t Urn Pe rigen an ug AO #0 00 10-00 u parescmetnrr IE ee tyre rare Fer Lu 7 N E Ir et : ” “wy pe 4% wre Aare r is ere mete mete irre J ri : ne th + ‘ kart eb me rigen } mie Pa ee ODER erie ee tite . € Im wer 7 f 1 . u“ ° N - vr Hy Ka eae a ees ur Pe meee Venere ate Pr rn ememrie te ' 7 . +. z . 4 3 + f .. ' 7 i . a 7 R : ‘ ö . : ’ ' 7 . 5 7 t ‘ u r are ' - - $ = . 7 , on ¥ + > . ie .. . r BZ u tee ‘ ‘ ++ . .. od “ A 5 Au u : tate Ber, 5 Far ‚ ‘ . ER} “ . u Ld F Pr a ie 7 ‘ a ws ae . ° . . * + ‘ 2 ih a o Par ‘ . rl RR ‘ “ ie tines + a ‘ ‘ « „r Bm. dm ‘ a r . 4, . aot 24 “r J ae BEL a be Fen te ete oe i 2 ¥. - . ive 2 A) > = ay) ye Fae “9 is > ee Py, oo J 7 I ‘ % rane pad . Y : ere) . D bia ae > u ‘ hp me 10h Pte ‘ . wut seatbcged bien? ’ 2 a pore Cerri) 7 A at tet bee ‘ ef Oe i bi 4 L ruhen u} : , nn t ... D ‘ . ' 4 F m4 tot ‘ Ps D to «4 “. i aos “4 eg atest OOP v ‘ or evita v ie IE TE LER | Py EI E . . s = ' “ : + ir a ’ i er 5 7 te me tT we on ee \ 4 “ a nn a ss eres irr IT TEE EEE | A aha a wurden i . POR Ors eek otek bee 5 P ‘ ET he tevey teens » 4 a Er y i Der ye” ro de ety ane vet : ¢ ee a dal sealed BERN wi we £ : ' a ers ‘ ee 7 ‘ ae 22 ; oy ad ’ id fea T at aes eerie ae 22 FOR THE PEOPLE | FOR EDVCATION | FOR SCIENCE PRA BE ORAL EN LIBRARY OF THE AMERICAN MUSEUM OF NATURAL HISTORY - / Bound at | A.M.N.H. \ 1932 MORPIOLOGISCHES JAHRBUCH. EINE ZEITSCHRIFT ANATOMIE UND ENTWICKELUNGSGESCHIGHTE: HERAUSGEGEBEN VON CARL GEGENBAUR, PROFESSOR IN HEIDELBERG. SIEBZEHNTER BAND. MIT 33 TAFELN UND 51 FIGUREN IM TEXT. LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGELMANN. 1891. oe de zn (ik oa ee + ee ect a F e > PMoaTAN | “a yop ae 7 i,” i U) Wr a . fi if ’ ii "ln TUR AUNT nr AMO TASS An t € ihe LER AD INA S ; a u2Z ER CURE EI TERTEIT PAAE HI PRHIDIY to Ue ANTEC CE OEE AWE RA (ADA MEIER 407 4 PER HN . Inhalt des siebzehnten Bandes. ARAARAA Erstes Heft. Ausgegeben am 3. Marz 1891. Seite Uber die Entwicklung der Extremititsvenen bei den Amnioten. Von F. Hochstetter. (Mit Taf. I-IH u. 12 Fig. im Text.) ....... 1 Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. Von ©. Seydel. (Mit Taf. IV—VI uw 3 Big. m Text.) .......0... 44 Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. Bonner (Mit TER VI) ters ee . RAPOAGER NN hl. 100 Untersuchungen über die Entwicklung des Os hypoischium (Os cloacae aut.), Os epipubis und Ligamentum medianum pelvis bei den Eidechsen. Von ee PNG Ht VELEN toe, 2). tS ee 123 Zweites Heft. Ausgegeben am 15. Mai 1891. Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten und bei einigen ande- ren Säugethieren. Von T. Tanja. (Mit Taf. IX—XII u. 3 Fig. im Text.) 145 Über das Centralnervensystem, insbesondere über das Rückenmark von Ortha- goriscus mola. Von B. Haller. (Mit Taf. XIIT—XV u. 3 Fig. im Text.) 198 Zur Morphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbelthiere. Von ory. Boss (Mit Tat. XVIou. > Big im Text). 2 ....... 271 Untersuchungen über die Entwieklung des Endothels und der Blutkörperchen der Amphibien. Von Schwink. (Mit Taf. XVII—XIX.)...... . 288 Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. Von G. v. Koch. (Mit 8 Fig. im el ee en nn BA Drittes Heft. Ausgegeben am 21. August 1891. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. Von R. v. Erlanger. (Mit Taf. A ee Oe Die Morphologie des Magens der Rodentia. Von K. Toepfer. (Mit Taf. ’ IRIE SA Si aw yw ww fw Vale fel oe aan we 8 380 Bemerkungen über den Magen der Rodentia. Von A. Fleischmann . . . 408 Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. Von H. Rex. ENTE). in Se. ew ee ee ew ee 417 A IV Seite Über die morphologische Bedeutung der ventralen Abdominalanhänge der Insekten-Embryonen. Von V. Graber. (Mit 6 Fig. im Text) . . . . 467 Über die Beziehungen zwischen Mammartasche und Marsupium. Von H. Klaatsch. Sontag m Text). --. . 4.2 2 se Pe 483 Viertes Heft. Ausgegeben am 23. Oktober 1891. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische IV. Das Cranium der Cyprinoiden. Von M. Sagemehl. (Mit Taf. XXVIII u. XXIX.). . . 489% Uber den Conus arteriosus der Fische. Von C. Gegenbaur. (Mit 7 Fig. Ba)... lan nee ee re re 596 + Über die sog. Neugliederung der Wirbelsäule und über das Schicksal der Urwirbelhöhle bei Reptilien. Von H. K. Corning. (Mit Taf. XXX). 611 Notizen über den Zusammenhang der Harn- und Geschlechtsorgane bei den Ganoiden. Von R. Semon. (Mit Taf. XXXL) ......... 683 Zur Entwieklung von Paludina vivipara. II. Theil. Von R. v. Erlanger. (Mit Taf. XXXH—XXXIH u. 3, ie: im Mext.)). ..0. 7 eee 636 Besprechung: R. Bonnet, Grundriss der Entwicklungsgeschichte der Haussäugethiere . . 681 Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. Von Dr. Ferdinand Hochstetter. Mit Tafel I-IlI und 12 Figuren im Text. Einleitung. Bei der Untersuchung lebender Embryonen des Hühnchens sowie des Kaninchens war es mir aufgefallen, dass in bestimmten Stadien der Entwicklung das distale Ende der vorderen, sowie der hinteren Extremität von einer Vene eingesäumt werde, die ich gelegentlich der Beschreibung der Entwicklung einiger Venenstimme! beim Hiiln- chen als Randvene der Hand und des Fußes bezeichnet habe. Da- bei machte sich in mir der Wunsch geltend, Näheres über die Schicksale dieses Randgefäßes,, sowie über seine Beziehung zu den definitiven Venen der Extremitäten zu erfahren, und ich untersuchte bei jeder Gelegenheit, die sich mir bot, die Extremitäten der leben- den Embryonen von Säugern und dem Hühnchen, doch kam ich wegen der Schwierigkeit der Untersuchung dabei zu keinem be- stimmten Resultate, und so wurde meine Aufmerksamkeit durch an- derweitige Untersuchungen von diesem Gegenstande eine Zeit lang abgelenkt. Als ich jedoch vor zwei Jahren Eier von Lacerta agilis und viridis in größerer Zahl erhielt und die Embryonen dieser Thiere konservirte, erkannte ich auch hier wieder die Randvene der Hand und des Fußes und sofort machte ich mich an die Arbeit, um zu- nächst für Lacerta festzustellen, auf welche Weise die Entwicklung 1 Morph. Jahrb. Bd. XIII. pag. 375. Morpholog. Jahrbuch. 17. 1 9 Ferdinand Hochstetter der Extremitiitsvenen vor sich gehe. Hier nun gestaltete sich die Untersuchung besonders älterer Stadien verhältnismäßig leicht, da die Embryonen in Quellwasser von Zimmertemperatur untersucht werden konnten und selbst dann nur selten eine bedeutendere Blu- tung, welche den Erfolg der Untersuchung beeinträchtigt hätte, auf- trat, wenn die Nabelgefäße ohne vorhergegangene Unterbindung ein- fach durchschnitten wurden. Zudem kann man sich kaum ein schöneres Material für das Studium des Brutkreislaufes denken als Lacerta-Embryonen, denn sie übertreffen in dieser Richtung noch die Embryonen der Salmoniden. Die Anzahl der mir zur Verfügung stehenden Eier genügte jedoch im ersten Jahre nicht, um verschie- dene während der Untersuchung sich ergebende Fragen zu beant- worten, und ich ging desshalb im verflossenen Sommer mit neuem Eifer ans Sammeln und Untersuchen. Diesmal war ich glücklicher und erhielt nach und nach einige hundert Embryonen aus den verschiedensten Stadien der Entwick- lung, genügend, um über den Verlauf der Entwicklung der Extre- mitätsvenen vollständig ins Klare zu kommen’. Die Erfolge, welche ich bei der Untersuchung der Lacerta-Em- bryonen hatte, eiferten mich nun neuerdings an, auch die Unter- suchung der Extremitätsvenenentwicklung an Säugethier- und Hühner- embryonen wieder in Angriff zu nehmen. Und auch hierbei ging es jetzt besser, da ich über ein bedeutend reicheres Material verfügte und ich auch vielleicht durch die Übung an Lacerta-Embryonen eine größere Geschicklichkeit bei der raschen Behandlung und Unter- suchung der Embryonen erlangt hatte. Die Embryonen wurden lebend, nach Beseitigung des Amnios und Unterbindung der Nabel- gefäße, in warmer physiologischer Kochsalzlösung untersucht. Die ! Ich ließ mir eine große Zahl von trächtigen Weibehen der Lacerta agilis und viridis einfangen und hielt dieselben bei gutem Futter auf dem Dache unseres Instituts in einem großen Behälter mit Zinkblechwänden, dessen Boden mit lockerer sandiger Erde und Moos bedeckt war. Die abgelegten Eier wur- den jeden Morgen ausgegraben, gesammelt und in einem mit gesiebter sandiger Erde gefüllten, in Unterabtheilungen getheilten Kistchen vergraben. Über die Zahl der von einem bestimmten Tage herrührenden, in einer bestimmten Unter- abtheilung des Brutkistchens untergebrachten Eier wurde sorgfältig Buch ge- führt. Das Brutkistehen mit den Eiern wurde an eine Stelle gebracht, die möglichst lange von der Sonne bestrahlt wurde und täglich ein, an besonders heißen Tagen zweimal tüchtig mit frischem Quellwasser begossen. Auf diese Weise entwickelten sich die Embryonen in den Eiern vorzüglich, und wenn sie nicht vorher den Eiern entnommen wurden, bis zur völligen Reife. Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 3 Unterbindung der Nabelgefäße erwies sich als nothwendig, weil ‚selbst eine geringe Verletzung der Gefäße zu einer ganz beträcht- liehen Blutung führte. Später fand ich dann auch eine Methode, welche es gestattet, an gut erhärteten Embryonen die Gefäße der Extremitäten zu erkennen, freilich eine Methode, die niemals die Untersuchung des lebenden Objektes zu ersetzen vermag, da sie über die Riehtung des Blutstromes in den Gefäßen keinerlei Auf- schluss zu geben vermag. Sind nämlich die Gefäße der Extremi- täten und vor Allem die Venen bluterfüllt, und dies ist stets der Fall, wenn nach Unterbindung der Nabelgefäße die Embryonen in eine rasch wirkende Fixirungsflüssigkeit! gebracht werden, so kann man nach der in üblicher Weise vollendeten Härtung die Extremi- tätenanlagen aus absolutem Alkohol in Nelkenöl übertragen, worin sie so weit durchsichtig werden, dass man die mit Blut gefüllten Gefäße deutlich erkennen kann?. In allen Fällen ließen sich jedoch gewisse Punkte durch die Untersuchung ganzer lebender Embryonen nicht erledigen. Die topographischen Beziehungen der Extremitätsvenenstämme zu den Nerven und Arterien, ihre. Einmündungen in die Venenstiimme des Rumpfes und Abänderungen der Einmündungen konnten zumeist nur durch das Studium von Schnittserien mit Sicherheit ermittelt werden. Die Angaben in der Litteratur, welche den Gegenstand meiner Untersuchung behandeln, sind sehr spärliche und soll auf dieselben späterhin an entsprechender Stelle näher eingegangen und verwiesen werden. Zusammenhängende Untersuchungen sind meines Wissens über die Entwicklung der Extremitätsvenen von Amnioten bis jetzt nicht veröffentlicht worden. Allerdings hat BARDELEBEN? die Venen der vorderen Extremität einer größeren Zahl von älteren mensch- lichen Embryonen beschrieben, und hat aus seinen Befunden Schlüsse gezogen, doch hatten sich jedenfalls selbst bei dem jüngsten von ihm untersuchten Embryo (Steiß-Scheitellänge 2,4 em) die wich- tigsten Umgestaltungen im Venensystem der vorderen Gliedmaße bereits vollzogen und kann BarDELEBEN’s V. capitalis brachii, wie ! Ich verwende gewöhnlich eine Mischung von gleichen Theilen cone. wässeriger Lösung von Sublimat und cone. wässeriger Lösung von Pikrinsäure, der je nach der Menge einige Tropfen Essigsäure zugesetzt werden. 2 Diese Methode leistet auch fiir das Studium der Entwicklung mancher Organe Gutes. 3 Die Hauptvene des Armes, Vena capitalis brachii. — Über die Ent- wicklung der Extremitiitsvenen des Menschen. Jenaische Zeitschr. f. Naturwiss. Bd. XIV, und Sitzungsber. der Jenaischen Gesellschaft für Med. 1879. 1* 4 Ferdinand Hochstetter ich später zeigen werde, durchaus nicht als die primitive Vene der vorderen Extremität des Menschen bezeichnet werden. Im Nachfolgenden theile ich nun die von mir gemachten Beob- achtungen über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei Lacerta, dem Hühnchen und dem Kaninchen nebst den sich daraus ergeben- den Schlussfolgerungen den Fachgenossen mit und hoffe zugleich durch die Resultate meiner Untersuchungen klarzulegen, dass auch für das Gefäßsystem der Extremitäten niemals ein indifferenter Zu- stand in der Form besteht, wie er von BAADER und KrAUsE ange- nommen und zur Erklärung einer großen Zahl von Varietäten der Gefäße missbraucht wurde, eine Annahme, welche übrigens mit Recht bereits von GEGENBAUR! und RuGE? auf das entschiedenste angefochten wurde. Entwicklung der Extremitätsvenen bei Lacerta agilis. (Hierzu Tafel I.) Die jüngsten lebenden Embryonen, an denen ich Gefäße der Extremitätenanlagen wahrnehmen konnte, rührten aus Eiern her, die drei Tage? nach dem Ablegen eröffnet worden waren. Früher sind ja auch schon Gefäße in den Extremitätenstummeln vorhanden, doch war es kaum möglich, jüngere Embryonen ohne grobe Ver- letzung der Dottersackgefäße ihres Amnions zu entledigen, und selbst, wenn dies ja einmal gelang, so waren wegen der schwachen Fär- bung des Blutes Gefäße weder im durchfallenden noch im auffallen- den Lichte deutlich zu erkennen. : Bei einem Embryo vom fünften Tage nach dem Ablegen des Kies, bei welchem die Blutgefäße übrigens noch dieselbe Anordnung zeigten wie bei dem vom dritten Tage, konnten dieselben mittels Camera (von ZEIss) gezeichnet werden. Es ließ sich an der vor- deren Extremität (vgl. Taf. I Fig. 1) ein axiales Gefäß, in dem der Blutstrom gegen die Peripherie gerichtet war, nachweisen. Dieses Gefäß, welches wir als Armarterie bezeichnen können, theilte sich im Endgliede der Extremitätenanlage, welches sich bereits abzu- ! Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 4. Aufl. Bd. II. pag. 227. 2 Beiträge zur Gefäßlehre des Menschen. Morph. Jahrb. Bd. IX. pag. 386. 3 Die Zahl der Tage, welche von der Zeit des Ablegens bis zum Eröffnen der Eier verfließen, geben keinerlei bestimmten Anhaltspunkt für den Grad der Entwicklung des Embryo ab, weil dieser lediglich von den günstigen oder un- günstigen Witterungsverhiiltnissen abhängt. Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 5 gliedern begann, in mehrere Zweigchen, die in ein am Rande des ‘Endgliedes (der Hand) befindliches Gefäß einmündeten. Aus diesem Randgefäß, Randvene der Hand soll es fernerhin genannt werden, floss das Blut nach zwei Richtungen hin ab, indem sich die Rand- vene einerseits in eine dem vorderen radialen und andererseits in eine dem hinteren ulnaren Rande der Extremitätenanlage folgende Vene fortsetzte, Venen, die ich fortan als radiale und ulnare Rand- venen der vorderen Extremität bezeichnen will. An der seitlichen Rumpfwand ließ sich eine ziemlich bedeutende Vene erkennen, die unter dem Integument verlief und eine große Zahl von Zweigchen aufnahm, die der Grenze zwischen je zwei Muskelsegmenten folgten. Der Blutstrom dieses Gefäßes, welches ich fernerhin als Seitenrumpf- vene bezeichnen will, ging im vorderen Abschnitte nach vorwärts, im hinteren Abschnitte dagegen etwa vom 15. Segmente an nach rück wärts. Das vordere Ende der Seitenrumpfvene (Fig. 1 S.R.V) wurde nun in ihrem weiter nach vorn gerichteten Verlaufe von der Extre- mitätenanlage verdeckt, so dass man am lebenden Individuum nicht im Stande war, ihre Einmündung zu sehen und über ihre Beziehung zu den Armvenen etwas zu erfahren. An Sagittalschnittserien durch Embryonen von derselben Entwicklungsstufe konnte ich dagegen deutlich erkennen, dass die Seitenrumpfvene zunächst die ulnare Randvene aufnahm, dann dorsal von dem Plexus und der Arteria brachialis kopfwärts weiter verlaufend, auch die radiale Randvene aufnahm, um schließlich in die Zusammenflussstelle der beiden Car- dinalvenen von rückwärts her einzumünden. Jedenfalls erfolgte je- doch die Einmündung dieser Vene, die als V. subelavia zu bezeichnen ist, näher der hinteren als der vorderen Cardinalvene unmittelbar am Kopfende der Urniere. Sehr überraschend war die völlige Übereinstimmung der Gefäß- verhältnisse an der hinteren Extremität mit denen an der vorderen. Auch an der Anlage der hinteren Extremität war eine axial verlau- fende Arterie, eine Randvene des Fußes, und von dieser ausgehend einerseits eine dem tibialen (vorderen) und andererseits eine dem fibularen (hinteren) Rande der Extremitätenanlage folgende Vene zu erkennen. Bei einem um einen Tag älteren Embryo, bei dem die Verhältnisse der Gefäße an der Anlage der hinteren Extremität noch dieselben waren (vgl. Fig. 2), der sich jedoch durch eine größere Blutfülle auszeichnete, sah man auch das hintere Ende der Seitenrumpfvene (S.2.V) ventralwärts und nach vorn zu umbiegen 6 Ferdinand Hochstetter und in die Umbilicalvene (V.U) derselben Seite einmünden. An ihrer Umbeugungsstelle mündete in die Seitenrumpfvene eine ganz kleine Vene, welche von der Außenseite der dem Rumpfe zunächst ge- legenen Strecke der Extremität herkam. - Sehr deutlich war weiter die mächtige Caudalvene (C.V’), und seitlich neben ihr unmittelbar unter dem Integument eine schwächere Vene zu erkennen, die an der Wurzel der Extremität in der Tiefe verschwand. Die tibiale Randvene war bei günstiger Lagerung des Embryo und bei entspre- chender Beleuchtung in die Seitenrumpfvene nahe ihrer Mündung in die Umbilicalvene zu verfolgen!, während an Sagittalschnittserien zu erkennen war, dass die fibulare Randvene die Wurzel der hinteren Cardinalvene ihrer Seite bildete. Die erste Veränderung, welche sich an diesen primitiven Ge- fäßen vollzieht, ist an der vorderen wie an der hinteren Extremität die gleiche. Es erfolgt nämlich eine Umkehrung des Blutstromes in dem vorderen Randgefäß der Extremität, also im radialen sowie im tibialen, welche in Fig. 3 und 4 dadurch gekennzeichnet wurde, dass die entsprechenden Abschnitte der Gefäße roth gezeichnet wur- den, obwohl damit keineswegs erklärt werden sollte, dass sich hier eine Umwandlung der Vene in eine Arterie vollzogen habe. Offen- bar mündet in die vordere Randvene eine kleine, aus der Tiefe kommende Arterie, die auch einen Ast proximalwärts entsendet, der dann als schwache oberflächliche Vene erscheint, die in Fig. 2 be- reits zu erkennen ist und in Fig. 3 auch an der vorderen Extremität deutlich hervortritt, während ich sie an jüngeren Embryonen auch schon, wenngleich undeutlich, erkennen konnte. Sie mündet an der vorderen Extremität in die Fortsetzung der ulnaren Randvene ein. Die erwähnte kleine Arterie nun scheint sich zu erweitern und da- durch den Blutstrom in der tibialen und radialen Randvene derart zu beeinflussen, dass er sich peripheriewärts wendet und nun das Blut der Extremität vorwiegend durch die ulnare Randvene an der vorderen und die fibulare Randvene an der hinteren Gliedmaße ab- strömt. Hand in Hand damit erfolgt natürlich auch ein Schwinden des proximalen Abschnittes der radialen und tibialen Randvene, und es besteht nun an vorderer und hinterer Gliedmaße in gleicher Weise ! An der Sagittalschnittserie durch einen Embryo vom dritten Tage nach dem Ablegen des Eies war auf einer Seite eine Theilung der tibialen Randvene zu erkennen, und ließ sich der eine Ast in die V. umbilicalis, der andere in die V. cardinalis posterior verfolgen. Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 7 nur mehr eine größere, das Blut ableitende Venenbahn, die ulnare und fibulare Randvene. Besonders hervorzuheben ist, dass sich die geschilderten Ver- änderungen an der hinteren Gliedmaße um Bedeutendes später voll- ziehen wie an der vorderen, so dass an der vorderen Extremität die Umkehrung des Blutstromes in der radialen Randvene bereits voll- zogen ist, während an der hinteren Extremität die ursprünglichen Verhältnisse noch andauern. Eigenthümlich ist der hinteren Gliedmaße in diesem Stadium (Fig. 4) eine zarte Vene, die, am Fußrücken beginnend, distal von der späteren Kniegegend fibularwärts sich wendet und in die fibu- lare Randvene sich einsenkt. Inzwischen beginnen sich bereits die Zehen zu entwickeln, was durch leichte Einziehungen und Vorbuch- tungen am Rande der Hand und des Fußes erkennbar ist. Nun erfolgt abermals eine Umkehrung des Blutstromes in der radialen und tibialen Randvene, und zwar zuerst in ersterer, dann nach einiger Zeit in letzterer, und das Blut fließt nun wieder auch am vorderen Rande der beiden Extremitäten proximalwärts ab, die Vene läuft aber nun nur mehr am Vorderarm und Unterschenkel dem vorderen Rande der Extremität entlang. In der Gegend proximalwärts vom Ellbogengelenk zieht die Fortsetzung der Vene des radialen Vorderarmrandes, in schiefer Richtung die äußere Fläche des Oberarmes kreuzend, an den ul- naren Rand desselben und senkt sich hier in die Tiefe, um in die ulnare Randvene zu münden (Fig. 5 und 7), die unmittelbar darauf von der Seitenrumpfvene aufgenommen wird. Diese nochmalige Umkehrung des Blutstromes und die Verlagerung des Abflusses der radialen Randvene lässt sich nur in der Weise erklären, dass der Zu- fluss aus der kleinen, in Fig. 4, 5 und 6 angedeuteten, aus der Tiefe kommenden Arterie abgenommen hat, während zugleich ein er- neuerter Blutandrang aus der mächtigen Randvene der Hand sich einstellte. Da aber das ursprüngliche Endstück der radialen Rand- vene sich geschlossen hatte, musste der Abfluss des Blutes aus dem distalen Abschnitte der radialen Randvene durch die nunmehr er- weiterte neu entstandene (Fig. 3) Vene an der Außenseite des Ober- armes erfolgen. Ähnliches ließ sich an der hinteren Gliedmaße feststellen (Fig. 8), nur hatte hier die tibiale Randvene sehr viel an Stärke eingebüßt und sich mit dem früher erwähnten (Fig. 6), vom Fußrücken stam- menden Gefäße an der Außenseite der Kniegegend durch eine quere 8 Ferdinand Hochstetter Anastomose in Verbindung gesetzt, und fiihrte auf diese Weise der fibularen Randvene das Blut zu (Fig. 8). Als ich diesen nochmaligen Wechsel der Richtung des Blut- stromes zum ersten Male sah, war ich nahe daran, an der Richtig- keit meiner vorher gemachten Wahrnehmungen iiber den zuerst be- schriebenen Wechsel der Stromrichtung in der tibialen und ulnaren Randvene zu zweifeln, doch habe ich mich durch wiederholte Nach- untersuchung von Embryonen aus den fraglichen Stadien vollkommen sicher von dem Platzgreifen der geschilderten Veränderungen über- zeugt. Das allmähliche Hervorwachsen der Zehen und ihrer Knorpel- anlagen musste nun inzwischen einen bedeutenden Einfluss auf das Gefäßsystem der Hand und des Fußes geltend machen, der darin bestand, dass vor Allem A. digitales communes deutlich erkenn- bar wurden (Fig. 4, 5, 6), die in den Interdigitalfalten etwas später (Fig. 7 und 8) in ein reizendes, fächerförmig gestaltetes Netz von Zweigen zerfielen, welches sein Blut in die Randvene ergoss. Diese letztere hatte durch das Vordringen der knorpeligen Zehenanlagen ein eigenthümliches Aussehen bekommen. Entsprechend den Interdigitalräumen nämlich und der Einmün- dung des aus den A. digitales communes hervorgehenden Gefäß- fächers zeigte ihr Strombett beträchtliche Erweiterungen (Fig. 7 und 8), während es dort, wo die Randvene von den Knorpelstrahlen berührt wurde, eine beträchtliche Verengerung erfuhr, wobei unwill- kürlich der Eindruck hervorgerufen wurde, dass es sich dabei um eine durch das Vorrücken der Knorpelstrahlen bedingte Druckwir- kung handle. Und dies zeigte sich an beiden Extremitäten in glei- cher Weise. Während nun die Hauptvenen der Extremitäten weiterhin nur geringe Veränderungen erleiden, ändert sich der Charakter der Ge- fäßanordnung an Hand und Fuß sehr bedeutend, und zwar an beiden Extremitäten in ganz übereinstimmender Weise, nur immer so, dass die Veränderungen zuerst an der vorderen, dann an der hinteren Gliedmaße auftreten. Hatte die Kompression der Randvene durch die Knorpelstrahlen der Zehen einen gewissen Höhepunkt erreicht, so zeigte sich zu- nächst, dass das in den Interdigitalräumen befindliche netzförmige Gefüßbündel das Blut nicht mehr in der Richtung gegen die Rand- vene, sondern in der umgekehrten Richtung leitete (Fig. 9 und 10). Bei genauerer Betrachtung zeigte es sich dann, dass nicht das ganze Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 9 Gefäßbündel sich in gleicher Weise verhielt, sondern dass an den dem Knorpelstrahle jeder Zehe anliegenden und theilweise von ihm gedeckten Rande des Gefäßbüschels ein Gefäß vorhanden war, welches, dem Knorpelstrahl innig angeschlossen (in Folge dessen in Fig. 9 und 10 eben so wenig die A. digitales als die A. digitales communes gezeichnet werden konnten), das Blut peripheriewärts und in das Gefäßnetz des Interdigitalraumes leitete, es hatten sich die A. digitales entwickelt und kurz darauf war es in Folge der Druck- wirkung von Seiten der Knorpelstrahlen zu einer Unterbréchung des Blutstromes in der Randvene der Hand und des Fußes gekommen. Es blieben also jetzt von der Randvene nur Theilstücke übrig (Fig 9, 11 und 12), welche den Interdigitalräumen entsprachen und das Venennetz der Interdigitalräume distalwärts abgrenzten. Die dem Seitenrand der ersten und fünften Zehe entsprechenden Ab- schnitte der Randvene der Hand und des Fußes bildeten nun natür- lieh den Anfang der entsprechenden Randvene des Vorderarmes und Unterschenkels, und in die Enden eines jeden Theilstückes der Randvene mündeten neben der Spitze jeder Zehenanlage die A. digitales. Nun musste sich vor Allem die Frage aufdrängen, wohin das Blut aus dem Netze der Interdigitalräume gelange. Zwar hatte sich schon in dem in Fig. 4 abgebildeten Stadium eine spärliche Venen- ramifikation am Fußrücken gebildet, und eben so waren an der vorderen Extremität Venenreiserchen aufgetreten, die sich der ra- dialen Randvene des Vorderarmes, manchmal aber auch (Fig. 9) der ulnaren anschlossen, und diese Zweigchen waren mit dem inter- digitalen Netze in Verbindung getreten. Aber diese Zweige des Hand- und Fußrückens machten nieht den Eindruck, als wären sie weit genug, um die Gesammtmenge des Blutes aus den Interdigital- räumen abzuführen. An den in Fig. 9 und 10 abgebildeten Stadien war es nun noch nicht möglich, durch Drehung des ganzen Embryo oder dureh Abbiegen der Extremitäten sich darüber Gewissheit zu verschaffen, ob nieht auch gegen die Planta und Palma das Blut ableitende Venenbahnen sich entwickelt hätten, doch glaube ich, dass schon in diesem Stadium solehe Venenbahnen entwickelt sind, was ich mit einiger Sicherheit aus den Befunden an älteren Stadien schließen zu können glaube. Mit dem weiteren Fortschreiten des Wachsthums der Zehen ent- wickeln sich aus den Theilstücken der Randvene der Hand und des Fußes die V. digitales. Die Randvene zeigt nämlich noch vor ihrer 10 Ferdinand Hochstetter Unterbrechung, entsprechend jedem Interdigitalraum, eine Knickung, die mit dem Hervorwachsen der Zehen immer mehr zunimmt, hat dann die Unterbrechung der Randvene stattgefunden, so bilden die beiden Enden eines jeden Theilstückes derselben den Anfang einer kleinen Vene (Fig. 9), die in das interdigitale Netz, dessen periphere Begrenzung sie bildet, ihr Blut abgiebt. Indem nun die Zehen weiter hervorwachsen, verlängern sich die beiden Enden der Theil- stücke peripheriewärts immer mehr, der Knickungswinkel wird ein spitzerer, ‘ind endlich sehen wir, wie in Fig. 11 und 12, die verlän- gerten Theilstücke der. Randvene in Digitalvenen umgewandelt sind. Dabei hat sich zu gleicher Zeit das Venennetz der Interdigital- räume vereinfacht, was insbesondere an der hinteren Extremität rasch dazu führt, dass sich einfache V. digitales communes dor- sales entwickeln. Die V. digitales der Außenränder der ersten und fünften Zehe, die, wie früher schon erwähnt, die Wurzeln der entsprechenden Randvenen des Vorderarmes und Unterschenkels bilden, haben sich nicht geändert, wohl aber die Venenzweige, welche an Hand- und Fußrücken wurzeln. Sie sind mit den V. digitales communes dorsales in ausgiebigere Verbindung getreten und in Folge dessen stärker geworden, doch erkennt man (Fig. 11 und 12), dass noch keineswegs ein voller Anschluss erfolgt ist, in- dem die Venen zweier Interdigitalräume noch keine Verbindung mit Hand- und Fußrückenvene zeigen. Thatsächlich erfolgt der Abfluss des Blutes in einem Stadium der Entwicklung, wie es die Fig. 11 und 12 wiedergeben, auch gegen die Palma und Planta, indem sich palmare und plantare V. digitales communes bilden, die mittels eines gemeinsamen Hauptstammes, in den sie zusammenfließen, an der hin- teren Gliedmaße in der Gegend des Kniegelenkes in die fibulare Rand- vene, an der vorderen Gliedmaße proximalwärts vom Handgelenke in die radiale Randvene einmünden. Jedoch sah ich auch Embryonen aus denselben und aus wenig älteren Stadien an deren vorderen Ex- tremitäten die V. digitales communes palmares auch in der Palma ein Venennetz bildeten (und dies scheint der häufiger vorkommende Fall zu sein), aus welchem ein gemeinsamer Abzugsstamm sich ent- wickelte; auch kam es einmal vor, dass aus diesem palmaren Venen- netz zwei Sammelstämme hervorgingen, von denen einer in die ra- - diale, der andere in die ulnare Randvene mündete, und einmal sah ich den palmaren Hauptvenenstamm nicht in die radiale, sondern in die ulnare Randvene einmünden. Demnach zeigt sich gerade an der Hand mit Rücksicht auf die Entwieklung dieser Venen eine Uber die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 11 große Mannigfaltigkeit, doch kamen auch an der hinteren Extremität ab und zu Abweichungen geringeren Grades zur Beobachtung. Immerhin haben aber die von Hand- und Fußrücken kommen- den Venen an Mächtigkeit zugenommen, und vor Allem hat die radiale Randvene des Vorderarmes durch den neugewonnenen Zu- fluss aus der Palma sich beträchtlich verstärkt. Sehr merkwürdig ist es, dass sich in späteren Stadien, wie z. B. in dem der Fig. 13 und 14, palmar- und plantarwärts von den A. digitales von Hand und Fuß Digitalvenen entwickeln, die ihr Blut gegen Palma und Planta entsenden und die ich im Gegen- satze zu den ursprünglichen, aus der Randvene entstandenen und dorsal von den A. digitales befindlichen als V. digitales palmares und plantares bezeichnen will. Sie treten wieder an der vorderen Extremität zuerst auf und finden sich zunächst nur auf die erste find zweite Phalange jeder Zehe beschränkt, während sie sich später gegen die Peripherie hin verlängern, so dass nun an jeder Zehe sechs längsverlaufende Gefäße, zwei Arterien und vier Venen sich vorfinden. Dorsale und palmare (plantare) Digitalvenen anastomo- siren an der mittleren schmäleren Strecke der Phalangen mit ein- ander, und die palmaren und plantaren Digitalvenen zweier einander zugekehrter Zehenseiten vereinigen sich in Palma und Planta zu den V. digitales communes palmares und plantares. Mittlerweile hat sich jedoch eine Verbindung sämmtlicher V. digitales dorsales communes mit den Hand- und Fußrückenvenen hergestellt, und man findet dann Verhältnisse, wie sie in Fig. 13 und 14 wiedergegeben sind. Auf dem Handrücken hat sich ge- wöhnlich ein großmaschiges Venennetz (oder ein Venenbogen [Fig. 15) entwickelt, in das die V. digitales dorsales communes oder die V. digitales direkt einmünden und aus dem meist eine Vene mit der Mündung in die radiale und eine mit der Mündung in die ulnare Randvene hervorgeht. Am Fußrücken fand ich gewöhnlich einen Venenbogen (Fig. 14), der sich in eine Vene fortsetzt, die, wie früher schon erwähnt, unmittelbar distalwärts vom Kniegelenk in die fibulare Randvene mündet. Die letzten Veränderungen, welche schließlich, wenn an der Haut die Schuppenzeichnung bereits aufzutreten beginnt, am Venen- system der Extremitäten sich geltend machen, bestehen in der Re- duktion sämmtlicher palmarer und plantarer Venen, die offenbar mit der mächtigen Entfaltung der Venen des Hand- und Fußrückens im Zusammenhange steht. Die palmaren und plantaren Digitalvenen 12 Ferdinand Hochstetter scheinen gänzlich zu vergehen, und die Venen der Palma und Planta werden zu höchst untergeordneten Zweigchen. An der vorderen Glieamaße ändert sich bis zum Ausschlüpfen der jungen Lacerta nichts mehr an den Venen (Fig. 15). An der hinteren Extremität schließen sich auch die ursprünglichen Wurzeln der tibialen und fibularen Randvenen, die äußeren Digitalvenen der ersten und fünften Zehe dem Venenbogen des Fußrückens an. An der hinteren Extremität (Fig. 16) bleibt demnach, deutlich nachweisbar von den ursprünglichen Venen, nahezu unverändert nur der Oberschenkelabschnitt der fibularen Randvene erhalten, ob auch von ihrem Unterschenkelabschnitt etwas erhalten bleibt, konnte ich nicht mit Bestimmtheit nachweisen. An der vorderen Extremität ist die ulnare Randvene vollkommen, die radiale Randvene dagegen nur in ihrem Vorderarmabschnitt erhalten geblieben, und hat am Ober- arm eine sekundäre Abflussbahn gewonnen, die jedoch nun die be= deutendste Venenbahn der Extremität bildet. Von tiefen, die Arterien begleitenden Venen war zu einer Zeit, in welcher die Extremitätenanlagen durchsichtig genug waren, um den Blutstrom auch in den central verlaufenden Arterien zu ver- folgen, nichts zu erkennen. Begleitvenen der Arterien kommen je- doch vor und sind wahrscheinlich auch an einzelnen Gliedmaßen- arterien beim entwickelten Individuum vorhanden, treten aber jeden- falls sehr spät in die Erscheinung, wie dies auch an anderen Körperstellen der Fall ist. Ein Ort, wo man das Auftreten von Begleitvenen der Arterien sehr gut verfolgen kann, ist das Gesicht, und hier sah ich thatsächlich eine den Unterkiefer kreuzende Ar- terie in dem Stadium der Fig. 13, also verhältnismäßig sehr spät, von zwei Venen begleitet. Auch die Entwicklung von Muskelvenen konnte begreiflicherweise nicht beobachtet werden, doch zeigten Durchschnitte durch die Extremitäten älterer Embryonen, dass die schon ursprünglich sichtbaren oberflächlichen Venen, so weit sie sich erhalten hatten, thatsächlich die Hauptvenen der Extremitäten blieben. Eine Injektion der Extremitätsvenen des erwachsenen, vollkommen ausgebildeten Thieres war wegen der Kleinheit des Objektes un- durchführbar, doch überzeugte ich mich durch die einfache Präpa- ration der mit Bluteoagulis erfüllten Venen, dass beim erwachsenen Individuum und dem dem Ausschlüpfen nahen Embryo die Haupt- venenstämme dieselben waren. Eine Injektion und genauere Untersuchung der Extremitätsvenen war mir bei einem großen Exemplar von Varanus niloticus und einem Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 13 zwei Meter langen Alligator lucius möglich. Bei Varanus niloticus sind es besonders die Venen der hinteren Extremität, die mit dem in Fig. 16 gezeichneten Verhalten übereinstimmen. Eine Vene, welche vom Fußrücken kommt und sämmtliche Digitalvenen auf- nimmt, biegt distal vom Kniegelenk an den fibularen Rand der Extremität ab und setzt sich als eine mächtige Vene auf den Ober- schenkel hin fort, wo sie Arteria und Nervus ischiadicus begleitet, um mit diesen Gebilden ins Becken einzutreten. In der Kniekehle erhält diese Vene, die man als Vena ischiadiea bezeichnen kann und die wie bei Lacerta offenbar aus dem Oberschenkelabschnitte der fibularen Randvene hervorgegangen ist, einen Zufluss durch eine schwächere, in einer Muskelrinne nahe dem tibialen Rand des Unter- schenkels verlaufende Vene, die, um in die Kniekehle zu gelangen, zwischen die Muskeln in die Tiefe dringt. Eine tiefe, ziemlich be- deutende Vene aus den Muskeln an der Bauchseite des Oberschenkels wendet sich zwischen den Muskeln durch an die ventrale Seite der Symphyse, und bildet mit der Vene der gegenüber liegenden Seite einen medianen, ziemlich bedeutenden Venenstamm, der in die Ab- dominalvene mündet. An der vorderen Extremität sind die Verhältnisse von den bei Lacerta geschilderten etwas verschieden. In einer Muskelrinne nahe dem radialen Rande des Vorderarmes verläuft eine Vene unter der Haut bis zur Ellbogenbeuge, die sie, oberflächlich zwischen Muskeln und Haut verlaufend, durchsetzt, um sich auf die Ulnarseite des Ober- armes fortzusetzen. Eine schwache Vene, von der radialen Seite des Oberarmes absteigend, mündet in der Ellbogenbeuge in diese Vene ein. Neben der geschilderten Vene des Oberarmes, die zugleich die Hauptvene der Extremität darstellt, ist auch noch eine Begleitvene der A. brachialis vorhanden. Diese geht in der Ellbogenbeuge von der dort befindlichen Vene ab, und wird am Ende des Oberarmes durch eine dorsal von den Nerven und der Arteria verlaufende Ver- bindung mit der Hauptvene verstärkt. Ihre Einmündung erfolgt in die V. jugularis kopfwärts von der Kreuzungsstelle dieses Gefäßes mit der A. brachialis, während die eigentliche Hauptvene der Ex- tremität schwanzwärts von dieser Stelle einmündet. Kurz vor der Einmündung verbinden sich jedoch beide Venen nochmals durch eine schwache, ventral von der Arterie und den Nerven verlaufende Ana- stomose. Die Deutung der beschriebenen Venen nach dem Entwick- lungsgang der Venen bei Lacerta fällt nicht schwer. Von den ur- sprünglichen Venen sind erhalten geblieben die radiale Randvene 14 Ferdinand Hochstetter des Vorderarmes und ein kurzes Stück ihres Oberarmabschnittes, in dem das Blut nun nur in umgekehrter Richtung eirkulirt wie ur- sprünglich, und der Oberarmabschnitt der ulnaren Randvene, die durch eine quere Anastomose in der Ellbogenbeuge mit der radialen Randvene in Verbindung trat und das Blut aus derselben aufnahm. Bei dem von mir untersuchten Exemplar von Alligator lueius fanden sich ungefähr folgende Verhältnisse der Extremitätsvenen. An beiden Rändern des Vorderarmes verlaufen Venen, die radiale wurzelt an der radialen Seite der ersten Zehe, die ulnare in einem Venenbogen des Handrückens, der sämmtliche übrige Digitalvenen aufnimmt, die ulnare Digitalvene aber bildet gewissermaßen die distale Fortsetzung der Vene des ulnaren Vorderarmrandes. Eine dritte Vorderarmvene wurzelt ebenfalls in dem Venenbogen des Hand- rückens, dringt aber noch distalwärts vom Handgelenke zwischen die Sehnen und Muskeln ein und verläuft zwischen den Muskeln der Rückseite des Vorderarmes, von denen sie eine Reihe von Zwei- gen aufnimmt, gelangt dann in der Nähe des Ellbogengelenks zwi- schen den Muskeln hindurch auf die Volarseite, und wird vor dem Eintritte in die Ellbogenbeuge durch die an dieser Stelle in die Tiefe gelangende, in sie einmündende Vene des radialen Vorderarm- randes verstärkt. Diese tiefe Vene liegt dabei stets der Hauptarterie des Vorderarmes innig an und muss als Begleitvene dieser Arterie aufgefasst werden. In der Ellbogenbeuge, ebenfalls der Arterie an- geschlossen, ist sie schon sehr mächtig und erhält eine weitere Ver- stärkung dadurch, dass im distalen Abschnitte des Oberarmes auch noch die ulnare Vorderarmvene, in deren Fortsetzung sie weiter ver- läuft, einmündet. Am Ende des mittleren Drittels vom Oberarm- knochen spaltet sich diese V. brachialis in zwei Stämme, deren einer die Arteria brachialis weiter begleitet, deren anderer dagegen zwi- schen Humerus und medialen Ursprungsköpfen der Strecker des Ellbogengelenkes sich herumwindet, um nach Aufnahme einiger Muskelvenen mit dem die A. brachialis begleitenden Venenstamm vor der Scapula wieder zusammenzufließen. Die Einmündung der vom ulnaren Vorderarmrande herkommenden Vene erfolgt in die zwischen A. brachialis und den Oberarmmuskeln verlaufende tiefe Vene. Wenn man nun die ulnare Randvene und in ihrer Fortsetzung die tiefe Vene als einen fortlaufenden Stamm auffasst, so überkreuzt dieser etwa in der Mitte des Oberarmes in sehr schiefer Richtung die A. brachialis und die Nerven, um nun im proximalen Abschnitt des Oberarmes an die Arterie angeschlossen, aber kopfwärts von ihr Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 15 zu verlaufen, und auch kopfwärts von der Stelle, wo die A. sub- clayia die ventrale Fläche der vorderen Hohlvene kreuzt, mit der V. jugularis zusammenzumünden. Es wären also hier, stets vorausgesetzt, dass auch bei Alligator lueius während der Entwicklung dieselben oder nahezu dieselben ursprünglichen Verhältnisse vorhanden waren wie bei Lacerta, beide Randvenen des Vorderarmes erhalten geblieben. Die ulnare Rand- vene hätte in ihrer Fortsetzung auf den Oberarm die Hauptvenen- bahn gebildet, zugleich hätte sich aber, insbesondere in Folge der mächtigen Entwicklung der Muskulatur, eine tiefe Begleitvene der Arterie entwickelt, die durch sekundäre Verbindung mit der radialen Randvene und durch Zuzug aus tiefen Muskelvenen nun als Haupt- vene imponirt, so dass die ulnare Randvene, in die sie ursprünglich miindete, im definitiven Zustand nur wie ein Zweig von ihr er- scheint. Die Nebenbahn im proximalen Abschnitte des Oberarmes ist wohl durch die Entwicklung tiefer Muskelvenen veranlasst. An der hinteren Extremität begegnete ich ähnlichen Verhält- nissen, zwei Venen, von denen je eine einem Rande des Unter- schenkels folgt. Die tibiale beginnt mit der tibialen Digitalvene der ersten Zehe und erhält von der Planta her aus dem distalen Ende des ersten Metatarsalraumes einen mächtigen Zufluss durch eine Vene, die, zwischen Metatarsen und Beugesehnen und Muskeln un- mittelbar proximal von den Metatarso-Phalangealgelenken verlaufend, ibr Blut aus plantaren, der Plantarseite der entsprechenden Digital- arterien angeschlossenen Digitalvenen erhält. Dorsale Digitalvenen münden dagegen in einen, auf dem Fußrücken befindlichen gemein- samen Stamm zusammen, der über die Streckseite des Unterschenkels bis zum Kniegelenk verläuft und hier an der Seite der Fibula mit der Vene des Fibularrandes des Unterschenkels zusammenmiindet. Die fibulare Randvene war nur bis an den Tarsus heran mit Injektions- masse gefüllt, und konnte ich somit über ihren Ursprung nichts Näheres erfahren, da jedoch von der Fibularseite der vierten Zehe keine Vene in den Stamm des Fußrückens, noch auch in die Sam- melvene der plantaren Digitalvenen überging, scheint es mir wahr- scheinlich, dass die fibulare Randvene ihre Wurzel in der fibularen Digitalvene der vierten Zehe besitzt. Dorsale und plantare Digital- venen ließen sich an den einander zugekehrten Seiten aller vier Zehen feststellen. Ähnlich wie an der vorderen Extremität wurzelte ! Ob an der vorderen Extremität nicht auch etwas Ähnliches vorkommt, 16 Ferdinand Hochstetter in dem Venenstamme des Fußrückens eine Vene, welche zwischen Sehnen und Muskeln eintretend, die Hauptarterie des Unterschenkels bis ins Kniegelenk begleitete und hierauf die fibulare Randvene auf- nahm, in deren Fortsetzung sie in Begleitung der Arterie und des N. ischiadieus unter Aufnahme von Muskelzweigen das Becken er- reichte. Die tibiale Randvene setzte sich ebenfalls auf den Ober- schenkel fort, vereinigte sich mit einer tiefen, aus den Muskeln an der Vorder- und Innenseite des Hüftgelenkes kommenden stärkeren Vene, und überschritt als mächtiges Gefäß den vorderen Rand des Schambeines, um in die V. abdominalis ihrer Seite einzumünden. Wir sehen also an der hinteren Gliedmafie von Alligator lucius möglicherweise verhältnismäßig primitive Verhältnisse des Venen- systems erhalten, indem sich die beiden Randvenen der Extremität bis an den Rumpf heran nachweisen lassen, aber auch hier ‚bildet die Fortsetzung der fibularen Randvene den Hauptvenenstamm der Extremität. Freilich können Zweifel gegen die Berechtigung der Ableitung des definitiven Verhaltens der Extremitätsvenen bei Varanus und Alligator von dem Verhalten, wie man es bei jungen Embryonen der Lacerta agilis feststellen kann, erhoben werden, doch halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass bei den Embryonen aller ausge- bildete Extremitiiten besitzenden Reptilien ursprünglich dieselben oder mindestens ganz ähnliche Verhältnisse vorhanden waren. Bei Lacerta viridis sah ich bei den daraufhin untersuchten Em- bryonen die Venen der Extremitäten sich aus denselben primitiven Stämmen entwickeln wie bei Lacerta agilis, und LEREBOULLET! bildet ein Stadium der Extremitätsgefäße von Lacerta stirpium (P7 4 Fig. 39) ab, welches ungefähr meiner Fig. 7 und 8 entsprechen würde. Seine Angaben über die Entwicklung der Extremitätsgefäße lauten wie folgt recht ungenau: »Les vaisseaux sanguins qui les parcourent, deerivent d’abord une ou deux anses, qui suivent le contour de ces appendices, puis & mesure que ceux-ci se developpent, les vaisseaux se rami- fient dans leur interieur et forment un plexus assez-secré.« Trotz- dem genügt seine Abbildung, um zu erkennen, dass bei Lacerta stirpium analoge Verhältnisse vorliegen wie bei Lacerta agilis und viridis. war nicht bestimmt zu entscheiden, da die Injektion der Digitalvenen eine höchst mangelhafte war. ! Recherches sur le d&veloppement du Lezard. Annales des sc. naturelles 4.8. T. XVII. 1862. pag. 143. Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 17 RATHKE hat dagegen ein Stadium der Entwicklung der Extre- ‚mitätsgefäße von Emys europaea! sehr treffend geschildert, indem er sagt: »In dem Rande der Hautfalte, welche die Zehen eines jeden Fußes verband, verlief, den Buchten dieses Randes folgend, eine einfache Vene, deren beide Enden zu dem Unterschenkel aufstiegen. In Verbindung mit dieser Grenzvene standen sehr zarte dendritische Venenzweige, von denen je einer wie bei jungen Eidechsen und Vogelembryonen zwischen zwei Zehen in der Hautfalte aufstieg, um sich an andere Venen des Beines anzuschließen.« Ein Stadium, welches meiner Fig. 10 fast völlig entsprochen haben dürfte. Es wird also gewiss nicht zu gewagt sein, anzunehmen, dass bei Emys und anderen Schildkrötenembryonen ursprünglich dieselben oder nahezu dieselben Verhältnisse der Extremitätsvenen vorhanden waren wie bei Lacerta. Wenn dagegen die definitiven Verhältnisse? sich von denen bei Lacerta sehr abweichend gestalten, so hängt dies mit der eigenthümlichen Entwicklung der Extremitäten und des Körpers der Schildkröten zusammen. Entwicklung der Extremitätsvenen des Hühnchens. (Hierzu Tafel II.) Es wird wohl wenige Embryologen geben, denen bei der Unter- suchung älterer Hühnerembryonen etwa vom vierten bis siebenten Tage der Bebrütung nicht die von mir als Randvene der Hand und des Fußes bezeichnete, dem Kontour des Endgliedes der Extremität folgende Vene aufgefallen wäre, und dem entsprechend wird diese Vene auch von einigen Autoren, die sich mit dem Gefäßsystem be- sonders beschäftigten, wie von RATHKE, ALLEN THomson und An- deren erwähnt, aber merkwürdigerweise wurden, so weit mir be- kannt ist, von keinem Autor nähere Angaben über das Schicksal dieser Venen gemacht. Die Beziehungen und das Schicksal dieser Vene zu schildern, soll die Aufgabe der folgenden Zeilen sein. Gefäße in der Extremitätenanlage des lebend untersuchten Hühn- chens sehe ich zuerst in der Zeit zwischen 80. und 90. Stunde der Be- brütung deutlich hervortreten, und zwar zeigt sich an der Anlage der vorderen und der hinteren Gliedmaße nahezu das gleiche Verhalten in der Anordnung der Gefäße. Eine centrale Arterie, über deren Ursprung 1 Entwicklungsgeschichte der Schildkröten. pag. 252. 2 Vgl. Bosanus, Anatome testudinis. Morpholog. Jahrbuch. 17. 2 18 Ferdinand Hochstetter ich an anderer Stelle berichtet habe', führt der Extremitätenanlage das Blut zu und zerfällt am Ende derselben in eine größere Anzahl . von Ästen, die in ein dem distalen Rande der Extremitätenanlage folgendes Gefäß, die Randvene der Hand und des Fußes einmünden (vgl. Fig. 1 @ und 4). Diese Randvene hat einen doppelten Abfluss, indem eine dem vorderen (radialen und tibialen) und eine dem hin- teren (ulnaren und fibularen) Rande der Extremität folgt. Die ul- nare Randvene zieht, wie sich dies an einer Sagittalschnittserie nach- weisen ließ, ventral von der Arterie und dem Plexus brachialis vorbei kopfwärts, von welch letzterem sie die hier deutlich viel schwächere radiale Randvene aufnimmt, um dann als V.subelavia in die V. car- dinalis posterior einzumünden. Die fibulare Randvene ließ sich an der gleichen Sagittalschnittserie in die hintere Cardinalvene verfolgen, wäh- rend die tibiale bedeutend schwächere in die V. umbilicalis mündete. Dieser Zustand der Gefäße erhielt sich nahezu unverändert bis zur 105. bis 110. Stunde der Bebrütung. Dann zeigten sich jedoch sowohl an der Wurzel der vorderen als auch der hinteren Extremität ganz oberflächliche Venen, die netzartig unter einander in Verbin- dung tretend, zwei oder drei größere Stämmchen bildeten, die aber auch wieder vielfach zusammenhängend (vgl. Fig. 2 a und 5), und von den benachbarten Partien des Rumpfes Zweigchen aufnehmend, am hinteren Rande jeder Extremität in die Tiefe bogen, um ihr Blut in die hier befindliche Vene zu ergiefen. Während also zu dieser Zeit noch eine völlige Übereinstimmung in den Venen der vorderen und hinteren Extremität vorherrscht, wird diese Übereinstimmung bald dadurch aufgehoben, dass das an der Wurzel der hinteren Extremität befindliche Venennetz und die daraus hervorgehenden Stämme ihr Abflussgebiet vom hinteren (fibularen) Rande der Extremität gegen den vorderen (tibialen) verlegen. Bei einem Embryo von 118 Stunden sah ich nämlich, aus dem an der Wurzel der Extremität befindlichen Venennetz eine schwache Vene hervorgehen und kopfwärts verlaufend auf die Leibeswand übergehen (vgl. Fig. 3), wo sie, wie viele andere Venen der Leibes- wand, in die Vena umbilicalis (Vz) mündete. Doch scheint dieser Zu- stand nur ein kurzes Übergangsstadium darzustellen, denn zwei Stunden später kann ich eine Verbindung der geschilderten Vene, die ich mit 5 bezeichnen will, mit der Umbilicalvene nicht mehr nachweisen, sondern sehe sie vielmehr am vorderen Rande der 1 Morph. Jahrb. Bd. XVI. Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 19 Wurzel der hinteren Extremität in der Tiefe verschwinden, wo sie wahrscheinlich, wie ich dies nach der Untersuchung von Schnitt- serien durch ältere Stadien vermuthe, in die V. cardinalis posterior mündet, während der Abfluss aus dem Venennetz nach rückwärs voll- kommen aufgehört hat. - Bei einem anderen etwas weiter entwickelten Embryo des gleichen Alters (120 St.) (vgl. Fig. 4 @ und 5) war an der hinteren Extremität der Abfluss des Blutes durch die Vene 5 gegen den vor- deren Rand der Extremität und nach der Tiefe hin ein vollkom- mener und die Zweige der Vene 5 ließen sich immer deutlicher fast bis auf den Fußrücken verfolgen. Die central verlaufende Arterie lässt sich noch deutlich erkennen und ihre für das Endglied be- stimmten früher scheinbar unregelmäßig angeordneten Zweige finden sich jetzt, entsprechend den bereits angedeuteten Interdigitalräu- men, in Form büschelförmiger Netze angeordnet. An der vorderen Gliedmaße (vgl. Fig. 4 a) lässt sich bezüglich der Arterien Ähnliches feststellen. An den Venen hat sich im Gegen- satze zur hinteren Extremität nahezu nichts geändert, nur das Venen- netz an der Wurzel der Extremität hat sich ausgedehnt und an Stelle der früher vorhandenen mehreren Stämme ist eine stärkere Vene, die ich Vene ¢ (Fig. 4 a, Vc) nennen will, getreten, die ihr Blut an der Rückseite des Oberarmes, dort wo derselbe am Rumpfe wurzelt, vorbei in die Fortsetzung der ulnaren Randvene sendet. Die nun weiterhin auftretenden Veränderungen lassen sich aus der immer mächtigeren Entfaltung der Vene ce an der vorderen und der Vene 5 an der hinteren Gliedmaße erklären. Ein Blick auf Fig. 5 « und 4, die nach einem Embryo von der 144. Stunde der Bebrütung angefertigt wurde, zeigt dies ohne Wei- teres. Indem nämlich die Vene ce an der vorderen Extremität ihre Wurzeläste über ein größeres Gebiet verbreitet, verbinden sich die- selben auch mit der radialen Randvene schon in ihrem peripheren Abschnitte und nehmen aus derselben Blut auf, so dass es in ihrem proximalen Abschnitte, indem die Abflussbedingungen des Blutes ohnehin keine hervorragend günstigen zu sein scheinen, zu einer Verödung kommt, was zur Folge hat, dass sich nun nur mehr der der Hand angehörige Abschnitt der Vene eine Zeit lang erkennen lässt. Dagegen ist die Randvene der Hand noch immer gut ent- wickelt und 'sendet jetzt ihr Blut an die ulnare Randvene, die in ihrem proximalen Abschnitte schon so mächtig geworden ist, dass man sie von nun an als Hauptvenenbahn der vorderen Extremität )%* 20 Ferdinand Hochstetter betrachten kann. Sie nimmt, wie schon früher erwähnt, die Vene ce auf und außerdem zeigt sich jetzt auch in der seitlichen Rumpf- wand eine Vene, die ich wegen der großen Ähnlichkeit mit der Seiten-Rumpfvene von Lacerta mit dem gleichen Namen bezeichnen will. Diese Vene mündet mit der Hauptvene der vorderen Extre- mität zusammen und die so gebildete V. subelavia ist ein mächtiges Gefäß. Trotzdem ich die Seitenrumpfvene am lebenden Objekte erst so spät nachweisen konnte, ist sie doch schon an Querschnittserien durch Embryonen der 103. und 105. Stunde als ein nicht unbedeu- tendes Gefäß zu erkennen. Aber auch die Randvene der Hand erhält nicht mehr so viel Blut zugeführt als in früheren Stadien, indem die Wurzelzweige der Vene e auch mit den Gefäßbüscheln der Interdigitalräume in Ver- bindung getreten sind und so auch dieses Gebiet entlasten. Bei starkem Abziehen der Extremität vom Rumpfe sehe ich auch an einem etwas älteren Embryo mehrere parallel verlaufende, von der dem Rumpfe zugekehrten Fläche des Vorderarmes, und einige vom Oberarm kommende Zweigchen mittels kurzen gemeinsamen Stammes in den Oberarmabschnitt der ulnaren Randvene münden. An der hinteren Extremität ist gleichfalls ein mächtiges Über- handnehmen der sekundären Vene 5 und ihres Wurzelgebietes zu verzeichnen. Schon in dem in Fig. 4 5 abgebildeten Stadium war eine zarte Verbindung zwischen ihrem Wurzelgebiet und der tibialen Randvene zu erkennen, und zu dieser Verbindung gesellten sich noch neue, und die Folge davon war ein Schwund dieser Vene (Fig. 5 0). Aber auch für die fibulare Vene bereitet sich ein ähnliches Schicksal vor, indem das Wurzelgebiet der Vene 4 auch mit dieser Vene schon Verbindungen aufweist. Eben so wie an der vorderen Extremität treten auch hier die Wurzeln der Vene 5 in Verbindung mit den interdigitalen Netzen und entlasten dieselben, zugleich kommen aber auch in der Planta Venenreiser aus den Interdigitalräumen zum Vorschein, die in einem oder mehreren, netzartig mit einander ver- bundenen Venenstämmehen in die fibulare Randvene an der Seite des Tarsus einmünden. Wenn aber auch die Vene 5 mächtig an Kaliber zugenommen hat, so ist die fibulare Randvene doch noch zu dieser Zeit immer die Hauptvene der hinteren Extremität. In der Folgezeit geht zuerst an der vorderen Extremität (vgl. Fig. 6 a) und dann auch an der hinteren Extremität die Randvene dadurch verloren, dass die Knorpelstrahlen der Zehen vorgewachsen sind und die Randvene komprimirt haben, was jedoch weiter keine Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 91 Folge hat, da bereits Verbindungen des interdigitalen Gefäßnetzes bestehen, die ein Abströmen des Blutes gegen die übrigen Venen der Extremität ermöglichen. Auch ändert sich an der vorderen Ex- tremität nichts, als dass die Vene ec relativ etwas schwächer erscheint als früher, was seinen Grund darin haben mag, dass sie einen Theil ihres Wurzelgebietes, nämlich den Handrücken, allmählich der ul- naren Randvene (Fig. 6 a) überlässt, in die nun schon ein von dort- her kommender Zweig einmündet. Während also an der vorderen Extremität sich die Vene e be- reits in einem gewissen Rückbildungsprocess befindet, ist an der hinteren Extremität die Vene 5 noch immer in fortschreitender Ent- wicklung begriffen, indem sie nieht nur die Fußrückenvenen auf- nimmt, sondern auch durch ihre Verbindung mit der fibularen Rand- vene das Blut aus diesem Gefäß und seinem Wurzelgebiete erhält, so dass der proximale Abschnitt auch der fibularen Randvene bis auf den Unterschenkel herab vollständig und spurlos verschwindet (vgl. Fig. 6 61), wesshalb sich von den beiden ursprünglichen Venen der hinteren Extremität nun nichts mehr vorfindet. Aber auch die Vene 5 hat in diesem Stadium ihre ursprüngliche Einmündung in die Vena cardinalis posterior aufgegeben und ist in Verbindung mit der Seitenrumpfvene getreten, nachdem sich diese bis an die Stelle nach rückwärts hin verlängert hatte, an welcher die Vene in die Tiefe bog, und nun tritt der höchst merkwürdige Fall ein, dass wohl der größte Theil des venösen Blutes der hinteren Extremität durch die Seitenrumpfvene in die V. subelavia gelangt. Aber auch dieser Zustand ist nur von kurzer Dauer. Während sich der Übergang der Vene J in die Seitenrumpfvene voll- zog, hat sich eine zuerst die A. eruralis begleitende tiefe Venenbahn entwickelt, die nahe der Mündung der Vene 5 in die Vena cardinalis posterior in die erstere einmiindet. Da nun der Übergang der Vene 4 in die Seitenrumpfvene kein plötzlicher sein konnte, musste ein Sta- dium existiren, in welchem die Vene 5 einen Theil ihres Blutes durch einen Ast, ihre ursprüngliche Fortsetzung, in die V. cardinalis po- sterior entsandte, und in diesen Ast ergoss sich dann auch die tiefe Vene, und einen Theil ihres Blutes in die Seitenrumpfvene übergehen ließ, ein Zustand, welcher sich an der Querschnittserie eines Hühner- embryo von 168 Stunden (wahrscheinlich gegenüber dem Embryo der ! Dadurch, dass die Extremität während der Aufnahme etwas gedreht war, ist der fibulare Rand des Oberschenkels gar nicht sichtbar. 22 Ferdinand Hochstetter Fig. 6 a und 5 etwas in der Entwicklung zurückgeblieben) noch als vorhanden feststellen ließ. Später verschwindet der in die Tiefe ziehende Ast der Vene 5 vollständig, wofür wahrscheinlich mecha- nische, in der veränderten Stellung der Extremität bedingte Gründe vorliegen dürften. Aber nun gewinnt die tiefe, mit der A. cruralis am Oberschenkel verlaufende Vene an Mächtigkeit, und bei einem lebend untersuchten Embryo von 172 Stunden erstreckte sich das Wurzelgebiet dieser Vene, die ich übrigens bei einem Embryo von 158 Stunden bereits bis auf den Unterschenkel reichen sah, auf den Fuß, wie ich dies deutlich wahrnehmen konnte. Es zeigten sich nämlich an der Planta pedis, entsprechend den Intermetacarpalräumen, Venen, welche an der Innenseite der Fußwurzel einen gemeinsamen Stamm bildeten, der an der medialen Seite des Unterschenkels aufstieg und, am Kniegelenke angelangt, in die Tiefe zog, wo er dem Auge ent- schwand!. Querschnittserien zeigten, dass die fragliche Vene, durch Aufnahme vieler Zweige mächtig geworden, die Muskulatur an der Innenseite des Oberschenkels an diesen angeschmiegt durchbricht, um sich in der früher erwähnten Weise fortzusetzen. Jedenfalls entwickelt sich die Venenbahn am Unterschenkel und Tarsus mit ihren plantaren Wurzeln in dem Momente, wo die fibulare Randvene schwindet, und reißt also auch die früher dieser Vene angehörigen plantaren Zweige an sich. Je mehr nun die neu entstandene tertiäre Venenbahn an Mächtigkeit zunimmt, desto unbedeutender wird die Vene d, und erscheint nun bei Embryonen von 190—200 Stunden und darüber nur noch als ein ganz unbedeutender, auf die hintere Glied- maße übergreifender Wurzelzweig der Seitenrumpfvene (vgl. Fig. 7). Eben so geht nun auch, nachdem die ulnare Randvene die Venen des Handrückens an sich gezogen hat, die Vene e der vorderen Ex- tremität immer mehr und mehr zurück, und bei einem Embryo von 190 Stunden (Fig. 7) ist sie zu einem ganz untergeordneten Zweig- chen herabgesunken, welches an der Wurzel des Oberarmes, von der Bedeckung seiner proximalsten Partie kommend, sich um denselben herumbiegt, um nach Aufnahme einiger kleiner Zweigehen in der Tiefe zu verschwinden. Beide Venen, Vene c an der vorderen und Vene 6 an der hin- teren Extremität, haben demnach nur eine verhältnismäßig kurze 1 Diese Vene konnte nicht gezeichnet werden, da sie nur sichtbar wurde, wenn man die Extremität mit einer Präparirnadel zur Seite bog. Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 33 Dauer größerer Entfaltung, sie spielen gewissermaßen eine vermit- telnde Rolle. An der hinteren Gliedmaße kommt es durch die Ver- mittelung der Vene 4 zu einer völligen Vernichtung der ursprüng- lichen Venenbahnen und zur Entwicklung eines tertiären Venenstammes der V. eruralis. An der vorderen Gliedmaße hat sich die eine ur- sprünglich schon mächtigere Vene, die ulnare Randvene, als Haupt- venenbahn erhalten, und die Vene ¢ hat nur die Rückbildung der radialen Randvene vermittelt. Weiterhin scheint sich an den Hauptvenenbahnen der Extremi- täten nichts mehr wesentlich zu ändern, und es scheint mit dem zuletzt beschriebenen Verhalten der definitive Zustand in der Haupt- sache gegeben zu sein. Über die Entwicklung von Begleitvenen der Arterien und von unbedeutenderen Venen überhaupt etwas Genaueres zu erfahren, davon musste von vorn herein abgesehen werden, doch konnte auch beim Hühnchen, so lange die Extremitäten noch halbwegs durch- sichtig waren, so dass man die Arterien noch erkennen konnte, von Begleitvenen nichts aufgefunden werden. Demnach finden wir beim Hühnchen ursprünglich dieselben Venenstämme der Extremitätenanlagen mit denselben Einmündungs- verhältnissen in die Rumpfvenen wie bei Lacerta, nur ist die topo- graphische Beziehung des proximalen Abschnittes der ulnaren Rand- vene zur Arterie und dem Plexus brachialis eine andere. Auch die ersten an der Wurzel der Extremitäten auftretenden sekundären Ve- nenstämme zeigen eine große Ähnlichkeit mit den entsprechenden Venen bei Lacerta, aber in der weiteren Entwicklung macht sich eine bedeutende Divergenz geltend, eine Divergenz, welche zunimmt, je mehr sich die Form der Extremitäten dem definitiven Zustande nähert und von der Form der Extremitäten bei Lacerta-Embryonen abweicht. Entwicklung der Extremitätsvenen beim Kaninchen. (Hierzu Tafel III.) Die Untersuchung junger, lebender Kaninchenembryonen war wohl der schwierigste Theil der ganzen Arbeit, und dies dürfte es auch genügend erklären, wenn ich über die ersten Gefäßstämme der Extremitätenstummel nur an Sagittalschnittserien mich orientiren konnte. Erst Embryonen vom 13. Tage an gelang es mir, ohne Verletzung ihrer Nabelgefäße und ohne dass eine sonstige innere 24 Ferdinand Hochstetter Verletzung eine das Resultat der Untersuchung von vorn herein vernichtende Blutung erzeugt hätte, lebend unter die Lupe oder das Mikroskop zu bringen. Bei einem Embryo des Kaninchens vom Be- ginne des 12. Tages durchzieht die Anlage der vorderen Extremität eine centrale Arterie, die in zahlreiche, scheinbar gänzlich regellos gegen die Peripherie hin verlaufende Zweige zerfällt. Ein oder mehrere stärkere Venenzweige an der Peripherie der Extremitäten- anlage sind nicht nachweisbar, doch sehe ich an den Sagittalschnitten durch denselben Embryo sowohl am vorderen (radialen) als auch am hinteren (ulnaren) Rande derselben, in unmittelbarer Nähe des Rum- pfes, eine stärkere Vene, und vermag beide in den Rumpf hinein weiter zu verfolgen. Die ulnare Vene biegt, am Rumpfe angelangt, kopfwärts um, verläuft dorsal von der A. subelavia und dem Plexus brachialis, welche Gebilde sie also überkreuzt, und mündet, nachdem sie unmittelbar vorher die Vene des radialen (vorderen) Randes der Extremität, welche bedeutend kürzer ist, aufgenommen hat, in eine seitliche Ausbuchtung der hinteren Cardinalvene (vgl. Fig. 1, welche einen Sagittaldurchschnitt durch einen Kaninchenembryo von der Mitte des 12. Tages darstellt, der gerade die Einmündungsstelle dieses Gefäßes |V.S] getroffen hat). Die Vene des vorderen Extre- mitätsrandes ist immer sehr unbedeutend und wenn nicht bluterfüllt nicht zu verfolgen, oder es wird die Vene von mehreren anderen Venenzweigchen begleitet, die ihr an Kaliber fast gleich kommen, und erst kurz vor ihrer Einmündung ist sie als stärkeres Gefäß er- kennbar. In zwei Fällen sah ich die Vene auch selbständig ventral von der ulnaren Randvene in die hintere Cardinalvene münden. An der hinteren Extremität, die so wie bei Lacerta auch beim Kaninchen stets etwas hinter der vorderen in der Entwicklung zu- rückbleibt, kann ich an der Sagittalschnittserie durch denselben Em- bryo mit Sicherheit nur auf der einen Seite den Übergang einer Vene vom hinteren (fibularen) Rande der Extremität dorsal von der A. ischiadica in die hintere Cardinalvene nachweisen. Bei einem Embryo von der Mitte des 12. Tages waren jedoch alle primitiven Extremitätsvenen deutlich entwickelt. Die Vene des ulnaren Randes war ein ziemlich starkes, bis an die Peripherie des Extremitätenstummels zu verfolgendes Gefäß, die Vene des radialen Randes ließ sich dagegen nicht viel weiter gegen die Peripherie hin verfolgen als in dem früheren Stadium. Die Einmündung der beiden Venen in die V. cardinalis posterior schien der Öffnung des Ductus Cuvieri näher gerückt, und der proximale Abschnitt der ulnaren Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 35 Randvene dem Plexus brachialis inniger angeschlossen und etwas stärker gebogen als früher. An der hinteren Gliedmaße waren deutlioh zwei Venen zu er- kennen. Die eine bedeutend mächtigere, dem fibularen (hinteren) Rande der Extremitätenanlage folgend, mündete in die V. cardinalis posterior, deren Wurzel sie bildete, die vordere, dem tibialen Rande folgende Vene war nur ein kurzes Stück peripheriewärts zu verfolgen und ging auf die vordere Bauchwand über, wo sie in die V. umbi- liealis mündete. Auch die vom vorderen Rande der hinteren Extremität kommende Vene ist eben so unbedeutend wie die gleiche Vene der vor- deren Extremität, ist auch nur in unmittelbarer Nähe des Rumpfes zu entdecken und häufig in mehrere neben einander liegende Zweige aufgelöst, die sich erst in der Bauchwand vereinigen. Ich wäre auf die beiden Venen der vorderen Extremitätsränder kaum auf- merksam geworden, wenn mich nicht die Ähnlichkeit der Schnitt- bilder durch Hühner- und Kaninchenembryonen darauf geführt hätte den Gefäßlumina an den vorderen Rändern der Extremitätenanlage beim Kaninchen meine Aufmerksamkeit zu schenken. Bei dem jüngsten Kaninchenembryo, den ich lebend gehörig untersuchen konnte und dessen Extremitätenanlagen in Fig. 2 @ und 5 abgebildet wurden, ist das Endglied von der übrigen Extremität bereits deut- lich abgegliedert und parallel seinem Kontour sieht man eine mäch- tige Vene, die Randvene, verlaufen, diese Vene folgt dem hinteren Rand der Extremität als fibulare und ulnare Randvene. Dem ent- sprechend bewegt sich der Blutstrom in der Randvene der Hand und des Fußes in der in Fig. 2 a und 5 durch Pfeile angedeuteten Richtung, vom vorderen gegen den hinteren Rand der Extremität. Alles Blut der Extremitäten fließt nun gegen den Rumpf durch die am ulnaren und fibularen Rande der Extremitäten verlaufenden Venen ab, welche somit in diesem Stadium die Hauptvenen der Extremi- tät darstellen. Die ulnare Vene erhält dann noch einen bedeutenden Zufluss beim Übergange auf den Rumpf durch eine der Seiten- rumpfvene von Lacerta und Hühnchen (Fig. 2 «, S.R.V’) entsprechende Vene. Die Untersuchung von Schnittserien dieses und etwas jiin- gerer und älterer Stadien ergab bezüglich der radialen und tibialen Randvene ein negatives Resultat, die beiden Gefäße waren nicht aufzufinden, sie waren offenbar, nachdem ihre Anlage schon eine höchst unvollkommene gewesen war, vollständig zu Grunde ge- gangen. Zugleich zeigte aber der proximale, bereits dem Rumpfe ange- 26 Ferdinand Hochstetter hörige Abschnitt der dem ulnaren Rande der vorderen Extremität fol- genden Hauptvenenbahn ein eigenthümliches Verhalten. Mit dem Rückwärtsrücken des Herzens in die Brustregion Hand in Hand geht wie bekannt auch- eine Verlagerung jener Gefäßstämme, welche in das Herz einmünden und aus dem Herzen kommen. Während bei einem Embryo vom Beginne des 12. Tages die Zu- sammenflussstelle der beiden Cardinalvenen zum Ductus Cuvieri in der Höhe des zweiten und dritten Cervicalsegmentes (Wirbelkörper- anlage) liegt, liegt bei dem Embryo von der Mitte des 12. Tages, nach dem Fig. 1 angefertigt wurde, die Zusammenmündungsstelle der vorderen und hinteren Cardinalvene in der Höhe zwischen viertem und sechstem Cervicalsegment (Wirbelkörperanlage) und bei einem Embryo desselben Alters, wie der, nach welchem Fig. 2 a und 5 ent- worfen wurde, bereits hinter dem siebenten Cervicalsegment und wan- dert später noch ein beträchtliches Stück weiter nach rückwärts in die Brustregion. Diese Wanderung kann nun nicht ohne Einfluss auf die Einmündungsverbältnisse der V. subclavia bleiben. Zunächst erkennt man, dass die Vene einen beträchtlichen Zug erleidet, der, da die Vene dorsal von der A. subelavia und dem Plexus brachialis verläuft, sich in der Weise äußert, dass das End- stück der Vene mit zunehmendem Rückwärtsrücken des Ductus Cu- vieri eine stärkere mit der Konvexität nach vorn gerichtete Krüm- mung annimmt und dabei dem Plexus brachialis immer inniger sich anlagert, so dass man den Eindruck gewinnt, als würde der Plexus brachialis eine Rückwärtsbewegung der über ihn hinwegziehenden Vene verhindern. Dieser Umstand macht es auch begreiflich, warum die Mündung der Armvene sich nicht in demselben Mabe wie der Ductus Cuvieri verschiebt, sondern in viel langsamerer Weise nach rückwärts fortschreitet, wenn ein solches Fortschreiten überhaupt stattfindet, wodurch es verständlich wird, dass die V. subelavia nach einiger Zeit an der Zusammenflussstelle der beiden Cardinal- venen und endlich vor derselben, also in die vordere Cardinalvene mündend, angetroffen werden muss. In dem Stadium der Fig. 2 a und 6 nun hat die Hauptvene der vorderen Extremität sich eine neue Abflussbahn zu schaffen begonnen, nachdem, wie es scheint, der Abfluss des Blutes durch das stark gekrümmte, über den Plexus brachialis heriibergezogene, urspriingliche Ende der Vene nicht mehr in ausreichender Weise erfolgen konnte. Es hat sich nämlich ventral vom Plexus brachialis von der Hauptvene der vorderen Extremität, dort ausgehend, wo diese den Plexus brachialis zu kreuzen begann, Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. ag ein collateraler Ast entwickelt, der ebenfalls, aber etwas herzwiirts von dem ursprünglichen Hauptstamm, in die V. cardinalis anterior miindete. Es steckte also jetzt Arterie und Plexus brachialis in einer Veneninsel drin. Mit dem weiteren Rückwärtswandern des Herzens und des Ductus Cuvieri wurden wahrscheinlich die Strömungsbedingungen im ursprünglichen Endstück der Armvene, dem dorsalen Schenkel ihrer Insel um den Plexus brachialis noch ungünstiger und bei älteren Embryonen zeigt sich nur mehr der ventrale Theil der Insel als Endabschnitt der Armvene erhalten, während der dorsale dem Schwunde anheimgefallen ist. Die Hauptvene der hinteren Extremität lässt sich am lebenden Embryo, etwa an dem, dem späteren Unterschenkel entsprechenden Theile des fibularen Randes der hinteren Extremität verfolgen. An Schnittserien finde ich dann das Gefäß am Oberschenkel in die un- mittelbare Nähe der A. ischiadica gelangen und diese begleitend durchs Foramen ischiadieum ins Becken eintreten und in die hintere Car- dinalvene eingehen. An beiden Extremitäten sind, wie dies aus Fig. 2a und 5 hervorgeht, unzählige kleine Venenreiserchen und je ein etwas größerer, oberflächlicher Venenstamm vorhanden, dessen Beziehung jedoch nur an der vorderen Extremität etwas klarer ist, indem es sich zeigt, dass er das Blut von der Außenfläche der Ex- tremität theilweise sammelt und in der Gegend des späteren Ellen- bogens in die ulnare Vene mündet. Klarer werden die Beziehungen dieser beiden Gefäße bei einem Embryo vom 14. Tage, bei dem die Zehenanlagen schon deutlich zu erkennen sind und den Kontour der Hand und des Fußrandes zu beeinflussen beginnen. Hier (Fig. 3 a und 0) lässt sich wieder sehr schön erkennen, wie die Randvene der Hand und des Fußes durch die vorwachsenden Knorpelstrahlen der Zehen allmählich komprimirt wird, was endlich zur Zertheilung derselben führen muss. An den Hauptvenenbahnen hat sich gegenüber dem Stadium der Fig. 2 nichts weiter geändert, als dass nun die Vena subclavia bereits ventral von* der Arterie und dem Plexus brachialis verläuft. Dagegen ist es zur Entwicklung sekundärer Venenstiimme gekommen. Die im früheren Stadium bereits erkennbare Vene an der Außen- seite der vorderen Extremität mit der Einmündung in die ulnare Vene in der Gegend des Ellenbogens ist bedeutend stärker geworden und bezieht nun Zweige von der ganzen Außenseite des Vorder- armes und vom Handrücken. Zugleich lässt sich von ihr dort aus- 98 Ferdinand Hochstetter gehend, wo sie gegen die ulnare Vene hin abbiegt, eine schwache Vene verfolgen, die über die Außenseite des Oberarmes verläuft, Zweige von hier aufnimmt, sich dann an der Wurzel der Extremi- tät einwärts wendet und in der Schlüsselbeingegend in der Tiefe ver- schwindet, wo sie in die Vena jugularis externa mündet. An der hinteren Extremität ist die Bildung der sekundären Vene noch nicht so weit fortgeschritten. Es entwickelt sich hier (Fig. 3 6) aus einer großen Zahl von Zweigchen des Fußrückens, Ober- und Unter- schenkels ein kurzer Venenstamm, der in der Gegend des Kniege- lenks in die fibulare Vene mündet. Indem die Zehenanlagen sich verschieben, kommt es zu einer Unterbrechung der Strombahn in der Randvene der Hand und des Fußes, und das Blut, welches bis jetzt aus den Gefäßen der Inter- digitalräume durch die Randvene in die ulnare und fibulare Vene abfloss, nimmt nun seinen Weg größtentheils in das Gefäß an der Außenfläche der Extremität. Dem entsprechend hat sich dieses Ge- fäß an beiden Extremitäten mächtig entfaltet. An der hinteren Ex- tremität bleibt die Einmündung dieselbe, doch hat sich in der Zwi- schenzeit einer der vielen, früher ganz schwachen Venenstiimme vom Fußrücken kommend, mächtig erweitert (Fig. 5) und bildet nun den Wurzelstamm der sekundären Vene, die man wegen ihrer späteren Beziehungen V. tibialis antica nennen kann. An der vorderen Extremität ist es zu einer Erweiterung des mit e bezeichneten Venenstammes gekommen, der als Vena cephalica zu bezeichnen wäre, aber immer fließt noch Blut aus dem Vorderarm- abschnitte dieser Vene (Fig. 4) in die ulnare Randvene ab. Ist je- doch der Blutstrom in der Randvene einmal unterbrochen, dann schwindet auch diese Verbindung der V. cephalica mit der ulnaren Randvene, und nun fließt alles Blut vom Handrücken und der Auben- fläche des Armes in die V. jugularis externa ab (Fig 6 a). Dies fiihrt begreiflicherweise aber auch zu einer bedeutenden Reduktion des Kalibers der ulnaren Randvene im Bereiche des Vorderarmes und Anfangs auch am Oberarm, erst wenn sich tiefe Venen (Begleit- venen der Arterien) entwickelten, was verhältnismäßig spät (erst nach dem 15. Tage) eintritt, nimmt der größte Theil des Oberarm- abschnittes der ulnaren Randvene wieder an Mächtigkeit zu, weil sich die tiefen Venen über der Ellenbogenbeuge an diese Vene an- schließen. Und da weiterhin der Vorderarmabschnitt der ulnaren Randvene ganz zu schwinden scheint, kann ihr Oberarmabschnitt als V. brachialis bezeichnet werden. Aus den nach der Zerstörung der Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 29 Randvene durch die vorwachsenden Zehenanlagen iibrig bleibenden Theilstiicken derselben scheinen theilweise, und dies gilt auch fiir den Fuß, die Zehenvenen hervorzugehen. Damit das definitive Verhalten an der vorderen Extremität zu Stande komme, ist es nun nur noch nothwendig, dass sich an der Außenseite des proximalen Oberarmabschnittes, zwischen den Muskeln hindurch, eine Verbindung zwischen V. cephalica und V. brachialis, die die Hauptvene des Armes ist, herausbildet. Diese Verbindung kann so mächtig werden, dass die proximale Strecke der V. cephalica an Kaliber abnimmt, oder gänzlich schwindet (ein Fall, der mir übrigens noch nicht vorgekommen ist), wodurch dann das Mündungsverhältnis der V. cephalica hergestellt würde, welches Krause! als die Norm bezeichnet, während ich gewöhnlich die Fortsetzung der V. cephalica mit der Mündung in die V. jugularis externa erhalten gefunden habe. An der hinteren Extremität (vgl. Fig. 6 4) hat sich ebenfalls in Folge der Zerstörung der Randvene des Fußes eine Kaliberver- minderung des Unterschenkelabschnittes der fibularen Randvene, die weiterhin als V. saphena minor zu bezeichnen sein wird, geltend gemacht, während die V. tibialis antica sie nun schon an Weite um ein Bedeutendes übertrifft. Der Oberschenkelabschnitt der fibularen Randvene, den ich für- derhin V. ischiadica nenne, hat dagegen gar nicht gelitten, weil ihm durch die V. tibialis antica all das Blut zugeführt wird, welches früher in die Vene des fibularen Unterschenkelrandes (V. saphena minor) gelangte, und so macht es nun auch den Eindruck, als wäre die V. ischiadica die Fortsetzung der V. tibialis antica. Aber es hat sich zu dieser Zeit (am 15. Tage), wie ich dies an einer Sagittalschnittserie erkenne, eine neue oberflächliche Venen- bahn entwickelt, die, am tibialen Fußrande beginnend, dem tibialen Rande des Unterschenkels folgend, proximalwärts vom Kniegelenk an der Innenseite (Beugeseite) der Extremität sich gegen die V. ischiadica wendet und in diese einmündet. Man findet also am Unterschenkel von Kaninchenembryonen vom 15. Tage an drei Venen oberflächlich verlaufen, von denen .zwei seinen Rändern folgen, wäh- rend eine über seine Außenfläche hinwegzieht. Von tiefen Venen ist zu dieser Zeit an Schnittserien noch nichts wahrzunehmen. Erst spät (nach dem 16. Tage) zeigt sich neben der A. eruralis die gleichnamige Vene, die das Blut aus den meisten 1 Anatomie des Kaninchens. 30 Ferdinand Hochstetter Begleitvenen der Arterien aufnimmt. Ist es zu einer mächtigeren Entfaltung dieser Vene gekommen, dann bildet sich auch eine Ana- stomose zwischen der V. saphena minor und dem Kniekehlenabschnitt der tiefen Vene heraus, und eben so gewöhnlich eine einfache oder doppelte Verbindung der V. saphena magna längs der gleichnamigen Arterie mit dem Oberschenkelabschnitte der (tiefen) V. cruralis. Damit sind auch an der hinteren Extremität die definitiven Verhält- nisse erreicht. Fassen wir also kurz das Resultat dieser Beschreibung zusam- men, so ergiebt sich, dass beim Kaninchen von den primitiven Venenstämmen der Extremität die des ulnaren Randes in ihrem Oberarmabschnitte als V. brachialis erhalten bleibt. Die V. cephalica ist sekundären, und die tiefen Venen tertiären Ursprunges. Eine Vene, welehe als V. basilica bezeichnet werden könnte und wie sie Krause (l. e.) anführt, habe ich an sorgfältig injicirten Extremitäten des Kaninchens niemals nachweisen können, doch mag es ab und zu vorkommen, dass eine derartige Vene gefunden wird. An der hinteren Extremität erhält sich die ursprüngliche Vene des hinteren Extremitätsrandes (fibulare Randvene) ihrer ganzen Länge nach als V. saphena minor (parva) und V. ischiadica, wäh- rend die V. tibialis antica und V. saphena magna sekundiren, die V. eruralis mit ihren tiefen Wurzeln und Verbindungszweigen mit V. saphena parva und magna tertiären Ursprunges sind. Die Unrichtigkeit der Behauptung Krause’s, dass beim Kaninchen V. cephalica an der vorderen und V. ischiadica an der hinteren Extre- mität homologe Bildungen seien, geht schon aus diesen kurzen Aus- führungen hervor, soll jedoch später noch eine eingehendere Wider- legung erfahren. Es lässt sich somit nach dem Gesagten auch bei Embryonen des Kaninchens eine überraschende Übereinstimmung der ersten Ge- fäßstämme der Extremitätenanlagen mit den bei Embryonen von La- certa und dem Hühnchen vorkommenden feststellen. Nur in einem Punkte besteht eine Differenz, indem die ulnare Randvene bei ihrem Übergang auf den Rumpf nicht die gleichen topographischen Be- ziehungen zu Plexus und A. brachialis erkennen lässt wie beim Hühnchen, während sich später durch Entwicklung einer collateralen Bahn und Inselbildung ähnliche topographische Verhältnisse wie beim Hühnchen herstellen. Bei Lacerta dagegen bleiben die ursprüng- lichen topographischen Beziehungen übereinstimmend mit den ur- sprünglichen Verhältnissen beim Kaninchen ohne wesentliche Änderung Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 31 erhalten. Demnach dürfte auf diesen Differenzpunkt kein besonderes Gewicht zu legen sein, um so mehr, als die Mündungsverhältnisse der Vene bei Hühnchen und Kaninchen übereinstimmen. Von ganz hervorragendem Interesse ist ferner die Übereinstim- mung, welche bei den Embryonen der Lacerta, des Hühnchens und Kaninchens in der Anordnung der ersten Gefäßstämme der vorderen im Vergleich mit der hinteren Extremität hervortritt. Danach wer- den wir in der Lage sein, anzugeben, welche Gefäße an der vor- deren solchen an der hinteren Gliedmaße entsprechen, welche Gefäße an beiden Extremitäten als gleichwerthig zu betrachten sein werden. Dass die primitiven Hauptarterien der beiden Gliedmaßen als gleichwerthig zu betrachten sind, geht, abgesehen von ihrem über- einstimmenden Verlaufe in der Achse des Extremitätenstummels. auch daraus hervor, dass sie wahrscheinlich (wie ich dies an anderer Stelle! nachzuweisen versucht habe) beide bei sämmtlichen Amnioten segmentalen Ursprunges sind?. Riicksichtlich der Venen dagegen, wo in den von mir untersuchten Stadien direkte Beziehungen zu segmentalen Venen nicht gefunden werden konnten, sind wir bei der Bestimmung ihrer Gleichwerthigkeit ausschließlich auf die topo- graphischen Beziehungen in der Extremitätenanlage selbst ange- wiesen, da die Einmündungsverhältnisse unmöglich ähnliche sein können. Behalten wir dies im Auge, so können wir nur die Vene des vorderen (radialen) Randes der vorderen Extremität mit der Vene des vorderen (tibialen) Randes der hinteren Extremität, und die Vene des hinteren (ulnaren) Randes der vorderen, und des hin- teren (fibularen) Randes der hinteren Extremität für gleichwerthig erklären. Diese Gleichwerthigkeit, denn nur von einer solchen kann die Rede sein und nie von Homologie im engeren Sinne, äußert sich auch noch darin, dass die Venen der vorderen Extremitätenränder stets schwächer sind als die der hinteren und sehr frühzeitig theil- weise oder gänzlich verschwinden, so dass die Venen der hinteren Extremitätsränder eine Zeit lang zum mindesten zu der Hauptvenen- bahn der Extremität werden. Mit der zunehmenden Verschiedenheit der Form der beiden Extremitäten treten auch immer größere Ver- schiedenheiten in der Entwicklung der Venen hervor, und dies kann wie beim Hühnchen bis zur völligen Verschiedenheit aller Venen- stämme der beiden Extremitäten führen, eine Verschiedenheit, die ' Morph. Jahrb. Bd. XVI. pag. 300 und pag. 484. 2 Woraus sich aber auch ergiebt, dass die A. femoralis beim Menschen und den Siiugethieren niemals mit der A. brachialis verglichen werden diirfe. 32 Ferdinand Hochstetter eben so wie die Verschiedenheit der Form als eine Folge der ge- änderten Funktion aufgefasst werden muss. Eben so aber wie die durch funktionelle Anpassung bedingte Divergenz in der Form der beiden Extremitäten eines Individuums die Verschiedenheiten in der definitiven Anordnung und Ausbildung der Venenstämme erklären lässt, eben so müssen die oft ganz be- deutenden, ja totalen Verschiedenheiten, wie sie sich z. B. bei der Vergleichung der Extremitätsvenen des Hühnchens und der Lacerta im ausgebildeten Zustand vorfinden, mit der durch funktionelle An- passung zu erklärenden Divergenz in der Form der Extremitäten in Zusammenhang gebracht werden. Die am spätesten zur Entwicklung gelangenden Venen sind die Begleitvenen der Arterien, wie dies BARDELEBEN! bereits richtig an- gegeben hat, und wir können sie mit Rücksicht auf ihre Genese als tertiäre Venen betrachten, sie sind jedenfalls auch diejenigen Venen, welche bei den Wirbelthieren während der Stammesentwicklung am spätesten zur Entwicklung gekommen sind, und demnach sehen wir sie auch an den Extremitäten der Reptilien (vgl. pag. 13—15) noch in recht bescheidener Weise auftreten. Wenn wir also die fast völlige Ubereinstimmung der ersten Venenbahnen der Extremitätenanlagen von je einem Vertreter der drei Klassen der Amnioten feststellen konnten, so wird die Annahme, dass bei allen Extremitäten besitzenden Amnioten die gleichen ur- sprünglichen Verhältnisse vorhanden sein werden, nicht zu gewagt erscheinen, und man wird daher die definitiven Verhältnisse der Extremitätsvenen bei allen Amnioten aus den geschilderten primitiven ableiten können. Dies ist nun gerade von hervorragendem Interesse mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Extremitätsvenen beim Menschen. Es kann nämlich nach dem oben Gesagten und nach einigen spärlichen Er- fahrungen, die ich gemacht habe?, angenommen werden, dass beim 1 Über Begleitvenen. Sitzungsberichte der Jenaischen Gesellschaft für Medicin und Naturwissenschaften. 1880. 2 Mein Material an menschlichen Embryonen ist leider ein sehr spärliches, und der Erhaltungszustand nur eines menschlichen Embryo von 1114/2 mm Länge, dessen Extremitätenstummel bereits die Andeutungen des Endgliedes erkennen ließen, war ein derart günstiger, dass ich nach Anfertigung einer Querschnitt- serie an der Anlage der vorderen Extremität deutlich eine Randvene der Hand, und in ihrer Fortsetzung am (ulnaren) hinteren Rande der Extremität eine Vene verlaufend finde, die dorsal am Plexus brachialis vorbei in das Endstück der vorderen Cardinalvene mündet, während ich hinten nur von der dem Rumpfe Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 33 Menschen die gleichen ursprünglichen Verhältnisse der Extremitäts- venen vorhanden waren wie beim Kaninchen. Wenn dies aber der Fall ist, dann müssen wir bezüglich der Venenstämme, die als pri- mitive zu bezeichnen sind und die sich zum Theil erhalten haben, und bezüglich jener Venenstämme, die an vorderer und hinterer Gliedmaße als gleichwerthig aufgefasst werden können, zu ganz an- deren Resultaten gelangen wie BARDELEBEN!, der, wie schon Ein- gangs erwähnt, viel zu alte Entwicklungsstadien untersucht hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach bleibt daher an der vorderen Extremität des Menschen die Fortsetzung der Randvene der Hand längs des ulnaren Extremitätsrandes, die, ursprünglich wie beim Kaninchen, Hauptvene der Armanlage war, ihrer ganzen Länge nach von der Hand an als V. basilica antibrachii, brachii, V. axillaris und V. subelavia erhalten, wobei nach der früher gegebenen An- merkung anzunehmen ist, dass diese Vene in ihrem proximalen Ab- schnitte eine ähnliche Lageveränderung zu Plexus brachialis und der Armarterie erleidet wie beim Kaninchen. Die V. cephalica ist ihrer ganzen Länge nach eben so wie ihre Verbindung mit der V. basilica in der Ellbogenbeuge ein sekundäres Gefäß, dessen Entwicklung mit der Zerstörung der Randvene der Hand durch die Fingeranlagen in Zusammenhang zu bringen ist. Es kann also die V. cephalica antibrachii, die V. mediana eubiti und die V. basilica brachii (aller- dings später die oberflächliche Hauptvenenbahn = V. capitalis [BARDELEBEN]) darstellen, besonders wenn die V. cephalica brachii gar nicht oder nur mangelhaft zur Ausbildung gelangte, aber sie kann unter keinen Umständen auch als ursprüngliche Hauptvenenbahn der Extremität gelten. Dass die V. basilica antibrachii beim Menschen so schwach wurde, hängt jedenfalls in derselben Weise wie beim Kaninchen damit zusammen, dass in Folge der Zerstörung der Rand- vene der Hand das Blut von dorther weniger reichlich zuströmte, nur kommt es beim Menschen zu keiner vollständigen Reduktion dieses Gefäßabschnittes.. Was die Entwicklung der Vena cephalica brachii anlangt, so kann man über dieselbe verschiedener Meinung sein, mir scheint nach meinen bisherigen Erfahrungen Alles dafür zunächst gelegenen Partie des fibularen Randes der hinteren Extremität eine Vene, in die hintere Cardinalvene sich fortsetzend, auffinden konnte. Außer- dem hat Hıs auf der Anatomenversammlung zu Würzburg (1888) photographische Querschnittsbilder durch einen menschlichen Embryo gezeigt, an denen die "Randvene der Hand und ihre Fortsetzung deutlich zu erkennen war. 210: Morpholog. Jahrbuch. 17. a 34 Ferdinand Hochstetter zu sprechen, dass dieser Abschnitt der V. cephalica entweder früh- zeitig gehörig oder überhaupt nur unvollkommen sich entwickelt, anzunehmen jedoch, dass sie erst später, also nachdem die Finger eine gewisse Länge erreicht haben, sich entwickelt habe, dagegen scheint mir der Umstand zu sprechen, dass beim Kaninchen diese sekundäre Venenbahn ihrer ganzen Länge nach entwickelt ist, wenn die Zehenanlagen die Randvene der Hand zerstört haben, ein Sta- dium, welches selbst bei dem jüngsten von BARDELEBEN’S Embryonen gewiss längst überschritten war. Andererseits kann man im Prä- parirsaale bei einiger Aufmerksamkeit an den Leichen von Erwach- senen nach und nach alle jene Verhältnisse der Armvenen auffinden, wie sie BARDELEBEN von menschlichen Embryonen beschrieben hat, und aus denen er einen Grundtypus ableiten konnte, der ihn zur Aufstellung seiner V. eapitalis führte. Einzeln betrachtet, hätte sich jedoch wahrscheinlich in keinem der von BARDELEBEN beschriebenen Fälle irgend etwas an den Verhältnissen der Venen bis zur Geburt wesentlich geändert. An der hinteren Gliedmaße des Erwachsenen dürfte von der ursprünglichen Hauptvenenbahn am hinteren Rande der Extremitäten- anlage, die mit der A. ischiadica das Becken betrat und in die V. cardinalis posterior überging, nur der Unterschenkelabschnitt als V. saphena parva bis in die Nähe der Kniekehle unter normalen Ver- hältnissen erhalten geblieben sein. Ausnahmsweise kann es jedoch vorkommen, dass noch ein größeres Stück oder die ganze ursprüng- liche Venenbahn erhalten geblieben ist. Das Erstere ist wahrschein- lich der Fall, wenn die V. saphena minor höher oben in die V. poplitea oder gar erst in eine V. perforans mündet. Das Zweite fand ich im hiesigen Präparirsaal vor vier Jahren, wo an einer hin- teren Extremität die V. saphena minor an der Rückseite des Ober- schenkels (das Verhältnis zur Fascie konnte nicht mehr festgestellt werden) bis an den Rand des Glutaeus maximus verlief, unter den- selben eintrat, die V. glutaea inferior aufnahm und durchs Foramen ischiadieum das Becken betrat. Jedenfalls geht also unter normalen Verhältnissen das Ober- schenkelstück der primitiven Hauptvenenbahn, die man wie beim Kaninchen als V. ischiadica bezeichnen kann, zu Grunde!. Bevor dies aber möglich war, mussten sich neue Venenbahnen entwickelt 1 Ob die V. femor. poplitaea nicht theilweise ein Rest von ihr ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 35 haben, und da dürfte es wahrscheinlich die V. saphena magna ge- wesen sein, die als sekundäres Gefäß entstand, und da eine V. tibi- alis antica wie beim Kaninchen nicht zur Entwieklung kam, den größten Theil der Fußrückenvenen in ihr Wurzelgebiet einbezog. Durch Ausbreitung ihres Wurzelgebietes gewann diese Vene immer mehr an Mächtigkeit, zugleich aber kam es zur Entwicklung tiefer Venen und der distalen Abschnitte der V. femoralis, die demnach distalwärts von der Mündung der V. saphena magna als eine ter- tiäre Vene betrachtet werden muss; und indem sich die V. saphena minor mit ihrem Kniekehlenabschnitte (V. poplitaea) in Verbindung setzte, konnte die V. ischiadica vollständig! zu Grunde gehen. Es bildete also gewiss in den von BARDELEBEN untersuchten Fällen die V. saphena magna bereits die oberflächliche Hauptvenenbahn der hinteren Extremität. Wenn wir nun den Versuch machen wollen nach dem, was früher über die Gleichwerthigkeit der Gefäßstämme der Extremi- tätenanlagen gesagt wurde, die Venenstämme des Erwachsenen mit einander zu vergleichen, so kann das Resultat dieses Versuches nur das sein, dass wir V. saphena minor und V. basilica antibrachii als gleichwerthig bezeichnen und dass wir sagen, V. cephalica und V. saphena magna seien sekundäre Venen, ohne über ihre Gleich- werthigkeit oder Ungleichwerthigkeit etwas Bestimmtes behaupten zu können. Die V. femoralis und iliaca externa aber und V. axil- laris und subelavia zeigen überhaupt keinerlei Übereinstimmung weder der Lage noch der Genese nach. Denn die V. femoralis geht proximalwärts vom Hüftgelenke auf den Rumpf über, während der Übergang der V. axillaris distalwärts vom Schultergelenke er- folgt, weiter ist die V. axillaris und subelavia die ursprüngliche Hauptvenenbahn der vorderen Extremität, während dies von der V. femoralis und iliaca externa bezüglich der hinteren Gliedmaße nicht behauptet werden könnte. Es kann daher auch die von BARDELEBEN für die oberfläch- lichen Venenbahnen der vorderen und hinteren Extremität aufge- stellte Homologie keine Geltung haben, es kann seine V. capitalis niemals der V. saphena magna und die V. femoro poplitaea nie- mals der V. cephalica brachii entsprechen. Eben so und aus denselben Gründen unhaltbar sind aber auch die Homologien, welche Krause? für die Extremitätsvenen des Kanin- 1 9 2 Siehe Anmerkung pag. 34. ke 8. 36 Ferdinand Hochstetter chens aufgestellt hat, nur noch in die Augen springender, weil sich beim Kaninchen die ursprüngliche Hauptvenenbahn der hinteren Ex- tremität vom Endgliede an ihrer ganzen Länge nach erhalten hat. Offenbar sind beide Forscher dadurch in ihren Irrthum verfallen, dass sie die ursprüngliche Stellung der Extremitäten in frühen Em- bryonalstadien zum Rumpfe, die ja beträchtlich von der Stellung in späteren Stadien und beim Erwachsenen abweicht, nicht genügend berücksichtigt haben. Dass aber nur bei Berücksichtigung früher embryonaler Stadien eine sichere Beurtheilung bei der Vergleichung möglich ist, hoffe ich genügend klar gemacht zu haben. Eine weitere Frage von großer Bedeutung ist die, ob sich auch bei Anamniern Ähnliche Verhältnisse der Extremitätsvenen in frühen Entwicklungsstadien feststellen lassen, wie bei den Amnioten. Die Erfahrungen, welche über die Entwicklung der Extremi- tätsgefäße amnionloser Wirbelthiere vorliegen, sind sehr spärlich. Bei Vogr! finde ich zwei Abbildungen von Embryonen von Coregonus palea, welche die erste Gefäßanlage in der vorderen Extremität er- kennen lassen. Es besteht diese Anlage hier aus einer einfachen GefiBschlinge, deren arterieller vorderer Schenkel ein Ast der Rücken- aorta ist, der in einiger Entfernung vom distalen Rande der Flosse in gleichmäßigen Bogen in den hinteren abführenden (venösen) Schenkel übergeht. Dieser letztere zieht dorsal über dem arteriellen (A. subelavia) vorbei und mündet in die hintere Cardinalvene kurz vor ihrem Zusammenfluss mit der vorderen (? wahrscheinlich nach Fig. 71). Über die weiteren Schicksale dieser Gefäßschlinge hat Voer keine Angaben verzeichnet. Die zweite einen Anamnier betreffende Angabe macht ALLEN Thomson? wie folgt: »Die vorderen Extremitäten des Salamanders bilden zuerst zwei kleine Knötchen, welche hinter dem Kopfe liegen, diese haben im Anfang noch kein cirkulirendes Blut, aber bald nach der Erscheinung dieser Knötchen sieht man ein einzelnes Gefäß um den Umfang derselben sich herumwinden und, ohne jedoch einen Zweig abzugeben, zu dem Körper zurückkehren. Das Gewebe jeder Zehe bekommt, so wie sie aus dem Ende des Gliedes hervortritt, einen kleinen Gefäßbogen von diesem ursprünglichen Gefäß. Auf 1 Embryologie des Salmons. Tab. III Fig. 71 und 73. 2 Über die Entwicklung des Gefäßsystems in dem Fötus der Wirbelthiere. Froriep’s Notizen. 1831 und 1833, Uber die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 37 gleiche Weise ziehen sich Verbindungsäste an den Gelenken quer herüber, und endlich bilden sich, wenn das Bein gewachsen ist, zahlreiche Capillargefäße, aber alle auf dieselbe Weise wie die ur- sprünglichen Gefäßstämme. Dasselbe haben SPALLANZANI! und Andere in den Extremitäten des Hühnchens beobachtet, und dasselbe findet man auch in denen des Kaninchens und anderer Säugethiere, so dass mir scheint, es sei anzunehmen, die Entwicklung neuer Gefäße von den bereits gebildeten finde sowohl bei warm- als bei kaltblütigen Thieren haupt- sächlich vermittels Gefäßbogen statt.« Wenn sich nun auch nach meinen Beobachtungen über die Ent- wicklung der Extremitätsgefäße der Amnioten diese allgemeinen Schlüsse ALLEN TuHomson’s über die Entwicklung neuer Gefäße von den bereits gebildeten durch Schlingenbildung nicht bestätigen, vermochte ich doch seine Angaben über die Entwicklung der Gefäße in den Extremitäten des Wassersalamanders an selbstgezüchteten Larven dieses Thieres (zumeist Larven von Triton taeniatus, aber auch solche von Tr. eristatus und alpestris wurden untersucht) als richtig zu erkennen. Da jedoch ALLEN THomson’s Angaben etwas allgemein lauten, und aus denselben über den Verlauf der Venen an den Extremitäten nichts hervorgeht, will ich im Nachfolgenden einige frühe Entwicklungsstadien der Extremitätengefäße kurz schil- dern, und habe des leichteren Verständnisses halber auch eine Reihe einfacher Abbildungen dem Texte beigefügt. Wie ALLEN THOMSON sagt, zeigt sich die erste Gefäßanlage in der vorderen Extremität als einfache Gefäßschlinge. Der (arterielle zuführende Schenkel liegt ziemlich in der Achse des Extremitäten- stummels, nur etwas dem vorderen Rande desselben näher. Der (venöse) abführende Schenkel näher dem hinteren Rande, und der Übergang des einen in den anderen erfolgt bogenfürmig, parallel dem Rande des Stummelendes (Fig. 1). Bald zeigen sich die An- lagen der beiden ersten Zehen, indem das Ende des Extremitäten- stummels zunächst zwei Fortsätze austreibt (Fig. 2 und 3), und zu- gleich erscheint der ursprünglichen Gefäßschlinge eine kurze schmale zweite aufgesetzt (Fig. 2), der bald darauf eine ähnliche dritte folgt (Fig. 3). Jede von diesen beiden entspricht einer Zehenanlage, und die zuletzt entstandene Schlinge setzt sich in ein Gefäß fort, welches, ! Eine Arbeit SPALLANZANTSs, die sich mit der Entwicklung der Extre- mitätsgefäße beschäftigt, konnte ich nicht ausfindig machen. 38 Ferdinand Hochstetter dem vorderen Rande der Extremität folgend, zum Rumpfe hin verläuft. Somit erscheinen in dem Stadium der Fig. 3 eine centrale Arterie und zwei Venen gebildet, von denen je eine einem Rande der vor- deren Extremität folgt. Fig. 3. Triton taeniatus, rechte vordere Extremität, von Trit. taen., vordere Extremität. Trit. taen., vord. linke Extr, der Bauchseite gesehen. Ansicht wie Fig. 1. Ansicht wie Fig, 1. ‘ Die der hinteren (2.) Zehe angehörige Schlinge setzt dann ihren abführenden Schenkel in Verbindung mit dem abführenden Schenkel der Schlinge der vorderen (ersten) Zehe, und dadurch tritt vorläufig die Vene des hinteren Extremitätsrandes (Fig. 4) außer Beziehung zu den Gefäßschlingen der beiden Fig. 4. Fig. 5. © erst entstandenen Zehen, die nun deutlich den beiden einander zu- gewendeten Zehenrändern ange- hören. Eine weiter proximal ge- legene Verbindungsschlinge zwi- schen Arterie und hinterer oder vorderer -Vene hat sich ebenfalls gebildet, ist jedoch kein konstanter Befund. Nun entstehen an den beiden ' ie noch freien Rändern der Zehenan- Trit. taen,, rechte vordere Extremität. Rückenansicht. lagen, ausgehend von der Arterie, ähnliche Gefäßschlingen, wie sie an den einander zugewendeten Zehenrändern bereits bestehen. Ist dies geschehen, so verbindet sich die Gefäßschlinge der einen Zehenseite durch eine dem Rande der Zehe folgende Schlinge mit der der anderen Zehenseite und, indem einerseits der abführende, andererseits der zuführende Schenkel der beiden ursprünglichen Schlingen verschwinden, ergiebt sich das Bild der Fig. 5, in wel- Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 39 chem durch punktirte Linien die zu Grunde gegangenen Schlingen- abschnitte angedeutet wurden. Weiterhin wiederholt sich der Bildungsgang der Zehengefäße bei jeder nachwachsenden neuen Zehe in ganz ähnlicher Weise (Fig. 6 und 7), nicht ohne dass ab und zu bei einzelnen Individuen Abwei- chungen von dem in den Zeichnungen wiedergegebenen Verhalten vorkämen. An den beiden ursprünglichen Armvenen sehe ich späterhin nur die eine Veränderung, dass nämlich die Vene des ulnaren (hinteren) Randes über die äußere (dorsale) Fläche der Ellbogengegend hinweg in die Vene des radialen Randes übergeht. In ganz ähnlicher Weise wie an der vorderen Extremität erfolgt die Bildung der Venen an der hinteren Gliedmaße, wie dies aus I G.. Fig. 7. Fig. 8. ‘ oft Pa we ; SAS Trit. taen., linke hint. Extremität, Ansicht Trit. taen., linke vordere Extremität, Rückenansicht. von der Bauchseite, Fig. S—12 hervorgeht, und nur geringe Abweichungen, auf die ich nicht weiter eingehen will, da sie für den Gegenstand dieser Arbeit nicht von Belang sind, machen sich geltend. Nur Eines will ich hervorheben, dass die Verschiedenheiten, die sich bei der Entwick- lung, insbesondere der Zehengefäße, bei verschiedenen Individuen zeigen, viel häufiger und auch viel bedeutender sind, als dies an der vorderen Extremität der Fall ist. Während sich aber an der vorderen Gliedmaße ein Anschluss der hinteren (ulnaren) Vorderarmvene an die (radiale) vordere voll- 40 Ferdinand Hochstetter zieht, ist an der hinteren Gliedmaße der entgegengesetzte Vorgang zu erkennen, die Vene des hinteren (fibularen) Randes wird durch den Anschluss der Vene des tibialen Randes zur Hauptvene (Fig. 12). Mit diesen Befunden lassen sich recht gut die Befunde bei aus- gewachsenen Exemplaren von Salamandra maculosa in Einklang bringen. Hier bildet nämlich die Vene des radialen Extremitäts- randes, die in die V. jugularis miindet', die Hauptvene der vorderen Fig. 10. Fig. 11. Fig. 12. Trit. taen., linke hintere Extremität. Ansicht von der Seite, Extremität, während die Vene des ulnaren Randes bedeutend schwä- cher ist und in den Rest der hinteren Cardinalvene (V. azygos) mündet. Beide Venen stehen ‚mit einander durch eine ziemlich be- deutende, über die Rückseite des Oberarmes in unmittelbarer Nähe des Humeruskopfes verlaufende Anastomose? in Verbindung. An der hinteren Gliedmaße ist nur eine große Vene am Oberschenkel, die Vene des hinteren Extremitätsrandes, die als V. ischiadiea be- zeichnet werden muss, vorhanden, sie betritt das Becken neben der als A. ischiadiea zu bezeichnenden Hauptarterie der Extremität. Eine Anastomose dieser Vene mit der Wurzel der Abdominalvene findet sich an der Außenseite des Hüftgelenkes vorbeiziehend?. Vergleichen wir nun die ersten auftretenden Venenstämme bei ’ Rusconi, Histoire naturelle de la salamandre terrestre. Pl. VI Fig. 2. 2 Ruscont, |. c. Pl. VI Fig. 1. Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 41 Triton mit den ersten Venenstämmen, wie wir sie bei den Embryonen der Amnioten gefunden haben, so ergiebt sich bezüglich der Lage- rung derselben eine ziemlich hervorstechende Übereinstimmung. Bei der Verfolgung des weiteren Entwicklungsganges zeigt 'sich jedoch eine bedeutende Verschiedenheit riicksichtlich der Entwicklung des Gefäßsystems der Zehen. Diese Verschiedenheit findet jedoch ihre Erklärung ohne Weiteres aus der Verschiedenheit in dem Entwick- lungsgange der Zehen selbst. Dort, wo wie bei Triton die Zehen nach einander hervorwachsen, kann es zur Entwicklung einer Rand- vene wie bei den Amnioten nicht kommen. Ob bei den Embryonen der Fische ursprünglich auch Venen- stämme an den Extremitäten zur Entwicklung kommen, die bezüg- lich ihrer Lage mit denen höherer Wirbelthierformen in Einklang gebracht werden können, bleibt noch eine offene Frage, doch lassen die beiden früher schon (pag. 36) angeführten Abbildungen, die Vogt gegeben hat, eine derartige Möglichkeit zu. Es mögen nun zum Schlusse noch einige Erörterungen Platz finden, welche sich auf jene Eingangs erwähnte von BAADER und Krause vertretene Annahme beziehen, eine Annahme, welche besagt, dass das Venensystem und dieses vor Allem, aber auch das Arterien- system ursprünglich in seiner frühesten Anlage ein gleichmäßiges, die Organe und Gewebe durchsetzendes Netzwerk von Gefäßröhren darstelle. Wer sich je mit der Entwieklung der Gefäßstämme des Rumpfes irgend welcher Wirbelthierembryonen auch nur ganz oberflächlich beschäftigt hat, der wird nie an der Unrichtigkeit dieser Annahme gezweifelt haben. Einen indifferenten Zustand, wie sich ihn BAADER und Krause vorstellten, giebt es am Rumpfe zu keiner Zeit und an keiner Stelle. Aber auch wenn man die Entwicklung der Extre- mitätengefäße bei verchiedenen Wirbelthieren verfolgt, begreift man nicht, wie es möglich war, dass man zu der Vorstellung eines in- differenten Zustandes im Sinne BaAaper’s und Kravse’s gelangen konnte. Schon Ruge! betont die Unhaltbarkeit dieser Annahme, obgleich sich seine Untersuchungen nur auf verhältnismäßig späte Stadien der Entwicklung der Extremitäten des Menschen beziehen (kleinster untersuchter Embryo 2,5 em lang), indem er sagt: »Es be- steht für den Gefäßapparat der oberen Extremität zu keiner Zeit, 1 Beiträge zur Gefüßlehre des Menschen. Morph. Jahrb. Bd. IX. pag. 356. 42 Ferdinand Hochstetter über welche von mir Untersuchungen geführt wurden, ein gleich- mäßig ausgebildetes Netzwerk, wie es BAADER und KRAUSE an- nehmen.« Auch GEGENBAUR! spricht sich in der bestimmtesten Weise gegen die Annahme eines ursprünglichen indifferenten Zu- standes des Gefäßsystems aus. Wenngleich nun Ruce’s Untersu- chungen nicht als absolut beweisend gelten können, da nur Em- bryonen untersucht wurden, an denen sich bereits die wichtigsten Ver- änderungen an den Venen und auch an den Arterien, denn dass sich die Arterienstämme ursprünglich nicht überall an der vorderen Extremität so anlegen, wie sie später gefunden werden, ist sehr wahrscheinlich, vollzogen hatten, so sind doch seine Angaben vollkommen richtig, und ich vermag dieselben mit Rücksicht auf das von mir unter- suchte Material von Wirbelthierembryonen vollinhaltlich zu bestätigen. Es bestand bei keiner der von mir untersuchten Formen und in keinem der untersuchten Entwicklungsstadien ein indifferenter Zu- stand des Gefäßsystems der Extremitäten in der Weise, dass sich ein gleichmäßig das Gewebe durchsetzendes Netz von Gefäßröhren vor- fand, im Gegentheil zeigten sich stets ganz bestimmt gelagerte deut- lich erkennbare Gefäßbahnen entwickelt, welche allerdings theilweise nicht in den definitiven Zustand mit übergehen. Es dürfte daher die Behauptung genügend begründet erscheinen, dass die Hypothese BAADER's und KRAUSE’s von dem ursprünglichen Vorhandensein eines indiffe- renten Zustandes des Gefäßsystems auch der Extremi- täten in der schon mehrfach erwähnten Form mit den thatsächlichen Verhältnissen nicht in Einklang zu brin- gen ist und daher als vollkommen unrichtig bezeichnet werden muss. Ich hielt es für nothwendig, dies besonders hervorzuheben, weil trotz der schönen Arbeit Rusce’s, trotz der bestimmten Erklärung GEGENBAURSS und trotz einer Reihe von Arbeiten über die Ent- wicklung des Gefäßsystems, doch immer noch die Hypothese Baa- DER’'S und Krause’s zur Erklärung von Gefäßvarietäten herbeigezogen wird. Mit der Beseitigung dieser falschen Hypothese fällt aber auch die Möglichkeit gedankenloser Erklärung von Gefäßvarietäten durch dieselbe hinweg und dies muss gewiss als ein Fortschritt angesehen werden. 1 Anatomie des Menschen. 4. Aufl. Bd. II. pag. 227. Über die Entwicklung der Extremitätsvenen bei den Amnioten. 43 Erklärung der Abbildungen. , Buchstaben-Erklärung. A.S Arteria subelavia, V.c.p Vena cardinalis posterior, S.R.V Seitenrumpfvene, V.S Vena subelavia, V.c Vena cephalica. V.u Vena umbilicalis, V.c.a Vena cardinalis anterior, D.C Ductus Cuvieri. Tafel I. Extremitiiten yon Lacerta-Embryonen in der Ansicht von der Seite. Fig. 1, 3, 5, 7, 9, 11. Rechte vordere Extremität. Fig. 13, 15. Linke vordere Extremitiit. Fig. 2, 4, 6, 8, 10, 12. Rechte hintere Extremität. Fig. 14, 16. Linke hintere Extremität. Bei Betrachtung der Fig. 10, 12, 14, 16 ist die Stellungsänderung der hinteren Extremität gegen den Rumpf und die Änderung der Lage der ein- zelnen Abschnitte der Extremität zu einander zu beachten. Tafel II. Fig. 1 a und 6. Rechte Extremitäten eines Hühnerembryo von 96 Stunden. Fig. 2 a und 8. - - - - - 113 - Fig. 3. Linke hintere Extremität eines Hühnerembryo von 118 Stunden. Fig. 4 a und 6. Rechte Extremitäten eines Hühnerembryo von 120 Stunden. Fig. 5 a und db. Linke Extremitäten eines Hühnerembryo von 144 Stunden. Fig. 6 a und 6. Linke Extremitäten eines Hühnerembryo von 166 Stunden. Fig. 7. Seitenansicht des Rumpfes und der Extremitäten eines Hühnerembryo von 190 Stunden. Tafel III. Fig. 1. Sagittalschnitt durch einen Kaninchenembryo von der Mitte des 12. Tages. Die Einmündungsstelle der V. subelavia in die hintere Cardinalvene getroffen. Fig. 2 a und b. Rechte Extremitäten eines Kaninchenembryo vom 13. Tage. Fig. 3 a. Linke vordere Fig. 36. Rechte hintere Extremität eines Kaninchen- embryo vom 14. Tage. Fig. 4. Rechte vordere Extremität eines Kaninchenembryo vom Ende des 14. Tages. Rechte hintere Extremität eines Kaninchenembryo vom 15. Tage. 5 a und 5. Rechte Extremitäten eines Kaninchenembryo vom 16. Tage. wee a ao © Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. Von Dr. med. Otto Seydel, Assistent am anatomischen Institut zu Amsterdam. Mit Tafel IV—VI und 3 Figuren im Text. Stellt man das periphere Geruchsorgan der niederen Säugethiere dem der Primaten zur Vergleichung gegenüber, so ergeben sich nach jeder Richtung hin die weitgehendsten Differenzen. Bei den Quadrupeden erscheinen auf dem Querschnitt durch die Nasenhöhle fünf oder noch mehr wulstförmige Hohlgebilde (Riech- wülste), die hinten an der fast vertikal gestellten Siebplatte mit schmalem Stiel entspringen, sich nach vorn erstrecken und schnell an Mächtigkeit zunehmen. Ihre vorderen, frei in die Nasenhöhle ragenden Enden laufen einfach zugespitzt aus oder zeigen verschie- dene, häufig sehr komplicirte Gestaltungen. Die Regio olfactoria ist nach unten gegen den Nasenrachengang durch eine horizontal gestellte Knochenplatte abgegrenzt. Seitlich von den auf dem Me- dianschnitt zu Tage tretenden Riechwülsten und von ihnen verdeckt findet sich eine größere oder geringere Zahl ähnlich geformter Hohl- gebilde, welche die erheblich in die Breite entfaltete Nasenhöhle ausfüllen. Die Nasenhöhle buchtet sich nach hinten in den Keil- beinkörper, nach oben in das Stirnbein hinein aus; auch diese Räume sind mehr oder weniger vollständig mit Riechwülsten aus- gefüllt. Das Maxilloturbinale zeigt verschiedene, oft höchst kom - plieirte Formationen und liegt vor der Regio olfactoria. Beim Menschen dagegen, und ähnlich bei fast allen Primaten, finden sich höchstens drei Siebbeinmuscheln, die als platten- oder Po Jtth Anst Werner a hinter, Frankfare®M. Tick Aut e Nerntra enter Prank fare ea Ks _ Uber die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. _ 45 sy mehr leistenförmige Gebilde von der horizontal gestellten Siebplatte ausgehen und nach hinten gegen den vorderen unteren Winkel des Keilbeinkérpers konvergiren. Die Ursprünge sind an der Siebplatte nieht von einander gesondert, sondern sie sind zu einer an das Dach _ der Nasenhöhle angeschlossenen Platte verschmolzen. Die Muscheln sind nicht wie bei den Quadrupeden von vorn nach hinten, sondern _ von oben nach unten angeordnet. — Ein Abschluss der Regio olfac- _ toria gegen den Nasenrachengang findet sich nicht, ja die hinteren _ Enden der Muscheln können noch in denselben hineinragen. — Die untere Muschel ist einfach gebaut und liegt gerade unter der Regio _ olfactoria. Die Sinus stellen — wenn sie überhaupt vorhanden sind _ — leere Höhlungen vor, die gegen das Cavum nasale bis auf kleine Zugänge abgeschlossen sind. So groß nun auch die Differenzen in dem ganzen Habitus des peripheren Geruchsorgans bei den Quadrupeden und bei den Pri- _ maten sind, das Eine lässt sich von vorn herein erkennen, dass nämlich die Riechwülste der niederen Säugethiere homolog sind den Muscheln der Affen und des Menschen, und zwar durch die Beziehung beider Bildungen zur Lamina cribrosa und zur Olfactoriusausbreitung. Der Erste, der diese Thatsache ausgesprochen hat, und der überhaupt die Nasenhöhle einer vergleichend-anatomischen Untersuchung unter- zog, war SCHWALBE!. Der Inhalt des Referates, welches SCHWALBE über seine For- _ schungen veröffentlicht hat, ist kurz folgender. Die typische Zahl der Riechwiilste für die niederen Säugethiere ist fünf. Der erste _ (Nasoturbinale) unterscheidet sich durch seinen Verlauf, sowie da- durch, dass er zum allergrößten Theil von der gewöhnlichen Nasen- schleimhaut überzogen ist, von den übrigen. An jedem Riechwulst lässt sich Stiel, Anschwellung und Haftfalte unterscheiden. Stiel und Anschwellung umschließen einen mit der Nasenhöhle kommuni- _ eirenden Hohlraum (Siebbeinzelle). — Das Nasoturbinale der niederen | Bäuger ist homolog dem Agger nasi (H. Meyer) des Menschen; der zweite und dritte Riechwulst der mittleren, der vierte und fünfte der _ oberen Muschel. Beim Menschen entspricht der obere der Lamina -eribrosa angefügte Theil der Muscheln, welcher die Olfactoriusaus- breitung trägt, dem Stiel und der Anschwellung, der hintere freie Theil der Muschel entspricht der Haftfalte. 1 Über die Nasenmuscheln der Säugethiere und des Menschen. Sitzungs- berichte der physik.-ökonom. Gesellschaft zu Königsberg. Jahrg. XXIII. 46 Otto Seydel Aufgenommen und bedeutend erweitert wurden diese Unter- suchungen von ZUCKERKANDL!, welcher im Jahre 1887 eine verglei- chend-anatomische Bearbeitung der Nasenhöhle der Säugethiere ver- öffentlichte. Mit geringen Differenzen schließt sich dieser Autor an die von SCHWALBE eingeführte Terminologie an. Die Riechwülste sind in mehreren neben einander liegenden Reihen angeordnet. Die auf dem Sagittalschnitt zu Tage tretenden, also am meisten medial gelagerten, werden als mediale bezeichnet; alle übrigen, welche seit- lich von diesen sich finden, werden als laterale zusammengefasst. Die einzelnen Riechwülste beginnen an der Lamina cribrosa mit schmalem Stiel, gehen nach vorn in die Anschwellung über; diese biegt in einem Winkel nach hinten in die Haftfalte um. Die Mehr- zahl der Haftfalten »setzt sich an einer zarten Knochenlamelle fest, welche die untere und seitliche Fläche des Siebbeinlabyrinthes theil- weise deckt und sich rückwärts an die . . . Lamina terminalis an- schließt«. Die Platte, welche das Siebbeinlabyrinth vom Ductus nasopharyngeus scheidet, wird so in zwei Abschnitte geschieden; der hintere wird als Schlussplatte, der vordere als Haftplatte be- zeichnet. — Die Zahl der medialen Riechwülste schwankt zwischen drei und neun. Der erste Riechwulst (Nasoturbinale), der sich durch Form und Insertion von den übrigen unterscheidet, zerfällt in zwei Theile, die Pars libera, die auf dem Sagittalschnitt sofort sichtbar wird und an der Übergangsstelle des Nasendaches in die seitliche Nasenwand nach vorn verläuft: ferner die Pars tecta, die vom be- nachbarten Riechwulst überlagert ist. Die Riechwülste der medialen Reihe sind für einzelne Thierordnungen und selbst Familien in Form und Anordnung am meisten charakteristisch. Die Verwerthung dieser Formverhiiltnisse für Systematik und Stammesgeschichte bildet einen Haupttheil der Arbeit. Außer den Riechwülsten werden auch die untere Muschel (Maxilloturbinale) und die Sinus in den Bereich der Untersuchung gezogen. Auf Einzelheiten der Arbeit, die ich nur so weit berücksichtigen werde, als sie auf mein specielleres Thema Bezug hat, werde ich später zurückzukommen haben. In einer weiteren kleineren Schrift? werden die in der vorer- wähnten Arbeit gewonnenen Resultate auf das Siebbein des Menschen 1 Das periphere Geruchsorgan der Siiugethiere. Eine vergleichend-ana- tomische Studie. 1887. ? Über die morphologische Bedeutung des Siebbeinlabyrinthes. Nach einem im Verein der Ärzte zu Graz am 13. Juni 1887 gehaltenen Vortrage. Dr. WirrELs- HOFER’s Wiener Med. Wochenschrift (Nr. 39 und 40). 1887. Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 47 angewandt. In der Deutung der menschlichen Siebbeinmuscheln stimmt ZUCKERKANDL mit SCHWALBE überein; nur in so fern findet sich eine Abweichung, als der Processus uncinatus als Homologon der Pars tecta nachgewiesen wird, während ihn SCHWALBE als eine Haftfalte auffasst, welehe den Keilbeinwinkel nicht erreicht. Auch diese Arbeit werde ich noch weiter unten zu berücksichtigen haben. Von anderen einschlägigen Untersuchungen ist mir nichts be- kannt geworden. Ehe ich an die Darstellung meiner Befunde gehe, ist es noth- wendig, einige allgemeine Bemerkungen über den Bau des Siebbeins bei den niederen Säugethieren vorauszuschicken. Dieselben sind abstrahirt von einer Reihe von Untersuchungen an Thieren verschie- dener Klassen (Insectivoren: Igel; Talpa. Nager: Mus rattus; Cavia Cobaya. Carnivoren: Hund. Marsupialier: Macropus Thetidis). Die folgenden Ausführungen haben nur für diese Gültigkeit. Die Nasenhöble dient einer doppelten Funktion; sie bildet einen Zugang für die Athmungsluft und sie birgt das Geruchsorgan. Diesen Aufgaben ist ihr Bau angepasst. Vorsprünge der seitlichen Wand (Muscheln) ragen, mehr oder weniger komplieirt gestaltet, in das Cavum nasale hinein, und fassen ein oft höchst verwickeltes System von Spalten zwischen sich. Die Vorsprünge sind zum Theil Träger der Riechschleimhaut, und indem sie eine Oberflächenvergrößerung bewirken, wird eine mächtigere Entfaltung des peripheren Geruchs- organs ermöglicht. Zum anderen größeren Theile sind sie mit der einfachen, vom Trigeminus innervirten Nasenschleimhaut überkleidet. Indem die eingeathmete Luft die oft sehr engen Spalträume zwischen den Muscheln passirt, wird sie gleichmäßig in der Nasenhöhle ver- theilt, von körperlichen Beimengungen befreit, gewissermaßen filtrirt, durch den ausgiebigen Kontakt mit der Schleimhautoberfläche er- wärmt und durchfeuchtet, um dann erst den Endapparaten des Ol- factorius und den weiteren Athmungswegen zugeführt zu werden. Der komplieirte Bau der Nasenhöhle bezweckt also einmal die Vor- bereitung der Luft für ihre physiologischen Funktionen, andererseits steht er im Dienste des Geruchsinnes. Nach den Aufgaben, die den Muscheln zufallen, sind sie in zwei Arten zu scheiden. Die eine Art hat mit der Olfactoriusaus- breitung nichts zu thun; sie erfüllt ausschließlich die bezeichneten physikalischen Zwecke. Hierher gehört das konstant bei allen Säuge- thieren sich findende Maxilloturbinale (untere Muschel, Nasenmuschel). 48 Otto Seydel Über ihre Formverhältnisse ist in der ZucKERKANDL’schen Arbeit nachzusehen. Dem Maxilloturbinale gegenüber sind alle anderen Muschelbil- dungen charakterisirt durch ihren Zusammenhang mit der Siebplatte, sowie durch die Olfactoriusausbreitung auf ihrer Oberfläche. Sie sind die Träger des pereipirenden Apparates. Aber sie dienen nicht dieser Funktion allein, sie sind gleichzeitig zuleitende Apparate. Nur ihr hinterer Theil wird von der gelben Riechschleimhaut über- kleidet; die größere vordere Partie, welche meist gerade die kom- plieirtesten Formverhältnisse zeigt, trägt einen Überzug von gewöhn- licher Nasenschleimhaut. Alle diese Muscheln fasse ich als Siebbeinmuscheln zusammen. Unter ihnen nimmt eine durch Gestalt, Ursprung und andere Eigenthümlichkeiten eine besondere Stellung ein: das Nasoturbinale (erster Riechwulst; vordere Muschel [|SCHWALBE]). Die übrigen Siebbeinmuscheln, im Bau einander wesentlich gleich, werden nach ihren Lagebeziehungen eingetheilt in solche, welche an der Wand der Nasenhöhle selbst angeheftet sind und den Hohlraum der letzteren erfüllen (eigentliche Siebbeinmuscheln), und in solche, welche in den Sinus stecken und von den Wandungen derselben ent- springen. Letztere werde ich nach dem Knochen benennen, zu dem ihr Ursprung Beziehung hat, z. B. frontale Muscheln; analog der Be- zeichnung Nasoturbinale, Maxilloturbinale. Bei dieser Nomenclatur ist zu berücksichtigen, dass die Bildung sämmtlicher Muscheln von der knorpeligen Nasenkapsel ausgeht, dass ihre Verknöcherung selbständig erfolgt, und dass erst sekundär mit dem partiellen Schwunde der knorpeligen Nasenkapsel eine engere Verbindung der Muscheln mit den, ihrem Ursprunge von außen angelagerten Knochen erfolgt. Die Gesammtheit der Ethmoidmuscheln ist ihrer Entwicklung gemäß als Einheit aufzufassen; diese Einheit kommt auch dadurch zum Aus- druck, dass alle mit der Lamina cribrosa in kontinuirlicher Verbin- dung stehen. Das Nasoturbinale verläuft stets, hinten am oberen Rande der Lamina eribrosa beginnend, als ein leisten- oder wulstförmiges Ge- bilde gerade an der Übergangsstelle der seitlichen Nasenwand in das Dach der Nasenhöhle; es erstreekt sich mehr oder weniger weit nach vorn, häufig bis an die äußere Nasenöffnung heran. Der hintere Theil des Nasoturbinale umschließt bei fast allen Säugethieren mit gut entwickeltem Geruchsorgan einen Hohlraum, dessen Wandung, medial von der Muschel selbst, seitlich vom Frontale, Lacrymale Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 49 und Stirnfortsatz des Oberkiefers gebildet wird. Nach hinten und oben geht er ohne Grenze über in den Sinus frontalis. In das Ca- vum nasale öffnet er sich hinten und unten. Der hinterste Theil des Nasoturbinale wird durch eine Leiste gebildet, die vom Dach der Nasenhöhle sich gerade nach unten erstreckt, dann lateralwärts umbiegt, um mit freiem, seitlich gekehrten Rande zu enden. Bei Thieren mit hoch entwickeltem Geruchsorgan kann die Einrollung weiter gehen, und es ist dann der Hohlraum zum Theil ausgefüllt durch eine vom Nasoturbinale selbst gebildete Muschel. — Weiter nach vorn gewinnt der seitlich eingebogene Rand des Nasoturbinale eine Befestigung an der seitlichen Wand der Nasenhöhle. Der vor- dere Theil des Hohlraumes erhält so einen Abschluss nach unten. Vom mittleren Theil des Nasoturbinale geht ein Fortsatz aus, der an der seitlichen Wand der Nasenhöhle nach unten verläuft und verschiedene Gestaltungen aufweist (Processus uncinatus, Pars tecta des N.¢ ZUCKERKANDL). Er findet sich in allen Fällen, wo ein Sinus maxillaris vorhanden ist, in Beziehung zu diesem. Die übrigen Siebbeinmuscheln zeigen in ihrem Bau in allen wesentlichen Punkten eine Übereinstimmung, wenn sie auch in ihrer Form bei den verschiedenen Thierordnungen differiren. An jeder dieser Muscheln lässt sich unterscheiden: 1) die Basal- oder Ur- sprungslamelle, welche die Anheftung der Muschel an der Wand vermittelt; 2) die eingerollten Theile (Einrollungen). Die Basallamellen beginnen an der Lamina eribrosa und ver- laufen, von der lateralen Nasenwand entspringend, nach vorn und enden, indem sie verschiedene, später zu erwähnende Modifikationen eingehen. Von ihnen gehen die eingerollten Theile der Muscheln aus; diese entsprechen den Riechwülsten der Autoren. Denkt man sich dieselben fort, so würde die Regio olfactoria durch die Basal- lamellen in eine Reihe von Kammern getheilt, deren jede von vorn und von der Seite des Septums her zugänglich ist. Diese Kammern sind am unverletzten Siebbein durch die dicht an einander liegenden Einrollungen erfüllt. Die Basallamellen verlaufen einander parallel oder wenig kon- vergirend gerade nach vorn oder wenig nach unten geneigt. Ihre vorderen Enden werden durch eine mehr oder weniger deutlich aus- geprägte Leiste (Sammelleiste) mit einander in Verbindung gesetzt. Diese verläuft an der seitlichen Nasenwand, oben lateral vom oberen Ende des Processus uneinatus beginnend, und zieht in nach vorn offenem Bogen nach unten, um dann nach hinten umzubiegen. Morpholog. Jahrbuch. 17. 4 50 Otto Seydel Von jeder Basallamelle gehen Einrollungen aus. Das medial- wärts gekehrte Ende der Basallamelle geht entweder in eine ein- fache Einrollung über (Taf. IV Fig. 1 777), oder aber es ist an ihm eine Einrollung nach oben und eine zweite nach unten entwickelt; doppelt gerollte Muschel (Taf. IV Fig. 1 7). Diese doppelte Ein- rollung erscheint äußerlich als ein Riechwulst. Endlich kann das mediale Ende der Basallamelle sich spalten und jeder Theil eine eigene Endaufrollung hervorgehen lassen (Taf. IV Fig. 1 7). Außer diesen End- oder Haupteinrollungen kann eine Basallamelle noch andere, seitlich abzweigende Einrollungen in verschiedener Zahl tragen, die. lateral von den Haupteinrollungen liegen und auf dem Sagittalschnitt von ihnen verdeckt sind (accessorische oder sekundäre Einrollungen: vgl. Tab. IV Fig. 1 7 und IT). Die Gesammtheit der von einer Basallamelle sich abzweigenden Einrollungen ist mit dieser als Ganzes zusammenzufassen und als Muschel zu bezeichnen. Die eigentlichen Siebbeinmuscheln zerfallen in zwei Gruppen. Eine Anzahl derselben ragt bis an das Septum heran, so dass ihre Endaufrollung der Nasenscheidewand benachbart ist. Diese Muscheln bezeichne ich als Hauptmuscheln. Ihre Endaufrollungen entsprechen den medialen Riechwülsten ZUCKERKANDL’s. Zwischen den Haupt- muscheln liegen andere, die weniger weit medialwiirts vorragen, so dass ihre Endaufrollungen zwischen den Hauptmuscheln versteckt liegen. Ich nenne sie Nebenmuscheln. Die Bildungen, welche ZUCKER- KANDL als laterale Riechwülste zusammenfasst, haben also verschie- denen morphologischen Werth. Einige derselben sind als selbständige Muscheln zu beurtheilen, während andere nur Theile der Haupt- muscheln sind. — Die Muscheln der Nasenhöhle sind über einander angeordnet; die obersten pflegen am besten entwickelt zu sein und ihre Haupteinrollungen die ausgeprägteste Formation zu haben. Die einzelnen Einrollungen stehen hinten mit der Lamina eri- brosa in Verbindung und zweigen in ihrer ganzen Länge von der Basallamelle ab. Doch können accessorische Einrollungen weiter vorn von der Ursprungslamelle auf die seitliche Nasenwand über- gehen, so dass der vordere Theil einen gesonderten Ursprung ge- winnt. Jede Einrollung wird durch eine zarte, tütenförmig auf- gerollte Knochenlamelle gebildet. Die Spitze der Tüte ist nach hinten gerichtet und sitzt an der Lamina eribrosa fest. Die Einrollung um- schließt einen Hohlraum, der von der Seite her durch den zwischen der aufgerollten Knochenlamelle bleibenden Spalt zugängig ist. Die nach vorn gerichteten Enden verhalten sich verschieden ; stets reicht Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 51 die Anheftung des eingerollten Theiles bis an den vorderen Fußpunkt der Basallamelle. In den einfachsten Fällen hört die Einrollung vorn mit freiem Rande auf, so dass die Höhlung auch von vorn her zu- gänglich ist (Fig. Ia). In anderen Fällen ist der obere Theil der Fig. 1. Lum. cribr. : } a. b. Lam.eribr. Stiel Anschwellung. Einroltung. <= Hf tft alle—£ | Basallamelle. — Schema für zwei verschiedene Muschelformen. Muschel zwischen Basallamelle und Einrollung mützenartig nach vorn vorgestülpt, die ursprünglich nach vorn gerichtete Öffnung des Hohl- raumes kommt hierdurch auf die Seite der Muschel zu liegen (Fig.1D). Diese nach vorn gerichtete Vorstülpung kann nun die verschieden- sten, häufig sehr komplieirten Formationen annehmen, welche viel- fach für einzelne Thiergruppen charakteristische Eigenthümlichkeiten aufweisen. Über die specielleren Verhältnisse, sowie über die Be- deutung der äußeren Muschelform für Systematik und Stammesge- schichte vergleiche ZUCKERKANDL. Im Allgemeinen besteht zwischen zwei benachbarten Muscheln kein Zusammenhang: es lässt sich jede für sich an ihrem Ursprung loslösen, ohne dass die benachbarten verletzt würden. Doch kommen an der Sammelleiste meist wenig ausgedehnte Verschmelzungen be- nachbarter Einrollungen vor, auch fließen nicht selten die vorderen Enden benachbarter Basallamellen in ihrer Ursprungslinie zusammen. Um einen Überblick über die Zahl der Muscheln und über die Lagebeziehung der Einrollungen zu den Basallamellen und zu ein- ander zu gewinnen, fertigt man einen Schrägschnitt durch die Nasen- hobble an, parallel der Siebplatte und wenige Millimeter vor derselben. Auf Taf. IV Fig. 1 ist ein solches Präparat vom Hunde dargestellt. Die Spalten zwischen den Einrollungen sind jedoch der Übersicht wegen viel zu breit gezeichnet; in der That liegen die Flächen der verschiedenen Einrollungen dicht an einander, so dass es einige Mühe kostet, das komplicirte Bild zu entwirren'. ! Die von SCHWALBE eingeführte, von ZUCKERKANDL übernommene Ein- theilung des Riechwulstes in Stiel, Anschwellung und Haftfalte erleichtert zwar 4* 52 Otto Seydel Die Regio olfactoria wird nach unten gegen den Ductus naso- pharyngeus abgegrenzt durch die Schlussplatte (Lamina terminalis, ZUCKERKANDL). Dieselbe stellt eine knöcherne Platte vor, welche, von der unteren Keilbeinfläche ausgehend, sich nach vorn erstreckt, zwischen Septum und seitlicher Nasenwand horizontal ausgespannt. Ibr vorderer freier Rand ist bogenförmig ausgeschnitten. Die Basal- lamellen der hintersten Muscheln verlaufen bisweilen auf ihrer nach oben gerichteten Fläche. Mit der Nasenhöhle stehen in ziemlicher Konstanz drei Neben- räume in Verbindung: der Sinus frontalis, sphenoidalis und maxillaris. Der Sinus frontalis stellt bei Thieren mit gut entwickeltem Ge- ruchsorgan in den einfachsten Fällen eine nischenförmige Ausbuch- tung des Cavum nasale nach hinten und oben in das Stirnbein hinein vor, welche sich nach Herausnahme des Siebbeins nicht präcise ab- die Beschreibung und hat aus diesem Grunde einen praktischen Werth; aber sie führt, namentlich in Verbindung mit den von ZUCKERKANDL gegebenen schematischen Darstellungen, entschieden zu falschen Vorstellungen, und man thut aus diesem Grunde wohl am Besten, wenn man sie ganz fallen lässt. Die Haftfalte ist weiter nichts als der durch die Ausstülpung nach vorn in die Länge gezogene vordere Rand der Ursprungslamelle. Die von den Einrollungen umschlossenen Hohlräume als Siebbeinzellen zu bezeichnen, halte ich nicht für zweckmäßig. Die Siebbeinzellen des Menschen haben mit diesen Bildungen nichts zu thun.. 1 In ganz ähnlicher Weise schildert HARRISON ALLEN den allgemeinen Bau des Siebbeins bei den Säugethieren in seiner Schrift: »On a Revision of the Ethmoid Bone in the Mammalia, with special Reference to the Description of this Bone and of the Sens of Smelling in the Cheiroptera«. (Bulletin of the Museum of Comparative Zoology. St. Harvard College. Vol. X. No. 3. 1882.) ALLEN theilt das Siebbein ein in das Mesoethmoid = Lamina cribrosa + La- mina perpendicularis und das Ethmoturbinale, welches die seitlichen Massen des Knochens umfasst. Letzteres zerfällt wieder in das Endo- und Ektoturbinale. Das Ektoturbinale liegt in dem vom Frontale und Oberkiefer umschlossenen Raum, d. h. im Sinus frontalis; der Zugang zu diesem findet sich zwischen Nasoturbinale und erstem Endoturbinale. Das Endoturbinale liegt in der eigent- lichen Nasenhöhle. Jedes olfactory element des Ethmoturbinale wird gebildet durch eine olfactory plate, welche hinten an der Lamina cribrosa, seitlich an der seitlichen Wand der Nasenhöhle, vorn am associate-turbinal festgeheftet ist. Die medianen Enden dieser Platten enden frei, oder sie tragen eingerollte Theile (resolute parts). Die Zahl der Platten übersieht man am besten auf Querschnitten durch die Nasenhöhle. Die Zahl der Ektoturbinals ist bei den Quadrupeden wechselnd; bei den Primaten sind sie völlig geschwunden. — Genauere Angaben iiber das Nasoturbinale fehlen, doch wird der Processus uncinatus bei Cebus und dem Menschen richtig als Rudiment des Nasoturbinale gedeutet. Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 53 grenzen lässt. Der Sinus erscheint dann als eine Ausweitung der Nasenhöhle in das Frontale hinein. Der Sinus ist ganz oder nur in seinem unteren Theil mit Mu- scheln erfüllt. Diese gehen von der Lamina cribrosa aus, verlaufen mit ihren Ursprungslamellen an der Wand des Sinus nach vorn und endigen in der Sammelleiste. Nach unten vorn geht der Sinus ohne scharfe Grenze über in den vom Nasoturbinale umschlossenen Hohl- raum: die vorderen Enden der frontalen Muscheln ragen in den letzteren hinein. Es lässt sich demnach der Hohlraum des Naso- turbinale auffassen als eine Ausbuchtung des Sinus in die Muschel hinein !. Der Sin. sphenoidalis präsentirt sich bei allen Quadrupeden bis inklusive Halbaffen als eine nischenförmige Ausbuchtung in den Keilbeinkörper hinein und ist ganz oder zum Theil durch die hintere Partie der hintersten Muschel erfüllt. Der Sin. maxillaris stellt in den am wenigsten komplieirten Fällen (z. B. bei den Carnivoren) eine grubige Vertiefung in dem Körper des Oberkiefers dar. Die weite Öffnung derselben liegt hier hinter dem hinteren Ende des Maxilloturbinale. Nach hinten buchtet sich der Sinus unter die Regio olfactoria seitlich aus. Eine dem Siebbein angehörige Platte legt sich von hinten her über die Höh- lung und bildet so eine mediale Wand für dieselbe. Diese Platte werde ich als Maxillarplatte des Ethmoids bezeichnen. Das vordere Ende des seitlichen Randes der Schlussplatte verbindet sich mit der der Nasenhöhle zugekehrten Fläche dieser Platte und theilt sie in zwei über einander liegende Abschnitte. Der obere scheidet den Sinus von der Regio olfactoria und trägt auf seiner medialwärts gerichteten Fläche die vorderen Enden der Ursprünge mehrerer Siebbeinmuscheln; der untere grenzt den Sinus gegen den Ductus nasopharyngeus ab. Der untere Rand der Maxillarplatte fußt auf dem harten Gaumen; der vordere freie Rand wird an dem oberen Abschnitte der Platte durch die Sammelleiste gebildet und bedingt eine scharfe hintere Abgrenzung des Zuganges zum Sinus. Die einzige Muschel, die zur Kieferhöhle Beziehung hat, ist das Nasoturbinale und zwar der Processus uncinatus desselben. Beim Hunde ragt er als ein gewundener, nicht mit Riechschleimhaut tiberklei- deter Fortsatz in den vorderen Theil des Sinus hinein. Niemals fand ich ! Bei anderen Thieren, z. B. den Ungulaten, findet sich der Hohlraum des Nasoturbinale bis auf eine kleine Öffnung gegen den Sinus front. abgeschlossen ; dieser Zustand ist wohl als der sekundäre aufzufassen. 54 Otto Seydel andere Theile des Siebbeins in der Kieferhöhle vor. Bei anderen Thierformen betheiligt sich der Processus uncinatus wesentlich an der Bildung der medialen Wand des Sinus. Es wurde schon von ZUCKERKANDL ausgesprochen, dass der An- stoß zur Bildung des Sin. frontalis und sphenoidalis vom Siebbein ge- geben wird. Mit der höheren Entwicklung des Geruchssinnes gewinnt der periphere Apparat eine mächtigere Entfaltung, und für diese wird Raum geschaffen durch Ausbuchtungen der Nasenhöhle in das Keil- und Stirnbein hinein. Nachdem einmal die Bildung solcher Nebenräume angebahnt ist, kann der Process noch weiter fort- schreiten, ohne dass der gewonnene Raum in den direkten Dienst des Geruchssinnes tritt. Es findet sich dann, wie es zum Beispiel häufig am Sinus frontalis der Fall ist, nur ein Theil des Sinus mit Muscheln erfüllt. In dem Maße, als der Geruchssinn an Dignität verliert, schwin- den die Muschelbildungen in den Sinus. Diese schwinden gleich- falls (niedere Affen), oder aber sie bleiben als leere Cavitäten er- halten und können sogar noch weiter ausgebildet werden; schließen sich aber dann bis auf kleine Öffnungen gegen die Nasenhöhle ab (Platyrrhini, anthropoide Affen, Mensch). Diese Erwägungen finden auf den Sin. maxillaris keine Anwen- dung. In keinem Falle fand ich eigene Muschelbildungen in dem- selben, wie im Sinus frontalis oder seine Höhlung durch eine ein- ragende Siebbeinmuschel ausgefüllt, wie beim Sinus sphenoidalis. Die Frage, was den Anstoß gegeben hat zur Bildung der Kiefer- höhle, ist demnach noch als eine offene zu bezeichnen. Die Zugänge zum Sin. frontalis und maxillaris sind an unver- letzten Präparaten von Muscheln verdeckt. Nach Entfernung des ganzen Ethmoids lassen sich die Grenzen des Cavum nasale gegen die Neben- räume nicht präcis feststellen. Es wird aber durch die Architektur des Siebbeins eine gewisse Abgrenzung der Sinus geschaffen, so dass sich die Zugänge zu ihnen fixiren lassen. Der Zugang zum Sinus maxillaris erhält konstant eine hintere Abgrenzung durch die Sammelleiste. Eine vordere scharfe Umgren- zung tritt erst auf, wenn der Processus uneinatus sich an der Bil- dung der medialen Wand des Sinus betheiligt. Der Zugang wird dann durch einen weiteren oder engeren Spalt zwischen Sammel- leiste und hinterem Rand des Processus uncinatus gebildet. Der Sinus senkt sich lateral von der Sammelleiste in die Tiefe. Der Zugang zum Sinus frontalis wird gebildet, indem gegen Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 55 den seitlich eingebogenen hinteren Theil des Nasoturbinale die Kuppe einer Nebenmuschel heranragt. Es entsteht so ein weiterer oder engerer Spalt, der nach oben hinten durch die Verbindung des Naso- turbinale und der Nebenmuschel mit der Siebplatte abgeschlossen ist, und der nach unten vorn zusammenfließt mit dem Zugang zum Sinus maxillaris. Allerdings markirt die Sammelleiste eine undeut- liche Grenze zwischen beiden. Der Spalt führt außer in den Sinus frontalis gleichzeitig in den Hohlraum des Nasoturbinale; ein wei- terer Grund für die einheitliche Beurtheilung beider. Bei der Aufgabe, die Formverhältnisse des Siebbeins der Affen und des Menschen abzuleiten von denen der Quadrupeden, sind fol- sende Punkte zu berücksichtigen. 1) Welche Beziehung besteht zwischen den zwei bis drei Sieb- beinmuscheln des Menschen und den fünf medialen Riechwülsten der Quadrupeden? SCHWALBE und ZUCKERKANDL erklären den Agger nasi des Menschen dem Nasoturbinale, die Concha media dem zweiten und dritten, die Concha superior dem vierten und fünften Riech- wulst fiir homolog. Im Wesentlichen ist diese Auslegung richtig, doch ist die Formulirung nicht genau. Um die Frage mit voller Schiirfe zu beantworten, ist es nothwendig, zuniichst die Zahl der Muscheln, d. h. der oben gegebenen Definition entsprechend, die Zahl der Basallamellen, welche die fünf Riechwülste hervorgehen lassen, festzustellen und von diesem Gesichtspunkte aus die Ableitung zu versuchen. 2) Ableitung der plattenförmigen Muscheln von den Aufrol- lungen der Quadrupeden. 3) Insertionsverhältnisse der Muscheln. Bei dieser Frage sind zwei Punkte in Betracht zu ziehen. a. Wie kommt die Umstellung der Muscheln zu Stande? ZUCKER- KANDL erwähnt diese Verhältnisse nur nebenbei; er geht dabei aus von den Spalten zwischen den Muscheln (Fissurae ethmoidales, und bringt die Umlagerung derselben in Beziehung zur Knickung der Sehädelbasis. Meines Erachtens muss man auch bei dieser Frage das Verhalten der Basallamellen zu Grunde legen; da die Stellung der Fissurae ethmoidales wesentlich durch die Ausbildung der Mu- scheln beeinflusst wird. b. Wie geht der gesonderte Ursprung der Muscheln an der Sieb- platte verloren? ZUCKERKANDL sagt hierüber nur aus, dass dies 56 Otto Seydel durch »eine Verschmelzung der Stiele« geschähe. Diese Darstellung ist nicht präeis. 4) Wie vollzieht sich die Abgrenzung des Sinus gegen die Nasenhöhle? ZUCKERKANDL hat diese Frage eingehender nur für den Sinus sphenoidalis besprochen und kommt zu dem Schluss: Die Ossicula Bertini sind homolog der Lamina terminalis. Ich schließe mich dieser Deutung an. In Bezug auf den Sinus frontalis und maxillaris blieben jedoch wesentliche Punkte unerledigt. Indem ich nun zur Darstellung meiner Befunde iibergehe, will ich vorausschicken, dass ich mich dabei auf die Punkte beschriinken werde, die fiir meine Aufgabe von Wichtigkeit sind, und verweise im Übrigen auf die Arbeit von ZUCKERKANDL. I. Prosimier. Lemur catta (Taf. IV Fig. 2 und 3). Die Siebplatte ist ziemlich groß, reichlich durchlöchert und steht schräg, von hinten unten nach vorn oben geneigt. Das Nasoturbinale verhält sich in typischer Weise und ragt nach vorn bis an die äußere Nasenöffnung. Der den Zugang zum Sinus frontalis von oben her umgrenzende freie Rand zeigt eine leichte Einrollung. Der Processus uneinatus löst sich breit als eine dünne Knochen- platte vom unteren Rande des Nasoturbinale und legt sich, säbelförmig nach hinten gekrümmt, über die weite Apertur der Kieferhöhle. Sein vorderer Rand ist dem Rande der Öffnung angelagert. Der Fort- satz selbst liegt in der Ebene der seitlichen Nasenwand, so dass er ‚sich an Präparaten, an denen die Schleimhaut erhalten ist, nicht markirt (vgl. Fig. 3). Außer dem Nasoturbinale finden sich noch drei Hauptmuscheln des Siebbeins. Die erste lässt zwei mediale Einrollungen hervor- gehen (zweiter und dritter Riechwulst). Die obere derselben (zweiter Riechwulst) ist am mächtigsten entfaltet und ragt mit einer kegel- förmigen Spitze nach vorn frei in die Nasenhöhle. Der vierte und fünfte Riechwulst besitzen jeder seine eigene Basallamelle. Ober- halb der ersten Hauptmuschel liegt eine Nebenmuschel, die mit ihrer Kuppe an den freien Rand des Nasoturbinale heranragt und den Zugang zum Sinus frontalis von unten her begrenzt. Ihr Ursprung verläuft von der Siebplatte nach vorn und endet an der Sammel- — Über die Nasenhöhle der höheren Siiugethiere und des Menschen. 57 leiste. Zwischen der ersten und zweiten Hauptmuschel findet sich eine zweite Nebenmuschel. Der Ursprung der ersten Hauptmuschel erstreckt sich zunächst nach vorn unten, biegt, nachdem er die Sammelleiste erreicht hat, im Bogen nach hinten unten um, auf dem vorderen Rande der Maxillarplatte verlaufend, und endet dicht vor dem vorderen Ende _des seitlichen Randes der Schlussplatte (vgl. Fig. 3). Ähnlich ver- hält sich der Ursprung der zweiten Nebenmuschel; während der der zweiten und dritten Hauptmuschel gestreckt in etwas stärkerer Nei- gung nach unten und vorn verläuft. Der vordere Theil des Ur- sprungs der dritten geht auf die Schlussplatte über. Die Ursprünge konvergiren also gegen das vordere Ende der Schlussplatte. Die Sammelleiste beginnt, verdeckt vom Processus uncinatus, an der Stelle, wo sich derselbe von der seitlichen Wand der Kieferhöhle abhebt, zieht in nach vorn offenem Bogen nach hinten unten und vereinigt sich mit dem Ursprung der ersten Hauptmuschel. Die Sehlussplatte deckt von unten her die zweite und dritte Hauptmuschel. Ihr medialer Rand ist in eine dem Septum angela- gerte Spitze ausgezogen. Der Sinus frontalis ist verhältnismäßig groß und buchtet sich in das hintere Drittel des Nasoturbinale nach vorn aus. An seiner seitlichen Wand finden sich zwei unbedeutende, leistenförmige Erhe- bungen, die hinten an der Siebplatte beginnen, schräg nach vorn verlaufen und allmählich verstreichen, ohne die Sammelleiste zu er- reichen. Der Zugang liegt in der typischen Weise zwischen der ersten Nebenmuschel und dem hinteren Theil des Nasoturbinale. In den Sinus sphenoidalis, der den ganzen vorderen Keilbein- körper einnimmt, ragt der hintere Theil der dritten Hauptmuschel; jedoch bleibt der größte Theil des Sinus leer. Der Sinus maxillaris ist ziemlich geräumig. Er ist, wie bei allen Halbaffen, gegen die Nasenhöhle bis auf den spaltförmigen Zugang abgeschlossen. Den vorderen und größten Theil seiner me- dialen Wand bildet der Processus uncinatus. Von hinten her schiebt sich die Maxillarplatte über die Keilbeinhéhle. Der Ursprung der ersten Nebenmuschel verläuft gerade am oberen Rande der Platte; der untere Rand derselben fußt auf dem harten Gaumen. Endlich betheiligt sich das Maxilloturbinale an der Abgrenzung des Sinus. Die Ursprungslamelle desselben hebt sich nämlich von einer nahezu rechteckigen Knochenplatte ab, die vorn an den Oberkiefer, 58 Otto Seydel hinten an die Maxillarplatte stößt und mit ihrem unteren Rande auf dem harten Gaumen steht. Diese Platte gehört dem Maxilloturbinale an (Fußplatte desselben) und verbindet sich durch Nähte mit den benachbarten Knochen. Die Lücken in der knöchernen Wandung des Sinus, die zwischen Processus uncinatus einerseits, Oberkiefer und Maxilloturbinale an- dererseits bleiben, werden durch Schleimhautduplikaturen verschlossen, indem auf der einen Seite die Schleimhaut der Nasenhöhle, auf der anderen die des Sinus kontinuirlich über sie hinwegzieht. Der spaltförmige Zugang erhält eine untere Abgrenzung, indem das nach hinten gerichtete Ende des Processus uncinatus gerade die Stelle der Sammelleiste erreicht, wo sich der Ursprung der ersten Haupt- muschel, nach hinten und unten umbiegend, mit ihr vereinigt. Otolicnus Galago (Taf. IV Fig. 4—6). Nur in einigen Punkten weicht der Befund von dem bei Le- mur ab. Von der Basallamelle der ersten Hauptmuschel gehen wieder zwei mediale Einrollungen aus; die obere derselben ist mächtig ent- wickelt. Sie reicht, das Maxilloturbinale fast völlig überlagernd, nach vorn fast bis an die äußere Nasenöffnung; ihr unterer Rand, der fast den Boden der Nasenhöhle erreicht, ist erst seitlich und nach unten, dann medialwärts umgebogen und formirt so eine Rinne; nach hinten ragt ein Fortsatz der Einrollung frei in den Duetus nasopharyngeus hinein (Fig. 4). Die vorderen Enden der Muschelursprünge konvergiren ähnlich wie es bei Lemur beschrieben wurde, gegen das vordere Ende des lateralen Randes der Schlussplatte. Nur die erste Nebenmuschel, die wieder in Beziehung steht zum Zugang zum Sinus frontalis, ver- läuft gestreckt nach vorn unten und endet an der Sammelleiste. Der Ursprung der zweiten Nebenmuschel fließt vorn mit dem der zweiten Hauptmuschel zusammen: der der dritten Hauptmuschel geht nicht auf die Schlussplatte über (vgl. Fig. 5). Der dem Septum anliegende Theil der Schlussplatte, welche nur unter der dritten Hauptmuschel eine Scheidewand zwischen Regio olfactoria und Nasenrachengang bildet, ist nach vorn lang ausge- zogen und formirt eine horizontal vom Septum in die Nasenhöhle hineinragende Leiste, welche sich in die von der obersten Einrol- lung gebildete Rinne legt. Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 59 Zu bemerken ist, dass die Spalten zwischen den Muscheln äußerst eng sind, und dass die medialen Einrollungen dem Septum dicht angelagert sind; den Spalten zwischen ihnen entsprechen leichte leistenförmige Erhebungen an der Nasenscheidewand, so dass sich an dieser das Relief der Muscheln gewissermaßen abgedrückt hat. Der Keilbeinsinus ist etwa zur Hälfte durch den hinteren Theil der dritten Hauptmuschel erfüllt. Der Sinus frontalis ist auf den Hohlraum im hinteren Theil des Nasoturbinale beschränkt und enthält keine Muschelbildungen. Der Sinus maxillaris ist klein. Seine mediale Wand wird hinten durch eine Maxillarplatte gebildet, die indess eine geringere Ent- wicklung zeigt, als bei Lemur; vorn durch den Processus uncina- tus, unten durch die Fußplatte des Maxilloturbinale. Diese erreicht jedoch nieht den vorderen Rand der Maxillarplatte, die zwischen beiden bleibende Lücke wird durch eine Schleimhautfalte ausge- füllt. Der Processus uncinatus, der sich etwas aus der Fläche der Wand heraushebt, steht nur mit seinem vorderen Rand durch eine Schleimhautduplikatur in Verbindung mit der seitlichen Nasenwand; der untere und der hintere Rand ragen, seitlich gekrümmt, frei in den Sinus hinein. Der spaltförmige Zugang zum Sinus erstreckt sich also weiter nach unten und vorn als bei Lemur. Stenops tardigradus. Stenops tardigradus verhält sich in vielen Punkten ähnlich wie Otolienus. Charakteristisch ist auch hier die mächtige Entfaltung der oberen Einrollung der ersten Hauptmuschel. Der Frontalsinus erstreckt sich ziemlich weit nach vorn in das Nasoturbinale hinein. An seiner seitlichen Wand verläuft eine nie- drige Leiste, die hinten an der Lamina cribrosa beginnt, nach vorn allmählich verstreicht, ohne die Sammelleiste zu erreichen. Der Sinus maxillaris ist klein. Seine mediale Wand wird zum größten Theil vom Processus uneinatus gebildet; es betheiligt sich ferner die Fußplatte des Maxilloturbinale. Eine Maxillarplatte fehlt; sie ist nur in Form einer niedrigen Leiste angedeutet. Die Sammel- leiste, sowie die Muschelursprünge sitzen daher in ihrer ganzen Aus- dehnung direkt der seitlichen Wand der Nasenhöhle an. Das nach hinten geriehtete Ende des Processus uneinatus erreicht die Stelle, wo der Ursprung der ersten Hauptmuschel nach hinten umbiegt und sich mit der Sammelleiste verbindet, so dass der Zugang zum Sinus 60 Otto Seydel maxillaris auf den Spalt zwischen Processus uneinatus und Sammel- leiste beschränkt ist. Der hintere Rand des Processus uncinatus ist seitlich eingerollt; diese Einrollung füllt fast ganz die Höhlung des Sinus aus. Der Sinus sphenoidalis ist durch den hinteren Theil der dritten Hauptmuschel völlig ausgefüllt. Stenops gracilis (Taf. IV Fig. 7—9). Stenops gracilis schließt sich an die vorigen an; doch sind die Rückbildungserscheinungen bei ihm noch ausgesprochener. Die Siebplatte ist schmäler als bei den übrigen Halbaffen, und ihre Stellung nähert sich der horizontalen. Das Septum interorbitale erscheint verschmälert, namentlich in seinem oberen, vom Stirnbein gebildeten Theil. Das Nasoturbinale weicht in seiner Lage vom typischen Ver- halten nicht ab. Es sind auch hier drei Hauptmuscheln vorhanden, die obere Einrollung der ersten überlagert das Maxilloturbinale fast völlig. Die Form der Muscheln gleicht der bei Otolienus (Fig. 7). Die Ursprungslinie der ersten Hauptmuschel verläuft zunächst nach vorn unten, biegt, nachdem sie die Sammelleiste erreicht hat, in scharfem Bogen nach hinten unten um und endet etwas vor und unterhalb des vorderen Endes der Schlussplatte. Der Ursprung reicht also bis in den Nasenrachengang hinein. Ein langer Fortsatz der Einrollung ragt nach hinten frei in den Ductus nasopharyngeus hinein. Der Ursprung der zweiten Hauptmuschel ist gleichfalls an seinem vorderen Ende nach hinten unten abgebogen; der der dritten liegt ganz auf der Schlussplatte. Also auch hier findet sich eine Konvergenz der Ursprünge der Hauptmuscheln gegen das vordere Ende der Schlussplatte (Fig. 8). Von den Nebenmuscheln finden sich nur Reste. Zwischen erster und zweiter Hauptmuschel liegt eine unbedeutende Leiste, die von der Siebplatte schräg nach vorn unten zieht und sich mit der Basal- lamelle der zweiten Hauptmuschel verbindet (Rest der zweiten Neben- muschel). Eine zweite Leiste findet sich oberhalb der ersten Haupt- muschel; sie zieht von der Siebplatte an zunächst nach vorn unten, gegen den Rand des Nasoturbinale heranragend; biegt dann gerade nach unten um und vereinigt sich mit der Sammelleiste an derselben Stelle, wo sich der Ursprung der ersten Hauptmuschel mit dieser verbindet (Fig. 8). Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 61 Die Sammelleiste beginnt, verdeckt vom Processus uncinatus, in der Nähe seines hinteren Randes an der Stelle, wo sich der Fort- satz von der seitlichen Nasenwand abzuheben beginnt. Das obere Ende der Sammelleiste steht mit dem Processus uncinatus in Ver- bindung, indem es sich an die lateralwärts gekehrte Fläche des- selben anlegt und dann in nach unten offenem Bogen auf die Nasen- wand iibergeht (Fig. 9). Der Sinus sphenoidalis ist zum größten Theil durch das hintere Ende der dritten Hauptmuschel ausgefiillt. Vom Sinus frontalis findet sich nur eine Andeutung in Form einer grubigen Einsenkung zwischen hinterem Theil des Nasotur- binale und der der oberen Nebenmuschel entsprechenden Leiste. Der Sinus maxillaris ist klein; seine mediale Wand wird, wie bei Stenops tardigradus, durch den Processus uncinatus und die Fuß- platte des Maxilloturbinale gebildet. Das nach hinten gerichtete Ende des Fortsatzes des Nasoturbinale erreicht die Sammelleiste an der Stelle, wo sich die Basallamelle der ersten Hauptmuschel mit ihr verbindet, und letztere nach hinten umbiegt. Der Zugang zum Sinus liegt auch hier wieder zwischen hinterem Rand des Processus uneinatus und Sammelleiste; doch gewinnt auch die der ersten Neben- muschel entsprechende Leiste durch den bogenförmigen Verlauf ihres vorderen Endes eine Beziehung zur Umgrenzung des Zuganges. Zusammenfassung. Der Charakter des Siebbeins bei den Halbaffen stimmt im We- sentlichen mit dem bei den übrigen Quadrupeden überein. Die Nasenhöhle ist in die Länge gezogen; der Längendurch- messer überwiegt bedeutend gegen die Höhe. Der quere Durch- messer ist, der Breite des Septum interorbitale entsprechend, ziemlich beträchtlich. Die Siebplatte ist im Verhältnis zu der der Affen groß; sie steht schräg, hinten unten an den niedrigen Keilbeinkörper ange- schlossen. Sie bildet mehr einen Abschluss der Nasenhöhle nach hinten als nach oben. Ein Atrium der Nasenhöhle ist kaum vorhanden; das Maxillo- turbinale ragt bis fast an die äußere Nasenöffnung nach vorn und liegt auch in den Fällen, wo es von der ersten Einrollung der ersten Hauptmuschel überlagert ist, stets vor der eigentlichen Regio ol- factoria. 62 Otto Seydel Das Nasoturbinale ist deutlich ausgeprägt und verläuft an der typischen Stelle, nämlich am oberen Rande des Oberkieferstirnfort- satzes, dicht unterhalb dessen Verbindung mit dem Nasale, parallel dem Nasenrücken nach vorn. Sein Processus uncinatus ist stets in guter Entwicklung vorhanden und bildet den wesentlichsten Theil der medialen Kieferhöhlenwand. Die übrigen vier Riechwülste lassen sich in allen Fällen von drei Basallamellen ableiten, von denen die erste zwei mediale Ein- rollungen hervorgehen lässt. Es existiren also drei Hauptmuscheln. Die obere Einrollung der ersten ist stets am mächtigsten entfaltet. Außerdem finden sich zwei Nebenmuscheln, die in ihrer Lokalisation konstant sind. Die obere, oberhalb der ersten Hauptmuschel, bildet die untere Umgrenzung des Zuganges zum Sinus frontalis; eine zweite liegt zwischen erster und zweiter Hauptmuschel. In ihrem Bau weichen die Muscheln nicht von dem in der Ein- leitung beschriebenen Typus ab. Durch die Formation der oberen Einrollung der ersten Hauptmuschel unterscheidet sich Lemur von den übrigen untersuchten Halbaffen. ZUCKERKANDL begründet durch diese Differenz eine verschiedene phylogenetische Ableitung beider Formen. In der Abbiegung der vorderen Enden der Muschelur- sprünge nach hinten unten und in der Konvergenz derselben gegen das vordere Ende der Schlussplatte stimmen alle Prosimier mit ein- ander überein. Doch sind diese Verhältnisse am ausgeprägtesten bei Stenops gracilis. Die Regio olfactoria findet sich stets durch eine Lamina termi- nalis gegen den Ductus nasopharyngeus abgegrenzt. Die Verhältnisse der Sinuszugänge zeigen höchstens graduelle Abweichungen von den in der Einleitung aus einander gesetzten. Der Sinus frontalis öffnet sich zwischen Nasoturbinale und der ersten Nebenmuschel, der Sinus maxillaris zwischen Processus uncinatus und Sammelleiste. Nur sind diese Theile nahe an einander gerückt, so dass die Zugänge als schmale Spalten erscheinen. Diese Zu- stände entsprechen noch keineswegs denen, wie sie sich beim Men- schen finden, und ich möchte desshalb ZuckerkAnnpr's Behauptung, dass bei den Prosimiern als neu ein Hiatus semilunaris auftritt, der sich ganz ähnlich wie beim Menschen verhält, zurückweisen. Prineipielle Unterschiede lassen sich demnach zwischen dem Siebbein der Halbaffen und dem anderer Quadrupeden nicht nach- weisen; doch trägt dasselbe schon Spuren von Riickbildungen, die in der Reihe der Prosimier immer deutlicher werden und Verhält- Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 63 nisse anbahnen, wie sie sich bei den Primaten in vollster Entwick- lung finden. Diese Reduktion kennzeichnet sich zunächst durch das Verhalten der Siebplatte, wie ja überhaupt die Lamina cribrosa durch ihre Größe und die Zahl ihrer Löcher einen guten Maßstab abgiebt für die Entwicklung des peripheren Geruchsorgans. Die Breite der La- mina cribrosa nimmt in der Reihe der Halbaffen erheblich ab, wäh- rend ihre Länge relativ die gleiche bleibt. In demselben Maße reducirt sich auch der quere Durchmesser der Nasenhöhle. Hier- mit parallel geht eine Riickbildung des percipirenden. Apparates. Diese kommt zum Ausdruck erstens durch das Fehlen accessorischer Einrollungen an den Muscheln, ferner durch die Riickbildung der Nebenmuscheln, sowie der Muscheln des Sinus frontalis. Erstere sind bei Lemur und Otolicnus in typischer Ausbildung vorhanden. Bei Stenops tardigradus ist die untere, bei Stenops gracilis sind beide zu leistenförmigen Erhebungen geworden. Im Sinus frontalis ließen sich bei Lemur und Stenops tardigradus Reste von Muscheln nach- weisen; während sie bei Otolicnus und Stenops gracilis völlig fehlten. Der Sinus selbst verkleinert sich mehr und mehr und ist bei Stenops gracilis nur noch als eine leichte grubige Einsenkung angedeutet. — An der lateralen Fläche des Siebbeins kommt die Rückbildung zum Ausdruck durch den Schwund der Maxillarplatte. Dieselbe ließ sich bei Lemur und in geringerer Entwicklung auch bei Otolicnus nach- weisen. Bei den beiden Stenops ist nur ein Rest vom obersten Theil dieser Platte erhalten in Form einer niedrigen Leiste, welche bei Stenops tardigradus in leichtem Bogen vom oberen Rande des Pro- cessus uneinatus zur Umbiegungsstelle des Ursprungs der ersten Hauptmuschel zieht: bei Stenops gracilis sich in gleicher Anordnung findet, aber durch die Verbindung mit der seitwärts gekehrten Fläche des Processus uneinatus eine scharfe obere Umgrenzung des Zuganges zum Sinus maxillaris bilden hilft. Durch den Schwund der Maxillar- platte gewinnen die Muschelursprünge in ihrer ganzen Länge Be- ziehung zur seitlichen Wand der Nasenhöhle. Eine Verkürzung der Ursprungslinien findet bei dem stark bogenförmigen Verlauf der- selben durch den Schwund der Maxillarplatte nicht statt. 