgen vielfach dieser Bahn, auch Chromatophoren machen sie an manchen Stellen deutlich. Die Bindegewebszellen bieten in beiden Schichten nichts Be- merkenswerthes dar: in der inneren spärlicher vorhanden, folgen sie in Zügen der Verlaufsrichtung der Fibrillen, wie bei den Se- lachiern an die aponeurotischen Bildungen der höheren Wirbelthiere erinnernd. Die ersten Anlagen der Schuppen (Fig. 1) treten auf als dünne Platten aus Hartsubstanz in den tieferen Theilen der äußeren Cutisschicht. Sie liegen also weit von der Epidermis ent- fernt, getrennt von ihr durch reichliche Bindegewebsmassen und Blutgefäße. Es fehlt also jegliche Beziehung zwischen Epidermis und der ersten Schuppenbildung. Von der Fläche betrachtet, bietet die junge Schuppe eine kreisföürmige Begrenzung dar. Diese rührt daher, dass sie in gleichmäßiger Weise nach allen Richtungen sich ausdehnt von einem Punkte aus, der bei einiger Größenzunahme sich als der Mittelpunkt der Schuppe kennzeichnet durch das regelmäßige Vorhandensein von vier bis fünf kleinen Perforationen; diese dienen Blutgefäßen zum Durchtritt von der inneren zur äußeren Oberfläche der Schuppe (4/4 Fig. 8). Die Bildung der Hartsubstanz verdankt ihren Ursprung einer großen Zahl von Zellen, welche durch einen größeren Kern und reicheres Protoplasma von den gewöhnlichen Bindegewebszellen sich unterscheiden, von denen sie umgeben werden. Sie bedecken die Junge Schuppe allseitig, besetzen in dichtgedrängten Massen den freien Rand und überkleiden die obere Fläche mit einer Schicht ab- geplatteter Elemente, auf dem Durchschnitt einem Plattenepithel nicht unähnlich (sc/). Spärlicher, in größeren Abständen, von den benach- 128 Hermann Klaatsch barten Bindegewebszellen wenig verschieden, liefern sie einen Uber- zug fiir die untere Fliiche. Diese schuppenbildenden Elemente oder Scleroblasten (sc! werden auch schon bei ganz jungen Schuppen- anlagen in größerer Zahl von der Hartsubstanz, die sie lieferten, umschlossen. Sie verhalten sich also den Osteoblasten gleich und werden zu Knochenzellen (Az), die am getrockneten Objekte schöne Knochenkérperchen (Fig. 6 A) hinterlassen, ähnlich denen, die auch an anderen Stellen bei Ganoiden und Teleostiern beschrie- ben sind und gleich diesen in manchen Punkten verschieden von den entsprechenden Gebilden höherer Wirbelthiere. Von der rundlichen oder ovalen Höhle, welche den Zellleib umschließt, entspringt eine geringe Anzahl kurzer und dicker Ausläufer, deren zahlreiche Äste sich mit denen benachbarter Knochenkérperchen in Verbindung setzen. So entsteht ein Hohlraumsystem, das die ganze Platte durchzieht. Im weiteren Verlaufe der Entwicklung gewinnt die Platte sowohl nach außen, wie nach innen an Dicke. Die Zunahme nach innen kommt dadurch zu Stande, dass die Bindegewebszellen der äußeren Cutisschicht (c.c) in immer weiterer Ausdehnung seleroblastische Funktion gewinnen. Lagen an der äußeren Fläche der Schuppe die Scleroblasten dicht bei einander und boten durch ihre Beschaffenheit ein mehr indifferentes Verhalten dar, so ist dies auf der inneren Seite der Schuppe nicht der Fall. Die Zellen, welche hier als Schuppenbildner fungiren, sind keines- wegs solche, die als erste und einzige Funktion die Lieferung von Hartsubstanz übernahmen. Sie sind gewöhnliche Bindegewebszellen, liegen in größeren Abständen von einander, der Innenfläche der Schuppe an und haben bereits eine Grundsubstanz abgeschieden, die fibrillär zerfallen ist, zu der Zeit, wo die Zellen eine neue, nämlich die osteoblastische Funktion übernehmen. So kommt es, dass fertige Bindegewebsfibrillen in großer Menge in die Schuppenmasse aufge- nommen werden. Die Zone, in welcher diese Vorgänge sich ab- spielen, liegt dieht über der inneren Cutisschicht, ist aber von ihr wohl zu sondern. Lockeres Gewebe, reich an Chromatophoren, deutet hier eine Grenze an. Gehören also die Bindegewebsfibrillen, welche in die Schuppe aufgenommen werden, nicht der inneren Cutisschicht an, so haben sie doch in der Art ihrer Differenzirung viel Gemeinsames mit den Bestandtheilen derselben. So finden sich Fasermassen, welche in horizontaler Richtung, also parallel zur Körperoberfläche, sich aus- breiten und in den verschiedenen Lagen einander annähernd unter Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 129 rechtem Winkel kreuzen. Andere Faserzüge bilden die Fortsetzung derjenigen, welche in senkrechter Richtung zur Oberfläche die tiefe Cutisschicht (f) durchsetzen. Bei der Ausbildung dieser Fasersysteme in ihrer Beziehung zur Schuppe muss man im Auge behalten, dass die gesammte Cutis, somit auch die äußere Cutisschicht und in dieser wieder die Schuppe beständig an Dieke zunehmen. Indem in den tiefen Partien der äußeren Cutisschicht sich einmal. die Differenzi- rungsvorgänge vollziehen, welche eine Zunahme der inneren Cutis- schicht bedingen, andererseits die Dickenzunahme der Schuppe be- sorgt wird, stellt sich dieser Theil der Cutis — ähnlich wie der entsprechende Theil der Haut bei Selachiern als eine Matrix dar für nach außen wie nach innen stattfindende Sonderungsvorgänge. Die horizontal ausgebreiteten Fibrillen kommen nicht nur im Bereich der Schuppe selbst, sondern auch zwischen den Schuppen zur Entwicklung. An den letzteren Partien gewinnen sie in so fern Bedeutung, als sie bei der Zunahme der Schuppen in der Fläche zu Bandapparaten werden, welche mit den Fasern im Inneren der Schuppe zusammenhängend, die einzelnen Schuppen unter einander fest ver- einigen. So kommen die von O. Hertwie als Schuppenligamente (7) bezeichneten Bildungen zu Stande. Im Inneren der Schuppe bleibt ein großer Theil dieser Fibrillen unverkalkt. Untersucht man eine Schuppe des jungen Lepidosteus in getrocknetem Zustande, nach Iso- lation mit verdünnter Kalilauge, so findet man in ihr sehr zahlreiche zu ihrer Oberfläche parallel verlaufende Röhrchen. Dasselbe gilt von den senkrecht aufsteigenden Faserbündeln. Die Röhrchen, welche sie in getrocknetem Zustande hinterlassen, sind von WILLIAMSON bei der erwachsenen Schuppe als »tubes lepidines« bezeichnet worden. Zum Theil mit ihnen parallel verlaufend, kommen bei größerer Dickenzunahme Kanälchen zur Ausbildung, die relativ weit in senk- rechter Richtung zur Oberfläche der Schuppen in diese eindringen, um sich im Inneren derselben vielfach zu gabeln und mit ihren Ausläufern mit denen der Knochenkörperchen in Verbindung treten. Sie kommen auch an der Außenfläche der Schuppe zur Ausbildung, sind aber an deren Innenfläche am besten ausgebildet. In ihrer ganzen Erschei- nung erinnern sie an »Zahnbeinkanälchen«, mit denen sie REISSNER verglich und für welche sie Oscar HerrwIG hielt. Letzterer fand an ihrer Mündung häufig Zellen aufsitzen, die er demgemäß Odonto- blasten nannte. Ich kann dem hinzufügen, dass gleiche Elemente sich vielfach im Inneren der Kanälchen finden, so dass in allen Theilen des Kanalsystems, welches die Schuppe durchsetzt, den Morpholog. Jahrbuch. 16. 9 130 Hermann Klaatsch Knochenhöhlen sowohl, wie in den Knochenröhren sich Elemente gleicher Art vorfinden. Als Resultat der bisher geschilderten Vorgänge erscheint die Schuppe des Lepidosteus als eine Knochenplatte, welche eine lamel- löse Schichtung aufweist, und ein System von Hohlräumen umschließt, gebildet durch Knochenkörperchen und mit ihnen anastomosirende Knochenröhren. Das Centrum der Schuppe wird wie früher durch- bohrt von einer Anzahl blutgefäßführender Kanäle (4/4). Mit den Nachbarschuppen hängt das nunmehr rhombenförmig gewordene Ge- bilde durch straffe Bandmassen zusammen. Mittlerweile haben sich an der Außenfläche der Schuppe neue Sonderungsvorgänge vollzogen. Unter der Betheiligung des reich- lichen Zellenmaterials an der Zunahme der Schuppe nach außen hin, ist dieselbe der Epidermis beträchtlich genähert worden. Auch in diesem Stadium ist die Epidermis bezüglich der Schuppe im Ganzen vollständig unbetheiligt geblieben. Träten Veränderungen ein, die für die ganze Schuppe von Bedeutung wären, so müssten sich die- selben an der basalen Schicht der Epidermis aussprechen. Diese aber verräth nicht die geringste Veränderung, abgesehen von einigen ganz lokalen Modifikationen, auf die sogleich eingegangen werden soll (Fig. 1, 2). Das scleroblastische Zellenmaterial, welches die Oberfläche der Schuppe bedeckt, erhebt sich zu lokalen Anhäufungen, die in Form von Papillen gegen die Epidermis vordringen (Fig. 3). Auf den kleineren Schuppen in geringer Zahl vorhanden, nehmen diese Pa- pillen mit dem Wachsthum der ganzen Schuppe rasch an Zahl zu, so dass die best entwickelten Schuppen des jugendlichen Lepidosteus etwa 30—40 solcher Papillen tragen. Überall nun, wo eine solche Zellanhäufung die Epidermis vor sich herdrängt, geht die basale Schicht derselben Veränderungen ein, welche in reducirtem Maßstabe die Bildung eines »Schmelzepithels« wiedergeben (SM). Die Zellen werden höher, ihr Kern wird größer, auch sind an ihm die Veränderungen des Chromatins, die bei Se- lachiern gefunden wurden, angedeutet. So gewinnen diese Bildungen Ähnlichkeit mit Zahnanlagen. Da die Epidermis sehr dick ist, so liegen sie ganz in ihr verborgen. Die innere Grenze der Epidermis erfährt dabei nur eine lokale Einstülpung. Die Zellmasse, welche das Innere der Papille ausfüllt, ist in keinem Punkte unterschieden von dem Zellmaterial, das die Außen- fläche der Schuppe bedeckt und an ihrer Bildung sich betheiligt. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Pan unlanz eb 131 Sind die Zellen in dieser letzteren Beziehung Osteoblasten, so be- thätigen sie sich in der Papille als Odontoblasten. Dem Mangel jeglicher Scheidung zwischen beiden Zellarten mag auch hier der indifferente Name Scleroblasten (sc7) Ausdruck geben. Die Spitze der Papille wird eingehüllt von einer dünnen Schicht von Schmelz (E), welche die basalen Epidermiszellen abscheiden. Daran schließt sich die Bildung eines Dentinkegels, geliefert von den oberflächlichen Zellen der Papille, die wenig von den übrigen im Inneren gelegenen Elementen gesondert sind (Fig. 4). Das Den- tin (D) etwas stärker entwickelt, enthält nur wenige kurze Zahn- beinréhrehen (Fig. 4 und 5). Indem das zellige Material der Pa- pille sich vermehrt, verdickt sich die Dentinkappe namentlich an der Spitze. Dieselbe drängt die dünne Schmelzkappe nach außen. So tritt die Spitze des Zähnchens über die Oberfläche der Epider- mis frei hervor (Fig. 4). Im Niveau der inneren Begrenzungsebene der Epidermis ist die Papille durch eine ganz schwache ringförmige Einschnürung von den tiefer liegenden Zellmassen abgesetzt. Bis zu dieser Stelle dehnt sich zunächst als ein dünner Mantel das Zahn- bein aus (Fig. 4). Damit aber ist die Bildung der Hartsubstanz am Zähnchen nicht abgeschlossen. Dieselbe greift über auf das zellige Material, welches gleichsam die Basis der Papille bildend, dieselbe von der Schuppe trennt. Die Fortsetzung des Dentinkegels, in an- nähernd senkrechter Richtung gegen die Schuppenoberfläche vor- wachsend, die hier meist eine kleine ringwallförmige Erhebung auf- weist, hat alsbald die Schuppe erreicht. So tritt die Hartsubstanz des Zahns mit der der Schuppe in Verbindung. Das Verbindungs- stück beider wird von außen und von ihnen her von Seleroblasten bedeckt. Die Folge dieses Anschlusses des Zahns an die Schuppe muss sein, dass die Zellmasse, welche die Pulpahöhle des ersteren erfüllt, von den umgebenden Scleroblasten durch Hartsubstanz ab- gekapselt wird, jedoch geschieht dies nicht vollständig, indem an der Basis der Zahnpapille eine Kommunikationsöffnung bestehen bleibt (Fig. 6). Durch diese also stehen die Odontoblasten in Verbindung mit den subepidermoidalen Zellenlagen an der Oberfläche der Schuppe. Beide Zellarten fahren fort in der Bildung von Hartsubstanz. Die in der Zahnhöhle (ph) befindlichen Elemente führen eine beständige Verdiekung des Dentinmantels herbei. Da sie nach allen Seiten hin thätig sind, nicht nur gegen die Zahnspitze und gegen die Seiten- wand des Zahnes hin, sondern auch nach innen gegen die Schuppe zu, so lagern sie dieser allmählich Schichten von Hartsubstanz auf, Q* 132 Hermann Klaatsch die vom Knochengewebe derselben differiren. Handelt es sich hier- bei um einen Process, der im Centrum der Papillenbasis sich ab- spielt, so schließt sich daran weiter peripher am Umfang der Zahn- papille genau derselbe Vorgang. Es dehnt sich die Substanz des Zahnes centripetal immer weiter und weiter über die Schuppe hin aus. Ihre Bildungszellen sind nunmehr die subepidermoidalen Ele- mente, deren Zusammenhang mit den Odontoblasten gezeigt wurde. Die Beschaffenheit ihres Produktes entspricht dem der letzteren. Durch dasselbe werden sie von der Knochensubstanz der Schuppe abgedrängt, der sie ursprünglich anlagern. Prüft man die späteren Entwicklungsstadien der Schuppen des jugendlichen Lepidosteus, also solche, wo eine große Zahl von Zähnen auf jeder Schuppe ent- wickelt ist, so sieht man von jedem Zahn aus sich die erwähnte Substanz gleichsam ausgießen über die Oberfläche der Schuppe hin (Fig. 2, 5, 6). Schließlich verschmelzen die Produkte der einzelnen Zähne mit einander. Die ganze Schuppenoberfläche, so weit sie nicht durch Nachbarschuppen bedeckt wird, ist überzogen von einer an- nähernd überall gleichmäßig dieken Schicht, als deren lokale Er- hebungen die Dentinkegel der Zähne erscheinen. So kommt zu der Knochenplatte (GS,) der Schuppe eine neue Schieht hinzu (GS,), die von WILLIAMSON »Ganoin« genannt. von Vielen als »Schmelz« angesprochen wurde. An der Oberfläche der »Ganoinschicht« liegen außer den Bil- dungszellen reichlich Blutgefäße kleinen Kalibers, spärliches Binde- gewebe und Chromatophoren (Fig. 2). So bleibt sie trotz der großen Annäherung an die Epidermis von dieser wohl gesondert. In der Epidermis sind auch bei den ältesten Entwicklungsstadien, die das vorliegende Objekt aufweist, nicht die geringsten Veränderungen auf- getreten. Eine Betheiligung derselben an der Bildung der Ganoin- schicht ist also ausgeschlossen (Fig. 2, 3, 4, 5). Im Mittelpunkt der Schuppe wird die Ganoinschicht von den Blutgefäßkanälen durchbrochen. In einiger Entfernung vom Centrum der Schuppe wird sie hier und da von ähnlichen Röhren durch- bohrt, wie sie als Theile des Schuppenkanalsystems an der unteren Fläche beschrieben wurden. Die Substanz der Ganoinschicht stimmt in ihrer homogenen Beschaffenheit mit dem Dentin der Zähnchen überein. Durch das Fehlen von eingeschlossenen Zellen und stär- keres Lichtbrechungsvermögen hebt sie sich von der Knochensub- stanz der Schuppe ab. Eine lamellöse Schichtung tritt an ihr deut- lich hervor. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 133 Bei Besprechung der erwachsenen Schuppe komme ich auf diese Hartsubstanz zurück. Was die Gesammtausbildung der Schuppen anbetrifft, so sind sie zu den rhombischen Platten geworden, die in der oben angegebenen Weise mit ihren Rändern sich ein wenig bedecken. Besondere Vor- richtungen zur Verbindung der Einzelschuppen sind nicht ausgeprägt, abgesehen von den Bindegewebszügen zwischen den Schuppen, deren anfänglich horizontale Verlaufsrichtung bei stärkerer Deckung mehr schräg zur Körperoberfläche sich gestaltet. Die Zahl der Zähne auf jeder Schuppe ist ganz unbestimmt, und ihre Anordnung entbehrt jeglicher Regel. Der Entwieklungsgang der Schuppe macht das Verhalten der erwachsenen Schuppe verständlich. In der Form treten noch einige Modifikationen auf. Diese sollen zunächst betrachtet werden, daran hat sich die Betrachtung des Baues der erwachsenen Schuppe zu reihen. Form und Bau der Lepidosteusschuppe. Die Form der erwachsenen Lepidosteusschuppe ist am genaue- sten von L. AGassiz beschrieben worden. Sodann haben REISSNER und O. HERTwIG einige Angaben darüber gemacht. Bei dem jugendlichen Exemplar hatte ich sie geschildert als Rhomben, deren vordere Ränder ein wenig von Nachbarschuppen gedeckt werden. Abgesehen von nicht unbeträchtlicher Dickenzu- nahme, erhält sich dieser einfache Zustand dauernd in den hinteren Regionen des Rumpfes, nur eine ganz geringe Verlängerung der vor- deren Spitze deutet neue Komplikationen an (ef. O. Herrwic, Morph. Jahrb. Bd. V. Taf. II Fig. 7, 8). Am größten Theil der Körper- oberfläche verändern sich die Schuppen bei älteren Thieren beträcht- lich, indem sich an ihnen besondere, der festen Verbindung unter einander dienende Vorrichtungen ausbilden. Diese Schuppenform ist in ihren mannigfaltigen Modifikationen von L. Acassız auf Taf. B vol. 2 seiner »Poissons fossiles« so genau abgebildet worden, dass ich auf seine Figuren verweise. Man kann an einer wohlentwickel- ten Schuppe unterscheiden den Körper und Fortsätze. Der Körper, von rhomboider Form, lässt eine äußere, nahezu plane und eine innere, etwas unebene Fläche unterscheiden. An der Außen- fläche ist der Mittelpunkt eingenommen von einer geringen, nicht bestimmten Anzahl von Öffnungen, welche Blutgefäßen zum Austritt 134 Hermann Klaatsch dienen. Das Centrum wird umzogen von sehr regelmäßigen, dem Außenrand der Körperoberfläche parallel gerichteten Riefen, die namentlich bei schräg auffallendem Lichte deutlich sind. Die spiegelglatte Oberfläche zeigt bei mäßig alten Exemplaren bisweilen kleine Höcker: bei einem solchen von 62 cm Länge konnte ich eben solche mit bloßem Auge als Hicker erscheinende Gebilde als die von der Entwicklung her bekannten Zähnchen konstatiren. Als solehe kann man sie bei alten Thieren an vielen Stellen nicht mehr nachweisen (cf. HERTWIG, pag. 18). Die hinteren Ränder des Körpers, zugleich diejenigen der gan- zen Schuppe, bedecken Nachbarschuppen und sind meist ganz glatt. Der hintere dorsale Rand. bisweilen auch der hintere ventrale, kann gezackt sein und es können von den Einschnitten zwischen den Zacken sich radiäre Riefen über die Schuppe erstrecken (AGassız, Fig. 1, 8, 15, 16, 19, 20 [ef. auch REISSNER)). Der von den nächst vorderen Schuppen bedeckte Theil hat Fort- sätze entwickelt. Bei dem 62 cm langen Exemplare sind sie über- all erst in geringer Ausdehnung vorhanden. Man kann unterscheiden einen vorderen und einen dorsalen Fortsatz. Der vordere ist das verlängerte vordere Ende der Schuppe. Er schiebt sich unter die nächst vordere dorsale und ventrale Schuppe und lässt demnach einen mittleren Kamm und zwei abgedachte Flächen unterscheiden, deren eine dorsal, die andere ventral gekehrt ist. Selten erreicht er die gerade vor ihm gelegene Schuppe. Der dorsale kürzere Fort- satz schiebt sich unter die nächst vorn und dorsal gelegene Schuppe und wird hier durch straffes Bindegewebe in einer ihm genau ent- sprechenden Grube festgehalten. Ihr entsprechend läuft über die Innenfläche des Schuppenkörpers eine Erhebung von vorn dorsal nach hinten ventral, welche den dicksten Theil der Schuppe dar- stellt. Lehrt die Entwicklungsgeschichte den eben geschilderten Zu- stand als einen spät erworbenen kennen, der nicht einmal am ganzen Körper zur Ausbildung kommt, so wird man auch bei der Verglei- chung mit anderen Formzuständen nicht von dem erwachsenen Le- pidosteus auszugehen haben, sondern von dem Verhalten, wie es z. B. das jugendliche Exemplar des Lepidosteus osseus von 18 em L. zeigt. Der bei diesem gefundene Zustand muss dem des erwach- senen Thieres gegenüber als ein indifferenter, über den ganzen Kör- per gleichmäßig verbreiteter angesehen werden, der darum mit großer Wahrscheinlichkeit auch als der mehr ursprüngliche gelten darf. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 135 Die eingetretenen Veränderungen sind verständlich als Mittel, die Festigkeit des Schuppenpanzers zu erhöhen. Durch die Ausbildung der dorsalen Fortsätze wird die festere Vereinigung der schräg von vorn dorsal nach hinten ventral abstei- genden Reihen erzielt. Dies ist der einzige Punkt, in welchem die Schuppenanordnung des erwachsenen gegenüber dem oben geschil- derten jugendlichen Zustande eine Modifikation erfährt. Was die Verbreitung der Schuppen anbetrifft, so sind sie in ihrer regelmäßigen Anordnung vorhanden am ganzen Körper, außer dem Kopf und den Flossen. Hier finden sich Bildungen, die, wenn auch mit Schuppen in genetischer Beziehung stehend, zunächst aus der Betrachtung fern bleiben sollen. Die Haut zwischen beiden Unterkieferhälften wird, wie O. Hertwie entdeckt hat, mit kleinen, ein oder mehrere Zähnchen tragenden, ganz unregelmäßigen Kno- chenplättchen bedeckt. An dem von mir untersuchten jugendlichen Exemplar ließ sich auch auf Schnitten noch keine Spur derselben auffinden. Der Bau der Lepidosteusschuppe ist mehrfach Gegenstand der Untersuchung und der Diskussion geworden. Wurde fast allgemein das Vorhandensein zweier differenter Schichten in derselben aner- kannt, so war es namentlich die Deutung der äußeren Schuppen- schicht, welche die Autoren beschäftigte. L. Acassız gründete auf diese Schicht, die er für »Schmelz « erklärte, die Gruppe der Schmelzschupper oder Ganoiden. Jon. MÜLLER zeigte, dass andere Momente als das Hautkleid für den Ganoidenbegriff bestimmend seien. Behielt er bei den Ganoiden die Acipenseriden, obwohl ihren Knochentafeln eine Schmelzschicht, die Acassız ihnen fälschlich zugeschrieben, fehlt, so acceptirte er doch für diejenigen Formen, wo »Ganoidenschuppen« in typischer Weise den Körper bedecken, die von Acassız aufgestellte Definition: » Die Schuppen der Ganoiden,« sagt er (pag. 118), »sind knöchern, meist rhombisch oder viereckig, selten rund und dachziegelförmig, ihre Oberfläche ist immer mit einer Schmelzlage überzogen und glatt.« Wenige Zeilen weiter heißt es: »Die Ganoidschuppen sind übrigens, wie auch AGaAssiz bemerkt, ganz wie die gewöhnlichen Schuppen in Kapseln der Haut eingebettet. Die Kapselhaut an der freien Oberfläche ist äußerst fein und angewachsen und scheint selbst ver- loren gehen zu können wie bei Polypterus, aber beim Lepidosteus sieht man das Email der Schuppe sehr deutlich von einem äußerst feinen Häutchen bedeckt, in welchem etwas von Silberglanz und 136 Hermann Klaatsch selbst Pigment zu erkennen ist und welches sich leicht durch Ab- reiben entfernen lisst.« Jou. MÜLLER bezieht sich auf die »gewöhn- lichen Schuppen«, d. h. die Schuppen der Teleostier. Diese sind immer von Bindegewebe umhüllt, das die sogenannte Schuppentasche bildet. Er schreibt also auch den Ganoidschuppen einen Bindege- websüberzug zu. Wird die äußere Schicht der Schuppen gleichzeitig als Schmelz bezeichnet, so liegt hierin für die jetzt geltenden An- schauungen ein Widerspruch, der freilich für Jou. MULLER nicht existirte. Für ihn war offenbar der Begriff »Schmelz« ein ganz an- derer, als wir ihn heute haben. Für uns ist für die Definition einer Substanz als Schmelz das histiogenetische Moment entscheidend, wir können mit diesem Namen keine Substanz belegen, für die nicht die Entstehung durch die Thätigkeit der Epidermis, und zwar der ba- salen Schicht derselben, nachgewiesen ist. Früher ging die Beur- theilung von ganz anderen Punkten aus, da waren Struktur und chemische Reaktionen entscheidend. So ist es auch ganz verständlich, dass der nächste Untersucher, WILLIAMSON, dem wir die ausführlichsten und besten Beschreibungen der Schuppen der lebenden und namentlich der fossilen Ganoiden verdanken, sich nur aus dem Grunde weigerte, die fragliche Sub- stanz Schmelz zu nennen, weil er in ihr die bekannte Prismenstruk- tur des Säugethierschmelzes vermisste. Er wählte daher den Namen Ganoinschicht, den ich bereits früher erwähnte und dessen ich auch fernerhin mich bedienen werde. Die Existenz einer besonderen äuße- ren Schicht wurde von Lrypia gänzlich in Abrede gestellt. Dass dieser Irrthum in der Untersuchungsmethode dieses Autors begründet war — er benutzte nur entkalktes Material, an welchem die Schicht durch Säurewirkung zerstört war — wies REISSNER nach. Dieser, ohne Kenntnis der Wırrıamson’schen Abhandlung, beschrieb die Schuppen der lebenden Sauroiden genau. Er konstatirte nicht nur die äußere Schuppenschicht als eine relativ recht dieke Lage, son- dern nahm auch den alten AGAssiz’schen Namen wieder auf. Frei- lich hält er »eine Identität mit dem Schmelz der Säugethiere« für aus- geschlossen. Er prüfte namentlich das chemische Verhalten der Schicht gegen Salzsäure. Auch REISSNER nimmt, wie JOH. MULLER, einen Bindegewebsüberzug auf den Schuppen an, wie aus seiner Äußerung iiber die Blutgefäße hervorgeht: »Die letzteren verlaufen mithin bis zur Oberfläche der Schuppen und gelangen von hier, wie es kaum bezweifelt werden kann, noch in eine Schicht des Corium, welche freilich in der Regel auf der Oberfläche der Schuppen nicht mehr Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 137 nachgewiesen werden kann, an manchen Stellen jedoch entschieden vorhanden ist.« In unserem Sinne kann also Retssner nicht als Vertreter der Schmelznatur der fraglichen Schicht gelten, wozu ja auch seine ablehnende Haltung gegen einen Vergleich mit dem Schmelz der höheren Wirbelthiere keine Veranlassung giebt. Der letzte Untersucher, O. HERTwIG, bestätigt Retssner’s Be- funde!. Er erklärt die Ganoinschicht für Schmelz. Dabei verfährt er in histiogenetischer Beziehung konsequent. Denn er nimmt be- züglich ihrer Entstehung — ohne sich auf Beobachtungen zu stützen — an, dass »auf das Knochengewebe an allen den Stellen, wo die Verknöcherung bis unter die Epidermis vorgedrungen ist, Schmelz (wie nach Analogie mit der Zahnentwicklung geschlossen werden kann, wahrscheinlich von der untersten Epidermisschicht) ausge- schieden worden« ist (pag. 19). Ist nun die Verknöcherung bis unter die Epidermis vorgedrungen, so kann doch wohl an dieser Stelle keine Bindegewebslage angenommen werden. Auf eine Wider- legung der darauf bezüglichen Reısswer’schen und JoH. MÜLLER- schen Angaben geht er mit keinem Worte ein. Im Gegentheil, er bestätigt sie sogar unversehens, indem er von den Blutgefäßkanälen der Lepidosteusschuppe sagt (pag. 5): »Die ‚Havzrsr’schen Kanäle‘ steigen von ‚der unteren nach der oberen Fläche empor und mün- den hier mit weiten Öffnungen.« An anderer Stelle hält er wieder- um eine blinde Endigung der Blutgefäße bei Polypterus für ein Po- stulat, »da die Epidermis dem Schmelz unmittelbar aufliegt« (pag. 13). Für Lepidosteus löst er mit keinem Worte den Widerspruch, den er gegen sich selbst macht. Die innere Schuppenschicht ist von den Autoren ziemlich über- einstimmend beschrieben worden. WILLIAMSON gab zuerst ein ge- naues Bild von den Kanälen, welche in senkrechter Richtung von der Oberfläche her in das Innere der Schuppe eindringen. Daneben fand er eine andere Art von kleineren Röhren, seinen »tubes lepi- dines«. Die von Reısswer betonte Ähnlichkeit der ersten Art von Kanälen mit Zahnbeinkaniilehen wurde von O. HErTwIG aufgenom-- men. Er sagt: »Mit einem Wort an der Grundsubstanz der Schup- pen von Lepidosteus sind die Charaktere des Knochen- und Zahn- ' Auch Zırrer bezeichnet (Handbuch pag. 11) die Substanz als echten Schmelz. Wenn er aber sagt, dass sie bei Behandlung mit Salzsäure oder bei Betrachtung im polarisirten Licht in prismatische Fasern zerfalle, so differirt er von Q. HERTwIG, der nichts von Prismenstruktur sagt. 138 Hermann Klaatsch beingewebes vereint, eine Erscheinung, die öfters in vielfach modi- fieirter Weise an den Knochen der Ganoiden und Teleostier wieder- kehrt.« Vergleichen wir diese Angaben der Autoren mit dem, was die Histiogenese über die Schichten der Lepidosteusschuppe lehrt, so kommen wir zu folgenden Resultaten: Die Hauptmasse der Schuppe, welche zuerst entsteht und später die innere Schicht repriisentirt. gleicht in der Art ihrer Entstehung vollständig dem Knochengewebe. Als solches wird es auch von O. HErTwıG bezeichnet. Die zu Knochenzellen werdenden Osteoblasten weichen nicht von den entsprechenden Elementen bei anderen Fischen ab. Die Tubes lepidines WiLLiAmson’s — O. HErTwIg erwähnt dieselben nicht — stellen sich heraus als die Spuren der zahlreichen unverkalkt bleibenden Bindegewebstibrillen, die bei der Entwicklung in die Masse der Schuppe aufgenommen werden. Ihre Verlaufs- richtungen wurden oben angegeben. Sie entsprechen den »SHARPEY- schen Fasern«. Die größeren Schuppenkanälchen, deren Verbrei- tung und Zusammenhang mit den Knochenkörperchen bereits be- schrieben ist (vgl. auch die Herrwıg’schen Abbildungen auf Taf. I, II und III. Morph. Jahrb. Bd. V), sind durch ihre Weite und ihr zur Oberfläche der Schuppe stets senkrechtes Eintreten leicht von den Tubes lepidines zu unterscheiden. Von ihnen bemerkt O. HErTwıG pag. 5: »Dass wir es hier nun auch mit Zahnbeinkanälchen in der That zu thun haben, das scheint mir mit Sicherheit aus folgenden Punkten hervorzugehen. An getrockneten Schuppen sind die gröbe- ren und feineren Kanälchen mit Luft gefüllt und daher leicht an ihrer schwarzen Färbung wahrzunehmen. Zweitens erkennt man an Schnitten durch entkalkte Präparate eine körnige Substanz, die den Hohlraum nur zum Theil ausfüllt. Drittens endlich kann man den Röhrchen an ihrer Ausmündungsstelle auf der unteren Seite der Schuppe hier und da kleine Zellen aufsitzen sehen, denen die Bedeutung von Odontoblasten zukommt.« Was den letzteren Punkt anbetrifft, so habe ich, wie oben aus einander gesetzt, die Zellen nieht nur am Eingange, sondern auch mitten in den Kanälchen an- getroffen. So sind sie von den Knochenzellen, denen sie auch in der Größe ihres Kernes gleichen. wenig unterschieden, zumal die Räume, welche beide Zellarten umschließen, vielfach mit einander anastomosiren. Es beherrscht also nicht eine am Eingang sitzende Zelle einen zellfreien Kanal. und damit fällt für das vorliegende Objekt das Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 139 Charakteristische der »Odontoblasten« fort. Bei Placoidschuppen liegen zwar auch die Odontoblasten oft im Zahnkanal, aber dieser letztere kommunieirt nicht mit anderen zellenhaltigen Räumen. Dass die Schuppenkanälchen mit Zahnbeinkanälchen eine große Ähnlich- keit besitzen, ist auf den ersten Blick klar; eine andere Frage ist, ob man ein Recht hat, sie kurzweg als solche zu bezeichnen. Bis- her war eine solche Benennung gebunden an das alleinige Vorkom- men solcher Röhrchen in einer zellenlosen Hartsubstanz. KÖLLIKER blieb dieser Definition treu, indem er den Namen auf Teleostier- knochen übertrug, die der Zellen entbehrten. Wendet man aber den Namen »Zahnbeinkanälchen« auf Gebilde mitten in zellenhaltigen Knochen an, so erleidet dadurch die Schärfe der histiologischen De- finition eine Einbuße. Da aber ein neuer Name nur Verwirrung hervorrufen würde, so behalte ich den einmal eingebürgerten bei. In der Anerkennung der großen Ähnlichkeit mit Zahnbeinkanälchen liegt die Aufforderung eingeschlossen, nachzuforschen, ob dieselbe sich vielleicht erklären lasse durch Beziehungen zwischen Knochen und Zahnbeingewebe, welche indessen erst auf Grund eines größeren Materials von Thatsachen in den Bereich der Untersuchung gezogen werden können. Dies soll im weiteren Verlaufe der Arbeit ge- schehen. Noch einer anderen Bezeichnungsweise O. HERTWwIG's! muss ich entgegentreten. Er nennt die Blutgefäßkanäle in der Mitte der Schuppe »Haversr'sche Kanäle«. Dies ist eine Übertragung eines Namens von höheren Wirbelthieren auf niedere Zustände des Kno- chengewebes, der ich nicht beistimmen kann. Die Bezeichnung der Haversi’schen Kanäle hat sich für den Säugethierknochen heraus- gebildet und wir verstehen darunter ganz bestimmte Bildungen, für welche das Vorhandensein von Lamellensystemen, die den Kanal umziehen, zur Definition unerlässlich ist. Das Fehlen solcher Bil- dungen hebt auch die Berechtigung der entsprechenden Benennung auf. Die äußere Schuppenschicht kann nicht als Schmelz aufgefasst werden. Wie oben betont, ist für eine solehe Definition das histio- genetische Moment entscheidend. Es muss nachgewiesen werden, dass die basale Epidermisschicht die Substanz abscheidet, andernfalls ist sie in unserem Sinne kein Schmelz. O. Herrwic nimmt auch ! Dieselbe findet sich sehr verbreitet, auch in Handbiichern, z. B. bei ZITTEL. 140 Hermann Klaatsch theoretisch einen solehen Bildungsmodus an. Die Thatsachen leliren jedoch etwas ganz Anderes. Ich habe die Entwicklung der Schicht verfolgt und gefunden, dass die Epidermis zu ihr gar keine Beziehungen besitzt. Die größeren Schuppen des jugendlichen Lepidosteus besitzen die Schicht bereits, wenn auch in geringerer Dicke als beim Erwachsenen. Da Säuren die Schicht leicht zerstören, so machte ich Schnitte dürch getrocknete Schuppen. Diese in Balsam untersucht, zeigten die Schicht sehr deutlich (Fig. 6). Dieselben Bilder lieferten Schnitte durch gefärbte nicht entkalkte Haut, die bei der geringen Dicke der Knochenplatten sich ohne Schwierigkeit anfertigen lieben (Fig. 5). Alle diese Präparate zeigten den wahren Ursprung der Schicht, der sogleich erörtert werden soll. Als negatives Resultat ergaben die Schnitte durch die ganze Haut, dass in der Epidermis keine Ver- änderungen auftreten, die eine Schmelzbildung einleiten, abgesehen von den Stellen, wo Zähnchen gegen die Oberhaut vordringen (Fig. 3). Gerade der Umstand, dass hier die basalen Epidermiszellen zu einem typischen Schmelzepithel (SM) werden, gestattet mit größter Sicher- heit ähnliche Vorgänge, die im Bereich der ganzen Schuppe statt- fänden, auszuschließen. Die Schicht reicht an manchen Stellen bis dicht an die Epidermis heran, an anderen liegt Bindegewebe und Blutgefäße dazwischen. Ist bis zu diesem Stadium die Epi- dermis unbetheiligt geblieben, so wäre es widersinnig, etwa bei älteren Thieren ihr eine Betheiligung der Schuppenbildung zuschreiben zu wollen. Dies hieße so viel, als für einen Bestandtheil der Schuppe, der ohne Zuthun der Epidermis bereits vorhanden ist, eine zweite Quelle zu suchen, die durch die geringe Ausbildung der Oberhaut bei alten Thieren keineswegs an Sicherheit gewinnt. Gegen diesen negativen histiogenetischen Befund können Gründe, die der Struktur oder dem chemischen Verhalten entlehnt sind, kein Gewicht haben. Auf letzteres namentlich stützt sich O. HERTWIG. »Wenn man wegen der Strukturlosigkeit gegen unsere Deutung noch Zweifel erheben wollte, so werden diese schwinden müssen, sowie man das Verhalten der Substanz gegen Salzsäure prüft.« Er wieder- holt die REısswer’sche Reaktion: Beim Zusatz eines Tropfens kon- eentrirter Salzsäure zu einem Schuppenschliff sieht man den Schmelz wie »schmelzenden Schnee« rasch dahinschwinden. Auch die Schup- pen des jugendlichen Lepidosteus geben diese Reaktion in charak- teristischer Weise; also auch chemisch stimmt bereits hier die äußere Schuppenschicht mit der des erwachsenen Thieres überein. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 141 Die wahre Bedeutung und Herkunft der Ganoinschicht er- giebt sich aus dem, was ich über ihre Entwicklung mitgetheilt. Sie entsteht im Anschluss an die Zahnbildung auf der Schuppe; sie ist eine direkte Fortsetzung des Zahnbeins der kleinen Schuppenzähne. Ein Schnitt durch die getrocknete Schuppe des jungen Lepidosteus illustrirt, wie sich von einem Zähnchen aus die Substanz über die Oberfläche der Knochenplatte ausdehnt (Fig. 6). Zuerst und im In- neren der Zahnhöhle von den »Odontoblasten« ausgeschieden, wird sie im weiteren Verlaufe von den mit den »QOdontoblasten« in Zu- sammenhang stehenden subepidermoidalen Scleroblasten geliefert. So wird es verständlich, dass die O. Herrwie’schen » Zahnbeinkanäl- chen« auch von der Außenseite der Schuppe her in die Ganoin- schicht eindringen. Dies wäre bei direktem Aufliegen der Epidermis auf diese Theile unverständlich, eine Schwierigkeit, auf die O. Herr- wıG nicht aufmerksam wurde. Ob man die Schicht wegen ihrer genetischen Beziehungen zum Zahnbein als solches bezeichnen solle, braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Der Name ist hier sehr wenig bedeutungsvoll gegen- über der Aufgabe, eine Erklärung für das Zustandekommen der eigenthümlichen Schicht, welcher die Ganoiden ihren Namen ver- danken, zu geben. Für eine solche ist das Faktum sehr wesent- lich, dass es basale Abschnitte der Zähnchen sind, welche, mit ein- ander verschmelzend, dem Überzuge der Knochenplatte den Ursprung geben, und an diesen Punkt müssen die späteren Erwägungen an- knüpfen. Wie schon erwähnt, bildet die Knochenmasse da, wo die Zähn- chen sich bilden, kleine ringwallähnliche Erhebungen. Dieselben feh- len zuerst vollständig und nehmen mit dem Alter des Thieres zu, wie die Abbildungen O. Herrwie’s (Taf. I und II) darthun. Kann eine Aufklärung über das Wesen der Lepidosteusschuppe erst durch den Anschluss an niedere Schuppenformen erzielt wer- den, so ist es vor dem Herantreten an diese Aufgabe erforderlich, im Reiche der Ganoiden weitere Umschau zu halten und die Schup- pen der lebenden und eines kleinen Theiles der fossilen Formen mit der des Lepidosteus in Beziehung zu setzen. Fasse ich hier noch einmal in Kürze zusammen, was sich über den Bau der Schuppe des Lepidosteus ergeben hat, so ist dieselbe ihrer Hauptmasse nach von Knochengewebe gebildet, an dessen Aufbau sich Binde- gewebe betheiligt und das»Zahnbeinkanälchen« enthält. Dar- auf liegt eine homogene Masse, die von den Dentinkegeln der 142 Hermann Klaatsch Zähne herstammt. Dieselben bilden bei älteren Thieren lokale Ver- diekungen der Ganoinschicht. Diese ist kein Schmelz. Polypterus. Unter den jetzt lebenden Ganoiden schließt sich Polypterus im Verhalten seiner Schuppen nahe an Lepidosteus an. Die Form ist annähernd dieselbe, nur ist die Polypterusschuppe im Ganzen dicker als die der anderen Ganoiden. Der Körper der Schuppe hat eine streng rhombische Form. Die freien Ränder sind meist glatt, der hintere ventrale kann leicht gezackt sein. Auf der glatten Ober- fläche sind koncentrische Linien sehr deutlich, obwohl der Mittel- punkt des Körpers nicht besonders markirt ist. Die Fortsätze ver- halten sich wie bei Lepidosteus: das vordere Ende der Schuppe ist lang ausgezogen und bildet einen an der Außen- wie an der Innen- fläche nahezu planen vorderen Fortsatz. Ein schwacher vorwärts und ventral gerichteter Vorsprung schließt sich innig dem vorderen Fort- satz der nächst hinten und ventral gelegenen Schuppe an. Der dorsale Fortsatz ist kürzer und spitzer als bei Lepidosteus; die ihm entsprechende Vertiefung am hinteren und ventralen Theil der Körper- innenfläche ist viel besser entwickelt als bei dem früher betrach- teten Ganoiden, und auch die zwischen Vertiefung und Vorsprung verlaufende »innere Crista« springt viel stärker vor. Die Anordnung der Schuppen ist dieselbe wie bei Lepidosteus, auch hier treten die von vorn dorsal nach hinten ventral schräg absteigenden Reihen sehr deutlich hervor. Die Kenntnis des Baues der Polypterusschuppe verdanken wir LEyDIG, REISSNER und O. Herrwic. Indem ich auf die Schilderung des letzteren (Polypterus bichir) verweise, hebe ich nur in Kürze die Punkte hervor, in denen eine Abweichung von Lepidosteus besteht. An Stelle der centralen Blutgefäßkanäle von Lepidosteus durchsetzt ein Netz von solchen die Schuppenmasse, und erst von diesen ent- springen die Zahnbeinkanälchen, welche im Übrigen keine Abwei- chung zeigen. Die Ganoinschicht ist noch dicker als bei Lepidosteus, sie wird an mehreren Stellen von den Blutgefäßkanälen durchbohrt. Eine lamellöse Schichtung finde ich an derselben deutlich ausgeprägt. Die Aufnahme von Bindegewebsfibrillen findet in viel reichlicherem Maße statt als bei Lepidosteus. Sie lassen sich an entkalkten Präpa- raten leicht ins Innere des Knochengewebes verfolgen (SHARPEY'sche Fasern). Die Knochenzellen verhalten sich wie bei Lepidosteus, ihre Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 143 Ausläufer anastomosiren auch hier mit den Schuppenkanälchen (O. HERTWIG, pag. 12). Eine schwache koncentrische Schichtung der Grundsubstanz um die Blutgefäßkanäle ist bemerkenswerth (0. HERT- wIG), doch kommt es nicht zur Ausbildung »Haverstscher« La- mellen. Ein Vergleieh mit Lepidosteus ergiebt für Polypterus eine in manchen Punkten ausgesprochene Komplikation der beim ersteren bestehenden einfacheren Verhältnisse. Dass aber auch für Polypterus als die ursprüngliche Form der Schuppe diejenige angesprochen wer- den muss, welche beim erwachsenen Thier uns der Körper der Schuppe zeigt, also die eines einfachen Rhombus, geht nicht nur aus der weit reichenden Übereinstimmung mit Lepidosteus hervor, sondern auch daraus, dass bei Polypterus in einem weiten Bereich der hinteren Körperhälfte sich die Schuppen in der That diese einfache Gestalt bewahren. Auch spricht O. Hertwic (pag. 16) bei einem 9,5 cm langen Exemplare von Polypterus senegalensis von kleinen »rhom- boidalen« Schuppen. Die Fortsätze sind demnach auch bei dieser Ganoidenform sekundäre, durch Anpassung an die Nachbarschuppen entstandene Bildungen. Das Gewebe der Polypterusschuppe, das auch (ef. ©. Herrwie) in den Kopfknochen wiederkehrt, hat eine große Ähnlichkeit mit dem oben erwähnten Vasodentin (Owen) in den Wurzeln der Zähne fossiler Haie. In beiden Fällen haben wir Blutgefäßkanäle, von denen »Zahnbeinkanälchen« ausstrahlen. Unterschieden ist das Ge- webe bei beiden Formen dadurch, dass bei den Ganoiden sich Kno- chenkörperchen darin finden, die den fossilen Haien fehlen. Fossile Ganoiden. Die Vorstellung von der Form der Ganoidenschuppe erfährt eine wesentliche Vertiefung durch eine Betrachtung der Schuppen fossiler Arten. Mustert man z. B. von diesem Gesichtspunkte aus die vor- trefflichen Abbildungen, welche L. Acassız in seinem schönen Atlas der fossilen Fische gegeben hat, so wird man zu der Überzeugung geführt, dass bei den typischen Vertretern der Ganoiden die Schup- pen sich in mannigfaltiger Weise differenzirt haben, zugleich aber lässt sich nicht verkennen, dass eine einfache Urform als Aus- gangspunkt der verschiedenen Richtungen bestanden haben muss. Bei vielen Formen stellen die Schuppen streng rhombisch ge- formte Platten dar mit glatten Rändern. So sehen wir es bei Acan- 144 Hermann Klaatsch thodes suleatus, Cheiracanthus Muschisonii, Osteolepis arenatus, Pa- laeoniscus Voltzii, Palaeoniscus Duvernoy, Lepidotus gigas. Bei einigen nähert sich die Form der Schuppe mehr einem Quadrat'. Der Mittelpunkt des Rhombus ist bei sehr vielen Formen deut- lich markirt durch koncentrische Linien, welche den Umriss des Randes wiederholen. Dasselbe wurde bei Lepidosteus und Polypterus angetroffen, und bei den fossilen Formen sind diese Bildungen eben so wie bei den lebenden auf den rhombischen Körper beschränkt in den Fällen, wo durch Fortsatzbildungen Komplikationen gegeben sind. Solche koncentrischen Linien bildet L. Acassız u. A. sehr deutlich ab bei Amblypterus latus, Palaeoniseus Duvernoy, Pal. mi- nutus, Pal. magnus, Dapedius colei, Amblyurus macrostomus, Lepi- dotus gigas, Lepidotus semiserratus und fimbriatus, Pholidophorus onychius. Eine Zähnelung des hinteren dorsalen Randes, die auch auf den hinteren ventralen Rand übergreifen kann, kam bei Lepidosteus an großen Exemplaren zur Beobachtung. Am dorsalen hinteren Rand finden wir den Befund wieder bei Eurynotus crenatus und Eur. fim- briatus, ferner bei Tetragonolepis confluens und Tetr. Laachii. An beiden hinteren Rändern besteht er bei Pholidophorus ornatus. Bei manchen dieser Formen ziehen Riefen in den Zwischenräumen, zwi- schen den Zacken beginnend, gegen das Centrum der Schuppe hin. Die so entstehenden Wülste zwischen den Riefen können wieder ge- zackt sein (Lepidotus umbrenatus, Lep. ornatus, Lep. serrulatus, Lep. rugatus). Unregelmäßig, die ganze Schuppe bedeckende spitze Erhebungen zeigen Tetragonolepis confluens und angulatus. An der Lepidosteusschuppe wurden zwei Fortsatzbildungen un- terschieden, die zur Verbindung der Einzelschuppen unter einander dienen: ein vorderer Fortsatz, der das länger ausgezogene vordere Ende der ursprünglich rhombischen Schuppe darstellt und ein dor- saler Fortsatz. Bei den fossilen sehen wir bald den einen oder den anderen, seltener beide zugleich auftreten. Nur wenig verlängert ist das vordere Ende der rhombischen Schuppe bei Eugnathus orthostomus, stärker ausgebildet ist der vor- dere Fortsatz bei Pholidophorus ornatus. Hier fehlt ein dorsaler Fortsatz. Dieser wiederum findet sich als einzige Fortsatzbildung bei den AGassiz’schen Formen sehr verbreitet. Wenig stark ent- wickelt ist er bei Amblypterus nomopterus und Ambl. striatus, sowie 1 Hier reiht sich auch Gyrolepis ornatus an. ZiTTEL, Handbuch. pag. 195. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 145 bei Eugnathus philophiae. Seine stärkere Entwicklung geht immer einher mit der Ausbildung einer auf der Innenfläche der Schuppe entwickelten Leiste, die an ihrem ventralen Theil eine Vertiefung zeigt. So findet es sich bei Amblypterus carinatus, Ambl. punctatus, Palaeoniscus carinatus, P. vratislaviensis, P. lepidurus, P. glaphyrus, P. freislebeni, Eurynotus fimbriatus, Dapedius colei, Pholidophorus macrocephalus. Dorsaler und vorderer Fortsatz zugleich werden bei Pygopterus mandibularis angetroffen. Die Anordnung der Schuppen in schrigen Reihen weicht bei den fossilen von der der lebenden Formen nicht ab. Mit der Aus- bildung des dorsalen Fortsatzes geht das stärkere Hervortreten der von vorn dorsal nach hinten ventral absteigenden Schuppenreihen einher. Wo weitere Komplikationen fehlen, stoßen die rhombischen Schuppen mit ihren Rändern an einander. Es kann auch der vor- dere Rand etwas unter die Nachbarschuppen schieben, ohne dass Fortsätze ausgebildet sind. So z. B. bei Glyptolaemus Kinnairdi (ZıTTEL, pag. 183). Vielfach stößt nicht Schuppe direkt an Schuppe, sondern es bleiben Streifen dazwischen frei. Dies ist besonders häufig gegen das Schwanzende hin der Fall, auch bei Formen mit kom- plieirten Schuppen, die dann an solchen Stellen den einfachen Rhom- ben weichen. So trifft es sich bei Tetragonolepis speciosus, Tetr. leachii, Dapedius punctatus, Lepidotus gigas. Überblicken wir alle diese Formen und vergleichen sie mit der Lepidosteusschuppe, so wird es klar, dass zahlreiche Besonderheiten der Bildung bald hier, bald dort ausgiebiger verwerthet sind, deren größter Theil die Schuppe des lebenden Ganoiden in sich vereint. Prüft man nun, welche Theile konstant wiederkehren und welche Schwankungen unterworfen sind, so ergiebt sich als gemeinsamer Besitz für alle betrachteten Formen eine einfache rhom- bische Platte. Von dieser aus können durch Umgestaltung, sei es der freien Ränder, sei es der vorderen unter den Nachbarschup- pen sich verbergenden Theile, alle Einzelbefunde abgeleitet werden. Diese rhombische Schuppe ist in ihrer weiten Verbreitung nur ver- ständlich als ein gemeinsam ererbter Theil. Ontogenetisch sahen wir ihn in seiner reinen Form rekapitulirt bei Lepidosteus osseus. Für alle weiteren Untersuchungen muss also als Urform der Ganoidenschuppe eine der Körperoberfläche parallel gelagerte rhom- bische oder rhomboidale Knochenplatte betrachtet werden. Solcher Platten umzieht eine große Anzahl in schrägen Reihen den Körper; Morpholog. Jahrbuch. 16. 10 146 Hermann Klaatsch die Ränder brauchen einander nicht zu berühren; wo die Schuppen nicht eng an einander schließen, ist gegenüber dem Zustande, wo sie sich berühren oder gar decken, ein einfacherer Zustand gegeben, der als der mehr ursprüngliche gelten darf. Auch die Größe der Einzelschuppe und die Zahl derselben ist großen Schwankungen unterworfen und entbehrt eines morphologi- schen Werthes. Immerhin ist es für die Ableitung von anderen Formen werthvoll, die Vorstellung zu beseitigen, als sei die Größe der Rhomben irgend wie maßgebend bei der Vergleichung. Mögen also die kleinen Rhombenschuppen der Acanthodinen als Urform weiterhin gelten (ZirreL, pag. 166. Abb. von Acanthodes Mitchelli. Fig. 172). Bevor wir von dem nunmehr gewonnenen Standpunkte aus weiter gehen zur Vergleichung mit niederen Formen, gilt es den Versuch zu machen, auch die im Hautkleid abweichenden Ganoiden zur gemeinsamen Urform zu führen. Chondrostei. Von den bisher betrachteten Formen weichen die Knorpelganoi- den in ihrem Hautkleid beträchtlich ab. Von den Spatularien wird meist kurzweg angegeben, dass sie »nackt« seien, das eigenthüm- liche Schuppen- und Stachelkleid von Acipenser wurde von O. HERT- wıg genau beschrieben. Auf seine Schilderung bezüglich der Einzel- heiten verweisend, hebe ich hier diejenigen Punkte heraus, die für die vorliegenden Untersuchungen von Bedeutung sind. Abgesehen vom Kopfe wird der Körper der Störe bedeckt von Knochenplatten verschiedener Form und Größe. Mehrere Reihen großer, in mannigfaltiger Weise in Stacheln auslaufender Knochen- gebilde folgen der Längsachse des Körpers. Die scheinbar nackten Hautstreifen dazwischen sind mit zahlreichen kleinen schuppenähn- lichen Gebilden bedeckt. O. Herrwic hat sie zuerst genauer kennen gelehrt (cf. Taf. XXIV Fig. 1, 7). Sie bestehen aus einem basalen Abschnitt, der in Form einer rundlich begrenzten Platte sich der Körperoberfläche parallel in der Cutis ausbreitet, und einem von dieser sich erhebenden Stachel, der die Epidermis durchbohrt. Der Stachel nimmt gewöhnlich die Mitte der Platte ein, kann aber auch mehr vom hinteren Theil der Platte entspringen. Neben Platten mit einem Stachel kommen »Zwillingsbildungen« vor. Außerdem kom- men Platten mit drei, sodann solche mit einer noch größeren Anzahl von Stacheln vor. Diese Stachelschuppen stehen in ziemlich deutlich Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 147 ausgesprochener Regelmäßigkeit in schrägen Reihen angeordnet (ef. auch O. Hertwie, Taf. XXIV Fig. 1). »Ganz besonders modificirt « — sagt O. Hertwic pag. 376 — »sind die Ossifikationen in der Haut am Ende des Schwanzes.« Hier findet man im Gegensatze zum Rumpfe regelmäßig geformte kleine rhomboidale Knochenplatten, »welche mit ihren Rändern dicht an einander schließen und eine vollkommen regelmäßige Anordnung aufweisen«, indem sie in schrä- gen Reihen wie die Schuppen der anderen Ganoiden liegen. Vom vorderen zum hinteren Ende der rhomboidalen Schuppe läuft ein Kamm, der in zwei, drei oder auch vier Stacheln ausläuft (O. Herr- wie pag. 376. Taf. XXIV Fig. 3). Mit diesen Befunden beim Stör stimmt das, was ich bei Polyo- don folium finde, weit mehr überein, als die geläufige Angabe, dass die Spatularien nackte Störe seien, erwarten lässt. WAGNER hat bereits erkannt, dass diese Angabe nicht richtig ist. Er beschreibt schuppenähnliche Bildungen in der Schwanzgegend. Aber auch am übrigen Körper finden sich allenthalben Hautossifikationen. Die Schwanzregion verhält sich ganz ähnlich wie bei Acipenser. Auch bei Polyodon wird sie bedeckt von rhombischen Knochenplatten in regelmäßiger Anordnung. Die einzelnen Komponenten dieses lokal beschränkten Schuppenkleides sind in der Längsrichtung des Körpers weit mehr in die Länge gestreckt als bei Acipenser, in der darauf senkrechten Richtung stark verkürzt. Einige kleine Erhebungen befinden sich auf der Außenfläche. Der ganze übrige Körper ist bedeckt mit denselben kleinen Stachelschuppen, wie sie O. HERTWwIG beim Stör beschrieben hat. Sie gleichen denselben in der Form der Platte wie des Stachels, auch darin, dass die Stachelbildung nicht einfach zu sein braucht. Gegen den Schultergürtel treten sie sehr deutlich hervor. Sie sind aber auch sonst überall mit bloßem Auge leicht wahrzunehmen und verleihen beim Streichen über die Haut derselben eine bemerkbare Rauhigkeit. Was den histiologischen Bau aller dieser Schuppenbildungen der Chondrostei anbetrifft, so bestehen sie der Hauptmasse nach aus Knochengewebe. Die Stacheln werden meist von einer geschichteten Hartsubstanz ohne Knochenzellen gebildet (cf. ©. HERTWIG, s. auch unten). Es gilt nun, den Befund der Chondrostei mit dem der anderen Ganoiden in Beziehung zu setzen. Hierzu bieten O. Herrwıg’s Un- tersuchungen keine Hilfe. Er behandelt die Störe für sich ohne Anschluss an Lepidosteus, vielmehr angereiht an eine Teleostier- 10* 148 Hermann Klaatsch gruppe, die Siluroiden. Den Weg aber, wie der Anschluss an die verwandten Formen zu erreichen ist, deutet er sebr gut an, da wo er versucht, das Hautskelet des Störs vom Schuppenkleid der Se- lachier abzuleiten. Er erklärt den Zustand der letzteren für pri- mitiver als den des Acipenser, »denn wir finden bei ihnen alle Theile des Hautskelets im gesammten Integumente gleichartig beschaffen « (pag. 388). Von diesem Gesichtspunkt aus muss das Hautkleid der Chondrostei als ein sekundär stark verändertes beurtheilt werden. Mit dem Aufgeben des indifferenten Zustandes haben einige Theile sich reducirt, andere sich weiter ausgebildet. Nur eine Körperstelle lässt durch die vollständig regelmäßige Anordnung einander gleich- artiger Theile die Erhaltung eines indifferenten Zustandes vermuthen : es ist die Region des Schwanzes bei Acipenser, Polyodon und dess- gleichen auch bei Scaphirhynchus. Diese Vermuthung erhält eine neue Stütze, wenn man die Komponenten des Schuppenkleides ver- gleicht mit denen des Panzers der anderen Ganoiden: Wie bei den letzteren sind es rhombische Knochenplatten in derselben typischen Anordnung. Hier sehe ich den letzten Rest eines indifferenten Zu- standes erhalten, der alle Ganoiden — von Amia zunächst abge- sehen — verknüpft. und zwar in der Weise, dass Acipenser und Verwandte einerseits, Lepidosteus andererseits Zweige eines nur an der Wurzel gemeinsamen Stammes sind. Darin nehme ich eine An- sicht auf, die bereits JoH. MÜLLER vertreten hat. Auf pag. 140 seiner Abhandlung über den Bau und die Grenzen der Ganoiden heißt es: »Von den Sturionen aber lässt sich selbst in der Hautbe- deekung der unmerkliche Übergang in die übrigen Ganoiden nach- weisen.« »Bei Scaphirhynchus wird der hintere Theil des Körpers uniform mit Ganoidtafeln besetzt. Aber auch die gewöhnlichen Störe besitzen an den Seiten des Schwanzes vollkommene Ganoidtafeln.« Das Schuppenkleid am Schwanz der Störe stimmt vollständig mit dem der gleichen Stelle bei Palaeonisciden überein. Diese be- sitzen jedoch überall dasselbe: von ihnen leite ich das Hautkleid der Störe dureh sekundäre Veränderungen ab und schließe so die Chondrostei den übrigen Ganoiden an. Urzustand der Ganoiden. Als Ergebnis der bisherigen Untersuchung der Ganoidenschuppen resultirt die Aufstellung eines gemeinsamen Urzustandes für folgende Ordnungen der Ganoiden, bei deren Aufführung ich mich Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 149 an das Handbuch von ZırrEu anschließe: Chondrostei, Acanthodidae, Crossopterygidae, Heterocerei, Lepidosteidae, Pycnodontidae. Die Amiaden sollen zunächst ausgeschlossen werden, obwohl auch für sie eine Rückführung auf den gemeinsamen Zustand möglich ist, wie unten gezeigt wird. Die Placodermen, Pteraspiden und Cephal- aspiden entziehen sich der Beurtheilung, wenn auch die letzteren z. Th. mit rhombischen Schuppen bedeckt sind. Für die genannten Ganoiden lässt sich folgender Urzustand auf- stellen: Der größte Theil des Körpers ist bedeckt mit rhom- bischen Platten. Dieselben sind entweder durch schmale Streifen von einander getrennt, oder aber sie stoßen mit ihren Rändern an einander. In diesem Falle werden die Ränder ganz glatt, die Ecken scharf ausgeprägt. Als Beispiel dient Acanthodes. Vergleichung der Ganoidschuppe mit der Placoidschuppe. Bei dem Versuche, das Schuppenkleid der Ganoiden an niedere Zustände anzuschließen, können als Vergleichsobjekte nur die Pla- coidschuppen in Frage kommen. Nicht nur die Stellung der Se- lachier im System, auch der indifferente Zustand ihres Schuppen- kleides lassen annehmen, dass bei ihnen die Zustände, von denen der Ganoidenpanzer abzuleiten ist, sich weniger verändert haben, als es bei allen uns bekannten Ganoiden, lebenden wie fossilen der Fall ist. Indem ich somit auf dem von GEGENBAUR eröffneten, von O. Herrwiac beschrittenen Wege weiter vorgehe, werde ich zunächst die Entwicklung der Lepidosteusschuppe mit der der Placoidschuppe vergleichen, sodann den Bau und die Form heranziehen. Die erste Anlage beider weist beträchtliche Verschiedenheiten auf. Während die Bildung der Placoidschuppe durch Vorgänge ein- geleitet wird, die in der Epidermis, sodann im Bindegewebe dicht unter derselben ihren Sitz haben und erst allmählich zu den tieferen Partien der äußeren Cutisschicht vordringen, entsteht die Ganoid- schuppe an eben dieser Stelle als eine dünne Knochenplatte. In der weiteren Dickenzunahme nach innen stimmen beide Schuppen überein, hingegen gelangt die Ganoidschuppe erst sekundär durch Dickenzunahme nach außen in die Nähe der Epidermis. Hier voll- ziehen sich Veränderungen, welche im Kleinen die Placoidschuppen- bildung wiederholen. 150 Hermann Klaatsch An der Placoidschuppe wurden unterschieden ein Spitzentheil und ein Basaltheil. Der letztere konnte wieder in einen oberfläch- lichen, im unmittelbaren Anschluss an den Spitzentheil aus rein zelligem Material gebildeten und einen tiefen Abschnitt geschieden werden, der das Bindegewebe der Cutis sich assimilirt. Dem tiefen Theil der Basalplatte ist derjenige Bestandtheil der Placoidschuppe zu vergleichen, welcher zuerst auftritt. Ihm entspricht er durch seine Lagebeziehung zu den Schichten der Haut. In histiolo- gischer Beziehung gleicht er ihm durch den Charakter seiner Sclerobla- sten als Bindegewebszellen; verschieden ist nur das Schicksal der Bil- dungszellen, die bei Selachiern außerhalb ihres Produktes bleiben, bei den Ganoiden von ihm umschlossen werden. So entspricht also echtes Knochengewebe dem Basalplattengewebe in seinen tieferen Theilen. Dem Spitzentheil der Placoidschuppe entspricht jede der kleinen Zahnpapillen. Dieselben gleichen in ihrem Verhalten bei -Lepido- steus den Stachelanlagen derjenigen Haie, die als die primitivsten in jeder Beziehung gelten, den Notidaniden. Denn bei Lepidosteus drängt sich die Zahnpapille in die Epidermis in der Weise vor, dass deren innere Begrenzungsfläche außerhalb der Papille glatt bleibt. Es findet also keine Einstülpung der ganzen Anlage statt (cf. oben die Entwieklung der Placoidschuppe). Erklärt man jeden der kleinen Zähne auf der Lepidosteusschuppe einem Schuppenstachel der Selachier für homodynam, so ergiebt sich für die ersteren eine starke Reduktion im Ganzen wie in den einzelnen Bestandtheilen. Das Sehuppenzähnchen besitzt eine sehr kleine Schmelzkappe. seine dünne Dentinrinde entbehrt fast ganz der Zahnbeinröhren. Über- einstimmend bei beiden setzt sich der seleroblastische Process, der das Dentin schuf, in die Tiefe fort: so erhält jedes Schuppenzähn- chen eine basale Ausbreitung. Sie entspricht dem zuerst gebildeten oberflächlichen Theil der Basalplatte der Selachier. Ging derselbe aber bei den Selachiern ganz allmählich in den tiefen Theil der Platte über, der genetisch von ihm abhing, so hat sich bei Ganoiden eine Scheidung zwischen beiden vollzogen. Was dort zuletzt ent- stand, bildet sich hier zuerst und es trifft jedes neugebildete Zähn- chen bereits auf eine fertig gestellte tiefe Basalplattenschicht. Wie die oberflächliche Schieht der Platte das Schicksal des Stachels theilt, von ihm genetisch abhängig bleibt, so stimmt sie auch in ihrer Struktur weit mehr mit dem Zahnbein des Stachels als dem Knochengewebe der tiefen Plattenschicht überein. Bei Selachiern war eine Scheidung zwischen der aus rein zelliger Matrix hervor- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 151 gehenden Hartsubstanz und dem Produkt bereits differenzirter Binde- gewebszellen, die sekundär zu Scleroblasten werden, nicht scharf ausgesprochen, vielmehr nur durch die Differenz der Bildungszellen angebahnt. Bei den Ganoiden ist die Differenzirung weiter vorge- schritten und hat zur Ausbildung zweier, auf den ersten Blick diffe- renter Schichten innerhalb der Schuppe geführt. Fasse ich die Beziehungen zwischen den Schichten de: Placoid- und Ganoidschuppe zusammen, so ergiebt sich: Der Schmelzschicht, welche den Stachel der Placoidschuppe deckt, entsprechen die zahlreichen kleinen Schmelzkäppchen auf den Zähnchen der Lepidosteusschuppe. Dem Dentinkegel der Placoidschuppe entsprechen die zahlreichen kleinen Dentinkegel der Schuppenzähne. Der basalen Ausbreitung des Dentinkegels der Placoidschuppe, die den oberflächlichen Theil der Basalplatte hervorgehen lässt, ent- spricht die Ganoinschicht der Ganoidschuppe, die früher fälschlich für Schmelz gehalten, der Verschmelzung der basalen Ausbreitung zahlreicher kleiner Dentinzähne ihren Ursprung verdankt. Der tiefen Schicht der Basalplatte der Placoidschuppe entspricht die Hauptmasse der Ganoidschuppe, nämlich ihre dieke, aus Knochen- gewebe bestehende tiefe Schicht. Sekundäre Veränderungen sind: die Ausbildung kleiner Vor- sprünge der tiefen Schuppenschicht entsprechend den Zähnchen, die Reduktion der Zähnchen, das selbständige Zunehmen der Ganoin- schicht zwischen den Zahnehen durch die Thätigkeit subepidermoi- daler Scleroblasten. Die Form der Lepidosteusschuppe verglichen mit der der Pla- coidschuppe ergiebt folgende Ubereinstimmungen und Differenzen: Bestimmend für die Ausdehnung in horizontaler Richtung ist bei der einen die tiefe Schuppenschicht, bei der anderen die tiefe Platten- schicht; beide entsprechen einander, es muss also das Bild, das die Ganoidschuppe bei der Betrachtung von außen bietet, mit dem der Basalplatte verglichen werden. Für beide ergiebt sich die Ge- stalt eines Rhombus, den ich als Urform der Ganoidschuppe nach- gewiesen habe. Das Centrum der Basalplatte wird durehbohrt von einem Kanal, der Blutgefäße ins Innere der Stachelhöhle gelangen lässt. Das Centrum der Lepidosteusschuppe zeigt mehrere solcher Per- forationen, aber sie führen nicht zu einer Stachelhöhle. An Stelle des einen mächtigen Stachels der Placoidschuppe ist 152 Hermann Klaatsch die Ganoidschuppe mit zahlreichen kleinen Zähnchen bedeckt. Hierin liegt eine bedeutende Differenz beider. Die Zahl der Zähnchen ist ganz unbestimmt, auch haben sie keine bestimmte Anordnung. Die Entwicklungsgeschichte ertheilt auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Placoid- und Ganoidschuppe folgende Ant- wort: Die Hauptmasse der Ganoidschuppe ist ein Theil der Sela- chierbasalplatte. Auf derselben entstehen zahlreiche Gebilde, deren jedes einem Spitzentheil plus oberflächlichen Basalplattentheil gleicht. Bevor hierauf Schlüsse gebaut werden, bedarf es einer Verglei- chung des Urzustandes der Ganoiden mit dem der Placoiden. Für beide ergab sich das Vorhandensein eines Schuppenkleides, gebildet durch rhombische Platten, welche neben einander liegen. Es kann die für so zahlreiche Ganoiden konstatirte Urform der Schuppe nur dadurch erklärt werden, dass sie sich von einem Vor- fahrenstadium ableitet, wie es durch die Placoiden gegeben ist. Dass dabei Größe und Zahl der Einzelschuppen nebensächlich sind, wurde gezeigt. Ich knüpfe also nun wieder an das oben als Pro- totyp hingestellte Schuppenkleid von Acanthodes an. Die Acantho- diden, Formen mit vollständig knorpeligem Skelet, nehmen, wie Huxtey nachgewiesen hat, »eine eigenthümliche Mittelstellung zwi- schen den Selachiern und Ganoiden ein« (ZITTEL pag. 165). »Die kleinen rhombischen oder fast quadratischen, sehr dieken Schuppen erinnern nicht nur in ihrer Form an die Chagrinbedeckung mancher Selachier (Mustelus), sondern bestehen auch wie jene aus einer ho- mogenen geschichteten Grundmasse, welche nur von dünnen, äußerst fein verästelten Dentinkanälchen durchzogen ist. Wenn auch die Ganoidmerkmale überwiegen, so können die Acanthodiden doch im- merhin als verbindende Zwischenformen zwischen Ganoiden und Se- lachiern betrachtet werden.« Von Acanthodes aus sind alle weiteren Modifikationen bei Ga- noiden leicht abzuleiten. Die vergleichende Anatomie und Paläontologie weisen eben so wie die Ontogenie auf die Basalplatte hin als Ausgangspunkt der Ganoid- schuppe. Was aus dem Spitzentheil geworden ist, darüber giebt sie keine Auskunft. Mag derselbe mehr oder weniger reducirt sein, die Form der Platte wird fortgeführt durch die tiefen Theile derselben. Auf beiden Wegen der Forschung, ontogenetisch wie vergleichend- anatomisch, wird das gleiche Resultat erzielt, dass die Ganoidschuppe in der Hauptmasse der Basalplatte entspricht, doch ergeben sich Differenzen im Einzelnen. Auf die schärfer priicisirte Frage: ent- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 153 spricht jede Ganoidschuppe einer Basalplatte oder nicht, giebt die vergleichende Anatomie eine bestimmte bejahende Antwort. Sie lässt den Zustand des Integumentes der Ganoiden als eine direkte Fortführung des der Selachier erscheinen. Sehen wir von Kopf und Flossenskelet ab, so giebt sie nicht nur keinen Grund anzunehmen, dass die Einheiten im Schuppenkleid der Haie sich wesentlich ver- ändert haben, oder gar Verschmelzungen mit einander eingegangen seien, sondern sie verlangt sogar als einzig mögliche Erklärung für das Ganoidenkleid die Fortführung der alten Einheit. Die Ontogenese kann gegen dies positive Ergebnis keinen direk- ten Einwand abgeben. Auch sie zeigt die Hauptmasse der Schuppe von Anfang an als eine Einheit. Aber die Vorgänge an der Ober- fläche der Schuppe, die Bildung von Zähnchen, deren jedes einen Placoidstachel nachahmt, könnten als ein Grund betrachtet werden zu der Annahme, dass jede Ganoidschuppe nicht einer, sondern einer großen Zahl von Placoidschuppen entspreche. Dieser Einwand liegt in Allem, was O. Herrwie über die Ganoiden vorbringt, und es be- darf der Entscheidung, ob er schwerwiegend ist oder nicht. Folgt man dem Gedankengange O. Hertwic’s, so hat man sich die Umbildung des Selachierkleides in das der Ganoiden so vorzu- stellen, ‚dass mehrere Placoidschuppen mit ihren Basalplatten ver- schmolzen, dass dann die Verschmelzungsprodukte in Folge ceno- genetischer Vorgänge einheitlich angelegt wurden. Es deutet dann die Zahl der Zähnchen auf die Zahl der Platten hin, die mit ein- ander verschmolzen sind. Gegen diese Ableitung lässt sich zunächst einwenden, dass sie die Erklärung dafür verlangt, wie nach Schwund der alten Ein- heiten die neue entstanden sei. Das regelmäßige Schuppenkleid bleibt einfach unerklärt. Aber abgesehen davon muss man sich fragen, mit welchem Rechte man auf die Schuppenzähnchen hin weitgehende Folgerungen ziehen darf. Sie stellen ganz rudimentäre Bildungen dar; ihr Auftreten bei den einzelnen Formen, eben so wie ihre Zahl auf einer Schuppe, sind den größten Schwankungen unterworfen. ° Folgt man ihnen konsequent, so führen sie dazu, nicht eine Ganoidschuppe der anderen homolog zu erachten. Führt die Beurtheilung der Ganoidschuppe von den Lepidosteus- zähnchen aus zu Absurditäten, so muss doch versucht werden, zu erklären, wie die eigenthümliche Gestaltung dessen. was dem Spit- zentheil der Placoiden entspricht, bei dem Lepidosteus sich ableiten lässt. Hierzu bieten die Selachier selbst den Sehlüssel. 154 Hermann Klaatsch Ich habe gezeigt, wie die Basalplatte, nachdem sie dem Stachel ihren Ursprung verdankt, sich selbständig weiter entwickelt. Es lässt sich von hier aus sehr leicht verstehen, wie durch Ausdehnung der tiefen Basalplattenschicht ein Acanthodesstadium erreicht wurde, wo eine Platte dicht an die andere anschloss. Andererseits zeigten die Haie eine beständige Neubildung von Stacheln. Der Anstoß zu dieser hat nichts mit der tiefen Basalplattenschicht zu thun. Es ist also leicht denkbar. dass neugebildete Placoid- organe nach dem engen Anschluss der Platten an einander nur noch die oberflächliche Plattenschicht erzeugten, da ihnen zur Bildung der tiefen kein Spielraum mehr ge- boten war. So können vielbezahnte Platten entstanden sein. Gilt dies speciell für Lepidosteus, so ist es nicht wahrscheinlich, dass das Schieksal des Spitzentheiles überall das gleiche war, wo sich Ganoidensehuppen aus Placoidschuppen hervorbildeten. Die flächen- hafte Ausbreitung des Spitzentheiles, wie ich sie bei Pristis und bei Zähnen fossiler Haie beschrieben habe, mag wohl bei Formen, die keine Zähne auf der Oberfläche, wohl aber eine Dentinschicht besitzen, fortgeführt sein. Eine andere Möglichkeit der Umgestaltung des Stachels wurde ebenfalls schon bei den Haien an zahlreichen Beispielen erläutert: die reiche Gliederung, deren die Spitzen der Zähne fähig sind. Auf solehe Vorgänge führe ich die gezackten Kämme zurück, welche die Schuppen des Störs (in der Schwanzregion auszeichnen. Es kann selbst die Möglichkeit nicht von der Hand gewiesen wer- den, dass ähnliche sekundäre Gliederungen die Bildung der Lepi- dosteusschuppe beeinflusst haben. Die Zacken auf den Zähnen fos- siler Haie erlangen oft eine große Selbständigkeit!. Die Schuppen- zähne des Lepidosteus stellen bei älteren Thieren nur lokale Erhebungen der Ganoinschicht vor. Man könnte ihre isolirte ontogenetische Ent- stehung mit demselben Recht als cenogenetisch behaupten, wie man, allein auf die Entwieklung gestützt, die Einheit der gesammten Schuppe anzweifeln könnte. Hier ist eben die Ontogenese nicht der entscheidende Faktor, zumal das, was wir über die Entwicklung der Ganoidschuppe wissen, sich auf eine Form beschränkt. Fasse ich Alles zusammen, was vergleichende Anatomie, Ent- 1 Dass z. B. die Nebenspitzen eines Haizahnes sich von der Hauptspitze derart isoliren können, dass keine Schmelzbrücke mehr zwischen ihnen besteht, konnte ich an Zähnen von Lamna cuspidata Ag. (Oligocän Alzey) konstatiren, welche Herr Prof. ANDREAE mir gütigst zur Verfügung stellte. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 155 wicklungsgeschichte und Paläontologie über die morphologische Be- deutung der Ganoidschuppe lehren, so komme ich zu folgendem Resultat: Die Ganoidschuppe ist der Placoidschuppe homo- log, in so fern sie die alte Einheit fortführt. Sie entspricht in der Hauptmasse der Basalplatte, und zwar den tieferen Theilen derselben. Der Spitzentheil der Placoidschuppe ist rudimentär ge- worden. Die Ganoinschicht der Lepidosteusschuppe entspricht dem oberflächlichen Theil der Basalplatte. Den Zähnchen der Lepidosteusschuppe kommt keine morphologische Bedeutung zu. II. Die Schuppen der Teleostier. Aufstellung der gewöhnlichen Teleostierschuppe. Ihre Anordnung und Lage in der Haut. Trotz der großen Mannigfaltigkeit, welche das Integument der Teleostier in seinen Hartgebilden zeigt, bietet doch die bei Weitem überwiegende Mehrzahl der Knochenfische das übereinstimmende Bild eines regelmäßigen Schuppenkleides dar. Die Schuppen desselben stellen dünne Platten aus Hartsubstanz dar, von annähernd rundlicher Form, deren Gestalt einer nicht geringen Variabilität unterworfen ist. Solche Verschiedenheiten haben zur Aufstellung der Cycloid- und der Ctenoidschuppe geführt. Diese Variationen sind unbedeutend irn Verhältnis zu der großen Übereinstimmung, welche die typischen Telostierschuppen in der allgemeinen Gestaltung, im Bau und in der Anordnung zeigen. Indem ich bezüglich der Differenzen auf spätere Erörterungen verweise, wähle ich als Repräsentanten der »gewöhn- lichen Teleostierschuppe« die Cycloidschuppe, welche nicht nur die einfachsten Verhältnisse darbietet, sondern auch dadurch, dass sie gerade in den niederen Abtheilungen der Teleostier wie den Physo- stomen weit verbreitet ist, sich als ein geeignetes Objekt erweist, um das Hautkleid der Teleostier mit dem der Selachier und Ga- noiden in Beziehung zu setzen. Die Cycloidschuppe — als Beispiel möge dem Leser die Schuppe unserer Salmoniden oder die von Esox vorschweben — braucht be- züglich ihrer Form keineswegs streng dem von AGassiz eingeführten Namen zu entsprechen. Vielfach ist eine Annäherung an eine vier- eckige oder auch rhombische Figur mit abgerundeten Eeken nicht 156 Hermann Klaatsch zu verkennen. Ein Centrum ist meist deutlich markirt durch Leisten, welche den Schuppenumfang nach innen wiederholen. Man unter- scheidet an solcher Schuppe eine äußere homogene und eine innere fibrilläre Schicht. Wie allgemein geläufig auch selbst dem Laien die Anordnung der gewöhnlichen Teleostierschuppen ist, so fehlt es doch an Durch- schnittsbildern der gewöhnlichen Fischhaut in der Litteratur gänzlich. Jede Schuppe wird in ihrer vorderen Hälfte »dachziegelförmig « gedeckt durch die drei vor ihr liegenden Schuppen, von denen die eine vorn und dorsalwärts, die zweite vorn und ventralwärts, die dritte gerade kopfwärts von ihr gelegen ist. Das Centrum der Schuppe liegt meist verdeckt. Die Schuppen umziehen den Körper in schrägen Reihen. . Ein Durchsehnittsbild, wie es auf Fig. 16 (Taf. VIII) von Co- bitis fossilis wiedergegeben ist, lehrt über die Lage der Schuppen in der Haut Folgendes: Unter der, zahlreiche Schleimzellen z) ent- haltenden Epidermis erhebt sich die Cutis in kleinen Vorragungen. Jede derselben entspricht dem hinteren freien Ende einer Schuppe (8). Jede Schuppe, in schräger Richtung nach vorn sich senkend, liegt eingeschlossen in ein Fach der Cutis, die sog. »Schuppen- tasche«. Man kann an derselben eine äußere (be) und eine innere (bi) Wand unterscheiden. Die äußere Wand wird in ihrem hinteren Abschnitt von lockerem, zahlreiche Chromatophoren enthaltendem Binde- gewebe dargestellt. Weiter nach vorn wird sie von straffem Binde- gewebe gebildet, sie ist eins mit der inneren Wand der nächst vor- deren Schuppentasche. Ihre Faserzüge vereinigen sich am vorderen Rand der Schuppe mit den tiefsten Lagen der Cutis /./.c), in wel- cher die Faserzüge einen der Körperoberfläche parallelen Verlauf haben. Die innere Taschenwand, in ihrem hinteren Abschnitt mit der äußeren Wand der nächst hinteren Tasche vereint, wird weiter vorn von den Faserzügen der tiefen Cutisschicht gebildet. Gegen die Schuppe zu ändert sich ihre Beschaffenheit, indem unmittelbar nach innen von derselben sich zahlreiche Zellen in einer gering ent- wickelten und nicht fibrillär zerfallenen Grundsubstanz finden. Die Fasern der tiefen Cutisschicht verhalten sich in ihrer An- ordnung gerade so wie bei Ganoiden und Selachiern. Man erkennt dies leicht bei Betrachtung eines Hautstückes von der Fläche. Die Fasern der einen Lage von Faserbündeln kreuzen die der nächst höheren oder tieferen fast unter einem rechten Winkel (nach vorn und hinten ist derselbe etwas größer als ein Rechter (Taf. VII Fig. 9}. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 157 Die Fasern umziehen den Körper, entsprechend den Schuppenreihen, in einer zur Körperachse diagonalen Richtung. Gegen die Muskulatur wird die Cutis durch eine Lage von Zellen abgegrenzt, die den übrigen Cutiszellen gleichen und nur dichter als jene bei einander liegen. In ihrer Nähe breiten sich Chromatophoren aus. Die Muskulatur enthält dicht unter der Cutis nur jugendliche Fasern bei nicht völlig ausgewachsenen Thieren. Mit den Myocommaten haben die Schuppen bezüglich ihrer Zahl gar nichts zu thun. Auf ein Myocomma kommen meist mehrere Schup- pen; die angebliche Beziehung zur Metamerie (Salbey) besteht nicht. Die kurze Schilderung des erwachsenen Zustandes der Teleostier- haut soll nur als Grundlage für die folgenden Untersuchungen dienen; im Einzelnen wird sie später vervollständigt. Die von dem normalen Verhalten abweichenden Befunde des Hautskelets der Teleostier sind bisher weit mehr untersucht worden als gerade die gewöhnliche Schuppe. Ihre Beziehung zu niederen Zuständen liegt noch ganz im Dunkeln. Sie soll daher zunächst ausschließlich berücksichtigt werden. Ich werde mich im Folgenden des Ausdruckes »Teleostier- schuppe« bedienen und will darunter eine der einfachen Schuppen- formen der Physostomen verstanden wissen. Als Beispiel dient die Cycloidschuppe, die auch für die ontogenetische Untersuchung das Objekt lieferte. Der erste Schritt, der nothwendig ist, um einem Verständnis der Teleostierschuppe näher zu kommen, ist die Klarlegung ihrer Entwicklungsgeschichte. Dieselbe ist bisher nicht untersucht worden. In der Litteratur liegen nur wenige ganz ungenügende Andeu- tungen vor, die sich auf die Bildung der Schuppen beziehen. Der Erste, welcher in dieser Beziehung sich äußert, ist ©. VoGT. In seiner »Embryologie des salmones« erwähnt er »poches épitheli- ennes«, in welchen sich die Schuppen bilden sollen. Sie sind nach seiner Meinung nichts Anderes als Faltungen der »membrane épi- dermoidale«. Worauf diese Bemerkung sich bezieht, soll bei dem betreffenden Stadium gedeutet werden. Sodann hat LeyvıG einige Angaben über die Bildung der Schuppen gemacht, die aber nicht auf ontogenetisches Material sich beziehen. Er empfiehlt den Spiegelkarpfen als vorzügliches Objekt, um sich über die Schuppenentwicklung zu orientiren. Dieser, eine Varietät unseres gewöhnlichen Karpfen, besitzt neben einigen sehr vergrößer- ten Schuppen Stellen, die, scheinbar nackt, ganz kleine rudimentäre Schuppen zeigen. LEyDIG sagt: »Die Schuppen unserer meisten 158 Hermann Klaatsch Süßwasserfische erscheinen als theilweise Ossifikationen von platten Hautfortsätzen, die man herkömmlich Schuppentaschen nennt.« Er hält die Schuppen für Verschmelzungsprodukte »eigenthümlich ge- schichteter Kalkkugeln, Konkretionen oder Schuppenkörperchen«, wie man sie »an der unteren Seite der Schuppen vieler Teleostier« findet. Fast wörtlich dieselbe Ansicht vertritt, unabhängig von LEypIG, BAUDELOT. Obwohl seine Arbeit im Jahre 1873 erschien, weiß er nichts von einer Betheiligung von Zellen an der Bildung der Schuppe, auch für ihn ist sie nur ein Konglomerat von Kalk- konkretionen oder Schuppenkörperchen, mit deren Messung er viele Seiten seiner umfangreichen Abhandlung füllt! Entwicklung der Forellenschuppe. Die Entwicklung der Cycloidschuppe habe ich an der Forelle verfolgt. Nur für einige der frühesten Stadien zog ich Flächenbilder von Esox und einiger Cyprinoiden heran. Die Bildung der Schuppen beginnt erst mehrere Monate nach- dem die Forellen ausgeschlüpft sind. Solche von 2 em Länge ent- behren derselben noch ganz; etwas ältere zeigen den Anfang der Schuppenbildung. Die Schuppen entstehen am frühesten in der vor- deren und mittleren Gegend des Rumpfes im Bereich der Seitenlinie, von da aus schreitet ihre Bildung sowohl caudal- als auch ventral- und dorsalwärts fort. Diesem Umstande ist es zu verdanken, dass Forellen von etwa 3 cm ein vorzügliches Objekt für das Studium der Schuppenbildung bieten, in dem neben einander ältere Stadien und frühere Zustände — die letzteren um so jünger je weiter nach hinten — auf Längsschnitten angetroffen werden. Bevor eine Schuppenbildung auftritt, wird die Haut der Forelle gebildet von einer dünnen Epidermis und einer relativ sehr dünnen Cutis. Bei eben ausgeschlüpften Forellen erscheint an ihrer Stelle nur eine homogene Schicht geringer Dieke. Dieser lagert innen eine Zellschicht auf, die einem Epithel gleicht (Fig. 1 Gv). Sie bleibt bestehen, auch wenn die Cutis faserig differenzirt ist und wie es kurz vor der Schuppenbildung der Fall, eine geringe Menge von Zellen enthält. Diese Epithelschicht ist das von HATSCHER beschrie- bene Grenzepithel der Cutis. Den Befunden, die er von Salamander- larven und Ammocoetes beschreibt und die in so fern von Amphioxus abweichen, als bereits Zellen von dem Grenzepithel in die Cutis gelangt sind, reiht sich das an, was ich bei der Forelle sehe. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 159 An den Stellen, wo die ersten Anlagen der Schuppen auftreten, ist die Haut ea. 30 « dick. Davon kommt ungefähr die Hälfte auf die Epidermis. Dieselbe besteht aus 4—5 Zelllagen, von denen die äußerste etwas abgeplattet ist. Im Übrigen sind die Zellen kubisch und haben ea. 4—5 u im Durchmesser haltende Kerne. Schleim- zellen (z) mit sichelförmig komprimirten Kernen sind in geringer Anzahl vorhanden. Eine dünne Basalmembran bildet die Grenze gegen die Cutis. Die Außenfläche der Epidermis ist glatt (Fig. 1). Die Cutis besteht aus einer geringen Anzahl horizontal über einander gelagerter Lamellen. Wo von Schuppen noch keine Spur vorhanden ist, reichen die Cutislamellen bis dicht an die Epidermis heran. Die Cutiszellen, welche wie früher in geringer Zahl zwischen den Lamellen liegen — die Kerne derselben sind stark abgeplattet — werden unmittelbar unter der Basalmembran in etwas größerer Zahl und im Besitze mehr rundlicher Kerne angetroffen. Hier breiten sich auch Chromatophoren aus. Von Blutgefäßen ist in der Cutis keine Spur vorhanden. Außerdem finden sich Chromatophoren dicht über dem Grenzepithel der Cutis. Nach innen von dem letzteren folgt die Muskulatur, und zwar liegen am weitesten nach außen nur Jugendliche Stadien von Muskelfasern. Die ersten Anlagen der Schuppen (SA) werden gebildet durch Anhäufungen der Cutiszellen unmittelbar unter der Basalmembran. Die Epidermis bleibt hierbei gänzlich unbetheiligt. Speciell die ba- sale Epithelschicht lässt auch nicht die geringste Veränderung wahr- nehmen Fig. 1). Die Zellen, welche zur Schuppenanlage zusammentreten, unter- scheiden sich von den übrigen Elementen der Cutis dadurch, dass sie größere Kerne und einen besser entwickelten und stärker tingir- baren Protoplasmaleib besitzen. Außerdem liegen sie dicht bei ein- ander, ohne dass eine Grundsubstanz zwischen ihnen wahrnehmbar wäre. Hierdurch gewinnt die Zellmasse eine große Ähnlichkeit mit Epithelgewebe. Jeder Schuppenkeim (SA) drängt als ein schwach gewölbter Hügel die Basalmembran vor sich her. Dabei bleibt die Oberfläche der Epidermis glatt, indem dieselbe an den Stellen der Schuppenanlagen von fünf auf drei bis zwei Zelllagen redueirt wird. Das Durchschnittsbild zeigt die Schuppenkeime als kleine flache Papillen, deren höchster Punkt nicht genau dem Centrum des gan- zen Gebildes entspricht, sondern ein wenig caudalwärts davon ge- legen ist. Von der Fläche betrachtet erscheinen die einzelnen Zellhaufen 160 Hermann Klaatsch auf der von Epidermis befreiten Cutis als annähernd kreisférmig be- grenzte flache Vorragungen, weit von einander abstehend, in regel- mäßiger Anordnung zur Körperachse diagonale Reihen darstellend. An diesen rein zelligen Zustand des Schuppenkeimes schließt sich die erste Bildung von Hartsubstanz (Fig. 2). Indem der ganze Zellhaufen sich in horizontaler Riehtung ausdehnt, ordnen sich seine Elemente (sc/ leicht abgeplattet in zwei Schichten an. Zwischen diesen tritt eine dünne Lage von stark lichtbrechender Substanz |S auf. Indem auf dem Durchschnitt abwechselnd von außen und von innen Bildungszellen (cs? der neuen Substanz anlagern, entsteht das Bild einer leicht wellig gekrümmten Platte. Entsprechend der Form des Zellhaufens ist die Form der Platte eine rundliche. Die Platte lässt sich bereits isoliren und stellt eine kleine Schuppe dar. Die stark lichtbrechende Substanz ist dieselbe Masse, welche sich später als Hartsubstanz der Schuppe erweist: wann dieselbe sich mit Kalk- salzen imprägnirt, habe ich nicht untersucht. Mag sie nun als Hart- substanz gebildet oder später erst zu einer solchen werden. ihre Bildungszellen müssen eben so wie die entsprechenden Elemente bei Selachiern und Ganoiden als »Scleroblasten« bezeichnet werden. Die näheren histiogenetischen Daten, so weit sie sich auf das Verhalten der Scleroblasten zu ihrem Produkt beziehen, sollen weiter unten besprochen werden, hier handelt es sich zunächst darum, den Auf- bau der Schuppe im Ganzen genau festzustellen. Von der Fläche betrachtet erscheinen die kleinen Schuppen als rundliche Scheiben, die in derselben regelmäßigen Reihenanordoung wie früher neben einander liegen, ohne mit ihren Rändern sich zu berühren. Von einer »Deckung« der Schuppen ist also noch nichts vorhanden (Taf. VII Fig. 9). Die Schuppen liegen der Oberfläche des Körpers parallel. Die Vorragung gegen die Epidermis ist schwächer geworden, nur am hinteren Ende jeder Schuppe springt auf dem Durchschnitt die Epi- dermis ein wenig nach innen vor (Fig. 2). In den Hautstreifen, welche zwischen den Schuppen frei bleiben, liegen Cutiszellen in größerer Zahl eingebettet in eine, von nur wenigen und nicht regel- mäßig angeordneten Fibrillen durchsetzte, Grundsubstanz. Über den vorderen Rand der Schuppe dringen einige Elemente zwischen Basal- membran und Schuppe ein, den Scleroblasten sich anschließend, denen sie in ihrem Aussehen gleichen. Auch nach innen von der Schuppe tritt eine Vermehrung der Cutiszellen auf. Wurde die Schuppe ursprünglich allseitig gleichmäßig von Bil- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 161 dungszellen umhüllt, so macht sich nunmehr eine Änderung in der Vertheilung der Seleroblasten bemerkbar. An der Außenfläche liegen sie dichter bei einander als an der Innenfliiche; besonders dicht aber sitzen sie dem hinteren Rande der Schuppe auf. Indem dieser Theil der Schuppe beim Wachsthum des ganzen Gebildes besonders thätig ist (Fig. 2), wird der höchste Punkt des Schuppenkeimes vollends eaudalwärts verschoben (Fig. 3). Bestand schon im vorigen Stadium hier an der unteren Fläche der Epidermis eine geringe Einbuchtung von innen her, so wird dieselbe allmählich beträchtlich vertieft (EpF). Die Epidermis gewinnt dabei so wenig wie früher irgend welchen Antheil an der Schuppenbildung. Gleichzeitig’ nehmen alle Schichten der Haut an Dicke zu. Die Epidermis, nunmehr auf 20— 25 u Dicke angewachsen, enthält eine größere Zahl von Zelllagen; in der Cutis ist es namentlich der zwischen den Lamellen und den Schuppen gelegene Theil, welcher eine reiche Zellenproliferation eingeht (oc. So kommt die Schuppe auf eine Schicht lockeren Bindegewebes zu liegen und wird hierdurch von dem Theil der Cutis getrennt, in welchem die Grundsubstanz eine lamellöse Differenzirung erfuhr. Jetzt stellen sich die Scleroblasten an der Innenfläche der Schuppe nur als die oberflächlichste Lage einer noch wenig specia- lisirten Bindegewebsmasse dar. Zugleich dauert die Einwucherung von Cutiszellen zwischen Epidermis und Schuppe fort und es gesellen sich den Scleroblasten an der Oberfläche der Schuppe neue Elemente hinzu, während die äußersten Lagen, durch lockeres Bindegewebe gebildet, Schuppe und Scleroblasten von der Epidermis trennen. So wird die Schuppe allseitig von lockerem Bindegewebe eingehiillt, aus welchem die Scleroblasten neuen Zuzug empfangen. Nur das hintere Ende der Schuppe besitzt, abgesehen von den Seleroblasten, selbst noch keinen bindegewebigen Überzug. Die Folge dieser Wachs- thumsvorgänge ist, dass das hintere Ende der Schuppe sich immer tiefer in die Epidermis einschiebt. Die Schuppe sammt dem um- hüllenden Bindegewebe liefert das Bild von Papillen, welche in schräger Richtung caudalwärts die Epidermis vor sich herdrängen. Eine Unebenheit derselben an der Außenfläche kommt dabei nicht zu Stande. Nur die Innenfläche bekommt tiefe, von der Fläche ge- sehen sichelförmig erscheinende Aushöhlungen. Dies sind offenbar die » epithelialen Taschen« welche C. Vocr gesehen hat. Das Dureh- schnittsbild zeigt dem entsprechend Epidermisfortsätze (Hp F), welche nach vorn spitz auslaufend, sich eine Streeke weit unter den hinte- ren Rand einer jeden Schuppe ausdehnen. Morpholog. Jahrbuch. 16. 1l 162 Hermann Klaatsch Die Lage der Schuppe in der Haut erfährt eine wichtige Ver- änderung. Der hintere Rand wird gegen die Oberfläche gehoben, der vordere unter den Epidermisfortsätzen sich ausdehnende Theil nach innen gesenkt. Aus der ursprünglichen horizontalen Lage geht die Schuppe in eine zur Oberfläche schräge Stellung über. Die Folge dieser Lageveränderung ist, dass die Schuppe unbe- hindert durch ihre Nachbargebilde sich in der Fläche ausdehnen kann. Eine nothwendige Folge des weiteren Wachsthums ist, dass sich die Schuppen mit ihren vorderen Rändern unter die nächst vor- deren Schuppen hinunterschieben, dass sie beginnen, sich »dach- ziegelförmig« zu decken. Für das Verständnis der weiteren Veränderungen ist es noth- wendig im Auge zu behalten, dass alle Schichten der Haut be- ständig an Dicke zunehmen. So beträgt die Dicke der Haut bei Forellen von 5 bis 6 cm Länge über 200 «, während sie bei solchen von ca. 4 em Länge nur die Hälfte beträgt. Die tiefe lamellöse Cutisschicht (s/c) nimmt im Gegensatz zu früheren Stadien ein stär- keres Wachsthum. Hierbei sind es ihre äußeren, der Schuppe zu- gekehrten Schichten, welche eine Vermehrung erfahren (Fig. 4). Nicht minder wächst die Epidermis und damit die Fortsätze der- selben unter dem Hinterrand der Schuppe; dieselben erreichen bei der Forelle eine Länge von ca. 150 u. Bemerkenswerth ist, dass auch bei dieser stärkeren Entfaltung in ihnen keine gewebliche Ände- rung eintritt. Man trifft in ihnen dieselben Schleimzellen (z) wie in der übrigen Epidermis. Aus dem Gesagten geht wohl zur Genüge hervor, dass die größere Ausdehnung der Epidermisfortsätze nicht als ein von der Oberhaut ausgehender Process, sondern lediglich als das Resultat von Wachsthumsvorgängen in der gesammten Haut zu beurtheilen ist. Dabei ist die beständige Zunahme der Schuppe an ihrem hinte- ren Rande von Bedeutung. Der vordere Rand derselben schiebt sich immer tiefer ein in das lockere Bindegewebe, dessen stärkere Ausbildung oberhalb der tiefen Cutisschicht geschildert wurde. Es erreicht dabei die Schuppe zunächst nicht diese letzterwähnte Schicht. Dennoch hat es den An- schein, als ob sie sich zwischen die Lamellen hineinschöbe. Dies rührt daher, dass das lockere Gewebe unter der Schuppe allmählich sich genau in derselben Weise differenzirt, wie es die tiefen Theile der Cutis früher gethan haben. Auch hier kommen lamellös ge- schichtete Fibrillenbündel zur Ausbildung. Diese Lamellen liegen Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 163 aber nicht der Körperoberfläche, sondern der Schuppe parallel. Sie kommen in demselben Maße zur Ausbildung, wie die Schuppen, stärker nach vorn wachsend, die ganze unter ihnen gelegene Cutis- schicht so in einzelne Abschnitte zerlegen, dass zwischen den Schup- pen bindegewebige Septen (22) übrig bleiben. Dieselben stehen außen in Verbindung mit den Epidermisfortsätzen. Innen gehen sie ganz unmerklich in die tiefe Cutisschicht über. So kommt die sogenannte »Schuppentasche« zur völligen Ausbildung. Die Schuppentasche er- scheint somit als ein Produkt des Schuppenwachsthums. Dabei wirken zwei verschiedene Processe zusammen: einmal wird die Schuppe durch ein wucherndes Bindegewebe von der Epidermis ab- sedrängt und so eine äußere Wand (de) der Tasche in ihrem vor- deren Theil gebildet, sodann wird durch das Einwachsen der Schuppe in die lockeren Theile der Cutis und durch die Ausbildung derselben zu Septen der Boden der Tasche und der hintere Abschnitt ihrer äußeren Wand geliefert (Taf. VIII Fig. 4, 16). Von ganz besonderer Bedeutung für die Entwicklung der Schuppe wird der »Boden« der Schuppentasche (dr). Das Cutisgewebe, wel- ches ihn schuf, bewahrt sich unmittelbar unter der Schuppe sein in- differentes Verhalten. Hier liegen Zellen in einer noch nicht fibrillär zerfallenen Grundsubstanz. Indem dieselben sich als Schuppenbildner bethätigen, führen sie die Bildung einer tiefen Schuppenschicht her- bei, die in histiogenetischer Beziehung viel Eigenthümliches bietet. Dieselbe wird beim Bau der Schuppe dargestellt werden. Die Betrachtung der zuletzt geschilderten Stadien von der Fläche (Taf. VII Fig. 10) zeigt, wie die Schuppe sich allmählieh unter die drei nächst vorderen herunterschiebt, so dass der beim älteren Fisch beschriebene Zustand resultirt. Der Mittelpunkt der Schuppe tritt durch die Ausbildung von koncentrischen Leisten deutlich hervor. Er bleibt lange Zeit unbedeckt, bis auch ihm der hintere Rand des nächsten vorderen Nachbargebildes überlagert. Eine Erscheinung, die bei der Betrachtung von Forellen mit bereits weiter entwickelten Schuppen auffällt, bedarf noch der Erwähnung: Man findet nämlich die Schuppen eines Thieres an einer Stelle keineswegs gleichmäßig in der Entwicklung vorgeschritten: Zwischen solche, welche bereits sich decken, liegen sehr häufig ganz kleine Schuppen, welche die frühesten Entwicklungsstadien repräsentiren (Taf. VII Fig. 10). Bei älteren Thieren wird eine solche Unregelmäßigkeit nicht angetroffen. Die Bedeutung dieses Befundes wird weiter unten zur Sprache kommen. it? 164 Hermann Klaatsch Bau der Teleostierschuppe auf Grund der Histiogenese. Über den Bau der Teleostierschuppen liegen in der Litteratur sehr zahlreiche Beschreibungen vor. Die -meisten derselben haben heute nur noch historisches Interesse. ‘Fine sehr genaue Zusammen- stellung der Litteratur hat BaupELor geliefert; indem ich auf die- selbe verweise, hebe ich diejenigen Punkte heraus, welche für das Verständnis der Schuppen von Werth sind. Hierbei sind es nament- lich die Angaben WILLIAMSON’s, JOH. Sen Leypie’s und Kör- LIKER’s, welche in Betracht kommen. Dieselben haben gezeigt, dass sich die Schuppe aus zwei differenten Schichten aufbaut, einer äuße- ren und einer inneren, denen WILLIAMSON noch eine dritte mittlere hinzufügt. Die äußere Schicht besteht aus einer homogenen Hartsubstanz, welche eine der Oberfläche parallele lamellöse Schichtung zeigt. Sie bildet (WiLLIAMSON) das so mannigfaltige Oberflächenrelief. WırLı- AMSON vergleicht ihre Substanz dem ebenfalls strukturlosen Knochen- gewebe vieler Teleostier. Ihr Wachsthum lässt er von einer die Oberfläche überkleidenden Membran abhängen, deren Existenz Bav- DELOT bestreitet. WILLIAMSON setzt sie mit der »Ganoinschicht« der Ganoidschuppe in Parallele. KÖLLIKER nimmt, wenn ich ihn richtig verstehe, noch eine besondere äußere, über den Knochenzellen ge- legene Schicht an. ZıTTEL nennt diese »Schicht« »Schmelz« (pag. 15) und sagt, dass sie chemisch dem Ganoin entspreche, und dass sie keine prismatische Struktur zeige. Der inneren Schuppenschicht schreiben die Autoren überein- stimmend eine fibrilläre Struktur zu. Die Fasern liegen lamellös geschichtet und es laufen die Fibrillen einer Lamelle sämmtlich parallel, während die Fasern der verschiedenen Lamellen einander unter spitzem Winkel kreuzen (cf. WırLıamson, Taf. XXVIII Fig. 5. 1851). Durch Behandlung mit Essigsäure isolirte LEyYDıG die Fa- sern, welche ein »blasses starres Aussehen« zeigten. Bei den mei- sten Beschreibungen spielen die »Schuppenkörperchen«, ovoide Kalk- konkretionen, die bereits oben erwähnt wurden, eine große Rolle. Ihr Entdecker, der als Gegner von L. Acassız bekannte MANDL, hatte sie für Knörpelzellen gehalten. Das Vorkommen typischer Knochenkörperchen in den Schuppen wurde von mehreren Autoren angegeben. Zuerst konstatirte Jon. MÜLLER ihr Vorkommen bei Arapaima als eine nach seiner Mei- nung bei Knochenfischen seltene Erscheinung. LEYDIG zeigte das- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 165 selbe Verhalten in den Schuppen des Thunfisches und in denen der Seitenlinie mancher Cyprinoiden. Über das Vorkommen von Knochenzellen in den Schuppen der Teleostier hat KÖLLIKER ausführlichere Angaben gemacht. Er fand ihr Vorkommen weit verbreitet, immer sah er sie über der » Faser- lage der Schuppe« dicht unter der »Ganoinlage«. Seine Mitthei- lungen über die Schuppen bilden einen Theil seiner Untersuchung »über verschiedene Typen in der mikroskopischen Struktur des Ske- lets der Knochenfische«. Er findet in den Schuppen dieselbe eigen- thümliche Erscheinung ausgesprochen, welche er für das innere Ske- let der Fische konstatiren konnte, dass nämlich manche Gruppen Knochenzellen besitzen, andere nicht. Doch verhalten sich die Schuppen in so fern wieder eigenthümlich, dass sie bei manchen Physostomenfamilien der Knochenzellen entbehren, obwohl das innere Skelet damit versehen ist. Er führt dies bei einigen Familien ge- nauer aus: Unter den Clupeiden und Characiniden, die immer Kno- chenzellen im inneren Skelet haben, giebt es solche, die auch in ihren Schuppen dieselben zeigen und solche, die derselben hier entbehren. Kanälchen, welche an Zahnbeinröhrchen erinnern, wur- den von Leypıg am hinteren Abschnitt der Schuppen von Barbus beschrieben. Alle diese Befunde entbehren des Zusammenhangs, so lange nicht die Histiogenese genauer zu Rathe gezogen wird. Es soll daher der Bau der Schuppe auf genetischem Wege klar gestellt werden. Nur bei einem solehen Vorgehen können die zum Theil sehr eigenthümlichen Strukturverhältnisse der Teleostierschuppe dem Verständnis näher gebracht werden. Die Cutiszellen, welche zur Schuppenanlage zusammentreten, sind große Elemente mit Kernen von 7—12 u Durchmesser, deren jeder eine deutliche Membran und meist ein größeres Kernkörper- chen besitzt (Taf. VIII Fig. 6). Die Zellen liegen Anfangs so dicht bei einander, dass sie sich gegenseitig in ihrer Form beeinflussen. Aus einer rundlichen Form gehen dieselben in polygonale Gestaltung über. Während mit der ersten Abscheidung von Schuppensubstanz die Zellen an der Innenfläche der Schuppe weiter aus einander rücken, kommt es an der Außenfläche zur Ausbildung verschiedener Zell- lagen. Über den tiefsten der jungen Schuppe unmittelbar auflagern- den Seleroblasten breitet sich eine Zellschieht aus, die sich leicht in continuo abheben lässt. Am Rande der Schuppe bleibt der ur- 166 Hermann Klaatsch sprüngliche Zustand bestehen, indem hier die Zellen an der Außen- wie an der Innenfläche sich zu einer meist vollständig einschichtigen Bekleidung der Schuppensubstanz vereinigen (Taf. VIII Fig. 8). Die oberflächliche Scleroblastenschicht bietet ein sehr charak- teristisches Bild (Taf. VIII Fig. 11). Ihre polygonal geformten Elemente täuschen ein Plattenepithel vor. Zwischen den in Karmin- farbstoffen (auch in Hiimatoxylin) sich intensiv fiirbenden Proto- plasmaleibern bleibt ein Netzwerk einer Substanz, die sich nicht tingirt. Dasselbe erinnert an ein System von Intercellularräumen. Wie jedoch die Schicht mit einem Epithel, etwa dem der Epider- mis, nur eine oberflächliche Ähnlichkeit theilt, so lässt sich auch in den hellen Streifen zwischen den Zellen nichts nachweisen, was einer Intercellularstruktur entspriiche. Dies negative Resultat wird leicht verständlich durch die weiteren Veränderungen der Zellen, welche die Bedeutung der hellen Zwischensubstanz aufklären. Bei der Betrachtung von der Fläche zeigen die Zellen ganz bestimmte, für alle in gleicher Weise sich abspielende Metamorphosen (Taf. VIII Fig. 7). Jede Zelle dehnt sich in einer Richtung, die im Verhältnis zur ganzen Schuppe nicht fest bestimmt ist, aus. Sie gewinnt eine längliche Gestalt und der Kern erlangt dadurch eine mehr periphere Lagerung in der Zelle. Dabei nähern sich vielfach die Kerne be- nachbarter Zellen einander. So sondert sich in jeder Zelle ein den Kern enthaltender Theil von einem kernfreien Abschnitt. Im letzte- ren tritt mit größter Regelmäßigkeit Folgendes auf: An einer Stelle verliert das Protoplasma seine Tinktionsfähigkeit, und indem sich diese Partie immer schärfer gegen die Umgebung absetzt, entsteht ein heller, fast kreisrunder Fleck (von ca. 6 uw Durchmesser), der in Größe und Form den Kern nachahmt (Fig. 7). Das Innere des- selben zeigt keine Struktur. Indem er sich immer weiter ausdehnt gegen den dem Kern abgewendeten Pol der Zelle, vereinigt er sich schließlich mit den hellen Partien zwischen den Zellen. Die ver- schiedenen Stadien entsprechen einem Umwandlungsprocess der Zel- len: Die hellen Streifen zwischen den Zellen verdanken ihre Ent- stehung eben so wie die hellen Flecke, die ich oben beschrieb, einer Substanz, welche vom übrigen Protoplasma different geworden ist. Dieselbe vereinigt sich mit der bereits vorhandenen Substanz der Schuppe. Der Kern und ein Theil des Protoplasmas bleibt er- halten. Die von den Zellen gelieferte Substanz ist also in der Be- ziehung zur Zelle ein Abscheidungsprodukt derselben '. Da dies ! An dem vorliegenden Objekte, welches für die Untersuchung des sclero- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 167 Produkt die Substanz der Schuppe, also eine durch die Aufnahme von Kalksalzen erhärtende Intercellularsubstanz ist, so ist die be- schriebene Zellschicht eine Lage von »Seleroblasten«, die sich nur durch die Regelmäßigkeit ihrer Anordnung und die scharfe Marki- rung der einzelnen Stadien des scleroblastischen Processes von den tieferen Zellen gleicher Art unterscheidet, mit denen sie am Rande kontinuirlich zusammenhängt. Je weiter nach dem Rande der Schuppe zu, desto mehr zeigen die Scleroblasten — die hier nicht mehr in Lagen zu sondern sind — eine Vergrößerung ihres Zellleibes in tangentialer und eine Verkürzung in radialer Richtung zur ganzen Schuppe. Die tiefer gelegenen Scleroblasten, im Vergleich zu dem ganzen Zellmaterial die Glieder der älteren Generation, gewinnen bei der Forelle eine sehr regelmäßige Anordnung. Wie bei anderen Physio- stomen kommen bei diesem Fisch Leisten an der Außenfläche der Schuppe zur Ausbildung. Dieselben haben bei unserem Objekt eine koncentrische Anordnung zur Schuppe, was, nebenbei bemerkt. keineswegs eine allgemeine Regel für das Oberflächenrelief bedeutet. Bei der Forelle ordnen sich die betreffenden Zellen so an, dass sie den koncentrischen Leisten genau entsprechen. Zur ganzen Schuppe tangential, liegen sie den Schuppenleisten auf der dem Centrum zu- gekehrten Seite an. Man könnte nun erwarten, dass die oberfläch- liche Seleroblastenschicht mit ihrem Produkte die tiefere Zelllage bedeckt, so dass die Bestandtheile der letzteren in das Innere der Schuppensubstanz aufgenommen würden. Dies geschieht bei der Forelle nieht: Dieselben ordnen sich, indem sie die beschriebenen Umwandlungen erleiden, so an, dass sie auf die Aufenfliiche der Leisten zu liegen kommen und zur Vergrößerung dieser beitragen. Sie arbeiten gleichsam das Oberfliichenrelief der Schuppe weiter aus, wofür die tieferen Zellen nur die Grundlage geliefert hatten (Taf. VII Fig. 9). Von allen Scleroblasten bleibt bei älteren Stadien und im er- wachsenen Zustande nur der Kern und eine geringe Menge Proto- plasma übrig. Von ihrer Beschaffenheit als der Schuppe auflagern- den Zellen überzeugt man sich am besten, wenn man eine Schuppe, z. B. von einem unserer Cyprinoiden, dem lebenden Thier entnimmt blastischen Processes im Flächenbilde sich vortrefflich eignet, konnte ich nichts wahrnehmen, was zu Gunsten der Annahme spräche, dass Zellen in toto in das Produkt aufgingen; die Kerne zeigten keine Veränderung, ich sehe daher in der Bildung der Hartsubstanz einen Abscheidungsprocess. 168 Hermann Klaatsch und sie in einer fixirenden Flüssigkeit, z. B. Chromessigsäure, be- trachtet: dann nimmt man deutlich um den rundlichen Kern eine Protoplasmamasse wahr, welche sich in feine Fortsätze auszieht. “ Der bei der Forelle als möglich hingestellte Fall tritt bei an- deren Teleostiern in der That ein: bei manchen Clupeiden, z. B. Elops saurus, Albula conorhynchus finden sich Zellen, denen der Forelle in ihrer Anordnung vollständig gleich von Schuppensubstanz umschlossen; sie stellen also echte Knochenzellen dar, welche zur ganzen Schuppe tangential gestellt der inneren Peripherie der kon- centrischen Leisten genähert sind (Taf. VII Fig. 11). Bei anderen Formen finden sich zahlreiche Knochenzellen in den Schuppen. Bei Characiniden (Taf. VII Fig. 12) (Erythrinus unitaeniatus) sind alle scheinbar ganz unregelmäßig über die Schuppe vertheilt. Bei Osteo- slossum ist der Reichthum an Knochenzellen und demgemäß die Dicke der zellhaltigen Schieht sehr beträchtlich. Bildet bei diesen Formen echtes zellenhaltiges Knochengewebe einen Bestandtheil der Schuppe, so muss auch der Forellenschuppe, so weit sie bisher. be- trachtet wurde, der gleiche Gewebscharakter zuerkannt werden. Ihre Seleroblasten sind Osteoblasten; ob sie von ihrem Produkt umschlos- sen werden oder nicht, ist von untergeordneter Bedeutung, da bei nahe verwandten Formen bald das eine, bald das andere getroffen wird. So entbehren unter den Clupeiden Chatoessus und ein Theil der Clupeen (z. B. Clupea harengus, jedoch nicht Clupea alosa) der Knochenkörper- chen. Das Gleiche kehrt bei Characiniden wieder, wie bereits KOLLI- KER für beide Physostomenfamilien durch genaue tabellarische Angaben gezeigt hat. Ursprünglich verhalten sich die Außenfläche wie die Innenfläche der Schuppe bezüglich ihrer Scleroblasten gleich. An der Innenfläche nehmen allmählich die seleroblastischen Processe eine andere Rich- tung. Da am Rande .der Schuppe äußere wie innere Scleroblasten allmählich in einander übergehen, weil beide aus dem gleichen Zell- material hervorgehen, kann keine scharfe Trennung zwischen ihnen vorgenommen werden. Die Schuppe behält durch eine lange Periode ihrer Ontogenese hindurch den Habitus einer dünnen Knochenplatte, deren Wachs- thum vorzugsweise an den Rändern und an der Außenfläche sich vollzieht. Erst zu der Zeit, wo die Schuppen den Zustand dach- ziegelförmiger Deckung erlangt haben, beginnt eine beträchtlichere Volumszunahme an der Innenfliiche. Hier hat die Schuppe durch die Ausbildung der Schuppentasche eine bindegewebige Unterlage Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 169 erhalten. Es wurde gezeigt, dass diese Unterlage erst ganz all- mählich sich so differenzirt, dass sie der tiefen lamellösen Cutis- schicht ähnlich wird, dass aber gegen die Schuppe hin sich eine Schicht von Zellen erhält, die auf einem indifferenten Zustande ver- harrt, in so fern die sie umgebende Grundsubstanz noch keinen fibrilliren Bau zeigt. Dieses Zellenmaterial am Boden der Schuppen- . tasche wird zur Matrix der sogenannten »unteren Schuppenschicht« (Taf. VIII Fig. 5, 8, 9, 10, 12, auch Fig. 1—4 und 16). Durch ihren fibrillären Bau und die lamellöse Schichtung der Fibrillen stimmt die Schicht mit dem Cutisgewebe überein, durch das gänzliche Fehlen von Zellen ist sie von ihm verschieden. Wollte man, gestützt auf den ersten Faktor, annehmen, dass die untere Schuppenschicht einer Aufnahme fertiger Bindegewebsfibrillen ihren Ursprung verdankt, so wird dies durch den zweiten Faktor und durch die Genese der Schicht selbst widerlegt. Würde bereits diffe- renzirtes Cutisgewebe der Schuppentasche direkt in die Substanz der Schuppe aufgenommen, so müsste zwischen Schuppe und Schuppen- tasche ein derartiger Zusammenhang bestehen, dass beide direkt in einander übergingen. Zweitens müssten die bereits im Cutisgewebe vorhandenen Zellen nach der Aufnahme des Gewebes sich im Inne- ren der Schuppe wiederfinden. Beides trifft nicht zu: Im Inneren der unteren Schuppenschicht lässt sich keine Spur von Zellen oder Zellenresten nachweisen; die Schuppe wird vom Cutisgewebe durch eine indifferente Zone geschieden. Auf Grund dieser histiogenetischen Thatsachen gewinnt man über die histiologische Struktur der Schuppe folgende Vorstellungen: Die äußere Schicht bestehtaus Knochengewebe. Das- selbe ist homogen und entbehrt einer besonderen Struktur, abgesehen von einer schwach angedeuteten lamellösen Schichtung (ef. z. B. Wirrıauson, 1851. Taf. XXVIII Fig. 9 vom Karpfen). Hiermit stimmt die chemische Konstitution seiner anorganischen Bestandtheile aus amorphem phosphorsauren Kalk (ZırteL pag. 18), neben dem, wie die Entwicklung von Gasblasen bei Zusatz von Salzsäure zeigt, kohlensaurer Kalk vorhanden sein muss. Die Bildungszellen der Schicht liegen meist an der Oberfläche. Sie stellen das dar, was WILLIAMSON als eine »Membran« konstatirt hatte, von der das Wachs- thum der Schicht abhängt. Die Scleroblasten formen das Ober- flächenrelief. Werden sie von ihrem Produkt umschlossen, so finden sich Knochenkörperehen in großer Mannigfaltigkeit, was Zahl und Anordnung betrifft. Solche Schuppen mit Knochenkörperehen haben 170 Hermann Klaatsch natürlich eine äußerste homogene Lage, eben die, welche die Zellen von oben her deckt, aber ich kann sie nicht von der übrigen Masse unterscheiden. Ich kann daher nicht mit KOLLIKER eine besondere »Ganoinschicht« annehmen. Beim Zusatz von Salzsäure schmilzt die ganze Schicht gleichmäßig, jedoch ziemlich langsam. Ich finde im - Verhalten gegen reine Salzsäure keinen Unterschied zwischen einem Stück von Fischknochen des inneren Skelets und der äußeren Schup- penschicht; beide entwickeln zuerst schnell, dann sehr spärlich Koh- lensäure-Blasen. Die untere Schuppenschicht besteht aus Fasern, welche, zu Bün- deln vereinigt, innerhalb eines solchen sämmtlich parallel verlaufen. Die Bündel einer Schicht liegen wiederum einander parallel und kreuzen sich mit denen nächst höber oder tieferer Schichten unter spitzem Winkel. Meistens sind drei verschiedene Systeme in einer Sehuppe zu unterscheiden, die einander unter gleichen -Winkeln schneiden (Taf. VII Fig. 12). Es stimmt dies Gewebe überein mit straffem Bindegewebe und speciell mit dem der tiefen Cutisschicht. Besteht somit ein Recht, wie es die meisten Autoren thun, die Schicht als den »bindegewe- higen« Antheil der Schuppe aufzuführen, so hat doch Niemand die Eigenthümlichkeit des Gewebes in klares Licht gesetzt. Dies muss aber geschehen in zwei Beziehungen, einmal mit Rücksicht auf das benachbarte Bindegewebe der Schuppentasche, sodann aber mit Be- zug auf die äußere Schuppenschicht. Was den ersten Punkt anbetrifft, so hat die Entwicklung gelehrt. dass die untere Schuppenschicht nicht präexistentes Bindegewebe der Schuppentasche darstellt, das der Schuppe einverleibt wird. Mit Rücksicht auf das tiefer gelegene Bindegewebe muss also die frag- liche Sehicht definirt werden als zellenloses straffes Bindegewebe. dessen Bildungszellen vermuthlich dem Bindegewebe der Schuppen- tasche entstammen. Das Zustandekommen dieses eigenthümlichen Gewebes kann vollständig erst auf Grund weit zurückgehender phy- logenetischer Faktoren verstanden werden (cf. unten). Sein Wunder- bares kann ihm jedoch hier schon genommen werden durch den Hinweis auf die Entwicklung der gesammten Cutis. Wie HATSCHER gezeigt hat und wie ich es auch an der Forelle finde, besteht die Cutis ursprünglich aus einer Schicht, welcher nur an der Innenseite Bildungszellen aufliegen. Der fibrilläre Zerfall der Schicht ist un- abhängig von den Zellen, welche erst später in das Innere derselben gelangen. Nun kehren im Bereich der Schuppenbildung die Cutis- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 171 zellen gleichsam auf eine embryonale Stufe zurück, und es ist ver- ständlich, dass sich im Kleinen Vorgänge wiederholen, welche die Bildung der ganzen Cutis beherrschen. - Wie verhält sich nun die untere Schicht zur oberen? Zunächst ist es von Bedeutung, dass die obere Schicht lange Zeit hindurch allein existirt und dass erst spät, wenn die Deckung der Schuppe sich vollzieht, der andere Theil der Schuppe zum ersten hinzu- kommt. Es besteht also wohl eine genetische Abhängigkeit zwischen beiden Schichten, und zwar hat die äußere »Knochenschicht« die Bildung der zweiten veranlasst. Dass es sich nun aber nicht bloß um eine bindegewebige Unterlage der ursprünglichen Schuppe, son- dern um einen integrirenden Bestandtheil des ganzen Gebildes handelt, geht daraus hervor, dass eine scharfe Grenze zwischen beiden Schichten eben so wenig ausgeprägt ist, als eine Sonde- rung zwischen den Bildungszellen der beiden Flächen be- steht. An den Rändern der Schuppe hängen dieselben innig mit einander zusammen. Eine nähere Zusammengehörigkeit der beiden Schichten wird sodann dadurch gegeben, dass die untere Schicht mit Kalksalzen imprägnirt wird. Dies geschieht freilich niemals auch nur annähernd in dem Maße, wie bei der oberen Schicht; es bleibt die Substanz wenig widerstandsfähig gegen Alkalien, aber dass immer- hin eine Sclerosirung in geringem Maße eintritt, schließe ich aus folgenden Gründen. Isolirt man die Faserbündel der Schicht in Glycerin, so bieten sie ein rigides Verhalten, sind stark lichtbre- chend und es gelingt die Zerlegung in Fibrillen sehr unvollkommen. Sodann treten auch in der unteren Schicht die Kalkkonkretionen auf, die Mann entdeckt hat. Es sind das ovoide geschichtete Kör- per, welche in der Mitte der Schuppe am größten sind. Hier dringen sie am tiefsten nach der Unterfläche der Schuppe vor. Unmittelbar unter der äußeren Schicht liegen sie so dight und konfluiren so innig, dass WILLIAMSON daraus eine eigene dritte Schicht gemacht hat. Auf die Abbildungen dieses Autors verweise ich bezüglich der »Schup- penkörperchen « (Philosoph. Trans. 1851. Taf. XXVIII Fig. 2, 3, 4 u. a.). LEYDIG wies (s. 0.) auf diese »Kalkkugeln« hin. Er überschätzte ihre Bedeutung für die Schuppenbildung. Jetzt gewinnen sie von Neuem eine Bedeutung in anderem Sinne, als die früheren Autoren meinten. Es zeigen diese Bildungen, wie allmählich die untere Schuppenschicht sclerosirt. Es werden diese histiologischen Processe und ihre Deutung mich unten noch einmal in anderem Zusammen- hange beschäftigen. 172 Hermann Klaatsch Die Schuppe stellt eine Platte dar, die eine äußere und eine innere Schicht besitzt. Die äußere ist Knochengewebe, die innere verdankt Bindegewebe ihre Entstehung, das in den Sele- rosirungsprocess einbezogen worden ist: sie besteht aus theilweise selerosirten Bindegewebslamellen, zwischen denen keine Zellen liegen. Vergleichung der Teleostierschuppemitder Placoidschuppe. a. Entwicklungsgang beider. Wenn auch der Bau der Teleostierschuppe klar gestellt ist, so bleibt diese doch, für sich betrachtet, ganz unverständlich. Wenn die ermittelten Thatsachen nicht ein todtes Material deseriptiver Einzelheiten bleiben sollen, so muss die Beziehung der Teleostier- schuppe zu denen der Selachier und Ganoiden ergründet - werden. Da bei dieser Ableitung der Schuppen ein systematisches Vorgehen unbedingt erforderlich ist, so soll zunächst die Teleostierschuppe mit der Placoidschuppe verglichen werden. Die Entwicklung beider Schuppenarten lässt trotz weitgehender Differenzen Gemeinsames nicht verkennen. Es fehlt bei der Forelle die Betheiligung der Epidermis an der Schuppenbildung, aber es tritt als erste Anlage eine Zellanhäufung auf, welche in ihrer Lage unmittelbar unter der Epidermis dem bindegewebigen Schuppenkeim der Selachier gleicht. Auch darin stimmt sie mit letzterer überein, dass sie, wenn auch in sehr ge- ringem Maße, die Epidermis ein wenig empordrängt. In der An- ordnung zu einander und zur Körperachse wiederholt die Forellen- schuppe die Zustände der Selachier. Wie bei diesen zeitlebens, stehen die ersten Schuppenkeime von einander entfernt, in schrägen Reihen den Körper überkleidend. Das erste Auftreten von Hartsubstanz zeigt tiefgreifende Ver- schiedenheit. Bei den Selachiern an der Grenze von Epithel und Schuppenkeim, diesen sodann mantelförmig umhüllend, erscheint die erste Hartsubstanz bei der Forelle im Inneren des Schuppenkeims. Blieb bei der Forelle die Sonderung des Schuppenkeims in einen äußeren und einen inneren Theil aus, so dehnt sie sich während der ersten Bildung von Schuppensubstanz der Körperoberfläche pa- rallel nach allen Seiten hin aus. Bei der Placoidschuppe wurde am basalen Theil des Schuppenkeims Ähnliches beobachtet. Fehlt bei der Forelle die Bildung des Schmelzes und des Dentinkegels. so Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 173 fragt es sich, welcher Hartsubstanz des Placoidenzustandes die erste dünne Schuppe zu vergleichen sei. Die Antwort wird das Zellen- material, welches die Forellenschuppe liefert, sowie die Lage zu den Hautschichten zu berücksichtigen haben. Die Scleroblasten bei der Forelle liegen unmittelbar unter der Epidermis, ein Theil der- selben sitzt der Schuppe von außen, ein Theil von innen auf. Die von innen aufsitzenden können mit denen verglichen werden, welche von der Pulpahöhle her der Hartsubstanz entweder des Dentinkegels oder seiner Fortsetzung in den basalen Theil der zelligen Schuppen- anlage anlagern. Die außen befindlichen können keinen Elementen im Spitzentheil entsprechen, da hier Schmelz an Dentin stößt. Um für sie ein Homologon zu finden, muss man an der Schuppenanlage nach innen gehen bis zu dem Punkte, wo die Hartsubstanz ihre direkte Beziehung zur Epidermis verliert, wo sie beginnt, sich in horizontaler Richtung zwischen den Zellen des Basaltheils auszu- breiten. Was nun bilden die jetzt im Einzelnen bezeichneten Zelien bei den Selachiern? Den oberflächlichen Theil der Basalplatte. Folglich entspricht die junge Forellenschuppe dem oberflächlichen Theil der Basalplatte. Entstand dieser Theil bei den Haien im direkten An- schluss an den Stachel, so fehlt bei der Forelle der Stachel und die Platte entsteht für sich. Wo der Stachel sich erheben, die Pulpa- höhle die Platte durchbohren sollte, befindet sich der Mittelpunkt der Forellenschuppe. Von ihm aus dehnt sich die Platte flächenhaft aus und gewinnt eine rhomboidische Form. Streicht man bei den Selachiern den Spitzentheil und vergleicht das Flächenbild, welches die Basalplatten von außen bieten, mit dem besprochenen Stadium der Forelle, so ergeben sich große Ähnlichkeiten (Taf. VII Fig. 7, 9, 10). Die rhomboidischen Schuppen der jungen Forelle liegen wie die rhombischen Basalplatten von Seyllium neben einander, durch freie Hautstreifen getrennt. Sie bilden dieselben schrägen Reihen: ja noch ein Punkt erhöht die Ähnlichkeit der Bilder. Wie bei den Haien zwischen den fertigen Schuppen immer neue ent- stehen, so finden sich zwischen älteren Schuppen der Forelle auch noch im späteren Stadium ganz junge Schuppenanlagen. Diese Un- gleichmäßigkeit in der zeitlichen Entwicklung hört alsbald bei der Forelle auf. Indem die Schuppen der "letzteren sich mit den Rin- dern zu decken beginnen, entfernen sie sich von den Basalplatten; aber das Stadium der ersten Deckung zeigt einen Zustand der ge- sammten Haut bei der Forelle, der wiederum den Gedanken einer 174 Hermann Klaatsch Parallele mit der Placoidschuppenentwicklung nahe legt: es sind die schräg nach hinten gerichteten Cutispapillen, zwischen denen die Epidermisfortsätze in die Tiefe dringen. Es erinnert dies Bild in der That an die gleich gerichteten Papillen, wie sie durch die Anlagen des Spitzentheils der Placoidschuppe repräsentirt werden. Eine nähere Prüfung ergiebt jedoch eine wichtige Verschiedenheit: Bei den Haien birgt die Papille eben die Anlage des Spitzentheils, sie verdankt ihm ihre Entstehung, bei den Teleostiern birgt sie die junge Schuppe selbst. Nun ist diese aber die Basalplatte, es fehlt der Spitzentheil. Folglich beherbergen die scheinbar gleichbedeu- tenden Bildungen ganz ungleichwerthige Theile der Schuppen, ein- mal den Spitzentheil, das andere Mal den Basaltheil. Soll unter diesen Umständen die palingenetische Bedeutung der Papillen bei der Teleostierschuppenbildung bewiesen werden, so muss gezeigt werden, wie der Basaltheil dazu kommt, sich dort auszudehnen, wo der nicht mehr vorhandene Spitzentheil bestand; kann dies nicht bewiesen werden, und vom vorliegenden Objekt aus eröffnet sich keine Möglichkeit dazu, so muss die Bildung der Epidermisfortsätze ganz ohne Beziehung auf die Placoidschuppen in anderer Weise aus der Vorgeschichte der Schuppen erklärt werden. Es muss dieser Punkt fürs Erste offen gelassen werden (ef. unter VI. Abschnitt). Von nun an fehlt jede Anknüpfung von der Forellenentwicklung zur Placoidschuppenbildung. Deckung, Bildung der Schuppentasche und der unteren Schuppenschicht bieten für die vorliegende Be- trachtung keinen Boden mehr. Die Antwort, welche die Vergleichung der Entwieklungsgänge auf die Frage nach der Beziehung der gewöhnlichen Teleostierschuppe zur Placoidschuppe giebt, lautet: Die Teleostierschuppe entspricht der Basalplatte der Placoidschuppe, und zwar dem oberflächlichen Theil der- selben. Es bleibt jedoch ein Punkt noch hierbei festzustellen. Fragt man, ob die Forellenschuppe einer Basalplatte, somit einer Pla- coidschuppe entspreche, oder nicht, ist von Seiten der Entwicklungs- geschichte kein Grund zur Annahme vorhanden, es sei die Forellen- schuppe etwa aus der Verschmelzung mehrerer Basalplatten ent- standen. Die gleiche Anordnung, die ähnliche Form legt vielmehr die Auffassung nahe, dass die alte Einheit fortgeführt sei, dass jede Teleostierschuppe einer Placoidschuppe entspricht, ein Punkt, für dessen Klarstellung noch andere Faktoren heranzuziehen sind. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 175 b. Vermittelnde Formen. Bei dem Versuch, die Ableitung der Teleostierschuppe von der Placoidschuppe auf vergleichend-anatomischem Wege vorzunehmen, muss man zusehen, ob innerhalb der Teleostier Abweichungen vom gewöhnlichen Verhalten vorkommen, die bei solehem Vorgehen als vermittelnde Formen dienen können. Dies ist in der That in rei- chem Maße der Fall. Bei zahlreichen Formen unter den Teleostiern, die im System weit aus einander stehen, finden sich Stachelschuppen, die O. HerrwıG gerade desshalb zusammengestellt hat, weil sie »weder Ctenoid- noch Cycloidschuppen sind, sondern sich eher mit den Placoidschuppen der Selachier auf eine Stufe stellen lassenc. Es handelt sich um eine Anzahl von Acanthopterygiern (Pedi- culaten: Antennarius, Malthe, Halieutaea, sodann Diana, Centriscus, Agonus, Peristhetus, Dactylopterus, Cyclopterus) und Plectognathen (Gymnodonten, Sclerodermen: Monacanthus, Balistes). Hat O. Herr- wig die Schuppen dieser Formen an die Placoidschuppen ange- schlossen, ohne zur gewöhnlichen Teleostierschuppe den Anschluss zu versuchen, so sind dieselben Formen fiir den Gang meiner Unter- suchung werthvoll, weil sie alle nur denkbaren Zwischenstufen von der Selachierschuppe zur Cycloidschuppe darbieten. Indem ich hier einige der besonders typischen Bilder herausgreife, verweise ich auf die beziiglichen Abbildungen O. Herrwie’s (Morph. Jahrb. Bd. VII. Taf. I—IV). Eine rhombische Basalplatte, von der sich ein Stachel erhebt, dessen Spitze, stark nach hinten gekriimmt, durch seine Form an Seyllium oder Mustelus erinnert, zeigt Centriseus (Taf. VI Fig. 16). Von der unteren Fläche der Platte dringt im Centrum eine Art Pulpahöhle in den Stachel. Ein kürzerer einfacher Stachel erhebt sich von der Mitte einer unregelmäßig viereckigen Platte bei Halieutaea stellata (Taf. VI Fig. 3). Die Platte ist rund und ein an seiner Spitze sich gabelnder Stachel entsteigt ihrer Mitte bei Mona- canthus (Taf. VIII Fig. 17, 18). Daran schließt sich der Befund von Antennarius: von einer kreisrunden Platte, die koncentrische Streifen erkennen lässt, erhebt sich ein Stachel, in dessen Inneres von unten her eine kurze Strecke weit eine Höhle eindringt. Von hier aus ist es nicht weit zu einer runden, im Centrum einen kleinen soliden Stachel tragenden Platte (Malthe Taf. VI Fig. 2). Wird auch dieser Stachel niedriger und endlich ganz redueirt, so ist die Cycloidschuppe erreicht. Sind alle diese Zwischenzustände nur verständlich als die fixirten 176 Hermann Klaatsch Stadien eines Riickbildungsprocesses der Placoidschuppe, deren Rudiment sonach die Cycloidschuppe der Teleostier darstellen würde, so darf die Frage aufgeworfen werden, als was zeigen dieselben die gewöhnliche Teleostierschuppe? Die Antwort lautet: Die Teleo- stierschuppe entspricht der Basalplatte der Placoid- schuppe. Ihr Centrum entspricht dem Punkt, wo einmal ein Stachel sich erhob. An der Unterfläche bestand an dieser Stelle der Eingang in eine Höhle im Stachel. Die Wand dieser Höhle, so weit sie vom Stachel gebildet wurde, ging unmittelbar über in die Basalplatte, folglich entspricht die Schuppe, dem unmittelbar an den Stachel sich anschließenden Theil der Basalplatte, oder dem oberflächlichen Theil der Basalplatte der Selachier. Es stimmt also das vergleichend-anatomische Resultat mit der vergleichenden Entwicklungsgeschiehte überein; auch was die Fort- führung der alten bei Selachiern bestehenden Einheit betriflt, liefert der neue Weg kein negatives Argument; im Gegentheil, er bekräf- tigt die Ansicht, dass aus je einer Placoidschuppe sich eine Te- leostierschuppe gebildet habe. Vergleichung der Teleostierschuppe mit der Ganoidschuppe. a. Entwicklungsgang bei Forelle und Lepidosteus. Bei der Vergleichung der Teleostierschuppe mit der Ganoiden- schuppe kommt die letztere zunächst nur in so weit in Betracht, als sie im vorigen Abschnitt geprüft und an die Selachier ange- schlossen worden ist. Hingegen bleiben die cycloiden Schuppen vieler Ganoiden zunächst noch aus der Betrachtung ausgeschlossen. Für die Vergleichung des Entwicklungsganges beider Arten von Schuppen ist man allein auf Lepidosteus als Vergleichungsobjekt angewiesen. Halten wir mit der Entwicklung der Schuppe dieses Ganoiden die entsprechenden Vorgänge bei der Forelle zusammen, so treffen wir auch hier manches Gemeinsame bei zahlreichen Diffe- renzen. Bei beiden vollzieht sich die erste Anlage der Schuppe unab- hängig von Vorgängen in der Epidermis. Während aber bei Lepi- dosteus die junge Schuppe in einiger Entfernung von der Epidermis auftritt, durch Bindegewebe vollständig von ihr getrennt, liegt der Schuppenkeim der Forelle unmittelbar unter der Basalmembran. Hierin nähert er sich mehr dem Selachierzustande. Wenn aber die Lepidosteusschuppe an Ausdehnung in der Fläche und an Dicke Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 177 gewinnt, und somit eine der Epidermis genäherte Knochenplatte dar- stellt, so verringert sich die anfängliche Verschiedenheit. Dieselbe weicht sogar einer weitgehenden Übereinstimmung bei der Betrach- tung der Schuppen von der Fläche. Durch die regelmäßige Anord- nung neben einander liegender rhomboidischer Knochenplatten nähert sich das Schuppenkleid des jungen Teleostiers so sehr dem Zustande, wie er bei Lepidosteus ontogenetisch, bei vielen Ganoiden zeitlebens sich findet, dass ein Recht dazu besteht, das Durchgangsstadium der Teleostierschuppen, in welchem dieselben jeglicher Deckung ent- behren, als das Ganoidenstadium zu bezeichnen. Noch eine kurze Wegstrecke über dieses hinaus begleitet die Lepidosteusschuppe die Forellenschuppe. Auch die erstere beginnt an den Vorderrän- dern gedeckt zu werden. Von da an divergiren beide Formen weit. Die Lepidosteusschuppe macht auf ihrem Wege Halt und differenzirt sich einseitig durch die Umwandlung der gedeckten Partien in Fort- satzbildungen. Anders die Forelle: die Deckung schreitet fort und was hieraus entspringt, Schuppentasche und untere Schuppenschicht, bleibt ohne Parallele bei den Ganoiden. Andererseits bleiben bei der Forelle die Komplikationen aus, die an der Oberfläche der Lepi- dosteusschuppe durch die sekundäre Bezahnung hervorgerufen wer- den. Von diesen Rudimenten des Spitzentheils tritt bei dem ge- nannten Teleostier nichts auf. Fragt man nun, welchem Theile der Ganoidschuppe auf Grund der Entwicklung die Forellenschuppe an die Seite zu stellen ist, so ist es klar, dass sie nicht den tiefen Partien der Lepidosteusschuppe, sondern den der Epidermis genäherten verglichen werden muss. Bei konsequenter Berücksichtigung der Beziehung der Seleroblasten zur Epidermis bei Lepidosteus und Forelle wird man auf die Ga- noinschicht des ersteren als Homologon der jungen Fo- rellenschuppe hingewiesen. Versucht man nun, durch die Ganoidenschuppe hindurch den Anschluss an die Placoidschuppe zu gewinnen, so finden die Resultate des vorigen Abschnittes Anwendung. Dort wurde gezeigt, dass die Lepidosteusschuppe einer Placoidschuppen-Basalplatte entspricht. Dureh die Wiederholung des Ganoidenstadiums ergiebt sich die Teleostierschuppe einer Ganoidschuppe homodynam, folglich ent- spricht eine Forellenschuppe einer Placoidschuppen - Basalplatte. Fragt man weiter, welchem Theil der Basalplatte die zuerst auf- tretende Hartsubstanz der Forellenschuppe zu vergleichen ist, so giebt die Lepidosteusschuppe zur Antwort: Da die Ganoinschicht Morpholog. Jahrbuch. 16, 12 178 Hermann Klaatsch dem oberflächlichen Theil der Basalplatte entspricht. und da gerade die Ganoinschicht durch ihre Lagebeziehung zu den Hautschielten der jungen Teleostierschuppe entspricht, so resultirt: Die Teleostierschuppe entspricht dem oberflächlichen Theil der Basalplatte der Selachier. So wird also auf einem dritten Wege das gleiche Resultat ge- wonnen wie auf den beiden ersten. b. Die Schuppen der Amiaden. Die Lepidosteusschuppe kann über ein gewisses Entwicklungs- stadium hinaus nur in sehr beschränkter Weise als vermittelnde Form zwischen Selachiern und Teleostiern verwerthet werden. Sie hat viele einseitige Differenzirungen erfahren und verlässt frühzeitig die Bahn, die von der Urform aller Fische zu den Teleostiern führt. Um die gewonnenen Resultate noch weiter zu stützen, ist es ge- boten, in anderer Richtung vorzugehen und durch die Nebeneinander- stellung erwachsener Formen zu prüfen, ob in der That die dach- ziegelfürmige Deckung der Teleostierschuppe ein sekundärer Zustand ist, ob mit anderen Worten dem Ganoidenstadium der jungen Te- leostier die palingenetische Bedeutung zukommt, die ich ihr zuschrieb, oder nicht. Bei solehem Vorgehen richtet sich der Blick auf eine Form, welche, mit echten Ganoidenmerkmalen ausgestattet, im Schuppen- kleid nicht nur, sondern in so vielen Einzelheiten ihres Baues den Teleostiern so nahe steht, dass man ihr allgemein eine nahe Ver- wandtschaft mit der Urform der Teleostier beimisst, nämlich Amia calva, der die fossilen Amiaden anzureihen sind. Über die Schuppen von Amia liegen in der Litteratur vereinzelte Angaben vor. KÖLLIKER konstatirte in ihnen Knochenzellen, wäh- rend JOH. MÜLLER das Vorkommen derselben bei diesem Fisch ge- leugnet hatte. Genauer geht ZırreL auf dieselben ein Handbuch pag. 15). Ich lasse seine Beschreibung folgen: »Eine bemerkens- werthe Mittelstellung (zwischen Ganoid- und Teleostierschuppen) nehmen die Schuppen von Amia ein. Dieselben sind dünn, elastisch und in ihrer äußeren Erscheinung vollständig mit Cycloidschuppen überein- stimmend. Die Oberfläche des freien Theiles ist wie bei letzteren mit einer dünnen homogenen, schmelzartigen Schieht (Ganoin) über- zogen, die weder Kanäle noch Prismenstruktur, dagegen erhabene Leisten aufweist. Unter der Deckschicht befindet sich eine sehr Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 179 dünne Kalklamelle mit zahlreichen Knochenkérperchen und darunter eine Anzahl paralleler Blätter aus faserigem Bindegewebe.« Diese Angaben treffen zwar im Allgemeinen zu, sind aber im Einzelnen nicht ganz klar. Was zunächst die Form anlangt (cf. Zrrren pag. 15, Fig. 13), so stellen sie Rechtecke dar, deren Längsachse der Körperachse parallel steht, und an deren nach hinten gekehrte Seite ein rundlicher Lappen vorspringt. Nur dieser Theil ragt frei vor und liegt un- mittelbar unter der Epidermis, im Übrigen ist die Schuppe, von Bindegewebe umhüllt, in Schuppentaschen geborgen, wie bei den Teleostiern, mit deren Zuständen auch die dachziegelförmige Deckung vollständig übereinstimmt. Die Oberfläche ist bedeckt mit Leisten, wie sie oben von der Forelle und anderen Teleostiern beschrieben wurden; sie laufen je- doch hier nicht wie bei jenen eirkulär, sondern, vom Mittelpunkte ausstrahlend, fast alle den Seitenrändern parallel, ganz unabhängig von den eirkulären Schichtungsstreifen, die auf Zrrrer’s Abbildung gut markirt sind. Im Bau finde ich vollkommen übereinstimmende Verhältnisse mit Teleostiern. Eben so wenig wie bei diesen finde ich bei Amia eine irgendwie deutlich unterscheidbare Oberflichen- schicht. Die Leisten werden von der Knochenkörperchen enthalten- den Lage gebildet. Die Knochenkörperchen sind natürlich durch eine äußerste Schicht homogener Knochengrundsubstanz gedeckt, aber dieselbe zeigt gar keine Selbständigkeit. Sie reichen eben so nahe bis dicht unter die Oberfläche wie bei Teleostiern (z. O. Osteo- glossum). Ich weiß daher nicht, was ZiTTEL mit der Ganoinschicht meint. Da er sich auf die Teleostier bezieht, so hat er wohl die KO6OLLIKER’sche Angabe acceptirt, die ich schon oben erörtert habe. Wenn aber ZırreL von der »Oberfliiche des freien Theiles« spricht, so denkt man an den nicht von Nachbarschuppen gedeckten Theil. Dieser aber unterscheidet sich nicht vom übrigen. Anderen Orts pag. 223 sagt er von den Schuppen der Amiaden allgemein, die Oberfläche der Schuppe bestehe aus »Schmelz«. Hier meint er also nicht bloß den freien Theil. Es besteht die Schuppe im Ganzen aus zwei Schichten, einer äußeren Knochenkörperchen führenden und einertiefen derselben entbehrenden, die lamellös geschichtet ist. Beide Schichten gleichen denen der Teleostier. Die äußere Knochengewebsschicht ist jedoch viel mächtiger entwickelt als bei 12° 180 Hermann Klaatsch den meisten Knochenfischen, und dem entspricht auch die große Zahl der Knochenkörperchen. Nur Osteoglossum steht hierin Amia wenig nach. Auch bei einer sehr großen Teleostierschuppe unbe- kannter Herkunft finde ich die betreffende Schicht sehr dick. Die Knochenkörperchen von Amia entbehren z. Th. jeglicher regelmäßiger Anordnung; ein Theil jedoch liegt mit der Längsachse den Leisten parallel, ein anderer zeigt eine der Richtung der Fasern in den Lamellensystemen der tiefen Schicht entsprechende Orienti- rung; bei Teleostiern tritt die eine, den Leisten parallel gerichtete Art von Zellen bei Clupeiden, die andere bei Characiniden wieder auf. So sind auch in diesem speciellen Strukturverhältnis die in- differenten Zustände Amias in den verschiedenen Physostomenfamilien in verschiedener Richtung differenzirt. Je tiefer man innerhalb der Schuppe herabgeht, desto mehr überwiegen die den Lamellensyste- men entsprechenden Elemente. Schließlich resultirt das Bild von Zellen des straffen Bindegewebes, nur dass die Grundsubstanz voll- ständig selerosirt ist. In den tieferen Lagen finden sich keine Kno- chenkörperchen mehr. So ist der Übergang von der äußeren zur inneren Schicht viel allmählicher als bei den Tele- ostiern, unter denen außer den Characiniden auch Osteoglossum Ähnliches darbietet. Der inneren Schicht, die wie bei den Teleostiern als zellenloses sclerosirtes straffes Binde- gewebe aufzufassen ist, gesellt sich eine Übergangs- zone zum Knochengewebe in Form von zellenhaltigem selerosirten Bindegewebe hinzu. Es gewinnt dadurch das oben über die Genese der inneren Schicht Gesagte Beleuchtung von einer neuen Seite. Die Befunde bei Amia legen die Ver- muthung nahe, dass ursprünglich vollständig differen- zirtes Bindegewebe mit Kalksalzen imprägnirt oder sclerosirt wurde und dass der Zustand, wo die Zellen ihrem Produkte nur anlagern, ein sekundär erworbener sei. In anderer Beziehung aber werden die sclerosirten zellenhaltigen Bindegewebs- lamellen dadurch von Bedeutung, dass sie in den Schuppen anderer Fischgruppen wiederkehren, wo PANDER bereits das eigenartige Ge- webe mit dem Namen »Isopedin« belegte. Ich komme bei den Dipnoern darauf zurück. Der hintere Theil der Schuppe wird von einer großen Anzahl von Kanälen theils in gerader, theils in schräger Richtung durch- bohrt. Ähnliches findet sich bei Teleostiern wieder (s. unten). Mit Amia stimmen durch den Besitz dachziegelförmig gelagerter Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 181 Sehuppen die fossilen Halecomorphen überein. Dieselben haben meist eine cycloide Form. Bei den nächstverwandten Cyclolepidoti, z. B. Caturus, finden sich Schuppen von rhomboidischer Form. Bei Caturus maximus bleibt ein relativ großer Theil der Schuppe unbe- deckt (ZırteL pag. 228. Fig. 241). Der Mittelpunkt wird noch eben frei gelassen. Dieselben sollen aus einer »unteren Knochen- und einer äußeren Schmelzschicht« bestehen (Zirtet). Die Knochen- schicht besitzt (ROHON, ZITTEL pag. 12. Fig. 8) Knochenzellen und »Zahnbeinkanälehen«. Von dieser Thatsache aus gewinnt das Vor- kommen gleicher Bildungen bei Barbus, das schon Lrypia gefunden und ich auf Taf. VIII Fig. 14 dargestellt, erhöhtes Interesse. Mit den Cyclolepidoti stimmen die meisten Microlepidoti überein, so Euthynotus (ZITTEL pag. 225. Fig. 238). Auch Pachycormus hat dünne rhombische dachziegelförmig über einander liegende Schuppen (ZITTEL pag. 224). So bildet es auch AGassiz (Poissons fossiles vol. 2 Tab. 58 a) von Pachycormus macrurus und heterurus ab. Bei beiden aber und besonders bei P. macrurus finden sich in der Schwanzregion rhombische, sich nur wenig deckende Schuppen, die sich an die Schuppen der Lepidosteiden anreihen lassen. Bei Hyp- socormus endlich fehlt die Deckung und die dünnen kleinen rhombischen Schuppen sind »in schiefen, von vorn nach hinten und unten verlaufenden Bändern angeordnet« (ZıtTeL pag. 225). »Mit den Lepidosteiden sind die Amiaden durch die Familie der Micro- lepidoti verknüpft, bei denen die Schuppen noch rhombische oder rhomboidische Gestalt besitzen« (ZITTEL pag. 223). Ganz gleich ver- hält sich Sauropsis. So stellt die Paläontologie das Band her, welches die rhom- biferen Ganoiden durch die Amiaden mit den Teleostiern verknüpft, und liefert die beste Bestätigung für die Richtigkeit der Schlüsse, welche bezüglich des Schuppenkleides auf die Ontogenese hin gezogen wurden. Da auf dem bezeichneten Wege an der Fortführung der Einheit der Schuppen nicht gezweifelt werden kann, so ergiebt sich, dass die Teleostierschuppe der Ganoidenschuppe homody- nam ist. Die Deckung der Schuppe ist ein Zustand, der sich ontogenetisch und phylogenetisch aus der Neben- einanderlagerung der Schuppen herausgebildet hat. 182 Hermann Klaatsch Vergleichung des fertigen Schuppenkleides bei Selachiern. Ganoiden und Teleostiern. Wendet man die gewonnenen Resultate zur Beurtheilung der Differenzen und Übereinstimmungen an, welche das Schuppenkleid der Teleostier im erwachsenen Zustande, verglichen mit dem bei Selachiern und Ganoiden, darbietet, so schließen sich die gewihn- lichen Teleostierschuppen näher an die der Ganoiden, als an die der Selachier an. Gemeinsam ist den drei Schuppenarten die Anordnung in schrä- gen Reihen. Von der Placoidschuppe führt die Teleostierschuppe nur den oberflächlichen Basalplattentheil fort, es fehlt ihr also nicht nur der Spitzentheil, sondern auch die tiefe Basalplattenschicht. Die untere Schicht der Teleostierschuppe hat mit dieser nichts zu thun, "sondern ist eine sekundäre Bildung. Die Ausdehnung der Basalplatte ge- schieht in der Fläche bei den Selachiern in viel beschränkterer Weise als bei den Teleostiern. Der Neubildung von Schuppen zwi- schen bereits entwickelten ist bei den Selachiern freier Spielraum ge- geben, bei den Teleostiern kommt Ähnliches nur in frühen ontoge- netischen Stadien vor. Verglichen mit den rhombischen Ganoidschuppen ergeben sich. wie im allgemeinen Habitus so auch im Einzelnen, charakteristische Unterschiede. Die Ganoidschuppe ist durch ihre der Oberfläche des Körpers parallele Lagerung auf ein Wachsthum in der Dieke angewiesen: da- bei nimmt sie immer neue Theile der Cutis in sich auf und gewinnt demgemäß eine immer festere Verbindung mit dem Bindegewebe der Haut. Die Vergrößerung am Rande, welche sich proportional dem Wachsthum des Thieres vollzieht, ist relativ gering. Anders die Teleostierschuppe. Sie wird durch ihre Tasche in der Lage erhalten. Sie wächst stark am Rande. Da sie nicht fertige Theile der Haut sich einverleibt, sondern sich auf komplieirte Weise am Boden der Tasche eine Matrix schafft, so muss sie ganz locker in der Haut sitzen, wie es ja die Erfahrung lehrt. Die Vergleichung des Baues der Schuppe bei Teleostiern und Lepidosteus stößt auf manche Schwierigkeiten. Eine nähere Be- ziehung der Schichten auf einander ist desshalb nicht möglich, weil Lepidosteus sich in einer ganz anderen Richtung als die Amiaden einseitig fortgebildet hat. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 183 KÖLLIKER und andere Autoren schreiben der Teleostierschuppe eine oberflächliche Ganoinschieht zu. Ich kann mich dem nicht an- schließen. Da das, was die ursprüngliche Teleostierschuppe onto- genetisch repräsentirt, sein Homologon in den äußeren Theilen der Lepidosteusschuppe, ja bei konsequenter Berücksichtigung aller Lage- beziehungen in der Ganoinschicht finden muss, so ist es gerechtfer- tigt, die ganze äußere Schuppenschicht als solche zu bezeichnen. Die untere Schuppenschicht ist eine Neubildung bei den Tele- ostiern und lässt keinen direkten Anschluss an die entsprechenden Theile der Lepidosteusschuppe zu. Eigenartige Entwieklungsbahnen der Teleostierschuppe. Stellt sich die dünne Platte von Hartsubstanz, die für die über- wiegende Mehrzahl der jetzt lebenden Fische das Element ihres Schuppenkleides repräsentirt, als ein rudimentäres Organ dar, so bedarf diese Bezeichnung doch in so fern der Einschränkung, als dasselbe zu einer neuen eigenartigen Entfaltung kommt. Bei vielen Formen unterliegt die Schuppe allerdings einer theilweisen oder völligen Rückbildung. Bekannt sind die Schuppenrudimente des Aals, das eigenthümliche Schuppenkleid des Spiegelkarpfens, wo einzelne Schuppen redueirt, andere bedeutend vergrößert sind. Als rudimentäre Schuppenanlagen deutet O. Hertwic Cutispapillen bei nackten Teleostiern, wie Antennarius marmoratus und Lepadogaster (Morph. Jahrb. Bd. VII. Taf. ID. Ähnliches fand Sagement bei den Siluroiden, die fast alle ihr Schuppenkleid verloren haben. Neue Bahnen eigenartiger Entfaltung werden bei den Teleostiern in mannigfacher Weise eingeschlagen. Es können dabei ganz sekundär Formen sich bilden, die bei oberflächlicher Betrachtung die Persistenz alter Zustände vortäuschen. Kann auch für die oben eitirten vermittelnden Formen nicht wohl die Annahme umgangen werden, dass hier wirklich rudimentäre Placoidschuppen vorliegen, so gehen doch von eben diesen Formen ganz einseitige Bildungen aus!. Ganz besonders schwierig ist die Beurtheilung des eigenthüm- lichen bezahnten Panzers mancher Siluroiden. So frappant hier ein 1 Auf das Hautskelet der Lephobranchier (s. SCHAEFF), sowie auf das von Ostracion gehe ich nicht ein, da diese ganz einseitig entwickelten Bildun- gen für die Vergleichung gar keinen Anhaltspunkt geben. 184 . Hermann Klaatsch Zustand sich darstellt, der direkten Anschluss an die Selachier for- dert, so groß ist die Schwierigkeit, das Persistiren eines solehen bei Formen zu erklären, für die ihrer ganzen Organisation nach ein Ganoidenstadium erforderlich scheint. Immerhin kommt man vor- läufig bei den Siluroiden nicht aus ohne die Annahme einer nahen Beziehung zwischen Teleostierschuppe und Placoidschuppe. Die Siluroiden. Sucht man nach vermittelnden Formzuständen des Integumentes zwischen Selachiern und Teleostiern, so nimmt das eigenthümliche Hautskelet einiger Siluroiden das Interesse besonders in Anspruch. Von solchem Gesichtspunkt aus haben die zahnbedeckten Knochen- platten von Hypostoma und Callichthys durch O. Hertwic eine ein- gehende Bearbeitung erfahren (Morph. Jahrb. Bd. ID). Auf diese verweisend, hebe ich kurz das Wichtigste hervor: Der Körper von Hypostoma wird bedeckt von größeren und kleineren Knochenplatten. Die größeren Schilder decken Rücken und Seitengegend, die kleine- ren Platten nehmen die Bauchgegend ein. Alle sind bedeckt mit kleinen Zähnen, die beweglich auf knöchernen Sockeln befestigt sind. Das Gleiche findet sich auf der Oberfläche der Schädelknochen und des Flossenskelets. Callichthys bietet ähnliche Zustände, die Zahn- bedeckung ist nicht in gleicher Weise entfaltet.‘ O. Herrwic findet den direkten Anschluss an die Selachier, indem er in den kleinsten, nur ein Zähnchen tragenden Knochenplatten von Hypostoma ein Homologon der Placoidschuppe erblickt; alle übrigen Theile des Hautskelets sind durch Verschmelzung von solchen Platten ent- standen. Das Auffallende dieser Zustände liegt in zwei Punkten, einmal in dem Auftreten echter, aus Dentin und Schmelz (ef. Taf. XXVI Fig. 3 die Veränderung der tiefsten Epidermisschicht) bestehender Zähne in der Haut eines Teleostiers, und zweitens darin, dass die Siluroiden im System keineswegs eine isolirte Stellung einnehmen. Sie gehören vielmehr mit Formen, die ein ganz gewöhnliches Schup- penkleid besitzen, sehr innig zusammen. O. Herrwısc versuchte nicht, die sich hier darbietende Kluft zu überbrücken. Das Be- dürfnis eines solchen Versuches ist aber noch viel dringender als früher geworden, seitdem SAGEMEHL nachgewiesen hat, dass die Siluroiden auf Grund ganz speeialisirter Einrichtungen (Umbildung des vorderen Theiles der Wirbelsäule zum Weser’schen Apparat) Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 185 so innig mit den Gymnotiden, Characiniden und Cyprinoiden zu- sammengehören (SAGEMEHL’s Ostariophysen), dass die Differenz im Hautkleide nicht als Grund gegen die Verwandtschaft gelten kann. Dies Letztere wäre nur dann möglich, sagt SAGEMEHL (pag. 3), »wenn es sich nachweisen ließe, dass die Grenze zwischen Hautzähnen auf der einen und Cyeloid- resp. Ctenoidschuppen auf der anderen Seite eine scharfe sei.c Um zu beweisen, dass sie es nicht ist, beruft er sich auf einige der oben besprochenen Zwischenformen von Placoid- und Teleostierschuppe. Der von SAGEMEHL betretene Weg ist gewiss der richtige, seine Anschauung erhält eine neue Stütze durch den Nachweis, dass auch die gewöhnliche Teleostierschuppe eine reducirte Placoidschuppe ist; es kann unter diesen Umständen nicht allzu wunderbar erscheinen, wenn bei einem Teleostier Hautzähne getroffen werden. Zugleich wird durch die Beziehung der Teleostierschuppe zur Placoidschuppe die Vermuthung gerechtfertigt, dass die Hautzähne der Siluroiden auf ererbte Zustände zurückzuführen sind, dass sie eben so wie die Stachelschuppen der Sclerodermen rudimentäre Bildungen sind. Bei rudimentären Organen ist es ja eine allgemeine Erscheinung, dass sie bei Formen, die im System weit aus einander stehen, auftreten können, und dass sie bald hier bald dort den ursprünglichen Zu- stand getreuer bewahrt haben. Die Hautzähne der Panzerwelse haben dies Letztere in histiologischer Beziehung gethan, wie aus der Betheiligung der Epidermis hervorgeht, welche in der Teleostier- ordnung ganz vereinzelt dasteht. Aber auch nur in diesem einen Punkte reihen sie sich näher an den ursprünglichen Zustand, in den anderen haben sie eine ganz einseitige Entwicklungsrichtung eingeschlagen. Dies ist bisher nicht genügend betont worden. Ich will meine Ansicht hierüber entwickeln, indem ich den gleichen Zustand wie O. Hertwie als Ausgangspunkt für die Genese des Siluroidenpanzers nehme. Vom Zustand der selachierähnlichen Vorfahren, der den Panzerwelsen sicherlich mit den Cyprinoiden ete. gemeinsam war, leitet sich ihr Hautkleid etwa in folgender Weise ab. Am Cranium — vom Flossenskelet sehe ich ab — wurde die Einheit der Placoidschuppe verwischt. Sie wurde der Ausgangspunkt einer Knochenbildung, bei der ganz neue Einheiten entstanden. Auf die »Beschreibung, Vergleichung und Deutung« dieser Skeletstücke (pag. 347) lässt O. Herrwie sich nicht ein; SAGEMEHL hat in einer unvollendet gebliebenen Arbeit nachgewiesen, dass dieselben voll- ständig mit denen der anderen Ostariophysen übereinstimmen. Im 186 Hermann Klaatsch Bereiche des Kopfes also haben die Siluroiden keine Abweichung von ihren nächsten Verwandten aufzuweisen. Um so größer ist die Divergenz am Rumpfe. Hier haben sich bei den Physostomen, wie ich auf Grund der früher angeführten Facta annehmen muss, die alten Einheiten erhalten; auch für Characiniden und Cyprinoiden gilt dies bei der völligen Übereinstimmung ihres Schuppenkleides mit dem der Salmoniden. Man findet bei manchen Cyprinoiden noch am erwachsenen Thier Zustände, die dem embryonalen Verhalten z. B. der Forelle gleichen. Am vorderen Theile der Bauchregion von Barbus vulgaris sind die Schuppen als kleine rundliche Scheiben in derselben Weise vorhanden, wie es Taf. VII Fig. 9 für die Forelle als Jugendzustand zeigt. Von einem solchen jugendlichen Teleostier- zustand aus müssen auch die Siluroiden in ihrem Integumente sich ableiten mit dem Unterschiede, dass hier eine viel geringere Re- duktion der Scleroblasten eingetreten war als bei den verwandten Teleostiern. Für die große Mehrzahl ist nun eine völlige Reduktion der Schuppen zu konstatiren, als dessen Rudimente SAGEMEHL weiche Zotten beschreibt (pag. 3). Bei Hypostoma ist das Persistiren der den Zotten entsprechenden Spitzentheile der Schuppen anzunehmen. Der Process, welcher bei den anderen Teleostiern die Schuppe lie- fert, griff bei den Siluroiden in die Tiefe über. Bleibt sonst die tiefe lamellise Cutisschicht vollständig von der Schuppenbildung aus- geschlossen, so wird sie bei Hypostoma in ihrer ganzen Dicke in die Knochenplatten aufgenommen, wobei ihre Bindegewebszellen zu Knochenzellen werden (O. HErTwIG, Taf. XXV). Durch diese Aus- dehnung des osteblastischen Processes in der Haut wird die alte Einheit der Schuppe vollständig aufgehoben. Die Momente, welche die Bildung der neuen Einheiten beherrschen, dürften wesentlich mechanischer Natur sein. So deutet O. Herrwie auf die Beziehung der verschiedenen Füllungszustände des Darmes zum Vorkommen kleinerer Platten am Bauche hin (pag. 335). Wie variabel diese neuen Einheiten sind, zeigt der Umstand, dass sie bei Callichthys wieder ganz andere sind als bei Hypostoma. Es kommt also den- selben keine morphologische Bedeutung zu. Dasselbe gilt von den Zähnchen; dieselben sind beständig einem lebhaften Neubildungs- process unterworfen. Sie entstehen ohne bestimmte Anordnung so wie die Zähne in der Mundhöhle der Teleostier durch Wucherungen des Epithels in die subepidermoidale Gewebsschicht. Die einseitige Entwicklungsrichtung der Panzerwelse zeigt sich weiterhin bei Callichthys. Hier sind die Zähne auf den hinteren Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 187 Rand der Knochenplatten beschränkt. Die übrige zahnfreie Fläche der Knochenplatte wird von einer eigenthümlichen Schicht bedeckt, wie sie sonst nirgends angetroffen wird. Sie ist homogen, lamellös geschichtet und wird von einem Röhrensystem durchsetzt, das mit den Ausläufern der Knochenkörperchen in der Tiefe — sie entbehrt selbst der Zellen — in Verbindung. Diese Schicht besitzt desshalb ein besonderes Interesse, weil sie mit vielen anderen das Schicksal theilt, von L. Agassiz für Schmelz erklärt zu werden. Mit der Epidermis hat sie nichts zu thun. »Ihrer Entstehung nach wird dieselbe auf das zellenreiche subepidermoidale Gewebe zurückzuführen sein.