64 Otto Seydel 1I. Primates. A. Arctopitheci und Platyrrhini, Hapale Jacchus (Taf. IV Fig. 10). (Ausgewachsenes Exemplar mit vollständigem, bleibenden Gebiss.) Die Siebplatte ist klein und schmal und bildet allein, zwischen Keilbein und Stirnbein eingeschoben, das horizontale Dach der Nasenhöhle. Die erste Knickung der Schädelbasis ist deutlich ausgesprochen; der Keilbeinkörper ist ziemlich hoch und grenzt mit seiner nach vorn gerichteten Fläche die Regio olfactoria nach hinten ab. Das Nasoturbinale erscheint als ein flacher Wulst, der oben an der Siebplatte beginnt und, dem Nasenrücken parallel, nach unten zieht, um in der Gegend der Apertura pyriformis zu verstreichen. Der Wulst ist durch eine knécherne Auflagerung auf die seitliche Nasenwand bedingt. Der Processus uncinatus ist klein und hebt sich leistenartig aus der Fläche der Nasenwand ab. Außerdem finden sich noch zwei Siebbeinmuscheln, die ich, analog den bisher angewandten Bezeichnungen, als erste und zweite bezeichne. Die Ursprungslinie der ersten Muschel verläuft vom vorderen Theil der Siebplatte zunächst gerade nach unten, biegt dann nach hinten unten um und endet unterhalb des unteren vorderen Keilbein- winkels im Nasenrachengang. Von dieser Linie springt die Muschel als eine dreieckige Platte nach vorn vor; die Platte ist vertikal ge- stellt; ihre abgestumpfte Spitze ist nach vorn gerichtet und eben so wie der untere freie Rand wulstig verdickt. Die Insertionslinie der zweiten Muschel zieht in leichtem Bogen von der Siebplatte gegen den unteren Keilbeinwinkel und endet vor demselben. Die Muschel hebt sich von dieser Linie als eine halb- mondförmige Platte nach vorn ab. Das Maxilloturbinale ist klein, doppelt gerollt; von seinem vor- deren Ende zieht eine leistenförmige Erhebung bis zum Nasenloch. Von Nebenhöhlen findet sich nur ein Sinus maxillaris, welcher bis auf einen kleinen schmalen, spaltförmigen Zugang gegen das Cavum nasale abgeschlossen ist. Der Spalt wird von unten her begrenzt vom Processus uncinatus. Dieser beginnt mit breiter Basis am Nasoturbinale, verschmälert sich rasch und hebt sich als eine Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 65 kleine Knochenzunge von der seitlichen Nasenwand ab. Nur sein hinteres Ende ragt frei über die im Skelet sehr weite Öffnung der Kieferhöhle vor. Die obere Umrahmung des Zuganges wird durch eine knöcherne Leiste gebildet, welche von der Umbiegungsstelle des Ursprunges der ersten Muschel nach hinten unten ausgeht und schräg nach oben vorn verläuft. Das obere Ende umzieht im Bogen den Zugang zum Sinus und legt sich dann an die lateralwärts ge- kehrte Fläche des Processus uncinatus an. Gegen den unteren Nasengang wird die Kieferhöhle durch die Fußplatte des Maxilloturbinale abgegrenzt, welche, senkrecht zum harten Gaumen gestellt, sich zwischen Oberkiefer und aufsteigen- dem Aste des Gaumenbeines erstreckt. Der Ursprung des Maxillo- turbinale verläuft mit seinem hinteren Theil auf dieser Platte (dicht an ihrem oberen Rande); weiter nach vorn stößt er von unten an das Thränenbein, den Ductus nasolacrymalis überbrückend, und geht dann auf den Oberkiefer über. Die weite Öffnung der Kieferhöhle am Skelet wird vorn begrenzt durch das Thränenbein, oben durch die Verbindung der Lamina pa- pyracea mit der Orbitalplatte des Oberkiefers, hinten durch das Gaumenbein. Die Öffnung wird bis auf den Spalt zwischen Pro- cessus uneinatus und dem erwähnten Leistchen durch Schleimhaut verschlossen (vgl. Fig. 13, in der diese Verhältnisse bei Cebus dar- gestellt sind, wo sie sich ganz ähnlich verhalten). Auch am Sinus maxillaris macht sich die Schmalheit des Septum interorbitale geltend; der lateral vom Zugang liegende Theil des- selben erscheint durch die Orbitalwand seitlich zusammengedrückt und zu einem spaltförmigen Raum reducirt. Erst unterhalb des Pla- num orbitale des Oberkiefers entfaltet sich der Sinus mächtiger in seitlicher Richtung. Platyrrhini. Die Platyrrhinen schließen sich in dem Bau ihrer Nasenhöhle direkt an Hapale an; sie unterscheiden sich von ihm nur durch das Auftreten von Sinusbildungen auch im Keilbein und Stirnbein. Cebus hypoleucus (Fig. 11—13). Das Nasoturbinale ist deutlicher als bei Hapale und erreicht fast die äußere Nasenöffnung. Es ist nur eine Siebbeinmuschel vorhanden, die in Ursprung Morpholog. Jahrbuch. 17. 5 66 Otto Seydel und Form sich nicht wesentlich von der ersten Muschel bei Hapale unterscheidet. Die untere Muschel, die Umrahmung des Zuganges zum Sinus maxillaris, sowie seine mediale Wand zeigen keine nennenswerthen Abweichungen von dem Befund bei Hapale. Der Keilbeinkörper umschließt einen Hohlraum, der gegen die Nasenhöhle durch eine dünne, der vorderen Keilbeinfläche ange- schlossene Knochenplatte abgegrenzt wird; oberhalb derselben liegt der Zugang zum Sinus. Ein Sinus frontalis fehlt. Cebussabaeus, von dem ich einen macerirten Schädel unter- suchte, zeigt analoge Verhältnisse; nur ist noch eine zweite Muschel gut entwickelt. Wie bei C. hypoleucus finden sich am unteren, horizontal von hinten nach vorn verlaufenden Rande der Muscheln einige kammartige Leisten. Da dieselben eine Beziehung zur La- mina cribrosa nicht besitzen, können sie nicht als Reste von Ein- rollungen beurtheilt werden. — Die Ursprünge der Muscheln ver- laufen von der Siebplatte an zunächst gerade nach unten, biegen dann, mit einander konvergirend, nach hinten unten um und fließen unterhalb des vorderen unteren Keilbeinwinkels zusammen. Nyctipithecus vociferans (Fig. 14 und 15). Die kleine, schmale Siebplatte wird allseitig vom Stirnbein um- schlossen, welches sich zwischen Lamina eribrosa und Keilbeinkörper einschiebt und sich gleichfalls an der Bildung des horizontalen Nasen- daches betheiligt. Das Nasoturbinale ist deutlich und reicht bis an das Nasenloch heran. Es finden sich zwei Muscheln, die in Form und Ursprung nicht von dem bisher Gesagten abweichen (Fig. 14). Die Umrahmung des Zuganges zum Sinus maxillaris verhält sich ziemlich genau wie bei Hapale. Mit der oberen Umrahmung des Zuganges verbindet sich eine flache, leistenförmige Erhebung, welche zwischen dem oberen Theil des Nasoturbinale und dem Ursprung der ersten Muschel gerade abwärts verläuft. Dieser Befund ist desshalb von Wichtigkeit, weil er sich direkt an die diesbezüglichen Verhältnisse bei Prosimiern anschließen lässt. Die Leiste zwischen erster Muschel und Nasoturbinale würde demnach der oberen Nebenmuschel ent- Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 67 sprechen, die sich bei Stenops gracilis gleichfalls zu einer unbedeu- tenden Leiste rückgebildet fand, und zwar dem oberen Schenkel der- selben. Die obere Umrahmung des Zuganges, die ganz ähnlich wie bei Stenops gracilis durch eine Leiste gebildet wird, die von der Umbiegungsstelle des Ursprunges der ersten Hauptmuschel ausgeht und sich an die seitlich gekehrte Fläche des Processus uneinatus anlegt, muss als Rest der Maxillarplatte gedeutet werden. Der untere Schenkel der Nebenmuschel, der bei Stenops gracilis nahe dem Rande der Maxillarplatte nach hinten unten verlief, ist hier mit dem letz- teren verschmolzen, so dass er in direkter Beziehung zum Zugang des Sinus maxillaris tritt. Bei Cebus ist der obere Schenkel der Nebenmuschel geschwunden, und nur der untere erhalten, der nament- lich an Präparaten, an welchen die Schleimhaut erhalten ist, als deutlicher Wulst sich markirt. Über den Sinus maxillaris ist hinzuzufügen, dass zum geringen Theil das Gaumenbein zur Bildung seiner medialen Wand beiträgt, indem es sich von hinten her über die Öffnung der Kieferhöhle schiebt. Ein Keilbeinsinus ist auf der linken Seite vorhanden. Er. öffnet sich im oberen Drittel der vorderen Keilbeinfläche nach der Nasen- höhle und erstreckt sich durch den oberen Theil des Keilbeinkörpers nach hinten, während der größere untere Theil des letzteren eine dünne, solide Knochenplatte bildet. Nach beiden Seiten buchtet sich der Sinus ziemlich weit in die Alae orbitales hinein aus. Am Dach der Nasenhöhle, zwischen Lamina eribrosa und Sphe- noid, findet sich eine Öffnung im Frontale (Fig. 14 4.8. fr), welche in einen Hohlraum führt, der sich durch das Dach der Augenhöhle bis aufwärts in den vorderen Theil des Stirnbeines erstreckt. Dieser Hohlraum hängt nur an der bezeichneten Stelle mit dem Cavum na- sale zusammen und findet sich beiderseits. Zusammenfassung. Das periphere Geruchsorgan der Affen der neuen Welt zeigt einen eigenen Typus, der zwischen dem der Affen der alten Welt und dem der Prosimier steht; von letzterem mehr entfernt ist als von ersterem. Der Höhendurchmesser der Nasenhöhle hat zugenommen; dies wird wesentlich bedingt durch eine Höhenzunahme des vorderen Keil- beinkörpers. Der Längendurchmesser erscheint verkürzt durch die schon deutlich ausgesprochene Verschiebung des Kieferskelettes nach 5* 68 Otto Seydel hinten. Das Septum interorbitale ist schmal; der Raum, der dem peri- pheren Geruchsorgan zur Verfügung steht, ist beschränkt. Die An- passung an die gegebenen Raumverhältnisse in Verbindung mit der abnehmenden Dignität des Geruchssinnes sind die Momente, welche dem Siebbein der Affen den Charakter aufprägen. Die Siebplatte ist kleiner, die Zahl der Muscheln ist geringer, ihre Form einfacher als bei den Halbaffen. Die Sinus fehlen zum Theil ganz; wo sie vorhanden sind, haben sie keine Beziehung mehr zum Geruchsorgan. Eine Siebplatte ist stets vorhanden, aber sie ist kurz und schmal, und annähernd horizontal gestellt. Die Muscheln beginnen, völlig von einandert gesondert, an der Siebplatte. In dieser Hinsicht stimmen die amerikanischen Affen mit den Prosimiern überein und unterscheiden sich hierdurch von sämmtlichen Affen der alten Welt. Dagegen haben sie den Verlauf der Ursprungslinien von vorn oben nach hinten unten, sowie die plattenförmige Gestalt der Muscheln mit letzteren gemeinsam. Das Nasoturbinale ist in allen Fällen vorhanden; niemals ent- hält es einen Hohlraum. Die untere Muschel ist klein und RN gerollt. Sie betheiligt sich ähnlich wie bei den Prosimiern und bei den Anthropoiden mit einer Fußplatte an der Bildung der medialen Wand des Sinus ma- xillaris. Von Nebenräumen der Nasenhöhle findet sich bei Hapale sowohl als bei den Platyrrhinen ein gut entwickelter Sinus maxillaris. An der Umrahmung des Zuganges betheiligt sich nach dem oben Ge- sagten einmal der Processus uncinatus, ferner der Rest der Neben- muschel und endlich der Rest ‘der Maxillarplatte — oder, da der vordere Rand derselben als Sammelleiste bezeichnet wurde, der Rest der Sammelleiste — welcher bogenförmig den Processus uncinatus und den Rest der Nebenmuschel verbindet. Der Processus uneinatus erscheint redueirt und ein ziemlich be- trächtlicher Theil der medialen Wand der Kieferhöhle wird durch eine Schleimhautduplikatur gebildet. Bei Hapale fehlen die Sinus im Keil- und Stirnbein, während bei den Platyrrhinen beide vorkommen. Jedoch ist der bei Nyeti- pitheeus beobachtete Hohlraum im Stirnbein nicht in Parallele zu stellen mit dem bei anderen Thieren auftretenden Sinus frontalis. Das wichtigste Kriterium zur Entscheidung dieser Frage muss natur- gemäß in der topographischen Lage des Zuganges gesucht werden; Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 69 im vorliegenden Falle kann diese nicht in Beziehung gebracht wer- den zu den typischen Verhältnissen, wie sie sich bei tiefer stehenden Thieren finden. Die Bildung ist demnach als eine neu erworbene zu bezeichnen'!. . Die amerikanischen ‘Affen zeigen demnach Berührungspunkte einerseits mit den Prosimiern, andererseits mit den Katarrhinen und Anthropoiden; und es erscheint daher wohl berechtigt, sie als Ver- bindungsglieder dieser drei Formen hinzustellen. B. Katarrhini. Cercopithecus radiatus (Taf. IV Fig. 16—18). Der Lobus olfactorius ist sehr klein und liegt in einer tiefen Einsenkung der vorderen Schädelgrube, welche allseitig vom Fron- tale umgrenzt wird. Eine Siebplatte fehlt; an ihrer Stelle findet sich beiderseits ein rundliches Loch, durch welches der Riechnerv in die Nasenhöhle tritt (Riechnervenloch). Die erste Knickung der Schädelbasis ist deutlich ausgesprochen ; der Keilbeinkörper ist ziemlich hoch. Es ist nur eine ausgebildete Muschel vorhanden; sie hebt sich als eine dreieckige, vertikal gestellte Platte von der seitlichen Nasen- wand ab und ragt mit abgerundeter Spitze nach unten und vorn in das Cavum nasale hinein. Ihr unterer, horizontal gestellter Rand ist seitlich leicht gewulstet. Die Muschel hat scheinbar keine direkte Beziehung zum Riechnervenloch. Ihr hinteres Ende ragt in den Nasenrachengang hinein. Hinter dieser Muschel ist eine zweite angedeutet; vom vorderen unteren Keilbeinwinkel zieht eine leichte, leistenförmige Erhebung schräg nach oben vorn auf das Riechnervenloch zu, verstreicht je- doch noch in ziemlicher Entfernung von demselben. Entfernt man die erste Muschel, indem man sie dicht an 1 Die von ZUCKERKANDL bei Mycetes seniculus beschriebenen Höhlungen, - welche vom Keilbeinsinus aus sich nach vorn in die Scheidewand zwischen Nasenhöhle und Orbita erstrecken, sind wohl kaum als »Siebbeinzellen« zu be- urtheilen, »die sich zu einem Hohlraum vereinigt, vom Siebbein abgeschnürt haben und sich mit dem Sinus sphenoidalis verbunden haben«. Es erscheint viel einfacher und naturgemäßer, sie als Ausbuchtungen der Kieferhöhle nach vorn anzusprechen. Die bestehende Tendenz zur Bildung pneumatischer Räume kommt eben in der verschiedensten Weise zum Ausdruck. 70 Otto Seydel ihrer Anheftung an der seitlichen Nasenwand loslöst, so ergiebt sich folgender Verlauf der Ursprungslinie. Sie beginnt hinten, dicht unter dem vorderen unteren Winkel des Keilbeines, zieht in leichtem Bo- gen aufwärts bis in die Nähe des Riechnervenloches, biegt dann in rechtem Winkel um und verläuft parallel dem Nasenrücken nach unten vorn. Indem sich die Muschel von dieser Linie plattenförmig abhebt, entsteht zwischen ihr und der seitlichen Nasenwand ein spaltartiger Raum, der nach unten kontinuirlich in den mittleren Nasengang übergeht (Recessus ethmoidalis). Jedoch geht die knö- cherne Grundlage der Muschel nur von dem hinteren Schenkel dieser Ursprungslinie aus. Zwischen dem oberen Rande. der knöchernen Muschel und dem vorderen Schenkel der Ursprungslinie ist eine Schleimhautfalte ausgespannt. Am skelettirten Schädel hat demnach die Muschel eine andere Form, die an die der amerikanischen Affen erinnert. ; Von dem vorderen Ende des Ursprunges der ersten Muschel verläuft eine ganz flache Erhebung an der seitlichen Nasenwand pa- rallel dem Nasenriicken nach unten. Dieselbe wird durch eine flache knöcherne Auflagerung auf den Stirnfortsatz des Oberkiefers be- dingt. Nach Entfernung der ersten Muschel lässt sie sich undeut- lich bis in die Nähe des Riechnervenloches verfolgen: Rudiment des Nasoturbinale. Dieses Wiilstchen trägt auf seinem oberen Theil den vorderen Schenkel des Muschelursprunges. Im mittleren Nasengang, dem Ursprung der Muschel nahe, liegt der spaltförmige Zugang zum Sinus maxillaris. Seine knöcherne Umrahmung wird einmal gebildet durch den Processus uneinatus, welcher sich von dem Reste des Nasoturbinale als eine dünne, schmale Knochenplatte nach hinten unten erstreckt. Sie liegt zu- nächst der seitlichen Nasenwand (Lacrymale) an und ist namentlich nach unten deutlich von ihr abzugrenzen. Die hintere Hälfte der Platte ragt als ein zungenförmiger Fortsatz frei über die im Skelet sehr weite Öffnung des Sinus maxillaris. Mit dem oberen Theil verbindet sich ein knöchernes Leistchen, welches von der seitlichen Nasenwand entspringt. Sein hinteres Ende legt sich an den Ur- sprung der ersten Muschel; die Leiste zieht dann schräg nach vorn oben, umzieht bogenförmig das obere Ende des Spaltes und ver- schmilzt kontinuirlich mit dem oberen Rande des Processus unei- natus. Diese Formverhältnisse weichen also nur in so fern von denen bei den Platyrrhinen ab, als sich die obere Leiste nicht von der Seite her an die Fläche des Processus uneinatus anlegt, sondern kontinuir- Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 71 lieh mit dem nach oben gewendeten Rande desselben verschmilzt. Diese Abweichung ist wohl durch die hochgradige Rückbildung des Processus uneinatus zu erklären. Die Deutung der den Zugang von oben und vorn umrahmenden Leiste wäre demnach dieselbe wie bei den Platyrrhinen. Unter die Umrahmung des Zuganges buchtet sich der Sinus maxillaris nach oben aus, ohne dass sich eine Verengerung des oberen Theiles der Kieferhöhle durch die Orbitalwand, wie bei den amerikanischen Affen, geltend machte. Der Sinus selbst ist ziemlich geräumig. Seine mediale knöcherne Wand bildet oben die Umrahmung des Zuganges; ferner erhält er nach vorn und unten eine Abgrenzung durch die Fußplatte des Ma- xilloturbinale. Die untere Muschel formirt eine dreieckige Platte. Die Spitze des stumpfwinkeligen Dreieckes ist nach oben gerichtet und legt sich, die Öffnung des Thränennasenganges überbrückend, an das Thränenbein. Die vordere Seite des Dreieckes verläuft auf dem Oberkiefer. An der nach hinten gerichteten Seite biegt die eigent- liche Muschel scharf nach der Seite um und geht in die Fußplatte über. Diese ist annähernd senkrecht zur seitlichen Nasenwand ge- stellt und verläuft schräg von hinten unten nach vorn oben, entspre- chend dem hinteren Rande der Muschel. Sie bildet eine Abgrenzung des Sinus gegen den unteren Nasengang. Letzterer buchtet sich seitlich von der unteren Muschel nach oben aus. Die weite Öffnung des Sinus im Skelet wird vorn begrenzt durch das Thränenbein, unten von der unteren Muschel, hinten vom auf- steigenden Ast des Gaumenbeines, oben von der seitlichen Nasen- wand und der Umrahmung des Zuganges. Die ganze Öffnung wird bis auf den Spalt zwischen Processus uncinatus und dem Leistchen durch Schleimhaut verschlossen (vgl. Fig. 17 und 18). Sinus frontalis und sphenoidalis fehlen vollständig. Bei Cercopithecus cynomolgus finden sich die gleichen Verhältnisse, nur fehlt die Andeutung einer zweiten Muschel. Inuus nemestrinus. Er weicht nur in folgenden Punkten von Cercopithecus ab. Das Nasoturbinale tritt deutlicher hervor. Die einzige Ethmoidmuschel ist spitzer nach vom ausgezogen, 72 Otto Seydel und der vordere, gleichfalls membranöse Theil des Ursprunges er- streckt sich auf dem Nasoturbinale etwas weiter abwärts. Der Zugang zum Sinus maxillaris ist nicht spaltförmig, sondern bildet ein rundliches Loch. Dasselbe erhält eine knöcherne Umrah- mung einmal vom Processus uneinatus, der nur mit einem unbedeu- tenden, stachelartigen Fortsatz über die Apertur der Kieferhöhle ragt ; andererseits durch einen leistenförmigen Vorsprung der seitlichen Nasenwand (Lamina papyracea), der bogenförmig von dem Ursprung der Muschel zum Processus uncinatus verläuft. Der Sinus selbst ist ziemlich geräumig und buchtet sich nach oben bis unter den Ursprung der Muschel aus. Die Wandung des Sinus, die untere Muschel und der untere Nasengang zeigen die gleichen Verhältnisse wie bei Cercopithecus. Semnopithecus nasicus (Taf. V Fig. 21—23). (Ausgewachsenes Exemplar mit vollständigem, bleibenden Gebiss.) Die Siebplatte fehlt. Das Riechnervenloch ist allseitig vom Frontale umschlossen. Der vordere Keilbeinkörper ist oben spitz nach vorn ausge- zogen, so dass er sich in geringem Maße an der Bildung des hori- zontalen Nasendaches betheiligt. ‘Die Choanen sind hoch und betragen etwa 2, der Gesammt- höhe der Nasenhöhle. Es ist nur eine plattenförmige Siebbeinmuschel vorhanden, welche mit abgerundetem vorderen Ende nach yorn unten in die Nasenhöhle hineinragt. Das hintere Ende der Muschel liegt vor dem unteren vorderen Keilbeinwinkel. Ihr Ursprung verhält sich ähnlich wie bei Cercopithecus, doch dehnt sich auch die Anheftung der knö- chernen Muschel nach vorn unten auf das Nasoturbinale aus. Vom vorderen Ende der Muschel verläuft ein undeutliches Wiilstchen parallel dem Nasenrücken nach vorn abwärts, welches sich nach Entfernung der Muschel bis in die Nähe des Riechnerven- loches verfolgen lässt. Nur in seinem oberen Theil ist es durch eine knöcherne Auflagerung auf die seitliche Nasenwand bedingt, weiter nach unten wird es durch eine Verdickung des Oberkiefers ergänzt. Die untere Muschel verhält sich in Form und Ursprung wie bei den früher beschriebenen Formen der Katarrhinen; nur ist der obere Winkel der dreieckigen Platte spitzer, die Platte selbst ragt weiter Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 73 aufwärts als bei Cercopithecus. Dem entsprechend buchtet sich auch der untere Nasengang weiter nach oben aus. Im mittleren Nasengang liegt etwa in der Mitte zwischen der Siebbeinmuschel und dem Maxilloturbinale die runde Öffnung zum Sinus maxillaris. Dieser ist auf eine grubige Einsenkung redueirt, die ihre untere vordere Abgrenzung durch die Fußplatte der unteren Muschel erhält. Eine mediale Wandbildung fehlt. Der Processus uneinatus zieht vom Reste ‘des Nasoturbinale aus als ein zungen- förmiger Fortsatz gegen den Sinus, ohne ihn zu erreichen; er ist direkt der seitlichen Nasenwand (Lacrymale) angelagert und hebt sich nicht von derselben ab (vgl. Fig. 23). Cynocephalus Mormon (Taf. V Fig. 19 und 20). Cynocephalus schließt sich in vieler Hinsicht an Semnopithecus an. Es finden sich drei Siebbeinmuscheln, von denen jedoch nur die erste ausgebildet ist. Diese weicht in der Form von der Muschel bei Semnopithecus in so fern ab, als der nach vorn gerichtete Theil schlanker gebaut ist. Die zweite Muschel beginnt wie die erste kurz vor dem unteren Winkel des Keilbeins; ihr Ursprung verläuft im Bogen aufwärts in der Richtung auf das Riechnervenloch, biegt noch etwa 7 mm von demselben entfernt nach vorn um und geht auf die erste Muschel über. Von dieser Linie springt die Muschel als eine etwa halb- mondförmige Platte vor. Die dritte Muschel ist nur als eine leisten- förmige Erhebung der seitlichen Nasenwand angedeutet, deren oberes Ende noch weiter von dem Riechnervenloch entfernt bleibt. Das Nasoturbinale verhält sich in seiner Lage und in seiner Beziehung zur ersten Muschel wie bei Semnopithecus. Doch springt es, so weit es nicht von dieser überlagert ist, als eine deutliche Leiste vor. Eine Ergänzung durch eine Wulstbildung am Ober- kieferstirnfortsatz findet sich nieht. Der Processus uneinatus ist zu einer unbedeutenden, der seitlichen Nasenwand (an der Verbindung zwischen Oberkieferstirnfortsatz und Laerymale) angelagerten Knochen- zunge reducirt. In dem Recessus zwischen erster Muschel und seitlicher Nasen- wand senkt sich von oben her eine dreieckige Platte herab, die den Recessus in zwei neben einander liegende Räume theilt. Der nach hinten gerichtete Rand der Platte verschmilzt unten mit dem Ur- sprung der ersten Muschel und verläuft von hier aufwärts und nach 74 Otto Seydel vorn annähernd parallel dem Ursprung der ersten Muschel in der Richtung auf das Riechnervenloch. Der nach vorn oben gerichtete Rand legt sich an das Nasoturbinale an; der untere ragt frei gegen den mittleren Nasengang. Ich spreche diese Bildung als eine rudi- mentäre Nebenmuschel an, die sich mit ihrem Ursprung ähnlich wie die erste Muschel auf das Nasoturbinale ausgedehnt hat. Dieht unter dem Ursprung der mittleren Muschel und ihm parallel liegt der spaltförmige Zugang zum Sinus maxillaris. Derselbe wird nach hinten oben begrenzt durch die seitliche Nasenwand, welche, einfach lateral ausbiegend, in die Wand des Sinus über- seht; vorn wird der Spalt begrenzt durch das Thränenbein, vorn unten durch den hinteren Rand der unteren Muschel. Der Sinus selbst ist klein und erhält in derselben Weise wie bei den übrigen Katarrhinen nach vorn unten eine knöcherne Wand durch die Fußplatte des Maxilloturbinale. Die untere Muschel verhält sich in Form und Insertion wie bei Semnopithecus; doch reicht die Spitze der dreieckigen Platte noch weiter nach oben; dem entsprechend dehnt sich auch der untere Nasengang weiter nach oben aus, so dass seine Höhe an dieser Stelle etwa 2/, der Höhe der Nasenhöhle beträgt. Cynocephalus anubis. (Skelettirter Schädel mit vollständigem, bleibenden Gebiss.) Die Grube für den Lobus olfactorius wird nach unten durch eine kleine, spärlich durchlöcherte Siebplatte verschlossen. Die Ursprungslinie der ersten Siebbeinmuschel beginnt hinten in der Höhe des unteren Keilbeinwinkels und verläuft schräg auf- wärts gegen das vordere Ende der Siebplatte. Von dieser Linie aus erstreckt sich die Muschel als eine viereckige Platte fret nach vom. Eine zweite Muschel ist in Form einer ziemlich dicken, we- nige Millimeter hohen, nach vorn gerichteten Leiste angedeutet. Das Nasoturbinale wird durch eine solide, knöcherne Auflage- rung auf die seitliche Nasenwand gebildet, die am vorderen Ende der Lamina eribrosa beginnt und parallel dem Nasenriicken nach vorn verläuft. Ein Gebilde, das sich mit Sicherheit als Processus uneinatus erkennen ließe, ist nicht nachweislich. Die untere Muschel bildet eine mächtige dreieckige Platte, deren unterer freier Rand schräg nach unten medial in den unteren Nasengang hineinragt. Der vor- dere Rand heftet sich an eine kammartige Erhebung des Oberkiefers, Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 75 die schräg von unten vorn nach oben hinten bis an das Nasoturbi- nale reicht; die Spitze der Platte verbindet sich in einer Naht mit dem Nasoturbinale; der hintere Rand geht mit scharfer Knickung in die Fußplatte über. Diese erstreckt sich, annähernd senkrecht zur Nasenwand gestellt, ziemlich genau von oben nach unten und bildet eine vordere Wand des Sinus maxillaris. Nach hinten er- streckt sich der Ursprung der Muschel noch auf das Gaumenbein. Seitlich von der unteren Muschel buchtet sich der untere Nasen- gang stark lateralwärts aus und reicht nach oben bis an das Dach der Nasenhöhle. An seinem höchsten Punkt liegt die Öffnung des Thränennasenganges. Im mittleren Nasengange liegt die weite Öffnung des Sinus maxillaris vorn von der unteren Muschel begrenzt, hinten und oben durch eine dreieckige Platte, die zwischen Ursprung der ersten Mu- schel und Nasoturbinale eingeschoben ist. Der Sinus selbst ist ver- hältnismäßig klein. Er buchtet sich nach hinten und oben aus, so dass die erwähnte Platte und die Ursprungslamelle der ersten Muschel ihn medial überlagern. Zusammenfassung. Bei allen Katarrhinen erscheint das Septum interorbitale schmal; während aber bei den Platyrrhinen die mediale Orbitalwand an- nähernd senkrecht gestellt ist, so dass — wie erwähnt — auch der obere Theil des Sinus maxillaris von der Seite her verengt wird, zeigt die mediale Orbitalwand bei den Katarrhinen eine schräge, von oben medial nach unten lateral geneigte Stellung; das Septum interorbitale ist daher in der Höhe der Nasenwurzel am schmalsten. Höhen- und Längsdurchmesser der Nasenhöhle zeigen bei Cerco- pithecus und Inuus die gleichen Proportionen wie bei den Platyr- rhinen; dagegen überwiegt bei Cynocephalus und Semnopithecus durch die starke Prognathie des Schädels der Liingsdurchmesser. Ferner ist bei den letztgenannten Formen die Höhenzunahme der Choanen hervorzuheben. Die Siebplatte fehlt in der Regel, an ihrer Stelle findet sich jederseits ein rundliches Loch. Von Siebbeinmuscheln ist gewöhnlich nur eine vorhanden; doch kommen Reste einer zweiten und selbst einer dritten vor. An den Muschelursprüngen tritt in so fern eine Änderung ein, als der nach vorn oben gerichtete Rand der Platten sich von der 76 Otto Seydel Siebplatte an nach unten mit der davorliegenden Muschel vereinigt. Ausgesprochen findet sich diese Verbindung bei den Katarrhinen nur zwischen erster Muschel und Nasoturbinale. Die Muschel ver- liert hierdurch scheinbar die direkte Ursprungsbeziehung zur Lamina cribrosa; und das Nasoturbinale scheint, weil sein oberer Theil von der Muschel überlagert ist, von dem vorderen Ende derselben aus- zugehen. Bei den Katarrhinen sind diese Verhältnisse gewisser- maßen erst in der Entwicklung begriffen, indem die Verbindung zwischen der Muschel und dem Nasoturbinale nur durch eine Schleim- hautfalte gebildet wird; an macerirten Schädeln erinnert die Mu- schelform daher an die der Platyrrhinen. Bei den Anthropoiden finden sich — wie ich hier gleich erwähnen will — diese Verhältnisse in der einmal angebahnten Richtung weiter entwickelt, indem die Überwanderung des Ursprunges auf die benachharte Muschel auch am Skelet zum Ausdruck kommt!. Stirn- und Keilbeinhöhle fehlen konstant. Am Antrum Highmori macht sich in der Reihe der Katarrhinen eine Verkleinerung geltend. Der Sinus wird gewissermaßen ver- drängt durch die Entfaltung des unteren Nasenganges nach der Seite und oben. Durch diese Ausdehnung des unteren Nasenganges muss noth- wendig die Form und die Ursprungsverhältnisse des Maxilloturbinale beeinflusst werden. Bei den Platyrrhinen findet sich die Fußplatte desselben vertikal und von vorn nach hinten zwischen Oberkiefer und aufsteigendem Aste des Gaumenbeines ausgespannt. Der Thränen- nasengang mündet seitlich von ihrer Verbindung mit dem Oberkiefer in den unteren Nasengang. Indem sich der letztere gerade an der Mündungsstelle des Ductus nasolacrymalis seitlich und nach oben ausbuchtet, wird der untere Rand der Fußplatte seitlich und ihr vorderes Ende nach oben verschoben. So erhält sie eine schräg von hinten unten nach vorn oben gerichtete Stellung und bildet für den Sinus eine vordere untere Wand. Die untere Muschel selbst nimmt in Anpassung an die veränderten Verhältnisse des unteren Nasenganges und unter Reduktion der Einrollungen die Form einer dreieckigen Platte an. 1 Diese Überwanderung des Muschelursprunges nach vorn abwärts auf eine andere ist nicht als »eine Verschmelzung der Stiele« zu bezeichnen (ZUCKER- KANDL). Eine einfache Verschmelzung der Siebplattenenden der Muscheln kann nicht zur Bildung der beschriebenen Recessus zwischen Muschel und seit- licher Nasenwand führen. Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 17 Am ausgeprägtesten sind die bezüglichen Verhältnisse bei Cyno- cephalus und Semnopithecus, während sie sich bei den Meerkatzen nur andeutungsweise finden. Cercopithecus hat noch einen gut entwickelten Sinus maxillaris. Die knöcherne Umrahmung des Zugangs erinnert an die bei den amerikanischen Affen beschriebenen Verhältnisse. Bei Inuus ist der Sinus verhältnismäßig mächtig, aber der Processus uneinatus betheiligt sich nur eben noch an der Umgrenzung des Zugangs. Bei Cynocephalus und namentlich bei Semnopithecus ist der Sinus klein. Der Processus uneinatus ist verkümmert und hat keine Beziehung mehr zur medialen Wand des Sinus. Cynocephalus Mormon besitzt zwar noch eine Nebenmuschel, die sich aber nicht mehr an der Um- rahmung des Zuganges zum Sinus betheiligt. Bei Semnopithecus ist endlich auch die Nebenmuschel, völlig geschwunden. Mit der Re- duktion des Sinus geht die Riickbildung seiner medialen Wand parallel. Die niederen Affen der alten Welt haben demnach einen eigenen Entwicklungsgang genommen, und zwar treten die charakteristischen Abiinderungen auf an den Sinus, am Maxilloturbinale und am un- teren Nasengang. Was die Entwicklung des Geruchssinnes anlangt, so stehen sie entschieden am niedrigsten in der Säugethierreihe. Dies erhält anatomisch Ausdruck durch die Kleinheit des Lobus olfactorius, durch das Fehlen der Siebplatte und durch die geringe Zahl der Muscheln. C. Anthropomorphe Affen. Hylobates (Taf. V Fig. 24 und 25). Das Septum interorbitale ist schmal. Die Lamina cribrosa ist klein, horizontal gestellt; zwischen ihr hinteres Ende und den Keilbeinkörper schiebt sich das Stirmbein. Es ist nur eine ausgebildete Siebbeinmuschel vorhanden, deren Ursprung sich ähnlich wie bei den Katarrhinen verhält, nur heftet sich auch der vordere obere Rand der knöchernen Muschel von der Siebplatte abwärts eine Strecke weit an das Nasoturbinale. Die Muschel formirt eine ungefähr dreieckige Platte, deren unterer Rand gewulstet ist und auf seinem hinteren Theil eine leichte furchen- förmige Einsenkung trägt. Hinter dieser ersten Muschel ist eine zweite in Form einer niedrigen Leiste angedeutet. Sie verläuft vom 78 Otto Seydel unteren vorderen Keilbeinwinkel aufwiirts, ohne die Siebplatte zu erreichen. Das Nasoturbinale ist deutlich und reicht abwärts fast bis an die äußere Nasenöffnung. In seinem oberen Drittel trägt es den vorderen Schenkel des Ursprunges der ersten Muschel. Das Maxilloturbinale zeigt eine doppelte Einrollung. Seine Ur- sprungslamelle verläuft zunächst auf dem Oberkiefer und geht dann auf eine Fußplatte über. Diese ist ziemlich mächtig entwickelt und von ungefähr rechteckiger Form. Sie steht senkrecht auf dem Boden der Nasenhöhle, lehnt sich hinten an den aufsteigenden Fortsatz des Gaumenbeines, vorn an den Stirnfortsatz des Oberkiefers an. Ihr oberer Rand bildet die untere Grenze des Zugangs zum Sinus maxillaris. Im mittleren Nasengang, ungefähr in der Mitte zwischen dem Ursprung der ersten Muschel und dem des Maxilloturbinale, liegt der kurze spaltförmige Zugang zum Sinus maxillaris. Nur nach unten erhält derselbe eine scharfe Abgrenzung durch den oberen Rand der Fußplatte der unteren Muschel; vorn stößt er an das Thriinenbein; an seinem oberen Rande biegt die seitliche Nasenwand nach der Seite in das Dach der Kieferhöhle um. Zwischen dem Ursprung der ersten Muschel und dem oberen Theil des Nasoturbinale ist eine dreieckige Platte eingeschoben, die direkt der seitlichen Wand des mittleren Nasenganges angelagert ist: Rudiment der oberen Nebenmuschel. An der Stelle, wo der untere Rand dieser Platte das Nasoturbinale erreicht, geht von diesem ein unbedeutender, zungenförmiger Fortsatz aus, der gleichfalls der seitlichen Nasenwand direkt angelagert ist (an der Verbindungsstelle des Lacrymale mit dem Oberkieferstirnfortsatz): Rest des Processus uncinatus. Der Sinus maxillaris ist ziemlich geräumig. Seine mediale Wand wird vorwiegend durch die Fußplatte der unteren Muschel gebildet; außerdem ist der aufsteigende Fortsatz des Gaumenbeines betheiligt. Der Sinus sphenoidalis erfüllt den ganzen vorderen Keilbein- körper und ist durch eine vordere knöcherne Wand bis auf eine runde, dicht unter dem Nasendach liegende Öffnung von dem Cavum nasale abgeschlossen. Ein Sinus frontalis fehlt. Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 79 Orang (Taf. VI Fig. 26 und 27). (Jugendliches Exemplar mit vollständigem Milchgebiss.) Das Septum interorbitale ist breit; doch kommt der so gewon- nene Raum nicht der Nasenhöhle zu Gute, deren querer Durchmesser in den oberen Partien verhältnismäßig sehr gering ist. Die schmale Lamina cribrosa erstreekt sich horizontal vom Frontale zum Keilbeinkörper; der obere Theil des letzteren ist nach vorn spitz verlängert nnd betheiligt sich in geringem Maße an der Bildung des horizontalen Nasendaches. Das Nasoturbinale ist vorhanden und verläuft als eine breite, nach vorn sich verschmälernde Erhebung parallel dem Nasenrücken bis zur Gegend der Apertura pyriformis. Es sind zwei Siebbeinmuscheln vorhanden. Der Ursprung der ersten beginnt hinter und unter dem vorderen unteren Keilbein- winkel an der hinteren Umgrenzung des Foramen sphenopalatinum auf dem Gaumenbein, verläuft, das Foramen überbrückend, schräg aufwärts bis in die Nähe des vorderen Endes der Siebplatte, biegt dann um, um auf der Höhe des Nasoturbinale bis an das Ende des zweiten Drittels desselben nach vorn abwärts zu ziehen, Von dieser Linie ragt die Muschel plattenförmig abwärts, einen ziemlich großen, schmalen, dreieckigen Recessus zwischen sich und der seitlichen Nasenwand bildend. Der Ursprung der zweiten Muschel beginnt hinten gemeinsam mit dem der ersten, verläuft mit diesem divergirend gegen das hin- tere Ende der Siebplatte, biegt in einiger Entfernung von diesem nach vorn unten um und geht auf die erste Muschel über. Von dieser Linie hebt sich die Muschel als eine dreieckige Platte mit nach vorn unten gerichteter Spitze ab, den hinteren Theil der ersten Muschel überlagernd. Die untere Muschel ist doppelt eingerollt, die obere Einrollung jedoch nur am hinteren Theil ausgesprochen. Im hinteren Theil des mittleren Nasenganges, dicht dem Ursprung der ersten Muschel angeschlossen, liegt der spaltfirmige Zugang zum Sinus maxillaris. Das Antrum Highmori besitzt eine enorme Entfaltung. Es füllt den ganzen Körper des Oberkiefers aus, buchtet sich seitlich in den Jochfortsatz, erstreekt sich nach oben in die seitliche Wand der Nasenhöhle bis in die Höhe der Siebplatte und dringt nach hinten 80 Otto Seydel bis in den Keilbeinkörper vor. Die ganze seitliche Wandung der Nasenhöhle bildet demnach gleichzeitig die mediale Wand der Kie- ferhöhle. Im oberen Theil der Nasenhöhle wird diese Wand durch eine dem Siebbein angehörende Platte gebildet, die zwischen Nasendach, Keilbeinkörper und Ursprung der ersten Muschel sich ausdehnt. Die untere Hälfte der Nasenhöhle wird gegen den Sinus abgegrenzt durch die vertikal gestellte Fußplatte des Maxilloturbinale, welche sich vorn an den Stirnfortsatz des Oberkiefers, hinten an das Gau- menbein anlegt, unten auf einer kammartigen Erhebung des harten Gaumens fußt. Zwischen den oberen Rand der Fußplatte, den Ur- sprung der ersten Muschel und das Nasoturbinale schiebt sich eine unregelmäßig viereckige Platte, die an ihrem hinteren, freien Rande bogenförmig ausgeschnitten ist. Dieser Ausschnitt entspricht dem Zugang zum Sinus. Die Platte geht nach oben in den die Muschel- ursprünge tragenden Theil der Wand, nach vorn in das Nasoturbi- nale kontinuirlich über, nach unten steht sie mit der Fußplatte des Maxilloturbinale durch eine Naht in Verbindung. Außer dem Sinus maxillaris findet sich links ein kleiner Sinus sphenoidalis, der den vorderen Keilbeinkörper nur unvollständig er- füllt und durch ein rundes Loch an der vorderen Fläche desselben mit der Nasenhöhle zusammenhängt. Rechterseits ist ein Sinus sphenoidalis nur als eine leichte Grube in der vorderen Keilbein- fläche angedeutet. An dem macerirten Schädel eines weiblichen Orang, bei dem gerade der dritte Molarzahn des bleibenden Gebisses im Durchbruch ist, ist nur eine Siebbeinmuschel vorhanden, die in Form und In- sertion keine Abweichungen zeigt. Das Nasoturbinale ist weniger deutlich. An der unteren Muschel ist die obere Einrollung nur gerade angedeutet. Der Sinus maxillaris ist noch mächtiger ausgedehnt; er buchtet sich seitlich bis in das Jochbein aus, nach hinten erfüllt er den ganzen Keilbeinkörper und erstreckt sich bis in die Flügelfortsätze desselben. Von einem eigentlichen Keilbeinsinus findet sich nur links eine grubige Einsenkung an der vorderen Fläche des Sphenoids. Der Schädel eines ausgewachsenen männlichen Orangs zeigt gleichfalls nur eine Siebbeinmuschel; das Nasoturbinale ist deutlicher; die untere Muschel ist deutlich doppelt gerollt. Der Sinus maxillaris zeigt eine enorme Ausdehnung. Er reicht nach oben hoch in das Stirnbein hinauf, seitlich bis in das Joch- Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 81 bein, nach hinten durch den ganzen Keilbeinkérper und von hier abwärts in die Flügelfortsätze, seitlich bis in den Jochfortsatz des Schläfenbeines. Von einem eigentlichen Sinus sphenoidalis fehlt jede Andeutung. Gorilla (Taf. VI Fig. 28 und 29). (Jugendliches Exemplar mit unvollständigem Milchgebiss.) Die Siebplatte ist ziemlich lang, aber schmal: sie bildet zwischen Frontale und Keilbeinkörper eingeschaltet allein das horizontale Dach der Nasenhöhle. Ein Nasoturbinale fehlt völlig. Von Siebbeinmuscheln sind zwei in guter Entwicklung vorhanden. Die Ursprungslinie der ersten beginnt in der Nähe des vorderen unteren Keilbeinwinkels, verläuft schräg aufwärts zum vorderen Ende der Siebplatte, biegt um und zieht parallel dem Nasenrücken auf dem Stirnfortsatz des Oberkiefers nach unten bis in die Nähe der Apertura pyriformis. Zwischen diesen beiden Ursprungsschen- keln ist die plattenförmige Muschel ausgespannt. Der untere, freie, leicht gewulstete Rand ist fast horizontal gestellt. Der Ursprung der zweiten Muschel zieht vom unteren Keilbein- winkel schräg aufwärts zum hinteren Ende der Lamina cribrosa, biegt um, um auf der Platte der ersten Muschel abwärts und nach vorn bis in die Nähe des unteren Randes derselben zu verlaufen. Die zweite Muschel überlagert so den hinteren Theil der ersten. Ihr unterer Rand ist gleichfalls annähernd horizontal gestellt (Fig. 28). Es werden so zwei seitlich neben einander liegende Recessus ge- bildet; der eine zwischen lateraler Nasenwand und erster Muschel, der andere zwischen erster und zweiter Muschel. ' Im mittleren Nasengang liegt, verdeckt von der ersten Muschel, der Zugang zum Sinus maxillaris als ein schmaler Spalt, der pa- rallel dem hinteren Ursprungsschenkel der ersten Muschel verläuft. Er ist auf allen Seiten von Knochen umrahmt. Die untere Grenze des Spaltes bildet eine breit aus der seitlichen Nasenwand vor- springende Leiste. Das nach vorn gerichtete Ende derselben ist überlagert von dem vorderen Ursprungsschenkel der ersten Muschel. Ihr hinteres Ende legt sich mit dem oberen Rande an den hinteren Theil des Ursprungs der ersten Muschel und stößt hinten an das Gaumenbein. Nach ihrer Lage ist diese Leiste als Processus un- einatus des fehlenden Nasoturbinale aufzufassen. Die obere Be- Morpholog. Jahrbuch. 17. 6 82 Otto Seydel grenzung des Spaltes bildet eine wulstartige Erhebung der seitlichen Wand der Nasenhöhle, deren hinteres Ende mit dem Ursprung der ersten Muschel verschmilzt, während das vordere durch eine bogen- förmig das vordere Ende des Spaltes umziehende knöcherne Leiste mit dem Processus uncinatus in Verbindung steht. Diese Zustände haben Ahnlichkeit mit den bei den Platyrrhinen beschriebenen; nur erstreckt sich der Spalt weiter aufwärts gegen die Siebplatte; ferner ist der Processus uneinatus besser entwickelt, und der den Spalt von oben umgrenzende Wulst, der wie bei den Platyrrhinen als Rest der ersten Nebenmuschel gedeutet werden muss, findet sich deut- licher ausgeprägt. Die untere Muschel bildet eine ziemlich große, dreieckige Platte, die annähernd vertikal gestellt ist und mit freiem Rande nach unten ragt. Der vordere obere Rand legt sich an den Stirnfortsatz des Oberkiefers; der hintere obere legt sich an den unteren Rand des Processus uncinatus und endet auf dem aufsteigenden Aste des Gaumenbeins. Der Sinus maxillaris ist mächtig entwickelt und erstreckt sich nach oben bis in die Höhe der Lamina eribrosa. Seine mediale Wand wird oben durch eine Platte gebildet, die medialwärts die Muschelursprünge trägt und dem Siebbein angehört; im mittleren Nasengang durch die den Zugang umgrenzenden Gebilde und zum Theil durch die Platte des Maxilloturbinale. Endlich betheiligt sich der aufsteigende Fortsatz des Gaumenbeins. Der Sinus maxillaris nimmt jedoch nur den hinteren Theil des Oberkiefers ein; der vordere wird erfüllt durch eine höhlenartige Ausweitung des Thränennasenganges, welche hinten gegen den Sinus durch eine dünne Knochenlamelle abgegrenzt ist. An dem macerirten Schädel eines ausgewachsenen Gorilla finden sich in Bezug auf die Zahl, Form und Anordnung der Muscheln, so wie auf die Bildung der medialen Wand des Sinus maxillaris keine nennenswerthen Abweichungen. Der Sinus sphenoidalis ist mächtig entwickelt und buchtet sich seitlich in die Alae orbitales und nach unten in den Pterygoidfort- Satz aus. Der Sinus frontalis ist in mächtiger Entwicklung vorhanden. Sein Zugang findet sich am Dach der Nasenhöhle in dem Recessus zwischen der seitlichen Wand derselben und der ersten Muschel, gerade in der Verlängerung des in den Sinus maxillaris führenden Spaltes, aber medial vom oberen Ende des Processus uncinatus. Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. s3 Zusammenfassung. Die anthropoiden Affen zeigen unter einander ziemlich erheb- liche Differenzen im Bau ihres peripheren Geruchsorgans, und zwar treten dieselben weniger in der Form und Anordnung der Muscheln als in dem Verhalten der knöchernen Umrahmung des Zuganges zum Sinus maxillaris und in der Art der Sinusbildung zu Tage. Was den Typus der Siebbeinmuscheln anlangt, schließen sich die Anthropoiden an die Katarrhinen an; die bei diesen in der Ent- stehung begriffenen Verhältnisse finden sich weiter entwickelt und erreichen bei Gorilla die denkbar höchste Ausbildung. Der Zahl nach kommen, vom Nasoturbinale abgesehen, zwei bis drei Muscheln vor; immer ist die erste die bestentwickelte. Das Nasoturbinale ist bei Hylobates fast so deutlich als bei den amerikanischen Affen. Es ist nur angedeutet bei Orang und fehlt bei Gorilla. Wo es vorhanden ist, trägt stets sein oberer, der Sieb- platte angeschlossene Theil den vorderen Ursprungsschenkel der ersten Muschel. Der Processus uncinatus zeigt gerade das entgegengesetzte Ver- halten wie das Nasoturbinale selbst. Er ist in guter Entwicklung vorhanden und betheiligt sich nicht unwesentlich an der Bildung der medialen Kieferwand bei Gorilla, ähnlich bei Orang. Bei Hylo- bates dagegen ist er auf eine unbedeutende Knochenzunge reducirt, die ohne Beziehung zum Sinus maxillaris der seitlichen Nasenwand anlagert. In Bezug auf die untere Muschel schließt sich Hylobates direkt an die Platyrrhinen. Hier wie dort eine doppelt gerollte Muschel, deren vertikal gestellte Fußplatte sich an der Abgrenzung des Sinus maxillaris betheiligt. Nur erstreckt sich bei Hylobates die Platte viel weiter aufwärts, so dass sie die untere Umgrenzung des spalt- förmigen Zugangs bilden hilft. Auch bei Orang findet sich die Fußplatte des Maxilloturbinale in mächtiger Entwicklung. Sie betheiligt sich jedoch nicht an der Umrahmung des Zugangs zum Sinus, sondern legt sich von unten an den Processus uneinatus, der seinerseits dann den Spalt begrenzt. Die untere Muschel selbst leitet durch die Reduktion der oberen Ein- rollung zu der einfachen, plattenförmigen Form über. Bei Gorilla betheiligt sich die sagittal gestellte Fußplatte gleichfalls nicht uner- heblich an der Bildung der medialen Wand der Kieferhöhle; aber 6* S4 » Otto Seydel die Muschel selbst zeigt durch ihre dreieckige, plattenartige Gestal- tung eine Abweichung von den iibrigen Formen. In Bezug auf die knöcherne Umrahmung des Zugangs zum Sinus maxillaris lässt Orang eine Ähnlichkeit mit Cercopithecus er- kennen, wo das obere Ende des Spaltes gleichfalls umgrenzt wird durch eine bogenförmige Verbindung zwischen Ursprung der ersten Muschel und Processus uncinatus. Bei Hylobates ist der Processus uneinatus sowie jene Leiste nur angedeutet und ohne Beziehung zur Öffnung des Sinus. Diese liegt zwischen seitlicher Nasenwand und unterer Muschel. Gorilla ist in dieser Beziehung am menschenähnlichsten. Der Spalt erstreckt sich ziemlich weit nach oben gegen die Siebplatte und ist unten durch den gut entwickelten Processus uncinatus, oben durch die deutlich ausgeprägte rudimentäre Nebenmuschel abgegrenzt. Die Tendenz zur Sinusbildung, die sich schon bei den Platyr- rhinen ausgesprochen fand, ist bei den Anthropoiden eine ungleich größere. Verhältnismäßig gering ist sie nur bei Hylobates, was sich wohl durch die verhältnismäßig unbedeutende Verbreiterung des Sep- tum interorbitale erklären lässt. Kolossal und eigenthümlich ist die Entfaltung der Sinus bei Orang. Hier geht die Bildung der Hohlräume gewissermaßen von einem Centrum aus nach allen Seiten. Dieses Centrum liegt im Oberkiefer. Stirn- und Keilbeinhöhle erscheinen verdrängt durch den mächtig entfalteten Sinus maxillaris. Bei Gorilla besteht Sinus maxillaris, sphenoidalis und frontalis jeder für sich und in bedeutender Ausdehnung. D. Mensch. (Taf. VI Fig. 30 und 31.) Es kommen zwei bis drei Siebbeinmuscheln vor, die in Form und Ursprung denselben Typus zeigen wie bei den Anthropoiden. Als Homologon des Nasoturbinale spricht SCHWALBE und nach ihm ZUCKERKANDL den Agger nasi (H. MEYER) an, ein dreieckiges, flaches Wülstehen. welches sich inkonstant vom vorderen Ende des Ursprungs der mittleren Muschel parallel dem Nasenrücken nach ab- wärts erstreckt. Bei Embryonen und Neugebornen fand ich das- selbe ziemlich regelmäßig und deutlich entwickelt (Fig. 30). In diesen Fällen ist es bedingt durch eine knorplige Auflagerung auf die seitliche Nasenwand (Stirnfortsatz des Oberkiefers), welche sich Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 85 nach Entfernung der mittleren Muschel bis in die Niihe der Sieb- platte verfolgen lässt. Sie geht nach allen Seiten in die Reste der knorpligen Nasenkapsel über, markirt sich aber gegen dieselbe deutlich durch ihre größere Dieke: nach hinten schließt sich der Processus uncinatus direkt an sie an. Auf der Höhe des Wiilst- ehens verläuft der vordere Schenkel des Ursprungs der mittleren Muschel. Diese knorplige Bildung, die wegen ihrer Lage, ihrer Beziehung zum Processus uncinatus und zur mittleren Muschel als Rest des Nasoturbinale anzusprechen ist, verhält sich nun im Laufe der wei- teren Entwicklung verschieden. Entweder sie wird, wie die übrige knorplige Nasenkapsel, re- sorbirt; dann fehlt der Agger entweder völlig, oder aber er ist trotz- dem angedeutet. Er wird im letzteren Falle aber nicht bedingt durch einen dem Siebbein zugehörenden Theil, sondern durch eine leichte Verdickung des Oberkieferfortsatzes, der ein morphologischer Werth nicht beizumessen ist!. In anderen Fällen verknöchert die Platte; dann ist der Agger durch eine dem Ethmoid angehörige Auf- lagerung auf die seitliche Nasenwand bedingt, die nach hinten unten kontinuirlich in den Processus uneinatus übergeht. Die Platte kann endlich durch eine oder zwei Siebbeinzellen blasig aufgetrieben wer- den, die sich vom oberen Ende des Infundibulum her in sie hinein entwickeln. Nur in den Fällen, wo sich eine derartige Auflagerung nachweisen lässt, ist der Agger als Rudiment des Nasoturbinale zu beurtheilen. Bei der Besprechung der Topographie des mittleren Nasenganges erscheint es zweckmäßig von Zuständen auszugehen, bei denen die Verhältnisse noch nicht durch die Entwicklung der Siebbeinzellen getrübt sind. Der Hiatus semilunaris zeigt dann folgende Verhält- nisse. Der Spalt wird von unten vorn begrenzt durch den Processus uneinatus, der vom Rest des Nasoturbinale aus sich schräg nach hinten unten erstreckt. Von oben und hinten wird der Spalt be- grenzt durch eine breite wulstartige Erhebung der seitlichen Nasen- wand, welche parallel dem Ursprung der mittleren Muschel schräg nach oben vorn verläuft (Fig. 31 N). Ihr hinteres Ende fließt mit dem Ursprung der mittleren Muschel zusammen, ihr oberes geht, das obere Ende des Spaltes bogenförmig umziehend, kontinuir- ! Eine solche Verdickung des Oberkieferstirnfortsatzes findet sich bei Neu- geborenen häufig unter dem knorpeligen Rest des Nasoturbinale. 86 Otto Seydel lich in den oberen Theil des Processus uncinatus iiber. Mit der Ausbildung von Siebbeinzellen verwischt sich die letztgenannte Ver- bindung mehr oder weniger; ferner wird der den Spalt von oben umgrenzende Wulst in der Regel durch Siebbeinzellen, die sich in ihn hinein entwickeln, blasig aufgetrieben. Dieser Befund erinnert namentlich in seinen Jugendzuständen an die entsprechenden Ver- hältnisse bei Gorilla. Die Deutung wird dieselbe sein wie ‘dort. Es wurde übrigens schon von ZUCKERKANDL ausgesprochen, dass der den Spalt von oben begrenzende Wulst, dem er den Namen Bulla ethmoidalis beigelegt hat, homolog sei einem lateralen Riechwulst. Die untere Muschel legt sich mit einer wenig ausgebildeten vertikal gestellten Fußplatte über die Öffnung der Keilbeinhöhle. Der Sinus maxillaris ist ziemlich geräumig und zeigt, wie alle Sinus des Menschen, eine wechselnde Ausdehnung. Nach den bei den Primaten beschriebenen Befunden muss man als den eigentlichen Zugang zu ihm den Spalt zwischen Processus uncinatus und dem Rudiment der Nebenmuschel bezeichnen. Der Raum des Infundi- bulum, der zwischen Processus uncinatus und Orbitalwand liegt, ist als ein Theil des Sinus zu beurtheilen. Bei den amerikanischen Affen fand sich gleichfalls der obere Theil des Sinus durch die Orbitalwand auf einen spaltartigen Raum beschränkt. Der Sinus frontalis ist in der Regel vorhanden; seine Öffnung verhält sich verschieden. Entweder sie findet sich in dem Recessus zwischen seitlicher Nasenwand und mittlerer Muschel am Nasen- dach; dann liegt sie medial vom oberen Ende des Processus unci- natus. Oder aber das obere Ende des Infundibulum setzt sich direkt nach oben in den Sinus fort; dann wird die Öffnung medial um- schlossen von der Verbindung der Nebenmuschel mit dem Processus uncinatus, und sie liegt lateral von letzterem. Bisweilen finden sich beide Öffnungen neben einander. In noch anderen Fällen liegt der Zugang im Infundibulum, und es buchten sich Siebbeinzellen von dem Recessus aus nach oben in wechselnder Ausdehnung in das Stirnbein, gegen den Sinus frontalis abgeschlossen; oder aber der Zugang zum Sinus liegt im Recessus, und vom Infundibulum buchten sich Zellen nach oben aus. Über den Sinus sphenoidalis ist nichts Besonderes zu sagen. Als dem Menschen eigenthümliche Bildung treten die Siebbein- zellen auf; kleine Hohlräume, die sich von den Spalten zwischen den Muscheln aus in die seitliche Nasenwand hinein entwickeln und in ihrer Anordnung und Ausdehnung erheblichen Variationen Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 87 unterworfen sind. Für ihre Beurtheilung ist festzuhalten, dass die Verbreiterung des Septum interorbitale nicht oder doch nur zum ge- ringsten Theil dem Cavum nasale zu Gute kommt, sondern wesent- lich in einer Verdickung der medialen Orbitalwand sich ausprägt. In diese verdickte Wand hinein entwickeln sich die Zellen, ähnlich wie bei den Anthropoiden von unten her der Sinus maxillaris. Als allgemeine Regel für die Anordnung der Zellen kann auf- gestellt werden, dass ihre Entwicklung von den Spalten zwischen je zwei (auch rudimentären) Muscheln ausgeht; und dass die Zellen, die von einem solchen Spalt aus ihre Entwicklung genommen haben, zwar unter sich kommunieiren können, aber nie mit denen der be- nachbarten Spalten. Von diesem Gesichtspunkte aus lässt sich ein gewisses Schema für die Anordnung der Siebbeinzellen aufstellen, indem man dieselben in Reihen bringen kann, die zwischen den Muschelursprüngen liegen. Und zwar las- sen sich, wenn eine Concha Santorini vor- handen ist, vier, wenn sie fehlt, drei Lamina.eribrosa.( solcher Reihen aufstellen. Die erste liegt > zwischen Concha Santorini und Concha superior, die zweite zwischen Concha superior und media, die dritte zwischen Concha media und der den Hiatus semilunaris von oben umgrenzen- den rudimentären Nebenmuschel (N des Schema), die vierte endlich zwischen dieser und dem Reste des Nasoturbinale'. So übersichtlich sind die Verhältnisse jedoch gewöhnlich nicht; die Zellen der verschiedenen Reihen stehen gewissermaßen im Wett- kampf mit einander, bald überwiegen die der einen, bald die der anderen Reihe. Daher verlaufen die Trennungslinien zwischen den Reihen keineswegs immer genau wie die Muschelursprünge. Fig. I. Häufig erstrecken sich die Zellen in die Muscheln selbst hinein und treiben dieselben blasig auf. Ziemlich konstant ist das der Fall an der den Hiatus semilunaris von oben umgrenzenden Leiste, welche hierdurch zu einem mächtigen Wulst aufgetrieben wird (Bulla ethmoidalis, ZUCKERKANDL). Ferner kommen solehe Ausbuchtungen ziemlich häufig in die Concha media hinein vor, eben so in die ! Niemals fand ich die Öffnung einer Siebbeinzelle oberhalb der Concha Santorini, oder wenn diese fehlte, oberhalb der ©. super. Dagegen kommt aber wohl eine oberste Muschel vor, ohne dass sich eine Siebzellenöffnung zwischen ihr und der C. superior findet. 88 Otto Seydel Concha superior, endlich, wie schon erwiihnt, in das Rudiment des Nasoturbinale. In der Form seiner ersten Siebbeinmuschel erinnert der Mensch an Hylobates. Die Verhiiltnisse des mittleren Nasenganges, speciell die Umrahmung des Zugangs zum Sinus maxillaris, sind in der ver- hältnismäßig mächtigen Entwicklung des Restes der ersten Neben- muschel, sowie des Processus uncinatus denen bei Gorilla ähnlich; die untere Muschel endlich schließt sich durch den Ausfall der oberen Einrollung an die von Orang an. Mit allen Anthropoiden gemeinsam hat er die Breite des Septum interorbitale, sowie die ausgesprochene Neigung zur Sinusbildung. In letzterem Punkte nimmt er jedoch durch die Entwicklung von Siebbeinzellen eine Sonderstellung ein. ZUCKERKANDL fasst die Sieb- beinzellen auf als Rudimente der lateralen Reihe der Riechwiilste und spricht die Ansicht aus, dass sie in der Weise zu Stande kämen, dass »die lateralen Riechwülste mit Vernichtung der zwischen den- selben etablirt gewesenen Luftgängen und mit Schwund des Riech- schleimhautüberzuges daselbst unter einander zu einem zelligen Kom- plexe (Siebbeinzellen) verschmolzen«!. Diese Anschauung, die schon an und für sich wenig plausibel erscheint, wird völlig widerlegt, wenn man die Stammesentwicklung des Menschen verfolgt. Der Stammbaum des Menschen wird von den Prosimiern herge- leitet, das heißt von Thieren, bei denen die beginnende Reduktion des Geruchssinnes schon deutlich ausgesprochen ist. Das Septum interorbitale ist im Vergleich zu Thieren mit höher entwickeltem Geruchssinn, z. B. den Marsupialiern, erheblich verschmälert, an den Muscheln fehlen accessorische Einrollungen ganz, von Neben- muscheln finden sich zwei, die schon in der Reihe der Halbaffen der Rückbildung anheimfallen. Von den Prosimiern lassen sich die Formverhältnisse bei den Platyrrhinen ableiten, und an diese schließt sich der Mensch so- wohl in Bezug auf die Form der Siebbeinmuscheln, als auf die Ver- hältnisse des mittleren Nasenganges und der unteren Muschel; auch ist bei beiden die Tendenz zur Sinusbildung ausgesprochen. Bei den Platyrrhinen findet sich nur ein Rest der oberen Nebenmuschel, welche durch die gewonnene Betheiligung an der Umrahmung des | Uber die morphologische Bedeutung des Siebbeinlabyrinthes, pag. 5. — Vgl. auch das periphere Geruchsorgan der Säugethiere. pag. 73. Über die Nasenhöhle der höheren Siiugethiere und des Menschen. 89 Zuganges zum Sinus maxillaris eine Existenzberechtigung erhalten hat. Sie lässt sich in analoger Weise beim Menschen nachweisen. Das Septum interorbitale bei den amerikanischen Affen ist ganz schmal, und das Rudiment der Nebenmuschel sitzt direkt an der Lamina papyracea. Die Breite des Septum interorbitale des Menschen und der Anthropoiden wird erst mit der seitlichen Entfaltung des Großhirns aufs Neue erworben. Das Geruchsorgan passt sich jedoch nicht den veränderten Raumverhältnissen an, sondern behält den Charakter, der ihm durch die geringe mögliche Breitenentwicklung des Cavum nasale bei den niederen Affen aufgedrückt wurde. Die Nasenhöhle selbst bleibt schmal und an der verbreiterten Orbital- wand macht sich die Tendenz zur Bildung pneumatischer Räume geltend durch die Ausbuchtung des Sinus maxillaris nach oben bei den Anthropoiden, durch die Entwicklung der Cellulae ethmoidales beim Menschen. In beiden Fällen liegt das Rudiment der Neben- muschel wie der Ursprung der Muscheln überhaupt medial von den pneumatischen Räumen. Eine phylogenetisehe Bedeutung ist den Siebbeinzellen demnach abzusprechen. Es wurde bereits gelegentlich ausgesprochen, dass die Affen der neuen Welt im Baue ihres Geruchsorgans eine Mittelstellung einnehmen zwischen den Prosimiern und den Affen der alten Welt. Es erübrigt noch auf Grund der mitgetheilteu, Befunde zu erörtern. welche Faktoren die abweichende Gestaltung des Siebbeins bei den Primaten veranlasst haben, und wie sich diese Umgestaltung voll- zogen hat. Hierbei sind in erster Linie die Änderungen in der Formation der Nasenhöhle zu berücksichtigen. Dieselbe wird zunächst durch Verschiebungen an der Basis des Schädels beeinflusst. Mit der Entwicklung des Großhirns tritt eine deutliche Kniekung der Basis cranii zwischen vorderem und hinterem Keilbeinkörper auf, die bei den Halbaffen kaum angedeutet ist, bei den niederen Affen sich aber bereits bedeutend entwickelt zeigt. Mit dieser Knickung geht einher eine Höhenzunahme des vorderen Keilbeinkörpers, und diese bewirkt ihrerseits wieder eine Zunahme des Höhendurchmessers des Cavum nasale. Mit der Entwicklung des Großhirns wird wei- terhin die Umlagerung der Siebplatte aus der schräg von unten 90 Otto Seydel hinten nach oben vorn gerichteten Stellung in die horizontale in Zu- sammenhang gebracht. Weitere Veränderungen in der Gestaltung der Nasenhöhle sind ein Ausdruck für die abnehmende Dignität des Geruchsorgans. Die Verschmälerung der Siebplatte und des ganzen Septum interorbitale, die sich bei den Halbaffen eingeleitet fand, schreitet weiter fort und der quere Durchmesser der Nasenhöhle redueirt sich auf ein sehr geringes Maß. Außerdem findet eine Verkürzung der Lamina cri- brosa statt; die Nasenwurzel und der vordere Keilbeinkörper rücken hierdurch einander näher; der Längsdurchmesser des oberen Theils der Nasenhöhle verkürzt sich. In gleichem Sinne wirkt die am vor- deren Keilbeinkörper Platz greifende Rückbildung, die sich auf die Alae ethmoidales und Alae minimae desselben erstreckt. Auch im unteren Theile der Nasenhöhle macht sich eine erhebliche Verkür- zung in der Richtung von vorn nach hinten geltend durch die Unter- schiebung des Kieferskelettes unter die Schädelbasis und die Re- duktion des Schnauzentheiles des Gesichtsskelettes !. Diesen Verhältnissen entspricht die Form der Nasenhöhle bei Hapale. Mit der Entfaltung des Stirnhirns nach vorn wird die Entfer- nung zwischen Nasenwurzel und Keilbeinkörper vergrößert, das hori- zontale Dach der Nasenhöhle wird in die Länge gezogen. Bei den niederen Affen, wo die Reduktion des Geruchsorgans am ausge- sprochensten ist, bleibt die Siebplatte klein und kann sogar ganz ausfallen; der Raum zwischen ihrem hinteren Ende (beziehungs- weise zwischen Riechnervenloch) und Keilbeinkörper wird durch das sich einschiebende Frontale ausgefüllt. Bei den Anthropoiden da- gegen, deren Geruchssinn eine etwas höhere Entwicklung zeigt, ver- längert sich die Siebplatte. Bei den Anthropoiden bedingt weiterhin die mächtige seitliche Entfaltung des Großhirns eine Verbreiterung des Septum interorbi- tale, ohne dass hierdurch die Gestaltung der eigentlichen Nasen- höhle wesentlich beeinflusst würde. Diese Veränderungen in der Formation der Nasenhöhle wirken in entsprechender Weise auf die Gestaltung des Siebbeins ein und beeinflussen im Speciellen die Stellung und Form der Muscheln. Bei den Halbaffen verliefen die Ursprungslinien der ersten und zweiten Hauptmuschel an der seitlichen Nasenwand zunächst nach ! Vgl. ZUCKERKANDL, Das periphere Geruchsorgan der Säugethiere. pag. 83 ff. Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 91 vorn und wenig nach unten, um dann in mehr oder weniger scharfer Biegung nach hinten unten umzubiegen; die der dritten Hauptmuschel verlief gestreckt nach vorn unten. Die vorderen Enden der Ur- sprünge konvergirten gegen das vordere Ende der Schlussplatte (ef. Schema I). Das hintere Ende der Muscheln liegt an der Sieb- platte. Es ist von vorn herein wahrscheinlich, dass dieser Theil der I.0folienus. It. Stenops gracilis. Sph. ‘i s/ a Pru. U Cercopithecus. W.Men sen. \ hema für die Umstellung der Basallamellen (J—VI). J, II, III Ursprungslinien der Hauptmuscheln, nd a Ursprungslinien der Nebenmuscheln. N. Nasoturbinale. Pr. Processus uneinatus, S Sammelleiste. Sph Keilbeinkörper. Fr Frontale. Urs priinge seine Beziehung zur Siebplatte behalten wird, dass er also den Bewegungen derselben folgen wird. Pi Die Bewegung der Lamina eribrosa ist nun eine doppelte. Ein- m: al geht sie aus ihrer schräg aufwärts gerichteten Stellung in die ‚horizontale über. Dies wird, wie auch der Befund bei Stenops acilis lehrt, keinen wopentlibtion Einfluss auf die Richtung der ee oscnistision ausüben (Schema ID. Dagegen führt die Höhen- 92 Otto Seydel zunahme des Keilbeinkörpers, durch welche die Entfernung zwischen Lamina cribrosa und vorderem unteren Keilbeinwinkel vergrößert wird, in Verbindung mit der horizontalen Einstellung der Siebplatte zu einer Aufrichtung der oberen Schenkel der Muschelursprünge, so dass diese stark geneigt von hinten oben nach vorn unten verlaufen würden. Durch die Verkürzung des vorderen Keilbeinkörpers rücken nun die unteren Enden der Basallamellen nahe an den Keilbeinkörper selbst heran, während die Schlussplatte aufwärts geschlagen wird und die vordere Wand des Sinus sphenoidalis bildet (vgl. ZucKERKANDL). Es würde ein gerade von oben nach unten gerichteter Verlauf der oberen Schenkel der Ursprungslinien resultiren, während die unteren Schenkel die ursprüngliche, schräg nach hinten unten gegen den vorderen unteren Keilbeinkörper konvergente Stellung beibehalten. Dieses Stadium findet sich bei Hapale und den Platyrrhinen (vgl. Schema III und IV). Bei den niederen Affen, bei denen die Siebplatte bezw. das Riechnervenloch durch das zwischengeschobene Frontale vom Keil- bein abgedrängt ist, konvergiren die Ursprungslinien von vorn oben nach hinten unten gegen den unteren Keilbeinwinkel. Die bei den Platyrrhinen noch deutliche scharfe Kniekung zwischen oberem und unterem Schenkel der Ursprungslinie ist dadurch aufgehoben, dass das Siebplattenende der Muschel stark nach vorn geschoben ist (vgl. Schema V). Bei den anthropoiden Affen und beim Menschen werden mit der zunehmenden Länge der Siebplatte die entspre- chenden Enden der Ursprünge aus einander gezogen; die Ursprungs- linien konvergiren stärker von oben vorn nach unten hinten (vgl. Schema VI). Während so die Umlagerung der Muscheln bedingt erscheint durch die Verschiebungen an der Schädelbasis, ist die Ursache für die Änderung ihrer Form zu suchen in der abnehmenden Dignität des Geruchssinnes und in dem veränderten räumlichen Verhalten der Nasenhöhle. Die Form der Muscheln wird vereinfacht, und ganze Muscheln oder Theile derselben kommen zur Rückbildung. Bei allen untersuchten Prosimiern finden sich außer dem Naso- turbinale noch drei Hauptmuscheln, von denen die erste zwei End- aufrollungen trägt. Analog verhalten sich alle Thiere mit fünf Riech- wiilsten. Das Nasoturbinale fillt bei den Primaten der Riickbildung an- heim. Schon bei Stenops gracilis ist sein Hohlraum fast geschwun- den; bei den Affen geht er ganz verloren. Das Nasoturbinale selbst Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 93 reducirt sich zu einem unbedeutenden Wülstehen, welches schließ- lich ganz schwinden kann. Der Processus uneinatus bleibt unab- hängig von der Muschel selbst erhalten, so lange er eine Beziehung zur medialen Wand des Sinus maxillaris hat. An der ersten Hauptmuschel der Halbaffen schwindet die untere Einrollung völlig: die obere bleibt erhalten und bildet die erste Mu- schel der Affen. Schon bei Otolicnus und Stenops formirt die Aus- stiilpung zwischen Basallamelle und Einrollung nach vorn in ihrem größeren vordersten Abschnitt eine einfache Platte, während die eigentliche Einrollung nur unbedeutend entwickelt ist. Indem sich der Hohlraum in dem hinteren Theile des Riechwulstes gleichzeitig mit der Einrollung völlig rückbildet, resultirt die plattenförmige Mu- schel der Platyrrhinen. Wie sich von dieser die Muscheln der Ka- tarrhinen und Anthropoiden ableiten, ist bereits ausgeführt. Die zweite und dritte Hauptmuschel der Prosimier (vierter und fünfter Riechwulst) fehlen bei den Primaten entweder ganz (Mehr- zahl der Katarrhini); oder die zweite, bisweilen auch die dritte ist erhalten, erscheint aber meist als einfache Leiste, so dass es den Eindruck macht, als wäre nur die Basallamelle erhalten’. Von den beiden bei den Prosimiern beobachteten Nebenmuscheln schwindet die untere (zwischen erster und zweiter Hauptmuschel gelegene) vollkommen?. Die obere lässt sich bei allen Primaten in: Resten nachweisen. Dieser Rest bleibt erhalten durch die Beziehung, die er zur Öffnung des Sinus maxillaris gewonnen hat. 1 Es ist demnach — streng genommen — nicht richtig, das Verhältnis so zu formuliren, dass die mittlere Muschel des Menschen homolog sei dem zweiten und dritten Riechwulst. Sie ist homolog der ersten Muschel der niederen Säu- ger, und zwar der oberen Einrollung derselben. Eben so wenig darf man die obere Muschel gleich setzen dem vierten und fünften Riechwulst. Die obere Mu- schel entspricht der zweiten Muschel der Quadrupeden; kommt eine Concha Santorini vor, so entspricht sie der dritten Muschel der Quadrupeden. Fehlt die Concha Santorini, so ist sie nicht mit der oberen »verschmolzen«, sondern die dritte Muschel ist einfach nicht zur Ausbildung gelangt. 2 Bei menschlichen Embryonen fand ich einige Male in dem Spalt zwischen der mittleren und oberen Muschel, also an der Stelle, wo bei den Halbaffen die zweite Nebenmuschel liegt, eine niedrige leistenförmige Erhebung der seitlichen Nasenwand. Dasselbe sah ich einmal beim Erwachsenen, zu beiden Seiten der Leiste lagen Öffnungen von Siebbeinzellen. Ich möchte diese Bildung als Rest der Nebenmuschel deuten. 3 ZUCKERKANDL’s Behauptung, dass das Vorkommen der Sinus bei den Primaten, wo eine direkte Beziehung derselben zum peripheren Geruchsorgan nicht mehr besteht, abhängig sei von dem Vorkommen lateraler Riechwülste oder 94 Otto Seydel Eingeleitet fand sich diese Beziehung schon bei Stenops gra- eilis, wo das vordere Ende der Leiste, die als rudimentäre erste Nebenmuschel angesprochen werden musste, schräg nach unten hinten abgebogen war und dicht am freien Rande der Maxillarplatte verlief, um sich mit dem Ursprung der ersten Hauptmuschel zu verbinden. Es ließen sich also, wie an den Ursprungslinien der übrigen Muscheln, ein oberer und ein unterer Schenkel unterschei- den. Nur der letztere betheiligt sich an der Umgrenzung des Zu- ganges und bleibt erhalten, während der obere schwindet. Es erübrigt noch, kurz die Verhältnisse der Sinuszugänge im Zusammenhange zu besprechen. Während die obere Umgren- zung des Zuganges zur Kieferhöhle bei den Halbaffen durch die Sammelleiste, bei den Primaten durch den Rest der ersten Neben- muschel gebildet wurde, wird die untere Umrahmung mit ziemlicher Konstanz durch den Fortsatz des Nasoturbinale bewirkt. Durch die Verbindung des hinteren Endes desselben mit der Umbiegungsstelle der Ursprungslinie der ersten Muschel erhält der Spalt bei Prosi- miern einen hinteren Abschluss. Bei den niederen Affen reducirt sich zwar der Processus uncinatus, aber das hintere Ende des Spaltes behält doch die einmal gewonnene Lagebeziehung. Die untere Abgrenzung des Spaltes wird dann durch eine Schleimhaut- ‘falte bewirkt, die sich vom Ende des Processus uncinatus nach der Umbiegungsstelle der ersten Muschel erstreckt. Bei den Affen der alten Welt und den Anthropoiden, wo die Biegung der Ursprungs- linien ausgeglichen ist, wird der Punkt — dem Verhalten bei Stenops gracilis entsprechend — durch die Verbindung des Restes der Neben- muschel mit dem Ursprung der ersten Hauptmuschel markirt. Die bogenförmige Verbindung zwischen dem Rest der ersten Nebenmuschel und dem Processus uncinatus, welche das obere Ende des Spaltes umgrenzt, wird als Rest der Maxillarplatte gedeutet. Abweichungen von diesen Verhältnissen finden sich zunächst bei Cynocephalus und bei Semnopitheeus. Der Sinus maxillaris zeigt hier eine sehr geringe Entwicklung, und hiermit ist wohl die Rück- bildung der medialen Wand der Höhle speciell der den Zugang um- deren Derivate (l. e. pag. 107), dürfte wohl kaum zutreffend sein. Ein causaler Zusammenhang zwischen der Sinusbildung und den außerhalb derselben liegen- den Bildungen ist nicht ersichtlich. Richtiger erscheint die Umkehrung des Satzes, dass ein lateraler Riechwulst, und zwar die erste Nebenmuschel, er- halten bleibt, weil sie Beziehung gewonnen hat zum Sinus, und zwar zum Zu- gang des Sinus maxillaris. u u A A Io es A i Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 95 rahmenden Siebbeintheile in Beziehung zu bringen. Eine weitere Aus- nahme bildet Hylobates, bei dem sich zwar ein Rest der Nebenmuschel und des Processus uneinatus nachweisen lässt, aber eine Beziehung derselben zum Zugang des Sinus nicht mehr besteht. Der übrige Abschluss der Kieferhöhle gegen die Nasenhöhle wird durch die Fußplatte der unteren Muschel bewirkt. Die ameri- kanischen Affen und die Anthropoiden schließen sich direkt an die Prosimier an, indem hier wie dort die Fußplatte vertikal zum Boden der Nasenhöhle gestellt ist und in der Richtung von vorn nach hinten zwischen Oberkiefer und Gaumenbein eingeschaltet ist. Bei den Katarrhinen tritt in so fern eine Abweichung hervor, als durch die Ausbuchtung des unteren Nasenganges nach der Seite und oben eine Verschiebung der Fußplatte in die schräg von oben vorn nach hinten unten gerichtete Stellung, sowie eine Gestaltsveränderung der unteren Muschel bedingt ist. Was den Zugang zum Sinus frontalis anlangt, so muss derselbe nach den Befunden bei Halbaffen, wo er zwischen Nasoturbinale und erster Nebenmuschel lag, zwischen Nasoturbinale und dem Ursprung der ersten Hauptmuschel gesucht werden, weil der obere Schenkel der Nebenmuschel geschwunden ist; d. h. mit anderen Worten, in dem Recessus, den die erste Muschel bildet; und zwar muss er me- dial liegen von dem Reste der Maxillarplatte. Es wurde schon her- vorgehoben, dass der Sinus frontalis bei Nyetipitheeus wegen der atypischen Lage seiner Öffnung nicht in Parallele gestellt werden kann mit dem Sinus frontalis der Halbaffen. Das Gleiche gilt von der Stirnhöhle bei Orang, wo der Sinus maxillaris sich in der seit- lichen Wand der Nasenhöhle aufwärts bis in das Frontale hinein erstreckt. Dagegen hat der bei Gorilla beobachtete Sinus frontalis seine Öffnung an der typischen Stelle. Beim Menschen kommen zwei Zugänge zur Beobachtung; von ihnen ist der in dem von der ersten Muschel gebildeten Recessus liegende als der typische zu be- urtheilen, während die Fortsetzung des Infundibulum nach oben in den Sinus frontalis sich ohne Schwierigkeit mit den bei Orang sich findenden Verhältnissen in Beziehung bringen lässt. Der Sinus sphenoidalis war bei Prosimiern mehr oder weniger vollständig ausgefüllt durch einen Theil der dritten Hauptmuschel, Der Ursprung der letzteren verlief vor und lateral von der Offnung des Sinus. Es genügt die Rückbildung der eingerollten Partien der dritten Muschel, um die Öffnung des Sinus frei zu machen. Die vordere Wand des Sinus wird beim Menschen und bei den Anthro- 96 Otto Seydel poiden durch die Ossicula Bertini gebildet, die nach ZUCKERKANDL den Schlussplatten homolog sind, welche sich mit der Umlagerung der Muscheln vor die Öffnung der Höhle lagern. Der Zugang muss auch bei den Primaten hinter und medial von der Ursprungslinie der dritten resp. der hintersten Muschel liegen. Der mächtige Hohlraum bei Orang, welcher sich lateral von den Muschelursprüngen in das Keilbein erstreckt, ist aus diesem Grunde nicht als ein typischer Sinus sphenoidalis, sondern als eine Ausbuchtung des Sinus maxillaris nach hinten aufzufassen, welche, wie das Vorkommen typischer Sinusanlagen bei jugendlichen Exemplaren beweist, die eigentliche Keilbeinhöhle verdrängt hat. Welche ursächlichen Momente es sind, die in der einen Reihe von Fällen eine Rückbildung des Sinus bedingen, in der anderen zu einer mächtigen Entfaltung der Nebenräume führen, dafür habe ich Anhaltspunkte nicht gewinnen können. Zum Schlusse fühle ich mich verpflichtet, Herrn Geheimrath GEGENBAUR, in dessen Institut diese Arbeit angefertigt wurde, für die Anregung zu derselben und für die vielfache wesentliche An- leitung und Unterstützung bei derselben, sowie Herrn Professor RuGE in Amsterdam für die freundliche Überlassung von Material meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Erklärung der Abbildungen. Die Hauptmuscheln sind durchweg mit römischen Ziffern (J, JZ, III) be- zeichnet, die Nebenmuscheln mit arabischen (1, 2). Die Ursprungslinien der einzelnen Muscheln sind mit der Zahl der Muschel und mit einem U bezeichnet. Nt Nasoturbinale. Pr.« Processus uncinatus. A.S.m Zugang zum Sinus maxillaris. 4.S.fr Zugang zum Sinus frontalis. S.sph Sinus sphenoidalis. S Sammelleiste. Sch Schlussplatte. M.t Maxilloturbinale. Tafel IV. Fig. 1. Schrägschnitt durch die Nasenhöhle des Hundes, parallel der Sieb- platte, und einige Millimeter vor derselben. Drei Hauptmuscheln; an den ersten beiden accessorische Einrollungen. 1 Nebenmuschel. Im Sinus frontalis, dessen untere Grenze durch die Nebenmuschel und das Nasoturbinale in diesem Falle nur undeutlich markirt ist, vier frontale Muscheln (Fr. 1—4). > ve in ne = r an Py _ h ¥ _ > oe Morpholog. Jahrbuch. Bd. XVI. Taf: 17. 2 ae 4 = 4. Vt Otolienus Galago, 7 8. 9. ‘Sch = ve As.fr: >) Mt Hund Nt ; Pru. Mt Pru. s >. I : H LU. u ML. au. 1 ML. Sch. « ML Asm. HEN MAU. Sm. ML ; : an Schl. Stenops grac. 7 Stenons gracilis. Stenons rac. Ololicnus 12: ‘ig AS.Nax, 15. Mt Cebus hynol, Mt sm. Esplupı Cebus hypol. AS Cercopithecus AS Cercopithecus. a —— i | u an m ZZ 2 A 0 Ci Sl Oe a Zn +a > we : L es re se Ben Sri ln A A Taf v. Cynoceplialus Mormon. { Semnopithecus — Mt. Y — i ; Mt. y ii As.m Sam. Semnopithecus. Hylobates % { 7 Hylobates k J _ erin # Auk Engen Duni = 5 = - Tih Mast r Wernur & Winter Kransfüree 28. Orang Orang / 29. | \ J EU N N Pra ) | Troglodytes Gorilla. LU. u Troglodytes Gorilla. ; CStCsp. Cm f Pra, Über die Nasenhöhle der höheren Säugethiere und des Menschen. 97 Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6 Fig. 7. Fig. 8 Fig. 9. Fig. 10. Fig. 11. Fig. 12. Fig. 13. Medianschnitt durch die Nasenhöhle von Lemur catta. Dasselbe Präparat, wie in Fig. 2. Die drei Hauptmuscheln und die zweite Nebenmuschel sind entfernt, um den Verlauf der Muschel- ursprünge, sowie die Lage der Sinuszugiinge zu zeigen. Der Zugang zur Stirnhöhle zwischen dem hinteren Ende des Nasoturbinale und der ersten Nebenmuschel; der zur Kieferhöhle zwischen hinterem Rande des Processus uneinatus und der Sammelleiste. Medianschnitt durch die Nasenhöhle von Otolicnus Galago. Die obere Einrollung der ersten Hauptmuschel ist mächtig entwickelt und ver- deckt das Maxilloturbinale fast völlig. * der medianwärts umgebogene untere Rand der Einrollung, welcher die Rinne zur Aufnahme der lang ausgezogenen Fortsetzung der Schlussplatte formirt. Dasselbe Präparat, wie in Fig. 4. Die Hauptmuscheln und die zweite Nebenmuschel sind entfernt. Starke Konvergenz der Muschelursprünge gegen das vordere Ende der Schlussplatte. In ihrer Lage verhalten sich die Zugänge zu den Sinus wie bei Lemur. Dasselbe Präparat wie Fig. 5. Die erste Nebenmuschel, der hintere Theil des Nasoturbinale, der Processus’ uncinatus und die untere Muschel sind entfernt. Die Schleimhaut ist abpräparirt. Das Präparat bringt den kleinen Sinus frontalis, das Verhalten der Sammelleiste und die Betheiligung der Fußplatte der unteren Muschel an der Bil- dung der medialen Kieferhöhlenwand zur Anschauung. Medianschnitt durch die Nasenhöhle von Stenops gracilis. * frei in den Ductus nasopharyngeus ragender Fortsatz der oberen Einrollung der ersten Muschel. Dasselbe Präparat, wie in Fig. 7. Die Muscheln sind entfernt, um den Verlauf der Basallamellen und das Verhalten der Sinusöffnungen zu zeigen. Dasselbe Präparat. Schleimhaut entfernt, der hinterste Theil des Nasoturbinale, sowie des Processus uneinatus sind entfernt, um den bogenförmigen Verlauf der ersten Nebenmuschel, die nur als Leiste vorhanden ist, ferner die Verbindung der Sammelleiste (S) mit der seitlich gekehrten Fläche des Processus uncinatus zu zeigen. Medianschnitt durch die Nasenhöhle von Hapale Jacchus. Es ist nur eine gut entwickelte Muschel vorhanden; eine zweite nur angedeutet. Nasoturbinale undeutlich. Das Dach der Nasenhöhle wird nur von der Lamina cribrosa gebildet. Der Keilbeinkörper enthält keinen Hohlraum. Cebus hypoleucus. Nasoturbinale deutlich. Eine Siebbeinmuschel. Der Sinus sphenoidalis nach vorn bis auf eine kleine Offnung abge- schlossen. ° Id. Die Muschel dicht an ihrem Ursprung abgelöst. Verlauf der Ur- sprungslinie von vorn oben nach hinten unten gegen den vorderen unteren Keilbeinwinkel. Zugang des Sinus maxillaris zwischen der Nebenmuschel (N) und dem deutlich aus der lateralen Wand, vorsprin- genden Processus uncinatus. Id. Schleimhaut entfernt. Die obere Umrahmung des Zuganges geht in Form einer schriig nach unten gerichteten Leiste hinten vom Ur- sprung der ersten Muschel aus, umzieht bogenförmig das obere Ende Morpholog. Jahrbuch. 17. 7 98 Fig. Fig. ig. 16. Fig. Fig. Fig. Fig. 2 Fig. 4 Fig. 14. hp 18. 19. 23. Otto Seydel des Spaltes und legt sich an [die seitwärts gekehrte Fläche des Pro- cessus uncinatus. Der obere Theil des Sinus maxillaris erscheint durch die Orbitalwand zu einem schmalen Spalt reducirt. Nyctipithecus vociferans. Zwei Siebbeinmuscheln. Nasoturbinale deut- lich. Maxilloturbinale klein. Der Keilbeinkörper enthält nur links einen Hohlraum, und zwar nur in seinem oberen Theil. * Ausbuchtung des- selben in die Alae orbitales. 4.S.fr atypische Öffnung des Sinus frontalis. Id. Die Muscheln sind dicht an ihrem Ursprung losgelöst; Schleim- haut entfernt. Verlauf der Ursprungslinien gerade von oben nach unten, dann von vorn oben nach hinten unten. Zwischen Z.U und Nt eine leistenförmige Erhebung (N), die sich nach unten mit der Umrah- mung des Zuganges zum Sinus maxillaris verbindet. Dieser Zugang liegt zwischen dem sehr kleinen, stachelförmigen Processus uncinatus und einer Leiste, die von der Umbiegungsstelle der Ursprungslinie der ersten Hauptmuschel zum Processus uncinatus zieht. Cercopithecus radiatus. Es ist nur eine Muschel vorhanden, die scheinbar die Beziehung zur Siebplatte verloren hat. Cercopithecus cynomolgus. Andeutung einer zweiten Muschel. Die erste ist an ihrem Ursprung losgelöst. Zwei Schenkel der Ursprungs- linie; die hintere steigt bogenförmig gegen das Riechnervenloch auf, die vordere zieht parallel dem Nasenrücken nach vorn unten. Der letzte Theil des Ursprunges ist membranös, daher auf der folgenden Figur nicht zu erkennen. Cercopithecus radiatus. Erste Muschel und Schleimhaut entfernt. Das Nasoturbinale tritt deutlicher hervor. Der Processus uneinatus ist mit der Leiste, die den Zugang zum Sinus maxillaris von oben umgrenzt, zu einer kontinuirlichen Umrahmung verschmolzen. Tafel V. Cynocephalus Mormon. Nasoturbinale klein, aber deutlich. Die erste Muschel gut entwickelt, eine zweite und dritte angedeutet. Id. Die erste Muschel ist nahe ihrem Ursprunge losgelöst (der hintere Schenkel des Ursprunges ragt noch weiter aufwärts gegen das Riech- nervenloch, als es dargestellt ist). Schleimhaut entfernt. In dem vor der ersten Muschel gebildeten Recessus liegt die Nebenmuschel (N) ohne Beziehung zum Zugang des Sinus maxillaris. Dreieckige Ge- stalt der unteren Muschel. An dem nach hinten oben gerichteten Rande biegt dieselbe scharf in die Fußplatte um und bildet die Um- grenzung des Zuganges zum Sinus maxillaris. Semnopithecus nasicus. Es ist nur eine Siebbeinmuschel vorhanden. Id. Muschel entfernt. Das Nasoturbinale markirt sich jetzt etwas deutlicher als ein leichter Wulst. Rundliche Öffnung des Sinus ma- xillaris. Id. Schleimhaut entfernt. Das Nasoturbinale in Form einer unan- sehnlichen Auflagerung. Processus uncinatus zungenförmig, hebt sich nicht von der seitlichen Wand der Nasenhöhle ab. — Der hintere Schenkel des Ursprunges der ersten Muschel ragt bis an das Riech- nervenloch heran; auch der vordere ist zum Theil knöchern. Sinus maxillaris stellt eine unbedeutende grubige Einsenkung dar, die nach unten vorn durch die Fußplatte der unteren Muschel begrenzt ist. ig. 24. Fig. Fig. Fig. : Fig. : Fig. 29. Fig. Fig. Uber die Nasenhöhle der höheren Siiugethiere und des Menschen. 99 25. 30, Hylobates. Eine ausgebildete Muschel, eine zweite nur angedeutet. Nasoturbinale deutlich, oben vom vorderen Ende des Ursprunges der ersten Muschel ausgehend. Id. Muschel dicht am Ursprung entfernt, um die Lage des Zuganges zum Sinus maxillaris zu zeigen. Eine leichte Erhebung oberhalb des- selben markirt den Rest der Nebenmuschel, der keine Beziehung zum Zugang hat. Tafel VI. Orang. Zwei Muscheln. Sinus sphenoidalis klein; seine Öffnung liegt an der vorderen Keilbeinfläche. Id. Schleimhaut und beide Muscheln dicht am Ursprunge entfernt. Zwei Schenkel der Ursprungslinie, auch der zweiten Muschel. Me- diale Wand des Sinus maxillaris völlig knöchern. . Troglodytes Gorilla. Zwei Muscheln. Die zweite überlagert den hin- teren Theil der ersten. Horizontale Stellung der Fissura ethmoidalis. Id. Muscheln nahe dem Ursprung entfernt. Der hintere Ursprungs- schenkel der ersten Muschel verläuft vom vorderen unteren Keilbein- winkel schräg aufwärts gegen das vordere Ende der Siebplatte; der vordere zieht parallel dem Nasenrücken abwärts. Der hintere Ur- sprungsschenkel der zweiten verläuft gerade aufwärts gegen. das hintere Ende der Siebplatte, der vordere geht schräg nach vorn unten auf die mediale Fläche der ersten Muschel über. Im mittleren Nasen- gang der menschenähnliche Zugang zum Sinus maxillaris. Mensch, neugeboren. Zwei Muscheln sind deutlich (Concha media [Co.m] und Concha superior [C0.sp]), eine dritte ist angedeutet (Co.S). Agger nasi deutlich (N). Id. Muscheln und Schleimhaut entfernt. Vorderer und hinterer Ur- sprungsschenkel sowohl an der mittleren als an der oberen Muschel deutlich. Der Wulst N, der den Zugang zum Sinus maxillaris (7) von oben begrenzt, steht hinten mit dem Ursprung der mittleren Mu- schel in Verbindung und fließt vorn oben, den Spalt bogenförmig um- ziehend, mit dem oberen Ende des Processus uncinatus zusammen. Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. Von Ernst Göppert in Berlin. Mit Tafel VII. In einer im Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. XXXIV, erschienenen Arbeit von Dr. A. OrpeL: »Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus«, bespricht ein Abschnitt auch die Ausführungs- gangsverhältnisse des Pankreas beim Olm. — Die Resultate OppEL’s sind hierin etwa folgende: Es finden sich am Darm des Proteus zwei hinter einander gelegeue Mündungsstellen von pankreatischen Gängen. Die vordere derselben umfasst eine größere Anzahl von Ausführungsgängen des vorderen Theiles des Pankreas — an der hinteren münden, aus dem eaudalen Drüsentheil kommend, mehrere Ductus pancreatici kombinirt mit einem vom Ductus choledochus ge- bildeten Netzwerke und direkt von der Leber kommenden Ductus hepatici. Diese Befunde weichen von dem, was bisher über die Ausfüh- rungsgiinge des Amphibienpankreas bekannt war, bedeutend ab. Nach den Angaben der am Schluss der Arbeit zusammengestellten Litteratur miindet niimlich der in der Regel in der Einzahl vorhan- dene Ductus pancreaticus in den Ductus choledochus oder unmittel- bar neben demselben in den Darm. Speciell fiir den Frosch giebt Ecker (X)! an, dass der Ductus choledochus außer einem größeren ! Die in den Text eingeschobenen römischen Zahlen verweisen auf die gleichlautenden Nummern im Litteraturverzeichnis am Schluss der Arbeit. Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 101 Duetus pancreaticus möglicherweise noch mehrere kleine pankrea- tische Gänge aufnähme. Bei Salamandrina perspieillata sollen nach WIEDERSHEIM (XIV) zwei Ausführungsgänge existiren; der eine von ihnen verbindet sich mit dem Ductus choledochus; die Mündungs- stelle des zweiten ist nicht genauer bezeichnet. Hyrtu (XI) fand bei Cryptobranchus japonicus zwei Gänge. Der vordere derselben vereinigt sich mit dem Leberausfiihrungsgang. Die Miindung des zweiten, hinteren konnte nicht sicher festgestellt werden. Nirgends finden wir also Angaben, aus denen hervorginge, dass auch bei den übrigen Amphibien eine zweite und vordere, vom Duc- tus choledochus ganz getrennte Mündungsstelle pankreatischer Gänge, wie beim Proteus, besteht. Es war somit von Interesse, noch ein- mal mit Rücksicht auf die Opper’schen Befunde die Ausführungs- gänge des Amphibienpankreas zu untersuchen. Indem diese Untersuchung eben so wie die Darstellung der Be- funde zur Voraussetzung die Kenntnis der einzelnen Theile der Drüse hatte, wie sie nach ihren verschiedenen Lagebeziehungen zu unter- scheiden sind, so musste auch genau auf die Orientirung des Pan- kreas zu seinen Nachbarorganen Rücksicht genommen werden. In der am Schluss der Arbeit citirten Litteratur finden wir hierüber etwa Folgendes: Das Pankreas liegt im Allgemeinen in der Gastro- Duodenalschlinge, z. Th. dem Darm eng angewachsen (VIII). Bei Proteus liegt es dem Anfang des hier gerade verlaufenden Mittel- darmes an (IX, XV). Für den Frosch (V), Menobranchus (VIII) und Cryptobranchus (XH) wird hervorgehoben, dass die Drüse bis zur Leber heranreiche. Gelegentlich findet man auch das Verhalten der Bauchspeicheldrüse zum Mesenterium berücksichtigt, manchmal aller- dings nur in der Form, dass gesagt wird, die Drüse wäre in einer Falte des Bauchfelles suspendirt. Für den Frosch wird aber von Ecker (X) angegeben, dass die Drüse im Ligamentum gastro-duo- denale liege. Dasselbe soll auch bei Cryptobranchus (XII) der Fall sein. Eben so verlegt Orpen (XV) das Pankreas des Proteus an- guineus in die Duplikatur, welche das Peritoneum, vom Darm zur Leber ziehend, bildet. Er theilt hier die Drüse in drei Abschnitte ein. Der vorderste soll dem Darm anliegen; ihm gehört die vor- derste Ausführungsgangsgruppe an. — Der mittlere soll zwischen Leber und Darm gelegen sein und beide Organe berühren; der hin- terste als ein mit der Lupe kaum erkennbarer Faden auf der dem Darm zugekehrten Fläche der Leber auslaufen; aus den beiden letzteren Partien stammen die mit den Leberausführungsgängen 102 Ernst Göppert mündenden Ductus pancreatiei. Oft wird auch die äußere Form der Drüse berücksichtigt: dieselbe wird als ein bandartig flacher Körper (VIII) geschildert, der vielfache Lappen bilde und kleinere Ausläufer zwischen die Blätter des Mesenteriums ausschicke (I). Die Lappen- bildung ist am ausgesprochensten bei Menobranchus (I, VIII, XII). Eine einheitliche, erschöpfende Darstellung der Lagebeziehungen des Amphibienpankreas fehlt bisher; besonders ist das Verhalten der Drüse zum Mesenterium nur unvollkommen, z. Th. selbst unrichtig dargestellt. Wir wenden uns jetzt zunächst der Besprechung der Lagerung und der Ausführungsgänge des Pankreas bei den urodelen Amphibien zu und behandeln hier an erster Stelle den Proteus anguineus, da die einfachen Darmverhältnisse dieses Thieres eine leichte Orienti- rung versprechen. Die oben wiedergegebenen Angaben OPpreEr's bedürfen einer kleinen Ergänzung: Der vordere Theil des Pankreas des Proteus liegt nämlich, dicht hinter dem Pylorus beginnend, im dorsalen Me- senterium. Das letztere inserirt sich hier an dem der Darmwand unmittelbar anliegenden Pankreas; — von dem peritonealen Überzug der Drüse entspringt hier noch der hinterste Theil der zur Milz tretenden Bauchfellduplikatur. — Weiter rückwärts schlägt sich die Bauchspeicheldrüse rechterseits um den Darm herum und kommt schließlich auch in ein Ligamentum hepato-duodenale, Leber und Darm berührend, zu liegen. Der hinterste fadenartige Theil des Pankreas besitzt keine wesentlich neuen Beziehungen, die seine Auf- stellung als einen dritten Hauptabschnitt der Drüse rechtfertigen können. — Dies wird nach den Beschreibungen der Bauchspeichel- drüse anderer Urodelen noch klarer werden. — Wir haben also beim Proteus einen in Bezug auf den Darm dorsal und einen ventral orientirten Pankreastheil. — Die Ausführungsgänge des vorderen Drüsenabschnittes münden selbständig in den Darm, die des hin- teren kombinirt mit den Leberausführungsgängen. Von den übrigen Urodelen wollen wir zunächst die Salaman- drinen gemeinsam besprechen. Es kamen zur Untersuchung: Sala- mandra maculata, S. atra, Triton alpestris und T. taeniatus. — Die hier bestehenden Verhältnisse soll Fig. 1 veranschaulichen. Ein Theil des Pankreas dieser Thiere liegt in dem Raum zwischen gy Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 103 Darm und Leber. Dasselbe umgiebt die Ductus hepatici bei ihrem Austritt aus der Leber, eben so den aus ihrer Vereinigung mit dem Ductus eysticus hervorgehenden Ductus choledochus bis zu seiner Mündung in den Darm (II, III). Die Entfernung dieses Punktes vom Pylorus beträgt bei: Salamandra maculata . . . . . etwa 2,0 em Balsmandzasatıar «stu. sie lh se. - .1,% = Erin Blfesizis and Duiihime Baits.» =4.:1,0 Triton taeniatus . . . - 0,7 - Die Beriihrungsstelle von Leber und Pankreas wird noch erreicht von der Insertion eines Ligamentum hepato-gastricum, welches von dem vorderen Theil des Magens ausgeht. An der hinteren Circum- ferenz des Darmes senkt sich dann das Pankreas in das dorsale Mesenterium hinein, um sich dort flächenartig auszubreiten. Der von den Leberausführungsgängen durchsetzte Theil der Drüse steht in der Umgebung der Stelle, an welcher die Ductus hepatiei aus der Leber hervortreten, in inniger Verbindung mit der letzteren. An manchen Stellen trennen die Zellen, welche die Rin- denschicht der Leber zusammensetzen, die specifischen Gewebe der beiden Drüsen; an anderen schiebt sich Bindegewebe dazwischen, oft verlaufen Blutgefäße an der Grenze; vielfach scheinen Leber- und Pankreaszellen sogar unmittelbar an einander zu stoßen. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man aber stets beide Zellkategorien trennende Spindelzellen. Nirgends besteht ein Zusammenhang zwi- schen den Drüsenräumen von Leber und Pankreas oder Übergangs- formen zwischen den Elementen beider Drüsen. Nicht selten sieht man jedoch Blutgefäße kleineren und kleinsten Kalibers aus der Leber in das Pankreas verlaufen. Eben so innig wie mit der Leber ist das Pankreas in der Um- gebung der Mündung des Ductus choledochus auch mit der Darm- wand verbunden. Von dem zwischen Leber und Darm gelegenen Theil der Bauchspeicheldrüse ragt oft, besonders bei Salamandra maculata, eine kleine Zunge von Drüsengewebe gegen die Gallen- blase vor; oft wird die zur Leber verlaufende Vena abdominalis eine kleine Strecke von Pankreasgewebe umgeben (Fig. 1 v.a). Der bei Weitem größte Theil des Pankreas liegt im dorsalen Mesenterium. Im Großen und Ganzen nimmt der mesenteriale Ab- schnitt der Drüse ein Dreieck ein: die eine Seite desselben verläuft längs der Darmwand von der Gegend der Mündungsstelle des Duc- tus choledochus bis in die Nähe des Pylorus (Fig. 1 Py). Die zweite 104 Ernst Göppert Seite beginnt an demselben Punkt und begleitet die Vena portae (V.p) bis etwa an die Vereinigungsstelle von Vena mesenterica und Vena lienalis (V./); von hier zieht die dritte Seite wieder gegen den Pylorus hin. Innerhalb dieses Gebietes ist die Vertheilung der Drü- sensubstanz keine ganz gleichmäßige. Besonders dicht erscheint die- selbe in der Umgebung der Vena portae und ihrer Äste. Die Pfort- ader ist bis zur Leber hin mehr oder weniger vollständig von Drüsengewebe umhüllt, und empfängt hier mehrfach kleine Venae panereaticae. Vielfach sieht man fingerförmige Fortsätze von der Hauptmasse der Drüse ausgehen, welche scheidenartig die der Vena portae zustrebenden Darmvenen eine Strecke weit umgeben. Ganz besonders entwickelt fand sich dies Verhalten bei Triton alpestris. Hier musste, wenigstens bei vielen Exemplaren, fast jeder einzelne Ast des im Pankreasgewebe gelegenen Theiles der Vena portae vor seinem Eintritt in die eigentliche Drüsenmasse schmale, zipfelartige Ausläufer von Pankreasgewebe der Länge nach durchlaufen. Dem Darm, besonders dem vordersten Theil desselben, liegt dieser dor- sale Drüsenabschnitt eng an. Besonders innig und breit ist die Ver- bindung zwischen beiden dicht hinter dem Pylorus (vgl. Fig. 9). Hier mündet nämlich ein vorderer Ductus pancreaticus in den Darm. Von der Begrenzung des Stückes der Darmwand aus, welchem die Drüse innig angelagert ist, schlägt sich das Peritoneum unmittelbar auf die Drüse um; außerdem setzt sich aber auch die Längsmuskel- schicht der Darmwand eine kurze Strecke weit unter dem Peritone- um auf das Pankreas fort, so dass es den Anschein gewinnt, als ob das Drüsengewebe in die Darmwand selbst hineinrage. Die Ring- muskelschicht betheiligt sich nur dadurch, dass ihre Zellen längs des Ductus pancreaticus etwas nach außen umbiegen. Die Längs- muskelschicht ist im Bereich des Zusammenhanges der Drüse mit der Darmwand weniger dick als an den übrigen Stellen, auch ge- legentlich unterbrochen. In einigen dieser Lücken ragen Läppchen des Pankreas bis an die Ringmuskelschicht heran. Wo Drüsengewebe nicht ganz an die Muscularis des Darmes heranreicht, füllt Bindegewebe diz Lücken aus. Die mesenterialen Darmgefäße, welche ja z. Th. in das Drüsengewebe aufgenommen sind, treten an der Verbindungs- stelle von Darm und Pankreas beim Verlassen des letzteren unmittel- bar in die Darmwand hinein und umgekehrt. Diese auffallenden Befunde zeigen den vorderen und dorsalen Pankreastheil der Sala- mandrinen in einem primitiveren Verhalten zu seinem Mutterboden, als dies bei anderen größeren Drüsen der Fall ist. Wenn nämlich Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 105 allgemein die Volumszunahme einer Drüse bewirkt, dass dieselbe allmählich aus ihrem Mutterboden herausrückt, so hat dieser Vor- gang bei dem eben besprochenen Theile des Pankreas der Salaman- drinen noch nicht seinen Abschluss gefunden. Im Allgemeinen findet sich an der bezeichneten Stelle nur ein in den Darm miindender Ductus pancreaticus (Salamandra maculata), der sich erst innerhalb der Drüse weiter theilt. Bei einem Triton alpestris fand sich aber diese erste Theilung schon dicht vor der Mündung des Ganges, und ‚bei einem anderen Exemplar mündeten zwei Gänge unmittelbar neben einander in den Darm. Dieser eben besprochene, dicht hinter dem Pylorus mündende Ductus pancreaticus der Salamandrinen entspricht genau der vor- deren Ausführungsgangsgruppe bei Proteus anguineus. Die übrigen pankreatischen Gänge münden, wie schon lange bekannt (s. oben), in den Ductus choledochus oder neben ihm in den Darm. Ich fand sie bei Salamandra maculata und Triton alpestris stets mit dem Ductus choledochus verbunden. Während aber bei den zur Untersuchung gekommenen Exemplaren von Salamandra macu- lata immer nur ein aus zwei Ästen zusammengesetzter Ductus pan- creaticus sich innerhalb der Darmwand mit dem Ductus choledochus vereinigte, fanden sich bei Triton alpestris mannigfaltigere Zustände. In einem Fall verbanden sich drei Ductus pancreatiei und der Duc- tus choledochus in gleicher Höhe im Bereich der Darmwand zu einem kurzen Kanal. In einem anderen Fall ging aus der Vereinigung des Duetus choledochus und eines Ductus pancreaticus ein Gang hervor, der unmittelbar vor seiner Mündung einen zweiten Ductus pancreaticus aufnahm. Die an dieser Stelle mündenden pankreati- schen Gänge stammen theils aus dem zwischen Darm und Leber ge- legenen, theils aus dem im benachbarten dorsalen Mesenterium lie- genden Drüsentheil. Die Entfernung der beiden beschriebenen Mündungsstellen der Ausführungsgänge von einander ist eine relativ bedeutende. Sie be- trägt bei: Salamandra maculata . . . . . etwa 1,5 cm Triton alpestris . . . ive - 07 - Wenn oben gesagt wurde, ies doe größte Theil des Pankreas der Salamandrinen im dorsalen Mesenterium liege, so muss dazu noch eine kurze Bemerkung gemacht werden. Wenn wir die Verhältnisse bei Triton alpestris betrachten, so sehen wir allerdings den obigen Satz bestätigt. Man findet aber außerdem das Pankreas noch in 106 Ernst Göppert Beziehung zu einer kurzen Peritonealduplikatur, die in der Spitze des Winkels zwischen Magen und Duodenum gelegen, von der Ge- gend des Pylorus entspringt, um bald in die peritoneale Bekleidung des vordersten Dünndarmstückes wie auch des demselben anliegenden Pankreastheiles überzugehen. Verfolgt man die Ursprungslinie dieser Lamelle am Magen nach vorn, so kommt man längs eines kleinen Gefäßes zum Ursprung des Ligamentum hepato-gastrieum, das, wie oben erwähnt, nur für den vorderen Theil des Magens entwickelt ist. Das erwähnte kleine Band ist also als der Rest des Ligamentum | hepato-gastro-duodenale an dieser Stelle aufzufassen. — Wenn, wie es bei Salamandra maculata, S. atra und Triton taeniatus in der Regel der Fall ist, das dorsale Mesenterium im Bereich des hinter- sten Magen- und vordersten Darmstiickes eine Liicke aufweist, so könnte der auch hier vorhandene Rest des ventralen Mesenterium als die einzige Bandverbindung von Darm und Pankreas an dieser Stelle (Fig. 1 Mes.ventr.) den vordersten Theil der Drüse in ven- traler Orientirung zum Darm erscheinen lassen, wenn nicht der Be- fund bei Triton alpestris das Irrthümliche einer solchen Auffassung darlegte. Dazu kommt, dass, wenn das Mesenterium einmal aus- nahmsweise vollständig ist, wir auch bei diesen Thieren den für Triton alpestris als Regel beschriebenen Zustand antreffen. Auf die Salamandrinen sollen jetzt die übrigen zur Untersuchung gekommenen Urodelen folgen. Bei Siredon piseiformis bestehen im Allgemeinen dieselben Ver- hältnisse wie bei den Salamandrinen. Die Entfernung der Mündung des vorderen pankreatischen Ganges von der des Ductus choledochus betrug bei einem 22 cm langen Thier etwa 2 cm, sie lag 0,5 cm hinter dem Pylorus. Bei einem Exemplar waren beide Theile des Pankreas selbständig; der im dorsalen Mesenterium gelegene und der die Leberausführungsgänge umgebende Theil der Drüse verban- den sich nicht mit einander. Bei demselben Thier bestand außer- dem eine Abnormität im Verhalten des ventralen Mesenterium. Zwi- schen dem in der Konkavität der Gastroduodenalschlinge gelegenen, schon bei den Salamandrinen beschriebenen kleinen Band (s. oben) und dem Magenursprung des Ligamentum hepato-gastrieum einer- seits — der Mündung des Ductus choledochus andererseits, waren eine kurze Strecke von Magen und Duodenum durch ein schmales brückenartiges Band verbunden, das wieder genau in der Fortsetzung Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 107 des Ursprunges des Ligamentum hepato-gastricum an Magen- und Darmwand angeheftet war. Dieser Befund leitet über zu dem Ver- halten des Mesenterium bei Cryptobranchus japonicus, bei welchem wir ein vollständiges Ligamentum hepato-gastro-duodenale antreffen werden. Einige nicht sehr wesentliche Abweichungen von den Verhält- nissen der Salamandrinen finden sich bei Menobranchus lateralis. Auch hier liegt ein Pankreastheil zwischen Leber und Darm in der Umgebung des Ductus choledochus (VIII). Bei dreien von den vier untersuchten Exemplaren blieb jedoch die vordere Peripherie dieses Ganges frei von Driisengewebe. Beim Suchen nach den an dieser Stelle zu erwartenden Ductus pancreatici fand ich bei einem Thier zwei derartige Gänge, welche in den Anfang des kurzen Ductus choledochus mündeten. Hinter dem Darm erstreckt sich die Drüse in das dorsale Me- senterium hinein (XIII) und ist an ihrem vorderen Ende dicht hinter dem Pylorus mit dem Darm eng verbunden. Hier mündet wieder ein Ausführungsgang in den Darm, bei einem 31 em langen Thier 3 cm vor dem Ductus choledochus und 0,6 em hinter dem Pylorus. Das Pankreas des Menobranchus zeichnet sich durch die Aus- bildung von Lappen aus, wie schon aus den Litteraturangaben zu ersehen war (I, VIII, XIII): Im Anschluss an die Vena mesenterica und die Vena lienalis zweigen sich zwei große Lappen von der Hauptmasse der Drüse ab. Kleinere, von ihnen ausgehende Fort- sätze umgeben die Äste beider Venen eine Strecke, bevor sie in die Drüse eintreten, um sich mit den Hauptstiimmen zu vereinigen. Eine stark entwickelte Zunge von Pankreasgewebe erstreckt sich längs der auf der Dorsalfläche der Leber hinziehenden Vena portae; sie entspricht dem von OPPEL beschriebenen fadenartigen Fortsatz des Pankreas von Proteus an gleicher Stelle (XV). Die Eigenthüm- lichkeit des Amphibienpankreas, sich an Venen anzuschließen, sehen wir also bei Menobranchus in extremer Weise ausgebildet. Als letzter Vertreter der Urodelen soll Cryptobranchus japonicus beschrieben werden, von welchem mir ein 75 em langes Exemplar zur Verfügung stand. Entsprechend den oben eitirten Angaben (XI, XI) lag auch bei dem vorliegenden Thier ein Theil des Pan- kreas um den Ductus choledochus herum, zwischen Leber und Darm: von hier erstreckt sich die Drüse in der gewöhnlichen Weise längs 108 Ernst Göppert des Darmes bis zum Pylorus hin, empfängt aber in diesem Theil ihren Peritonealüberzug von dem hier vollständig erhaltenen Liga- mentum hepato-gastro-duodenale (XII). Die Erklärung für die letz- tere auffallende Thatsache ergiebt sich daraus, dass die Lücke im dorsalen Mesenterium, welche wir schon bei den meisten vorher besprochenen Amphibien fanden, bei Cryptobranchus in viel bedeu- tenderer Ausdehnung besteht, indem sie vom Pylorus bis in die Ge- gend der Mündung des Gallenganges reicht. Es ist verständlich, dass bei einer Rückbildung des dorsalen Mesenterium der betreffende Theil des Pankreas zu dem allein erhaltenen ventralen Mesenterium desselben Darmtheiles in Beziehung tritt. Wir haben also bei Crypto- branchus nur die Weiterbildung eines bei Salamandra etc. ange- deuteten Zustandes (cf. pag. 106). Nur der am meisten rechts ge-. legene Theil des Pankreas ragt noch etwas in das dorsale Mesente- rium hinein. Was die Ausführungsgänge betrifft, so kann ich den Angaben Hyrıv's (XI) nur hinzufügen, dass ich einen dicht vor dem Ductus eholedochus selbständig mündenden Ductus pancreaticus auffand; über die Mündungsstellen anderer Ausführungsgänge an dieser Stelle bin ich nicht ganz ins Klare gekommen. Wie zu erwarten, fand sich aber eine vordere, selbständige Mündungsstelle dicht hinter dem Py- lorus, da, wo die Drüse dem Darm eng anliegt: auf der Höhe einer der niedrigen longitudinalen Falten des Darmes fanden sich sechs dicht hinter einander gelegene feine Öffnungen, zu denen feine Gänge aus dem Drüsengewebe herauspräparirt werden konnten. Diese Stelle war von dem oben erwähnten Ausführungsgang 9,5 em, vom Pylorus 3 em entfernt. Wenn wir nunmehr die für die Urodelen gewonnenen Resultate überblicken, so haben wir im Wesentlichen bei allen dieselben Ver- hältnisse, wenn wir berücksichtigen, dass mit der Ausbildung der Gastroduodenalschlinge die ursprünglich rechte Seite der Darmwand nach hinten zu liegen kommt: Bei allen finden wir einen ventralen und einen dorsalen Pankreastheil, die beide an der rechten resp. hinteren Seite des Darmes mit einander verbunden sind. Bei allen finden wir zwei oft weit von einander getrennte Mündungsstellen pankreatischer Gänge: an der vorderen nicht weit hinter dem Pylo- rus gelegenen mündet eine wechselnde Anzahl von Ductus pancrea- tici in den Darm; an der hinteren Stelle vereinigen sich Gänge in verschiedener Anzahl und in verschiedener Kombination mit dem Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 109 Ductus choledochus; oder münden z. Th. auch selbständig dicht neben demselben aus. Wir kommen jetzt zur Besprechung des Pankreas der anuren Amphibien (s. Fig. 2). Denken wir uns die Bauchspeicheldrüse eines Batrachiers aus ihren Verbindungen herausgelöst, so unterscheiden wir an ihr erstens einen plattenartig ausgebreiteten Theil, welcher sich meist durch die Unregelmäßigkeit seiner Form, zahlreiche Vorsprünge und Lappen auszeichnet, zweitens einen von diesem sich erhebenden schmalen Abschnitt. Die Länge des letzteren beträgt bei Rana etwa 8 mm. Wollen wir die Drüse in situ untersuchen, so klappen wir zunächst den sie bedeckenden Leberlappen kopfwärts um, und bekommen dann im Wesentlichen den fingerartigen, zuletzt beschriebenen Drüsentheil zu Gesicht. Wir sehen, dass er zur Leber emporsteigt und hier mit wenigen Ausnahmen bis zur Gallenblase hinanragt. Seine Spitze ist meist mit der Leber fest verbunden. An der betreffenden Stelle verlaufen die Ductus hepatici zwischen Leber und Pankreas. Das sie umhüllende Bindegewebe bildet die Trennungs- und zugleich Verbindungsschicht zwischen beiden Drüsen. Eine etwas nach vorn gerichtete ‚Kante an diesem Theil der Bauchspeicheldrüse dient als Anheftungsstelle für ein Ligamentum hepato-gastro-duodenale, das die Konkavität der Magendarmschlinge ausfüllt, an der bezeichneten Stelle an das Pankreas herantritt, das- selbe umschließt, und mit ihm zur Leber hinzieht. Dieses Ligament ist übrigens nicht immer vollständig entwickelt. Bei vielen Exem- plaren von Rana esculenta, R. temporaria und Bufo vulgaris finden sich in der Spitze des von Magen und Mitteldarm gebildeten Winkels zahlreiche Durchbrechungen der Duplikatur, welche hier oft nur feine peritoneale Fäden zwischen sich übrig lassen. — Diese Befunde leiten zu Zuständen über, in denen sich an derselben Stelle eine größere Lücke vorfindet. Konstant ist diese Lücke bei Bombinator igneus; hier bleibt stets nur ein schmales Band als Rest des Ligamentum hepato-gastro-duodenale erhalten, das, eine kleine Vene umschließend, vom Magen zum Pankreas hinzieht. Bei den meisten Batrachiern finden wir also gerade an der Stelle ein umfangreiches ventrales Mesenterium entwickelt, an der sich bei Urodelen gewöhnlich nur das Rudiment eines solchen erhalten hat (cf. pag. 106), (Fig. 1 und 2 Mes.ventr). Es muss hier noch hervorgehoben werden, dass dieser ventrale Theil des Pankreas bei den Anuren bedeutend voluminöser 110 Ernst Göppert ist als bei den Urodelen. Dies entspricht der größeren Entfernung des Darmes von der Leber bei den ersteren. Der Rest der Drüse wird sichtbar, wenn wir die Gastroduo- denalschlinge nach links und oben umklappen, wie dies bei dem der Fig. 2 zu Grunde liegenden Präparat der Fall war. Wir be- merken dann zunächst bei der Betrachtung der mesenterialen Ver- hältnisse, dass die Insertion des dorsalen Mesenterium (Mes.dors) vor und hinter dem Pylorus eine beträchtliche Lücke besitzt, die bei allen von mir untersuchten Batrachiern bestand (Rana temporaria, R. esculenta, R. mugiens, Bufo vulgaris, Hyla viridis, Bombinator igneus [cf. pag. 106]). Der rechte Theil der vorher beschriebenen plattenförmigen Ausbreitung des Pankreas liegt nun im dorsalen Mesenterium. Der dem Darm zugekehrte Rand derselben ist nur wenig vom Dünndarm entfernt. Der vom Darm abgewandte Rand der Platte dient in seinem rechten Theil zur Anheftung des Mesen- terium (Fig. 2), links bleibt er frei davon, indem er in die oben beschriebene Lücke des Mesenterium hineinragt; nur vereinzelt sieht man peritoneale Fäden von ihm zum Magen hinziehen, wo sie sich in der Fortsetzung der Insertion des Mesogastrium anheften (Fig. 2). Oben wurde bereits gesagt, dass die Ductus hepatici eine Strecke zwischen Leber und Pankreas hinlaufen. Nachdem dieselben sich unter Bildung eines Netzes (Rana) theilweise mit einander vereinigt haben, treten die aus ihnen hervorgehenden größeren Gänge in das ventrale Pankreas ein und verbinden sich hier mit dem Ductus cysticus zum Ductus choledochus, welcher erst gegen seine Mündung in den Darm hin frei zu Tage tritt. Derselbe nimmt wenigstens bei Rana auf seinem Wege durch die Drüsensubstanz die Ausführungsgänge des Pankreas auf (X). Bei der ausgewachsenen Rana temporaria ist die Zahl der in den Ductus choledochus einmündenden pankreatischen Gänge keine konstante. An Präparaten, die durch Injektion der Gänge von der Gallenblase aus nach vorheriger Unterbindung des Endes des Ductus.choledochus hergestellt wurden, fanden sich ein- mal drei Mündungsstellen von Pankreasausführungsgängen. Der oberste Gang verband sich sogar noch mit einem Ductus hepaticus. An der dem Darm zunächst gelegenen Mündungsstelle vereinigten sich vier kleinere Gänge in gleicher Höhe mit dem Ductus chole- dochus. An zwei weiteren Präparaten ließen sich je nur zwei Mün- dungsstellen nachweisen, von denen die eine immer mehrere Pan- kreasgänge aufnahm. Bei keinem Batrachier fand ich, dass, wie bei den Urodelen, Ausführungsgänge des Pankreas ganz selbständig Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 111 in der Nähe des Pylorus mündeten. Eben so fehlt auch jede innigere Verbindung der Drüse mit der Darmwand, wie sie für die Urodelen oben geschildert wurde (cf. pag. 104). Eben so wie der Duetus choledochus wird auch die Vena portae auf der größten Strecke ihres Laufes von Pankreas umschlossen. Sie tritt bald nach der Vereini- gung einer Vena mesenterica und Vena lienalis in die Drüse ein (Fig. 2 V.p). Ähnlich, wie bei den Urodelen (ef. pag. 104), finden wir auch hier, dass vielfach die Äste der Pfortader vor ihrem Eintritt in das Pankreas von zipfelförmigen Ausläufern der Drüsensubstanz umgeben werden. Besonders schön fand sich dies bei einigen großen Exemplaren von Bufo vulgaris und bei einer Rana mugiens. Schwächer entwickelt zeigten sich die Fortsätze meist bei Rana es- eulenta, R. temporaria und Bombinator igneus. Sie waren nur an- gedeutet bei Hyla viridis. — Wie bei den Urodelen nimmt auch hier die Pfortader auf ihrem Wege durch die Drüse eine Anzahl kleiner Pankreasvenen auf. Also auch hier bei den Anuren wie bei den Urodelen finden wir einen im Verhältnis zum Darm dorsal und einen ventral gelegenen Pankreastheil; beide wiederum an der Hinterseite des Darmes mit einander verbunden. Auch hier wird der Ductus choledochus und die Vena portae von Drüsengewebe umgeben. Es fehlt jedoch bei den Anu- ren eine unmittelbare, selbständige Verbindung von Drüse und Darm. Bei der Betrachtung der für die Amphibien gewonnenen Re- sultate drängt sich eine Anzahl von Fragen auf: Es muss unter- sucht werden, ob die Verdoppelung der Mündungsstellen der Ductus pancreatici bei den Urodelen von vorn herein durch die Anlage der Drüse gegeben ist, oder erst durch sekundäre Verschiebungen zu Stande kommt. Ferner muss festgestellt werden, warum eine vor- dere Mündungsstelle von Pankreasgängen bei den Anuren fehlt. Bei der Behandlung dieser Fragen ist ferner die Erklärung für die dop- pelte Beziehung des Pankreas aller Amphibien zum ventralen und zum dorsalen Mesenterium zu suchen. Zugleich wird sich auch er- sehen lassen, wie die enge Verbindung zwischen Leber und Pankreas zu deuten ist. Diese Fragen können natürlich nur durch eine Untersuchung der Entwicklung des Amphibienpankreas entschieden werden, der wir uns nun zuwenden. Zunächst muss wieder die hierher gehörige Litteratur berück- sichtigt werden. 112 Ernst Göppert Die ersten Angaben über die Entwicklung des Pankreas der Amphibien fand ich bei Ruscoxı (XVI), der nur allgemein sagt, dass das Pankreas der Froschlarven sich zu gleicher Zeit mit der Leber bilde, sehr groß werde und in Folge seines Volums und seiner Lage von einigen Autoren als ein Lappen der Leber beschrieben wurde. Auf der Beobachtung des engen Zusammenhanges von Leber und Bauchspeicheldrüse bei der Kaulquappe beruht die Behauptung REICHERT’s (XVII), dass beide Drüsen aus einer ursprünglich bei- den gemeinsamen Dottermasse hervorgingen. Indem sich eine »Scheide- grenze« markire, werde ein Theil dieser Dottermasse der Leber, ein anderer dem Pankreas zugewiesen, ohne dass eine wirkliche Tren- nung nachzuweisen sei. Das Pankreas sei eigentlich nur ein abge- sonderter Lappen der Leber selbst. — Bei den späteren Autoren finden wir fast stets die erste Anlage der Bauchspeicheldrüse bei Amphibien als eine Ausstülpung der dorsalen Darmwand etwa gegen- über der Mündungsstelle des Ductus choledochus dargestellt (XVIII, XIX, XX, XXI). Nur G6rre (XXII) weicht von dieser verbreiteten Ansicht ab. Er kennt bei der Unke drei Anlagen des Pankreas: eine dorsale besteht in einer Ausstülpung im konkaven Grund der allmählich sich ausbildenden Gastroduodenalschlinge. Sie besitzt die Form eines Zwerchsackes, der mit dem überwiegenden Theil seiner Masse nach rechts vom Darm überhängt. Außerdem bestehen noch zwei ventral vom Darm gelegene Anlagen, die sich als sym- metrisch angeordnete, von beiden Seiten des primitiven Leberstieles ausgehende Ausstülpungen darstellen. Die rechte derselben wächst dorsalwärts und verschmilzt mit der dorsalen Anlage. Die rechts- seitige Anlage des pankreatischen Ganges verschiebt nun allmählich ihre Mündung über die Vorderseite des Leberstieles hin, bis sie schlieB- lich in die linksseitige mündet. Die letztere sondert sich allmählich vom Ductus choledochus bis zum Duodenum hin ab. — (Die linksseitige Ausbuchtung des Leberstieles scheint danach keinen direkten Antheil an dem Aufbau des eigentlichen Drüsenparenchym zu nehmen, son- dern nur die Anlage eines Ausführungsganges zu bilden.) — In der Folge wird der dorsale Ductus pancreaticus aufgegeben, so dass die Drüse nur an einer Stelle mit dem Darmlumen in Verbindung steht. Wenn wir die obigen Litteraturangaben überblicken, so finden wir genauere Angaben über die Entwicklung der Bauchspeicheldrüse nur für einen Batrachier gegeben. Urodelen sind in dieser Beziehung ganz vernachlässigt worden. Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 113 Zur Untersuchung der Entwicklung des Urodelenpankreas dienten Larven von Triton alpestris. Die Drüse besitzt auch hier wie bei Bombinator igneus (XXII) drei Anlagen, eine dorsale und zwei ven- trale. Die dorsale Anlage entsteht im Grunde der flachen Ausbuch- tung an der Dorsalseite des Darmes, die den Beginn der Ausbildung der Gastroduodenalschlinge andeutet. Zur Zeit des Auftretens der Anlage ist der entodermale Theil der Darmwand an dieser Stelle in seinen seitlichen und ventralen Theilen noch sehr dick und aus viel- fach über einander angeordneten, stark dotterhaltigen Elementen zu- sammengesetzt. Nur der dorsale Theil der Wand ist bereits diffe- renzirt und wird durch eine einfache Schicht ziemlich hoher und schmaler, schon weniger Dotter enthaltender Cylinderzellen gebildet, deren Kerne im basalen Drittel des Zellkörpers liegen. Der meso- dermale Theil der Darmwand besteht noch aus einer einfachen Schicht abgeplatteter Elemente. Von der Ausbildung einer Muscularis ist noch nichts zu erkennen. An der dorsalen Wand des oben be- zeichneten Darmstückes beginnt sich nun das Entoderm auszustülpen. Ihm folgt das Darmfaserblatt. Bald legt sich die Ausstülpung nach rechts sackartig um und wächst auch später hauptsächlich in dieser Richtung, während nur eine kleine Ausbuchtung sich nach der linken Seite hin entwickelt (Fig. 5). Die beiden ventralen Anlagen be- stehen in zwei Ausstülpungen, welche symmetrisch von beiden Seiten des Leberstieles ausgehen, dicht unterhalb der Mündung desselben in den Darm (Fig. 3 Pa.ventr.dext. und Pa.ventr.sin). Die Wände - beider werden wieder, wie die der dorsalen Anlage, von einer ein- fachen Lage von Cylinderzellen gebildet, da ihre Ausgangsstelle, der Leberstiel, die gleiche Beschaffenheit zeigt. Zwischen beiden An- lagen entsteht als eine ventrale Ausbuchtung des Leberstieles die Anlage der Gallenblase (Fig. 3 C.f.), die später vor die beiden ven- tralen Pankreastheile zu liegen kommt. Die drei Anlagen finden sich bereits deutlich ausgebildet bei etwa 6 mm langen Larven. Fertigt man von einer Larve dieser frühen Periode eine Quer- schnittsserie an, indem man am Kopf beginnt, so erhält man in den Schnitten die dorsale Anlage später als die ventralen Anlagen. Wenn man aber die schräg absteigende Richtung des vorderen Schenkels der Gastroduodenalschlinge berücksichtigt, sieht man leicht, dass das dorsale Pankreas trotzdem einem noch etwas vor der Mündung des Leberstieles gelegenen Theil der Darmwand angehört. Die feinere Ausbildung der Drüse erfolgt in der gewöhnlichen Weise durch Vergrößerung der Oberfläche der Anlage und dadurch Morpholog. Jahrbuch. 17. Ss 114 Ernst Göppert bedingter Faltung ihrer Wandungen (Fig. 4 und 5) unter allmäh- lichem Verlust der Dotterelemente. Gleichzeitig nimmt die Höhe der cylindrischen Drüsenzellen etwas ab. Der dem Ursprungsort am nächsten gelegene Theil der Anlage verengt sich dabei und wird damit als Ausführungsgang von dem eigentlichen Driisenparenchym abgegrenzt. Wenn wir später beim fertigen Thier die Museularis des Darmes auf das dorsale Pankreas übergehen sehen, so erklärt sich dies daraus, dass der dem Darm benachbarte Theil des meso- dermalen Überzuges der Drüse sich in ähnlicher Weise später diffe- renzirt wie der mesodermale Bestandtheil der Darmwand selbst, aus dem er hervorging. Allmählich findet nun die Vereinigung der drei Anlagen zu einem Ganzen statt: Schon von vorn herein wächst die rechte ventrale Aus- stülpung entschieden in dorsaler Richtung aus, erreicht bald den nach rechts herüberhängenden Theil der dorsalen Anlage, und ver- schmilzt allmählich mit ihm. In dem Maße, als sich nun die Gastro- duodenalschlinge ausbildet und ihr Scheitel in der linken Körper- seite herabtritt, macht die Leber, sammt’den am Ductus choledochus hängenden Theilen, eine Drehung durch, welche den linken Leber- rand und die linke Pankreasanlage ventral, den rechten Leberrand und die rechte Pankreasanlage dorsal verlagert. Damit mündet der linke ventrale Ductus pancreaticus, der sich mittlerweile deutlich gesondert hat, von unten her, der rechte ventrale von oben her in den Ductus choledochus. Zu gleicher Zeit verbinden sich die beiden ventralen Drüsentheile mit einander, indem sie rechts vom Ductus choledochus mit einander verschmelzen. So haben wir bei etwa 7,5 mm langen Larven schon eine einheitliche Drüse mit drei Aus- führungsgängen (vgl. Fig. 4 und 5). Bald nähern sich die Mün- dungen der beiden ventralen Ductus pancreatici an der rechten Peri- pherie des Ductus choledochus einander, erreichen sich und ver- schmelzen, so dass schließlich der Ductus choledochus nur einen kurzen, bald gablig sich theilenden Ductus pancreaticus aufnimmt. Das letztere finden wir bei Larven von etwa 10 mm Länge. Später erfolgt allmählich auch eine Umwachsung des Ductus choledochus auf seiner linken Seite durch die ventralen Komponenten der Drüse, so dass der Leberausführungsgang schließlich ganz von Pankreas- gewebe umhüllt wird. Schon früh bemerkt man in dem Raum zwischen rechter ven- traler Anlage und Darmwand ein zur Leber laufendes Gefäß; man kann dasselbe rückwärts längs des dorsal ansteigenden Drüsentheiles Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 115 zur Darmwand und hier noch weiter analwärts verfolgen. ' Dies Ge- fäß stellt die Pfortader vor (Fig. 4 und 5 V.p). Bei einer derartig nahen Nachbarschaft zwischen Drüse und Pfortader ist es verständ- lich, dass bald die Vene hier vom Drüsengewebe umwachsen wird. Mit dem, was über Triton alpestris berichtet wurde, stimmt das überein, was ich von der Entwicklung des Pankreas bei Triton tae- niatus und Siredon piseiformis sehen konnte. Bei der Gleichartigkeit der fertigen Verhältnisse bei den übrigen untersuchten Urodelen ist es sicher, dass sich auch bei ihnen das Pankreas aus ventralen und dorsalen Bestandtheilen zusammensetzt. Wenn wir bei einzelnen (Cryptobranchus |[ef. pag. 108] und Proteus (ef. pag. 100]) eine größere Anzahl von dorsalen Pankreasgängen münden sehen, so können wir entweder annehmen, dass hier der dorsale Theil der Drüse sich aus einer größeren Menge von Anlagen entwickelt hat, oder wir können hierin einen sekundären Zustand sehen, indem wir uns vorstellen, dass die unteren Abschnitte eines oder doch nur weniger primärer Gänge in die Darmwand einbezogen wurden, so dass die ursprünglich in diese Gänge mündenden Seiten- kanäle sich nunmehr in das Darmlumen selbst öffnen. Wir werden uns wohl für das Letztere entscheiden. Bei der Frühzeitigkeit des Auftretens der dorsalen Anlage ist nämlich beim Urodelenembryo jedenfalls für eine größere Anzahl von Ausbuchtungen an der Dor- salseite der Gastroduodenalschlinge schlechterdings kein Platz vor- handen. Die Möglichkeit einer derartigen Verschiebung der Mün- dungsverhältnisse haben ja auch die oben angeführten Befunde bei zwei Exemplaren von Triton alpestris dargethan, welche uns den Übergang des primären Zustandes mit noch einfacher dorsaler Mün- dung in den mit doppelter Mündung kennen lehrten (cf. pag. 105 0.). Für unsere Auffassung spricht schließlich auch, dass beim Proteus die Anzahl der Gänge der vorderen Gruppe keine konstante ist; OppeL (XV) zählte bei einem Thier 33, bei einem anderen bloß 10. Was die ventralen Anlagen angeht, so haben wir keinen Grund anzunehmen, dass bei den übrigen Urodelen nicht auch eben so wie bei Triton und Siredon zwei vom Ductus choledochus ausgehende Anlagen bestehen. Mögen auch oft beim fertigen Thier dieser An- nahme scheinbar widersprechende Befunde vorliegen, so haben wir doch auch bei Triton alpestris gesehen, dass im Laufe der indivi- duellen Entwicklung die Zahl und Vereinigungsweise der ventralen §* 116 Ernst Göppert Pankreasgänge sich erheblich ändert und auch unter den Individuen derselben Art bedeutend schwankt (vgl. pag. 105). Wenn wir schließlich bei Menobranchus den Ductus choledochus in der Mehrzahl der Fälle an seiner vorderen, d. h. seiner ursprüng- lich linken Peripherie nicht von Pankreasgewebe bedeckt fanden (ef. pag. 107), so werden wir uns daran erinnern, dass beim Tri- ton die linke Seite des Ductus choledochus erst verhältnismäßig spät von Drüsengewebe umschlossen wird, so dass bei Menobran- chus hierin ein etwas primitiverer Zustand die Regel bilden würde. Die Pankreasentwicklung von Rana temporaria gleicht Anfangs in der Hauptsache ganz der von Triton alpestris. Auch hier haben wir drei Anlagen, eine dorsale und zwei ventrale, genau in derselben Lagerung zum Darm und zu einander wie bei Triton. Die drei Komponenten der Drüse finden wir bei 6 mm langen Larven noch gesondert. Die feinere Ausbildung des Drüsenparenchyms erfolgt gleichfalls so, wie es bei Triton geschildert wurde. Wieder wächst die rechte ventrale Anlage dorsalwärts, wieder findet die Drehung der Leber und der ventralen Pankreastheile durch Herabtreten der Gastroduodenalschlinge statt, und wieder vereinigen sich rechte ven- trale und dorsale Anlage zunächst mit einander. Letzteres ist bei 7 mm langen Larven bereits erfolgt. Wenn GÖTTE für Bombinator igneus es nur als »höchst wahrscheinlich« hinstellen konnte, dass sowohl die rechte ventrale als auch die dorsale Anlage Drüsen- parenchym liefere, so ist bei Rana dies als sicher zu konstatiren, da die Zellen, welche der dorsalen Anlage entstammen, sich durch ihren Pigmentgehalt vor den übrigen Pankreaszellen auszeichnen. Später verbinden sich auch die beiden ventralen Anlagen mit ein- ander, und zwar geschieht dies auf der linken Seite des Ductus choledochus, nicht, wie es bei Triton zunächst der Fall ist, auf der rechten. Bei einer Larve von ungefähr 8 mm Länge finden wir so bereits ein einheitliches Pankreas mit drei Ausführungsgängen; der am mei- sten mundwärts gelegene Gang mündet direkt in den Darm an dessen Dorsalseite. Die beiden anderen Ductus pancreatici vereinigen sich mit dem Leberausführungsgang; von diesen wieder mündet der ur- sprünglich rechte nunmehr an der Dorsalseite des Ductus choledo- chus, der ursprünglich linke an dessen Ventralseite ein. Mit dem starken Längenwachsthum des Kaulquappendarmes ver- schiebt sich nun die Mündungsstelle des Ductus choledochus in den Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 117 Darm immer mehr. Damit ändert sich die Verlaufsrichtung dieses Ganges: derselbe weicht von seiner ursprünglichen Richtung erst nach rechts,. dann auch nach rechts und oben ab. Der anfänglich nach rechts gerichtete Theil seiner Peripherie sieht damit zugleich nach rechts und vorn; die aus der Vereinigung der ventralen An- lagen des Pankreas hervorgegangene Masse liegt jetzt der hinteren (der ursprünglich linken) Peripherie des Ductus choledochus an. Es ist bemerkenswerth, dass der Duetus choledochus an der Seite, nach der hin im Wesentlichen zunächst die Lageänderung des Leber- ganges erfolgt, nämlich rechts und vorn, nicht von Drüsengewebe umschlossen wird. Allmählich rückt nun die Mündung des ursprüng- lich linken Duetus pancreaticus an der vorderen (rechten) Peripherie des Ductus choledochus herum, auf die des ursprünglich rechten ventralen Ganges zu. Schließlich finden wir als den Abschluss dieses Vorganges den linken Gang mit dem rechten nicht weit vor dessen Mündung verbunden. Der letztere hat übrigens, indem seine Einmündungsstelle entsprechend der Richtungsänderung des Ductus choledochus dorsal verlagert wurde, eine rückenwärts ansteigende Richtung annehmen müssen. Bei 11,5 mm langen Larven finden wir nunmehr den Ductus choledochus schlingenartig von den Pan- kreasgängen umgeben, wie Fig. 6 zeigt. Mittlerweile ist die selb- ständige Verbindung des dorsalen Drüsenantheiles mit dem Darm auf- gegeben worden, indem sich der dorsale Ductus pancreaticus vom Darm abschnürte. Dabei ist natürlich anzunehmen, dass die Driisen- räume des dorsalen Pankreas mit denen der ventralen Bestandtheile der Drüse vorher in Verbindung getreten sind. Das dorsale Pan- kreas bleibt aber immer in der Gastroduodenalschlinge liegen und macht alle Lageänderungen dieser Schlinge, welche aus der starken Längenzunahme des Darmes folgen, mit. Außer durch den im Ver- lauf der Entwicklung erworbenen Mangel eines selbständigen dor- salen Ausführungsganges unterscheidet sich das Pankreas der Kaul- quappen von dem der Tritonenlarven durch seine bedeutende Größe (XVI). Es übertrifft bis gegen die Zeit des Auftretens der hinteren Extremitäten die Leber nicht unbeträchtlich an Volumen — letztere erscheint übrigens im Vergleich zur Länge des Darmes in dieser Zeit ganz auffallend klein. Erst später ändert sich durch starkes Wachsthum der Leber das Größenverhältnis beider Drüsen sehr be- deutend zu Ungunsten des Pankreas. Die Differenz nimmt noch zu bei der Riickbildung, welche der gesammte Verdauungsapparat bei der Metamorphose der Larve durchmacht. 118 Ernst Göppert Wir haben beim fertigen Thier gesehen, dass die Leberausfüh- rungsgänge eine kurze Strecke zwischen Leber und Pankreas ver- laufen, ehe sie in die letztere Drüse eintreten (cf. pag. 109). Wir haben andererseits gefunden, dass bei den Larven eine vollständige Umwachsung des Ductus choledochus durch Drüsensubstanz noch fehlt (s. Fig. 6). Diese tritt nun erst ein, wenn bei der Rückbil- dung des Darmkanales die Mündungsstelle des Leberausführungs- ganges sich dem Pylorus wieder genähert hat. Eben so wird dann erst die Vena portae in das Drüsenparenchym aufgenommen. Schließ- lich ist noch zu erwähnen, dass, wenn wir beim fertigen Frosch mehrere Mündungen pankreatischer Gänge in den Ductus choledo- chus finden (cf. pag. 110), bei einer älteren Larve jedoch nur eine, der erstere Zustand aus dem letzteren hervorgeht, indem ein mehr oder minder großer Theil des Ductus pancreaticus in den Leberaus- führungsgang einbezogen wird. Bei Larven von Bufo vulgaris fanden sich dieselben Verhält- nisse wie bei Rana temporaria. Unter den der Arbeit beigegebenen Abbildungen befinden sich zwei Seitenansichten des Darmkanales einer etwa 7 mm langen Kaul- quappe von Bufo vulgaris, welche die drei Pankreasanlagen deutlich erkennen lassen (Fig. 7 und 8 Pa.dors, Pa.ventr.sin, Pa.ventr.dextr). Wenn wir nunmehr kurz das zusammenfassen, was wir über die Entwicklung des Amphibienpankreas feststellen konnten, so ist es ungefähr Folgendes: Den untersuchten und wahrscheinlich allen Amphibien ist der Besitz einer dorsalen und zweier ventraler An- lagen des Pankreas gemeinsam!. Konstant vereinigt sich die dor- sale mit der rechten ventralen Anlage an der rechten, der später hinteren Seite des Darmes. Die Art und Weise, wie die beiden ventralen Theile sich mit einander vereinigen, differirt etwas bei Urodelen und Anuren. Damit hängt zusammen, dass bei Urodelen der Ductus choledochus schon viel früher, als dies bei Anuren der Fall ist, von Drüsengewebe umgeben wird. Beiden Ordnungen ge- meinsam ist, dass die Verbindung der beiden ventralen Ductus pan- creatici mit einander um die rechte resp. vordere Peripherie des Leberausführungsganges herum vor sich geht. Eigenthümlich für ! GÖTTE hat für das Hühnchen eine zweifache Anlage des Pankreas nach- gewiesen; 8. GÖTTE, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Darmkanales im Hühnchen. Tübingen 1867. Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 119 die Anuren ist das Aufgeben der dorsalen Verbindung des Pankreas mit dem Darm. Es bleibt jetzt nur noch übrig, die oben gestellten Fragen zu beantworten. Dies soll uns dazu dienen, die Ergebnisse der Arbeit © kurz zusammenzufassen. Bei allen Amphibien findet sich ein Theil des Pankreas dorsal vom Darm im dorsalen Mesenterium, ein Theil ventral, zwischen Darm und Leber. Beide Theile sind stets an der hinteren, resp. bei Proteus rechten Seite des Darmes mit einander verbunden. Bei den Urodelen finden sich zwei oft weit von einander ge- trennte Mündungsstellen von Pankreasausführgängen; eine vordere, ziemlich dicht hinter dem Pylorus gelegene und eine hintere, an wel- cher Ductus pancreatici in wechselnde Kombination mit dem Ductus choledochus münden. Alles dies ist von vorn herein gegeben durch die Entwicklung des Amphibienpankreas aus drei Anlagen. Bei den fertigen Anuren fehlt eine vordere selbständige Mün- dungsstelle von pankreatischen Gängen. Dies erklärt sich durch die spätere Rückbildung eines ursprüng- lich hier vorhandenen Ganges. Bei allen Amphibien besteht der Regel nach eine enge Verbin- dung zwischen Leber und Pankreas. Dieselbe ist sekundär erworben. Zum Schluss spreche ich Herrn Geheimrath GEGENBAUR, in dessen Laboratorium die Arbeit angefertigt wurde, für die vielfache Anregung und freundliche Hilfe, sowie für das mir zur Verfügung gestellte Material meinen besten Dank aus. Heidelberg, den 30. Juni 1890. 120 Ernst Göppert Litteraturverzeiehnis. BROTZ et WAGENMANN, De amphibiorum hepate liene ac pancreate ob- servationes zootomicae. Diss. inaug. Friburgi 1838. v. SIEBOLD und Srannius, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie. Berlin 1846. —— Handbuch der Zootomie. Berlin 1854, Bronn, Klassen und Ordnungen des Thierreichs. Leipzig-Heidelberg 1859—1866. Owen, On the anatomy of vertebrates. London 1866. . GEGENBAUR, Grundzüge der vergleichenden Anatomie. Leipzig 1859, —— Grundriss der vergleichenden Anatomie. Leipzig 1878. WIEDERSHEIM, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbel- thiere. Jena 1883. Rusconi et CONFIGLIACHI, De Proteo anguineo di Laurenti monografia. Pavia 1818, ECKER, Die Anatomie des Frosches. Braunschweig 1864—1882. . HYRTL, Cryptobranchus japonicus. Vindobonae 1865. SCHMIDT, GODDARD, VAN DER HOEYVEn, Aantekeningen over de ana- tome van den Cryptobranchus japonicus. VAN DER HoEVEN, Ontleed en deerkundige bijdragen tot de Kenniss von Menobranchus. Leyden 1867. . WIEDERSHEIM, Salamandrina perspicillata und Geotriton fuscus. Genua 1875. OprEL, Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XXXIV. . Rusconi, Développement de la grenouille commune depuis le moment de sa naissance jusqu’& son état parfait. Pavie 1826. . REICHERT, Entwicklungsleben im Wirbelthierreich. Berlin 1840. REMAK, Untersuchungen über die Entwicklung des Wirbelthierreichs. 1850—1855. RATHKE, Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. Leipzig 1861. BALFOUR, Handbuch der vergleichenden Embryologie. Jena 1881. O0. Hertwic, Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Wirbelthiere. Jena 1888. GÖTTE, Die Entwicklungsgeschichte der Unke (Bombinator igneus). Leipzig 1875, q | Die Entwicklung und das spätere Verhalten des Pankreas der Amphibien. 121 Erklärung der Abbildungen. Abkürzungen: A Aorta, Mes Mesenterium, Cap Kapillargefäß, Muse.long und eire Längs- und Ring- Cf Gallenblase, muskulatur, Ch Chorda, Pa Pankreas, D.ch Ductus choledochus, Py Pylorus, D.pa Ductus pancreaticus, St Magen, dextr dexter, sin sinister, dors dorsalis, U Urniere, E Extremitäten, V Vene, H Leber, V.a Vena abdominalis, I Darm, V.l Vena lienalis, I.a Vorderdarm, V.p Vena portae, L Milz, ventr ventralis. M.s Medulla spinalis, Tafel VII. Darmkanal mit Leber und Pankreas von Salamandra maculata. Na- türliche Größe. Von vorn gesehen. Die Gastroduodenalschlinge ist nach links, der rechte untere Leberrand kopfwärts umgeklappt. Die Pfortader und ihre Äste sind eben so wie in Fig. 2 roth gehalten. Dieselben Organe von Rana temporaria in gleicher Ansicht. Man er- kennt in beiden Abbildungen, dass die Bauchspeicheldrüse (Pa) z. ANNE im dorsalen Mesenterium (Mes.dors) liegt, dann an der Hinterseite des Darmes zur Leber (H) emporsteigt; man sieht ferner die Beziehungen der Drüse zum ventralen Mesenterium (Mes.ventr), sowie das Verhalten der Drüse zur Pfortader (V.P) und ihren Ästen. Querschnitt durch eine 6 mm lange Larve von Triton alpestris!. In dem Schnitt ist die Mündungsstelle des Leberstieles in den Darm ge- | Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. troffen, sammt den beiden ventralen Pankreasanlagen (Pa). Zwischen diesen liegt die Anlage der Gallenblase (Cf). Querschnitt durch eine 7,5 mm lange Larve von Triton alpestris. Ent- hält einen Querschnitt des Ductus choledochus (D.ch). In ihn münden die beiden ventralen Ductus pancreatiei, der eine von oben, der an- dere von unten kommend. Der Ductus choledochus ist rechterseits bereits von Drüsengewebe umgeben. Faitung der Wände der An- lagen (Pa.ventr.dextr und sin). 1 Die Zeichnungen mikroskopischer Präparate sind mit HARTNACK, Syst. I, angefertigt. 122 E. Göppert, Die Entwickl. u. d. spätere Verhalten des Pankreas d. Amphibien. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Querschnitt durch dieselbe Larve wie in Fig. 4. Man sieht die bereits gefaltete dorsale Pankreasanlage mit ihrem Ausführungsgang (Pa.dors). Anßerdem bemerkt man einen Theil des rechten ventralen Pankreas, welcher den dorsalen schon berührt (Pa.ventr.dextr). Längsschnitt durch eine 11,5 mm lange Kaulquappe von Rana tem- poraria (aus drei Schnitten kombinirt). Enthält Leber (7), Pankreas (Pa) und den zweimal getroffenen Darm (Z). Der Ductus choledochus (D.ch) ist von der Leber bis zu seiner Mündung zu verfolgen. Er nimmt einen Ductus pancreaticus (D.pa) auf. Derselbe setzt sich zu- sammen aus zwei Gängen, welche den Ductus choledochus schlingen- artig umgreifen. Darmkanal einer 7 mm langen Larve von Bufo vulgaris, von der linken Seite gesehen. Etwa 11mal vergrößert. Der hintere Theil des Darmes ist noch stark mit Dotter gefüllt. Man sieht Leber (7), Gallenblase (C.f), linkes ventrales Pankreas (Pa.ventr.sin) und dor- sales Pankreas (Pa.dors\, letzteres im Grunde der Gastroduodenal- schlinge. . Darmkanal derselben Larve in derselben Vergrößerung, von der rech- ten Seite gesehen. Man erkennt das rechte ventrale Pankreas (Pa. ventr.dextr). Dasselbe ist hornartig dorsalwärts gewachsen und |hat die dorsale Anlage bereits erreicht. Querschnitte durch den vordersten Theil des Mitteldarmes und den vordersten Abschnitt des Pankreas einer erwachsenen Salamandra ma- culata, ungefähr aus der in Fig. 1 mit einem Stern bezeichneten Ge- gend. Die Abbildung zeigt die innige Verbindung von Darm und Pankreas: das Übergreifen der Längsmuskulatur des Darmes auf die Bauchspeicheldrüse (Muse.long), den vordersten Ductus pancreaticus (D.pa), die leichte Umbiegung der Ringmuskulatur (Muse.eire) längs des pankreatischen Ganges, schließlich den Übertritt eines Kapillar- gefäßes aus der Drüse in die Darmwand (Cap). wv re Al Dir Hin? \ De» “ur! aK | ’ ) - ei M ‘ ws r r « (a sea 0 Du I u Bee, he ge: mn, - ro | } A 7 Be bs > Ne Rn 23 + ay ty Br ORs . TEN opr “ : © Huch ar Iehogsmie rule Untersuchungen über die Entwicklung des Os hypoischium (Os cloacae aut.), Os epipubis und Ligamentum medianum pelvis bei den Eidechsen. Von Dr. med. Ernst Mehnert, Assistent am anatomischen Institute zu Straßburg. Mit Tafel VIII. Das Os epipubis, Ligamentum medianum und Os hypoischium sind hinter einander in der ventralen Mittellinie gelegene Gebilde des Beckengiirtels, von denen das Os epipubis, mit seiner Spitze eranialwärts gerichtet, dem vorderen Rande der Symphysis pubis aufsitzt (Fig. 5 Epub), das Ligamentum medianum von dem hinteren (caudalen) Rande der Symphysis pubis zum vorderen (cranialen) Rande der Symphysis ischii verläuft (Fig. 5 Zig.med), das Os hypoischium dem hinteren (caudalen) Rande der Symphysis ischii aufsitzt und von dieser zur Kloake reicht (Fig. 5 Hyp.isch). Die eben erwähnten drei Adnexa des Beckengürtels der Land- saurier haben in neuerer Zeit ein gewisses Interesse gewonnen, seit- dem O. Römer! nach Untersuchungen an Protopterus zu Schlussfol- gerungen gelangt ist, welche den bisher angenommenen Anschauungen über die Phylogenie des Beckengürtels strikt widersprechen. RÖMER behauptet, dass gerade der in der ventralen Medianlinie gelegene Abschnitt des Beckengiirtels die phyletisch älteste Partie desselben — sei. Von der Linea alba aus greift der Verknorpelungsprocess »auf 1 0. RÖMER, Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Wirbelthierbeckens auf Grund der Befunde an Protopterus annectens. Inaug.-Diss. Freiburg i. Br. 124 Ernst Mehnert die anstoßenden Myocommata über und erreicht im Niveau der Arti- kulationsstelle der Extremitäten aus leicht erklärlichen (mechanischen) Gründen seine stärkste Entfaltung«!. Im Weiteren spricht dieser Autor die Ansicht aus, dass sämmtliche in der Medianlinie gelegenen Bestandtheile des Beckengürtels, z. B. die Cartilago epipubis der Urodelen und Dactyletra, nur als inselartige Reste eines früher längs der ganzen ventralen Mittellinie sich erstreckenden kontinuirlichen Knorpelbandes zu deuten seien. In wie fern dieser Hypothesencyklus den thatsächlichen Ver- hältnissen entspricht, konnte nur die Entwicklungsgeschichte ent- scheiden. Es lag jedoch bisher noch keine Untersuchung über die Entwicklung dieser Theile vor. Allerdings hatte A. BungE? die Entwicklung des Beckengürtels bei Lacerta vivipara geprüft, berück- sichtigte jedoch in seiner Publikation nur die ersten Entwicklungs- vorgänge, während er gerade die zur Entscheidung der vorliegenden Fragen wichtigen, in der Medianlinie vor sich gehenden Entwick- lungsveränderungen unberücksichtigt ließ. Auch die Untersuchungen an Emys lutaria taurica? hatten zu keinem ganz gesicherten und befriedigenden Resultate geführt in Folge des Umstandes, dass ge- rade bei der Entwicklung des Beckengiirtels dieser Thierspecies ci- nogenetische Processe zum Nachweise gelangt waren. Zur Untersuchung stand mir ein reiches Material von Embryonen der Lacerta vivipara und mehrere Stadien von Lacerta viridis und muralis zu Gebote. In Betreff der bei vorliegender Untersuchung eingehaltenen Technik verweise ich auf frühere Publikationen‘. Nicht unerwähnenswerth scheint es mir zu sein, dass die von mir untersuchten Embryonen der Lacerta vivipara aus der Umgebung Dorpats stammen und somit nicht nur derselben Art, sondern auch demselben Verbreitungsbezirke angehören, wie die von BUNGE unter- suchten Exemplare. Das außerordentlich reiche Material der Straßburger städtischen naturhistorischen Sammlung gab mir Gelegenheit, das Verhalten des Beckengiirtels bei den verschiedenen Reptilien kennen zu lernen. Dem Direktor dieses Instituts, Herrn Dr. DÖpErLEım, bin ich für 1 Ibid. pag. 23. 2 A. BunGE, Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte des Beckengiirtels der Amphibien, Reptilien und Vögel. Inaug.-Diss. Dorpat 1880. 3 E. MEHNERT, Untersuchungen über die Entwicklung des Beckengürtels der Emys lutaria taurica. Morph. Jahrb. Bd. XVI. pag. 547. 4 Morph. Jahrb. Bd, XIII. pag. 268 und 269. Über die Entwicklung des Os hypoischium ete. bei den Eidechsen. 125 freundliche Förderung meiner Studien zu tiefer Erkenntliehkeit ver- pflichtet. Ich verzichte darauf, eine ausfiihrliche Schilderung des Ent- wicklungsganges des Beckengiirtels von Lacerta zu geben, da eine solche bereits früher von BunGeE in seiner Dissertation in klarer und übersichtlicher Weise geliefert ist und ich mich — sowohl durch eigene Untersuchung als auch durch Musterung der von BunGE an- gefertigten und im vergleichend-anatomischen Institute der Univer- sität Dorpat niedergelegten Schnittserien — von der Korrektheit der Angaben dieses Autors zu überzeugen die Gelegenheit hatte. Auf einige abweichende Interpretationen werde ich jedoch an geeigneter Stelle näher eingehen. Os hypoischium. Trotzdem dieser Knochen bei den Sauriern seine größte Ent- faltung erreicht und in manchen Fällen an Größe dem Pubis gleich- kommt, vermisst man doch bei sämmtlichen, selbst bei den vor- züglichsten Autoren der früheren Zeit, Angaben über das Vorkommen eines derartigen Skelettheiles, wohl in Folge des Umstandes, dass damals die Herstellung von Skeletten, selbst von solchen, welche zu wissenschaftlichen Untersuchungen dienten, in den Händen von Die- nern ruhten. Es ist leicht einzusehen, dass bei der damals geübten rohen Macerationsmethode ein dem Beckengiirtel nur durch lockere Syndesmose angefügtes Knéchelchen leicht verloren gehen konnte. Erst im Jahre 1842 entdeckten SPRING und LACORDAIRE! bei Phrynosoma Harlanii einen gesonderten Knochen, welcher in der (vorderen) Mittellinie, zwischen der Haut und der vorderen Kloaken- wand gelegen, von dem hinteren (caudalen) Rande der Symphysis ischii zur Ausmündung der Kloake reichte. Diese Autoren waren der Meinung, dass die Hauptfunktion dieses Knochens darin bestehe, die vordere Kloakenlippe zu stützen, und bezeichneten ihn daher als Os cloacae. Es ist jedoch ganz unerwiesen, dass in dem Stützen der vorderen Kloakenlippe oder überhaupt in den Beziehungen zur Kloake primäre Funktionen des sogenannten Kloakenbeines vorliegen, denn einerseits fehlt bei vielen mit einer Kloake begabten Thieren 1 SPRING et LACORDAIRE, Notes sur quelques points de l’organisation du Phrynosoma Harlanii Saurien de la famille des Iguaniens. Bulletins de l’aca- demie royale des sciences et belles lettres de Bruxelles, 1842. Tome IX. 2. partie. pag. 200. 126 Ernst Mehnert ein solcher Skelettheil, z. B. bei den Amphibien fehlt er fast durch- gehend, und nur bei Menopoma glaube ich mich der Deutung von C. K. Horrmann anschließen zu müssen und habe ein von HyrTL abgebildetes Knéchelchen als Rest eines »Kloakenbeines« gedeutet!. Auch unter den übrigen Reptilien fehlt den Crocodilinen und unter den Landsauriern den Chamäleonten ein gleicher Knochen. Bei Iguana tubereulata, Monitor bivittatus, Urotropus erreicht dieser Knochen gar nicht die vordere Kloakenlippe, sondern ist durch einen verschieden breiten Raumabschnitt von derselben getrennt. Somit erscheinen direkte Beziehungen zur Kloake zum mindesten zweifel- haft. Schon Sprinc und LACORDAIRE?, und in neuerer Zeit GADOW °, haben nachgewiesen, dass bei Reptilien ganz konstant Muskel- bündel, die zum Theil den Extremitäten angehören, zum Theil am Schwanze inseriren, sich an das »Kloakenbein« ansetzen. Es er- scheint daher eher gerechtfertigt, an Beziehungen dieses Knochens zum Schwanze oder zu den Skeletelementen der Extremität zu den- ken. Wie dem auch sei, ich habe dem von C. K. Horrmann auf- gestellten indifferenten Namen Os hypoischium den Vorzug gegeben und mich seiner bereits bei der Beschreibung der Entwicklung des Beckengiirtels der taurischen Sumpfschildkröte bedient?. Nach der oben ausgefiihrten Besprechung der Lage des Os hypoischium und seiner Beziehungen zu den umgebenden Weich- theilen scheint es mir geboten, die specielle Konfiguration dieses Knochens bei den verschiedenen Species ins Auge zu fassen. Bei meinem niiheren Untersuchungsobjekte bei Lacerta vivipara zeigt das Os hypoischium (Fig. 5 Hyp.isch) eine schlanke stabförmige Gestalt. Der der Symphysis ischii anliegende Abschnitt ist etwas verbreitert, der mittlere Abschnitt verjiingt, das cloacale Ende in zwei, zwischen sich eine kleine halbmondförmige Grube umfassende Arme gespalten. Ähnlich ist das Os hypoischium von Ameiva su- rinamensis gestaltet, nur sind bei diesem Objekte die beiden eloa- calen Enden in entgegengesetzter Richtung umgebogen (Fig. 15 Hyp. isch). Bei Phrynosoma Harlanii läuft das freie Ende dieses Kno- chens in eine kleine, rundliche, fibröse Bindegewebsplatte aus’, wäh- 1 Morph. Jahrb. Bd. XVI. pag. 563. 2]. c. pag. 200. 3 H. GApow, Beiträge zur Morphologie der hinteren Extremität der Rep- tilien. Morph. Jahrb. Bd. VII. pag. 367. 1882. 4 Morph. Jahrb. Bd. XVI. pag. 555. Anm. 3. 5 SprinG und LACORDAIRE, 1. ec. pag. 200 und pag. 209. Taf. Fig. 2. ER Über die Entwicklung des Os hypoischium ete, bei den Eidechsen. 127 rend bei Gonolophus suberistatus (Fig. 16 Hyp.isch), Gecko (Fig. 14 Hyp.isch), Leiolepis guttata (Fig. 12 Hyp.isch) das freie Ende keiner- lei Anschwellung repräsentirt, sondern vielmehr mit einer mehr oder minder scharfen Spitze endigt. Bei den zwei letztgenannten Formen zeichnet sich das Os hypoischium gegenüber den vorher erwähnten auch durch seine relative Kürze aus. Varanus nilotieus zeigt ein nahe rhombisches Hypoischium (Fig. 8 Hyp.isch), welches mit einer scharfen Kante zwischen die beiden Ischia einspringt; bei Varanus salvator ist diese Partie nicht so zugespitzt, sondern zeigt eine leichte bogenförmige Abstumpfung (Fig. 9). Bei Gonolophus suberistatus (Fig. 16) und Leiolepis guttata (Fig. 12) ist die der Symphysis ischii zunächst gelegene Partie des Os hypoischium in zwei schlanke stielartige Fortsätze gespalten, welche mit den beiden Ischiis einen kleinen rautenförmigen Raum begrenzen. Überblickt man das eben Verhandelte, so ergiebt sich, dass das Os hypoischium bei ausgewachsenen Individuen verschiedener Species eine verschiedene Gestalt aufweist, bald schlank stabförmig mit spitz zulaufenden, abgestumpften oder gespaltenen Enden, bald die Gestalt eines kurzen, spitzwinkeligen oder mit abgerundeten Ecken versehenen rhombischen Täfelchens darbietet. Konstant sind in allen Fällen die Beziehungen dieses Knochens zu den Ischiis resp. zu der Symphysis ischii, und wie C. K. Horrmann angiebt — und auch ich in mehreren Fällen bestätigen kann — ein Ligament, in welches das Os hypo- ischium zum Theil eingelagert, zum Theil demselben nur aufgelagert erscheint. Ich nenne dieses Band Ligamentum hypoischium (Fig. 9, 13, 14, 16 Lig.hyp.isch). Bei einigen älteren Skeletten der Straß- burger Sammlungen vermisse ich allerdings ein Ligamentum hypo- ischium, doch bin ich aus diesen Befunden nicht zum Schlusse be- rechtigt, dass ein solches Band den betreffenden Exemplaren nicht zukomme, da ich über die Herstellungsweise dieser Skelette nicht unterrichtet bin und bei einer etwa vorhergegangenen unsorgsamen Maceration es nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein oft zartes Band, wie das Ligamentum hypoischium, seine Vernichtung gefun- den hat. Bemerkenswerth erscheint es, dass nach den Angaben von GA- pow! bei Phrynosoma cornutum und Monitor drazaena ein Os hypo- ischium (Os cloacae, GADow) vermisst wird, obgleich, wie erwähnt, bei Phrynosoma Harlanii von Spring und LACORDAIRE und bei 1 GADow, 1. c. pag. 367. 128 Ernst Mehnert Monitor bivittatus von C. K. Horrmann'! ein solcher Skelettheil be- schrieben und abgebildet ist. Ganz abgesehen von der oben ge- schilderten Polymorphie des Os hypoischium verleiht das Fehlen desselben bei einander durchaus nahe stehenden Arten demselben ein besonderes Interesse, zumal über seine morphologische Bedeu- tung die wenigen bisher über diesen Gegenstand veröffentlichten An- schauungen weit aus einander gehen und der bei Emys lutaria tau- rica ermittelte Entwicklungsmodus keineswegs zu einer definitiven Klärung der in Frage stehenden Verhältnisse geführt hatte. C. K. HorrmAann erwähnt nichts von einer knorpeligen Anlage des Os hypoischium, deutet vielmehr dasselbe als eine »Verknöche- rung der sehr straffen Sehne (von mir Ligamentum hypoischium ge- nannt), welche von dem hinteren Rande der Symphysis ossium isehii entspringt und an die Haut, welche den Rand der Cloacalöffnung umgiebt, sich inserirt«. FÜRBRINGER hingegen hat beobachtet, dass das Hypoischium knorpelig präformirt sein kann und deutet dasselbe als durch Ver- schmelzung zweier, den Ischiis angehörigen Fortsätze entstanden. Nach den Untersuchungen dieses Autors berühren bei Ophiades striatus die beiden Ischia einander in der Mittellinie nicht (Mangel der Symphysis ischii), setzen »sich aber in einen nach hinten ge- richteten Knorpel fort, der in der Mitte seines Verlaufes mit dem der Gegenseite zu einer Y-förmigen Cartilago cloacalis verschmilzt«. Nur die Ergebnisse embryologischer Untersuchungen konnten die Entscheidung erbringen, welcher von diesen beiden Deutungen und Auffassungen über den Entwicklungsmodus des Hypoischium der Vorzug zu geben sei. In den frühesten Entwicklungsstadien sind die beiden Ischia in der Mittellinie noch durch eine breite Zone von indifferentem Binde- gewebe von einander getrennt. Betrachtet man einen Frontalsehnitt durch die hintere Körperregion eines in dieser Entwicklungsphase stehenden Eidechsenembryo (Fig. 1), so erblickt man in der Region zwischen dem Peritoneum (Perit) und der Kloake (K7A) vier von 1 ©. K. Horrmann, Beiträge zur Kenntnis des Beckens der Amphibien und Reptilien. Niederländisches Archiv für Zoologie. Bd. III. Taf. XI Fig. 6. 