« »Wahrscheinlich ist sie, nachdem zuvor schon die Bezahnung der Rückbildung verfallen war, von der zellenreichen subepidermoi- dalen Bindegewebsschicht auf die mittlere, das HAversr’sche Gefäß- netz führende Schuppenlage ausgeschieden worden« (O0. HERTWIG, pag. 366). Hier liegt in manchen Punkten eine Parallele mit der Ganoin- schicht der Ganoiden vor. In beiden Fällen handelt es sich um die Bildung einer Oberflächenschicht, mit der eine Reduktion von Zähn- chen einhergeht, aber die Produkte des Processes sind nicht nur ganz ohne eine Beziehung zu einander entstanden, sondern auch im Bau und in der chemischen Beschaffenheit (0. Herrwic) von einander verschieden. Fasse ich das über die Siluroiden Gesagte kurz zusammen. so ergiebt sich, dass die Zähne in der Haut der Panzerwelse als ein Rudiment der Placoidschuppen von Bedeutung sind und dass ihr Vorkommen bei diesen Teleostiern durch die Beziehung der Schuppe der letzteren zur Placoidschuppe sein Wunderbares verliert. Im Übrigen ist das Hautkleid dieser Fische in Folge ausgedehn- ter Knochenbildung ganz einseitig differenzirt. Sogar in- nerhalb der Panzerwelse geben sich Reduktionen und einseitige Fort- bildungen zu erkennen. Den Komponenten ihres Hautpan- zers ist daher eine morphologische Bedeutung nicht zuzuerkennen. Die Selerodermen. Wie getreu auch in der Form die von O. Herrwic zusammen- gestellten Stachelschuppen die Placoidschuppe nachahmen, so unter- scheiden sie sich doch in ihrem Bau sehr wesentlich von den Ge- bilden, als deren Rudimente sie betrachtet werden. O. HERTwIG 188 Hermann Klaatsch fand in den Schuppen der Sclerodermen zwei Schichten, eine äußere aus homogenem Knochengewebe — dieselbe, welche Acassiz für Schmelz gehalten hatte — und eine innere aus verknöchertem Bindegewebe. Obwohl O. Herrwia diese Thatsache ganz richtig erkannte, trug er ihr doch bei der Auffassung der Stachelbildungen nicht gentigend Rechnung. Vergleicht man die Stachelschuppen mit den gewöhn- lichen Teleostierschuppen, so ergiebt sich eine Übereinstimmung im Schichtenbau. Es ist hierbei vor Allem wichtig, dass dieselbe Schicht, welche bei der Forelle als die Trägerin des Oberfliichen- reliefs erkannt wurde, auch diejenige ist, welche die mannigfaltigen Stacheln formt. Es fehlt jegliche genetische Beziehung der Epi- dermis zur Schuppe und es müssen sich die Wachsthumsvorgänge z. B. an den Monacanthusschuppen ganz in der gleichen Weise voll- ziehen, wie bei den gewöhnlichen Schuppen. Auch hier hängt ihre Bildung ab von den Elementen, die ihnen von außen aufliegen. Hierin liegt nicht nur eine fundamentale Verschiedenheit von den Placoidorganen, sondern diese Art des Wachsthums giebt der Möglichkeit sekundärer Komplikationen des Oberflächen- reliefs Spielraum. Dies lässt sich an den gewöhnlichen Cycloid- schuppen leicht beweisen. Durchweg finden wir die äußere Schicht auf denselben erhoben in Leisten (crétes BAUDELOT's), welche meist, jedoch keineswegs immer (ef. Amia, womit auch Alepocephalus über- einstimmt) koncentrisch angeordnet sind. Bei vielen Teleostiern sind die Leisten sehr einfach gestaltet, ihr freier Rand ist glatt. Bei anderen ist er gezähnelt (worüber in Betreff der Einzelheiten ef. BAUDELOT). So zeigt es u. A. auch Osteoglossum. Bei Osteoglos- sum bieirrhosum stellen die einzelnen Zacken ganz geringe Erhebun- gen der Leisten dar, bei O. formosum hingegen sind die einzelnen Zacken mehr isolirt, stellen minimale Stacheln dar. Hier könnte man wohl kaum auf den Gedanken kommen, dass diesen Stacheln eine Selbständigkeit zukommt'!. Wesentlieh anders aber verhalten sich, abgesehen von der Größe, auch die Stacheln von Balistes nicht. Die Formen von Stachelschuppen der Sclerodermen, welche O. Herrwig auf Taf. III (Morph. Jahrb. Bd. VII) abbildet, lassen sich leicht in eine Reihe bringen. Ich will von derselben Form ausgehen, die O. HerrwıgG als Grundform bezeichnet hat von einer Platte, die 1 SAGEMEHL giebt gelegentlich an, dass die Schuppen von Osteoglossum mit »typischen Hautzähnchen« besetzt seien; möglich, dass er wirklich sich durch die kleinen Stacheln zu dieser Annahme verleiten ließ. a Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 189 in der Mitte einen einfachen Stachel trägt (Monacanthus Fig. 19). Daran reiht sich eine Schuppe, auf welcher der Stachel sich an der Spitze gabelt (Monacanthus Fig. 20). Es folgen Formen, wo der Stachel in drei, in fünf und mehr Spitzen endet, wobei für einzelne Species die Zahl der Spitzen konstant ist. Bei Mon. chinensis (Fig. 21, 23) findet sich anstatt des Stachels ein Kamm, der in mehrere Zacken ausläuft. Niedriger ist der Kamm und die Zahl der Zacken größer bei Triacanthus (Fig. 3). Zwei zu einander senkrechte, niedrige ge- zackte Leisten zeigt Triacanthus angustifrons (Fig. 14). Bei Mona- canthus macrurus sind drei größere Stacheln nur durch dünne Strei- fen der äußeren Schuppenschicht mit einander vereint. Bei Mona- canthus scopas erscheinen sechs Stacheln in einer Reihe als lokale Erhebungen der äußeren Schuppenschicht. Daran reiht sich Balistes, wo nur die Zahl der Stacheln noch größer ist. Diese Reihe zeigt, wie die unendlich variablen Reliefverhältnisse ganz allmählich in einander übergehen. Wie erklärt nun O. Herrwie diese Bildungen? Er hält sie für Verschmelzungsprodukte so vieler Einheiten, als Spitzen vorhanden sind. Er dehnt diese Auffassung sogar aus auf die sich gliedern- den Stachel. Auf die Frage nach der Entstehung der letzteren er- wiedert er: »Zwei Erklärungen kann man hier aufstellen, entweder sind die zwei- und mehrtheiligen Stacheln einer einfachen Grund- forın gleichwerthig, oder sie entsprechen so viel primären Stacheln, als freie Enden vorhanden sind. Im ersteren Falle müssen die pri- mären Stacheln sich durch Bildung seitlicher Auswüchse komplicirter gestaltet haben, im zweiten Falle müssen immer eine Anzahl von zwei und mehr Stachelanlagen dicht bei einander entstanden und in Folge dessen von ihrer Basis an eine Strecke weit mit einander ver- schmolzen sein. Mir scheint die letztere Erklärung den Vorzug zu verdienen.« Ein Grund hierfür wird nicht angegeben. Ich halte nun die »letztere Erklärung« für falsch aus folgenden Gründen: Erblickt man in der Zahl von Spitzen die Zahl der mit ein- ander verschmolzenen Einheiten, so sind bei der einen Monacanthus- art immer zwei, bei der anderen fünf u. s. f. Placoidschuppen zu einer Schuppe zusammengetreten. Bei Balistes haben sich 30—40 solcher Grundformen mit einander vereint. Dieser ganz willkürliche Schluss ist mindestens unwahrscheinlich. Variirt doch schon bei den Selachiern die Spitzenzahl des Stachels in mannigfachster Weise, wie ich oben ausführlich gezeigt. Ist dort niemals ein in mehrere Spitzen auslaufender Kamm als Zeichen der Verschmelzung von 190 Hermann Klaatsch Einheiten betrachtet worden, wie viel weniger besteht bei diesen Stachelschuppen ein Recht, in jeder lokalen Verdickung der äußeren Schuppenschicht ein selbständiges Gebilde zu vermuthen; die Konse- quenz würde sein, auch die Cycloidschuppen mit gezähnelten Leisten als das Verschmelzungsprodukt von Tausenden von Placoidschuppen zu betrachten, was, abgesehen von den oben geführten Beweisen für die Einheit der Gesammtschuppe, eine Absurdität wäre. Gestützt auf die Variationen des Spitzentheils bei den Placoid- organen und auf die noch viel größeren Schwankungen des Ober- flächenreliefs bei den Teleostierschuppen, für die weiter unten noch Beispiele angeführt werden, halte ich die wechselnde Zahl der Spit- zen bei den Sclerodermen für ganz sekundäre Gliederung einfacher Stacheln. Von der Monacanthusschuppe leitet sich die Balistesschuppe ab. Die letztere besitzt in so fern ein besonderes Interesse, als sie durch ihre rhombische Form und bedeutende Dickenzunahme ihrer unteren Schicht, die übrigens nichts mit der der gewöhnlichen Teleostierschuppe zu thun hat, Ähnlichkeit mit der Ganoidschuppe gewinnt. Es liegt hier ein Fall von Konvergenzbildung vor, durch den AGAssiz sich in der That verleiten ließ, Balistes zu den Ganoiden zu stellen, bis JoH. MÜLLER ihn mit scharfem Blick daraus entfernte. So läuft eine Entwicklungsbahn der Schuppen in ganz einseitiger Richtung aus. Besonderheiten der gewöhnlichen Teleostierschuppe. Auch die Cyeloid- und die Ctenoidschuppe sind Endpunkte von Reihen. Abgesehen von den Stacheln der letzteren, die weiter unten besprochen werden sollen, sind bereits die meisten für beide Schup- penarten gemeinsamen Charakteristica im Laufe der Untersuchung erwähnt worden. Eine detaillirte Beschreibung der zahlreichen Be- sonderheiten dieser Schuppen liegt mir fern; man findet eine solehe in BaupELot’s ausführlicher Darstellung, auf die ich hiermit ver- weise. Es sollen nur in Kürze einige Hauptpunkte hervorgehoben werden. Was die Form der sogenannten Cycloidschuppen anlangt, so ist der Name nur in seltenen Fällen zutreffend. Meist finden sich Vierecke mit abgestumpften Ecken, auch elliptische Formen, sehr vielfach auch rhomboidische Schuppen wie bei Esox, deren Umriss wenig von Rhombenschuppen abweicht. Das Oberflächenrelief wird meist durch die mehrfach er- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 191 wähnten Leisten (crétes BAuDELoT) gebildet. Sehr allgemein findet man, dass dieselben gegen das Centrum der Schuppe hin unregel- mäßig werden. Sie schwinden zum Theil, zum Theil sind sie durch ein Labyrinth kleiner Erhebungen ersetzt. So entsteht ein centrales Feld, »foyer« der Autoren, auch Primitivfeld genannt (Zirren pag. 16). Wie bei Amia umziehen meist Schichtungsstreifen den Mittelpunkt (»Zuwachslinien« mancher Autoren). Auch sieht man mit bloßem Auge radiäre Streifen von ihm ausgehen, die keiner be- sonderen Struktur entsprechen. Solche Streifen zerlegen alle an- nähernd viereckigen Schuppen in ein vorderes, ein hinteres und zwei seitliche, besser ein dorsales und ventrales »Feld«. Im Inneren der Schuppe finden sich vielfach unregelmäßige Räume zwischen den Kalkkonkretionen, ungefähr den »Interglobu- larräumen« der Zähne ähnlich. Sie kehren im inneren Skelet bei Fischen wieder. In den Schuppen des Thunfisches beschreibt BAu- DELOT solche Bildungen. Kanäle in den Schuppen kommen viel- fach vor. »Zahnbeinkanilchen« wie bei Barbus sind mir bei anderen Formen noch nicht begegnet; dagegen finden sich solche Kanalbil- dungen, wie ich sie im hinteren Feld der Amiaschuppen angetroffen habe, vielfach bei Teleostiern. Im hinteren Feld der Schuppen von Holocentrum entdeckte sie BAUDELOT; ich kann ihr Vorkommen be- stätigen. Außerdem finde ich sie bei Osteoglossum über die ganze Schuppe verbreitet. Außer bindegewebigen Zügen kann ich keine besonderen Bildungen als Inhalt nachweisen. Möglich dass sie, wie BAUDELOT meint, auch Blutgefäßen und Nervenfasern zum Durchtritt dienen. Bei sehr vielen Physostomen ist die äußere Schuppenschicht wie bei Amia vollständig intakt; bei anderen zeigt sie Unterbrechungen. Diese Defekte der äußeren Schuppenschicht, die »sillons« von Acassız und BAuDELOT oder Schuppenrinnen laufen meist in radialer Richtung vom Mittelpunkt zum Rande. Hier treffen sie meist auf Einschnitte, wie sie am vorderen Rande z. B. bei Esox, auch ohne dass »sillons« vorhanden wären, vorkommen. Taf. VIII Fig. 13 zeigt einen Durchschnitt der Cobitisschuppe: es fehlt die äußere Schicht im Bereich der »sillons«. Neben den »sillons ra- yonnants« kommen »sillons concentriques« vor (ef. BAUDELOT). Wo die äußere Schicht fehlt, zeigt häufig auch die innere eine Verände- rung, die namentlich auf Durchschnitten durch nicht entkalkte Schup- pen klar hervortritt. Die Fibrillenbündel treten deutlicher und mehr isolirt an den betreffenden Stellen hervor. Ich halte eine geringere 192 Hermann Klaatsch Selerosirung im Bereich des Sillon für die Ursache der Erscheinung. Kis stimmt dies sehr gut mit dem, was oben über die Beziehung der äußeren zur inneren Schuppenschicht festgestellt wurde. Die Schuppenrinnen können sich unter einander netzartig ver- binden, so dass sie die ganze Schuppe in eine große Zahl kleiner Felder zerlegen. So zeigt die Osteoglossumschuppe eine mosaik- artige Beschaffenheit. Auch bei Gymnarchus niloticus finde ich sie. ZrvteL bildet dasselbe von Mormyrus oxyrhynchus ab. Sollte Je- mand auf den Gedanken kommen, die ganz sekundäre Zerlegung der Schuppe durch die Rinnen als einen Grund gegen die Einheit der Schuppe aufzustellen, so würde man ihn auf die koncentrischen Leisten zu verweisen haben, welche auch bei Osteoglossum gleich- mäßig die einzelnen Stücke bedecken und so den Mittelpunkt mar- kiren. Das Auftreten der Rinnen stellt sich dar als eine die all- mähliche Reduktion der äußeren Schuppenschicht anbahnende Er- scheinung. Die Ctenoidschuppe. Die Ctenoidschuppe der Teleostier, von AGassiz als eine be- sondere Schuppenform aufgestellt und in ihrem systematischen Werthe weit überschätzt, unterscheidet sich allein darin von der Cycloid- schuppe, dass sie auf dem hinteren Felde mit lokalen Erhebungen der äußeren Schuppenschicht bedeckt ist. Diese Stacheln, BAuDE- Lor’s Spinules, können im Einzelnen viele Verschiedenheiten dar- bieten, auf die ich nicht näher eingehe. Es soll hier nur geprüft werden, wie man sich das Zustandekommen des etenoiden Zustan- des vorzustellen hat und ob demselben irgend eine morphologische Bedeutung zukommt, namentlich ob sie als Rudimente des Spitzen- theils der Placoidschuppe aufgefasst werden müssen. In letzterer Beziehung liegen in der Litteratur zwei von ein- ander differirende Ansichten vor; BAuDELOT hält die »Spinules« für ganz sekundäre Bildungen. Er erklärt, »que ces appendices de l’ecaille ne sont pas des productions d’une nature partieuliere, mais des parties deja preexistantes simplement modifies dans leur con- formation extérieure«. Es sind »des productions de méme ordre que les crétes concentriques«. Als Griinde hierfiir dient ihm einmal die Ziihnelung dieser »crétes« bei vielen Formen, sodann der Umstand, dass bei einigen die einzelnen Zacken der Leisten besonders hoch werden können, z. B. beim Karpfen, wo er sie als »tubercules« Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 193 anfiihrt. Auch fand er bei einem und demselben Fisch (Pleuronec- tiden) Cycloid- und Ctenoidschuppen neben einander. Dem gegenüber steht die alte Ansicht von MaAnpr, dass die Stacheln Zahnbildungen seien. Dieselbe ist neuerdings von VAIL- LANT aufgenommen worden in einer eben so aphoristischen wie un- klaren Weise. Er spricht von Epithelzellen, welche die Stacheln bilden sollen. Diese sind nichts Anderes als die Scleroblastenschicht, welche allenthalben die äußere Schuppenschicht besorgt. Von einer Be- theiligung der Epidermis an der Bildung der Spinules ist gar nichts vorhanden, wie man sich bei Perea leicht überzeugt. Die VAILLANT- schen völlig unbegründeten Schlüsse haben kein Recht, überhaupt diskutirt zu werden. Um der Bedeutung des etenoiden Zustandes auf die Spur zu kommen, bedarf es der Prüfung auf ontogenetischem und auf ver- gleichend-anatomischem Wege. Was die Entwicklung der Ctenoidschuppe anbetrifft, so fehlte es mir an geeignetem Materiale, um die ersten Stadien derselben fest- zustellen. Es liegen hierüber jedoch Angaben von BAUDELOT vor, mit denen die von VAILLANT, was die Thatsachen betrifft, überein- stimmen. BAuDELOT benutzte als Objekt junge Gobius. Er fand, dass auf den jüngsten Schuppen Anfangs nur eine »Spinule« existirt, »qui se trouve attenante au cöt& posterieur d’une premiere créte concen- trique, qui forme une sorte d’anneau. De chaque cöte et un peu en arriere de cette premiere spinule, en naissent ensuite deux autres situées aux deux extrémités d’une seconde créte concentrique qui repraesente une courbe ouverte arriere. Puis apparaissent une nou- velle créte et deux autres spinules offrant des rapports semblables et ainsi de suite, de telle sorte, que le nombre des spinules et successivement d’une trois cing sept ete.«. So resultirt eine Schuppe, die an ihrem hinteren Rande eine einfache Reihe von Zacken besitzt. Diese einfachste Form der Ctenoidschuppe findet sich nun auch bei zahlreichen Fischen im erwachsenen Zustande. Bei den Bery- ciden finden sich hierfür Beispiele (Holocentrum). Daran reihen sich Zustände, wo von den marginalen Zacken aus sich Kämme nach der Schuppenmitte zu erstrecken. Am centralen Theil können die Kämme sich netzartig unter einander verbinden. So finde ich es bei Holacanthus navarchus. Bei anderen Formen finden sich statt der einfachen Zackenreihe am hinteren Rande zwei oder mehr Reihen der gleichen Gebilde. Bei Plesiops stehen sie in zwei alternirenden Morpholog. Jahrbuch. 16. 13 194 Hermann Klaatsch Reihen, wobei einige der Stacheln besonders lang sind. Bei jugend- lichen Exemplaren von Perca fluviatilis finde ich die Zahl der Spit- zenreihen auf zwei beschränkt, während sie in höherem Alter be- deutend zunimmt. Schließlich ist der größte Theil des hinteren Feldes mit »Spinules« bedeckt. Dass dabei vielfach nur die mar- ginalen »Spinules« intakt bleiben, während die anderen wie abge- nutzt erscheinen, ist eine sekundäre Erscheinung, der keine weitere sedeutung zukommt. Es lässt sich ontogenetisch und vergleichend-ana- tomisch eine Zähnelung des hinteren Randes der Schuppe als Ausgangspunkt für die verschiedenartigen Zustände der Ctenoidschuppe nachweisen. Damit fällt die Ctenoidschuppe in den Kreis ähnlicher Erschei- nungen, wie sie bei Acanthopterygiern sehr häufig sind. So sind bei vielen (z. B. auch Perea) die Knochen des Opercularapparates am Hinterrande gezackt. So wenig nun diesen Zackenbildungen irgend Jemand eine morphologische Bedeutung zuschreiben wird, so wenig ist es auch gestattet, die Ctenoidschuppe mit altererbten Zu- ständen in Beziehung setzen zu wollen. Ich halte dieselbe für eine ganz sekundäre Bildung. Der ctenoide Zustand der Schuppen ist übrigens keineswegs auf die Teleostier beschränkt. Bei Ganoiden werde ich weiter unten zeigen, dass derselbe auf sehr verschiedene Weise sich herausbilden kann. Hier will ich an die Ctenoidschuppen der Teleostier nur die ganz ähnlichen Bildungen bei rhombischen Ganoidschuppen anreihen, auf die ich oben bereits aufmerksam gemacht habe. Bei Lepidosteiden findet sich häufig eine Zähnelung des hinteren Randes. Bei Eugna- thus speciosus (AGassız poiss. foss. Tab. 57) gehen von den Zacken Wülste zur Schuppenmitte. Bei Eugnathus orthostomus (ebenda Tab. 57a) sind diese Wülste wiederum gezähnelt, so dass das ganze hintere Feld der Schuppe mit Zacken versehen ist. Hier liegt offenbar ein Fall der Konvergenz vor. Es kann gar nicht zweifelhaft sein, dass die Ctenoidbildung sich bei den Lepi- dosteiden und Acanthopterygiern völlig unabhängig von einander vollzogen hat, und es erwächst hieraus ein neuer Beweis für die Richtigkeit der Annahme, dass die Ctenoidschuppen auf ganz sekun- däre Zackenbildungen zu beziehen sind, wie sie vielfach bei Fischen vorkommen. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 195 Die Ctenoidschuppe der Beryeiden gewinnt durch einen Ver- treter dieser Gruppe eine hohe Bedeutung für die Beurtheilung von Stachelbildungen im morphologischen Sinne. Unter den Beryeiden besitzt Monocentris japonieus anstatt der gewöhnlichen Schuppen dicke Knochenplatten, die mit sehr zahl- reichen Stacheln besetzt sind. Es liegen hier Stachelschuppen vor, welche denen der Selero- dermen und der anderen von O. Herrwıc als Selachier-ähnlich zu- sammengestellten Schuppenbildungen außerordentlich ähnlich sind. Sie sind denselben in der That angeschlossen worden von SAGEMEHL (Cran. der Characiniden pag. 4), weleher sie als Beispiel wählt für Schuppen, die »eine Mittelstellung einnehmen zwischen Ctenoid- schuppen und zahntragenden Knochenplatten «. Dass nun die Monocentrisschuppen gar nichts mit »zahntragen- den Knochenplatten« zu thun haben, sondern eine ganz sekundäre Modifikation der Ctenoidschuppe seiner Verwandten darstellen, lässt sich leicht beweisen. Bei genauerer Betrachtung zeigt es sich, dass bei der Monocentrisschuppe der Mittelpunkt sehr weit nach vorn ge- rückt ist, dass der vordere und die seitlichen Theile der Schuppe somit ganz beträchtlich redueirt sind und dass die Schuppe zum größ- ten Theile gebildet wird von dem hinteren Felde der Ctenoidschuppe. Der Zustand dieses hinteren Feldes lässt sich nun leicht an den bei gewöhnlichen Ctenoidschuppen anreihen. Es verlaufen auf ihm ganz ähnliche Kämme wie bei anderen Formen (Holacanthus), und diese Kämme laufen wieder in Spitzen aus, die weder in ihrer Anordnung noch in ihrer Form sich von gewöhnlichen Spinules unterscheiden, sondern nur durch ihre etwas bedeutendere Größe auffallen. Der mittelste Kamm hat sich besonders mächtig entwickelt. Liegt hier ein Fall vor, wo eine Stachelschuppe sich ganz zweifellos aus rein sekundären Umwandlungen erklären lässt, so mahnt derselbe zur Vorsicht, wo es sich um Zustände handelt. die scheinbar an niedere Formen anknüpfen. Habe ich auch oben die O. Herrwia’schen Formen als ver- mittelnde Zustände acceptirt zwischen Placoid- und Teleostierschuppe, so will ich damit keineswegs die Möglichkeit ausschließen, dass manche von ihnen sich später als ganz sekundäre Bildungen er- weisen werden. 13* 196 Hermann Klaatsch Ergebnisse. Fasse ich die wichtigsten Ergebnisse über das Wesen der Teleostiersehuppe hier zusammen. so lauten dieselben: Die Teleostierschuppe ist der Placoidsehuppe ho- modynam. Sie entspricht der Basalplatte derselben und zwar ihrem oberflächlichen Theil. Die Teleostierschuppe ist der Ganoidschuppe ho- modynam. Sie entspricht den am meisten nach außen ge- legenen Theilen derselben. Die Teleostierschuppe stellt ursprünglich eine nur aus homogenem Knochengewebe bestehende rhomboi- dale Platte dar, welche unmittelbar unter der Epidermis gelegen ist, nur durch ihre Bildungszellen davon geschie- den. Diese Platten liegen der Körperoberfläche parallel, neben einander, ohne Berührung der Ränder, in schrä- gen Reihen angeordnet. : Dieser Zustand ist die ontogenetische Wiederholung eines Vorfahrenstadiums. Durch denselben werden auch die Teleostier dem Urzustand der Ganoiden angeschlos- sen. Die dachziegelförmige Deckung und die Bildung der Schuppentaschen stellen sekundäre Komplika- tionen dar. Der Spitzentheil der Plaeoidschuppe ist mit wenigen Ausnahmen völlig reducirt. Die Oberfläche der Teleostierschuppen geht neue Komplikationen ein, welche zu mannigfachen Reliefbildungen führen. (Fortsetzung folgt.) Litteratur. L. AGassız, 1) Recherches sur les poissons fossiles. T. I, II avec atlas. Neuchätel 1833—1845. —— 2) Observations sur la structure et le mode d’aceroissement des écailles des poissons. Annales des sciences natur. 2. serie. T. XIV. 1840. —— 3) Histoire naturelle des poissons d’eau douce. Neuchätel 1842. BALFOUR and PARKER, On the structure and development of Lepidosteus. Philosoph. Transactions of the Roy. Soc. Part II. 1882. M. E. BAUDELOT, Recherches sur la structure et le développement des écailles des poissons osseux. P. I, II. Archives de Zoologie expérimentale et générale. Tome II. 1873. G. A BRACKEL, De cutis organo quorundam animalium ordinis Plagiostomorum disquisitiones mieroscopicae. Inaug.-Diss. Dorpat 1558. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 197 H. CREDNER, Die Stegocephalen aus dem Rothliegenden des Plauenschen Grun- des bei Dresden. Zeitschr. der deutsch. geol. Gesellschaft. Bd. XXXV. 1883. C. GEGENBAUR, 1) Uber primäre und sekundäre Knochenbildung mit besonderer Beziehung auf die Lehre vom Primordialeranium. Jenaische Zeitschr. Bd. III. 1867. pag. 54. -—— 2) Uber die Bildung des Knochengewebes. II. Mittheilung. Jenaische Zeitschrift. Bd. III. 1867. pag. 206. —— 3) Grundzüge der vergleichenden Anatomie. 1870. —— 4) Grundriss der vergleichenden Anatomie. 2. Aufl. Leipzig 1872. —— 5) und 6) Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbel- thiere. II. und III. Heft. Leipzig 1865, 1872. —— 7) Uber das Kopfskelet von Alepocephalus rostratus. Morph. Jahrbuch. Bd. IV. 1878. Suppl. —— 8) Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 3. Aufl. Leipzig. 1888. B. Grassi, Lo sviluppo della colonna vertebrale ne’ pesci ossei. Reale Accad. dei Lincei. Roma 1883. A. GÜNTHER, 1) Description of Ceratodus, a genus of Ganoid Fishes recently discovered in rivers of Queensland. Australia. Philosophical Transact. of the Roy. Soc. of London. Vol. 161. Part III. 1871. —— 2) An Introduction to the Study of fishes. Edinburgh 1850. 0. JAECKEL, Die Selachier aus dem oberen Muschelkalk Lothringens. Ab- handl. zur geolog. Specialkarte von Elsass-Lothringen. Bd. Ill. Heft IV. 1889. B. Harscuex, Über den Schichtenbau von Amphioxus. Anatom. Anzeiger. III. Jahrg. Nr. 23—25. 1888. Fr. HEINCKE, Untersuchungen über die Zähne niederer Wirbelthiere. Zeitschr. für wissenschaftl. Zool. Bd. XXIII. 1873. 0. Herrwig, 1) Uber Bau und Entwicklung der Placoidschuppen und der Zähne der Selachier. Jenaische Zeitschr. Bd. VIII. 1874. —— 2) Uber das Zahnsystem der Amphibien und seine Bedeutung für die Genese des Skelets der Mundhöhle. Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. XI. Suppl. 187, —— 3) Uber das Hautskelet der Fische. I. Abtheilung. Morph. Jahrbuch. Bd. II. 1876. — 4) desgl. Il. Abtheilung. Morph. Jahrb. Bd. V. 1879. — 5) desgl. III. Abtheilung. Morph. Jahrb. Bd. VII. 1882. —— 6) Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte. HuxL£y, Article Tegumentary Organs in Topp’s Cyclopaedia of Anatomy and Physiology. Supplement. T. V. 1859 A. KÖLLIKER, 1) Über die verschiedenen Typen in der mikroskopischen Struk- tur des Skelets der Knochenfische. Sitzungen der physkal. medic. Gesellsch. in Würzburg 18. Dec. 1858. 2) Über die große Verbreitung der »perforating fibres« von SHARPEY Ebendort. 10. Nov. 1860. —— 3) Handbuch der Gewebelehre. 6. Aufl. Leipzig. 1884. J. KOLLMANN, Zahnbein, Schmelz und Cement, eine vergleichend histiologische Studie. Zeitschr. für wissensch. Zool. Bd. XXII. 1873. KUNTZMANN, Bemerkungen über die Schuppen der Fische. Verhandlungen der Gesellsch. naturforschender Freunde. Berlin 1824 und 1829. Fr. Leypic, 1) Uber die Haut einiger Süßwasserfische. Zeitschrift für wiss. Zoologie. 1851. — 2) Beiträge zur mikroskopischen Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Rochen und Haie. Leipzig 1852. — 3) Histiologische Bemerkungen über den Polypterus bichir. Zeitschrift für wiss. Zoologie. 1854. -— 4) Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. Frankfurt am Main 1857. -—— 5) Uber die Schleichenlurche (Coeeiliae). Zeitschrift. für wiss. Zoologie. Bd. XVIII. M. Manpu, 1) Recherches sur la structure intime des ecailles des poissons. Annales des sciences naturelles. 1839, 2. ser. T. IL. 198 Hermann Klaatsch M. Manor, 2) Nouvelles observations sur la structure des écailles des poissons Ebendort 1840, 2. ser. T. XI. METTENHEIMER, Anatom.-histiol. Untersuchungen über den Tetragonurus Cu- vieri, Abhandl. der Senckenpera’schen Gesellsch. 1. H. MürLLer, Uber die Entwicklung der Knochensubstanz. Zeitschr, fiir wiss. Zoologie. Bd. IX. 1558. Jon. MÜLLER, Über den Bau und die Grenzen der Ganoiden und das natür- liche System der Fische. Abhandlungen der königl. 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Für alle Figuren gemeinsam gelten folgende Bezeichnungen: Ep Epidermis, oc oberflächliche lockere Schicht der SM basale, schmelzbildende Schicht Cutis, der Epidermis, tle tiefe lamellöse Cutisschicht, E Schmelz, scl Scleroblasten, D Dentin, seld Odontoblasten, Z Zahn, selo Osteoblasten, S Schuppe, ke Knochenzellen, K Hartsubstanz der Basalplatte, i; Knochenkörperchen, GS Ganoidschuppe, z Schleimzellen der Epidermis, TS Teleostierschuppe, JF aufsteigende Faserbündel der Cutis, Sa Spitzentheil der Placoidschuppe, bl Blutgefäße, Sb Basalplatte der Placoidschuppe, blk Blutgefäße führende Kanäle, SK Schuppenanlage, ph Pulpahohle, CL Lamellen der Cutis, bm Basalmembran. Tafel VI. Fig. 1, 2, 3 und 4 stellen Schnitte von der Haut eines 17 cm langen Scymnus sp. dar, welche parallel der Längsachse des Körpers geführt sind. Das caudale Ende liegt nach rechts gekehrt. Fig. 1. Erste Anlage der Placoidschuppe. Vergr. 290: 1. Fig. Etwas älteres Stadium einer solchen Anlage. Veränderung der ba- salen Epidermisschicht. Sonderung des bindegewebigen Schuppen- keimes in Spitzentheilanlage (Sa) und Basaltheilanlage (SAd). Vergr. 290: 1. Fig. 3. Weiter vorgeschrittenes Stadium der Placoidschuppenanlage. Der höchste Punkt von SK caudalwärts verschoben. Schirfere Sonderung von SKa und SKb. Zunahme der Zellen von SM an Länge. Vergr. 290::1. Fig. 4, Alteres Stadium. Beginnende Bildung der Hartsubstanzen. SM hat in der Nähe der Spitze von SKa Schmelz abgeschieden (E). Ver- änderungen der Zellen von SKa. Epithelähnliche Anordnung der oberflächlichsten Zellen (sel). Dieselben scheiden, dem Schmelz an- lagernd, eine feinkörnige Grundsubstanz (d) ab. Ausbreitung von SKD nach vorn und hinten über die Epidermiseinschnürung hinaus, Vergr. 240: 1, Nw 200 Hermann Klaatsch ; Fig. 5, 6, 7 und 8 stammen von Scyllium canicula (jugendliches Exem- plar). Längsschnitte der Haut; caudales Ende des Körpers liegt rechts. Fig. 5. Entwicklungsstadium der Placoidschuppe, an Fig. 4 anschließend, Der Spitzentheil durchbricht die Epidermis. Er besitzt einen Mantel von Dentin. Von der Dentinmasse aus setzt sich die Bildung von Hartsubstanz auf die Zellen von SKb fort; bei K dünne Lage der Basalplattensubstanz, außen und innen von Scleroblasten (sel) besetzt, die sich den se! von SKa unmittelbar anschließen. Annäherung von SKb an die sic. Vergr. 210: 1. Fig. 6. Fertige Placoidschuppe. Die Schmelzbildung hat aufgehört. An den erstgebildeten Theil der Basalplatte (S$,) hat sich die Entstehung eines zweiten centripedal wachsenden Theiles (Sho) angeschlossen. Einengung der Kommunikationsöffnung von ph mit dem unterliegen- den Cutisgewebe durch $5,. Reichthum von oc an bl. Scleroblasten (scl) an der Unterfliiche von 555. Zwischen diesen f. Vergr. 70: 1. Fig. 7. Vorderes Ende der Basalplatte, von einem Stadium zwischen den auf Fig. 5 und 6 wiedergegebenen Entstehungen von Sh). Ausbreitung von f zwischen Scleroblasten (siehe Text). Vergr. 500 : 1, Fig. 8. Hinteres Ende der Basalplatte, entsprechend Fig. 6. Scleroblasten an der Innenfliiche von Sb). Aufnahme von f in die Substanz von Sb, (SHARPEY’sche Fasern). Vergr. 500: 1. Fig. 9. Zellenloser Teleostierknochen. Spina des Occipitale superius einer 16 cm langen Perca fluviatilis; freier Rand. Das Knochenstiick ist von den Weichtheilen befreit, in dicken Balsam eingeschlossen. w Schichtungsstreifen, 4.2 unregelmäßige Höhlungen, namentlich in der Nähe des Randes, r.r Röhrchen, von der Maceration SHARPEY’scher Fasern herrührend, theils in der Ebene des Knochenstückes verlau- fend, theils dasselbe senkrecht durchsetzend. Vergr. 560 : 1. Fig. 10. Zellenhaltiger Teleostierknochen. Knochenkörperchen. sfa Röhrchen, von der Maceration SHARPEY’scher Fasern herrührend. 7 unregelmäßige Höhlungen. Barbus vulgaris proc. spin. des dritten Wirbels. Vergr. 200: 1: Tafel VII. Fig. 1—6 stammen von der Haut eines 18 cm langen Lepidosteus osseus. Fig. 1. Schnitt in der Richtung der von vorn, dorsal nach hinten ventral ab- steigenden Schuppenbinden gefiihrt. Ubergang der seitlichen Rumpf- gegend in die Bauchregion. Zwei kleine Schuppen sind getroffen. Sie liegen von der Epidermis entfernt. Überzug der S mit sel, die Knochenzellen (Kz) geliefert haben. Vergr. 60: 1. Fig. 2. Ein gleicher Schnitt. Gegend der Seitenlinie. Zwei größere Schup- pen, verbunden durch ein Schuppenligament (2). Schuppenzähne. Von ihnen aus breitet sich eine oberflächliche Schicht von Hartsub- stanz GS, über die erstgebildete GS) aus. Die Epidermis ist an der Schuppenbildung unbetheiligt. Vergr. 55: 1. Fig. 3. Anlage eines Schuppenzahnes über einer Schuppe S. Dieselbe ent- behrt der oberflächlichen Schicht GS, Die Epidermis hat über der Zahnanlage ein Schmelzepithel SM geliefert. Dünnes Schmelzkäpp- chen. Anhäufung von Scleroblasten über der Schuppe und in der Zahnpapille. Die einen werden zu Osteoblasten (sclo), die anderen zu Odontoblasten (scld). Aufnahme von f in die Schuppensubstanz. Vergr. 330 : 1. Fig. 4. Alteres Stadium einer Schuppenzahnanlage. Die Spitze hat die Epi- dermis durchbrochen. Schmelzkäppchen E. Schmelzbildung hat auf- gehört. Es fehlt eine Verbindung des Zahns mit der Schuppe. Zahl- reiche Chromatophoren in der Epidermis. Vergr. 240 :1, Fig. 5. Fertiges Schuppenzähnchen. Spärliche Zahnbeinröhrchen an der Spitze des Dentinkegels (D). Ausbreitung der Hartsubstanz des Zahnes an seiner Basis. Zusammenhang mit GS,. Scleroblastenschicht an der Außenfläche von @$,. Epidermis bleibt unbetheiligt. Vergr. 240: 1, PL Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 201 Fig. 6. Schnitt durch eine getrocknete Schuppe. Auf ihr ein Zähnchen, dessen Spitze zerstört ist. Zusammenhang des Zahnes mit GS;. Feh- len von K in GS,. oe Kommunikationsöffnung von ph mit der Um- gebung. Schuppenkanälchen z. Vergr. 240 :1. Fig. 7. Flächenbild der Placoidschuppen eines erwachsenen Scyllium sp. Ältere und jüngere Schuppen neben einander. Die Stacheln sind nur bei einem Theil der Schuppen ausgeführt. CA = der centrale Kanal, welcher die Basalplatte durchbohrt. Auf zwei Schuppen sind die Leisten markirt, mit denen der Stachel von der Platte aufsteigt, auf einer Schuppe ist das System von Dentinkanälchen im Stachel ein- getragen. CZ die Cutislamellen, in diagonaler Anordnung zur Kör- perachse, der vordere Theil der Figur ist nach oben gekehrt. Vergr. Cae Tors Ak Fig. 8. Flächenbild der Ganoidschuppen von Lepidosteus von 18 cm Länge. An zwei Schuppen sind die gedeckten Partien dunkel gehalten. Auf mehreren Schuppen sind die Kanäle angegeben, welche die Schuppen- mitte durchbrechen (52%). Auf einer Schuppe sind die Schuppenzähn- chen (Z) angegeben. CZ Cutislamellen. Kreuzung der Fibrillenbündel verschiedener Systeme. Das obere Ende der Figur entspricht dem Vorderende des Thieres. Vergr. ca. 10: 1. Fig. 9. Flächenbild der Cycloidschuppen einer Forelle von 3 em Länge. Die Schuppen liegen neben einander, ohne sich zu decken. Richtung der Fibrillenbündel der Cutislamellensysteme. Vergr. 65: 1. Fig. 10. Dessgleichen von einer Forelle von 4 cm an der gleichen Stelle (in der Nähe des Schwanzes). Beginnende Deckung der Schuppen. Die gedeckten Partien sind dunkel gehalten. Koncentrische Leisten an der Oberfläche der Schuppen. Zwischen weiter entwickelten Schup- pen ganz junge Stadien von solchen. Vergr. 60: 1. Fig. 11. Flächenbild eines Stückes der Schuppe von Albula conorhynchus (Clupeide). Sz Sillons oder Furchen. Cr Schuppenleisten. Knochen- körperchen in einfacher Lage vorhanden, den Leisten parallel ge- ordnet. Vergr. 100: 1. Fig. 12. Dessgleichen von Erythrinus unitaeniatus (Characinide). Cr = Leisten. Die mit ZSf bezeichneten Linien geben die Richtung der Fibrillen- bündel in den Lamellensystemen der tiefen Schuppenschicht an. Zahl- reiche Knochenkörperchen, z. Th. den Fibrillenbündeln parallel ge- ordnet. Vergr. 160: 1. Fig. 15. Dessgleichen von Ceratodus (Dipnoer). Orientirung der Knochenkör- perchen in drei einander kreuzenden Richtungen. Vergr. 170 : 1. Tafel VIII. Sämmtliche Abbildungen stammen von Teleostiern. Fig. 1, 2, 3 und 4 stellen vier Stadien der Schuppenentwicklung bei der Forelle dar, auf Längs- schnitten durch die Haut von 3—6 cm langen Forellen (Gegend des Schwanzes). Rechts ist das Vorderende zu denken. Fig. 1. Erste Anlage zweier Schuppen. Anhäufungen indifferenter Cutis- zellen (SK) unmittelbar unter der Epidermis. gr Grenzepithel der Cutis. Geringe Entwicklung der s/c. Vergr. 490 :1. Forelle 3 em. Vig. 2. Zweites Stadium. Die Schuppenanlagen haben sich parallel der Kör- peroberfläche ausgedehnt. In der Mitte des Zellhaufens (sel) ist eine dünne Lage von Schuppensubstanz (S) gebildet worden. Starke An- häufung des scl. am hinteren Ende der Schuppe. Die Epidermis senkt sich zwischen die Schuppen ein (ZpF). Forelle 4 cm. Vergr. 490 : 1. Fig. 3. Drittes Stadium. Die Epidermisfortsätze sind stärker entwickelt. Das hintere Ende der Schuppe ragt, in eine Cutispapille eingebettet, über das Vorderende der nächst hinteren Schuppe vor. Beginn der Deckung. Wucherung des Gewebes unter der Schuppe (Anlage des Bodens der Schuppentasche dz). Beginnende Umhüllung der Schuppe durch Binde- gewebe von der Außenfläche her. (Anlage der äußeren Wand der Schuppentasche [be].) Forelle 4 cm. Vergr. 330: 1. 202 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 10. DJ. 15. 16. Hermann Klaatsch, Zur Morphologie der Fischschuppen ete. Viertes Stadium. Stiirkere Deckung der Sehuppen. Ausbildung der Schuppentasche (be und bi). Die äußere Wand der Tasche hat sich von der Epidermis bei der Präparation entfernt. Stärkere Entfaltung der Epidermisfortsiitze. Zusammenhang von bi mit EpF, Forelle 6 cm. Vergr. 150: 1. Längsschnitt der Schuppenmitte von einem jugendlichen Exemplar von Cobitis fossilis. Außere Schuppenschicht 7'S; sehr dünn, mehr- fach unterbrochen. Scleroblasten (se!) an ihrer Außenfläche. T'S, innere Schuppenschicht, von dem lamellös geschichteten Gewebe des Bodens der Schuppentasche (bz) durch zahlreiche Scleroblasten ge- trennt, zwischen denen die Grundsubstanz noch nicht fibrillär zer- fallen ist. Forelle 4 em lang. Bildungszellen der Schuppe von der Fläche be- trachtet. Epithelähnliche Anordnung. Eine Zwischensubstanz noch nicht gebildet. Vergr. 540 : 1. Bildungszellen der Schuppe in verschiedenen Stadien des scleroblasti- schen Processes, von der Fläche betrachtet. Verlagerung des Kernes an das eine Ende der Zelle. Differentwerden des Protoplasmas am kernfreien Ende (ovaler Fleck). Vereinigung dieses Fleckes mit der zwischen den Zellen gebildeten hellen Substanz. Oberfläche einer jungen Schuppe. Forelle 4 cm. Vergr. 480: 1. Forelle 4 cm lang. Hinteres Ende der Schuppe mit den Seleroblasten. Durchschnitt. 7'S; äußere Schuppenschicht am freien Ende allein vorhanden, erhebt sich in Leisten, innere Schuppenschicht 7S) mit Scleroblasten besetzt, die stärker abgeplattet sind als die von 7'S,. Gleiches Objekt. Nahe der Schuppenmitte. 7S, und 7'S,, erstere homogen, erhebt sich in Leisten (Cr), letztere zeigt eine lamellise Schichtung. Lage der Scleroblasten von 7'S;, theils auf den Cr, theils dem centralen konkaven Theil derselben angefügt. Vergr. für Fig. 8 und 9 600 : 1. Cobitis fossilis, junges Exemplar, vorderes Ende der Schuppe. Ver- halten derselben zu den Bindegewebslamellen der Tasche. Fehlen einer - Verbindung zwischen dieser und der tiefen Schuppenschicht. Vergr. 600 : 1. Epithelähnliche Scleroblastenschicht von der Oberfläche einer jungen Forellenschuppe. Homogene Zwischensubstanz. Beginnende Verände- rung der Zellen. Vergr. 120: 1. Cobitis fossilis, älteres Exemplar. Hinteres Ende der Schuppe. Vergr. 600:1. ZS, (Lage der Sel zwischen den Cr), TS) bedeutend ver- dickt, geschichtet. Gleiches Objekt. Die Sillons (Sz) erscheinen als Defekte der äußeren Schuppenschicht. Rechts liegt eine Zelle in der Furche. Vergr. 500 : 1. Barbus vulgaris. Hinterer Abschnitt einer getrockneten, in Balsam eingelegten Schuppe. Verzweigte Kanälchen (»Zahnbeinkaniilchen«, von einer Furche ausstrahlend (Sz). Vergr. 220: 1. Cobitis fossilis, älteres Exemplar. Durchschnitt der Schuppe senk- recht zu den Leisten (Cr). Von außen nach innen folgen auf ein- ander: 7'S; mit Cr, zwischen denen sc/ TS lamellis gebaut, ohne Zellen im Inneren. se? die Bildungszellen dieser Schicht, sodann das Bindegewebe des Bodens der Schuppentasche bi. Vergr. 550 : 1. Übersichtsbild der Teleostierhaut (Cobitis fossilis jung). Epidermis mit zahlreichen Schleimzellen. Darunter die Cutis mit den Schuppen- taschen; die tiefe lamellöse Cutisschicht (s/e) steht in Verbindung mit den Taschen, die Schuppe schiebt sich mit dem Vorderende in die Schicht ein. 032 Boden der Tasche. be äußere Wand der Tasche, nach außen wird das Gewebe beider lockerer. Zu unterst die Mus- kulatur. Vergr. 230: 1. se’ “Shy an ng 7 Lemur. AWN Sa. P EN jth,.Ansuv # ARınke je N > ee @ { / f Kyj oi \@ Cy ZEN Bes ®\ | : i | | a fatscr i Wilh Bugelmarn i ü ‘ holog. Jahrb. Bd XVI. Taf WL Verag Wilh Engelmann ss Letyeig 2. u RR \ be = a en : 5 % Vräisg v.Wilh. Engelmam = Lerpaig Die erste Anlage der Milz und das erste Auftreten von Iymphatischen Zellen bei Amphibien. Von Dr. F. Maurer, Prosekter in Heidelberg. Mit 2 Figuren im Texte. Die Angaben, welche bis jetzt über die Entwicklung der Milz vorliegen, stimmen alle darin überein, dass im dorsalen Mesogastrium oder im Mesen- terium in der Nähe der Abgangsstelle des Darmarterienstammes von der Aorta ein Blastem sich bilde, aus rundlichen Zellen bestehend, in welchem bald nach seiner Bildung Blutgefäße und Fasern sich entwickeln (KÖLLIKER u. A.). Welcher Art die Zellen sind, die dieses Blastem zusammensetzen und vor Allem, woher sie stammen, ist nirgends angegeben, man nahm einfach an, es seien mesodermale Elemente. Eben so ist über die erste Herkunft Iymphatischer Zellen nichts bekannt geworden trotz der sehr reichhaltigen Litteratur, welche über das spätere Ver- halten der lymphatischen (cytogenen) Organe vorliegt. Von der einen Seite wird angenommen, dass das Mesoderm den lymphatischen Zellen auch bei ihrem ersten Auftreten im Embryonalleben den Ursprung gebe (StöHr u. A.), von anderer Seite (DAVIDOFF, KUPFFER) wird bei Erwachsenen beschrieben, wie kleine lymphoide Rundzellen aus dem Darmepithel durch freie Kernbildung ent- stehen. Dass solehe lymphatische Elemente nicht fixirt sind, sondern frei be- weglich im Organismus umherwandern und dabei die Arterienscheiden als Weg benutzen, ist eine längst bekannte Thatsache (Luypic, His). Die meisten hier- her gehörigen Untersuchungen wurden an Säugethieren und am Menschen an- gestellt. Nur LEevvıG hat uns über das lymphatische Gewebe bei Teleostiern Angaben gemacht; dort finden sich die Darmarterienscheiden mit Iymphatischen Zellen infiltrirt. Es ist nicht meine Absicht hier die ganze einschlägige Lit- teratur zu besprechen. In Folgendem möchte ich nur einige Beobachtungen vorlegen, die in der Absicht gemacht wurden, das erste Auftreten von Lymph- zellen und die Anlage der Milz bei Anuren und Urodelenlarven nachzuweisen. Anuren. Ich nahm ausschließlich Larven von Rana temporaria vor, die ich in Sagittalschnitten in toto in Serien zerlegte. Außerdem wurde das Mesen- terium mit den Gefäßen herauspräparirt, um Flächenbilder zu erhalten, daneben auch von einzelnen Darmstrecken Querschnitte angefertigt. Lymphzellen treten bei Anurenlarven erst sehr spät auf. Larven, die durch äußere Kiemen athmen (4 mm Länge vom Mund zum After gemessen), zeigen nirgends Elemente, die man mit Sicherheit als Vorläufer lymphatischer Zellen deuten könnte. Das Bindegewebe solcher Larven zeigt durchweg die bekannten verästelten Zellen, die noch zahlreiche Dotterblättchen einschließen. 204 F. Maurer Die rothen Blutkörperchen sind kugelig und enthalten ebenfalls noch zahlreiche Dotterblittchen. Der Darm lässt zwei Abschnitte unterscheiden. Einen vorderen von einschichtigem Epithel ausgekleideten und einen hinteren, dessen Wandung aus vielen Schichten großer kubischer Zellen mit reichlichen Dotterblittchen besteht. Der letztere Darmabschnitt stellt den späteren Mittel- und Enddarm dar. Bei etwas älteren Larven von 4,6 mm Länge bildet der Darm schon eine große Schlinge. Das Epithel ist noch mit vielen Dotterblättchen erfüllt. Es besteht aus einer Zellenschicht. Die Arterien sind einfache Endothelröhren. Um den Endothelschlauch der Aorta treten schon spindelförmige Zellen auf, Chorda Aorta. Darm — Ao Schwanz. « Medianer Sagittalschnitt durch die mittlere Körpergegend einer Kaulquappe von Rana temporaria von S mm Länge (aus drei Schnitten kombinirt). J Darmquerschnitte. M Mesenteriallamellen. a.m.art mesenteriale Infiltration der Arterienscheiden durch Jymphatische Rundzellen; Anlage der Milz. die als Anlage der Muscularis zu deuten sind. Nirgends im ganzen Körper, weder im Bindegewebe noch in der Umgebung von Arterien fand ich Zellen, welche als erste lymphatische Elemente hätten aufgefasst werden können. Schon in diesem Stadium achtete ich auf Theilungsvorgänge an den Darm- epithelzellen. Ich fand zahlreiche Mitosen, deren Äquatorialplatten senkrecht auf die Längsachse des Darmes standen. Diese Theilungen lassen natürlich die Zellen des einschichtigen Epithels in ihrem epithelialen Verbande bleiben und bewirken das sehr lebhafte Längenwachsthum des Darmes. Daneben fand ich aber auch eine Anzahl von Mitosen, deren Äquatorialplatten parallel mit der Längsachse des Darmes stehen. Durch solche Theilungen muss das Epithel mehr- schichtig werden, oder die eine Zelle muss aus dem epithelialen Verbande aus- Scheiden. Ich fand nirgends, dass das Epithel mehrschichtig wurde. Doch sah j Die erste Anlage d. Milz u. d. erste Auftr. von lymphat. Zellen b. Amphibien. 205 ich schon hin und wieder große rundliche Zellen unter dem Epithel im Binde- gewebe liegen. Eine Muscularis des Darmes war noch nicht nachweisbar. Ein drittes Stadium bieten Larven von 6 mm Länge (Mund— After). Diese athmen durch innere Kiemen. Der schon mehrfach gewundene Darm zeigt ein- schichtiges Epithel, dessen Zellen gerade die Dotterblättchen verloren haben. Nur an einer Stelle im Organismus fand ich Zellen, welche ich als Vorläufer von lymphatischen Zellen deuten konnte: unter dem Epithel der Darmschleim- haut und in der Umgebung des Endothelrohres der kleinsten Darmarterien fand ich rundliche Zellen mit kugligem Kern und deutlichem Plasmakörper, die besonders in Bezug auf den Kern vollkommen den Darmepithelzellen glichen. Der Hauptstamm der Darmarterie zeigte solche Zellen noch nicht. Die Zellen unterschieden sich vollkommen deutlich von den Bindegewebszellen, zwi- schen welchen sie lagen, durch Form und Größe des Kerns. Auch fand ich nirgends im Bindegewebe Zellherde, die als Brutstätten der genannten Zellen zu deuten gewesen wären. Eben so wenig konnte ich Mitosen an Bindegewebs- zellen nachweisen, die zur Bildung der erwähnten Rundzellen geführt hätten. Dieses Stadium ist für das Verständnis des Folgenden absolut nothwendig. Während hier nur unter dem Darmepithel und in den Arterienscheiden dicht am Darm große Zellen von besonderem Charakter sich finden, zeigen sie bei Kaulquappen von 8 mm Mund-Afterlänge eine weitere Verbreitung. Die Scheiden der Darmarterien sind hier strotzend mit Rundzellen infiltrirt (Fig. 1). Diese In- filtration reicht bis in die Nähe der Abgangsstelle des Hauptstammes von der Aorta. Dabei fällt auf, dass die reichlichsten Anhäufungen von Zellen gerade in den Arteriengabeln liegen. Es zeigte sich das bei allen Larven, bei welchen ich Flächenansichten des Mesenteriums herstellte. Letztere wurden in der Weise angefertigt, dass das Mesenterium mit den Gefäßen einerseits von der dorsalen Wand der Leibeshöhle, andererseitsvom Darm abpräparirt und auf dem Objekttriiger in Glycerin ausgebreitet wurden. Die Ansammlung der Zellen in den Gefäßgabeln kann schon für eine Wanderung der Zellen vom Darm nach den Gefäßen hin spre- chen, da die Gabeln Hindernisse für die Fortbewegung der Zellen darstellen ; außer- dem spricht aber gerade das vorige Stadium für die angegebene Richtung der Wanderung. Einen interessanten Befund bietet das Darmepithel (Fig. 1). Die Zellen liegen meist in einer Schicht, die Dotterblättchen sind längst aufgebraucht. Jede Zelle besitzt einen deutlichen Cuticularsaum. Nur an einigen Stellen finden sich zwei Epithelzellen über einander geschichtet. Die meisten Kerne sind ruhend, liegen central, haben kuglige Form und besitzen meist ein Kern- körperchen, während sonst die Chromatinsubstanz in Form kleiner Körnchen und Fäden im Kern vertheilt ist. Achtet man auf Mitosen, so findet man wieder in großer Anzahl solche, deren Aquatorialplatte senkrecht auf die Längsachse des Darmes steht. Aber ich konnte auch viele nachweisen, welche parallel damit angeordnet waren. Es sind zwei solche auf Fig. 2 abgebildet. Bei 3 erkennt man sogar, dass die eine Hälfte des Dispirems im Begriffe steht, das Epithel zu verlassen. Diese Mitose und die benachbarten Zellen (von x—x) sind bei homogener Immersion Zeiss apochrom. Apert. 1.30 genau aufgezeichnet worden. Ich hegte zuerst Zweifel, ob der sich theilende Kern wirklich der Epithelzelle angehört, in welcher er liegt. Es könnte ja eine ins Epithel ein- gedrungene Bindegewebszelle sein. Diese Meinung war durch den hellen Hof um die Mitose, den ich als Zellkörper deuten zu müssen glaubte, und durch die schräge Anordnung veranlasst. Es befindet sich aber erstens außer der Mitose kein Kern in der Zelle. Ferner zeigt der central in seiner Zelle an- 206 F. Maurer geordnete Fadenknäuel («), den wohl Jeder als der Zelle zugehörig anerkennen wird, in welcher er liegt, ebenfalls einen hellen Hof, der sich vom umgebenden Protoplasma absetzt. Die schräge Anordnung der Mitose versteht sich aus der Lagebeziehung der Zelle zur links daneben gelegenen. Es macht den Ein- druck, als seien beide Zellen durch eine Theilung senkrecht auf die Längsachse des Darmes aus einer Zelle entstanden und nun theilt sich die rechts gelegene Zelle noch einmal in senkrecht auf der ersten Theilungsachse stehender Ebene. Bei y ist eine ähnliche Mitose angezeichnet, welche nur nicht ein Austreten der einen Hälfte aus dem Epithel zeigt. Die Folge solcher Theilungen zeigen wohl die Zellen ¢ und £. Erstere lagert noch dem Epithel an, letztere ist ganz davon gelöst und liegt im Bindegewebe. Querschnitt durch ein Stück Dünndarmwand einer Kaulquappe von Rana temporaria von 8 mm Länge (Mund— After) zur Demonstration von Mitosen, welche eine Ausscheidung yon Epithelzellen aus dem epithelialen Verbande einleiten (@ und 8). Bei e und £ lösen sich solche Zellen vom Epithel ab. 7 Rundzellen, welche in der Umgebung eines kleinen Darmgefäßlumens (c) sich ansammeln. Der Schnitt ist aus verschiedenen Stellen des Darmes kombinirt, die einzelnen Zellen sind aber genau mit dem Zeichenapparat und apochr. Olimmersion von Zeıss aufgezeichnet (vgl. Text). P Pe- ritonealepithel. m Bindegewebs- und glatte Muskelzellen der Darmwand. Viele Zellen gruppiren sich hier um das Lumen einer kleinen Arterie. Die Kerne dieser Zellen sind sehr ähnlich an Größe und Struktur den Darm- epithelzellen. Sie sind viel größer als die Bindegewebszellen der Umgebung. Von drei verschiedenen Elementen können diese Zellen abstammen. Erstens vom Bindegewebe, zweitens vom Endothel der Arterien, drittens vom Darmepithel. Am Gefäßendothel sah ich niemals Mitosen, welche eine Abgabe von Zellen in die Umgebung gezeigt hätten. Die Bindegewebszellen zeigen viel kleinere Kerne, als die Rundzellen, so dass aus einer Theilung jener Zellen unmöglich Rundzellen entstehen können. Um die Größenverhältnisse festzu- stellen, nahm ich Messungen der verschiedenen Zellkerne vor und füge hier einige Zahlen bei, die das Verhältnis von größtem Längen- zu größtem Diekendurchmesser der Zellkerne angeben: Darmepithel | Rundzellen | Bindegewebszellen 11 :9,5 Mikren 12:10 Mikren 12 :4,7 Mikren 10,5: 9,5 - 11:9 - ae = 4. - 11 9 = 11:73 - COT 8 - lt, - ids BS - 95:4 - 1001:9 - 10: 8 - 8 «ai 3 - 105 49 - 9: 8 - Sha} - 9,5:9 - 927,0 — RSS - 9-55 - tase ail - HORSE - ui) - Br - VF: D5 - Bra: ff - 106 - GR x98 > Die erste Anlage d. Milz u. d. erste Auftr. von lymphat. Zellen b. Amphibien. 207 Wenn ich diesen Zahlen noch die Vorgänge am Epithel, die ich vorhin schilderte, hinzufüge, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass die ersten Rundzellen, oder lymphatischen Zellen direkte Derivate des Darmepithels sind. Es ergiebt sich dies auch aus ihrer Beschränkung auf die Scheiden der Darmgefäße und das subepitheliale Bindegewebe des Darmes, ferner aus der Vergleichung mit dem vorhergehenden Stadium. Ich kann somit nach dem Geschilderten den Satz aufstellen, dass bei Kaulquappen die ersten lymphatischen Zellen direkte Abkömmlinge des Darm- epithels, d. h. des Entoderms sind, dass sie zwar nach ihrer Ablösung vom Entoderm im Bindegewebe lagern, aber in keiner genetischen Beziehung zu mesodermalen Zellen stehen. In diesem Stadium konnte ich zum ersten Male eine Anlage der Milz nach- weisen. Dieselbe sitzt als kugeliges, knopfförmiges Gebilde dem Stamm der Arteria mesenterica an. Sie besteht hauptsächlich aus den gleichen Rundzellen, welche die Arterienscheiden füllen, ist gleichsam ein kleiner Tumor, welcher durch Ansammlung solcher Zellen gebildet wird. Schon in diesem Stadium zeigen sich in der Anlage der Milz Andeutungen von einer Gefäßbildung. Wenn die Milz sich aus den genannten Rundzellen bildet und diese als direkte Abkömmlinge des Darmepithels nachgewiesen sind, so ergiebt sich die Thatsache, dass die Milz der Anuren in ihrer ersten Anlage eine entodermale Bildung ist. Freilich stellt sie keine Ausstülpung des Entoderms dar, sondern ihre Bildungszellen benutzen die Scheiden der Darmarterien als Weg, um zum Punkte der Milzbildung zu gelangen. — Es macht den Eindruck, als sei die Milz hier nicht ein von einer einzelnen Darmstrecke aus entstandenes Organ, sondern als stehe ihr zu ihrer Entwieklung bei Anuren das Epithel des ge- sammten Tractus intestinalis zur Verfügung. Man kann natürlich der einzelnen Zelle in einer Gefäßscheide nicht ansehen, von welchem Darmabschnitt sie kommt. Indessen lagert die Anlage der Milz gerade an derjenigen Stelle dem Stamme der Darmarterie an, an welcher von dieser die Arterie für Magen, Leber und Pankreasanlage abgeht. Es mag somit auch hier eine nähere Be- ziehung der Milzanlage zum Magen bestehen, wie sich eine solche bei Urodelen und bekanntlich sämmtlichen höheren Wirbelthieren durch die Lage des Or- gans kund giebt. Dass die Größe, Form und Struktur der Kerne der in den Darmarterien- scheiden nachweisbaren Zellen für den epithelialen Charakter derselben nicht entscheidend sein können, ergiebt sich daraus, dass an anderen Organen Massen von Zellen mit Kernen von der gleichen Größe und Struktur auftreten, welche sicher nicht vom Darmepithel ableitbar sind. Die Abstammung jener erst- genannten Zellen vom Epithel des Darmkanals wird mit Sicherheit nur er- wiesen durch ihr erstes Auftreten unter dem Darmepithel, ihre von da in späteren Stadien weiterschreitende Verbreitung längs der Gefäßscheiden und vor Allem durch die Mitosen, welche eine Ablösung von Epithelzellen direkt zeigen. Organe, in welchen ebenfalls Massen von rundlichen Zellen mit großen Kernen auftreten, sind die Kopfniere, das Bildungsgewebe der bleibenden Niere und die stummelförmigen Anlagen der Extremitäten. Ich bin nicht der Meinung, dass ähnliche Zellen, wie die oben geschilderten, nicht auch aus mesodermalen Elementen sich bilden können. Durch die oben besprochenen Stadien bei Anurenlarven ist nur erwiesen, dass die Rundzellen in den Arterienscheiden des Darmkanals aus dem Epithel des Darmes stammen. In Arterienscheiden anderer Körpergegenden fehlten die Rundzellen vollkommen. Sie finden sich bloß um die Darmgefäße, erreichen nicht die Aorta und sind auch von dem Bildungsgewebe der Niere vollkommen scharf zu trennen. Die späteren Schicksale der Milz und der lymphatischen Zellen in den Gefäßscheiden zu verfolgen, mag Gegenstand weiterer Forschungen sein. Es war mir hier nur darum zu thun, ihre erste Herkunft klar zu stellen. : a” 208 F. Maurer, Die erste Anlage der Milz u. das erste Auftr. von Iymphat. Zellen. Urodelen: Siredon und Triton: Hier liegen die Verhältnisse in so fern anders wie bei Rana, als die Milz früher zur Anlage kommt. Sie lagert nicht dem Stamme der Art. mesenterica an, sondern deren vorderen Asten, die den Magen versorgen. Ihr Zellmaterial bezieht sie aus dem Epithel des Magens, noch ehe Drüsen an diesem zur Entwicklung kommen. Wenigstens sieht man unter dem Magenepithel abgelöste Zellen liegen, die genau den Epithelzellen gleichen. Diese Zellen konnte ich auch in dem Momente beob- achten, wo sie durch die schon angelegte Muscularis des Magens längs der Scheiden der kleinsten Arterien hindurchwanderten, um sich in der Gefäß- scheide hinter dem Magen zu sammeln und die Milzanlage zu bilden. Bei Siredonlarven von 10 mm Länge, welche kürzlich das Ei verlassen haben, ist die Milz noch nicht vascularisirt, sondern liegt als solider Zellhaufen in der Scheide der Magenarterie. — Eine solche Massenansammlung lymphatischer Zellen in deu Scheiden der Darmarterien wie bei Rana fand ich nicht. Dies findet seine Erklärung in der Kürze des Darmes der Urodelen, welcher nur eine einfache Schlinge bildet. Hier ist somit das zellbildende Epithel nur ein kleiner Bezirk im Verhältnis zu dem ungemein langen vielgewundenen Darmkanal der Anurenlarven. Dort werden überall Zellen abgeschnürt und überfluten den einen Gefäßstamm. Bei Urodelen fehlen die Rundzellen nicht. Man sieht überall in den Scheiden der Darmarterien Zellen mit großen runden Kernen, die entschieden den Eindruck von Epithelzellen machen. Auch kann man sie im Bindegewebe unter dem Darmepithel finden, wo sie in Bezug auf die Kerne vollkommen den Darmepithelzellen gleichen. Es ist mir bis jetzt nicht gelungen, Mitosen am Darmepithel nachzuweisen, wie ich solche bei diesen Thieren in den betreffenden Stadien auch sonst im Körper nicht fand. Es mag das mit schlechten Ernährungsverhältnissen dieser Larven zusammenhängen. Indessen genügt die Anordnung der Zellen unter dem Darmepithel und ihr Vorkommen in den Gefäßscheiden der Darmarterien vollkommen, um hier dieselben Vorgänge wie bei Anuren annehmen zu lassen. — Die Tragweite der hier angegebenen Thatsachen liegt auf der Hand. Es ist nicht zu erwarten, dass so wichtige Organe, wie die Milz und die lym- phatischen Organe, die sich bei allen Wirbelthieren in späteren Stadien in wesentlich gleichen Verhältnissen zeigen, im Principe ihrer Entwicklung von einander abwichen. Wenn der Nachweis gelingen sollte, dass auch bei den übrigen Vertebraten die Bildungszellen der Milz und der Lymphdrüsen direkte Derivate des Darmepithels sind, so wird die Bedeutung des Entoderms für den Gesammtorganismus bedeutend erweitert. Es gewinnt immer mehr den Anschein, als ob auch die erste Anlage des Blutgefäßsystems, wenigstens des Herzens und der Arterien eine entodermale sei. Ich erinnere hier an die Ar- beiten Ragr’s und an die Mittheilung von Dr. Schwink über die Entwicklung des Herzendothels bei Amphibien (Anatom. Anz. 1890 Nr. 7). Für die Bildung der ersten Blutkörperchen steht diese Beobachtung noch aus. Die Ablösung der Rundzellen vom Epithel würde nach Kenntnis dieser Bildungsvorgänge am Blutgefäßsystem viel verständlicher werden. Auch die Thatsache, dass die GefiBscheiden als Wege solcher Zellen dienen, ist dann eine naturgemäße. Mit der Auffassung Stönr’s von den Lymphfollikeln der Tonsillen und des Darmes stehen meine Angaben ebenfalls nicht im Widerspruch, denn es künnen sehr wohl Zellen, die ursprünglich dem Epithel entstammen, wieder mit diesem Epithel in Beziehung treten. Es braucht die Ablösung von Zellen aus dem Epithel nur in einer einzigen frühen Entwicklungsperiode stattzufinden. Sind die Zellen einmal selbständig, so können sie auch späterhin nach verschiedenen Richtungen hin als unabhängige Theile ihre Thätigkeit entfalten. ö Genaueres über die angeregten Fragen zu ermitteln bleibt weiteren Aus- führungen vorbehalten. Heidelberg, den 13. Mai 18%. — Zur Morphologie der Fischschuppen und zur Geschichte der Hartsubstanzgewebe. (IV—VIL.) Von Dr. Hermann Klaatsch, Assistent am anatomischen Institut zu Heidelberg. IV. Die Cycloidschuppen der Dipnoer und fossiler Ganoiden. Die Phylogenese der ,,Cycloidschuppen“. Form, Anordnung und Bau der Dipnoerschuppe. Die Schuppen der Dipnoer sind durch die Untersuchungen von L. Acassız, KÖLLIKER, WIEDERSHEIM und GÜNTHER genau bekannt. So weit es den Thatbestand beim erwachsenen Thier anbetrifft, lässt sich den Angaben dieser Forscher wenig hinzufügen. An ontogeneti- schen Untersuchungen fehlt es leider gänzlich; bezüglich der Auf- fassung des Schuppenkleides von Protopterus und Ceratodus in ihrem Zusammenhang mit den Integumentalbildungen der anderen Fische ist nur von WIEDERSHEIM versucht worden, eine Erklärung zu geben. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass bei Protopterus ein vermittelnder Zustand zwischen Selachiern und Ganoiden erhalten sei. Die Dipnoer stimmen bezüglich der Schuppen unter einander in den wesentlichsten Punkten überein. Die Schuppen stellen Platten von annähernd ovaler Form dar, der größere Durchmesser entspricht der Längsachse des Körpers; so ist es bei Protopterus annectens und Ceratodus, bei Lepidosiren para- doxa haben die Schuppen nach WIEDERSHEIM eine mehr rechteckige Form. In der Mitte am dicksten, werden die Schuppen nach dem Rande zu allmählich dünner. Die Anordnung der Schuppen und ihre Morpholog. Jahrbuch. 16. 14 210 Hermann Kluatsch Lage in der Haut zeigt große Übereinstimmung mit den Teleostiern. Sie zeigen dieselbe dachziegelfürmige Deckung und dieselbe Anord- nung in schrägen Reihen. Sehr bedeutend sind die Schwankungen in den Größenverhältnissen. In der Gegend der Seitenlinie am größten, nehmen die Schuppen in dorsaler, ventraler und caudaler Richtung an Größe ab; bei Ceratodus überkleiden sie, distal immer kleiner werdend, die Gliedmaßen und die Rücken -Schwanzflosse. Hier nimmt auch in distaler Richtung die Deckung der Schuppen allmählich ab, die kleinsten liegen neben einander, ohne dass die Ränder sich decken. Die Lage in der Haut ist von WIEDERSHEIM bei Lepidosiren annectens durch die Wiedergabe eines Längsschnittes (Taf. V Fig. 2) illustrirt worden; meine Beobachtungen an Ceratodus ergeben ganz gleiche Zustände. Die Schuppen liegen eingeschlossen in Fächer der Cutis, die den Schuppentaschen der Teleostier sehr ähnlich sind. Von der Epidermis sind sie durch eine kontinuirliche Bindegewebs- lage getrennt. Was den Bau der Schuppen anbetrifft, so haben alle Beobachter zwei Schichten konstatirt, eine äußere homogene und eine innere von faseriger Struktur. Die äußere Schuppenschicht hielt L. AGassiz bei Lepidosiren für Schmelz; er schildert ihre Substanz treffend als »déposé non pas en couche uniforme, mais en plaques herissees de pointes et d’asperites, qui sont separées par des sillons onduleux, formant des réseaux A mailles ordinairement quadrangulaires« (pag. 75 Th. I. Genauer ist diese Schicht von WIEDERSHEIM beschrieben worden. Ubereinstimmend mit seinen Angaben über Lepidosiren annectens finde ich bei Ceratodus dieselbe gebildet durch eine Hartsubstanz, die sehr zahlreiche, annähernd kreisförmige Durchbrechungen zeigt und die eine außerordentlich große Zahl von kleinen konischen Erhebungen darbietet. Bei Ceratodus ist das freie Ende dieser Erhebungen etwas von der übrigen Masse durch eine stärkere Lichtbreehung unter- schieden; diese Substanz liegt aber kappenförmig dem tieferen Theil auf und ist nicht, wie es WIEDERSHEIM von Lepidosiren annectens abbildet, ein durch eine kreisförmige Grenzlinie vom Übrigen deut- lich abgesetztes Stück. Diese oberflächliche Schicht entbehrt nach allen vorliegenden Angaben und meinen Untersuchungen an Ceratodus der Knochen- zellen. Dass jedoch solche in den Schuppen der Dipnoer vorkom- men, ist von KÖLLIKER bei Protopterus entdeckt worden. Sie sind, Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 211 wie KÖLLIKER sagt, »freilich meist nur von der einfachen Form von Spindeln und nur hier und da von einfach sternförmiger Gestalt«. WIEDERSHEIM erwähnt dieselben nicht mit einem Wort. GÜNTHER konnte bei Ceratodus nichts Derartiges finden, » which is very singular«, wie er selbst sagt. Ich habe diese Zellen bei Ceratodus in einer sehr reichlichen Menge konstatirt und gefunden, dass sie für die Auffassung der Dip- noerschuppe von großer Bedeutung sind. Für die Beurtheilung dieser Zellen ist aber zunächst nothwendig, die untere oder tiefere Schuppenschicht näher zu beschreiben. Dass die untere oder innere Schicht der Schuppe eine faserige Struktur aufweist, erkannte bereits L. Acassız. Er nennt sie »une substance fibreuse a fibres eroisees«. GÜNTHER erkannte bei Ceratodus die lamellöse Schichtung der Substanz und fand über das Verhalten der Fasern in den Lamellen : » The fibres of one layer run parallel to one another, but generally cross those of the next layer at an angle of either 90 or 45 degrees« (pag. 516). WIEDERSHEIM beschrieb die Schuppenlage als gebildet von »Binde- gewebsschichten«: »Da und dort erscheinen größere und kleinere Spalten dazwischen.« Auch deutet er Beziehungen zu dem Binde- gewebe der Schuppentasche an. Seine Befunde kann ich durch die Untersuchung von Ceratodus dahin ergänzen, dass die untere Schup- penschicht eine große Zahl von Zellen in sich birgt. Es liegt die Schicht innig der unteren Wand der Schuppentasche auf. Sie theilt mit dieser die fibrilläre Struktur und den Besitz von Bindegewebs- zellen, unterscheidet sich von ihr nur dadurch, dass sie sclerosirt ist. Somit repräsentiren ihre Zellen Knochenzellen und die Knochen- körperchen, welche diesen entsprechen, bieten ein ganz eigenthüm- liches und charakteristisches Bild. Es sind langgestreckte Zellen, deren Richtung der Faserlage entspricht, der sie angehören (Fig. 13 Taf. VII). Wie die Fasersysteme, so werden auch die Knochen- körperchen in drei verschiedenen Richtungen angetroffen. Zahlreiche Ausläufer gehen von ihnen aus, Anfangs in senkrechter Richtung zum Zellkörper, dann wiederum sich theilend. An gefärbten Durch- schnitten der Schuppen ist es leicht zu konstatiren, dass in der ganzen Dicke der Schicht Zellen gelegen sind. Die Kerne dieser Zellen sind ohne Weiteres deutlich. Die meisten derselben liegen horizontal zur Schuppe, einige aber stehen senkrecht zu ihren Flä- chen. Das Bild dieser Zellen, wie es sich am Trockenpräparat durch die Form der Knochenkörperehen markirt, stimmt vollständig mit 14* >, Hermann Klaatsch dem überein, was WILLIAMSON von den Schuppen der fossilen Ga- noiden Megalichthys Hibbertii abbildet und das von Panper als »Isopedin« bezeichnet wurde. Dass auch bei Amia und manchen Te- leostiern sich ähnliche Zellen finden, wurde bereits oben erwähnt. Die Schuppe zeigt an der Oberfläche eine netzförmige Zeich- nung. Ihr Zustandekommen hat WIEDERSHEIM erklärt. Die Streifen, welche die »Schuppenfelder« abgrenzen, sind bedingt durch das Fehlen der äußeren Schuppenschicht. Aber auch die untere Schicht zeigt an diesen Stellen eine Veränderung. WIEDERSHEIM bezeichnet die- selbe dadurch, dass er sagt: es »erleiden hier die sonst regelmäßig alternirenden Bindegewebsschichten eine Verwerfung, durchflechten sich unregelmäßig und erzeugen Spalträume«. Ich finde die be- treffende Modifikation gegeben dadurch, dass die Fasern in allen Lamellensystemen hier ihren gestreckten Verlauf gegen eine leicht wellige Anordnung eintauschen, dass dabei die Lamellen selbst. wie auch die Fibrillenbündel innerhalb der Lamellen ein „wenig von einander abweichen, so dass geringe Spalträume zwischen ihnen sichtbar werden; eine andere Art der »Durchflechtung« kann ich nicht konstatiren. Es scheint an den betreffenden Stellen die Im- prägnation mit Kalksalzen schwächer zu sein, oder zu fehlen. Was das Wachsthum der Schuppe und die Beziehung ihrer Hartsubstanz zu Zellen anbetrifft, so fehlt es gänzlich an Beobach- tungen. WIEDERSHEIM hat diesen Theil der Histologie der Dipnoer- schuppen nicht berücksichtigt. Nur ganz beiläufig bemerkt er, dass die unter der Schuppe gelegene Wand der Tasche »als die eigent- liche Matrix« der Schuppe zu betrachten sei. Die kleinsten Schuppen, die ich bei Ceratodus fand, stellen ovale Platten dar, welche der Körperoberfläche parallel im Binde- gewebe der Cutis liegen, von der Epidermis geschieden durch eine dicke, an Blutgefäßen reiche Schicht lockeren Bindegewebes. Es besteht also von Seiten der Epidermis keine Beziehung zur Schup- penbildung. Dieselbe kommt vielmehr ausschließlich durch Zellen des Bindegewebes zu Stande. Diese durch ihre Funktion sich als Scleroblasten erweisenden Elemente sind an jeder gefärbten Schuppe leicht nachzuweisen. Die Ränder der Schuppe sind dicht mit den- selben besetzt. Sie liegen hier zur Schuppe tangential angeordnet und ihre Kerne sind in der gleichen Richtung ausgedehnt von spindel- förmiger Gestalt. Ihre Größe ist sehr beträchtlich, sie erreichen eine Länge von 40 u, bei einer Breite von ca, 5 «!. Von mehr 1 Durch die Größe der Elemente und ihrer Kerne erinnern die histiologi- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 213 rundlicher oder ovaler Form erscheinen die Kerne der Seleroblasten an der gesammten Oberfläche der Schuppe. Sie liefern hier die äußere Schuppenschicht. Dabei liegen die Scleroblasten am dichte- sten angehäuft in den kleinen Lücken, welche die betreffende Schicht besitzt, dessgleichen besetzen sie aber auch, nur in geringerer Zahl, das Netzwerk selbst, das die Schicht charakterisirt. Auch die Spitzen. in welche sich das Netzwerk erhebt, werden durch die Scleroblasten gebildet. Als Anfangsstadien der Spitzen sieht man am Rande hier und da kleine hügelförmige Erhebungen der Schicht. Auf jeder der- selben liegt ein Scleroblast auf. Bei weiterer Zunahme des Hügels schmiegt sich die Zelle innig demselben an, wie die Gestalt ihres Kerns dokumentirt. Derselbe nimmt eine sichelförmige Form an und umfasst den kleinen Höcker. So entsteht bei der Flächenbetrachtung ein charakteristisches Bild: je einem Spitzchen liegt gleichsam kappen- förmig ein Kern an. Niemals wurde mehr als eine Zelle bei diesem Vorgang der Spitzenbildung betheiligt gefunden. Die etwas anders lichtbrechende Kappe der Spitzchen stellt sich im Verhältnis zur Bil- dungszelle als das jüngste Produkt derselben dar. Die gleichen Zu- stände zeigt auch Protopterus annectens. An der Außenfläche handelt es sich um Zellen, welche als erste und einzige Aufgabe die Bildung der homogenen, nur eine geringe lamellöse Schichtung aufweisenden Hartsubstanz zu erfüllen haben. Ganz andere Vorgänge bedingen das Wachsthum an der Innenfläche. Die innere Schuppenschicht ist bei den sich nicht deckenden Schuppen gering entwickelt. Je größer die ganze Schuppe an Umfang wird, um so mehr nimmt sie an Dieke zu. Unmittelbar unter der Schuppe liegt ein sehr zellenreiches, Chromatophoren und Blutgefäße führendes Gewebe, welches dem Bindegewebe der Schuppentasche beizuzählen ist. Weiter von der Unterfläche der Schuppe entfernt ist die Grund- substanz sehr reich an Fibrillenbündeln, die annähernd der Schuppe parallel verlaufen, ohne eine bestimmte Anordnung aufzuweisen. Die Zellen treten hier an Zahl zurück. Wie ist nun das Verhältnis zwischen der unteren Schuppen - schicht und der Wand der Tasche aufzufassen ? Die betreffende Lage der Schuppe gleicht vollständig einem aus straffen Bindegewebe ge- bildeten und mit Kalksalzen imprägnirten Theile. Die Knochen- schen Befunde bei Dipnoern weit mehr an Gewebe der Amphibien, als an solche der anderen Fische. 2714 Hermann Klaatsch körperchen stellen Lücken in einer Substanz dar, die nicht nur vollständig, sondern auch in einer ganz bestimmten Weise in Fibrillen zerfallen ist. Sie sind in dicken Bündeln zusammengeschlossen, welche in einer Lamelle sämmtlich einander parallel laufen, mit den nächst höheren resp. tieferen sich in der oben angegebenen, unter Anderen von GÜNTHER bereits erkannten und auch abgebildeten Weise kreu- zen. Diese außerordentliche Regelmäßigkeit der Schicht giebt Grund, die Annahme zurückzuweisen, dass sie einem schon vorher gebildeten Bindegewebstheile der Schuppentasche entspreche, der durch Impräg- nation mit Kalksalzen oder »Selerosirung« der Schuppe einverleibt würde. Das Gewebe der Schuppentasche besitzt gar nicht eine ent- sprechende Differenzirung; außerdem liegt unmittelbar unter der Schuppe ein sehr zellenreiches, relativ indifferentes Bindegewebe. Dieses ist als Keimschicht zu betrachten. In ihr gewinnen zunächst die Zellen die charakteristische Anordnung, liegen aber Anfangs noch dieht bei einander; dann nimmt die Grundsubstanz zwischen ihnen zu und liefert die Systeme der lamellös angeordneten Fibrillenbündel. Es liegt also hier ein Gewebe vor, das aus einem indifferenten Ma- terial sich hervorbildet, indem es dem straffen Bindegewebe in seinem Entwicklungsgange folgt. das jedoch bei dieser Ausbildung mit Kalk- salzen imprägnirt wird. Wenn also auch nicht präexistentes Binde- gewebe der Schuppe zugetheilt wird, so besteht doch ein Recht dazu, den unteren Theil der Ceratodusschuppeals »verknöchertes straffes Binde- gewebe« aufzuführen, im Gegensatz zur oberen Schicht, die keine fibrilläre Differenzirung bei ihrer Entstehung zeigte. Durch die Be- ziehung zur Schuppentasche, wie ich sie entwickelt habe, wird es verständlich, dass beständig die Möglichkeit eines Diekenwachsthums der Schuppe gegeben ist, ohne dass die Wand der Tasche dadurch in ihrer Masse verringert würde; dieselbe wird nicht nur nicht al- terirt, sondern nimmt selbständig an Ausdehnung zu von eben der Partie aus, welche auch für die Schuppe als Keimschicht dient. Vergleichung der Dipnoerschuppe mit derjenigen der Selachier. Nach der Feststellung der Thatsachen erwächst die Aufgabe, die Stellung der Dipnoerschuppe zu den Schuppen der Selachier, Ganoiden und Teleostier zu begründen; bevor jedoch diese keines- wegs leichte Aufgabe in Angriff genommen werden kann, bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem, was in der Litteratur über diese Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 215 Frage vorliegt. Wie oben angedeutet, hat WIEDERSHEIM über die Dipnoerschuppe eine ganz bestimmte Meinung geäußert und glaubt in der Protopterusschuppe einen Zustand aufgedeckt zu haben, durch den »eine fühlbare Lücke zwischen dem Hautskelet der Selachier einer- sowie der Ganoiden und Panzerwelse andererseits ausgefüllt wird« (pag. 128). Es fragt sich nun zunächst, auf Grund welcher Thatsachen er die Verknüpfung der Dipnoer mit den Selachiern vornimmt. WIEDERSHEIM erblickt in den Spitzen der Schuppenoberfläche »kleinste Zähnchen«, »denn als solche entpuppen sich bei starker Vergrößerung die von früheren Untersuchern als ,Stacheln‘, ‚Dornen‘, ‚Spitzen‘ und ‚kegelartige Prominenzen‘ beschriebenen Gebilde. An jedem Zähn- chen lässt sich eine aus Dentin bestehende, meist nach rückwärts gegen das Schwanzende des Thieres gekrümmte freie Spitze, sowie ein damit verwachsener aus Cementsubstanz bestehender Sockel unter- scheiden.« Einige Zeilen weiter heißt es: »Trotz der eben geschil- derten Verhältnisse jedoch vermochte ich im eigentlichen Zahn selbst keine Pulpahöhle, keine Dentinréhrchen und eben so wenig eine Schmelzlage nachzuweisen.« Sodann: »Sehr interessant war es mir zu sehen, dass die Zahnsockel nicht etwa einzeln im unterliegenden Bindegewebsstroma der zweiten Schuppenschicht eingepflanzt liegen, sondern dass sie sich basalwärts bandartig ausbreiten, um mit be- nachbarten in Verbindung zu treten.« WIEDERSHEIM hält also die äußere Schuppenschicht für ein Ver- schmelzungsprodukt von zahlreichen Placoidschuppen. Es sei fürs Erste einmal zugestanden, dass jeder der kleinen Spitzen eine Selb- ständigkeit zukomme, wie es WIEDERSHEIM will, dass es »Zähne« seien, dass das Netzwerk von »Cement«, d. h. die äußere Schicht der Gesammtheit zahlreicher Basalplatten entspreche. In diesem Falle kann die WIEDERSHEIN’sche Ableitung desshalb nicht befriedigen, weil durch sie die Schuppe als solehe gar nicht erklärt wird. Weder das Zustandekommen der neuen Einheit nach Aufhebung der alten, noch das Hinzukommen der unteren Schuppenschieht, welche doch die Hauptmasse der ganzen Schuppe darstellt, wird von WIEDERSHEIM mit einem Worte berührt. Für die Beurtheilung der Schuppe kann aber nicht ein Theil herausgegriffen werden, vielmehr müssen alle Theile derselben berücksichtigt werden. Die Sehlüsse für die Stellung der Dipnoerschuppe entbehren also bei WIEDERSHEIM der festen Basis. Seine Anschauung ist aber auch bei näherer Prüfung im Einzelnen unhaltbar. 216 Hermann Klaatsch Ist jedes Spitzchen einem Hautzahn der Haie gleich, so ent- spricht die Zahl derselben auf einer Ceratodusschuppe der Zahl der Placoidschuppen, aus der die erstere hervorging. Die kleinsten Cera- todusschuppen, die ich fand, von 2'/, mm Länge und 1'/,; mm Breite, besaßen ca. 50 Spitzchen. Ein jugendliches Exemplar von Scyllium zeigte auf der gleichen Fläche nur 5—S Schuppen. Nun wachsen allerdings die Spitzen mit der gesammten Schuppe, es nimmt aber auch die Zahl der Spitzen am Rande beständig zu, so dass sie bei größeren Schuppen viele Hunderte beträgt. Es werden damit so ungeheuer große Zahlen von Placoidschuppen erforderlich, dass zur Erklärung der Dipnoerschuppe der Bestand bei Selachiern kaum ausreichen dürfte. WIEDERSHEIM hat dies nicht berührt, noch auch überhaupt den Vergleich so weit geführt, dass er im Einzelnen sich bewähren könnte. Zeigen diese Hinweise die Unsicherheit seines Gedankenganges, so sind sie zur Widerlegung desselben nicht nöthig: die letztere liegt in WIEDERSHEIM’S eigenen Worten: Es fehlt jeg- licher Nachweis, dass die Spitzen »Zähne« sind. Zur Definition des Zahnes ist das Vorhandensein einer Pulpahöhle, eines Dentinkegels mit Zahnbeinröhrchen, einer Schmelzkappe unentbehrlich. Mag hier und da eines dieser Kriterien fehlen oder wenig deutlich entwickelt sein — wie z. B. die geringe Ausbildung der Dentinröhrehen in den Hautzähnen des Lepidosteus zeigt —, ein Fehlen sämmtlicher Kriterien verbietet auch die Anwendung des Namens »Zahn« auf solche Spitzen aus Hartsubstanz. In dieser Beziehung verfährt O. Hertwic durchaus konsequent, indem er für die stacheligen Haut- ossificationen vieler Teleostier den Ausdruck Zahn streng vermeidet. Nicht minder als der Bau weist auch die Entstehung der Spitzen auf die Dipnoerschuppe die WIEDERSHEIN’sche Parallele mit Zähnen zurück. Die vorliegenden Gebilde entwickeln sich durch die Sekre- tion je einer ihnen auflagernden Zelle. Diese gehört dem Binde- gewebe an, liegt tief in der Cutis; es fehlt jegliche Beziehung zur Epi- dermis!, es fehlt ein Dentinkeim und demgemäß wird das Produkt ein 1 SAGEMEHL hat die WIEDERSHEIM’schen Angaben missverstanden, wenn er (Cranium der Characiniden, pag. 3 Anm.) über die Dipnoerschuppen sagt: »Der Umstand, dass die Oberfläche dieser Cycloidschuppen mit mikroskopischen, in der Epidermis versteckten Hautziihnchen besetzt, ist allerdings sehr auf fällig und weist auf einen sehr niederen Zustand hin Von Beziehungen zur Epidermis ist gar nicht die Rede; auf WIEDERSHEIMs Exemplar fehlte dieselbe vollständig. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 217 solches, das in der That nur durch die Form eine ganz entfernte Ähnlichkeit mit einem »Zahn« annimmt. Es kann sich somit höchstens noch darum handeln, die Frage zu entscheiden, ob die Spitzen der Dipnoerschuppe irgend wie als ru- dimentäre Bildungen mit dem Spitzentheil der Placoidschuppe in Be- ziehung zu bringen sind, oder ob sie als eine ganz selbständige Entfaltung des Oberflächenreliefs aufzufassen sind. Auch dafür, dass die »Basalplatten« mit einander verschmelzen sollen, liefern die Thatsachen keine Stütze. Die Spitzen mit den ihnen benachbarten Partien der äußeren Schuppenschicht sind niemals von den Nachbargebilden gleicher Art getrennt. Es entsteht vielmehr die ganze Schicht in der Weise, dass ihre Hartsubstanz zwar durch- brochen, aber niemals diskontinuirlich angetroffen wird, abgesehen von den rinnenförmigen Defekten, welche die Schuppenfelder ab- grenzen. Diese haben aber mit den »Zähnen« nichts zu thun, da jedes Schuppenfeld eine sehr große Zahl derselben trägt. Ein direkter Anschluss der Dipnoer an die Selachier ist nicht möglich. Es bedarf hierzu der Vermittelung der Teleostier und der Ganoiden. Vergleichung der Dipnoerschuppe mit der Teleostier- schuppe. Vergleicht man das Schuppenkleid der Dipnoer mit dem der Teleostier, so hat es den Anschein, als ob hier sehr nahe mit ein- ander übereinstimmende Zustände vorlägen. Bei der außerordentlich verschiedenen Stellung der beiden Gruppen muss man sich jedoch wohl hüten, jeder äußeren Ähnlichkeit eine tiefere Bedeutung bei- zumessen. In diesem Sinne muss es verstanden werden, wenn ich im Folgenden von »Übereinstimmungen« spreche. Die Anordnung in schrägen Reihen, die Lage in Schuppen- taschen, die dachziegelförmige Deckung sind den Schuppen der Dip- noer mit denen der Teleostier gemeinsam. Die Form der Schuppen stimmt durch den annähernd eyeloiden Umriss ebenfalls überein, bietet aber bei den großen Verschiedenheiten, die sich bei den Te- leostiern finden, gar keine näheren Anhaltspunkte. Auch die Dicke der Schuppen differirt bei beiden nicht wesentlich. Eine geringe Ver- schiedenheit macht sich darin bemerkbar, dass bei Ceratodus die sub- epidermoidale Bindegewebsschicht, welche alle Schuppentaschen nach außen hin gleichmäßig abschließt, stärker entwickelt ist, als es, so viel mir bekannt, bei Teleostiern sich findet. 218 Hermann Klaatsch Auch der Bau der Schuppe bietet bei beiden eine auffallende Ahnlichkeit dar. Wir finden bei den Dipnoern zwei Schichten wie- der, die denen der Teleostier recht ähnlich sind. Die äußere, aus homogener Hartsubstanz, liefert das Oberflächenrelief. Die innere besteht aus Lamellen. Die äußere ist bei Ceratodus und Prototerius von der der Teleostier unterschieden, einmal dadurch, dass sie nie- mals umschlossene Scleroblasten enthält, sodann durch die zahl- reichen rundlichen Durchbrechungen, die der ganzen Lage eine poröse Beschaffenheit verleihen. Hingegen sind die rinnenförmigen Defekte der Schicht bei beiden sehr ähnlich. Die innere Schicht differirt bei beiden Gruppen dadurch, dass sie bei den Dipnoern durchweg zellenhaltig ist. Diese Verschieden- heit der durch die lamellöse Schichtung selerosirter Fibrillenbündel einander so ähnlichen Schichten bei beiden Schuppenarten wird ab- geschwächt durch den Befund von Amia und einiger Physostomen, welche die Schicht in ihren äußeren Partien mit Elementen versehen zeigen, die denen der Dipnoer vollständig gleichen. Mögen nun die beiden inneren Schuppenschichten auch ganz unabhängig von einander entstanden sein, so stellt doch Ceratodus hierin einen Zustand dar, der verglichen mit Amia und den Te- leostiern eine niedere Stufe repräsentirt. Dieser Befund mit dem oben über die Teleostier Gesagten in Beziehung gesetzt, macht es wahrscheinlich, dass auch bei den letzteren ursprünglich Bindegewebe mit allen seinen Bestandtheilen sclerosirt wurde und dass erst hier- aus sich der zellenlose Teleostierzustand entwickelte. Die Vergleichung der Dipnoerschuppe mit der der Ganoiden er- fordert eine Vervollständigung der bisher vorgebrachten Angaben über die Ganoidschuppen. Die Cyeloidschuppen der Crossopterygier. Von den Schuppen der Ganoiden wurden bisher nur diejenigen betrachtet, welche sich mit Leichtigkeit auf den Urzustand der Ga- noiden zurückführen ließen und durch diesen eine direkte An- knüpfung an die Basalplatten der Selachier boten. Dabei blieben zunächst alle diejenigen ausgeschlossen, welche nicht neben einander gelegen sind, sondern eine dachziegelförmige Deckung zeigen und statt der Rhombenform eine mehr cycloide Gestalt besitzen. Sodann wurde vom Urzustand der Ganoiden aus eine Reihe von Schuppen mit den soeben bezeichneten Eigenschaften abgeleitet, näm- lich die der Amiaden und der Teleostier. Zur Morphologie d. Fischschuppen u, zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 219 Den Teleostierschuppen sehr ähnliche Bildungen kommen bei anderen Ganoidengruppen vor, ohne dass ihre Träger mit den Te- leostiern in einem näheren verwandtschaftlichen Verhältnis ständen. Die genauere Betrachtung derselben ist für das Verständnis und die Ableitung alles dessen, was bisher als »Cycloidschuppe« zusammen- gefasst worden ist, von großer Bedeutung. Indem ich die wichtigsten Punkte, welche die Ganoiden-Rund- schuppen betreffen, zusammenstelle und zur Vergleichung verwerthe, stütze ich mich auf die Angaben und Abbildungen von AGassiz, WILLIAMSON, ZITTEL und Reis. Eine Reihe von Formen, die den Palaeonisciden sehr nahe stehen, und sich von ihnen nur durch den Besitz gedeckter Rundschuppen an Stelle der Rhomben unterscheiden, wie Coccolepis (Tab. 36, AGAssiz, poiss. foss.), sind zwar durch ihr isolirtes Auftreten von Interesse, bieten aber für die Ableitung keinen Anhaltspunkt. Anders steht es mit den Crossopterygiern. Die Schuppen dieser von HuxrEy begründeten Ordnung lassen sich ganz vortrefi- lich einreihen in den Rahmen aller übrigen Hautbedeckungen der Fische. Ihr mikroskopischer Bau ist durch WıLLıamson und PANDER genau bekannt geworden. Indem ich den Versuch mache, die ver- schiedenartigen Schuppenformen der Phaneropleurinen, Coelacan- thinen, Cyelodipterinen, Rhombodipterinen und Polypterinen als die Stadien eines allmählichen Umwandlungsprocesses darzustellen, ist es Polypterus, der die Anknüpfung an primitivere Zustände ver- mitteln hilft. Ich habe oben bereits die Polypterusschuppe ange- schlossen an die von Lepidosteus und mit dieser Form ist der An- schluss an den Urzustand der Ganoiden erreicht. Für die weiteren Komplikationen der Crossopterygierschuppen kann kein besserer Ausgangspunkt gedacht werden, als die Schuppe des jugendlichen Lepidosteus (s. oben); eine rhombische Knochen- platte, bedeckt mit Zähnchen, deren basale Theile die Ganoin- schicht bilden. Diese letztere fehlt, eben so wie die Zähnchen, nur auf einem ganz schmalen Streifen des vorderen Randes, der sich unter die Nachbarschuppen herunterschiebt (Taf. VII Fig. 8). Die Zähnchen stellen Erhebungen der Ganoinschicht dar, ihre Pulpahöhle steht durch eine basale Kommunikationsöffnung mit dem Gewebe an der Schuppenoberfläche in Verbindung (Taf. VII Fig. 6). Diesen jugendlichen Zustand scheinen unter den Lepidostoiden die Tetra- gonolepis-Arten (AGassız, poiss. foss. Tetr. angulifer, confluens, pustu- 220 Hermann Klaatsch latus) im erwachsenen Zustande besser bewahrt zu haben, als der jetzt lebende Vertreter dieser Ordnung. In der Form reihen sich die Rhombodipterinen zunächst dem Polypterus resp. Lepidosteus an. Im Bau weichen die dicken, glatten Schuppen von Osteolepis von dem als Ausgangspunkt ge- wählten Zustande etwas ab: anstatt der einzelnen, frei vorragenden Zähnchen finden sich unter der glatten Oberfläche Büschel von Dentin- kanälchen, von einem größeren Kanal ausstrahlend (ZittEL, pag. 14 Fig. 12 nach Panper). WILLIAMSON nennt eine solche Struktur Kosmin und weist darauf hin, dass jedes einzelne Büschel von Dentinkanälchen einem Zahn sehr ähnlich ist. In der That lässt sich das Bild des Kosmins sehr leicht von dem Bilde neben einander aufragender Zähnchen ableiten durch eine geringe Verbreiterung und Abflachung des Spitzentheils, wie sie auch anderwärts (vgl. oben die Placoidschuppen von Pristis!) vorkommen. Dabei bleibt jedem Spitzentheil seine Individualität gewahrt durch Kanäle, welehe zwi- schen denselben zur Oberfläche steigen (cf. Wırrıamsox. 1549. Taf. XLII Fig. 17, 24 u.a.). Die Kosminstruktur! spielt bei den Crosso- pterygiern eine große Rolle. Die durch sie charakterisirte Ober- flächenschicht, die oft eine beträchtliche Dicke erreicht, ist morpho- logisch gleichwerthig der Ganoinschicht plus den Zähnchen der Le- pidosteusschuppe. Ich fasse im Folgenden die Ganoin- und Kosmin- schicht als äußere Lage oder oberflächliche Schuppenschicht zusam- men. Darunter folgt bei Osteolepis u. a. eine Knochengewebsschicht, vollständig derjenigen gleich, welche bei den Dipnoern die untere Schuppenschicht bildet (cf. oben!) , sclerosirte zellenhaltige Binde- gewebslamellen, eine Formation, für welche ich der Kürze halber den alten PaAnper'schen Namen »Isopedin« wieder aufnehme. Darunter folgt noch eine Schicht von Knochengewebe, das um Blutgefäß- kanäle lamellös geschichtet ist. Ganz ähnlich sind die Schuppen von Megalichthys gebaut. Bei Glyptolaemus (ef. oben!) ist der gedeckte Randstreifen etwas mehr ausgedehnt. Die vordere Ecke des Rhombus ist abgerundet. Bei Rhizodus werden die Schuppen rundlich vierseitig, bei Holo- ptychius (ZiTTEL, pag. 179 Fig. 185) ist eine vollständig runde Schup- penform erreicht. Der gedeckte Randstreifen hat sich so vergrößert, 1 Die Kosminstruktur an der Oberfläche eines Hautskeletstückes liefert ein untrügliches Kennzeichen der Genese derselben aus Zähnen. In diesem Sinne scheint mir ihr Vorkommen bei Pteraspiden und Cephalaspiden von einer bisher nicht genug gewürdigten Bedeutung. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 221 dass er etwa ein Viertel der ganzen Oberfläche darstellt. Der Mittel- punkt der Schuppe liegt unbedeckt. Gerade so wie bei den Rhombo- dipterinen, so entbehrt auch bei den Cyelodipterinen, zu denen Holo- ptychius gehört, der gedeckte Theil der äußeren Schuppenschicht, während der freie durch Rauhigkeiten ausgezeichnet ist, die theils als wirkliche Zähne, theils als Rudimente der Ganoin- oder Kosmin- schicht an die früheren Zustände erinnern. Von Holoptyehius aus führt der Weg durch die Phaneropleurinen zu den Coelacanthinen. Diese »wohl umgrenzte, völlig erloschene Familie, deren Vertreter ihre typischen Merkmale von der Stein- kohlenzeit an bis in die obere Kreide festhielten« (ZiTTEL, pag. 171), besitzen vollständig cycloide dachziegelförmig gedeckte Schuppen, deren äußere Erscheinung am besten durch den Hinweis auf die große Ähnlichkeit mit Teleostierschuppen charakterisirt wird !. Wie bei Holoptychius ist der vordere gedeckte Theil, der ent- weder genau bis zum Mittelpunkt reicht (Undina acutidens, ZITTEL, pag. 175) oder diesen noch mit umfasst (ebenda pag. 174), an seiner Außenfläche. Hier wird die Schuppe nur von einer Schicht Knochen- gewebe gebildet (cf. WırLıamson, 1849, Taf. XLII Fig. 27). Der freie Theil trägt Rauhigkeiten, die in ihrer äußeren Erscheinung sroße Variationen darbieten. Als Prototyp können hierfür die Schup- pen von Macropoma Mantellii dienen, welche Acassız auf Taf. 65b (poiss. foss.) abgebildet und WırLıanson mikroskopisch auf Schliffen untersucht hat. Die Maeropomaschuppen, äußerlich den Ctenoidschuppen der Teleostier nicht unähnlich, tragen auf dem freien Theil spitze Höcker; nahe der Mitte am größten, nehmen sie allmählich nach der Peri- pherie zu an Größe ab. Ihre Zahl auf einer Schuppe ist beträcht- lich. Ich zähle auf einer der von Acassız abgebildeten Schuppen siebzig derselben. Wie WILLIAMson gezeigt hat, ist jeder Hicker ein echtes Ziihnchen. Ihre Pulpahöhle ist relativ weit und kommu- nieirt (wie bei dem jugendlichen Lepidosteus) durch einen Neben- kanal mit der Umgebung. Zahnbein und Zahnbeinkanälchen sind wohl entwickelt; auch besitzt jedes Zähnchen eine Kappe von Schmelz (WırLıamson 1849, Taf. XLII Fig. 28, Taf. XLII Fig. 26 Oper- eularknochen). Die Vergleichung der Macropomaschuppe mit der Lepidosteus- 1 Es ist auffallend, dass unter den Placodermen Pterichthys quadratus gedeckte Schuppen trägt, die denen der Coelacanthinen ähnlich sehen. 222 Hermann Klaatsch schuppe und die Verfolgung aller angeführten Zwischenstadien zeigt in klarer Weise, wie aus einer zahnbedeckten Rhombenschuppe eine zahntragende Cycloidschuppe wird. Der freie Theil der letzteren bewahrt sich seine ursprüngliche Beschaffenheit; der gedeckte Theil vergrößert sich auf Kosten des ursprünglich freien Theiles; es ent- spricht ein nicht gedeckter Theil der Lepidosteusschuppe dem ge- deckten Theil der Macropomaschuppe. Hierfür maßgebend ist die Lage des Mittelpunktes, welche bei den Coelacanthinen in den Be- reich der Deckung gezogen ist. Das Zustandekommen der »Deckung« wird mich weiter unten beschäftigen. Vergleichung der Dipnoerschuppen mit den Ganoidschuppen. Versucht man die Stellung der Dipnoerschuppen zu denen der Ganoiden zu ergründen, so richtet sich die Aufmerksamkeit, zunächst auf die Crossopterygier. Hierzu veranlasst nicht nur die Überein- stimmung der Form der Schuppen, sowie die in beiden Unterklassen wiederkehrende dachziegelförmige Deckung derselben, sondern auch die Beziehung, welche zwischen Dipnoern und Crossopterygiern. namentlich von den Paläontologen angenommen wird. Sollen doch die Ctenodipterinen ein vermittelndes Glied zwischen beiden dar- stellen (ZiTTEL, pag. 124). Abgesehen von Form und Lage in der Haut, ergiebt eine spe- ciellere Vergleichung wenig Ubereinstimmendes für beide Schuppen- arten. Die äußere Schicht der Dipnoerschuppe ist sehr verschieden von der entsprechenden Lage der Crossopterygier. Bei diesen ist sie nur am unbedeckten Theil vorhanden, bei den Dipnoern auf der ganzen Schuppe. Bei den letzteren ist es gerade der freie Theil der Schuppe, welcher im Gegensatz zu den genannten Ganoiden sich in seinem Oberfliichenrelief sehr einfach verhält. Außerdem fehlt der äußeren Schicht der Dipnoer jede an Zähne oder Kosminstruktur erinnernde Einrichtung, nur mit der Ganoinschicht stimmt sie in negativen Punkten, nämlich dem Fehlen einer besonderen Struktur überein. Die untere Schuppenschicht der Dipnoer aus »Isopedin« zeigt allerdings die oben bereits berührten Anknüpfungspunkte, da das gleiche Gewebe häufig auch als Bestandtheil der Crossopterygier- schuppen auftritt. Aber auch hieraus erwächst kein Anhaltspunkt, um nähere Beziehungen aufzustellen. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 223 Sieht man von der Verschiedenheit der Lagerung ab, so ergiebt eine Vergleichung der Dipnoerschuppe mit der des Lepidosteus ein scheinbar sehr einfaches Resultat, das offenbar viele frühere Unter- sucher auch gezogen haben. Die äußere Schicht entspricht dem Ganoin, die untere der zellenhaltigen Knochengewebsschicht der Lepidosteiden. Es fehlt jedoch die Möglichkeit, diese Vergleichung irgend wie näher zu begründen. Es muss konstatirt werden, dass zur Zeit die Dipnoerschuppe sich in keiner irgend wie sicher be- gründeten Weise an die Schuppen der Ganoiden anschließen lässt. Dies negative Resultat birgt aber in so fern ein positives Ergebnis in sich, als es beweist, dass die Dipnoerschuppe sich unabhängig von der der Crossopterygier hervorgebildet hat und dass ihr Aus- gangspunkt sehr tief an der gemeinsamen Wurzel der Ganoiden ge- sucht werden muss. WIEDERSHEIM glaubte Beziehungen mit Acipenseriden aufstellen zu müssen. Die hierbei auf die angebliche Verschmelzung von Basal- plättchen gegründeten Ansichten, welche weder bei Dipnoern, noch, wie oben gezeigt, für die Störe durchführbar sind, lasse ich bei Seite; eine weitere Begründung dafür, »dass sich das Hautskelet von Protopterus schon etwas näher an das der Ganoiden anschließt «, erblickt WIEDERSHEIM in der histologischen Übereinstimmung, in -so fern den Acipenseriden wenigstens so gut wie Protopterus die Pulpa- höhle, der Schmelz und die Dentinröhrehen in den Hautzähnen fehlen. Eine solche auf ähnliche Reduktionen gestützte Vergleichung eröffnet der Willkür den freiesten Spielraum. Mit demselben Rechte, wie es WIEDERSHEIM mit den Acipenseriden thut, würde man die Dip- noerschuppen denen der Sclerodermen oder Pediculaten an die Seite stellen dürfen. Vergleichung der Cycloidschuppen bei Crossopterygiern und Teleostiern. Es wurde bereits die überraschende Ähnlichkeit betont, welche im äußeren Habitus zwischen den Schuppen der Coelacanthinen und denen der Teleostier besteht. Die Berücksichtigung der Stellung beider Gruppen, deren jede das Endglied von Reihen darstellt, die nur an der Wurzel verbunden sind, schließt jede Möglichkeit aus, der Ähnlichkeit eine genetische Beziehung unterzuschieben. Eine Vergleichung der Einzelheiten verringert mehr und mehr die scheinbare Übereinstimmung. 294 Hermann Klaatsch Anstatt der dünnen und relativ einfach gebauten Teleostierschuppe treffen wir bei den Coelacanthinen dicke Knochenplatten von kom- plieirter Struktur. Der Gegensatz im Oberflächenrelief zwischen ge- decktem und ungedecktem Theil fehlt bei den niedrig stehenden Teleostiern. Wenn er sich bei den Ctenoidschuppen ausprägt und damit an die Crossopterygier von Neuem erinnert, so entbehrt auch hier die Ähnlichkeit der genetischen Basis. Bei den Crossopterygiern sind die Höcker der freien Schuppenfläche Reste von Zähnen, die einst die ganze Schuppe bedeckten und bei der Übereinanderlagerung auf einen kleinen Bezirk beschränkt wurden. Ganz anders entstan- den. die Spinules der Ctenoiden. Sie hatten ihren Ausgangspunkt in einer sekundären Gliederung des Oberfliichenreliefs, welche vom hinteren Rande her sich nach vorn ausdehnte. Es handelt sich also bei den Cycliferen, Crossopte- rygiern und den Teleostiern um zwei ganz getrennte Entwicklungsbahnen, deren Endpunkte einander ähn- lich geworden sind. Die genauere Prüfung zeigt die Ähnlich- keit als eine ganz oberflächliche. Dieser ausgesprochene Fall von Konvergenzbildung führt zu einer allgemeineren Betrachtung der sogenannten Cycloidschuppe mit Rück- sicht auf ihre Phylogenese. Die Phylogenese der »Cycloidschuppen«. Die Frage nach der Beziehung der Cycloidschuppen der Ga- noiden, Dipnoer und Teleostier zu einander hat bisher in der Litte- ratur keine Beantwortung erfahren. Nur SAGEMEHL hat sich einmal gelegentlich für die Polyphylese der Cyeloidschuppen ausgesprochen. Bei der Vergleichung des Hautskelets der Siluroiden mit denen der anderen »Ostariophysen« weist er die Differenz der Hautbedeckungen als Argument gegen eine nähere Verwandtschaft zurück: »Schon der Umstand, dass die Dipnoer mit Cycloidschuppen bedeckt sind, lässt die Annahme einer einmaligen Entstehung dieser Schuppen ganz unwahrscheinlich erscheinen. Wir müssten denn zugeben, dass die Dipnoer mit der größten Zahl der mit typischen Schuppen ver- sehenen Teleostier in engerem Zusammenhang stehen als die letz- teren mit den Siluroiden oder gewissen Kataphrakten, was einfach eine Absurdität wäre« (Characiniden pag. 3). Konnte nun direkt aus der Differenz im Bau zwischen Dipnoer- und Teleostierschuppe auf eine verschiedene Genese beider geschlossen Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 225 werden, so hat eine Durchmusterung der Ganoidenschuppen das Resultat ergeben, dass die Cycloidschuppe mehrere Male ganz unab- hängig von einander entstanden ist. Die Crossopterygier, die Dip- noer, die Teleostier zeigen eine dreimalige selbständige Ausbildung der Cycloidschuppe: dazu kommen einige in ihrer Stellung unbe- stimmte cyclifere Formen, die den Palaeonisciden angeschlossen wer- den. Auch unter den Lepidosteiden nehmen mehrere Pholidophorus- Arten (Acassız, poiss. foss. Tab. 42 a) durch ihre gedeckten rund- lichen Schuppen eine eigenthümliche Stellung ein. Die Cycloidschuppe ist somit polyphyletischen Ursprungs. Eine nähere Prüfung der Umstände, unter denen sich aus der Rhomben- schuppe die cycloide Form entwickelt hat, ergiebt, dass die letztere in einem nahen Abhängigkeitsverhältnis zu der Lage der Schuppen in der Haut steht. Überall, wo aus der Nebeneinanderlagerung eine Deckung der Schuppen sich gestaltet, runden sich die Ecken der Rhomben ab: Die cycloide Form ist eine Folge der dach- ziegelförmigen Deckung. Die letztere gestattet der Schuppe sich nach allen Richtungen auszudehnen. Die Phylogenese der Cycloidschuppe tritt in Abhängigkeit von der Frage, wie die Deckung der Schuppen zu Stande gekommen ist. Kann auch eine Darlegung der Faktoren, welche diese Ver- änderung des Schuppenkleides der Fische im einzelnen Falle be- dingten, weder verlangt noch gegeben werden, so lässt sich doch der Boden zeigen, auf dem sich dieselbe mehrmals vollziehen konnte. Es finden sich bei den Ganoiden geringere Grade der Deckung weit verbreitet. Nur die niedrigst stehenden Formen, wie die Acan- thodiden, haben Schuppen, die mit den Rändern an einander schließen, bei den meisten anderen schiebt sich der vordere Rand ein wenig unter die Nachbarschuppen. Als Beispiel hierfür kann das jugend- liche Exemplar von Lepidosteus dienen (Taf. VII Fig. 8). Um von hier aus die weiteren Komplikationen abzuleiten, muss man die Aufgabe berücksichtigen, welche dem Hautskelet zukommt. Überall stellt es ein Schutzorgan dar, aber die Mittel, durch welche es seiner Funktion genügt, sind verschiedener Art. Bei den Selachiern ist es der frei vorragende Spitzentheil, der als Waffe dient. Die von ihm aus entstandene Basalplatte über- nimmt bei Reduktion des Stachels die schützende Funktion. Sie genügt derselben durch bedeutende Zunahme an Dicke. Für den engen Anschluss der einzelnen Komponenten des Panzers an ein- Morpholog. Jahrbuch. 16. 15 226 Hermann Klaatsch ander werden besondere Vorrichtungen erforderlich. Die primitivste Vorrichtung hierfür ist die geringe Deckung des vorderen Randes durch die Nachbarschuppen, wobei straffe Ligamente die Schuppen unter einander verbinden. Von diesem Zustand aus entwickelt sich in der einen Richtung die so mannigfaltige Ausbildung von Fort- sätzen, die in entsprechenden Vertiefungen der Nachbarschuppen durch Bandmassen festgehalten werden. In einer anderen Richtung leistet die weiter fortschreitende Deckung der Schuppen denselben Dienst; die beträchtliche Dicke der Schuppen verliert hierbei ihre Bedeutung. Die Crossopterygier- reihe behält trotz der Deckung die dicken Knochenplatten. Sie endet in dieser einseitigen Entfaltung. Besser entwicklungsfähig zeigt sich in der Fortbildung des Schuppenkleides die Amiadenreihe. Hier wird durch die Übereinanderlagerung dünner Platten ein Schup- penpanzer erzielt, der durch seine Leichtigkeit und die Beweglich- keit der einzelnen Platten gegen einander den der älteren Fisch- gruppe weit übertrifft. So ersetzt er durch neue Vortheile, was ihm an Festigkeit verloren gegangen ist. Vergleicht man die auf verschiedenen Wegen zu ähnlichen Zu- ständen gelangten »Cycloidschuppen« mit einander, so ergeben sich im Bau viel nähere Beziehungen der Teleostierschuppe zu der der Dipnoer als wie zu der der Crossopterygier. Über die Lage der letzteren in der Haut kann man sich nur unvollkommene Vorstel- lungen machen. Es scheint aber, dass sie viel fester an einander geschlossen waren als die in den Schuppentaschen locker befestigten Schuppen der Dipnoer und Teleostier. Es ist hier der Ort, eine Eigenthümlichkeit in der Entwicklung der Teleostierschuppe zu beleuchten, für welche erst die Kenntnis der Deckung als einer öfter wiederholten Erscheinung den Schlüssel giebt. Bei der Entwicklung der Forellenschuppe wurde es fraglich gelassen, ob das Stadium der »Cutispapillen«, welches in der Onto- genese für die Deckung eine wichtige Rolle spielt, eine Beziehung zu dem ähnlichen Bild besitzt. welches die Selachierhaut bei der Entwicklung der Schuppen bietet. Die aus den Thatsachen der On- togenese gegen eine solche Deutung erhobenen Bedenken werden durch die Genese der »Cycloidschuppen« bestärkt. Die Deckung ist ein Vorgang, der sich ganz allmählich in der Vorfahrenreihe der Teleostier vollzogen hat. Die Ausdehnung der Schuppe nach allen Seiten drängte am Hinterrande auch die Epidermis nach außen. Der Abkürzung bei der Rekapitulation der phylogenetischen Processe Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 227 in der Ontogenese ist das Auftreten der Epidermisfortsätze zwischen den Schuppen zuzuschreiben. V. Die Schuppen von Ichthyophis. Das Auftreten von Schuppen bei Amphibien hat die Aufmerk- samkeit der Naturforscher auf sich gezogen, seitdem SCHNEIDER die- selben bei Blindwühlen entdeckte. Die Schuppen von Epierium glutinosum wurden von verschiedenen Forschern genau untersucht: von älteren Autoren seien hier LEeYDIG und MAnpL genannt. In neuester Zeit haben dieselben durch P. und F. Sarasin eine sehr gründliche Bearbeitung erfahren. Ich habe keine Gelegenheit gehabt, mit dem Objekt selbst bekannt zu werden. Dennoch halte ich den Versuch für gerechtfertigt, auf Grund der genauen SArasın’schen Angaben die Ichthyophisschuppen hier zu einem Vergleich mit den entsprechenden Bildungen bei Fischen heranzuziehen, um so mehr, als SARASIN’s selbst sich derartige Fragen vorlegten, ohne zu einem entscheidenden Resultat zu gelangen. Durch meine Erfahrungen an Fischen ist es mir sehr wahrscheinlich geworden, dass die Epi- criumschuppen eine hohe phylogenetische Bedeutung besitzen, da so- wohl ihr Bau als auch ihre Lage in der Haut sich von Zuständen bei Fischen herleiten lassen. Eine Diskussion über diesen Punkt ist schon desshalb geboten, weil SARASIN’s zum Schluss des betreffen- den Artikels es für nicht unwahrscheinlich halten, »dass die Schuppe der Coecilien überhaupt eine neue Erwerbung der Blindwühlenfamilie ist und keine phylogenetische Bedeutung besitzt«. Die Schuppen von Ichthyophis stellen rundliche Platten dar, welche in eirkulär den Körper umziehenden Taschen eingelagert sind (Sarasin, 1. e. II. Bd. 2. Heft, Taf. IX Fig. 51, 52). Eine äußere, nicht kontinuirliche Schuppenschicht wird durch die »Squamulae« repräsentirt, »längliche, flache Plättehen« einer Hartsubstanz, die Kalksalze enthält. An einer Seite jeder Squamula erhebt sich ein Fortsatz und in der Rinne, die er begrenzt, liegt meist eine Zelle (Taf. X Fig. 60). Eine innere kontinuirliche Schuppenschicht ist fibröser Natur. Ihre Fasern besitzen eine sehr komplieirte Anord- nung und es kommen Differenzirungen mehrfacher Schichten theils horizontal, theils vertikal gestellter Faserbildungen (» Säulchen«) vor. Bezüglich dieser Einzelheiten verweise ich auf das Original. Für 15* 228 Hermann Klaatsch meinen Zweck ist es wichtig zu konstatiren, dass an der Bildung beider Schichten Bindegewebselemente betheiligt sind, welche den Seleroblasten der Fischschuppen gleichen. Sarasın's unterscheiden ein oberes (äußeres) und ein unteres (inneres) »Pseudoepithel« Leypie). Das untere oder basale Pseudoepithel liefert die untere Schicht, welche »die gesammte bindegewebige Grundlage der Schuppe« dar- stellt, das obere Pseudoepithel »wird die Squamulae zu bilden haben «. So eigenartig auf den ersten Blick der Bau der Ichthyophis- schuppe erscheint, so ist doch in vielen Punkten eine Ähnlichkeit mit Fischschuppen nicht zu verkennen. Namentlich kommen hier Te- leostier und Dipnoer in Betracht. Die Squamulae betrachte ich als ein Rudiment der äußeren Schuppenschicht jener Formen. Ihre Bil- dungsweise und ihre Struktur erinnern an das Oberflichenrelief der Dipnoerschuppe. Die Auflösung der ganzen Schicht in einzelne Stiicke steht nieht unvermittelt da; sie ist angebahnt durch die »sillons« der Teleostier und Dipnoer und die bei letzteren hervor- tretende poröse Beschaffenheit der ganzen Lage. Auch die untere oder innere Schicht bietet Anknüpfungen an andere Formen. Dabei muss das Wesentliche im Auge behalten werden, nämlich die fibröse Beschaffenheit. Am Rande der Ichthyo- phisschuppe ist die Schicht aus einer einzigen Lage von »Siulchen« gebildet (Taf. X Fig. 58 und 59), dass aber auch hier eine horizon- tale Faserung vorhanden sein muss, beweist das Sarasın'sche Flächen- bild der Schuppe von unten (Taf. IX Fig. 52). Bleiben also die Komplikationen außer Spiel, so stellt sich die untere Schuppenschicht dar als ein Abscheidungsprodukt von Binde- gewebszellen, welche einen fibrillären Zerfall eingeht und wahr- scheinlich mit Kalksalzen imprägnirt ist (SARAsIN, pag. 83). Darin nun besteht Übereinstimmung mit der unteren Schicht der Teleostier- schuppe. deren eigenartige Struktur unter den Geweben der Wirbel- thiere gleichfalls eine ziemlich isolirte Stellung einnimmt. Sie konnte aber auf genetischem Wege mit anderweitig verbreiteten Zustän- den verknüpft werden und die Möglichkeit einer solchen Erklä- rung auch für Epierium dürfte die erneute Prüfung der Schuppen dieser Form rechtfertigen. Dann könnte das Auftreten von »sehr komplieirten molekulären, krystallartigen Strukturen, ähnlich wie wir dies von den Schalen der Mollusken oder den Panzern der Ar- thropoden kennen (Sarasın, pag. S3), des Seltsamen beraubt werden, das sie für sich betrachtet darbieten. Bindegewebszellen werden Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 229 eben so wenig wie bei Teleostiern in die Schicht aufgenommen, wie SARASIN’S gegen LEYDIG konstatiren. Ganz eigenartig ist die Ausbildung der Körperringel und die Form der Schuppentaschen. Dennoch bietet auch die Lage der Schup- pen in der Haut einige Anknüpfungspunkte an die anderen Fische. Auf Ähnlichkeit der Durchschnittsbilder mit der Dipnoerhaut haben SARASIN’S selbst hingewiesen. Ich erkenne weitere Annäherungen an Teleostier und Dipnoer einmal in der Existenz von Schuppentaschen überhaupt. sodann in den Andeutungen, dass jeder Schuppe ursprüng- lich eine besondere Tasche zukommt (Sarasin, Taf. IX Fig. 53, LEyDIG, Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 18, Taf. XIX Fig. 4). Bei der enormen Umgestaltung der Epidermis, bei der Anpassung des Körpers an ganz eigenartige Lebensbedingungen können die ein- greifendsten Veränderungen in der Cutis nicht Wunder nehmen. Es muss vielmehr überraschen, dass überhaupt noch Anklänge an Teleostierzustände bestehen. _Das Eindringen von Theilen der Epi- dermis zwischen die Schuppen, wie es durch die Riesendrüsen des Epierium gegeben ist, steht nicht ohne Beispiel da. Ich erinnere an die Epidermisfortsätze, welche bei jugendlichen Teleostiern bei der Ontogenese der Schuppen und der Schuppentaschen eine so große Rolle spielen. Fasse ich Alles zusammen, was eine Vergleichung der SARASIN- schen Befunde mit meinen Erfahrungen über Fischschuppen ergiebt, so halte ich die Schuppen der Blindwühlen für einen ererbten Besitz und erblicke in ihnen einen weiteren Zweig des Stammes, welcher in anderer Richtung die Schuppen der Teleostier und der Dipnoer hervorgehen ließ. Was Sarasın's gegen eine phylogenetische Be- deutung der Amphibienschuppen angeführt haben, nämlich ihr spätes Auftreten, das Fehlen bei niederen Amphibien und auch bei meh- reren Arten der Coecilien kann ich nicht in dem Sinne auffassen, wie diese Forscher es thun. Für mich ist maßgebend die unver- kennbare Ähnlichkeit in Bau und Lage zur Haut mit Fischschuppen. Diese Ähnlichkeit sowie überhaupt das Auftreten der Schuppen bei den betreffenden Amphibien bleibt ganz unverständlich ohne die An- nahme einer Vererbung dieser Organe; dass sie aber keine konstante Erscheinung sind, dass sie erst gegen Ende des Larvenlebens auf- treten, sind Punkte, welche eben so wie die entschieden ganz geringe funktionelle Bedeutung der Schuppen, die mangelnde Kontinuität ihrer äußeren Schicht und Anderes sehr wohl mit dem übereinstim- men, was bei rudimentären Organen allgemein angetroffen wird. 230 Hermann Klaatsch Es stellen also die Schuppen von Ichthyophis sehr werthvolle Zeugen der Vorgeschichte der Blindwühlen dar, Dass auch die Schuppen der Stegocephalen in demselben Sinne beurtheilt werden müssen, halte ich auf Grund der Beschreibung, welche CREDNER davon gegeben hat, für sehr wahrscheinlich. Der- selbe wurde auf die Ähnlichkeit mit den Epieriumschuppen auf- merksam und die Abbildungen auf Taf. XII (Fig. 8—11), wo die Schuppen von Discosaurus permianus neben der von Epierium stehen, bekräftigen die Überzeugung, dass hier gemeinsam von den Fischen auf die Amphibien vererbte rudimentäre Organe vorliegen. We Die Ableitung der Schuppen. Die Durehmusterung aller größeren Abtheilungen der Fische auf ihr Schuppenkleid hin gestattet, ein übersichtliches Bild der Diffe- renzirung desselben zu geben. Die verschiedenen Erscheinungsformen der Schuppen stellen sich dar als die Endpunkte von Reihen, die von einer gemeinsamen Basis ausgehen (cf. das Schema auf pag. 233). Diese ist gegeben durch das Schuppenkleid einer Selachier-ähn- lichen Vorfahrenform: rhomboidische Platten, von deren Mitte ein Stachel sich erhebt, umziehen in schrägen Reihen den ganzen Körper. Diesen Zustand führen die Selachier direkt fort; dass die Zahl der Placoidschuppen beträchtlich zunimmt und die ursprünglich dünne rhombische Platte sich verdickt, ist als sekundäre Veränderung auf- zufassen. Einen Nebenzweig stellen die Rochen dar, bei denen die Plaeoidschuppen sich mehr oder weniger zurückbilden, wobei einige an Größe zunehmen. Der Spitzentheil oder Stachel verfällt der Reduktion. Die Platten dehnen sich aus, bis eine dicht an die andere anschließt. So geht aus dem Urzustand der Placoiden der Urzustand der Ganoiden hervor. Die Platten nehmen an Dicke noch weiter zu. Durch den engen Anschluss an einander gewinnen sie eine streng rhombische, bis- weilen quadratische Form. Diesen Zustand hat Acanthodes fort- geführt. Dieser niederste Zweig der Ganoiden läuft selbständig aus. Ein anderer stärkerer Zweig modifieirt den einfachen Zustand durch die Ausbildung von Vorriehtungen, die die Schuppen unter einander fester zu einem Panzer vereinigen. Solche Apparate sind Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 231 einmal die Deckung des vorderen Randes durch Nachbarschuppen und feste Vereinigung durch Ligamente, sodann Ausbildung von Fort- sätzen, die zur Einlagerung in Vertiefungen der Nachbarschuppen be- stimmt sind. Dieser Zweig gliedert sich in viele Äste, entsprechend der sroßen Mehrzahl der typischen rhombenschuppigen Ganoiden. Unter den lebenden ist Lepidosteus sein typischer Vertreter. Zwei Haupt- äste treten wiederum deutlicher hervor. Der eine umfasst die Lepi- dosteiden, die Palaeonisciden (Heterocerei), die Pyenodontiden und die Chondrostei. Ihre lebenden Vertreter, Acipenser, Polyodon und Sca- phirhynchus stellen eine sekundäre Reduktion des Schuppenkleides dar, wie es die Palaeonisciden in der ursprünglichen Form sich bewahrt haben. Rudimente des Spitzentheiles sind die Schuppenzähnchen. Der andere Hauptast entfernt sich weiter vom Urzustande. Er umfasst die Crossopterygier. An Lepidosteus bieten die Rhombo- dipterinen mit den recenten Polypterus direkten Anschluss. Aus- dehnung des ursprünglich kleinen gedeckten Bezirkes und Ausdeh- nung der Schuppe nach allen Richtungen hin lässt bei den Cyelo- dipterinen wenig gedeckte, bei den Coelacanthinen zum größten Theil gedeckte Cycloidschuppen hervorgehen. Die Schuppenzähnchen persistiren auf dem nicht gedeckten Theil der Schuppe (Macropoma). Andere selbständige, in manchen Punkten an den zuletzt be- trachteten Ast anschließende, aber durch die ausgedehnte Panzer- bildung ganz einseitig entwickelte Zweige stellen die räthselhaften Pteraspiden, Cephalaspiden und Placodermen dar. In einer ganz anderen Richtung geht vom Urzustand der Ga- noiden eine Reihe ab, die mit vielen Zweigen in die Gegenwart reicht. Die niedersten Amiaden, Hypsocormus und Sauropsis, führen durch dünne rhombische Schuppen einen sehr ursprünglichen Zustand fort; in dieser Reihe wird nichts von den sekundären Komplikationen, wie sie mächtige Verdickung der Einzelplatten im Gefolge hat, an- getroffen. Nach Reduktion des Spitzentheiles ist es die Basalplatte in ihrer ursprünglichen Form (dem oberflächlichen Theil derselben bei den Haien entsprechend), die allein die Schuppe repräsentirt. Auch in dieser Reihe tritt eine Deckung der Schuppen ein. Diese Deckung lässt die rhombische Platte in eine cycloide über- gehen. So vollzieht es sich allmählich bei Pachycormus und Caturus, so wiederholen es die Jugendzustände der Teleostier. Durch As- similation von Bindegewebe tritt sekundär ein neuer unterer Schup- pentheil zum oberen ursprünglichen. Ein vermittelndes Stadium dieser neuen Erwerbung zeigt Amia. 932 Hermann Klaatsch An weit von einander entfernten Formen erhalten sich Rudi- mente des Spitzentheiles (Siluroiden, Sclerodermen u. a.). Neue Komplikationen lassen aus der Cyeloidschuppe die Ctenoidschuppe hervorgehen. Wiederum ein selbständiger Zweig, weil an keinen der vorigen direkt anzuschließen, wird durch die Schuppen der Dipnoer reprä- sentirt. Auch hier sind Deckung und cycloide Schuppenform ent- standen. Die untere Schicht der Dipnoerschuppe ist entweder eine neue Einverleibung und stellt dann eine niedere Stufe dessen dar, was die Amiaden-Reihe erlangte, oder sie ist aus der tiefen Schup- penschicht des Lepidosteidenzweiges hervorgegangen. Die äußere Schieht ist nicht mit Sicherheit auf die anderer Formen zu beziehen. Ein letzter und in vielen Punkten an die Dipnoer wie an die Amiaden anknüpfender Zweig hat in seinen letzten Ausläufern sich erhalten bei fossilen Amphibien (Stegocephalen) und bei dem recenten Epierium. ; Wurde im Laufe der Untersuchung von verschiedenen Punkten aus der Beweis geliefert, dass die Schuppen der Ganoiden und Te- leostier die alte durch die Placoidschuppen der Selachier repräsen- tirte Einheit fortfiihren, so liefert die Ableitung des Schuppenkleides, wie ich sie auf den letzten Seiten gegeben, eine neue Bestätigung für die Ansicht der Homodynamie der Schuppen in den verschiede- nen Abtheilungen. Die Möglichkeit, nach ganz verschiedenen Rich- tungen hin den einen Zustand des Schuppenkleides aus dem anderen abzuleiten durch Umwandlungen, welche die Komponenten desselben in ihrer Beziehung zu einander erfahren haben, und der Hinweis, der in jeder der Reihen auf einen gemeinsamen ursprünglichen Zu- stand sich ausspricht, schiießt die Annahme aus, dass im Laufe der Phylogenese die einmal vorhandene Einheit eine Störung erfahren habe. Wo aber diese Einheit aufgehoben ist, sei es durch Reduk- tionsprocesse oder durch Ausbildung größerer Knochenplatten, da zeigt auch die genauere Untersuchung, dass es sich um einseitig entwickelte Zustände handelt (z. B. bei Acipenseriden und Siluroiden), die sich von der Fortführung des Ursprünglichen weit entfernt haben. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 233 Schema zur Ableitung der Fischschuppen. O bezeichnet das Auftreten. von Cycloidschuppen, N 4 a “ Grcloid. Qenoid Schuppen Jehthyophis Amia Squalidae Rajidae Aapenser Polypterus Ceratodus a pee | | | Lepidosteus | ; | \ | | ~ | Amphibien, | Sadie} rere hte / | Lents yi gaara Dipnoer / | | \ \ Coelacanthinze | IEG tLe | | | ~ | / / Mere} \ | \ | / / \ \ \Rhombo-\ | | / \ | N \ kZpterinae| |Grelodipterinae / | / \ \ \ | | Amiadae / \ \ \ \ \ \ | / | \ \Ridlaeonasciden \ \ / MY \ — N \ / | VAR GD REL / / \\\ (ocoolepis N \} } 17 Selachiz RX N \ | Jr f \ “Cy \ / ifs ) \ Pyenodontiden, \ / bi | tuturus x \ Gossopterygier } T We As \ N \ hai Pachycorm he \ Acanthode \ 19% x. ' \ | | y N N N | yf IN Sp —Hypsocormus \ Ye FL IP‘ \ | y % NN NV NEN Wal) \ |) Urzustand der Ganoidschuppe \ N \ \7 VW Urzustand der! Placoidschuppe | | VIL. Zur Geschichte der Hartsubstanzgewebe. Die Geschichte der Hartsubstanzgewebe und der von ihnen ge- bildeten Organe ist reich an Fragen, welche der Lisung noch harren. So viel auch über Zähne und Zahnbildung geschrieben worden ist, so wurde doch niemals der Versuch gemacht, die genetischen Be- ziehungen der drei den Zahn zusammensetzenden Gewebe — Schmelz, Dentin und Knochengewebe — zu einander aufzudecken. Wenn diese Frage mit einiger Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden soll, so darf man nicht die höchststehenden Vertebraten als Objekt wählen, sondern muss zurückgehen auf diejenigen Formen, wo wir unter den lebenden die primitivsten Stadien der Zahnbildung erhalten sehen — die Selachier. 234 Hermann Klaatsch Dass Zahnbein und Knochengewebe mit einander verwandt sind, wird von Niemand bezweifelt. Das Wesen des Zusammenhangs bei- der ist aber bisher wenig klar aufgefasst worden. Mit der so viel- fach ausgesprochenen Angabe, das Zahnbein sei eine Modifikation des Knochengewebes, kann man sich nicht zufrieden geben, sie um- schreibt gerade das, was als Frage aufgeworfen werden muss: Wo liegt der Zusammenhang beider Gewebe, warum theilen sie einige Eigenschaften bei vielfacher Differenz von einander? An die Frage nach dem Zusammenhang der Gewebsarten knüpft sich eine andere, welche die Organe resp. Organsysteme betrifft: Dass zwischen Zähnen und Knochenbildung ein genetischer Zusam- menhang besteht, ist von GEGENBAUR erkannt, von O. HErRTwIG im Einzelnen verfolgt worden. Das Wesen dieses Zusammenhangs ist jedoch noch nicht aufgeklärt worden. Mit diesen Fragen steht auch die Auffassung des Knochenge- webes in engem Zusammenhang. Einmal sind es die Beziehungen des Knochengewebes zum Bindegewebe, welche der Prüfung be- dürfen. Hier herrscht eine nicht geringe Verwirrung; die Ausdrücke verknöchertes Bindegewebe, Bindegewebsknochen, Cement, Cement- knochen legen davon Zeugnis ab; die Berechtigung dieser Namen und die Klarstellung der ihnen zu Grunde liegenden Begriffe ver- dienen an den Schuppen der Selachier, sowie auch der Ganoiden und Teleostier genauer geprüft zu werden. Das Knochengewebe der Fische bietet viele Eigenthümlichkeiten dar. Die bei höheren Thieren gewonnenen Vorstellungen lassen sich in vielen Punkten nicht ohne Weiteres auf die Fische übertragen. Es fehlt an einer einheitlichen Auffassung der mannigfaltigen Er- scheinungsformen des Fischknochens. Hat sich doch bis in die neueste Zeit die Ansicht erhalten, dass das Skelet vieler Fische nicht aus Knochen, sondern aus Zahnbein bestehe. Darin liegt eine Unklarheit, welche eine schärfere Präeisirung der verschiedenen Knochengewebsarten und ihrer Beziehungen zu einander erforderlich macht, als sie bisher bestand. 1) Die Beziehungen zwischen Schmelz und Zahnbein. Bei der Erörterung der Frage nach dem genetischen Zusammen- hang der Gewebe, welche die Zähne der Wirbelthiere zusammen- setzen, knüpfe ich an QO. Herrwic’s Untersuchungen über die Placoidschuppen an. Erst durch ihn wurde endgültig die Ansicht ee Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 235 vernichtet, dass man alle Zahnbildungen im Thierreich einheitlich beurtheilen könne. Er zeigte, dass nur die Descendenten einer den Selachiern nahe stehenden Form die Zahnbildungen besitzen können, welche dem von WALDEYER formulirten Begriff der Dentin- zähne entsprechen. Aus dem Bau der Selachierzähne schließt er, dass dieselben »den aus Dentin, Cement und Schmelz bestehenden Zähnen aller übrigen Wirbelthiere homolog sind. Denn die An- nahme, dass eine so eigenartige Kombination dreier so charakte- ristischer Gewebsformen, wie sie den Zahn bilden und ein so cha- rakteristischer Entwicklungsmodus derselben zu wiederholten Malen in verschiedenen Thierordnungen entstanden sei, erscheint im höch- sten Grade unwahrscheinlich und muss daher verworfen werden « (Jen. Zeitschr. Bd. VIII. pag. 398). Besonders werthvoll war der Nachweis, dass die Zähne der Amphibien mit denen der anderen Vertebraten vollständig übereinstimmen. Durch denselben beseitigte 0. HERTwıG die Ansicht Leyvıg’s, wonach die Zähne dieser Thiere rein epitheliale Bildungen darstellen würden. Da nun GEGENBAUR und O. HERTwIG nachgewiesen haben, dass die Zähne der Selachier von den Placoidschuppen sich herleiten, so werden auch die histio- genetischen Fragen auf die letzteren, als die ursprünglicheren Bil- dungen, zu übertragen sein. Wie bereits in der Einleitung betont, stellen die Schuppen der Selachier Organe dar, die wir als gegeben hinnehmen müssen. Weder die vergleichende Anatomie, noch die Paläontologie lehrt Bildungen kennen, von denen sie hergeleitet werden können; ihre Phylogenese ist also in völliges Dunkel gehiillt. Unter diesen Um- ständen verdienen die Thatsachen besondere Beachtung, welche durch die Ontogenese dieser Organe geboten werden, und es ist der Ver- such gerechtfertigt, auf diesem Wege die Vorgeschichte der » Haut- zähne« zu beleuchten. Es ist nun sehr beachtenswerth, dass die ersten Veränderungen bei der Anlage der Placoidschuppen sich in der Epidermis abspielen. Gegenüber der beträchtlichen Zunahme der basalen Epithelzellen an Größe, gegenüber ihrer Thätigkeit, die sich durch das Differentwerden eines Theiles ihres Protoplasmas kund giebt, erscheint die Anhäufung von indifferenten, gleichsam embryonalen Cutiselementen an der betreffenden Stelle von untergeordneter Bedeutung. Dieses letzt- erwähnte Zellmaterial stellt sich zunächst als eine Füllmasse dar, den Raum erfüllend, der durch die Veränderungen der Epidermis gegeben ist, ohne aktive Betheiligung an der Bildung der Schuppe. 236 Hermann Klaatsch Erst wenn die basalen Epidermiszellen ein Sekret nach innen hin abgesetzt haben, welches als »Schmelz« die erste Hartsubstanz der Placoidschuppe darstellt, beginnt auch von Seiten des Mesoderms die Lieferung eines Hartsubstanzgewebes. Die hierauf abzielenden Vorgänge, die Anordnung der oberflächlichsten Cutiszellen zu einer epithelähnlichen Lage, die Abscheidung einer homogenen Grundsub- stanz durch dieselben nach außen hin, die später eintretende Sele- rosirung dieses Produktes zu einer dünnen Rinde von »Dentin«, ge- schehen in einer so genauen lokalen Beziehung zu dem, was die Epidermis verrichtet hatte, dass hier eine innigere Beziehung zwi- schen den beiden Vorgängen sehr nahe gelegt wird. Welcher Art diese Beziehung ist, ob es sich um eine chemische Einwirkung des Schmelzes auf die mesodermale Grundsubstanz handelt, ob und in wie fern die Zellen dabei betheiligt sind, entzieht sich vorläufig jeder Beurtheilung ; aber die Thatsache bleibt bestehen, dass die Bildung des Zahnbeins in engem örtlichen Anschluss an die Schmelzbildung und zeitlich ihr nachfolgend sich vollzieht. Durch diese Aufeinander- folge wird darauf hingewiesen, dass der Schmelz den älteren, das Zahnbein den jüngeren Bestandtheil der Placoidschuppe bildet. Die Annahme, dass die Bildung der Hartsubstanz von außen nach innen fortschreitet, dass die Epidermis den Anstoß gab, dem die Cutis folgte, wird unterstützt durch die Rolle, welche allenthalben die beiden primären Keimblätter gegenüber dem Mesoderm spielen : auch die Überlegung, dass Einwirkungen, welche die Bildung der Placoidschuppen hervorriefen, nicht sowohl in der Cutis, als vielmehr in der Epidermis zunächst ihren Angriffspunkt finden mussten, spricht zu Gunsten des Schmelzes als der ersten und ursprünglich einzigen Hartsubstanz der Placoidorgane. Der Schmelz stellt ein Abscheidungsprodukt der Epidermis dar, welches in seiner ursprünglichen, einer Cutieula ähnlichen Beschaffen- heit nichts von den Komplikationen aufweist, welche ihn später so- wohl bei Haien als bei den höheren Vertebraten charakterisiren. In dieser ursprünglichen Beschaffenheit sowohl, wie in der Art seiner Entstehung schließt er sich an die Hartsubstanzen vieler Evertebraten an. Auch die Schicht, welche ihn liefert, ist hierbei von Bedeutung. Es ist die basale Lage der Epidermis, welche Sarasın’s treffend als Urschicht bezeichnen. Wie sie die erste und älteste Schicht der Epidermis darstellt, so ist sie auch diejenige Lage, von der alle Vorgänge der Oberhaut beherrscht werden. Sie liefert die höheren Schichten der Epidermis, sie liefert bei Wirbellosen den Chitinpanzer, Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 237 wie sie bei Vertebraten den Schmelz hervorgehen lässt. Darin aber besteht eine sehr wichtige Differenz zwischen den niederen Formen und den Vertebraten, dass das Abscheidungsprodukt nicht wie bei den ersteren nach außen, sondern auf der Innenseite der Zellen ab- gesetzt wird. Hier die Vermittelung zu suchen, liegt außerhalb des Themas. Es handelt sich hier nur darum, festzustellen, dass die erste Hartsubstanz der Placoidorgane als Produkt der Epidermis in den Kreis ähnlicher Bildungen gerückt wird, welche auch bei Everte- braten in die Erscheinung treten. Die Beziehungen des Dentins zum Schmelz finden in manchen Eigenthümlichkeiten der Beschaffenheit beider Gewebsarten Ausdruck. Hierher gehört das Verhalten der Zahnbeinröhrchen bei den Haien. Wie O. Hertwie zuerst nachgewiesen hat, dringen dieselben bei den Selachiern in den Schmelz ein, sie durchsetzen die ganze Dicke dieser Substanz, Ramifikationen und die Bildung unregelmäßiger Hohlräume eingehend (cf. O. HERTwIG, Jen. Zeitschr. Bd. VIII. Taf. XII Fig. 3, 4, 5, 7, Su. a.). Die Grenze zwischen Schmelz und Zahnbein ist bei den Haien unregelmäßig gezackt. Diese Zu- stände. sind aber nicht auf die Selachier beschränkt. Es ist eine sehr interessante Thatsache, dass, wie Tomes entdeckt hat, sich dieser Selachier-ähnliche Zustand bei den Beutelthieren forterhält. Ich kann mit O. Hertwie hinsichtlich der Abbildungen Tonmzs’ die Zweifel anderer Autoren, namentlich WALDEYER’s, an der Richtigkeit der betreffenden Beobachtungen nicht theilen. Reste des Persistirens eines sehr ursprünglichen Zustandes des Schmelzes finden sich auch bei anderen Säugethieren, so nach Tomes’ Angaben bei Nagern und Insectivoren. Bei diesem Verhalten des Schmelzes ist es für die vorliegenden Betrachtungen wichtig, dass Theile der Dentin bilden- den Zellen im Inneren des Schmelzes sich entfalten. In anderer Weise spricht sich die Beziehung zwischen Schmelz und Dentin dadurch aus, dass eine Hartsubstanz, die in ihrer Genese nichts mit der Epidermis zu thun hat, vielmehr genetisch mit dem Dentin zusammenhängt, indem sie im Anschluss an Dentinsubstanz von subepidermoidalen Zellen geliefert wird, in ihrer Struktur so- wohl als auch in ihrem chemischen Verhalten dem Schmelz gleicht. Es gilt dies von der Ganoinschicht der Schuppen von Lepidosteus und Polypterus, einer Substanz, die gerade wegen dieser Ähnlich- keit bisher fälschlich für Schmelz gehalten wurde. Indem ich diese Bezeichnung für falsch erkläre, weil sie die nach unserem Begriffe | nothwendige Beziehung zwischen Schmelz und Epidermis nicht berück- 235 Hermann Klaatsch sichtigt, betone ich andererseits, dass die Schmelzähnlichkeit der Substanz einer tieferen Bedeutung nicht ermangelt und aus den ge- netischen Beziehungen heraus zu beurtheilen ist, welche ich für beide Gewebe entwickelt habe’. 2) Die Beziehungen zwischen Zahnbein und Knochen- gewebe. Die zweite Frage, welche die Beobachtungen über die Hart- substanzgewebe der Fische anregten, betraf den Zusammenhang zwi- schen Zahnbein und Knochengewebe. Die große Ähnlichkeit beider Gewebsarten in ihrer Genese und Struktur findet ihre Erklärung darin, dass beide nur die Zweige eines gemeinsamen Stammes sind, dass jedes für sich eine einseitige Differenzirung erfuhr von einem Stadium der Indifferenz aus, wo nicht nur keine Scheidung, son- dern vielmehr ein Übergang von Zahnbein zu Knochengewebe .besteht. Solehen indifferenten Zustand zeigen die Placoidorgane der Selachier. Wie sie auf die innige genetische Beziehung zwischen Schmelz und Dentin ein Licht warfen, so zeigen sie auch Dentin und Knochen- gewebe in nahem Konnex mit einander. Die mesoblastischen Ele- mente im Inneren der Papille. welche die Anlage des Spitzentheiles darstellt, liefern ihre Hartsubstanz zunächst im Anschluss an die Epidermis und von der Spitze aus schreitet die Bildung eines Dentin- mantels immer weiter gegen die Basis der Papille vor. Die Bil- dungszellen sitzen ihrem Produkt von innen her auf und entsenden Ausläufer in die Substanz hinein, die sie erzeugten. Gleichen diese Elemente den Odontoblasten der höheren Thiere. so kommen hier bereits — wie schon O. Herrwic beschrieb — Elemente vor, welche der Hartsubstanz einfach anlagern und welche mehr den Osteoblasten höherer Wirbelthiere gleichen. Die Bildung der Hartsubstanz schreitet in die Tiefe fort, an der Basis der Papille die direkte Beziehung 1 Auf Grund der Phylogenese, welche ich hypothetisch für die Placoid- organe supponirt habe, ist es gerechtfertigt nachzuforschen, ob in der Thier- reihe Hartgebilde sich finden, die, ohne aus differenten Geweben aufgebaut zu sein, doch Anschlüsse an die Placoidschuppen bieten könnten. Ob hierbei Bildungen, wie sie die bekannten, von PANDER für Fischzähne gehaltenen Cono- donten der Anneliden, welche RoHON und y. ZITTEL neuerdings genau be- schrieben haben, in den Bereich der Betrachtung zu ziehen sind, muss vorläufig zweifelhaft bleiben, so lange nichts über die Histiogenese derselben, speciell über die Frage, ob an ihrer Bildung die Urschicht der Epidermis betheiligt ist, vorliegt. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 239 zur Epidermis aufgebend. Nun schließt sich an den Dentinkegel eine plattenförmige Ausbreitung von Hartsubstanz, die von außen wie von innen mit Osteoblasten-iihnlichen Bildungszellen besetzt ist. Ich fasste alle diese Zellen zusammen unter dem Namen Selero- blasten. Es ist derselbe Process, dasselbe indifferente Zellmaterial, welches Spitzentheil wie Basaltheil des Placoidorgans liefert, aber es gliedern sich die Bestandtheile desselben in einer Weise, die von der Örtlichkeit ihres Vorkommens abhängt. Durch das Aufgeben der Beziehung zur Epidermis schlagen die Scleroblasten und ihr Produkt eine neue Entwicklungsrichtung ein. An derselben Stelle, wo sie bei Selachiern eine vom Dentin nur in so fern verschiedene Substanz liefern, als dieselbe der Dentinkanälchen entbehrt, entwickelt sich bei Ganoiden und Teleostiern ein Gewebe, das dem Knochengewebe gleicht, auch dadurch, dass vielfach die Bildungszellen vom Produkte umschlossen zu »Knochenzellen« werden. Da nun das Umschlossen- werden der Bildungszellen beim Knochengewebe eine sehr unter- geordnete Bedeutung besitzt, indem es in vielen Fällen gänzlich ausbleibt, so fällt auch von dieser Seite jeglicher Grund fort, wess- halb nicht das Gewebe der Basalplatte der Selachier — O. HERT- wıG’s »Cement« — als Knochengewebe bezeichnet werden sollte. Jeder Streit über die Bezeichnung dieses Gewebes ist jedoch von geringerem Werthe gegenüber der. Bedeutung, welche demselben zu- kommt als einem Material, welches vom Organismus in ausgedehnter Weise verwerthet wird. Die Vergleichung der Schuppen bei den Fischen ergiebt, dass es der Ausgangspunkt der Entwicklung von Knochengewebe wird, dass es auch am Cranium zur Ausbildung der Hautknochen den Ausgangspunkt darstellt, ist durch GEGENBAUR’S und O. Herrwie’s Untersuchungen erwiesen worden. Die weiteren Schicksale des Basalplattengewebes, die Beziehung, die es zum Bindegewebe gewinnt und Anderes bleiben zunächst außerhalb der Betrachtung. Es kommt hier darauf an, die Be- ziehung zwischen Knochengewebe und Zahnbein zu betonen. Diese Beziehung kann nur verstanden werden, wenn man auf die Gewebe dieselbe phylogenetische Betrachtungsweise anwendet, welche für die Organe allgemein angenommen ist. Dass hierzu ein Recht besteht, dass eine Phylogenese der Gewebe eben so wie die der Organe nur eine Konsequenz des allgemeinen Entwicklungsganges darstellt, wird der nicht bestreiten, der den Werth der Descendenzlehre für das Verständnis der Organismen wie ihrer Theile ganz erfasst hat. Die Durchführung der Descendenz für die Gewebe hat bisher sich noch 240 Hermann Klaatsch nicht Bahn gebrochen. Für die Phylogenese der Gewebe werden dieselben Gesetze gelten, wie für diejenige der Thierformen und der Organe. Auch hier werden Vererbung und Anpassung die be- stimmenden Faktoren sein. Auch bei den Geweben wird man nicht eine aufsteigende Linie, sondern ein Divergiren von gemeinsamer Wurzel aus erwarten dürfen. Dass im Einzelnen sich die Verhält- nisse sehr komplieirt gestalten, leuchtet ein, wenn man die außer- ordentlich mannigfaltigen Beziehungen bedenkt, welche die Gewebe zu einander eingehen. Es werden sich auch die Gewebe in sehr verschiedener Weise als mehr oder minder günstige Objekte erweisen, um den Gesetzen ihrer Phylogenese im Einzelnen auf die Spur zu kommen. Eine besonders günstige Stellung werden hierin diejenigen Gewebe einnehmen, für welche sich mit Bestimmtheit der Ausgangs- punkt nachweisen lässt. Bei den Wirbelthieren bietet das Knochen- gewebe diese Bedingungen. Wir kennen Vertebraten, denen das- selbe gänzlich fehlt — die Marsipobranchier; wir finden dasselbe bei allen Descendenten einer Selachier-ähnlichen Stammform und wir können bei den Selachiern sein erstes Auftreten an bestimmten Stellen nachweisen. Hier erscheint dasselbe gemeinsam mit dem Zahnbein, durch letzteres mit Vorgängen in der Epidermis verknüpft, indem es selbst wieder von dem Dentin genetisch abhängt. Denn das Zahn- bein muss sowohl dem Orte wie .der Zeit nach als das ältere Ge- webe der Placoidorgane beurtheilt werden. Der im Spitzentheil angeregte scleroblastische Process ließ die Basalplatte hervorgehen und damit stellt sich die Umwandlung der Gewebe in eine genetische Abhängigkeit von der Organbildung. | Andeutungen der ursprünglichen Beziehungen zwischen Zahn- bein und Knochengewebe erhalten sich auch in der Struktur; so dokumentirt das letztere bei Fischen noch in vielen Punkten seine Verwandtschaft mit dem Zahnbein. Als Beleg hierfür sei angeführt das Auftreten von Kanälchen, welche den Zahnbeinröhren gleichen, in den basalen Theilen der Haifischzähne, dem »Vasodentin« OWEn’s, in den Schuppen und den Kopfknochen der Ganoiden, woran sich ähnliche Bildungen auch in den Schuppen der Teleostier (Barbus) schließen. Ferner ist das Verharren der Bildungszellen an der Außen- fläche der Hartsubstanz als eine dem Zahnbein- und Knochengewebe gemeinsame Eigenschaft zu verzeichnen. So gewinnt das Knochen- gewebe vieler Teleostier eine eigenthümliche Erscheinungsform. Ist für die Beurtheilung aller dieser Bildungen die Basis gewonnen durch die Beziehung beider Gewebe zu einander, so fragt es sich, Zur Morphologie d. Fisehschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 241 wo die Grenze bezüglich der Nomenklatur zu ziehen sei, ob es be- rechtigt ist, die Knochen des inneren Skelets bei vielen Fischen wegen ihrer Ähnlichkeit mit Zahnbein auch als solches zu bezeich- nen. Dies halte ich nicht für gerechtfertigt. Wie die erste Ent- stehung des Dentins an die Bildung eines ganz bestimmten Organs, eines »Zahnes«, gebunden ist, so darf auch die Bezeichnung eines Gewebes als Zahnbein diese Beziehung nicht außer Acht lassen. So wenig ein Hautstachel wegen seiner Ähnlichkeit mit einem Zahn, mag dieselbe auf genetische Anknüpfung sich gründen oder nicht, als »Zahn« bezeichnet werden kann, so wenig darf auf sein Gewebe der Name Zahnbein Anwendung erfahren. Ich halte es daher für geboten, nur solche Gewebe mit dem Namen Dentin zu belegen, welche als Bestandtheile eines »Dentinzahnes« sich erweisen, hin- gegen die zahnbeinähnlichen Gewebe, so weit sie außerhalb eines »Zahnes« vorkommen, dem Knochengewebe zuzurechnen. 3) Die ursprüngliche Beschaffenheit des Knochen- gewebes. Ist das Knochengewebe durch seine Beziehung zum Zahnbein auf phylogenetischem Wege zu seiner Wurzel verfolgt worden, so haben auch dieselben phylogenetischen Gesichtspunkte Geltung, wenn es sich darum handelt, das neue Gewebe weiter zu verfolgen zu den überaus mannigfaltigen Komplikationen, die es bei den Wirbel- thieren erfiihrt. Was die Fische anbelangt, so geben mir meine Be- obachtungen, verglichen mit den Ergebnissen einiger neuerer Arbeiten, die Möglichkeit, den Entwicklungsgang zu beleuchten, den das Ge- webe innerhalb dieser Abtheilung des Thierreichs eingeschlagen hat. Es handelt sich hier nicht um eine specielle Histiologie des Fisch- knochens, ich will vielmehr versuchen, durch eine Sichtung des vor- liegenden Materials von Thatsachen und die Darstellung der Be- ziehungen, welehe das Knochengewebe bei den Fischen eingeht, die Basis für weitere Forschungen zu legen. Wo das Knochengewebe zum ersten Male in der Thierreihe auf- tritt, wird es geliefert von Elementen der Cutis, welche sich durch ihre epithelähnliche Aneinanderlagerung als indifferente, gleichsam auf embryonaler Stufe stehende Zellen des Mesoderms dokumentiren. Diese Scleroblasten hatten vor ihrer knochenbildenden Thätigkeit keine andere Funktion. Sie hatten noch keine Zwischensubstanz ausgeschieden; die erste Substanz, die sie liefern, wird durch Auf- Morpholog. Jahrbuch. 16. 16 242 Hermann Klaatsch nahme von Kalksalzen zu der dem Knochengewebe eigenthtimlichen Hartsubstanz. Die Zellen liegen ihrem Produkt einfach an: es lassen sich bei Selachiern keine Ausläufer nachweisen, die sie in ihr Pro- dukt entsenden würden; indem die gleichen Elemente neben typi- schen »Odontoblasten« sich an der Bildung des Dentinmantels be- theiligen, wird die Grenze zwischen Odontoblasten und Osteoblasten völlig verwischt und es stellt sich die bei höheren Thieren immer schärfer ausgesprochene Scheidung beider Zellarten von einander dar als eine Differenzirung des Scleroblastenmaterials. Unterscheiden sich nunmehr die Osteoblasten von den Odontoblasten durch den Mangel in nachweisbare Kanälchen eingebetteter Ausläufer — ob solche überhaupt gänzlich fehlen sei dahingestellt —, so behalten sie zunächst die Eigenschaft bei, von ihrem Produkte nicht umschlossen zu werden. So entsteht eine dünne, homogene Knochenplatte ohne Knochenkörperchen. In der gleichen Form tritt nun auch bei den Teleostiern regelmäßig das Knochengewebe zuerst auf. Dies hat Grassı bei seinen Untersuchungen über die Entwick- lung der Wirbelsäule konstatirt: »Lo scheletro osseo, per un’ epoce embrionale non corta e per una quantitä non inconsideravole, & né teleostei rappresentato da un tessuto senza cellule, che trova fino ad un certo punto riscontro nella dentina o nel cemento de’ den- telli cutanei dei selacei« (pag. 58). Das Gleiche hat Scumip- MONNARD für die Genese der Kopfknochen des Hechtes gezeigt und mir selbst sind die betreffenden Bilder von der Entwicklung des Kopfskelets der Forelle wohl bekannt. In dieser Wiederholung der Erscheinungsform des Knochen- gewebes sehe ich eine palingenetische Thatsache von hoher Bedeutung. Dieser Zustand des homogenen zellenlosen Knochengewebes dient phylo- genetisch wie ontogenetisch als Ausgangspunkt; durch neu erworbene Beziehungen erfährt er zahlreiche sekundäre Modifikationen, welche im Einzelnen sehr verschiedenartige Bildungen hervorgehen lassen. Die einfachste Veränderung ist die, dass einige der Bildungs- zellen vom Produkte ihrer eigenen Thätigkeit wie derjenigen ihrer Nachbarzellen umschlossen werden. Nunmehr finden wir typische Knochenkörperchen, bei Ganoiden und Teleostiern meist in Form eines rundlichen Gebildes, das zunächst einige dickere Ausläufer entsendet, die sich dann wieder in mehrere sekundäre Ausläufer gliedern. Ein solches homogenes zellenhaltiges Knochengewebe habe ich für die äußere Schuppenschicht vieler Teleostier beschrieben; nach O. Hertwic’s Abbildungen stimmt es mit dem Gewebe überein, Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 243 welches die Hautossifikationen der Störe charakterisirt. Auch die frühesten Stadien der Lepidosteusschuppe zeigen Gleiches. Das Fehlen jeglicher irgend wie bestimmter Anordnung der Zellen stellt den in- differenten Zustand dar gegenüber späteren Komplikationen. 4) Die Beziehungen des Knochengewebes zu den anderen Geweben der Bindesubstanzreihe (Bindegewebe und Knorpel). Andere Modifikationen erfährt das Knochengewebe dadurch, dass seine Bildungszellen mit mehr oder weniger hochdifferenzirten Ele- menten der anderen Glieder der Bindesubstanzreihe, des Binde- gewebes und Knorpels in Beziehung tritt. Aus einer zunächst rein örtlichen Beziehung der verschiedenen Gewebsarten zu einander er- wächst eine Beeinflussung des einen Gewebes durch das andere, welche beim Knochengewebe eine Veränderung der Struktur zur Folge hat. Wie oben gelegentlich der.Genese der Placoidschuppe gezeigt, werden in das Anfangs homogene Knochengewebe Bestand- theile des Bindegewebes aufgenommen. So kommen die SHARPEY- schen Fasern zu Stande, deren Entdeckung und genauere Unter- suchung — ihre weite Verbreitung bei Fischen wies KÖLLIKER nach — für die Auffassung des Knochengewebes von großer Bedeutung waren. Da sie eine spätere Erwerbung des Knochengewebes dar- stellen, im Dienste der festeren Verbindung der Schuppe mit der Haut, so können sie nicht in dem Sinne verwerthet werden, dass das Knochengewebe nur ein sclerosirtes Bindegewebe darstelle. Die Beobachtungen an den Schuppen der Fische zeigen, wie allmihlich das Bindegewebe einen Antheil gewinnt an der Knochen- gewebsbildung. Da eine rein chemische Veränderung, eine Sele- rosirung präexistenten Bindegewebes zur Erklärung der Befunde nicht sich dienlich erwies, so fragt es sich, wie man sich die Be- theiligung des Bindegewebes am osteoblastischen Processe vorzustellen habe. Eine ganz bestimmte Antwort kann zur Zeit auf diese Frage nicht gegeben werden. Zur Erklärung der thatsächlichen Befunde eignet sich am besten die Vorstellung, dass im Anschluss an das indifferente Seleroblasten- material Elemente des Bindegewebes scleroblastische Funktion ge- winnen, dass gleichsam ein Reiz von Zelle zu Zelle sich fortpflanzt. Wenn eine Knochenplatte im Bindegewebe sich ausdehnend zwar die Bestandtheile der Grundsubstanz, nicht aber die Zellen des Binde- 16* 244 Hermann Klaatsch gewebes umschließt, so kann dies in dem Sinne gedentet werden, dass differenzirte Bindegewebszellen sekundär zu Scleroblasten wur- den (Selachier). Wo hingegen ein indifferentes Zellenmaterial eine Hartsubstanz abscheidet, die in ihrer fibrillären Struktur dem um- gebenden Bindegewebe gleicht, jedoch keine Zellen umschließt, da wird der Vorstellung Raum gegeben, dass Abkömmlinge der Binde- gewebszellen in noch nicht vollständig differenzirtem Zustande zu Seleroblasten wurden (Teleostier). In ähnlicher Weise wäre das in seinem Bau dem straffen Bindegewebe sehr ähnliche Knochengewebe der Dipnoerschuppe (Isopedin) zu erklären. Ich bin dieser Auffassung im Einzelnen überall gefolgt, da ich keine andere bessere dafür einsetzen konnte. Das Bedürfnis nach einer solchen aber drängte sich desshalb auf, weil in der von mir verwertheten Vorstellung ein dunkler Punkt sich findet, den ich wohl erkannte, aber nicht eliminiren konnte; es ist die Verwerthung des »Reizes«, der sich von Zelle zu Zelle fortpflanzen soll. Ich halte es für wahrscheinlich, dass, erneute Forschungen hier eine einfachere und korrektere Vorstellungsweise schaffen werden. Wie sich diese gestalten wird, lässt sich zwar voraussehen, aber nicht näher aus- führen. Es genüge daher der Hinweis, dass dieselbe die Kontinuität des Zellenmaterials, das den ersten Knochen schafft und die Ver- breitung dieser Seleroblasten über den Organismus im Auge behalten muss gegenüber der von mir vertretenen Funktionsänderung der Bindegewebszellen. Wie aber auch immer die Auffassung von der Art und Weise der Fortpflanzung des scleroblastischen Processes sich gestalten mag, so wird doch die Ansicht zu Recht bestehen, dass das Bindegewebe die Bahn vorstellt, auf welcher das neue Baumaterial eine immer ausgedehntere Verwerthung für den Gesammtorganismus gewinnt. Hierin liegt der Schlüssel für das Verständnis der ausgedehnten Hautknochenentfaltung, als deren Ausgangspunkt GEGENBAUR die Placoidschuppen bezeichnete. Die Ausdehnung der Knochenbildung wird einmal in die Tiefe erfolgen, sodann aber auch in der Fläche Fortschritte machen. Dies Letztere wird vielfach zur Aufhebung der alten bei Selachiern be- stehenden Einheit der Hautossifikationen führen. Diese Verschmel- zung von Einheiten stellt sich hierbei dar als eine Folgeerscheinung, als ein nothwendiges Resultat der Ausdehnung der Knochengewebs- bildung. Die Verschmelzung ist somit kein selbständiger Faktor, sondern mit Bezug auf die Genese der Knochenbildungen eine acces- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 245 sorische Erscheinung, die nur dem Wachsthum der Knochengewebstheile einer Richtung seinen Ursprung verdankt. Durch Wachsthum in an- derer Richtung, in der Dicke, entstehen wieder Komplikationen. Es nähert sich das Knochengewebe dem Knorpelskelet. Wie vorher mit dem Bindegewebe, so tritt es jetzt mit dem Knorpelgewebe in Wechsel- beziehung, und das Resultat derselben stellt sich als ein ganz an- deres dar, als beim Bindegewebe. Das letztere fügte sich gleichsam dem Eindringling, seine Zellen ordneten sich unter und wurden Osteoblasten. Anders das Knorpelgewebe. Indem dasselbe seine Stützfunktion zunächst noch unverändert beibehält, dient es dem Knochengewebe als Unterlage: sein Perichondrium liefert dünne Knochenhiillen, wie dies GEGENBAUR zuerst betont hat. Nun ver- binden sich Knorpelgewebe und Knochengewebe zu gemeinsamer Stiitzfunktion. Wie das Skelet der Störe, aller jugendlichen Ga- noiden und Teleostier, sowie zahlreicher erwachsener Formen (Amia, Esox, Salmo, Alepocephalus) zeigt, stellt die Umscheidung der Knor- pelskelettheile durch dünne Knochenrinden einen Zustand dar, der für den Gesammtorganismus von großer funktioneller Bedeutung ist. Wachsen Knorpelgewebe und Knochengewebe zunächst einträchtig mit einander, so kann eine Konkurrenz zwischen beiden stützenden Faktoren nicht ausbleiben. Es kann kein schöneres Beispiel gedacht werden, um den Kampf von Geweben im Organismus zu demon- striren, als die Beziehung des Knochengewebes zum Knorpelgewebe. Das letztere unterliegt allenthalben, wo es sich um die Stützfunktion handelt, die das jüngere Stützgewebe der Wirbelthiere weit besser als es versieht. Nur an beschränkten Stellen erhält sich der Knorpel, indem er einen Funktionswechsel eingeht. Nun bestände wohl die Möglichkeit, dass auch der Knorpel wie das Bindegewebe sich dem Eroberer fügte, dass seine Elemente Osteoblasten würden. Es finden sich Beobachtungen, die dafür sprechen, dass Der- artiges vorkommt. Ich führe hier nur diejenigen GEGENBAUR'S über die Bildung der Clavieula an; auch Schmiv-MonnArD sah beim Hecht an beschränkten Stellen Knorpelgewebe zu Knochengewebe werden. Dass dies Vorkommen ein seltenes, ganz vereinzeltes ist, liegt klar zu Tage, und dass es dies ist, darauf wirft die Stellung der ein- zelnen Glieder der Bindesubstanzreihe zu einander ein Licht. Hier sehen wir Bindegewebe, Knorpelgewebe, Knochengewebe als Zweige eines, an seiner Wurzel mit dem Epithel in Verbindung stehenden Stammes. Jedes dieser Gewebe hat sich bezüglich seiner Zellen, wie namentlich der Beschaffenheit seiner Grundsubstanz, einseitig 246 Hermann Klaatsch entwickelt. Wie sie verschieden weit sich vom Ausgangspunkt ent- fernt haben, so verschieden verhalten sie sich in ihrer Anpassungs- fähigkeit. Das Bindegewebe erweist sich als besser befähigt zu ge- weblichen Umbildungen, wie der ganz einseitig entwickelte Knorpel. Dies spricht sich aus im Verhalten beider Gewebe zum Knochen- gewebe, das Bindegewebe passt sich dem Knochengewebe an, bildet selbst solches, der Knorpel vermag dies selten und geht zu Grunde, da wo er vom Knochengewebe außer Funktion gesetzt wird. Dieser zerstörende Einfluss des Knochengewebes auf den Knorpel ist Jedem aus der Ossifikation der Röhrenknochen der Säugethiere geläufig. In der Reihe der niederen Wirbelthiere, wie namentlich in der Aufeinanderfolge der fossilen Formen, sehen wir verschiedene Stadien des allmählichen Verdrängtwerdens des Knorpels durch Kno- chen fixirt. Hierher gehören die zahlreichen Beispiele von Knochen, die ihre Beziehung zur Haut deutlich gewahrt haben und daneben zum Primordialeranium Beziehung gewonnen haben, die, wie -SAGE- MEHL sagt: »zu gleicher Zeit , Hautknochen‘ und ‚primäre Knochen ‘ sind« (pag. 185, Cranium von Amia). Auf seine zahlreichen Beob- achtungen an Amia und Characiniden, welche ein »primär« werden »sekundärer« Knochen zeigen, habe ich bereits hingewiesen. Auch sei noch einmal der ausführlichen Auseinandersetzung gedacht, welche GEGENBAUR über die Hautknochen in ihrer Beziehung zum Knorpel- cranium bei der Besprechung des Schädels von Alepocephalus rostratus gab. Es ist merkwürdig, dass späteren Bearbeitern der Osteogenese diese wichtige Darlegung gänzlich entgangen ist. Nur aus dieser Unkenntnis erklärt es sich, wenn J. WALTHER noch ein- mal versucht, wie vorher O. HERTWIG, eine scharfe Grenze zwischen »Hautknochen« und »Knorpelknochen « zu fixiren. Nach GEGENBAUR’S Auseinandersetzungen konnte die Frage, ob ein Hautknochen Be- ziehungen zum Primordialeranium gewinnen kann — vgl. GEGENBAUR'S Hinweis auf die Kopfknochen des Störs, pag. 39 — nicht mehr Gegenstand der Diskussion sein. J. WALTHER bedauert, dass es ihm nicht gelungen sei, den Be- weis für den Übergang von Hautknochen in Knorpelknochen onto- genetisch zu führen. Er meint (pag. 24), »es mag sein, dass die Teleostier, die in so mancher Hinsicht eine Ausnahmestellung in der Wirbelthierreihe haben, deren Knochen keine Knochenkörperchen besitzen (!), deren Oviducte nach Mac Leop’s Untersuchungen denen der anderen Wirbelthiere nicht homolog sind, auch in Bezug auf Knochenbildung eine Ausnahme machen, dass vielleicht gerade der Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 247 Hecht ein ungünstiges Objekt für osteogenetische Untersuchungen ist — Beobachtungen an anderen Knochenfischen mögen das ent- scheiden; jedenfalls lassen vorstehende Funde nur den Schluss ma- chen, dass Haut- und Knorpelknochen zweierlei ist, dass ihre Grenze zwar verwischt, aber beide nicht aus einander herzuleiten sind.