2 0. K. Horrmann, I. c. pag. 181. 3 FÜRBRINGER, Die Knochen und Muskeln bei den schlangenähnlichen Sauriern, Dissert. 1869. pag. 39. Über die Entwicklung des Os hypoischium ete. bei den Eidechsen. 129 einander wohl getrennte Gewebsinseln, in welchen die Zellen dichter zusammengedrängt stehen und welche sich von der mehr lockeren Umgebung relativ scharf hervorheben. Diese vier Inseln repräsen- tiren in dem Bilde Durchschnitte durch die äußersten Enden der vier Beckenkomponenten. Die beiden der Peritonealhöhle zunächst gelegenen Felder sind Durchschnitte durch die beiden Pubis, wäh- rend die der Kloake benachbart gelegenen Felder Durchschnitte durch die Ischia darstellen. Berücksichtigt man — wie aus einem Studium der anderen Schnitte dieser Serie hervorgeht — dass in Fig. 1 die äußersten Enden der Pubis und Ischia im Schnitte ge- troffen sind, so erscheint es zweifellos, dass die vier ventralen Beckenkomponenten bei Lacerta vivipara — wie dieses schon aus den Untersuchungen von Bunce hervorging — in der Mittellinie durch eine breite Gewebszone von einander getrennt sind. Ich hebe dieses Verhalten der Lacerta besonders hervor, weil bei Emys lu- taria taurica in diesem Stadium der entgegengesetzte Befund vor- liegt, indem bei dieser Species die vier ventralen Beckenkomponen- ten von Anfang an, in der Mittellinie unter einander im Zusammen- hange stehend, angetroffen werden. In einem etwas älteren Stadium findet man bei Lacerta vivipara, dass die medianen Enden der Pubis und Ischia sich einander genähert haben!. Zwischen ihnen besteht jedoch noch ein relativ breiter, von lockerem Gewebe erfüllter Spalt. Zu dieser Zeit beginnt an dem der Mittelinie am meisten genäherten Endabschnitte der Ischia, und zwar an dem caudalen Rande derselben, jederseits eine kleine, zur Kloake gerichtete Zellwucherung bemerkbar zu werden. Die Zellen bestehen noch aus einer kleinzelligen Gewebsmasse, welche keinerlei Knorpelintercellularsubstanz erkennen lässt und deren einzelne Ele- mente sich durch relativ spärliche Protoplasmazonen von den Zellen der Umgebung unterscheiden. Diese Gewebszapfen werden in dem nächst älteren Stadium schon unter einander völlig verschmolzen an- getroffen. Untersucht man in einem solehen Stadium die in der Re- gion der späteren Symphysis ischii gelegene Zone (Fig. 3), so gewahrt ! Bei Lacerta vivipara ist der Raum zwischen den Ischiis Anfangs um ein Geringes größer als zwischen den Pubisenden. Jedoch wird bei Lacerta vivipara sowohl die Symphysis pubis wie ischii etwa gleichzeitig etablirt. Bei Lacerta agilis hingegen kommt nach den Untersuchungen von WIEDERSHEIM zuerst die Symphysis pubis und erst viel später die Symphysis ischii zur Aus- bildung. — Über die Entwicklung des Schulter- und Beckengürtels. Anatom. Anzeiger. 1889. Nr. 14. pag. 438. Morpholog. Jahrbuch. 17. 9 130 Ernst Mehnert man in der Mittellinie zwischen den Ischiis einen von indifferentem Gewebe erfüllten Spalt, an dem caudalen Rande jedoch sind beide Ischia durch eine kleinzellige Gewebspartie unter einander verbunden. Dieser Gewebszapfen ist zwischen der äußeren Haut und der vorderen (ventralen) Kloakenwand gelagert, dient starken Muskelgruppen zur Insertion und verläuft von den Ischiis in der Richtung zur äußeren Kloakenausmündung, ohne jedoch dieselbe schon in diesem Stadium zu erreichen. Dieser durch Konfluenz zweier Gewebsabschnitte der Ischia einheitlich gewordene hintere Zapfen des Beckengürtels ist die erste Anlage des späteren Os hypoischium (Os cloacae aut.). Ein solehes Stadium der Entwicklung des Os hypoischium ist bereits früher von A. BungE beobachtet und abgebildet worden. Ver- gleicht man die von ihm gegebene Fig. 7 mit Fig. 6, so erkennt man auf den ersten Blick, als eine besondere Acquisition des älteren Stadiums, einen von dem medianen Ende des Ischium ausgehenden, zur Kloake gerichteten Zellhécker. Bunce hat jedoch die von ihm abgebildete erste Anlage des Hypoischium keiner besonderen Erörte- rung gewürdigt. Anfangs ist die Cartilago hypoischium noch relativ kurz und zeigt keinerlei Gabelung, wie dieses schon aus Fig. 3 (da das Hy- poischium in seiner ganzen Länge getroffen ist) hervorgeht. Selbst reifere Embryonen, bei denen schon starke Ossifikationen in sämmt- lichen Beckenkomponenten vorliegen, lassen eine Gabelung des cau- dalen Hypoischiumendes vermissen (Fig. 4). Die periphere Gabe- lung, wie sie bei erwachsenen Exemplaren vorliegt, ist daher als eine erst spät auftretende sekundäre Acquisition zu betrachten. Während in den früheren Stadien das Gewebe der Ischia ohne jede deutliche Abgrenzung in das Gewebe des Hypoischium hinüber fließt, gelangt in den späteren Stadien eine relative Selbständigkeit des Hypoischium zur Erscheinung. Prüft man das relative Verhält- nis der Cartilago hypoischium zu den Ischiis, so findet man, dass in der centralen Partie des Hypoischium das Wachsthum der Knorpel- zellen ein entschieden energischeres ist als in den mehr peripheren Zonen. An denjenigen Stellen, an denen bei den erwachsenen Exem- plaren das Hypoischium durch Bänder mit den eigentlichen Ischiis zusammenhängt, bleibt das Knorpelgewebe Anfangs in seinem Wachs- thume zurück und wandelt sich später in ein zellreiches Gewebe um, welches durchaus den Charakter von Perichondriumgewebe wieder- gewinnt. Ein solches Stadium ist von Lacerta viridis in Fig. 4 abgebildet. Man erblickt drei längliche Knorpelfelder, von denen Über die Entwicklung des Os hypoischium etc. bei den Eidechsen. 131 zwei mehr nach vorn, eines nach hinten gelegen ist. Die beiden vorderen Felder sind die Durchschnitte durch die der Symphysis ischii genäherten Enden der Ischia, während der hintere unpaare Knorpel einen Schnitt durch das in seiner ganzen Länge getroffene Hypoischium darstellt. In der Partie, in welcher alle drei Knorpel zusammenstoßen, unterscheidet sich das dieselben trennende Gewebe durch keinerlei Merkmale von dem übrigen Perichondrium, in wel- ches es kontinuirlich übergeht. Als Ergebnis ist somit zu verzeichnen, dass das Hypoischium anfänglich im Zusammenhange mit den Ischiis steht, später aber von denselben getrennt erscheint. Fassen wir das in Betreff der Entwicklung des Hypoischium Ermittelte kurz zusammen, so kann man sagen, dass dasselbe eine am primären Beckengürtel erst später auftretende Sekundärbildung ist. Das anatomische Substrat zu seinem Aufbau wird von beiden, anfänglich getrennten Ischiis in gleichem Maße geliefert. In spä- teren Stadien kommt es zu einer gewissen Selbständigkeit dieses Skelettheiles durch das Auftreten einer abgliedernden Bindegewebs- zone. Vergleicht man den bei Lacerta vivipara ermittelten Entwick- lungsmodus mit den bei Emys lutaria taurica eruirten Verhältnissen, so konstatirt man einerseits gewisse Übereinstimmungen, andererseits Abweichungen. Bei beiden Gruppen tritt das Hypoischium erst relativ spät in Erscheinung. Bei den Lacertiliern, bei denen das Hypoischium während des späteren Lebens in voller Ausbildung per- sistirt, gliedert es sich von dem Knorpel der Ischia ab und es ge- langt in ihm ein eigenes Ossifikationscentrum zur Entwicklung. Bei der Emys lutaria.taurica hingegen, bei welcher das Hypoischium schon während des intraovalen Lebens sich rückbildet, verbleibt das- selbe selbst bis zu seiner völligen Reduktion in seinem primären knorpeligen Zusammenhange mit den Ischiis, ohne irgend welche Andeutung einer Trennung. Schon bei Gelegenheit der Besprechung der Entwicklung des Hypoischium der Emys lutaria taurica hatte ich Gelegenheit genom- men, darauf hinzuweisen, dass auch bei Menobranchus und bei einigen niedrig stehenden Säugethieren ein dem Hypoischium äbnlicher Ske- lettheil zu finden ist!. Es handelt sich um ein unpaariges, in der Medianlinie situirtes, zum Theil zwischen die Symphysis pubis hin- ! Morph. Jahrb. Bd. XVI. pag. 563 und Anm. 4. . 9* 132 Ernst Mehnert einragendes Knöchelehen. Die Entwicklung dieser Gebilde, welche allein die Beziehungen zum Hypoischium zu klären vermöchte, ist leider noch nicht festgestellt. Die Form jedoch, welche dieser Ske- lettheil bei ausgewachsenen Exemplaren der oben verzeichneten Thier- klassen zeigt, stimmt durchaus’ mit der des Hypoischium bei einigen Landsauriern überein. Zum Vergleiche habe ich die fraglichen Ge- bilde in Fig. 11 von Menobranchus und in Fig. 10 von Didelphis guica abgebildet. Besonders bei einer Konfrontation mit dem kurzen und plattenförmigen Hypoischium von Varanus niloticus (Fig. 8) und Va- ranus salvator (Fig. 9) sind nahe Beziehungen durchaus unverkennbar. Schon in einer früheren Publikation wies ich darauf hin, dass das versprengte Vorkommen eines Hypoischium bei drei so weit von einander abstehenden Thierklassen wie Amphibien, Reptilien und Säugethieren wohl auf eine früher allgemeinere Verbreitung dieses Skelettheiles zurückzuführen sei, kurz, dass bei den jetzt lebenden Thieren das Hypoischium ein rudimentäres Organ ist. Bei Emys lutaria taurica ließ sich dieser Rückbildungsvorgang noch Schritt für Schritt verfolgen. Die relativ häufige Vertretung und theilweise starke Ausbildung des Hypoischium bei den jetzt lebenden Land- sauriern gewinnt im Hinblick auf diese Rückbildungsprocesse ein besonderes Interesse. Es erwächst somit auch hier die Aufgabe, zu untersuchen, ob nicht auch bei den jetzt lebenden Landsauriern Momente zu erweisen sind, welche auch für diese Klasse den Nach- weis liefern, dass in derselben das Hypoischium ein rudimentärer oder im Rudimentärwerden begriffener Skelettheil ist. Wie ich schon früher hervorgehoben habe (pag. 127), zeichnet sich das Hypoischium bei den verschiedenen Landsaurierspecies durch eine große Formmannigfaltigkeit aus, welche innerhalb beträchtlicher Grenzen variirt. Berücksichtigt man bei Varanus niloticus (Fig. 8) und Gonolophus subcristatus (Fig. 16) nur die äußere Knochenform des Hypoischium, so ist es ohne Kenntnis des typischen Lagerungs- verhältnisses und der gleichen Beziehungen zu den Ischiis unmög- lich, irgend welche Beziehungen — selbst entfernte Formähnlich- keiten — dieses Skelettheiles zu dem stabförmigen Hypoischium der übrigen Landsaurier zu konstatiren. Diese Polymorphie des Os hypoischium ist an und für sich auf- fallend genug, gewinnt jedoch eine tiefere Bedeutung bei Erwägung, dass nicht nur bei nahe verwandten Reptilienspecies, sondern selbst bei einzelnen Individuen derselben Species ein Os hypoischium bis- weilen fehlen kann. Über die Entwicklung des Os hypoischium ete. bei den Eidechsen. 133 Schon auf pag. 127 habe ich erwähnt, dass bei Monitor bivit- tatus ein Os hypoischium vorkommt, bei Monitor drazaena jedoch fehlt. Dessgleichen ist bei Phrynosoma Harlanii ein wohl ausgebildetes Os hypoischium beobachtet, bei Phrynosoma cornutum ist jedoch nach den Untersuchungen von GApow ein solcher Knochen nicht vertreten. Dass bei so nahe stehenden Thieren die Funktionen dermaßen ver- schiedene seien, dass bei der einen Species ein Os hypoischium als ein funktionirendes Organ von Nöthen sei, bei der nächst verwandten Species jedoch ein Ausfall dieser Funktion zu den normalen Ein- richtungen gehöre, ist wohl nicht ohne Weiteres anzunehmen. Eher ist diese Variabilität zu vereinbaren mit der Annahme, dass das Os hypoischium bei jetzt lebenden Reptilien kein funktionirender Theil sei, somit sein Fehlen belanglos sei, sein Vorkommen in atavisti- schen Momenten seine Begründung finde. In völliger Übereinstim- mung mit dieser Auffassung steht die Thatsache, dass bei einigen Exemplaren von Lacerta ocellata ein Os hypoischium ermittelt wer- den konnte, in anderen Fällen jedoch bei gleichfalls ausgewachsenen Exemplaren derselben Species ein Os hypoischium fehlt, statt seiner jedoch nur ein wohl ausgebildetes Ligament zur Schau tritt. Berücksichtigt man, dass bei Emys lutaria taurica ein unter dem knorpeligen Hypoischium gelegenes Bindegewebsband vikarirend statt des Hypoischium eintritt, so stößt die Annahme, dass es sich bei Lacerta ocellata um einen analogen Vorgang handelt, wohl auf keinen gegründeten Widerspruch. So verschieden auch die äußere Gestalt des Os hypoischium ist, mag es kurz oder lang, breit oder schmal sein, mag es die Kloake berühren oder weit von derselben entfernt liegen ete. — das unter dem Os hypoischium gelegene und fest mit demselben verbundene Ligamentum hypoischium zeigt stets unveränderlich dieselben Be- ziehungen zu demselben und reicht — wie schon C. K. HorrmMann angab — stets von der Symphysis ischii zur vorderen Lippe der Kloake, besitzt somit stets die gleiche Längenausdehnung wie das Os hypoischium der Lacertilier und die noch nicht reducirte Carti- lago hypoischium der Emys lutaria taurica. Die Mächtigkeit und die Konstanz des Ligamentum hypoischium gegenüber der Inkonstanz und oft geringen Größe des Os hypo- ischium lässt es durchaus verständlich erscheinen, wie C. K. Horr- MANN das Band als ein typisches Gebilde, den Knochen als eine accessorische Verknöcherung desselben deuten konnte. Demjenigen, welcher die knorpelige Anlage des Os hypoischium, seine embryo- 134 Ernst Mehnert logische Entwicklung und seine morphologischen Beziehungen zum Ligamentum hypoischium nicht kennt, muss sich — bei einer ganz vorurtheilslosen Betrachtung der vorliegenden Verhältnisse — unbe- dingt dieselbe Auffassung aufdrängen. Erst die Ontogenie lehrt den wahren Sachverhalt erkennen. | Das Hypoischium der Landsaurier bietet somit in Übereinstim- mung mit der Emys lutaria taurica gewisse Verhältnisse dar, welche dafür sprechen, dass dasselbe auch bei dieser Gruppe der jetzt lebenden Reptilien ein belangloses Rudiment ist. Diese Auffassung ergiebt sich aus dem Befunde, dass das Hypoischium starke indivi- duelle Differenzen aufweist und bisweilen auch ganz fehlen kann, aber — so weit Untersuchungen frischer Objekte gelehrt haben — stets durch ein breites, in seinen Beziehungen durchaus konstantes Ligamentum hypoischium seine Vertretung findet. Os epipubis. Während die Existenz eines Os hypoischium bei Reptilien von den neueren Autoren zugestanden ist, herrscht in Betreff des Vor- kommens eines Os epipubis noch keineswegs eine gleiche Überein- stimmung. C. K. Horrmann, welcher sich wohl am meisten mit diesen Fragen beschäftigt hat, sagt!: »So allgemein bei Sauriern ein Hypoischium angetroffen wird, so wenig scheint bei dieser Klasse ein Epipubis vorzukommen, wenigstens bei den meisten Sauriern, welche ich in der Gelegenheit war zu untersuchen, fehlte es; und nur bei Gecko konnte es mit Bestimmtheit nachgewiesen werden. Hier bildet es eine paarige kleine Knochenplatte, welche wie ein keilförmiges Stück zwischen den beiden Ossa pubis sich einschiebt.« A. BunGE spricht sich selbst gegen letztere Behauptung aus, indem er sagt?: »Ein Epipubis ist bei den Sauriern nicht nachweisbar; die kleinen Knochenstücke, die Horrmann bei Gecko für ‚epipubiea‘ hält, scheinen eher als eine epiphysenartige Bildung gedeutet wer- den zu miissen.« Durch sorgfältige Präparation ist es mir gelungen, bei Lacer- tiliern (Lacerta vivipara, muralis, agilis und ocellata) ein unpaares, in die Symphysis pubis zum Theil hineinragendes Knöchelchen zu eruiren, deren Deutung als Epipubis wohl keine Schwierigkeiten 1]. c. ‘pag. 181. ? BUNGE, ]. c. pag. 37. Über die Entwicklung des Os hypoischium ete. bei den Eidechsen. 135 bereiten dürfte, zumal da die embryologische Untersuchung bereits bei Emys lutaria taurica eine sekundär auftretende, wohl ausgebil- dete, später selbständige Cartilago epipubis zur Kenntnis gebracht hat. Ich muss daher die Angaben von BuNGE als nicht zutreffend zurückweisen. Bei völlig ausgewachsenen, jedoch wahrscheinlich noch jüngeren Exemplaren, ist das Os epipubis durch starke Bänder der Symphysis pubis beweglich eingelenkt (Fig. 5). Bei anscheinend alten Exem- plaren verkalken jedoch diese Bänder, so dass selbst bei durch- fallendem Lichte zunächst ein Os epipubis zu fehlen scheint und man geneigt sein könnte, nur eine totale Verwachsung der Sym- physis pubis anzunehmen. Nach Aufhellung in Glycerin und bei durchfallendem Lichte gelingt es bei schwacher Vergrößerung — aus- nahmslos so weit ich mich zu überzeugen Gelegenheit hatte — in Folge der verschiedenen Richtung der Knochenstrahlen mit großer Deutlichkeit das Epipubis von den eigentlichen Schambeinen unter- scheiden zu können und in Betreff der Konfiguration des Epipubis eine völlige Übereinstimmung mit den bei jüngeren Thieren erkann- ten Verhältnissen zu statuiren. Bei Ameiva surinamensis (Fig. 6) ist das Epipubis gleichfalls unpaarig, klein, rautenförmig, ragt aber nur sehr wenig — im Ge- gensatz zu einigen Lacertiliern — zwischen die Pubisenden hinein. Auch bei Seineus offieinalis ist das Epipubis unpaarig. Bei Varanus niloticus (Fig. 7) liegen in Übereinstimmung mit dem von €. K. HorFrmAann erwähnten Gecko zwei symmetrische, kleine dreieckige Plättehen vor, welche durch ihr Zusammenlagern ein kleines rauten- förmiges Epipubis bilden. Auch bei einem Exemplare von Hatteria finde ich in dem rautenförmigen, der Symphysis pubis aufsitzenden Knorpel einen selbständigen unpaaren Knochenkern. In dem von Gapow untersuchten Exemplare fehlte jedoch — so weit ich mich aus seiner Abbildung! orientiren kann — ein solcher Knochenkern. Auf Grund der oben verzeichneten Befunde kann ich der Be- hauptung nicht beipflichten, dass Saurier kein Epipubis besitzen. Für die in älteren Sammlungen befindlichen Skelette mag dieser Satz allerdings in der Mehrzahl der Fälle seine Gültigkeit behalten. Wenigstens fand ich bei zahlreichen Trockenskeletten, die mir im Laufe der Jahre zu Gesichte gekommen sind, einen breiten keil- förmig, mehr oder weniger tief in die Symphysis pubis eingreifenden ! Morph. Jahrb. Bd. VII. Taf. XVII Fig. 5. 136 Ernst Mehnert Spalt, welcher es mir zweifellos erscheinen lässt, dass an dieser Stelle einst ein gesondertes Element saß, aber durch Maceration oder an- dere Unfälle verloren gegangen ist. Jetzt wende ich mich zur Entwicklung des Os epipubis. In den jüngsten Stadien sind die der Mittellinie genäherten Enden der Schambeine Anfangs noch durch einen breiten Zwischenraum von einander getrennt und nähern sich einander erst im Laufe der wei- teren Entwicklung. Noch bevor es zu einer Berührung kommt, tritt jederseits an dem medialen Ende des Pubis ein eranialwärts ge- richteter Gewebsfortsatz auf, dessen Zellelemente in diesem Stadium noch keine Knorpelintercellularsubstanz zwischen sich aufweisen. Sehr bald treten die äußersten Enden dieser sekundären Zellfort- sätze in Berührung und verschmelzen unter einander, während zu dieser Zeit die übrigen, der Medianlinie genäherten Abschnitte der Schambeine noch durch eine Zone indifferenten Gewebes gesondert sind. Ein Frontalschnitt durch diese: Region zeigt in einem sol- chen Stadium folgendes Bild (Fig. 2). Das Pubis (Pwd) und das Ischium (Zsch) der rechten Seite sind nahezu in ihrer ganzen Län- genausdehnung getroffen. Im Acetabulum ist das Gewebe entschie- den jünger als in der mittleren stabförmigen Partie des Pubis und Ischium. Der Femurkopf ist quer angeschnitten. In der Mittellinie ist das später noch genauer zu beschreibende Ligamentum medianum (Lig.med) gelegen. In diesem Schnitte findet keine Berührung zwi- schen dem rechten und linken Ischium statt. (In den früheren Schnit- ten dieser Serie zeigen die Ischia im Allgemeinen die gleichen Ver- hältnisse, wie sie von einem anderen Objekte in Fig. 3 abgebildet sind. Nur erreicht in vorliegendem Falle das Hypoischium noch nicht die in Fig. 3 schon stark ausgeprägte Längenausdehnung.) Auch die beiden Schambeine (Pub) berühren einander in ihrem weit größeren Abschnitte nicht, nur in einer kleinen, am meisten cranial gelegenen Partie sind dieselben durch eine relativ schmale Gewebs- zone unter einander brückenartig verbunden (Zpub). Zu einer Orientirung vergleiche ich jetzt Fig. 2 mit dem in Fig. 5 abgebildeten Beckengürtel einer ausgewachsenen Lacerta vivipara. Im Allgemeinen sind die Verhältnisse in beiden Bildern so übereinstimmend, dass eine eingehendere Beschreibung mir er- lässlich erscheint. Nur in der Gegend der Symphysis pubis tritt in beiden Fällen eine auffällige Diskongruenz entgegen. Während bei dem Embryo eine Vereinigung der Schambeine in dem am meisten nach vorn (eranial) gelegenen Abschnitte statthat, ist der Spalt Uber die Entwicklung des Os hypoischium etc. bei den Eidechsen. 137 zwischen denselben caudalwärts geöffnet (Fig. 2). Beim ausgewach- senen Thier liegt das entgegengesetzte Verhältnis vor. Die Sym- physis pubis erstreckt sich hier nur auf den hintersten, dem caudalen Körperende genäherten Abschnitt, während in den cranialwärts ge- öffneten Spalt ein rautenförmiges Os epipubis hineinragt (Fig. 5). Durch diesen Vergleich ergiebt sich, dass beim Embryo das Epipubis noch nicht von den Schambeinen abgegrenzt ist; zweitens während bei der ausgewachsenen Lacerta das Epipubis in der Me- dianlinie keinerlei Spaltbildung aufweist, tritt beim Eidechsenembryo hingegen gerade an dieser Stelle ein scharf begrenzter Spalt zur Wahrnehmung. Wie diese beiden scheinbaren Extreme in einander übergehen, lehrt die weitere Entwicklung dieser Theile. Bei Embryonen, die älter sind als das in Fig. 2 zur Abbildung gelangte Objekt, er- scheint der mediane Spalt durch caudalwärts weiter fortschreitende Verwachsung der Pubisenden reducirt. An dieser Stelle fließt das Gewebe der Schambeine ohne jede deutliche Grenze zusammen. Bei Embryonen, bei denen schon Verknöcherungen in den mittleren, röhrenförmig gestalteten Partien der Beckenkomponenten aufgetreten sind, tritt — ganz eben so wie ich es bereits früher für das Os hypoischium geschildert habe — in dem Gebiete des Epipubis ein stärkeres Knorpelwachsthum entgegen. Auf diese Weise beginnt das Epipubis sich immer schärfer von der Umgebung abzugrenzen. In noch späteren Stadien findet man an den Stellen, an welchen das Knorpelgewebe Anfangs ein minder rasches Wachsthum erkennen ließ, eine breite Bindegewebsschicht; so hat. sich eine völlige Selb- ständigkeit der Cartilago epipubis etablirt. Ganz zuletzt gelangt in dem Gebiete des Epipubis ein eigener Knochenkern zur Ausbildung. Bemerkenswerth ist, dass die Cartilago epipubis in den frühe- sten und den sich nächst daran schließenden Embryonalstadien, nicht wie bei ausgewachsenen Eidechsen in eine scharfe Spitze aus- läuft, sondern stumpf endigt. Auch bei Embryonen der Emys lutaria taurica ist das freie Ende des Epipubis Anfangs breit abgestumpft. Bei ausgewachsenen Sumpfschildkröten tritt in einigen Fällen eine Verschmälerung des freien Endes ein!, während andere Exemplare, als eine individuelle Variation, noch die plumpen embryonalen Pro- portionen beibehalten?. 1 Morph. Jahrb. Bd. XVI. Taf. XX Fig. 11. 2 Ibid. Taf. XX Fig. 9. 138 Ernst Mehnert Die Entwicklung des Epipubis von Triton eristatus stimmt in den Grundzügen mit der von Lacerta vivipara so eben geschilderten überein. Auch bei Triton eristatus tragen die Zellen des Epipubis Anfangs »den Charakter der Zellen des Perichondrium und hängen innig mit dem Perichondrium des Beckengürtels zusammen«!. Auch noch in dem Knorpelstadium »ist der das Epipubis bildende Knorpel mit dem der beiden Beckenplatten verbunden«?. Beim ausgewach- senen Triton cristatus ist das Epipubis, ebenfalls wie bei Lacerti- liern, durch eine Bindegewebsschicht vom eigentlichen Beckengiirtel getrennt, also auch hier ist — wie ich schon an einer anderen Stelle hervorgehoben habe? — eine Abgliederung des Epipubis erfolgt. Bei Emys lutaria taurica ist der gleiche Entwicklungsmodus be- obachtet. Nur tritt bei dieser Species der Umstand störend entgegen, dass beide Beckengürtelhälften von Anfang an unter einander ver- bunden sind und in den ersten knorpeligen Stadien somit keine Andeu- tung einer Symphyse oder irgend welche Andeutungen einer Gliede- rung in zwei symmetrische Beckengürtelhälften nachweisbar erscheinen. Es liegt eine unpaare ventrale Platte vor, und an dieser tritt ein cranial vorspringendes Epipubis auf. Unter solchen erschwerenden Umständen ist keineswegs die Ableitung der Cartilago epipubis nur von den beiden Schambeinenden sicher zu erweisen, wie ich es aller- dings mit Zuhilfenahme theoretischer Gesichtspunkte als durchaus wahrscheinlich hinzustellen versucht hattet. Auch die Entwicklung des Epipubis bei Triton cristatus ist zur Entscheidung dieser Frage nicht geeignet, denn bei diesem Objekte tritt das Epipubis erst zur Anlage, wenn »beide Beckenhälften in einer Symphyse fest vereinigt sind«°. Bunce unterlässt daher eine nähere Diskussion der Frage von der direkten Provenienz des Epipubisgewebes und erwähnt nur, dass das Epipubis »innig zusammenhängt mit dem Perichondrium der Schambeine«, andererseits »zwischen die beiden Knorpel (sel. Pubis) zapfenförmig hineinragt«. WIEDERSHEIM bezeichnet daher das anfängliche Gewebe des Epipubis als »Symphysengewebe«®*. Da bei Lacerta vivipara das Epipubis sich schon zu einer Zeit 1 BUNGE, Dissertation. pag. 20. Zeile 2—5. 2 Ibid. pag. 20. Zeile 19 und 20. 3 Morph. Jahrb. Bd. XVI. pag. 549 Anm. 2 und pag. 550 Anm. 4 Morph. Jahrb. Bd. XVI. pag. 551 und 552. 5 BuNGE, Dissertation. pag. 19. 6 R. WIEDERSHEIM, Uber die Entwicklung des Schulter- und Becken- giirtels. Anatomischer Anzeiger. 15. Juli 1859. Nr. 14. pag. 435. Über die Entwicklung des Os hypoischium ete. bei den Eidechsen. 139 anlegt, wenn die beiden eigentlichen Schambeinenden einander noch nicht direkt berühren, so ist gerade diese Thierspecies vorzüglich geeignet, den Nachweis zu liefern, dass das Epipubis der Konfluenz gewisser, an den Schambeinenden auftretender Zellhöcker seine Ent- stehung verdankt. Der in der Medianlinie in dem Gebiete des Epipubis vorliegende Spalt zeigt auch noch in diesen späteren Stadien, dass das Epipubis seine Entstehung zweien, ursprünglich gesonderten Abschnitten ver- dankt. Auch beim Epipubis der Emys lutaria taurica war in frühe- ren Stadien in der Medianlinie noch eine tiefe Furche erkenntlich, welche — da bisher gleiche Beobachtungen noch nicht verzeichnet waren — der Deutung große Schwierigkeiten in den Weg setzte. Damals sprach ich mich dahin aus, dass diese Furche des Epipubis wohl als Andeutung einer ursprünglich in der Medianlinie bestanden habenden Trennung aufzufassen sei — eine Voraussetzung, welche durch die Befunde bei Lacerta wohl an Festigkeit gewonnen hat. Bei den Lacerten, Ameiva surinamensis und Scincus officinalis ete. besitzt das Epipubis nur einen Knochenkern, bei Gecko verus und Varanus niloticus ihrer zwei. Gerade diese verschiedenen Ossifika- tionsverhältnisse bestimmten BuncEe!, dem durch paarige Ossifika- tionen gekennzeichneten Gebilde von Gecko die Bedeutung eines Epipubis abzusprechen. Durch den Nachweis, dass das Epipubis durch Verwachsung zweier, urspriinglich von einander getrennten Abschnitte in Erschei- nung tritt, ist wohl letzterer Einwand von Bunge als beseitigt an- zusehen. Auffälliger jedoch muss es erscheinen, dass ein ursprüng- lich paariger Skelettheil in einzelnen Fällen nur einen einzigen Knochenkern besitzen kann. Das Sternum der Säugethiere liefert in seinen variablen Ossifikationsverhiltnissen, in ganz analoger Weise wie beim Epipubis der Lacertilier, ein Beispiel dafür, dass zwei an- fänglich diskrete, später konfluirende Knorpelabschnitte nur von einem einzigen Knochenkern aus ossifieiren können. Kurz aus diesen Be- obachtungen ergiebt sich, dass ein Knochenkern noch keineswegs den Schluss zu ziehen gestattet über die Anzahl der dem von ihm oeeupirten Gebiete zu Grunde liegenden Knorpelelemente. ! BunGeE, Dissertation. pag. 37. 140 Ernst Mehnert Ligamentum medianum pelvis. Bei Sauriern erstreckt sich von dem hinteren (caudalen) Rande der Symphysis pubis aus ein breites Ligament zum vorderen (cra- nialen) Rande der Symphysis ischii. Ich nenne dieses die beider- seitigen Foramina pubo ischiadica von einander trennende Band »Ligamentum medianum pelvis«. Bei den Landschildkröten sind die beiderseitigen Foramina pubo-ischiadica durch eine breite, knorpelig präformirte, später verknöchernde Brücke getrennt. Auch bei Säuge- thieren treten jederseits die medialen Enden des Pubis und Ischium unter einander durch einen knorpelig präformirten Ramus uniens ischii in Beziehung. Berücksichtigt man, dass gerade bei den Reptilien (Crocodilinen und Landsauriern), bei welchen die peripheren Enden des Pubis und Ischium einander nicht berühren, ein gewissermaßen als Ligamentum uniens dienendes Band vorliegt, so erscheint — zu- mal da BungE zu dem Resultate gelangt war, dass ursprünglich bei Wirbelthieren Pubis und Ischium im. Zusammenhange standen und erst später eine Loslösung von einander statthatte — der Gedanke nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen, dass dem Ligamen- tum medianum vielleicht eine ähnliche vikarirende Bedeutung zu- komme wie dem Ligamentum hypoischium. BunGE hat zuerst den Nachweis geliefert, dass schon bei den jüngsten von ihm untersuchten Embryonen das periphere Ende des Ischium von dem des Pubis gesondert war, somit, wie auch ich durch- aus bestätigen muss, dass die von der Theorie postulirte ursprüng- liche Verbindung zwischen den ventralen Beckenkomponenten, wenig- stens bei Lacerta vivipara, nicht zu beobachten ist. Die Entwicklung des Ligamentum medianum pelvis ist in der Arbeit von BUNGE un- berücksichtigt gelassen. In den ersten Entwicklungsstadien des Beckengürtels (Fig. 1), wenn die peripheren Enden des Pubis und Ischium noch weit von einander geschieden sind, fehlt jede Andeutung eines Ligamentum medianum. Erst wenn die Verknorpelung des Beckengürtels weitere Fortschritte gemacht hat und die umliegende Muskulatur zu einer stärkeren Ausbildung gelangt ist, gewahrt man in der Mittellinie eine Anfangs sehr lockere und schmale Zellsäule, welche zur Sym- physis pubis und ischii hin sich verbreitert. In dem nächsten Sta- dium ist in dieser Zone ein größerer Zellreichthum zu verzeichnen, die Zellen haben zum Theil Spindelform angenommen. Wenn das Uber die Entwicklung des Os hypoischium ete. bei den Eidechsen. 141 Epipubis und Hypoischium zur medianen Verschmelzung gelangt sind, ist auch das Ligamentum medianum als ein deutliches, aus spindel- förmigen Elementen zusammengesetztes Band zu erkennen, welches einerseits Fascikel an die medialen Enden der ventralen Becken- komponenten, andererseits Bindegewebssepta zwischen die Becken- muskeln ausschickt. Bei Lacerta vivipara entsteht das Ligamentum medianum pelvis durch eine Konglomeration der in loco befindlichen embryonalen Bindegewebszellen, ganz nach Art eines intermuskulären Bindege- websseptum. Seine Beziehungen zum Beckengürtel müssen daher als sekundäre aufgefasst werden. Der ermittelte Entwicklungsmodus des Ligamentum medianum schließt somit den Gedanken völlig aus, dass diesem Bande etwa eine skeleto-vikarirende Bedeutung zukomme, welehe Voraussetzung — wie vorher erwähnt — auf Grund verglei- chend-anatomischer Gesichtspunkte geboten erschien. Ich fasse die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung kurz zusammen: Das Hypoischium entsteht durch Verschmelzung zweier, an den Endabschnitten der Ischia in Erscheinung tretender Zellhöcker. Anfangs steht die Cartilago hypoischium mit den Ischiis noch in einem kontinuirlichen knorpeligen Zusammenhange, welcher später schwindet durch Ausbildung einer trennenden Bindegewebszone. Das Hypoischium zeigt bei ausgewachsenen Exemplaren der ver- schiedenen Landsaurierspecies sehr große Formverschiedenheiten. Bei einigen Formen ist es ungleich rautenförmig, bald mit spitz- winkeligen, bald mit abgerundeten Ecken versehen, so dass selbst eine dreieckige Gestalt resultiren kann; bei anderen repräsentirt es die Gestalt eines Stabes, welcher entweder kurz oder lang, dick oder schmal sein kann. Das der Kloake zugekehrte Ende des Hy- poischium läuft mehr oder minder spitz zu oder entsendet zwei diver- girende Fortsiitze. Auch die Verbindung des Hypoischium mit den Ischiis kommt auf verschiedene Art zu Stande. Bald ragt das Hy- poischium mehr oder weniger tief in die Symphysis ischii hinein; bei anderen ist dieses Ende abgerundet. Wieder bei anderen trifft man zwei Fortsätze, welche divergirend mit den Ischiis in Berüh- rung treten. Wie auch immer das Os hypoischium gestaltet sein mag, die größte Konstanz der Beziehungen lässt stets das Ligamen- tum hypoischium erkennen. Beim individuellen Fehlen eines Os hypoischium vertritt seine Stelle das Ligamentum hypoischium. J 142 Ernst Mehnert Diese Inkonstanz des Os hypoischium bei ausgewachsenen Land- sauriern lässt es als durchaus wahrscheinlich erscheinen, dass dieses Knochenelement, eben so wie bei der Emys lutaria taurica die Carti- lago hypoischium, ein in der Riickbildung begriffener Skelettheil ist. Das Epipubis entsteht gleichfalls durch Konfluenz zweier an den Endabschnitten der Schambeine sich ausbildenden Zellhöcker. Anfangs lässt das Epipubis in seiner mehr caudal gelegenen Partie noch einen medianen Spalt erkennen, welcher später zur Verwach- sung gelangt. Der ursprüngliche knorpelige Zusammenhang mit den Pubis wird gelöst durch das Auftreten einer trennenden Bindege- webszone. Dieser bei Lacerta eruirte Entwicklungsmodus stimmt mit dem bei Emys lutaria taurica und von A. Bungee bei Triton eristatus beobachteten Verhältnissen überein. Dem Ligamentum medianum pelvis kommt bei Lacerta vivipara keine skeleto-vikarirende Bedeutung zu. Es entsteht in loco nach Art eines intermuskulären Bindegewebsseptum und hängt mit diesem auf das innigste zusammen. Die Beziehungen des Ligamentum me- dianum zum Beckengiirtel müssen daher als sekundäre gedeutet werden. Sämmtliche in der ventralen Medianlinie gelegenen Gebilde: das Epipubis, Ligamentum medianum und Hypoischium treten onto- genetisch später in Erscheinung als die beiden primären Becken- _giirtelhalften, dokumentiren somit in diesem Verhalten das unver- kennbare Gepräge von Sekundärbildungen. Erklärung der Abbildungen. Die Vergrößerung wird durch einen Bruch angegeben. In sämmtlichen Abbildungen bediene ich mich folgender Abkürzungen: Acet Acetabulum, Lig.med Ligamentum medianum, Cr.med.isch Crista mediana ischiadica, Perit Peritoneum, Epub Epipubis, Pub Pubis, Fmr Femur, Pr.lat Processus lateralis pubis, Isch Ischium, S.isch Symphysis ischii, Hyp.isch Hypoischium, Sp.isch Spina ischiadica, Klk Kloake, Tub.isch Tuber ischii. Lig.hypisch Ligamentum hypoischium, Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Uber die Entwicklung des Os hypoischium ete. bei den Eidechsen. 143 Tafel VIII. Frontalschnitt. Lacerta vivipara. Länge der hinteren Extremität 21/; mm. Einkerbungen für die Zehen. Frontalschnitt. Lacerta vivipara. Länge der hinteren Extremität 3! mm. Zehen vollkommen getrennt. Frontalschnitt. Lacerta vivipara. Länge der hinteren Extremität 4 mm. Die Extremität wie beim Erwachsenen. Frontalschnitt. Lacerta viridis. Mantelförmige Ossifikationen in den mittleren Abschnitten von Pubis, Ischium und Ilium. Ventrale Ansicht des Beckengiirtels einer ausgewachsenen Lacerta vivipara (Smal vergrößert). Symphysis pubis und Os epipubis von Ameiva surinamensis. Epipubis von Varanus niloticus. Os hypoischium von Varanus niloticus. - - - Varanus salvator. - - - Didelphys guica. - - - Menobranchus nach HyrTL, Cryptobranchus ja- ponicus, Taf. VII Fig. 5. - - - Leiolepis guttata. - - - Lacerta ocellata. = - - Gecko. - - - Ameiva surinamensis. - - - Gonolophus subcristatus. | ft3 AG Ser €! an: ri a ir? + he? FR EL Be ee 25 Ba er; Fe f a, AT alts ates il: 1.77 ea 4, ha A eee ~ 4 . h ZA RT Be 4 AN Be “ia Don 2 BRATEN. Bor SS a apg Ae eee eS Pll) Bla TOG 2a iG ites VRC re wctqee 4 N En Taf. 27 TEEN Buoy sam TithAnstvEA Funke Leipzig, x yWilhEngelmannin Leipzig Verlag Ai Sulsch Hpisch” \ Kigplypisch. Hyp isch. Er vn Bly ne ut etn Hyp.isch. N a EY ; fig. 22 fig. 13. * fig. th. fig 1S figs. Sitch. Sach. Slsch. ; Van, Sılsch. Tech “Fiypisch. Hypisch R MIN \Nvon. = Ua Uber die le der Pleurahöhlen bei den Primaten und bei einigen anderen Säugethieren. Von T. Tanja, Assistent an der anatomischen Anstalt in Amsterdam. Mit Tafel IX—XII und 3 Figuren im Text. Die Grenzen der Pleurahöhlen des Menschen unterliegen, wie uns ‚bekannt ist, einem großen Wechsel. Diese Erscheinung dürfte, ” andere, ihre Ursache in dem langen Entwicklungswege besitzen, den der Mensch zurücklegte. Da alles gegenwärtig Bestehende seine Vergangenheit hat, so dürfen wir annehmen, dass die Phylogenie des Menschen die Erklärung für Variationen an den Grenzen der -Pleurahöhlen birgt. Die Erklärung für dieselben aber helfen auf- _ zudecken, ist der Hauptzweck dieser Arbeit. 3 _ Verschiedene Momente besitzen einen großen Einfluss auf das Verhalten der Pleuragrenzen. Vornehmlich sind es solche, welche au ‚allmählichen Änderungen des ganzen Rumpfes beitrugen. Diese Momente sind bei den Primaten in kontinuirlicher Wirksamkeit er- kennbar und setzen einen Entwicklungsprocess zusammen, wovon Phasen auch noch beim Menschen sich verfolgen lassen. Es werden hier in Kürze die Ursachen zu betrachten sein, welche die später zu beschreibenden Änderungen der Pleuragrenzen zur Folge haben. Die Pleurahöhlen befinden sich in Abhängigkeit vom Verhalten des Rumpfes im Allgemeinen und von der Gestaltung des Thorax im Besonderen. Morpholog. Jahrbuch. 17. 10 146 T. Tanja Am thoraco-abdominalen Abschnitte des Rumpfes ist eine die Anzahl der Metameren betreffende Reduktion bei den Primaten er- kennbar. Dieselbe beherrscht das Skelet und die Muskulatur. An der Wirbelsäule ist dieser Verkürzungsprocess stets in der deutlich- sten Weise ausgeprägt; denn die hier erhaltene ursprüngliche Meta- merie verräth stattgefundene Änderungen sofort. Steht die jeweilig auftretende Reduktion am caudalen Abschnitte der Wirbelsäule mit einer gleichzeitigen Einbuße der Funktion dieses Theiles im Einklange, so gilt ein Gleiches nicht vom thoraco-abdo- minalen Rumpftheile, 'da die diesem verlustig gehenden Metamere zum Aufbaue anderer Körpertheile dienen. Die Ausschaltung lum- baler Abschnitte vollzieht sich in höherem Maße in der Primaten- reihe; sie ist auch in der Ontogenie des Menschen nachgewiesen!. Hier schaltet sie jedoch in einem minder intensiven Grade; denn, während in frühen embryologischen Stadien die Zahl thoraco-lum- baler Wirbel 18 beträgt, wird später nur der letzte dieser Reihe in das Sacrum aufgenommen. Dabei verliert der 13. Wirbel nor- malerweise gleichzeitig seine Rippe, und so wird auch die Zahl der thorakalen Wirbel um ein Segment verringert. Der ontogenetische, primitive Zustand kann sich beim Menschen erhalten und dann zu Variationen am Achsenskelette führen. An- dererseits kann der Reduktionsprocess über das normale Maß hin- ausschreiten. Auf diese oder die andere Weise stellen sich 18 oder nur 16 thoraco-lumbale Wirbel, 13 oder nur 11 Rippen ein. Die Varietäten des Rumpfskelettes mit nur 16 thoraco-lumbalen Wirbeln und solehe mit nur 11 Rippen legen Zeugnis dafür ab, dass der Umbildungsprocess beim Menschen noch nicht als abgeschlossen be- trachtet werden kann. Neben den Variationserscheinungen an der Wirbelsäule und an den Rippen, welche letzteren auch unabhängig vom Verhalten der Wirbelsäule in der Anzahl wechseln, findet man an der vorderen Wand des Thorax sehr deutliche Spuren von Reduktionen, welche unter Anderem in der Verminderung sternaler Rippen sich kund thun. Normalerweise findet man beim Menschen beiderseits 7 ster- nale Rippen. Von dieser Regel bestehen oft Ausnahmen, indem an einer oder an beiden Seiten z. B. 8 Rippen am Brustbein sich be- festigen (nach BARDELEBEN? in 10—15 % der untersuchten Fälle). | ROSENBERG, Uber d. Entwickl. d. Wirbels. etc. Morph. Jahrb. Bd. I. Heft 1. 2 K. BARDELEBEN, Sitzungsberichte der Jenaischen Gesellschaft für Me- dicin und Naturwissenschaften. 1885. 9. Juli, Sektion für Heilkunde. Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 147 Auch 9 sternale Rippen wurden beobachtet. Diese Varietäten werden durch die Ontogenie erklärlich, denn beim Menschen tragen das 8. stets, vermuthlich aber auch das 9. Rippenpaar an der Bildung des Sternums bei!. Eben so wie an der Wirbelsäule finden wir auch für das Ster- num Formen, in denen die Reduktion den normalen Grad übersteigt, in so fern zuweilen nur 6 Rippen das Brustbein erreichen. Die Ursachen für ‘den Verkürzungsprocess an Wirbelsäule und an vorderer Thoraxwand sind ohne Frage sehr verschiedener Art. Dass in der Reihe der Primaten aber der Erwerb der aufrechten Körperhaltung eine maßgebende Rolle dabei spielte, wird kaum an- gezweifelt werden können. Es lässt sich verständlich machen, dass die statischen Verhältnisse des Körpers zweckmäßige bleiben können, wenn während der Aufrichtung des Rumpfes zugleich eine Verminde- rung der Metamerie desselben sich einleitet. Ein aufrecht stehender Körper gewinnt an Festigkeit und Stabilität durch die Verringerung der Anzahl der Bausteine, gewinnt solehe in noch höherem Grade bei gleichzeitiger Volumszunahme der verringerten Elemente. Neben dem Verkürzungsprocesse, dem der Rumpf namentlich bei höheren Primaten unterliegt, bildet sich eine kompensatorische Brei- tenzunahme des Körpers aus. Diese ist am Becken und am Thorax am deutlichsten erkennbar. Die Breitenzunahme des Thorax in der Primatenreihe gewinnt für uns desshalb ein so hohes Interesse, da auch von ihr die Grenzen der Pleurahöhlen beherrscht werden. Die große Verschiedenheit in der Form des Thorax der Säuge- thiere tritt uns beim Vergleiche des Brustkorbes eines Vierfüßers, etwa eines Carnivoren, mit dem eines anthropoiden Affen oder des Menschen entgegen. An ersterem überwiegt der dorso-ventrale Durch- messer über den transversalen, während am Thorax letzterer Orga- nismen ein Umgekehrtes der Fall ist. Durch die Zunahme des transversalen Durchmessers des Thorax wird der Schwerpunkt des Körpers dorsalwärts verlegt. Dieser Umstand kommt dem Aufrichten des Körpers bei den Primaten zu Gute. Beide Momente stehen ohne Frage in einer gewissen Abhängigkeit zu einander. Wohl wird eine Breitenzunahme des Thorax bei Säugethieren aus verschiedenen Ursachen hervorgehen können. Nichtsdestoweniger werden die Pleura- grenzen in gleicher Weise afficirt werden müssen, da sie sich aus 1G. RuGE, Untersuchungen über Entwicklungsvorgiinge am Brustbein ete. Morph. Jahrb. Bd. VI. Heft 3. 10* 148 T. Tanja der Form des Thorax ableiten. Die vorderen Gliedmaßen, sobald sie nicht ausschließlich mehr der Lokomotion des Körpers dienen, hindern die seitliche Ausbildung des Thorax mehr und mehr. Durch den Erwerb erhöhter und neuer Leistungen erhielten die vorderen Gliedmaßen schärfer gesonderte und mächtige Muskeln, welche auf die Form der Rippen, auf die Wölbung des Thorax nicht ohne Einfluss bleiben konnten und desshalb vielleicht auch an der Bildungsge- schichte des Primatenthorax betheiligt waren. Andeutungen des auf das Skelet beziehbaren Processes treten uns auch, so weit es sich um das Ringen nach größerer Einheitlich- keit handelt, theils als Folgeerscheinungen, theils als selbständige Bildungen an einigen Weichtheilen entgegen. Das Anstreben nach größerer Einheitlichkeit innerer Organe zeigt sich bei den Primaten z. B. an den Lungen und an der Leber, an denen ein Verschmelzen mehrerer Lappen mit einander sich allmählich vollzieht. Dem Verkürzungsprocesse des Rumpfes tragen ihren Tribut auch die Aorta, das Diaphragma und andere Organe. Das Zwerchfell nähert sich, bei Verkürzung des Thorax aufwärts sich verschiebend, der Unterfläche des Pericardiums und, vielleicht unter gleichzeitigem Herabrücken des Herzens, erfolgt allmählich eine vollkommene Ver- wachsung von Pericard und Diaphragma, wie es vom Menschen be- kannt ist. Die Lageveränderungen von Herz und Zwerchfell üben auf die Form der Pleurahöhlen, auf die Pleuragrenzen ihren Einfluss. Darin theilen sie die Herrschaft mit den erwähnten Wechselzustän- den an der Wirbelsäule und an der Vorderwand des Thorax, eben so wie mit der Veränderung der Durchmesser des Brustkorbes. Umwandlungen der Pleuragrenzen, welche sich bei den Prima- ten in einem ganz bestimmten phylogenetischen Zusammenhange voll- ziehen, finden sich in geringerem Grade auch bei den niederen Säuge- thieren. Nicht immer ist bei letzteren ein innerer Zusammenhang unter einander oder gar mit den Primaten nachweisbar; sehr ver- schiedene ursächliche Momente scheinen auch die Veränderungen des Skelettes sowie der Pleuragrenzen zu bedingen. So sind sehr oft die Zustände am Skelette, von welchen ja die Pleuragrenzen ab- hängen, ganz andere als bei den Primaten. Wir betrachten daher die Zustände der Pleuragrenzen bei niederen Formen nur als vor- treffliche Beispiele für deren Abhängigkeit vom Skelette. Als Bei- spiele dieser Art führen wir im ersten Abschnitte dieser Arbeit die bei Säugethieren verschiedener Ordnung gefundenen Thatsachen vor. In einem zweiten Abschnitte sollen die bei den Affen gefundenen Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 149 Thatsachen wiedergegeben werden; in ihm wollen wir die Anthro- poiden besonders behandeln, da bei ihnen durch das mächtige Über- handnehmen des transversalen Durchmessers des Thorax Zustände gegeben sind, welche eigenartig sind und selbst die des Menschen in mancher Beziehung überholten. In einem dritten Abschnitte findet man die Behandlung neuer Beobachtungen über die Pleuragrenzen beim Menschen, zugleich aber die Berücksichtigung der bei letzterem bisher bekannten Verhältnisse. Es wird fernerhin nothwendig sein, die Grenzen festzustellen, inner- halb welcher die Pleuragrenzen beim Menschen schwanken; denn hierin liegt neben der wissenschaftlichen eine praktische Wichtigkeit. Die Pleurahöhlen wurden entweder, wie bei den Sektionen, seit- lich oder vom Zwerchfelle aus geöffnet. In letzterem Falle wurden die Umschlagsstellen der Pleurae von außen her durch Steeknadeln angegeben, die durch die Thoraxwand in einer fortlaufenden Linie geführt wurden. In dieser Weise wurden die Grenzlinien auf die Außenwand des Thorax projieirt und abgezeichnet. An der Wirbel- säule wurde die tiefste Stelle der Pleurahöhle jedes Mal festgestellt. Die Beschreibung der Thatsachen wird an der Hand zahlreicher Zeichnungen leichter verständlich sein. Die von den Thieren ent- nommenen Abbildungen findet man im verkleinerten Maßstabe so getreu als möglich wiedergegeben. Die vom Menschen aufgenom- menen Befunde jedoch wurden, wenn Anderes nicht ausdrücklich angegeben ist, je in ein Skeletschema übertragen. Die nachstehenden Untersuchungen wurden im anatomischen Laboratorium zu Amsterdam angestellt. Die Anregung zu denselben verdanke ich Herrn Professor G. Rue, welcher das Thema bereits als die Ergänzung einer ausgedehnteren Untersuchung in Angriff ge- nommen hatte. Von ihm wurden mir mehrere Beobachtungen zur Publikation für diese Arbeit überlassen!. Auch für mancherlei Hilfe anderer Art bringe ich dem hochverehrten Lehrer meinen verbind- lichsten Dank dar. 1 Einige Figuren, die hier veröffentlicht werden, werden daher, für andere Zwecke dienend, an anderer Stelle wieder zur Geltung kommen. 150 T. Tanja L. Die Pleuragrenzen bei einigen Säugethieren. 1) Felis domestica. (Erwachsenes Miinnchen.) Es bestehen 13 Riicken- und 7 Lenden-, im Ganzen also 20 thoraco-lumbale Wirbel. Von den 13 Rippen sind 9 an dem langen schmalen, mit großem Processus ensiformis versehenen Ster- num befestigt. Die letzte der 4 übrigen Rippen ist eine Costa fluc- tuans. Auf den Fig. 1 A und B findet man den Verlauf der vor- deren und seitlichen Pleuragrenzen angegeben; auf Fig. 1 A sind die Kontourlinien des Brustbeines und der knorpeligen Theile der ersten 11 Rippen, auf Fig. 1 B die ganzen letzten 5 Rippen mit den Pleura- grenzen dargestellt'. Man erkennt aus der Fig. A die große Symmetrie der Pleura- grenzen an der vorderen Brustwand. Die Pleurahöhle ragt nur wenig über die 1. Rippe hinaus. Am oberen Rande der Sternal- insertion der 1. Rippe erreicht die Pleuragrenze das Sternum und läuft dann, mit der andersseitigen in der Medianlinie vereinigt, hinter dem Brustbein bis zum Ende des ersten Drittels des Processus ensiformis abwärts, um hier links und rechts seitlich abzuweichen. Über dem vorderen freien Ende der 10. Rippe erreicht sie den Knorpel der 9., geht an diesem eine Strecke entlang, um dann den Knorpel der 10. Rippe hart am Knochen, weiterhin die drei letzten Rippen am Knochen, und zwar nach unten hin in stets geringerer Distanz vom Knorpel zu schneiden. Die Pleuragrenze erreicht die Wirbelsäule links in der Höhe der Mitte des 14., rechts in der Mitte des 15. tho- raco-lumbalen Wirbels. Wir finden also vorn und hinten einen sehr tiefen Stand der Pleuragrenzen, was mit der schlanken Thoraxform, mit der großen Anzahl thoraco-lumbaler Wirbel, sowie sternaler Rippen im Ein- klange steht. 2) Sciurus vulgaris (Fig. 2 A und 2). Diese Nagethierform zeigt uns an den Pleuragrenzen Zustände, welche im Vergleiche zu denen bei der Katze differenter sind. Im 1 Wenn wie an diesem Objekte die Pleuragrenzen symmetrisch sich ver- hielten, so wurde nur eine — stets die linke — seitliche Ansicht dargestellt. Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 151- Zusammenhange damit erscheint der transversale Durchmesser des Thorax im Verhältnisse zum dorso-ventralen vergrößert, indessen die Anzahl thoraco-lumbaler Wirbel sowie sternaler Rippen sich ver- mindert zeigen. Bei einem erwachsenen Weibchen finde ich 19 thoraco-lumbale Wirbel und 12 Rippen, von denen 8 sternaler Natur sind und unter denen nur eine Rippe fluktuirt. Die Figuren stellen den Verlauf der vorderen und der seitlichen linken Pleuragrenzen dar. Rechts bestand ein gleiches Verhalten wie links. Die Vergleichung der Fig. 1 A und 2 A lehrt eine auffallende Verschiedenheit der oberen Grenzen der Pleurahöhlen bei Seiurus und bei der Katze. Reichte die Pleura bei letzterer bis über die 1. Rippe hinaus, so erreicht sie bei Scturus den vorderen Theil dieser Rippe nicht, indem sie sich schon unterhalb desselben nach hinten umbiegt. Am linken Rande des Sternum laufen die vereinigten beider- seitigen Pleuragrenzen bis zur Mitte des Processus ensiformis, wo sie seitlich abbiegen, um über das Ende der 9. Rippe zu streichen, sodann eine kurze Strecke dem Knorpel der 8. Rippe zu folgen. Weiterhin schneiden sie die knorpeligen Theile der 9. und 10. Rippe derart, dass sie an der 11. Rippe die Knochenknorpelgrenze be- rühren, um dann, über den Knochen der letzten Rippe gelangend, die Wirbelsäule zu erreichen, wo die tiefste Stelle beiderseits in der Höhe der Mitte des 14. thoraco-lumbalen Wirbels liegt. Sowohl vorn als auch hinten finden wir die unteren Pleuragren- zen höher als bei Felis domestica, hinten um nur Weniges, vorm hingegen um eine ganze Rippe höher. Wir haben hier der Lagerung des Herzens einige Worte zu widmen, weil durch sie die Form der Pleurahöhlen beeinflusst ist. Bei Felis domestica befindet sich die Spitze des Herzens in der Höhe des 6. Rippenpaares hinter dem Brustbeine. Indem das Herz in der Medianebene zu liegen kommt, ist die Symmetrie der beiden Brusthöhlen kaum beeinträchtigt. Bei Sciurus vulgaris ist dies Verhalten geändert. Die Längsachse des Herzens zieht hier von oben und hinten nach unten und vorn und weicht dabei nach links ab, dem zufolge auch die Spitze des Herzens links vom Sternum hinter dem lateralen Drittel des 5. Rippenknorpels zu liegen kommt. Dieses Verhalten, dem wir sehr häufig unter den Säugethieren und, wie bekannt, auch beim Menschen begegnen, wird sich, wie ich glaube, aus der Änderung der Thoraxform erklären lassen. 152 T. Tanja Das Herz. und die großen Gefäße finden bei gehöriger Ausdeh- nung des Brustkorbes in sagittaler Richtung für sich genügenden Raum, was nach der relativen Abnahme des dorso-ventralen Durch- messers nicht in gleicher Weise der Fall sein kann. Und so wur- den Herz und große Gefäße wahrscheinlich nach und nach gezwun- gen, auch seitlich im Thoraxraume sich Platz zu suchen. Dies konnte durch die Schiefstellung der Längsachse des Herzens erfolgen. Hat nun andererseits die Verkürzung des Thorax zugenommen, und ist das Herz genügend weit nach unten verlagert, so erreicht die vorgeführte Drehung der Achse ihren höchsten Grad der Ausbil- ‘dung, indem die bisherigen seitlichen Flächen des Herzens sich zu einer oberen und einer unteren Fläche umgestalten. Diese Drehung des Herzens um die sagittale Achse ‘vergesell- schaftet sich bei höheren Formen, indem die Distanz zwischen der unteren Fläche des Pericardiums und der oberen Fläche des Zwerch- felles allmählich kleiner wird mit dem Verwachsen beider. Dann ist die Herzspitze gleichzeitig nach links und nach oben gedrängt. Während dem entsprechend bei allen niederen Säugethieren noch ein größerer oder kleinerer Raum zwischen Herz und Diaphragma übrig bleibt, so ist derselbe bei den höchst stehenden, bei den An- thropoiden und beim Menschen, gänzlich verschwunden, indem die einander zugekehrten Flächen des Herzbeutels und des Zwerchfelles verwachsen sind. Dieser ursprünglich vorhandene Raum gehört der nach links hin ausgestülpten rechten Pleurahöhle an. Diese Aus- stülpung steht damit in Verbindung, dass von rechts her die Pleura mediastinalis, zwischen dem Ösophagus und dem noch langen thorakalen Abschnitte der Vena cava inferior, durch einen unteren hinteren Lappen der rechten Lunge nach links gedrängt wurde. Bewahrt das Herz seine primitive mediane Lage wie bei der Katze, so ist die Ausbuchtung des rechten Pleurasackes nach links hin nur flach, wofür die Höhe und die Breite um so bedeutender sind. Für diesen Zustand wollen wir die Bezeichnung Excavatio subperi- cardiaca wählen; während wir es für jene Fälle, in denen, zu- folge der nach links abgewichenen Lage der Herzspitze, die Aus- buchtung weiter über die Medianlinie hinaus nach links sich erstreckt, mit einem wirklichen Raume zu thun haben, für welchen wir den Namen Sinus subpericardiacus beibehalten wollen. Die beiderseitige Pleura mediastinalis niederer Säugethiere hat in ihrem unteren und vorderen Abschnitte, oberhalb des Diaphragma und hinter der vorderen Thoraxwand, nicht den Charakter einer Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 153 Pleura pericardiaca; denn sowohl vor als auch unter dem Herzen treten die Pleurae mediastinales zu einer Duplikatur zusammen. Es werden bei der größeren Länge und Tiefe des Brustkorbes weder Zwerchfell noch vordere Thoraxwand von den korrespondirenden Flächen ‘des Herzens erreicht. Die schematischen Fig. a, b und e veranschaulichen das Geschilderte. Wir wählten für sie einen sol- chen Zustand, in dem die Herzspitze wie bei Sciurus bedeutend nach links abgewichen ist. Schematische Figuren. a 5 Pericar: ı dialhöhle. Sinus sub: pericard.: D1. Palin Bie Sn b c Aorta. fine = Desophagus. ES eh = SER ORRATIRERENRN = ro Sinus subz, pertcard . ._Pericar- : dialhöhle. it— Mesocardium. F_Vesocardium. m. vordere Brustwand . vordere Brustwand. Auf Fig. a sind die Lagerungsverhältnisse der Theile erkennbar, welche durch einen frontalen, zwischen Ösophagus und Vena cava inferior ziehenden Schnitt getroffen sind. Auf Fig. 5 erkennt man die Verlaufsverhältnisse der Pleurae 154 T. Tanja mediastinales hart über dem Diaphragma, wie sie uns auf einem Querschnittsbilde entgegentreten. Die Fig. ce bezieht sich ebenfalls auf ein Querschnittsbild, das an das vorige sich kopfwärts anschließt, so dass anstatt der Vena cava inferior das Herz getroffen wurde. Einer näheren Beschrei- bung dieser Schemata dürfen wir uns enthalten. Die genauen Be- zeichnungen auf den Figuren erläutern das oben Auseinanderge- setzte. Es sei vor Allem auf die zwischen Herz und der Brustwand be- findliche Duplikatur hingewiesen, welche wir in Übereinstimmung. mit dem von LuscHkA für eine analoge Bildung beim Menschen ge- wählten Namen Mesocardium nennen wollen. Das Mesocardium trifft man beim Menschen allein vor dem Herzen an; es geht aber auch hier mit dem Verwachsen von Herz und Diaphragma meistens zu Grunde. Wir kommen später auf das Mesocardium zurück. In den Sinus subpericardiacus wird ein Läppchen der rechten Lunge aufgenommen; bei Seiurus finden sich deren zwei, von denen das obere vordere Läppchen an seinem vorderen Rande durch eine Ineisur, zur Aufnahme der Vena cava inferior bestimmt, ausgezeichnet ist. Das untere hintere Lungenläppchen trägt an seinem hinteren Rande einen Abdruck des Ösophagus. 3) Mus musculus. Die Pleuragrenzen dieses Thieres wurden an verschiedenen Exemplaren untersucht. Die Fig. 3 A und B geben das That- sächliche wieder. Bei der Maus bestehen 19 thoraco-lumbale Wirbel und 13 Rippen, von denen nur 7 am Sternum befestigt sind. Auch hier bleibt, wie beim Eichhörnchen, die vordere Pleura unterhalb der 1. Rippe, indem sie sich schon im ersten Intercostalraume nach. hinten umbiegt. Die beiderseitigen vorderen Pleuragrenzen verlaufen, von der Insertion der 2. Rippe an vereinigt, längs der linken Seite des Sternum bis zur 7. Rippe. Dieser folgen dann die unteren Grenzen beiderseits. Sie kreuzen die 8. Rippe am Knochenknorpel- übergang, schneiden den Knochen der übrigen Rippen und endigen am unteren Rande des 13. thorakalen Wirbels. Im Vergleiche zu Seiurus stehen hier die unteren Pleuragren- zen bedeutend höher. Die Spitze des Herzens fand sich hinter dem lateralen Abschnitte des Knorpels der 5. Rippe. Dieser starken Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 155 Abweichung des Herzens entsprechend besteht ein großer Sinus sub- pericardiacus, in welchem ein relativ mächtiger Lungenlappen ruht. Von Chiropteren untersuchte ich Pteropus Edwardsii und Vespertilio murinus. Die Befunde an beiden Formen differiren von einander; diejenigen von Pteropus reihen sich an die bei niederen Affen gefundenen Thatsachen an, indessen Vespertilio mur. Organisationszustiinde aufweist, welche an diejenigen bei höhe- ren Primaten in manchen Punkten erinnern. Eben so wie in der Verkürzung und Breitenzunahme des Thorax eine Parallelisirung bei Vespertilio und bei den höheren Primaten erkennbar ist, eben so laufen die Veränderungen in den Pleuragrenzen ungefähr einander parallel. Die Umbildung des Rumpfes der Chiropteren hängt zweifels- ohne mit dem erworbenen Flugvermögen zusammen, unterscheidet sich daher ursächlich wesentlich von der Umbildung des Rumpfes der Primaten. Andererseits wird die Konvergenzerscheinung im Ver- halten der Pleuragrenzen in beiden Abtheilungen zu einem neuen Dokumente dafür, dass das Rumpfskelet die Ausdehnung der Pleura- höhlen beherrscht. 4) Pteropus Edwardsii. Auf den Fig. 4.A und B sind die vorderen und seitlichen Grenzen der Pleura angegeben. Ich fand bei Pteropus 13 Brust- und 5 Lenden-, mithin 18 thoraco-lumbale Wirbel. Es bestehen 7 sternale Rippen; die 8. Rippe reicht bis nahe an das Sternum heran, ohne es indessen zu erreichen. Die medialen Theile der Rippen sind mit Ausnahme derjenigen des ersten Paares im knorpeligen Zustande. Das schmale Sternum trägt einen starken Kamm; die 1. Rippe ist mächtig ent- faltet. Der Brustkorb nimmt von oben nach unten in allen Dureh- messern bedeutend zu; der dorso-ventrale Durchmesser überwiegt dabei den queren. Ich lasse einige Maßangaben folgen, welche mit den bei Ve- spertilio angeführten verglichen werden können. In der Höhe der 2. Rippe betrug der sagittale Durchmesser, ohne den Brustbeinkamm mitzurechnen, 31/, em, während der transversale Durchmesser nur 3 cm groß war. 156 T. Tanja Im Niveau der Sternalinsertion der 7. Rippe betrugen die Durch- messer 4,9 und 2,3 cm. Pleuragrenzen: Beiderseits steigt die Pleurahöhle nur wenig über die 1. Rippe hinaus. Links bleibt die Grenze schon von der 1. Rippe an hinter dem Sternum, während rechts die 1. Rippe ge- schnitten und das Sternum zuerst an der Insertion der 2. Rippe er- reicht wird. In der Höhe der 3. Rippe vereinigen sich die beider- seitigen Blätter, ziehen zur linken Seite hinter dem Brustbeine bis etwas oberhalb der Mitte des Processus ensiformis hinab, um dort zur Seite aus einander zu weichen. Die untere und seitliche Pleura- srenze schneidet die 8. Rippe, folgt eine Strecke dem Knorpel der 7., schneidet sodann die 8. zum zweiten Male, und zwar gleichfalls an der Grenze des Knochens und des Knorpels, die übrigen Rippen an den knöchernen Theilen; sie erreicht die Wirbelsäule links am Liga- mentum intervertebrale zwischen 14. und 15., rechts an demjenigen zwischen 15. und 16. thoraco-lumbalen Wirbel. Die Spitze des Herzens befand sich hinter der 5. Rippe und nur wenig links vom Sternum. Der Sinus subpericardiacus dehnte sich nur wenig nach links hin aus. Der linke Rand der unteren Fläche des Herzens wurde vom Sinus nicht einmal erreicht, so dass die linke Pleura mediasti- nalis an der Stelle zwischen Herz und Diaphragma (vgl. die sche- matische Fig. 5) von ihrem sagittalen Verlaufe kaum abweicht. 5) Vespertilio murinus (Fig. 5 A und 2). Die Form des Thorax unterscheidet sich wesentlich von der des Pteropus. Die trichterförmige, sich gleichmäßig nach unten erweiternde Gestalt ist hier ersetzt durch einen in dorso-ventraler Richtung abgeplatteten Thorax, welcher eine beträchtliche seitliche Ausdehnung besitzt. Der transversale Durchmesser übertrifft dem zufolge weitaus den dorso-ventralen, während beim Pteropus das Umgekehrte der Fall war. Der Thorax bei Vespertilio besitzt eine beinahe viereckige Gestalt. Eine am Brustkorbe vorgenommene Messung ergab als größten Querdurchmesser 2,3 em, als größten dorso-ventralen Durchmesser nur 1,2 em. Die Länge des Brusttheiles der Wirbelsäule misst 1,5 em; das Sternum ist ohne Proc. ensiformis 1 em, mit diesem Fortsatze 1,6 em lang. Wir ersehen hieraus, dass alle Maße des Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 157 Brustkorbes weit hinter der Größe des queren Durchmessers zurück- bleiben. Es finden sich bei Vespertilio mur. nur 16 thoraco-lumbale Wirbel, indessen von den 11 ossifieirten, resp. verkalkten Rippen nur 6 am kurzen, relativ breiten Brustbeine, dessen Kamm nur schwach ent- wickelt ist, sich befestigen. Dem Sternalende der 6. Rippe ist das- jenige der 7. Rippe innigst verbunden. Die beiderseitigen vorderen Pleuragrenzen konvergiren hinter dem Manubrium sterni; sie be- gegnen einander in der Höhe der Insertion der 2. Rippe und ver- laufen gemeinsam bis zur 6. Rippe, links neben dem Sternum nach unten. Dann folgen sie beiderseits der 6. Rippe bis zu deren Ver- einigungsstelle mit der 7. Rippe; sie schneiden die übrigen Rippen an den in den Fig. 5 A und B angegebenen Stellen und erreichen die Wirbelsäule links am unteren Rande des 12., rechts am oberen Rande des 13. thoraco-lumbalen Wirbels. Eben so deutlich wie am Skelette sprechen sich also an den Pleura- srenzen die Verkiirzungen aus; vorn erreichen diese Grenzen nicht einmal den Processus ensiformis. Die gewaltige Breitenzunahme des Thorax bedingte eine starke Verlagerung des Herzens nach links. Ich fand die Spitze im vierten Intercostalraume. Trotz der starken Verkürzung des Thorax und trotz der starken Verlagerung des Diaphragmas nach oben berühren Herz und Zwerch- fell einander durchaus nicht. Für das Verwachsen beider wäre das Abwärtsrücken des Herzens, wie ich glaube, noch erforderlich ge- wesen. Dieses nimmt aber eine verhältnismäßig hohe Lage ein. Wir finden dem zufolge noch einen sehr weit nach links hin- über greifenden Sinus subpericardiacus. Von der beim Menschen bekannten Deviation oder Incisur der linken Pleuragrenze in der Nähe des Herzens ist bei Vespertilio keine Spur zu finden. Die linke Lunge hingegen zeigt eine sehr tiefe Ineisura cardiaca, welche auch einen langen Processus lingui- formis entstehen ließ, der auf der in der Figur angegebenen Weise mit der rechten Lunge zusammenstößt. Wir schieben die Würdigung dieser Befunde für später auf. Dann werden wir auch auf das Nichtvorbandensein einer Deviation der Pleuragrenzen in der Gegend des Herzens zurückkommen müssen. Die Frage, warum die beiden behandelten Chiropteren so verschiedene Verhältnisse in den Pleura- grenzen zeigen, erklärt sich aus der Verschiedenartigkeit der Thorax- formen. Vespertilio lässt in jeder Beziehung äußerst differente Zustände erkennen. Das vorzügliche Flugvermögen der Fledermäuse 158 T. Tanja wurde unter gleichzeitiger Ausbildung thoraco-humeraler Muskeln er- worben. Diese sind aber ihrerseits ohne Frage von wirksamem Einflusse auf die Ausbildung der Form des Thorax gewesen. Aus dem Verhalten der Pleuragrenzen geht hervor, dass Ptero- pus primitive Einrichtungen unter den Chiropteren sich bewahrte, während Vespertilio einen besonderen, weiter führenden Weg in der Entwicklung einschlug. II. Pleuragrenzen bei den Affen. A. Niedere Affen. Bei der Beschreibung unserer Untersuchungsergebnisse halten wir an dem Plane fest, immer die in Bezug auf unsere Fragen am niedrigst stehenden Thiere zuerst zu behandeln, um so allmählich zu höheren Formen zu gelangen. Wir eröffnen demgemäß die Reihe mit 1) Ateles paniscus (Fig. 6 4 und B). Die niedrige Stellung dieser Form im Systeme spricht sich deut- lich auch am Thorax und in den Pleuragrenzen aus. Von 18 thoraco- lumbalen Wirbeln sind 14 thoracaler Natur. Von den 14 Rippen sind 10 am Sternum befestigt. Das Objekt wurde von Prof. RugE untersucht, von dem auch die Zeichnungen herstammen. Die oberen Pleuragrenzen sind nicht aufgenommen; die vorderen zeigen ein sehr unregelmäßiges Bild. Links läuft die vordere Pleuragrenze von der Sternalinsertion der 2. bis zu derjenigen der 5. Rippe herab, hält sich dabei am linken Rande des Brustbeines, um weiter unten seitlich abzuweichen. So werden die knorpeligen Theile der fünf folgenden Rippen immer näher am Knochen ge- schnitten. An der 11. Rippe wird der knöcherne Theil erreicht. Die rechte Pleuragrenze zieht von der 2. bis zur 6. Rippe dem rechten Sternalrande entlang, kreuzt da in schräger Richtung das Sternum und folgt dann dem linken Rande des letzteren von der 7. bis zur 10. Rippe. Darauf nimmt die Pleuragrenze ihren Weg nach rechts, läuft über die Wurzel des Processus ensiformis, über die 10. Rippe, durch den neunten Intercostalraum, und zum zweiten Male iber den Knorpel der letzten sternalen Rippe zum knöchernen Ende der 11. Rippe. Weiterhin schneidet die Pleuragrenze beider- Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 159 seits die letzten drei Rippen am knöchernen Theile hart am Knorpel, erreicht darauf die Wirbelsäule links in der Höhe des unteren Ran- des, rechts der Mitte des 15. thoraco-lumbalen Wirbels. An der vorderen wie an der hinteren Rumpfwand reichen die Pleuragrenzen beim Ateles sehr weit hinab. Dieser primitive Zu- stand steht im Verbande mit dem Bewahren vieler sternaler Rippen, mit dem Bewahren eines kielförmigen Thorax. Der Brustkorb zeigt in keiner Eigenschaft diejenigen Veränderungen, welche bei höheren Affen angetroffen werden. Auffallend ist bei Ateles das frühzeitige Abweichen der linken vorderen Pleuragrenze vom Sternum, um so mehr, als das Herz von der Brustwand entfernt bleibt. Die übrigen von mir untersuchten Affen gehören der alten Welt an. Am tiefsten unter allen steht ohne Zweifel 2) Cynocephalus mormon (Fig. 7 A und 5). Mögen die Ähnlichkeiten zwischen den Cynocephalen und den Carnivoren, auf welche von vielen Seiten hingewiesen worden ist, auch nur äußerlicher Natur sein, so überrascht uns doch auch wieder die Übereinstimmung im Verhalten der Pleuragrenzen beider. Eine Vergleichung der Fig. 7 A und B mit denjenigen, die sich auf die Katze beziehen, legt Zeugnis dafür ab. Beim Cynocephalus mormon bestehen wie bei Felis do- mestica 20 thoraco-lumbale Wirbel und 13 Rippen, von denen 9 ster- naler Natur sind. Nicht erheblich höher als bei der Katze verlässt die Pleuragrenze beiderseits den Processus ensiformis, um an der vorderen seitlichen und hinteren Thoraxwand ungefähr denselben Verlauf zu nehmen. Während die Grenze bei der Katze links am 14., rechts am 15. thoraco-lumbalen Wirbel zu finden war, so befindet sie sich hier beiderseits genau in der Höhe der Zwischenscheibe dieser zwei Wirbel. Bei Cynocephalus mormon findet die Vereinigung der lin- ken und rechten Pleura rechts vom Sternum statt; beide Blätter trennen sich jedoch oben schon in der Höhe der 4. Rippe. Darin spricht sich eine Verschiedenheit vom Verhalten bei der Katze aus. Die Spitze des Herzens fand ich ein wenig links vom Sternum, hinter dem sechsten Intercostalraume; dem zufolge dehnte sich der Sinus subpericardiacus bei größerer Höhe nur wenig nach links hin aus. 160 : T. Tanja 3) Cercopithecus radiatus (Fig. 8 A, B und C). Es bestehen 18 thoraco-lumbale Wirbel, S sternale und 4 falsche Rippen. Die vorderen Grenzen der Pleurahöhlen, welehe nur wenig über die 1. Rippe hinausreichen, begegnen abwärts einander in der Höhe der 3. Rippe, verlaufen von da ab vereinigt links von der Medianlinie nach unten, um etwas oberhalb der Mitte des Processus ensiformis seitlich abzuweichen. Die unteren Grenzen ziehen über das Ende der 9. Rippe, sodann dem unteren Rande der 8. entlang zum knöchernen Ende der 9., und weiterhin über den Knochen der übrigen Rippen zur Wirbelsäule, an der sie links am unteren Rande des 14. Wirbels, rechts nur sehr wenig tiefer an der Zwischenscheibe anzutreffen sind. Trotz der Fortentwicklung am Skelette des Cercopith. radiat. im Vergleiche zur vorigen Form verblieben die Pleuragrenzen noch auf dem primitiven Standpunkte, indem hinten die Grenze gleich tief steht wie beim Cynoceph. mormon, vorn der Unterschied als ganz gering bezeichnet werden muss. Viel stärker zeigt ein zweites Exemplar von Cercop. radiat. die Folgeerscheinungen der Reduktion des Rumpfskelettes auch an den Pleuragrenzen (Fig. 9 A, B und C). Die Verhältnisse am Ske- lette entsprechen genau denen des ersten Exemplars. Vergleicht man die Grenzlinien der rechten Seiten auf Fig. 9 A und Fig. 8 A, so erkennt man den Unterschied in einer kleinen Verschiebung der Grenzen nach oben. Die Pleuragrenze verläuft bereits in der Höhe der 1. Rippe hinter dem Brustbeine, verlässt letzteres aber schon an der Wurzel des Proc. xiphoides. Weiterhin sieht man die Grenze ihren Weg genau um die. Breite einer Rippe höher als beim ersten Exemplar lateralwärts einschlagen. Auch hier werden das knöcherne Ende der 9. Rippe erreicht, sodann die knö- chernen Theile der folgenden Rippen und schließlich die Mitte des 14. thoraco-lumbalen Wirbels. Die Differenz des Höbenstandes der rechten hinteren Pleuragrenzen an diesem und dem vorigen Exemplar beträgt also rechts einen halben Wirbel. Eigenartig ist der Verlauf der Pleuragrenze an der linken Seite. In der Höhe der 2. Rippe hinter dem Sternum angelangt, verlässt sie dieses bereits wieder am unteren Rande der 3. Rippe, um zur linken Seite vom Brustbeine bis zur 7. Rippe hinabzusteigen. Die Pleuragrenze folgt dieser Rippe eine kurze Strecke weit, schneidet sie, sowie die fol- gende Rippe noch am Knorpel, nimmt dann aber einen gleichen = eee Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten etc. 161 Verlauf, wie er für die rechte Seite beschrieben wurde. Die Wirbel- säule wird etwas höher an der Bandscheibe zwischen 13. und 14. Wirbel erreicht. Also vorn wie hinten steht die untere Pleuragrenze auch links höher als beim vorigen Exemplare, hinten um einen Wirbel, vorn jedoch um zwei Rippen. Bei beiden Exemplaren fand ich die Herz- spitze hinter deri sechsten Intereostalraume, ein wenig links vom Sternum. Es bestand ein nicht sehr tiefer Sinus subpericardiacus. Den beiden Formen von Cercopith. radiatus schließt sich nach dem Verhalten seiner Pleuragrenzen ein Exemplar von 4) Cercopithecus sinicus (Fig. 10 A, B, C) an. Es bestehen auch hier 18 thoraco-lumbale Wirbel, 13 Rippen, unter denen 8 sternale sich befinden. Wie beim letzten Objekte erreichen die beiderseitigen vorderen Pleuragrenzen einander nicht, sondern lassen die Breite des Ster- nums zwischen sich. Es ist bemerkenswerth, dass wir dieses Ver- halten, das beim Menschen so oft als Varietät vorkommt, schon bei diesem niedrig stehenden Affen finden. Es kann durch die Glan- dula thymus nicht bedingt sein, da der sterno-vertebrale Durch- messer des Thorax eine beträchtliche Länge zeigt, Herz und Thymus zugleich eine tiefere Lage einnehmen. Bei einer anderen, später zu erwähnenden Form war die Thymus mächtig entwickelt, nichts- destoweniger aber stießen die Pleurae von der 3. bis zur 7. Rippe an einander. Die unteren Pleuragrenzen gehen links und rechts der 8. Rippe entlang; sie scheinen an den Seitenflächen des Thorax ziemlich tief zu stehen, in so fern alle Rippen noch am Knorpel geschnitten wer- den. Es ist jedoch fraglich, ob man, eingedenk der wechselnden : Länge der Rippen und ihrer Theile, hieraus weitergehende Schlüsse ziehen darf. An der Wirbelsäule erreicht die Pleura den oberen Rand des 14. thoraco-lumbalen Wirbels, rechts etwas tiefer als links. Drei Exemplare von 5) Cercopithecus cynomolgus (Fig. 11, 12 und 13) E würden untersucht. Alle besaßen 18 thoraco-lumbale Wirbel und 12 Rippen. Die Pleuragrenzen, welche beim Menschen so stark varliren, Morpholog. Jahrbuch. 17. 11 162 T. Tanja zeigen hier große individuelle Schwankungen. Auch am Skelette zeigt sich eine Variation; auf Fig. 11 nimmt man 8, auf den beiden anderen Figuren jedoch nur 7 sternale Rippen wahr. Hiermit über- einstimmend ergiebt der erste Fall vorn auch den tiefsten Stand der Pleuragrenzen. Damit soll nicht gesagt sein, dass diese Überein- stimmung im Skelette und Pleura nothwendig bestehen muss; denn die Verkürzung des Skelettes und diejenige der Pleurahöhlen sind nicht so innig mit einander verknüpft, dass die eine die andere aufs unmittelbarste nach sich zieht. Etwas oberhalb der Mitte des Pro- cessus ensiformis verlässt in Fig. 11 die untere Pleuragrenze das Sternum, geht der 8. Rippe entlang und schneidet die 9. Rippe am Übergange vom Knochen in den Knorpel, die übrigen Rippen am knöchernen Theile. In Fig. 12 weicht die Grenze an der Basis des Schwertfortsatzes seitwärts ab, geht längs, auch etwas oberhalb der 7. Rippe, und erreicht an der 8. Rippe den Knochen. Der Unterschied des Höhenstandes mit dem vorigen Objekte beträgt also ungefähr die Breite einer Rippe und eines Intercostalraumes. Fig. 13 stimmt mit Fig. 12 überein, mit der Ausnahme je- doch, dass hier die Grenzlinien schon am oberen Rande der 7. Rippe das Brustbein verlassen. Die Erfahrung, welche man bei ein- gehender Betrachtung oft zu machen im Stande ist, entnehmen wir aus Thatsachen, in denen sich zeigt, dass in jedem einzelnen Falle, also abgesehen von den Variationen, welche die Formen unter ein- ander darbieten, die Rückbildung nicht an allen Stellen gleichen Schritt hält. Vorn kann z. B. die Reduktion weit, hinten sehr wenig vorgeschritten sein oder umgekehrt. Ein sehr prägnantes Beispiel hierfür werden wir bei Semnopithecus leucoprymnus antreffen. Das Exemplar von Cercop. eynom., welches vorn in man- cher Beziehung die primitivsten Verhältnisse darbot (Fig. 11), zeigt betreffs der hinteren Pleuragrenzen sich differenter. Beim Exemplare der Fig. 12 stehen die Grenzen etwas tiefer als bei ersterem und deuten einen niedrigeren Befund an. Am Exemplar der Fig. 13 steht die Pleura hinten wiederum etwas höher, wodurch auch hier die stärkere Fortbildung angedeutet ist. Der hintere Stand der. Pleuragrenzen bei den drei Exemplaren ist wie folgt: 1) unterer Rand des 13. thoraco-lumbalen Wirbels (12), 2) Mitte des 13. thoraco-lumbalen Wirbels (11), 3) unterer Rand des 12. thoraco-lumbalen Wirbels (13). Bei allen drei Exemplaren war der Höhenstand der Pleuragrenzen Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 163 links und rechts symmetrisch. Am Objekte der Fig. 12 war jedoch die Symmetrie vorn gestört. Hier vereinigten sich die beiderseitigen Pleurae costales links vom Sternum von der 3. bis zur 7. Rippe. Bei diesem Objekte bestand eine sehr große Glandula thymus, welche nicht nur die großen Gefäßstämme und die Atria cordis bedeckte, sondern stark entwickelt der ganzen Vorderfliiche des Herzens bis zu dessen Spitze hin auflagerte. Thymus und Herz brauchen also, wie dies Objekt lehrt, die vorderen Umschlagstellen der Pleurablätter nicht nothwendigerweise aus einander zu drängen. Die Spitze des Herzens fand ich hinter der 6. Rippe, etwas medial von der Mitte des Knorpels derselben. Der Sinus subpericardiacus dehnt sich über dem Zwerchfell weiter nach links aus, als wie das Herz nach jener Seite abweicht. 6) Cynocephalus sphinx. Der Unterschied dieses Objektes von Cynocephalus mormon ist in Bezug auf die Pleuragrenzen ein sehr bedeutender. Cyno- cephalus sphinx rangirt nach dem Verhalten der letzteren sehr hoch. Auch am Skelette äußern sich die Differenzen beträchtlich. Fanden wir beim Mandrill 20 thoraco-lumbale Wirbel, so sind hier nur 18 vorhanden; befestigten sich dort 9 Rippen am Sternum, so bestehen hier nur 8 sternale Rippen, während zugleich die 13. Rippe rudimentär ist. Die Pleuragrenzen dieser Form bilden einen Beleg dafür, dass die Reduktion an ihnen durchaus nicht gleichen Schritt mit der- jenigen am Skelette zu halten braucht; denn hier sind erstere stär- keren Reduktionserscheinungen ausgesetzt gewesen als die Anzahl vorhandener und sternaler Rippen es vermuthen ließ (Fig. 14 A, Bund C). Die beiden Pleurablätter erreichen an der vorderen Brustwand einander nicht; sie lassen das Sternum unbekleidet. Links biegt die Pleuragrenze an der 7. Rippe seitlich um und geht durch den siebenten Intercostalraum zum knöchernen Ende der 8. Rippe. Rechts verläuft die untere Grenze schon durch den sechsten Intereostalraum lateralwärts, schneidet den Knorpel der 7. und das knöcherne Ende der 8. Rippe. Beiderseits geht die Grenze dann über den Knochen der vier folgenden Rippen. Dagegen bleibt die 13. Rippe, wohl wegen ihrer starken Reduktion ganz und gar innerhalb der Pleuragrenzen, welche unterhalb der genannten Rippen entlang links den Knorpel 11° 164 T. Tanja zwischen 13. und 14. thoraco-lumbalen Wirbel, rechts den oberen Rand des 14. thoraco-lumbalen Wirbels erreichen. Die Spitze des Herzens lag ungefähr hinter der Mitte des Knorpels der 6. Rippe; der Sinus subpericardiacus war nicht auffallend tief. 7) Semnopithecus leucoprymnus. Die Fig. 15 giebt nur die seitliche Ansicht der linken Pleura- grenze wieder. Letztere wurde von Herrn Prof. RuGE aufgenommen; aus der Zeichnung entnehmen wir, dass die Reduktion vorn am Thorax weit vorgeschritten ist. Im Ganzen sind 19 thoraco-lumbale Wirbel vorhanden, 12 Rip- pen, von denen nur 6 das Sternum erreichen. Die Pleuragrenze zieht vorn zuerst der 6. Rippe entlang, sodann durch den fünften Intercostalraum, schneidet die 6. und alle übrigen Rippen am Knorpel und endigt an der Grenze des 13. und des 14. thoraco-lumbalen Wirbels. B. Anthropomorphe Affen. Fanden sich bei den niederen Primaten große Verschiedenheiten in deren Pleuragrenzen, so stimmen sie doch alle darin überein, dass sie bedeutend niedriger organisirt sind als der Mensch. Eine Ausnahmestellung hiervon nimmt vielleicht Semnopithecus leuco- prymnus durch das Verhalten des vorderen Abschnittes der unteren Pleuragrenzen ein. Bei den Anthropomorphen begegnen wir Ver- hältnissen, welche zeigen, dass die Umbildung an den Pleuragrenzen derjenigen des Menschen gleichkommt oder sie sogar übertrifft. In den Kreis der Untersuchung wurden gezogen: Orang, Chim- panse und Gorilla. Aus ROsEnBERG’s oben erwähnten Untersuchungen entnehmen wir, dass bei den Anthropoiden 16 thoraco-lumbale Wirbel die Regel bilden. Die menschliche Wirbelsäule mit 17 derartigen Wirbeln hält die Mitte zwischen der Wirbelsäule der Anthropoiden und derjenigen der Hylobatiden, welche 18 thoraco-lumbale Wirbel besitzen. Die Anthropomorphen zeigen nun aber zuweilen auch 17 oder sogar 18 thoraco-lumbale Wirbel. An den für diese Untersuchungen ver- wendeten Exemplaren bestanden beim Gorilla 18, beim Chim- panse 17 und nur beim Orang 16 thoraco-lumbale Wirbel. Bezüglich der Rippenzahl stehen die Hylobatiden mit 13 oder 14 Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 165 am tiefsten, Chimpanse und Gorilla schließen sich mit 13 hieran an, während Orang sich durch den Besitz von 12 Rippen dem menschlichen Zustande nähert. Sehr bedeutend ist bei den untersuchten Anthropomorphen die Verbreiterung des Thorax gestaltet. Ihre Ausbildung stand, so neh- men wir an, unter dem Einflusse der Erwerbung des aufrechten Ganges, andererseits unter demjenigen der Entwicklung einer star- ken Muskulatur der Gliedmaßen. Letzterer Einfluss mag die Ur- sache sein, dass die Breitenentwicklung des Thorax der Anthropoi- den bedeutend stärker hervortritt als beim Menschen. Wir wiesen oben auf mehrere Folgeerscheinungen der Verkürzung und Verbreiterung, welehe von einer Abnahme des Tiefendurchmessers des Thoraxraumes begleitet wird, hin. Wir sahen, dass bei genügen- dem Nachuntenrücken des Herzens das Zwerchfell und Pericard mit einander in Berührung kommen müssen, wodurch der Sinus subperi- eardiacus zu existiren aufhört. Dieser Zustand wird beim Chim- panse, Gorilla und Orang angetroffen; denn Herzbeutel und Diaphragma sind mit einander verwachsen. Bei den Hylobatiden ist dieser Thatbestand nicht vollkommen erreicht; auch hierin be- wahren diese Affen ein primitiveres Verhalten (vgl. RugeE's Aufsatz: Anatomisches über den Rumpf der Hylobaten in WEBER's »Zoolog. Ergebnissen«. Heft 2. 1890). Das Herz der Anthropoiden ist im Einklange mit dem Verhalten Thorax, Diaphragma und Pericard weit nach links hin abge- wichen. Die genaueste Kenntnisnahme der in Abhängigkeit zu allen diesen Erscheinungen befindlichen Pleuragrenzen der anthropomorphen Affen muss von größter Bedeutung erscheinen, da sich hierin ein gut Stück anatomischen Baues der Anthropoiden überhaupt wieder- spiegelt. Dass diese Kenntnis aber auch nutzbringend für unsere Anschauung über die Stellung der Anthropomorphen und des Men- schen zu einander ist, beweisen, wie ich glaube, die folgenden Mit- theilungen. 1) Troglodytes niger (Fig. 16 A und B). Das Exemplar besaß 17 thoraco-lumbale Wirbel und 13 Rippen, von denen 7 das Sternum erreichten. Vorn und seitlich ist der, durch Prof. Ruger aufgenommene Verlauf der Pleuragrenzen am Tho- rax symmetrisch. Am Sternum zieht die Grenze längs der Median- linie, verlässt das Brustbein am unteren Rande der 5. Rippe, folgt 166 T. Tanja dem fünften Intercostalraum bis zum lateralen Ende des Knorpels der 6. Rippe, welche eben so wie die beiden folgenden Rippen dicht am Übergange in den knöchernen Abschnitt geschnitten werden. Letzterer wird an der 9. Rippe erreicht. Weiter nimmt die Grenz- linie ihren Weg über die knöchernen Theile der letzten Rippen bis zur Wirbelsäule, welche links am Ligamentum intervertebrale zwi- schen 14. und 15. thoraco-lumbalen Wirbel, rechts in der Mitte des 15. Wirbels erreicht wird. So finden wir auch hier eine Bestätigung dafür, dass die hinteren Pleuragrenzen bei einem und demselben Individuum auf der einen Seite aufwärts verschoben sein, während sie an der anderen Seite eine primitivere Lage beibehalten können. In gleicher Weise ist beim Chimpanse ein solcher Gegensatz an der ganzen vorderen Brustwand gegenüber der hinteren Wand des Thorax zum Ausdrucke gelangt; denn hinten besteht ein sehr in- differenter Zustand fort, während die vordere Grenze beiderseits durch sekundäre Verschiebung nach oben einen viel höheren Stand als wie wir ihn beim Menschen antreffen, sich erwarb. In einem noch höheren Grade trifft dies bei der folgenden Form zu. 2) Troglodytes Gorilla (Fig. 17 A und 2). Das durch Prof. Ruse in Heidelberg untersuchte Exemplar be- saß 18 thoraco-lumbale Wirbel (also 2 Wirbel mehr, als sie RosEx- BERG als Mittelzahl angiebt), 14 Rippen, von denen 7 sternaler Natur waren. Wir treffen hier einen sehr eigenthümlichen Verlauf der vorderen Pleuragrenze an. Bereits am unteren Rande der linken 2. Rippe verlässt letztere das Sternum, um sofort beträchtlich lateral- wärts auszubiegen, so dass vom knorpeligen Theile der 3. Rippe 4/4, von dem der 4. Rippe !/,, von dem Knorpel der 5. Rippe beinahe die Hälfte vom Brustfell unbedeckt bleibt. Am unteren Rande der 5. Rippe biegt die Grenze stark nach außen um, schneidet die 6. Rippe noch am Knorpel, die übrigen Rippen aber nach unten hin, immer weiter vom Knorpel entfernt, am knöchernen Theile. Die letzte linksseitige Rippe erreicht die Pleuragrenze am Capitulum; sie trifft die Wirbelsäule am Ligamentum intervertebrale zwischen 14. und 15. thoraco-lumbalen Wirbel. In der Fig. 17 B ist die Ecke zwi- schen der Wirbelsäule und der hinteren Rippenwand nicht aufge- nommen, und die tiefste Stelle der Pleurahöhle in der Nähe der Wirbelsäule ist also nicht zu sehen. Aus der Figur könnte man irrthümlicherweise eine etwas weniger tiefe Lage entnehmen. To 7. + Uber die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 167 In Betreff der Lage der hinteren Pleuragrenze finden wir voll- kommene Ubereinstimmung mit dem beim Chimpanse gefundenen Verhalten. An der vorderen Thoraxwand hingegen ist die ganze untere Grenze auf der linken Körperhälfte noch um ein bedeutendes Stück nach oben gerückt. Hierin drückt sich ohne Frage etwas für Gorilla sehr Charakteristisches aus, in so fern ein großer Theil des medianen Abschnittes der Thoraxhöhle von der Lunge nicht eingenommen wird. Zur Vergrößerung dieses Raumabschnittes trägt auch der seitliche untere Abschnitt des Thorax bei, wie die früh- zeitige Ausweichung der vorderen Pleuragrenze zur Seite hin es lehrt. Beim Gorilla hat sich also die vordere Pleuragrenze der lin- ken Seite nicht allein in der Gegend des Sternum in erheblicher Weise von unten nach oben zurückgezogen, sondern sie setzte diesen Retraktionsprocess auch auf die seitliche Thoraxwand fort. Gorilla ist in dieser Beziehung weiter vorgeschritten als Chimpanse. Die ganze Erscheinung wird man auch hier mit der gewaltigen Ausdeh- nung des Thorax in die Quere in Beziehung zu bringen haben. Die Pleuragrenzen der rechten Körperhälfte wurden leider nicht aufgenommen, so dass sich über die eventuelle Symmetrie des Ver- haltens und über die mögliche Einwirkung des Herzens auf die Pleuragrenzen der linken Seite nichts aussagen lässt. 3) Orang utang Fig. 18 A und D). Orang steht in Betreff der Pleuragrenzen höher als alle vorge- führten Formen. Es fanden sich 16 thoraco-lumbale Wirbel vor, 12 Rippen, von denen 7 am Brustbein befestigt waren. Die auffallende Verbreiterung und Verkürzung des Thorax, welche auch am Sternum sich deutlich aussprechen, mögen durch einige Zahlen ihren Ausdruck finden: Länge des ganzen Sternum (inkl. des Proc. ensiformis, 8,3 em; Länge des Sternum bis zum Proc. ensiformis 5.7 em; sagittaler Durch- messer des Thorax in der Höhe der Sternalinsertion der 1. Rippe 6 em; transversaler Durchmesser in gleicher Höhe 7,6 em; sagittaler Durchmesser in der Höhe der Sternalinsertion der 7. Rippe 12 em; transversaler Durchmesser in gleicher Höhe 15 em. Die Pleuragrenzen sind vollkommen symmetrisch. Die Pleurahöhle ragt 1 cm über die 1. Rippe empor. Die obere Grenze geht jederseits hinter dem unteren Abschnitte der Clavicular- insertion in die vordere Grenze über, welche dem Rande des Ster- 168 T. Tanja num bis zur 5. Rippe folgt, um dort seitlich abzuweichen. Die vordere untere Grenze folgt dem größten Theile der genannten Rippe, erreicht schon an der 6. Rippe den knöchernen Theil. An den fol- genden Rippen bleibt die Pleuragrenze immer mehr vom Knorpel entfernt. Von der 10. Rippe an eilt die Grenzlinie der Wirbelsäule zu, indem sie ihren schrägen Verlauf mit einem mehr queren ein- tauscht. Die 11. Rippe wird an der Mitte des Knochens, die 12. nahe an ihrem hinteren Ende, die Wirbelsäule in der Mitte des 12. tho- rakalen Wirbels erreicht. Wenn schon die Pleuragrenze beim Gorilla das Sternum viel höher als beim Orang verlässt, so erscheint doch durch den Ver- lauf der unteren Grenzverhältnisse dem Orang eine höhere Stellung als jenem zugetheilt. Oben wurde darauf hingewiesen, dass beim Orang keine Herzabweichung der Pleuragrenzen besteht. Der star- ken seitlichen Ausdehnung des Thorax zufolge sind die vorderen Umschlagstellen aus einander gerückt, so dass von einem Mesocar- dium, wie die niederen Affen es zeigen, nicht mehr die Rede sein kann, indem sowohl unter dem Herzen als auch vor demselben die beiderseitigen Pleurablätter einander nicht mehr berühren. Die dies- bezüglichen genaueren Verhältnisse konnten für den Gorilla nicht aufgenommen werden, da das in Heidelberg befindliche Exemplar zuvor noch anderen Untersuchungen dienen sollte. I. Die Pleuragrenzen beim Menschen. Wir betreten hier ein Gebiet, auf welchem bereits viel geleistet worden ist. Es liegen über die Pleuragrenzen des Menschen Unter- suchungen vor, welche vor Allem in Hinsicht auf das praktische medi- cinische Interesse in Angriff genommen wurden. Einem eingehenden Studium verdanken wir daher mannigfache und wichtige Angaben, welchen wir neue hinzufügen. Alle aber reihen wir ein in den Kreis wissenschaftlicher Vergleichung, indem wir das natürliche Band der Erscheinungen zu suchen bestrebt sind. Auffallend muss die geringe Übereinstimmung erscheinen, welcher wir in den in der Litteratur vorliegenden Beschreibungen und Ab- bildungen der Pleuragrenzen des Menschen begegnen. Deu Ab- weichungen begegnen wir da, wo die Autoren ihre Angaben nicht von einander übernahmen, sondern sich auf eigene Untersuchungen stützen. Die Ursache dieser Differenzen besteht voraussichtlicher- Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 169 weise nicht in falscher Beobachtung, sondern die Differenz wird aus der starken Variabilität der Pleuragrenzen beim Menschen herzu- leiten sein. Die Bekanntschaft mit der Thatsache, dass bei den Affen in dem Verhalten der Pleuragrenzen primitive, aber auch sehr differente Zustände obwalten, giebt der Vermuthung Raum, dass in den Pleura- grenzen des Menschen sich Mancherlei wird wiederspiegeln müssen, was niederen Organismen zu eigen ist. Die gewonnene, vergleichend- anatomische Grundlage aber giebt uns bei der Beurtheilung abnormer Verhältnisse der menschlichen Pleuragrenzen die Handhabe, zu be- stimmen, was auf Vorgeschichtliches zurückgeführt werden muss und was andererseits dem Menschen ureigen ist. Ein Fehlen größerer Schwankungen in dem Verlaufe der Pleuragrenzen beim Menschen müsste im Übrigen befremden, da die Grenzen bei allen untersuchten Formen in deutlichster Weise unter dem Abhängigkeitsverhältnisse des Rumpfskelettes sich befinden, und da in gleicher Weise beim Menschen sehr charakteristische Kennzeichen der Reduktion der Wirbelsäule und der vorderen Thoraxwand, sowie einer gewaltigen Umbildung des ganzen Thorax zu erkennen sind. Nicht an allen Stellen sind die Variationen der Pleuragrenzen beim Menschen gleich stark und gleich mannigfaltig, sondern sie be- ziehen sich vor Allem auf die vorderen und unteren Grenzen. Mit diesen wollen wir uns daher im Folgenden specieller beschäftigen. Die Möglichkeit, dass auch in den hinteren, längs der Brustwirbel- säule liegenden Grenzen der Pleurablätter Variationen auftreten, lässt sich nicht abstreiten; denn es ist denkbar, dass die Umschlag- stellen der Pleurae mediastinales in die Pleurae vertebrales nach beiden Seiten bald mehr bald weniger weit aus einander rücken. Bei der erheblichen Verkürzung des dorso-ventralen Durchmessers des Thorax, welcher im Vergleiche mit niederen Säugethieren beim Menschen sich darthut, müssen natürlich die Mittelfelle sich von ein- ander entfernen, damit die im Mediastinum gelegenen Organe Platz finden. So erklärt es sich wohl auch, dass die Brustfelle am hin- teren Mediastinum des Menschen sich nirgendwo mehr berühren, wie die horizontalen Durchschnittsbilder in Braunn’s! Atlas dies sehr schön zeigen. Es bleibt ein Theil der Vorderfläche der Wirbelsäule von der Pleura unbedeckt, und gerade in der Größe dieser Fläche ı W. BRAUNE, Topogr.-anat. Atlas nach Durchschnitten an gefrornen Ka- davern. Leipzig 1887. 170 T. Tanja treten vielleicht Schwankungen auf, welche jedoch nach meinen Er- fahrungen niemals sehr beträchtlich sich gestalten und mir in rein anatomischem Sinne sowie in Hinsicht auf die praktische Bedeutung unwichtig erscheinen. Auch in dem Verhalten der oberen, zwischen den Mm. scaleni befindlichen Pleuragrenzen scheint eine größere Stabilität zu herrschen, der zufolge unter den Anatomen auch viel mehr Einigkeit herrscht. Die Kuppe der Pleurahöhlen fällt mit der Spitze der Lungen zusammen, indem beide einander berühren. Ich begnüge mich, betreffs der oberen Pleuragrenzen die Resultate der Untersuchung von PanscH! anzugeben, der sich auf ein ausgedehntes Material stützt. Er fand hinten die höchste Stelle vor der Mitte des Halses der 1. Rippe, so dass die Pleura hier den Thorax nicht über- ragt. Vorn jedoch ist dies der Fall, indem die Ebene des 1. Rippen- paares nach vorn und abwärts neigt, wodurch die Pleura im Mittel, 3,5 em (2,5—5,5) oberhalb der Apertura superior thoracis, zu liegen kommt. Ist dies das gewöhnliche Verhalten, so kommen dennoch Variationen innerhalb enger Grenzen vor, indem zuweilen die Mitte des 1. Rippenhalses nicht erreicht oder umgekehrt etwas überragt wird. Hier also, wo man einen feststehenden anatomischen Anhalts- punkt zur Vergleichung besitzt, sind die Variationen entschieden gering. Bezüglich der vorderen oberen Grenze ist aus den Litte- raturangaben, besonders wenn man auch die Resultate klinischer Feststellungen berücksichtigt, eine größere Variabilität zu entnehmen, welche, wie PanscH bemerkt, davon abhängig sein muss, dass die Ebene des 1. Rippenpaares nicht immer gleich stark nach vorn neigt, während die Clavicula als fester Ausgangspunkt für die Kliniker in Krümmung und Verlauf bedeutenderen Schwankungen unterliegt. Nach Panscu ist links wie rechts das Verhalten der oberen Ausdehnung der Pleura gleich, eben so nach Henke? Nach Rü- DINGER® dehnt sich jedoch die linke Pleurahöhle etwas höher aus als die rechte, während Wort und Bild bei Braune (l. ce.) gerade das Umgekehrte lehren. Die vorderen Grenzen der Pleura unterliegen viel bedeutenderen Schwankungen als die oberen. Es bestehen sehr verschiedene An- gaben in Bezug auf die vorderen Umschlagstellen der Pleurae co- stales in die Pleurae mediastinales. Ohne alle Angaben hierüber 1 PAnSCH, Uber die unteren und oberen Pleuragrenzen. Archiv für Anat. und Phys. Anat. Abtheilung. 1881. pag. 111 ff. — Anat. Vorlesungen. 1584, 2 Henke, Atlas der topographischen Anatomie des Menschen. 3 Rüpınger, Topographisch-chirurgische Anatomie des Menschen. Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten etca 171 eingehend aufführen zu wollen, knüpfen wir an LuscuKa’s! hervor- ragende Arbeit: »Die Brustorgane des Menschen in ihrer Lage« an. Die in diesem Werke niedergelegten Beobachtungen dienten sehr vielen Autoren als maßgebend; auf sie pflegt man sich zu beziehen. Der besseren Verständlichkeit wegen gebe ich in Kurzem LuscuKa’s Beschreibung an. Sie ist im Texte seines Atlas (pag. 5—S) zu finden und steht vollkommen mit der Zeichnung auf Taf. I im Einklang. Die Figur gebe ich im Schema d auf '/, verkleinert wieder. LuscHkaA sagt in der Einleitung, dass er immer »den konkreten Fall« abgebildet habe, wie er sich an einem schönen Kadaver zeigte, und dass seine Figuren sich nicht auf ein mittleres Verhalten be- ziehen. Auf pag. 6 wird jedoch die Beschreibung als Regel be- zeichnet, so dass der betreffende Fall eine höhere Bedeutung bean- sprucht. Die vorderen Pleuragrenzen konvergiren nach LuscHhkA von den Ineisurae elavieulares sterni an nach unten, erreichen einander in der Höhe der Anheftung der 2. Rippe am Brustbeine; sie verlaufen links von der Medianlinie vereinigt bis zur Höhe der Anheftung der 4. Rippe an das Sternum, um von dort an zu divergiren, indem sie »in diesem weiteren Verlaufe durch den rechten und linken Umfang des Herzens bestimmt sind.« Die rechte vordere Pleuragrenze bleibt bis zur 6. Rippe hinter dem Sternum, um sodann dieser zu folgen und die 7. Rippe an derselben Stelle zu schneiden wie links. An der linken Seite schneidet die Pleuragrenze mit einem nach außen konvexen Bogen das zweite Drittel des Knorpels der 5. Rippe, schneidet das äußere Drittel des Knorpels der 6. und eben so der 7. Rippe, um sodaun auf den Knochen der folgenden Rippen überzugreifen, derart, dass die 8. Rippe S mm, die 9. Rippe 2 em, die 10. Rippe 21/, em, die 11. Rippe 4'/; em, die 12. Rippe 4 cm vom Knorpel getroffen werden. Die Stelle, an welcher die Wirbelsäule erreicht wird, giebt LuscHkA nicht an. So ist nach diesem Autor der Zustand beim Erwachsenen. Beim Kinde besteht, »so lange die Thymus entwickelt ist«, der Unter- schied, dass die beiden Pleurablätter hinter dem Sternum einander überhaupt nicht erreichen, »indem dieses Organ (die Thymus) so weit herabzieht, dass es an keiner Stelle zur Verklebung der ein- ander zugekehrten Flächen der Mittelfelle kommen kann«. Hierzu 1 LuscHKA, Die Brustorgane des Menschen in ihrer Lage. Tübingen 1857. 172 T. Tanja sei noch bemerkt, dass LuscHkA in Fig. 1 (Taf. VI) die Abweichung der linken Pleuragrenze beim Herzen viel geringer zeichnete als er sie anderen Ortes beschrieb. Dies finde ich im Texte jedoch nicht erwähnt. LuscHka’s Angaben blieben nicht lange ohne Einsprache; denn bereits im Jahre 1858 stellte Hamernik! eine andere Anschauung derjenigen LuscHkA’s gegenüber. Nach ihm wird beinahe das ganze Sternum bis zum Processus ensiformis von den Pleurablättern be- deckt, indem die beiderseitigen Blätter bis zum 6. Rippenknorpel am linken Sternalrande einander berühren und erst von hier an aus einander weichen, so dass nur ganz oben und unten am Brustbeine eine kleine Stelle frei bleibt. Das Verhalten der vorderen Pleura- grenzen gestaltet sich nach HAMERNIK demgemäß etwa so, wie wir es auf der schematischen Fig. e angaben. Diesem Zustande der Pleuragrenzen entsprechend bleibt nach HAMERNIK nicht nur die seitliche, sondern auch die ganze vordere Fläche des Pericardium von der Pleura bekleidet. HAMERNIK unterscheidet zwei, unter nor- malen Verhältnissen vorkommende und verschiedene Lagen des Her- zens: erstens eine oberflächliche Lage, in der das Herz der vorderen Brustwand angelagert ist, und dem zufolge Pleura pericardiaca und Pleura costalis einander unmittelbar berühren; zweitens eine tiefe Herzlage, in der das Organ sich von der Brustwand entfernte. Ist die letztere Lage ausgebildet, so schiebt die linke Lunge ihren vor- deren Rand in den Raum zwischen Thoraxwand und Perieard, und dann sind Ineisura cardiaca und Processus linguiformis der linken Lunge theilweise oder ganz verschwunden. Betrachten wir das Zurückziehen der vorderen Pleuragrenzen, welches nach Luscuxa durch Herz und Thymus bedingt ist, etwas genauer. Die vornehmste Ursache für die stattfindende Veränderung erblicken wir in der Verbreiterung und in der relativen Abnahme des sagittalen Durchmessers des Thorax. Wir wiesen oben nach, dass durch diese Ursache das Herz seine Lage ändern musste, in- dem es nach links abzuweichen gezwungen war und dadurch eine mehr quere Lage einnahm, welche beim Menschen die Regel ist. Bei der eintretenden Verringerung des Raumes zwischen Herz und Brustwand muss der vordere linke Lungenrand sich aus jenem Raume allmählich zurückziehen, dem zufolge eine Ineisura cardiaca am vor- deren Lungenrande entsteht. Wo die Lunge ihren Rückzug antrat, ' HAMERNIK, Das Herz und seine Bewegung. Prag 1858. Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 173 müssen Pleura costalis und Pleura pericardiaca einander unmittelbar berühren. Aus einer primären Lage des Herzens, einem Situs pro- fundus HAMERNTIK’s, entwickelt sich ein Situs superficialis cordis, welcher Befund also als ein sekundär entstandener nach unserer An- sicht betrachtet werden muss. Dass die erworbene Lage des Her- zens unter pathologischen Verhältnissen beim Altersemphysem ete. wieder in die tiefe Lage überzugehen vermag, ist wohl von Bedeu- tung, interessirt uns aber hier nicht. Von großer Tragweite jedoch ist HAmErnıK’s Angabe, dass die oberflächliche Herzlage auch unter normalem Verhalten schon in jüngerem Alter angetroffen werden kann. Weiterhin fragt es sich, ob Hamernix’s Behauptung zu Recht besteht, dass die vorderen Pleuragrenzen immer das primitive Ver- halten bewahren. Auch nach meinen eigenen Erfahrungen ist das Vorkommen einer Herzabweichung der vorderen Pleuragrenzen eine Thatsache, an welcher sich nicht rütteln lässt. Sie spricht gegen HAMERNIK und macht ihm den Vorwurf, zu exklusiv gewesen zu sein. Darin jedoch würde ich HAmErnik beipflichten können, wenn sein Ausspruch lautete, dass diese Abweichung durchaus nicht als Regel aufgefasst werden darf; denn wie wir unten sehen werden, fehlt sie recht häufig. LuschkA'! vertritt in einer Entgegnung an HAMERNIK die Meinung, welcher andere Autoren, z. B. Hyrru? bei- pflichten, dass jene Herzabweichung der Pleurablätter die Regel ist, wenn schon andere Zustände vorkommen. LuscHKA giebt an, dass das von ihm im Atlas dargestellte, von uns auf der Fig. d wieder- gegebene Verhalten der Herzabweichung das Maximum einer solchen darstelle, wie sie von ihm überhaupt beobachtet wurde. Wir hoben jedoch schon oben hervor, dass LuschkA im Texte zu seinem Atlas nicht von einer Abnormalität redete, sondern den Fall als Regel be- zeichnete. Wurde dort die Abweichung der Pleura vom linken Sternalrande in der Höhe der 6. Rippe auf 4 cm angegeben, so giebt LuscuKa sie später auf 2em an. In gleicher Weise wechseln LuscHhka’s neuere Angaben gegen die früheren auch in der Größe der Pleuraabweichung in der Höhe der 5. und 7. Rippe. Spätere Autoren differiren in ihren Angaben über die Pleura- grenzen. In Bezug auf die Herzabweichung letzterer findet man stets Verschiedenheiten. Die Angaben von Wein? suchte ich dureh 1 LUSCHKA, Über das Lagerungsverhältnis der vorderen Mittelfelle. Vır- CHOW's Archiv. 1858. Bd. XV. pag. 364. 2 Hyrrr, Topographische Anatomie. I. Theil. 3 Wei, Handbuch und Atlas der topographischen Perkussion. 1877. Taf. I. 174 T. Tanja die Fig. f, diejenigen von AegyY! durch die Fig. g vorzuführen. Aus beiden Figuren ersieht man zur Genüge, wie sehr die Meinungen der genannten Forscher aus einander gehen und wie sehr sie an- dererseits von LuscuKa’s Angaben abweichen, der dennoch auch späterhin stets als Gewährsmann aufgeführt wird. Die von HAMERNIK vertretene Ansicht über die vorderen Pleura- grenzen finden wir in einer späteren Schrift? desselben Autors von Neuem zur Geltung kommen. Sie fand auch von anderer Seite Unter- stützung®. Gegenüber den Angaben LuscHhka’s betreffs der kindlichen vor- deren Pleuragrenzen muss hervorgehoben werden, dass selbst bei sehr jungen Kindern mit gut entwickelter Thymus die beiderseitigen Mittelfelle hinter der ganzen Länge des Corpus sterni und vor dem Perikard mit einander in Berührung zu treten vermögen. Auch die- sen Befund muss ich, eben so wie das Fehlen einer Herzabweichung der Pleura, als das Bestehenbleiben eines primitiven Zustandes be- trachten. Bei den niedrigen Säugethieren konnte ich ein Auseinander- weichen der vorderen Pleuragrenzen nirgends erkennen, indem das Herz stets seine primitive Lage beibehalten und keine Verschiebung der Pleuragrenzen nach sich gezogen hatte. Bei den niederen Affen war das Nämliche der Fall; nur einige Formen (Fig. 9, 10, 14) zeigen die vorderen Pleuragrenzen etwas aus einander gerückt, was jedoch nur bei Ateles paniscus (Fig. 6) in der Gegend des Her- zens in stärkerem Maße sich darthut. Es wird zu entscheiden sein, ob hier nicht besondere Ursachen eingewirkt haben. Bei anderen niederen Affen (Fig. 7, 8 Taf. IX; Fig. 12, 13 Taf. X) findet sich nichts Derartiges, obschon bei dem einen Exemplar von Cerco- pithecus eynomolgus (Fig. 12) die Thymus sehr mächtig ent- wickelt war. Bedeutsam ist das bei den anthropoiden Affen gefundene Ver- halten. Bei ihnen besteht eine dem menschlichen Zustande analoge Bildung, welche durch die Thoraxform beherrscht wird. Auch bei den Anthropoiden kann die Asymmetrie der vorderen Pleura- grenzen fehlen. Fehlt die anderswo durch Herz oder Thymus bedingte Abweichung der Pleuragrenzen, so finden sich primitive ' Arsy, Der Bau des menschlichen Körpers. 1871. ? J. HAMERNIK, Die Grundzüge der Physiologie und Pathologie des Herz- beutels, als Anhang zum Werke: Das Herz und seine Bewegung. Prag 1864. 3 NuHn, Heidelberger Jahrbücher. 1860. pag. 178. or Uber die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete, 17 Zustände erhalten, indem vor dem Herzen die von LuscuKa als Mesocardium bezeichnete Duplikatur, vor der Thymus aber eine als Mesothymicum zu benennende Pleuraduplikatur sich findet. LuscuKa bezeichnete jenes indifferente Verhalten Hamernik gegenüber als ein seltenes Vorkommnis. Ersterer führte (l. e. II) hierfür auch eine ganze Reihe von Variationen der vorderen Pleuragrenzen an. In überzeugender Weise jedoch hat LuscHkA nicht darüber entschieden, was als normaler mittlerer Zustand, was andererseits als Abwei- chungen zu betrachten sei. Hierfür hätte Luscuka auf eine größere Summe von Thatsachen sich berufen müssen, die er indessen keines- wegs vorlegt. Wohl sagt LuscHhKA, dass er sich auf die Unter- suchung eines großen Materials stütze; es fehlt aber die Angabe der Zahlen, welche uns überzeugen sollen. Später ist der Anfang mit der Aufstellung einer solchen Statistik gemacht worden. C. Sick ! unter- nahm diese dankenswerthe Arbeit, zu der er durch die Beobachtung angeregt wurde, dass die Luscuka’schen Angaben nicht immer zu- treffen. Die wesentlichsten Resultate der Arbeit mligen hier in Kürze Erwähnung finden. Verhalten der linken vorderen Pleuragrenze: 1) Bei Erwachsenen wurde die Grenze unter 23 Fällen hinter dem Sternum gefunden: a. bis zur Höhe der Sternalinsertion der 5. Rippe 17mal, BAS Setar ebb |i ye 3 i chy ase TEE BSR nern ’ eS ee Ic (2mal weniger als 1 em davon entfernt). 2) Bei Kindern wurde die Grenze unter 12 Fällen hinter dem Sternum gefunden: a) bis zur Höhe der Sternalinsertion der 5. Rippe 11 mal, bau-ny - - - mig - 8 .- (3mal 0,3 cm oder weniger davon entfernt), ec. bis zur Höhe der Sternalinsertion der 7. Rippe Smal. Die größte Entfernung vom Sternum betrug bei Erwachsenen: a. in der Höhe der Sternalinsertion der 5. Rippe 3 cm, Dani ee er a ee A tn - - - BEN hr Inn In 8 Fällen blieben die beiderseitigen Pleurablätter von der 1 C. Sick, Einige Untersuchungen über den Verlauf der Pleurablätter am Sternum ete. Archiv für Anatomie und Physiologie. Anatomische Abtheilung. 1885. pag. 324—343. 176 3 T. Tanja 2. Rippe an bis zur Basis des Processus ensiformis vereinigt; sie bildeten also ein Mesocardium. In 4 Fällen war auch vor der Thy- mus eine ähnliche Duplikatur vorhanden. In 4 Fällen (1mal beim Kind, 3mal beim Erwachsenen) be- rührten die beiderseitigen Pleurablätter einander gar nicht hinter der vorderen Thoraxwand. Man erkennt sofort, wie diese kleine Statistik bereits LuscHKa’s Angaben nicht unterstiizt. Wir kommen nach der Vorführung un- serer Befunde hierauf zurück. Dann werden wir im Stande sein, über ein noch größeres Material verfügend, zu einem befriedigen- deren Resultate zu gelangen, wiewohl ein endgültiges Urtheil erst nach der Kenntnisnahme von einem noch größeren Materiale aus allen Lebensaltern wird abgegeben werden können. Um aus den in der Litteratur! sonst noch auftauchenden An- gaben sich ein Bild von den Schwankungen über die vorderen Pleura- grenzen zu verschaffen, ist das Maximum aller Abweichungen zu nennen, da zwischen ihm und der primitiven Berührung der Pleura- blätter hinter dem Sternum alle beobachteten Variationen liegen müssen. Die Kenntnis aber der Grenzen allen Wechsels ist ohne Frage für den praktischen Arzt von größter Wichtigkeit. Als Maxi- mum der Abweichung der vorderen Pleuragrenzen sind vier verschie- dene Formen zu unterscheiden : 1) Die rechte Pleura reicht möglichst wenig nach links. Die Grenze zieht hinter dem Knorpel der 1. rechten Rippe und bleibt nach unten hin überall rechts vom Sternum (vgl. Schema % Taf. XI). 2) Die rechte Pleurahöhle dehnt sich möglichst weit nach links hin aus. Die Grenze schneidet sehr hoch oben das Manubrium sterni in querer Richtung und zieht dann links am Sternalrande entlang bis zur Basis des Processus ensiformis (vgl. Schema 2). 3) Die linke Pleurahöhle dehnt sich möglichst wenig nach rechts aus. Die Grenze erreicht das Sternum nicht und bildet beim Her- zen eine große Abweichung (vgl. Schema 7 Taf. XII). 4) Die linke Pleurahöhle dehnt sich möglichst weit nach rechts aus. Die Grenze schneidet das Manubrium sterni hoch oben in querer Richtung und zieht dann rechts am Sternalrande entlang bis zur Basis des Processus ensiformis (vgl. Schema © Taf. XI). 1 LUSCHKA, VırcHow’s Archiv. Bd. XV. 1858. — BocHDALEK, Über das Verhalten des Mediastinum. Prager Vierteljahrsschrift. Bd. IV. — Hykrr, Hand- buch der topograph. Anatomie. — W. KRAUSE, Menschliche Varietäten. — PANSCH, Anatomische Vorlesungen. Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 177 In Zukunft wird es die Aufgabe sein müssen, um über eine größere, auch für praktische Zwecke werthvolle Statistik verfügen zu können, alle beobachteten Varietäten genau zu ordnen und so die Häufigkeit der vier Arten größter Abweichung und auch das mittlere Verhalten der Pleuragrenzen zu bestimmen. Nach Luscuka’s Angaben kreuzen die unteren Pleuragrenzen von der 8. Rippe an den Knochentheil der folgenden Rippen, und zwar nach unten hin stets in größerer Distanz vom Knorpeltheile. LuscHkA giebt hierfür Maße an, welchen jedoch, wie ich glaube, größerer Werth abgeht, weil sie nur auf einen speciellen Fall sich beziehen und nicht nur mit dem Alter, sondern auch bei verschiedenen Indi- viduen gleichen Alters wegen der stark variirenden Länge der Rippen- theile sich ändern mögen. Dasselbe gilt auch für die Vordergrenzen der Pleura. Den Bestimmungen der Pleuragrenzen durch Zahlen- angaben wäre ein geringerer Werth beizumessen; ich zog es daher vor, die jeweiligen Befunde durch Zeichnungen deutlich zu machen, aus welchen die Lagerungsverhältnisse leicht abzulesen sind. Auf der Taf. II im Atlas hat LuscuKa ein Verhalten dargestellt, in welchem die untere Pleuragrenze von der 9. Rippe ab fast hori- zontal nach der Wirbelsäule verläuft. Nach HenKE (pag. 109 der topographischen Anatomie) erreicht die Umschlagfalte der Pleura von der Brustwand her zur oberen Fläche des Zwerchfells ihren tiefsten Stand an der 10. Rippe. Von dieser an nimmt sie einen etwa horizontalen Verlauf zur Wirbel- säule, welche an der Verbindung mit der letzten Rippe erreicht wird. Ein Gleiches giebt auch PANscH in seinen anatomischen Vorlesun- gen an. Die Angaben verschiedener Autoren über die Stelle, an welcher die untere Grenze vorn am Thorax zu finden ist, differiren in hohem Grade. Für die rechte Seite findet man die betreffende Grenzstelle entweder längs der 6. Rippe angegeben oder durch den sechsten Intereostalraum oder auch längs der 7. Rippe gezogen. Für die linke Seite werden ähnliche Verschiedenheiten gemeldet, welche zum Theile durch die Form der Ineisura cardiaca bedingt sein mögen. Nach dem Einen wird der Knochen der 7. Rippe, nach dem An- deren derjenige der 8. Rippe erreicht. Oftmals findet man die An- gabe, dass die linke Pleurahöhle weiter nach unten reiche als die rechte. PanscH sagt z. B.: »Eben so wie Lunge und Zwerchfell reicht links auch die Pleura weiter hinab als rechts. An der 7. Rippe beträgt dieser Unterschied fast eine kleine Fingerbreite (nichtsdesto- Morpholog. Jahrbuch. 17. 12 178 T. Tanja weniger hat PanscH das beiderseitige Verhalten symmetrisch abge- bildet), neben der Wirbelsäule dagegen ist er kaum vorhanden.« Gray! drückt sich in der folgenden Weise aus: »The right pleural sac is shorter wider and reaches higher in the neck than the left.« In letzterem Punkte differirt Gray also mit Panscu. Die Ergeb- nisse der vielfachen, von PanscH? herrübrenden Untersuchungen über den Wechsel der unteren Pleuragrenzen lassen sich dahin zusammen- fassen, dass die unteren Grenzen in ihren mittleren Theilen wenig, höchstens um eine Fingerbreite, mehr dagegen an der Wirbelsäule variiren, an welcher aufwärts selten der obere Rand des 12. Brust- wirbels überschritten wird, dass die Variationen abwärts jedoch um so bedeutender zu sein pflegen, in so fern selbst der untere Rand des 1. Lendenwirbels erreicht werden kann. Nach diesen historischen Angaben führen wir die eigenen Unter- suchungen in der Weise vor, dass wir die Objekte hinter einander nach deren Alter behandeln und dabei typische Formen bildlich wiedergeben. 1) Fötus von 12,5 em Körperlänge. In den Fig. 19 A und B findet man die vordere und seitliche Ansicht des Thorax abgebildet. Die beiderseitigen vorderen Pleuragrenzen gehen vereinigt dem linken Rande des Sternum entlang, so dass oben und unten nur ein kleiner Theil des Sternum unbedeckt bleibt. Die Grenzen gehen in der Höhe der 2. Rippe aus einander und ziehen zur Hinterwand der Articulatio sterno-clavicularis; unten folgen sie beiderseits der 7. Rippe. Die übrigen Rippen werden nahe ihrem Ende gekreuzt; die Wirbelsäule wird am Knorpel zwischen 12. und 13. thoraco- lumbalen Wirbel erreicht. 2) Fötus von 20 em Körperlänge. Die auf Fig. 20 wiedergegebenen Verhältnisse zeigen in den vorderen Pleuragrenzen einen großen Unterschied zu den vorher aufgeführten. Die rechte Pleura folgt dem rechten Rande des Brustbeines von der 1. bis zur 7. Rippe; die linke Pleura schlägt sich vom Sternum entfernt zur Brust- wand um. Es bleibt demgemäß ein 6 mm breiter Streifen an der vorderen Thoraxwand von der Pleura unbedeckt. Die untere vordere Pleuragrenze nimmt rechts und links denselben Verlauf, und zwar derartig, dass wie im ! Henry Gray, Anatomy descriptive and surgical. 5. Edit. 1869. 2 PanscH, Anatomische Vorlesungen. Uber die unteren und oberen Pleura- grenzen. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1881. — Über die Lage der Nieren etc. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1876. — vr Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 179 vorigen Falle die Rippen nahe den Endabschnitten getroffen werden und dass unterhalb des 12. Rippenpaares der untere Rand des 12. Brustwirbels erreicht wird. Die gleichen Verhältnisse zeigt noch schärfer ausgeprägt ein anderer menschlicher 3) Fötus gleichen Alters. Die vordere Pleuragrenze verlief rechts längs des rechten Sternalrandes, die linke blieb 6 mm vom Brustbeine entfernt, so dass ein 1 cm breiter Strei- fen der vorderen Thoraxwand von der Pleura unberührt blieb. Die Grenze bog beiderseits bereits an der 6. Rippe lateralwärts ab. Die letzten 4 Rippen wur- den nahe an ihren Enden geschnitten; das Achsenskelet wurde links in der Höhe der Mitte des 12. Brustwirbels, rechts etwas tiefer, und zwar am nächst- folgenden Zwischenknorpel erreicht. Es muss auffallen, dass die beiderseitigen Pleurablätter in den Fällen 2 und 3 vorn weit von einander entfernt bleiben. Die Thymus war in beiden Fällen nicht überaus stark entwickelt. Im Falle 1 war dieses Pleuraverhalten nicht anzutreffen; schwach entwickelt findet es sich im folgenden Falle, wo hinwiederum die Thymus mächtig entwickelt ist. 4) Fötus aus dem 9. Monat. Den Verlauf der hier gefundenen Pleuragrenzen habe ich in das Schema eines kindlichen Brustkorbes eingetragen (Fig. 21 A und D). Man wird erkennen, dass die vordere linke Grenze längs des linken Ster- nalrandes bis zum sechsten Intercostalraume, die vordere rechte links von der Medianlinie hinter dem Sternum bis zum Proc. ensiformis sich erstreckt. Seit- lich wie vorn steht die untere Grenze sehr tief. Der Verlauf der seitlichen Grenzen ist aus Fig. 21 B ersichtlich; auffallend ist deren Tiefstand, wie wir ihm noch öfters begegnen. Alle Rippen werden am Knorpel geschnitten. Hinten reicht die Pleura abwärts zum oberen Rande des 1. Lendenwirbels. Bei jüngeren wie bei älteren Individuen werden wir Zustände antreffen, in denen die Pleurablätter vorn einander nicht erreichen; während dies an anderen Objekten beim gleichzeitigen Vorhanden- sein gut entwickelter Thymusdrüsen wohl der Fall ist. Dasselbe fand, wie erwähnt, Sıck, so dass die Meinung, die bedingenden Momente für die Berührung oder Niehtberührung der sternalen Pleura- grenzen nicht zu allererst in der Größe der Thymus zu suchen, an Bedeutung gewinnt. Man wird eben an andere ursächliche Momente, wie z. B. an die Höhe, Tiefe und Breite des Thoraxraumes denken müssen. Der folgende Fall lehrt, dass auch bei einer ungefähr aus- getragenen Frucht die vorderen beiderseitigen Pleurablätter beinahe hinter dem ganzen Sternum sich berühren können. 180 T. Tanja 5) Neugeborner Knabe. Die Abbildung von den vorderen Pleurablättern auf Fig. 22 lehrt, dass, was nirgends in der Litteratur erwähnt ist, die Pleura des Menschen in primitivster Weise bis auf den Processus ensiformis übergreifen kann. Ein Gleiches treffen wir noch öfters an. Dieser Zustand kann nur als ein primitiver beurtheilt werden, was aus den vergleichend-anatomischen Daten hervorgeht. Dieses Objekt verhält sich auch in so fern indifferenter, als beiderseits 8 sternale Rippen bestehen. Die Mehrzahl sternaler Rippen aber ist bei Säugethieren meistens mit einem Tiefstande der Pleuragrenzen gepaart. Die Pleuragrenzen laufen hinter der Artic. sterno-clavicul., berühren ein- ander in der Höhe der 2. Rippe und laufen vereinigt hinter der linken Hälfte des Sternum bis zur Mitte des Processus ensiformis. Die untere Grenze kreuzt die 8. Rippe, verläuft dann eine Strecke weit längs der 7. Rippe, schneidet so- dann die knorpeligen Theile der 8., 9. und 10. Rippe, die 11. und 12. Rippe am Ubergange vom Knorpel in den Knochen. Seitlich und hinten sind also auch tiefstehende Pleuragrenzen vorhanden. An der Wirbelsäule erreichen sie beiderseits den Knorpel zwischen 12. und 13. thoraco-lumbalem Wirbel. Weder durch die Thymus noch durch das Herz ist die Vordergrenze der Pleura in irgend welcher erkennbaren Weise beeinflusst. 6) Neugebornes Mädchen. Die Pleuragrenzen ziehen hinter der Mitte der Incisurae claviculares sterni entlang, begegnen sich in der Medianlinie in der Höhe der 2. Rippe, weichen in der Höhe der 4. Rippe wieder aus einander, von wo aus die rechte Pleura- grenze zur Insertion der 7., die linke zu derjenigen der 6. Rippe hinzieht. Den letztgenannten Rippen folgend und dann den sechsten Intercostalraum kreu- zend, schneiden die Grenzen beiderseits den 7. Rippenknorpel nahe dem Kno- chentheile, die übrigen Rippen am Knochen unweit der Knorpelstücke. Dem unteren Rande der 12. Rippe folgend, erreichen sie beiderseits die Mitte des 12. thoracalen Wirbels. 7) Neugebornes Mädchen. Es bestand links eine 12, rudimentäre Rippe. Die Pleuragrenze zieht beider- seits hinter dem Knorpel der 1. Rippe abwärts zur Insertion der 3. Rippe an das Sternum, bleibt hier am Rande des letzteren, geht rechts durch den sech- sten Intercostalraum und verlässt links an der 6. Rippe das Brustbein. Die unteren Rippen werden noch an den Knorpeltheilen geschnitten. Die Wirbel- säule erreicht die Pleuragrenze beiderseits am unteren Rande des 12. thoracalen Wirbels. Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 181 8) Neugebornes Mädchen. Die Pleuragrenzen findet man auf den Fig. 23 A und B abgebildet; sie sind für A in ein Schema eingetragen. Die rechte Grenze liegt hinter dem Knorpel der 1. Rippe und verläuft hinter dem Sternum bis zur 7. Rippe. Die linke Grenze bleibt lateral vom Sternum und entfernt sich von diesem in höherem Grade in der Höhe der 4. Rippe. Links und rechts zieht die Grenze längs Ger 7. Rippe zum knöchernen Ende der 8. und 9. Rippe. Die beiden folgen- den Rippen werden in geringer Distanz vom Knorpel, die 12. an ihrer Spitze geschnitten. Unter dieser entlang medianwärts ziehend erreicht die Pleuragrenze die Mitte des 12. Brustwirbels. 9) Neugebornes Kind (Fig. 24). (Die Befunde sind in ein Skeletschema eingetragen.) Auch hier bleibt die vordere linke Pleuragrenze beträchtlich weit vom Sternum entfernt; sie steigt in einer ungefähr geraden Linie von der 1. bis zur 7. Rippe herab. Die rechte vordere Grenze verhält sich gleich wie beim vorigen Falle. An der 9. Rippe wird der Knochentheil erreicht. Die drei letzten Rippen werden nach unten hin immer weiter vom Knorpel entfernt geschnitten, die 12. ungefähr an ihrer Mitte. An der Wirbelsäule erreicht die Pleura beiderseits die Mitte des 12. Brustwirbels. An den beiden letzten Ob- jekten war die Thymus stark entwickelt. In die Fig. 23 B sind die Kontouren von Herz und Thymus eben so wie die Umschlagstellen der Pleura eingezeichnet. Es wird ersichtlich, dass das Brustfell um den Rand der Thymus sich median- wärts umbiegt und einen Theil ihrer Vorderfläche bedeckt. Diese Beobachtung bildet wiederum einen Beleg dafür, dass nicht die Größe der Thymus an sich das Auseinanderweichen der Pleurablätter bedingt, dass sie vielleicht aber dazu beisteuert, in so fern sie die Raumbeengung steigert, welche hauptsächlich von der Abnahme des dorso-ventralen Durchmessers des Thorax beherrscht wird. An unserem Objekte umhüllt die rechte Pleura einen größe- ren Theil der Oberfläche der Thymus als die linke Pleura, obwohl der linksseitige Drüsenkörper nicht weniger stark entwickelt ist als der rechtsseitige. Die Ursache für die Differenz auf beiden Körper- hälften mag in der linksseitigen Lagerung des Herzens zu suchen sein, durch welche hier eine stärkere Raumeinschränkung bedingt wird. 10) Neugebornes Mädchen. Die rechte Pleura bedeckt das rechte Drittel der Sternalbreite von der Ineisura clavicularis an bis zur sternalen Anheftung der 7. Rippe. Die linke Pleura erreicht die vordere Thoraxwand neben dem linken Sternalrande, Unten - verläuft die vordere Pleuragrenze rechts längs der 7. Rippe, links durch den 183 T. Tanja sechsten Intercostalraum. Von der 8. Rippe an sind die folgenden Skelettheile am knöchernen Ende gekreuzt. An der Wirbelsäule trifft der Stand der Pleura- grenze mit dem oberen Rande des 1. Lendenwirbels zusammen. 11) Neugebornes Mädchen (vgl. Fig. 25). Die Pleuragrenzen folgen von der sternalen Anheftungsstelle der 2. Rippe an dem linken Sternalrande. Die linke Grenze zieht durch den sechsten Inter- costalraum und verlässt das Sternum, während die rechte den Proc. ensiformis kreuzt, um dann am unteren Rande der 7. Rippe sich lateralwärts zu begeben. Beiderseits erreicht die Grenze den Knochentheil der 8. Rippe; sie schneidet die übrigen knöchernen Rippen, und zwar liegen die Kreuzungslinien nach unten hin immer weiter vom Knorpel entfernt. Die 12. Rippe wird schließlich etwa in der Mitte geschnitten. Die Pleuragrenze liegt hinten in der Höhe der Mitte des 12. Wirbels. 12) Neugebornes Mädchen. Die an diesem Objekte gewonnenen Befunde stimmen mit denen des Ob- jektes 9 überein. Die einzige Ausnahme besteht darin, dass hier die rechte Pleura am Corpus sterni etwas über die Medianlinie nach links übergreift. 13) Neugeborner Knabe. Die rechte vordere Grenze zieht hinter der Ineisura clavicularis, die linke hinter der Incisura costalis des Manubrium sterni hinweg. Die beiderseitigen Grenzen sind am ganzen Corpus sterni links von der Medianlinie vereinigt. An der sternalen Anheftung der 7. Rippe weichen die Pleurablätter aus einander; die linke Grenze folgt dem oberen Rande der 7. Rippe, die rechte kreuzt je- doch den oberen Theil des Proc. ensiformis, um erst dann den gleichen Ver- lauf einzuschlagen, wie er links angetroffen wird. An der 8. Rippe erreicht die Pleuragrenze beiderseits den knöchernen Theil und bleibt demselben an den 3 folgenden Rippen getreu, um dann an der linken Seite dem oberen, rechts dem unteren Rande der 12. Rippe entlang zur Wirbelsäule zu verlaufen, die links am oberen Rande, rechts in der Mitte des 12. Brustwirbels erreicht wird. 14) Neugeborner Knabe (Fig. 26). An diesem Objekte findet man eine Andeutung einer Herzabweichung der linken Pleuragrenze vor. Zugleich greift die rechte Pleura weit nach links hin über. Die untere vordere Grenze folgt rechts dem sechsten Intercostalraume, links dem oberen Rande der 7. Rippe. Seitlich stehen die Pleuragrenzen tief, indem nur an der 11. Rippe der knöcherne Theil geschnitten wird. Die 12. Rippe ist rudimentär. An ihrem unteren Rande zieht die Grenze zur Mitte des12. Wirbels. Es ist aus den bis jetzt behandelten Fällen zu entnehmen, dass Variabilität die vorderen Pleuragrenzen des Fötus und des Neuge- bornen beherrscht; denn es stimmen kaum zwei Formen vollkommen Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 183 überein. Auch die unteren Grenzen, welche in ihren vorderen und mittleren Theilen meist ziemlich tief stehen, sind einem beträcht- lichen Wechsel unterworfen, An keinem der untersuchten Objekte verlässt die rechte untere Pleuragrenze bereits in der Höhe. der 6. Rippe das Sternum. Der sechste Intercostalraum bezeichnet in dieser Hinsicht den höchsten Platz, indessen die Grenze meistens längs der 7. Rippe nach außen abweicht, in dem einen Falle (Fig. 25) aber sogar längs des unteren Randes dieser Rippe sich hielt. An der Wirbelsäule wechselt der Höhenstand der Umschlagstellen; er liegt zwischen dem oberen Rande des 12. und jenem des 13. thoraco- lumbalen Wirbels, und zwar mit Ausnahme von zwei Fällen (Nr. 3 und Nr. 13) symmetrisch. An diesen Objekten liegt die Grenze links höher als rechts. 15) 5 Tage altes Mädchen. Die vorderen Pleuragrenzen stimmen mit denen des Objektes 13 voll- kommen überein. Die seitlichen Grenzen verlaufen etwas tiefer, indem von der 8. Rippe an alle Rippen am Übergange vom Knochen in den Knorpel- theil geschnitten werden. An der Wirbelsäule steht die Pleuragrenze beider- seits in der Höhe des oberen Randes des 1. Lendenwirbels. 16) 9 Tage altes Mädchen. Links trifft man im oberen Sternalabschnitte die Pleuragrenze hinter der Ineisura clavicularis, rechts hinter der Incisura costalis manubrii an. Das mittlere Drittel der Breite des Brustbeinkörpers bleibt von der Pleura unbe- deckt. Links verlässt die Grenze an der 6. Rippe das Sternum, um die ge- genannte Rippe und den sechsten Intercostalraum nahe dem Brustbein zu schnei- den und dann der 7. Rippe entlang lateralwärts zu ziehen. Rechts verlässt die Grenze erst an der 7. Rippe das Sternum; sie hält sich in ihrem Verlaufe nach außen an die 7. Rippe. Beiderseits werden die 8. und 9. Rippe am Über- gange vom Knochen in den Knorpel, die übrigen Rippen jedoch allein am Knochen geschnitten. Es bestehen also auch hier sehr tief stehende seitliche Grenzen. An der Wirbelsäule steht die Pleuragrenze links in der Höhe der Mitte, rechts in derjenigen des unteren Randes des 12. thoracalen Wirbels. Die Thymus ist mächtig entwickelt und größtentheils von der Pleura be- deckt, so dass das rechte wie das linke Pleurablatt in geringer Entfernung von einander die Thoraxwand erreichen. 17) 10 Tage altes Mädchen. Der Verlauf der Pleuragrenzen ist aus der Fig. 27 ersichtlich, auf welcher die gefundenen Zustände in ein Schema eingetragen wurden. Wir finden hier eine typische Incisura cardiaca der linken Pleuragrenze. Bereits an der ster- nalen Anheftung der linken 3. Rippe verlässt die Pleuragrenze das Sternum . 184 T. Tanja und gelangt mit einem nach außen konvexen Bogen über die knorpeligen Theile der drei folgenden Rippen zur 7. Rippe, welche sie ganz nahe dem Sternum erreicht, um sodann dieser Rippe entlang nach außen zu verlaufen. Die rechte Pleuragrenze zieht längs des linken Sternalrandes nach abwärts, um erst in der Höhe des 7. rechten Rippenknorpels lateralwärts sich zu begeben. Seitlich finden wir wie am vorigen Objekte die Pleuragrenzen. Hinten zieht die Pleuragrenze eine Strecke unterhalb der 11. Rippe, erreicht die rudi- mentäre 12. Rippe und längs dieser beiderseits die Mitte des 12. Brustwirbels. 18) 4 Wochen alter Knabe. An diesem Objekte finde ich Zustände, die mit denen am Objekte 13 ganz übereinstimmen. Eine Eigenthümlichkeit stellt sich hier jedoch dadurch ein, dass die 12, Rippe beiderseits sehr kurz ist und die Pleura demgemäß unter- halb der 11. Rippe eine Strecke weit abwärts vom Thoraxskelette sich befindet. Die Gl. thymus ist schwach entwickelt. 19) 6 Wochen alter Knabe. Die Pleuragrenzen liegen beiderseits hinter der Incisura clavicularis; sie begegnen einander in der Höhe der Anheftung der 2. Rippe an das Sternum und laufen vereinigt links am Sternum abwärts bis zur sternalen Insertion der 5. Rippe. Die linke Grenze zieht noch weiter senkrecht nach unten, indessen die rechte nach rechts hin abweicht. So erreicht die Pleuragrenze beiderseits die Stelle der sternalen Insertion der 7. Rippe, längs deren unterem Rande sie lateralwärts verläuft. Die beiden folgenden Rippen werden ebenfalls am Knorpel geschnitten, die 10. und 11. am Übergang in den Knochentheil. Sodann folgt die Grenze beiderseits fast dem ganzen unteren Rande der 12. Rippe und er- reicht die Wirbelsäule am unteren Rande des 12. Brustwirbels. Überall bestehen also an diesem Objekte tiefstehende untere Pleuragrenzen. 20) 3 Monate altes Mädchen. Man vergleiche die Fig. 28, auf welcher die Befunde in ein Skeletschema eingetragen wurden. Es bestehen jederseits 8 sternale Rippen. Wie am vori- gen Objekte findet man auch hier keine Spur einer Herzabweichung der Pleura- grenzen, Schon am Manubrium sterni begegnen sich die Pleurablätter und gehen vereinigt am linken Sternalrande abwärts bis zur Insertion der 7. Rippe. Längs derselben zieht die linke Grenze dann über den Knorpel der 8. zum knöchernen Ende der 9. Rippe. Rechts verläuft die Pleuragrenze von der ster- nalen Insertion der 7. linken Rippe quer nach rechts über die sternalen Enden der 7. und 8. Rippe, weiterhin durch den sechsten Intercostalraum, dann über die Knorpel der 7. zum knöchernen Ende der 8. Rippe. Die übrigen Skelet- theile werden unweit des Knorpels am Knochentheile geschnitten. Die Grenze zieht schließlich dem unteren Rande der 12. Rippe parallel dorsalwärts und erreicht die Wirbelsäule an der Bandscheibe zwischen dem 12. und 13. thoraco- lumbalen Wirbel. Ba Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 185 21) 4 Monate alter Knabe. Hier berühren sich die beiden Pleurabdlätter im Unterschiede zu den zwei vorigen Objekten hinter dem Sternum an keiner Stelle. Die linke vordere Pleuragrenze nimmt einen in Fig. 24 (Objekt 9) angegebenen Verlauf, indessen die rechte Grenze bis nahe zum linken Sternalrande hinübergreift. Dem Knorpel der rechten 7. Rippe folgend, denjenigen der 8. und 9. schneidend, erreicht die Grenze eben so wie links den Knochen der 10. Rippe. Über das knöcherne Ende der 11., sodann längs der 12. Rippe verlaufend, trifft die Grenze auf beiden Seiten die Wirbelsäule zwischen 12. und 13. thoraco-lumbalen Wirbel. 22) 5 Monate altes Mädchen. Die Pleurablätter laufen in unmittelbarer Berührung mit einander etwas links vom Sternum abwärts bis zur sternalen Insertion der 6, linken Rippe. Indem die rechte Pleuragrenze erst hoch oben das linke Blatt verlässt, um zur Ineisura clavicularis dextra zu gelangen, wird fast das ganze Manubrium sterni von der serösen Haut bedeckt. Die untere Pleuragrenze geht links der 6. Rippe entlang, kreuzt rechts das Sternum an der sternalen Insertion der linken 6. Rippe, erreicht die Insertion der rechten 7. Rippe und zieht darauf dieser Rippe pa- rallel. Beiderseits erreicht die Grenze die 8. Rippe am Übergange vom Kno- chen in Knorpel. Seitlich und hinten stehen die Pleuragrenzen hoch, indem die unteren auf einander folgenden Rippen in beträchtlicher und abwärts sich noch vergrößern- der Distanz vom Knorpel, die 11. ungefähr in ihrer Mitte geschnitten werden. Beiderseits hält sich die Pleuragrenze größtentheils oberhalb der 12. Rippe; denn sie erreicht diese erst in nächster Nähe der Wirbelsäule, links in der Höhe des unteren Randes des 11. thoracalen Wirbels, rechts am oberen Rande des 12. Brustwirbels. Dieser hohe Stand ist ein sehr differenter Zustand. 23) 7 Monate alter Knabe. Auch hier fand ich die hintere Fläche des Manubrium sterni beinahe voll- ständig von der Pleura bedeckt. Die vereinigten Pleurablätter ziehen am linken Sternalrande abwärts. Am vorderen Abschnitte der unteren Pleuragrenze besteht ein gleiches Verhalten wie am vorigen Objekte. Seitlich stellt sich in so fern eine Differenz gegen jenes ein, als die 9., 10. und J1. Rippe in ge- ringerer Entfernung vom Knorpel geschnitten werden als dort. Die 12., äußerst kleine Rippe trägt auch hier zur Begrenzung der Pleurahöhle nicht bei, indem die Pleura in differenter Weise bereits längs des unteren Randes der 11. Rippe links sowie rechts dorsalwärts zum oberen Rande des 12. Brustwirbels sich er- streckt. 24) 9 Monate alter Knabe. Die Pleuragrenzen liegen oben hinter den Incisurae claviculares, weiter unten vereinigt hinter der linken Hälfte des Sternum. Die Berührung beider Blätter erstreckt sich von der Höhe der 2. bis zu derjenigen der 5. Rippe, an welcher die linke Grenze das Sternum verlässt, um die 6. Rippe nahe am 186 T. Tanja Brustbein zu erreicben, längs derselben lateralwärts zu ziehen und die bei- den folgenden Rippen an deren Knorpeltheilen zu kreuzen. Rechts zieht die Grenze über die sternale Insertionsstelle der rechten 7. Rippe, dann schräg durch den sechsten Intercostalraum, wiederum eine kleine Strecke über die 6. Rippe und kreuzt nun zum zweiten Male den sechsten Intercostalraum sowie den 7. Rip- penknorpel. An der 8. Rippe kreuzt die Pleuragrenze rechts die Vereinigungsstelle von Knochen und Knorpel. Diese Stelle wird beiderseits auch an der 9. Rippe geschnitten. An der 10. und 11. Rippe liegt die Pleuragrenze unweit jener Vereinigung am Knochentheile. Nach dem Verlaufe längs des unteren Randes der rudimentären 12. Rippe kommt die Pleuragrenze in der Höhe der Band- scheibe zwischen 12. und 13. thoraco-lumbalen Wirbel zu liegen. 25) 3 Monate altes Mädchen. (Man vgl. die Fig. 29.) Die beiden Pleurablätter stehen hinter dem Sternum in der Höhe von der | 2. bis zur 3. Rippe in Berührung. Von der 3. Rippe an weicht die linke Pleura- umschlagstelle ein wenig zur Seite ab, verlässt an der sternalen Insertion der 4. Rippe das Sternum, zieht in einer stark nach unten und außen abgeschrägten Linie hart am Sternum über den Knorpel der 5. Rippe, eine größere Strecke durch den fünften Intercostalraum, dann über den 6. und den 7. Rippenknorpel und schneidet darauf die 8. Rippe in geringer Entfernung von deren Knorpel- theil. Die rechte Pleuragrenze folgt nach unten der linken Hälfte des Brust- beines bis zur sternalen Anheftungsstelle der 7. linken Rippe, kreuzt darauf den Processus ensiformis, dann die rechte 7. Rippe, um weiter durch den sechsten Intercostalraum zu ziehen, die 7. Rippe von Neuem zu schneiden und das knöcherne Ende der 8. Rippe zu erreichen. Beiderseits werden die vier unteren Rippen in nach unten stets beträcht- licher werdender Entfernung von ihren Knorpeln geschnitten. Der letzten Rippe nach hinten entlang laufend erreicht die Pleuragrenze links die Mitte des 12. Brustwirbels, während die Pleuragrenze rechts die 12. Rippe kreuzt und so dorsal in die Höhe der Bandscheibe zwischen 12. und 13. thoraco-lumbalen Wirbel zu liegen kommt. 26) 18 Monate alter Knabe. Die hinter der linken Hälfte des Corpus sterni vereinigten Pleurablätter weichen unten erst am Processus ensiformis aus einander. Beide Blätter ziehen — die rechte, nachdem sie den Schwertfortsatz gekreuzt hat — längs der 7. Rippe nach außen. Die seitliche linke Pleuragrenze steht tiefer als die rechte. Diese schneidet die Ubergangsstelle von Knorpel in Knochen an der 8., die linke Grenze die der 9. Rippe. Die übrigen Rippen werden links in be- deutend geringerer Distanz vom Knorpel geschnitten als dies rechts der Fall ist. Dasselbe Verhältnis waltet auch hinten vor, wo die Pleuragrenze in der Höhe der 12. Rippe angetroffen wird, links aber den unteren, rechts den oberen Rand des 12. Brustwirbels erreicht. af Loa Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 187 27) 2 Jahre altes Midchen. Auf der Fig. 30 findet man die beobachteten Verhältnisse in ein Skelet- schema eingetragen. An dem Objekte fand ich eine sehr große Thymus. Merkwürdig ist die bilaterale Symmetrie der Pleuragrenzen. Die Be- schreibung dürfen wir auf die eine Seite beschränken. Die Pleura liegt oben hinter der Inc. elavieul. ; sie zieht hinter dem Seitenrand des Sternum abwärts bis in die Höhe des sechsten Intercostalraumes, kreuzt die 7. Rippe und erreicht darauf die Übergangsstelle von Knochen und Knorpel der 8. Rippe. Die übrigen Skelettheile werden nach unten in stets größerer Distanz vom Knorpeltheile geschnitten. An der Wirbelsäule steht die Pleuragrenze in der Höhe des oberen Randes des 12. Brustwirbels. 28) 2 Jahre altes Kind. Beide Pleurablätter sind hinter der linken Sternalhälfte von der 2. bis zur 7. Rippe vereinigt. Die linke untere Grenze folgt lateralwärts eine kurze Strecke weit der 7. Rippe, geht dann durch den sechsten Intercostalraum und kreuzt die 7. Rippe nahe deren lateralem Knorpelende. Rechts kreuzt die vor- dere Pleuraumschlagstelle den Processus ensiformis und den 7. Rippenknorpel, zieht dann durch den sechsten Intercostalraum und schneidet an derselben Stelle wie links den knöchernen Theil der 7. Rippe zum zweiten Male. Der seitliche Grenzverlauf entspricht demjenigen des vorigen Falles. Hinten links läuft die Pleuragrenze längs des oberen Randes der 12. Rippe und endigt am oberen Rande des 12. Wirbels, so dass fast die ganze 12. Rippe außerhalb des Cavum pleurale sich befindet; rechts folgt die Grenze der 12. Rippe bis zum unteren Rande des 12. Brustwirbels. 29) 8 Jahre alter Knabe. Die, die Verhältnisse wiedergebende Fig. 31 zeigt auf der rechten Seite 8 sternale Rippen. Bedeutungsvoll wird dieser Fall durch die weit unten lie- gende Stelle, an welcher die linke Pleuragrenze das Sternum verlässt. Die vorderen Pleuragrenzen sind ein wenig rechts von der Medianlinie hinter dem Sternum vereinigt. Links zieht sich die Grenze vom Corpus sterni aus bis über die Hälfte des Processus ensiformis herab, geht dann lateralwärts ausbiegend auf die 7. Rippe über, an der sie sich mit einem nach oben kon- vexen Bogen an dieser entlang erstreckt, um darauf an der folgenden Rippe die Knorpelknochengrenze zu schneiden. Rechts verlässt die Pleuragrenze in der Höhe der sternalen Anheftungsstelle der 8. Rippe das Sternum, geht auf die 7. Rippe über, an deren oberen Rand sie entlang zieht, um dann wie auf der anderen Seite zum knichernen Ende der 8. Rippe zu gelangen. Von der 8. Rippe an schneidet die Grenze links die Knochentheile der folgenden Rip- pen, und zwar nach unten hin stets weiter vom Knorpel entfernt. Die 12. Rippe wird in ihrer Mitte geschnitten. Von dieser an erstreckt sich die Grenze der 12. Rippe entlang bis zum unteren Rande des 12. Brustwirbels. Rechts gelangt die Pleuragrenze ebenfalls über den knöchernen Theil der 9., 10. und 11. Rippe, jedoch weniger weit vom Knorpel entfernt als dies links der Fall ist. Die 12. Rippe wird selbst wieder am Knorpel geschnitten; längs ihres unteren Randes zieht die Pleuragrenze zum oberen Rande des 1. Lendenwirbels. 188 T. Tanja 30) 11 Jahre altes Mädchen. Auch hier bestand eine deutliche Deviation der linken Pleuragrenze vor dem Herzbeutel. Es ist beinahe die ganze hintere Fläche des Manubrium sterni von den Pleurablättern überkleidet; letztere weichen erst hoch oben seitwärts aus einander. In der Höhe der Mitte der ersten Rippeninsertion ans Sternum findet man bereits beide Pleuragrenzen in naher Berührung. Sie ziehen vereinigt an der linken Seite des Brustbeines herab bis zur Höhe der sternalen Anheftung der 3. Rippe; von dieser an gelangt die rechte Grenze hinter dem Sternum bis zum oberen Rande der Insertion der 7. rechten Rippe ans Ster- num, indessen die linke Pleuragrenze bereits oben das Sternum verlässt, die 4. Rippe am sternalen Drittel, die 5. in der Mitte des Knorpeltheiles, die 6. Rippe weit lateralwärts am Knorpel, die 7. Rippe aber am knöchernen Ende schneidet. Rechts zieht die Grenze schräg durch den sechsten Intercostalraum, über die 6. Rippe zum zweiten Male durch den sechsten Intercostalraum und dann eben so wie auf der linken Körperhälfte zum knöchernen Ende der 7. Rippe. Die Knochen der folgenden Rippen werden nach unten hin stets weiter vom Knorpel entfernt geschnitten. Links liegt die Grenze in der Höhe der Mitte, rechts des unteren Randes des 12. Brustwirbels. 31) 11 Jahre altes Mädchen. (Man vg]. die Fig. 32 A und 2.) Die Pleuragrenzen sind ungefähr symmetrisch. Vereinigt mit einander be- finden sie sich etwas links von der Medianlinie hinter dem Sternum; von der Höhe des unteren Randes der 1. Rippe an bis zu derjenigen der Sternalinser- tion des 5. Rippenpaares. Von hier an divergiren sie. Beiderseits folgt die Grenze dem oberen Rande der 6. Rippe, schneidet die 7. Rippe an der Knorpel- grenze, die vier folgenden Rippen am Knochen, und zwar nach unten zu stets etwas weiter von dessen Ende entfernt. Die 12. Rippe wird indessen an der Spitze gekreuzt, was mit der geringen Länge dieser Rippe zusammenhängt. Etwas unterhalb der letzten Rippe erreicht die Pleuragrenze die Mitte des 12. Brustwirbels. 32) Männliche Leiche (17!/, Jahr). Vie Deyiation der linken Pleuragrenze in der Gegend des Herzens ist an diesem Objekte sehr deutlich ausgesprochen. Die vorderen Pleuragrenzen sind hinter dem Sternum nur in der Höhe der sternalen Insertion von der 2. bis zur 3. Rippe mit einander vereinigt. Die rechte Grenze zieht weiterhin zum unteren Rande der Sternalinsertion der rechten 7. Rippe; die linke verlässt zwischen 3. und 4. Rippe das Sternum, kreuzt die knorpeligen Theile der 4., 5. und 6. Rippe in einer Entfernung von 0,5 cm vom Brustbein, biegt im sechsten Intercostalraume seitwärts um, verläuft durch letzteren und schneidet darauf die 7. Rippe ganz in der Nähe des lateralen Knorpelendes, die 8. Rippe aber nahe dem Knorpel am Knochentheile. Rechts zieht die Pleuragrenze schräg iiber die 7. Rippe und durch den sechsten Intercostalraum, um sodann die 7. und 8. Rippe an den entsprechenden Stellen der linken Seite zu schnei- den. Von der 8. Rippe an werden nach unten hin die übrigen Skelettheile Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 189 stets in sich vergrößernder Distanz vom Knorpel, die 12. nahe der Wirbel- säule geschnitten. An dieser erreicht die Pleuragrenze links die Mitte, rechts den unteren Rand des 12. Brustwirbels. 33) 19 Jahre alter Mann. Auch hier besteht eine Deviation der linken Pleuragrenze am Herzen. Von der Hinterfliiche der Incis. claviculares ziehen die Pleuragrenzen zur linken Seite des Sternum, wo sie von der 2. bis 4. Rippe an einander liegen. Die rechte Grenze zieht zur sternalen Anheftungsstelle der rechten 6. Rippe; die linke verlässt das Sternum in der 4. Rippenhöhe und gelangt mit einem nach außen konvexen Bogen über die Knorpeltheile der 5. und 6. Rippe unweit des Sternum zur 7. Rippe. Dieser zieht sie entlang, schneidet darauf die 8. Rippe am Übergang des Knorpels in den Knochen. Die rechte Pleuragrenze läuft den 6. Rippenknorpel entlang, dann durch den sechsten Intercostalraum und über die Hinterfläche der 7. Rippe, um die 8. Rippe an der entsprechenden Stelle wie links zu schneiden. Die übrigen Rippen sind am Knochentheile gekreuzt; die Kreuzungsstelle liegt nach unten zu immer weiter vom Knorpel entfernt. Die Mitte des 12. Brustwirbels bezeichnet den Höhenstand der Pleuragrenzen am Achsenskelette. 34) 46 Jahre alter Mann (Fig. 33). Es bestehen beiderseits 8 sternale Rippen. Die Pleuragrenzen liegen je hinter der Ineis. clavicularis; sie sind hinter der rechten Sternalhälfte in der Höhe der 2. bis zu derjenigen der 3. Rippe vereinigt. Von hier aus divergiren sie nach unten hin. Die rechte Grenze zieht hinter dem Sternum zum sechsten Intercostalraum;; sie kreuzt diesen, die 7. Rippe und dann die Übergangsstelle vom Knochen in den Knorpel der 8. Rippe. Die linke Grenze verlässt im vierten Intercostalraum das Sternum und kreuzt in schräger Richtung die folgenden drei Rippen und die entsprechenden Intercostalräume, dann in gleicher Weise wie rechts die 8. Rippe am Knochen-Knorpelübergang. Es bestehen hier also eine deutliche Herzabweichung der linken vorderen Pleuragrenze, sowie eine sehr hohe Lage der unteren, namentlich der linken Grenzen. Seitlich und hinten blieb der Stand der Pleuragrenzen unbekannt. 35) 55 Jahre alter Mann. Die linke Pleuragrenze zieht in der Höhe des oberen Randtheiles der Inc. elavieul. horizontal hinter dem Sternum, biegt hoch oben hinter dem Manubrium nach unten um und folgt dann der Medianlinie. Am Übergange vom Manu- brium in das Corpus sterni tritt sie mit der rechten vorderen Pleuragrenze in Berührung. Die Vereinigung beider bleibt bis zur Höhe des Proc. ensiformis bestehen. Von der Wurzel des letzteren laufen die Grenzen jederseits der 7. Rippe entlang und kreuzen die 8. Rippe am lateralen Knorpelende. Die übrigen Rippen werden nach unten hin immer weiter vom Knorpel entfernt am Knochen geschnitten, so dass die 11. Rippe genau an ihrer Mitte, die 12. Rippe nahe der Wirbelsäule erreicht wird. Beiderseits endigt die untere Grenze dor- sal am unteren Rande des 12. Brustwirbels. — Wir finden an diesem Objekte 190 T. Tanja die linke obere Pleuragrenze etwas höher als die rechte. Es besteht keinerlei Andeutung einer Herzabweichung an der Pleuragrenze, die unteren Grenzen findet man ziemlich tief stehend. 36) 57 Jahre alte Frau. Auf den Fig. 34 A und B findet man die Befunde in ein Skeletschema eingetragen. Es besteht eine starke Deviation der Pleuragrenzen am Herzen; die unteren Grenzen nehmen sehr hohen Stand ein. Hinter dem Sternum sind die Pleura- grenzen nur in der Höhe der 2. und 3. Rippe vereinigt. Die linke Pleuragrenze verlässt an der sternalen Anheftungsstelle der 4. Rippe das Sternum, schneidet die 5. Rippe an der lateralen Hälfte des Knorpels, die 6. am Übergange des Knorpels in den Knochen. Die rechte Grenze verlässt an der Sternalinsertion der 6. Rippe das Sternum, und schräg durch den fünften Intercostalraum ziehend schneidet sie die 6. Rippe zum zweiten Male an der lateralen Knorpelgrenze. Die auf die 7. Rippe folgenden Skeletspangen werden, wie die Figur es an- giebt, an ihren Knochentheilen geschnitten. An der Wirbelsäule steht die Pleuragrenze in gleicher Höhe mit dem unteren Rande des letzten Brustwirbels. 37) 62 Jahre alter Mann. Reichlicher rechtsseitiger Verwachsungen wegen konnte nur die linke Pleuragrenze aufgenommen werden. Diese erreicht hinter der Mitte des Clavi- culargelenkes das Sternum, an dessen Mitte sie abwärts zieht, um in der Höhe zwischen 6. und 7. Rippe lateralwärts abzuweichen. Dem oberen Rande der 7. Rippe entlang laufend kreuzt sie dieselbe am lateralen Theile des Knorpels, greift an der 8. und an den folgenden Rippen auf den Knochentheil, genau wie am vorigen Objekte über und erreicht auch dorsal die Wirbelsäule am unteren Rande des 12. Wirbels. Mann von 66 Jahren. Die beiderseitigen Pleuragrenzen erreichen hinter der Mitte der Ineisurae clavicul. das Sternum, begegnen einander, median gelegen am Corpus sterni, ziehen dann gemeinsam bis zur 3. Rippenhöhe abwärts. Die linke Grenze ver- lässt an der sternalen Insertion der 5. Rippe das Brustbein, kreuzt den 6. Rip- penknorpel in geringer Distanz von letzterem und geht darauf durch den sech- sten Intercostalraum zum lateralen Ende des 7. Rippenknorpels. Rechts verlässt die Grenze das Sternum an der 6. Rippe, zieht ihr entlang, verlässt sie am lateralen Knorpelende und schneidet bereits die 7. Rippe am knöchernen Ende. Nach dem Verlaufe über die knöchernen Theile der folgenden Rippen wird die Wirbelsäule links an der Bandscheibe zwischen 12. und 13. thoraco-lum- balen Wirbel, rechts ineder Mitte des 12. Brustwirbels, links also etwas tiefer als rechts erreicht. 39) 69 Jahre alte Frau. Die Pleuragrenzen schneiden die Mitte des Sterno-clavicular-Gelenks; sie erreichen die Medianlinie, in welcher sie hinter dem Corpus sterni vereinigt Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 191 herab sich erstrecken, um links lateralwärts zum sechsten Intercostalraume zu verlaufen, rechts aber bis auf den Proc. ensiformis zu gelangen. Von diesem aus kreuzt die rechte Pleuragrenze die 7. Rippe, durchläuft dann den sechsten Intercostalraum derart, dass, gerade wie links, das laterale Knorpelende der 7. Rippe und der Knochentheil der 8. Rippe geschnitten wird. Nach dem Ver- laufe der Grenzen über die knöchernen Theile der folgenden Rippen wird links der untere Rand, rechts die Mitte des letzten Brustwirbels erreicht. Also auch an diesem Objekte steht der Pleuralsack links etwas tiefer als rechts. 40) 76 Jahre alter Mann. Wegen starker, linken Verwachsungen konnten nur die rechten Pleura- grenzen aufgenommen werden. Hinter der Mitte der Sterno-clavicular-Verbindung erreicht die Grenze das Brustbein, zieht hinter der linken Hälfte derselben abwärts bis unterhalb der Höhe der Anheftung der 7. linken Rippe ans Sternum. Hier weicht die Grenze schräg gerichtet vom Proc. ensiformis lateralwärts ab, verläuft längs der 7. Rippe und schneidet die 8. Rippe an der Grenze von Knochen und Knorpel. Nach- dem auch die folgenden Rippenknochen geschnitten wurden, erreicht die Pleura- grenze die Mitte des 12. Wirbels. 41) Frau unbekannten Alters. Die Pleuragrenzen erreichen das Brustbein hinter den Inc. clav., werden links von der Mittellinie hinter dem Sternum bis zur Höhe der Sternalinsertion der 6. linken Rippe in Berührung gefunden. Die linke Grenze geht durch den sechsten Intercostalraum zum Knorpelende der 7. Rippe, indessen die rechte schräg die Wurzel des Proc. ensiformis sowie die 7. Rippe kreuzt, um dann denselben Verlauf wie links zu nehmen. Die knöchernen Theile folgender Rippen sind nach unten hin stets weiter vom Knorpel entfernt gekreuzt. Beider- seits steht die dorsale untere Pleuragrenze in der Höhe des unteren Randes des letzten Brustwirbels. 42) Erwachsener Mann unbekannten Alters. Die Pleuragrenzen liegen hinter der Mitte des Claviculargelenkes; sie sind links von der sternalen Mittellinie im Niveau der 2. bis zu dem der 3. Rippe bei einander gelegen. Die linke Grenze verlässt in nach außen konvex er- scheinendem Verlaufe an der 4. Rippe das Sternum, kreuzt die 5. und 6. Rippe nahe dem Sternum, das sternale Viertel des 7. Rippenknorpels. Darauf biegt die linke Pleuragrenze nach außen um, folgt der 7. Rippe und schneidet die $. Rippe am Übergang ihres Knorpels in den Knochen. Rechts folgt die Grenze vom Brustbein aus drei Viertel der Länge des 7. Rippenknorpels und erreicht die $. Rippe an der nämlichen Stelle wie links. Auch hier findet man die folgenden Rippen beiderseits am Knochen, und zwar nach unten hin stets vom Knorpel weiter entfernt geschnitten. Dorsal ent- spricht der Höhenstand der Pleuragrenze der Mitte des 12. Wirbels. 192 T. Tanja Nach der Vorführung der an so vielen Objekten gefundenen verschiedenartigen Thatsachen bleibt uns die Aufgabe übrig, die Be- funde zu ordnen. Diese Ordnung lassen wir derart erfolgen, dass wir in einer tabellarischen Übersicht die Hauptmomente der auf die Pleuragrenzen des Menschen sich beziehende Zustände herausgreifen und denselben nach der Indifferenz und Differenz ihres Wesens einen Platz in der Tabelle anweisen. Weiterer Schlussfolgerungen können wir uns dann um so mehr enthalten, als in der Zusammenstellung der Tabelle zugleich unser Urtheil über das Primitive oder das Se- kundäre der Erscheinungen ausgesprochen ist. Von den untersuchten 42 Objekten waren 28 jünger als 2 Jahre; indessen 14 Objekte aus dem 8.—76. Lebensjahre herstammten. Tabellarische Übersicht über verschiedene Zustände an den Pleuragrenzen des Menschen. Alter Häufigkeit weniger als 2 Jahre | 8—76 Jahre des 3 Vorkommens Angabe d. Nummern d. Objektes I I. Vordere Pleuragrenzen. 1, a. Die Pleurablätter sind hinter der|'1, 5, 11, 13, 15,| 29, 31, 35, 39,|| 17mal ganzen Länge des Corpus sterni||18, 19, 20, 22, | 41. einander angelagert, so dass ein ||23, 26, 28. Mesocardium besteht. b. Die Pleurablätter erreichen ein- — 35, 37, 38, 39.|| 4mal ander in der sternalen Median- linie. c. Die beiderseitigen Pleuragrenzen | 1, 5, 11, 13, 14, | 30, 31, 32, 33,|| 21 mal erreichen einander hinter der|15, 17, 18, 19, | 42. linken Hälfte des Sternum. 20, 22, 23, 24, 25, 26, 28. d. Die Pleurablätter erreichen ein- 6. 29, 34, 36. 4mal ander rechts yon der sternalen Medianlinie. 2; a. Links erreicht die Pleuragrenze | 2, 3, 4, 8, 9, 10, = 9mal das Sternum nicht. 12°24 22. b. Rechts erreicht die Pleuragrenze — _ 2mal das Sternum nicht. Uber die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 193 Alter weniger als 2 Jahre 8—76 Jahre Angabe d. d. Objektes Häufigkeit des Vorkommens Nummern Die beiderseitigen Pleurablätter er- reichen einander an der vorderen Thoraxwand nicht. 4. a. Die linke Pleuragrenze verlässt das Sternum lateralwärts am Proe. ensiformis. b. Die linke Pleuragrenze verlässt das Sternum in der Höhe der 7. Rippe. ec. Die linke Pleuragrenze verlässt das Sternum in der Höhe zwi- schen 6. und 7. Rippe. d. Die linke Pleuragrenze verlässt das Sternum in der Höhe der 6. Rippe. e. Die linke Pleuragrenze verlässt das Sternum in der Höhe der 5. Rippe. f. Die linke Pleuragrenze verlässt das Sternum in der Höhe der 4. Rippe. g. Die linke Pleuragrenze verlässt das Sternum lateral in der Höhe der 3. Rippe. 