« Fast zu gleicher Zeit erschien die Arbeit von Scumip-Monnarp, welche an dem gleichen »ungünstigen« Objekte mit aller Vollständig- keit nachwies, dass das Squamosum des Hechtes, ursprünglich ein »Haut- knochen«, ontogenetisch Beziehungen zum Primordialeranium gewinnt. so dass sich im ontogenetischen Befunde eine Parallele zum Resultat der vergleichenden Anatomie kund giebt. Sind durch die positiven Angaben ScHhmipD-MonnArp's die rein negativen Schlussfolgerungen WALTHER’s der Diskussion enthoben, so sei noch in Kürze hervor- gehoben, worauf denn WALTHER seine Unterscheidung von Haut- und Knorpelknochen gründet, obwohl er selbst eine ganze Reihe von Argumenten gegen seine eigene Meinung anführt, ohne sie etwa zu widerlegen. Weil der von Knochen bedeckte Knorpel weiter wächst, »so wird man zu der Annahme gedrängt, dass hier keine enge Beziehung zwischen Knorpel und Knochen bestehe« (pag. 23). Er scheidet nun die Knochen danach, ob sie dem Knorpel dicht auf- liegen oder nicht. Im ersteren Falle kann das Wachsthum »nicht gegen den Knorpel hin erfolgen«. Diese sollen nur »centrifugal« wachsen. »Anders ist es bei denjenigen Knochenanlagen, die wir zwar auch im Perichondrium entstehen sahen, die dann aber den Knorpel resorbiren und ersetzen.« »Ich glaube, dass diese beiden Arten des centrifugalen und centripetalen Knochenwachsthums nicht verschiedene Entwicklungsstadien desselben Processes sind und vor der Hand an der Trennung von Haut- und Knorpelknochen festge- halten werden muss.« Ein solcher Ausspruch ist unverständlich, wenn dem, der ihn gethan, einigermaßen klare Vorstellungen über die Verknöcherungen der Röhrenknochen der Säugethiere zu Gebote gestanden haben! Als ob ein Knochen, der »centripetal« in den Knorpel eindringt, nicht auch »centrifugal« wachsend an Masse zu- nehmen könnte! Auch Grassı hat in seinen Untersuchungen über die Entwick- lung der Wirbelsäule bei Teleostiern die Frage der Beziehung zwi- schen Knorpel und Knochengewebe geprüft. Er bezeichnet die GEGENBAUR sche Auffassung, wonach alle »dermatogenen« Knochen auf eine Urheimat sich zurückführen lassen, mögen sie mit dem Knorpel in Beziehung treten oder nicht, als Monismus, die ältere 248 Hermann Klaatsch K6xurker’sche Anschauung, der sich O. Herrwic im Wesentlichen angeschlossen hat, als Dualismus. Grassi’s Untersuchungen lehren, dass die Knochen der Wirbelsäule, welche K6LLIkER und O. HErT- wıG als solche auffassten, welche »im Anschluss an eine knorpelige Grundlage entstehen«, sich ganz unabhängig vom Knorpel entwickeln: »Ho ragione per credere che gli archi superiori del tronco nel lueccio e nel salmone in gran parte siansi sviluppati senza preformazione cartilaginea; e di fatto in questa parte non si trovano cartilaginei ne ontogeneticamente né filogeneticamente; ragione di piü per am- mettere che non siano mai stati cartilaginei« Die Übereinstimmung in der Knochenbildung, welche Grassı zwischen Wirbelsäule und Cranium findet, indem bei beiden das Knochengewebe perichondral entsteht, entzieht von einer anderen Seite her der scharfen Schei- dung den Boden, die O. Herrwıc für seine beiden Knochenarten durchzuführen versucht hatte. Grassi führt dann noch einige Schwierigkeiten an, welche der monistischen Auffassung im Wege stehen. Er fragt: »chi pud in- dicare la strada per cui ossificazione cutanee 0 mucose possono esser- arrivate al corpo vertebrale?« Sodann weist er auf das Verhalten der »Gräten« (= »reste«) hin. »Le reste talvolta sono rappresentate da semplici tendini in certi miocommi ed in especie affini; par na- turale di concedere che il connettivo siasi man mano ossificato senza invocare lapprofondamento di ossificazioni eutanee.« Diese Punkte diirften durch meine Auseinandersetzung der Be- ziehungen von Knochengewebe zu Bindegewebe beleuchtet werden. Konnte ich doch gerade das Bindegewebe als diejenige Straße nach- weisen, auf welcher knochenbildende Processe von der Haut aus sich in die Tiefe fortpflanzen können. Dadurch gewinnen Myocom- mata und Sehnen eine erhöhte Bedeutung für die Ausdehnung des Knochengewebes, und so ist ein großer Theil der Schwierigkeiten beseitigt, der sich der einheitlichen Auffassung der Osteogenese in den Weg stellte. 5) Der Zusammenhang zwischen Zähnen und Knochenbildung. Die innige genetische Beziehung zwischen Zahnbein und Kno- chengewebe erstreckt sich auch auf die Organe, welche aus ihnen aufgebaut werden. Es konnte verfolgt werden, wie zuerst die Hart- substanz des Zahnes gebildet wurde und an diese sich die Bildung Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 249 der Basalplatte anschloss. Wie das Zahnbein dem Knochengewebe gegenüber als das phylogenetisch ältere Gewebe beurtheilt wurde, so ist der Zahn älter als der Knochen. Die erste Bildung von Knochengewebe erfolgte im Dienste der Zahnbildung. Die Basal- platte repräsentirt ein Hilfsorgan des Zahnes. Was aber zunächst nur als ein Befestigungsmittel des Zahnes in der Haut gedient hatte, gewann eine selbständige Bedeutung bei der Reduktion des Zahnes. So tritt die Basalplatte bei Ganoiden und Teleostiern selbständig auf. Was sie phylogenetisch bedingt hatte, tritt ontogenetisch ent- weder nach ihr erst auf, oder aber es unterbleibt gänzlich. Von einem solchen Zustand aus gewinnt das Scleroblastenmaterial, wel- ches bei den Selachiern die Basalplatte, bei den anderen Fischen die Schuppen liefert, eine neue Verwendung für den Organismus, indem es, mit anderen Geweben und Organen in Beziehung tretend, eine weite Verbreitung gewinnt, an welcher die Zähne keinen An- theil mehr haben. Es liegt hierin eine Antwort auf die Frage nach dem Zusam- menhang zwischen Zähnen und Knochenbildung, durch welche die bisher geltenden Ansichten über diesen Punkt eine Vertiefung er- fahren. Nachdem zuerst GEGENBAUR die »Hautzähne« der Selachier als den Ausgangspunkt einer reichen Hautknochenentfaltung bezeichnet hatte, war es O. Hertrwic, der das Wesen des Zusammenhangs zwischen Zahn und Knochen genauer zu ergründen suchte. Er ge- langte in seiner Arbeit über das Zahnsystem der Amphibien zu dem Resultat, dass die Knochen der Mundhöhle dieser Thiere durch eine Verschmelzung von Zähnen gebildet worden, und dehnte diesen Schluss auf sämmtliche integumentale Knochenbildungen aus. ©. Hertwiae’s Theorie stößt auf Schwierigkeiten dadurch, dass sie eine scharfe Grenze zieht zwischen Knochenbildungen, die sich aus einer Verschmelzung von Zähnen herleiten lassen und solchen, für welche eine solche Genese nicht denkbar ist. Die Scheidung, welche O. HERTwIG nach diesem Principe zwischen »primären« und »sekun- dären« Knochen vornahm, wurde hinfällig namentlich durch SAGE- MEHL’s Untersuchungen. Nicht in der Verschmelzung von Zähnen mit einander, sondern in der nahen phylogenetischen Beziehung von Zahn zu Knochen- platten sehe ich das verknüpfende Band zwischen beiden Organ- systemen. Einer solchen Auffassung fügen sich leicht die Befunde, welche O. Herrwic an Amphibien und später WALTHER an Fischen 350 Hermann Klaatsch machte. Dieselben beschrieben Knochenbildungen, welche im un- mittelbaren Anschluss an Zahnbildungen erfolgten, sodann solche, welche der Zahnbildung vorausgehen, endlich solche, welche ganz unabhängig von Zahnbildungen gebildet werden. In diesen der Mundhöhle entstammenden Beispielen erblicke ich eine vollständige Parallele mit den Befunden, welche die Schuppen in der äußeren Haut der Fische darbieten. Ob nun die nahe Beziehung zwischen Zahn und Knochen, welche die Genese der Mundhöhle bei den Amphibien charakterisirt, in dem Sinne aufzufassen sei, dass hier sich die alte phylogenetische Zu- sammengehörigkeit beider Organsysteme forterhält, halte ich nicht für erwiesen. Es ist auch eine andere Auffassung wenigstens in Betracht zu ziehen, wonach der hier beobachtete Zusammenhang eine sekundäre Bedeutung hat. Bei Formen, welche wie die Am- phibien in ihrem inneren Skelette bereits eine weite Verbreitung des scleroblastischen Materials zeigen, ist es denkbar, dass das frühe Auftreten der Knochenbildung in der Mundhöhle einer Anpassung an die Nahrungsaufnahme seinen Ursprung verdankt. Wie dem aber auch sei, so sehen wir auch in der Mundhöhle der Amphibien das Knochengewebe im Dienste der Zahnbildung auftreten, und damit ist eine Anknüpfung geboten an die erste Bildung der Knochen über- haupt. Wie zu Anfang die Zähne den Knochen hervorgehen ließen, so bedürfen sie auch fernerhin der knöchernen Unterlage zur Aus- übung ihrer Funktion, während der Knochen. aus dem Verbande mit dem Zahn sich lösend, seine eigenen Bahnen geht. 6) Die verschiedenen Arten des Knochengewebes bei den Fischen. Durch die Schilderung der mannigfachen Beziehungen des Kno- chengewebes zu anderen Geweben, durch den Hinweis auf die An- knüpfung ans Zahnbein ist der Möglichkeit Ausdruck gegeben, dass das Knochengewebe in sehr verschiedenartigen Zuständen bei den Fischen auftreten kann. Ein Theil derselben wurde erörtert, andere lassen sich aus dem Gesagten leicht ableiten. Indem ich bezüglich der Übersicht über die Möglichkeiten der Erscheinungsformen des Knochengewebes der Fische auf die beistehende Tabelle der Hart- substanzgewebe verweise, hebe ich hier noch einige Punkte hervor, welche vorzugsweise Interesse besitzen. Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 251 Das basale Gewebe vieler Haifischzähne Vasodentin! Owen) zeigt größere, Blutgefäße führende Kanäle, von denen radiär Zahn- beinkanälchen ausstrahlen. Ein ganz ähnliches Gewebe kehrt in den Zähnen der Hechte wieder (Osteodentin Toms). Der Knochen der Ganoidenschuppen, charakterisirt durch den Besitz von Knochenkörperchen, von »Zahnbeinkanälen« und von SHARPEY’schen Fasern, kehrt wieder in den Ossifikationen des Schädel- daches. Hier hat SAGEMEHL die »Zahnbeinkanälchen« bei Amia ge- sehen. Auch bildet KÖLLIKER gerade von diesem Fisch dieselben ab. Amia stimmt im Bau der Kopfknochen (ich untersuchte das Os extrascapulare) mit den Kopfknochen des Lepidosteus und Poly- pterus überein. Wir finden Blutgefäße führende Kanäle von den »Zahnbeinkanälchen« radiär ausstrahlen. Für Lepidosteus und Poly- pterus — bei letzterem besitzen auch die Schuppen gleichen Bau — hat O. Herrwic die Verhältnisse beschrieben; seine Bezeichnung »HaAversi’sche Kanäle« für die Blutgefäßkanäle habe ich nicht ac- ceptirt (cf. oben), weil dieser Name bei Säugethieren bereits ver- geben und an die Existenz Haversrscher Lamellen geknüpft ist. Solehe kommen bei den Ganoiden nicht vor, es macht sich aber bei ihnen eine annähernd regelmäßige Anordnung der Knochenkörperchen in der Form bemerkbar, dass dieselben mit ihrem größten Durch- messer zum Kanal tangential gestellt sind. In dieser andeutungs- weise lamellösen Schichtung mag eine Beziehung zu embryonalen Zuständen Haverst'scher Kanäle bei Säugethieren erkannt werden. Ich enthalte mich jedoch hierüber des Urtheils und möchte nur be- tonen, dass die Beschaffenheit des Ganoidknochens und seiner Blut- sefäßkanäle nicht sowohl dem erwachsenen als dem fötalen Zustand des Säugethierknochens verglichen werden darf. Wie weit die Struktur der Knochen, die ich bezeichnet habe, im Skelet der Ga- noiden verbreitet ist, habe ich nicht untersucht. In den Wirbeln von Amia fand ich eine ähnliche Anordnung von Knochenkörperchen um Hohlräume wie am Kopfe. Die Knochenkörperchen stimmten in ihrem Habitus ganz mit den oben geschilderten überein (cf. die Schuppen), aber ich vermisste hier »Zahnbeinkanälchen «. 1 Neuerdings hat Cu. S. Tomes mit dem Namen »Vasodentin« eine ganz andere eigenthiimliche Gewebsformation bezeichnet, welche die Zähne von Merlucius vulgaris auszeichnet: »a tissue without true dentinal tubes, although it is wholly formed from the odontoblast layer of a simple pulp. It is abundantly permea- ted by tubes of larger calibre formed by the enclosure of and containing capil- lary blood-vessels. 252 Hermann Klaatsch Der Ganoidenknochen kehrt bei vielen Teleostiern wieder, nament- lich sind es die Physostomen, die sich wie in vielen anderen Orga- nisationszuständen, so auch in der Struktur ihres Knochenskelets an Ganoiden anschließen. Abweichend davon verhalten sich aber viele andere Gruppen, namentlich Acanthopterygier. Auf die Verschiedenheiten im Skelet der Teleostier hat nament- lich KÖLLIKER die Aufmerksamkeit gelenkt. Er konstatirte durch sehr ausgedehnte Untersuchungen zwei verschiedene Typen im Kno- chengewebe der Fische. Er fand, dass eine Anzahl von Fischen im Skelet Knochenkörperchen besitzen, dass andere derselben ent- behren. Zu den ersteren gehören die Physostomen, zu den letz- teren Acanthopterygier, Anacanthinen, Pharyngognathen, Plecto- gnathen und Lophobrapchier. Ausnahmen sind selten, jedoch ist be- merkenswerth, dass von Physostomen Esox unter den Fischen mit zellenlosen Knochen steht. Dem Knochen ohne Knochenkörperchen erkennt KÖLLIKER nicht den Namen Knochengewebe für seine Sub- stanz zu, er nennt dieselbe »osteoide Substanz«, sie ist ausgezeichnet durch den Besitz zahlreicher Röhren, die KöÖLLIKER Zahnbeinhöhl- chen nennt. An anderem Orte gebraucht er auch den Namen Zahn- bein für das zellenlose Teleostierknochengewebe. KÖLLIKER begnügte sich mit der Feststellung der auffallenden Thatsache, ohne einen Erklärungsversuch zu machen. Die Kluft. die scheinbar zwischen verschiedenen Vertretern der Knochenfische fixirt war, und die um so mehr auffallen musste, als einander ganz nahe stehende Formen durch die Beschaffenheit ihres Knochengewebes von einander differirten, wurde durch die Untersuchungen von SCHMID-MONNARD überbrückt. Bei seinen Studien über die Histio- genese des Teleostierknochens fand er, dass bei Esox nicht nur wie überall bei der Bildung des Knochengewebes Zellen thätig sind, sondern dass auch diese Osteoblasten sehr häufig von der gebildeten Hartsubstanz umschlossen werden; es entbehrt also Esox nicht, wie KÖLLIKER meinte, gänzlich der Knochenzellen. Das Umschlossen- werden der Osteoblasten ist jedoch kein regelmäßiges Vorkommnis. Auch konnte Scumip-Monnarp »bei Perca fluviatilis, Lucioperca sandra, Acerina vulgaris, Cottus gobio, Gadus aeglefinus, Lota vul- garis Knochenkörperchen, wenn auch in unregelmäßiger Lagerung. in der Knochensubstanz« konstatiren. Die von KÖLLIKER als Zahn- beinkanälchen aufgefassten Bildungen hält Scummp-Monnarp für be- dingt durch SHarpry’sche Fasern. Ich habe das Knochengewebe von Gadus morrhua, Perea fluvia- Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 253 tilis und Lueioperea sandra untersucht. Ich kann KOLLIKER’s An- gaben vollkommen bestätigen, was das Fehlen typischer Knochen- körperchen anbelangt. Niemals finden sich solche in der Weise, wie sie jedes Präparat, z. B. von einem Cyprinoiden aufweist. Es finden sich jedoch vielfach unregelmäßige Höhlungen, die bisweilen eine Ähnlichkeit mit Knochenkörperchen zeigen, doch ist es schwer mit Sicherheit nachzuweisen, dass in der That in solchem kleinen Hohlraum sich nur eine Zelle befindet. Namentlich am Rand der Knochen sind diese Gebilde sehr ausgeprägt, und hier beherbergen sie keine Zellen, sondern nur unverkalkt gebliebene Grundsubstanz. Ganz ähnliche Räume kommen auch inmitten des echten zellen- haltigen Knochengeyebes vor, wie ich von Barbus fulgaris auf Taf. VI Fig. 10 dargestellt habe. Die Matrix des zellenlosen Knochengewebes ist in der Regel straffes Bindegewebe. Die Fibrillen desselben gehen unmittelbar in die Knochengrundsubstanz tiber. Schon makroskopisch kann man sich von der festen Adhärenz des Bindegewebes am Knochen überzeugen. Da nun die Kaniilchen in der Grundsubstanz in ihrem Verlaufe voll- ständig übereinstimmen mit der Richtung der Bindegewebsfibrillen und da man vielfach ganz direkt das Eindringen von solchen in die Kanälchen beobachten kann, so halte ich Scumrp-Monnarp’s Auf- fassung für richtig und erkläre die Röhrchen für bedingt durch SHAR- pEy’sche Fasern, neben welchen wohl auch Ausläufer der Bildungs- zellen in den Knochen eindringen mögen, was ich nicht mit Sicher- heit konstatiren konnte. Die Röhrchen reihen sich dem an, was schon das Knochengewebe der Ganoiden und der Physostomen zeigte, die ebenfalls sehr reich sind an Smarpey’schen Fasern. Als solche wurden die »tubes lepidines« WırLıamson’s in den Schuppen der Ganoiden erkannt. Es besteht aber auch ein direkter Anschluss an das Gewebe, welches die tieferen Theile der Basalplatte bei den Selachiern aufbaut. Mit Zahnbeinkanälchen haben die Röhrehen somit nichts zu thun, sie besitzen auch sehr wenig Ähnlichkeit mit ihnen. Abge- sehen davon, dass sie relativ viel enger sind als es meist bei Zahn- beinkanälchen getroffen wird, so entbehren sie jeder für die letzteren so charakteristischen Verästelung. Bei dünnen Knochenplatten, wie z. B. bei der auf Taf. VI Fig. 9 dargestellten Spina des Occipitale superius von Perca, trifft man die Knochenröhrchen meist in zwei auf einander senkrechten Richtungen; die einen liegen in der Ebene 254 Hermann Klaatsch der Platte, die anderen durchsetzen dieselbe in senkrechter Richtung. Sie erscheinen auf der Figur punktförmig. Das mikroskopische Bild der zellenlosen Knochen bedarf der Vervollstiindigung durch makroskopisch wahrnehmbare Eigenthtim- lichkeiten. Vergleicht man die Skelettheile eines Acanthopterygiers mit denen eines Physostomen, so fällt ein großer Unterschied in der Beschaffenheit derselben auf. Die Formen vom »zellenlosen Typus: haben durchweg viel graciler gebaute Knochen, als die Physostomen. Wie die Acanthopterygier den Fischtypus am reinsten und einseitig- sten zum Ausdruck bringen, so sind auch die Reliefverhältnisse ihrer Knochen weit mehr ausgearbeitet, gleichsam auf möglichst große Leichtigkeit des Skeletbaues bei genügender Festigkeit hinzielend, im Gegensatz zu dem plumpen und massiven Skeletbau der im System niedriger stehenden Fische. Dieser spongiöse Bau des Acanthopterygierknochens bringt es mit sich, dass Blutgefäße und Fettgewebe die Knochen allenthalben durchsetzen. Wo etwas massivere Skelettheile vorliegen. sieht man im Inneren ein Kanalsystem, das eben diesen Inhalt führt (z. B. Knochen des Suspensorialapparates von Lucioperca sandra). Die hierdurch gegebene nahe Berührung der Knochensubstanz mit Ge- webstheilen, die für die Ernährung derselben von Bedeutung sein können, macht von physiologischer Seite her das Fernbleiben der Osteoblasten aus dem Inneren der Knochen verständlich. An den zellenlosen Teleostierknochen knüpft sich noch eine Frage. die für die Geschichte der Hartsubstanzgewebe der Fische von all- gemeinerer Bedeutung ist. Über die phylogenetische Entstehung des zellenlosen Knochengewebes kann man verschiedener Meinung sein. Da der zellenlose Zustand des Knochengewebes als der ursprüng- liche nachgewiesen wurde, so lässt sich die Ansicht vertreten, dass der Acanthopterygierknochen die Fortführung des ursprünglichen Ver- haltens zeige. Dem gegenüber lassen sich aber Gründe für die An- schauung geltend machen, dass hier kein ursprünglicher Zustand vorliegt. Zu Gunsten der ersteren Ansicht spricht die Übereinstimmung zwischen dem in Rede stehenden Gewebe mit demjenigen, welches die tieferen Theile der Basalplatte der Selachier zusammensetzt und mit der Substanz der Hornfäden. Gegen eine direkte Fortführung des zellenlosen Zustandes von Selachiern auf Anacanthinen, Acanthopterygiern u. a. entspringt ein Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 255 schwerwiegendes Bedenken aus der Berücksichtigung der Stellung der Formen im System. Nach den jetzt herrschenden Anschauungen, die sowohl auf vergleichend anatomischer, wie auch auf paläonto- logischer Basis ruhen, ist es nicht gestattet, von den Selachiern direkt auf die höchst differenzirten Knochenfische überzugehen. Zwi- schen beide stellt sich die große Zahl der an Amia sich anschließen- den Ganoiden und Physostomen. Alle diese haben nun ein durch und durch zellenhaltiges Knochengewebe. Wäre es nun denkbar, dass das zellenlose Knochengewebe aus dem zellenhaltigen hervorgegangen wäre? Hierfür lassen sich in der That Beispiele anführen, die z. Th. schon früher erörtert worden sind. Gerade die Schuppen der Phy- sostomen liefern hierfür das Material. Wie KÖLLIKER bereits betont hat, entbehren zwar alle Knochenfische, die im inneren Skelet keine Zellen haben, auch in den Schuppen derselben, aber die Schuppen sind auch häufig bei solchen Formen zellenlos, welche im inneren Skelet Knochenkörperchen führen. Prüft man genauer die Stellung dieser letzterwähnten Formen, so erkennt man, dass es immer die niedriger stehenden, Amia mehr genäherten Formen sind, welche Zellen in den Schuppen haben und dass die mehr specialisirten For- men derselben entbehren. So stehen (s. oben!) unter den Clupeiden die Schuppen von Chatoessus und Clupea harengus ohne Zellen denen von Elops und Albula mit Zellen gegenüber und Gleiches zeigt KÖL- LIKER’S Tabelle für die Characiniden. Nieht nur für die äußere, sondern auch für die innere Schuppen- schicht stellte es sich heraus, dass der Zustand zellenloser, mehr oder weniger sclerosirter Bindegewebslamellen, wie ihn die meisten Te- leostier bieten, aus jenem anderen zellenhaltigen hervorging, wie ihn z. Th. Amia, weit primitiver die Dipnoer, bewahrt haben. Auch für das übrige Skelet fehlt es nieht an vermittelnden For- men. Bei der Forelle finde ich, dass bei der Bildung der Kopf- knochen in frühen Stadien die Umschließung der Osteoblasten an vielen Stellen sich sehr zögernd vollzieht. Daran reiht sich Esox, den KÖLLIKER unter die zellenlosen stellte, bis auch hier (ScHMID- MoNNARD) die Umschließung von Bildungszellen festgestellt wurde. So zeigt Esox die Zustände gleichsam im Fluss, die in verschiede- ner Erscheinung bei den niederen und höheren Teleostiern fixirt worden sind. Esox steht den anderen Physostomen so nahe, dass ein geringerer Reichthum seines Knochengewebes an Zellen nicht als ein primitiver Zustand gedeutet werden kann. Denn wenn der Hecht 256 Hermann Klaatsch auch durch gewisse Eigenthtimlichkeiten, wie das ausgedehnte Per- sistiren des Primordialeraniums unter den Physostomen eine niedere Stufe repräsentirt, so können dieselben doch nicht hinreichen, um ihn direkter als Salmo, Clupea u. a. den Selachiern anzuschließen. Liegt also hier höchst wahrscheinlich eine sekundäre Veränderung des Knochengewebes vor und lässt sich am Schuppenkleid der Phy- sostomen die Tendenz zellenlos zu werden direkt nachweisen, so be- stärkt dies in der Annahme, dass auch bei den Anacanthinen und Acanthopterygiern der Zustand des Knochengewebes erst sekundär erworben ist. Bei dieser Veränderung mögen die oben angeführten Umgestaltungen im Aufbau der Knochen von Bedeutung gewesen sein. 7) Übersicht der Hartsubstanzgewebe, speciell der Fische. Beschaffenheit der | Scleroblasten Gonndeabetane Produkt Vorkommen Zellen der basalen | Anscheinend ho- | Schmelz. Auf der Spitze der Epidermisschicht |mogen, lässt sich | Placoidorgane, der (Urschicht). ‚in Prismen zerlegen. | Selachier, der Kie- ‚Enthält Ausläufer | ferzihne mancher von Zahnbein- 'Säugethiere (Beutel- kanälchen. | | thiere). | | Dessgl. Zeigt Prismenstruk- Schmelz. Auf der Spitze der tur, enthält keine ‚Zähne der meisten Ausläufer von Zahn- Wirbelthiere. beinkanälchen. | | Indifferente Meso-. Homogen, Zahnbein. 'Placoidorgane der dermzellen, an der |enthält verzweigte | Selachier, Zähne Oberfläche der Cu- Kanälchen. \aller Wirbelthiere. tis, den basalen Epidermiszellen gegenüber, scheiden | nach außen eine | | Hartsubstanz ab, in welche hinein sie | Ausläufer entsenden | Zur Morphologie d. Fischschuppen u. zur Geschichte d. Hartsubstanzgewebe. 257 Beschaffenheit der | Scleroblasten az Produkt | Vorkommen Indifferente Meso- Homogen. Knochengewebe, | Erste Knochenge- dermelemente, la- zellenloses, homo- | webssubstanz der gern dem Produkt | genes. | Placoidorgane an, werden nicht | | (oberflächl. Theil umschlossen. | der Basalplatte). | Ganoinschicht der Ganoidschuppe. | Erste Knochenge- | webssubstanz in der Ontogenese der | Teleostier. Äußere Schuppenschicht derselben. Indifferente Meso- Homogen. |Knochengewebe, Hautskelet der dermzellen, werden |zellenhaltiges, ho-| Store. AuBere umschlossen. mogenes. Schuppenschicht der Teleostier. | | Indifferente Meso- || Homogen. Enthält Knochengewebe |Wurzel der Zähne dermzellen (?) und größere Kanäle, (»Vasodentin« | fossiler Haie. Bindegewebszellen, | von denen Zahn- | OWEN’S). | Zähne von Esox. werden nicht um-||beinkanälchen aus-| | schlossen. strahlen. | Indifferente Meso-| Wie voriges, ent-| Knochengewebe,)|Schuppen u. Kopf- dermzellen und dif- hält außerdem |lzellenhaltiges, mit knochen lebender ferenzirte Binde- | Knochenkörperchen | Gefäß- und Zahn- | und fossiler Ga- gewebselemente, |(auch SHARPEY’sche | beinkanälchen. noiden. werden umschlossen | Fasern). Dessgl. | Theils homogene, |Knochengewebe, Knochen der Phy- Bindegewebs- th. fibrilläre Struk-||zellenhaltiges, mit, sostomen. fibrillen werden in, tur. Zahlreiche SHARPEY’ schen die Knochensub- | SHARPEY sche Fasern. stanz aufgenommen, | Fasern. Keine Zahn- bleiben zum Theil| beinkanälchen. unverkalkt. | Dessgl., doch wer- ‚Enthält sehr zahl- Knochengewebe, Knochen der Acan- den die Zellen nicht || reiche SHARPEY- zellenloses, mit |\thopterygier u. a. umschlossen. sche Fasern. SHARPEY'schen | Tiefe Schicht der | Morpholog. Jahrbuch. 16. Basalplatte der Selachier. Li Fasern. 258 Hermann Klaatsch, Zur Morphologie der Fischschuppen ete. seschaffenheit der x Grundsubstanz | Produkt Vorkommen Scleroblasten Scheinbar indiffe- | Durchweg fibrillär Knochengewebe, Untere Schuppen- rente Bindegewebs- | zerfallen, zeigt la- | zellenhaltiges,fibril- schicht der Dipnoer. zellen, werden um- | mellöse Schichtung. | läres (sclerosirtes Schuppen zahl- schlossen. straffes zellenhal- reicher fossiler tiges Bindegewebe, Ganoiden. | | (Isopeding. | Dessgl., nur wer- Dessgl. | Knochengewebe, Untere Schuppen- den die Zellen nicht | zellenloses, fibril- ‚schicht der Tele- umschlossen. ‚ läres (sclerosirtes | ostier. straffes, zellenloses Bindegewebe). Ein Rückblick auf die Beziehungen der Hartsubstanzgewebe zu einander zeigt die Entstehung derselben und ihre Differenzirung in verschiedenen Richtungen als eine Aufeinanderfolge von Processen, deren einzelne Stadien sich so zu einander verhalten, wie die Thier- formen, welche als Endpunkte von Reihen aus einem gemeinsamen Stamme hervorgingen. An seiner Wurzel weist der Stammbaum der Hartsubstanzgewebe auf Beziehungen zur Epidermis hin. Die Bil- dung einer Hartsubstanz von Seiten der Epidermis tritt in Beziehung zum Bindegewebe, und diese von außen her erfolgte Einwirkung lässt aus der Reihe der Bindesubstanzgewebe einen neuen Zweig hervorgehen, das Zahnbeingewebe, welches dann, für sich weiter entfaltet, dem Knochengewebe den Ursprung giebt. Dieses entfaltet sich wiederum in eigener Weise und gewinnt, mit den anderen Ge- weben der Bindesubstanzreihe in Wechselwirkung tretend. eine große Zahl verschiedener Erscheinungsformen. = Die Morphologie der Prosobranchier, gesammelt auf einer Erdumsegelung durch die königl. italienische Korvette ,,Vettor Pisani‘. Von B. Haller (Ungarn). Mit Tafel IX und X. II. Cypraea testudinaria L. “ Durch die wichtige Entdeckung Bouvier's!, wonach den Cy- praeen Pedalstränge zukommen, angeregt, habe ich die sechs für mikroskopische Zwecke wohl konservirten Exemplare von Cypraea testudinaria der Sammlung des Vettor Pisani sofort dem Studium unterzogen. Dieses sofortige Handeln ist bei der dringenden Frage nach der phyletischen Reihenfolge der Prosobranchier gerechtfertigt. Ich will hier gleich mit den Fußverhältnissen beginnen. Der Fuß von Cypraea, obgleich in mancher Beziehung modifieirt, zeigt noch keine solehen Differenzirungen, die sich direkt an die höheren Proso- branchier anreihen ließen, ja der Spindelmuskel ist sogar noch gar nicht in dem hohen Grade differenzirt, wie jener der Trochiden. Von unten gesehen ist der Fuß im kontrahirten Zustande lang und schmal (Fig. 8), eben so ist lateral gesehen der nicht ganz kon- trahirte Fuß dem einer Fissurellide sehr ähnlich, und im Ganzen sieht dann so ein vom Gehäuse befreites Thier einer Fissurella oder einem Parmophorus nicht uniihnlich (Fig. 10), besonders wenn wir den miichtigen Riissel mit dem von Parmophorus vergleichen wollen. Freilich bezieht sich diese Ähnlichkeit des Fußes nur auf die äußere ! E.L. Bouvier, Systeme nerveux, morphologie générale 6t classification des Gastéropodes prosobranches. Ann. des Sciences nat. 7° Série. Zool. Tom IH. ue 260 B. Haller Form, da hier bereits ein Spindelmuskelnerv sich entwickelt hat (Fig. 9 sm). Die Querrinne am vorderen Fußrande (Fig. 8) ist ent- wickelt. Dieser im kontrahirten Zustande schmale Fuß kann sich aber im Leben, wie das ja wohl bekannt ist, äußerst ausdehnen, doch erinnert er in seiner äußeren Form auch dann noch lebhaft an jenen niederer Prosobranchier. Vorn und links von der Kiemenspitze und dem Geruchsorgane findet man die Insertion eines freilich schon reducirten linken Schalenmuskels (Fig. 14, 28, 29 mz). Im Spindel- muskel selbst prägt sich aber ein Verhalten aus, das mit den bis- herigen Befunden wenig in Einklang steht, denn während durch die Rhipidoglossen sich nachweisen lässt, dass der Spindelmuskel der Trochiden thatsächlich aus dem rechten Schalenmuskel der Fissu- rellen sich hervorbildete, wofür insbesondere die Haliotiden sehr be- weiskräftig eintreten, scheint bei Cypraea ein Spindelmuskel zu be- stehen, der sich aus beiden Schalenmuskeln entwickelte (Fig. 9). wobei nur ein kleiner Theil des linken Schalenmuskels sich noch in seiner primären Form weiter erhielt. Ob diese Ausbildung, auf diese Weise sich weiter fortbildend, bei den höheren Taenioglossen sich weiter vervollkommnet, denn bei den Rhachiglossen erfolgt die Bildungsweise nach dem Rhipidoglossenmodus, und wo diese Bil- dung der Cypraeen ihren Anfang nimmt, ob etwa bei noch lebenden Formen, all’ dies sind Fragen, deren Beantwortung zukünftigen For- schungen anheimgestellt werden muss. Daraus,' dass der Spindel- muskel, im Gegensatze zu Haliotis, auf der linken Körperhälfte liegt, folgt, wie der Querschnitt beweist, noch nicht, dass seine Ausbildung aus dem linken Schalenmuskel erfolgt wäre. Sowohl das Epithel der Fußsohle, als auch jenes des schmalen oberen Theiles des Fußes sind unpigmentirt und nur die lateralen unteren Flächen besitzen eine Pigmentirung in Form eines schönen, netzförmigen Mosaiks (Fig. 10). Auf Querschnitten sieht man an diesen pigmentirten Stellen (Fig. 9 v), dem lateralen Fußrande zu, Runzelungen, die aber thatsächlich nicht vergängliche Runzeln, son- dern Mündungen zahlreicher sich hier befindender Einzeldrüschen (dr) sind. Diese schon bei starken Lupenvergrößerungen erkennbaren, den ganzen Fuß entlang sich erstreckenden Hautdrüsen sind äußerst große Einzeldrüschen. Man könnte sie nach ihrer Form am ehesten mit den Hautschleimdrüsen von Salamandra maculosa vergleichen, wie diese etwa durch NussBaum dargestellt wurden', nur mit dem 1M. Nusspaum, Uber Bau und 'Thätigkeit der Drüsen. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXI. Die Morphologie der Prosobranchier. II. 961 Unterschiede, dass diese Drüsen der Cypraeen nicht rund, sondern läng- lich, also birnenförmig (Fig. 11 dr) sind und einen sehr langen, oft sogar geschlängelten, engen Ausführungsgang (ag) besitzen. Sie liegen sehr dicht bei einander, sich oft berührend, und münden oft zu zweien (v) gemeinsam nach außen. Das Epithel der Haut (ep) ist hier schwarz pigmentirt, welches Pigment am Rande des Zell- leibes auch in den Elementen der Drüsen-Ausführgänge sich vor- findet (Fig. 12), jedoch in den Zeilen der Drüsen fehlt. Letztere sind sehr hell. Die Bedeutung dieser sonderbar gestalteten Hautdrüsen ist mir unbekannt geblieben. Das Nervensystem. Im Centralnervensystem von Cypraea finden wir ein Verhalten vor, welches, um im Vorhinein schon den richtigen Standpunkt zu fixiren, die Prosobranchier ältesten Datums, die Rhipidoglossen mit den Taenioglossen übergangsweise verbindet. Denn während die Fuß- stränge, wie dieses schon Bouvier vor mir erkannte, sehr an die Rhipidoglossen erinnern, sind schon Verhältnisse eingetreten, die sie an die übrigen Taenioglossen anschließen. Als solche erscheint die vollständige Isolirung der Pleuralganglien von den Pedalsträngen und ihre Wanderung nach oben bis an die Cerebralganglien, denen sie sich innig anlagern, was wieder nur durch eine Verlängerung der nur histologisch bei den Rhipidoglossen nachweisbaren Pleuropedal- kommissur erreicht werden konnte. Ich habe in einer früheren Arbeit auf histologischem Wege den Nachweis geliefert ', dass aus der dor- salen Ganglienzelllage der Pedalstränge der Rhipidoglossen, gleich hinter der vorderen Querfaserung ein starkes Faserbündel entspringt (die Pleuropedalkommissur dieser Thiere), dessen einzelne Fasern sich mit Ganglienzellen der oberen Seite des mit den Pedalsträngen ganz eng verwachsenen Pleuralganglion direkt verbinden, während aus dieser Zellgruppe, ja oft aus derselben Ganglienzelle, Nerven- fasern sich direkt in die äußerlich erkennbare Pleurocerebralkom- missur begeben. Hiermit hätte ich aber nachgewiesen, dass die Pleuropedalkommissur entsprechend der festen Anlagerung, ja selbst innigen Verwachsung der Pleuralganglien zwar jederseits vorhanden, ! Studien über mar. Rhipidoglossen. II. Studie. Morph. Jahrb. Bd. XI. pag. 397—403 und Fig. 33, 34, 36. 262 B. Haller jedoch äußerlich nicht sichtbar ist. Somit ist die obere Kommissur zu den Cerebralganglien die Pleurocerebralkommissur!. Hiernach muss bei den Formen, deren Pleuralganglion an das Cerebralganglion anrückte, wie bei Cypraea, die obere der zwei langen Kommissuren, wie das ja schon die Vergleichung lehren müsste, die Pleurocerebral- kommissur und nicht die »connectiv cerebropalléal« sein, wie sie BoUuvIER trotz seiner sämmtlichen Studien bezeichnet. Die untere dieser Kommissuren ist natürlich die stets unveränderliche Cerebro- pedalkommissur. Die Cerebralganglien (Fig. 1, 2, 3 Cg) sind nicht durch lange Kommissuren mit einander verbunden, sondern verhalten sich, wie dieses durch Bouvier richtig beschrieben wurde, bezüglich dieser nervösen (Querverbindungen ganz wie die höheren Prosobranchier, d. i. die Cerebralganglien rücken so eng an einander, dass die Kommissur zwischen ihnen sich auf das möglichste Minimum ver- kürzt hat und somit die beiden Cerebralganglien mit einander median ganz fest zusammenstoßen. Doch sind die Cerebralganglien nicht an ihrer ganzen medianen Fläche unter einander verwachsen, wie diese Erscheinung gar zu oft bei höheren Formen einzutreten pflegt und wie irrthümlicherweise Bouvier es abbildet, sondern bloß die 1 Gerade dieser Nachweis sollte denjenigen, die zwar den ersten Theil meiner Arbeit über marine Rhipidoglossen eitiren, den zweiten Theil aber aus Mangel histologischen Wissens ihrerseits unberücksichtigt lassen missen, ge- nügen, um endlich ihren naiven Standpunkt über die Bedeutung der Pedal- stränge der Prosobranchier als »Pleuropedalstränge« (nerfs pleuropedieux) auf- zugeben. Dieses hätte man mit’ Recht erwarten müssen, doch fühlt sich sonderbarerweise Bouran, ein mit der Histologie sowohl wie mit der ver- gleichenden Methode und selbst mit der Logik auf dem gespanntesten Fuße stehender junger Zoologe, noch immer veranlasst, jene Annahme mit der größ- ten Unkenntnis der Litteraturangaben zu vertheidigen. Ich denke in dieser Beziehung Bouran definitiv abzufertigen, indem ich noch einmal, aber zum letzten Male, erwiedere, dass, so lange Herr Bouran meine histologischen Befunde iber diesen Punkt nicht Schritt für Schritt widerlegt hat, ich auf seine naiven Ausbriiche nicht mehr antworten werde. Hier möchte ich nur, um Herrn Bouran etwas zu beruhigen (welchem Herrn man ja mit den ihm unverständlichen histologischen Beweisen kaum etwas nützen kann), bloß anführen, dass, wie er nach Bouvier’s und meinen hierin über- einstimmenden Untersuchungsergebnissen kaum bezweifeln dürfte (?), die Pleural- ganglien als separirte und wohl distinguirte Ganglienknoten aus den sog. Pleuro- pedalcentren bei Cypraea sich herausgehoben haben, letztere aber dennoch in jeder Beziehung mit den Pedalsträngen der Rhipidoglossen völlig überein- stimmen, ja nach meiner Beobachtung sogar noch die oberflächliche Lateral- furche besitzen, die Herrn Bouran so viel unnöthige Sorgen bereitet hat. Die Morphologie der Prosobranchier. II. 263 untere Hälfte der medianen Seiten der beiden Ganglien schließt fest zusammen. Oberhalb dieser Verwachsung divergiren die medianen Ränder der beiden Ganglien unter einander, so dass hierdurch zwi- schen ihnen ein deutlicher Raum entsteht (Fig. 1, 3). Die Nerven verlassen die Cerebralganglien an deren vorderen, oberen Seite. Als solche sind einzeln zu unterscheiden der mächtige Nerv der Buccalmuskulatur (Fig. 1, 2, 3 7), neben welchem und ihm fest angelagert der Rüsselhautnerv (2) abtritt. Der Nerv für die Muskeln des Rüssels (4) liegt etwas weiter nach außen von diesen zwei Nerven. Fest an einander gelagert treten der Fühler- (5) und Augennerv (6) ab. Unter diesen, jedoch nach außen von ihnen, verlässt das Ganglion die Kommissur (cb) zu den vorderen Ein- geweideganglien. Die Hörnerven sind nicht sichtbar, da sie in der Scheide der Cerebropedalkommissuren zu den Otocysten treten, welch letztere (Fig. 1, 7 oc) an den Pedalsträngen eine durchaus ähnliche Lagerung einnehmen, wie bei den Rhipidoglossen hinläng- lich bekannt ist. Nach hinten und unten lagern die Pleuralganglien den Cerebralganglien so innig an, dass eine cerebropleurale Kommissur äußerlich nieht siehtbar ist, doch sind sie mit ihnen durchaus nie so innig verbunden, dass eine Abgrenzung bei genügender Aufmerk- samkeit und guten Präparaten nicht möglich wäre, wie dieses aber nach der ungenauen Abbildung Bouvier’s vermuthet werden könnte. Das linksseitige Pleuralganglion (Fig. 2 Py’) wird in allen Fällen durch eine seichte frontoventrale Furche in eine vordere (Fig. 1 p7’) und eine hintere Hälfte (pZ) geschieden. Obgleich diese sonst seichte Furche sich auch etwas ventralwärts auf das Ganglion fortsetzt, so durchsetzt sie doch nicht die ganze ventrale Fläche; somit erscheint das Ganglion, von der ventralen Fläche betrachtet, ganz einheitlich (Fig. 3 /.p/g). Aus dem unteren Rande der vorderen Hälfte des linken Pleuralganglions treten die beiden linksseitigen Kommissuren zu den Pedalsträngen ab (Fig. 1, 2, 3 Ci) und zwar ist die obere von ihnen die Pleuropedalkommissur, während die untere die cerebropedale Kommissur ist. Aus dem unteren Rande dieser Portion des Ganglions tritt ein starker Nerv ab (Fig. 1, 2, 3 e.sub), es ist die Suboesophagealkommissur. Manch- mal fand ich die zwei Hälften des Ganglion an den Stellen, wo die angeführten Kommissuren abtraten, etwas spitz ausgezogen (Fig. 1), während sie in anderen Fällen den abtretenden Kommissuren gegen- über auf das schönste abgerundet waren (Fig. 2, 3). 264 B. Haller Wie ich schon erwähnt habe, ist das linke Pleuralganglion mit dem gleichseitigen Cerebralganglion derart verwachsen, dass äußer- lich keine Pleurocerebralkommissur erkennbar ist. wobei aber auch das obere Ende der cerebropedalen Kommissur von der vorderen Hälfte des Pleuralganglions so umwachsen wurde, dass sie äußer- lich von diesem zu entspringen scheint. Lateralwärts treten zwischen Cerebralganglion und dem linken Pleuralganglion fest an einander lagernd zwei Nerven ab (Fig. 1. 2, 3 8’ 9’) und zwar ein oberer etwas stärkerer und ein unterer wenig schwiicherer. Es sind die beiden Nerven der linken Nackenhilfte. Vom oberen vorderen Rande der hinteren Hilfte des linken Pleuralganglion tritt der linke untere Mantelnery (Fig. 1, 2 10’) und gleich daneben der schwächere Siphonalnery 7/2’) ab. Bouvier beschreibt und bildet zwischen dem linken Pleural- ganglion und dem Supraoesophagealganglion eine rein nervös faserige kurze Verbindung ab, die er als »connectif de la zygoneurie droite: bezeichnet. Ich habe diese Verbindung, von der ich nicht sicher anzugeben vermag, ob sie bei ihrer Mächtigkeit nicht etwa von Ganglienzellen umlagert wird, doch will ich dieses aus später anzu- gebenden Gründen annehmen, gleichfalls beobachtet. In dem er- wähnten Falle war sie zwar kurz (Fig. 1 ¢), wie sie Bouvier zeich- net, doch dicker als er sie angiebt. In dem Falle, wie der erörterte war, da diese nervöse Verbindung kurz ist, war der obere rechts- seitige Rand des hinteren Theiles vom linken Pleuralganglion an der Stelle, wo jene Verbindung in dasselbe eintrat, etwas zugespitzt und nach rechts zu gebogen (Fig. 1). Ganz anders erschien seiner äußeren Form nach das linke Pleuraiganglion, wenn diese kurze Verbindung fehlte, denn dann zeigte es sich schön abgerundet (Fig: 2, 3 pl’). Bei vielen Prosobranchiern existirt zwischen dem ersten Bron- chialnerven des Supraoesophagealganglions und zwischen dem Sipho- nalnerven eine scheinbare Verbindung, welche am ursprünglichsten so wie bei Dolideen, als Aneinanderlagerung zweier feiner Äste dieser Nerven und durchaus als keine kommissurale Verbindung auftritt. Ganz ähnlich verhält sich diese Verbindung bei allen Formen, wo sie vorkommt. BOUVIER, der diese nervöse Verbindung unglücklicher- weise als »linksseitige Zygoneurie« einer von ihm missverstandenen rechtsseitigen nervösen Verbindung zur Seite stellend, systematisch verwenden will, worauf noch weiter unten zurückzukommen ich Ge- Die Morphologie der Prosobranchier. II. 265 legenheit haben werde, meint, dass diese kurze Verbindung zwischen Supraintestinalganglion und linkem Pleuralganglion bei Cypraea nichts Anderes sei, als die eingerückte linksseitige »Zygoneurie« an- derer Formen. Hierfiir scheint ihm der Vergleich von Natica mit Lamellaria, bei welcher letzteren Form auch eine ähnliche Verbin- dung zwischen Supraintestinalganglion und linkem Pleuralganglion vorkommen soll, den hauptsächlichsten Beweis geliefert zu haben. Ohne weiter hierauf mich einzulassen, bin ich in der Lage, diese Annahme Bouvier’s auf ihre Richtigkeit bei Cypraea prüfen zu können. In den Fällen, wo die kurze Verbindung zwischen linkem Pleu- ralganglion und dem Supraintestinalganglion fehlt (Fig. 2), finden wir statt ihrer aus der inneren Fläche zwischen rechtem Pleural- ganglion und Supraintestinalganglion eine lange Kommissur (Fig. 2, 3 ¢) abtreten, die, über dem Vorderdarme gelegen, zum linken Pleu- ralganglion sich begiebt, um hier in dasselbe und zwar auf dessen äußerer Seite, etwas oberhalb des Abganges der Subintestinalkom- missur, sich einzusenken (Fig. 2). Es unterliegt somit keinem Zweifel, dass wir es in dieser langen Kommissur mit dem Homologon der kurzen Verbindung bei anderen Exemplaren zu thun haben. Wie ist nun diese Verbindung zwischen linkem Pleuralganglion und dem Supraintestinalganglion, welche bisher, wenn man der Beobachtung Bovuvier’s Glauben schenken kann, nur noch bei Lamellaria anzu- treffen ist, zu erklären? Für die Annahme, dass diese Verbindung in der That nichts Anderes, als jene oben erwähnte periphere An- einanderlagerung eines feinen Astes des linken Mantelnerven mit einem aus dem ersten Bronchialnerven aus dem Supraoesophageal- ganglion wäre, welche Aneinanderlagerung Bouvier als die linke »Zygoneurie« bezeichnet, müsste der Nachweis vor Allem erbracht werden, dass eine solche Verbindung peripher bei Cypraea nicht vorhanden sei. Diesen Nachweis hat aber nach meiner Überzeugung Bouvier nicht erbracht. Obgleich ich zwar das Plausible der Bov- vıer'schen Annahme einsehe, so scheint mir gegen dieselbe außer dem anatomischen Verhalten bei Cypraea, das ich weiter unten aus einander setzen will, der Umstand zu sprechen, dass bei den jüng- sten Prosobranchiern, wo eine große Koncentration des Schlundringes sich einstellt (Rhachiglossen), jene oben genannte Verbindung nicht in den Schlundring einbezogen wurde. Wir finden bei Cypraea so- wohl in dem Falle, wenn jene Verbindung in ihrer kurzen, als auch wenn sie in ihrer langen Form erscheint, dass diese Verbindung beim 266 B. Haller Eintritte in das linke Pleuralganglion mit dessen oberer Fläche stets einen spitzen Winkel bildet, der stets nach hinten, gegen die Sub- intestinalkommissur, und nie dem abtretenden Mantelnerven zugekehrt ist (Fig. 1, 2). Dies ist besonders der Fall, wie ich einen solchen in Figur 2 abgebildet habe, der eher dafür spricht, dass die kom- missurale Verbindung mit der Subintestinalkommissur als mit dem Mantelnerven in Verbindung tritt. Darum bin ich heute der Mei- nung, dass es sich in dieser Verbindung bei den Cypraeen um nichts Anderes, als um den rechtsseitigen Spindelmuskelnerven handelt, der sich im einfachsten Falle bei manchen Exemplaren dem linken Pleu- ralganglion bloß eine kurze Strecke anlagert (Fig. 2), um alsbald nach kurzem Anlagern an die Subintestinalkommissur selbständig abzutreten (s.mnz), bei anderen Exemplaren aber aus unbekannten Gründen verkürzt und von Ganglienzellen umlagert wird (Fig. 1 '. Dieser sonderbare Fall scheint mir zugleich darauf hinzuweisen, dass wir den zur Zeit noch nicht aufgefundenen rechten Spindel- muskelnerv bei Prosobranchiern mit weniger koncentrirtem Schlund- ringe (Dolideen ete.) von der Supraintestinalkommissur abtretend suchen müssen. Ich kann es ferner hier nicht unerwähnt lassen. dass Bouvier seine Abbildung über das Nervensystem von Cypraea offenbar aus mehreren, wenn nicht sogar aus zahlreichen Präparaten zusammen kombinirt hat. Auf diese Weise kann es sich dann er- eignet haben, dass er beide Fälle der oben beschriebenen Verbin- dung in seiner Abbildung zeichnet, wobei. er ungliicklicherweise den Fall, wo diese Verbindung sehr lang ist, in der Art konstruirt, dass dieselbe, unter dem rechtsseitigen Pleuralganglion durchsetzend, in einen, in der rechtsseitigen Mantelhälfte sich theilweise auflösen- den Nerven übergeht, der aber zugleich mit dem aus dem Sub- intestinalganglion tretenden Mantelnerven eine Anastomose eingeht, aus welchem Verhalten die rechtsseitige »Zygoneurie« durch BOUVIER eine so famose Erklärung findet. Dadurch, dass dieCommissura supraintestinalis gänzlich einbezogen wurde, erscheint auch das rechtsseitige Pleuralganglion modifieirt. Es hat eine etwas konische Gestalt, wobei es mit der Basis dem Cerebral- ganglion und mit dem schmalen Ende dem Supraintestinalganglion angewachsen ist (Fig. 2, 3 r.plg). Auf diese Weise erscheint es 1 Über das Verschieben der Spindelmuskelnerven auf die entgegengesetzte Körperhälfte, was durch die Torsion verursacht wurde, möchte ich auf den ersten Theil dieser Arbeit verweisen (Morph. Jahrb. Bd. XIV. pag. 72—76). Die Morphologie der Prosobranchier. II. 267 konisch geformt und nur einmal konnte ich es von dieser Form ab- weichend beobachten. Im letzteren Falle war es zwar auch etwas konisch, doch traten aus seinem schmalen Ende die Kommissuren zu den Pedalsträngen ab und das Supraintestinalganglion war seinem oberen Rande angewachsen (Fig. 1), wobei ein schmälerer, jedoch mit Ganglienzellen umlagerter Abschnitt (com.sup) als der der Com- missura supraintestinalis entsprechende gedeutet werden konnte. Auch in diesem Falle traten die zwei mächtigen Kommissuren zu den Pedalsträngen stets vom vorderen inneren Ende des rechten Pleurai- ganglions (Fig. 3 Ce’) fest neben einander gelagert ab, so dass auch hier die Commissura cerebropedalis in das Pleuralganglion einlagerte und eine Commissura pleurocerebralis äußerlich nicht sichtbar war, denn obgleich die Grenze zwischen Cerebral- und Pleuralganglion auch hier durch eine seichte Ringfurche deutlich gekennzeichnet war, so waren jene doch sehr innig mit einander verwachsen. Zwischen Supraintestinal- und rechtem Pleuralganglion trat ein Nerv ab (Fig. 1, 2, 3 /0+12), der sich alsbald theilte. Der obere Ast wurde zum oberen, der untere zum unteren rechten Mantel- nerven. Etwas innerhalb und außerhalb trat dann jene Verbin- dung zum linken Pleuralganglion ab, die wir als den rechten Spindel- muskelnerven (¢) erkannten, welcher auch bei anderen Formen der höheren Prosobranchier stets an dieser Stelle abtritt, wodurch seine wahre Natur um so deutlicher hervortreten muss. Die zwei Penis- nerven (S, /9) traten von der äußeren Seite des Ganglions ab. Etwas oberhalb und vor den zwei letzten Penisnerven tritt ein mittelfeiner Nerv (7) ab, der sich in der rechten Leibeswand nach hinten begebend (Fig. 1), später einem Nerven des Subintestinal- ganglions anlagert. Wir werden seiner noch bei Besprechung jenes Ganglions genauer gedenken. Somit hätte ich die Beschreibung der Pleuralganglien beendet und möchte nun auf das Eingeweidenervensystem und zwar zu aller- erst auf das Sub- und Supraintestinalganglion eingehen. Die Verbindung des Supraoesophagealganglion mit dem rechten Pleuralganglion hätten wir schon besprochen, und so erübrigt es, dieses Ganglion selbst und seine Nerven zu erörtern. Es ist an der dorso-lateralen Seite etwas breiter als an jener, wo die hier nun innere Supraoesophagealkommissur abgeht. Die Nerven verlassen das Ganglion von der breiteren Seite. Zu vorderst tritt aus dem Ganglion ein sehr mächtiger Nerv (Fig. 1, 2, 3, 4 «) ab, der nach kurzem Verlaufe (Fig. 4 «) in drei Äste zerfällt. Der vorderste und 268 B. Haller schwächste unter ihnen (x) zieht nach vorn und links dem kleinen Sipho zu (Fig. 14 mr’), doch wurde sein weiteres Verhalten von mir nicht ermittelt. Ganz bestimmt ist es aber derselbe feine Nerv, welcher bei anderen Formen jene Anlagerung an einen feinen Ast des Siphonalnerven eingeht, welche scheinbare Verbindung bei den Prosobranchiern Bouvier als »zygoneurie droite« bezeichnet. Dieser Forscher hat diesen feinen Nerven übersehen. Der zweite mächtigste Ast (gv) jenes mächtigen Nerventrunkes biegt alsbald nach seinem Abgange nach oben und innen zum Geruchsorgan (Fig. 28 go) und wird zu dessen Nerven. Der dritte Ast endlich (/) begiebt sich zur Kiemenspitze, um hier in ein feines, sehr sub- tiles, jedoch durch gelbe Farbe bald erkennbares Ganglion (Fig. 4, 28 Mg) sich einzusenken. Wir können diesen Nerven den ersten Kiemennerven und jenes kleine, gerade an der Kiemenspitze ge- legene (Fig. 24) spindelförmige Ganglion als Kiemenganglion be- zeichnen. Ein ähnliches Ganglion findet sich bei Fissurella und bei Turbo vor!, wo aus ihm die Nerven der Kieme, aber auch der mächtige Nerv für das SPENGEL’sche Geruchsorgan abtritt. Da nun bei Cypraea, wo eine größere Koncentration des Nervensystems sich eingestellt hat, der Geruchsnerv direkt vom Supraintestinalganglion kommt, so können wir hieraus auch für die Rhipidoglossen schließen, dass dieser Nerv bei ihnen dem Kiemenganglion bloß angelagert ist. Bouvier bezeichnet diesen Nerven zwar auch als ersten Branchial- nery, doch giebt er vom kleinen Ganglion, welches er iibersehen zu haben scheint, nichts an. Sollte nun Jemand iiber das Vorkommen dieses Ganglion ein Zweifel entstehen, so wird dieser, obgleich das Ganglion auch makroskopisch sehr gut darstellbar ist, nach Betrach- tung von Schnittpräparaten schwinden, denn auch auf solchen gelang es mir, sein Vorhandensein festzustellen. Aus seiner lateralen Seite gehen drei bis fünf feine Nerven, die unter einander vielfach ana- stomosiren, an die Kiemenspitze ab, während ein stärkerer Nerv, der jedoch bereits aus dem Stamm des ersten Kiemennerven abzu- treten scheint, am Kiemengrund (Fig. 28) anlagernd, nach hinten zieht, um sich mit einem Ast des zweiten Kiemennerven zu ver- binden (Fig. 4 7). Aus ihm treten viele feine Äste an die Kieme. Neben diesem eben erwähnten Aste der ersten Kiemennerven tritt noch ein anderer Ast ab (Fig. 4 vm). der aber nicht zur Innervirung N 1 B. HALLER, Studien über marine Rhipidoglossen. I. Morph. Jahrb. Bd. IX. Taf. IV Fig. 10, Taf. V Fig. 14, Taf. VI Fig. 19. Die Morphologie der Prosobranchier. II. 369 der Kieme dient, sondern über der Kieme nach außen biegt und die hier eben aus dem Vorhofe kommende noch ungetheilte Kiemen- vene (Fig. 28 Av), sowie den ganzen Vorhof des Herzens innervirt, somit ausschließlich Vorhofsnerv ist. Aus dem Supraintestinalganglion tritt ein zweiter, weniger dieker Nervenstamm (Fig. 2, 4 8), der dann nach außen zur Kieme zieht und alsbald in zwei Äste zerfällt, und zwar (Fig. 4) in den zwei- ten (II) und dritten (III) Kiemennerven. Ich habe diese zwei Nerven jedoch auch ganz getrennt von einander, nur innig an ein- ander lagernd, aus dem Ganglion treten sehen (Fig. 1 2). Der zweite Kiemennerv geht jene schon erwähnte Verbindung mit dem ersten Kiemennerven ein (Fig. 4 r), um, sich dann bis zur Mitte der hufeisenförmigen Kieme begebend, in der linken Hälfte derselben (Fig. 28) sich vollständig aufzulösen. Auch der dritte Kiemennerv (III) giebt noch einige Äste an die linksseitige Kiemenhälfte ab, wendet sich aber dann, der Kieme fest anlagernd, auf die rechts- seitige Kiemenhälfte um, um sich in dieser allmählich aufzulösen. Zu hinterst tritt aus dem Supraoesophagealganglion als ein ge- meinsamer Stamm (Fig. 1, 4 y), oder auch schon von Anfang an getrennt, die linke Kommissur zu den hinteren Eingeweideganglien gemeinsam mit einem feineren Nerven ab, der sich nach innen in die Körperhöhle begiebt (Fig. 4 vdw) und am Vorderdarme, insbe- sondere an dessen drüsiger Erweiterung (Fig. 15 ver), auflöst, um dieselbe zu innerviren. Von der linken Kommissur zu den hinteren Eingeweideganglien habe ich, den Angaben BouvIER's entgegen, nie Äste an die Kieme sich abzweigen sehen, was auch Jedem, der die topographische Lage der Kieme zu jener Kommissur kennen lernt, sofort einleuchten muss. Dieselbe ist vielmehr bis zu ihrem Eintritt in das linke hintere Eingeweideganglion (Fig. 1 »/) völlig ohne Äste. Wir wollen nun das Suboesophagealganglion besprechen, welches durch eine sehr lange Kommissur (Fig. 1 ¢.swb) mit dem linken Pleuralganglion verbunden wird, welche, wenn BouviEr's Abbildung richtig, kürzer ist bei C. arabica. Bald nach seinem Abgange aus dem rechten Pleuralganglion | tritt ein Nerv (sm) in die Fußmuskulatur ein, er ist der linksseitige Spindelmuskelnerv; ein anderer, minder starker (ptm) löst sich im Peritoneum auf. Das Subintestinalganglion war nicht in allen Fällen gleich ge- formt und seine Form ändert von dem etwas dreieckigen, wie dies 270 B. Haller ° Bouvier richtig abbildet, bis zur mehr oder weniger spindelfirmigen Fig. 6) mit Übergängen (Fig. 1) ab. Nach Bovvier treten aus ihm drei Nerven und die rechte Kommissur zu den hinteren Ein- geweideganglien ab. Den ersten Nerven lässt dieser Autor ganz irrthümlich mit einem feineren Nerven aus dem linksseitigen Pleural- ganglion im Mantel eine Ansa bilden, ein in seinem Sinne histo-physiolo- gisches Verhalten, aus welchem dann eben die rechtsseitige »Zygo- neurie« erklärbar wird. Der zweite Nerv ist ein Mantelnerv, während der dritte als Parietalnerv der rechten Seite (nerf parietal du eöte droit) gedeutet wird. Meine Untersuchungen bestätigen leider die Angaben dieses Autors nicht. Den ersten Nerven, der lateralwärts aus dem Ganglion trat, sah ich in die Gegend der Samenrinne beim Männchen und zum Uterus des weiblichen Thieres ziehen. Die Samenrinne empfängt unzweideutig Nerven von ihm, doch löst sich dieser Nerv hier auch so vollständig in seine Endäste auf, dass ich thatsiichlich nicht verstehe, wie Bouvier hier oder in der rechts- seitigen Mantelhälfte eine »Anastomose« von bedeutender Mächtigkeit gesehen haben konnte. Dieser Nerv Fig. 1, 6 vo) ist bei seinem Abgange aus dem Suboesophagealganglion zwar nicht sehr stark, wird aber durch einen aus dem rechten Pleuralganglion kommenden Nerven (Fig. 1, 3 x), der sich ihm in peripherer Richtung unter spitzem Winkel anlagert, äußerlich verstärkt. Dieser anlagernde Nerv ist es, der auch bei den Natieiden diesen aus dem Supraoeso- phagealnerven, dort speciell einem dicken Stamm, der auch den linksseitigen Spindelmuskelnerven in sich fasst, anlagert, bei älteren Formen, wie die Dolideen, in die Suboesophagealnerven einbezogen wird und dann, bei den Rhachiglossen in den koncentrirten Schlund- ring einbezogen, jene kurze Verbindung zwischen rechtem Pleural- ganglion und Subintestinalganglion bewirkt. Ohne auf diese phy- letischen Verhältnisse weiter einzugehen!, möge darauf aufmerksam gemacht werden, dass wir es bei Cypraea in diesem Punkte noch mit einem primären Verhältnisse zu thun haben. Der zweite sehr starke Nerv (smmn’) aus dem Subintestinalgan- glion ist der linke Spindelmuskelnerv, der sich dureh die Torsion des Körpers hierher verschoben hat. Es gehen von ihm aber auch 1 S. hierüber neben den speciellen Beschreibungen meiner früheren Proso- branchierarbeiten »Zur Kenntnis der Muriciden«, Bd. XLV. d. Denkschrift der math.-naturw. Klasse der Akad. in Wien. pag. 15—17; und diese Studien. I. Morph. Jahrb. Bd. XIV. pag. 72—76. Die Morphologie der Prosobranchier. II. ra Fasern ab, die offenbar ihren Ursprung im Supraintestinalganglion haben und zur Innervirung der Hypobranchialdrüse dienen. Auf Gesammtpräparaten in Glycerin (Fig. 6) habe ich beob- achten können, dass der Subintestinalkommissur sowohl lateral als auch ventralwärts Fasern anlagerten (a, 5), die. durch das Subinte- stinalganglion hindurchtretend, in diesen dicken Nerventrunk (sm) gelangten: dieses werden somit die Fasern des Spindelmuskelnerven sein. Andere Nerven treten aus dem Subintestinalganglion nicht ab, und trotzdem ich mir viel Mühe gegeben habe, um jenen Nerven, den Bouvier als »nerf parietal« der rechten Seite bezeichnet. auf- zufinden, gelang dieses mir nie. Es dürfte denn sein, dass bei C. arabiea jene oben beschriebenen Fasern der Hypobranchialdrüse ge- sondert vom Spindelmuskelnerven abtreten. Auch meine Beobachtungen über die Kommissur an den hinteren Eingeweideganglien stimmen nicht mit jenen BouVvIEr’s überein, was ich um so mehr bedauere, als es sich hier um eine wichtige Diffe- renz handelt. Nach Bouvier nämlich finden sich drei hintere Ein- geweideganglien bei den Cypraeen vor und soll der rechtsseitige, in der Mitte der von mir abgebildeten (Fig. 1 27) Kommissur zu den hinteren Eingeweideganglien, als ein sehr unansehnliches Knötehen liegen. Bloß einer der rechten Mantelnerven! soll aus ihm abtreten. Diesen Irrtnum von Seiten BouviER's, der, wenigstens seinem Dafür- halten nach, so gründlich untersucht hat, kann ich mir nur auf fol- gende Weise erklären. Mit Beginn des letzten Drittels der rechten Kommissur zu den hinteren Eingeweideganglien tritt ein Nerv nach innen zu ab (vd.dn). Bei seinem Abgange bildet er einen spitzen Winkel mit der inneren Seite der Kommissur, der aber den hinteren Eingeweideganglien zugekehrt ist und somit, von dort entsprungen, der Kommissur bis hierher bloß anlagert. An seiner Abtrittstelle von der Kommissur ist keine gangliöse Anschwellung erkenn- bar, was mir, da ich die einzelnen Theile des peripheren Nerven- systems auch in Glycerinpräparaten bei mäßigen Vergrößerungen unter dem Mikroskop untersucht hatte, nicht hätte entgehen können. Dieser Nerv ist bei sorgfältiger Macerirung in einem Gemisch von verdünntem Glycerin, Salzsäure und Essigsäure, bis zu seiner Ver- ästelung an der großen nach hinten zugekehrten Curvatur der Vor- derdarmerweiterung verfolgbar und leicht frei präparirbar, wie dieses 11. e. Taf, XI Fig. 52 m’,. 212 B. Haller das abgebildete Präparat (Fig. 1) zeigt; er ist der hintere Nerv dieser drüsigen Darmerweiterung Fig. 15 ver) und besitzt auch bei allen höheren Prosobranchiern sein Homologon. Der Irrthum Bou- VIER’s lässt sich somit nur auf die Weise erklären, dass er diesen Nerven an seinem Abgange abgerissen und nicht weiter verfolgt hat, wobei freilich für die Behauptung, dass er die rechtsseitige Mantelhälfte innerviren helfe, keine weitere Erklärung möglich ist. Nach meinen Untersuchungen treten somit von der rechtsseitigen Kommissur zu den hinteren Eingeweideganglien sonst keine Ner- ven ab. Somit wären wir bei den hinteren Eingeweideganglien ange- langt, von denen es bei C. testudinaria nur zwei giebt. Das rechts- seitige dieser Ganglien liegt etwas rechts von der äußeren Nieren- öffnung und das linksseitige beginnt etwas links von ihr. Das rechtsseitige Ganglion hat eine gedrungene, etwas rundliche, bis ovale Gestalt (Fig. 1, 5 rheg), wobei die eintretende rechtsseitige Kommissur dieht neben der abgehenden, die beiden Ganglien unter einander verbindenden Kommissur (c) liegt, somit findet die ge- drungene Auftreibung am Ganglion nach hinten und rechts statt. Gleich nahe an der rechten Kommissur tritt ein Nerv ab (gv), der aber schon bei Lupenvergrößerung (Fig. 1), um so mehr also an Glycerinpräparaten bei schwacher mikroskopischer Vergrößerung (Fig. 5) erkennen lässt, dass er mit zwei Wurzeln entspringt, die bald darauf mit einander zu einem einheitlichen Nerven verschmel- zen. Die vordere dieser Wurzeln («) entspringt nicht aus dem rechten hinteren Eingeweideganglion, sondern ist an Glycerinpriipa- raten bei schwacher mikroskopischer Vergrößerung lateralwärts an der rechten Kommissur, mit dieser in einer und derselben Nerven- hülle lagernd, bis in das Suboesophagealganglion verfolgbar. wo sie, angelangt (Fig. 6 gr), in dasselbe einbiegt und dann bei den so behandelten Präparaten der weiteren Beobachtung sich entzieht. Mit seiner anderen Wurzel (Fig. 5 4) entspringt dieser Nerv aus dem rechten hinteren Eingeweideganglion. Er ist der Nerv der Genitaldriise. Nun habe ich bei den Rhipidoglossen nachgewiesen, dass dort der Genitalnerv direkt aus dem Suboesophagealganglion entspringt!, während bei den höheren Prosobranchiern er aus dem rechtsseitigen hinteren Eingeweideganglion abtritt?. Bei Cypraea glaube ich nun über den Ursprung des Genitalnerven die sicherste 1 Morph. Jahrb. Bd. IX. Taf. V Fig. 14. 2 Murexstudie. Fig. 7. Die Morphologie der Prosobranchier. II. 373 Auskunft erhalten zu haben, denn hier entspringt er sowohl aus dem Subintestinal-, als mit einer Wurzel auch aus dem rechten hinteren Eingeweideganglion, und so wird es sich auch bei den höheren Prosobranchiern verhalten, während bei alten Formen, außer dem schon bekannten Genitalnerven aus dem Subintestinalganglion. offen- bar ein feiner bisher unbekannter Ast auch aus dem rechten hinteren Eingeweideganglion sich auffinden lassen wird. Gleich neben der hinteren Wurzel des Genitalnerven tritt der Enddarmnery (Fig. 5 meg) ab. Drei andere feine Nerven aus die- sem Ganglion (x, 2”, »'”) innerviren die Niere. Das rechte hintere Eingeweideganglion ist mit dem linksseitigen dureh eine kurze reine Kommissur (c) verbunden, von welcher keine Nerven abzweigen. Das linksseitige Ganglion selbst (/heg) ist ein langes, durchaus nicht koncentrirtes gangliöses Gebilde, wie es sonst nur bei niederen Formen der Prosobranchier vorkommt. Aus seinem linksseitigen Ende entspringt der Nerv der Herzkammer (1), wäh- rend 5—7 andere Nerven aus dem hinteren Rande des Gan- glions (II—VI) den Mitteldarm und die Mitteldarmdrüse versorgen. Es erübrigt nun auf das Pedalnervensystem einzugehen. Hier gebührt Bouvier das Verdienst, bei Cypraea ein ähnliches strick- leiterförmiges centrales Fußnervensystem entdeckt zu haben, wie wir bis jetzt solche Fußstränge bei niederen und niedersten Formen der Prosobranchier kannten. Ich halte diese Entdeckung neben dem Nervensystem von Cyclophorus für den wichtigsten Punkt in Bou- VIER’S Buche. Seine Beobachtungen machte Bouvier zum größten Theile an C. arabica, zum geringeren an C. cervus. Es sind zwei ziemlich parallel im Fuße verlaufende gangliöse Stränge, die unter einander durch Querverbindungen zusammenhängen. Eine Lateral- furche an dem jeweiligen Pedalstrange konnte Bouvier bei Cypraea nicht erkennen. Die Querverbindungen, deren Zahl er im Minimum bei C. arabica auf zehn setzt, bei C. cervus aber bloß neun zählen konnte, setzt er im maximalen Falle wenig über zehn. Sie sind durchaus nicht regelrechte Querverbindungen, sondern sind in jeder Weise unregel- mäßig in der Quere gestellt. Die aus den Pedalsträngen entspringen- den Nerven theilt Bouvier in obere und untere, von denen die unteren zahlreicher sein sollen. Vorn sind die Pedalstränge unter einander durch eine mächtigere Querverbindung zusammengefügt. So weit reicht die Beschreibung, was aber die Abbildung betrifft, so sehen wir, dass das im Texte Mitgetheilte entweder nicht illustrirt, da u. A. die oberen Nerven der Pedalstränge gar nicht gezeichnet Morpholog. Jahrbuch. 16. 18 974 B. Haller werden, oder es sind Verhältnisse gezeichnet worden, die im Texte gar keine Erwähnung finden, denn von einer mächtigen Verdiekung der jederseitigen Pedalstränge bei ihrem Beginne wird mit keinem Worte im Text gesprochen. Der Abbildung nach liegen die Gehör- organe auf diesen Verdiekungen dorsalwärts auf. Andererseits wird im Texte angegeben, dass der Penisnery aus dem rechtsseitigen Pedalstrange entspringen soll, wobei wir uns nach einer beweis- kräftigen Abbildung vergebens umsehen. Ich möchte nur zu dieser letzten Behauptung kurz beifügen, dass der Autor über die Ent- stehung des Penis der Prosobranchier wohl wenig nachgedacht hat, als er jene unbegründete Äußerung that. Wenn ich nun auch das Bekenntnis meiner festen Überzeugung im Interesse der Wahrheit nicht verhehlen darf, dass Bouvier’s Beschreibung auch betreffs der Pedalstränge von Cypraea sehr oberflächlich ist, so kann ich doch nicht verkennen, dass seine Entdeckung der Pedalstränge der Cy- praeen von größter Bedeutung für die einstige wissenschaftliche Aus- arbeitung eines Stammbaumes der Prosobranchier ist. Meine Beobachtungen wurden an zweierlei Präparaten gemacht. Erstens präparirte ich mit der Nadel die Fußstränge ganz frei, dann aber verfertigte ich mit dem Rasirmesser Präparate (Horizontalschnitte), die ich nachträglich in etwas verdünntem Glycerin aufhellte und so in toto unter starker Lupenvergrößerung, wie auch bei schwacher mikro- skopischer Vergrößerung untersuchte. Um diese Präparate wohl ge- lungen darzustellen, schneidet man den Fuß vom Körper auf die Weise ab, dass man weder die Pedalstränge noch ihren Vordertheil, wo die zwei Kommissuren abgehen und die Gehörorgane gelegen sind, ver- letzt. Letztere Stelle wird mit der Nadel präparirt und nun macht man von unten aus horizontale Längsschnitte durch den Fuß so lange, bis man die Pedalstränge erreicht, ohne jedoch diese zu verletzen; auf diese Weise wird auch von oben aus verfahren. so lange, bis man nur eine Schicht vor sich hat, die an Dicke den Pedalsträngen gleich kommt. Solehe Präparate bringt man nun auf einen mit einem Papierrahmen umzogenen Objekttriger, wo sie mit einem großen Deckglase gedeckt und luftdicht verschlossen werden. Auf solchen Präparaten können die Pedalstränge auch zuvor mit der Nadel frei präparirt werden (Fig. 7). Dann ist das Pedalnervensystem als Dauerpräparat aufzubewahren und solche Präparate eignen sich ganz vorzüglich zu Demonstrationen bei Vorlesungen. Mit der üblichen Nadelpriparation in Verbindung mit Maceration in Salzsäure- lösung hergestellte Präparate sind zwar natürlich für die Kontrolle Die Morphologie der Prosobranchier. II. 975 von Bedeutung, doch haben sie den großen Nachtheil, dass man da- bei nicht nur viele Nerven, sondern auch zahlreiche Querverbindungen zerreißt. Nach meinen eigenen Beobachtungen sind die Pedalstränge von C. testudinaria zwei lange gangliöse Gebilde, die aber nicht so weit nach hinten reichen, wie bei Haliotis etwa. Sie nähern sich nicht der Leierform, wie dieses bei den Rhipidoglossen der Fall ist, ihre hinteren Enden liegen also einander nicht so nahe, wie diese bei jenen Prosobranchiern. Vorn, wo die vordere Querfaserung (Fig. 7 vgf) die beiden Pedalstränge unter einander verbindet, sind sie durchaus nicht so verdickt, wie dieses für C. arabica durch Bouvier gezeichnet wird. Vor der vorderen Querfaserung zerfallen beide in je zwei über einander gelagerte spindelförmige Ganglien, wovon das obere (Fig. 1 ga) allmählich in die Commissura pleuro- pedalis und das untere (ga) in die C. cerebropedalis übergeht. Beide Kommissuren sind gleich dick. Diese gangliösen Verdickungen sind von Bouvier völlig übersehen worden. Die Gehörorgane liegen vor der vorderen Querfaserung (Fig. 1), somit nicht auf den Pedal- strängen, wie Bouvier es fälschlich zeichnet. Aus der gangliösen Lage vor der vorderen Querfaserung entspringen die zwei Nerven des Subradularorgans (Fig. 1, 2 srn, srn’) ganz ähnlich, wie ich es sowohl für Chitonen!, Patellen, als auch für Rhipidoglossen? be- schrieben habe?. Aus den Pedalsträngen treten obere und untere ! B. HALLER, Organisation der Chitonen der Adria. I. II. Arbeiten aus dem zool. Institut zu Wien. Bd. IV, V. E26, 3 Obgleich diese Nerven bei Patella vor Bouvier gut bekannt waren, so hat er sie doch übersehen, doch zeichnet er sie, ohne ihrer zu gedenken, bei Navicella (Taf. I Fig. 4). Auch auf seiner ganz ungenauen Abbildung von Turbo (Taf. III), eben so wie bei Paludina, wo sie überall vorkommen, hat er sie völlig übersehen. Dies würde ja an und für sich kein großer Irrthum sein, wenn er durch die Unkenntnis dieser Nerven bei Patella nicht in den Irrthum v. IHERING’s verfallen wäre, daraus eine sehr unangenehme Störung bei dem Vergleiche der vorderen Eingeweideganglien (Buccalganglien der Autoren) der Patellen mit jenen der übrigen Prosobranchier abzuleiten. Ich habe nachge- wiesen, was allerdings, da es histologische Verhältnisse betrifft, von BOUVIER unberücksichtigt oder ihm unbekannt blieb, dass diese Nerven, nachdem sie bei Chitonen zwischen den zwei Buccalnerven hindurchgetreten, unter der Ra- dula in ein Paar neben einander liegende kleine Ganglien treten, welche einem Sinnesorgane unter der Radula, dem »Subradularorgane«, angehören. Dieses Sinnesorgan war der Lage nach schon MIDDENDORFF und v. IHERING bekannt und ich habe an eitirtem Orte nicht nur dieses Organ sammt dem Ganglienpaar beschrieben, sondern auch ausdrücklich mitgetheilt, dass ein solches Subradular- 18* 276 ‘ B. Haller Nerven ab, die aber unter einander an Mächtigkeit schwanken, Zwischen den oberen habe ich manchmal geradezu riesenhafte Ner- ven erkennen können (Fig. 7 ;r). wobei es sich höchst wahrschein- lich um Ähnliches handelt, wie bei Trochus und Turbo, wo diese Nerven direkt zu Seitenorganen treten, die ich aber aus Mangel ge- niigenden Materials nicht habe untersuchen können. Ofter konnte ich an den oberen Nerven bemerken, dass sie beim Abgange vom Pedalstrange gangliös verdickt waren (gv), oder es waren kleine Ganglien nach kürzerem Verlauf an dem Nerven erkennbar (g’). An benachbarten oberen Nerven sind häufig unweit von ihrem Abgange Anastomosen (z, z”) sichtbar. Diese Anastomosen habe ich dann in einem einzigen Falle an den unteren Nerven sehr schön beobachten können (w). Die Zahl der Querverbindungen dürfte sich hier im Maximalfalle auf achtundzwanzig beziffern. Sie sind durchaus ver- schieden dick und verhalten sich ganz wie bei den Rhipidoglossen mit wenig koncentrirten Fußsträngen, d. h. sie sind durchaus un- regelmäßig gestellt und Verschmelzungsanzeichen sind häufig zu be- obachten. Oft treten aus ihnen Nerven in den Fuß. welches Ver- halten durchaus mit jenem der Rhipidoglossen übereinstimmt: ein davon abweichendes Verhalten ist es aber, dass man auch an den Querverbindungen bei Cypraea hier und da runde gangliöse An- schwellungen gewahr wird (9, 9”). Auf meiner Abbildung ist die hinterste der Kommissuren etwas mächtiger als die übrigen. Da ich dieses mit solcher Deutlichkeit nicht mehr beobachtet habe, kann ich nicht angeben, ob man derselben eine große Bedeutung, wie etwa der hinteren Querfaserung der Fissurellen, beimessen darf. Eine ganz ausgesprochene Lateralfurche kommt den Pedal- strängen, entgegen der Bouvier’schen Beobachtung, auch hier zu. Hier möchte ich noch auf eine Beobachtung betrefis der topographi- schen Lagerung der Pedalstränge aufmerksam gemacht haben. An organ allen Patellen zukommt und die Subradularnerven auch dort in jenes kleine Ganglienpaar eintreten. Bei den Rhipidoglossen ist dieses Organ etwas in Rückbildung begriffen und das kleine Ganglienpaar fehlt bereits, doch sind die Subradularnerven vorhanden. Bei höheren Prosobranchiern mit Pedal- ganglien fehlen auch die Subradularnerven. Obgleich diese Verhältnisse für die Wissenschaft als gesichert betrachtet werden müssen, so scheinen sie Bou- VIER ganz unbekannt geblieben zu sein. Er lässt darum bei Patella, wo er aber die Subradularnerven übersehen hatte, die Subradularganglien mit den vor- deren Eingeweideganglien in Verbindung stehen und will einer Behauptung v. IHERING’s wieder Geltung verschaffen, die doch schon lange widerlegt wor- den ist. Die Morphologie der Prosobranchier. II, 377 Querschnitten des Fußes (Fig. 9) sah ich den linksseitigen Pedal- strang öfters tiefer liegen als den rechtsseitigen. Ob dieses Ver- halten die Regel sei, ist mit Gewissheit nicht anzugeben. Man ver- gleiche meine Abbildung (Fig. 7) mit meinen früheren Abbildungen der Pedalstränge von Haliotis und Trochiden, so wird man, beson- ders wenn man erwägt, dass der Pedalstrang bei Cypraea kürzer ist als bei den Rhipidoglossen, und vollends dieser Thatsache bei Turbo gegenüber, zu dem Schlusse geführt, dass bei den Cypraeen bereits eine geringe Koncentration an den Fußsträngen stattgefun- den habe. Darmkanal und seine Drüsen. Über den Darmkanal von Cypraea waren wir bis zur Zeit nur durch die sehr dürftige Abbildung von Quoy! speciell bei C. tigris, und durch seine sehr kurzen Angaben unterrichtet. Bouvier giebt über den Darmkanal nichts an. Ich selber war nicht in der glück- lichen Lage, meine Beobachtungen über den Darmkanal mit histo- logischen Studien zu stützen, da die Exemplare der Sammlung des Vettor Pisani hierzu nicht geeignet waren. Somit bleibt die Histo- logie des Darmkanales von Cypraea künftigen Untersuchungen an- heimgestellt. Der Darmkanal beginnt oberhalb der Radula (Fig. 15) mit einem etwas erweiterten Abschnitte, welcher auf der Buccalmasse gelegen, durch eine seichte Längsfurche in zwei symmetrische Hälften getheilt wird. Dieser Darmabschnitt geht in einen diinneren über, der dann ziemlich allmählich in die Vorderdarmerweiterung (Fig. 16) sich fortsetzt. Die sehr lockeren Buccaldriisen (Fig. 15 ddr) lagern diesem dünnen Vorderdarmabschnitt lateralwärts innig an und mün- den mit einem nicht allzu langen Gange auf die bei Prosobranchiern bekannte Weise in den Munddarm. Die Vorderdarmerweiterung ist ein seiner Form nach dem Magen des Menschen nicht unihnlicher Abschnitt (Fig. 15, 16 ver) und man kann sonach an ihr eine nach vorn gekehrte kleine und eine nach hinten gekehrte große Curvatur unterscheiden. Dieses Gebilde ist aber nur scheinbar eine Erweiterung, denn seine untere, hintere und obere Wand ist drüsig differenzirt und, um schon zum Voraus ein klares Bild seiner Bedeutung zu geben, mag erwähnt werden, dass sie bei Cypraea sowohl, als auch bei den Natieiden 1 Voyage de l’Astrolabe. 278 B. Haller eine beginnende Entwicklung der großen selbständigen Vorderdarm- driise der höchsten Prosobranchier vorstellt, welche Driise dort dann nur noch durch einen dünnen Gang mit dem Vorderdarme verbunden ist!. Von außen betrachtet (Fig. 15) erscheint diese Oberfläche der Vorderdarmerweiterung wie in Drüsenlappen getheilt, doch sind jene Grenzlinien nicht sowohl die Grenzen von Drüsenlappen, denn diese sind thatsächlich anders angeordnet, als vielmehr das auf diesen Darmtheilen verbreitete Blutgefäßnetz. Ich möchte nun die innere Oberfläche des ganzen Vorderdarmes im Zusammenhange besprechen, da sich diese getrennt nicht behan- deln lässt. Wenn wir den Vorderdarm von oben seiner Länge nach öffnen, so finden wir, dass das Dach des auf der Buccalmasse aufliegenden erweiterten Vorderdarmtheiles, der Länge nach ein schmaler Streifen, sehr dünn ist, und diese Stelle ist es, welche ich als eine, von der Außenfläche gesehen, furchenförmige Bildung er- wähnt habe (Fig. 15). Lateral von diesem Dachtheile sind die Darm- wände dick (Fig. 18 vo). Jederseits besteht eine wulstförmige Auftrei- bung, deren Enden nach vorn zu oberhalb der Radula, nach hinten zu mit Beginn der jederseitigen Vorderdarmfalten (fr, fr’ aufhören. Nach unten gehen sie in die untere Wand des Darmes kontinuirlich über. Letztere ist nicht besonders dick und gerade hierin liegt eine Verschiedenheit dieses Darmtheiles von dem der Rhipidoglossen, denen diese Lateralwülste gleichfalls zukommen. indem sie bei Proso- branchiern jüngeren Datums aber allmählich verschwinden. Von hier aus beginnt sowohl rechts (fr) wie links (fr’) je eine horizontale breite Falte, die an etwas aufgehellten Totalpräparaten schon von außen durchschimmern (Fig. 16 p, p’). Der Boden des dünnen Vorderdarmabschnittes baucht sich etwas hinter dem Beginne dieser Falten aus (Fig. 16 4, A) und geht dann ganz kontinuirlich von unten in die Vorderdarmerweiterung über. Jene zwei oben ge- nannten Längsfalten der Darmoberfläche, die wir laterale Längs- falten benennen wollen, gehen auch auf die Vorderdarmerweiterung über und hören nur in dem hierauf folgenden dünnen Vorderdarm- abschnitt (Fig. 18 d) und zwar in der Art, dass sie in die zahl- reichen Längsfalten jenes Abschnittes zerfallen, auf (Fig. 17, 18). Diese zwei Lateralfalten sind im dünnen Abschnitte des Vorderdarmes vor der Vorderdarmerweiterung so breit, dass sie bei nicht geöffnetem Darme unbedingt mit ihren Rändern zusammenstoßen müssen und 1 S, d. den ersten Theil vorl. Studien. Die Morphologie der Prosobranchier. II. 979 diesen Darmtheil in ein unteres und oberes Halbrohr abtheilen. Das Princip, den Darm seiner Liinge nach in einen unteren und oberen Abschnitt zu zerlegen, bewährt sich auch innerhalb der Vorderdarm- erweiterung. Die rechtsseitige Längsfalte war hier schmal und be- saß bei ihrem Beginne einen sehr seichten Ausschnitt, doch ver- schwand sie in der Vorderdarmerweiterung nicht vollständig, wie es meine Abbildung (Fig. 18) etwa vortäuschen würde, sondern setzte sich als sehr feine Falte bis in den hinteren dünnen Abschnitt des Vorderdarmes fort. Die linksseitige Lateralfalte war um so mäch- tiger und zwar in demselben Maße, als die rechtsseitige an Breite einbüßte (Fig. 18 f#). Auf diese Weise wurde der Verlust an der rechtsseitigen Falte von der linksseitigen nachgeholt und selbst jener oben erwähnte Ausschnitt durch einen entsprechend mächtigeren Theil der linksseitigen Falte ausgeglichen. Somit wird der Vorderdarm bis zu seinem hinteren dünnen Abschnitte durch eine Faltenbildung in eine obere und eine untere Halbrinne zerlegt, wobei der drüsige Theil der Vorderdarmerweiterung in die obere Halbrinne fällt. Auf diese Weise gestaltet fanden sich diese Verhältnisse in vier Fällen vor; anders, jedoch nach demselben oben angeführten Prineipe modi- fieirt traf ich diese Einrichtung bei zwei größeren weiblichen Exem- plaren. Hier verliefen rechterseits statt einer einheitlichen Lateral- falte im vorderen dünnen Vorderdarmtheil zwei weniger mächtige Falten neben einander (Fig. 17 fr). Die innere dieser Falten durch- setzte die Vorderdarmerweiterung, um kontinuirlich in eine Falte des hinteren engen Vorderdarmabschnittes überzugehen. Die äußere Falte war nicht mächtiger, und nur an einer einzigen Stelle in der Vorder- darmerweiterung wurde sie etwas breiter (¢), um allmählich wieder schmal werdend in dem folgenden Vorderdarmabschnitt sich ganz so zu verhalten, wie es die innere Falte that. Ganz anders verhielt sich die linksseitige Lateralfalte, denn diese war gleich von ihrem Beginne an mächtig und erweiterte sich (f7’) in der Vorderdarm- erweiterung zu einer ganz mächtigen löffelförmigen ausgehöhlten Falte (2). Einem vorderen seichten Ausschnitt dieser mächtigen Falte entsprach der mächtige Theil der rechten äußeren Falte (4), so dass beim Geschlossensein des Darmes diese Erhabenheit in jenen Ausschnitt vollkommen eingepasst hätte. Noch in der Vorderdarm- erweiterung, etwa in seinem zweiten Drittel, ging jene löffelfürmige Falte plötzlich in eine feine Längsfalte über, die sich als solche in den engen Abschnitt des Vorderdarmes fortsetzte. Somit ist dieses Faltensystem derart eingerichtet, dass bei nicht 280 B. Haller geöffnetem Darmrohre durch die linke Falte, ähnlich wie im vorher beschriebenen Falle durch die beiden Lateralfalten zusammen, wie der dünne Vorderdarmtheil von der Buccalmasse an bis in den er- weiterten Vorderdarmtheil nicht nur in einen oberen und einen un- teren Abschnitt zerlegt wird, sondern auch, dass durch die löffel- förmige Falte in den zwei ersten Dritteln der Vorderdarmerweiterung ein nach oben abgeschlossener, blindsackförmiger Abschnitt entsteht. Auf die muthmaßliche Bedeutung dieser Faltensysteme komme ich weiter unten zurück und möchte hier noch die dieke drüsige Wand der. Vorderdarmerweiterung besprechen. Dieser drüsige Abschnitt bildet den größten Theil der Wandung der Vorderdarmerweiterung (Fig. 18, 19 voddr). Er hat stets eine ziegelröthliche Farbe und sein Sekret erschien bei den untersuch- ten Alkoholexemplaren etwas zähflüssig. Man muss gestehen, dass hier ein seinem Baue nach ganz absonderliches drüsiges Gebilde vorliegt. Es besteht aus lauter parallel neben einander liegenden und in die Querachse des Darmes gestellten Einsenkungen s. die Abbildungen), wodurch es in seiner Form sehr lebhaft an eine Proso- branchierkieme erinnert. In dieser Struktur findet man diese Drüse auch bei den Naticiden, doch lässt sich da schon eine größere Selb- ständigkeit dieser Drüsen erkennen. Hier haben wir es somit noch mit keiner vom Darme separirten unpaaren Vorderdarmdrüse zu thun, wie etwa bei den Rhachiglossen (mit Ausnahme der Fusiden) u. A. m., sondern der größte Theil der Wandung der Vorderdarmerweiterung ist nur mächtig drüsig entfaltet, wobei allerdings die buchblätter- förmig an einander gereihten drüsigen Ausbuchtungen mit der be- sinnenden phyletischen Entwicklung einer acinösen Drüse wenig zu schaffen und als selbständig erworbene Bildungen gedeutet werden müssen. Über die Textur dieser drüsigen Wand konnte ich nur so viel ermitteln, dass sie aus sehr kleinen, keilförmigen Zellen ge- bildet wird, die einen kleinen runden, basalständigen Zellkern be- sitzen (Fig. 19). Ich habe schon bei der Beschreibung des Nerven- systems erwähnt, dass die Mitteldarmerweiterung, ähnlich etwa wie ich dieses für Murex für die unpaare Vorderdarmdrüse vor Jahren beschrieben habe, von zwei verschiedenen Seiten innervirt wird. Der auf diese Vorderdarmerweiterung folgende dünne Vorder- darmabschnitt (Fig. 15 7) ist an seiner inneren Oberfläche in zahl- reiche feine Längsfalten zerlegt (Fig. 17, 18 7), wie dieses ja durch- gehend an dieser Stelle bei den Prosobranchiern anzutreffen ist, und Die Morphologie der Prosobranchier. II. 981 -~ diese lösen sich beim Übergang des Vorderdarmes in die Mitteldarm- erweiterung in das netzförmige Relief desselben auf (Fig. 21 7). Nachdem nun die Beschreibung des Vorderdarmes beendet, kehre ich zu der Bedeutung der Falten im vorderen Vorderdarmtheile zurück. Einer Erklärung besser beizukommen, weise ich darauf hin, dass ich durch mehrere anatomische Punkte die Funktion der Ver- dauung und Resorption im Vorderdarme der Rhachiglossen! höchst wahrscheinlich gemacht habe und es finden sich bei den Proso- branchiern noch zahlreiche Beispiele vor, welche diese Annahme bekräftigen. Ohne mich jedoch auf die Einzelheiten einzulassen, möchte ich nur auf jenes physiologische Verhalten hingewiesen haben, da durch jene Aufgabe des Vorderdarmes zugleich auch die er- wähnten Faltungen bei Cypraea eine Erklärung finden, andererseits aber, weil darin bis zu einer physiologischen Untersuchung dieses Gegenstandes zugleich vorläufige Anhaltspunkte gewonnen sind. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Abgrenzung des vorderen Vorderdarmtheiles in einen oberen und unteren Theil nicht dazu dienen kann, das Sekret der Buecaldrüsen nach hinten zu durch den einen abgegrenzten Theil gesondert vom anderen zu leiten, da ja gerade vorn hinter dem Munddarme beide Halbrinnen nach vorn zu frei sind und keine von beiden eine Vorrichtung besitzt, die im ge- gebenen Momente, wie etwa die Luftröhre der Säuger von der Speise- röhre, das eine Halbrohr nach oben zu verschließen könnte, noch kann es des Sekretes der drüsigen Wand der Mitteldarmerweiterung halber da sein. Gegen letzte Annahme würde ja schon der Umstand sprechen, dass bei den Prosobranchiern die Flimmerung im Vorder- darme immer nach hinten geriehtet anzutreffen ist und somit das Drüsensekret nicht nach vorn geleitet werden kann. Es wird aber auch kaum Jemand einfallen wollen, anzunehmen, dass das Sekret der unpaaren Vorderdarmdrüse, oder bei Cypraea der drüsigen Wand der Vorderdarmerweiterung, nach vorn in die Mundhöhle fließe, gegen welche Annahme übrigens auch der anatomische Bau der linken Lateralfalte bei Cypraea reden würde, denn durch jene mächtige löffelförmige Entfaltung in der Vorderdarmerweiterung entsteht in der letzteren ein nach oben zu geschlossener Blindsack, welcher aber gewiss nicht zu Gunsten einer abgesonderten Vorwärtsleitung des Drüsensekretes spricht. Vielmehr bin ich der Überzeugung, 1S. den ersten Theil dieser Studien (bei Concholepas). 282 B. Haller dass die Lateralfalten und insbesondere der nicht immer sich vor- findende Blindsack dazu dienen, um zu Gunsten der Resorption verdauter Nahrungsstoffe im Vorderdarme eine Flächenvergrößerung zu bewirken. Die Mitteldarmerweiterung besitzt nicht den Typus der sackartigen Mitteldarmerweiterungen (Rhipidoglossen, Naticiden, Rhachiglossen), wenn diese Form in situ auch vorgetäuscht wird (Fig. 15 m), sondern jene hufeisenförmige Gestalt (Fig. 20 A, B), die wir u. A. bei den Dolideen antreffen: freilich dieses nur. was die sackförmige Bildung betrifft, denn sowohl nach der Reliefbildung der Schleimhaut, wie nach einigen anderen anatomischen Punkten schließt er sich eher der der sackförmigen sog. Mägen an. Der Vorderdarm geht äußerlich nicht kontinuirlich in die Mittel- darmerweiterung über, denn wenn gleich Präparate, an denen noch zum größten Theile Bindegewebe anhaftet (Fig. 15), dies vortäuschen mögen, so wird man bei sorgfältiger Betrachtung doch gewahr, dass der Mitteldarm mehr (Fig. 20 B) oder weniger (A) gegen den Vorder- darm absetzt. Wir können an ihm, wie das auch seine Schleimhaut rechtfertigt, einen vorderen und einen hinteren Theil unterscheiden, die aber äußerlich durchaus nicht abgegrenzt sind. Der vordere reicht bis zur Einmündung des Mitteldarmdrüsenganges (/7) und ist überall gleich weit. Er zeigt nirgends Ausbuchtungen und geht kon- tinuirlich in den hinteren Theil über. Dieser ist nicht so gleich- mäßig wie der vordere Theil und ist nach unten und rechts mit einer kleinen Ausbuchtung (Fig. 20, 21 z) versehen. Obgleich mit dieser Ausbuchtung die Mitteldarmerweiterung noch nicht endet, so liegt die Querfalte, welche die Grenze der Mitteldarmerweiterung nach hinten zu angiebt (Fig. 21 gf), doch sehr nahe an ihr. Diese Quer- falte ist äußerlich nur bei besonders kräftigen Individuen markirt ‘Fig. 20 B, gf), während bei kleineren Individuen hiervon äußerlich nichts zu erkennen ist (Fig. 20 A). In dem vorderen Theil der Mitteldarmerweiterung (Fig. 21 A) beginnt sofort ein schönes. netz- förmiges Relief der Schleimhaut. Vor der Einmündung des Mittel- darmdrüsenganges (/7) sind die Maschenräume des Schleimhautnetzes ziemlich weit und gleichförmig und nur an einer ganz bestimmten Stelle besteht ein größerer Netzraum bei allen Individuen (7. In der Gegend der Einmündung jenes Ganges werden aber die Maschen- räume immer enger und länger, um dann plötzlich sich verkleinernd aufzuhören (¢). Von dieser Stelle an sind im hinteren Theile der Mitteldarmerweiterung, mit Ausnahme einer einzigen sehr mächtigen Die Morphologie der Prosobranchier. II. 283 Falte (s) keine Falten vorhanden, es müsste denn sein, dass sie so fein wären, dass sie nur auf Schnittpräparaten erkennbar werden. Die Mitteldarmerweiterung schließt mit einer Querfalte nach hinten ab (gf), wie schon erwähnt wurde, somit ist wie bei sämmtlichen Prosobranchiern, ihre Grenze sowohl nach vorn wie nach hinten in der Schleimhaut scharf gekennzeichnet. Gleich hinter der Querfalte findet sich die schon angegebene kleine Ausbuchtung der Darm- wand (Fig. 20 »). Der obere Rand dieser Ausbuchtung (Fig. 21 n) verstreicht nach vorn zu allmählich, während der untere Rand in eine nicht allzu mächtige Längsfalte (s) übergeht, die bis zu dem netz- förmigen Relief der Schleimhaut verfolgbar ist, wo sie in einer Netz- falte endigt. Der hintere Rand jener Ausbuchtung (x) geht somit allmählich in eine seichte rinnenförmige Bildung über, welche, von der einen Seite zwar unbegrenzt, von der anderen aber in der oben beschriebenen Falte eine Grenze findet. Ich will nicht versuchen, Vergleichungen zwischen der Schleim- hautoberfläche der Mitteldarmerweiterung verschiedener Prosobran- chierformen anzustellen, denn diese können erst dann mit Erfolg durchgeführt werden, wenn wir über diesen anatomischen Punkt ausführlichere Kenntnis besitzen, als dies zur Zeit der Fall ist, wobei natürlich auch der Histologie eine wichtige Rolle zu Theil werden muss, und begnüge mich damit, wie früher bei den Rhachi- glossen, darauf aufmerksam zu machen, dass dieser vordere Abschnitt der Mitteldarmerweiterung es ist, welcher bei zahlreichen Prosobran- chiern jene sackförmige Ausbuchtung besitzt, wobei man dann in dessen Wänden zahlreiche tubulöse Drüsen vorfindet. Ob bei Cy- praea diese tubulösen Drüschen in der Wandung der Mitteldarm- erweiterung, etwa zwischen den Netzmaschen, sich vorfinden, kann ich in Ermangelung gehörigen Materials nicht angeben. Das auf die Mitteldarmerweiterung folgende sehr kurze Mittel- darmstück geht sowohl äußerlich, wie seiner Schleimhautoberfläche nach, kontinuirlich in den Enddarm (Fig. 15 ed) über, so, dass es ohne histologische Daten nicht möglich ist, die Grenze zwischen ihnen anzugeben. Der Enddarm endet mit einem etwas eingeschrumpt- ten, verschmälerten Anusabschnitt. Vor der Erörterung der topographischen Lage des Mittel- und Enddarmes wende ich mich zu der großen Mitteldarmdrüse, der sog. Leber. Diese ist eine lange, schmale, und wie bei allen Proso- branchiern kompakte Drüse. Zumeist fand ich sie gelb gefärbt, womit aber durchaus nicht gesagt sein soll, dass sie in anderen 284 B. Haller Sekretionsstadien nicht eine andere Farbennuance annelımen könnte. Ihre lange, auffallend schmale Form (Fig. 15 L) ist durch den Ein- fluss der Körperform erklärlich. Der vor der Mitteldarmerweiterung gelegene Abschnitt ist der längere (4) und erstreckt sich bis zur Vorderdarmerweiterung. Der hinter dem Ausführungsgange gelegene hintere Abschnitt (2’) beträgt, selbst mit Einrechnung der geringen Aufrollung (rl), nieht die Hälfte des vorderen Abschnittes. Er liegt. mit Ausnahme eines sehr geringen hinteren Stückes, der Mitteldarm- erweiterung und zum kleinen Theile dem diinneren Vorderdarmab- schnitte fest an, in welcher Lage er durch Bindegewebe derart fixirt wird, dass man die Drüse erst nach Lösung dieses festen Verbandes völlig freilegen kann. Durch diese feste Anlagerung erhält die Driise einen Eindruck, der nur dem hintersten Theile fehlt. Letzterer legt sich von unten und außen der Genitaldrüse fest an und hat an der Aufrollung, welche sonst ausschließlich von der Genitaldrüse ge- bildet wird, einen geringen Antheil (Fig. 13, 14). Mit einem ganz kurzen Gange (Fig. 15 /g) mündet die Mitteldarmdrüse am Ende des vorderen Theiles und an der dorsomedianen Seite in die Mitteldarm- erweiterung (Fig. 20 A, /g). Nur in einem Falle sah ich (Fig. 20 B, /g’) einen zweiten, sehr feinen Gang neben dem ersten münden. Dieses dürfte möglicherweise aus Verhältnissen primärster Art (Fissurella sich ableiten lassen. Was die Lage des Mittel- und Enddarmes betrifft, so lagert der hintere Theil der Mitteldarmerweiterung, von hinten nach vorn bie- gend, dem vorderen Theile desselben an. Nach hinten liegt ersterer der Geschlechtsdriise fest an, welche Stelle durch eine Raute, wo aber das verbindende Bindegewebe sich befestigt (Fig. 15 ad). mar- kirt ist. Diese Lagerung behält theilweise der nun folgende Darm- abschnitt (Fig. 13, 14), legt sich aber später über den rechten Lap- pen der Niere (»), um von links nach rechts und hinten in die Kiemenhöhle zu treten. An deren rechter Wand angelangt, biegt er nach hinten (Fig. 29, 14), um, hier in ganz lateraler Lage ge- legen, in dem verschmälerten Anusrohr (Fig. 15 a, Fig. 29 af) zu enden, dessen Ränder etwas ausgezackt sind. Somit ist es für Cypraea charakteristisch, dass der Enddarm nicht, wie bei den übrigen Prosobranchiern, mit ausgesprochener Asymmetrie an der rechtsseitigen Kiemenhöhlenwand, weit nach vorn reichend, endet. Ich erblicke in diesem Verhalten einen an pri- märe Einrichtungen erinnernden Befund. Die Morphologie der Prosobranchier. II. 385 Niere und Geschlechtsapparat. Die Niere der Cypraea nimmt eine vermittelnde Stellung zwi- schen jener der höheren Rhipidoglossen und den Taenioglossen, wie etwa den Dolideen ein. Die meiste Ähnlichkeit, wenn wir von dem von Haliotiden und den Trochiden selbständig erworbenen, also untergeordnete Bedeutung besitzenden Ausführungsgange abstrahiren, besteht mit jener der Trochiden!. Die Niere der ursprünglichsten Form, die Cyelobranchier nicht mitgerechnet, über deren Nieren uns keine befriedigende Beschreibung vorliegt, ist unter den Prosobran- chiern bei Fissurella anzutreffen. Hier ist es bekannt, dass die linke Niere bis auf ein geringes Rudiment sich rückgebildet hat, somit kann hier nur von der rechtsseitigen Niere die Rede sein. Die Niere der Fissurella, eine schöne acinöse Drüse, mit kurzem nach außen mündenden Gange, aus welchem der matrosenpfeifen- förmige Nierentrichter mit seiner Öffnung in das Pericard tritt, zeigt bereits ihre Drüsenschläuche nur theilweise nach hinten gerichtet, zum kleineren Theil aber der Kiemenhöhle zugewendet. Bei Halio- tiden geht diese bei Fissurellen nur angedeutete Sonderung so weit, dass die Drüsenschläuche sich in ein vorderes und hinteres Büschel sondern, die jedoch in einen gemeinsamen nach außen mündenden Sammelgang übergehen, aus dem sich der Nierentrichter abzweigt. Trotz dieser Sonderung hat sich die acinése Form der Drüse aufs schönste erhalten. Bei den Trochiden hat sich diese Sonderung, die auch bei der Gattung Haliotis auftritt, noch weiter ausgebildet, was sich besonders durch den enorm entfalteten Sammelgang der Urinkammer ausprägt. Diese Urinkammer erstreckt sich jetzt an der ganzen inneren Seite des hinteren (jetzt schon rechten) Nierenlappens. Während der Vorderlappen, wiewohl er sehr ge- drungen erscheint, seine acinöse Struktur noch äußerlich bewahrt, ist eine solche Struktur am rechten Lappen nicht mehr kennt- lich. Dadurch aber, dass sich die Urinkammer enorm vergrößert, schwindet ein gemeinsamer Drüsengang und die Acini münden einzeln direkt in die Urinkammer und bewirken dadurch eine Störung der acinésen Form. Dieses Verhalten wird noch durch die Torsion in so fern beeinflusst, als hierdurch bei gleichbleibendem Exkretionsbedarf die Driisenmasse auf einen verhältnismäßig kleinen 1 B. Haier, Beiträge zur Kenntnis der Niere der Prosobranchier. Morph. Jahrb. Bd. XI. 286 B. Haller Platz im Körper angewiesen wird, wodurch aber ein großes Kom- paktwerden der Drüse eintreten muss. Dies geht bei den höheren Formen der Prosobranchier so weit, dass es bei ihnen, wo, neben- bei bemerkt, eine physiologische! und Hand in Hand damit eine histologische Sonderung der beiden Lappen eintritt, zu einer förm- lichen Sackbildung kommt. So entsteht eine enorme Urinkammer, in der nun die einzelnen Läppchen (Acini) der kompakten Drüsen- masse gesondert von einander einmiinden. Der Nierenbau lässt sich von nun an nur noch durch die Schnittmethode erkennen. Gleich- zeitig mit dieser Sonderung hat sich in Folge des verhältnismäßig geringen Raumes in der Eingeweidehöhle ein Nierentrichtergang völlig rückgebildet und die Urinkammer mündet durch eine kleine Öffnung direkt in das Pericard. Diese Verhältnisse, wie sie bei Dolideen bekannt sind, gehen bei den jüngsten Prosobranchiern, den Rhachiglossen, noch weiter. Eine Vermittelung zwischen den Verhältnissen, wie sie bei den Dolideen heute bekannt sind und jenen der Trochiden bietet sich uns mit manchen Übergängen in der Niere der Cypraeen. Die Niere liegt bei Cypraea mit dem linken, dem Pericar- dium innig angelagerten Lappen (Fig. 13, 14 ~’) beginnend, als ein länglicher Sack hinten in der Kiemenhöhle, diese nach hinten ab- schließend, und somit zu vorderst im Eingeweidesacke. Sie ist von links und vorn nach hinten und rechts gerichtet. Hierbei bildet den größten Theil derselben der rechte Lappen (Fig. 13, 14, 29 x, der von oben, wie dieses schon bei dem Darmkanale erörtert wurde. vom Enddarme theilweise überlagert wird. Nach hinten liegt ihm die Genitaldrüse (gdr) fest an. Zwischen den beiden Lappen ge- legen, öffnet sich linkerseits die äußere Nierenmündung in die Kie- menhöhle (Fig. 29 »m, Fig. 22 s’). Wenn wir den Nierensack nach Einwirkung von etwas verdünnter Essigsäure, wodurch das die Or- gane verbindende Gewebe gelockert wird, von den anliegenden Or- ganen frei präpariren und dann im Präparirteller unter Alkohol oder Wasser von hinten seiner Länge nach öffnen (Fig. 22), so finden wir Folgendes. ! Worin diese besteht, ist heute leider noch immer unbekannt. ? Betreffs der Einzelheiten der hier angeführten Verhältnisse verweise ich auf meine zwei Arbeiten »Beiträge zur Kenntnis der Niere der Prosobranchier« und diese Studien. I. Morph. Jahrb. Bd. XI und XIV. Die Morphologie der Prosobranchier. II. 387 Nach rechts liegt als der größte Theil der Niere deren rechter Lappen (2), ein schwammiges, braungrau gefärbtes Gebilde. Auf der linken Seite befindet sich der auf unserer Abbildung theilweise mit seinem hinteren Theil von innen umgelegte, strohgelb gefärbte linke Lappen (A). Vorn zwischen beiden die äußere Nierenöffnung, durch die eine Haarsonde (s’) gezogen wurde. Hinter dem linken Lappen beginnt mit einer weiteren Öffnung (im) aus der Urinkammer ein kurzer Nierentrichter (?r), dessen Lumen ich der Deutlichkeit halber gleichfalls durch eine Haarsonde kenntlich machte. Am Boden der Urinkammer ist die Arterie des rechten Nierenlappens (7) seitlich in die Niere eingelagert. Sie theilt sich in einen kurzen vorderen und einen sehr langen, dem rechten Lappen entlang verlaufenden Ast. Letzterer Ast, obgleich Anfangs sehr ansehnlich, erreicht doch nicht die Spitze des rechten Lappens, da er vorher schon in seine Endäste zerfällt. Ein äußerst feiner, doch recht konstanter Ast der Hauptarterie tritt neben dem oben beschriebenen Aste, aber hinter diesem, ab und versorgt die nach rückwärts gekehrten Läppchen (») am breiteren Theile des Hauptlappens. Man muss gestehen, dass so- wohl hier, wie am rechten (hinteren) Nierenlappen der Prosobranchier überhaupt von den Trochiden an, die Arterie leicht den Sammel- gang des rechten Nierenlappens vortäuschen könne. Natürlich ist das nur ein momentaner Eindruck bei flüchtiger Betrachtung, denn es wird Niemand von Urtheil einfallen können, diesen Irrthum bei genauer Prüfung aufrecht zu erhalten. Zum Überflusse erwähne ich noch, dass ich auf Querschnitten in der eitirten Abhandlung über die Prosobranchierniere den richtigen Thatbestand noch weiter begründet habe. Übrigens gelingt das Injieiren der Arterie des rechten Lap- pens wie jener des linken Lappens, die bekanntlich von außen dem Lappen auflagert, bei einiger Sachkenntnis der Herzverhältnisse bei allen Prosobranchiern sehr gut. Der rechte Nierenlappen zerfällt nieht wie bei den höheren Proso- branchiern in Nebenlappen, sondern erhält sich ganz einheitlich. Durch die zahlreichen Mündungen (m) erscheint die Innenfläche des Lappens schwammförmig, und die Läppehenbildung lässt sich nur von der äußeren Oberfläche (Fig. 29 2) deutlich erkennen. Hiervon würden die nach hinten gerichteten, der hinteren, der Geschlechts- drüse zugekehrten Wand der Urinkammer anlagernden Läppchen eine Ausnahme machen. Von dieser legt sich ein ziemlich starker Lap- pen von dem Ende des Hauptlappens aus nach hinten auf die Urin- kammerwand von außen an; dann sind es mehrere kleine Läpp- 288 B. Haller chen am Boden der Urinkammer (e, +’, ©”), von denen nur einer (c) die hintere Wand erreicht, welche durch die Koncentration des Nierengewebes noch wenig beeinflusst, die acinöse Struktur auch ohne Hilfe der mikroskopischen Vergrößerung sehr schön erkennen lassen. Gerade hierin ist ein Moment gegeben, durch welches eine Annäherung an primäre Verhältnisse, die eine acinöse Struktur auch äußerlich zeigen, erkenn- bar wurde. Wenn gleich der linke Lappen (A) schon eine größere Kompakt- heit erreicht hat, wie etwa bei Turbo, so ist er doch noch von locke- rerem Bau, wie etwa bei den Dolideen. Er ist von beträchtlichem Umfang, aber, wie schon erwähnt wurde, kleiner als der rechte Lappen. Mit seinem vorderen Ende (a) nach vorn und oben und mit seinem hinteren Ende (#) nach hinten umlagert er von oben zur Hälfte das Pericardium (Fig. 13, 14). Mit langen, zumeist kleinen Öffnungen münden die einzelnen Läppchen in die Urinkammer, was besonders in der Mitte des Lappens (Fig. 22 y) deutlich zu sehen ist. Die beiden Lappen unterscheiden sich hier histologisch von ein- ander, was bei den Trochiden noch nicht der Fall, bei den höheren Formen der Prosobranchier aber durchgehends eingetreten ist. Wenn gleich mir gut gehärtetes Material zu Schnittpräparaten nicht zur Verfügung stand und ich auch kein lebensfrisches Material unter- suchen konnte, so konnte ich an in verdünntem Glycerin macerirten Präparaten so viel konstatiren, dass während der rechte Lappen aus ziemlich großen kubischen Zellen mit hellem Kern und Kernkörper- chen bestand (Fig. 23 a), denen feine gelbe und spärliche große meergrüne Kügelchen einlagerten, der linke Lappen aus niedrigen, jedoch breiten und somit etwas platten Zellen gebildet wurde (Fig. 23 6), die einen kleinen Zellkern besaßen. In den Zellen des linken Lappens konnte ich zwar keine Stoffwechselprodukte er- kennen, doch waren solche in Form größerer orangegelber Kugeln im rechten Lappen vorhanden. Die Geschlechtsdrüse der Cypraeen zeigt zwar primäre Ver- hältnisse, jedoch dadurch, dass beim männlichen Thiere eine Samen- rinne und ein Penis, sowie beim weiblichen Thiere ein Uterus, wenn gleich in der primärsten Form, auftritt, schließen sich die Verhält- nisse an jene höherer Prosobranchierformen an. Freilich lässt sich nicht verhehlen, dass die Anatomie der Geschlechtsorgane der höheren Prosobranchier, um der Vergleichung dienen zu können, noch nicht die gewünschte Bearbeitung erfahren hat. Die Morphologie der Prosobranchier. II. 289 Als eine mächtige kompakte Drüse (Fig. 13, 14 gdr) liegt sie in beiden Geschlechtern am weitesten hinten in der Körperhöhle und füllt so zu sagen allein die Windung in der Spira des Gehäuses, an welcher, wie wir gesehen haben, bloß die große Mitteldarmdrüse noch sehr geringen Antheil nimmt. Ihre Oberfläche ist glatt und nur an ihrem vorderen unteren und oberen Rande zeigt sie zwei nahe an einander liegende Eindrücke (Fig. 30 d/, di’). Der hintere Eindruck (d/) zieht von unten nach oben und rechts und rührt von der Anlagerung des hinteren Abschnittes der Mitteldarmerweiterung (Fig. 13, 14) her. Den unteren ganz kleinen Eindruck nimmt der vordere Abschnitt der Mitteldarmerweiterung sowie die diesem Ab- schnitte eng angelagerte sog. Leber ein, während der hinterste Ab- schnitt (Fig. 15 4) der sog. Leber, dem unteren Rande der Ge- schlechtsdrüse angelagert, die letzte Windung (Fig. 14, 15 77) der Spira des Eingeweidesackes bildet. Die Geschlechtsdriise ist somit ein nach oben zu konvexes, nach unten konkaves Gebilde mit einem vorderen, unteren (Fig. 30 ), hinteren: und oberen Rande. An der Kante zwischen vorderem und oberem Rande sammelt sich (Fig. 30 a) der Ausführungsgang der Geschlechtsdrüse. Beim weiblichen Thiere wird dieser Kanal sofort zu einem diekwandigen Gange (4) von weißgelbem Aussehen, der, unter dem rechten Lappen der Niere gelegen, eine Krümmung von links nach rechts und dann abermals nach links beschreibt und, sich auf dem Boden der Kiemen- höhle nach vorn wendend, in einen kurzen, dünnen Gang (e) über- geht, der mit einer Längsöffnung vor dem rechten Nierenlappen, je- doch entfernt von der rechten Kiemenhöhlenwand (Fig. 29 m), nach außen öffnet. Der Ausführungsgang der männlichen Geschlechtsdrüse unterscheidet sich in topographischer Beziehung so wie bezüglich des morphologischen Verhaltens nur in so fern von dem weiblichen Ge- schlechtsgange, als er eine wie das vordere Ende des weiblichen Ge- schlechtsdrüsenganges überall gleich weite Röhre bildet, und nur ein wenig weiter nach vorn in die Samenrinne mündet. Das Lumen des dicken Abschnittes des weiblichen Geschlechtsganges ist eine von oben nach unten gerichtete Spalte von geringer Weite, indem die Dicke dieses Abschnittes (Fig. 30 2) lediglich durch seine Wandung hervorgerufen wird, welche drüsiger Natur ist. Morpholog. Jahrbuch, 16. 19 290 B. Haller Herz. Kieme und Kiemenhöhle. Präparirt man das Herz eines Spiritusexemplares auf die Weise frei aus der Pericardialhöhle heraus, dass man die Körperarterien und den mächtigen Vorhof linkerseits durchschneidet (Fig. 24), so findet man Folgendes: Die mächtige Herzkammer, die an Spiritus- exemplaren stets stark kontrahirt getroffen wird, lässt aus ihrem hinteren Ende, jedoch nicht aus dessen Spitze, einen dünnen Gang abgehen, der die Herzkammer mit einem stark muskulösen Gefäße verbindet, dessen vorderes stärkeres Stück zur vorderen, dessen etwas schwächeres zur hinteren Aorta wird. Die größte Breite be- sitzt die Herzkammer an ihrem vorderen Ende; hier mündet linker- seits der mächtige, jedoch äußerst dünnwandige große Vorhof (Fig. 24) in die Herzkammer ein und besitzt bei seiner Einmündung, wie bei allen Prosobranchiern, zwei über einander gelagerte, mäch- tige Klappen (Fig. 25 r, 7’), die während der Herzkammersystole einen vollständigen Verschluss bewerkstelligen können. Oft findet man den Vorhof auch bei Spiritusexemplaren mit Blut prall angefüllt, wobei er dann in seiner vollständigen Ausdehnung erscheint (Fig. 13 Zeh). Befindet er sich jedoch in zusammengesunkenem Zustande, so kann man ihn nach seinem Übergange in die Kiemenarterien sehr leicht entweder durch einen Einstich mit einer feineren Spritze mit einer Flüssigkeit füllen, oder durch Luft aufblähen und so den diastoli- schen Zustand auf künstliche Weise erreichen. Sein vorwiegend durch enorme Länge ausgesprochener Umfang ist auffallend. Durch diese Größe des Vorhofes wird auch der Pericardialraum nach vorn zu enorm ausgedehnt, da dieser erst nur ganz vorn in nächster Nähe der Kiemenspitze, wo der Vorhof zur Kiemenarterie wird (Fig. 28 /v), aufhört. Diese enorme Größe des Vorhofes erscheint lediglich nur durch die eigenthümliche Lagerung der Kieme erreicht worden zu sein. Seine Wände werden von vielfach verästelten und mit einander zu einem Netze verbundenen quergestreiften Muskeln gebildet, wie ich eine ganz gleiche Muskulatur sowohl im Vorhofe, als auch in der Herzkammer bei Rhipidoglossen ausführlich geschil- dert habe!. An der Kiemenspitze angelangt (Fig. 28 Av), theilt er sich in einen ganz kurzen vorderen und einen langen, der Nieren- form entsprechend hufeisenförmigen, rechtsseitigen Ast. der an der ! Studien über mar. Rhipidoglossen. I. Theil. Die Morphologie der Prosobranchier. II. 291 inneren Seite der Niere gelagert bis an das rechtsseitige Kiemenende verläuft. An der rechten Seite der Herzkammer, in gleicher Höhe mit dem linken Vorhofe. muss jedem Beobachter ein etwas ovales Gebilde von geringer Größe auffallen (Fig. 24 rechts). Es ist dies das in die Herzkammer miindende, sonst aber nach allen Seiten vollkommen abgeschlossene und somit mit keinem Blutgefäß mehr in Zusammen- hang stehende Rudiment eines rechten Vorhofes, welches Verhalten in seiner großen systematischen Bedeutung sofort klar wird. Da sich das Herz der Exemplare der Sammlung gut schneiden ließ, so unterließ ich es nicht, von der Herzkammer zwei Querschnittsserien zu verfertigen. Figur 25 stellt einen Querschnitt dar, welcher das Herz an der Mündung des linken Vorhofes und den rechten Vorhof ganz quer getroffen hat; in Figur 26 ist jedoch der Schnitt nicht quer, sondern vor dem linken Vorhofe von links nach rechts und hinten gelegt, wodurch der rechte Vorhof voluminöser erscheint. Beide Präparate rühren von zwei verschiedenen Exemplaren her. An dem allseitig vom Pericardepithele überzogenen Herzen sieht man den rechten Vorhof (re) nur mit der Herzkammer kommuni- ciren, sonst aber allseitig abgeschlossen. Obgleich seine Muskulatur eine äußerst dünne ist, so wird eine mit der Bewegung des Herzens verbundene gleiche Bewegung des rudimentären rechten Vorhofes dennoch ermöglicht, was übrigens schon daraus ersichtlich ist, dass man in demselben oft Blutgerinnsel und spärliche Blutkörperzellen antrifft. Die Vorhofklappen sind vollständig rückgebildet. Somit kommt bei Cypraea ein Rudiment eines rechten Vorhofes vor, welches jedoch mit keinem Blutgefäße zusammenhängt und nur mit der Herzkammer in Kom- munikation steht. Die Kieme hat sich bei Cypraea auf die eigenartigste Weise entwickelt, denn während die vordere Kiemenspitze, wo die Kiemen- arterie (Fig. 28 Av) an die Kieme tritt, auswärts von dem links- seitigen Schalenmuskel (Fig. 14, 28 ms) in einem ihr dicht an- liegenden Fortsatz des Mantels (Fig. 14 4s) noch ihre allen Proso- branchiern gemeinsame Lage behält, legt sich der größte Theil der Kieme am Kiemendache hufeisenförmig nach rechts (A) um, hier gleichfalls in einer Spitze endend. Von oben bei geschlossener Kiemenhöhle gesehen, liegt oben und vorn die breite in den linken Vorhof des Herzens mündende Kiemenarterie (Fig. 4v) und hinter ihr die Kiemenvene (4a), und somit sind die Kiemenbliitter oben auf 198 292 B. Haller die Weise befestigt, dass die Kiemenkante, da der hintere Schenkel jedes einzelnen Kiemenblattes kürzer als der vordere ist, nach hinten sieht (Fig. 28 A). Wenn wir das Dach der Kiemenhöhle hinter der Kieme abreißen und umlegen (Fig. 28), so sehen wir, dass die zwischen Kiemenspitze (Fig. 14 zwischen As und mr’) und dem sehr schwachen Sipho ge- legene Einbuchtung nach hinten von dem linken Schalenmuskel (Fig. 14, 28 mk) begrenzt wird, hinter welchem das am ehesten noch kleeblattförmig zu nennende Geruchsorgan (gr) gelegen ist. Mit der Kieme schließt die Kiemenhöhle nach hinten nicht ab, sondern jener dreieckige Raum, der zwischen dem rechten hinteren Kiemenrande und dem vorderen Rande des rechten Nierenlappens, ferner dem rechten hinteren Mantelrande frei bleibt, wird von der äußerst mächtigen Hypobranchialdrüse (Fig. 14 Aydr) ausgefüllt. Bei den untersuchten Alkoholexemplaren war das Sekret als eine sehr harte Masse in der dreieckigen Drüse angesammelt. Die Stellung der Cypraeen im Systeme. Bouvier theilt die Prosobranchier nach dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines rechtsseitigen Vorhofes in Diotocardier und in Monotocardier. Nach dieser Eintheilung gehören die Rhipido- glossen zur ersten Gruppe, während die Monotocardier alle übrigen Prosobranchier und somit auch die Cypraeen in sich fassen. Ob- gleich Bouvier das Nervensystem der Cypraeen kannte, da er ja bei ihnen die Pedalstriinge entdeckt hat, und nach diesem ana- tomischen Verhalten die Ahnlichkeit mit den Rhipidoglossen mehrere Male erwähnt, so stellt er sie in seinem System unter die Taenioglossen weit entfernt von den Rhipidoglossen auf, ja sie nehmen gerade am Schlusse jener großen Gruppe einen Platz ein. Eine nahe Verwandtschaft sollen die Cypraeen mit den Naticiden, Lamellariden und Janthiniden besitzen, mit denen sie einander nahe einen Platz im Systeme erhalten. Ich will diese letzte Verwandt- schaft, die ich übrigens nicht bezweifeln will, hier unberührt lassen und bloß aus den geschilderten anatomischen Verhältnissen jene Punkte heraussuchen, welche die Cypraeen mit den Rhipidoglossen einerseits verbinden, andererseits aber auch diejenigen betonen, durch welehe die Cypraeiden mit den Taenioglossen verbunden bleiben. Obgleich das Gehäuse für das System im Allgemeinen durchaus als unmaßgebend schon seit TRoscHEL erkannt wurde, und ich selbst Die Morphologie der Prosobranchier. II. 293 Gelegenheit hatte in einem Falle, bei Concheolepas nämlich, den Nachweis zu führen, dass durch Rückbildung des Fußes auf primäre Verhältnisse auch das Gehäuse, durch die Ausgleichung der Spira- bildung, beeinflusst wurde, wie es auch noch zahlreiche Fälle giebt, wo der Beweis der Umbildung der Schale vom Körper auszugehen hatte, so giebt es doch eine Menge anderer Fälle, wo wir nicht mit Sicherheit angeben können, welche Lebensmomente die sonderbare Umbildung des Gehäuses beeinflussten. So trifft sich das bei den Cypraeen, wo wie es scheint die allzu große Längsstreckung des Fußes bei der Bewegung darauf hingewirkt haben mag. Eins be- dingt das Andere und so mag die Entfaltung des Gehäuses abermals auf die innere Lagerung der Organe einen Einfluss ausgeübt haben. Dabei ist unverkennbar, dass die mächtige Entfaltung nicht durch größere Spirabildung, denn diese ist thatsächlich sehr gering, als vielmehr durch mächtige Ausbildung des rechtsseitigen vorderen Ge- hiiuseabschnittes erreicht wurde. Dies erfolgte hauptsächlich durch eine mächtige Längsstreckung des vorderen oberhalb der Kiemen- höhle gelegenen Gehäuses. Bei gleichzeitigem allgemeinen Längen- wachsthum fand auch eine solche von links nach rechts und nach vorn statt. Hierdurch entstand die immens große Kiemenhöhle (Fig. 29) und nur dem von links nach rechts und vorn erfolgten Wachsthume, welches die Kiemenhöhle in Mitleidenschaft zog, ist die sonderbare Form der Kieme zuzuschreiben. Das Wachsthum in die Länge hatte die bedeutende Verlängerung des in Funktion stehenden linken Vor- hofes zur Folge, sowie die langgestreekte Form der Leber. All dies sind durch eine einseitige Ausbildung des Genus erworbene anatomische Merkmale, welche darum wohl bei Charakterisirung des Genus verwerthbar, aber für die oben aufgeworfene Frage be- deutungslos sind. Cypraea ist eben eine Gattung einer Abtheilung, nämlich der Cypraeen, durch deren einzelne Glieder jene im Laufe der phyletischen Entwicklung erfolgte einseitige Umbildung des Ge- häuses auch heute erwiesen werden kann und die Ovuliden sowie die Gattung Trivia, und hier insbesondere T. ovulata Lamarck (die ältere Formen als die Gattung Cypraea sein müssen), geben in ihrem Gehäuse eine fernere Begründung hierfür ab. Besonders Trivia ovu- lata möchte ich künftigen Untersuchern in so fern empfehlen, als wir bei diesem Thiere, nach der primitiven Form der Gehäusebildung zu urtheilen (unter den Cypraeen). gewiss noch mehr anatomische Anschlüsse an die Rhipidoglossen als bei Cypraea antreffen werden. Als solche an die Rhipidoglossen erinnernde anatomische Verhältnisse 294 B. Haller sind bei Cypraea erstens die Fußverhältnisse, die Pedalstrange. der noch vorhandene zwar kurze Nierentrichtergang, die primäre Form des Geschlechtsganges und insbesondere das noch ansehnliche Rudi- ment eines rechten Vorhofes. Als die Cypraeen an die Taenioglossen anreihende Merkmale bestehen außer der taenioglossen Radula, welche aus der rhipidoglossen durch Wegfallen der beiderseitigen Zähnchen- reihen entstanden ist, die Ablösung der Pleuralganglien von den Pedalsträngen und ihre Verwachsung mit den Cerebralganglien. die Verkürzung des Darmkanales, die histologische Sonderuug der bei- den Nierenlappen, die Ausbildung einer Samenrinne und eines Penis beim männlichen Individuum, und endlich die Loslösung des Enddarmes von der Herzkammer, so dass diese nicht mehr von ersterem durch- bohrt erscheint. Die geringe Ausbildung eines Uterus, das Auftreten der Vorderdarmerweiterung als Vorbote verschiedener, dieser homo- logen Drüsenbildungen derselben Stelle des Vorderdarmes sind Kenn- zeichen, die zwar die Cypraeen an die Taenioglossen nähern, jedoch als erst beginnende Bildungen den Cypraeen ein höheres Alter in der Ahnenreihe der Taenioglossen anweisen. Aus meinen Untersuchungen resultirt. dass die Cy- praeen sehr alte Formen der Taenioglossen sind und diese den Rhipidoglossen anreihen; somit ist in den Cypraeen ein Kettenglied zwischen diesen zwei großen Abthei- lungen der Prosobranchier gegeben. Welche Formen sich den Cypraeen nach oben hin unter den Taenioglossen anreihen, ob die Naticiden und Lamellarien, wie Bouvier annimmt und wie es auch mir sehr wahrscheinlich scheint, dies ist eine wichtige Aufgabe künftiger Untersuchungen. Bei diesem Anreihen der Cypraeen in die nächste Nachbarschaft der Rhipidoglossen bin ich mir einer Thatsache wohl bewusst, auf die ich hier mich einlassen will. Durch Bouvier's Untersuchungen ! sind wir mit dem Nervensystem eines taenioglossen Prosobranchiers bekannt geworden, welches die Aufmerksamkeit im höchsten Grade erregen muss. Es ist das das Nervensystem des terricolen Cyclo- phorus, einer Form, die Seitens v. IHERINE’s unter der Benennung Pomatiaten fälschlich mit den Cyclostomen vereinigt wurde, wie das bereits PauL FISCHER für unrichtig hielt, bis es Bouvier gelang, die nächste Verwandtschaft mit Paludina festzustellen. Dieses Nervensystem ist im höchsten Grade jenem der Rhipido- 1]. c. pag. 72—80, Die Morphologie der Prosobranchier. II. 995 glossen ähnlich und darin ist Bouvier Recht zu geben, denn nicht nur die sehr langen und mit zahlreichen Querverbindungen unter einander verbundenen Pedalstränge, sondern auch das übrige Ver- halten berechtigen zu dieser Behauptung. Eine Verschiedenheit, wie BouviER hervorhebt, besteht in der beginnenden Sonderung der Pleuralganglien von den Pedalsträngen und in der Kürze der Pedal- stringe. Auch darin stimme ich Bouvier bei, dass das Nerven- system die primären Verhältnisse der Rhipidoglossen viel besser ge- wahrt hat, als jenes der Paludina, welches sich sonst dem des Cyclophorus anreiht. Immerhin wirft Bouvier doch die Frage auf, ob die Anreihung des Cyclophorus an die Rhipidoglossen eine direkte oder indirekte sei, indem es »unbekannte oder verkannte« Formen noch geben könnte, welche diese Vermittlung bewirkten. Ich bin zwar der Überzeugung, dass esZwischenformen giebt, dass aber keinenfalls Palu- dina es ist, welche diese Vermittlung zu besorgen hat, wie übrigens diese Frage auch Bouvier unentschieden lässt, denn wenn ich auch die Überzeugung hege, dass durch die genauere Kenntnis der Palu- dina-Anatomie manche der Organe als primäre erkannt werden, so wird daraus eine direkte Anreihung der Paludina an die Trochiden noch nicht hervorgehen müssen. Die Frage, wie weit ein direkter Anschluss der Cyclophoren an die Trochiden besteht. bleibt eine offene und wird auch immer eine bleiben, so lange wir mit der Anatomie der Cyelophoren nicht genau bekannt sind. denn wenn gleich das Centralnervensystem manche für die Erkenntnis der phy- letischen Verhältnisse wichtige Merkmale in sich birgt. so kann es für sich allein in keinem Falle beweiskräftig genug verwerthet wer- den. Wenn also abermals eine Verbindung zwischen Rhipidoglossen und Taenioglossen konstatirt ist, so ist es nur die Unkenntnis der ge- nauen Anatomie von Cyelophorus und Paludina, welche die Beziehung dieser Kettenglieder zwischen diesen zwei großen Gruppen der Proso- branchier mit den anderen Kettengliedern, nämlich den Cypraeen, nicht erkennen lässt. Wie trügerisch es ist, sich lediglich auf das Nerven- system zu verlassen !, dafür giebt es ein frappantes Beispiel. Wäh- 1 Selbst für den Fall, dass man die einseitige Eintheilung nach dem Ner- vensysteme befolgen wollte, dürfte man dabei doch nicht auf Verhältnisse Ge- wicht legen, die für systematische Verallgemeinerungen nicht geeignet sind. Als solche gilt die von Bouvier bei den Rhipidoglossen so sehr verkannte Labialkommissur, die thatsächlich, wo sie vorkommt, gar keine Kommissur, sondern die Aneinanderlagerung zweier peripherer Nerven ist, wovon BOUVIER sich auf histologischem Wege leicht überzeugen kann; das Gleiche gilt von den lateralen Verbindungen am peripheren Nervensysteme (»Zygoneurien« etc.). 296 B. Haller rend nämlich die Pleuralganglien von Cypraea sich an die Cerebral- ganglien anreihen und diesen selbst sich innig angelagert haben, sind jene von Paludina auf halbem Wege stehen geblieben und sind von den Pedalsträngen eben so weit wie von den Cerebralganglien entfernt. Dies mag Bouvier bei seiner zu einseitigen Forschung verleitet haben, die Cypraeen im Systeme so weit nach hinten zu versetzen. Und doch sind die Verhältnisse der Geschlechtsorgane bei Cypraeen viel einfacher als bei den Paludinen, an deren weib- liehem Ausführungsgange schon Anhangsorgane sich finden sollen. Trotz alledem kann man konstatiren, dass zwischen Paludinen, Cyclophoren und den Cypraeen eine große Verwandtschaft besteht, wenn auch zu deren voller Erkenntnis noch ausgedehntere anato- mische Untersuchungen höchst nöthig sind. Vor Allem müsste man bei Paludina und Cyelophorus nach einem Rudimente des rechten Vorhofes suchen. Es wurde somit theilweise durch Bouvier, theilweise _durch diese Untersuchung sichergestellt, dass zwischen den Khipidoglossen und Taenioglossen noch lebende Übergangsglieder vorhanden sind. für die heute der gemeinsame Charakter der Pedalstränge besteht. Ich möchte daher die Cypraeen mit den Paludinen und Cyclophorus und den diesen angehörigen Formen einstweilen als Taenioglossen mit Pedalsträngen zu einer Gruppe unter der Bezeichnung Archi- taenioglossen zusammenfassen. Dann hätte auch die Eintheilung der Prosobranchier in Dioto- cardier und Monotocardier wegzufallen, denn durch den Nachweis eines rudimentären rechten Vorhofes bei den Cypraeen, denen sich vielleicht bei genauer Untersuchung sämmtliche Architaenioglossen mehr oder weniger anschließen werden, ist sie hinfällig geworden. Retesdorf bei Schäßburg in Siebenbürgen, im Oktober 1589. Erklärung der Abbildungen. Tafel IX. Fig. 1. Cypraea testudinaria L. Nervensystem. Die Pedalstränge sind hinter der vorderen Querfaserung durchschnitten. p/ oberer, pl’ unterer Theil des linken Pleuralganglions; Verbindung zwischen dem linken Pleuralganglion und dem Supraintestinalganglion g.sup; com.sup die Fig. Fig. Fig. Fig. bho Die Morphologie der Prosobranchier. I. 297 gangliös umlagerte Supraintestinalkommissur. r.pl rechtes Pleuralgan- glion. Cg Cerebralganglion; Cc, Ce’ die jederseitigen Cerepropedal- und Pleuropedalkommissuren. Pst Pedalstränge; vgf vordere Quer- faserung; oc, oc’ die jederseitige Otocyste; srn, srn’ der jederseitige Subradularnerv. i Nerv der Buccalmuskulatur; 2 Hautriisselnery ; 4 Riisselmuskelnerv; 5 Fühlernerv; 6 Augennerv: 7 Nerv der Kopf- haut; ch und cb’ Kommissur zu dem vorderen Eingeweideganglion ; 8 und 9 Penisnerven; 10+12 vereinigter rechter äußerer Mantelnerv und rechter innerer Mantelnerv; 12’ linker hinterer Mantelnerv; 10’ linker vorderer Mantelnerv (Siphonalnery). 8’ und 9’ Nerven der lin- ken Nackenhiilfte. «, 3, y Branchialnerven; n/ linke Kommissur zu den hinteren Eingeweideganglien; c.s«b Subintestinalkommissur ; sm erster, smn’ zweiter Spindelmuskelnerv ; ptn ein Peritonealnerv; 9.55 Subintestinalganglion; v Nerv für die Gegend der Samenrinne (beim weiblichen Uterusnerv?). 2 Verbindungsnerv zwischen dem vorigen Nerven und dem rechten Pleuralganglion; »r rechte Kommissur zu den hinteren Eingeweideganglien ; oddn hinterer Nerv und Vorderdarm- erweiterung (unpaare große Vorderdarmdrüse); r.heg rechtes hinteres Eingeweideganglion, Z.heg linkes hinteres Eingeweideganglion. Die Nerven dieser Ganglien siehe auf Fig. 5. Schlundring eines anderen Individuums, von links gesehen, bei dem die Verbindung ¢ zwischen dem linken Pleuralganglion und dem Su- praintestinalganglion sehr lang und bloß aus Nervenfasern bestehend ist. Sonst wie auf der vorigen Figur. Dasselbe Präparat von unten gesehen. Bezeichnung wie auf Fig. 1. veig vordere Eingeweideganglien. vdn Vorderdarmnerven. Sonst s. Beschreibung. 1 Das Supraintestinalganglion gsp und seine Nerven. 10+12 linksseitige Mantelnerven; Verbindung zwischen linkem Pleuralganglion und Su- praintestinalganglion. „7 linke Kommissur zu den hinteren Eingeweide- ganglien; « gemeinsamer Nerventrunk, welchen n ein feiner Nerv zum Mantel (?), gr» den Geruchsnerven und J ersten Branchialnerven, der zum kg, Branchialganglion tritt, absendet; vin Vorhofnerv; 3 ge- meinsamer Trunk, welcher sich zum ZZ, zweiten und III, dritten Branchialnerv spaltet. Der gemeinsame Trunk y spaltet sich zur Kommissur zu den hinteren Eingeweideganglien einerseits und zu dem vorderen Nerven vdn des Vorderdarmes andererseits ab. Die zwei hinteren Eingeweideganglien, Glycerinpräparat als optischer Schnitt (Vergr. REICHRRT S. 2 Oc. 2). rheg rechtes, /heg linkes hinteres Eingeweideganglion; gn Genitalnerv; e Enddarmnerv ; n, 2’, n’ Nieren- nerven: I Nerv der Herzkammer; JJ, III, IV, V, VJ Darmnerven. Das Subintestinalganglion (Vergr. wie zuvor). c¢.sub Subintestinal- kommissur; smn Spindelmuskelnerv ; v Nerv des rechtsseitigen Kiemen- höhlenbodens: gn Genitalnerv. Pedalstränge (im Verhältnis zu Fig. 1 ect etwas größer gehalten). vqf vordere Querfaserung; 7’ Centrum für die Pleuropedalkommissur; r dasselbe für die Cerebropedalkommissur; » Netz, gebildet von den äußeren unteren Fußnerven; ein starker oberer Fußnerv; g, g’ gan- gliöse Verdickung zwischen einer Kommissur. 298 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 10. ifthe 13, 14. 21. 22. 23. B. Haller Fußsohle von unten gesehen. Querschnitt durch den Fuß, etwa in der Körpermitte; r mediane Fuß- rinne; uf Unterfuß; 7A Leibeshöhle; /mr linker Mantelrand ; sm Spindel- muskel; 2.2’ Liingsmuskel; » pigmentirter Fußrand; dr Drüsen, an demselben ausmündend ; fy Fußarterie ; rps /ps die jederseitigen Pedal- stränge; /mn vorderer Spindelmuskelnerv. Das ganze Thier ohne Gehäuse, von rechts gesehen. Querschnitt aus dem pigmentirten Fußrande. ep Epithel; m innere Muskellage; dr Drüsen; ag deren Ausführungsgänge; v Mündung zweier Driisengiinge (Vergr. REICHERT §S. 4 Oc. 2). Zellen aus den lateralen Fußdrüsen von einem Querschnitte (Vergr. REICHERT S. 6 Oc. 2). Tafel X. Das ganze Thier nach Wegnahme des Gehäuses und Öffnen des Peri- cardiums von links. mtl Mantelrand; md Darm; N Niere; » deren vorderer, »’ hinterer Lappen. Ww Dach der Kiemenhöhle; y linke Spitze der Kieme; /b vorderer Theil der großen Mitteldarmdriise ; lwh linker Vorhof; % Herzkammer; a Aorta anterior (natürl. Größe). Das ganze Thier nach Wegnahme des Gehäuses, von oben gesehen. F Fuß; mr’ Mantelrand; y linke Kiemenspitze; go Geruchsorgan; ! vorderer Theil der großen Mitteldarmdrüse; Av Kieme; p Pericar- dium; ka Kiemenarterie: hydr Hypobranchialdriise; af After; gdr Geschlechtsdrüse; ms hinterer Mantelrand. Darmkanal, von oben gesehen. mö Mundöffnung; sp Sphincter oris; bm Bucealmasse; m Retractor der Buccalmasse; 7 Radula; ddr Buc- caldrüsen, ver Vorderdarmerweiterung; x Mitteldarmerweiterung: ed Enddarm; a After; Z große Mitteldarmdriise; d’ deren vorderes und d hinteres Stück. Vorderdarm, von unten. Bezeichnung wie zuvor. Die Vorderdarmerweiterung, von oben geöffnet. vddr drüsige Wände; ji Falte; n Klappenfalte; ¢ Ergänzungsfalte. Dasselbe von einem anderen Individuum. »d Radula; vo Munddarm- wülste, fi, fl’ Längsfalten. Sonst wie zuvor. Isolirte Zellen aus der drüsigen Wand der Vorderdarmerweiterung. Die Mitteldarmerweiterung von zwei verschiedenen Individuen. ¢ Vor- derdarm ; /g Einmündung der Mitteldarmdrüse ; » Grenze der Mitteldarm- erweiterung; ed Enddarm. Die Mitteldarmerweiterung, von oben geöffnet. ? Grenze des vorderen Theiles, gegenüber dem hinteren; Jg Mitteldarmdriisengang; s Längs- rinne; » sackartige Erweiterung; gf Querfalte zwischen Mitteldarm- erweiterung und Enddarm. Niere, von oben und hinten geöffnet. -4 Vorderlappen; B Hinter- lappen; s äußere, am innere Nierenmündung; na Nierenarterie. Sonst siehe die Beschreibung. Zellen aus der Niere. a aus dem Hinterlappen, 5 aus dem Vorder- lappen. Taf IX. Morpholog. Ja Jıth.Anst. vWorner & Winter Fraskfurt®M. =“ 5 = sa} N smn \" | N \ in: Sesulı eon St. = Hark HER Engelmann, Jeınzua Ak Art bles 4 inzer Frau N Morpholog. SJ nn — = ’ | | vddr £ ig Se a 4 Vortholog Jahrbuch. Ba AVI. : : ° = j Tat x. og mk © 7 A Zu Fr | ir a cay cut | a k kv" Iydr a Ten . 30. Die Morphologie der Prosobranchier. II. 399 Das Herz, an welchem der linke Vorhof in der Mitte durchschnitten ward. Querschnitt durch das Herz. AA Herzkammer; rr’ deren Klappen; rv rechter, !» linker Vorhof. Dasselbe etwas weiter vorn und so, dass der linke Vorhof nicht ge- troffen ward. Ak Herzkammer; rv rechter Vorhof. Querschnitt aus dem rechten Vorhofe, stärker vergrößert. pe Peri- cardepithel; m Muskelfasern; dgr Blutgerinnsel. Das Kiemenhöhlendach, am Rande abgetragen und von unten ge- sehen. mr Mantelrand; go Geruchsorgan; mk Muskel; kg Kiemen- ganglion; kv Kiemenvene; X Kieme; «a deren rechtes und 5 linkes Ende. Das ganze Thier von oben, nach Abtragung des Kiemenhöhlendaches. nm äußere Nierenmündung; n vorderer, n’ hinterer Nierenlappen; ed Enddarm; af After, m Öffnung des weiblichen Geschlechtsganges. Weiblicher Geschlechtsapparat. ov Ovarium ; a Sammelgang; 4 Uterus; e Vagina. Über die ursprüngliche Hauptschlagader der hinteren Gliedmafse des Menschen und der Säuge- thiere, nebst Bemerkungen über die Entwicklung der Endäste der Aorta abdominalis. Von Dr. Ferdinand Hochstetter. Mit Tafel XI und 9 Figuren im Text. Unter den Gefäßanomalien, die der Anatom ab und zu zu be- obachten Gelegenheit hat, fesseln wohl vor Allem jene seine Auf- merksamkeit in hervorragendem Maße, welche durch eine gewisse Übereinstimmung in ihrem Auftreten sich auszeichnen. Diese merk- würdige Übereinstimmung mit ähnlichen aus der Litteratur bekannt gewordenen Fällen zeigt auch eine Anomalie der Schlagadern der hinteren Gliedmaße, welche ich im verflossenen Winter im Präparir- saal des ersten anatomischen Instituts hierselbst an einer männlichen Leiche beiderseits zu beobachten Gelegenheit hatte und welche mir zu vorliegender kleinen Arbeit die Anregung bot. Es handelte sich um jene Abweichung von der Norm, welche KRAUSE in HENLE’s Handbuch der Anatomie unter den Varietäten der Arteria ischiadica anführt und die er in folgender Weise zu be- schreiben beginnt: »Wenn die A. eruralis sehr schwach ist, so ist die A. ischiadica ungewöhnlich stark, sie verläuft an der hinteren Seite des Oberschenkels hinter dem Nervus ischiadicus und wird zur A. poplitea ete.«c Es werden sechs derartige Fälle von ihm eitirt, und ich verweise diesbezüglich auf die Litteraturangaben Kravser’s, | da. so viel ich in Erfahrung bringen konnte, seither ähnliche Fälle nicht mehr zur Beobachtung kamen. SAPppEY (Traité d Anatomie Über d. ursprüngl. Hauptschlagader d. hint. Gliedmaße d. Menschen ete. 301 Th. I) erwähnt allerdings zwei derartige Fälle und versucht auch eine Erklärung derselben, doch sind dieselben nach Präparaten aus seinem eigenen und dem Muséum de l’amphitheätre de l’anatomie beschrieben, welche möglicherweise bereits früher beschrieben wur- den, worüber Sappey an der betreffenden Stelle keine Bemerkung macht. Die beiden von mir beobachteten Fälle gelangten leider, wie dies gerade bei seltenen Anomalien so häufig zu geschehen pflegt, bereits in einem recht elenden Zustande in meine Hände. Trotzdem gelang es noch, die Arterien und theilweise auch die Venen mit In- jektionsmasse zu füllen und so konnten die Verhältnisse in folgen- der Weise festgestellt werden!. Linkerseits theilt sich die A. iliaca communis an normaler Stelle in die A. iliaca interna und externa. Letztere ist bedeutend schwächer als gewöhnlich, giebt unter dem Poupart’schen Bande passirend die A. circumflexa ilium und A. epi- gastrica inferior ab und entsendet weiter als A. femoralis 4 em unterhalb desselben die A. profunda femoris, die jedoch bedeutend stärker erscheint als die Fortsetzung der A. femoralis selbst. Diese verläuft nach Abgabe der A. profunda als ein federkieldickes Gefäß bis an die Stelle, wo gewöhnlich die A. femoralis den Schlitz der Adductoren passirt, theilt sich hier in zwei Endäste, die an der inneren Seite des Oberschenkels bis ans Kniegelenk verlaufen und die der normalen A. anastomotica magna und A. musculo artieularis entsprechen. Es reicht also die A. femoralis nur bis ans Kniegelenk. Die äußerst kurze A. profunda femoris entspricht, wasihre Äste und deren Verlauf anlangt, völlig der Norm. Die Hauptschlagader der hinteren Ex- tremität wird gebildet von der Fortsetzung der A. iliaca interna, welche bedeutend mächtiger ist als die A. iliaca externa und dort das Becken verlässt, wo sonst die A. ischiadica (A. glutaea inferior) auszutreten pflegt, also am unteren Rande des Musculus pyriformis, nachdem sie innerhalb des Beckens ihre normalen Äste abgegeben hat, dabei ist das Verhalten zum Plexus sacralis derart, dass das Gefäß durch einen Spalt des ersten Sacralnerven passirt. Der nach dem Aus- tritt aus dem Becken an Kaliber einer normalen A. femoralis gleich- kommende Stamm verläuft nun an der Rückseite des Oberschenkels etwas vor und nach innen vom N. ischiadieus bis in die Kniekehle, wo er etwas oberflächlicher als gewöhnlich die A. poplitea und ! Die beiden Präparate wurden der hiesigen anatomischen Sammlung ein- verleibt. 302 Ferdinand Hochstetter medianwärts von der Vena poplitea gelegen ist. Während seines Verlaufes im Bereiche des Oberschenkels giebt er einige unbedeu- tende Muskelzweige ab, in der Kniekehle entspricht seine Ramifika- tion der einer normalen A. poplitea. Auch die Venen zeigen eine Abweichung von der Norm, indem die V. poplitea nieht den Ad- duetorenschlitz passirt, sondern vielmehr neben der A. perforans tertia den M. adductor magnus durchbohrt. Rechterseits besteht nur in so fern eine Verschiedenheit von den Verhiltnissen an der linken Gliedmaße, als die A. circumflexa femoris externa selbständig etwas unterhalb des Abganges der A. profunda femoris aus der A. femo- ralis hervorgeht und als die miichtige Fortsetzung der A. iliaca interna durch die Schlinge zwischen erstem und zweitem Sacral- nerven passirt, Außerdem besteht eine starke Verbindung der A. anastomotica magna mit der A. articularis genu superior interna, so zwar, dass eigentlich die A. artieularis genu sup. int. in die A. anastomotica magna einmündet, wodurch A. poplitea und A. femo- ralis in diesem Falle in Verbindung treten. j Die bekannten Fälle stimmen in der Hauptsache mit den beiden eben beschriebenen fast völlig überein, nur scheinen bezüglich des Verhaltens der abnormen Hauptschlagader der hinteren Gliedmaße zum Plexus sacralis Abweichungen vorzukommen, indem z. B. im Falle Dupreum (CAILLIARD), wie dies aus der Abbildung zu er- kennen ist, die Arterie am proximalen Rande des Plerus sacralis vorbei und nicht zwischen seinen Wurzelästen hindurch zieht. In den Fällen Green, Manec, Faccr, V. Etuis und Rue ist über das Verhalten zum Plexus sacralis nicht viel zu erfahren. In den Fällen GREEN und V. ErLis soll ferner die A. femoralis vollständig gefehlt haben und nur die A. profunda femoris an der vorderen Seite des Oberschenkels vorhanden gewesen sein. Hervorragendes Interesse verdient der von Rue beschriebene Fall, der zu den bestbeschriebe- nen gehört, wegen einiger Besonderheiten, die ihn auszeichnen, und welche darin bestehen, dass einmal die A. femoralis sich auch noch über das Kniegelenk hinaus an der Innenseite des Unterschenkels bis zum Malleolus internus hin fortsetzt, wo sie mit der A. malleo- laris anastomosirt und dass zweitens an der Stelle, wo sonst die A. femoralis den Adductorenschlitz passirt, ein 3 mm starkes Verbin- dungsgefäß von der A. femoralis ausgeht, den Adductor magnus dnrehbohrt und in die A. poplitea mündet. Die vorliegende Abweichung von der Norm ist nun in hohem Grade geeignet, das Interesse der Anatomen zu erregen. denn sie Über d. ursprüngl. Hauptschlagader d. hint. Gliedmaße d. Menschen etc. 303 zeigt Verhältnisse der Arterienversorgung der hinteren Extremität, wie sie bei den meisten Vögeln (auf eine Anzahl von Ausnahmen soll später zurückgekommen werden) und darauf wird fast von allen Beschreibern hingewiesen, sowie auch bei den Reptilien und Am- phibien die Norm bilden, denn in den genannten Wirbelthierklassen verläuft die Hauptarterie der hinteren Gliedmaße dorsal vom Hüft- gelenk und verlässt distal von demselben das Becken. Allerdings bezieht sich diese Übereinstimmung nur auf die Hauptarterie der hinteren GliedmaBe und mit Rücksicht auf die meisten Vögel auch auf das Vertheilungsgebiet der A. cruralis. Es lag nun nichts näher als daran zu denken, dass es sich bei den beschriebenen Abweichungen um ein Zurückbleiben des Arterien- systems der hinteren Gliedmaße auf einem niederen primitiven Zu- stand handle und dass sich das normale Verhalten der Arterien aus einem dem beschriebenen abnormalen gleichen oder ähnlichen, in der embryonalen Entwicklung des Menschen (und der Säuger) regelmäßig aber vorübergehend auftretenden Verhalten entwickle. Thatsächlich war dieser Gedanke, wie ich nachträglich erfuhr, bereits. von V. Eruıs ausgesprochen worden. V. ErLıs sagt näm- lich: »I am inclined to suppose that the present remarkable arran- gement may be due to the existence, in all cases at an early pe- riod in the formation of the foetus, of a temporary condition of the vessels resembling the permanent state in birds. — Our facts seem to point to the probable development of a vessel at the back of the thigh, with the sciatic nerve, at some stage of foetal life: for such a posterior vessel is constant in birds; it occurs also, rarely however, in man; and in the adult human body an artery always accompanies the nerve for a given distance. — With the existence of the sup- posed vessel, for a certain period in the growth of the embryo, the observed peculiarities might be explained; since if there is the com- mon distribution of the arteries of the limb, it may be supposed that the elongation of the posterior vessel is arrested, only the upper third remaining small and perious, as the sciatic artery of the adult, whilst the femoral artery, becomes of large size.«« — (Wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, war die Annahme V. Eruis’ zwar in der Hauptsache, nicht aber bezüglich verschiedener Einzelheiten richtig.) Dem entgegen äußerte FAGGE, dass die Seltenheit der Varietät dagegen spreche, dass es sich um das Persistiren eines fötalen Zu- 304 Ferdinand Hochstetter standes der Gefäße handle, und Hyrri'! erklärt die Anomalie, in-. dem er sagt, dass es sich einfach um eine stärkere Entwicklung der normalen A. comes N. ischiadici handle, und SarreyY? äußert sich in demselben Sinne. Die Annahme also, dass die beschriebene abnorme Anordnung der Schlagadern beim Embryo in einem gewissen Entwicklungsstadium gefunden werde und nur den Übergang zum definitiven Verhalten bilde, schien mir vor Allem wahrscheinlich wegen der früher er- wähnten Übereinstimmung mit den Verhältnissen bei den Vögeln und Reptilien. Aber auch noch ein zweiter Umstand sprach mir zu Gunsten dieser Annahme, nämlich die Kenntnis von dem Platz- greifen eines ähnlichen Wechsels in der Hauptvenenbahn der hinte- ren Gliedmaße bei Säugerembryonen, deren ursprüngliche Hauptvene mit dem N. ischiadieus verläuft und durch das Foramen ischiadieum das Becken betritt, um in die hinteren Cardinalvenen zu münden, worüber in einer folgenden Arbeit über die Entwicklung der Extre- mitätsvenen der Amnioten eingehend berichtet werden soll. — Ich begann nun eifrig nach Anhaltspunkten für die Richtigkeit meiner Annahme zu suchen, fand jedoch bald, dass von menschlichen Embryonen vom dritten Monate an nichts zu erwarten sei und wendete mich dem Studium meiner Schnittserien von Säugerembryonen zu, von denen ich-den gewünschten Aufschluss erhalten zu können glaubte. Und thatsächlich fand ich nach längerer Anstrengung zuerst bei drei Katzenembryonen von 12!/, mm größter Länge (zwei Querschnitt- und eine Sagittalschnittserie), bei denen bereits an der Femuranlage die knorpelige Struktur hervorzutreten begann. ein Verhalten der Arterien, welches dem der besprochenen Varietät in den Hauptpunkten -ähnlich war. Während nämlich die A. femoralis (Fig. 5 A.7.e) als ein höchst unbedeutendes, schwer verfolgbares Zweigchen aus der A. umbilicalis, und zwar in nächster Nähe der Aorta entsprang, um sich, eine kurze Strecke weit begleitet von einer ähnlich schwachen Vene, auf den Oberschenkel hin fortzusetzen und noch ein gutes Stück proximalwärts vom Kniegelenk zu endigen, entsprang dagegen ein zweites bedeutend stärkeres Gefäß von der konvexen Seite des distalwärts gerichteten Bogens der A. umbilicalis (Fig. 5 4.7), ver- ! Über normale und abnormale Verhältnisse der Schlagadern des Unter- schenkels. Denkschriften der k. Akad. der Wissenschaften. 1864. 2 Traité d’Anatomie descr. T, II. pag. 650. Über d. ursprüngl. Hauptschlagader d. hint. Gliedmaße d. Menschen ete. 305 ließ das Becken zwischen zweitem und drittem Saeralnerven, durch welche Schlinge auch dorsal von der Arterie die primitive Haupt- vene der Extremität in den Beckenraum eintrat, verlief dann eine kleine Strecke weit dorsal vom N. ischiadieus und gelangte endlich an der lateralen Seite dieses Nerven zwischen ihm und den Nerven der vom Tuber ossis ischii entspringenden Muskeln in den Zwischen- raum zwischen Femuranlage und Nervus ischiadieus (und in diesem Verhältnis zeigt das Querschnittsbild Fig. 1 die Arterie) bis in die Kniekehle, ohne, so weit dies mit einiger Sicherheit zu erkennen war, irgend welche größeren Zweige auf diesem Wege abzugeben. - — Von der Kniekehle aus ließ sich dann die Fortsetzung dieser Arterie zwischen Tibia und Fibula, die ebenfalls bereits die ersten Andeutungen einer Knorpelanlage zeigten, bis auf den Fußrücken verfolgen. — Im Bereiche des proximalen Endes der Unterschenkel- knochen konnte man einen stärkeren Zweig abgehend sehen, der jedoch nicht verfolgt werden konnte. Im Wesentlichen zeigten sich die Verhältnisse an Kaninchen- embryonen vom Ende des 13. Tages den geschilderten bei Katzen- embryonen ähnlich. — Leider hatte ich genügend wohlerhaltene (und eine ausgezeichnete Konservirung ist zur Feststellung solcher Details wohl unerlässlich), entsprechend junge menschliche Embryonen nicht zur Verfügung und konnte mich daher von dem Vorhandensein der A. ischiadica, denn so muss ja diese primitive Hauptschlagader der hinteren Gliedmaße in Übereinstimmung mit der Bezeichnung bei Vögeln benannt werden, in einer frühen Periode der Entwicklung des Menschen nicht überzeugen, doch kann Angesichts der That- sache, dass bei anderen Säugern eine solche Arterie zur Entwicklung kommt und dass beim Menschen auch im ausgebildeten Zustande noch manchmal abnormer Weise eine ähnliche Arterie vorkommt, kaum ein Zweifel darüber herrschen, dass auch beim Menschen eine der A. ischiadiea der niederen Wirbelthiere entsprechende Arterie als Hauptschlagader der hinteren Extremität sich bildet. Es stand nun nur noch die Frage zu beantworten, wie denn aus diesem primitiven Zustand der definitive hervorgehe, und die Beantwortung dieser Frage gelang mir indem ich Kaninchenem- bryonen vom Beginne des 14. Tages auf die Schlagadern ihrer hin- teren Gliedmaßen untersuchte. Dabei fand ich, dass die A. femoralis hier bereits an Stärke der A. ischiadica gleich kam und nun nicht mehr proximalwärts vom Kniegelenke endigte, sondern vielmehr an der Innenseite des Oberschenkelknorpels vorbei in die Kniekehle Morpholog. Jahrbuch. 16. 20 306 Ferdinand Hochstetter verfolgt werden konnte, wo sie in die A. ischiadica einmtindete. — Bei Kaninchenembryonen vom Ende des 14. und vom 15. Tage war die A. femoralis zu einem mächtigen Gefäß geworden, während die A. ischiadiea viel schwächer erschien und bereits am proximalen Ende des Oberschenkels endigte, womit ungefähr die definitiven Ver- hältnisse hergestellt erschienen. Es war also zu einer Verbindung zwischen A. eruralis und A. ischiadica gekommen, die Verbindung hatte sich rasch erweitert, so dass ein großer Theil des Blutes aus der ebenfalls erweiterten A. femoralis in die A. poplitea einströmen konnte, während der Zufluss aus der A. ischiadica immer mehr ab- nahm. Endlich führte der überwiegende Blutzufluss aus der A. femo- ralis in die A. poplitea zu einer Hemmung des Blutstromes in dem Oberschenkelstiick der A. ischiadica und schließlich zur Verödung dieses Gefäßabschnittes. Dass sich die definitiven Verhältnisse auch beim menschlichen Embryo in ähnlicher Weise herausbilden dürften ist wohl in hohem Grade wahrscheinlich. j In wie weit bei der Entwicklung der A. femoralis und der Riick- bildung der A. ischiadica mechanische, möglicherweise vom Hüft- gelenk und den dasselbe beherrschenden Muskeln ausgehende Ver- hältnisse maßgebend waren vermag ich nicht anzugeben, doch scheint es mir sehr wahrscheinlich, dass es Ursachen mechanischer Natur waren, die bei den Vorfahren der Säuger zu einem Wechsel des Hauptschlagaderstammes der hinteren Gliedmaße geführt haben. Im Falle Rus entspricht die Fortsetzung des Femoralisstammes jenem Gefäß, welches bei Säugern die direkte Fortsetzung der A. femoralis auf den Unterschenkel bildet und bietet daher dieser Fall auch noch in dieser Richtung primitive Verhältnisse dar. Za- GORSKI! beschreibt ein ähnliches abnormales Gefäß bei sonst nor- malen Arterienverhältnissen und GEGENBAUR bringt das Verschwinden dieses bei vielen Säugern vorhandenen Gefäßes beim Menschen mit der Entwicklung des aufrechten Ganges in Zusammenhang. Ob auch ausnahmsweise die A. ischiadiea ihrer ganzen Länge nach bis an die Zusammenmiindungsstelle mit der A. femoralis in der Kniekehle als relativ schwaches Gefäß erhalten bleiben könne, scheint mir zweifelhaft. Ein von HyrrL? mitgetheilter Fall, den er mit nachfolgenden Worten schildert, scheint dafür zu sprechen. HyRTL 1 Mem. de l’Acad. de Pétersbourg. 1809. T. I. pag. 386. Vgl. KRAUSE in HENLE’s Handbuch. : 2 Uber normale und abnormale Verhiiltnisse der Schlagadern des Unter- schenkels. Denkschriften der k. Akademie der Wissenschaften 1864. Br Über d. ursprüngl. Hauptschlagader d. hint. Gliedmaße d. Menschen ete. 307 sagt: »Sie (die A. comes nervi ischiadiei) war wie gewöhnlich ein Zweig der A. glutaea inferior ‘ischiadica), welche aber nicht inner- halb des Beckens aus der A. hypogastrica, sondern außerhalb des- selben auf dem Lgt. spinoso sacrum aus der A. pudenda communis entsprang. Die A. comes nervi ischiadiei hatte die Stärke einer Rabenfeder, verlief am äußeren Rande des Hüftnerven bis zur Thei- lungsstelle in die beiden N. poplitei herab, gab während ihres Laufes keinen Nebenast an nachbarliche Muskeln ab und theilte sich in der Kniekehle wie der N. ischiadicus in zwei Zweige. Der äußere schwächere folgte dem N. poplit. ext. bis zum Köpfchen des Wadenbeines herunter, von wo er nicht mehr weiter zu verfolgen war. Der innere ungleich stärkere kreuzte sich in der Kniekehle mit dem N. poplit. int., in welchem er einen nicht unbedeutenden Ramus nutriens zurückließ, krümmte sich hierauf in die Tiefe der Kniekehle hinab, um sich in die äußere Seite der A. poplitea un- mittelbar über dem Ursprung des R. gastroenemius externus einzu- senken. Diese A. gastroenemia bildet zugleich mit einem Zweige der dieht unter ihr entspringenden A. gastrocnemia interna eine Insel um den Stamm des N. popliteus herum.