5. a. Die rechte Pleuragrenze verlässt das Sternum lateral in der Höhe des Processus ensiformis. b. Die rechte Pleuragrenze verlässt das Sternum lateral in der Höhe der 7. Rippe. e. Die rechte Pleuragrenze verlässt das Sternum zwischen 6. und) 7. Rippe. d. Die rechte Pleuragrenze verlässt das Sternum lateral in der Höhe‘ der 6. Rippe. | Morpholog. Jahrbuch. 17, or 19) 15°" 19 20, 26, 28. 11,18 197. 6, 7, 16, 23. 24. 14, 25. We 26, 48.13, 18, 20, 25, 26, 28. i BAB, 12, 15, 16, 190.34 22; 24. 7, 9 14,27, 10, 17, 23, || 29. 31. 38. 32, 33, 36, 42. 30. 35, 39, 40, 41. || 30, 34. 31, 33, 36, 38, 39. 11 mal 2mal 7 mal 5 mal 5 mal 3mal 6mal 2 mal 13 mal 17 mal 6 mal 6 mal 194 T. Tanja Alter weniger als 2 Jahre | 8-76 Jahre Häufigkeit des Vorkommens Angabe d. Nummern d. Objektes II. Untere seitliche Pleura- grenzen. 1: Die untere Pleuragrenze schneidet|1, 2, 3 1., 4, 5, — 14 mal alle Rippen am Knorpel. 1,.8, 40, 14,15, 16, 17, 19, 24. 2. Die seitlichen Pleuragrenzen ver-|3, 26. — 2 mal laufen links und rechts nicht gleichartig. III. Untere hintere Pleura- grenzen. he An der Wirbelsäule stehen beide | 3, 13, 16, 18, 22,|29, 30, 32, 38,|) 14mal! Pleuragrenzen nicht in gleicher | 23, 25, 26, 28. | 39. Höhe. 2. a. Die Pleuragrenzen endigen am|4, 10, 15. 29. rechts. 4 mal oberen Rande des 13. thoraco- lumbalen Wirbels. b. Die Pleuragrenzen endigen in|l, 3 r., 5, 20,138 1. 8 mal der Höhe der Bandscheibe zwi- || 21, 24, 25 r. schen 12. und 13. thoraco-lum- balen Wirbel. e. Die Pleuragrenzen endigen in|2, 7, 11, 16 r.,|30 r., 32 r.,| 14mal der Höhe des unteren Randes |19, 261., 28r. |35, 36, 37 L, des 12. Brustwirbels. 39 ]., 41. d. Die Pleuragrenzen endigen in|/3 1, 6, 8, 9, 12,/ 29 1., 30 1.,31,| 20 mal der Höhe der Mitte des 12.13, 14, 16 1., 17,|321., 33, 39 r., Brustwirbels. 187. 20:9]. 40 r., 42. e. Die Pleuragrenzen endigen am||181.,22r., 23r., — 6mal oberen Rande des 12. Brust-|26 r., 27, 28 1. wirbels. f, Die Pleuragrenzen endigen am 22 1., 23 1. 2 mal unteren Rande des 11. Brust- wirbels. 1 Nur in zwei Fällen (26, 38) steht die linksseitige Pleura tiefer ; gewöhn- lich trifft den tieferen Stand die rechte Pleura, was mit thierischen Verhält- nissen übereinstimmt, De Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 195 Der merkwürdigen, unter II, 1 der Tabelle erwähnten Thatsache ist hier noch zu gedenken, dass in der Hälfte der Objekte jüngeren Alters, aber bei den älteren Individuen niemals ein tieferer Stand der seitlichen Pleuragrenzen angetroffen wurde (man vgl. in Betreff des Höhenstandes der seitlichen Pleuragrenzen die Fig. 21 B und 34 B). Zur Erklärung dieses Unterschiedes wird man an die Diffe- renz im Baue des Thorax beim Kinde! und beim Erwachsenen zu denken haben. Beim ersteren senkt sich die Ebene jedes Rippen- paares nach vorn weniger stark, so dass auch die Apertura superior thoraeis mehr horizontal liegt. Die Höhe der Thoraxwand in der Axillarlinie überwiegt fernerhin nicht so stark diejenige in der Ster- nallinie, als es später der Fall ist. Der Rippenbogen zieht also mehr transversal. Der Querdurchmesser der Brust beim Kinde ist relativ kleiner, der sagittale größer. Die knorpeligen Theile der Rippen sind im Verhältnis zu den knöchernen relativ länger. Hieraus entsteht allmählich der spätere Zustand, indem der Knochen der Rippen an der Grenze des Knorpels an Länge zu- nimmt, und dadurch der Knorpel relativ kürzer wird. Der Quer- durchmesser wird größer, während dessen der Verlauf der Rippen- bogen nach Henke sich dadurch ändert, dass der Zug der Mm, obliqui abdominis die sich ausdehnende Brust zusammendrückt. So lässt es sich auch denken, wie die Pleuragrenze, welche primär über die Knorpeltheile der Rippen verlief, später mehr nach oben verlagert erscheint, indem die Pleurahöhle sich nicht in dem- selben Maße ausdehnte, als die knöchernen Theile der Rippen sich verlängerten. Anhang. Es sei hier kurz noch auf einige Ergebnisse der vorliegenden Unter- suchungen beim Menschen hingewiesen, welche eine praktische Bedeutung be- anspruchen. 1) Bei den Objekten der Fälle 22, 23, 30 und 35 war fast das ganze Manu- brium sterni vom Brustfell bekleidet; es bestand mithin ein Verhalten, dessen Wichtigkeit bei einer eventuellen Trepanatio sterni zur Unterbindung hinter dem Manubrium gelagerter Gefäße einleuchtet. Sehr günstig für eine solche Operation wären die Fälle 2, 3, 7, 8, 9, 10, 12, 17, 21 und 27, in denen das Manubrium ganz oder fast ganz vom Pleuraüberzug frei bleibt. 1 Henke, Zur Anatomie des Kindesalters in GernuAarprs Handbuch der Kinderkrankheiten. Bd. I, — Syminaron, The topographical Anatomy of the child. Edinburgh. E. S. Livingstone 1887. 13* 196 T. Tanja 2) In unmittelbarer Abhängigkeit des Verhaltens der vorderen Pleura- grenzen steht die wichtige, vielfach diskutirte Frage, wo und wie man die Er- öffnung der Perikardialhöhle vornehmen soll. Dass selbst an der schon von LARREY zur Paracentesis pericardii angegebenen Stelle — die Ecke zwischen dem Processus ensiformis und der letzten linken sternalen Rippe — die Mög- lichkeit nicht ausgeschlossen ist, von anderen Gefahren abgesehen, mit der Pleurahöhle in Berührung zu kommen, belegen unsere Fälle 5, 20 und 29. In dieser Hinsicht gewähren jedoch die von LuscHKkA im Atlas anempfohlenen Stellen des fünften Intercostalraumes lateral oder medial der Vasa mammariae internae noch viel weniger Schutz; man vergleiche in Bezug hierauf die oben in der Tabelle unter I a angeführten Fälle. Der gewonnenen Anschauung über das Verhalten der vorderen Pleuragrenzen gemäß behauptete HAMERNIK, dass die Punktion an dem von LuscHKA angegebenen Orte, wenn nicht vorher Verwachsung der Pleurae costalis et pericardialis stattgefunden hatte, niemals möglich sei, ohne gleichzeitige Eröffnung der Pleurahöhle herbeizuführen. Dass HAMERNIK jedoch zu exklusiv ist, beweisen unsere Fälle 2, 3, 8, 9, 10, 12, 14, 17, 21, 25, 30, 32, 36, 38 und 42. Man kann eigentlich von vorn her- ein nirgendwo vor einer Verletzung der Pleura bei der Eröffnung der Peri- kardialhöhle sich sicher fühlen; nur nach Resektion einer Rippe oder Trepa- nation des Brustbeines konnte man der Gefahr der Pleurabeschädigung mit Gewissheit vorbeugen. _ 3) Von mehreren Seiten! ist auf eine andere gefahrvolle Stelle der Pleura- höhlen aufmerksam gemacht, welche auch unsere Fälle 2, 4, 5, 7, 10, 15, 20, 21, 24, 29 r. und 31 aufweisen. Bei sehr tiefer Lage der hinteren unteren Pleuragrenzen kann es leicht geschehen, dass man bei der Nephrotomie durch die Führung des Lumbalschnittes bis zur letzten Rippe die Pleurahöhle eröffnet. Größer ist noch die Gefahr — auch bei normalem Verhalten der Pleuragrenzen — wenn man wegen Rückbildung der 12. Rippe die 11. für die letzte hält und dem zufolge bis zu dieser den Schnitt legt. Dies hat sich thatsächlich zuge- tragen — man siehe den von Hort beschriebenen Fall —, so dass man stets Sorge zu tragen haben wird, die Zahl der Rippen zu bestimmen und den Lum- balschnitt so wenig wie möglich nach oben zu führen. 1 Panscu, Anatomische Vorlesungen — Uber die unteren und oberen Pleuragrenzen. Archiv für Anatomie. 1881. — Uber die Lage der Nieren ete. Archiv für Anatomie. 1876. M. Horn in LANGENBECK’s Archiv. Bd. XXV. pag. 224. Über die Grenzen der Pleurahöhlen bei den Primaten ete. 197 Erklärung der Abbildungen. Tafel IX—XII. Einer specielleren Erklärung der einzelnen Figuren können wir uns wegen deren Einfachheit und der stets hinzugefügten, Alles erläuternden Bezeichnung enthalten. 5 A. Vordere Ansicht des Thorax bei Vespertilio murinus; man erkennt den Verlauf der Pleuragrenzen aus den rothen Linien, den Stand der vorderen Lungengrenzen aus den schwarzen Linien. Die Größe der Incisura cardiaca und des Processus linguiformis tritt auf diese Weise zu “Tage. 5 B zeigt die Ansicht der letzten Rippen und deren Nachbarschaft von hinten. Fig. 8 C giebt die vordere Ansicht der 12—14 thoraco-lumbalen Wirbel und der beiderseitigen letzten Rippen an. Fig: SC Fig. 10,€ geben analoge vordere Ansichten wieder. Fig. 14 C Fig. 16 B Von den auf die menschlichen Verhältnisse Bezug nehmenden Fig. 19—34 sind nur die Fig. 19 A und B, 20 A und B, 22, 23 B, 31, 32 A und D getreu nach dem Objekte gezeichnet; bei den übrigen wurden die {Pleuragrenzen in ein Schema eingetragen. Bei den ersten Figurennummern bis 30 wurde dazu die Ansicht eines kindlichen, bei den Fig. 33 und 34 die eines erwachsenen Thorax benutzt. Fig. Fig. Fig. 32 B stellt eine hintere Ansicht dar. Die Figuren d, e, f und g der Taf. XII .vergegenwärtigen uns die im verkleinerten Maßstabe wiedergegebenen} Ansichten LuscHkA’s, HAMERNIK'S, Weır’s und Arsy’s über die vorderen Pleuragrenzen. Die schematischen Figuren « und A veranschaulichen die extremen Zu- stände der Pleuragrenzen, wie sie sich aus den Litteraturangaben entnehmen lassen. Uber das Centralnervensystem, insbesondere über das Rückenmark von ÖOrthagoriseus mola. Von B. Haller. Mit Tafel XIIJ—XV und 3 Figuren im Text. Gilt in irgend einem Punkte der menschlichen Anatomie der Satz, dass nach vollkommener Einsicht in die Ontogenie eines Or- gans' es hauptsächlich die vergleichende Anatomie ist, durch welche wir volle Klarheit über das Wesen jenes Organs erhalten, so ist dieses gewiss bei dem Centralnervensystem der Fall. Man wird andererseits aber auch den Satz gelten lassen müssen, dass über zahlreiche Punkte in der Hirnanatomie erst dann volle Klarheit ver- schafft werden kann, wenn wir einmal mit dem Bau des Rücken- markes, als des einfacheren Organs, im Reinen sind. Von diesem Ge- sichtspunkte aus betrachtet ist das Studium der Struktur des Rücken- markes der niedersten Wirbelthiere von der größten Wichtigkeit. Obgleich sich nun in der letzten Zeit in dieser Richtung hin eine ge- wisse achtungswerthe Thätigkeit entfaltet hat, so scheint es mir doch, als ob nicht mit dem entfernteren Objekte begonnen worden wäre. ! Als solche ist hier für das Centralnervensystem die histogenetische Un- tersuchung P. Frecnsie’s (»Die Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark des Menschen«. Leipzig 1876) zu bezeichnen, wodurch das gleichzeitige Auf- treten der Markscheiden bestimmter Stellen in verschiedenen Höhen auf deren Zusammengehörigkeit geschlossen und hierdurch zu zahlreichen wichtigen Re- sultaten gelangt wurde. Dieser Untersuchung folgte, die gleiche Richtung ein- haltend, die Abhandlung Micu. LENHOSssSK’s jun. (Untersuch. über die Ent- wicklung der Markscheiden und des Faserverlaufes im Rückenmark der Maus). Archiv für mikr. Anat. Bd. XXXIII. 1889. J u Cercapith sinie. Fig.13a & & = 3 > x & Foetus harman. SEELE \\ Taf All. Schema e. nach Lusch. Schema f Pleunngrenzen a Pleuragrenzen nach Achy. hema h Pleuragrenzen nach Weil. Senn cheme /. rg ya Verlag y Wilh. Engelmann ın Lepag. E Über das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 199 Ich meine hier selbstverständlich nicht diejenigen Arbeiten, die sich _ eingehender mit dem Fischhirne beschäftigten, denn dieses Gebiet _ war so vernachlässigt, dass selbst iiber Fragen, wie die Feststellung _ der Bedeutung der einzelnen Hirnabschnitte in Vergleichung mit dem _ Hirne höherer Vertebraten, Klarheit zu schaffen eine brennende Frage war, sondern diejenigen, welche, von dem angeführten Satze aus- gehend, sich mit dem Rückenmarke beschäftigten, aber anstatt die _ Arbeit mit den Fischen zu beginnen, sich an die Amphibien oder geradezu an die niederen Säuger wendeten. Denn wenn wir auch zugestehen müssen, dass durch das Studium der Histogenese des Rückenmarkes bei den Amphibien eine wichtige Frage, jene über die Herkunft der Neuroglia, die nach BURCKHARDT! aus denselben ektodermalen Zellen entsteht wie die nervöse Substanz selbst, heute eben durch die Arbeit dieses Forschers endgültig gelöst ist: so wird, was den Faserverlauf und den Ursprung der Spinalnerven anbelangt, das Studium des Rückenmarkes niederer Knochenfische, wie es die Pleetognathen und wahrscheinlich die Lophobranchen sind, erst volle Klarheit verschafft werden können. Dass dieses richtig ist, dafür spricht vorliegende, wenn gleich fragmentarische Arbeit. Hierbei ist natürlich das Studium des Rückenmarkes, auch schon aus rein phy- logenetischem Gesichtspunkte betrachtet, der übrigen Teleostier und eben sowohl jenes der Selachier und Ganoiden, von großer Wichtig- keit. In oben angeführter Richtung für minder wichtig halte ich das Studium des Rückenmarkes von Amphioxus, für wichtiger je- doch jenes der Cyelostomen. Über die Rückenmarksstruktur der Selachier ist, wenn wir von den wenigen mehr nebenbei gemachten Angaben in den Arbeiten über das Hirn derselben absehen, fast nichts bekannt. Die einzige Arbeit ist hierüber, so viel mir bekannt, jene Srrepa’s?. Eben so war es dieser Forscher?, der neben OwsJannıkow' Beiträge zur Kenntnis des Rückenmarkes der Teleostier lieferte; doch hat dieses Thema noch lange keine befriedigende Behandlung erfahren. 1 K. R. BURCKHARDT, Histologische Untersuchungen am Rückenmarke der Tritonen. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXXIV. 1889. 2L. Srrepa, Uber den Bau des Rückenmarkes der Rochen und Haie. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XXIII. 1873. 3 L. Strepa, Über das Riickenmark und einzelne Theile des Gehirns von Esox lucius L. Dorpat 1861; und Studien über das centrale Nervensystem der Knochenfische. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XVII. 1868. 4 Pu. OwSJANNIKOW, Disquisitiones microscopicae de medullae spinalis | textura. Dorpat 1854. rc. 200 B. Haller Bei Weitem besser sind wir über das Rückenmark der Cyclo- stomen unterrichtet. Neben anderen weniger ausführlichen Angaben sind es die Arbeiten REıssner’s!, FREUD’s? und NANSEN’s?, und ins- besondere AHLBORN’s!, welche unsere Kenntnis hierüber bereicherten. Über das Rückenmark wie über das Centralnervensystem von Orthagoriseus überhaupt rührt die erste Beschreibung von ARsAKy® her, deren mangelhafte Abbildung zur irrigen Auffassung führte, wie wenn das äußerst kurze Rückenmark in mehrere hinter einander ge- lagerte Ganglienknotenpaare differenzirt wäre. Die Unrichtigkeit dieser Auffassung, welche eben durch ArsakXy's Abbildungen unbe- dingt hervorgerufen werden musste, wurde von ViGNAL® widerlegt, der die Einheitlichkeit des Rückenmarkes beim Mondfische richtig erkannte. Später scheint aber Ussow, der eine Bearbeitung über die accessorischen Rückenmarksknoten der Teleostier veröffentlichte”, abermals der Meinung sich hingeneigt zu haben, das Rückenmark von Orthagoriseus sei in einzelne hinter einander gelegene Ganglien- anschwellungen getheilt, worauf dann VıGnAaL® abermals für die Einheitlichkeit des Rückenmarkes von Orthagoriscus eintrat. Ich werde auf die zwei Aufsätze Vıenar's bei der speciellen Beschrei- bung noch öfter zurückkommen. Vor 11 Jahren gelangte ich in den Besitz eines Rückenmarkes und Hirnes von Orthagoriscus, welches aber wie altes Alkoholprä- parat nur die Anfertigung sehr dicker Querschnitte gestattete. Später, als ich mich mit dem Studium des Rückenmarkes überhaupt be- ! E. REISSNER, Beiträge zur Kenntnis vom Bau des Rückenmarkes von Petromyzon fluviatilis. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1860. 2 §. FREUD, Uber den Ursprung der hinteren Nervenwurzeln im Rücken- mark von Ammocoetes. Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Bd. LXXV. 3 F. Nansen, The Structur and Combination of the Histological Elements of the Central Nervous System. Bergen 1887, 4 Fr. AHLBORN, Untersuchungen über das Gehirn der Petromyzonten. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XXXIX. 5 A. Arsaky, Commentario de piscium cerebro et medulla spinalis. Lipsiae 1836. 6 W. Viana, Note sur lanatomie des centres nerveux du mole, Ortha- goriscus mola. Arch, de Zool. expér. et générale. Tome IX. 7 Ussow, De la structure des lobes accessoires de la moelle de quelques poissons osseux. Arch. de Biologie. Tome III. 1882. Citirt nach VIGNAL. Außerdem existirt noch eine andere Abhandlung von Ussow in russischer Sprache, die mir jedoch nicht näher bekannt ist. 8 W. VıGnAL, Sur les lobes accessoires de la moelle du Mole. Comptes rendus hebdomaires des séances mémoires de la société de biologie. Tome III. 8. ser. 1886, Uber das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 201 schäftigend, mir diese Querschnittserie genauer betrachtete, musste es mir sofort klar werden, dass die alte, auf ARsAKy’s ungenauer Beobachtung gegründete Ansicht unrichtig sei. Bei meinen sehr dieken Präparaten konnte bloß dieses, sonst weiter aber nichts konstatirt werden, und so musste in mir der Wunsch rege werden, Exemplare des Centralnervensystems vom Mondfische frisch zu er- halten, die ich dann nach zweckentsprechender Methode zum Schnei- den konserviren könnte. Bei einem Aufenthalte in Triest gelangte nun ein riesenhaftes Exemplar in den Besitz der dortigen zoologischen Station, deren Centralnervensystem mir vom Inspektor Herrn Dr. GRAEFFE freundlichst zur Verfügung gestellt wurde. So wurde das frisch herausgehobene Centralnervensystem in toto untersucht und gezeichnet, dann aber das Rückenmark in dicke Querschnitte zer- legt, welche numerirt, zuvor mit Überosmiumsäure behandelt, nach- träglich aber in der üblichen Weise gradatim in absoluten Alkohol gebracht wurden. Nach erfolgter vollständiger und sehr gelungener Härtung wurden die Präparate geschnitten und mit ammoniakali- schem Karmin gefärbt. Die so erhaltene Querschnittserie ist vor- züglich gelungen und manche der Schnitte unter ihnen erlangten die möglichste Dünne. Dass ich mich jedoch mit dieser einzigen Serie von Querschnitten, deren Studium ich noch im Jahre 1883, so wie sie hier in dieser Arbeit vorliegt, beendete, nicht gern begnügt hätte und neben anderen Serien auch noch horizontale und sagittale Längs- schnitte gern untersucht hätte, brauche ich wohl kaum zu versichern. Ich gab mir möglichst Mühe, wenigstens noch zwei Riickenmarke von Orthagoriscus zu erhalten, doch vergebens. Erstens ist dieser Fisch bei Triest eben so selten! wie bei Roskoff, worüber sich VısGnAL beklagt, der zu histologischen Zwecken gleichfalls nur ein einziges Exemplar verwerthen konnte, später aber noch drei an- dere Exemplare erhielt, zweitens aber müsste das Centralnerven- system von in dieser Richtung ganz fachkundigen Händen konservirt werden. Da mir bis zur Zeit aus verschiedenen äußeren Gründen an die See zu gelangen unmöglich war, und die angeführten Ver- hältnisse jede Hoffnung auf das Erlangen von histologisch brauch- barem Material nehmen, so glaube ich, ist die Veröffentlichung dieser fragmentarischen Arbeit schon hierdurch einigermaßen gerechtfertigt. ! In der Adria kommt bei Triest und Venedig noch ein anderer Mond- fisch, die Ranzania truncata vor (s. hierüber die zwei Arbeiten von E. F. Trois, Ricerche sulla struttura della Ranzania truncata. 1984 Venezia (Anto- nelli). Aus Atti del R, Instituto veneto di science, lettere et arti. Ser. 6. Tome IT. 202 B. Haller Trotz alledem hätte ich diese Fragmente in dieser Form nie der Öffentlichkeit übergeben (denn an fragmentarischen Beiträgen ist ja die zoologische Litteratur überreich genug), wenn mich zwei Mo- mente nicht weiter hierzu bewogen hätten. Seit Jahren war ich bestrebt, die doppelte Ursprungsweise der Nervenfasern aus dem centralen Nervensystem, einestheils direkt aus den Ganglienzellen, anderentheils aus dem centralen Nervennetze nachzuweisen. Dieses gelang mir bei Mollusken! und den Würmern?; es musste somit ge- wissermaßen einen Abschluss meiner diesbezüglichen Studien bilden, J. GERLACH’s Entdeckung? auch bei einem Wirbelthiere zur vollen Geltung zu bringen. Dieses erreichte ich aber nirgends besser wie bei dem Mondfische. Andererseits konnte ich aber in Betreff der Ursprünge im Rückenmarke bei diesem Fische Verhältnisse erkennen, die zum Theil für das Rückenmark anerkannt wurden, seit geraumer Zeit aber den Neurohistologen zu den heftigsten Diskussionen Anlass gaben. Ich glaube somit annehmbare Gründe angeführt zu haben, um mich vor dem Vorwurfe voreiliger Veröffentlichung zu sichern. Könnte meine Arbeit neben den angeführten Punkten noch das viel bedeutendere Ziel erreichen, besser situirte Forscher zur ausführ- licheren Untersuchung des Rückenmarkes nicht bloß von Orthagoris- cus, sondern der Plectognathen überhaupt, vielleicht auch der leider bis jetzt in keiner anatomischen Beziehung genügend berücksichtigten Biischelkiemer zu veranlassen, so wäre durch diese Arbeit mehr, als ich durch das Neugefundene hoffen darf, gewonnen worden. Retesdorf bei Schaessburg in Siebenbürgen, im Sept. 1890. Hirn und Rückenmark in toto. Die Arsary’sche Beschreibung bei Seite lassend, möchte ich be- merken, dass die VıGnar'schen Abbildungen nur wenig den ersteren vorzuziehen sind; sie sind jedenfalls in so fern korrekter, als sie die Oberfläche des Rückenmarkes glatt erscheinen lassen, bleiben jedoch immer noch in dem Fehler, das Rückenmark zu kurz zu zeigen. Besonders sind die Vıcnar’schen Abbildungen desshalb zu ! B. HALLER, Studien über marine Rhipidoglossen. II. Th. Morph. Jahrb. Bd. XI. 2 B. HALLER, Beiträge zur Kenntnis der Textur des Centralnervensystems höherer Würmer. Arbeiten aus dem zoolog. Institut zu Wien. Bd. VII. ® In STRICKER's Handbuch der Lehre von den Geweben. - Uber das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola, 203 rügen, dass sie auf die Detailverhältnisse viel zu wenig Licht werfen. In seiner ersteren Arbeit erkannte VianaL gar nicht, dass die ober- halb des Centralkanals gelegene Hälfte früher aufhört als die unter- halb desselben befindliche, desshalb blieben ihm seine Querschnitte aus dem hintersten Ende des Riickenmarkes unklar, und er findet hier, dass der Centralkanal aufhöre, und »la scissure posterieure apparait seulement sous la forme d’une petite depression«. In seiner zweiten, nach der Ussow’schen Arbeit gelieferten Mittheilung ent- spricht seine Profilabbildung (Fig. 3) in diesem Punkte schon besser der Wahrheit, aber seine Darstellung von oben (Fig. 1) ist sehr zu tadeln. Im Texte hat er dagegen richtig angegeben, dass die vor- deren zwei Längssäulen oder jene Hälfte unterhalb des Centralkanals weiter nach hinten reicht als die oberen Säulen. Ich denke hiermit die Vıanar’sche Beschreibung für jetzt genug berücksichtigt zu haben und darf auf meine eigenen Beobachtungen übergehen. Das Vorderhirn (Fig. 1 »A) ist im Verhältnis zu den anderen Hirnabschnitten, und insbesondere zum großen Zwischenhirn (zh) sehr klein. Betreffs des Größenverhältnisses zu einander etwa dürfte Ähnliches bestehen wie bei Esox oder Scomber vulgaris. Die jeder- seitigen, etwas abgerundet dreieckigen Vorderhirntheile legen sich nach vorn zu und medianwärts nieht eng an einander an, sondern durch die Divergenz ihrer vorderen medianen Ränder bleibt. zwischen ihnen ein kleiner Raum übrig. Somit stoßen die inneren Ränder der jederseitigen Vorderhirntheile nur hinten an einer kleineren Strecke zusammen. Das Vorderhirn zeigt windungsartige Eindrücke, wie solehe unter den Teleostiern, am ausgesprochensten bei Gadus Mer- langus und Conger vulgaris anzutreffen sind!. Diese Eindrücke sind also windungsartig und nicht bloße Längsfurchen, wie diese bei den riesigen Vorderhirnen der Corvina nigra anzutreffen sind. Letzteres Verhalten zeigt aber ein anderes Pleetognathe, nämlich Tetrodon eutaneus (Fig. 3), dessen verhältnismäßig größeres Vorderhirn sich dadurch von jenem des Orthagoriscus unterscheidet. Die dem Vor- derhirn anliegenden Bulbi olfactorii sind bei Orthagoriseus von oben nieht sichtbar. Am Mittelhirne (mh) sind die Lobi centrales gleich wie bei Te- trodon (Fig. 3) sehr entwickelt; ein wesentlicher Unterschied zwi- schen diesen zwei Formen der Plectognathen besteht darin, dass, 1S. h. E. Bauperor, Recherches sur la systöme nerveux des Poissons. Paris 1883. 204 B. Haller während bei letzterem die weniger schön gewölbten Lobi centrales ihrer ganzen Länge nach fest an einander schließen und, somit das ganze übrige Mittelhirn verdeckend, nach hinten an das Hinterhirn fest anstoßen (Fig. 3), bei ersterem können sie bis zu ihrer vor- deren Hälfte mit ihren inneren Rändern an einander liegen, mit ihren hinteren aber weit aus einander gehen und zwischen sich einen dreieckigen Raum frei lassen, in welchem die Valvula cerebelli von FrrrscH oder die Eminence lobée von BAUDELOT (v.c) frei zu liegen kommt. Dieses Verhalten ist überhaupt nur bei sehr wenigen Kno- chenfischen anzutreffen, und wenn wir von den Verhältnissen bei Cyprinoiden absehen, nur noch bei Clupeiden, aber auch hier bei Weitem nicht in dem Maße wie bei Orthagoriscus. In den mangel- haften Abbildungen Arsaxky’s und ViGNAL’s ist dieses Verhalten nicht erkenntlich, auch thun sie dessen keiner Erwähnung. Sehr mächtig entwickelt sind die Sehnerven (n.0p), indess die Geruchsnerven (z.0/) auffallend schwach erscheinen. Da dieses Ver- halten sich bei Tetrodon nicht vorfindet (Fig. 3), bei Fischen jedoch mit enormen Augen, wie auch bei Luvarus, ganz ähnlich sich trifft, so scheint es, als ob das Auge bei Fischen sich öfter zu Ungunsten des Geruchsorgans enorm entfalte!. Das kurze breite Rückenmark beträgt nur etwas mehr als Hirnlänge. Die breite, jedoch wenig hohe Medulla oblongata wird allmählich nach hinten zu schmal (Fig. 2), um sich dann zum Rückenmarke zu verdicken. Hierdurch entsteht am vorderen Ende des Rückenmarkes ein nach hinten sich verjüngender Ab- schnitt, welcher, wie Querschnitte lehren (Fig. 20, 21), das ver- längerte Mark vorstellt. An der Abgangsstelle des einzigen unte- ren Vagusastes (Fig. 2 a, Fig. 20 un.vag) ist die Rautengrube noch vorhanden, und erst kurz nachher beginnt sie sich zum Centralkanal zu schließen. Dieser ganze konische Abschnitt und sogar noch ein Theil des übrigen Rückenmarkes wird vom Hinterhirn überdeckt (Fig. 1). Die größte Breite erreicht das Rückenmark bald nachdem es aus dem hinteren Ende der konischen Oblongata sich zu verdieken beginnt, und verdünnt sich allmählich bis zu seinem Ende. Dieses vergegenwärtigt am besten die naturgetreue Abbildung (Fig. 2), die allerdings mit VıGnAL’s Zeichnungen nicht übereinstimmt. 1S. h. in KRUKENBERG@’s Vergleichend - physiologischen Studien an der Kiste der Adria. Vierte Abtheilung. 1881. Uber das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 205 Durch eine Fissura longitudinalis superior (posterior) und eine Fissura longitudinalis inferior (anterior) wird das Rückenmark äußer- lich in eine rechtsseitige und in eine linksseitige Hälfte getheilt. Durch eine jederseitige Lateralfurche, woraus die oberen (hinteren) Rückenmarksnerven das Rückenmark verlassen, wie dies durch Viena bekannt wurde, wird jede Hälfte in ein oberes (Fig. 4, 5 A, A’) und ein unteres (B, B’) Stück zerlegt. Wir wollen sie die oberen und unteren Längssäulen nennen, um mit VıGnarn’s Nomen- klatur im Einklange zu verbleiben. Die unteren Längssäulen run- den sich am Ende des Rückenmarkes, indem sich hier die Fissura longitudinalis inferior (anterior) allmählich verliert, zu einem einheit- lichen Stücke ab (Fig. 2). Ganz anders enden die oberen Längs- säulen, denn hier erhält sich die Fissura longitudinalis superior (posterior) bis zum Rückenmarksende, und die, letzteres nicht ganz erreichenden oberen Längssäulen runden sich von den unteren und von einander ab (Fig. 1). Wie ich mittheilte, verlassen die oberen (hinteren) Rückenmarksnerven das Rückenmark aus den Lateral- furchen. Das letzte Paar dieser Nerven tritt nun zu Ende der obe- ren Längssäulen aus den hier in einander übergehenden Lateral- furchen als fest an einander gelagerte, platte, lockere Stränge ab, welche in dieser Form die unteren Stränge von oben fast ganz ver- deeken und erst am Ende des Rückenmarkes, einem Filum terminale (Fig. 1 ft) nicht unähnlich, zu zwei eng an einander gelagerten Nerven sich verdicken. Die unteren (vorderen) Rückenmarksnerven verlassen das Rücken- mark aus der Fissura longitudinalis inferior (anterior) dieht an ein- ander oder ‚hinter einander gelagert (Fig. 2). Da die untere (vor- dere) Längsfurche, allmählich seichter werdend, nach hinten zu schwindet, rücken die hintersten unteren (vorderen) Nervenpaare bei ihrem Abgange aus einander. Bei seinem Abgange ist das letzte Paar dieser Nerven an seiner Wurzel ganglionartig verdiekt, doch habe ich es nicht feststellen können, ob diese Verdiekung, was sehr wahrscheinlich ist, auf einer wirklichen gangliösen Anschwellung beruht. Der Grund hiervon war, dass jener Rückenmarkstheil, wo bereits die oberen Säulen aufhörten, beim Schneiden leider verun- glückte. Über diesen Theil hat auch Vıawar, der doch betreffs des Materials in viel günstigerer Lage war als ich, nichts von Bedeu- tung mitgetheilt. ~ Während ihrer ganzen Länge zeigen die Längssäulen keine An- schwellungen, wie dieses auf ArsAky’s Abbildung dargestellt ist, 206 B. Haller sondern sie sind, wie VIGNAL nachgewiesen, durchaus gleichmäßig gestaltet. Was die Zahl der Nervenpaare betrifft, so wäre es möglich, dass einige (sehr wenige) beim Herauspräpariren aus dem Riicken- markskanale abgerissen wären, wesshalb ich die Zahl, die bei der großen Koncentration des Riickenmarkes bei verschiedenen Exem- plaren wahrscheinlich innerhalb geringer Grenzen schwanken, nicht mit voller Sicherheit angeben kann. Ich denke aber durch natur- getreue Abbildung die Sache so zu vergegenwärtigen, dass bei even- tuellen Schwankungen anderer Exemplare der Eindruck im Wesent- lichen nicht beeinflusst wird. Von den Spinalganglien war an dem Präparate nur eines in der hinteren Hälfte linkerseits erhalten. Die oberen (hinteren) Ner- ven treten (Fig. 1) ziemlich gleich weit von einander ab. Sie liegen zu zweit dicht an einander. Ihre Zahl war rechterseits sechs, linker- seits zehn, welche Ungleichheit wohl durch die Verschmelzung, be- dingt als Folge der großen Koncentration des Rückenmarkes, er- klärlich ist. Jedenfalls lässt sich die Verschmelzung von zwei bis drei hinter einander folgenden Nerven hier leicht nachweisen. Linkerseits vereinigten sich zwei, rechterseits drei untere (vordere) Spinalnerven mit einander, und nur die hinteren verliefen gleich von Anfang an separirt von einander. Vor diesen vereinigten Nerven- paaren scheinen zwei rechterseits abgerissen zu sein. Nach dem Präparate zu urtheilen (Fig. 2), dürfte die Zahl der unteren (vor- deren) Nerven nicht oder doch wenig über 11 zu setzen sein. Bei diesem Verhalten blieb durch unvorsichtiges Herauspräpariren eine äußerst wichtige Frage in der Schwebe, was bei dem Umstande, dass es sich hier um ein äußerst koncentrirtes Rückenmark handelt, bedauerlich ist. Es ist dies die Frage nach dem Verschmelzen der Spinalganglien an Stellen, wo hinter einander folgende Nerven mit einander’ verschmolzen waren, eine Frage also, die spätere Unter- suchungen nicht versäumen dürfen. Die inneren Verhältnisse des Rückenmarkes. Nach Beschreibung der äußeren Befunde wende ich mich zu jener des inneren Verhältnisses des Rückenmarkes und der Medulla oblongata. Bevor ich jedoch letzteres vornehme, will ich jene des ersteren vorführen, da durch dessen Kenntnis des einfacheren Organ- theiles das Andere besser verstanden werden kann. Zuerst seien nn Über das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 207 die allgemeinen topographischen Verhältnisse an einem Querschnitte aus dem vorderen weiteren Theile des Rückenmarkes erörtert. Vor Allem muss auffallen, wie dies auch VicNAL auffiel und von ihm Erörterung erfuhr, dass eine Sonderung der Rückenmarkssubstanz in eine centrale sogenannte graue und in eine dieselbe allseitig umgebende, zum größten Theil aus längsverlaufenden, mehr oder _ weniger markhaltigen Nervenfasern bestehende sogenannte weiße Substanz, wie wir es bei allen nur bekannten Riickenmarken zu finden gewohnt sind, hier nicht vorhanden ist. Denn wenn wir, selbst bei den äußerst dürftigen Angaben über das Fischrückenmark, recht gut wissen, dass eine so scharfe Sonderung dieser zwei Sub- stanzen, wie sie von den Selachiern aufwärts bei den Wirbelthieren vorkommt, bei Knochenfischen nicht auftritt, wie auch Frirscn! be- reits vor 9 Jahren ausdrücklich bemerkt hat, dass die sogenannte Hörnerbildung der grauen Substanz bei den Knochenfischen fehle, so muss der gänzliche Mangel einer solchen Sonderung doch über- raschen. Mit Bezug auf das Rückenmark der Knochenfische ist bei Orthagoriscus jedoch die Thatsache weniger überraschend, dass Gan- glienzellen dem oberen (hinteren) Theile des Rückenmarkes in den oberen Längssäulen, von welchen die oberen (hinteren) Spinalnerven ihren Ursprung nehmen, vollständig abgehen, und dass sie nur im unteren (vorderen) Theil, in den vorderen Längssäulen anzutreffen sind. Den großen Mangel an Ganglienzellen in dem hinteren Theile des Rückenmarkes bei Knochenfischen konstatirend, kommt Fritsch sogar zu folgender Äußerung: »Mit großer Wahrscheinlichkeit darf man demnach behaupten, dass die Gefühlssphäre des Centralnerven- systems bei den Fischen verhältnismäßig schwach entwickelt sei, und dies scheint um so plausibler, wenn man bedenkt, wie der bei Weitem größere Theil dieser Thiere (wohl Knochenfische H.) mit festen Schuppen oder Knochenschildern großer Gebiete der Ausbreitung für Gefühlseindrücke aufnehmende Hautnerven entbehrt, andererseits fehlt es nicht an specifischen, von besonderen Nerven versorgten ‚Sinnes- organen, um das Defieit theilweise auszugleichen?.« Thatsächlich wurde die große Armuth an Ganglienzellen in den Bezirken des Ur- sprunges der oberen (hinteren) Wurzeln auch von Srrepa beobachtet, ı In Carn Sacus’ Untersuchungen am Zitteraal, Gymnotus electricus. Nach seinem Tode bearbeitet von E. pu Boıs-Reymonn. Leipzig 1881, An- hang: Gehirn und Rückenmark von G. FrırscH. pag, 329. 2]. ec. pag. 330. “ 208 4 B. Haller wenn gleich er hei Esox! und Cyprinus? dortselbst Ganglienzellen in sehr beschränkter Zahl antraf, die aber bei Perca® beinahe auf Null sinken. Bei Orthagoriseus ist aber dieses Verhalten dahin gediehen, dass man thatsächlich in den oberen Längssäulen keine Ganglien- zellen mehr antrifft*. Diese und andere, während der Beschreibung zu erörternde Verhältnisse dürften immerhin den Gedanken wach- rufen, dass manches dieser Verhältnisse der intensiven Koncentra- | tion des Orthagoriscusriickenmarkes zuzuschreiben sei. Um jedoch den Leser im Voraus das Urtheil hierüber zu erleichtern, führe ich einen Querschnitt des ganz normale Länge und Dicke eines Fisch- rückenmarkes besitzenden Rückenmarkes eines Tetrodon eutaneus L. vor. Das Präparat selbst stammt von einem Alkoholthiere her, das ich vor mehreren Jahren zum Geschenk erhielt und von welchem ich schon damals den Rückgratkanal seiner ganzen Länge nach öffnete. Das Thier ward auf diese Weise abermals in starkem Alkohol kon- servirt. Obschon das Rückenmark gelitten hatte und zu Detailstudien nicht mehr verwendbar ist, so war es doch noch zu Orientirungsquer- schnitten geeignet, und eines von diesen Präparaten (Fig. 19) war bei meinen Studien am Orthagoriseusrückenmarke hinreichend zur Gewinnung eines Urtheils über jene Verhältnisse. Das sonst ganz die normale Form eines Fischrückenmarkes im Querschnitte be- sitzende Objekt weist die frappante Thatsache auf, dass auch hier eine Sonderung der grauen Substanz von der weißen noch nicht stattgefunden hat, so dass wir dieses als ein Charakteristikon für die Pleetognathen ansehen können. Die Längsfasern sind im Rückenmarke ziemlich gleich- mäßig vertheilt und nur oberhalb (os, os’) jener seichten Furche (on, on’), von wo die hinteren Nerven aus der oberen lateralen Fläche des Rückenmarkes abtreten, sowie unterhalb derselben (xs, ms’) finden sich jederseits zwei, also im Ganzen vier Bündel von Längs- 1 L. $rıeDA, Über das Rückenmark und einzelne Theile des Gehirns von Esox lucius. Dorpat 1861. 2 L. StIEDA, Studien über das Centralneryensystem der Knochenfische. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XVIII. 3 Ebenda. 4 Hierin stimmen meine Untersuchungen mit den Angaben VıGnAL's nur für die vordere Hälfte des Rückenmarkes überein, denn VıGnAL will in der hinteren Hälfte des Rückenmarkes in den oberen Säulen Ganglienzellen gesehen haben. Wie wir dieses noch sehen werden, muss ihm hier ein beklagenswerther Irrthum unterlaufen sein, und er hat größere Gefäßdurchschnitte für Ganglien- zellen gehalten. Über das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 209 fasern vor, die theilweise markhaltige Fasern führen. Die zwei oberen dieser Längsbündel gehören der oberen (hinteren), die zwei unteren den unteren (vorderen) Nervenwurzeln an, deren Längsstränge darstellend, und somit bilden diese vier Längsstränge die einzige Andeutung einer Sonderung der weißen Substanz von der grauen. Außer diesen Faserzügen waren noch zwei Querfaserzüge, die obere (cp) und untere (ca) Kommissur deutlich entwickelt. Man kann die jederseitige Hälfte des Rückenmarkes in eine obere (A) und eine untere (B) Längssäule sondern, deren Grenzen median durch die Commissura superior (posterior), lateral durch die Querwurzeln (on, on’) der oberen (hinteren) Rückenmarksnerven gegeben sind. Die oberen (hinteren) Längssäulen dienen dem Ursprunge der oberen (hinteren) Rückenmarksnerven, während die unteren das Centrum der unteren (vorderen) Rückenmarksnerven sind. All dieses soll bei Orthagoriscus genauere Erörterung finden. Ganglienzellen finden sich ausschließ- lieh in den unteren Längssäulen vor, somit fehlen auch hier Ganglienzellen in den hinteren (oberen) Längssäulen vollständig. Man kann die Ganglienzellen auf jeder Hälfte in zwei ganz bestimmte Gruppen eintheilen. Die eine dieser Gruppen (ez, zz’) lagert lateralwärts jederseits dem Centralkanale an und reicht bis zur Commissura superior (posterior) hinauf. Die Zell- gruppen hängen jederseits medianwärts unterhalb der Kommissur und oberhalb des Centralkanales mit einander nicht zusammen, viel- mehr wird diese zellfreie Stelle von der Substantia reticularis Reıss- NER’S eingenommen. Die beiderseitigen Zellgruppen stoßen nicht dieht an den Centralkanal an. Die stärkeren Fortsätze der Elemente sind zumeist horizontal gerichtet, wodurch sie eben ein sehr charak- teristisches Aussehen erhalten. Die Form der Zellen ist zumeist birnförmig, daneben aber auch vielseitig multipolar, zwischen wel- chen zwei Formen zahlreiche Übergänge sowohl in Größe wie in der Form vorkommen. Ihre Zahl dürfte auf verschiedenen Quer- schnitten jederseits zwischen drei und acht schwanken. Nach unten vom Centralkanal stoßen die jederseitigen Zellgruppen mit einander abermals nicht zusammen. Die besprochene Zellgruppe ist dieselbe, welche bei den ge- schwänzten Batrachiern den Centralkanal mehr oder weniger um- giebt und denselben bei Proteus nach KrLAussner'! sogar als eine ı F, KLAUSSNER, Das Rückenmark des Proteus anguineus. Abhandl. der bayer. Akad. II. Kl. Bd. XIV. Abth.* II. 1883, Morpholog. Jahrbuch. 17. 14 910 B. Haller äußerst dicke Zellschieht ganz umgrenzen soll, bei den Anuren aber durch eine kleinere Zellgruppe, welche lateralwärts und etwas nach unten durch den Centralkanal getrennt wird; bei den Knochenfischen findet sie sich in letzterwähnter Form und Lage oft, aber mit sehr geringer Zellenzahl überall vor. Von manchen Autoren als Central- zellen bezeichnet, nennt sie ReIssNER beim Frosche! und FrırscH bei den Knochenfischen ? die »Gruppe der inneren motorischen Zellen«. Wir wollen sie einfach die Gruppe der inneren Zellen oder die innere Zellgruppe nennen. Es ist dies jene Zellgruppe, aus welcher sich, wie FrrrscH bei Gymnotus electricus nachgewiesen hat, bei diesem Thiere die centralen Ganglienzellen der elektrischen Nerven herausbildeten. Die andere Zellgruppe (mz, mz’) liegt medianwärts und unten in der unteren Längssäule, und wird da, wo Nerven abgehen, von 9—10 Elementen gebildet, während sie in Gegenden, welche keine Nerven entsenden, also zwischen je zwei hinter einander folgenden unteren (vorderen) Nerven, je nach der Örtlichkeit sich aus 4—6 Gan- glienzellen zusammensetzt. Die äußersten dieser Elemente stoßen beinahe an die Neurogliahülle (innerste Rückenmarkshülle) und so- mit liegen sie ganz peripher. Ihre Form ist eine wechselnde. Die Differenz der Größe dieser Zellen ist jedoch nicht so bedeutend wie in der inneren Zellgruppe. Die oben beschriebene Zellgruppe ist identisch mit jener, welche bei den Batrachiern durch ReEıssner als äußere motorische Gruppe bezeichnet wurde und welche dort im vorderen Ende der Vorderhörner gelegen ist. Wenn wir von an- deren topographischen Verhältnissen absehen, so zeigen diese Zellen die bei den Batrachiern eingenommene Lage, und scheint darin eine größere Konstanz obzuwalten als bei der inneren Zellgruppe, welche oft nur durch je eine einzige Zelle vertreten sein kann oder stellen- weise ganz fehlt. Bei Teleostiern ist letzteres aber nicht der Fall. An Stellen, wo untere (vordere) Nerven direkt aus dem Rücken- marke abtreten, senden viele ‚Zellen der äußeren Zellgruppe?, wie ! E. Reissner, Der Bau des centralen Nervensystems der ungeschwänzten Batrachier. Dorpat 1864. # 1270: 8 Ich vermeide absichtlich die durch Reıssner gegebene Bezeichnung »motorisch«, da, wie es sich im Laufe der Beschreibung herausstellen wird, wir nicht berechtigt sind, alle Zellen der beiden Gruppen für motorische zu erklären. Wir können eine einzige Zelle erst dann für motorisch benennen, wenn wir den absoluten Nachweis dessen, dass einer seiner Fortsätze sich in den unteren (vorderen) Nervenstamm begiebt, erbracht haben. — a ee Uber das Centralnervensystem u. das Riickenmark von Orthagoriscus mola. 211 wir sie nennen wollen, einen ihrer stärksten Fortsätze direkt in den abgehenden Nerven. Weiter auf die einzelnen Detailverhältnisse einzugehen, ist hier nicht der Ort. Meine Präparate waren auch nicht geeignet, und die gegebene kurze Beschreibung genügt voll- ständig, um der Vergleichung mit dem Riickenmarke von Orthago- riscus dienen zu können. In der Gruppe der inneren Zellen bestehen bei Orthagoriscus verschieden große Elemente, die größten unter ihnen sind mehr oder weniger birnförmig (Fig. 4, 6, 11, 12 zz, zz’), wobei ihre Haupt- fortsätze sich horizontal verlaufend lateralwärts in die unteren Längs- säulen begeben. Hierdurch erhält diese Zellgruppe ein äußerst charakteristisches Aussehen. Zwischen den großen birnförmigen Zellen lagern kleinere, mehr oder weniger vieleckige, oder wie man sie gemeinhin bezeichnet: multipolare Zellen, ich sage gemeinhin, denn auch eine birnförmige Ganglienzelle kann, obwohl sie einen oder zwei stärkere Fortsätze besitzt, doch multipolar sein, und sie ist es hier in der That, denn bei starken Vergrößerungen erkennt man deutlich genug, dass sie außer dem Hauptfortsatze, der sich aber alsbald theilen kann, noch zahlreiche, zumeist sehr feine Fort- sätze besitzen (Fig. 18). Die Gruppe der inneren Zellen reicht nie bis zum oberen (hin- teren) Ende des Centralkanales, und eben so hört sie nach unten oberhalb der Commissura transversa! inferior (anterior) auf, so dass die beiderseitigen Zellgruppen mit einander nicht zusammenstoßen (Fig. 4, 5). Die Zahl der Elemente dieser Gruppe schwankt nun innerhalb geringer Grenzen, und ich glaube nicht irre zu gehen, wenn ich diese Schwankung zwischen fünf und neun setze. Es lässt sich auf Querschnitten schwer feststellen, ob diese Schwankung ge- wissen Gesetzen unterworfen sei. Nach unten zu reicht diese Zell- gruppe oft bis beinahe an die äußere Zellgruppe, wird von ihr aber dann fast immer durch die Ausstrahlung der unteren Querkommissur (Fig. 6) getrennt. Über das Verhalten der Fortsätze dieser Ganglien- zellen habe ich Folgendes ermitteln können. Hier und da, doch nicht besonders häufig, trifft man direkte Verbindungen (Anasto- mosen) zwischen zwei Zellen an, die entweder benachbart (Fig. 4 links, Fig. 5, 6 rechts) oder sehr weit aus einander gelegen sind (Fig. 6 links). Hierbei kann es eben so zwischen den sogenannten ! Aus später anzugebenden Gründen nenne ich die Commissura inferior (anterior s. alba Aut.) »transversa«. 14* 212 B. Haller multipolaren als zwischen den birnférmigen Zellen oder zwischen beiden zu Verbindungen kommen, wie man denn thatsächlich oft gar nicht festzustellen weiß, ob eine Zelle mehr der Birnform oder der sogenannten multipolaren Form zuzurechnen sei, denn es giebt hier wie überall im Thierreiche zwischen den verschiedenst geformten Ganglienzellen zahlreiche Übergänge. Nie habe ich aber konstatiren können, dass drei Zellen mit einander direkt zusammen- gehangen hätten. Es ist somit unter diesen Zellen die direkte Ana- stomose nicht vorwaltend, sie sind seltener als z. B. im Rückenmarke der Säugethiere, wo die Ganglienzellen der vorderen Hörner fast alle unter einander zusammenhängen!. Bei den birnförmigen Zellen geht der verbindende Fortsatz zumeist vom Hauptfortsatze ab. Der Hauptfortsatz der birnförmigen Zellen begiebt sich, wie schon erwähnt, in sehr vielen Fällen horizontal in die Fasermasse der unteren Längssäulen. Er theilt sich entweder bald nach seinem Beginne in zwei oder drei gleich starke Aste (Fig. 11, 12 zz’), deren jeden zu verfolgen natürlich nicht gelingt, oder er giebt in selteneren Fällen bald von seinem Beginne an feinste Reiserchen ab, und löst sich in der Mitte der gleichseitigen Längssäule nach längerem Ver- laufe allmählich in Endästchen auf (Fig. 4 links). Nur ganz selten konnte beobachtet werden, dass, ohne vorher feine Äste abgegeben zu haben, er plötzlich durchschnitten ward, was ja darauf hindeutet, dass er im Riickenmarke nach vorn oder hinten zu umbog und der Rückenmarkslängsachse auf eine Strecke parallel verläuft. Was nach- her mit ihm geschieht, ob er sich allmählich im centralen Nervennetze auflöst oder später zu einer peripheren Nervenfaser (Achsencylinder Aut.) in die unteren Nerven einbiegt, darüber weiß ich keine Be- 1 Die an diese Frage geknüpfte Kontroverse findet ihre Erklärung darin, dass die Verbindungen zwischen den Ganglienzellen nicht bei jeder Thierart und nicht nach jeder Präparationsweise gleich deutlich hervortreten. Bei der Katze, dem Fuchs und dem Marder ist dieses jedoch auch bei Karmintinktion deutlich zu erkennen, Bei anderen Säugethieren lässt sich dies Verhalten durch die Goldmethode sehr deutlich darstellen. Eine andere Präparationsweise, um diese Verbindungen deutlich erkennen zu lassen und welche nicht so umständ- lich, und lauenhaft wie die Goldmethode ist, besteht in folgendem Verfahren, Man extrahirt aus den großen hochrothen Blüthen einer Begonie (erhalten vom Kunstgärtner HEINEMANN in Erfurt) durch Alkohol den Farbstoff und färbt mit diesem die,in Alkohol gehärteten Schnitte, um sie nachher in Glycerin aufzu- hellen. Man untersucht die Präparate sofort, denn bereits nach ein bis zwei Tagen erblasst die Färbung total. Diese Tinktion färbt die Ganglienzellen und ihre Anastomosen, sowie diekere Fortsätze wunderschön, und ist darum hier- zu, auf die angegebene Weise verwendet, sehr zu empfehlen. ee 2 in = Über das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 213 obachtung aufzuführen; doch dürften sich beide Fälle vorfinden. Ich vermuthe dies daraus, dass manchmal einer von den Fortsätzen, aber dann immer nur einer, welcher unterhalb der zu unterst ge- legenen Zellen lag, auf dem Querschnitte bis in den Ursprung (Wurzel) des unteren (vorderen) gleichseitigen Nerven mit jeder wünschenswerthen Sicherheit verfolgt werden konnte (Fig. 11 a). Einige Male konnten Fortsätze, abermals von den untersten birn- förmigen Zellen, direkt in die Fasern der Commissura transversa inferior verfolgt werden (Fig. 6 y). Wie früher erwähnt wurde, kann dann einer von den Ästen des Hauptfortsatzes zu einer direk- ten Anastomose werden, während die übrigen Fortsätze oder ein anderer Ast sich früher oder später im centralen Nervennetze auf- löst. Manchmal sieht man einen Zellfortsatz aus dieser Gruppe weit in den benachbarten Bezirk der unteren Zellgruppe vordringen (Fig. 14 zz), was dort jedoch damit geschieht, konnte ich nicht er- mitteln, und somit bleibt die Frage, ob direkte Verbindungen zwi- schen Zellen beider Zellgruppen stattfinden, eine offene. Die kleineren, sogenannten multipolaren Zellen dieser Gruppe besitzen nur kürzere Fortsätze, die früher oder später im centralen Nervennetze sich auf- lösen. Wir werden noch auf die Bedeutung dieser Zellgruppe, so weit eine solche ermittelt werden konnte, bei Besprechung des Fa- serverlaufes zurückkommen, und nun möchte ich vor der Beschrei- bung der äußeren Zellgruppe die Angaben VıGnar's über die innere Zellgruppe prüfen. VıGnAL hat sich wenig eingehend mit den histologischen Ver- hältnissen des Rückenmarkes von Orthagoriscus beschäftigt, und statt eine Vergleichung der gefundenen Verhältnisse mit jenen niederer Wirbelthiere anzustellen, tritt er in eine Vergleichung mit jenen der höchsten Säuger, mit denen des Menschen, ein. Wie schon HextE! zur größten Vorsicht bei Vergleichung der gefundenen Verhältnisse im Centralnervensystem niederer Vertebraten mit jenen des Menschen gemahnt hat, so muss an diese Mahnung auch jetzt noch gedacht werden. Wer die Litteratur über das Riickenmark der gesammten Vertebraten durchgearbeitet, wird mir hierin beistimmen. Aus die- sem Grunde muss ich ViGNAL’s vorzeitige Vergleichungen, die sich zudem auf etwas oberflächliche Studien stützen, zurückweisen. Nach VıGnau verändert sich jene Zellgruppe, die wir die innere ! J. Hentz, Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. Braunschweig 1876. Bd. III. pag. 83. 214 B. Haller nannten, betreffs ihrer Form und Gruppirung im dritten Viertel des Rückenmarkes bei Orthagoriscus wesentlich. Die Zellen bilden jeder- seits eine bestimmt umgrenzte Gruppe, in welcher nach der Abbil- dung zumeist sogenannte multipolare Formen sich vorfinden, und setzen auf diese Weise jederseits eine kurze Säule neben dem Cen- tralkanal zusammen, aus welchen Nervenbündel durch die Fissura lateralis zu den hinteren (oberen) Spinalnerven treten und somit diesem Nerven theilweise zum Ursprunge dienen. Diese Zellsäulen sollen aber in den vorderen drei Viertheilen des Rückenmarkes nicht vorkommen, sondern statt ihrer finde sich dort je ein Längs- bündel vor, von welchen VıGnaL vermuthet, dass sie diese Zell- säule jederseits mit dem Gehirne und den »sensitiven Centren der Oblongata« verbinden. Vianau vergleicht diese Zellsäule mit den CLARKE’schen Säulen (Columnae vesiculares) des Menschen und ge- braucht für sie auch während der Beschreibung diese Benennung. Abgesehen von dem Umstande, dass die CLARKE’schen Säulen selbst bei niederen Säugern nicht in jener ausgesprochenen Weise auftreten wie bei den höheren, und dass man eine direkte Vergleichung zwi- schen so weit aus einander stehenden Formen anzustellen wie der Mondfisch und der Mensch sind, ohne den Nachweis von Zwischen- formen für höchst bedenklich halten muss, bin ich in dem Falle, dem Vorkommen einer solchen, aus der inneren Zellgruppe heraus- differenzirten Zellsäule, aus welcher Faserbündel in die Wurzeln der oberen (hinteren) Spinalnerven treten, ganz entschieden widersprechen zu müssen. Wunderbar ist es, wie die Abbildung in Fig. 5 bei VienaL hat zu Stande kommen können; ich kann mir dieses nur auf die Weise erklären, dass VıGnAL sich sehr dieker Querschnitte bediente. Die Begründung dieses Urtheils wird aus der späteren Beschreibung ersichtlich. Zur Beschreibung der äußeren Zellgruppe übergehend, be- ginne ich da, wo sie am mächtigsten entwickelt auftritt, nämlich beim Abgange oder doch in nächster Nähe des Abganges eines un- teren Spindelnerven oder Nervenpaares. Hier dürfte sich die Zahl dieser Zellen auf einem Querschnitte im Maximalfalle auf 30—32 belaufen. Hinter und vor diesen Stellen nimmt zwar auch im vorderen Rückenmarkstheile ihre Zahl um ein Geringes ab, wobei die Zahl auf beiden Seiten eine ungleiche sein kann (Fig. 4); nie habe ich aber weniger als 16 angetroffen. Erst gegen das Ende des Riickenmarkes beträgt ihre Anzahl 7—11 (Fig. 5), was selbst an Stellen, wo Nerven abgehen, nur um ein Geringes sich steigert. Über das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 215 Dieses scheint mir am hinteren Rückenmarksende dadurch kompensirt zu werden, dass man hier die allergrößten Zellen antrifft. Die Größe der Zellen der unteren Gruppe schwankt zwischen 0,50—1,52 mm und es finden sich hier somit neben eben so kleinen Zellen wie in der inneren Gruppe die größten vor. Wenn wir von jenen riesenhaften Ganglienzellen im Lobus nervi lateralis von Lophius oder von der Centralzelle jener kolossalen Nervenfaser des elektrischen Organs bei Malapterurus, wo im ersten Falle die Zellengröße nach Frrrscu ! 0,257 mm ist und bei Malapterurus nach BiLHarz? sogar 1/;'” er- reicht, absehen wollen, so bestehen bier die größten Ganglienzellen im Riickenmarke?. Was die Lagerung der äußeren Zellgruppe betrifft, so ist diese an allen Stellen des Rückenmarkes eine eben so konstante wie jene der inneren Zellgruppe. Nur selten kommt eine Zelle in die Nähe des obersten Längsfaserstranges (s, s’) der unteren Längssäule zu liegen. Somit zieht sich die äußere Zellgruppe, ziemlich weit unter der unteren Längssäule beginnend, immer dem unteren lateralen Rande der unteren Längssäule angelagert, halbmondförmig bis zur medianen Wurzel des unteren (vorderen) Nerven (Fig. 4 wz rechts). Letztere liegt der Zellgruppe medianwärts an. Wie schon bei Be- schreibung der inneren Zellgruppe erwähnt wurde, sind die zwei Zellgruppen stets durch die in die centrale Fasermasse ausstrahlen- den Fasern der Commissura transversa inferior (anterior) von ein- ander getrennt (Fig. 4, 6, 12). Es lagert also die äußere Zellgruppe theilweise der lateralen Seite der unteren Längssäule an und nimmt eine vollständig corticale Lage ein. Die centrale Fasermasse ist frei von Ganglienzellen. Diese eben beschriebene Lagerung, wie sie am besten in Fig. 4 rechts und in Fig. 12 dargestellt ist, er- leidet dann dadurch eine Abänderung, dass einige der kleineren Zellen sich stellenweise etwas tiefer in die centrale Fasermasse einschieben (Fig. 4 links), jedoch habe ich nie beobachtet, dass Ganglienzellen von dieser Gruppe aus höher in die ventrale Fasermasse hinaufge- rückt wären, so dass letztere in allen Fällen frei von Ganglienzellen bleibt. Wenn gleich nun auch hier wie überall im Centralnerven- 1G. Frirsch, Uber einige bemerkenswerthe Elemente des Centralnerven- systems von Lophius piscatorius. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXVI. 2 Tu. BıLHAarz. Das elektrische Organ des Zitterwelses. Leipzig 1857. 3 Riesenhafte Ganglienzellen im Bauchmarke kommen unter den Wirbel- losen bei den erranten Polychaeten vor, wo sie durch ROHDE und mich bekannt wurden. Nach Ronpe’s Messung beträgt ihre Größe 0,1 mm, 216 1 B. Haller systeme zwischen den extremen Formen der Ganglienzellen alle mög- lichen Ubergangsformen sich vorfinden, so lassen sich doch gewisse Zellen von den übrigen durch ihre sonderbare Form unterscheiden. Wie die weitere Beschreibung ergeben wird, sind diese jedoch von anderen mehr oder weniger anliegenden Ganglienzellen durch das Verhalten der Fortsätze nicht zu sondern. Es sind das die größten Zellen (Fig. 11) und besitzen zwei mächtige, einander gegenüber- liegende Fortsätze, zwischen welchen der Zellkörper einseitig auf- getrieben sich darstellt; von diesem Theile des Zellkörpers gehen feinere, noch bei mittelstarken Vergrößerungen wahrnehmbare Fort- sätze ab. Das andere Extrem in dieser Gruppe bilden kleinere, sogenannte multipolare Zellen. Zwischen den Ganglienzellen dieser Gruppe sind direkte Anastomosen äußerst selten (Fig. 12 links). , Das von OwSJANNIKOW! aufgestellte Schema über das Verhalten der Fortsätze der Ganglienzellen im Rückenmarke der Fische, wo- nach im Querschnitte ein Fortsatz in die vordere und einer in die hintere Spinalwurzel, ein dritter aber durch die vordere transversale Kommissur in die anderseitige Rückenmarkshälfte sich begeben soll, ein vierter als Längsfaser in der weißen Substanz nach vorn dem Hirne zustrebe, ist theilweise durch die schöne Entdeckung Maurs- NER’S?, der ich nach eigenen Beobachtungen beipflichte, und welche ein Hauptmoment in der Rückenmarks- wie in der Struktur des Centralnervensystems überhaupt ausmacht, zurückgewiesen worden. Hiernach lösen sich die Fortsätze der Ganglienzellen theilweise im GERLACH’schen Nervennetze auf, aus welchem sich die hinteren Wurzeln der Spinalnerven zum Theile konstruiren. Auch die An- gaben anderer Autoren haben jener einseitigen Auffassung stark ent- gegengearbeitet. Indem ich hiermit einen allmählich zur Geltung gelangenden Gesichtspunkt zu vertreten suche, will ich, hieran an- knüpfend, zum Ursprung der unteren (vorderen) Spinalnerven übergehen. Wir finden an allen Querschnitten, dicht an der Fis- sura longitudinalis inferior (anterior), jedoch unter der Gliahülle ge- legen, in den beiderseitigen unteren Längssäulen je ein starkes Längsfaserbündel (Fig. 4, 5, 11, 12 vm, vn’), welches ausschließlich aus sehr starken, aber unter einander nicht ganz gleich dieken mark- ' P. OwssJANNIKOW, Disquisitiones mieroscopicae de medullae spinalis tex- tura imprimis in piscibus factilatae. Dorpat 1854. ? MAUTHNER, Untersuchungen über den Bau des Rückenmarkes der Fische. Wien 1859, Über das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 217 haltigen Nervenfasern besteht. Die Gruppirung der verschieden starken markhaltigen Nervenfasern ist aber nicht etwa so zu ver- stehen, als wenn die feineren Fasern in separaten Bündeln sich an- ordneten, wie dies etwa in den dorsalen Spinalwurzeln der Säuge- thiere der Fall ist, wo die Differenz der Querdurchmesser eine bedeutend größere ist, sondern verhält sich ähnlich, wie SIEMERLING von dem Querschnitt der siebenten vorderen Halswurzel abbildete', d. i. die in Mächtigkeit wenig differenten Nervenfasern sind gleich- mäßig vermengt. Nur an einzelnen Querschnitten, also durchaus nicht überall, konnte ich beobachten, dass die mächtigen Fasern sich in Bündel mehr nach oben und innen gruppirten (Fig. 11). Dieses, markhaltige Fasern führende Längsbündel kann mit den Fasciculi anteriores der höheren Knochenfische, wo es zu einer Sonderung der grauen Rückenmarkssubstanz von der weißen gekommen ist, nur in so fern verglichen werden, als es unzweideutig einen Theil derselben darstellt. Nach den Untersuchungen von OWSJANNIKOW, MAUTHNER, StIEDA und FrirscH wissen wir, dass im Gegensatze zu den Sela- ehiern, wo große Übereinstimmung des Rückenmarkbaues mit dem der Batrachier besteht, im Rückenmarke höherer Teleostier die Com- missura transversa inferior (anterior) oder doch ein Theil derselben (was aber noch durchaus nicht sichergestellt ist), weit von der übri- gen grauen Substanz entfernt, tief in die vorderen Längsstränge der weißen Substanz eingerückt ist. .Hierdurch kommt ein Drittel der Funieuli anteriores zwischen die horizontalen Wurzeln der vorderen Spinalnerven zu liegen und wird durch jene Wurzel, welche von der transversalen Kommissur kommend, sich dem Nerven beigesellt, von dem übrigen Theile der Funiculi inferiores (anteriores) abgegrenzt. Dieser abgegrenzte Theil der Funiculi anteriores führt die mächtig- sten Längsfasern, und insbesondere findet sich hier die in jeder Riickenmarkshilfte in der Einzahl vorkommende riesenhafte Längs- faser, die sogenannte Mauruner’sche Faser vor. Wollten wir somit bei Vergleichung der, markhaltige Fasern führenden Längsfaserbündel von Orthagoriseus mit einem Theile der Funiculi anteriores der höheren Knochenfische nach dem Durchmesser der Fasern urtheilen, so müss- ten wir diese Faserbündel mit jenem abgegrenzten Theile vergleichen. _ Abgesehen von dem Umstande, dass wir über die Wurzelverhältnisse der Rückenmarksnerven bei den Knochentischen heute noch weniger —___ 1 E. SIEMERLING, Anatomische Untersuchungen über die menschliche Rückenmarkswurzel. Berlin 1887. Taf. I Fig. 3. 218 B. Haller unterrichtet sind als über dasselbe Verhältnis der höheren Verte- braten, so scheint mir diese Vergleichung schon desshalb unzulässig, weil wir hierdurch geradezu gezwungen wären, die Commissura transversa inferior (anterior) nach Gutdünken zu verschieben. Dieses wäre, wenn auch nicht dasselbe, doch jenem Verfahren ähnlich, welches, um gewisse Hirnverhältnisse ete. bei den Wirbelthieren mit jenen der wirbellosen Thiere in Einklang zu bringen, bei letz- teren die Ventralseite mit der Dorsalseite vertauscht. Selbst bei der geringen Kenntnis der Rückenmarksverhältnisse der Teleostier, welche jede sichere Vergleichung von Anfang an für höchst schwierig gelten lassen muss, scheint mir doch die Auffassung viel berech- tigter, dass jene stark markhaltigen Längsfaserbündel der höheren Teleostier aus feinen marklosen Längsfasern, welche bei Orthago- riscus oberhalb der Commissura transversa inferior (anterior) in der Fasermasse zerstreut lagen (vgl. Fig. 11 th), im Laufe der phyle- tischen Entwicklung sich herausbildeten, während welcher Zeit auch die graue Substanz von der weißen sich allmählich abgrenzte. Nach dieser Auffassung müssten wir nicht nur in dem markhaltigen’Längs- bündel, sondern in der ganzen medianen Wurzel der unteren (vor- deren) Spinalnerven, auf die ich alsbald zu sprechen komme, nur Theile erblicken, die mit jenem Theile der Funiculi anteriores ver- glichen werden können, welche bei den höheren Teleostiern unter- halb der Commissura transversa. inferior (anterior) gelegen sind. Durch den genannten Process würde auch das Abwärtsrücken dieser Kommissur eine vorläufige Erklärung finden. Sowohl dieses Ab- wärtsrücken als auch dessen Ursache, nämlich die Ausbildung jener Längsfaserbündel oberhalb derselben, ist als eine Eigenthümlichkeit der Knochenfische zu betrachten. Hierfür würde auch der gewich- tige Umstand sprechen, dass gerade in jenen Längsfaserbündeln die jederseitige Maurnner’sche Faser sich vorfindet, die doch, wenn wir von den Cyclostomen absehen, bei denen der Nachweis durch- aus nicht erbracht ist, dass die als MAaurnxer’sche bezeichneten Längsfasern mit denen der Knochenfische homolog wären, eine Eigenthümlichkeit der Teleostier vorstellt. Da andererseits die MAuTHNER'sche Faser einen höheren Koncentrationsgrad gewisser Fasern jenes Bündels vorstellen, wofür sich auch FrırscHh bei Ge- legenheit der Feststellung ihres Fehlens bei Gymnotus erklärt!, so ist es begreiflich, dass sie bei Orthagoriscus fehlen. Für diese Auf- 1}. ce. pag. 342—343. Über das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 219 fassung sprechen Verhältnisse, die ich vor ganz Kurzem bei Thyn- - nus vulgaris zu beobachten Gelegenheit hatte. Hier finden wir insbesondere im vordersten, der Oblongata angrenzenden Theile des Rückenmarkes die größten Ähnlichkeiten mit dem Rückenmarke der Pleetognathen. Gleich wie dort, ist es auch hier noch nicht zu einer ausgesprochenen Sonderung der weißen und grauen Substanz gekommen. Immerhin ist aber in dieser Beziehung schon ein wei- teres Stadium erreicht worden als bei den Plectognathen. Diese Sonderung ist am ausgesprochensten an jener Stelle, welche median- wärts vom lateralwärts abtretenden unteren (vorderen) Spinalnerven gelegen ist. Es ist dieses jene Stelle, welche wir bei höheren Verte- braten gewöhnlich als Funiculi anteriores bezeichnen, während die lateralen und oberen (hinteren) Rückenmarkstheile ein kaum von den Pleetognathen zu unterscheidendes Verhältnis darbieten. Die Com- missura transversa anterior ist noch nicht so weit nach unten ge- rückt, wie bei anderen höheren Teleostiern, und dem entsprechend sind auch die zwei Längsstränge jederseits oberhalb der Kommissur noch nicht so mächtig, wenn gleich sie sonst schon markhaltig aus- gebildet sind. Eine mächtige MAurnner’sche Faser findet sich we- nigstens in der vorderen Hälfte des Rückenmarkes nicht vor, jedoch sieht man 3—4 ungleich dieke, mächtige, markhaltige Längsfasern jederseits unter den Ganglienzellen der inneren Gruppe, deren Ur- sprung in diesen Zellen zu suchen ist. Diese Verhältnisse sprechen somit für meine oben mitgetheilte Auffassung. Das Längsfaserbündel der unteren (vorderen) Spinalnervenwurzel von Orthagoriseus, das wir im Gegensatze zu den anderen Längs- faserbündeln markhaltiges nennen wollen, verlassend, betrachten wir den Querschnitt auf Fig. 12, der etwas vor dem Abgange eines linksseitigen unteren (vorderen) Nerven geführt wurde. Wir erkennen oberhalb der markhaltigen Längsbündel und knapp unter der Com- missura transversa inferior (anterior) einen nervösen Längsfaserstrang (fw), der von dem markhaltigen nur durch ein gliales Septum ge- trennt ist und oberhalb desselben lagert. Hier bildet die Neuroglia ein weites Fachwerk, in dessen Maschenräumen die einzelnen Bündel dieses Längsfaserstranges lagern (Fig. 11, 12 fw). Dieses Bündel ist in jener Gegend am stärksten, wo untere (vordere) Spinalnerven abtreten (Fig. 5, 11, 12), während in Gegenden, wo dieses nicht der Fall ist, es stets schwächer erscheint (Fig. 4). Ähnlich ge- staltet findet sich stellenweise, lateral dem markhaltigen Längsbündel angelagert, ein anderes Längsbündel vor (Fig. 11 fw’), welehes an 220 B. Haller manchen Stellen mit dem oben beschriebenen mehr oder weniger verschmilzt. Die Nervenfasern dieser zwei Bündel bestehen aus marklosen Fasern, und nur ganz selten finden sich in denselben einzelne markhaltige Fasern eingestreut. Diese zwei von einander nicht streng gesonderten Längsfaserbündel nenne ich marklose und unterscheide an ihnen eine obere (Fig. 11 fw) und eine untere (fe) Portion. Die gesammten, sowohl marklose als markhaltige, oben beschriebenen Längsbündel möchte ich aber schon jetzt als Funiculi inferiores (anteriores) bezeichnen, und wie ich schon aus einander setzte, diesen Funiculus inferior von Orthagoriscus mit jenem Theil des gleichnamigen Funiculus der höheren Teleostier vergleichen, wel- cher unterhalb der Commissura transversa inferior (anterior) ge- legen ist. Ich bin nun in der Beschreibung so weit gekommen, um auf den Ursprung der unteren (vorderen) Spinalnerven eingehen zu können. An Schnitten, die einen abtretenden Nerven getroffen haben, oder an solchen, auf welchen schon der nächstfolgende oder zweitfolgende Querschnitt den Abgang des Nerven getroffen hat, mögen diese Schnitte nun vor oder hinter dem Abgange des Nerven liegen, erkennt man (Fig. 12), dass zahlreiche Ganglienzellen einen Theil ihrer Fortsätze in das markhaltige Bündel des Funiculus in- ferior (anterior) direkt einsenden (un.«u), welche Beobachtung auch von ViGNAL, der allerdings über den Ursprung der unteren (vor- deren) Spinalnerven weiter nichts mittheilt, gemacht wurde. Diese Fortsätze oder Achseneylinder sind breite marklose Fäden und werden erst in allernächster Nähe des markhaltigen Längsbündels markhaltig, wobei sie aber auch gleich in das Längsbündel eintreten. Die Fa- sern der abgehenden unteren (vorderen) Spinalnerven sind stets mark- haltig (Fig. 5, 6 wa, un’), und das markhaltige und nie das mark- lose Längsbündel ist es, welches direkt in den abgehenden Nerven einbiegt, d. h. zum peripheren Nerven wird. Somit würden stellen- weise (Fig. 12) Fortsätze von Ganglienzellen, ohne vorher einen längeren Längsverlauf eingehalten zu haben, direkt in den unteren (vorderen) Spinalnerven einbiegen. Was die Art und Weise betrifft, wie die Fortsätze der Ganglienzellen zu Achsencylindern werden, so halte ich es für höchst wichtig, dieses hier etwas ausführlicher an dem angeführten Präparate (Fig. 12) zu erörtern. Es können hier mehrere Fälle neben einander konstatirt werden. Auf dem Quer- schnitte sieht man den mächtigsten oder einen der mächtigsten Fort- sätze mehrerer Zellen (vn.x) direkt in das markhaltige Längsbündel Über das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 221 treten (on). Nach unten zu verhalten sich die Zellen etwas anders. Eine kleine, auf dem Querschnitte tripolare Zelle verbindet sich durch einen längeren Fortsatz direkt mit einer größeren (8), welche auf dem Querschnitte vier Fortsätze aufwies. Der eine dieser Fort- sätze ging aber jene oben erwähnte Anastomose ein, während einer der untersten der drei übrigen abermals eine Anastomose mit einer sehr kleinen peripher und mehr median gelegenen kleineren Ganglien- zelle einging, die wieder einen Fortsatz im centralen Nervennetze sich auflösen ließ, während sie einen anderen als direkten Achsen- eylinder in den markhaltigen Längsstrang entsandte. Die mittlere und größte dieser drei Zellen (8) sendete nun, obgleich sie selbst nicht zu den größten der äußeren Zellgruppe zu rechnen war, zwei ihrer Fortsätze als direkte Achseneylinder in den markhaltigen Längs- strang. Die anderen Ganglienzellen, welche Achsencylinder in den markhaltigen Längsstrang entsandten, ließen entweder alle ihre übrigen Fortsätze in das centrale Nervennetz sich auflösen oder ver- banden sich außerdem noch einen ihrer mächtigeren Fortsätze direkt mit einer anderen anliegenden Ganglienzelle (y). An dieser Zelle ergab sich mir eine Beobachtung, die ich für höchst wichtig er- klären muss. Diese Zelle entsandte gleichfalls einen Achsencylinder, jedoch nicht in den markhaltigen, sondern in den marklosen Längs- strang (fw). An diesem lehrreichen Präparate lagen mehrere Gan- glienzellen lateralwärts von den oben beschriebenen, sie sendeten einige ihrer mächtigeren Fortsätze entweder in die centralwärts ge- legene Fasermasse oder, wie die früheren, in dem auswärts von den Ganglienzellen gelegenen Nervennetze (7), wo sie dieselben auf- lösen ließen. Einen ihrer Fortsätze sendeten sie aber medianwärts, und es unterliegt kaum einem Zweifel, dass diese sich direkt in das marklose Längsbündel sich begaben. Unter jenen Zellen waren be- sonders lateralwärts solche vorhanden, die alle ihre Fortsätze in das centrale Nervennetz sich auflösen ließen. Ein anderer wichtiger Fall von diesem Präparate sei noch er- wähnt. Zwei mittelstarke Zellen lagen dem Funiculus inferior genähert (a, 5) und verbanden sich direkt unter einander. Beide Zellen sandten je einen Fortsatz jenen Zellen (y) zu, die von ihren Fortsätzen einige gegen den marklosen Längsfaserstrang schickten, so dass wir mit Recht annehmen können, dass sie dem Längsfaser- strang sich beimengen. Diese Fortsätze waren nach längerem Ver- laufe durchschnitten und es ist, indem wir die naturgetreue Abbil- dung objektiv betrachten, durchaus nicht ausgeschlossen, dass einige 222 B. Haller von diesen Zellen sich mit ihren lateralwärts gerichteten Fortsätzen mit jenen zwei Zellen (a, 4) direkt verbanden. Thatsächlich sind mir solche Bilder auf anderen Präparaten bekannt geworden. Die eine jener zwei Zellen (a) ließ einen feinen Fortsatz im centralen Nervennetze sich auflösen, während der mächtigste ihrer Fortsätze in die Commissura transversa inferior (anterior) trat und durch diese bis in die anderseitige Langssäule forterhielt, um hier, angelangt im centralen Nervennetze, sich aufzulösen. Ein starker Fortsatz der anderen Zelle (4) begab sich als markloser Achsencylinder in das marklose Faserbündel, wobei es mir zu ermitteln nicht gelang, ob er hier verblieb oder bloß dieses Bündel durchsetzte, um in das markhaltige Bündel zu gelangen. Zwei andere, etwas weiter nach innen von jenen zwei Zellen gelegene Zellen (c) verhielten sich allem Anscheine nach ganz so wie jene zwei anderen, wobei freilich auf dem Querschnitte einige Fortsätze nicht ans Licht kamen. Von der unteren dieser zwei Zellen konnte ich ermitteln, dass sie sich mit einer großen Zelle (d) jener Gruppe verband, von der ich mittheilte, dass eine ihrer Zellen einen ihrer Fortsätze in den Funiculus inferior (anterior) entsandte. Durch dieses an vier Zellen beschriebene Verhalten wird eine Thatsache konstatirt, welche mehr Werth hat als ein allein dastehen- der Befund. Diese Thatsache ist, dass diejenigen größeren Gan- glienzellen, welche einen ihrer Fortsätze als Achsencylinder in den gleichseitigen Funiculus inferior entsenden, nicht durch einen ihrer Fortsätze, der sich durch die Commissura transversa inferior (ante- rior) auf die anderseitige Rückenmarkshälfte fortsetzt, sich mit dieser direkt verbindet, sondern dass diese Verbindung durch Vermittelung gewisser Ganglienzellen derselben Seitenhälfte stattfindet. Ich habe wenigstens den anderen Fall nie beobachten können. Auf einem anderen Präparate (Fig. 11) sehen wir, dass jene größten, schon beschriebenen Zellen (mz) einen ihrer Fortsätze direkt als Achseneylinder (mx) in das markhaltige Faserbündel treten lassen, während ein nach oben und lateralwärts hinziehender Fortsatz sich nach längerem Verlaufe im centralen Nervennetze der ganglienzellen- freien Centralmasse auflöst. Dessgleichen fand ein Fortsatz einer anderen, unter diesen Zellen in dem auswärts von den Zellen ge- legenen Nervennetze sein Ende. Somit hatten wir gesehen, dass jeder der beiderseitigen Funi- euli inferiores (anteriores) zahlreiche Fortsätze der Ganglienzellen aus der äußeren Zellgruppe der gleichseitigen Rückenmarkshälfte in Uber das Centralnervensystem u. das Rückenmark von Orthagoriscus mola. 223 sich aufnimmt. Diese Zellfortsätze sind aber nicht die einzigen, welche die Funiculi inferiores zusammensetzen. Man findet im Rückenmarke oft Stellen, wo ein zwar aus sehr feinen marklosen Fasern gebildeter, aber mächtiger Faserstrang von oben und etwas nach außen in den gleichseitigen Funieulus zieht (Fig. 11 sw). Viele seiner Fasern können bis in das markhaltige Längsbündel des Funi- culus verfolgt werden, die meisten aber bleiben im marklosen Längs- biindel. An der Bildung dieses von oben nach unten ziehenden Faserbündels nehmen die Elemente der äußeren Zellgruppe keinen Antheil. Nur von der inneren Gruppe senden die zu unterst ge- legenen Zellen (a, a’), wie erwähnt wurde, Achsencylinderfortsiitze in dieses Bündel, wobei es sich manchmal ereignet, dass manche von diesen Zellen sehr weit nach unten zu liegen kommen (a’). Desshalb sind sie durchaus noch nicht mit Zellen der äußeren Gruppe zu verwechseln, denn sie behalten ihre typische birnförmige Gestalt bei. Immerhin sind jene Zellen der inneren Gruppe, welche Fort- sätze in dieses Nervenbündel schieken, nicht zahlreich, bei Weitem nicht zahlreich genug, um die Mächtigkeit dieses Bündels verstehen zu lassen. Man wird aber bei sorgfältiger Beobachtung feiner Schnitte erkennen, dass viele der Fasern dieses Nervenbündels sich aus dem centralen Nervennetze konstruiren, und darum, wie ich diese Entstehungsweise der Nervenfaser im Centralnervensystem der Evertebraten im Gegensatz zu dem direkt von Ganglienzellen ab- gehenden nachwies, indirekten Ursprunges sind!. Die besprochenen Wurzeln sind diejenigen der unteren (vorderen) Spinalnerven, welche, ohne zuvor im vorderen Längsstrange longitudinal zu verlaufen, direkt in den abgehenden Nerven übergehen. Außer dieser Wurzel besitzen die unteren (vorderen) Nerven auch solche Faserbündel, die vorher längere Strecken hindurch horizontal dem Rückenmarke ent- lang verliefen. Als solche müssen wir unzweideutig die marklosen Längsbündel (fw, fw' der Abbild.) der Funiculi inferiores (anteriores) bezeichnen, von welchen ermittelt werden konnte, dass sie dem markhaltigen Längsbündel überall, wo dieses als peripherer Nerv abtritt, zahlreiche Fasern beimengen, die dann Markscheiden erhalten. Dass die marklosen Längsbündel Fasern von den Ganglienzellen der äußeren Gruppe erhalten, haben wir schon gesehen, doch scheint es mir, dass diese Fasern quantitativ nicht hinreichen würden, um die ' B. Harrter, Untersuchungen über marine Rhipidoglossen. Il. Theil, Morph. Jahrb. Bd. XI. - 224 B. Haller Mächtigkeit dieser Bündel zu erklären, und wenn ich auch noch eine später zu erörternde Quelle kenne, welche diese Bündel verstärken hilft, so scheint es mir doch wahrscheinlich, dass hierher auch von der inneren Gruppe, sowie vom centralen Nervennetze her Fasern sieh beimengen. Wir könnten uns dann die Sache sehr leicht so vor- stellen, dass das in Fig. 11 von oben nach unten in das markhaltige Bündel eintretende Bündel (sz) sich der langen Körperachse parallel krümmen würde und so zu einem Theile des marklosen Längsbündels würde. In dieser Annahme bestärkt mich die Beobachtung, dass dieses von oben nach unten ziehende Bündel (Fig. 11 s«) stellen- weise Fasern in das marklose Längsbündel abgiebt. So glaube ich von der Zusammensetzung der Funieuli anteriores ein richtiges Bild entworfen zu haben; eine wichtige Frage bleibt aber unbeantwortet, nämlich diejenige, wie weit sich die Längsfasern nach ihrem Ur- sprunge als solche erstrecken. Dieses kann selbstverständlich nur die Untersuchung horizontal und sagittal geführter Längsschnitte ent- scheiden, über welche ich nicht verfügte. So viel steht aber fest, dass das marklose Längsbündel im hintersten Abschnitte des. Rücken- markes öfter nicht mehr in der durch die Neuroglia in Packete zer- legten kompakten Form erscheint, wie ich es bisher geschildert habe, sondern die Längsfasern kommen etwas zerstreut ins Grundgewebe zu liegen (Fig. 6). Es scheint demnach, dass das marklose Längs- bündel zum größten Theile seine Fasern hinten in einen der abtre- tenden Nerven resp. in das markhaltige Längsbündel einbiegen lässt. Wie hervorgehoben, erhält das marklose Längsbündel noch eine Verstärkung. Wenn wir nämlich die oberen Längssäulen (Fig. 4 A, A’) auf hinter einander folgenden Schnitten genauer betrachten, so erkennen wir, dass von ihren inneren Rändern her sich aus dem centralen Nervennetze je ein lockeres Nervenbündel zusammensetzt (Fig. 4 A). Dieses Nervenbündel ist nicht auf jeder Seite eines Querschnittes gleichzeitig in seiner vollen Mächtigkeit vorhanden, sondern beiderseits sind sie an Mächtigkeit unter einander verschieden, was sich jedoch schon auf dem nächstfolgenden Schnitte zu Gunsten des schwächeren ändert. Diese, die Commissura transversa supe- rior (posterior) quer durchsetzenden Faserbündel ziehen von oben nach unten am Rande des Centralkanales, und somit zu innerst von der inneren Zellgruppe gelagert, in die gleichseitige untere Längs- säule. Am unteren Ende des Centralkanales angelangt, zieht jedes der beiden Faserbündel auf die anderseitige Rückenmarkshälfte hin- über, und biegt hier in das entsprechende marklose Längsbündel ' Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Rückenmark y. Orthagoriscus mola. 225 = a 5 (Fig. 11 4’). Hierdurch entsteht zwischen diesen zwei Nerven- bündeln medianwärts eine Kreuzung, welche etwas oberhalb der Commissura transversa inferior (anterior) liegt (Fig. 4, 11, 12 A). n verschiedenen Stellen des Rückenmarkes kann diese Kreuzung in so fern verschoben sein, indem sie dem unteren Rande des Cen- tralkanales mehr oder weniger sich nähert. Diese Bündel, wech- -selnd in ihrer Stärke, durchsetzen das Rückenmark ganz kontinuir- lich, denn man wird keine Stelle finden, wo die Kreuzung fehlte. Nur im hintersten Abschnitte des Rückenmarkes, etwas vor dem Ende der oberen Längssäulen, ist sie nicht mehr zu beobachten _ (Fig. 6). Durch diese, aus den oberen Längssäulen sich zusammen- setzenden, von oben nach unten verlaufenden marklosen Nerven- bündel, welche ich die Commissura perpendicularis nenne, er- halten die marklosen Längsstränge des Funiculus inferior (anterior) eine Verstärkung aus den oberen Längssäulen, was gleichbedeutend ist mit der Verbindung letzterer mit den anderseitigen unteren (vor- deren) Spinalnerven. Hierdurch wird die physiologische Einheitlich- keit des Riickenmarkes vervollständigt. Es hören also diese Kom- missuren schon vor dem Ende der oberen Längssäulen auf, demnach wäre es möglich, dass sie sich als Längsstränge in den letzten oberen Nerven (Fig. 1) hineinziehen. Um Missverständnissen vorzubeugen, muss ich hier auf einen besonderen Umstand aufmerksam machen. An der Stelle, wo Fa- sern der Commissura perpendicularis in das marklose Längsbündel überbiegen, schickt die hier mächtig entwickelte Gliahülle (GIERKE starke Fortsätze in das Rückenmark hinein, welche jenes weite Fachwerk darstellen, in dessen Maschenräumen die packetförmig an- geordneten Stränge des marklosen Längsbündels lagern. Es hat nur den Anschein, als ob diese Fortsätze (Fig. 11, 12 2) sich direkt in die beiden Schenkel der Commissura perpendicularis fortsetzten. Bei genauer Betrachtung wird man aber an wohltingirten Präpa- raten sich die Überzeugung verschaffen, dass die tingirten Fortsätze der Gliahülle den nicht tingirten Schenkeln der Kommissur sich bloß anlagern. Die bisher beschriebenen Wurzeln sind nicht die einzigen, welche die unteren (vorderen) Spinalnerven bilden helfen. Man findet schon vorn im diekeren Theile des Rückenmarkes zwischen den Elementen der äußeren Zellgruppe eingestreut einzelne dieke, jedoch marklose Längsfasern (Fig. 12 links), welche im Anfangstheil des Rücken- markes sich zu keinem Bündel vereinigen. Erst weiter hinten ge- Morpholog. Jahrbuch. 17. 15 Se ee rl lel 226 B. Haller wahrt man das Bestreben dieser Einzelfasern zwischen den Ganglien - zellen der äußeren Gruppe sich jederseits zu drei bis vier Bündel- chen zu vereinen. Erst im dünneren hinteren Rückenmarkstheile werden diese zu einem mächtigeren, im Querschnitte ovalen und wohlbegrenzten Längsstrange, welcher (Fig. 5 mb, nb) seine kon- stante Lage lateral in der Zellgruppe an jener Stelle hat, wo die untere Seite der unteren Längssäule in die laterale übergeht. Zu Ende der oberen Längssäule sind sogar jederseits zwei von einander serückte Längsstränge vorhanden (Fig. 14 xd’, nd"). Diese Längsfaserbündel jederseits (Fig. 5 2b, nb) möchte ich als die laterale Längswurzel der unteren (vorderen) Spinalnerven bezeichnen. Stellenweise wird man erkennen (Fig. 5, 6 nd), dass aus diesem Längsbündel Fasern nach innen zu ziehen, um sich dann in dem markhaltigen Längsstrange zu verlieren. Dabei werden diese marklosen Fasern nicht erst im markhaltigen Längsstrange, sondern schon etwas früher (Fig. 6 w) markhaltig. Obgleich ich nun nie gesehen habe, dass der Fortsatz einer Ganglienzelle, selbst wenn solche der lateralen Längswurzel ganz dicht anlagerte, sich in diese eingesenkt hätte, so ist das Zustandekommen dieses Längsbündels mir ganz klar, denn es ist nicht zweifelhaft, dass es sich aus pa- rallel der Längsachse des Rückenmarkes verlaufenden Fortsätzen der Ganglienzellen der äußeren Zellgruppe konstruirt. Somit wird aber auch die physiologische Bedeutung dieser lateralen Längsbündel ver- ständlich. Während nämlich eine Gruppe von Ganglienzellen ihre Fortsätze in einen oben abgehenden unteren (vorderen) Spinalnerven entsendet (Fig. 11, 12), ziehen andere Fortsätze nach hinten (und vorn?) längs des Rückenmarkes, um in einen weiter nach hinten (vorn?) gelegenen gleichnamigen Nerven einzutreten (Fig. 5, 6), wo- durch eine direkte, d. h. nicht bloß durch das centrale Nervennetz bewirkte, Verbindung der hinter einander gelegenen unteren (vor- deren) Spinalnerven im Rückenmarke hergestellt wird. Somit wäre hier eine wichtige Frage der Rückenmarksanatomie beantwortet, die beim Rückenmarke höherer Vertebraten kaum eine endgültige Beant- wortung erfahren dürfte. Freilich wird erst das Studium an Längs- schnitten des Orthagoriscusriickenmarkes die Frage zu entscheiden haben, nach welchen Regeln die Verbindung geschieht, ob bloß je zwei auf einander folgende Nerven auf diese Weise verbunden wer- den, oder ob jeder einzelne Nerv mit den gesammten unteren (vor- deren) Rückenmarksnerven sich centralwärts in Verbindung setzt, welcher letzte Fall vom Standpunkte der Physiologie als abgemacht _ a _—_" — Mae Über d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 227 betrachtet werden dürfte. Man könnte nämlich sich die Sache leicht so vorstellen, dass die einzelnen Längsfasern einer bestimmten Stelle (Fig. 12) nicht alle im nächstfolgenden Nerven abtreten, sondern ‘nur eine oder eine bestimmte Zahl, während von den anderen wie- der nur einer oder eine bestimmte Zahl in den drittfolgenden Ner- ven abgeht u. s. f., bis endlich auch der letzte dieser Nerven mit dem ersten in Verbindung tritt. Hierauf weist schon der Umstand hin, dass gegen das Ende des Rückenmarkes (Fig. 14) die Zahl dieser Fasern sich derart vermehrt hat, dass die laterale Längswurzel in zwei gleich große Portionen zerfällt. Über die untere (vordere) transversale Kommissur habe ich schon so ziemlich Alles mitgetheilt, daher möge Ausführlicheres mit einer Rekapitulation verbunden werden. Diese Kommissur be- findet sich unterhalb der Kreuzung der perpendikularen Kommissuren und wird von deren ausgetauschten Schenkeln durchsetzt. Die Com- missura anterior soll nach mehreren Autoren keine ununterbrochene Bildung sein, sondern sich stellenweise, wahrscheinlich in bestimmten Intervallen, wiederholen. Bei Orthagoriscus ist sie eine durchaus ununterbrochene Querfaserung, was in der großen Koncentration des Rückenmarkes seine Erklärung findet. Zwischen ihrem oberen Rande und den gekreuzten Schenkeln der perpendikulären Kommissur findet sich eine dreieckige Stelle (Fig. 4, 5, 11, 12), welche, so weit ich es ermitteln konnte, von nervösen Bestandtheilen frei ist und ledig- lich vom glialen Zellnetze ausgefüllt wird. Was ich speciell über das Verhalten der Kommissurfasern mit Sicherheit zu ermitteln im Stande war, wurde in Kürze angegeben. Zur Ergänzung diene Folgendes. Von beiden Seiten des Rücken- markes senden Ganglienzellen der äußeren Zellgruppe marklose Fort- sätze in die andere Rückenmarkshälfte, wobei man in Fällen, wo dieses in einer und derselben Ebene geschieht (Fig. 12), sehr deut- lich eine Kreuzung der beiderseitigen Fasern inmitten der Kommissur beobachtet. Diese Kreuzung kommt so zu Stande, dass die Fortsätze der tiefer nach unten gelegenen Zellen in der anderseitigen Rücken- markshälfte sich nach oben richten und so, wie schon erörtert, die beiden Zellgruppen von einander trennen. Wie diese die Kommis- suralfasern absendenden Ganglienzellen sich zu anderen Zellen der gleichen Gruppe verhalten, wurde bereits ausführlicher aus einander gesetzt, hier sei nur noch gesagt, dass ich auch von Ganglienzellen der inneren Zellgruppe Fortsätze durch die Kommissur in die ander- seitige Rückenmarkshälfte übertreten sah (Fig. 6 y). oO - 15 bo Ww [9 0) B. Haller Treten die Kommissuralfortsätze der beiderseitigen Zellgruppen nicht in einer und derselben Ebene in die Kommissur, so erscheint diese aus horizontalen Fasern gebildet, und die erwähnte Kreuzung ist nicht zu beobachten (Fig. 4, 5, 6, 11). Was geschieht nun mit der aus einer Ganglienzelle der einen Rückenmarkshälfte in die anderseitige Hälfte tretenden Faser? A priori wären sehr viele Mög- lichkeiten gegeben, insbesondere wenn wir die bei den Wirbellosen gut beobachteten Verhältnisse der Transversalkommissuren des Cen- tralnervensystems uns vergegenwärtigen. Bevor ich mich jedoch auf diese Möglichkeiten einlasse, theile ich meine Beobachtungen mit, ohne dadurch andere, jedenfalls selten vorkommende Verhältnisse für Orthagoriscus in Abrede stellen zu wollen. In mehreren Fällen, von denen ich zwei abbildete (Fig. 6, 11), konnte ich ganz deutlich beobachten, dass der Kommissuralfortsatz einer Ganglienzelle der einen Rückenmarkshälfte, auf die anderseitige Hälfte angelangt, sich dort bald darauf zwischen den zwei Zellgruppen vielfach in feinere Endäste auflöste. Auf meinen feinsten Präparaten konnte ich bei starken Vergrößerungen auch deutlich sehen, wie die ausstrahlenden Kommissuralfasern in das centrale Nervennetz übergingen. Dieses ist die einzige Beobachtung, die ich für diese Kommissuralfasern sicher zu stellen im Stande war. Da die aus Ganglienzellen kom- menden Fasern der einen Rückenmarkshälfte in eine Gegend ziehen, wo keine Ganglienzellen sich befinden, so scheint mir beim Mangel direkter entgegengesetzter Beobachtungen der Fall einstweilen aus- geschlossen zu sein, dass Ganglienzellen der beiderseitigen Rücken- markshälften sich hier direkt verbänden. Etwas anders würde sich die Sache der Frage gegenüber verhalten, ob nicht möglicherweise die Ganglienzellfortsätze der einen Rückenmarkshälfte, auf der an- derseitigen Hälfte angelangt, als Längsfasern sich weiter fortsetzten und sich den marklosen Längsfaserbündeln beimischten. Diese Frage musste um so mehr sich aufwerfen, als stellenweise oberhalb jener Kommissur zahlreiche zerstreut liegende Längsfasern sich vorfinden (Fig. 11 th). Den letzten Fall giebt ReıssnEr für den Frosch an. Das Verhalten aber, dass Zellfortsätze der einen Markhälfte, auf der anderseitigen Hälfte angelangt, hier entweder in periphere Fa- sern sich fortsetzten oder im centralen Nervennetze sich auflösen, hat gegenüber jener hypothetischen Vorstellung, dass Ganglienzellen der beiden Markhälften sich durch Kommissuralfasern verbinden, für das ganze Reieh der Bilaterien Geltung. Am schönsten lässt sich dieses bei einem polychäten Anneliden der Lepidasthenia ele- Oe a a oe Uber d. Centralnervensystem, insbes. ü.d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 229 gans beobachten'. Hier ist der Zusammenhang der beiderseitigen Bauchmarkhälften bis auf eine einzige, ganz vorn gelegene Quer- kommissur, durch jederseits je eine in bestimmten Intervallen wie- derkehrende riesenhafte Ganglienzelle, auf folgende Weise herge- stellt. Die jederseits gelegene Ganglienzelle besitzt einen einzigen mächtigen Fortsatz, von welchem feinste Äste in der gleichseitigen Bauchmarkhälfte abzweigen und sich im centralen Nervennetze auf- lösen. Der Hauptfortsatz begiebt sich in die anderseitige Bauch- markhälfte, wo er gleichfalls feinste Äste in das centrale Nervennetz abtreten lässt, und tritt von hier als ein mächtiger peripherer Nerv ab. Wie ich schon übereinstimmend mit VıGNAL (der aber über die Ursprungsweise der oberen hinteren Spinalnerven außer jenem oben von mir zurückgewiesenen Fall nichts angiebt) mitgetheilt habe, ver- lassen die hinteren Spinalnerven das Rückenmark in der lateralen Längsfurche (Fig. 4 on). Was ihre Wurzeln betrifft, so unterscheiden wir drei solehe. Erstens und zum größten Theil enthält der Nerv jederseits seinen Faserbedarf aus der gleichseitigen oberen Längssäule, zweitens einen geringeren Theil aus der anderseitigen Längssäule und endlich ein eine längere Strecke longitudinal verlaufendes Bündel aus der unteren Liingssiiule. Da wir die Besprechung der Verhältnisse in den unteren Längssäulen eben verließen, so möge, an diese an- knüpfend, der letztgenannte Wurzeltheil erörtert werden. Bei Durch- musterung der Querschnittsserie von Anfang an muss es sofort auf- fallen, dass auf der oberen Hälfte der lateralen Seite der unteren Säulen, knapp unterhalb der Lateralfurche, mehrere Längsbündel äußerst feiner Fasern sich vorfinden (Fig. 14 s). Die Oberfläche des Rückenmarkes ist hier nicht eben, sondern in drei bis vier seichte Längswülste erhoben (Fig. 4). Diese haben keinen ganz kontinuirlichen Verlauf, sondern werden stellenweise fast ganz aus- geglichen und kommen dadurch zu Stande, dass die Gliahülle be- sonders starke horizontale Fortsätze in die unteren Längssäulen sendet, wodureb hier die obere Seite in einzelne an die Gliahülle anstoßende Fächer zerlegt wird. Diese werden durch jene Längs- faserbündel angefüllt. Werden letztere faserreicher und somit mäch- tiger, so wölben sie die Oberfläche auf, wodurch eben die Längs- wülste entstehen. Diese Längsfaserstränge sind nach innen gegen die centrale Fasermasse zu durchaus nicht begrenzt, sondern gehen 1 S. d. B. HALLER, Beiträge zur Kenntnis der Textur des Centralnerven- systems höherer Würmer. Arbeiten aus dem zool. Institut zu Wien. Bd. VIII. 230 B. Haller allmählich in dieselbe über, was an solchen Stellen, wo diese Längs- bündel ihre Fasern in den oberen (hinteren) Nerven zum größten Theile umbiegen lassen und nur ein geringer Fasertheil sich weiter erhält, mehr auffallen kann (Fig. 4). Von hier bis zum näch- sten Nerven beginnen sie sich wieder zu sammeln. Das oberste unter ihnen, also das dem Nerven zunächst liegende, ist stets das mächtigste und die unteren nehmen im geraden Verhältnisse der Entfernung von hier und mit diesen proportional an Mächtigkeit und Kompaktheit ab. Man kann sich die Sache so vorstellen, dass .diese Längsfaserbündel, so weit ihre Elemente sich nicht weiter fortsetzen, dem Abgange eines oberen (hinteren) Spinalnerven nähern und sich allmählich zu einem einzigen, dem obersten und inneren, mächtigsten verschmelzen (Fig. 13 s), welcher dann bald darauf in den Nerven nach außen umbiegt. Diese Auffassung ist mit den Querschnitts- bildern vollständig in Einklang zu bringen. Gegen den hintersten Abschnitt des Riickenmarkes, also etwas vor dem Aufhören der ' oberen Längssäulen, ist das oberste Bündel sehr stark (Fig. 5 s.s’), und es findet sich in so fern: eine Abweichung von den bisherigen Verhältnissen, als diejenigen zwei Neurogliasepten, welche dieses Bündel von unten und oben abgrenzen, nach innen zu mit einander verschmelzen und auf diese Weise das Bündel allmählich ganz ab- schließen. Es ist dieses dasjenige Endbündel, welches in den letz- ten und mächtigsten oberen (hinteren) Nerven eintritt‘ (Fig. 1). Über die Entstehung dieser unteren Wurzel der oberen (hinteren) Spinalnerven habe ich Folgendes ermitteln können. Die Fasern sammeln sich aus dem centralen Nervennetze oberhalb der äußeren Zellgruppe. Dabei sieht man, wie schon erwähnt ist, zahlreiche Fortsätze von Ganglienzellen aus der äußeren Zellgruppe in diese Gegend sich begeben, und eben so enden die horizontalen Fortsätze der inneren Zellgruppe in’ dieser Gegend (Fig. 4 links). Es war mir im Beginne dieser Studien sehr wahrscheinlich vorgekommen, wie VIGNAL berichtet, dass diese Zellfortsätze in jene Längsstränge eintreten, um wenigstens theilweise dieselbe zu bilden. Auf die Auffindung solcher Zellfortsätze, deren Eintritt in das Längsbündel mit aller Sicherheit verfolgbar wäre, habe ich die größte Mtihe ver- wendet, doch stets mit negativem Erfolge. Entweder waren diese oft sehr langen Fortsätze der Ganglienzellen abgeschnitten und so nicht weiter verfolgbar, oder sie entzogen sich in der großen Masse der Fortsätze dem Blicke. Konnte ich aber die Fortsätze weithin und beinahe bis zum Längsstrange deutlich verfolgen (Fig. 13 ae), so traten EEE | | | 4 ; Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Rückenmark v. Orthagoriscus mola. 231 sie nie in das Längsbündel ein, sondern lösten sich in allen Fällen im centralen Nervennetze auf, und erst aus die- sem bildeten sich die Fasern (ac’) des Längsbündels. Den letzten Fall habe ich so oft beobachtet, dass ich heute keinen An- stand nehme zu behaupten, dass jene Liingsstriinge ausschließlich sich aus dem centralen Nervennetze der unteren Längsstränge kon- struiren. Auch von den sagittal, von unten nach oben strebenden Ganglienzellfortsätzen, sowie den horizontalen Fortsätzen der inneren Gruppe kann ich mit Sicherheit behaupten, dass sie lediglich zur Bildung des centralen Nervennetzes bestimmt sind. Ich möchte nun auf diejenigen Wurzeln der oberen (hinteren) Spinalnerven eingehen, die sich aus den oberen Längssäulen kon- struiren. Dass die gesammte Wurzel nicht an einem einzigen Prä- parate demonstrirbar ist, ist selbstverständlich. Ich habe aber auch nicht mehrere auf einander folgende Präparate zur Demonstration gewählt, sondern zwei solche ausgesucht, die zwei verschiedenen Nervenwurzeln angehörend, am lehrreichsten hierzu verwendet wer- den können. Auf Fig. 4 links erkennen wir, dass der oben ab- tretende Nerv (oz) eine starke Wurzel (w, w’) aus der gleichseitigen Längssäule erhält. . Diese liegt an der lateralen Seite fest der Glia- hülle an und ihre oberste Portion (w) reicht bis zum oberen Rande der Längssäule. Eine andere, mehr unten und aus dem Centrum sich sammelnde Portion (w’) legt sich dieser an, und zwischen ihnen sieht man zahlreiche Fasern aus dem centralen Nervennetze sich an- schließen. Diesen Wurzeltheil möchte ich als äußeren bezeichnen. Ihm mengen sieh auch mehr oder weniger länger longitudinal ver- laufende Fasern (Fig. 5 w) bei. Ein zweiter Wurzeltheil, als mächtiges, ziemlich kompaktes (Fig. 4 w’’), mit horizontaler Lage zwischen oberer und unterer Längssäule gelegenes Bündel, schließt sich dem beschriebenen Wurzel- theil beim Abgange der Nerven an (oz), wodurch der periphere Nerv vollständig wird. Dieser horizontale Wurzeltheil führt sowohl Fasern aus der gleichseitigen als auch aus der anderseitigen oberen Längssäule. Zuerst sehen wir ein kleineres Wurzelbiindel (w”) aus dem Centrum der linksseitigen Längssäule entstehend, sich ihm an- schließen. Ich nenne dieses Wurzelbündel den inneren Wurzel- theil der gleichseitigen Wurzel. Dieses kann sich aber auch derart verhalten, dass es gemeinschaftlich mit jener Wurzel aus der Mitte der Längssäule entspringt, welche, zur Commissura transversa su- perior (posterior) werdend, sich in den Nerven der anderseitigen 232 B. Haller Rückenmarkshälfte begiebt (Fig. 4 rechts v). Etwa bis zu dieser Kommissur gelangt, divergiren diese zwei Bündel und der innere Wurzeltheil (w”) begiebt sich zu dem gleichseitigen Nerven (on’). Zwischen diesen zwei Fällen können auch Übergänge sich vorfinden. Was die Wurzel aus der anderseitigen Rückenmarkshälfte be- trifft, so können wir auch an ihr einen inneren (Fig. 4, 5 cp”) und einen äußeren (Fig. 5 cp’) Theil unterscheiden, je nachdem das Wurzelbiindel, mehr dem inneren oder äußeren Rande der oberen Säule genähert, aus dem centralen Nervennetze entspringt. Im letzteren Falle entspringen die Fasern von dem äußeren Theile des gleichseitigen Wurzeltheiles und nehmen gleich oben einen nach innen zu konkaven Verlauf (Fig. 5 cp’), um dann als Commissura transversa superior (Fig. 4, 5 cp) sich auf die anderseitige Hälfte des Rückenmarkes zu begeben. All die besprochenen Fasergruppen fallen aber nicht in eine und dieselbe Querebene und desshalb kann man sie auch nicht auf einem und demselben Querschnitt auffinden; — . aus gleichem Grunde wird man die Kreuzung in der Commissura transversa superior (posterior) auf Querschnitten nie zu Gesicht be- kommen. Lingsfasern mengen sich diesen Wurzeln überall bei, aber vergebens wird man nach bestimmten und kompakten Längs- faserbündeln suchen, denn solche finden sich nicht vor. Es ist dar- um freilich nicht gesagt, dass einzelne Längsfasern nicht sehr weite Strecken in der Länge im Rückenmarke durchlaufen könnten, bevor sie in den oberen (hinteren) Spinalnerven eintraten. Ich habe sehr viel danach gesucht, ob aus der unteren, dem Centralkanal genäherten Seite nicht auch Fasern von den unteren Längsbündeln in den Nerven treten, kam aber zu dem Resultate, dass außer dem oben beschriebenen Längsstrange (s, s’ der Figg.) keine Fasern, weder aus dem centralen Nervennetze noch von der unten beginnenden inneren Zellgruppe an die Wurzel der oberen Spinalnerven gelangen. Der untere Rand der horizontalen Wurzel (Fig. 4 w’') ist vielmehr nach unten zu so scharf begrenzt, dass stellenweise, offenbar durch Schrumpfung während der Behandlung mit Reagentien, zwischen ihr und dem oberen Rande der unteren Längssäule sogar eine Längsspalte entsteht (Fig. 4 links). Bevor ich nun die Faserrichtung in den oberen Längssäulen verlasse, gedenke ich noch eines wichtigen Faserbiindelpaares. Es ist das jederseits ein markloses Bündel, welches von der einen oberen Längssäule sich in die anderseitige untere Längssäule begiebt (Fig. 5 wf), wodurch medianwärts oberhalb der Commissura trans- OS ee nn UND Über d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 233 versa superior (posterior) eine Faserkreuzung entsteht; da jedoch die beiden die Kreuzung bildenden Faserbiindel nicht immer in eine und dieselbe Ebene fallen, so wird die Kreuzung nur selten als solehe beobachtet. Das obere Ende dieser Bündel löst sich in den oberen Längssäulen, oft an der medianen Seite derselben weit hin- auf reichend, im centralen Nervennetze auf. Eben dasselbe ge- schieht unten mit einem Theile dieser Fasern in der anderseitigen unteren Längssäule, doch ist ein guter Theil derselben im Präparate durchschnitten worden und wird somit entweder nach vorn oder nach hinten zu noch eine Strecke lang als diffuses Längsbündel verlaufen. Er endet etwas nach außen von den obersten Zellen der inneren Gruppe und liegt dieser manchmal eng an. Ich bin nun nicht in der Lage zu entscheiden, ob nicht Fortsätze dieser Ganglienzellen in dieses Faserbündel eintreten. Über ihre Natur steht so viel fest, dass sie Nervenfasern aus der einen unteren Längssäule in die anderseitige obere Längssäule führen und auf diese Weise das innige Zusammenwirken des Rückenmarkes vollkommener gestatten. Ich nenne dieses Bündelpaar Commissurae perpendiculares su- periores. Nachdem ich die einzelnen Bauverhältnisse im Rückenmarke beschrieben, möchte ich sie zu einem Gesammtbilde vereinigen. Als Grundgewebe des gesammten Rückenmarkes sind zwei in einander geflochtene Netzwerke zu betrachten. Wie bei den Batrachiern ReIsSNER in seiner mustergültigen Abhandlung über das Centralnervensystem ! mittheilt, findet sich zwischen Centralkanal und Commissura transy. superior (posterior) eine etwas ovale, weiße Stelle vor, in der mit Ausnahme sporadischer Ganglienzellen keine nervösen Elemente vorkommen; es ist dies die Substantia reticularis Auctorum. REISSNER findet sie von querfaserigem Baue, dem aber auch verti- kale Fasern medianwärts beigemengt sind. Zahlreiche Kerne durch- setzen diese Substanz. Sie gehören kleinen, durch die Einwirkung der Chromsäure stark geschrumpften Zellleibern an, welche ihre Fortsätze in Fasern übergehen lassen. Diese Zellen sind auch nach Reissner’s Angaben nicht nervös und sind wohl zu trennen von kleinen Ganglienzellen, die bisweilen in die Substantia reticularis einragen oder sogar ganz in ihr liegen. Ganz unbeständig kann man hier auch Nervenfasern antreffen. Reissner findet dieses Ge- webe zwar retikulär, scheint aber hierin in der Beurtheilung zu 1.196: 234 B. Haller keinem sicheren Erfolge gekommen zu sein, denn er meint, dieses Netzwerk verdanke seine Entstehung theilweise der Einwirkung der Chromsäure. Max Scumiprt, dessen Leistung freilich sehr weit hinter der viel älteren REISSNER's steht, findet diese Substanz in derselben elliptischen Form sowohl bei Anuren als bei Urodelen überall wieder, hält aber mit vollem Rechte daran fest, dass sein Gewebe dem Grundgewebe (der Neuroglia) in der grauen Substanz gleich kommt, welches er freilich, dem heutigen Standpunkte der Anatomie des Centralnervensystems wenig entsprechend, als ein sehr gallertartiges, granulirtes Gewebe auffasst. Bei den Säugethieren, und insbesondere bei dem Menschen, dürfte diese Stelle des Amphibienrückenmarkes wohl am ehesten mit der Substantia gelatinosa centralis: oder doch mit demjenigen Theile derselben verglichen werden, welcher zwischen Centralkanal und der sog. grauen Kommissur (Commissura transversa posterior) gelegen ist und fälschlicherweise von einigen älteren Autoren als ihr angehörig aufgefasst wurde. Diese Auffassung gewinnt vollends dann an Bedeutung, wenn wir bedenken, dass diese Stelle bei Neu- geborenen deutlicher entwickelt ist als beim Erwachsenen. Ferner weist hierauf das Verhalten bei den Sauropsiden hin, wo sie sowohl bei Vögeln? als bei Reptilien mächtig entwickelt vorkommt. STIEDA lässt in dieses Gewebe, welches er beim Frosche als ganz retikulär erkannt hat, die Fortsätze der Zellen des Canalis centralis eintreten, worauf ich hier nicht weiter eingehen will. Bei den Fischen, wo die Kenntnis der Rickennaatietale uktur noch in der Kindheit dich befindet, wird sie von den wenigen Autoren, die über dieselbe geschrieben haben, nicht weiter erwähnt, obgleich es kaum einem Zweifel unterliegt, dass sie doch überall aufzufinden sein wird. Bei Orthagoriscus sowohl als auch bei T'etrodon ist diese Stelle durchaus nicht so mächtig entwickelt wie bei den Amphibien und Sauropsiden. Sie wird von oben (Fig. 8) von der Commissura su- perior (posterior), seitlich, wo. sie vorkommt, von den zwei Com- missurae perpendiculares inferiores, und nach unten von der Wand ! Max Scumipt, Beiträge zur Kenntnis des Rückenmarkes der Amphibien. Hallenser Zeitschrift für Naturwissenschaften. 4. Folge. Bd. IV. 1885. ? L. STIEDA, Studien über das centrale Nervensystem der Vögel und Säuge- thiere. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XIX. 3 L. Srrepa, Studien über das centrale Nervensystem der Wirbelthiere. Zeitschrift fiir wiss. Zoologie. Bd. XX. A ll Über d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Rückenmark v. Orthagoriscus mola. 235 des Centralkanales begrenzt. Oft, jedoch nicht immer, findet man in ihrer Mitte ein sehr dickwandiges Längsgefäß (Fig. 8 gf); sonst aber immer mächtige Capillargefäße in ihr. Schon bei schwächeren Vergrößerungen erkennt man hier zahlreiche blass tingirte. im Ver- hältnis zu den Kernen der Ganglienzellen äußerst kleine Kerne. An sehr dünnen Schnitten und bei Betrachtung mit Immersions- systemen erkennt man diese Zellkerne in den Knotenpunkten eines recht schönen Zellnetzes. Dieses neurogliale Netz unterscheidet sich von jenem durch Srtiepa beim Frosche genauer beschrie- benen dadurch, dass die Verbindungsarme nicht so fein wie dort granulirt sind. Von diesem Gewebe und den Capillaren wird diese Stelle ganz eingenommen und nervöse Elemente, sowohl Gan- glienzellen als auch Nervenfasern, fehlen hier. In dieser Form, stellenweise nur wenig modifieirt, setzt sich nun dieses neurogliale Netz auf das gesammte Rückenmark fort und hängtperiphermit den Fortsitzen der neuroglialen Hülle eng zusammen, mit der es ja gleichen histogenetischen Ur- sprung besitzt. Somit finden wir bei Orthagoriseus (Plectognathen?) die Neuroglia, so weit bis jetzt bekannt, am einfachsten gebaut, denn bei den höheren Säugern und insbesondere bei dem Menschen wissen wir aus den ausführlichen Untersuchungen GIERKE's!, dass sie auch innerhalb des Rückenmarkes ihrer Form nach Verschieden- heiten aufweist, welche sich jedoch alle auf ein ursprüngliches Zellennetz zurückführen lassen, was übrigens auch durch histogene- tische Thatsachen eine weitere Begründung findet. Freilich kann ich GIERKE nicht beipflichten, wenn er behauptet, dass die Neuroglia aus einem ungeformten und einem geformten (ursprüngliches Netz) Theile bestiinde, denn ersteres habe ich nie beobachten können. Vollständig beipflichten kann ich ihm aber ‘darin, wenn es heißt, die als »Körner« oder als »freie Kerne« beschriebenen Gebilde seien aus dem Centralnervensysteme zu eliminiren. Eben so stimme ich mit GIERKE darin überein, dass die von SCHWALBE? beschriebenen, die nervösen Elemente umgebenen Endothelzellen und das fibrilläre Bindegewebe als Stützsubstanzen hier nicht vorkommen. Ohne mich auf die durch GIERKE erörterten Verhältnisse weiter einzulassen, möchte ich bloß von seinen Angaben jene anführen, welche die 1H. Gierke, Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXV, XXVI. 2 In Horrmann’s Anatomie. 2. Aufl. Bd. IL. 236 B. Haller Neuroglia als Zellennetz am einfachsten und den ursprünglichen Verhältnissen am entsprechendsten in der weißen Substanz des Rückenmarkes darlegt. Eine eben solche Gleichmäßigkeit zeigt sich im ganzen Rückenmarke von Orthagoriscus, mit dem Unterschiede jedoch, dass es hier zu keiner Verhornung der Neuroglia kommt. Dazu bemerke ich noch, dass ich die Neuroglia nicht mit solcher Ausführlichkeit studirt habe, dass ich behaupten könnte, es gäbe nicht Stellen, wo nicht untergeordnete Modifikationen vorkämen, denn solche habe ich in der That selber kennen gelernt; sie sind aber derartig, dass sie an dem oben ausgesprochenen Satze durchaus nichts ändern. Um den Centralkanal herum kommt die Neuroglia etwas spär- licher vor (Fig. 17) als sonst. Den hier herunterziehenden Schen- keln der unteren perpendikulären Kommissuren lagern die Neu- rogliazellen an, und auch innerhalb des sehr feinen Nervenbündels finden sich Gliazellen vor, die jedoch durchaus nicht ausreichen, um die Fasern von einander zu scheiden, wie es etwa in der weißen Substanz des Rückenmarkes bei höheren Vertebraten, aber auch bei Orthagoriscus in dem markhaltigen Längsbündel des Funiculus in- ferior (anterior) sich trifft. Wie sich die Neuroglia in den anderen Faserbündeln gestaltet, weiß ich nicht, doch werden markhaltige Nervenfasern. wo sie zerstreut im Rückenmarke auftreten (wie in der Nähe der Wurzeln der unteren Spinalnerven), von Neuroglia um- geben (Fig. 16 mf). Die Zellen der äußerst zarten, niedrigen und einschichtigen Epithelialauskleidung des Centralkanales besitzen einen verhältnis- mäßig langen Flimmerüberzug (Fig. 16). Diese Zellen sind keulen- förmig und die aus ihrem verjüngten inneren Ende sich fortsetzende Faser konnte nicht, wie dieses von vielen älteren und neueren Au- toren bei verschiedenen Vertebraten beobachtet wurde, auf weite Strecken in das Rückenmark hinein verfolgt werden, oder wie es einige Autoren, darunter Sriepa für den Frosch haben wollen, sogar bis zur Fossa longitudinalis superior (posterior). Sie erreichten kaum die Gegend der centralen Zellgruppe, dagegen konnte ich öfter be- obachten, dass diejenigen kurzen Fortsätze des Centralkanalepithels, welche nicht allzu lange als solche verliefen, sich, zuvor gabelnd, mit dem neuroglialen Netze verbanden (Fig. 17 n). Selbst nach dem Erscheinen der GIErKE'schen Studien über die Neuroglia war es eine offene Frage geblieben, ob letztere mesoder- malen Ursprunges sei und, wie KÖLLIKER behauptete, sekundär mit Über d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark y. Orthagoriseus mola. 237 den Blutgefäßen einwandere oder aus derselben ektodermalen Anlage entstünde, aus welcher das Centralkanalepithel und das gesammte nervöse Gewebe des Centralnervensystems, also aus dem einheit- lichen embryonalen Neuralrohre, sich hervorbilde. Obgleich für letzte Entwicklungsweise Frrrsch mehrere Male eintrat!, gelang es erst BURCKHARDT? vor Jahresfrist, diese Frage entgültig zu beantworten. Nach Burckuarpr’s Untersuchungen scheiden sich bei den Tritonen, nachdem der Centralkanal sich geschlossen, die Anfangs einheit- lichen ektodermalen Zellen des embryonalen Neuralrohres in zwei Gruppen. Diejenigen, welche sich von den anderen durch intensiver tingirbaren Zellkern und durch Vacuolen im Zelileibe unterscheiden, werden zu den später zu nervösen Bestandtheilen (Ganglienzellen, Nervenfasern und nervösem Centralnetz, HALLER) sich differenziren- den »Neuroblasten«. Diesen gegenüber sind die zunächst den Cen- tralkanal auskleidenden Zellen, die späteren Epithelzellen, und die- jenigen zu unterscheiden, die lateral gelegen, bereits durch ihre noch groben Ausläufer ein Maschennetz bilden und, im Zusammen- hange mit ersteren stehend, die Membrana limitans externa, oder, wie ich hinzufüge, die Neurogliahülle bilden. Die Zellen des nun- mehrigen Centralkanales und die mit ihren Fortsätzen unter einander nach außen anastomosirenden Zellen hängen somit innig mit einander zusammen. Sie bilden die »Spongioblasten«. Aus diesen Spongio- blasten entsteht das neurogliale Netzwerk und das Epithel des Cen- tralkanales*. Nach eigenen Beobachtungen glaube ich sichergestellt 1 G. FRITscH, Über einige bemerkenswerthe Elemente des Centralnerven- systems von Lophius. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXVII, und Monats- berichte der Berliner Akademie. 1875. 2 K. R. BURCKHARDT, Histologische Untersuchung vom Rückenmark der Tritonen. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXXIV. 3 Ich habe mich bemüht, die Angaben BURCKHARDT'S aus eigener An- schauung kennen zu lernen, und untersuchte hierauf Embryonen von Acanthias vulgaris, wo ich mich von der Richtigkeit der BURCKHARDT'schen Angaben betrefis der Bildung der Neuroglia überzeugen konnte. Selbst in jenem Sta- dium, wo bereits die weiße Rückenmarkssubstanz sich ganz gesondert hat und somit die nervösen Längsfasern deutlich zur Ausbildung gelangten, erkannte ich noch, dass manche unter den Zellen des Centralkanales in Theilung be- griffen waren, sich aber immer zu Gunsten der Neuroglia vermehrten, was schon dadurch entschieden werden konnte, dass die Neurogliazellen, die jetzt noch mit den meisten Ganglienzellen beinahe dieselbe Größe haben (nur einige Ganglienzellen finden sich vor, die eine bedeutendere Größe aufweisen), durch Behandlung mit Hämatoxylin eine intensivere Färbung erfahren, als jene der Ganglienzellen. 2 3 S B. Haller zu haben, dass das Epithel des Centralkanales auch bei einem ge- schlechtsreifen Thiere, bei Orthagoriscus, noch mit dem neuroglialen Netze eng zusammenhängt. Während BurcKHArDT's Beobachtungen jene, allerdings schon durch GIERKE schwankend gemachte alte An- nahme, wonach die Neuroglia bindegewebig sei und erst sekundär mit der Entwicklung der Blutgefäße mit diesen in das Centralner- vensystem einwandere, widerlegt, findet sie in meiner Beobachtung eine weitere Stütze. Durch all dies wird nun auch die Bedeutung des Centralnervenepithels, als zu der Neuroglia gehörig, erwiesen, und diejenigen, allerdings nie ausführlicher behandelten Behauptun- gen, wonach es mit Ganglienzellen zusammenhinge, zurückgewiesen. Aus der Thatsache, dass das Stützgewebe des Centralnervensystems sich aus derselben ektodermalen Anlage entwickelt wie das nervöse Gewebe, folgt aber noch durchaus nicht, dass dasselbe denselben physiologischen Aufgaben im fertigen Zustande obliege, wie das Nervengewebe, oder dass sie mit diesem in Zusammenhange stünde, wie dieses seiner Zeit SALOMON STRICKER annahm. Das neurogliale Netz verdichtet sich peripher um das ganze Rückenmark herum derart, dass seine Form nunmehr noch schwer kenntlich ist. Hierzu kommt noch, dass durch die Einlagerung zahlreicher Capillaren und eventuell durch die Ausbildung einer homogenen Zwischensubstanz das Gewebe dort kompakt wird. Auf diese Weise gestaltet sich die mit dem neuroglialen Netze eng zu- sammenhängende Neurogliahülle (innere Rückenmarkshülle älterer Autoren). Vorn ziehen dickere Bündel in das Rückenmark hinein, welche jedoch nicht mehr ausschließlich neurogliales Gewebe in sich führen, sondern sie bestehen zum Theil aus von der Gefäßhaut in das Rückenmark dringenden kleineren Blutgefäßen, denen sich me- sodermales Bindegewebe beimengt. Letzteres nimmt aber eine ganz untergeordnete und durchaus beschränkte Stellung im Aufbau des tückenmarkes von Orthagoriseus ein und beschränkt sich lediglich auf kürzere, den größeren Blutgefäßen eine Strecke weit anlagernde Bündel, welche kaum tiefer in das Innere des Rückenmarkes ein- dringen dürften. Die neurogliale Hülle hängt somit mit einem Zellennetze zu- sammen, welches das ganze Rückenmark gleichförmig durchsetzt, dem nervösen Gewebe gewissermaßen zur Stütze dient und zu in- nerst mit dem Epithel des Centralkanales zusammenhängt!. Dieses ' Der Zusammenhang der Epithelzellen der Gehirnhöhlen, hauptsächlich Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Rückenmark v. Orthagoriscus mola. 239 Verhalten könnte man auch so ausdrücken, dass das neurogliale, das ganze Rückenmark gleichmäßig durchsetzende Zellennetz nach außen in der Gliahülle, nach innen im Epithel des Centralkanales endigt. Das Verhalten der Gliahülle im Suleus longitudinalis inferior (anterior) ist bemerkenswerth. In der vorderen Hälfte des Rücken- markes zeigt die Gliahülle nichts Bemerkenswerthes; sie ist fein und sendet die schon erwähnten septenartigen Fortsätze in das Rückenmark (Fig. 11), während die Fossa longitudinalis inferior (anterior) von der Gefäßhaut ausgefüllt wird (Fig. 11 ar). Beson- ders mächtig entfaltet sich die Gliahülle im hinteren Rückenmarks- theile (Fig. 5), was etwa von der Stelle an, wo die oberen Längs- säulen aufhören, so weit gehen kann, dass der ganze Raum zwischen den zwei unteren Längssäulen unterhalb des Centralkanales von einem breiten neuroglialen Septum (Fig. 6 ar’) eingenommen wird, welches bloß von der unteren Querkommissur durchsetzt wird. Das Verhalten dieses Septum in der Medulla oblongata soll dort zur Sprache kommen. Ein Schnitt aus den oberen Rückenmarkssäulen zeigt das Glia- netz sehr deutlich (Fig. 15). Seine Elemente verbinden sich unter einander nach allen Seiten. Es sind multipolare Zellen mit hellem, durch die Karmintinktion nicht gefiirbtem und fein granulirtem Leibe. Der in seiner Größe nur wenig Schwankungen unterworfene Zellkern ist verhältnismäßig zum Zellleibe groß, rund oder etwas oval, färbt sich durch Karmin nur mäßig und lässt kein deutliches Kernkörper- chen erkennen. Eben so verhält sich dieses Netz in der Nähe der Zellen der centralen Zellgruppe (Fig. 18). Etwas anders gestaltet fand ich es unterhalb der inneren Zellgruppe und oberhalb der Com- missura transversa inferior (Fig. 11 iA). Hier sah ich oft stellen- weise das Netz zu gröberen Platten verschmolzen (Fig. 16 mf), in denen hier und da größere Lücken sich vorfanden (zr), welche durch das centrale Nervennetz ausgefüllt waren. Ob das neurogliale Netz weitere Modifikationen eingeht, habe im Aquaeductus Sylvii, mit den Ausläufern der multipolaren Neurogliazellen (damals noch Bindegewebszellen) unterhalb des Epithels, wurde, wenn ich nicht irre, zuerst durch J. GERLACH beobachtet. Dieses wurde durch MAUTHNER, CLARKE und TrAuGoTT bestätigt. Vor GERLACH haben noch HANNOVER und SrirLınG Fortsätze der Epithelzellen in jene Neuroglia, die man auch »gela- tinöse Centralsubstanz« nannte, sich fortsetzen sehen. Freilich wurde GERLACH’s Befund von Vielen unberechtigter Weise bezweifelt. 240 B. Haller ich nieht verfolgt, so viel aber darf ich behaupten, dass andere Ele- mente, als die angeführten, an der Bildung desselben keinen Antheil nehmen. Das centrale Nervennetz durchsetzt das neurogliale Netz gleichförmig (Fig. 15, 16, 17, 18), und bei genügender Übung in der Betrachtung neurohistologischer Bilder fällt es nicht schwer, aus diesem Netze, insbesondere in den oberen Rückenmarkssäulen, Ner- venfasern sich bilden zu sehen (Fig. 15 a). Eben so wird man an den feinsten Schnitten erkennen, dass alle Ganglienzellen feinste, bei Vergrößerungen, mit denen man noch mittelfeine Fortsätze deut- lich erkennt, gar nicht wahrnehmbare Fortsätze besitzen (Fig. 18), die sämmtlich in dieses äußerst feine Nervennetz sich auflösen. Letzteres ist äußerst engmaschig und zeigt an Schnitten glänzende Knotenpunkte, die nichts Anderes als quergeschnittene, in anderer Richtung abgehende Fortsätze dieses Netzes sind. Zur Übersicht stellte ich das Gefundene in nebenstehender Figur (Fig. 1) in einem einzigen Querschnitte zusammen. Das centrale Nervennetz konstruirt sich aus Fortsätzen sämmt- licher Ganglienzellen, wobei die Länge dieser Fortsätze nicht in Betracht kommt. Sowohl aus den Zellen der inneren (c’) als auch aus je- nen der äußeren Gruppe (a, 0’) gehen Fortsätze ab, die sich im eentralen Nervennetze der unteren Längssäulen auflösen. Nie wurden Zellfortsätze be- obachtet, die als solche bis in die oberen Längssäulen sich forterhalten hätten. Das centrale Nervennetz der unte- ren Längssäulen der einen Rückenmarkshälfte hängt mit dem centralen Nervennetze der entsprechenden oberen Säule kon- tinuirlich zusammen und setzt sich ohne Unterbrechung in dasselbe fort. Das centrale Nervennetz der einen unteren Säule hängt mit jenem der anderen Seite durch Netzverbindung, d. i. durch konti- Über d. Centralnervensystem, insbes. ü.d. Rückenmark v. Orthagoriscus mola. 241 nuirliche Fortsetzung zusammen, und dieser verbindende Netztheil findet sich oberhalb der beiden unteren Kommissuren und unter dem Centralkanal. Dass die beiderseitigen nervösen Netze der oberen Säulen kontinuirlich mit einander zusammenhängen, habe ich nicht beobachtet, doch steht so viel fest, dass in der Substantia retieularis kein nervöses Netz sich vorfindet. Ganz sicher konnte ermittelt wer- den, dass das centrale Nervennetz der einen oberen Längssäule mit jenem der anderseitigen unteren zusammenhängt, jedoch durch län- gere Nervenfasern, welche mit ihren beiden Enden in den beiden Theilen sich auflösen. Diese sind die oberen perpendikulären Kom- missuren (Fig. 5 uf). Die oberen (hinteren) Spinalnerven entspringen ausschließlich aus dem centralen Nervennetze, und zwar wie folgt: Erstens sind es Fasern, die aus dem Nervennetze der einen oberen Längssäule ent- springend als obere transversale Querkommissur auf die anderseitige obere Längssäule übertretend, sich in den oberen Spinalnerven dieser Seite begeben (c.p). Dann sind es Fasern, die von der lateralen wie von der medialen Seite der oberen Längssäule entspringen und, auf derselben Rückenmarkshälfte verbleibend, in den gleichseitigen Spinalnerven treten (w, w’).. Fasern, die mehr centralwärts aus dem centralen Nervennetze sich zusammensetzen, verhalten sich ähnlich (w’), und besonders werden diese es sein, die hauptsächlich aus Längsfasern stammen. Ich halte den Sitz dieser zerstreuten Längs- fasern, wenn nicht ausschließlich, doch hauptsächlich im Centrum der oberen Längssäulen gelegen (v). Über das weitere Verhalten der Längsfasern konnte wegen Mangel an Material nichts ermittelt werden. Eine als ausgesprochenes kompaktes Längsfaserbündel sich doku- mentirende Wurzel (s) der oberen Spinalnerven sammelt ihre Fasern, wie dieses schon Erörterung fand, aus dem Nervennetze der gleich- seitigen unteren Längssäule. Die unteren (vorderen) Spinalnerven entspringen hauptsächlich aus Ganglienzellen. Zuvörderst sind es die Fortsätze der Ganglien- zellen der äußeren Zellgruppe, die, ohne zuvor zu Längsfasern zu werden, direkt in die Wurzeln der unteren gleichseitigen Nerven eintreten (Fig. 12 db, y, 8; Fig. 11 mu). Andere Fortsätze dieser Zellen verlaufen, bevor sie in den Nerven eintreten, als Längsfasern. Dieses kommt dann so weit, dass diese Längsfasern zu einem oder zwei kompakten Längsbündeln (Fig. 5, 6, 14 nd, nb’, nb") sich ver- einigen, welche dann stellenweise kleinere Bündel in die Nerven- Morpholog. Jahrbuch. 17. 16 242 B. Haller wurzel des gleichseitigen Nerven abgeben. Ein Theil solcher Gan- glienzellfortsiitze kann sich aber auch in die inneren marklosen Längsbündel des Funiculus anterior begeben. Ganz so verhalten sich die unteren Zellen der inneren Zellgruppe. Der Zusammenhang der beiderseitigen zwei Nerven erfolgt der- art, dass Ganglienzellen der äußeren Zellgruppe, welche mit einem ihrer Fortsätze in den gleichseitigen Nerven einbiegen (Fig. 12 4), mit einer anderen Zelle derselben Zellgruppe sich direkt verbinden. Letztere schickt dann einen Fortsatz durch die untere horizontale Kommissur in die anderseitige untere Längssäule, wo es in dem cen- tralen Nervennetze sich auflöst, aus welchen Nervenfasern in den anderseitigen unteren Nerven sich sammeln (Fig. 11). Ein ähnliches Verhalten der Elemente der inneren Zellgruppe, jedoch mit Ausschluss jener Zwischenzellen, wurde gleichfalls beobachtet. Somit wurde bei Orthagoriscus der Zusammenhang der unteren Spinalnerven der beiderseitigen Rückenmarkshälften, so weit direkte Beobachtung es ermöglicht, durch das centrale Nervennetz vermittelt. Ein Zusammen- hang der unteren Spinalnerven der einen Seite mit den oberen der anderen Seite findet gleichfalls vermittels des centralen Nerven- netzes in der oberen Längssäule, und zwar in folgender Weise statt. Nervenfasern, die sich aus dem Nervennetze der einen oberen Längs- säule konstruiren, verlaufen neben dem Centralkanal bis oberhalb der unteren horizontalen Querkommissur und biegen hier auf die ander- seitige Rückenmarkshälfte um, um dort entweder sofort oder nach einem Längsverlaufe in den unteren Spinalnerven einzutreten. So weit reichen meine direkten Beobachtungen, auf deren Grund ich versuchen will, über den Ursprung und bezüglich des Zusammen- hanges der hinter einander folgenden unteren Spinalnerven eine Meinung zu äußern, wobei ich durchaus nicht behaupten will, dass nicht noch andere Möglichkeiten bestehen könnten. Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass bloß die vier hinter einander folgenden hintersten unteren Spinalnervenpaare vorhanden wären, und betrachten die innere Zellgruppe als gar nicht vorhan- den (Holzschnitt Fig. 2), so würde aus dem Centrum, gleichviel ob wir eine Ganglienzelle oder eine Gruppe solcher als Centrum an- nehmen (hier sei aber immer nur von einer einzigen Zelle die Rede), ein Fortsatz (Achseneylinder) in den jeweiligen ersten Nerven (7) abgegeben; ein zweiter Fortsatz (ZZ) tritt in den zweitfolgenden Nerven; ein dritter (ZZ) in den dritten (3), und endlich ein vierter IV) in den vierten Nerven derselben Seite. Eben so würde es sich EE Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 243 mit dem Centrum des folgenden Nerven (2) verhalten, wobei die Zahl der Fortsätze eines Centrums in gerader Proportion mit der Nerven- zahl anwächst, andererseits würde, unbeschadet der physiologischen Aufgabe, ein Nerv mit um so mehr Centren in direkte Verbindung treten, je weiter er nach hinten liegt. Hei Aus diesem Grunde erklärt es sich, wess- I Oh halb die lateralen Längsfasern, je weiter | | nach hinten, um so zahlreicher auftreten, um endlich zu einem oder zwei mäch- tigen Bündeln sich zu gruppiren. So wie ich dieses Schema gegeben habe, ent- spricht es im Großen und Ganzen den mitgetheilten Beobachtungen, was jedoch nicht dazu Anlass geben möge, als ob ich hierin die einzige Art des Zusammen- hanges der gleichseitigen hinter einander folgenden Nerven fände. Ich versuche nun einige meiner Beobachtungen an Or- thagoriscus, so weit sie für die Rücken- marksanatomie von Bedeutung sind, mit den Resultaten anderer Forscher in die- sen Punkten zu vergleichen, wobei ich die Litteratur über die Säugethiere, ja selbst die viel ärmere über die Sauropsi- den, nur nebenbei berücksichtigen kann. Die Litteratur über das Rückenmark der Säugethiere (den Menschen mit einbe- griffen) ist außerdem so umfangreich, dass sie in den engen Rahmen dieses Berichtes sich nicht einfügt, andererseits ich aber auch bei der kleinen, mir zur Verfügung stehenden eigenen Bibliothek! Gefahr laufen müsste, Manches von Wichtigkeit zu übergehen. ‘ Nur diese sehr bescheidene Bibliothek ist es, die mir zur Verfügung steht. Was die Bibliotheken der beiden ungarischen Universitäten (Budapest, Klausenburg) enthalten, ist mir nicht bekannt, doch glaube ich für die Klausen- burger eine große Bescheidenheit voraussetzen zu müssen. Ich bliebe somit auf die Benutzung der Budapester angewiesen, die mir aber erschwert sein dürfte. Denn, lediglich im Interesse der Wahrheit und gewiss in keiner anderen Absicht, mögen sie auch wie immer sein, mag mitgetheilt werden, dass ich von dort aus wenig Unterstützung zu hoffen habe. Dieses muss ich aus der Auf- 16% 244 B. Haller Bezüglich des Ursprunges der motorischen Spinalnerven, so weit es auf Querschnitten zu beobachten ist, sind Angaben über die direkte Fortsetzung von Ganglienzellenfortsätzen im Achsencylinder in den abgehenden Nerven in der Litteratur so zahlreich, dass ich diesen Punkt übergehen darf. Was die Commissura transv. inf. betrifft, so möge hierüber mit den Fischen begonnen werden. OWSJANNIKOW gab in seiner ersten Mittheilung an!, dass die gekreuzten Fasern der Commissura trans- versa inferior aus marklosen Achsencylindern bestünden, doch sah er später ebenda auch markhaltige Fasern. Dieser Meinung sind auch KÖLLIKER, MAUTHNER und STILLING?. In beiden Abhandlungen giebt aber OWsJANNIKOW an, dass die transversale untere Kommissur Verbindungen zwischen den Ganglienzellen beider Unterhornhälften enthalte, welchen Angaben StiepA® entgegentritt. Nach diesem Au- tor besteht diese Kommissur aus markhaltigen Nervenfasern. Doch ist die Kommissur nicht an jeder beliebigen Stelle des Rückenmarkes vorhanden wie bei Orthagoriscus, was sich hier eben aus der großen Koncentration des Rückenmarkes erklärt, sondern gewöhnlich nur dann, wenn der Querschnitt auch die in diese Ebene fallenden Wur- zeln der unteren Spinalnerven getroffen hat. Dieses Verhalten wird an einem Längsschnitte demonstrirt. Fortsätze von Ganglienzellen der unteren Hörner sollen, mark- haltig werdend, in diese Kommissur sich begeben, um auf der an- derseitigen Rückenmarkshälfte, theilweise wenigstens, in die Wurzel der unteren Spinalnerven umzubiegen. Auf diese Weise kommt es medianwärts zu einer wirklichen Kreuzung der beiderseitigen Kom- missuralbiindel. Fälle, wo durch Kommissuralfasern Ganglienzellen der beiden Rückenmarkshälften direkt verbunden wären, hat STIEDA nie beobachtet. Erwähnt sei noch, dass bei Esox SrıepA die Be- obachtung machte und seine Angabe mit der Abbildung stützte, dass einzelne Ganglienzellen sogar bis in die Mitte der Commissura trans- versa inferior vordrangen!. nahme schließen, die mir bei einer beabsichtigten Habilitation von Seiten des Kultusministeriums und des zoologischen Ordinariates (Prof. MARG6, dessen Name den meisten Lesern unbekannt sein wird) vor vier Jahren zu Theil wurde, u G, 2 Alle drei Autoren eitirt nach STIEDA. 3 SrrepA, Studien über das centrale Nervensystem der Knochenfische. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XVII. 45. s. Abhandlung über Esox. u 1 u di ae Über d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark y. Orthagoriscus mola. 245 Bei den Amphibien, insbesondere den Anuren, sind die Verhält- nisse der Commissura transversa inferior durch die klassische Arbeit REISSNER’s genauer bekannt geworden als sonst bei einem Thiere. Gleich jetzt möchte ich bemerken, dass ich eine Trennung der Com- missura transversa inferior in eine »grisea« und eine »alba« für un- statthaft halte. Was REISSNER als Commissura transversa grisea be- zeichnet, ist eine Stelle unterhalb des Centralkanales, welche viel neurogliales und nur wenig nervöses Gewebe, unter diesem stellen- weise eingestreute Ganglienzellen enthält. Die spärlichen Querfasern aber sind von der Commissura transversa alba nicht zu trennen, son- dern gehören zur gemeinsamen Commissura transversa inferior. Außer den angeführten Verhältnissen, die doch kaum in Betracht kommen dürften, kann nichts berechtigen, eine Trennung dieser Kommissur in zwei Theile durchführen zu wollen. Wenn ich also von der Com- missura transversa inferior bei den Anuren spreche, so verstehe ich darunter die gesammte Zahl der transversalen Fasern unterhalb des Centralkanales. REISSNER unterscheidet in dieser Kommissur obere, mittlere und untere Bündel. »Die Fasern der oberen Bündel oder die oberen Fasern steigen gegen die Mitte der Kommissur am steilsten herab, treten der Mittellinie zunächst auf die andere Seite des Rückenmarkes und bilden einige kleine Bündel, welche mehr oder weniger weit bis zur gleichen Höhe mit dem tiefsten Punkt des unteren Hornes oder noch tiefer in den entsprechenden unteren Strang der weißen Substanz eindringen. Die mittleren und unteren Bündel oder Fasern sind viel schwieriger weiter zu-verfolgen, und zwar hauptsächlich desshalb, weil sie beim Durchtritt durch das Septum medium häufig ganz oder beinahe horizontal ver- laufen.« Die steil herabfallenden Bündel oder die oberen möchte ich einstweilen von den mittleren und unteren oder horizontalen ge- trennt wissen und nur letztere als Commissura transversa inferior bezeichnen, welche allein nur mit der gleichnamigen der Fische ver- glichen werden darf. Diese Kommissur fand REISSNER ganz von markhaltigen Fasern gebildet. Das Wichtigste betreffs der Kom- missur besteht darin, von wo ihre Fasern ihren Ursprung haben und was mit ihnen auf der anderseitigen Rückenmarkshälfte geschieht. Hierüber theilt Reısswer mit, dass er oft Fortsätze von Ganglien- zellen der äußeren (oder wie er sie auch nennt »motorischen«) Zell- gruppe in die Kommissur treten sah, dieselben weit in derselben bis beinahe an die andere Rückenmarkshälfte verfolgen konnte, und dass zwei Fortsätze aus je einer Rückenmarkshälfte im Septum 246 B. Haller medium sich sogar kreuzen konnten. Weiter konnte er jedoch diese Fortsätze in der anderseitigen Rückenmarkshälfte nicht verfolgen. So viel vermochte er aber mit aller Deutlichkeit zu erkennen, dass Fasern aus dieser Kommissur in die motorischen Nervenwurzeln ein- bogen. Dies ist Alles, was wir von ReEIssnER als direkte Beobach- tung erfahren, jedenfalls steht es fest, dass er direkte Verbindungen zwischen Zellen der beiden Seitenhälften des Rückenmarkes dureh die Kommissur nicht beobachtet hat. Dass Fasern der Kommissur zu Längsfasern der weißen Substanz werden, kann hier weiter nicht tangiren. Freilich lässt sich aus der Reıssner’schen Beschreibung herauslesen, dass er Fasern der Kommissur auch in die graue Sub- stanz treten sah. Es sind das aber Thatsachen, die kaum zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt werden können. Dass Fort- sätze von Ganglienzellen in diese Kommissur sich fortsetzten, beob- achtete SriepA und Max Scumipr! auch. Beide sind sehr weit hinter der Reısswer’schen Arbeit zurückgeblieben, und wir finden nichts, was die ReissNer’sche Beschreibung erweitern könnte. Bei Durchsuchung der Litteratur über das Rückenmark, was allerdings keine kleine Aufgabe ist, finden wir, dass im gesammten Thierreiche, den Menschen nicht ausgenommen, die Angaben betreffs der Com- missura transyersa anterior um kein Haar ausführlicher sind als jene REISSNER’s vom Frosche. Dass Fortsätze von Ganglienzellen in Form von Achsencylindern sich kreuzend, die anderseitige Rückenmarks- hälfte erreichen, beobachtete u. A. StrepA beim Huhne? und vorher LENHOSSEK sen. beim Menschen. Dies wurde vielfach in neuester Zeit bestätigt. Wie weit meine Beobachtungen beim Mondfische in dieser Beziehung für die gesammte Klasse der Vertebraten Geltung besitzen, mag die Zukunft entscheiden. Es könnte der Fall sein, dass neben der von mir beobachteten Thatsache, dass Ganglienzell- fortsätze der einen Rückenmarkshälfte auf der anderen Hälfte in das centrale Netz sich auflösen, auch solche Fortsätze vorkommen, welche auf der anderen Rückenmarkshälfte in einen peripheren Achseneylin- der übergehen, mag dieser nun sofort in die Nervenwurzel eintreten oder sich eine Zeit lang noch als Längsfaser weiter erhalten. Völlig ausgeschlossen scheint mir die durch OwsJANNIKOW für Teleostier aufgestellte Behauptung zu sein, wonach Ganglienzellen der beider- Seitigen Rückenmarkshälften durch Kommissuralfasern unter einander sich direkt verbänden. om) a Zeitschrift fiir wiss. Zoologie. Bd. XIX. Über d. Centralnervensystem, insbes. ti. d. Rückenmark v. Orthagoriscus mola. 247 Bei Anführung der Reısswer’schen Beobachtungen über die Com- missura transversa inferior habe ich absichtlich eine Faserkreuzung, die REISSNER noch zu dieser Kommissur rechnet und als die oberen Bündel derselben bezeichnet, völlig unberücksichtigt gelassen. Diese Fasern sollen ganz senkrecht heruntersteigen und, unter spitzem Winkel sich kreuzend, theilweise wenigstens in die weiße Substanz sich verlieren. Nach oben (hinten) sind sie am weitesten in der grauen Substanz verfolgbar, so dass sie durchaus nicht mit den Ganglienzellen der äußeren Zellgruppe in Beziehung gebracht wer- den können, sie erreichen vielmehr, wie dieses auch aus der Abbil- dung evident wird (Taf. XIII Fig. 1), die Hinterhörner. Ich glaube nun, dass ich mit vollem Rechte diese Fasern mit den bei Ortha- goriscus als Commissurae perpendiculares inferiores bezeichneten ver- gleichen darf, die dazu berufen sind, die Ursprungsdistrikte der oberen Spinalnerven mit den unteren Spinalnerven der entgegen- gesetzten Seite zu verbinden. Betreffs der oberen (hinteren) Kommissur und in Zusammenhang damit des Ursprunges der hinteren Nerven steht es heute in der Litteratur auf so »muthmaßlichem« Standpunkte, dass ich Anstand nehme, die Vergleichung mit den positiven Beobachtungen bei Plecto- gnathen anzustellen. Ich berühre nun noch einige allgemeine Fragen, nämlich die der Ganglienzellarmuth resp. des vollständigen Mangels in ge- wissen Bezirken des Rückenmarkes der Knochenfische. Es ist all- gemein bekannt, dass die Ganglienzellen überall in den hinteren Hörnern viel kleiner und zarter, aber auch viel geringer an Zahl sind als in den vorderen Hörnern, aber es ist, selbst die Selachier nicht ausgenommen, die Thatsache nirgends bekannt, dass Ganglien- zellen in den Hinterhörnern fehlen sollten. Erst bei den Knochen- fischen konstatirte STIEDA, dass es im Riickenmarke des Aales und Gadus lota Stellen giebt, wo höchstens eine Ganglienzelle, viel- leicht aber auch keine in den Hinterhörnern anzutreffen ist, während diese doch bei anderen Teleostiern, wie unter anderen bei Esox, überall zahlreich genug auftreten. Ähnliche Fälle konstatirte auch Frrrsch, der dabei zu folgender Äußerung kommt: »Mit großer Wahrscheinlichkeit darf man demnach behaupten, dass die Gefühls- sphäre des Centralnervensystems bei den Fischen (wohl Teleostier, HALLER) verhältnismäßig schwach entwickelt sei, und dies scheint um so plausibler, wenn man bedenkt, wie der bei Weitem größere Theil dieser Thiere durch die Bedeckung der Haut mit festen 248 B. Haller. Schuppen oder Knochenschildern großer Gebiete der Ausbreitung für Gefühlseindrücke aufnehmende Hautnerven entbehrt, andererseits fehlt es nicht an specifischen, von besonderen Nerven ‘versorgten Sinnesorganen, um das Deficit theilweise auszugleichen '«. Ob diese Erklärungsweise, so plausibel sie auch erscheint, sich halten wird, ist heute schwer zu entscheiden, jedenfalls spricht heute Manches für diese Annahme. Meiner Ansicht nach hat sich das Rückenmark der Cyclostomen auf der primitivsten Stufe embryo- naler Entwicklung erhalten. Bei diesen Formen aber wissen wir durch die Entdeckung von FREUD?, dass in die oberen (hinteren) Spinalnervenwurzeln Fortsätze sogar der größten Ganglienzellen des primitiven Rückenmarkes eintreten. Von hier ab mag nun die histo- logische Differenzirung in Folge der äußeren Körperbedeekung in zwei Richtungen sich vollzogen haben. Die Selachier, deren selbst älteste Vorfahren keine ähnliche harte Körperbedeckung wie die an- deren Fische besaßen, entwickelten resp. erhielten sich die Ganglien- zellen in dem oberen (hinteren) Theil des Rückenmarkes, aus wel- chem später der Bezirk der oberen (hinteren) Spinalnervenwurzel durch die Amphibien hindurch bis zu den höchsten Formen der Säugethiere hinauf als Hinterhörner sich entwickelte. Andererseits sind bei denjenigen Fischen, deren Vorfahren mit dem hartesten Integumentpanzer sich bedeckten, die Ganglienzellen aus dem oben angeführten Grunde in Zahl mehr zurückgetreten. Sollte es sich bestätigen, dass bei den Ganoiden, deren Vorfahren wohl alle jenen Schuppenpanzer besaßen, thatsächlich den Knochenfischen ähnliche Verhältnisse im Bezirk der oberen (hinteren) Rückenmarkswurzel sich finden, worüber wir heute nichts Sicheres wissen, so würde jene Erklärung Frirscu’s an Wahrscheinliehkeit gewinnen. Unter den jetzt lebenden Knochenfischen ist die panzerartige Hautbedeckung wohl am ausgesprochensten unter den Plectognathen anzutreffen, unter denen die eine Abtheilung geradezu den Namen Harthäuter erhalten hat. Bei den Gymnodonten fehlen aber bereits sämmtliche Ganglienzellen in dem Ursprungsbezirke der oberen (hinteren) Spinal- nervenwurzeln, und dieses ist abermals eine Stütze für jene An- 1]. c. pag. 330. 28. FrEUD, Über den Ursprung der hinteren Nervenwurzeln im Rücken- mark von Ammocoetes (Petromyzon Planeri). Sitzungsberichte der Wiener Akad. Bd. LXXV. Abtheilung III. 1877. Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Rückenmark v. Orthagoriscus mola. 249 nahme. Freilich werden in Zukunft auch die Lophobranchier! in anatomischer Beziehung des Centralnervensystems nicht so ganz zu vernachlässigen sein, denn jene Thatsachen der vergleichenden Mor- phologie dürften auf das Verständnis der funktionellen Beziehungen des thierischen Körpers bedeutungsvoll eingreifen. Durch die angeführten Verhältnisse ist die GerLAcH'sche Auf- fassung in Betreff des Ursprunges der hinteren (oberen) Spinalner- ven nicht im geringsten gefährdet. Nach diesen würden die Fasern dieser Nerven nicht direkt aus den Ganglienzellen der Hinterhörner, sondern dureh die Vermittelung des centralen Nervennetzes entstehen. Diese Ganglienzellen fallen dann bei geringerer sensorieller Thätig- keit des Rückenmarkes aus, und die Verbindung erfolgt mit den im unteren (vorderen) Rückenmarkstheil vorhandenen Ganglienzellen dureh eine bedeutende Entfaltung des centralen Nervennetzes. Obgleich ich schon im Beginne dieser Arbeit die Beschreibung eines Rückenmarksquerschnittes von Tetrodon der Beschreibung der inneren Rückenmarksverhältnisse von Orthagoriscus voraussandte, aus welcher indirekten Vergleichung dem Leser eine Schlussfolge- rung auf die Rückenmarksverhältnisse der Plectognathen ermöglicht ward, so kann ich doch nicht umhin, diese auch nach meiner eigenen Auffassung darzustellen. Vor Allem glaube ich mit jedem Sachkundigen darüber übereinzustimmen, dass wir im Rückenmarke von Orthagoriscus keine ähnliche hochgradige Koncentration erkennen können, wie dieses etwa in den sog. Rückenmarksganglien im An- fangstheile des Rückenmarkes in den Lobi electriei von Torpedo und in den Anschwellungen der Trigliden oder in den Lobi vagales der Cyprinoiden sich vorfindet. Denn vergleichen wir das Rückenmark des Orthagoriscus mit jenem von Tetrodon, so werden wir nur das Eine folgern können, dass durch die enorme Verkürzung des Körpers bei den Mondfischen (Orthagoriscus, Rancania) eine gewisse Koncentration der neuralen Gewebstheile eingetreten ist, wie es schon in Anbetracht der äußeren Verhältnisse einleuchten muss. Diese kam jedoch nicht so weit, dass sie die einzelnen Ursprungsdistrikte der Spinalnerven äußer- lich in Form von hinter einander gelegenen paarigen Anschwellungen ! Haben doch diese vernachlässigten Formen erst neuerdings in myo- logischer Beziehung eine speciellere Beachtung gefunden, indem durch die ge- wandte Hand RoLLET’s wichtige und interessante Verhältnisse aufgedeckt wor- den sind. — A. RoLLET, Über die Flossenmuskeln des Seepferdehens. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXXII. 250 B. Haller kennzeichnet. Die in Vergleichung mit dem langen Rückenmarke von Tetrodon eingetretene Koncentration spricht sich bei einer be- deutend größeren Zahl von Ganglienzellen hauptsächlich in der enor- men Größenzunahme der einzelnen Ganglienzellen aus. Durch die Verkürzung des Riickenmarkes hat bei gleichbleibender physiologischer Leistung das Rückenmark sich in die Quere entfaltet und ist dieker geworden. Der oberhalb der lateral abtretenden oberen (hinteren) Spinalnerven sich findende, diesen zum Ursprung dienende, obere (hintere) Abschnitt des Riickenmarkes, der mit dem Bezirk der Hinterhörner höherer Formen verglichen werden kann, sowie der un- tere motorische Bezirk hat sich in Folge jener Verkürzung des Riickenmarkes enorm ausgebildet. Dadurch ward der Abgang der unteren (vorderen) Spinalnerven der Fissura longitudinalis inferior bedeutend geniihert, was ja bei Tetrodon (Fig. 19) durchaus nicht der Fall war. Dieses ist Alles, was durch die Koncentration bei den Mondfischen erreicht wurde, denn die Lage der oberen (hinteren) Spinalnervenaustritte hat sich, da ihr Ursprungsbezirk durch die in die Quere erfolgte Entfaltung auf dieselben keinen nach unten wir- kenden Druck ausgeübt hat, nicht verändert. Uber die inneren baulichen Verhältnisse des Rückenmarkes der Plectognathen können wir Folgendes von allgemeiner Bedeutung dar- stellen. Bei den Plectognathen kommt es, abgesehen von den vier Liingsstriingen, die jedoch im Vergleiche zum Rückenmarksquerschnitte von sehr untergeordneter Bedeutung sind, zu keiner Sonderung von grauer und weißer Riickenmarkssubstanz, vielmehr sind die Längs- Fasern zerstreut im gesammten Rückenmarke angeordnet. Ganglien- zellen kommen bloß im Bezirk des Ursprunges der unteren (vorderen) Spinalnerven von ansehnlicher Größe vor, also an unteren (vorderen), den vorderen Hörnern höherer Formen vergleichbaren Stellen. Ste bilden zwei Gruppen, eine innere, lateral dem Centralkanal anlie- gende, und eine üußere, welche in Folge des Mangels von weißer Substanz nach unten ganz peripher im Riickenmarke gelegen ist. Diese Verhältnisse der Plectognathen sind aber nicht auf primüärste Zustände zurückzuführen, sondern von jenen bei Cyclostomen ableit- bar und führen zu jenem späteren Stadium hinüber, welches bei höhe- ren Knochenfischen anzutreffen ist. Dem gegenüber hat sich von den Cyclostomen an das Rückenmark durch die Selachier derart entwickelt, dass es kontinuirlich zu den höchsten Vertebraten hinüberführt!. ' Hierbei mögen die Rückenmarksverhältnisse von Amphioxus als ganz Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 251 Hieraus ist ersichtlich, dass die Resultate, zu denen ich gelangt bin, mit jenen VIGNAL’s in den wichtigsten Punkten sich decken. Bevor ich auf die Beschreibung der Verhältnisse in der Medulla oblongata übergehe, möchte ich noch über die Kerne der Ganglien- zellen im Rückenmarke einiges nebenbei Beobachtete mittheilen. In den meisten Fällen findet man in den Ganglienzellen einen großen ovalen (Fig. 18) Zellkern vor, der immer ein deutliches größeres und mehrere kleine Kernkörperchen besitzt. Die chromatophile Substanz ist in der Netzform angeordnet und die Kernkörperchen liegen in den Netzknoten. Nur seltener nähert sich der Kern der runden Form. Andere Male erkennt man zwei unmittelbar an einander liegende Kerne innerhalb eines Zellleibes, diese sind dann an ihren Berüh- rungsstellen zumeist abgeplattet (Fig. 9 a). An dickeren Schnitten sieht man sogar drei Zellkerne in einem Zellleibe (Fig. 9 2), die gleichfalls wieder innig an einander lagern. Diese Fälle sind häufig genug, um den Gedanken an eine Kerntheilung aufkommen zu lassen. Ich war darum bemüht, an Zellen, die zwei Zellkerne aufwiesen und diese ihrer Lage nach schon auf eine eben stattgehabte Zell- theilung hinwiesen (Fig. 9 a), in letzteren Formen die Karyokynesis aufzufinden, — doch vergebens, denn der Kerninhalt war stets nur in der beschriebenen Netzform anzutreffen. Später habe ich dieses Suchen ganz aufgegeben, denn ich stieß in den diekeren Schnitten auf Zellformen, die eine indirekte Kerntheilung auszuschließen schienen. Es waren da die absonderlichsten Kernformen vorhanden und viele ließen auf eine »Kernsprossung« (Fig. 10), also auf eine direkte Zelltheilung ohne vorhergehende Kernfiguren, und zwar auf eine solche schließen, bei welcher der Kern in mehrere Theile zer- fiel. Dieses war insbesondere dort sehr deutlich zu sehen, wo die Hauptmasse des Kernes mit mehreren großen, ziemlich gleichgroßen Kernkirperchen versehen, eine beginnende Zweitheilung unzweideutig zeigte, während an seiner anderen Seite mehrere kleinere Portionen, sogar mit Kernkörperehen versehen, sich hervorrundeten, ohne je- doch vom größeren Abschnitte abgetrennt zu sein (Fig. 9 ec). Man findet aber im Zellleibe nie kleine Kerne vor. Ob dann eine Zell- theilung eintritt, weiß ich nicht, denn ich habe sie nie beobachtet. Diese wichtige Thatsache führe ich an, um die Aufmerksamkeit jener Forscher, die sich eingehender mit der Kerntheilung beschäftigen, selbständig, aus ursprünglichsten Verhältnissen herausgebildet, bei Seite ge- lassen werden. 252 B. Haller ‚Dil auf diesen Gegenstand zu lenken, wie denn das Rückenmark von Orthagoriseus für die Zukunft wohl noch Andere beschäftigen dürfte. VIGNAL sah zwei Zellkerne in derselben Zelle, doch eben so wenig wie ich konnte er eine Zelltheilung beobachten. Medulla oblongata. Wenn man einen Querschnitt aus der Stelle untersucht, wo eben der Centralkanal in die Fossa rhomboidea sich öffnet, also aus der eben beginnenden, plötzlich aus dem Rückenmarke eingeschniirt sich fortsetzenden Medulla oblongata, so wird man Folgendes feststellen ‚können. Das Gliaseptum des Suleus longitudinalis inferior reicht bis zur unteren Seite der Fossa rhomboidea hinauf (Fig. 20 ar) und verwebt sich hier mit einer sich stark tingirenden Stelle unterhalb des Epithels. Diese Stelle ist fast ganz frei von nervösen Bestand- theilen und enthält mit Gliagewebe nur zahlreiche Blutgefäße, in deren nächster Nähe auch eingewuchertes echtes Bindegewebe anzu- treffen ist. Während seines Verlaufes bis hierher sendet dieses Sep- tum medium zahlreiche Fortsätze in die beiderseitigen Seitenhälften. In der Fissura longitudinalis inferior (anterior) ist die Gliahülle eben so mächtig entwickelt, wie wir sie zu Ende des Rückenmarkes ge- sehen haben. Die äußere Ganglienzellgruppe des Rückenmarkes nimmt bedeu- tend an Zahl und Größe ihrer Elemente ab (Fig. 20 mz’), doch er- hält sie sich bis weit nach vorm im verlängerten Marke (Fig. 21 mz, mz'). Von den Zellen der inneren Gruppe sind noch einige vorhan- den (cz). Sie werden wie im Rückenmarke durch Karmin nicht zu intensiv tingirt, wodurch sie sich von den Zellen des Vaguskernes, welche sich sehr intensiv tingiren und in welche Gruppe die ersten Zellen kontinuirlich übergehen, auffallend unterscheiden. Bei diesem Übergange giebt es auch Zellen, welche in Betreff‘ Färbung und Größe zwischen diesen beiden Extremen stehen, so dass hier eine gewisse Kontinuität sich ausspricht. Aus den ersten Zellen der Säule der inneren Zellgruppe ent- springen folgende periphere Nerven und innere Nervenbündel: Zu- vörderst treten nach unten zu viele starke, bald nach ihrem Ur- sprunge markhaltig werdende Fasern zu einem Bündel zusammen, welches an der unteren Seite als recht mächtiger Nerv (Fig. 20 un. Vag) das Rückenmark verlässt. Fasern aus der äußeren Zellgruppe (mz) habe ich in diesen Nerven nie treten sehen. Er kommt Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 253 jederseits in der Einzahl vor und bildet somit bloß ein einziges Paar. Von unten tritt er jederseits dem gemeinsamen Vagusbündel bei (Fig. 2) und ist somit jener Theil des Vagus, welcher bei den Selachiern als höchstens fünf, in den meisten Fällen aber nur als zwei oder drei Fädchen die untere Seite des verlängerten Markes verlassend, durch einen besonderen Kanal, der in gleicher Reihe mit den Austrittsöffnungen der unteren Spinalnerven gelegen ist, aus der Schädelwand nach außen gelangen und zum Theil zu Muskeln treten, zum Theil sich aber noch mit den ersten Spinalnerven ver- binden und von GEGENBAUR! als »untere Vagusbündel« benannt, von RoHon? aber nur sehr ungenau gekennzeichnet werden. Bei Ortha- goriscus ist somit das untere Vagusbündel, getrennt von den ersten unteren Spinalnerven, noch innerhalb der Schädelkapsel mit dem oberen Vagus verbunden, was möglicherweise durch die große Kon- centration des gesammten Körpers Erklärung findet. Eben so ver- halten sich bezüglich ihres Ursprunges die unteren Vaguswurzeln bei Petromyzonten, wie durch AHLBORN? bekannt wurde, der sie mit anderen Autoren als motorische Wurzeln des Vagus bezeichnet. Sie verhalten sich auch hier wie die ventralen Wurzeln der Spinal- nerven, worüber sich AHLBORN folgendermaßen ausspricht: »Ich zweifle nicht, dass die großen ventralen Zellen, die ja den großen äußeren Zellen des Rückenmarkes entsprechen, als die Ursprungs- ganglien dieser Wurzeln anzusehen sind, doch bemerke ich auch hier, dass ich den Austritt eines Zellfortsatzes aus dem Hirn in die Nervenwurzel nicht mit absoluter Sicherheit beobachtet habe.« Diesem möchte ich zufügen, dass wir unter »großen ventralen Zellen« durch- aus nicht Zellen der äußeren Zellgruppe von Orthagoriscus zu ver- stehen brauchen, denn wie ich schon betonte, ist bei Cyclostomen in der Gruppirung der Ganglienzellen ein ziemlich embryonales Ver- halten gewahrt worden, und man kann darum eine Vergleichung in dieser Beziehung mit den Teleostiern nicht so leicht anstellen. Auf dem Querschnitt aus dem hintersten Oblongatatheile (Fig. 20) bemerkt man, dass neben den Zellen der inneren Gruppe, von wo eben die untere Vaguswurzel ihren Ursprung nahm, einige Zellen derselben Gruppe Fasern in ein Faserbündel entsenden (p), welches | (0. GEGENBAUR, Uber die Kopfnerven von Hexanchus und ihr Verhältnis zur Wirbeltheorie des Schädels. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaften. Bd. XVI, 12'606, 3]; 6. 254 B. Haller stark nach oben und etwas nach außen gerichtet, die letzte obere Vaguswurzel (X./) erreicht und mit dieser die Schädelkapsel ver- lässt. Ich vermuthe in diesem Bündel die Wurzel des Hypoglossus, welche Ursprungsweise abermals mit jener bei Cyclostomen sehr übereinstimmen würde. Nach oben gehen die Zellen der inneren Gruppe, auf die schon beschriebene Weise, in die Zellen des Vagusganglion (vg, vg’) über. Als solches wurde dieses Ganglion bei Gadus lota auch von STIEDA angesprochen, wo freilich die topographischen Verhältnisse durch das nur selten vorkommende Tuberculum medium etwas verändert scheinen, jedoch es nicht sind. Auch die durch Ronon bei den Selachiern beschriebenen Verhältnisse lassen vermuthen, dass sich auch dort der Bau dieses Ganglienpaares nicht wesentlich von den bei Teleostiern modifieirt ist, wenn wir etwa von den elektrischen Ganglien bei Torpedo absehen wollen, die sich ja doch aus einem Theile dieses Ganglienpaares hervorgebildet haben, ferner von dem Umstand, dass dieses Ganglion, besser Zellensäule, schon äußer- lich als hinter einander gelagerte Ganglionknoten sich zu erkennen giebt, was bei den Knochenfischen nicht eintritt. Denn es wird Niemand einfallen, die gangliösen Anschwellungen im Beginne des Rückenmarkes der Trigliden ohne Weiteres mit dem Ganglion des Vagus vergleichen zu wollen, wenn gleich das erste und mäch- tigste aus diesen Anschwellungen mit jenen Ganglien wahrscheinlich in Beziehung zu bringen sein wird!. Wie sich die Verhältnisse bei Lophius gestalten, ob in die Ganglienbildung dortselbst nicht auch schon Centren des Trigeminus (Ramus ascendens) aufgenommen sind, wie durch gewisse Beobachtungen von FrrrscH nicht unwahrscheinlich ist, darüber lässt sich einstweilen nichts aussagen. Am ehesten sind diese Verhältnisse bei Orthagoriseus mit jenen der Cyclostomen ver- gleichbar, zumal für diese AHLBoRN’s ausführliche Beschreibung vor- liegt. Andererseits scheinen dort die anatomischen Verhältnisse eben so einfach zu sein wie bei Orthagoriseus; ja selbst die Form der Ele- mente stimmt auffallend überein. Freilich kann ich die Vermuthung nicht unterdrücken, dass AHLBORN die histologischen Verhältnisse nicht eingehend genug verfolgt hat. 1 Es existirt eine Abhandlung in russischer Sprache von M. Ussow, Über den Bau der sogenannten Lobi accessorii des Rückenmarkes einiger Knochen- fische (Arbeiten der naturforschenden Gesellschaft in Kasan), welche Arbeit mir unzugänglich war. Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 255 Das Ganglion des Vagus besteht jederseits aus einer, hinten wenige (Fig. 20), mehr nach vorn zahlreichere Elemente besitzenden Zellgruppe. Es reicht nur bis zur Mitte der oberen Fläche der Rautengrube. Im vorderen Theile der Rautengrube, wo sich diese bedeutend erweitert, weit hinter dem Ansatze der sog. Corpora restiformia, erreicht die Zahl jener Zellen ihr Maximum, um dann von hier an wieder allmählich abzunehmen. Die Elemente sind fast ausnahmslos nach oben zu breit, nach unten gegen das Innere der Medulla oblongata verschmälert; deren chemische Kapaeität für Kar- min gegenüber den Zellen der inneren Gruppe des Rückenmarkes wurde schon erwähnt. In der Regel besitzen diese Zellen an ihrem verbreiterten, der Rautengrube zugekehrten Ende vier bis acht und sogar mehr feinste Fortsätze, welche in dem oberhalb der Zellen bis zum Epithele reichenden nervenzellenfreien Gewebe in dessen Nerven- netz sich auflösen (Fig. 22). Dieses nervenzellenfreie Gewebe (Fig. 22 7) unterscheidet sich durch nichts vom anderen centralen ganglionzell- freien Gewebe. Die Fortsätze des die Rautengrube auskleidenden Epithels gehen in dieses Gewebe über, um ähnlich wie die Epithel- zellen des Centralkanales im Rückenmarke sich mit dem hier sehr feinen neuroglialen Netze in Verbindung zu setzen. Außer diesen Geweben besitzt diese Stelle Blutgefäße in ziemlicher Zahl, und das feine Nervennetz, in welches eben jene feinen oberen Fortsätze der Ganglienzellen sich auflösen. (Eine bemerkenswerthe Erscheinung, welche sich auf den ganzen Boden der Rautengrube erstreckt, be- steht darin, dass die Neurogliahülle knapp unter dem Epithele sich, sehr mächtig entfaltend, fortsatzförmig in Form von konischen Zapfen von oben nach unten in das Nachhirn erstreekt, wobei sie gewöhn- lich eintretende Blutgefäße begleitet. Es ist jedoch nicht ausge- schlossen, dass echtes Bindegewebe mesodermalen Ursprunges in Begleitung der Blutgefäße massenhaft eintritt. Die Kerne dieses diehten Gewebes tingiren sich recht intensiv, so dass die Zapfen sehr deutlich hervortreten.) Somit unterscheidet sich dieses Gewebe von jenem knapp unterhalb der Ganglienzellen gelegenen nur dureh den geringen, ja fast verschwindenden Reichthum von dickeren Ner- venfasern. Es bildet sammt den Ganglienzellen das sogenannte »Höhlengrau«, welcher Ausdruck, auf die Verhältnisse bei Säuge- thieren begründet, in dem Maße außer Gebrauch kommen dürfte, je weiter die Kenntnis der Anatomie des Centralnervensystems der Fische vorschreitet und je mehr die Anatomen zur Einsicht ge- langen, dass volle Sicherheit in der menschlichen Hirn- und Rücken- 256 B. Haller markslehre erst durch die Vergleichung bei siimmtlichen Klassen der Wirbelthiere erreicht werden kann. Lateral geben diese dreieckigen Ganglienzellen der beiden Va- gusganglien keine Fortsätze ab, sondern verschmälern sich in einen oder zwei neben einander liegende Achsencylinder, welche (Fig. 20, 21, 22) als feinfaserige Nervenbiindel zu je einer Wurzel dieses Vagusastes zusammentreten. Von einer Auflösung der feinen Fortsätze des oberen Zellendes in das Nervennetz habe ich bloß an zweien meiner Präparate Aus- nahmen gefunden. Auf beiden Präparaten ist zu erkennen, dass an der unteren Hälfte des rechtsseitigen Ganglions je zwei Zellen an ihren oberen Enden einen recht breiten, so weit verfolgbar unge- theilten Fortsatz besaßen. In dem einen Falle war je einer der seitlichsten Fortsätze (Fig. 21) am oberen breiten Ende, der sich so verhielt; im anderen Falle konnte an dem Ende der einen dieser Zellen nur ein Fortsatz (Fig. 22 s’) erkannt werden, während die anliegende zwei stärkere Fortsätze besaß, von denen der eine (s) eben so wie jener der ersten Zelle ungetheilt weithin zu verfolgen war. Der Fortsatz der ersten Zelle (s’) bog zwischen den anderen Zellen nach innen, jener der anderen (s) verlief parallel der Rauten- grubenwand im Gewebe oberhalb der Ganglienzellschicht nach unten. So viel konnte ich mit Sicherheit ermitteln, dass diese zwei Zell- fortsätze keine Nebenäste abgeben, somit ist es sehr wahrscheinlich, dass sie zu peripheren Achseneylindern wurden. Dass jedoch solche dicke Fortsätze von den oberen Seiten der Zellen der Vagusganglien auch in anderen Ebenen als in der Querebene vorkommen, darauf deutet die Beobachtung recht ansehnlicher Querschnitte markloser Nervenfasern stellenweise oberhalb dieser Zellenschicht hin. Übergänge zwischen diesen dreieckigen, und in dieser Form, wie es scheint, für die Fische charakteristischen Elementen im oberen Vagusganglion und kleinsten, beinahe der »multipolaren« Zellform gleichenden Zellen kommen zwar vor, doch bleibt die beschriebene Form für dieses Ganglion die überwiegende. Bei den Cyelostomen hat AHLBORN in den Vagusganglien jene Form als die dominirende erkannt. Die Zellen der beiderseitigen Vagusganglien treffen me- dianwiirts bei Orthagoriscus eben so wenig als anders wo zusammen, sondern werden hier durch das an neuroglialem Gewebe und Blut- gefifien reiche mediane Stück getrennt, welches ich schon erwähnte und in welches von unten her das Septum medium allmählich übergeht. Über d. Ceutralnervensystem, insbes. ii. d. Rückenmark v. Orthagoriscus mola. 257 In den Zellen der Vagusganglien habe ich nur sehr selten dop- pelte Kerne (Fig. 24) und nie solche an Kernsprossung erinnernde Kernformen gefunden wie unter den großen Elementen des Rücken- markes. Dagegen konnte ich hier ein Verhalten beobachten, wel- ches im Rückenmarke trotz der großen Elemente nie zur Beobach- tung kam. Ich konnte nämlich erkennen, dass Capillargefäße den Zellleib durchsetzten und in denselben, also im Körper der Ganglien- zellen, sich einlagerten (Fig. 22 «, Fig. 24 cg), wobei das Endo- thelrohr des Capillargefäßquerschnittes sehr deutlich zum Vorschein kam. Diese Beobachtung wurde durch Fritscu zuerst bei Fischen und an einer bestimmten Stelle des verlängerten Markes gemacht, welche theilweise wenigstens mit den Vagusganglien in Beziehung zu bringen ist. Vor vier Jahren fand er dieses Verhalten an den riesenhaften Elementen jener Lokalität bei Lophius piscatorius, und war nicht ohne Grund darüber frappirt. Ich will seine eigenen Worte mittheilen. Er sagt, »es durchsetzt also ein Gewebe Ele- mente (!) des anderen, Bindegewebe solche des Nervengewebes, ohne sich jedoch damit zu vermischen, vielmehr sind die histologi- schen Theile des einen und des anderen sehr wohl aus einander zu halten.«c In demselben Jahre erkannte ähnliche Beziehungen der Capillargefäße zu Ganglienzellen im Rückenmarke des Menschen ADAMKIEWITzZ!, der jedoch durch seine unglückliche Injektionsme- thode zu Resultaten gelangte, die nur durch Artefacte erklärbar sind. Nach dieser sonderbaren Auffassung endet das arterielle Ca- pillargefäß an der Peripherie der Ganglienzelle, seinen Inhalt in die Ganglienzelle in den von ihm sogenannten »Ganglienraum« ergießend, während »die Ganglienvene aus dem Kern direkt heraustritt«. In ein auf dem Querschnitte stets recht deutliches Bündel treten die innerhalb des Rückenmarkes marklosen und feinen Fa- sern der oberen Vaguswurzeln zum peripheren Stamme zusammen (Fig. 20, 21), doch nicht bloß in der Querebene, sondern, wie dieses ja bei allen Nervenstriingen der Fall ist, pinselférmig, was durch peripher anlagernde quer durchschnittene Bündel (Fig. 21 X’) be- gründet wird. Zum Schlusse sei noch eine Vaguswurzel erwähnt, über deren sicheren Ursprung ich mir keine Aufklärung verschaffen konnte. Man sieht nämlich aus der nächsten Nähe der bis weit nach ! A. ADAMKIEWiTz, Der Blutkreislauf der Ganglienzelle. Berlin 1886 (Hirschwald). Morpholog. Jahrbuch. 17. 17 258 B. Haller vorn fortbestehenden äußeren Ganglienzellgruppe (Fig. 21 mz) ein mittelstarkes Nervenbündel (s) nach oben der abgehenden oberen Vaguswurzel sich anschließen. Obgleich dieses Bündel allem An- scheine nach jener Zellgruppe entstammt, so habe ich hierüber doch keinen sicheren Aufschluss erhalten. An der oberhalb dieses Faser- bündels gelegenen Stelle (fw) sammelt es sich gewiss nicht. Es kann daher wohl nichts Anderes sein als eine der oberen Wurzel sich anschließende untere Vaguswurzel. Nach Beschreibung des Ursprungsmodus des Vagus komme ich abermals auf jenen Schnitt zurück, den ich aus dem hinteren Ende der Oblongata abbildete (Fig. 20). In dieser Gegend existirt die Commissura transversa inferior eben so wenig als alle anderen Kom- missuren des Rückenmarkes. Statt der Commissura transversa in- ferior sehen wir zwei Längsbündel (7), die etwas von oben nach unten und außen gerichtet erscheinen. Auf dem nach vorn zu nächst- folgenden Schnitte sehen wir diese einander genähert, und noch weiter nach vorn medianwärts mit einander verschmelzen, um dann noch weiter nach vorn abermals als separirte, jedoch etwas mäch- tigere vollständige Längsbündel in jeder Rückenmarkshälfte zu er- scheinen (Fig. 21 z). Es findet somit hier eine Kreuzung dieser Längsbündel statt, die dann in noch weiter nach vorn gelegenen Querschnitten an Mächtigkeit bedeutend zunehmen. Da ich jedoch die vorderste Hälfte der Medulla oblongata nicht untersucht habe!, so vermag ich über das Verhalten dieser Längsbündel weiter nichts auszusagen. Immerhin kann über ihre Bedeutung kaum ein Zweifel obwalten, denn es sind aller Wahrscheinlichkeit nach Längsbündel, die, aus den Ganglienzellen des Rückenmarkes stammend, sich kreu- zend nach vorn ziehen, um sich hier, durch andere Längsfasern verstärkt, in das motorische Feld Mrynert’s zu begeben. In der Nähe und oberhalb der äußeren Zellgruppe, sowie auch unterhalb derselben finden wir im verlängerten Marke zahlreiche, aber zer- streut liegende Querschnitte von markhaltigen Längsfasern (Fig. 20), die wohl alle, ohne sich zu kreuzen, zur weiteren Verstärkung jener Längsbündel dienen werden. Haben doch die Zellen der äußeren Gruppe, außer das centrale Nervennetz durch ihre Fortsätze zu ver- stärken, keine besondere Bedeutung mehr. Die eben beschriebene ! Durch einen rein äußeren Zufall geschah es, dass mir die noch dem Hirne nicht abgetrennte vordere Hälfte der Oblongata zu Verluste ging.. Über d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Rückenmark v. Orthagoriscus mola. 259 Kreuzung ist zweifellos mit der Pyramidenkreuzung höherer Thiere vergleichbar. Weiter nach vorn verliert sich der im hinteren Abschnitte der Oblongata noch einigermaßen gewahrte Rückenmarkstypus allmäh- lich, und mit dem Breiterwerden dieses Hirnabschnittes treten andere Verhältnisse auf, wir treten hier in das Gebiet des hinteren Trige- minusursprunges. Unterhalb des Vaguskernes findet sich ein aus äußerst kleinen, jedoch sich intensivst tingirenden Ganglienzellen gebildeter Kern (Fig. 21 tk, tk’) vor. Es ist dieses dieselbe Stelle, wo AHLBORN bei Petromyzonten den Querschnitt des Ramus ascendens trigemini sich hinziehen sah, wir haben also allen Grund, diesen Kern als den hinteren Trigeminuskern zu betrachten, und zwar um so mehr, als nach den Beobachtungen Frirscn’s der Ramus ascendens bis zu dieser Gegend der Oblongata und nicht weiter verfolgt wer- den konnte. Auch ich war nicht im Stande, auf Horizontalschnitten (Holzschnitt Fig. 3) bei Lota den Ramus ascendens weiter Fig. 3. als bis zu dieser Stelle zu ver- folgen. Von diesem Kerne aus sammeln sich die Fasern und ziehen nach vorn und auswärts, bis sie schließlich den gemein- samen Trigeminusstamm er- reicht haben. RoHon beob- achtete den Trigeminuskern bei Torpedo, wo er der Aufmerk- samkeit Frirscu’s entgangen zu sein scheint. Der erstere Autor giebt auch eine Abbil- dung', welche beweist, dass Ronon den hinteren Trigeminuskern verkannte, als er ihn als acces- sorischen Kern des elektrischen Nerven bezeichnete. R.trg.asc Ramus ascendens trigemini; V Vagus, Anfangs nur aus spärlichen Zellen gebildet, wird er etwas weiter nach vorn kompakter (Fig. 21 ?%), wo er dann aus zahlreichen, sehr intensiv sich tingirenden, länglichen Ganglienzellen besteht, bei denen aber die sogenannte multipolare Form nicht zu beobachten ist. Dieser !1. c. Taf. VIII Fig. 58. 260 B. Haller hintere Trigeminuskern tritt mit dem Vaguskerne in direkte Verbin- dung. Manche von den Fasern der oberen Vaguswurzel (Fig. 21 rechts) biegen sich etwas nach unten und durchsetzen den hinteren Trigeminuskern, ohne sich jedoch dort mit Ganglienzellen zu ver- binden. Solche Fasern wenden sich dann, den Trigeminuskern ver- lassend, nach oben und mengen sich der austretenden Vaguswurzel bei. Diese Fasern könnten bei oberflächlicher Beobachtung die Mei- nung hervorrufen, es mengten sich der Vaguswurzel auch Fasern bei, die aus dem hinteren Trigeminuskern entspringen, zu welcher Annahme thatsächlich VıenaL verleitet wurde. Dieser Fall kommt aber thatsächlich nie vor, denn die Hauptfortsätze der Zellen des hinteren Trigeminuskernes sind alle nach vorn, also der Körper- längsachse parallel gerichtet. Anders verhalten sich freilich manche dieser Nervenfasern im hinteren Trigeminuskerne, und man wird, wenn gleich auch nur selten, beobachten können, dass eine solche aus einer Ganglienzelle des Vaguskernes entspringende Nervenfaser (Fig. 22 da) mit einer Zelle des hinteren Trigeminuskernes sich ver- bindet. Hierdurch ist ein direkter Zusammenhang zwischen Vaguskern und dem hinteren Trigeminuskern festge- stellt. Die Bildung der Raphe hat leider bei keinem jener Autoren, die über das Centralnervensystem niederer Vertebraten geschrieben haben, jene Berücksichtigung erfahren, welche ihr bei ihrer großen Bedeutung, als einer Stelle, wo Fasern der einen Hälfte in jene der anderen Oblongatahilfte übertreten, zukommt. Alles hierüber ge- nauer Angegebene bezieht sich auf die höheren Säugethiere, und doch sind diese an dieser Stelle schon viel zu komplieirt gebaut, um einen vollen Einblick in die Verhältnisse zu gestatten. Dieser Einblick wird am besten erreicht, wenn wir die weniger komplieirten Ver- hältnisse niederer Wirbelthierformen kennen. Da nun bei Fischen, Amphibien und Sauropsiden wenig über die Raphe bekannt ist, wird mir bei der Beschreibung eine Vergleichung erschwert, und ich gehe nur so weit auf sie ein, als es die Thatsachen gestatten. Von RoHon erfahren wir über die Verhältnisse in der Raphe der Selachier etwa Folgendes. Das Mrynerr’sche motorische Feld besteht hauptsächlich aus quer getroffenen Bündeln der Pedunculi cerebri. Zwischen diesen Bündeln verlaufen andere, deren Ursprung bis in die Raphe verfolgbar ist, wo sie sich vollständig kreuzen und, wenn ich ihn recht verstehe, meint er mit dieser Kreuzung eine solche, welche zwischen Fasern der entgegengesetzten Hälften der Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 261 Oblongata erfolgt; ob jedoch auch die Bündel der Pedunculi cerebri beider Seitenhälften in die Raphe einbiegen und sich kreuzen, hier- über äußert sich Romox nicht. Zerstreute Ganglienzellen konnte Ronon selbst innerhalb der Raphe antreffen. Obgleich bei den Se- lachiern schon ein ziemlich ausgesprochener, jedoch noch durchaus nicht so mächtig entwickelter und sich in Falten legender Oliven- kern vorkommt, wie ROHON diesen beschreibt, so hat er von einer weiteren Beziehung desselben zur Raphe doch nichts erfahren. Frirscn’s Angaben bei den Teleostiern erstrecken sich nicht einmal so weit wie jene Ronon’s bei den Selachiern. Eben so sind Angaben in dieser Richtung hin bei StiepA nicht aufzufinden. Von den Petromyzonten erfahren wir durch AHLBORN in Betreff der Raphe so viel, dass die Verhältnisse ungemein einfach seien. Es besteht da eine Kreuzung sehr breiter markhaltiger Nervenfasern der sog. Mürrer’schen Fasern, die dann jederseits sich in gewisse große Ganglienzellen einsenken, deren konstante Lage sich oberhalb des hinteren Trigeminuskernes befindet. Wir werden auf diese Fasern bei der Beschreibung der Verhältnisse von Orthagoriscus zurück- kommen. Von dem Suleus longitudinalis inferior (anterior) zieht nach oben zum Boden der Rautengrube ein mediales Septum (Fig. 21 r) ganz neuroglialer Art und hängt an der unteren (vorderen) Fläche des Nachhirns mit der Neurogliahiille eng zusammen. Dieses Septum beginnt gleich an der Stelle, wo sich der Canalis centralis in die Rautengrube öffnet (Fig. 20), und durchzieht das ganze verlängerte Mark. In dieses sendet es von seinen beiden Seiten zahlreiche fei- nere Fortsätze, welche sich dann in das Neuroglianetz auflösen. In dem erweiterten, also vorderen Theile des Nachhirns kommt es endlich zu jener Bildung, welche wir unter dem allgemein gebräuch- lichen Namen Raphe kennen. Während bei den Selachiern die Raphe schon in jener mächtigen Form auftritt wie bei den Säuge- thieren, ist sie bei Orthagoriscus in einer sehr primitiven Form vor- handen. Sie erstreckt sich nämlich nicht in der ganzen Höhe des Nachhirns, sondern bloß auf die obere Hälfte (Fig. 21 7p). Dabei ist zu bemerken, dass die unter ihr hinziehenden Längsbündel der Pyra- midenkreuzung (Fig. 21 7c) ihre Fasern erst weit vorn zwischen seine Fibrae rectae (Fig. 23 m) mischen. Die Raphe selbst entsteht dadurch, dass die Fortsätze des medialen Septums an beiden Seiten, dem übri- gen Marke gegenüber, über einander gelegene Fächer bilden (Fig. 21, 23 rp), deren Raum Längsbündel, die Fibrae rectae autorum, voll- 962 B. Haller stindig ausfiillen. Man kann nun an der Raphe eine untere und eine obere Hälfte unterscheiden, wobei die oben gegebene Beschrei- bung nur auf die untere Hälfte passt. Die obere Hälfte macht einen anderen Eindruck; denn während in der unteren Hälfte Kreuzungen bloß an einzelnen feinsten Nervenfasern stattfinden, ändern die Fi- brae rectae fast plötzlich ihre Richtung und begeben sich als mäch- tige Bündel von der einen auf die andere Markhälfte, so dass eine deutliche Kreuzung entsteht (Fig. 21, 23). Zwischen den mäch-. tigen Kreuzungsbündeln können stellenweise Lücken übrig bleiben, in welchen die Fortsätze des Septum medium ein weites Netz bilden, dessen Maschen von Längsfasern nervöser Art vollständig ausgefüllt werden (Fig. 23 rp). Die gekreuzten, ganz aus marklosen Fasern bestehenden Bündel vereinigen sich dann allmählich zu je einem mächtigen Faserbündel (Fig. 21, 23 pk), welches jederseits zwischen hinterem Trigeminus- und Vaguskern nach außen und oben zieht, um an der oberen äußeren Ecke (», 2’) des verlängerten Markes an- gelangt, plötzlich als diffuses, zum Theil markhaltiges Längsbündel sich nach vorn zu biegen. Dieses mächtige Querbündel der Tele- ostier hat zuerst STIEDA gesehen und gezeichnet!, aber nichts über es ausgesagt. Eben so sah es Frrrsch bei Gymnotus electricus und zeichnete? es, ohne auf seine Beschreibung sich einzulassen. VIGNAL erwähnt in seiner mangelhaften Beschreibung nichts über dieselben. Dieses kompakte Bündel wendet sich in einer Gegend nach vorn und zerstreut sich hier, während weiter nach vorn die Peduneuli cerebelli davon sich herausbilden. Da wir von anderen Wirbel- thieren wissen. dass die Fibrae rectae der Raphe zum größten Theile weiter vorn in die Peduneuli cerebelli einbiegen, so haben wir vollen Grund, in diesem kompakten Querbündel der Teleostier jene Fasern zu erblicken, welche das Nachhirn mit dem Hinterhirne in Verbin- dung setzen. Darum benenne ich diese Querbündel Pedunculi cere- belli, womit ich aber durchaus nicht behaupten möchte, dass even- tuell von ihnen nicht auch Fasern in die Trigeminusgruppe abtreten könnten. Ich versuche nun, so weit es bei dem geringen, allerdings die einfachsten und leicht erkennbaren Verhältnisse bietenden Materiale ! Studien über das. centrale Nervensystem der Knochenfische. Taf. II Fig. 20. 2 In Sacus’ Untersuchungen am Zitteraal. Taf. IV Fig. 3. Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 263 möglich, darzustellen, woher die Fasern der Raphe stammen. Wenn auch die Antwort hierauf nicht ganz befriedigend ausfällt, so wird auch diese willkommen sein, wenn man bedenkt, wie wenig Befriedigendes überhaupt in dieser Beziehung, selbst in den vor- züglichsten Abhandlungen und Handbüchern der Anatomie, geboten ward. Schon am verengten, also hinteren Abschnitte der Medulla oblon- gata, und zwar da, wo die untere Wurzel des Vagus abtritt, be- merken wir ein von unten nach oben und außen ziehendes Nerven- bündel (Fig. 20 p), das sich in nächster Nähe jener Zellen befindet, aus denen die untere Vaguswurzel entsteht, und welche als Fort- setzung der Ganglienzellen der inneren Gruppe des Rückenmarkes erkannt wurden. Manche dieser Fasern nehmen ihren Ursprung aus Zellen dieser Gruppe; ob aber alle, konnte ich nieht entscheiden. Dieses Bündel biegt nachträglich nach vorn und wird zu den Fibrae rectae der Raphe. Andererseits treten auch die Fasern der sehr primitiven Pyramidenkreuzung in die Raphe ein, für deren Ursprung wohl ein gleicher Modus vermuthet werden dürfte wie für die Com- missura inferior (anterior) des Rückenmarkes, da diese Kreuzung offenbar aus jener Kommissur sich herausbildete. Somit dürfen wir die Ganglienzellen des Rückenmarkes für einen Theil der Fibrae rectae der Raphe verantwortlich machen. Es ist aber auch möglich, dass ein Theil jener Fasern, welcher aus den Ganglienzellen ober- halb des Ursprunges der unteren Vaguswurzel entsteht, gar nicht in die Raphe tritt, sondern außerhalb derselben als Längsfaserbündel nach vorn zieht (Fig. 21 /f), und sich so in den gleichseitigen Pe- dunculus cerebelli aufwärts biegt. Schon RoHox hatte bei den Selachiern innerhalb der Raphe kleine Ganglienzellen beobachtet, was ich für die Knochenfische bei Orthagoriseus vollinhaltlich bestätigen kann. Man findet bier inner- halb der Raphe die kleinsten Ganglienzellen (Eig. 23), allerdings in beschränkter Zahl. Diese Zellen sind im Querschnitte spindelförmig und dreieckig, mit zwei bis drei Fortsätzen versehen, und finden nie im medianen Septum, sondern auf einer der beiden Seiten in der Raphe ihren Platz. Als Möglichkeiten bezüglich des Verhaltens ihrer Fortsätze ergeben sich folgende. ‚Der eine Fortsatz der Zelle ging direkt in eine Faser über, welche auf der gleichseitigen Hälfte in den Pedunculus trat oder sich der Fibrae rectae beimischte; eben so verhielt sich ein anderer Fortsatz, nachdem er sich auf die an- derseitige Markhälfte begeben hatte. Waren drei Fortsätze vorhanden, 264 B. Haller so konnte einer in den Pedunculus der gleichen Seitenhälfte, der zweite zwischen die Fibrae rectae derselben Seite, und endlich der dritte auf die anderseitige Hälfte verfolgt werden, wo er entweder in den Pedunculus einbog oder zu einer längsgerichteten Faser wurde. Nie konnte ich, was übrigens auch sehr schwer wäre, beobachten, dass diese Ganglienzellen mit solchen der gleichen Seite oder mit solchen der anderen Seite unter einander direkt anastomosirt hätten. Lateral der Raphe angelagert findet man etwas größere Gan- glienzellen als in ihr selbst zu finden sind (Fig. 23 my, my’). Diese sind aber noch immer äußerst subtil und gruppiren sich zu keinen kompakten Kernen, wie etwa die Zellen des hinteren Trigeminus- kernes. Bezüglich der Färbbarkeit stehen sie zwischen letzteren oder jenen der Vagusgruppe und jenen des Rückenmarkes. Sie sind bedeutend kleiner als die Zellen des hinteren Trigeminuskernes (Fig. 21) und nehmen, obgleich sie keinen kompakten Kern vor- stellen, seitwärts von der Raphe eine konstante Lagerung ein, wo- bei ihre etwas zerstreuten kleineren Elemente selbst bis zu den Bündeln (7) der Pyramidenkreuzung reichen können. Bei den Selachiern, deren Oblongata eine viel höhere Struktur- stufe und eine größere Kompaktität besitzt als bei niederen Tele- ostiern der Fall ist, fanden sowohl Frırsch als auch RoHon einen, wenn auch in Vergleichung mit dem der Säugethiere noch immer einfachen Olivenkern vor. Bei Petromyzonten ist ein solcher, wie aus AHLBORN’S Abhandlung ersichtlich ist, nicht vorhanden, wenn er auch dort in Form zerstreuter Ganglienzellen auffindbar sein möchte. Bei Orthagoriseus nun ist allem Anscheine nach die oben beschriebene Zellgruppe nichts Anderes als ein diffuser, also sehr primitiver Olivenkern (Fig. 21, 23 my, my'). Hierfür spricht vor allen Dingen seine Lage, sowie das Verhalten bei Selachiern. Über die Bedeutung des Olivenkernes konnte sich bisher keine sichere Vorstellung bilden; sind ja doch die Verhältnisse dieser Gegend bei den Säugern viel zu komplieirt, um ihnen beikommen zu können. Für um so wichtiger muss ich also die klar zur Anschauung kom- menden Verhältnisse bei Orthagoriseus halten. Die Elemente des Olivenkernes sind hier spindelförmig und mit vier oder fünf Fort- sätzen versehen. Die feinsten ihrer Fortsätze lösen sich im cen- tralen Nervennetze auf, während ich über die mächtigen Folgendes ermitteln konnte. Die zu oberst gelegenen sandten ihren Fortsatz als direkten Nervenfaden ohne Mark in den anliegenden Peduneulus cerebelli (Fig. 23 w). Dieses war auf den ersten Blick sehr deutlich Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 265 zu beobachten, hat man dann aber die iibrigen Ganglienzellen dieses Kernes genauer angesehen, so muss man zugeben, dass die meisten der Zellen des Olivenkernes ihre Fortsiitze dem Pedunculus cerebelli der gleichen Seitenhälfte beimischen, und dass dieser einen großen Theil seiner feinen Fasern von hier bezieht. Die übrigen Fortsätze dieser Zellen waren entweder nach unten gerichtet oder senkten sich in die Bündel der Fibrae rectae der Raphe ein. Ich habe aber auch Fälle beobachtet, wo ein Fortsatz einer solchen Zelle bis auf die anderseitige Hälfte der Raphe verfolgbar war, sich hier aber den Blicken entzog. Diese Zellen verhalten sich somit ganz ähn- lich wie jene innerhalb der Raphe, von denen sie thatsächlich kaum zu trennen sind. Somit dienen die Olivenkerne dazu, die Faserbündel der Peduneuli cerebelli vermehren zu hel- fen, was dadurch erfolgen kann, dass sie sich diesen mit ihren Zellfortsätzen direkt zumischen oder zu Fibrae rectae werden, die dann später in die Pedunculi der gleichen oder der entgegengesetzten Seite gelangen. Diese Beobachtung wird künftig den Fingerzeig abgeben müssen, in welcher Richtung man auch bei den Säugern betreffs des Oliven- kernes zu forschen hat. Es spricht übrigens Alles, was wir bisher über den Olivenkern wissen, recht deutlich für die Bedeutung, wie sie hier aufgeführt wurde. Der Olivenkern des Menschen und der Anthropomorphen zerfällt sogar in mehrere Abschnitte, wie in den Olivenkern im engeren Sinne, dann den Pyramidenkern, der aber bei vielen Raubthieren (Katze) vom ersteren gar nicht trennbar ist und seine ideale Grenze höchstens durch den Durehtritt der Hypo- glossuswurzel gekennzeichnet hat, und endlich in den Nucleus oli- varis. Dieses ist Alles, was hierüber mit Sicherheit bekannt ist. Nun wissen wir aber recht wohl, dass der Olivenkern in seiner Form, wie es HENLE! bezeichnet, mit einer nach innen zu sich öffnenden Drüse vergleichbar ist und dass aus diesem Hilus Fasern der Raphe zu ziehend, sich der weiteren Beobachtung entziehen. Obgleich wir wissen, dass viele der Fasern des MEyxerr'schen mo- torischen Feldes, welche unter dem Namen Fibrae arcuatae aufge- führt werden, scheinbar den Olivenkern bloß durchziehen, so wird wohl Niemand bestreiten wollen, dass von diesem Kerne aus nicht auch zahlreiche Nervenfasern entspringen müssen. Ihre ganze Lage- ‘rung im verlängerten Marke, wenn wir einen Querschnitt aus dem ' J. Hexte, Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. Bd. III. 266 B. Haller Riickenmarke aus der Gegend betrachten, wo der Glossopharyngeus abtritt, wie er in Hexte’s Handbuch auf Fig. 129 so gut dargestellt ist, spricht dafür, dass sie Beziehungen zu den Raphefasern besitzen möchten. Nach ihrer phyletischen Entwicklung könnte man sie fol- gendermaßen auffassen. Sie entsteht bei Selachiern als eine ovale, mit ihrer Längsachse der Körperlängsachse parallel gestellte, immer noch etwas lose Ganglienzellanhäufung, die noch keinen Rinden- und Hilustheil aufweist und aus einer ganz diffusen (Cyelostomen) und allmählich sich mehr koncentrirenden (Orthagoriseus) Ganglien- zellgruppe hervorging. Durch zahlreiche, noch nicht genau erforschte Übergänge entwickelte sich endlich bei großer Koncentration jene Form, wie wir sie bei den Säugethieren antreffen, wo zur besseren Anordnung bei geringem Raume sogar jene drüsenähnliche Gestalt entstand. In derselben Querebene, in welcher die Olive liegt, findet man bei Orthagoriscus bereits zahlreiche kleinere Ganglienzellen überall zerstreut, und an der unteren Markfläche (Fig. 21 p), unter jenen sroßen Ganglienzellen (mz), die wir als die Fortsetzung der äußeren Zellgruppe des Rückenmarkes aufführten, kommt es sogar zu einer srößeren Anhäufung, über deren Bedeutung ich jedoch nichts er- mitteln konnte. Was ich hauptsächlich hier hervorheben möchte, ist das Fehlen eines sogenannten MEYNnErRT’schen motorischen Feldes, d. i. jene große Menge kompakter Längsfaserbündel, die schon bei Selachiern auftreten, ist noch nicht vorhanden, und außer den kompakten Faser- bündeln in der Raphe sind es nur noch einzelne, ganz unbedeutende Bündel, die zerstreut zur Seite auftreten. Es giebt aber zahlreiche Längsfasern, und zwar auch markhaltige, die zerstreut liegend sich nach vorn begeben. Zum Schlusse noch einmal auf die Peduneuli cerebelli zurück- kommend, muss ich auf eine bei Petromyzonten gemachte Beobach- tung hinweisen. Zu allerletzt theilte AnLBoRN! mit, dass die sog. Mürver’schen Fasern, deren Kreuzung: hier allein einer Raphe ent- spricht, nachdem sie sich nach oben gewendet, oberhalb des Vagus- kernes zwischen diesen und den Acusticuskernen sich in große Gan- glienzellen einsenken, von denen es unbestimmt blieb, ob sie noch andere Fortsätze besitzen und, im Bejahungsfall, wohin sich diese begeben. Ich habe nun bei Orthagoriseus beobachtet, dass die ~ 4:6. Über d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Rückenmark v. Orthagoriscus mola. 267 Pedunculi cerebelli an derselben Stelle, wo bei Petromyzon jene großen Ganglienzellen liegen, von kleinsten spärlichen Ganglienzellen umlagert sind (Fig. 21 »), während jener dem Acusticuskerne der Petromyzonten entsprechende, aber nur in der Einzahl jederseits vorhandene Kern ebenfalls vorhanden war. Es schien mir nun manchmal, dass manche Fasern aus dem Bündel des Pedunculus in solehe kleine Ganglienzellen sich einsenken, deren anderer Fort- satz sich dann dem Peduneulusbündel fernerhin beigesellte. In An- betracht dieses Umstandes wären jene kleinen Zellen am Pedunculus cerebelli dasselbe, für was ich jene der MULLER’schen Fasern bei Pe- tromyzon in der Oblongata halte, Schallzellen, die im Verlaufe dieser Fasern sich einstellen, aber allmählich im Laufe der Phylogenie sich rückzubilden beginnen (Orthagoriscus), um bei den Selachiern voll- ständig zu schwinden. Um die Darstellung nicht allzu sehr zu belasten, unterließ ich die Beschreibung ViGNAL’s über die Medulla oblongata in näheren Betracht zu ziehen. Ich kann in dieser Hinsicht nur bemerken, dass diese Beschreibung noch mangelhafter und oberflächlicher ist, als jene vom Rückenmarke. Als Hauptresultate mögen erwähnt werden, dass er den Vaguskern gesehen und als solchen richtig erkannt hat. Aus jener Zellgruppe, die wir als die Fortsetzung der äußeren Zell- gruppe des Rückenmarkes beschrieben, lässt er den Hypoglossus entspringen. Eine dritte Zellgruppe, deren Lage aber aus der Be- schreibung nicht ermittelt werden kann, da auch die Figur unrichtig aufgeführt wird, soll sich noch vorfinden. Den hinteren Trigeminus- kern rechnet VIGnAL, ohne genauer auf denselben einzugehen, zum Vaguskerne. Sonst ist noch hervorzuheben, dass Vicnau das Sep- tum medium richtig als nicht nervös erkannt hat. 268 B. Haller Erklärung der Abbildungen. Tafel XIII—-XV. Alle Figuren, wo es nicht speciell angegeben ist, beziehen sich auf Or- thagoriscus. Allgemeine Bezeichnungen. 4 linke d i AL penis } obere Längssäule, B linke B' rechte Jmp Fissura media longitudinalis superior (posterior), Jms Fissura media longitudinalis inferior (anterior), vg oberer Vaguskern, X obere Vaguswurzel, un.vag untere Vaguswurzel, pk Pedunculus cerebelli, ac längsziehende Fasern (Acusticus + Pedunculus cerebelli), n Ganglienzellen in jener Gegend, mg Ganglienzelien des diffusen Olivenkernes, | ml medianes Längsfaserbündel, If laterale Längsfaserbündel, z Gegend der Oliven, r Raphe, p ganglienzellreiche Schicht unter den Zellen der äußeren Gruppe, mz äußere Zellgruppe des Rückenmarkes, zz innere Zellgruppe des Rückenmarkes, un untere (vordere) Spinalnervenwurzel, ca Commissura transversa inferior (anterior), h Wurzeln des unteren (vorderen) Spinalnerven aus der oberen ander- seitigen Längssäule des Rückenmarkes oder Commissura perpendicularis, h’ deren Kreuzungen oberhalb der Commissura transversa inferior (anterior), mu Nervenfasern der unteren (vorderen) Spinalnerven, direkt aus Zellen der äußeren Zellgruppe entspringend, \ untere Längssäule, zu su Wurzel für den unteren (vorderen) Spinalnerven, theilweise aus dem centralen Nervennetze, theilweise aus Zellen der inneren Gruppe ent- springend, Jv, fw medianes markloses Längsbündel des Funiculus inferior (anterior), vn markhaltiges Längsbündel des Funiculus inferior (anterior), nb, nb’ die beiden lateralen Wurzelbündel der beiden unteren (vorderen) Spinalnerven, ce Canalis centralis, s, 8’ laterale, untere Längswurzeln der oberen (hinteren) Spinalnerven, on, on’ obere (hintere) Spinalnerven, PS ee Uber d. Centralnervensystem, insbes. ii. d. Riickenmark v. Orthagoriscus mola. 269 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. ep Commissura transversa superior (posterior), w, w' w” Wurzeln der oberen (hinteren) Spinalnerven aus der entsprechen- den Seitenhälfte der oberen Längssäulen, cp’ Wurzeln der oberen (hinteren) Spinalneryen aus der anderseitigen Hälfte der oberen Längssäulen, v gemeinsame Wurzel, die theils Fasern für den rechten wie für den linken oberen (hinteren) Spinalnerven enthält. uf Commissura perpendicularis superior (posterior). 1 e Tafel XIII. Centralnervensystem mit theilweiser Weglassung der Hirnnerven. Die unteren (vorderen) Spinalnerven sind bis auf die hintersten der Deut- lichkeit halber nicht gezeichnet worden. vA Vorderhirn; zh Zwischen- hirn; mh Mittelhirn; AA Hinterhirn; ep Epiphyse; n.op Opticus; n.n Oculomotorius ; ‚ft hinterstes oberes (hinteres) Spinalnervenpaar. (Nat. Größe.) Rückenmark von unten. Die oberen (hinteren) Spinalnerven sind bis auf einen nicht gezeichnet. ff hinterstes oberes (hinteres) Spinal- nervenpaar. (Nat. Größe.) Tetrodon cutaneus L. Hirn und ein Stück Rückenmark. (Nat. Größe 2/1.) Querschnitt durch das Rückenmark in dessen vorderstem Theile. (Gez. mit der Camera.) Dessgleichen etwas vor der Stelle, wo die beiden oberen Rücken- markssäulen aufhören. (Gez. mit der Camera.) Querschnitt aus der unteren Hälfte des Rückenmarkes, etwas weiter hinten wie der vorige Schnitt, doch noch in der Gegend, wo die oberen Längssäulen sich vorfinden. y eine Ganglienzelle aus der inneren Gruppe, deren eine Faser sich in das centrale Nervennetz auflöst; ar’ Septum medium inferior (anterior). Schnitt aus der Substantia reticularis. ng Neuroglianetz; kg Capillar- gefäß. (Vergr. REICHERT Imm. 9/3.) Schnitt oberhalb des Centralkanales. gp diekwandige Arterie; re Sub- stantia reticularis. (Vergr. REICHERT 3/).) Verschiedene Zellkerngruppen aus Ganglienzellen. (Vergr. REICHERT ®/;.) Tafel XIV. Kerngruppe aus einer Ganglienzelle. (Vergr. REICHERT 5/3.) Querschnitt aus der mittleren Rückenmarksgegend. ar Arachnoidea. (Vergr. REICHERT 6/9.) Querschnitt aus der unteren Rückenmarkshälfte, weiter vorn wie die vorige Figur. (Vergr. dieselbe.) Querschnitt aus der rechten lateralen oberen Hälfte des Rückenmarkes. (Vergr. dieselbe.) Ein Stück aus der unteren linken Rückenmarkssäule der hinteren Hälfte. (Vergr. REICHERT 4/9.) Ein Stück aus der oberen Rückenmarkssäule. a Nervenfaser. (Vergr. REICHERT Imm. 2/3.) 270 B. Haller, Über das Centralnervensystem etc. von Orthagoriseus mola, Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 16. 17% 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. Ein Stück aus der unteren Rückenmarkssäule aus der Gegend zwi- schen der inneren Zellgruppe und der Commissura perpendicularis inferior; wie Fig. 11. nf marklose Nervenfaser; xf’ markhaltige Ner- venfaser. (Vergr. REICHERT Imm. 9/3.) Schnitt unmittelbar am Centralkanal. (Vergr. REICHERT Imm. 9/3.) Eine Ganglienzelle sammt anliegendem Gewebe aus der inneren Zell- gruppe. (Vergr. wie zuvor.) Tetrodon eutaneus. Querschnitt aus dem Rückenmarke in der Gegend des vierten Spinalnervenpaares. (Gez. mit der Camera.) Tafel XV. Querschnitt durch den Beginn des Rückenmarkes, und zwar so, dass noch die untere Vaguswurzel (un.vg) und die letzte obere Wurzel des Vagus (X.T) gleichzeitig getroffen wurde. (Gez. mit der Camera.) Querschnitt aus dem hinteren Drittel der Medulla oblongata, so je- doch, dass der Querschnitt nicht ganz der queren Körperachse pa- rallel, sondern von vorn und links etwas nach hinten und rechts ge- richtet ist. (Gez. mit der Camera. 4/3; REICHERT.) Querschnitt aus dem oberen Vaguskerne (vg) und einem Theil der hinteren Quintuswurzel (tk). Sonst siehe den Text. (Vergr. REI- CHERT ®/g.) | Querschnitt aus der mittleren Gegend der Medulla oblongata, zwei Schnitte hinter jenem auf Fig. 21. (Vergr. REICHERT 4/,.) Eine einzelne Ganglienzelle aus dem oberen Vaguskerne. cg Capillar- gefäß. (Vergr. REICHERT Imm. 9/3.) 5 fsın BA i i } Verlag Wik. Engelmann Leipzig. Tok. Anst xe Werncr & Winter rankhor —— N ; Ni hes =z 7” Er x fies y Sith, Anst.« Wiener 6 Riesen Frankfort ®t Verlag = MIR Engehmarn, Leipezig ter bob Es aed —_— Lak Aust. Werner Monin Frankfort 2H, Verlag ¥ Wik. Engelmann, Zeirzig Zur Morphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbelthiere. Von Dr. J. E. V. Boas in Kopenhagen, Mit Tafel XVI und 5 Figuren im Text. Die nachstehenden Bemerkungen verdanken ihren Ursprung dem Umstande, dass es — so würde es jedenfalls mir erscheinen — in der Litteratur nirgends verständlich dargelegt worden ist, in welcher Weise einerseits das Copulationsorgan der Monotremen von dem entsprechenden gewisser Reptilien, andererseits dasjenige der übrigen Säugethiere von dem der Monotremen abgeleitet werden kann. Erst eigene Untersuchung der betreffenden Organe der Monotremen und direkter Vergleich mit denjenigen der anderen genannten Gruppen haben mir eine Beantwortung der Frage geliefert, welche ich mir im Folgenden mitzutheilen erlauben werde. Ich bemerke ausdrück- lich, dass ich mir dabei nicht die Aufgabe gestellt habe, die hier zu erwähnenden Organe monographisch darzustellen, wozu mein Ma- terial! nicht hinreicht, — wenn ich mir auch erlauben werde, einige für meinen Hauptzweck nicht gerade nothwendig darzustellenden Verhältnisse zu berühren. Bekanntlich gehören die Begattungsorgane der Wirbelthiere mehreren unter einander morphologisch nicht vergleichbaren Typen, welche größeren oder kleineren Abtheilungen eigenthümlich sind. Einem solchen Typus begegnen wir bei den Selachiern, einem anderen 1 Ich verdanke dasselbe hauptsächlich den Herren Proff. Lürken und BOHR (Physiol. Institut), sowie dem hiesigen zoologischen Garten. 272 J. E. V. Boas bei den Cyprinodonten, einem dritten bei den Coecilien. Unter den Amnioten finden wir zwei verschiedene Typen von Begattungs- organen, von welchen der eine auf die Saurier und Schlangen be- grenzt ist, der andere aber eine weite Verbreitung hat, indem er mannigfach modifieirt bei den Schildkröten, Krokodilen, manchen Vögeln und bei den Säugethieren gefunden wird. Es ist letzterer Typus, dessen Umwandlungen uns hier hauptsächlich beschäftigen werden. I. Reptilien und Vögel. Bei den Schildkröten (ich habe eine Testudo und zwei Emy- den untersucht) ist das Begattungsorgan eine mediane, längliche ver- dickte Partie der ventralen Kloakenwand. An seinem hinteren Ende erhebt sich dieser Längswulst zu einem kurzen, nach hinten gerichteten, freien zungenartigen Theil, welcher Fig. A. namentlich bei Testudo wohl entwickelt ist, während er bei den Emyden offenbar nur bei der Begattung deutlich hervortritt. Auf der Oberseite ist das Begattungsorgan mit einer Längsrinne, der Samenrinne, ausgestattet, an deren vorderstem Ende die Samenleiter münden. Querschnitt der Kloake Die Hauptmasse des Organs bildet ein fibröser voneinerSchildkröte Körper, welcher in seiner größten Ausdehnung wenig schematisirt. 7 F £ £ Corpus fibrosum; rSa- Unpaar ist, erst ganz vorn (kopfwärts) sich in Be Ragone zwei Schenkel spaltet. Zwischen dem fibrösen v Kloakenwand. Körper und der Schleimhaut, also an der Ober- seite des ersteren, findet sich eine Schicht cavernösen Gewebes, welche bei Testudo am hinteren freien Theil des Penis deutlich dicker wird; am vorderen Ende spaltet sich die cavernése Gewebsmasse in zwei aus einander weichende Schenkel, welche diejenigen des Corpus fibrosum begleiten. An den Penis der Schildkröten schließt sich eng jener der Krokodile (Fig. 1). Wesentlichste Abweichungen sind wohl, dass die” Samenrinne tiefer, spaltförmig, und dass der freie Theil des Begattungsorgans relativ länger ist. Sowohl bei den Schildkröten wie bei den Krokodilen ist das freie Ende des Penis etwas kom- plieirt geformt (mit großen Falten ete. ausgestattet), was aber für unsere Zwecke von wenig Interesse erscheint'. 1 Vgl. übrigens für den Schildkröten- und Krokodilen-Penis folgende Zur Morphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbelthiere. 273 Die Copulationsorgane der Saurier und Schlangen sind zwei paarige Siicke, welche einer auf jeder Seite sich dicht beim After öffnen und unter der Haut des Schwanzes nach hinten erstrecken; sie können ausgestülpt und mittels eines Muskels, welcher am hin- teren Ende des Sackes mit diesem verbunden ist, zurückgezogen werden. Im ausgestülpten Zustande ist jeder Sack an seiner Ober- fläche mit einer spiraligen Furche versehen, welche den Samen in die weibliche Kloake überleitet. Letzterer Typus der Copulationsorgane und der oben erwähnte der Schildkröten und Krokodile sind nicht von einander abzuleiten, auch sind sie nicht gemeinsamen Ursprunges. Jedenfalls sind sie, so wie sie vorliegen, derartig verschieden, dass es recht schwierig sein würde, sich eine einigermaßen wahrscheinliche verbindende Reihe vorzustellen. Selbst wenn wir von der gewiss nicht zu unterschät- zenden Schwierigkeit absehen, dass wir bei den einen mit einem paarigen, bei den anderen mit einem unpaaren Organ zu thun haben, ist festzuhalten, dass die Ursprungsstelle des Organs bei den Sau- riern und Schlangen ganz außerhalb der Kloake liegt, während es bei den Schildkröten und Krokodilen ganz deutlich als ein speciell entwickelter Theil der Kloakenwand erscheint. Ich bemerke dies, weil in der neuesten Zeit ein Versuch gemacht worden ist, die bei- den genannten Typen zu homologisiren, nämlich von Ganow!. Wenn dieser Verfasser meint, dass eine ursprüngliche Duplieität des Krokodilen- und Schildkröten-Penis »still indieated« sein sollte durch die »nerve supply, the vascular supply, by the corpora cavernosa«, dürfen wir wohl darauf hinweisen, dass in Organen, an deren ur- sprüngliche Unpaarigkeit wohl Keiner zweifelt, wie z. B. in der Zunge, die Nerven, Gefäße, Muskeln ebenfalls paarig sind. Nicht mehr überzeugend scheinen mir die übrigen Gründe Gapow’s für die Homologie, von denen die wichtigste ist, dass die beiden Typen von »the same nerves« innervirt werden; eine ähnliche Innervation ist bei dem Umstande, dass beiderlei Organe in derselben Region liegen, nicht wunderbar. Wir müssen somit daran festhalten, dass die beiden Typen der Copulationsorgane der Reptilien einander Arbeiten: BoJanus, Anatome Testudinis Europaeae. — RATHKE, Untersuch. über die Entwicklung und den Körperbau der Krokodile. 1866. pag. 192 und ff. — Jou. MÜLLER's unten eitirte Arbeit über den Straußen-Penis. pag. 28—30 des Sep. — Gapvow, Rem. on the Cloaca and the Copul. Org. of the Amniota. in: Philos. Trans. Vol. 178. 1]. c. pag. 31. Morpholog. Jahrbuch. 17. 18 274 A J. E. V. Boas schroff und unvermittelt gegenüber stehen, und dass keine Wahr- scheinlichkeit dafür besteht, dass sie gemeinsamen Ursprunges sein sollten. Eine andere Frage ist es, ob nicht etwa bei anderen Reptilien Theile vorhanden sind, welche den Copulationsorganen der Saurier und Schlangen morphologisch — nicht aber funktionell — gleich- werthig sind. Bei den Krokodilen scheinen in der That solche vor- handen zu sein. Es findet sich bei diesen Thieren an der entspre- chenden Stelle, wo bei den Sauriern und Schlangen die Copulations- schläuche ausmünden, d. h. rechts und links an der Afterspalte eine kleine Öffnung, welche in einen kleinen Sack hineinführt. Dieser Sack, welcher von Gapow' unter dem Namen »musk-gland« er- wähnt wird (seine Wandungen enthalten offenbar Drüschen), kann nach demselben Verfasser von dem Thiere, wenn es gereizt wird, ausgestülpt werden. Es scheint mir nach der Lage und dem übri- sen Verhalten dieser Säcke jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass wir es in den Begattungsschläuchen der Saurier und Schlangen mit einer speciellen Ausbildungsform derselben Organe zu thun haben. Das Begattungsorgan der Vögel schließt sich eng an dasjenige der Schildkröten und Krokodile. Bekanntlich ist es übrigens nur eine Minorität der Vögel, welche ein solches besitzt. In ausgebilde- tem Zustande ist es sogar allein bei den Ratiten und bei den Enten- vögeln (Lamellirostres) vorhanden, während es in rudimentärer Form noch bei einer Anzahl anderer Vögel vorkommt?. Wir betrachten zunächst den Penis von Struthio, welcher demjenigen der Kro- kodile und Schildkröten besonders ähnlich ist. Der Penis ist bei Struthio, eben so wie bei jenen Reptilien, eine besonders ausgebildete Partie der ventralen Kloakenwand mit einem hinteren freien Spitzentheil. Letzterer ist hier — wie bei den Krokodilen — länger als der angeheftete Basaltheil, zungenförmig, nicht ganz symmetrisch. An der Oberseite ist der Penis mit einer bis an die Spitze sich fortsetzenden, sehr tiefen spaltförmigen Rinne versehen, welche erst ganz am vordersten Ende seichter wird. Innerlich ist das Begattungsorgan eben so wie bei den Reptilien von einem starken Corpus fibrosum gestützt, welches durch eine seichte Furche an der Unterseite und namentlich durch eine der Oberflächen- Lil. C4paR. 16: ? Vgl. Jon. MÜLLER, Erectile männliche Geschlechtsorgane der strauß- artigen Vögel ete. in: Abh. Akad. Berlin. 1836. pag. 25 des Sep. i a «Seas Zur Morphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbelthiere. 275 rinne des Penis entsprechende tiefe Furche der Oberseite in zwei Hälften zerfällt, welche etwas hinter der Mitte des Organs sich von einander trennen und als zwei gesonderte Körper gegen die Spitze zu verlaufen; dagegen weichen sie nicht an der Basis (dem vorderen Ende) aus einander. Die beiden Hälften des C. fibrosum sind übri- gens nicht gleich entwickelt; die linke ist in ihrer ganzen Ausdeh- nung bedeutend stärker als die rechte und streckt sich fast bis an Vier Querschnitte durch verschiedene Stellen des freien Theiles des Penis von Struthio. Z nahe der Spitze; # an der Grenze der angehefteten Partie. Das cavernöse Gewebe ist durch gebuchtete Strichelchen markirt. c cavernöser Körper an der Unterseite des Penis; f linke, f' rechte Hälfte des Corpus fibrosum; = Samenrinne. die äußerste Spitze des Penis, während die rechte eher aufhört. An der Oberseite des C. fibrosum, besonders an den beiden Seiten der Oberflichenrinne, befindet sich unterhalb der Schleimhaut eine ca- vernöse Schicht, welche an der Basis des Organs dicker wird, sich in zwei Hälften spaltet und — vgl. die Schildkröten — in zwei große cavernöse Kissen, eines an jeder Seite der Wurzel des C. fibrosum, endet. An der äußersten Spitze (am hintersten freien Ende) des Penis hört das Corpus fibrosum auf und das Organ besteht hier ausschließlich aus dem eavernösen Gewebe (+ der Schleimhaut). Von diesem cavernösen Spitzentheil erstreckt sich an der Unterseite längs des größten Theiles des Organs (mit Ausnahme dessen vorder- sten Theiles) ein ansehnlicher unpaarer cavernöser Körper: zwischen den aus einander weichenden vorderen Schenkeln des Cor- pus fibrosum steht letzterer außerdem mit dem oben liegenden ca- vernösen Gewebe der Penisrinne in Verbindung. Das Begattungsorgan von Dromaeus (vgl. Fig. C und D) be- sitzt dieselbe Lage wie bei Struthio, und an der Oberfläche ist die- selbe tiefe Rinne vorhanden. Das Corpus fibrosum zerfällt durch eine obere Längsfurche in eine größere linke und eine kleinere rechte Hälfte, welche sich nicht von einander trennen, sondern wenigstens durch eine enge Brücke zusammenhängen; die rechte hört etwas 18* 276 früher auf als die linke. J. E. V. Boas Das cavernöse Gewebe an der Oberseite des Corpus fibrosum verhält sich ähnlich wie bei Struthio, auch sind die beiden cavernösen Kissen an der Basis vorhanden. All dies ist wesentlich wie bei Struthio; in einem Punkte ist aber ein gewichtiger Unterschied zu verzeichnen. Fig. C. Querschnitt durch den freien Theil des Penis von Dromaeus; Blind- schlauch eingestülpt. + Samenrinne, in deren Umgebung cavernöses Ge- webe; f f’ Corpus fibrosum. Unter- halb des letzteren liegt der Blind- schlauch, dessen Wandung cavernös ist; sein Hohlraum, sh, erscheint als spaltenförmig, an der oberen Wand findet sich die tiefe Samenrinne 7”, eine Fortsetzung von r; außerdem bemerkt man an derselben Wand mehrere . andere Furchen, welche beim Umstülpen des Schlauches ver- streichen, was nicht mit 7” der Fall ist. Sehr ähnlich wie Dromaeus verhält sich Rhea; Es findet sich nämlich an der Spitze des Penis eine Öffnung, welche in einen langen Blind- schlauch hineinführt, welcher längs der Unterseite des Corpus fibrosum nach vorn zu verläuft und an der Basis des Penis mit einer etwas gewundenen Partie endet, An der Innenseite des Blindschlauches verläuft eine von zwei stark hervortreten- den Lippen begrenzte Rinne, eine Fort- setzung derjenigen an der Oberseite des’ Penis; dieselbe setzt sich jedoch nicht bis an das blinde Ende des Schlauches fort, sondern hört eine gute Strecke vor- her auf: beim Ausstülpen des Schlauches (bei der Begattung) bleibt ohne Zweifel der rinnenlose Abschnitt unausgestiilpt. Die Wände des Blindschlauches sind, so weit die Rinne reicht, cavernös. die beiden Schematischer Längsschnitt des Penis und der ventralen Kloakenwand von Rhea; Blindschlauch eingestülpt. Schleimhaut weiß mit schwarzen Punkten, nur die Schleimhaut der Samenrinne schwarz mit weißen Punkten gezeichnet. f Corpus fibrosum; 7 Samenrinne, r’ deren Fortsetzung an der Wand des Blindschlauches; g Grenze der beid. Abschn. des letzteren; o Öffnung desselben an der Penisspitze. Hälften des Corpus fibrosum weichen jedoch, wie bei Struthio, gegen das freie Ende des Organs aus einander. Der Schlauch ist bedeutend Zur Morphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbelthiere. 277 länger als bei Dromaeus; der rinnenlose und der mit Rinne ver- sehene Abschnitt des Schlauches sind bei Rhea ungefähr gleicher Länge. Auch der Penis der Entenvögel schließt sich eng an den- jenigen von Dromaeus und Rhea. Ich habe besonders Cygnus (olor) untersucht. Das Corpus fibrosum ist hier abgeplattet und in seiner größten Ausdehnung in zwei gespalten, von welchen das linke weiter nach hinten reicht als das rechte. Der Blindschlauch, welcher aus einem ausstülpbaren und einem nicht ausstülpbaren Theil besteht, liegt unterhalb des linken Corpus fibrosum; auch bei Rhea ist er etwas nach links verschoben. Der freie Theil des Penis ist, wenn der Schlauch zurückgezogen ist, außerordentlich kurz. Der beschriebene Blindschlauch, welcher einen so charakte- ristischen Theil des Begattungsorgans von Dromaeus, Rhea und der Entenvögel ausmacht, fehlt scheinbar völlig bei Struthio, und fak- tisch fehlt er bei dieser Gattung als Schlauch. Das Homologon glaube ich aber in der oben erwähnten cavernösen Gewebsmasse an der Unterseite des Penis von Struthio zu finden. Stellen wir uns vor, dass das Lumen und die epitheliale Auskleidung des Schlauches von Dromaeus sich immer mehr verengert und von dem blinden Ende aus verschwindet, so werden wir schließlich, wenn das Organ übri- gens wesentlich unverändert bleibt, die Verhältnisse von Struthio vor uns haben. Jedenfalls kann ich nicht daran zweifeln, dass das Feh- len des Schlauches bei Struthio als eine sekundäre Erscheinung zu beurtheilen ist: da wir denselben sowohl bei mehreren Ratiten wie bei den Lamellirostres in übereinstimmender Ausbildung vorfinden, ist er ohne Zweifel bei den gemeinsamen Vorfahren der Ratiten und Entenvögel vorhanden gewesen — und dann kann seine Abwesenheit bei Struthio keine primäre sein. Wenn der Penis von Struthio also mit demjenigen der Schildkröten und Krokodile eine größere Ähn- lichkeit darbietet als der Penis von Dromaeus ete., beruht das ganz offenbar auf einer sekundären Rückbildung eines Elementes des ersteren. Il. Monotremen. Um das Begattungsorgan der Monotremen in seinem Verhältnis zu demjenigen der Schildkröten und Krokodile besser aufzufassen, betrachten;wir zunächst an der Hand der schematischen Fig. 2 und 3 ein paar hypothetische Zwischenstadien. Der in Fig. 2 dargestellte Zustand weicht nur dadurch von dem 278 J..E.. V. Boas Krokodilen-Penis (Fig. 1) ab, dass sich am vorderen Ende des Penis eine kleine sackförmige Ausstülpung der ventralen Kloakenwand gebildet hat, in deren Boden die Harn- und Samenleiter einmünden. Die Samenrinne ist unverändert geblieben; sie setzt sich bis in die Ausstülpung hinein fort. In Fig. 3 ist eine weitere Änderung eingetreten; es hat sich die Samenrinne durch Verwachsung der Ränder zu einer unter- halb der Penisschleimhaut liegenden Röhre umgebildet; die Röhre besitzt eine vordere Öffnung an der Spitze des Penis und eine hin- tere, welehe in die sackförmige Ausstülpung einmündet. Nach dieser Vorbereitung wird es nicht schwierig sein, den Monotremen-Penis zu verstehen (vgl. das Schema desselben Fig. 4). Es hat sich die sackförmige Ausstülpung der Fig. 2 und 3 zu einem ansehnlichen langen, engen Schlauch, dem Urogenitalkanal, aus- gebildet, in dessen Boden die Samen- und Harnleiter und die Harn- blase! einmünden. Die Samenröhre verhält sich wesentlich wie in Fig. 3; ihre vordere Öffnung liegt in einigem Abstande vom ‚offenen Ende des Urogenitalkanales. Die Samenröhre hat sich mit dem unpaaren Corpus fibrosum eng verbunden, beide bilden zu- sammen einen wurstförmigen Körper. Mit der den Penis über- ziehenden Schleimhaut ist letzterer nur an dem hintersten Theil des Penis, der Glans, straff und untrennbar verbunden, übrigens ist die Schleimhaut durch loses, sehr dehnbares Bindegewebe von dem wurstförmigen Körper getrennt, und zwar ist dies sowohl am an- gehefteten wie am freien Theil des Penis der Fall. In Folge dieser Einriehtung kann der Penis bei den Monotremen zurückgezogen werden: indem der wurstförmige Körper nach vorn (kopfwärts) ge- zogen wird, stülpt sich die lose Schleimhaut des freien Penis-Ab- schnittes um und bildet einen dünnhäutigen, in die Kloake sich öffnenden Schlauch, die Penisscheide, in welcher die Glans liegt (Fig. 5 ps). Wenn der Penis derartig zurückgezogen ist, bemerkt man beim Eröffnen der Kloake nichts von demselben; man sieht an der ventralen Kloakenwand eine größere Öffnung nicht weit vom After, welche in die so eben erwähnte Penisscheide hineinführt, und in einigem Abstand vor derselben, ebenfalls in der Mittellinie, eine kleine Öffnung, diejenige des Urogenitalkanales. In diesem einge- ! Letztere fehlt bekanntlich bei den Krokodilen und ist desshalb nicht in das Schema Fig. 1 eingeführt; bei den Schildkröten ist sie vorhanden und miindet in die Kloake dicht bei den Öffnungen der Harn- und Samenleiter. BZ SE Zur Morphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbelthiere. 279 stülpten Zustande des Penis — und zwar findet man ihn an den konservirten Objekten immer derartig zurückgezogen — ist die Ver- gleichung mit dem Schildkröten- oder Krokodil-Penis ungemein er- schwert: man muss ihn eben zunächst in ausgestrecktem Zustande mit letzterem vergleichen, um eine klare Vorstellung über den Zu- sammenhang beider zu erlangen. Die hervorgehobenen Punkte sind diejenigen, welche für das morphologische Verständnis des Begattungsorgans der Monotremen die wichtigsten sind. Einige andere möchte ich aber noch erwähnen. Wenn der Penis hervorgezogen wird, zieht er den Urogenital- kanal derart mit sich, dass an derjenigen Stelle des letzteren, wo die Samenröhre entspringt, ein Knick gebildet wird (wie auch in Fig. 4, aber zu schwach, angedeutet ist). Ich vermuthe, dass Ahn- liches auch bei der natiirlichen Hervorstreckung des Penis der Fall sein wird, und dass hierdurch der Samen verhindert wird, seinen Weg in die Kloake hinein zu nehmen, sondern gezwungen wird, durch die Samenröhre des Penis zu passiren. Bei zurückgezogenem Penis wird dagegen die in den Urogenitalkanal gelangende Flüssig- keit, also der Harn, einfach durch den dann geraden Urogenital- kanal in die Kloake treten. Beim Querdurchschneiden des von dem Corpus fibrosum und der Samenröhre gebildeten wurstförmigen Körpers von Ornitho- rhynehus bemerkt man an der Seite der ziemlich engen Samen- röhre einige wenige große Gefäßdurchschnitte; eigentlich cavernöses Gewebe schien dagegen, so weit ich mittels der Lupenuntersuchung ersehen konnte (die Präparate durften nicht ganz zerschnitten werden), in der Umgebung der Samenröhre nieht vorhanden zu sein. Da- gegen ist die — sehr enge — Samenröhre von Echidna von zahl- reicheren Gefäßdurchschnitten umgeben, und an der Glans von Echidna macht dieses cavernöse Gewebe sogar die Hauptmasse unseres Or- gans aus. — Das Corpus fibrosum ist nicht cavernös. Die Glans penis ist bei Ornithorhynchus mit kurzen, weichen, kegelförmigen Stacheln dicht besetzt, deren Spitzen nach hinten gerichtet sind; auch die Penisscheide ist mit ähnlichen, aber weit zerstreuter angebrachten Stacheln versehen. An ihrer Oberseite ist die Glans mit einer Längsfurche versehen, welche gegen die Spitze zu etwas nach rechts biegt und sich hier mit einem spalten- förmigen Einschnitt fortsetzt, welcher die breite, etwas asymmetrische Penisspitze in einen linken und rechten Theil sondert, von welchen ersterer am weitesten hervorragt (derartig verhielten sich beide 280 J. E. V. Boas untersuchten Exemplare); an beiden Theilen findet sich je eine Grube mit einer Gruppe längerer weicher konischer Papillen. — Bei Echidna fehlen die genannten weichen Stacheln an der Oberfläche der Glans völlig, eben so die obere Längsfurche; dagegen ist ein Einschnitt an der Spitze der Glans vorhanden, welcher dieselbe in zwei etwas ungleiche Hälften theilt; jede der letzteren ist wieder durch einen seichteren Einschnitt in zwei breite, niedrige, runzelige Erhöhungen getheilt. Die Öffnungen der Samenröhre an der Penisspitze habe ich allein bei Ornithorhynchus gesehen, und hier auch erst nach Injektion mit Quecksilber; die Kanüle des Injektionsapparates wurde in die quer durchschnittene Samenröhre eingeführt; das Quecksilber floss durch eigenen Druck hinein. Es ergab sich, dass mehrere Öffnungen vorhanden waren, und zwar an der Spitze der oben erwähnten größe- ren konischen Papillen in den beiden Gruben der Glans; jede Pa- pille besaß eine Öffnung. Aus mehreren derselben spritzte auf ein- mal die Injektionsmasse in feinstem Strahl hinaus. Die betreffenden Öffnungen sind so klein, dass es unmöglich ist, dieselben auch durch sorgfältigste Lupenuntersuchung ohne Injektion zu entdecken. Sie sind übrigens schon seit Langem bei Ornithorhynchus, und zwar auf dieselbe Weise nachgewiesen!. — Bei Echidna habe ich die — selbstverständlich vorhandenen — Öffnungen nicht gesehen; ich war hier nicht im Stande eine Injektion auszuführen, und den Penis in Schnitte zu zerlegen war nicht möglich, da das Präparat doch eini- germaßen erhalten bleiben musste. Wahrscheinlich befinden sich die Öffnungen an den vier oben erwähnten Hügeln an der Spitze der Glans; mit der Lupe war aber nichts zu sehen’. 1 Vgl. z. B. Mecxen (l. infra e. pag. 51) und Bunge (l. infra c. pag. 48). 2 Für das Copulationsorgan der Monotremen sind zu vergleichen: Home, A Description of the Anatomy of the Ornithorhynchus paradoxus. in: Philos. Trans. Vol. XCII (1802). pag. 67. — Home, Descr. of the Anat. of Ornith. hy- strix. Ibid. pag. 348. (In den beiden Home’schen Arbeiten schöne Figuren der männlichen Geschlechtsorgane.) — J. F. MECKEL, Ornithorhynchi paradoxi de- scriptio anatomica. Fol. Lipsiae 1826. — Vracovıc, Dell’ apparecchio sessuale de’ monotremi. in: Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Math.-naturwiss. Klasse. Bd. IX. 1852. pag. 152. — BupGe, Über das Harnreservoir der Wirbel- thiere. in: Mittheilungen aus dem naturwiss. Vereine von Neu-Vorpommern und Rügen. 7. Jahrg. 1875. pag. 20. nn non = Zur Morphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbelthiere. 281 II. Andere Säugethiere. Die Marsupialien unterscheiden sich bezüglich des Copula- tionsapparates in wesentlichen Punkten von demjenigen der Mono- tremen, von welchem er jedoch unschwer abzuleiten ist. Wir gehen bei dem Vergleich von dem zurückgezogenen Zustande des Penis der letzteren aus. Es ist bei den Marsupialien (vgl. Fig. 5 und 6) zunächst der hintere Theil der Kloake rückgebildet worden, so dass die Öffnung der Penisscheide nicht mehr in der Kloakenwand, son- dern an der Körperoberfläche unterhalb des Afters liegt. Weiter hat sich die Öffnung des Urogenitalkanales in die Kloake geschlos- sen, so dass die in denselben sich ergießenden Flüssigkeiten, Harn und Samen, beide den Weg durch die Samenröhre nehmen müssen ; überhaupt hat sich der Urogenitalkanal völlig von der Kloakenwand abgelöst und bildet mit der Samenröhre zusammen einen kontinuir- lichen Schlauch. Von Marsupialien habe ich selbst nur Halmaturus (Fig. 7) untersucht, die übrigen Marsupialien scheinen jedoch nach den vor- liegenden Beschreibungen nur wenig von diesem abzuweichen. Es liegt die Öffnung der Penisscheide dicht unterhalb des Afters, durch eine etwas behaarte Hautbrücke von letzterem getrennt; von Klo- akenbildung keine Spur!. Der im Becken liegende Urogenitalkanal ist sehr dickwandig; zahlreiche Drüsen liegen in die Wand einge- bettet. Die Samenröhre liegt in einer tiefen Rinne an der Ober- seite des Corpus fibrosum; beide zusammen bilden, wie bei den Monotremen, einen wurstförmigen, in seiner größten Ausdehnung eylindrischen Körper. Dieser Körper liegt nur mit seinem vorder- sten Theil im Becken, mit dem größten Theil dagegen hinter dem Hinterrande des Sitzbeines, wo er zusammengebogen liegt. Das Corpus fibrosum zerfällt in seiner ganzen Ausdehnung in zwei Hälf- ten, welche jedoch größtentheils eng mit einander verbunden sind (die starke bindegewebige Hülle jeder Hälfte ist mit derjenigen der anderen verwachsen); gegen das hintere (das freie) Ende des Penis zu trennen sich aber beide von einander, und gleichzeitig wird die rechte Hälfte dünner als die linke, während beide, so lange sie neben einander verlaufen, ungefähr gleich stark sind. Während die linke Hälfte sich bis an die äußerste Spitze des Penis fortsetzt, hört 1 Beim Weibchen ist dagegen eine Kloake vorhanden, an deren ventraler Wand der Urogenitalkanal, allerdings nicht weit vom After, ausmündet. 382 es E. V. Boas . die rechte schon in einigem Abstand von demselben. auf; beide ver- schmächtigen sich gegen ihr Ende zu. Das Corpus fibrosum ist stark eavernös, was auch mit der Wandung der ziemlich weiten Samenröhre der Fall ist, deren cavernöses Gewebe übrigens an der Penisspitze an Ausdehnung nicht gewinnt (wie beim Menschen u. a. der Fall). — Die Penisscheide ist gefaltet; besonders tritt eine Quer- falte derselben deutlicher hervor. Unter den von mir untersuchten placentalen Säugethieren finden wir innerhalb der Nager und der Insectivoren Formen, welche sich in Bezug auf den Begattungsapparat den Marsupialien nahe an- schließen — näher als die anderen von mir untersuchten Abthei- lungen. Da mein Insectivoren-Material ein ungenügendes war, halte ich mich hier allein an die Nager; unter den Insectivoren findet man aber Formen, welche sich in Bezug auf die uns hier inter- essirenden Fragen offenbar ganz ähnlich wie die zunächst zu er- wähnenden Nager verhalten. Wir betrachten zuerst die Verhältnisse beim Kaninchen (Fig. 8). Beim erwachsenen Männchen des Kaninchens steht unterhalb der Schwanzwurzel ein abgestutzter Fortsatz hervor, an dessen Ende die Afteröffnung und die Öffnung der Penisscheide sich dicht bei- sammen befinden, erstere oberhalb letzterer. In der Penisscheide liegt die Glans; erstere besitzt eine ähnliche Falte wie bei Halma- turus. Der von dem Corpus fibrosum und der Samenröhre gebildete wurstförmige Körper liegt ganz außerhalb des Beckens, ohne übri- gens eine solche starke Windung zu machen wie bei Halmaturus; das vorderste Ende (die Wurzel) des Corpus fibrosum heftet sich durch straffes Bindegewebe an den Hinter(Unter)rand beider Sitz- beine — eine Verbindung, welche bekanntlich bei den Marsupialien fehlt!. Das Corpus fibrosum ist in seiner ganzen Ausdehnung un- paar, eine mediane fibröse Scheidewand jedoch an den meisten Stellen nachweisbar; es setzt sich bis an die Penisspitze fort. Ihm oben an liegt die ziemlich dünnwandige Samenröhre, deren Wandung an der Glans keine besonders starke Entwicklung erlangt. — Der Urogenitalkanal verhält sich wesentlich wie bei Halmaturus; die Wände sind jedoch bedeutend dünner. ! Bei Halmaturus geht ein dünnes Ligament vom hinteren Ende der Sym- physe an das Corpus fibrosum, aber nicht an dessen vorderstes Ende, sondern zu einem Punkte in einigem Abstande von demselben; es scheint dieses Liga- ment kaum jener Verbindung beim Kaninchen und bei anderen placentalen Säugethieren zu entsprechen. Zur Morphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbelthiere. 283 Überhaupt sind die Verhältnisse des Copulationsapparates beim Kaninchen wesentlich mit denen der Marsupialien übereinstimmend; nur in der Befestigung des Corpus fibrosum an das Becken dürfen wir einen wesentlicheren Unterschied erblicken. Beim Aguti (Dasyprocta) (Fig. 9) öffnet sich die Penisscheide ähnlich wie beim Kaninchen dicht unterhalb des Afters. Die Off- nung befindet sich dicht am Hinterrande des Beckens, und der lange Peniscylinder, welcher ganz außerhalb des Beckens liegt, besitzt desshalb einen scharfen Knick an der Mitte und liegt zusammen- gebogen unterhalb des Beckens; er verläuft zuerst gerade nach vorn, dann biegt er um und läuft gerade nach hinten. Von anderen Nagern wollen wir nur noch den Coelogenys paca betrachten, dessen Penis (Fig. 10) einen Zwischenzustand zwi- schen demjenigen der so eben erwähnten Nager und der Mehrzahl anderer placentaler Säugethiere darbietet. Namentlich ist hervorzu- heben, dass die Öffnung der Penisscheide angefangen hat, sich vom After zu entfernen, an der Ventralseite des Körpers kopfwärts zu wandern. Damit steht in Zusammenhang, dass der Peniscylinder zwar denselben Knick besitzt wie bei dem nahe verwandten Aguti, nicht aber so stark zusammengebogen ist wie bei diesem. Die gewöhnliche Form des Copulationsorgans der placen- talen Säugethiere mit weit nach vorn am Bauch liegender Öffnung der Penisscheide lässt sich von einem Zustand, ähnlich dem letzt- beschriebenen, leicht ableiten. Die Fig. 11 stellt als Beispiel das Schema eines Hunde-Penis dar. Es ist hier die Öffnung der Pe- nisscheide, im Vergleich mit dem Zustand von Coelogenys, bedeutend weiter kopfwärts gewandert, der Peniseylinder ist nicht gebogen, sondern liegt als gerader Stab horizontal längs der Bauchseite; die Öffnung der Penisscheide liegt — wie bei Coelogenys — an der Spitze einer kleinen Erhöhung. Ganz ähnlich wie der Hund ver- halten sich zahlreiche andere Säugethiere'!. Einige Formen, welche sich bezüglich des Copulationsapparates im Ganzen wesentlich wie der Hund verhalten, unterscheiden sich 1 Auch unter den Nagern finden wir Formen mit diesem Typus des Copulationsapparates; solches ist z. B. bei der Ratte der Fall, bei welcher die Öffnung der Penisscheide weit nach vorn gerückt ist. Entsprechende Unter- schiede findet man auch innerhalb der Inseetivoren (vgl. Dopson, Monograph of Inseetivora, passim): bei einigen Insectivoren liegen der After und die Öffnung der Penisscheide sogar in derselben Grube (einer rudimentären Kloake), bei anderen sind sie weit aus einander gerückt. 284 J. E. V. Boas dadurch, dass die Hauteinsenkung (Fig 11 «), welche die letzter- wähnte Erhöhung beim Hunde abgrenzt, gänzlich verstrichen ist. Dieses ist z. B. beim Pferd (Fig. 12) der Fall. Von der beschriebenen gewöhnlichen Form des Säugethier-Penis ist wieder der »hängende« der Primaten ableitbar. Der Vergleich des Hunde-Penis (Fig. 11) mit demjenigen eines Cercopithecus (Fig. 13) zeigt uns, dass der Unterschied beider lediglich darauf beruht, dass die Einbuchtung « tiefer, und somit die Erhöhung mit der Penisscheiden-Öffnung größer geworden ist: weiter sieht die letztgenannte Öffnung mehr nach unten, nicht wie beim Hunde nach vorn. — Der Penis des Menschen (Fig. 14) weicht nicht unerheb- lich von diesem Befunde ab. Während beim Cercopithecus nur noch das Ende des Peniscylinders frei herabhängt und der größere Theil desselben wie bei anderen Säugethieren längs der Bauchwand an- geheftet ist, hat sich beim Menschen die Einsenkung a viel weiter nach hinten ausgedehnt, so dass der weitaus größere Theil des Penis frei herabhängt. Dazu kommt noch, dass in Folge des auf- rechten Ganges die Richtung der Penisspitze eine andere geworden ist: der Penis des Menschen ist bekanntlich im Ruhezustande cau- dalwärts gerichtet (vgl. Fig. 13 und 14). In der obigen Darstellung habe ich bei den Säugethieren mehr- fach Bezeichnungen benutzt, welche mit den gewöhnlich verwendeten nicht zusammenfallen; es ergab sich dies natürlich oder nothwendig aus dem Gange der Untersuchung, welche von den niederen zu den höheren Formen hinaufstieg — während bekanntlich die gewöhn- liche Nomenelatur des männlichen Geschlechtsapparates der Säuge- thiere sich aus derjenigen der descriptiven Anatomie des Menschen entwickelt hat. Die wesentlichen Abweichungen sind folgende: Unser Corpus fibrosum ist die Corpora cavernosa penis der mensch- lichen Anatomie; cavernis ist dieses Organ bei den Wirbelthieren nicht immer (bei den Reptilien und Vögeln nie), und selbst wenn es cavernös ist, hat es doch eine ausgeprägt »fibröse« Beschaffenheit, so dass die von mir verwendete Bezeichnung auch für die descrip- tive Anatomie der Säugethiere (resp. des Menschen) nicht unpassend erscheint; auch scheint mir der Singularis passender als Pluralis, da das Corpus wohl nie vollständig in zwei Hälften getrennt und oft in großer Ausdehnung einfach ist. — Mein Urogenitalkanal ist das »Beckenstück der Harnröhre« der Veterinär-Anatomie, die Pars 1 a R 3 Zur Morphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbelthiere. 285 membranacea + Pars prostatica urethrae der menschlichen Anatomie; die Pars prostatica allerdings mit Ausnahme des zwischen Colliculus seminalis und Harnblase liegenden Stückchens (» Partie retro-montanale« JARJAVAY, fide HENLE), welches als eingeengtes Mündungsstück der Harnblase, der weiblichen Urethra homolog, aufzufassen ist; auf dieses Röhrenstückchen wäre am passendsten die Bezeichnung »Harn- röhre«, »Urethra« zu beschränken. — Die Samenröhre meiner Nomenclatur entspricht dem »Ruthenstück der Harnröhre« der Vete- rinär-Anatomie, der »Pars cavernosa urethrae« der menschlichen Ana- tomie. Der Name »Samenröhre« ist weitaus passender als »Harn- röhre«; bei den Monotremen führt diese Röhre allein Samen, bei den übrigen sowohl Samen als Harn; subsidiär schlage ich vor, das »Ruthenstück der Harnröhre« als Harn-Samenröhre zu bezeich- nen. — Die Wandung der Penisscheide entspricht dem inneren Blatt der »Vorhaut« der menschlichen Anatomie; von einer Vorhaut wie beim Menschen, d. h. eine röhrenförmige, doppelblätterige Hülle der Eichel kann man nur bei den mit »hängendem Penis « ausge- statteten Säugethieren reden. Es erübrigt uns, noch einen Blick auf die Befunde der Em- bryologie der placentalen Säugethiere zu werfen und dieselben mit unseren, auf vergleichend-ana- tomischem Wege gewonnenen Re- Fig. E. sultaten zu vergleichen. Sehr viel fiir’ unsere Zwecke Verwerthbares finden wir zwar in den von uns durchsehenen Arbeiten nicht, was aber da ist, passt mit unseren Deu- tungen. Auf einer gewissen Stufe der Entwicklung ist bei den placen- talen Säugethieren (vgl. die neben- stehende schematische Figur) eine, wenn auch etwas kurze Kloake at vorhanden, in welche der Uroge- schematischer Längsschnitt durch die Klo- nitalkanal offen ausmündet; in 2% etc. eines Siugethierfotus, d Darm; cf Kloake; p Penis; « Urogenitalkanal; Ul den Boden des Urogenitalkanales Blase; s Samenleiter; al Allantoisstiel. mündet die Blase, welche sich wieder in den Allantoisstiel fortsetzt. An der ventralen Wand der _ kurzen Kloake erhebt sich der Penis, welcher nur noch mit einer 286 J. E. V. Boas Samenrinne an seiner Oberseite versehen ist; es steht der Penis also zu dieser Zeit noch auf der Reptilienstufe, während die Ver- hältnisse sich sonst denjenigen der Monotremen am nächsten an- schließen. Später bildet sich die Samenrinne zu einer in den Uro- genitalkanal sich fortsetzenden Röhre um, und der Ausgang des Urogenitalkanales in die Kloake wird geschlossen. Das steht Alles mit unseren oben mitgetheilten Befunden im besten Einklang; sehr erwünscht sind aber speciellere Untersuchungen, welche mit Hinblick auf die Resultate der vergleichenden Anatomie die Entwicklung des Begattungsorgans näher verfolgten als bisher der Fall war. Kopenhagen, November 1890. Erklärung der Abbildungen. Tafel XVI. Schematische Längsschnitte des hinteren Theiles des Darmkanules, der Kloake und des Copulationsorgans bei verschiedenen Wirbelthieren. Harn- und Samenleiter sind, obgleich nicht median gelegen, doch mit angedeutet !. Schleimhaut im Allgemeinen grau, Schleimhaut der Samenrinne resp. der Samenröhre schwarz, Corpus fibrosum roth. Gemeinsame Bezeichnung: a After, h Harnleiter, b Becken, ps Penisscheide, ba Bauchwand, ps Offnung derselben, bi Bindegewebe, » Samenrinne, Samenröhre, bl Harnblase, s Samenleiter, cl Kloake, wu Urogenitalkanal, d Darm, « vgl. den Text. JF Corpus fibrosum, ' Es ist in den Figuren kein Bezug genommen auf die bei einigen (nicht allen, Säugethieren ausgebildete starke Verdiekung der Samenröhrenwand (des Corpus cavernosum urethrae) an der Penisspitze (Schwellkörper der Eichel). Verlag ver Wilk Engelmann, Leipzig Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Zur Morphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbelthiere. 287 1% Krokodil. 2 und 3. Hypothetische Zwischenstufen zwischen Fig. 1 und Fig. 4; vgl. BE > © den Text. Monotremen. Penis hervorgestreckt. Monotremen. Penis zurückgezogen. Marsupialien; ganz schematisch, um den Vergleich mit den Mono- tremen zu erleichtern. Die oblitterirte Mündung des Urogenitalkanales ist durch punktirte Linien angedeutet. Känguruh. Kaninchen. Aguti (Dasyprocta). . Paca (Coelogenys). Hund. Pferd. Affe (Cercopithecus). Mensch. Untersuchungen über die Entwicklung des Endo- thels und der Blutkörperchen der Amphibien. Von . Dr. Schwink, prakt. Arzt in Arnstein. Mit Tafel XVII—XIX. Im April vorigen Jahres habe ich im »Anatomischen Anzeiger« die Resultate veröffentlicht, zu welchen mich meine Untersuchungen über die Entwicklung des Herzendothels bei Amphibien geführt hatten. Vor der Publikation in einer ausführlicheren Arbeit war ich bemüht, meine Beobachtungen durch Untersuchung eines größeren Materials zu befestigen und auszudehnen. Der neben den pekuniären Opfern hierzu nöthige Zeitaufwand und Zwischenfälle anderer Art haben die Veröffentlichung länger hinausgeschoben, als es ursprünglich in meiner Absicht lag. Es war mir möglich, einerseits die Anzahl der Serien von den vier Amphibienarten, welche meiner vorläufigen Mittheilung zu Grunde lagen, sehr beträchtlich zu vermehren; andererseits habe ich danach getrachtet, meine Beobachtungen dadurch auf eine breitere Basis zu stellen, dass ich möglichst zahlreiche Amphibienarten in den Kreis meiner Untersuchungen zog. Wenn auch die Mitglieder einer Klasse viele gemeinsame Züge aufweisen, so finden sich doch auch man- cherlei Verschiedenheiten und man ist dadurch bis zu einem gewissen Grade im Stande, das für die Phylogenie Wichtigere von dem nur für die Ontogenie Wichtigen zu sondern. Ich besitze nunmehr Serien von: Siredon pisciformis, Triton eri- status, Triton alpestris, Triton taeniatus, Salamandra atra, Rana + . u ; Ye Ve a whi ey : h ca Bon Br ES 1 PRA. 3 ; 38 119% : } fei: <| { , i . i R | N - gr, 3 Gi ee { af tii Cie | yi ARIAT) IE Be det Buhl ER? hr ku, ahasigtiden Eu ty 5d. Tomat, " i ) er hank: aide Hu? vv: eH sana. a te 0. a - a Me sinne 5 qo gemiloiltrgs x ARE Z ahi con stata tobi on (it! et neato wo he hy 214 a er a, 2 BECHEAN,, di ; baste yu j alla: lorufisb-Di ry BL Baal | Katar Pate ib. anges ‘nag Lite” anal E ER NASE el a oe <. En: FE Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 289 esculenta, Rana temporaria (fusca RoEsEL), Alytes obstetricans, Bom- binator igneus, Bufo vulgaris, Bufo viridis, Hyla arborea. Außer- dem habe ich noch einige Serien von Discoglossus pictus durch- mustern diirfen. Einen großen Theil dieses Materials konnte ich durch die freund- liche, uneigenniitzige Unterstiitzung einiger weniger Herren sammeln und konserviren. Ich bleibe den Herren hierfiir zu stetem Danke verpflichtet. In der vorliegenden Arbeit werde ich nur die Resultate bei Salamandra atra, Triton alpestris, Rana fusca und Bufo vulgaris ausfiihrlicher schildern, weil ich von den iibrigen Arten noch nicht eine eben so große Anzahl von Serien besitze und weil bei Berück- sichtigung der stets vorhandenen individuellen Verschiedenheiten die Veröffentlichung sich noch viel länger hinausschieben würde. Konservirung und Anfertigung der Priiparate habe ich nach den mir bekannten Methoden vorgenommen; ich habe nach Möglichkeit verschiedene Methoden in Anwendung gebracht, um Fehlerquellen auszuschließen, welche auf die vorbereitenden Operationen zu schieben wären. Dass nicht jede Konservirungsflüssigkeit für alle Arten und in gleicher Weise zu verwenden ist, dass die Dauer der Einwirkung der verschiedenen Flüssigkeiten und dergleichen stets variirt werden muss, kennt jeder Untersucher aus eigener Erfahrung, so dass ich mich hierüber nicht weiter verbreiten will. Bezüglich der Litteratur muss ich verausschicken, dass mir nur meine eigene Bibliothek zur Verfügung stand. Da eine Privatbibliothek selten vollständig ist, so dürfte mir vielleicht die eine oder andere Arbeit unzugänglich ge- wesen und dadurch von mir übersehen worden sein. Für etwaige derartige Fehler bitte ich, da sie nicht auf eigenem Verschulden be- ruhen, um Entschuldigung. Wie ich bereits in meiner vorläufigen Mittheilung anführte, war ich bestrebt, die Herkunft und Aneinanderreihung der Endothelzellen des Herzens und der großen Gefäße, sowie die Abstammung der Blutkörperchen bei den genannten Amphibien kennen zu lernen. Es ist bekannt, dass über diese Fragen unter den Untersuchern der Amphibien sowohl wie auch der übrigen Wirbelthierklassen keine Einhelligkeit herrscht. Wenn ich späterhin auch auf manche An- gaben rücksichtlich der Gefäß- und Blutentwicklung bei anderen Wirbelthierklassen zurückkommen muss, so verzichte ich doch an dieser Stelle aus zwei Gründen auf eine erschöpfende Aufzählung der verschiedenen Ansichten mit Ausnahme jener bezüglich der Morpholog. Jahrbuch. 17. 19 290 Schwink Amphibien. Einmal ist die fragliche Litteratur sehr vollständig an- geführt in den Arbeiten von ZIEGLER (20a) und RÜCKERT (14), dann aber glaube ich nicht, dass die Untersuchung einer einzigen Wirbelthierklasse, wenn ihre Entwicklung auch phylogenetisch mit jener der anderen Klassen zusammenhängen muss, für sich allein zu einer Entscheidung berechtigt, ob der eine oder der andere Ent- wicklungsmodus eänogenetisch oder palingenetisch ist oder nicht. Auch die Litteratur über die Herzentwicklung der Amphibien ist durch Rast (12a) eingehend berücksichtigt worden, so dass ich mich unter Hinweis auf die Arbeit dieses Forschers ganz kurz fassen kann. Mit Rücksicht auf den Gang meiner Arbeit werde ich sowohl die Litteratur als auch meine Beobachtungen in zwei getrennten Theilen besprechen, deren erster die Entwieklung des Herzendothels, der zweite die Bildung der Blutkörperchen zum Gegenstand hat. I. Die Entwicklung des Herzendothels. BAMBEKE (1) leitet bei Pelobates fuscus das ganze Herz von der Lame abdominale (d. h. dem visceralen Blatt) des Mesoblast ab, welche auch das Perikard liefert. Die Aorta soll ein Produkt der Urwirbel sein. Nicht so bestimmt wie BAMBEKE Spricht sich OELLACHER (11) aus. Dieser Autor findet die zum Perikard sich entwickelnde Aus- stülpung der Darmfaserplatte von Zellen (d. h. den zukünftigen En- dothelzellen) erfüllt, »über deren Ursprung er nichts sagen kann; durch ihr lockeres Gefüge sind sie jedoch von den Keimblättern hin- länglich als eigene Gebilde unterschieden «. GöTTE (7a) gab in einer Arbeit vom Jahre 1869 an, dass »die Herzbildung bei Bombinator igneus mit den beiden Venenschenkeln beginne«, und in seinem umfassenden Werk führt dieser Forscher aus, dass das Endokardialblatt zumeist vom Darmblatt abstamme; die Betheiligung des Mesoblast wird bis zu einem gewissen Grade als möglich zugegeben. Nach Buascuexk (2) können die in der Aussackung der splanch- nischen Pleura liegenden Zellen mit ihren langen Fortsätzen weder vom Hypoblast noch von der Splanchnopleura abstammen, da man nie einen Zusammenhang damit finde; sie seien vielmehr von den Urwirbelmassen abzuleiten. Die letzte Arbeit, welche ausschließlich und eingehend über das Herzendothel der Amphibien veröffentlicht wurde, stammt von RABL DE al in Oa Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 291 (12a); es findet sich darin die Angabe, dass Rau über die Her- kunft des Endothels noch nicht ganz sicher sei, doch glaube er noch am ehesten an eine Ableitung vom Entoderm. In der Abhandlung desselben Autors über die Theorie des Mesoderms wurde die Ab- leitung des Endothels der Amphibien noch nicht speciell besprochen: bezüglich der Selachier findet sich die Angabe, dass Ran über den Ursprung der Gefäßzellen noch nicht ganz im Klaren ist. Pag. 225 heißt es: »Mehrere meiner Schnitte scheinen es ganz außer Zweifel zu stellen, dass sie von den Elementen der visceralen Seitenplatten stammen, indessen kann ich doch die Möglichkeit, dass sie von der Oberfläche des Dotters eingewandert sind, nicht ganz ausschließen.« Endlich muss ich die Resultate anführen, zu denen Zime er (20) gelangte. Wenngleich in der letzten mir zugänglichen Arbeit die Amphibien keineswegs ausschließlich den Gegenstand der Unter- suchung bilden, so giebt doch dieser Autor an, dass bei allen Wirbel- thieren, mit Einschluss der Amphibien, sich alle Wandungen der Blut- und Lymphgefäße von dem Mesenchym oder Bildungsgewebe ableiten; diese Mesenchymzellen lösen sich einzeln oder gruppenweise von den Mesodermstreifen ab. So lauten in Kürze die mir bekannten Angaben, welche über die Entwicklung der Gefäßbahnen bei Amphibien sich verbreiten. Ich wende mich nun zur Besprechung meiner eigenen Präparate unter Voranstellung derjenigen von Urodelen. Ich beschreibe zunächst einige Schnitte durch Embryonen von a. Triton alpestris. In Abbildung 1, welche die ventrale Hälfte eines Querschnittes durch einen etwa 3,4 mm langen Embryo wiedergiebt, finden wir als äußerste Umgrenzung den Ektoblast, der größtentheils aus zwei deutlich unterscheidbaren Lagen besteht: einer äußersten Lage, die aus kubischen bis eylinderförmigen Zellen zusammengesetzt ist, und einer darüber (nach innen) befindlichen Lage, welche durch be- deutend niedrigere, flache Zellen gebildet wird. Diese gewöhnlich ganz scharf begrenzten Lagen haben auf dem vorliegenden Schnitte eine Störung erfahren: auf der (vom Beschauer aus) rechten Seite sind nämlich scheinbar drei Zelllagen vorhanden. Diese scheinbare Vermehrung ist jedoch ausschließlich das Resultat der Schnittfüh- rung, wie eine genaue Durchmusterung derselben Serie, sowie der Vergleich mit anderen Schnittreihen eben so großer Embryonen ergiebt. 19* 292 Schwink Der nach einwärts vom Ektoblast folgende Mesoblast weist gleichfalls zwei Zelllagen auf, zwischen denen ein Hohlraum, die Perikardialhöhle, sichtbar ist. Da der Schnitt weit vorn! (kopf- wärts) liegt und durch den Anfang der Perikardialhöhle geführt ist, so erscheint diese paarig; jede Hälfte wird von einigen Spangen durchsetzt. Die Herzbeutelhöhle ist auf dem dritten nach hinten folgenden Schnitt bereits einheitlich. Viscerale und parietale Meso- blastlamellen sind aus einfachen Zellreihen zusammengesezt; nur auf der rechten Seite der Zeichnung bilden scheinbar zwei Zellreihen auf eine kurze Strecke den visceralen Mesoblast. Es ist nothwendig, sich Rechenschaft zu geben, warum hier zwei Zellreihen vorhanden sind, denn in der Regel sind die Meso- blastlamellen einschichtig. Diese doppelte Zelllage ist ausschließlich durch die Schnittführung bedingt; das ergeben in unserem speciellen Falle die dem fraglichen Schnitte vorausgehenden und nachfolgen- den Schnitte, welche auch im visceralen Mesoblast nur eine einzige Zelllage aufweisen. Es giebt nämlich an bestimmten Stellen nor- male Faltungen, Erhebungen und Vertiefungen in jedem Keimblatt; außerdem sind ideale Querschnitte während der ersten Entwicklung der Gefäßzellen, wenn man nicht sehr häufig während des Schnei- dens neu orientirt, nur wenige in einer Serie enthalten, da die Em- bryonen von Triton alpestris zur fraglichen Zeit noch sehr stark ventralwärts gekrümmt sind. Ist nun der Querschnitt nicht rein oder trifft er auf eine Falte, dann erhält man Bilder, welche einen aus zwei Zelllagen bestehenden visceralen oder parietalen Mesoblast vortäuschen, nicht allzu selten. Der Entoblast unserer Fig. 1 ist in seinem ventralen Abschnitt im Großen und Ganzen einschichtig, aber in den seitlichen Partien nimmt die Zahl der Zellkerne beträchtlich zu, so dass mehrere Zellen über einander zu liegen kommen. Auch an der ventralen Seite geht die einreihige Zelllage, wenn man die Serie nach hinten ! Die Ausdrücke »proximal und distal«, die doch in ihrer ursprünglichen Bedeutung ungefähr »stammwärts« und »peripheriewärts« heißen, werden in vielen neuen Arbeiten gleichbedeutend mit »vorn und hinten«, »kopfwärts« und »schwanzwärts« gebraucht. Der Gewinn, der aus der Einführung jener Wörter in die Nomenclatur resultirte, wäre illusorisch, wenn die mit ihnen verbundenen Begriffe nicht ganz prägnant wären. Indem ich jene Bezeichnungsweisen in ihrem ursprünglichen Sinne (vgl. GEGENBAUR, Lehrbuch der Anatomie. 4. Aufl. pag. 44) anwende, gebrauche ich »vorn« und »hinten« gleichbedeutend mit »kopfwärts« und »schwanzwiirts«. =a Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels etc. der Amphibien. 293 weiter verfolgt, allmählich in die mehrfach geschichtete Lage von Dotterzellen über. Da die einschichtige Entoblastlage schließlich in das Darmepithel übergeht, kann man sie als »Darmentoblast« an- sprechen zum Unterschied von dem weiter schwanzwärts folgenden ‘Entoblastabschnitt mit den mehrfach geschichteten Dotterzellen, welche Partie mit dem Namen »Dotterentoblast« gekennzeichnet ist. Die Zellen endlich, auf welche es in vorliegender Arbeit zu- nächst ankommt, die »Gefäßzellen«, sind auf dem gezeichneten Schnitt bereits röhrenförmig an einander gelagert, doch verschwindet sowohl auf den vorderen wie auf den hinteren Schnitten die Röhren- form gänzlich, und nur einzelne Zellen, welche wohl auch durch protoplasmatische Ausläufer mit einander verbunden sein können, treten an ihre Stelle. Aus einem Schnitte, wie er der Fig. 1 entspricht, lässt sich nichts Bestimmtes darüber aussagen, ob die Gefäßzellen an Ort und Stelle von einem der benachbarten Keimblätter sich entwickelt haben, oder ob sie von irgend einem anderen Punkt des Embryonalkörpers aus dahin gewandert sind. Der vorliegende Schnitt lässt nur dar- über keinen Zweifel, dass die überhaupt in Frage kommenden Quellen für die Gefäßzellen zweierlei sind: entweder der Mesoblast — und hier speciell die viscerale Lamelle —, oder der Entoblast. Die Ab- stammung vom Mesoblast könnte sich in zweierlei Weise dokumen- tiren: bei dem Vorhandensein eines mehrschichtigen visceralen Meso- blast müssten die gegen den Entoblast liegenden Zellen einfach den Verband mit dem Mesoblast aufgeben, um sich weiterhin als Gefäß- zellen zu verhalten. Ein derartiger Vorgang wird aber dadurch aus- geschlossen, dass ‘ein mehrschichtiger visceraler Mesoblast nur scheinbar existirt, nur das Resultat der Schnittführung ist; that- sächlich sind die Mesoblastlagen zu dieser Zeit stets einschichtige Zelllagen. Wenn also die Gefäßzellen vom Mesoblast abstammen, kann nur die andere Möglichkeit erwartet werden, dass wir Thei- lungsfiguren finden, bei denen die Spindelachse senkrecht zur Flä- chenausdehnung des Mesoblast steht, so dass das eine Theilprodukt frei werden und zur Gefäßzelle sich entwickeln kann. In ähnlicher Weise müssen wir auch für den Entoblast, falls er die Ursprungs- quelle der Gefäßzellen abgeben sollte, zweierlei Möglichkeiten ins Auge fassen: entweder eine einfache Ablösung von Zellen dort, wo der Entoblast aus vielen über einander liegenden Zellen besteht (was hauptsächlich bei dem dem hinteren Körperende genäherten Antheil desselben, dem Dotterentoblast, der Fall ist), oder eine Neubildung 294 Schwink von Gefäßzellen in den Abschnitten, wo der Entoblast zu einer ein- reihigen Zelllage differenzirt ist. Sollen sich an letzterer Stelle die Gefäßzellen bilden, dann müssen wir hier Theilungsfiguren finden, deren Äquatorialplatte parallel mit der Richtung der Flächenausdeh- nung des betreffenden Entoblastabschnittes steht. Unter Berücksichtigung der eben dargelegten Punkte habe ich meine Serien durchmustert. Die ersten Spuren von Gefäßzellen fand ich bei Triton-Embryonen, welche circa 2,8 mm lang waren. Es mag hier bemerkt werden, dass die Zahlenangaben bei Triton keineswegs ein absolut genaues Maß bieten, indem leicht Fehler- quellen entstehen sowohl durch die starke ventrale Krümmung, die aber nicht bei allen Embryonen in gleicher Weise vorhanden ist, als auch durch die Kleinheit des Objektes selbst, welches ein ganz enges oder gleichmäßiges Anlegen des Messinstrumentes nur schwer gestattet. Die Abbildungen 2 und 3 entsprechen Schnitten aus Serien, welche durch solche Embryonen angefertigt wurden, in denen eben Gefäßzellen aufgetreten sind. Fig. 2 stellt einen Theil eines Querschnittes dar, welcher nicht weit hinter der Anlage des künftigen Mundes durchgeführt ist. Da- her stehen Ektoblast und Entoblast nicht mehr mit einander in Be- rührung, doch haben sich die ventralen Ausläufer des Mesoblast noch nicht bis zur Mittellinie vorgeschoben, berühren sich also nicht. Schnitte mit Gefäßzellen sind in der betreffenden Serie noch sehr wenige vorhanden; solche Zellen finden sich außerdem nur auf den zwei vorhergehenden und auf den fünf folgenden Schnitten. "Überall zeigen die Gefäßzellen ähnliche Eigenschaften: es sind rundliche bis ovale Zellen, welche meistens mit einigen fein auslaufenden Fort- sätzen versehen sind. Durch diese Fortsätze stehen die Gefäßzellen häufig unter einander in Verbindung. Bei Triton alpestris liegen die Gefäßzellen oft in Gruppen von zweien und mehreren Zellen so eng neben einander, dass die zu jedem Kern gehörige Zellgrenze mit- unter schwer oder gar nicht zu erkennen ist. Die so mannigfaltige Form der Gefäßzellen, sowie die meist vorhandenen Fortsätze lassen darauf schließen, dass sie amöboide Bewegungen ausführen, also den Ort ihrer Entstehung selbständig verlassen können. Die Zellen sind reichlich mit Dotterplättehen der verschiedensten Form und Größe beladen (sie sind in den beigegebenen Zeichnungen nicht markirt); es verdient hervorgehoben zu werden, dass neben kleinen Dotterpartikelehen auch Dotterplättehen von einer Größe gefunden Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 295 werden, wie sie außerdem fast ausschließlich nur in den noch nicht differenzirten Dotterentoblastzellen angetroffen werden. Außer den Dotterplättchen habe ich als Inhalt der Gefäßzellen bei Tritonen nur sehr selten Pigmentkörnchen beobachtet, und stets dann in ganz geringer Menge. Der neben dem Protoplasma wichtigste Inhaltstheil der Gefäßzellen, der Kern, ist oval und lässt häufig Stadien der in- direkten Kerntheilung erkennen. Die Gefäßzellen liegen, wie es auch Abbildung 2 zeigt, in den ventralen Theilen der Schnitte meist frei in dem Spaltraum zwischen Entoblast und Mesoblast. Eine Ver- bindung mit dem Mesoblast ist in den überwiegenden Fällen ganz ausgeschlossen, indem die Splanchnopleura nur von einer einzigen Zelllage gebildet und durch einen scharfen Kontour gegen den Ento- blast und die Gefäßzellen abgegrenzt wird. Die seitliche Begren- zung des Dotterentoblast dagegen ist viel weniger scharf ausgeprägt. Die gerade Linie wird hier häufig durch Fortsätze und Vorsprünge unterbrochen; die Fortsätze sind meist ventral gerichtet und ent- halten (wie in Abbildung 2) oft einen oder einige Zellkerne. Mit- unter, wenn auch nicht gerade häufig, fanden sich unter den Kernen in einem derartigen Fortsatze solche, welche in der gleichen Thei- lungsphase begriffen waren wie die nächsten, ausschließend im Dotter liegenden Kerne. Einen ähnlichen Fortsatz, wie wir ihn in der eben besprochenen Abbildung fanden, zeigt auch Fig. 3. Sie giebt einen Theil eines Sagittalschnittes wieder, der von der Medianebene weg mäßig weit seitlich gelegen ist. In dem ventralwärts gerichteten Fortsatz, der noch mit breiter Basis dem Dotterentoblast anhaftet, liegen drei Kerne. Während im Dotterentoblast die Kerne im Allgemeinen spärlich ver- theilt sind, findet sich stets an den seitlichen Partien, wo eben jene Fortsatzbildungen auftreten, eine weit größere Anzahl. Besonders auffallend ist dieser Kernreichthum — in Folge der Schnittrichtung — natürlich bei den seitlich gelegenen Sagittalschnitten, wie dies auch aus unserer Figur hervorgeht. Außer der großen Anzahl von Kernen ist diese Stelle des Dotterentoblast noch durch sehr viele Theilungsfiguren ausgezeichnet. Fig. 3 zeigt ferner mit genügender Deutlichkeit, dass die Mesoblastzellen nur eine einzige Reihe bilden. Alle in der Mitte einer Sagittalschnittserie befindlichen Sehnitte weisen unzweifelhaft einen einschichtigen Mesoblast auf: aber es ist erklärlich, dass man auch bei Sagittalschnitten mitunter einen mehr- fach geschichteten Mesoblast findet. Hauptsächlich ist dies in den seitlichen Schnitten zu erwarten, weil hier leicht zwei bis drei Zellen, 296 Schwink welche in Wirklichkeit seitlich über einander liegen, angeschnitten werden und nun seitlich neben einander zu liegen scheinen: sie täuschen dann einen mehrfach geschichteten Mesoblast vor. Ein Irr- thum kann bei aufmerksamem Durchmustern der ganzen Serie, Schnitt für Schnitt, vermieden werden. Volle Sicherheit gewährt aber erst die Berücksichtigung der seitlichen Körpertheile gleich- großer Embryonen, welche in Quer- und Horizontalschnittreihen zer- legt wurden. Abbildungen 4 und 5, welche Horizontalschnittserien angehören, zeigen unzweifelhaft, dass sowohl der viscerale als auch der parie- tale Mesoblast einschichtig sind. Fig. 4 entspricht einem etwas Jüngeren Stadium; auf der einen Seite ist ein, auf der anderen (nicht gezeichneten) sind zwei Fortsätze des Entoblast vorhanden, in welchen Kerne liegen. Diese Fortsätze stehen häufig mit Ausläufern unzweifelhafter Gefäßzellen in unmittelbarer Verbindung. Wenn wir die innere Begrenzungslinie des einen jener Fortsätze in der Figur nach rückwärts in der bereits gegebenen Richtung verlängert denken, würde dadurch der Fortsatz vom übrigen Dotterentoblast abgetrennt sein und der abgeschnürte Theil im ganzen Habitus einer Gefäßzelle gleichen. In der Figur gleichfalls sichtbar und bemerkenswerth ist die eigenthümliche Vertheilung der Kerne: während dieselben gegen das Centrum hin nur vereinzelt auftreten, sind sie in den seitlichen Partien entschieden vermehrt. Mit Benutzung der besprochenen Figur will ich darauf hinweisen, wie eine in Wirklichkeit einschichtige Mesoblastlamelle auf Querschnitten mehrschichtig erscheinen kann. Ich habe in Fig. 4 durch die Linie « 4 das deutlich zu machen ge- sucht; die einem Querschnitt entsprechende Linie durchschneidet im visceralen Mesoblast zwei Kerne und drei Zellantheile, und es lässt sich denken, dass in günstigen Fällen sogar noch mehr Kerne auf dem Querschnitt getroffen werden. Abbildung 5 bringt für ein älteres Stadium ganz ähnliche Ver- hältnisse, wie ich sie von Fig. 4 beschrieben habe; der betreffende Schnitt ist jedoch tiefer ventralwärts geführt als der zu Abbildung 4 gehörige, und dadurch liegen die Mesoblasttheile, welche sich zur Perikardialhöhle umbilden, scheinbar getrennt von dem schwanzwärts vorhandenen Mesoblast. Dass ein Zusammenhang zwischen beiden Theilen existirt, ergeben die mehr dorsal liegenden Schnitte un- zweifelhaft, wie dieses auch aus Fig. 4 hervorgeht. Weiterhin will ich hervorheben, dass gleichfalls in Folge der ventralen Lage des zugehörigen Sehnittes der Unterschied bezüglich der Zahl der Dotter- Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 297 kerne im Centrum und in der Peripherie der Fig. 5 kein sehr auf- fallender ist. b. Salamandra atra. Die Embryonen von Salamandra atra lassen in Folge der starken dorso-ventralen Krümmung, die in gewissen Stadien bei jedem Em- bryo sich vorfindet, und in Folge der leider sehr häufig eintretenden seitlichen Abbiegung, welche auf Wirkung der Fixirungsmittel zu schreiben ist, nur selten Serienschnitte idealer Richtung anfertigen. Desshalb versuchte ich, indem ich ausschließlich zum Zweck der Sammlung neuen Materials durch längere Zeit mich im Gebirge auf- hielt, eine möglichst große Anzahl von Embryonen mir zu verschaffen, um unter manchem Unbrauchbaren auch genügend brauchbare Ob- jekte zu erhalten. Ich sammelte selbst die erwachsenen Thiere und habe, da Männchen und Weibchen schon äußerlich außerordentlich leicht zu unterscheiden sind, nur Weibehen mitgenommen. Da es ferner bei einiger Übung mit großer Sicherheit möglich ist, an dem unverletzten Mutterthiere zu bestimmen, ob die betreffenden Eier den früheren oder späteren Stadien der Entwicklung angehören, habe ich auch von den weiblichen Thieren nur jene gesammelt und später- hin getödtet, welche Embryonen von höchstens 7 mm enthielten; Embryonen von dieser Länge zeigen nämlich alle Organe in den wesentlichsten Zügen angelegt oder entwickelt und hatten für meine augenblicklichen Zwecke daher kein weiteres Interesse. Im Ganzen erhielt ich 287 Mutterthiere mit Eiern und Embryonen unter 7 mm, so dass ich glaube, ein genügendes Material zu besitzen, um einen Vergleich mit den anderen von mir untersuchten Amphibien ziehen zu dürfen !. 1 Die Angaben WIEDERSHEMM’s (18 b) in Bezug auf die Verschiedenheiten in der Zahl der befruchteten Eier kann ich im Allgemeinen nur bestätigen. Ohne mich übrigens auf eine weitere Kritik einzulassen, will ich für die Inter- essenten aus meinen Notizen nur Einiges anführen. Mehr als zwei Embryonen in einem Mutterthier fand ich öfters; darunter zeigte sich einmal ein Exemplar, welches in dem einen {linken) »Uterus« ein weit entwickeltes, mit Kiemen- büscheln versehenes Thier enthielt; vor diesem, d. h. kloakenwärts, lag ein Embryo, bei welchem der Kopf sich eben frei abzuheben begann; ein Ei, das in der Dottermasse der anderen Seite lag, war nicht zur Entwicklung ge- langt, sondern eigenthümlich verändert, indem zahlreiche Vacuolen unter der Dotterhaut in dem Ei auftraten. Die gleiche Veränderung beobachtete ich bei zwei Eiern eines anderen Mutterthieres; die Eier lagen über die Mitte des Dottermaterials nach vorn (kopfwärts) hinaus in dem miitterlichen Eibehälter. Es wird dadurch die Vermuthung geweckt, dass die abnorme Lage Ursache 298 Schwink Die ersten Gefäßzellen fand ich bei Embryonen von 3,3 mm an. Abbildung 6 gehört zu einem Stadium von 3,5 mm Länge und zeigt daher die Gefäßzellen bereits in ziemlich reicher An- zahl. Ihre Gestalt erinnert völlig an jene bei Triton alpestris ge- gebene Beschreibung, indem ebenfalls rundliche bis spindelförmige Zellen mit Fortsätzen ausgestattet sind, durch welche sie unter sich in Verbindung stehen. Gerade bei Salamandra atra trifft man sehr häufig Gruppen von Gefäßzellen, in welchen die Grenzen der ein- zelnen Zellen nicht scharf zu erkennen sind. Die Verbindung der Gefäßzellen mit dem Entoblast, und zwar nur mit dem vorn, d. h. (kopfwärts liegenden) Anfangstheile des Dotterentoblast ist stets leicht zu -konstatiren. Größere Schwierigkeit bereitete mir Anfangs das Verhalten der Gefäßzellen zum Mesoblast, und erst nach der Durch- musterung einer großen Anzahl von Serien habe ich mir Sicherheit in diesem Punkte verschafft. Ziemlich oft nämlich findet man un- zweifelhafte Gefäßzellen dem visceralen Mesoblast innig angelagert; da ferner in Folge der verschiedenen Krümmungen des Körpers und der dadurch bedingten Faltungen der einzelnen Keimblätter der Me- soblast häufig scheinbar mehrschichtig ist, so könnte man gerade bei Salamandra atra leicht zu einer mindestens theilweisen Ableitung der Gefäßzellen vom Mesoblast geführt werden. Meine Untersuchungen gestatten mir jedoch nicht, auch nur eine theilweise Betheiligung des Mesoblast an der Bildung der Gefäßzellen bei Salamandra bestimmt zu behaupten. Unzweifelhaft gute Serien ließen nämlich erkennen, dass der viscerale und der parietale Mesoblast stets aus einer ein- zigen Zellschicht gebildet ist (ähnlich wie es Fig. 6 wiedergiebt), und nie sah ich die Achsen der Kerntheilungsfiguren senkrecht zu der Fläche des visceralen Mesoblast stehen, so dass etwa das eine Theilprodukt zur Gefäßzelle hätte werden können. Rap hat bei einer Gelegenheit schon auf den Werth der hori- zontalen Längsschnitte hingewiesen. Auch mir waren derartige der Veränderung war. Aber keineswegs kann ich die Angabe bestätigen, dass immer das der Kloake nächstliegende Ei das befruchtete sei und sich entwickle; in sehr vielen Fällen lag vor dem befruchteten Ei noch eine beträchtliche An- zahl (bis zu zehn) unbefruchteter Eier, ohne dass an dem befruchteten Ei irgend welche krankhafte Erscheinungen zu erkennen gewesen wären. SIEBOLD’S Angabe, dass »Monstra« oder »missgestaltete Embryonen« vorkommen, kann ich vollständig bestätigen. Ich fand eine beträchtliche Anzahl solcher verkriippelter, relativ weit entwickelter Embryonen; die meisten derselben lebten noch, als ich sie aus ihren Hüllen befreite, und sie machten sehr energische Fluchtbewe- gungen, als ich einige von ihnen in die Konservirungsflüssigkeiten brachte. Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 299 Sehnitte, welche also senkrecht zur Median- und Querebene liegen und parallel zu Rücken- und Bauchfläche geführt werden, besonders bei Salamandra sehr erwünscht. Die Fig. 7 und 8 sind solchen Serien entnommen und zeigen ohne Weiteres den Zusammenhang der Gefäßzellen mit dem Dotter- entoblast. Ähnlich wie bei Triton finden wir auch hier seitlich vor- springende Fortsätze des Dotterentoblast; die Fortsätze enthalten einen oder mehrere Kerne und stehen oft in ununterbrochenem Zu- sammenhang mit bereits gebildeten unzweifelhaften Gefäßzellen. Das splanchnische Blatt des Mesoblast zeigt meist sehr deutlich eine ein- zeilige Zellreihe und nur an einzelnen Stellen sind mehrere Kerne über einander gelagert, so dass sie den Anschein einer mehrschich- tigen Zelllage erwecken. Was ich aber oben bei Triton aus ein- ander gesetzt habe, kann ich hier für Salamandra atra wiederholen, dass nämlich diese scheinbare Mehrschichtigkeit nur durch die Schnitt- führung bedingt ist, was unter Anderem auch daraus hervorgeht, dass das somatische Blatt des Mesoblast an den betreffenden Stellen ebenfalls mehrschichtig ist. Außerdem lässt sich aus der Stellung der vorkommenden Kerntheilungsfiguren nur ein Wachsthum der Fläche nach, nicht der Dicke nach erschließen. Wenn wir uns an die Art der Verbindung der Gefäßzellen mit der Dotterzellmasse bei Triton zurückerinnern, dann finden wir viel- fache Übereinstimmung mit der bei Salamandra; ein etwas stärker hervortretender Unterschied ergiebt sich nur in Bezug auf den Ort. Theilen wir nämlich auf einem Querschnitt die Dottermasse durch eine senkrechte und wagrechte Linie, welche beide sich im Cen- trum der Dottermasse schneiden, in vier Quadranten, dann können wir sagen, dass die Verbindung der Gefäßzellen bei Triton haupt- sächlich in den beiden ventralen Quadranten, und zwar in den Seitentheilen derselben statt hat. Bei Salamandra atra dagegen findet sich dieser Zusammenhang der Gefäßzellen zwar auch in den ventralen, allein in viel beträchtlicherem Maße noch in den dorsalen Quadranten. Zu diesem Ergebnis gelangt man auch, wenn man Sehnitt um Schnitt einer horizontalen Schnittreihe durchmustert. Auf einem einzigen Schnitt lässt sich diese Thatsache durch Querschnitt- bilder erläutern. ¢ In Abbildung 9 steht eine Zelle noch in Verbindung mit dem spitz auslaufenden Fortsatz der ventralen Dottermasse ; stiirkere Fort- sätze finden sich aber in dem dorsalen Abschnitt. In dieser Figur sowohl wie in Fig. 10 fällt außerdem auf, dass der viscerale Meso- 300 Schwink blast sehr deutlich aus einer einzigen Zellreihe zusammengesetzt ist. Beide Figuren sind einem verhältnismäßig weit vorgerückten Sta- dium entnommen, in welchem die Gefäßzellen in der Gegend der Herzanlage bereits zu Endothelröhren an einander gefügt sind und nach vorn (kopfwärts) weit über die Herzanlage hinausreichen. Auf dem durch Fig. 10 repräsentirten Querschnitt sind daher zahlreiche Gefäßzellen vorhanden; sie liegen einzeln oder in kleineren Gruppen bei einander; einige Zellen stehen mit Fortsätzen der dorsalen Dotter- zellenmasse in Verbindung. j Diese Fortsätze haben ganz die Beschaffenheit wie jene aus Jüngeren Stadien, und dadurch, dass sie sich ablösen, müssen Zellen und Zellgruppen entstehen, welche ganz den Charakter von Gefäß- zellen tragen. Nun ist der Zusammenhang der Fortsätze mit der Dotterzellmasse bald ein inniger, bald ein sehr loser; ferner befinden sich mitunter der Kern einer ganz selbständigen Gefäßzelle und der eines solchen Fortsatzes, oder auch der letztere Kern und der nächst- liegende der Dotterzellmasse in der gleichen Theilungsphase: dess- halb bin ich der Überzeugung, dass die Gefäßzellen sich von der Dotterzellmasse ableiten. Ausdriicklich will ich bemerken, dass keineswegs jede Gefäß- zelle direkt aus der Dotterzellmasse hervorgeht, sondern dass die sehr häufigen Karyokinesen in schon gebildeten Gefäßzellen bewei- sen, dass auch durch Theilung von Gefäßzellen eine beträchtliche Vermehrung derselben zu verzeichnen ist. Die Anuren können aus zwei Gründen nicht die gleiche Beweiskraft für die Ent- stehung der Gefäßzellen haben wie die Urodelen. Erstlich sind sie phylogenetisch jünger als die Urodelen; sie dürften also mehr ab- geändert sein gegenüber dem ursprünglichen Entwicklungsmodus. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass gerade an den Stellen, wo hauptsächlich die Entwicklung der Gefäßzellen Platz greift, der Mesoblast durch eine Art Delamination vom primären Entoblast sich ableitet. Die äußeren Zellenlagen des vielschichtigen primären Ento- blast heben sich von den centraler liegenden allmählich ab und der dadurch auftretende Spaltraum grenzt den sekundären Entoblast vom Mesoblast ab. In dem Spaltraum treten die Gefäßzellen auf. Falls sich nun ergeben sollte, dass sie sich vom Entoblast ablösen, könnte man eine derartige Entwieklung auch so auffassen, dass in Folge Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 301 cänogenetischer Vorgänge die »eigentlich dem Mesoblast zugehörige « Zelllage, von der sich die Gefäßzellen ableiten, nicht gleich zu Be- ginn dem Mesoblast sich zugeselle, sondern später als dieser selbst von dem gemeinsamen Mutterboden sich ablöse. Zuerst bespreche ich ec. Rana fusca s. temporaria. Ein Querschnitt (Fig. 11), welcher ungefähr das vorderste Dritt- theil von den beiden hinteren Dritttheilen eines 3,3 mm langen Em- bryo scheidet, mithin hinter der Herzanlage durchgeführt ist, zeigt den stark pigmentirten Ektoblast mit deutlich ausgebildeten zwei Zelllagen. Nach innen folgt auf jenen der Mesoblast, welcher jeder- seits durch ein einschichtiges viscerales und parietales Blatt darge- stellt wird; die einander zugekehrten Flächen der beiden Mesoblast- lamellen sind durch einen leichten Pigmentsaum ausgezeichnet. Nach innen vom Mesoblast folgt der Spaltraum mit den Gefäßzellen, und ganz central endlich der Entoblast, den wir, da er an dieser Stelle aus mehreren unregelmäßig über einander geschichteten Zell- lagen besteht, als Dotterentoblast bezeichnen können. Die Zellen des letzteren enthalten ab und zu Pigmentkörnchen, am meisten die dem Darmlumen zunächst liegenden Zellen; diese bilden eine un- unterbrochen scharfe Umrandung gegen das Lumen. Im Gegensatz zu dieser ganzlinigen inneren Begrenzung des Dotterentoblast zeigt die Peripherie nur selten einen geraden Kontour: kleinere und tiefere Buchten wechseln mit leichten Einschnitten und kurzen Spalten. An einzelnen Stellen liegen neben den Buchten, aber schon in dem freien Spaltraum, Gefäßzellen, von denen man glauben könnte, dass sie früher die Buchten ausgefüllt haben. An anderen Stellen sprin- gen über die Oberfläche des Dotterentoblast Zellfortsätze vor, welche mitunter sich mit den Fortsätzen der Gefäßzellen verbinden. Die Gefäßzellen sind bereits zahlreich und besitzen, abgesehen davon, dass sie viel kleiner sind, ähnliche Eigenschaften wie die Gefäß- zellen der bisher besprochenen zwei Arten. Ihre Form ist rundlich oder häufiger spindelförmig; die Fortsätze sind kürzer als bei den Urodelen, stehen aber auch mit Fortsätzen anderer Gefäßzellen oder mit den oben erwähnten Vorsprüngen des Dotterentoblast in Verbindung. Häufig findet man ebenfalls Gruppen von Gefäßzellen. Der Inhalt der Zellen besteht außer dem Protoplasma besonders aus Dotterplättehen und ab und zu aus einigen Pigmentkörnchen. Die 302 Schwink Gefäßzellen liegen entweder frei in dem Spaltraum oder sie lehnen sich dem Dotter oder auch dem Mesoblast an; in den beiden letzten Fällen können die Gefäßzellen sich so innig anlegen, dass auf man- chen Schnitten kaum eine Grenze zwischen ihnen und dem Meso- blast, oder zwischen ihnen und dem Entoblast zu erkennen ist. Die folgenden Figuren 12 a und 12 5 gehören beide derselben Serie von horizontalen Längsschnitten an. Fig. 12 « giebt einen Schnitt wieder, welcher sieben Schnitte (jeder von circa !/,. mm Dicke) über dem zu Fig. 12 5 gehörigen liegt, d. h. Fig. 12 a ent- spricht einer mehr dorsal befindlichen Gegend als Fig. 12 6. Die verschiedene Lage der Schnitte bedingt manche beachtenswerthe Unterschiede in beiden Bildern. So wird der Ektoblast in Fig. 12 a aus zwei streng verschiedenen, pigmenthaltigen Zellreihen gebildet: die äußere Reihe hat kubische bis eylindrische, die innere flacher gestreckte Elemente. In Fig. 12 5 dagegen ist diese Unterschei- dung nicht mehr durchaus möglich, indem an einzelnen Stellen drei und sogar vier Zellreihen im Ektoblast über einander liegen. Es ist dabei gar nicht fraglich, wohin man die eine oder andere Zellreihe zu rechnen hat, denn es sind ebenfalls zwei streng von einander geschiedene Zellformen vorhanden, nur sind an den extremsten Stellen zwei Reihen kubischer und zwei flach gestreckter Zellen über einander geschichtet. Querschnitte durch entsprechende Stadien und in derselben Gegend geführt, beweisen zudem ganz deutlich, dass auch an den scheinbar vierschichtigen Stellen nur zwei Zellreihen über einander liegen, und daher kommen wir zu der Überzeugung, dass nur die Schnittführung Schuld daran trägt, wenn wir in dem einen Schnitt scheinbar vier Zelllagen des Ektoblast haben. Ganz das gleiche, für die Beurtheilung der Abstammung der Gefäßzellen sehr wichtige Resultat ergiebt sich für den Mesoblast. Die Splanchnopleura be- steht auf der einen Seite der Fig. 125 zwar nur aus einer einzigen Reihe scheinbar sehr langer Zellen, aber die andere Seite enthält mehrere Zellkerne über einander. Sowohl Fig. 12 a als auch die entsprechenden Querschnitte weisen aber nur eine einschichtige Splanchnopleura auf. Außerdem sprechen alle Theilungsfiguren, welche sich in dem oben genannten Blatt finden, nicht für eine Vermehrung der Zellen in der Dieke, sondern nur in der Fläche. — Der Entoblast bietet in beiden Figuren wenig Verschiedenheiten dar; in beiden Abbildungen kann man den nach vorn (kopfwärts) liegen- den Abschnitt des Entoblast, den Darmentoblast, welcher aus einer geringeren Anzahl von Zelllagen besteht, leicht unterscheiden von Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels etc. der Amphibien. 303 dem aus sehr vielen Lagen und größeren Zellen bestehenden Dotter- entoblast. In dem letzteren finden wir eine centrale Dottermasse, welche sich aus großen Zellen zusammensetzt, und eine periphere Schicht, welche durch sehr viele Kerne ausgezeichnet ist, während das zu den Kernen gehörige Zellmaterial meist nicht scharf abge- grenzt ist. In Fig. 12 a sehen wir wegen der hohen (dorsalen) Lage des Schnittes einen größeren Antheil des Darmentoblast als in Fig. 12 d. — Die in beiden Abbildungen vorhandenen Gefäßzellen stehen mehr oder weniger deutlich mit den seitlichen Fortsätzen des Dotterentoblast in Verbindung. Theilungsfiguren sowohi in den Ge- füßzellen als auch in den seitlichen Partien des Dotterentoblast deu- ten auf rege Zellvermehrung hin. Fig. 13 giebt einen Theil eines Sagittalschnittes wieder. Er illustrirt den häufigsten Fall, dass die Vorsprünge des Dotterento- blast, welche mit unzweifelhaften Gefäßzellen in Verbindung stehen, meist an der Übergangsstelle des Darm- in den Dotterentoblast vor- kommen. Die Figur lässt außerdem den deutlich einschichtigen Darmentoblast gut unterscheiden von dem nach hinten folgenden, mehrfach geschichteten Dotterentoblast; in dem letzteren sind die Kerne wiederum am zahlreichsten in der dem Ektoblast zunächst liegenden Partie. Der Mesoblast endlich besitzt einschichtige Blätter, was in dem vorn (kopfwärts) liegenden Antheil desselben auf dem Schnitte ohne Weiteres deutlich ist. Bei Embryonen von 3,5 mm ist die Entwicklung der Gefäß- zellen bereits weit vorgeschritten. Da, wo die Herzanlage auftritt, sind die Gefäßzellen schon zu einem einfachen Endothelrohr an ein- ander gefügt; nach hinten (gegen den Schwanz zu) gabelt sich das- selbe in zwei Schenkel. Bald aber verliert sich die röhrenförmige Anordnung und wir finden auf eine kurze Strecke hin in der Quer- schnittserie Bilder, wie sie durch Fig. 14 illustrirt werden, und wie man sie in jüngeren Stadien an weiter vorn gelegenen Stellen findet. Die Gefäßzellen liegen hier wiederum einzeln oder in Gruppen in dem Spaltraum zwischen Mesoblast und Dotterentoblast. Der letztere besitzt Fortsätze, mit welehen ab und zu die Ausläufer der Gefäß- zellen in Verbindung stehen; mitunter liegen Gefäßzellen in Gruben und Vertiefungen des Dotterentoblast, so dass es den Anschein hat, als ob sie sich an Ort und Stelle aus dem Zellverband mit dem Entoblast freigemacht hätten. Der Mesoblast ist einschichtig; es lagern sich wohl Gefäßzellen an ihn innig an, aber es lässt sich doch meist deutlich die Grenze zwischen beiden bestimmen. Dieses 304 Schwink ist besonders dann unzweifelhaft ausgesprochen, wenn die Splanchno- pleura gegen den Entoblast hin durch einen Pigmentsaum abge- schlossen ist. Ein derartiges Verhältnis gehört entschieden zu den Ausnahmen, da gewöhnlich nur die der Somatopleura zugekehrten Zellenden durch einen Pigmentsaum ausgezeichnet sind, während die gegen den Entoblast gerichteten Enden meist kein Pigment führen. Zweimal fand ich die Ausnahme; beide Male waren ver- schiedene Konservirungsmethoden (Sublimat und Chromsäure) ange- wendet worden, so dass ich zunächst nicht glaube, die Ausnahme auf Rechnung der Methode setzen zu müssen. Wenn jedoch auch der Grund in der Behandlungsweise liegen sollte, so dürfte doch die Thatsache an sich Beachtung verdienen. Die Fortsätze des Dotterentoblast, mit welchen die Gefäßzellen häufig in Verbindung stehen, befinden sich bei Rana fusca meist in den seitlichen und ventralen Partien des Entoblast und reichen im Allgemeinen nicht so hoch dorsalwärts hinauf, wie wir das bei den Urodelen, speciell bei Salamandra atra kennen gelernt haben. Ganz ähnlich wie bei Rana fusea liegen in dieser Beziehung die Verhält- nisse auch bei d. Bufo vulgaris. Die ersten Gefäßzellen fand ich bei Embryonen von 3,0—3,1 mm Körperlänge. Sie liegen aber noch nicht in der Gegend, wo später die Herzanlage auftritt, sondern weiter rückwärts in dem Spaltraum, der ausschließlich von dem Dotterentoblast einerseits, von dem Meso- blast andererseits begrenzt wird. Bei Embryonen von 3,3 mm Körperlänge sind einzelne Gefäß- zellen bereits bis über die Herzregion nach vorn vorgedrungen; die größere Zahl aber findet sich nach rückwärts davon in charakteri- stischer Anordnung. Serien durch derartige Embryonen sind außer- ordentlich instruktiv, und mehrere auf einander folgende Schnitte würden besser sprechen als eine ausführliche Beschreibung. Um jedoch die Abbildungen nur auf das absolut nothwendige Maß zu beschränken, will ich das Verhalten der Gefäßzellen in den kopf- wärts liegenden Schnitten einer Querschnittserie nur summarisch be- schreiben, um bei einem Schnitte, der über die Abstammung der Gefäßzellen Bestimmtes aussagen lässt, länger zu verweilen. Ver- folgen wir nun die Serie von vorn (vom Kopf) nach hinten, dann finden wir also die ersten vereinzelten Gefäßzellen schon vor der Herzanlage zwischen Mandibularbogen und Darmentoblast. Sie lie- ae a 7 Ree Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels etc. der Amphibien. 305 gen hier dem mittleren oder dem inneren Keimblatt an, ohne dass jedoch ihre Abgrenzung von beiden schwierig fiele. Nach den Seiten und nach oben hin (dorsalwärts) verlieren sie sich. Einzelne Gefäß- zellen, die übrigens durch Ausläufer mit einander verbunden sein können, sind auch zwischen Entoblast und Hyoidbogen vorhanden, sowohl an den Stellen, wo letztere in der Medianebene noch nicht einander berühren, als auch weiter hinten, wo dieses der Fall ist. In den nach hinten folgenden Schnitten tritt dann nahe der Median- ebene eine paarige, noch nicht sehr tiefe Ausbuchtung der Splanchno- pleura auf; der Raum zwischen dieser und dem Entoblast enthält ebenfalls Gefäßzellen, welche unter sich sowohl als mit den vorn gesehenen durch Ausläufer in Verbindung stehen können, aber noch keineswegs ein Endothelrohr bilden. Die Ausbuchtung der Splanchno- pleura deutet die künftige Lage des Herzens an und es geht also daraus hervor, dass Gefäßzellen noch vor Ausbildung des Endothel- schlauches des Herzens ziemlich weit über die Herzanlage nach vorn hinaus angetroffen werden. Wie die vorn befindlichen, so sind auch die an Stelle der Herz- anlage sichtbaren Gefäßzellen leicht und scharf von beiden Keim- blättern abzusondern; ein inniges Anlegen an das eine oder andere Blatt kommt auch hier vor, aber niemals geht eine Gefäßzelle mit einem Theil ihres Inhaltes in ein benachbartes Keimblatt über. Fast auf jedem Schnitt sieht man Kerntheilungsfiguren in den Gefäßzellen, aber niemals solche, welche etwa eine Ableitung des Kernes einer Gefäßzelle von den Kernen der Keimblätter vermuthen ließe. Bei Bufo treten in den sich theilenden Gefäßzellen häufig Pigmentkörn- chen auf. — Nachdem nun durch eine Anzahl von Schnitten noch ähnliche Verhältnisse zu beobachten waren, kommen wir beim Ver- folgen der Serie nach hinten auf eine Reihe von Bildern, wie sie durch Fig. 15 veranschaulicht werden. Wir sehen hier zunächst den stark pigmentirten, aus zwei Zellreihen zusammengesetzten Ektoblast. Nach innen folgt der Mesoblast, zwischen dessen parietalem und visceralem Blatt ein Pigmentstreif, nur ganz ventral ein wirklicher Spalt, den Coelomspalt andeutet. Die Splanchnopleura ist gegen den Entoblast hin durch einen scharfen Kontour abgegrenzt. Der in- teressanteste Theil ist der Dotterentoblast, welcher in seinem ven- tralen Abschnitt zahlreiche Vorsprünge und Fortsätze mit Kernen aufweist und von Gruben und Spalten durchsetzt ist, so dass das ganze Gefüge des Entoblast an diesen Stellen gelockert erscheint. Die Vorsprünge und Fortsätze stehen in mehr oder weniger inniger Morpholog. Jahrbuch. 17. 20 306 Schwink Verbindung mit freien Zellen, welche unzweifelhaft als Gefäßzellen bezeichnet werden müssen. Kerntheilungen kommen sowohl in den Gefäßzellen als auch in den Vorsprüngen des Entoblast vor; mit- unter findet man zwei in derselben Theilungsphase befindliche Kerne, von denen der eine bestimmt in dem Entoblast liegt, während der andere mit dem zugehörigen Zellinhalt außer Zusammenhang mit den Keimblättern steht. Die frei gewordene Zelle hat alle Charak- tere einer Gefäßzelle, so dass man den Eindruck erhält, als sei eine Gefäßzelle durch indirekte Theilung einer Dotterentoblastzelle frei und selbständig geworden. Auf mehreren Schnitten bietet die Serie noch ähnliche Bilder; dann aber werden die Gruben und Buchten seltener und nur einzelne Fortsätze sind noch sichtbar. Abermals weiter schwanzwärts finden wir auch die vereinzelten Fort- sätze nicht mehr, sondern der Dotterentoblast sowohl wie der Meso- blast bleiben durch gleichmäßig scharfe Kontouren gegen einander abgegrenzt. Horizontale Längsschnitte illustriren auf wenigen Schnitten in leicht zu überblickender Weise alle die Verhältnisse, welche eine Querschnittserie nur beim Verfolgen vieler einzelner Schnitte kennen lehrt. Zwischen Fig. .16 @ und 16 5, welche den uns interessirenden Theil in Horizontalschnitten wiedergeben, liegen fünf Schnitte, und Fig. 16 a entspricht dem mehr dorsal befindlichen. Die aus der verschiedenen Höhenlage sich ergebenden Unterschiede betreffen die gleichen oder ähnlichen Punkte, wie sie oben gleichfalls von einer Horizontalschnittserie bei Rana aus einander gesetzt wurden, wess- halb ich hier nicht näher darauf eingehe. Wichtig und in beiden Bildern gleichmäßig deutlich ist das Verhältnis der Gefäßzellen zum Dotterentoblast. Nach vorn zu, da wo die Herzanlage zu erwarten ist, sind die Gefäßzellen durch Ausläufer unter einander verbunden und liegen weder dem Entoblast nach dem Mesoblast an; nach hin- ten, gegen das Schwanzende des Körpers zu, lassen sich noch ein- zelne, frei zwischen den Keimblättern befindliche Gefäßzellen ver- folgen, bis sie an einer bestimmten Stelle zu beiden Seiten des Dotterentoblast mit Vorsprüngen des letzteren in Verbindung treten; in den Vorsprüngen liegen Kerne in verschiedener Anzahl, und durch diese Fortsätze des Dotterentoblast werden Gruben erzeugt, in wel- chen mitunter freie Gefäßzellen liegen. Die Beziehungen der Gefäßzellen zum Dotterentoblast bleiben während einer gewissen Entwieklungsperiode in ziemlich unverän- derter Weise bestehen, wie ein Vergleich der Fig. 15 mit Fig. 17 a I Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 307 sofort ergiebt. Die letztere Abbildung reprodueirt einen Querschnitt aus der Serie eines 3,6 mm langen Bufo-Embryo, aber wir finden im Dotterentoblast ähnliche Wucherungen und Buchten wie in dem 3,3 mm langen Embryo. Der wesentlichste Unterschied zwischen den beiden Schnitten besteht darin, dass der Schnitt aus der Serie des größeren Embryo etwas weiter nach hinten (schwanzwärts) liegt, als das beim jüngeren (kleineren) Embryo der Fall ist. Daraus geht also hervor, dass die eigenthümlichen Veränderungen des Dotter- entoblast nicht auf eine einzige Stelle beschränkt bleiben, sondern allmählich sich nach hinten ausbreiten. Diese Ausbreitung bean- sprucht aber keineswegs ein sehr großes Gebiet, sondern betrifft immerhin nur einen relativ kleinen Abschnitt in der ganzen Länge des Embryo. Zusammenfassung. Nach Besprechung der durch die Figuren illustrirten Thatsachen will ich versuchen, eine Zusammenfassung meiner Resultate zu geben und gleichzeitig die daraus nach meiner Ansicht folgenden Schlüsse zu ziehen in Bezug auf die Entwicklung der Gefäßzellen. Ich werde dabei nur die allen Arten gemeinsamen Eigenschaften in Betracht ziehen. Die Form und der Inhalt der Gefäßzellen, für sich betrachtet, gewähren keine Anhaltspunkte, um über die Abstammung derselben Bestimmtes auszusagen. Zu dem Ektoblast haben die Gefäßzellen, wie es allgemein be- kannt und oben bereits angeführt ist, keine Beziehung, wesshalb ich dieses Keimblatt von der weiteren Betrachtung ausschließen kann. Das nächstfolgende Keimblatt, der Mesoblast, beansprucht ein- gehende Berücksichtigung, und ich muss dessen einzelne Bestand- theile getrennt besprechen. Mit den Ursegmentplatten stehen die Gefäßzellen sicherlich in der ersten Zeit ihres Erscheinens — und auf diese kommt es wesentlich an — in gar keinem nachweisbaren Zusammenhang. In späteren Stadien der Entwicklung wandern die Gefäßzellen allerdings in dem Raum zwischen Entoblast und Meso- blast seitlich in die Höhe und gelangen dann auch bis an die Ur- wirbel; allein das erfolgt so spät, dass die Ableitung der Gefäß- zellen von den Urwirbeln bei den Amphibien kaum ernsthaft ge- nommen werden kann. Von den Seitenplatten des Mesoblast können wir die Somato- pleura, das parietale Blatt, gleichfalls unberücksichtigt lassen, da 20* 308 Schwink die ersten sichtbaren Gefäßzellen ausschließlich nach innen von dem visceralen Blatt, der Splanchnopleura, liegen, also sieherlich nicht von der Somatopleura abstammen. Von dem inneren Blatte des Mesoblast, der Splanchnopleura, lassen sich nun in manchen Serien die Gefäßzellen gewiss nur schwer abgrenzen. Hierdurch muss mitunter die Annahme erweckt werden, dass die Splanchnopleura die Bildungsstätte für die frag- lichen Zellen sei — dieses besonders dann, wenn im Mesoblast außerdem noch mehrere über einander liegende Kerne vorhanden sind. Die Gründe, warum ich mich trotzdem nicht überzeugen konnte, dass der Mesoblast sich an der Entwicklung der Gefäßzellen betheilige, kann ich in vier Punkte zusammenfassen: 1) Ein mehrschichtiger Mesoblast existirt weder zu der Zeit, noch an dem Ort, wo die Gefäßzellen entstehen. Es kommen bei jeder Schnittrichtung einzelne Bilder vor, in denen mehrere Kerne über einander im visceralen Mesoblast gefunden werden; allein dieser scheinbar mehrfach geschichtete Mesoblast besteht bei anderer Schnitt- führung an der entsprechenden Stelle nur aus einer einzigen Zell- reihe. Die scheinbare Mehrschichtigkeit ist also das Resultat der Schnittführung, und sie kann für sich allein meiner Überzeugung nach nicht als Beweis für die Abstammung der Gefäßzellen vom Mesoblast angeführt werden. 2) Bis jetzt habe ich in keinem einzigen Falle zur Zeit der ersten Entwicklung von Gefäßzellen eine Kerntheilungsfigur gefun- den, deren Achse senkrecht zur Flächenausdehnung der Splanchno- pleura gestanden wäre, so dass jenes Theilprodukt, welches gegen den Entoblast hin abgeschnürt würde, zu einer Gefäßzelle sich um- bilden könnte. Eine derartig gestellte Spindel würde ohne Zweifel entschieden für die Abstammung der Gefäßzellen vom Mesoblast sprechen, selbst wenn die beiden Theilprodukte noch innig mit ein- ander verbunden wären. Alle Theilungsfiguren im Mesoblast jedoch, welche ich bis jetzt während der fraglichen Entwicklungsperiode ge- funden habe, können nur eine Vermehrung von Mesoblastzellen der Fläche nach herbeiführen. 3) Die häufig vorkommende Anlagerung von Gefäßzellen an den splanchnischen Mesoblast kann nicht ohne Weiteres als Kriterium für die Abstammung derselben vom mittleren Keimblatt verwerthet werden. Abgesehen davon, dass in den meisten Fällen bei genauer 3eobachtung die Abgrenzung mehr oder weniger deutlich möglich ist, ist zu berücksichtigen, dass eine eben so innige Anlagerung von PETE Wu Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 309 Seite der Gefäßzellen an den Darmentoblast stattfindet, ohne dass daraus die Ableitung der Gefäßzellen von diesem Theile des inneren Keimblattes gestattet wäre, wie ich weiter unten nochmals anführen werde. Einiges Gewicht möchte ich insbesondere auch auf die zwei bereits erwähnten Serien von Rana fusca legen, bei welchen die Zellenden des visceralen Mesoblast, welche gegen den Entoblast ge- richtet sind, Pigment führen. Obwohl hier in einzelnen Schnitten eine sehr innige Anlagerung der Gefäßzellen an den Mesoblast vor- kommt, ist durch den Pigmentsaum die Abgrenzung leicht und sicher möglich. 4) Ein wichtiger Punkt, der mir gegen die Abstammung der Gefäßzellen vom Mesoblast zu sprechen scheint, dürfte ferner darin zu suchen sein, dass die Gefäßzellen in einer bestimmten Region zuerst auftreten und von hier aus sich weiter ausbreiten. Diese Region befindet sich aber nicht an der Stelle der Herzanlage — es wäre wenigstens bis zu einem gewissen Grade verständlich, dass die Herzendothelanlage zuerst entsteht und von da aus allmählich die Proliferation der Gefäßzellen stattfindet —, sondern sie liegt in eini- ger Entfernung nach hinten (schwanzwärts) davon. Nun erscheint es schwer verständlich, warum gerade diese Gegend des Mesoblast die Gefäßzellen produeiren sollte, während außerdem diese Fähig- keit dem Mesoblast abginge. Die Stelle, wo die Gefäßzellen auf- treten und wo daher auch gelegentlich eine Anlagerung derselben an den Mesoblast vorkommen kann, ist weder durch Kernreichthum noch durch Nahrungsmaterial irgendwie gegenüber jenen anderen Stellen des Mesoblast ausgezeichnet, wo eine Entwicklung von Ge- fäßzellen überhaupt nicht in Frage kommt. Wenn aber die Gefäb- zellen wirklich an einer bestimmten Stelle des Mesoblast entstehen, dann könnte man eben doch für möglich halten, dass diese Stelle in irgend einer Weise gegenüber den anderen ausgezeichnet ist. Nunmehr wende ich mich zur Besprechung der Beziehungen zwischen den Gefäßzellen und dem Entoblast. Dabei muss ich den mehrfach erwähnten Unterschied zwischen Darm- und Dotterentoblast berücksichtigen. Wenn wir unter ersterem jenen Theil des Ento- blast verstehen, welcher bereits aus wohldifferenzirten Zellen zusam- mengesetzt ist, so würde für die in Frage kommende Zeit bei den Amphibien nur der vorderste, kopfwärts liegende Entoblast-Abschnitt damit zu bezeichnen sein. Das Gebiet dieses Darmentoblast reicht nach rückwärts ungefähr bis zur Leberanlage; es ist also die Stelle, unter weleher das Herz sich entwickelt, mit inbegriffen. Die 310 Schwink Gründe, welche mich bestimmten, eine Ableitung der Gefäßzellen vom Mesoblast für die Amphibien nicht anzunehmen, sprechen auch gegen eine Abstammung vom Darmentoblast. Ich betone also, dass dieser Theil des Entoblast einschichtig ist und dass die vorkommenden Thei- lungen nur eine Zellvermehrung in der Fläche bedingen. Wo eine Anlagerung der Gefäßzellen an den Darmentoblast stattfindet, ist doch auch meist die Grenze zu erkennen. Als gewichtigsten Grund meiner Anschauung betrachte ich den Umstand, dass die ersten Ge- fäßzellen bei Amphibien gerade da auftreten, wo der Darmentoblast in den Dotterentoblast übergeht; die Gefäßzellen gelangen mithin erst in einer späteren Zeit nach vorn unter den Bereich des Darm- entoblast. Wenn also der viscerale Mesoblast und der Darmentoblast nach meiner Ansicht keine Rolle spielen bei der Entstehung der Gefäß- zellen, dann bleibt folglich für deren Ursprungsquelle ausschließlich der Dotterentoblast übrig. Dafür, dass dies sich wirklich so verhält, giebt es mehrere, wie ich denke, direkt beweisende Gründe. Zunächst kann nicht übersehen werden, dass der Dotterentoblast aus vielfach über einander geschichteten Zelllagen besteht; wie ich mehrfach be- tont habe, sind in der äußersten Zone derselben die Kerne (und mit ihnen die Zellen) meist deutlich vermehrt gegenüber dem Centrum der Dottermasse. Es können daher Gefäßzellen einfach dadurch ent- stehen, dass die äußersten Zellen des Dotterentoblast aus dem bis- herigen Zellverbande scheiden, um sich selbständig fortzubewegen. Für einen derartigen Vorgang sprechen nun thatsächlich die zahl- reichen, mit Zellkernen versehenen Fortsätze, welche in mehr oder weniger losem Verband mit dem Dotterentoblast stehen. Auf einen ursichlichen Zusammenhang zwischen Gefäßzellen und Dotterento- blast scheinen mir diese Fortsätze insbesondere dadurch hinzuweisen, dass sie außerordentlich häufig mit den Zellausläufern von unzwei- felhaften Gefäßzellen in Verbindung stehen. Es ist dabei zu be- merken, dass diese Verbindung eine sehr viel innigere ist, als die einfache Anlagerung der Gefäßzellen, wie sie gegenüber dem Meso- blast, aber auch gegenüber dem Darmentoblast vorkommt und oben erwähnt wurde. Für die Abstammung der Gefäßzellen von dem Dotterentoblast spricht ferner das durch Buchten und Einschnitte ge- lockerte Gefüge in der Peripherie des Dotterentoblast. Als beweisend sehe ich auch das Vorkommen von Theilungsfiguren an in den Kernen von Dotterzellen. Besonders wiehtig in dieser Beziehung sind jene Fälle dann, wenn die gleichen Theilungsphasen an einem im Dotter au u ne Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 311 liegenden Kern und an einem Kerne der benachbarten freien Zellen vorkommen. Dass nicht viel mehr derartige Theilungsfiguren zwischen Dotterzellen und freien Gefäßzellen, als thatsächlich vorhanden sind, die Abhängigkeit der letzteren von den ersteren dokumentiren, scheint mir desshalb nicht gegen meine Annahme zu sprechen, weil eben in dem peripheren Gebiete des Dotterentoblast eine große Anzahl von Kernen schon an sich vorhanden ist und weil durch Kerntheilung weiter centralwiirts im Dotter neue Kerne gebildet werden, so dass, wenn die peripheren Zellen frei werden, auch Kermmaterial abge- geben werden kann. ohne dass stets Theilung nothwendig ist. Dass die Entwieklung der Gefäßzellen nur in dem Dotterentoblast und nicht auch in dem Darmentoblast stattfindet, kann nicht frappiren, denn die beiden Theile des Entoblast sind nicht mehr gleichwerthig. Der Darmentoblast besteht aus bereits differenzirten Zellen, während im Dotterentoblast nicht nur noch undifferenzirtes Zellenmaterial vor- handen, sondern auch ein Nahrungsvorrath angehäuft ist, welcher dureh die Entwieklung der Blutgefäße allmählich allen Keimblättern zugeführt wird. Meine Beobachtungen geben mir mithin keine Beweise an die Hand, welche für die Betheiligung des Mesoblast an der Bildung der Gefäßzellen sprechen; allerdings muss ich auch zugeben, dass ich keinen Beweis gefunden habe, der diese Betheiligung absolut aus- schließt. Das positive Resultat aber, zu dem mich meine Unter- suchungen führten, besteht darin, dass der Dotterentoblast sicher eine (wahrscheinlich die einzige) Ursprungsquelle für die Gefäßzellen abgiebt. Die Gefüßzellen entstehen nahe an der Ubergangsstelle des Darmentoblast in den Dotterentoblast aus dem letzteren und sie wandern von ihrem Entstehungsort aus nach vorn an jene Stelle, wo das Herz zur Anlage kommt; hier bilden sie durch Aneinander- legung den primitiven Herzschlauch. Sie wandern aber auch noch weiter nach vorn über die Herzanlage hinaus und zugleich von der ventralen Mittellinie aus seitlich nach oben, dorsalwärts. Diese Wanderung ist jedoch nicht in der Weise aufzufassen, dass an der ursprünglichen Bildungsstätte alle Gefäßzellen entstehen und sich von hier aus weiter verbreiten, sondern sehr früh betheiligen sich die Gefäßzellen durch indirekte Theilung selbst energisch von ihrer Ver- mehrung und bald ist diese Vermehrungsweise der Gefäßendothelien durch indirekte Theilung die ausschließliche. 312 Schwink ' Il. Entwicklung der Blutkörperchen. Im Allgemeinen wurde der Entwicklung des Herz- und Gefäß- endothels von Seite der Autoren mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als der Entstehung der Blutkörperchen, so dass ich, ohne dem Vor- wurfe der Weitschweifigkeit mich auszusetzen, in Kürze auch die An- gaben anführen kann, welche bezüglich der Blutkérperentwicklung anderer Wirbelthiere gemacht wurden, wenigstens so weit sie mir bekannt sind und wichtig erscheinen. Zum Schlusse der Litteratur- angaben will ich dann die wenigen speciell den Amphibien gewid- meten Untersuchungen in Zusammenhang bringen, während ich die bei anderen Wirbelthieren angestellten Beobachtungen in chronolo- gischer Reihenfolge aufzihle. Eine Berücksichtigung der letzteren empfiehlt sich besonders desshalb, weil die Fragestellung bezüglich des Herkommens der Blutkörperchen bei Amphibien nur dann eine richtige werden kann, wenn die Ergebnisse, respektive die Kontro- versen bei der Untersuchung anderer Wirbelthiere mit berücksichtigt werden. Einer der ältesten Forscher, der speciell die Entwicklung des Blutes erwähnt hat, Remax (13), sagt, dass das Blut im Mesoblast entstehe und sich durch Theilung der Blutzellen vermehre; die Aorta erzeugt in ihrem Inneren selbst Blutzellen (d. h. die Innenzellen werden in Blutzellen umgewandelt). Ausführlicher als Remax schildert KÖLLIkeEr (9) die Entstehung des Blutes beim Hühnchen aus soliden Strängen und zwar giebt dieser Forscher an, dass die tiefere Lage des Mesoderma die eigentliche Bildungsstätte sei. KÖLLIKER eitirt auch in erschöpfender Weise die über die Blutbildung bis zum Erscheinen seines Werkes in der Litteratur zerstreuten Angaben. DissE (5) giebt ebenfalls an, dass beim Hühnchen die Blutent- stehung im Mesoblast vor sich geht und zwar bleibt sie auf die pe- riphere Mesoblastpartie beschränkt. Hatte bisher der Mesoblast unbestritten als Ursprungsstelle des Blutes gegolten und waren bislang nur über die Art und Weise der Entstehung der Blutzellen verschiedene Meinungen geltend gemacht worden, so gelangte Genscu (6) durch Untersuchungen an Knochen- fischen zu dem Resultate, dass das Mesoderm kein Material zur Blut- bildung liefert. »Die Bildungsstätte der embryonalen Blutkörperchen ist eine auf dem Dottersack liegende Schicht großer Zellen, deren Form äußerst variabel ist, und die durch Ausläufer mit einander Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 313 zusammenhängen. Sie zeigen einen oder mehrere Kerne. Die Schicht stellt das sekundäre Entoderm dar, das genetisch in gar keinem Zu- sammenhang mit dem Mesoderm steht.« WENCKEBACH (17) untersuchte gleichfalls Knochenfischembryonen, kam jedoch zu dem Schluss, dass wie das Endothel, so auch das Blut rein mesoblastischen Ursprungs ist. WENCKEBACH schloss sich in dieser Beziehung an ZIEGLER (20) an, welcher bereits im Jahre 1882 und wiederholt in einer späteren Arbeit vom Jahre 1887 die Überzeugung vertritt, dass die ersten Blutkörperchen in der »intermediären Zellmasse « auftreten. ZIEGLER konnte keine Stütze für die Ansicht erhalten, dass die Blutkörperchen auf dem Dotter entstehen. In der letzten mir zugängigen Arbeit dehnt dieser Forscher auf Grund neuer Untersuchungen seine Resul- tate auch auf die anderen Wirbelthierklassen aus und fasst sie dahin zu- sammen, dass »die Blutkörperchen beim Embryo in sogenannten soliden Gefäßanlagen entstehen ;: d. h. es differenzirt sich in dem Mesenchym (Bildungsgewebe) ein dichter Zellstrang, welcher mit Blutgefäßen in Verbindung tritt und für das Serum durchlässig wird, worauf dann die im Inneren liegenden Zellen als Blutkörperchen weggeschwemmt werden und eine periphere Lage von Zellen die Gefäßwand bildet«. Bei Selachiern fand Rückerr (14), dass »das erste Blut des Embryo sicher auf dem Dotter gebildet wird«. Es geht hier aus dem Mesenchymkeim hervor. Von Uskow (16) werden die Blutkörperchen bei Vogelembryonen aus dem »Parablast« abgeleitet. KEIBEL (8) sagt in einer Arbeit über die Säugethiere, die haupt- sächlich der Entwicklung der Chorda gewidmet ist, dass das Blut nicht vom Entoblast abgeleitet werden kann. Unter den Mittheilungen über die Entwicklung von Platydactylus findet sich in der bez. Arbeit von Witt (19) der Satz: » Allerdings entsteht das Blut aus Zellen, die sich im Bereich des Gefäßhofes aus dem Verband des Entoderms auslösen, doch habe ich gar keine Veranlassung, das Blut als eine mesodermale Bildung aufzu- fassen. « Gleichfalls von Reptilien berichtet Cornın& (3) neuerdings: »An zwei bis drei Stellen fand ich auch bei ‚solchen ‘ Blutinseln Thei- lungen der Entodermzellen, bei denen die Längsachse der Spindel senkrecht auf die Blutinsel gerichtet war.« »Ich halte es für wahr- scheinlich, dass Blutinseln direkt aus dem Entoderm entstehen 314 Schwink können, wie ich es auch für wahrscheinlich halte, dass die Blutgefäße aus dem Entoderm stammen. « Die letzte, mir bekannte Arbeit von GÖTTE (7a), in welcher dieser Autor Rücksicht auf die Blutbildung nimmt, verbreitet sich speciell über die Entwicklung von Petromyzon fluviatilis. GÖTTE sagt hierin (pag. 66): »Das erste Blut entsteht an der Unterseite des Mitteldarmes, unmittelbar hinter der Leberanlage und weiter rück- wärts. Dort berührt das Darmblatt noch im Anfang der VII. Pe- riode die Oberhaut, während die dünneren Ränder der Seitenplatten die Bauchseite z. Th. noch nicht erreichen. Dieses zwischen ihnen nach unten vortretende Stück des Darmblattes ist die Anlage der Blutzellen.«e GörTTE hat sich bekanntlich auch eingehend mit der Entwicklung der Amphibien, besonders der von Bombinator igneus beschäftigt. In einer Publikation (pag. 106) aus dem Jahre 1869 bemerkt GÖTTE, dass er schon vor Schluss der Aorta » Blutkörper- chen im Lumen sah, so dass an der Aorta eben so, wie anderen Ge- fäßen das Blut vor der Gefäßwand vorhanden ist«. In seinem Hauptwerk über die Unke sagt dieser Autor pag. 538: »Im unteren und seitlichen Umfang der Dotterzellenmasse der Batrachier-Embry- onen bilden sich in der ersten Larvenperiode Inseln von Blutzellen, indem einzelne von den großen peripherischen Dotterzellen in Haufen kleinerer runder Zellen zerfallen. « Außer GöTTE haben sich meines Wissens nur wenige Autoren speciell mit der Frage nach der Entstehung der Blutkörperchen bei Amphibien beschäftigt. Daviporr (4) machte zwar eine Angabe, wonach die Butkör- perchen bei Salamandra maculosa sich wahrscheinlich in der Weise bilden, dass aus den Dotterplättehen »Parablastkörper « entstehen, in welchen durch freie Kernbildung erst nachträglich Kerne auftreten. Diese Ansicht findet sich aber nur in einer vorläufigen Mittheilung aus dem Jahre 1884 veröffentlicht und in der Zwischenzeit ist mir keine weitere ausführlichere Arbeit über den Gegenstand von diesem Forscher bekannt geworden. Hervorzuheben ist an dieser Stelle eine Beobachtung von MAURER (10), wonach es keinem Zweifel unterliegt, » dass die ersten Rundzellen, oder lymphatischen Zellen direkte Derivate des Darm- epithels sind«. WIEDERSHEIM (18a) erwähnt, dass die Blutzellen der Larven von Proteus anguineus rund seien und dass karyokinetische Figuren auf Theilungsvorgänge hinweisen. Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 315 In den schönen Arbeiten von F. und P. Sarasin (15) über Ich- thyophis glutinosus finde ich keine auf die Blutbildung der höchst interessanten Blindwühlen bezüglichen Angaben. Diese Litteraturübersieht ergiebt mithin, dass für die Amphibien die Angaben GörrE's und Davinorr’s darin übereinstimmen, dass beide Forscher die Blutkörperchen der Amphibien von der Dotter- zellenmasse ableiten. In seiner letzten Publikation begreift ZIEGLER auch die Amphibien in den Kreis seiner Untersuchungen und hält auch für diese Klasse an der Abstammung der Blutkörperchen vom Mesenchym fest. In besonderem Lichte erscheint die daraus resul- tirende Kontroverse bei Berücksichtigung der bezüglich anderer Wir- belthierklassen eitirten Angaben, so dass neue Untersuchungen bei Amphibien gewiss eine Berechtigung haben. Die Fragen, welche eine Beantwortung verlangen, sind nun fol- gende: Zu welcher Zeit der Entwicklung sind bei Amphibien die ersten Blutkörperchen wahrzunehmen? In welchem Keimblatt und an welcher Stelle treten die ersten Blutkörperchen auf? Haben die Blut- körperchen nur eine einzige Ursprungsquelle oder mehrere? Daran reiht sich noch die Frage, ob freie Kernbildung für die Blutkörper- chen nachzuweisen war bei den von mir untersuchten Arten, unter denen sich Salamandra maculosa, das Untersuchungsobjekt Daviporr’s, leider bis jetzt nicht befindet. Bevor ich versuche, nach Möglichkeit diese Fragen zu beant- worten, kann ich noch erwähnen, dass unser Augenmerk ausschließ- lich auf den Entoblast und Mesoblast, resp. das Mesenchym gerichtet sein muss, da der Ektoblast sicher ausgeschlossen ist von der Be- theiligung an der Entwicklung der Blutkörperchen. Auch hier werde ich verfahren wie oben: ich werde zunächst nur die durch Abbildungen reprodueirten Präparate in der oben ein- gehaltenen Reihenfolge beschreiben und am Schlusse die sich daraus etwa ergebenden Folgerungen für alle vier Arten gemeinsam ziehen. a. Triton alpestris. Ich knüpfe an das durch Fig. 5 repräsentirte Stadium von Tri- ton alpestris an. So wie wir die GefiiBzellenentwicklung hier ver- lassen haben, setzt sie sich durch einen gewissen Zeitraum hindurch fort, d. h. es findet dauernd eine Neubildung von Gefäßzellen statt, ohne dass aber eine Spur von Blutkörperchen sichtbar ist. Ich muss ganz besonders hervorheben, dass am Mesoblast absolut keine Ver- 316 Schwink änderung wahrzunehmen ist; dieser wird nach hinten (schwanzwärts) von jener Stelle, wo noch eine Verbindung der Gefäßzellen mit dem Dotterentoblast sichtbar ist, durch eine zum Theil einfache, zum Theil doppelte Zelllage repräsentirt, in welchem letzteren Falle nur selten durch einen Pigmentsaum die Trennung in einen visceralen und parietalen Abschnitt angedeutet ist. Auch der Entoblast bleibt, abgesehen von jenen Stellen, wo die Gefäßzellen an ihn herantreten, unverändert und ist durch einen scharfen Kontour gegen den Mesoblast abgegrenzt. Während nun die Embryonen allmählich an Länge zu- nehmen, ordnen sich die Gefäßzellen, welche bisher regellos neben einander lagen und theilweise nur durch zarte Ausläufer unter ein- ander verbunden waren, zu Endothelröhren zusammen. Der erste sichtbare Endothelschlauch ist der primitive Herzschlauch; von diesem aus legen sich nach und nach Endothelröhren an nach vorn und eben so nach hinten: hier hinten ist das Endothelrohr Anfangs un- paar, theilt sich aber bald in je ein seitlich liegendes Rohr. So weit entwickelt sind die Embryonen, wenn wir Schnitte finden, wie ich einen solchen in Fig. 1 wiedergegeben habe; die Körperlänge be- trägt etwa 3,4—3,5 mm. Rücksichtlich der Aorta will ich ausdrück- lich hervorheben, dass noch an keiner Stelle ein geschlossenes En- dothelrohr dieselbe andeutet; wohl aber sind isolirte Gefäßzellen bereits bis in die Höhe vorgedrungen, wo wir später jenes Gefäß finden. In dieser Periode der Entwicklung nun habe ich bei Triton alpestris die ersten Andeutungen der späteren Blutkörperchen ge- funden, keineswegs aber in den bereits gebildeten Endothelröhren, sondern weiter nach hinten (schwanzwärts) davon. Die Abbildung 18 giebt den ventralen Theil eines Querschnitts wieder durch einen 3,7 mm langen Embryo. Der Mesoblast und Dotterentoblast werden vom Ektoblast umschlossen, welcher durch zwei, nicht sehr scharf geschiedene Zelllagen repräsentirt wird. Der Mesoblast reicht an der abgebildeten Stelle noch nicht bis zur Mittellinie herab, sondern verliert sich ganz allmählich in einen feinen Saum. Dieser ventrale Ausläufer des Mesoblast hatte auf einer nicht allzu kurzen Strecke nur eine einzige Kernreihe aufzuweisen. Dabei ist der Mesoblast dem Dotterentoblast meist sehr innig angelagert, so dass die Grenzen zwischen beiden nur selten so deutlich, wie auf dem abgebildeten Sehnitte sind. Am Dotterentoblast fesseln unsere Aufmerksamkeit zwei Stellen, welche seitlich gleich weit von der Mittellinie entfernt sind. Sie liegen gerade da, wo der Mesoblast ausläuft und sind zunächst nur durch eine größere Anzahl von Kernen charakterisirt. Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels etc. der Amphibien. 317 Ab und zu lässt sich um einen Kern ein halbrunder oder auch kreis- fürmig geschlossener Kontourerkennen; Theilungsfiguren sind in dieser Gegend außerordentlich häufig vorhanden. Nicht allzu selten ist der ganze Komplex von Zellen durch einen leichten Kontour für sich abge- schlossen und dadurch scheinbar dem Dotterentoblast gegenüber ab- gegrenzt. Wenn dann in solchem Falle die Grenze gegen den Me- soblast einigermaßen undeutlich ist, könnte man leicht glauben, dass an einer bestimmten Stelle des Mesoblast eine Zellwucherung stattgefunden hat, welche durch ihre Entwicklung in den Dotter- entoblast eine grubenförmige Vertiefung zu Stande brachte. Auf Fig. 18 nun erscheint eine solehe Annahme ausgeschlossen; hier kann man nicht daran zweifeln, dass alle Kerne nach einwärts von dem einschichtigen Mesoblast liegen. Um jedoch nichts über die Zuge- hörigkeit der betreffenden Zellen zu prisumiren, will ich die frag- liche Stelle, die leicht als etwas Besonderes kenntlich ist, mit einem bereits eingeführten Namen als »Blutinsel« bezeichnen. Die Blutinsel weist in mancher Beziehung auf Fig. 19 «a einen Fortschritt auf gegenüber Fig. 18. Die Kerne an den erwähnten zwei seitlich gelegenen Stellen sind noch viel zahlreicher geworden und repräsentiren sich von jetzt ab immer mehr als eine für sich bestehende Partie. Die Blutinseln der Fig. 19 @ sind zwar gegen den Dotterentoblast noch nicht absolut scharf abgegrenzt, doch ver- rathen einige Linien bereits die Lage der mit der Zeit ganz deutlich werdenden Grenze. Der Mesoblast ist kaum gegen früher verändert: seine Abgrenzung gegen die Blutinsel ist stellenweise nicht mit Sicherheit möglieh. — Wenn wir nun in derselben Serie von Quer- schnitten weiter nach hinten (schwanzwärts) gehen, finden wir, was übrigens auch in der Serie des kleineren Embryo von Fig. 15 bereits sichtbar war, dass die beiden seitlich gelegenen Blutinseln mehr und mehr ventral rücken und schießlich in einer einzigen, großen, rein ventral liegenden Blutinsel zusammenmünden, welche noch auf vielen Sehnitten nach hinten sich repräsentirt, wie dies Abbildung 19 4 wiedergeben soll. Der Mesoblast reicht jetzt um den ganzen Dotter- entoblast ventralwärts herum und liegt ihm sehr innig an, so dass die Grenzen mitunter schwer zu ziehen sind. Die Grenze des Meso- blast ist besonders undeutlich an der Stelle der Blutinsel. Ein vis- cerales und parietales Blatt lässt sich an dieser ventralen Mesoblast- partie nicht unterscheiden, sondern wir begegnen nur einer einzigen Kernreihe. In der Blutinsel liegen die Kerne häufig im Centrum eines Kreises von Dotterpliittchen und dadurch ergiebt sich mehr und 318 Schwink mehr eine rundliche Abgrenzung für die zu den Kernen gehörigen Zellen. Theilungsfiguren kommen noch häufig vor; sie erwecken das lebhafteste Interesse dann, wenn von ihnen die eine Hälfte in der Blutinsel, die andere im Dotterentoblast liegt, wie dies einiger- maßen deutlich in Fig. 19 5 ist. Die Blutinsel isolirt sich nämlich nicht nur vorn, wo sie paarig aufgetreten ist, sondern auch an den Stellen, wo sie unpaar am ventralen Abschnitt des Dotterentoblast liegt, wird allmählich eine scharfe Abgrenzung gegen den letzteren sichtbar. Ich darf nicht verabsäumen, die Thatsache hervorzuheben, dass jetzt absolut noch keine Endothellage die Blutinsel umgiebt. Darüber kann ich mich sicher nicht täuschen. Es ist in der vorlie- genden Entwicklungsstufe überhaupt noch kein engerer Zusammen- hang zwischen Endothel und Blutkörperehen vorhanden. Wenn wir die Schnitte einzeln vom Kopf zum Schwanze verfolgen, dann finden wir vielmehr in einer Serie, wie der zu Fig. 19 gehörigen, folgende Verhältnisse: in der Herzgegend liegt ein unpaares Endothelrohr, das sich sowohl nach vorn, als nach hinten in paarige Endothelröhren fortsetzt; Blutkörperchen finden sich weder in dem paarigen, noch in dem unpaaren Rohre. Nach hinten (schwanzwärts) lassen sich die paarigen Endothelröhren eine Zeit lang gut verfolgen; dann erschei- nen sie aber nicht mehr ganz geschlossen und endlich sehen wir überhaupt kein Gebilde mehr, welches wir als Endothelrohr anspre- chen könnten, sondern nur einzelne isolirte Gefäßzellen. Nachdem solche isolirte Gefäßzellen auf mehreren Schnitten sichtbar waren, gelangen wir an Stellen, welche durch drei bis vier, durch vier bis sechs Kerne u. s. f. ausgezeichnet sind, bis sie schließlich immer mehr und mehr den Charakter von Blutinseln annehmen. 7 Eine endotheliale Abgrenzung ist auch in dem Stadium der Fig. 20 noch nicht ausgebildet ; allerdings ist der Unterschied der Größe zwischen den Embryonen der Fig. 19 und 20 auch kein hervorragender. Die Fig. 20 ist den vorderen der Schnitte ent- nommen, welche die Blutinsel aufweisen, und daher finden wir eine paarige Anlage. Gegen die vorausgegangene ist Fig. 20 haupt- sächlich dadurch interessant, dass in der Blutinsel nun bereits aus- gesprochen deutliche Blutkörperchen angetroffen werden. Dieselben sind rund und meist von annähernd gleicher Größe. Ihr Kern ist deutlich und, wie er selbst dureh mitotische Theilung von anderen Kernen sich ableitet, so giebt auch der Kern solcher Blutkörperchen wieder neuen Kernen den Ursprung, was die außerordentlich zahl- reichen karyokinetischen Figuren genügend beweisen. Die Blutkör- Untersuchungen über die Entwicklung des Endotlels etc. der Amphibien. 319 perchen sind vollgepfropft mit Dotterpliittchen und zwar sowohl mit kleinen, bereits stark abgeschmolzenen, als auch mit großen. Die letzteren gruppiren sich, wie bereits erwähnt, gewöhnlich radien- förmig um den Kern, während dieser das Centrum des Körperchens einnimmt. Außer den fertig gebildeten Blutkörperchen zeigt die Ab- bildung noch etwas Anderes ziemlich deutlich, dass nämlich die Blutinsel gegen den Dotterentoblast nicht durch eine scharfe Linie abgegrenzt ist, wie wir das in späteren Stadien antreffen würden, sondern dass die Dotterzellmasse vorerst durch bogenförmige Ver- tiefungen und bauchige Vorsprünge gegen die Blutinsel abgeschlossen wird. Nachdem wir die Bilder bis zur Entwicklung vollkommener Blutkörperchen verfolgt haben, lohnt es sich nicht, weitere Abbil- dungen zu bringen. Die ferneren Veränderungen bestehen nur darin, dass die Blutkörperchen allmählich in das System der Endothel- röhren gelangen und bis in das Herz vordringen. Wenn die Aorta zu einem Rohr geschlossen ist, findet man die Kérperchen endlich auch hier. Letzteres ist aber erst in einer relativ sehr späten Zeit der Fall; bevor dieses eintritt, hat sich schon um die Blutinsel, die paarige sowohl, wie die unpaare, Endothel als Abschluss gegen den Dotter und gegen den Mesoblast angelegt. 3. Salamandra atra. Salamander-Embryonen von der Größe, wie wir sie zuletzt bei Besprechung der Entwicklung von Gefäßzellen verlassen haben, hatten vorn bereits die Anlagen zu einem Herzendothelrohr gezeigt, während nach hinten die Bildung von Gefäßzellen noch ihren Fort- gang nahm. Embryonen von jenem Alter lassen noch keine deutlichen Spuren von künftigen Blutkörperchen erkennen; dies erfolgt erst bei größeren Formen und zwar bis zu einem gewissen Grade in ähnlicher Weise, wie ich es oben von Triton beschrieben habe. Wir begegnen also in Serien durch Embryonen von 4,5 mm in den vorderen Schnitten paarigen Anlagen, in den weiter hinten gelegenen nur einer einzigen, ventralen Anlage von Blutkörperehen. Die Blutinsel repräsentirt sich vorn in der durch Abbildung 21 veranschaulichten Weise. So wie es hier auf der einen Seite der Fall ist, endigt mit- unter der Mesoblast, ohne mit der Blutinsel direkt in Berührung zu gelangen; in anderen zahlreichen Fällen dagegen verhält es sich so, wie die Abbildung auf der linken Seite zeigt, d. h. er legt sich an 390 Schwink die Blutinsel innig an und scheint mit ihr zu verschmelzen. Wenn nun dabei mitunter die Abgrenzung der Blutinsel gegen den Meso- blast unmöglich erscheint, so gilt dies auch in gleicher Weise für den Dotterentoblast; in vielen Fällen setzt sich also die scharfe pe- riphere Abgrenzung des Dotterentoblast unmittelbar auf die Blutinsel fort, wie es Fig. 21 auf der rechten Seite erkennen lässt. In anderen Fällen dagegen verläuft der Grenzkontour des Dotterentoblast nicht in der ursprünglichen Richtung weiter, sondern, wie Fig. 21 auf der linken Seite wiedergiebt, sie biegt in stumpfem Winkel ab und scheidet die Blutinsel vom Dotterentoblast. Oft ist diese Abgrenzung der Blutinsel vom Dotterentoblast nur auf einer kurzen Strecke ange- deutet (wie in Fig. 21), mitunter aber auch völlig durchgeführt. Es lässt sich leicht denken, wie durch Kombination der verschiedenen Möglichkeiten die Butinsel einmal einzig mit dem Mesoblast in Kon- takt zu stehen scheint, in anderen Fällen dagegen von diesem ge- trennt ist und nur mit dem Entoblast zusammenhängt. Auf diese Verhältnisse mache ich desshalb besonders aufmerksam, weil die scharfe Abgrenzung der Blutinsel gegen den Entoblast bei Salamandra atra einige Male bereits in sehr früher Zeit zu erkennen ist, schon bei Embryonen von 4,3 mm Länge, wo noch wenige Kerne die Lage der künftigen Blutinsel andeuten. Die Blutinsel der Fig. 21 ist durch zahlreiche Kerne ausgezeichnet; die häufig in ihr vorkommenden Mi- tosen lassen auf rege Neubildung von Kernen schließen. Von einem Embryo, der 4,7 mm lang war, reihe ich die Ab- bildung eines Querschnittes (Fig. 22) an, welcher nicht weit hinter der Herzanlage durchgeführt ist. Zwischen Entoblast und Mesoblast liegen hier die Endothelröhren, ohne dass darin eine Spur von Blut- körperchen sichtbar wäre. Die Lage der Aorta ist in dem vorliegen- den Stadium nur durch einzelne isolirte Gefäßzellen, nicht durch ein geschlossenes Rohr markirt. Die Blutinsel verhält sich noch ähnlich wie in dem vorher beschriebenen Stadium und zeigt nur in so fern einige Fortschritte, als die Kerne derselben etwas zahlreicher sind und einzelne bereits mit den zugehörigen Dotterplittchen sich zu Blutkörperchen umgebildet haben. Horizontalschnitte durch Embryonen aus den bezüglichen Stadien sind in mancher Hinsicht interessant, obwohl sie nicht in jeder Be- ziehung als sehr gewichtiges Beweismaterial verwerthet werden können. Fig. 23 giebt einen Theil eines solchen wieder und zeigt die zahlreichen Kerne der Blutinsel; einzelne Blutkörperchen sind bereits vollständig gebildet und zahlreiche Theilungsfiguren weisen Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels etc. der Amphibien. 321 auf rege Vermehrung hin. Über die Beziehung der Blutinsel zu Mesoblast und Entoblast sagen derartige Schnitte nichts Bestimmtes aus. Beim ersten Zusehen scheint es zwar nicht dem mindesten Zweifel unterworfen, dass die ganze Blutinsel unserer Abbildung im Entoblast liegt — thatsächlich ist sie ringsum von Entoblastzellen umgeben — und folglich auch vom Entoblast abstamme; allein es ist bei Berücksichtigung der Schnittrichtung ganz wohl erklärlich, warum die Blutinsel völlig vom Entoblast umgeben sein könnte, selbst wenn sie vom Mesoblast abstammen würde. Bei Horizontal- schnitten ist aber die Grenze zwischen Blutinsel und Mesoblast sehr undeutlich, und daher lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob beispielsweise von sich theilenden Zellkernen die eine Hälfte hier- her, die andere dortbin zu rechnen ist. Über einen anderen Punkt jedoch kann man sich bestimmt aussprechen bei Durchmusterung von Horizontalschnitten, nämlich über die Frage, ob aus den Dotter- plättehen Kerne entstehen können. Ich habe genau auf alle Ver- änderungen der Dotterplättehen geachtet und gerade bei Horizontal- schnitten kann man leicht große Strecken von Dotter darauf prüfen. Vom Centrum gegen die Peripherie lässt sich eine stäte, aber auch sehr allmähliche Größenabnahme der Dotterplättchen erkennen; die eckigen Dotterplättehen werden allmählich abgerundet und schlieb- lich zu kleinsten Partikeleben eingeschmolzen; aber nie habe ich die leiseste Andeutung gefunden, dass aus einem Dotterplittchen sich ein Kern bilde. Während ich nun eine Umwandlung der Dotter- plättchen zu Kernen mit aller Bestimmtheit für Salamandra atra ver- neinen kann, ist es bei den gut konservirten Embryonen andererseits außerordentlich leicht, nachzuweisen, dass die sämmtlichen Kerne nur durch indirekte Theilung wieder aus Kernen entstehen. Gerade in den Dotterzellen lässt sich das um so eher konstatiren, als hier ‚die Kerne durch große Strecken von einander entfernt sind, so dass also jeder zu einer der großen Dotterzellen gehörige Kern ganz deutlich sichtbar ist, und eine Veränderung von Dotterplittchen, die schließlich zur Bildung von Kernen führen würde, wegen der großen Distanz zwischen den Kernen bestimmt nicht übersehen werden könnte. Horizontalschnitte sind zu diesen speciellen Untersuchungen desshalb angenehmer, weil man hier einen großen Theil von Dotter- zellen neben einander überblicken kann; selbstredend eignen sich aber auch in anderen Richtungen geschnittene Serien eben sowohl zur Entscheidung. Wenn ich auch mit aller Bestimmtheit ausspre- chen kann, dass bei Salamandra atra eine » freie Kernbildung« nicht Morpholog. Jahrbuch. 17. 21 322 Schwink vorkommt, so will ich doch an dieser Stelle nicht unterlassen, aus- driicklich darauf hinzuweisen, dass mir trotz aller materiellen Opfer Salamandra maculosa leider bis jetzt zur Untersuchung noch nicht zugänglich war. Wenn ich zwar auch glaube, hier nicht andere Verhältnisse zu finden, wie bei Salamandra atra, so ist eben doch mein Glaube noch kein Beweis. Bei Besprechung der Fig. 21 habe ich darauf hingewiesen, dass Salamandra atra in verhältnismäßig früher Zeit ab und zu eine Ab- grenzung der Blutinsel gegen den Dotterentoblast beobachten lässt. Damit will ich aber nicht sagen, dass diese Abgrenzung in jedem Falle existire. Abbildung 24 zeigt den ventralen Theil eines Quer- schnittes von einem 4,9 mm langen Embryo. Die Abgrenzung der Blutinsel ist in doppelter Hinsicht undeutlich: sowohl gegen den Dotter hin als auch gegen den Mesoblast. In der Blutinsel ist ein Zerfall in einzelne Blutkörperchen bereits angebahnt, wie es sich an den zahlreichen Spalten und Lücken und an den bereits völlig gebil- deten Blutkörperchen erkennen lässt. Eine lebhafte Neubildung von Kernen findet, wie die Theilungsfiguren beweisen, immer noch statt. Fig. 25 soll eine Blutinsel zeigen, in der die meisten Blut- körperchen bereits fertig gebildet sind. Mesoblast und Dotterento- blast sind jetzt scharf und deutlich von derselben abgegrenzt. Der Mesoblast umgiebt als einschichtige Zelllage den Dotterentoblast (an dieser Stelle) und die Blutinsel. Der Dotterentoblast hat nieht mehr die kreisförmig abgerundete Form, durch welche er z. B. zur Zeit der Bildung von Gefäßzellen ventralwärts abgeschlossen war; man könnte meinen, dass ein Segment aus dem Kreis entfernt wurde, aber nicht durch eine gerade, sondern durch eine dorsalwärts ge- bogene Sehne. Die Blutkörperchen selbst sind rund und enthalten außer dem deutlichen Kern Dotterplittchen verschiedenster Größe, wovon die großen radienförmig um den centralen Kern gruppirt sind, wie bei Triton. Theilungsfiguren kommen noch immer in den Blut- körperchen vor und beweisen die Neubildung von Kernen aus Kernen. y) Anuren. Aus zwei Gründen will ich die Resultate, zu welchen mich meine Untersuchungen bezüglich der Blutkörperchen-Entwicklung bei den Anuren führten, gemeinsam besprechen. Erstens sind die Bilder, welchen man hier begegnet, in den Hauptsachen so vollständig gleich, dass wir auch den gleichen Entwicklungsmodus für Rana Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels etc. der Amphibien. 323 fusea und Bufo vulgaris annehmen dürfen; indem ich sie gemeinsam bespreche, kann ich daher die Zahl der Abbildungen beträchtlich vermindern. Den zweiten Grund, warum die Anuren eine getrennte Besprechung nicht absolut verlangen, habe ich oben bereits erwähnt. Ich wies darauf hin, dass die Anuren überhaupt als die phylogene- tisch jüngeren Amphibien viel eher cinogenetische Abänderungen zeigen können als die Urodelen. Insbesondere ist aber wiederum hervorzuheben, dass in Folge der eigenartigen Entwicklung des Mesoblast die Grenzen zwischen Entoblast und Mesoblast nicht so absolut scharf sind, wie dies beitden Urodelen der Fall ist. Ieh will auch hier wiederum an jene Stadien anknüpfen, welche wir oben bei der Untersuchung der Entwicklung der Gefäßzellen verlassen haben. Zunächst dauert die Neubildung von Gefäßzellen genau in der erwähnten Weise während einer gewissen Entwicklungs- periode hindurch fort. Wie bei den Urodelen, so legt sich während- dessen auch bei den Anuren zunächst das Endothelrohr des Herzens an und an dieses reihen sich allmählich die Endothelschläuche der Kopfgefäße nach vorn und die Dottergefäße nach hinten. Vom Her- zen nach hinten (schwanzwärts) führt zunächst ein unpaares Gefäß, welches sich bald in zwei seitliche Hauptstämme gabelt. Fig. 26, welche einem Querschnitt eines Bufo-Embryo nachgebildet ist, lässt erkennen, dass dieses seitliche Hauptgefäß ungefähr in halber Höhe des Dotters nach hinten verläuft und mit kleineren Seitenzweigen in Verbindung steht. Der Mesoblast zeigt dorsalwärts ein parietales und viscerales Blatt; ventralwärts verliert sich indessen die Tren- nung in zwei Blätter und der Mesoblast wird hier nur durch eine einzeilige Zellreihe fortgesetzt. Das paarige Endothelrohr lässt sich nicht ganz bis zur halben Körperlänge nach hinten verfolgen; es erscheint dann zunächst nicht mehr vollkommen geschlossen, und gleich darauf finden wir wieder einzelne Gefäßzellen. Im Dotter- entoblast kann man zu dieser Zeit nur die allerersten Anfänge einer Blutinsel konstatiren. Das erste Erscheinen einer Blutinsel soll durch Fig. 27, welche einem Querschnitt eines Froschembryo entspricht, erläutert werden. Betrachten wir zunächst den Mesoblast, so finden wir, dass derselbe, wie auf der vorhergehenden Figur, dorsalwärts in zwei Blätter ge- schieden ist, ventralwärts dagegen nicht. Der Dotterentoblast zeigt ventralwärts in einer ziemlich beträchtlichen Ausdehnung eine sofort auffallende, starke Vermehrung der Kerne (bei Bufo sind die Kerne nicht so massenhaft wie bei Rana). Erheblicher Pigmentreichthum 21° 324 Schwink zeichnet außerdem bei Rana die fragliche Zone aus; die Pigment- körnchen sind ab und zu um einen Kern in einem Kreis oder Halb- kreis angeordnet, so dass dadurch scheinbar eine einzelne Zelle ab- gegrenzt wird. Völlig frei ist allerdings jetzt noch keine Zelle der Blutinsel, sondern alle bilden noch eine geschlossene Zellmasse. welche direkt in den Dotterentoblast übergeht. Es kann nicht dem mindesten Zweifel begegnen, dass diese Blutinsel zum Entoblast zu rechnen ist, denn der Mesoblast ist durch einen feinen Spaltraum vom Entoblast geschieden, und die den Entoblast abschließende Linie setzt sich unmittelbar auf die Blutinsel fort; keinerlei Einschnitte: und überhaupt keinerlei Marke grenzt letztere vom Dotterentoblast ab. Eine Umwandlung von Dotterplattchen in Zellkerne wurde von keinem Autor für die Anuren beschrieben; ich habe speciell darauf geachtet und habe auch keine dahin zu deutenden Symptome ge- funden, dagegen zahlreiche karyokinetische Figuren, durch welche die Abstammung von Kernen aus Kernen sicher dokumentirt wird. Die zeitliche Distanz zwischen den Embryonen, welchen die zu Fig. 27 und 28 gehörigen Schnitte entnommen sind, ist nur eine ge- ringfügige, und in Folge dessen weist auch der Grad der Entwick- lung keine großen Unterschiede auf. Der Mesoblast zeigt unver- ändert dasselbe Aussehen in beiden Figuren. Auch der Entoblast und die Blutinsel haben ein ziemlich gleichmäßiges Aussehen be- halten. Nur finden wir in Fig. 28 die ersten, noch sehr spärlichen Blutkörperchen. Sie liegen hier in einem freien, natürlich von Serum erfüllten Raum. Erwähnenswerth ist, dass der Kern eines der Blut- körperchen in derselben Theilungsphase begriffen ist wie ein Kern des Dotterentoblast. Einige Körnchen Pigment lassen sich auch an den fertig gebildeten Blutkörperchen noch wahrnehmen. Die Blut- körperchen sind nur in geringer Zahl entwickelt und daher finden wir noch keine derselben in den Endothelröhren, natürlich auch nicht in der Aorta. Diese letztere ist noch nicht sehr weit entwickelt, indem nur auf einer kurzen Streeke bereits ein geschlossenes Endo- thelrohr vorhanden ist. Fig. 29 wiederholt einen Querschnitt eines 4,6 mm langen Bufo- Embryo und zeigt uns vollständig ausgebildete Blutkörperchen in großer Zahl. Der Mesoblast hat sein Aussehen gegen früher in keiner Weise verändert; insbesondere liegt ganz ventral eine einzige Zellreihe, während Splanchno- und Somatopleura nur in dem dor- salen Gebiet des Mesoblast deutlich und getrennt sind. Der Dotter- entoblast besitzt auch jetzt noch die meisten Kerne in der nächsten Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 325 Nähe der Blutkörperchen; einige dieser peripheren Kerne sind mit- unter von einem kreisférmigen Kontour umgeben, welcher den gleichen Umfang besitzt, wie die freien Blutkörperchen. Der ventrale Rand des Dotterentoblast besitzt eine gegen früher auffallend veränderte Peripherie, indem keine scharf gezogene Kreislinie vorliegt, sondern mannigfache Vorsprünge und Einschnitte dieselbe unregelmäßig ge- stalten. Die Buchten sind bogenförmig und in ihnen liegen häufig Blutkörperchen. Die Fortsätze sind abgerundet und enthalten mit- unter einen oder mehrere Kerne. Die ganze Beschaffenheit des En- toblast legt den Eindruck nahe, dass aus den Vorsprüngen, indem sie sich durch Bogenlinien abschnüren, die runden Blutkörperchen frei werden. Dieser Eindruck wird noch dadurch erhöht, dass auch in dem eigentlichen Dotterentoblast ab und zu ein Kern mit seiner Umgebung durch einen kreisförmigen Kontour abgeschlossen wird und hierdurch einem Blutkörperchen ähnlich sieht. In Fig. 30 will ich durch einen Horizontalschnitt zeigen, wie die Blutkörperchen von hinten allmählich nach vorn streben, respek- tive durch das Serum fortgetragen werden. Vorn sehen wir zwei quer getroffene Gefäßlumina. Das erste, am weitesten nach vorn liegende, ist noch leer; in dem nach hinten folgenden zweiten Lumen befindet sich bereits eine beträchtliche Anzahl von Blutkörperchen. Noch weiter nach hinten sind keine Endothelröhren mehr sichtbar, wohl aber isolirte Blutkörperchen. Zugleich besitzt hier der Entoblast jenen durch Buchten und Fortsätze ausgezeichneten Kontour, welchen ich bei Fig.29 beschrieben habe. Indem an diesen hintersten Stellen die Ent- wicklung der Blutkörperchen unzweifelhaft noch ihren Fortgang nimmt, was durch die zahlreichen Karyokinesen bewiesen wird, bietet ein der- artiger Horizontalsehnitt mithin auf einem Bilde gleichzeitig alle Ent- wieklungsphasen, welche wir oben in den verschiedenen Stadien nach einander besprochen haben: leere Endothelröhren, die in Bildung be- griffenen Blutkörperchen und deren allmähliches Vorrücken in die Endothelröhren. Zusammenfassung. Ich habe die Entwieklung der Blutkörperchen in der Weise be- schrieben, dass ich von den ersten Spuren derselben ausging und dieselben verfolgte, bis wir zu den ausgebildeten Blutzellen gelangten. Die Untersuchung selbst habe ich aus leicht begreiflichen Gründen in umgekehrter Richtung vorgenommen; vornehmlich habe ich dieses Verfahren eingeschlagen, um sicher die ersten Anfünge beobachten 326 Schwink zu können. Überblieken wir nun die Resultate, dann ergeben sich zwar mancherlei gemeinsame Züge für die untersuchten Arten, leider aber auch derartige Unterschiede, dass ich vor der Hand nicht im Stande bin, mit Sicherheit alle sich aufdrängenden Fragen zu be- antworten. Um nun das Gemeinsame und die Verschiedenheiten schroff neben einander zu stellen, will ich mit wenigen Worten bei- des getrennt rekapituliren, und ich wende mich zunächst zu den unzweifelhaft sicheren gemeinsamen Entwicklungsphänomenen. Den von mir untersuchten Anuren und Urodelen ist in Bezug auf die Entwicklung der Blutkörperchen Dreierlei gemeinsam: 1) Die Blutkörperchen entstehen der Zeit nach später als die Endothelzellen. Die Entwicklung der letzteren hatte bei allen vier Arten einen gewissen Abschluss erreicht; es war das Endothelrohr des Herzens bereits vollständig angelegt; auch ein nach vorn (kopfwärts) führendes Hauptgefäß hatte eine Strecke weit einen geschlossenen Endothelschlauch, und eben so war ein nach hinten (schwanzwärts) verlaufendes Gefäß durch ein vollständiges Endothelrohr angelegt, wel- ches sich noch weiter nach hinten in zwei Theilstücke ga- belte und seitlich am Dotter nach hinten sich fortsetzte. Das Endothelrohr der Aorta war in keinem Fall vorhanden, sobald ich die ersten Blutkörperchen fand. Erst in einer verhältnismäßig späten Zeit gelangen die Blutkörperchen in die Aorta, wo sie aber sicher nicht gebildet werden. 2) In Bezug auf den Ort der Entstehung stimmen die vier Am- phibienarten darin überein, dass die Blutkörperchen eine Strecke hindurch in einer paarigen, seitlich gelegenen, weiter hinten in einer unpaaren, rein ventral befindlichen Blutinsel zuerst auftreten. Die paarigen Blutinseln findet man stets hinter dem Entstehungsort der Gefäßzellen. Die unpaare sowohl wie die paarigen liegen ferner in grubigen Vertie- fungen des Dotterentoblast und werden von diesem auf der einen Seite, vom Mesoblast auf der anderen Seite begrenzt. Vom Ort ihrer Entstehung aus gelangen die Blutkörperchen in den Säftestrom und dadurch allmählich nach vorn in die Dottergefäße, in das Herz und relativ sehr spät in die Aorta. 3) Die Kerne der Blutkörperchen aller von mir untersuchten Amphibien entstehen ganz bestimmt nicht durch freie Kern- bildung aus den Dotterplättehen, sondern für sie gilt ganz unzweifelhaft das Wort: omnis nucleus e nucleo. Sobald Untersuchungen iiber die Entwicklung des Endothels etc. der Amphibien. 327 nur erst einige Kerne in der Blutinsel vorhanden sind, findet die regste Kernbildung durch indirekte Theilung der Kerne bereits vorhandener Blutkörperchen statt. Den gemeinsamen Entwicklungserscheinungen stehen jene gegen- über, welche sich nieht in gleicher Weise bei Urodelen und Anuren wiederholen. Der Unterschied zwischen beiden Amphibienordnungen tritt am schärfsten zu Tage, wenn wir die Frage zu beantworten suchen, in welehem Keimblatt die Blutkörperchen entstehen. Rück- sichtlich dieses Punktes will ich daher zunächst die einfacheren Ver- hältnisse bei den Anuren bündig zusammenfassen. Es kann keinem Zweifel unterworfen sein, dass die Blutkörper- chen der Anuren nach innen vom Mesoblast ihren Ursprung nehmen, von dem letzteren selbst aber nicht abstammen. Wenn nun der Mesoblast nach innen nur an den Entoblast sensu strietiori grenzen würde, dann müssten wir auch sagen, dass die Blutkörperchen vom Entoblast, speeiell vom Dotterentoblast sich ableiten. Die Bestim- mung, ob wirklich der Mesoblast zunächst auch nur an Entoblast angrenzt, ist nun gerade bei den Anuren keineswegs besonders leicht festzustellen. Wie schon öfter erwähnt, entwickelt sich nämlich aus einem ursprünglich einheitlichen Theil, dem primären Entoblast, durch Delamination nach außen der Mesoblast, und wir bezeichnen den nach innen verbleibenden Rest als sekundären Entoblast. Wenn es nun auch nach meinen Präparaten bestimmt feststeht, dass die Blutkörperchen im ventralen Abschnitt des sekundären Entoblast (und zwar im Dotterentoblast) sich entwickeln, so muss ich doch auf die Möglichkeit hinweisen, dass während der Delamination Theile, welehe eigentlich (d. h. nach palingenetischen Principien) zum Mesoblast in näherer Beziehung gestanden haben können, durch cänogenetische Processe beim sekundären Entoblast verblieben sein konnten und dass dadurch der Anschein erweckt werden könnte, als ob die Blutkörperchen im Entoblast entstünden. Ich hatte meine Untersuchungen über die Entwicklung der Blutkörperchen überhaupt bei den Anuren begonnen und war zuerst fest überzeugt, dass diese Kérperchen nur vom Entoblast sich ableiten. Auf die Möglichkeit cänogenetischer Veränderungen wurde ich erst später im Laufe ein- gehender Untersuchung von Salamandra atra aufmerksam, denn hier habe ich zwei Präparate gefunden, welche meine an Anuren ge- wonnene Sicherheit einigermaßen erschütterten, so dass ich mir kein abschließendes Urtheil bilden kann, bevor ich nicht jeden Zweifel überwunden habe. 328 Schwink Betrachten wir gegenüber den Anuren die Resultate bei Uro- delen, so ist hier zunächst sicher, dass ursprünglich Mesoblast und Entoblast getrennt neben einander liegen und durch scharf gezo- gene Linien begrenzt sind. Es ist weiterhin sicher, dass dann später die Blutinsel gewissermaßen eingegraben ist in den Dotterentoblast. Desshalb. glaube ich, kann es auch nicht bezweifelt werden, dass das Dottermaterial theilweise verbraucht wird zur Bildung der Blut- körperchen. Das geht bis zu einem gewissen Grade auch daraus hervor, dass Anfangs in den Blutkörperchen sehr große Dotterschollen gefunden werden — so große, wie sie im Mesoblast nur sehr selten vorkommen, im Dotterentoblast aber massenhaft vorhanden sind. Zu großes Gewicht darf man aber diesem Argument desshalb nicht bei- legen, weil für eine Abstammung der Zellen nicht so wesentlich der Gehalt an Dotterplättchen, sondern einzig die Abstammung der Kerne entscheidend ist. Nun habe ich oben bereits darauf hin- gewiesen, dass zwischen der Blutinsel und dem Mesoblast, aber auch zwischen jener und dem Dotterentoblast sehr bald und sehr oft eine scharf kontourirte Grenze sich findet. Diese Grenzen sind allerdings weder in allen Serien, noch auch auf jedem Schnitt derselben Serie immer durchaus deutlich. Die Kriterien nun, welche dafür spre- chen, dass die Kerne der Blutkörperchen vom Dotterentoblast sich ableiten, kann ich in Folgendem zusammenfassen: ich habe im Dotter- material jüngerer Stadien Kernvermehrung da gesehen, wo in äl- teren Serien die Blutinsel lag; Kerntheilungen im Dotterentoblast sind in der Nähe der Blutinsel sehr häufig und einige Male fand ich solche gerade auf der Grenze zwischen beiden; endlich sind in der Nähe der Blutinsel, aber unzweifelhaft im Dotterentoblast Zellen vor- handen von derselben Form wie die Blutkörperchen. Gegen die Abstammung der Blutkörperchen vom Entoblast, aber für die Her- kunft vom Mesoblast spricht jedoch der Umstand, dass ich bei Sala- mandra atra im Mesoblast zweimal ganz bestimmt Theilungsspindeln gefunden habe, deren Längsachse senkrecht auf dem Mesoblast stand; beide Male lag die Spindel an der Stelle, wo die Blutinsel sich be- fand, so dass die nächstliegende Erklärung dieser Erscheinung nur die sein kann, dass das eine Theilungsprodukt in die Blutinsel ab- gegeben wird, d. h. also, dass der Mesoblast sich an der Bildung der Blutkörperchen betheiligt. Da es nun nach meinem Dafürhalten kaum möglich ist, dass in zwei Keimblättern die Bildung von Blutkörperchen vor sich gehe, muss ich ein endgültiges Urtheil, welches Keimblatt ausschließlich in Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 329 Frage komme, noch in Schwebe lassen, bis ich weitere Salamander- Embryonen des betr. Stadiums untersucht habe, oder, was mir mehr Hoffnung gewährt, bis ich Klarheit gewonnen habe an einem an- deren Objekt, welches mir gerade für die vorliegende Frage sehr günstig zu sein scheint und dessen Untersuchung ich bereits begonnen habe. Leider beansprucht meine praktische Thätigkeit mehr Zeit, als dass ich in nächster, absehbarer Zeit das erwünschte Resultat er- warten kann. Meine weiteren Untersuchungen haben mithin zweierlei Möglich- keiten ins Auge zu fassen: entweder betheiligen sich die Kerne des Dotterentoblast an der Bildung der Blutkörperchen und dann müssen die beiden Präparate von Salamandra atra sich in anderer Weise er- klären lassen, als ich oben angab, oder die Kerne der Blutkörper- chen stammen ausschließlich vom Mesoblast und dann würden nur Dotterschollen aus dem Entoblast von den Blutkörperchen auf- genommen. Vergleich der Resultate mit den Angaben anderer Autoren. Da meine Untersuchungen ausschließlich auf Amphibien - Mate- rial basiren, kann ich keinen Vergleich mit den Resultaten der Unter- sucher anderer Thierklassen ziehen; ich beschränke mich daher aus- schließlich auf jene neueren Angaben, welche bezüglich der Amphi- bien vorliegen und ich wende mich zuerst zur Besprechung der Ergebnisse in Betreff der Endothelentwicklung. Für BAmBERE's Angabe, dass das Endothel des Herzens vom visceralen Mesoblast abstamme, habe ich keine unzweifelhaften Be- weise gefunden, denn die Anlagerung von Gefäßzellen an den Me- soblast darf nicht in jenem Sinne gedeutet werden. Es käme wesentlich daraufan, in Theilung begriffene Mesoblastzellen zu finden, bei denen die Spindelachse senkrecht auf der Mesoblastfläche stände. Dafür findet sich aus naheliegenden Gründen in der Arbeit van BAMBEKE’s noch kein Beweis und auch mir ist es bis jetzt nicht ge- lungen, derartige Karyokinesen zu finden. BLASCHEK konnte seine Beobachtung, wonach die Gefäßzellen von den Urwirbeln abstammen, nur dadurch machen, dass er viel zu alte Embryonen untersuchte, bei denen die Gefäßzellen bereits bis in die Höhe der Urwirbel vorgedrungen sind. In den frühesten Stadien aber, auf welche es natürlich ankommt, ist ein Zusammen- hang der Gefäßzellen mit den Urwirbeln absolut ausgeschlossen. 330 Schwink Mit GOrre und Rast leite ich das Endothel vom Entoblast ab; aber ich fand keine Kriterien dafür, dass der Darmentoblast hieran betheiligt ist. Die Entwicklung der Gefäßzellen aus dem Darm- entoblast kann in gleicher Weise wie die aus dem Mesoblast, nur dadurch bewiesen werden, dass dafür direkt sprechende Theilungs- spindeln gefunden werden. Diese sind bisher von keinem Forscher mit Sicherheit nachgewiesen worden, und so lange dieser Beweis nicht erbracht ist, sind mindestens Zweifel an einem derartigen Ur- sprung der Gefäßzellen berechtigt. Görre’s Mittheilung, dass bei Bombinator die Herzbildung mit den Venenschenkeln beginne, kann ich auch für die vier, oben be- schriebenen Arten bestätigen. Die Kerne der Blutkörperchen sollen nach Davinorr bei Sala- mandra maculosa aus Dotterplittchen mittels freier Kernbildung ent- stehen. Das kann ich sowohl für die hier beschriebenen, als auch für alle anderen von mir untersuchten, oben aufgezählten Arten bestimmt verneinen; hier entwickelt sich immer Kern aus Kern. Wenn nun schon desshalb, weil so zahlreiche Verwandte der von mir nicht untersuchten Salamandra maculosa keine freie Kernbildung zeigen, jene Annahme unwahrscheinlich erscheint, so dürfte es sich bei wiederholter Untersuchung dieser Species wohl zeigen, dass auch hier die Kerne stets von Kernen stammen. A priori erscheint übrigens eine freie Kernbildung aus Dotterplättehen mindestens unwahr- scheinlicher, als eine solche aus Protoplasma. Die Dotterplättchen sind ursprünglich überschüssiges Material, welches von dem aktiven Protoplasma aufgespeichert und bei Bedarf als Nahrungsmaterial wieder verbraucht wird; wir finden sie daher in allen Größen, je nachdem ihre Substanz von dem lebenden Protoplasma assimilirt wurde. Sie für sich weisen nicht darauf hin, dass sie Substanz auf- nehmen oder verbrauchen oder gar sich theilen können und ver- halten sich gegenüber dem Protoplasma ungefähr wie ein Krystall. Der Kern einer Zelle betheiligt sich aber an allen Lebenserschei- nungen der Zelle in so hervorragender Weise, dass es kaum denk- bar ist, wie er aus dem festen, unthätigen Dotterplättchen hervor- gehen könnte. Die Darstellung der Blutkérperchenentwicklung, welche ich oben von den Anuren gegeben habe, stimmt in den wesentlichsten Punkten vollkommen mit den Angaben Görre’s überein. Ich will noch dar- auf aufmerksam machen, dass GOrre in seiner letzten Arbeit auch für Petromyzonten die Ansicht zurückweist, dass Blutzellen im Inneren Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 331 der dorsalen Stammgefäße in der Form von soliden Anlagen der letz- teren entstehen. Das Gleiche habe ich für die besprochenen vier Amphibienarten gefunden. Uber die Entwicklung der Rlutkérperchen bei Urodelen sind mir keine Beobachtungen bekannt, welche fiir die eine oder die andere der oben detaillirten Möglichkeiten verwerthet werden könnten. Litteraturverzeichnis. 1) van BAMBERE, Recherches sur le développement du Pélobate brun (fuscus). 1867. 2) Aus. BLASCHER, Untersuchung über Herz, Perikard, Endokard und Peri- kardialhöhle. Mittheilungen aus dem embryologischen Institut. Wien. Sep.-Abdr. 3) H. K. Cornine, Zur Frage der Blutbildung aus dem Entoderm. Archiv fiir mikr. Anatomie. Bd. XXXVI. 1890. 4) M. von Davinporr, Uber die Entstehung der rothen Blutkörperchen und den Parablast von Salamandra maculosa. Zoolog. Anz. VII. Jahrg. 1884. 5) J. Dısse, Die Entstehung des Blutes und der Gefäße im Hühnerei. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XVI. 1879. 6) H. Genscu, Das sekundäre Entoderm und die Blutbildung beim Ei der Knochenfische. Königsberg 1882. 7) A. GÖTTE, a) Untersuchungen über die Entwicklung des Bombinator igneus. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. V. 1869. b) Die Entwicklungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875. c) Abhandlungen zur Entwicklungsgeschichte der Thiere. 1890. V. Heft. 8) Fr. KEIBEL, Zur Entwicklungsgeschichte der Chorda bei Säugern. Archiv fiir Anatomie und Entwicklungsgeschichte. 1889. 9) A. KÖLLIKER, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig 1879. 10) Fr. MAURER, Die erste Anlage der Milz und das erste Auftreten von lym- phatischen Zellen bei Amphibien. Morph. Jahrb. Bd. XVI. 1890, 11) J. OELLACHER, Über die erste Entwicklung des Herzens und der Perikard- oder Herzhöhle bei Bufo cinereus. Archiv für mikr. Anatomie. VII. 1871. 12) C. Rast, a) Über die Bildung des Herzens der Amphibien. Morph. Jahrb. Bd. XII. 1887. b) Theorie des Mesoderms. Morph. Jahrb. Bd. XV. 1890. 13) Remax, Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere. Berlin 1850, 332 Schwink 14) J. RUCKERT, Uber die Entstehung der endothelialen Anlagen des Herzens und der ersten Gefäßsysteme bei Selachierembryonen. Biol. Centralbl. Bd. VIII. 1888. 15) F. und P. Sarasin, Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen auf Ceylon. Wiesbaden 1889—1890, 16) N. W. Uskow, Uber die Entstehung des Blutes und der Gefäße. Nach Jahresberichten über d. Fortschr. der Anatomie und Physiologie. Bd. XVII, da das Original russisch. 17) K.F. WENCKEBACH, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Knochenfische. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXVIII. 1886. 18) R. WIEDERSHEIM, a) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte von Proteus an- guineus. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXXV. 1890. b) Beitrige zur Entwicklungsgeschichte von Salamandra atra. Archiv fiir mikr. Anatomie. Bd. XXXVI. 1890. 19) L. Witt, Bericht über die Studien zur Entwicklungsgeschichte von Platy- dactylus mauritanicus. 1890. 20) H. E. ZIEGLER, a) Die Entstehung des Blutes bei Knochenfischembryonen. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXX. 1887. b) Die Entstehung des Blutes der Wirbelthiere. Humboldt. Bd. IX. Heft 5. Erklärung der Abbildungen. Sämmtliche Abbildungen habe ich bei ungefähr 100facher Vergrößerung mit der Camera lucida bei Objekttischhöhe aufgenommen und bei stärkerer Ver- größerung ausgezeichnet. Für alle Figurenerklärungen habe ich folgende Ab- kürzungen gewählt: aent Darmentoblast, end Endothel, bl Blutinsel, gz Gefäßzelle, dobl Dotterentoblast, ms Mesoblast. ect Ektoblast, Tafel XVII. Fig. 1. Querschnitt durch einen 3,4 mm langen Embryo von Triton alpestris. Fig. 2. Querschnitt durch einen 2,8 mm langen Tritonembryo. Fig. 3. Sagittalschnitt durch einen 2,8 mm langen Tritonembryo, Fig. 4. Horizontalschnitt durch einen 2,9 mm langen Tritonembryo. Rechte Schnitthälfte. Fig. 5. Horizontalschnitt durch einen 3,0 mm langen Tritonembryo. Fig. 6. Querschnitt durch einen 3,5 mm langen Embryo von Salamandra atra. Fig. 7. Horizontalschnitt durch einen 3,6 mm langen Embryo von Salaman- dra atra. Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels ete. der Amphibien. 333 Fig. Fig. Fig. hig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 8. 9. 10. 11. 12 12 13. 14 15. 16 16 a: 18. 19 19 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 21. 28. 29. 30. Horizontalschnitt durch einen 3,7 mm langen Embryo von Salaman- dra atra. Querschnitt durch einen 3,8 mm langen Embryo von Salamandra atra. 5 # ny eee € ES 4 £ PZ = - En ee - - - Rana fusea. Tafel XVIII. a. Horizontalschnitt durch einen 3,4 mm langen Embryo von Rana fusca. 6. Horizontalschnitt durch einen 3,4 mm langen Embryo von Rana fusca. Sagittalschnitt durch einen 3,4 mm langen Embryo von Rana fusca. Querschnitt durch einen 3,5 mm langen Embryo von Rana fusca. - - - 33 - - - - Bufo vulgaris. a. Horizontalschnitt durch einen 3,5 mm langen Embryo von Bufo vulgaris. b. Horizontalschnitt durch einen 3,5 mm langen Embryo von Bufo vulgaris. Querschnitt durch einen 3,6 mm langen Embryo von Bufo vulgaris. - - 2953, ie - - - Triton alpestris. a. - - - 38 - - - - - - b. - - - 38 - - - - - - Tafel XIX. Querschnitt durch einen 3,9 mm langen Embryo von Triton alpestris. - - - 4,5 - - - - Salamandra atra. u x Er a 2 bi 4 3 = Horizontalschnitt durch einen 4,8 mm langen Embryo von Salaman- dra atra. Querschnitt durch einen 4,9 mm langen Embryo von Salamandra atra. K nn a PS - = 4 - - - 40 - - - - Bufo vulgaris. = - - 40 - - - - Rana fusca. 3 a L. PAD - 3 A i a 2 = - - 46 - - - - Bufo vulgaris. Horizontalschnitt durch einen 4,8 mm langen Embryo von Bufo vul- garis. Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. Von 6. v. Koch. Mit 8 Figuren im Text. 6. Das Verhältnis zwischen den Septen des Mutterthieres zu denen der Knospen bei Blastotrochus. SEMPER hat in seiner Abhandlung über Generationswechsel bei Steinkorallen und über das Minne Epwarps’sche Wachsthumsgesetz der Polypen (Zeitschr. für wissensch. Zoologie. Bd. XXII, pag. 238) unter Anderem eine eingehende Schilderung der Knospung von Blasto- trochus nutrix gegeben. Im Verlauf meiner Studien über die unge- schlechtliche Vermehrung der Korallen versuchte ich etwas tiefer in die anatomischen Einzelheiten dieses Knospungsvorganges einzu- dringen, aber meine Bemühungen, mit den Weichtheilen konservirte Blastotrochus zu erhalten, blieben vergeblich. Nur ein Skelet bekam ich durch die Freundlichkeit des Herrn von MARENZELLER aus dem Wiener k. k. Hofmuseum zur Untersuchung und ich konnte damit den Nachweis führen, dass jedes der zwei Septen, welche in der Ebene liegen, die zugleich die Hauptachse und den längsten Durch- messer enthalten, sich direkt in zwei primäre Septen der Knospe fortsetzen. Zwischen diesen zwei einander gegenüberliegenden Septen bilden sich bei dieser jederseits zwei neue, so dass der erste Cyklus sechs Septen umfasst. Für die Untersuchung mittels Abschleifens, wie ich sie schon öfter beschrieben habe, wurde aus einem Skelet von Blastotrochus, das eine noch ganz junge Knospe besaß, ein Stück herausgeschnitten, begrenzt durch zwei einander parallele Ebenen, welche den Rand der Knospe nicht ganz berührten. Von diesem Stück, dessen orale ge w an an a 3 er. (hr: Se x [3 ; “is Zar aa Norpholog.Jahrb. Bd. AM A ; ö pe Verlag v Wilh Engelmann inlepzig Ub Amma Aoia Leese, Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. 335 ehlifffläche hier unter Fig. I abgebildet ist, wurden nun vom Keleh- rand der Knospe an bis zur Linie z—y senkrecht zur Hauptachse der Knospe, also unter sich parallel Schliffe angefertigt, dureh deren usterung der Knospungsvorgang sich leicht verstehen lässt. — Es wird genügen hier nur wenige dieser Schliffe abzubilden und zu beschreiben und glaube ich dabei am zweckmäßigsten mit der ‚Schilderung des letzten Schliffes, nach der Linie z—y zu beginnen. Sehliff18 = Abb. Il. Die Septen 2, 3, /, 3, 2 des Mutter- polypen vgl. Fig. I) sind durch die Schnittebene getroffen und an der Knospungsstelle X mit einander verschmolzen. Ihre Primäranlagen sind als dünne unter- brochene Linien deut- lieh erkennbar. Die wegen der starken Verdiekung der Septen nur kleinen Intersep- talräume werden durch einzelne Synapticula unterbrochen. Schliff13=Abb. I. ‚Der Schliff liegt so viel weiter nach der Peri- pherie des Mutter- for. ol" = kelches hin, dass die Fig. I. Querschliff des Mutterkelches von Blastotrochus nutrix. Die Zahlen deuten die Reihenfolge der vier Cyklen an. Fig. II, Interseptalräume 2—3 Schliff nach der Linie x—y, nahezu parallel zu der Hauptachse. jederseits nicht mehr. irren or die übrigen Figuren gelten die gleichen Be- getroffen wurden, da- zeichnungen, nur sind Fig. V—VIII die sechs primären Septen gegen erscheinen die.‘ from, mit den Bastben of ezichet. Verüberung zwischen 3—/—3 jetzt sehr breit. Die Interseptalgebilde haben sich schon so weit geordnet, dass sich der Ort des jungen Kelches deutlich erkennen lässt. Schliff 12 = Fig. IV. Dieser Schliff ist dem vorigen sehr nahe, und in den allgemeinen Verhältnissen wenig von ihm verschieden. Hervorzuheben ist das Auftreten der Septen 4—# in der Schlifffläche (vgl. Fig. I), und die jetzt deutlicher als vorher angedeutete selb- ständige »Mauer«, die sich, wie es scheint, von Interseptalgebilden ableiten lässt. Schliff 7 = Abb. V. Hier sind die Interseptalräume des mütter- lichen Kelches geschlossen, bis auf einige unbedeutende Öffnungen außerhalb der »Knospenmauer«. Die Septen —/—4 sind noch durch 4 u zn fl 336 G. v. Koch, Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. ihre Primäranlagen, feine Linien am Original, angedeutet, aber auf dieser Abbildung verschwunden. Die Knospe besitzt sechs voll- ständige Septen a5 c def, von denen a und d direkte Fortsetzungen des Septum / vom Mutterkelch darstellen (vgl. die vorhergehenden Schliffe). Die Mauer ist oben und unten selbständig, an den Seiten mit der des Mutterpolypen verschmolzen. Schliff 5 = Abb. VI. Dieser Schliff zeigt die Knospe nach ihrem ganzen Umriss frei. Von der Mauer des Mutterpolypen sind nur bei or und ab kleine Flächen übrig geblieben, welche beweisen, dass die Knospe in einer Einsenkung gestanden hat. Zwischen den Septen des ersten Cyklus der Knospe erscheinen schon einige der zweiten angedeutet. Schliff 3= Abb. VII (etwas gedreht, a—d sollte senkrecht stehen). Der Querschnitt der Knospe erscheint nahezu kreisförmig, vom zweiten Cyklus sind fünf Septen deutlich, und zwar je eines zwischen a—d, b—c, e—d, d—e, f—a nur zwischen e und f fehlt noch eines. Dieses ist auch in den folgenden zwei Schliffen nicht vorhanden, während sich an der entgegengesetzten Seite (@ 6c d) bald noch vier Septen dritter Ordnung einstellen. Diese Thatsache hat ihren Grund in der Krümmung der Hauptachse der Knospe. Schliff 1 —= Abb. VIII (in gleicher Lage wie der vorige). Aus dem eben angegebenen Grunde ist dieser Schliff noch mehr asym- metrisch als der vorige. Die von der Schnittebene getroffenen vier Septen dritter Ordnung sind deutlich. Vergleiche mit einigen anderen Knospen beweisen, was SEMPER schon angiebt, dass die ersten drei Cyklen mit gewöhnlicher Regelmäßigkeit angelegt werden. Noch zu bemerken ist, 1) dass, wie Fig. II X zeigt, ein Abschluss der Knospenhöhlung von der der Mutter, oder wie SEMPER es nennt, eine Narbe durch Verschmelzung der Septen 3, /, 3 zu Stande kommt. 2) muss ich noch angeben, dass mir die Struktur des Skelets dem von Flabellum sehr ähnlich vorkommt, mir aber eine Ent- scheidung darüber nicht möglich ist, weil an dem geschliffenen Exemplar die Außenfläche etwas verwittert ist. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. Von R. v. Erlanger. Aus dem zoologischen Institut zu Heidelberg. Mit Tafel XX— XXI. I. Theil. Wie ich schon in einer vorläufigen Mittheilung erwähnte!, hatte ich mir bei dieser Untersuchung vorgenommen, speciell die Entwick- lung des Herzbeutels, des Herzens und der bleibenden Niere zu stu- diren. Da nun das Perikard und der secernirende Theil der Niere aus dem Mesoderm entstehen, wurde ich veranlasst, auch dem Ur- sprung des mittleren Keimblattes nachzuforschen, sowie der Bildung der Urniere, welche sich ebenfalls aus dem Mesoderm entwickelt, einige Aufmerksamkeit zu widmen. Weiter musste ich die Ent- stehung des Ausführganges der Niere, obgleich dieser aus dem Ekto- derm hervorgeht, wegen des Zusammenhanges mit der Niere berück- siehtigen. Ich hoffe in einer späteren Arbeit, die Entwicklung des Nervensystems, von der ich bereits einen kurzen Überblick gegeben habe, so wie die der Sinnesorgane und des Geschlechtsapparates be- handeln zu können. Das Material zu dieser Untersuchung wurde aus verschiedenen Quellen bezogen; den größten Theil davon verdanke ich der Freund- lichkeit des Herrn Lehramtspraktikanten Förster in Mannheim, dem ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte. ! Zur Entwicklung von Paludina vivipara. Vorläufige Mittheilung. Zool. Anzeiger. Nr. 357. 1891, Morpholog. Jahrbuch. 17. 22 338 R. v. Erlanger Die von ihrer Eiweißhülle mit Hilfe von Präparirnadeln be- freiten Embryonen wurden zum Theil lebend in einer zu diesem Zweck bereiteten Eiweißlösung (20 cem Eiweiß, 1g Kochsalz und 200 cem Wasser) untersucht, zum Theil behufs weiterer Präparation mit verschiedenen Konservirungsflüssigkeiten behandelt. Vor der Fixirung ist es jedoch nothwendig den Embryo durch Abspülen mit 0,6 Giger Kochsalzlösung vom anhaftenden Eiweiß zu befreien, da dieses sonst gerinnt. Von Konservirungsflüssigkeiten wurde die FLEMMING- sche Chromosmiumessigsäure, Pikrinschwefelsäure und Pikrinessigsäure verwendet. Am günstigsten erwies sich Pikrinschwefelsäure (nach KLEINENBERG), zu welcher einige Tropfen einer 0,5 Y igen Osmiumsäure zugesetzt wurden. Die verschiedenen Gewebe werden darin ausge- gezeichnet fixirt und die Embryonen erleiden keine nennenswerthe Schrumpfung. So sind auf meinen Präparaten die feinsten Wimpern noch ganz gut auf Schnitten zu erkennen und die verästelten Zellen des Mesoderm wie im lebenden Zustand erhalten. Die Embryonen wurden je nach der Größe 5—20 Minuten in der Fixirungsflüssigkeit gelassen und nachher mit 75%igem Alkohol sorgfältig ausgewaschen. Als Färbemittel wurden vorzugsweise Alaunkarmin und Alaun- kochenille gebraucht, da Hämatoxylin schlecht durchdringt und Borax- karmin, wegen des nachträglichen Ausziehens mit angesäuertem Al- kohol einen nachtheiligen Einfluss auf die sehr empfindlichen Em- bryonen ausübt. Die gefärbten Präparate wurden, nach vorausgegangener Ent- wässerung und Aufhellung, in Dammarlack eingeschlossen. Legt man feine Glasfäden unter das Deckglas, an welchem Wachsfüßchen angebracht wurden, so lassen sich die Embryonen nach Wunsch drehen, so dass man sie in jeder beliebigen Lage untersuchen kann, was für das Verständnis von großer Wichtigkeit ist. Ganz junge Stadien lassen sich nur auf diese Weise in toto genügend untersuchen, da der Dotter sie undurchsichtig macht; ältere Embryonen können auch lebend untersucht werden, jedoch lassen sie sich nicht gut drehen; daher ist es besser sie zu färben und in Dammarlack zu untersuchen. Entfernt man die vordere Hälfte durch einen Schnitt, so lässt sich das beschalte Hinterende nach der eben beschriebenen Methode bequem drehen. Wenn man auch die topographischen Verhältnisse am ganzen Embryo übersehen kann, so ist es zur Erforschung des Zusammen- hangs der Organe und ihrer histologischen Beschaffenheit unerläss- lich Schnittserien anzufertigen. Daher machte ich Schnittserien durch Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 339 alle Stadien und zwar in transversaler, horizontaler und sagittaler Richtung. In Bezug auf die Orientirung bemerke ich, dass ich mir den Embryo stets in der Lage denke, welche die erwachsene Schnecke beim Kriechen einnimmt. Die Seite, auf welcher der Fuß sich be- findet, wird daher als die ventrale bezeichnet. Aus den Serien wurde mehrfach das Hinterende des betreifenden Stadiums rekonstruirt, in- dem die Schnitte zuerst einzeln auf Pauspapier und dann über ein- ander gezeichnet wurden. Dies Verfahren war namentlich zur Er- mittlung des Zusammenhanges der Niere mit dem Herzbeutel einerseits und ihrem Ausführgang andererseits von großem Nutzen. Die Orientirung der ersten Stadien, zum Anfertigen von Schnitten, stößt, wegen der außerordentlichen Kleinheit der Embryonen, auf be- trächtliche Schwierigkeiten. Ich bediente mich folgender Methode, welche eine annähernde Orientirung der Anfangsstadien gestattet. Die Embryonen wurden in kleinen Uhrgläsern, in wenig Pa- raffin eingebettet, so dass man ihre Lage im erstarrten Paraffin unter einem starken Trockensystem feststellen konnte, dann herausgeschnitten und in der gewünschten Lage auf einen größeren Paraffinblock auf- geschmolzen. Bei jungen noch symmetrischen Embryonen fällt die Längsachse annähernd mit der Verbindungslinie der zwei von einander am wei- testen entfernten Punkte zusammen und diese habe ich daher für die Schnittrichtung als maßgebend beibehalten, da sie die einzige ist, welche leicht festgestellt werden kann. Sobald der Embryo die äußere Gestalt des ausgewachsenen Thieres angenommen hat, wird die Orientirung ohne Weiteres verständlich. Die Querschnitte sind senkrecht zu dieser Längsachse geführt und zerlegen den Embryo von vorn nach hinten in Scheiben. Hori- zontale Schnitte sind parallel zu dieser Achse und senkrecht zur Me- dianebene geführt und zerlegen den Embryo vom Rücken nach dem Bauch zu fortschreitend. Sagittale Schnitte sind ebenfalls parallel zur Längsachse geführt, schreiten aber von einer Seite zur anderen. Die morphologische Längsachse fällt mit der von mir angenom- menen nicht zusammen, konnte aber aus praktischen Rücksichten nieht zur Orientirung für die Schnitte verwendet werden. Da ich die Embryonen von mehr als Tausend Paludinen konser- virt und mehrere Hunderte von Präparaten und Schnittserien unter- sucht habe, glaube ich, dass ich kein wichtiges Stadium übersehen habe und dass meine Beobachtungen eben so lückenlos sind, als ob 22* 340 R. v. Erlanger ich die Entwicklung einer eierlegenden Form studirt hätte. Ich er- wähne dies hier, weil Sarasin (18) Paludina als vivipar für ein ungeeignetes Objekt erklärt hat. Zur Zeit, wo ich anfing, die Entwicklung des Mesoderms zu unter- suchen, waren die Furchungsstadien sehr selten. Ich verzichtete daher auf das Studium der Furchung, wozu ich mich um so mehr berechtigt glaubte, als schon von mehreren Forschern keine Spuren von Mesoderm vor dem Gastrulastadium gefunden werden konnten. Geht man von einer ausgebildeten Gastrula aus (Taf. XX Fig. 1), an welcher der Urmund (2) länglich oval ist, so sieht man an der- selben nur Ektoderm und durch Invagination entstandenes Entoderm (Ur), welehe von einander durch eine nicht sehr weite Furchungs- höhle (F) getrennt werden. Zwei Richtungskörper (r) bezeichnen den animalen, dem Urmund (DB) gegenüberliegenden Pol. Die bilate- rale Symmetrie ist schon in verschiedenen Merkmalen ausgeprägt. Der Urmund ist länglichoval und seine Längsachse dorsoventral ge- lagert (was sich aus dem Vergleich mit älteren Stadien ergiebt). Die Gestalt des Urdarmes ist verschieden, je nachdem man das Ei von der Rücken- resp. der Bauchfläche oder von der Seite betrachtet, da derselbe seitlich zusammengedrückt ist. Die Zellen sind auf die- sem Stadium alle unter einander gleich und es ließen sich an keiner der zahlreichen Gastrulae, welche ich untersuchen konnte, Urmeso- dermzellen konstatiren, auch an ganz jungen, an welchen der Ein- stülpungsvorgang noch deutlich zu erkennen ist, war nichts von solchen zu bemerken. Solche Zellen sind auch, wie ich schon er- wähnt habe, von keinem der Beobachter, welche früher die Entwick- lung von Paludina studirten, gesehen worden. Alle Zellen sind cylindrische bis kegelförmige Epithelzellen, mit deutlichem Kern und zeigen in ihrem Protoplasma eingelagerte Dotterkörnchen, welche das Ei im Leben ziemlich undurchsichtig machen. Ein folgendes Stadium (Taf. XX Fig. 2) unterscheidet sich vom vorhergehenden etwas in Größe und Gestalt. Unter den Ektoderm- zellen zeichnen sich auf dem optischen Längsschnitt jederseits zwei (VV) durch besondere Größe und hellere Färbung aus und gehören zur Anlage des Velums. Das Velarfeld umgreift etwa die animale oder vordere Hälfte des Embryo; da deren Zellen sich weniger in- tensiv färben als die übrigen Ektodermzellen, so erscheint die hintere Hälfte des Embryo viel dunkler. Der Urmund (B) ist sehr stark ver- engt und oft nur mit Mühe zu erkennen, und erscheint in der Flä- chenansicht als ein schmaler Spalt, von dem eine Rinne ausgeht und Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 341 sich ziemlich weit dorsalwärts erstreckt. Auf diesem Stadium sieht man, dass der Urdarm sich seitlich und ventralwärts, ausbuchtet. Die seitlichen Ausbuchtungen (c ce) lassen sich schon ganz gut in ven- traler oder dorsaler Ansicht (wie sie die Figur zeigt) beobachten. Betrachtet man das Ei von dem animalen oder vegetativen Pol, so erkennt man, dass die Ausbuchtung eine einheitliche ist und dass sie, wie es aus dem Vergleich mit späteren Stadien hervorgeht, welche die Anlage der Schalendrüse als Verdickung des Ektoderms der Dorsalseite zeigen, nur ventral und lateralwärts hervortritt. Die Zellen der Ausstülpung hängen unter einander lockerer zusammen als die übrigen Entodermzellen, welche alle an Höhe abgenommen haben. Diese Ausstülpung des Urdarmes ist die Anlage des Meso- derms. Auf einem etwas älteren Stadium hat sich die Mesodermanlage schon deutlicher vom Darm abgegliedert (Taf. XX Fig. 3). In seitlicher Ansicht (Fig. 3) sieht man, dass der Urdarm sich in zwei Schläuche gesondert hat, welche beide an ihrem Hinterende zusammenhängen und durch den Blastoporus ausmünden. Der ven- tral gelegene kürzere Schlauch C ist die Anlage des Mesoderms und sein Lumen das Cölom; der dorsale längere Schlauch D die Anlage des Darmes. Der Urmund, welchen man schon als den After bezeichnen darf, da der Darm als soleher bereits deutlich zu erkennen ist, hat sich im Vergleich zum vorhergehenden Stadium, wo er überhaupt am engsten ist, wieder etwas erweitert. Durch Verschiebung des Tubus kann man erkennen, dass die Anlage des Cöloms eine einheitliche und unpaare ist, noch besser tritt dies bei Betrachtung von der Ventralseite hervor (Taf. XX Fig. 4). Hier sieht man das Cölom (C) als einen weiten Sack ventral von dem engeren Darm (D) liegen und erkennt, dass der Mesodermsack nach vorn in zwei kurze Zipfel ausläuft. Die Zellen des Mesoderms hän- gen ziemlich locker zusammen und beginnen schon auf diesem Sta- dium aus einander zu weichen, was die Beobachtung erschwert; sie sind daher auch, der größeren Deutlichkeit wegen, näher an einander und regelmäßiger gezeichnet, als sie in Wirklichkeit erscheinen. Die Auflösung des Mesoderms erfolgt hauptsächlich in der ven- tralen Mittellinie, wie es auf einem Querschnitt durch ein solches Stadium (Taf. XX Fig. 15) ersichtlich wird. Dieser Schnitt geht etwa in der Mitte des Embryo, dicht hinter dem Velum, und schneidet den Mesodermsack (c) da, wo dieser seine größte Ausdehnung hat. Man sieht den Darm (D) deutlich mit dem Cölom kommunieiren. Der 342 R. v. Erlanger Mesodermsack hat etwa die Gestalt eines Halbmondes und sein Lu- men ist bedeutend weiter als das des Darmes. Fig. 14 stellt einen Schnitt durch dasselbe Ei, der dicht vor dem Blastoporus geführt wurde, vor, und erläutert die Bildung von Darm und Cölom. Es ist daraus ersichtlich, dass der Darm dorsalwärts, das Cölom ventral- wärts und seitlich durch Abfaltung entsteht. Auf dem Schnitt Fig. 14 ist der Zusammenhang der Zellen ein viel innigerer als auf dem weiter nach vorn gelegenen Schnitt Fig. 15. Auf demselben Stadium kann man ferner bei seitlicher Ansicht (Fig. 3) erkennen, dass das Ektoderm der Dorsalseite (Sch) dieker geworden ist als das der ventralen Seite; damit ist die Stelle, an welcher später die Schalendrüse sich einstülpt, bezeichnet. Etwa bis zu dieser Stelle erstreckt sich die schon erwähnte Rinne, welche vom Blastoporus ausgeht und wohl der Verwachsungsstrecke des Ur- mundes entsprechen dürfte. Bald schnürt sich der Cölomsack ganz vom Darm ab und liegt bei seitlicher Ansicht ventralwärts von demselben (Taf. XX Fig. 6). Das- selbe zeigt ein Querschnitt durch ein entsprechendes Stadium (Fig. 13). Man sieht hier, dass das Cölom den Darm in Gestalt eines Halbmondes umgiebt, d. h. dass der Darm in die Konkavität des Mesodermsackes eingebettet ist. Der Vergleich mit Fig. 15 ergiebt, dass das Cölom, dorsalwärts wachsend, den Darm mehr und mehr umgreift. Hier fällt schon (Fig. 13) ein scharfer Unterschied zwi- schen der Beschaffenheit der Zellen des Darmes einerseits und der des Mesoderms andererseits auf. Letztere haben bereits Spindelform angenommen, während die Darmzellen in Gestalt von hohen Cylinder- zellen das runde Darmlumen umgeben. Betrachtet man nun ein sol- ches Stadium von der dorsalen Fläche (Fig. 5), so rufen die Theile des Cölomsackes, welche seitlich vom Darm liegen, den Eindruck von paarigen Cölomsäcken hervor (ce e). Beobachtet man nun einen solehen Embryo vom After oder vom entgegengesetzten Pol, so fällt die bilateral-symmetrische Anlage des Mesoderms auf, welche schon die Aufmerksamkeit von früheren Beobachtern auf sich gelenkt hat, es ist jedoch sehr schwer, ohne Schnitte die gegenseitigen Beziehun- gen zwischen Darm und Cölom festzustellen. Ferner erkennt man auch, dass der Darm im Vergleich zum vorhergehenden Stadium einen viel größeren Raum einnimmt, obgleich die Furchungshöhle noch deutlich erhalten ist. Letztere wird nun bald (Fig. 7 und 10) vollständig verdrängt, indem das viscerale und das parietale Blatt des Mesoderms mehr und mehr aus einander 4 Be Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 343 weichen und die Zellen des einen sich an die Wand des Darmes, die des anderen an das Ektoderm dicht anschließen. Fig. 7 stellt einen optischen horizontalen Durchschnitt, Fig. 10 einen wirklichen Horizontalschnitt durch ein solches Stadium dar. Der Embryo hat nun etwa den doppelten Durchmesser des Stadiums, auf welchem die erste Mesodermanlage zu sehen war, erreicht, jedoch zeigt ein Vergleich zwischen Fig. 7 und Fig. 10, welche bei derselben Ver- srößerung gezeichnet sind, einen beträchtlichen Unterschied in der Größe zwischen Embryonen nämlicher Entwicklungsstufe, eine Er- scheinung, welche mir im ganzen Lauf der Entwicklung wiederholt begegnete. Die Beschaffenheit der Zellen der verschiedenen Keimblätter hat sich wenig verändert, aber man sieht schon (Fig. 7) die Wimpern des Velums ganz deutlich, und beim lebenden Embryo kann man auch in der Nähe des Afters eine Bewimperung beobachten. In den Velarzellen treten jetzt große Vacuolen auf, wodurch die hellere Färbung des Velums noch vermehrt wird. Die Lagerung der Mesodermzellen wird bald (Fig. 11) eine ganz unregelmäßige und das mittlere Keimblatt wächst von beiden Seiten mehr und mehr gegen die dorsale Mittellinie zusammen. Ferner fällt ein bedeutender Diekenunterschied zwischen dem ventralen und dem dorsalen Ektoderm auf. Die dorsale Verdickung ist, wie er- wähnt wurde, die Anlage der Schalendrüse. Auch differenzirt sich jetzt die dorsale Darmwand von der ven- tralen in ihrer histologischen Beschaffenheit. Die Zellen der Dorsal- wand behalten die hohe cylindrische Gestalt, diejenigen der ventralen vergrößern sich nach allen drei Richtungen des Raumes und zeigen in ihrem Inneren Vacuolen, Fetttropfen und Ansammlungen von so- genanntem Dentolecith. Sie stellen die Anlage der Leber vor, wäh- rend aus der dorsalen Darmwand Magen und Enddarm entstehen. Auf dem in Fig. 8 abgebildeten Embryo hat sich die Schalen- drüse eingestülpt, sie besteht aus sehr hohen eylindrischen Epithel- zellen, fängt dicht hinter dem Velum an, und erstreckt sich nach hinten bis zum After. Von der Fläche gesehen, erscheint sie als eine nahezu runde Zellplatte. Das Velum selbst steht auf der Längs- achse des Embryo nicht mehr senkrecht, sondern schräg, und zwar rückt das Velarfeld mehr und mehr dorsal, wenn man als Längs- achse die durch die zwei am weitesten von einander entfernten Punkte geführte Linie annimmt. Endlich löst sich das Mesoderm (Fig. 9) ganz in die bekannten 344 R. v. Erlanger Spindelzellen auf, welche die Leibeshöhle vollkommen regellos durch- setzen. Sie hängen unter einander durch feine Fortsätze zusammen, kleiden einerseits die Innenseite des Ektoderms, andererseits die äußere Darmwand aus und lassen unter einander zahlreiche Lücken- räume in der Leibeshöhle frei. Damit wäre die Entwicklung des Mesoderms bis zu dem Punkte geschildert, wo die Anlagen der verschiedenen Organe, die aus ihm hervorgehen, auftreten. In Anbetracht, dass die geschilderte Bil- dungsweise des Mesoderms bei Gasteropoden und den Mollusken über- haupt meines Wissens noch nicht beobachtet worden ist, erscheint es angezeigt, einen kurzen Überblick dessen, was über diesen Punkt bei den Gasteropoden bis jetzt beschrieben wurde, folgen zu lassen. Was Paludina anbelangt, so hat schon BürscaLı (Nr. 10 des Litteraturverzeichnisses) die Vermuthung geäußert, dass die Anlage des Mesoderms eine bilateralsymmetrische sei und fügt hinzu, dass sie auf dem optischen Querschnitt seitlich dick, dorsal und ventral dagegen dünn erscheine. Er beschreibt ferner die Entstehung der Leibeshöhle durch Sonderung des Mesoderms in Darm und Hautfaser- blatt, zwischen welchen sich Spindelzellen ausspannen. Was den Ursprung des Mesoderms überhaupt betrifft, so vermuthet er, wegen der Ähnlichkeit in der Färbung, dass es vom Entoderm stammen muss. Im Laufe meiner Untersuchungen hatte Professor BÜTSCHLI die Freundlichkeit mir einige Skizzen, welche er im Jahre 1888 entwor- fen hatte, anzuvertrauen. Unter diesen befanden sich Abbildungen von Stadien, welche meiner Fig. 6 auf Taf. XX entsprechen und deutlich die bilateralsymmetrische Anlage des Mesoderms zeigen, jedoch konnte er den Zusammenhang zwischen Mesoderm und Ur- darm nicht ermitteln. BLOCHMANN (24) macht in einer Untersuchung, welche den Zweck hatte die Angabe von Ray LAnkESTER! und BürschLı über den di- rekten Übergang des Blastoporus in den After zu prüfen, im Gegen- satz zu RABL (23), welcher einen Verschluss des Urmundes und eine Umbildung des Afters behauptete, ebenfalls einige Angaben über die Anlage des Mesoderms. Er findet dieselbe, wie schon Bürscaui angegeben hatte, zwischen Ektoderm und Entoderm, konnte aber den Ursprung nicht näher be- Stimmen. ' E. Ray LANKESTER, On the coincidence of the Blastopore and Anus in Paludina vivipara. Quart. Journal Mier. Science. No. 64. 1876. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 345 Was nun die anderen bis jetzt untersuchten Gasteropoden anbe- langt, so gehen die Angaben über die Bildungsweise des Meso- derms sehr aus einander. Einige Beobachter lassen das mittlere Keimblatt aus dem Ektoderm, andere aus dem Entoderm ent- stehen. SALENSKY (2) vermuthet, dass bei Calyptraea sinensis, der Ursprung des Mesoderms, welchen er nicht mit Sicherheit verfolgen konnte, ektodermal ist. Bopretrzky (11) sah bei Nassa mutabilis einige große, lang- sam sich theilende Zellen, neben dem Rande der Keimscheibe, von den benachbarten Zellen bedeckt und in die Furchungshöble hinein ge- drängt werden und betrachtet sie als die Anlage des Mesoblasts. Die Zellen selbst leitet er vom Entoderm ab. Bei Fusus lässt er das Mesoderm aus einer Umbiegung des Blastoderms am Urmund her- vorgehen. For (7) äußert bei den Pteropoden die Vermuthung, dass die wenigen Mesodermzellen, welche sich gegen das Ende des embryo- nalen Lebens, theils in der Kopfgegend über dem Munde, theils in der Gegend des Afters zeigen, dem Ektoderm entstammen, glaubt dies aber nicht mit Bestimmtheit behaupten zu können. Die Leibes- höhle gehe direkt aus der Furchungshöhle hervor. Bei den Pul- monaten (13) dagegen hat er zwei Urmesodermzellen, ventral am Ektoderm gelegen, beobachtet, deren Ursprung er nicht ermittelte. Bestimmter lauten die Angaben von P. Sarasın (18), welcher in seiner Entwicklungsgeschichte von Bythynia das Vorkommen eines selbständigen, vom Ektoderm wohl geschiedenen Mesoderm über- haupt in Abrede stellt. Die Mesodermelemente entstehen nach ihm überall durch Auswanderung von Ektodermzellen. In einem gewissen Widerspruch mit dieser Behauptung steht die in derselben Arbeit an einer früheren Stelle befindliche Angabe, dass an der Übergangs- stelle des Ektoderms in das Entoderm einige von der äußeren Lage abgeschnürte Zellen liegen, welche die ersten Mesodermzellen sein mögen. Ich glaube, dass bei Bythynia, wo auch keine Urzellen des Mesoderm gesehen worden sind, der Ursprung des Mesoderms ein ähnlicher wie bei Paludina sein wird. MANFREDI (22) lässt bei Aplysia das Mesoderm durch Dela- mination vom Ektoderm abstammen, ohne dafür andere Beweise gel- tend zu machen, als dass er keine Urzellen des Mesoderms finden konnte. 346 R. v. Erlanger SALENSKY (26) leitet bei Vermetus das Mesoderm vom Ekto- derm her, betont aber, dass es ihm viel Mühe gekostet hat dies festzustellen. Das mittlere Keimblatt soll nach ihm zuerst aus we- nigen zerstreuten Zellen bestehen und durch Delamination aus dem Ektoderm entstehen. Er hebt besonders hervor, dass dieser Vor- gang durch direkte Kerntheilung erfolgt. Er unterscheidet ferner zwei getrennte Anlagen des Mesoderms, von denen die eine paarig und bilateral symmetrisch ist und in der Nähe des Blastoporus ent- steht, die andere, welche er perikardiales Mesoderm nennt, soll aus dem Ektoderm der Schalendrüse hervorgehen. Die Leibeshöhle bildet sich erst sehr spät im Fuß, durch Auseinanderweichen des Meso- derms in ein parietales und ein viscerales Blatt. Urmesodermzellen ließen sich bei Vermetus nicht nachweisen. WOLFSOHN’s Arbeit über Lymnaeus stagnalis (14) ist mir nicht zugänglich gewesen, so dass ich nur über einen yon ihm selbst verfassten Auszug berichten kann. In demselben theilt er mit, dass das Mesoderm im Inneren der Morula aus Blastodermzellen des vier- ten Stadiums (acht Zellen) entsteht, dass aber bald die Unterschiede zwischen den Zellen der drei Keimblätter schwinden. Die Meso- dermzellen werden dann bei der Gastrulation in das Innere der Ga- strula in der Nähe des Mundes hineingedrängt. WOLFsoHN be- merkt, dass er keine Gastrula ohne Mesoderm angetroffen hat, ob- gleich er sehr viele auf Schnitten untersucht hat. Der abgebildete Schnitt durch ein solches Stadium hat eine große Ähnlichkeit mit meiner Fig. 5 auf Taf. XX, und führt mich zu dem Schluss, dass auch bei Lymnaeus der Cölomsack sich vom Urdarm abschnüren dürfte. RaABL, welcher in seiner Ontogenie der Süßwasserpulmo- naten (5) dem Mesoderm einen ektodermalen Ursprung zuschrieb, fand bei Planorbis (12) zwei Urmesodermzellen, welche er aus dem Entoderm ableitet, und behauptet in seiner »Theorie des Meso- derms«, dass das mittlere Keimblatt aller Wahrscheinlichkeit nach stets vom inneren Keimblatt, theils als Ausstülpung des Urdarmes, theils als Urmesodermzellen abzuleiten sei. BLOCHMANN (17) findet bei Neritina eine entodermale Zelle, welche sich in zwei theilt, aus denen je ein Mesodermstreifen ent- steht, und hebt hervor, dass die Mesodermanlage eine bilateral-sym- metrische sei. Dagegen konnte er bei Aplysia (17) den Ursprung des mittleren Keimblattes nicht feststellen. Happon (19) lässt bei Janthina fragilis das Mesoderm Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 347 durch Segmentation von Dotterzellen in der Nähe des Blastoporus entstehen. PATTEN (27) beschreibt bei Patella ein Entomesoderm, da hier das mittlere Keimblatt durch Delamination vom Entoderm entsteht, und zwar so, dass zwei Entodermzellen sich in je zwei Zellen theilen, von denen die eine eine Urmesodermzelle giebt, die andere eine Zelle der Urdarmwand. Von diesen zwei Urmesodermzellen wächst dann je ein Mesodermstreifen aus. MacMourricu (29) giebt einen doppelten Ursprung des Meso- derms für Fulgur an. Der eine Theil entsteht aus einer Ento- dermzelle am vegetativen Pol in der Nähe des Urmundes, dazu kommen noch Zellen, welche sich unregelmäßig von den Makromeren ablösen. Kowa.eEvsky (20) sieht bei Chiton Polii die ersten Spuren des Mesoderms im Umkreis des Blastoporus, in Gestalt von wenigen Zellen, welche symmetrisch und ventral zu beiden Seiten des Ento- derms gelegen sind und von diesem sich abgelöst haben. Ich möchte hier hervorheben, dass die äußere Gestalt und der innere Bau des Chitonembryo auf dem Stadium, wo das Mesoderm sich anlegt, eine große Ähnlichkeit mit dem entsprechenden Stadium bei Paludina zeigt. JOYEUX LAFFUIE (21) ist, wahrscheinlich weil er keine Schnitte gemacht hat, bei Onchidium zu keiner Klarheit über den Ur- sprung des Mesoblast gekommen. F. Ruo (32) hat zwar bei der Chromodoris elegans den Ursprung der je zu vier rechts und links vom Urdarm gelegenen Mesodermzellen nicht ermitteln können, hebt jedoch hervor, dass sie dieselbe Färbung wie die Entodermzellen zeigen. Er bleibt darüber im Zweifel, ob das Mesoderm zwei laterale Streifen oder eine kon- tinuirliche Schicht bildet. Vom Urdarm sagt er, dass er die Form einer Amphora besitze, d. h. auf beiden Seiten je eine Ausstülpung zeige, welche vom Blastoporus ausgehen. Ich vermuthe nun, dass diese Ausstülpungen denjenigen, welche ich bei Paludina geschildert habe, entsprechen dürften. Auch bei For, in der Untersuchung über die Heteropodenentwicklung (8), finde ich auf Taf. I Fig. 12 eine ähnliche Form des Urdarmes abgebildet. Aus dieser Übersicht geht nun zunächst hervor, dass bei den Gasteropoden die Bildung des Mesoderms auf eine sehr mannigfache Art sich vollzieht. Trotzdem möchte ich glauben, dass sich diese 348 R. v. Erlanger Bildungsweise auf ein gemeinsames Schema zurückführen lassen dürfte, etwa in derselben Art, wie es O. HERTwIG für die Wirbel- thiere versucht hat. Obne die Möglichkeit eines ektodermalen Ursprunges von Be- standtheilen des mittleren Keimblattes ganz in Abrede stellen zu wollen, bin ich, trotz vieler Widersprüche, der Ansicht, dass das- selbe bei den Gasteropoden in allen Fällen vom Entoderm abzu- leiten ist. In den meisten Fällen wird der ektodermale Ursprung nur ver- muthungsweise, oder ohne genügende Beweise angegeben. Mit aller Bestimmtheit wird dies nur von SARASIN und SALENSKY behauptet. Die Angaben von Sarasin scheinen mir aber sehr unwahrscheinlich, wie ich es schon oben sagte, eben so auch diejenigen SALENSKY’s, besonders in Bezug auf die Art der Kerntheilung. Wenn nun aus der Bildungsweise des Mesoderms bei Paludina ein Schluss auf die Entstehung des mittleren Keimblattes der Gastero- poden gemacht werden soll, so frägt es sich zunächst, ob das Ei der Urform einen Nahrungsdotter besaß oder nicht. MACMURRICH meint, dass, da die Gasteropoden ursprünglich alle marin gewesen sein müssen, und die marinen Formen meistens mit reichlichem Nahrungsdotter ausgerüstet sind, die Urform ebenfalls einen reichlichen Nahrungsdotter gehabt haben muss. Nun pflegt man aber in der Embryologie zur Erklärung der Verhältnisse bei dotterreichen Eiern in der Regel von denen dotterarmer Keime aus- zugehen, da man annimmt, dass durch den Dotter die Verhältnisse vielfach getrübt und komplieirt werden. Ferner werden die Chi- tonen von vielen Forschern als diejenigen Schnecken angesehen, welche der Urform sehr nahe stehen dürften und von derselben wahrscheinlich nur durch wenige sekundär erworbene Eigenthüm- lichkeiten abweichen. Nun besitzen gerade die Chitonen eine nahe- zu äquale Furchung und sehr geringe Mengen von Nahrungsdotter. Die Bildungsweise des Mesoderms scheint mir hier prineipiell mit der bei Paludina beschriebenen übereinzustimmen. Es wäre dem- nach möglich, dass Paludina, welche jedenfalls von einer marinen Form abstammt, durch Verlust des Nahrungsdotters wieder zu dem ursprünglichen Bildungsmodus des Mesoderms zurückgekehrt ist. Man müsste dann, von dieser Bildungsweise ausgehend, zu Formen mit reichlicherem Nahrungsdotter übergehen und hier die Entstehung des Mesoderms auf eine mehr oder weniger modifieirte Ausstülpung vom Urdarm zurückführen. Ein Beispiel dafür scheint mir nach Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 349 Bopretzky’s Beschreibung Fusus zu bieten. Für meine Annahme spricht ferner der Umstand, dass in der Mehrzahl der Fälle die Anlage des Mesoderms in der Nähe des Blastoporus gefunden wird, also an der Stelle, wo Ektoderm in Entoderm übergeht, eine Er- scheinung, welche bei zahlreichen zu ganz verschiedenen Phylen ge- hörigen Formen wiederkehrt, für die ein entodermaler Ursprung des mittleren Keimblattes vindieirt wird. Ein prineipieller Unterschied ist wohl zwischen der Bildung des Mesoderms durch Ausstülpung vom Urdarm und derjenigen durch Urmesodermzellen nicht vorhanden, wie neuerdings HATscHER in seinem Lehrbuch der Zoologie hervorgehoben hat. Es finden sich ja alle Übergänge von einer, zwei, bis vielen Urmesodermzellen, zu einer Ausstülpung, welche nur aus wenigen Zellen besteht, weiter giebt es auch Formen, wie Amphioxus, wo Ausstülpung und Ur- mesodermzellen neben einander vorkommen. Bei der Entstehung durch Ausstülpung tritt nur die Differenzirung des mittleren Keim- blattes später auf als bei der Entstehung durch Urmesodermzellen. Beide Bildungsweisen kommen, wie es die Litteraturübersicht ge- zeigt hat, bei den Gastropoden vor, es wird aber wohl kaum hier zu entscheiden sein, welcher von beiden Vorgängen der ursprüng- lichere ist. Die Thatsache, dass die Leibeshöhle bei Paludina durch Aus- stülpung des Urdarmes entsteht, bildet übrigens einen Widerspruch zur Herrwig’schen Cölomtheorie (15), wonach die Mollusken zu den sogenannten Schizocöliern gerechnet werden, d. h. bei welchen die Leibeshöhle durch Auseinanderweichen oder Spaltung des Me- soderms resp. Mesenchyms entsteht. Ich brauche nicht hervorzu- heben, dass bei Paludina, in Folge der besprochenen Bildungsweise des Mesoderms, von einem Mesenchym im Gegensatz zum Mesoderm nicht die Rede sein kann, obgleich gerade die Mollusken nach der Hertwie’schen Theorie ein ausgezeichnetes Beispiel für mesenchym- führende Thiere sind und gar kein eigentliches Mesoderm besitzen sollen. Schon die Beobachtungen von Ganin bei Cyclas (3) und in noch höherem Grad die Arbeit BürschLi's über Paludina (10) ließen mich an der Richtigkeit der Herrwie’schen Cölom- und Mesenchym- theorie in ihrer Anwendung auf die Mollusken zweifeln, auch Sa- LENSKY (26) kann sich nicht damit einverstanden erklären, da nach ihm viele Thatsachen und seine eigenen Beobachtungen dagegen sprechen. Zu derselben Ansicht gelangte HALLER durch Untersuchung 300 R. v. Erlanger der Anatomie der Chitonen!. Endlich sind die Resultate, zu welchen ich in dieser Arbeit gelangt bin, gar nicht mit der Herrwie’schen Theorie zu vereinbaren, so dass ich sie mindestens in Bezug auf die Mollusken für verfehlt erklären muss. Ich möchte glauben, dass, wie ich es am Schlusse der Litte- raturübersicht angedeutet habe, die Bildung des Mesoderms durch Ausstülpung nicht ganz isolirt für Paludina dasteht, und dass spätere Untersuchungen dasselbe noch für andere Formen zeigen werden. Kehren wir nun zur weiteren Entwicklung des mittleren Keim- blattes zurück. InFig. 9 auf Taf. XX sahen wir den ganzen Raum zwischen Darm und Ektoderm, d. h. die Leibeshöhle von den Spin- delzellen des Mesoderms durchsetzt. Bald legen sich Mund und Schlund als eine Verdickung und darauffolgende Einstülpung des äußeren Keimblattes auf der Ventralseite, dicht hinter dem Velarfeld, in der ventralen Mittellinie an. Die Einstülpung wird allmählich tiefer und stößt zuletzt auf den nach vorn noch geschlossenen Darm. Auf diesem Stadium findet man am Hinterende, dicht vor dem mehr ventralwärts gerückten After, zwischen Enddarm und Ekto- derm eine größere Anhäufung von Mesodermzellen. Fig. 16 (Taf. XX) stellt einen Querschnitt durch das Hinterende eines derartigen Em- bryo vor. Man sieht ventralwärts von der ventralen Darmwand D, deren Zellen den der Leber eigenthümlichen Bau zeigen, zwei unregel- mäßige Haufen von Spindelzellen, welche unter einander lose ver- bunden sind. In jedem dieser Haufen ist ein Lumen P und P’ zu sehen. Die Untersuchung einer größeren Anzahl von Embryonen dieses Stadiums ergab, dass die Gestalt dieser Mesodermanhäufungen, welche die erste Anlage des Herzbeutels vorstellen, eine sehr unregelmäßige ist. Es lässt sich im Allgemeinen nur so viel sagen, dass die Anlage eine deutliche paarige Entstehung sowohl auf Schnitten als bei Be- trachtung von der Bauchfläche verräth. Die beiden Zellhaufen, von welchen der rechts gelegene P fast immer der ansehnlichere ist, hängen gewöhnlich durch feine Züge von langgestreckten Mesoderm- zellen zusammen. Die beiden Zellhaufen, in denen die Lumina schon sehr früh- ' B. HALLER, Die Organisation der Chitonen der Adria. Arbeiten aus dem zoolog. Institut in Wien. Bd. IV. 1882. V. 1883. 3 2 u A Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 351 zeitig auftreten, rücken im Laufe der Entwicklung immer näher zu- sammen, bis sie mit einander verschmelzen. Fig. 2 auf Taf. XXII ist nach einem horizontalen Schnitt durch das Hinterende eines sol- chen Embryo entworfen und zwar ist der Schnitt gerade durch den weitesten Theil des Perikards geführt worden. Die Wände der zwei Säcke P und P’ sind schon theilweise mit einander verschmolzen. Das Lumen des rechten Abschnittes des Perikards (P) ist etwa doppelt so groß wie das des linken und ist von diesem durch ein mittleres Septum getrennt, welches durch die vereinigten Wände der zwei ur- sprünglich getrennten Säcke gebildet wird. Der Herzbeutel wird mit der Wand des Magens (1/7) einerseits, und dem Ektoderm andererseits, durch zahlreiche verästelte Mesodermzellen verbunden. Der rechte Abschnitt selbst ist hier durch einen mittleren Zellbalken durchsetzt, der aber tiefer liegt, kein eigentliches Septum bildet und welchem keine weitere Bedeutung zukommt. Im Laufe der Entwicklung nimmt das Perikard immer mehr an Größe zu, während seine Wand sich entsprechend verdünnt. Ein derartiges Stadium ist auf Taf. XXI Fig. 1 von der rechten Seite abgebildet. Da sich die Gestalt des Embryo schon bedeutend verändert hat, so muss sein Bau eingehender geschildert werden. Die früher eiförmige Gestalt des Embryo ist durch das Aus- wachsen des Fußes (Fu), welcher die ventrale Seite bezeichnet, mo- dificirt worden. Dem Fuße gegenüber liegt das Velarfeld, welches vom Velum (V/V Y) umsäumt wird. Dieses besteht aus einer dop- pelten Reihe von Zellen, welche zahlreiche ziemlich lange und dicht gestellte Wimpern tragen. Die Färbung der Velarzellen ist im Le- ben eine gelbliche und persistirt auch auf Präparaten, wo sie durch größere Durchsichtigkeit auffallen und sehr wenig von den Tinktions- mitteln aufnehmen. Sie zeigen eine große Neigung zur Vacuolen- bildung. Am Vorderende des Embryo, zwischen Velarfeld und Fuß, befindet sich der Mund, der durch den bereits in den Darm durch- gebrochenen Ösophagus (S) in den spindelförmigen Magen (M) führt. Unter dem Magen liegt die Leber (Z), welche sich vom Darm stark abgeschnürt hat, aber durch eine noch sehr weite Öffnung mit dem Magen zusammenhängt. Dieser führt durch einen ventralwärts im rechten Winkel gebogenen Enddarm (E) zum After (4), welcher nicht mehr terminal sondern in der Mittellinie im hinteren Theil der Bauchfläche liegt. Magen, Leber und Enddarm sind sämmtlich aus der Darmanlage hervorgegangen. Das Velarfeld zeigt rechts und 352 R. v. Erlanger links eine Hervorwölbung (Fü), die Fühleranlagen, an deren Basis die Augengrube (Aw) liegt. Am Fuß ist jederseits die Anlage der Otolithenblase O bemerklich, welche wie das Auge durch Einstül- pung des Ektoderms entsteht. Die Schalendriise (Sci) hat eine Schale (Scha) abgesondert, welche bereits den größeren Theil des Hinterendes bedeckt und von der Mantelfalte Mf umsäumt wird!. Zwischen den beiderseitigen Wülsten der Mantelfalte hat sich am Hinterende gerade vor dem After, auf der Bauchfläche, eine kleine Grube (Mh) die Anlage der Mantel- oder Kiemenhöhle gebildet (IZA). Ich will gleich in Bezug auf die Entwicklung der Mantelhöhle vorausschicken, dass dieselbe, wenigstens bei den Anfangsstadien, nicht als eine wirkliche Grube aufgefasst werden muss, sondern nur einer Stelle der Bauchwand entspricht, welche mehr und mehr von der nach vorn auswachsenden und sich allmählich erhebenden Man- telfalte umwallt wird. Der von der Mantelfalte gebildete Wall ver- leiht nun der Mantelhöhle das Aussehen einer Grube. Da nun der After gerade an dem hinteren Ende des von der Mantelfalte umfassten Feldes sich befindet, so erklärt sich daraus, wie derselbe in die Mantelhöhle zu liegen kommt. Das Perikard (PP’) liegt in der Figur über Magen und Leber und stößt auf das Ektoderm der Mantelhöhlenanlage auf. Durch Heben und Senken des Tubus und besser noch bei Betrachtung des Embryo von der Bauchfläche sieht man, dass das Perikard noch aus zwei Ab- schnitten P und P’ besteht, welche durch ein mittleres Septum ge- trennt werden. Der hier geschilderte Embryo ist äußerlich noch ganz symmetrisch gebaut, innerlich aber schon ganz asymmetrisch, wie die Lagerung der Eingeweide zeigt. Die ersten Spuren der Asymmetrie treten jedoch schon früher auf, da sie sich im Inneren des Embryo, durch die Ungleich- heit der beiden Abschnitte des Perikards äußern; auch bedingt die Leber, sobald sie sich vom Darm abzuschnüren beginnt, einen gewissen Grad innerer Asymmetrie. Weiter bemerkt man, dass im Vergleich zu früheren Stadien die dorsale Seite des Hinterendes stärker ge- wachsen ist als der Rest des Embryo, was die Verlagerung des Afters nach der ventralen Seite zur Folge gehabt hat. Ich lege ! Ich möchte bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass am lebenden Embryo öfter Spermatozoen an dem von BürscuLı beschriebenen Schalenknopf fest- haften und demselben ein behaartes Aussehen verleihen. Im Darm findet man auch zahlreiche, vom Embryo mit dem umgebenden Eiweiß verschluckte Sa- menfäden. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 353 nämlich die morphologische Längsachse des Embryo, den Ansichten Bürscaur’s (25) gemäß, durch Mund und After, da Messungen und der Vergleich sehr zahlreicher Entwicklungsstadien die Schlüsse, zu welchen BürscaLı gekommen ist, bestätigt haben. Auf Taf. XXII Fig. 5 ist ein Querschnitt durch den Herzbeutel eines Stadiums, welches nur wenig jünger als das eben besprochene war, geführt worden ist, abgebildet. Der Größenunterschied zwi- schen den zwei Abschnitten tritt schärfer hervor, das Septum, sowie der größte Theil der Herzbeutelwand ist bedeutend dünner geworden als es in Fig. 4 derselben Tafel zu sehen ist. Dagegen zeigt jetzt die linke Wand des linken Sacks eine Verdickung (N), auf deren Bedeutung später eingegangen werden soll. Weiter bemerkt man, dass das Ektoderm der Bauchwand aus hohen cylindrischen Epi- thelzellen besteht, sich also verdickt hat, es ist nämlich die Stelle, an welcher sich die Mantelhöhle bilden wird, hier getroffen worden. In Fig. S und 14 von Taf. XXI ist das Hinterende eines etwas älteren Embryo als der in Fig. 1 dargestellte einmal aus Quer- schnitten, das andere Mal aus horizontalen Schnitten, mit einer ventralen Ansicht des ganzen Embryo kombinirt, rekonstruirt worden, hauptsächlich um die Entstehung der Mantelhöhle zu erläutern. Fig. 8 (Taf. XXI) ist aus einer Querschnittserie rekonstruirt worden und entspricht der Ansicht, welche man bekommen würde, wenn man das betreffende Stadium mittels eines durch die vorderste Stelle der Kiemenhöhlenanlage geführten Querschnittes in zwei Theile zerlegen und auf die Schnittfläche des hinteren Theiles sehen würde. Die Schnittfläche hat annähernd die Gestalt eines Dreiecks, dessen Spitze dem Rücken entspricht. Auf der Ventralseite sieht man die Einsenkung (MA), welche der Mantelhöhlenanlage entspricht. Diese ist noch ziemlich flach, und zwar bleibt sie in ihrer mittleren Re- gion seiehter und dringt rechts und links mit zwei Zipfeln tiefer ein. Dorsal von der Mantelhöhle, und an das Ektoderm ihrer Wand anstoßend, liegt der Herzbeutel (P), dessen Septum sich schon ganz zurückgebildet hat. Der Vorgang ist hierbei folgender: das Septum, welches, wie schon erwähnt wurde, stark an Dieke abnimmt, reißt ein und wird allmählich resorbirt. Taf. XX Fig. 12 ist ein Querschnitt durch den Herzbeutel eines etwas jüngeren Stadiums wie Fig. S auf Taf. XXI. Das Septum hat sich eben zurückgebildet, aber die Stelle, welche es früher ein- Morpholog. Jahrbuch. 17. 23 354 R. v. Erlanger nahm, ist an der Einschnürung des Herzbeutels noch ganz deutlich zu erkennen. Weiter bemerkt man auf Fig. 12 (Taf. XX), dass die eben besprochene Verdickung der Wand des linken Abschnittes N’ zu einer Ausstülpung geworden ist, welche der Schnitt jedoch etwas flach getroffen hat, so dass der Hohlraum der Ausstülpung als ein Lumen erscheint. Diese Ausstülpung bildet sich jedoch bald zurück und ist in Fig. 8 (Taf. XXI) nur noch als eine Verdickung, welche sich noch eine Zeit lang erhält, zu erkennen. Es hat sich aber mittlerweile eine ganz ähnliche Verdiekung durch Ausstülpung im rechten Abschnitt des Perikards gebildet (N), welche die An- lage der bleibenden Niere darstellt. Die beiden Zipfel der Mantelhöhle stoßen gerade auf jene beiden Ausstülpungen des Herz- beutels. Da nun der rechte Zipfel zum Ausführgang der rechten Ausstülpung, d. h. der bleibenden Niere wird, so glaube ich die linke Ausstülpung als rudimentäre linke Niere betrachten zu dürfen, und den linken Zipfel der Mantelhöhle als deren rudimentären Aus- führgang. Dieser linke Zipfel der Mantelhöhle entwickelt sich übri- gens auch nicht weiter. Die eben besprochene Fig. 8 erläutert auch die Lagerungsver- hältnisse des Perikards. Man sieht, dass es über dem Enddarm # und unter dem Magen und der Leber (M und Z) liegt. Seine Längs- achse ist ziemlich parallel der Bauchfläche gelegen, doch greift der Herzbeutel auf der rechten Seite viel weiter dorsalwärts herüber als auf der linken Seite. Die Fig. 14 (Taf. XXI), welche das Hinterende eines entspre- chenden Stadiums, von der Bauchseite betrachtet, darstellt, und aus der ventralen Ansicht eines ganzen Embryo und aus einer horizon- talen Schnittserie rekonstruirt ist, soll zeigen, dass die Mantelhöhle (Mh) als eine nach hinten und dorsalwärts gerichtete Tasche sich an- legt. Weiter erkennt man die beiden Zipfel der Mantelhöhle, und die Beziehungen des rechten Na zu der Nierenanlage N treten auf dieser Ansicht klar hervor. Der After (A) liegt immer noch in der Mittellinie der Bauchfläche in der Mantelhöhle, jedoch ergiebt ein Vergleich mit Fig. 8, dass der Enddarm schon etwas schräg zur Längsachse geneigt ist. Man sieht aus dieser ventralen Ansicht, dass die beginnende äußere Asymmetrie sich schon geltend macht, da die Mantelhöhle rechts viel tiefer eindringt als links, was sich ebenfalls in den zwei Zipfeln Na und Na’ äußert, von denen der rechte bedeutend weiter und tiefer ist als der linke, auch reicht die Mantelfalte links weiter nach vorn als rechts. Der rechte Zipfel P 2 Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 355 oder der Nierenausführgang setzt sich bereits deutlich vom Rest der Mantelhöhle ab. Bei einem etwas älteren Stadium (Taf. XXI Fig. 2) ist die äußere Asymmetrie noch mehr ausgeprägt, was am besten bei Be- trachtung von der dorsalen oder ventralen Fläche hervortritt, jedoch in der seitlichen Ansicht nicht gut zu sehen ist. Der Vergleich mit Fig. 1 zeigt, dass der Fuß schon durch eine Abschnürung sich absetzt und dass das Velarfeld im Verhältnis zur Längenzunahme des Embryo nicht zugenommen hat. Obgleich die Schale nicht son- derlich an Ausdehnung gewonnen hat, ist die Mantelhöhle (Mh) be- deutend umfangreicher und tiefer geworden, man bemerkt an ihrer Wand in Na den optischen Querschnitt durch den Nierenausführgang, der ja nur ein Theil der Mantelhöhle ist. Der einheitliche Herz- beutel füllt einen sehr großen Theil des beschalten Hinteren- des aus. Betrachten wir nun eine Rekonstruktion aus Querschnitten des Hinterendes eines entsprechenden Stadiums (in derselben Art wie Fig. S hergestellt und gedacht), so erkennt man, dass das Hinter- ende, welches gerade so orientirt ist wie Fig. 8, eine Drehung im Sinne des Uhrzeigers gemacht haben muss. Es wurden sämmtliche Querschnitte in Bezug auf eine Linie, welche durch den Mittelpunkt des Velums und die äußerste Spitze des Fußes gezogen wurde, orientirt. Diese Drehung erklärt sich aus der beginnenden Asym- metrie des Embryo. Leber und Magen liegen jetzt auf der linken Seite, der Enddarm ist noch schräger zur Mittellinie gestellt, wäh- rend der After noch ziemlich median liegt. Der Herzbeutel liegt jetzt mit dorsoventral gerichteter Längsachse, und zwar so, dass die Verdickung N’ ganz ventral sich befindet, während die Niere dor- salwärts gerückt ist. Der linke Abschnitt des Perikards ist in seinem Wachsthum stehen geblieben, während der rechte bedeutend an Größe zugenommen hat. Dieser Zuwachs ist aus der Figur nicht ersichtlich, da sich der Herzbeutel auf diesem Stadium besonders nach hinten erstreckt, wie es aus Fig. 2 (Taf. XXI) hervorgeht. Auch die Mantelhöhle ist hauptsächlich auf der rechten Seite tiefer geworden, und der Durchbruch ihres rechten Zipfels in die Niere ist schon erfolgt, was in der Figur daraus zu erkennen ist, dass das Lumen der Niere in die Mantelhöhle mündet. Diese erscheint ventralwärts nahezu abgeschlossen, was sich daraus erklärt, dass die Mantelfalte unterdessen stärker nach vorn ausgewachsen und viel höher geworden ist, so dass die auf dem Querschnitt hervor- 23* 356 R. v. Erlanger tretenden Wiilste nach hinten zu einander sehr genähert sind, da der Schnitt in der Höhe des Afters geführt wurde. Fig. 1 auf Taf. XXIII zeigt einen einzelnen Schnitt aus der eben besprochenen Serie, welcher die histologischen Verhältnisse veranschaulichen soll. Er trifft den Herzbeutel in seiner ganzen Ausdehnung. Die dorsale Wand des Herzbeutels besteht aus einer einfachen Schicht von sehr abgeplatteten Zellen, während die ven- trale dieker ist. Die rudimentäre Niere (N’) ist als eine Verdickung der Perikardialwand zu sehen, die Niere (N) als eine Ausstülpung derselben, und besteht aus hohen Cylinderzellen. Links vom Herz- beutel liegen Magen (M) und Leber (Z), welche durch eine sehr weite Öffnung zusammenhängen. Der Magen besitzt ein hohes Cy- linderepithel, während die Leber aus sehr großen Zellen besteht, welche die für sie charakteristischen Einschlüsse, Fetttropfen, Deuto- lecith ete. enthalten, was hier nicht näher ausgeführt ist. Der Raum zwischen den eben besprochenen Organen und dem Ektoderm wird von Mesodermzellen ausgefüllt. Der dorsale Umriss des Schnittes wird von der Schale (Scha) gebildet, welche aus einem sehr feinen Häutchen besteht, unter dem eine außerordentlich dünne Ektoderm- lage sich befindet. Die Schale erstreckt sich ventral bis zu der Mantelfalte (Mf), in welcher sie eingefalzt ist. Ich will daher diese Stelle des Mantelwulstes Schalenfalz (S7f) nennen. Hier verdiekt sich das Ektoderm ganz plötzlich und geht allmählich in den Boden der Mantelhöhle über, welcher ebenfalls aus einem hohen Cylinder- epithel besteht. Der Schalenfalz bezeichnet jedenfalls diejenige Zone der Mantelfalte, welche die Schale absondert und somit die Thätig- keit der Schalendrüse übernommen hat. Man sieht rechts und links die beiden Zipfel der Mantelhöhle Na und Na’, von denen die rechte viel tiefer und bis zur Niere (N) eindringt. Die Durchbruchsstelle ist auf diesem Schnitt nicht getroffen. In Fig. 3 Taf. XXI ist ein etwas älteres Stadium von der lin- ken Seite abgebildet. Die Gestalt ist im Ganzen eine schlankere geworden, das Velarfeld erscheint bereits viel kleiner, der Fuß ist stark ausgewachsen und hat sich noch deutlicher zu einer Kriech- sohle abgeplattet. Der Ösophagus ist sehr lang und dünn geworden und der auf den Magen folgende Abschnitt des Darmes ist stark nach vorn gekrümmt, so dass der After in der Mantelhöhle gleich hinter der Mitte der Körperlänge zu liegen kommt. Die Schale ist bedeutend größer geworden und bedeckt das ganze Hinterende, wel- ches sich deutlich von der vorderen Körperhälfte absetzt. Der Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 357 Mantelrand, welcher noch in Fig. 2 etwa einen Winkel von 45° mit der Längsachse des Embryo bildete, steht jetzt nahezu senkrecht zu derselben, da die Mantelfalte bedeutend weiter nach vorn ausge- wachsen ist. Die Mantelhöhle erscheint demgemäß stark erweitert und vertieft und liegt zum größten Theil auf der reehten Körper- hälfte. Der Herzbeutel füllt ungefähr die Hälfte des beschalten Hinterendes aus und zeigt an seiner hinteren Wand eine Einstül- pung (FH), welche die erste Anlage des Herzens ist. Fig. 11 ist das aus Querschnitten rekonstruirte Hinterende eines entsprechenden Embryo, in derselben Weise dargestellt wie Fig. 8 und 9, wobei die Durchschnittsfläche etwa hinter dem Mantelrand geführt ist. Man sieht sofort, dass die Verlagerung der inneren Or- gane in Folge der sich weiter entwickelnden Asymmetrie große Fortschritte gemacht hat. Leber und Magen sind scheinbar ganz auf die linke Seite gerückt, was sich aus der Drehung des hinteren Körperendes erklärt, und liegen ziemlich ventral, sie fangen bereits an die Wand des Embryo bruchsackartig nach außen zu drängen und bilden somit die Anlage des Eingeweidesackes, was man bei Betrachtung des ganzen Embryo von der dorsalen Fläche am besten konstatiren kann. Der Enddarm erstreckt sich nahezu horizontal und mündet vorn und rechts durch den After aus, welcher innerhalb der Mantelhöhle liegt und gerade von dem Schnitt gestreift wurde. Der sehr ansehnliche Herzbeutel hängt noch mit der Niere durch eine schon etwas enger gewordene Kommunikation zusammen. Die Niere liegt auf der rechten Seite, und zwar dorsal und ganz hinten, an dem entgegengesetzten Ende des Perikards, d. h. ventral, sind die letzten Reste der rudimentären linken Niere in Gestalt einer unbe- deutenden Verdiekung (N’) erhalten. An der nach hinten gerichte- ten Wand des Perikards und dorsalwiirts übergreifend ist die Herz- einstülpung (7) zu sehen, welche faltenförmig in den Herzbeutel hineinragt. Die Mantelhöhle, welehe sehr tief ist, liegt zum größten Theil auf der rechten Seite des Sehnittes, zieht aber dorsalwärts in einem Bogen herum. Ihre größte Tiefe erreicht sie auf der rechten Seite, indem sie sich in den Nierenausführgang fortsetzt, welcher ja ein specialisirter Theil der Mantelhöhle ist. Zwei auf einander folgende Schnitte aus dieser Serie (Taf. XXIII Fig. 2 und 3) sollen die erste Anlage des Herzens veranschaulichen. Der in Fig. 3 abgebildete, weleher dorsalwärts gelegen ist, ist ganz wiedergegeben. Vergleicht man ihn mit Fig. 1 derselben Tafel, so sieht man gleich, dass die Wand des Herzbeutels noch dünner 358 R. v. Erlanger geworden ist, sie besteht jetzt fast in ihrer ganzen Ausdehnung aus einer einzigen Schicht sehr abgeplatteter Zellen. Man erkennt die Niere (N) als eine Ausstülpung derselben, an welche das äußerste Ende des Nierenausführganges stößt. Weiter ist hier noch ein kleiner Rest des Septums (Sept) erhalten geblieben, welcher zeigt, wie sehr der linke Abschnitt des Herzbeutels im Vergleich zum rechten redu- eirt ist. Dorsal und links von der Niere ist die Wand des Herz- beutels verdiekt und bildet einen kleinen Wulst, welcher das Oral- ende der Herzeinstülpung ist. Von dem folgenden Schnitt ist nur ein kleiner Theil dargestellt, und zwar die Gegend der Niere und der Herzanlage. Die Wand der Niere ist ganz flach getroffen, so dass kein Lumen mehr vorhanden ist, die Herzanlage ebenfalls, aber man kann doch erkennen, dass dieselbe keine einfache Verdickung der Herzbeutelwand, sondern eine Einstülpung derselben ist. Deut- licher lässt sich die Bildungsweise des Herzens an einem etwas älte- ren Stadium erkennen, dessen beschaltes Hinterende, von der rechten Seite gesehen, in Fig. 7 auf Taf. XXI dargestellt ist. An diesem Präparat kann man die Mantelhöhle in ihrer ganzen Ausdehnung übersehen, da sie ja zum größten Theil auf der rechten Seite liegt. Der dorsale Theil, welcher sich nach links erstreckt, führt durch den Nierenausführgang in die Niere (N), welche hier an dem ganzen Präparat deutlich gesehen werden kann. Die dorsale Wand der Mantelhöhle zeigt einige kleine ektodermale Höcker (7%), welche die Anlage der Kiemenblättehen sind. Dicht hinter der Niere und unter, d. h. rechts von dem Enddarm E liegt der Herzbeutel, welcher ver- hältnismäßig viel kleiner ist, da jetzt der Eingeweidesack immer mehr an Volum zunimmt. An der dorsalen Wand des Perikards liegt das Herz (7), welches die Gestalt einer Rinne hat, die die ganze Länge des Herzbeutels einnimmt und in der Mitte etwas ein- geschnürt ist. Untersucht man nun ein gefärbtes und aufgehelltes Präparat dieses Stadiums nach der in der Einleitung beschriebenen Methode, d. h. indem man dasselbe wendet und von verschiedenen Seiten betrachtet, so kann man über die Art der Herzbildung ins Klare kommen. Die Herzanlage des eben kurz besprochenen Stadiums ist in Fig. 5 (Taf. XXI) bei stärkerer Vergrößerung und von der linken Seite abgebildet, da von jetzt ab Perikard und Herz mehr und mehr auf die linke Körperhälfte hinüberrücken und dem entsprechend in seitlicher Ansicht am besten von links beim ganzen Embryo beob- achtet werden können. Man erkennt, dass die ganze dorsale Wand Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 359 des Herzbeutels zu einer langen Rinne eingestülpt ist, welche sich schon sehr frühzeitig in der Mitte etwas einschnürt. Betrachtet man die Herzanlage von oben, d. h. indem man auf die dorsale Wand des beschalten Hinterendes sieht (Taf. XXI Fig. 6), so bemerkt man, dass dieselbe nicht ganz gerade sich erstreckt, sondern etwas ge- krümmt ist. Stellt man sich einen optischen Querschnitt durch die Herzanlage her, indem man auf die Hinterfläche der Schale blickt, so kann man sich auf das deutlichste davon überzeugen, dass man es hier mit einer rinnenförmigen Einstülpung der dorsalen Herz- beutelwand zu thun hat. Dasselbe zeigen auch Schnitte, welche die Herzanlage quer getroffen haben. Diese sind aber schwer her- zustellen, da die Längsachse der Herzanlage nicht mit derjenigen des Embryo zusammenfällt. Man ist daher einigermaßen auf den Zufall angewiesen. Ich habe jedoch eine so große Anzahl von Schnittserien durch das betreffende Stadium geführt, dass ich unter diesen zahlreiche Belege für die oben entwickelte Ansicht gefunden habe, zu welcher ich auch zuerst durch die auf Schnitten zu. kon- statirenden Befunde gelangt bin. Es ist viel leichter durch Beob- achtung der Herzanlage in toto und zwar von verschiedenen Seiten zu einer Vorstellung von der allgemeinen Gestaltung derselben zu kommen, wesshalb ich auch derartige Ansichten abgebildet habe. Fig. 10 (Taf. XXI), welche aus einer Serie von horizontalen Schnitten, nach der Art der Fig. 8 und 11 dargestellt ist, soll einen Überblick über die gegenseitigen Lagerungsverhältnisse von Herz- beutel, Herz und Niere geben. Der größeren Deutlichkeit halber sind die obersten Schnitte bei der Rekonstruktion weggelassen wor- den, man sieht an die dorsale Fläche des Hinterendes. Der Herz- beutel liegt zwischen Magen und Kiemenhöhle über der Leber und dem Darm, welcher ihn in einem Bogen umzieht, um vorn und rechts an der Decke der Mantelhöhle in derselben auszumünden. Links, dicht neben der Niere, welche ganz hinten durch ihren Aus- führgang (Na) mit der Mantelhöhle im Zusammenhang steht, liegt das Herz (MH). Die weitere Ausbildung des Herzens vollzieht sich nun in der Weise, dass die Rinne sich allmählich zu einer Röhre abschließt und gleichzeitig sich mehr und mehr von der Herzbeutelwand abschnürt, bis sie mit derselben nur noch vorn und hinten in Zusammenhang bleibt. Dem entsprechend steht auch vorn und hinten die Herzan- lage mit der sekundären Leibeshöhle in Kommunikation. Während diese Vorgänge sich abspielen, vollzieht sich auch die 360 R. v. Erlanger Scheidung des Herzens in einen Vorhof und eine Kammer, was schon durch die mittlere Einschnürung der Herzanlage angebahnt war. Dieses Stadium ist in Fig. 1 (Taf. XXI) abgebildet. Der Embryo hat bereits die Gestalt der erwachsenen Schnecke und ist desshalb in der Lage gezeichnet, welche das ausgebildete Thier beim Krie- chen einnimmt. Der Fuß ist ganz deutlich zu einer Kriechsohle abgeplattet und zeigt hinten an seiner dorsalen Fläche die Anlage des Deckels, welcher, beiläufig gesagt, ganz auf dieselbe Weise als die Schale durch eine der Schalendrüse entsprechende Einstülpung des Ektoderms abgesondert wird. Der Ösophagus (5) ist sehr lang und schmal geworden. Gleich hinter der Mundöffnung, welche einen chitinösen Rand hat, liegt die Radulatasche (R), die, wie der Ver- gleich mit jüngeren Stadien ergiebt, sich als eine Ausstülpung der Schlundwand anlegt. Das Velum (V7) ist noch deutlich zu sehen, sein Feld ist aber sehr klein geworden, da es nur noch die dorsale Fläche der Kopfregion einnimmt und dicht hinter den Fühlern um- biegt. Da der Embryo von der linken Seite gezeichnet ist, kann man nur einen kleinen Theil der Kiemenhöhle übersehen, in welcher sich bereits eine größere Anzahl von Kiemenhöckern (Az) zeigen. Der Herzbeutel, welcher an die hintere Grenze der Kiemenhöhle an- stößt, trägt an seiner dorsalen Wand das Herz, dessen vordere Hälfte dem Vorhof und dessen hintere Hälfte der Kammer entspricht. Das Herz dieses Stadiums zeigt Fig. 15 (Taf. XXI) bei stärkerer Vergrößerung und von hinten gesehen. Die Rinne hat sich zu einer Röhre abgeschniirt, da man jetzt die obere Wand des Herzbeutels von derjenigen des Herzens vollkommen isolirt sieht, so dass das- selbe nur noch an beiden Enden mit der Perikardwand in Zusam- menhang bleibt. Die Öffnung des dünnwandigeren Vorhofs entspricht dem Anfang der Kiemenvene, diejenige der Kammer dem Anfang der Aorta. Das Herz tritt nun in Zusammenhang mit den Gefäßen, welche als Sinuse im Mesoderm entstehen, zuerst sehr weit sind, später immer enger werden. Fig. 12 Taf. XXI ist das rekonstruirte Hinterende eines etwas älteren Stadiums, welches die Entwicklung des Eingeweidesackes veranschaulicht. Magen und Leber bilden einen großen Sack, wel- cher links und ventral liegt. Der Herzbeutel nimmt einen viel kleineren Raum ein als in Fig. 11. Die Niere liegt jetzt ziemlich in der Mittelebene, während das Herz nach links herüber gerückt ist. Man bemerkt ferner, dass der Nierenausführgang (Na) sich immer schärfer von der eigentlichen Mantelhöhle absetzt. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 361 Dies tritt auf einem folgenden Stadium, welches von der linken Seite gesehen ist (Taf. XXII Fig. 2) noch deutlicher hervor. Der Nierenausführgang, über welchen der Enddarm wegzieht, wächst allmählich in die Länge aus und wird durch einen Wulst (wz) von dem oberen Theil der Kiemenhöhle getrennt; er mündet rechts und ganz unten durch eine sich mehr und mehr verengernde Öffnung in die Mantelhéhle. In letzterer selbst hat sich links neben dem Kie- menwulst eine Hervorwölbung des Ektoderms (Sp) gebildet, welche die Anlage der sogenannten falschen Kieme oder des SpENGEL'schen Geruchsorgans vorstellt. Das Herz wird in der Ansicht von rechts von den darüberge- lagerten Organen verdeckt, wesshalb die Topographie des betreffen- den Stadiums in Fig. 13 (Taf. XXI) im Querschnitt abgebildet wurde. Die Drehung des Hinterendes und das Auswachsen des Eingeweidesackes sind noch weiter vorgeschritten. Letzterer liegt jetzt ganz ventral, während der Herzbeutel, der früher am besten von der rechten Seite zu sehen war, wie schon erwähnt wurde, jetzt auf die linke Seite gerückt ist. Das Herz hat natürlich dieselbe Wanderung mitgemacht und ist ebenfalls ganz nach links gerückt. Die Kiemenhöhle hat bei der Drehung des Hinterendes gleichfalls ihre Gestalt verändert, sie wächst allmählich tiefer und tiefer auf der linken Seite, ungefähr bis zum Niveau des Vorhofs herab. Nun beginnt auch die Niere sich bedeutend zu vergrößern, wo- bei ihr Zusammenhang mit dem Herzbeutel undeutlicher wird; gleich- zeitig nähern sich die Mündung des Perikards in die Niere und die Ausmündung der Niere in den Ureter, so dass erstere auf Quer- schnitten schwerer wahrzunehmen ist. Eine Rekonstruktion der Niere dieses Stadiums aus einer sagittalen Schnittserie ist in Fig. 3 auf Taf. XXII gegeben. Die Zellen der Nierenwand nehmen in demselben Maß, wie die Niere sich vergrößert, an Höhe ab und bilden jetzt ein nahezu kubisches Epithel. Sie sind sehr regelmäßig angeordnet, zeigen einen deutlichen Kern und ein feinwabiges Proto- plasma, in welchem keine Exkretkörnchen zu bemerken sind. An der Mündung in den Herzbeutel werden die Nierenzellen niedriger und gehen einfach in die flachen Zellen der Perikardwand über. Das älteste in dieser Arbeit berücksichtigte Stadium wurde auf Taf. XXII Fig. 5 abgebildet; es entspricht demjenigen, welches Leypıe (1) als reifen Embryo beschreibt und zeichnet sich dadurch aus, dass der rechte Mantelrand vier stumpfe Fortsätze entwickelt hat und die Schale lange, steife Haare, oder besser gesagt, Borsten 362 R. v. Erlanger trägt. Dieses Stadium hat im Wesentlichen denselben Bau wie das ausgewachsene Thier, abgesehen von dem der Geschlechtsorgane, welehe sich gerade anlegen und der Anzahl der Windungen des Eingeweidesackes, dessen Einrollung ganz unabhängig von der Tor- sion des Hinterendes erfolgt; bekanntlich wird aber der Embryo erst, nachdem er die drei- bis vierfache Größe dieses Stadiums erreicht hat, geboren. Die Figur 5 ist halbschematisch, nach einem gefärbten und aufgehellten Präparat eines ganzen Embryo und je einer queren und sagittalen Schnittserie entworfen. Das Velum ist bereits bis auf Spuren, welche auf Schnitten zu sehen sind, zurückgebildet. Die Leber, welche beim erwachsenen Thier dreilappig ist, hat bereits die charakteristischen Drüsenschläuche gebildet, ist aber nicht einge- tragen worden, um die Abbildung nicht zu kompliciren. Sie ist jetzt mit dem Eingeweidesack ganz auf die rechte Seite des Thieres ge- rückt. Der Darm (E) bildet gleich hinter dem Magen eine Schlinge, steigt, dem hinteren Umriss der Schale folgend, im Bogen empor und mündet rechtsseitig und an der rechten Wand der Mantelhöhle tief in derselben. Diese Verlagerung des Afters, welcher bis zum vorhergehenden Stadium (Taf. XXII Fig. 2) am vorderen Rande der Mantelhöhle gelegen war, zeigt, dass die Mantelhöhle sich jetzt wirklich etwas vertieft hat, während sie vorher nur durch Auswach- sen der Mantelfalte nach vorn sich entwickelte. Die Mantelhöhle (Taf. XXII Fig. 5) zieht von rechts unten nach links oben herüber und steigt im Bogen auf der linken Seite herab, um linksseitig an den Herzbeutel anzustoßen, wo sie in der Nähe des Vorhofs, welcher durch die Kiemenvene an das innere Ende der Kieme befestigt ist, endet. Denselben Verlauf nimmt die Kieme an der Decke der Kiemenhöhle, und hat bereits eine große Anzahl von Kiemenblättehen entwickelt. Das SPENGEL’sche Organ oder die sogenannte Nebenkieme erscheint als breiter Wulst (Sp) an der Deeke der Mantelhöhle links und ventral von der Kieme und erstreckt sich, wie man an Schnittserien sieht, nach hinten allmäh- lich flacher werdend, fast eben so weit wie die Kieme, deren hin- teres Ende zugespitzt bis an den Vorhof reicht, in welchen ja die Kiemenvene einmündet. Von der hinteren Wand der Kiemenhöhle entspringt ein durch Ausstülpung aus ihr entstandener, also ekto- dermaler Gang, welcher die Anlage des Geschlechtsleiters ist und an welchen sich ein drüsiger, ventralwärts gerichteter Anhang (gd) Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 363 anschließt, welcher hart an der Leber endigt. Dieser Anhang ent- steht, unabhängig von dem Gang, aus dem Mesoderm der Herz- beutelwand und ist die Anlage der Keimdriise. Die Niere liegt an der hinteren Schalenwand, dorsal über der Leber und mündet durch den langen Ureter (Na), welcher parallel dieht unter dem Enddarm und etwas links davon verläuft, gerade hinter dem After in die Mantelhéhle. Die Ausmündung des Ureters hat sich jetzt sehr verengert. Den histologischen Bau der Niere dieses Stadiums veranschau- licht Fig. 4 (Taf. XXIII). Diese Abbildung ist nach einer sagittalen Schnittserie konstruirt, entspricht dem optischen Längsschnitt und zeigt die sehr enge Einmündung in den Herzbeutel, welcher auf einer Art von Papille liegt. Die Nierenwand hat nun in Folge stärkeren Wachsthums ihrer inneren Oberfläche Falten gebildet, welche von einem kubischen Epithel bekleidet sind und in die Höhle hinein- ragen. In die Falten selbst dringen von außen Bindegewebszellen ein. Die Räume zwischen den Falten erscheinen entsprechend als Ausbuchtungen des Hohlraumes der Niere und zeigen einen rund- lichen Querschnitt, sie verleihen der Niere dieses Stadiums das Aus- sehen einer tubulösen Drüse. Einen ganz ähnlichen Bau zeigt die Niere von Haliotis, welche die einfachste Form der Prosobranchierniere darstellt und von HALLER (30) als eine acinöse Drüse beschrieben wurde. PERRIER (37) ver- wirft diese Auffassung und zeigt, dass die Gasteropodenniere durch- weg keinen tubulösen oder acinösen Bau besitzt, sondern dass ihr Hohlraum von zahlreichen mit einander anastomosirenden Lamellen durehsetzt wird, welche nichts Anderes als Falten der Wand des Nierensackes sind. Diese Ansicht, zu welcher PERRIER auf Grund vergleichend-anatomischer Studien an zahlreichen Prosobranchier- und Gasteropodenarten gelangte, wird durch die Entwicklungsgeschichte von Paludina bestätigt. Die Nierenhöhle ist bekanntlich bei der aus- gewachsenen Paludina fast vollständig durch die lamellösen Einfal- tungen der Nierenwand ausgefüllt, wodurch das ganze Organ ein spongiöses Gefüge erhält. Dies kommt durch starke Vermehrung und Vergrößerung der zuerst in geringer Anzahl vorhandenen Falten zu Stande. Die relativ hoch differenzirte Niere von Paludina zeigt demnach im Laufe der Entwicklung ein Stadium, welches der sehr einfachen Niere von Haliotis entspricht. Beim ausgewachsenen Thier nimmt der Ureter aus einer Art Urinkammer, in welche auch der Verbindungskanal der Niere mit 364 R. v. Erlanger dem Herzbeutel mündet, seinen Ursprung (WoLFF! und PERRIER [37]). Diese Kammer ist auf einem wenig älteren Stadium, als das letzte in dieser Arbeit abgebildete, zu erkennen, und entspricht einem Theil des ursprünglichen Hohlraumes des Nierensackes, ‚welcher durch die Einfaltungen nicht verdrängt wird. Auf diesem Stadium besitzt auch der Nierenherzbeutelgang seine definitive Gestaltung, bildet einen kurzen, sehr engen Kanal, lässt sich aber an ganzen gefärbten und aufgehellten Embryonen erkennen. Kehren wir nun zu Fig. 5 (Taf. XXII) zurück. Der Herzbeutel (P) liegt, wie erwähnt, nun ganz auf der linken Seite und dorsal über der Schlinge, welche vom Enddarm gebildet wird. Wie beim erwachsenen Thier nimmt er einen verhältnismäßig großen Raum im beschalten Theile ein, wenigstens in der Portion des Schalen- inhaltes, welche nicht vom eigentlichen Eingeweidesack in Anspruch genommen wird. Seine Gestalt wird, wie beim erwachsenen Thier, eine sehr unregelmäßige, indem er sich zwischen alle anliegenden Organe hineindrängt. Dieser Umstand verleitete die ersten Unter- sucher der Paludina zu der Behauptung, dass diese Schnecke über- haupt keinen Herzbeutel besitze. Fig. 5 auf Taf. XXIII zeigt einen Querschnitt durch den Herz- beutel des eben besprochenen Stadiums. Die Wand des Herzbeutels, welche jetzt zu einem ganz dünnen Häutchen geworden ist, besteht aus sehr abgeplatteten Zellen, an welchen der Kern eine Hervor- wölbung bildet. Das Perikard wird direkt vom Bindegewebe um- geben, dessen verästelte Spindelzellen es an die anliegenden Organe befestigen. Der Schnitt ist gerade durch die Stelle geführt, wo der Vorhof (V) in die Kiemenvene (Av) übergeht. Demgemäß stößt die ventrale Wand der Mantelhöhle (Mh) hier an den Herzbeutel an. Man sieht zwei Kiemenblittchen (A?) auf einem Durchschnitt, welcher zeigt, dass dieselben als hohle Hervorstülpungen der Kiemenhöhlen- wand entstehen, in welche Bindegewebszellen einwandern; aus letz- teren geht auch das innere Septum der einzelnen Kiemenblittchen hervor. Die Wand des Vorhofs ist ziemlich verdickt, was, wie ich glaube, darauf beruht, dass die von PERRIER neuerdings genau be- schriebene Vorhofsdrüse (glande de JVoreillette) im Entstehen be- griffen ist. Dorsal von dem Herzbeutel liegt die noch ziemlich weite Aorta (Ao). Ein anderer Schnitt derselben Serie (Taf. XXIII Fig. 5 a) ' G. WoOLFF, Einiges über die Niere einheimischer Prosobranchiaten. Zool. Anzeiger. X. 1887. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 365 zeigt die etwas flach getroffene Herzkammer ganz in der Nähe der Stelle, wo dieselbe in die Aorta (Ao) führt. Die äußere Wand der Kammer (wie auch des Vorhofs) wird von den großen hellen Zellen gebildet, welche schon von Lreypie (1) beschrieben worden sind, darunter folgt die Muskelschicht, deren Fasern im Schnitt längs getroffen sind. Dieselben anastomosiren vielfach mit einander und durchsetzen den Hohlraum der Kammer in Gestalt von Bälkchen. Vorhof und Kammer (Taf. XXIII Fig. 5) sind sehr scharf von einander abgesetzt und hängen nur durch einen sehr engen Kanal mit einander zusammen. Paludina besitzt eine Urniere wie die übrigen Gasteropoden. Während dieselbe bei manchen Formen eine äußere ist und in Ge- stalt einiger großen, bläschenförmigen Zellen des Ektoderms, deren Protoplasma eingelagerte Exkretkörner enthält, erscheint, wie zum Beispiel bei Bythynia, hat Paludina ein Paar innere Urnieren, welche rechts und links hinten und ventralwärts vom Velum gelegen sind (Taf. XXI Fig. 2 und 3 U). Die erste Anlage der Urniere findet sich auf dem Stadium, wo Mund und Ösophagus durch Einstülpung des Ektoderms entstehen, zu beiden Seiten des Embryo dicht hinter dem Rande des Velar- feldes (Taf. XXIII Fig. 9), und stellt einen kompakten Haufen von Mesodermzellen vor (U), welcher von unregelmäßig gelagerten Spin- delzellen umgeben wird. Bald bildet sich darin ein Lumen aus (Taf. XXIII Fig. 10), und gleichzeitig nähert sich die Urnierenan- lage der Oberfläche, so dass sie schließlich an das Ektoderm an- stößt. Die Urniere erscheint nun, von außen gesehen (etwa auf dem in Fig. 1 Taf. XXI abgebildeten Stadium), als ein ziemlich dick- wandiges, allseitig abgeschlossenes Siickchen. Jetzt durchbricht das distale Ende der Urnierenanlage das Ektoderm und ragt als ein un- regelmäßiger Zellhaufen (U) etwas über die Oberfläche des Embryo hervor (Taf. XXIII Fig. 6). Die Zellen der Urniere unterscheiden sich bereits deutlich von den anliegenden Zellen des Mesoderms so- wohl als auch des Ektoderms durch ihre Größe und hellere Färbung. Letztere Eigenthümlichkeit scheint darauf zu beruhen, dass die Ur- nierenzellen von nun ab eine viel geringere Affinität zu Farbstoffen haben als alle anderen embryonalen Zellen, abgesehen von denen des Velums. Dieser Umstand ermöglicht es, die Urniere auf Schnit- ten ziemlich rasch aufzufinden. Nun streekt sie sich etwas in die Länge, wird röhrenförmig und 366 R. v. Erlanger erhält eine Ausmündung nach außen (Taf. XXIII Fig. 8). Fig. 2 auf Taf. XXI entspricht dem eben geschilderten Stadium und zeigt die Urniere (U) in situ. Die Ausmündung ist schon am ganzen Embryo deutlich zu sehen, an sie schließt sich ein röhrenförmiger, allmählich enger werdender Abschnitt, welcher sich hinten in ein Büschel von Spindelzellen auflöst, die gewissermaßen als Aufhänge- zellen der Urniere fungiren. Fig. 7, 8 und 11 auf Taf. XXIII sind Querschnitte durch den eben beschriebenen Embryo. Auf Fig. 8 ist die ziemlich enge Ausmiindung (Qe) getroffen. Man bemerkt, dass die Zellen, welche die Urniere bilden, noch immer etwas über die Oberfläche des Ektoderms hervorragen und sich durch Größe, Fär- bung und Beschaffenheit ihrer Kerne deutlich von den unmittelbar anliegenden Ektodermzellen unterscheiden, in welche sie nicht all- mählich übergehen, wie es der Fall sein müsste, wenn die Aus- mündung durch Einstülpung des Ektoderms erfolgt wäre. Der auf Fig. 11 abgebildete Schnitt wurde etwas schräg durch den röhrigen Theil geführt. Endlich zeigt Fig. 7 einen Längsschnitt durch das innere Ende der Urniere und seine Umgebung. Die Endzellen tra- gen Wimpern, welche in das Lumen hineinragen und beim lebenden Embryo eine Flimmerung hervorrufen, die schon Bürscaui beobachtete. Ich bin mir nicht ganz klar darüber geworden, ob die Wimpern von einer oder von mehreren der ziemlich ansehnlichen Endzellen des Urnierenganges ausgehen, halte aber letztere für das Wahrschein- lichere. Weiter sind die Aufhängezellen auf dem Schnitt sehr deut- lich zu sehen; sie befestigen das innere Ende der Urniere. Im Laufe der Entwicklung streckt sich die Urniere noch etwas in die Länge, ohne aber im Wesentlichen ihren Bau zu ändern, und erreicht bei dem in Taf. XXII Fig. 1 abgebildeten Embryo den höch- sten Grad ihrer Ausbildung. Sie erstreckt sich hier, von vorn nach hinten verlaufend, von der hinteren Grenze des Velarfeldes bis zur Mantelrinne, in welche sich die zum größten Theil auf der rechten Körperhälfte befindliche Mantelhöhle fortsetzt, um hier nach außen auszumünden. Auf diesem Stadium schien mir, bei Untersuchung des lebenden Embryo, als ob ich eine innere Öffnung der Urniere in die Leibeshöhle erkennen könnte; da ich dieselbe jedoch auf Sehnitten nicht nachzuweisen vermochte, kann ich ihr Vorhandensein nicht mit voller Sicherheit behaupten und damit eine größere Über- einstimmung im Bau der Urniere von Paludina und derjenigen der Pulmonaten beweisen. Existirt wirklich keine innere Ausmündung, so ließe sich die Urniere von Paludina am besten mit den Exkre- Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 367 ‘ tionsorganen der Plathelminthen vergleichen. Doch wäre denkbar, dass diese Abweichung nur die Folge einer gewissen Rückbildung sein könnte. Es ist mir übrigens niemals gelungen, irgend welche Konkremente oder Exkretkörner in den Urnierenzellen zu konstatiren. Die Ansichten früherer Beobachter über die eben besprochenen Punkte der Gasteropodenentwicklung gehen zwar vielfach aus ein- ander, dennoch zeigen die letzten Arbeiten eine gewisse Überein- stimmung, welche mit den von mir gewonnenen Resultaten harmonirt. Dies bezieht sich namentlich auf die Bildung des Herzbeutels, der Niere und des Herzens. Was zunächst Paludina anbelangt, so ist diese Art in Bezug auf die Entwicklung des Herzens und der Gefäße mit einer größeren Anzahl von anderen Formen von GAnIn (3) untersucht worden. Derselbe lässt das Herz als eine Verdiekung der rückenständigen Herzbeutelwand entstehen. In der Mitte des soliden Herzwulstes bilde sich eine Einschnürung, die das Herz in Atrium und Ventrikel scheidet; aus den Theilen des primären Herzens, welche in Ver- bindung mit dem Perikard bleiben, entwickle sich ein kleiner Theil der Aorta und der Kiemenvene, der größere Theil der Blutgefäße entstehe ganz unabhängig vom Herzwulst. Während diese Beob- achtungen im Allgemeinen mit den in meiner Untersuchung mitge- theilten übereinstimmen, giebt Gann an, dass die Niere aus dem Ektoderm sich bildet. Bürschtı (10), welcher speciell Paludina untersuchte, sah das Perikard vor dem Herzen entstehen und beschreibt dasselbe als einen großen Sack, welcher auf der linken Seite des Darmes zwi- schen Magen, Leber und der Leibeswand liegt. Er vermuthet, dass der Herzbeutel mesodermalen Ursprunges ist. Das Perikard ver- kleinert sich zu einem birnförmigen Beutel, welcher etwa die Größe des Magens hat und auf der linken Seite liegt, mittlerweile hat sich das eigentliche Herz ausgebildet. Es ist ihm nicht gelungen, den Ursprung des Herzens zu ermitteln, er glaubt aber, annehmen zu dürfen, dass es sich als eine Einfaltung des redueirten Herz- beutels anlegt. Weiter lässt er die Niere als eine schlauchartige Einstülpung der Mantelhöhle entstehen, und unterscheidet daran einen vorderen ausführenden und einen hinteren secernirenden Abschnitt, welcher mit dem Herzbeutel in Kommunikation steht. Er erkennt die Urniere als solche, beschreibt die Flimmerung in ihrem Inneren und vermuthet, dass sie eine äußere Öffnung besitzt, ist aber über 368 R. v. Erlanger ihren Ursprung nicht ins Klare gekommen. Meine Untersuchungen haben die in Bezug auf den Ursprung des Herzbeutels und Herzens gemachten Vermuthungen BürschHLrs bestätigt. SALENSKY (2) lässt Niere und Herz bei Calyptraea sinensis aus einer gemeinsamen Anlage, welche in »einer Höhlung im In- neren der Mantelfalte sich befindet«, entstehen, und schreibt der rechts gelegenen Niere sowie dem Herzen einen mesodermalen Ur- sprung zu. Die gemeinsame Anlage des Herzens und der Niere er- klärt er daraus, dass von allen Theilen des Herzens zuerst das Perikard sich bildet. For ist bei den Pteropoden (7) zu Ansichten gelangt, welche den bis jetzt mitgetheilten widersprechen. Er behauptet nämlich, dass das Herz zeitlich vor dem Perikard, und zwar aus einer soliden Anhäufung von Mesodermzellen entstehe. Die unvollständige Um- hüllungsmembran des Herzens, d. h. das Perikard (er stellt nämlich die Existenz eines wirklichen abgeschlossenen Perikards in Abrede), soll sich durch Verdichtung des anliegenden Gewebes bilden, tritt dann mit der Niere in Verbindung, welche von der ektodermalen Mantelhöhleneinstülpung, aus der sie entstanden ist, sich ablöst. Bei den Pulmonaten (13) dagegen findet er einen Herzbeutel, welcher aber erst nach der Bildung des Herzens aus dem Mesoderm entsteht und nur nach und nach das Aussehen einer kontinuirlichen Membran erhält. Das Herz bildet sich als eine einfache Differen- zirung des Mesoderms. Die ektodermale Nierenanlage tritt mit dem Herzbeutel in Verbindung. Er beschreibt weiter eine innere Urniere und einige große gelbe Ektodermzellen, welehe über dem Velum eine Reihe bilden und wohl mit dem larvalen Exkretionsorgan in einer gewissen Beziehung stehen dürften. In dieser Arbeit befindet sich eine Bemerkung über den Herzbeutel der Paludina. For be- streitet nämlich, dass der von BürschLı beschriebene Sack das Perikard vorstelle, jedoch unterlässt er, seine eigene Ansicht darüber mitzutheilen. BOBRETZKY (11) sieht bei Nassa mutabilis das Herz am Grunde der Kiemenhöhle als eine kompakte Anhäufung von Meso- dermzellen, in weleher sich eine Höhle bildet, entstehen. Die Ur- nierenanlage ist ektodermal, eben so auch diejenige der bleibenden Niere, welche sich von der Wand der Kiemenhöhle abschnürt. Da Rasy in der Entwieklungsgeschichte von Planorbis (12) hinsichtlich vieler Punkte Ansichten vertritt, welche den von ihm in seiner Ontogenie der Süßwasserpulmonaten (5) früher entwickelten Aa ed Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 369 entgegengesetzt sind, so soll nur die spätere Arbeit hier berück- sichtigt werden. Bei Planorbis ist die Nierenanlage mesodermal und tritt erst nachträglich mit dem Ektoderm in Verbindung, indem sie als ein langgestreckter Schlauch links vom Enddarm ausmündet, sie hängt an ihrem inneren Ende mit dem Herzbeutel zusammen. Aus der Darstellung RagrL’s geht mit Sicherheit hervor, dass er auch den ausführenden Theil der Niere vom Mesoderm ableitet. Ursprung und Bildung des Herzbeutels und Herzens sind nicht festgestellt worden, jedoch soll das Herz aus dem Mesoderm stammen. In dem Auszug der Worrsonn’schen Arbeit über Lymnaeus ist nichts von den in Bezug auf Herz und Niere gewonnenen Re- sultaten mitgetheilt. JOYEUX LAFFUIE (21) findet bei Onchidium die erste Anlage der Niere rechts, und diese soll auftreten, ehe noch etwas vom Her- zen zu sehen ist. Sie entsteht als eine ektodermale Einstülpung des Mantelrandes und tritt mit dem Perikard in Zusammenhang, je- doch erhält sich die Kommunikation nur kurze Zeit und existirt beim erwachsenen Thiere nicht mehr!. Das Herz legt sich ebenfalls rechts an und ist von JOYEUX LAFFUIE erst dann gesehen wor- den, wie es schon eine. Trennung in Vorhof und Kammer zeigte. Das Perikard entsteht nach ihm erst nach dem Herzen, doch ist seine Anschauung über die Bildungsweise eine so eigenthümliche, dass ich es vorziehe, dieselbe wörtlich wiederzugeben. »Dans les premiers moments de leur apparition les deux vésicules qui vout former le coeur en essayant pour ainsi dire de se contracter ne montrent pas la limite de leurs parois; leur cavité seule est visible; mais en méme temps que les contractions deviennent mieux carac- térisies, les parois se montrent avec plus de netteté, se séparent des sinus environnants et ainsi se forme la cavité péricardique dans laquelle ou voit nettement l’oreillette et le ventricule animés de con- tractions brusques.« Nach Sarasin (18) entsteht bei Bythynia das Perikard als Hohlraum im Mesoderm, und das Herz als eine Wucherung der Herz- beutelwand. Die Niere bildet sich rechts als eine ektodermale Verdickung und kommt nach der Torsion links zu liegen. Bei Vermetus entsteht nach SaLensky (26) der Herzbeutel, 1 Die Richtigkeit dieser Angabe ist von verschiedenen Seiten bezweifelt worden. R. BERGH hat in einer Arbeit »Über die Verwandtschaftsbeziehungen der Onchidien«. Morph. Jahrb. Bd. X. 1885 den Zusammenhang zwischen Peri- kard und Niere bei Onchidium tumidum nachgewiesen. Morpholog. Jahrbuch. 17. 24 370 R. v. Erlanger welcher dem Cölom entspricht, durch Auseinanderweichen der Zellen des perikardialen Mesoderms. Das Herz bildet sich darin als eine Verdiekung des splanchnischen Mesoblasts, faltet sich allmählich von diesem ab und schnürt sich in der Mitte ein, wodurch es in einen Vorhof und eine Kammer zerfällt. Die Niere tritt relativ spät auf, und zwar ganz in der Nähe des Herzbeutels, entsteht aus dem Me- soderm und vereinigt sich bald mit einer Einstülpung der Mantel- höhle, welehe zu ihrem Ausführgang wird. SCHALFEEW (33) ist, in Bezug auf die Bildung der Niere bei Limax agrestis, zu beinahe denselben Resultaten gelangt wie ich für Paludina. Der Herzbeutel ist bei Limax zuerst ein kompakter Haufen von Mesodermzellen, in welchem später durch Delamination eine Höhlung entsteht. Diese entspricht dem Cölom und wird von einer ein Mesenterium darstellenden Falte in zwei Abschnitte zerlegt, von denen der rechte zur Niere wird. Der Ausführgang der Niere bildet sich als eine ektodermale Einstülpung, das Herz als eine Ver- diekung der »unteren« Perikardwand, höhlt sich aus und bleibt mit dem Herzbeutel an seinem vorderen und hinteren Ende in Zusam- menhang. Ich glaube, dass eine Kritik der eben.im Auszug mitgetheilten Untersuchungen über die Entwicklung der Gasteropoden, im Wesent- lichen die von mir bei Paludina gemachten Beobachtungen bestätigt und zu einigen allgemeineren Schlüssen berechtigt. Der Herzbeutel, welcher aus dem mittleren Keimblatt entsteht, repräsentirt zweifel- los das bei den Mollusken mehr oder weniger reducirte Cölom. Es bildet sich ja prineipiell durch Auseinanderweichen des splanchni- schen und des somatischen Blattes des Mesoderms, wenn auch der ursprüngliche Vorgang gewöhnlich etwas verwischt wird. Auch hat schon die vergleichende Anatomie zu demselben Schluss geführt, da ja die Durehbohrung des Perikards durch den Enddarm, eine Er- scheinung, welche bekanntlich bei vielen Formen beobachtet wurde, sich nur durch die Annahme erklären lässt, dass das Perikard der sekundären Leibeshöhle entspricht. Es ist mir bei Paludina nicht geglückt, den unmittelbaren Über- gang des Cöloms in das Perikard nachzuweisen, weil ja die ganze sekundäre Leibeshöhle sehr früh von den Spindelzellen des Meso- derms vollkommen unregelmäßig durchsetzt wird, jedoch bildet sich die Anlage des Herzbeutels zwischen den zwei Mesodermschichten, von denen die eine die Innenfläche des Ektoderms, die andere die äußere Fläche des Darmes bekleidet. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 271 Es frägt sich daher, ob der Herzbeutel der ganzen sekundären Leibeshöhle, welche dann bedeutend reducirt wäre, oder nur einem Theile derselben entspricht, so dass dann der Rest des Cöloms mit der primären Leibeshöhle oder Furchungshöhle zusammenfallen würde. Ich neige nun zu der zweiten Ansicht und glaube, dass das Cölom nur theilweise als solches im Herzbeutel persistirt, während der weitaus größere Theil desselben durch die ihn durchwachsenden Spindelzellen undeutlich gemacht wird und daher sich mit der pri- mären Leibeshöhle deckt. Die in dieser Arbeit beschriebene Ent- wicklung des Cöloms der Paludina scheint mir diesen Schluss zu rechtfertigen und meine, übrigens noch nicht abgeschlossenen Unter- suchungen über die Bildungsweise der Gefäße bestärken mich in dieser Ansicht. Weiter geht die Anlage des Herzens aus einer Einstülpung der Herzbeutelwand hervor, welche Einstülpung zuerst die Gestalt einer Rinne, dann einer nur an beiden Enden mit dem Perikard zusammen- hängenden Röhre besitzt. Nach SALEnsKY (26) entsteht das Herz aus dem splanchnischen Blatt des Mesoderms, doch kann ich nicht dasselbe von Paludina behaupten, da hier meine Erfahrungen eher dagegen sprechen. Was die Niere anbelangt, so bin ich der Ansicht, dass der se- cernirende Abschnitt derselben aus dem Mesoderm stammt und dass diejenigen Beobachter, welche ihn aus dem Ektoderm entstehen lassen, entweder nur den ausführenden Theil der Niere berück- sichtigt haben oder, was noch häufiger geschieht, die beiden Ab- schnitte nicht in ihrem Zusammenhang erkannten: Der ausführende Theil wird nämlich von Allen, mit Ausnahme von RABL, aus einem Theil der Mantelhöhle abgeleitet. SCHALFEEW’s Mittheilung und diese Arbeit erklären den Zu- sammenhang der Niere mit dem Herzbeutel auf ganz ungezwungene Weise. Es wird jetzt allgemein angenommen, dass die Urform der Ga- steropoden ein Paar von Nieren besessen haben muss, welche rechts und links vom Herzbeutel lagen, mit demselben in offener Verbin- dung standen und rechts und links vom After ausmündeten. Einige Prosobranchiaten entsprechen wirklich noch einigermaßen diesem Schema und sind', da sie zwei Vorhöfe besitzen, unter dem Namen 1 E. Bouvier, Systeme nerveux, morphologie et classification des Gastéro- podes Prosobranches. 24* 372 R. v. Erlanger Diotocardier und Heterocardier zusammengefasst und den anderen Formen, welche nur einen Vorhof besitzen, oder den Monotocardiern, entgegengestellt worden. Zu den Diotocardiern gehören Fissurella, Haliotis, Trochus, und zu den Heterocardiern Patella. (Die Neritiden, welche ebenfalls zwei Vorhöfe besitzen, von denen der linke bedeutend größer ist, haben nur eine Niere.) Die eben auf- sezählten Formen haben im ausgebildeten Zustand zwei Nieren, von denen die reehte stets die größere ist und stets als Exkretions- organ fungirt, während die linke bedeutend kleiner ist und nur noch bei Fissurella physiologisch als Niere thätig ist (PERRIER 37). Dar- aus ist nun von v. IHERING, Bana HALLER (30) und PERRIER der Schluss gezogen worden, dass die einzige erhalten gebliebene Niere der Monotocardier der rechten Niere der Diotocardier ent- spreche. Die entgegengesetzte Ansicht vertritt Ray LANKESTER!, welcher aus dem Umstand, dass bei zahlreichen Prosobranchiern, welche nur eine Niere besitzen, die Ausmündung des Ureters sich gewöhnlich auf der linken Seite des Afters befindet, die Behauptung aufstellt, dass die Niere dieser Formen der linken kleineren Niere von Pa- tella entspreche. PERRIER bestreitet die Richtigkeit der Hypothese des englischen Forschers, da seine (PERRIER’s) Untersuchungen ergeben haben, dass die Lagerung der Mündung des Ureters in Bezug zum After bei den Monotoeardiern eine sehr variable ist und seiner Ansicht nach die- jenige Hypothese den Vorzug verdient, welche die größtmögliche Einheitlichkeit und Übereinstimmung im Bauplan der Prosobranchi- aten begründet. Wie verhalten sich nun die der Entwicklungsgeschichte von Paludina entnommenen Daten zu der eben erörterten Streitfrage? Die Embryologie von Paludina zeigt auf das deutlichste, dass die beim erwachsenen Thier allein erhaltene Niere vor der Torsion die rechte war, nach der Torsion aber, d. h. bei der ausgebildeten Schnecke, links vom Enddarm liegt, wie auch die Ausmündung des Ureters links vom After sich befindet. Dagegen würde die rechte Niere eines erwachsenen Diotocardiers vor der Torsion, welche diese Formen wie alle Schnecken durch- 1 Ray LANkESTER, 1) On some undescribed points in the anatomy of the Limpet. Ann. Mag. Nat. Hist. 3 Series. XX. 1867. 2) On the originally bilateral character of the renal organ of Prosobranchia, and on the homologies of the yolk-sac of Cephalopoda. Ann. of Nat. Hist. 5 Series. VII. 1881. ae Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 373 machen, ursprünglich die linke gewesen sein. Da aber bei Palu- dina die ursprünglich (vor der’ Torsion) linke Niere zurückgebildet wird, so ist es klar, dass die erhaltene Niere der linken Niere des erwachsenen Diotocardiers entsprechen muss. Also spricht die Embryologie ganz entschieden zu Gunsten der sonst ziemlich ohne ausreichende Stützen aufgestellten Hypothese Ray LAnkESTER’s. Der historische Überblick, den ich über die Litteratur der Entwicklungs- geschichte der Gasteropoden gegeben habe, zeigt, dass bei allen auf ihre Entwicklung untersuchten Formen, bei denen nur eine Niere erhalten ist, die Anlage derselben sich zuerst auf der rechten Kör- perhälfte befindet und erst mit der Torsion allmählich von rechts nach links wandert. Wie steht es aber in vergleichend-anatomischer Hinsicht des Zusammenhanges der beiden Nieren der Diotocardier mit dem Herz- beutel? Bei Fissurella (PERRIER) mündet die rechte Niere in den Herzbeutel, die linke nicht, bei Haliotis ist das Umgekehrte der Fall, die linke Niere (welche dem sogenannten Papillargang HALLER’s entspricht und nicht mit der rechten in Zusammenhang steht) mündet allein in den Herzbeutel, eben so verhält sich Trochus, während wieder bei Patella nach den neuesten Untersuchungen nur die rechte Niere in den Herzbeutel münden soll!. Daraus scheint mir die Kom- munikation der Nieren mit dem Herzbeutel, ein mindestens eben so wichtiger Punkt als die relative Größe der einen oder der anderen Niere, keineswegs eine vollkommene Übereinstimmung zu zeigen. Ich glaube daher, dass in allen den Fällen, wo die Lagerungs- beziehungen der Niere und ihres Ausführganges in Bezug zum After am erwachsenen Thiere nicht festgestellt werden können, die Ent- wicklungsgeschichte allein den Ausschlag geben kann. Weiter wäre es nöthig, die Entwicklung eines Diotocardiers auf das Schicksal beider Nieren zu untersuchen, um daraus einen Schluss auf die Ver- hältnisse bei den Monotocardiern machen zu können. Parren’s (27) Untersuchung über die Embryologie von Patella erstreckt sich nur ! Ray LANKESTER behauptete zuerst den Zusammenhang beider Nieren von Patella mit dem Herzbeutel, darauf verbesserte er diese Angabe nach einer mit G. BOURNE unternommenen Untersuchung dahin, dass nur die rechte Niere eine Verbindung mit der Herzbeutelhöhle besitze. CUNNINGHAM (The renal or- gans [nephridia] of Patella. Quart. Journ. of Mier. Science. T. XXIII. 1883) findet wieder auf Schnitten eine Kommunikation beider Nieren mit dem Herz- beutel, während Perrier dieselbe nur fiir die rechte zugiebt. 374 R. v. Erlanger auf die ersten Entwicklungsstadien, und BoutaAn’s (31) Arbeit über die Entwicklung von Fissurella giebt über diesen, sowie zahlreiche andere interessante Punkte, gar keinen Aufschluss. Der Ureter von Paludina soll nach v. IHERING keineswegs dem sekundären Harnleiter der Heliceen (25) homolog sein. Ich stimme darin v. IHERING vollkommen bei und schließe aus den Untersuchun- gen von Braun (34) und Beume! (35), dass der Ureter von Paludina nur dem sogenannten primären Harnleiter von Helix entspricht. Da- mit wäre der sekundäre Harnleiter der Heliceen eine neuerworbene Eigenthümlichkeit der Nephropneusten v. IHERING's. Die Bildung des secernirenden Abschnittes der Niere aus dem Epithel des Céloms (Perikard) rechtfertigt den Vergleich der Niere mit den Segmentalorganen der Wiirmer, zu welchem schon der Zu- sammenhang der Niere mit dem Herzbeutel geführt hatte. Auf das Vorkommen zweier Paare von Exkretionsorganen: blei- bende Niere und innere Urniere, welche beide im Wesentlichen den- selben Bau besitzen und daher mit Segmentalorganen übereinstimmen, ist die Hypothese gegründet worden, die Mollusken ließen in ihrer Entwicklungdie Anlage von zwei Segmenten erkennen. Am Schlusse dieser Arbeit sei mir gestattet, meinem hochver- ehrten Lehrer, Herrn Prof. BürschLi, für die Anregung und mannig- fache Förderung dieser Untersuchung zu danken. Auch bin ich Herrn Prof. BLOCHMAnN für manchen freundlichen Rath, besonders hinsichtlich der Technik, verpflichtet. Heidelberg, den 28. Januar 1891. 1 BEHME scheint mir mit Unrecht die Beobachtungen SCHALFEEW’s bei Limax zu bestreiten, da er selbst offenbar eine zu geringe Anzahl von Em- bryonen, und vor allen Dingen nicht hinreichend junge Stadien untersucht hat, um zu einer richtigen Vorstellung von der Entwicklung der Niere zu gelangen. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 375 Litteraturverzeichnis. 1) F. Leyoig, Uber Paludina vivipara. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. I. 1850. 2) W. Sauensky, Beiträge zur Entwicklung der Prosobranchiaten und Re- ferat. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XII. 1872. 3) M. Gantry, Beitrag zur Lehre von den embryonalen Blättern bei den Mol- lusken. Warschauer Universitätsberichte. 1873 (war mir nicht zu- gänglich). Referat darüber im Jahresbericht über Anat. und Physiol. Bd. II. 1872, und in Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XII. 1872. 4) E. Ray LANKESTER, On the development of the Pond Snail. Quart. Journ. of microscopical Science. 1874. 5) C. Rast, Die Ontogenie der Süßwasserpulmonaten. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. Bd. IX. 1875. 6) H. v. IHERING, Entwicklungsgeschichte von Helix. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. Bd. IX. 1875. 7) H. For, Etudes sur le développement des Ptéropodes. Archives de zoologie expérimentale. Vol. IV. 1875. 8) —— Etudes sur le développement des Hetéropodes. Archives de zoologie expérimentale. Vol. V. 1876. 9) H. v. InermnG, Zur Morphologie der Niere der sogenannten » Mollusken«. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XXIX. 1877. 10) 0. BürscHLı, Entwicklungsgeschichtliche Beiträge. Über Paludina vivipara. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XXIX. 1877. 11) N. BOBRETZKY, Studien über die embryonale Entwicklung der Gasteropoden. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XII. 1877. 12) C. Rasy, Über die Entwicklung der Tellerschnecke. Morph. Jahrb. Bd. V. 1879. 13) H. For, Développement des Gastéropodes pulmonés. Archives de zoologie expérimentale. Vol. VIII. 1879—1880. 14) W. WoursoHnn, Die embryonale Entwicklung von Lymnaeus stagnalis, Bulletins de l’Acad&mie imperiale des sciences de St. Pétersbourg. Bd. XX. 1880. (Die russische Originalarbeit war mir nicht zugiinglich.) 15) OÖ. und R. Herrwic, Die Cölomtheorie. Jena 1881. 16) J. W. Spence, Die Geruchsorgane und das Nervensystem der Mollusken. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XXXV. 1881. 17) F. BLOCHMANN, Über die Entwicklung der Neritina fluviatilis. Inaug.- Dissertation. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XXXVI. 1881. 18) P. Sarasin, Die Entwicklungsgeschichte der Bythynia tentaculata. Inaug.- Dissertation. Wiesbaden 1882. 19) C. A. Happon, Notes on the development of Mollusca. Quart. Journal of mier. science. Vol. XXII. 1882. 376 R. v. Erlanger 20) A. KOwALEVSKY, Embryogénie du Chiton Polii. Annales du Mus. Hist. Nat. de Marseille. Tome I. 1882. 21) Joynux LAFFUIE, Organisation et développement de l’Oneidie. Archives de zoologie expérimentale. T. X. 1882. 22) L. Manrrepi, Le prime fasi dello sviluppo dell’ Aplysia. Atti acad. Na- poli. Vol. IX. 1882. 23) C. Razu, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Prosobranchier. Sitzber. der k. Akademie der Wiss. Wien. LXXXVI. Jahrgang. 1883. 24) F. BLocumann, Beiträge zur Kenntnis der Entwicklung der Gasteropoden. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XXXVII. 1883. 25) v. IHERING, Der uropneustische Apparat der Heliceen. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XLI. 1884. 26) W. SALENSKY, Etudes sur le développement du Vermet. Archives de Biologie. Vol. VI. 1885. 27) W. Parren, The embryology of Patella. Arbeiten des zoolog. Instituts Wien. Bd. VI. 1885. 28) 0. BürscHLı, Bemerkungen über die wahrscheinliche Herleitung der Asym- metrie der Gasteropoden, speciell der Asymmetrie im Nervensystem der Prosobranchiaten. Morph. Jahrb. Bd. XII. 1886. 29) J. Puayrarr MACMURRICH, Notes on the embryology of the Gasteropods. Preliminary notice und A contribution to the embryology of the pro- sobranch Gasteropods. Stud. biol. laboratory of the Johns Hopkins University Baltimore. Vol. 3. 1886. 30) B. Hater, Beiträge zur Kenntnis der Niere der Prosobranchiaten. Morph. Jahrb. Bd. XII. 1886. 31) Bouran, Recherches sur l’anatomie et le développement de la Fissurelle. Arch. Zool. exp. 2. serie. T. III bis 1885. 32) F. Ruo, Studii sullo sviluppo della Chromodoris elegans. Atti acad. Na- poli. Vol. I. 1888. 33) W. ScHALFEEW, W. SCHIMKEVITSCH, Sur le dévoloppement du coeur des mollusques pulmonés d’aprés les observations de M. SCHALFEEW- Zool. Anzeiger. 11. Jahrgang. pag. 65. 1888. 34) M. BRAUN, Über die Entwicklung des Harnleiters bei Helix pomatia. Nachr.- Bl. Mal. Ges. Frankfurt. 20. Jahrgang. 1888. 35) Tu. BEHME, Beiträge zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Harn- apparates der Lungenschnecken. Archiv für Naturgesch. 55. Jahrgang. Bd. I. 1. Heft. 1889. 36) C. RApL, Theorie des Mesoderms. Morph. Jahrb. Bd. XV. 1889. 37) R. PERRIER, Recherches sur l’anatomie et l’histologie du rein des Gastéro- podes. Annales des sciences naturelles Zoologie. T. VIII. 1859. Fin: rs Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 377 Erklärung der Abbildungen. Folgende Buchstaben gelten für alle Abbildungen: A After, Ao Aorta, Au Auge. B Blastoporus. C Colom. D Darm, De Deckel (Operculum). E Enddarm. F Furchungshöhle, Fu Fuß, Fü Fühleranlage. G Anlage des Geschlechtsganges, Gd Geschlechtsdrüse = Keimdriise. K Herzkammer, Ki Kieme, Av Kiemenvene. L Leber. M Magen, Mf Rand der Mantelfalte (7 rechter, / linker) oder Mantelwulst, Mh Mantelhöhle = Kiemenhöhle, MAhb Boden derselben. N Niere, N’ rudimentäre linke Niere. Na Nierenausführgang. Ne’ rudi- mentärer Ausführgang der linken Niere. O Otolithenblase, Os Mund. ö Öffnung der Niere in den Herzbeutel. Oe Öffnung der Urniere nach außen. P Perikard, P’ linker Abschnitt desselben. R Radulasack, r Richtungskörper. U Umiere, Ur Urdarm. S Ösophagus, Sp Spenger’sches Organ, Sch Schalendriise, Scha Schale, Srf Schalenfalz, Sept Septum des Herzbeutels. V Velum, Vo Vorhof. Die Umrisse sämmtlicher Figuren sind mit dem Agg£’schen Zeichenapparat und dem Zeıss’schen Kompensationsocular Nr. 4 gezeichnet. Es wurden die Zeıss’schen Apochromate verwendet, und zwar die Trockensysteme 16, 5 und 4 (Brennweite in Millimeter) und die homogene Immersion 2 mm. Eine Angabe der Vergrößerung ist jeder Figur beigefügt, in so fern nicht die wirkliche Länge des betreffenden Stadiums angegeben ist. Sämmtliche Schnitte sind so gezeichnet, dass man auf die vordere Schnittfliiche sieht. Fig. Fig. Fig. Fig. Tafel XX. 1. Ausgebildete Gastrula im optischen Längsschnitt. Länge 0,06 mm, 2. Anfang der Mesodermbildung im horizontalen optischen Längsschnitt. Länge 0,1 mm. 3. Sagittaler optischer Schnitt durch einen Embryo, bei welchem Cölom und Darm durch Abschnürung vom Urdarm entstehen. Länge 0,09 mm. 4. Derselbe Embryo im horizontalen optischen Längsschnitt. 375 Fig. 5 Fig. 6 Fig. 7 Fig. 8 Fig. 9 Fig. 10. Fig. 11. Fig. 12 Fig. 13 Fig. 14 Fig. 15 Fig. 16 Fig. 1 Fig. 2 Fig. 3 Fig. 4 Fig. Fig. 6. Fig... R. v. Erlanger Horizontaler optischer Längsschnitt eines Embryo, bei welchem sich der Célomsack vom Darm ganz getrennt hat. Länge 0,18 mm. Ein entsprechendes Stadium im sagittalen optischen Schnitt. Sagittaler optischer Durchschnitt eines Embryo, bei welchem das Mesoderm in Auflösung begriffen ist. Vergr. 400. Sagittaler optischer Durchschnitt eines Embryo, dessen Mesoderm schon in Spindelzellen zerfallen ist. Vergr. 400. Sagittaler optischer Durchschnitt eines älteren Embryo: die ver- ästelten Mesodermzellen durchsetzen die Leibeshöhle ganz unregel- mäßig. Vergr. 400. Horizontaler wirklicher Längsschnitt durch einen Embryo, dessen Mesoderm sich in ein viscerales und ein parietales Blatt gesondert hat. Vergr. 400. Sagittaler wirklicher Schnitt durch ein der Fig. 7 entsprechendes Sta- dium. Vergr. 400. Querschnitt durch das Perikard, bei welchem das Septum sich eben zurückgebildet hat. Vergr. 400. Querschnitt durch die mittlere Gegend eines der Fig. 5 entsprechen- den Stadiums. Vergr. 400. Querschnitt durch einen der Fig. 3 und 4 entsprechenden Embryo. Der Schnitt ist durch das Hinterende etwas vor dem Blastoporus ge- führt. Vergr. 450. Querschnitt durch dasselbe Stadium; der Schnitt ist durch die Mitte des Embryo gleich hinter dem Velum gelegt. Vergr. 450. Horizontaler Schnitt durch die Anlage des Herzbeutels. Vergr. 400. Tafel XXI. Ansicht von der rechten Seite eines Embryo, bei welchem das Peri- kard durch ein Septum in zwei Abschnitte getheilt wird. Länge 0,52 mm. Dieselbe Ansicht eines Embryo mit einheitlichem Perikard. Länge 0,64 mm. Dieselbe Ansicht eines Embryo, in welchem das Herz sich eben an- legt. Länge 0,7 mm. Perikard und Herzanlage eines der Fig. 3 entsprechenden Stadiums, von hinten gesehen. Perikard und Herzanlage von der linken Seite. Von oben gesehen. Seitliche Ansicht des beschalten Hinterendes eines etwas älteren Em- bryo, von der rechten Seite. Gesammtlänge 0,8 mm. Fig. 8—14. Aus Schnittserien rekonstruirte Hinterenden von Embryonen. Fig. 10 und 14 sind aus horizontalen Schnitten, die anderen aus Quer- schnitten rekonstruirt. Der Embryo liegt dem Alter nach zwischen Fig. 1 und 2 derselben Tafel. Der Embryo entspricht der Fig. 2 derselben Tafel. - - - - - 1 auf Taf. XXII. - - - oh Prey ie SE. RT. - - - Anz ite ORT, — a Fig. 13. _. Fig. 14. Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 1 Fig. 2 Fig. 2 Fig. 3 Fig. 4 Fig. 5. Fig. 5 Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8 Fig. 9 Fig. 10 Fig. 11 Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 379 Der Embryo er der Fig. 2 auf Taf. XXII. - - SE B= | ml 3.4} Tafel XXII. Ansicht von der linken Seite eines Embryo, bei welchem sich die Kiemen anlegen. Länge 0,9 mm. Ein etwas älterer Embryo von der rechten Seite. Länge 1 mm. Optischer Längsschnitt durch die Niere eines der Fig. 2 derselben Tafel entsprechenden Stadiums, aus sagittalen Schnitten kombinirt. Horizontaler Schnitt durch die Herzbeutelgegend eines Embryo, wel- cher wenig älter ist als der, dem der Schnitt Fig. 16 auf Taf. XX entnommen ist. Vergr. 400, Ein nahezu reifer Embryo, von der linken Seite gesehen. Länge 1,5 mm. Querschnitt durch die Herzbeutelgegend eines Embryo, ze Fig. 1 auf Taf. XXI entspricht. Vergr. 400. Tafel XXIII. Querschnitt durch die Herzbeutelgegend eines Embryo, welcher Fig. 2 auf Taf. XXI entspricht. Vergr. 200. und 3. Querschnitte durch einen Embryo, welcher Fig. 3 auf Taf. XXI entspricht. Der Schnitt ist durch die Herzanlage geführt. = = - - - Nierenanlage - Optischer Liingsschnitt durch die Niere eines der Fig. 5 auf Taf. XXII entsprechenden Embryo, aus Lingsschnitten kombinirt. Querschnitt durch Herzbeutel und Herz desselben Embryo. a. Schnitt durch die Herzkammer (dieselbe Serie). Querschnitt durch die Anlage des Urnierenausfiihrganges. Vergr. 800. Querschnitt durch das innere Ende der Urniere eines Embryo, wel- cher Fig. 2 auf Taf. XXI entspricht. Vergr. 800. Querschnitt durch den Ausführgang der Urniere (dieselbe Serie). Vergr. 800. Horizontaler Schnitt durch die eben angelegte Urniere. Vergr. 400. Querschnitt durch die Urnierenanlage, in welcher sich eben ein Lumen gebildet hat. Vergr. 400. Querschnitt durch den mittleren Theil der Urniere, dieselbe Serie wie Fig. 7 und 8. Vergr. 800. Die Morphologie des Magens der Rodentia. Von Dr. Karl Toepfer, approb. Thierarzt aus Dresden. Mit Tafel XXIV. Obgleich die eigenartigen. Magenformen der Nagethiere schon öfter studirt und beschrieben wurden, schien es mir doch der Mühe werth, diese Gruppe der Mammalia in Bezug auf die vergleichende Morphologie des Magens zu studiren. Ich habe desshalb im Sommer 1889 im zoologischen Institut der Universität Erlangen auf Anregung und unter der Leitung des Herrn Dr. FLEISCHMANN begonnen eine große Anzahl einheimischer und ausländischer Nagethiere zu unter- suchen. Für das freundliche Entgegenkommen und die liebenswürdige Unterstützung mit Rath und That kann ich nicht umhin, Herrn Dr. FLEISCHMANN an dieser Stelle meines innigsten Dankes zu versichern. Da leider die Ausführung der Arbeit durch meine einjährige Militär- dienstzeit unterbrochen wurde, konnte ich dieselbe erst im Winter 1890 auf 1891 beschließen. Das einheimische Material, dessen ich frisch habhaft werden konnte, wurde mittels Chromosmiumessigsäure oder Sublimat konservirt und in Alkohol gehärtet. Behufs Färbung wurde Hämatoxylin nach Aparny und BÖHMER, sowie Bismarckbraun und Boraxkarmin verwandt. Da das Material der hiesigen Sammlung zu ausgedehnten Unter- suchungen zu gering war, musste ich das Material anderer Samm- lungen verwenden. Ich bin den Herren Prof. Dr. Herrwie, Mün- chen, Prof. Dr. Mösıus, Berlin, Prof. Dr. Meyer, Dresden, Prof. Dr. Lampert, Stuttgart, Prof. Dr. Spiess, Nürnberg, für das mir von denselben in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellte Material zu großem Danke verpflichtet. Vor Allem aber sage ich Taf XX. Morpholog. Jahrbuch. Ba. XVI Morphotlog. Jahrbuch. Bd. XVM. Taf XAT. ; Verlag v Wilk Engelmann being Tach Anat vWererr & Winton Frank far Morpholog. Jahrbuch. Bd. XVI. . | Taf, AK. — - _ — Verlag v Wilk Engelmann, Seinzig : Juh Anst Werner 8 Winter Drank fart Morpholog. Jahrbuch. Bd. XVM. Tuf XX. $$$ Do Verlag «Wilk Eearlrpann, Leiezig Sah Aust enlerner 6 Mini Franklert 4 } |. Die Morphologie des Magens der Rodentia. 381 Herrn Prof. Dr. SELENKA für die Erlaubnis, die Hilfsmittel seines Instituts in ausgedehntem Maße zu benutzen, meinen wärmsten Dank. Der Magen der Rodentia liegt senkrecht zur Längsachse des Thierkörpers in der Bauchhöhle. Die Ebene, welche den Magen in zwei symmetrische Hälften theilt, verläuft dorsoventral. Mit Be- ziehung auf das vordere und hintere Körperende kann man die bei- den, durch die Symmetrieebene geschiedenen Theile craniale und caudale Magenhälften nennen. Eine Sagittalebene theilt den Magen- sack in eine rechte und linke Kammer. Da die als große Curvatur bezeichnete starke Krümmung an der ventralen Wand, die kleine Curvatur an der dorsalen Wand der Abdominalhöhle liegt, so scheidet die Transversalebene eine ventrale und dorsale Magenhälfte. Der Schlund mündet stets in die linke Magenhälfte, indem er die dorsale Magenwand schräg von links nach rechts durchbohrt. Die Lagomorpha, Hystricomorpha und Sciuromorpha. Mit den anatomisch einfachsten Magenformen beginnend, möchte ich vorausschicken, dass eine Untersuchung der histologischen Be- schaffenheit ihrer Schleimhaut nur in sehr wenigen Fällen erfolgreich war, weil an dem mir zur Verfügung stehenden Material aus den verschiedenen Sammlungen (Coelogenys paca, Hystrix cristata [Dres- den], Loncheres cristata |Stuttgart]) die Fäulnis so weit vorgeschritten war, dass man feinere Zellstrukturen nicht mehr erkennen konnte. Unsere einheimischen Thiere, als Lepus timidus, cunniculus, Cavia cobaya, Sciurus brauchten weniger berücksichtigt zu werden, da die- selben schon von anderen Forschern eingehend studirt worden sind. In der Abtheilung der Lagomorpha, Seiuromorpha und Hystrico- morpha besitzt der Magen eine ziemlich einfache Form. Derselbe ist ein erweiterter Abschnitt des Darmtractus, welcher histologisch und morphologisch von den anstoßenden Theilen verschieden ist. Er stellt einen einfachen drüsigen Sack vor, an welchem nur die allgemeine Unterscheidung in einen Magenmundtheil (Pars cardiaca), einen Magengrund (Fundus ventrieuli) und den Pförtnertheil (Pars pyloriea) getroffen werden kann. Weil in den drei Gruppen seine äußere Gestalt wenig variirt, führe ich zu seiner Charakteristik nur die Beschreibung an, welche Krause von Lepus cunniculus gegeben hat; sie lautet: » Der Magen ist in transversaler Richtung bedeutend ausgedehnt. Der Fundus bildet links von der Cardia einen tiefen Sack, die Cardia stellt eine 382 Karl Toepfer Wölbung von ellipsoider Gestalt dar, in deren Mitte sich der etwas erweiterte Osophagus einsenkt. Links vom Pylorus befindet sich ein etwas abgeschnürter Sack, Antrum pylori, welcher viel dickere Muskelhaut besitzt, letztere ist am Pylorus etwas gewulstet, an den übrigen Partien ist sie dünn.« Diese Schilderung kann allgemein gültig betrachtet werden für den Magen von Lepus timidus, Cavia cobaya, Hystrix eristata, Hydrochoerus capybara (EDELMANN), Sper- mophilus eitillus und Sciurus vulgaris, welche ich gesehen habe. Für die Hystricomorpha und Sciuromorpha wäre nur die Korrektur nothwendig, dass der links von der Cardia gelegene Fundussack nicht die bedeutende Tiefe zeigt wie bei Lepus cunniculus, ferner ~ ist das Antrum pylori bei diesen mit einer weniger starken Muskel- haut versehen. Bei Sciurus ist der Fundus noch weniger geräumig als bei Cavia und ist an der großen Curvatur eine leichte Ein- schnürung bemerkbar, welche Pars fundi und pylorica zu trennen scheint. Die Innenfläche des Magens dieser Thiere ist allseitig mit drü- senhaltiger Schleimhaut ausgekleidet. Besondere Reliefeigenthüm- lichkeiten, wie Schleimhautfalten oder Klappen, sind nicht vorhan- den, selbst bei Sciurus ist die äußerlich angedeutete Einschnürung an der inneren Magenwand nicht ausgeprägt. Der Schlund mündet mit trichterförmiger Erweiterung und hebt sich sein weißliches Plat- tenepithel scharf von der rosarothen Magenschleimhaut ab. Die drei in topographischer Hinsicht unterscheidbaren Regionen sind histo- logisch nicht getrennt. Nach den in der Schleimhaut eingebetteten Drüsen kann man nur zwei verschiedene Bezirke, die Lab- und Pylorusdrüsenregion unterscheiden. Der Fundus ist durch die, mit den charakteristischen, aus zwei Zellarten (den Haupt- und Belag- zellen HEIDENHAIN’s) bestehenden Labdrüsen versehene Schleimhaut ausgekleidet. Die übrige Schleimhaut des Magens gehört der Py- lorusdrüsenzone zu. Die Drüsen dieser Zone verlaufen geschlängelt, gabeln sich und knäueln sich oft auf, ihre Zellen sind Cylinderzellen. Aus den Untersuchungen von LANGLEY!, NUSSBAUM?, BIZZOZERO® geht mit Sicherheit hervor, dass die Belagzelldrüsen bei Weitem den ! LANGLEY, On the Changes in pepsin-forming glands during secretion in the Journal of Physiology. Vol. II. 1879—1880. 2 NUSSBAUM, Über den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXI. 1882. * BIZZOZERO, VIRCHOW’s Archiv. Bd. CX. Die Morphologie des Magens der Rodentia. 