« Da jedoch weder die Ein- mündung des als abnorm entwickelte A. comes N. isch. angeführten Gefäßes, noch auch seine Lagebeziehung zu den Nerven dem Ober- schenkelabsehnitte der A. ischiadica vollkommen entspricht, lässt sich Hyrrtr's Fall nur mit einer gewissen Reserve den anderen Fällen von erhalten gebliebener A. ischiadica anreihen. Bemerken will ich noch, dass die A. comes nervi ischiadiei nicht aus dem Oberschenkelabschnitt der A. ischiadica hervorgegangen gedacht wer- den kann, was aus den innigen Beziehungen dieser unbedeutenden Arterie zum N. ischiadieus selbst und der Verbindung ihrer Fort- setzung mit Zweigen der A. perforantes hervorgeht, sondern ihr An- fangsstück ist vielmehr ein einfacher Seitenzweig der A. ischiadica von wechselndem Kaliber, dessen Fortsetzung eine Anastomosenkette (aus den A. perforantes) längs des N. ischiadieus ist. Als Rest der primitiven Hauptschlagader der hinteren Gliedmaße ist lediglich der Stamm der A. glutaea inferior oder wie sie allgemein richtiger ge- nannt werden sollte: A. ischiadica des Erwachsenen aufzufassen. Wenn man daher sicherlich nach den oben angeführten That- sachen die A. ischiadica auch bei den Säugern und dem Menschen als ursprüngliche Hauptschlagader der hinteren Gliedmaße bezeich- nen muss und wenn wegen ihres Verhaltens zum Hüftgelenk, dem Plexus sacralis und der primitiven Hauptvene der hinteren Glied- 20* 308 Ferdinand Hochstetter mabe es kaum einem Zweifel unterliegen kann, dass sie dem gleichen Gefäß bei den Vögeln, Reptilien und Amphibien entspreche, so wird noch festzustellen sein, ob auch die A. eruralis, wie wir sie bei den Vögeln vorfinden, dem Oberschenkel- und Beckenabschnitt der A. cruralis der Säuger entspreche. Ein Umstand spricht wohl sehr zu Gunsten dieser Annahme, nämlich die Art und Weise der Ver- breitung. dieses GefiiBes bei den meisten Vögeln im Vergleiche mit der Verbreitung der A. eruralis beim Embryo in einem bestimmten Stadium und unter den geschilderten abnormen Verhältnissen beim Menschen. Gegen diese Annahme aber spricht vor Allem das Ur- sprungsverhältnis der A. eruralis bei Vögeln, da dieses Gefäß beim Vogelembryo nicht aus der A. umbilicalis, sondern aus der Aorta ab- dominalis entspringt. Freilich besitzen ja viele Säuger, insbesondere die langschwän- zigen (obwohl dies auch bei kurzschwänzigen vorkommt) keine A. iliaca communis wie der Mensch und die A. iliaca externa und interna entstehen beim erwachsenen Thier zwar gewöhnlich ziemlich nahe neben einander, aber doch von einander getrennt aus dem End- abschnitte der Aorta abdominalis, oder es setzt sich, richtiger gesagt, die Aorta nach der Abgangsstelle der beiden A. iliacae externae in einen kurzen gemeinsamen Stamm (A. hypogastrico sacralis) fort, der die A. sacralis media und die beiden A. iliacae (einmal fand ich auch die beiden letzten A. lumbales bei Halmaturus Benetti und bei einem Hund von ihm abgehend) abgiebt. Und diese Ramifikations- weise des Endabschnittes der Aorta ähnelt dann in der That einiger- maßen den entsprechenden Verhältnissen bei den Vögeln, doch kann mit Rücksicht auf die Entwicklung der betreffenden Gefäßabschnitte mit ziemlicher Sicherheit ausgesagt werden, dass die A. iliaca ex- terna der Säuger, der Arterie gleichen Namens der Vögel nicht ent- spreche, was auch noch durch einen anderen Umstand unterstützt wird, auf den später eingegangen werden soll. Ich wählte zum Studium der Entwicklung der Endtheile der Aorta Querschnittserien durch Embryonen der Katze und des Schafes einer- und des Kaninchens, welches sich in Bezug auf A. iliaca in- terna und externa ähnlich verhält wie der Mensch, andererseits. Da- bei stieß ich zunächst bei Kaninchenembryonen vom 11. Tage auf einen höchst merkwürdigen Befund. Die Aorta theilte sich hier scheinbar in die beiden A. umbilieales, während ihre Fortsetzung caudalwärts von zwei höchst unbedeutenden Arterien gebildet wurde, durch deren Verschmelzung später die A. sacralis media entsteht. Über d. ursprüngl. Hauptschlagader d. hint. Gliedmaße d. Menschen ete. 309 An der Abgangsstelle dieser noch paarigen A. sacralis media (cau- dalis) war aus dem dorsalen Umfang der Aorta jederseits ein Gefäß hervorgehend zu sehen, welches in die Extremitätenanlage eintrat. Das Befremdende lag nun in dem Verhalten der A. umbilicales zum Worrr'schen Gang und zur Leibeshöhle. Diese beiden Arterien (Taf. XI Fig. 2 A.«) verliefen nämlich nicht, wie man dies nach ihrem späteren Verhalten hätte glauben können, dorsalwärts vom Wourr- schen Gang und in der Leibeswand, sondern vielmehr nach innen und ventralwärts vom Worrr'schen Gang zu beiden Seiten am End- darm vorbei an die ventrale Wand der Leibeshöhle, um hier an die Allantois heranzutreten. Dabei war das Verhalten zum blindsack- artigen hinteren Ende der Leibeshöhle (Fig. 2 C) ein derartiges, dass dasselbe jederseits lateralwärts von den A. umbilicales gelegen war. Es verlaufen demnach in diesem Stadium die beiden A. um- bilicales von der Aorta aus im dorsalen Darmgekröse, und weiter jederseits neben dem Enddarm (Kloakenabschnitt) vorbei an die Leibeswand. Ein etwas älterer Kaninchenembryo von 11 Tagen 2 Stunden ergab bereits einen wesentlich anderen Befund. Knapp vor ihrem Ende nämlich entsandte die Aorta mittels kurzen gemeinsamen Stammes (Taf. XI Fig. 3) ventralwärts ins dorsale Darmgekröse zwei Arterien, welche am Enddarm vorbei zur Leibeswand verliefen und offenbar die früher als A. umbilicales beschriebenen Gefäße sind. Unmittelbar hinter dem Abgang des gemeinsamen Stammes dieser beiden Arterien theilt sich die Aorta (scheinbar, da sie sich ja that- sächlich in die auch hier noch paarige A. sacralis media [caudalis] fortsetzt) in zwei mächtige Aste, die dorsalwärts vom Wourr’schen Gang zwischen ihm und der V. cardinalis posterior (Taf. XI Fig. 4) und weiter im unmittelbaren Anschluss an die laterale Begrenzung der Leibeshöhle in der Leibeswand ventralwärts verlaufen, wobei sie an die Extre- mitätenanlagen je einen größeren und einige kleinere Äste abgeben. Diese beiden, nun als Endzweige der Bauchaorta erscheinenden Ge- fäße sind bedeutend stärker als die früher als A. umbilicales be- schriebenen, und münden mit diesen (vgl. Taf. XI Fig. 4) zu beiden Seiten des Kloakenabschnittes vom Enddarm in der ventralen Leibes- wand zusammen, so dass WoLrr’scher Gang und hinteres blindsack- artiges Ende der Leibeshöhle in einer Arterieninsel stecken. Aus dem eben geschilderten Befunde kann leicht das definitive Verhalten der A. umbilicalis erklärt werden. Offenbar schwindet nämlich der mediale Schenkel der Arterieninsel vollständig, da man in späteren Stadien keine Spur desselben mehr nachzuweisen vermag, während aus dem . / 310 Ferdinand llochstetter lateralen Schenkel der in der seitlichen Leibeswand verlaufende Abschnitt der A. umbiliealis hervorgeht. Letzterer Abschnitt ist also eine sekundäre Bildung, die sich, wie ich glaube, von der für die Extremitätenanlage bestimmten Arterie aus entwickelt, die ursprüng- lich ein selbständiger Zweig der Aorta ist. Auch beim menschlichen Embryo ist nach zwei Querschnitts- bildern, die JANOSIK! giebt, der Verlauf der A. umbilicalis ur- sprünglich derselbe wie bei Kaninchenembryonen, daher dürfte auch beim Menschen der definitive Zustand durch eine ähnliche Insel- bildung wie beim Kaninchen hergestellt werden. So merkwürdig dieses Verhalten der A. umbilicalis im ersten Augenblick erscheint, so lässt sich dasselbe doch in der Weise be- friedigend erklären, dass die Allantois als ein aus dem Darmkanal entstandenes Organ zunächst seine Gefäße aus der Aorta auf dem gleichen Wege erhält wie der Darm selbst, nämlich durch das dor- sale Darmgekröse an den Seiten des Darmes vorbei, und dass diese (Gefäße später verschwinden, wenn der Allantois mit der fortschrei- tenden Entwicklung der Leibeswand und der hinteren Gliedmaßen auf anderem günstigerem Wege Blut zugeführt werden kann. Ähnlich wie beim Kaninchenembryo fand ich das ursprüngliche Verhalten der Umbilicalarterie auch bei Embryonen von Lacerta agilis, doch war ich hier nicht so glücklich, ein Übergangsstadium zum definitiven Verhalten zu finden. Beim Hühnchen suchte ich an den mir zur Verfügung stehenden Querschnittserien vergebens nach Zweigen der Aorta, welche zu beiden Seiten des Enddarmes an die Allantois herangetreten wären, doch zeigen die vorzüglichen Abbil- dungen Fig. 372 und 384 im Atlas D’Embryologie von MATHIAS DuvaL, dass auch beim Hühnchen ähnliche Gefäße aufgefunden werden können. | In der weiteren Folge der Entwicklung zeigte sich bei Kanin- chenembryonen vom Ende des 13. Tages in kurzer Entfernung vom Aortenstamm (die Entfernung entspricht der Breite der Venae cardi- nales posteriores, welche jederseits neben der Aorta hervorragen und dorsal von den A. umbilicales verlaufen) die A. iliaca externa (eru- ralis), aus der Seite der A. umbiliealis entspringend, während die bedeutend stärkere A. ischiadica aus der Konvexität des distalwärts gerichteten Bogens der A. umbilicalis hervortrat. Auf diese Weise ähnelt in diesem Stadium der Zustand der Endäste der Aorta bereits ! Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXX. Taf. XXXIV Fig. 8 und 9. Über d. ursprüngl. Hauptschlagader d. hint. GliedmaBe d. Menschen ete. 311 dem, wie wir ihn auch später vorfinden, nur mit dem Unterschied, dass die A. iliaca externa später bedeutend mächtiger erscheint, und sich die A. iliaca communis in die Länge streckt. Trotzdem aber Katze und Schaf zu jenen Säugethieren gehören, welche eine A. iliaca communis, wie früher schon erwähnt, nicht besitzen, zeigte es sich, dass ursprünglich die Verhältnisse mit denen beim Kanin- chen vollkommen übereinstimmen. Die A. iliaca externa entspringt bei dem Katzenembryo, dessen A. ischiadica früher beschrieben wurde, aus der Seite der A. umbilicalis in einiger, wenn auch ge- ringer Entfernung von der Theilungsstelle der Aorta (vgl. Taf. XI Fig. 5), so wie dies in untenstehender Fig. 1 schematisch dargestellt ist. Wie sich aus diesem Zustand das definitive Verhalten der Fig. 4 entwickelt, lässt sich aus der schematischen Fig. 2 (entsprechend einem Katzenembryo von 26 mm größter Länge) und Fig. 3 (ent- sprechend einem Katzenembryo von 45 mm größter Länge) ohne Weiteres entnehmen. Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. A.A. 4.4. gt Buchstaben-Erklirung fiir Figur 1—9. AA Aorta, Aji A. ischiadica, D.A dorsaler, der A.7.7 zugehöriger A.i.e A. iliaca externa, A.c A. caudalis, Ast, A.i.i A. iliaca interna, A.o A. obturatoria, A.cr A. cruralis, A.w A. umbilicalis, A,S segmentale Arterie, A.r A. renalis. Ähnlich wie bei Katzenembryonen fand ich die Verhältnisse bei Schafsembryonen. Bei einem 13 mm langen Embryo erfolgt die Ausmündung der A. iliaca externa (femoralis) aus der A. umbilicalis und zwar knapp neben und ventralwärts von der entsprechenden Vena cardinalis posterior. Bei einem 18 mm langen Embryo erfolgt die Ausmündung der A. iliaca externa bereits aus der Aorta selbst, und zwar an der Stelle. wo an der ventralen Seite der Aorta auf dem Querschnitt durch eine leichte Einziehung der Beginn der End- theilung angedeutet ist, und zwar beiderseits ventral von den beiden Cardinalvenen. Bei einem 20 mm langen Embryo erfolgt die Aus- 312 Ferdinand Hochstetter mündung der A. iliaca externa bereits etwas kopfwärts von der Thei- lungsstelle aus der Aorta. Offenbar sind es Wachsthumsvorgänge ziemlich verwickelter Art, die die geschilderte Verschiebung der Ausmündungsstelle der A. iliaca externa verursachen. Beim Menschen und Kaninchen, sowie allen anderen, eine A. iliaca communis besitzenden Säugethieren kommt es zu einer der- artigen Verschiebung des Ursprungs der A. iliaca externa nicht, sondern es wächst vielmehr die Anfangs ganz kurze A. iliaca com- munis in die Länge. Zwischenstadien zwischen den Befunden beim Kaninchen und der Katze findet man unter den Säugern allent- halben. Einen dem indifferenten Ausgangsstadium ähnlichen Zu- stand beschreibt Hyrru! bei Ornithorhynchus paradoxus und ein ähn- licher Zustand der A. iliaca interna und externa bleibt erhalten bei Dasyprocta Aguti?, ein weiter vorgeschrittenes Stadium zeigt Hali- choerus griseus* und Cervus tarandus? und endlich noch weiter differenzirt zeigen sich die Verhältnisse bei Meles taxus® ete. Die oben geschilderte Art und Weise der Entwicklung vermag aber auch viele Varietäten zu erklären, die im Bereiche der Endäste der Aorta vorkommen. So z. B. das einseitige Fehlen der A. iliaca communis beim Menschen (CRUVEILHIER, Anat. descr. III. pag. 186), wobei dann A. iliaca externa und interna getrennt aus der Aorta entspringen, sowie die häufige Kürze der A. iliaca communis beim Menschen. Dann jene seltenen Fälle von Asymmetrie der Endäste der Aorta bei Säugern, wie ich einen solchen bei der Katze zu fin- den Gelegenheit hatte und wie er in nebenstehender Fig. 5 abgebildet ist, wo einerseits eine A. iliaca communis wie beim Menschen existirt, während an- “Lie dererseits die A. iliaca externa und in- terna getrennt von einander aus der Aorta entspringen, wobei man sich denken muss, dass auf einer Seite die Wachsthumsvorgänge wie beim Kaninchen, auf der anderen dagegen wie sonst gewöhnlich bei der Katze sich abgespielt haben. Fig. 5. AA. A.u.(0) Ai. ! Das arterielle Gefäßsystem der Monotremen. Denkschrift. der k. Akad. der Wissenschaften. Wien 1853. 2 BARKOW, Comp. Morph. Bd. IV. Tab. XI Fig. 2. 3 Ebenda. Tab. 13. * Ebenda. Tab. 43 Fig. 3. 5 Ebenda. Tab. 44 Fig. 3. Über d. ursprüngl. Hauptschlagader d. hint. Gliedmaße d. Menschen ete. 313 Es geht also aus dem Gesagten hervor, dass ursprünglich bei den Embryonen auch solcher Säuger (Katze, Schaf), die später eine A. iliaca communis nicht besitzen, eine solche, allerdings sehr kurze, exi- stirt (vgl. Taf. XI Fig. 5), und dass demnach die A. iliaca externa (eru- ralis) der Säuger mit dem gleichnamigen Gefäß der Vögel bezüglich ihres Ursprungs nicht übereinstimmt. Diese Differenz wird jedoch noch deutlicher, wenn man die Abgangsverhältnisse der A. cruralis und der A. ischiadica bei Vögeln und bei Embryonen des Hühnchens genauer betrachtet, es ist dann nicht schwer zu erkennen, dass beide Arterien ihrem Ursprunge nach segmentalen Arterien entsprechen und dass zwischen dem Abgange der beiden Arterien die Abgangs- stellen einer bei verschiedenen Formen verschiedene Anzahl (beim Hühnchen zwei, beim Nusshäher [Garrulus glandarius L.|, Ziegen- melker |Caprimulgus europaeus] und einem grauköpfigen Amazonen- papagei zwei und bei einem großen Miiller-Amazonenpapagei eine) segmentaler Arterien eingeschoben erscheinen. Besonders deutlich tritt die segmentale Natur an der A. cruralis dann hervor, wenn wie bei einem von mir untersuchten Schreiadler (Aquila naevia [Briss. |) die Arterien der beiden Seiten abnormer- weise nicht aus den Arterien desselben Segmentes, sondern aus denen auf einander folgender Segmente hervorgegangen sind (vgl. Fig. 6). Man muss also annehmen, dass bei den Vögeln die Arterien zweier näher oder entfernter aus einander liegender Segmente auf die Anlage der hinteren Ex- tremität übergegriffen haben und dieselbe mit Blut versorgen, während die Arterien der dazwischen liegenden Segmente in ihrer normalen Entwicklung nicht weiter gestört zu werden brauchten. Diese Annahme, dass ursprünglich zwei, verschiedenen Segmenten entsprechende Ar- nenemsticche nese terien auf die Anlage der hinteren Glied- bei einem Schreiadler aus dem mabe übergegriffen haben, dürfte auch für ENT u Sin SR a gehenden rterien. Jene Vögel Geltung besitzen, bei denen im ausgebildeten Zustand nur eine große Arterie gefunden wird, welche die hintere Gliedmaße mit Blut versorgt. Nach Garrop! soll bei sämmtlichen Pipridae und Cotingidae 1 Proc. zool. Soc. 1873. pag. 457. Proc. zool. Soc. 1876 pag. 516, und 314 Ferdinand Hochstetter (ausgenommen Rupicola erocea), dann bei Centropus phasianus, nach ForBES (l. ec.) bei Corythaix persa, porphyreolopha, erythrolopha und Musophaga violacea und nach Warson! endlich bei sämmtlichen Impennes die A. ischiadica fehlen und an ihrer Stelle die A. eru- ralis die ganze Extremität mit Blut versorgen. Ein Zufall spielte mir zwei frische Exemplare von Spheniseus demersus in die Hände, an denen ich die Arterien injieiren und sorgfältig untersuchen konnte, dabei war es mir möglich, die Richtigkeit der Angaben Warson’s zu bestätigen, nur konnte ich feststellen, dass die A. ischiadica bei den beiden untersuchten Exemplaren nicht vollständig fehlt, sondern einen allerdings sehr unbedeutenden selbständigen Ast der Aorta sacralis darstellt, der jederseits eine kleine Nierenarterie abgiebt und aus dessen Wand ein dünner bindegewebiger Strang hervorgeht, der seinem Verlaufe nach in Übereinstimmung mit den Verhältnissen bei anderen Vögeln als Rest der obliterirten Nabelarterie aufzufassen ist. Die kleine Arterie verlässt dann mit dem N. ischiadieus, den sie mit Zweigchen versieht, das Becken und vertheilt sich in der unmittelbaren Umgebung des Foramen ischiadieum in den Muskeln. Segmentale Arterien zwischen A. eruralis und A. ischiadiea waren nicht vorhanden, dagegen sandte die A. cruralis beiderseits nahe ihrem Ursprung einen Zweig nach rückwärts, der in das zwischen A. ischiadica und A. cruralis gelegene Kreuzbeinloch eintrat (vgl. Fig. 7) und, wie ich glaube, die fehlende Arterie des entsprechenden Kreuz- beinsegmentes vertritt. Was bei den beiden untersuchten Objekten beson- ders auffiel war die Unregelmäßig- keit der sonst bei den anderen von mir untersuchten Vögeln so regelmäßig Aw) angeordneten A. sacrales und lum- Ramifikation des Beckenabschnittes der Aorta bales, deren Anordnung weder bei Done ans “="* den beiden Exemplaren, noch auch zwischen den Zweigen der rechten und linken Seite eines Exemplares übereinstimmte. Dabei zeigte das eine Exemplar die durch nebenstehende Fig. 7 gekennzeichnete Pig, 7. FORBES, » Collected papers«, »on the late Prof. GARROD’s contributions to bird anatomy ete « 1 Reports on the Spheniscidae. pag. 150—152 (Voyage of H. M. S. Challenger). Über d. ursprüngl. Hauptschlagader d. hint. Gliedmaße d. Menschen ete. 315 Varietät der A. cruralis, die links mit zwei sich bald vereinigenden, gesondert aus der Aorta hervorgehenden Wurzeln entsprang. Gegen- über der stärkeren proximalen Wurzel fand sich eine normal ent- wickelte A. lumbalis, während gegenüber der schwächer entwickel- ten distalen Wurzel die einfache A. cruralis der anderen Seite entsprang. Die beiden Wurzeln der A. eruralis sind in diesem Falle jedenfalls aus zwei auf einander folgenden segmentalen Arterien ent- standen. Im ersten Augenblicke wäre man wohl sehr geneigt, die Ver- hältnisse bei oben genannten Vögeln als denen bei Säugern mit aus der Aorta getrennt entstehenden Aa. iliacis externis und internis ähnliche zu bezeichnen, wenn nicht Alles dafür sprechen würde, dass auch bei den Pinguinen ete. die nahezu ganz rückgebildete A. ischiadica aus einer selbständigen segmentalen Arterie entstanden ist. Wahrscheinlich war auch bei diesen Vögeln wie bei allen übrigen, die zeitlebens eine A. ischiadica als Hauptarterie der hinteren Glied- mae besitzen, die A. ischiadica die ursprüngliche Hauptschlagader der hinteren Gliedmaße, trat jedoch während der Entwicklung mit einem sich rasch erweiternden Zweige der A. cruralis in Verbindung, welcher Zweig dann dem peripheren Gebiete der A. ischiadica so viel Blut zuführte, dass das proximale Oberschenkelstück dieser Ar- terie überflüssig wurde und obliterirte. [Das was Warson (I. e.) als A. ischiadica der Pinguine beschreibt, dürfte dem ursprünglichen Verbindungsast der A. femoralis mit der A. ischiadica plus deren distalem Abschnitte entsprechen, während der proximale Abschnitt bis ans Foramen ischiadieum heran zu Grunde gegangen ist.) — Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht auch der Umstand, dass Warson (l. e.) bei Spheniscus mendieulus neben der A. cruralis als Hauptarterie der hinteren Gliedmaße, die A. ischiadiea als kleine, den N. ischiadieus begleitende Arterie vorgefunden hat. Auch bei den meisten Reptilien greifen zwei segmentale Arterien auf die hintere Gliedmaße über und entsprechen dieselben z. B. bei Varanus niloticus und Psammosaurus: griseus! den Arterien zweier auf einander folgender Segmente, nur bei Chamaeleo vulgaris findet man eine einzige die hintere Gliedmaße versorgende Arterie, die jedenfalls auch aus einer segmentalen Arterie hervorgeht, da sie in der Reihe der segmentalen Arterien aus der Aorta entspringt. Diese 1 Vgl. Corti, De systemate vasorum Psammosauri grisei. Vindobonae 1847. 316 Ferdinand Hochstetter A. iliaca communis theilt sich dann ähnlich wie beim Kaninchen in eine A. iliaca externa und interna. — Wenn der segmentale Ursprung der Arterien der hinteren Extre- mität bei Vögeln und Reptilien ziemlich deutlich und klar hervortritt, so ist derselbe bei der Arterie der hinteren Gliedmaße auch jener Säu- ger, die eine A. iliaca communis besitzen, durchaus nicht so einleuch- tend. Vor Allem verläuft die A. iliaca communis ventral von den hinte- ren Cardinalvenen und unterscheidet sich dadurch von allen segmentalen Arterien, die dorsal von diesen Gefäßen verlaufend gefunden werden. Doch stimmt in dieser Beziehung die A. iliaca communis der Säuger mit der A. ischiadica der Vögel überein. Während aber selbst bei den jüngsten Kaninchenembryonen, die ich diesbezüglich untersuchte, das Lageverhältnis der Arterie zu den hinteren Cardinalvenen ein gleiches war, fand ich bei Hühnerembryonen, was mir früher bei der Untersuchung der Entwicklung des Venensystems, da ich auf das Verhalten der Venen zu den Arterien nicht genügend geachtet hatte, entgangen war, dass übereinstimmend mit den Verhältnissen bei Repti- lien die hinteren Cardinalvenen ursprünglich ventral von den A. iliacae internae verlaufen, während sie in späteren Stadien dorsal von den A. iliacae internae, wie bei den meisten Säugern, verlaufend gefunden werden, eine Verlaufsänderung, die durch Inselbildung in der Vene hergestellt wird und auf die ich an anderem Orte eingehender zurück- kommen werde. Es mag also dieser Differenz in der Lagebeziehung der A. iliaca communis (resp. externa und interna) und V. cardinalis posterior bei Säugern und der A. ischiadica und V. cardinalis posterior bei Vögeln und Reptilien rücksichtlich der Beurtheilung der Natur dieser Arterien kein allzu großer Werth beigelegt werden und ich neige mich der Ansicht zu, dass auch die A. iliaca communis der Säuger segmen- talen Ursprungs ist. Dass derselbe später nicht mehr deutlich zu Tage tritt, mag vor Allem seinen Grund in der durch die Abgabe der A. umbilicalis bedingten enormen Entwicklung und Verschiebung der A. iliaca communis haben. Diese frühzeitig auftretende, durch die Abgabe der A. umbilicalis bedingte mächtige Entfaltung der A. ilica communis mag auch den Grund dafür abgeben, dass der Grenz- strang des Sympathieus nicht ventral von diesem Gefäß, sondern dorsal von ihm sich entwickelt. Und dies gilt auch für die A. ischiadica der Vögel!, die ventral vom Grenzstrang verläuft, während ! Hiervon macht auch Spheniscus demersus keine Ausnahme. Über d. ursprüngl. Hauptschlagader d. hint. Gliedmaße d. Menschen ete. 317 die A. eruralis der Vögel, die viel später eine größere Mächtigkeit erreicht, sich zum Grenzstrang so verhält wie alle übrigen segmenta- len Arterien !. Aber auch dadurch wird der segmentale Ursprung der A. iliaca communis noch undeutlicher, dass die ursprüngliche Zusammen- gehörigkeit der den A. iliacis zugehörigen dorsalen Äste (beim Men- schen höchst wahrscheinlich A. lumbalis quarta) in Folge von Wachs- thumsverschiebungen fast völlig unkenntlich wird. Die Zugehörigkeit der letzten vom Aortenstamme abgehenden A. lumbalis zur A. iliaca communis tritt ursprünglich auch bei der Katze (Embryo von 121/, mm) sehr deutlich hervor, ist aber später (schon bei einem Embryo von 45 mm) nicht mehr zu erkennen, was aus nebenstehenden Figuren 8 und 9 hervorgeht. Die A. iliaca externa ist ursprünglich bei Säugern wie bei Cha- maeleo, dem Frosch und Salamandra nur ein Zweig der A. iliaca communis und unterscheidet sich dadurch wesentlich von der A. eru- ralis (iliaca externa) der Vögel und vieler Reptilien, welch letztere aus einer selbständigen segmentalen Arterie hervorgegangen ist. Demnach greift bei den Säugethieren nur eine segmentale Arterie auf die Anlage der hinteren Gliedmaße über und dies ist auch dort der Fall, wo später die A. iliaca externa in ihrem Ursprung aus der 1 Natürlich verläuft bei Säiugern mit getrennt aus der Aorta entspringen- den Aa. il. internae und externae, z. B. bei der Katze, der Grenzstrang dorsal von beiden. 2 Sagittaldurehschnitt neben der Mittelebene in der Abgangslinie der Lum- balarterien. 3 Medianer Sagittaldurchschnitt, die Abgangsstellen zweier Lumbalarterien und der A. iliaca interna und externa sind eingezeichnet. 318 F. Hochstetter, Über d. ursprüngl. Hauptschlagader d. hint. Gliedmaße ete. Aorta eine gewisse Selbständigkeit besitzt. Mit der mächtigen Ent- faltung der hinteren Gliedmabe geht eine mächtige Entwicklung ihrer Arterie und deren Äste Hand in Hand, ihre Zweige greifen auch auf die caudalwärts von der Abgangsstelle der A. iliaca ge- legenen Verzweigungsgebiete segmentaler Arterien über, indem sie sich: mit denselben verbinden, was zu einer Reduktion oder einem völligen Schwund der Anfangsstücke der letzteren führen kann. So scheinen mir die A. sacrales laterales des Menschen nur ein Resultat dieses Vorganges zu sein, indem sie ein Gebiet versorgen, welches ursprünglich den segmentalen Zweigen der A. sacralis media an- gehörte. Der Meinung Maxkay’s! von der Entstehung der A. iliaca durch Verschmelzung mehrerer segmentaler Leibeswand- und Eingeweide- arterien vermag ich mich eben so wenig anzuschließen wie seiner Deu- tung der Beckenäste dieses Gefäßes. Erklärung der Abbildungen. Tafel XI. Buchstabenerklärung: A.A Aorta, Nia N. ischiadicus, A.t A. ischiadica, N.o N. obturatorius, A.ie A. iliaca externa, Al Allantois, A.u A. umbiliealis (e äußerer, Zinnerer C Leibeshöhle, Schenkel), Cl Kloakenabschnitt des Darmes, V.c.p V. cardinalis posterior, ED Enddarm, Vi V. ischiadica, F Anlage des Femur, N.e N. eruralis, W.g WoLrr'scher Gang. Fig. 1. Querschnitt durch den rechten Oberschenkel eines Katzenembryo von 12'/, mm Länge. Fig. 2. Querschnitt durch das hintere Körperende eines Kaninchenembryo von 11 Tagen. Fig. 3. Querschnitt durch das hintere Körperende eines Kaninchenembryo von 11 Tagen und 2 Stunden. Fig. 4. Querschnitt durch denselben Embryo, etwas weiter hinten. Fig. 5. Querschnitt durch einen Katzenembryo von 12!/; mm Länge in der Gegend der Theilungsstelle der Aorta, zeigt die Abgangsverhältnisse der A. iliaca externa und A. ischiadica. ! On arterial System of Vertebrates. Memoirs and Memoranda in Ana- tomy. Vol. I. pag. 118. 4) eee se ey ae 5) Ue Lae, Be) . ar ie +9 ee SO Mee Ci Li HA N RR oe ar. I = u uF = Pa ; 4 3 - er) 4 ‘ 1, | | EX: \ A eee i \ \ 8 MG. ® \ N nn 2 ; + Verlag v.Wilh.Engelmann in Leipzig ae) seg hh eae Beiträge zur Kenntnis der Oreodontidae. Von W. B. Scott, Professor der Paläontologie zu Princeton, U. S. A. Mit Tafel XII—XVI und 10 Figuren im Texte. Obgleich diese sehr eigenthümliche, völlig auf Nordamerika be- schränkte Paarhufergruppe schon seit vielen Jahren bekannt ist, sind doch unsere Kenntnisse derselben sehr mangelhaft geblieben. In Ansehung des jetzt reichlich vorhandenen Materials haben sich die von den meisten Morphologen ausgesprochenen Vermuthungen über die Verwandtschaften der Oreodontiden als irrig erwiesen, und in Folge dessen scheint es mir angezeigt, nicht nur diese Verwandt- schaften zu besprechen, sondern auch den Skeletbau dieser Thiere so ausführlich zu beschreiben, dass man sichere Schlüsse daraus ziehen kann. Die Möglichkeit dieser Untersuchung verdanke ich srößtentheils der Freundlichkeit der Herren Professoren Cope und Acassiz, die mir werthvolles Material mit der größten Freigebigkeit zur Verfügung gestellt haben. Schließlich möchte ich an dieser Stelle meinem Kollegen, Herrn Professor Huss, für seine bereit- willige Hilfe bei dieser Arbeit in sprachlicher Beziehung meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Der Klarheit wegen wird es wohl nöthig sein, zuerst eine Über- sicht der amerikanischen Tertiärablagerungen zu geben, ehe wir uns der Besprechung der Fossilien zuwenden. Diese Abtheilungen be- ziehen sich auf die Süßwasserablagerungen des westlichen Theiles der Vereinigten Staaten, und in folgender Tabelle werden nur die 320 W. B. Scott Eoeän- und Miocänperioden berücksichtigt, da die Familie im Pliociin nicht vertreten ist. Loup Fork | Merychyus, Merycochoerus. Deep River! | Merychyus, Merycochoerus, Leptauchenia, Cyelo- 2 idius, Pithecistes. Miocän p 4 > ‘ : John Day Merycochoerus, Eporeodon, Agriochoerus, Colo- | reodon. White River? | Oreodon, Agriochoerus. | | Uinta | Protoreodon. aa Bridger | ? Helohyus. Eoeän > 108 y Wasatch ? Puerco ? Die Familie lässt sich in folgender Weise eintheilen: I. Obere Molaren mit fünf Halbmonden . Protoreodontinae. II. Obere Molaren mit vier Halbmonden. . 1. Augenhöhle geschlossen, eine Thränengrube, Zahnreihe geschlossen, sämmtliche Prämolaren einfacher als die Molaren; Außenwand der oberen Molaren abgeflacht. Oreodontinae. 2. Augenhöhle offen, keine Thränengrube, Diastemata, Außenwand der oberen Molaren konkav und stark nach innen überhängend; Prämolar 1 den Molaren ähnlich jun issaan 88 W. B. Scott und Wiederkäuer sind. Dieses gilt aber auch für fast sämmtliche Gruppen der primitiven Selenodonten und klärt folglich die Ver- wandtschaften der Oreodontiden nur wenig auf. Unter den recenten Paarhufern hat Cope die Traguliden für die mit den Oreodontiden am nächsten verwandte Gruppe erklärt. Es giebt allerdings eine Anzahl Merkmale, die für ein solches Verhältnis zu sprechen scheinen. Wenn wir die typische und centrale Gattung Oreodon zur Vergleichung wählen, so kommen folgende Uberein- stimmungen zum Vorscheine. 1) Der Molarenbau ist nicht unähn- lich, obgleich die charakteristischen, von ScHLossEr erwähnten Leisten der Unterkiefermolaren bei Oreodon fehlen; 2) die Schädelachse ist gerade gestreckt; 3) die Parietalzone ist sehr lang, während die Frontalzone auf Überdachung von Augen- und Riechhöhle beschränkt ist; 4) die Halswirbel (die Axis ausgenommen) sind sehr ähnlich, eben so wie die vorderen Brustwirbel, das Brustbein und die Rippen: 5) das Hamatum greift tief in den Carpus hinein und das Magnum ist fast gänzlich unterhalb das Scaphoideum gerückt. — Mit Aus- nahme des letzten Merkmales sind alle diese Übereinstimmungen von sehr geringem Werthe. Die Traguliden sind bekanntlich eine sehr primitive Gruppe, es wäre also zu erwarten, dass sie gewisse Ähn- lichkeit mit den älteren Selenodonten zeigen sollten, aber gerade die- selben Ähnlichkeiten bestehen zwischen den Traguliden und vielen anderen Gruppen, wie z. B. den Hyopotamiden. Diese Überein- stimmungen beweisen also nur, dass die Traguliden viele den ver- schiedenen Gruppen der älteren Selenodonten gemeinsame Merkmale beibehalten haben. Der Verschiebung des Magnum kann ich keinen sehr großen Werth beilegen, da ein ähnlicher Vorgang auch bei ge- trennten Familien der Perissodactylen zu finden ist. Trotz dieser Ähnlichkeit ist der Handbau der Oreodontidae im Ganzen sehr verschieden von dem der Traguliden, während von einer Überein- stimmung im Fußbaue gar keine Rede sein kann. Die Traguliden von den Oreodontiden direkt abzuleiten, ist offenbar unmöglich und ich sehe überhaupt keinen Grund, auf eine nähere Verwandtschaft zwischen den beiden Gruppen zu schließen. Wie schon früher erwähnt, hat Cope Protoreodon in die Xipho- donten eingereiht und leitet die Oreodontiden von dieser Familie ab, was mir aber ganz unhaltbar zu sein scheint. Die fünftuberkulären Oberkiefermolaren sind fast allen älteren Artiodactylen gemeinsam und in Folge dessen haben dieselben keinen besonderen Werth als Familienmerkmal. Die Prämolaren von Protoreodon zeigen keine Beiträge zur Kenntnis der Oreodontidae. 389 auch nur entfernte Ähnlichkeit mit den eigenthümlich verlängerten Klingen der Xiphodonten. Der Fußbau der Xiphodonten hat den allerhöchsten Grad der Reduktion erreicht und zeigt, dass diese Familie sehr hoch differenzirt war, während Protoreodon eine gänz- lich unreducirte Hand und einen fast unreducirten Fuß hat und über- haupt eines der primitivsten bekannten Selenodonten ist. Dass diese Gattung die Stammform der echten Oreodons darstellt, kann keinem Zweifel unterliegen. Die von Marsu angeführte Ansicht, dass Oreodon durch Agrio- choerus von Hyopotamus abstammt, ist offenbar unzulässig und bedarf also keiner näheren Besprechung; dass aber die Oreodontiden mit den im Eocän vorkommenden angeblichen Hyopotamiden nahe verwandt sind, ist, wie wir später sehen werden, ganz wahrscheinlich. Die von RÜTIMEYER und SCHLOSSER aufgestellte Vermuthung, dass die Oreodontiden und die Tylopoden von einer gemeinsamen Urform abstammen, liegt schon aus geographischen Gründen nahe; aber von dem morphologischen Standpunkte aus betrachtet, hat diese Ansicht nur wenig für sich. Nach Rivmeyer (Nr. 16, pag. 19—21) sind die Hauptmerkmale des Camelidenschädels folgende: 1) die An- wesenheit von oberen Eckzähnen und der Anschluss der Backzahn- reihe an das Intermaxillargebiss; 2) rasche Zuspitzung des Gesichtes nach vorn; 3) vollständige, nur durch kleine Foramina incisiva ge- schwächte Zwischenkiefer; 4) die Maxillarpartie des Schädels ist eigenthümlich eingeschränkt und größtentheils als Riechrohr ver- wendet; 5) das Joch- und Thränenbein nehmen an dem Gesichts- schädel fast keinen Antheil; 6) die vordere Öffnung des Supramaxillar- kanals liegt weit nach hinten über dem vordersten Prämolaren; 7) eine Massetercrista fehlt und die Masseterfläche ist fast unter- drückt; 8) das Nasenrohr ist hoch und von einem kurzen Nasenbein überdacht; 9) das Choanenrohr ist sehr hoch und die Pterygoidflügel fast vertikal gestellt. 10) »An dem Cranialtheil des Schädels ist be- zeichnend die geringe Ausdehnung der Frontalzone im Gegensatz zu der parietalen, an welch letzterer sich übrigens die Schläfenbeine durch sehr höhe Schuppen betheiligen, sowie das sehr starke Vor- treten der Augenhöhlen nach auswärts (wobei nichtsdestoweniger beim Kamel, weniger beim Lama, die äußeren Öffnungen des Supraorbi- talkanals fast median liegen, wie bei Oreodon). Eine weitere Folge dieser Verhältnisse ist die Verschiebung der Augenhöhlen in den Bereich des Gesichtsschädels über die Backzahnalveolen und die wenigstens beim Kamel außerordentliche Weite der Schläfen- 390 W. B. Scott grube.« 11) Das Hinterhauptsbein ragt nur mit dem Schuppentheil auf die Schädeloberfläche und ist beim Kamel in eine mächtige Crista aufgehoben; die Processus exoceipitales sind äußerst klein; 12) die Paukenknochen sind beim Lama blasig aufgetrieben, beim Kamel sehr komprimirt (und bei allen beiden ist die Bulla, wie bei den Traguliden und Schweinen, mit spongiösem Knochengewebe an- gefüllt; 13) die Glenoidgrube ist von sehr geringer Ausdehnung, aber mit hoher hinterer Lehne, wie beim Pferde: 14) der Unterkiefer- condylus ist knopfförmig, statt in die Quere ausgedehnt; 15) der Kronenfortsatz ist gerade und zugespitzt, statt gekrümmt. Unter diesen Merkmalen finden sich manche bei den Oreodon- tiden wieder, wie z. B. No. 1, 3, 10 und bei Leptauchenia (wahrscheinlich auch Cyelopidius und Pitheeistes) kommen noch 13 und 14 dazu. Für unseren Zweck wird man dem Vor- handensein von oberen Incisiven und Caninen und starken Zwischen- kiefern keine Bedeutung beimessen können. Es bleibt also nur- übrig (d. h. wenn wir die Familie im Ganzen und nicht die besonderen Eigenthümlichkeiten von Leptauchenia und den derselben nahe stehenden Gattungen betrachten) der Bau der Hirnkapsel. Hier ist die Übereinstimmung allerdings eine genaue; dasselbe gilt aber auch nicht nur für die Oreodontiden, sondern auch für fast alle primitive Hufthiere. Wie wir schon gesehen haben, besteht eben eine solche Ähnlichkeit im Baue des Hirnschädels zwischen Oreodon und den Traguliden, und wenn man solche Formen, wie Palaeotherium, Anoplotherium, Hyopotamus und Palaeochoerus mit in Betracht zieht, so findet man gerade dieselben Verhältnisse wieder. Das bedeutet also, dass diese Beschaffenheit des Hirnschädels sämmt- lichen Urformen der verschiedenen Gruppen der Hufthiere gemein- sam war, obgleich danach zu schließen ist, dass diese Überein- stimmung den gemeinsamen Ursprung der Hufthiere andeutet, so leuchtet es jedoch ein, dass dieselbe die Frage einer etwaigen Ver- wandtschaft zwischen den Oreodontiden und den Tylopoden gar nicht entscheiden kann. In diesen Beziehungen nähert sich Oreodon eben so viel den primitiven echten Wiederkäuern (z. B. Amphi- tragulus, Palaeomeryx) wie den Tylopoden. Wie steht es aber mit dem knopfförmigen, bei Leptauchenia vorkommenden Gelenkköpfehen des Unterkiefers? Hier könnte man vielleicht auf den ersten Blick glauben, dass ein wichtiges Merkmal zu finden wäre; die Thatsache aber, dass dieses Merkmal gerade bei den abweichendsten und am meisten specialisirten Gattungen der Beiträge zur Kenntnis der Oreodontidae. 391 ganzen Familie vorkommt, beweist, dass dasselbe als analog aufzu- fassen ist. Die übrigen von RÜTIMEYER angeführten Schädelmerkmale der Camelina stimmen gar nicht mit dem bei den Oreodontiden vor- kommenden Befunde überein, und manche dieser Abweichungen, wie z. B. die Beschaffenheit der Paukenknochen, sind von großer Trag- weite. Die vermeintlichen Ähnlichkeiten zwischen den Oreodontiden und Tylopoden beschränken sich gänzlich auf den Schädelbau, denn wenn man die Wirbel, insbesondere die Halswirbel und die Glied- maßen vergleicht, so kommt keine Übereinstimmung zum Vor- scheine, außer den bei sämmtlichen Paarhufergruppen vorkommenden Merkmalen. Ferner ist noch zu bemerken, dass auch die früheren Vertreter der Tylopoden den Oreodontiden kaum näher stehen als die heutigen. Worin die von SCHLOSSER behaupteten Anklänge des Poebrotherium-Gebisses an das von Oreodon bestehen, weiß ich nicht; meiner Ansicht nach sind die niedrigen, kurzen, breiten und mit flachen Thälern versehenen Molaren des Oreodon von den komprimirten halbprismatischen Molaren des Poebrotherium sehr verschieden. In Bezug auf Gebiss stehen Merychyus, Leptau- chenia und Cyclopidius näher; diese Genera sind aber die letzten der Familie, sie sind schon am Endziele ihrer Entwicklung ange- langt und sterben bald aus. Leptotragulus aus der Uintaformation, das älteste bekannte Mitglied der Tylopoden, ist von seinem Zeit- genossen Protoreodon gründlich verschieden. Ich kann also nicht zugeben, dass die Oreodontiden den Tylopoden im Gegensatz zu den übrigen Selenodonten besonders nahe stehen; die angeblichen Über- einstimmungen scheinen mir im Gegentheil nur darauf zu beruhen, dass die Tylopoden noch ziemlich viele primitive Merkmale im Schädelbaue beibehalten haben, die aber nicht nur bei den Oreodon- tiden, sondern auch bei fast allen primitiven Selenodonten, sogar bei den Unpaarhufern, wieder vorkommen. In dem mittleren und oberen Eocän von Europa und Nordamerika kommt die sehr reichlich vertretene Gruppe der Buno-Selenodonten vor, die leider aber hauptsächlich nur dem Gebisse nach bekannt ist. Bei diesen Thieren sind obere Ineisiven und Caninen vorhanden; die Prämolaren stellen einfache Schneiden dar; die Oberkiefermolaren bestehen aus fünf (vielleicht manchmal sechs, wie z. B. bei Homa- codon) Höckern, die aber stark komprimirt sind und schon die Nei- gung zur Bildung von Halbmonden mehr oder weniger deutlich auf- weisen. Die Füße, so weit bekannt, sind kurz und entweder gar 392 W. B. Scott nicht oder nur wenig reducirt, und zwar inadaptiv. Höchst wahr- scheinlich stammen siimmtliche Abtheilungen der Selenodonten von dieser Gruppe ab, obgleich wir noch weit davon entfernt sind, die Vorfahren der verschiedenen Familien bestimmen zu können. Diesen Buno-Selenodonten steht Protoreodon sehr nahe und unterscheidet sich wesentlich von den typischen Vertretern derselben nur dadurch, dass die Halbmonde der Molaren definitiv gebildet sind und die unteren Caninen funktionell zu Incisiven und die vordersten unteren Prämolaren (Prämolar 4) zu Caninen geworden sind. Die Ubereinstimmungen zwischen den Oreodontiden und den Hyopotamiden einerseits und den Anoplotherien andererseits sind schon vielfach berücksichtigt worden und deuten, wie ich glaube, auf wirkliche Verwandtschaften hin. Die Oreodontiden stellen also einen eigenthümlichen geschlossenen, keiner jetzigen Paarhufergruppe sehr nahe stehenden Formenkreis dar, der sich selbständig von den Buno-Selenodonten entwickelt hat und ohne etwaige Nachkommen hinterlassen zu haben, vollständig ausgestorben ist. Folgende Tabelle wird den genetischen Zusammenhang und die zeitliche Verbreitung der Oreodontiden etwas übersichtlicher machen. Loup Fork Merycochoerus Merychyus | | Pitheeistes Deep River Merycochoerus Merychyus Cyclopidius Leptauchenia John Day Merycochoerus ~ Eporeodon Agriochoerus Coloreodon | White River Oreodon Agriochoerus | Uinta “ Protoreodon ? a ee Bridger ? Helohyus Beiträge zur Kenntnis der Oreodontidae. 393 Litteratur. 1) G. T. Berrany, On the Genus Merycochoerus (family Oreodontidae) with Descriptions of two New Species. Quarterly Journal of the Geo- logical Society of London. Vol. XXXII. pag. 259—272. 2) A. T. Bruce, Observations upon the Brain-Casts of Tertiary Mammals. Bulletin of the Museum of Geology, Princeton. No. 3. pag. 36—45. 3) E. D. Cope, Synopsis of the Species of Oreodontidae. Proceedings of the American Philosophical Society. Vol. XXI. pag. 503—572. 4) —— The Classification and Phylogeny of the Artiodactyla. Ibid. Vol. XXIV (1887). pag. 377—400. 5) —— On the Structure of the Feet in the Extinct Artiodactyla of North America. Proceedings of the American Association for the Advance- ment of Science 1884. pag. 482—489. H. FıLHorL, Mémoire sur quelques Mammiféres Fossiles. Toulouse 1882. T. Gini, Arrangement of the Families of Mammals. Smithsonian Miscel- laneous Collections. Vol. XI. pag. 1—98. 8) W. KowA.tevsky, Monographie der Gattung Anthracotherium und Ver- such einer natiirlichen Klassifikation der Hufthiere. Palaeontographica. Bd. XXII. pag. 133—347. 9) —— On the Osteology of the Hyopotamidae. Philosophical Transactions of the Royal Society of London. 1873. pag. 19—94. 10) J. Lerpy, The Extinct Mammalian Fauna of Dakota and Nebraska. Phi- ladelphia 1869. 11) —— Contributions to the Extinct Vertebrate Fauna of the Western Terri- tories. Report of the U. S. Geological and Geographical Survey of the Territories. Vol. I. Washington 1873. 12) O. C. MarsH, Notice of New Tertiary Mammals. American Journal of Science and Arts. 3. Ser. Vol. V. pag. 407—410. SED 13) —— Notice of New Tertiary Mammals. Ibid. Vol. IX. pag. 239—250. 14) —— Introduction and Succession of Vertebrate Life in America. Ibid. Vol. XIV. pag. 337—378. 15) —— On the Dinocerata, an Extinct Order of Gigantic Mammals. Wash- ington 1885. 16) L. RÜTIMEYER, Die Rinder der Tertiärepoche. Abhandlungen der schweiz. Paläontologischen Gesellschaft. Bd. IV. 17) —— Beiträge zu einer natürlichen Geschichte der Hirsche. Ebenda. Bd. VIII und X, Separatim. 18) M. ScHLoSSER, Beiträge zur Kenntnis der Stammesgeschichte der Huf- thiere ete. Morph. Jahrb. Bd. XII. pag. 1—136, 19) —— Uber die Beziehungen der ausgestorbenen Säugethierfaunen und ihr Verhältnis zur Säugethierfauna der Gegenwart. Biolog. Centralblatt. Bd. VII. Nr. 19 und 20. 394 W. B. Scott 20) W. B. Scorr, On the Osteology of Oreodon. Proceedings of the American Association for the Advancement of Science. 1884. pag. 492—493. 21) —— and H. F. Ossorn, Preliminary Report on the Vertebrate Fossils of the Uinta Formation. Proceedings of the American Philosophical Society. 1887. pag. 255—264. Erklärung der Abbildungen. Die abgebildeten Exemplare befinden sich, falls das Gegentheil nicht be- merkt wird, im geologischen Museum zu Princeton. Tafel XII. Restauration von Oreodon Culbertsoni >< 2/y. Wirbelsäule, Brustkorb, Schulterblatt und Becken nach einem einzigen, sich in der Akademie der Wissenschaften zu Philadelphia befindenden Individuum. White River.- Tafel XIII. Fig. 1. Protoreodon parvus. Schädel, von der Seite >< 3/5. Uinta. Fig.. 2. - - Obere Backzahnreihe >< 1/;. Fig. 3. - - Untere Backzahnreihe >< '/;. Fig. 4. OreodonCulbertsoni. Schädel, Seitenansicht >< 2/3. White River. Akademie zu Philadelphia. Oreodon gracilis. Schädel, Seitenansicht >< 2/3. White River. Akademie zu Philadelphia. Fig. 6. Oreodon bullatus. Schädel, von unten >< !/2. White River. Fig. 7. Merychyus arenarum. Schädel, Seitenansicht >< ?/;. Deep River. Cope’sche Sammlung. qo . Fig. Tafel XIV. Fig. 8. Merycochoerus macrostegus. Schädel >< !/,. Seitenansicht. John Day. Copr’sche Sammlung. Merycochoerus macrostegus. Schädel, von unten. John Day. CopeE’sche Sammlung. Fig. 10. Merycochoerus superbus. Schädel X !/;, von unten. John Day. Cope’sche Sammlung. Fig. 11. Agriochoerus guyotianus. Schädel x !/s, Seitenansicht. John Day. Core’sche Sammlung. Fig. 12. Agriochoerus guyotianus. Schädel, von unten. John Day. CopeE'sche Sammlung. Fig. 13. Coloreodon ferox. Schädel ><1/a, Seitenansicht. John Day. Copr’sche Sammlung. Fig. 14. Helohyus plicodon. Linker Molar 2 des Oberkiefers >< 2. Bridger. Fig. 36. Merychyus. Milchgebiss des rechten Oberkiefers >< 4/3. Loup Fork. Museum of Comparative Zoology. Je) Fig. Tafel XII. R, Weber, Lichtdr. Julius Klinkhardt, Leipzig. Tafel XI. R. Weber, n.d. Nat, gez Verlag von Wilh, Engelmann, Leipzig Lichtdr. Julius Klinkhardt, Leipzig. Tate XML lörpınolagJahröuah Ba. XVI - Tat’ Xur Taf: XIV: Morpholog. Jahre Vorptholog Jahrbuch. Ba. XV. = ———— Tr z Tar XIV ge er, Be ee / a Sr sis 7 > Taf xvT Morpltolag. Jahrbuch. Ba XV. forptholog. Jahrbuch. Bda_Xv1. Teele XV. ) [ees y | yay y ws = 3 A Se Ce Pn ae : = =. Nene. _— Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 15. + 26: oes Beiträge zur Kenntnis der Oreodontidae. 395 Tafel XV. Leptauchenia major. Schädel >< 3/;, Seitenansicht. Nach zwei sich in der Akademie zu Philadelphia und in dem Museum zu Prince- ton befindenden Exemplaren zusammengesetzt. Angeblich aus dem White River Bed. Leptauchenia major. Derselbe von oben. Cyclopidius emydinus. Schädel >< 3/;, Seitenansicht. Deep River. Cope’sche Sammlung. . Cyclopidius emydinus. Schädel, von oben. Deep River. Copr’sche Sammlung. Cyclopidius emydinus. Schädel, von unten, Deep River. CopeE’sche Sammlung. Pithecistes brevifacies. Unterkiefer >< !/,, von der Seite. Deep River. CopE'sche Sammlung. Pithecistes brevifacies. Unterkiefer, v. oben. Deep River. CopeE’sche Sammlung. Coloreodon ferox. Oberkiefer>< 1/2, von unten. John Day. Cope’sche Sammlung. Tafel XVI. Protoreodon parvus. Rechter Carpus >< !/ı. Uinta. - - Rechter Daumen >< !/,. - - - Linker Hinterfuß >< 3/;, - Dieses Exem- plar gehört einem bedeutend größeren Individuum. Protoreodon parvus. Phalangen einer Mittelzehe >< !/ı. Oreodon Culbertsoni. Rechter Vorderfuß. White River. = - Linker Hinterfuß. - - = = Phalangen einer Mittelzehe. White River. Merychyus arenarum. Rechter Vorderfuß >< 3/5. Deep River. Cope'sche Sammlung. Merychyus arenarum. Linker Hinterfuß >< 3/;, Deep River. Coper’sche Sammlung. Merychyus arenarum, Phalangen einer Mittelzehe >< 1/,. Deep River. Cope’sche Sammlung. Merycochoerus coenopus, sp. nov. Rechter VorderfuB >< !/a. Loup Fork. . Merycochoerus coenopus, sp. nov. Rechter Hinterfuß >< !). Loup Fork. Diese beiden Exemplare gehören dem »Museum of Com- parative Zoology« zu Cambridge (Massachusetts). Leptauchenia nitida. Linker Vorderfuß >< 3/5. Akademie zu Philadelphia. Angeblich aus dem White River Bed. Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. Von G. v. Koch. Mit 2 Figuren im Text. 2. Terminalpolyp und -zooid bei Pennatula und Pteroides. Durch die Abhandlung von JuNGERSEN über Bau und Entwick- lung der Kolonie von Pennatula (Zeitschrift für wissensch. Zoologie. XLVII Bd.}, wurde ich an einige Zeichnungen von Kolonieenden ge- nannter Pennatulidengattungen erinnert, deren Veröffentlichung, wie ich glaube, dem Verfasser und seinen Lesern als Bestätigung, und zum Theil auch als Ergänzung seiner Angaben angenehm sein wird. — Fig. I wurde in den 70er Jahren nach einem stark kontrahirten Alkohol-Exemplar gezeichnet, und von mir Herrn WırLsox für seine Arbeit über die Entwicklung von Renilla zur Verfügung gestellt, scheint aber von diesem nicht verwendet worden zu sein. Sie stellt eine junge Kolonie von der Rückseite dar, und zeigt deutlich einen Terminalpolypen, und auf dessen Basis den Terminalporus oder das Terminalzooid. Dieses Exemplar ist das kleinste und wohl auch das jüngste (die Zahl der Fiedern beträgt auf jeder Seite neun) aller Exemplare von Pennatula, welche ich bis jetzt erhalten habe, und stammt wie die folgenden aus dem Golf von Neapel. — Ein zweites Stück (Fig. II), welches ich nebst den zwei folgenden erst vor einigen Jahren erhielt, und zwar sehr gut konservirt, so dass die Polypenwände dünn und durchsichtig geblieben sind, ist, wie die zwölf Paar vorhan- denen Fiedern beweisen, etwas älter wie das erste, stimmt aber mit Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. 397 ihm auffallend überein. Es steht nämlich hier wie dort der Terminal- polyp ganz allein in der Richtung der Längsachse der Kolonie, und an dessen Basis erkennt man sehr deutlich das große Terminalzooid (vgl. Fig. II), welche den Terminalpolypen und die zwei ersten Fie- dern vergrößert darstellt). — Ein drittes vollkommen ausgestrecktes Exemplar (Fig. II) von etwas größeren Dimensionen, aber mit der gleichen Anzahl Fiedern wie das vorige, zeigt die Eigenheit, dass zwar ein Terminalpolyp nebst Zooid noch deutlich vorhanden ist, dieser aber durch das erste aus zwei Polypen bestehende Fieder- blatt auf die Seite gedrückt ist. — Ich würde die Thatsache nicht Fig. I. Pennatula phosphorea mit Terminalpolyp und -zooid. Nat. Größe. Fig. II—IV. Spitzen von anderen jungen Kolonien (Dorsalseite), vergrößert, von einem Fig. V er- wachsenen Exemplar. Fig. VI. Von Pteroides spinulosus. a von der Seite (V ventral, D dorsal), & von der Ventralseite. Fig. VII. Von einem zweiten Exemplar. a ventral, b dorsal, c von der Seite. für erwähnenswerth halten, wenn ich in ihr nicht eine Brücke zu dem Verhalten der Spitze bei anderen Stöcken vermuthete. Bei Nr. 4, welches 14 Paar Fiedern besitzt, ist ein Endpolyp nicht mehr aufzufinden, und die ersten beiden Fiedern (in deren eines wohl der Terminalpolyp aufgegangen) stoßen terminal dicht an ein- ander. Das Terminalzooid ist dagegen noch deutlich vorhanden, und sowohl durch seine Größe als auch die Bewaffnung mit keinem der kleinen Zooide zu verwechseln. Seine Stellung entspricht der bei den jüngsten Kolonien beobachteten. Das fünfte Exemplar ist aus- gewachsen und besitzt 38 Fiedern. Ein wenig hinter der Spitze sieht man eine mit wulstförmigem Rande umgebene Öffnung, welche 398 G. v. Koch man nach Vergleich mit Fig. IV als Terminalzooid auffassen kann'. Die übrigen von mir untersuchten älteren Stöcke stimmen mit den Angaben von JUNGERSEN gut liberein. Außer von Pennatula habe ich noch zwei junge Kolonien von Pteroides spinulosus untersucht. Beide waren ungefähr von der- selben Größe und jedes hatte 16 Paar Fiedern. Hinsichtlich der Terminalzooide schlossen sie sich an das von KÖLLIKER abge- bildete Exemplar gut an, doch waren sie etwas von einander ver- schieden (vgl. Fig. VI und VII). Bei Nr. 1 (Fig. VII) ist das Terminal- zooid stark nach der Ventralseite hin gebogen, so dass man seine Mundöffnung nur von dieser Seite aus bemerken kann. Das ganze Zooid hat reichlich die Größe eines eingezogenen Polypen, steht frei zwischen den ersten beiden Fiedern und besitzt eine deutliche Be- waffnung von Nadeln, welche neben einigen kurzen Läppchen an der Mundöffnung an die Möglichkeit glauben lassen, dass wir es hier vielleicht mit einem rückgebildeten Terminalpolypen zu thun haben. Übrigens habe ich hier noch zu erwähnen, dass ziemlich nahe hinter der Mundöffnung sich zwei dunkle seitliche Vorsprünge befinden, welche wohl als Anfänge neuer Fiedern aufzufassen sind. — Nr. 2 (Fig. VII) weicht von dem vorigen Exemplar etwas ab. Es ist nämlich das Endzooid stark nach der dorsalen Seite gebogen und von langen Nadeln umstellt, welche sich konisch zusammen- schließen, ähnlich wie bei einem kontrahirten Polypen. An seiner Basis, auf der ventralen Seite trägt es vier große Zooiden (vgl. Fig. VId), welche wenigstens dreimal so groß sind als die übrigen. Dieser Befund ließe vielleicht erwägen, ob nicht doch vielleicht das angebliche Zooid dem ersten Polypen entsprechen könnte und eines von den großen Zooiden das primäre gewesen sei. Darüber können natürlich nur eingehendere Studien an reichlicherem Material Auf- schluss geben. An einen Satz von JUNGERSEN anknüpfend, erwähne ich hier noch, dass ich bei Pennatula phosphorea an Stelle von Zooiden entwickelte Polypen angetroffen, und dieses Vorkommen seiner Zeit im Zoolog. Anzeiger veröffentlicht habe. ! Zu diesem Exemplar habe ich noch zu bemerken, dass ich es durch Ein- spritzen von Überosmiumsäure in die Stielhöhlung sehr rasch tödtete, so dass es nur wenig kontrahirt ist. Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. 399 3. Einstülpung der Tentakel bei Rhizoxenia rosea und Asteroides calycularis. Bei den meisten Cornulariden, zu denen Rhizoxenia von den Systematikern gestellt wird, legen sich während der Kontraktion eines Polypen die Tentakel, nachdem sie sich möglichst verkürzt haben, in ein Knäuel zusammen, und dieses rückt mit der Mundscheibe durch Einstülpen der oralen und immer weicheren Theile der Leibes- wand in das Innere des Polypenrohres, wo es durch den härteren (oft mit Spieula, Hornausscheidungen etc. versehenen) Theil der Leibeswand gegen äußere Angriffe geschützt ist. Anders, und wie ich glaube noch nicht beschrieben, ist der Vorgang bei Rhizoxenia. Hier findet neben der Einfaltung des oralen und ebenfalls weichen Polypentheils in den aboralen, durch Spieula hartwandigen »Kelch« noch eine Einstülpung der einzelnen Ten- takel in sich selbst statt. Diese wird aber nie zu einer vollständigen Umstülpung, d.h. es wird nicht die ganze Tentakelwand um- gekehrt, sondern der fiedertragende Endtheil kontrahirt sich zuerst so viel als möglich, und Ein Polyp von Rhizoxenia rosea, zieht sich dann in den basalen Theil zurück. Dabei wird dessen Wand durch die ursprüng- liche Verbindungsöffnung mit dem zugehöri- gen Interparietalraum in diesen hineingestülpt, und es kommtsein Ektoderm jetzt nach innen, sein Entoderm nach außen zu liegen (vgl. vollkommen kontrahirt und nach einer dieHauptachse enthaltenden und zur Längsrichtung des Stolo senkrecht stehenden Ebene ge- schnitten. Linke Seite mit An- gabe von Ektoderm und Ento- derm. e Ektoderm, » Entoderm, sp Spicula, o Schlund, $ Kanäle der Stolonen, 7 Tentakel, P Paries, Abb.), während in der Tentakelspitze beide Schichten ihre ursprüngliche Lage behalten. In ähnlicher Weise stülpen sich so, von den bekannteren Aleyonarien, die Tentakel des Coral- lium rubrum und der Heliopora eoerulea um. Es bleibt dahingestellt, ob dieser Vorgang systematisch verwendbar ist, eine Zusammenstel- lung aller ähnlichen Fälle dürfte vielleicht von Interesse sein. Ob eine ähnliche Einstülpung auch bei Hexakorallen vorkommt, ist mir unbekannt, und habe ich bei allen selbst untersuchten Formen gefunden, dass sich die Tentakel bei der Kontraktion der Weich- theile entweder bloß zu kleinen Höckerchen verkürzen, und dann ohne weiteren Schutz bleiben oder, und dies ist wohl das Häufigere, sie krümmen sich nach starker Verkürzung zusammen, und werden 400 G. v. Koch, Kleinere Mittheilungen tiber Anthozoen. ‘ von einer durch Einstülpung der Leibeswand entstehenden Ringfalte iiberdeckt. So ist es auch bei Asteroides calyeularis, aber hier habe ich öfter gesehen, wie sich an einem ausgestreckten Polypen der Endtheil eines Tentakel in den Basaltheil hineinschob, dann wieder ausstreckte und dieses Spiel, dem Auseinanderziehen und wieder Zu- sammenschieben eines Fernrohres vergleichbar, öfter wiederholte. Irgend einen Grund für diese Bewegung konnte ich nicht auffinden, auch konnte ich dieselbe nicht durch zartere oder stärkere Berührung der Spitze eines einzelnen Tentakels hervorrufen. Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmafsen. Von Gustav Tornier. Mit Tafel XVII und XVIII. (Fortsetzung aus Morph. Jahrbuch. Bd. XIV. pag. 223.) Bevor ich die Anatomie zweier neuer Cal.-Ast.-Gelenkformen klar zu legen suche, sehe ich mich genöthigt, auf zwei im Cal.- Ast.-Gelenk sämmtlicher Säugethiere vorkommende Gelenkbewegun- sen aufmerksam zu machen, welche in den bisher untersuchten Gelenken eine mehr sekundäre Rolle spielen und aus diesem Grunde bei deren Beschreibung von mir nicht berücksichtigt worden sind, in den Gelenken der nun vorliegenden Thiergruppen aber eine un- gemeine Bedeutung erlangen und daher nicht länger übersehen wer- den dürfen. Um ihr Wesen möglichst scharf zu charakterisiren, sehe ich von folgender Betrachtung aus. Befindet sich das termi- nale Segment einer Hintergliedmaße in seiner Mittellage (Pronations- stellung), so vermag es aus dieser heraus sechs Bewegungen auszu- führen, von denen je zwei auf demselben Wege, aber in umgekehrter Richtung, stattfinden, daher als Einheit zusammengefasst werden dür- fen: es kann erstens Bewegungen ausführen, wobei jeder Punkt des Fußes einen in einer Sagittalebene liegenden Kreisbogen beschreibt, daher sind diese Bewegungen des Fußes seine beugende und streckende Sagittalbewegung genannt worden. Er kann addueirt und abdueirt werden, d. h. er führt Bewegungen in der Horizontal- ebene aus, und zwar so, dass im ersteren Falle die Zehenspitzen der Medianebene des Körpers genähert, »addueirt«, im zweiten Falle Morpholog. Jahrbuch, 16. 26 402 Gustav Tornier ‘ von derselben entfernt, »abducirt« werden, daher der Name: addu- cirende und abducirende Horizontalbewegung des Fußes, und drittens kann er » ento«- oder »ektovertirt« werden. Der Fuß geräth aus der Ruhelage (Pronation) in Plantar-Ento- oder -Ektoversion, indem er um seine disto-proximale Achse rotirt, wobei jeder seiner Punkte einen Kreisbogen parallel der Trans- versalebene des Gliedes beschreibt, und zwar findet die Fußdrehung so statt, dass während der Entoversion die Fußsohle medianwärts, während der Ektoversion lateralwärts schaut. Unter diesen Um- ständen könnte man die so eben charakterisirten Bewegungen des Fußes noch genauer als seine ento- oder ektovertirende Transversal- bewegung bezeichnen. Da die Gesammtbewegungen eines Säugethierfußes niemals durch den Fuß als kompaktes Organ, sondern durch Kombination der Einzelbewegungen seiner Komponenten erzeugt werden, finden Plan- tar-Ento- und -Ektoversionsbewegungen in sämmtlichen Fußgelenken, also auch im Cal.-Ast.-Gelenk statt, und zwar in letzterem, falls der Ast. feststeht, durch den um seine disto-proximale Achse ro- tirenden Cal., falls dagegen der Cal. ruht, durch den um seine disto-proximale Achse rotirenden Ast. Die Gelenkbewegungen selbst sind in beiden Fällen dieselben. Wird angenommen, der Cal. steht fest, geschieht die Plantarento- version des Ast., indem derselbe um seine disto-proximale Achse medio-planto-lateralwärts rotirt, während er durch Rotation um die- selbe Achse, aber in entgegengesetzter Richtung, in Plantarektover- sion übergeführt wird. Es muss nun konstatirt werden, dass im Cal.-Ast.-Gelenk der Säugethiere reine Ento- und Ektoversionsbewegungen eben so wenig selbständig ausgeführt werden können, wie reine Sagittal- oder Horizontalbewegungen, dass vielmehr auch sie nur in Kombination mit anderen Gelenkbewegungen auftreten, und zwar die Ektover- sionsbewegungen in Verbindung mit denjenigen, welche die normale Streckung des Gelenks herbeiführen, also kombinirt mit der strecken- den Sagittal- und addueirenden Horizontalbewegung desselben, :die Ektoversion in Verbindung mit denjenigen Bewegungen, welche die normale Beugung des Gelenks bewirken, d. h. kombinirt mit seiner beugenden Sagittal- und abducirenden Horizontalbewegung. Im Verlauf dieser Arbeit ist bereits wiederholt klar gelegt wor- den, welche Bewegungen in den Facetten des Cal.- Ast. -Gelenks einer Säugethiergruppe, bei dessen normaler Beugung und Streckung Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 403 zur Ausführung kommen, welche Abschnitte der Facetten dabei bloß- gelegt, welche bedeckt und unter Druck gesetzt werden. Diese An- gaben sind, so weit sie die Vertheilung des Gelenkflächendrucks be- treffen, ein wenig zu modifieiren, da bei ihrer Abfassung der durch die Ento- und Ektoversion auf die normale Beugung des Gelenks ausgeübte Einfluss nicht berücksichtigt worden ist. Wie besonders gut an dem dreiflächigen Cal.-Ast.-Gelenk der Ursina ersehen wer- den kann!, ist bei der Beugung und Streekung eines Cal.-Ast.- Gelenks die Vertheilung des Druckes auf die Facetten thatsächlich folgender: Bei der normalen Streckung des Gelenks werden die medialen Ränder der medialen Gelenkflächen des Ast. und Cal. fest an einander gedrückt und vollführen die eigentlichen Gelenkbewe- gungen, während die lateralen Ränder dieser Gelenkflächen von einander abgehoben werden und somit nur passiv an den Bewe- sungen Theil nehmen, gleichzeitig werden in den lateralen Gelenk- flächen der beiden Knochen in ähnlicher Weise die medialen Ränder fest an einander gedrückt, die distalen von einander entfernt. In den vorderen Gelenkflächen pressen sich die proximalen Facetten- ränder fest auf einander. — Die Streckbewegung schreitet so lange fort, bis die proximalen Ränder der lateralen und medialen Gelenk- flächen auf einander stoßen und fest an einander gepresst werden. Bei der normalen Beugung des Gelenks legen sich die während der Gelenkstreckung außer Kontakt gerathenen Facettenränder fest an einander und führen die nothwendigen Bewegungen aus. Es be- rühren sich: die lateralen Ränder der medialen und lateralen Fa- cetten und die distalen Ränder der vorderen Gelenkflächen der beiden Knochen; die Bewegung schreitet so lange fort, bis die distalen Ränder der beiden lateralen Facetten auf einander gepresst werden. Cal.-Ast.-Gelenk mit hyperabducirenden Horizontalbewegungen: Phasco- lomys Wombat und latifrons, Ursus ornatus, Enhydris marina, Lutra vulgaris, Mustela zibellina, Cyclothurus didactylus, Orycteropus capensis, Dasypus gigas und setosus, Erinaceus europaeus, Echidna hystrix, Manis Temmincki etc. Der Cal. des Phascolomys Wombat (Fig. 19) besitzt nur zwei Gelenkflächen für den Ast.; die eine derselben liegt dem Rücken ! In Fig. 7 zeigen die Pfeile die Richtung der normalen Streckbewegung des Ursus-Arctos-Gelenks an, die in die Gelenkflächen eingetragenen Linien den Gelenkflächendruck während dieser Bewegung. 26* 404 Gustav Tornier ' des Knochens auf (/) und bertihrt unmittelbar den ganzen medialen Rand der Fib.-Facette dieses Knochens (f), ist also dessen laterale Gelenkfläche. Wie die ihr homologen Gelenkflächen sämmtlicher Säugethier- Cal.-Ast.-Gelenke stößt auch die laterale Facette des Wombat-Cal. nicht unmittelbar an den Dorsalrand der Cub.-Facette ihres Knochens cub), sondern ist von derselben durch einen nicht mit Gelenkknorpel überzogenen »Hals« geschieden. Der Hals selbst ist verhältnismäßig kurz, erhebt sich pilasterartig aus dem benachbarten Knochengewebe und lässt durch sein starkes Hervortreten und seinen engen Connex mit der lateralen Facette des Knochens deutlich erkennen, dass er der reducirte Knochenkern eines an dieser Stelle atrophirten Ab- schnittes jener Gelenkfläche ist. Die zweite der beiden, am Cal. des Wombat zur Artikulation mit dem zugehörigen Ast. bestimmten Gelenkflächen (m) tritt als Vorsprung aus der medialen Seite des Cal.-Körpers hervor, ist also der medialen Facette des Cal. der übrigen Säugethiere und der Cro- codilinen homolog. Sie ist durch Gelenkknorpel mit der lateralen Facette des Knochens verwachsen, deren proximaler Rand wie bei allen anderen Säugethieren etwas weiter als der ihrige plantarwärts reicht. Zwischen dem Hals, der lateralen und medialen Gelenkfläche des Wombat-Cal. befindet sich eine Einsenkung (7): die Fossa inter- artieularis; dieselbe wird distalwärts durch einen stark vorspringen- den Knochensaum begrenzt, welcher die distal-mediale Ecke des Cal.-Halses mit der distal-lateralen Ecke der medialen Facette des Knochens verbindet und zweifellos der letzte Rest der bei den Cro- codilinen an dieser Stelle befindlichen vorderen Gelenkfläche des Cal. ist, die beim Wombat vollständig fehlt, was sich, wie später bewiesen wird, noch weit klarer ergiebt, wenn man am Wombat- Cal. die Cub.-Facette untersucht. Der Ast. des Wombat scheint, wenn man ihn nur flüchtig be- trachtet, so ungemein von allen bis jetzt untersuchten Ast.-Formen abzuweichen, dass man anfänglich kaum darauf hofft, Verwandt- schaftsbeziehungen zwischen ihm und letzteren zu finden; anatomisch am fernsten scheint ihm der Ast. der Crocodilinen zu stehen. Bei näherer Untersuchung und sorgfältiger Vergleichung verschwinden allerdings die Zweifel und die auffällig nahe Verwandtschaft beider tritt klar hervor. An der Plantarseite des Ast. des Wombat (Fig. 20) ist am ee Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 405 leichtesten die laterale Facette auffindbar (7); dieselbe hat durchaus typische Lage und Gestalt, schließt sich, um nur eins zu nennen. dem Plantarrand der Fib.-Facette des Knochens (f) an und besitzt dorsalwärts schauende Konvexkrümmung. — Über die Plantarseite des Ast. des Wombat erstreckt sich ferner zwischen dem medialen Rande der lateralen und dem Proximalrande der Nav.-Facette des Knochens (rar) eine eigenthümlich gewundene Gelenkfläche (m—+ cub). deren an die Nav.-Facette angrenzender distaler Theil mit einer ~ Facette des Cub. artikulirt, woraus hervorgeht, dass dieser Theil jener scheinbar einheitlichen Gelenkfliche homolog ist der Cub.- Facette des Ast. der Crocodilinen, Artiodactylen, Ursinen ete. Der proximale Abschnitt jener gewundenen Gelenkfläche des Wombat- Ast. (m) artikulirt mit der medialen Facette des zugehörigen Cal.. ist also die eigentliche mediale Facette des Knochens. Andere Ge- lenkflächen fehlen dem Wombat-Ast.; es fehlt demselben also einmal die vordere Facette und ferner die Grube, welche am Ast. der Croco- dilinen, Artiodaetylen und Ursinen zwischen der medialen und Nav.- Facette des Knochens gelegen ist und dem Lig. cal.-ast.-plantare zur Ansatzstelle dient (Morph. Jahrb. Bd. XIV, Taf. XII Fig. 26 wp). Die mediale und laterale Facette des Wombat-Ast. sind, ähnlich wie die gleichnamigen Gelenkfliichen am Cal. dieses Thieres, durch Gelenkknorpel mit einander verbunden. Man könnte nun zu der Vermuthung kommen, dieser am Ast. des Wombat die beiden Ge- lenkflächen verbindende Gelenkknorpel sei die vordere Facette des Knochens, weil die homologe Gelenkfläche am Ast. der Crocodilinen die laterale und mediale Facette verbindet. Ein solcher Schluss wäre aber ganz ohne Berechtigung, wie sofort klar wird, wenn man bedenkt, dass bei den Crocodilinen (Bd. XIV, Taf. XII Fig. 24) die vordere Facette des Ast. von der Distal-medial-Ecke der lateralen Gelenkfläche des Knochens ausgeht und an der Distal-lateral-Ecke der medialen Facette desselben endet, während der die beiden Ge- lenkflächen verbindende Gelenkknorpel des Wombat-Ast. von der Mitte der lateralen Gelenkfläche des Knochens entspringt und in der Mitte der medialen Gelenkfläche desselben endet: die Art und Weise seiner Entstehung soll später klar gelegt werden. Um näher zu begründen, dass der Ast. der Crocodilinen und der des Wombat einander homolog sind, setze ich deren Vergleichung weiter fort: Bei den Crocodilinen (Bd. XIV, Taf. XI Fig. 12) zeich- net sich die Gelenkfläche des Ast. für das mcp,, welche, wie bereits nachgewiesen wurde, homolog ist der Nav.-Facette des Ast. der 406 Gustav Tornier Siiugethiere, dadurch aus, dass sie sich gewissermaßen um den Knochen herumwindet. Sie beginnt am Dorsum des Ast., unmittel- bar am distalen Rande der Tib.-Facette dieses Knochens, verläuft dann über die Distal- auf die Plantar-medial-Seite desselben und setzt sich auf letzterer proximalwärts so weit fort, dass sie unmittel- bar an die Tuberositas medialis des Ast. stößt: ihr lateraler Rand (Taf. XI Fig. 6) grenzt mit seinem distalen Abschnitt unmittelbar an die Cub.-Facette des Ast. (ce); an seinem Plantartheil wird er durch den Sulcus plantaris (Fig. 12 s) von der medialen Gelenk- fläche des Knochens getrennt. Uber dem medialen Rand dieser mep,-Facette inseriren die Bänder, welche vom Ast. an das mep, gehen. Diese außerordentlich langgestreckte mcp,-Facette des Ast. der Crocodilinen findet sich am Ast. des Wombat als Nay.-Facette aufs genaueste wiederholt (Fig. 20 und Bd. XIV, Taf. XI Fig. 5); die Nay.-Facette des Ast. des Wombat steigt nämlich vom Dorsum des Knochens, wo sie unmittelbar an dessen Tib.-Facette grenzt, disto-proximalwärts auf die Plantarseite des Knochens hinab, wo sie mit ihrem proximalen Ende unmittelbar an die ungemein kräftig ent- wickelte Tuberositas medialis des Ast. stößt (?«d). Der distale Theil ihres lateralen Randes schließt sich unmittelbar an die Cub.-Facette des Knochens an (c); mehr plantarwärts breitet sich zwischen ihrem lateralen Rande und der medialen Facette des Ast. der tiefe Sulcus plantaris aus (s). Dieser Suleus plantaris zieht sich beim Wombat genau so wie bei den Crocodilinen (Bd. XIV, Taf. XI Fig. 12 s) um den ganzen Medial-proximal-Rand der medialen Facette des Ast. herum bis an die laterale Gelenkfläche des Knochens. Endlich ver- bindet beim Wombat ein Knochenwulst die Tuberositas medialis des Ast. mit dem Proximal-medial-Rand der lateralen Facette des Knochens; es ist dieselbe homolog der Crista capsulae am Ast. der Crocodilinen und zahlreicher Säugethiere. — Zum Schluss bemerke ich noch, dass beim Wombat (Bd. XIV, Taf. XI Fig. 5 Jam) auf der Plantarseite des Ast. zwischen dem Distal-medial-Rand der la- teralen Gelenkfläche und dem Distal-lateral-Rand der medialen Ge- lenkfläche ein nicht artikulirender Knochenstreif sichtbar wird, wel- cher die Insertionsstelle des Lig. interosseum trägt und der Lamina lateralis der Crocodilinen nicht nur aus diesem Grunde homolog ist, sondern mehr noch desshalb, weil seine Lage (zwischen der lateralen, der Fib.-, der Tib.- und Cub.-Facette des Knochens) eine gleiche ist wie die der Lamina lateralis am Ast. der Crocodilinen. Bis jetzt sind nur die dem Wombat und den Crocodilinen an Eh Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 407 der Plantarseite des Ast. gemeinsamen Charaktere hervorgehoben worden, nun mögen auch die an derselben bei ihnen vorhandenen Unterschiede Berücksichtigung finden, und zwar der wichtigste zuerst: Am Ast. der Crocodilinen (Bd. XIV, Fig. 11) ist die late- rale Facette (2) viel höher dorsalwärts gelegen wie die mediale Ge- lenkfläche des Knochens (m), beim Wombat (Fig. 74) liegen beide Gelenkflächen annähernd in ein und derselben Ebene. Die Ast. bei- der Thiere verdanken diesen fundamentalen Unterschied in der Be- schaffenheit ihrer Plantarfächen dem Umstand, dass beim Wombat der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils (a 5) ungefähr dieselbe Länge hat wie der vertikale Durchmesser seines lateralen Ast.-Theils («’5’), während bei den Crocodilinen der vertikale Durch- messer des medialen Ast.-Theils (a 6) den entsprechenden des late- ralen Ast.-Theils (a’5’) bedeutend an Länge übertrifft. Da auch bei den bisher untersuchten Beutelthieren, Thylacinus, Dendrolagus (Bd. XIV, Fig. 42) und Macropus (Bd. XIV, Fig. 41) der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils ungefähr von derselben Länge ist wie der entsprechende Durchmesser des zuge- hörigen lateralen Ast.-Theils, besitzen die Ast. dieser Individuen eine Anzahl von Charakteren, die in derselben Weise am homologen Tarsalelement des Wombat wiederkehren und dasselbe von dem der Croeodilinen scharf unterscheiden. Der Ast. des Wombat (Fig. 74) ist wie derjenige der eben genannten, vorwiegend laufenden Beutel- thiere in beträchtlichem Maße vom Dorsum zur Planta zusammenge- drückt und daher von derselben Plattheit wie diese. Am Ast. und Cal. des Wombat liegen die laterale (7) und mediale Facette (m) an- nähernd in ein und derselben, in latero-medialer Richtung nur wenig dorso-plantarwärts gesenkten Ebene; die Nav.-Facette (nav), die Tuberositas medialis (ud) und die Crista capsulae (cr) des Ast. des Wombat. hängen in eben so charakteristischer Weise über die me- diale Gelenkfläche des Knochens hinab, und der Sulcus plantaris desselben (s) schaut mit seiner Öffnung eben so ausschließlich plan- tarwärts wie an dem homologen Tarsalelement der oben genannten, vorwiegend laufenden Beutelthiere. Aus dem Umstand, dass die eben besprochenen Ast.-Charaktere bei allen bisher untersuchten Beutelthierarten in gleich vollkommener Ausbildung anzutreffen sind, darf keineswegs gefolgert werden, wie durch Corr geschehen ist, dass diese Charaktere für die Ast. »aller« Beutelthiere specifisch sind, auch der Core’sche Schluss, dass die Ast. der bisher untersuchten Beutelthiere wegen dieser osteologischen 408 Gustav Tornier Übereinstimmung mit einander und mit anderen gleichartig gestalte- ten Tarsalelementen phylogenetisch verwandt seien, muss zurlickge- wiesen werden, da Ast.-Charaktere, welche einzig und allein durch Verkürzung des vertikalen Durchmessers des zugehörigen medialen Ast.-Theils erzeugt werden, durch Parallelentwicklung bei den ver- schiedensten Säugethierarten unabhängig von einander auftreten können. Sobald man erfährt, dass beim Wombat der vertikale Durch- messer des medialen Ast.-Theils sehr beträchtliche Kürze gegen- über dem entsprechenden Durchmesser des lateralen Ast.-Theils besitzt, ist man zu dem Schlusse berechtigt, dass im Cal.-Ast.- Gelenk dieses Individuums die Befähigung für Sagittalbewegungen nur gering, für Horizontalbewegungen dagegen beträchtlich ausge- bildet sein wird. Dies ist in der That der Fall: im Cal.-Ast.-Ge- lenk des Wombat sind eigentlich nur Ab- und Adduktionsbewegun- gen möglich, die am Ast. wie Cal. dieses Individuums annähernd in einer Ebene liegenden lateralen und medialen Facetten verhindern jede andere Gelenkbewegung. Unter den Placentalthieren findet sich eine Reihe von Indivi- duen, deren Cal.-Ast.-Gelenke Bildungsanalogien mit demjenigen des Wombat aufzuweisen haben: es sind Enhydris (Fig. 10), Lutra, Orycteropus (Fig. 14), Dasypus und andere. All diesen Placental- thieren fehlt, wie dem Wombat, die vordere Gelenkfläche an Cal. und Ast. vollständig; ferner ist bemerkenswerth, dass sowohl bei ihnen als auch beim Wombat die Köpfe des Ast. und Cal. unter keinen Umständen bis zur Berührung einander genähert werden können, sondern selbst im Maximum der Gelenkstreckung durch einen beträchtlichen Zwischenraum getrennt bleiben, dadurch unter- scheiden sich diese Cal.-Ast.-Gelenke sehr wesentlich von denjenigen, welche Stammgruppen angehören oder extreme Hyperbeugungscharak- tere besitzen, da in diesen während der Streckung des Gelenks durch die alsdann auftretende adducirende Horizontalbewegung des Ast. die Köpfe der beiden Knochen in ihren vorderen Facetten fest an einander gepresst werden!. Da es im Cal.-Ast.-Gelenk der Säugethiere nur eine Bewegung giebt, welche den Kopf des Ast. von demjenigen des Cal. (in hori- zontaler Richtung) zu entfernen strebt, nämlich die mit der beugenden 1 Fig. 1 ast+ cal des Orycteropus capensis im Maximum der Gelenkbeu- gung, Fig. 2 ast+ cal des Dasypus gigas im Maximum der Gelenkstreckung. Fig. 3 des Manis in Gelenkstreckung. Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 409 Sagittalbewegung des Gelenks verbundene abducirende Horizontal- bewegung desselben, so müssen wir annehmen, dass bei den Thieren, denen die vordere Gelenkfläche am Ast. und Cal. fehlt, diese oder eine ähnliche Horizontalbewegung des Cal.-Ast.-Gelenks eine so vorwiegende Anwendung gefunden hat, dass dadurch die Köpfe bei- der Knochen permanent von einander entfernt gehalten worden sind. und die an ihnen liegenden vorderen Gelenkflächen wegen Nicht- gebrauch atrophirten. Das Cal.-Ast.-Gelenk der Ursina, das zur Ausführung gleich- artiger Horizontalbewegungen wohl befähigt ist, lässt am klarsten erkennen, auf welche Weise dieselben in einem Cal.-Ast.-Gelenk zu Stande kommen. Es wurde von mir bereits früher darauf hin- gewiesen, dass der Ast. der Ursina gleich dem der Crocodilinen an dem zugehörigen Cal. der Theorie nach um drei Achsen in sechs verschieden gerichteten Kreisen bewegt werden kann, dass es jedoch unmöglich ist, eine einzelne dieser Kreisbewegungen unabhängig von allen anderen auszuführen, da immer drei derselben gleichzeitig und untrennbar mit einander vereinigt stattfinden: es sind zur normalen Streckung des Gelenks dessen streckende Sagittal-, adducirende Horizontal- und Entoversionsbewegung kombinirt; und in ähnlicher Weise entsteht die normale Flexionsbewegung’ des Gelenks aus dessen beugender Sagittal-, abducirender Horizontal- und Ektover- sionsbewegung. Die Einzelbewegungen des Gelenks können außer- dem nur in dieser Weise kombinirt werden. Es ist beispielsweise nicht möglich, die streckende Sagittal- und abducirende Horizontal- bewegung des Gelenks mit einander zu einer Bewegung zu ver- binden. — Ein gleiches Verhalten zeigen übrigens die Cal.-Ast.- Gelenke aller bisher untersuchten Individuen. Steht der Ast. der Ursina im Maximum seiner Streckstellung am Cal., wobei die proximalen Ränder der lateralen Gelenkflächen beider Knochen zusammenfallen, wird man sich vergeblich bemühen, unter Festhaltung der extremen Sagittalstellung des Gelenks eine abducirende Horizontalbewegung des Ast. hervorzurufen. Beim Ver- such dazu. pressen sich die schräg gegen die Horizontalebene ge- neigten lateralen Gelenkflächen beider Knochen mit ihren proximalen Eeken und Rändern fest gegen einander und dadurch erreicht natür- licherweise die in dieser Richtung verlaufende Horizontalbewegung des Ast. ihr vorzeitiges Ende, d. h. es kommt nicht zur Abduktion dieses Knochens. Steht das Cal.-Ast.-Gelenk der Ursinen im Maximum seiner 410 Gustav Tornier . Streckstellung und soll der Kopf ihres Ast. von dem des Cal. ent- fernt werden, dann ist die Ast.-Bewegung im Cal. folgende (Fig. 6, Richtung der punktirten Pfeile): Aus der extremen Streckstellung geht der Ast. zuerst in das Maximum seiner normalen Beugestellung iiber, d. h. er ftihrt um seine durch die Fossa interarticularis des Cal. verlaufenden zwei Achsen (Fig. 6, Richtung der punktirten Pfeile) seine beugende Sagittal-, abducirende Horizontal- und Ekto- versionsbewegung in Kombination so weit aus, bis die distalen Riinder seiner lateralen Gelenkfläche und der des Cal. auf einander stoßen. Die Stellung der Gelenkflächen ist nunmehr folgende: Die Proximal-medial-Ecke der lateralen Facette des Cal. ist unbedeckt (Doppelstrichelung des Gelenkflächentheils), die vordere Facette des Ast. und Cal. decken einander vollständig und berühren sich be- sonders mit ihren distalen Rändern, die Köpfe des Cal. und Ast. liegen somit neben einander in einer Horizontalebene: der proximale Theil der medialen Facette des Ast. ragt über den proximalen Rand der zugehörigen Facette des Cal. frei hinaus, und die Crista cap- sulae ist weit von ihrer Reibfläche am proximalen Rand des Susten- taculum entfernt. — Erst aus dieser Stellung des Ast. beginnt seine vorwiegend horizontale Bewegung, welche die Köpfe des Ast. und Cal. weit von einahder entfernt und wegen ihrer vorwiegend hori- zontalen Richtung »Hyperabduktionsbewegung« des Gelenks ge- nannt werden mag. Die laterale Facette des Ast. presst sich dabei mit einem Punkt, welcher in ihrem Inneren nahe der Mitte ihres lateralen Randes liegt, auf einen Punkt des Cal. (Fig. 6 y), der in der lateralen Facette dieses Knochens nahe deren lateralem Rand gelegen ist. Um diese Punkte als Centra führt der Ast. nunmehr am Cal. seine hyperabducirende Horizontalbewegung als Rotation in disto - medio - proximo -lateraler Richtung aus (Richtung der nicht punktirten Pfeile). Die Folge davon ist: Alle diejenigen Punkte des Ast., welche distalwärts von seinem neuen Rotations- centrum gelegen sind, bewegen sich in koncentrischen Kreisbögen medial-proximalwärts, alle von demselben proximalwärts liegenden Theile dagegen mehr oder weniger lateral-distalwärts. Der am distalen Abschnitt des Ast. gelegene Kopf des Knochens, der bis dahin mit seiner vorderen Facette an der des Cal. lag’, verlässt letztere und bewegt sich in medial-proximaler Richtung von ihr fort; es entsteht dadurch ein beträchtlicher Zwischenraum zwi- schen den Köpfen des Cal. und Ast. — Bei dieser Hyperabduk- tion des Ast. tritt ferner der proximale Theil der medialen Facette Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 411 des Ast. noch weiter als bei der normalen Beugung proximal-lateral- wärts aus der medialen Facette des Cal. hervor, und die Crista capsulae des Ast., die bereits während der normalen Beugung des Gelenks ihre Gelenkfläche am proximalen Rand des Sustentaculum tali in proximal-lateraler Richtung verlassen hatte, entfernt sich jetzt noch weiter in dieser Richtung von ihr. Einen gleichen Weg schla- gen alle vom Bewegungscentrum proximalwärts liegenden Punkte der lateralen Facette des Ast. ein. Die Vergleichung der abducirenden Horizontalbewegung des Cal.-Ast.-Gelenks der Ursina mit der Hyperabduktionsbewegung desselben ergiebt: Das Gelenk beginnt seine Hyperabduktionsbewe- gung aus dem Maximum seiner normalen Beugestellung, d. h. wenn seine normale Abduktionsbewegung bereits ausgeführt ist und nicht ausreicht. Während das Centrum der ersteren in der Fossa inter- artieularis liegt (x), ist dasjenige der Hyperabduktionsbewegung (y) in der lateralen Facette des Cal. und Ast. nahe dem lateralen Rand dieser Gelenkfläche gelegen. Durch diese Verlegung des Bewegungs- centrums wird eine viel stärkere Abduktion des Ast. als bei der normalen Beugung des Gelenks erreicht. Die Wirkung der Hyperabduktion auf die Stellung der Gelenk- flächen ist folgende: An der lateralen Facette des Cal. wird die distal-laterale Ecke frei: die distal-mediale Ecke der lateralen Ge- lenkfläche des Cal. wurde bereits während der normalen Beugung des Gelenks bloßgelegt, bei dessen Hyperabduktionsbewegung ge- schieht dies in verstärkterem Maße. Die ganze vordere Facette des Cal. und eben so die distal-laterale Ecke seiner medialen Facette verlieren jeden Connex mit den gegnerischen Gelenkflächen des Ast. Am Ast. wird die vordere Gelenkfläche ganz und der proxi- male Theil der medialen Gelenkfläche in sehr betriichtlichem Um- fang bloßgelegt, ferner an der lateralen Gelenkfläche des Knochens ein geringer Theil der proximal-lateralen und. der distal-medialen Ecke. Würde die Hyperabduktion im Cal.-Ast.-Gelenk der Ursina eine permanente werden, so würden nach dem Gesetz vom Gebrauch und Nichtgebrauch der Gelenkflächen die frei gelegten Theile der Ast.- und Cal.-Facetten atrophiren, vor Allem müssten die vorderen Fa- cetten beider Knochen gänzlich verschwinden, dagegen würden die stärker gebrauchten Gelenkflächentheile bessere Ausbildung erfahren. Es würden also in diesem Fall aus dem dreiflächigen Cal.-Ast.- Gelenk der Ursina durch Verlust der vorderen Facetten zweifacettige 412 Gustav Tornier Gelenke entstehen: wir dürfen daher annehmen, dass die bei vielen Säugethieren vorkommenden Cal.-Ast.-Gelenke ohne vordere Gelenk- flächen durch Ausbildung von Hyperabduktionsbewegungen aus drei- flächigen Gelenken entstanden sind. In Betreff der Hyperabduktion des Cal.-Ast.-Gelenks der Ur- sina wäre noch zu erwähnen, dass diese Bewegung eine vorwiegend horizontale ist, d. h. sehr wenig von gleichzeitig auftretenden ekto- vertirenden und beugenden Sagittalbewegungen des Gelenkes beein- flusst wird. Träten die letzteren hinzu, so würden die im Beginn der Hyperabduktion auf einander liegenden distalen Ränder der late- ralen Facetten des Gelenks sofort fest auf einander gepresst und die Hyperabduktionsbewegung des Gelenks unmittelbar in eine Hyper- beugung umgewandelt werden. Aus diesem Umstand geht hervor, dass Hyperabduktion und Hyperbeugung eines Gelenks nahe ver- wandte Gelenkbewegungen sind, was auch schon daraus klar wird, dass sie beide aus dem Maximum der normalen Gelenkbeugung ihren Ursprung nehmen. Es wurde bereits bei Betrachtung der verschiedenen Bewegungs- arten des Cal.-Ast.-Gelenks der Crocodilinen darauf hingewiesen, dass in der lateralen Facette des Cal. dieser Individuen ein Dreh- punkt für die Horizontalbewegung der lateralen Gelenkfläche des Ast. vorhanden ist, über welchem jeder Punkt dieser Gelenkfläche seine horizontale Bewegungsrichtung ändert, also z. B. statt wie bisher in proximo-lateraler Richtung, nunmehr in proximo-medialer fortbewegt wird und umgekehrt. Ein solcher Drehpunkt findet sich auch in der lateralen Facette des Cal. der Ursina, und es lässt sich leicht nachweisen, dass derselbe zum Centrum der Hyperabduktions- bewegung des Gelenks geworden ist. Es ist ferner ein wichtiges Faktum, dass im Cal.-Ast.-Gelenk der Caniden eine, wenn auch schwache Hyperabduktionsbewegung möglich ist, deren Bewegungscentra in dem lateralen Abschnitt der Firste der beiden lateralen Gelenkflächen gelegen sind. Das Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus ornatus (Fig. 8 und 9) steht anatomisch dem dreifacettigen Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus arctos ungemein nah; auch sind die Gelenkbewegungen in beiden nicht nur der Zahl nach, sondern auch qualitativ genau dieselben. Es findet also auch im Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus ornatus die Hyper- abduktion (in der Richtung der nicht punktirten Pfeile) um Be- wegungscentra (y) statt, welche in den lateralen Abschnitten der lateralen Facetten der gelenkbildenden Knochen gelegen sind, doch . Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 413 giebt es andererseits auch sekundäre Divergenzcharaktere zwischen beiden Gelenken. Als solche sind zu erwähnen eine Reihe von Facetten, welche beweisen, dass bei Ursus ornatus der Durchmesser des medialen Ast.- Theils relativ kürzer ist als bei Ursus arctos, woraus gefolgert werden darf, dass das Cal.-Ast.-Gelenk des erste- ren Individuums eine größere Befähigung zur Ausführung von Hori- zontalbewegungen aufzuweisen hat. Dies wird anatomisch bewiesen durch Folgendes: Am Cal. des Ursus arctos ist die laterale Facette in latero-medialer Richtung ziemlich stark dorso-plantarwärts abge- dacht, bei Ursus ornatus bedeutend weniger. Bei erstgenanntem Individuum ist die mediale Facette dieses Knochens in proximo- distaler Richtung stärker dorso-plantarwärts abgedacht als bei Ursus ornatus; entsprechende Verhältnisse finden sich am Ast.: die mediale Facette des Ast. ist bei Ursus ornatus bedeutend höher dorsalwärts am Knochen emporgerückt als bei Ursus arctos. — Ferner ist der am Cal. des Ursus arctos zwischen der vorderen und medialen Fa- cette liegende Raum (z) bei Ursus ornatus mit Gelenkknorpel über- zogen, so dass bei diesem Individuum jene beiden Gelenkflächen unmittelbar in einander überzugehen scheinen, obgleich ihre Grenz- linien in der scheinbar einheitlichen Gelenkfläche noch deutlich er- kennbar sind. In ähnlicher Weise ist am Ast. des Ursus ornatus der bei Ursus arctos zwischen der vorderen und medialen Facette des Ast. liegende Theil der Grube des Lig. cal.-ast.-plantare (p + w) zum Theil in eine Gelenkfläche verwandelt (Fig. 9 w), so dass auch hier beide Gelenkflächen in einander überzugehen scheinen. Höchst wichtig ist nun folgende Beobachtung: Während bei Ursus arctos die normale Streckung des Cal.-Ast.-Gelenks, wie bewiesen worden ist, (lie Köpfe des Ast. und Cal. in den vorderen Facetten an einan- der presst, stößt bei Ursus ornatus selbst im Maximum der normalen Streckung des Gelenks der Kopf des Ast. nicht an den des Cal., sondern macht in geringer Entfernung von demselben Halt. In Folge dessen können auch die vorderen Gelenkflächen der beiden Knochen nie mehr an einander stoßen und müssten daher eigentlich atrophirt sein; sind sie es wirklich? Betrachtet man den Cal. des Ursus ornatus darauf hin genau (Fig. 8), so bemerkt man Folgendes: Die durch Zwischenknorpel (sr) verbundene mediale (m) und vordere Fa- cette (v) dieses Knochens erstrecken sich als nunmehr einheitliche Gelenkfläche bis unmittelbar an den Dorsal-medial-Rand der Cub.- Facette des Knochens. Es ist also zweifellos am Cal. des Ursus ornatus die vordere Gelenkfläche des normalen dreifacettigen Cal. 414 Gustav Tornier , vorhanden, weil sie an letzteren immer unmittelbar an den Dorsal- medial-Rand der Cub.-Facette des Knochens stößt und an demselben entlang zieht; aber ein genaueres Studium jener am Cal. des Ursus ornatus vereinigten Gelenkflächen lehrt, dass deren distaler Abschnitt deutliche Spuren von Atrophie aufweist, und zwar in so fern, als der Gelenkknorpel dieses Abschnitts von geringer Mächtigkeit ist, den Knochenkern durchscheinen lässt und außerdem gegenüber dem Nachbarknorpel deutlich vertieft erscheint. Es ist aber bereits von Dr. Moti nachgewiesen worden, dass die Vertiefung einer Gelenk- knorpelstelle ein Zeichen von beginnender Atrophie derselben ist; mit anderen Worten: am Cal. des Ursus ornatus beginnt die vordere Facette zu atrophiren. Dieser verödende Theil der vereinigten Ge- lenkflächen umgiebt kapselartig den intakt bleibenden Abschnitt des- selben, welcher in Folge dessen an seinem Distalende in eine Spitze ausgezogen erscheint, ein Faktum, das als wichtig für spätere Unter- suchungen konstatirt werden mag. Am Ast. des Ursus aretos (Bd. XIV. Taf. XII Fig. 26) liegt die vordere Gelenkfläche an der Lateralseite der Cub.-Facette des Kno- chens, beide Gelenkflächen sind keilférmig und kehren ihre Spitze der medialen Facette zu, während ihre verbreiterten Basen dorsal- wärts schauen. Am Ast. des Ursus ornatus hat die Cub.-Facette annähernd dieselbe Form, dagegen weicht die vordere Gelenkfläche gestaltlich sehr von der des Ursus arctos ab, denn am Ast. des Ur- sus ornatus zieht sich an der Lateralseite der Cub.-Facette nur ein ganz schmaler Gelenkknorpelstreif entlang (Fig. 9 v), dessen Dorsal- ende nicht verbreitert ist, sondern in eine Spitze ausläuft. Mit an- deren Worten: im Vergleich zu der vorderen Facette des Ast. des Ursus arctos fehlt der des Ursus ornatus nicht nur der lateral-dorsale Theil, sondern die ganze Gelenkfläche ist außerdem stark zusammen- geschrumpft, zeigt mithin sehr bedeutende Spuren von Atrophie. Parallel der Atrophie der vorderen Gelenkflächen am Ast. und Cal. des Ursus ornatus geht bei diesem Individuum (Fig. 8 7, die Verödung des proximal-medialen Abschnittes der lateralen Gelenk- fläche des Cal. Die Ränder dieses Facettenabschnittes haben zwar bei Ursus ornatus noch genau denselben Verlauf wie am Cal. des Ursus arctos (Fig. 6 7), sein Gelenkknorpel aber ist glanzlos, durch- scheinend und im Verhältnis zur Knorpelschicht der ganzen Gelenk- fläche auffällig vertieft, weist also deutliche Spuren der Verödung auf, während er bei Ursus aretos weder in Farbe, noch Konsistenz, noch sonstigen Eigenschaften von der umgebenden Knorpelschicht divergirt. i Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 415 Ferner ist bemerkenswerth, dass bei Ursus ornatus die Facetten der Crista capsulae (cr) am Ast. und Cal. zwar vorhanden sind, aber besonders am Ast. nicht annähernd die Größe erlangen, welche sie bei Ursus arctos besitzen. Hilt man die konstatirten, am Cal. des Ursus ornatus bestehen- den anatomischen Fakta zusammen unter Beriicksichtigung der That- sache, dass im Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus arctos gleiche anatomische Charaktere auftreten miissen, wenn in demselben die Hyperabduk- tionsstellung des Ast. permanent wird, so dürfen wir schließen, dass das Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus ornatus aus einem Cal.-Ast.-Gelenk gleich dem des Ursus arctos durch Permanentwerden der in diesem Gelenk möglichen Hyperabduktionsstellung des Ast. hervorgegangen ist. Dafür spricht auch Folgendes: Es ist allbekannt, dass die Ränder der Gelenkflächen gewöhn- lich aus ihrem knöchernen Untergrund so stark reliefartig hervor- treten, dass es den Anschein erweckt, als seien die ganzen Gelenk- flächen in Gestalt dünner Platten ihrem Knochenkern aufgeklebt. In dieser Weise tritt am Cal. des Ursus arctos der Proximalrand der lateralen Facette scharf und deutlich aus dem Körper des Kno- chens heraus. Bei Ursus ornatus ist dies nicht der Fall; bei ihm verstreicht am Cal. der Proximalabschnitt der lateralen Facette ohne jede reliefartige Erhebung in den Körper des Knochens und der Proximalrand der Gelenkfläche ist auf demselben nur durch eine zarte, kaum wahrnehmbare Linie markirt. Unmittelbar an den Proximalrand der lateralen Gelenkfläche des Cal. (Fig. S ~) schließt sich bei Ursus ornatus ferner eine deutlich umschriebene Zone des Cal.-Körpers an, welche die ersten Spuren der Überknorpelung trägt und desshalb als eine im Entstehen be- griffene Gelenkfläche betrachtet werden muss; ihre größte Ausdeh- nung besitzt dieselbe an ihrem lateralen Rand, medianwärts spitzt sie sich kegelförmig zu. In ihr artikulirt der in analoger Weise überknorpelte Proximalrand der lateralen Facette des Ast. (Fig. 9 w), und zwar nur allein während der Hyperabduktion des Gelenks aus folgenden Gründen: Während der Hyperabduktion des Gelenks ro- tirt, wie nachgewiesen wurde, der Proximalabschnitt der lateralen Facette des Ast. um das in dieser Gelenkfläche liegende Hyperab- duktionseentrum des Knochens in proximal-lateraler Richtung, wobei sich ihr proximaler Rand in jener Richtung über den entsprechenden Rand der lateralen Facette des Cal. hinüberschiebt und in seiner Bewegung so lange verharrt, bis er unmittelbar an den Körper dieses 416 Gustav Tornier Knochens stößt, was vorwiegend seiner Lateralbewegung zugeschrieben werden muss. Aus der Thatsache, dass die Berührungsstelle des Cal.-Körpers und der betreffende Rand der lateralen Facette des Ast. die ersten Spuren der Überknorpelung tragen, darf man schlie- ßen, dass im Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus ornatus Hyperabduktions- bewegungen weit öfter ausgeführt werden als in demjenigen des Ur- sus aretos, da in diesem jene Knorpelneubildungen vollständig fehlen. Würden in dem Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus arctos Hyperabduktions- bewegungen eben so häufig ausgeführt, so müssten zweifellos auch in ihm genau dieselben osteologischen Charaktere entstehen, da die Hyperabduktionsbewegungen beider Gelenke in genau derselben Weise verlaufen. Es kann daher das Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus ornatus auch hierin aus einem Cal.-Ast.-Gelenk gleich dem des Ursus arctos dureh extreme Ausbildung der Hyperbeugung desselben entstanden sein. Die Cal.-Ast.-Gelenke der Säugethiergattungen Enhydris und Lutra sind nur durch Größenverhältnisse von einander getrennt, in all ihren anatomischen und physiologischen Charakteren stimmen sie dagegen aufs genaueste überein, so dass sie gemeinsam mit dem homologen Gelenk des Ursus ornatus verglichen werden können, von welchem sie sich durch folgende Charaktere unterscheiden: Der vertikale Durchmesser des medialen Ast. - Theils ist bei Enhydris und Lutra noch stärker verkürzt als bei Ursus ornatus aus folgen- den Gründen: Der Lateral-medial-Durchmesser der lateralen Gelenk- fläche ihres Cal. zeigt an seinem Medianende fast gar keine Neigung in dorso-plantarer Richtung und die Proximo-distal-Achse. der me- dialen Facette ihres Cal. liegt fast horizontal, besitzt daram auch an ihrem Distalende weit geringere Neigung in dorso-plantarer Rich- tung wie der entsprechende Durchmesser am Cal. des Ursus orna- tus, endlich liegen am Ast. der beiden Ottergattungen die laterale und mediale Facette annähernd in ein und derselben Ebene, während bei Ursus ornatus die mediale Facette in einer tiefer plantarwärts befindlichen Horizontalebene liegt. Während am Cal. des Ursus ornatus der unter normalen Ver- hältnissen nicht überknorpelte Zwischenraum zwischen der vorderen und medialen Gelenkfläche durch Gelenkknorpel überbrückt ist, die vordere Facette des Knochens außerdem deutliche Spuren von Atro- phie aufweist, und gleich einer Kappe das zungenartig vorspringende Distalende der medialen Facette des Knochens umgiebt, zeigt bei Enhydris und Lutra die mediale Facette des Cal. (Fig. 10 m) zwar Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 417 genau dieselbe Form, besonders an ihrem äußerst charakteristisch zungenartig verlängerten distalen Ende, dagegen fehlt am Cal. dieser beiden Individuen die vordere Facette vollständig, denn die Stelle dieses Knochens, welche die vordere Gelenkfläche trägt, der Zwi- schenraum zwischen dem distalen Rand seiner medialen Facette und dem Dorsalrand seiner Cub.-Facette ist bei ihnen gelenkknorpellos. Es zieht jedoch am Cal. der beiden Ottern (Fig. 10 e) eine deutlich aus dem Knochenkörper vorgewulstete Knochenplatte vom Distalende der medialen Facette an den Dorsalrand der Cub.-Facette. Sie hat, wie man erkennt, nicht nur genau dieselbe Lage, sondern auch genau dieselbe Gestalt wie die bei Ursus ornatus am Cal. im Atrophiren begriffene vordere Gelenkfläche, ist also zweifellos der Knochenkern einer vorderen, bereits vollständig atrophirten Facette: Enhydris und Lutra gehen also in der Ausbilding der specifischen Charaktere der vorderen Gelenkfläche des Cal. einen Schritt über Ursus ornatus hinaus. Auch dem Ast. der Enhydris und Lutra fehlt natürlicher- weise die vordere Gelenkfläche vollständig. Derjenige Abschnitt am Cal. der Enhydris und Lutra, welcher als dessen laterale Facette gedeutet werden kann (2), weil er auf dem Körper des Knochens liegt und von Gelenkknorpel überzogen ist, hat gestaltlich ungemein wenig Ähnliehkeit mit den lateralen Gelenkflächen, welche am Cal. des Ursus arctos und sonstiger Stammgruppenvertreter zu finden sind. Er besitzt an seinem Lateral- rand drei lateralwärts schauende Ausbuchtungen, deren mittelste in der Nähe ihres Lateralrandes das Hyperabduktionscentrum (y) des ganzen Gelenks trägt; da die Hyperabduktionsbewegung dieses Ge- lenks genau in derselben Weise stattfindet wie die homologen Gelenk- bewegungen im Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus ornatus, so ist zweifellos, dass die. mittlere Ausbuchtung der vom Körper des Cal. der Lutra und Enhydris getragenen Gelenkfläche wirklich ein Theil der la- teralen Facette dieses Knochens ist. — Die proximalste Ausbuch- tung (w) der auf dem Körper des Cal. der Enhydris und Lutra lie- senden Gelenkfläche ist homolog der am Cal. des Ursus ornatus im Entstehen begriffenen Gelenkfläche (Fig. 8 «), welche dem Proximal- rand der lateralen Facette dieses Knochens angeheftet ist und die ersten Spuren der Überknorpelung trägt aus folgenden Gründen: Sie hat genau dieselbe Form und Gestalt wie letztgenannte Facette, ist ferner durch eine beträchtliche Einsenkung, die in latero-medialer Richtung verläuft, von der mittleren, das Hyperabduktionscentrum tragenden Ausbuchtung der Facette getrennt. Bei den meisten der Morpholog. Jahrbuch. 16. 27 418 Gustav Tornier mir vorliegenden Ottern ist diese Einsenkung von Gelenkknorpel überzogen, doch finden sich darunter einige Individuen, bei welchen sie nicht überknorpelt ist, wodurch aufs evidenteste bewiesen wird, dass diese Einsenkung die im Verschwinden begriffene Grenzlinie zwischen der eigentlichen lateralen Facette und der ihrem Proximal- rand angehefteten neu entstandenen proximalen Randfacette ist. Wiederum erkennen wir, dass am Cal. der Enhydris und Lutra Charaktere weiter fortgebildet sind, welche am Cal. des Ursus or- natus in ihren ersten Anfängen aufzutreten begannen. — In Betreff der dritten Ausbuchtung (7) der bei Enhydris und Lutra auf dem Körper des Cal. liegenden Gelenkfläche ist zu bemerken, dass die- selbe entweder von gar keinem oder von äußerst schwachem, durch- scheinendem Gelenkknorpel überzogen ist und ferner, dass mit ihr niemals die laterale Facette des Ast. in Artikulation tritt. Aus der Vergleichung dieser Ausbuchtung mit der lateralen Gelenkfläche am Cal. des Ursus ornatus ergiebt sich, dass sie genau der distal- lateralen Ecke der lateralen Facette des Ursus ornatus entspricht und daher als deren von Gelenkknorpel entblößtes Homologon be- trachtet werden muss. — Endlich ist noch in Betreff des Cal.-Ast.- Gelenks der Enhydris und Lutra bemerkenswerth, dass sowohl am Cal. wie Ast. der beiden Thiergattungen die Facette für die Crista capsulae fehlt, an ihrem Ast. sogar ein bedeutender, von Gelenk- knorpel nicht bedeckter Zwischenraum zwischen der Crista capsulae und dem Proximalrand der medialen Facette des Knochens vorhan- den ist. — Auch in obigen Fällen zeigt das Cal.-Ast.-Gelenk der Enhydris und Lutra Charaktere, welche im homologen Gelenk des Ursus ornatus in ihren ersten Anfängen auftreten, weiter fortge- bildet. Stellt man die Frage, welche physiologischen Ursachen zur Ent- stehung der Cal.-Ast.-Gelenke der Ottergattungen Enhydris und Lutra Veranlassung gegeben haben, so erhält man die Antwort, sobald man zurückdenkt an die Veränderungen, welche im Cal.-Ast.-Ge- lenk des Ursus arctos eintreten müssen, wenn dasselbe einseitig und vorwiegend zur Ausführung von Hyperabduktionsbewegungen ver- wendet wird, es werden alsdann nach dem Gesetz vom Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe vor Allem die vorderen Facetten des Gelenks gänzlich verschwinden, eben so die proximal-mediale und die distal-laterale Ecke der lateralen Gelenkfläche des Cal.: von der medialen Facette des Cal. wird atrophiren der distal-mediale Theil und an ihrem Proximalrand die Gelenkfläche für die Crista capsulae; Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 419 am Ast. die Gelenkfläche an der Crista capsulae, der proximale Theil der medialen Gelenkfläche in sehr betriichtlichem Maß, ferner an der lateralen Gelenkfläche des Knochens ein geringer Theil der proximal- lateralen und der distal-medialen Ecke. Mit anderen Worten, es würden im Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus arctos, wenn dasselbe in ex- tremer Weise zu Hyperabduktionsbewegungen verwendet würde, die- jenigen Charaktere auftreten, welche im Fuß der Lutra und Enhydris voll entwickelt sind, Charaktere, die im Fuß des Ursus ornatus die ersten Stufen ihrer Entwicklung zeigen: Dem Ast. und Cal. der Lutra und Enhydris fehlen die vorderen Facetten, sowie die Gelenk- flächen der Crista capsulae vollständig; dagegen ist die bei Ursus ornatus erst markirte Anhangsgelenkfläche am proximalen Rand der lateralen Facetten («) bei Lutra und Enhydris von reifem Gelenk- knorpel überzogen und mit der eigentlichen lateralen Facette auf das innigste verwachsen, und dass am Cal. dieser Thiere der la- teralen Gelenkfläche die distal-laterale Ecke atrophirt ist, zeigt sich darin, dass sowohl bei Lutra wie Enhydris die Gelenkfläche an jener Eeke eine nicht artikulirende Ausbuchtung (z) hat, diese ist der Knochenkern der bei den Stammeltern der Enhydris und Lutra bis hierher sich ausdehnenden distal-lateralen Ecke der lateralen Facette des Cal., deren Knorpelüberzug bei den Nachkommen atrophirte, weil er funktionslos wurde. — Dass die Cal.-Ast.-Gelenke der Enhydris und Lutra in permanenter Hyperabduktion verharren, wird übrigens ohne Weiteres klar, wenn man den Kopf des Ast. und Cal. dieser Thiere im Maximum der Gelenkstreckung von der distalen Seite betrachtet; es zeigt sich dann, dass beide durch einen bedeutenden Zwischenraum von einander getrennt sind, also nicht an einander liegen wie bei Ursus aretos, und dass sie ferner unter keinen Um- ständen in Berührung mit einander gebracht werden können. Mustela zibellina zeigt noch mehr extreme Hyperabduktions- charaktere im Cal.-Ast.-Gelenk als Enhydris und Lutra in den ihrigen, dies tritt besonders in der Gestalt seiner lateralen und proximalen Gelenkflächen deutlich hervor (Fig. 12 und 13 /, x): die letzteren (7) sind nämlich bei Mustela zibellina sowohl an Ast. wie Cal. von ganz außerordentlicher Größe, grenzen sich aber trotzdem im Gegensatz zu ihrem Verhalten bei den Ottern sehr scharf von den eigentlichen lateralen Facetten (/) der gelenkbildenden Knochen ab. Am Cal. ist die Grenzlinie eine schmale von Gelenkknorpel nicht überzogene Rinne, am Ast. eine grätig vorspringende Linie. Gerade bei Mustela zibellina erkennt man vorzüglich, dass die in Hyperabduktionsge- JT* 420 Gustav Tornier lenken am Ast. und Cal. auftretenden proximalen Randflächen mit den eigentlichen lateralen Gelenkflächen dieser Knochen nichts zu thun haben, sondern von denselben anatomisch und phylogenetisch vollständig unabhängig sind. Bei Echidna hystrix besitzen Cal. und Ast. (Fig. 23, 24, 25) nur zwei Gelenkflächen für einander, von den am Cal. befindlichen liegt die eine (7) auf dem Körper des Knochens, und zwar auf dem Dorsum desselben, nimmt die ganze laterale Seite des letzteren ein, stößt mit ihrem Lateralrand an die Fib.-Facette des Knochens, ist also zweifellos dessen »laterale« Facette. Ihr distaler Rand ist durch einen »Hals« von dem Dorsalrand der Cub.-Facette des Kno- chens getrennt, zeigt hierin also Säugethiercharakter, doch ist an- dererseits der Distal-proximal-Durchmesser dieses Cal.-Halses von ganz außerordentlich geringer Länge; es steht also in diesem Cha- rakter der Cal. der Echidna sehr nahe dem halslosen Cal. der Cro- codilinen. — Die zweite, am Cal. der Echidna für dessen Ast. be- stimmte Gelenkfläche (m) liegt gleichfalls auf dem Dorsum des Knochens, nimmt dessen ganze mediale Seite ein, endet mit ihrem Proximalrand unmittelbar neben dem Proximalrand der lateralen Fa- cette des Knochens und ist von derselben außerdem in ihrem ganzen Verlauf durch eine nicht artikulirende Grube, die Fossa interarticu- laris (ix), getrennt, ist also zweifellos die mediale Gelenkfläche des Knochens; dies wird absolut gewiss, wenn man die entsprechenden Gelenkflächen am Ast. untersucht, dieselben lassen durch ihre Lage und Form auf den ersten Blick erkennen, dass sie die laterale und mediale Facette des Knochens sind (Fig. 25 7 und m). _ Die laterale Gelenkfläche am Cal. der Echidna (7) hat Nieren- form, ihr stark eingebuchteter Hilus ist medianwärts geöffnet, die Facette selbst besitzt in disto-proximaler Richtung fast gar keine dorsalwärts gerichtete Konvexkrümmung und ist in folgender Weise ausgezeichnet. Während bei allen bisher untersuchten Wirbelthieren die laterale Gelenkfläche des Cal. in latero-medialer Richtung mehr oder weniger stark dorso-plantarwärts abgedacht ist, steigt diejenige der Echidna in dieser Richtung planto-dorsalwärts auf, und zwar bildet sie den Abschnitt eines senkrecht stehenden Kegelmantels, dessen Spitze in der Mitte des medialen Randes der Gelenkfläche gelegen ist (y), dessen Basis in ihrem Lateralrand gesucht werden muss; die Facette dacht sich also von einem Scheitelpunkt (y) in der Mitte ihres medialen Randes nach allen Seiten. dorso-plantar- wärts ab. Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Siiugetliier-HintergliedmaBen. 421 Die mediale Gelenkfläche am Cal. der Echidna (m) reicht mit ihrem distalen Rand bis unmittelbar an den Dorsalrand der Cub.- Facette des Knochens. Ihre distal-laterale Ecke ist in eine schmale Spitze ausgezogen und läuft an dem Dorsalrand der Cub.-Facette des Knochens entlang. Diese Spitze kann sehr leicht für die vor- dere Gelenkfläche des Knochens gehalten werden, man muss dann allerdings annehmen, dass der Zwischenraum zwischen ihr und der medialen Facette des Knochens von Gelenkknorpel überwachsen ist. Was an dieser Annahme richtig ist, ergiebt sich sehr einfach bei der Betrachtung der entsprechenden Theile des Ast. Am Ast. der Stammgruppen liegt bekanntlich die vordere Facette an der lateralen Seite des Ast.-Kopfes, lateralwärts von der Cub.-Facette des Kno- chens; zwischen der vorderen + Cub. + Nav.-Facette dieser Kno- chen auf der einen und der medialen Gelenkfläche derselben auf der anderen Seite dehnt sich die nicht überknorpelte Grube für das Lig. cal.-ast.-nav.-plantare aus. Auf der lateralen Seite des Ast.- Kopfes der Echidna, lateralwärts von dessen Cub.-Facette (Fig. 25 ec) ist keine Gelenkfläche vorhanden, d. h. es fehlt diesem Ast. die vor- dere Facette vollkommen, dagegen ist an demselben die Fossa des Lig. eal.-ast.-nav.-plantare von Gelenkknorpel vollständig überzogen. Dieser Gelenkknorpel artikulirt mit dem schnabelartigen Fortsatz der distal-lateralen Ecke der medialen Gelenkfläche des Cal., und zwar nur im Maximum der Beugung des Gelenks. Daraus geht her- vor, dass letzterer nicht homolog sein kann der vorderen Facette des Cal. der Stammgruppen, sondern sekundär entstanden ist. Welche physiologischen Ursachen das bewirken, kann erst später nachgewiesen werden. — Endlich ist noch am Cal. der Echidna (er) und zwar am medialen Rand der medialen Facette des Knochens eine verhältnismäßig große Gelenkfläche für die Crista capsulae des Gelenks vorhanden. Die Lage dieser Gelenkfläche ist sehr frap- pirend, denn bei allen bisher untersuchten Säugethierarten liegt ihr Homologon nicht am medialen, sondern am distalen Rande der me- dialen Facette des Cal. Ich komme auf diese Abweichung später noch ausführlich zurück. Der Umstand, dass am Cal. der Echidna die Crista capsulae des Ast. (er) mit dem Cal. artikulirt, lässt schließen, dass bei diesem Individuum die vertikalen Durchmesser der Ast.-Theile in der Länge nicht sehr divergiren, dieser Schluss ist vollkommen berechtigt: der Ast. der Echidna erscheint in dorso-plantarer Richtung ganz unge- wöhnlich zusammengedrückt, weil der vertikale Durchmesser seines 422 Gustav Tornier medialen Theils annähernd dieselbe Länge hat wie der entsprechende Durchmesser seines lateralen Theils, in Folge dessen liegen die mediale und laterale Gelenkfläche des Knochens in ein und derselben Ebene und eben so die entsprechende Gelenkfläche des Cal.; auch ist am Cal. der Echidna die proximal-distale Achse der medialen Facette gar nicht in dorso-plantarer Richtung aus ihrer horizontalen Lage abgelenkt. Aus diesen anatomischen Charakteren des Gelenks geht mit Sicherheit hervor, dass im Cal.-Ast.-Gelenk der Echidna keine wesentlichen Sagittalbewegungen möglich sind. Das ist thatsächlich der Fall: es beschreibt nämlich der Ast. der Echidna am zuge- hörigen Cal. einen fast reinen Horizontalkreis um jenen Punkt der lateralen Facette des Cal. (y), welcher als deren Scheitelpunkt von mir bezeichnet worden ist, und genau in der Mitte des medialen Randes dieser Gelenkfläche liegt. Das betreffende Bewegungscentrum des Ast. (Fig. 25 y) befindet sich gleichfalls in der Mitte des me- dialen Randes seiner lateralen Facette. Die Gelenkbewegung ge- schieht in der medialen Facette des Knochens in einem lateralwärts geöffneten Bogen in disto-proximaler Richtung und zurück, in der lateralen Facette des Cal. (/) in einem medianwärts geöffneten Bogen in proximo-distaler Richtung und zurück (Fig. 24, Richtung der Pfeile). Vergleicht man die Gelenkbewegungen des Cal.-Ast.-Gelenks der Echidna mit denjenigen der bisher untersuchten homologen Gelenke, so ergiebt sich, dass die Rotationen des Echidna-Gelenks keine normalen Beuge- und Streckbewegungen sind, denn im Verlauf der letzteren liegt das Bewegungscentrum bekanntlich in der Fossa inter- articularis (Crocodilinen, Ursinen, Mensch), im Cal.-Ast.-Gelenk der Echidna liegt es dagegen in den lateralen Facetten des Gelenks wenn auch nur in deren medialem Rande; eine ähnliche Lage hat allein das Hyperabduktionscentrum der Stammgruppen- und aller ex- tremen Hyperabduktionsgelenke (Enhydris, Lutra, Mustela zibellina), man kommt dadurch zu der Vermuthung, dass das Cal.-Ast.-Gelenk der Echidna ein extrem ausgebildetes Hyperabduktionsgelenk sei: dies wird um so wahrscheinlicher nach folgender Betrachtung: In den Hyperabduktionsgelenken und in dem der Echidna rotiren die Ast. um ihre Bewegungscentra an den zugehörigen Cal. und es beschreiben dabei alle Punkte des Ast., welche medianwärts von der durch das Bewegungscentrum gelegten Disto-proximal- Achse des Knochens liegen, lateralwärts geöffnete Kreisbögen, alle lateral- wärts von dieser Achse befindlichen Punkte medianwärts geöffnete . Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 423 Kreissegmente; weil nun bei Echidna das Bewegungscentrum des Gelenks in dem medialen Rande der lateralen Gelenkfläche des Cal. liegt, diese Gelenkfläche also lateralwärts von demselben sich aus- breitet, findet die Bewegung in derselben in medianwärts geöffneten Bögen statt, bei Lutra (Fig. 10 y) und Enhydris hat dagegen das Bewegungscentrum des Gelenks nahe dem lateralen Rande der lateralen Facette des Cal. seinen Platz, die Facette selbst dehnt sich also medianwärts von demselben aus, in Folge dessen verlaufen die Gelenkbewegungen in derselben fast ausschließlich in lateral- wärts geöffneten Bögen, in dem schmalen Abschnitt dieser Gelenk- fläche aber, welcher vom Bewegungscentrum lateralwärts, also zwischen ihm und dem lateralen Rande der Gelenkfläche liegt, ver- laufen die Gelenkbewegungen in medianwärts geöffneten Bögen, also genau so wie die in den entsprechenden Gelenkflächen der Echidna: der Unterschied in den verglichenen Gelenkbewegungen ist also ein durchaus sekundärer, bedingt durch die abweichende Lage der Bewegungscentra der Gelenke. Auch ist die Wirkung der beiden verglichenen Gelenkbewegungen eine qualitativ gleichartige; bereits bei ihrem Beginnen wird z. B. die vordere Facette des Ast. aus der zugehörigen Facette des Cal. entfernt, während sie im Verlauf der normalen Abduktion des Gelenks, d. h. bei der normalen Ge- lenkbeugung an dieser Facette entlang gleitet: doch findet sich andererseits ein Unterschied in der Wirkung der verglichenen Ge- lenkbewegungen: diejenige der Echidna entfernt den Kopf des Ast. von demjenigen des Cal. in einem weit geringeren Maß, als die Hyperabduktion im Cal.-Ast.-Gelenk der Enhydris und Lutra. Das Ergebnis der obigen Untersuchungen ist mithin: im Cal.- Ast.-Gelenk der Echidna ist die Befähigung zur Ausführung von Hyperabduktionsbewegungen extrem ausgebildet; von den gleichfalls mit extremer Hyperabduktion begabten homologen Gelenken der Enhydris, Lutra und Mustela unterscheidet sich jedoch das homologe Gelenk der Echidna durch andere Lage des Bewegungscentrums und weniger ergiebige Hyperabduktionsbewegungen. Es ist bereits von den bisher untersuchten, mit permanenter Hyperabduktion begabten Cal.-Ast.-Gelenken (Enhydris, Lutra und Mustela zibellina) nachgewiesen worden, dass dieselben aus Cal.- Ast.-Gelenken von Stammgruppen (ursinagleichen Gelenken) ent- standen sind; es ist zweifellos, dass auch dasjenige der Echidna aus einem dreifacettigen, mit normalen Beuge- und Streckbewegun- gen begabten Stammgruppengelenk seinen Ursprung genommen hat, 424 Gustav Tornier indem es dessen Hyperabduktionscharaktere durch vorwiegenden Gebrauch dieser Bewegung zum Maximum ausbildete, dabei seine vorderen Gelenkflächen z. B. vollständig verlor. Es stammt je- doch sicherlich nicht von einem ursinagleichen Gelenk her, denn wäre dies der Fall, dann müsste sein Bewegungscentrum und seine Bewegungsmechanik adäquat sein denjenigen der oben genannten Gelenke, auch spricht dagegen die bei Echidna sehr beträchtliche Kürze des Cal.-Halses: Calcanei mit kurzem Hals stehen immer auf einer tiefen Stufe der Phylogenese; dies gilt auch für den Cal. der Echidna und in letzter Instanz auch für dessen Ausgangsform. Das Cal.-Ast.-Gelenk der Echidna stammt also von einem phylogenetisch sehr tief stehenden homologen Stammgruppengelenk, von einem solchen mit sehr kurzem Cal.-Hals und quantitativ wenig ergiebigen Hyperabduktionsbewegungen, deren Rotationscentra verhältnismäßig nahe dem Centrum der normalen Beuge- und Streckbewegung des Gelenks gelegen sind. 4 Die quantitativ wenig ergiebigen Hyperabduktionsbewegungen im Cal.-Ast.-Gelenk der Echidna sind ein Beweis für dessen phyloge- netisch niedrige Stellung aus folgenden Gründen: Es ist nachge- wiesen worden, dass während der Phylogenese der Stammgruppen- gelenke die Horizontalbewegungen in denselben in dem Maße er- giebiger werden, in welchem die mit ihnen verbundenen sagittalen Gelenkbewegungen durch Verkürzung des vertikalen Durchmessers des medialen Ast.-Theils an Ergiebigkeit abnehmen. Da die Hyper- abduktion eine Horizontalbewegung ist, so wird dieselbe um so er- giebiger sein, je höher phylogenetisch das sie ausführende Stamm- gruppengelenk steht. — Auch durch anatomische Gelenkcharaktere lässt sich dies beweisen: In phylogenetisch tief stehenden Stamm- sruppengelenken haben die laterale Seite des Ast. und die ihr gegen- überliegende mediale Seite des Cal. annähernd vertikale Lage, bei jeder einigermaßen beträchtlichen Horizontalbewegung in diesen Ge- lenken stoßen jene beiden Knochenseiten gegen einander und ver- hindern so das weitere Fortschreiten der Bewegung. Es sind nunmehr noch einige frappirende anatomische Charak- tere des Cal.-Ast.-Gelenks der Echidna auf ihre Entwicklungsge- schichte hin zu untersuchen, erstens die Thatsache, dass bei diesem Individuum die laterale Gelenkfläche des Cal. den Abschnitt eines vertikal stehenden Kegelmantels bildet, dessen Spitze in dem me- dialen Rand der Facette, dessen Basis in deren lateralem Rand zu suchen ist. Die Phylogenese dieses Gelenkcharakters ist fol- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 425 sende: Bereits wiederholt ist nachgewiesen, dass die Gelenkflächen in Gestalt dünner Platten ihrem Knochenkörper aufgelagert sind und andererseits, dass in den Cal.-Ast.-Gelenken der Stammgruppen aus der Fossa interarticularis des Cal. entspringende Ligamentfibrillen in den Sulcus plantaris des Ast. verlaufen und beide Knochen an einander befestigen, dieselben nehmen ihren Ursprung unmittelbar an dem medialen Rande der lateralen Gelenkfläche des Cal. und inseriren eben so an dem medialen Rande der lateralen Gelenkfläche des Ast. Diese Ligamentfibrillen verknöchern bei Echidna von ihren Insertionsstellen am Cal. aus und verwachsen zugleich mit denselben, so dass dadurch der Cal. der Echidna eine Vergrößerung seines Kno- chenkörpers erfährt. Der so entstandene, in den Sulcus plantaris des Ast. hineinragende Knochenfortsatz dieses Cal. reibt nunmehr während der Gelenkbewegungen an dem medialen Rande der lateralen Gelenk- flächenplatte des Ast., die dabei an einander gepressten Theile des ossi- fieirten Ligaments und der lateralen Ast.-Platte überziehen sich mit Gelenkknorpel, nehmen also Gelenkflächencharaktere an. Diese Ge- lenkfiiichen-Neubildungen stoßen unmittelbar an die medialen Ränder der lateralen Facetten des Cal. und Ast. und verschmelzen zuletzt mit denselben, so entsteht die kegelförmige laterale Gelenkfläche des Echidna-Cal. und ihre entsprechende Facette am Ast. Derjenige Gelenkflächenkomplex am Cal. der Echidna, welcher bisher von mir als laterale Facette dieses Knochens bezeichnet worden ist, ist also genau genommen die laterale Facette des Knochens in Verbindung mit dem von Gelenkknorpel überzogenen ossifieirten Ligamente sei- ner Fossa interarticularis. Dafür spricht auch Folgendes: Betrachtet man die laterale Facette des Cal. der Echidna genau, so zeigt sich, dass ihre Oberfläche in medio-lateraler Richtung nicht geradlinig dorso -plantarwärts abfällt, sondern eine schwache dorsalwärts schauende Konkavität besitzt; die Gelenkfläche zeigt durch diese Gestalt, dass sie zusammengesetzt ist, aus der in latero-medialer Richtung dorso-plantarwärts abfallenden, eigentlichen lateralen Fa- cette des Knochens und dem in latero-medialer Richtung planto- dorsalwärts aufsteigenden, verknöcherten Ligament der Fossa inter- articularis. Ähnlich wie die laterale Facette am Cal. der Eehidna verän- derte Gelenkflächen finden sich an Tarsalknochen nicht selten und werden im Verlauf dieser Arbeit noch öfter besprochen werden: es verknöchert z. B. ein Theil des Ligaments, welches bei Phalangista® vulpina vom Dorsum des Cal. an das des Cub. geht (Fig. 53 »), und 426 Gustav Tornier , bei Didelphys in ganz ähnlicher Weise wie bei Echidna das Band an der Plantarseite des Fußes, um welches das Cub. am Cal. ento- vertirt wird. Das Cal.-Ast.-Gelenk des Orycteropus capensis ist ein sol- ches mit permanenter Hyperabduktion, weil in demselben sowohl am Ast. (Fig. 15) wie Cal. (Fig. 14) die vorderen Gelenkflächen voll- ständig fehlen, und die Köpfe dieser beiden Knochen durch keine Gelenkbewegung in unmittelbare Berührung mit einander gebracht werden können (Fig. 1). Cal. und Ast. dieser Individuen besitzen also nur je zwei Gelenkflächen für einander, der Cal. die auf seinem Körper liegende »laterale« (Fig. 14 7) und die als Anhang aus dem- selben hervortretende »mediale« Facette (m), der Ast. die gleich- namigen dazu gehörigen Facetten. Die laterale Gelenkfläche des Orycteropus-Cal. ist in proximo-distaler Richtung dorsalwärts konvex gekrümmt, gestattet also normale Beuge- und Streckbewe- gungen des Gelenks, doch ist diese Krümmung der Gelenkflächen andererseits eine so starke, dass die in ihr ausführbaren normalen Bewegungen fast reine Ento- und Eetoversionen sind. — Der starken dorsalwärts schauenden Konvexkrümmung der lateralen Facette des Orycteropus-Cal. entspricht eine eben so starke dorsalwärts schauende Konkavkrümmung, welche die mediale Fläche des Knochens in me- dio-lateraler Richtung besitzt; dabei endet die laterale Facette des Knochens proximalwärts in ganz normaler Weise unmittelbar hinter dem proximalen Rand des Sustentaculum tali. Sie unterscheidet sich von den homologen Gelenkflächen der bisher untersuchten physio- logisch gleichwerthigen Gelenke dadurch, dass ihr Proximalrand scharf und kräftig gegen den Körper des Knochens abgesetzt erscheint. ähnlich wie bei Ursus arctos, während er bei Ursus ornatus, Enhy- dris ete. in denselben allmählich verstreicht. Auch dadurch unter- scheidet sich Orycteropus von den letztgenannten Individuen, dass sich bei ihm an jenen Gelenkflächenrand keine proximale Rand- facette anschließt. Hyperabduktionscharaktere zeigt die laterale Facette des Cal. des Orycteropus in Folgendem: Ihre proximal-mediale Ecke ist sehr bedeutend abgestumpft, ihr distaler Rand dagegen von bedeutender Länge und zeigt besonders durch seine ungemein starke verbreiterte distal-mediale Eeke, dass die zugehörige Gelenkfläche sich in Folge der extremen Hyperabduktion in dieser Richtung stark erweitert hat. während ihre proximal-mediale Ecke durch dieselbe Ursache um eben so viel atrophirte. Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 427 Die mediale Facette des Knochens besitzt nichts Charakteristi- sches; zu bemerken wäre nur, dass ihre Form und strenge Abge- schlossenheit auf den ersten Blick zeigen, dass der Zwischenraum zwischen ihr und der in der Stammgruppe des Gelenks vorhanden gewesenen vorderen Gelenkfläche des Knochens niemals überknorpelt gewesen ist, dafür spricht auch der Umstand, dass am Ast. des Orye- teropus die Grube für das Lig. ast.-cal.-nav.-plantare vollständig intakt erhalten ist (Fig. 15 p). Im Cal.-Ast.-Gelenk des Orycteropus werden neben den bereits erwähnten normalen Beuge- und Streckbewegungen vorwiegend Hy- perabduktionsbewegungen ausgeführt (Fig. 14 und 15 Richtung der Pfeile); dieselben finden wie bei den Ursina, Lutra und den übrigen Angehörigen dieser Gruppe um Centra statt, welche in den lateralen Gelenkflächen des Ast. und Cal. liegen (y) und zwar nahe der Mitte des lateralen Randes dieser Gelenkflächen. — Der Umstand, dass im Cal.-Ast.-Gelenk des Orycteropus eine Uberknorpelung des Zwischen- raums zwischen der vorderen und medialen Facette des Cal. niemals stattgefunden hat und die Thatsache, dass proximale Randfacetten weder an seinem Ast. noch Cal. vorkommen, deuten mit Entschieden- heit darauf hin, dass in diesem Gelenk die Hyperabduktionsbewe- gungen quantitativ geringer sein müssen, als in den homologen Ge- lenken der Lutra ete. Dafür spricht auch Folgendes: Das Cal.-Ast.- Gelenk des Orycteropus unterscheidet sich von den eben erwähnten durch diejenigen Charaktere, welche beweisen, dass der vertikale Durchmesser seines medialen Ast.-Theils im Vergleich zu denjenigen seines lateralen Ast.-Theils viel länger ist als in jenen Gelenken: Die laterale Gelenkfläche seines Cal. zeigt nämlich in latero-medialer Richtung sehr starke Neigung dorso-plantarwärts, dessgleichen die mediale Facette des Knochens in proximo-distaler Richtung, außer- dem steht die mediale Seite des Cal. bei Orycteropus nahezu senk- recht, ein Beweis dafür, dass bei diesem Individuum .die an der- selben früher befindliche vordere Facette nahezu senkrecht gestanden haben muss, während beide Knochentheile bei Ursus arctos, ornatus, Lutra ete. fast horizontal liegen. Diese anatomischen Gelenkcharak- tere genügen zum Beweise, dass im Cal.-Ast.-Gelenk des Oryeteropus die Sagittalbewegungen weniger beschränkt sind als in denjenigen der Ursiden, Lutra ete. Wie bereits früher aus einander gesetzt worden ist, vermag von zwei Cal.-Ast.-Gelenken dasjenige die ergiebigsten Hyperabduktions- bewegungen auszuführen, dessen normale Beuge- und Streckbewe- 428 Gustav Tornier gungen am wenigsten Sagittalbewegungen sind: da diese im Cal.- Ast-Gelenk des Orycteropus stärker hervortreten als in dem der Ursiden ete., folgt einmal, dass von den verglichenen Gelenken das erstere die unergiebigsten Hyperabduktionen ausführt und zweitens. dass es desshalb nicht von einem Cal.-Ast.-Gelenk gleich dem des Ursus arctos abstammen kann, weil von zwei Cal.-Ast.-Gelenken das zu stärkerer Sagittalbewegung befähigte niemals von dem dazu weniger befähigten abstammen kann, und weil ferner, auch wenn dies möglich wäre, das Cal.-Ast.-Gelenk des Orycteropus trotzdem nicht die in seinem Stammgruppengelenk mangelnde Sagittalbewe- gung sekundär während seiner Phylogenese zurückerworben haben kann, weil in den Cal.-Ast.-Gelenken, welche permanente Hyperab- duktionsstellungen erwerben, der vertikale Durchmesser des media- len Ast.-Theils im Verhältnis zu demjenigen des lateralen Ast.- Theils um so mehr an Länge verliert, je extremer die Entwicklung wird, die Sagittalbewegung des Gelenks unter diesen Umständen also nicht Zu-, sondern im Gegentheil Abnahme erfährt: das Cal.- Ast.-Gelenk des Orycteropus stammt mithin von einem homologen Stammgruppengelenk ab, welches phylogenetisch tiefer steht als das ursingleiche Stammgruppengelenk. Es steht aber andererseits phy- logenetisch nicht so tief als das der Echidna und seiner Stamm- gruppe, weil seine Hyperabduktionsbewegung wegen der Lage ihrer Bewegungscentra und der daraus resultirenden Rotationen derjenigen im ursidengleichen Gelenk ungleich näher steht; das Stammgruppen- gelenk des Orycteropus hat also seine pbylogenetische Stellung zwischen dem ursinagleichen Stammgruppengelenk und dem der Echidna-Stammgruppe. — Das Cal.-Ast.-Gelenk des Dasypus setosus (Fig. 17 und 15) steht auf genau derselben Stufe der Phylogenese wie das des Orye- teropus, unterscheidet sich von demselben nur in einigen sekundären Charakteren. Dass es ein Gelenk in permanenter Hyperabduktions- stellung ist, beweist der Umstand, dass in ihm vordere Gelenkflächen vollständig fehlen, und die Köpfe seiner Konstituenten durch be- trächtlichen Zwischenraum permanent von einander entfernt gehalten werden. Die laterale Gelenkfläche des Cal. (Fig. 17) des Dasypus setosus hat Herzform, ihre abgestumpfte, etwas eingebuchtete Spitze ist medianwärts gerichtet, ihre stark eingebuchtete Basis lateral- wärts. Ihrem distalen Rand schließt sich eine kleine distale Rand- facette an (d) der natürlicherweise eine zugehörige, gleichartig ge- legene Gelenkfläche am Ast. (d) entspricht. Der proximale Rand Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 429 der lateralen Gelenkfläche des Cal. ist scharf gegen den Knochen- körper abgesetzt, eine Randfacette schließt sich demselben nicht an. Die mediale Facette des Cal. des Oryeteropus (m) hat nichts Charakteristisches; eine Gelenkfliche für die Crista capsulae findet sich an ihrem proximalen Rand (cr), außerdem schließt sich ihrer distal-lateralen Ecke eine kleine Facette an (e), welche mit einer an der distal-lateralen Ecke der medialen Facette des Ast. liegenden, durch Überknorpelung eines Theils der Fossa pro. lig. ast.-cal.-plan- tare entstandenen Facette artikulirt (Fig. 17 e). Würde an einem der Knochen die gegenwärtig scharf markirte Grenze seiner beiden ebengenannten Gelenkflächen verschwinden, so würde dadurch die mediale Facette des Knochens an ihrer distal-lateralen Ecke zungen- artig verlängert erscheinen, ähnlich wie bei Lutra, Enhydris ete., ein Beweis dafür, dass bei dem letztgenannten Thiere diese Form der Gelenkfläche auf gleiche Weise entstanden ist. Das Hyperabduktionscentrum (y) liegt im Cal.-Ast.-Gelenk des Dasypus setosus genau so, wie in demjenigen des Orycteropus, näm- lich in der lateralen Gelenkfläche des Cal. und Ast. und zwar nahe der Mitte des lateralen Randes dieser Gelenkflächen. Die Hyperab- duktionsbewegungen des Gelenks sind Rotationen des Ast. um jene Centra und verlaufen in allen Gelenkflächen, also auch in der late- ralen des Cal., in lateralwärts geöffneten Kreissegmenten. Sekundär unterscheidet sich das Cal.-Ast.-Gelenk des Dasypus setosus von demjenigen des Orycteropus endlich noch durch geringere Länge des vertikalen Durchmessers seines medialen Ast.-Theils und durch die von dieser hervorgerufenen bekannten osteologischen Cha- raktere, welche ihrerseits verursachen, dass im Cal.-Ast.-Gelenk des Dasypus setosus die Horizontalbewegungen stärker hervortreten als in denjenigen des Orycteropus; doch geht das Dasypus-Gelenk in all diesen Charakteren nur sehr wenig über das des Orycteropus hinaus, erlangt jedenfalls durchaus nicht so extreme Ausbildung derselben wie die homologen Gelenke des Ursus arctos, der Lutra ete., denn es fehlen ihm eben so wie dem Gelenk des Orycteropus die proximalen Randfliichen vollständig. In dem zweiten mir vorliegenden Cal.-Ast.-Gelenk eines Dasy- pus setosus finden sich neben den bisher konstatirten Abweichungen von dem homologen Gelenk des Orycteropus noch folgende: an den medialen Rand der lateralen Gelenkflächen des Cal. dieses Indivi- duums (Fig. 17 7) schließt sich eine Gelenkfläche an, welche sich zungenartig in die Fossa interarticularis des Knochens, sowie über 430 Gustav Tornier den lateralen Theil des proximalen Randes des Sustentaculum tali ausdehnt; mit ihrem medialen Rand berührt sie unmittelbar den lateralen Rand der medialen Gelenkflächen und der Crista capsulae des Knochens ohne jedoch mit diesen Gelenkflächen zu verschmelzen. Auf ihr artikulirt eine neu entstandene Gelenkfläche des Ast. (Fig. 18 7), welche sich dem medialen Rand seiner lateralen Gelenk- fläche anschließt, auf der Crista capsulae des Ast. entlang ziehend den Suleus plantaris des Knochens zum Theil überbrückt und mit ihrem medialen Rand ebenfalls die mediale Facette und die Facette der Crista capsulae berührt. Der Cal. des Orycteropus und des bisher beschriebenen Dasypus setosus weist an Stelle dieser Gelenk- flächen folgende Charaktere auf: die Fossa interarticularis des Knochens wird proximalwärts von einem, aus dem Knochenkörper reliefartig hervortretenden Wulst begrenzt, welcher die proximal- mediale Ecke der lateralen Gelenkfläche mit der proximal-lateralen Ecke der medialen Facette des Knochens verbindet, aber nicht ganz die Niveauhöhe der Oberfläche dieser Facetten erreicht. Am Ast. der beiden Thiere erstreckt sich die Crista capsulae von der Tube- rositas medialis des Ast. beginnend bis zur Fibularfacette des Kno- chens als ungemein dicker Wulst, der aber zwischen lateraler und medialer Facette des Knochens eine kleine Einsenkung erfährt und dort keine Gelenkfläche trägt. Bringt man den Ast. des Oryctero- pus in Streckstellung auf den zugehörigen Cal., so werden die Proxi- malränder der beiden lateralen und der beiden medialen Gelenk- flächen zwischenraumlos an einander gepresst, dagegen berühren die Wülste, welche die gegenüberstehenden Ecken dieser Facetten ver- binden, einander nicht, sondern bleiben durch einen Zwischenraum von ziemlich beträchtlicher Weite von einander getrennt; bei dem Dasypus setosus aber, bei welchem diese Wülste von Gelenkknorpel überzogen sind, legen auch sie sich ohne Zwischenraum auf ein- ander. Die mechanischen Ursachen der Entstehung dieser Gelenk- flächen können leider erst später klargelegt werden, da sie bisher nicht besprochene Gelenkbewegungen sind. Denselben mechani- schen Ursachen verdanken fernerhin noch zwei im Cal.-Ast.-Gelenk jenes Dasypus vorhandene, aber bis dahin noch nicht erwähnte Gelenkflächen ihren Ursprung (wv) die am Cal. befindliche schließt sich unmittelbar der distal-medialen Ecke der medialen Gelenkfläche des Knochens an, die zugehörige des Ast. füllt den medialen Ab- schnitt der Fossa des Lig. ast.-cal.-nav.-plantare vollständig aus, überbrückt dort also den Zwischenraum zwischen medialer und Nav.- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 431 Facette des Knochens: auch auf sie komme ich später ausführlich zurück. — Das mit. nur zwei Facetten versehene Cal.-Ast.-Gelenk des Wombat (Fig. 19 und 20), in dem die vorderen Gelenkflächen gänz- lich atrophirt sind, beweist durch seine Anatomie und ferner durch seine Gelenkmechanik, dass es ein echtes Hyperabduktionsgelenk ist. Seine Hauptbewegung (Fig. 19 und 20 Richtung der Pfeile) ge- schieht als Rotation um Centra (y), welche in den lateralen Facetten seines Ast. und Cal. und zwar nahe der Mitte des medialen Randes dieser Gelenkflächen gelegen sind. Des Ast. Bewegung um diese Centra ist eine vorwiegend horizontale, doch treten zugleich mit der- selben Sagittal- und Transversalbewegungen des Ast. auf. Der Ast. des Wombat rotirt unter diesen Umständen in der lateralen Facette des Cal. in einem proximo-distalwärts verlaufenden, medialwärts geöffneten Kreisbogen, in der medialen Facette des Cal. disto- proximalwärts in einem lateralwärts geöffneten Bogen. Dass diese Rotation seines Ast., die viel Ähnlichkeit mit einer normalen Ge- lenkbewegung hat, thatsächlich eine Hyperabduktion ist, lehrt die Lage ihres Bewegungscentrums; dieselbe ist typisch für Hyperab- duktion, denn das Centrum der normalen Beuge- und Streckbewegung eines Cal.-Ast.-Gelenks liegt nicht in seinen lateralen Facetten, sondern in seiner Fossa interarticularis. Dureh die Lage seines Hyperabduktionscentrums, das nahe dem Medialrand seiner lateralen Gelenkflichen liegt, durch seine nur wenig von normalen Beuge- und Streckbewegungen abweichenden Hyperab- duktionsbewegungern und durch deren quantitativ geringe Ergiebig- keit steht das Cal.-Ast.-Gelenk des Wombat demjenigen der Echidna sehr nahe, unterscheidet sich aber von demselben dadurch sehr wesentlich, dass sein Bewegungscentrum wirklich in der lateralen Facette des Knochens liegt, während es bei Echidna noch nicht in derselben, sondern in und medianwärts von ihrem Medialrand gelegen ist. Bei den Oryeteropus- und Lutra-artigen Cal.- Ast.-Gelenken liegt das Hyperabduktionscentrum in den lateralen Facetten des Ast. und Cal.; sie stimmen hierin also mit den Wombatgelenken überein. aber ihr Centrum liegt nahe dem lateralen Rande dieser Gelenk- flächen. Dadurch unterscheiden sie sich also wiederum von dem des Wombat, sowie auch dadurch, dass in ihnen die Hyperabduktions- bewegungen viel stärker von den normalen Beugebewegungen des Gelenks abweichen und quantitativ viel ergiebiger sind. Das Cal.- Ast.-Gelenk des Phascolomys Wombat steht also durch die Lage 432 Gustav Tornier seines Hyperabduktionscentrums und dureh die aus derselben resul- tirenden Hyperabduktionsbewegungen zwischen dem der Echidna- und denen der Orycteropus- und Lutra-artigen Individuen. Da alle Cal.- Ast.-Gelenke mit typischen Hyperabduktionscharakteren aus normalen Cal.-Ast.-Gelenken ihren Ursprung nehmen, so ist zweifellos, dass dasjenige des Wombat auch aus einem solchen entstanden ist, aber aus einem solchen, welches phylogenetisch höher steht als das der Echidna und phylogenetisch tiefer als das der Oryeteropus- und Lutra-artigen Individuen. Die bisher untersuchten Cal.-Ast.-Gelenke mit wohl entwickel- ten Hyperabduktionscharakteren zeigen in Betreff der Lage ihrer Hyperabduktionscentra analoge Erscheinungen wie die Cal.-Ast.- Gelenke der vorwiegend laufenden Säugethierarten: Bei Echidna liegt das Hyperabduktionscentrum noch medianwärts vom medialen Rand der lateralen Facette des Cal. und Ast.; beim Wombat in der lateralen Facette aber nur wenig von der Mitte des medialen tandes dieser Gelenkfläche entfernt, bei den Orycteropus- und Lutra- artigen Hyperabduktionsgelenken in den lateralen Facetten der Kno- chen aber nahe dem lateralen Rand derselben und zwar zweifellos in den Orycteropus-artigen Gelenken demselben etwas weniger nahe als in den Lutra-artigen, wie daraus hervorgeht, dass in den Oryc- teropus-Gelenken die Hyperabduktionsbewegungen noch mehr Sagit- talbewegungen sind, als in den Lutra-artigen. Das Hyperabduktions- centrum des Gelenks liegt also um so mehr lateralwärts, je höher phylogenetisch das Individuum steht. In den Cal.-Ast.-Gelenken der vorwiegend laufenden Individuen zeigt sich Folgendes: In den niedrigst stehenden sind nur quantitativ beschränkte normale Be- wegungen, keine Hyperbeugungen ausführbar, in den Artiodactylen- Gelenken liegt das Hyperbeugungscentrum noch im der lateralen Facette des Ast. und Cal., am distalen Rande dieser Gelenkflächen, bei den Perissodactylen und Caniden distalwärts von dem distalen Rand dieser Gelenkfliichen; das Hyperbeugungscentrum liegt also um so mehr distalwärts, je höher phylogenetisch das Individuum steht. Die Lage der Hyperabduktionscentra hat folgenden Einfluss auf die Gelenkmechanik: Im Cal.-Ast.-Gelenk der Echidna bewegt sich der dem Distal- abschnitt des Ast. angehörige Kopf des Knochens distal-medialwärts, in dem der Lutra dagegen medial-proximalwärts, im ersteren Fall ent- fernt er sich desshalb nur wenig von dem des Cal., im zweiten Fall Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 433 schon im Beginn der Bewegung, im Verlauf derselben in sehr aus- giebigem Maß. Im Cal.-Ast.-Gelenk des Wombat wird er distal- medialwärts bewegt, also verhältnismäßig nur wenig hyperabducirt, wenn auch etwas stärker als bei Echidna; mit anderen Worten, je weiter lateralwärts das Hyperabduktionscentrum in einem Gelenk liegt, d. h. je höher phylogenetisch dasselbe steht, desto ergiebiger sind seine Hyperabduktionsbewegungen. Auch theoretische Betrach- tungen sprechen für die Richtigkeit dieses Satzes: In phylogene- tisch tief stehenden normalen Cal.-Ast.-Gelenken (Stammgruppen- gelenken) sind die Sagittalbewegungen von großer Ergiebigkeit, die Horizontal- und Transversalbewegungen dagegen quantitativ sehr beschränkt. Die in diesen Gelenken nahezu vertikal stehende Medialseite des Cal. und die ihr gegenüberliegende Lateralseite des Ast. verhindern jede größere Horizontalbewegung des Gelenks, in- dem sie beim Versuch zur Ausführung derselben fest gegen einander gepresst werden und so jede Weiterbewegung verhindern; desshalb ist natürlicherweise auch keine Hyperhorizontalbewegung in diesen Gelenken ausführbar, da eine solehe noch über die normalen Hori- zontalbewegungen des Gelenks hinausgeht. Je geringer die Sagittal- bewegungen in einem Stammgruppengelenk sind, d. h. je höher phylogenetisch dasselbe steht, desto mehr treten seine Horizontalbe- wegungen hervor, und desto leichter wird es außerdem sein, in ihm Hyperhorizontalbewegungen zur Ausführung zu bringen, da hier keine senkrecht stehenden Cal.- und Ast.-Seiten solchen Bewegungen Schwierigkeiten entgegensetzen. Je beschränkter also in einem Cal.- Ast.-Gelenk die Sagittalbewegungen sind, desto besser ist dasselbe zur Ausführung von Hyperabduktionsbewegungen begabt. Von zwei Cal.-Ast.-Gelenken mit Hyperabduktionsbewegungen steht mithin das- jenige phylogenetisch am höchsten, dessen Hyperabduktionsbewegungen die ergiebigsten sind, d. h. dessen Hyperabduktionscentra am meisten lateralwärts liegen; diese seine phylogenetische Stellung verdankt das Gelenk entweder seiner eigenen hohen phylogenetischen Stel- lung als Stammgruppengelenk oder seiner Abstammung von einem solchen. — Das Cal.-Ast.-Gelenk des Phascolomys latifrons (Fig. 21 und 22) geht in der Ausbildung seiner wohlentwickelten Hyperabduk- tionscharaktere noch ein wenig über das des Phascolomys Wombat hinaus, und zwar in folgender Weise: Am Cal. des Phascolomys Wombat war nur der proximale Rand der lateralen und medialen Facette durch Gelenkknorpel verbunden, während sich die Fossa Morpholog. Jahrbuch. 16. 28 434 Gustav Tornier interarticularis des Knochens wohl entwickelt zeigte, am Cal. des Phascolomys latifrons dagegen ist auch diese Grube gänzlich von Gelenkknorpel überzogen, so dass bei ihm die beiden Facetten voll- ständig in einander überzugehen scheinen. Diese Neubildung von Gelenkknorpel ist zweifellos auf folgende Weise entstanden: Das Cal.-Ast.-Gelenk des Phascolomys latifrons wurde noch einseitiger als das des Wombat hyperabdueirt, dabei presste sich sehr oft der distale Rand seines Ast. auf den distalen Rand des zugehörigen Cal. und auf die Bandfasern der Fossa interarticularis desselben und be- wirkt so die Uberknorpelung dieser Druckstellen. Da diejenige des Cal. von der lateralen bis zur medialen Facette des Knochens reicht, wird durch ihre Umwandlung der Anschein erweckt, als wären diese beiden Facetten des Knochens unmittelbar mit einander verwachsen, was in facto keineswegs der Fall ist. — Natiirlicher- weise findet sich auch am Ast. des Phascolomys latifrons ein Gelenk- knorpelstreif, der dem des Wombat-Ast. fehlt, auf den am Cal. befindlichen neu entstandenen presst und einer Überknorpelung des distalen Randes der lateralen Facette und des angrenzenden Sulcus plantaris- Abschnitts des Ast. seinen Ursprung verdankt. — Obige Auseinandersetzungen beweisen aufs klarste, dass das Cal.-Ast.- Gelenk des Phascolomys latifrons aus einem Wombat gleichen Cal.- Ast.-Gelenk durch einseitigere Ausführung der Hyperabduktion des- selben entstanden sein kann, und lassen ferner erkennen, dass in diesen beiden Gelenken die Hyperabduktionsbewegungen nur wenig von normalen Beugebewegungen unterschieden sind. Die Cal.-Ast.-Gelenke der vorwiegend laufenden Säugethiere bilden vier analoge Entwicklungsreihen: Macropus-, Artiodactylen-. Perissodaetylen-, Canidenartige, die der bisher untersuchten Cal.- Ast.-Gelenke mit wohlentwickelten Hyperabduktionscharakteren ge- hören nur drei Typen an: Wombat-, Oryeteropus-Lutra-artige. Es fragt sich nunmehr, giebt es noch eine vierte, bisher unbesprochene Form von Hyperabduktionsgelenken? Nach meinen Untersuchungen bilden die Cal.-Ast.-Gelenke der Manis-Arten eine solche; das der Manis Temmincki (Fig. 3, 4, 5) zeigt typische Hyperabduktions- charaktere, vor Allem darin, dass sein Ast.-Kopf bei allen Gelenk- bewegungen auch während der Gelenkstreckung von dem des Cal. durch einen beträchtlichen Zwischenraum getrennt bleibt (Fig. 3). Auch die Hyperabduktion dieses Gelenks ist eine durchaus typische, sie findet als Rotation um Centra statt, welche ungefähr in der Mitte der lateralen Gelenkflächen gelegen sind (Fig. 4 und 5 p); auch Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 435 fehlen diesem Gelenk die vorderen Facetten vollständig. Aber nicht allein diese, sondern sogar seine medialen Facetten sind gänzlich atrophirt; es ist also ein ungeheuer extrem entwickeltes Hyperab- duktionsgelenk. Leider ist das mir vorliegende Material an Manis- Extremitäten nicht nur äußerst gering, sondern außerdem noch in wenig gutem Erhaltungszustand, doch schließe ich aus gewissen Charakteren dieses Gelenks und des zugehörigen Ast. und Cal., dass ihm eine Stellung zwischen den Beutelthier- und Orycteropus- artigen Hyperabduktionsgelenken angewiesen werden muss, dass es mithin aus einem Stammgruppengelenk entstanden ist, das zwischen dem des Wombat und dem des Orycteropus-artigen Gelenks in der Mitte steht. Cal.-Ast.-Gelenke in permanenter Hyperadduktionsstellung: Cynopitheci, Platyrrhini, Myrmecophaga, Chiromys. Die laterale Gelenkfläche des Cal. des Cynocephalus hamadryas L. (Fig. 44 7) ist, wie diejenige der Ursina (Fig. 6), jedoch in weit stärkerem Grade in disto-proximaler Richtung dorsalwärts konvex gekrümmt, ferner unterscheidet sie sich von der lateralen Gelenk- fläche des Cal. des Ursus arctos, welche letztere auch in medio- lateraler Richtung dorsalwärts konvex gekrümmt ist, dadurch, dass ihr eine solche Krümmung vollständig fehlt. — Die mediale Gelenk- fläche des Cal. des Cynocephalus hamadryas (m) zeigt, wie die des Ursus arctos, eine dorsalwärts schauende, äußerst schwache Konkay- krümmung; an ihrem proximalen Rand befindet sich eine Facette zur Artikulation mit der Crista capsulae des Ast. (cr). — Die vordere Gelenkfläche des Cynocephalus-Cal. (v) liegt, wie in allen bisher untersuchten Gelenken, als Reibfläche des Ast.-Kopfes an der me- dialen Seite des Cal.-Kopfes in Berührung mit dem medialen Rand der Cub.-Facette des Knochens. An ihren dorsal-lateralen Rand stößt unmittelbar eine andere Gelenkfläche des Cal. (v’), welehe auf dem Dorsum des Knochens, und zwar auf dem Halse desselben liegt und sich ziemlich weit über denselben hin erstreckt. Beide Gelenkflächen legen sich in einer scharf markirten Grenzlinie an einander, dabei einen dorsalwärts geöffneten flachen Winkel bildend. Der bei Ursus aretos nicht überknorpelte Zwischenraum zwischen der vorderen und medialen Facette des Cal. (Fig. 6 ) hat bei Cy- nocephalus einen Gelenkknorpelbelag, jedoch ist dieser so schwach und durchscheinend, dass die Grenzlinien der durch ihn verbundenen 28* 436 Gustav Tornier Facetten noch deutlich wahrnehmbar sind; auch mit der auf dem Hals des Cal. liegenden Gelenkfläche tritt dieser Knorpelbelag in unmittelbare Berührung, ohne mit ihm direkt zu verschmelzen. Untersucht man, welche Stellung die für den Ast. bestimmten Ge- lenkflächen am Cal. des Cynocephalus einnehmen und vergleicht damit deren Verhalten im Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus arctos, so er- giebt sich, dass der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils im Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus stärker verkürzt ist als in dem des Ursus arctos. Es ist nämlich am Cal. des Cynocephalus hama- dryas die latero-mediale Achse der lateralen Gelenkfläche nur wenig in dorso-plantarer Richtung gesenkt und die mediale Gelenkfläche stark dorsalwärts am Körper des Knochens emporgerückt; außer- dem liegt die proximo-distale Achse der letzteren fast horizontal, bei Ursus arctos dagegen in dorso-plantarer Richtung geneigt; außer- dem ist die dorso-plantare Achse der vorderen Gelenkfläche des Knochens aus der vertikalen Stellung stark in latero-medialer Rich- tung abgelenkt. ; Die laterale Gelenkfläche des Ast. des Cynocephalus hamadryas (Fig. 45 7) zeichnet sich entsprechend der zugehörigen Gelenkfläche des Cal. dadurch aus, dass sie nicht, wie bei den Caniden, aus zwei in einer Firste zusammenstoßenden Hälften besteht, sondern eine Oberfläche besitzt, welche in disto-proximaler Richtung plantar- wärts konvex gekrümmt ist, in medio-lateraler Richtung dagegen nahezu eben erscheint, in dem ersten Charakter stimmt sie mit der homologen Gelenkfläche des Ursus arctos überein, durch letzteren unterscheidet sie sich von derselben, die auch in medio-lateraler Richtung plantarwärts schauende Konvexkrümmung aufweist: im Umriss ist sie nierenförmig gestaltet, ihr Hilus schaut lateralwiirts. Die mediale Gelenkfläche des Ast. des Cynocephalus hamadryas (Fig. 45 m) zeigt wie die der Ursina plantarwärts schauende Konvex- krümmung geringen Grades, unterscheidet sich aber andererseits von der homologen Gelenkfläche der Ursina dadurch, dass die Mitte ihres lateralen Randes mit starker Ausbuchtung gegen die laterale Gelenkfläche des Knochens vorspringt, während ihr medialer Rand viel weniger stark in medialer Richtung gegen die Reibfläche des Lig. tib.-cal.-nav. hin ausgebuchtet ist. — Die vordere Gelenkfläche des Ast. des Cynocephalus hamadryas liegt wie bei allen bisher untersuchten Thieren auf der lateralen Seite des Ast.-Kopfes, jedoch nicht wie bei den Crocodilinen und Artiodactylen mit der dorso- plantaren Achse genau senkrecht, sondern die letztere ist hier wie Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hiutergliedmaßen. 437 bei den Ursinen und Caniden aus der vertikalen Stellung stark in latero-medialer Richtung abgelenkt. — Während bei Ursus aretos (Bd. XIV, Taf. XII Fig. 26) und bei anderen bisher untersuchten Individuen zwischen der medialen Gelenkfläche des Ast. einerseits und den an einander stoßenden proximalen Rändern der vorderen, Cub.- und Nav.-Fläche des Ast. auf der anderen Seite eine von Gelenkknorpel nicht überzogene Grube (p) liegt, in welcher das Lig. eal.-ast.-nav.-plantare seinen Ursprung nimmt, ist diese Grube am Ast. des Cynocephalus hamadıyas von Gelenkknorpel völlig überzogen, das Ligament gänzlich atrophirt, es wird dadurch der Anschein erweckt, als seien sämmtliche oben genannten Gelenk- flächen am Ast. des Cynocephalus hamadryas mit einander ver- schmolzen; dass es in facto nicht der Fall ist, lehren die zarten, doch wohl erhaltenen, hierbei in Betracht kommenden Grenzlinien jener Gelenkflächen. — An dem medialen Rand des am Ast. des Cynocephalus hamadryas die Grube für das Lig. cal.-ast.-nav.-plan- tare ausfüllenden Gelenkknorpels (w), von ihm durch eine scharf markirte Grenzlinie getrennt, liegt eine zwar kleine, aber trotzdem wohl entwickelte Reibfläche für das Lig. tib.-cal.-nav. (f). Dieselbe stößt an den medialen Rand der Nav.-Fläche und erstreckt sich bis hart an den distal-medialen Rand der medialen Facette des Knochens. Nimmt das Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus hamadryas ex- treme Beugestellung ein, wobei die distalen Ränder der beiden la- teralen Gelenkflächen auf einander liegen, und führt man aus dieser Knochenstellung die Streckung des Gelenks aus, so beschreibt der Ast. am Cal. zuerst um ein in der Fossa interartieularis liegendes Centrum (x) einen Kreis (Richtung der punktirten Pfeile), d. h. die Streckung des Cal.