383 größten Theil der Magenfläche einnehmen. Sie erfüllen nicht nur den ganzen Fundussack, sondern reichen weit gegen den Pylorus vor, so dass der Ösophagus stets innerhalb der Belagzelldrüsenregion mündet. Bei Cavia z. B. ist */, der Schleimhaut von ihnen erfüllt. Stets sind die Labdrüsen im Fundus kürzer als in der Mitte der großen Curvatur. In neuerer Zeit hat ELLENBERGER eine dritte Drüsenzone, die Cardiadriisenzone, beim Schwein beschrieben. Sein Schüler EDELMANN hat auf das Vorhandensein dieser Zone eine Reihe anderer Säuger untersucht. Er definirt die Cardiadrüsenzone als »eine Schleimhaut- partie, welche sich entweder isolirt in der linken Magenhälfte oder an der Cardia, oder dort, wo die ösophageale Schleimhaut aufhört, befindet und Drüsen ohne Belagzellen besitzt«. Die Cardiadriisen unterscheiden sich von den Pylorusdrüsen dadurch, dass ihre kurzen Schläuche sich gleich am Halse theilen und am Grunde nur wenig aufwinden, während sich die langen Pylorusdrüsen erst in der Tiefe theilen und sich dann stark aufknäueln. Die Cardiadrüsen werden häufig durch stärkere Bindegewebszüge zu Gruppen vereint, indess die Pylorusdrüsen solidär stehen. Die Zellen der Cardiadrüsen sind scharf begrenzt, ihr Zellleib hell, durch Eosin nur schwach färbbar. Die Pylorusdrüsenzellen sind dagegen weniger scharf begrenzt, das Zellprotoplasma ist dunkel, fein und dicht granulirt und durch Eosin stärker färbbar. EDELMANN’s mühsame Untersuchungen zeigen, dass die Cardia- drüsenzone sehr selten bei Thieren mit einfachem Magen vorkommt, dass sie aber fast regelmäßig bei zusammengesetztem Magen auftritt. Eine Cardiadrüsenzone konnte er bei Lepus timidus, cunniculus, Cayia, Hydrochoerus, Sciurus und, wie ich hinzufügen kann, bei Spermophilus nicht nachweisen. Während andere Nager, wie wir später sehen werden, damit ausgezeichnet sind, entbehren die Vertreter der Lagomorpha, Hy- strieomorpha und Sciuromorpha der Cardiadriisenzone. Der Magen dieser drei Gruppen besitzt nur zwei Driisenregionen, die Belagzell- und Pylorusdriisenregion (Taf. XXIV Fig. 9). Erstere dehnt sich bei Lepus, Cavia und Sciurus durch den ganzen, anatomisch als Fundus ventriculi oder linken Magensack bezeichneten Theil des Magens aus, wiihrend die Pylorusdriisen auf die Portio pylorica be- schränkt sind. Im Kreise der Sciuromorpha treten neue Differenzirungen auf, welche schließlich in ganz auffallenden Formen enden. Schon beim 384 Karl Toepfer Ziesel (Spermophilus eitillus, Taf. XXIV Fig. 10) sind die Drüsenzonen nicht in der Weise vertheilt, wie ich es bisher für den einfachen Magen der Nager geschildert habe. Denn die Ausdehnung der Lab- drüsen wird durch bedeutende Vermehrung der Pylorusdrüsen stark geschmälert. Die letzteren dehnen sich nämlich weit über die an- gestammten Grenzen bis in den Fundus aus, und jene ziehen sich mehr gegen die dorsale Fläche an die Cardia zurück. So ist die größere Hälfte des Magens von einer dünnen Schleimhaut ausge- kleidet, welche kurze, wenig geschlängelte Pylorusdrüsen enthält. Durch diese Befunde lassen sich die weiteren Komplikationen bei den Myoxida leicht begreifen. Die Haselmaus (Myoxus avellanarius) zeichnet sich von allen übrigen Myoxiden dadurch aus, dass dem eigentlichen Magen ein kleiner Vormagen aufsitzt (Taf. XXIV Fig. 6, 11). Der Schlund erweitert sich nämlich, sowie er in die Bauchhöhle tritt, zu einer eirca 3—4 mm langen und 2—3 mm dicken ovalen Anschwellung mit derben, festen Wänden, die ich als Bulbus ventrieuli bezeichne. Daran schließt sich erst der eigentliche Magensack, welcher die ein- fache Form zeigt. An der cranialen Fläche geht der Vormagen ohne scharfe Grenze in den Magen über, an der caudalen Fläche aber sind beide durch eine tiefe Einschnürung von einander abge- setzt. Im Bulbus erkennt man nur eine schmale Lichtung, da stark ins Innere vorspringende Schleimhautfalten die Höhlung bis auf einen schmalen, Schlund und Magenhöhle verbindenden Kanal ausfüllen. Der Pylorus ist vom Magen durch Einschnürung abgesetzt. Es entsteht nun die Frage, ob der Bulbus als neue Bildung aus dem Ösophagus hervorgegangen oder ob er ein Theil des Magens selbst sei. Im ersteren Falle würde der hinter dem Bulbus gelegene Magen dem einfachen Magen anderer Nager homolog sein, während, wenn die zweite Annahme richtig ist, Bulbus und Magen zusammen dem einfachen Magen der übrigen Nager entspräche. Diese Frage lässt sich nur durch die mikroskopische Untersuchung entscheiden. Querschnitte, die durch beide Magenabtheilungen geführt sind, zei- gen, dass die zweite Abtheilung mit gleichförmiger Schleimhaut aus- gekleidet ist. Die histologische Differenzirung in zwei Bezirke, Pylorus und Belagzelldrüsenzone, ist nicht zu erkennen, nur weit- stehende, stark geschlängelte Drüsen (Pylorusdrüsen) finden sich vor und bilden die sehr dünne Schleimhaut. In der vorderen Abthei- lung hingegen, dem Bulbus, liegt eine sehr dicke Schleimhaut, in der lange Belagzelldrüsen dicht gedrängt stehen. Da der einfache Die Morphologie des Magens der Rodentia. 385 Magen aller Nager die beiden Drüsenformen, welche hier auf zwei verschiedene Abtheilungen vertheilt sind, in seiner Höhlung auf- weist, so muss man annehmen, dass bei Myoxus avellanarius der Bulbus, welcher Belagzelldrüsen enthält, nicht eine neue Erwerbung sei, sondern vielmehr sekundär von dem Pylorusdrüsenmagen abge- gliedert wurde. Mit dieser Auffassung stimmen die Befunde bei Spermophilus überein, denn diese zeigen eine bedeutende Ausdehnung der Pylorusdrüsenregion und eine Verschiebung der Belagzelldrüsen nach der kleinen Curvatur. Bei Myoxus avellanarius wird nun diese Gliederung zum morphologischen Ausdruck gebracht, indem eine ringförmige Einschnürung die beiden Bezirke abhebt. Freilich scheint für die andere Ansicht, dass der Vormagen aus dem Öso- phagus entstanden sei, die Thatsache zu sprechen, dass der Bulbus zahlreiche quergestreifte Muskulatur enthält und durch diese Be- schaffenheit seiner Wand mit dem Ösophagus mehr übereinstimme. Allein ich glaube, dass man auf die drüsige Beschaffenheit des Bul- bus größeres Gewicht legen muss als auf das reichliche Vorkommen von quergestreifter Muskulatur. Denn da an vielen Beispielen nach- gewiesen ist, dass die willkürlichen Muskeln des Ösophagus nicht scharf an der Cardia enden, vielmehr auf den Magen in höherem oder geringerem Grade ausstrahlen, so kann man aus einer stärke- ren Anhäufung derselben nicht direkt schließen, dass der betreffende Theil morphologisch als ösophageale Bildung zu betrachten sei. Die Belagzelldrüsen hingegen kommen unzweifelhaft nur im Magen vor, desshalb muss man den Bulbus als einen Theil des ursprünglich einfachen Magens betrachten so lange, als nicht durch thatsächliche Beispiele demonstrirt werden kann, dass die Belagzelldrüsen wirk- lich in den Ösophagus hinausgeschoben werden. Bei der Beschreibung der äußeren Form habe ich bereits er- wähnt, dass der Bulbus sich an der caudalen Fläche von der zwei- ten Magenabtheilung schärfer abgrenze als an der eranialen. Dieser Umstand hat einen leicht erkennbaren Grund im histologischen Ver- halten der Schleimhaut, denn die im Bulbus koncentrirten Belag- zelldrüsen reichen an der cranialen Fläche eine bedeutende Strecke in den zweiten Magen herein, und gehen ganz allmählich in dessen dünne Schleimhaut über, während sie an der caudalen Fläche über die hohe Kante der von der Muskelwand vorspringenden Falte we- niger weit vordringen. Trotz dieser auffälligen Form des Magens von Myoxus avella- narius finden sich in der Litteratur sehr wenig Angaben; nur drei Morpholog. Jahrbuch. 17. 25 386 Karl Toepfer Autoren haben sich mit ihm beschäftigt: MECKEL, BERGONZINI und Leypic. MECKEL weist auf den Reichthum an Drüsen im Vor- magen, welche durch eine Menge. kleiner Öffnungen in der Schleim- haut mündeten, hin, und hält die ganze Bildung des »Proventri- eulus« für »deutliche Vogelbildung«. Leypie sagt bei Beschreibung des Verhaltens der tubulösen Drüsen im Magen von Manatus (wo- selbst kleinere, in sich abgeschlossene primäre tubulöse Drüsen durch gemeinschaftlichen Ausführungsgang eine zusammengesetzte tubulöse Drüse bilden): »Etwas Ähnliches sieht man wahrscheinlich bei My- oxus avellanarius und den eigentlichen Siebenschläfern, wo nach mehreren Forschern ein eigener kleiner, sehr dieker und drüsen- reicher Vormagen vom zweiten Magen abgeschniirt ist. BERGONZINI! meint, die Schleimhaut enthalte viele zusammen- gesetzte Drüsen, welche durch Anhäufung vieler einfacher tubulöser Drüsenschläuche entstanden, die in einen gemeinsamen Ausführungs- gang münden. Ich sehe jedoch keinen Grund, von zusammenge- setzten Drüsen zu sprechen. Denn wenn auch auf Querschnitten durch den Bulbus häufig rundliche Lumina erscheinen, die von Schleimhaut mit einfachen Drüsenschläuchen umgeben sind, so zei- gen doch gut gelungene Längsschnitte, dass diese Höhlungen nur Räume sind, welche zwischen den weit vorspringenden Schleimhaut- falten liegen. Der Vergleich MECKEL’s mit einem Vogelmagen kann nur an- genommen werden, wenn man dadurch die Scheidung des Magens in zwei hinter einander liegende Abtheilungen betont. Denn eine andere morphologische Beziehung lässt sich unmöglich feststellen. Beim Vogel besitzt der Vormagen schwach muskulöse Wände und zahlreiche Drüsen, während der Muskelmagen durch starke Entwick- lung der Muskulatur und Schleimdrüsen ausgezeichnet ist. Wie die Untersuchungen von CarrAnEo? lehren, entsteht der Vormagen nicht aus dem Ösophagus, sondern aus dem eigentlichen Magen durch Abkammerung seines vorderen cardialen Abschnittes von dem hinte- ren Theil, der bei den meisten Vögeln nur mechanische Funktion übernimmt. In der Phylogenie der Vögel ist also die verdauendes Sekret liefernde Schleimhautregion von dem Bezirk der Schleim- 1 Sulla Struttura Istologica, della Mucosa Stomacale del Myoxus Avella- narius. Nota in: Annuario della Societä del Naturalisti in Modena. Mem. Vol. IV. pag. 1—13. 1886. 2 Istologia e sviluppo dell’ apparato gastrico degli uccelli. in: Atti Soe. Ital. Se. N. Milano. Vol. XXVII. pag. 90—175. Die Morphologie des Magens der Rodentia. 387 driisen, deren Sekret zu einer cuticularen Decke erhirtet, morpho- logisch geschieden worden. In analoger Weise ist auch bei Myoxus avellanarius die Zone der Belagzelldriisen von den Pylorusdriisen durch die Formgestaltung des Magens geschieden. Man sollte erwarten, dass der Magenbau anderer Myoxiden den gleichen Typus wie Myoxus avellanarius oder mindestens Verhält- nisse zeige, welche den durch die anatomische Vergleichung wahr- scheinlich gemachten Übergang der Magenstruktur von Spermophilus zu Myoxus avellanarius an thatsächlichen Beispielen innerhalb des Stammes der Siebenschläfer vorführen. Allein die Untersuchung von Myoxus glis und Myoxus dryas hat diese Hoffnung nicht erfüllt. Die äußere Gestalt des Magens von Myoxus glis unterscheidet sich nicht wesentlich von der einfachen Form, die Sciurus und Sper- mophilus zeigen; nur ist der anatomisch als Fundus ventrieuli be- zeichnete Theil nicht wie bei jenen bauchig erweitert, sondern ver- läuft mehr langgestreckt. Auf der Innenfläche, welche mit drüsiger Schleimhaut ausgekleidet ist, lässt sich jedoch makroskopisch eine Differenzirung in zwei Regionen erkennen: ein Bezirk, der hufeisen- formig um die Cardia herum liegt und aus parallel verlaufenden Schleimhautwülsten gebildet wird, die in einzelne Läppchen zerfallen und die Schlundeinmündung ganz verdecken. Die histologische Unter- suchung ergab, dass der Magen von Myoxus glis durchgängig mit Drüsenschleimhaut ausgekleidet ist; dieselbe enthält zweierlei Drüsen, die sich in zwei nicht scharf begrenzte Regionen theilen. Die Haupt- masse der Drüsen besteht aus Belagzelldrüsen und nehmen dieselben fast den ganzen Magen ein; besonders dicht gedrängt stehen sie um die Cardia herum; die Pylorusdrüsen finden sich einzig und allein in nächster Nähe des Pylorus vor und bedecken nur eine verschwin- dend kleine Zone. Myoxus dryas besitzt wie Myoxus glis einen einfachen Magen, dessen dorsaler Wand der untere Abschnitt des Schlundes mit kegel- förmiger Erweiterung aufsitzt. Auf der Innenfläche der Drüsen- schleimhaut zeichnet sich ein an der kleinen Curvatur gelegener Bezirk durch radiär von der Cardia ausstrahlende Schleimhautleisten aus, welche sich in den erweiterten Schlund hineinzuziehen scheinen und das verhornte Schlundepithel verdecken. Die mikroskopische Untersuchung zeigt, dass die Drüsenschleim- haut des Magens in die trichterförmige Erweiterung des Schlundes hineinzieht und von dessen quergestreifter Muskulatur umhüllt wird. Über die Größe der Drüsenzonen im Magen kann ich leider keine 29 388 Karl Toepfer Angaben machen, da das einzige mir zur Verfiigung stehende Exem- plar zu schlecht erhalten war. Biber. Der Magen des Bibers (Castor fiber) ist ein einfacher Ma- gen, welcher durch eine als »Magendriise« bezeichnete Verdickung an seiner dorsalen Wand ausgezeichnet ist. Obwohl er, dank seiner auffallenden Gestalt, vielfach beschrieben wurde, ist doch ein ge- naueres Verstiindnis desselben nicht angebahnt. Besonders in der neueren Litteratur findet sich keine Arbeit vor, in welcher dem Ma- gen des Bibers eine den modernen Hilfsmitteln entsprechende Dar- stellung gewidmet wire. Es mag dies mit den ungeheuren Schwierig- keiten zusammenhängen, einen lebenden Biber oder wenigstens gut konservirte Theile desselben zu erhalten. In Folge dessen fehlt auch jede histologische Beschreibung der Magendrüse bis auf eine Angabe von Lreypic!, welche lautet: »Die große Magendrüse des Bibers besteht aus schlauchförmigen Labdrüsen, die in Gruppen ge- ordnet sind und in cavernöse Hohlräume münden, von denen der Drüsenwulst durchzogen ist.« NussBAuMm? konnte in Folge der mangel- haften Beschaffenheit des ihm zur Verfügung stehenden Materials keine Angaben über die Struktur des Bibermagens geben. Meine Beobachtungen danke ich der Güte des Herrn Prof. Dr. Mögıus, welcher mir die Untersuchung eines Bibermagens aus der kgl. zoologischen Sammlung zu Berlin freundlichst gestattete. Außerdem durfte ich durch die Güte des Herrn Prof. Dr. HERTWIG den Magen eines Biberembryos aus der kgl. Sammlung zu München für meine Untersuchungen verwerthen. Die äußere Form des Ma- gens erinnert an den Magen von Cavia cobaya in fünf- bis sechs- facher Vergrößerung; der Fundus ist die geräumigere Abtheilung des Magens, der sich nach dem Pylorus zu verjüngt. An der dor- salen Wand befindet sich ein scheibenförmiger Bezirk, wo die Magen- wand dicker erscheint; dieser liegt der kleinen Curvatur rechts vom Schlund sattelförmig auf und dehnt sich in Walnussgröße auf die eraniale und caudale Magenfliiche aus. Der Magen ist ganz mit Driisenschleimhaut ausgekleidet, die sich in der Portio pylorica in zahlreiche Längsfalten legt. Rechts von der Schlundeinmündung ' Lehrbuch der Histologie. pag. 315. 2 Über den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. Archiv für mikr. Anat. Bd. XXL pag. 296. A Die Morphologie des Magens der Rodentia. 389 (Taf. XXIV Fig. 3) finden sich, entsprechend der äußeren Ver- dickung, drei Schleimhautwülste, und zwar in der Art, dass je einer der eranialen und caudalen Magenwand angehört, während der dritte an der dorsalen Wand liest. Der Schleimhautwulst der hinteren Wand besteht aus sieben Läppchen, welche durch anatomische Prä- paration darstellbar sind und an der Oberfläche durch seichte Schleim- hautfurchen getrennt erscheinen, der vordere dagegen nur aus sechs; indess scheint das am meisten nach links dem Pylorus zu gelegene Läppchen aus zweien verschmolzen zu sein. Die dorsale Reihe weist keine deutliche Gliederung auf (Taf. XXIV Fig. 3). Die drei Drüsenwülste ragen, von der Magenschleimhaut bedeckt, wulstförmig in das Lumen des Magens hinein, so dass zwischen den- selben zwei rinnenartige Vertiefungen entstehen. Das ganze rechts von der Cardia gelegene Drüsenpacket bezeichnet man nun als die »große Magendriise«. Sie liegt, wie bereits MECKEL angiebt, zwi- schen Schleimhaut und Muskellage. Nun beschreibt aber MECKEL, dass sich diese Drüse »durch eine mittlere einfache Reihe weiter, durch vier äußere, zwei vordere und zwei hintere Reihen viel engerer Öffnungen« in die Magenhöhle öffne. WEBER dagegen sagt, dass zwanzig und mehr, theils kleinere, theils größere Ausführungsgänge vorhanden seien. Daraus scheint hervorzugehen, dass die Anzahl sowie die Vertheilung der Mündungen individuell verschieden ist. Die mit bloßem Auge sichtbaren Öffnungen führen in größere Hohlräume, von denen nach verschiedenen Richtungen unregelmäßige Kanäle ausgehen, die mit einander in Verbindung stehen und blind endigen. Wenn man solch ein Packet isolirt, erkennt man seine traubenähnliche Gestalt sehr deutlich. Drüsige Schleimhaut, welche dieht gedrängt stehende tubulöse Drüsen enthielt, kleidet die Innen- fläche dieser Cavernen aus. Ihre Öffnungen in die Magenhöhle sind nicht etwa mit einfachem Epithelbelag versehen, sondern sind selbst umstellt von den nämlichen tubulösen Drüsen, wie sie in den caver- nösen Hohlräumen sich vorfinden. Es setzt sich also ihre drüsige Schleimhaut in ununterbrochener Folge auf die Magenwandungen fort. Die tubulösen Drüsen erwiesen sich bei der mikroskopischen Untersuchung als Belagzelldrüsen. Die Hohlräume sind durch starke bindegewebige Septen von einander geschieden, welche hauptsächlich von der Mucosa gebildet sind. Von der Muskelschicht der Magenwand strahlen starke Züge in die Septen ein. Durch sekundäre Faltung wird der große Hohl- raum einer Caverne in kleinere Abtheilungen und Seitenbuchten 390 Karl Toepfer gegliedert, so dass ein Querschnitt durch das Faltengewirr schein- bar lauter neben einander stehende Schläuche zeigt. Dieser grob histologische Befund spricht klar und deutlich gegen die bisherige Anschauung, dass die sogenannte Magendrüse in Wirk- lichkeit unter den Begriff einer Drüse falle, wie sie von allen frühe- ren Beschreibern aufgefasst wurde. So schreibt z. B. WEBER: »Die Magendrüse bestand aus einer Menge kurzer und weiter Drüsengänge, welche sich in mehrere kurze geschlossene knospenartige Enden theilten, die die Peripherie der großen Drüse bildeten. Diese Enden hatten den Durchmesser von 1!/.—2 Pariser Linien.« An embryonalen Mägen konnte ich deutlich konstatiren, dass die Hohlräume nicht nach dem Schema der Drüsenentwicklung ge- bildet werden, sondern dass das mehrgeschichtete Magenepithel, welches auf der ganzen Oberfläche zu Drüsenschläuchen sich aus- buchtet, größere Aussackungen bildet, deren Wände mit Drüsenan- lagen besetzt sind. Die einzelnen Aussackungen sind geschieden durch Bindegewebssepten der Submucosa. Desshalb kann man sie nicht als Drüsen bezeichnen, sondern als Nebenräume der Magen- höhle, denn sie sind durch Ausstülpungen der Schleimhaut derselben entstanden. Indem die Drüsen enthaltenden Aussackungen gegen die Muskelwand gelagert wurden, wird die Magenschleimhaut selbst an dieser Stelle weiter von der Muscularis entfernt (Taf. XXIV Fig. 4). Die ganze Magendrüse ist demnach als eine Ausstülpung eines an der Cardia gelegenen Theiles der Magenschleimhaut aufzufassen, wodurch eine Vergrößerung der die Magenhöhle begrenzenden Drü- sentapete bei möglichster Raumersparnis erzielt wird. Wir haben hier eine ganz eigenthümliche Bildung vor uns, die- selbe findet ihr Analogon nur im Vormagen von Myoxus avellanarius. Während jedoch dort der Labdrüsen bergende Theil der Magen- schleimhaut in einen als Bulbus ventrieuli bezeichneten Vorraum des Magens abgegliedert wurde, werden beim Biber nur kleinere Seitenräume gebildet und der Theil der Wand, dessen Struktur spe- cialisirt ist, nur wenig durch seine äußere Form vom übrigen Ma- gen abgehoben. Eine Untersuchung der übrigen Schleimhaut war leider nicht mehr möglich, da dieselbe durch die Fäulnis bereits zu sehr zer- stört war. Ich kann also hier keinen Aufschluss geben, ob die Py- lorusdrüsen auf einen größeren Bezirk ausgedehnt wurden. Die Morphologie des Magens der Rodentia. 391 Die Myomorpha. Der Magen der eigentlichen Mäuse und der Wühlmäuse ist von Rerzius und BRÜMMER! in ausgezeichneter Weise sowohl anatomisch als histologisch beschrieben worden, desshalb kann ich mich kürzer fassen und auf die frühere Darstellung verweisen. Da aber BRÜMMER mehr die physiologische Bedeutung des Magenbaues ins Auge fasste, so hat er manche Thatsachen, die morphologische Bedeutung haben, nicht so scharf betont. Dieses nachzuholen wird meine Aufgabe sein. Ich beginne mit der Beschreibung des Magens von Mus mus- culus (Taf. XXIV Fig. 12), welcher die geringsten Komplikationen unter den verschiedenen Varianten der Magenform der Muriformes zeigt und desshalb als Ausgangspunkt angesehen werden muss. Der gefüllte exenterirte Magen zeigt schon an seiner Außen- fläche deutlich zwei Abtheilungen, die durch eine reifartige, von der kleinen zur großen Curvatur über die vordere und hintere Magen- wand verlaufende Grenzlinie geschieden sind. Diese Grenzlinie um- greift an der kleinen Curvatur den Schlund, indem sie an seiner gegen den Pylorus zugekehrten Seite vorbeizieht. An der großen Curvatur ist die Trennung durch eine kleine Einziehung der ven- tralen Wand, welche sich als seichte Furche auf die vordere und hintere Fläche fortsetzt, noch schärfer ausgesprochen. Schneidet man nun den Magen an der großen Curvatur auf, so findet man, dass dieser Linie eine an der Innenfläche verlaufende, circa 1,5 mm hohe Falte entspricht, welche die zwei Abtheilungen des Magens abgrenzt. BRÜMMER hat sie Grenzfalte genannt. Das derbe weißliche Aussehen der links von ihr gelegenen Abtheilung verräth sofort, dass ihre Auskleidung eine verhornte Schleimhaut bildet, während die rechts gelegene sammetartige, zart rosaroth ge- färbte Schleimhaut als drüsige zu erkennen ist. Die Grenzfalte steigt von der ventralen Fläche aus an der vorderen und hinteren Wand in die Höhe, entsprechend der äußerlich sichtbaren Grenz- linie. An der dorsalen Wand angekommen (Taf. XXIV Fig. 14), biegt sie in kleiner bogenförmiger Krümmung nach dem Pförtner aus, so dass sich das verhornte Epithel der linken Magenabtheilung an der kleinen Curvatur zungenförmig in den Drüsenmagen hinein- schiebt. Man kann die Grenzfalte also einem um die innere Magen- 1 Anatomische und histologische Untersuchungen über den zusammenge- setzten Magen verschiedener Siiugethiere. Zeitschrift für Thiermedicin. 1876. 392 Karl Toepfer wand gelegten Reife vergleichen, der an der kleinen Curvatur einen rundlichen Bügel in den Drüsentheil vorschiebt (Taf. XXIV Fig. 12). Durch die Grenzfalte wird der Cardiasack und die Einmündungs- stelle des Schlundes scharf von der Drüsen enthaltenden rechten Magenabtheilung geschieden, und der Unterschied im histologischen Bau beider Theile auch morphologisch klar zum Ausdruck gebracht. Die Magenwand ist aus drei Schichten, Serosa, Muscularis und Mucosa zusammengesetzt. Die Muscularis besteht aus zwei Lagen, einer dicken Cirkulär- und einer dünneren Longitudinalschicht. Die Schleimhaut der linken Abtheilung, welche Pflasterepithel trägt, ist von BRÜMMER und SLAVUNOS! so genau beschrieben worden, dass ich nichts Neues hinzufügen kann. Die unterste Matrixschicht besteht aus großen plasmareichen, rundlichen Zellen mit großem Kern, darüber liegen mehr abgeplattete Zellen mit größerem Kern, welchen sich eine Eleidinkörner enthaltende Zellschicht anschließt, ihr folgt end- lich das Stratum corneum. Die histologische Beschaffenheit der Grenzfalte ist von BRÜMMER ziemlich zutreffend geschildert. Sie ist von der Schleimhaut der linken Magenkammer gebildet und mit verhorntem Epithel überzogen. Naturgemäß ist dessen Dicke an der gegen die linke Abtheilung gerichteten Fläche der Grenzfalte am mächtigsten entwickelt. Auf der anderen, nach dem Drüsenmagen abfallenden Seite hingegen nimmt die Dicke des Epithelbelags vom freien Rande bis zum Grunde hin ab. Indem die verhornten Lagen am Faltengrunde dünner wer- den und schwinden, geht die Matrixschicht direkt in die Cylinder- zellen der Drüsenschleimhaut über. BRÜMMER giebt im Widerspruch zu KLEIN an, dass die Grundlage der Falte von der eigentlichen Submucosa gebildet werde, während die Muscularis mucosae nur ge- ringen Antheil nehme. Meine Präparate aber haben mich zu der Überzeugung geführt, dass gerade die ganze Submucosa und be- sonders ihre Muskelschicht die Bildung dieser Falte hervorruft. Der dorsale, zungenförmig in den Drüsenmagen hineinragende Bügel der Grenzfalte zeigt die nämliche Struktur wie die Grenzfalte. In dem rechten Drüsenmagen befinden sich drei Drüsenzonen. Die von EDELMANN beschriebene große Cardiadrüsenzone liegt längs der kleinen Curvatur und erstreckt sich, indem sie die an der dor- salen Wand in den drüsigen Theil hineinragende, Plattenepithel ‘ Über den Verhornungsprocess der Pars cardiaca. Verhandlungen der phys.-medic. Gesellschaft zu Würzburg. N. F. Bd. XXIV. 1890. Die Morphologie des Magens der Rodentia. 393 tragende Zunge umgreift, längs der Grenzfalte an der vorderen und hinteren Magenwand herunter bis ungefähr ein Drittel des Magen- durehmessers, daselbst geht sie allmählich durch eine 5—6 mm breite Zone in die Fundusdrüsenregion über. Den Übergang beider Schleimhautregionen, welchen übrigens schon BRÜMMER gesehen zu haben scheint!, beschreibt EDELMANN wie folgt: »Indem zuerst Be- lagzellen ganz vereinzelt am Grunde des Tubulus auftreten, wird allmählich ihre Zahl nach dem Drüsenkörper zu größer; es treten zwei, drei und mehr auf, und indem auch die Hauptzellen ihre cha- rakteristische Form annehmen, sieht man diese Übergangsbilder auf 5—6 mm der Schleimhaut sich erstrecken. Die Belagzellen, welche einzeln auftreten, haben eine eigenthümlich zugespitzte Form, so dass sie unter Umständen fast keulenförmig erscheinen. Auch läng- lich geformte kommen vor, so dass man mit Sicherheit den Eindruck gewinnt, dass die Belagzellen aus Cylinderzellen hervorgehen.« Die Labdrüsenzone tapeziert den ventralen Abschnitt der Magenwände aus und geht an der großen Curvatur, wie die Cardiadrüsenzone an der kleinen, allmählich in die Pylorusdrüsen über. Der Magen von Mus decumanus und Mus rattus (Taf. XXIV Fig. 5) stimmt bis auf kleine Unterschiede und die abweichende Größe mit Mus musculus vollkommen überein. Die Grenzfalte er- reicht hier eine Höhe von 1,5—2,00 mm. Während dieselbe jedoch bei Mus musculus an dem an der kleinen Curvatur befindlichen, zungenförmig in den Drüsenbeutel hineingeschobenen Bügel ihre ur- sprüngliche Höhe beibehielt, bildet sie bei Mus decumanus und Mus rattus an den am weitest nach dem Pförtner zu vorgeschobenen Theilen des Bügels zwei schon von BRÜMMER beschriebene, schrau- benflügelähnliche Läppehen. Das histologische Verhalten stimmt mit Mus musculus vollkommen überein. Die äußere Gestalt des Magens von Mus sylvaticus ist der Magenform von Mus musculus sehr ähnlich. Als einziger Unter- schied lässt sich konstatiren, dass nicht nur an der ventralen Wand, sondern auch an der kleinen Curvatur, rechts vom Schlund, eine Einschnürung vorhanden ist. Der Innenraum des Magens ist durch die Grenzfalte in eine rechte und linke Abtheilung geschieden, die in etwas anderer Weise verläuft als bei Mus musculus beschrieben ward. Während nämlich dort die Grenzfalte an der dorsalen Wand nach dem Pförtner zu in bogenförmiger Krümmung ausweicht, läuft ij. ¢.. pag. 21. 394 Karl Toepfer sie hier mit rechtwinkliger Knickung nach der anderen Seite hin- über (Taf. XXIV Fig. 15 5). Mit anderen Worten, der reifartigen Grenzfalte von Mus sylvaticus sitzt in der Gegend der kleinen Cur- vatur kein rundlicher, sondern ein rechtwinklig abgebogener Bügel auf, der in den Drüsenmagen hineinragt. Dadurch wird im Ver- gleich zu Mus musculus nur ein kleiner, rechts gelegener Bezirk an der kleinen Curvatur vom verhornten Epithel der linken Magenhälfte bedeckt. Als neue Bildung erscheint an der kleinen Curvatur eine zweite Falte, welche den linken Rand der Mündungsstelle des Schlundes umgreift und mit ihren beiden Schenkeln den zwei Punk- ten der Grenzfalte aufsitzt, welche die Basis des rechtwinkligen Bügels bilden. Dieser Falte sei der Name Schlundfalte beigelegt (Taf. XXIV Fig. 15 7). So entsteht ein Faltendreieck, dessen Grund- linie, von dem Bügel der Grenzfalte gebildet, im Drüsenmagen liegt, während seine Spitze links neben der Cardia steht. Durch die oben erwähnte Einziehung der Magenwand an der kleinen Curvatur er- scheinen die Schenkel des Dreiecks über der Basis geknickt. Die Grenzfalte zeigt die gleiche Struktur wie bei Mus ınusculus, ihre Grundlage bildet auch hier die Muscularis mucosae. Die Schlundfalte jedoch lehrt uns die mikroskopische Untersuchung als besondere Bildung erkennen. Hier ist es nicht die Submucosa und Muscularis mucosae, welche ihr Entstehen hervorruft, sondern die eigentliche, vom Schlund auf die Magenwand in starken Lingsfaserschichten aus- strahlende Museularis, welehe nun ihrerseits die Mucosa der Cardia- abtheilung vor sich herschiebt. In gleicher Weise wird die Ein- ziehung an der kleinen Curvatur und die daraus resultirende Knickung bewirkt durch die sich dort zusammenschnürende Muscularis. Schon ParrAs! giebt den Unterschied einer verhornten und drü- senhaltigen Abtheilung im Magen verschiedener Nagethiere an. Aus seinen Angaben ist zu erschließen, dass gleiches Verhalten wie Mus musculus, decumanus und sylvaticus auch Mus talpinus, Mus tiflus, Mus lagurus, Mus socialis, M. oeconomus, M. gregalis, M. rutilus, M. aliarius, M. accetula, M. phaeus, M. songarus, M. longipes zei- gen. Es ist allerdings nicht gewiss, ob die angeführten Species zu M. muse. oder sylvatic. in Bezug auf ihren Magenbau zu zählen sind, da die stehende Phrase desselben: »Intus cavum divisum pliea insigni a medio areu minori lunatim ascendente simplici ciliata« wie 1 Novae species Quadrupedum e glirium ordine. 1792. Die Morphologie des Magens der Rodentia. 395 auch die Abbildungen einen näheren Aufschluss nicht geben. Auf alle Fälle gehören jedoch zu Mus musc. die mir durch das freund- liche Entgegenkommen des Herrn Hofrath Prof. Dr. Meyer aus dem kgl. Museum zu Dresden überlassenen Species als: Mus agrarius, M. minutus, M. huegeli, M. ephippium, M. Leggada badduga, M. exsulans. Ferner die aus dem kgl. Museum zu Stuttgart mir zur Ansicht durch Herrn Prof. Dr. LAmrErr freundlichst überlassenen Exemplare von Gerbillus pyramidum und Sigmodon hispid. Dagegen stimmt mit Mus sylvaticus überein Acomys cahirrinus und Hespe- ' romys arviculoides. Der Vergleich des Magens von Mus musculus, decumanus und sylvaticus hat ergeben, dass bei diesen Arten der Verlauf der Grenz- falte auch auf der Außenfläche durch eine seichte Furche kenntlich gemacht wird, deren stärkere Einsenkung bei Mus sylvaticus einen morphologischen Gegensatz der beiden Magenhälften bedingt. Bei Cricetus frumentarius ist nun, so weit ich nach dem mir vor- liegenden Material urtheilen kann, das Extrem dieser Bildung er- reicht. Die Grenzfurche, welche bei Mus musculus als seichte Rinne an der großen Curvatur auftrat, ist zu einer so starken Einschnürung entwickelt, dass die beiden Magenhälften nur noch durch ein enges ringförmiges Verbindungsstück zusammenhängen (vgl. Abbildung Taf. XXIV Fig. 1, 13). Die große und geräumige linke Abtheilung ist langgezogen, wurstförmig, während der breitere rechte Drüsen- sack ungefähr bohnenförmig gestaltet ist. Beide Abtheilungen sind gegen die Dorsalseite aufgebogen, und ist die kleine Curvatur so sehr konkav gekrümmt, dass das blinde Ende des linken Sackes nahe dem Pylorusende liegt. Der Ösophagus sitzt der linken Ab- theilung schräg auf. Wir sehen also schon bei äußerlicher Betrach- tung durch die starke Einschnürung der Grenzfurche den Magen in zwei Kammern zerfallen, deren morphologische Verschiedenheit durch die engen Beziehungen entweder zum Ösophagus oder zum Pylorus ausgedrückt wird. Während bei Mus der Magen nur als eine ein- fache Erweiterung des Darmtractus erscheint, ist hier die histologische Homologie eines Theiles der Magenschleimhaut mit dem Ösophagus, beziehentlich Pylorus so scharf in der Form ausgedrückt, dass man sagen kann, der Magen des Hamsters setzt sich wirklich aus zwei Abtheilungen, einer ösophagealen und einer duodenalen zusammen. An der Innenfläche sticht die linke ösophageale Abtheilung durch ihre weißliche derbe Schleimhaut von der rechten, die mit einer rothen sammetartigen Schleimhaut austapeziert ist, ab (Taf. XXIV 396 Karl Toepfer Fig. 2). Beide Kammern sind wie bei Mus durch eine Grenzfalte geschieden, die ebenfalls in schräger Richtung von der großen zur klei- nen Curvatur verläuft und an letzterer nach rechts von der Ösopha- gusmündung ausbiegt. An der kleinen Curvatur heften sich ihr die Schenkel der schon bei Mus sylvaticus auftretenden Schlundfalte an, welche den linken Rand der ösophagealen Mündung umgreift und ziemlich weit in den Blindsack hineinreicht. Der typische, bei Mus beobachtete Verlauf der Grenzfalte wird jedoch hier nicht beibehal- ten, da die tiefe Einschnürung der Grenzfurche eine Verengerung des umschlossenen Grenzraumes bedingt und die Grenzfalte an der eranialen und caudalen Magenwand stark gegen den Pylorus aus- gebuchtet wird. In Folge dessen springt die Schleimhaut des lin- ken Magens mit zwei flügelähnlichen Lappen in den Drüsensack vor. Da die Grenzfalte an den Seitenwänden des Magens so stark aus- gebogen wird, ist an der kleinen Curvatur selbst das Vorspringen des Grenzbügels nicht mehr zu erkennen; an dieser Stelle zieht sich vielmehr die Grenzfalte gegen die ösophageale Mündung ein, so dass Grenzbügel und Schlundfalte annähernd parallel verlaufen (vgl. Abbild. Taf. XXIV Fig. 2). Die starke Krümmung der beiden Magenhälften nach der Dorsalseite, welche die äußere Gestalt des Hamstermagens so auffallend charakterisirt, bedingt auch eine eigen- artige Form der Magenhöhle; denn die Pylorushälfte ist gegen den Blindsack geradezu abgeknickt, und besonders an der kleinen Curvatur durch einen schräg gegen den Drüsenmagen vorspringenden Kamm von letzterem getrennt. Da dieser Kamm (Fig. 13 g) sich bogenförmig an der kleinen Curvatur hinzieht, ungefähr bis zur Spitze der Horn- zunge, und das enge Verbindungsthor zwischen den beiden Magen- kammern überwölbt, so möchte ich ihn als Magengewölbe, und seine seitlichen Abschnitte als Pfeiler bezeichnen. Indem die Grenz- falte längs der Pfeiler des Gewölbes läuft und letzteres theilweise selbst überzieht, sind diese Gebilde mit verhornter Schleimhaut bedeckt; nur der höchste und dorsal gelegene Theil des Gewölbes an der kleinen Curvatur ist mit Drüsenschleimhaut überzogen. Wie man sich durch Präparation leicht überzeugen kann, wird das Ge- wölbe von der dorsalen Wand der Hornkammer gebildet, welche sich schräg nach unten und rechts in den Drüsenmagen hineinschiebt. Die Schlundfalte ist viel stärker entwickelt als bei Mus sylvatieus und erinnert sehr an die Schlundrinne der Ruminantia. Da die Schenkel derselben an die Pfeiler des Gewölbes herantreten, wird auch hier wie bei Mus sylvaticus ein Dreieck um die Cardia gebildet, dessen Die Morphologie des Magens der Rodentia. 397 Spitze links vom Schlund liegt, dessen Basis durch das Magengewölbe dargestellt wird. Diese eigenthümlichen, leicht in die Augen springenden Ver- hältnisse mussten naturgemäß Jedem, der den Magen vom Hamster betrachtete, auffallen. Wir finden daher auch in der Litteratur den Magen des Hamsters öfters erwähnt, und in den Lehrbüchern als typisches Beispiel der doppelten Magenform angeführt. Nichtsdesto- weniger ist er bis auf den heutigen Tag nur mangelhaft beschrieben und schlecht abgebildet worden. Die älteste und beste Beschreibung liefert SULZER in seinem Werkchen »Versuch einer Naturgeschichte des Hamsters 1774«. Derselbe hat zwar Manches falsch gesehen, im Großen und Ganzen aber eine richtige Darstellung des grob anatomischen Verhaltens gegeben. Außer der Bemerkung Cuvıer’s, dass der große Blindsack von dem übrigen Theile des Magens durch einen gefransten Vorsprung getrennt sei, betreffen die späteren Notizen nur die Zweitheilung des Magens. EDELMANN, welcher sich Cuvier anschließt, fügt dieser Beschreibung noch eine ziemlich zutreffende Skizzirung der Schlund- rinne hinzu. Was nun das histologische Verhalten anbetrifft, so ist die Grenz- falte nur an der ventralen Wand im Bau identisch mit der Grenz- falte bei Mus und zeigt als Grundlage nur die Muscularis mucosae. Wie durch die morphologische Umbildung des Magens der Verlauf der Grenzfalte komplieirter wird, so wird auch ihre histologische Zu- sammensetzung geändert, indem sie mit den Neubildungen der Mus- kelwand an der Dorsalseite in Beziehung tritt. In Folge dessen ist die Grundlage ihres oberen, an der dorsalen Seite gelegenen Theiles bis zu den Flügellappen Muskulatur der Magenwand; die auf letz- terer sich erhebenden sekundären Fältchen der Grenzfalte haben je- doch wieder die Muscularis mucosae zur Grundlage. Die Schlundrinnen- falten sind durch starke Längsbündel der Magenmuskulatur gebildet. In dem Drüsenbeutel finden sich auch beim Hamster alle drei Drüsenzonen vor. Die Cardiadrüsenzone liegt dorsal vom Gewölbe an der kleinen Curvatur, die Labdrüsenzone an der großen Curva- tur; beide gehen nach rechts in die Pylorusdriisenzone über. Beim Hamster hat im Vergleich zu Mus musculus und sylvati- eus eine Vergrößerung der verhornten Schleimhautfläche stattgefun- den, welche bedingt scheint durch die tiefere Einsenkung der Grenz- furche und die daraus resultirende Abschnürung der linken von der rechten Magenabtheilung. Indem die Schleimhautfalte in ihrer ur- 398 Karl Toepfer sprünglichen Ausdehnung bestehen bleibt, während sich der Raum, den sie reifförmig umgiebt, verengt, legt sie sich auf der als Pfeiler und Gewölbe in das Lumen des Magens hereindrängenden Musku- latur in Falten und wulstet sich in den Drüsenmagen vor, ihr folgt das verhornte Epithel des linken Magensackes. Sein Flächenwachs- thum erfolgt auf Kosten der Cardiadrüsenzone, da an der Stelle, wo bei Cricetus die Flügelläppchen mit ihrem Plattenepithel liegen, bei Mus sich ein Theil der Cardiadrüsen ausbreitet. Der Magen von Arvicola amphibius (Lemnus amphibius. Hypudaeus amphibius) gleicht seiner äußeren Form und Lage nach ohne wesentliche Unterschiede dem Hamstermagen. Beide Kammern sind durch eine tiefe Grenzfurche geschieden und nach der Dorsal- seite abgebogen. An der Innenfläche verläuft in homologer Weise wie bei Cricetus die Grenzfalte. Sie steigt (Taf. XXIV Fig. 7) von der großen Curvatur an der vorderen und hinteren Wand ungefähr bis zur halben Höhe der Magenhöhle empor, wo sie mit scharf rechtwinkliger Knickung nach rechts in die Drüsenkammer vorspringt und gegen den Pförtner zu verläuft; halbwegs wendet sie sich aber, einen Bogen beschreibend, rückläufig nach der dorsalen Wand und schmiegt sich dem Gewölbe an. Sie folgt jedoch nicht dem Rande desselben, sondern überwulstet die dem Pylorus zugekehrte Fläche der dorsalen Scheidewand. Die bügelartige Ausbeugung ist nicht mehr vorhanden. Da die Grenzfalte an der vorderen und hinteren Wand seitlich ausbiegt, wird in den Drüsenmagen eine Zunge des verhornten Epithels geschoben, durch welche gewissermaßen eine Verzapfung der rechten und linken Magenabtheilung zu Stande kommt. Als besondere Eigenthümlichkeit der Falte ist noch zu be- merken, dass ihr freier Rand nicht glatt ist, sondern in 10—12, 0,5—1,00 mm große Zähne ausgefranst ist, deren Spitzen nach dem Drüsenbeutel zu gerichtet sind. An der kleinen Curvatur treten die Schenkel der den Schlund schleifenförmig umgebenden Schlundfalte an die Grenzfalte heran. Durch diese Beschreibung trete ich in Widerspruch zu Rerzıus!, der zuerst den Magen der Wühlmäuse genauer untersuchte, und zu BRÜMMER, der diese Darstellung vollständig bestätigte. Während beide Forscher Form und Lage des Cardiasackes sowie das zungen- artige Vorspringen des verhornten Epithels richtig erkannten, geben ' Rerzıus, Uber den Bau des Magens bei den in Schweden vorkommen- den Wiihlmiiusen. Archiv für Anatomie und Physiology. 1841. Die Morphologie des Magens der Rodentia. 399 sie an, dass der nierenförmige Pförtnertheil aus drei kleineren Beuteln bestehe, von denen zwei die große und einer die kleine Curvatur einnehmen solle. Da ich schon bei Betrachtung des ersten Exemplars der Wasserratte der Richtigkeit dieser Angaben nicht bei- pflichten konnte, habe ich noch viele Thiere untersucht, aber ich konnte mich niemals überzeugen, dass der Drüsenmagen durch außen verlaufende Furchen wirklich in drei Beutel zerfalle. Der Widerspruch lässt sich leicht erklären, wenn man die Kon- servirungsmethode, welche Rerzius angewandt und sehr warm em- pfohlen hat, mit kritischem Auge betrachtet. Er hat nämlich die Mägen vom Pylorus aus mit starkem Alkohol gefüllt und sie dann zum Härten in solchem aufgehängt; möglicherweise hat nun ein zu starker Druck bei der Injektion Ausbuchtungen des Drüsenmagens verursacht und zu Täuschung Veranlassung gegeben. Man könnte allerdings der Unterscheidung von Rerzıus bis zu einem gewissen Grade beistimmen, wenn nur der verschiedene histologische Bau der Drüsenschleimhaut bezeichnet werden soll. Die ventral von der Ver- zapfung an der großen Curvatur gelegene Schleimhaut, ein Bezirk. den Rerzıus Drüsenbeutel, Pullus scutum glandulosum nennt, ist durchgängig aus Belagdrüsen gebildet, während die übrige Schleim- haut nur Pylorusdrüsen enthält. Da nun der von Rerzıus als rechter und linker Pförtnerbeutel bezeichnete Abschnitt Pylorusdrüsen besitzt, der dritte Beutel des Pförtnertheils aber Belagzelldrüsen, so sind die Bezeichnungen Pfört- nerbeutel und Drüsenbeutel nicht unangebracht; dabei ist jedoch festzuhalten, dass sie rein histologische und keine morphologischen Unterschiede bedeuten. BRÜMMER giebt an, im kleinen Pförtnerbeutel nach Rerzıus Nomenklatur kämen niedrige Labdrüsen vor, ich da- gegen habe sowohl im rechten wie linken Pförtnerbeutel nur Pylorus- drüsen gefunden. Eine Cardiadrüsenzone ist nicht vorhanden, denn es liegt an der Stelle der vorderen und hinteren Wand, welche der Cardiadrüsen- zone im Magen der Murida homolog ist, die Plattenepithel tragende Verzapfung und das gleichfalls mit verhorntem Epithel überkleidete Gewölbe. Der an der kleinen Curvatur liegende Bezirk. der bei Mus und Cricetus Cardiadrüsen besitzt, ist also vollkommen rückgebildet worden. Das histologische Bild der linken Magenabtheilung gleicht der bei Cricetus gegebenen Beschreibung. Schlundrinne, Gewölbe und Pfeiler werden von der Muscularis gebildet. Die Grenzfalte ist nur in ihrem ventralen Theile eine Bildung der Muscularis mucosae. 400 Karl Toepfer Die Specialisirung des Magenbaues ist am weitesten gediehen bei der Feldmaus, Arvicola arvalis. Äußerlich giebt sich zwar die Trennung in eine rechte und linke Abtheilung kund, jedoch schnürt die Grenzfurche die Wand nicht so stark ein und macht den morphologischen Gegensatz beider Kammern nicht so klar wie bei Arvicola amphibius und Cricetus. Die Gestalt des Magens von Arvicola arvalis könnte, weil der Schnürring weniger ausgebildet ist, an Mus erinnern, wenn nicht die scharfe Abknickung beider Hälften nach der dorsalen Seite und die scharfe tief eingeschnittene Kerbe die morphologische Beziehung zur Magenform von Amphibius anzeigen würde. Der rechte Pylorussack (Taf. XXIV Fig. 8) wird durch eine neu auftretende seichte, hufeisenförmige, parallel zur langen Achse des Magens verlaufende Furche in zwei deutlich be- grenzte Abtheilungen geschieden, eine dorsal in den Pylorus sich fortsetzende, und eine ventral gelegene. Erstere heiße Pförtner- beutel, letztere Drüsenbeutel. Diese Drüsenschale besitzt bedeutend dickere Schleimhaut als der Pförtnerbeutel und ist an frischen Prä- paraten durch eine mehr röthliche Farbe von letzterem unterschieden. Die Betrachtung der Innenfläche des Magens zeigt, dass die typische Grenzfalte, welche bei den bisher besprochenen Species linke und rechte Magenabtheilung trennte, nicht mehr vorhanden ist. Denu das verhornte Epithel ist, wie bereits Rerzıus erkannte, nicht ausschließlich auf den linken Cardiasack beschränkt, sondern dehnt sich über den größten dorsalen Theil der Innenfläche der rechten Magenhälfte aus und verdrängt fast alle daselbst gelegenen Pylorus- driisen. Nur an der großen Curvatur bleibt ein muldenförmiger Bezirk mit Drüsenschleimhaut bedeckt; er wird allseitig begrenzt durch eine Falte, welche, entsprechend der Grenzfalte bei Hypudaeus von der großen Curvatur ausgehend, an der vorderen und hinteren Magenwand aufsteigt bis ungefähr zur halben Höhe des dorsoven- tralen Durchmessers. Dort biegt sie unter rechtem Winkel in die rechte Magenabtheilung hinein und verläuft nun wie die äußerlich sichtbare Furche parallel zur ventralen Wand um das Drüsenfeld herum. Der darüber gelegene Pförtnerbeutel wird begrenzt vom Pylorus nach rechts, vom Gewölbe nach links und ventral von der Grenzfalte (Taf. XXIV Fig. 16). Der ganze Pförtnerbeutel ist mit verhorntem Epithel ausgekleidet, mit Ausnahme eines an der dor- salen Wand gelegenen kleinen länglichen Streifens, welcher Pylorus- drüsen enthält. Er wird umgrenzt von einer Falte, welche ihn schleifenförmig umgiebt, so dass das Knie der Schleife in den Magen Die Morphologie des Magens der Rodentia. 401 zu liegen kommt, während ihre Enden im Duodenum an eine ventral ins Duodenum hineinragende Falte des Pförtnertheiles übergehen. Mithin befindet sich auch im Anfangstheil des Duodenum ventral verhorntes Epithel, während dorsal die Drüsen des Magens in die Darmdrüsen übergehen. Diese eben beschriebenen Verhältnisse hat Rerzius ganz richtig gedeutet und in ausgezeichneter Weise mit dem Befunde bei Am- phibius verknüpft. Er sagt: »Diese Epitheliumbekleidung für den Pförtnertheil ist deutlich eine sich weiter erstreckende Entwicklung der erwähnten, bei Lemnus amphibius vorkommenden, in den Pfört- nertheil vorspringenden flügelähnlichen Lappen.« Wahrscheinlich haben sich bei Vorfahren von Arvalis die zun- genförmigen Fortsätze der verhornten Schleimhaut, die bei Amphibius beobachtet sind, dorsal und gegen den Pylorus ausgedehnt, und sind endlich sowohl an der kleinen Curvatur wie auch an einer kurzen Stelle der großen Curvatur verschmolzen, dadurch ward die ver- hornte Schleimhaut in den Pylorussack vorgeschoben und der typi- sche Verlauf der Grenzfalte gestört. Da die an der ventralen Wand liegende, Fundusdrüsen ent- haltende Schleimhaut von dem Processe nicht angegriffen wurde, so bleibt der ventrale Bogen der Grenzfalte und der ventrale Rand ihres Seitenbügels erhalten, d. h. der letztere ward nur wenig ver- längert, bis er die Wand des Pylorussackes auch an der großen Curvatur beriihrte. Der dorsale Drüsenstreif des Pylorusbeutels macht die Deutung sehr wahrscheinlich, dass das Hornepithel des Pförtnertheiles durch Verwachsung der beiden Epithelzungen, welche sich über die craniale und caudale Magenwand ausbreiten, entstan- den sei. Während bei Amphibius durch die Ausbreitung des ver- hornten Epithels die Cardiadrüsen geschwunden sind, werden hier auch die Pylorusdrüsen verdrängt, und als letzter Rest derselben bleibt jener schmale Reifen am Pylorus bestehen. Die Bedingung derartiger Entwicklung ist schon im Magen von Arvicola amphibius gegeben, wo das verhornte Epithel bereits das Gewölbe überwulstet. Der Verlauf der Grenzfalte ist, wie wir sahen, äußerlich am Magen ausgeprägt. Da sie nicht mehr typisch verläuft, so wird die Grenzfurche undeutlicher, dafür tritt jedoch eine Furche um das Drüsenfeld herum auf. Nur die Abknickung beider Hälften zeigt dann dem Auge des Beobachters, dass früher Verhältnisse bestanden, welche mit dem Magenbau von Amphibius übereinstimmten. Die Flächenausdehnung des verhornten Epithels in die rechte Magen- Morpholog. Jahrbuch. 17. 26 402 Karl Toepfer abtheilung beeinflusst also ganz direkt das innere Relief und die äußere Gestalt des Magens. Unter den übrigen von mir untersuchten Nagern konnte ich kon- statiren, dass gleichen Bau des Magens wie Arvicola arvalis noch besitzt: Arvicola campestris, Arvicola obscura (Stuttgart), ratticeps, Savii, Neotoma perruginea (Stuttgart), und der aus dem Berliner Museum stammende Magen von Hesperomys ratticeps und maniculatus. Entwicklung des Magens von Mus und Arvicola. Die bisher geschilderten Thatsachen lassen sich nicht zu Gun- sten der Auffassung verwerthen, dass die linke mit verhornter Schleimhaut ausgekleidete Magenkammer phylogenetisch aus dem Osophagus entstanden sei, denn wenn auch die scharfe Abgrenzung derselben bei Cricetus und Arvicola amphibius jene Deutung wohl zu stiitzen scheint, so spricht doch die einfache Form bei Mus musculus decumanus und sylvaticus gegen sie. Ich habe nun Embryonen von Mus musculus und Arvicola arvalis untersucht, um zu sehen, ob die individuelle Entwicklungsgeschichte einen Beitrag zur Lösung dieser Frage liefern könne. Der Magen entsteht als eine Erweiterung des Vorderdarmes, die mit einer einfachen Lage kubischer Entodermzellen ausgekleidet ist. Dieses kubische Epithel bildet auch dann, nachdem der Magen, der erst einen langgestreckten Hohlschlauch darstellt, bei Embryonen von 6 mm Größe, an der kleinen Curvatur sich einzu- schnüren beginnt, noch in beiden Abtheilungen wie auch im Schlund die innere Auskleidung. Allein bald wird das Epithel des ganzen Magens mehrschichtig und dann tritt bei größeren Embryonen von 8—15 mm eine Differenzirung ein: In dem später drüsigen Theil des Magens strecken sich die Zellen in die Länge und bilden ein mehrgeschichtetes eylindrisches Epithel, welches Einstülpungen der Drüsenanlagen zeigt und sich durch seine Mächtigkeit klar von dem Epithel der linken Magenabtheilung unterscheidet, welches trotz zweier Zelllagen viel dünner erscheint. Bei Embryonen von 14 mm Größe wird dieses Epithel durch rasche Wucherung seiner Elemente auch mehrschichtig und die oberen Lagen platter als die unterste Matrixschicht. Die Umwandlung beginnt am blinden Ende des lin- ken Sackes und schreitet nach dem Drüsenmagen vor, aber noch lange Zeit bleibt zwischen dem Driisentheil und dem verhornten Epithel eine indifferente Ubergangszone. Bei Embryonen von 17 mm Die Morphologie des Magens der Rodentia. 403 Länge beginnt nun sowohl bei Mus wie Arvicola im blinden Ende der linken Magenabtheilung die Verhornung der obersten Epithel- schicht und schreitet von da allmählich nach rechts fort. Auffallen- derweise beginnt der Verhornungsprocess im Schlunde viel später als im Magen. Bei Embryonen von 19 mm Länge ist die linke Magenhälfte vollständig mit verhorntem Epithel ausgekleidet, während der Schlund noch frei davon ist; erst bei 20—21 mm tritt das Stra- tum corneum auch im Schlund auf. Die Ontogenie beweist somit, dass das verhornte Epithel aus einem Bezirke der Zellschichten entsteht, welche die unzweifelhaft als Magenhöhle zu bezeichnende Erweiterung des Vorderdarmes aus- kleiden. Es liegt desshalb kein thatsächlicher Grund vor, die linke Kammer als Bildung des Ösophagus anzusprechen. Schlussbetrachtung. Aus der vorhergehenden Darstellung ist ersichtlich, dass die Nagethiere drei verschiedene Typen des Magenbaues zeigen. Die Lagomorpha und Hystricomorpha besitzen einen einfachen Magen, welcher zwei Drüsenregionen aufweist: die Zone der Pylorusdrüsen und der Belagzelldrüsen. Beide Zonen sind, wie wir gesehen haben, in der Weise im Magen vertheilt, dass die Belagzelldrüsen die linke größere, als Fundus ventrieuli bezeichnete Hälfte des Magens ein- nehmen, während die Pylorusdrüsen auf den kleineren rechten, als Portio pylorica bezeichneten Theil des Magens beschränkt sind. Bei den Seiuromorpha wird aber die Ausdehnung der Labdrüsenregion durch das Vordringen der Pylorusdrüsen in den linken Magensack stark geschmälert. Bei Spermophilus liegen Labdrüsen überhaupt nur um die Cardia herum. Bei Myoxus avellanarius wird die lab- drüsenhaltige Schleimhaut vom Pylorusdrüsenbezirke geschieden, so dass ein neuer Abschnitt, der Bulbus ventrieuli, entsteht. Bei den Myomorpha ist die Scheidung des Magensackes in zwei Abtheilungen eingetreten, von denen die eine rechts gelegene ihre innigen Be- ziehungen zum Ösophagus durch verhornte Schleimhaut, die andere zum Darm durch drüsige Schleimhaut kund giebt. Beide sind ge- trennt durch eine der linken Magenhälfte angehörige und daher mit verhorntem Epithel überzogene Grenzfalte, welche durch Wucherung der Submucosa und Museularis mucosae entsteht. Dieselbe läuft reifförmig um das Innere des Magens herum, bildet bei Mus mus- culus einen gebogenen, bei Mus sylvaticus einen rechtwinkligen, in 26” 404 Karl Toepfer den Drüsenmagen vorspringenden Bügel; derselbe ist in Rückbildung begriffen beim Hamster und verschwindet ganz bei den Arvicolina; an seine Stelle tritt das Gewölbe, dessen erste Anlage sich schon bei sylvaticus in der leichten Einschnürung der dorsalen Wand er- kennen lässt. Die Schleimhaut der rechten Magenabtheilung ist in drei Regionen getheilt: die Region der Labdrüsen, Pylorus- und Cardiadrüsen. Hierin ist der wesentlichste Unterschied von den übrigen Nagern begründet; denn die Labdrüsen haben den Fundus vollständig geräumt und sind gegen den Pylorus verschoben, die Cardia ist vollständig von verhorntem Epithel umgeben... Rechts von der Cardia an der kleinen Curvatur liegt, über die vordere und hintere Fläche herabgreifend, die Cardiadrüsenzone, die ebenfalls das Gebiet der Pylorusdriisen schmiilert. Die Cardiadriisenregion fehlt den anderen Nagern gänzlich und ist also ein charakteristisches Besitzthum der Muriforma. Während Mus musculus noch einen einfachen Magen besitzt, welcher nur durch die seichte Einschnürung der Grenzfurche an der großen Curvatur die Scheidung in zwei Kammern erkennen lässt, wird bei Mus sylvaticus die Einschnürung auch an der großen Cur- vatur rechts neben der Cardia deutlich, so dass eine geschlossene Grenzfurche die ganze Außenfläche des Magens umgreift. Als neue Bildung erscheint, den Ösophagus links umgreifend, die schleifen- förmige Schlundfalte, gestützt durch starke Muskellagen der dor- salen Wand. Bei Cricetus ist die Scheidung beider Kammern so scharf aus- gedrückt, dass beide durch die sehr tief einschneidende Grenzfurche vollkommen abgeschnürt sind und nur durch einen schmalen Ring zusammenhängen, zugleich sind sie beide nach der Dorsalseite auf- gebogen. Die Grenzfalte ist im typischen Verlauf gestört und nach der rechten Magenkammer ausgebuchtet, so dass ihr verhorntes Epi- thel in Gestalt von flügelförmigen Lappen in dieselbe hineinragt und gleichsam eine Verzapfung bedingt. Die Schlundrinne ist stark mus- kulös geworden. Die Abknickung beider Kammern führt zur Bil- dung einer neuen Eigenthümlichkeit: des Magengewölbes. Dasselbe ist ein in das Lumen des Magens vorgeschobener Muskelwulst der dorsalen Wand der linken Kammer. Die drüsige Schleimhaut des Pylorustheiles zeigt, was die Ausdehnung der drei bei Mus musculus vorhandenen Bezirke anlangt, eine Verkümmerung der Cardiadriisen- zone, welche durch das Übergreifen der Hornlappen eingeengt wird. Arvicola amphibius gleicht in allen wesentlichen Punkten Cricetus, Die Morphologie des Magens der Rodentia. 405 jedoch ist hier ein Überhandnehmen des verhornten Epithels im rechten Magensack zu konstatiren, dessen unmittelbare Folge die vollständige Ausrottung der Cardiadrüsen ist. Bei Arvicola arvalis, ratticeps, gregalis, Savii, campestris ist der Magen zwar scharf abgeknickt, doch ist die Grenzfurche we- niger deutlich. Uber die Bedeutung der specialisirten Magenform der Nager für die Ernährung kann ich keinen Aufschluss geben, da ich physio- logische Untersuchungen nicht angestellt habe. Ich wage daher auch keine Vermuthung zu äußern, welchen Nutzen die Lokalisation der Belagdrüsen an der Cardia bei den Myoxiden habe. Die verhornte Abtheilung des Magens der Myomorpha scheint wesentlich die Rolle einer Vorrathskammer zu spielen, im selben Maße wie der Pansen der Wiederkäuer. Ein Wiederkauen ist jedoch vollständig ausge- schlossen. Denn das anatomische Vorkommen einer Schlundrinne beweist noch nicht die physiologische Nothwendigkeit wiederzukauen, wie dies schon BRÜMMER des Näheren ausgeführt hat. Hat doch die Schlundrinne zwei Funktionen, indem sie nicht nur wiederkäute Nahrungsmassen, sondern auch Flüssigkeiten in den Psalter zu leiten hat und verhindert, dass größere Flüssigkeitsmengen in den Pansen gelangen. Diese Funktion der Schlundrinne hat ELLENBERGER klar- gelegt; Flüssigkeiten und dünnbreiige Massen, welche mit der durch den Schlingakt erhaltenen großen Beschleunigung durch den Schlund gegen die Schlundrinne getrieben werden, durchlaufen letz- tere. ELLENBERGER veranschaulicht diesen Vorgang durch folgendes Experiment: Wenn durch ein Rohr, dessen untere Wand theilweise entfernt ist, mittels einer Spritze unter großem Druck Flüssigkeit ge- trieben wird, so fließt an der unten offenen Stelle des Rohres wenig oder gar nichts heraus. Dieser Gefahr wird übrigens durch die Kontraktion der muskulösen Schlundrinne vorgebeugt, deren Ränder sich beim Schlingen bedeutend nähern. Wenn nun auch Montez! angiebt, bei Kaninchen eine wieder- holte Zerkleinerung der aus dem Magen aufsteigenden Nahrung be- obachtet zu haben, so ist doch diese Fähigkeit bisher nicht bestätigt worden. Ich selbst habe keinen Anhalt, die Eigenschaft des Wie- derkauens dem Hamster und den Feldmäusen zuzuschreiben. Dess- halb scheint bei diesen Nagern die Schlundrinne nur der Wasserleitung in den rechten Magensack vorzustehen. Für solehe Auffassung scheint ! Bull. scientifique du Dep. du Nord. I. 1878. pag. 169. 406 Karl Toepfer auch der Umstand zu sprechen, dass ich bei Hamstern, deren linke Magenabtheilung mit zerkleinerten Getreidekörnern vollgepfropft war, die Futtermassen stets verhältnismäßig trocken fand. Nach den Darlegungen von BERGMANN und LEUCKART! und KoOwALEvsky? sind die biologischen Vortheile des Wiederkauens leicht verständlich. Von einer Nahrung, die ihre spärlichen Nähr- stoffe nur durch möglichste Zerkleinerung abgiebt, sind die Wieder- käuer befähigt, in kurzer Zeit einen ungeheuren Vorrath auf der Weide zusammenzuraffen und im Pansen aufzuspeichern, um in der Ruhe während eines Zustandes, den man als Halbschlaf bezeichnet, die mechanische Zermalmung in der Mundhöhle vorzunehmen; sie können daher, wie das von KOWALEVSKY angeführte Beispiel russi- scher Kühe zeigt, sich mit der erbärmlichsten Nahrung begnügen. Bei den Mäusen mag nun die verhornte liuke Kammer ebenfalls die Rolle eines Nahrungsbehälters spielen; in derselben wird aber nicht, wie bei den Wiederkäuern, ungekaute Nahrung aufgehoben, die erst in der Ruhe verarbeitet wird, sondern eine außerordentlich fein geschnittene und durchkaute Pflanzenkost, da die Stellung der vier Nagezähne an der Mundöffnung und die Enge der Mundhöhle die Aufnahme großer Bissen verwehrt. Ich habe wenigstens im Magen frisch getödteter Haus- und Feldmäuse nur fein gekaute Pflanzen- und Körnertheile gefunden. Mögen nun allgemeine Exi- stenzbedingungen, z. B. feindliche Nachstellung, welche die zierliche Schar der Nager von allerhand raubendem Gesindel der Thierwelt zu fürchten hatte, ihnen und den Wiederkäuern nur kurzen Aufent- halt auf der Weide gestatten oder nicht, jedenfalls ist es sicher, dass alle herbivoren Thiere größere Nahrungsmengen aufnehmen, als in kurzer Zeit der Magen verdauen kann. Man kann daher die Hornepithel tragenden Magenabtheilungen der herbivoren Säuger gewissermaßen als einen Warteraum betrachten, aus dem kleinere Portionen entweder direkt (Nager) oder auf einem Umweg über die Mundhöhle in den verdauenden Drüsenabschnitt des Magens gesandt werden. Möglicherweise findet in ihm auch bei Nagern eine vor- läufige Maceration statt. ! Anatomisch-physiologische Übersicht des Thierreichs. pag. 80. 2 Monographie der Gattung Anthracotherium Cuv. in: Palaeontographica. Bd. XXII. pag. 183—185. ad Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Die Morphologie des Magens der Rodentia. 407 Erklärung der Abbildungen. Tafel XXIV. — . Cricetus frumentarius. Craniale Ansicht des Magens. Vergr. !/;. a Horn- kammer, b Drüsenhälfte, e Grenzfurche, oe Ösophagus, p Pylorus. Cricetus frumentarius. Der Magen ist längs der großen Curvatur aufgeschnitten und aus einander gelegt. Vergr. 1). a Hornkammer, b Drüsenhälfte, S Schlundmündung, S, Schlundfalte, Z Zunge des ver- hornten Epithels, welche in den Drüsenmagen vorspringt. Castor fiber. Innenfläche der dorsalen Magenwand. Schlundmündung, umgeben von den in drei Reihen (4, B, D) geordneten Eingängen der Drüsenhohlräume. 4. Längsschnitt durch die gleiche Gegend der Magenwand eines Embryo von Castor fiber. A die mit drüsenhaltiger Schleimhaut ausgekleide- ten Hohlräume, s Drüsenschleimhaut der Magenhöhle, m Muskellagen der Magenwand. 5. Mus decumanus. Der Magen ist längs der großen Curvatur aufge- schnitten. a Hornkammer, 5 Drüsenhälfte, e Grenzfalte. Myoxus avellanarius. Craniale Ansicht des Magens. B Bulbus ven- trieuli, oe Ösophagus, 5 Pylorus. » w z= 7. Arvicola amphibius. Innenfläche der cranialen Magenhilfte. a Horn- kammer, e Drüsenhälfte, 6 Grenzfalte, » Pylorus. x 8. Arvicola arvalis. Innenfliiche der caudalen Magenhilfte. a Horn- kammer, 6 verhornter Theil der rechten Hälfte, e Labdrüsenschale, oe Osophagus, p Pylorus. 9—16. Schematische Darstellung des Magenbaues der Nagethiere. o Öso- phagus, p Pylorus, B Bulbus ventriculi, f Grenzfalte, g Gewölbe. 9. Lepus timidus. 10. Spermophilus eitillus. 11. Myoxus avellanarius. 12. Mus musculus. 13. Cricetus frumentarius. Ansicht der dorsalen Magenwand. a Hornkammer, d Drüsenhälfte, f Grenzfalte, 5 Bügel der Grenz- falte, oe Osophagus, p Pylorus, 7 Labdrüsenschild, e Rest der Pylorusdrüsen, r Schlundrinne. 14. Mus musculus | 15. Mus sylvaticus 16. Arvicola arvalis | Bemerkungen über den Magen der Rodentia. Von Dr. A. Fleischmann, Privatdocent der Zoologie in Erlangen. Ein paar Worte möchte ich den vorstehenden Untersuchungen des Herrn Dr. TOEPFER beifügen, weil sie angeregt wurden durch meinen Wunsch, die kürzlich veröffentlichten Spekulationen über die Stammesgeschichte der Nagethiere ‘durch genaues Studium anderer, damals von mir nicht besonders berücksichtigter Organe ergänzen zu lassen, und dadurch eine schärfere Kritik meiner Ansichten zu er- möglichen. Desshalb will ich die jetzt festgestellten Thatsachen mit meinen Ideen in Zusammenhang bringen und zugleich auf die all- gemein theoretische Bedeutung der Beobachtungen hinweisen. In drei Abtheilungen des Nagerstammes ist der Magen einfach gebaut, er stellt eine quergelagerte Erweiterung des Vorderdarmes, ausgekleidet mit drüsiger Schleimhaut dar, welche nach dem Bau der eingebetteten Drüsen zwei Regionen unterscheiden lässt. Die einfache Form sowohl des Magens als anderer Körperorgane hat mich zu dem Schlusse geführt, dass diese Gruppen ursprüngliche Verhältnisse der Organisation treu bewahrt haben und einen Rück- schluss auf das Aussehen und die Anatomie ihrer Vorfahren ge- statten. Ich nehme desshalb an, die Vorfahren sämmtlicher Nage- thiere haben einen solchen einfachen Magen besessen, und erblicke darin einen weiteren Punkt, welcher die Stammesverwandtschaft mit den raubenden Beutlern (Polyprotodontia) wahrscheinlich macht. Denn der Magen derselben ist ebenfalls einfach sackförmig und durchweg mit Drüsenschleimhaut ausgekleidet. Die Schwierigkeit der Materialbeschaffung hat es mir leider verwehrt, über seine Struk- tur genauere Angaben zu sammeln. Der in den Diprotodontia kulminirende Zweig der Marsupialia hat dagegen eine besondere Magenform erworben, in dessen phylo- Abs r = ¢ U Bd Tem) v= a Morpholog Jahrb. Bd. AVL. ag mai 7, " ee. Taf. XXIV. ae a | | | Fig.1.(#) Fig 2.4) PB Am. m } | Fig tl Il | 2 \ | \ PER ) Fig.9 5, } _ = Fig. 13. | £ . | au‘ | Fig. 1% Pp p P--i € LES, d d N ? } 2 b N EN tf % AI OR a) y un = verhornte Schleimhaut N | \ / ~\ ] N 4 % f \ f \ r | | DE u Ei | ' 7 | a = labdrüsenregion | \ a } | 1 | \ / i ag } | - . a, ee Ney ae pai = Bylorusdrüsenregion | a L ! \ , -] = Cardiadriisenzone. | K. Toepter du : == ne = earthen ay Wilh. Engelmann Bemerkungen über den Magen der Rodentia. 409 genetische Entwicklung die spärlichen Untersuchungen leider nur schlechten Einblick gestatten. Phalangista und Hypsiprymnus, deren Gebiss unzweifelhaft einer Reduktion unterliegt, besitzen einen noch einfachen Magen, aber bei Halmaturus Benetti hat, wie BRÜMMER, PıLLıer und BOULART! gezeigt haben, der darmartig in die Länge gestreckte Magen mehrfache Eigenthümlichkeiten. Das verhornte Epithel des Schlundes setzt sich eine ansehnliche Strecke in die ~ Magenhöhle hinein, die Schlundmündung ist von zwei muskulösen Wiilsten umgeben, welche eine lange Schlundrinne bilden. Die ven- trale Schleimhaut an der großen Curvatur ist in zahlreichen Falten erhoben, welche von zwei an der cranialen und caudalen Wand ver- laufenden Längsfalten (Tänien) ausgehen. Die verhornte Schleim- haut der linken Hälfte besitzt viele Schleimdrüsen, sonst findet man nur Labdrüsen bis zum Duodenum, das keine Zotten trägt. Pylorus- drüsen fehlen gänzlich. Bei Phascolomys wombat, dessen im Berliner Museum aufbe- wahrten Magen ich selbst zu prüfen Gelegenheit hatte, liegen um die Cardia größere Schleimhauthöhlen, wie sie ausführlich vom Biber beschrieben sind. Da nur diese beiden Arten der Diprotodontia genauer geprüft sind, so lässt sich kein Bild von der Umbildung des Magens dieser Gruppe entwerfen, und man muss sich damit begnügen zu konsta- tiren, dass dieser Zweig der Beutelthiere in der Ausbildung ver- schiedener Organe einen vom einfachen Typus stark abweichenden Weg eingeschlagen hat. Merkwürdigerweise hat bei den Nagern die Anpassung an Pflan- zenkost und die anscheinend daraus folgende Umbildung des Ge- bisses und des Schädels nicht hingereicht, die einfache Magenform einer größeren Artenzahl zu verändern. Nur im Zweige der Myoxida und Murida treten erhebliche Modifikationen auf, deren Ableitung von den einfachen Formen wohl gelungen ist. Die morphologische Umbildung hängt hier innig mit dem histologischen Bau der Magen- schleimhaut zusammen. Schon im einfachen Magen schwankt die Vertheilung der Drüsenzonen zwischen weiten Grenzen; die große Ausdehnung der Labdrüsen bei Lepus und Cavia, welche an das Verhalten der Raubthiere erinnert, wird bei Spermophilus beschränkt ! A. Pıruıer et R. BoULART, Sur l’estomae de l’'hippopotame, du Kan- guroo de BENNETT et du Paresseux Ai. Journ. anat. phys. Bd. XXII. 1886. pag. 402. 410 A. Fleischmann durch das Vordringen der Pylorusdrüsen, bis endlich bei Myoxus avellanarius eine fast vollständige Abkammerung der Labdrüsen im Bulbus ventriculi erfolgt. Bei den Muriformes hingegen verscheuchen nicht die Pylorusdrüsen, sondern die der Magenhöhle ursprünglich fremde verhornte Schleimhaut die Labdrüsen aus der ererbten Lage. Dann nehmen die letztgenannten den größeren Theil der rechten Magenkammer ein und gestatten den Pylorusdrüsen nur beschränktes Feld. Obwohl die Annahme nahe liegt, dass die Hornkammer des Mäusemagens phylogenetisch aus dem Ösophagus entstanden sei, ist sie doch nicht bestärkt worden, weil die einfache Gestalt und die Entwicklungsgeschichte des Magens von Mus stark dagegen streitet. Gerade Mus zeigt, wie der histologische Unterschied beider Magen- hälften immer mehr zum morphologischen Ausdrucke gebracht wird, indem die verhornte Abtheilung sich zunächst durch eine Falte von der drüsigen Schleimhaut abgrenzt und allmählich dieser entsprechend eine äußere Grenzfurche den einfachen Magensack einschnürt. Den engeren Zusammenhang zwischen histologischer Struktur und äußerer Magenform bezeugen auch die Befunde im Stamme der Arvicolae. Sowie nämlich die in den rechten Sack vorspringenden Hornzungen, die Arvicola amphibius besitzt, bis gegen den Pylorus vorwachsen und die Pylorusdrüsen fast vollkommen verdrängen, während die Labdrüsen einen schalenförmigen Theil der Magenwand an der sroßen Curvatur behaupten, wird die dem Stamme eigenthümliche Grenzfurche undeutlicher, um eine neue, dem Rand des Drüsen- schildes entsprechende Einsenkung hervortreten zu lassen. Wie das Studium anderer Organe, so lehrt auch die Geschichte des Magens der Nagethiere merkwürdige Beziehungen kennen. Bei einem großen Theile, den Lagomorpha, Hystricomorpha und Sciuro- morpha bleibt die einfache Magenform, welche die beutlerartigen Vorfahren auszeichnete, erhalten; in zwei anderen Gruppen treten Um- bildungen ein, die Analoga im Stamme der Diprotodontia haben. Als eigenartige Thatsache ist mir die verschiedengradige Ausbildung der Organe in einzelnen Zweigen der Nager aufgefallen. Während einige nicht über den morphologischen Typus hinauskommen, der bei Beut- lern herrscht, erfahren andere Organe eine so tiefgreifende, adaptive Umbildung, dass nur eingehende Vergleichung die Verwandtschaft mit den einfachen Formen erhellt. Unsere Untersuchungen haben einstweilen nur die Thatsache, nicht den Grund derselben festge- stellt. Wir sehen, nur histologische Gegensätze können unter gewissen Bemerkungen über den Magen der Rodentia. 411 Umständen zum morphologischen Ausdrucke gebracht werden, aber wir erkennen nicht, welche Lebensprocesse letzteres nothwendig machen. Die histologische Differenzirung im Magen von Mus mus- culus kann :wohl als Ausgangspunkt der zur Arvicola führenden Reihe betrachtet werden, aber wir sehen keinen Grund, warum nicht ‘schon bei Mus der histologische Unterschied beider Magenkammern sich äußerlich kund giebt. Streng genommen eröffnet die hier ver- tretene Anschauung gar keinen tieferen Einblick in den ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen, denn durch die Behauptung, die histologische Differenzirung werde zum morphologischen Ausdrucke gebracht, ist doch nur schärfer, als es bisher geschah, das gleich- zeitige Vorkommen zweier anatomischer Thatsachen ausgesprochen, jedoch nieht der schlagende Beweis geführt, dass beide wirklich in ursächlichem Zusammenhange stehen. Es ist eben nur eine Be- ziehung zwischen dem histologischen Baue der Magenschleimhaut und der äußeren Form als auffällige und interessante Thatsache hervorgehoben. Eben so wenig lässt sich das Auftreten einer neuen Schleim- hautdifferenzirung der Cardiadrüsenzone im Stamme der Mäuse er- klären. Nachdem ELLENBERGER dieselbe im Magen des Schweines entdeckt hatte, regte er EDELMANN an, eine größere Anzahl von Säugethieren auf das Vorkommen derselben zu prüfen. Als Ergebnis dieser Untersuchung bezeichnet EDELMANN folgende Punkte: »Im Magen der meisten Säugethiere findet man eine besondere Schleim- hautregion an der Cardia, die belagzellfreie Drüsen und viele Lymph- follikel enthält. Sie ist jedoch ganz verschieden ausgebildet und fehlt sicher den fleischfressenden Cetaceen und Wiederkäuern. Phy- logenetisch kann sie entweder als ein in den Magen hineingezogener Abschnitt der Vorderdarmdrüsen oder als modifieirter Theil der Schleimhaut des Mitteldarmes aufgefasst werden.« Gegen diese Ansichten, besonders dass die Cardiadrüsenzone als allgemein verbreitete Eigenthümlichkeit des Säugermagens er- scheine, lassen sich mehrere Einwände erheben. Zunächst wider- sprechen die Befunde EpELMANN’s selbst seiner stark generalisiren- den Behauptung, denn er fand keine Cardiadrüsenzone bei Dasyurus ursinus, Phascolaretos einereus, Delphinus phocaena, Bos taurus, Ovis aries, Camelus baetrianus, Auchenia lama, Talpa europaea, Canis familiaris, Mustela martes, Nasua rufa, Phoca vitulina, Ve- spertilio murinus, noch bei Lepus limidus und cuniculus, Cavia co- baya, Hydrochoerus capybara, Sciurus vulgaris und Pteromys volans. 412 A. Fleischmann Desshalb muss man sowohl für den größeren Theil der bisher unter- suchten Mammalia, wie für drei Stämme der Rodentia das Vorkom- men dieser Zone leugnen. Da die Lagomorpha, Hystricomorpha und Seiuromorpha in der Bildung anderer Organe streng konservativ er- scheinen, so vermuthet man richtiger, dass den Vorfahren der Nager wie auch den raubenden Beutelthieren eine eigentliche Cardiadrüsen- zone überhaupt nicht zukam. Berücksichtigt man, wie mächtig diese Region in den komplieirteren Magenformen von Mus und Cricetus ausgebildet ist, so erscheint dieselbe viel eher als sekundäre Bil- dung, die erst allmählich durch die Ausdehnung des verhornten Epithels nothwendig ward. Die Auffassung lässt sich durch Ver- gleich mit anderen Thatsachen wahrscheinlich machen. An der rechten Seite der Grenzfalte von Mus sieht man die verhornte Schleimhaut ziemlich rasch in die Drüsehzone übergehen, welche an jener Stelle ziemlich dünn ist und sehr kurze Schläuche besitzt. Aber schon in geringer Entfernung wird die Schleimhaut dieker, die Drüsen länger und es treten Belagzellen auf. Wie hier die Lab- drüsen nicht direkt an die Grenze des verhornten Epithels anstoBen, so scheint auch an der Cardia bei manchen Säugern ein langsamer Übergang der Schlund- und Magenschleimhaut stattzufinden. Wenig- stens beschreibt EDELMANN bei Igel, Hund, Katze, Affe und Mensch eine mehr oder weniger breite Zone um die Mündungsstelle des Ösophagus, wo ganz kurze Drüsenschläuche vorkommen und die Belagzellen entweder fehlen oder nur vereinzelt tief im Grunde der Drüsen sitzen. Wenn nun auch seine Untersuchungen wahrschein- lich machen, dass an dieser Stelle ein besonderes amylolytisches Sekret gebildet werde, so kann man doch die physiologisch eigen- artig funktionirende Zone morphologisch nur als Übergangsstelle einer verhornten in drüsige Schleimhaut auffassen, zumal ihre Form- besonderheiten wenig scharf hervortreten. Phylogenetisch lassen sich die Thatsachen nur so deuten: Bei vielen Säugethieren geht das Schlundepithel durch eine schmale Zone wenig differenzirter Drüsen in die Magenschleimhaut über, aber wenn die rechte Magen- hälfte ganz verhornt, dehnt sich die intermediäre Schleimhautpartie an der kleinen Curvatur weiter aus und greift auch auf die eraniale und caudale Magenwand. Meine Meinung ist freilich nur durch die Befunde bei Mus und Cricetus begründet und giebt keine Erklärung, warum einerseits bei den Feldmäusen, andererseits bei den Wiederkäuern die Cardia- driisenzone vollkommen schwindet. Da man annehmen muss, dass br a Bemerkungen über den Magen der Rodentia. 413 der mehrtheilige Magen der Wiederkäuer aus einfacheren Formen wie bei Schwein und Pferd entwickelt ist, so kann erst genaueres Studium der Zwischenformen weitere Aufklärung bringen !. Die vorhergehenden Bemerkungen bezwecken, vor einer allzu raschen Verallgemeinerung der durch die Untersuchungen des Herrn TOEPFER festgestellten Thatsachen zu warnen und mahnend auf unsern außerordentlich geringen Einblick in den historischen und physiologischen Verlauf der Naturerscheinungen hinzuweisen. Dess- halb will ich noch die Frage der Korrelation berühren, um die Un- sicherheit unserer modernen Theorien zu beleuchten. CuviEr hat zuerst dieses Princip für die organischen Formen aufgestellt und bewunderungswürdige Resultate damit erzielt. Jedes Wesen bildet ein einziges und geschlossenes System, in welchem die Theile gegenseitig einander entsprechen und alle nach einem gemeinsamen Zwecke hinarbeiten. Daher üben die Abänderungen des einen von ihnen einen Einfluss auf die aller übrigen Organe aus. In der gegenseitigen Abhängigkeit der physiologischen Funktionen sind die Gesetze begründet, welche die Verhältnisse der Form ihrer Organe bestimmen. Noch jetzt nimmt man allgemein an, dass durch die Einwirkung äußerer Lebensbedingungen, besonders Qualität und Quantität der Nahrung, der Organismus beeinflusst und durch eine dem äußeren Anstoß entsprechende Reaktion zur Umbildung seiner Theile bestimmt werde. Ganz besonders tritt diese Ansicht in den vergleichend-anatomischen und paläontologischen Arbeiten zu Tage, welche durch den Einfluss der Nahrung die verschiedenen Formen der carnivoren und herbivoren Bezahnung der Säugethiere zu er- klären suchen. Bei dem innigen anatomischen und funktionellen Zusammenhange der in der Mundhöhle stehenden Kauorgane und dem Magen liegt die Annahme einer direkten Korrelation beider Or- gane so nahe, dass sie häufig genug ausgesprochen ward. Je nach der Schwierigkeit des Problems wird entweder die Magenform als Folge der Anpassung an die Nahrungsstoffe oder als nothwendiges Postulat der Zahnform betrachtet. Allein jeder ruhig denkende Naturforscher, welcher darüber klar ist, dass das Prineip der Korre- lation nur eine Abstraktion aus geringem exakten Beobachtungs- material darstellt, wird einsehen, dass man seine allgemeine Gültig- ! Leider konnte ich die von BoAs gegebene Darstellung des Magens der Cameliden und Traguliden (dieses Jahrbuch Bd. XVI. pag. 494) nicht für meine Spekulationen verwenden, da derselbe dem histologischen Baue der Magen- schleimhaut auffallenderweise keine Beachtung schenkte. 414 A. Fleischmann keit noch nicht unbedingt anerkennen kann. Vielmehr müssen die anatomischen Untersuchungen weiter ins Detail gefördert sein, ehe die generelle Wahrheit des Prineips diskutirbar wird. Vorläufig ist dasselbe nur als ein ganz oberflächlicher Ausdruck der korrelativen Beziehungen zu betrachten, wie eine kurze Zusammenstellung unserer Kenntnisse über Bau und Geschichte des Magens und der Zähne der Nagethiere erläutern soll. Eine weitgehende Reduktion hat das Gebiss der Mäuse erfahren: nach dem Verluste der Prämolaren und Milchzähne sind nur zwölf schmelzhöckerige, wurzeltragende Backzähne zurückgeblieben. Die Alveolen der Nagezähne reichen im Oberkiefer zum ersten Backzahn und steigen hoch in den Gelenkfortsatz des Unterkiefers auf. Der Magen ist in Cardia und Pylorussack durch die Grenzfalte und eine äußerliche seichte Grenzfurche geschieden. Bei Arvicola aber wird mit der Umwandlung der Molaren zu prismatischen Zähnen eine größere Komplikation des Magens deutlich, indem beide Kammern scharf abgebogen sind und die verhornte Schleimhaut zungenförmig in den Pylorussack übergreift. Also scheint eine direkte Beziehung zwischen Bau der Zähne und des Magens bei den in Vergleichung gezogenen Thieren vorhanden. Im Stamme der Arvicolae schreitet, wie NEHRING und Mann! nachgewiesen haben, die Specialisirung des Kauapparates fort: Die Ineisiven dehnen sich weiter durch den Unterkieferast als bei Mus, die Molaren komplieiren sich durch Ansetzen neuer Schmelzfalten an ihrem spitzen Ende, wobei M,inf und Mzsup sich besonders auszeichnen. Dem entsprechend verläuft die Differenzirung des Magenbaues, indem das verhornte Epithel die typische Grenze über- schreitet und die Pylorusdrüsen fast ganz verdrängt. Die Umbildung beider Organe erfolgt jedoch nicht in strenger Gesetzmäßigkeit. Während nämlich die Zähne der von Mann verglichenen Arvicola- arten einen allmählichen Fortschritt der Faltenzahl wahrnehmen lassen, ist im Magenbau eine entsprechende Komplikation nicht zu erkennen. Sowohl die Arten, deren Zahnform mit Arvalis überein- stimmt. z. B. Arvicola Savii und campestris, als Arvicola ratticeps und gregalis, die weniger gefaltete Molaren besitzen, und Arvicola agrestis mit den eigenartig differenzirten Molaren zeigen alle über- einstimmenden Magenbau, wie er von TOEPFER ausführlich beschrie- ben ward. ! Bau und Entwicklung der Molaren von Mus und Arvicola. Morph. Jahrb. Bd. XV. Bemerkungen über den Magen der Rodentia. 415 Die anatomische Forschung bietet also kein thatsächliches Bei- spiel, welches bei einer Arvicolaart mit weniger gefalteten Zähnen, etwa Ratticeps, den im Zusammenhange mit der Zahnkomplikation gleichzeitig erfolgenden Übergang der einfacheren Magenform von Arvicola amphibius zu der extremen Gestalt von Arvicola arvalis belegen könnte. Desshalb kann man nur schließen, dass, unab- hängig von dem Eingreifen neuer Schmelzfalten an dem Gebisse einer Arvicolastammart, welches der bei Amphibius erhaltenen Form identisch oder nahe verwandt war, die Verhornung des linken Py- lorussackes erfolgte, welche bereits durch die Struktur seiner Schleim- haut bei Amphibius vorbereitet war. Diese Magenform scheint dann keiner Umbildung mehr fähig, denn während M, des Oberkiefers von Arvicola ratticeps, gregalis, Savii, Arvalis campestris statt der vier Falten bei Amphibius sechs Falten und Mzinf sieben Falten bei ratticeps, acht bei gregalis, neun bei Savii, arvalis, campestris, agrestis erwirbt, während die unteren Incisiven hoch in den Pro- cessus coronoideus aufsteigen und eine seitliche Auftreibung des- selben erzeugen, bleibt der Magen unverändert. Durch die anatomische Vergleichung von Mus und Arvicola lässt sich also nur im Allgemeinen feststellen, dass die Umbildung der Elemente des Gebisses zu prismatischer Form begleitet ist von einer Umbildung des Magens, aber ein direkter Causalnexus beider Er- scheinungen ist dadurch keinesfalls bewiesen. Die Annahme einer direkten Korrelation zwischen den beiden Theilen des Darmkanales wird noch weniger gestützt durch die Be- obachtung in einer anderen Abtheilung der Nager, bei den Hasen und Meerschweinchen. Bei diesen Thieren ist unzweifelhaft vor verhältnismäßig kurzer geologischer Zeit die Bezahnung umgebildet worden, indem die schmelzhöckerigen Molaren, welche ansehnliche und lange funktionirende Milchzähne besaßen, prismatisch und ihre Milchzähne funktionslos wurden. So klar auch diese Umwandlung aus dem anatomischen und paläontologischen Befunde zu entziffern ist, so bietet sich doch kein Anhalt, auch für den Magen derselben eine morphologische Änderung anzunehmen. Die mit verhorntem Epithel ausgekleidete Cardiakammer, welche das übersichtliche Stu- dium der Säugethiere als direkt abhängig von der Kräuternahrung zu zeigen scheint, fehlt in beiden Gruppen, und auch die Vertretung der Drüsen zeigt keine specifischen Eigenthümlichkeiten. Man wird aus diesen kurzen Andeutungen zur Genüge ersehen, wie wenig die morphologische Analyse uns dem Verständnisse der 416 A. Fleischmann, Bemerkungen über den Magen der Rodentia. Ursachen einer phylogenetischen Entwicklung näher bringen kann. Das Formstudium einzelner Organe befähigt zwar, mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit die verschiedenen Befunde in eine zu- sammenhängende Entwicklungsreihe zu gruppiren und deren einzelne Glieder als Denkmale des historischen Verlaufes zu betrachten, aber die Ursachen, welche die Formentwicklung in einer bestimmten Richtung leiteten, kann nur die experimentelle Methode der verglei- chenden Physiologie aufhellen. Möge sie bald die Fragen beant- worten, welche unsere Betrachtungsweise nur anregen konnte! Erlangen, 28. Februar 1891. Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. Von Docent Dr. Hugo Rex, Prosektor am deutschen anatomischen Institute in Prag. Mit Tafel XXV—XXVI. Bei meinen im Herbst 1889 an der Neapler zoologischen Station ausgeführten Untersuchungen der Kopfvenen der Selachier war ich vornehmlich darauf bedacht, das Verhalten der Hirnvenen des Ge- naueren zu ermitteln. Ich durfte erwarten, dass der so einfache, ursprüngliche Bau des Selachierhirnes, welches ja gleichsam ein Schema des Verte- bratenhirnes überhaupt darstellt, auch einfachste Verhältnisse der Hirnvenen darbieten und es ermöglichen würde, der Frage nach der Phylogenie jener Einrichtung, welche wir bei den höher organi- sirten Vertebraten in Form der Sinus durae matris antreffen, näher zu treten. Im Folgenden seien die Resultate meiner auf die Lösung dieser Frage gerichteten Untersuchungen, so weit dieselben die Se- lachier betreffen, mitgetheilt. Unsere Kenntnisse der Hirnvenen der Selachier beschränken sich auf eine kurze, skizzenhafte, gleichwohl dankenswerthe Mit- theilung von T. J. PARKER!, in dessen monographischer Darstellung der Blutgefäße von Mustelus antareticus. Ich erwähne dies schon jetzt, um es zu rechtfertigen, dass meine folgenden Mittheilungen meist recht detaillirt gehalten sind. ı T, J. PARKER, On the Bloodvessels of Mustelus antarcticus. A contri- bution to the Morphology of the vascular system in the vertebrata. Philoso- phical transactions of the royal society. Vol. 177, (Part II. 1886.) Morpholog. Jahrbuch. 17. 27 418 Hugo Rex Die Untersuchung lehrte mich unter Anderem Verhältnisse er- kennen, welche der Forschung bislang entgangen waren; ferner er- kannte ich sehr bald, dass für diese nur die histologische Unter- suchung befriedigenden Aufschluss gewähren könne. Es gilt dies von der Hypophysis des Selachierhirnes. Ich schied die Beziehungen desselben zu den Hirnvenen aus dem Rahmen der vorliegenden Ar- beit aus, um ihrer in einer späteren Mittheilung, welche sich ein- gehender mit dem Bau der Hypophysis zu beschäftigen haben wird, des Ausführlicheren zu gedenken. Kehrt auch der Grundplan der Zusammensetzung der Hirnvenen bei sämmtliehen von mir untersuchten Selachiern wieder, so erscheint es mir gleichwohl geboten, die Mittheilung des bei den Squaliden Gefundenen zu sondern von jener des Befundes bei den Rochen. Eigenthümlichkeiten, welche der einen Gruppe gemeinsam sind, kehren bei der anderen nicht wieder und lassen eine gemeinsame Beschreibung der Ubersichtlichkeit wegen unthunlich erscheinen. Gewisse Eigenthümlichkeiten des Verlaufes und der Lagerung der Hirnvenen, beiden Gruppen gemeinsam, mögen einleitend beschrieben werden. An ihre Schilderung soll die Darstellung des Hirnvenen- systems der Squaliden, sodann jene der Rochen sich anschließen. Dem Gesagten zufolge gliedert sich meine Arbeit in folgende Abschnitte: Eigenthümlichkeiten der Form des Verlaufes der Hirnvenen der Elasmobranchier, die Hirnvenen der Squaliden, die Hirnvenen der Rajiden. ry Eigenthiimlichkeiten der Form des Verlaufes der Hirnvenen der Elasmobranchier. Die Formirung der Cerebralvenen spielt sich großentheils auf der Hirnoberfliche ab. Ihr Wurzelwerk ist der Außenfläche des Hirnrohres aufgelagert, mit der Leptomeninx (primäre Gefäßhaut SAGEMEHL’s!) innig verbunden und bedeckt erstere an manchen Stellen mit einem äußerst dichten Netzwerk, indem auch die klei- neren und ‚kleinsten Wurzeln mit ihren benachbarten Genossen in ! M. SAGEMEHL, Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. If. Einige jemerkungen über die Gehirnhäute der Knochenfische. Morph. Jahrb. Bd. IX. 1884. . Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier, 419 regem anastomotischen Verkehr stehen. Dieselben entstammen fast ausschließlich der Hirnsubstanz; aus derselben emportretend, ändern sie ihre Verlaufsrichtung, indem sie, umbeugend, sich der Außen- fläche des Hirnrohres anschmiegen, um einer der benachbarten stär- keren Wurzel zuzustreben. Diese aus der Hirnsubstanz emportau- chenden Wurzeln sind von verschiedener Stärke; meist sind sie klein und zart. Einzelne derselben erlangen jedoch eine besondere Mächtigkeit. Solche tiefe Wurzeln entstammen entweder Hirnab- schnitten, welche wie z. B. das Vorderhirn der Rochen einer stärker entwickelten Binnenhöhle ermangeln, oder sie sammeln ihre Zuflüsse nahe der Binnenfläche bestimmter Abschnitte des Hirn- rohres. Dann findet sich das erste Wurzelwerk unmittelbar unter dem Ependym gelagert; das der Außenfläche des Hirnrohres zu- strebende Gefäß sammelt überdies auf diesem seinem Wege Wurzeln, welche dem inneren, die Binnenhöhle begrenzenden Abschnitte des Hirnrohres entstammen. Während die überwiegende Mehrzahl der Wurzeln der Hirn- venen der Hirnoberfläche getreu bleiht, derselben innig angeschmiegt ist, stößt man nicht selten auf solche, welche das Hirnrohr ver- lassen, die Schädelhöhle durchsetzen und irgend einem Abschnitte eines der größeren Stämme einmünden. Sie seien als freie be- zeichnet und verdanken ihre Entstehung wohl Wachsthumsdiffe- renzen einzelner Hirnabschnitte unter einander. Während der Hirn- abschnitt, in welchem ein bestimmtes Venenstämmehen wurzelt, relativ im Wachsthum zurückblieb, entfaltete sich jener Abschnitt, in dessen Bereiche die Einmündung jenes in eine der Cerebralvene statt hat, ungleich mächtig. Hierdurch wurde das Stiimmchen, um der Einmündungsstelle folgen zu können, von seinem Wurzelgebiete abgehoben. Dass solche Folgeerscheinungen ungleichen Wachs- thums nicht selten auch zur Verkümmerung und schließlichen Obso- lescenz solcher freier Venenstämmchen führen können, lehrten mich Befunde am Rochenhirn. Zu dieser meiner Bezeichnung gewisser Abschnitte des Wurzelwerkes und der Stämme der Cerebralvenen als »frei« verlaufend möchte ich Folgendes bemerken. Nach SAGEMEHL's! richtigen Angaben über die Dura mater der Elasmobranchier — ich werde auf dieselben am Schlusse meiner Arbeit zu sprechen kommen — sollte diese Bezeichnung »frei« durch »intradural« und »subdural« ersetzt werden. Die »frei« verlaufenden Abschnitte der Cerebral- 11.0: 420 Hugo Rex venen verlaufen großentheils in dem mächtigen intraduralen Schleim- gewebe, allseitig von diesem umgeben. In jedem Falle, sei es dass diese »freien« Abschnitte intradural oder subdural, im pericerebralen Lymphraume lagern, besitzen sie eine Scheide, im letzteren Falle überdies einen endothelialen Mantel. Die von mir gewählte Be- zeichnung »frei« soll besagen, dass bestimmte Abschnitte der Hirn- venen das Hirnrohr verlassen und trotz ihrer Einlagerung in das intradurale Schleimgewebe ihre Selbständigkeit völlig bewahrt haben. Bezüglich der Topik der größeren Wurzeln, durch deren Ver- einigung die Cerebralvenenstämme ihre Entstehung nehmen, möchte ich hervorheben, dass dieselbe in einem gewissen Gegensatze steht zu jener der Hirnarterien. Letztere treten an die Ventralfläche des Hirnrohres heran, und im Bereiche dieser findet sich ihre erste gröbere Veriistelung. Von dieser Fläche aus ziehen die Äste und Zweige der Cerebralarterien an ihren Bestimmungsort. Anders die Cerebralvenen. Ihre endgültige Formirung vollzieht sich im Be- reiche der dorsalen und lateralen Fläche des Hirnrohres. Das Ast- werk der Hirnarterien ist dem Wurzelwerk der Hirnvenen zumeist aufgelagert; es gelingt sehr häufig durch einfachen Zug mit der Pincette, ersteres vom Hirnrohre abzulösen und so die unterliegen- den Wurzeln der letzteren völlig frei zu legen. Nach ihrer endgültigen Formirung verlassen die großen paarig angelegten Hirnvenenstämme ihr Wurzelgebiet, treten vom Hirnrohre ab und streben, frei nach außen ziehend, ihren in der Seitenwand des Cranium befindlichen Austrittsöffnungen zu. Dem entsprechend entfällt völlig jene Einrichtung, welcher wir bei den höher organisirten Vertebraten in Form der Sinus durae ma- tris begegnen. Die diehten Venennetze im Bereiche der dorsalen Fläche der epithelialen Decke des Zwischen- und Nachhirnes gestaltet sich namentlich bei den Squaliden zu auffallend mächtigen Gebilden. An einem gut injieirten Hirne entzieht dieses dichte Maschenwerk die Kontouren der Binnenfläche des dritten und vierten Ventrikels völlig dem Blick. Nach diesen einleitenden Sätzen gehe ich über zur Schilderung der Hirnvenen der Squaliden. ; | 2 = — —— Beitriige zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 421 Die Hirnvenen der Squaliden. Dieselben werden durch zwei paarig angelegte Stimme ge- sammelt, welche als Vena cerebri anterior und posterior bezeichnet werden mögen. Ihr Gebiet wird durch die Medianebene ziemlich genau von jenem der Genossen der Gegenseite gesondert. Über- raschend ist der Reichthum des Squalidenhirnes an mächtig ent- wickelten Venengeflechten im Bereiche der epithelialen Decke des Zwischen- und Nachhirnes. Dies der Grundzug der Zusammensetzung der Venen des Squa- lidenhirnes; im Folgenden möge dasselbe weiter ausgeführt werden. Mein Material bestand aus folgenden Species: Mustelus vulgaris, Seyllium canicula, Seyllium catulus, Pristinrus melanostomus, Acanthias vulgaris, (Rhina Squatina). Von den meisten untersuchten Thieren standen mir mehrere Exemplare zur Verfügung; weitaus die besten Injektionsresultate er- zielte ich bei Seyllium catulus. Ich erhielt Katzenhaie stets lebend zur Untersuchung, und dem entsprechend konnte ich die frisch ab- getödteten Thiere mit gutem Erfolge injieiren. Obgleich beim Katzen- hai gewisse Verhältnisse der vorderen Cerebralvene nicht so einfach mehr vorliegen wie bei anderen Haien, z. B. Acanthias vulgaris, so möchte ich gleichwohl mit der Beschreibung der Venen dieses Squa- lidenhirnes beginnen, nachdem derselbe von mir am eingehendsten untersucht werden konnte. An die Beschreibung der beim Katzen- hai gefundenen Verhältnisse möge die Mittheilung der bei den an- . deren Squaliden angetroffenen Differenzen anknüpfen. Sceyllium catulus. Das Gebiet der Vena cerebri anterior. Die oben erwähnte Komplikation der Verhältnisse betrifft das Gebiet und die Zusammensetzung der vorderen Cerebralvene. Einer der beiden Stämme hat eine beträchtliche Zahl von Wurzeln des anderen übernommen. In Folge dessen ist der andere Stamm ein relativ nur schwaches Gefäß, da die Mächtigkeit seines Wurzel- werkes eine nur geringe ist. Diese Eigenthümlichkeit finde ich bei den meisten untersuchten Squaliden wieder. 422 Hugo Rex Ich muss dieselbe daher als eine gleichsam zur Norm gewor- dene ansehen und in den Rahmen der Beschreibung mit einbeziehen. Die Wurzeln der vorderen Cerebralvene sammeln das Blut vom Riechlappen, Vorder-, Zwischen- und Mittelhirn. Ferner steht eine der beiden vorderen Cerebralvenen in inniger Beziehung zu den Plexus chorioidei der Seitenventrikel des Vorder- hirnes, sowie zu den Venengeflechten der Zwischenhirndecke. Nach diesen beiden Richtungen möge sich nunmehr die Beschrei- bung gliedern. Betrachten wir zunächst denjenigen der beiden Stämme, wel- cher durch Vergrößerung seines Gebietes an Stärke prävalirt. An den mir vorliegenden Hirnen ist es meist der linke (s. Taf. XXV Fig. 1, 2, 5 V.c.a.s\. Seine ersten Wurzeln tauchen an dem vorderen Abschnitte der Ventralfläche des Vorderhirnes auf, dieselbe mit engem Maschenwerk bedeckend. Aus ihrer Vereinigung entsteht eine starke Wurzel, welche zur Innenseite des Riechlappenstieles zieht und auf diesem Wege Seitenwurzeln von der vorderen Vorderhirnfläche auf- nimmt. Im Bereiche der Innenfläche des Riechlappenstieles vereinigt sich diese Wurzel mit einer zweiten, welche von der Ventralfläche der inneren Hälfte des Riechlappens stammt. Die aus dieser Ver- einigung hervorgegangene Vene gewinnt die dorsale Fläche des Tractus, welche sie schräg nach außen und hinten überschreitet, und empfängt zahlreiche Zuflüsse vom Riechlappen, von dessen Dor- salfläche und der Außenhälfte seiner Ventralfläche, sowie vom Vor- derhirne. Letztere stammen von der Dorsal- und Ventralfläche des- selben; die der Ventralfläche entstammenden Wurzeln ziehen längs der Seitenfläche des Vorderhirnes an ihren Bestimmungsort. Unter den Wurzeln von der Dorsalfläche des Vorderhirnes zeichnet sich eine durch die Konstanz ihrer Wiederkehr aus. Sie wurzelt im Septum des Vorderhirnes und taucht aus dem Foramen nutritivum RoHoN empor. Sie sei als Vena septi ventriculorum bezeichnet. Dieselbe wurde bereits von Romox! beobachtet und beschrieben. Sämmtliche Venenwurzeln, von welchen bislang die Rede war, sind der Hirnoberfläche eng angeschmiegt. Der aus ihrer Vereinigung hervorgehende Stamm kann bereits als das Anfangsstiick der linken vorderen Cerebralvene bezeichnet werden. So viel vor der Hand über diese. !J. V. Ronon, Das Centralorgan des Nervensystems der Selachier. Denk- schriften der k. Akad. der Wissenschaften. Math. naturwiss. Kl. Bd. XXXVII. II. Abth. 1877. q : Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 423 _ Untersuchen wir nunmehr die rechte vordere Cerebralvene. Sie ähnelt in ihrer Zusammensetzung aus einzelnen Wurzeln dem. bis jetzt beschriebenen Abschnitte der Vene der linken Seite (s. Taf. XXV Fig. 1, 3, 4 V.c.a.d). Von nun an tritt jedoch zwischen beiden Venen eine auffällige Differenz ein: die rechte Vene ist endgültig formirt, sie zieht längs des Außenrandes der rechten Vorderhirnhälfte nach hinten, um in der Gegend des Zwischenhirnes, nachdem sie das Vorderhirn verlassen hat, als freier Stamm winklig nach außen umzubiegen und dem Sinus orbitalis ihrer Seite zuzustreben. Die Wurzel vom Mittelhirn, sowie die innigen Beziehungen zu den Plexus chorioidei und den Venengeflechten der Zwischenhirn- decke fallen der linken vorderen Cerebralvene zu. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass auch das umge- kehrte Verhalten obwalten kann, dass nämlich die rechte Vene das stärkere, mit mehr Wurzelwerk bedachte, hingegen die linke das schwächere Gefäß darstellen kann. Kehren wir zur linken vorderen Cerebralvene zurück und be- ’ trachten ihre Wurzel vom Mittelhirne. Ihrer Schilderung möchte ich eine kurze Bemerkung voraus- senden über die Verbindung der linken vorderen Cerebralvene mit den Plexus chorioidei und den Geflechten der Zwischenhirndecke. Dieselbe wird durch einen starken Venenstamm hergestellt, weleher aus dem Dache des Zwischenhirnes emporsteigt, nach links um- biegend frei nach außen zieht und sich mit der linken vorderen Cerebralvene verbindet. Dieser Stamm ist es, welcher die Mittel- hirnwurzel empfängt (s. Taf. XXV Fig. 1, 5 V.ch.c). Letztere wird vornehmlich aus der Vereinigung zweier stärkerer Seitenwurzeln ge- bildet (s. Taf. XXV Fig. 1, 6 M.Ahw). Die eine derselben stammt aus der vorderen, die andere aus der hinteren Hälfte der Lobi optici. Beide lagern in der dorsomedianen Furche, welche die Trennung beider Lappen von einander andeutet; die hintere Seitenwurzel em- pfängt überdies Zuflüsse von der Dorsalfläche der Lobi optiei. Beide Wurzeln vereinigen sich ungefähr in der Mitte der erwähnten Furche zur Bildung eines starken Stämmchens, welches, vom Hirnrohre ab- gelöst, nach vorn zieht, um in den aus dem Zwischenhirne empor- tretenden Stamme, und zwar in dessen hintere Wand, einzumiinden. Zu dieser Mittelhirnwurzel, welcher wir bei sämmtlichen unter- suchten Selachiern wieder begegnen werden, und welche mit dem Namen der dorsomedianen Mittelhirnwurzel bezeichnet werden soll, treten noch andere hinzu, welche ich an einem Hirn sehr deutlich 424 Hugo Rex entwickelt vorfand. Dieselben verlaufen frei (s. Taf. XXV Fig. 4, — 5 f.W). Linkerseits fand ich zwei zarte, dünne Wurzeln, welche der Seitenfläche des Lobus opticus entstammend, in leichtem Bogen vor- und aufwärts ziehen, um sich mit der linken Cerebralis vor ihrer Einmündung in den Orbitalsinus ihrer Seite zu verbinden. Eine stärkere Wurzel von gleicher Herkunft findet sich auch rechterseits; sie steht mit den ventralen Vorderhirnvenen in Verbin- dung und mündet, gleichfalls frei verlaufend, in die Cerebralvene ihrer Seite ein. Ich gehe nunmehr über zur Beschreibung der Beziehungen der vorderen Cerebralvene zu den so überreichlich vorhandenen Venen- geflechten der Binnenhöhlen des Vorder- und Zwischenhirnes. Hier- bei erscheint es mir erforderlich, fürs Erste eine genaue Darstellung der Formverhältnisse zu entwerfen, welche die durch die Einlage- rung von so mächtig entwickelten Venennetzen gewaltig modifieirte dorsale epitheliale Wand des Zwischenhirnes aufweist. An einem gut injieirten Squalidenhirn besitzt die Decke des Zwischenhirnes eine intensive Farbe, welche von der Injektion zweier über einander flächenhaft ausgebreiteter Venennetze herrührt. Be- trachten wir zunächst die obere Gefäßplatte, welche die Tela cho- rioidea anteridr bedeckt (s. Taf. XXV Fig. 1, 6 Tıch.a). Der dorsalen epithelialen Wand des Ventriculus tertius lagert ein äußerst zierliches Gefäßnetz auf. Es wird durch zahlreiche feine, der Längsachse des Hirnrohres meist parallel verlaufende Venen dargestellt, welche durch gleich zarte quere Anastomosen mit ein- ander in Verbindung stehen. Ungefähr in der Mitte des vordersten Abschnittes der Tela chorioidea tritt jener oben beschriebene starke Stamm hervor. Dort, wo er die Tela verlässt, ist die Anordnung der Venen des Plexus derart modificirt, dass stärkere Stiimmehen auftreten, unregelmäßig mit einander verbunden; einzelne von ihnen münden in den erwähnten Stamm ein. Der Plexus setzt sich über- dies auf die benachbarten Abschnitte der Dorsalfläche des Zwischen- hirnes fort. Schneidet man die Tela chorioidea durch einen Kreuzschnitt ein und schlägt die so gebildeten Lappen zurück, so gewahrt man Folgendes. Es liegt ein zweites Gefäßblatt vor (s. Taf. XXV Fig. 7, 8 Vel), gleich jenem der Tela flach ausgebreitet; sein Gefäßnetz ist jedoch © aus bei Weitem stärkeren Stiimmchen zusammengesetzt. Eigenthtimlich — Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier, 425 sind die Verhältnisse der Verbindungen, welche dieses Gefäßblatt mit der Nachbarschaft eingeht. Mit seinen beiden seitlichen Rän- dern ist dasselbe unterhalb der Tela an der seitlichen dorsalen Um- randung des dritten Ventrikels angeheftet. Der hintere Rand ist frei; er sieht in den hinteren Endabschnitt des dritten Ventrikels. Über das Schicksal des vorderen Randes erhält man die besten Aufsehlüsse, wenn man den Boden des Ventrikels entfernt und das Gefäßblatt von der ventralen Seite her betrachtet. Es zeigt sich da die überraschende Eigenthümlichkeit, dass dessen vorderer Rand mit der Ventralfliiche der Tela verbunden ist. Die Linie, innerhalb welcher beide Gefäßblätter, das obere und untere, mit einander zusammenhängen, ist eine annähernd quere und liegt im Bereiche des vordersten Abschnittes der Tela. Von dieser Verbindungslinie zieht das untere Gefäßblatt keineswegs immer direkt nach hinten: es kann sich in der Weise einfalten, dass es zuerst eine kurze Strecke vorwärts und dann erst winklig umbiegend nach hinten ver- läuft. Schneidet man die Tela vor der Linie, innerhalb welcher sie mit dem unteren Blatt zusammenhängt, ein, so erblickt man in einem solchen Falle in der Tiefe eine quere Falte, welche dem vordersten Abschnitte des unteren Blattes angehört und durch dessen eigenthümliche Faltung gegeben erscheint. Ich nenne letzteres Ve- lum. Bei sämmtlichen untersuchten Squaliden findet es sich wie- der; seine Beziehungen zur Nachbarschaft können in mancher Be- ziehung modifieirt sein. Hierüber später. Vorzüglichen Aufschluss über die zwischen Tela und Yalım be- stehenden Relationen ertheilen überdies Serienschnitte durch die Gegend der vorderen Hirnhälfte in sagittaler und frontaler Richtung. Ich habe auf Taf. XXVII mehrere Schnitte zeichnen lassen, und möchte namentlich auf Fig. 28 und 31 verweisen. Erstere stellt einen Sagittalschnitt durch das Hirn eines Hundshaies nahe der Mediane dar; bei diesem sind die in Rede stehenden Verhältnisse mit jenen beim Katzenhai völlig identisch. Letztere stellt einen Frontalschnitt durch das Zwischenhirn vom Katzenhai, und zwar durch dessen hintere Hälfte dar. Beide Figuren zeigen die Beziehungen beider Gefäßblätter zu einander und zum Zwischenhirne in fast schematischer Klarheit. Die Anordnung der im Velum eingelagerten Gefäße zeigt einige Eigenthümlichkeiten (s. Fig. 8 auf Taf. XXV Vel). Während in der Tela zarte längsverlaufende Venenäste lagern, dem freien Auge eben noch sichtbar, enthält das Velum Venenstämmehen stärkeren Kalibers, 426 Hugo Rex welche unregelmäßig angeordnet sind. Recht leicht lassen sich einige Hauptstämmchen unterscheiden; die Maschenbildung ihrer Äste bildet den Plexus des Velum. Eigenartig ist die Gruppirung der Gefäße im hinteren freien Rande des Velum. Die Stämmehen sind stärker und lagern quer. Dieser Einlagerung entsprechend erscheint auch der freie Rand des Velum verdiekt, und von hinten her betrachtet als querer Wulst. Er läuft beiderseits in zwei zarte Falten aus, welche ihre seitliche Befestigung an der Binnenfläche der Seitenwand des Zwischenhirnes finden. Dieses Faltenpaar schließt zarte Venen ein, welche unter dem Ependym der seitlichen Innenfläche der Zwischenhirnhöhle la- gern und schließlich in das Gefäßnetz des Velum eintreten. Dem Gesagten zufolge finden wir die Decke des Zwischenhirnes durch zwei über einander gelagerte Lamellen gebildet, in welche Venennetze eingeschlossen sind. Das obere ist an der dorsalen Um- randung des Ventrieulus tertius angeheftet, denselben dorsalwärts völlig abschließend: es ist dies die Tela chorioidea anterior. Das untere Blatt ist mit dem oberen längs seines vorderen Randes ver- bunden, ist kürzer als dasselbe, findet gleichfalls seine seitliche An- heftung an der seitlichen dorsalen Umrandung des Ventrieulus tertius, besitzt jedoch einen freien hinteren Rand; dies untere Blatt ist das Velum. Zwischen beiden Lamellen findet sich eine vorn blind ge- schlossene Tasche, welche mit dem hinteren Abschnitte des Ven- trikels kommunieirt (s. Taf. XXVII Fig. 28 und 31 V.IIJ). Mit der Tela und dem Velum steht in innigem Zusammenhange ein paarig angelegtes Gebilde, welches gleichfalls Venennetze in sich einschließt: die Plexus chorioidei der Seitenventrikel des Vorder- hirnes. Sehr instruktive Bilder über deren Lagebeziehungen erhält man dadurch, dass man ihre dorsale und ventrale Fläche freilegt. Die Plexus chorioidei stellen sich als Gefäßblätter dar, an welchen deutlich zwei Abschnitte erkennbar sind. Einer derselben ist eine zarte, äußerst dünne und durchscheinende Platte, welche Venen- netze einschließt und frei in den hinteren Abschnitt des Seitenven- trikels des Vorderhirnes hineinragt. Diese Platte ist meist zusam- mengefaltet, ihr freier Rand, welcher von einer Vene umsäumt wird, ist an manchen Stellen wie spiralig gedreht. Wenn man das un- scheinbare Convolut von dichten Gefäßnetzen mit zwei Nadeln aus- breitet, so erblickt man das zierliche Bild eines in eine zarte durch- sichtige Membran eingelagerten Venennetzes (s. Taf. XXV Fig. 6 und 7 Pl.pl). Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 427 Der zweite Abschnitt des Plexus chorioideus lagert im hintersten Abschnitte des Seitenventrikels des Vorderhirnes, welcher halsartig verschmälert nach hinten in den Binnenraum des Ventrieulus tertius führt. Derselbe ist bloß an seiner ventralen Fläche frei, die dorsale Fläche ist der dorsalen Wand des eben beschriebenen Abschnittes des Seitenventrikels angeheftet. Dieser zweite Abschnitt möge als Stiel des Plexus chorioideus dem erst beschriebenen, der Platte gegenübergestellt werden. Im Stiele finden sich zwei, parallel mit einander verlaufende Venenstämmchen vor, welche durch zarte Zweig- chen mit einander anastomosiren (Fig. 6 auf Taf. XXV P2.st). Uber die Beziehungen der Plexus chorioidei zur Tela chorioidea ante- rior ergiebt die Betrachtung der Ventralfliiche beider Gebilde will- kommenen Aufschluss. Es steht der Stiel jedes Plexus mit dem vordersten Abschnitte der Tela chorioidea in innigem Zusammen- hange. Es erscheinen, von der Ventralseite betrachtet, die Plexus ehorioidei als eine paarige Fortsetzung der Tela chorioidea anterior ins Innere der Seitenventrikel des Vorderhirnes. Vielleicht klingt diese Darstellung etwas allzu schematisch. Allein sie dürfte in folgender Betrachtung ihre Begründung finden. Von bedeutendem Interesse für das Verständnis der Beziehungen der Plexus chorioidei und auch des Velum zur dorsalen Wand des Ven- triculus tertius ist die Kenntnis des Verhaltens der Bekleidung der in den Binnenraum des Vorder- und Zwischenhirnes eingelagerten Abschnitte der genannten Gebilde. Befriedigenden Aufschluss er- giebt das Studium von Querschnittserien durch Hirne von Seyllium catulus. Es lehrt, dass gleich wie die gesammte ventrale Fläche der Tela chorioidea anterior, so auch die ventrale und dorsale Fläche des Velum, ferner die ventrale Fläche des Stieles, und schließlich die ganze Platte der Plexus chorioidei von einem äußerst deutlichen kubischen Epithel bekleidet sind. An einer Serie fand ich Flimmer- besatz des Epithels vor. Ich möchte auf Taf. XXVII Fig. 29, 30, 31 verweisen. Fig. 29 stellt einen Querschnitt durch den hintersten Abschnitt des Vorderhirnes dar und zeigt die Epithelbekleidung der freien Ventralfläche der Plexusstiele. Fig. 30 ist ein Querschnitt durch den vordersten, Fig. 31 ein soleher durch den hinteren Ab- schnitt des Zwischenhirnes. Beide Figuren zeigen den Epithelbelag der Tela und des Velum. Sowohl längs des vorderen als auch längs des seitlichen Randes geht die epitheliale Bekleidung der Dorsalfläche des Velum direkt in jene der Ventralfläche der Tela über; der zwischen Tela und Velum befindliche Abschnitt des 428 Hugo Rex Ventriculus tertius besitzt daher allseitig eine epitheliale Wandung. Aus diesem Verhalten des Epithels zu den freien Flächen der Plexus chorioidei und des Velum ergiebt sich folgende Schlussfolgerung. Der epitheliale Mantel der Tela chorioidea anterior setzt sich auf die Plexus chorioidei und das Velum fort, und dem entsprechend stellen diese Gebilde Einstülpungen desselben dar. Dieser epithe- — liale Mantel stellt die dorsale Wandung des Zwischenhirnes dar und es sind daher Plexus und Velum Abkömmlinge der Zwischenhirn- decke. Etwas komplicirt sind die Beziehungen der vorderen Cerebral- vene zu den venösen Geflechten, welche die eben besprochenen Ab- schnitte der Zwischenbirndecke einschließen. Vielleicht thue ich am besten, wenn ich den Befund an einem einzelnen Hirne schildere, welcher recht typisch ist. Es zeigen sich da folgende Einzelheiten. Die Betrachtung der Ventralfläche des Vorderhirnes lehrt ein jederseits angelegtes Venenstämmchen kennen, welches mit seinem oberflächlichen Wurzelwerk einen verschieden großen Abschnitt der genannten Fläche bedeckt (s. Taf. XXV Fig. 2, 3, 4, 5 V.ch [s, d). Die Vene verläuft in leichtem Bogen nach außen und hinten, um die Seitenfläche des Zwischenhirnes zu erreichen. Im Bereiche der- selben tritt sie mit zahlreichen Venen von der Seitenfläche des Vor- der- und Zwischenhirnes, unter Anderem auch mit den zur Hypo- physis ziehenden Venen in anastomotische Verbindung. Allmählich erreicht das Gefäß die Dorsalfliiche des Zwischen- hirnes und lagert sich zwischen die dieht über einander liegenden seitlichen Ränder der Tela und des Velum und die seitliche dorsale Umrandung des dritten Ventrikels ein. Mit den Venennetzen beider Gefäßblätter geht das Stämmchen zahlreiche Verbindungen ein, welche seine Bezeichnung als Vena chorioidea rechtfertigen dürften. Im vordersten Abschnitte der Tela finden wir dieselbe längs des seitlichen Randes der Tela dieser eingelagert (s. Taf. XXV Fig. 6 V.ch.d und Taf. XXVU Fig. 30, das äußere der beiden mit 2. V.ch (d, s] bezeichneten Stämmcehen). Schließlich betritt die V. chorioidea — den Plexusstiel, als laterales der beiden Stämmehen desselben nach vorn ziehend (s. Fig. 29 auf Taf. XXVII 2.Pl.st), und erreicht die Platte des Plexus. Im Bereiche derselben stellt sie jene oben be- — schriebene Randvene dar, welche den freien Rand der Platte um- säumt (s. Fig. 7 auf Taf. XXV). Längs dieses Randes gelangt — die V. chorioidea wieder zum Stiele des Plexus chorioideus zurück, Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 429 dessen mediales Stämmchen darstellend, um endlich längs der dorsalen Fläche des vordersten Abschnittes der Tela chorioidea frei zu Tage liegend nach hinten zu ziehen und sich mit der glei- chen Vene der Gegenseite zu einem starken Venenstamme, einer Vena chorioidea communis, zu verbinden (s. Taf. XXV Fig. 6, 7 V.ch.c und Taf. XXVII Fig. 29, 30 Z.m.V.ch.(d, s)). Die Vena chorioidea communis tritt aus der Tela chorioidea an- terior empor und verbindet sich nach Empfang der Mittelhirnwurzel mit einer der beiden vorderen Cerebralvenen; wie ich oben bereits hervorhob, meist mit der linken (s. Taf. XXV Fig. 1). | Zwischen den beiden Schenkeln der Schleife, welche die Vena chorioidea im Seitenventrikel des Vorderhirnes bildet, ist ein Maschen- werk reichlicher Anastomosen der verschiedensten Stärke entwickelt, das Venennetz des Plexus chorioideus darstellend (s. Taf. XXV Fig 7). Rekapituliren wir kurz den Verlauf der Vena chorioidea. Die- selbe zieht von der ventralen Vorderhirnfläche zur Decke des Ventri- eulus tertius emper, tritt mit den Geflechten der Tela und des Ve- lum in Verbindung, betritt den Seitenventrikel des Vorderbirnes und formirt in demselben eine Schleife; beide Schenkel der Schleife werden, durch anastomotisches Netzwerk verknüpft und hierdurch der Plexus chorioideus, resp. dessen Geflecht gebildet. Sodann ver- lässt die V. chorioidea den Seitenventrikel, um sich im Bereiche der Dorsalfläche der Tela chorioidea anterior mit dem gleichen Gefäß der Gegenseite zur Bildung der V. chorioidea communis zu vereinigen. Es liegt uns der denkbar einfachste Modus der Bildung eines Plexus chorioideus vor: eine Venenschlinge stülpt die Tela chorioidea anterior in den Seitenventrikel des Vorderhirnes ein. Uber die Beziehungen der Vena chorioidea zu den Venenge- flechten der Tela und des Velum hätte ich Folgendes zu berichten. Die Art der Geflechtbildung in beiden Gefäßblättern habe ich bereits charakterisirt; ich hätte nunmehr noch nachzutragen, dass die Gefäße beider mit einander im Bereiche des vorderen und des seitlichen Randes des Velum in Verbindung stehen. Das Venennetz des letzteren steht mit fast sämmtlichen Venen der Nachbarschaft in Verbindung. Die seitlichen Abschnitte empfangen Zuflüsse von Seite der Vena chorioidea, sowie jener Venenstämmchen, welche der so reichen Anastomosenkette der Seitenfläche des Zwischenhirnes entstammen und gleich der Vena chorioidea die dorsale Fläche der Tela chorioidea aufsuchen. Die mittleren und vorderen Abschnitte stehen mit der Vena chorioidea communis in Verbindung: ein eigenes 430 Hugo Rex stattliches Stämmcehen besorgt dieselbe (s. Taf. XXV Fig. 8). Es mündet der ventralen Wand der genannten Vene ein. Über die Zu- fliisse der Venen des hinteren wulstigen Randes des Velum habe ich bereits oben berichtet. Die Gefäße der Tela finden gleichfalls in der Vena chorioidea communis ihre Abflussbahn. Auch sie stehen mit sämmtlichen be- nachbarten Venen in regem anastomotischen Verkehre. Ich möchte schließlich die Beschreibung der Vena chorioidea durch den Hinweis auf Wurzeln vervollständigen, welche als Biunenwurzeln nach Eröffnung der Binnenhöhlen des Vorderhirnes durch deren Ependym hindurchschimmern. Sie entstammen den inneren Abschnitten der Wandung der Seitenventrikel, sowie deren Septum und münden an verschiedenen Stellen in die Vena chorioidea ein {s. Taf. XXV Fig. 7). Es fällt nicht schwer, die Asymmetrie, welche wir im Bereiche der beiden vorderen Cerebralvenen antraten, einfach durch den Mangel des Anschlusses der rechten Vena chorioidea an die rechte vordere Cerebralvene zu erklären. Es spricht hierfür schon der Befund, dass sich die Chorioidea communis bald mit der rechten, bald mit der linken vorderen Cerebralvene vereinigt. Es dürfte da- her die Annahme erlaubt sein, dass ursprünglich jede Vena chorioidea in die Cerebralvene ihrer Seite einmündete, und erst allmählich, im Laufe späterer Entwicklungsvorgänge, einer der beiden Stämme diesen Anschluss verlor und mit seinem Genossen der Gegenseite zur Bildung einer Vena chorioidea communis sich vereinigte. Das im Vorstehenden entworfene Bild des Wurzelwerkes der vorderen Cerebralyene kehrte bei sämmtlichen von mir untersuchten Hirnen von Seyllium catulus, abgesehen von Differenzen unterge- ordneter Art, wieder. Unter den letzteren erscheint mir eine bemerkenswerth. Im Bereiche der Vorderhirnwurzeln findet sich nicht selten eine Störung der symmetrischen Vertheilung der oberflächlichen Wurzeln auf beide vordere Cerebralvenen. Namentlich im Bereiche der Wurzeln von ur ee u er u der Dorsalfläche prävalirt nicht selten eine starke, nahe der Mittel- — linie gelagerte Wurzel, welche, zahlreiche dorsale Wurzeln aufneh- mend, in eine der beiden Cerebralvenen einmündet und so das Ge- biet der anderen schmälert (s. Taf. XXV Fig. 1 dm.Vw). Wir werden dieser Wurzel bei anderen Squaliden wieder begegnen; sie sei als dorsomediane Vorderhirnwurzel bezeichnet. nip Laie Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 431 In der Beschreibung spinalwärts vorschreitend, sollte ich nun- mehr Venenstämmchen berücksichtigen, welche zur Hypophysis und zum Sacculus vasculosus in inniger Beziehung stehen. Ihr Wurzel- . gebiet ist jedoch keineswegs genau abgegrenzt, es greift auf jenes der vorderen und hinteren Cerebralvene über und es dürfte daher erst die Kenntnis des Gebietes der letzteren es ermöglichen, über diese Venen ein klares Bild zu gewinnen. Ich gehe daher über zur Besprechung der hinteren Cerebralvene. Gebiet der Vena cerebri posterior. Ihr Wurzelwerk bietet einfachere und übersichtlichere Verhält- nisse dar als jene, welchen wir bis jetzt begegneten. Gleich der vorderen Cerebralvene steht auch die hintere in inniger Beziehung zu reichlicher Geflechtbildung im Bereiche der Nachhirndecke, der Tela chorioidea posterior. Ja, ihr Stamm wird sogar in die Bildung dieses Geflechtes mit einbezogen und in ein- zelne Äste aufgelöst. Durch die Vereinigung zahlreicher Stämm- chen dieses Plexus wird der Stamm wieder neu gebildet, um so- dann noch eine kurze Strecke bis zum Jugularkanale zurückzu- legen, durch welchen er die Schädelhöble verlässt. Die hintere Cerebralvene nimmt ihre Entstehung aus der Ver- eintgung zweier starker Wurzeln, welche über einander gelagert aus der tiefen Spalte zwischen den Lobi optiei und dem Kleinhirnvorder- lappen seitlich heraustreten (s. Taf. XXV Fig. 4, 5 [o, uj). Um dieselben weiter verfolgen zu können, erscheint es nothwendig, das Hirnrohr quer abzubiegen und so die erwähnte Spalte zu eröffnen (s. Taf. XXV Fig. 6). Verfolgen wir nun zunächst die, von der Seite her besehen untere Wurzel. Sie stammt aus dem Inneren des hinteren Abschnittes der Lobi optiei; ihr Wurzelwerk lagert dicht unter dem Ependym der Binnenhöhle der letzteren. Das Gefäß durchsetzt den hinteren Ab- schnitt der Seitenwand des Lobus opticus, unmittelbar nach seinem Austritt aus demselben empfängt dasselbe Seitenwurzeln aus dem Kleinhirnvorderlappen, namentlich von dessen Dorsalfläche (Fig. 7 17.2). Nun zur oberen Wurzel, welche ausschließlich aus dem Kleinhirn- vorderlappen stammt (s. Taf. XXV Fig. 6 0.W, Fig. 7 £.W). Sie lagert anfänglich seitlich von der Mittellinie der Ventralfläche des- selben und zieht sodann längs des unteren Randes dieser Fläche in leichtem Bogen umbeugend, lateralwiirts. Unmittelbar in der Mitte 432 Hugo Rex dieses transversalen Abschnittes nimmt diese Wurzel eine tiefe, aus den inneren Schichten des Kleinhirnvorderlappens stammende starke Seitenwurzel auf; das Wurzelwerk derselben lagert dicht unter dem Ependym der Binnenhöhle dieses Lappens. Durch die Aufnahme dieser Seitenwurzel bedeutend verstärkt, taucht die obere Wurzel der hinteren Cerebralvene aus der Tiefe der erwähnten Spalte empor. Durch die Vereinigung dieser beiden eben beschriebenen Wurzeln nimmt das Anfangsstück des Stammes der hinteren Cerebralvene seine Entstehung. Längs des Seitenrandes des Kleinhirnes, spinalwärts ziehend, erreicht derselbe die vordere Fläche des seitlichen Abschnittes der Tela chorioidea posterior; längs dieser zieht der Stamm dorsalwärts empor und gewinnt die dorsale Fläche derselben (s. Taf. XXV Fie7y, 8, 4545 Viep): Nirgend zeigt der Stamm im Bereiche der eben beschriebenen Strecke seines Verlaufes eine Verbindung mit der Tela, er verläuft frei, der Tela nur lose aufliegend. Sein weiterer Verlauf erscheint durch jene Linie gegeben, inner- halb welcher der seitliche Rand des Kleinhirnhinterlappens mit der dorsalen Fläche der Tela zusammenstößt. Längs dieser Linie zieht der Stamm, mit jenem der Gegenseite konvergirend, nach hinten, nunmehr mit der Tela in inniger Verbindung, denn er findet in deren Geflecht seine Auflösung, welche durch Abgabe pinselförmig diver- ~ girenden Astwerkes erfolgt. Vor ihrer Auflösung in das Netzwerk der Plexusplatte, mit welchem Namen ich das der Tela chorioidea posterior auflagernde Venengeflecht bezeichnen möchte, empfängt die hintere Cerebral- vene eine variable Zahl von Zuflüssen in Gestalt von zarten Venen, welche an der Kleinhirnoberfliiche wurzeln. Diese bedecken mit ihrem netzförmig anastomosirenden Wurzelwerk den Scheitel der Dorsalfläche des Kleinhirnes und ziehen, oft stark gewunden, ventralwärts. Es sind durchgehend oberflächliche Wurzeln; ihr Verhalten zu den transversalen Furchen der Kleinhirnoberfläche ist recht variabel, vermuthlich keinem bestimmten Typus unterworfen. Eben so variabel ist die Örtlichkeit ihrer Einmündung in den Stamm der hinteren Cerebralyene. Nicht wenige münden dem Netzwerk der Plexusplatte direkt ein (s. Taf. XXV Fig. 1, 3, 4, 5). Wir sind nunmehr in der weiteren Verfolgung der hinteren Cerebralvene in dem Bereiche der Dorsalfläche des Nachhirnes an- gelangt, und es ist nunmehr an der Zeit, den so hoch entwickelten Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 433 Gefäßreicehthum der Nachhirndecke ins Auge zu fassen (s. Taf. XXV Fig. 1). An einem gut injieirten Hirne findet man beinahe die gesammte dorsale Fläche der Rautengrube, mit Ausnahme ihres hintersten Ab- schnittes, eben so die Corpora restiformia, durch ein mächtig ent- wickeltes Netzwerk starker Venen völlig dem Blicke entzogen. Eine genauere Orientirung über diese Verhältnisse gewinnt man namentlich dann, wenn man den Kleinhirnhinterlappen empor und nach vorn schlägt. (Auf jene Venen, welche in letzterem wurzeln und sich in die Plexusplatte einsenken, werde ich noch später zu sprechen kommen.) Es liegt nun die gesammte dorsale Fläche der Tela chorioidea posterior frei und damit auch die ihr aufgelagerte Plexusplatte (s. Taf. XXV Fig. 9). Beide, Plexusplatte und Tela, besitzen im großen Ganzen die gleiche Ausdehnung: nur der hin- terste Abschnitt der letzteren ist fast völlig frei von Gefäßen. Die vordere und seitliche Grenzlinie der Plexusplatte fällt mit jener der Tela zusammen und findet daher durch die Beschreibung der Haftlinien der letzteren ihre Erledigung. Dieselbe haftet in einer annähernd queren Linie vorn am Kleinhirnunterlappen SAnDeErs’!, und zwar in der Weise, dass sich die Tela mit der dorsalen Fläche des genannten Lappens in einiger Entfernung von dessen freien Rande verbindet, so dass letzterer frei in den Binnenraum des vier- ten Ventrikels hineinragt. Vom Unterlappen setzt sich die Haftlinie der Tela auf das Corpus restiformi fort und umsäumt seine Außen- fläche, so dass dessen freier Rand gleichfalls frei in den Binnen- raum des Ventrikels hineinragt. Weiter spinalwärts erreicht die Haftlinie den Trigeminuslappen; im Bereiche des nach hinten zuge- schärften Endabschnittes desselben findet die Plexusplatte ein Ende und eine quere, beide Endstücke des genannten Lappens verbindende Linie zeigt ihre hintere Grenze an. Am hintersten Abschnitte der Tela chorioidea sind nunmehr noch spärliche zarte Venen eingelagert; ein mittleres Feld von variabler Ausdehnung erscheint völlig gefäß- frei. Ich möchte nur noch erwähnen, dass auch der Trigeminus- lappen mit seinem inneren Rande in den Ventrikel frei hineinragt. Sehr lehrreiche Bilder erhält man dadurch, dass man die Tela chorioidea und mit ihr die Plexusplatte durch einen Kreuzschnitt in ! A. SANDERS, Contributions to the anatomy of the central nervous sy- stem in vertebrate animals. Part I. Ichthyopsida. Section I. Pisces. Sub- section II. Plagiostomata. Philosophical transactions of the royal Society. Vol. 177. (Part II. 1886.) pag. 752. Morpholog. Jahrbuch. 17. 2 D 3 a 4 434 Hugo Rex vier Lappen zerlegt und diese zurückschlägt. Man überzeugt sich vornehmlich von der bedeutenden Ausdehnung der genannten Ge- bilde. Die Tela chorioidea posterior ist den von ihr bedeckten Ab- schnitten keineswegs eng angeschmiegt, sie erscheint vielmehr im Bereiche ihrer seitlichen Abschnitte als viel zu weit, als förmlicher Sack, dessen Wandung sich an in Alkohol gehärteten Hirnen in Falten legt, so z. B. im Bereiche des Corpus restiforme. Ferner zeigt sich dies auch weiter spinalwärts. Im Bereiche des Trige- minuslappens überragt die Tela ihre Haftlinie weit lateralwärts als törmliche Doppellamelle. Beide Blätter der letzteren verschmelzen in der Gegend des hinteren Abschnittes des genannten Lappens, und zwar erscheint diese Vereinigung in Zusammenhang mit Verbin- dungen, welche die Gefäße der oberen Lamelle mit jenen der unteren eingehen. Hierdurch kommt es zwischen beiden Lamellen zur Bil- dung von unregelmäßigen Taschen und Buchten. Fig. 32 und 33 auf Taf. XXVII zeigen die Verhältnisse der Tela im Bereiche der Corpora restiformia und des vorderen Ab- schnittes des Trigeminuslappens für Scyllium catulus im Querschnitte. Man erblickt in Fig. 32 die Plexusplatte der zarten epithelialen Decke des Nachhirnes aufgelagert; diese gefäßreiche Decke ist im Verhält- nis zur Unterlage viel zu weit und daher in Falten gelegt. Fig. 33 zeigt die Doppellamelle, welche die seitlichen Abschnitte der Tela chorioidea formiren und welche die Trigeminuslappen weit lateral- wärts überragt. Noch eine andere Eigenthümlichkeit erscheint mir bemerkens- werth. Bei Besichtigung der ventralen Fläche der Tela chorioidea posterior stößt man auf eine Reihe von queren Falten, welche in © den Binnenraum des Ventrikels hineinragen und Venenstämmchen einschließen, Abkömmlinge der Plexusplatte, welche die epitheliale Nachhirndecke tief einstülpten. Diese Falten entziehen sich bei der Ansicht der Dorsalfläche der Tela dem Blicke völlig. Sie formiren an der Ventralfläche der Tela kleine blinde Taschen, deren Wan- dung durch gefäßreiche Fortsätze und Blätter der Tela chorioidea posterior dargestellt werden. Über die Zuflüsse des mächtigen Netzwerkes der Plexusplatte hätte ich Folgendes zu berichten. Außer der hinteren Cerebralvene, welche durch ihre Auflösung in das Netzwerk, der Plexusplatte einerseits, durch die Wiederver- einigung eines beträchtlichen Abschnittes der Gefäße der letzteren — gewiss mit eine hervorragende Rolle an dem Aufbau der Plexusplatte il a | 7 7 EN Oe Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 435 spielt, treten noch zahlreiche andere Venen an dieselbe heran, und zwar namentlich im Bereiche ihrer Grenzlinien. Vor Allem sind es zarte Wurzeln, welche längs der Haftlinien der Tela aus der Sub- stanz des Kleinhirnunterlappens, der Corpora restiformia und des Trigeminuslappens emportauchen und in die Venen der Plexusplatte einmünden. Zu diesen zarten Wurzeln gesellen sich stärkere. Diese stam- men aus dem Kleinhirne. Schlägt man den Hinterlappen desselben zurück, so reißen stets mehrere stärkere Venen ein, welche in dessen innersten Schichten wurzeln. Ihr Wurzelwerk lagert ähnlich wie jenes der oberen Wurzel der hinteren Cerebralvene, dicht unter dem Ependym der Binnenhöhle des Hinterlappens (s. Taf. XXV Fig. 7. Nahe dem hinteren Ende des letzteren durchsetzen diese Venen seine ventrale Wandung und treten nach recht kurzem, freien Verlauf in die Plexusplatte ein. Ich finde meist auf jeder Seite je eine der- artige starke, tiefe Wurzel. Andere Wurzeln stammen von der Ventralfliiche des Hinterlappens und werden durch Zuflüsse von der Dorsalfläche des Unterlappens verstärkt. Auch diese vereinigen sich mit den Venen der Plexusplatte, bewahren jedoch innerhalb derselben eine Strecke weit ihre Selbständigkeit. Endlich findet sich noch eine paarige Wurzel, welche, zu beiden Seiten der Mittellinie von der Grenze zwischen Unter- und Hinterlappen aus spinalwärts ziehend, die Plexusplatte erreicht. Im Bereiche der Rautengrube trifft man zahlreiche, durch das Ependym hindurchschimmernde Venenstiimmchen, welche, nach außen ziehend, gleichfalls die Plexusplatte aufsuchen. Besonders starke Stämmchen traf ich an der Binnenfläche der Corpora restiformia, sowie des hinteren Ab- schnittes der Rautengrube an, welche, die seitliche Wandung der Rautengrube durchsetzend, die seitlichen Haftlinien der Tela auf- suchen. Sämmtliche beschriebene Venen bewahren im Bereiche der Plexusplatte anfänglich ihre Selbständigkeit, bevor sie sich in das Netzwerk desselben auflösen. Die Maschen des letzteren sind von verschiedenartiger Form; innerhalb gröberer Maschen finden sich feine Zweige, welche wie- derum neue zarte Maschen zusammensetzen. In diesem Maschenwerk wurzelt der Endabschnitt der hinteren Cerebralvene mit zahlreichen, hier und da recht weit in die Plexus- platte hineinragenden Wurzeln: er lagert am Außenrande des hin- teren Abschnittes der Platte. 28* 436 Hugo Rex Ich habe bis jetzt vorwiegend die dorsalen Abschnitte des Mittel-, Hinter- und Nachhirnes ins Auge gefasst. Bei Betrach- tung der ventralen Fläche dieser Hirntheile fällt ihr großer Reich- thum an Venen auf (s. Taf. XXV Fig. 2 das.V). Ich vermuthe, dass diese es vornehmlich sind, welche, weitaus den größten Antheil an der Versorgung der genannten Abschnitte besitzen. Wir finden im Bereiche der genannten Fläche durch die Mittellinie eine recht genaue Sonderung zweier symmetrischer Wurzelgebiete ge- geben. Die vordersten Venen treten mit solchen, die zur Hypo- physis in Beziehung stehen, in Verbindung. Andere konvergiren in ihrer Verlaufsrichtung zur Gegend der Quintuswurzel, formiren da- selbst einen stattlichen Stamm, welcher sich der ventralen Fläche des Quintus anlagert und mit diesem die Schädelhöhle verlässt. Leider konnte ich über seinen weiteren Verlauf nichts erfahren. Eine größere Zahl von Wurzeln vereinigt sich endlich zur Bildung eines stattlichen Venenstämmchens, welches die Seitenfläche des Nachhirnes aufsucht, die Reihe der Vaguswurzeln durchsetzt und den Endabschnitt der hinteren Cerebralvene oder die Plexusplatte aufsucht. Längs der Mittellinie der Ventralfläche des Rückenmarkes zieht ein zartes Venenstimmchen bis zur Ventralfläche des Nach- hirnes, um daselbst mit einem der ventralen Gefäße sich zu ver- binden. Dieses Stämmchen sei als Vena spinalis ventralis bezeichnet (s. Taf. XXV Fig. 2 V.sp.v). Ich möchte sämmtliche diese ventralen Venen mit dem Namen der basalen Venen bezeichnen. Wie ein zartes Netz bedecken dieselben die Basalfläche der oben genannten Hirmabschnitte und er- ‚scheinen ausgezeichnet durch Anastomosenbildung in Gestalt oft eng- maschiger Geflechte, sowie durch spitzwinkelige Vereinigung ihrer Wurzeln. Nachdem wir das Gebiet der hinteren Cerebralvene kennen ge- lernt haben, sei noch kurz jener Venen gedacht, welche zu dem Blutreichthum der Hypophysis und des Saceulus vasculosus in Be- ziehung stehen. Ihre Wurzeln bedecken vornehmlich die Oberfläche der Lobi inferiores, sowie die Seitenfläche des Zwischen- und Mittel- hirnes, und vereinigen sich zu einem starken Stamme, welcher die Furche zwischen dem Lobus inferior und dem Sacculus vasculosus aufsucht. Von Interesse erscheint namentlich der Umstand, dass die Wurzeln 4 u Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 437 dieses Stammes zahlreiche Anastomosen mit den benachbarten Wurzeln der beiden Cerebralvenen eingehen. Eine gute Übersicht über diese Verbindungen giebt die Fig. 3 auf Taf. XXV. Ich möchte mich mit diesem kurzen Hinweis auf diese Venen vor der Hand begnügen und werde noch anderen Ortes auf dieselben etwas ausführlicher zu sprechen kommen. Zur Vervollständigung des Bildes der Hirnvenen sei nun auch der dorsalen Spinalvene gedacht. Ihr fällt ein relativ kleiner Ab- schnitt des Nachhirnes anheim; ich finde an einem gut injieirten Hirne nur spärliche zarte Wurzeln derselben vor, welche dem hinter- sten Abschnitte der Dorsalfläche des Nachhirnes auflagern. Für uns sind vielmehr die Verbindung der Spinalvene mit den Endabschnitten der hinteren Cerebralvene von Interesse (s. Taf. XXV Fig. 1 V.sp.d). Sie lagert in der Mittellinie der Dorsalfläche des Rückenmarkes und stellt ein starkes Gefäß dar, welches seine ursprünglich paarige An- lage nicht verkennen lässt. In wechselnder Höhe theilt sich ihr Stamm in zwei Arme, welche anfänglich parallel mit einander ver- laufen, allmählich divergiren und in der Gegend der letzten Wurzel- bündel des Vagus den Seitenrand der Dorsalfläche des Nachhirnes erreichen. Von da an zieht jeder Arm cerebralwärts weiter, dorsal von den Vaguswurzeln dem Endabschnitte der hinteren Cerebralvene seiner Seite zustrebend, um sich mit diesem zu einem kurzen, star- ken, quer verlaufenden Truncus communis zu vereinigen, welcher, vom Hirnrohre abtretend, frei nach außen zieht und den Jugularkanal aufsucht. Beide Arme der Spinalvene sind im Bereiche des Nachhirnes durch zarte Astchen mit einander in Verbindung gesetzt. Diese topischen Relationen fand ich bei sämmtlichen untersuchten Squaliden fast in derselben Form vor, wie ich sie eben beschrieb. Auch an der Ventralfläche des Rückenmarkes fand ich Lingsstiimm- chen vor, der dorsalen Vene gegenüber allerdings recht unbedeutend. Der ventralen Spinalvene, welcher ich oben bereits gedachte, ge- sellen sich überdies zarte, zu beiden Seiten der Arteria spinalis ver- laufende Venen bei. Von diesen zweigen zarte Venen ab, welche die Seitenfläche des Rückenmarkes erklimmen und mit beitragen zur Bildung eines engmaschigen, äußerst dichten Netzes zarter Venen, welches die genannte Fläche völlig bedeckt. Aus diesem Netze nehmen stärkere Venen ihren Ursprung, welche, dorsalwärts ziehend, der dorsalen Spinalvene zustreben, mit welcher sie sich spitzwinkelig vereinigen. 438 Hugo Rex Die weiteren Schicksale der beiden Cerebralvenen, ihre Ver- bindung mit der Jugularvene, möchte ich erst am Schlusse dieser Arbeit besprechen, um diese Frage für sämmtliche untersuchten Elasmobranchier gemeinsam zu erledigen. Der im vorstehenden beschriebene Typus der Formirung beider Hirnvenen kehrt bei allen von mir untersuchten Squalidenhirnen immer wieder. Vorkommende Differenzen finden ihre Erklärung fürs Erste in der Persistenz der ursprünglichen gleichen Mächtigkeit beider vorderer Cerebralvenen, sodann in einer Anpassung des Grund- planes der Lagerung an die individuell so verschiedenen morpho- logischen Eigenthümlichkeiten des Baues des Hirnrohres; schließlich auch in Ausweitung und Weiterentwicklung des regen anastomoti- schen Wechselverkehrs zwischen den einzelnen Wurzelgebieten. Die mir vorliegenden anderen Squalidenhirne sind keineswegs sämmtlich gut injieirt, und ich muss mich daher in der Folge recht oft mit der Beschreibung der stärkeren Wurzeln begnügen. Um Wiederholungen zu vermeiden, hebe ich nunmehr nur noch besondere, von dem bislang beschriebenen Typus erheblich abwei- chende Eigenthümlichkeiten hervor. Ich halte mich in der weiteren Beschreibung zunächst an die nahen Verwandten des Katzenhaies, und zwar fürs Erste an Seyllium canicula. Die Übereinstimmung mit Scyllium catulus ist eine recht auf- fällige. Es sind nur Differenzen untergeordneter Bedeutung, welche ich in Folgendem mitzutheilen habe. Im Bereiche der vorderen Cerebralvene fällt an den mir vor- liegenden Hirnen die geringe Mächtigkeit der ventralen Wurzeln der V. chorioidea auf. Dieselbe erscheint gleichwie kompensirt durch die Aufnahme einer stattlichen, aus der Außenwand des Seitenven- trikels des Vorderhirnes stammenden Wurzel, welche sich mit dem lateralen Stamme des Plexusstieles verbindet. Ähnliches fand ich auch bei dem Katzenhaihirne, welches in der Fig. 7 auf Taf. XXV gezeichnet ist, und zwar im Bereiche der linken Chorioidealvene, und möchte auf diese Figur verweisen. Die Vena chorioidea communis mündet in die linke vordere Cerebralvene und empfängt eine starke dorsomediane Vorderhirn- wurzel. Das Wurzelwerk derselben lagert der vorderen Vorderhirn- fläche auf; sie verläuft frei, der Dorsalfläche des Vorderhirnes nur a 2 un Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 439 lose auflagernd. Überdies empfängt diese dorsomediane Wurzel einen stattlichen Zufluss in Form einer gleichfalls frei verlaufenden Seitenwurzel, welche mit den hinteren dorsalen Vorderhirnvenen in Verbindung steht. Eigenartig ist eine Verbindung der Vena septi ventrieulorum; dieselbe tritt aus dem Septum spinalwärts heraus, um sich mit einer der beiden Venae chorioideae, knapp vor deren Zusammentritt zur V. chorioidea communis, zu vereinigen. Das Gebiet der hinteren Cerebralvene ist durch Aufnahme zahl- reicher oberflächlicher Wurzeln vom Mittelhirne vergrößert. Der dritte der untersuchten Seylliiden, Pristiurus melanostomus, zeigt einige interessante Eigenthümlichkeiten. Vordere Cerebralvene. Vor Allem findet sich eine starke dorsomediane Vorderhirnwurzel, welche fast sämmtliche oberfliichliche ventrale Vorderhirnvenen mit zwei ventralen längsverlaufenden Wur- zeln sammelt (s. Fig. 14, 15 dm. Vw auf Taf. XXV). Letztere ver- einigen sich zu einer stattlichen dorsomedianen Wurzel, welche im Bereiche jener Delle, in welcher das Foramen nutritivum ROHON liegt, eine starke Vena septi ventrieulorum aufnimmt. Die Art der Verbindung mit der V. chorioidea communis ist eine recht verschie- dene. An einem Hirn fand ich die dorsomediane Wurzel vom Vor- derhirn und das gleiche Gefäß vom Mittelhirne mit V. chorioidea communis vereinigt; letztere mündete in die linke vordere Cerebral- vene ein. An einem zweiten Hirne münden beide dorsomediane Wurzeln in die rechte, die V. chorioidea communis in die linke vor- dere Cerebralvene ein (s. Fig. 14 auf Taf. XXV). ; Dieser reiche Wechsel der Vereinigung der einzelnen Wurzeln mit einander und ihrer Beziehungen zu den vorderen Cerebralvenen ist leicht erklärt, hält man an der ursprünglichen symmetrischen An- lage sämmtlicher Wurzeln beider vorderer Cerebralvenen fest. Die Annahme einer Ausweitung dieser oder jener anastomotischen Bahn dürfte uns, wie ich es schon hervorhob, diese so auffallende Regel- losigkeit der Verbindung der einzelnen Wurzeln vollkommen er- klären. Wie bereits Carrie! hervorhob, ist die Tela chorioidea ante- rior bei Pristiurus melanostomus nicht jene, der dorsalen Umrandung 'J. Tau. Carrie, Recherches sur la glande pinéale (Epiphysis cerebri) des Plagiostomes, des Ganoides et des Téléostéens. Arch. de Biologie. Tom VIII. 1882. pag. 129. 440 Hugo Rex des Ventriculus tertius genau angepasste Decke, welche wir bei den beiden anderen Scylliiden antrafen, sondern ist für ihe Unterlage viel zu weit und an in Alkohol gehärteten Präparaten gefaltet (s. Fig. 14 auf Taf. XXV T.ch.a). Ihre Verbindung mit dem Velum ist eine eigenartige. Die Linie, innerhalb welcher diese erfolgt, er- scheint sehr weit nach vorn verrückf, so dass der vordere Rand des Velum mit dem gleichen Rande des mittleren Abschnittes der Tela zusammenfällt. Vielleicht liegt in dieser Verschiebung eine nur be- deutungslose Abänderung des für die beiden anderen Scylliiden be- schriebenen Verhaltens vor. Die Gefäße des Velum zeigen eine recht einfache Anordnung: fast sämmtliche Stämmehen werden durch eine, in die Vena cho- rioidea communis einmündende Vene gesammelt (s. Taf. XXVI Fig. 16). Hintere Cerebralvene. Ihre Zusammensetzung zeigt folgen- des Verhalten. Sie nimmt ihre erste Entstehung im Bereiche der Ventralfläche des Hinterhirnes, indem sie die vorderen basalen Venen sammelt (s. Taf. XXV Fig. 15). Eine die Wurzelbündel des Acusticus beiderseits verbindende Linie trennt das Gebiet der basalen Venen in einen vorderen und hinteren Bezirk. Ersteren beherrscht jederseits ein Längsstämmchen, welches oberflächliche Wurzeln von der Ventralfläche des Mittel- und Hinterhirnes sammelt, und sodann in sanftem Bogen zur Seitenfläche des Hinterhirnes emporzieht und jene Stelle erreicht, an welcher der Trochlearis aus der Spalte zwischen den Lobi optiei und dem Klein- hirn emportaucht. Von dieser Stelle an zieht das Stämmchen als hin- tere Cerebralvene in der uns bekannten typischen Weise spinalwärts zur Tela chorioidea posterior. In dem vorderen konvexen Rand des erwähnten Bogens, wel- cher das Anfangsstück der hinteren Cerebralvene beschreibt, mündet eine Reihe oberflächlicher Wurzeln von der Seitenfläche des Lobus opticus. Bezüglich der übrigen Seitenwurzeln der hinteren Cere- bralvene möchte ich hervorheben, dass sich sämmtliche oberfläch- lichen Wurzeln vom Kleinhirn zu einem Stämmcehen vereinigen, eben so auch die tiefen Wurzeln aus dem hinteren Abschnitte des Lobus opticus und dem Kleinhirnvorderlappen zu einem Stämmchen zusammenfließen (s. Taf. XXV Fig. 15, Taf. XXVI Fig. 16 £.W)). Eine völlige Auflösung der hinteren Cerebralvene in das Ge- flecht der Plexusplatte findet scheinbar nicht statt. Der Stamm geht, allerdings verjüngt, in den hinteren Endabschnitt über. Gleichwohl Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 441 glaube ich, dass sich der Stamm keineswegs direkt in seinen End- abschnitt fortsetzt, sondern vielmehr eine Ausweitung einer Reihe von Ästen vorliegt. Es lehrt dies schon der Bliek auf die Fig. 16 auf Taf. XXVI. Auch das Maschenwerk der Plexusplatte zeigt einige Eigen- thümlichkeiten. Es ist sehr regelmäßig und zierlich, namentlich im Bereiche der seitlichen Abschnitte. Zahlreiche zarte Stämmehen ziehen parallel mit einander vom Rande her schräg einwärts und spinalwärts, sich mit den Wurzeln des Endabschnittes der Cerebral- vene verbindend. Die dorsale Spinalvene empfängt stattlichen Zu- fluss von Seite der basalen Venen. Ich erwähnte oben der beiden Bezirke, in welche das Gebiet dieser Venen geschieden ist; den vorderen Bezirk wies ich der hinteren Cerebralvene zu. Dem hin- teren Bezirke steht gleichwie dem vorderen jederseits ein längsver- laufendes Venenstämmchen vor, welches nach Aufnahme des ge- sammten Wurzelwerkes aus seinem Gebiete, mit jenem der Gegen- seite spinalwärts divergirend, die Seitenfläche des Nachhirnes aufsucht, und, zwischen den hinteren Vagusbündeln hindurchtretend, den gleich- seitigen Arm der Spinalvene aufsucht (s. Fig. 15 auf Taf. XXV). Ich lasse nunmehr die Beschreibung des Befundes, welchen das Hirn der untersuchten Spinaciden darbietet, folgen, denselben den übrigen Squaliden voranstellend, nachdem bei demselben im Bereiche der vorderen Cerebralvene ursprüngliche Verhältnisse obwalten. Acanthias vulgaris. Mein Material besteht leider nur aus einem einzigen Exemplare eines mäßig gut injieirten Hirnes. Vordere Cerebralvene. Das ventrale Wurzelwerk der Vena chorioidea ist ein -sehr stattliches. Überdies gelangen zahlreiche oberflächliche Wurzeln vom Lobus opticus und Lobus inferior zur Dorsalfläche des Zwischenhirnes, theils an die Vena chorioidea her- antretend, theils mit dem Geflecht des Velum sich verbindend (s. Taf. XXV Fig. 13). Die Plexus chorioidei sind verhältnismäßig groß, das Maschen- werk ihres Geflechtes sehr dicht. Eigenartig ist der Austritt der Vena chorioidea aus der Tela chorioidea anterior. Im Bereiche des vordersten Abschnittes derselben fand ich in der Mitte ein nahezu 442 Hugo Rex kreisrundes Feld, welches über das Niveau der Tela etwas hervor- ragt. Der Rand dieses Feldes wird durch einen weißlichen Streifen, — anscheinend von einer Verdickung der Tela herrührend, gekenn- zeichnet (s. Taf. XXV Fig. 11). Innerhalb dieses weißlichen Ran- des treten beide Venae chorioideae frei hervor, und jede derselben zieht alsbald schräg nach außen und vorwärts, der Seitenwand des Cranium zustrebend. Es entfällt dem entsprechend die Bildung einer Vena chorioidea communis. Jede Vena chorioidea empfängt auf ihrem Zuge zur Seitenwand des Cranium ein Paar dorsale Vor- derhirnwurzeln, von welchen eine, der Lage nach die äußere, nahe. dem Seitenrande der Dorsalfliiche des Vorderhirnes lagernd, ober- flächliches Wurzelwerk vom Riechlappen und Vorderhirn sammelt; die innere gleichfalls Wurzeln vom Vorderhirn sammelt. Durch die Aufnahme dieser Wurzeln gestaltet sich jede Vena chorioidea zur Vena cerebri anterior. Die dorsomediane Mittelhirn- wurzel mündet in die rechte vordere Cerebralvene ein (s. Fig. 11 auf Taf. XXV). Was die bei den Scylliiden aufgefundenen wechselnden Formen‘ der Zusammensetzung der beiden vorderen Cerebralvenen vermuthen ließen, liegt beim Dornhai in seiner vielleicht ursprünglichen Form dar: die völlige Symmetrie der Anlage der Wurzeln der beiden vor- deren Cerebralvenen. Es entfällt nicht nur die Bildung der un- paaren Vena chorioidea communis, sondern auch die Vorderhirnvenen sind symmetrisch angelegt. Vielleicht nimmt die dorsomediane Vor- derhirnvene, welcher wir bei den Scylliiden so häufig begegneten, aus der Vereinigung beider innerer Vorderhirnvenen, wie wir sie beim Dornhai antrafen, ihre Entstehung. Dass auch die dorsomediane Mittelhirnwurzel ursprünglich paarig angelegt ist, werde ich am Rochenhirn nachweisen. Diese eben geschilderten Verhältnisse sind ungemein klar und einfach; sie erklären uns die bislang angetroffene Asymmetrie des Wurzelwerkes der vorderen Cerebralvenen völlig.- Eigenthümlich gestalten sich bei Acanthias die Beziehungen, in welchen die Tela chorioidea anterior, das Velum und die Plexus chorioidei zu einander stehen. Mir lag, wie erwähnt, eben nur ein injieirtes Hirn vor; ich muss mich daher damit bescheiden, den dies- bezüglichen Befund einfach mitzutheilen, in der Hoffnung, dass es bald gelingen möge, an der Hand größeren Materials folgende iz plieirte Verhältnisse zu erklären. Die Verbindungslinie der Tela und des Velum ist im Bereidlial Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 443 ihrer seitlichen Abschnitte recht weit nach vorn geschoben, so dass die vorderen Ränder beider seitlich zusammenfallen. Uber die Ver- bindungslinie der mittleren Abschnitte erhält man den besten Auf- schluss, wenn man zunächst die Tela im Bereiche des oben be- schriebenen kreisrunden Feldes vorsichtig einschneidet und die hier- durch gebildeten kleinen Lappen zurückschlägt (s. Fig. 12 auf Taf. XXV). Man erblickt nun in der Tiefe den Boden des Ventri- eulus tertius; eingeengt wird diese Ansicht durch das spinalwärts hervortretende Septum des Vorderhirnes; noch mehr aber durch eine gefäßhaltige Platte, welche längs des ganzen Innenrandes der Off- nung in Form eines Kreisringes in deren Inneres hineinragt. Um sich tiber die nachbarlichen Beziehungen dieser Platte zu orientiren, erscheint es nothwendig, noch den hinteren Abschnitt der Tela vor- sichtig von der dorsalen Umrandung des dritten Ventrikels abzulösen. Verfolgt man sodann das Velum nach vorn, so findet man, dass die hintere Hälfte der kreisringförmigen Gefäßplatte dem Velum an- gehört, dessen mittlerer Abschnitt sich mit jenem der Tela im Be- reiche der beschriebenen weißlichen Linie verbindet (s. Fig. 13 auf Taf. XXV). Die Gefäßplatte ist durch eine Faltenbildung des Ve- lum bedingt, indem dasselbe vor seiner Verbindung mit der Tela eine nach vorn gerichtete Falte bildet, ähnlich wie ich sie bei Seyl- lium eatulus antraf. Die Betrachtung des Velum von der Ventralseite ergiebt auch Aufschluss über seine Beziehungen zu den Plexus chorioidei. Diese stehen mit dem Velum in innigem Zusammenhange, stellen gleich- sam blattförmige Ausstülpungen desselben dar. Dem Gesagten zufolge walten bei Acanthias andere Verhältnisse bezüglich der Entstehung der Plexus chorioidei ob, als bei Seyllium eatulus. Bei diesem dürften, wie ich bereits hervorhob, die Plexus ehorioidei der Tela chorioidea entstammen, bei Acanthias liegt die Vermuthung nahe, dass dieselben aus dem Velum ihre Entstehung nehmen. Eine Durchsicht der Litteratur hat meine Vermuthung bestätigt. RABL-RÜCKHARD! hat am embryonalen Hirne von Acanthias vulgaris 1H, RAgBL-RÜCKHARD, Das gegenseitige Verhältnis der Chorda, Hypo- physis und des mittleren Schiidelbalkens bei Haifischembryonen, nebst Bemer- kungen über die Deutung der einzelnen Theile des Fischgehirns. Morph. Jahrb. Bd. VI. 1880. Ferner: Zur Deutung und Entwicklung des Gehirnes der Kno- chenfische. Archiv für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. 1882, pag. 127 Anmerkung 1. 444 Hugo Rex eine Falte gefunden, welche die dünne dorsale Wand des Zwischen- hirnes unmittelbar vor dem Zirbeldrüsenstiele aufweist. Beschreibung und Abbildung lassen in dieser Falte die Anlage des Velum leicht wiedererkennen. Der genannte Autor führt ferner an, dass sich die Gegend des Scheitels dieser Falte durch Wucherung des Ependyms unter Betheiligung der Pia zu Plexusbildungen entwickelt. — Von den beiden Plexusstielen stammt endlich die vordere Hälfte jener kreisringförmigen Gefäßplatte ab; sie besteht aus einer Reihe von zierlichen Gefäßschlingen, welche ihren Scheitel gegen die Binnenhöhle des dritten Ventrikels kehren, und gleichsam aufgereiht sind einer sie durchsetzenden Vene. Hintere Cerebralvene. Ähnlich wie bei Pristiurus melano- stomus ist ihr Gebiet durch Aufnahme basaler Wurzeln vergrößert. Überraschend ist das Bild der Faltenbildung des mittleren Ab- schnittes der Tela chorioidea posterior, über welche ein medianer Sagittalschnitt durch die Tela den besten Aufschluss giebt. Eine Querfalte steht dieht hinter der anderen; dieselben stehen mit ein- ander in vielfacher Verbindung, zahlreiche blinde Buchten formirend, kurz, der von Seyllium catulus diesbezüglich mitgetheilte Befund erscheint förmlich nur als Andeutung der hier so enorm entwickelten Blätterbildung von Seite der Plexusplatte, deren Dorsalfläche wie bei sämmtlichen Squaliden glatt und ungefaltet ist. Dieses Blätter- werk der Plexusplatte reicht recht tief in die Höhlung des vierten Ventrikels; gespeist wird dieser Gefäßreichthum vornehmlich durch die rechte hintere Cerebralvene, welche sich ungefähr in der Mitte der Plexusplatte in diese als starker Stamm ungetheilt einsenkt, bald unter dem oberflächlichen Netzwerk verschwindend. Der Vertreter der Familie der Carchariiden, Mustelus vulgaris zeigte, so viel die mangelhafte Injektion erkennen lässt, keine her- vorragenden Abweichungen von den uns bekannten Verhältnissen. Bezüglich der vorderen Cerebralvene kann ich nichts Genaues berichten; ihre Zusammensetzung dürfte nach dem Wenigen, welches ich erkennen konnte, nicht von dem allgemeinen Typus abweichen. Die hintere Cerebralvene sammelt ihre ersten Wurzeln an der Seitenfliiche des Lobus opticus. Die oberflächlichen Wurzeln vom Kleinhirne treten radienartig zusammen zur Bildung einer starken Vene, auch die tiefen Wurzeln aus dem Vorder- und Hinterlappen i 34% t a Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 445 des Kleinhirnes vereinigen sich zu einem Stiimmchen, welches den untersten Abschnitt der seitlichen Kleinhirnwand durchsetzt; die Stelle, an welcher dasselbe aus dem Hirnrohre hervortritt, ist in ge- ringer Entfernung vom vorderen Rande des Corpus restiforme ge- legen. So viel über die Seitenwurzeln der hinteren Cerebralvene. Im Bereiche der Plexusplatte erfährt ihr Stamm keine Auflösung, sondern setzt sich ungeschmälert in den Endabschnitt fort. Das Maschenwerk der Plexusplatte ist bloß im mittleren Abschnitte als solehes entwickelt, die seitlichen Abschnitte weisen zierliche, zarte, parallel mit einander verlaufende Stämmchen, ähnlich wie bei Pri- stiurus auf. Nach dem Wenigen, welches ein äußerst mangelhaft injieirtes Hirn von Rhina squatina erkennen ließ, dürfte dasselbe in vieler Hinsicht mit den vom Dorn- hai beschriebenen Eigenthümlichkeiten der Zusammensetzung der vorderen Cerebralvene übereinstimmen, dessgleichen auch in Bezug auf die Verbindung von Tela und Velum. Ich muss mich mit dem bloßen Hinweise begnügen. Die Hirnvenen der Rochen. Mit Ausnahme der Torpediniden zeigen die Hirnvenen der unter- suchten Rochen im Allgemeinen die von den Squaliden her be- kannten Verhältnisse. Gleichwie dort treffen wir eine vordere und eine hintere paarige Cerebralvene an, jedoch ist deren Zusammen- setzung übersichtlicher und klarer durch die gleiche Mächtigkeit der beiden vorderen Cerebralvenen einerseits, durch den Mangel der Plexus chorioidei des Vorderhirnes und des so enorm entwickelten Venengeflechtes der Tela chorioidea posterior andererseits. Das Ve- lum ist stark oder gänzlich rückgebildet. Letztere Differenzen er- scheinen als Anpassung an Eigenthümlichkeiten des Baues des Ro- chenhirnes. Schließlich erscheint bemerkenswerth, dass das Gebiet der hinteren Cerebralvene auf Kosten jenes der vorderen erweitert ist. Die Torpediniden zeigen etwas abweichende Verhältnisse, die einfacher sind als die der übrigen Selachier und gesondert be- sprochen werden sollen. Mein Material bestand aus folgenden Species: Raja asterias, Raja clavata, 446 Hugo Rex Laeviraja oxyrhynchus, Tıygon pastinaca, Torpedo marmorata, Torpedo ocellata. Die besten Injektionsresultate erzielte ich bei Raja asterias, von welcher Art mir zahlreiche Exemplare zur Verfügung standen. Ich möchte daher, ähnlich wie den Katzenhai vor sämmtlichen Squaliden, auch Raja asterias an erster Stelle behandelt wissen. Raja asterias. Gebiet der Vena cerebri anterior. Es sind drei starke Wurzeln, durch deren Vereinigung der Stamm der vorderen Cerebralvene seine Entstehung nimmt. Sie wurzeln im Riechlappen, im Inneren des Mittelstückes des Vorder- hirnes und im Mittelhirn. Ferner empfängt die vordere Cerebral- vene noch zahlreiche oberflächliche Wurzeln vom Vorderhirn, in ihrem Kaliber äußerst variabel. Sie sind bald schwache Seiten- wurzeln, bald starke, den drei erwähnten Hauptwurzeln an Mächtig- keit gleichkommende Venen, deren Einmündung in die Cerebralvene an verschiedenen Stellen statthaben kann. Betrachten wir zunächst die konstant wiederkehrenden drei Wurzeln (s. Taf. XXVI Fig. 17). Das Wurzelwerk der Riechlappen- vene taucht an der dorsalen Fläche der Riechlappen empor und kon- fluirt bald zur Bildung von, der Längsachse des Tractus olfactorius parallel ziehenden, zarten Venen, welche mit einander in reger Ana- stomose stehen und sich schließlich zu einer stärkeren Vene ver- einigen, die längs der Dorsalfläche des Tractus olfactorius zum Vor- derhirn zieht. Der Traetus ist an seiner ganzen Oberfläche bedeckt von äußerst zierlichen, langgezogenen schmalen Venenmaschen, welche mit der Riechlappenvene und den Venen des Vorderhirnes in Verbindung stehen. Im Bereiche der Dorsalfläche des Vorder- hirnes lagert die Riechlappenvene in der Grenzfurche, welche das Mittelstück des Vorderhirnes von dessen seitlichen Abschnitten sondert; im vorderen Abschnitt dieser Furche vereinigt sich dieselbe mit der Mittelhirn- und tiefen Vorderhirnvene. Diese letztere, aus dem soliden Inneren des Vorderhirnes stammende tiefe Wurzel taucht an dessen Dorsalfläche entweder nahe der erwähnten Vereinigungsstätte empor, oder in einer geringen Entfernung von derselben, mehr einwärts und spinalwärts (Fig. 17, tiefe Yh.w). Durch vorsichtige Abfaserung Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 447 der Hirnsubstanz lässt sich ihr Wurzelwerk leicht bloßlegen. Es beherrscht fast das gesammte Innere des Mittelstückes. Über seinen Verlauf giebt die Fig. 20 auf Taf. XXVI guten Aufschluss. Die Mittelhirnwurzel endlich zeichnet sich dadurch aus, dass sie paarig angelegt ist; das differente Gebiet beider Wurzeln er- heischt ihre gesonderte Besprechung. Die rechte Wurzel wurzelt in der dorsalen, die linke in der ventralen Wand der Binnenhöhle des Mittelhirnes. Eine Seiten- wurzel stammt aus der Umrandung der Eingangsöffnung in die In- fundibularhéhle. Beide Wurzeln treten annähernd in der Mitte der Grenzfurche zwischen den Lobi optici und der Dorsalfliiche des Zwischenhirnes hervor. Noch vor ihrem Austritte aus dem Hirn- rohre eng an einander gelagert, ziehen sie, von der Austrittsstelle an divergirend, längs des äußeren Randes der Tela chorioidea an- terior zur Dorsalfläche des Vorderhirnes empor, um der oben be- schriebenen Vereinigungsstelle zuzustreben. Bald nach ihrem Aus- tritte aus dem C. opticum empfangen beide Wurzeln je eine Seiten- wurzel von der vorderen Fläche des L. optieus. Schließlich verbinden sich mit der linken Wurzel zwei Venen, von welchen eine zu dem Geflechte der Tela chorioidea anterior, die andere zum oberfläch- lichen Wurzelwerk der Lobi optici in Beziehung stehen (s. Taf. XXVI Fig. 17, 20 Mh.w). Die erstgenannte Vene sammelt sämmtliche Venen, welche das lockere weitmaschige Gefäßnetz der Tela bilden, und steht recht häufig mit einer stattlichen Vene in Verbindung, die der hinteren Cerebralvene entstammt und, längs der Seitenfläche des Zwischen- hirnes emporsteigend, das Zwischenhirndach erreicht. Dieselbe ähnelt in ihrem Verlaufe ungemein der V. chorioidea des Squalidenhirnes. Die zweite lagert in der dorsomedianen Furche des Mittelhirnes und sammelt beiderseits oberflächliches Wurzelwerk, welches der dorsalen Fläche der Lobi optiei entstammt. So viel über die beiden Wurzeln vom Mittelhirne. Außer diesen drei, konstant wiederkehrenden Wurzeln besitzt die vordere Cerebralvene eine Reihe von anderen, welche dem Vor- derhirne entstammen und, wie bereits erwähnt, in ihrer Mächtigkeit äußerst variiren. Sie führen das Blut von den Seitentheilen und der Mantelschicht des Mittelstückes ab, lagern sämmtlich der Ober- fläche des Vorderhirnes auf. Der Umstand, dass die hintere Cere- bralvene bald die gesammten ventralen Vorderhirnwurzeln sammelt, bald einen nur geringen Theil derselben, erklärt leicht die große 448 Hugo Rex Menge der verschiedenen Arten des Verlaufes und der Stärke dieser Vorderhirnwurzeln. Nicht selten vereinigen sich ventrale und laterale oberflächliche Wurzeln vom Vorderhirn zu starken Stämmen, welche, längs der vorderen oder lateralen Fläche des Vorderhirnes emporsteigend, in den bereits formirten Stamm der vorderen Cerebralvene als frei ver- laufende Bahnen einmünden. Die Cerebralvene selbst zieht längs des Tractus olfactorius als freier Stamm vorwärts, um ungefähr in der Mitte des Tractus denselben dorsalwärts zu kreuzen und der Austrittsöffnung in der Seitenwand des Cranium zuzustreben (s. Fig. 17 auf Taf. XXVI). Auffallend ist der Reichthum der vorderen Cerebralvene an frei verlaufenden Wurzeln. Schon ihre starken Hauptwurzeln haben freie, dem Hirnrohre nur lose auflagernde Endabschnitte, ja die Mittelhirnwurzel ist schon unmittelbar nach ihrem Austritte aus dem Hirnrohre mit diesem nicht mehr in Verbindung. Es finden sich nun auch freie Seitenwurzeln, welche beweisen, dass die Eigenart ihres Verlaufes auch Obsolescenz begünstigt. So finde ich zarte Venen der Opticusscheide mit einer haarfeinen Vene verbunden, welche den Opticus verlässt, frei nach vorn zieht und in den Stamm der vorderen Cerebralvene einmiindet (s. Fig. 17 auf Taf. XXYVI). Nun zur Tela chorioidea anterior. Bei Raja asterias vermisste ich das Velum gänzlich, und sein Mangel bedingt recht einfache Verhältnisse. Das der Tela aufgelagerte Venennetz ist recht locker und bezieht seine Gefäße aus der Umgebung, namentlich aus dem Inneren des Vorderhirnes, indem an der Verbindungsstelle der Tela mit letzterem starke Venen aus dem Inneren des Mitteltheiles in das Netz der Tela eintreten. Jener Vene, welche in ihrem Verlaufe der Vena chorioidea des Squalidenhirnes ähnelt, gedachte ich schon. Sämmtliche Gefäße der Tela vereinigen sich schließlich zur starken Wurzel der Mittelhirnvene (s. Taf. XXVI Fig. 17, 20 T.ch.a). Ich bielt mich in vorstehender Darstellung an ein Hirn, welches eine fast völlig symmetrische Anlage des Wurzelwerkes beider vor- derer Cerebralvenen aufwies. Von dieser einfachen Form der symmetrischen Zusammensetzung der beiden vorderen Cerebralvenen finden sich Abänderungen. Ähn- lich wie bei den Squaliden findet sich nicht selten nur eine starke Mittelhirnwurzel, welche durch ihre Verbindung mit einer der beiden Cerebralvenen, meist der der linken Seite, das Gebiet der anderen a ——— Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 449 schmälert. Einmal fand ich in einem solchen Falle die zweite Mittelhirnwurzel durch ein feines zartes Röhrchen dargestellt, wel- ches bloß seiner Lagerung nach als solehe erkannt werden konnte. Auch das Variiren der Größe des Vorderhirngebietes der hin- teren Cerebralvene bedingt ein Schwanken der Mächtigkeit der vor- deren Cerebralvene. Ich gehe nunmehr über zur Schilderung des Gebietes der Vena cerebri posterior. Über ihre ersten Wurzeln möchte ich mich mit einer gewissen Reserve aussprechen, denn ihr Anfangsstück ist meist mit einer ventralen Vorderhirnwurzel der vorderen Cerebralis in direkter Ver- bindung, gleichsam eine Fortsetzung derselben darstellend. Meist ist die hintere Cerebralvene an der Außenfläche der Seitentheile des Vorderhirnes endgültig als selbständiger Stamm nachweisbar. Längs der Seitenfläche des Zwischenhirnes, spinalwärts ziehend, lagert der Stamm in der Furche zwischen Unterlappen und Mittelhirn, nimmt oberflichliches Wurzelwerk vom Unterlappen und Zwischenhirn auf, und gelangt an die Seitenfläche des Lobus opticus, dessen oberfläch- liche Wurzeln er gleichfalls aufnimmt. Sodann erreicht der Stamm den Außenrand des Grundes der tiefen Spalte zwischen den Lobi optiei und dem Kleinhirnvorderlappen, und von hier aus die Außen- fläche des Corpus restiforme, längs deren unteren Rande er spinal- wärts zieht (s. Taf. XXVI Fig. 17, 18 V.c.p.s). Im Bereiche der letztbeschriebenen Strecke verläuft die hintere Cerebralvene nicht geradlinig, sondern in zwei Biegungen. Sie um- säumt zunächst die vordere Fläche des Corpus restiforme, sodann dessen Außenfläche, indem sie sich in die Spalte zwischen diese und die dorsalen Bündel der Trigeminuswurzeln einlagert. Schließ- lieh erreicht sie die Außenfläche des Nachhirnes, dorsalwärts von den Vaguswurzeln verlaufend, um eine kurze Strecke hinter dem hinteren Kleinhirnpole entweder selbständig oder nach Vereinigung mit der Spinalvene den Jugularkanal aufzusuchen. Von oben ge- sehen, erscheint das Hinter- und Nachhirn von den beiden starken Stämmen gleichsam umklammert. Dem Gesagten zufolge sind die Lagerungsverhältnisse der hinteren Cerebralvene im Bereiche des Nachhirnes von jenen, welche wir beim Squalidenhirne antrafen, recht verschiedene. Vielleicht ist diese Modifikation bedingt durch die Gestaltung und die topischen Beziehungen des Kleinhirnhinter- lappens zu den stark entwickelten Corpora restiformia und der Morpholog. Jahrbuch. 