-Ast.-Gelenks des Cynocephalus hamadryas ver- läuft anfänglich genau in derselben Weise wie die normale Streck- bewegung in dem homologen Gelenk des Ursus arctos und anderer Stammgruppenvertreter. So wie bei diesen Thieren ist die Gelenk- streckung auch bei Cynocephalus hamadryas aus der streckenden Sagittal-, adducirenden Horizontal- und Entoversionsbewegung des Ast. kombinirt und ruft homologe Bewegungen in den homologen Facetten des Gelenks hervor: Sie verläuft in der lateralen Gelenk- fläche des Cal. beider Thiere in disto-proximaler Richtung, wobei das proximale Ende der die Rotation ausführenden lateralen Gelenkflächen des Ast. gleichzeitig median-plantarwärts gleitet, während das distale Ende dieser Gelenkfläche sich lateral-dorsalwärts bewegt: in der medialen Facette des Cal. verläuft die Streckbewegung des Ast. 438 Gustav Tornier proximo-distalwärts, wobei gleichzeitig das proximale Ende der ro- tirenden medialen Facette des Ast. medial-plantare Richtung ein- schlägt und dadurch von der medialen Seite des Cal. entfernt wird, während das distale Ende der Gelenkfläche durch Bewegung in lateral-dorsaler Richtung derselben um eben so viel näher rückt: die vordere Gelenkfläche des Ast. gleitet in derjenigen des Cal. in medio-lateraler Richtung planto-dorsalwärts. Hat das Cal.-Ast.- Gelenk des Cynocephalus hamadryas das Maximum seiner normalen Streckung erreicht, dann liegen die proximalen Ränder der lateralen Gelenkflächen fest auf einander; die Crista capsulae ruht auf ihrer keibfläche am proximalen Rand der medialen Gelenkfläche des Cal. und die vordere Facette des Ast. schaut mit ihrem lateral-dorsalen Theil aus der zugehörigen Gelenkfläche des Cal. hinaus: ferner sind das distale Ende der lateralen Facette des Cal. und das distale Ende der medialen Facette des Ast. unbedeckt. Unmittelbar aus dem Maximum dieser seiner normalen Streck- stellung kann nun der Ast. des Cynocephalus hamadryas eine weitere Bewegung am zugehörigen Cal. ausführen, und zwar in folgender Weise: die bereits im Maximum der Gelenkstreckung auf einander liegenden proximalen Ränder der lateralen Flächen des Gelenks pressen sich bei Beginn der neuen Bewegung mit ihren proximal- medialen Ecken fest auf einander, und um diese beiden Druckpunkte als Centra (z) beschreibt nunmehr der Ast. am Cal. einen vorwiegend horizontal liegenden Kreis in proximo-medio-disto-lateraler Richtung (Richtung der massiven Pfeile). Während des Verlaufs dieser Ro- tation legen entsprechend der Art der Bewegung sämmtliche Punkte der Plantarseite des Ast. um jene Mittelpunkte proportionale Weg- strecken in koncentrischen Kreisbögen zurück. Es sei hier nochmals bemerkt, dass diese neue Kreisbewegung des Ast. unmittelbar aus dem Maximum seiner normalen Streckbewegung ihren Anfang nimmt, mithin als deren modifieirte Fortsetzung angesehen werden kann. Ihre Wirkung auf die Stellung der Gelenkflächen des Cal.-Ast.-Ge- lenks ist folgende: Während der normalen Streckung des Gelenks wird der Kopf des Ast. mit seiner vorderen Gelenkfläche an den des Cal. und dessen zugehörige Facette gepresst und bewegt sich an demselben planto-dorsalwärts in medio-lateraler Richtung. Im Maximum der Gelenkstreckung überragt er dorsalwärts den Kopf des Cal. und mit ihm ist der dorsal-laterale Abschnitt der vorderen Gelenkfläche des Ast. dorsalwärts aus der vorderen Facette des Cal. hinausgeglitten Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 439 und bloßgelegt, während zu gleicher Zeit eben so viel vom plantar- medialen Rand der vorderen Gelenkfläche des Cal. freigelegt wor- den ist!; es berühren sich also im Maximum der normalen Gelenk- streekung nur noch der dorsal-laterale Abschnitt der vorderen Ge- lenkfläche des Cal. und der Plantartheil der vorderen Facette des Ast. — Während des Verlaufs der modifieirten Streckbewegung des Gelenks gleitet der Kopf des Ast. an dem des Cal. noch stärker in planto-dorsaler Richtung medio-lateralwärts entlang, und zwar so weit, bis seine vordere Gelenkfläche aus derjenigen des Cal. voll- ständig dorsalwärts hinausgleitet und der Kontakt zwischen beiden vorderen Facetten somit gänzlich aufgehoben ist. Alsdann schiebt sich der Kopf des Ast., indem er sich in lateral-proximaler Rich- tung fortbewegt, auf den Kopf des Cal., so dass nunmehr die Köpfe beider Knochen nicht mehr, wie im Maximum der Gelenkstreckung neben, sondern senkrecht über einander liegen (Fig. 27)!. Im Ver- lauf dieser Gelenkbewegung gleitet der laterale Abschnitt des am Ast. des Cynocephalus hamadryas die ursprüngliche Grube für das Lig. ast.-cal. plantare überziehenden Gelenkknorpels in der auf dem Hals seines Cal. gelegenen Gelenkfläche, die sich unmittelbar an dessen vordere Facette anschließt. Während der normalen Streckung des Gelenks bewegt sich die laterale Facette des Ast. auf derjenigen des Cal. in disto-proximaler Richtung, wobei sich ihr distales Ende dorsalwärts erhebt und la- teralwärts abgelenkt wird, ihr proximales Ende dagegen plantar- wärts gesenkt und medianwärts abgelenkt wird. Im Verlauf der modifieirten Streckung des Gelenks bleibt die proximal- mediale Ecke der lateralen Gelenkfläche des Ast. auf der entsprechenden Ecke der lateralen Facette des Cal. fest gebannt, da in ihr das Centrum der neuen Bewegung liegt, sonst aber rotirt die ganze la- terale Gelenkfläche des Ast. um dieses Centrum in lateral-proxi- maler Richtung mit folgender Wirkung: Während selbst im Maxi- mum der normalen Gelenkstreckung die laterale Facette des Ast. an keiner Stelle die entsprechende Facette des Cal. verlässt, gleitet sie nunmehr mit ihrem ganzen lateralen und proximalen Rand über die entsprechenden Ränder der lateralen Gelenkfläche des Cal. ein beträchtliches Stück lateral-proximalwärts hinaus, wodurch nicht nur die hinübergleitenden Theile der lateralen Gelenkfläche des Ast., ! Fig. 26 cal + ast des Cynocephalus im Maximum der normalen Streckung; Fig. 27 cal + ast des Cynocephalus in Hyperadduktion. 440 Gustav Tornier sondern auch der distal-mediale Abschnitt der lateralen Facette des Cal. bloßgelegt werden. In der medialen Gelenkfläche des Cal. verläuft die normale Streckbewegung dorso-plantarwärts in proximo-distaler Richtung. wobei das distale Ende der medialen Facette des Ast. lateralwiirts. ihr proximales Ende dagegen medianwärts abgelenkt wird. Im Verlauf der modifieirten Streckung des Gelenks- schlägt die ganze mediale Gelenkfläche des Ast. lateral-proximale Richtung ein, wo- durch nicht nur ihr ganzer lateraler Rand, sondern auch der mediale Rand der medialen Gelenkfläche des Cal. in entsprechender Weise bloßgelegt wird. Vergleicht man endlich die Bewegung des Ast.-Kopfes während der normalen und der modificirten Streckung des Gelenks, so er- giebt sich, dass derselbe im letzteren Fall latero - proximalwärts, d. h. viel stärker lateralwärts bewegt wird als während der nor- malen Streckung. Aus dieser Vergleichung geht hervor, dass die im Cal.-Ast.- Gelenk des Cynocephalus hamadryas auftretende modificirte Streck- bewegung des Ast. eine fast reine Horizontalbewegung ist, welche unmittelbar aus dem Maximum der normalen Gelenkstreckung ihren Ursprung nimmt, und die Wirkung der mit dieser verbundenen »ad- ducirenden Horizontalbewegung« ins Maximum steigert, denn wie letztere verläuft sie als Rotation in medio-disto-latero-proximaler Richtung und schiebt dabei, um nur das Frappirendste zu nennen. den Kopf des Ast. horizontal auf den des Cal., während es der adducirenden Horizontalbewegung des Gelenks nur gelingt, die- selben in unmittelbare Berührung mit einander zu bringen, um dieser ihrer Eigenschaften willen mag die modifieirte Streckbewegung des Cal.-Ast.-Gelenks des Cynocephalus hamadryas dessen »hyperaddu- cirende Horizontalbewegung« heißen. Die Rotationscentra der hyperadducirenden Horizontalbewegung des Gelenks (z) liegen an den zugehörigen Knochen weit mehr proximalwärts als die Centra der normalen Streckbewegung des- selben (x), dies hat zur Folge, dass bei Beginn der erstgenannten Rotation jeder Punkt der Plantarseite des Ast. seine, während der normalen Streckung innegehaltene Bewegungsrichtung modificirt. Es nähert sich z. B. der Kopf des Ast. während seiner normalen Streckung in latero-distaler Richtung dem Kopf des Cal., während seiner hyperadducirenden Horizontalbewegung schiebt er sich da- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 441 gegen in einer entschieden lateral-proximalwärts streichenden Richtung auf den Kopf des Cal. ete. Während der hyperadducirenden Horizontalbewegung des Ge- lenks geschieht die Bewegung des Ast.-Kopfes an dem des Cal., wie bereits nachgewiesen ist, indem der Knorpelbelag der Fossa pro lig. ast.-cal.-nav.-plantare (vw) in der auf dem Hals des Cal. liegenden Gelenkfläche (v’) gleitet, zugleich streicht dieser Knorpelbelag jedoch auch mit seinem medialen Abschnitt über denjenigen (7), welcher am Cal. des Cynocephalus hamadryas den Zwischenraum zwischen vorderer und medialer Gelenkfläche des Knochens ausfüllt. — Wenn die modifieirt fortgesetzte Streekbewegung des Cal.-Ast.- Gelenks des Cynocephalus ham. von mir eine hyperadducirende Horizontalbewegung des Knochens genannt wird, soll damit natür- licherweise nicht behauptet werden, dass dieselbe eine ganz reine Horizontalbewegung ist. Dass dies nicht der Fall sein kann, geht aus Folgendem unwiderleglich hervor: Im Maximum der Gelenk- streckung ist zwar der Kopf des Ast. an demjenigen des Cal. dor- salwärts emporgerückt, aber doch nur so weit, dass er mit seinem Plantarabschnitt in einer Horizontalebene neben dem Dorsum des Cal. liegt und der dorsal-laterale Theil der vorderen Gelenkfläche des Cal. mit dem Plantartheil der vorderen Facette des Ast. in Be- rührung steht; würde nun die Hyperadduktionsbewegung des Gelenks als reine Horizontalbewegung beginnen und danach streben den Kopf des Ast. aus jener Stellung durch Rotation in einer Horizontalebene lateral-proximalwärts . fortzubewegen, dann würde diese Bewegung unmöglich ausgeführt werden können, weil bereits im Beginn der- selben die neben einander liegenden Partien der Knochen-Köpfe und deren in Berührung stehenden vorderen Gelenkflächenabschnitte sofort fest an einander gepresst würden und dadurch die Bewegung verhin- dern müssten. Damit die Hyperadduktionsbewegung des Gelenks überhaupt möglich wird, ist es also nothwendig, dass der Kopf des Ast. vorher ganz über den des Cal. emporgeschoben und die vordere Gelenkfläche des Ast. aus der des Cal. hinausgerückt wird, digs geschieht, indem der Ast. vor Beginn seiner eigentlichen Hyperad- duktionsbewegung um seine Proximo-Distal-Achse planto-latero-dorso- medialwärts rotirt, d. h. indem er eine neue entoversirende Trans- versalbewegung ausführt. Im Verlauf dieser Bewegung dreht sich, wie bekannt, der Ast.-Kopf um die Disto-Proximal-Achse des Kno- chens in der angegebenen Richtung, dadurch schiebt sich seine laterale Seite dorsal-medialwärts am Kopf des Cal. empor und über 412 Gustav Tornier denselben hinaus, während zu gleicher Zeit und durch dieselbe Be- wegung seine vordere Gelenkfläche aus derjenigen des Cal. gänzlich hinausgleitet. Erst nach Verlauf dieser Entoversionsbewegung tritt die eigentliche hyperadducirende Horizontalbewegung des Gelenks in Thätigkeit und schiebt den Kopf des Ast. über den des Cal. Eine Sagittalbewegung des Gelenks ist mit der hyperaddueiren- den Horizontalbewegung desselben nicht verbunden aus folgendem Grunde: Im Verlauf der letzteren bleibt die proximal-mediale Ecke der lat. Fläche des Ast. beharrlich in der von ihr beim Beginn dieser Bewegung d. h. im Maximum der Gelenkstreckung eingenommenen Position. Daraus geht hervor, dass während der hyperaddueirenden Horizontalbewegung des Gelenks der Ast. keine Sagittalbewegung ausführt, denn wäre dies der Fall, so müsste die proximal-mediale Ecke der lateralen Gelenkfläche des Ast. mehr plantarwärts hinab- gleiten, was nicht geschieht. Endlich ist noch zu bemerken: Wenn die hyperaddueirende Horizontalbewegung im Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus ham. ein gewisses Maximum erreicht hat, dann bewegt sich ähnlich wie bei der Hyperflexion das Bewegungscentrum des Ast. von denjenigen des Cal. in der Bewegungsrichtung fort: also lateral-proximalwirts. so dass alsdann der ganze Ast auf dem Cal. lateral-proximalwiirts dahingleitet. Außer seiner Befähigung zur Ausführung von Hyperadduktions- bewegungen besitzt das Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus ham. noch eine fast eben so extreme ausgebildete Befähigung zur Ausführung von hyperabducirenden Horizontalbewegungen. Dieselben verlaufen in ihm genau so wie im Cal.-Ast.-Gelenk der Ursina, Luthra ete., d. h. als disto-medio-proximo-lateralwärts gerichtete Rotationen des Ast. um Bewegungscentra, welche in den lateralen Gelenkflächen des Ast. und Cal. und zwar nahe der Mitte des lateralen Randes dieser Gelenkflächen liegen. Auch die Wirkungen der hyperabdueirenden Horizontalbewegungen sind in beiden Gelenken genau dieselben; auch in dem des Cynocephalus ham. wird durch sie der Kopf des Ast. von demjenigen des Cal. stark planto-medianwärts entfernt, so dass die vorderen Gelenkflächen der Knochen dabei vollständig außer Artikulation gerathen ete. Hyperbeugung ist dagegen im Cal.-Ast.- Gelenk des Cynocephalus hamadryas nicht möglich. Resultat: Das Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus ham. besitzt die Befähigung zur Ausführung normaler Beuge- und Streckbewegungen, sowie zur Ausführung von Hyperabduktions- und Hyperadduktions- bewegungen. Die letzteren finden statt, indem sich der Ast.. nach- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 443 dem er seine normale Streckung am Cal. ausgeführt hat, mit der | proximal-medialen Ecke seiner lateralen Gelenkfläche auf die ent- sprechende Ecke der lateralen Gelenkfläche des Cal. presst und um diesen festliegenden Punkt eine mit einer geringen Entoversion ver- bundene Horizontalbewegung ausführt, wodurch der Kopf des Ast. auf den Hals und Kopf des Cal. hinaufgeschoben wird. Dies ge- schieht dadurch, dass er mit seiner vorderen Gelenkfläche aus der vorderen Gelenkfläche des Cal. vollständig hinausgleitet und mit der überknorpelten Fossa des Lig. cal.-ast.-plantare in der auf dem Kopf des Cal. nahezu horizontal liegenden Hyperadduktionsfiäche dieses Knochens sich weiter bewegt. — Es ist ein höchst wichtiges Faktum, dass im Cal.-Ast.-Gelenk des Ursus arctos wie alle bisher unter- suchten Gelenkbewegungen auch eine hyperadducirende Horizontal- bewegung möglich ist; sie beginnt wie die im Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus ham., sobald der Ast. im Maximum seiner normalen Streckung angelangt ist, kann also auch als modifieirte Fortsetzung dieser Bewegung angesehen werden; sie findet um genau dieselben in der Proximal-medial-Ecke der lateralen Gelenkflächen liegende Bewegungscentra statt und hat als Rotation in disto-latero-proximo- medialer Richtung genau dieselbe Wirkung auf die Stellung der das Gelenk bildenden Knochen, wie die Hyperadduktionsbewegung im Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus ham. Unter ihrem Einfluss verlässt die vordere Gelenkfläche des Ast. vollständig diejenige des Cal., der Kopf des Ast. schiebt sich in beträchtlichem Maß auf denjenigen des Cal., der laterale Rand der lateralen Gelenkfläche des Ast. weit über den entsprechenden Rand der lateralen Gelenkfläche des Cal. ete. Ja noch mehr: An dem mir vorliegenden Ast. eines Ursus aretos (Bd. XIV, Taf. XII Fig. 26) zieht sich an den Plantarrand der vorderen (v), Cub.- und Nav.-Facette des Knochens eine schmale langgestreckte Gelenkfläche (w) hin, welche von sämmtlichen eben- genannten Facetten des Knochens durch eine feine Grenzlinie getrennt ist. Sie kommt einzig und allein während der Hyperadduktion mit dem Cal. in Berührung und zwar nur mit dem Dorsalrand der vor- deren Gelenkfläche dieses Knochens, daraus ergiebt sich mit Sicher- heit, dass dieser in die Fossa des Lig. ast.-cal.-plantare weit hinein- ragende Gelenkknorpel in facto den ersten Anfang einer Überknor- pelung jener Ligamentgrube darstellt, und dass deren Überknorpelung durch Hyperadduktionsbewegungen herbeigeführt worden ist, weil nur während dieser Bewegungen die erwähnte Gelenkfläche in Thitig- keit tritt. Es ist gewiss, dass am Ast. des eben beschriebenen 444 Gustav Tornier Ursus arctos die Überknorpelung der Fossa das Lig. cal.-ast.-plantare bedeutend zunehmen würde, wenn das Cal.-Ast.-Gelenk dieses Indi- viduums vorwiegend Hyperadduktionsbewegungen ausführen würde, und dass sich alsdann auch die Stelle seines Cal., welche jener Überknor- pelung als Gleitfläche dient, allmählich mit Gelenkknorpel überziehen und schrittweise zu einer Hyperadduktionsfacette umbilden würde. Mit anderen Worten: Wenn das Cal.-Ast.-Gelenk des erwähnten Ursus arctos fast ausschließlich zur Ausführung von hyperaddueiren- den Horizontalbewegungen verwendet würde, so würde dasselbe zweifellos Charaktere annehmen, welche denjenigen im Cal.-Ast.- Gelenk des Cynocephalus ham. aufs genaueste entsprechen würden. Wir dürfen daher annehmen, dass ein Cal.-Ast.-Gelenk gleich dem des Ursus arctos durch fast ausschließliche Verwendung zur Hyper- adduktion sich allmählich in das Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus hamadryas umgewandelt hat. Diese Annahme geräth nicht ins Wanken, sondern findet eher Bestätigung, sobald man untersucht, in welcher Weise sich die verti- kalen Durchmesser der Ast.-Theile in den beiden Thierspecies ver- halten. Bei Ursus arctos ist der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils länger als derjenige des zugehörigen lat. Ast.-Theils: bei Cynocephalus ham. ist das Längenverhältnis dieser Durchmesser ein umgekehrtes, derjenige des medialen Ast.-Theils ist etwas kürzer als der des lateralen. Wenn nun auch, wie bereits früher wieder- holt nachgewiesen worden ist, aus diesem Divergenzcharakter der beiden verglichenen Gelenke kein direkter Schluss in Betreff ihrer Phylogenese gezogen werden kann, da während der Cal.-Ast.-Ge- lenk-Phylogenese in gänzlich verschiedenen Säugethiergruppen die relative Verkürzung des vertikalen Durchmessers des medialen Ast.- Theils selbständig eintritt, im vorliegenden Fall also Parallelentwick- lung vorliegen kann, spricht andererseits indirekt der Umstand, dass der Durchmesser des medialen Ast.-Theils bei Cynocephalus ham. kürzer ist als bei Ursus arctos, auch nicht gegen sondern eher für die Annahme, dass das Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus ham. von einem homologen Gelenk gleich dem des Ursus arctos abstammen kann; in facto beweist er allerdings nur, dass das Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus ham. stärkere Horizontalbewegungen ausführen kann als das des Ursus aretos und dass letzteres nicht von ersterem abstammen kann. Thiere, deren Cal.-Ast.-Gelenke als Zwischenstufen zwischen dem des Ursus arctos und dem des Cynocephalus ham. anzusehen sind, Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 445 kenne ich nicht; andererseits ist sehr wichtig, dass die Cal.-Ast.- Gelenke der sämmtlichen Hundsaffen (Cynopitheci) mit dem des Cynocephalus ham. auf ein und derselben Entwicklungsstufe stehen, so dass es unmöglich ist, in dieser Säugethierfamilie die einzelnen Gattungen auf Grund der Ausbildung ihrer Cal.-Ast.-Gelenke in einer phylogenetischen Reihe anzuordnen. Untersucht sind von mir fol- sende Cynopitheei: Colobus Kirkii Z. M. ad. 4191; Semnop. leuco- prymnus Z. M. 6127; Semnop. leucoprymnus Privat; Cercopithecus sabaeus Z. M. 816 und 2247; Cercopith. Aethiops Privat; Macacus nemestrinus Z. M. 1363; Cynopithecus niger Z. M. 1362; Cynoce- phalus hamadryas Z. M. 1089. Zur Erhärtung meiner Angabe, dass fundamentale Unterschiede in der Ausbildung der Cal.-Ast.-Gelenke der verschiedenen Hunds- affengattungen nicht vorkommen, diene die folgende Vergleichung: Auf dem Hals des Cal. des Semnopithecus nasicus liegt die Hyper- adduktionsfläche mit ihrer Medio-lateralachse etwas weniger horizontal als bei Cynocephalus hamadryas; ferner ist bei ersterem der Winkel, den die vordere und Hyperadduktionsfacette des Cal. bilden, fast gestreckt und die Trennungslinie beider Gelenkflächen ganz ver- wischt. Die laterale Gelenkfläche des Cal. besitzt bei Semnop. nas. einen verhältnismäßig kurzen disto-proximalen Durchmesser und über- trifft die des Cynocephalus ham. durch eine viel stärkere dorsalwärts gerichtete Konvexkrümmung; der mediale Rand der Gelenkfläche ist bei Semnopithecus nierenförmig gebildet, bei Cynocephalus ham. reicht dagegen die proximal-mediale Ecke dieser Gelenkfläche nicht so weit medianwärts, wesshalb die laterale Gelenkfläche dieser Thiere, als Einheit betrachtet, an ihrem proximalen Ende etwas verschmälert erscheint. Am Ast. des Semnop. nas. ist der laterale Rand der lateralen Gelenkfläche stark nierenförmig ausgebuchtet, bei Cyno- cephalus kaum gewellt. Der Zwischenraum zwischen lateraler und medialer Gelenkfläche des Ast. ist bei ersterem viel geringer, die Ausbuchtung der Mitte des lateralen Randes der medialen Facette des Ast. bei Semnopith. viel größer als bei Cynocephalus ham. Diese Charaktere könnten als Beweise dafür betrachtet werden, dass Sem- nopitheeus nas. in der Ausbildung des Cal.-Ast.-Gelenks phylogene- tisch höher steht als Cynocephalus ham.; aber bei letzterem ist der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils zweifellos etwas kürzer als bei Semnopithecus nas., in Folge dessen stoßen am Ast. des Cynocephalus ham. die Gelenkflächen für den Malleolus internus und die mediale Gelenkfläche des Knochens unmittelbar an einander, 446 Gustav Tornier bei Semnopithee. nas. sind sie durch einen Zwischenraum getrennt. Dies würde ein Beweis dafür sein, dass Cynocephalus ham. phylo- genetisch etwas höher steht als Semnopithee. nas.; vergleicht man aber Semnopith. leucoprymnus mit den beiden bisher untersuchten Thieren, so wird man finden, dass dieses Individuum in fast allen oben ge- schilderten Charakteren auf der Entwicklungsstufe des Cynocephalus ham. steht. Man erkennt daraus, dass die im Cal.—Ast.-Gelenk des Semnopithecus nasieus auftretenden Abweichungen von der Form der homologen Gelenkfläche des Cynocephalus ham. und Semnopithecus leucoprymnus nur ganz sekundäre, individuelle Aberrationen von der allen Hundsaffen gemeinsamen Gelenkform darstellen. Die anderen untersuchten Hundsaffen stehen in den erwähnten Charakteren bald Cynocephalus ham. bald Semnopithecus nas. nahe, zeigen jedoch fast ohne Ausnahme eine Mischung der Charaktere beider Arten, was wiederum beweist, dass deren Divergenz nur sekundäre Wichtig- keit beizumessen ist. — Von den mir sonst noch zur Untersuchung vorliegenden Cal.- Ast.-Gelenken hat dasjenige der Myrmecophaga jubata (Fig. 30, 31, 47, 48!) wohlentwickelte Hyperabduktionscharaktere, ja es geht in deren Ausbildung noch über die bisher untersuchten gleichartigen Gelenke hinaus. Sein Cal. (Fig. 47) besitzt an der Medialseite seines Kopfes eine wohl entwickelte vordere Facette (v), an deren Dorsalrand sich unmittelbar die Hyperabduktionsfacette des Knochens anschließt (v’). Dieselbe liegt mit ihrer Medio-lateral- Achse an- nähernd horizontal und bildet mit der vorderen Facette des Knochens einen konvexen, dorsal-medialwärts geöffneten Winkel, dessen Scheitel- linie in der grätenartig vorspringenden, gut erhaltenen ursprünglichen Berührungsstelle der beiden Gelenkflächen liegt. — Am Cal. der Myrmecophaga findet sich ferner eine laterale Facette (2), dieselbe ist in proximo-distaler Richtung nur sehr schwach dorsalwärts konvex gekrümmt und ist auffälligerweise mit der medialen Facette des Knochens (2), die auf einem beträchtlichen und aus dem Cal.-Körper "stark vorspringenden Sustentaculum liegt, durch Gelenkknorpel un- trennbar verwachsen; außerdem verwächst mit den beiden Gelenk- flächen noch die Facette der Crista eapsulae des Cal. (cr), in Folge dessen erscheint der auf dem Sustentaculum tali liegende Abschnitt der verwachsenen Gelenkflächen dorsalwärts konvex gekrümmt. ı Fig. 30 cal + ast in normaler Lage; Fig. 31 dieselben im Maximum der Hyperadduktion. Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 447 Am Ast. der Myrmecophaga (Fig. 48) findet sich eine wohl ent- wickelte vordere Facette (v), dieselbe umfasst jedoch nicht mehr wie bei den Ursiden den lateralen und Plantarrand der Cub.-Facette des Knochens, sondern nur noch den Plantarrand derselben; ihr fehlt mit anderen Worten der Dorsalabschnitt der vorderen Facette des Ursinen-Cal. Zwischen der vorderen, der Nav.- und medialen (m) Facette des Cal. liegt bei Myrmecophaga ein Gelenkknorpel (2), welcher die bei den Stammgruppengelenken freie Grube des Lig. cal.-ast.-plantare ausfüllt, ganz so wie bei den Cynopitheci; der mit diesem Gelenkknorpel in unmittelbarer Berührung stehende distale Rand der medialen Facette des Knochens ist noch wohl er- halten. Die Cal.-Ast.-Gelenke der Cynopitheci und der Myrmecophaga unterscheiden sich in ihren Bewegungen folgendermaßen: In dem der Cynopitheei sind quantitativ recht ergiebige normale Beuge- und Streekbewegungen ausführbar; in dem der Myrmecophaga ist die normale Beugefähigkeit weit geringer, die normale Streckbewegung dagegen eben so ergiebig. Die Hyperadduktionsbewegungen finden im Cal.-Ast.-Gelenk der Myrmecophaga genau in derselben Weise statt wie in denen der Cynopitheci, d. h. als fast reine disto-latere- proximo-medialwärts gerichtete Rotationen des Ast. (Richtung der Pfeile) um Centra (y) in den proximal-medialen Ecken der lateralen Facetten des Gelenks. Dass diese Rotationsbewegungen auch im Myr- mecophaga-Gelenk typische Hyperadduktionen sind, lehrt am besten Autopsie (Fig. 30 und 31), demnächst die Thatsache, dass in diesem Gelenk der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils an Länge gleich ist dem vertikalen Durchmesser des zugehörigen lateralen Ast.-Theils und desshalb nur Horizontalbewegungen in seinem Cal.- Ast.-Gelenk zulässt. — Die anatomischen Charaktere, welche der Hyperadduktion zu Grunde liegen, sind im Cal.-Ast.-Gelenk der Myrmecophaga sogar extremer entwickelt als in dem der Cynopitheci, dies wird bewiesen erstens durch die Thatsache, dass im Myrmeco- phaga-Gelenk die normalen Beugebewegungen quantitativ beschränkter sind, und zweitens dadurch, dass in ihm die laterale und mediale Facette des gelenkbildenden Knochens untrennbar verwachsen sind. In den theoretischen Voruntersuchungen zu diesem Kapitel ist nachgewiesen worden, dass in einem ursinagleichen Stammgruppen- gelenk die Hyperadduktion aus dem Maximum der normalen Streck- stellung des Gelenks ihren Ursprung nimmt, die vorderen Facetten dabei völlig außer Artikulation gesetzt werden und die Plantarseite 448 Gustav ‘lornier des Ast. auf das Dorsum des Cal. hinaufgeschoben wird. Führt ein solches Gelenk vorwiegend seine Hyperadduktionsbewegungen aus, so wird die normale Beugefähigkeit desselben abnehmen, d. h. die laterale Facette seines Cal. in ihrem distalen Rande atrophiren, die vorderen Facetten des Gelenks werden gleichfalls funktionslos und atrophiren, das Dorsum des Cal. muss sich lateralwärts von seiner medialen und vorderen Facette mit Gelenkknorpel überziehen. In den Cal.-Ast.-Gelenken der Cynopitheci sind diese theoretischen Gelenkcharaktere wirklich eingetreten, in dem der Myrmecophaga erfahren dieselben eine weitere Steigerung, denn die Verwachsung der medialen und lateralen Facette des Myrmecophaga-Cal. ist zweifellos dadurch entstanden, dass die mediale Facette des Cal. der Cynopitheei mit ihrem Dorsalrand lateralwärts bis zum Medial- rand des lateralen Randes des Knochens fortwuchs und mit dem- selben untrennbar sich verband. Die Vereinigung der Facette der Crista capsulae des Cal. mit der lateralen Facette dieses Knochens ist gleichfalls durch die starken Hyperadduktionsbewegungen des Ge- lenks verursacht, im Verlauf derselben gleitet die Crista capsulae des Ast. auf dem ganzen Proximalrand des Sustentaculum tali lateral- wärts entlang und erzeugt dadurch die lückenlose, bis zur lateralen Facette des Knochens reichende Überknorpelung dieses Randes. Am Ast. der Myrmecophaga ist die Überknorpelung der Fossa interarti- cularis durch medianwärts fortschreitende Ausbuchtung des medialen Randes der lateralen Facette des Knochens entstanden, dieselbe schreitet so lange fort, bis sie den Dorsalrand der medialen Facette des Knochens erreicht und mit derselben verwächst. Die Uber- knorpelung des Zwischenraumes zwischen der lateralen Facette des Cal. und der Crista capsulae-Facette hat am Ast. dieselbe Ursache wie die Überknorpelung der zugehörigen Cal.-Theile. Obige Auseinandersetzungen genügen zum Beweise, dass das Cal.-Ast.-Gelenk der Myrmecophaga extremer entwickelte Hyper- adduktionscharaktere besitzt als das der Cynopitheei; es kann daher aus einem ursinengleichen Stammgruppengelenk seinen Ursprung genommen und während seiner Phylogenese aus demselben vorüber- gehend die anatomischen Charaktere der Cal.-Ast.-Gelenke der Cynopitheci besessen haben. Von den mir sonst noch zur Untersuchung vorliegenden Cal.- Ast.-Gelenken hat dasjenige der Chiromys madagascariensis (Fig. 28, 29, 46) wohl entwickelte Hyperadduktionscharaktere und -bewegungen, wie am besten Autopsie lehrt; dieselben stimmen so Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 449 genau mit denen der Cynopitheci überein, dass mir eine genaue Beschreibung derselben völlig überflüssig erscheint. Cal.-Ast.-Gelenke in permanenter Hyperentoversion: Prosimii, Pinnipedia, Procyon, Nasua. Von den mir zur Untersuchung vorliegenden Halbaffen ist Pro- pithecus diadema zweifellos dasjenige Individuum, dessen Cal.-Ast.- Gelenk (Fig. 55, 56) am wenigsten extreme Ausbildung besitzt und als Stammform der homologen Gelenke der übrigen Halbaffen an- gesehen werden kann. In diesem Gelenk vermag der Ast. am zuge- hörigen Cal. erstens um ein in der Fossa interarticularis liegendes Cen- trum (z) normale Beuge- und Streckbewegungen auszuführen ; zweitens ist er im Stande durch hyperabducirende Horizontalbewegungen seinen Kopf in planto-medialer Richtung von dem des Cal. weit zu entfernen, so dass die vorderen Gelenkflächen der beiden Knochen vollständig außer Artikulation gesetzt werden; hierbei rotirt der Ast. in disto- latero-proximo-medialer Richtung um die Hyperabduktionscentra des Gelenks (y), welche in den lateralen Gelenkflächen der beiden Knochen liegen; und drittens ist er befähigt eine Rotation am Cal. auszuführen, welche als modifieirte Fortsetzung seiner normalen Streckbewegung angesehen werden muss, denn dieselbe beginnt unmittelbar aus dem Maximum der normalen Gelenkstreckung, in dem die alsdann auf einander fallenden proximal-medialen Ecken der lateralen Gelenk- flächen fest auf einander gepresst werden (in z). Bis dahin stimmt die letzterwähnte Gelenkbewegung des Cal.-Ast.-Gelenks des Pro- pithecus diadema genau mit der hyperadducirenden Horizontalbewegung des homologen Gelenks des Cynocephalus hamadryas überein, in der Art der die Gelenkbewegung bildenden Rotation des Ast. aber divergiren beide Gelenke betriichtlich in Folge ihres divergenten anatomischen Baues. Am Cal. des Propithecus diadema sind nämlich wie an dem des Cynocephalus hamadryas die vordere (v) und mediale (m) Gelenk- fläche durch Gelenkknorpel (z) verbunden, aber die Lage dieser Gelenkflächen am Knochen und zu einander ist in beiden Thiergruppen wesentlich verschieden. Während bei Cynocephalus hamadryas die mediale Gelenkfläche des Cal. mit ihrem latero-medialen Durchmesser horizontal liegt und mit ihrer proximo-distalen Achse schwache Neigung in dorso-plantarer Richtung aufweist, senkt sich bei Pro- pithecus ihre latero-mediale Achse weit stärker in dorso-plantarer Morpholog. Jahrbuch. 16. 29 450 Gustav Tornier Richtung und ist außerdem ihre proximo-distale Achse weit mehr als bei Cynocephalus hamadryas in dorso-plantarer Richtung geneigt. Wie bereits früher nachgewiesen ist, liegt bei Cynocephalus hamadryas die Hyperadduktionsfläche des Cal. auf dem Dorsum des Cal.-Kopfes und -Halses, ihre latero-mediale Achse hat horizontale Lage, ihre proximo-distale Achse steigt planto-dorsalwärts auf; dagegen befindet sich die vordere Gelenkfläche des Knochens gänzlich auf der medialen Seite desselben in einer Vertikalebene, beide Gelenkflächen stoßen in einer Firste zusammen und bilden mit einander einen dorsal- medialwärts geöffneten konvexen Winkel. Am Cal. des Propithecus diadema tritt auch eine Hyperadduktionsfacette (v’) auf und schließt sich unmittelbar der vorderen Gelenkfläche des Knochens an, die- selbe liegt aber nicht wie bei Cynocephalus hamadryas auf dem Dorsum des Cal.-Kopfes und -Halses, sondern ganz ausschließlich auf der Medialseite des Knochens und in einer Vertikalebene, sie bildet daher auch nieht mit der vorderen Gelenkfläche des Knochens einen dorsalwärts geöffneten konvexen Winkel, sondern einen solehen von 180°, erscheint also als unmittelbare Fortsetzung und Verlängerung dieser Gelenkfliche. Am Cal. des Cynocephalus hamadryas ist die Hyperadduktionsfacette mit der medialen Gelenkfläche des Knochens durch Gelenkknorpel verbunden (Fig. 44 z) und beide Gelenkflächen als Einheit betrachtet stellen einen dorsalwärts geöffneten Sattel vor, in welchem der Ast. während seiner Hyperadduktionsbewegung dahin- gleitet. Am Cal. des Propitheeus ist die Hyperadduktionsfläche mit der vorderen Gelenkfläche des Knochens gleichfalls durch Gelenk- knorpel verbunden, auch hier bilden diese beiden Gelenkflächen als Einheit betrachtet einen Sattel, der aber nicht dorsalwärts, sondern fast rein medialwärts geöffnet ist; bei Cynocephalus hamadryas nimmt die vordere Gelenkfläche des Cal. gar nicht an der Bildung dieses Sattels theil, bei Propithecus dagegen bildet sie einen Abschnitt desselben. Die laterale Gelenkfläche des Propitheeus-Cal. (Fig. 55 7) weicht von derjenigen des Cynocephalus hamadryas (Fig. 44 7) einmal darin ab, dass sie in latero-medialer Richtung stärker als diese dorso- plantarwärts abgedacht ist, und zweitens darin, dass ihre proximal- laterale Ecke (a) auffällig stark proximalwärts verlängert erscheint. In facto ist jedoch die Gelenkfläche als solche nicht verlängert, denn der Gelenkknorpelabschnitt, welcher ihr dieses Ansehen giebt, ist eine proximale Randfläche des Knochens, entstanden in normaler Weise durch extreme Hyperabduktionsbewegungen des Gelenks. Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 451 Eine schwach hervorragende Grenzlinie trennt diese Gelenkfläche von der lateralen des Knochens. Die Plantarseite des Ast. des Propithecus diadema (Fig. 56) ist ungemein ähnlich dem homologen Knochentheil des Cynocephalus hamadryas (Fig. 45). Beiden Ast. gemeinsam ist, dass ihre Grube für das Lig. cal.-ast.-plantare (w) vollständig von Gelenkknorpel überzogen ist; in Folgendem unterscheiden sie sich dagegen: am Ast. des "Propithecus diadema ist die Reibfläche für das Lig. tib.-eal.- nav. (¢) stärker entwickelt als an dem des Cynocephalus hamadryas, der laterale Rand seiner medialen Gelenkfläche (m) ist in lateraler Richtung stärker ausgebuchtet und seine Gelenkfläche an der Crista capsulae (cr) ist größer als die am Ast. des Cynocephalus hamadryas, außerdem findet sich am Ast. des Propithecus diadema und zwar in Berührung mit der proximal-lateralen Ecke seiner lateralen Gelenk- fläche eine proximale Randfläche (w), während eine solche am Ast. des Cynocephalus vollständig fehlt und endlich liegt die mediale Gelenkfläche des Knochens (m) in Rücksicht auf dessen laterale Facette am Ast. des Propithecus tiefer plantarwärts als an dem des Cynocephalus hamadryas. Weil am Cal. des Propithecus diadema die laterale Gelenk- fläche in latero-medialer Richtung stärker dorso-plantarwärts abge- dacht, die mediale Gelenkfläche mit ihrer proximo-distalen Achse viel stärker plantarwärts gesenkt ist, als am Ast. des Cynocephalus hamadryas und endlich weil bei Propitheeus die vordere Gelenkfläche des Cal. mit ihrem Knorpelbelag in einer Sagittalebene an der gleich- falls sagittal stehenden medialen Seite des Knochens liegt, desshalb muss bei Propithecus der vertikale Durchmesser des medialen Ast.- Theils im Vergleich zu dem entsprechenden Durchmesser seines lateralen Ast.-Theils länger sein als der des Cynocephalus hamadryas. Dies ist in der That der Fall und wird direkt bewiesen, wenn man durch den Ast. und Cal. beider Thiere homologe Transversalschnitte legt und dieselben mit einander vergleicht; indirekt noch dadurch, dass am Ast. des Propithecus diadema die mediale Gelenkfläche des Knochens tiefer plantarwärts herabgesunken ist, als am Ast. des Cynocephalus hamadryas; daraus folgt dann ferner mit Sicherheit, dass im Cal.-Ast.-Gelenk des Propitheeus diadema die Horizontal- bewegung des Ast. weniger, die Sagittalbewegung desselben dagegen stärker hervortritt als in dem homologen Gelenk des Cynocephalus hamadryas. 20% 452 Gustav Tornier In Betreff der im Cal.-Ast.-Gelenk des Propithecus diadema stattfindenden modifieirten Fortsetzung der Streckbewegung ist Fol- gendes zu bemerken: Als Vorbereitung für dieselbe führt der Ast. des Propithecus diadema am zugehörigen Cal. aus dem Maximum seiner normalen Beugestellung zuerst seine normale Streckbewegung als Rotation um ein in der Fossa interarticularis des Knochens liegendes Bewegungscentrum aus, wobei sein Kopf an die laterale Seite des Cal.-Kopfes angepresst wird und mit seiner vorderen Ge- lenkfläche in derjenigen des Cal. in proximo-distaler Riehtung planto- dorsalwärts gleitet. Sobald die normale Streckbewegung des Ge- lenks ihr Maximum erreicht hat (Fig. 32), d. h. sobald die medial- proximalen Ecken der beiden lateralen Facetten des Gelenks in einander fallen, beginnt die modifieirte Streckbewegung des Ast. Dieselbe geschah im Cal.-Ast.-Gelenk des Cynocephalus hamadryas in folgender Weise: Die beiden ebengenannten Gelenkflächenabschnitte pressten sich fest auf einander (in z), und dann wurde durch eine ganz geringe entovertirende Transversalbewegung, welche der Ast. als Rotation um seine proximo-distale Achse ausführt, die vordere Gelenkfläche dieses Knochens vollständig aus derjenigen des Cal. in dorsaler Richtung herausgehoben und alsdann schob sich der Kopf des Ast. durch eine fast reine Horizontalbewegung lateral-proximal- wärts auf das Dorsum des Cal.-Kopfes und -Halses, so dass die Köpfe beider Knochen in Folge dieser Bewegung nahezu senkrecht über einander liegen (Fig. 27). Im Cal.-Ast.-Gelenk des Propithecus nimmt dagegen die modifieirte Fortsetzung der Streckbewegung des Ast. folgenden Verlauf: Wie bei Cynocephalus hamadryas presst sich, nachdem der Ast. das Maximum seiner normalen Streckbewe- gung erreicht hat, die proximal-mediale Ecke der lateralen Facette desselben auf die proximal-mediale Ecke der lateralen Facette des ‚Cal. (in z) und bildet so ein neues Rotationscentrum des Gelenks; um dasselbe führt der Ast. am Cal. eine Kreisbewegung aus, die sich von der des Cynocephalus hamadryas dadurch unterscheidet, dass sie nicht in einer Horizontalebene verläuft, sondern in einer solehen, welche sich aus planto-medialer Riehtung dorso-lateralwärts erstreckt, es rotirt nämlich der Ast. um seine Proximo-distal-Achse in planto-latero-dorso-medialer Richtung (Fig. 33, Richtung des Pfeils) und zwar so stark, dass jeder Punkt seiner Plantarseite in jener Richtung einen Kreisbogen von eirca 90° beschreibt, d. h. der Ast. des Propithecus diadema führt während seiner modificirten Streckung Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 453 am zugehörigen Cal. um seine Proximo-distal-Achse eine über das Normalmaß weit hinausgehende entovertirende Transversalbewegung aus, dieselbe mag daher seine Hyperentoversionsbewegung heißen. Die Folge dieser Bewegung ist (Fig. 33): Der Kopf des Ast. verlässt durch Dorsal-medialwärts-Gleiten mit seiner vorderen Ge- lenkfläche diejenige des Cal. vollständig, alsdann legt sich seine Plantarseite an die mediale Seite des Cal.-Kopfes, und zwar indem der Knorpelbelag der ursprünglichen Grube des Lig. cal.-ast.-plan- tare in der über der vorderen Facette des Cal. gelegenen Gelenk- fläche (v’) gleitet, woraus sich ergiebt, dass dieselbe die eigentliche Hyperentoversionsfläche des Knochens ist. Die Plantarseite des Ast. schiebt sich dabei an der medialen Seite des Cal. so weit em- por, bis der ganze, die Lig.-Grube überziehende Knorpelbelag mit der Entoversionsfacette des Cal. in Berührung getreten ist, dann hört die Bewegung auf. Während derselben gleitet außerdem noch ein Theil des die Grube für das Lig. cal.-ast.-plantare ausfüllenden Gelenkknorpels auf demjenigen Knorpelbelag, welcher die Hyper- entoversionsfacette des Cal. mit dessen medialer Facette verbindet. In den lateralen Facetten des Gelenks verläuft die Rotation folgendermaßen (Fig. 55 und 56, Richtung der Pfeile): In derjenigen des Cal. wurde der distale Abschnitt bereits während der normalen Streckbewegung des Ast. frei gelegt, nunmehr schiebt sich die la- terale Facette des Ast. dorsal-lateralwärts aus derjenigen des Cal. hinaus; dadurch wird von der lateralen Facette des Ast. der ganze laterale Abschnitt, von der des Cal. der ganze mediale Abschnitt bloßgelegt; ferner wird dabei von der medialen Facette des Ast. der ganze laterale, von der des Cal. der ganze mediale Bezirk außer Artikulation gesetzt. Obige Auseinandersetzungen beweisen unwiderleglich, dass die im Cal.-Ast.-Gelenk des Propithecus diadema stattfindende modifi- eirte Streckbewegung des Ast. in der Lage des Bewegungscentrums, in ihrer Eigenschaft als Rotation und in ihren Einflüssen auf die Stellung der Facetten des Gelenks aufs genaueste mit derjenigen übereinstimmt, welche im homologen Gelenk des Cynocephalus ha- madryas möglich ist, und sich von der letzteren nur dadurch unter- scheidet, dass sie eine nahezu reine Transversalbewegung, die des Cynocephalus- Gelenks dagegen eine fast reine Horizontal- bewegung ist; dieser Unterschied der beiden Gelenkbewegungen hat unter Anderem zur Folge, dass im Cal.-Ast.-Gelenk des Cynoce- phalus hamadryas der Kopf des Ast. in lateral-proximaler Richtung 454 Gustay Tornier auf das Dorsum des Cal.-Kopfes und -Halses geschoben wird, wäh- rend in dem des Propithecus diadema unter gleiehen Einflüssen der Kopf des Ast. die mediale Seite des Cal.-Kopfes nicht verlässt, sondern sich an dieser in dorsal-medialer Richtung emporschiebt. Endlich ist noch zu bemerken, dass im Cal.-Ast.-Gelenk des Propitheeus diadema, ähnlich wie in dem des Cynocephalus hama- dryas, Hyperabduktionsbewegungen möglich sind um Centra, welche in den lateralen Gelenkflichen des Cal. und Ast., aber nicht nahe der Mitte des medialen Randes derselben liegen, sondern mehr dem distalen Ende desselben genähert sind (y). Die proximalen Rand- facetten dieses Gelenks (x) verdanken denselben ihren Ursprung. Es wurde bereits früher erwähnt, dass von allen mir zur Unter- suchung vorliegenden Halbaffen Propithecus diadema die am wenig- sten extreme Ausbildung des Cal.-Ast.-Gelenks besitzt, ihm schließt sich unmittelbar Lepidilemur an (Fig. 57), dessen Cal. eine dorso- plantarwärts abfallende mediale Gelenkfläche (m), eine mit der Hyperentoversionsfacette (v’) des Knochens vereinigte, mit ihrem Knorpelbelag in einer Sagittalebene und an der medialen Seite des Knochens liegende vordere Facette (v), eine in latero-medialer Rich- tung stark dorso-plantarwärts abgedachte laterale Gelenkfläche 7) besitzt, an deren proximalen Rand eine proximale Randfläche stößt (z). Dessgleichen sind die Bewegungen in den Cal.-Ast.-Gelenken des Lepidilemur und Propitheeus genau dieselben, denn auch bei Lepidilemur führt der Ast. am zugehörigen Cal. neben seiner nor- malen Beuge- und Streckbewegung eine Hyperabduktions- und Hyper- entoversionsbewegung aus (Centrum der letzteren ist Punkt z). Die letztere ist ausschließlich Transversalbewegung des Ast.. während ihres Verlaufs schiebt sich der Kopf des Ast. nicht etwa durch Horizontalbewegung auf denjenigen des Cal., sondern gleitet in dorsal-medialer Richtung an dessen medialer Seite empor, indem er sich um seine disto-proximale Achse dreht und dadurch zugleich seine Plantarseite zur Artikulation mit dem Cal. bringt. — Es finden sich jedoch auch einige sekundäre Unterschiede in den Gelenken beider Individuen: Während in dem des Propitheeus die kombinirten lateralen Ränder der durch Gelenkknorpel verbundenen Hyperento- versions- und medialen Gelenkfläche des Cal. an ihrer Vereinigungs- stelle eine ziemlieh beträchtliche Einbuchtung des Knorpelbelags aufweisen, welche erkennen lässt, dass die Überknorpelung des Zwischenraums zwischen der vorderen und medialen Faeette des Cal. bei diesem Individuum erst begonnen hat, bildet dieser Rand Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 455 bei Lepidilemur eine fast gerade Linie, was beweist, dass im Cal.- Ast.-Gelenk dieses Individuums jene Zwischenraum-Überknorpelung weiter vorgeschritten, die Befähigung zur Ausführung von Entover- sionsbewegungen des Ast. noch extremer ausgebildet ist. Am Cal. des Propithecus ist die laterale Gelenkfläche in disto-proximaler Richtung entschieden stärker zusammengedrückt und besitzt daher stärkere dorsalwärts schauende Konvexkrümmung als die homologe Gelenkfläche des Propitheeus; am Ast. des Propithecus ist die la- terale Gelenkfläche viel stärker nierenförmig gekrümmt und der laterale Rand der medialen Gelenkfläche des Knochens in seiner Mitte viel stärker lateralwärts ausgebuchtet als im Cal.-Ast.-Gelenk des Propithecus der Fall ist. Dem Lepidilemur sehr nahe steht Lemur albifrons (Z. M.), der ein Cal.-Ast.-Gelenk mit entwickelten Hyperentoversionscharak- teren besitzt, das nur in folgenden sekundären Charakteren von demjenigen seines Vorgängers abweicht: Während am Cal. des Lepidilemur (Fig. 58) der gemeinsame Dorsalrand der durch Ge- lenkknorpel verbundenen medialen (2) und Hyperentoversionsfacette (v) eine fast gerade Linie bildet, steigt bei Lemur (Fig. 58) die Hyperentoversionsfacette (v’) bedeutend stärker dorsalwärts am Kno- chen empor und überragt daher den von dessen medialer (sm) Gelenk- fläche gebildeten Theil jenes Randes. Ferner ist die distale Rand- facette (d) des Cal. des Lemur albifrons relativ stärker entwickelt als die des Lepidilemur. Aus diesen allerdings geringfügigen Form- verschiedenheiten der beiden Cal.-Ast.-Gelenke geht hervor, dass in demjenigen des Lemur Hyperentoversions- und Hyperabduktionsbe- wegungen noch öfter ausgeführt werden als in dem seiner Vorgänger. Otolicnus agisymbanus (Z. M.) besitzt wie die vorigen Indi- viduen ein Cal.-Ast.-Gelenk mit wohlentwickelten Hyperentover- sionscharakteren, nimmt jedoch in der Ausbildung derselben eine bedeutend extremere Stellung ein als Lemur albifrons. Allerdings weisen an seinem Cal. (Fig. 59) die senkrecht stehende vordere (v) und Hyperentoversionsfacette (v') und die mit ihnen durch Gelenk- knorpel verbundene mediale Gelenkfläche des Knochens (m) keine bemerkenswerthen Abweichungen von den homologen Gelenkflächen des Lemur albifrons auf, dagegen ist bei Otolicnus die laterale Fa- cette des Cal. (7) in proximo-distaler Richtung enorm zusammen- gedrückt und desshalb in dorsaler Richtung fast halbkugelig ge- wölbt; auch die distale Randfacette (d) dieses Cal. ist bedeutend größer als die des Lemur albifrons: am wichtigsten jedoch ist fol- 456 - Gustav Tornier gender Charakter im Cal.-Ast.-Gelenk des Otolicnus: An der proxi- mal-medialen Ecke der lateralen Gelenkfläche seines Cal. und Ast.. an der Stelle, wo im Beginn der Hyperentoversionsbewegung seines Cal. - Ast. - Gelenks jene Gelenkflächenabschnitte fest an einander gepresst werden, finden sich zwei einander entsprechende kleine, neu entstandene Gelenkflächen (9). Die Entstehungsursache der- selben ist folgende: Während der Hyperentoversionsbewegung des Gelenks pressen sich die proximal-medialen Ecken der lateralen Gelenkflächen des Ast. und Cal. (in z) und damit auch die diese Facettenabschnitte umgrenzenden Gelenkflächenränder fest auf ein- ander; bei Otolienus agisymbanus, der sein Cal.-Ast.-Gelenk fast allein zu Hyperentoversionsbewegungen benutzt, werden diese Rän- der sehr oft an einander gepresst und überziehen sich in Folge dessen mit Gelenkknorpel, nach demselben Modus entstehen in den Cal.-Ast.-Gelenken mit wohlentwickelten Hyperbeugungscharakteren aus den distalen Rändern der lateralen Gelenkflächen die distalen Randflächen der Knochen (d) und in den Cal.-Ast.-Gelenken mit woblentwickelten Hyperabduktionscharakteren aus den proximalen Gelenkflächenrändern die proximalen Randfacetten (x). Das Vor- kommen jener Randfacetten bei Otolicnus liefert aber einen Beweis dafür, dass das Cal.-Ast.-Gelenk dieser Thiere viel einseitiger zu Hyperentoversionsbewegungen benutzt wird und besser dafür aus- gebildet ist, als das des Lemur albifrons. Eben so extrem entwickelte Hyperentoversionscharaktere wie der Cal. besitzt der Ast. des Otolienus (Fig. 76): Der laterale Rand seiner lateralen Gelenkfläche (/) ist ausgeprägt nierenförmig, die lateralwärts schauende Ausbuchtung des lateralen Randes seiner me- dialen (m) Facette ist so enorm, dass dieser Gelenkflächenrand un- mittelbar an den medialen Rand der lateralen Gelenkfläche des Knochens stößt. Aus den oben genannten Ast.-Charakteren geht mit Sicherheit hervor, dass im Cal.-Ast.-Gelenk des Otolicnus weit öfter Hyperabduktionsbewegungen ausgeführt werden als in dem des Lemur albifrons; Otolienus agisymbanus geht also in allen typischen Halbaffencharakteren des Cal.-Ast.-Gelenks noch über Lemur albi- frons hinaus. Die Pinnipedia haben Cal.-Ast.-Gelenke, welche denjenigen der Halbaffen ungemein nahe stehen, d. h. wohl entwickelte Hyper- entoversionscharaktere besitzen; von den mir zur Untersuchung vor- liegenden Pinnipedier-Gelenken steht zweifellos das der Otaria ursina (Fig. 42, 43, 66, 67) auf der niedrigsten Stufe der Hyperento- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 457 version. Am Cal. dieses Individuums besitzt die laterale Gelenk- fläche (Fig. 66 7) in proximo-distaler Richtung eine stark dorsalwärts schauende Konvex-Krümmung; in latero-medialer Richtung fällt sie ziemlich steil dorso-plantarwärts ab. Die Gelenkfläche als solche bildet außerdem die Hälfte eines flach ausgebreiteten Kegelmantels, dessen Spitze in der Mitte ihres medialen Randes liegt, dessen Längsachse aus plantar-medialer Richtung dorsal-lateralwärts ver- läuft. Die mediale Gelenkfläche des Knochens (m) liegt in proximo- distaler Richtung annähernd horizontal, in latero-medialer sehr stark dorso-plantarwärts gesenkt; sie ist mit der Gelenkfläche des Knochens, welche als dessen vereinigte vordere und Hyperentover- sionsfacette (v—+ v') angesehen werden muss und am dorsal-medialen Rand der Cub.-Fläche desselben entlang zieht, durch Gelenkknorpel vereinigt; bei einigen Otarien ist die Grenzlinie zwischen den so vereinigten Facetten vollständig verwischt, bei anderen noch deutlich wahrnehmbar. Die Hyperentoversionsfacette des Knochens liegt ganz auf dessen medialer Seite in nahezu senkrechter Stellung. Eine Facette für die Crista caps. fehlt dem cal. der Otaria ur- sina vollständig. Am Ast. der Otaria ursina fehlt die vordere Gelenkfläche voll- ständig, denn an der lateralen Seite seines Kopfes und lateralwärts von dessen Cub.-Facette (ce), d. h. an demjenigen Orte, wo die vor- dere Gelenkfläche des Knochens liegt und liegen muss, befindet sich keine Spur einer Gelenkfläche; dagegen ist an diesem Ast. die Fossa des Lig. cal.-ast.-plantare (+7) zwischen medialer, Cub.- und Nav.- Fläche des Knochens vollständig von Gelenkknorpel überzogen und untrennbar mit der angrenzenden medialen Facette (m) desselben vereinigt, nur eine sehr flache quer die vereinigten Facetten durch- ziehende Grube zeigt deren ursprüngliche Berührungsstelle an. Die mediale Facette (m) des Ast. der Otaria ursina hat sonst nichts Cha- rakteristisches; die Crista capsulae des Knochens trägt keine Gelenk- fläche für das Sustentaculum tali. Die laterale Gelenkfläche (7) des Knochens hat die Form einer Niere, deren Hilus medialwärts schaut und seine stärkste Einbuch- tung in der Mitte des medialen Randes der Gelenkfläche besitzt, doch ist diese Nierenform der Gelenkfläche nur sehr wenig ausge- prägt und besonders durch die Ungleichheit ihrer beiden Hälften sehr getrübt; Randflächen befinden sich an derselben nicht. Die Rotationsbewegungen im Cal.-Ast.-Gelenk der Otaria ursina entsprechen genau denjenigen, welche in den homologen Gelenken 458 Gustav Tornier der Prosimia stattfinden, besonders die im Gelenk permanent ge- wordene Hyperentoversionsbewegung ‘desselben (Fig. 42—43. Zur Ausführung derselben geht der Ast. aus dem Maximum seiner nor- malen Beugestellung zuerst in normale Streckstellung über, bis die proximal-medialen Ränder der beiden im Gelenk vorhandenen late- ralen Facetten auf einander fallen. Wegen deren Kegelform und starken Krümmung in proximo-distaler Richtung ist diese normale Streck- bewegung des Gelenks eine fast reine Transversalbewegung: durch sie wird der Ast. so stark um seine proximo-distale Achse rotirt, dass seine Plantarseite im Maximum der Bewegung der medialen Seite des Cal. gegenübersteht, nunmehr pressen sich die proximal- medialen Ecken der lateralen Gelenkflächen fest auf einander, und um sie als Centra rotirt der Ast. am Cal. in planto-latero-dorso- medialer Richtung (Fig. 43 Richtung des Pfeils), durch diese Bewe- gung schiebt er seinen Kopf an dem des Cal. in dorso-medialer Richtung empor, wobei die überknorpelte Fossa des Ligamentum cal.- ast.-plantare (zw) in der Hyperentoversionsfacette des Cal. (v’) gleitet. Der Cal. des Halichoerus grypus (Fig. 68) weicht von dem der Otaria ursina in Folgendem ab: Die laterale Gelenkfläche des Kno- ehens hat bei Otaria ursina eine verhältnismäßig lange disto-proxi- male Achse, welche außerdem noch dadurch ausgezeichnet ist, dass sie nicht- mehr genau in einer Sagittalebene des Knochens liegt sondern diese in einem spitzen distal-lateralwärts geöffneten Winkel schneidet, indem sie aus distal-lateraler Richtung beginnend proxi- mal-medialwärts verläuft. Die ganze Gelenkfläche ist mit anderen Worten aus ihrer ursprünglichen Lage gerückt, sie liegt nicht mehr wie sonst parallel der Längsrichtung des Knochenkörpers, sondern ist demselben in schräger Stellung so aufgelagert, dass ihr ursprüng- lich medialer Rand medial-distalwärts schaut. Am Cal. des Hali- choerus grypus hat die laterale Gelenkfläche eine verhältnismäßig kurze disto-proximale Achse, welche in noch weit stärkerem Grade aus dem den homologen Gelenkflächen zukommenden sagittalen Ver- lauf in latero-medialer Richtung abgelenkt ist und den Körper des Knochens in fast reiner latero-medialer Richtung durchquert. Die mediale Gelenkfläche des Cal. (m), welche bei Otaria ursina von mäßiger Größe aber wohl entwickelt ist und ein wirkliches, aus dem Körper des Knochens hervortretendes Sustentaculum bildet. ist bei Halichoerus grypus so stark redueirt, dass ihr Kern nur noch als keineswegs starker Wulst am Körper des Knochens entlang zieht und an ihm kein Sustentaculum mehr bildet. Diese Reduktion Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 459 der Gelenkfläche ist hauptsächlich die Folge ihrer auffälligen Ver- schmälerung in medio-lateraler Richtung; trotz derselben ist aber die Gelenkfläche gestaltlich noch durchaus Otaria-artig. Dies tritt besonders dann hervor, wenn man Folgendes berücksichtigt: Die me- diale Gelenkfläche des Cal. des Halichoerus unterscheidet sich vor Allem von der homologen Facette der Otaria ursina durch den Be- sitz eines verhältnismäßig großen proximal-lateralen Abschnitts, doch fällt bei näherer Betrachtung desselben auf, dass er durch eine mitten hindurch ziehende Gräte in zwei Abschnitte (me) zerlegt wird. Das Vorhandensein dieser Gräte in der Gelenkfläche führt zu dem Schluss. dass letztere über ihren ursprünglichen proximal-lateralen Rand dorsal-lateralwärts verlängert worden ist und zwar dadurch, dass die mit diesem Rand in Berührung stehenden Partien des Cal.- Körpers einen Gelenkknorpelüberzug erhielten. Während am Cal. der Otaria ursina der dorsale Zipfel der Hyperentoversionsfacette (v) ein spitzwinkliges Dreieck bildet, welches an die Cub.-Facette des Knochens stößt, ist dieser Gelenk- flächenzipfel am Cal. des Halichoerus grypus zu einem Rechteck er- weitert; dies kann nur geschehen sein, indem die Gelenkfläche eine bedeutende Verbreiterung in dorsal-proximaler Richtung erfuhr, denn sie stößt distalwärts an die Cub.-Facette des Knochens und hängt plantarwärts mit der medialen Gelenkfläche desselben zusammen; nur ihr dorsal-proximales Ende ist vollständig frei und daher kann nur nach dieser Richtung hin ihre Vergrößerung erfolgt sein. Das Cal.-Ast.-Gelenk des Halichoerus grypus besitzt, wie das der Otaria ursina, wohl entwickelte Hyperentoversionscharaktere, das wird durch seine anatomischen Charaktere unwiderleglich klar be- wiesen und Autopsie bestätigt es. — Fragt man nach Konstatirung dieser Thatsache weiterhin, was lehren die Divergenzcharaktere der beiden Gelenke und welchen mechanischen Ursachen verdanken die- selben ihre Entstehung, so muss die Antwort lauten: Das Cal.-Ast.- Gelenk des Halichoerus grypus hat stärker entwickelte Hyperento- versionscharaktere als das der Otaria ursina und kann mechanisch aus diesem durch extremere Ausbildung der Hyperentoversion ent- standen sein. Wenn das Cal.-Ast.-Gelenk der Otaria ursina noch extremer zur Ausführung von Hyperentoversionsbewegungen verwendet würde, als es geschieht, dann müsste nach den früher beschriebenen Ent- wicklungsgesetzen die laterale Facette seines Cal. in ihrem distalen Abschnitt wegen Nichtgebrauch atrophiren, und zwar von ihrer 460 Gustav Tornier distal-medialen Ecke aus, dadurch würde die Gelenkfläche scheinbar eine Drehung zur Längsachse des Knochens erfahren, weil nach dieser Atrophie nur ihr proximal-medialwärts gerichteter Abschnitt übrig bleiben würde, während sie sonst einen medialwärts geöffneten Kreisbogen darstellt. Ferner müssten nach jenen Gesetzen die me- diale und Hyperentoversionsfacette des Gelenks in dorsal-proximaler Richtung über ihre gleichnamigen Ränder hinauswachsen, da während der extremeren Hyperentoversion des Gelenks der Kopf des Ast. an dem des Cal. stärker emporgeschoben würde; dagegen müsste die mediale Facette des Knochens an ihrem medialen Rand atrophiren. weil dieser Gelenkflächenabschnitt bei jener Rotation des Ast. ganz außer Gebrauch gesetzt würde; es würden mit anderen Worten im Cal.-Ast.-Gelenk der Otaria ursina diejenigen anatomischen Charak- tere entstehen, welche in dem homologen Gelenk des Halichoerus grypus vorhanden sind, ein Beweis, dass das letztere aus dem ersteren oder aus einem Gelenk mit den typischen Charakteren des ersteren entstanden sein kann. Phoca vitulina hat wie Halichoerus grypus ein Cal.-Ast.- Gelenk mit typischen aber ein wenig stärker entwickelten Hyperento- versionscharakteren. An seinem Cal. ist die disto-proximale Achse der lateralen Gelenkfläche noch etwas kürzer und noch mehr in latero-medialer Richtung gedreht als an dem des Halichoerus grypus; mit anderen Worten seine laterale Gelenkfläche hat noch etwas mehr von ihrem distal-medialen Abschnitt durch Atrophie verloren: die Hyperentoversionsfacette des Knochens besitzt bei ihm einen lang- gestreckten dorsalen Rand, sie ist von vollkommen rhombischer Ge- stalt, d. h. in dorsal-proximaler Richtung noch stärker verbreitert als die homologe Facette des Cal. des Halichoerus grypus; seine mediale Facette erreicht an Größe lange nicht die des Halichoerus- Cal. und trägt deutliche Spuren von Atrophie an ihrem proximal- medialen Rand, denn denselben umgiebt ein Knochensaum ohne Knorpelbelag, welcher durch seine Form und Struktur deutlich er- "kennen lässt, dass er der Kern eines früher an dieser Stelle vor- handenen aber verschwundenen Gelenkflächenabschnitts ist. Alle diese anatomischen Charaktere des Cal.-Ast.-Gelenks der Phoca vitulina beweisen unwiderleglich, dass in ihm die Hyperentoversions- charaktere noch etwas stärker entwickelt sind, als in dem des Halichoerus grypus. Das Cal.-Ast.-Gelenk der Cystophora cristata (Fig. 70, 71) besitzt typische Hyperentoversionscharaktere und geht in deren Aus- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 461 bildung noch über Phoea vitulina hinaus. Am Cal. der Cystophora vitulina (Fig. 70) besitzt die laterale Gelenkfläche (7) in sehr aus- geprägter Weise die Form eines Kegelmantels, dessen Spitze in der Mitte des medialen Randes der Gelenkfläche gelegen ist, und sich deutlich in demselben markirt. Die Gelenkfläche selbst hat eine noch kürzere Disto-proximal-Achse und ist an ihrer distal-medialen Ecke noch weniger entwickelt, als diejenige der Phoca vitulina, denn am Cal. des letztgenannten Individuums (Fig. 68 7) reicht die Gelenk- fläche etwas über die laterale Seite des Knochens hinaus und buchtet sich noch in distal-medialer Richtung ein wenig aus; am Cal. der Cystophora eristata ist beides nicht der Fall, dessen laterale Facette (7) überragt nicht mehr die laterale Seite des Knochens und ihr distal- medialer Rand erscheint nahezu geradlinig abgestutzt. Die mediale Facette des Cal. (Fig. 70 m) ist bei Cystophora eristata auf ein ganz geringes Maß zusammengeschrumpft, sie er- scheint bei ihr als kleiner Anhang an der ungemein stark vergrößerten Hyperentoversionsfacette des Knochens (v’); das Sustentaculum tali des Knochens ist in Folge dessen gänzlich verschwunden und erscheint nicht einmal mehr als Wulst am Körper desselben. Dieses auffällige Faktum ist bereits seit lange bekannt, in GIEBEL’s Säugethiere finde ich die Bemerkung, dass dem Cal. der Cystophora das Sustentaculum tali fehlt. — Dass die Hyperentoversionsfacette (v’) am Cal. der Cystophora größer ist als an dem der Phöca vitulina ist auf den ersten Blick einleuchtend; sie bildet den größten Theil einer in einer Sagittalebene liegenden Kreisscheibe, deren konvexer Rand dorsal- proximalwärts schaut, eine so starke Ausbuchtung besitzt keine der bisher untersuchten Hyperentoversionsfacetten. Der Ast. der Cystophora cristata (Fig. 71) unterscheidet sich von dem der Phoca vitulina, abgesehen von sekundären Abweichungen, vorwiegend durch seine mediale Facette (m): Während am Ast. der Phoca vitulina die mediale und Hyperentoversionsfacette zu einer einzigen Gelenkfläche verschmolzen sind, welche in ihrem ganzen Verlauf medio-laterale Durchmesser von derselbeu Länge aufweist, ist am Ast. der Cystophora eristata (Fig. 71 m) die ursprüngliche mediale Facette auffällig klein und erscheint als winziger zungen- förmiger Anhang an der sehr stark vergrößerten und verbreiterten Hyperentoversionsfacette des Knochens (v’). Eine wohl markirte Grenzlinie trennt die beiden Gelenkflächen, von denen die Hyper- entoversionsfacette die Grube für das Lig. cal.-ast.-nav.-plantare fast gänzlich ausfüllt. 462 Gustav Tornier Aus der vorliegenden Vergleichung der beiden Cal.-Ast.-Gelenke geht mit Sicherheit hervor, dass dasjenige der Cystophora eristata extremer entwickelte Hyperentoversionscharaktere besitzt als das der Phoca vitulina. Das Cal.-Ast.-Gelenk der Cystophora proboscidea (Fig. 72, 73) hat typische Hyperentoversionscharaktere und geht in deren Ausbildung noch über das der Cystophora cristata hinaus. Die laterale Gelenkfläche am Cal. der Cystophora proboscidea (Fig. 72 / ist stärker quer gestellt und an ihrem distalen Rand noch mehr abgestutzt als die des letztgenannten Individuums, sie schneidet die Längsachse des Knochens fast rechtwinklig. Die ursprüngliche mediale Facette desselben ist gänzlich verschwunden und nicht ein- mal ihr Kern ist zurückgeblieben. Die Hyperentoversionsfacette (v’ des Knochens ist groß und stark dorsal-proximalwärts verlängert, sie buchtet sich in dieser Richtung gegen die laterale Gelenkfläche hin in extremer Weise aus. Am zugehörigen Ast. (Fig. 73) findet man die entsprechenden Verhältnisse: Fehlen der medialen Gelenk- fläche und beträchtliche Größenentwicklung der Hyperentoversions- facette des Knochens. Damit ist bewiesen, dass das Cal.-Ast.-Gelenk der Cystophora proboscidea in der Ausbildung der Hyperentoversions- charaktere über das der Cystophora eristata hinausgeht: mit ihm schließt die Entwicklungsreihe der Pinnipediergelenke. — Vergleicht man die’ Cal.-Ast.-Gelenke mit wohl entwickelten Hyperentoversionscharakteren und permanent gewordenen gleich- namigen Gelenkbewegungen mit denjenigen Cal.-Ast.-Gelenken, welche typische Hyperadduktionscharaktere und permanent gewordene gleichnamige Bewegungen besitzen, dann fällt sofort auf, dass diese beiden Gelenkgruppen in zwei Fundamentalcharakteren genau über- einstimmen: Beider Bewegungen (Hyperentoversion und Hyperad- duktion) beginnen aus dem Maximum der normalen Streckstellung des Gelenks gleichsam als modificirte Fortsetzung dieser Gelenk- bewegung und zwar als Rotation um Centra, welche in den proximal- medialen Ecken der lateralen Facetten der betreffenden Gelenke gelegen sind; andererseits unterscheiden sie sich in Folgendem: Die Hyperentoversionsbewegung eines Cal.-Ast.-Gelenks besteht darin, dass der Ast. am Cal. um eine Disto-proximal-Achse in planto- latero-dorso-medialer Richtung rotirt, die Hyperadduktion darin, dass der Ast. am Cal. um eine Dorso-plantar-Achse in medio-disto-latero- proximaler Richtung rotirt; mit anderen Worten: Die Hyperento- version ist eine Transversal-, die Hyperadduktion eine Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 463 Horizontalbewegung. Dieser Unterschied zwischen den beiden Gelenkbewegungen wird aber wiederum dadurch gemildert, dass der Ast. als Einleitung zu einer Hyperadduktion eine Transversalbe- wegung ausführt, die sich eigentlich nur quantitativ von einer Hyperentoversionsbewegung unterscheidet. Die Cal.-Ast.-Gelenke mit wohl entwickelten Hyperadduktions- charakteren nehmen ihren Ursprung aus Stammgruppengelenken mit vorwiegend horizontal verlaufenden normalen Beuge- und Streck- bewegungen, in welchen gleichwerthige Hyperadduktionsbewegungen möglieh, die entsprechenden anatomischen Charaktere aber noch nicht ausgebildet sind (Cynopitheei und Ursina). Es fragt sich, können in solchen Stammgruppengelenken auch Hyperentoversionsbewegungen ausgeführt werden? Autopsie und ein wenig Überlegung lehren, dass dies unmöglich ist: In den Stammgruppengelenken mit vor- wiegend horizontal verlaufenden Streck- und Beugebewegungen liegt die mediale Seite des Cal.-Körpers nahezu horizontal, die vordere Gelenkfläche des Cal. mit ihrer Latero-medial-Achse ebenfalls an- nähernd horizontal; in Folge dessen schiebt sich während der Hyper- adduktion des Gelenks der Ast. in annähernd horizontaler Richtung auf den des Cal. Dasselbe geschieht in allen Cal.-Ast.-Gelenken mit wohl entwickelten Hyperadduktionscharakteren. In den Cal.- Ast.-Gelenken mit wohl entwickelten Hyperentoversionscharakteren steht dagegen die mediale Seite des Cal.-Körpers nahezu vertikal, eben so die vordere Gelenkfliiche und in Folge dessen schiebt sich der zugehörige Ast.-Kopf während der Hyperentoversion des Gelenks unter Rotation nahezu vertikal am Cal.-Kopf empor. Daraus ergiebt sich, dass in den Cal.-Ast.-Gelenken mit Hyperadduktionscharakteren niemals Hyperentoversionsbewegungen ausgeführt werden können; es fehlt diesen Gelenken die vertikal-stehende mediale Seite des Cal.-Körpers, an welcher sich der Ast. dorsalwärts emporsehieben kann, andererseits aber können in den Cal.-Ast.-Gelenken mit senkrecht stehender medialer Seite des Cal.-Körpers eben so wenig Horizontalbewegungen ausgeführt werden, welche den Kopf des Ast. in horizontaler Richtung auf den des Cal. schieben, die senkrecht stehende Medialseite des Cal. verhindert jede solche Bewegung; dies ist bereits wiederholt z. B. bei Betrachtung des Cal.-Ast.-Gelenks der Artiodactylen und Crocodilinen hervorgehoben worden. Die mediale Seite des Cal.-Körpers steht in denjenigen Cal.- Ast.-Gelenken senkrecht, in welchen der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils im Vergleich zu dem vertikalen Durehmesser 464 Gustav Tornier des lateralen Ast.-Theils eine beträchtliche Länge besitzt. Daraus geht hervor, dass Hyperentoversionsbewegungen nur in Cal.-Ast.-Gelenken mit relativ langen Durchmessern des medialen Ast. -Theils statt- finden. — Da die Cal.-Ast.-Gelenke mit wohl entwickelten Hyper- entoversionscharakteren aus homologen Stammgruppengelenken ent- stehen, ist das Resultat der Untersuchung: Die Cal.-Ast.-Gelenke mit wohl entwickelten Hyperentoversionscharakteren stammen von Stammgruppengelenken ab, in welchen der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils relativ lang ist. Die Cal.-Ast.-Gelenke der Stammgruppen, welche verhältnis- mäßig lange vertikale Durchmesser im medialen Ast.- Theil be- sitzen, stehen phylogenetisch tiefer als solche, deren homologe Durch- messer kürzer sind. Diese Cal.-Ast.-Gelenke mit wohl entwickelten Hyperentoversionscharakteren stammen also: von phylogenetisch rela- tiv tiefstehenden, die mit Hyperadduktionsbewegungen dagegen von phylogenetisch hochstehenden Stammgruppengelenken ab. — Die Cal.-Ast.-Gelenke des Procyon lotor (Fig. 64, 65) und der Nasua socialis sind sehr interessant, weil sie wohl entwickelte Hyperento- versions- und Hyperabduktionscharaktere besitzen, dagegen die Cha- raktere der normalen Streckbewegung des Gelenks bis auf winzige Spuren verloren haben. Am Cal. beider Individuen findet sich eine in proximo-distaler Richtung einfach dorsalwärts konvex gekrümmte laterale Facette (/), deren latero-mediale Achse sehr stark dorso- plantarwärts abgelenkt ist. Mit ihrer proximal-lateralen Ecke ist eine proximale Randfacette verbunden (x), dessgleichen mit ihrem distal- medialen Rand eine distale Randfacette (d), deren Verlauf am Knochen- körper deutlich den Weg bezeichnet, den der Ast. am Cal. nimmt, indem er in ihr dahingleitet; endlich zieht sich am lateral-distalen Rande der Gelenkfläche, mit derselben in gleicher Höhe, ein mit dem Ast. nicht artikulirender Knochenstreifen hin (7). Am proximalen Rand der medialen Facette des Cal. beider Individuen befindet sich eine Gelenkfläche für die Crista capsulae (er). Sonst ist an dieser medialen Facette nur noch das bemerkenswerth, dass sich an ihren lateralen Rand eine schmale Gelenkfläche an- schließt (m’). An der medialen Seite des Cal.-Körpers beider Individuen finden sich zwei Gelenkflächen, die beide an die Cub.-Facette des Knochens stoßen, die winzig kleine, plantarwärts liegende, ist die vordere Facette des Knochens (v), sie ist fast rudimentär und in Folge dessen sehr leicht zu übersehen; die größere dorsalwärts ge- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 465 \ legene (v’) erscheint als unmittelbare Fortsetzung der ersteren und ist, wie aus ihrer Lage und Funktion hervorgeht, zweifellos die Hyperentoversionsfacette des Knochens. Am Ast. des Procyon (Fig. 65) und der Nasua finden sich die entsprechenden Charaktere: eine laterale Facette (/), welche in proximo-distaler Richtung plantarwärts schauende Konkavkrümmung besitzt, in latero-medialer Richtung gar nicht gekrümmt erscheint, dafür aber dorso-plantarwärts abgedacht ist. Es finden sich Rand- facetten an ihrer proximal-lateralen (x) und distal-medialen Ecke (d). Die mediale Facette des Ast. beider Individuen (m) hat das Eigen- thiimliche, dass ihr distaler Rand herzförmig gestaltet ist, d. h. in einen medialen und einen lateralen Zipfel ausführt. Zwischen diesem Rand und der Nav.-Facette des Knochens, unmittelbar an die letztere anstoßend, findet sich erstens die Cub.-Facette des Knochens und dann zwischen dieser und der medialen Gelenkfläche ein Knorpel- belag (w), welcher sich über die ganze Fossa des Lig. cal.-ast.- plantare ausdehnt, dieselbe aber nur in ihrem lateralen Abschnitt völlig ausfüllt, in ihrer Mitte nicht, denn dort findet man noch knorpel- lose Inselehen, die deutlich erkennen lassen, dass der Beleg der Grube erst im Entstehen begriffen ist; außerdem sind noch alle hier an einander stoßenden Gelenkflächenränder scharf und deutlich aus- seprägt, was gleichfalls für die Richtigkeit der obigen Schlussfolgerung spricht. Endlich findet sich noch an der lateralen Seite des Ast.- Kopfes unmittelbar mit der Cub.-Facette des Knochens in Berührung eine winzig kleine vordere Gelenkfliiche (v). Die bei Procyon und Nasua an den proximal-lateralen und distal-medialen Ecken der lateralen Facetten des Ast. und Cal. be- findlichen, sowie der am Cal. dieser Thiere vorkommende, mit dem Ast. nicht gelenkende Knochenstreif, welcher an den distal-lateralen Rand der lateralen Facette des Knochens anstößt, beweisen, dass die Cal.-Ast.-Gelenke beider Individuen extreme Hyperabduktions- charaktere besitzen und in der That ist es möglich in ihnen extreme Hyperabduktionsbewegungen auszuführen; Bewegungen, deren Centra in den lateralen Facetten des Gelenks und zwar nahe der Mitte des lateralen Randes dieser Gelenkflächen gelegen sind. — Das Vor- kommen der Hyperentoversionsfacette am Cal. und die theilweise Uberknorpelung der Fossa des Lig. cal.-ast.-plantare am Ast. dieser Thiere beweisen unwiderleglich, dass in ihren Cal.-Ast.-Gelenken wohlentwickelte Hyperentoversionscharaktere vorhanden sind, also auch entsprechende Bewegungen ausgeführt werden können. Das Morpholog. Jahrbuch. 16. 30 466 Gustav Tornier letztere ist richtig wie Autopsie lehrt: Die Hyperentoversionshe- wegungen dieses Gelenks finden genau in derselben Weise statt wie die der Prosimier- und Pinnipediergelenke, um Centra, welche in den proximal-medialen Ecken der lateralen Facetten des Gelenks gelegen sind. Cal.-Ast.-Gelenke mit normalen Beuge- und Streckbewegungen, die zu fast reinen Entoversionsbewegungen umgewandelt sind: Bradypus, Choloe- pus und die kletternden Beutelthiere. Im Cal.-Ast.-Gelenk des Bradypus tridactylus Fig. 38, 39, 60, 61) hat die laterale Gelenkfläche des Cal. (Fig. 60 7) die Gestalt der Hälfte eines Kegelmantels, dessen Spitze in dem fast auf einen Punkt zusammengeschrumpften medialen Rand der Gelenkfläche ge- legen ist, während seine Basis durch deren lateralen Rand gebildet wird. Die Gelenkfläche selbst besitzt eine sehr starke, dorsalwärts gerichtete Konvexkrümmung ihrer Oberfläche und eine disto-proximale Achse, deren Lage zur Längsachse des Knochens so stark verändert ist, dass sie latero-medialwärts läuft. Am Cal. des Bradypus tridac- tylus findet sich ferner eine mediale Facette (m), deren Knochenkern ein verhältnismäßig kleines Sustentaculum tali bildet. Die Gelenk- fläche selbst berührt mit ihrem distal-lateralen Rand den plantar- medialen Rand einer anderen, an der medialen Seite des Cal.-Körpers gelegenen Gelenkfläche (v + v’). Die beiden Facetten sind einander so sehr genähert, dass zwischen ihnen nur noch ein äußerst feiner nicht überknorpelter Streifen des Knochenkörpers hinzieht. — Außer den bisher erwähnten Gelenkflächen findet sich am Cal. des Bra- dypus tridactylus noch eine sehr wichtige und interessante Facette (g): dieselbe schließt sich unmittelbar an den proximal-medialen Rand der lateralen Gelenkfläche des Knochens an und bildet mit demselben eine medialwärts schauende Grube mit geradfliichigen, in einer scharfen Kante zusammenstoßenden Wänden und herzförmigem Distalrande. Endlich findet sich noch am lateralen (eigentlich distalen) Rand der lateralen Gelenkfläche des Knochens eine umgrenzte Stelle, welche als Andeutung einer distalen Randfläche des Knochens aufzufassen ist (d). Am Ast. des Bradypus tridactylus (Fig. 61) fällt zuerst eine nierenförmig gestaltete laterale Gelenkfläche (7) auf, deren stark ge- krümmter Hilus distalwärts schaut. Die Gelenkfläche selbst besitzt eine einfache plantarwärts schauende Konkavkriimmung und liegt Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 467 annähernd horizontal. Die zweite Facette am Ast. dieses Individuums (+ ©) umfasst ?/, des distalen Randes des Ast.-Kopfes, nämlich des- sen lateralen, plantaren und medialen Theil. In ihr sind vereinigt die vordere und mediale Facette des Knochens sowie der Knorpelbelag, welcher an diesem Ast. die ursprüngliche Grube des Lig. cal.-ast.- plantare ausfüllt. Ihr durch die mediale Facette des Knochens ge- bildeter Abschnitt zeichnet sich vor den anderen dadurch aus, dass sein proximaler Rand am stärksten in proximaler Richtung ausge- buchtet ist. Dass in ihr die Grube für das Lig. cal.-ast.-plantare enthalten ist, geht aus der Vergleichung des Ast. des Bradypus tridactylus und des Ursus arctos mit Sicherheit hervor. Zwischen der medialen und Nav.-Facette des Ast. findet sich bei Ursus arctos die Grube fiir das Lig. cal.-ast.-plantare; am Ast. des Bradypus tridaetylus stößt scheinbar die mediale Facette unmittelbar an die Nav.-Facette des Knochens. Ein Übergreifen der medialen Facette des Knochens in die Grube für das Lig. cal.-ast.-plantare ist aber unter keinen Umständen möglich: die Grube überzieht sich unter dem Einfluss bestimmter Ursachen stets selbständig mit Gelenkknorpel und vereinigt sich dann untrennbar mit der medialen Facette des Knochens. In soleher Weise überknorpelte unter später zu erörtern- den mechanischen Ursachen die Grube des Lig. eal.-ast.-plantare am Ast. des Bradypus tridactylus und vereinigte sich dann mit der medialen Facette des Knochens, die Mechanik des Gelenks bietet dafür den besten Beweis. — Am Ast. des Bradypus tridaetylus findet sich endlich noch eine Gelenkfläche (g), welche an den proximal- medialen Rand der lateralen Facette des Knochens grenzt, auf der Medialseite des Knochens liegt und mit der entsprechend gelegenen Facette des zugehörigen Cal. artikulirt; auch Spuren einer distalen Gelenkfläche finden sich an demselben /d). Die Hauptbewegung des Ast. im Cal.-Ast.-Gelenk des Bradypus ist folgende (Fig. 60, Richtung der Pfeile und Fig. 36 und 37): Liegen die distalen Ränder der beiden lateralen Facetten des Ge- lenks auf einander, dann rotirt der Ast. aus dieser Stellung in der lateralen Facette des Cal. in disto-proximaler Richtung (d. h. in facto wegen der eigenthümlichen Lage der Gelenkfläche in latero- medialer Richtung) um ein Centrum, das unmittelbar vor der Mitte des medialen Randes der Gelenkfläche liegt. Um dasselbe Bewe- gungscentrum gleitet sein Kopf in der medialen Facette des Cal. und in der mit dieser in Verbindung stehenden Facette der me- dialen Seite des Cal.-Körpers in medio-lateraler Richtung: dabei 30* 468 Gustav Tornier rotirt der- ganze Ast. (Fig. 37) gleichzeitig um seine Proximo-distal- Achse in planto-latero-dorso-medialer Richtung, und zwar in der allerextremsten Weise, jeder Punkt seiner Oberfläche beschreibt da- bei in dieser Richtung einen Winkel von über 90°. Unter dem Einfluss dieser kombinirt auf ihn einwirkenden Bewegungsantriebe gleitet der Kopf des Ast. an dem des Cal. in planto-latero-dorso- medialer Richtung entlang und zwar so stark, dass seine Plantar- seite mit der überknorpelten Grube des Lig. cal.-ast.-plantare in der an der medialen Seite des Cal.-Körpers gelegenen Facette artikulirt, und die Gesammtbewegung des Ast. schreitet so lange fort, bis die proximal-medialen Ränder der lateralen Facetten des Gelenks und die ihnen anhängenden sekundären Gelenkflächen auf einander stoßen; mit anderen Worten, der Ast. des Bradypus tridactylus führt unter diesen Umständen am zugehörigen Cal. eine normale Streckbewegung aus, welche jedoch zu einer fast reinen Entover- sionsbewegung umgestaltet ist. Hat die normale Streckbewegung im Cal.-Ast.-Gelenk des Bra- dypus tridaetylus ihr Maximnm erreicht, d. h. liegen die proximal- medialen Ecken der lateralen Facetten des Gelenks und die diesen anhängenden sekundären Facetten (g) auf einander, dann kann der Ast. aus dieser Stellung hinaus eine Art Hyperentoversionsbewegung am Cal. ausführen, indem sich die eben genannten Facettenränder auf einander pressen und der ganze Ast. um sie zu rotiren beginnt, diese Rotation kommt aber in facto nicht über ihre Anfangsstadien hinaus, denn. sämmtliche Punkte des Ast.-Körpers beschreiben wäh- rend derselben nur ganz minimale Kreisbögen. Von den in den Cal.-Ast.-Gelenken der Prosimier und Pinni- pedier ausführbaren Hyperentoversionsbewegungen unterscheidet sich die in dem homologen Gelenk des Bradypus stattfindende dadurch, dass sie ganz in planto-disto-dorso-proximaler Richtung verläuft, während die der eben genannten Thiere aus plantar-medialer Rich- tung dorsal-lateralwärts geht, sie ist so wenig wirkungsvoll, dass während ihres Verlaufs die laterale Facette des Ast. mit ihrem la- teralen Rand gar nicht über den entsprechenden Rand der homologen Facette des Cal. hinausgleitet. | Hat das Cal.-Ast.-Gelenk des Bradypus tridactylus das Maxi- mum seiner normalen und modificirten Streckbewegung erreicht, dann haben seine Gelenkflächen folgende Stellung: Von der lateralen Facette seines Cal. ist ungefähr 7/, der Oberfläche, und zwar der laterale (distale) und mittlere Abschnitt bloßgelegt, der mediale da- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 469 gegen bedeckt. Von der lateralen Facette des Ast. ist der ganze laterale Abschnitt bloßgelegt, da derselbe durch die Rotation des Ast. um seine Proximo-distal-Achse von der zugehörigen Facette des Cal. abgehoben wird. Die an den proximal-medialen Rändern der beiden lateralen Facetten befindlichen "sekundären Gelenkflächen (g) liegen fest auf einander. Von der vereinigten Hyperentoversions- und medialen Facette des Cal. sind die distalen Ränder frei, da sich der Kopf des Ast. an dem des Cal. während der modifieirten Streckbewegung in dorsal-proximaler Richtung emporgeschoben hat, dagegen stehen die proximal-dorsalen Abschnitte dieser vereinigten Facetten des Knochens unter starkem Druck: von der zugehörigen, am distalen Rand der Planta des Ast. hinziehenden Facette ist der laterale Abschnitt und der ganze proximale Rand durch jene Be- wegung bloßgelegt, denn die Gelenkfläche schiebt sich aus der des Cal. in dorsal-proximaler Richtung hinaus. Das Cal.-Ast.-Gelenk des Choloepus didactylus (Fig. 38, 39, 62, 63) zeigt Charaktere, welche auffällig denjenigen entspre- chen, die im Cal.-Ast.-Gelenk des Bradypus tridactylus entstehen müssten. wenn dasselbe weit extremer als bisher seine zu reinen Entoversionen umgebildeten normalen Streckbewegungen und Hyper- entoversionen ausführen würde und eine dem entsprechende anato- mische Umbildung erführe; dieselbe bestünde nach dem Gesetz vom Gebrauch und Nichtgebrauch der Gelenkflächen darin, dass alle unter diesen Umständen gar nicht oder wenig gebrauchten Theile der Gelenkflächen verschwinden oder schrumpfen und alle extremer gebrauchten an Ausdehnung zunehmen würden. Es würden dem- nach verschwinden am Cal. des Thieres: der laterale Abschnitt der lateralen Facette und die distalen Ränder der vorderen und medialen Facette des Knochens: am Ast. der laterale Abschnitt der lateralen Facette, sowie der laterale Abschnitt und der ganze proximale Rand der an der Planta des Ast.-Kopfes hinziehenden Facette. Es müssten erhalten bleiben resp. sich vergrößern am Cal. der mediale Abschnitt der lateralen Facette, und von der vorderen und medialen Facette des Knochens die dorsal-proximalen Abschnitte; am Ast. der mediale Abschnitt der lateralen Facette, sowie der mediale Abschnitt der am Kopf des Knochens hin#tehenden Facette; ferner würden dabei be- trächtlich an Ausdehnung und Ausbildung gewinnen die sekundäre Facette des Ast. und Cal. (g), welche beide die Hyperentoversions- centra des Gelenks tragen. Am Cal. des Choloepus didactylus (Fig. 62) sind drei Gelenk- 470 Gustav Tornier flächen vorhanden. Die erste, auf dem Körper des Knochens lie- gende, denselben quer in medio-lateraler Richtung durchziehende Facette ist von sehr eigenthümlicher Gestalt: Sie besteht aus einem medialen Abschnitt mit dorsalwärts schauender Konkavkrümmung 4 und aus einem dorsalwärts-konvex gekrümmten lateralen Theil (/); außerdem ist sowohl der proximale wie distale Rand der Gelenk- fläche herzförmig gestaltet. Genaues Studium dieser Gelenkfläche und der entsprechend liegenden lateralen des Bradypus-Cal. ergiebt, dass der dorsalwärts konkav gekrümmte Abschnitt der Choloepus- facette homolog ist dem medialen Abschnitt der Bradypusfacette und der stark vergrößerten, das Hyperentoversionscentrum tragenden, se- kundären Facette des Knochens (g). Bei Bradypus tridactylus bilden diese beiden, einander berührenden Gelenkflächen, wie bereits früher nachgewiesen worden ist, eine dorsalwärts geöffnete konkave Grube, sind aber noch deutlich durch eine Grenzlinie von einander getrennt, während am Cal. des Choloepus die Grenzlinie zwischen ihnen voll- ständig verschwunden ist und sie nunmehr eine einheitliche, dorsal- wärts geöffnete, konkave Facette darstellen. Der dorsalwärts konvex gekrümmte Abschnitt der beschriebenen Gelenkfläche des Choloepus- Cal. ist homolog dem mittleren Abschnitt der lateralen Facette des Bradypus-Cal., denn die letztgenannte Gelenkfläche ist in latero- medialer Richtung so stark konvex gekrümmt, dass ihre Oberflächen- krümmung in jener Richtung mehr als einen Halbkreis umfasst, am Cal. des Choloepus ist dagegen der entsprechende Facettenabschnitt verhältnismäßig wenig gekrümmt und umfasst nur ungefähr den vierten Theil einer Kreisperipherie, es fehlt ihm daher ein Theil jener Oberflächenkrümmung:; dass es deren lateraler Theil sein muss, seht aus der Form der Gelenkfläche mit Nothwendigkeit hervor. — Es wurde ferner darauf hingewiesen, dass die den Cal.-Körper des Choloepus quer überbrückende Gelenkfläche — also dessen vereinigte sekundäre (g) und laterale Facette — einen herzfürmig gestalteten distalen Rand besitzt: Die laterale Ausbuchtung dieses Randes wird gebildet durch die ursprüngliche laterale Facette des Knochens, die mediale durch die stark distal-medialwärts vergrößerte sekundäre Facette desselben, die zwischen beiden Ausbuchtungen des Randes befindliche Einkerbung entspricht der Stelle, an welcher die beiden vereinigten Gelenkflächen ursprünglich au einander stoßen und später mit einander untrennbar vereinigt sind. Die zweite Facette am Cal. des Choloepus (m) liegt auf einer Art Sustentaculum tali, ist mithin die mediale Facette des Knochens; Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 471 sie ist verhältnismäßig klein; ihre Proximo-distal-Achse zeigt starke dorso-plantarwärts gerichtete Ablenkung, ähnlich der entsprechenden Achse am Cal. des Bradypus; ihre medio-laterale Achse liegt an- nähernd horizontal. Weiterhin findet sich noch am Cal. des Choloepus eine auffällig kleine, an der Medialseite des Cal.-Körpers gelegene Facette (v’), dieselbe ist merkwürdigerweise durch eine nicht über- knorpelte Rinne von der medialen Facette des Knochens getrennt. Dem proximalen Rand der medialen Facette des Cal. schließt sich noch eine kleine Facette (0) an, dieselbe ist dadurch entstanden, dass eine Knochengräte, welche am Ast. des Choloepus, sowie an dem des Bradypus tridactylus die medialen Ränder der medialen und lateralen Gelenkfläche verbindet und als letzter Rest der bei diesen Thieren atrophirten Crista capsulae des Knochens angesehen werden muss, durch die extremere Hyperentoversionsbewegung des Ast. an den Cal. angedrückt wird und so zur Entstehung zweier neuer Gelenkflächen Veranlassung giebt. Am Ast. des Choloepus (Fig. 63) findet sich erstens eine in medio-lateraler Richtung quer über die Planta des Knochens ziehende laterale Facette (7), deren medialer Abschnitt (g) plantarwärts kon- vex, deren lateraler (/) plantarwärts konkav gekrümmt ist; zweitens eine mediale Facette (m), an deren proximalen Rand eine neu ent- standene, derjenigen des Cal. entsprechende Facette vorhanden ist (0); drittens findet sich bei Choloepus an der Planta des Ast.-Kopfes eine vordere Facette (v w), sie liegt in der ursprünglichen Grube für das Lig. cal.-ast.-plantare und stößt unmittelbar an die Nav.-Facette des Knochens, weicht jedoch in sehr charakteristischer Weise von der homologen Facette des Bradypus-Ast. ab; ihr fehlt nämlich der laterale Abschnitt der letztgenannten Facette. Dies wird am besten klar, wenn man die Nav.-Facette der beiden Knoehen betrachtet (Fig. 36 und 38 nav). Die am Cal. des Bradypus (Fig. 36) ge- legene ist kreisförmig zusammengekrümmt, ihre beiden einander ge- näherten Endabschnitte haben annähernd gleiche Länge und stoßen am Dorsum des Knochens fast an einander. Die Facette auf der Plantarseite des Ast.-Kopfes hat genau dieselbe Längenausdehnung wie dessen Nav.-Facette, umfasst also die laterale, Plantar- und mediale Seite des Ast.-Kopfes. Am Cal. des Choloepus didactylus (Fig. 38) ist nur der mediale Schenkel der Nav.-Facette vollständig intakt erhalten, der laterale dagegen nahezu gänzlich atrophirt, so dass die Endpunkte dieser Gelenkfläche durch einen weiten Zwi- 472 Gustav Tornier schenraum von einander getrennt sind; in gleicher Weise und in demselben Maße ist nun auch der laterale Abschnitt der auf der Planta dieses Ast.-Kopfes befindlichen Facette atrophirt, denn auch diese hat genau dieselbe Längenausdehnung wie die Nav.-Facette des Knochens: es fehlt also dem Ast. des Choloepus didactylus der laterale Abschnitt jener Gelenkfläche. — Im Cal.-Ast.-Gelenk dieses Individuums ist endlich in facto nur eine Gelenkbewegung möglich. und zwar nur das Maximum der normalen Streckbewegung und allenfalls noch die geringe Hyperentoversion. Berücksichtigt man nach Konstatirung dieser Thatsache die Divergenzcharaktere der beiden Gelenke, bedenkt also, dass am Cal. und Ast. des Choloepus didactylus die sekundären Facetten stark vergrößert sind, die la- teralen Facetten ihre lateralen Abschnitte verloren haben und der Facette auf der Plantarseite des Ast.-Kopfes der laterale Abschnitt fehlt, dann erkennt man sofort, dass dieses Cal.-Ast.-Gelenk ana- tomisch noch extremer zur Ausführung von reinen Entoversions- und Hyperentoversionsbewegungen eingerichtet ist als das des Bra- dypus, denn in letzterem müssten nachweislich jene aufgezählten anatomischen Charaktere entstehen, wenn dasselbe noch extremer als bisher zur Ausführung solcher Bewegungen verwendet würde. — Auch das Verhalten der medialen (m) und vorderen Facette (vr) des Choloepus-Cal. spricht nicht gegen diese Schlussfolgerung: Theore- tisch müssten am Cal. des Bradypus bei Zunahme der Entoversion in dessen Gelenk die mediale und vordere Facette ihre distalen Abschnitte verlieren. Die Kleinheit der homologen Gelenkflächen am Cal. des Choloepus kann eine gleiche Entstehungsursache haben. denn diese Gelenkflächen können aus größeren Facetten entstanden sein, deren distale Abschnitte atrophirten, während ihre anderen Theile die ursprüngliche Größe beibehielten. — Endlich ist noch zu bemerken. dass die Gelenkflichen, welche im Cal.-Ast.-Gelenk des Choloepus mit den proximalen Rändern der medialen Facetten in unmittelbarer Berührung stehen (0), nur dadurch entstanden sein können, dass dieses Gelenk Hyperentoversionen auszuführen ge- zwungen war, denn nur unter diesen Umständen kommen jene (0) Gelenkflächen mit einander in Artikulation. — Alle am Cal.-Ast.- Gelenk des Choloepus auftretenden Charaktere weisen also mit Entschiedenheit darauf hin, dass dasselbe erstens zur Ausführung extremer normaler Streckbewegungen, die fast allein Entoversions- bewegungen sind, und ferner zur Ausführung fast gänzlich uner- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 473 giebiger Hyperentoversionsbewegungen vorzüglich geeignet ist, und dass es zweitens aus einem Cal.-Ast.-Gelenk gleich dem des Bra- dypus tridaetylus entstanden sein kann. Die Cal.-Ast.-Gelenke des Bradypus und Choloepus besitzen also folgende specifischen Charaktere: Sie haben die Befähigung zur Ausführung normaler Streckbewegungen, die zu fast ganz reinen Entoversionsbewegungen umgewandelt sind, und zur Ausführung ty- pischer, aber fast ganz unergiebiger Hyperentoversionsbewegungen, welche sich von denen der Prosimier- und Pinnipediergelenke da- durch unterscheiden, dass sie nahezu reine Sagittalbewegungen sind. Das Gelenk des Choloepus ist das extremere von beiden. Fragt man nach ihrer Abstammung und phylogenetischen Stel- lung, so ergiebt sich Folgendes: Stammgruppengelenke sind sie nicht, weil in ihnen keine typischen normalen Beuge- und Streck- bewegungen ausgeführt werden können, denn von den drei gleich- werthigen Rotationen, aus welchen jene Bewegungen zusammengesetzt sind, fehlen ihnen zwei, die Adduktion und Sagittalbewegung, nahezu ganz. Sie stammen vielmehr zweifellos von Stammgruppengelenken ab und entwickeln sich aus denselben, indem sie allmählich jene beiden Bewegungen vollständig verloren. Anatomisch geschah dies. indem bei ihnen der vertikale Durchmesser des medialen Ast.- Theils an Länge bedeutend verlor. Er ist bei Bradypus so lang als der vertikale Durchmesser des lateralen Ast.-Theils, bei Cho- loepus aber ganz entschieden kürzer und der ganze mediale Ab- schnitt des Ast. ist bei diesen Thieren nahezu rudimentär, — und zweitens dadurch, dass die laterale Gelenkfläche des Knochens eine sehr starke Konvexkrümmung in proximo-distaler Richtung erfährt. Die abnorme Verkürzung des vertikalen Durchmessers des medialen Ast.-Theils hat den Verlust der Sagittalbewegung des Gelenks zur Folge, die Verkürzung des proximo-distalen Durchmessers der late- ralen Facette die Zunahme der Entoversionsbewegung. Über die phylogenetische Stellung sämmtlicher bisher unter- suchten Cal.-Ast.-Gelenke und speciell derjenigen des Bradypus und Choloepus ist Folgendes zu sagen: Unter den Cal.-Ast.-Gelenken unterscheidet man solche, in wel- chen alle in den Cal.-Ast.-Gelenken einer phylogenetischen Stufe möglichen Gelenkbewegungen ausgeführt werden können, in welchen aber nur die Charaktere der normalen Beuge- und Streckbewegung des Gelenks wirklich anatomisch ausgebildet, die anderen gleich- sam latent vorhanden sind. Ein solches Cal.-Ast.-Gelenk ist das 474 (rustav Tornier des Ursus aretos: in ihm sind möglich siehe Schema 1) normale Beuge- und Streckbewegung, Hyperbeugung, Hyperabduktion, Hy- peradduktion. Derartige Gelenke nenne ich universelle Cal.-Ast.- (Gelenke, dieselben gehören den Stammgruppen an, denn auch im menschlichen sind entsprechende Bewegungen möglich. 1% bs normale normale Streckung Baye Riicdicinc | 5 Hyper- Streckung and beugung beschränktere Bug extreme Hy- Hyper- Ed Hyper- | 7 perbeugung: adduktion abduktion extreme Hy- | Bs Caniden. peradduktion : “X extreme Hy- normale Cynopitheci , perabduktion : Beugung Neuweltaffen Lutra etc. Ye Bewegungen im Cal.-Ast.- Ursidengleiches Gelenk des Ursus arctos. Stammgruppen- gelenkund seine Descendenten. Es giebt ferner Cal.-Ast.-Gelenke, in welchen nur einige jener Bewegungen ausgeführt werden können und die denselben zu Grunde liegenden anatomischen Charaktere mehr oder weniger extrem aus- gebildet sind. Ein solches ist das der Caniden, in dem Hyperbeu- sung, Hyperabduktion und modifieirte Streckbewegungen ausgeführt werden können. Solche Gelenke nenne ich polyfunktionelle. End- lich giebt es Cal.-Ast.-Gelenke, in welchen nur eine jener Bewegun- gen, diese aber in ausgezeichneter Weise, ausgeführt werden kann, und die derselben zu Grunde liegenden anatomischen Charaktere das Maximum ihrer Entwicklung erreichen. Solche Gelenke nenne ich monofunktionelle. Als Beispiel kann das Gelenk des Choloepus didactylus gelten. Die Phylogenese der Cal.-Ast.-Gelenke ist folgende: Aus einem universellen oder Stammgruppengelenk können homologe Gelenke ent- stehen, welche beiihrem Entstehen vorwiegend, später aus- schließlich eine einzige der in jenem Gelenk möglichen Bewe- gungen ausführen und die der Bewegung zu Grunde liegenden anato- mischen Charaktere des Gelenks mehr oder weniger extrem entwickeln, so entstehen die umbildenden oder abgezweigten Cal.-Ast.-Ge- lenke. Da die Umwandlung eines universellen in ein monofunktionelles Gelenk stufenweise in einer Reihe von Gelenken, die phylogenetisch Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 475 mit einander in Verbindung stehen, vor sich geht, entstehen auf diese Weise Reihen von Cal.-Ast.-Gelenken, welche als mehr oder weni- ger extrem entwickelte Intercalargelenke das universelle Stamm- eruppengelenk mit dem gänzlich monofunktionellen Finalgelenk der Reihe verbinden. Während ihrer extremer werdenden Ausbildung verlieren diese Gelenke nach und nach eine Anzahl der in dem Stammgruppengelenk möglichen Bewegungsformen, da diese im Des- cendenzgelenk wenig oder gar nicht mehr ausgeführt werden. So entstehen aus den universellen zuerst poly- dann monofunktionelle Gelenke. Als Beispiel diene die Entwicklung der Hyperentoversions- selenke: Die weniger extremen unter diesen führen normale Beuge- und Streckbewegungen, Hyperabduktionen und Hyperentoversionen aus, doch überwiegt bereits die letztere; in den noch extremer aus- gebildeten unter diesen Gelenken werden die letztgenannten Bewe- gungen noch öfter ausgeführt, die anderen um so weniger: endlich erlischt in dem Finalgelenk der Entwicklungsreihe gänzlich die Be- fähtgung zur Ausführung normaler Beuge- und Streckbewegungen sowie Hyperabduktionen, dieses Gelenk vermag also nur noch Hy- perentoversionen auszuführen, und hat die anatomischen Charaktere, welehe diesen zu Grunde liegen, bis zum Maximum ausgebildet. Die zweite Art der Cal.-Ast.-Gelenk-Entwicklung, die direkte oder fortbildende, führt zur Entstehung der Stammgruppengelenke, sie besteht darin, dass die normale Streckfähigkeit des Initialgelenks der Reihe in allen Descendenzgelenken quantitativ erhalten bleibt, während dessen normale Beugefähigkeit in ihnen gradatim erlischt. Zugleich ändert sich die Qualität der normalen Streckbewegung des Initialgelenks in den Descendenzgelenken. Die normale Streckbe- wegung der Cal.-Ast.-Gelenke entsteht durch Kombination dreier Einzelbewegungen, welche der Ast. am zugehörigen Cal. theoretisch auszuführen vermag: aus einer sagittalen, einer Horizontal- und einer Transversalbewegung, von denen im Initialgelenk der Reihe die Sagittalbewegung die anderen bei Weitem übertrifft, in den Descendenzgelenken erlischt dieselbe allmählich und die anderen treten dadurch stärker hervor. Es wurde bereits früher darauf hingewiesen, dass das ursiden- gleiche und menschliche Cal.-Ast.-Gelenk universell sind, dies gilt auch von allen anderen Stammgruppengelenken. Da aber die ein- zelnen Stammgruppengelenke nicht nur in der Ergiebigkeit ihrer nor- malen Beugebewegungen divergiren, sondern sich auch durch qua- litativ verschiedene normale Streckbewegungen unterscheiden, wei- 476 Gustav Tornier chen sie auch in allen anderen gleichwerthigen Gelenkbewegungen von einander ab. Es ist z. B. im Cal.-Ast.-Gelenk der Crocodilinen keine Hyperbeugung möglich, weil in demselben die normale Beu- gung außerordentlich ergiebig ist, dieselbe fehlt gleichfalls dem Stammgruppengelenk der Marsupialia saltatoria und ist in demselben durch quantitativ beschränkte normale Beugebewegungen ersetzt. Im Cal.-Ast.-Gelenk der Artiodactylenstammgruppe tritt Hyperbeu- gung auf und verläuft um Centra, welche in den distal-medialen Ecken der lateralen Facetten des Ast. und Cal. liegen. Im Cal.- Ast.-Gelenk der Equiden und Caniden und deren Stammgruppen findet gleichfalls Hyperbeugung statt, aber nicht um Centra, welche direkt in den lateralen Facetten des Ast. und Cal., sondern in deren distalen Rändern liegen, doch tritt im Canidengelenk die Horizon- talität der Gelenkbewegung stärker hervor als in dem der Equiden und ihrer Stammgruppe. Die Cal.-Ast.-Gelenke der Cynopitheci stammen von ursiden- gleichen Stammgruppengelenken ab, in welchen wegen der relativen Kürze des vertikalen Durchmessers des medialen Ast.-Theils alle im Gelenk möglichen Bewegungen vorwiegend Horizontalbewegungen sind. Dies gilt nicht nur für die normale Gelenkbeugung und -Streckung. sondern auch für die modifieirte Fortsetzung der letzteren, welche desshalb als Hyperadduktion erscheint und den Kopf des Ast. in fast reiner Horizontalbewegung auf den Kopf des Cal. schiebt. Die Cal.-Ast.-Gelenke der Cynopitheei sind dadurch aus diesem Stamm- gruppengelenk entstanden, dass sie dessen Hyperadduktionsbewe- gungen vorwiegend ausführten und die denselben zu Grunde liegen- den, zum Theil latenten anatomischen Charaktere des Stammgrup- pengelenks zum Maximum ausbildeten. — Die Cal.-Ast.-Gelenke der Caniden stammen gleichfalls von einem ursidengleichen Stamm- gruppengelenk ab, sie führten vorwiegend dessen Hyperbeugung aus und bildeten die derselben zu Grunde liegenden, zum Theil latenten anatomischen Charaktere des Stammgruppengelenks zum Maximum aus. Endlich stammen noch die Cal.-Ast.-Gelenke der Lutra, En- hydris, Mustela zibellina ete. von einem ursidengleichen Cal.-Ast.- Gelenk, sie führten vorwiegend dessen Hyperabduktionsbewegung aus und bildeten die derselben zu Grunde liegenden anatomischen Gelenkcharaktere zum Maximum aus. Die Cal.-Ast.-Gelenke der Prosimier, Pinnipedia und das des Procyon stammen, wie nachgewiesen worden ist, von einem Stamm- gruppengelenk ab, in welchem der sagittale Durchmesser des me- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 477 dialen Ast.-Theils etwas länger ist als in dem Cal.-Ast.-Gelenk mit ursidengleichen Charakteren, in welchem daher die normale Ge- lenkbeugung und -Streckung mehr Sagittalbewegungen sind, und in Folge dessen die modifieirte Fortsetzung der normalen Streekbewegung nicht mehr als fast reine Horizontalbewegung verläuft und den Kopf des Ast. auf den des Cal. schiebt, sondern weit mehr Sagittalbewe- gung ist, indem sie den Kopf des Ast. aus plantar-medialer Rich- tung dorsal-lateralwärts an der Medialseite des Cal.-Kopfes empor- schiebt. Die Cal.-Ast.-Gelenke der Prosimier und Pinnipedier führten diese Bewegungen vorwiegend aus und bildeten deren anatomische Charaktere zum Maximum aus. — Auch die Cal.-Ast.-Gelenke der Perissodactylen stammen von einem Stammgruppengelenk ab, in welchem der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils länger ist als in dem ‘der Stammgruppe mit ursidengleichen Charakteren, in Folge dessen finden die Hyperbeugungen dieses Stammgruppen- gelenks zwar genau in derselben Weise statt wie in demjenigen der Ursiden und Caniden, sind aber mehr Sagittalbewegungen. Die Perissodactylen führten diese Bewegungen vorwiegend aus und bil- deten die ihnen zu Grunde liegenden anatomischen Gelenkcharaktere zum Maximum aus. Die Cal.-Ast.-Gelenke der Caniden und Perisso- dactylen unterscheiden sich also von einander genau in derselben Weise wie die Gelenke der Cynopitheci von denen der Prosimier, Pinnipedier ete. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Cal.- Ast.-Gelenke der Prosimier und Perissodactylen von ein und dem- selben Stammgruppengelenk abstammen. Endlich können auch die Cal.-Ast.-Gelenke des Oryeteropus ca- pensis und der Dasypus-Arten von diesem Stammgruppengelenk her- stammen und mit den letztgenannten auf ein und derselben Ent- wicklungstufe stehen, denn auch sie entspringen zweifellos aus einem Stammgruppengelenk, dessen medialer Ast.-Theil den des ursiden- gleichen Stammgruppengelenks durch größere Länge des vertikalen Durchmessers übertrifft und dessen Bewegungen daher mehr Sagittal- bewegungen sind. Aus diesen Gelenken entstanden die des Orycte- ropus und der Dasypus-Arten, indem sie seine Hyperabduktionsbe- wegungen vorwiegend ausführten und deren Charaktere zum Maximum ausbildeten. Die Hyperabduktion dieser beiden Gelenke unterscheidet sich von derjenigen der Ursiden, der Lutra, Enhydris ete. einzig und allein durch stärkeres Vorwiegen der Sagittalbewegung. Im Cal.-Ast.-Gelenk der Artiodactylen, in dem ihrer Stammgruppe und in dem der Crocodilinen können weder Hyperabduktions- noch 478 Gustav Tornier Hyperentoversionsbewegungen stattfinden, da bei diesen Individuen wegen der extremen relativen Länge des vertikalen Durchmessers des medialen Ast.-Theils die mediale Seite des Cal.-Körpers vertikal steht und ihre Gelenkbewegungen überwiegend Sagittalbewegungen sind: dagegen ist es denkbar, dass die in den meisten dieser Cal.-Ast.- Gelenke möglichen normalen Beuge- und Streckbewegungen durch Verlust ihrer Sagittal- und Adduktionsbewegung zu fast reiner Ento- versionsbewegung umgewandelt werden können. Dies würde ge- schehen, wenn der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils dieser Gelenke an Länge abnähme und wenn dabei die lateralen Facetten der Knochen in proximo-distaler Richtung stärkere dorsal- wärts schauende Konvexkrümmung erführen. Aus obigen Schilderungen geht hervor, dass die Cal.-Ast.-Ge- lenke des Bradypus und Choloepus zweifellos aus ‘einem phyloge- netisch niedrig stehenden Stammgruppengelenk hervorgegangen sind, in welchem der vertikale Durchmesser des medialen Ast. - Theils eine verhältnismäßig beträchtliche Länge besaß und welches viel- leicht gleichzeitig zur Entstehung der Artiodactylengelenke Veran- lassung gab. Dass die Cal.-Ast.-Gelenke des Bradypus und Cho- loepus in der That phylogenetisch tief stehen, wird unwiderleglich bewiesen durch die Thatsache, dass die Cal.-Ast.-Gelenke der vor- wiegend kletternden Beutelthiere: Didelphys!, Phalangista (Fig. 51. 52). Phascolaretos (Fig. 50) in ihrer Struktur und Mechanik frap- pirend mit ihnen übereinstimmen. Am Cal. der kletternden Beutel- thiere, z. B. dem des Didelphys (Fig. 51), hat die laterale Gelenk- fläche (7) die Form eines Kegelmantels, dessen Spitze durch den in einen Punkt zusammengezogenen medialen Rand der Gelenkfläche, dessen Basis durch deren lateralen Rand gebildet wird. Die Ge- lenkfläche selbst ist so stark in proximo-distaler Richtung dorsal- wärts konvex gekrümmt, dass ihre Peripherie dabei einen Halbkreis beschreibt. Zwei Randflächen, eine proximale (x) und distale d, stehen mit ihr in unmittelbarer Berührung. Ferner findet sich am Cal. dieser Individuen auf einem wohl entwickelten Sustentaculum tali eine mediale Facette (m). Mit deren distalem Rande in Be- rührung erstreckt sich an der medialen Seite des Cal.-Körpers bis zum Dorsalrand der Cub.-Facette des Knochens eine Gelenkfläche, welche aus Gründen der Gelenkmechanik des Knochens vordere (r) und sekundär entstandene Facette (v’) sein muss. ı Fig. 40 Cal. + Ast. der Didelphys Azarae in normaler Lage; Fig. 41 in normaler Streckung (reiner Entoversion); Fig. 51 Cal., Fig. 52 Ast. des Thieres. Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 479 Am Ast. dieser Thiere (Fig. 52) findet sich eine laterale Fa- cette (/) mit starker plantarwärts schauender Konvexkrümmung und eine wohl entwickelte mediale Facette (m). In den Stammgruppen- gelenken liegt zwischen der letztgenannten und der Cub.- resp. Nay.-Facette des Knochens die Grube für das Lig. cal.-ast.-plantare (Fig. 52 w), bei den kletternden Beutelthieren ist deren lateraler Abschnitt von Gelenkknorpel überzogen, ihr medialer ist erhalten und dient einem Rest des Ligaments als Anheftungsstelle. Am Kopf des Ast., lateralwärts von der Cub.-Facette des Knochens, liegt in den Stammgruppengelenken die vordere Facette desselben, dieselbe fehlt den kletternden Beutelthieren vollständig. Höchst charakteristisch für die Cal.-Ast.-Gelenke der sämmt- lichen vorwiegend kletternden Beutelthiere ist die Thatsache, dass der vertikale Durchmesser des medialen Ast.-Theils bei all diesen Thieren in Beziehung zu dem vertikalen Durchmesser des zugehöri- gen lateralen Ast.-Theils von auffälliger Kürze ist, denselben näm- lich an Länge kaum übertrifft (Fig. 75 Transversalschnitt durch den Cal. + Ast. der Didelphys Azarae). Dieser Umstand, in Verbindung mit der Thatsache, dass die laterale Facette am Cal. dieser Thiere sehr stark dorsalwärts konvex gekrümmt ist, bewirkt, dass in all diesen Gelenken einzig und allein normale Beuge- und Streckbe- wegungen ausgeführt werden können, die zu fast reinen Entover- sionen umgewandelt sind. Während dieser Gelenkstreckung (Fig. 51 und 52 Richtung der Pfeile) bewegt sich der Ast. in der lateralen Facette des Cal. disto-proximalwärts, in der medialen Facette des Cal. proximo-distalwärts, dabei rotirt derselbe zugleich um seine Proximo-distal-Achse in planto-latero-dorso-medialer Richtung, sein Kopf macht diese Bewegung natürlicherweise mit (Fig. 40, 41) und schiebt sich planto-latero-dorsalwärts am Cal.-Kopf empor, bis er mit seiner überknorpelten Grube des Lig. cal.-ast.-plantare in die Facette zu liegen kommt, welche an der medialen Seite des Cal.- Körpers vorhanden ist und eine Art Entoversionsfacette (v’) des Cal. darstellt. Sie entstand dadurch, dass der Ast. in Folge seiner starken Entoversion mit der Grube des Lig. cal.-ast.-plantare an die mediale Seite des Cal.-Körpers stößt und die Berührungsstellen beider Knochen sich dann mit Gelenkknorpel überziehen. Die- selbe Gelenkbewegung entfernt die vordere Facette des Ast. voll- ständig aus der des Cal. und führt durch ihr Permanentwerden zur gänzlichen Atrophie dieser beiden Facetten. Andere Bewegungen als die eben beschriebenen giebt es im Cal.-Ast.-Gelenk der vor- 480 Gustav ‘Tornier wiegend kletternden Beutelthiere nicht; im Maximum der Gelenk- streckung stoßen bei ihnen zwar die proximalen Randflächen v) des Ast. und Cal. auf einander, aber sie werden nicht zu neuen Be- wegungscentren der Knochen, eben so wenig wie die distalen Rand- facetten derselben. Sie sind beide dadurch entstanden, dass die laterale Facette des Ast. dieser Individuen im Maximum der Gelenk- beugung und -Streckung mit ihrem distalen resp. proximalen Rand auf den Cal.-Körper stößt und dadurch Uberknorpelung der Be- rührungsstellen hervorruft. Die Cal.-Ast.-Gelenke der vorwiegend kletternden Beutelthiere stimmen also mit denen des Bradypus und Choloepus nicht nur anatomisch, sondern auch physiologisch im Wesentlichen überein, beide Gelenke sind anatomisch extrem zur Ausführung fast reiner Entoversionen ausgebildet. Trotz dieser frappirenden Übereinstimmung weichen andererseits die verglichenen Cal.-Ast.-Gelenke in wesentlichen Charakteren von einander ab. Einmal darin, dass in denen der vorwiegend klettern- den Beutelthiere gar keine, in denen des Bradypus und Choloepus dagegen, wenn auch quantitativ, sehr wenig ergiebige Hyperento- versionen stattfinden können, ferner darin, dass in ersteren die la- terale und mediale Facette des Cal. in latero-medialer Richtung ziemlich steil dorso-plantarwärts abfallen, während sie bei Bradypus fast horizontal liegen. Der wichtigste Unterschied zwischen ihnen ist indess zweifellos der, dass bei den kletternden Beutelthieren die Entoversionsfacette (v’) in der Verlängerung der proximo-distalen Achse der medialen Facette des Knochens liegt, während sie sich bei Bradypus und Choloepus dorsalwärts von derselben ausdehnt. Die so eben konstatirten Thatsachen lehren erstens, dass die Cal.-Ast.-Gelenke der vorwiegend kletternden Beutelthiere keine Stammgruppengelenke sind, sondern von solchen abstammen und aus denselben in ähnlicher Weise wie die des Bradypus und Cho- loepus aus den ihrigen entstanden sind, indem von ihnen durch Verkürzung des vertikalen Durchmessers ihres medialen Ast.-Theils und durch starke Konvexkrümmung ihrer lateralen Facetten die nor- male Beuge- und Streckbewegung ihres Stammgruppengelenks in fast reine Entoversionsbewegungen umgewandelt wurden, und zwei- tens lehren diese Thatsachen, dass die Cal.-Ast.-Gelenke der vor- wiegend kletternden Beutelthiere phylogenetisch tiefer stehen als die des Bradypus und Choloepus, in ihnen sind weder Hyperadduktions- noch Hyperentoversionsbewegungen möglich, ihre normalen Gelenk- Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 481 bewegungen sind mehr Sagittalbewegungen, und drittens liegt ihre »Entoversionsfacette« (v’) im Plantarabschnitt der Medialseite des Cal.- Körpers, dies beweist. dass in ihrem Stammgruppengelenk die me- diale Seite des Cal.-Körpers von beträchtlicher Größe gewesen sein und vertikal gestanden haben muss. Mit anderen Worten, die Stammgruppengelenke der vorwiegend kletternden Beutelthiere müs- sen einen relativ langen vertikalen Durchmesser des medialen Ast.- Th eils gehabt haben, d. h. phylogenetisch sehr tief stehen. Berlin, 10. Juli 1889. (Fortsetzung folgt.) Erklärung der Abbildungen. Tafel XVII und XVIII. Durchgehende Bezeichnungen wie in Bd. XIV, pag. 326, außerdem noch folgende: u proximale Randfacette in Hyperabduktionsgelenken, v’ Hyperadduktions- resp. Hyperentoversions- oder Entoversionsfacette des Cal., w Gelenkknorpelbelag der Fossa des Lig. cal.-ast.-plantare, y Hyperabduktionscentrum, = Hyperadduktions- resp. Hyperentoversionscentrum, ma Verbindung zwischen vorderer und medialer Gelenkfläche des Cal. Fig. 1. Cal. + Ast. des Oryeteropus capensis Geoffr. im Maximum der Hyper- abduktion. Fig. 2. Cal. + Ast. des Dasypus gigas Cuv. im Maximum der normalen Ge- lenkstreckung. Fig. 3. Cal. + Ast. des Manis Temmincki Smuts. im Maximum der Hyper- abduktion. Fig. 4. Cal. des Manis Temmincki Smuts. Fig. 5. Ast. des Manis Temmincki. Fig. 6. Cal. des Ursus arctos L. mit Hyperabduktionscharakteren. 7 atro- phirender Theil der lateralen Facette. Fig. 7. Cal. des Ursus arctos L. mit Charakteren der normalen Gelenk- streckung. Fig. 8. Cal. des Ursus ornatus Cuv. 7’ wie in Fig. 6. Fig. 9. Ast. des Ursus ornatus Cuv. ; Fig. 10. Cal. der Enhydra marina Cuv. e Knochenkern der atrophirten vor- deren Gelenkfläche. ¢ Knochenkern eines atrophirten Theiles der la- teralen Facette. Morpholog. Jahrbuch. 16. 31 482 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. ; Fig. 4 Fig. Fig. Fig. : Fig. Fig. Fig. Fig. : Fig. Fig. : Fig. : Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Gustav Tornier Cal. der Mustela zibellina L. Ast. der Mustela zibellina L. Cal. des Orycteropus capensis Geoffr. wie Fig. 10. Ast. des Orycteropus capensis Geoffr. Cal. des Dasypus gigas Cuv. Cal. des Dasypus setosus Wied. / zweite Facette für die Crista capsulae des Ast. Ast. des Dasypus setosus Wied. /’ wie Fig. 17. Cal. des Phascolomys fossor Per. und Les. Ast. des Phascolomys fossor Per. und Les. Cal. des Phascolomys latifrons Owen. m’ Facette, entstanden durch Druck der Lam. lat. auf den Cal.-Hals: Ast. des Phascolomys latifrons Owen. m’ wie Fig. 21. Ast. + Cal. der Echidna hystrix Cuv. t3 Facette für das 1. n Fa- cette des Ast. für einen kleinen Knochen, welcher bei Echidna die Stelle des Lig. ast.-cal.-nav. einnimmt. Cal. der Echidna hystrix Cuv. Ast. der Echidna hystrix Cuv. 3 wie Fig. 23. Cal. + Ast. des Cynocephalus hamadryas (L.) Wagn. in Ruhelage. Cal. + Ast. des Cynocephalus hamadryas (L.) Wagn. im Maximum der Hyperadduktion. Cal. + Ast. der Chiromys madagascariensis Desm. in Bee Cal. + Ast. der Chiromys madagascariensis Desm. im Maximum der Hyperadduktion. Cal. + Ast. der Myrmecophaga jubata L. in Ruhestellung. Cal. + Ast. der Myrmecophaga jubata L. im Maximum der Hyperad- duktion. Cal. + Ast. des Propithecus diadema Benn, im Maximum der normalen Gelenkstreckung. Cal. + Ast. des Propithecus diadema Benn. im Maximum der Hyper- entoversion. Cal. + Ast. des Procyon lotor Desm. in Ruhestellung. Cal. + Ast. des Procyon lotor Desm. im Maximum der Entoversion. Cal. + Ast. des Bradypus tridactylus Wied. in Ruhestellung. Cal. + Ast. des Bradypus tridactylus Wied. im Maximum der reinen Entoversion. Cal. + Ast. des Choloepus didactylus Illig. in Ruhestellung. Cal. + Ast. des Choloepus didactylus Illig. im Maximum der reinen Entoversion. Cal. + Ast. der Didelphis Azarae Tem. im Maximum der normalen Gelenkbeugung. Cal. + Ast. der Didelphis Azarae Tem. im Maximum der reinen Entoversion. Cal. + Ast. der Otaria ursina Péron. in Ruhestellung. Cal. + Ast. der Otaria ursina Péron. im Maximum der Entoversion. Cal. des Cynocephalus hamadıyas L. Wagn. Ast. des Cynocephalus hamadıyas L. Wagn. Cal. der Chiromys madagascariensis Desm. Cal. der Myrmecophaga jubata L. e wie 7’ in Fig. 10. Morpholeg. Jahrb, Bd XV. = : j Taf. XI. ik q 2 Emm — 1] Verlag von Wilh. Engelmann in Leipsig 7 Tih dnst vB A Funke, Leipzig Taf XVII. = ~ Verlag von Wilh. Engelmann in Lepeig = Vath fet A Foie Val Die Phylogenese des terminalen Segmentes der Säugethier-Hintergliedmaßen. 483 Fig. 48. Fig. 49. Fig. 50. Fig. 51. Fig. 52. Fig. 53. Ast. der Myrmecophaga jubata L. e wie /’ in Fig. 47. Cal. des Phascolarctos cinereus Gray. Ast. des Phascolarctos cinereus Gray. Cal. der Didelphys Azarae Tem. Ast. der Didelphys Azarae Tem. Cal. der Phalangista vulpina Desm. » Kmochenfortsatz mit Gelenk- fläche, entstanden durch Ossifikation des Bandes. welches vom Dor- sum des Cal. an das des Cub. geht. Ast. der Phalangista vulpina Desm. Cal. des Propithecus diadema Benn. ;. Ast. des Propithecus diadema Benn. Cal. des Lepidilemur Is. Geoffr. Cal. des Lemur albifrons Geoffr. Cal. des Otolienus agisymbanus. g Facette, entstanden bei extremer Hyperentoversion durch Überknorpelung der Gelenkflächenränder. Cal. des Bradypus tridactylus Wied. g wie Fig. 59. Ast. des Bradypus tridactylus Wied. g wie Fig. 59. a Cal. des Choloepus didactylus Illig. g wie Fig. 59. o sekundäre Fa- cette. Ast. des Choloepus didactylus Illig. q wie Fig. 59. Cal. des Procyon lotor L. 7 wie Fig. 10. Ast. des Procyon lotor L. Cal. der Otaria ursina Péron. Ast. der Otaria ursina Péron. Cal. des Halichoerus grypus Nilss. e neuer Knorpelanhang an der m-Facette des Ast. Ast. des Halichoerus grypus Nilss. Cal. der Cystophora cristata Fabr. Ast. der Cystophora cristata Fabr. Cal. der Cystophora proboscidea Nilss. Ast. der Cystophora proboscidea Nilss. Cal. + Ast. des Wombat. Transversalschnitt. Cal. + Ast. der Didelphys Azarae Tem. Transversalschnitt. Cal. + Ast. des Cynocephalus hamadryas. Transversalschnitt. Ast. des Otolicnus agisymbanus. gq wie w Fig. 59. Über den Ursprung der Arteria subelavia der Vögel. Von Dr. Ferdinand Hochstetter in Wien. Mit 5 Figuren im Text. Es ist eine längst bekannte Thatsache, dass die A. subelavia der Vögel bezüglich ihrer Lagebeziehungen zur vorderen Hohlvene und deren Hauptästen, sowie zum N. vagus, mit der A. subelavia der Säuger nicht übereinstimmt. Während nämlich bei den Säugern (mit Ausnahme der Cetaceen) die genannten Gebilde ventral von der A. subelavia verlaufen, finden wir sie bei den Vögeln dorsal von der die vordere Gliedmaße versorgenden Arterie. Diese wichtige Differenz in den Lagebeziehungen der A. subelavia bei Vögeln und Säugethieren musste zu einem Zweifel an der Richtigkeit des von RATHKE für die Vögel-Subelavia gegebenen Entwicklungsschemas führen, eines Schemas, welches von der Annahme ausgeht, dass die A. subelavia der Vögel und A. subelavia der Säuger die gleichen Gefäße mit ursprünglich gleichen Ursprungsverhältnissen seien. Diese oben angeführte Differenz in den Lagebeziehungen führte zuerst SABATIER ! zu einer Änderung des ursprünglichen RATHKE'schen Schemas, die darin bestand, dass er die Subelavia aus dem dorsalen Abschnitte des dritten Arterienbogens hervorgehen lässt, eine Abänderung, die in keiner Weise die eigenthümliche Lagebeziehung zu Vagus und Hohlvene zu erklären vermag, da die A. subelavia auch vom dorsalen Ende des dritten Arterienbogens abgehend dorsal vom N. vagus und ! Transformation du systeme aortique des vertébrés. Annales des sciences naturelles. 5 S. T. 19. 1874. Über den Ursprung der Arteria subelavia der Vögel. 485 der Hohlvene verlaufen müsste!. Der Zweite, welcher dem Zweifel an der Richtigkeit des RATHKE’schen Schemas Ausdruck verlieh, war A. BRENNER?, der sagte, dass es keineswegs ausgemacht sei, dass die A. subclavia der Vögel der A. subelavia der Säuger ent- spreche. Das Verdienst J. MAKay’s® aber ist es, nachgewiesen zu haben, dass thatsächlich die A. subelavia der Vögel und eben so die der Krokodile und Chelonier der A. subelavia der Säuger (mit Ausnahme der Cetaceen) in keiner Weise entspreche, also nicht in der von RATHKE vermutheten Weise entstehe, woraus sich die veränder- ten Lagebeziehungen der A. subelavia bei den genannten Wirbel- thierformen erklären lassen. Nach J. Makay lässt sich beim Hühn- ehen eine aus der Aortenwurzel abgehende A. subelavia zu keiner Zeit der Entwicklung nachweisen, dagegen könne man am fünften Tage der Bebrütung ein Gefäß (vgl. 1. ec. pl. XXII Fig. 4) vom ventralen Ende des dritten Arterienbogens an der Seite der drei Arterienbogen und ventral vom D. Cuvieri vorbei an die vordere Extremität ziehen sehen. Dieses Gefäß ist die spätere A. subelavia, welche somit beim Hühnchen, wie dies nach RATHKE der Fall sein müsste, weder rechts aus dem dorsalen Abschnitt des vierten Ar- terienbogens entspringt, noch auch links mit ihrem Anfangsstück aus dem vierten Arterienbogen hervorgeht, sondern schon vermöge ihres Ursprunges aus dem ventralen Ende des dritten Arterienbogens ihre von der A. subelavia der Fische, Amphibien, Lacertilier und Säuger (ausgenommen die Cetaceen) verschiedene Naturen doku- mentirt und es erklärlich macht, warum ihre Lagebeziehungen zu D. Cuvieri und N. vagus so grundverschiedene sind. Auf Grund vergleichend-anatomischer Untersuchungen kommt MarAY endlich auch zu dem Schlusse, dass die A. subelavia der Krokodile, Chelonier und Cetaceen mit dem gleichnamigen Gefäße der Vögel übereinstimme; dass man somit in der Wirbelthierreihe ! Zudem ist SABATIER’s Schema mit Rücksicht auf die A. subelavia nicht neu, sondern entspricht in dieser Beziehung vollständig dem von E. v. BAER in BurDACH’s Physiologie, Bd. II Tab. 4 gegebenen. 2 Über das Verhältnis des ‘N. laryngeus inferior vagi zu einigen Aorten- varietäten des Menschen und zu dem Aortensystem der durch Lungen athmen- den Wirbelthiere überhaupt. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1883. y 3 The development of the branchial arterial arches in birds with special reference to the origin of the subclavians and carotids. Phylosophical. Trans- actions of the Royal Society of London. Vol. 179 (1888). pag. 111—139. 3 486 Ferdinand Hochstetter nicht eine, sondern zwei verschiedene Arterien vorfinde, die der vorderen Gliedmaße ihr Blut zuführen, von denen die eine ventralen. die andere dorsalen Ursprung besitze. Ja, bei einer Form, nämlich bei Chamaeleo vulgaris', findet er beide Arterien vorhanden, von denen jedoch die dorsale für beide Seiten aus der rechten Aorten- wurzel entspringende, als die stärkere die Extremität versorgt, wäh- rend die ventrale aus dem ventralen Abschnitte des dritten Aorten- bogens hervorgehende, die jedoch mit der dorsalen an der Glied- maßenwurzel durch Anastomosen in Verbindung stehe, nur an die Muskeln des Schultergürtels sich vertheile. Die Anastomose zwischen beiden Arterien lasse es erklärlich erscheinen, dass, wenn das dor- sale Gefäß fehle, die Extremität von dem ventralen mit Blut versorgt werde und gestatte auch eine Erklärung der Lagedifferenz der A subelavia bei Vögeln und Eidechsen. Unabhängig von J. MAkAY und ohne seine Arbeit zu kennen, hatte ich mir die Beantwortung der Frage nach der Lagedifferenz zwischen Vogel- und Säuger-Subelavia zur Aufgabe gestellt und kam bei der Durchsicht zahlreicher Schnittserien von Hühnerembryonen bezüglich der definitiven A. subelavia der Vögel zu eben denselben Resultaten wie J. Makay, doch gelang es mir überdies eine That- sache festzustellen, die MAKAy entgangen war und die ich, da ich sie für prineipiell wichtig halte, im Nachfolgenden mittheile. Wenn nämlich auch die definitive A. subelavia in der von J. Makay ge- schilderten Weise ihren Ursprung nimmt, so existirt doch schon, bevor dieses Gefäß am fünften Tage die vordere Gliedmaße erreicht, jederseits eine Arterie, die der A. subelavia der Fische, Amphibien, Lacertilier und Säuger entspricht, von der Rückenaorta entspringt und die vordere Gliedmaße, die eben nur als kurzer Stummel an- gelegt ist, mit Blut versorgt. Durchmustert man Schnittserien durch Hühnerembryonen von 100—106 Stunden, so erkennt man, dass in der Höhe der vorderen Gliedmaßenanlage (und zwar entspricht die Stelle dem 15. Segmente vom Hinterkopf an gerechnet) jederseits eine Arterie aus dem dorsalen Umfange der Rückenaorta hervorgeht, die ihrem Ursprung nach vollkommen mit den segmentalen Arterien übereinstimmt, sich von diesen nur durch ihr größeres Kaliber aus- zeichnet und an die Extremität herantritt. Die Arterie steht in der Reihe der segmentalen Arterien und liegen bei einem 106 Stunden 1], e. und The arterial System of the Chamaeleon. Memoirs and Me- morandain Anatomy. Vol. I. te Über den Ursprung der Arteria subelavia der Vögel. 487 bebrüteten Hühnerembryo noch 14 solche Arterien jederseits vor ihr. Das Gefäß aus dem ventralen Ende des dritten Arterienbogens lässt sich an den Schnittserien noch nicht deutlich erkennen, und auch an lebenden Embryonen der gleichen Entwicklungsperiode sah ich noch keine Arterie aus dem ventralen Abschnitte des dritten Aortenbogens hervorgehen. Allerdings ist stets ein Gefäß zu erkennen, welches in der Gegend des ventralen Endes vom dritten Aortenbogen sicht- bar wird und sich bis an den Ductus Cuvieri heran verfolgen lässt, dieses Gefäß ist aber eine Vene, welche aus dem ventralen Abschnitte der Branchialbogen ihr Blut bezieht und in die vordere Cardinalvene (V. jugularis) dort mündet, wo sich diese in den Ductus Cuvieri ein- senkt. — Ich vermuthe, dass MaraAY dieses Gefäß in frühen Stadien (wie dem seiner Fig. 4) für die (def.) A. subelavia, die zu dieser Zeit noch nicht bestand, gehalten hat, da in ihm thatsächlich das Blut vom ventralen Ende des dritten Aortenbogens in der Richtung gegen die vordere Extremität zu strömen scheint. Bei etwas älte- ren Embryonen ändert sich das Abgangsverhältnis der primitiven A. subelavia ähnlich wie das Abgangsverhältnis der vorderen seg- mentalen (intercostal) Arterien, indem die Ursprünge der Gefäße beider Seiten einander am dorsalen Umfang der Aorta scheinbar näher rücken und endlich zu einem kurzen gemeinschaftlichen Stamm ver- Fig. 1. schmolzen erscheinen, ein Vorgang, wel- cher sich leicht aus Wachsthumsver- bes De schiebungen erklären lässt (vgl. Fig. 1). = Gegen das Ende des fünften Tages nimmt way, die primitive A. subelavia mit der stär- 1 keren Entwicklung der Gliedmaße an Stärke zu, zugleich aber ist das andere für die Extremität be- stimmte Gefäß bis an dieselbe herangewachsen und ich sehe an Embryonen, vom Beginne des sechsten Tages der Bebrütung an- gefangen, dieses Gefäß an der Wurzel der Extremität in die pri- mitive A. subelavia einmünden. Und zwar erfolgt die Vereinigung der beiden Gefäße in der Weise, dass sie unter einem nahezu rechten gegen die Leibesmitte zu offenen, die V. subclavia aufnehmenden Winkel zusammenmünden. Die Arterie der vorderen Gliedmaße besitzt demnach in diesem Stadium zwei Wurzeln, von denen die ventrale schwächer erscheint als die dorsale. Dieses Verhältnis kehrt sich dann im weiteren Verlaufe um. Am siebenten Tage ist die dorsale Wurzel bereits B. 488 Ferdinand Hochstetter r erheblich schwiicher als die ventrale, und am neunten Tage finde ich bereits keine Spur der dorsalen Wurzel mehr erhalten, womit das definitive Verhalten in einer Weise hergestellt erscheint, wie sie Makay nach den Verhältnissen bei Chamaeleo als wahrscheinlich erkannte, wenn ihm gleich das Vorkommen einer dorsal. entsprin- genden A. subelavia bei Vogelembryonen vollkommen entgangen war. Untenstehendes Schema, annähernd im Stile der RATHKE'schen Schemen gezeichnet, deutet die Abgangsverhältnisse der beiden Subelavien an, weicht jedoch bezüglich der aus der ventralen Carotis entstehenden Arterie in etwas von dem Schema MAxKAy’s ab, indem ich mich der Meinung MAKAy’s, dass aus der ventralen Carotis jenes unbedeutende, beim Hühnchen als Zweig der Sub- clavia erscheinende, für den Endabschnitt der Trachea bestimmte Gefäßchen entstehe, nicht anzuschließen vermag. Vielmehr bin ich der Ansicht, dass A. oesophagea ascendens und descendens, die beim Hühnchen wegen der rechts- seitigen Entwicklung des Kropfes nur linker- Fig. 2. seits stärker entwickelt sind, bei vielen Vögeln jedoch beiderseits gleich stark entwickelt an- getroffen werden, möglicherweise aus der ven- tralen Carotis hervorgehen. Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht vor Allem das ursprüngliche Vertheilungsge- biet der ventralen Carotis in einem Gebiet. welches bei Vögeln später von der sogenann- ten A. carotis externa, einem Zweig der dor- salen Carotis (sog. Carotis communis), versehen wird. Man vermag sich nun den Übergang von dem ursprünglichen zu dem definitiven Verhalten nur in der Weise zu erklären, dass ein in der Region des Zungenbeins ventral- wärts wachsender Zweig der dorsalen Carotis in das Gebiet der ventralen Carotis gelangt und das Endgebiet des letzteren Gefäßes an sicht reißt!. Es müsste dann der ohnehin schwache, an der ventralen und late- ralen Seite des Schlundes hinziehende Stamm der Carotis ventralis immer schwä- cher und schwächer werden und eventuell zum Theile zu Grunde gehen. Nun hängt die A. oesophagea ascendens mit einer A. oesophagea descendens, von 1 Am besten wird man sich diesen Vorgang vergegenwärtigen, wenn man die schönen Abbildungen KasrscHENKO’s: »Das Schlundspaltengebiet des Hühn- chens«, Archiv für Anat. und Physiologie. 1887. Fig. 10 und 11 Tab. XVII, Fig. 23 und 24 Tab. XIX vergleicht. Seine Angaben über die Veränderungen im Carotidensystem entsprechen jedoch, wie dies schon aus MAKAy’s (I. c.) Angaben hervorgeht, nicht den Thatsachen, und eben so wenig stellt Fig. 24 die Abbildung einer Varietiit dar, sondern letztere Figur stimmt, was die Ar- terien anlangt, mit den Verhiiltnissen, wie ich sie bei gleich alten Hiihner- embryonen sehe, und giebt das normale Verhalten der linken Körperhälfte wie- Über den Ursprung der Arteria subelavia der Vögel. 489 der sog. Carotis externa stammend, bei vielen Vögeln! zusammen und bildet mit dieser einen allerdings sehr dünnen Arterienstamm, welcher das Anfangsstück der sog. Carotis communis (entsprechend dem dritten Aortenbogen) mit dem Gebiete der sog. Carotis externa verbindet und dabei bei manchen Formen (Alcedo ispida, Caprimulgus europ. beiderseits, beim Hühnchen einerseits [links], \vgl. auch BARKow, 1. ¢.]} seiner Lage und seinem Verlaufe nach der ventralen Carotis entsprechen könnte, während bei anderen Formen A. oesophagea ascen- dens und descendens nur in ihren Anfangsstücken ventral und seitlich am Schlund und Ösophagus angelagert erscheinen. Und die Annahme, dass die A. oesophagea ascendens und descendes aus der ventralen Carotis hervorge- gangen seien, gewinnt noch an Wahrscheinlichkeit, wenn man den Kehlzungen- beinast (RATHKE) bei manchen Sauriern betrachtet, der nach MAKAY aus der ventralen Carotis hervorgeht (vgl. auch RATHKE, 1. c.) und ihn mit dem bei Varanus bivittatus? ventral vom Ösophagus neben der Trachea verlaufenden Zweige, der offenbar gleichen Ursprung hat, vergleicht, und wenn man die Verbindung der sog. (RATHKE) A. collateralis colli der Krokodile, die nach MAKAy ebenfalls aus der ventralen Carotis entstanden sein dürfte, mit dem Bogen der A. inframaxillaris aus der dorsalen Carotis (communis) berücksichtigt. Freilich konnte ich für die Richtigkeit meiner Anschauung den direkten Nachweis nicht liefern, denn so eifrig ich auch Schnittserien von Hühnerem- bryonen vom achten und neunten Tage untersuchte, war von größeren Arterien, die aus der Carotis ventralis hervorgegangen sein konnten, fortlaufend nichts mit Sicherheit zu erkennen, und es ist daher auch nicht ausgeschlossen, dass die Carotis ventralis, nachdem ihr peripheres Verbreitungsgebiet an die Carotis dorsalis übergegangen ist, vollständig zu Grunde geht. Der Meinung MAkAY's, dass die Carotis externa der Säuger mit der sog. Carotis externa der Vögel übereinstimmen könne, vermag ich nicht beizupflich- ten, vielmehr kann ich nach Beobachtungen an der Katze und am Kaninchen die Richtigkeit des diesbezüglichen RArHkEe’schen Schemas bestätigen. Bei den Säugerembryonen, bei denen die ventrale Carotis ursprünglich ein ganz ähnliches Verbreitungsgebiet besitzt wie bei Vogelembryonen (Hühnchen) und Reptilienembryonen (Lacerta), scheint vielmehr umgekehrt ein mehr oder weni- ger bedeutendes Übergreifen der Endzweige der Carotis ventralis in das ur- sprüngliche Gebiet der Carotis dorsalis stattzufinden. Wir haben es also in der A. subelavia der Vögel und jedenfalls auch in dem gleichen Gefäße der Krokodile, Chelonier und Ceta- ceen mit einem sekundären Gefäß zu thun, welches ursprünglich wie bei Chamaeleo nur die Schultermuskeln zu versorgen hatte, dann aber mit der primitiven A. subelavia in ausgiebigere Ver- der. Zugleich sei erwähnt, dass das unbezeichnete Gefäß aus dem dritten (nicht, wie KASTSCHENKO sagt, vierten) Aortenbogen die definitive A. subelavia ist. ! BARKOW, Anatomisch-physiologische Untersuchungen, vorzüglich über das Schlagadersystem der Vögel. MEckKEL's Archiv. 1829. pag. 305—496. 2 H. RATHKE, Untersuchungen über die Aortenwurzeln und die von ihnen ausgehenden Arterien der Saurier. Denkschriften der k. Akademie der Wissen- schaften. Bd. XIII. Wien 1857. | 490 Ferdinand Hochstetter bindung trat und ihr Ramifikationsgebiet an sich riss, was endlich zur Obliteration der primitiven, aus der Rückenaorta entstandenen Subelavia führen musste. Dass die primitive A. subelavia aus der Rückenaorta bei allen, vordere Extremitäten besitzenden Wirbelthie- ren, auch wenn sie später eine der sekundären Vögel- subelavia entsprechende, die vordere Gliedmaße ver- sorgende Arterie besitzen, zunächst zur Entwicklung kommt, halte ich für in hohem Grade wahrscheinlich. Dabei weicht der Ursprung der primitiven A. subelavia der Vogelembryonen durchaus nicht von dem Ursprung der A. subelavia bei Lacertaembryonen, noch auch von dem bei Kaninchenembryonen vom Beginne des 12. Tages ab, denn sowohl bei den einen wie bei den anderen erfolgt die Ausmündung noch von dem Anfangsstiicke der Rückenaorta und nicht, wie dies allgemein angenommen wird, aus den Aortenwurzeln oder wie bei Lacerta aus einer Aortenwurzel. Auch stimmt die Ausmündung genau mit der der segmentalen Ar- terien überein. Während der weiteren Entwicklung (im Verlaufe des 12. Tages) geht beim Kaninchen die Ausmündungsstelle auf die Aortenwurzel über und scheint an dieser vorzurücken, während bei Lacerta ein asymmetrisches Verhalten in der Weise zu Stande kommt, dass sich der Ursprung beider Subelavien auf die rechte Aortenwurzel verschiebt. Dieses Vorrücken ist jedoch nur ein schein- bares, vielmehr verbleibt die Abgangsstelle zunächst an ihrer Stelle (beim Kaninchen in der Höhe des 6. Cervicalsegmentes) und rückt dann allmählich nach rückwärts vor. Es geht also nicht wohl an, von einer Verschiebung der Abgangsstelle zunächst vom Aorten- stamm auf die beiden oder nur die rechte Aortenwurzel zu sprechen, sondern es werden die Veränderungen in den Abgangsverhältnissen aus der Weiterentwicklung des Aortenstammes und der Aortenwur- zeln zu folgern sein. Diese nun sind sehr schwierig zu verfolgen, doch glaube ich mit ziemlicher Sicherheit sagen zu können, dass die Zusammenflussstelle der beiden Aortenwurzeln sich bei allen Amnioten in höherem oder geringerem Grade nach rückwärts zu verschiebt, in der Weise, dass eine allmähliche Spaltung des An- fangsstückes des Aortenstammes nach rückwärts hin erfolgt. Ein Vorgang, wie ihn GörTE bei der Unke beschrieben hat. Diese Spaltung kann in zweierlei Weise erfolgen, entweder symmetrisch, wie beim Kaninchen (und wahrscheinlich allen Säu- gern), oder asymmetrisch, wie bei Lacerta (und wahrscheinlich allen Über den Ursprung der Arteria subelavia der Vögel. 491 Reptilien)!. Im ersteren Falle (vgl. Fig. 3) entsenden die in Folge einer der Sagittalebene entsprechenden symmetrischen Spaltung des Aortenstammes verlängerten Aorten- wurzeln, symmetrisch jene Äste (A. Fig. 3. subelavia und vordere segmentale Ar- ig 2 2 terien), welche urspriinglich von dem ? I< Dt ie ungespaltenen vordersten Abschnitte \ bo) Gore 3 der Riickenaorta abgingen. Im letz- - > teren Falle wird, da die Spaltungs- Ay B. ebene nicht sagittal, sondern vielleicht um einen Winkel von 40—45° aus der sagittalen, im Sinne des Zeigers der Uhr gedreht gedacht werden muss, die früher vom dorsalen Um- fange des ungetheilten Anfangsstückes der Aorta abgehende Astfolge allein der nun verlängerten rechten Aortenwurzel zufallen, es werden also beide A. subelaviae und eine, bei den verschiedenen Arten ver- schieden große Anzahl von segmentalen (intere.) Arterienpaaren von ihr abgehen, während die vom vorderen Umfang des ursprüng- Fig. 4. lichen Anfangsstückes des Aorten- stammes abgehenden Eingeweide- äste nur der linken verlängerten i Wie ) Aortenwurzel angehören werden 2 iat, (vgl. Fig. 4). Auf diese Weise Brig erklärt sich auch sehr einfach das A. B a eigenthiimliche Lageverhiltnis der [\ dorsalen Enden der beiden Aorten- wurzeln bei vielen Sauriern zu einander. Man findet nämlich bei Lacerta viridis und älteren Embryonen von Lacerta agilis, bei Cha- maeleo vulgaris, Varanus niloticus ete. das dorsale Ende der linken Aortenwurzel, stets neben und vor das der rechten gelagert (vgl. Fig. 4). Auch bei Hiihnerembryonen vom siebenten bis neunten Tage erkenne ich eine leichte Asymmetrie in der Lagerung der beiden Aortenwurzeln ähnlich, nur weitaus nicht so hochgradig wie bei den Embryonen von Lacerta agilis. Auch bei Hühnerembryonen er- folgt sicherlich eine Spaltung des ursprünglichen Anfangsstückes der Rückenaorta, was schon daraus hervorgeht, dass in frühen Stadien (bis zum fünften Tage) der Ductus arter. Botalli jederseits in das ' Für die Chelonier scheint mir bestimmt aus den Angaben RaTuKn’s in seiner »Entwicklungsgeschichte der Schildkröten«, Braunschweig 1848, hervor- zugehen, dass eine Spaltung des Anfangsstückes der Aorta erfolge. 492 Ferdinand Hochstetter Anfangsstück des Aortenstammes miindet, während später seine Ein- mündung in die Aortenwurzel erfolgt. Aber diese Spaltung tritt jedenfalls in den Hintergrund gegenüber der enormen Verkürzung. die das Anfangsstück der Aorta erfährt. Diese Verkürzung ver- schiebt die Stelle, an weleher die beiden Aortenwurzeln zusammen- treten, aus ihrer ursprünglichen Lage am Kopfende bis weit nach rückwärts in die Brustregion, und ist die Ursache des Schwundes so vieler segmentaler Arterien, sowie des Zugrundegehens der A. sub- clavia primitiva. Sehr merkwürdig ist die Asymmetrie in der Lage der Aorten- wurzeln und der beiden Ductus Botalli, welche sich vom sechsten Tage an geltend zu machen beginnt. Es zeigt sich nämlich, dass der vorderste Theil des fünften (resp. sechsten) Arterienbogens links in derselben Querschnittsebene angetroffen wird wie der gleiche Theil des vierten Arterienbogens rechts, während der fünfte (resp. sechste) Arterienbogen rechts weiter rückwärts getroffen wird und nahe der Zusammenmiindung der beiden Aortenwurzeln in die rechte Aortenwurzel mündet!. Der linke Ductus Botalli ist in diesem Sta- dium, so lange noch die Verbindung zwischen Carotis dorsalis und linker Aortenwurzel nachzuweisen ist, kürzer als der rechte Ductus Botalli. Da aber nach Schwund dieser Verbindung die linke Aorten- wurzel die Fortsetzung des linken Ductus Botalli bildet, erscheint nun der Ductus Botalli der linken Seite länger als Fig. 5. der der rechten (vgl. diesbezüglich nebenstehende Fig. 5). Dem entsprechend finde ich bei einem Schreiadler (Aquila naevia [Briss.]) und einer Wiesenweihe (Circus cineraceus [Mont.)) die In- sertion des linken obliterirten Ductus Botalli an der Aorta ein kleines Stück nach rückwärts von der Insertion des obliterirten Ductus Botalli der rechten Seite, demnach den linken obliterirten Ductus Botalli länger als den rechten ?. Zum Schlusse mag nun noch die Frage nach der Natur der A. subelavia primitiva der Am- nioten ihre Beantwortung finden. Diese Arterie nimmt zweifelsohne ihre Entstehung aus einer der segmentalen Arterien der Leibeswand, 4. 1 Möglicherweise kam E. v. BAER (I. ce.) in Folge dieser asymmetrischen Lage der fünften Arterienbogen zu dem Glauben, dass der fünfte Arterienbogen der linken Seite zu Grunde gehe. 2 Vgl. auch die bezüglichen Angaben J. MAKAyY’s. Über den Ursprung der Arteria subelavia der Vögel. 493 welche im Gebiete der Extremitätenanlagen abgehen und sich ur- sprünglich in nichts von den übrigen segmentalen Arterien der Leibes- wand unterscheiden. Dort, wo die Extremitätenanlage weiter hinten zur Entwicklung gelangt, wird auch die A. subelavia primitiva aus einer weiter hinten abgehenden segmentalen Arterie ihren Ursprung nehmen wie beim Hühn- chen (aus der Arterie des 15. Segmentes vom Kopfe an gerechnet). (Abnormer Weise kann es vorkommen, dass die A. subelaviae der beiden Seiten nieht aus den Arterien des gleichen Segmentes hervor- sehen, sondern, wie ich einen solchen Fall bei einem Hühnerembryo von 106 Stunden und einen ähnlichen bei einem großen Exemplar von Chamaeleo vulgaris vorfand, aus je einer Arterie von auf ein- ander folgenden Segmenten entstehen.) Dort, wo die Extremitäten- anlagen weiter vorn sich entwickeln (wie z. B. beim Kaninchen), sind es die beiden Arterien eines weiter vorn gelegenen Segmentes (des sechsten Cervicalsegmentes), aus denen die A. subelaviae sich entwickeln. Die Weiterentwicklung ist dabei in der Art zu denken, dass ein Ast der entsprechenden segmentalen Arterie auf die Ex- tremitätenanlage übergreift und allmählich an Ausdehnung gewinnt, so zwar, dass derselbe später, indem sich seine Zweige weiter verbreiten, auch auf Nachbarsegmente übergreift und unter Umstän- den das Verzweigungsgebiet benachbarter segmentaler Arterien ganz oder theilweise übernimmt, was bei manchen Formen zu einem Sehwinden ihrer Anfangsstücke führen kann. Anzunehmen, dass die A. subelavia (primitiva) aus der Verschmelzung von zwei oder gar noch mehr Segmenten zugehörigen, nicht nur parietalen, sondern auch visceralen Arterien entstanden sei, wie J. Makay meint! (the subelavian is to be regarded, probably, as representing a fusion of the parietal and visceral circles of two or more segments«), ist nicht statthaft, da man eine solche Verschmelzung nachzuweisen im Stande sein müsste, während es sich ja gerade zeigen lässt, dass die A. subelavia (primitiva) nur aus einer segmentalen, der Leibeswand angehörigen Arterie jederseits hervorgeht ?. ! On Arterial System of Vertebrates. Memoirs and Memoranda in Ana- tomy. Vol. I. 1889. 2 Auch yon einem urspriinglichen Ubergreifen mehrerer segmentaler Ar- terien, wie dies MACALISTER »The morphology of the Arterial System in Man«, Journ. of anat. and phys. Vol. XX Part II, entsprechend dem Verhalten der Nerven annimmt, ist nichts nachzuweisen. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden und über die systematische Stellung letzterer Abtheilung. Von Dr. J. E. V. Boas in Kopenhagen. Mit Tafel XIX und 5 Figuren im Text. Unter den jetzt lebenden Wiederkäuern nimmt bekanntlich die Familie der Kamele (Camelidae, Tylopoda) eine sehr isolirte Stellung ein. Während die große Mehrzahl der Wiederkäuer — ich denke an sämmtliche als Rinder, Antilopen, Schafe und Hirsche bezeichnete Formen — so zu sagen eine kompakte Masse darstellt, deren Glieder in den allermeisten Verhältnissen innig übereinstimmen und ein recht uniformes Gepräge tragen, heben sich die Kamele schon für eine oberflächlichere Betrachtung als etwas Besonderes aus, und zwar wird dieser Eindruck durch eine etwas tiefer gehende Untersuchung nur bestärkt. Es ist dabei von Interesse, dass manche ihrer Charaktere ihnen eine entschieden primitivere Stellung anweisen als die der übrigen Wiederkäuer und sie den nicht wiederkäuenden Artiodactylen !, alse den Schweinen etc., entschieden nähern. Es sind folgende Charak- tere hierzu zu rechnen: Die diffuse Placenta, das Vorhandensein 1 Ich bemerke für das Folgende, dass ich zu den Artiodactyla non-rumi- nantia von den fossilen Formen vorläufig alle mit wohl entwickelten Zwi- schenkieferzähnen ausgestatteten Artiodactylen rechne. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden ete. 495 von Zwischenkieferzähnen!, ein Charakter, worauf um so mehr Ge- wicht zu legen ist, weil bei den typischen Wiederkäuern keine Spur derselben je gefunden wird?: das Vorhandensein (bei Camelus) von p' (dem vordersten Prämolar? des typischen Gebisses der placentalen ! Bei den erwachsenen Cameliden ist bekanntlich immer ein wohl ent- wickelter 73 im Zwischenkiefer vorhanden. Beim neugeborenen Thiere ist schon längst von verschiedener Seite nicht allein der entsprechende Milchschneide- zahn (also dz3), sondern außerdem noch der di? nachgewiesen; es ist dies für den Camelus baetrianus durch WAGNER (SCHREBER’S Säugethiere. Fortgesetzt von A. WAGNER. V. Th. II. Bd. 1837. pag. 1787) und für das Lama durch STANNIUS (in: MÜLLER’s Archiv. Jahrg. 1842. pag. 388) geschehen, die be- treffenden Angaben scheinen aber kaum allgemeiner bekannt geworden. Auch ich habe diesen Zahn bei jungen Cameliden gefunden. Auf dem Schädel eines 12 Tage alten Cam. dromedarius, an welchem absichtlich die Schleimhaut am Zwischenkiefer eingetrocknet zurückbelassen wurde, ist außer dem di3 jeder- seits ein kleiner, aber deutlicher di? vorhanden. Bei einem anderen jungen (ca. 4 Monate alten) Dromedar finde ich zwar nicht den di? selbst, an der ent- sprechenden Stelle des Zwischenkiefers ist aber jederseits eine kleine Aus- höhlung vorhanden, in welcher entweder ein kleiner Zahn gesessen hat, der bei der in gewohnter grober Weise stattgefundenen Skelettirung verloren ge- gangen ist, oder wenigstens eine Zahnanlage. Ganz eben so finde ich die Ver- hältnisse bei einem 14 Tage alten C. bactrianus und bei einem 6 Wochen alten Lama. Ich schließe aus diesen Befunden, dass der di? konstant bei den Cameliden angelegt wird. Auch der entsprechende Zahn des bleibenden Gebisses 72 scheint zuweilen vorzukommen. Jedenfalls finde ich bei einem alten (angeblich 15jährigen) Dromedar auf der rechten Seite einen rudimentären Zahn, welcher nach seiner Lage dem 72 entspricht, und auf der linken Seite an derselben Stelle einen kleinen Alveolen; wahrscheinlich haben wir es hier wirklich mit 72 zu thun, der betreffende Zahn scheint mir wenigstens zu groß zu sein, als dass von einem retardirten di? die Rede sein könnte. Einen ähn- lichen Zahn und eine ähnliche Grube habe ich auch noch bei einem jüngeren Cam. bactrianus gefunden; bei ein paar Kamelen und einigen Lamas sind aber keine deutlichen Spuren des Vorhandenseins eines 7? zu entdecken, welcher so- mit jedenfalls weniger konstant als der entsprechende Milchzahn ist. (Außer den oben genannten Verfassern haben auch noch FLOWER und Garson, Catal. of the Specimens illustr. the Osteol. and Dentition of Vertebrated Animals cont. in the R. College of Surgeons. Part II. 1884, den di? gesehen, erwähnen sogar kurz des Vorhandenseins resp. der Andeutung desselben, von di!, woran ich mir aber vor der Hand zu zweifeln erlaube; vgl. l. c. pag. 329, 332, 334.) 2 Sie werden nicht einmal angelegt; nur die zusammenhängende Epithel- leiste, von welcher im ‚übrigen Theil des Obermundes die Schmelzorgane her- vorwachsen, bildet sich auch in der Zwischenkieferregion, um aber bald wieder zurückgebildet zu werden. Mayo, The sup. Incisor and Canine Teeth of Sheep. in: Bull. Mus. Comp. Zoology, Cambridge. Vol. 13. 3 Ich zähle, eben so wie OwEn u. A., die Prämolaren von vorn nach hinten; das von HENSEL später eingeführte und von manchen deutschen Yer- fassern praktisirte Zählen der Priimolaren von hinten (bei welchem z. B. unser 496 J. E. V. Boas Siiugethiere), welcher bei allen anderen jetzt lebenden Wiederkäuern fehlt!; das Verhalten des Unterkiefer-Eckzahns, welcher bei den Cameliden noch die gewöhnliche Eckzahnform besitzt und durch ein kleines Diastema von den Vorderzähnen getrennt ist, während er bei allen anderen Wiederkäuern bekanntlich dicht an den Vorderzähnen sitzt und von derselben Form wie diese ist. Außerdem findet man im Skelet zahlreiche Charaktere, welche in derselben Richtung hin- weisen: Die Foramina ineisiva sind eben so wie bei den Schweinen, bei Hippopotamus und bei den fossilen Artiodactyla non-ruminantia weit kleiner als bei den typischen Wiederkäuern, bei denen sie be- kanntlich eine excessive Größe besitzen. Der Körper des Zwischen- kieferknochens so wie dessen Nasenfortsatz sind stärker als bei anderen Wiederkäuern, letzterer jedoch viel schwächer als bei den Schweinen. Das vorderste Ende des Jochfortsatzes des Squamosum greift’ in eine Bucht des hinteren Endes des Jochbeins ein, eben so wie es bei den fossilen Oreodon? und Cainotherium® und andeutungs- p' als p4, und umgekehrt, bezeichnet wird) ist eine vollkommen nutzlose Neue- rung, welche nur Verwirrung gestiftet hat. — Die Formel der Backenzähne 3 3 von Camelus ist bekanntlich 5 p, zm; dass der vorderste, eckzahnihnliche Backenzahn wirklich p! und nicht, wie zuweilen angegeben, p? ist, erhellt für den Oberkiefer schon mit Sicherheit aus einem Vergleich mit den Milchzähnen. Es sind im Milchgebiss drei obere Backenzähne vorhanden, welche dicht auf einander folgen und offenbar dp?, dp3, dp“ sind; von diesen wird dp? nicht ersetzt, sondern der eckzahnähnliche Prämolar des bleibenden Gebisses bricht weiter vorn hervor, ist also sicher p!, welcher wie gewöhnlich bei den Säuge- thieren keinen Vorläufer im Milchgebiss hat. Ein Vergleich mit nahe ver- wandten fossilen Formen (Procamelus) mit vollständiger Backzahnreihe 4 3 ban Ps =m) zeigt übrigens dasselbe (vgl. Cope, Phylogeny of the Camelidae in: Amer. Naturalist. Vol. XX. 1886. pag. 611—624). Die Formel ist dem- 1.93 m4 2 dp3, dp4 nach: ara (Die Formel der Milchbackenzähne ist: ae) 1 Auf das Vorhandensein des p! im Unterkiefer lege ich übrigens kein großes Gewicht, da dieser Zahn auch bei einigen zweifellos den typischen Wiederkäuern zuzurechnenden, den jetztlebenden Hirschen nahe stehenden Formen, Gelocus (vgl. W. KOwALEVSKY, Monogr. der Gattung Anthracotherium in: Palaeontographica. Bd. XXII. pag. 180), Amphitragulus (vgl. LYDEKKER, Catal. of the Foss. Mammalia in the Brit. Mus. Part I]. 1885. pag. 127) und anderen gefunden wird. 2 LEıpy, Extinct Mammalian Fauna of Dakota and Nebraska in: Journ. Acad. Natur. Sciences Philadelphia. I. Ser. Vol. VII. Plate VI. Einer der daselbst abgebildeten Schädel ist z. B. von GAUDRY, Enchainements d. Monde Animal, Mammif. tert. pag. 81, kopirt. 3 Fırnor, Mammiféres fossiles de Saint-Gérand le Puy (Allier) in: An- Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden etc. 497 weise auch beim Schwein der Fall ist, während es bei den typischen Wiederkäuern sich einfach über das Jochbeinende legt. Die Unter- kieferäste verschmelzen früh mit einander, eben so wie bei den Schweinen und anderen Non-Ruminantia, während sie bei den typischen Wiederkäuern zeitlebens getrennt bleiben. Auch der eigen- thiimliche Fortsatz am Hinterrande des Unterkiefers dürfte als ein primitiver Charakter aufzufassen sein: wenigstens ist derselbe ganz Fig: A. Fig. B. Fig. A, Schädel von Caenotheriwm metopies nach Fırnor (Ann. d. scienc. géol. Tome X). Fig. B. Schädel von Camelus nach Kowarevsky (unbedeutend geändert). a Jochfortsatz des Squamosum, b Fortsatz am Hinterrande des Unterkiefers, c Eckzahn, p!—p4 Prä- molaren, m! erster Molar. ähnlich bei Caenotherium entwickelt. Im Carpus sind bekanntlich Mul- tangulum minus und Capitatum getrennt, während sie beiallentypischen Wiederkäuern ohne Grenze verschmolzen sind; eben so bleiben im Tarsus — wie bei den Non-Ruminantia — das Naviculare und Cuboi- deum, im Gegensatz zu dem Verhalten der typischen Wiederkäuer, getrennt. Im Tarsus findet man außerdem noch bei einer näheren Untersuchung weitere Charaktere von Interesse. Vom Cuboideum entspringt hinten ein abwärts gerichteter hakenförmiger Fortsatz, welcher ähnlich auch beim Schweine ausgebildet ist, während er weit weniger bei den typischen Wiederkäuern entwickelt ist. Bei letzteren setzt sich die obere, konkave Gelenkfläche des Naviculare außen und hinten auf einen hohen Fortsatz fort, welcher das Cuboi- deum hoch überragt'!; er gleitet an einer kleinen Gelenkfläche außen nales d. science. géolog. Tome X. Pl. XXX Fig. 4. — Wahrscheinlich ist auch dasselbe bei manchen anderen Non-Ruminantia der Fall; leider sind aber an den meisten Figuren von fossilen Schädeln z. B. der reichen von Fırıor be- arbeiteten Materialien die Suturen nicht gezeichnet. ! In dem unten abgedruckten Artikel über den Metatarsus der Wieder- käuer ist dieser Fortsatz in Fig. B 2 mit f bezeichnet. ' Morpholog. Jahrbuch. 16. 32 498 J. E. V. Boas am Astragalus. Dieser Fortsatz! so wie die entsprechende Gelenk- fläche am Astragalus fehlt völlig bei den Cameliden und eben so bei den Schweinen. Es ist weiter den Cameliden charakteristisch, dass die verwachsenen Metatarsalia 3 + 4 am oberen Ende in einen hinten und oben hervorragenden Fortsatz verlängert ist, welcher bei den typischen Wiederkäuern kaum angedeutet ist, während er bei den Schweinen und vielen fossilen Non-Ruminantia? stark entwickelt ist. Die verwachsenen Metacarpalia 3 und 4, und eben so die ent- sprechenden Metatarsalia, weichen bekanntlich bei den Cameliden schon in ziemlichem Abstand vom unteren Ende aus einander, während sie bei den übrigen jetzt lebenden Wiederkäuern bis an die allerunterste, gelenktragende Partie verwachsen (oder wenigstens — bei einigen Traguliden — dicht an einander gelegt) sind. Eben so wie die Cameliden verhält sich hierin auch z. B. der Gelocus*, welcher zwar den typischen Wiederkäuern angehörig,. im Verhältnis zu den jetzt lebenden aber immerhin eine etwas primitivere Stellung ein- nimmt. Neben solchen Charakteren finden wir aber andererseits bei den Cameliden zahlreiche Eigenthümlichkeiten, welche im Gegentheil als specielle Neuerworbnisse aufzufassen sind. Dazu gehören: das spur- lose Fehlen der Finger und Zehen Nr. 2 und 5 und der zugehörigen Metacarpalia und Metatarsalia; die eigenthümliche Ausbildung der Finger und Zehen, namentlich der Endphalangen, und der Klauen, welche sehr abweichen von der typischen Form dieser Theile bei den Artiodactylen, und zwar nicht allein bei den Wiederkäuern, sondern auch bei den Schweinen und manchen fossilen Non-Rumi- nantia, — ein Charakter, welcher eben so wie die übergroße Ent- wicklung der Sohlenballen als in Anpassung an besondere Lebens- verhältnisse erworben aufzufassen ist*; die eigenthümliche Lage der 1 Er darf nicht mit einem anderen, kleineren hinteren oberen Fortsatz des Naviculare verwechselt werden, welcher bei allen Artiodactylen vorhanden, bei den typischen Wiederkäuern mit einem benachbarten des Cuboideum ver- schmolzen ist. Dieser Fortsatz ist mehr der Mittellinie des Fußes genähert und greift bei den Cameliden so wie bei den typischen Wiederkäuern, wenn der Fuß. gestreckt ist, in eine kleine Höhlung hinten am Astragalus ein. 2 Vgl. z. B. GAupry, Enchainements du Monde Animal, Mammif. tertiaires. pag. 117. Fig. 150—151. 3 Vgl. z. B. Fırnor, Phosphorites de Quercy. in: Ann. d. science. geol. Tome VIII. Pl. XXI Fig. 352. 4 Vgl. meine Abhandl. über Nägel etc. der Säugethiere in diesem Jahrb. Bd. IX. pag. 398. Anm. 1. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden etc. 499 Vertebralarterie; das Fehlen des p? im Oberkiefer, des p? und p° im Unterkiefer (die genannten Zähne sind sonst bei den Wieder- käuern allgemein vorhanden — was übrigens auch bei dem, unseren jetzt lebenden Kamelen nahe verwandten, fossilen Procamelus der Fall war); die ovale Form der Blutkörperchen ete. Somit finden wir, um das Gesagte kurz zu resumiren, bei diesen Thieren einerseits eine Reihe von primitiveren Charakteren bewahrt, welche bei anderen jetzt lebenden Wiederkäuern verloren gegangen sind, während sie andererseits in manchen Punkten eigenthümliche Entwicklungsbahnen eingeschlagen haben. Es ist dieser allgemeine Charakter der Gruppe bei der folgenden Betrachtung des von dem- jenigen anderer Wiederkäuer sehr abweichenden Magens wohl zu erinnern. Als ich mich zur Untersuchung des Camelidenmagens gewendet habe, geschah das besonders um zu prüfen, in wie fern die gewöhn- lichen Angaben über den Blättermagen dieser Thiere wirklich das Richtige träfen. Nach der allgemein geltenden, in den Lehr- und Handbüchern fast überall aufgenommenen Auffassung sollte diese Abtheilung des gewöhnlichen Wiederkäuermagens bei den Cameliden ganz fehlen; der ganze große Theil des Magens der letzteren, welcher auf die sogenannte Haube folgt, wird als Labmagen ge- deutet. Nach einer zweiten Auffassung! fehlt- der Blättermagen nicht, sondern ist durch ein kurzes, zwischen Haube (Netzmagen) und Labmagen eingeschobenes röhrenförmiges Stück vertreten. Ferner findet man noch bei einigen Verfassern eine dritte, von beiden genannten wesentlich abweichende, wie es scheint gänzlich in Vergessenheit gerathene Deutung, auf welche wir weiter unten zurückkommen werden. Vordem ich zur Darstellung des Resultates übergehe, zu welchem ich durch Untersuchung mehrerer im hiesigen Zoologischen Garten? 1 Diese ist z. B. von J. F. BRANDT vertreten in seinen: Beiträgen zur Kenntnis des Baues der inneren Weichtheile des Lama (1841). in: Mém. Acad. St. Pétersbourg. 6. ser. Science. mathem., phys. et. natur. Tome VI (See. partie: Sciene. natur. Tome IV). 2 Ich erlaube mir an dieser Stelle meinen Dank der geehrten Direktion des Kopenhagener zoologischen Gartens auszusprechen für die Überlassung im Garten gestorbener Thiere, was meinen Studien sehr zu Gute gekommen ist. Nicht allein die vorliegende Arbeit, sondern mehrere andere Studien hätte ich ohne jenes Material gar nicht zu Stande bringen können. 32* 500 J. E. V. Boas = gestorbener Kamele gekommen bin, möchte ich zunächst einige Be- merkungen über den typischen Wiederkäuermagen machen. Derselbe zerfällt natürlich in drei Abtheilungen, welche einfach als Vorder-, Mittel- und Hintermagen bezeichnet werden Fig. C. Schematischer Längsschnitt eines Camelidenmagens. Fig. D. Dessgl. des Magens eines typischen Wiederkäuers. Fig. E. Dessgl. des Magens von Tragulus. o Ösophagus, v Vorder-, m Mittel-, A Hintermagen, r Schlundrinne, ha Netzmagen, ha’ falscher Netzmagen, d Dünndarm, können. Pansen und Netzmagen bilden zusammen den Vordermagen: sie gehören derartig eng zusammen, dass sie nicht als zwei den anderen Hauptabtheilungen gleichwerthige »Magen« aufgefasst werden dürfen; sie stehen in ganz offener, weiter Verbindung mit einander, eine scharfe Grenze ist theilweise nicht zu ziehen: der Netzmagen Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden ete. 501 ist einfach eine Ausstülpung des Vordermagens. den großen Blind- säcken des Pansens ungefähr gleichwerthig. In den Vordermagen mündet die Speiseröhre, von deren Öffnung eine durch zwei starke Schleimhautfalten begrenzte Rinne, die Schlundrinne, bis an die Öffnung des Vordermagens in den Mittelmagen verläuft. Der Mittel- magen und der Hintermagen sind die als Blättermagen resp. Lab- magen bezeichneten Abschnitte. Der Vorder- und Mittelmagen sind bekanntlich drüsenlos und mit demselben mehrschichtigen Platten- epithel wie Mundhöhle und Speiseröhre bekleidet, nur der Hinter- magen besitzt die gewöhnlichen Magendrüsen und Cylinderepithel. An dem Camelidenmagen unterscheiden wir zunächst eine erste Hauptabtheilung, welche durch tiefe Falten in mehrere zu- sammenhängende Säcke getheilt wird. In diese erste Abtheilung miindet die Speiseröhre und es findet sich an der Wand derselben eine Schlundrinne, welche sich bis an die enge Öffnung fortsetzt, die in den folgenden Abschnitt des Magens führt; wir haben hier somit, wie auch allgemein erkannt, das Homologon des Vorder- magens (des Pansens + des Netzmagens) anderer Wiederkäuer. Von mehr untergeordnetem Interesse ist es, dass die beiden Falten der Schlundrinne nicht gleich stark ausgebildet -sind; die eine ist gut entwickelt, die andere dagegen nur schwach, wenn auch kennt- lich, angedeutet. Auf den specielleren Vergleich mit dem Vorder- magen der typischen Wiederkäuer werden wir weiter-unten zurück- kommen. Der ganze übrige, fast röhrenförmige Theil des Camelidenmagens ist es nun, welcher allgemein als dem Hintermagen (Labmagen) der typischen Wiederkäuer entsprechend aufgefasst wird. Außerlich erscheint er in der That einfach. Wenn man aber den geöffneten Magen untersucht, zeigt es sich, dass die Schleimhaut in zwei sehr bestimmt unterschiedene Partien zerfällt. In einer größeren, dem Vordermagen zunächst liegenden Partie ist die Schleimhaut sehr dünn, in der übrigen, kleineren Partie ist sie viel dieker; bei einem erwachsenen baktrischen Kamel hatte jene eine Länge von ungefähr 60 em, letztere war etwa 12 cm lang. Bei der mikrosko- pischen Untersuchung ! ergab es sich, dass die dünne Schleimhaut- ! Ich habe für die mikroskopische Untersuchung unter Anderem den Ma- gen eines 12 Tage alten Dromedars verwenden können, den ich (im Winter) etwa einen Tag nach dem Tode erhielt, und von dessen Magen ich sofort Stiickchen ausgeschnitten und zur Härtung eingelegt habe. Der Erhaltungs- 502 J. E. V. Boas ‘ partie mit dicht gestellten, aber ungemein kurzen Drtisen- schläuchen versehen war; dem entsprechend hat natürlich auch hier das gewöhnliche Cylinderepithel die Innenseite des Magens bedeckt, letzteres ist aber an den untersuchten Objekten schon abmacerirt gewesen. Nur ganz dieht am Vordermagen, an einer kleinen be- grenzten einseitigen Stelle, welche als direkte Fortsetzung der Schlundrinne erscheint, ist die Schleimhaut der der Schlundrinne ganz ähnlich, d. h. drüsenlos und mit einem mehrschichtigen Pflasterepithel bedeckt. Die dieke Schleimhautpartie hatte dagegen den Charakter einer gewöhnlichen Magenschleimhaut: die Drüsen- schläuche waren von ansehnlicher Länge, mehrmals so lang wie in der dünnhäutigen Partie. Was die gröberen Verhältnisse der Schleimhaut beider Ab- schnitte betrifft, ist Folgendes zu bemerken. Im größten Theil des dünnhäutigen Abschnittes finden wir zahlreiche, dicht gestellte, dünne, bis etwa 1!/, em hohe Längsfalten, welehe an dem an den Vorder- magen grenzenden Ende in niedrige, unregelmäßig netzförmige Falten übergehen; die mit letzteren bedeckte Fläche ist aber in keiner Weise von der übrigen, weit größeren, mit Längsfalten aus- gestatteten abgegrenzt; die kleine drüsenlose Fläche an der Grenze des Vordermagens ist faltenlos!. Auch im diekhäutigen Abschnitt finden sich einige, aber weniger zahlreiche und dickere Längsfalten der Schleimhaut, welche sich oralwärts in einige derjenigen des dünnhäutigen Abschnittes fortsetzen. Am Pylorusende findet sich ein ähnlicher, stark entwickelter Schließwulst wie beim Schweine. Nach meiner Auffassung ist nun der ganze mit dünner Schleimhaut versehene Abschnitt dem Blätter- oder Mittelmagen anderer Wiederkäuer homolog. Die Cameliden repräsentiren in diesem Punkte wie in so vielen anderen eine pri- mitivere Stufe als die typischen Wiederkäuer. Der Blättermagen ist noch nicht völlig drüsenlos geworden, und das Epithel ist noch ein Cylinderepithel; die Drüsen sind aber schon stark rückgebildet, sie haben nur einen Bruchtheil der Länge derjenigen des letzten Magenabschnittes, und für die eigentliche Verdauung hat der dünn- häutige Magenabschnitt wohl nur eine mehr untergeordnete Bedeutung. zustand des Magens war natürlich kein idealer, für unsere Zwecke aber einiger- maßen genügend. 1 Es ist diese, mit netzförmigen Falten ausgestattete, resp. an der letzt- genannten Stelle faltenlose, etwas engere Grenzpartie, welche von BRANDT als dem Blättermagen anderer Wiederkäuer entsprechend aufgefasst wird. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden ete. 503 Die Blätter sind noch verhältnismäßig wenig entwickelt, andererseits aber der Umfang des Mittelmagens weit größer als bei den typischen Wiederkäuern; die Abgrenzung dem letzten Magenabschnitte gegen- über ist — wenn auch deutlich genug — doch noch nicht dermaßen markirt wie bei den typischen Wiederkäuern. Die Funktion ist zweifellos nicht mit derjenigen des typischen Blättermagens iden- tisch. Letzterer hat bekanntlich nach den von ELLENBERGER! an- gestellten Untersuchungen die Aufgabe einerseits einen großen Theil der Flüssigkeit aus dem Futter herauszupressen und in den Lab- magen abfließen zu lassen (wo dieselbe wahrscheinlich bald zum sroßen Theil aufgesaugt wird), andererseits das Futter zwischen den Blättern zu zerreiben: er ist Exsiccations- und zugleich Kau- magen. Von letzterer Funktion kann nun bei den Cameliden wegen der weichen Schleimhaut des Mittelmagens keine Rede sein; dagegen scheint es mir nicht unwahrscheinlich, dass die erstere Vorrichtung ihm zukommen könnte, wohl aber derart, dass seine Wände die Flüssigkeit aufsaugte. — Dass nach unserer Auffassung der mit dieker Schleimhaut ausgekleidete, letzte Abschnitt des Cameliden- magens allein den Hinter- oder Labmagen repräsentirt, versteht sich nach dem Angeführten von selbst. Manche werden vielleicht bei einer ersten Überlegung in der verschiedenartigen histologischen Beschaffenheit des Mittelmagens der typischen Wiederkäuer und des von uns gleichbenannten Ab- schnittes des Camelidenmagens ein wesentliches Hindernis gegen eine Homologisirung beider finden. Es ist aber diesem Punkte keine gar zu große Bedeutung beizulegen; in der That haben wir davon Beispiele genug, dass homologe Theile des Magens verschiedener Säugethiere einen verschiedenartigen histologischen Bau besitzen. Jeder vergleichende Anatom wird wohl den linken Theil des Pferde- magens als dem linken Theil des menschlichen Magens homo- log auffassen; trotzdem besitzt er beim Menschen Cylinderepithel und Drüsen, während er beim Pferd von einem mehrschichtigen Plattenepithel bekleidet und drüsenlos ist. Wir können aber ein noch näher liegendes und schlagenderes Beispiel anführen. Wie oben erwähnt, ist es über jeden Zweifel erhoben, dass die von uns als Vordermagen bezeichnete Magenabtheilung der Cameliden dem Vorder- magen der typischen Wiederkäuer homolog ist. Letzterer ist be- ! ELLENBERGER, Zur Anatomie und Physiologie des dritten Magens der Wiederkäuer. in: Archiv für wiss. und praktische Thierheilkunde. Bd. VII (1881). pag. 17 und ff. 504 J. E. V. Boas kanntlich drüsenlos und seine ganze Innenfläche mit mehrschichtigem Plattenepithel bekleidet. Dies ist auch mit dem Vordermagen der Cameliden der Fall, aber nur zum Theil. Vor wenigen Jahren hat nämlich Pırnıer! nachgewiesen — und ich kann diese Ent- deckung bestätigen —, dass der Boden der sog. Wasserzellen mit kurzen tubulösen Drüsen versehen und von einem einschichtigen Cylinderepithel bedeckt ist. Es ist somit hier ein ganz entsprechen- der Unterschied wie beim Mittelmagen zu beobachten. Nach alledem kann die verschiedenartige histologische Ausbildung kein untiber- steigbares Hindernis gegen unsere Deutung abgeben. Für die Auffassung, dass der von uns als Mittelmagen be- zeichnete Abschnitt des Camelidenmagens einen primitiven Zustand des Blättermagens der Wiederkäuer repräsentirt, scheint die Ent- wieklungsgeschichte des typischen Wiederkäuermagens bestimmt zu sprechen. Über die Entwicklung des letzteren und speciell des Blättermagens liegt eine wie es scheint sorgfältige Untersuchung von einem Schüler A. ROSENBERG's, V. KRAZOWSKI, vor?. Es hat nach diesem Verfasser die Anlage des Blättermagens lange Zeit »die engste Beziehung zum Abomasus (Hintermagen), von dem die vollkommene Abgrenzung erst ganz zuletzt, nachdem die beiden anderen Magenabschnitte lange sich differenzirt haben, erfolgt«. Krazowskı macht ferner die Angabe, dass die Anlage des Mittel- magens ursprünglich verhältnismäßig länger ist als später. Es ver- hält sich also der Blättermagen eines typischen Wiederkäuers — KRAZOWSKI untersuchte besonders Schafsembryonen — im Fötal- zustande eine Zeit lang ähnlich demjenigen der erwachsenen Came- liden: er ist lang und nicht scharf vom Hintermagen abgegrenzt. In histologischer Beziehung ist erwähnenswerth, dass der ganze Magen ursprünglich mit einem mehrschichtigen Cylinderepithel ausgekleidet ist, welcher sich dann später im Vorder- und Mittel- magen zu einem mehrschichtigen Plattenepithel, im Hintermagen zu einem einschichtigen Cylinderepithel umwandelt. Für unsere Deutung spricht aber — wie ich nochmals hervor- hebe — vor Allem die ganze verwandtschaftliche Stellung der Came- liden, nach welcher wir geradezu eine niedere Differenzirungsstufe des komplieirten Gebildes erwarten müssen, welches der Wieder- ! Structure de la portion gaufrée de l’estomae du Chameau. in: Bull. Soc. Zool. de France. Tome X (1885). pag. 40. 2 Untersuchungen iiber die Entwicklung des Omasus. Magister-Diss. Dorpat 1880. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden etc. 505 käuermagen darstellt. Verwirft man dieselbe, scheint nur noch die Annahme übrig zu bleiben, dass bei den Vorfahren der Cameliden schon ein echter Blättermagen vorhanden gewesen. welcher wieder verloren gegangen sei, — eine Annahme, die jedoch durch nichts gestützt wird. Ein solches oder ähnliches Verhältnis findet sich zwar, wie später zu erwähnen, bei verschiedenen Wiederkäuern, immer aber nur bei kleinen Formen, scheint, wie andere Eigen- thümlichkeiten des Baues derselben mit der Reduktion der Körper- größe zusammenzuhiingen; die Cameliden sind aber große Formen. Die hier vorgetragene Auffassung ist übrigens, wie ich nach- träglich beim Durchgehen der älteren Litteratur über den Cameliden- magen gefunden habe, schon früher, wenn auch nicht näher be- gründet, so doch zu wiederholten Malen ausgesprochen worden. Schon DAUBENToNX! bezeichnet unseren Mittelmagen als fewl/et und spricht die Meinung aus, derselbe entspreche dem fewz//et anderer Wiederkäuer; nur wird die mit netzförmigen Falten versehene, dem Vordermagen zunächst liegende Partie unseres Mittelmagens nicht dem ‚fewillet zugerechnet, sondern dieselbe wird als selbständiger Abschnitt aufgefasst und — sehr unglücklich — als Äquivalent des bonnet (der Haube) in Anspruch genommen. Aus späterer Zeit finde ich unsere Deutung von MAYER? vertreten, welcher sich (vom Lama) folgendermaßen ausspricht: »Die Organe des Unterleibes betreffend, glaube ich. dass man nicht drei, wie BRANDT, sondern vier Magen unterscheiden müsse, welche denen der übrigen Wiederkäuer ent- sprechen . . . . Der dritte Magen, Anfangs etwas netzförmig, wird bald als Blättermagen (psalterium) erkannt, nur sind die Blätter schmal, dagegen sehr lang (beinahe einen Fuß). Der vierte Magen, der Driisenmagen, unterscheidet sich durch seine sammetartige, drüsenkörnige Oberfläche« Auch Franz MÜLLER und WeEDpL® sprechen sich in ähnlicher Weise aus. 1 In: Burron, Histoire natur. génér. et particul. Tome XI. Nouv. Edit. Amsterdam 1768. pag. 101—102. 2 Zur Anatomie d. Glama. in: Frorıep's Neue Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Bd. XXIX (1844). pag. 97. 3 Beiträge zur Anatomie des zweibuckligen Kameles. in: Denkschr. der Akad. der Wiss. Wien. Mathem.-naturw. Klasse. Bd. III (1852). pag. 269. — Dieselbe Deutung finden wir noch bei MECKEL, System der vergl. Anatomie. Vierter Theil (1829). pag. 557, Cuvier, Legons d’Anat. comp., 2. Edit. Tome IV, 2. partie (1835). pag. 73, und in Carus’ und Orro’s Erläuterungstaf. zur vergl. Anatomie. Heft 4 (1835). pag. 23. 506 J. E. V. Boas Bei den Cameliden unterscheidet man bekanntlich eben so wie bei anderen Wiederkäuern am Vordermagen einen Pansen und einen Netzmagen. Bei den typischen Wiederkäuern öffnet sich der Ösophagus auf der Grenze von Pansen und Netzmagen, und die Schlundrinne läuft an der Wand des Netzmagens nach der Öffnung des letzteren in den Mittelmagen hin. Bei den Cameliden dagegen öffnet sich der Ösophagus in die als Pansen bezeichnete Abtheilung und die Öffnung ist sogar weit von dem sog. Netzmagen entfernt. Die Schlundrinne verläuft dann zunächst eine Strecke weit der »Pansen«-Wand, dann erst der »Netzmagen«- Wand entlang. Hiermit ist es schon gegeben, dass der »Netzmagen« der Cameliden dem Netzmagen der typischen Wiederkäuer nicht ho- molog sein kann. Gegen eine Homologisirung beider spricht auch die verschiedene Lagerung. Stellt man den aufgeblasenen oder mit Gips gefüllten Magen eines typischen Wiederkäuers — bei den ge- nannten Präparationen bleiben die natürlichen Lagerungsbeziehungen ziemlich bewahrt — in derselben Stellung wie der in Fig. 1 abge- bildete Kamelmagen, wird der Netzmagen nicht wie bei diesem dem Zuschauer zugekehrt sein, sondern vielmehr hinter dem Blättermagen liegen. Aber auch ohne diese sehr differente Lagerung würde es schon aus dem verschiedenen Verhalten zu der Schlundrinne zur Genüge hervorgehen, dass es sich um nicht homologe Gebilde handelt. Wir nennen desshalb fortan den » Netzmagen « der Came- liden »falschen Netzmagen«. Überhaupt scheint ein speciellerer Vergleich der einzelnen Unter- abtheilungen des Cameliden-Vordermagens mit denen der typischen Wiederkäuer nieht durchführbar. Die tiefen Falten, welche den Vordermagen theilen, liegen in der That ganz anders bei den Came- liden als bei den letzteren, und nur sehr gezwungen könnte man Vergleiche beider durchführen. Nach wiederholten Versuchen in dieser Richtung bin ich zu dem Resultat gekommen, dass die resp. Vordermagen beider Gruppen von einem mehr indifferenten, vielleicht ganz ungetheilten Vordermagen abzuleiten sind, und dass die Unter- abtheilungen des Cameliden-Vordermagens einerseits, des typischen Wiederkäuer-Vordermagens andererseits unabhängig entstanden und somit nicht weiter vergleichbar sind. Wie schon oben (pag. 504) erwähnt, ist es nachgewiesen wor- den, dass die sogenannten Wasserzellen des »Pansens« der Came- liden im Boden mit schlauchförmigen Drüsen ausgestattet sind. In- dem ich dieses bestätige, kann ich noch hinzufügen, dass auch die Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden etc. 507 kleinen tiefen »Zellen« des falschen Netzmagens mit ähnlichen aus- gestattet sind, ja an der Grenze desselben und des Mittelmagens geht die drüsige Schleimhaut des letzteren direkt in die ähnliche der benachbarten »Zellen« über, welche übrigens an den oberen Partien der Scheidewände mit Plattenepithel ausgestattet und drüsen- los sind. Die Drüsen des Vordermagens sind ähnliche kurze Schläuche wie diejenigen der Mittelmagen-Schleimhaut. Die mit Drüsen ver- sehenen Partien machen einen nicht unbeträchtlichen Theil der gan- zen Vordermagen-Schleimhaut aus. Es erhellt, dass wir in dem be- schriebenen Verhalten einen weiteren wichtigen primitiven Charakter der Cameliden erblicken müssen; bei anderen Wiederkäuern ist die gesammte Schleimhaut des Vordermagens stets drüsenlos und mit mehrschichtigem Plattenepithel bekleidet. Eben so wie für die Cameliden wird gewöhnlich auch für die Traguliden angegeben, dass ein Blättermagen bei ihnen nicht vorhanden sei; nach den meisten Angaben! folgt auf’den Netzmagen unmittelbar der Labmagen. Nach Frower? ist dagegen ein rudi- mentärer Blättermagen in der Form eines ganz kurzen röhrenförmigen Verbindungsstückes zwischen Netzmagen und Labmagen vorhanden. Bei der eigenen Untersuchung des Magens eines Tragulus (an- geblich „Javanieus)? fand ich den Vordermagen in allem Wesent- lichen wie bei den typischen Wiederkäuern gestaltet: Netzmagen und Pansen sind in genau derselben Weise, wie bei diesen, durch eine ganz ähnlich verlaufende Falte von einander abgegrenzt, der Pansen ist mit denselben großen Falten und denselben Blindsäcken wie bei anderen Wiederkäuern versehen, die Schlundrinne, welche allein längs der Netzmagenwand verläuft, ist von zwei gleichmäßig ! Rapp, Anatomische Untersuchungen über das javanische Moschusthier. in: Archiv für Naturg. 9. Jahrg. Bd. I (1843). pag. 43. — F. S. LEUCKART, Der Magen eines Moschus javanicus. in: MÜLLER’s Archiv für Anat. ete. Jahrg. 1843. pag. 24. — A. Minne Epwarps, La famille d. Chevrotains. in: Ann. d. sc. natur. 5. ser. Zool. Tome II. pag. 93. 2 Notes on the Visceral Anatomy of Hyomoschus aquaticus. in: Proc. Zool. Soc. 1867. pag. 958. Der Verf. hat auch den Magen von Tragulus javanicus untersucht. 3 Ich verdanke denselben der Güte des Herrn Prof. Lürken. — Das be- treffeude Thier war seit Jahren mit geöffneter Bauchhöhle in schwachem Spiritus aufgehoben. Das Magenepithel war natürlich längst abmacerirt, sonst war der Magen aber leidlich gut erhalten. 508 J. E. V. Boas e entwickelten Lippen begrenzt, der Netzmagen ist innerlich mit nie- drigen, netzförmig geordneten Leisten, der Pansen mit hervorragenden Papillen versehen — Alles wie bei den typischen Wiederkäuern, keine Andeutung einer Annäherung an die Cameliden. Auf den Vordermagen folgt die von FLower als Mittelmagen (Blätter- magen) aufgefasste Partie, welche eine kurze, kaum 1 cm lange, innerlich fast glatte Röhre darstellt, und endlich der von allen Ver- fassern als Hintermagen (Labmagen) gedeutete Abschnitt. wel- cher ziemlich lang, fast röhrenförmig und innerlich mit wenigen niedrigen Längsfalten versehen ist: ein Schließwulst wie bei den Cameliden ist nicht entwickelt. Ich muss hier die Bemerkung machen, dass ich zu der Unter- suchung des Tragulidenmagens mit der Auffassung ging, dass der letztgenannte Abschnitt von den Verfassern unrichtig gedeutet wäre, und dass derselbe vielmehr ähnlich wie der sogenannte Labmagen der Cameliden dem Mittelmagen + dem Hintermagen der typischen Wiederkäuer entspräche. Bei der Untersuchung konnte ich aber nir- gends eine solehe Grenze zweier verschieden ausgebildeter Schleim- hautpartien finden wie bei den Cameliden, und die mikroskopische Untersuchung ergab denn auch, dass die Drüsen überall eine an- sehnliche Länge besaßen. Von einer Differenzirung in zwei Ab- schnitte war somit gar nicht die Rede. Man könnte nun aber vielleicht die Vermuthung aufstellen. dass wir hier eine phylogenetisch frühere Stufe der Ausbildung des Wiederkäuermagens vor uns hätten als bei den Cameliden, nämlich eine Stufe, auf welcher noch gar keine Differenzirung in Mittel- und Hintermagen eingetreten wäre. beide vielmehr noch einen un- getheilten Abschnitt bildeten. Eine solche Hypothese würde aber durchaus unzulässig sein. Welcher Stelle man auch die Traguliden anweisen möchte (vgl. unten), so viel ist jedenfalls sicher, dass die Cameliden sich weit früher als die Traguliden von dem Stammbaum der Wiederkäuer abgezweigt haben!, die schon bei den Cameliden ausgesprochene Differenzirung in Mittel- und Hintermagen muss also auch bei den Vorfahren der Traguliden vorhanden gewesen sein. 1 Die Traguliden stimmen mit den typischen Wiederkäuern fast in allen denjenigen oben hervorgehobenen Charakteren, in welchen die typischen Wieder- käuer weniger primitive Verhältnisse darbieten als die Cameliden (Schneide- zähne des Zwischenkiefers, Eckzähne des Unterkiefers, p!, Carpus, Tarsus ete.). Dass wir in der Beurtheilung aller dieser Punkte fehl gesehen haben sollten, ist durchaus unwahrscheinlich. Haben wir aber in der Beurtheilung in der Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden etc. 509 Somit werden wir fast nothwendig auf die FLower’sche Deu- tung zurückgewiesen: dass der angebliche Labmagen wirklich den Hintermagen, das kurze Verbindungsstück einen rudimentären Mittel- magen repräsentire. Wenn man den Magen eines typischen Wieder- käuers neben den Tragulusmagen legt, muss man in der That ge- stehen, dass diese Deutung sich Einem bestimmt aufdrängt. Das von FLOWER beschriebene Verbindungsstück erscheint wirklich als eine selbständige, wenn auch durchaus rudimentäre Magenabtheilung und zeigt auch innerlich, wie schon von FLOWER angegeben, Spuren von Blättern in der Form schwach hervortretender Leistchen (eben so wie es auch nach den Angaben von FLower dasselbe Epithelium wie der Mittelmagen der typischen Wiederkäuer zu besitzen scheint): auch ist sein Verhältnis zu den anderen Abtheilungen ganz ähnlich wie das des typischen Mittelmagens. Eben so klar ist es bei einem solchen unmittelbaren Vergleich, dass der ganze Labmagen der Traguliden dem Hintermagen der typischen Wiederkäuer gleichwerthig ist; häufig hat auch letztere eben dieselbe Form wie bei den Tra- guliden. Nach alledem muss ich mich für den Tragulusmagen der Auf- fassung bekennen, dass er mit einem rudimentär gewordenen Mittelmagen ausgestattet ist. Der beschriebene kurze Mittelmagen ist nämlich keineswegs etwa als ein in Entstehung begriffener auf- zufassen; derselbe ist offenbar ohne jegliche Bedeutung für das Thier, und ein entstehendes Organ muss jedenfalls einen Nutzen haben. Man wird sieh wohl überhaupt die verschiedenen Haupt- abtheilungen des Wiederkäuermagens als von vorn herein ansehn- liche Portionen des Magens vorzustellen haben — was auch mit unserer Deutung des Camelidenmagens zusammentrifft. Von Interesse für die Beurtheilung des Tragulidenmagens ist es, dass auch einzelne andere kleine Wiederkäuer eine Annäherung Hauptsache Recht, müssen sich die Traguliden später von dem Wiederkäuer- stamm abgezweigt haben als die Cameliden: Typische Wiederkäuer | ‚‚Traguliden Cameliden, | 510 J. E. V. Boas an dasselbe Verhalten des Mittelmagens darbieten. Bei einem im hiesigen zoologischen Garten gestorbenen Cephalolophus Marwellii ‘einer kleinen Antilope) finde ich einen sehr kleinen, etwa 2 em langen, äußerlich kaum hervortretenden Blättermagen. Er enthält nur acht größere Längsfalten von bis 5 mm Höhe, und zwischen diesen ungefähr dieselbe Anzahl von ganz niedrigen, 1 mm hohen Falten; die längste Falte war nur 2—3 em lang. Der Labmagen desselben Thieres hatte eine Länge von 11—12 cm. Zum Vergleich hiermit führe ich an, dass bei dem von mir untersuchten Tragulus der Blättermagen kaum 1 cm, der Labmagen etwa 9 cm lang war. In der That ist also die relative Länge des Mittelmagens bei unse- rem Cephalolophus nicht so sehr viel bedeutender als bei Tragulus: dagegen sind die Blätter, wenn auch sehr schwach, doch weit besser entwickelt. Jedenfalls ist es aber nur ein rudimentärer Blätter- magen, den wir bei Cephalolophus finden. Ähnlich wie bei diesem scheint er auch bei einer anderen kleinen Antilope, dem Nannotra- gus, zu Sein; - GARROD! bezeichnet sowohl den Blättermagen des letzteren als denjenigen von Cephalolophus als »minute«, und bei beiden ist die Blätterbildung sehr einfach (bestimmte Mabangaben giebt GARROD leider nicht). An dieser Stelle möchte ich auch daran erinnern, dass der Blättermagen der typischen Wiederkäuer überhaupt der am meisten variable Abschnitt des Magens ist; der Umfang des ganzen Organs, sowie die Ausbildung der Blätter ist sehr verschieden; relativ am größten und komplieirtesten scheint er immer bei den großen Formen zu sein (z. B. beim Rind). Auch bedeutende individuelle Schwan- kungen kommen vor; nach FRANCK? »fehlen zuweilen die Blätter vollständig, oder sie sind äußerst verkiimmert«*. Ein solcher Fall ist mir eben neulich begegnet. Bei einem neugeborenen Lamm # zeigte der geöffnete Mittelmagen den überraschenden Anblick eines geräumigen Hohlraumes; von Blättern waren im Ganzen nur acht entwickelt, und zwar in der Form wenig hervortretender Längs- leisten, die höchstens eine Höhe von 3 mm erreichten; übrigens war der größte Theil der Wand von feinen, netzförmig geordneten, dicht- stehenden Leistchen bedeckt. Der Umfang des Mittelmagens war nicht kleiner als gewöhnlich’. 1 Notes on the Visceral Anatomy and Osteology of the Ruminants. in: Proceed. Zool. Soc. London f. 1877. pag. 3. 2 Handbuch der Anatomie der Hausthiere. 2. Aufl. pag. 529. 3 Leider giebt er nicht an, bei welchem Thiere er dies gefunden hat. 4 Dasselbe zeigte eine anomale Entwicklung des Kopfes (Synotie), der Rumpf und die Gliedmaßen waren aber normal gebildet. ; 5 Wahrscheinlich ist es eine ähnliche individuelle Abweichung, Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden ete. 511 Dass der Mittelmagen eben bei den Traguliden der beschriebenen excessiven Riickbildung unterlag, scheint mir in erster Linie aus der in Vergleich mit anderen Wiederkäuern minimalen Körpergröße dieser Thiere ableitbar. Hierauf weist die analoge Rückbildung des- selben bei anderen kleinen Wiederkäuern mit Entschiedenheit hin. An und für sich ist es aber auch nicht besonders schwierig einzu- sehen, dass eine Rückbildung dieses Organs bei kleinen Thieren ein- treten könnte. Dasselbe wirkt ja, wie oben erwähnt, bei typischer Ausbildung als Kaumagen; es ist aber vorauszusetzen, dass von solchen feinen zarten Formen, wie die Traguliden und die oben er- wähnten kleinen Antilopen, nicht die allergröbsten Nährstoffe ge- wählt werden!, und dass die Nahrung schon beim Wiederkäuen so fein gekaut worden, dass eine wiederholte mechanische Bearbeitung eher entbehrlich ist; auch ist daran zu erinnern, dass der Darmkanal hier weit kleinere Massen zu bewältigen hat als bei den großen Formen, und dass die Vorbereitung vor der chemischen Verarbeitung im Labmagen und Dünndarm desshalb vielleicht eventuell weniger gründlich zu sein brauchte. welche PAUNTSCHEFF in seinen » Untersuchungen über den Magen der Wieder- käuer« (in: Vorträge für Thierärzte. VII. Serie. Heft 4) pag. 31 beschreibt. Bei »Aegagrus«, womit vermuthlich Capra aegagrus, die Bezoarziege, gemeint ist, erscheint nach diesem Verf. der Blättermagen »in einer so verkümmerten Form, dass er, obgleich außen und innen vom vierten Magen gut abgesondert, kaum noch den Namen eines Faltenmagens verdient. ..... Auf der Innen- fläche stehen viele sehr niedrige Schleimhauterhebungen, welche in Form von Filtchen von der Psalterhaubenöffnung zur Psalterlabmagenöffnung hinziehen, allmählich aber einen schrägen Verlauf nehmen und in der Nähe des Labmagens netzförmig enden.« 1 Einer in Brenm’s Thierleben (Große Ausg. 2. Aufl. Bd. III. 1877. pag. 98) referirten Angabe zufolge soll Zragulus sich in seiner Heimat wesentlich von Beeren ernähren, und einige in Gefangenschaft gehaltene Exemplare fielen, als ihnen Ebereschen gereicht wurden, »mit wahrer Begierde« über dieselben, und gediehen bei dieser Nahrung vorzüglich, während Letzteres nieht der Fall war, als sie mit Gras, Hafer ete. gefüttert wurden. — Von den Zwerganti- lopen (Nannotragus) wird 1. e. pag. 257 im Allgemeinen angegeben, dass sie »sich vorzugsweise von dem Blätterwerk der Gebüsche äsen, in denen sie hau- sen«; von einem Neotragus (Nannotragus) moschatus schreibt BREHM (l. c. pag. 259): »Ein sorgfältig ausgewähltes Futter, der Hauptsache nach aus ge- schnittenen Möhren, Kartoffeln, Kohl und etwas Kleie bestehend, wurde gern genommen, außerdem aber frische Baumzweige, mit oder ohne Blätter, in ge- nügender Menge gereicht. Nebenbei äste sich mein gefangenes Böckchen von Grasspitzen, welche es eins nach dem anderen abbiss und gemächlich kaute.« 512 J. E. V. Boas 2 Die Deutung, zu welcher wir in Bezug auf den Traguliden- magen gelangten, musste aber zu weiteren Erwägungen führen, nämlich betreffend der systematischen Stellung dieser kleinen Abtheilung. Die falsche Vorstellung, welche ich mir im Voraus in Bezug auf den Magen derselben gebildet hatte, war durch die durch- gängig angenommene, von mir auch seit Jahren gehegte Auffassung bedingt gewesen, nämlich dass wir in den Traguliden eine in Ver- gleich mit den typischen Wiederkäuern primitive Abtheilung zu thun hatten; und jetzt zeigte der Magen sich ganz im Gegentheil als durch Reduktion des typischen Wiederkäuermagens entstanden, an welchen er sich übrigens eng anschließt. Es lag dann nahe, die Charaktere, auf welche die Primitivität der Gruppe begründet wird, einer kritischen Betrachtung zu unterwerfen. Es wird bekanntlich für die Placenta der Traguliden ange- seben, dass sie eben so wie die der Cameliden und der Schweine diffus sei. Hiergegen hat aber schon KÖLLIKER! Einsprache er- hoben. KÖLLIKER fand »bei einer eben vorgenommenen Untersuchung von Tragulus Kanchil (?), dass die Verhältnisse dieser Art mehr mit denen der gewöhnlichen Wiederkäuer stimmen. Allerdings fehlen Cotyledonen der gewöhnlichen Art, dagegen ist die Uterinschleim- haut in eine 1—2 mm dicke Platte erhoben, die an ihrer Oberfläche von eben so vielen Öffnungen durchbohrt ist, als das Chorion Zotten trägt. Diese Zotten, die, meist abgeplattet, 1—2 mm lang und im Ganzen genommen einfach sind, obschon die Enden Andeutungen von Ästchen zeigen, sitzen fest in der großen flachen Cotyledo-ähn- lichen Platte der Mucosa, und lassen sich nur am Rande einer Stelle, wo das Chorion keine Zotten trägt, die mit Bezug auf ihren Sitz nicht genauer zu bestimmen war, aus ihren Gruben herausziehen, wobei sich dann ergiebt, dass die Schleimhautplatte oder die Pla- centa uterina am Rande in kleine getrennte Wärzchen von 0,2— 0,5—1 mm sich auflöst, welche genau wie Miniaturcotyledonen be- schaffen sind .... Dem Gesagten zufolge steht die Verbindung von Mutter und Frucht bei Tragulus Kanchil derjenigen der Wiederkäuer sehr nahe und kann die Placenta dieses Thieres als ein großer flacher Cotyledo angesehen werden « — oder vielleicht als durch Verschmelzung mehrerer getrennten Cotyledonen entstan- den aufgefasst werden. Bei einigen anderen Tragulusarten soll nun allerdings die Ab- 1 Entwicklungsgeschichte des Menschen. 2. Aufl. i879. pag. 354. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden etc. 513 weichung stattfinden, dass die Zotten das ganze Chorion bedecken !; es haben aber auch bei diesen die Chorionzotten nicht den Charakter wie bei Thieren mit diffuser Placenta. Es wird dies von BABO (l. e. pag. 26) sogar stark hervorgehoben: »Die Anordnung der Zotten ist also hier die gleiche wie beim Kamele und Lama; aber in Beziehung auf die Form derselben weicht von beiden das java- nische Moschusthier ab und neigt sich wieder nach der Seite der Hirsche hin... .. Die Chorionzotten vom Kamele und Lama sind sehr übereinstimmend gebildet und von rundlicher Gestalt. Die Breite ihrer Basis, mit der sie einzeln auf der Eihaut festsitzen, übertrifft meistens ihre Längendimension; sie sehen aus wie kleine unregelmäßige Blasen, in denen man hier und da wieder schwache Einschnürungen bemerken kann. Sie stimmen mit denjenigen des Schweines und des Pferdes iiberein. .... Die Zotten vom java- nischen Moschusthier dagegen stehen dicht gedrängt, auf einer sehr kleinen Basis, mit bei Weitem vorherrschender Längendimension. Die einzelne Zotte zeigt in ihren Kontouren gegen ihr freies Ende hin nur sehr schwache Einschnürungen, als eine erste Spur der Verästelung ...... Die einzelnen Zotten sind beim unverletzten Zustande des Uterus zu kleinen Bündeln in zellenartige Vertiefungen der inneren Uterinhaut eingesenkt . . . . .« Die Beschaffenheit der trächtigen Uteruswand wird weder von Baso noch von MILNE Ep- WARDS näher beschrieben. Für die Beurtheilung der Verhältnisse unserer Traguliden ist es von Interesse, die Angaben zu vergleichen, welche Bano (I. c. pag. 27) über die Eihäute einer kleinen Antilope giebt. Er schreibt: »In dem Uterus von Tragulus? dutza, einer kleinen Antilopenart (die von Dr. PETERS aus Afrika geschickt war), fand ich fünf Reihen von Cotyledonen..... Die einzelnen Cotyledonen waren aber nicht scharf abgegrenzt, sondern stellenweise zu einem längeren zusammenhängenden Streifen verschmolzen, wie ich es in Fig. 4 gezeichnet habe ...... Die Zotten sind bei dieser Anti- lope denjenigen vom javanischen Moschusthiere ziemlich ähnlich. Sie sind im Verhältnis zu ihrer Breite lang und ebenfalls nicht ver- ästelt.« Nach alledem scheint es mir nicht berechtigt, die Verhältnisse der Placenta als Beweis für eine primitive Stellung der Traguliden in Anspruch zu nehmen; vielmehr scheint es mir überwiegend wahr- 1 A. Minne Epwarps, Recherches s. 1. fam. d. Chevrotains. in: Annales d. sciene. natur. 5. ser. Zool. Tome II. pag. 101. — F. v. Baso, Über die äußere Eihaut des javanischen Moschusthieres und einiger anderen fremden Wiederkäuer. Heidelberg 1847. 2 Der Name » Tragulus« wird von einigen älteren Verfassern für gewisse Antilopen verwendet. Morpholog. Jahrbuch, 16. 33 514 J. E. V. Boas . scheinlich, dass die Verhältnisse des Chorion bei diesen Thieren durch Umbildung der bei den typischen Wiederkäuern vorhandenen entstanden sind, dass also ihre Eigenthümlichkeiten diesen gegen- über sekundärer Natur sind. Weiter zeichnen sich die Traguliden dadurch aus, dass die Metacarpalia, resp. Metatarsalia, Nr. 2 und 5 vollständig entwickelt sind, und dass Nr. 3 und 4 spät oder gar nicht mit einander ver- wachsen. Da wir aber finden, dass die beiden letzteren Knochen nicht allein bei den typischen Wiederkäuern, sondern auch bei den Cameliden frühzeitig verschmelzen, scheint es überwiegend wahr- scheinlich, dass diese Knochen schon bei den gemeinsamen Vorfahren der typischen Wiederkäuer und der Cameliden verschmolzen waren, und wir müssen demnach annehmen — da die Traguliden sich jeden- falls später von dem Stammbaum abgezweigt haben als die Cameliden (vgl. pag. 508) — dass wir in dem langen Getrenntbleiben der genannten Knochen lediglich einen retardirten embryonalen (resp. jugend- lichen) Charakter zu sehen haben: beim Wiederkäuerembryo, z. Th. auch noch beim jungen Thier, sind dieselben bekanntlich getrennt’. Eine ähnliche Auffassungsweise kann auch dem ersteren Charakter gegenüber geltend gemacht werden. Während die Metacarpalia, resp. Metatarsalia, 2 und 5 bei den ausgebildeten typischen Wiederkäuern stets nur fragmentarisch vorhanden oder gänzlich rückgebildet sind, werden dieselben bekanntlich bei den Embryonen in ihrer ganzen Länge knorpelig angelegt, und es erscheint desshalb die Deutung nicht ohne Weiteres unberechtigt, die vollständige Ausbildung dieser Elemente bei den erwachsenen Traguliden als einen retardirten em- bryonalen resp. atavistischen Charakter aufzufassen. Und es dürfte dies um so mehr berechtigt sein, weil wir sehen, dass unter ver- schiedenen mit einander verwandten Wiederkäuern bald dieser, bald jener Theil wenigstens der betreffenden Metacarpalia beim er- wachsenen Thiere bewahrt ist: bei einigen Hirschen (z. B. beim Reh) ist die untere Hälfte (oder mehr) des 2. und 5. Metacarpale 1 Bei einem i2 Tage alten Dromedar waren sowohl am Vorder- wie am Hinterfuß der Mittelfußknochen 3 und 4 noch vollständig getrennt (fielen bei der Maceration aus einander). Bei einem neugeborenen Lamm waren die Me- tacarpalia 3 und 4 getrennt, die entsprechenden Metatarsalia dagegen ver- schmolzen; dasselbe scheint auch beim neugeborenen Reh der Fall zu sein (jedenfalls fand ich es so bei einem, wie ich vermuthe, ausgetragenen Fötus). Bei dem neugeborenen Jungen von Cervus canadensis waren dagegen schon sowohl die Metacarpalia 3 und 4 wie die Metatarsalia 3 und 4 verschmolzen. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden ete. 515 vorhanden, die obere Partie ausgefallen; bei anderen Hirschen (z. B. beim Edelhirsch) ist vielmehr eine obere Partie vorhanden, das untere Ende dagegen in Wegfall gekommen; und ähnliche Diffe- renzen findet man auch innerhalb der Abtheilung der Hohlhörner. Dass demnach Formen entstehen könnten, bei welchen die betreffen- den Knochen sich vollständig ausbildeten, kann nur wenig über- raschen — und das um so weniger, als wir einer vollständigen Ausbildung derselben als individueller »Anomalie« bei echten typi- schen Wiederkäuern begegnen kénnen'. Wir kommen übrigens später auf diesen Charakter wieder zurück. Die genannten Charaktere dürften wohl die wichtigsten sein, auf welche sich die Anschauung von einer besonderen Primitivität unserer Gruppe stützt. Wir haben gesehen, dass dieselben entweder — ich denke an den Magen, die Placenta und das Verhalten der Metacarpalia (Metatarsalia) 3 und 4 — ganz offenbar nicht pri- mitiv sind, oder dass sie wenigstens die Möglichkeit einer ander- weitigen Deutung zulassen. So viel ist offenbar, dass diese Cha- raktere nicht genügen, um zu beweisen, dass die Traguliden eine im Verhältnis zu den typischen Wiederkäuern primitive Gruppe dar- stellen. Es scheint vielmehr vor der Hand eben so zulässig, die- selben als eine von den typischen Wiederkäuern abgeleitete, aberrante Gruppe aufzufassen. Um die Frage einer Entscheidung näher zu führen, müssen wir sodann andere Punkte des Baues unserer Thiere betrachten und untersuchen, ob andere Charaktere etwa den Gedanken von einer primitiven Stellung der Gruppe unterstützen oder aber in anderer Richtung hinweisen. In dem Folgenden werde ich das Skelet und das Gebiss einer derartigen Untersuchung unterwerfen. Das mir zu Gebot stehende Material ist das Skelet eines erwachsenen Tragulus Stanleyanus?, ich halte mich wesentlich an die von diesem gelieferten Befunde, bemerke aber, dass nach den in der Litteratur vorliegenden Angaben über andere Traguliden die Unterschiede des Skeletes wahrscheinlich sehr geringfügig sind. 1 Vgl. meine in diesem Hefte des Jahrbuches pag. 530 ff. gegebene kleine Mittheilung über zwei abnorme Rindsfüße. 2 Das betreffende Skelet erhielt ich durch gütige Vermittelung meines Freundes, Prof. SPEnGEL, leihweise vom Hamburger Museum mit Erlaubnis, die Knochen nach Bedarf von einander zu trennen. Ich sage an dieser Stelle dem Direktor des Hamburger Museums, Herrn Prof. KGAPEUIN. fiir seine Libe- ralitiit meinen besten Dank. 33* 516 J. E. V. Boas 2 Sehr instruktiv ist das Studium des Schädels. Zunächst be- merken wir, dass in sämmtlichen oben hervorgehobenen Punkten, in welchen die Cameliden von den typischen Wiederkäuern abweichen und dabei primitivere Verhältnisse darbieten, der Tragulus mit den typischen Wiederkäuern übereinstimmt: die Foramina ineisiva sind groß, der Zwischenkiefer sehr schwach, der Jochfortsatz des Squa- mosum legt sich einfach über das hintere Ende des Jochbeins, die Unterkieferäste sind getrennt, der Fortsatz am Hinterrande des Unter- kiefers fehlt. Von großem Einfluss auf die Gestaltung des Schädels ist die außerordentliche Größe der Augen; eine ganze Reihe von Eigenthümlichkeiten des Tragulusschädels sind hiervon ableitbar. Die Größe des Auges hat bewirkt, dass der hintere Theil des Ober- kieferbeines ganz niedrig geworden, die Kieferhöhle stark reducirt, der Oberkieferkanal (Can. infraorbitalis) sehr verkürzt worden ist. Sie hat bewirkt, dass ein Theil des Präsphenoides zu einer dünnen Interorbitalplatte zusammengedrückt ist!. Indem die Augenhöhlen sich auch nach hinten ausdehnten, wurden die Schläfengruben ver- kleinert, und trotz der geringen Größe des Muse. temporalis musste die Anheftungsfläche des letzteren sich nach oben ausdehnen, so dass ein — allerdings sehr kurzer — Sagittalkamm entstand, den wir sonst bei den echten Wiederkäuern im Allgemeinen nicht finden (bei alten Männchen von Moschus ist ein solcher jedoch vorhanden). Eine Folge der Ausdehnung der Augenhöhle ist auch die abweichende Form des Gehirns und der Schädelhöhle: indem die Augen einen so großen Theil der mittleren Schädelpartie in Anspruch nehmen, wird der vorderste Theil des Gehirns eingeengt; zum Ersatz dehnt sich der mittlere Abschnitt (hinterer Theil des Großhirns) seitlich aus, ! Bei verschiedenen kleinen Antilopenformen mit großen Augenhöhlen kommt eine ähnliche Interorbitalplatte vor: bei Cephalolophus Maxwellii ist sie fast eben so stark entwickelt wie bei Tragulus, auch bei Nannotragus saltianus und bei Sylvicapra pygmaea ist sie deutlich entwickelt. RÜTIMEYER hat übri- gens bei Besprechung des Tragulusschädels schon auf das Vorhandensein der- selben bei dem »ebenfalls zwergartigen« Cephalolophus pygmaeus aufmerksam gemacht (Abhandl. der schweiz. paläont. Gesellschaft. Vol. IV. 1877. pag. 22). Vgl. überhaupt die Bemerkungen Rivrimeyer’s über Traguliden |. c. und an- derswo. Wenn ich hier nicht specieller auf einen Vergleich der Betrachtungen von RÜTIMEYER über die Traguliden mit den meinigen eingehe, geschieht das, weil der ganze, mir übrigens nicht überall klar gewordene Gedankengang des geehrten Verfassers trotz einzelner Berührungspunkte doch von dem meinigen zu abweichend erscheint, als dass eine nähere Diskussion fruchtbar wäre. Ich hebe übrigens hervor, dass RUTIMEYER an der Primitivität der Gruppe be- stimmt festhält. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden ete. 517 und das Kleinhirn weicht hinten aus und verursacht eine Hervor- wölbung des oberen Hinterhauptsbeines. Von anderen Eigenthüm- lichkeiten des Schädels sind hervorzuheben: die für einen Wieder- käuer außergewöhnliche Größe der Bullae osseae, welche aber ähnlich auch bei gewissen anderen typischen Wiederkäuern gefun- den wird !; die ansehnliche Verlängerung des knöchernen Gaumen- daches, welche wohl nur als ein einzelner Ausschlag der bei diesen Thieren bekanntlich so stark ausgesprochenen Tendenz zur Verknöche- rung bindegewebiger Membranen aufzufassen ist: das Fehlen der bei den meisten Wiederkäuern an der Grenze von Stirn-, Thriinen-, Nasen- und Oberkieferbein vorhandenen unverknöcherten Stelle2; die außerordentliche Schwäche des Unterkiefers, namentlich des Kronen- fortsatzes und des Zahnstückes. Bemerkenswerth ist die relativ ansehnliche Länge der Processus spinosi der Halswirbel; bei den meisten Wiederkäuern — auch bei den Cameliden — sind dieselben bekanntlich (mit Ausnahme desjenigen des letzten Halswirbels) sehr kurz. Betrachtet man eine größere Sammlung von Wiederkäuerskeleten, wird man aber bald gewahr werden, dass die Stachelfortsätze der Halswirbel doch sehr an Länge variiren, und zwar stehen sie im Verhältnis einerseits zur Länge des Halses, andererseits zu der Schwere des Kopfes: die kurzhalsigen Formen mit schwerem Kopfe haben die längsten Pro- cessus spinosi. Beispielsweise kann ich anführen, dass ich bei einem alten Bos grunniens relativ eben so lange Proc. spinosi finde wie bei Tragulus: überhaupt sind sie bei den Rindsformen, welche ja sämmtlich kurzhalsig sind, gut oder wenigstens deutlich entwickelt: ähnlich auch beim Elenthier. Ich glaube aus diesen Befunden den Schluss ziehen zu dürfen, dass die Länge der Processus spinosi bei Tragulus eine Folge der für einen Wiederkäuer außerordentlichen Kürze des Halses (und vielleicht auch der, wie bei allen kleinen Säugethieren, relativ bedeutenden Größe des Kopfes) ist; die Kürze des Halses ist wieder von der geringen Länge der Vorderbeine ab- hängig. Bei den typischen Wiederkäuern ist der Processus odontoideus des Epistropheus sehr breit, oben ausgehöhlt, und seine Gelenk- fläche fließt mit den paarigen, am vorderen Ende des Epistropheus ! Große Bullae finde ich auch bei Nannotragus saltianus, wo sie noch weit une Umfangs sind als bei Tragulus, weiter bei Sylvicapra, Cephalolophus u.a 2 Fehlt auch bei Cephalolophus Maxwellii. 518 J. E. V. Boas befindlichen Gelenkflächen zusammen. Bei Tragulus ist derselbe Processus weit schmäler, womit auch die Aushöhlung wegfällt (er ist oben abgeplattet); und seine Gelenkfläche fließt nicht mit den beiden genannten zusammen. Hierdurch entsteht eine gewisse Ähn- lichkeit mit dem Schwein, bei welchem die drei Gelenkflächen eben- falls getrennt sind; der Processus hat allerdings beim letzteren eine andere Form, er ist einfach konisch (bei Tragulus abgeplattet). Man könnte nun vielleicht geneigt sein, das genannte Verhalten beim Tragulus als Zeichen einer näheren Verwandtschaft mit den Non-Ruminantia in Anspruch zu nehmen. Es ist aber zu bemerken, dass der Proc. odontoideus schon bei den Cameliden wesentlich dieselbe prägnante Form besitzt wie bei den typischen Wiederkäuern (er ist nur oben weniger ausgehöhlt; und seine Gelenkfläche fließt mit den anderen zusammen. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass die gemeinsamen Vorfahren der typischen Wiederkäuer und der Cameliden (im Stammbaum Anm. pag. 508) schon diesen ‚Cha- rakter besaß; dann muss aber die abweichende Form des Processus odontoideus beim Tragulus als eine sekundäre Erscheinung beurtheilt werden!. Die übrige Wirbelsäule scheint nur wenig Beachtenswerthes zu bieten; die Processus spinosi der Brustwirbel sind kürzer als sonst bei den Ungulaten; die Querfortsätze der Lendenwirbel sind, ähn- lich wie bei anderen kleinen Wiederkäuern, kürzer als bei den großen dickbiiuchigen Formen. — Das Brustbein ist demjenigen der typischen Wiederkäuer ganz ähnlich. Letzteres gilt auch für das Schulterblatt. Der Humerus ist dem- jenigen z. B. des Rehes sehr ähnlich gestaltet. Die Ulna ist in ihrer mittleren Partie stärker als bei anderen Wiederkäuern:; einige stehen jedoch in dieser Beziehung gegen Tragulus wenig zurück. — Der Carpus und die oberen Enden der Metacarpalia 3 und 4 ver- halten sich wesentlich wie bei den echten Wiederkäuern: auch die Gelenkflächen sind ähnlich, vielleicht etwas mehr geschweift. Die Metacarpalia 3 und 4 waren bei dem untersuchten, erwachsenen Tragulus noch getrennt, wenn auch sehr eng verbunden (es wird sonst angegeben, dass sie beim erwachsenen Tragulus verschmolzen 1 Auch beim Pferd, beim Anchitherium (nach KOWALEVSKY)und (nach FLOWER) beim Tapir verhält sich der Proc. odont. ähnlich wie bei den typischen Wieder- käuern, und es ist somit wahrscheinlich, dass die gemeinsamen Vorfahren aller Ungulaten diesen Charakter besaßen und dass auch die konische Form etc. desselben beim Schwein sekundär erworben ist. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden ete. 519 sind). Sie weichen am unteren Ende nicht wie bei den Cameliden aus einander, sondern bleiben bis an die Gelenkflächenpartie ver- bunden; dasselbe ist auch mit den entsprechenden Metatarsalia der Fall. — Am unteren Ende der Metacarpalia 3 und 4 — eben so an den entsprechenden Metatarsalia — geht der (übrigens hinten sehr starke) Kamm der Gelenkfläche nicht bis an den oberen, vor- deren Rand derselben; auch erstreckt sich die Gelenkfläche weniger hoch nach oben als bei den typischen Wiederkäuern. Keine dieser beiden letztgenannten Charaktere haben das Gepräge der Primitivität, wie es vielleicht angenommen worden ist; denn schon das Schwein und gewisse fossile Non-Ruminantia stimmen hierin wesentlich mit den typischen Wiederkäuern überein. — Die Metacarpalia 2 und 5 sind vollständig entwickelt und nur durch Bindegewebe mit dem 3. resp. 4. Metacarpale verbunden; sie tragen je eine dreigliedrige Zehe. Das Becken ist in seiner Form demjenigen der Hirsche ähnlich. Am Femur bemerkt man, dass der innere Rand der Gelenkfläche für die Patella mehr zugeschärft ist als gewöhnlich bei den Wieder- käuern, bei welchen er meist sanft abgerundet, oft noch ansehnlich verdickt und hervorragend ist; dieser Charakter variirt übrigens sehr bei verschiedenen Formen. Die Fibula ist eben so rückgebildet wie bei anderen Wiederkäuern; das untere Ende derselben ist gegen die Regel der Wiederkäuer mit der Tibia verwachsen. — Der Tarsus schließt sich — mit Ausnahme des gleich zu erwähnenden Cunei- forme 2 + 3 — ganz an denjenigen der typischen Wiederkäuer; in allen Punkten, in welchen die Cameliden und letztere sich im Tarsus unterscheiden (vgl. pag. 497), schließt sich Tragulus an die typi- schen Wiederkäuer: Naviculare und Cuboideum sind verschmolzen, die Fortsätze derselben sind dieselben und verhalten sich eben so wie bei den typischen Wiederkäuern; die pag. 497—498 für die typischen Wiederkäuer gegebenen Angaben passen verbotenus auch für Tra- gulus. Das Cuneiforme 2 + 3 ist nicht, wie bisher angegeben, mit dem Naviculare-Cuboideum, sondern mit dem Metatarsale 3 ver- schmolzen!. Das obere Ende der verschmolzenen Metatarsalia 3 + 4 verhält sich übrigens wie bei den typischen Wiederkäuern. Die Metatarsalia 2 und 5 und die zugehörigen Zehen verhalten sich wesentlich wie die entsprechenden Theile des Vorderfußes. Die Zahnformel ist dieselbe wie bei manchen Hirschen: ! Vgl. meine untenstehende Mittheilung über den Metatarsus der Wieder- käuer. ag 520 J. E. V. Boas opis Bi kbd halten sich fast ganz wie z. B. beim Reh: 7! am Ende verbreitert, die anderen 7 und der Eckzahn schmal und mit jenem zusammen eine Schneide bildend. Eigenthümlich ist nur, dass der rechte und linke ©! nicht an einander in der Mittellinie zusammenstoßen, son- dern durch einen kleinen Zwischenraum getrennt sind; dasselbe finde ich aber auch bei der kleinen Antilope Cephalolophus Maxwell. Die Molaren weichen ebenfalls nur wenig von denjenigen der typi- schen Wiederkäuer ab; es fehlen ihnen zwar die sogenannten Basal- warzen!, welche an der Innenseite der Oberkiefer-Molaren und.an der Außenseite der Unterkiefer-Molaren bei den Wiederkäuern vor- kommen; diese Warzen sind aber überhaupt sehr variable Gebilde und können auch bei typischen Wiederkäuern rudimentär sein resp. ganz fehlen? Mehr von dem gewöhnlichen Bild weichen die Prä- molaren ab. Mit Ausnahme des hintersten des Oberkiefers (7°). welcher noch die gewöhnliche Form bewahrt hat, sind sie alle stark zusammengedrückt und nur mit einem Längskamm versehen. Für die Unterkiefer-Prämolaren ist die Abweichung von dem gewöhn- lichen Verhalten der Wiederkäuer übrigens nicht so sehr auffallend, indem auch sonst ein (äußerer) Längskamm gänzlich dominirt; es sind die mehr untergeordneten (inneren) Falten. welche bei Tragulus nicht (resp. sehr wenig) zur Ausbildung gelangt sind. Größer ist der Unterschied für die Oberkiefer-Prämolaren p? und p°, an welchen der innere Längskamm in Wegfall gekommen ist; an p* fehlt er übrigens nicht ganz, sondern ist durch einen Höcker an der Innenseite des Zahnes vertreten. Ich sehe jedoch in diesem Ver- halten der Prämolaren nicht etwa eine Annäherung an die Non- Ruminantia, sondern eine sekundäre Erscheinung, eine Rückbildung des typischen Wiederkäuergebisses, veranlasst durch die geringe Körpergröße (und vielleicht durch die abweichende Lebensweise) unserer Thiere. Diese Auffassung wird dadurch bestärkt, dass man bei anderen kleinen Wiederkäuern ähnliche Rückbildungen findet. Dies ist z. B. mit dem Nannotragus saltianus der Fall, bei welchem 3 3 oth a 7 : is r , 0,5 Ps 5 M- Die Schneide- und Eckziihne des Unterkiefers yer- ! Vgl. RÜTIMEYER. Natürl. Gesch. der Hirsche. Zweiter Theil. pag. 4. in: Abhandl. der schweiz. paläont. Gesellsch. Vol. X. 2 Bei Nannotragus saltianus fehlen sie sowohl im Oberkiefer als im Unter- kiefer. Bei Sylvicapra pygmaea sind sie im Oberkiefer vorhanden, aber sehr klein, im Unterkiefer fehlen sie völlig. Auch bei Cephalolophus Maxwellü fehlen sie oder sind an einigen Zähnen andeutungsweise vorhanden. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden ete. 521 die Unterkiefer-Prämolaren stark zusammengedrückt und die Falten an der Innenseite derselben nur schwach ausgebildet sind; und an den Oberkiefer-Prämolaren p? und p* von Nannotragus ist der innere Längskamm fast gänzlich rückgebildet. Ähnliche Verhältnisse finde ich auch bei Sylvicapra pygmaea: die Unterkiefer-Prämolaren sind fast eben so zusammengedrückt und die Falten der Innenseite fast eben so wenig ausgebildet wie bei Tragulus; an p® des Oberkiefers ist der innere Längskamm sehr niedrig, an p? fast ganz verwischt. Wenn wir einen Blick auf das im Vorhergehenden Mitgetheilte zurückwerfen, so ergiebt es sich, dass im Skelet und im Gebiss des Tragulus zwar zahlreiche eigenthümliche Charaktere vorhanden sind, welche aber fast alle entweder entschieden nicht als primitiv auf- gefasst werden können oder jedenfalls ungezwungen einer ander- weitigen Deutung zugängig sind. Mit anderen Worten: wir haben im Skelet und im Gebiss im Ganzen keine Stütze für die An- nahme gefunden, dass die Traguliden den typischen Wiederkäuern gegenüber als eine primitive Gruppe aufzufassen wären. Oben haben wir schon nachgewiesen, dass weder der Magen noch die Placenta als Stützen dieser Auffassung in Anspruch genommen werden können. Als in dieser Richtung bestimmter hinweisend bleiben eigentlich nur die Verhältnisse der seitlichen Metacarpalia und Metatarsalia (Nr. 2 und 5) zurück. Das scheint aber bei dem im Ganzen sehr engen Anschluss unserer Gruppe an die typischen Wiederkäuer zu wenig zu sein, als dass man darauf gestützt für dieselbe eine pri- mitive Stellung den letzteren gegenüber vindieiren könnte; wenn die Traguliden wirklich eine solche einnähmen, würde es sich auch in anderen Punkten bestimmt aussprechen; das finden wir sonst immer in ähnlichen Fällen. Unter diesen Umständen kann ich auch diesen Charakter nicht als einen echt primitiven auffassen, sondern als einen atavistischen, dessen Zustandekommen dadurch um so leichter zu verstehen ist, weil die betreffenden Gebilde bei den Wiederkäuern stets embryonal vollständig angelegt werden (vgl. auch oben pag. 514). Erinnern wir dazu noch, dass die Metacar- palia und Metatarsalia 2 und 5 gelegentlich als »Abnormität« bei echten Wiederkäuern sich vollständig ausbilden können, ist das nor- male Vorhandensein derselben bei den Traguliden noch leichter ver- ständlich. Nach meiner Meinung sind die Traguliden als eine von typi- schen Wiederkäuern — Hirschen — ausgegangene Ab- 522 J. E. V. Boas ® theilung aufzufassen, und zwar glaube ich, dass die eigenthtim- lichen Charaktere der Gruppe wesentlich von ihrer für Wiederkäner abnorm kleinen Körpergröße und der damit in Zusammenhang stehenden eigenthümlichen Lebensweise abzuleiten ist. Es lässt sich natürlich nicht für jeden eigenthümlichen Charakter der Traguliden nachweisen, dass er in dieser Weise zu erklären ist, auch sind wahrscheinlich einige durch andere Umstände bedingt. Für einige Hauptpunkte erscheint aber diese Erklärung sehr natürlich. Aus der geringen Körpergröße ist ohne Zweifel die relativ ansehnliche Größe der Augen! und hieraus wieder, wie oben ausgeführt, eine Reihe Charaktere des Schädels ableitbar, Die große Bulla scheint ebenfalls durch die geringe Größe der Thiere bedingt?: eben so die Simplifikation der Zähne? und des Magens*. Aus der eigenthiim- lichen Lebensweise als zwischen Gebiisch lebenden Thieren ist die Niedrigkeit der Beine abzuleiten. Vielleicht ist es lediglich letz- terer Umstand, welcher zu dem Wiedererscheinen der lateralen Me- tacarpalia und Metatarsalia den Anstoß gegeben hat; wie wir in der unten gegebenen Mittheilung über die gelegentliche Ausbildung der Metacarpalia beim Rind sehen werden, kann eine anderweitige geringe Rückbildung der Beine den Anstoß zu einer Ausbildung dieser Theile geben, und es scheint nicht gar zu gewagt. die hier gewonnene Erfahrung zur Beurtheilung der Verhältnisse bei den Tra- guliden zu benutzen. Hiermit wäre dann der letzte Stützpfeiler für die vermeintliche Primitivität der Traguliden gefallen. Die wichtigsten Resultate der obigen kleinen Untersuchung sind folgende: 1) Der Magen aller Wiederkäuer zerfällt natürlich in drei Abschnitte: Vordermagen (= Pansen + Haube), Mittelmagen (= Blättermagen), Hintermagen (= Labmagen). Die Haube besitzt in keiner Hinsicht eine solche Selbständigkeit dem Pansen gegenüber, als dass er als ein Hauptabschnitt des Magens aufzufassen wäre. 1 Bei verschiedenen kleinen Antilopen waren die Augenhöhlen, wie wir sahen, relativ sehr groß; überhaupt sind wohl meistens die Augen kleiner Formen — eben so wie das Gehirn — relativ größer als die Augen verwandter großer Formen. Bei jungen Thieren sind sie bekanntlich relativ größer als bei erwachsenen (vgl. z. B. FosTER, Text book of Physiol. IV. Edit. pag. 684). 2 Vgl. oben pag. 517. 3 Vgl. die kleinen Antilopen (oben pag. 520—521). 4 Vgl. pag. 510. Zur Morphologie des Magens der Cameliden und der Traguliden ete. 523 2) Die Cameliden besitzen einen Blättermagen, welcher sogar ansehnlicher Größe ist. Er unterscheidet sich durch den Be- sitz von allerdings sehr kurzen Drüsenschläuchen und durch die noch wenig entwickelten Blätter von dem entsprechenden Abschnitt des gewöhnlichen Wiederkäuermagens. Der Hintermagen ist kurz und innerlich deutlich von dem Blättermagen abgegrenzt: beide wurden bisher gewöhnlich zusammen als Labmagen aufgefasst. 3) Die gewöhnlich als Haube bezeichnete Partie des Came- lidenmagens entspricht nicht der Haube der typischen Wieder- käuer. 4) Der Magen der Traguliden bietet mit demjenigen der Ca- meliden gar keine Ähnlichkeit dar, dagegen schließt er sich im Ganzen eng an denjenigen der typischen Wiederkäuer an. Er zeich- net sich jedoch dadurch aus, dass der Blättermagen rudimentär geworden ist. Ähnliches ist auch mit gewissen anderen kleinen Wiederkäuern der Fall. 5) Die Cameliden bilden eine von den übrigen jetztlebenden Wiederkäuern sehr abweichende Gruppe. Es sind viele ihrer Charak- tere entschieden als im Verhältnis zu denjenigen der übrigen (der »typi- schen«) Wiederkäuer primitiv aufzufassen; in anderen Beziehungen haben sie dagegen neue und eigenthümliche Charaktere erworben. Zu den ersteren Charakteren gehören: die Verhältnisse der Placenta, verschiedene Punkte der Bezahnung und des Baues des Magens, zahlreiche Charaktere des Skelettes. Zu den letzteren die Fuß- form ete. 6) Die Traguliden bilden nicht eine im Verhältnis zu den typischen Wiederkäuern primitive Gruppe, sondern sind vielmehr von typischen Wiederkäuern (Hirschen) abzuleiten. Ihre als pri- mitiv aufgefassten Charaktere verdienen entweder entschieden nicht diesen Namen oder können jedenfalls ungezwungen in anderer Weise gedeutet werden. Zum größten Theil sind die Eigenthümlichkeiten ihres Baues von der für Wiederkäuer abnorm geringen Körpergröße und von der abweiehenden Lebensweise ableitbar. 7 Kopenhagen, Mai 1890. 524 J.E. V. Boas, Zur Morphologie d. Magens d. Cameliden u. d, Traguliden ete. Erklärung der Abbildungen. Tafel XIX. Fig. 1. Magen eines jungen Camelus bactrianus, wit Gips gefüllt und getrocknet, von oben. Fig. 2. Derselbe Magen von unten. Die beiden Ansichten sind nicht einander ganz entgegengesetzt; in beiden ist der Magen derartig gestellt worden, dass der Ösophagus dem Beschauer etwas zugeneigt ist. o Osophagus, Schlundrinne, + Vorder-, m Mittel-, % Hintermagen, ha’ falscher Netzmagen, d Dünndarm, welcher dem Magen zunächst bedeutend er- weitert ist. Morpholog. Jahrbuch. Ba. XVI. Tet’ XIX. Uber den Metatarsus der Wiederkäuer. Von J. E. V. Boas. Mit 6 Figuren im Text. Nach fast allen vorliegenden Angaben besteht der »Canon« des Hinterfußes bei den Wiederkäuern — wenn wir von den Traguliden absehen — nur aus zwei verwachsenen Knochen, nämlich dem Me- tatarsale 3 und 4; die Metatarsalia 2 und 5 sollen spurlos fehlen. Nach ROSENBERG! werden letztere Knochen zwar knorpelig ange- legt, bilden sich aber im Laufe der Entwicklung vollständig zurück ?. Bei Gelegenheit meiner Beschäftigung mit den Traguliden, welche mir zu einer sorgfältigen Vergleichung des Skeletes letzterer mit demjenigen anderer Wiederkäuer Veranlassung gegeben hat, bin ich aber zu einem etwas anderen Resultat gekommen. Zunächst ist es für das Folgende nothwendig zu berühren, dass es sich aus dem Vergleich des Tarsus und proximalen Endes des Meta- tarsus eines beliebigen typischen Wiederkäuers mit den entsprechenden 1 Über die Entwicklung des Extremitäten-Skeletes bei einigen durch Re- duktion ihrer Gliedmaßen charakterisirten Wirbelthieren (Separat-Abdruck aus Zeitschr. für wiss. Zool. Bd. XXIII). pag. 18. 2 Es ist mir nicht’.recht begreiflich, wie E. Branpt (Griffelbeine der Wiederkäuer. in: Zool. Anz. 1888. pag. 542 und ff.) angeben kann, dass am Hinterfuß der gewöhnlichen Wiederkäuer Griffelbeine, d. h. selbständige Metatarsalia 2 und 5, vorkommen, und dies sogar specieller ausführen kann. Nach meinen Erfahrungen fehlen bei den jetztlebenden Wiederkäuern, mit Aus- nahme der Traguliden, stets selbständige Metatarsalia 2 und 5; nur am Vor- derfuß können Griffelbeine vorhanden sein. Es scheint, als ob BRANDT sich mit der Untersuchung von Vorderfüßen begnügt hat und seine an diesen ge- wonnenen Resultate auch auf den Hinterfuß übergeführt hat. 526 J. E. V. Boas 9 : Partien von Tragulus mit Sicherheit ergiebt (vgl. die untenstehenden Figuren), dass das Cuneiforme 2+ 3' bei Tragulus nicht, wie Fig. A. Fig. A. Tarsus, mit Ausnahme von Calcaneus und Astragalus, und oberes Ende des Metatarsus von Tragulus Stanleyanus, von außen (1), vorn (2) und innen (3). Etwas vergrößert. Fig. B. Dessgl. von Cervus dama. Etwas verkleinert. cu Cuboideum, » Naviculare, c! Cuneiforme 1, c2+* Cuneiforme 2+3, m?—m5 zweites—fünftes Meta- tarsale. f Fortsatz des Naviculare. g, 1, X vgl. den Text. bisher angenommen, mit dem Navieulare-Cuboideum verschmolzen ist, sondern vielmehr mit dem Metatarsale 3. Derjenige Theil, {1 Bekanntlich sind die Cuneiformia 2 und 3 bei den Wiederkäuern stets mit einander verwachsen. Über den Metatarsus der Wiederkäuer. 527 welcher sich fiir die erste Betrachtung als proximales Ende des Metatarsale 3 darstellt, ragt bedeutend über das obere Ende des Metatarsale 4 empor, während die oberen Enden beider Metatarsalia sonst in gleichem Niveau liegen, und bietet in der That dieselben Lagerungsbeziehungen dar wie das Cuneiforme 2 + 3 bei anderen Wiederkäuern: er liegt zwischen dem Cuneiforme 1 und dem Cu- boideum, und zwischen ihm und letzterem befindet sich das Loch (7), durch welehes ein Ast der vorderen Schenkelbeinarterie! in den Tarsus hineintritt?. Betrachtet man das Fußskelet des Tragulus von der Innenseite (Fig. A, 3), so findet man, dass das Cuneiforme 1 nur oberhalb des Metatarsale 2, zwischen diesem und dem Naviculare, liegt, dagegen nicht mit dem Metatarsale 3 in Berührung kommt (eben so ist es auch beim Schwein). Bei den typischen Wiederkäuern (Fig. B, 3) liegt das Cuneiforme 1 genau in derselben Lagerung zum Navicu- lare und unten ruht es am inneren Theil des oberen Endes des »Canon«: aus dem Vergleich scheint somit für eine unbefangene Be- trachtung mit Evidenz hervorzugehen, dass der dem Cuneiforme 1 unterliegende Theil des oberen Endes des Canon dem oberen Ende des Metatarsale 2 von Tragulus entspricht. Ähnliche Verhältnisse finden wir bei einer Betrachtung der la- teralen Seite des Fußskelettes. Bei Zragulus (Fig. A, 1) stößt das obere Ende des Metatarsale 5, welches das Metatarsale 4 etwas überragt. mit einer kleinen schrägen Gelenkfläche an einen kurzen Fortsatz des Cuboideum (X), und oberhalb dieses Fortsatzes findet man das Loch (/), durch welches die Sehne des langen Wadenbein- muskels? in den Tarsus hineintritt. Bei Cervus dama (Fig. B, 1) und anderen finden wir ganz ähnliche Verhältnisse, nur wird das obere Ende des Metatarsale 5 von einem Fortsatz des »Canon« ver- treten, welcher aber mit derselben Gelenkfläche versehen ist und mit demselben kleinen Fortsatz des Cuboideum artikulirt, oberhalb dessen die Sehne in den Tarsus hineintritt. Es scheint bei diesem ' Vgl. GurLT, Vergleichende Anatomie der Haussäugethiere. 5. Aufl. (bearb. von LEISERING und MÜLLER). pag. 636. 2 Dagegen ist es richtig, wenn angegeben wird, dass das Cuneiforme 2 + 3 beim Cervulus muntjac mit dem Naviculare-Cuboideum verwachsen ist; hier bildet das genannte Gefäßloch einen Einschnitt in das untere Ende des großen von Cuneiforme 2+ 3, Naviculare und Cuboideum zusammengesetzten Kno- chens, und die oberen Enden der Metatarsalia 3 und 4 ragen gleich weit hinauf. 3 GURLT, Vergleichende Anatomie der Haussiiugethiere. 5. Aufl. pag. 322. 528 J. E. V. Boas . Sachverhalt unmöglich, daran zu zweifeln, dass der genannte Fortsatz des »Canon« nebst der zunächst unterhalb desselben liegenden Partie dem oberen Ende des Metatarsale 5 von Tragulus entspricht. — Beim Rind ist die entsprechende Partie zwar vorhanden, aber doch weniger entwickelt und besitzt nicht die Gelenkfläche für das Cuboideum. Der Vergleich lehrt uns somit, dass das »Canon« der typischen Wiederkäuer! nicht allein aus den Metatarsalia 3 und 4 besteht, sondern dass wenigstens das oberste Ende der Metatarsalia 2 und 5 an dessen Zusammensetzung Theil nehmen. Mit diesem Resultat stehen in der That auch die embryonalen Befunde, wie wir sie durch A. ROSENBERG? kennen gelernt haben, in bestem Einklang. Scheinbar stimmen allerdings ROSENBERG's Resultate nicht mit unserer Deutung. Es werden nach RosENBERG die Metatarsalia 2 und 5 beim Embryo vollständig angelegt; »in ihren proximalen Theilen erreichen sie, während die distalen Partien schon früh der Reduktion verfallen, eine erhebliche Ausbildung und verschmelzen sodann mit ihren proximalen Spitzen mit dem Metatarsale® III und IV, um schließlich vollständig in ganzer Länge wieder zu schwinden.« Für letztere Behauptung reichen aber in der Wirklich- keit die Befunde RosENBERG’s nicht aus. Ich zweifle allerdings nach den Angaben dieses sorgfältigen Forschers keineswegs daran, dass die distalen, selbständigen Theile des Metatarsale 2 und 5 ganz verloren gehen; für die proximalen Enden liefert aber ROSENBERG thatsächlich nur den Nachweis, dass sie sich stärker als die distalen Theile ausbilden (namentlich gilt dies für das Metatarsale 2), und (dass sie mit den Metatarsalia 3 und 4 verwachsen; Weiteres ist aus seinen Befunden nicht zu ersehen, und dies passt durchaus mit meiner Deutung. Der »Canon« des Hinterfußes der Wiederkäuer besteht somit — wenn wir von den Traguliden absehen — aus vier verwachsenen Elementen, nämlich den vollständigen Metatarsalia 3 und 4 und den obersten Enden der Metatarsalia 2 und 5. 1 Auch bei den Cameliden, bei denen übrigens das obere Ende des Meta- tarsus etwas von demjenigen der typischen Wiederkäuer abweichend gestaltet ist, scheint dasselbe der Fall zu sein; wenigstens bildet sicher das Metatarsale 2 einen Theil des »Canon« (wahrscheinlich aber auch das Metatarsale 5). 2 L. pag. 525. ce. pag. 18. 3 Durch einen Schreibfehler steht an der eitirten Stelle (wo allein vom Hinterfuß die Rede ist) irrthümlich »Metacarpale«. Über den Metatarsus der Wiederkäuer. 529 Nachträglich finde ich übrigens, dass schon Gaupry! zu dem- selben Resultat durch das Studium fossiler Formen gekommen ist. Wenn ich trotzdem die obigen Bemerkungen nicht unterdrücke, ge- schieht das, weil es mir erscheinen würde, als ob die Darstellung GAuDrY's die meinige, welche außerdem noch von einem ganz an- deren Gesichtspunkt ausgeht, keineswegs überflüssig macht. Zweifel- haft scheint es mir, ob dieselbe Betrachtung — wie Gaupry will — auch noch für den Canon des Vorderfußes gilt, dass letzterer also nicht nur aus den Metacarpalia 3 und 4, sondern auch noch aus oberen Theilen der Metacarpalia 2 und 5 bestehe. Bei dem Umstande, dass selbständige kleine Metacarpalia 2 und 5 am oberen Ende des Metacarpus bei manchen Wiederkiiuern, z. B. Cervus dama und elaphus, vorhanden sind, kann höchstens noch davon die Rede sein, dass ein äußerst kurzer Theil des allerober- sten Endes der betreffenden Metacarpalia an der Bildung des Canon Theil nehmen. Der Vergleich mit Tragulus spricht weder für noch gegen. 1 Enchainements du Monde Animal. Mammif. tertiaires. 1878. pag. 117 ff. Morpholog. Jahrbuch. 16. 34 Ein Fall von vollständiger Ausbildung des 2, und 5. Metacarpale beim Rind. Von J. E. V. Boas. Mit 2 Figuren im Text. Bekanntlich fehlt beim Rind normal das 2. Metacarpale voll- ständig, während das 5. nur noch durch ein oberes Stückchen, das Griffelbein, vertreten ist. Von den entsprechenden Fingern sind nur die 2. und 3. Phalanx (Kronen- und Klauenbein). oder allein die letztere, und zwar in rudimentärer Form vorhanden. Der hier zu beschreibende Fall betrifft die Vorderfüße eines - neugeborenen Kalbes, welche mit einer nicht ganz seltenen Abnor- mität behaftet sind, nämlich einer theilweisen Verschmelzung der Finger Nr. 3 und 4 (also der beiden Hauptzehen). An dem rechten Vorderfuß (Fig. A) sind die beiden Klauenbeine (3. Phalanx) die- ser Finger mit einander verschmolzen, weiter auch die Kronenbeine (2. Phalanx), während die Fesselbeine (1. Phalanx) getrennt, aber etwas vom Gewöhnlichen abweichend geformt sind. Am linken Vorderfuß (Fig. B) sind beide Finger in den Skeletstücken getrennt, es war aber auch hier nach Protokollangaben (das Stück befindet sich seit Jahren in der Sammlung der hiesigen landwirthschaftlichen Hoch- schule in skelettirtem Zustande) eine gemeinsame Klaue beider vor- handen, auch erscheint das untere Ende der Finger, wenn auch im Ganzen wohlgebildet, doch wohl etwas schwächer als normal. An dem rechten Vorderfuß findet man ein ganz wohl ausge- bildetes, knöchernes Metacarpale 2, von etwa 77 mm Linge; oben setzt sich dasselbe in eine knorpelige, etwa 13 mm lange Endpartie fort; unten, wo es allmählich stärker wird, trägt es einen Ein Fall von vollständiger Ausbildung .d. 2. u. 5. Metacarpale beim Rind. 531 fast eben so langen Epiphysenknorpel (mit diesen beiden Knorpel- partien zusammen ist das Metacarpale 2 also mehr als 10 em lang; die großen Metacarpalia sind ungefähr 15 em lang). An das Meta- carpale 2 schließt sich ein sehr kräftiges, mit oberer Epiphyse Fig. A. Fig. B. Fig. A. und B. Die im Text beschriebenen Rindsfüße von der Hinterseite. IZ, II, IV, V die Metacarpalia 2—5. II! erste Phalanx dos zweiten Fingers, //2#13 die verwachsenen Phalangen 2 und 3 desselben Fingers, /II! erste Phalanx des dritten Fingers etc. a kleine Epiphyse von Yı, Die knorpeligen Theile der Metacarpalia JJ und V sind punktirt. versehenes Fesselbein (1. Phalanx) von ungefähr 20 mm Länge an und an dieses ein kleineres Knöchelehen, welches wahrscheinlich sowohl das Kronen- als das Klauenbein (2. und 3. Phalanx) repräsentirt. — Das Metacarpale 5 ist dem Metacarpale ziemlich ähnlich, läuft eben so wie letzteres oben und unten in eine knorpelige Endpartie 34* 532 J. E. V. Boas aus und besitzt ungefähr dieselbe Länge; es unterscheidet sich aber dadurch, dass der knöcherne Stab etwa an der Mitte unterbrochen und somit in eine obere und eine untere Partie zerfällt, welche dureh ein (16 mm langes) knorpeliges Stück verbunden sind. Die obere knö-. cherne Partie ist stärker als der entsprechende Theil des Metacar- pale 2. Der untere Epiphysenknorpel ist zugespitzt und von Pha- langen ist keine Spur vorhanden. Am linken Vorderfuß sind ebenfalls die Metacarpalia 2 und 5 beide vorhanden und ähnlich wie am anderen Fuß entwickelt: hier ist es aber das Metacarpale 2, welches eine mittlere unverknöcherte Partie besitzt, während das Metacarpale 5 vollständig, mit Ausnahme der knorpeligen Endpartien, verknöchert ist. Auch ist es hier der 5. Finger, welcher entwickelt ist, und zwar ganz ähnlich wie der 2. Finger des rechten Vorderfußes, während von dem 2. Finger am Präparat keine Spur vorgefunden wird. Wir haben es also hier mit einer atavistischen Ausbildung gewisser Fußelemente zu thun, ähnlich wie beim gelegentlichen Wie- dererscheinen der Nebenzehen des Pferdes. Derartig muss nämlich der Fall aufgefasst werden. Es könnte Jemand vielleicht der Auf- fassung Raum geben, die beschriebene Entwicklung der Metacarpalia 2 und 5 ete. sei als einfache Persistenz embryonaler Charaktere zu deuten; sind ja die Metacarpalia 2 und 5 auf gewissen Entwick- lungsstufen beim Embryo knorpelig angelegt und setzen sich — wenigstens beim Schaf, wahrscheinlich auch beim Rind — »ohne Unterbrechung in die Zellenmasse fort, aus der sich später die 2. und 3. Phalanx des 2. und 5. Fingers differenziren«!'. Eine ein- fache Persistenz dieser embryonalen Gebilde würde aber in der That nicht zu dem beschriebenen Befunde führen; wenn man auch von der Verknöcherung der Metacarpalia wegsehen würde, ist doch na- mentlich die Ausbildung der mit besonderer Epiphyse versehenen, knöchernen ersten Phalanx so abweichend von dem embryonalen Befunde (sie scheint nach ROSENBERG'Ss Angabe normal gar nicht gesondert zu erscheinen), dass sie nicht anders als atavistisch be- zeichnet werden kann. Fragen wir nach der Ursache dieser atavistischen Ausbildung, so dürfte diese in der relativen Rückbildung der Hauptzehen zu suchen 1 ROSENBERG, Über die Entwicklung des Extremitäten-Skeletes bei einigen durch Reduktion ihrer Gliedmaßen charakterisirten Wirbelthieren (Sep.-Abdruck aus der Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXIII). pag. 14. Ein Fall von vollständiger Ausbildung d. 2. u. 5. Metacarpale beim Rind. 533 sein. Ich habe vor Jahren einen analogen Fall vom Pferde be- schrieben!, in welchem es bei gleichzeitiger Rückbildung der Haupt- zehe (Nr. 3) zur Ausbildung der äußeren Nebenzehe (Nr. 4) an allem vier Füßen gekommen war. Für beide Fälle halte ich daran fest, dass sie nach der Analogie einer vom Pflanzenreiche allbe- kannten Erscheinung zu beurtheilen sind, nämlich die, »dass eine Seitenknospe, die unter normalen Umständen nur eine geringe Ent- wicklung erreicht hätte, dann eine ansehnliche Entwicklungsstufe gewinnt, wenn die Endknospe desselben Zweiges vernichtet wird«. Außer den beschriebenen Stücken besitzt die Sammlung der landwirthschaftlichen Hochschule noch mehrere andere Vorderfüße vom Rind mit verschmolzenen Hauptzehen. In allen diesen Fällen finde ich eine größere Ausbildung der Metacarpalia 2 und 5 als gewöhnlich, wenn auch nie eine so regelmäßige und vollständige Ausbildung wie in dem beschriebenen Fall. Auch beim Verschmelzen der entsprechenden Zehen der Hinterfüße kann es zur Ausbildung gewisser. sonst fehlender (mittlerer und distaler) Theile der Meta- tarsalia 2 und 5 kommen, wie ein mir vorliegender Fall lehrt. 1 Uber mehrzehige Pferde. in: Deutsche Zeitschr. für Thiermed. und ver- gleichende Pathologie. Bd. VII. pag. 271 und ff. Taf. XI Fig. 2—6. Kleinere Mittheilungen über Anthozoen, Von G. v. Koch. Mit 4 Figuren im Text. 4. Septalknospung bei recenten Madreporariern (Hexacorallia). In Nevmayr’s Stämmen des Thierreichs (Wien 1889. Bd. I findet sich pag. 254 der Satz: ». . die beiden anderen Arten der Innenknospung, welche als die Septalknospung und als die Endo- thekarknospung (Tabularknospung) bezeichnet werden, treten nur bei der paläozoischen Abtheilung der Tetracorallier auf, welche aller Wahrscheinlichkeit nach, ebenfalls zu den Madreporariern gerechnet werden müssen .....«. — Ich vermuthe, es soll mit diesen Worten ausgedrückt werden, dass sich die Septalknospung nicht bei den recenten Hexakorallen finde, und, was mich vor Allem zu dieser Mit- theilung veranlasst, dass diese Annahme des Verfassers auf meine Angaben in dem Aufsatz »Über ungeschlechtliche Vermehrung einiger paläozoischer Korallen (Paläontographica 1883)« sich stützt. Nun habe ich allerdings an diesem Orte nur Stauria und Ceriaster cala- mites als Beispiele für Septalknospung aufgeführt, aber ich hatte hier ja überhaupt die paläozoischen Korallen ganz in den Vorder- grund gestellt, und recente Formen hauptsächlich nur zur Erläu- terung des Weichkörpers herangezogen, und solche nicht angeführt, wo mir die Befunde an paläozoischem Material für den im Titel ausgesprochenen Zweck genügend erschienen. — Obgleich vorstehende Angaben hinreichen werden, mich von einer etwaigen Mitschuld an dem angeführten Satz NEuUMAYR’s freizusprechen, will ich hiermit nicht nur im Allgemeinen bemerken, dass die Septalknospung auch bei recenten Madreporariern, besonders bei Astraeen vorkommt. sondern diese auch in einem einzelnen Fall beschreiben und durch Abbil- Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. 535 dungen erläutern. Das vorliegende Stück ist einem Stock von Favia ! und zwar derselben Stelle, die eine lebhafte Vermehrung der Polypen zeigte, entnommen, und sind die Weichtheile, welche allerdings hier wenig in Betracht kommen, sehr gut erhalten. Für die Unter- suchung wurde ein Stück von 0,5 em Höhe in sechs Schliffe zer- legt, von denen hier vier abgebildet sind. Abb. I, das aborale Ende des Stückes darstellend, umfasst zwei neben einander liegende Polypen, die etwas tiefer durch Theilung eines einzigen Polypen entstanden sind, wie ich direkt beobachtete, und wie sich auch an der Abbildung aus der geringen Breite der Tren- nungswand, und dem allgemeinen Umriss der Kelche ersehen lässt. Die mit « bezeichneten Septa des rechtsseitigen Kelchs treten bei dessen Theilung (wie sich durch Vergleichung der beiden Flächen jedes Schliffes nachweisen ließ) zu der »Ergänzungswand« zusammen. Sehliff2= Abb. II giebt die Querschnitte der gleichen Poly- penkelche von derselben Seite aus gesehen. Man findet die Septa etwas umgruppirt, und rechts die Columella in zwei Hälften zerfallen, auch die Verbindung der Septen z weiter vorbereitet. Zu gleicher Zeit haben sich beide Kelche mehr abgerundet, und die Wand zwischen beiden ist dieker geworden. Schliff 3 vermittelt zwischen 2 und 4 (II und III), besonders hinsichtlich der Septen und der Columella, doch sind die Änderungen nicht wichtig genug, um ihn abzubilden. ‘ Schliff4—= Abb. III zeigt die vollendete Theilung des rechts- seitigen Kelches. Die Centren der beiden neuen Polypen sind schon ziemlich weit aus einander gerückt, und die aus den beiden Septen z durch Verschmelzung der Enden entstandene Scheidewand (Ergän- zungswand für jeden Theil resp. Knospe) ist nach jeder Seite mit Vorsprüngen, den neuen Septen, versehen. ! Ich verdanke dieses Stück der Freundlichkeit des Herrn Dr. SLUITER, Direktor der Zoologischen Station in Batavia. 536 G. v. Koch, Kleinere Mittheilungen über Anthozoen Schliff 5 (nicht abgebildet) unterscheidet sich von dem vorigen durch größere Dicke der Trennungswand, und die größere Anzahl und regelmäßigere Anordnung der neuen Septen. Schliff6 = Abb. IV (es ist hier nur noch der getheilte rechte Kelchquerschnitt abgebildet) lässt aus der Anordnung der Weich- theile (durch weißpunktirte Linien) die vollständige Trennung der beiden ganzen Polypen erkennen. Diese wird auch ausgedrückt durch die Abrundung der beiden Kelche. Die neue oder Ergänzungstheca ist in der Mitte gegen die »älteren« Harttheile etwas im Wachsthum zurückgeblieben und zeigt hier eine kleine Lücke, im Übrigen bietet sie ganz die Ansicht wie die anderen Theile der Theca, wenn sie etwas weiter oben ‘oralwiirts) quergeschliffen werden. Die vier Schliffe sind in gleicher Vergrößerung dargestellt. z—x sind die Septen, welche die neue Theca bilden. Die als weiß punktirte Linien eingezeichneten Parietes sind leider nicht überall so scharf wie auf dem Original. Wenn wir die aus vorgehender Beschreibung und Abbildungen zu ersehende Art der ungeschlechtlichen Vermehrung (Knospung) von Favia mit der bei Stauria beobachteten vergleichen, so finden wir zwischen beiden nur den wesentlichen Unterschied, dass bei Favia zu gleicher Zeit aus einem Polypen nur zwei, bei Stauria dagegen vier hervorgehen. Für beide aber gelten meine Definitionen a. a. O.: ..»B. Ergänzungsknospung. Junge Kelche sind nur theilweise direkte Fortsetzungen des Mutterkelches, theilweise gebildet aus umgestalteten ungleich- namigen Theilen des letzteren. a. Septalknospung. Junge Knospen werden durch umgewandelte Septen ver- vollständigt.« . Untersuchungen über die Entwicklung des Becken- sürtels der Emys lutaria tauriea. Von Dr. med, Ernst Mehnert, Assistent am anatomischen Institut zu Straßburg. Mit Tafel XX. In einer früheren Mittheilung hatte ich die Hypothese zu be- gründen gesucht, dass eine solche Form des Beckengiirtels, welche drei sternartig gruppirte selbständige Elemente erkennen lässt, als Grundform des Beckengürtels sämmtlicher Amniotenwirbelthiere auf- zufassen sei!. Als ich diesen Satz aufstellte, erstreckten sich meine Erfahrungen in Bezug auf Amnioten vorzugsweise auf Vögel und Säugethiere. Von Reptilien war mir nur die Entwicklung des 3eckengürtels von Lacerta vivipara bekannt? und, wie ich in jener Publikation hervorhob, sprach die von BuNGE an diesem Objekte gemachte Erfahrung, dass der Beckengiirtel sich als ein kontinuir- lieh knorpeliger Dreistrahl herausdifferenzirt?, gegen meine Hypo- these‘. Ich sah mich daher veranlasst, meine Untersuchungen zu- nächst auf Reptilien auszudehnen. Besonders vielversprechend er- schien die Untersuchung von Schildkrötenembryonen, denn zwei ' Untersuchungen über die Entwicklung des Beckengürtels bei einigen Säugethieren. Morph. Jahrb. Bd. XV. pag. 111. 2 Erst nach dem Indruckerscheinen meiner so eben eitirten Abhandlung theilte R. WIEDERSHEIM Beobachtungen mit, welche meine Voraussetzungen auch für Reptilien bestätigten (Anat. Anz. Nr. 14. 15. Juli 1889). 3 ALEXANDER BUNGE, Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte des Beckengürtels der Amphibien, Reptilien und Vögel. Dorpater Inauguraldiss. 1880. pag. 34. I. 4 Morph. Jahrb. Bd. XV. pag. 109 und 110. Morpholog. Jahrbuch. 16. 35 538 Ernst Mehnert einander durchaus widersprechende Anschauungen über den Ent- wicklungsmodus des Beckengürtels der Landschildkröten standen gegenüber. ALEXANDER BuNnGE hatte die Hypothese aufgestellt. dass das Foramen obturatorium der Chelonier durch Fensterung eines einheitlichen, plattenförmigen Puboischium entstanden sei’. Meine Anschauungen sprachen sich dahin aus, dass es gelingen werde »— falls der Beckengürtel der Chelonier sich nicht als ein connascentes Gebilde anlegt — auch für Landschildkröten den Be- weis zu liefern, dass das Foramen obturatorium durch Verwachsung der Enden des Pubis und Ischium entsteht«?. Vorliegende Untersuchung sollte das Material liefern zur Ent- scheidung der Frage, welcher von beiden Auffassungen die meiste Wahrscheinlichkeit zukommt. Meine Versuche, in den Besitz von wohl erhaltenen Schildkröten- embryonen zu gelangen, scheiterten. Ich sah mich daher genöthigt, persönlich an Ort und Stelle Embryonen der modernen Technik ge- mäß zu behandeln. Zu diesem Zwecke reiste ich an das schwarze Meer und hielt mich drei Monate (Mai bis August 1859) im Gou- vernement Cherson und Taurien auf, ausschließlich mit dem Ein- sammeln und Konserviren von Embryonen beschäftigt°. 1]. c. pag. 35, 36 und 53. 2 Morph. Jahrb. Bd. XV. pag. 109. 3 Meine Exkursionen bezogen sich meist auf die Sumpfinsel und die yon Frühjahrsüberschwemmungen heimgesuchten Ufer des Dnjepr, einige Meilen von seiner Ausmündung. Die Schildkröten wurden am Abend oder des Nachts auf- gesucht, zu welcher Zeit sie sich auf das Land begeben, um ihre Eier abzu- legen. Zum Theil wurden die Nester erst nachträglich ausfindig gemacht. Ich grub die Eier sorgfältig heraus und vergrub sie sogleich, unter möglichst ge- nauer Nachahmung der natürlichen Verhältnisse, in besondere zu diesem Be- hufe bei jeder Exkursion mitgeführte, mit feuchtem Sande gefüllte Holzkästen. Jedes Nest wurde gesondert vergraben und durch ein kleines Holztäfelchen warkirt, auf welchém das Datum und die Anzahl der Eier vermerkt war. Die Sandbrutkästen wurden an meinem Standquartier an einer trockenen Stelle aufgestellt, der Sonne ausgesetzt, welche das Bebrütungsgeschäft besorgte. Der Sand musste täglich leicht angefeuchtet werden, um ein Eintrocknen der Eier zu verhüten, dessgleichen musste die tropische Mittagssonne vermieden werden, welche oft zu einem Absterben der oberflächlicher eingegrabenen Em- bryonen führte. Obgleich ich bei dem oft meilenweiten Transporte bis zu mei- nem Standquartiere, bei der Schwierigkeit des Transportes von schweren, mit feuchtem Sand gefüllten Holzkästen, durch Sümpfe und überschwemmte Niede- rungen, und, wie erwähnt, durch zu starke Insolation manche Verluste zu ver- zeichnen habe, so gelangte ich schließlich doch in den Besitz von mehreren Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 539 Den schönen Erfolg meines Unternehmens verdanke ich ganz und allein der freundlichen Unterstützung des Herrn FRIEDRICH EDUARDOWITSCH FALZ-FEIN, durch dessen liebenswürdige Vermitte- lung es mir allein möglich war, in den Besitz einer so großen An- zahl von Embryonen, jungen wie ausgewachsenen Exemplaren von Emys lutaria taurica zu gelangen. Ich ergreife die Gelegenheit, genanntem Herrn auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank zum Ausdruck zu bringen. Zu einer Klassifikation der Embryonen benutzte ich den größten Längendurchmesser des Rückenschildes, indem ich in der Medianlinie von dem äußersten Ende der Nuchalplatte bis zum äußersten Ende der Pygalplatte maß!. . Dieses Maß bezeichne ich in der Folge stets mit der Abkürzung L. d. Rknschlds. Hundert wohl konservirter Embryonen der Emys lutaria taurica, und zwar sämmtlicher Entwicklungsstufen von der Keimscheibe bis zu völlig entwickelten Exemplaren. Eine Anzahl von Schildkröteneiern nahm ich, in Sand vergraben, nach Petersburg mit. Sie vertrugen die über vier Tage dauernde Eisenbahnfahrt anscheinend recht gut, denn nach etwa zwei Monaten (Mitte Oktober) schlüpf- ten einige junge Schildkrétchen aus den Eiern. Durch vorliegende Beobachtung wage ich es nicht, den alten Streit zu entscheiden, ob in der freien Natur Schildkröten schon im Herbst ausschlüpfen oder im Ei überwintern und erst im nächsten Frühlinge ausschlüpfen. Ich be- obachtete nämlich, dass die Embryonen in denjenigen Nestern, welche ich ex- perimenti causa unter den vorgefundenen natürlichen Verhältnissen belassen hatte, sich ausnahmslos bedeutend langsamer entwickelten, als die unter künst- lichen Verhältnissen von mir zur Entwicklung gebrachten. ' Ich konstatirte in vielen Fällen, dass Embryonen, die in allen Dimen- sionen größere Maße ergaben als Embryonen eines niederen Stadiums, bei mikroskopischer Untersuchung jedoch in Bezug auf histologische Differenzirung sämmtlicher Organe sich bedeutend minder entwickelt zeigten. Die Differenz der möglichen Körpergröße beträgt für ein jedes Entwicklungsstadium etwa 1 mm. Die verschiedene Körpergröße von Embryonen desselben Entwicklungs- stadiums steht vielleicht in Beziehung zu der von mir beobachteten verschie- denen Körpergröße ausgewachsener Schildkröten derselben Art, Geschlecht und Verbreitungsbezirkes. Als Beispiel lasse ich einige Größenbestimmungen des Rückenschildes von fünf ausgewachsenen weiblichen Emys lutariae tauricae folgen. Exemplar Nr. I Länge 17,5 cm, Breite 13,60 cm, Höhe 6,3 cm. e 2 I er de &imugggagr 45h Flag, soh - Seo see 24300, Aly Te Erin Su - NEN Et ae = 1310, enge 6) Oe - Ti Shih ppash aim toingseine Demnach betriigt der von mir am Riickenschilde ermittelte größte Liingendurchmesser 18,40, kleinste Werth 16,8 (Differenz 1,6) - Breitendurchmesser 14,75, - ORAS 14 - 1,6) - Höhendurchmesser 6,50, - - 5,8 | - 0,7). Noch gewaltiger sind die Größenunterschiede zwischen Sumpfschildkröten, 35* 540 Ernst Mehnert Folgende 27 Embryonen wurden in lückenlose Schnittserien zerlegt: 4,7 mm (1)! — 5,0 mm (2) — 5,5 mm (1) — 5,7 mm (1) — 6,0 mm (7) — 6,2 mm (1) — 6,3 mm (1) — 6,5 mm (1) — 7,0 mm (6) — 7,2 mm (1) — 8,0 mm (J) — 8,5 mm (1) — 11,0 mm (1 — 15,0 mm (1) — 18,0 mm (1). Eine Anzahl der Embryonen wurde in Karmin, die übrigen in Hämatoxylin nach KLEINENBERG gefärbt. Die meisten Serien wur- den in Celloidin geschnitten (Schnittdicke '/3, bis '/;, mm). In der Folge sah ich mich genöthigt, einzelne Embryonen in Paraffin ein- zuschließen, um nach Anlegung einer Definirebene und Richtungs- linien2 eine fehlerlose Rekonstruktion in einem Wachsmodelle zu ermöglichen. Die Schnittrichtung ist eine verschiedene; zum Theil Sehnitte parallel zum Bauchschilde (von mir in der Folge »Ventral- schnitte« genannt) oder Sagittalschnitte. In einzelnen Fällen legte ich die Sehnittriehtung senkrecht zur Verlaufsrichtung der Chorda. Um die Acetabularregion in einem Bilde überschauen zu können, führte ich die Schnittebene etwa senkrecht zur Verlaufsrichtung des Femur. Zunächst will ich den Beckengürtel einer ausgewachsenen Emys lutaria taurica eingehend prüfen? (Fig. 8 und 9 Taf. XX). Bei Emys welche anderen Verbreitungsbezirken angehören. Ich finde, dass mehrere aus- gewachsene Emys lutariae der Straßburger Sammlung etwa um !/, kleiner sind als die Emys lutariae des Dnjepr. Der von C. K. Horrmann abgebildete Beckengürtel (Niederländisches Archiv für Zoologie. Bd. III. Taf. X Fig. 3) ist gleichfalls um !/, kleiner als der von mir beobachtete (Taf. XX Fig. 8 und 9). Auch die Eier verschiedener Nester der Emys lutaria taurica weisen unter einander starke Größenverschiedenheiten auf. (Die von mir ermittelten Zahlen stehen mir leider zur Zeit nicht zur Verfügung.) Ausnahmslos fand ich, dass bei relativ kleinen Eiern auch die Dotterkugel und der zugehörige Embryo sich durch relative Kleinheit auszeichneten. Eier desselben Nestes zeigten in sämmt- lichen Fällen nahezu die gleiche Größe. ! mm bedeutet Millimeter. Die eingeklammerte Zahl giebt für ein jedes Stadium die Anzahl der untersuchten Embryonen an. 2 Born, Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie. Bd. V. Heft 4. pag. 439. 3 Es erscheint mir dieses dringend geboten, da eine von C. K. HOFFMANN gegebene Abbildung des Beckengiirtels von Emys europaea in mehreren Punk- ten wesentliche Abweichungen von dem Beckengürtel der Emys des Dnjepr erkennen lässt. Insbesondere bezieht sich dieses auf die Cartilago Epipubis. Ob es sich bei dem von C. K. Horrmann abgebildeten Beckengürtel um eine stark rückgebildete oder nur mangelhaft entwickelte Cartilago Epipubis handelt Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 541 bethätigen sich jederseits drei Bestandtheile an der Bildung des Beckengiirtels, von denen das Ilium, in der Sagittalebene liegend, dorsalwärts verläuft, während Pubis und Ischium im Allgemeinen parallel dem Bauchschilde situirt sind!. Diese drei Komponenten stoßen im Acetabulum zusammen, betheiligen sich in gleicher Weise an der Bildung der seichten Gelenkgrube und sind bei jun- gen Exemplaren noch durch einen sternartigen Knorpel von ein- ander getrennt. Bei alten Schildkröten ist diese Verbindungsstelle durch eine entsprechende dreistrahlige Knochennaht kenntlich. Das Ilium lässt einen mittleren stabförmigen Abschnitt erkennen, wäh- rend das periphere Ende desselben, welches zu der Sacralwirbel- säule in Beziehung tritt, komprimirt und zu einer schmalen Platte verbreitert erscheint. Pubis (Pub) und Ischium (/sch) lassen zwi- schen sich ein rundes Foramen frei, durch welches der Nervus und die Arteria obturatoria die Beckenhöhle verlassen. Ich werde dieses Foramen in der Folge stets als Foramen pubo-ischiadieum bezeichnen (For.pub.isch\. Vor der Symphysis Pubis findet sich ein kleines rautenförmiges Knorpelstiick (Zp), welches zum Theil zwischen die medialen Enden der Pubis zapfenförmig hineinragt (Fig. 8, 9, 10, 11). Dieser selbständige Knorpelabschnitt ist, wie seine Genese lehrt, als Epipubis aufzufassen. Während die Symphysis Pubis durch eine nicht vorspringende Naht kenntlich ist (Fig. 8, 9, 10), trifft man an der Außenfläche des Beckengiirtels zwischen den medialen Enden der Ischia einen in der Medianlinie verlaufenden, in auffälliger Weise vorspringenden Kamm. Diesen Kamm, dessen Höhe bei ausgewach- senen Sumpfschildkröten 4 mm beträgt, bezeichne ich als »Crista mediana ischiadiea«. Von dem vorderen Rande der Pubis entspringt ein plattenförmiger, cranial und etwas lateral gerichteter Fortsatz (Pr.!.pub), welcher »Processus lateralis Pubis« genannt wird. Ein ähnlicher schmälerer, vom hinteren Rande des Ischium entspringen- der, caudal gerichteter Fortsatz wird als »Tuber Ischii« (Tdr.isch) bezeichnet. oder vielleicht um ein durch Schrumpfung des Knorpels entstandenes Kunst- produkt — wie man es in Sammlungen bei Trockenpräparaten so häufig beob- achtet — vermag ich nicht zu entscheiden. ! Genau genommen bildet, wie aus Taf. XX Fig. 6 ersichtlich, die Ebene des Pubis mit der Ebene des Ischium in der Gegend des »Foramen obturato- rium« einen stumpfen Winkel. Schon in den frühesten Stadien tritt bei Em- bryonen diese winklige Neigung von Pubis zum Ischium auf das prägnanteste hervor. Cf. Taf. XX Fig. 14. 542 Ernst Mehnert Mittheilung der Untersuchungsergebnisse. Bei den jüngsten von mir untersuchten Embryonen (L. d. Rknschlds. 4,7 mm, 5,0 mm) trifft man im hinteren Leibesende, in der Region, in welcher in späteren Stadien der Beckengtirtel in Erscheinung tritt, ein mächtiges, aus dieht gedrängten, relativ proto- plasmaarmen Zellen zusammengefügtes plattenförmiges Gewebslager, welches allmählich in das mehr lockere Gewebe der Umgebung tiber- geht. Dieses kleinzellige Blastem umgiebt rings dieht den Nervus obturatorius und zeigt in der Mittellinie keinerlei Unterbrechung, sondern repräsentirt ein kontinuirlich zusammenhängendes Zellstra- tum. Schon in diesem wie auch in den nächst folgenden Stadien tritt hervor, dass der Diaphysenabschnitt des Femur in seiner histo- logischen Differenzirung weiter fortgeschritten ist als der zugehörige Beckengürtel!. Bei etwas älteren Embryonen (L. d. Rknschlds. 5,5 mm, 5,7 mm’ liegen im Allgemeinen noch dieselben Verhältnisse vor. An einzelnen Stellen treten die Kontouren des kleinzelligen Blastems schärfer her- vor, an anderen Stellen sind die Grenzen noch nicht scharf zu be- stimmen. In einem späteren Entwicklungsstadium (L. d. Rknschlds. 6 mm) ist die histologische Differenzirung der Gewebe schon so weit vor sich gegangen, dass es möglich erscheint, die Partien, in denen Junges Knorpelgewebe vorliegt, von dem umliegenden kleinzelligen Gewebe abzugrenzen. Bei einem, diesem Entwicklungsstadium an- gehörenden Embryo trifft man in einem Ventralschnitte? folgende Verhältnisse (Fig. 1). Zwischen den nahezu in ihrer Längsrichtung getroffenen Oberschenkeln (Fmr) einerseits, der Peritonealhöhle (Prthlh) und der Kloake (A7k) andererseits breitet sich ein von jun- gen Knorpelzellen gebildetes einheitliches Gewebsfeld aus. Dieser Zellkomplex hat in seinem mittleren, in der Medianlinie gelegenen Abschnitte die Gestalt einer Platte, von welcher jederseits zwei den Nervus obturatorius (N.obt) in einer gewissen Entfernung umkrei- sende Fortsätze ausgehen (Pud und Isch). Vergleiche mit späteren Sta- dien zeigen, dass die beiden, der Peritonealhöhle zunächst liegenden Fortsätze (Pub) Pubis, die beiden der Kloake zunächst liegenden Fortsätze Ischia repräsentiren. In diesem Stadium gehen Pubis und 1 Cf. hierzu Taf. XX Fig. 1 und 3. 2 Schnittrichtung parallel dem Bauchschilde. Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 543 Ischia jederseits lateralwärts ganz allmählich in ein die Acetabular- region einnehmendes kleinzelliges Gewebslager über. Bei einem Schildkrötenembryo, dessen Knorpel etwas älter ist als bei dem so eben beschriebenen, zeigt die Acetabularregion fol- gende, in Fig. 15 wiedergegebene Verhältnisse!. Man erblickt drei relativ weit von einander entfernt liegende Knorpelinseln, welche sternartig um ein zwischen ihnen gelegenes kleinzelliges Gewebs- lager gruppirt sind. Diese centrale Gewebszone (Reg.act) ist die Region des späteren Acetabulum. Der dorsale Knorpel (ZZ) reprä- sentirt den Durchschnitt durch das Ilium. Der ventrale und caudale Knorpel (Zsch) ist der Durchschnitt durch das Ischium, der ventrale und eraniale (Pub) der Durchschnitt durch das Pubis. Zwischen Pubis und Ischium liegt das von einem lockeren Bindegewebe und embryonalen Muskelzellen erfüllte Foramen pubo-ischiadicum (For. pub.isch\. Confer hierzu Fig. 14. Um die einander zugekehrten, in der Acetabularregion liegenden Enden des Pubis, [lium und Ischium erkennt man in einem jeden Schnitte dieser Serie eine breite prochondrale Wucherungszone (Prochnd.Zn), in welcher zahlreiche dunkle prochondrale Elemente? hervortreten. Wenn man die in Fig. 1 in einem Ventralschnitte und in Fig. 15 in einem annähernd Sagittalschnitte eruirten Verhältnisse zusammen- fasst, gelangt man zu folgendem Gesammtüberblicke: Bei Emys lutaria taurica werden Pubis und Ischium beider Becken- hälften schon bei ihrer ersten knorpeligen Differenzirung in der Mittellinieim Zusammenhange stehend angetroffen. Im Acetabulum hingegen berühren Pubis und Ischium einander nicht, sind vielmehr sowohl von einander wie auch von dem selbständig sich anlegenden Ilium und Fe- mur durch ein kleinzelliges indifferentes Gewebe ge- trennt. Zunächst werde ich bloß die Acetabularregion in Betracht ziehen. Bei älteren Embryonen nimmt die in der Acetabularregion be- findliche indifferente Gewebszone an Ausdehnung bedeutend ab und die acetabularen Enden des Pubis und Ischium treten einander näher, bis schließlich in noch späteren Entwicklungsstadien alle drei Knorpel- ! Schnittrichtung senkrecht zur Längsachse des Femur (annähernd Sagittal- schnitt). 2 H. STRASSER, Zur Entwicklung der Extremitätenknorpel bei Salamandern und Tritonen. Morph. Jahrb. Bd. V. pag. 254. 544 Ernst Mehnert elemente vollständig unter einander verschmolzen angetroffen werden (Fig. 4). Die Beobachtung, dass bei der Sumpfschildkröte Ilium, Ischium und Pubis anfänglich im Acetabulum noch getrennt vorliegen und erst später unter einander verwachsen, stimmt völlig überein mit den Ergebnissen, wie ich sie schon früher für zahlreiche wildlebende Vögel und einige Säugethiere festgestellt habe. Somit ist auch der Nachweis geliefert, dass das Getrenntsein von drei Beckenkompo- nenten keineswegs bloß auf die höchst organisirten Säugethiere und Vögel beschränkt ist, sondern auch bei relativ niedrig stehenden Amnioten in prägnanter Weise zum Ausdruck gelangt. Jetzt wende ich mich zu einer Deutung der in der Mittellinie beobachteten Verhältnisse. Wie ich oben hervorhob und in Fig. 1 abgebildet babe, fand ich die der Mittellinie zugewandten Abschnitte der Ischia und Pubis schon bei ihrer ersten Differenzirung in einem kontinuirlichen Zusam- menhange. So weit mir bekannt ist, sind in einem so frühen Em- bryonalstadium derartige Verhältnisse noch nie zur Feststellung ge- langt. Zieht man zum Verständnisse dieser Beobachtung den bei anderen Wirbelthieren als übereinstimmend festgestellten Entwick- lungsmodus des Beckengürtels in Erwägung, so stellt sich heraus, dass in der Klasse der Säugethiere und Vögel zunächst jederseits die peripheren Enden des Ischium und Pubis zur Berührung und nachheriger knorpeliger Verschmelzung gelangen. Erst in einem späteren Stadium stoßen bei Säugethieren und Amphibien! die an- fänglich getrennten beiderseitigen Beckenhälften in der Mittellinie zusammen, bleiben jedoch bei Vögeln in der Regel fürs ganze Leben gesondert?. Es erscheint daher als gerechtfertigt, wenn ich auch für Emys lutaria — welche gleichfalls ein rings umschlossenes Fo- ramen pubo-ischiadicum besitzt — die bei anderen Formen onto- genetisch früher auftretende Verbindung zwischen den peripheren Enden des Pubis und Ischium derselben Beckenhälfte einer geson- derten Betrachtung unterziehe. 1 Zunächst ist dieser Entwicklungsmodus von AL. BUNGE loco cit. an Triton cristatus festgestellt. Meine an Embryonen von Trition taeniatus und Siredon pisciforme angestellten Untersuchungen haben zu demselben Resultate geführt. 2 Strutio besitzt ausnahmsweise eine ventrale Symphysis Pubis; Rhea zeigt eine ausgedehnte dorsale Symphysis Ischii. Uber die Bedeutung dieser Verhältnisse cf. Morph. Jahrb. Bd. XIII. pag. 283 Anmerkung. Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengiirtels d. Emys lutaria taurica. 545 Für Vögel und Säugethiere ist der Nachweis geliefert, dass an- fänglich zwei gesonderte Knorpel vorliegen, welche erst im Laufe der Entwicklung unter einander verwachsen und so den später ein- heitlichen ventralen Abschnitt des Beckengürtels liefern. Berück- sichtigt man jedoch hierbei, dass in Ausnahmefällen bei Vögeln (Huhn) und Reptilien (Lacerta vivipara) schon bei der ersten knorpeligen Differenzirung ein geweblicher Zusammenhang der beiden ventralen Beckenkomponenten beobachtet ist und für das Huhn eine Verkür- zung der Entwicklung resp. Connascenz konstatirt ist!, so ergiebt sich demgemäß auch für Emys die Auffassung, dass der gewebliche Zusammenhang von Pubis und Ischium derselben Beckenhilfte gleich- falls durch eine Verkürzung der Entwicklung resp. Connascenz er- klärt werden müsse. Der einzige Unterschied bestände darin, dass beim Huhne und bei Lacerta vivipara primär ein Zusammenhang der acetabularen Enden des Pubis und Ischium zum Ausdrucke gelangt; beim Huhne verwachsen erst sekundär die peripheren Ab- schnitte. Bei Emys lutaria taurica hingegen liegt zunächst ein Zu- sammenhang der peripheren Abschnitte des Pubis und Ischium vor und erst sekundär gelangen die acetabularen Enden zur Ver- wachsung. Dieser Anschauung gemäß müsste man die Annahme machen, dass überhaupt bei Emyden die peripheren Abschnitte der beiden ventralen Beckenkomponenten früher unter einander verwach- sen als die acetabularen Enden. Eine solehe Voraussetzung findet ihre Analogien bei Säugethieren, bei welchen gleichfalls zunächst die peripheren Abschnitte des knöchernen Pubis und Ischium ver- wachsen und sodann erst relativ sehr spät die acetabularen Enden nachfolgen?. Für jede Beckenhälfte gesondert ist somit der gewebliche Zu- sammenhang von Pubis und Ischium auf Grund von analogen und 1 Morph. Jahrb. Bd. XIII pag. 282 und Bd. XV pag. 109 und 110. 2 Für den Menschen ist es schon seit langer Zeit bekannt, dass zwischen dem fünften und sechsten Jahre die peripheren Enden des Pubis und Ischium verwachsen, während die acetabularen Abschnitte bis zur Pubertätszeit getrennt bleiben. Auch bei anderen jugendlichen Säugethieren habe ich Pubis und Ischium peripher verwachsen im Acetabulum, jedoch getrennt gefunden, und zwar bei Viverra civetta Cynocephalus babuin Cercopithecus collaris Telis domestica - sphinx - engythitea Tapirus indicus Pithecus satyrus - cephus Cavia cobaya Es handelt sich somit nicht bloß um ein auf den Menschen und die Qua- drumanen beschränktes Vorkommnis, sondern es scheint sich vielmehr um eine auch für andere Säugethiere gültige Gesetzmäßigkeit zu handeln. 546 Ernst Mehnert im Prineip gleichen Beobachtungen der Deutung zugänglich. Für den in der Medianlinie bestehenden primären Zusammenhang beider Beckengürtelhälften finde ich keine gleiche oder analoge Beobachtung. Wie erwähnt, hat zuerst AL. Bungs festgestellt, dass bei Am- phibien, Reptilien und Vögeln jede Beckengürtelhälfte sich gesondert anlegt und es erst sekundär bei Amphibien und Reptilien in der Mittellinie zu einer Symphysenbildung kommt. Meine persönlichen, zum Theil schon in früheren Publikationen der Öffentliehkeit über- gebenen Erfahrungen, erstrecken sich auf über 30 Repräsentanten von Amnioten und Anamnier und vermag ich in dieser Beziehung die Beobachtungen BunGe’s nur zu bestätigen!. Ich bin daher in der Lage, gestützt auf zahlreiche gleichlautende Untersuchungser- gebnisse, die Ansicht auszusprechen, dass der schon bei der ersten knorpeligen Differenzirung hervortretende Zusammenhang beider Beckengürtelhälften der Emys lutaria keineswegs im phylogeneti- schen Sinne primäre Verhältnisse darbietet, vielmehr es sich auch in diesem Falle um eine auf Connascenz beruhende Ausnahme- erscheinung handelt. Schon bei Besprechung der Beobachtung, dass der Beckengiirtel von Gallus domesticus bei seiner ersten knorpeligen Anlage Abweichungen zeigt von dem bei wildlebenden Vögeln aus- nahmslos festgestellten Verhalten, sah ich mich veranlasst, darauf hinzuweisen?, dass bei einer Vogelart eruirte Ergebnisse nicht ohne Weiteres als auch für andere Vögel geltend angesehen werden dür- fen. Zu demselben Resultate gelangte ich bei ‘der Untersuchung des Beckengürtels der Säugethiere, indem ich bei einigen derselben Verhältnisse fand, welche mit den von E. ROSENBERG beim Men- schen entdeckten Thatsachen differirten?. Dieses gilt auch für Rep- tilien. Bei Chelone midas und Lacerta agilis fand WIEDERSHEIM, dass Ilium, Ischium und Pubis sich als getrennte Knorpel anlegen?: bei Emys lutaria taurica stellte ich fest, dass nur das Ilium sich 1! In demselben Sinne spricht sich auch R. WIEDERSHEIM in drei vor- läufigen Mittheilungen aus. a) Zur Urgeschichte des Beckens. Berichte der naturforschenden Gesellsch. zu Freiburg in B. Bd. IV. 1889. pag. 27—30. b) Uber die Entwicklung des Schulter- und Beckengiirtels. Anatomischer Anzeiger. Nr. 14. 15. Juli 1889. pag. 430—440. c) Weitere Mittheilungen über die Entwicklungsgeschichte des Schulter- und Beckengiirtels. Mit 22 Abbildungen. 4. Januar 1890. Nr. 1. 2 Morph. Jahrb. Bd. XIII. pag. 292. 3 Morph. Jahrb. Bd. XV. pag. 110. 4 Anat. Anz. Nr. 14. 15. Juli 1889. pag. 437, 438. Untersuchungen über d. Entwickl, d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 547 selbständig anlegt, während bei Lacerta vivipara nach BuNGE jede Beckenhälfte als ein zusammenhängender Knorpelkomplex in Er- scheinung tritt!. Alle diese, erheblich von einander abweichenden Befunde sind, wie ich schon früher hervorhob — von einem Gesichtspunkte aus betrachtet — durch Annahme einer Verkürzung der Entwicklung resp. Connascenz der Deutung zugänglich. Bei Gallus domesticus suchte ich die Connascenz mit der Do- mestieation in einen gewissen causalen Connex zu bringen? Auch beim Menschen wäre demgemäß das abweichende Verhalten etwa dureh die durch Kultur hervorgebrachten veränderten biologischen Lebensverhältnisse zu erklären. Für Lacerta vivipara und Emys lutaria genügt diese Auffassung nicht. Nach Erweiterung meiner Erfahrungen muss ich jetzt eingestehen, dass zur Zeit die Frage, wesshalb bei einer Thierfamilie noch primitive Verhältnisse vor- liegen, bei einer nahe verwandten jedoch eine Verkürzung der Ent- wicklung entgegentritt, der Deutung durchaus noch nicht zugäng- lich ist. Ich will nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass der Ent- wicklungsmodus des Beckengürtels, insbesondere bei Emys lutaria taurica, in vieler Beziehung derart umgestaltet ist, dass er auf den ersten Blick als völlig isolirt und mit den bisherigen Erfahrungen unvereinbar scheint. Erst nach Eingehen auf die elementaren, bei den übrigen Thierformen eruirten Entwicklungsphasen gelingt es — wie ich es oben versucht habe — die abweichenden Befunde zu deu- ten. Es ist daher gerechtfertigt, wenn man die bei Emys ermittelten Verhältnisse nicht bloß als Fälschung der Ontogenie, sondern selbst als Fälschung des Entwicklungsplanes in dem Aufbau des Becken- gürtels bezeichnet. Die Ontogenie ist eine gefährliche Waffe. In einzelnen Fällen ist die Ontogenie allein dazu berufen, Licht in das Dunkel der Phy- logenie zu bringen. Durch Fälschung des Entwicklungsplanes ver- mag sie jedoch Irrthümer zu erwecken, irrthümlichen Anschauungen den Schein einer Berechtigung zu geben. Mit Recht hebt GEGEN- BAUR in einer diesbezüglichen Schrift hervor, dass die Ontogenie ein Gebiet ist, »auf dem beim Suchen nach phylogenetischen Be- ' Dissertation. pag. 34 und 53. 2 Morph. Jahrb. Bd. XIII. pag. 266 und 292. 548 Ernst Mehnert ziehungen eine rege Phantasie ein gefährliches Spiel treiben kann, aber sichere Ergebnisse keineswegs tiberall zu Tage liegen«'. Jetzt werde ich die weiteren, in der Medianlinie auftretenden Vorgänge ins Auge fassen. Zunächst wende ich mich zur Cartilago epipubis. Betrachtet man in den jüngsten Entwicklungsstadien den dureh die beiderseitigen Pubis repräsentirten vorderen Rand des Becken- gürtels (Fig. 1), so gewinnt man den Eindruck einer leicht ge- krümmten transversalen Linie. Man vermisst in der Mittellinie einen eranialwärts vorspringenden Knorpelfortsatz. Der knorpelige Becken- gürtel der Sumpfschildkröte lässt somit in seinem primitivsten Ver- halten ein Epipubis vermissen ?. 1 GEGENBAUR, Ontogenie und Anatomie in ihren Wechselbeziehungen be- trachtet. Morph. Jahrb. Bd. XV. pag. 5. 2 In einer Schrift »Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Wirbelthier- beckens auf Grund der Befunde an Protopterus annectens«. Inaug.-Dissert. Freiburg i. B. 1889 gelangt Oscar RÖMER zu folgenden »Resultaten«: » Bei der ersten Anlage des Dipnoerbeckens muss es sich um einen oralwirts vom vorderen Kloakenrand platzgreifenden Verknorpelungsprocess im Gebiet des fibrösen Gewebes der Linea alba handeln. Dieselbe greift von hier aus auf die anstoßenden Myocommata über und erreicht im Niveau der Artikulationsstelle der Extremitäten aus leicht erklär- lichen (mechanischen) Gründen seine stärkste Entfaltung.« In Betreff des Epipubis der Urodelen und Dactyletra finde ich folgenden Aus- spruch (pag. 24): »Alle diese, in der ventralen Mittellinie gelegenen Gebilde sind aus einem Verknorpelungsprocess des fibrösen Gewebes der Linea alba abdominis hervorgegangen (vgl. R. WIEDERSHEIM, 1. c.), und erscheint es nicht unmöglich, dass es sich nur noch um letzte inselartige Reste eines früher längs der ganzen ventralen Mittellinie sich erstreckenden kontinuirlichen Knorpel- bandes handelt.« Falls ich Oscar RÖMER recht verstehe, spricht er die Ansicht aus, dass primär eine Verknorpelung der Linea alba vorliegt und erst sekundär durch Übergreifen dieser Verknorpelung auf die lateralen Partien der Beckengürtel gebildet wird. Hierzu will ich nur erwähnen, dass schon vor 10 Jahren BUNGE bei Tri- ton cristatus den Nachweis geliefert hat, dass das Epipubis erst nachträglich am primären Beckengürtel entsteht. Auch bei Emys ist, wie ich hier ausdrück- lich hervorhebe, das Epipubis ein Sekundirgebilde. Für Tritonen giebt dieses jetzt auch WIEDERSHEIM zu (Anat. Anz. Nr. 14. 1889. pag. 435). Näher auf den Hypothesencyklus von OSKAR RÖMER einzugehen, scheint mir nicht geboten, zumal WIEDERSHEIM an demselben Untersuchungsobjekte zur entgegengesetzten Anschauung gelangt ist (Zur Urgeschichte des Beckens. Berichte der naturf. Gesellsch. zu Freiburg i. B. Bd. IV. 1889). WIEDERSHEIM stellt die » Hauptergebnisse« seiner »Untersuchung wie folgt zusammen« (l. e. pag. 30): »Den Schlüssel zum Verständnisse der ersten Ent- Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengiirtels d. Emys lutaria taurica. 549 In einem späteren Entwicklungsstadium findet man an dem vor- deren Rande des Beckengürtels eine in der Mittellinie gelegene Zell- wucherung, welche einen, relativ nur geringe Größe aufweisenden, eranialwärts gerichteten Gewebszapfen bildet. Bei älteren Embryonen habe ich eine successive Größenzunahme des, Epipubis und gleichzeitig mit derselben eine gewebliche Diffe- renzirung zu typischem Knorpelgewebe beobachtet. Erst relativ spät (L. d. Rknseblds. 15 mm) zeigt das Epipubis in Bezug auf den übri- gen Beckengiirtel etwa die Proportionen, wie sie an dem Epipubis ausgewachsener Schildkröten vorliegen (cf. Fig. 8, 9, 10, 11). In keinem einzigen Falle vermochte ich bei Embryonen der Sumpfsehildkröte das Epipubis vom übrigen Beckengürtel scharf ab- zugrenzen. Jede Andeutung einer Trennung fehlt, weil das Knorpel- gewebe des Beckengürtels kontinuirlich und ganz allmählich in den an Intercellularsubstanz ärmeren Knorpel des Epipubis übergeht. Auch bei jungen Schildkröten hängt das Epipubis innig mit dem Beckengiirtel zusammen (Fig. 7, drei Monate nach dem Ausschlüpfen). Eine scharfe Abgliederung, somit Selbständigkeit des Epipubis, wie ich sie in zwei Fällen beobachtet und in Fig. 8 und 10 abgebildet habe, tritt erst bei ausgewachsenen Exemplaren entgegen!. BeiEmyslutaria tauriea gliedert sich somit das Epi- pubis erst sekundär vom Beckengiirtel ab?. stehung des Wirbelthierbeckens bieten die Verhältnisse von Protopterus. Hier sehen wir das fibröse Gewebe eines nach vorn von der Kloake gelegenen Myocom- mapaares durch einen Verknorpelungsprocess auf eine höhere Stufe der Binde- substanz sich erheben. Die betreffenden Knorpelzonen fließen in der Linea alba abdominis unter Bildung einer unpaaren Platte mit einander zusammen.« »Das Wirbelthierbecken verdankt also seine erste Entstehung einem Verknorpelungsprocess eines Paares von Myocommata oder, um mich eines Ausdruckes der menschlichen Anatomie zu bedienen, von Inscriptiones tendineae der ventralen Rumpfmuskel.« In zwei neueren Publikationen (Anat. Anz. Nr. 14. 15. Juli 1889. pag. 430 und Anat. Anz. Nr. 1. 4. Januar 1890) giebt WIEDERSHEIM diesen Standpunkt wieder auf und stellt neue Gesichtspunkte auf, deren Besprechung erst nach Erscheinen des ausführlichen, über diesen Gegenstand in Aussicht gestellten Hauptwerkes möglich sein wird. 1 Bereits vor 21 Jahren hat Brenm das Epipubis einer Schildkröte als einen selbständigen Skelettheil abgebildet (Thierleben. Bd. V pag. 18 obere Figur). Seine Zeichnung stimmt in Betreff des Epipubis fast genau mit meiner Fig. 10 überein. Es erscheint mir dieses um so erwähnenswerther, da bisher selbst Forscher, welche den Beckengürtel der Schildkröten einer Specialunter- suchung zu Grunde gelegt haben, einer Selbständigkeit des Epipubis bei Schild- kröten nicht Erwähnung thun. 2 Bei den meisten ausgewachsenen Urodelen ist das Epipubis ein selb- 550 Ernst Mehnert Ich finde, dass der von mir bei Emys lutaria beobachtete Ent- wicklungsmodus des Epipubis im Prineip übereinstimmt mit dem von BunGE bei Triton eristatus thatsiichlich ermittelten Verhalten. so dass eine Homologie beider Gebilde außer jedem Zweifel er- scheint. Bei Urodelen bleibt das Epipubis knorpelig (mit Ausnahme von Salamandra perspieillata). Bei alten Sumpfschildkröten schwindet der Knorpel vollständig durch diffuse Ablagerung von Kalksalzen (Fig. 9 und 11). Bemerkenswerth scheint mir, dass das Epipubis ausgewachsener Exemplare desselben Geschlechtes, desselben Verbreitungsbezirkes individuell große Schwankungen in Bezug auf Form und Größe auf- weist. In Fig. 8, 9, 10 erblickt man ein relativ breites und stum- pfes Epipubis, während das in Fig. 11 zur Abbildung gelangte Epi- pubis in eine schlanke Spitze ausläuft. An dieser Stelle will ich eines eigenthümlichen, in theoretischer Hinsicht Interesse bietenden Befundes gedenken, welchen ich bei dem Epipubis feststellte. Schon in einem so frühen Stadium, in welchem das Epipubis noch aus einem Gewebe besteht, welches keine Spur von Knorpel- intercellularsubstanz erkennen lässt, finde ich stets an der inneren, der Peritonealhöhle zugekehrten Fläche des Epipubis eine gruben- artige Vertiefung, in welche lockeres Bindegewebe eingelagert ist. Diese Furche verläuft genau in der Mittellinie und erreicht nicht die Spitze des Epipubis. Bei einem älteren Embryo (L. d. Rknschlds. 11 mm) ist diese Furche besonders stark ausgeprägt und dringt relativ weit in den Knorpel hinein (Fig. 12 /n.cep). In den ersten Schnitten dieser ständiger, vor dem Beckengürtel gelegener Knorpel (C. K. HOFFmAnn, Niederl. Archiv für Zoologie. Bd. III. Taf. X). BuNGE macht in Bezug auf das Epipubis bei Triton eristatus folgende Angabe (l. e. pag. 20): »In diesem wie im vorhergehenden Stadium ist der das Epipubis bildende Knorpel mit dem der beiden Beckenplatten verbunden, doch zeigen die Zellen an der Übergangsstelle eine Anordnung, die eine Ab- grenzung der betreffenden Skelettheile gegen einander möglich macht.« Bei ausgewachsenen Tritonen ist das Epipubis durch ein straffes Bindegewebe mit dem Beckengürtel verbunden. Aus diesen Beobachtungen folgt, dass auch bei Tritonen das Epipubis sich erst sekundär vom Knorpel des Beckengürtels abgliedert. Die von BuNGE bei Embryonen nachgewiesene eigenthümliche Anordnung der Knorpelzellen ist als erstes Anzeichen einer beginnenden Abgliederung des Epipubis aufzufassen. Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengiirtels d. Emys lutaria taurica. 551 Serie ist dieser Spalt schräg angeschnitten und man gewinnt so das trügerische Bild, als handle es sich um einen in der Achse des Epi- pubis gelegenen Kanal (Fig. 13 /ne.ep). Ältere Embryonen zeigen nur eine seichte, oft verwischte Furche. An dem Epipubis ausgewachsener Schildkröten vermisse ich in den meisten Fällen irgend eine Vertiefung. Nur in einem Falle fand ich an dem noch knorpeligen Epipubis eine seichte Furche, welche schon mit bloßem Auge deutlich sichtbar, insbesondere aber bei durchfallendem Lichte als exquisit diaphane Stelle hervortritt. Es ergiebt sich die Frage nach der morphologischen Bedeutung dieser besonders bei Embryonen deutlich ausgeprägten, im späteren Alter verwischten, oft ganz fehlenden Furche. Zunächst suchte ich bei ausgewachsenen Schildkröten naeh mor- phologischen Beziehungen dieser Furche zu den umgebenden Weich- theilen. Eine sorgfältige Präparation dieser Gegend hat mich be- lehrt, dass die Innenfläche des Epipubis ausschließlich zum Ansatz von bilateral symmetrisch abgehenden mächtigen Muskelbündeln dient. Ich vermochte keinerlei anatomische Verhältnisse zu eruiren, welche mit dem Vorkommen einer unpaaren Furche irgend wie in Zusammenhang gebracht werden konnten. Ich hebe hervor, dass bei Embryonen und auch beim ausge- wachsenen Exemplare (Fig. 8) die Epipubisfurche nie die Spitze er- reicht (ich habe besonders nach diesem Verhalten gesucht), sondern nur auf den mittleren Abschnitt des Epipubis beschränkt bleibt. So- mit darf diese Furche nicht etwa als letzte Andeutung einer bei Urodelen sekundär auftretenden Gabelung der Epipubisspitze! ge- deutet werden. Schon ein flüchtiger Blick genügt, um festzustellen, dass das Epipubis mit seiner Basis beiden Beckengürtelhälften in gleichem Maße aufsitzt (Fig. 8, 9, 10, 11). Da beide Beckengürtelhälften als ursprünglich getrennt aufgefasst werden müssen, die Entwieklung je- doch zeigt, dass das Epipubis das anatomische Substrat zu seinem Aufbau beiden Beckengürtelhälften in gleichem Maße entlehnt, so ergiebt die Überlegung, dass auch das Epi- pubis im morphologischen Sinne gleichfalls als ein ursprünglich paariger Skelettheil betrachtet werden muss. Zwar lässt sich der anatomische Beweis nicht in allen Fällen liefern, denn bei Triton eristatus und Emys ist das Epipubis von Anfang an ein unpaarer 1 BUNGE, |. c. pag. 20. 552 Ernst Mehnert Skelettheil. Dieses ist jedoch kein Gegenbeweis, seitdem die Er- fahrung gezeigt, dass zweifellos gesonderte Skelettheile bei ihrer ersten knorpeligen Differenzirung zusammenhängend getroffen wer- den können. In solchen Fällen kann und darf nicht eine möglicher- weise durch Connascenz oder Fälschung der Ontogenie mehr oder minder entstellte Einzelbeobachtung als beweisend aufgefasst wer- den. So lange leider auf übrige Amphibien und besonders Chelonier (Trionyx und Macroclemys) und Hatteria ausgedehnte embryologische Beobachtungen über diesen Gegenstand noch nicht vorliegen, vermag nur eine theoretische Überlegung entscheidend zu sein, und diese führt, wie ich oben hervorhob, zum zweifellosen Ergebnisse, dass das Epipubis als ursprünglich paariger Skelettheil aufgefasst werden muss. Bei Testudo mauritanica setzt sich das Epipubis — wie eine von SABATIER gegebene Zeichnung auf das deutlichste erkennen lässt! — aus zwei symmetrischen, durch eine mediane Naht von einander getrennten Stücken zusammen. Demgemäß trage ich auch kein Bedenken, die von mir bei Emysembryonen festgestellte mediane, später schwindende Epi- pubisfurche als Andeutung einer ursprünglich in der Medianlinie bestandenen Trennung des Epipubis zu deuten. Auch bei dem relativ sehr niedrig stehenden Menobranchus la- teralis finde ich am Beckengürtel Verhältnisse, welche meine Auf- fassung stützen. In einer Abbildung, welche C. K. Horrmann giebt?, finde ich, dass die Symphyse sich nicht nur auf Ischium und Pubis, sondern auch auf das Gebiet des Epipubis erstreckt. In einer anscheinend einem älteren Exemplare von Menobran- chus nachgebildeten Zeichnung von HyrrL? sind beide Beckengürtel- hälften, somit auch die anfänglich getrennten Partien des Epipubis, verschmolzen angegeben. Aus diesen Befunden ist der Schluss gestattet, dass auch bei Menobranchus das später einheitliche Epipubis durch Verschmelzung i Comparaison des ceintures et des membres antérieures et postérieures dans la série des vertébrés par ARMAND SABATIER. Extrait des Mémoires de lacadémie des sciences et des lettres de Montpellier. Section des sciences. Tome IX. Montpellier 1880. Planche XV fig. 11. 2 Niederländisches Archiv für Zoologie. Bd. III. Taf. X Fig. 6. 3 J. Hyrrt, Cryptobranchus japonicus. Wien 1865. Taf. VII Fig. 5. Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengiirtels d. Emys lutaria taurica. 553 zweier, beiden Beckengürtelhälften angehörigen Knorpelabschnitte entsteht. Gegen diese Deutung könnte vielleicht der Einwand erhoben werden, dass der beim ausgewachsenen Menobranchus in auffälliger Weise vorspringende Knorpelzapfen (cf. Abbildung von HyrTL) gar nicht — wie ich es thue — als Epipubis gedeutet werden dürfe, weil es nicht, wie bei anderen Urodelen, ein selbständiger Knorpel ist. Dieser Einwand hat seine Beweiskraft völlig verloren, seitdem meine Untersuchungen ergeben, dass das Epipubis bei Emys primär mit dem Beckengiirtel innig zusammenhängt, von ihm aus seine Entstehung nimmt und erst nachträglich sich abgliedert und dadurch erst sekundär selbständig wird. Bei Menobranchus liegen somit in Bezug auf das Epipubis noch relativ primitive Verhältnisse vor. Das Verharren jeder Epipubishälfte im innigen primitiven Zu- sammenhange mit der ihr entsprechenden Beckengürtelhälfte, das exceptionelle Vorkommen eines Hypoischium-Rudimentes!, das ex- ceptionelle Ausbleiben eines Pfannenschlusses?, das primitive Ver- halten der Beekennerven3 — alles Dieses zusammengenommen spricht dafür, dass der Beckengiirtel von Menobranchus exceptionell primi- tive Verhältnisse darbietet; daher erscheint es auch durchaus ge- rechtfertigt, die in der von HorrMann gegebenen Abbildung her- vortretende, sich auch auf das Gebiet des Epipubis erstreckende Symphysenbildung als eine ursprüngliche primitive Einrichtung zu deuten. Fasse ich das bei Emys und bei Menobranchus Ermittelte zu- sammen, so ergiebt sich die Auffassung, dass das Epipubis durch eine in der Medianlinie erfolgende Verschmelzung zweier erst sekundär auftretenden, beiden Becken- gürtelhälftenangehörigen Knorpelabschnitten entsteht. Dieser einheitlich gewordene mediane Knorpelfortsatz steht anfänglich mit den knorpeligen Pubis in einem ! Näheres pag. 563 der vorliegenden Abhandlung. 2 Die meisten Amphibien besitzen eine undurchbrochene Gelenkgrube. Nur bei Menobranchus und Proteus ist der Boden des Acetabulum durchbrochen (C. K. Horrmann, 1. e. pag. 146). Dieses, die embryonalen Verhältnisse wie- dergebende Verhalten findet sich auch in anderen Wirbelthierklassen bei ein- zelnen niedrig stehenden Repräsentanten derselben. Unter Reptilien bei Cro- codilinen; unter Säugethieren bei einigen Monotremen und Marsupiliern. Am meisten verbreitet ist eine durchbrochene Gelenkgrube bei Dinosauriern gewesen (Sauropoden und Ornithopoden), und bei jetzt lebenden Vögeln. 3 C. K. Horrmann, |. c. pag. 149, 150 und pag. 154 (2). Morpholog. Jahrbuch. 16. 36 554 Ernst Mehnert kontinuirlichenZusammenhange, gliedert sich erst nach- träglich von demselben ab und wird dadureh zu einem selbständigen. vor dem Beekengürtel gelegenen Knor- pel!. Bei Reptilien bleibt das Epipubis relativ breit und kurz und verjüngt sich cranialwärts nur bei Emys in eine Spitze (Fig. 11 Bei Dactylethra schwillt das Epipubis kolbig an. Bei den Urodelen tritt als weitere Sekundärerscheinung eine Gabelung des vorderen Endes ein. An dem Beckengürtel ausgewachsener Sumpfschildkröten habe ich einen in der Mittellinie zwischen den medialen Enden der Ischia an der Außenfläche des Beckengürtels gelegenen Kamm als Crista mediana ischii beschrieben (pag. 541) und in Fig. 8 und 9 abge- bildet (Orst.med.isch). Schon in den frühesten Entwicklungsstadien des Beckengiirtels finde ich diesen Kamm angedeutet, jedoch entwickelt sich m ihm erst relativ spät Knorpelgewebe, etwa zu derselben Zeit wie in dem Epipubis. Bei ausgewachsenen Sumpfschildkröten bleibt die Crista mediana in ihrer mittleren Partie knorpelig und wird jederseits von einer Knochenlamelle des Ischium eingescheidet (Fig. 8). Bei sehr alten Exemplaren gelangt der Knorpel der Crista mediana — eben so wie ich es für das Epipubis angegeben habe — völlig zum Schwunde durch diffuse Ablagerung von Kalksalzen (Fig. 9). Bei Urodelen erhebt sich in der Mittellinie an der Stelle, an welcher beide Beckengürtelhälften zusammenstoßen, eine leistenartige Erhebung. Die Crista mediana der Emys würde demnach gleichfalls als ein erst durch den Zusammentritt beider Beckengürtelhälften entstehendes Sekundärgebilde aufzu- fassen sein. Bei ausgewachsenen Sumpfschildkröten bleibt die Crista mediana nur auf das Gebiet der Ischia beschränkt und erstreckt sich weder auf die Synchondrosis resp. Symphysis Pubis, noch überragt sie caudalwärts den durch die beiden Ischia gebilde- ten hinteren Rand des Beckengürtels (Fig. 8, 9). ! In einer früheren Publikation »Salamandrina perspicillata und Geotriton fuscus« deutete R. WIEDERSHEIM das Epipubis auf gleiche Weise. Er sagt (pag. 142), dass das Epipubis »als ein erst sekundär von der knorpeligen Pars pubica resp. deren Verlängerung zur Symphysenbildung abgegliedertes Ge- bilde« sei. In neuerer Zeit hat WIEDERSHEIM diese Auffassung fallen gelassen. Untersuchungen üker d. Entwickl. d. Beckengiirtels d. Emys lutaria taurica. 555 Bei sehr jungen, jedoch schon ein freies Leben führenden Emy- den, insbesondere aber bei Embryonen, besitzt die Crista mediana in eranialer Richtung zwar genau dieselbe Ausdehnung wie bei aus- gewachsenen Exemplaren, in caudaler Richtung jedoch ist sie be- deutend länger und überragt als ein zapfenförmiger, der Kloake zu- gekehrter Fortsatz den hinteren Rand der Ischia (Fig. 7 Hyp.isch). Einen derartigen Fortsatz vermisse ich bei fünf, auf das sorg- fältigste präparirten Beckengürteln von ausgewachsenen Sumpfschild- kröten. Vergebens habe ich in der Litteratur nach gleichen Beob- achtungen bei Schildkröten gesucht. C. K. Horrmann, welcher den Beckengiirtel der Chelonier einer eingehenden Untersuchung unter- zogen hat, thut eines solchen Vorkommnisses weder in dem Texte noch in den Abbildungen seiner diesbezüglichen Arbeit Erwähnung!. Dagegen findet man bei vielen Sauriern? in der That einen als Hypoischium oder Os cloacae benannten Skelettheil, welcher mit den bei Schildkrötenembryonen beobachteten Knorpel in Bezug auf Gestalt und Lage übereinstimmt. Ich trage daher auch kein Be- denken, letzteren gleichfalls als Hypoischium zu bezeichnen’. Zunächst fasse ich die Entwicklung des Hypoischium bei Emys in Betracht. Erst relativ spät, zu derselben Zeit, wenn das Epipubis am vorderen Rande des Pubis in Erscheinung tritt, bemerkt man an dem hinteren Rande der Ischia gleichfalls eine kleine zellige Wu- cherung. In Fig. 2 ist ein Ventralschnitt durch den Beckengiirtel abge- bildet (L. d. Rknschlds. 6,5 mm). In der Mitte des Gesichtsfeldes, in der Region zwischen der Peritonealhöhle (Prth7h) und der Kloake (A7k), erblickt man einen etwa x-förmigen Knorpel. Der mediale 1]. c. pag. 166—174. Taf. XI Fig. 1—4. 2 a) l. ce. pag. 181. Taf. XI Fig. 5—8. b) H. GApow, Beiträge zur Myologie der hinteren Extremität der Rep- tilien. Morph. Jahrb. Bd. VII. pag. 343. Taf. XVII Fig. 7, 10. 3 GC. K. HorrmMann hat den Namen Hypoischium aufgestellt, während früher SPRING und LACORDAIRE den betreffenden Skelettheil als Os-, Fir- BRINGER als Cartilago cloacae bezeichnet haben. Letztere Namen schienen mir weniger passend, da sichere Beziehungen zur Kloake keineswegs nachzuweisen sind. Ich habe daher den indifferenteren Namen Hypoischium beibehalten. Postischium für Hypoischium und Präpubis für Epipubis wären wohl die tref- fendsten Bezeichnungen, doch habe ich von ihrem Gebrauche Abstand genom- men, da letzter Name bereits für einen anderen Theil des Beckengürtels der Dinosaurier Anwendung gefunden hat. 36* 556 Ernst Mehnert unpaare Abschnitt ist das die beiderseitigen Foramina pubo-ischia- dica trennende Knorpelseptum. Die beiden der Peritonealhöhle be- nachbart gelegenen, längeren seitlichen Fortsätze sind Durchschnitte durch die in ihrer Längsrichtung getroffenen Pubis. Die beiden kürzeren, der Kloake zunächst gelegenen Fortsätze repräsentiren die an ihrer Ansatzstelle getroffenen Ischia. An der Stelle, an wel- cher Ischia und mediales Septum zusammenstoßen, erblickt man eine kleinzellige, zapfenartig gegen die Kloake vorspringende Zell- wucherung. Es ist dieses die erste Anlage des Hypoischium (Fig. 2 Hyp.isch). In Fig. 3 ist ein weiteres Entwicklungsstadium des Hypoischi- um abgebildet. Zwischen der Peritonealhöhle und der Kloake er- blickt man ein in der Mittellinie gelegenes rautenförmiges Knorpel- feld, welches zarten Muskelbündeln zum Ansatze dient. Die in eine scharfe Spitze verjüngte, der Peritonealhöhle zugekehrte Hälfte ist der Durchschnitt durch die Crista mediana ischiadica (Orst.med.isch . Die in ein stumpfes Ende auslaufende (der Kloake zugekehrte), je- derseits von zwei Gefäßdurchschnitten (Gef) begrenzte Partie ist der Durchsehnitt durch das in diesem Stadium schon junges Knorpel- gewebe aufweisende Hypoischium (Hyp.isch). Die Crista mediana geht somit kontinuirlich in das Hypoischium über!. Ich hebe hervor, dass in diesem Stadium das Hypoischium zum Ansatz von zarten, die Kloake umkreisenden, an den Schwanz in- serirenden Muskelbündeln dient. In späteren Stadien (L. d. Rknschlds. 15 mm) finde ich, dass mächtige Muskelmassen sich zwar an die Crista mediana ischii an- setzen, die laterale Fläche des Hypoischium jedoch nicht mehr zum Ansatze von Muskeln dient, vielmehr frei in lockeres Bindege- webe eingelagert ist (Fig. 5). Bei einem noch älteren Embryo (L. d. Rknschlds. 18 mm), bei welchem die Schnittrichtung in so fern giinstiger war, als das Hypoischium quer zu seiner Längsachse an- geschnitten, finde ich gleichfalls, dass caudale Muskelfasern nicht mehr an der Seitenfläche des Hypoischium inseriren, wohl aber sich in einer dieht unter dem Periost des in diesem Stadium schon bedeutend schlanker gewordenen Hypoischium zu einer starken, von ¢ 1 Durch Kombination von Fig. 3 mit Fig. 4, welche einen weiteren Schnitt derselben Serie repräsentirt, wird es dem Leser möglich sein, sich im Allge- meinen sowohl über die Konfiguration des Beckengürtels als auch über seine Beziehungen zum Hypoischium zu orientiren. Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengiirtels d. Emys lutaria taurica. 557 der Symphysis ischii bis zur Kloake reichenden Bindegewebsraphe vereinigen!. In früheren Entwicklungsstadien ist das Hypoischium der Emys lutaria relativ massig und annähernd eben so lang wie die betref- fende Crista mediana ischiadica. Beim Ausschlüpfen aus dem Ei ist das Hypoischium relativ kürzer und schlanker geworden. Bei einer jungen Schildkröte (drei Monate nach dem Ausschlüpfen; L. d. Rknschlds. 25,5 mm), deren Beckengiirtel ich sechsfach vergrößert in Fig. 7 abgebildet habe, ist das Hypoischium uur noch halb so groß wie die Crista mediana. Bei einem etwa einjährigen Exemplare (L. d. Rknschlds. 30,5 mm) und fünf ausgewachsenen Sumpfschild- kröten vermochte ich trotz sorgfältigster Präparation? ein Hypoischi- um nicht mehr zur Darstellung zu bringen. Überblicke ich das in Bezug auf das Hypoischium Ermittelte, so ergiebt sich, dass bei Emys lutaria das Hypoischium eine allmihliche Größenrückbildung erkennen lässt und spä- ter völlig schwindet. 1 Dieser Befund gewinnt an Interesse bei Erwägung der Thatsache, dass bei denjenigen Landsauriern, welche kein Hypoischium besitzen, der sonst am Hypoischium inserirende Muse. transversus perinei sich gleichfalls zu einer von der Symphysis ischii bis zur Kloake reichenden Bindegewebsraphe verbindet oder die Muskelbündel beider Seiten in der Mittellinie dickfleischig unter ein- ander zusammenfließen (GADow, Morph. Jahrb. Bd. VII. pag. 367. Fig. 36, 48, 49). Aus dieser Beobachtung ergiebt sich, dass bei einigen Landsau- riern die mediane Bindegewebsraphe statt eines Hypoischium vikarirend eintritt. Im Hinblick auf diese Verhältnisse ist es auch als durchaus wahrschein- lich anzunehmen, dass die bei Emydenembryonen unter dem Hypoischium ge- legene Raphe dieselbe Bedeutung hat wie bei einigen Landsauriern. Jedoch kann der Nachweis keineswegs geliefert werden, dass es dieselben caudalen Muskelfasern sind, welche in früheren Stadien am Hypoischium, in späteren an der Raphe inseriren. Möglicherweise handelt es sich um zwei verschiedene Muskelgruppen, von denen die eine sich rückbildet, die andere sich mächtiger ausbildet. Übrigens ist auch letztere, von GADow »Sphincter cloacae« ge- nannte Muskelgruppe keineswegs bei sämmtlichen ausgewachsenen Schildkröten wohl entwickelt. Während GADow bei Emys europaea, Emys serrata, Testudo tabulata, Testudo graeca einen deutlichen Sphincter cloacae nachweisen konnte, bezeichnet er ihn bei Testudo microphyes als »ganz unausgebildet« (GADoWw, l. c. pag. 370). * 2 Den Beckengiirte] sämmtlicher jungen Schildkröten (L. d. Rknschlds. 19,5 mm, 21 mm, 25,5 mm, 30,5 mm) präparirte ich vermittels Nadel und Pin- cette mit Zuhilfenahme einer Lupe. Ich betone, dass das Hypoischium nicht herauspräparirt zu werden braucht, vielmehr dasselbe — nach vorsichtigem Entfernen der äußeren Hautdecken — nur in ein lockeres Bindegewebe einge- bettet klar zu Tage liegt. 558 Ernst Mehnert Es musste mein Bestreben sein. die das Rudimentärwerden des Hypoischium bedingenden Grundursachen zu ermitteln. Wie ich oben erwähnt habe, verläuft in frühen Embryonalstadien bei Emyden vom Hypoischium aus ein System von Muskelfasern, welches in der Schwanzwirbelsäule seine Endigung besitzt. Erst nach dem Schwinden dieser Muskelgruppe tritt eine Rückbildung und Schwund des Hypoischium ein. Es musste daher der als Ursprungs- gebiet dieser Muskelgruppe erkannte Schwanz bei Cheloniern einer Prüfung unterzogen werden. Auf Grund von eingehenden neurologischen wie myologischen Untersuchungen war bereits früher GApow zu dem Resultate ge- langt!: »Bei vielen Schildkröten, z. B. bei Testudo und Emys, ist der Schwanz sehr stark verkürzt, vielleicht bis auf das größtmög- liche Maß.« Um diese Angabe auch für Emys lutaria zu prüfen, habe ich von verschiedenen Altersstufen die größte Länge des Riickenschildes und die bei demselben Exemplare ermittelte größte Länge des Schwanzes tabellarisch zusammengestellt. Größte Länge | Größte Länge Größte Länge Größte Länge des Rückenschildes3 | des Schwanzes# des Rückenschildes | des Schwanzes 12,5 mm 10,5 mm 60,5 mm 32 mm 19,5 mm 14,0 mm 65,0 mm 30 mm 25,5 mm 20,0 mm 67,0 mm 29 mm 30,5 mm | 24,0 mm 177,0 mm 74 mm? 59,0 mm 29,0 mm 153,0 mm | 67 mm? 60,5 mm | 28,5 mm 154,0 mm | 67 mm® ' H. Gapvow, Beiträge zur Myologie der hinteren Extremität der Reptilien. Morph. Jahrb. Bd. VII. pag. 368 Anmerkung. 2 Leider vermag ich gerade die jüngsten der mir zu Gebote stehenden Embryonen nicht in diese Tabelle aufzunehmen, da bei denselben der Schwanz meist stark gekrümmt oder angerollt, ausnahmsweise gestreckt ist. 3 Gemessen in der Mittellinie von der äußersten Spitze der Nuchalplatte bis zur äußersten Spitze der Pygalplatte. Cf. pag. 539. 4 Gemessen von der äußersten Spitze der Pygaiplatte bis zur äußersten Schwanzspitze. Morphologisch richtiger wäre es gewesen, falls ich von der Ausmündung der Kloake bis zur Schwanzspitze gemessen hätte. Von diesem Maße habe ich absehen zu müssen geglaubt, da sämmtliche Objekte nicht im frischen Zustande, sondern erst nach längerem Konserviren in Alkohol unter- sucht werden konnten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Alkohol bei Embryonen und bei den mehr ausgewachsenen Exemplaren eine verschieden starke Schrumpfung der Gewebe herbeizuführen im Stande ist, daher eine ver- schiedene Verlagerung der Kloakenausmündung nicht ausgeschlossen werden kann. 5 Lebende Exemplare. 6 Ausgewachsenes Exemplar Nr. 5. Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 559 Ein Vergleich beider Kolonnen führt zu dem Ergebnisse, dass mit der Größenzunahme des Rückenschildes auch der Schwanz an absoluter Größe zunimmt. Zieht man jedoch das Anfangs- und das Endglied dieser Kolonnen in Betracht, so fällt auf, dass beim Em- bryo der Schwanz nahezu die Größe des Rückenschildes erreicht, beim ausgewachsenen Exemplare jedoch seine Länge etwa nur !/, der Länge des Rückenschildes beträgt. Aus diesen Beobachtungen folgt, dass der Schwanz der Emyden im Laufe der Entwicklung eine rela- tive Größenabnahme erfährt, wie dieses bereits GADow postulirt hatte. Das Resultat steht somit fest. Der Schwanz der Schild- krötenembryonen imponirt anfänglich durch eine relative Länge und Dicke, trägt also völlig das Gepräge eines Saurierschwanzes; im Laufe der individuellen Entwick- lung nimmt der Schwanz relativ an Größe ab, bis er bei ausgewachsenen Exemplaren zu einem relativ kurzen, un- auffälligen Organe wird. Diese ontogenetische Thatsache findet ihre schönste Bestätigung in einem paläontologischen Befunde. Die jetzt lebende Chelydra serpentina zeigt — eben so wie Emys — in ihrer Jugend einen Schwanz, welcher eben so lang ist als das übrige Thier, im Alter jedoch nur !/; des Rückenpanzers misst'. Bei einer fossilen, aus dem Miocän stammenden, noch jungen Chelydra Murchisonii fand HERMANN VON MEYER, dass der Schwanz — trotzdem seine »äußerste Spitze mit dem Gestein weggebrochen« — eben so lang war als die Länge des Rückenpanzers; bei einer ausgewachsenen Chelydra Murchisonii jedoch nur ?/; der Länge des Rückenpanzes betrug ?. Aus dieser schönen Entdeckung von HERMANN VON MEYER er- giebt sich, dass die noch heut zu Tage zu beobachtende Längen- reduktion des Schwanzes der Schildkröten schon im Miocän stattfand. Schon zu jener Zeit hatte dieser Process bei verschiedenen Spe- cies auch verschiedene Fortschritte gemacht, wie das Vorkommen der relativ kurzschwänzigen Chelydra Decheni? beweist. Da ein System von Muskelfasern Hypoischium und Schwanz 1 SCHLEGEL, Fauna japonica. Reptilien. pag. 40. 2 »Uber Chelydra Murchisonii und Chelydra Decheni« von HERMANN VON MEYER. Palaeontographica. Bd. II. pag. 244. 3 Ein noch unausgewachsenes Exemplar dieser Species zeigt einen Schwanz, der nur halb so lang war wie das zugehörige Rückenschild. Palaeontographica. Bd. II. pag. 244. 560 Ernst Mehnert unter einander verbindet, liegt es durchaus nahe, bei Emyden das Rudimentärwerden des Hypoischium in Beziehung zu bringen mit der relativen Rückbildung des Schwanzes. Jetzt erwächst die neue Aufgabe, die ursächlichen Momente nachzuweisen für die schon bei Reptilien beginnende, jedoch erst in der Klasse der Vögel ihr Maximum erreichende Rückbildung des Saurierschwanzes. Von morphologischen Gesichtspunkten aus betrachtet erscheint der verkürzte Schwanz der Schildkröten als ein bedeutungsloses Rudiment, jedoch lehrt die Erwägung physiologischer Thatsachen, dass der Schwanz ausgewachsener Emyden ein funktionirendes Or- gan ist. Da zwischen der Funktion und morphologischen Ausbildung resp. Umbildung der Organe durchaus innige, einander bedingende Wechselbeziehungen bestehen, glaube ich meine Beobachtungen auf ersterem Gebiete auch an dieser Stelle zum Ausdruck bringen zu dürfen. Der bei Embryonen der Chelonier resp. Sauropsiden vorkom- mende kegelförmige Saurierschwanz ist phyletisch als Umformungs- produkt eines Ruderschwanzes entstanden zu denken!. Bei den schon Luft athmenden Schildkröten hat der Schwanz seine ursprüng- liche Aufgabe als Ruder zu wirken verloren und erscheint desshalb seine Längenreduktion durchaus erklärlich. Bei Emys lutaria treten in Folge der veränderten Lebensbedingungen neue Funktionen an den Schwanz und er tritt gewissermaßen in den Dienst der Fort- pflanzungssphäre?. Die Sumpfschildkröten bedienen sich seiner zum Ausgraben ihres Nestes, wie schon Mrram früher festgestellt hatte. Die betreffende Stelle lautet: die Emys »bohrt mit ihrem Schwanz, den sie in drehende Bewegung bringt, eine Höhlung, welche oben weiter, unten enger ist®. Reicht die Länge des Schwanzes nicht 1 Derselbe Vorgang wiederholt sich ontogenetisch noch heut zu Tage in gewissen Phasen der Metamorphose des Schwanzes der Batrachierlarven und der Larven des Siredon pisciforme. 2 Es ist dieses ein interessantes Beispiel von Anpassung eines ursprüng- lich anderen Zwecken dienenden Organs an neue Funktionen. Ein ähnliches Beispiel erwähnt GADow in dem Kletterschwanze der Chamaeleonten (I. c. pag. 368 Anm.) Von denselben Gesichtspunkten aus muss der Flugschwanz der Vögel und Pterodactylen gedeutet werden. Es sei hier auch auf die eigen- thümliche Funktion des Schwanzes bei der Aeneasratte (Didelphys dorsigera) hingewiesen. 3 Bei Emys lutaria taurica ist die Eingangsöffnung zum Neste trichter- förmig erweitert; dann folgt ein verschieden langer, gleich breiter, senkrechter Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 561 mehr hin, um tiefer zu bohren, so schaufelt sie wechselnd mit dem rechten, dann mit dem linken hinteren Fuße das Loch weiter«!. Wiederholt habe ich mich aus allernächster Nähe? von der gerade- zu verblüffenden Geschicklichkeit überzeugt, mit welcher die Sumpf- schildkröte vermittels ihres Schwanzes im Verlaufe einer halben Stunde 7—S em tiefe Löcher zu graben im Stande ist. Es erscheint diese Geschicklichkeit um so auffallender, wenn man bedenkt, dass das Graben eines Nestes durch Intervalle von einem Jahre von ein- ander geschieden ist und bis jetzt noch keine Beobachtungen vor- liegen, dass in der Zwischenzeit der Schwanz auf gleiche Weise Verwendung findet. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass mit dem Eintreten des Schwanzes der Emyden in den Dienst der Fortpflanzungssphäre auch eine verschiedene Inanspruchnahme der ursprünglichen Muskel- gruppen einhergehen muss; es lässt sich sehr wohl denken, dass mit diesem Funktionswechsel und mit der gleichzeitigen Längen- reduktion des Schwanzes auch gewisse Muskelgruppen außer Funk- tion gesetzt sein können und eine Rückbildung erlitten haben mögen oder vielleicht durch Verschiebung ihrer Insertionspunkte sich an neue Leistungen adaptirt haben. Letztere Annahme besitzt für die anfänglich hypoischio-caudale Muskelgruppe einige Wahrscheinlichkeit, seitdem es mir gelungen ist festzustellen, dass die caudale Muskulatur in späteren Stadien in einer unter dem sich rückbildenden Hypoischium gelegenen binde- gewebigen Raphe zusammentreten (pag. 557 Anmerkung 1). Zu einem sehr interessanten, in mancher Beziehung ähnlichen Ergebnisse gelangte Gapow beim Studium der Hypoischiummusku- latur. Gapow fand bei Sauriern, dass der mit seiner Hauptmasse vom Hypoischium entspringende Musculus transversus perinei an der Tibia Kanal, welcher sich nach unten zu flaschenförmig ausbaucht. In diesen unteren Abschnitt deponirt die Schildkröte in zwei über einander gelagerten Etagen 8 bis 18 Eier. Die Eier sind stets nach demselben Princip gruppirt. Die in der Peripherie gelagerten Eier sind so angeordnet, dass sie mit ihren Längs- achsen einen Ring beschreiben. Die in der unteren Etage befindlichen Eier sind stets bedeutend zahlreicher als in der oberen. 1 Citirt nach BREHM. Thierleben. Bd. V. pag. 90. 2 So scheu auch sonst Sumpfschildkröten sind, wenn sie mit dem Eier- legen beschäftigt sind, kann man sich ihnen bis auf einige Schritte nähern, ohne sie irgend wie zu stören. Gleiche Beobachtungen für Chelone midas er- wähnt Bream. Thierleben. Bd. V. pag. 51. 562 Ernst Mehnert inserirt. Somit hat es den Anschein, als ob der M. transversus perinei ein wahrer Schenkelmuskel sei. Andererseits wies GADOW nach, dass der Musculus transversus perinei bei allen Sauriern von einem nur Schwanz und Aftermuskel innervirenden Nervenstamm versorgt wird. Diese einander widersprechenden Ergebnisse suchte Gapow durch folgende Annahme zu erklären: »Wir können den M. transversus perinei demnach nur als vorderstes ventrales, selbständig gewor- denes Stück des ursprünglichen M. lateralis caudae betrachten!.« Die von GADOW somit ausgesprochene Hypothese, dass bei Sau- riern der vom Hypoischium zur Tibia verlaufende Musculus trans- versus perinei ursprünglich einem caudalen Muskelsysteme angehörte, findet durch meine Untersuchungsergebnisse eine wesentliche Stütze, denn bei Embryonen der Emys lutaria taurica lassen sich noch, wie aus Fig. 3 hervorgeht, Beziehungen des Musculus transversus perinei zum Schwanze nachweisen. Fasst man das bisher in Bezug auf das Hypoischium und seine Beziehungen Ermittelte zusammen, so gelangt man zu folgendem Gesammtüberblicke: Das Hypoischium zeigt sowohl in Bezug auf die Zeit als auch in Bezug auf den Modus seiner An- lage völlige Übereinstimmung mit dem Epipubis. Wäh- rend jedoch das Epipubis sich abgliedert und fürs ganze Leben bestehen bleibt, verbleibt das Hypoischium im primitiven Zusammenhange mit dem Beckengürtel und erleidet eine allmähliche Reduktion. In den ersten Mo- naten des freien Lebens ist das Hypoischium in reducirter Form noch nachzuweisen, schwindet jedoch später und wird bei ausgewachsenen Formen ausnahmslos vermisst. Als ursächliches Moment für die völlige Reduktion des Hypo- ischium, Schwund der hypoischio-caudalen Muskelgruppe und für die Längenrückbildung des Schwanzes sind vielleicht durch Änderungen der biologischen Lebensbedingungen und Anpassungen an die neuen Verhältnisse hervorgebrachten Änderungen der funktionellen Inan- spruchnahme resp. Ausschaltungen der betreffenden Organe zu be- trachten. Bei Urodelen fehlt ein Hypoischium?. In einem Falle hat je- doch HyrTL bei Menobranchus einen rautenförmigen Knorpel beob- GADow, I. ce. pag. 367. C. K. Horrmann, 1. c. pag. 148. 1 2 Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 563 achtet!, welcher von C. K. Horrmann für ein Hypoischium erklärt wird?. Es handelt sich somit in diesem Falle um Persistenz eines bei anderen Urodelen, so weit bekannt nicht mehr nachweisbaren, wohl aber bei Reptilien vertretenen, zum Theil auch schon in Re- duktion befindlichen Skelettheil. Das versprengte Vorkommen eines Hypoischium und eines Epi- pubis bei zwei so weit aus einander stehenden Thiergruppen, wie jetzt lebende Reptilien und Amphibien?, berechtigt zu der Ver- muthung, dass beide Gebilde in einer früheren Zeit bei Am- phibien und Reptilien eine größere Verbreitung hatten, als sie heut zu Tage vorliegt®. Bei jetzt lebenden Urodelen ist beinahe ausnahmslos das Epi- pubis erhalten, das Hypoischium gelangt nur in Ausnahmefällen zur Beobachtung (Menobranchus). Unter jetzt lebenden Sauriern zeigen nur Hatteria und Gecko ein Epipubis, hingegen erreicht bei den übrigen Landsauriern das Hypoischium seine stärkste Größenentfaltung. Bei Emys lutaria taurica bleibt das Epipubis erhalten, das Hypo- ischium schwindet. Bei den übrigen Cheloniern zeigt nur Trionyx und Macroclemys Teminckii ein wohl ausgebildetes Epipubis. Bei letzteren besitzt das Epipubis drei eigene Knochenkerne°. 1 J. Hyrti, Cryptobranchus japonicus. Taf. VII Fig. 5. 2 Aus der von C. K. HorrMann gegebenen Darstellung (l. e. pag. 148) muss der Leser den Eindruck gewinnen, als bilde Hyrrt nur bei Cryptobran- chus ein Hypoischium ab. In dem von HorrmAnn citirten Werke habe ich vergebens bei Cryptobranchus nach einem derartigen Gebilde gesucht, wohl aber finde ich, dass HyRTL nur bei Menobranchus, Taf. VII Fig. 5, ein Hypo- ischium beobachtet hat. 3 Unter den Batrachiern besitzt nur Dactylethra ein Epipubis. C. K. HOFFMANN, I. c. pag. 162. Taf. X Fig. 12, 14. 4 Auch bei einigen niederen Säugethieren finde ich einen hypoischium- ähnlichen Knochen, und zwar bei Perameles lagotis Macropus (Halmaturus) Benetti Perameles nasuta Macropus major Perameles fasciata Macropus giganteus Didelphys guica Macropus rufus Pholidotus javanus Petrogalle pennicillata Castor fiber. Bei anderen Siiugethieren und bei Monotremen gelang es mir noch nicht, einen ähnlichen Knochen zu ermitteln. Ausführliche Mittheilungen über die Bedeutung dieser Befunde behalte ich mir vor. 5 Bei diesem Exemplare des Straßburger naturhistorischen Museums zeigt. 561 Ernst Mehnert In die Kategorie der am Beckengürtel erst sekundär auftreten- den Gebilde gehört der, mächtigen Muskelmassen zum Ansatz die- nende Processus lateralis pubis und Tuber ischii. Beide verknöchern auch von denen ihnen als Grundlage dienenden Beckenabschnitten. Die Verknöcherung des Pubis, Ilium und Ischium ist eine aus- schließlich corticale. Der röhrenförmige Knochenmantel wächst einerseits in die Länge, andererseits gewinnt er auch an Dicke und führt so zu einer Verdünnung des axialen Knorpelstranges. In Fig. 7 schimmert der axiale Knorpelfaden durch den dünnen Kno- chenmantel durch '. Nachdem ich meine bei Emys lutaria taurica festgestellten Er- fahrungen in Obenstehendem aus einander gelegt habe, will ich den prineipiellen Werth meiner Untersuchungsergebnisse prüfen. Ich will entscheiden, ob meine Befunde mehr für Voraussetzun- gen im Sinne von Bunce sprechen, welcher den primitiven Becken- gürtel der Chelonier als einen einheitlichen Skelettheil auffasste und das Foramen obturatorium (pubo-ischiadicum) durch Fensterung eines einheitlichen Puboischium entstanden denkt, oder ob die von mir aufgestellte Hypothese an Wahrscheinlichkeit gewonnen, dass dem Beckengiirtel der Chelonier anfänglich getrennte Bestandtheile zu Grunde liegen, welche erst später verwachsen. Bei Emys lutaria taurica habe ich zwar nur eine selbständige Anlage des Ilium beobachtet, jedoch habe ich im Acetabulum noch eine völlige Dreitheilung des Beckengürtels gefunden und nachge- wiesen, dass erst sekundär ein knorpelig einheitlicher Beckengürtel entsteht. Zu demselben Resultate gelangte WIEDERSHEIM bei Che- lone midas und Lacerta agilis. Durch diesen Nachweis hat die von BuxGE vertretene Anschau- ung wohl an Boden verloren. Die ganze Fensterungstheorie von Bunce beruht auf der einen auch das mediale, die beiden Foramina pubo-ischiadica trennende Septum zwei hinter einander gelegene, selbständige Ossifikationskerne. Der vordere Ab- schnitt wäre gewissermaßen als Hypopubis, der hintere als Epiischium zu be- zeichnen. ! Bei dem in Alkohol aufbewahrten Objekte lassen sich die einzelnen Ge- websarten keineswegs deutlich unterscheiden. Jedoch ist es möglich, durch Einlegen in koncentrirtes Glycerin, welches zu einer verschieden schnellen Auf- hellung der Gewebe, insbesondere des Knorpels führt, die von mir in Fig. 6 abgebildeten Verhältnisse auf das deutlichste hervortreten zu lassen. Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 565 Voraussetzung, dass der Beckengürtel der Urodelen ein einheitlicher Skelettheil ist. Diese Auffassung ist wohl heut zu Tage auch nicht mehr aufrecht zu erhalten, seitdem auch beim Beckengürtel der Urodelen getrennte Knorpel, welche erst sekundär unter einander verschmelzen, nachgewiesen sind!. Auch in Bezug auf die Genese des Foramen obturatorium (pubo- ischiadicum) ist die Auffassung Bunge’s als unzutreffend zu bezeichnen. Mit dem Nachweise, dass bei höheren Wirbelthieren Pubis und Ischium sich als gesonderte Knorpel anlegen, dass somit zwischen beiden ein anfängliches Spatium pubo-ischiadieum besteht, ist auch der Nachweis geliefert, dass ein rings von Knorpel umgebenes Fo- ramen pubo-ischiadicum, wie man es bei ausgewachsenen Formen findet. erst sekundär durch Verschmelzung der Enden des Pubis und Ischium entstehen kann. Diesen Vorgang habe ich bereits früher bei Vögeln und Säugethieren beobachtet und beschrieben. Während sich jedoch bei Vögeln und Säugethieren noch ein Verwachsen sowohl der peripheren als auch acetabularen Enden des Pubis und Ischium konstatiren lässt, vermochte ich bei Emys, in Folge der auf Connascenz zu begründenden Abweichung, nur noch ein Verwachsen der acetabularen Enden nachzuweisen. Das Prineip bleibt jedoch dasselbe, denn auch bei Emys lutaria taurica entsteht das Foramen pubo-ischiadieum erst sekundär durch Umwachsung resp. Verwachsung von Pubis und Ischium. Wenn gleich der Entwicklungsplan des embryonalen Foramen pubo-ischiadicum, somit auch die morphologische Bedeutung des- selben, bei allen höheren Wirbelthieren derselbe ist, so ist jedoch zu verzeichnen, dass schon die anfängliche Konfiguration desselben bei Embryonen der verschiedenen Amnioten sehr große Differenzen zeigt. Diese Unterschiede werden im späteren Leben noch größer, indem in jeder Thierklasse wesentlich verschiedene Entwicklungserschei- nungen auftreten, welche die endliche Gestaltung des Foramen pubo- ischiadieum in einer jeden Klasse eigenthümlichen Weise beeinflussen. Die Gestaltung des Foramen pubo-ischiadieum hängt allein ab von der Konfiguration des anfänglichen Spatium pubo-ischiadieum. Derselbe wird im Wesentlichen bedingt durch den Divergenzgrad des von Pubis und Ischium gebildeten Winkels. Bei Embryonen von Eidechsen und Crocodilinen liegen Pubis 1 WIEDERSHEIM, Anatomischer Anzeiger. Nr. 14. 15. Juli 1889, pag. 434. 566 Ernst Mehnert und Ischium anfänglich einander nahezu parallel, das zwischen ihnen gelegene Spatium pubo-ischiadicum wird gewissermaßen nur durch einen schmalen Spalt repräsentirt (Lacerta vivipara', Lacerta agilis?, Alligator lucius*, Crocodilus palustris 4, Crocodilus biporcatus® ., Später tritt, wie schon RATHKE hervorhob* und BuNnGE nachwies®, eine Zu- nahme der Divergenz von Pubis und Ischium ein, indem das Anfangs senkrecht zur Wirbelsiiule gerichtete Pubis sich nahezu parallel zu derselben lagert. Demgemäß nimmt bei Sauriern das Spa- tium pubo-ischiadicum an Größe stetig zu. Bei Vögeln finden wir das entgegengesetzte Verhältnis. Ins- besondere deutlich ausgeprägt ist bei wildlebenden Vögeln anfäng- lich eine Divergenz von Pubis und Ischium’. In diesem Stadium ist das Spatium pubo-ischiadieum daher noch relativ sehr groß. Später nimmt die Divergenz ab, bis Pubis und Ischium nahezu parallel sind’. In demselben Maße nimmt auch das Spatium pubo-ischiadi- cum an Größe ab, bis wir schließlich in dem kleinen Foramen ob- turatorium (pubo-ischiadieum) der meisten Carinaten® nur einen ver- schwindend kleinen Bruchtheil von dem primitiv mächtigen, zwischen Pubis und Ischium gelegenen Raum repräsentirt finden. Bei jetzt lebenden Ratiten'® und den Odontornithiden!! behält das Spatium 1 BunGE, Dissertation. pag. 28. 2 WIEDERSHEIM, Anatomischer Anzeiger. 15. Juli 1889. Nr. 14. pag. 438. 3 RATHKE, Untersuchungen über die Entwicklung und den Körperbau der Crocodile. Herausgegeben von W. FırrıcH. 1866. pag. 74, 75. 4 SEELEY, On the bone in Crocodila which is commonly regarded as the os pubis and its representative among the extinct Reptilia. Proceeding of the royal society of London. Vol. 43. No. 261. Abbildung pag. 240. 5 WIEDERSHEIM, Il. c. pag. 438. 6]. c. pag. 30. 7 Morph. Jahrb. Bd. XII. Taf. VIII Fig. 1 und 3. Text pag. 273 Fig. 4. 8 Hierzu erwähne ich, dass bei Vögeln Pubis und Ischium sich später so weit caudalwärts richten, bis sie der Wirbelsäule parallel gelagert sind (Morph. Jahrb. Bd. XIII. pag. 275). Also genau der den Reptilien entgegengesetzte Vorgang. 9 Z. B. Morph. Jahrb. Bd. XIII. Taf. VIII Fig. 4 und 5. 10 Struthio, Dromaeus, Rhea, Apteryx. Näheres in: »Die Skelette der straußartigen Vigel.« Abgebildet und beschrieben von Dr. E. D’ALTon d. J. Der vergleichenden Anatomie zweiter Theil. Heft I. Bonn 1827. 11 Odontornithes. A monograph of the extinct toothed birds of North America by Cu. Marsa. Memoirs of the Peabody Museum of the Yale College. Vol. I. New Haven 1880. Apatornis celer and Ichtyornis victor. Plate XXXII. Hesperornis regalis. Plate X. Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 567 pubo-ischiadicum auch bei ausgewachsenen Exemplaren seine primi- tiven relativ großen Dimensionen. Bei Emys lutaria beobachtet man weder eine Zunahme noch eine Abnahme der Divergenz zwischen den beiden ventralen Becken- gürtelkomponenten. Demgemäß findet hier auch keine Breitenver- größerung des Foramen pubo-ischiadieum statt. Auf den ersten Blick ist man allerdings geneigt zu vermuthen, dass das Foramen pubo-ischiadieum bei Embryonen relativ kleiner sei als bei ausgewachsenen Emyden, weil bei Embryonen das me- mediale, die beiden Foramina obturatoria trennende mediale Septum bei letzteren noch relativ breiter ist als bei ausgewachsenen Exem- plaren!. Auch im postembryonalen Leben finde ich das embryonale Verhältnis gewahrt (Fig. 7). Vergleicht man jedoch den Becken- gürtel einer jungen Sumpfschildkröte (3 Monate nach dem Ausschlü- pfen), wie er in Fig. 7 sechsmal vergrößert abgebildet ist, mit dem Beckengiirtel eines ausgewachsenen Exemplares derselben Art und desselben Verbreitungsbezirkes (Fig. 8, 9), so tritt auf das deut- lichste entgegen, dass das mediale Septum bei ausgewachsenen Emyden relativ bedeutend schmäler ist, somit auch die jederseitigen Foramina pubo-ischiadica einander näher gerückt sind. Diese erst mit der Verknöcherung auftretende Annäherung der beiderseitigen Foramina pubo-ischiadica wage ich nicht als Fenste- rung oder priiciser ausgedrückt »Fortschreiten der Fensterung« in dem Sinne Bunge’s zu deuten, denn es handelt sich hier wohl nicht um eine Arrodirung oder Transmutation von präexistirendem Knorpel. Diese Erscheinung kann auch als Ausdruck einer Wachs- thumsdifferenz aufgefasst und durch die Annahme erklärt werden, dass das mediale Septum in seinem Wachsthume minder rasche Fort- schritte macht als die übrigen Abschnitte des Beckengürtels. Eine nachweisbare Verlagerung des Foramen pubo-ischiadicum tritt — so weit ich ermitteln konnte — erst postembryonal auf und besitzt somit, wie anzunehmen ist, keinen phylogenetischen Werth. Übrigens ist diese Erscheinung eine specifische Eigenthüm- lichkeit der Emys lutaria taurica. An Skeletten ausgewach- sener Sumpfschildkröten, welche anderen Verbreitungsbezirken an- ! Die in Fig. 4 Taf. XX gegebene Abbildung widerspricht anscheinend meiner Behauptung. Ich hebe desshalb besonders hervor, dass in diesem Schnitte weder die bei diesem Objekte beobachtete — für einen Vergleich allein maßgebende — größte Breite des medialen Septum, noch die kleinste Peripherie des Foramen pubo-ischiadicum getroffen ist. 568 Ernst Mehnert gehört (Mitteldeutschland), finde ich das mediale Septum relativ eben so breit, wie ich es in Fig. 7 bei einem dreimonatlichen taurischen Exemplare abgebildet habe. Gleiche Proportionen zeigt ein von ©. K. HorrmMann abgebildeter Beckengürtel! einer anscheinend ausgewach- senen Emys. Der äußere, insbesondere in frühen Entwicklungsstadien — vor Anlage des Bauch- und Rückenschildes — hervortretende, jedoch auch späterhin in der relativen Länge des Schwanzes und der rela- tiven Kürze des Thorax nicht zu verkennende Lacertiliertypus der Schildkrötenembryonen lässt es als wahrscheinlich erscheinen, dass Sehildkröten und Saurier von durchaus nahestehenden Stammformen ihre Herleitung nehmen. Diese Voraussetzung findet ihre Bestätigung auch in dem gleichen Vermehrungsmodus (durch mit einer Kalkschale versehene Eier, welche von der Sonne ausgebrütet werden) und in dem Nachweise von ursprünglich übereinstimmenden inneren Organi- sationsverhältnissen (Hypoischium). Die bei ausgewachsenen, jetzt lebenden Schildkröten und Sauriern vorliegenden verschiedenen Cha- raktere sind durch einen divergenten Entwicklungsgang zu erklären. Von diesem Standpunkte aus sind auch die Seeschildkröten als Landthiere aufzufassen, welche schon vor sehr langer Zeit sich von Neuem an das Wasserleben gewöhnt haben und ihre Zugehörigkeit zum Lande nur noch dadurch dokumentiren, dass sie ihre Brut ihrem früheren Aufenthaltselemente — dem Festlande — anvertrauen?. Überblicke ich zum Schlusse die bei Emys lutaria taurica ge- wonnenen Resultate, so kann ich sie kurz in Folgendem zusammen- fassen?. LG: War XI Big, 2. 2 Analoge Beispiele von einem solchen relativen Rückschlage liegen für die Ungulaten in den Walthieren, unter den Vögeln in den Impennes vor. Das Wiederheimischwerden in dem feuchten Elemente befähigte vielleicht die Schild- kröten, den auf dem Festlande wüthenden Kampf ums Dasein erfolgreicher zu bestehen, als wie es zahlreichen ausgestorbenen, landbewohnenden Reptilien gelang. Es ist vielleicht nur diesem Umstande zu verdanken, dass diese ex- treme, zum Theil noch relativ primitive, zum Theil jedoch einseitig hoch ent- wickelte Thiergruppe — als ein bizarres Überbleibsel einer früheren Erdperiode — sich bis in die Jetztzeit erhalten hat. 3 In vorliegender Abhandlung bin ich auf übrige Amnioten wie Anamnier nur in so fern eingegangen, als es mir nöthig schien, die bei Emys ermittelten Beobachtungen zu klären, werde jedoch in Späterem ausführliche Mittheilungen über dieses Thema erscheinen lassen. Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 569 Bei der Sumpfschildkröte legen sich nur die beiden Ilia als selbständige Knorpel an. Pubis und Ischia beider Beckengürtel- hälften stehen — schon bei ihrer ersten Differenzirung — unter ein- ander in der Mittellinie im Zusammenhange. Letzterer Befund muss — da sich für ihn bei sehr zahlreichen bisher untersuchten Amnio- ten, wie Anamnier, keine analogen Beobachtungen nachweisen lassen — als Fälschung der Entwicklung gedeutet werden. In späteren Stadien verwachsen auch im Acetabulum Pubis, [lium und Ischium. Das Foramen pubo-ischiadieum entsteht durch Verwachsung der acetabularen Enden des Pubis und Ischium. Bei der taurischen Emys findet im postembryonalen Leben eine gegenseitige Annähe- rung der Foramina pubo-ischiadiea statt. Das Epipubis, Hypoischi- um, Processus lateralis Pubis und Tuber ischii sind sekundär am Beckengürtel in Erscheinung tretende Gebilde. Bei Embryonen ist das Epipubis durch eine tiefe mediane, später schwindende Furche, nahezu in zwei Hälften getheilt. Diese Furche scheint die Voraussetzung zu begründen, dass das Epipubis sich ur- sprünglich aus zwei, jeder Beckengürtelhälfte angehörigen, symme- trischen Stücken zusammensetzte. Epipubis und Hypoischium zeigen in Bezug auf die Zeit und den Modus ihrer ersten Entwicklung große Übereinstimmung. Das Epipubis gliedert sich jedoch später vom Knorpel des Beckengürtels ab und wird dadurch zu einem selbständigen Skeletstück. Das Hy- poischium verbleibt bei Emys im primitiven Zusammenhange mit dem Beckengürtel, bildet sich allmählich zurück und wird bei aus- gewachsenen Formen ausnahmslos vermisst. Es ist zu vermuthen, dass in früherer Zeit Hypoischium und Epipubis bei niedrig stehenden Wirbelthieren eine größere Verbrei- tung hatten als heut zu Tage. Der Schwanz der Schildkröten zeigt in frühen Entwicklungs- stadien sämmtliche Charaktere eines Saurierschwanzes, nimmt jedoch im Laufe der individuellen Entwicklung an relativer Länge und Dicke ab. Es lässt sich der Nachweis erbringen, dass eine gleiche Längen- reduktion des Schwanzes schon bei Schildkröten im Miocän stattfand. Die in gewissen Embryonalphasen hervortretende Übereinstim- mung sowohl äußerer wie auch innerer Organisationsverhältnisse, als auch übereinstimmende physiologische Momente legen es nahe, für Schildkröten und Saurier nah verwandte Stammformen anzu- nehmen. Morpholog. Jahrbuch. 16. 37 570 Ernst Mehnert Erklärung der Abbildungen. Tafel XX. Die Abbildungen der mikroskopischen Schnitte (Fig. 1—5 und 12—15 wurden vermittels einer ABBE’schen Camera lucida angefertigt. Die Kontouren der in Fig. 6, 8, 9, 10, 11 abgebildeten Skelettheile wur- den mit Hilfe eines ScurOpER’schen Diopterographen festgestellt und darauf die Abbildungen nach den Objekten gezeichnet. Fig. 7 wurde vermittels eines Hıs’schen Embryographen bei sechsmaliger Vergrößerung gezeichnet. Näheres Text pag. 564 Anmerkung 1. Die Vergrößerung wird durch einen Bruch angegeben. In allen Figuren bediente ich mich folgender Abkürzungen: Act Acetabulum, Isch Ischium, Art.obt Arteria obturatoria, Kilk Kloake, Chrd.drs Chorda dorsalis, Musk.bdl Muskelbündel, Crst.med.isch Crista mediana ischiadica, N.obt Nervus obturatorius, Diaph Diaphyse, Preh Perichondrium, Eph Epiphyse, Pr.i.pub Processus lateralis pubis, Epub Epipubis, Proch.Zn prochondrale Zone, Fmr Femur, Prti.hih Peritonealhöhle, Fmr.diaph Femurdiaphyse, Pub Pubis, Fmr.eph Femurepiphyse, Reg.act Regio acetabuli, For.pub.isch Foramen pubo-ischiadicum, Zin.mrk Rückenmark, Gef Blutgefäß, Sept.med Septum medianum. Hyp.isch Hypoischium, Tbr.isch Tuber ischii, Zi Ilium, Tib Tibia, Inc.epub Incisura epipubica, Sämmtliche Figuren betreffen den Beckengürtel der Emys lutaria taurica. Fig. 1. Ventralschnitt. L. d. Rknschlds. 6 mm. Serie II. Schnitt 20. ('5/;.) Fig. 2. = ar £ 6,5 - r al Run (Bleed Fig. 3. = pe = a = I. = Al sf la Fig. 4. nn ah 5 ne I. a Fig. - - - - 15 - I - 6. (8/.) 5. A Fig. 6. Sagittalschnitt in der Gegend der größten Breite des For. pub. isch. Ausgewachsenes Exemplar Nr. 4. Fig. 7. Ventrale Ansicht des Beckengürtels einer jungen Emys (3 Monate nach dem Ausschlüpfen). L. d. Rknschlds. 25,5. Sechsmal vergrößert. Fig. 8. Ventrale Ansicht des Beckengiirtels. Ausgewachsenes Exemplar Nr. 5. (Natürliche Größe.) Fig. 9. Dessgleichen. Ausgewachsenes Exemplar Nr. 1. \ wi y x | / ae \ } e 1 ee a % iy Fınn_ (ee Peers Ns | fe repeat ee 140, 5 | 7 \ Pp | \ = | N ~ en \ = nl \ TR, (Oi hy ee nennen pp FR med.isch N if RR rende = j \ \ Per ch Muskl.bdl. Crist med\ - f ' Lou 1 For pub. isch. 8% = Gez.v. E.Mehnert. Morpholog. Jahrb. : BER. | Fig.12. \ BES fig. 1: \ \ f \ i Nov. \ Tith.Anstv. EA Funke Leipnit, Pak Antnbl- Sach. a Fig. 9. Verlag Wilh Engelmann ir Lopoy. Untersuchungen über d. Entwickl. d. Beckengürtels d. Emys lutaria taurica. 571 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 10. ious 12. 13. 14. Knorpeliges Epipubis einer ausgewachsenen Schildkröte (Nr. 2). (Nat. Größe.) Verkalktes Epipubis einer alten Schildkröte (Nr. 3). (Nat. Größe.) Ventralschnitt durch das Epipubis. L. d. Rknschlds. 11 mm. Serie I. Schnitt 12. (40/,.) Dieselbe Serie. Schnitt 8. (%/,.) Sagittalschnitt durch den Beckengürtel in der Gegend der größten Breite des Foramen pubo-ischiadicum. L.d. Rknschlds. 7 mm. Serie III. Schnitt 66. (18/,.) Acetabularregion. L. d. Rknschlds. 7mm. Serie I. Schnitt 76. (8%;.) Schnittrichtung senkrecht zur Längsachse des Femur. 31° Über die Entwieklung der A. vertebralis beim Kaninchen, nebst Bemerkungen über die Entstehung der Ansa Vieussenii. Von Dr. Ferdinand Hochstetter in Wien. Mit Tafel XXI und 1 Holzschnitt. In einem vor kurzer Zeit in diesem Jahrbuche veröffentlichten Aufsatze über die Entwicklung der A. subelavia der Vögel habe ich über die A. subelavia des Kaninchens Angaben gemacht, die mit den seit RATHKE gangbaren Anschauungen über die Entstehung dieses Gefäßes sich nicht in Übereinstimmung befinden. Wie bekannt, soll nach RATHKE! bei Wiederkäuern und beim Schweine die Arterie der rech- ten vorderen Extremität als selbständiger Zweig der rechten Aorten- wurzel, die der linken als Zweig der A. vertebralis sinistra entstehen, während die A. vertebralis dextra kopfwärts von der A. subelavia dextra aus der rechten Aortenwurzel hervorgehe. Hıs? hat dann für menschliche Embryonen bezüglich der Ent- stehung der A. subelavia die Angaben RATHKE’s im Wesentlichen bestätigt, scheint jedoch, obwohl dies nicht ausdrücklich hervorge- hoben ist, anzunehmen, dass auch die A. subelavia dextra als ein Zweig der A. vertebralis dextra entstehe. Meine in oben erwähntem Aufsatze gemachte Angabe, dass beim Kaninchen die A. subelaviae beiderseits ursprünglich aus der Rücken- ! Über die Entwicklung der Arterien, welche bei den Säugethieren von dem Bogen der Aorta ausgehen. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1843. pag. 276. ? Anatomie menschlicher Embryonen. III. Th. pag. 193 und 194. Über die Entwicklung der A. vertebralis beim Kaninchen ete. 573 aorta hervorgehen, und ihrem Ursprunge nach segmentalen Arterien entsprechen, bezog sich auf Kaninchenembryonen vom Beginne des 12. Tages und jüngere, wo von einer A. vertebralis cervicalis (His) noch keine Spur vorhanden ist. Ich musste daher annehmen, dass die A. vertebralis cervicalis eine sekundäre Bildung sei, und suchte an einer größeren Anzahl von Kaninchenembryonen aus verschiedenen Entwicklungsstadien nicht nur die Beziehung zwischen A. vertebralis und A. subelavia festzustellen, sondern auch über die Bildung der wichtigeren Zweige des letzteren Gefäßes Klarheit zu bekommen. Die wenigen neuen Thatsachen, die ich bei diesen Untersuchungen zu Tage gefördert habe, mögen den Inhalt der folgenden Mittheilung bilden. Bevor ich aber zur Beschreibung meiner eigenen Befunde über- gehe, will ich kurz das schildern, was Andere bereits über die Ent- stehung der A. vertebralis angegeben haben. Vor Allem sind hier die Angaben von His (l. ce.) zu erwähnen, der zwischen einem zu- erst vorhandenen Kopfstücke (A. vertebralis cerebralis) und einem später entstehenden Halsstück (A. vertebralis cervicalis) der A. verte- bralis unterscheidet. Das Kopfstück erscheint! als Fortsetzung der ersten intervertebralen (segmentalen) Arterie. Später soll sich dann durch die Bildung einer Anastomosenkette zwischen den in regel- mäßiger Aufeinanderfolge angeordneten Intervertebralarterien und durch Schwund ihrer Ursprünge bei Übrigbleiben eines unteren Zu- flusses der Halstheil der A. vertebralis entwickeln. — Die so ge- bildete A. vertebralis cervicalis verlässt die Aorta descendens gegen- über dem fünften Aortenbogen und erreicht die Wirbelsäule am sechsten Halswirbel. Die A. subelavia aber soll als ein Zweig der A. vertebralis entstehen. Über die Zahl der bei der Bildung des Halstheiles der A. vertebralis betheiligten segmentalen Arterien macht His keine Angaben. Dagegen lauten die Angaben FRORIEpP’s? über die Entwicklung des Halstheiles der A. vertebralis bei Rindsem- bryonen viel bestimmter und stimmen ziemlich mit dem überein, was ich bei Kaninchenembryonen zu sehen Gelegenheit hatte. FRORIEP giebt nämlich an, dass die A. vertebralis als Anastomosenkette zwi- schen den sieben vordersten Interprotovertebralarterien (wie er die segmentalen Arterien nennt) entstehe. Von diesen trete die erste 1]. ce. Fig. 122. 2 Zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule etc. II. Theil. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1886. 574 Ferdinand Hochstetter zwischen Hinterhaupt und Atlas ein und ihre Fortsetzung sei cranial- wärts verfolgbar. Mit dem Caudalwärtsrücken der Aorta gehe dann eine dieser Arterien nach der anderen zu Grunde und es erhalte sich nur die siebente Interprotovertebralarterie in Verbindung mit der Aorta und bilde das Anfangsstück der A. vertebralis. Über die Beziehung dieses Anfangsstückes der A. vertebralis aber zur A. subelavia spricht sich FRORIEP nicht aus. Auf MACALISTER’s! Versuch der Deutung der A. subelavia und einiger ihrer Äste soll später zurückgekommen werden. Bei Kaninchenembryonen vom 11. Tage finde ich, wie dies aus Fig. 1, welehe das Aortensystem eines Kaninchenembryo vom Ende des 11. Tages (nach einer Profilkonstruktion) darstellt, um eine seg- mentale Arterie im vorderen Körperabschnitt mehr, als Frorrep bei Rindsembryonen gefunden hat. Vor der segmentalen Arterie näm- lich, die ihrem Verlaufe nach dem ersten Spinalnerven entspricht und deren Fortsetzung nach Hıs als A. vertebralis cerebralis be- zeichnet werden könnte, lässt sich an sagittalen Schnittserien jeder- seits mit voller Deutlichkeit eine ziemlich schwache Arterie erkennen, die ihrem Abgange und Verlauf nach vollkommen einer segmentalen Arterie entspricht. Verfolgt man dann die Reihe der segmentalen Arterien caudalwärts, so erkennt man sofort, dass die achte seg- mentale Arterie alle vorhergehenden und nachfolgenden segmentalen Arterien an Mächtigkeit übertrifft, und forscht man dann nach der Ursache dieser mächtigeren Entwicklung, so erkennt man, dass die Fortsetzung dieses Gefäßes dem Extremitätenstummel zustrebt und, in denselben eindringend, sich in Zweige auflöst. Auch ein dorsaler Ast, der seine Verbreitung am Medullarrohr und dessen Umgebung findet, lässt sich nachweisen, dieser entspricht der dorsalen Fort- setzung der vorhergehenden und nachfolgenden segmentalen Arterien. Der Abgang der segmentalen Arterien erfolgt aus der Aorta und ihren Wurzeln entsprechend jenen Stellen der Wirbelsäulenanlage, an welchen sich das Bildungsgewebe weniger intensiv färbt, aus welchen Partien später, wie bekannt, die Knorpelanlagen der Wirbel- körper hervorgehen, während zwischen den Abgangsstellen der Ar- terien jene stärker tingirbaren, dichteren Zellmassen fallen, welche nach FRORIEP der mittleren Platte des primitiven Wirbelbogens ent- sprechen und aus denen sich später vorzüglich die Bandscheiben ! The Morphology of the arterial System in Man. Journal of Anat. and Phys. XX. pag. 193. Über die Entwicklung der A. vertebralis beim Kaninchen ete. 575 zwischen den Wirbelkörpern entwickeln. Diese Beziehung lässt sich auch noch für die Abgangsstelle der zweiten segmentalen Arterie feststellen, die dem Körper des nach FrorıEer in das Hinterhaupt aufgenommenen Wirbels entspricht. Bei der ersten, vordersten seg- mentalen Arterie dagegen erkennt man zwar auch an der Abgangs- stelle, die wegen der Divergenz der Aortenwurzeln weiter nach außen liegt als die Abgangsstelle aller anderen segmentalen Arterien, eine geringere Dichte und schwächere Färbung der Zellmasse und unmittelbar davor eine etwas dichtere Lagerung und stärkere Fär- bung der Zellen, ähnlich wie an den primitiven Wirbelbogen, aber diese stärker gefärbte Zellmasse ist jederseits nur lateralwärts, nicht aber medianwärts, bis in die Nähe der Chorda hin deutlich zu ver- folgen. Immerhin scheint es mir wahrscheinlich, dass diese erste segmentale Arterie einer nicht einmal mehr zu vollständiger pri- mitiver Entwicklung gelangenden Wirbelanlage angehört, die in spä- teren Stadien, so wie ihre Arterie schwindet, vollkommen unkennt- lich wird, während die dem Frorrep’schen Oceipitalwirbel zugehörige nächste (zweite) segmentale Arterie eine länger dauernde Existenz aufweist!. Die Zusammenflussstelle der beiden Aortenwurzeln findet sich in dem beschriebenen Stadium (wie dies auch aus Fig. 1 hervorgeht) in der Gegend des zweiten Cervicalsegmentes. Man erkennt also schon bei Kaninchenembryonen, bei denen die Extremitäten ganz kurze Stummel bilden, jederseits eine Arterie in diese Stummel ein- treten, und diese Arterie, die wir bereits als A. subelavia be- zeichnen können, gehört dem sechsten cervicalen Segmente an und entspringt aus der Rückenaorta. Bei Embryonen vom Beginne des 12. Tages ist die erste seg- mentale Arterie verschwunden. Die Aortenbogen, die bei Embryonen des 11. Tages noch ganz im Bereiche der Hinterhauptsregion in die Rückenaorta (resp. Aortenwurzel) übergehen, rücken allmählich nach rückwärts vor, so dass der Pulmonalisbogen nun schon in der Höhe des ersten Cervicalsegmentes der Wirbelsäulenanlage in die Aorten- wurzeln mündet. Die Zusammenflussstelle der beiden Aortenwur- zeln entspricht dem Abgange der sechsten (früher siebenten) seg- mentalen Arterie. In den Abgangsverhältnissen der segmentalen 1 Dass diese früh zu Grunde gehende vorderste segmentale Arterie auch bei menschlichen Embryonen vorkomme, dafür spricht ZIMMERMANN’s Angabe in: Verhandlungen der anatom. Gesellschaft in Berlin 1889. pag. 141. 576 Ferdinand Hoclıstetter Arterien hat sich im Wesentlichen nichts geändert, nur hat die siebente (früher achte), die A. subelavia, bedeutend an Stärke zu- genommen. Etwas später, bei einem Embryo von etwa der Mitte des 12, Tages, bei dem bereits an den seitlichen (Quer-) Fortsätzen der primitiven Wirbelbogen die Andeutung einer Scheidung in einen ventralen und dorsalen Abschnitt mit Mühe zu erkennen ist, sieht man zwischen diesen Fortsätzen die intervertebralen Arterien un- regelmäßige Erweiterungen bilden, die kopf- und schwanzwärts Fort- sätze gegen die seitlichen Fortsätze der primitiven Wirbelbogen aus- senden. Und endlich erkennt man bei einem etwas älteren Embryo, so wie dies FRORIEP für einen Rindsembryo angegeben hat, zwischen den ventralen und dorsalen Abschnitten der primitiven Querfortsätze hindurch eine weite und mächtige Anastomosenkette (vgl. Fig. 2), die an der siebenten intervertebralen Arterie beginnt und sich in die A. vertebralis cerebralis fortsetzt, aber noch mit sämmtlichen vor der siebenten entspringenden segmentalen Arterien zusammenhängt. Ent- sprechend den Zwischenräumen zwischen zwei Querfortsatzanlagen zeigt diese neugebildete Blutbahn nicht unbeträchtliche Erweiterungen. In Folge der bedeutenden Verschiebung der Aortenbogen nach rück- wärts erscheint in diesem Stadium, wie dies aus der Betrachtung der Fig. 2 hervorgeht, die erste (früher zweite) segmentale Arterie auf die Wurzel des dorsalen Verbindungsstückes zwischen drittem und viertem Aortenbogen verschoben, während alle übrigen segmentalen Arterien bis zur A. subelavia einem Zuge nach rückwärts zu folgen scheinen. Die Zusammenflussstelle der beiden Aortenwurzeln hat die Höhe des Abganges der A. subelavia erreicht. Bei einem Embryo, der demselben Uterus entstammt wie der. dessen Aortensystem in Fig. 2 abgebildet wurde und der nur um Weniges weiter entwickelt erscheint, fehlten bereits sämmtliche vor der A. subelavia abgehende segmentale Arterien, und die A. verte- bralis erschien als ein mächtiger Ast der A. subelavia, an welcher sich bereits eine leichte Verschiebung caudalwärts bemerkbar zu machen beginnt. Merkwürdigerweise hat mit dem Schwunde der vor der A. subelavia aus den Aortenwurzeln abgehenden segmen- talen Arterien die Anastomosenbildung nicht Halt gemacht. Man erkennt nämlich, wie dies Fig. 3, die das Aortensystem des eben erwähnten Kaninchenembryo nach einer Profilkonstruktion wieder- gegeben darstellt, zeigt, dass die beiden der siebenten interverte- bralen Arterie folgenden, dem letzten Hals- und dem ersten Brust- segment zugehörigen Intervertebralarterien in die Anastomosenkette Über die Entwicklung der A. vertebralis beim Kaninchen etc. 577 . einbezogen wurden und in Verbindung mit der A. vertebralis getreten sind. Die Aortenbogen zeigen in diesem Stadium einen weiteren Fortschritt caudalwiirts, die dorsale Verbindung zwischen drittem und viertem Aortenbogen beginnt sich zu verschmächtigen und die Zusammenflussstelle der beiden Aortenwurzeln findet sich bereits in der Höhe des letzten Cervicalsegmentes. Der Schwund der segmentalen Arterien erfolgt bis zum sechsten Cervicalsegment unter normalen Verhältnissen, wie es scheint, ziem- lich gleichzeitig. Aber auch die Wurzeln der segmentalen Arterien des letzten Cervicalsegmentes und gewöhnlich der ersten drei bis vier Brustsegmente gehen beim Kaninchen zu Grunde, indem sich eine neue Gefäßbahn entwickelt, die dem Truncus costo-cerviealis des Menschen entspricht. Diese Gefäßbahn finde ich zuerst bei Em- bryonen vom Ende des 13. Tages, bei denen die Intervertebralarterie des letzten Cervicalsegmentes noch durch die früher erwähnte, zwi- schen den beiden Spangen des Querfortsatzes vom siebenten Hals- wirbel verlaufende Anastomose mit der A. vertebralis zusammen- hängt, während eine Verbindung zwischen Intervertebralarterien des letzten Hals- und ersten Brustsegmentes nicht mehr nachzuweisen ist. Sie entspringt aus der A. subelavia in nächster Nähe der ersten Rippenanlage, steht durch einen schwachen Zweig mit der achten Intervertebralarterie zwischen letztem Cervical- und erstem Brust- segment in Verbindung und entsendet Zweige an die ersten drei Intereostalräume. Die segmentalen Arterien der entsprechenden Seg- mente (oder vielmehr ihre Wurzeln) sind verschwunden. Aber nicht immer entsteht diese sekundäre Gefäßbahn als ein Zweig der A. subelavia, sondern in einem Falle, bei einem 14 Tage alten Embryo, erkenne ich diese Arterie beiderseits in einiger Entfernung von der vierten A. intercostalis aus der Aorta descendens hervorgehen, aber ventral vom Grenzstrang des Sympathieus vorbeiziehen, wodurch sie sich wesentlich von den übrigen Intercostalarterien unterscheidet. Zu gleicher Zeit wie die A. intercostalis suprema tritt auch die A. mammaria interna auf, die jedoch auch nicht immer, wie es die Norm wäre, aus der A. subclavia entspringt, sondern zum Beispiel, wie ich dies bei erwachsenen Kaninchen beobachtete, gemeinsam mit der A. intercostalis suprema oder auch getrennt von diesem Gefäß für beide Seiten direkt aus der Aorta descendens entspringen kann. Vielleicht lässt sich für die Entwicklung eines neuen gemeinsamen Gefäßstammes für die vordersten Intercostalarterien die Ursache in dem Schwund der rechten Aortenwurzel einer- und der Lagever- 578 Ferdinand Hochstetter änderung der linken Aortenwurzel andererseits finden. Bei älteren Kaninchenembryonen finde ich keine Verbindung der A. vertebralis mit der nächstfolgenden intervertebralen Arterie mehr vor. Die A. subelavia des Kaninchens entsteht demnach beiderseits aus der Arterie des sechsten Cervicalsegmentes und der dorsale (in- tervertebrale) Ast dieses Gefäßes wird zum Anfangsstück der A. vertebralis. A. intercostalis suprema und A. mammaria interna aber sind sekundär entstehende Zweige der A. subelavia. MACALISTER! giebt nun für den Menschen an, dass die A. sub- clavia dem letzten, also siebenten Cervicalsegmente angehöre und dass die A. cervicalis profunda (vom Truncus costo cervicalis) der dorsale (postero-laterale M.) Zweig der A. subclavia sei. Ich halte diese Angaben nach dem tiber die Entwicklung der A. vertebralis des Kaninchens Gesagten nicht fiir haltbar. Vielmehr bin ich der Überzeugung, dass auch beim Menschen die A. subelavia aus der Arterie des sechsten Cervicalsegmentes hervorgebt und dass deren dorsaler (intervertebraler) Ast zum Anfangsstiick der A. vertebralis wird, denn die A. vertebralis tritt beim Menschen in das Foramen transversarium desselben Querfortsatzes ein wie beim Kaninchen. Dann wäre auch der Truncus costo-cervicalis mit seinen Zweigen als sekundär entstehendes Gefäß aufzufassen. Als Ursache für die Ent- stehung dieses sekundären Gefäßes wären natürlich dieselben Momente anzuführen wie beim Kaninchen. Gegen die segmentale Natur der A. subelavia ließe sich nun noch einwenden, dass sie nicht jene topographische Beziehung zum Grenzstrange des Sympathicus einhalte, wie wir sie bei den übrigen segmentalen Arterien feststellen können. Die veränderte Lage zwi- schen A. subelavia und Grenzstrang bezieht sich jedoch nur auf den definitiven Zustand und ist eine Folge der Verlagerung, welche das Anfangsstück der A. subelavia während der Entwicklung durch die Verschiebung des Herzens nach rückwärts erleidet. Bei Kaninchenembryonen vom 12. Tage, bei denen der Cervical- theil der A. vertebralis noch nicht entwickelt ist und bei denen eine Verschiebung der A. subelavia erst in ganz geringem Maße erfolgt ist, sieht man an günstigen Sagittalschnitten, wie ein solcher in Fig. 4 abgebildet wurde, jenen Zellstrang (G.S.S), aus dem der Grenz- strang später hervorgeht, noch in derselben Lagebeziehung zur A. subelavia (4.s) wie zu sämmtlichen übrigen segmentalen Arterien, BL. ~ ee Über die Entwicklung der A. vertebralis beim Kaninchen ete. 579 ja es wäre geradezu eine Ablenkung des Grenzstranges nothwendig, sollte derselbe dorsalwärts von der A. subelavia verlaufen. Nach- dem aber die A. vertebralis cervicalis sich zu bilden beginnt und eine stärkere Verschiebung der Aortenbogen nach rückwärts erfolgt, verlässt die A. subelavia ihre ursprüngliche Lage immer mehr und rückt allmählich ventral und eaudalwärts vor. Da inzwischen auch die Spaltung des Anfangsstückes der Rückenaorta Fortschritte ge- macht hat und die Subelavia nun schon von der Aortenwurzel ent- springt, die beiden Aortenwurzeln aber mit der fortschreitenden Spal- tung aus einander weichen, macht sich auch eine Verschiebung des Ursprunges der A. subelaviae lateralwärts geltend, und diese Ver- schiebung hat wieder zur Folge, dass das Anfangsstück der A. sub- clavia bis zum Abgang der A. vertebralis nunmehr in dorsaler Rich- tung verläuft und relativ kürzer geworden ist. Diese Verschiebungen bleiben nicht ohne Einfluss auf den Verlauf und die Anordnung des Grenzstranges. Zunächst sehe ich an den Sagittalschnitten durch den Embryo der Fig. 2 die Zellmasse des Grenzstranges, wo sie an der A. subelavia vorbeizieht, lateralwärts und etwas weniger ventralwärts von der Arterie vorgedrängt und diese gewissermaßen in die Zellmasse des Grenzstranges eingebettet, auch erkenne ich an einem Schnitte aus der linken Körperhälfte, dass die Zellmassen des Grenzstranges kopf- und caudalwärts von der A. subelavia an dem dorsalen und medialen Umfange der Arterie zusammenhängen. Diese Verbindung ist aber erst mächtiger und beiderseits deut- lich erkennbar bei dem Embryo der Fig. 3, so dass hier das An- fangsstück der A. subelavia den Grenzstrang durchbohrt. Endlich zeigt Fig. 5, nach einem Sagittalschnitt durch einen Kaninchenem- bryo vom 13. Tage gezeichnet, Verhältnisse, die den Übergang zum definitiven Zustande darstellen. Die A. subelavia (A.s) ist hier an der Ausmündungsstelle der A. vertebralis getroffen und der laterale Theil dieses Gefäßes (A.v) noch angeschnitten. Kopfwärts von der A. subelavia ist der Grenzstrang der Länge nach durchsehnitten und, von ihm ausgehend, findet man einen Nervenstrang ventral von der A. subelavia vorbeiziehen (AV) und in eine Anhäufung von Gan- glienzellen caudalwiirts von der A. subelavia übergehen. Die Fort- setzung des Grenzstranges in die Brustregion ist an diesem Schnitte nicht zu erkennen, betrachtet man jedoch etwas weiter medianwärts durchgeführte Schnitte, so erkennt man diese Fortsetzung, sieht aber auch zugleich, dass die Hauptmasse des in diesem Stadium noch hauptsächlich aus Ganglienzellenanlagen bestehenden Grenzstranges 580 Ferdinand Hochstetter medianwärts vom Ursprung der A. vertebralis am dorsalen und medialen Umfange der A. subelavia vorbei gegen den Brustraum zu verläuft. Die in Fig. 5 ersichtliche Anhäufung von Ganglienzellen caudalwiirts von der A. subelavia hängt mit dem caudalwärts von der A. subelavia befindlichen Abschnitte des Grenzstranges zusam- men. Die A. subclavia hat demnach ihre Lage zum Grenzstrange geändert, indem nun die Hauptmasse desselben dorsal und median- wärts von ihr zu liegen kommt. Vollständig zu durchbrechen ver- mag jedoch die A. subelavia den Grenzstrang nicht, sondern es bleibt ventral von der A. subelavia ein Nervenstrang zurück, der mit der weiteren Lageveränderung der A. subelavia zu jener Nervenschlinge ausgezogen wird, die wir unter dem Namen Ansa Vieussenii kennen. So erklärt sich durch die Lageverschiebung, die die A. subelavia während der Entwicklung erleidet, ziemlich einfach jene bis jetzt räthselhaft erschienene Nervenschlinge. Dass unter normalen Verhältnissen im weiteren Verlaufe der Entwicklung der rechte vierte Aortenbogen in das Anfangsstück der A. subelavia dextra einbezogen wird und die rechte dorsale Aorten- wurzel in der von RATHKE geschilderten Weise zu Grunde geht, be- darf wohl keiner weiteren Ausführung. Nur eine Frage wäre noch zu berühren, nämlich die nach der Art und Weise, wie sich die A. subelavia sinistra an der Aortenwurzel verschiebt, denn dass eine solche Verschiebung stattfindet, beweist schon der Umstand, dass dieses Gefäß, wenn seine Abgangsstelle einmal der Aortenwurzel angehört. in früheren Stadien caudalwärts vom Ductus Botalli, in späteren Stadien dagegen gegenüber seiner Einmündungsstelle oder noch spä- ter etwas kopfwärts von derselben gefunden wird. Offenbar sind es eigenthiimlich verwickelte Wachsthumsverhältnisse, die diesen Vorgang veranlassen, über die ich jedoch nicht ins Klare zu kom- men vermochte. Wie lassen sieh nun, angenommen, dass beim Menschen A. sub- clavia und vertebralis sich in gleicher Weise entwickeln wie beim Kaninchen, woran, wie ich früher schon erwähnte, kaum zu zweifeln ist, die Varietäten, die im Ursprunge und Verlaufe der A. verte- bralis beobachtet wurden, erklären; denn begreiflicherweise können die Erklärungen solcher Varietäten, wie sie früher nach den RATHKE- schen Angaben zum Theil versucht wurden, den thatsächlichen Ver- hältnissen nicht entsprechen. Hier können nun gleich, als aus dem normalen Entwicklungs- gang unerklärbar und unverständlich, jene Fälle ausgeschlossen Über die Entwicklung der A. vertebralis beim Kaninchen ete. 581 werden, in denen angeblich! die A. vertebralis dextra aus dem Arcus Aortae zwischen Truncus anonymus und A. carotis sinistra entsprungen sein soll, oder jene Fälle?, wo die A. vertebralis dex- tra aus dem Arcus Aortae zwischen der direkt aus dem Arcus ent- springenden A. subelavia dextra und der A. carotis dextra hervor- gehend beschrieben wird. (Letzterer Fall ließe sich vielleicht unter Herbeiziehung des zwischen vierten Aortenbogen und Pulmonalisbogen von ZIMMERMANN beschriebenen fünften Aortenbogens und unter einer Voraussetzung, die auch für die Erklärung des Ursprunges der A. vertebralis sinistra aus dem Arcus Aortae gemacht werden muss (vgl. das Folgende], erklären.) Die meisten übrigen Varietäten des Ursprunges der A. verte- bralis. wie sie aus der Zusammenstellung von Krause in HENLE’s Handbuch der Anatomie bekannt sind, lassen sich unter der An- nahme unbedeutender Modifikationen des normalen Entwicklungs- ganges in ziemlich einfacher Weise erklären. Die häufigste Anomalie im Ursprung der A. vertebralis sinistra besteht wohl darin, dass dieses Gefäß direkt aus dem Bogen der Aorta zwischen A. carotis sinistra und A. subelavia sinistra hervor- geht. Diese Anomalie entsteht, wenn Anfangsstück der A. verte- bralis und der A. subelavia aus verschiedenen, gewöhnlich auf ein- ander folgenden segmentalen Arterien hervorgehen. Zufälligerweise fand ich unter meinen Präparaten eine Sagittalschnittserie durch einen .14 Tage alten Kaninchenembryo, bei welchem es aller Wahr- scheinlichkeit nach zur Ausbildung der eben erwähnten Anomalie gekommen wäre, wobei mir der Befund für die eben gegebene Er- klärung der Anomalie beweisend zu sein scheint. Umstehend ist der betreffende Abschnitt des Arteriensystems der linken Körperhälfte dieses Embryo nach einer Profilkonstruktion wiedergegeben. Es ent- springt aus dem Aortenbogen nach der A. carotis comm. sin. eine Arterie, die unzweifelhaft als Wurzelstiick der A. vertebralis sin. aufzufassen ist, aber abnormerweise in die Öffnung des Querfort- satzes vom fünften Halswirbel (V.V) eintritt, somit aus der Arterie des fünften Cervicalsegmentes entstanden sein dürfte, während die intervertebrale Arterie des sechsten Cervicalsegmentes in normaler Weise von der Arterie dieses Segmentes der A. subelavia abgeht, nur viel schwächer ist als gewöhnlich, jedoch auch in die Öffnung 1 z. B. MECKEL, Reır's Archiv. Bd. VI. pag. 571. 2 z. B. MECKEL, Handbuch der Anatomie. Bd. III. pag. 84. 582 Ferdinand Hochstetter des Querfortsatzes vom sechsten Halswirbel eintritt und in die Ana- stomosenkette der Intervertebralartien des Halses einbezogen erscheint. Denkt man sich nun, und beide Fälle hätten ja eintreten können, entweder den dorsalen Ast der A. subelavia zu: Grunde gehend, so erhält man eine direkt aus der Aorta entspringende, in das fünfte Foramen intertransversarium eintretende A. vertebralis sinistra (und dazu wäre es, wie ich glaube, wahrschein- lich gekommen), oder den dorsalen (inter- vertebralen) Ast der A. subelavia erhalten und in Verbindung mit der A. vertebralis geblieben, so hat man es mit einer zwei- wurzeligen A. vertebralis sin. zu thun. Natürlicherweise können beide, eben in Betracht gezogene Fälle in gleicher Weise auch rechterseits zu Stande kommend ge- dacht werden, nur wird es im ersten Falle im ausgebildeten Zustand recht schwierig fallen, mit Bestimmtheit aus- zusagen, ob A. subclavia dextra und A. vertebralis dextra aus verschiedenen seg- mentalen Arterien ihren Ursprung nahmen, Fig. 1. Buchstaben-Erklärung. ‚ILL, IV, V ete. dritter, vi r etc. : . : esr ry V ete. Gutter, vierier et. da die Differenz im Ursprung der’ A. A.d Aorta dorsalis, vertebralis gegenüber dem Normalen in A.c.c A. carotis communis, = A . r FE snieedbutallr sugeeie: solchen Fällen nicht besonders in die Au- A.m.i A. mammaria interna, gen springend ist. Kommt eine A. verte- A.s A. subelavia, . da f - 4A dorsaler (intervertebraler) Ast Bralis sinistra mit direktem Ursprung aus er RM) dem Aortenbogen vor, die in ein noch weiter kopfwärts gelegenes Foramen inter- transversarium eintritt, so ist wohl anzunehmen, dass diese ihr An- fangsstück aus der segmentalen Arterie des betreffenden Segmentes, in dessen For. intertr. sie eintritt, genommen habe, wobei natürlich ihr Ursprung während der Entwicklung eine beträchtliche Verschie- bung nach rückwärts erfahren musste. Findet sich ein derartiger Fall von Eintritt der A. vertebralis in ein Foramen intertr. IV. und III. rechterseits, so wird unter solchen Umständen die Ur- sprungsdifferenz zwischen abnormem und normalem Verhalten ent- sprechend deutlicher hervortreten, indem der Ursprung der A. verte- bralis nun näher der Carotis communis erfolgen wird als dort, wo die Arterie des fünften Segmentes das Anfangsstück der A. verte- bralis bildete. Möglicherweise kann dann unter diesen Verhältnissen Uber die Entwicklung der A. vertebralis beim Kaninchen ete. 583 der Ursprung der A. vertebralis, gleichviel ob rechts oder links, durch besondere Wachsthumsverhältnisse auf das Anfangsstück der betreffenden Carotis communis verschoben werden, ein Vorgang, durch den die Fälle vom Abgang der A. vertebralis von der A. carotis communis zu erklären wären. Ist das Anfangsstück der A. verte- bralis aus einer vor der fünften abgehenden segmentalen Arterie hervorgegangen, zugleich aber der dorsale Ast der A. subelavia er- halten und in Verbindung mit der Anastomosenkette der Interverte- bralarterien des Halses geblieben, so findet man im ausgebildeten Zustand eine zweiwurzelige A. vertebralis, deren beide Wurzeln in nur zwei oder drei Segmente aus einander liegende For. intertransv. eingehen !. Aber es kann auch vorkommen, dass die A. subelavia nicht aus der Arterie des sechsten, sondern aus der des fünften Cervicalseg- mentes hervorgeht, dann findet man die A. vertebralis, welche an normaler Stelle von der A. subelavia abgeht, in das For. intertransv. des fünften Halswirbelquerfortsatzes eintreten. Einen derartigen Fall sehe ich an einer Sagittalschnittserie durch einen Kaninchenembryo vom Ende des 13. Tages rechterseits. bei normalen Verhältnissen auf der linken Seite. Diese Beobachtung beweist zugleich, dass auch bei Säugern abnormerweise die Arterien der vorderen Glied- maße der beiden Seiten aus Arterien auf einander folgender Seg- mente hervorgehen können. Ich bezweifle jedoch die Möglichkeit, dass sich die A. subelavia aus einer vor der fünften abgehenden segmentalen Arterie entwickeln könne. Es wird demnach ein Ein- treten der A. vertebralis sinistra in ein vor dem fünften gelegenes For. intertransv. mit direktem Ursprung des Gefäßes aus dem Aorten- bogen (oder dem Anfangsstück der A. carotis comm. sin.) kombinirt sein müssen. Damit in Übereinstimmung sagt Krause2: »Wenn die A. vertebralis aus dem Arcus Aortae oder aus der Carotis communis entspringt, so kann sie neben der letzteren außerhalb des Canalis vertebralis (?) (soll wohl heißen Canalis der Querfortsätze) verlaufen.« In sämmtlichen fünf, im verflossenen Wintersemester von mir im Präparirsaale des ersten anatomischen Instituts beobachteten Fällen von direktem Ursprung der A. vertebralis sin. aus dem Aortenbogen erfolgte zugleich der Eintritt des Gefäßes in ein vor dem Foramen ' Einen schönen derartigen Fall bildet MEeckEL (MEckEn's Archiv. 1828. pag. 170) ab, bei dem zugleich eine Verbindung der A. vertebralis mit der A. cervicalis ascendens bestand. ? HeNLE’s Handbuch der Anatomie. Gefäßlehre. pag. 260. 584 Ferdinand Hochstetter intertransv. gelegenes sechstes For. intertransy. (einmal viertes, viermal fünftes). Aber es wäre auch der Fall denkbar, dass die A. vertebralis sinistra direkt aus dem Arcus Aortae entspringt und trotzdem in das sechste For. intertransv. eintritt, ein Fall, der nur durch die An- nahme erklärt werden könnte, dass die A. subclavia aus der Arterie des siebenten Cervicalsegmentes hervorgegangen sei, während das Anfangsstück der A. vertebralis der Arterie des sechsten Cervical- segmentes ihren Ursprung verdankte. Geht die A. subelavia aus der Arterie des siebenten Cervicalsegmentes und Anfangsstück der A. vertebralis aus dem dorsalen Aste dieser segmentalen Arterie hervor, dann findet man eine normal entspringende, jedoch in das siebente For. intertransv. eintretende A. vertebralis. Endlich sind aber auch Fälle bekannt, in denen die A. verte- bralis sinistra caudalwärts von der A. snbelavia sin. aus der Aorta entspringt und in den Querfortsatz des siebenten Halswirbels eintritt. Hierbei handelt es sich, glaube ich, wieder darum, dass A. subclavia und Anfangsstück der A. vertebralis aus Arterien verschiedener Seg- mente, nämlich des sechsten und siebenten Cervicalsegmentes, ent- standen, und zwar A. subelavia aus der des sechsten, Wurzel der A. vertebralis aus der des siebenten und dass der dorsale (inter- vertebrale) Ast der A. subelavia zu Grunde gegangen ist. Vor ganz kurzer Zeit wurde auch eine vorher noch nie beob- achtete Varietät der A. vertebralis sinistra von N. BATUJErF (Ur- sprung der A. basilaris aus der Carotis interna)! beschrieben, wobei ein mächtiger Ast der linken Carotis interna durch den Canalis hy- poglossi in die Schädelhöhle eindrang und in seiner Fortsetzung die A. basilaris bildete, während die linke Vertebralis ein sehr schwa- ches Gefäß darstellte, welches nur bis zum Austritt aus dem For. intertransv. des Atlas verfolgt werden konnte, während die rechte Vertebralis sich in die A. cerebelli posterior fortsetzte, ohne mit der A. basilaris in Verbindung zu treten. Diese Varietät dürfte in fol- gender Weise bei Betrachtung meiner Fig. 1 ohne Schwierigkeit zu erklären sein. Die erste, dem Hinterhaupt angehörige segmentale Arterie ist hier nicht wie gewöhnlich zu Grunde gegangen, sondern ist erhalten geblieben, hat die Wurzel der A. vertebralis cerebralis gebildet und sich später beträchtlich erweitert. Eine Anastomosen- kette zwischen dorsalem Ast der Arterie des sechsten Cervicalseg- mentes und den vorhergehenden hat sich zwar entwickelt, aber ihre ! Anatomischer Anzeiger. IV. Nr. 9. Über die Entwicklung der A. vertebralis beim Kaninchen ete. 585 Verbindung mit der A. vertebralis cerebralis ist entweder ganz aus- geblieben oder später wieder zurückgebildet worden. Auf der rech- ten Seite aber ist die Verbindung zwischen A. basilaris und A. vertebralis kopfwärts von dem Abgange der A. cerebelli posterior geschwunden. Die erste segmentale Arterie, welche im vorliegenden Falle also mächtig erweitert wurde, musste mit dem nach Rück wärts- rücken der Aortenbogen ihren Ursprung auf die cephale Fortsetzung der Rückenaorta auf die Carotis (dorsalis) interna verschieben, wie eine solehe Verschiebung der normalen Wurzel der A. vertebralis cerebralis auf das dorsale Verbindungsstiick zwischen drittem und viertem Aortenbogen (vgl. Fig. 2) vor ihrem Zugrundegehen beim Kaninchen nachzuweisen ist. In den Fällen von abnormem Ursprung der A. vertebralis bei sonst normalen Verhältnissen des Aortenbogens und seiner Äste können wir also zumeist als Ursache des abnormen Verhaltens an- nehmen, dass das Anfangsstück der A. vertebralis nicht aus dem dorsalen (intervertebralen) Aste der A. subelavia, sondern aus einer anderen segmentalen Arterie kopf- oder caudalwärts von der Sub- clavia entsteht. Geht man nun von der gleichen Annahme aus und wendet sie auf Verhältnisse an, in denen der Aortenbogen über den rechten Bronchus verläuft oder seine Äste in verschiedener Weise variiren, so erhält man eine neue Folge von möglichen Abweichungen im Ursprunge der A. vertebrales, wie sie vielfach bereits aufgefunden und beschrieben worden sind. Doch würde es zu weit führen, auf alle diese Möglichkeiten einzugehen, um so mehr, als es nicht in meiner Absicht gelegen sein konnte, eine umfassende Erklärung sämmtlicher, aus der Litteratur bekannt gewordener Fälle über ab- normen Ursprung und Verlauf der A. vertebrales zu geben. Erklärung der Abbildungen. Tafel XXI. Fig. 1. Aortensystem (linke Hälfte) eines Kaninchenembryo vom Ende des 11. Tages nach einer Profilkonstruktion. Fig. 2. Aortensystem (rechte Hälfte) eines Kaninchenembryo von der zweiten Hälfte des 12. Tages nach einer Profilkonstruktion. Morpholog. Jahrbuch. 16. 38 2 586 F. Hochstetter, Über die Entwickl. der A. vertebralis beim Kaninchen etc. Fig. 3. Aortensystem (linke Hälfte) eines Kaninchenembryo aus demselben Uterus wie der der Fig. 2 entsprechende, doch etwas weiter ent- wickelt, nach einer Profilkonstruktion. Fig. 4. Einem Sagittalschnitt durch einen Kaninchenembryo vom Beginne des 12. Tages entnommen, die Gegend der letzten Halswirbel- und der ersten Brustwirbelanlagen und die Durchschnitte der entsprechenden segmentalen Arterien zeigend. Fig. 5. Einem Sagittalschnitt durch einen Kaninchenembryo vom 13. Tage entnommen. Das Verhältnis des Grenzstranges und der Ansa Vieus- senii zur A. subelavia darstellend. Buchstaben-Erklärung. 1.A.W linke Aortenwurzel, A.IV.V.VII.C.$ Arterie d. vierten ete. r.4.W rechte Aortenwurzel, Cervicalsegmentes, III.IV.VI.A.B Aortenbogen, A.p A. pulmonalis, V.A.B.(R)? Rest des fünften Aorten- A.V Ansa Vieussenii, bogens? G.S.S Grenzstrang des Sympathicus, A.s A. subclavia, V Vagus, A.v A. vertebralis, I.Sp.G erstes Spinalganglion, A.v.c.b A. vertebralis cerebralis, C.v A. carotis ventralis (externa), Av.cv A. vertebralis cervicalis, C.d A. carotis dorsalis (interna). ‚Mornholog. Jahrbuch. Bd. XV. AVECS.--| 3. Sn Morpholog. Jahrbuch. Ba. XVI. Titl XML [> P - a 9 1685 Über den Descensus testieulorum. Von Dr. Hermann Klaatsch in Heidelberg. Mit Tafel XXII und XXIII, sowie 3 Figuren im Text. Einleitung. Die Lageveränderung, welche die Hoden bei den meisten Säuge- thieren erfahren, sind seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts bis in die neueste Zeit hinein der Gegenstand wiederholter eingehender Untersuchungen gewesen. Eine historische Prüfung des Entwicklungsganges unserer Kennt- nisse vom Descensus testiculorum weist die auf den letzteren bezüg- lichen Arbeiten zwei Perioden zu, welche nicht nur durch die Zeit geschieden, sondern auch durch die Art und Weise, wie die Lösung des Problems versucht wurde, von einander verschieden sind. Die ältere dieser Perioden umfasst die Zeit vom Ende des vorigen bis etwa zur Mitte dieses Jahrhunderts. Ihr gehören u. a. die Ar- beiten CAMPER’s, PALETTA’s, BRUGNONTS, HUNTER’s und SEILER’s an, von denen die beiden letztgenannten Forscher als die wichtigsten Vertreter derjenigen Richtung erscheinen, welche diese Periode charak- terisirt: Es wurde in derselben versucht, die Vorgänge beim Menschen durch die Vergleichung mit gewissen Säugethieren dem Verständnis näher zu bringen. Manches, was beim Menschen schwer zu erkennen war, gewann durch die Betrachtung der entsprechenden, aber minder komplieirten und daher besser übersehbaren Processe bei Nagern und Insectivoren Klarheit; so wurde das von HUNTER zuerst genauer be- schriebene und von ihm benannte Gubernaculum testis durch diesen 38* 588 Hermann Klaatsch Forscher mit dem entsprechenden Gebilde in Parallele gesetzt, das bei erwachsenen Thieren mit periodischer Hodenverlagerung die in die Bauchhöhle zurückgekehrten Hoden mit der Bauchwand verbindet, von letzterer selbst einen nach innen vorgeschobenen Theil repräsen - tirend. Durch diese Vergleichung machten Hunter und nach ihm SEILER verständlich, wie es kommt, dass auch beim Menschen Theile der Bauchmuskulatur in das Gubernaculum eintreten. In der zweiten, neuern Periode treten die durch die Vergleichung gegebenen Gesichtspunkte mehr zurück und es ist eine Förderung unserer Kenntnisse in anderer Richtung gegeben. Hatten die älteren Forscher nur wenige embryonale Stadien des Menschen in den Be- reich der Untersuchung gezogen, so dehnt sich jetzt die Prüfung auf eine sehr große Reihe embryonaler Zustände aus, an denen die Ver- änderungen des Gubernaculums bis in seine Einzelheiten verfolgt werden. Zugleich wird versucht, aus den speciellen, während des Descensus wahrnehmbaren Processen das Wesen desselben und die wirkenden Faktoren zu ermitteln. Als die wichtigsten Vertreter dieser neuern Richtung seien CLELAND, KÖLLIKER, BRAMANN, WEIL und Lockwoop genannt. Trotz des großen Materials und der verbesser- ten Untersuchungsmethoden, welche die Arbeiten dieser Autoren aus- zeichnen, unter denen BRAMANN durch richtige Beobachtung und prä- eise Darstellung die erste Stelle einnimmt, wurde eine Verständigung über das Wesen des Descensus nicht erzielt. BRAMANN selbst ge- steht am Schlusse seiner Abhandlung (pag. 335): »Damit aber ist die Frage des Descensus, das ,Problema magnum‘ LANGENBECK’s, noch immer nicht vollständig gelöst; weitere Aufklärung ist von vergleichend anatomischen Studien zu erwarten. Dieselben müssen sich aber auf ein dureh zahlreiche verschiedenartige Species repräsentirtes Material beziehen, um sichere Grundlagen schaffen zu können.« Dass der Weg, den BramMANN in diesen Worten vorzeichnet, der richtige ist, wird durch das Studium der überaus zahlreichen Diskussionen über die Bedeutung der beim Descensus unmittelbar wirkenden Ursachen und über das Wesen des Gubernaculums zur Gewissheit. Haben diese Erörterungen die Kenntnis der Endursache der Hodenverlagerung nicht gefördert, so erweckt diese Erfolglosig- keit berechtigte Zweifel an der Korrektheit der Fragestellung. Nicht die unmittelbar thätigen Momente, die allgemeinen Ursachen müssen erkannt werden. Wie jedes Organ, so hat auch der Hoden seine. Geschichte, gegeben durch die Resultate der wechselseitigen Ein- wirkung des Organs und seiner benachbarten Theile auf einander. Über den Descensus testiculorum. 589 Diese Beziehungen des Hodens zu anderen, außer ihm gelegenen Organen geben den Schlüssel zur Lösung der Frage, warum über- haupt die Hoden die Bauchhöhle verlassen. Dass der den Hoden beeinflussende Faktor im Laufe der Entwicklung der Säugethiere er- worben sein muss, ergiebt sich aus der Beschränkung des Descensus auf die Säugethiere und sein Fehlen bei den niedersten Vertretern dieser Gruppe, den Monotremen, sowie bei den Amphibien, Reptilien und Vögeln. Dass die Causa movens durch eine Modifikation der Bauchwand gegeben ist, die an einem fest bestimmten Punkte ihre Wirkung äußerte, ergiebt sich aus der Thatsache, dass bei allen Säugethieren die Stelle, an welcher die Hoden nach außen vortreten, die gleiche ist. Sie gehört der Inguinalregion an und liegt vor dem vorderen Beckenrande lateral vom Musculus rectus abdominis. Es wird daher zu prüfen sein, welche Organe an dieser Stelle auf die Bauchwand und damit auf den Inhalt der Bauchhöhle einwirkten. Der Modus der Hodenverlagerung und die dabei auftretenden Veränderungen der Bauchwand bieten bei den Säugethieren mannig- fache Verschiedenheiten dar. Die Rückführung derselben auf den einheitlichen Grundplan und ihre Ableitung im Einzelnen geben nicht nur für die Hüllen des Hodens im erwachsenen Zustande die Er- klärung, sondern hellen auch den Bau und die Bedeutung des » Guber- naculum« auf. Dass hierbei die den männlichen entsprechenden weib- lichen Bildungen der Inguinalregion nicht, wie es bisher fast durch- weg geschah, aus der Betrachtung auszuschließen sind, wird sich im Einzelnen zeigen. Bei der Disposition des Materials leitete mich das Bestreben, von den einfachen Zuständen des Descensus und der Hodenhüllen zu den komplieirten allmählich fortzuschreiten. Von diesem Gesichts- punkt aus konnten die Hauptvertreter der Säugethiere in drei Gruppen gesondert werden, deren jede in sich gleichartige Zustände vereint. Dass hierbei die Prosimier und Primaten in die Mitte, die Beutelthiere vereint mit Carnivoren und Hufthieren ans Ende gestellt sind, er- giebt sich daraus, dass der Zusammenhang, den die Halbaffen und Affen, sowie auch der Mensch durch den Descensus mit den primi- tiven Zuständen der Nager und Insectivoren verrathen, ein viel näherer ist, als die Beziehung zwischen Nagern und Beutelthieren. Letztere haben sich mit Rücksicht auf die Hodenverlagerung einseitig diffe- renzirt und bilden in diesem Punkte das Ende einer Reihe, während sie in anderen Organsystemen, entsprechend ihrer Stellung im System, 590 Hermann Klaatsch niedere Zustände fortführen. Andeutungen solcher werden selbst im Bereich des Descensus trotz aller Speeialisirung nicht vermisst. I. Die ursprüngliche Lage der Keimdrüsen und das Urnierenligament bei Säugethieren. Durch die nahe örtliche Beziehung der Geschlechtsleiste zur Ur- niere ist die ursprüngliche, bei beiden Geschlechtern gleiche Lage der Keimdrüsen der Säugethiere gegeben und durch die Rückbildung der Urniere erklärt sich die Entstehung fast aller peritonealen Band- apparate, welche später die Keimdrüsen mit benachbarten Theilen verknüpfen. Die Ausbildung dieser »Plicae« und »Ligamenta.« wird am besten verfolgt bei Formen, welche einen relativ großen Rest des Worrr’schen Körpers sich lange Zeit hindurch bewahren. Be- sonders günstige Objekte liefern die Embryonen mancher Hufthiere, namentlich die von Rind und Schwein; bei letzteren sollen in Kürze die Hauptstadien betrachtet werden. Bei solchen von 3 em Länge (Taf. XXII Fig. 1) reichen die bohnen- förmigen WoLrr’schen Körper (vr) durch die ganze Bauchhöhle von der Anlage des Zwerchfells bis zur Inguinalgegend. Auf der ventralen Fläche, der medialen konkaven Partie des Organs genähert, verlaufen die Genitalgänge. Medial davon liegen die Keimdrüsen, durch eine vordere und hintere, wie Fortsetzungen derselben sich darstellende Falten mit dem Worrr'schen Körper resp. den Genitalgängen ver- bunden. Diese Falten, welehe KÖLLIKER bei einem männlichen Rindsfötus abgebildet und als oberes und unteres Hodenband be- zeichnet hat (pag. 961), stellen jetzt die einzigen ligamentösen Par- tien der peritonealen Hülle der Urniere dar. Mit Rücksicht auf die späteren Veränderungen ist es besonders die hintere Keimdrüsen- falte, welche das Interesse in Anspruch nimmt. Sie verbindet den medialen Pol der Keimdrüse mit den Genitalgängen und stellt die Anlage des Lig. ovarii der weiblichen und des Lig. testis der männlichen Thiere dar (ZZ, lo). Bei etwas älteren Embryonen hält das Wachsthum der Urniere nicht mehr gleichen Schritt mit dem der Nachbarorgane; durch ihr scheinbares Zurückweichen von Zwerchfell und Inguinalgegend lässt die Urniere zwei Peritonealfalten an ihrem vorderen und hinteren Pole hervortreten. Die vordere ist die Plica diaphragmatica KöLuıker’s (pd Fig. 2, 3, 4, 6, 7,8). In ihrem Bereiche gelangen Über den Descensus testiculorum. 591 Niere und Nebenniere zu immer mächtigerer Entfaltung. Wie von einem männlichen Schweinsembryo (6,7 em lang) angegeben (Fig. 4), erstreckt sich die Zwerchfellsfalte über die laterale konvexe Fläche der Niere (2) nach vorn und erreicht alsbald nicht mehr den Theil, welcher ihr den Namen verlieh. Die hintere Falte nenne ich die Plica inguinalis (pz). Sie ist keineswegs mit dem »Leistenband der Urniere« KÖLLIKER’S zu identifieiren; dasselbe stellt eine Diffe- renzirung im Bereiche der Plica inguinalis dar und wird später zur Sprache kommen. Die weitere Reduktion der Urniere (wz) gestaltet deren perito- nealen Überzug zu einer Duplikatur des Bauchfells, welcher der Name »Urnierenligament« (wnl) zukommt. Dieselbe entspringt ef. Fig 4 und 7) jederseits von der dorsalen Wand der Bauchhöhle zu Seiten der Wirbelsäule mit breiter Basis und enthält in ihrem freien ventralen Rande die Reste der Urniere, den Nebenhoden (A) resp. Nebeneierstock sowie die Genitalgänge (gg). Die mediale Lamelle dieser Duplikatur birgt außer Nieren und Nebennieren auch die Keimdrüsen (4, ¢, o). Die geringe Vertiefung zwischen Keimdrüsen und Genitalgängen (Fig 1) gestaltet sich mehr und mehr zu einer Tasche, deren mediale Begrenzung durch das Lig. testis resp. ovarii vervollständigt wird. Der bei weiblichen Thieren übliche Name der Bursa ovarii (bo) ist als Bursa testis (di) auf die männlichen auszudehnen, da auch bei diesen nicht nur im embryo- nalen, sondern auch im erwachsenen Zustande (Beutelthiere, Nager, Monotremen) eine entsprechende Bildung wohl ausgeprägt ist. Am vorderen Rande der Tasche tritt die Keimdrüse mit ihrem Ausführ- apparat in nähere Beziehung; den Boden der Tasche bildet das Mesovarium resp. Mesorchium. Letzterer Name ist somit der den Hoden mit dem Nebenhoden verbindenden Peritonealduplieatur zu reserviren und nicht, wie es bisher vielfach üblich war, auf das ganze Urnierenligament auszudehnen. Das Stadium des Keimdrüsensitus, wie ihn Fig. 7 darstellt, kehrt bei allen Säugethierembryonen mit geringen Modifikationen wieder. Fig. 2 zeigt dasselbe von einem Beutelthier (Perameles Gunnii), Fig. 8 von einem Carnivoren (Hund), Fig. 5 von einem Nage- thier (Kaninchen). Die hauptsächlichste Verschiedenheit beruht in der größeren oder geringeren Entfernung der Nieren von den Keim- drüsen. Die Faktoren dieser Verlagerung zu prüfen, liegt außerhalb des Bereichs der vorliegenden Untersuchung; es ist jedoch wichtig zu konstatiren, dass die verschiedene Position der Nieren nichts zu 592 Hermann Klaatsch thun hat mit der späteren Ortsveriinderung der Hoden. Wenn die Keimdrüsen ihre Lage zu den Nieren ändern, so handelt es sich nicht um eine aktive Verlagerung derselben vom ursprünglichen Orte; dieser ist durch die Urniere, nicht durch die Niere gegeben und es ist daher eben so berechtigt, von einem nach vorn Wandern der Nieren, als von einem » Descensus« der Keimdrüsen nach hinten zu sprechen’. Das so eben charakterisirte allen Säugethieren ontogene- tisch gemeinsame Stadium erklärt sich durch die Rekapitula- tion eines den Vorfahren der Mammalia zukommenden Verhaltens. Dasselbe findet sich beim erwachsenen Thiere in beiden Geschlechtern in der Gruppe der Monotremen (cf. Owen 1, pag. 643, wo jedoch auf die peritonealen Bedeckungen der Organe wenig Rücksicht genommen ist). Bei einer männlichen Echidna von 35 em Länge finde ich auf jeder Seite der Wirbelsäule eine Perito- nealduplikatur, welche im ausgespannten Zustande eine dreieckige Platte von 7 cm Höhe darstellt. Die mediale Lamelle umschließt in ihrem vorderen Theile Nieren und Nebennieren. Auf der linken Seite geht der Peritonealüberzug von der Niere direkt zum Zwerch- fell, auf der rechten Seite ist in die Plica diaphragmatica des Urnierenligamentes die Leber eingefügt. Den freien Rand des Ligamentes nehmen die stark entwickelten Nebenhoden ein, denen beträchtliche Urnierenreste beim weiblichen Thiere entsprechen. Zwischen Nebenhoden und Hoden liegt eine tiefe Bursa testis. Am vorderen Rande derselben sind beide Organe einander stark genähert. Vom hinteren Pol des Hodens zieht eine sehr scharf aus- geprägte Peritonealfalte zum Vas deferens — das Ligamentum testis. Hinter dem Hoden weichen die beiden Lamellen des Ur- nierenligamentes weit aus einander. Die mediale erreicht die Wir- belsäule neben dem Enddarm, die laterale überkleidet den M. psoas und geht auf die laterale, sowie im Bereiche der Epipubis 1 Unter den Prosimiern findet sich bei Stenops tardigrada die Plica diaphrag- matica in voller Ausdehnung erhalten, da die Nieren ihre ursprüngliche Lage nicht verändern. Im weiblichen Geschlechte liegen somit die Keimdrüsen in der Nähe des hinteren Poles der Nieren. Mit Rücksicht auf letztere also findet kein »Descensus ovariorum« statt. Der beim männlichen Thiere sich vollziehende Descensus der Hoden bestätigt die Ansicht, dass die Lageveränderungen der Nieren zu den Keimdrüsen nichts mit der Hodenverlagerung zu thun hat. Reste der Plica diaphragmatica sind beim Menschen die Ligamenta ovario-pelvica und infundibulo-pelvica des Weibes (cf. G. WIEGER). Lockwoop nennt die Plica diaphragmatica beim Menschen Plica vascularis. Über den Descensus testiculorum. 593 neben der Harnblase auf die ventrale Körperwandung über. Dieser Theil des Urnierenligamentes entspricht der Plica inguinalis. Im Bereiche derselben fand ich weder bei männlichen noch bei weiblichen Exemplaren von Echidna und Ornithorhynchus irgend welche Andeutungen besonderer ligamentöser Bil- dungen, wie sie bei den höheren Säugethieren auftreten. Dieser Befund ist von Wichtigkeit für die Beurtheilung der Lig. ovarii und Lig. testis. Es ist eine allgemein acceptirte Auffas- sung, dass diese Bänder dadurch zu Stande kämen, dass die als Leistenband der Urniere, Lig. rotundum oder Gubernaculum bezeichneten Bildungen zur Keimdrüse hin sich ausdehnten, so dass ein einheitlicher Strang Hoden und Eierstock mit der Inguinalgegend verbände. Die Entwicklung dieser Apparate zeigt die Keimdrüsen- ligamente als selbständige Bildungen zu einer Zeit, wo eine Plica inguinalis überhaupt noch nicht existirt. Erweckt dieser Befund Zweifel an der Abstammung der Ligg. ovarii und testis vom » Leisten- bande«, so beweist der Zustand der Monotremen auf das klarste, dass die Verbindung der Keimdrüse mit den Wourr’schen resp. MULLER’schen Gängen nichts zu thun hat mit den Veränderungen der Plica inguinalis. Was nun das sogenannte »Leistenband der Urniere« selbst anbetrifit, so stellt es in einer ganz bestimmten Erscheinungsform ein allen Säugern (außer den Monotremen) gemeinsames Vorkommnis dar. Als »Lig. inguinale« bezeichne ich fortan den Strang, welcher bei beiden Geschlechtern jederseits von den Genitalgängen entspringt und sich zur Regio inguinalis der Bauchwand begiebt, in so weit derselbe von subperitonealem Gewebe gebildet wird. Da eine nähere Bezie- hung des Bandes zur Urniere nicht besteht, so lasse ich letzteres Organ aus der Bezeichnung fort. Sodann scheide ich aus dem Be- griff des Leistenbandes alle Komplikationen aus, welche durch Veränderungen der Bauchwand in der Regio inguinalis sich erklären. Das typische Lig. inguinale zeigt z. B. sehr klar die Fig. 8, von einem Hundsembryo (6,5 cm). Das Band geht von den Genital- gängenab, in der Nähe der Stelle, wo das Lig. testis resp. ovarii diese Gänge erreicht. Diese, nicht einmal überall genau zutreffende Lagebeziehung (ef. Taf. XXII Fig. 2 Perameles) hat die oben er- wähnte irrthümliche Auffassung der Ligamente hervorgerufen. Im einfachsten Falle (ef. Fig. 8) behält der Strang überall gleichen Durchmesser bis zur Insertionsstelle, an welcher später zu erörternde Komplikationen auftreten. Das subperitoneale Gewebe des Ligamentes 594 Hermann Klaatsch wurde in vielen Fällen mit Sicherheit als glatte Muskulatur erkannt. Diese histiologische Beschaffenheit zeigt das Band dauernd im weib- lichen Geschlechte, wo es zum Lig. rotundum wird; beim männ- lichen Geschlechte konnte ich die glatten Muskelzellen in dem Bande bei Beutelthieren (Perameles) und Carnivoren (Hund) nachweisen. Das Auftreten dieses subperitonealen Muskelstranges stellt eine der zahlreichen Differenzirungen der Muskulatur des Cöloms dar, wie sie in anderer Form und an anderer Stelle wohlbekannt sind. Der gleichen Quelle verdankt der Darmtractus seine Ausstat- tung mit glatter Muskulatur; über die ganze Cölomwandung reich- licher und gleichmäßiger verbreitet als bei Säugethieren findet sich die Muskulatur bei Reptilien. Als besondere Bildungen derselben treten auch bei Säugethieren Muskelstränge auf, so der bekannte M. suspensorius duodeni. In inniger genetischer Beziehung steht mit dieser Cölommuskulatur die Entfaltung der muskulösen Wandung der Genitalgänge, mit welcher das Lig. inguinale stets einen direkten Zusammenhang aufweist. Es ist somit dieses Band selbst als eine Speeialisirung allgemein verbreiteter Einrichtungen aufzufassen. IE Die periodische Verlagerung der Hoden bei Nagern und Insectivoren. Im Bereiche der Plica inguinalis des Urnierenligamentes findet man bei den Embryonen der Nager und Insectivoren auf jeder Seite ein Gebilde, das von innen betrachtet wie ein Kegel in die Bauch- höhle vorspringt. Am besten ist dasselbe bei den Muriden entwickelt. Bei neugebornen Ratten verharren die Keimdrüsen und Urnieren- reste in ihren Lagebeziehungen noch auf dem Echidna-Stadium; das Urnierenligament zeigt dieselbe Ausdehnung wie bei Monotremen (Taf. XXII Fig. 9). Neu hinzugekommen ist nur das so eben er- wähnte Gebilde, welches ich den Conus inguinalis nenne. Mit breiter Basis hebt sich dasselbe von der Bauchwand ab, lateral vom M. rectus abd., den man auf Fig. 9 als Wulst auf der Innenfläche der vorn umgeschlagenen Bauchwand findet; ea. 1 mm im Durch- messer haltend und ca. 2,5 em hoch ist das Gebilde dem ventralen freien Rande des Urnierenligamentes eingefügt. Auf seiner Spitze inserirt als kurzer Strang das Leistenband (A), welches vom Nebenhoden ausgeht. Die Beziehungen des Leistenbandes zum Conus inguinalis zeigen weibliche Thiere noch übersichtlicher (Fig. 26). Uber den Descensus testiculorum. 595 Auch bei diesen tritt ein Conus auf, der in verkleinertem Maßstabe das männliche Gebilde wiederholt; das Leistenband, viel schärfer aus- geprägt, als beim anderen Geschlechte, inserirt nicht genau auf der Spitze, sondern etwas unterhalb derselben am Conus. Die Stelle, wo das Band am Uterus entspringt, ist auf der Figur noch eben sicht- bar. Es entspricht also die Lage des Conus der Insertionsstelle des Ligamentum inguinale, beide aber stellenzweivoneinander wohl gesonderte Bildungen dar. Den Conus inguinalis eines männ- lichen Rattenembryo (3,5 cm) zeigt Fig. 6 von der medialen Seite. Die Harnblase ist nach rechts hinübergelegt, über dem Conus ist das Vas deferens sichtbar. Die mikroskopische Untersuchung von Schnitten, welche durch Hoden, Nebenhoden und Conus gelegt sind (Taf. XXIII Fig. 8) zeigt die Natur des letzteren. Er stellt eine eingestülpte Partie der beiden inneren Bauchmuskeln, des Obliquus internus und transversus dar, während der Obliquus externus sich nicht an seiner Bildung betheiligt. Die Hauptmasse des Conus entspricht den Fasern des Transversus, welche an seiner Basis nach innen umbiegen und je weiter zur Spitze hin, desto mehr eine der Oberfläche parallele Richtung gewinnen. So bilden sie eine äußere Schicht des Conus (fr), dessen Achse von Bestandtheilen des Obliquus internus (02) herrührt. Diese in dem centralen Theile des Conus leicht wahrnehmbaren Mus- kelfasern haben eine zu denen des Transversus annähernd senk- rechte Richtung; man wird sich ihren Verlauf als senkrecht zu der Achse und koncentrisch zur Peripherie des jedesmaligen Kegel- durehschnittes vorzustellen haben. Das entsprechende Gebilde der weiblichen Ratte zeigt in verkleinertem Maßstabe denselben Bau. Bei jugendlichen Thieren findet man den Conus inguinalis wieder. ‘Seine Zusammensetzung aus Theilen der Bauchmuskulatur ist jetzt mikroskopisch leicht wahrnehmbar. Auf seiner Spitze trägt er meist eine leichte Grube, in welcher der Schwanz des Nebenhodens sich birgt. Dieser Befund war den älteren Autoren, namentlich HuNTER und SEILER wohl bekannt; auf des Letzteren Abbildung Taf. II Fig. 1 sei hiermit verwiesen. Diese Autoren bezeichneten das Gebilde, für welches ich den Namen Conus inguinalis vorschlage, als Gubernaculum testis, indem sie es mit dem entsprechenden Gebilde des Menschen ver- glichen. Der Conus ist von der größten Bedeutung für die Verlagerung der Hoden, die zeitweise bei Nagethieren und Insectivoren eintritt. 596 Hermann Klaatsch Was den Modus dieser Verlagerung anbetrifft, so vollzieht sich derselbe in überaus einfacher Weise: Wie SEILER bereits richtig beschrieb, stülpt sich der Conus wie der Finger eines Handschuhs nach außen um. Die Umstülpung des Conus beginnt an der Basis und schreitet nach der Spitze zu fort. Als Endresultat des Vorganges findet sich an der Stelle des Conus eine Tasche, in welcher der Hoden ruht. Ich nenne sie die Bursa inguinalis. Das Material des Conus liefert die Wand der Bursa, die Muskulatur des Conus den Cremaster, die peritoneale Bekleidung des Conus, die peritoneale Auskleidung der Bursa, oder den Processus vaginalis. Dieser einfachste Modus des Descensus testiculorum ist für die späteren Erörterungen von der größten Bedeutung; es sei daher an dieser Stelle ausdrücklich betont, dass der Ausgangspunkt des ganzen Processes gegeben ist durch das Vorhandensein einer nach innen vorgestülpten Partie Bauchwand, oder des Conus, dessen Spitze mit dem Nebenhoden durch das Lig. inguinale verbunden ist. Bei der »Ausstülpung« des Conus liegt der Hoden mit dem Nebenhoden der Wandung der Bursa inguinalis an, indem er dieselbe vollständig ausfüllt. Fragt man nach den Faktoren, welche die Hodenverlagerung leiten, so muss man dieselben scheiden in solche allgemeinerer Natur und in die unmittelbar bei dem Processe thätigen Mo- mente. Die erstern erblicke ich in dem Vorhandensein des Conus überhaupt, als eines Gebildes, das zunächst als gegeben hingenommen werden muss, und dessen phylogenetische Bedeutung mich im letzten Abschnitt dieser Arbeit beschäftigen wird. Die speciellen Momente beruhen in der Funktion des Conus und in der Veränderung, welche die Hoden zeitweise erfahren. In Anbetracht der muskulösen Natur des Conus trage ich eben so wenig wie die älteren Autoren (SEILER) Bedenken, die Ausstülpung desselben als durch die Kontraktion seiner Muskelfasern bedingt an- zusehen. Eine starke Anspannung sämmtlicher Bauchmuskeln wird im Bereiche des Conus einen Ausgleich des Niveaus, somit eine Ausstülpung dessen, was bisher eingestülpt war, herbeizuführen an- streben, wobei die Transversusfasern auf Grund ihres zur Oberfläche des Conus parallelen, zur Spitze des Conus radiären Verlaufs die energischste Wirkung entfalten müssen. Ich erkenne somit im Co- nus ein muskulöses Organ, das seinen Namen »Gubernaculum« in gewissem Sinne wohl verdient. Ich glaube aber nicht, dass damit die Faktoren der Verlagerung erschöpft sind. Außer der Muskel- Über den Descensus testiculorum. 597 wirkung muss noch etwas Anderes hinzukommen, das die Periodieität des Processes dem Verständnis näher bringt. Der Conus, als ein der Umstülpung fähiger Theil der Bauchwand, stellt für den Inhalt der Bauchhöhle einen Locus minoris resistentiae dar. Diesen zu benutzen, dazu werden nur diejenigen Contenta der Bauchhöhle Veranlassung haben, welche zu gewissen Zeiten einen größeren Raum beanspruchen als für gewöhnlich, vorausgesetzt, dass sie mit dem Conus in näherer örtlicher Beziehung stehen. Beides trifft nur für die männlichen Keimdrüsen zu. Dass dieselben zur Zeit erhöhter Thätigkeit an Volumen zunehmen, ist eine für alle Säugethiere gel- tende Regel, dass sie gerade bei Nagern und Insectivoren sowie auch bei Monotremen sehr beträchtlichen Schwankungen des Volumens unterworfen sind, ist wohl bekannt. An sich wird diese Größen- zunahme nicht zu einer Ausstülpung der Bauchwand führen, wie die Monotremen zeigen, denen der Conus fehlt, dass aber bei der Exi- stenz des letzteren der Hoden selbst zur Ausstülpung beiträgt, ist wohl denkbar. Der so eben entwickelten Ansicht widerspricht scheinbar die allgemein konstatirte Thatsache, dass die Hoden der Nager und In- sectivoren zur Zeit der Brunst in die Bauchhöhle zurückkehren. Dies Faktum verträgt sich aber sehr wohl mit meiner Anschauung. Als Zeit der Brunst wird allgemein diejenige angesehen, in welcher die Weibchen gravid getroffen werden, also die Periode nach Voll- ziehung des Coitus!. Dass diese nicht mit der Zeit der höchsten Turgescenz der Hoden zusammenfällt, im Gegentheil derselben nach- folgen muss, ist leicht ersichtlich 2. Schwieriger als der Austritt der Hoden ist die Rückkehr der- selben in die Bauchhöhle zu erklären. Die Abnahme der Hoden an Volumen genügt nicht als Ursache; die Kontraktion der musku- lösen Wand der Bursa dafür verantwortlich zu machen, stößt auf Schwierigkeiten; immerhin könnten die ringförmig den Hoden um- fassenden Fasern des Obliquus internus (s. unten) bei der Kontraktion denselben etwas nach innen dislociren. Man würde demnach die Vorstellung gewinnen, dass die Muskelfasern des Conus resp. der ! An einer großen Zahl von Maulwürfen konnte ich mich davon über- zeugen, dass die Hoden durchweg in der Bauchhöhle lagen zu der Zeit (Mai— Juni), wo die Weibchen die verschiedenen Stadien der Gravidität zeigten. 2 Bei Ratten fand ich stets die Hoden dann, wann sie nach außen ver- lagert waren, von viel beträchtlicherer Größe als bei ihrem Verweilen in der Bauchhöhle. 598 Hermann Klaatsch Bursa den Hoden einmal nach außen, das andere Mal nach innen disloeiren können, wobei im ersteren Falle die Elemente des Trans- versus, im letzteren des Obliquus internus in ihrer Wirkung tiber- wiegen würden. Es liegt hier ein Punkt vor, über dessen Eutschei- dung kein endgültiges Urtheil gefällt werden kann, und bei dem die Frage offen bleiben muss, ob nicht allgemeinere Momente, ähnlich denen, die das Gubernaculum schufen, eine Rolle spielen (s. unten). Bei manchen Nagern findet die Hodenverlagerung schon in einer so frühen Entwicklungsperiode statt, dass in den betreffenden Fällen die bezeichneten Faktoren nicht direkt als Causa movens erscheinen. Bei einem Embryo von Sciurus vulgaris von 4,8 em Länge finde ich die Hoden in weite Taschen eben eingesenkt, aus deren Grunde der beträchtlich verkleinerte Conus inguinalis aufsteigt. Hier hat also die Umstülpung des Conus schon in embryonaler Periode be- gonnen: vollzogen finde ich sie bei einem Embryo yon Myoxus glis, alle Stadien des Vorganges sind bei jungen Mäusen zu beobachten. In dieser Erscheinung erblicke ich das verfrühte Auftreten eines Vorganges, der zuerst bei erwachsenen Thieren sich einbürgerte, und erkenne in dieser Verfrühung einen Beweis für die Festigkeit der Vererbung desselben bei den Muriden und verwandten Formen. Ich stütze diese Anschauung auf die primitiveren Verhältnisse des Igels. Bei diesem findet sich zunächst ein Conus inguinalis von ähnlicher Form, aber viel geringeren Dimensionen als bei der Ratte (ef. Fig. 19), bei älteren Embryonen und jugendlichen Thieren tritt er in toto etwas weiter nach hinten, wodurch Hoden und Neben- hoden der Bauchwand stark genähert werden (Fig. 20), zu einer Ausstülpung des Conus aber kommt es erst bei erwachsenen Thieren. HUNTER meinte, dass die Hoden beim Igel niemals die Bauchhöhle verließen, LECHE (pag. 55) beschrieb die Tasche, in welche der Hoden zeitweise gebettet wird. Ich habe nur solche Exemplare ge- sehen, wo der relativ kurze Conus im eingestülpten Zustande sich befand, der leichteste Druck genügte, um ihn auszustülpen und so ein den Nagern gleiches Verhalten hervorzurufen. Talpa schließt sich vollständig an die Nager an, was die Form des Conus anbe- trifft, doch vermag ich nicht zu sagen, ob hier schon in embryonaler Zeit eine Verlagerung vorkommt. So weit ich Nagethiere zu untersuchen Gelegenheit hatte, fand ich überall den Zustand des Conus inguinalis mit dem der Muriden übereinstimmend oder doch nur in unwesentlichen Punkten von ihm a Yo Uber den Descensus testiculorum. 599 abweichend. Bei einem jugendlichen Exemplar von Dipus aegyp- tiacus lagen beide Hoden in der Bauchhöhle auf der Spitze eines kleinen Conus; bei Lepus cuniculus fiel die starke Entwicklung des Conus in beiden Geschlechtern auf (Fig. 5). Die Beziehung desselben zum Lig. inguinale ist bei Lepus desshalb von besonderem Interesse, weil die Grenze beider Gebilde gegen einander äußerlich verwischt ist; wie der Befund von einem männlichen Kaninchen- embryo (3 cm) zeigt, erscheint der Conus als ein distal verdickter Theil des Leistenbandes (Fig. 5). Bei neugeborenen Thieren lässt sich die Selbständigkeit des Conus schon makroskopisch nach- weisen. Die durch Ausstülpung des Conus entstehende Bursa inguinalis veranlasst bei den Nagern und Insectivoren eine nur geringe Vor- wölbung des Integumentes. Bei der Ratte findet man zur Seite des Penis zwei längliche Wiilste. Sie enden, spitz auslaufend, unweit des Afters. Bezeichnet man, wie allgemein üblich, das Integument, in so weit es zur Umhüllung des Hodens dient, als Serotum, so besitzt die Ratte und mit ihr sämmtliche Nager und Insectivoren ein solches nur dann, wenn die Bursa ausgestülpt ist, mit anderen Worten, die Scrotalbildung ist hier die direkte Folge der Hodenverlagerung. Darin liegt eine Verschiedenheit von anderen Formen, bei welchen Scrotalanlagen zeitlich unabhängig vom Descensus auftreten (s. unten). Obwohl bei Nagern kein Sero- tum präformirt ist, so ist doch die Stelle, welche seinem höchsten Punkte später entspricht, schon bei Embryonen markirt. Bei der Ratte sowohl wie bei der Maus und in schwacher Andeutung bei einem Embryo von Seiurus fand ich zwischen Penis und After dicht neben einander und der Medianlinie genähert zwei kleine Felder, welche durch ihre Pigmentirung sich vor dem übrigen Körper aus- zeichneten. Beim erwachsenen Thiere entsprechen diesen zwei ovale Bezirke, welche vorn mit einander verschmolzen sind (Taf. XXII Fig. 12). Durch spärliche Behaarung, stark runzliche Beschaffen- heit und den Besitz eines sehr stark entwickelten Netzwerkes glatter Muskelzellen in der subepidermoidalen Schicht der Cutis heben sich die Felder von der Umgebung ab. Die glatte Muskulatur in diesem Bereiche ist schon von Leyvıs als Tunica dartos beschrieben worden. Die Bedeutung dieser und die Verbreitung der Area seroti bei den Säugethieren wird mich weiter unten beschäftigen; bei Nagern und Insectivoren habe ich außer den bezeichneten For- men vergeblich danach gesucht; dennoch halte ich es für wahr- 600 Hermann Klaatsch scheinlich, dass eine Tunica dartos auch bei solchen Formen ge- funden werden wird, die äußerlich keine Area ausgeprägt zeigen. Bei völlig herabgetretenen Hoden ist die Area leicht auf der Höhe des Scrotums zu finden; weichen die Hoden zurlick, so ist ein ge- naueres Zusehen erforderlich; entfernt man die Haut, so findet man auch jetzt die Spitze der Bursa — auf Fig. 12 ist dieselbe auf einem mittleren Stadium der Ausstülpung wiedergegeben — besonders fest mit der Area zusammenhängend durch Bindegewebszüge, welche der fibrösen Hülle der Bursa inguinalis angehören. Diese Hülle ist nichts Anderes als der Antheil des Obliquus externus an der Bursa. Es ist kein Säugethier bekannt, bei wel- chem dieser Muskel als solcher die Bursa umhüllt, vielmehr weichen seine Fasern stets aus einander, um die tieferen Theile durchtreten zu lassen. An dieser Durchlassstelle, welche einen primitiven äußeren Leistenring repräsentirt (Fig. 22), ist die Beschaffen- heit des Muskels sehr verschieden. Bei der Ratte, auch beim Igel sind es im vorderen Theile muskulöse Bestandtheile, welche den äußeren Leistenring begrenzen; weiter hinten geht der Muskel in sehnige Fasern über, welche medial sich am Schambein inseriren, lateral den Arcus cruralis bilden helfen. Mit diesen Theilen des Obliquus externus hängt die fibröse Hülle der Bursa so innig zu- sammen, dass sie als ihre direkte Fortsetzung betrachtet werden kann; bei eingestülpter Bursa sieht man die Fasern dieser Hülle, die ich als Fascia eremasterica bezeichne, den tieferen Theilen folgend, in die Achse des Conus eintreten. Durch mehr aponeurotische Ausbildung des Externus an der be- treffenden Stelle wird der äußere Leistenring dem Bilde ähn- licher, welches man sich gewöhnlich von den höheren Säugethieren aus von ihm macht. Bei Hystrix eristata finde ich ein mediales und laterales »Crus« wohl entwickelt. : Die vom Obliquus internus und Transversus gelieferten Theile der Bursa werden gewöhnlich als »Cremaster« zusammengefasst, wie denn die ganze Bursa bei Nagern und Insectivoren häufig als »Cremastersack« bezeichnet wird (cf. LECHE). Bei diesen Formen ‘ sind die von den beiden inneren Bauchmuskeln gelieferten musku- lösen Hüllen so vollständig entwickelt und so wohl von einander geschieden, wie bei keiner anderen Gruppe der Siiugethiere (Fig. 22). Die Fasern des Obliquus internus, an der Abgangsstelle der Bursa, schräg medialwärts ansteigend, gehen weiter distal immer mehr in eine zur Bursa transversale Richtung über und liefern so Uber den Descensus testiculorum. 601 eine äußere Ringfaserschicht (07), welche am dorsalen Theile in einer schmalen Raphe inserirt. Die Transversusfasern gewinnen im Be- reiche der Bursa einen schräg medialwärts absteigenden Verlauf und konstituiren so eine innere Längsfaserschicht, welche den Hoden bis auf eine schmale dorsale Raphe allseitig muskulös umhüllt (auf Fig. 22 nicht sichtbar, weil sie durch die Ringfaserschicht ver- deckt wird). Ganz gleiche Zustände des »Cremasters« wie die Ratte zeigte der Maulwurf; beim Igel fiel mir eine leichte Auflockerung der Ringfaserschicht auf. Bei Myoxus glis ist der ganze Cremaster sehr zart entwickelt. Die Längsfaserschicht erkennt man mit bloßem Auge, dass darüber eine Ringfaserschicht liegt, kann man nur mi- kroskopisch nachweisen, wobei eine ungleichmäßige Entfaltung und ein Aufhören des regelmäßigen Faserverlaufs auffällt. Diese Un- regelmäßigkeiten bezeichnen den Anfang einer Auflösung der Ring- faserschicht, welche bei Hystrix cristata weiter vorgeschritten ist: hier bilden isolirte schlingenförmig verlaufende Muskelbündel das Rudiment des Internus-Theiles der Bursa, während die Längs- faserschicht im ursprünglichen Umfange fortbesteht. Die Fascia transversa ist bei den Nagern nur schwach entwickelt. Ihre mit dem M. transversus nach außen vorgestülpte Partie entspricht der Lage nach der beim Menschen sogenannten Tunica vaginalis com- munis, eine Bildung, die erst bei höher differenzirten Formen als eine besondere »Hülle« des Hodens ausgeprägt ist. Der Processus vaginalis ist nichts Anderes als die peritoneale Auskleidung der Bursa und entsteht, wie die Bursa selbst, erst durch die Hodenverlagerung. Es giebt hier also keinen vor dem Hoden her nach außen wachsenden Fortsatz der Bauchhöhle, wohl aber kann man, wenn die Hoden in dieselbe zurückkehren, durch leichten Zug dieselben dislociren und erhält dann in Form der nicht völlig eingestülpten Bursa einen »Processus vaginalis«. Der innere Leisten- ring ist repräsentirt durch die weite innere Eingangsöffnung der Bursa. Entsprechend dem Fehlen einer Durchbrechung der Bauchwand, wie sie als »Leistenkanal« bei anderen Säugethieren vorkommt, haben eben so wie die männlichen auch die weiblichen Nager und Insectivoren in der Inguinalgegend nur eine Vorwölbung sämmtlicher Bauchmuskeln aufzuweisen, deren peritoneale Auskleidung bei der Betrachtung von innen eine flache Grube oder Tasche darstellt. Im Grunde dieser Tasche inserirt das bei den weiblichen‘ Thieren zum Lig. rotundum gewordene Leistenband. Meist schwach entwickelt Morpholog. Jahrbuch. 16. 39 602 Hermann Klaatsch und vielfach kaum als besonderes Gebilde nachweisbar, erlangt das- selbe bei Insectivoren bisweilen eine stärkere Entfaltung. Bei einem graviden Weibehen von Erinaceus, und dessgleichen von Sorex fand ich dasselbe zu einem dieken Strange umgestaltet, dessen Elemente sich mikroskopisch als glatte Muskelzellen offenbarten. An der äußeren Bauchwand, dem Grunde der Bursa genau entsprechend, liegt das inguinale Paar der Milchdriisen: wo ein solches, wie bei Cavia, Hydrochoerus u. A. allein existirt, tritt die Lagebeziehung der Bursa zu den Mammarorganen besonders deutlich hervor. In die Wandung der Bursa lässt sich ein dem N. spermaticus externus entsprechender Ast des N. Genitocruralis bei beiden Geschlechtern verfolgen. Das Mesorehium bleibt bei den Nagethieren in derselben Aus- dehnung bestehen wie bei den Monotremen. Wie bei Echidna, so hängen auch bei der Ratte Hoden und Nebenhoden (Taf. XXII Fig. 25) nur am vorderen Pol der Keimdrüse und durch einen den Grund der Bursa testis (5?) quer durchsetzenden Strang zusammen, während das Lig. testis (/¢) auch hier nur den freien Rand der die tiefe und weite Hodentasche bildenden Peritonealduplicatur darstellt. Das Urnierenligament behält bei der Ratte dieselbe Länge wie bei Echidna (Fig. 25). Es birgt in seinem vorderen freien Rande die bekannten mächtigen Fettlappen (f, ef. Fig. 6). Diese Ausdeh- nung des Urnierenligamentes ist für das Verständnis der Hoden- verlagerung sehr wesentlich. Sie zeigt die freie Exkursions- fähigkeit der Keimdrüse und schließt ein »Verstreichen« der peritonealen Anheftung der Hoden an die dorsale Bauchwand, wie es bei anderen Formen zur Erklärung der Tunica vaginalis propria verwerthet wurde, für die Nager völlig aus. Iil. Der Descensus testiculorum des Menschen und die Hodenhiillen der Prosimier und Primaten. Von den Nagern und Insectivoren unterscheiden sich die Prosi- mier und Primaten dadurch, dass der Descensus der Hoden bei den letzteren eine definitive Einrichtung geworden ist. Die Hodenverlagerung erfolgt einmal in früher, meist in embryonaler Zeit. Nach vollen- detem Descensus bieten Prosimier und Primaten durch die Beschaffen- heit der Hodenhüllen Zustände dar, die von denen der Nager sich Über den Descensus testieulorum. 603 leicht ableiten lassen. Der Mensch stimmt in allen wesentlichen Punkten mit den Halbaffen und Affen überein. Er stellt nieht den Endpunkt der Prosimier-Primaten-Reihe dar, sondern hat sich in mancher Hinsicht primitivere Zustände bewahrt als die Affen der alten Welt. Die Übereinstimmung der erwachsenen Zustände macht das Gleiche für den Modus der Hodenverlagerung sehr wahrscheinlich. Leider sind embryonale Halbaffen und Affen ein seltenes Material, — außer einem fast ausgetragenen Fötus von Semnopithecus stand mir kein solches zur Verfügung —, so dass man auf menschliche Embryonen angewiesen ist. Damit wird ein Objekt von Neuem in Angriff genommen, das auf den Descensus hin zwar sehr häufig untersucht, jedoch nicht in allen Punkten richtig verstanden wor- den ist. Es würde den Gang der Darstellung sehr erschweren, wenn ich hier auch nur einen Theil der Litteraturangaben über den mensch- lichen Descensus bei den betreffenden Stadien ausführlich berück- sichtigen wollte; ich habe daher einige Notizen derart in die An- merkungen aufgenommen. Der eigenen Schilderung lege ich die Flächenbilder Fig. 13—17 Taf. XXII und die denselben korrespondirenden Schnittbilder Fig. 1 bis 5 Taf. XXIII zu Grunde. Die Schnitte sind der rechten Seite entnommen und in der Richtung der Längsachse des »Gubernaculum« geführt. Bei der folgenden Schilderung werde ich mich öfter der Aus- drücke: Einstülpung und Ausstülpung der Bursa inguinalis be- dienen. Zum leichteren Verständnis dieser Nomenelatur sei hier im Anschluss an das oben bei Nagern Gesagte bemerkt, dass ich unter Ausstülpung der Bursa die Entfaltung der letzteren nach außen, distal von der Bauchwand und unter Einstülpung ihre Entwick- lung in die Bauchhöhle hinein, also proximal von der Bauchwand verstehe. Die jüngsten Stadien, die ich untersucht habe, entsprechen Em- bryonen von 8 em Länge. Die Hoden liegen der Bauchwand der Inguinalregion stark genähert. Ein Urnierenligament, dem bei Insectivoren (ef. Fig. 20 vom Igel) ähnlich, befestigt Hoden und Nebenhoden an der hinteren Bauchwand. Zwischen Hoden und Nebenhoden liegt von außen zugänglich eine wenig tiefe Bursa testis; in Folge des engen Anschluss der beiden Organe an einander ist weder ein Mesorchium noch ein Lig. testis als besondere Bildung 39* 604 Hermann Klaatsch erkennbar!. In der Plica inguinalis des Urnierenligamentes liegt vom Schwanz des Nebenhodens ausgehend ein rundlicher Strang. Der- selbe verschwindet in einer Peritonealausstülpung, dem Processus vaginalis. Wie der Schnitt zeigt (man vgl. Taf. XXII Fig. 13 und Taf. XXIII Fig. 1) befindet sich die Öffnung des Processus va- ginalis lateral vom Rectus und den Vasa epigastrica. Die Auskleidung des Proc. vag. begrenzt das Lumen einer Aus- stiilpung der gesammten Bauchmuskulatur. Der Obliquus externus ist vorgebuchtet in einer von dorsal-lateral nach medial-ventral lau- fenden Richtung. Auf der Höhe der Vorwölbung ist sein Gewebe lockerer als an den anderen Stellen, welche die Anlage seiner Apo- neurose zeigen. Nach innen geht sein Gewebe allmählich über in lockeres em- bryonales Bindegewebe, welches in direkter Verlängerung jenes vom Nebenhoden her in den Processus vaginalis eintretenden Stranges liegt. Obliquus internus und Transversus, von einander nicht zu sondern, folgen der Vorwölbung des Obliquus externus. So entsteht das Bild einer muskulös umwandeten Tasche, einer Bursa inguinalis. Am Grunde dieser Tasche ändern die beiden inneren Bauchmuskeln plötz- lich ihre Verlaufsrichtung (Fig. 1 Taf. XXIII). Ihre Fasern biegen scharf nach innen um und streben gegen den Strang empor, der vom Nebenhoden herabkommt. Sie überkleiden einen kegelförmigen Körper, dessen Achse von lockerem Bindegewebe gebildet wird. Der menschliche Embryo zeigt somit in diesem Stadium eine Bursa inguinalis, von deren Grunde ein Conus inguinalis auf- steigt. Auf der Spitze desselben inserirt ein mit dem Nebenhoden verbundenes Ligamentum inguinale. Der Mangel an früheren Stadien wird einigermaßen aufgehoben durch eine Angabe von Wem über das »Gubernaculum« von sehr Jungen menschlichen Embryonen (2 cm). Wein fand das Guberna- culum bei seinem Auftreten gebildet durch einen völlig in der Bauch- höhle liegenden kegelförmigen Körper. Wird in diesem leicht der Conus inguinalis der Ratte (Taf. XXII Fig. 9) wiedererkannt, so kann es nicht zweifelhaft sein, dass die Bursa inguinalis der S em langen Embryonen durch Ausstiilpung des Conus entstand in derselben: 1 BRAMANN betont mit Recht, dass das Gubernaculum ursprünglich nicht mit dem Hoden zusammenhängt. Ich finde nirgends einen solchen direkten Zusammenhang; nur durch Vermittelung des Lig. testis resp. ovarii steht die Keimdrüse mit dem Lig. inguinale in Beziehung. Über den Descensus testiculorum. 605 Weise, wie es bei den Nagern beobachtet wird. Fraglich bleibt hier- bei, wie der am Grunde der Bursa (Fig. 1 Taf. XXIII) aufsteigende Conus zu deuten sei. Auf den ersten Blick könnte man geneigt sein in ihm den letzten Rest des nicht völlig ausgestülpten Conus zu sehen, wie er bei Nagern (z. B. Seiurus) in gleicher Weise getroffen wurde. Die folgenden Stadien jedoch fordern eine andere Auffassung und zeigen ihn als den wieder eingestülpten Theil der Bursa!. Der Processus vaginalis weist offenbar auf diesem Stadium sehr große individuelle Schwankungen auf, wie die zahlreichen Diskussionen der Autoren über seine Existenz und Tiefe beweisen. Bei meinem Objekt (Fig. 1) hat er eine beträchtliche Ausdehnung und stellt nicht bloß eine oberflächliche Delle dar, wie sie BRAMANN auf diesem Sta- dium fand. Die individuellen Schwankungen sind leicht verständ- lich, wenn man das menschliche Objekt mit dem der Nager vergleicht. Nach dem Grade der Ausstülpung der Bursa zu urtheilen, wie er durch die muskulöse Wandung bezeichnet ist, müsste das Lumen viel weiter sein, als es in der That ist. Auch müsste das Lumen nicht nur das Lig. inguinale, sondern Nebenhoden und Hoden um- schließen. Hierin liegen Verschiedenheiten des menschlichen Be- fundes von dem der Nager, die weiter unten erklärt werden. Um sie zu verstehen ist eine Übersicht über die folgenden Stadien noth- wendig. Wie längst bekannt, rücken die Hoden in der folgenden Zeit immer weiter in die Bauchhöhle hinein. Wussten auch die meisten Autoren, dass hierbei das »Gubernaculum«, d.i. in diesem Falle der Conus inguinalis, sich mächtiger entfaltet, so blieb doch der Modus dieser Veränderungen unbekannt. Der Wahrheit am nächsten kamen Hunter und SEILER. Bei einem Embryo von 11 cm Länge (Fig. 2 Taf. XXIII, ef. Fig. 14 Taf. XXII) haben sich die Hoden ein wenig von der inneren Öffnung der Bursa entfernt, das Lig. inguinale wird in etwas größerer Ausdehnung von innen her sichtbar. Der Conus hat sich stärker entwickelt und springt weiter nach innen vor. Seine ! LockwooD beschreibt die Entwicklung der Inguinalregion des Menschen aus einem ähnlichen Stadium. Sein »descending cremaster« entspricht den Muskelfasern der Bursa, sein »ascending cremaster« denen des Conus inguinalis. 2 BRAMANN hat die makroskopischen Verhältnisse dieses Stadiums korrekt wiedergegeben. Die »rundliche weiße Masse«, welche »als Fortsetzung des Gubernaculum« anzusehen ist, entspricht dem axialen Gewebe des Conus. Auch erkannte BRAMANN den Zusammenhang des »Gubernaculum« mit den Bauch- decken (pag. 321). 606 Hermann Klaatsch eine Vergleichung mit dem vorigen Stadium lehrt, entspricht die Ver- änderung des Conus einem Fortschreiten der Einstülpung der Bursa; in demselben Maße, wie diese sich vollzieht, nimmt das Lumen der Bursa ab; der Processus vaginalis bleibt nicht, wie gewöhnlich an- gegeben wird, ziemlich unverändert bestehen, sondern er verstreicht allmählich. Diese Veränderungen haben sich bei etwas älteren Embryonen in demselben Sinne wie bisher weiter ausgebildet. Das Emportreten der Hoden, wie es Fig. 15 und 16 Taf. XXII zeigen, wird bedingt durch eine immer vollständiger werdende Einstülpung der Tasche. Fig. 3 Taf. XXIII zeigt diese von einem 15 cm langen Embryo so weit fortgeschritten, dass die Spitze des Conus sich an den Vasa epigastrica vorüber in die Bauchhöhle hinein erhoben hat. Die Muskelfasern des Conus sind reichlicher vorhanden als früher. Sie stellen eine äußere Hülle des Gebildes dar, dessen Achse von lockerem Binde- gewebe gebildet wird, in welchem Blutgefäße auftreten. Gegen die Spitze des Conus hin sieht man Muskelfaserbündel sich in ihre Kom- ponenten auflösen; die einzelnen Fasern strahlen in verschiedenen Richtungen aus und bieten, wie auch WEIL bemerkt, vielfach einen sehr unregelmäßigen Verlauf dar. Die Ausdehnung des Conus nach innen kam zu Stande auf Kosten des Lig. inguinale. Die musku- löse Hülle des Conus ist in die aus embryonalem Bindegewebe bestehende Masse des Bandes eingedrungen und hat sich dadurch dem Vas deferens beträchtlich genähert. Theile des Nebenhodens sind auf der Figur (Taf. XXIII Fig. 3) sichtbar; der Hoden war auf demselben Schnitt getroffen, seine Lage hat man sich in direkter Verlängerung vom Nebenhoden (zi in Fig.) nach oben zu denken. Das axiale Bindegewebe des Conus steht distalwärts wie schon früher mit dem aufgelockerten Theil der Externus- Aponeurose in Zusammenhang. BRAMANN hat allein von allen Autoren richtig er- kannt, dass der Obliquus externus beim Descensus niemals durch- brochen wird und dass die Bildung des äußeren Leistenringes nur auf einer Differenzirung der Aponeurosenanlage beruht. Der Obliquus externus betheiligt sich nicht an der Einstülpung der Bursa. Seine aufgelockerten Partien formiren gemeinsam mit der axialen Masse des Conus Bindegewebszüge, die gegen die Sero- talanlage hinziehen. Einen besonderen Strang, wie früher vielfach angenommen und auch abgebildet wurde, stellen sie nicht dar; zur Aufstellung eines solchen, als des bis in den Grund des Scrotums reichenden Gubernaculums, einer »Chorda gubernaeuli«, wie Te Uber den Descensus testiculorum. 607 CLELAND es nennt, hat die makroskopische Präparation verleitet. Immerhin hat die Verlaufsrichtung der Bindegewebsfasern vom Conus zum Scrotum eine gewisse Bedeutung, auf welche ich weiter unten zurückkomme. In dem folgenden Stadium, wie es Fig. 4 Taf. XXIII von einem 17 cm langen Embryo darstellt, — man vergleiche damit Fig. 17 Taf. XXII — hat die Einstülpung der Bursa sich gänzlich voll- zogen. Jetzt stellt der Conus ein Gebilde von beträchtlicher Aus- dehnung dar, welches auf seiner Höhe Hoden und Nebenhoden trägt. Das Lig. inguinale ist als selbständiges Gebilde nieht mehr vor- handen, da der Conus sich in demselben entfaltet hat. Das Umbiegen der Muskelfasern am distalen Theil des Conus, ihre nicht überall kontinuirliche Verbreitung in der Außenschicht desselben sind aus der Figur zu ersehen. Das Lumen der Bursa, der Processus vaginalis ist nahezu völlig verstrichen, ein Punkt, der bis- her nicht genügend betont worden ist. SEILER hat allerdings die Verhältnisse ganz richtig dargestellt, doch ist seine Nomenclatur geeignet, Irrthümer zu erzeugen. Er spricht auch auf diesem Sta- dium von einem »Processus vaginalis«, versteht aber darunter die peritoneale Bekleidung des »Gubernaculum«, d.i. des Conus in- guinalis. Die Form des Conus hat in so fern eine Veränderung erfahren, als seine einstmalige Spitze, sein proximaler Theil sich verbreitert hat, gleichsam in Anpassung an den auf demselben ruhenden Nebenhoden. In dieser Form ist das Gebilde seit Hunter bis auf die neueste Zeit richtig beschrieben worden!. Das vorliegende Stadium, charakterisirt durch die höchste Ent- wicklung des »Gubernaculum«, bezeichnet in dem Gange der Hoden- verlagerung einen Ruhepunkt. Bevor wir den nun schnell sich an- schließenden zweiten oder eigentlichen Descensus betrachten, ist es geboten, die bisherigen Vorgänge und die wichtigsten in der Littera- tur darüber niedergelegten Ansichten zu beleuchten. Die meisten Darstellungen vom Bau des »Gubernaculum« be- ziehen sich auf den soeben bezeichneten Zustand, und stimmen im Wesentlichen mit dem überein, was Hunter und SEILER darüber angegeben hatten. Beide Autoren erkannten die Übereinstimmung des menschlichen »Gubernaeulum« mit dem der Ratte zur Zeit, wann die Hoden in die Bauchhöhle zurückgekehrt sind; auch Bra- MANN weist auf diese Parallele hin. Es liegt hier also kein Grund 1 cf. BRAMANN, pag. 322. 605 Hermann Klaatsch zu weiterer Diskussion vor, und es mag genligen, auf eine Ver- gleichung von Fig. 4 Taf. XXII mit Fig. 8 hinzuweisen. _ Ver- schiedenheiten zwischen dem menschlichen Conus inguinalis und dem des Rattenembryo bestehen darin, dass beim letzteren das Ge- bilde durchweg muskulös ist, während es beim Menschen eine bindegewebige Achse besitzt. Was beim Menschen von den musku- lösen Bestandtheilen des Conus geblieben ist, entspricht dem Trans- versusantheil bei der Ratte, und hiermit stimmt der Befund der erwachsenen Thiere überein, der eine starke Reduktion des Internus- Antheils an der Hodenumhüllung erkennen lässt. Die bindegewebige Achse fehlt bei Nagern, jedoch nur so lange, als noch keine Ausstülpung des Conus eingetreten ist; bei erwachsenen Thieren ist eine solche (s. oben) stets vorhanden. Schon embryonal fand ich sie beim Igel, dessen »Gubernaculum« auch durch den un- regelmäßigen Verlauf der Muskelfasern in der Peripherie des Conus noch mehr als das der Nager an den Menschen erinnert. Strittig war auf diesem Stadium immer die distale Endigung des Guber- naculum. Dass seine axiale Gewebsmasse mit Zügen des Externus vereinigt in der Richtung nach dem Serotum hin ausstrahlt, ist leicht zu erweisen (ef. Fig. 4 Taf. XXIII). Diese Gewebsmasse fasste HUNTER als zum Gubernaculum gehörig auf. Nicht riehtig war die Annahme eines bis in den Grund der Scrotalanlage beim Menschen in diesem Stadium verfolgbaren Gebildes. In diesem Punkte stimme ich BRAMANN vollständig bei, doch halte ich diesen negativen Befund desshalb für unwichtig, weil in späteren Stadien, wenn auch nicht beim Menschen so doch bei Affen, vielfach eine in ihrer Absetzung gegen das umgebende Gewebe sehr verschieden deutlich ausgeprägte »Chorda gubernaculic (CLELAND) vorkommt, worauf ich unten bei den Hodenhüllen einzugehen habe. Strittiger als das Endresultat ist die Art und Weise des Zu- standekommens des »Gubernaculum«. Besonders hinderlich ist hier die Nomenclatur dem Verständnis gewesen, indem jede strangförmige Verbindung von Nebenhoden mit Bauchwand als »Leitband« bezeichnet wurde, ohne Rücksicht auf Verschiedenheiten der Struktur und des sonstigen speciellen Verhaltens. Unter diesen Umständen konnten die Veränderungen, die man am Gubernaculum wahrnahm, nicht klar erkannt werden. Das »Gubernaculum« des Scm langen Embryo (Fig. 1) ist ein anderes Gebilde, als dasjenige auf Fig. 4 vom 20 cm langen Fötus. Das erstere entspricht dem Lig. inguinale, das letztere dem Über den Descensus testiculorum. 609 Conus inguinalis. Der Conus hat sich, wie oben gezeigt, im Ma- teriale des Ligaments entfaltet. Das Lig. inguinale beim Menschen unterscheidet sich von dem der Ratte dadurch, dass es bei letzterem Thier nicht den Conus in sich aufnimmt; auch ist es beim Menschen viel voluminöser entwickelt. Die Verschiedenheit findet durch eine genaue Vergleichung der Stadien ihre Erklärung. Geht man hierbei in der Aufeinanderfolge aufwärts, von den späteren zu den früheren Sta- dien, so stellt sich der vollständig entwickelte Conus beim Menschen dar als das Produkt der Einstülpung der Bursainguinalis. Das Maximum der Ausstülpung letzterer ist, so weit mein Material es zeigt, in Fig. 1 wiedergegeben, frühere Stadien würden sie vermuth- lich noch vollkommener wiedergeben. Bei der Ratte ist die Wiedereinstülpung der Bursainguinalis ein Process, der die Rückkehr des Hodens in die Bauchhöhle begleitet, wie ja die Bursa selbst erst durch die Ausstülpung des Conus unter Be- theiligung des Hodens gebildet wird. Aus dieser innigen genetischen Beziehung von Hoden zu Bursa, die bei den Nagern in primitiver Form bewahrt ist, ergiebt sich, dass die Ausstülpung der Bursa ohne direkte Betheiligung des Hodens eine Abänderung des ursprünglichen Entwicklungsmodus darstellt, die. Vorwegnahme einer Bildung, wie sie uns in gleicher Weise in der sich immer früher selbständig entwickelnden Scrotalanlage des Inte- guments entgegentreten wird. Die Erscheinung, dass Bildungen früher angelegt werden, als die Organe, zu deren Aufnahme sie bestimmt sind, oder bevor sie mit den Faktoren, deren Produkte sie stammesgeschichtlich darstellen, in Beziehung treten, steht nicht vereinzelt da. Bei der Anlage der Lunge tritt eine beträchtliche mesodermale Gewebsmasse auf, in welcher erst später die epithelialen Gänge sich ausbreiten, und ähn- lich ist es mit der Anlage des Stromas bei Niere und Leber. Es handelt sich hier um vorbereitende, die speciellen ontogenetischen Anlagen direkt aufs Ziel hinführende Vorgänge, die den phylogeneti- schen Entwicklungsgang in seiner Rekapitulation abkürzen. Je fester einmal ein Process eingebürgert ist, um so direkter ist der Weg, auf dem die Ontogenie ihn zum Ziele führt. Der Descensus der Hoden wäre beim Menschen eine definitive Einrichtung im strengsten Sinne des Wortes, wenn die einmal antieipirte Bursalbildung (Fig. 1) kon- tinuirlich weiter fortschritte und der Hoden schließlich von ihr auf- genommen würde. Alsdann würde der Mensch sich vollständig den Carnivoren und Beutelthieren anschließen (s. unten); manche Dar- 610 Hermann Klaatsch stellungen des Descensus, so die von KÖLLIKER, wonach der Proc. vaginalis von seinem ersten Auftreten an sich immer weiter selbständig nach außen vorschieben soll, schreiben dem Menschen den bezeich- neten Modus des Descensus zu. Dem widersprechen die Thatsachen. Die Wiedereinstülpung der Bursa entspricht einer Rück- kehr der Hoden in die Bauchhöhle. Allerdings beschränkt sich dieser Rücktritt auf eine Verlagerung der Hoden von der Öffnung des Processus vaginalis bis zu einer Distanz von ca. '/, em von der Bauchwand (ef. Taf. XXII Fig. 13—17), doch ist für die Auffassung des Processes die Thatsache des Riicktritts als solehe, nicht die Linge des durchmessenen Weges maßgebend, und würde auch die Dislokation des Hodens noch geringer sein, als sie in der That ist, so wiirde doch die Wiedereinstiilpung der Bursa nicht anders gedeutet werden können, als in dem Sinne, dass beim Menschen eine Erinnerung an den periodischen Descensus sich forterhält. Es handelt sich um die Rekapitu- lation der bei einer Vorfahrenform des Menschen bestehenden Ein- richtung. Abgeschwächt ist das Bild dieser Wiederholung dadurch, dass die Hoden nicht auf dem Stadium von Figur 1 in der Bursa ‚liegen. Dass aber Derartiges vorkommen soll, ist von großem Inter- esse und ich halte es für voreilig, mit BRAMANN die Angaben Bruc- NONTs, dass bisweilen bei ein- bis zweimonatlichem Fötus der Descen- sus erfolgt sei, kurzweg als irrthümlich zu verurtheilen. Eine Be- stätigung der BruGwont'schen Beobachtung hätte im Lichte der neuen Auffassung des Descensus erhöhte Bedeutung. Liegen beim 8 em langen Embryo die Hoden nicht an der Stelle, die ihnen eigentlich zukäme, so erfährt auch die Auffassung des Lig. inguinale eine Er- gänzung: Seine Verschiedenheit von dem der Nager und auch seine Zusammensetzung hauptsächlich aus embryonalem Bindegewebe (ob glatte Muskelfasern in demselben angelegt sind, konnte ich nicht entscheiden), ergeben sich gleichfalls als sekundäre Abweichungen vom Ursprünglichen. Endlich werden auch die oben erwähnten über- aus häufigen individuellen Schwankungen, namentlich in Betreff des Processus vaginalis, der ja das rudimentäre Lumen der Bursa dar- stellt, leicht verständlich. Sind doch alle rudimentären Organe durch ihr Schwanken im Einzelnen ausgezeichnet. Der erste Descensus des Menschen findet seine Parallele in dem erwähnten frühen Descen- sus, den ich bei Embryonen von Sciurus, Myoxus und ganz jungen Mäusen gefunden habe. Die folgenden Vorgänge oder der zweite und definitive Über den Descensus testiculorum. 611 Descensus bieten nur geringe Schwierigkeiten des Verständnisses dar und können in Kürze erledigt werden. Das Wesen derselben beruht in einer Wiederausstülpung des Conus. So kommen die Hoden in eine Bursa inguinalis zu liegen, die in vielen Punkten die ent- sprechende Bildung der Nager wiederholt. Eine sehr weite innere Öffnung stellt die Kommunikation mit der Bauchhöhle dar (Fig. 5) und hat noch wenig Ähnlichkeit mit dem später hier befindlichen »inneren Leistenringe«. Ein Leistenkanal existirt noch nicht. Die schon vorher vorgestülpte Externus-Aponeurose bildet die äußere Über- kleidung der Tasche, von deren Spitze aus Bindegewebszüge die Richtung nach der Scrotalanlage einschlagen. Die muskulösen Be- standtheile des Conus bilden jetzt die als Cremaster erscheinende Muskelwand der Tasche. Eine knopfförmige Verdickung des Cre- masters am distalen Theil, in den ein ganz schmales Lumen der Bursa sich fortsetzt, zeigt, dass die Ausstülpung noch nicht ganz vollzogen ist. Die äußere Form der Bursa hat Bramann auf Fig. 8 sehr gut wiedergegeben und dieses Bild erinnert in der Gestalt der Taschen wie ihrer Lage zum Penis lebhaft an die Zustände der Nager und Insectivoren. Die Hoden liegen an der dorsalen Wand der Tasche. Dass sie dieselben nicht ganz ausfüllen ist in demselben Sinne, wie es oben beim ersten Descensus bezüglich des Verhaltens des Hoden zu seiner Tasche geschah, zu beurtheilen. Der kurze Strang, der vom Nebenhoden zum Grund der Tasche geht — der sogenannte Rest des Gubernaculum — ist, da er aus lockerem Binde- gewebe und glatten Muskelfasern besteht, als Residuum des Lig. inguinale aufzufassen. Mit dem allmählichen Übergang dieses Ge- bildes in die Wandung der Tasche beschäftigt sich WEIL eingehender (ef. auch KÖLLIKER und BARROIS). BRAMANN hat den zweiten Descensus in jeder Beziehung zu- treffend dargestellt. Mit Recht tritt er der Anschauung KÖLLIKER’s entgegen (pag. 331), wonach der Processus vaginalis sich vor dem Hoden her zugleich mit dem »Leitbande« durch die Bauchdecken bis ins Serotum entwickeln soll. »Diese Anschauung widerspricht aber durch- aus dem thatsächlichen anatomischen Befunde, indem erst bei begin- nendem Descensus der Processus vaginalis tiefer wird« (pag. 331). Ich kann diese Angabe bestätigen. An Serienschnitten, deren einer auf Fig. 5 wiedergegeben ist, ließ sich das distale Ende des »Proc. vagin.«, d.i. des Lumens der Bursa, unweit des Hodens und keines- wegs bis ins Serotum reichend konstatiren. Es besteht nach meinen Ergebnissen von den verschiedenen 612 Hermann Klaatsch Theorien tiber den Modus des Descensus beim Menschen (ef. die Zu- sammenstellung derselben bei BRaMANN pag. 315 ff.) allein diejenige zu Recht, welehe das Zustandekommen der Hodenhiillen durch Um- stülpung des Gubernaculums erklärt. Diese, von CAMPER, Hunter, PALETTA, MECKEL, BRUGNONI, LANGENBECK, E. H. WEBER mehr oder weniger deutlich vertretene Anschauung finde ich auch bei SEILER, den BRAMANN als Urheber der »Entfaltungstheorie« aufführt. SEILER sagt pag. 21: »Testiculus descensum ex abdomine ad scrotum moliens in apicem processus vaginalis (d. i. nach Semer’s Nomenelatur der Überzug des Gubernaculums) introit, ita ut plicae hujus membranosae superiorem partem in inferiorem immittat, in- vertat, inversamque a spina cristae ossis ilii symphysin ossium pubis versus per annulum abdominalem in scrotum descendens secum de- orsum ducat«!. Dem Verstreichen des Urnierenligamentes, dessen Blätter beim Auseinanderweichen einen wesentlichen Antheil an der Bildung der Tunica vaginalis communis und propria haben sollen (ef. BRAMANN), kann ich keine solche Bedeutung beimessen, da bei Affen der Descensus zu Stande kommt, obwohl das Urnierenligament in beträchtlicher Länge persistirt. Die letzten Stadien des Descensus führen uns zur Ausbildung des Leistenkanals und der Hodenhüllen im fertigen Zustande: die- selben können in zusammenfassender Weise bei Prosimiern, Primaten und Mensch betrachtet werden. Eine integumentale Hülle des Hodens oder ein »Scrotum« ent- steht bei den Prosimiern und dem größten Theil der Affen erst durch die Verlagerung der Hoden selbst; sind diese noch in der Bauch- höhle oder auf dem Wege durch die Bauchwand begriffen, so deutet kein Wulst, keine »Scrotalanlage« die Stelle an, welche die Hoden einnehmen werden. Bei zwei jugendlichen Exemplaren von Stenops gracilis fand ich die Hoden weit nach vorn vom Penis am vorderen ventralen Rande des Beckens eben durch die Bauchmuskeln durch- getreten. Sie bildeten hier längliche, die Haut verdrängende Wiilste. Neben dem Penis war hingegen kein Wulst vorhanden und doch gelangen die Hoden später an diese Stelle, wie ein Exemplar von Stenops tardigrada mir zeigte. ' Es muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass E. H. WEBER trotz mancher Irrthümer dem richtigen Verständnis des Processes nahe war. Er irrte, indem er das Gubernaculum als ein mit einer Höhlung versehenes sackförmiges Gebilde betrachtete, er traf aber das Richtige, wenn er in ähnlichem Sinne wie SEILER eine Umstülpung des Gubernaculum nach außen annahm. Über den Descensus testiculorum. 613 Durch das Fehlen einer »Scrotalanlage« schließen die Prosimier sich den Insectivoren und Nagern an. Dasselbe gilt von fast allen Affen der alten Welt. Ein großer Theil der untersuchten Thiere hatte den Descensus noch nicht vollendet. Die Hoden wurden weit nach vorn vom Penis in der Gegend des »äußeren Leistenringes« gefunden. Bei solchen Exemplaren u. a. von Cynocephalus hama- dryas, Cercopithecus melanogenys, einem Fötus von Semnopitheeus sp., war keine Spur einer Scrotalanlage zu finden. Hiervon ver- schieden verhalten sich einige Platyrrhinen. Bei Midas ursinus finden sich hinter dem Penis zwei in der Mittellinie zusammen- tretende Wülste, obwohl die Hoden noch nicht bis zu dieser Stelle gelangt sind. Solche Scrotalanlagen traf ich in schwacher Andeutung bei einem ausgetragenen Fötus von Mycetes seniculus, vermisste sie hingegen bei Chrysothrix sciurea. Ein jugendlicher Hylobates ließ Serotalanlagen wahrnehmen. Was bei den Affen erst allmählich sich anbahnt, ist beim Men- schen zu einer festen Einrichtung geworden. Die Genitalwülste oder äußeren Genitalfalten sind nichts Anderes als Scrotalanlagen. Ihre ursprünglich rundliche Form, wie sie NAGEL kürzlich abgebildet hat, stimmt mit den entsprechenden Anlagen bei Beutlern und Hufthieren überein. Ihre Entstehung neben dem Penis und ihre allmählich er- folgende Vereinigung hinter demselben ist auf den Abbildungen Tour- NEuX’ sehr deutlich sichtbar (pl. VIII). Die Geschichte der Serotal- anlage in der Prosimier-Primatenreihe zeigt sehr deutlich, wie vorsichtig man bei der Beurtheilung der einzelnen im Verlaufe des Descensus auftretenden Bildungen sein muss. Die Scrotalanlage ist das Produkt des immer fester sich einbürgernden Descensus; wenn dann das Scrotum längst vor dem Descensus auftritt, so ist das eine zeitliche Verschiebung in der Anlage der Theile, wie sie so vielfach in der Ontogenie vorkommt. Obwohl kein Serotum vorgebildet ist, so kann die Stelle, bis zu welcher die Hoden vordringen, an einem besonderen Merkmal bei den Prosimiern leicht erkannt werden. An den erwähnten Stenops gracilis findet sich auf jeder Seite des Penis, eine Strecke weit von der Mittellinie entfernt, ein Feld von kreisrunder Begrenzung (Fig. 21 Taf. XXII). Es misst 1 cm im Durchmesser und hebt sich auf den ersten Blick sehr scharf von der übrigen Haut ab. Die Behaarung ist viel spärlicher; die kleinen Haare sitzen auf Warzen und zwischen solchen, die dieht an einander gedrängt dem Felde eine eigenthüm- liche Beschaffenheit verleihen. Jede Warze misst ca. !/,-—1 mm im 614 Hermann Klaatsch Durchmesser. Der äußeren Verschiedenheit dieses Feldes, in welcher eine Vergleichung mit der Ratte die Area scroti wiedererkennen lässt, entspricht eine besondere Struktur. Der mikroskopische Dureh- schnitt (Fig. 27 Taf. XXII) zeigt die Warzen als Erhebungen der oberflächlichen Cutisschicht, welche eine dünne Epidermis trägt. Die meist btischelförmig gestellten Haare sind mit sehr kleinen Talg- drüsen ausgestattet. Weit stärker entwickelt sind Knäueldrüsen, welehe neben einzelnstehenden Haaren ausmünden und deren, mit weitem Lumen versehene stark gewundene Gänge die ganze Dicke der Cutis durchsetzen. Die wichtigste Eigenthiimlichkeit der Area ist eine Lage glatter Muskulatur, welche mit netzförmig ange- ordneten Zügen in beträchtlicher Dicke die innere Cutisschicht ein- nimmt und am Rande der Area ganz scharf abgesetzt ist. In dieser wird die Tunica dartos der Ratte wiedererkannt. Bei Stenops tardi- grada fand ich die beiden Areae wieder und zwar auf der Höhe des Serotums (Fig. 28). Die Warzen waren sehr auffällig und ließen die Felder scharf von der umgebenden Haut sich abheben. In der Mittellinie stießen beide Felder an einander, hier zeigten die Warzen längliche, seitlich komprimirte Formen. Die Area seroti in einer schon äußerlich leicht wahrnehmbaren Form fand ich bei zahlreichen Affen der neuen Welt. Sehr schön tritt sie hervor bei Midas ursinus; dessgl. bei Chrysothrix sciurea und bei Cebus. Von Cebus hypoleucos (— Cebus fatuellus stimmt damit überein — habe ich auf Fig. 23 das Scrotum mit den Areae, die hier wie bei Stenops in der Mittellinie zusammenstoßen, dargestellt. Die mikro- skopische Untersuchung ließ denselben Befund wie bei Stenops wahr- nehmen, die Tunica dartos war in typischer Weise entwickelt. Unter den Affen sowohl, wie auch unter den Prosimiern (Lemur) giebt es Formen, die äußerlich keine Area besitzen; ob hier eine Dartos sich findet habe ich nicht untersucht; der negative Befund würde nichts an der Bedeutung des positiven ändern, welcher die glatte Muskel- schicht der Area als einen gemeinsamen Besitz der Nager, Carni- voren, Beutelthiere, Prosimier und Primaten zeigt (s. unten). Zu den Formen mit wohl entwickelter Area scroti gehört auch der Mensch. Wenn auch bei Erwachsenen meist nicht deutlich her- vortretend, ist sie doch bei älteren Embryonen häufig sehr scharf ausgeprägt; von einem solchen von 15 em Länge habe ich sie auf nebenstehender Figur 1 abgebildet. Unter den Anthropoiden zeigt ein junger Gorilla sehr schöne Über den Descensus testiculorum. 615 Areae seroti: in so fern dieselben hier noch nicht in der Mittellinie zusammentreffen, bieten sie ein noch primitiveres Verhalten dar als bei Cebus und dem Menschen (vgl. beistehende Abbildung Fig. 2). Der Bau der Area stimmt beim Menschen mit dem von Stenops Mit- getheilten überein (vgl. den Durchschnitt auf Fig. 3). Die Tunica Fig. 1. Penis und Scrotum eines 15 cm langen mensch- Penis und Serotum eines jugendlichen Gorilla. lichen Embryo, Areae scroti (as) in der Mittel- Die Areae scroti jederseits als gesonderte linie zusammenstoßend. Vergr. Bildungen erkennbar. Natürl. Größe. Durchschnitt durch die Haut des Scrotum. Randpartie der Area scroti mit ihren glatten Muskel- faserzügen (Tunica dartos). Scharfe Absetzung derselben gegen die benachbarten Hautpartien. dartos ist am äußeren Rande scharf abgesetzt, sie nimmt die tiefere Schicht der Cutis ein; die Entwicklung des Netzwerkes glatter Muskel- fasern ist relativ noch mächtiger als bei den Prosimiern und nähert sich dem, was die Ratte zeigt. Die tubulösen Drüsen treten beim Menschen zurück, die Talgdrüsen fand ich bei Cebus sehr stark ent- wickelt. Das Übergreifen der Tunica dartos auf das Septum seroti, 616 Hermann Klaatsch welches öfter beschrieben wurde, steht sehr gut mit der Thatsache in Einklang, dass die beiden Areae in der Mittellinie zusammentreffen. Die Raphe seroti an dieser Stelle wird durch die Vereinigung der Warzenfelder zu einer ähnlich wie bei Stenops besonders hervor- tretenden Bildung. Die weittragende Bedeutung der Area seroti und ihrer Tunica dartos kann erst auf Grund anderer später zu er- örternder Thatsachen verstanden werden. Nach Entfernung des Integumentes trifft man auf eine fihrüse Lage, welche die tieferen muskulösen Theile der Bursa bedeckt. Diese Lage entspricht der Fascia cremasterica der Nager und verdankt wie diese ihre Entstehung dem Antheil des Obliquus exter- nus an der Umhüllung des Hodens. Nicht nur auf ontogenetischem Wege, auch auf dem der vergleichenden Anatomie lässt sich erweisen, dass BRAMANN Recht hat, wenn er eine Durchbrechung der Externus- Aponeurose leugnet. Bei Prosimiern (Stenops, Lemur) und Affen (Semnopithecus, Cercopithecus) lässt sich nachweisen, dass die Externus- Aponeurose an der Stelle des äußeren Leistenringes sich allmählich gelockert scheidenartig auf die Bursa resp. auf ihren als »Samen- strang« erscheinenden Stiel fortsetzt. Auch beim Menschen ist dieser Zustand erhalten. Wie man sich bei sorgfältiger Präparation leicht überzeugen kann, hängt die Cooper'sche Fascie innig mit den Crura des äußeren Leistenringes zusammen — worauf Cooper selbst hinweist — und stellen die verdünnte Fortsetzung der Aponeu- rose dar. Die Ausbildung des äußeren Leistenringes hängt wesentlich ab von der mehr oder weniger starken Entfaltung sehniger Partien des Obliquus externus außen und innen von der Bursa resp. vom Samen- strang. Solehe Crura sahen wir schon bei Nagern (Hystrix) entfaltet, bei Prosimiern und Affen ist ihr Verhalten ein sehr mannigfaltiges. Bei manchen Prosimiern (Stenops gracilis) ist der Muse. obl. ext. im Bereiche des äußeren Leistenringes noch zum Theil muskulös. Das Crus internum ist stärker entwickelt, als das Crus externum. Bei den amerikanischen Affen zeigt das Crus internum eine auffallende Stärke, so bei Cebus, Midas, Chrysothrix, Mycetes, eine Thatsache, die mit Rücksicht auf das Epipubis der Marsupialier, welches stets dem Crus internum eingefügt ist (s. unten), Beachtung verdient. Das Crus externum ist meist viel schwächer entwickelt, beschreibt bei den Platyrrhinen einen nach medial und vorn konkaven Verlauf und besitzt Beziehungen zur Schenkelmuskulatur, auf welche hier nicht eingegangen werden kann. Über den Descensus testieulorum. 617 Das Bindegewebe, welches von der Spitze der Bursa aus nach dem Serotum zieht, hängt innig mit dem Externustheil der Bursa zusammen. Bei Affen, deren Hoden noch eine Strecke weit vom Scrotum entfernt waren, konnte ich häufig, doch nicht konstant, einen Zusammenhang der Bursa mit der Area scroti durch straffere Bindegewebszüge nachweisen. Unter den Antropomorphen war dies beim Gorilla sehr deutlich. Diese Bindegewebszüge stellen kein besonderes, äußerlich abgrenzbares Gebilde dar, man kann daher nur mit einem gewissen Vorbehalt von einer »Chorda gubernaculi« sprechen, aber es geben diese Züge dem Connex Ausdruck, welcher bei den Nagern sowohl, als bei Prosimiern und Primaten zwischen der Bursa und der Area scroti besteht. Durch die Lücke des Obliquus externus hindurchtretend, er- scheinen die tieferen muskulösen Theile der Bursa (Fig. 20 von Stenops gracilis). Von den beiden Muskelschichten der Ratte ist die äußere, dem Obliquus internus angehörende, fast vollständig re- dueirt. Schon bei Nagern fanden sich Andeutungen der beginnen- den Reduktion: anstatt der regelmäßigen Ringfaserschicht traten bei Hystrix isolirte schlingenförmig verlaufende Bündel auf. Solche stellen auch bei Halbaffen und Affen den letzten Rest der Internus- schicht dar. Bei Stenops gracilis (Fig. 21) sieht man die Fasern des Obliquus internus schräg medialwärts ansteigend den vorderen Theil des nicht völlig herabgestiegenen Hodens überkleiden. Bei Stenops tardigrada, wo die Hoden (cf. Fig. 28) völlig in ihr Sero- tum gebettet sind, findet man die entsprechenden Fasern, gleichsam abwärts gezogen, auf der medialen Seite des Samenstranges Cre- masterschlingen bilden, wie ich sie in gleicher Weise bei Le- mur catta treffe. Bei den Affen sind dieselben in der Gruppe der Platyrrhinen wohl entwickelt, so besonders schön bei Mycetes und Cebus. Hieran reiht sich der Mensch, bei dem jedoch die Zugehö- rigkeit der Schlingen zum Obliquus internus durch den gleichen Faserverlauf dieses Muskels und des Transversus am gemeinsamen Ursprunge verdeckt wird. Bei den Affen der alten Welt (Cercopi- thecus, Semnopithecus, Cynocephalus) vermisste ich die Schlingen gänzlich und fand in dieser Reduktion der Internusschicht einen neuen Beweis dafür, dass sich dieselben in vielen Punkten weiter als die Platyrrhinen und der Mensch vom ursprünglichen Zustande entfernt haben. , Die innere Schicht des Cremaster, die Liingsfaserschicht der Ratte ist auch bei Prosimiern leicht als ein Derivat des Transversus Morpholog. Jahrbuch. 16. 40 618 Hermann Klaatsch nachzuweisen. Sie bildet mit ihren medial und nach hinten ab- steigenden Faserzügen (Fig. 21 Stenops gracilis, bei den Halbaffen eine vollständige, nur dorsal durch eine zarte Raphe unterbroehene Umhüllung des Hodens. So zeigen es Stenops und Lemur. Auch bei vielen Affen ist diese muskulöse Hülle noch vollständig, so bei Midas ursinus, Cebus fatuellus, Cynocephalus Babuin; auch beim Menschen wird der Cre- master, dessen Hauptmasse auf Grund der Vergleichung dem Trans- versus entspricht, noch bisweilen als allseitige Hiille angetroffen, wie ich z. B. bei einem neugeborenen Kinde konstatiren konnte. Dass auch diese Schicht allmählich der Reduktion anheimfällt, zei- gen die individuellen Schwankungen, welche der Cremaster des Menschen erkennen lässt. und nicht minder die Befunde bei Affen, wo sich bei nah verwandten Formen oft sehr von einander abwei- chende Resultate ergeben. Während bei der einen Cynocephalusart (C. Babuin) der Muskel sehr stark auftritt. ist er bei anderen (C. Maimon) auf ein Bündel redueirt, welches die Außenseite des Samen- stranges begleitet. Dieses laterale Bündel ist ganz konstant der letzte Rest des Cremasters; es entspringt von dem Theil des Areus eruralis, welcher den Iliopsoas überdeckend mit der Spina .iliaca inferior zusammenhängt. Nach innen vom Transversus trifft man auf die bei Affen wenig selbständige Tunica vaginalis communis. Ich traf die Cavität der Bursa stets in offener Kommunikation mit der Bauchhöhle, auch bei Hylobates und bei dem jungen Go- rilla!. Den Verschluss des Processus vaginalis bat wohl der Mensch allein. Bei Affen, deren Hoden ihre definitive Lage noch nicht er- reicht haben, fand ich eben so wenig wie beim Menschen eine dem Hoden serotalwärts vorausschreitende Ausdehnung des Processus vaginalis. Das Mesorchium ist bei den Affen meist in derselben Weise wie beim Menschen reducirt. Der Nebenhoden liegt dem Hoden innig angeschlossen, und von dem ursprünglich weiten Zugang der Bursa testis ist nur ein schmaler Spalt übrig geblieben. Das Urnierenligament bleibt bei den meisten Affen auch nach Vollendung des Descensus in beträchtlicher Ausdehnung bestehen (Catarrhinen: Cercopithecus Mona, Semnopithecus, Cynocephalus, 1 CURLING behauptet, dass beim Gorilla ein Abschluss des Proc. vaginalis gegen die Bauchhöhle vorkomme. | Über den Descensus testieulorum. 619 Platyrrhinen: Chrysotrix). Diese Befunde lehren, dass eben so wenig wie bei Nagern (s. oben), so auch in der Prosimier-Primatenreihe dem Übergang der Blätter des Urnierenligaments in die Tunica vaginalis propria, auf welche die Anhänger der Entfaltungstheorie großes Ge- wicht legten, irgend welche Bedeutung für den Descensus zukommt. Das Verstreichen des Urnierenligamentes kommt in gleicher Weise wie beim Menschen auch bei Mycetes vor, und muss in dem- selben Sinne wie das Verstreichen so mancher Mesenterien im Be- reich des Darmkanals beurtheilt werden. Das Lig. inguinale wird im weiblichen Geschlechte zum Lig. rotundum. Es ist bei allen Prosimiern und Primaten sehr wohl ent- wickelt. Beim Menschen fällt die starke Ausbildung des Bandes bei Embryonen auf (Taf. XXII Fig. 18). Die Zunahme des Bandes bei Gravidität, die ich oben für Insectivoren angab, wird auch für den Menschen beschrieben. Die flache Bursa inguinalis der weib- lichen Nager und Insectivoren ist bei Halbaffen und Affen zu einer engen das Lig. rotundum umscheidenden Peritonealausstülpung, dem sogenannten Processus vaginalis oder Diverticulum Nuckii geworden. Bei menschlichen Embryonen (Taf. XXII Fig. 18) ist es meist sehr deutlich ausgeprägt. Die allmähliche Vertiefung des Divertikels hält gleichen Schritt mit der fester werdenden Einbürgerung des Descensus der Hoden beim anderen Geschlechte. Es kann daher nicht der weibliche Processus vaginalis als eine von den entsprechen- den männlichen Theilen unabhängige Bildung betrachtet werden; vielmehr ist es höchst wahrscheinlich, dass hier die Übertragung männlicher Zustände aufs weibliche Geschlecht im Spiele ist. Eine solche tritt hinsichtlich der integumentalen Hülle der Hoden aufs Klarste hervor: Die Labia majora fehlen allen Halbaffen und Affen gänzlich; ihr Auftreten bei Menschen kann nicht anders als die Übertragung von Scrotalanlagen vom männlichen aufs weibliche Ge- schlecht aufgefasst werden. IV: Der Descensus testiculorum bei Beutelthieren, Carnivoren und Hufthieren. Die Prosimier-Primaten-Reihe, welche durch die menschlichen Befunde noch Andeutungen der Periodieität des Descensus aufweist, leitet über zu Formen, bei denen die Hodenverlagerung von vorn herein 40* 620 Hermann Klaatsch definitiv auftritt. Solehe Formen sind die Marsupialier, denen Huf- thiere und Carnivoren sich anreihen. Haben die Beutelthiere sich durch die Fixirung von Zuständen, die bei anderen nur zeitweise auftreten, weit von den Nagern und Insec- tivoren entfernt, so haben sie doch in anderen Punkten Beziehungen des Descensus zu anderen Organen in ursprtinglicher Form bewahrt. Aus den zahlreichen, rein deseriptiv von vielen Autoren behan- delten Thatsachen, welche über die Hodenhüllen und den Descensus der Beutelthiere bekannt wurden, hebe ich hier in Kürze, durchweg zugleich auf eigene Untersuchung gestützt, die für den Zweck der Arbeit wichtigen Punkte hervor. Die Anlage eines Serotums, zeitlich unabhängig vom Descensus, wurde bei den Nagern, Insectivoren, Prosimiern und den meisten Primaten vermisst und ihr Auftreten beim Menschen wurde daher als ein Zeichen für die allmählich zunehmende Fixirung des Des- census gedeutet. Diese ist weiter vorgeschritten bei den Beutelthieren. Bei allen untersuchten Beuteljungen, bei Perameles, Halmaturus, Phalangista und Didelphys tritt ein Scrotum sehr frühzeitig auf. Bei dem Beutel- Jungen von Halmaturus (4,1 cm Länge), dessen Hodensitus auf Fig. 3 (Taf. XXII) wiedergegeben wurde, ist schon eine paarige Serotal- anlage vorhanden. Hieran schließen sich viele Hufthiere. Das Schwein zeigt allerdings erst bei älteren Embryonen, wenn die Hoden noch in der Bauchhöhle weilen, kleine Serotalanlagen, beim Rind hingegen sind dieselben bereits stark entwickelt, zu einer Zeit, wo die Urnieren erst wenig redueirt und die Hoden noch am ursprünglichen Orte ge- lagert sind. Dem äußeren Befunde eines Rindsembryo von 3,5 em Länge, wie ihn Fig. 29 Taf. XXII darstellt, entspricht ein Zustand der inneren Theile, gleich dem auf Fig. 4 vom Schweine. Bei an- deren Hufthieren, so beim Pferde, tritt die Scrotalanlage offenbar erst spät auf, ich vermisste sie bei Embryonen von 15 em Länge. Auch unter den Carnivoren suchte ich vergeblich nach Serotalanlagen. Embryonen von Hund und Katze ergaben negative Resultate und vermitteln so zugleich mit manchen Hufthieren den Übergang zu den früher betrachteten Formen. Die Serotalanlage stellt durchweg eine subepidermoidale Anhäu- fung von lockerem Bindegewebe dar, welche durch keinen besonderen Strang in dem Sinne, wie CLELAND seine »Chorda gubernaculi« auf- fasst, mit den Bauchdeken oder gar mit dem Hoden zusammenhängt. Form und Lage der Scrotalanlage sind abhängig von den er- Über den Descensus testieulorum. 621 wachsenen Zuständen. Die paarige Anlage ist überall deutlich, beim Rinde besonders scharf markirt. Die ovoide, in sagittaler Rich- tung verlängerte transversal verkürzte Form des Serotums, welche die Beutelthiere auszeichnet (Fig. 10 Taf. XXII vom Wombat), kehrt in getreuer Nachbildung beim Hunde wieder. Beim Rinde wächst die Serotalanlage nach hinten in einer Form, die an die ausgestülpten Bursae inguinales der Nager erinnert (Fig. 29 Taf. XXII). Dass die Serota der Marsupialier weit vor dem Penis liegen, ist längst bekannt. Die scheinbar große Abweichung dieser Lage von der bei anderen Säugethieren verliert bei näherer Betrachtung sehr an Bedeutung. Mit Rücksicht auf die knöchernen und muskulösen Theile der Bauch- und ventralen Beckenwand ist die Austrittsstelle des Hodens stets die gleiche, die Richtung, welche derselbe außer- halb des Niveaus der Bauchmuskeln einschlägt, variirt ein wenig, aber unbedeutend. Seine spätere Lage zum Penis ist von diesem selbst abhängig. Während der Penis der Beutelthiere an der Stelle, wo der Genitalhöcker zuerst auftritt, seine meist geringe Entfaltung erlangt, wird er bei Hufthieren und Carnivoren eine Strecke weit in das Integument des Bauches eingebettet. Er rückt mit seiner Spitze weit nach vorn und schiebt sich zwischen die Scrotalhiilften ein. Dieses Eindrängen kann man bei Rindsembryonen leicht verfolgen, Die Scrotalanlagen entstehen neben dem Penis, wachsen nach hinten um ihn herum, und vereinigen sich hinter ihm in der Medianlinie. In gleicher Weise krümmt sich bei der Ratte der Penis zwischen den ausgestülpten Bursae nach vorn, während der kürzere Penis des Igels den primitiveren Zustand der Beutelthiere zeigt (cf. Lecne). Viel- fach werden die Hoden in der Prosimier-Primatenreihe (ef. Fig. 21 von Stenops) in präpenialer Lage getroffen und auch bei Carnivoren braucht man nur den Penis aus seiner Hautscheide, an welcher auch der Bauchhautmuskel Theil hat, herauszulösen, um das Beutelthier- stadium wieder hergestellt zu sehen. Wo danach gesucht worden ist, konnte im Integumente des Serotums eine »Tunica dartos« nachgewiesen werden. LeyDIe fand die glatten Muskelzellen auf der Höhe des Serotums beim Hunde. Ich konnte diesen Befund bestätigen und neben der mikroskopischen Prüfung auch makroskopisch die sehr dichte, in der netzförmigen An- ordnung der glatten Mukelzüge an die Harnblasenwand erinnernde Tunica darstellen. Beim Rinde fand ich unter der Epidermis auf der Spitze der Scrotalanlage von einem 4 cm langen Fötus eine dichte Anhäufung embryonaler Zellen, denen gleich, welche ich als 622 Hermann Klaatsch Anlage der Dartos bei menschlichen Embryonen sah. Gleiches traf ich bei Beutelthieren, so bei Perameles und Didelphys. Ein junges Thier letzterer Familie, auf Sagittalschnitten des Serotums unter- sucht, zeigte auf der Höhe desselben eine knopffirmige durch glatte Muskelzellen im Inneren ausgezeichnete Vorragung. Ähnliches zeigte die äußere Betrachtung bei Phalangista vulpina. Auch bei der vorliegenden Säugethierreihe ist die Tunica dartos und somit der wesentlich charakteristische Theil einer Area scroti vorhanden, wenn auch eine solche äußerlich nicht ausgeprägt ist. Der Antheil der Bauchmuskulatur an der Umhüllung des Hodens bietet in dieser Reihe so übereinstimmende und aus den Zuständen der vorigen so leicht ableitbare Verhältnisse dar, dass sie in Kürze zu erledigen sind. Der äußere Leistenring ist eine deutlich aus- geprägte Bildung. Im Bereiche des Crus internum liegt das Epipubis der Beutelthiere. Durch treue Bewahrung der Beziehungen des Crus internum zur benachbarten Muskulatur schließt sich der Hund nahe an die Marsupialier an, wie HuxLery bereits erkannte. Der Antheil des Obliquus internus ist bei den Beutelthieren ganz geschwunden. Ich schließe mich dem Resultate der früheren Unter- sucher (cf. Karz) an, indem ich den Cremaster der Marsupialier ausschließlich vom Transversus gebildet finde. Durch eigene Präpa- ration erkannte ich dies u. a. bei Halmaturus Billiardierii, bei Di- delphys, Perameles Gunnii, Phascolarctos cinereus, Phascolomys. Das Gleiche gilt für die Carnivoren. Bei Ursus, Mustela, Meles be- gegnete mir keine Abweichung vom Beutelthierzustand, beim Hunde jedoch konnte ich in Form einiger schwach entwickelter Cremaster- schlingen einen Rest der Internusschicht konstatiren. Von Huf- thieren stand mir wenig zu Gebote; die ausgeschnittenen Theile von Pferd und Schwein zeigten mir einen typischen Cremaster, wie er dem Transversus zugeschrieben werden muss und die Präparation eines jungen Cervus bestätigte dies. Das Lumen der Bursa gegen die Bauchhöhle bleibt durchweg offen. Hoden und Nebenhoden sind bei Beutelthieren in sehr gerin- gem Connex mit einander. Ein langes Mesorchium und beträchtliche Größe der Nebenhoden erinnert an Monotremen und Nager. Inniger an einander geschlossen sind Hoden und Nebenhoden bei den Carni- voren (Hund, Dachs, Bär), so dass die Bursa testis auf einen noch schmaleren Spalt als selbst beim Menschen reducirt ist. Die Entwicklung der Bursa inguinalis und die Beschaffenheit Über den Descensus testiculorum. 623 des »Gubernaculums« der Beutelthiere legen gleichfalls für die weit- gehende einseitige Differenzirung Zeugnis ab. Die Bursa tritt überall sehr frühzeitig auf. Beuteljunge von Halmaturus Bennetti (4,1 cm) (Fig. 3 Taf. XXID zeigen sie weit vom Hoden entfernt. Die jüngsten Stadien von Perameles Gunnii, welche ich untersuchte — es waren Beuteljunge von 3 cm Länge — zeigten die Hoden auf verschiedenen Etappen der Verlagerung. Taf. XXII Fig. 6 zeigt einen zur Körperachse transversalen Schnitt dieses Objekts. Die Hoden sind im Verhältnis zur Körpergröße der jungen Thiere sehr groß, die Bauch-Beckenhöhle ist relativ eng. Hieraus wird es verständlich, dass auf der rechten Seite der Hoden mit dem stark entwickelten Nebenhoden in der Bauchhöhle nicht weit von der dorsalen Wand derselben liegt, während der Schwanz- theil des Nebenhodens die Region des Epipubis passirt und durch ein »Gubernaculum« am Grunde der weit gegen die Scrotalanlage sich erstreckenden Bursa befestigt wird. Auf der linken Seite ist der Hoden vor die muskulöse Wandung der Bauchhöhle getreten, das »Gubernaculum« ist entsprechend kürzer. Die Ausdehnung der Bursa scrotalwiirts vor dem Hoden her und unabhängig von ihm wurde beim Menschen im Verlaufe des ersten Descensus beobachtet. Das Stadium auf Fig. 1 (Taf. XXIII) vom Menschen entspricht somit dem von Perameles Fig. 6 auf der rechten Seite. Träte beim Menschen von diesem Stadium aus der Hoden direkt in die vorgebildete Bursa, so würde er vollständig den Modus des Descensus darbieten, wie ihn die Beutelthiere zeigen. Niemals kommt es bei diesen zu einer Wiedereinstülpung der Bursa. Es fehlt somit ein Conus inguinalis durchweg bei Beutelthieren in den mir zugänglichen Stadien. Über das erste Auftreten der Bursa besitze ich nicht hinreichend junge Thiere, um entscheiden zu können, ob vor der Bursa ein Conus auftritt, durch dessen Ausstülpung die erstere entsteht, oder ob sogleich eine Tasche entsteht. Als Andeutung eines solchen größtentheils umgestülpten Conus könnte eine knopfförmige Verdichtung der Cremasteranlage am distalen Ende des »Gubernacu- lum« bei 3 cm langen Perameles angesprochen werden. Hiervon ab- gesehen besteht das Gubernaculum der Beutelthiere ausschließlich aus dem »Leistenbande«, enthält dicht gedrängte, subperitoneale glatte Muskelzellen und hängt innig mit dem Nebenhoden an der Ab- gangsstelle des Vas deferens zusammen (Fig. 6 Taf. XXII %). Das Band wächst im Laufe der Entwicklung des Thieres wenig und ver- schwindet später. Bei Beuteljungen von 4,8 cm zeigt Perameles das 624 Hermann Klaatsch Band noch fast in alter Ausdehnung, nur relativ verkürzt, weil es im Wachsthum zurtickblieb. Die Hoden liegen jetzt im Stiel des Serotums, welches beträchtlich an Grüße gewonnen hat. Auch die Bursa hat an Weite und Ausdehnung mit dem Wachsthum der Nach- bartheile Schritt gehalten. Diese Beschaffenheit der Bursa ist für Perameles charakteristisch und weist diesem Marsupialier eine niedere Stellung zu gegenüber anderen australischen Beutlern, wie Halmaturus und gegenüber den amerikanischen Formen. Die weite Bursa des Perameles schließt sich an die Befunde der Nager und Insectivoren an. Von ihr leitet sich die zu einem »Processus vaginalis« verengte Bursa der Didelphys ab; bei Beuteljungen von 5 cm Länge schieben sich die Hoden in einem engen Kanal am Epipubis vorüber zum Stiele der Scrotalanlage hin. Das verkürzte Leistenband ist bei Didelphys stets durch den reichlichen Besitz an Pigmentzellen aus- gezeichnet, während in den benachbarten Partien der Bauchwand solche Elemente nirgends auffallen. Ergiebt sich innerhalb der Beutelthiere eine Specialisirung der Bursa inguinalis, so reihen sich die Carnivoren und Hufthiere leicht hier an und zwar stehen sie dem Ende der Beutler-Reihe näher als dem Anfange. : Der nahe Anschluss der Carnivoren an die Marsupialier griindet sich auf Thatsachen, die nur indirekt mit dem Descensus zu thun haben und an anderer Stelle behandelt werden sollen. Wie die Be- schaffenheit der Hodenhiillen so zeigen nun auch Descensus und Gubernaculum die direkte Fortfiihrung von Marsupialier-Zuständen. Ein Conus inguinalis wird vergeblich gesucht, das Leistenband be- steht in reiner Form (Fig. 8 Taf. XXII, Hund) und die den Hoden bergenden Theile entstehen direkt, ohne irgend welche Komplika- tionen. Den gleichen typischen definitiven Descensus besitzen viele Hufthiere. Nur bei wenigen wird ein Conus inguinalis angetroffen, So ist es ganz erklärlich, dass Untersucher, wie BARROIS, welche das Schwein als Objekt zur Entscheidung der Frage nach der Struktur des »Gubernaculums« überhaupt benutzten, die Anwesenheit von quer- gestreiften Muskelfasern darin gänzlich leugneten. Andererseits lie- ferte das Pferd den Untersuchern Resultate, welche mit dem vom Menschen Bekannten besser in Einklang standen. Auf einen Fall von Kryptorchismus beim Pferde gründete GÜNTHER eine Darstellung des Gubernaculum, welche bis in die Einzelheiten getreu dem Conus inguinalis älterer menschlicher Embryonen (z. B. Taf. XXIII Fig. 4) entspricht. Dass auch embryonal ein soleher auftritt ist mir durch Uber den Descensus testiculorum. 625 die Wahrnehmung einer distalen Anschwellung des Leistenbandes bei einem älteren Embryo wahrscheinlich geworden. Den männlichen Organen der Beutelthiere korrespondiren weib- liche in eigenthümlicher Weise. Descriptiv längst bekannt sind die Mammarorgane der Beutelthiere in ihren Beziehungen zum Descensus bisher nicht geprüft worden. Dem Serotum der Beutelthiere entspricht in seiner Lage das Marsupium. Auf Fig. 10 und 11 Taf. XXII ist dieses Verhalten von Phascolomys wombat wiedergegeben. An einer Reihe von Beutel- jungen des Perameles Gunnii von 3 em aufwärts sah ich, dass Sero- tum sowohl wie das Marsupium Anfangs unmittelbar vor dem Genital- höcker liegen und allmählich scheinbar sich nach vorn vorschieben: hierbei halten beide Organe immer gleichen Schritt mit einander. Diese Übereinstimmung der Lage, die bei allen Beutelthieren leicht erkannt wird, beruht in dem gemeinsamen Besitz gewisser Einrich- tungen der Bauchwand. Der Bauchhautmuskel liefert nicht nur bei weiblichen Thieren einen Sphincter marsupii, sondern umzieht auch mit ringförmig angeordneten Fasern das Feld, aus welchem der Stiel des Serotums sich erhebt. Den männlichen Sphincter fand ich bei dem auf Fig. 10 zur Abbildung benutzten Wombat wohl entwickelt. Rudimentäre Beutelfalten, das Scrotum umziehend, wurden bei austra- lischen Beutlern von OwEn (ef. auch Karz) beschrieben. Mit diesen sind gewisse Bildungen bei Didelphys (s. u.) nicht zu verwechseln. Die weiblichen Beutelthiere besitzen einen Leistenkanal und einen aus ihm hervortretenden Muskel, der dem männlichen Cremaster homolog ist. Wie dieser ist er ein Theil des Transversus. Die wichtige physiologische Bedeutung dieses Muskels wurde zuerst von SEILER im Jahre 1828 erkannt. Aus der unreifen Be- schaffenheit der Beuteljungen zog SEILER mit Recht den Schluss, dass bei denselben von einem aktiven Saugen der Milch nicht die Rede sein kann; er suchte daher nach Einrichtungen, welche ge- eignet sind, das Sekret der Milchdrüsen den Jungen einzuspritzen. Als eine solche erkannte er den Muskel, der dem Cremaster gleicht. Er nannte ihn den Iiomarsupialis oder Compressor mammae. So- dann haben MorGAn (1829) und Andere den Muskel beschrieben. Es wird übereinstimmend angegeben, dass der Muskel zu den Milchdrüsen geht und sie komprimiren soll, aber die Art der Inser- tion ist nirgends klar dargestellt. Die Untersuchung eines ‘weiblichen ‘Halmaturus Billardierii kurz nach dem Tode des Thieres zeigte mir die Verhältnisse sehr klar (Taf. XXII Fig. 24). Der Muskel strahlt 626 Hermann Klaatsch kegelfürmig auf den Drüsenkörper aus, an allen Punkten der Peri- pherie desselben angreifend; einige Fasern ziehen weiter gegen die Mittellinie und treffen mit Theilen des anderseitigen Muskels zu- sammen (cf. Karz das Gleiche bei Dasyurus). In der Nähe des Driisenkirpers geben die Fasern in sehnige Züge über. Bei dem vorliegenden Objekte besteht eine vollständige muskulöse Hülle, deren Kontraktion unfehlbar eine ergiebige Wirkung auf die Entleerung der Drüsen ausüben muss. MorGan beschreibt eine Theilung des Muskels in eine vordere und eine hintere Portion, welche die Drüse zwischen sich fassen sollen beim Känguruh. Bei zahlreichen weiblichen Exem- plaren von Beutelthieren traf ich sehr verschiedene Zustände des Muskels. Bei Spiritusexemplaren ist die sichere Orientirung vielfach erschwert. Ich lege daher nur auf die vorangestellte frische Beob- achtung Gewicht und übergehe die anderen Befunde, welche viel- fach einen redueirten Compressor zeigten. Auf Schnitten vom Mar- supium einer 8 em langen Didelphys sah ich die Muskelfasern in der nächsten Nähe der Drüsen sich isoliren und mitten durch den Panni- culus verlaufend bis dicht an dieselben heranreichen'. Da der Compressor der Milchdrüsen sich als eine kegelförmige Vorstülpung eines Theils der Bauchmuskulatur darstellt, so darf er- wartet werden, dass eine Peritonealvorstülpung ihm entspricht. Nach einem solehen weiblichen Processus vaginalis — bei anderen Säu- gern Nuck’sches Divertikel genannt — suchte Karz, jedoch vergeblich. Ich hatte das gleiche negative Resultat mit einziger Ausnahme von Perameles Gunnii. Bei Beuteljungen von 2,5 cm Länge erkennt man von innen her leicht die betreffende Taschenbildung Taf. XXII Fig. 2), deren Ausdehnung auf Schnitten — von einem 3 cm langen Perameles ist ein solcher transversal zur Körperlängsachse auf Fig. 7 Taf. XXIII) wiedergegeben — als eine geringe und mit dem Alter des Thieres schnell abnehmende erkannt wird. Bei 3 em langen Didelphys konnte auf Schnitten keine Spur des Proc. vagin. gefunden werden. Durch den Besitz einer Bildung, die so weit bekannt, bei allen anderen Beutelthieren völlig geschwunden ist, gewinnt Perameles 1 Der Mechanismus des »Compressor« bedarf noch in einigen Punkten der Aufklärung. Nach seiner Verlaufsrichtung wird man von ihm eine die Drüse retrahirende Wirkung erwarten dürfen und es ist denkbar, dass hierbei das Epipubis, gegen welches die Milchdrüse gedrängt wird, eine Rolle bei der Kom- pression derselben spielt. Über den Descensus testiculorum. 627 von einer neuen Seite her die Bedeutung eines der primitivsten Mar- supialier, eine Stellung, die ihm nach dem Befund seiner Mammar- organe zuerkannt werden muss, wie ich anderen Orts — Perameles zeigt die Mammartaschenbildung in primitiverer Form als die anderen Beutler — nachgewiesen habe. In der Tiefe des Proe. vag. und wo dieser verstrichen ist, genau gegenüber der Abgangsstelle des Compressor mammae von der Bauch- wand inserirt das Lig. inguinale rotundum. Es hängt innig mit dem Uterus zusammen und besteht aus dem gleichen Material wie dieser. Es besitzt bei Beuteljungen eine Mächtigkeit wie bei keinem anderen Säugethier (Taf. XXIII Fig. 7), was besonders desshalb auffällt, weil es bei erwachsenen Marsupialiern meist wenig deutlich ausgeprägt ist. Die Befunde der weiblichen Carnivoren lassen sich denen der Marsupialier direkt anreihen. Schon die äußere Beschaffenheit der Bauchhaut verräth Anklänge an die Beutelthiere. Bei jungen Hun- den stehen die Milchdriisen viel weiter nach hinten und einander mehr genähert, als bei alten Thieren. Der Bezirk, welcher die Zitzen trägt, hebt sich stets durch dünnere Behaarung, häufig auch durch hellere Färbung von der umgebenden Haut ab und lässt die der Innenfläche des Beutels entsprechende Partie wiedererkennen. Der Bauchhautmuskel zeigt beim Hunde noch Reste des Sphincter mar- supi, welche bei Felis und Meles gänzlich geschwunden sind. Mit Berücksichtigung aller anderen Verhältnisse darf das bei weiblichen Hunden und Katzen aus dem Leistenkanal hervortretende Muskel- bündel als der letzte Rest eines Compressors gedeutet werden. Über weibliche Hufthiere fehlen mir ausgedehntere Erfahrungen. Die Ligamenta rotunda sind stark entwickelt, bei Embryonen von Pferd und Schwein sind die »Nuck’schen Divertikel«, in welchen die Ligamente inseriren, sehr schön ausgebildet; wie oben angedeutet, hängt dies vielleicht mit der Fixirung des Descensus zusammen und ist als eine Übertragung des männlichen Processus vaginalis aufs weibliche Geschlecht zu deuten (s. oben bei Prosimiern und Primaten). Ye Zur Kenntnis der ursächlichen Momente des Descensus. 1) Rückblick auf die verschiedenen Modi des Descensus. Die Art und Weise, wie die Verlagerung der Hoden zu Stande kommt, ist keineswegs für alle Säugethiere die gleiche. Wie in 528 Hermann Klaatsch den vorangehenden Abschnitten gezeigt, wird das gleiche Resultat auf verschiedenen Wegen erzielt. Die Verschiedenheit der Modi des Descensus erklärt sich aus der Thatsache, dass dieser Process, eine neue Erwerbung der Säugethiere darstellend, erst allmählich sich bei denselben eingebürgert hat. Die Etappen dieses Weges, der zur Fixirung des Descensus führt, sahen wir bei den Vertretern verschiedener Säugerreihen erhalten. Die Verlagerung der Hoden trat zunächst nur periodisch ein, und zwar bei erwachsenen Thieren (Erinaceus. Bis zur Zeit der ersten Brunst behalten sie die ursprüngliche Lage, nach der Brunst kommen sie in eine nach außen vorgestülpte Partie der in- guinalen Bauchwand zu liegen. Zur Zeit der Brunst kehren sie jedes Mal in die Bauchhöhle zurück (Nager, Insectivoren). Für die Verlagerung von höchster Bedeutung ist der Conus inguinalis. Dieses Gebilde, die Hauptmasse dessen, was man bei Nagern bis- her als Gubernaculum bezeichnete darstellend, besteht aus einer nach innen vorgestülpten Partie der Bauchmuskulatur, ent- sprechend den Mm. obliquus internus und transversus. Im Bereiche des Urnierenligaments gelegen, nähert sich die Spitze des Conus dem Nebenhoden, mit welchem sie durch das Lig. inguinale. einem subperitonealen Muskelstrang, zusammenhängt. Der Descensus besteht in einer Umstülpung des Conus nach außen. Das Material des Conus liefert die Wand der Bursa in- guinalis, die den Hoden birgt. Diese Tasche mit allen ihren Schichten, dem Serotum, Cremaster, Processus vaginalis ist ein Produkt des Descensus. Was ursprünglich beim erwachsenen Thiere eintrat, wurde in immer frühere jugendliche (Maus) oder ontogenetische (Sciurus) Stadien zurückverlegt. Als zunächst sich an die Nager und Insectivoren anschließende Formen würden solche zu betrachten sein, bei welchen der Descen- sus in der Jugend zwar periodisch eintritt, im höheren Alter aber durch Wegfall des Reditus testium zur Brunstzeit eine definitive Einriehtung wird. Wir kennen solche Formen bis jetzt noch nicht, sie jedoch hypothetisch einzureihen, dazu besteht volles Recht. Sie müssen gesucht werden in der Prosimier-Primatenreihe und künftige Forschungen sollten auf die Halbaffen ganz besonders ihr Augen- merk richten. Das theoretisch Geforderte ist nahezu vollständig realisirt durch den Menschen. Da der Mensch in manchen Punkten des Descensus am Ende der Reihe steht, so ist es um so bemer- Über den Descensus testieulorum. 629 kenswerther, dass selbst bei ihm noch ontogenetisch eine Erinnerung an den periodischen Descensus sich erhält. Wie oben nachgewiesen, ist die Entfaltung des sogenannten Gubernaculums nicht anders zu verstehen, als durch die Rekapitulation eines Reditus testium. Unter diesen Umständen ist der Modus des menschlichen Descensus anzuschließen an den bei Nagern. Die Beobachtung bestätigt dies, indem sie auch beim Menschen, wie ich oben aus einander gesetzt habe, den »zweiten Descensus«.durch Umstülpung des Guberna- eulums, d.i. in diesem Falle des Conus, nach außen entstanden zeigt. Der erste Descensus beim Menschen ist ein rudimentärer Vor- gang und seine Einzelheiten sind wichtig für die Umwandlungen, denen der Descensus in der Säugethierreihe unterworfen ist: Was ursprünglich unmittelbare Folge des Descensus war, geschieht un- abhängig von ihm. Die Bursa inguinalis, einst durch den Hoden selbst bedingt, entsteht in einiger Entfernung von ihm selbständig. Diese Zustände leiten über zu den Säugethieren, bei denen die Hodenverlagerung eine ganz definitive Einrichtung geworden ist (Beutelthiere, Carnivoren, Hufthiere). Bei diesen ist ein neuer Mo- dus der Hodenverlagerung ausgeprägt, der jedoch keineswegs den anderen unvermittelt gegenübersteht, sondern nur das Endstadium einer Reihe bedeutet, deren Anfänge bei Formen mit periodischem Descensus gesucht werden müssen. Wie in der Beschaffenheit des Gubernaculums, so vermittelt die Prosimier-Primatenreihe auch in der Anlage der späteren Hodenhüllen differente Zustände. Das Serotum, ein Produkt des Descensus, ohne welchen es bei Nagern und Insectivoren nicht existirt, fehlt auch noch den Prosi- miern und vielen Affen als selbständige Bildung. Bei einigen ame- rikanischen Formen (Midas, Mycetes) und beim Menschen entsteht es zeitlich unabhängig vom Descensus. Die Scrotalanlage ist eine cenogenetische Bildung und ihr Auftreten in der Beutler-, Carni- voren-, Hufthierreihe ist ohne genetische Beziehung zu dem analogen Befund der Prosimier-Primatenreihe, wie aus dem Fehlen derselben bei den niedriger stehenden Gliedern (Prosimier, Caniden) beider Reihen hervorgeht. Von den übrigen Hüllen des Hodens steht bei weiterer Fixirung des Descensus das Gleiche zu erwarten, wie von der integumentalen Überkleidung, dem Serotum. Auch die muskulöse Wandung der Bursa inguinalis, wie das, vom Peritoneum ausgekleidete Lumen derselben, oder der Processus vaginalis werden immer mehr in einer dem fertigen Zustande entsprechenden Weise angelegt werden. 630 Hermann Klaatsch Hierfür liefern die Beutelthiere, Carnivoren und Hufthiere die nöthigen Belege. Ein Conus inguinalis konnte bei ihnen nicht kon- statirt werden, mit wenigen Ausnahmen (Pferd). Die Bursa, die ja nichts Anderes darstellt, als den ausgestülpten Conus, entsteht direkt als Tasche. Aus diesem Grunde ist auch das Gubernaculum hier eine andere Bildung, als bei Nagern und beim Menschen. Es entspricht lediglich dem Lig. inguinale. Dass es als solches in einer größeren Länge auftritt, wie bei weniger einseitig differenzir- ten Formen, kann nicht als ein ursprüngliches Verhalten beurtheilt werden. In dieser Reihe vollzieht sich unter beständiger weit vor dem Hoden hergehender Ausdehnung des Proc. vag. und unter all- mählicher Verkürzung des »Gubernaculum« der Descensus so, wie er von manchen Autoren fälschlich für den Menschen beschrieben wurde. 2) Frühere Anschauungen über die»Ursachen« des Descensus. Die umfassende Beurtheilung der allmählichen Veränderung des Descensus und die Kenntnis der Stellung, welche der Mensch in- nerhalb der mannigfachen Befunde einnimmt, liefern die Grundlage zur Prüfung der Frage nach den ursächlichen Momenten des Descensus, eine Frage, die bisher nur für den Menschen, hier aber sehr eingehend diskutirt worden ist. Es ist zunächst geboten, die zahlreichen Ansichten, welche über diesen Punkt in der Litteratur niedergelegt sind, auf ihre Berechtigung hin zu untersuchen. Fast allen bisherigen Versuchen, den Descensus zu erklären, ist gemeinsam, dass sie ihren Ausgangspunkt von den menschlichen Zuständen nehmen und die bei denselben auftretenden Bildungen auf die Rolle hin prüfen, die ihnen bei dem Zustandekommen des Descensus zugetheilt sei. Nicht die Frage, warum überhaupt die Hoden die Bauchhöhle verlassen, sondern das Suchen nach den un- mittelbar wirkenden Faktoren steht namentlich bei den neueren Autoren im Vordergrund des Interesses. Weit verbreitet ist auch jetzt noch die im Anschlusse an CLE- LAND von KÖLLIKER aufgestellte Ansicht, dass die Wachsthums- differenz der über und unter dem Hoden gelegenen Theile »ein rasches Wachsthum der einen und ein Zurückbleiben der anderen und zweitens ein Schrumpfen des Gubernaculum die Lageverände- rung des Hodens bedingen« (pag. 997). So zweifellos Wachsthums- Über den Descensus testieulorum. 631 erscheinungen bei der Herstellung des fertigen Zustandes der Organe und auch bei der Vollendung des Descensus thätig sind, so wenig können dieselben als ursächliche Momente verwerthet werden. Wird bei manchen Säugern in der That eine allmähliche Verkürzung des Gubernaculums gefunden, so tritt bei anderen im Gegensatz dazu eine stärkere Entfaltung desselben nach innen zu auf, das beim Menschen den Hoden nach innen, anstatt nach außen verlagert. Es stehen die Wachsthumserscheinungen wieder unter dem Einfluss höherer Gesetze, sind selbst Folgeerscheinungen und können daher nicht als Ursachen benutzt werden. Dass die Hodenverlagerung zu Stande kommen kann, ohne dass Wachsthumsdifferenzen überhaupt in Betracht kommen, lehren die Nager mit ihrem am ausgewachsenen Thier sich vollziehenden Descensus. Die Schrumpfung des Gubernaculum, also nicht bloß eine pas- sive Verkürzung durch Zurückbleiben im Wachsthum, sondern auch eine direkte Verkleinerung desselben durch eine Kontraktion, welche MECKEL mit Narbenschrumpfung verglich, wurde von älteren Au- toren (PALETTA, ÖSTERREICHER) als »Ursache« des Descensus auf- gefasst und auch von KÖLLIKER mit herangezogen. Durch seine Beobachtungen eines Besseren belehrt, tritt BRAMANN dieser Anschau- ung entgegen (pag. 334), hauptsächlich desshalb, weil er eine In- sertion des Gubernaculum in dem Grunde des Hodensackes vermisst. Dagegen glaubt er, »dass das im Inneren des Gubernaculum befind- liche Bindegewebe, das mit dem Bindegewebe in der Gegend des äußeren Leistenringes und dadurch mit dem des Hodensackes in Verbindung steht, einer Schrumpfung anheimfällt, die wesentlich zum Descensus beiträgt«. Es wird also dem Bindegewebe der Sero- talanlage eine ursächliche Bedeutung für den Descensus zuerkannt. Nach dem, was über die allmähliche Ausbildung einer selbständigen Serotalanlage in den verschiedenen Säugethierreihen ermittelt wurde, ist das fragliche Gewebe in seiner reichlichen Entwicklung beim Fötus ein Produkt des Descensus. Es wird also eine Folgeer- scheinung zur Ursache gestempelt! Nager, Insectivoren, Prosimier und Affen zeigen den Descensus ohne die Mitwirkung einer Binde- gewebsschrumpfung weder in einer Serotalanlage, die hier fehlt, noch auch im Inneren des Gubernaculum. Der axiale Bindegewebs- strang im Gubernaculum der erwachsenen Ratte verhält sich der Hodenverlagerung gegenüber völlig passiv. » Unterstützt« sollen die bisher aufgeführten und als unwesent- 632 Hermann Klaatsch lich zurtickgewiesenen Momente, nach mehreren Autoren durch den Druck von Seiten der Baucheingeweide werden. In diesem Sinne sprach sich Burpacn aus; Bramann hält die Annahme, dass »die stärkere Entwicklung und Ausdehnung der Baucheingeweide« den Hoden gleichsam »herausdrängen«, bewiesen durch den Umstand, dass in den Fällen, in welchen die Flexura sigmoidea stark mit Meconium angefüllt war, der Descensus des linken Hodens friiher begonnen hatte, als der des rechten (pag. 335). In ganz ähnlichem Sinne spricht sich auch Wem aus, der neben dem Druck der Därme auch noch den des » Liquor peritonealis« heranzieht. Um die Grund- losigkeit solcher Argumentationen zu zeigen, genügt ein Hinweis auf die Monotremen, die keine Hodenverlagerung besitzen, obwohl ihre Baucheingeweide nicht wesentlich abweichen von denen anderer niederer Säugethiere und auf die Nager, für deren periodischen Descensus wohl Niemand eine entsprechende periodische Veränderung der Därme und des »Liquor peritonei« behaupten wird. Eine ganz andere und berechtigte Frage ist die nach periodischen Verände- rungen des Hoden selbst, denen eine Bedeutung für den Descensus bei Nagern /s. 0.) zuerkannt wurde. Endlich ist der quergestreiften Muskulatur des Gubernaculum (d. i. des Conus inguinalis) ein wichtiger Antheil an der Hodenver- lagerung zugesprochen worden (BruGnoni u. A.). Ihre Kontraktion als ein ursächliches Moment des Descensus kann zwar beim Men- schen keine große Bedeutung besitzen bei der relativ geringen Ent- faltung der muskulösen Bestandtheile des Conus, auch sehen wir den Descensus z. B. bei Carnivoren ohne einen solchen Faktor er- folgen, es ist aber zweifellos, dass bei Formen mit weniger rudi- mentärem Conus der Muskulatur eine wichtige Rolle zukommt (s. 0. Nager). Die Übersicht der bisher geltenden Anschauungen über die Ur- sachen des Descensus lässt keinen Zweifel darüber, dass man vom Menschen aus das Problem nicht lösen kann. Was als »Ursachen« aufgeführt worden ist, stellt sich heraus zum Theil als Folge-, zum Theil als Begleiterscheinungen der Hodenverlagerung. Die Schuld an der bisher herrschenden Unklarheit und der weit aus einander gehenden Verschiedenheit der Meinungen liegt darin, dass man die unmittelbar thätigen Momente in rein äußerlich mechanischer Weise zu ergründen suchte, anstatt der Geschichte der Hodenverlagerung nachzugehen und ihre allgemeinen Ursachen zu erforschen. Eine Andeutung des Wunsches nach einem solchen Vorgehen liegt in den Über den Deseensus testieulorum. 633 Worten mancher Autoren, wie SEILER, BLUMENBACH u. A., welchen die mechanischen Erklärungsversuche der meisten Forscher nicht genügten. 3) Die Beziehungen der Mammarorgane zum Descensus. Der Descensus der Hoden beim Menschen ist ableitbar von nie- deren Zuständen, wie sie etwa die Nager zeigen. Was bei letzteren eine wichtige funktionelle Rolle spielte, die Muskulatur des Conus, wird zwar beim Menschen wenn auch in rudimentärer Form angelegt, aber sie repräsentirt hier nicht mehr einen nothwendigen Faktor für das Zustandekommen der Hodenverlagerung. Wie die ontogenetische Gestaltung anderer Theile des Organismus, z. B. der Extremitäten der Wirbelthiere sich ganz unabhängig vollzieht vom Einfluss der- jenigen äußeren Momente, welche auf die erwachsenen Vorfahren modifieirend einwirkte, so liefert auch die Entwicklungsgeschichte der Säugethiere kein Material, welches die Ursachen des Descen- sus beleuchten könnte. Um diesen auf die Spur zu kommen, bedarf es der vergleichend anatomischen Prüfung erwachsener Formen. Als Ausgangspunkt für die weiteren Untersuchungen müssen die Thiere dienen, bei denen die Hodenverlagerung auch im erwachsenen Zustande sich vollzieht. Wir haben also anzuknüpfen an das, was über die Nager und Inseetivoren ermittelt wurde; was bei diesen zunächst als gegeben hingenommen war, ist jetzt auf seine Entstehung hin klar zu stellen. Bei den Formen mit einfachstem Modus der Hodenverlagerung wurde als erstes und wichtigstes Gebilde das »Gubernaculum« kon- statirt, d. h. eine auf beiden Seiten in der Inguinalregion sich findende Einstülpung der seitlichen Bauchmuskulatur, speciell des Obliquus internus und Transversus in die Bauchhöhle hinein. Durch den Besitz dieses Conus inguinalis allein unterscheiden sich die Em- bryonen der Nager und Insectivoren von dem erwachsenen Zustande der Monotremen. Da bei letzteren eben so wenig wie bei den nie- deren Wirbelthieren eine Hodenverlagerung stattfindet, so koncentrirt sich das Interesse auf die Veränderungen, welche die Inguinalregion bei den Säugethieren erfuhr auf dem Wege vom Monotremenstadium zu dem der Marsupialier und Placentalien. Beim Suchen nach den Faktoren, welche eine Veränderung der Bauchmuskulatur an circum- seripter Stelle hervorriefen, kann man die Contenta der Bauchhöhle leicht aus der Betrachtung ausschalten. Dieselben zeigen bei den Siiugethieren, abgesehen von der Reduktion der Urniere, keine Ver- Morpholog. Jahrbuch. 16. 41 631 Hermann Klaatsch schiedenheiten von den niederen Wirbelthieren, welche geeignet wären, ein Licht auf die fraglichen Punkte zu werfen. Es_ bleibt somit nur die Annahme einer Veränderung der Bauchwand von außen her und es fragt sich, welche der dem Integument der In- guinalgegend angehörenden Organe für die Umgestaltung dieser Re- gion verantwortlich zu machen sind. Es können hier keine anderen Einrichtungen in Betracht kommen als Mammarorgane. Unsere Kenntnisse über die Mammarorgane der niedersten Säuger beschränken sich auf die beiden jetzt noch lebenden Monotremen, Echidna und Ornithorhynchus, deren einseitige Entwicklung sich in so vielen Punkten ausspricht, dass sie nur in den Hauptpunkten zur Erkenntnis der Vorgeschichte der Mammalia einen Beitrag liefern können. Kombinirt man die Monotremenzustände, deren Mammarorgane durch MECKEL, OWEN und GEGENBAUR genauer bekannt wurden, mit dem, was die anderen Säugethiere als gemeinsame Charaktere auf- weisen, so gelangt man zur Aufstellung einer Siugerform, welche jederseits in der Inguinalregion eine von der übrigen Haut different gewordene etwa kreisförmig begrenzte Partie aufweist, eine Area. in deren Bereich sich Hautdrüsen zu neomeletischen Zwecken beson- ders entfaltet haben. Unter den lebenden Formen steht Ornithorhyn- chus diesem Verhalten am nächsten mit seinem jeglicher Komplika- tionen durch Taschenbildungen entbehrenden Drüsenfeld. Aus der Schilderung, die GEGENBAUR von diesem Felde gab, hebe ich besonders den Besitz einer stark entwickelten Lage glatter Muskulatur hervor, welcher die Area charakterisirt. Ein solcher primitiver Mammarapparat ist im weiblichen Ge- schlechte entstanden zu denken: ist doch kein männliches Säugethier bekannt, welches sich neomeletischen Funktionen unterzöge. Wo sich Mammarorgane bei männlichen Säugern finden, sind dieselben durch Übertragung vom weiblichen Geschlecht aufs männliche entstanden. Diese Übertragung hat nun offenbar schon sehr frühzeitig in der Vor- fahrenreihe der Säugethiere stattgefunden, wie die Monotremen lehren. Bei den Männchen von Echidna sowohl wie von Ornithorhynchus (GEGENBAUR, HAACKE) wurden vollständig entwickelte Mammarorgane gefunden. Durch diese Thatsache ist die Vorbedingung erfüllt für die Annahme, dass die Mammarorgane beim männlichen Geschlechte eine Wirkung auf die Bauchwand ausgeübt haben. Nunmehr erhebt sich die Frage, ob sich diese Wirkung der Mammarorgane auf tiefere Theile nachweisen lässt. Dass eine solehe Uber den Descensus testiculorum. 635 bereits bei Monotremen stattfindet, erhellt aus folgenden Punkten: Wie MEcKEL von Ornithorhynehus, Owen von Echidna beschreiben, stellt das Mammarorgan zur Zeit seiner höchsten Leistung einen mäch- tigen Drüsenkörper dar, der die seitliche Bauehmuskulatur beträcht- lich nach innen verdrängen muss. Dass hierbei der Bauchhautmuskel sich ganz passiv verhält und im Bereich des Mammarorgans aus ein- ander weicht, sah ich bei Ornithorhynchus und erkenne ich auf einer Abbildung Haacke’s von Echidna (Biol. Centralblatt VIII pag. 13). Den direkten Beweis für die tiefgreifende Einwirkung des Milch- drüsenapparates auf die Bauchwand, speciell auf die seitlichen Bauch- muskeln liefern die Beutelthiere. “Der eigenthümliche Milchdrüsen- muskel aller Marsupiaten, der »Compressor mammae« der Autoren, dessen hohe funktionelle Bedeutung für die Emährung des Beutel- Jungen außer Zweifel steht, wurde als Theil des M. transversus ab- dominis erkannt. Ein solcher Muskel kann nicht mit einem Schlage ins Leben getreten sein, er muss eine Vorgeschichte haben, in wel- cher die beständig wiederholte Beeinflussung der Bauchmuskeln durch die sich zeitweise vergrößernden Hautdrüsen die wichtigste Rolle spielt. Das Nähere dieses phylogenetischen Entwicklungsganges des Compressor mammae bleibt bei dem Fehlen vermittelnder Formen in Dunkel gehüllt. Für unsere Zwecke ist die Existenz des Compressor als solche von der höchsten Bedeutung als wichtiges Zeugnis für den innigen Connex, den die Mammarorgane mit der Bauchmuskulatur gewonnen haben. Dass ein solcher sich nur bei den Beutelthieren erhielt und weiter ausbildete, bei anderen Säugern hingegen voll- ständig fehlt, hängt mit der Art der Brutpflege zusammen. Die extra- uterine Ernährung der unreifen Beuteljungen erforderte besondere Apparate zur Entleerung der Milchdrüsen, bei den Placentaliern wurde der Nutzen solcher kompressorischen Einriehtungen hinfällig. Aus diesem Grunde haben Nager und Insectivoren primitivere Zustände der Inguinalregion bewahrt als die Beutler, deren lebende Vertreter einen einseitig differenzirten, wenn auch sehr tief unten am gemein- samen Stamme entspringenden Zweig der Mammalia repräsentiren. Den einfachen Zustand der Veränderung der Bauchwand durch die Mammarorgane wird man sich vorzustellen haben als die Ver- drängung der seitlichen Bauchmuskeln nach innen an einer mehr oder weniger scharf umschriebenen Partie. Eine Verdrängung des Integuments nach außen konnte nicht stattfinden, da hier theils ebene Drüsenfelder, theils sogar Taschenbildungen die Mündungsstelle der Mammardrüsen bezeichnen. Periodisch wie die Größenzunahme des 41* O36 Hermann Klaatsch Drüsenkörpers musste die »Einstülpung« der Bauchmuskeln erfolgen. So balınte sich eine Bildung an, die in primitiver Form einen Conus inguinalis repräsentirt. Die Bauchmuskeln werden bei gleichmäßiger Kontraktion in toto bestrebt sein, das alte Niveau an der nach innen verdrängten Partie wieder zu erreichen. Die Muskelthätigkeit musste auf den Drüsenkörper eine komprimirende Wirkung äußern. So er- giebt sich eine wechselseitige Einwirkung von Bauchmuskulatur und Mammarorgan auf einander, die bei Beutlern schließlich den Com- pressor hervorgehen lieb. Bei den placentalen Säugethieren erhielten sich primitivere Zu- stände. Embryonal tritt bei Nagern noch ein kleiner Conus ingui- nalis auf (s. oben) und es ist sehr bemerkenswerth, dass dieser den inguinalen Milchdrüsen gerade gegenüber liegt. Das inguinale Zitzen- paar, das bei vielen Nagern allein vorhanden ist, entsprieht in seiner Lage zu Schenkel und Bauch genau den Mammardrüsen der Mono- tremen. Dass mit der Übertragung der Mammarorgane auch die Ein- wirkungen derselben auf die Bauchmuskulatur beim männlichen Ge- schlechte sich geltend machten, darf angenommen werden. Zu diesem Sehluss berechtigt die längst bekannte, aber bisher nicht verstandene Thatsache, dass der Milchdrüsenmuskel der weiblichen Beutelthiere dem Cremaster der männlichen homolog ist. Von diesem Gesichts- punkte aus empfängt der Conus inguinalis der männlichen Säuger Aufklärung: er ist das Produkt der Mammarorgane und periodisch, wie die Größenschwankungen der letzteren, ist auch die Entfaltung des Conus in das Lumen der Bauchhöhle hinein. Der männliche Conus inguinalis gewinnt Beziehungen zur männlichen Keimdrüse. Die Gelegenheit hierzu ist gegeben durch die Örtlichkeit, wo der Conus auftritt, nämlich im Bereiche der Pliea inguinalis des Urnieren- ligamentes. Dazu kommt die freie Exkursionsfähigkeit der Hoden in Folge der Länge des Urnierenligamentes. Dass die weibliche Keim- drüse keine solehen Beziehungen gewinnt, wie der Hoden, ist auf zwei Momente zurückzuführen: Die Ovarien werden von der Bauch- wand durch die starke Entwicklung der MULLER’schen Gänge ge- schieden, außerdem behalten die weiblichen Keimdrüsen stets an- nähernd das gleiche Volumen, die Hoden hingegen sind bekanntlich großen Volumschwankungen unterworfen und da diese in direkter Abhängigkeit von der Brunst sich periodisch wiederholen, so habe ich ihnen schon an früherem Orte eine Bedeutung für die periodische Dislokation der Hoden zuerkannt. Der Conus inguinalis verhält sich Über den Descensus testiculorum. 637 dgm Inhalt der Bauchhöhle gegenüber gleichsam als ein Locus mino- ris resistentiae, den nur der Hoden unter den Baucheingeweiden zu benutzen veranlasst wird. So offenbart sich ein Connex zwischen der periodischen Hoden-- verlagerung und der periodischen Veränderung der Mammarorgane. Zur Zeit der Brunst, d.h. wenn die Mammardriisen sich vergrößern, kehren die Hoden in die Bauchhöhle zurück. Beim Fehlen vermit- telnder Formen und bei der unzureichenden Kenntnis von den primi- tivsten Säugethieren müssen wir uns mit den allgemeiner gehaltenen Andeutungen über den Connex des Descensus mit den Mammarorganen begnügen und wenn auch die vorhandenen Thatsachen ihn in den Hauptzügen erkennen lassen, so bleiben doch im Einzelnen noch viele Punkte unaufgeklärt. Zu diesen gehört die Entstehung des Lig. in- guinale. Konnten wir auch diesen subperitonealen Muskel als eine Specialisirung der Coelommuskulatur nachweisen, so bleibt doch die Ursache seines Auftretens unbekannt. Die starke Ausbildung des Lig. inguinale, sein Zusammenhang mit dem Uterus, seine periodische Größenzunahme mit der Gravidität und ganz besonders seine nahe örtliche Beziehung zum Conus inguinalis und damit zum Mammar- organ machen es sehr wahrscheinlich, dass dies Gebilde im weib- lichen Geschlecht entstand und mit den anderen zum Mammarorgan gehörenden Einrichtungen auf das männliche Geschlecht übertragen wurde. Bei diesem spielt es eine ganz passive Rolle und wird durch den Descensus mehr und mehr redueirt. Welcher Art die Funktion dieses eigenthümlichen Muskels war, dessen mächtige Entfaltung bei Jungen Marsupialiern oben erwähnt wurde, wo er dem Compressor genau gegenüber angreift (Taf. XXIII Fig. 7), lässt sich zur Zeit nicht errathen. Ist die Ableitung des Descensus, die ich aufstellte, richtig, wurde in der That die Stelle, wo der primitive Mammarapparat lag, bei den männlichen Säugern in einer neuen und eigenartigen Weise ver- werthet, so ist es eine logische Konsequenz, zu erwarten, dass bei den über den Monotremen stehenden Mammalien sich keine Milch- drüsen und Zitzen im männlichen Geschlechte finden werden, die in ihrer Lage unabhängig vom Scrotum sind. Die Thatsachen scheinen dem zu widersprechen, eine genauere Prüfung aber entkräftet den Einwand, der hieraus gegen meine Ansicht erhoben werden könnte. Wie ich in einer früheren Arbeit nachwies, haben sich die Beutel- thiere bezüglich der Mammarorgane sehr primitive Zustände bewahrt, von denen die anderen Säugethiere sich ableiten. Unter den Marsu- 638 Hermann Klaatsch pialiern wiederum nehmen die australischen Formen eine viel niedere Stufe ein, als die amerikanischen Didelphys. Nun wurde bisher bei keinem australischen Beutler im männlichen Geschlechte eine Spur von Milchdrüsen oder Zitzen gefunden, eine Thatsache, die ich gleich allen früheren Antoren auf ein ziemlich großes Material hin bestätigen kann. Diese auffallende Differenz zwischen den männlichen Mono- tremen und den männlichen Beutlern liefert den Beweis für die Richtig- keit meiner Anschauung. Treten bei den höheren Säugethieren Milchdrüsen im männlichen Geschlechte auf, so handelt es sich um eine zum zweiten Mal erfolgte Übertragung der Mammarorgane. Auch hierfür liefern die Beutler die Bestätigung. Bei den amerikanischen Arten, die in jeder Beziehung sich am weitesten vom Ursprünglichen entfernt haben, treten im männlichen Geschlechte die ersten, noch schwach ausgeprägten Spuren der neuen Übertragung auf. Bei männ- lichen Didelphys sah ich das schwache aber bis in die Einzelheiten getreue Abbild des Beutels mit seinen Zitzen. Bei allen Höheren entsprechen in gleicher Weise die männlichen Mammarorgane der Wiedergabe weiblicher Befunde in verkleinertem Maßstabe. Nun kann immerhin noch die Frage erhoben werden, ob denn nicht auf der Höhe des Scrotums das Mammarorgan, dem ich eine ursächliche Bedeutung für den Descensus zuschrieb, nachweisbar sei. Ein negativer Befund würde die gegebene Schlussfolgerung nicht erschüttern, der positive aber verleiht ihr gleich der Probe auf ein mathematisches Exempel erhöhte Festigkeit. Das Drüsenfeld der Monotremen findet sich in der That auf der Höhe des Serotums wieder. Die Area scroti, die ich als gemeinsamen Besitz aller Säuge- thiere nachwies, und die bald mehr bald weniger scharf als ein be- sonderes Gebilde sich darstellte, wird nunmehr verständlich, während sie für sich betrachtet vollständig räthselhaft bliebe. Die Tunica dartos entspricht der glatten Muskellage des Drüsenfeldes der Mono- tremen und die Area scroti repräsentirt den äußerlich wahrnehmbaren Bezirk jenes primitiven Mammarorgans, welches zur Verlagerung der Hoden den Anstoß gab. Über den Descensus testieulorum. 639 Litteratur. Die mit * bezeichneten Arbeiten waren mir nicht im Original zugänglich, so dass ihr Inhalt nur theilweise durch Citate und Auszüge mir bekannt wurde. Tu, Cm. BARROIS, Contribution a l’ötude des enveloppes du testicule. These pour le doctorat en medicine. Lille 1882. F. BRAMANN, 1) Beitrag zur Lehre von dem Descensus testieulorum und dem Gubernaculum Hunteri des Menschen. Archiv für Anat. und Physiol. 1884. —— 2) Der Processus vaginalis und sein Verhalten bei Störungen des Descen- sus testiculorum. Arbeiten aus der kgl. chirurg. Universitätsklinik Berlin. 1889. J. BRUGNONI, De testium in foetu positu. Siehe PALETTA. *BÜRKNER, Abbildungen zur Lehre von den Unterleibsbrüchen nebst einer aus- fiihrlichen Darstellung des Herabsteigens der Hoden. Berlin 1844, P. Camper, Kleine Schriften. 1756. Übersetzt von HrrBeur. Bd. II. CLELAND, The mechanisme of the gubernaculum testis. Edinburgh 1856, A. Cooper, Observations on the structure and diseases of the testis. London 1830. T. B. Curtine, A practical treatise on the diseases of the testis. III. Ed. London 1864. *EICHBAUM, Untersuchungen über den Descensus testiculorum. Revue für Thier- heilkunde. Bd. VI. C. GEGENBAUR, Zur Kenntnis der Mammarorgane der Monotremen. Leipzig 1886. GÜNTHER, Uber das Gubernaculum Hunteri. Deutsche Zeitschrift für Thier- medicin. Leipzig 1875. Bd. I. pag. 273, W. HAACKE, 1) On the marsupial ovum, the mammary pouch, and the male milk glands of Echidna hystrix. Proceed. of the royal society. No. 235. - London 1885, —— 2) Uber die Entstehung des Säugethiers. Biol. Centralblatt. VIII, 1. 1888. J. 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Wein, Über den Descensus testiculorum nebst Bemerkungen iiber die Ent- wicklung der Scheidenhiiute und des Scrotums. Prager Zeitschrift fiir Heilkunde. V. 1884, G. WIEGER, Uber die Entstehung und Entwicklung der Bänder des weiblichen Genitalapparates beim Menschen. Archiv für Anat. und Physiol. 1885. *H. A. WRISBERG, Observationes anatomicae de testiculorum ex abdomine in scrotum descensu. 1778. Uber den Descensus testiculorum. 641 Erklärung der Abbildungen. Für mehrere Figuren gemeinsam geltende Bezeichnungen. un Urniere, bo Bursa ovarii, n Niere, ut Uterus, nn Nebenniere, li Ligamentum inguinale, t Hoden, ci Conus inguinalis, o Ovarium, ir Ligamentum rotundum, d Darm, bi Bursa inguinalis, v Harnblase, pr Processus vaginalis, ur Ureter, mr Musculus rectus abdominis, vd Vas deferens, oe Musculus obliquus externus abdo- nh Nebenhoden, minis, ve Vasa epigastrica inf., ot Musculus obliquus internus abdo- gg Genitalgänge, minis, epp Os epipubis, ir Musculus transversus abdominis, unl Urnierenligament, er Cremaster, pd Plica diaphragmatica, ser Scrotum resp. Scrotalanlage, pt Plica inguinalis, m Marsupium, !t Ligamentum testis, p Penis, lo Ligamentum ovarii, as Area scroti, bt Bursa testis, td Tunica dartos. Tafel XXII. Fiir die Fig. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 13, 14, 15, 16, 17, 18 gilt gemeinsam, dass sie die Lagerung der Keimdriisen, Urnierenreste etc. zeigen, wie sich die- selben nach Entfernung der Darmschlingen und nachdem die ventrale Bauch- wand nach vorn zuriickgelegt worden ist, darstellt. Fig. 1. Embryo von Sus scropha. 3cm. Miichtige Entfaltung der Urnieren. Das von der Keimdriise (4) zu den Genitalgängen ziehende Band (das Ligamentum testis resp. ovarii der spiiteren Stadien) ist bereits vorhanden, obwohl noch kein Urnierenligament existirt. Vergr. 3: 1. Fig. 2. Beuteljunges von Perameles Gunnii. 2,5 cm. ©. Es sind noch beträchtliche Reste der Urniere (un) vorhanden. Im Bereiche der Plica inguinalis des Urnierenligamentes ist das Ligamentum inguinale sichtbar, welches in eine, auf der Figur nicht (mit Buchstaben) be- zeichnete Ausstülpung (bi der Fig. 7 Taf. XXII) sich fortsetzt. Es entspringt von den Genitalgängen. Vergr. 3:1. Fig. 3. Beuteljunges von Macropus Benetti. 4,1cm. 3. Der linke Hoden ist sammt Nebenhoden nach außen umgelegt. Eintritt des von den Genitalgängen (vd) entspringenden Zi (Lig. ing.) in den Processus va- ginalis (pr). Rechts sieht man die flache Bursa testis (dt) und das kurze Ligamentum testis (Zt). Vergr. 3: 1. 642 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. —1 10 12. Hermann Klaatsch Embryo von Sus scropha. 6,7 cm. 4 (zu vergleichen mit Fig. 1). Starke Entfaltung der Nieren, über deren laterale Fläche die Pliea diaphragmatica des Urnierenligamentes verläuft. Ligamentum testis wohl entwickelt, obwohl noch jegliche Komplikationen im Bereiche der Plica inguinalis fehlen. Der embryonale Zustand der Urogenital- organe auf diesem Stadium entspricht dem erwachsenen der Mono- tremen (Rekapitulation des Echidnastadiums). Vergr. 3:1. Embryo von Lepus euniculus. 3 cm. 5. Das Ligamentum ingui- nale bildet mit dem Conus inguinalis (s. Text) scheinbar eine einheit- liche Masse (»Gubernaculum«). Urnierenrest bedeutend. Vergr. 5:1, Embryo von Mus decumanus. 3,5 cm. 3. Die Harnblase ist nach rechts geschlagen, so dass man Urnierenligament, Hoden, Nebenhoden, Vas deferens und Conus inguinalis der linken Seite von innen sieht. Das Lig. ing. ist sehr kurz, der Conus inguinalis ist stark entwickelt (vgl. Schnittbild desselben Stadiums Taf. XXIII Fig. 8). Vergr, 4:1. Embryo von Sus seropha. 7,7 cm. 5 (vgl. Fig. 1 und 4). Rück- bildung der Urnieren. Die Bursa testis hat sich beträchtlich vertieft. Die Insertionsstelle des Lig. testis an den Genitalgängen entspricht nicht der Ursprungsstelle des Ligamentum inguinale, welches in den Processus vaginalis eintritt. Die Plica diaphragmatica verstreicht all- mählich auf der Außenfläche der Niere. Vergr. 2:1. Canis familiaris. Embryo. 6,5 cm. 3. Die Plica diaphragmatica verläuft lateral von der Niere. Links ist der Hoden nach außen um- gelegt. Urnierenrest medial von den Keimdrüsen. Langes Lig. in- guinale, an dessen distalem Ende noch kein Proc. vaginalis sichtbar ist. Vergr. 3: 1. Neugeborene Ratte (Mus decumanus. 4,5 cm). Rechtes Urnieren- ligament, von auBen gesehen. Vor der Harnblase (nach unten dayon in der Figur) sieht man als Wulst an der Innenseite der nach vorn geschlagenen Bauchwand den Musculus rectus abdominis (mr). Lateral von demselben erhebt sich der Conus inguinalis, dessen Spitze ein kurzes Ligamentum inguinale mit dem Nebenhoden verbindet. Das Vas deferens sieht man durch das Urnierenligament hindurch. Vergr. isla und 11 zeigen die Bauchwand eines männlichen (Fig. 10. Vergr. 1 : 2,5) und eines weiblichen (Fig. 11. Vergr. 1 : 1,5) Wombat (Phascolomys wombat) von außen. Die Figuren demonstriren die Korrespondenz der Lage von Scrotum und Marsupium zu einander mit Riicksicht auf den Genitalhöcker (gh) (s. Text). Erwachsene Ratte (Mus decumanus). Links ist die Bauchhaut entfernt, so dass man die linke Präputialdrüse (pd) und die linke Bursa inguinalis sieht; die Wand der letzteren ist so weit abgetragen, dass Hoden und Nebenhoden sichtbar sind. Zwischen After (af) und Penis erblickt man die beiden, in der Mittellinie zusammenstoßenden Areae scroti (as). Die muskulöse Wandung der Bursa ist mit der Haut im Bereich der Area fest vereinigt. Vergr. 1:1. Fig. 13 bis 17 zeigen verschiedene Stadien der Lageveränderung der Ho- den bei menschlichen Embryonen. Die Längenangaben beziehen sich auf die Scheitel-Steißlänge. Vergr. 1:1. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 22. Fig. 23. Fig. 24. 13. 14. 16. 74 18. 19. 20. 21. Über den Descensus testieulorum. 643 Embryo von 9 cm Länge. Die Hoden liegen der Öffnung des Pro- cessus vaginalis stark genähert. Das Ligamentum inguinale tritt in letzteren ein (vgl. Taf. XXIII Fig. 1). Embryo von 13 cm Länge. Die Hoden haben sich etwas nach innen von der Öffnung des Proc. vag. entfernt (vgl. Taf. XXIII Fig. 2). Embryo von 17 cm Länge. Die Hoden sind noch weiter nach innen emporgetreten. Der Conus inguinalis wird von innen her sichtbar (vgl. Taf. XXIII Fig. 3). Dasselbe von einem Embryo von 19 cm Länge in weiter vorgeschrit- tenem Stadium. Rechts hat sich die Einstülpung der Bursa inguinalis weiter vollzogen als links. Embryo von 20 cm Länge. Völlige Einstülpung der Bursa, Ver- streichen des Processus vaginalis. Stadium der stärksten Entfaltung des sogenannten »Gubernaculum«, das in seiner Hauptmasse dem Co- nus inguinalis entspricht (vgl. Taf. XXIII Fig. 4). Bezüglich des Co- nus ist Fig. 17 zu vergleichen mit Fig. 5 und 9. Das Stadium ent- spricht dem der Rückkehr der Hoden in die Bauchhöhle bei Nagern (s. Text). Situs der Genitalorgane eines weiblichen menschlichen Embryo von 5 cm Länge. Zu beachten ist die starke Entwicklung des Ligamen- tum rotundum (Ligamentum inguinale Kr). Dasselbe tritt in einen Processus vaginalis ein. Vergr. 5:1. Embryo von Erinaceus europaeus. 2,5 cm. 3. Die Harnblase ist nach rechts hinüber geschlagen. Man sieht den linken Hoden und Nebenhoden von außen. Der Conus inguinalis ähnlich dem der Nager. Vergr. 2,5: 1. Junges von Erinaceus europaeus. 8,3 cm. &. Rechter Hoden von außen. Conus inguinalis relativ verkürzt nach außen vom Mus- culus rectus abdominis. Vergr. 2:1. Stenops gracilis. Die Haut ist theilweise entfernt. Am unteren Ende der Figur sieht man neben dem Penis (p) die linke Area scroti. Die Hoden liegen nach vorn vom Penis an ihrer Durchtrittsstelle durch den M. obliquus externus (ce). Durch die Lücke desselben (den äußeren Leistenring) tritt, den Hoden überkleidend, ein Theil des M. obliquus internus (07) und des M. transversus (fr). Die durch beide Muskeln gebildete Wandung der Bursa inguinalis hängt durch straffere Bindegewebszüge (x) mit der Haut im Bereiche der Area scroti zu- sammen. Vergr. |: 1. Bursa inguinalis, den Hoden umschlieBend; Ratte erwachsen (Mus decumanus), rechts, Ansicht von vorn und etwas von außen. Durch den Spalt des Obliquus externus tritt die vom Obliquus internus ge- lieferte vollständig entwickelte Ringfaserschicht (07) der Bursa hervor. Vergr. 1:1. Scrotum und Penis von Cebus hypoleucos. &. Auf der Höhe des Scrotum sieht man die aus zwei seitlichen Feldern durch Zu- sammenfluss in der Medianlinie entstandene Area scroti. Vergr. 1: 1. Erwachsenes Exemplar von Halmaturus Billardierii. Aus dem äußeren Leistenring (ae), lateral vom Epipubis, tritt der zu den Milch- drüsen (gl) sich begebende Musculus compressor mammae, der dem 644 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 26, bo -1 28. 29. Hermann Klaatsch Cremaster der männlichen Beutler entspricht, hervor. mpy Musculus pyramidalis. Vergr. 2:1. Rechtes Urnierenligament einer erwachsenen Ratte bei nicht völlig eingestiilpter Bursa inguinalis, von außen gesehen. Zu beachten ist die beträchtliche Ausdehnung des Urnierenligamentes und die dadurch bedingte freie Exkursionsfähigkeit der Hoden. Die Bursa testis ist sehr gut entwickelt. Das Lig. inguinale verschwindet in dem Lumen der Bursa inguinalis lateral vom M. rectus abdominis (mr). Durch das Urnierenligament hindurch sieht man das Vas deferens, die Samen- blasen (sbl), den Enddarm. Am freien vorderen Rande des Ligamentes die Fettlappen (f). Neugeborene Ratte (Mus decumanus. 4,5 em). ©. Der Conus in- guinalis der Ratte wiederholt in verkleinertem Maßstabe den der männlichen Thiere (cf. Fig. 9). Die selbständige Bedeutung des Lig. inguinale () gegenüber dem Conus tritt hier viel deutlicher hervor als beim männlichen Geschlechte. Vergr. 5: 1. Durchschnitt der Area scroti von Stenops gracilis. Die Cutis zeigt unregelmäßige Erhebungen (Warzen). Die tiefere Lage der Cutis ist im Bereich der Area durchsetzt von einem Netzwerk glatter Muskel- faserziige, welche die Tunica dartos (fd) zusammensetzen. Die Area zeigt stark entwickelte Knäueldrüsen (gl). Vergr. 20: 1. Scrotum mit Area scroti von Stenops tardigrada. Vergr. 1:1. Embryo von Bos taurus. 3,5 cm. Hervortreten der Scrotalanlagen zu beiden Seiten neben dem Penis (p), die Form der Inguinaltaschen der Nager wiederholend. Vergr. 4:1. Tafel XXIII. Fig. 1 bis 5 stellen Schnitte dar, welche durch die Inguinalregion männ- licher menschlicher Embryonen (der rechten Seite entnommen) in der Ebene des »Gubernaculum« geführt sind. 1% Embryo von 8 cm Länge. Bild, aus mehreren Schnitten einer Serie kombinirt. Stadium der höchsten Entwicklung des ersten Descen- sus. Hoden und Nebenhoden sitzen der inneren Öffnung des Pro- cessus vaginalis auf. Dieser stellt das unvollständige Lumen einer nahezu ganz ausgestülpten Bursa inguinalis dar. Der Obliquus ex- ternus, der die Bursa außen bekleidet, zeigt an der Spitze derselben lockeres Gewebe. Aus dem Grund der Bursa erhebt sich ein kleiner Conus inguinalis, auf dessen Spitze das Ligamentum inguinale inserirt. Man sieht die Muskelfasern der Bursalwandung umbiegen und den Conus außen bekleiden (cf. das Flächenbild auf Taf. XXII Fig. 13). Vergr. 22 : 1. Embryo von 11 em Linge. Bild aus mehreren Schnitten einer Serie kombinirt. Die Erhebung des Conus aus dem Grunde der Bursa ist stärker entwickelt; mit anderen Worten, die Bursa fährt fort, sich wieder gegen die Bauchhöhle einzustülpen. Dem entsprechend hat der Processus vaginalis an Tiefe verloren und das Ligamentum in- guinale ragt eine Strecke weit in die Bauchhöhle hinein. Hoden und Fig. Fig. Fig. or Uber den Descensus testiculorum. 645 Nebenhoden sind weiter nach innen in die Bauchhöhle disloeirt wor- den. Beginn der »Rückkehr der Hoden« (ef. Taf. XXII Fig. 13). Vergr. 22: 1. Embryo von 15 cm Länge. Die Wiedereinstiilpung der Bursa ist so weit fortgeschritten, dass die Spitze des Conus an den Vasa epi- gastrica vorüber sich in die Bauchhöhle hinein schiebt. Die Muskel- fasern des Conus (Cremaster [er]) sind Bestandtheile des Obliquus in- ternus und Transversus, welche an der Basis des Conus nach innen umbiegen. Nur die peripheren Theile des Conus sind muskulös, die Achse besteht aus Bindegewebe, welches mit der aufgelockerten Partie des Obliquus externus zusammenhängt. Dicht über der Spitze des Conus sieht man Theile des Nebenhodens (xh). Der Hoden ist genau in der Verlängerung der Figur nach oben zu denken. Er war auf dem betreffenden Schnitte mit getroffen, konnte aber wegen Mangels an Raum nicht mit angegeben werden. Der Conus hat sich im Material des »Lig. inguinale« der vorigen Stadien nach innen ausgedehnt (ef. Flächenbilder Taf. XXII Fig. 15 und 16). Vergr. 12: 1. Embryo von 17 cm Länge. Völlige Einstülpung der Bursa. Der Processus vaginalis ist nahezu ganz verstrichen. Stadium der höch- sten Entwicklung des sogenannten »Gubernaculum«, welches in seiner Hauptmasse dem Conus inguinalis entspricht. Die Hoden haben sich weit in die Bauchhöhle hinein verlagert, entsprechend der Rekapitulation eines Reditus testium, wie ihn die Thiere mit periodischem Descensus (Nager) zeitlebens aufweisen. Die Spitze des Conus hat sich ver- breitert. Ihr liegt das Vas deferens auf. Das axiale Gewebe des Conus zeigt Bindegewebszüge, welche mit Bestandtheilen der Externus- Aponeurose vereinigt scrotalwärts ziehen (ef. Flächenbild Taf. XXII Fig. 17 von einem etwas älteren Embryo). Vergr. 12:1. Embryo von 20 cm Länge. Der Conus inguinalis ist wieder ausge- stülpt worden zur Bursa inguinalis. Das Lumen derselben (der Pro- cessus vaginalis) endet unweit des Hodens und geht ihm nicht scrotal- wärts weit voran. Die muskulösen Theile des Conus haben den Cre- master (er) geliefert. Die innere Öffnung der Bursa ist sehr weit. Zweiter und definitiver Descensus. Vergr. 12:1. Beuteljunges von Perameles Gunnii. 3cm. 3. Schnitt transversal zur Körperlängsachse durch die Region des Epipubis und der In- guinaltaschen geführt. Auf der rechten Seite des Thieres (in der Figur links) sieht man das schräg getroffene Lumen der Bursa inguinalis, den Processus vaginalis, welches bei den Beutlern sich weit vor dem Hoden her serotalwärts ausdehnt. In ihm eben das Niveau der Beutel- knochen (epp) passirend, liegt der Nebenhoden, durch ein starkes aus glatter Muskulatur bestehendes Lig. inguinale mit dem Grunde der Bursa verbunden. Auf der anderen Seite (rechts in der Figur, linke Seite des Thieres) sind die Hoden weiter nach außen vorgetreten. Das Lig. inguinale ist nicht getroffen. Man achte auf die tiefe Bursa testis zwischen Hoden und Nebenhoden. mpy Musculus pyramidalis. Von der Scrotalanlage ist nur der Stiel sichtbar. Vergr. 50: 1. Beuteljunges von Perameles Gunnii. 3 cm. Q©. Schnitt transversal zur Körperlängsachse durch die Ebene des Lig. inguinale geführt, 646 Fig. 8, 7 Hermann Klaatsch, Uber den Descensus testiculorum. Dieses Band, hier dem »Ligamentum rotundum« entsprechend, ist yon auBerordentlicher Stiirke und geht vom Uterus ab, mit dem es die Zusammensetzung aus glatter Muskulatur gemeinsam hat. Es inserirt in einer Bursa inguinalis, welche bei allen anderen Beutlern sehr früh- zeitig schwindet und nur bei Perameles bisher gefunden wurde (ef. Text). Die muskulöse Wand der Bursa (me.m) liefert den sogenannten Musculus compressor mammae. Vergr. 40 : 1. Embryo von Mus decumanus. 3,5 cm. 3. Schnitt durch Hoden, Nebenhoden und Conus inguinalis, entsprechend der Längsachse des letzteren geführt (cf. Flächenbild Taf. XXII Fig. 6). Man erkennt die vollständig muskulöse Beschaffenheit des Conus, dessen periphere Theile vom Transversus und dessen Achse vom Obliquus internus geliefert wird, während der Obliquus externus sich nicht an der Ein- stülpung der Bauchmuskulatur betheiligt. Vergr. 50 :1. Taf XK//. IM pene eset StS AS Klaatsch gez Lith Ansty.EA Funke, leipzig. TBEKKI - Tahari ER Funke le paip Hasta ges Verlag v Wilh. Engelinann in Leipzig 3 N ut Net 1 nn) HN DE a Kr the NV LS i a Lenny = s Ei = Vor Wilh i= ee ves + inayat En u m nn an Re ‘ Sos = me ee Een TU ager" Fig 513%) % — = -<._ ee? . ware -- x ir ER 4 AN: \ N ei ly, EN Fig 6.°%) eo A Fe Über ein transitorisches Rudiment einer knöchernen Clavicula bei Embryonen eines Ungulaten. Von H. Wineza. Mit Tafel XXIV. Es gilt als völlig gesicherte und allgemein anerkannte That- sache, dass der Schultergürtel aller Hufthiere durch den totalen Schwund der knöchernen Clavicula charakterisirt ist; ein Schlüssel- beinrudiment wird nicht einmal vorübergehend mehr angelegt, und eine bindegewebige Raphe oder Inseriptio, der Schlüsselbeinstreif LEISERING’s, in dem Muskelkomplex, der durch den Ausfall des Schlüsselbeines entsteht!, bekundet allein noch, dass ehemals eine Clavicula vorhanden gewesen ?. Die von mir im laufenden Semester gemachte Beobachtung, dass bei Embryonen eines Ungulaten die unzweifelhafte Anlage eines rudimentären Clavicularknochens noch auftritt, erscheint mir dess- halb mittheilenswerth, und der Umstand, dass dieses rudimentäre ! Die Muskulatur ist bekanntlich im Allgemeinen konservativer als das Skelet; der Verlust der Clavicula hat desshalb nicht sowohl den Schwund der betreffenden Muskeln (eine Reduktion tritt nur in ganz untergeordnetem Grade ein), als vielmehr ihre Vereinigung zur Folge; hierfür kommen bei Hufthieren vorzugsweise in Betracht der Cleido-mastoideus und die Pars clavicularis tra- pezii (resp. Cleido-occipitalis) einerseits, und die P. clavic. deltoidei, die P. clavic. pectoral. superfic. und der Subelavius andererseits, 2 cf. hierüber u. A. die Angaben bei W. FLower (An introduction to the osteology of the Mammalia. 3. ed. London 1885. pag. 257), C. MULLER und A. LEISERING (Handbuch der vergl. Anatomie der Haus-Siiugethiere. 7. Auflage, Berlin 1890. pag. 160, 300) und C. GEGENBAUR (Handbuch der Anatomie des Menschen. 4. verb. Aufl. Bd. I. Leipzig 1890. pag, 264). 648 IH. Wineza Schlüsselbein nach kurzem Bestehen vollkommen wieder verschwindet, erhöht nur noch das Interesse, welches dieser Befund in phylogene- tischer Beziehung meines Erachtens besitzt. Die wohlbekannte Thatsache, dass namentlich bei einigen Car- nivoren unscheinbare und nahezu funktionslos gewordene Sehlüssel- beinreste durchs ganze Leben hindurch persistiren, ist es vor Allem gewesen, was mich dazu veranlasst hat, bei Hufthierembryonen nach Anlagen solcher Reste zu suchen; da gleich das erste von mir mi- krotomirte Objekt, ein Schafembryo, ein positives Resultat ergab, habe ich die betreffende Ausgangsbeobachtung weiter zu verfolgen und auch an anderen Ungulaten die Angelegenheit zu prüfen ver- sucht, so weit das bei der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit thunlich war. Meine Untersuchungen habe ich im Zootomicum des Dorpater Veterinär-Instituts angestellt, und hierbei von meinem Lehrer Prof. Dr. A. ROSENBERG manche Förderung erfahren. Betreffs der Technik wäre zu bemerken, dass ausschließlich die Methode der Schnittserien (Celloidineinbettung) zur Anwendung gekommen ist; die Objekte waren im Stück gefärbt (zumeist Lithion-Karmin oder alkoholische Fuchsinlösung); einzelne Schnitte wurden mit BOHMER’schem Häma- toxylin nachgefärbt. Bei der Ausführung der Zeichnungen, deren Kontouren mit einer OBERHAUSER’schen Camera lucida angelegt wurden, habe ich die von SCHAFFER! betonten Schwierigkeiten beim Darstellen von osteogene- tischen Vorgängen gleichfalls lebhaft empfunden und mich auf den Versuch, den Charakter des Schnittbildes einigermaßen entsprechend wiederzugeben, beschränken müssen. Unter den leichter erlangbaren Paarhufern ist wegen der ver- hältnismäßig geringen Reduktion seines Extremitätenskelettes das Schwein dasjenige Objekt, welches am ehesten eine Clavicularanlage aufweisen müsste. Es sind drei Embryonen (Querdurchmesser der distalen Halsregion 7, resp. 8,5 und 12 mm) untersucht worden, von einer Schlüsselbeinanlage konnte aber nichts gefunden werden; bemerkenswerth war nur, dass die Spina scapulae in dem zum Col- 1 J. SCHAFFER, Die Verknöcherung des Unterkiefers und die Metaplasie- frage. Ein Beitrag zur Lehre von der Osteogenese. Archiv für mikr. Anat. Bd. XXXII. Bonn 1888. pag. 293, 29. Transitor. Rudiment einer knöch. Clavicula bei Embryonen eines Ungulaten. 649 lum scapulae verlaufenden Antheil noch nicht so redueirt sich zeigte, wie das später der Fall ist. Ein positives Untersuchungsergebnis habe ich, wie bereits er- wähnt, an Embryonen vom Schaf erhalten. Der jüngste von mir untersuchte Schafembryo, bei dem der Querdurchmesser der distalen Halsregion etwa 4 mm betrug, und wo der Osophagus noch median lag, lasst allerdings von Schliisselbeinanlagen noch nichts erkennen, dagegen sind bei einem Embryo mit einem Querdurchmesser von un- gefähr 6 mm diese Anlagen schon mit bloBem Auge an den betref- fenden Schnitten wahrzunehmen. Ihre Lagerung ist ähnlich, wie in Fig. 2 aus einem älteren Stadium; man hat sie in der Nähe des medialen Randes der P. clav. delt. (Zone des Rapheniveaus) in der Konkavität der Dorsalfläche des betreffenden Muskels zu suchen. Unter dem Mikroskop (ef. Fig. 3) erscheint die Schlüsselbeinanlage als spongiöses Knochengebälk, dessen Oberflächen relativ zahlreiche Osteoblasten bedecken und das von einem ziemlich gut differenzir- ten Periost umgeben wird; die Vascularisirung der Markräume ist ganz auffallend gering. Für die Anschauung von GOETTE und WIE- DERSHEIM, wonach die Clavieula der Säugethiere stets knorpelig präformirt ist!. ergiebt das vorliegende Stadium keinerlei Anhalts- punkte. Dagegen zeigt die als kompakteres Knochengebilde (cf. Fig. 4) sich darstellende Schlüsselbeinanlage eines etwas älteren Schaf- embryo (Querdurchmesser der distalen Halspartie ca. 7 mm) an einzel- nen Stellen eine derartige Beschaffenheit ihrer zelligen Elemente, dass sich die Bezeichnung »chondroider Knochen« im Sinne von SCHAFFER? hierfür wohl verwenden ließe?. An Umfang bereits etwas verkleinert (einzelne Osteoklasten), aber noch ziemlich dicke Schei- ben bildend und mit einem sehr starken Periost versehen (ef. Fig. 2 und 5), erscheinen die Schlüsselbeine bei einem Schafembryo, bei dem der Querdurchmesser der betreffenden Halsregion ungefähr § mm beträgt. Ihre Lagerungsbeziehungen ergeben eine bemerkenswerthe I ef. A. GoETTE (Beiträge zur vergl. Morphologie des Skeletsystems der Wirbelthiere. Archiv für mikr. Anat. Bd. XIV. Bonn 1877. pag. 560, 569, 570) und R. WIEDERSHEIM (Lehrbuch der vergl. Anatomie der Wirbelthiere auf Grundlage der Entwicklungsgeschichte. 2. Aufl. Jena 1886. pag. 180). 2]. c. pag. 300. 3 Betreffs analoger Verhältnisse im Verlauf der Entwicklung der Clavicula des Menschen vergleiche man die eingehende Schilderung bei C. GEGENBAUR (Jenaische Zeitschr. Bd. I. Leipzig 1864. pag. 7—13, 15, 16; und Untersuchungen zur vergl. Anatomie der Wirbelthiere. Bd. II. Leipzig 1865. pag. 5—17. Taf. I). Morpholog. Jahrbuch. 16, 42 650 H. Wineza Übereinstimmung mit der Art und Weise, wie die rudimentären Schlüsselbeine des Hundes’! orientirt sind (vgl. Fig. 2 mit Fig. 1). Ein Schafembryo, bei dem die in Betracht kommende Hals- region 9 mm im Querdurchmesser misst, zeigt bereits eine deutlich ausgesprochene Rückbildung und Verktimmerung der Clavicula bei gleichzeitiger Lockerung ihres Periosts (Fig. 6), und bei einem Em- bryo mit 11 mm Querdurchmesser ist von einem Schlüsselbeinrudi- ment nichts mehr nachzuweisen. Wegen der ausgesprochenen Ten - denz zum Variiren, die rudimentären Gebilden eigen ist, bedarf es hierbei kaum der Erwähnung, dass eine Ausdehnung der Beobach- tungen auf zahlreichere Objekte und mehr Stadien manche Abwei- chung konstatiren dürfte; es ist z. B. nicht unwahrscheinlich, dass manchmal die völlige Reduktion noch früher sich einstellen werde, als ich es beobachtet habe. und eben so ist andererseits auch die Er- wartung berechtigt. dass ausnahmsweise der definitive Schwund der Schlüsselbeinanlagen vielleicht erst postembryonal sich vollziehen werde. Vom Rinde sind nur zwei Embryonen (Querdurehmesser der distalen Halszone 7 resp. 14 mm) untersucht worden. Der jüngere Embryo, bei dem der Ösophagus noch nahezu median gelagert war, zeigte an der für die Anlage eines Clavieularrudimentes in Betracht kommenden Stelle eine dichtere Zusammengruppirung der Zellen des embryonalen Bindegewebes, die möglicherweise ein frühes Stadium einer derartigen Anlage repräsentirt, was durch die Untersuchung von etwas älteren Objekten sich entscheiden ließe. Der andere er- heblich ältere und in der Ausbildung seiner Gewebe etwa mit dem ältesten Schafembryo übereinstimmende Embryo wies an der betref- fenden Stelle nichts Bemerkenswerthes auf. Was schließlich die Unpaarhufer anbetrifft, so habe ich nur vom Pferde zwei Stadien (Querdurchmesser des Halses im kritischen Ni- veau 5,5 resp. etwa 11 mm) untersuchen können. Von Anlagen einer Clavieula ließ sich nichts nachweisen, dagegen bot die beim jiinge- ren Embryo noch ganz knorpelige Scapula bei beiden Objekten den ! Hinsichtlich der persistirenden Schlüsselbeinrudimente beim Hunde, dem SCHLOSSER dieselben ganz abspricht (cf. M. SchLosser, Uber die Modifikationen des Extremitätenskelettes bei den einzelnen Siiugethierstimmen. Biologisches Centralblatt. Bd. IX. Erlangen 1890. pag. 684: »bei den Hunden ist es bereits zum völligen Verschwinden der Schlüsselbeine gekommen .«), ef. u. A. L. FRANCK (Handbuch der Anatomie der Hausthiere. 2. Aufl. Stuttgart 1883. pag. 394, 395) und C. MULLER (l. ¢. pag. 163). —_ ; Transitor. Rudiment einer knöch. Clavicula bei Embryonen eines Ungulaten. 651 interessanten Befund, dass die Spina seapulae, anstatt wie beim ausgebildeten Thier in der Richtung zum Collum scapulae hin immer niedriger zu werden und schließlich zu verstreichen, in einen frei vorspringenden, und von der lateralen Oberfläche des Schulterblatt- halses erheblich abstehenden nahezu cylindrischen Acromialfortsatz auslief (ef. Fig. S und 7). Die Scapula des Pferdeembryo ist mithin noch nieht so redueirt, wie beim Füllen, und desshalb ist auch die Erwartung nicht ausgeschlossen, dass ausreichenderes Untersuchungs- material auch hinsichtlich der Clavieula noch positive Befunde er- geben werde. Dorpat, Ende Mai 1890. Erklärung der Abbildungen. Tafel XXIV. Fig. 1. Ventraler Theil eines Querschnittes durch die distale Halsregion eines Hundeembryo. (5/;.) el.d rechte Clavieula; cl.s linke Clavicula; oes Osophagus; p.clr.dit Pars clavicul. deltoidei; ssp M. supraspinatus; ir Trachea; tub.mj Tuberculum majus des Humerus. Fig. 2. Querschnitt durch den distalen Theil des Halses vom Schafembryo ‚f im Schlüsselbeinniveau (Querdurchmesser der betreffenden Halszone etwa 8 mm). (8/;.) p.elr.trz Pars clavicularis trapezii; 7 Raphe (Schlüsselbeinstreif LEISERING'S). Fig. 3. Schnitt durch die linke Clavieula aus einem Querschnitt vom Schaf- embryo 6 (Querdurchmesser des Halses etwa 6 mm). (89/;.) Fig. 4. Dessgl. vom Schafembryo e (Querdurchmesser des Halses ca. 7mm). (8°/;.) Die linke Clavicula aus dem in Fig. 2 abgebildeten Querschnitt bei stärkerer Vergrößerung. (5%/;.) p Periost. Fig. 6. Schnitt durch die in Reduktion begriffene Schlüsselbeinanlage des Embryo 7 (Querdurchmesser des Halses 9 mm). ($%/,.) ok Osteoklast. Theil eines Querschnittes vom Pferdeembryo a (5,5 mm); aus der Re- gion des Schultergelenkes. (8/;.) hu Humerus; pr.aer Acromialfortsatz. Fig. 8. Dessgl.; etwa 0,5 mm weiter distalwärts. (5/;.) c.I erste Rippe. 7) ber an =x & ~ Nachtriiglich habe ich bei einem Rinderembryo (7,5 mm) Schlüsselbein- rudimente gefunden, die im Wesentlichen wie beim Schaf sich verhalten. ee € 42* Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. Von Dr. Robert Mahn, approb. Zahnarzt. Mit Tafel XXV. Einleitung. Im Gebisse der Säugethiere finden sich zwei Arten von Zähnen, die sich durch den Besitz oder das Fehlen des Wurzeltheiles unter- scheiden. Bei der Wichtigkeit, welche die Form des Kauapparates für die systematische Eintheilung der Säuger hat, ist natürlich die Frage schon vielfach erörtert worden, wie sich der wurzeltragende zum wurzellosen Zahne verhalte? Der Versuch, darauf eine genü- gende Antwort zu finden, hat aber die Forscher in zwei große Par- teien gespalten, die mit allem Aufgebote des Scharfsinnes entgegen- gesetzte Meinungen zu beweisen suchen. Weil der schmelzkronige Wurzelzahn durch den ganzen Kreis der Wirbelthiere verbreitet ist und in alten Fossilablagerungen ge- funden wird, glauben die Einen diesen als den phylogenetisch älte- ren und den wurzellosen, permanent nachwachsenden Zahn als se- kundär betrachten zu müssen. Die Anderen hingegen sehen in dem scheinbar einfachen Bau des wurzellosen Zahnes, der eigentlich nur eine mächtig entwickelte Schmelzkrone darstellt, die Urform des Säugethierzahnes gegeben und leiten aus ihr den Wurzelzahn ab. Die Lösung der Frage wurde bisher nur durch Vergleichung recenter und fossiler Zähne angestrebt, wobei die Summe der That- sachen zu Gunsten der Anschauung sprach, die den Wurzelzahn als Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 653 urspriinglichen Typus auffasste, aber eine Entscheidung auf embryo- logischem Wege ist bisher noch nicht versucht worden. Auf diese Liicke der bisherigen Forschungsarbeiten hat mich Herr Privatdocent Dr. FLEISCHMANN aufmerksam gemacht und mich veranlasst, im zoologischen Institut zu Erlangen die ontogenetischen Thatsachen genauer zu verfolgen. Ich habe desshalb seit dem Winter 1889/90 die Entwicklung des wurzeltragenden und des wurzellosen Zahnes vergleichend bei zwei, wahrscheinlich in niiherer Verwandtschaft stehenden Thieren aus der Abtheilung der Nager verfolgt, bei Mus musculus und Ar- vicola arvalis, deren Embryonen aus der Umgebung von Erlangen sich leicht beschaffen ließen. Die Vorbereitungsarbeiten zur mikroskopischen Untersuchung be- wegten sich in bekannten Bahnen, es ist desshalb nicht nöthig, aus- fiihrlich darauf einzugehen. Alle Objekte, die ich lebensfrisch er- halten konnte, wurden in For’s Chromosmiumessigsäure konservirt, die Embryonen von Arvicola, welche unser Thierfänger draußen auf dem Felde sammelte, zumeist in starkem Alkohol abgetödtet. Um ältere Zahnanlagen und noch nicht vollständig entwickelte Zähne zu untersuchen, habe ich auch jüngere Thiere in derselben Weise be- handelt. Entkalkt wurde ausschließlich durch Einlegen der unver- sehrten Köpfe in 10%ige Salpetersäure. Als Färbungsflüssigkeiten wurden verwandt: GRENACHER’s Borax- und Alaunkarmin, Häma- toxylin nach Aparuy und nachfolgende Behandlung mit Kali bichro- micum, Doppelfärbung mit Hämatoxylin und Eosin. Schnittserien wurden in verschiedener Richtung durch die Zahnreihen gelegt, in frontaler, sagittaler und transversaler Richtung. Neben den Schnit- ten fertigte ich vielfältig Schliffe durch alte und junge Zähne an, theils durch extrahirte Zähne, theils durch die ganze im Kiefer steckende Zahnreihe mit Erhaltung sämmtlicher Weichtheile. Letz- tere Methode ist zuerst von Koct#!, später von WEIL speciell für Zahnschliffe genauer beschrieben worden. Man färbt den isolirten Kiefer durch mehrtägiges Einlegen in Karminlösungen durch, ent- wässert langsam und durchtränkt ihn dann mit einer Harzlösung. Ich verwende dem Rathe Kocu’s folgend immer Kopal in Chloro- 1 v. KocH, Uber die Herstellung dünner Schliffe von solchen Objekten, welche aus Theilen von sehr verschiedener Konsistenz zusammengesetzt sind. Carus, Zoologischer Anzeiger. 1878; und Wert, Methode der Herstellung von Zahn- und Knochenschliffen mit Erhaltung der Weichtheile. Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie und für mikroskopische Technik. 1888, 654 Robert Mahn form gelöst. Durch allmähliches Erwärmen lässt man das Lösungs- mittel entweichen und kann dann durch den fest gewordenen Kiefer nach jeder beliebigen Richtung dünne Schiliffe anfertigen. Ältere Zahnanlagen habe ich aus dem Kiefer herauspräparirt, um Übersichtsbilder zu gewinnen. Die Form ganz junger Anlagen habe ich nach der bekannten Rekonstruktionsmethode in Wachsmo- dellen vergrößert, deren Vollendung einen großen Theil meiner Zeit in Anspruch nahm. Bau und Form der Molaren bei Mus musculus. Bevor ich die Entwicklung der Molaren bei Mus museulus be- schreibe, dürfte es vielleicht angezeigt sein, etwas genauer auf den Bau und die Form der fertigen Molaren einzugehen, da ich einige Hauptpunkte, durch welche sich dieselben von manchen anderen wurzeltragenden Molaren unterscheiden, nirgends in der Litteratur besonders hervorgehoben finde, zum Theil aber auch geradezu falsche Angaben über dieselben verbreitet sind. In jedem Kiefer ist der erste Molar der größte und der dritte Molar der kleinste. Alle drei sind echte Molaren, denn sie haben keine Vorgänger im Milchgebiss. Der Zahnwechsel ist also ganz auf- gegeben. Durch Quer- und Längsfurchen über die Krone eines jeden Molaren, von welchen besonders die Querfurchen tief einschneiden, ist die Kaufläche in eine bestimmte Anzahl von Höckern gegliedert. Sie ist nicht von einem ununterbrochenen Schmelzkleide bedeckt, wie Erpu!, Tomes und Owen beschrieben haben. Bereits 1856 hat der ausgezeichnete Odontologe R. HENSEL? bei verschiedenen Species von Mus beobachtet und deutlich abgebildet, dass auf den Gipfeln der Höcker von noch nicht durchgebrochenen Zähnen eine natürliche schmelzlose Kaufläche vorhanden ist, wo das Dentin frei zu Tage liegt. Bei älteren Thieren nützt sich der Schmelz an den Höckern langsam ab, und indem letztere niederer werden, vergrößern sich die schmelzlosen Stellen, so dass, wenn die Höcker mehr oder ! ERDL, Untersuchungen über den Bau der Zähne bei den Wirbelthieren, insbesondere den Nagern. Abhandlungen der math.-physikal. Klasse der Aka- demie der Wissenschaften zu München. Bd. III. 1843; Tomes, On the Structure of the Dental Tissues of the Order Rodentia. Philosophical Transactions of the Royal Society of London. 1840. Part II; Owen, Odontography. Vol. II. Plate 108. London 1840—1845, 2 R. HENSEL, Beiträge zur Kenntnis fossiler Säugethbiere. Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Bd. VIII. pag. 283—284. Taf. XIII. Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 655 weniger geschwunden sind, am größten Theile der Kaufläche Dentin freiliegt, das von einem peripheren Schmelzbande eingefasst wird. Auf der Kaufläche liegen noch kleine Schmelzinseln als die letzten Reste der abgekauten Schmelzhöcker, die mit zunehmendem Alter ganz verschwinden. Nach Erpu (l. e. Taf. I Fig. 2) soll in den Schmelzinseln der Krone Cement vorhanden sein. Auch Owen schließt sich ErDL an und kopirt in seiner Odontographie dieselbe Abbildung. Das ist ent- schieden falsch, denn ich habe bei Mus musculus niemals Cement an diesen Stellen gefunden. Was nun die Wurzeln der Molaren von Mus musculus anbelangt, so finde ich auch hier manches Erwähnenswerthe. Zunächst besitzt M, und M, im Unterkiefer zwei Wurzeln, eine vordere und eine hintere, 17, aber nur eine Wurzel. Im Oberkiefer dagegen haben der erste und zweite Molar je drei Wurzeln, eine vordere und zwei hintere, der dritte aber nur zwei Wurzeln, eine vordere und eine hintere, die jedoch bis zu der äußersten Spitze mit einander verwachsen sind. Diese Wurzeln sind gar nicht von Cement bekleidet, die Periost- fasern setzen sich vielmehr direkt an das Dentin der Wurzeln an. Es kommt daher an den Molaren von Mus musculus Cement. über- haupt nicht vor. : SCHLOSSER! giebt an, dass bei Mus der erste und zweite Zahn im Oberkiefer je vier einfache. der dritte Zahn nur drei Wurzeln besitze. Ich muss jedoch an meiner Darstellung festhalten, die nicht nur auf isolirte Zähne, sondern auch auf Querschnittserien durch die ganze Zahnreihe basirt ist. Entwicklung der Molaren bei Mus musculus. Während bei Säugethieren, die ein vollständiges Gebiss be- sitzen, die erste Anlage desselben als hufeisenförmig gebogene Zahn- furche am Ober- und Unterkiefer verläuft, gliedert sich diese bei den Nagethieren in zwei Abschnitte, von denen der vordere das Material für die Incisiven, der hintere das für die Molaren enthält. Beide Abschnitte der Zahnfurche sind scharf von einander getrennt, wie an Frontalschnitten durch den Kopf des Embryos einer Haus- maus deutlich zu erkennen ist. 1 M. SCHLOSSER, Die Nager des europäischen Tertiärs, nebst Betrachtungen über die Organisation und die geschichtliche Entwicklung der Nager überhaupt. Palaeontographica. Bd. XXXI. 1885. pag. 123. 656 Robert Mahn Die erste Anlage der Molaren erfolgt bei Mus musculus genau in derselben Weise, wie sie für wurzeltragende Zähne anderer Säuge- thiere ausführlich von früheren Forschern beschrieben wurde. Die als Zellverdickung des ektodermalen Mundhöhlenepithels entstandene Zahnfurche senkt sich als vorspringende Leiste längs ihrer ganzen Ausdehnung in das Mesodermgewebe der Kieferanlage ein und treibt, nachdem sie eine gewisse Dicke erreicht hat, glockenférmige Spros- sen. Zu derselben Zeit, oder vielleicht etwas später, beginnen die darunter gelegenen mesodermalen Zellen zu wuchern und, indem sie sich unter der Epitheleinstülpung anhäufen, derselben ein zapfen- firmiges Widerlager entgegenzustellen. Da die Wachsthumsenergie der ektodermalen Zellen aber bedeutend stärker ist, so umfasst die Epitheleinstülpung sehr bald die Bindegewebszellen, und es entsteht das bekannte Bild der Schmelzkappe, in deren Innerem die Dentin- papille liegt, während ein Theil der mesodermalen Zellen sich vom Grunde der Papille um den Rand des Schmelzorgans auf dessen äußere Seite schlägt, um dadurch die ganze Anlage als Zahnsäck- chen vom Gewebe des Kiefers abzugrenzen. Die drei Molaren werden nicht gleichzeitig angelegt ,- son- dern entstehen nach einander in verschiedenen Perioden des Embryo- nallebens, der dritte Molar sogar erst nach der Geburt, wobei die Zahnrinne und die Kieferanlage immer weiter nach hinten wachsen müssen. Ein Embryo mittleren Alters besitzt nur die Schmelzkappe von M,, die durch einen langen leistenförmigen Zahnhals mit der Epithelrinne verbunden ist; die Zahnrinne reicht noch ein kleines Stück über den Hinterrand der ersten Schmelzglocke hinaus. Die An- lage von Ma findet sich bei einem älteren Embryo von 17 mm Steiß- Nacken-Liinge, M, wird verhältnismäßig spät, zwischen dem 4.—7. Tage nach der Geburt angelegt. Die Angaben können nicht ganz bestimmt sein, da ich mehrfach beobachtet habe, wie wenig das Längenmaß und das Alter eines Embryo einen sicheren Rückschluss auf die Ausbildung einzelner Organe gestattet. Die innere Wand der Schmelzkappe lässt durch Faltung die negative Matrize des Reliefs entstehen, in dem die Krone des ferti- gen Zahnes zu Tage tritt. Die durch die successive Bildung der Molaren bedingte Differenz in der zeitlichen Anlage, welche direkt von dem Wachsthum der Mundhöhle und ihrer Theile abhängt, übt natürlich ihre Wirkung auch auf den Beginn der feineren Modelli- rung der Zahnanlage. In Folge dessen sieht man die einzelnen Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 657 Zähne entsprechend ihrer näheren oder entfernteren Lage gegen die Mundöffnung in verschiedener Ausbildung, so zwar, dass M, rascher als die beiden anderen fertiggestellt ist, und M, am spätesten funk- tionsfähig wird. Bei einem älteren Embryo von 19 mm Länge sind an der Anlage von M, durch sekundäre Faltung der inneren Wand der Schmelzkappe gegen die Papille die Spuren der späteren Schmelz- höcker zu finden; an JM, hat dieser Process noch nicht begonnen. Sehr viel weiter vorgeschritten sind die Anlagen der beiden Molaren bei jungen 2 Tage alten Thieren. Dadurch, dass an der späteren Kaufläche die Schmelzkappe sich von Neuem gefaltet hat, sind bei M, sämmtliche Schmelzhöcker angelegt, auch bei M, ist diese Mo- dellirung schon ziemlich weit gediehen. Bei einem 4 Tage alten Säuglinge der weißen Maus hat am ersten Molar schon die Schmelz- und Dentinbildung begonnen, auch der zweite Molar hat eine, wenn auch nur dünne Schicht beider Substanzen abgelagert; die Wurzel- bildung aber ist bei beiden noch nicht eingeleitet. Nachdem kurz vor der Geburt M3, angelegt ist, wächst die Zahn- rinne in Form einer leistenförmigen Epithelverdiekung nach hinten, die darunter gelegenen Mesodermzellen ordnen sich jedoch nicht gleich zur Papillenanlage. Erst bei einem Säuglinge im Alter von 7 Tagen finde ich eine deutliche Anlage von M,, die entsprechend der winzigen Größe des Zahnes sehr klein ist. Die in die Papille einspringenden Höckerfalten sind jedoch noch nicht gebildet. M, zeigt bei 10 Tage alten Säuglingen bedeutende Fortschritte, er hat an Volumen zugenommen, und es sind die sekundären Einstülpungen des Schmelzorgans in die Papille als Anlage der Schmelzhöcker ent- standen; dagegen ist weder Schmelz noch Dentin vorhanden. Es wird also in der Entwicklung des Zahnes zuerst die Krone geformt und später die Wurzel: die Krone aber entsteht nicht sofort in ihrer definitiven Größe, sondern erreicht nur durch langsames Wachsthum dieses Ziel. Zugleich mit dem Längen- und Breiten- wachsthum der Krone nimmt auch die Ausbildung des Emails und Dentins zu. sei einer 16 Tage alten Maus hat M, sein Wurzelwachsthum fast vollendet und ist im Durchbruch begriffen. Die an der Krone abgelagerte Schicht von Schmelz und Dentin hat erst jetzt ihre de- finitive Stärke erreicht. Auch M, hat besonders im Unterkiefer schon einen beträchtlichen Theil seiner Wurzellänge ausgebildet, während M; noch ohne Wurzel ist. Bei einer 22 Tage alten Maus sind M, und M, vollständig ausgebildet und durchgebrochen; M, hat die 658 Robert Mahn Wurzelbildung fast abgeschlossen. Sein Durchbruch erfolgte bei einer 28 Tage alten Maus. Bildung der Wurzeln. Von der Bildung der Wurzeln hat A. v. Brunn eine Darstel- lung gegeben, der ich auf Grund meiner Präparate nicht beipflichten kann. Nach Untersuchungen, die er an Ratte, Kalb, Hund und Katze angestellt hat, soll sich das Schmelzorgan nicht nur an der Stelle der späteren Krone befinden, sondern als » Epithelscheide« ursprüng- lich auch die Wurzel in ihrer ganzen Länge bekleiden. Wie bei der ersten Anlage die ektodermale Epitheleinsenkung zuerst auftrete und die Gestalt der Krone angebe, so wachse vor der Wurzelbil- dung der Rand des Schmelzorgans als »Epithelscheide«, die aus zwei Zellschichten, dem inneren und äußeren Schmelzepithel be- stehe, in die Tiefe und gebe auch der Wurzel des Zahnes die Form. Denn erst nachdem dies geschehen, könnten sich an der inneren Seite der Epithelscheide die Bindegewebszellen der Papille zu Odon- toblasten herausbilden und Dentin produciren. Sobald die Dentin- bildung im Gange sei, werde die Epithelscheide von Bindegewebe durchwachsen und zerstört. Die Schmelzkappe habe also die Auf- gabe, die Gestalt des ganzen Zahnes, sowohl der Krone wie der Wurzel, zu bestimmen und die Odontoblasten auf den richtigen Weg zu geleiten, erst in zweiter Linie stehe ihre sekretorische, schmelz- absondernde Thätigkeit!. A. v. Brunn illustrirt seine Beschreibung durch so schöne und leicht verständliche Zeiehnungen, dass ich mich lange nicht ent- schließen konnte, an der allgemeinen Richtigkeit seiner Angaben zu zweifeln. Allein das genaue Studium mehrerer Frontalserien durch Köpfe von Mus museulus im Alter von 4, 7, 10, 12 und 16 Tagen hat mir keine Bilder vor Augen geführt, die allen von v. BRUNN veröffentlichten Zeichnungen entsprochen hätten, und obwohl mich zuerst die Absicht leitete, den einfachen Ideengang v. BRUNN’s zu bestätigen, ward ich im Laufe meiner Arbeit immer mehr vom Gegen- theil überzeugt, dass nämlich das Wurzelwachsthum bei Mus mus- enlus nieht durch die vorhergehende Einsenkung einer Epithelscheide 1 Siehe A. v. BRUNN, Uber die Ausdehnung des Schmelzorgans und seine Bedeutung für die Zahnbildung. Arch. für mikroskopische Anat. Bd. XXIX: pag. 376—380. Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 659 bedingt sei. Aus meinen Präparaten muss ich vielmehr schließen, dass die Zahnpapille ganz unabhängig vom Schmelzorgane die Wurzel bildet. Schnitte, wie sie v. Brunn (l. c. Taf. XXII Fig. 5) abbildet, habe ich auch gesehen, und ich gebe gern zu, dass der schmale (mit S _E * bezeichnete) Rand des Schmelzorgans wohl die Vermuthung wachrufen kann, er möchte in einer gewissen Beziehung zur Wurzelbildung stehen. Der weitere Verlauf der Entwicklung scheint sogar für diese Annahme zu sprechen, denn der Rand der Schmelzkappe, welcher lange Zeit in fast horizontaler Richtung ein- greifend die Papille vom Bindegewebe der Kieferanlage abschließt, biegt sich, wie Schnitte durch einen 7 Tage alten Säugling zeigen, mit Beginn des Wurzelwachsthums nach unten und außen und reicht nun über die schmelzbedeckte Krone noch ein beträchtliches Stück in die Tiefe der Alveole. Die schematische Zeichnung, die v. BRUNN (l. e. Taf. XXII Fig. 10 5) giebt, entspricht vollkommen den eben geschilderten Beobachtungen. Es giebt also ein Stadium, wo wirk- lich eine dünne »Epithelscheide« über die Lage der secernirenden, hocheylindrischen Schmelzzellen hinaus wurzelwärts zu finden ist. Diese Scheide besteht aus Zellen des inneren und äußeren Schmelz- epithels. Aber trotzdem ich den Ausgangspunkt der v. Brunn’schen Dar- stellung wohl bestätigen kann, muss ich seiner weiteren Ausführung direkt entgegentreten. Denn die Untersuchung von Säuglingen, die das Alter von 7 Tagen vor kürzerer oder längerer Zeit überschritten hatten, ergab nur ein negatives Resultat und ließ mich niemals Bilder sehen, wie sie v. Brunn 1. c. Taf. XXII Fig. 7 zeichnet. Sowie die Wurzelbildung einmal ordentlich begonnen hat, sind weder am Grunde der Papille noch an den Seitenflächen der Wurzel Reste ektodermaler Schmelzzellen zu gewahren. An die Dentinwurzel stoßen innen nur Odontoblasten, außen die Bindegewebszellen des Alveolarperiosts. Die epithelartig geordneten Odontoblasten schlagen sich am Wurzelgrunde deutlich in die äußere Bindegewebsschicht um. Ich muss desshalb die folgende These aufstellen. Nachdem die Emaildecke der Krone von der Schmelzkappe nahezu fertig ge- bildet ist, wächst die Papille an den Stellen, wo Wurzeln angelegt werden sollen, in einer der Kaufläche abgewandten Richtung weiter, ohne von einer ektodermalen Scheide umhüllt zu sein. Die Odonto- blasten sind wohl befähigt ohne Leitung der Epithelscheide die zur Bildung des Dentins erforderliche Gruppirung anzunehmen. 660 Robert Mahn Die histologische Differenzirung der Schmelzkappe und der Durehbruch der Molaren. Die histologische Differenzirung der Schmelzkappe bietet meh- rere, höchst auffällige Erscheinungen, die ich jetzt beschreiben will. Im Allgemeinen besitzen alle Zellen des inneren Schmelzepithels eine lang cylindrische Gestalt, aber an mehreren Stellen, d. i. auf den Spitzen der Schmelzhöcker, die sich auf der Kaufläche erheben. verharren die deckenden Schmelzzellen in der ursprünglichen kubischen Form und sondern keinen Schmelz ab. Desshalb ist die Spitze der Höcker am durehbrechenden Zahn vollkommen schmelzfrei, wie HensEL nachgewiesen hat (l. c.). Später hat v. Brunn' auf Schnitten durch entkalkte Zähne des gleichen Stadiums die abweichende Form der an jenen Stellen gelegenen Schmelzzellen abgebildet. Bereits frühzeitig legt sich das äußere Epithel in kleine, die Schmelzkappe reifenartig umfassende Falten, in die zwischen den Falten liegenden Rinnen ragen Gefäßzotten des Zahnsäckchens hinein. Bald wird das äußere Schmelzepithel an vielen Stellen durchbrochen, und nachdem eine offene Kommunikation zwischen dem Gallertgewebe und dem außen liegenden Bindegewebe gebildet ist, dringen Bündel von Bindegewebsfasern und Blutgefäße in das erstere ein. Dadurch wird die Schmelzpulpa von Blutge- fäße führendem Bindegewebe durchwachsen undallmäh- lich verdrängt. An jungen Schmelzkappen, besonders an solchen, die durch Schrumpfung von der Wand des Zahnsiickchens getrennt sind, lässt sich die Erscheinung sehr gut verfolgen, und in der Schmelzpulpa selbst sind neben den sternförmigen, wie zu einem Maschenwerk verbundenen Gallertzellen, Bindegewebsbündel und Blutgefäße deutlich festzustellen. Bei weiter ausgebildeten Zähnen ist dies noch besser zu sehen (siehe Fig. 4). Ich bemerke diesen Vorgang zuerst bei 2 Tage alten Säuglingen, dort sind es nur ganz vereinzelte Bindegewebsbündel, die vom Periost her in das Gallert- gewebe eindringen. Später nimmt dieses Eindringen des Bindege- webes immer mehr zu, so dass z. B. bei 16 Tage alten Thieren das ganze Schmelzorgan vom Bindegewebe durchwachsen ist, und nur noch vereinzelte Gallertzellen vorhanden sind. Trotzdem kann man 1 A. v. Brunn, Notiz über unvollkommene Schmelzentwicklung auf den Mahlzähnen der Ratte — Mus decumanus. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XVII. pag. 241—242. Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 661 noch in diesem Stadium das so modifieirte Schmelzorgan deutlich von dem umgebenden Bindegewebe unterscheiden. Diese Durchwachsung hat wohl den Zweck, durch eine bessere Ernährung die Schmelz- sekretion der Cylinderzellen zu unterstützen und zu beschleunigen. v. Brunn hat schon die gleiche Beobachtung gemacht; denn er spricht und zeichnet in der eben eitirten Notiz, dass das über den Spitzen der Kronenhöcker gelegene Schmelzorgan durch Blut- gefäße und Bindegewebe vielfach zerklüftet sei. Da er aber die Entwicklung nicht verfolgt und nur neugeborene Ratten untersucht hat, so nahm er irrigerweise an, dass die Schmelzkappe in dieser Gegend die gallertige Degeneration gar nicht eingegangen sei. Einen ähnlichen Vorgang beschreibt außerdem A. v. BRunx ! vom Schmelzorgan des Schneidezahnes von Mus decumanus. Er sagt dort: das Schmelzepithel werde sowohl an der Hinterfläche wie an dem hinteren Theile der Seitenflächen mit Ausnahme des am weitesten nach hinten gelegenen Theiles von Bindegewebe durchwachsen, welches vom Knochen bis zur oberflächlichsten Schicht des neuge- bildeten Dentins gehe und die Verbindung beider herstelle, das Al- veolodentalperiost. Die Untersuchungen Rorrrer’s haben diese Auf- fassung jedoch nicht bestätigt. Schon KÖLLIKER? hat die Durchwachsung der Schmelzkappe an Präparaten beobachtet, aber fälschlich als eine Umwandlung der Schmelzgallerte in wahres Bindegewebe gedeutet. Er sagt: »Übri- gens bleibt sich das Schwammgewebe im Laufe der Zeit auch im Baue nicht ganz gleich, denn während dasselbe anfänglich und noch zur Zeit des Beginnes der Zahnossifikation durch und durch ganz — gleichartig ist, und nur aus den sternförmigen Zellen besteht, findet man gegen das Ende des Fötallebens und nach der Geburt das äußere Dritttheil mit Gefäßen versehen und auch in seinem Maschen- werk vorgeschritten. Das letztere nämlich ist zu einem Netz von wirklichen Bindegewebsbündeln geworden, die wohl noch Kerne führen, aber dieselben nicht mehr in besonderen, zellenartig erwei- terten Stellen enthalten, ferner wellenförmig verlaufen und auch Fibrillen zeigen. In den Maschen dieses Bindegewebes sieht man hier häufig kernhaltige Zellen oft in Nestern liegen, und aus solchen ı A. v. BRunn, Über die Ausdehnung des Schmelzorgans und seine Be- deutung für die Zahnbildung. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XXIX, pag. 371. 2 A. v. KÖLLIKER, Mikroskopische Anatomie. Bd. II. 1852. pag. 100, Fig. 211 A, 662 Robert Mahn scheinen sich denn auch die Gefäße zu entwickeln, die von dem Zahnsäckehen aus in diesen Theil des Schwammgewebes eindringen und mit weiten Schlingen enden.« Jedoch im Jahre 1863, nachdem er den Ursprung des Schmelz- organs aus dem Mundhöhlenepithel erkannt hatte, widerruft er seine Ansicht!: »Wenn das Schmelzorgan, wie ich finde, in toto umgewandel- tes Epithel ist, so darf dasselbe keine Gefäße führen, und in der That zeigt sich auch nie irgend eine Spur von solchen in seinem Gallert- gewebe und in seinen oberflächlichen Schichten.« Diese letztere Ansicht vertritt er auch noch in seinem Lehrbuch der Entwicklungs- geschichte vom Jahre 1879 (pag. 819): »Wie begreiflich, ist das ganze Schmelzorgan gefäßlos und gehören die Gefäße, die ich früher aus demselben beschrieb, der inneren Lage des Zahnsäckchens an, die ich damals als Theile des Schmelzorgans ansah.« Nach meinen Untersuchungen muss ich jedoch der zuerst von ihm ausgesprochenen Beobachtung zu ihrem Rechte verhelfen, und nur die Annahme einer bindegewebigen Metamorphose der Schmelzgallerte zurückweisen. Es ist in der That bei späteren Stadien der Maus die ganze Schmelz- pulpa von Gefäße führendem Bindegewebe durchwachsen. Den Durchbruch der Molaren habe ich besonders an M,, wel- cher bei einer 16 Tage alten Maus und an M,, der bei einer 28 Tage alten gerade im Durchbruch begriffen ist, beobachtet. In dem Maße, als die Krone an Volumen zunimmt und die Wur- zeln ausgebildet werden, übt die Zahnanlage einen gewissen Druck auf die obere Seite des Schmelzorgans und auf das überliegende Epithel der Mundhöhle aus. Das von Bindegewebe durchwachsene Schmelzorgan, dessen leistenförmiger Hals deutlich über die ganze Länge der Krone hinzieht, legt sich vor dem Durchbruche längs desselben an die Unterseite der Mundschleimhaut an. Dann ist eine scharfe Grenze zwischen beiden nicht mehr festzustellen. Die an das Email anstoßenden Zellen des inneren Schmelzepithels verlieren ihre lange prismatische Form, werden kubisch und schließlich ganz abgeplattet. Auch die daran stoBenden Elemente der Schmelzgallerte werden glatt und verhornen. So liegen über der Krone mehrere verhornte Zellschichten. Aber die äußeren Lagen der Schmelzkappe zeigen nicht die gleichen Umänderungen, die wohl unzweifelhaft zum Tode der Zellen führen. Sie besitzen vielmehr einen ansehnlichen Plasmaleib mit intensiv färbbaren Kernen und gehen ohne Grenze 1 Die Entwicklung der Zahnsiickchen der Wiederkäuer. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 1863. Bd. XII. pag. 458. Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 663 in die unterste Schicht des Mundhöhlenepithels, in das Stratum Malpighi über. Da sie die Schmelzkappe der durchbrechenden Zähne klar vom periostalen Bindegewebe der Alveole scheiden, so muss man sie wohl als äußere Schmelzepithelzellen bezeichnen. Aber ich bin nicht überzeugt, ob man damit das Richtige trifft; denn das äußere Schmelzepithel wird ja während der Embryonalzeit vom Me- soderm durchwachsen, und ich verstehe nicht, wie später wieder ein geschlossenes Lager an diese Stelle kommen kann. Man müsste vielleicht annehmen, dass vor dem Durehbruche, wenn die Schmelz- zellen, ihre sekretorische Thätigkeit einstellend, zusammenschrumpfen und ihnen keine Nahrungsstoffe durch die Blutgefäße mehr zugeführt zu werden brauchen, die bei der Durchwachsung erhalten gebliebenen Reste des äußeren Schmelzepithels neue Lebenskraft gewinnen und die von obliterirenden Blutgefäßen erfüllten Lücken ihres Lagers wieder verschließen. Oder es findet vom Mundhöhlenepithel selbst eine erneute Wucherung von Zellen statt, die das absterbende Schmelzorgan von Neuem umhüllen. Leider hinderten es widrige Umstände, die genügende Zahl von Säuglingen aufzuziehen. So bin ich außer Stande gewesen, die eben vorgetragenen hypothetischen Erklärungen an der Hand von thatsächlichen Beobachtungen zu prüfen. Ohne Zweifel ist nur, dass die äußersten Lagen der Schmelz- kappe während des Durchbruches lebenskräftig sind, während die inneren Lagen durch Verhornung zu Grunde gehen. Die ersteren sind auch, nachdem die Krone bereits in der Mundhöhle steht, deut- lich zu erkennen, und ich glaube desshalb nicht fehlzugehen, wenn ich sie als die Anlage der verhornten Epitheldecke betrachte, die sich an den fertigen Zähnen der Nagethiere von der Mundschleim- haut in den oberen Theil der Alveole hineinbiegt. Nach meiner Auffassung würde also durch das weitere Nachdrängen des Zahnes, dessen Ursache im Wurzelwachsthum zu suchen ist, der über der Krone gelegene verhornte Theil des Schmelzorgans sammt dem ver- hornten Mundepithel mechanisch gesprengt und ganz zu Grunde gehen, während die äußersten Lagen der Schmelzkappe während des ganzen Lebens bestehen blieben. Besonders spricht für meine Deutung die Thatsache, dass der Hals des Schmelzorgans leistenförmig über die ganze Krone hin- zieht. Gerade längs dieser Strecke verhornen die Ektodermzellen zuerst und reißen vor dem Durchbruche ein. Die Zahnrinne leitet also nieht nur die erste Anlage des Gebisses ein, sondern sie ist auch dafür bestimmt, den Durchbruch der Zähne zu erleichtern. 664 tobert Mahn Bau der permanent wachsenden Molaren von Arvicola arvalis. Da die bisherigen Beschreibungen der Molaren von Arvicola außerordentlich lückenhaft sind, so will ich, bevor ich auf die Ent- wieklung eingehe, auch hier erst den Bau der fertigen Zähne dieses Thieres genauer schildern. Die Molaren der Feldmäuse besitzen prismatische Form, eine flache, schräg nach innen geneigte Kaufläche und sind wurzellos. Um eine große in die Länge gezogene und mehrfach eingebuchtete Dentinpapille zieht sich ein starker, natürlich ebenfalls gefalteter Dentinmantel, den ein festes Schmelzkleid bedeckt, das den Buchten und Vorspriingen des Dentinkernes eng angeschmiegt ist. Die Kaufläche stellt einen natürlichen Querschnitt durch den prismatischen Zahn dar und zeigt desshalb das freiliegende Dentin von einem peripheren Schmelzbande begrenzt. Der Zahn reicht tief in die Kieferalveole hinunter, wo er mit weiter Öffnung dem Grunde der Zahnpapille aufsitzt; ein schmelzfreier Wurzeltheil fehlt durchaus. Der Zahn selbst stellt kein einfach gerades Prisma dar, sondern ist analog den permanent wachsenden Schneidezähnen gebogen, die ja den kleineren oder größeren Abschnitt einer Spirale darstellen. Diese Krümmung wächst an den Gliedern der Zahnreihe in beiden Kiefern von vorn nach hinten, so dass der dritte Molar am stärksten ge- krümmt ist. Auch darin finde ich eine Übereinstimmung mit den Schneidezähnen, dass die konvexe Seite eines jeden Molaren nach vorn liegt; zu dieser Konvexität nach vorn gesellt sich bei dem ersten und zweiten Molar im Unterkiefer, bedingt durch den unter ihnen an ihrer lingualen Seite hinziehenden Schneidezahn, noch eine Konvexität lingualwärts. Auf Grund der Beschreibung und Abbildung, die Owen (1. ce.) veröffentlichte, hat man bisher allgemein angenommen (auch Boas kopirt in dem eben erschienenen »Lehrbuch der Zoologie« die von Owen gegebenen Zeichnungen), dass die Seitenfläche der Molaren von Arvicola von einem ununterbrochenen Schmelzkleide umhüllt werde, auf welches sich wenigstens in den einspringenden Falten eine dicke Cementschicht ablagere; desshalb besitze der Querschliff des Zahnes nicht einen ziekzackförmigen Kontour, sondern sei von einer oval gebogenen Linie begrenzt, wie aus den eitirten Zeich- nungen zur Genüge erhellt. Diese Darstellung ist jedoch ganz unrichtig, denn Schliffe wie Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 665 Schnitte beweisen, dass einerseits das Schmelzkleid eines jeden Mo- laren an mehreren Stellen lückenhaft ist, und andererseits keine Ce- mentmassen vorhanden sind, welche die Falten ausfüllen. An jedem Molar findet man nämlich drei schmelzlose Stel- len (Fig. 6), die bandartig von der Kaufläche bis zum offenen Wurzelende verlaufen. Am abgerundeten Ende des Zahnes sind zwei Streifen an den bilateral symmetrisch, also facial und lingual, gelegenen Kanten schmelzfrei, an dem entgegengesetzten mehr spitzen Ende ein Streif ohne Schmelzdecke; die ganze übrige Seiten- fläche ist mit Schmelz bedeckt. Letzterer wird von einem während des ganzen Lebens persistirenden Schmelzorgane abgeschieden, dessen Vorkommen bereits von ROETTER! festgestellt wurde. Wie bei den Schneidezähnen ersetzt dasselbe den durch Abnutzung an der Kaufläche verursachten Verlust durch Aufbau neuen Schmelzes im Grunde der Alveole. Dass es auch im histologischen Baue mit dem Schmelzorgane des Schneidezahnes wohl übereinstimmt, werde ich im nächsten Abschnitte über die Entwicklung beweisen. Ein Unterschied aber ergiebt sich gegenüber den Schneidezähnen. Bei letzteren ist nur ein kleiner Theil der Oberfläche, d. i. die kon- vex gekrümmte Seite, mit Schmelz belegt, während an den übrigen Seiten das Dentin frei zu Tage liegt. An den Molaren der Feldmaus nun liegt Dentin nur auf der Kaufläche frei; die schmelzlosen Stellen lassen das Dentin nicht hervortreten, sondern dort liegt auf dem- selben eine dünne Cementlage, die mit abgeschärftem Rande seit- lich etwas auf den Schmelz übergreift. Das Cement besitzt deutliche Knochenkörperchen und ist wirklich fest mit den übrigen Gewebs- bestandtheilen des Zahnes verbunden, denn auf Schliffen durch ex- trahirte Zähne ist es deutlich zu erkennen. Die Abbildung (Taf. XXV Fig. 6) zeigt unzweifelhaft, dass nur drei Streifen an der Seitenfläche der Molaren von Cement bedeckt sind, das hier unmittelbar auf dem Dentin ruht. Die übrige Seitenfläche ist nur von Schmelz umgeben, und es ist keine Stelle vorhanden, wo auf demselben nochmals eine dicke Cementschicht läge, wie es die Abbildung von OWEN zu be- weisen scheint. Owen selbst scheint keine Speeialuntersuchung über den Arvicola- molaren angestellt zu haben, denn die Abbildung desselben ist nur eine Kopie der Zeichnung, die ErDL (l. e.) veröffentlichte. Diese Figur zeigt in den einspringenden Schmelzfalten eine gelbliche Füllmasse, 1 Morph. Jahrb. Bd. XV. Heft 3. Morpholog. Jahrbuch. 16. 43 666 Robert Mahn die von den beiden Autoren eine verschiedene Deutung erfuhr. Exopr,, der die Struktur des Cements bei anderen Nagerzähnen, besonders am Hasenzahne gänzlich verkannte, sagt ausdrücklich: »In den meistens sehr weiten Faltenräumen (pag. 544) ist auch hier keine Cementmasse, sondern nur reine Knochenmasse als Fortsetzung der scharfen Alveolarkanten, welche sich in sie hineinlegen.«e Owen! hingegen bezeichnet sie ohne weitere Begründung als Cement. Bei der Anfertigung von Schliffen durch Molaren, die ohne wei- tere Vorsichtsmaßregeln aus der Alveole ausgebrochen wurden, be- kommt man Bilder vor Augen, die vollkommen der Abbildung von ERDL entsprechen. Allein sobald man die in den Schmelzfalten des Zahnschliffes befindlichen Gewebsmassen genauer studirt, erkennt man mit leichter Mühe, dass dieselben nicht die entfernteste Ähn- lichkeit mit der histologischen Struktur wahren Cementes aufweisen, im Gegentheil zumeist aus Bindegewebsfasern mit eingestreuten Zellen bestehen. Und kontrollirt man dann das Verhalten theils auf Querschliffen, die durch den ganzen Kiefer mit Erhaltung sämmtlicher Weichtheile gemacht wurden, theils auf Querschnitten durch entkalkte Kiefer, so wird diese Deutung glänzend bestätigt. Bei macerirten und später getrockneten Kiefern von Arvieola bleiben Reste des Schmelzorgans und des dasselbe stützenden Bindegewebes am Zahne haften und trocknen so fest an ihn, dass selbst die grobe Behandlung, die er ja beim Schleifen erfährt, nicht hinreicht, die Gewebsreste von den eingebuchteten Theilen des Schmelzes loszu- reißen. Bisher habe ich nur immer davon gesprochen, dass das peri- phere Schmelzband eines jeden Molaren an drei Stellen unterbrochen ist; dies trifft jedoch für den ersten Molar im Oberkiefer (Fig. 7) nicht zu, da dieser außer den drei Stellen noch eine vierte besitzt, wo das Dentin direkt von Cement bekleidet ist. Diese vierte Stelle befindet sich an der zweiten lingualen Kante. Die physiologische Nothwendigkeit, warum jeder permanent wachsende Molar an et- lichen Stellen des Schmelzes beraubt wird, und Cement an dessen Stelle tritt, ist leicht zu begreifen. Denn wäre ein soleher Backzahn allseitig von Email umhüllt, wie man früher glaubte, so müsste bei dem unabweislichen Bedürfnisse, den an der Kaufläche abgekauten Schmelz im Grunde der Alveole immer wieder zu erneuern, in der Alveole ein geschlossenes Schmelzorgan den ganzen Zahn umgeben. ! Owen, Odontographie. pag. 409. Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 667 Da aber die innerste, den Schmelz absondernde Schicht eines sol- chen Organs aus dünnen, gegen Druck sehr empfindlichen Cylinder- zellen besteht, was aus der geschützten Lage derselben deutlich hervorgeht, so würden bei dem während des Kauens erfolgenden Hin- und Herschieben der Zahnreihen einestheils die Zähne nicht fest genug in der Alveole stehen, und anderentheils die Schmelz- zellen durch den Druck der wackelnden Zähne leicht alterirt werden. Die schmelzfreien Stellen garantiren also eine sichere Feststellung des Zahnes in der Alveole und schützen die Schmelzzellen vor schäd- licher Druckgefahr. An die Cementleisten inseriren sich zahlreiche Periostfasern und befestigen längs drei ziemlich großen Bezirken den Molar an der knö- chernen Alveolenwand. Entwicklung der Molaren bei Arvicola arvalis. Da die Anlage der Molaren längs der Zahnrinne und die Bil- dung des Zahnsiickchens bei Arvicola ganz übereinstimmend mit Mus geschieht, so braucht das oben Gesagte nicht nochmals wiederholt zu werden. Die jüngsten Anlagen fand ich bei Embryonen von 14 mm Scheitel-SteiBlinge. Die Zahnfurche ist deutlich ausgebildet und liegt am Seitenrande des Kiefers; an einem leistenförmigen Fortsatze derselben, dem Hals des Schmelzorgans, hängt die glockenförmige Anlage von M,. Die beiden anderen Molaren sind noch nicht ange- legt. Das Vorderende der Zahnfurche fällt nicht mit dem Halse des für den ersten Backzahn bestimmten Schmelzorgans zusammen, sondern reicht über denselben nach vorn etwas hinaus. Eben so erstreckt sie sich noch eine ziemliche Länge weit über dasselbe nach hinten als verdickte Zellenleiste. Im weiteren Verlaufe nach hinten verschmälert sie sich immer mehr und geht allmählich in das Epi- thel der Mundhöhle über. Daraus geht hervor, dass die Zahnfurche erst eine beträchtliche Strecke nach hinten wächst, ehe die Schmelz- kappe für M, in die Tiefe gesenkt wird. Dies ist bei einem Em- bryo von 20 mm geschehen, wo die Anlage von M, bedeutend an Volumen zugenommen hat, und auch diejenige von MW, deutlich an- gelegt ist. Die Zahnfurche reicht noch eine Strecke über Wy, hin- aus. Die Schmelzkappe von M, ist bereits neue Differenzirungen eingegangen, indem seitliche Falten (Fig. 2) gegen den Dentinkeim vorgesprungen sind. Die Schmelzkappe von My, ist noch fast glatt. Die Ausbildung der Schmelzkappe von M, ist bei einem Embryo 43* 668 Robert Mahn von 23 mm Linge weiter fortgeschritten, und es sind schon alle Falten, die sich am ausgebildeten Zahne finden, vorhanden; jedoch mit dem Unterschiede, dass die facialen und lingualen Falten noch direkt einander gegenüberstehen. Sie miissen also erst durch spä- teres Auswachsen des Zahnes in der Richtung von vorn nach hinten verschoben werden. Beim zweiten Molar hat die Faltenbildung eben begonnen. Der dritte jedoch ist noch nicht angelegt, es reicht aber die Zahnfurche eine beträchtliche Strecke über M, hinaus. Die Anlage des dritten Molaren erfolgt wahrscheinlich kurz vor der Geburt. Es ist mir nicht möglich gewesen, diese Frage genau zu entscheiden, weil der Versuch, trächtige Feldmäuse in der Ge- fangenschaft zu halten und die Geburt abzuwarten, nur ein einziges Mal glückte, und der neugeborene Säugling, welcher 26 mm lang war, erst 24 Stunden nach der Geburt getödtet wurde. Hier sowie bei einem Säugling von 27 mm Länge, dessen Alter nicht genau festgestellt werden konnte, fand ich 1, bereits angelegt. Während die beiden ersten Molaren vollständig in ihrer Form vollendet, alle Falten ausgebildet und ihre definitive gegenseitige Stellung erhalten haben, stellt 7, eine sehr kleine Anlage dar, an welcher jede Falten- bildung noch unterblieben ist; dieselbe hat an WM, bei 31 mm langen jungen Thieren eben begonnen und ist bei solchen von 38 mm Länge vollständig beendet. Der Durchbruch von M, erfolgt auch bei Ar- vicola ziemlich spät bei Thieren von ungefähr 45 mm Länge. Ich muss auch hier bemerken, dass von den Längenangaben dasselbe gilt, was ich schon bei Mus musculus betont habe, dass nämlich die Größe eines Embryo keinen absolut sicheren Schluss auf die Ausbildung einzelner Organe zulässt. Im Gegensatze zu Mus werden alle drei Molaren während des Embryonallebens nach einander angelegt. Sie sind An- fangs an Größe verschieden, die Anlage von M, übertrifft lange Zeit M, und M;. Erst bei einem jungen Thier von 27 mm Länge gleicht M, durch energisches Wachsthum den Unterschied aus, und beide brechen dann etwa zu gleicher Zeit bei Thieren von 39 mm Länge durch, was vollkommen mit den Verhältnissen bei Mus über- einstimmt. Die histologische Differenzirung der Schmelzkappe und der Durchbruch der Molaren. Nachdem in dem vorigen Abschnitte die Entwicklung der grö- Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 669 beren Formverhältnisse kurz dargestellt ist, soll nun das histologische Schicksal der Anlage näher geschildert werden. Die Schmelzfalten der Molaren entstehen dadurch, dass, nach- dem Schmelzkappe und Dentinpapille angelegt sind, an der faci- alen und lingualen Seite die Schmelzkappe sekundär gegen die Papille wächst und der ursprünglich zapfenähnlichen Form derselben ein gebuchtetes Aussehen verleiht. Während dieses Vorganges erfährt die ektodermale Schmelzkappe weitere Differenzirungen, indem sich aus ihrer früher gleichförmigen Zellmasse das innere und äußere Schmelzepithel und das Gallert- gewebe in seiner charakteristischen Form und Lagerung scheidet. Besonders auffallend scheint die Thatsache, dass hier in der Schmelz- glocke eines permanent wachsenden Zahnes eine gallertige Um- wandlung der central gelegenen Zellen eintritt, während bei der Entwicklung des Nagezahnes gerade dieser Process an der Schmelz- kappe, die sich zum persistirenden Schmelzorgan umwandelt, unter- bleibt !. So lässt sich schon in den frühesten Phasen ein bedeutsamer Unterschied zwischen permanent wachsendem Schneidezahne und Backzahne erkennen. Die histologische Differenzirung der Schmelzkappe beginnt bei Arvicola sofort, nachdem diese angelegt ist; später erkennt man, dass das Gallertgewebe nur an den Theilen des Schmelzorgans mächtig entwickelt ist, welche als Falten in die Dentinpapille hinein- ragen, aber dort fehlt, wo das Schmelzorgan die Längskanten des späteren Zahnes überzieht. Während nun die Schmelzkappe immer mehr in die Länge und in die Tiefe der Alveole wächst, treten weitere Veränderungen ein. Das Bindegewebe, das den Buchten der gefalteten äußeren Schmelz- glockenwand auflag, dringt wie bei Mus durch die Schicht des äußeren Schmelzepithels in das Innere der Schmelzglocke ein und geleitet dorthin reichliche Blutgefäße. Diese Durchwachsung be- ginnt bereits bei Embryonen von 23 mm Länge und zwar zuerst an der gegen das Epithel der Mundhöhle gelegenen Seite der Schmelz- kappe. Sie schreitet gegen den Papillengrund weiter, so dass bei jungen Thieren von 27 mm Länge, also kurz nach der Geburt, an dem die Kaufläche umschließenden Theile des Schmelzorgans die Durch- 1 F. ROETTER, |. c. pag. 463. 670 Robert Mahn wachsung bereits vollendet ist, während in den Schmelzfalten nahe dem Grunde der Papille noch deutliches Gallertgewebe liegt. — Das Bindegewebe wuchert ziemlich stark und verdrängt die stern- förmigen Zellen der Gallerte immer mehr. Zum Schlusse bleibt von der Zellmasse der Schmelzkappe nur das innere Schmelzepithel, dar- unter das kubische Stützepithel erhalten, von dem einzelne Zapfen noch in das Bindegewebe einragen. Das so entstandene persistirende Schmelzorgan gleicht dann vollkommen dem gleichen Gebilde am Nagezahn, wenn es auch in etwas anderer Weise sich entwickelte. Da der Bau desselben am Schneidezahn in der schon mehrfach er- wähnten Arbeit von F. Rorrrer genau beschrieben wurde, so kann ich hier auf diese verweisen. Die ursprünglich glockenförmige Schmelzkappe erleidet noch weitere Veränderungen dadurch, dass sie an drei Stellen, welche den drei cementbedeckten Streifen des fertigen Zahnes entsprechen, unterbrochen wird, so dass das junge Dentin frei gegen das Binde- gewebe des Zahnsäckchens liegt. Dieses Stadium wird erreicht, indem die Zellen der Schmelz- kappe sich immer mehr abflachen und schließlich ganz an diesen Stellen schwinden; natürlich liegen dann Mesodermzellen unmittelbar dem Dentin an. An diesen nicht mehr vom Schmelzorgan bekleide- ten Stellen verknöchern die Mesodermzellen, welche sich epithelartig gruppirt haben, und gehen eine sehr feste Verbindung mit dem zu derselben Zeit sich bildenden Dentin ein. Meine Präparate ließen mich diesen Process sehr gut verfolgen. Sowie an den bereits be- zeichneten drei Stellen die Schmelzkappe unterbrochen wurde, legen sich kubische Mesodermzellen von der Wand des Zahnsäckehens an die Lücke und scheiden wie echte Osteoblasten Kalk aus. Bald ist eine ziemlich dieke Cementlage gebildet, in deren Kalkgrundsubstanz die Reste der Bildungszellen deutlich erkennbar sind. — Nachdem auf solche Weise die wesentlichsten Umbildungen der Schmelzkappe ‚eingeleitet sind, d. h. nachdem die Verdrängung der Schmelzgallerte durch Bindegewebe und die Bildung der Cementstreifen begonnen hat, ist das weitere Schicksal derselben verhältnismäßig einfach. Der an der Seitenwand liegende Theil wird zum persistirenden Schmelzorgan, der über der Kaufläche liegende verhornt und wird beim Durchbruch abgestoßen. Die Kaufläche eines noch im Zahn- säckchen eingeschlossenen Zahnes ist nicht flach, wie im späteren Alter, sondern es erheben sich auf ihr kleine konische Schmelzhöcker. Jedem Prisma des Zahnes sitzt ein abgestumpfter Kegel auf, der Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 671 einen soliden Schmelzmantel trägt, nur die äußerste Spitze derselben ist eben so wie bei Mus schmelzfrei und lässt Dentin unbedeckt zu Tage treten. Entsprechend diesen Bezirken unterbleibt in der dar- über liegenden Schicht des inneren Schmelzepithels die Ausbildung cylindrischer Zellen, und kubische Elemente decken wie bei Mus die Dentinfläche. Brasıus! hat auf die Schmelzhöcker der Arvicola-Molaren auf- merksam gemacht, aber die Dentinflächen derselben nicht erkannt. Er sagt: »In der Jugend ist die Schmelzröhre oben auf der Zahn- krone geschlossen; erst mit der Benutzung des Zahnes werden die scharfen Schmelzkanten allmählich zu einer flachen Kaufläche abge- schliffen; die Zahnsubstanz tritt erst schwach, in schmalen Streifen, dann bis zu einer bestimmten Tiefe immer mächtiger zum Vorschein, und wird dann von der weißen Schmelzröhre in abwechselnden, meist durch Berührung mit der gegenüberliegenden Schmelzwand geschlossenen, in der Form allmählich wechselnden Schlingen be- grenzt.« Da sich beim Durchbruche der Molaren von Arvicola dieselben Erscheinungen wiederholen, welche ich schon bei Mus ausführlicher beschrieben habe, so brauche ich hier nicht näher darauf einzugehen. Der Molar von Arvicola wird bis zum Durchbruche von dem mit Bindegewebe durchwachsenen Schmelzorgane bekleidet, das durch den Zahnhals mit dem Mundhöhlenepithel in Verbindung steht. Die hier liegenden Elemente der Schmelzkappe verlieren die frühere Form und unterliegen der Verhornung, so dass ein wesentlicher Unterschied von den Epithelzellen der Mundhöhle nicht mehr aufzufinden ist. Durch Druck, der dureh Produktion neuer Zahnsubstanz am Papillen- grunde bedingt ist, wird dann der verhornte Theil der Schmelzkappe und die über die Alveole hinziehende Epithellage mechanisch ge- sprengt; die äußeren Lagen der Schmelzkappe aber bleiben erhalten. Das persistirende Schmelzorgan, welches aus den tiefer gelegenen Bezirken der Schmelzkappe hervorgeht, hat besondere Eigenthüm- lichkeiten der Ausdehnung. Es ist zunächst an den drei Cement- stellen unterbrochen und schließt sich auch am Grunde der Papille, wo der Umschlagsrand der Schmelzkappe in embryonaler Ausbildung erhalten bleibt, nicht zu einem vollständigen Mantel, während doch am Schneidezahn dieser Rand als geschlossener Reif die Papille umzieht. Am unteren Drittel des Zahnes liegt das Schmelzorgan allen ı J, H. Brasıus, Naturgeschichte der Säugethiere. Braunschweig 1857. 672 Robert Mahn schmelzbedeckten Theilen eng an, aber höher hinauf breitet es sich ungleichmäßiger aus. Die hohen Schmelzzellen schwinden an. vielen Stellen, und das Schmelzorgan reicht dann mit zungenförmigen, nach oben zugespitzten Ausläufern nur an den Seiten der Schmelz- falten, welche der breiten Seite eines jeden Zales zugekehrt sind, in die Höhe, also im Oberkiefer an den nach vorn und im Unter- kiefer an den nach hinten gelegenen Seiten der Falten. Indem sich die nach oben gelegenen Schmelzzellen immer mehr abflachen und kubische Form gewinnen, geht das Schmelzorgan allmählich in das Plattenepithel der Mundhöhle über. An den anderen Seiten der Fal- ten, wo das Schmelzorgan kürzere Ausdehnung besitzt, stößt Binde- gewebe unmittelbar an den Schmelz des Zahnes. Vergleichung der Entwicklung des wurzeltragenden und wurzellosen Molaren. Wenn man die Entwicklung des wurzeltragenden und des wurzel- losen Molaren in vergleichender Weise betrachtet, so fallen eine Menge von Differenzen in die Augen, die man vorher nicht erwartet hätte. Schon die allererste Differenzirung der Schmelzkappe, die da- durch ihre ursprüngliche Glockenform verliert, verläuft bei Mus an- ders als bei Arvicola. Denn die gegen die Papille einspringenden Falten des Schmelzorgans liegen bei Mus an der gegen das Mund- epithel gerichteten Fläche, während sie bei Arvicola mehr von der Seite eingreifen (Fig. 1 und 2). Es ist desshalb bei etlicher Übung sehr leicht, nach der Form des Schmelzorgans zu bestimmen, ob aus der Anlage ein Wurzelzahn oder ein permanent wachsender werden wird. Dieser Unterschied ist besonders deutlich an den beiden ersten Molaren des Oberkiefers. Der Rand der Schmelzkappe springt bei Mus als stark verdünnte Membran gegen die Papille ein, um sie stark vom Mesoderm der Kieferanlage abzuschnüren (Fig. 4), bei Arvicola jedoch bleibt er immer in die Tiefe gerichtet und ist wulstförmig. Selbstverständlich reicht die Schmelzkappe eines permanent wach- senden, prismatischen Zahnes weiter in das Kiefergewebe und erzeugt eine tiefere Alveole als bei dem Wurzelzahn. Auch an Größe muss die Anlage des schmelzfaltigen Zahnes die des Wurzelzahnes über- treffen (vgl. die Tabelle, pag. 684). Diese Differenzen werden verstärkt, da die Schmelzkappe von Arvicola eine besondere histologische Gliederung erfährt, wobei neue Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 673 Unterschiede zwischen Mus und Arvicola auffallen. Während bei den Molaren von Mus die Durchwachsung durch Bindegewebe nicht sehr vollständig ist, geschieht die Verdrängung der Schmelzgallerte bei den Molaren von Arvicola in den Falten bis auf das kubische Stützepithel so gründlich, dass man später in den Falten nur noch Bindegewebe findet. ‘ Bei Arvicola geht dann die Differenzirung noch weiter durch die Unterbrechung der Schmelzkappe an drei Stellen, wo später die Dentinanlage je eine Cementleiste durch Verknöcherung des perio- stalen Bindegewebes erhält. Obwohl diese Punkte gegen eine nähere phylogenetische Zusam- mengehörigkeit sprechen, lassen sich doch andere Momente wieder- um für homologen Entwicklungsgang geltend machen. Zunächst bietet das Schicksal des Schmelzorgans bei beiden Arten Anknüpfungspunkte. Übereinstimmend wird bei der Annähe- rung des Zahnes an das Mundepithel der die Kaufläche deckende Theil des Schmelzorgans immer schmäler. Die Cylinderzellen des inneren Schmelzepithels werden kubisch und platten sich schließlich sammt der größeren Masse der Gallertzellen ab. Bei Mus bleibt die äußere Wand der Schmelzkappe lebenskräftig, und besonders der den Rand der Emailkrone umkleidende Theil derselben wird auch während des Durchbruches erhalten, um als Umschlag des Mund- epithels den oberen Rand der Alveole auszukleiden (Fig. 3). Bei Arvicola sind die wesentlichen Erscheinungen fast vollkommen über- einstimmend. An den Spitzen der Schmelzhöcker, die den jungen Zahn von Arvicola charakterisiren, geht die Schmelzkappe durch Verhornung zu Grunde. Aber die äußeren Partien derselben bleiben ebenfalls lebenskräftig und gehen einerseits direkt in die unteren Zelllagen des Mundepithels, andererseits in das Epithel des persisti- renden Schmelzorgans über (Fig. 4). Sie bleiben wie bei Mus wäh- rend des ganzen Lebens als Umschlagsrand des Mundhöhlenepithels bestehen. Arvicola unterscheidet sich nur darin von Mus, dass es nicht die äußere Schicht des unteren Randes des Schmelzorgans, sondern ein Theil seiner Spitze ist, welcher definitiv erhalten bleibt. Das hat jedoch keine tiefere Bedeutung, denn da die Schmelzkappe des immer wachsenden Molaren tief in die Alveole reicht, kann natür- lich der freie Rand derselben beim Durchbruche nicht an den oberen Rand der Alveole geschoben werden. Als wesentlich ist hervorzuheben, dass sowohl bei Mus wie bei Arvicola Theile der äußeren Schichten des Schmelzorgans vor dem 674 Robert Mahn Untergange bewahrt bleiben. Dieselben liegen entsprechend der in verschiedener Weise erfolgenden Differenzirung bei Mus an seinem unteren, bei Arvicola aber an seinem oberen Ende. Die Befunde bei Arvicola lassen sich leicht begreifen, wenn man annimmt, dass, wie Mus beweist, der untere Theil der niedrigen Schmelzkappe zu- erst die Fähigkeit erhält, das ganze Leben des Individuums zu über- dauern. Wächst nun bei Arvicola die Schmelzkappe zu bedeutender Länge aus, und bildet sich ein persistirendes Schmelzorgan, so kann nicht mehr der untere Rand, sondern nur der obere Abschnitt die Verbindung mit dem Mundepithel vermitteln. Ferner ist die Form der Kaufläche, wie sie dem eben durch- gebrochenen Zahne von Arvicola eigen ist, der von Mus, wenn man auch hier einen frisch durchgebrochenen Molaren ins Auge fasst, sehr ähnlich ; beide besitzen konische Schmelzhöcker, an deren Spitzen das Dentin unbedeckt hervorsteht. Beim Durchbruch besitzt also der Molar von Mus wie Arvicola eine gezackte Krone, die durch das Kaugeschäft allmählich ab- geschliffen wird, so dass schließlich bei beiden Arten auf der Kau- fläche Dentin freiliegt, das entweder (Arvicola) von einem gebuchteten Schmelzbande umgeben ist, oder (Mus) neben dem peripheren Schmelz- reif isolirte Schmelzinseln trägt. Der Vorgang des Abschleifens der Krone führt aber zu verschie- denen Erscheinungen, die durch das Vorhandensein oder Fehlen der Wurzeln bedingt sind. Bei Mus wird die Abnutzung ein definitives Ende erreichen, so- bald die Krone abgerieben ist; dass dieses Ziel häufig erreicht wird, zeigen Zähne alter Thiere. Bei Arvicola hingegen bleibt das schmelzfaltige Bild der Kau- fläche immer bestehen, da das persistirende Schmelzorgan und die Wachsthumsenergie der Odontoblasten stets den Substanzverbrauch durch Neubildung ergänzen. Morphologie und Phylogenie der Molaren von Arvicola. Nachdem ich durch das Studium der Entwicklungsgeschichte auf die merkwürdige Struktur der schmelzfaltigen Molaren aufmerk- sam geworden war, versuchte ich den Bauplan derselben durch Ver- gleichung aller Backzähne verschiedener Arten von Feldmäusen zu entrithseln. Wenn man die Zähne im Ober- und Unterkiefer be- trachtet, so springt sofort die Thatsache in die Augen, dass die mit Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 675 einander artikulirenden Ziihne nicht gleich gerichtet sind; denn im Unterkiefer stehen die spitzen Enden der Molaren nach vorn, im Oberkiefer sind sie nach hinten gerichtet, und das spitze Ende jedes Unterkieferzahnes trifft auf das breite Ende seines Antagonisten im Oberkiefer. Die drei Cementleisten liegen, wie bereits erwähnt, an ver- schiedenen Stellen jedes Zahnes, zwei am abgerundeten Ende an der facialen und lingualen Kante, eine am entgegengesetzten mehr spitzen Ende; das wiederholt sich an allen Gliedern des Gebisses. Also trifft die Seite des Zahnes, welche eine Cementleiste besitzt und im Unterkiefer nach vorn sieht, auf die Seite des Oberkiefer- zahnes, an der zwei bilateral gelegene Cementleisten stehen. Man muss desshalb, um bei der Formvergleichung der Zähne zu richtigen Ergebnissen zu gelangen, je eine Zahnreihe des Oberkiefers gegen die entgegengesetzte Reihe im Unterkiefer um 180° drehen, dann fallen die spitzen und stumpfen Enden aller Molaren auf einander. Bei der morphologischen Vergleichung muss man desshalb das Vorderende eines Unterkiefermolaren dem Hinterende eines Oberkiefer- molaren als entsprechend ansehen. Vergleicht man ferner die Form der einzelnen Zähne, so wird man den früheren Beobachtern beistimmen, welche die große Ähnlichkeit zwischen dem dritten hintersten Mo- laren des Oberkiefers und dem ersten vordersten Molaren im Unter- kiefer hervorheben. Mg, ist in beiden Kiefern ziemlich gleichförmig, desshalb muss M, des Unterkiefers M, im Oberkiefer entsprechen. So lässt sich auf Grund der anatomischen Thatsachen zunächst für die schmelzfaltigen Zähne von Arvicola die Behauptung aufstellen, dass die Richtung der oberen und unteren Reihe gerade umgekehrt ist. Durch theoretische Betrachtung der Entwicklung der Zähne in einer Einstülpung des Hautzahn- Anlagen enthaltenden Ektoderms ist B. Dysowsxk1! zu der ähnlichen Auffassung gelangt, dass die Zähne des Ober- und Unterkiefers in der Richtung von rechts nach links um 180° gedreht seien, aber er hat seine Meinung durch Thatsachen nicht als zwingend erwiesen. Nach dem Vorgange von Brasıus hat man von den schmelzfal- tigen Molaren immer nur die Gestaltung ihrer Kauflächen beschrieben und nach dem gebuchteten Verlauf des Schmelzbandes eine größere 1 B. Dysowskı, Studien über die Säugethierzähne. Verhandlungen der k. k. zoolog.-botanisch. Gesellschaft. Wien 1889. pag. 3. 676 Robert Mahn oder geringere Anzahl von Schmelzschlingen unterschieden. Diese Art der Betrachtung reicht jedoch für die morphologische Analyse nicht aus, denn in vielen Fällen hängt es rein von der Willkür des Beobachters ab, ob er eine oder mehrere Schmelzschlingen an einem Zahne deuten will, der ganz seicht einspringende Falten besitzt: ferner ist der Begriff: Schlinge viel zu unbestimmt, um darauf eine genaue Formvergleichung zu begründen. Man darf eben nicht ein- seitig die Kaufläche studiren, sondern muss die Gesammtform des Zahnes in Betracht ziehen, dann findet man sichere Grundlagen der Vergleichung. Winkelige Schmelzrinnen springen längs der ganzen Seitenfläche in den prismatischen Zahn ein und verleihen ihm das Aussehen, das man als »schmelzfaltig« bezeichnet. Die Form der Rinnen lässt sich zwar auch nicht gut vergleichen, da diese an dem gebogenen Zahne in schwer zu definirenden Kurvenabschnitten verlaufen, aber ihre gegenseitige Stellung, das relative Lageverhältnis kann man sehr leicht und genau bestimmen, und man darf, um den logischen Pro- cess zu vereinfachen, nur den Querschnitt des Zahnes, d. i. die Kaufläche, ins Auge fassen, wo die Lage der einspringenden Schmelz- rinnen aus den winkeligen Schmelzfalten leicht abgeleitet werden kann. Von allen Molaren hat M, im Oberkiefer den einfachsten Bau, wegen der regelmäßigen Lagerung seiner Falten und der geringen Anzahl derselben. Da er in gleicher Form bei allen Arvicola- Species, mit alleiniger Ausnahme von Arvicola agrestis, vorkommt, so scheint er den Typus des Arvicolamolaren zu repräsentiren. Von allen Arten wiederum besitzt Arvicola amphibius die am einfachsten gebauten Molaren; desshalb will ich meine Betrachtungen an dessen Zahnreihe beginnen. In den Abbildungen auf Taf. XXV Fig. 10—14 ist immer je eine Reihe des Oberkiefers und des Unter- kiefers neben einander gestellt, und damit die entsprechenden Seiten der einzelnen Molaren gleich liegen, die eine Reihe um 180° gedreht. Dabei wurde nicht die obere und untere Reihe ein und derselben Seite gewählt, sondern die gekreuzten Reihen, da hierdurch die Übersichtlichkeit besser gewahrt wird. Es wird sich bald zeigen, dass an allen Gliedern des Gebisses drei bestimmt gegen einander gelagerte Falten auftreten. Der leichteren Übersicht wegen bezeichne ich die Falten, welche an sämmtlichen Molaren vorkommen, und durch welche ich mir den typischen Molar von Arvicola repräsentirt denke (eine Form wie sie Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 677 oben der zweite Molar im Oberkiefer besitzt), mit den griechischen Buchstaben a, $ und y, alle übrigen Falten aber mit den lateinischen Buchstaben a—g. Die drei typischen Falten sind am zweiten Molar im Oberkiefer von Arvicola amphibius allein entwickelt, und zwar liegt an der lingualen Seite des Zahnes eine Falte («), gegenüber an der facialen Seite liegen zwei Falten, von denen ich die vordere mit £, die hin- tere mit y bezeichne. Die Falte « greift stets zwischen die Falten @ und y so ein, dass Falte 6 vor, Falte y hinter « liegt (Fig. 10). M, im Oberkiefer zeigt deutlich die eben beschriebenen drei Falten in der charakteristischen Lagerung, aber am abgerundeten Ende vor der lingualen Falte « springt eine Falte « ein, die einzig und allein dem ersten Molar im Oberkiefer zukommt. Sie bezeugt ihre Sonderstellung dadurch, dass die beiden Kanten, sowohl die vordere wie hintere Kante dieser Falte, eine Cementleiste besitzen. Der dritte Molar im Oberkiefer besitzt ebenfalls die Falten «a, 6 und y, außerdem aber auch an der lingualen Seite nach dem hinteren spitzen Ende eine Falte 4, die hinter Falte « liegt. Die Falte 6 kommt im Oberkiefer nur M, zu, aber alle drei Molaren im Unterkiefer besitzen sie als typische Eigenthümlichkeit. Will man die Lagerung und die Homologien der Schmelzfalten an den oberen Backzähnen graphisch ausdrücken, so ergeben sich die fol- genden Formeln: M, a My, a M3 a Die vier Falten «, 2, y und 5 sind allen Molaren des Unter- kiefers gemeinsam, und es gleichen M, und M; darin vollkommen M;, des Oberkiefers. Dagegen hat M, noch drei neue accessorische Falten entwickelt, die nach seinem spitzen Ende zu liegen. Als Formel ergiebt sich für die Molaren des Unterkiefers: d c b b b Ps Pit 2 Ms a My a M, a B B 8 675 Robert Mahn Wenn man die einzelnen Zähne von Arvicola amphibius unter sich vergleicht, so erkennt man das Gesetz, dass sie sämmtlich das Bestreben besitzen, ihre Kauflächen durch Ansetzen neuer Falten zu vergrößern; da sie hierbei aber von den Raumverhältnissen der Kiefer und der gegenseitigen Lage zu einander abhängig sind, so haben die einzelnen Zähne hierin verschiedene Fortschritte gemacht. Das Auftreten neuer Falten geschieht stets am spitzen Ende des Zahnes. Am weitesten geht in dieser Richtung M, im Unterkiefer, was einfach dadurch verständlich wird, dass derselbe durch keinen Nachbarzahn beengt sich frei am vorderen Ende ausdehnen konnte. Eine Ausnahme macht nur M, im Oberkiefer, welcher am stum- pfen vorderen Ende eine accessorische Falte bildete. Wahrschein- lich wird dieselbe so entstanden sein, dass zunächst das vorderste Prisma des Molaren in die Länge wuchs, worauf eine neue Falte an der lingualen Seite dasselbe in zwei Prismen zerlegte. Die da- durch neuentstandene Kante, welche natürlich die erste linguale ist, hat eine Unterstützung durch Verknöcherung des angrenzenden Pe- riostes erhalten; die ursprünglich vorderste Kante, welche jetzt die zweite linguale geworden ist, hat jedoch ihre Cementleiste bei- behalten. Hierin liegt auch der Grund, wesshalb ich meinen Betrachtun- gen nicht die Molaren derselben Seite, sondern die der gekreuzten Seiten zu Grunde legte. Denn hätte ich die gleichen Seiten ge- wählt, so müsste ich im Unterkiefer überall an Stelle der Falte 2 die Falte « setzen; somit wäre bei allen Zähnen im Unterkiefer ein Auswachsen am stumpfen Ende eingetreten, was zur Folge hätte haben müssen, dass die beiden Falte « begrenzenden Kanten je eine Ce- mentleiste besitzen müssten. Aus der histologischen Untersuchung geht jedoch hervor, dass dies nicht der Fall ist, also kann ich diese Falte nur mit Falte ? bezeichnen. Wenn man nach den eben erörterten Gesichtspunkten die Ver- gleichung über die Gebissreihen verschiedener Arten von Arvicola ausdehnt, so tritt das Bestreben, die Kaufläche durch neu einsprin- gende Falten zu komplieiren, klar hervor'. Ganz besonders ist der erste Zahn im Unterkiefer und der letzte 1 Da die Erlanger Sammlung keinen Reichthum an verschiedenen Arvicola- schädeln aufzuweisen hat, und es mir aus äußerlichen Gründen unmöglich war, ein genügendes Skeletmaterial zusammenzubringen, so kann ich die Verglei- chung leider nur auf Grund der von BLAsıus gegebenen Zeichnungen ausführen. Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 679 im Oberkiefer einer fortschreitenden Entwicklung unterworfen; was durch die Angabe von Buastus (l. ec. pag. 332), dass die Form dieser beiden Molaren nach dem Alter des Thieres veränderlich sei, wohl verständlich wird. Die übrigen Zähne M, und M, im Oberkiefer und M, und M, im Unterkiefer zeigen bei allen Arten keine wesent- liehen Änderungen des Bauplanes, Unterschiede sind nur dadurch bedingt, dass die Falten in geringerem oder stärkerem Grade in den Dentinkern einspringen; eine Ausnahme davon macht nur A. agrestis, die am zweiten oberen Molaren eine neue Falte erhält. Am dritten Molaren des Oberkiefers von A. ratticeps sind gegen das spitze Ende zwei gegenständige Falten (c und d an der facialen und lingualen Seite) aufgetreten, sie erhalten sich bei allen weiter zu besprechen- den Arten regelmäßig. Hingegen gleicht der erste Molar im Unter- kiefer in der Faltenordnung ganz M, bei A. amphibius. Bei A. gregalis erscheint an der lingualen Seite von M, im Unterkiefer, wiederum gegen das spitze Ende, eine neue Falte g. Die gegenüberliegende Falte an der facialen Seite (f) tritt bei A. Savii auf, diese beiden Falten (f und g) sind bei den Arten: Savii, arvalis, campestris, subterraneus und agrestis typische Erscheinungen. A. nivalis und ambiguus zeigen abweichende Ausbildung, nivalis hat am dritten Molar im Oberkiefer nur eine neue faciale Falte e, bei dem fossilen ambiguus findet sich außerdem am ersten Molar im Unterkiefer eine linguale Falte g. In dem Folgenden gebe ich in derselben Weise, wie ich es schon bei A. amphibius gethan habe, eine graphische Darstellung der Zahl und Lage der Falten bei den verschiedenen Arten von Arvicola. Im Zähler des Bruches befinden sich die Buchstaben für die Falten der oberen Molaren, im Nenner die für die unteren. Die hier gegebenen Formeln werden durch die Fig. 10—14 der Tafel XXV illustrirt. c | ; y y y 5 Falten a A a 3 a 3 B ‘ A. nivalis; —|& = eo b b e y 4 y 1 d i a c 3 B | b 7 Falten a 650 Robert Mahn A.ambiguus;: — + a A. ratticeps: — U P I Y A. gregalis: 2 b a 8 A. Savii y | a B A. arvalis oe toy A. campestris 8 7 A. subterraneus 5 Falten $ Falten 6 Falten 7 Falten 6 Falten 8 Falten 6 Falten 9 Falten Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 681 d c y | 6 6 ¢ Falten | a y ir y ) B a 4 A. agrestis: — UT Bu di A b b g Y | Y ‘ f a a e 8 8 | 4 9 Falten b a Kin Blick auf die Abbildungen zeigt, dass die Molaren der ver- schiedenen Arten von Arvicola durch Ansetzen neuer seichter Falten und durch das allmähliche tiefere Eingreifen derselben sich immer mehr complieiren. Man kann desshalb folgenden Stammbaum der Zahnentwicklung aufstellen: agrestis Se Savii, arvalis ‘ eampestris, subterraneus gregalis ratticeps ambiguus / nivalis’ - as =. - _— A. amphibius Vor mehreren Jahren hat BAump! den Beweis zu erbringen ver- sucht, dass die Wurzelziihne der Siiugethiere von Wurzellosen ab- stammen und im Laufe der phylogenetischen Entwicklung in meh- 1 Versuch einer Entwicklungsgeschichte des Gebisses. Leipzig 1882. Morpholog. Jahrbuch. 16. 44 682 Robert Mahn reren Stämmen die Umwandlung in den Wurzelzahn geschehen sei. Er hat für seine Meinung ein ungeheures Material zusammengestellt. das wohl für seine Ansicht zu sprechen scheint; allein durch ge- nauere Prüfung der Thatsachen wird man bald zu der Überzeugung geführt, dass die phylogenetische Beurtheilung derselben durch BAumE in einer sehr einseitigen Weise erfolgte, und dass seine kühnen Hypothesen nicht die sichere Grundlage exakter Beobachtung stützt. BAumE hebt folgende Punkte besonders hervor: der immer wachsende Zahn stellt nichts weiter als eine riesige Schmelzkrone ohne Wurzeln dar. Da die Abnutzung an der Kaufläche fortwährend ergänzt wird, so findet eine massige Produktion von Zahnsubstanz statt. Die Erscheinung des unbegrenzten Wachsthums will er als ur- sprünglich betrachtet wissen, weil die gegentheilige Annahme zu falschen Konsequenzen führe. Denn sowie man den permanent wachsenden Zahn vom Wurzelzahn ableite, müsse man annehmen, dass in der Thierreihe eine Rückkehr von der beschränkten Bildung des Schmelzes und Dentins zu der starken Produktion der Zahn- substanzen stattgefunden habe. Diese Folgerung würde aber der Thatsache vollkommen ins Gesicht schlagen, dass die Reduktion der Bezahnung bei den meisten Säugethieren bedeutende Fortschritte gemacht habe und jetzt noch mache. BaumE schließt also, weil die Zahl der Zähne im Säugergebisse stetig verringert wird, muss der einzelne Zahn ebenfalls immer spar- samer ausgebildet werden. Ich muss gestehen, dass ich die zwingende Nothwendigkeit dieses Schlusses nicht einsehen kann. Baume aber stützt denselben zunächst auf die weite Verbreitung des permanent wachsenden Zahnes durch alle Ordnungen der heute lebenden Säuger und darauf, dass diese Zahnform mehr den alten Formen eigen sei; daraus leitet er ferner ab, dass der wurzellose Zahn auf dem Aussterbeetat stehe, und dass sämmtliche Thiere mit solchen Zähnen im Laufe der Zeiten untergehen würden, nur die Nager würden die Kunde dieser Ein- richtung in ferne Zukunft tragen. Wie der immer wachsende Zahn entstand, führt er pag. 164 aus, dort sagt er: »Die erste Anlage wuchs wahrscheinlich fortwährend. Dadurch wurde die Anlage und Entwicklung aller weiteren Zahnkeime inhibirt, denn der sich fort- bildende Zahn zog alles Bildungsmaterial an sich. Er selbst wuchs fortwährend und wurde stets, entsprechend seiner Abnutzung an der Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 683 Oberfläche, an seiner Basis ergänzt. Er funktionirte auf diese Weise während des ganzen Lebens allein und machte dadurch alle weiteren Zahnanlagen überdies entbehrlich. So entstand ein starkes Produkt bei viel geringerem Verbrauch von Zahnsubstanzen. Es war ein ganz neues Prineip in der Zahnform — eine geringe Abweichung in der embryonalen Anlage, denn das Fortwachsen eines Zahnkeimes ist doch anatomisch eine sehr geringe Divergenz.« Der wurzellose Zahn ist aber nicht so einfach gebaut, wie BAUME meint, der in seiner Abhandlung überhaupt keine genaueren Mit- theilungen über die histologische Struktur desselben und über die das ständige Wachsthum garantirenden Einrichtungen giebt. Es hängt freilich in letzter Instanz von dem Belieben des Be- urtheilers ab, ob er den wurzellosen oder den wurzeltragenden Zahn als einfacher ansehen will, denn es fehlt uns für den Vergleich das absolute Maß; aber durch die vorhergehende Darstellung wird doch klar geworden sein, dass der permanent wachsende Zahn mit allen Hilfseinrichtungen sicher nicht einfacher organisirt ist, als der Wurzelzahn. Es ist unnöthig, die Anschauungen BAumr’s im Ein- zelnen zu widerlegen, nachdem die meisten paläontologischen und odontologischen Forscher zwingende Beweise für die gegentheilige Ansicht beigebracht. Hier sollte durch die Kritik Baume’s nur ge- zeigt werden, dass er, eben so wie er die fundamentalen paläonto- logischen Arbeiten außer Acht ließ, so auch die genauere Unter- suchung des prismatischen Zahnes versäumte. Zum Schlusse möchte ich Herrn Prof. Dr. SELENKA für die Freundlichkeit, mit der er mir alle Hilfsmittel des zoologischen In- stituts zur Verfügung stellte, meinen wärmsten Dank aussprechen. Zu ganz besonderem Danke bin ich Herrn Privatdocenten Dr. FLEISCHMANN verpflichtet, der mich mit größter Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit bei meinen Untersuchungen unterstützte. 44* 654 Robert Mahn Übersicht über die@rößenentwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. A. Mus musculus. = Alter und Länge Mi sup. Mz sup. Ms; sup. Embryo 19 mm 0,6 mm 0,35 mm Rinne 0,1 mm 0,8 - | 04 - - 0,1 - am - 1,29 - rie ee a WERE 4d 28 - 1,39 - 0,72 - Anlage 0,19 - (dicke Schmelz- (Krone fertig) und Dentinlage) ld: Ol. 1,60 mm 1,05 mm 0,21 - (Wurzelbildung beginnt) ‘Krone fertig (Kronenfalten) 10d nt 1,65 mm 0,9 mm 0,36 mm 16d 41 - 1,50 - 0,79 - 0,54 - Wurzelbildung (durchgebrochen) | (durchgebrochen) beginnt) 22 AD 9 1,65 mm 0,63 mm 0,51 mm 28d 50 - 1,62 - 0,57 - 0,52 - B. Arvicola arvalis. Lange Mı sup. Mz sup. Mz sup. Embryo Rinne 0,4 mm = - Anlage 0,46 - Rinne 0,18 mm 23 um IM a - A | pre 27 - neugeb. - 0,61 - | Anlage 0,33 - Bil ie « AR rnit 30 0) 204°. a) AS | te Erklärung der Abbildungen. Tafel XXV. Fig. 1. Modell der Schmelzorgane im rechten Oberkiefer eines Embryo von Mus musculus, 19 mm Scheitel-Steißlänge, nach einer Frontalserie rekonstruirt. Ansicht vom Papillengrunde. Die Anlage von M, größer als M,. ep untere Seite des Mundepithels. und hinter Df, sichtbar wird. Vergr. #/,. Zi Zahnleiste, die vor Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. ~ 10. 11. 12. 13. 14. Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola. 685 Modell der Schmelzorgane im rechten Oberkiefer eines Embryo von Arvicola arvalis, 23 mm Scheitel-Steißlänge, nach einer Frontal- serie rekonstruirt. Ansicht vom Papillengrunde Der Größenunter- schied zwischen JZ, und Ma deutlich, die Zahnleiste ist fast in ihrer ganzen Länge von M, und My verdeckt, nur hinter Mo ist sie sicht- bar. Ms noch nicht angelegt. ZZ Zahnleiste. ep untere Seite des Mundepithels. a, «, 3, y Schmelzfalten. Vergr. #/ı. Frontalschnitt durch die Schmelzkappe eines Embryo von Mus mus- culus, 19 mm Scheitel-Steißlänge. ep Mundepithel. « Rand der Schmelzkappe, der beim Durchbruche erhalten bleibt. Vergr. 6%. Frontalschnitt durch die Schmelzkappe eines Embryo von Arvicola arvalis. ep Mundepithel. a Theil der Schmelzkappe, der nach dem Durchbruche als epitheliale Verbindung zwischen Schmelzorgan und Mundepithel erhalten bleibt. Vergr. /;. Frontalschnitt durch die Schmelzkappe eines 4 Tage alten Säug- lings von Mus musculus, 28 mm Länge. Der nach innen ge- schlagene Rand des Schmelzorgans (a) greift tief in die Papille ein. Vergr. &)ı. Aus einem Frontalschnitte durch die Schmelzkappe eines Embryo von Arvicola arvalis, 23 mm Länge (s. Fig. 2). Durchwachsung der Schmelzkappe. Die Mesodermzellen sind durch dunklen Ton her- vorgehoben. Das äußere Epithel ist an mehreren Stellen durchbro- chen, und es sind bereits mehrfach Mesodermzellen in die Gallerte eingedrungen. Me Mundepithel. A Hals des Schmelzorgans. ISe inneres Schmelzepithel. P Papille. G Schmelzgallerte. Vergr. 3%/,. Querschliff durch den ersten Molaren des rechten Oberkiefers von Arvicola amphibius, erwachsenes Thier. / bezeichnet die vier Cementstreifen. Z Schmelz. # Dentin. P Zahnpulpa. «, 8, y sind die drei typischen Schmelzfalten, die jedem Molar von Arvicola zu- kommen. a ist die allein dem ersten Molar des Oberkiefers zukom- mende Falte, deren beide Kanten 7 und 7; mit Cement belegt sind. Vergr. 11/;. Querschnitt durch den entkalkten zweiten Molar des Oberkiefers von A. arvalis (erwachsenes Thier). Der Schmelz ist bei der Behandlung mit Salpetersäure zu Grunde gegangen und das Dentin etwas ge- schrumpft. P Pulpa. D Dentin. 7 Cement. & knicherne Alveolen- wand. S Schmelzorgan, das nur an den drei Cementstellen unter- brochen ist. Vergr. !5/,. Nach photographischer Aufnahme. Eine Cementstelle stärker vergrößert. D Dentin. 7 Cement. Pf Periostfasern. Sz Schmelzzellen. St kubisches Stiitzepithel. Z Stütz- leisten. 2 bindegewebiges Polster des Schmelzorgans. Vergr. 300/,. Zahnreihe des link. Oberkief. u. recht. Unterkief. v. A. amphibius. - - - - - - - - A. nivalis. - - A. ratticeps. = = - - - - - - A. arvalis. = = - - 1 - - A. agrestis. Fig. 10—14 sind Kopien nach Brasıus. Die beiden Zahnreihen sind um 180° gegen einander gedreht. Kleinere Mittheilungen über Anthozoen, Von G. v. Koch. Mit 3 Figuren im Text. 5. Echte und unechte Synapticula und Theca von Fungia. Wie ich glaube hat zuerst Prarz darauf aufmerksam gemacht, dass die Synaptieula von Fungiden in manchen Fällen selbständig sind, d. h. sich durch eine scharfe Grenze gegen die jederseitigen Septen absetzen (echte Synapticula), in anderen Fällen dagegen aus einander gegenüberliegenden Hervorragungen auf den Flächen zweier benachbarter Septen bestehen, welche in der Mitte mit einander ver- schmelzen, hier aber immer eine deutliche Trennungslinie erkennen lassen. Letztere nannte er falsche oder Pseudosepten und benutzte das Vorkommen der einen oder der anderen dieser Bildungen zur Trennung kleinerer systematischer Gruppen, die theilweise von Anderen bekämpft worden sind. — Ganz in analoger Weise haben einige Zoologen die Begriffe Eutheca und Pseudotheca! eingeführt, indem sie solehe Mauern, bei denen zwischen den Septen beiderseits be- grenzte Stücke auf Dünnschliffen zu sehen sind, als echte (Eutheca) bezeichnen, andere dagegen, welche direkt durch Verschmelzung peripherischer Verdickungen der Septen entstanden sind, falsche 1 Ich muss hier bemerken, dass das Prioritätsrecht auf die Namen Euthe- calia und Pseudothecalia Herrn Dr. v. HEIDER in Graz gebührt, welcher die Korallen in diese zwei Hauptgruppen abtheilte. Da aber die eine von diesen beiden auf eine falsche Abbildung MoseLey's (er hat außen auf der »Theca« von Flabellum ein Epithel abgebildet, welches nicht vorhanden ist) und auf einen Beobachtungsfehler Heıper’s (er hat die Calicoblastenschicht bei Asteroides übersehen) gegründet ist, so ist diese Eintheilung unnöthig gewor- den und die Namen können anderweitig verwendet werden. Morpholog. Jahrb. Bd Var. XXV. Lith Anstv.BA Funke lempeig. an EN Wilh. Engelmann sn | Verlagv ; Kleinere Mittheilungen iiber Anthozoen. 687° (Pseudotheca) nennen. Mir erscheint es ziemlich gewagt, schon,jetat die tiefgreifendsten systematischen Trennungen auf Grund dieser Unterschiede vorzunehmen, denn alles Material, welches man zur Begründung des Begriffes einer echten Mauer bis jetzt vorgeführt hat, besteht in Querschliffen durch ältere Kelche. Die Berechtigung des Namens Eutheca muss aber an Entwick?ungsstadien gezeigt werden, welche beweisen, dass bei bestimmten Korallen neben den Septenanlagen und von ihnen unabhängig sich die Thecastücke an- legen. Ehe ein soleher Nachweis vorliegt oder andere zwingende Gründe vorhanden sind, dürfte es vielleicht angezeigt erscheinen, die jetzt als Eutheca bezeichneten Schaltstücke den Septen eines höheren Cyklus, die ja auf ähnliche Art zwischen denen eines früheren eingeschoben werden, zu vergleichen. Nach dieser kurzen Betrachtung, die nur eine Zusammenfassung des mir aus der Litteratur über diesen Gegenstand Bekannten darstellen soll, will ich einige Schliffe von Fungia! etwas näher beschreiben. Fig. I. Ist ein kleines Stück aus einem Schliff parallel zur »Un- terseite«, welche, wie ich schon frü- her angegeben, und wie sich auch durch die Entwicklungsgeschichte nachweisen lässt, der konischen Außenfläche anderer Korallen ent- spricht, ich muss denselben daher als Tangentialschliff bezeichnen. Das abgebildete Stück umfasst kurze Stücke von zwei Septen, Fungia sp.? aus dem rothen Meer. Fig. I. Tan- 9 : : = gentialschliff. Fig. II. Querschliff, schwach ver- die durch Synapticula mit einan- zsrögert. Fig. II ad, Stücke von Querschliffen der verbunden sind. Letztere, nur durch Septen, stärker vergrößert, (Die Angabe 3 ß der Schnittrichtung ist dieselbe wie bei den ge- kleine Hohlräume zwischen ein- wöhnlich konisch gestalteten Korallen.) ander iibrig lassend, sind zum Theil falsche, d. h. nicht von den Septen getrennt, sondern in der Mitte durch eine scharfe Linie getheilt, zum Theil aber sind sie echte, in sich einheitlich, und von den Septen getrennt, vgl. Abb. rechts oben. 1 Diese Schliffe und die danach gefertigten Zeichnungen stammen aus den Jahren zwischen 1875 und 1878. Das Material, eine kleine einfache Fungia, verdanke. ich der Giite meines Lehrers, Herrn Prof. E. HAECKEL in Jena, der es im rothen Meer gesammelt hatte. Die Weichtheile, welche an diesen kleinen Abbildungen nur theilweise durch punktirte Linien angedeutet sind, sind noch heute vorzüglich erhalten. (Qs 4. v. Koch, Kleinere Mittheilungen tiber Anthozoen. Dami« ist der Beweis geführt, dass bei derselben Fungienart echte und falsche Synaptieula neben einander vorkommen. Fig. Il: Ist ein Schliff von dem gleichen Exemplar senkrecht zur » Bodenfliehe«, und zu den abgebildeten Septen geführt, also auf die gewöhnliche Kegel- oder Cylindergestalt bezogen, mehr oder weniger genau ein »Qwerschnitt« (bei Cylindergestalt senkrecht zur Hauptachse). Das Stück zeigt oben resp. außen (die Zeichnung müsste auf den Kopf gestellt werden, wenn sie der natürlichen Lage entsprechen sollte) die Leibeswand als dünne punktirte Linie und an derselben drei extrathecale Pariesstiicke dann vier mehr oder weniger vollständige Septen, die seitlich mit einander in verschie- dener Ausdehnung verwachsen sind. Zwischen ihnen befinden sich, — scharf abgesetzt und eine senkrecht zu der der Septen stehende dunkle Primäranlage zeigend, drei Schaltstücke, welche nach der oben angegebenen Erklärung als »Eutheca« zu bezeichnen sind. Fig. III giebt kleine Stücke von demselben Schliff, dem Fig. II entnommen, bei stärkerer Vergrößerung wieder. a, ist ein kleines Stück von einem Septum, welches durch die in einzelne Verkalkungs- centren aufgelöste Primäranlage, sowie durch die deutliche Abgren- zung der von jenen ausgebildeten Stücke auffällt. 4, noch stärker vergrößert, stellt eine der konischen Hervorragungen, wie sie sich häufig auf der Fläche der Septen finden, dar, und zwar geht die Schnittebene durch die Kegelachse. Man kann hier deutlich sehen, dass diese kleine Erhebung schon ihre eigene dunkle Primäran- lage besitzt, und sich gegen die Masse des Septum abgrenzt. — Beide Beobachtungen einer Individualisirung von Theilen einer mor- phologischen Einheit stehen durchaus nicht isolirt, und hat mich gerade deren vielfaches Vorkommen bei den verschiedensten Korallen zur Vorsicht ermahnt. So werthvoll die Struktur des Korallenskelets für die Entscheidung der verschiedensten Fragen ist, ohne Beachtung ihrer Beziehungen zu den Weichtheilen, und bei oberflächlicher Un- tersuchung kann sie nur zu voreiligen oder auch wirklich falschen Schlüssen verführen. Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig. ae re MY 7 \ ; I 7 u F if nh » n i “yo 1 « ‘A N i rn i 2 f « hak . ont er Ba ER A Meee, NM j Pi A 0 ae . \ ] 4 « ' ” | in ’ ' Lal “ . 1 -. wu - "| . > . i N su ara SF POT, | pana mT in m. 2 Ba, Et Go’ we Oo oC pe n 8, > wn ea ey | N! Ail | R 5