17. 29 450 Hugo Rex tautengrube. In dem Mangel der Plexusplatte möchte ich die Er- klärung keineswegs suchen, denn wie wir später sehen werden, ist bei den Torpediniden, welche gleichfalls der Plexusplatte der Nach- hirndecke entbehren, die Lagerung der hinteren Cerebralvene ähn- lich jener der Squaliden. Aus der Spalte zwischen den Lobi optici und dem Kleinhirn- vorderlappen tritt die tiefe Wurzel aus dem Lobus optieus hervor, um in die Cerebralvene einzumünden. Die tiefe Wurzel aus dem Kleinhirnvorderlappen durchsetzt den seitlichen Rand dieses Lap- pens, sie und eine zweite tiefe Wurzel aus den mittleren Ab- schnitten des Kleinhirnes suchen gleichfalls sofort nach ihrem Aus- tritte den benachbarten Abschnitt der Cerebralvene auf. Im Bereiche des Corpus restiforme empfängt dieselbe zahlreiche Zuflüsse in Form zarter Venen, welche theils in der Substanz des C. restiforme wurzeln, theils dessen Außenfläche, sowie die seitlichen Abschnitte der Tela chorioidea posterior, welche einen beträchtlichen Antheil der Dorsalfläche des C. restiforme bedeckt, mit einem zarten Netz- werk bedecken. Zwei andere Wurzeln suchen die ventrale Wand der Cerebralis auf. Von diesen sammelt eine die vordersten ba- salen Wurzeln, während die andere knapp vor der Trigeminuswurzel aus dem ©. restiforme hervortritt. Über diese tiefe Wurzel werde ich später berichten. Nicht selten werden die Endabschnitte beider hinterer Cerebral- venen durch einen starken, quer gelagerten kurzen Stamm verknüpft, welcher dem hintersten, frei zu Tage liegenden Theile der Tela chorioidea posterior auflagert und oberflächliche Wurzeln vom Klein- hirnhinterlappen aufnimmt (s. Taf. XXVI Fig. 17). ’ Der Endabschnitt der Cerebralvene empfängt endlich knapp vor seinem Eintritt in den Jugularkanal Zuflüsse vom hinteren Abhange des C. restiforme, sowie von jenem Abschnitte der Tela chorioidea posterior, welcher dessen innere Fläche bedeckt. Nach dem Studium dieser Verhältnisse schritt ich an jenes der Nachhirndecke. Der tief zwischen die beiden Corpora restiformia eingelassene Kleinhirnhinterlappen bedeckt weitaus den größten Theil derselben. Durch allmähliche, stückweise Entfernung des Hinterlappens ge- lang es mir nach mehreren missglückten Versuchen, die unversehrte Nachhirndecke mit ihren Gefäßen darzustellen (s. Taf. XXVI Fig. 20 T.ch.p). In ihrem mittleren Abschnitte lagern starke, längsverlaufende Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 451 Venenstämmchen, ihre seitlichen Abschnitte sind von zarten, spär- liehen Venennetzen bedeckt, und sämmtliche gröberen Einzelheiten der Binnenfläche der Rautengrube lassen sich durch dies zarte, durchsichtige Häutchen hindurch erkennen. Betrachten wir zunächst die Ausdehnung der Tela chorioidea posterior. Bezüglich ihrer Verbindung mit der dorsalen Umrandung der Rautengrube walten ähnliche Verhältnisse ob, wie wir sie beim Katzenhai fanden. Vorn haftet die Tela am Kleinhirnunterlappen, seitlich an der dorsalen Fläche der Corpora restiformia. Die Linie, innerhalb welcher die Tela daselbst ihre Anheftung findet, ist am injicirten Präparate leicht kenntlich. Die der Haftlinie lateralwärts angrenzenden Abschnitte der Dorsalfläche der Corpora restiformia sind von einem dichten Netze feiner Venenstämmehen bedeckt, wäh- rend jene Abschnitte, welche zur Binnenfläche des vierten Ventrikels gehören, relativ gefäßarm sind. Spinalwärts finden wir die seit- lichen Grenzen der Tela durch die Lobi trigemini gegeben. Die Konvergenz der letzteren bedingt spinalwärts eine rasche Verschmäle- rung der Tela; ihr Endabschnitt haftet an der seitlichen Umrandung des gleichen Abschnittes der Rautengrube und zeigt eine bemerkens- werthe Eigenthümlichkeit: er ist bruchsackartig dorsalwärts ausge- stiilpt. An einem frisch untersuchten Hirne fand ich diese Aus- stülpung mit der Innenfläche des Schädeldaches verwachsen. Nun zu den Venen, welche der Tela auflagern. Die oben er- wähnten starken Stiimmchen lagern zu beiden Seiten der Mittellinie und wurzeln im Unter- und Hinterlappen des Kleinhirnes, empfangen überdies tiefe Wurzeln aus dem Hinterlappen. Das spärliche Netz- werk zarter Venenstämmchen, welches namentlich die seitlichen Ab- schnitte der Tela bedeckt, steht mit dem oberflächlichen Wurzelwerk der Corpora restiformia in Verbindung, sowie mit den vorhin er- wähnten Stämmcehen des mittleren Abschnittes. Diese treten, spinalwärts ziehend, allmählich zur Bildung einer stattlichen Vene zusammen, welche gerade in dem schmalsten Ab- schnitte der Rautengrube zwischen den hinteren Endstücken der Lobi trigemini nach hinten zieht und die Tela recht tief ventralwärts ein- stülpt. Nachdem das Gefäß diesen fürmlichen Engpass verlassen hat, mündet es entweder in den, beide Cerebrales verbindenden Querstamm, oder, im Falle des Mangels desselben rechtwinkelig umbiegend, in das Endstück einer der beiden Cerebralvenen ein (s. Taf. XXVI Fig. 20). So viel über die Tela chorioidea posterior und ihre Gefäße. 29* 452 Hugo Rex Gegenüber dem so mächtigen Gefäßnetz, welches die Plexusplatte der Nachhirndecke der Squaliden darstellt, ist die Tela chorioidea posterior des Rochenhirnes gefäßarm. Es erübrigt mir nur noch, einiger tiefer Seitenwurzeln der hinteren Cerebralvene zu gedenken, welche den Corpora restiformia und dem Nachhirne entstammen. Nach der Eröffnung der Rautengrube bemerkt man im Bereiche ihrer Binnenfläche zahlreiche, unter dem Ependym lagernde Venen, welche das Wurzelwerk zweier tiefer Seitenwurzeln, einer vorderen und einer hinteren darstellen. Das Wurzelwerk der vorderen bedeckt die Binnenfläche des Kleinhirnunterlappens, des ventral von diesem befindlichen Ab- schnittes der Rautengrube und der vorderen Hälfte des C. restiforme. Unterhalb des Kleinhirnunterlappens durchsetzt die aus der Ver- einigung dieser Wurzeln hervorgegangene Vene die seitliche Wan- dung der Rautengrube und tritt aus jener Furche hervor, welche die ventrale Grenze der Außenfläche des C. restiforme bildet. Die Austrittsstelle ist knapp vor der Stelle gelegen, an welcher der Stamm der Cerebralvene die dorsale Fläche der Trigeminuswurzel- bündel kreuzt. Ich erwähnte diese Vene schon früher. Das Wurzelwerk der hinteren tiefen Seitenwurzel lagert im Be- reiche des hinteren Abschnittes der Binnenfläche der Rautengrube. Dieselbe verläuft längs des Ventralrandes der Binnenfläche des Cor- pus restiforme, durchsetzt den Lobus trigemini und sucht den End- abschnitt der hinteren Cerebralvene auf (s. Taf. XXVI Fig. 20 £W aus d.V.IV). Überdies wurzelt eine schwächere Vene im Trige- minuslappen. Ich gehe nun über zu den basalen Venen. Die vordersten der- selben münden einzeln oder zu stärkeren Stämmchen vereinigt in jenen Abschnitt der hinteren Cerebralvene ein, welcher der Seiten- fläche des Mittelhirnes auflagert; dieselben sind sehr zahlreich, und namentlich an der Ventralfläche des Mittelhirnes dicht gedrängt. Sämmtliche übrigen basalen Venen vereinigen sich jederseits zu einem starken Stamme, welcher längs des Seitenrandes der Ventral- fläche des Hinter- und Nachhirnes spinalwärts verläuft und schließ- lich ventralwärts von den Vaguswurzeln die Seitenfläche des Nach- hirnes erreicht. Der Stamm mündet sodann entweder in das End- stück der hinteren Cerebralvene oder in die dorsale Spinalvene ein (s. Taf. XXVI Fig. 19 das.V). Sein Endabschnitt stellt sich als ein weites, plattgedrücktes Gefäßrohr dar. Auch die beim Katzenhai beschriebene ventromediane Spinalvene fand ich bei Raja. asterias Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 453 wieder. Im Bereiche der Veutralfliiche des Nachhirnes verbindet sich dieselbe mit einer der basalen Venen. Jenes bei den Squaliden so stattlich entwickelte System von Venen, welche zur Hypophysis und dem Sacculus vasculosus in Beziehung stehen, vermisse ich bei Raja asterias. Der Blutreich- thum des Sacculus diirfte zu den vordersten basalen Venen in Be- ziehung stehen. Die dorsale Spinalvene ist ein stattliches Gefäß. Die Zwei- theilung ihres vordersten Endabschnittes, welche wir bei den Squa- liden antrafen, vermisste ich, dessgleichen das dichte oberflächliche Netzwerk der Seitenfläche des Riickenmarkes. Die Seitenwurzeln der Spinalis zeigen eine recht regelmäßige Anordnung, indem die- selben reihenweise — auf je eine dorsale Spinalnervenwurzel folgt eine Seitenwurzel — in ihr Sammelrohr einmünden. Das Endstück desselben weicht im Bereiche der Dorsalfläche des Nachhirnes nach der einen oder anderen Seite ab, um mit dem gleichen Abschnitte einer der beiden hinteren Cerebralvenen zur Bildung eines kurzen Truncus communis zusammenzufließen, welcher den Jugularkanal aufsucht (s. Taf. XXVI Fig. 17, 18 V.sp.d). Die beiden anderen untersuchten Rajiden, Raja clavata und Laeviraja oxyrhynchus zeigen keine hervorragende Eigenthiimlichkeiten der Art der For- mirung der beiden Cerebralvenen, und das fiir Raja asterias ent- worfene Bild kehrt bei ihnen fast genau wieder. Wichtig erscheint mir der Umstand, dass ich bei diesen Rajiden das bei Raja asterias vermisste Velum gefunden habe. Das Stu- dium der Tela chorioidea anterior von Raja clavata lehrte mich eine dem vordersten Abschnitte der Tela entstammende Falte kennen, welche, von der ventralen Fliiche derselben ausgehend, frei in den dritten Ventrikel hineinragt. Diese Falte verjiingt sich nach beiden Seiten und schließt zarte Venenstiimmchen ein, welche dem Venen- netze der Tela entstammen. Anfänglich hielt ich diese Falte für bedeutungslos, allein ich fand sie bei Laeviraja oxyrhynchus wieder und viel stärker entwickelt vor. Die Art ihrer Beziehungen zur Nachbarschaft sind bei diesem Rochen jenen gleich, welche das Velum der Squaliden aufweist. Sie steht mit ihrem vorderen Rande mit der Ventralfläche des vordersten Abschnittes der Tela im Bereiche einer annähernd queren 454 Hugo Rex Linie in Verbindung; die seitlichen Ränder haften an der Binnen- 7 fliche des dorsalen Randes des dritten Ventrikels; der hintere Rand ragt frei in dessen Binnenhöhle. Die Falte kann wegen ihrer Kürze leicht übersehen werden. In ihre seitlichen Abschnitte tritt je eine zarte Vene ein, welche längs der seitlichen Binnenwand des dritten Ventrikels knapp unter dem Ependym lagert, in der Falte selbst lagern Venenstiimmchen, mit einander und dem Venennetz der Tela in Verbindung. Ein Stämmchen lagert quer im freien Rande der Falte eingeschlossen. Ich möchte diese Falte, welehe das Velum des Squalidenhirnes gleichsam verkleinert darstellt, als solches auffassen, jedoch end- gültigen Bescheid entwieklungsgeschichtlichen Untersuchungen an- heimstellen. Der von mir untersuchte Trigonide, Trygon pastinaca war recht mangelhaft injieirt. Gerade bei diesen Rochen missglückte mir die Injektion stets, und ich muss mich daher mit der Mitthei- lung des Wenigen begnügen, welches das mir vorliegende Hirn zeigt. Das Gebiet der vorderen Cerebralvene ist bedeutend eingeengt, indem sämmtliche ventralen und lateralen Vorderhirnwurzeln zur Bildung des Anfangsstückes der mächtigen hinteren Cerebralvene konfluirten. Die Lagerung der letzteren ist die gleiche wie bei den untersuchten Rajiden, die Verbindung mit den oberflächlichen Klein- hirnwurzeln ist etwas abweichend gestaltet. Trafen wir schon bei den Rajiden eine erhebliche Vereinfachung der bei den Squaliden komplieirten Verhältnisse der Formirung bei- der Cerebralvenen, so erscheint dieselbe noch weiter gediehen bei den Torpediniden, zu welchen ich nunmehr übergehe. Torpedinidae. Die so einfachen Verhältnisse bei diesen erscheinen gegeben durch den Mangel der vorderen Cerebralvene. Wir finden ein einziges paariges Gefäß, welches das Hirnvenenblut sammelt und seinem Verlaufe sowie dem Eintritte in den Jugularkanal nach Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 455 leicht als die Vena cerebri posterior der Squaliden und Rajiden wiedererkannt werden kann. Wir können bei den Torpediniden von schlechtweg einer Cerebralvene sprechen. Sämmtliche nega- tiven Charaktere der Venen des Rajidenhirnes, so der Mangel der Plexus chorioidei und der Plexusplatte der Nachhirndecke kehren bei den Zitterrochen wieder, die Einfachheit des Bildes der For- mirung der Cerebralvene erhöhend. Die hervorstechendste Eigenthümlichkeit des Torpedohirnes, der Lobus electrieus, bedingt nur in so fern eine gewisse Komplikation, als hierdureh fürs Erste eigene Venen des elektrischen Lappens ge- geben sind, sodann der Verlauf des Endabschnittes der Cerebral- vene eigenthümlich modifieirt wird. Vielfach gestört erscheint die Symmetrie der Wurzelgebiete bei- der Cerebralvenen durch Ausweitung anastomotischer Bahnen. Meist ist das Gebiet der einen Cerebralis im Bereiche des Vorderhirnes erheblich geschmälert, ja die Vorderhirnwurzeln können völlig der Vene der Gegenseite anheimfallen und hierdurch ein erhebliches Überwiegen der Mächtigkeit der letzteren verursachen. Ferner kommt es nicht selten zu einer Vereinigung der End- abschnitte beider Cerebralvenen im Bereiche des elektrischen Lap- pens, so dass das gesammte Hirnvenenblut nur durch einen Jugular- kanal seinen Abfluss findet. Da die beiden untersuchten Arten, T. marmorata und T..ocellata gleiche Verhältnisse aufweisen, kann ich die Darstellung verein- fachen und den Befund an einem gut injieirten Hirne von T. mar- morata als auch für T. ocellata gültig hinstellen. Wie an fast sämmtlichen mir vorliegenden Torpedohirnen ist auch an diesem das Gebiet der einen Cerebralvene durch den Ver- lust des Vorderhirngebietes geschmälert. Dasselbe fällt der linken Cerebralis zu. Sie sammelt die Vorderhirnwurzeln in folgender Weise ‘s. Taf. XXVI Fig. 22—25). Die Riechlappenwurzel verbindet sich mit einer der beiden ventralen Vorderhirnwurzeln. Diese empfangen Zuflüsse von der Ventral- und Lateralfliiche des Vorderhirnes, ferner vom Lobus inferior und dem Chiasma opticum. Die rechte ventrale Wurzel (v.v.Vh.w) zieht, der hinteren Vorderhirnfliiche angeschmiegt, zum hinteren Abhange der Dorsalfläche des Vorderhirnes empor, längs welcher sie nach links zieht. Nach hinten umbiegend, erreicht sie sodann die Seitenfliiche des Lobus optieus und setzt längs dieser ihre Wanderung spinalwärts fort. Dieser quer verlaufende Abschnitt der 456 Hugo Rex linken Cerebralvene, denn diese ist es, welche uns in Form der Fortsetzung der rechten ventralen Vorderhirnvene vorliegt, nimmt ~ zunächst zwei seitliche dorsale und eine dorsomediane oberflichliche Vorderhirnwurzel (7./.d.Vh.w und dm.Vh.w) auf; letztere sammelt radienartig zusammentretende Seitenwurzeln von der Vorderfläche des Vorderhirnes. Ferner die linke ventrale Vorderhirnwurzel (2.v. YA.x), sowie tiefe Wurzeln aus dem Lobus opticus. Betrachten wir nunmehr diese einzelnen Wurzeln. Zunächst jene vom Vorderhirn. Gleichwie bei Raja vermuthete ich auch bei Torpedo besondere starke, tiefe Wurzeln aus dem soliden Inneren des Vorderhirnes. Ich fand jedoch solche nicht vor. Es scheint vielmehr sämmtlichen Vorderhirnvenen die Aufgabe übertragen, mit mehr oder weniger tiefen Seitenwurzeln das Innere des Vorderhirnes zu versorgen. Die rechte, seitliche dorsale Vorderhirnwurzel empfängt die dorsomediane Mittelhirnwurzel (M.Ah.w), überdies eine anasto- motische Bahn zur rechten Cerebralvene; diese Anastomose stellt das Anfangsstück der letzteren dar, und ist ein schwaches Stämm- chen, indem die Beziehungen der rechten Cerebralis zum Vorder- hirngebiete verloren gingen. Denken wir uns diese Bahn vergrößert, so würde sich auch die rechte Cerebralvene an der Versorgung des _ Vorderhirnes betheiligen, und hiermit wäre die so häufige Asym- metrie des Wurzelwerkes beider Cerebralvenen beseitigt. Über die Beziehungen der linken Cerebralvene zur Tela cho- rioidea anterior hätte ich Folgendes zu berichten. Die geringe Ausdehnung der Tela, sowie der Umstand, dass sie an in situ gehärteten Hirnen schwer zugänglich ist, gestattet keinen klaren Überblick über dieselbe. Ich konnte auf dem Wege der Präparation nur Folgendes feststellen. Der hintere Abschnitt der Tela ist dorsalwärts frei; das ihm aufgelagerte Gefäßnetz wird von äußerst zarten Venenstiimmchen gebildet. Die dorsale Fläche des vorderen Abschnittes ist der benachbarten Vorderhirnfläche innig angeschmiegt. Die ihm eingelagerten Venen stammen aus dem Inneren des Vorderhirnes und betreten die Dorsalfläche der Tela, ähnlich wie bei Raja asterias, längs ihrer vorderen Haftlinie. Siimmtliche Venen der Tela sammeln sich zu einem Stämmchen, welches in die ventrale Wand des Querstückes der linken Cerebral- vene einmündet. Ich habe ferner auch an einer in sagittaler Richtung geführten Schnittserie von einem Hirne von Torpedo ocellata das Verhalten der Tela studirt, und eine tief in den Binnenraum des dritten Ven- ee Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 457 trikels hineinragende Falte des Mitteltheiles der Tela gefunden; derselbe wird durch die Gefäße der Tela, namentlich durch das erwähnte Sammelgefäß, eingestülpt. Überdies ist auch die Haftlinie der Tela am Vorderhirn im Bereiche des Mitteltheiles recht weit dorsalwärts emporgetreten. Ich möchte glauben, dass diese Falte das Velum darstellt. Kehren wir zu den beiden Cerebralvenen zurück. Wir ver- folgten dieselben bis zur Seitenfläche des Lobus opticus; der Stamm der linken Seite überragt den der rechten Seite an Mächtigkeit. Der weitere Verlauf beider Stämme ist folgender (s. Taf. XXVI Fig. 22—24). Jeder derselben erreicht, längs der Seitenfläche des Lobus opticus spinalwärts ziehend, die gleiche Fläche des Hinter- hirnes, kreuzt sodann das Corpus restiforme und klimmt parallel dem Hinterlappen des Kleinhirnes zur Dorsalfläche der Decke des Lobus electricus, der Tela chorioidea posterior empor. Beide Stämme konvergiren im weiteren Verlaufe, indem jeder recht nahe an die Mittellinie heranrückt, und verlaufen auf der Höhe der Lobi electrici, von ihnen nur durch die Tela geschieden, recht nahe der Mittellinie eine kurze Strecke parallel mit einander, um endlich divergirend in den Jugularkanal einzutreten. Diese eben geschilderte Art des Verlaufes ist die ursprüngliche und wird nicht häufig angetroffen. Desto häufiger finden sich die bereits erwähnten Varietäten, welche ihre Erklärung in der Aus- weitung einer beide Cerebrales auf der Höhe der Lobi electriei ver- bindenden Anastomose finden. Eine solche Varietät findet sich auch an dem Hirne, welches meiner Beschreibung zu Grunde liegt. Die Endabschnitte beider Cerebralvenen haben sich vereinigt, es mündet die linke Vene in die rechte ein, und das gesammte Hirnvenenblut findet durch einen Jugularkanal seinen Abfluss (vgl. Fig. 22 und 26 auf Taf. XXVI). Nun zu den Zuflüssen der Cerebralyenen im Bereiche der eben beschriebenen Strecke ihres Verlaufes. Die tiefen und oberfläch- lichen Wurzeln aus dem Mittel- und Hinterhirne sind die gleichen, welchen wir bei den Squaliden und Rajiden begegneten. Im Bereiche des Nachhirnes finden wir uns dagegen bedeutend veränderten Verhältnissen gegenüber, welche durch die mächtige Entfaltung der Lobi eleetriei bedingt erscheinen. Zunächst zu den Wurzeln, welche längs der Dorsalfläche der Tela an die Cerebralvenen herantreten. Die Tela ermangelt, wie bereits erwähnt, völlig einer Einlagerung von Geflechten. Sie ist, 458 Hugo Rex ähnlich wie bei den Rajiden, zunächst der Träger der aus dem q Kleinhirne, und zwar dessen Hinter- und Unterlappen, stammenden Wurzeln. Diese miinden nach hinten und, lateralwiirts ziehend, in die benachbarten Abschnitte der Cerebrales ein (s. Fig. 26). Ferner lagern der Tela Wurzeln aus dem Corpus restiforme auf. Sie be- treten die Tela im Bereiche ihrer Verbindung mit dem Dorsalrande des Corpus restiforme und formiren bald eine starke Vene, welche den bereits nahe der Mittellinie lagernden Abschnitt der Cerebral- vene aufsucht. Uber die Beziehungen dieser Wurzeln zu dem Cor- pus restiforme werde ich spiiter berichten. Schließlich finden sich einige zarte, quer lagernde Venenstimm- chen der Tela aufgelagert, welche mit einander anastomosiren und eine Verbindung zwischen den lateralwärts lagernden Wurzeln aus dem elektrischen Lappen und den Cerebralvenenstämmen herstellen. Dem Gesagten zufolge ist die Tela chorioidea posterior gleich jener der Rajiden recht gefäßarm; die Felder an der Dorsalfläche der elektrischen Lappen schimmern durch sie hindurch. Nach der Entfernung der Tela werden die Wurzeln im Bereiche der Wandung des vierten Ventrikels zugänglieh. Wir finden manche bekannte Verhältnisse. So die äußerst zarten, unmittelbar unter dem Ependym lagernden Venenstiimmchen an der Binnenfläche des Klein- hirnunterlappens und des Corpus restiforme (s. Fig. 27 auf Taf. XXV]). Das Sammelrohr der ersteren durchsetzt die Seitenwand des vierten Ventrikels, um die Cerebralvene aufzusuchen; die Venen von der Binnenfläche des Corpus restiforme betreten, wie ich oben mittheilte, die Dorsalfläche der Tela. Nach Entfernung des Lobus electricus stößt man im Bereiche seiner Lagerstätte auf quer verlaufende Venenstämmchen (s. Fig. 27). Das vorderste derselben tritt unterhalb des längs lagernden Abschnittes des Corpus restiforme nach außen, verläuft sodann spinalwärts umbeugend, längs der Außenfläche des Nachhirnes nach hinten, um entweder in den Endabschnitt der Cerebralis oder einen Arm der Spinalvene einzumünden. Auf diesem Wege empfängt das Stämmchen die Venen aus dem elektrischen Lappen (V./.e), welche aus der Seitenfläche desselben emportauchen. Ihre Präparation ist durch die allmähliche Auffase- rung der Substanz des elektrischen Lappens leicht bewerkstelligt, und schon nach der Auffaserung der oberflächlichen Schichten er- bliekt man ihr Wurzelwerk. Meist sind zwei Venen vorhanden, bald ist die vordere, bald die hintere die stärkere. Mitunter fand Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 459 ich an einigen Hirnen Venenstämmchen, welche an der dorsalen Fläche des Lobus electricus emportauchten; die seitlich austretenden Venen sind jedoch meist die stärksten. Durch die Aufnahme der Wurzeln aus dem elektrischen Lappen hat das erwähnte Längsstämmchen eine bedeutende Stärke erlangt. Die Präparation der basalen Venen ist beim Torpedohirne mit einigen Schwierigkeiten verknüpft. Während dieselben bei den Squaliden und Rajiden sofort nach Entfernung der basalen Arterien frei zu Tage treten, sind sie bei Torpedo fast völlig dem Blicke ‘entzogen durch eine Lage dünner bindegewebiger Hüllen, welche die Ventralfläche des Hirnrohres völlig bekleidet. Durch diese Hülle werden manche Details der letzteren, so auch die Verästelung der Arterien, stellenweise gänzlich verdeckt; zwischen den einzelnen Lamellen derselben fand ich zarte Venenstämmchen, so unter an- deren eines, welches, dem hinteren Abschnitte der Hypophysis ent- stammend, ventralwärts von den basalen arteriellen Stämmen ver- lief (s. Fig. 25 auf Taf. XXV]). Nach Entfernung dieser Hüllen treten die basalen Venen zu Tage. Sie zeigen das für Raja asterias beschriebene Verhalten. Im Bereiche der Rückenmarksgefäße fand ich neben der so überaus mächtigen dorsalen Spinalvene und der zarten ventromedi- anen Vene, welcher wir bis jetzt stets begegneten, jederseits einen zwischen der dorsalen und ventralen Wurzelreihe der Spinalnerven lagernden seitlichen Stamm, welcher die oberflächlichen Venenstämm- chen mit einander verbindet und schließlich in den vorderen Ab- schnitt der dorsalen Spinalvene einmündet (s. Fig. 24 auf Taf. XXVI V.sp.l). Letztere theilt sich sehr häufig in zwei gleich starke Arme, welche unmittelbar an den hinteren Rand der Lobi electrici an- grenzen. Die Einmiindung der Venaecerebri der Elasmobranchier in die Jugularvene zeigt folgende Eigenthiimlichkeiten. Nachdem die Cerebralvenen endgültig formirt das Hirnrohr verlassen haben, streben dieselben auf dem kürzesten Wege ihren Austrittsöffnungen in der seitlichen Wand des Cranium zu. Beide Cerebralvenen, die vordere und die hintere, besitzen eigene Abflusswege in der Seitenwand des Cranium. 460 Hugo Rex Betrachten wir zunächst die vordere Cerebralvene. Bei den Squaliden mündet dieselbe in den Sinus orbitalis. In der Seiten- wandung der Orbitalregion des Cranium findet sich eine Öffnung, welche mit der Dorsalfläche des hintersten Abschnittes des Vorder- hirnes annähernd in gleicher Höhe liegt. Diese Öffnung führt direkt in den Orbitalsinus, und durch sie wird diesem Sinus das Blut der vorderen Cerebralvene übermittelt: So fand ich es bei den Seylliiden, bei Acanthias und Mustelus (s. Fig. 10 auf Taf. XXV, welche die Lagerungsverhältnisse dieser Öffnung beim Katzenhai darstellt [V.c.a)). Bei den Rajidae finde ich gleichfalls in der Seitenwand der Orbitalregion die Austrittsöffnung der vorderen Cerebralvene. Die- selbe liegt im vordersten Abschnitte der Seitenwand; der vorderste Abschnitt des Riechlappenstieles zieht unmittelbar unter ihr vorbei. Die Öffnung führt in einen kurzen Kanal, welcher die Schädelwand schräg nach außen und hinten durchsetzt (s. Fig. 21 auf Taf. XXVI V.c.a). Nachdem die vordere Cerebralvene diesen Kanal passirt hat, mündet sie in eine Seitenwurzel der Jugularvene ein. Die hintere Cerebralvene passirt entweder allein oder mit einem Arme der dorsalen Spinalvene vereint den Jugularkanal, und mündet nach dem Austritte aus demselben in den benachbarten Abschnitt der Jugularvene (s. Fig. 10 und 21 V.c.p). Eben so verhält sich die zur Cerebralvene herangebildete hintere Cerebralvene der Torpediniden. Der in die Anatomie der Hirnvenen der Selachier gewonnene Einblick hat gezeigt, dass sowohl der cerebrale als auch intradurale Abschnitt der Hirnvenen recht einfache, ursprüngliche Verhältnisse aufweisen. Die Kenntnis solcher einfacher Verhältnisse ergiebt eine nur erwünschte Grundlage fernerer Studien über die Frage der Phylogenie der Sinus durae matris. Erst nach Durchführung meiner weiteren, bereits in Angriff genommenen Untersuchungen wird es an der Zeit sein, die im Vorstehenden mitgetheilten Einzelheiten ihrer Verwerthung zuzuführen; vor der Hand muss ich mich mit ihrer bloßen Verzeichnung begnügen. Es dürfte von Interesse sein, schon jetzt die in der Litteratur vorliegenden Angaben, welche zur Frage der Phylogenie der Sinus durae matris in Beziehung stehen, ins Auge zu fassen. Was „unächst die Selachier betrifft, so liegt bis jetzt nur die kurze Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 461 Mittheilung von T. J. Parker! über die Hirnvenen von Mustelus antarcticus vor. PARKER giebt eine kurze Skizze über Lage und Gebiet der vorderen und hinteren Cerebralvene, sowie der dorsalen Spinalvene, und hat überdies die Einmündung der vorderen Cerebral- vene in den Sinus orbitalis aufgefunden. Eigenthümlich erscheint mir der Umstand, dass PARKER von den beiden Stämmen der hinteren Cerebralvene berichtet, dass durch die Vereinigung ihrer Endabschnitte die dorsale Spinalvene gebildet wird. Unwillkürlich wird die Vermuthung wachgerufen, dass PARKER den Eintritt des aus der Vereinigung des Endstückes der hinteren Cerebralvene mit dem gleichseitigen Arme der dorsalen Spinalvene hervorgehenden Truncus communis in den Jugularkanal übersehen hat. Es erscheint mir eben wenig wahrscheinlich, dass gerade bei Mustelus antarcticus der Jugularkanal fehlen sollte, während ihn doch GEGENBAUR?, welcher als der Erste diesen Kanal beschrieb und richtig deutete, bei sämmtlichen untersuchten Selachiern auffand. Ferner weiß ich aus eigener Erfahrung, dass gerade der frei ver- laufende Abschnitt der hinteren Cerebralvene, welcher den Jugular- kanal aufsucht, in Folge seiner zarten Wandung leicht einreißt und daher übersehen werden kann. Folgende Mittheilungen fand ich bezüglich des Velum. CArrie hat das Velum bei Centrophorus granulosus aufgefunden und in seiner oben eitirten Abhandlung beschrieben. Ungleich wichtigere Angaben liegen in den ausgezeichneten Arbeiten über den Bau und die Entwicklung des Teleostierhirnes vor, welche wir RABL- RÜCKHARD? verdanken. Die Beschreibung und Abbildung der mäch- tigen queren Falte des Pallium des Teleostierhirnes, welche RABL- RÜCKHARD entwirft, lassen in derselben leicht eine dem Velum des Squalidenhirnes homologe Bildung erkennen. Im Anschlusse an das Velum des Teleostierhirnes entwickeln sich wahre Plexus chorioidei, allerdings in beschränkter Anzahl und Entwicklung. RABL-RÜCKHARD hat ferner die Entwicklung des Velum des Teleostierhirnes verfolgt und, wie ich bereits erwähnte, auch am 0: 2 C. GEGENBAUR, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbel- thiere. Drittes Heft. Das Kopfskelet der Selachier, ein Beitrag zur Kenntnis der Genese des Kopfskeletes der Wirbelthiere. Leipzig 1872. pag. 35. 3]. c. 4 RABL-RÜCKHARD, Das Großhirn der Knochenfische und seine Anhangs- gebilde. Archiv für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Jahrgang 1883. el. e 462 Hugo Rex embryonalen Selachierhirne das Velum aufgefunden und als Homo- logon des Velum der Teleostier erkannt. Die über die Teleostier vorliegenden einschlägigen Berichte lassen, so dürftig dieselben auch sind, leicht erkennen, dass sich bei diesen keinerlei Andeutung einer Anlage von Sinus vorfindet. Über die gleichen Verhältnisse bei den Ganoiden und Dipnoern fand ich keine Mittheilungen vor. Anders bei den diesbezüglich untersuchten Amphibien. GruBy! spricht von Hirnvenensinus bei Rana, allein er meint hiermit, so viel ich seinen Angaben entnehmen kann, mehr die Größe der Hirnvenen, als wirkliche, der Dura mater eingelagerte Abflusswege des Hirnvenenblutes. ScHÖöBL? hat eine größere Reihe von Urodelen untersucht (Sala- mandra maculata, Triton, Proteus, Amblystoma und Menobranchus). Er beschreibt in die Dura mater eingelagerte Blutleiter, welche das Hirnvenenblut sammeln. Diese Angaben ScHhögL's möchte ich mit einer gewissen Reserve aufnehmen. So schön auch seine Befunde auf dem Gebiete der Hirnvenen sind, so erscheinen mir seine An- gaben bezüglich der Topik seiner Sinus, namentlich ihr Verhalten zur Dura mater neuer, eingehender Untersuchung bedürftig. Jeden- falls reichen die so allgemein gehaltenen Angaben ScHOBL’s keines- wegs aus, um mit ihrer Hilfe der in Rede stehenden Frage näher zu treten. Für die in Bezug auf das Venensystem best untersuchten Rep- tilien, die Krokodile, liegen Raruxke’s* Angaben vor, welche keinen Zweifel erlauben, dass bei diesen wirkliche, echte Sinus durae matris ausgebildet sind. Dem entsprechend ermangelt es bis jetzt völlig der Kenntnis eines Bindegliedes, welches zwischen den so einfachen primitiven Verhältnissen der Selachier und den relativ so hoch organisirten Einrichtungen der Reptilien einen vermittelnden Übergang schaffen würde. Die Art und Weise, wie diese Kenntnis zu erreichen wäre, ist recht klar. ! GruBY, Recherches anatomiques sur le systeme veineux de la Grenuille. Annales des Sciences naturelles. Sec. Serie. Tome XVII. Zoologie. 1842. 2 Jos. ScHögL, Uber die Blutgefäße des cerebrospinalen Nervensystems der Urodelen. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XX. 1882. 3 C. RATHKE, Untersuchungen über die Entwicklung und den Körperbau ‘ler Krokodile. 1866. Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 463 Die Frage der Phylogenie der Sinus durae matris kann nur ge- löst werden durch weiteren Ausbau unserer Kenntnisse über die ver- gleichende Anatomie der Hirnvenen und der Beziehungen der Dura mater zum Hirnrohre und den Abflusswegen des Hirnvenenblutes. Den Versuch, dieser Frage näher zu treten, hat bereits SAGE- MEHL! unternommen, allerdings nur auf dem Wege der Hypothese. SAGEMEHL schlägt hierbei folgenden Gedankengang ein. Die mächtige Gewebsmasse der Dura mater der Fische, welche den Raum zwischen Hirnrohr und Schädelbinnenfläche ausfüllt, wird von zwei Lamellen begrenzt, von welchen die innere sich eng an das Hirnrohr anschmiegt, von ihm nur durch den subduralen Lymph- raum geschieden, die äußere die Schädelbinnenfläche bekleidet. Sämmtliche vom Hirnrohre abtretenden Gebilde, also auch dessen Venen, sind in dieser mächtigen Gewebsmasse der Dura mater ein- geschlossen, denn sie müssen dieselbe passiren, um zu ihren Aus- trittsöffnungen zu gelangen. Durch allmähliches Wachsthum des Hirnrohres wird die Gewebs- masse der Dura mater zum Schwunde gebracht und endlich werden, wenn das Hirn die Schädelhöhle völlig ausfüllt, die beiden Grenz- lamellen der Dura mater sich völlig berühren und mit einander ver- schmelzen. Nur dort, wo zwischen beiden irgend welche Gebilde sich eingelagert finden, so auch die vom Hirnrohre abtretenden Venen, wird die Vereinigung beider Grenzlamellen verhindert, und sie bilden für diese röhrenförmige Scheiden: Sinus durae matris. Kurz, es liegen Verhältnisse vor, wie sie für die Dura mater der höheren Vertebraten charakteristisch sind. Diese Hypothese hat viel Bestechendes für sich. Allein sie ge- währt im besten Falle nur Aufschluss über die Entstehung der Sinus im Allgemeinen; das so wichtige Kapitel der Topik derselben kann wohl nur durch eine in der oben angedeuteten Richtung ausgeführte Untersuchung in befriedigender Weise seiner Erledigung zugeführt werden. Meine vorliegende Arbeit stellt den ersten bescheidenen Beitrag zur Lösung dieser so wichtigen Frage der komparativen Morpho- logie der Sinus durae matris dar. Prag, am 1. März 1891. 1]. ce. 464 Hugo Rex Erklärung der Abbildungen. Tafel XXV—XXVII. Allgemein gültige Bezeichnungen. B.o Bulbus olfactorius, C.r Corpus restiforme, Epiph Epiphysis, Kl. Kleinhirnhinterlappen, L.e Lobus electricus, L.V Lobus trigemini, Pi.pl Platte Pi.st Stiel T.ch.a Tela chorioidea anterior, T.ch.p Tela chorioidea posterior, Vel Velum, V.III Ventriculus tertius, V.IV Ventriculus quartus, V.l Ventriculus lateralis, Vg. Wurzelbiindel des Vagus, bas.V basale Venen, Mh.w Mittelhirnwurzel (dorsomediane), \ des Plexus chorioideus, (r,1)v.Vh.w (rechte, ventrale Vorderhirnwurzel, tiefeVh.w tiefe Vorderhirnwurzel, (o, u) W (obere, untere) Wurzel der V. cerebri posterior, t.W tiefe Wurzeln, linke) t.W frei verlaufende Wurzeln, V.c.a(d,s) V. cerebri anterior (dextra, sinistra), V.c.p (d, s) V. cerebri posterior (dextra, sinistra), V.c (d,s) V. cerebri (dextra, sinistra), V.ch.c V. chorioidea communis, V.ch (d, s) V. chorioidea (dextra, sinistra), V.ch (m, 7) lateraler, medialer Schenkel der Schleife der V. chorioidea, V.l.e Venen des Lobus electricus, dm.Vhw dorsomediane Vorderhirn- V.sp (d,v,!) Vena spinalis (dorsalis, wurzel, ventralis, lateralis). (r,2)d.Vh.w (rechte, linke) dorsale Vorderhirnwurzel, Tafel XXV. Fig. 1. Hirn von Scyllium catulus. Dorsalansicht. 2mal vergrößert. Fig. 2. Hirn von Seyllium catulus. Ventralansicht. 2mal vergrößert. Fig. 3. Dasselbe Hirn. Rechte Seitenansicht. 2 mal vergrößert. Fig. 4. Das in Fig. 1 dargestellte Hirn. Rechte Seitenansicht. 2mal ver- größert. Fig. 5. Dasselbe Hirn. Linke Seitenansicht. 2mal vergrößert. Fig. 6. Dasselbe Hirn. Dorsalansicht. Die Seitenventrikel des Vorderhirnes sind theilweise eröffnet und der Kleinhirnvorderlappen ist zurückge- schlagen; hierdurch sichtbar gemacht: die Plexus chorioidei in situ, die Tela chorioidea anterior, das Wurzelwerk der dorsomedianen Mittelhirn- wurzel und beide Wurzeln der hinteren Cerebralvene. 2mal vergrößert. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. - i. 10. i. 12. 13. 16. 17. 18. 19. 20. Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. 465 Dasselbe Hirn. Dorsalansicht. Die Seitenventrikel des Vorderhirnes sind gänzlich eröffnet; dessgleichen die Binnenhöhlen des Mittel- und Hinterhirnes. Hierdurch sichtbar gemacht: das Verhalten der V, cho- rioidea zu den Plexus chorioidei des Vorderhirnes (die Platten dieser Plexus sind entfaltet); durch die Entfernung der Tela chorioidea anterior das Velum; die tiefen, dicht unter dem Ependym lagernden Wurzeln der hinteren Cerebralvene aus dem Mittel- und Hinterhirn. 2mal ver- größert. Zwischenhirn des in Fig. 2 dargestellten Hirnes. Dorsalansicht. Die Tela chorioidea anterior ist gespalten, und ihre Lappen sind zurück- geschlagen; die Dorsalfliiche des Velum ist frei gelegt. 2mal ver- größert. Dorsalansicht der Tela chorioidea posterior; der Kleinhirnhinterlappen ist emporgeschlagen. Von Seyllium catulus. 2mal vergrößert. Binnenfläche der linken Hälfte des Cranium von Seyllium catulus. Lage der Austrittsöffnungen der beiden Cerebralvenen. Natürliche Größe. Dorsalansicht der vorderen Hälfte eines Hirnes von Acanthias vul- garis. 2mal vergrößert. Dasselbe Präparat. Der linke Seitenventrikel des Vorderhirnes ist eröffnet; dessgleichen der dritte Ventrikel im Bereiche des kreisför- migen Feldes der Tela chorioidea anterior. Man erblickt den vor- deren Rand des Mitteltheiles des Velum. 2mal vergrößert. Dasselbe Präparat. Der hintere Abschnitt der Tela chorioidea anterior ist von der dorsalen Umrandung des dritten Ventrikels abgelöst und nach vorn geschlagen. Man erblickt die Dorsalfliiche des Velum. 2mal vergrößert. Hirn von Pristiurus melanostomus. Dorsalansicht. 2mal vergrößert. Ventrolaterale Ansicht desselben Hirnes. 2mal vergrößert. Tafel XXVI. Dasselbe Hirn. Dorsalansicht. Die Seitenventrikel des Vorderhirnes sind eröffnet, die Tela chorioidea anterior ist entfernt, die Binnen- höhlen des Mittel- und Hinterhirnes sind eröffnet. Der Kleinhirn- hinterlappen ist durch einen Frontalschnitt abgetragen. Man erblickt die Plexus chorioidei, das Velum, die tiefen Wurzeln der hinteren Cerebralvene aus dem Mittel- und Hinterhirn, sowie die Dorsalfliiche der Tela chorioidea posterior. Die Gefäßvertheilung in letzterer ist nach dem Befunde an einem zweiten Hirne eingezeichnet. 2mal ver- größert. Dorsalansicht eines Hirnes von Raja asterias. 2mal vergrößert. Seitenansicht desselben Hirnes. 2mal vergrößert. Ventralansicht desselben Hirnes. 2mal vergrößert. Dorsalansicht desselben Hirnes. Die tiefen Vorderhirnwurzeln sind ins Innere des Mitteltheiles des Vorderhirnes verfolgt. Die Mittelhirn- höhle ist eröffnet, zur Darstellung des Wurzelwerkes der dorsomedianen Mittelhirnwurzeln; ferner ist durch Abtragung des Kleinhirnhinter- lappens die Tela chorioidea posterior frei gelegt. 2mal vergrößert. Morpholog. Jahrbuch. 17. 30 466 Hugo Rex, Beiträge zur Morphologie der Hirnvenen der Elasmobranchier. Fig. 21. Binnenfläche der linken Hälfte des Cranium von Raja asterias. Lage der Austrittsöffnungen der beiden Cerebralvenen. Natürliche Größe. — Fig. 22. Dorsalansicht eines Hirnes von Torpedo marmorata. 2mal vergrößert. — Fig. 23. Rechte Seitenansicht desselben Hirnes. 2mal vergrößert. Fig. 24. Linke Seitenansicht desselben Hirnes. 2mal vergrößert. Fig. 25. Ventralansicht desselben Hirnes. 2mal vergrößert. Fig. 26. Dorsalansicht des Nachhirnes desselben Hirnes. Der Kleinhirnhinter- lappen ist emporgeschlagen; die Dorsalfläche der Tela chorioidea posterior ist völlig frei gelegt (ihr hinterster Abschnitt ist eingerissen); der Verlauf beider Venae cerebri ist nach dem Befunde an einem anderen Hirne eingezeichnet. 2mal vergrößert. Fig. 27. Dasselbe Präparat. Die Tela chorioidea posterior ist gespalten und zurückgeschlagen, der Lobus electrieus der linken Seite ist aufge- fasert, um dessen Venen sichtbar zu machen, jener der rechten Seite entfernt, um die tiefen Venen am Boden der Rautengrube zu zeigen. 2 mal vergrößert. Tafel XXVII. Fig. 28. Sagittalschnitt nahe der Medianebene durch ein Hirn von Seyllium canicula. 5mal vergrößert. Fig. 29—31. Querschnitte durch ein Hirn von Scyllium catulus. Fig. 29. Querschnitt im Bereiche des hintersten Abschnittes des Vorderhirnes. Getroffen sind: die hinteren Abschnitte des Seitenventrikels des Vor- derhirnes und die Stiele der Plexus chorioidei. 4mal vergrößert. Fig. 30. Ein weiter hinten liegender Querschnitt durch den vordersten Ab- schnitt des Zwischenhirnes. Getroffen sind: die Tela chorioidea anterior und die beiden Schenkel der Schlinge der Venae chorioideae. 5mal vergrößert. Fig. 31. Querschnitt durch das Zwischenhirn, und zwar durch dessen hintere Hälfte. Getroffen sind: die Tela chorioidea anterior und das Velum. 6mal vergrößert. \ Fig. 32. Querschnitt durch das Nachhirn in der Gegend der Corpora resti- formia. Getroffen ist: jederseits der seitliche gefaltete Abschnitt der - Tela chorioidea posterior. 4mal vergrößert. Fig. 33. Querschnitt durch das Nachhirn in der Gegend des mittleren Ab- schnittes der Lobi trigemini. Getroffen ist: die Tela chorioidea po- sterior und ihre seitlichen Ausstülpungen. 5mal vergrößert. Taf XXV. Pipt Vea.s Vehd Vichd Kehid.. Viele rw { Vihd--- Lahp-— Welse. Mhwe 2 \ : me \\ bb + /--Teh.a Veh.d. Tcha th Ansty EA Funke, Leipuig Lith, EA Funke, Leip ABU ARTS Ren) Fig t-7, 2,10.16.-16 Ariced de Verlag y Wilh. Engelmann in Li: Er e Sane = ¥ ks + > pa P» ln y © ... f = - m SS Cn? s - * ran rss ~~ , i. << Lay “ss = - s p er oe u ET, - : - . a RE PR nr) ar * x _— ur a 5 Py Fr Pt a ay z 5 Sent rr ae u a 4 Pr “ * . a 7 E in > < u, * s = — EN ED - oo £ EB...’ % af Meee A - Morpholog. Jahrb. Bd. XVI. aus d Vw. Reisek del = Mhw-” t.W.-----4 TaEXXV/ ] Verlagy Wilh. Engelmann in Leipzig Lith Anst.v.£A.Funka, Leipzig En u ver. Verlag vWilh-Engelmann inLeipsig. B- . Taf XXV. Lith Ansty EA Fund hmpeig, Über die morphologische Bedeutung der ventralen Abdominalanhänge der Insekten-Embryonen. Von V. Graber in Czernowitz. Mit 6 Figuren im Text. Obwohl ich mich über diesen Gegenstand schon wiederholt (5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 12*, 12**) geäußert habe, so muss ich es doch neuerdings wieder thun, und zwar hauptsächlich mit Rücksicht auf die in jüngster Zeit bekannt gewordenen Anschauungen WHEELER'S (22, 23, 24) und CARRIERE'S (4), denen zufolge die bisher geltende und auch von mir vertretene Auffassung, wonach die im Titel be- zeichneten Anhänge mehr oder weniger rudimentäre und den Beinen homologe Gliedmaßen sind, eine irrige wäre. In der vorliegenden Darlegung, bei der ich mich mit Rücksicht auf den mir zu Gebote stehenden Raum so kurz als möglich fasse, beschränke ich mich auf die Hervorhebung der Hauptpunkte, indem bezüglich der übrigen Verhältnisse auf meine einschlägigen früheren Auseinandersetzungen, sowie auf WHEELER’s bereits eitirte Arbeit verwiesen wird. Während bekanntlich der erste Entdecker dieser Gebilde, RATHKE (21), sie. ohne die Frage nach der Homologie mit den Beinen zu berühren, einfach als embryonale Kiemen ansah, wurden sie bereits von Bürschuı (2) bei der Biene, wenn auch nicht ganz ausdrücklich, in eine Reihe mit den Thorakalanhiingen gestellt!'. Noch bestimmter 1 Wenn CARRIERE (4 pag. 127) meint, BürschLi erkenne die durch Grassi (13) 14 Jahre später erfolgte Berichtigung, dass nämlich bei der Biene keine Abdominalanhänge vorkämen, »stillschweigend« an, so möchte ich dies nicht 30* 468 V. Graber äußerte sich KowALEvsky (17) bezüglich der betreffenden Gebilde von Hydrophilus, indem er sie geradezu als »viertes Fußpaar« bezeichnete. Eine phylogenetische Deutung wurde ihnen dann zuerst von mir (5) bei Mantis gegeben, indem ich sie »als fortdauernde Zeu- gen der Abstammung der Insekten von mehr als sechsbeinigen Wesen« erklärte, eine Auffassung, der auch BALFOUR in seiner vergleichen- den Embryologie beitrat. Ausdrücklich als »rudimentäre« An- hänge werden dann diese Gebilde zunächst auch von Ayers (1) bei Oecanthus und von Parren (20) bei Neophylax und Blatta aufgeführt. Während aber Ersterer speciell die vordersten Anhänge von Oecan- thus im Anschluss an RATHRE ohne Weiteres als Kiemen auffasste, lässt es PATTEN (20) bezüglich der homologen Blatta-Anhänge zweifel- haft, ob sie als eigenthümliche Sinnesorgane oder aber wegen ihrer großkernigen Zellen als Drüsen anzusehen seien. In meiner Polypodiearbeit (7) lieferte ich dann für eine Reihe, z. Th. (Melolontha, Stenobothrus) noch nie untersuchter Formen zum ersten Mal den strengeren Nachweis, dass die gewissen Abdominal- gebilde den thorakalen Anhängen vollkommen homolog sind und dass demnach (pag. 587 und 598) die Embryonen der heutigen In- sekten auf poly- bezw. pantopode Vorfahren hinweisen. Indem ich aber (pag. 612) die in Rede stehenden Anhänge als wirkliche, »auf verschiedenen Stadien der Verkümmerung befindliche Überreste von Gliedmaßenc« der Urinsekten deutete, bezeichnete ich (pag. 613) die Frage nach der »Beschaffenheit der supponirten Abdominalglied- maßen der polypoden Insektenvorfahren« ausdrücklich als eine offene. Außerdem machte ich u. A. hinsichtlich gewisser Bildungen, wie z. B. der riesigen Melolonthaanhänge, für welche gleichfalls zuerst von mir der großzellige bez. kernige Charakter bildlich dargestellt wurde, ausdrücklich noch (pag. 613) darauf aufmerksam, dass es sich da vielleicht um »sekundäre Anpassungen« handle, hielt es aber auch wenigstens für »möglich«, dass die abdominalen Segment- anhänge gewisser Formen schon ursprünglich als Kiemen fungirten. Wenn möglich noch vorsichtiger äußerte ich mich über die ehemalige Beschaffenheit der Abdominalgliedmaßen in den folgenden Schriften, so u. A. und mit specieller Rücksicht auf CHoLopkowsky (4*), der so ohne Weiteres behaupten. Aus meiner letzten Arbeit (10) ist ja zu ersehen, dass es nicht so leicht ist, wie es CARRIERE scheint, über das Vorkommen oder Nichtvorkommen soleher Anhänge ein apodiktisches Urtheil zu fällen. Da CARRIERE bei Chalicodoma (3) solehe Anhänge fand, erscheint es von vorn herein sogar wahrscheinlich, dass auch Apis solche besitzt. ee ee eS un u u Über d. morph. Bedeut. d. ventr. Abdominalanhänge d. Insekten-Embryonen. 469 die Abstammung der Insekten von den Myriapoden als ganz zweifel- los hinstellte, in der Schrift Nr. 8 folgendermaßen: »Während aber — heißt es da pag. 359 — die in Rede stehenden (hinteren) Bauch- anhänge uns über die Beschaffenheit der Abdominalgliedmaßen der Urinsekten völlig im Zweifel lassen, sprechen die Anhänge am ersten Segment eher gegen die Annahme, dass sie Überreste von myrio- podiformen Beinen seien.« Es ist daher in der That völlig un- richtig, wenn WHEELER (64 pag. 88) meint, »I believe, in contra- diction to GRABER, that there is nothing in the structure or evo- lution of the pleuropodia wich throws any light whatever on the mooted question (Homopodie oder Heteropodie).« Eben so unrichtig ist es, wie aus dem Obigen klar hervorgeht, dass ich, wie WHEELER weiter (pag. 114) behauptet, Raruke’s und Ayer’s Kiemenhypothese in Bausch und Bogen »without modification« angenommen habe!. Die Frage nach der heutigen Funktion bez. nach der Anpassung dieser Gebilde betrachtete ich ja stets als eine mehr nebensichliche gegenüber der RarnkeE speciell völlig fremden Anschauung, dass es sich um verküm- merte Überbleibsel wirklicher Gliedmaßen handelt. Ich muss noch beifügen, dass diese letztere Anschauung, die wir kurz als Gliedmaßen-Hypothese charakterisiren können, bisher mit Ausnahme WHEELER’s und neuerdings CARRImRE’s (4) allgemeiner Geltung sich erfreute und insbesondere auch von der überwiegenden Mehrzahl derjenigen Forscher, wie HEIDER (15), ÜHOLODKOWSKY (4*), Nuspaum (18, 19), Haase (14) u. A., welche auf diesem Gebiete selbständige Entdeckungen machten, vertreten wurde. Wenden wir uns nun zu den Darlegungen WHEELER’s und Car- RIERE’S, So liegt der Hauptunterschied ihrer Anschauungen — im Einzelnen weichen sie sehr von einander ab — gegenüber der bis- her geltenden Ansicht darin, dass diese Forscher die Abdo- minalanhänge und insbesondere die vordersten z. Th. gar nicht als Gliedmaßen sondern als Drüsen auffassen, die bei den Urinsekten auch im imaginalen Zustand, ! Eben so behauptet WHEELER in seiner ersten vorläufigen Mittheilung (62 pag. 500), ich sei zum Schlusse gelangt, »dass die RATHKE-Avers’'sche Auffassung, dass nämlich diese Organe bei den Vorfahren der Insekten als Kiemen fungirt haben, die richtige sei«. Ich sagte doch nur, dass ich dies für möglich halte! Meine Auffassung war ja doch wohl schon durch den Titel »Polypodie« ete. klar genug gekennzeichnet! 470 V. Graber | und zwar wahrscheinlich — WHEELER (23) — zur Abwehr der Feinde, nämlich als Stinkdrüsen, fungirten. Zu dieser Auffassung gelangte zunächst WHEELER — CARRIERE machte in dieser Richtung, und namentlich in Bezug auf das Vor- kommen von Sekreten, gar keine neue Beobachtung — durch seine Entdeckung bei Cicada und Zaitha (früher — 23 — als Nepa be- stimmt), nach welcher hier den. vordersten Abdominalanhängen anderer Insekten homolog erscheinende großzellige Ektodermein- sackungen vorkommen, die theils ein ungeformtes, theils ein fädiges Sekret absondern. Während dann aber WHEELER in seiner ausführlichen Arbeit (24) u. A. in Punkt 14 der von ihm pag. 111 und 112 aufgestellten, im Allgemeinen sehr vorsichtig gefassten positiven Ergebnisse, und in Übereinstimmung mit meiner Darlegung in der Polypodiearbeit ‘pag. 612) ausdrücklich hervorhebt, dass die vordersten Anhänge »in all their forms and stages« den Eindruck rudimentärer Gebilde ma- chen, erklärt CARRIERE (4 pag. 124) speciell das am Ende seiner Entwicklung sich einstülpende vorderste Gebilde von Hydrophilus und Meloé »als ein wohl ausgebildetes embryonales (Drüsen-) Organ«, dem er (pag. 125) die sich nicht einstülpenden äußeren Säcke, z. B. von Melolontha, als rudimentäre Drüsen gegenüberstellt, die von der zapfenartigen Anlage aus nach anderer Richtung entwickelt wurden. Im Gegensatz ferner zu WHEELER (24), der speciell (pag. 111 Punkt 4) von den vordersten Gebilden ausdrücklich sagt, dass sie als »Anhänge« entstehen und den Thorakalanhängen homolog sind, stellt CARRIERE — und darin gipfelt seine Anschauung — den lokomotorischen bezw. den Gliedmaßencharakter der Ab- dominalanhänge völlig in Abrede, indem er (4 pag. 124) sagt: »Der Grund, wesshalb sie während ihrer Anlage und der er- sten Zeit ihrer Thätigkeit über die Körperoberfläche erhoben sind und vielfach in gleicher Linie mit den Brustbeinen auftreten, ist vielleicht in rein äußerlichen Ursachen zu suchen.« CARRIERE stellt sich nämlich vor, dass bei der Schmalheit der ersten Keimstreif- anlage zu einer Entwicklung dieser Organe »in der Körperoberfläche« der Raum mangele, und meint ferner, wenn sie sich Anfangs nicht unter, sondern über der letzteren ausdehnen, dies daher kommt, ‚dass dort der locus minoris resistentiae liegt«. sei ruhiger und allseitiger Erwägung der hier in Betracht kom- menden Verhältnisse will es mir nun aber scheinen, dass die jetzt mitgetheilten Anschauungen WHEELER’s, und vor Allem die CARRIERE'S, reg a A a Er Über d. morph. Bedeut. d. ventr. Abdominalanhänge d. Insekten-Embryonen. 471 obwohl sie auf den ersten Blick manches Bestechende an sich haben, doch einer gründlicheren Kritik nicht Stand halten. Zunächst darf man darauf hinweisen, dass WuEELERr’s Hypo- these, nach welcher die vordersten Anhänge Stink- bez. Riechdriisen seien, vorläufig wenigstens, noch jeder thatsächlichen Grundlage ent- behrt. Es liegt nämlich bisher keine einzige Beobachtung vor, welche dafür spräche, dass die Eier der betreffenden Insekten zur Zeit der höchsten Entfaltung der in Rede stehenden Organe einen specifischen Geruch besitzen. Ich selbst habe in der letzten Zeit wiederholt u. A. die Eier von Hydrophilus, Stenobothrus, Meloé, Lytta, Gryllotalpa und anderer Insekten geprüft und ihren Geruch, so weit ihnen ein solcher überhaupt eigen ist, während der ganzen Entwicklungszeit unverändert gefunden. Es könnte freilich einge- wendet werden, dass der betreffende Geruch seiner Feinheit wegen sich unserer Beobachtung entziehe; ich kann mir aber nicht gut vorstellen, dass ein derartiges zartes Aroma ein wirksames Schutz- mittel zur Abhaltung derjenigen Thiere sei, welche, wie z. B. manche Schlupfwespen, den Eiern nachstellen. Auch darf noch hervorgehoben werden, dass die wirklichen Stinkdrüsen der Larven und der ausgebildeten Insekten, von welchen WHEELER (24) meh- rere Beispiele anführt, meistens einen sehr intensiven Geruch ver- breiten. Als Defensivorgane erscheinen übrigens diese Gebilde auch in so fern höchst fragwürdig, als sie ja nur während einer ganz kurzen Periode des Eilebens existiren und nicht einzusehen ist, wesshalb der Embryo während dieser Zeit eines besonderen Schutzes bedürftiger sein soll, als während der übrigen. — Ein zweiter, und, wie mich dünkt, nicht so leicht zu beseitigen- der Einwand liegt in der Frage, wie es denn kommt, dass die an- geblichen embryonalen Riechdrüsen, wenn sie auch früher bei den vollkommenen Insekten vorkamen und diesen von Nutzen waren, gegenwärtig auf den Eizustand beschränkt sind. WHEELER meint pag. 121 allerdings, es seien die den vordersten Drüsen der heu- tigen Embryonen homologen Organe der Urinsekten durch ähn- liche, aber vollkommenere und an anderen Körpertheilen vorkom- mende Gebilde ersetzt worden. Abgesehen davon aber, dass es dann sehr auffallend erscheint, dass bei den Embryonen jene alten Drüsen der Urinsekten nach CARRIERE z. Th. in einem wohl ent- entwickelten Zustand fortbestehen sollen, fehlt auch der Nach- weis des Vorkommens von stellvertretenden Drüsen beim fertigen Insekt. So kenne ich :z. B. bei Hydrophilus, Stenobothrus und 472 V. Graber Melolontha theils gar keine Riechdrüsen, theils wenigstens keine solchen, von denen sich wahrscheinlich machen ließe, dass sie als Ersatz für verloren gegangene Prosthypogastrion '-Drüsen der Ur- insekten anzusehen seien. Der Haupteinwurf gegen die Drüsenhypothese ergiebt sich aber aus der Anlage, sowie z. Th. aus der ganzen Entwicklungsweise der hypo- und insbesondere der prosthypogastrischen Anhänge. Alle, denen ich die von mir präparirten Keimstreifen von Hydro- philus, Melolontha, Mantis, Stenobothrus ete. vorwies, hielten es so zu sagen für selbstverständlich, dass die Hinterleibsanhänge, wie sie sich in den ersten Stadien ihrer Anlage darstellen, rudimentäre Gliedmaßen sind, und dass diese Auffassung keine ganz unbe- gründete ist, zeigt sich u. A. ja auch darin, dass WHEELER diese Anhänge durch seine Termini Pleuro- und Adenopodia ausdrück- lich als fußartig bezeichnet, und als ferner auch von CARRIERE (3) die vordersten Hypogastrion-Anhänge von Chalicodoma in ganz un- zweideutiger Weise Anlagen der Hinterleibsbeine genannt wer- den. In seiner letzten Schrift (4) nimmt CARRIERE allerdings, wobei er die Chalieodoma-»Hinterbeine« ganz unberücksichtigt lässt, einen ganz anderen Standpunkt ein, indem er pag. 125 sagt: »Nie- mand (auch CARRIERE nicht?) würde daran gedacht haben, diese Organe als rudimentäre Beine zu bezeichnen, wenn man zuerst die ausgebildete Drüse kennen gelernt hätte, statt zufälligerweise die frühen Entwicklungszustände derselben.« Dieser Satz scheint mir aber in mehrfacher Beziehung theils unrichtig, theils bedenklich. Zunächst wurde ja von RATHKE thatsächlich zuerst gerade die ent- wickelte Form aufgefunden, und gleichwohl hat dies die späteren Forscher nicht davon abgehalten, diese Gebilde als rudimentäre Gliedmaßen anzusehen. Fürs Zweite bewahren diese Gebilde in sehr zahlreichen Fällen zeitlebens den Charakter von Anhängen, beziehungsweise einen Zustand, in welchem sie mehr den Anlagen der wirklichen thorakalen, gnathalen und cephalen Gliedmaßen als solchen von Drüsen glei- chen. Es gilt Letzteres, wenn wir etwa die von NUSBAUM ent- deckten und von CARRIERE bezweifelten Zustände von Meloé aus- nehmen, ganz allgemein von allen bisher bekannt gewordenen, aber weder von WHEELER noch von CARRIERE in Betracht gezogenen ! Hypogastrion = Abdomen. Diesen neuen Ausdruck gebrauche ich gelegentlich wegen der Zusammensetzung mit den griechischen Präfixen prostho (vorn) und opistho (hinten). Über d. morph. Bedeut. d. ventr. Abdominalanhänge d. Insekten-Embryonen. 473 hinteren Abdominalanhängen, wie wir sie z. B. bei Blatta, Oecan- thus, Hydrophilus, Melolontha, Lytta, Mantis ete. finden. Im gleichen indifferenten Zustande verharren aber auch die prosthypo- gastrischen Anhänge mancher Insekten, so z. B. die von Lina und Neophylax, und es ist daher nicht richtig, wenn WHEELER (24 pag. 117 Punkt 7) sagt: »The structure of the pleuropodia deseribed up to the present, though considerably diversified, is in all cases consistent with a glandular funetion.« Drittens endlich wäre in Be- zug auf den erwähnten Ausspruch CARRIERE'S zu beachten, dass er in so fern gegen die sonst zur Anwendung kommende Methode der vergleichenden Anatomie verstößt, als man ja gewöhnlich bei der Beurtheilung der morphologischen Bedeutung eines Organs weniger dessen End- als vielmehr dessen Anfangsstadien in Betracht zieht. Speciell mit Rücksicht auf die Insekten sei diesfalls, um ein be- kanntes Beispiel zu nennen, nur erwähnt, dass, wie Jeder weiß, die Vergleichbarkeit der Unterlippe oder der Metagnathalanhänge mit den Thorakalgliedmaßen sich auf die Anfangsstadien stützt, während man hier bei Anwendung des Carriire’schen Prineips viel- fach wohl kaum zur riehtigen Einsicht gekommen wäre. — Ganz abgesehen davon aber, dass die ersten Anlagen der hypo- gastrischen Ventralanhänge mit Rücksicht auf alle wesentlichen Merk- male, nämlich auf die Lage, die Form, die histologische Zusammen- setzung, die Zeit des Auftretens ete. unleugbar eine außerordent- lich große Übereinstimmung mit den eigentlichen Gliedmaßen, oder, allgemeiner gesprochen, mit den durch ihre Beweglichkeit mechanisch wirksamen Ventralanhängen besitzen, giebt es noch andere Umstände, welche gegen die Annahme der ursprünglichen Drüsennatur der Ab- dominalanhänge sprechen. Es ist. dies vor Allem das Vorhandensein einer Gliederung an den Anlagen mancher dieser Gebilde. Während ich in meiner Polypodiearbeit irrthiimlicherweise noch das Ungegliedertsein als ein Charaktermerkmal dieser Rudimentärorgane hinstellte und speciell auch mit Rücksicht darauf ihre Vergleichung mit wirklichen Beinen bedenklich fand, haben in der Folge u. A. Hemmer an den Hydrophilus- und insbesondere Nuspaum (18, 19) an den prosthypogastrischen Meloé-Anhingen (Xylogramm 2) eine Sonderung in einen Basal- (da) und Distaltheil (di) erkannt. Das Gleiche beobachtete ich dann selbst bei Melolontha, Hydrophilus und Stenobothrus (10). Eine überaus scharfe, als solehe gar nicht zu verkennende Gliederung wurde aber von mir in der letzten Zeit besonders an den prosthypogastrischen Anhängen von Mantis nach- 474 V. Graber : gewiesen, bei welcher (vgl. 10 Fig. 143 und 145 a, a, sowie Xylo- gramm 1 der vorliegenden Schrift) der Distaltheil oder das Endglied in Form eines oft sehr langen Griffels erscheint und bei denen die betreffenden Anhänge überhaupt eine entschiedene Beinähn- lichkeit zeigen. Aber wenn man auch diese langen, Xylogramm 1—6. Schematische Darstellung einiger Hauptformen der vordersten Abdominalanhänge von Insekten-Embryonen. Fig. 1, Mantis religiosa, gegliedertes Anfangsstadium, nach GRABER. Fig. 2. Melo& proscarabaeus, gegliedertes kelchartiges Mittelstadium, nach J. Nusgaum. Fig. 3. Stenobothrus variabilis, Abschnürung zeigendes Endstadium, nach Grager, Fig. 4. Hydrophilus piceus. Mittelstadium — schwach eingedrückter Polster —, nach GrABER. Fig. 5. Zaitha fluminea, eingestülptes Endstadium, nach WHEELER. Fig. 6. Mantis religiosa, basal sich einstülpender, distal sich abschnürender Vorderanhang, nach Grazer. ba Basal-, di Distaltheil, s ausgeschiedenes Sekret, ; ec Ektoderm, ms Mesoderm, schlanken Mantisanhinge nicht gerade als wirkliche Beinanlagen oder Beinstummeln gelten lisst, muss doch Jeder zugeben, dass sie, fiir sich betrachtet, eben so wenig den Eindruck von Drüsen machen, als die An- lagen der wirklichen Beine. Nun behaupten freilich WHEELER (24 pag. 112 Punkt 6) und CARRIERE (4), dass gerade diese finger- förmigen, bekanntlich zuerst von mir (5) entdeckten Mantisanhänge, rudimentär bleibende Drüsen seien. Abstrahirt man aber auch davon, dass die betreffenden Forscher den Beweis dafür, dass diese Mantisanhänge überhaupt etwas Drüsenartiges an sich haben, schuldig Über d. morph. Bedeut. d. ventr. Abdominalanhänge d. Insekten-Embryonen. 475 geblieben sind — ein solcher Beweis kann übrigens bei der Natur dieser Anhänge auch gar nicht erbracht werden — so scheint es mir doch nicht ganz logisch zu sein, dass WHEELER und CaAR- RIERE bloß die Möglichkeit des Vorkommens rudimen- tärer Drüsen und nicht auch die von rudimentären Lo- komotionsorganen ins Auge fassen. — Diese Beschränkung auf die Drüsen — und die Außerachtlassung der Gliedmaßenhypothese erscheint mir um so befremdender, als ja bekanntlich speciell bei den Larven der Insekten sehr häufig abdomi- nale Lokomotionsorgane vorkommen, während von hypogastrischen und den Thorakalanhängen homologen Drüsen, so viel ich weiß, gar nichts bekannt ist. Hinsichtlich der lokomotorischen Larven-Abdo- minalanhänge wird freilich vielfach, und z. Th. vielleicht mit Recht behauptet, dass sie sekundäre Bildungen sind; ich habe jedoch in meiner letzten Arbeit (10), namentlich auf meine Untersuchungen bei den Lepidopteren und bei Hylotoma gestützt, es als nicht un- wahrscheinlich hingestellt, dass zwischen den embryonalen und den Larven-Abdominalanhängen doch ein genetischer Zusammenhang be- steht, und in vielen Fällen gehen ja die embryonalen Ab- dominalanhänge ganz unzweifelhaft in die Lokomotions- organe der Larven über. Für den Gliedmaßencharakter unserer Gebilde sprieht dann, was von WHEELER und CARRIERE gleichfalls außer Acht gelassen wurde, u. A. auch der Umstand, dass, wie zuerst AYERS (1) nachwies, die hintersten oder analen Anhänge, als sog. Analgriffel, in der That zu wahren Gliedmaßen sich entwickeln und zuweilen sogar eine lokomotorische Nebenfunktion übernehmen. Auch die deutlich zweigliedrigen und mit Muskeln ausgestatteten, also wohl höchst wahrscheinlich als lokomotorische Hilfsorgane thä- tigen prosthypogastrischen Campodea-Anhänge, denen ich in meiner letzten Arbeit (10) die Mantisgriffel an die Seite stellte, dürfen als Stütze für die Gliedmaßenhypothese betrachtet werden. CARRIERE hält es allerdings für wahrscheinlicher, dass sie bloße, nicht zur Ein- stülpung gelangte Drüsen seien, um so mehr, da, wie Haase (14) nachwies, ihr distaler Abschnitt wirklich drüsig erscheint. Man darf aber doch beinartige Gliedmaßen desshalb, weil sie zum Theile drüsig sind, noch nicht in ihrer Tota- litätals Drüsen erklären, denn sonst müsste man konsequenter- weise auch die Hinterbeine der Eidechse (wegen ihrer Schenkelporen) oder — um bei den Insekten zu bleiben, — die Beine derjenigen In- sekten, z. B. von Dytiseus, welche drüsige Hafttarsen besitzen, auch — 476 V. Graber Drüsen nennen, und man käme dann schließlich dahin, an- zunehmen, dass es beinahe gar keine echten Glied- maßen, sondern nur uneingestülpte gliedmaßenähnliche Drüsenanlagen gäbe. Jedenfalls könnte man CARRIERE’s Deu- tung der Campodea-Gebilde die andere gegenüberstellen, dass diese Anhänge erst sekundär, in Anpassung an neue Verhältnisse, als lokomotorische Organe verkümmerten und drüsig wurden. Auch die u. A. von BaLrouR, Locy, Morin, BRUCE, und in neuester Zeit von JAWOROWSKI (16) studirten Abdominalanhänge der Spinnen, auf welche CARRIERE (4) abermals keine Rücksicht nimmt, dürfen keineswegs ohne Weiteres zu Gunsten der Drüsen- hypothese gedeutet werden. Ob, wie u. A. BRUCE meinte, die vor- dersten dieser nach JAWOROWSKI bei Trochosa zweilappigen An- hänge wirklich in Lungensäcke sich umwandeln, ist noch — man ist da kaum über die ersten Anfänge der Untersuchung hinaus — höchst zweifelhaft, und es würde diese Eventualität zunächst nicht für die Drüsen — sondern eher für die Kiemenhypothese sprechen. Was dann aber die hintersten Anhänge betrifft, so gehen daraus, wie u. A. Bruce angiebt, wohl die Spinnwarzen, aber nicht die Spinndrüsen hervor, und erstere sind physiologisch jedenfalls in die Kategorie der mechanisch wirksamen Gliedmaßen zu stellen. Einen mir sehr bedeutungsvoll erscheinenden Umstand, der für die vollständige Homologie der abdominalen mit den thorakalen Anhängen spricht, muss ich noch erwähnen. Es ist der, dass, wie zuerst von Ayers (1) bei Oecanthus, dann von CHOLODKOWSKY und WHEELER (24) bei Blatta, sowie endlich von mir bei Mantis (10 Eig. 145 und 147) gezeigt wurde, in den abdominalen Anhängen gerade so wie in den thorakalen und gnathalen ein Mesocoeldivertikel zur Anlage kommt. Diese Thatsache scheint mir mit CArkıkre's Ansicht, dass die Ähn- lichkeit zwischen den genannten Anhängen nur eine zufällige, eine bloß »äußerliche« sei, völlig unvereinbar zu sein. Meines Er- achtens kann überhaupt mit Bezug auf ihre Anlage die Übereinstimmung zwischen den abdominalen und den vorderen Gliedmaßen mit Rücksicht darauf, dass er- stere rudimentär bleiben bezw. nicht zu wirklichen Bei- nen sich entwickeln, nicht vollständiger gedacht wer- den, als sie sich thatsliohlish darstellt!. ' Besonders lehrreich ist Gryllotalpa, wo (12*) die Anlagen der prost- eee eee ee De a un Über d. morph. Bedeut. d. ventr. Abdominalanhänge d. Insekten-Embryonen. 477 Wir betrachten nun die Endzustände der Abdominalanhänge und speciell der vordersten, von welchen Endzuständen bekanntlich Car- RIERE behauptet, dass sie für die Beurtheilung unserer Frage allein maßgebend seien und die ferner für die ursprüngliche Drüsen- natur der prosthypogastrischen Gebilde sprechen sollen. Da glaube ich nun zeigen zu können, dass diese Endzustände im Wesentlichen mit der Gliedmaßenhypothese im vollkommensten Einklang stehen, während viele Fälle mittels der Drüsenhypothese ganz unerklärbar sind. Setzen wir einmal — was auf Grund der früheren Ausführungen wohl berechtigt ist — voraus, dass es sich wirklich um Extremi- täten handelt, und fragen nun, wie denn solche Anhänge, in so weit sie eben nicht auf das Larvenstadium übergehen, zum Ver- schwinden gebracht werden können. Da giebt es nun, denke ich, drei Möglichkeiten bezw. noch Kombinationen davon. Anhänge können erstens, wenn sie sehr klein bleiben, so zu sagen unmerk- lieh durch allmihliche Verflachung eingehen. Sie können dann zweitens, wenn sie schon eine stärkere Entfaltung erreicht haben, eliminirt werden entweder durch völlige Abschnürung vom Stamm, oder aber, und das ist eben die dritte Möglichkeit, durch Einstül- pung oder Inkorporirung in den Stamm und nachherige Überwallung. Eine weitere, durch Kombinirung dieser Eliminationsarten zu Stande kommende Entfernungsweise wäre die, dass sie zum Theil sich ab- schnüren und zum anderen Theil sich einstülpen, oder aber, dass früher oder gleichzeitig eine Entleerung bezw. eine Auflösung der betreffenden Zellen erfolgt. Wie die nachstehende Tabelle, sowie die Xylogramme 1—6 ver- gegenwärtigen, sind nun alle diese Eliminationsarten thatsächlich schon beobachtet worden, und die von CARRIERE hervorge- hobene, und gewiss noch lange nicht erschöpfte große Mannigfaltigkeit der Abdominalorgane stellt sieh mei- nes Erachtens vorwiegend nur als Mannigfaltigkeit der Rückbildung dar. Die erstgenannte Art des Verschwindens, d. i. die durch allmähliche Verflachung, ist, wie Columne 5 der Tabelle zeigt, weitaus die häufigste und betrifft vorzugsweise die von CARRIERE unbeachtet gelassenen, meist sehr klein hypogastrischen Gebilde genau eben so dreilappig wie die der Hinterbeine sind. Ist auch (CARRIERE) das zufällig? — 478 V. Graber bleibenden hinteren Abdominalanhänge. Die meist — aber nicht immer! — umfangreicheren vordersten Anhänge werden bei allen bisher untersuchten Orthopteren — nur Mantis verhält sich eigens — (vgl. Xylogramm 3) durch Abschnürung (Xylogramm 4), bei den Käfern dagegen theils durch Abschnürung, theils durch Ein- stülpung entfernt, und bei den wenigen bisher analysirten Hemipteren (Cicada, Zaitha) kommt nur Einstülpung (Fig. 5) vor und kennt man auch noch kein ausgestülptes Anfangsstadium. Von diesem, wie mich dünkt sehr natürlichen Gesichtspunkt aus hat man nun wohl wenig Grund, speciell in der Einstülpung als solcher, für die es ja auch, sowie für die Abschnürung (Kaulquappen-Ascidienschwanz ete.) zahlreiche Analogien bei anderen Thieren giebt, den höchsten Entwicklungsgrad einer Drüse zu erblicken. Dies zeigt sich beson- ders klar bei Mantis (Xylogramm 6), wo bekanntlich (11) nur der Basaltheil sich einstülpt, während der Distaltheil abgeschniirt wird. Ich will nur noch darauf hindeuten, dass, wie u. A. zuerst WEIs- MANN schon vor bald 30 Jahren zeigte, die in eingestülpten Hypodermissäcken sich vollziehende Anlage gewisser postembryonal entstehenden Imaginalgliedmaßen ein ganz ähnliches Bild darbietet, wie wir es hier an den Abdominalextremitäten im Stadium des Verschwindens sehen (s. nebenstehende Tabelle). Erwähnt sei noch, dass die Einstülpung in so fern als eine voll- kommenere Art der Eliminirung der Anhänge wie die Abschnürung erscheint, als erstere für den Organismus ohne Substanzverlust er- folgt, während die Abschnürung, obwohl ihr meist analog, etwa wie beim Abwerfen des Froschschwanzes, eine In- korporirung des Zellmaterials vorhergeht, doch immerhin, wie ich bei Stenobothrus mich überzeugte, mit einer Eliminirung von Plasma verbunden ist. In dieser Hinsicht besteht zwischen den in Rede stehenden Arten von Obliterirung ein ähnliches Verhältnis wie bei der Entfernung der Keimhüllen durch Abwerfen bezw. Ver- senkung in den Dotter. Das Einzige, was, und zwar z. Th. in gleicher Weise sowohl bei den sich abschniirenden als bei den sich invaginirenden prost- hypogastrischen Bildungen aus der Gliedmaßenhypothese nicht er- klärt werden kann, das ist der Umstand, dass gewisse Zellen dieser Gebilde in der Regel von einem bestimmten Zeitpunkt an auf- fallend an Größe zunehmen und zum Theile (Zaitha, Cicada z. B.) ein Sekret abscheiden. Aus dieser Erscheinung darf aber auch, wie Uber d. morph. Bedeut. d. ventr. Abdominalanhänge d. Insekten-Embryonen. 479 (TIZOVILI A) uopıydya (I1IHOSLAG) stdwé (AUAIMAVH)VULO PODT[V YD (agavas)) BWOI0OJÄH (aadvus) ‘dOMINOHOLL) l1ow xAqmog (Udavuy) vuovsizZ (udavuy) Byoedoiwysey (AMSAMTVMOY) ındod xurydg (UMAVUL)) SIIOTT (NaLLVg) xvpAydoon ‘QYOVMOS JFVY[OJLOMZUN UAWWONLOA AYL YO! oquy (Q]) 4107 U9jZJo] AOp ur uuop 4YSYRIseq oSuRyUy UOYostAys -vsodAyjsoid lop uojyo T ouoqeSosuv AU UOA 4slonZ SBP wur] IN} AUAIUUAVO ssep ‘st Fıpanayıon “WOT YOF SIP[ HA u9jvq UIUSJ[VYJUS g PUN F VUMN[OH A919sun UI OIp ULAepP SSsUpP ‘SnVAIBP uoyds JL [aY10 ‘4Q Old OSV[YOVG IOp PJIg Soyoslvy ZUG ULO TOIL YALA (fF) o[[oquy, SG@ugqlUuuvy ssvq ı (rIHosLng) sıdya (aualmavg)ewopooL®yg (Uddvuyy) BUJUOJOLON pu9au1999s ‘dInIsESud (uaa VuUy) SUMO OZ}IdG Jop uv ssuRy VIIOPVOISOA &4A'T (UMIAAH AA) BJVUBL[ dua g -uy (mavasan) 20[9W | (vaavug) BeMo,O; AY &PU9LLUIOI9S (ATIIIH MA (udavuy (aaavas) “AUAMUVO “ANSMONXAOIOH)) ‘aaarafy) snjıydoıpig wı93dopıdar ‘wavasın) 90[9N ‘NELLVA) BIMOAPOoJJÄyd (UMTAAH AA ‘ANSMOMAOIOH/) & PUS.IIUIO99S NELLVT)ELIWOLPOL[Äyg || (NaLıvg) xvjAydoones (NGLLVg) sn [lo Y (aaavay9) snıyJogqousy4g (udavuy) & Pu911U19998 (aUATaUVJ BLIOFBIISOA BIYÄTI (aaavag)snıy3oqouaggk ‘MaaVU ‘UACIAY ‘AMSAT -VMOY) sn[iqgdoipAy | (uaTaaHAA) wnıpıydıy , (HMTAAH AA Pu9.11U19998 (aaavur) ‘AANLOWOY (UMAVUH) sıyumW (uddvuy) wur] Uddvuy) SIJU®BN (UHTAGH AA) BYILEZ ‘aMHivyY) edjeJo]]Aın PU9.11U19998 (SUMAY) sny4uRr990 (ATTIEHM) BVPRIID (SUMAY) SnyJIURIIG Sund[nysutq yoanp spwyy ‘Sunmugosqy y9amp spreyy *o Sunqowpssuy eyaıqeuppe yoanp °P ZSundjugsurg yoanp *q Sunimuyosqy yoınp *e ei | (uoyasııysw3odÄygsord) u99s19PIOA JOp I UdI9JUIY Iop "7 1 -u9uokıqmF-us4yosuf Jop ‚oFuryuejwurmopqy Jop Zunppqyony sop Jıy OIp ıoqn s1124®L 480 V. Graber doch klar ist, nicht sofort gefolgert werden, dass dieser sekre- torische Zustand der ursprüngliche ist, und noch weniger natürlich, dass dieses auch bei denjenigen Bildungen (Mantis, Melolontha z. B.) der Fall ist, bei denen bisher keine Sekrete nachgewiesen wurden. Zunächst erscheint es nämlich, ich will nicht sagen wahr- scheinlich, aber doch immerhin denkbar, dass die Ver- srößerung der Zellen und deren sekretorische Thätig- keit eine freilich schwer zu erklärende Begleiterschei- nung bezw. Folge des frühzeitigen Aufhörens der bei den anderen Ektodermausstülpungen mit ihrem Wachs- thum kontinuirlich fortschreitenden Zelltheilung, also gewissermaßen eine Abnormitätserscheinung ist. In keinem Fall aber wüsste ich einen stichhaltigen Grund gegen die Annahme vorzubringen, dass es sich da um eine an der unnütz ge- wordenen Extremität aufgetretene Anpassung bezw. um einen Funktionswechsel handle. Dafür bezw. gegen die ursprünglich drü- sige Natur dieser Bildungen spricht schon die außerordentliche Ver- schiedenheit jener Zustände, die den Gipfelpunkt der Entfaltung dieser Bildungen bezeichnen, in so fern ja beispielsweise die freien äußeren Säcke von Melolontha doch unmöglich in die Kategorie der invaginirten secernirenden Bildungen eingereiht werden können, sondern eher als respiratorische Embryonalorgane verständlich werden. Wenn ich aber die Mannigfaltigkeit der Endzustände unserer Bildungen z. Th. auch durch die Verschiedenartigkeit der Anpassung erkläre, so will ich damit nicht im entferntesten behaupten, dass unsere ‘Anhänge ursprünglich bei allen Insekten von gleicher Art waren. Vielleicht zeigten die Urinsekten in dieser Hinsicht — es ist ja auch eine polyphyletische Entwicklung nicht ganz ausge- schlossen — schon frühzeitig große Differenzen, wie denn z. B. die von mir entdeckten zweilappigen Anlagen der Hydrophilus- und Meloéanhiinge und die lang griffelförmigen von Mantis nicht leicht auf einander zurückzuführen sind. Auch nehme ich, das sei aus- drücklich betont, wenn ich die embryonalen Abdominalanhänge als Gliedmaßen deute, keineswegs an, dass diese so vollkommen wie die ersten Beine waren !. | Wie Carribre bei Meloé proscarabaeus, fand ich in letzter Zeit auch bei M. scabriusculus keine Absonderung. Sollte sich etwa NUSBAUM geirrt haben, so wäre der Nachweis einer Sekretion der vordersten Anhänge nur auf Über d. morph. Bedeut. d. ventr. Abdominalanhänge d. Insekten-Embryonen. 481 Darf ich zum Schlusse noch einen Grund anführen, der für die von mir seit jeher vertretene Annahme spricht, dass dieAbdominalanhänge der Insekten-Em- bryonen Überreste von Gliedmaßen polypoder Urformen sind, so ist es der, dass damit eine wichtige Beziehung zwischen den arm- und reichfüßigen Arthropoden her- gestellt wird, während die Drüsenhypothese auf die Überbrückung jener Kluft von vorn herein Verzicht leistet!. Litteraturverzeichnis’. 1) H. Ayers, On the development of Oecanthus niveus etc. Mem. Boston Soc. nat. hist. III. 1884. 2) O. BürschLı, Zur Entwicklungsgeschichte der Biene. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XX. 1870. 3) J. CARRIERE, Die Entwicklung der Mauerbiene (Chalicodoma muraria Fabr.) Archiv für mikr. Anatomie. 1890. 4) —— Die Drüsen des ersten Hinterleibsringes der Insekten-Embryonen. Biol. Centralblatt. 1891. pag. 110 ff. 4*) CHOLODKOWSKY, Studien zur Entwicklungsgeschichte der Insekten (Blatta germanica). Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XLVIII. 1889. 5) V. GRABER, Der Organismus der Insekten (Naturkriifte). München 1877. 6) —— Vergleichende Lebens- und Entwicklungsgeschichte der Insekten (Naturkräfte). München 1879. jene Formen (Cicada, Zaitha) beschränkt, deren prosthypogastrische Gebilde möglicherweise den vordersten Anhängen der übrigen Insekten gar nicht ho- molog sind. ' Die von WHEELER (23) berührte Thatsache, dass gerade bei den gut fliegenden Dipteren und Hymenopteren bisher keine prosthypogastrischen » Drii- sen« — und zum Theile, wie bekannt (Dipteren z. Th.), überhaupt keine abdominalen Embryonalanhänge gefunden wurden, erkläre ich mir daraus, dass bei diesen Insekten z. Th. überhaupt — man denke an die Musciden — im Laufe der Zeit weitgehende Anpassungen erfolgten. Über das Fehlen der Abdominalanhänge braucht man sich da um so weniger zu verwundern, als ja auch vielfach am Embryo die Thorakalanhänge nicht mehr oder nur noch als Spuren zur Anlage kommen. — Jedenfalls spricht auch dieses Verhalten mehr gegen als für die Drüsen- hypothese. 2 Hier sind fast ausschließlich nur auf die embryonalen Abdominalanhänge bezügliche Schriften enthalten; zahlreiche weitere Citate, zumal über Riech- driisen ete., enthält WHEELER’s Schrift, Nr. 24. Morpholog. Jahrbuch. 17. 31 482 V. Graber, Über die morph. Bedeutung der ventr. Abdominalanhänge etc. 7) V. GRABER, Über die Polypodie bei Insekten-Embryonen. Morph. Jahrb. Bd. XIII. 1887. 8) —— Uber den Bau und die phylogenetische Bedeutung der embryonalen Bauchanhänge der Insekten. Biol. Centralbl. 1889. 9) —— Uber die embryonalen Hinterleibsanhänge der Insekten und ihre Be- deutung für die Erkenntnis der Vorfahren dieser Thiere. Zeitschrift »die Natur« Halle 1889. 10) —— Vergleichende Studien am Keimstreif der Insekten. Denkschr. der kais. Akademie der Wiss. in Wien. Bd. LVII. 1890. 11) — Über die embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der In- sekten. Biol. Centralblatt. 1891. 12) —— Bemerkungen zu J. CARRIERE’s Aufsatz » Die Drüsen am ersten Hinter- leibsring der Insekten-Embryonen« Biol. Centralblatt. 1891. 12*) —— Beiträge znr vergleichenden Embryologie der Insekten. Denkschr. der kais. Akademie der Wiss. Wien 1891. 2 Zur vergleichenden Embryologie der Insekten. Zool. Anzeiger. 1891. 13) B. Grassi, Intorno allo sviluppo delle Api nell’ uovo. Atti dell’ Accad. Gioenia di scienze nat. in Catania. Ser. 3. Vol. 18. 1884. 14) E. Haasz, Die Abdominalanhiinge der Insekten mit Berücksichtigung der Myriapoden. Morph. Jahrb. 1889. 15) K. Herper, Die Embryonalentwicklung von Hydrophilus piceus L. I. Th. Jena 1889. 16) A. JAwoROWSKI, Uber die embryonalen Gliedmaßen der Spinnen (polnisch). Kosmos. Lemberg 1891 und Zool. Anzeiger. 1891. 17) A. KowALEvsky, Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden. Mém. Acad. imp. Petersburg 1871. 18) J. Nuspaum, Zur Frage der Segmentirung des Keimstreifs und der Bauch- anhänge der Insekten-Embryonen. Biol. Centralbl. Bd. IX. 1889. 19) —— Die Embryologie von Meloé proscarabaeus (polnisch mit lateinischer Tafelerklärung). Kosmos. Lemberg 18911. 20) W. Parren, The development of Phryganids with a preliminary note on the development of Blatta germanica. Quart. Journal Micr. sc. 1884, 21) H. RATHKE, Zur Entwicklungsgeschichte der Maulwurfsgrille. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1844. 21*) TICHOMIROFF, Zur Entwicklungsgeschichte des Seidenspinners (russisch). Moskau 1882, 22) W. M. WHEELER, Homologues in Embryo Hemiptera of the appendages of the first abd. segment of other insects embryos. Americ. Naturalist. 1889. 23) —— Uber driisenartige Gebilde im ersten Abdominalsegment der Hemi- pteren-Embryonen. Zool. Anzeiger. 1889. 24) —— On the appendages of the first abdominal segment of embryo insects. Transact. Wisc. Ac. of sciences. Vol. VIII. 1890. 1 Das betreffende erste Heft des Kosmos wurde aber schon im Sommer 1590 ausgegeben. Über die Beziehungen zwischen Mammartasche und Marsupium. Von Dr. H. Klaatsch, Privatdocent in Heidelberg. Mit 1 Figur im Text. In der Geschichte der Mammarorgane der Säugethiere spielen zwei Arten integumentaler Taschenbildungen eine wichtige Rolle, die Mammartasche und das Marsupium. Die erstere, von OWEN! bei Echidna als eine paarige, je ein Drüsenfeld umfassende und zum Bergen des jungen Thieres dienende Einrichtung beschrieben, stellt einen niederen Zustand dar, verglichen mit dem Marsupium, welches einen relativ größeren Bezirk der Bauchhaut umschließt und mehrere Mammardrüsenfelder in seinen Bereich aufnimmt. Eine wesentliche Lücke in der Erkenntnis dieser beiden Bil- dungen ist dadurch gegeben, dass die Frage nach den Beziehungen derselben zu einander bisher nicht beantwortet werden konnte. Die Entstehung des Marsupiums der Beutelthiere ist in vollständiges Dunkel gehiillt. Um hier Licht zu schaffen, wird man sich in erster Linie die Frage vorzulegen haben, ob das Marsupium der Beutel- thiere eine von der Owen’schen Mammartasche ableitbare, oder ob sie eine neue, unabhängig von der primären Bruttasche auftretende Bildung repräsentirt. Man muss hierbei berücksichtigen, dass bei den Beutelthieren außer dem Marsupium auch die Mammartasche auftritt, dass letzterer bei dieser Gruppe gerade durch das Marsu- pium die Funktion der Bergung des jungen Thieres genommen wird ! Philosophical Transaction. 1865. 31% 484 H. Klaatsch und dass sie von hier aus eine neue, für die Gestaltung der Mam- marapparate aller höheren Säugethiere fundamentale Bedeutung ge- winnt, wie GEGENBAUR! zuerst erkannte und ich im Einzelnen aus- geführt habe?. Die Bedeutung der Mammartasche als einer besonderen Bildung, die mit der Anlage der Milchdrüsen nichts zu thun hat und nothwendig ein Vorfahrenstadium voraussetzt, wie es OWEN bei Echidna geschildert, wurde durch den Nachweis ganz primitiver Zustände bei Beutelföten von Perameles und Phalangista über jeden Zweifel erhoben. Hiergegen haben die negativen Befunde bezüglich eines Bestehens der Mammartasche bei Monotremen wenig Gewicht; sind doch bei dieser Gruppe die betreffenden Bildungen in ihrem Auftreten äußerst variabel, zu gewissen Zeiten vorhanden, um dann wieder scheinbar völlig zu verschwinden. In Folge dessen liefert die von HAaAckE? gegebene Beschreibung eines Brutbeutels ohne Mammartaschen bei Echidna keine Lösung der vorliegenden Frage, sondern regt nur neue Fragen an. HaAckE glaubt das Marsupium der Beutelthiere dadurch erklären zu können, dass er dasselbe als ein Erbstück von Monotremen bezeichnet. Er verlegt also die Genese des Beutels um eine Stufe weiter zurück, ohne doch gerade in eine Diskussion der wesentlichen Frage einzutreten, in welcher Beziehung seine Beobachtung zu derjenigen von OWEN steht. Er erledigt die letztere damit, dass er sagt, die Mammar- taschen von Echidna seien »seiner Ansicht nach als Reste des an dem Owen’schen Exemplare durch die Einwirkung von Alkohol ver- strichenen Brutbeutels zu betrachten«. Auf die Genese des Marsupiums und seine Beziehungen zu den Mammartaschen wirft nun ein Befund Licht, den ich bei einem ausgewachsenen weiblichen Exemplare von Phalangista vulpina gemacht habe. Hierdurch werden die Beobachtungen er- gänzt, welche ich früher (l. c. pag. 266 ff.) über die Mammarorgane von Phalangista angestellt habe. Indem ich auf die frühere Schilde- rung verweise, hebe ich hervor, dass der mitzutheilende Befund sich nahe anschließt an den, welchen ich damals an einem 9,5 em langen Beutelfötus schilderte. ; An dem vorliegenden Exemplar hat der Beutel eine länglich rautenförmige Gestalt. Seine Länge beträgt etwas über 3 cm, seine ! Jenaische Zeitschrift. VII. Morph. Jahrb. I. 2 Morph. Jahrb. IX. 3 W. Haaoxe, Uber die Entstehung des Säugethieres. Biol. Centralbl. VIII. Über die Beziehungen zwischen Mammartasche und Marsupium. 485 Breite etwa 2,5 em. Die Ränder des Beutels laufen nach vorn hin flach aus und lassen hier die Beutel-Innenfläche allmählich in die benachbarte Bauchhaut übergehen. Von hier aus, nach hinten divergirend, erheben sich die Ränder des Beutels immer mehr über Beutel von Phalangista vulpina. Natürl. Größe. Man sieht rechts und links die weiten Mammartaschen, die Milchdrüsenpapillen (P) bergend. Die punktirte Linie auf der rechten Seite des Beutels bei Z deutet die Ausdehnung des Lumens der rechten Mammartasche an. die umgebenden Theile der Bauchhaut und treffen von jeder Seite her am hinteren Ende des Marsupiums in spitzem Winkel auf ein- ander. Die Innenfläche des Beutels birgt jederseits in den am stärk- sten lateral vorspringenden Theilen je eine Milchdrüse. Den den- selben entsprechenden Zitzen (P) stellen niedrige, flach abgestutzte kegelförmige Erhebungen dar. Die rechte ist mehr abgeflacht und weiter an der Basis ausgedehnt als die linke, welche stärker pro- minirt und an ihrer Basis einen geringeren Durchmesser besitzt. Jede dieser Milchdrüsenpapillen wird medialwärts von einem Wall umzogen, der die mittlere Region der Beutelinnenfläche sondert von zwei taschenähnlichen Vertiefungen. Vergleicht man dieses Bild mit dem Zustande, den ich an dem 9,5 em langen Beutelfötus beschrieben habe, so ergiebt sich, dass die paarigen Gruben, in welchen die Zitzen sich finden, aus der Mammartaschenanlage hervorgegangen sind, deren bedeutende Aus- dehnung und Tiefe ich bereits damals betonte. Es birgt somit der Beutel an jeder Seite eine Mammartasche, deren be- triichtliche Ausdehnung in die Fläche sowohl, wie in die Tiefe sehr bemerkenswerth ist. Im Einzelnen ergeben sieh Verschiedenheiten auf beiden Seiten. Die linke Tasche ist viel 486 H. Klaatsch weniger vertieft als die rechte. Der Boden der linken Tasche liegt annähernd in gleichem Niveau mit der Innenfläche des Beutels in dessen Mitte. Nach vorn und medialwärts steigt die Innenfläche der linken Mammartasche steil an gegen den oben bezeichneten medialen Wall. Lateral findet eine ganz allmähliche Erhebung zur medialen Fläche des Beutelrandes hin statt. Nach hinten läuft das Lumen in eine schmale Rinne aus, deren mediale Begrenzung durch den in weitem Bogen nach innen sich wendenden Wall der Mammartasche gegeben ist, während lateral der Beutelrand die Rinne umsäumt. Eine gleiche Gestaltung bietet die nach hinten auslaufende Rinne auf der rechten Seite, nur ist sie hier etwas mehr vertieft. Medial- wärts gehen beide Rinnen in die Innenfläche des Beutels über. Im Übrigen ist die rechte Mammartasche viel mächtiger entwickelt als die linke. Dies spricht sich weniger im Durchmesser aus, welcher etwa 1,5 em gegen ca. 1,2 cm links beträgt, als in der Entfaltung des Lumens. Die rechte Mammartasche stellt eine sehr beträchtliche beutelähnliche Bildung dar, welche sich über den Bereich des Marsupiums hinaus lateralwärts und nach vorn erstreckt. Die punktirte Linie der Figur (Z) deutet die Gren- zen dieser Taschenbildung an, deren größte Tiefe sich, vom Niveau der Beutelinnenfläche gemessen, auf etwa 1 cm beläuft. Die zwischen den medialen Wällen der Mammartaschen sich ausdehnende Innenfläche des Marsupiums ist ausgezeichnet durch eine sehr zarte, gerunzelte, mit Längsfalten versehene Haut. Hier fehlen Haare gänzlich. Lateral davon entspringen sehr lange Haar- büschel von der medialen Abdachung der Beutelränder. Im Bereiche der Mammartaschen findet sich jederseits ein sehr stark entwickeltes Haarbüschel, welches auf der rechten Seite vom medialen Taschen- wall entspringt, links hingegen etwas lateral verschoben dem Beutel- rande anzugehören scheint!. Überbliekt man den geschilderten Befund im Ganzen, so gelangt man zu dem Ergebnis, dass im Inneren des Beutels sich Mammar- taschen befinden, welche bezüglich ihres Lumens dem Beutel nicht nachstehen, ihn rechterseits sogar bedeutend übertreffen, und welche in ihrer Umrandung sehr eigenthümliche Beziehungen zu derjenigen des Marsupiums aufweisen. Während nämlich 1 Die Anlagen der Haare in der Mammartasche habe ich 1. ce. pag. 268 beschrieben und auf Taf. XIII Fig. 2 abgebildet, doch genügten die damals mir vorliegenden Stadien nicht, die Bedeutung der betreffenden Schläuche ganz sicher zu stellen, was bei Perameles ohne Weiteres gelang. Über die Beziehungen zwischen Mammartasche und Marsupium. 487 medialwärts jede Mammartasche eine eigene Umwallung aufweist, fehlt eine solche lateral als selbständiges Gebilde. Hier sind es die Ränder des Beutels, welche die Umwallung der Mammartasche besorgen und welche mit dem medialen Rande derselben in kontinuirlichem Zusammenhang stehen. Es offenbart sich somit durch die vorliegenden Thatsachen eine sehr nahe Beziehung zwischen den Integumentalfalten, welche die Mammartasche bilden und den Rändern des Marsupiums. Mit Rück- sicht auf die Stellung der beiden Taschenbildungen zu einander er- giebt sich zunächst der Schluss, dass das Marsupium nicht als eine neue, von der Mammartasche unabhängige Bildung aufgefasst werden darf. Ist sie aber nicht ein Novum, so bleibt nur die Möglichkeit, sie direkt von der Mammartasche ab- zuleiten. Einer solchen Auffassung ebnen die mitgetheilten Be- funde den Weg. Im vorliegenden Fall stellt das Marsupium in der That nichts Anderes dar als Fortsatzbildungen der Ränder der Mammartasche, und zwar ist es namentlich der laterale Rand der letzteren, welcher, nach vorn und hinten auswachsend, zur Ent- stehung einer größeren, die primären Bildungen gemeinsam um- fassenden Tasche das Material liefert. Es werden also Theile der Mammartasche allmählich in die Bildung eines neuen Organs übergeführt. Hierdurch ist naturgemäß eine Veränderung der Mammartasche selbst gegeben. In dem Maße, als sie durch Abgabe von Theilen ihrer Wandung an Volumen einbüßt, wird sie geeignet, in einer neuen Richtung im Dienste des Mammarapparates verwendet zu werden. Das durch die Aufdeckung dieser Beziehun- gen zwischen Mammartasche und Marsupium auch die von einander so abweichenden und scheinbar weit aus einander gehenden Befunde bei Monotremen, wie sie OwEn und Haacke liefern, auf einen ge- meinsamen Ausgangspunkt zurückgeführt werden können, liegt auf der Hand. Es ist sehr wohl denkbar, dass bei Echidna einmal nur die Mammartaschen ohne Beutel, ein anderes Mal nur der Beutel ohne die seine Entstehung bedingenden, dann aber reducirten Mammar- taschen angetroffen wird. Hierin liegt nur in so fern eine Abwei- chung von den Beutelthieren, als die Mammartasche keine neue Verwerthung erfährt. Die geschilderten Facta regen neue Fragen an bezüglich der am Aufbau der Mammarorgane betheiligten Gebilde. Ist das Mar- supium ein Derivat der Mammartasche, so wird auch die Beschaffen- heit seiner Wandungen Spuren dieser Abkunft zeigen. Auf diese 488 H. Klaatsch, Über die Beziehungen zwischen Mammartasche u. Marsupium. Punkte näher einzugehen, muss der mikroskopischen Untersuchung des betreffenden Objektes vorbehalten bleiben. Hier soll nur das Resultat gesichert werden, welches die makroskopische Betrachtung des Phalangistabeutels liefert: Die Mammartaschen der Monotremen erfahren bei den Säugethieren eine Differenzirung im Sinne der Arbeits- theilung. Bei Echidna sowohl nutritorischen Zwecken, als zum Bergen des jungen Thieres dienend, verliert die Mammartasche die letztere Funktion, indem ein Theil ihres Walles, sich mächtig entfaltend, das Marsupium liefert. Der Rest der Tasche tritt nunmehr ausschließ- lich in den Dienst der nutritorischen Funktion. Druckfehlerverzeichnis zu dem Aufsatz: »Zur Entwicklung von Paludina vivipara«. Von R. v. Erlanger. Pag. 343. 12. Zeile von unten lies Deutolecith statt Dentolecith. - 352. 18. Zeile von oben lies der statt die. - 353. 5. Zeile von oben lies wird statt ist. Vor den Worten »durch den Herzbeutel« ist — der — einzuschalten. - 366. 18. Zeile von unten lies letzteres statt letztere. - 369, 13. Zeile von unten lies vont statt vout. - 369. 9. Zeile von unten lies caractérisées statt caractérisies. - 377. 8. Zeile von unten lies vordere statt vordere. | | 4 d | | Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische, Von M. Sagemehl'. IV. Das Cranium der Cyprinoiden. Mit Tafel XXVIII und XXIX. Aus der artenreichen Familie der Cyprinoiden habe ich folgende Gattungen und Arten untersuchen können, die ich fast alle der außer- ordentlichen Liberalitiit des Herrn Geheimraths Prof. GEGENBAUR verdanke, und dem ich hiermit meinen innigsten Dank sage. ! Vorbemerkung des Herausgebers. Wie dieim XII. Bande dieses Jahrbuches veröffentlichte Arbeit über die accessorischen Branchialorgane von Citharinus, kam mir auch die hier zur Publikation gelangende, aus dem Nach- lasse des Verfassers durch Vermittelung des Herrn Prof. FURBRINGER zu. Am hiesigen anatomischen Institute ausgearbeitet, bildet sie eine Fortsetzung der in früheren Bänden dieses Jahrbuches erschienenen Abhandlungen des Ver- fassers über das Kopfskelet der Teleostier. Dem Manuskripte, so wie es mir zu Händen kam, lagen die in den hier angefügten Tafeln dargestellten Figuren bei, aber es entbehrte jeden Hinweises auf dieselben und ihrer Erklärung, konnte daher nicht in diesem Zustand veröffentlicht werden. Herr Dr. H. KLAATSCH unterzog sich der dankenswerthen Mühe, die hier verwahrten Ob- jekte mit den Abbildungen zu vergleichen und deren Beziehungen zum Texte an den betreffenden Stellen einzufügen, auch das Ganze durch eine Tafelerklärung zu vervollständigen. So kann denn diese letzte, die Morpho- logie der Fische fördernde Arbeit des verlebten Forschers sich den vorher- gegangenen auf deren Grund hin recht anreihen. C. GEGENBAUR. Morpholog. Jahrbuch. 17. 32 490 M. Sagemehl Familie Cyprinoidei!. Gruppe Catostomina. Catostomus teres Mitch. Nordamerika. - macrolepidotus Les. Id. Moxostoma sucetta Lacep. Id, Sclerognathus urus Agass. Id. Gruppe Cyprinina. Cyprinus carpio L. (domestic) Mitteleuropa. - carpio var. flavipinnis Kuhl. und Hass. (wildlebende Form) Java. Carassius vulgaris Nils. Mitteleuropa. Dangila Cuvieri C. V. Indischer Archipel. Osteochilus melanopleurus Bleek. Id. - Hasseltii C. V. Id. - Schlegelii Bleek. Id. Tylognathus faleifer C. V. Id. Crossochilus oblongus C. V. Id. Labeo chrysophekadion Bleek. Id. - erythropterus Hass. Id. Barbus vulgaris Flemm. Mitteleuropa. - armatus C. V. Indischer Archipel. - rubripinnis C. V. Id. - pbramoides ©. V. Id. - erythropterus Bleek. Id. - javanicus Bleek. ‚id: - maculatus C. V. Id. - lateristriga C. V. Id. siaja Bleek. Id. - tambroides Bleek. Id. - hampal Bleek. Id. - bulu Bleek. Id. - melanopterus Bleek. Id. apogon C. V. Id. Barbichthys laevis, C. V. Id. Amblyrhynchichthys truncatus Bleek. Id. Schizothorax argentatus Kessl.? Turkestan. Gobio fluviatilis Flemm. Mitteleuropa. 1 Die Nomenklatur und die Eintheilung in Gruppen ist streng nach GÜN- THER’s »Catalogue of fishes in the collection of the British Museum« einge- halten, mit Ausnahme einiger weniger Arten, die zur Zeit der Abfassung dieses Katalogs noch nicht beschrieben waren. 2 Erst nach Erscheinen des Güntner’schen Katalogs von KESSLER be- schrieben. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 491 Gruppe Leptobarbina. Leptobarbus Hoevenii Bleek. Indischer Archipel. Gruppe Rasborina. Rasbora daniconius H. B. Indischer Archipel. - argyrotaenia Bleek. Id. Gruppe Leuciscina. Leueiscus (Leuciscus) rutilus L. Mitteleuropa. - (Squalius) cephalus L. Id. - - vulgaris Flem. Id. - (Scardinius) erythrophthalmus L. Id. - (Telestes) muticellus Bon. Id. - (Phoxinus) phoxinus L. Id. Tinea vulgaris Cuv. Id. Chondrostoma nasus L. Id. Gruppe Rhodeina. Rhodeus amarus Bl. Mitteleuropa. Gruppe Abramidina. Abramis brama L. Mitteleuropa. - blicea Bl. Id. - bipunctatus B. Id. Alburnus lucidus Heck. u. Kn. Id. - dolabratus Hol. Id. Pelecus cultratus L. Id. Chela megalolepis Giinth. Indischer Archipel. Gruppe Homalopterina. Homaloptera ocellata C. V. Indischer Archipel. Gruppe Cobitidina. Misgurnus fossilis L. Mitteleuropa. Nemachilus barbatulus L. Id. - fasciatus K. u. H. Indischer Archipel. Cobitis taenia var. japonica Schleg. Japan. Diplophysa Strauchii Kessl. Turkestan. Botia macracanthus Bleek. Indischer Archipel. - MClellandii Bleek. Id. Acanthophthalmus pangia H. B. Id. Eine genaue, auf die meisten Organisationsverhältnisse sich er- streckende Untersuchung des mir zu Gebote stehenden Materials 32* 492 M. Sagemehl ergab, dass die von GÜNTHER! unterschiedenen Gruppen einander durchaus nicht gleichwerthig sind und dass, um ein Beispiel heraus- zugreifen, etwa die Leuciscinen mit den Abramidinen in viel enge- rem Zusammenhange stehen, als etwa mit den Catastominen oder Cobitidinen. Um dieser näheren oder entfernteren Verwandtschaft der verschiedenen Gruppen mit einander Ausdruck zu verleihen, theile ich die Familie der Cyprinoiden in vier Unterfamilien ein, deren genaue anatomische Charakteristik zu Ende dieser Arbeit ge- geben werden soll, und die ich jetzt nur aus Zweckmäßigkeitsgrün- den, um mir die nachfolgende Beschreibung des Schädels zu erleich- tern und iibersichtlicher zu machen, angebe. Familie Cyprinidae Agassiz. 1. Subfamilie. Catostomidae. 1. Gruppe. Catostomina Giinth. 2. Subfamilie. Barbidae?. 1. Gruppe. Cyprinina Günth. 2. - Leptobarbina Günth. a: - Rasbarina Giinth. 4 - Leueiseina Günth. - Rhodeina Günth. - Abramidina Günth.3. o> OU k 3. Subfamilie. Homalopteridae. 1. Gruppe. Homalopterina Günth. 4. Subfamilie. Cobitididae. 1. Gruppe. Cobitidina. 1 GUNTHER, Catalogue of Fishes in the Collection of the British Museum. T. VII. pag. 3—11. 2 Diese Benennung habe ich, statt des etwa eher zu erwartenden Namens Cyprinidae gewählt, um eine Verwechselung mit dem Familiennamen Cyprinidae und mit dem Gruppennamen Cyprinina zu vermeiden, und sie von der um- fangreichsten der hierher gehörigen Gattungen (Barbus mit mehr als 200 Arten) hergenommen. 3 Zu dieser Unterfamilie gehören auch ganz zweifellos die von GÜNTHER unterschiedenen Gruppen: Rhoteichthyina, Semiplotina, Xenocypridina, Danio- nina und Hypophthalmichthyina, von denen mir keine Repräsentanten zur Untersuchung vorlagen. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 493 Die ältere Litteratur über das Cranium der Cyprinoiden ist eine sehr beträchtliche, namentlich findet man in den auf die Wirbel- theorie des Schädels bezüglichen Arbeiten der naturphilosophischen Schule zahlreiche zerstreute Angaben über einzelne Knochen des Cyprinoidenschädels und Versuche, dieselben auf die Knochen des Menschen zurückzuführen. Vor Allem ist das Cranium des populär- sten Mitgliedes dieser Familie, des Karpfens, in zahlreichen Arbeiten behandelt. Für den speciellen Zweck dieser Abhandlung sind die allermeisten dieser Arbeiten wenig zu gebrauchen, da sie weniger eine detaillirte Beschreibung, als eine Deutung und Eintheilung der Knochen im Sinne der älteren Wirbeltheorie geben. Eine gute specielle Beschreibung des Karpfenschädels giebt CuvIER in seinen Lecons d’anatomie comparée. T. Il. Auf eine größere Reihe von Formen hat VALENCIENNES Seine Untersuchungen ausgedehnt, der in seiner mit Cuvier begonnenen Histoire natu- relle des poissons! eine genaue Beschreibung des Schädels von Cyprinus carpio, Barbus vulgaris, Catostomus teres und Misgurnus fossilis giebt, und außerdem mehr oder weniger ausführliche Notizen über Cyprinus Kollari und auratus, Leueiscus rutilus und erythroph- thalmus, Abramis brama und blieca, Carpiodes eyprinus, Nemachilus barbatula und Cobitis taenia macht. Eine kurze, aber gute Beschreibung des Karpfenschädels findet man auch bei VROLIK?. Als wissenschaftliches Kuriosum mag noch erwähnt werden, dass in der anatomischen Litteratur eine nicht we- niger als 226 Quartseiten einnehmende »methodische« Beschreibung und Besprechung des Occipitale basilare des Karpfens von C. Brünn? existirt: aus leicht verständlichen Gründen habe ich diese » Arbeit« nicht weiter berücksichtigt. Eine mustergültige Beschreibung der Kopfnerven von Barbus hat BÜCHNER* gegeben; zahlreiche Detailangaben über die peripherischen Nerven der Cyprinoiden sind in dem bekannten Werke von STAnNIus niedergelegt. ! CUVIER et VALENCIENNES, Histoire naturelle des poissons. T. XVI, XVII und XVIII. 2 A. J. VROLIK, Studien über die Verknöcherung und die Knochen des Schiidels der Teleostier. Niederl. Archiv fiir Zoologie. Bd. I. 1873. 3 B. C. Brünr, Zur Kenntnis des Wirbelthierskelettes. Abth. 1. Die Me- thode des osteologischen Details. Erste Hiilfte. Wien 1845. 4 C. BÜCHNER, Sur le systéme nerveux du Barbe. Mémoires de la société d’histoire naturelle de Strassbourg. T. II. pag. 8. > H. Srannius, Das peripherische Nervensystem der Fische. Rostock 1849. 494 M. Sagemehl Das Cranium der Cyprinoiden ist ein im Großen und Ganzen wohl proportionirtes, das nur in seltenen Fällen eine einseitige Aus- bildung gewisser Regionen aufweist. In der Gruppe der Cobitidinen zeichnet sich Botia macracanthus (Taf. XXIX Fig. 7) durch besondere Ausbildung der präorbitalen und der orbitalen Regionen des Schädels aus, und durch eine korrelative Verkürzung der Labyrinth- und Occipitalregion; das ursächliche Moment zu dieser Disproportion des Schädels ist bei diesem Fische in der außerordentlichen Ausbildung des wahrscheinlich als Waffe dienenden, in einen Stachel umge- wandelten Präorbitalknochens zu suchen. Ein anderes Beispiel bietet Sclerognathus, bei welchem umgekehrt die Orbital- und Nasalregion auf Kosten des bedeutend verlängerten postorbitalen Schädelabschnittes verkürzt erscheinen, so dass das Auge auffallend weit nach vom gerückt ist. Plattgedrückte und langgestreckte Schädelformen sind bei Cyprinoiden ebenfalls selten; ersteres findet man bei Homa- loptera (Taf. XXIX Fig. 10), letzteres bei Cobitis und Verwandten, unter denen Acanthophthalmus einen ganz eigenthümlichen, fast ey- lindrischen Schädel besitzt. Die Verknöcherung des Schädels ist bei Cyprinoiden eben so wie bei Characiniden, ja in noch höherem Maße als bei den letz- teren, weit vorgeschritten. Nur bei den niedrig stehenden Catosto- minen sind größere Knorpelreste nachweisbar; bei den übrigen Gruppen findet man nur Spuren von Knorpel, die am spärlichsten bei den Cobitididen sind. Wir unterscheiden am Cranium der Cyprinoiden eben so wie bei der Beschreibung der Characiniden vier Flächen: die Decke, die hintere Fläche, und zwei in der unteren Mittellinie zusammentref- fende Seitenflächen. Die Oberfläche des Schädels, die immer unter einer dicken Hautschwarte verborgen ist, bat annähernd die Gestalt eines vorn verschmälerten Vierecks, das vorn in vielen Fällen in eine Spitze ausläuft, oder auch, in anderen Fällen, leicht ausgeschnitten er- scheint (Taf. XXVIII Fig. 1, 8). Nur bei Cobitis und Verwandten ist der ganze internasale Schädelabschnitt zu einer vertikalen La- melle komprimirt, auf deren obere Kante die Schädeloberfläche an dieser Stelle redueirt erscheint (Taf. XXIX Fig. 5). Die Antorbitalfortsätze sind, mit Ausnahme von Cobitis, wo sie rudimentär werden, gut ausgeprägt. Eben so die Postorbitalfortsätze. In der Gegend der letzteren ist ziemlich konstant entweder eine laterale Depression des Schädeldaches zu finden, die eben so wie Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 495 bei den meisten Characiniden dem Dilatator operculi zur Insertion dient, oder, wie bei den Erythrininen, ist der Postorbitalfortsatz zum Durchlass dieses Muskels in die Orbita durchbohrt. Die schon bei Characiniden von mir ausfiihrlich beschriebene mediale Lücke des Schiideldaches (ff) findet sich bei sehr vielen Repriisentanten der Cyprinoiden, und zwar bei von einander ganz entfernt stehenden Formen. Schon durch dieses sporadische Auf- treten bei sehr verschiedenen Gattungen charakterisirt sie sich als ein altes, von dem gemeinsamen Vorfahr des ganzen Cyprinoiden- stammes herrührendes Erbstiick. In den meisten Fällen ist das Schiideldach geschlossen. Wie ich schon erwähnt habe, wird die Schädeldecke in der uns. beschäftigenden Familie von einer weichen unbeschuppten Haut überzogen. In sehr seltenen Fällen (bei den Gattungen Pelecus und Chela) erstreckt sich jedoch der dorsale Seitenrumpfmuskel auf die Oberfläche des Schädels und inserirt sich ganz vorn in der Nasalgegend, so dass die Schädeloberfläche nicht nur von der Haut, sondern auch von Muskeln bedeckt wird. In diesen Fällen erstreckt sich auch die Schuppenbedeckung des Kör- pers auf die Oberfläche des Kopfes. Nach hinten zieht sich das Cranium der Cyprinoiden in eine Spina oeeipitis aus, doch ist die letztere niemals so ausgebildet wie bei Characiniden (Taf. XXVIII Fig. 7, 10, 12); bei Cobitis und Ver- ‘ wandten ist sie rudimentär (Taf. XXIX Fig. 9, 11). An der hinteren Fläche des Schädels springen die mittleren yon den Exoceipitalia eingenommenen Fortsätze nur wenig vor (Taf. XXVUI Fig. 4). Eine Temporalhöhle (fg) ist nur bei Cato- stominen in guter Ausbildung vorhanden (Taf. XXVIII Fig. 1); bei den übrigen Cyprinoiden ist sie ganz rudimentär. Sehr charak- teristisch für die Cyprinoiden sind die großen, zu beiden Seiten der Hinterhauptsöffnung gelegenen, in das Cavum eranii führenden Öffnungen (fo), die zu einer Kommunikation der Subduralräume mit den Lymphräumen zu beiden Seiten der ersten Wirbel des sog. Saceus paravertebrales dienen. Morphologisch sind diese großen Löcher als enorm erweiterte Austrittsöffnungen des Occipitalnerven ‚Hypoglossus) aufzufassen; sie fehlen nur der Gattung Homaloptera (Taf. XXIX Fig. 3). Eben so charakteristisch wie diese Öffnungen ist für die Cypri- noiden der von der Aorta durchbohrte, von der hinteren Schädelbasis ausgehende, nach unten und hinten gerichtete Pharyngealfortsatz (ph), der den unteren Schlundzähnen als Widerlager dient. Dieser 496 M. Sagemehl Pharyngealfortsatz ist nur bei einigen Cobitidinen rudimentär und fehlt vollständig nur bei Homaloptera (Taf. XXIX Fig. 10, 12). Der hintere, der Oceipital- und Labyrinthregion angehörige Theil der Seitenfläche des Cranium bietet bei Catostominen und Cobitidinen nichts in die Augen Fallendes; bei den Barbiden da- gegen und bei Homaloptera besitzt er eine eigenthümliche kuppen- artige, mit der Öffnung nach unten gerichtete Aushöhlung (sig), deren Eingang von dem äußeren Bogengange umzogen wird, und in welcher nicht schwer die außerordentlich vergrößerte und eigen- thümlich modificirte, schon bei Characiniden beschriebene, vom erwähnten Bogengange umzogene Einsenkung zu erkennen ist (Taf. XXVIII Fig. 9, Taf. XXIX Fig. 2). Die Orbitae der Cyprinoiden sind gut ausgebildet und besitzen ein Orbitaldach mit Ausnahme der Cobitidinen, deren Augenhöhlen, entsprechend den so kleinen Augen, wenig scharf umgrenzt er- scheinen und kein Dach besitzen (Taf. XXIX Fig. 5). Ein unpaares Interorbitalseptum ist bei den mit hohen Orbitae versehenen Formen stets vorhanden und erscheint dann gewöhnlich an zwei Stellen ge- fenstert; bei Formen mit niedrigen Orbitae fehlt das Septum. Ein Augenmuskelkanal (cm) ist bei den mit großen Augen versehenen Gattungen stets vorhanden, dagegen erscheint er bei Cobitis auf einen Spalt redueirt und enthält keine Muskeln mehr (Taf. XXIX Fig. 12). Ein Basisphenoid, das bei anderen Fischen häufig im Eingänge zu diesem Kanal gefunden wird, fehlt den Cyprinoiden, eben so wie allen anderen Ostariophysen ganz konstant. Zwischen die beiden Orbitae erstreckt sich eine direkte Fort- setzung der Schädelhöhle, die nach vorn bis zu den Nasengruben reicht und in welcher die Tractus olfactorii mit ihren Endanschwel- lungen, den Bulbi olfactorii, liegen. Das vordere Ende des Schädels läuft bei den Cyprinoiden in zwei nach unten gerichtete rundliche, überknorpelte Condylen aus, die zur Artikulation mit den Knochen des Kieferapparates und des Palatinbogens dienen und die dem Schädel dieser Fische ebenfalls ein charakteristisches Aussehen verleihen (Taf. XXVIII Fig. 3). Nachdem nun in Kürze der Gesammthabitus des Cyprinoiden- craniums geschildert ist, schreiten wir zur speciellen Beschreibung der einzelnen Regionen und Knochen! und beginnen mit der Schädel- ! Bei der Untersuchung von Schädeln niederer Wirbelthiere, bei welchen knöcherne und knorpelige Partien mannigfaltig abwechseln, ist es bei kleinen Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 497 decke, an welcher wir die bekannten dermatogenen Ossifikationen unterscheiden: das Ethmoid, die Frontalia, Parietalia, die Squamosa und die dem Cranium lose verbundenen Nasalia, die Extra- und Suprascapularia. Eben so wenig wie bei den Characiniden behält das Ethmoid (Eth) der Cyprinoiden seinen ursprünglichen Charakter als Beleg- knochen, sondern gewinnt Beziehungen zum prä- und internasalen Abschnitt des Primordialschädels, speciell zu dem breiten, ursprüng- lich knorpeligen Septum zwischen den beiden Nasengruben. In Folge dieses Verhaltens können wir bei Cyprinoiden an jedem Eth- moid zwei Theile unterscheiden: eine dünne Knochenplatte, die an- nähernd dem ursprünglichen Deckknochen entspricht und die lateral die Nasengruben überdacht, und eine von dieser Platte nach unten absteigende, mehr oder weniger breite, aus spongiöser Knochensub- stanz bestehende, vertikal gestellte knöcherne Wand, welche die beiden Nasengruben von einander scheidet, und die durch Knorpel- substitution entstanden ist. Die Gestalt der horizontalen Lamelle, deren hinterer Rand ge- wöhnlich von der Frontalia überlagert wird, ist eine annähernd vier- eckige; bei langgestreckten Schädelformen eine länglich viereckige, bei kurzen gedrungenen Formen eine mehr schmale, in die Quere gestreckte. Die letztere Gestalt kommt bei unseren einheimischen Objekten häufig sehr schwer, festzustellen, wie weit der Knochen resp. der Knorpel reicht. Namentlich tritt dieser Übelstand bei Fischschädeln hervor, bei welchen die Knochen häufig als papierdünne Lamellen der knorpeligen Unterlage aufliegen. In solchen Fällen hat mir beim Untersuchen und beim Zeichnen der Objekte ganzer Schädel oder Durchschnitten von solchen eine von mir gefundene Methode ganz ausgezeichnete Dienste gethan. Dieselbe be- ruht auf der längst bekannten Affinität der Knochensubstanz zum Alizarinfarb- stoff und gestattet am gegebenen Objekt die kleinsten Knorpelpartien mit Sicherheit zu entdecken. Nachdem das Objekt vollkommen rein gemacht wor- den ist, namentlich alle Spuren von Bindegewebe entfernt sind, lege ich es in mit Wasser resp. mit einer schwachen alkoholischen Lösung angerührtes Krapp- pulver (Rad. Rubiae tinetur. pulver., etwa einen halben Kaffeelöffel auf ein großes Glas) auf einige Stunden hinein. Es wird darin so lange gelassen, bis alle Knochentheile schön roth gefärbt sind; die knorpeligen Partien bleiben ungefärbt. Aus dieser Lösung wird das Objekt in reinem Wasser oder in schwachem Alkohol mehrere Stunden abgespült. An solchen Objekten sind die Knochen und die verkalkten Knorpel intensiv roth gefürbt, während der un- verkalkte Knorpel ungefärbt bleibt. Sollte die Färbung zu schwach sein, oder das Objekt — was nach mehreren Monaten geschieht — ausgeblichen sein, so wiederhole ich das Verfahren. Ein Übelstand, den man hinnehmen muss, liegt darin, dass die Färbung ganz an der Oberfläche bleibt und nichtin die Tiefe dringt. 498 M. Sagemehl Cyprinoiden nicht zur Beobachtung, ist aber bei den exotischen Gattungen Leptobarbus und Osteochilus sehr ausgeprägt; auch einige Arten der großen Gattung Barbus haben ein derartiges sehr ver- kürztes und verbreitertes Ethmoid, wie z. B. B. lateristriga, der iiberhaupt unter allen mir bekannten Cyprinoiden sich durch die größte Brachycephalie auszeichnet (Taf. XXVIII Fig. 12). Nach vorn zieht sich das Ethmoid der Cyprinoiden sehr häufig in eine mehr oder minder ausgeprägte Spitze aus, die über das vordere Schnauzenende vorragt und die vorn nicht selten ausgerandet ist. Diese prominirende Spitze des Ethmoid, die besonders bei Catosto- minen am stärksten ausgebildet erscheint (Taf. XXVIII Fig. 1 und 2), dient einigen Bändern zur Insertion, welche den Kieferapparat tragen. Ein unpaares, nach vorn gerichtetes Band befestigt sich, nach- dem es sich in zwei Schenkel gespalten hat, entweder an zwei kleine Knöchelchen, welehe die Maxillaria tragen und die ich als Submaxillaria bezeichnet habe!, oder auch direkt an die Maxillaria, während zwei laterale Bänder sich an einen nach vorn gerichteten eigenthümlichen Fortsatz der Palatina inseriren. Gewöhnlich ist diese Platte des Ethmoid horizontal gelagert und in einer Flucht mit der Schiideldecke. Nur bei einigen sehr stumpfschnauzigen Cyprinoiden: bei Rhodeus, Schizothorax und eini- gen Barbus senkt sie sich mehr nach unten ab, so dass sie in einem Winkel gegen das Schädeldach abgeknickt erscheint. Am weitesten ist diese Abknickung bei der auch in anderen anatomischen Beziehungen höchst eigenartigen Gattung Amblyrhynchichthys (Taf. XXVIH Fig. 7) fortgeschritten, bei welcher diese Ethmoidplatte ganz senkrecht steht, so dass sie die Nasengruben nicht deckt, sondern nach vorn be- grenzt. Die vom Ethmoid aus sich erstreckende Verknöcherung des häufig sehr breiten Internasalseptum reicht bisweilen so weit nach unten, dass sie an der unteren Fläche des Schädels zwischen Vomer und den Präfrontalien in geringer, und bei der Gattung Barbichtbys sogar in sehr betriichtlicher Ausdehnung sichtbar wird. Sonst ist über diesen Theil des Ethmoid wenig zu bemerken. Seine untere Grenze gegen die knorpelige, das Ethmoid und den Vomer trennende Naht, bietet auf mikroskopischen Querschnitten das schönste Bild einer in den Knorpel eindringenden Ossifikation. In einer später erscheinen- den Arbeit über die Knochenbildung bei Fischen sollen diese inter- ' Das Cravium der Characiniden. Morph. Jahrb. Bd. X. pag. 102. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 499 essanten Verhältnisse ausführlich behandelt werden. Hier kann ich sie nur andeuten. In der eben beschriebenen Weise verhalten sich die Catostomi- den, Barbiden und Homalopteriden; die Cobitididen zeigen einige durch Anpassung an neue funktionelle Verhältnisse bewirkte Ab- weichungen, die näher betrachtet zu werden verdienen. Bei Botia macracanthus (Taf. XXIX Fig. 7) kann man am Eth- moid beide Bestandtheile, die horizontale Lamelle und das von dieser ausgehende Septum unterscheiden: nur ist die Lamelle beträchtlich schmaler als bei den eben betrachteten Formen und zeigt eine Auf- wärtskrümmung ihrer lateralen Ränder, die zur Überdachung der Nasengruben kaum mehr beitragen. Ähnlich verhält sich auch die Gattung Diplophysa, deren Ethmoid von dem bei Barbiden anzu- treffenden nur wenig abweicht. Weiter vorgeschritten ist diese Reduktion der horizontalen Ethmoidlamelle bei Botia M’Clellandi, bei welcher vom ganzen Ethmoid eigentlich nur die internasale knö- cherne Scheidewand übrig geblieben ist, die an ihrem oberen Rande in zwei Lippen gespalten ist, welche als der letzte Rest der hori- zontalen Ethmoidplatte angesehen werden müssen. Bei den übrigen Cobitididen endlich fehlt jede Spur einer horizontalen Platte, und ist das ganze Ethmoid einzig und allein auf ein vertikal gestelltes internasales knöchernes Septum reducirt; die Nasengruben besitzen bei diesen Gattungen gar keine vom Ethmoid gebildete Decke Taf. XXIX Fig. 5, 11). Dieser auf den ersten Blick so auffallende Reduktionsvorgang wird sofort verständlich, wenn man den Schädel der Cobitididen frisch und mit allen Weichtheilen untersucht. Er ist bedingt durch den merkwürdigen, meines Wissens in der Reihe der Wirbelthiere einzig dastehenden Umstand, dass das ganze vordere Schädelende dieser Fische, welches von Ethmoid, Vomer und den Septomaxillaria gebildet wird, mit dem übrigen Cranium beweglich verbunden ist. Diese Verbindung geschieht durch straffes Bindegewebe und gestattet nicht unbeträchtliche seitliche Exkursionen des ganzen prä- und in- ternasalen Schiidelabschnittes. In diesem Umstande ist auch die Erklärung für Reduktion der horizontalen Ethmoidplatte zu suchen, welche bei diesen Bewegungen hinderlich sein müsste. Die genaue Beschreibung des Bewegungsmechanismus soll weiter unten erfolgen. Das Ethmoid verbindet sich nach hinten mit den Frontalia und unter denselben mit den Präfrontalia; nach unten grenzt es an den Vomer. 500 M. Sagemehl Die annähernd viereckigen Frontalia (7) sind in der Familie der Cyprinoiden gut entwickelt und lassen zwei Abschnitte unter- scheiden: einen medialen, welcher die Schädelhöhle bedeckt, und einen lateralen, der über die Orbita hinüberragt und das Dach der Augenhöhle bildet (Taf. XXVIII Fig. 1). Die funktionelle Bedeu- tung dieses letzteren scheint darin zu liegen, dass er bei den Be- wegungen des Bulbus diesem einen Widerstand entgegensetzt und in Folge dessen ein Ausweichen des Auges nach oben bei der Aktion gewisser Augenmuskeln verhindert. Dem entsprechend sehen wir denn auch den orbitalen Theil der Frontalia bei einigen Gattungen von Cobitididen, die sehr kleine Augen besitzen, nämlich bei Acanth- ophthalmus, Nemachilus, Cobitis und Misgurnus auf eine unbedeu- tende, die Orbita überragende Leiste redueirt (Taf. XXIX Fig. 5). Dieses Verhältnis des Orbitaldaches zu der Größe der Bulbi besteht nicht nur in der Familie der Cyprinoiden, sondern scheint bei Kno- chenfischen ganz allgemeine Geltung zu haben, wie ein Blick auf die Kopfskelette der mit kleinen Bulbi ausgestatteten Muraeniden, Symbranchier, Gymnotiden und Welse lehrt, denen ein Orbitaldach sehr häufig fehlt; doch kommen, wie ich bemerken will, wenn auch selten, Ausnahmen von dieser Regel vor. Bei der Besprechung des Characinidenschädels hatte ich schon Gelegenheit, auf die durch die Differenzirung des Muse. dilatator operculi aus der gemeinsamen Masse des Levator arcus palatini und durch das Übergreifen der Insertion dieses Muskels auf das Schädel- dach bedingten Umbildungen des letzteren hinzuweisen. Wie bei der größten Mehrzahl der Characiniden, so sehen wir auch bei den Cyprinoiden die Insertionsstelle dieses Muskels von dem Postorbital- fortsatz auf das Schädeldach hinaufwandern und die Veranlassung zur Ausbildung einer mehr oder minder tiefen Depression des hin- teren Winkels des Frontale abgeben (d.o). Kaum ausgeprägt erscheint diese Depression bei den Cobitididen und bei Homaloptera, bei welchen die Insertion des Dilatator oper- culi auf den Postorbitalfortsatz und auf dessen Ossifikation, das Postfrontale, beschränkt bleibt (Taf. XXIX Fig. 1 und 5). Unter den Barbiden haben die Gattungen Leptobarbus und Rasbora! den ! Ich kann es hier nicht unterlassen, besonders darauf aufmerksam zu machen, dass die Schädel von Rasbora und Leptobarbus in allen Beziehungen eine derartige Übereinstimmung aufweisen, dass es mir höchst zweifelhaft er- scheint, ob die von GÜNTHER vorgeschlagene Zurechnung derselben zu ver- schiedenen Gruppen der Cyprinoiden wirklich gerechtfertigt ist. P* Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 501 indifferentesten Zustand bewahrt, welche beide keine besonderen, für den Muskel bestimmten Vertiefungen an der hinteren Ecke des Fron- tale aufweisen und nur eine wenig ausgeprägte Einkerbung zwischen Postfrontale und Frontale für denselben besitzen. Unter den Leu- ciscinen und Abramidinen finden wir im Gegensatz hierzu diese Muskelgruben entsprechend der Ausbildung des Muskels selbst mehr oder minder mächtig entwickelt, mit Ausnahme von Chela und Pelecus, bei denen er schwach differenzirt erscheint. Ähnlich ver- halten sich in der Gruppe der Cyprinina einige Arten von Barbus und Schizothorax. Bei den anderen Repräsentanten dieser Gruppe wird eine weitere Ausbildung des Muskels und eine damit Hand in Hand gehende Vertiefung der Muskelgrube nach vorn zu beobachtet, die schließlich zu einer Durchbohrung des Postorbitalfortsatzes führt. Durch diese Öffnung des Postorbitalfortsatzes gelangt der Muskel in die Orbita, von deren Decke er nun seinen Ursprung nimmt. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass wir ein ganz ähnliches Verhalten schon bei Characiniden, und zwar in der Unterfamilie der Erythriniden, beobachtet haben, bei denen der Postorbitalfortsatz ebenfalls zum Zweck eines Durchlasses des Dilatator opereuli durch- bohrt war. Da die Erythriniden nach ihrer ganzen Organisation eine zwar im Allgemeinen niedrig stehende, aber doch ganz ein- seitig entwickelte, sehr scharf begrenzte Unterfamilie der Chara- einiden bilden!, die mit den Cyprinoiden gewiss nicht näher ver- wandt ist als die übrigen Characiniden, ja sogar eher im Gegentheil den ersteren ferner steht als etwa die phytophagen Characiniden, so darf an einen causalen Zusammenhang dieser allerdings voll- kommen ähnlichen Bildungen des Postorbitalfortsatzes nicht gedacht werden. Es liegt hier ein Fall von konvergenter Entwicklung vor, eine wahre »heterophyletische Isomorphie« in dem Sinne, wie es HAECKEL in seiner Monographie der Kalkschwimme definirt hat. Noch mächtiger als bei den Barbiden (Taf. XXVIII Fig. 8 und 10) entfaltet sich der Dilatator opereuli bei den Catostomiden, bei denen er jedoch den Postorbitalfortsatz niemals durchbohrt, sondern sich bloß auf dem Schädeldache verbreitet (Taf. XXVIII Fig. 1). Der ganze hintere Abschnitt der Frontalia wird bei diesen Fischen von einer großen, mit scharfen Rändern versehenen Depression einge- nommen, die bei Sclerognathus, bei dem sie am meisten ausgeprägt ist, nach vorn fast bis an die Nasengruben und an den hinteren i Das Cranium der Characiniden. Morph. Jahrb. Bd. X. pag. 104. 502 M. Sagemehl Rand des Ethmoid reicht. Diese Muskelgrube, welche einen sehr großen Theil des Schädeldaches einnimmt, wird bei diesem Fisch von dem Dilatator opereuli ausgefüllt, weleher mir in dieser Größe bei keinem anderen Fisch begegnet ist. Das wäre das Bemerkenswertheste, was von den Frontalia der Cyprinoiden zu sagen wäre. Die Begrenzungen dieser Knochen sind folgende. Nach vorn srenzt jedes Frontale an das Ethmoid, während seine vorderen lateralen Ecken den Praefrontalia aufliegen. Im vorderen Theil der Orbita liegt das Frontale dem Orbitosphenoid auf, im hinteren Theil derselben dem Alisphenoid, seine hinteren lateralen Ecken bedecken einen Theil der Postfrontalia. Medial verbinden sich die Frontalia in der Mittellinie. Nach hinten grenzt es medial an das Parietale, lateral an das Squamosum. Diese letztere Verbindung ist übrigens inkonstant und wird bei allen Cobitididen und bei Homaloptera ver- misst, bei denen (Taf. XXIX Fig. 1 und 5) die Parietalia sich bis zu den Postfrontalia erstrecken und das Squamosum von der Ver- bindung mit dem Frontale ausschließen. Etwas Ähnliches ist auch bei der Gattung Sclerognathus zu beobachten, bei welcher dieser Ausschluss durch starke Ausbildung des Postfrontale bewirkt wird. Die Parietalia der Cyprinoiden sind viereckige Knochenplatten, die sich in der Mittellinie entweder durch eine Naht verbinden oder in größerer oder geringerer Ausdehnung durch eine Längsfissur von einander getrennt sind (Taf. XXVIII Fig. 1). Eine Trennung der- selben durch das zwischen sie sich einschiebende Oceipitale supe- rius, wie sie bei sehr vielen Familien der Teleostier zu beobachten ist, wird bei Cyprinoiden nicht angetroffen. Durch eine leistenartige Erhabenheit, welche die vordere Ansatzlinie des Seitenrumpfmuskels am Schädel vorstellt, wird jedes Parietale in eine vordere und eine hintere, schon eher der Hinterfläche des Schädels zuzurechnende Abtheilung zerlegt. Für gewöhnlich verläuft diese »Linea nuchae« (7m) nahe dem hinteren Rande der Parietalia (Taf. XXVIII Fig. 1) und nur in selteneren Fällen erstreckt sie sich weiter nach vorn bis nahe zum vorderen Rande dieses Knochens. Dieses letztere sehen wir bei einigen indischen Arten der Gattung Barbus erfolgen (näm- lich bei Barbus apogon, armatus und melanopterus) und bei allen diesen Arten erstreckt sich auch die mittlere, gewöhnlich nur dem Occipitale superius angehörige Crista oceipitis über den Bereich dieses Knochens hinaus auf die Parietalia. In noch selteneren Fällen (bei den Gattungen Pelecus und Chela) Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 503 wird fast die ganze Schädeldecke von dem sich bis zum hinteren Rande des Ethmoid erstreckenden Seitenrumpfmuskel eingenommen; die Schädeldecke erscheint dann von vorn nach hinten ein wenig konkav, und das Cranium zeigt einen »clinocephalen« Habitus; doch reicht die mediale Crista occipitis nicht weiter nach vorn als ge- wöhnlich. Da nun bekanntlich die Cutis der Fische mit den Ligamenta intermuseularia in sehr festem Zusammenhange steht, so ist es sehr verständlich. dass in diesen Fällen, wo die vordere Ansatzlinie des “ Seitenrumpfmuskels auf der Schädeldecke weit nach vorn gewandert ist, das äußere, mit Schuppen versehene Integument dem Muskel gefolgt ist und der Kopf bei den Gattungen Chela und Pelecus über den Deekknochen beschuppt erscheint. Dass der Muskel und die Beschuppung der Schädeloberfläche etwas derselben Fremdes und sekundär darüber Gelagertes sind, wird durch den Umstand be- wiesen, dass in allen solchen Fällen die den Kopf überlagernden Theile des Muskels nicht von cranialen Nerven versorgt werden, wie es doch stattfinden müsste, wenn sie ursprünglich dem Kopfe angehörten, sondern von dorsalen Ästen der ersten Spinalnerven, die von hinten her bogenförmig nach vorn zum Muskel verlaufen. Eine Abbildung dieses Verhaltens der Nerven hat Srannius! von Pleuronectes gegeben, bei welchem ein ähnliches Verhalten beob- achtet wird, wie das hier beschriebene, nur dass bei Pleuronectes auch die Dorsalflosse an dieser Wanderung Theil genommen hat und sich auf die Schädeloberfläche erstreckt. Ich würde diese so einfachen und zum Theil ganz selbstver- ständlichen Verhältnisse gar nicht einer so ausführlichen Erwähnung für werth gehalten haben, wenn nicht gerade derartige, in der Klasse der Fische durchaus nicht seltenen Fälle, wo das Integu- ment der Schädeldecke schuppenführend angetroffen wird, von KÖLLIKER? als gewichtiges Argument gegen den dermatogenen Ur- sprung der Knochen des Schädeldaches benutzt worden wäre. Nach KÖLLIKER’s Argumentation sollen die primären Hautossifikationen in den angeführten Fällen eben durch die Schuppen selbst repräsentirt werden, und können daher die tief unter den letzteren gelegenen ! STANNIUS, Peripherisches Nervensystem der Fische. Taf. IV Fig. 1. ? KÖLLIKER, Allgemeine Betrachtungen über die Entstehung des knö- chernen Schädels der Wirbelthiere. Berichte von der kinigl. zoolog. Anstalt zu Würzburg. Leipzig 1849, 504 M. Sagemehl Knochen des Schädeldaches nicht dermatogener Natur sein, sondern müssen eine andere Entstehung haben. Ein Theil der von KÖLLIKER angeführten Beispiele erledigt sich auf die einfachste und natürlichste Art in der eben erwähnten Weise. In anderen Fällen, wo Schuppen direkt, ohne dass Muskel zwischen dem Integument und den Schädelknochen liegen, dem Cranium auf- sitzen, wie das bei Cyprinodonten, bei Ophiocephaliden und bei vielen anderen Fischen zur Beobachtung kommt, ist die Erklärung keine so einfache. Immerhin ist es, wenn man etwa die Cyprino- donten mit den ihnen entschieden sehr nahe stehenden Scombereso- ciden! vergleicht, die eine nackte unbeschuppte Schädeloberfläche besitzen, ganz unzweifelhaft, dass diese Beschuppung eine sekundäre ist. Es wäre in diesen Fällen an die Möglichkeit zu denken, dass bei den Vorfahren dieser Fische früher der Seitenrumpfmuskel sich auf die Oberfläche des Schädels erstreckte und erst später redueirt worden ist. Doch sehe ich übrigens durchaus nicht ein, warum man nicht ein selbständiges Überwandern der Beschuppung für sich allein annehmen könnte, da uns doch Fälle, wo die Schuppen sich weit auf die Schwanzflosse erstrecken, bekannt sind (z. B. Mormyriden, der Characinide Distietiodus) und die auch nur durch die Annahme einer nachträglichen Überwanderung zu erklären sind. Es sollte mich freuen, wenn durch die eben gegebene Erklä- rung solcher Fälle den bis in die allerneueste Zeit gemachten Ver- suchen?, die Thatsache, dass der Kopf vieler Fische von Schuppen bedeckt ist, als Argument gegen den dermatogenen Ursprung des Schädeldeekknochen zu benutzen, aller Boden entzogen würde. Bei den beiden von mir untersuchten Arten der Gattung Botia fehlt eine mittlere Crista oceipitis, da die gleich unten zu bespre- chende mittlere Lücke des Schädeldaches sich sehr weit nach hinten erstreckt (Taf. XXIX Fig. 7). Kompensirt wird dieser Mangel durch 1 Es ist das Verdienst von GÜNTHER, zuerst diese nahe Verwandtschaft dieser beiden Familien erkannt zu haben (Catalogue of Fishes in the collection of the British Museum. T. VI. pag. 233). Die von mir vorgenommene anato- mische Untersuchung des Schädels bestätigt dieselbe zur Evidenz. 2 Vergleiche z. B. eine so eben erschienene Arbeit von GöLpı (Jenaische Zeitschrift Bd. XVII), der das rein Unglaubliche geleistet hat, die Knochen des Schädeldaches von Balistes für Ossifikationen des Primordialschädels (sie!) anzusehen, bloß aus dem Grunde, weil sie von schuppenartigen dermalen Ossi- fikationen bedeckt werden! Ich habe auf diese Angabe hin den Balistes unter- sucht, ohne jedoch das Geringste zu finden, das eine solche beispiellose und ganz absurde Annahme rechtfertigen könnte. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 505 eine außerordentliche Ausbildung der lateralen, von den Exoceipi- talia aus sich nach vorn erstreckenden Cristen, die bei den meisten Fischen nur angedeutet sind und die bei Botia sich weit nach vorn bis auf die Parietalia erstrecken und dem ganzen Schädel ein höchst eigenthümliches Aussehen verleihen (Taf. XXIX Fig. 7). Nach vorn grenzt das Parietale an das Frontale; lateral an das Squamosum, und bisweilen mit der vordersten Ecke auch an das Postfrontale; hinten liegt es mit seiner lateralen Ecke dem Exocei- pitale, mit seiner medialen dem Occipitale superius auf. In der Mittellinie vereinigt es sich mit seinem Antagonisten, von dem es bisweilen durch eine Fissur getrennt wird. Diese von mir schon bei Characiniden ausführlich beschriebene Fissur des Schädeldaches (%) ist in der Familie der Cyprinoiden weit verbreitet. Der Gruppe der Catostominen kommt sie, wie es scheint, ganz ausnahmslos zu; sie ist bei denselben sehr breit und beschränkt sich nicht zwischen die Parietalia, sondern reicht auch zwischen die Frontalia in deren hinteres Drittel (Taf. XXVIII Fig. 1). Ähnlich verhält sie sich bei den Cobitidinen, wo sie ebenfalls stets gut ausgebildet ist. Nur bei der Gattung Acanthophthalmus finde ich sie auf ein kleines, rundliches Loch im hinteren Winkel der Interparietalnaht redueirt. Bei der Gattung Diplophysa ist außer dieser hinteren, auf den Raum zwischen die Parietalia und das hintere Drittel der Frontalia beschränkten Fissur noch eine andere vorhanden, welche dicht hinter dem Ethmoid zwischen dem vorder- sten Abschnitte der Frontalia gelegen ist. Dieselbe weist auf ein Verhalten hin, wo diese Fissur sich viel weiter nach vorn bis zum hinteren Rande des Ethmoid erstreckte; ein Zustand, den ich bei der Characinidengattung Citharinus besprochen habe und auf wel- chen auch manche bei Welsen vorkommenden Verhältnisse hinweisen. Auch Homaloptera besitzt eine lange und breite Schädeldachfontanelle zwischen den Parietalia und dem hinteren Abschnitt der Frontalia. Weniger allgemein verbreitet als bei den eben erwähnten drei Sub- familien ist diese Fontanelle des Schädeldaches in der vierten Subfamilie, den Barbiden. In guter Ausbildung traf ich sie bei der Gattung Ambly- rhynchichthys an (Taf. XXVIII Fig. 6); auch bei Barbus melanopterus und bulu, und bei ganz jungen Exemplaren von Labeo erythropterus traf ich eine gut ausgebildete Fontanelle an. Bei anderen Arten von Barbus, wie z. B. B. armatus, apogon und scaja, bei denen sich, wie ich schon erwähnt habe, die Crista oceipitis weit nach vorn erstreckt, war sie zwischen den vorderen Theil der Parietalia beschränkt und Morpholog. Jahrbuch. 17. 33 506 M. Sagemehl erstreekte sich nicht mehr zwischen die Frontalia hinein. Interessant ist das Verhalten dieser Fissur beim Karpfen. Bei einem jungen Exemplar des wildlebenden javanischen Cyprinus flavipinnis K. u. H. (nach GÜNTHER [l. ec. T. VII pag. 27] eine Varietät von Cypr. carpio) war diese Fontanelle in zwei Theile getrennt. Der vordere Theil derselben lag zwischen den vorderen Ecken der Parietalia und dem hinteren Theil der Frontalia, während der hintere Abschnitt durch ein kleines rundliches Loch im hinteren Winkel der Parietalnaht repräsentirt ist (Taf. XXVIII Fig. 11). Ganz ähnlich verhielten sich ausnahmsweise zwei junge Exemplare des gewöhnlichen domestieirten Karpfens, während bei alten Individuen der vordere Abschnitt dieser Sehädeldachfontanelle stets geschlossen ist und nur das hintere kleine Loch zwischen den hinteren Ecken der Parietalia an der Basis der Spina oceipitis sich konstant erhält. Außer der Gruppe der Cypri- nina traf ich diese Fissur in keiner anderen Gruppe der Barbiden an. Das ganze eben geschilderte Verhalten dieser medialen Schädel- dachfontanelle in der Subfamilie der Barbiden, das sporadische Vor- kommen derselben bei einzelnen Species einer Gattung, während sie bei anderen vollkommen fehlt, ja sogar bei verschiedenen Individuen derselben Species, ferner der sehr verschiedene Grad der Ausbildung derselben lässt es als sehr wahrscheinlich erscheinen, dass wir es hier mit einer Bildung zu thun haben, die in der Reduktion be- griffen ist und der keine besondere physiologische Bedeutung zu- kommt. In der That ist es mir weder makroskopisch noch bei mikroskopischer Untersuchung an jungen Misgurnus fossilis möglich gewesen, in der Familie der Cyprinoiden eben so wenig wie bei Characiniden irgend eine Beziehung derselben zu Organen der Schädelhöhle festzustellen. Dass sie, wie E. H. Weser! vermuthet hat, bei der Zuleitung von Schallwellen zum Labyrinth eine Rolle spielt, scheint mir kaum denkbar zu sein, wenn man erwägt, dass sie konstant von einer sehr dicken, fettreichen, schwartigen Mem- bran verschlossen ist, und dass zwischen ihr und den noch am nächsten gelegenen Theilen des Labyrinth, den gemeinsamen Ein- mündungsstellen des vorderen und hinteren Bogenganges in den Sinus superior, immerhin eine nicht unbeträchtliche Masse des inter- duralen Fettgewebes liegt. Das Squamosum (Sg) der Cyprinoiden lässt, eben so wie der ! E. H. WEBER, De aure et auditu hominis et animalium. T. I. Lipsiae 1820. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 507 entsprechende Knochen bei den meisten, wenn nicht allen Knochen- fischen, zwei Theile unterscheiden: eine im Niveau mit den anderen Knochen des Schädeldaches gelegene Knochenplatte, die, wie ich bei Amia nachgewiesen habe!, dermatogenen Ursprungs ist, und einen durch Übergreifen des Verknöcherungsprocesses auf das Pri- mordialeranium von dieser Platte aus entstandenen Theil, der sich von der ursprünglichen Platte leicht unterscheiden lässt. Der letz- tere bildet bei Cyprinoiden den größeren Theil des Squamosum und soll aus praktischen Gründen erst später bei der Beschreibung der dem Primordialschädel angehörigen Ossifikationen besprochen werden. Die an der Schädeloberfläche sichtbare Platte grenzt nach vorn an das Postfrontale, und mit Ausnahme der schon erwähnten Fälle auch an das Frontale, lateral an das Parietale und nach hinten an das Exoceipitale. Die Nasalia der Cyprinoiden sind ohne Ausnahme sehr kleine, von dem Anfangstheil des Hauptschleimkanales durchzogene Knö- chelchen, die zu beiden Seiten des Ethmoid dicht über den Nasen- gruben liegen und gegenüber den besser ausgebildeten Nasalien der Characiniden einen durchaus rudimentären Eindruck machen. Das Letztere gilt in vollem Maße auch von den Extrascapu- laria, die auf kleine, am hinteren Rande der Squamosa gelegene Knochenschiippchen reducirt erscheinen. Die Suprascapularia sind länglich lancettförmige Knochen, die längs dem hinteren Rande des Exoceipitale und Squamosum liegen und die den Eingang zur häufig ganz redueirten Temporal- höhle überdachen. Bei Catostominen, deren Temporalhöhle statt nach hinten lateral ausmündet, liegt auch das Suprascapulare längs dem hinteren Rande der Ausmündungsöffnung. Der bei vielen an- deren Fischen an diesen Knochen zu beobachtende untere, nach vorn gerichtete Fortsatz, der sich mit dem Intercalare verbindet, fehlt bei Cyprinoiden spurlos. An der oberen Fläche des Kopfes begegnen wir einem System von Schleimkanälen, das im Wesentlichen die bei Charaeiniden ausführlich besprochene Anordnung zeigt; namentlich stimmt Homa- loptera in dieser Beziehung fast vollständig mit den Charaeiniden überein. Wie bei den letzteren ist der Hauptkanal des Schädels zwischen dem hinteren Winkel des Frontale und dem vorderen des ! Vgl. meine Arbeit über das Cranium von Amia calva. Morph. Jahrb. Bd. IX. pag. 180. 33% 508 M. Sagemehl Squamosum durch das sich zwischenschiebende Postfrontale breit unterbrochen. Bei den meisten Barbiden sehen wir diesen unter- brochenen Zusammenhang sekundär durch Ausbildung von anasto- mosirenden Ästen wieder hergestellt. In nicht seltenen Fällen, wie z. B. bei Abramis, sieht man außerdem den schon bei Amia vor- handenen, direkt nach hinten im Parietale verlaufenden Nebenast sich so weit nach hinten verlängern, dass er den in den Parietalia verlaufenden queren Kommissuralkanal erreicht und mit demselben eine Kommunikation eingeht. Die Lage dieses Schleimkanalsystems ist eine sehr verschiedene. Bei vielen Barbiden, bei Homaloptera und bei Botia unter den Co- bitidinen liegen die Schleimkanäle tief in der Substanz der Knochen, ohne an deren Oberfläche zu prominiren. Das Letztere beobachtet man bei anderen Barbiden, wie z. B. sehr schön bei Abramis, bei dem dieses Schleimkanalsystem aus Knochenröhren besteht, welche auf der Oberfläche der Schädeldecke liegen und deren Knochen eine eigenthümliche Skulptur verleihen. Bei Catostominen endlich, deren Kopf von einer auffallend dieken Haut bekleidet wird, haben sich diese Schleimkanäle von ihrer knöchernen Unterlage vollkommen abgelöst und stellen nun ein vollständig im Integument verlaufendes System von Röhren vor, welche eine eigene, sehr dünne knöcherne Hülle besitzen. Es ist dieses das Nervenskelet von STAnNIUs, dessen Entstehung in der hier geschilderten Weise zu denken ist. Das ur- sächliche Moment für diese Ablösung der Schleimkanäle aus den Knochen ist, wie ich das schon in der Beschreibung der Characiniden- schädel hervorgehoben habe, in dem Umstande zu suchen, dass die Schleimkanäle, um ihre Funktion als specifische Sinnesorgane er- füllen zu können, eine gewisse Tiefe unter dem Niveau der äußeren Haut nicht überschreiten können und sich daher bei der Verdiekung der Cutis und dem in die Tiefe rücken der Knochen von den letz- teren ablösen. Zu den dermatogenen Ossifikationen der Schädelbasis gehören das Parasphenoid und der Vomer, die in der Familie der Cyprinoiden niemals zahntragend angetroffen werden. Das Parasphenoid (Ps) erstreckt sich von der Höhe der Ant- orbitalfortsätze an bis zum vorderen Abschnitt oder bis zur Mitte des Occipitale basilare. So weit nach hinten wie bei vielen anderen Tele- ostiern, nämlich bis zum hintersten Ende der Schädelbasis, kann es sich schon aus dem Grunde nicht erstrecken, weil dieses hinterste Ende des Schädels von dem bekannten Pharyngealfortsatz (ph) eingenommen Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 509 wird. Doch auch in den seltenen Fällen, wo ein Pharyngealfortsatz kaum ausgebildet ist und wo dieses Hindernis somit nicht besteht, wie bei Homaloptera und Botia, reicht das Parasphenoid nicht bis zum hinteren Ende der Schädelbasis und lässt, da ein plausibler Grund für dieses bei Teleostiern nicht gewöhnliche Verhalten nicht nachzuweisen ist, den Schluss nicht ungerechtfertigt erscheinen, dass in diesen Fällen ein Pharyngealfortsatz bestanden hat und redueirt worden ist (Taf. XXIX Fig. 2 und 8). Der schmale, zwischen den Orbitae gelegene Theil des Para- sphenoid besitzt in nicht seltenen Fällen eine scharfe Längsleiste zur Insertion des Muse. adductor arcus palatini. In seltenen Fällen gewinnt dieser Theil des Parasphenoid Beziehungen zu dem bei vielen Cyprinoiden entwickelten unpaaren Interorbitalseptum und nimmt an der Bildung desselben zusammen mit dem Orbitosphenoid Theil. So sehe ich es bei einigen exotischen Barbusarten, und be- sonders schön bei Amblyrhynchichthys, der unter den von mir unter- suchten Formen überhaupt das ausgebildetste Interorbitalseptum be- sitzt (Taf. XXVIII Fig. 7). Hinter den Orbitae verbreitert sich das Parasphenoid ziemlich plötzlich, um sich sodann wieder ganz allmählich bis zu seinem hintersten Ende zu verschmälern. Es kann keinem Zweifel unter- liegen, dass wir in dieser plötzlichen Verbreiterung des Parasphenoid hinter den Orbitae eine Reminiscens an die bei Knochenganoiden so ausgebildeten aufsteigenden Seitenflügel des Parasphenoid zu er- blicken haben. An der hinteren Grenze der Orbitae findet man zum mindesten angedeutet eine Querleiste, die den Pharyngobranchialia des ersten Kiemenbogens zur Anheftung an den Schädel dient und an welcher eigentlich der ganze Kiemenkorb hängt (Taf. XXVIII Fig. 9). Bei einigen Gattungen, wie z. B. bei Cyprinus, Abramis und Catostomus, erlangt diese Leiste eine ganz beträchtliche Ausbil- _ dung (Taf. XXVIII Fig. 1), und bei den Gattungen Barbichthys und Selerognathus endlich springt sie in zwei starken lateralen Fort- sätzen vor. Das hintere Ende des Parasphenoid läuft gewöhnlich ganz flach aus oder ist in geringem Maße konvex gewölbt. Seltener ist es mehr oder weniger tief rinnenartig ausgehöhlt für den Anfangstheil der Aorta, der in dieser Rinne verläuft und dann den Pharyngealfortsatz durchbohrt; einer solchen rinnenartigen Aushöhlung des hinteren Endes des Parasphenoid begegnen wir bei der Gattung Leuciscus und in besonderer Ausbildung bei Abramis. 510 M. Sagemehl Wie bei den verwandten Characiniden, so sehen wir auch bei den Cyprinoiden den Vomer (Vo) mit seinem vorderen Abschnitt Beziehungen zum Primordialeranium eingehen und den ursprünglich knorpeligen Boden der Nasengruben verknöchern. Die Gestalt des Vomer ist vorn breit und verschmälert sich all- mählich nach hinten; in seltenen Fällen ist er vorn und hinten gleich breit und besitzt somit die Gestalt einer viereckigen Platte; so finde ich ihn bei Rasbora und Leptobarbus. Ganz konstant besitzt er an seinen vorderen Ecken zwei lateral und gewöhnlich auch etwas ab- wärts gerichtete Vorsprünge, deren Enden von eigenen Ossifikationen eingenommen werden, den Septomaxillaria (Sm). Sehr eigenthümlich verhält sich der Vomer der Cobitidinen, der sich eben so wie das Ethmoid stark nach hinten verschmälert und sich an einer kleinen Stelle dem Parasphenoid von unten anlagert (Taf. XXIX Fig. 2 und 6); mit dem letzteren ist er nur durch Bandmasse locker verbunden. Auf diese Weise entsteht, da auch das Ethmoid mit den Praefrontalia und den Frontalia beweglich ver- bunden ist, eine Art von Gelenk, dessen Achse durch das Gelenk selbst geht und annähernd vertikal steht. Bei Botia macracanthus (Taf. XXIX Fig. 8), bei welcher Vomer und Ethmoid sich verhält- nismäßig am wenigsten von der gewöhnlich bei Cyprinoiden anzu- treffenden Form abweichen, ist die Beweglichkeit des vorderen Schädelendes auch am geringsten. Beträchtlicher wird dieselbe schon bei Botia M’Clellandii, und bei unseren einheimischen Cypri- noiden ist diese Beweglichkeit eine sehr beträchtliche, so beträgt sie z. B. bei Misgurnus fossilis nach jeder Seite bis 30°. Diese, meines Wissens in der ganzen Reihe der Wirbelthiere einzig dastehende Abgliederung eines Schädelabschnittes vom übrigen Cranium ist, wie ich glaube, als eine Anpassung des vorderen Schädelabschnittes an die sehr bewegliche und mit außerordentlich zahlreichen Sinnes- knospen und Nerven ausgestattete, zum Wühlen und Tasten in Sand | und Schlamm eingerichtete Schnauze der Cobitididen aufzufassen. Es ist, wie ich glaube, hier der passende Ort, die kleinen Ossi- fikationen zu erwähnen, welche den vorderen lateralen Ecken des Vomer aufsitzen und welche den an dieser Stelle sitzenden lateralen Condylen, die mit dem Palatinum und vermittels eines Zwischen- knorpels mit dem Maxillare artikuliren, eine größere Solidität ver- leihen, als dieses durch bloßen Knorpel zu erreichen wäre. Diese kleinen Ossifikationen sind, wie ich glaube, den von BrıpGe und von mir bei Amiaals Septomaxillaria (Sm) beschriebenen Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 3 Te Ossifikationen, mit welchen sie die Beziehungen zu den Maxillaria theilen, als homolog zu betrachten; die bei Cyprinoiden bestehende Beziehung zum Palatinum ist dann als etwas sekundär Erworbenes anzusehen, was in so fern auch mit den Thatsachen ganz gut stimmt, als bei Cyprinoiden außer diesem Gelenk zwischen Septo- maxillare und Palatinum noch die gewöhnliche, an der unteren Fläche des Präfrontale gelegene Artikulation des Palatinbogens mit dem Cranium anzutreffen ist. Bei Characiniden war keine Spur eines Septomaxillare anzu- treffen, und es verhalten sich in dieser Hinsicht die Cyprinoiden, die einen näheren Anschluss an die bei Amia bestehenden Verhält- nisse gestatten, primitiver als die ersteren. Über das Septomaxillare ist sonst wenig zu bemerken. Ge- wöhnlich stellt es ein größeres oder kleineres rundliches Knöchel- chen vor, dessen Gelenkfläche einen Knorpelüberzug besitzt. In gewissen Gruppen der Cyprinoiden, nämlich bei Leuciscinen und den Abramidinen, kann es sogar in seltenen Fällen fehlen, wie z. B. bei Abramis, Tinea, Chondrostoma, und dann durch einen einfach knorpeligen Condylus ersetzt sein. Wir schreiten nun zur Beschreibung des von seinen Belegkno- chen, den Frontalia, Parietalia und Parasphenoid entblößten Schädels. Die Decke dieses Primordialschädels ist ganz eben so wie bei den Characiniden von zwei großen Fenstern eingenommen, die von einander durch eine in der Höhe der Alisphenoidea von einer Seite zur anderen, dicht unter dem von der Frontalia gebildeten Dache, quer verläuft. Diese Querspange ist bald annähernd gerade ge- streckt und nur in geringem Maße nach hinten konvex, bald ist sie stark nach hinten gestreckt und besitzt die Gestalt eines V, wie z. B. an dem abgebildeten Cranium von Barbus vulgaris (Taf. XXIX Fig. 13). Wie bei den Characiniden, so besitzt diese Knorpelspange (ep) auch bei Cyprinoiden ganz konstante Beziehungen zur Epiphysis cerebri, deren distales Ende sich an derselben inserirt. Diese Epi- physarleiste stellt den letzten Rest der ursprünglich knorpeligen Decke des Primordialschädels dar, und verdankt ihre Erhaltung möglicher- weise nur dem Umstande, dass längs ihrem Rande einige bedeutende Gefäße verlaufen, welche auf den Epiphysarsack umbiegen und dem- > folgend, zum Gehirn gelangen; auch die Epiphyse der Fische würde in diesem Falle hauptsächlich eine Bedeutung als Bahn haben, auf welcher Blutgefäße zum Gehirn gelangen.; 512 M. Sagemehl Das vordere schmiilere und kürzere Fenster des Schädeldaches ist allseitig von einem knorpeligen Rande umgeben, der namentlich bei Catostominen eine ziemlich bedeutende Breite besitzt, und wird vorn vom Ethmoid, lateral von den Praefrontalia, dem Orbitosphe- noid und dem vorderen Theil des Alisphenoid begrenzt. Gegen die größere hintere Lücke des Schädeldaches wird die vordere durch die Epiphysarspange abgegrenzt. Diese hintere Lücke wird lateral vom Postfrontale und hinten vom Occipitale superius begrenzt; doch bleibt zwischen diesen beiden Knochen fast ganz konstant eine vier- eckige größere Knorpelplatte bestehen, die einen unverknöcherten Rest des Primordialschädels vorstellt, und die von außen bei Cato- stominen in der Tiefe der Temporalhöhle, bei den Barbiden von der Subtemporalhöhle aus zu erreichen ist. Nur in seltenen Fällen, bei sehr weit vorgeschrittener Ossifikation des Schädels, wie z. B. bei Cobitis und Verwandten, vermisst man diese Knorpelplatte, und es stoßen dann Postfrontale und Occipitale superius am Rande des hinteren Schädeldachfensters in einer Naht zusammen. Wie man aus der gegebenen Beschreibung ersehen kann, stimmen die Ver- hältnisse des Primordialschädeldaches bei Cyprinoiden fast ganz genau mit den bei Characiniden angegebenen. Wir schreiten nunmehr zur Beschreibung der Occipitalregion der Cyprinoiden und beginnen mit dem Occipitale basilare (O2). Dieser Knochen lässt bei Cyprinoiden fast immer zwei Theile unterscheiden: den eigentlichen Körper des Knochens, welcher die Basis der Schädelhöhle in ihrem hintersten Abschnitt bildet und der sich an der Artikulation mit dem ersten Wirbel betheiligt und aus dem von dem Körper dieses Knochens abgehenden, nach unten und hinten gerichteten Pharyngealfortsatze (ph), der bei anderen Fischen nicht angetroffen wird und der, wenn er nicht bei einigen Cobitidi- den und bei Homaloptera rückgebildet wäre, als ein absolut untrüg- liches Kennzeichen des Cyprinoidenschiidels gelten könnte. Wir beginnen die Beschreibung mit dem Körper des Occipitale basilare, der bei Cyprinoiden nichts von dem gewöhnlichen Befunde Abweichendes bietet. Auch seine Verbindungen mit den benach- barten Ossifikationen sind die schon bei den Characiniden ange- gebenen. Die konische, zur Artikulation mit der vorderen Fläche des platten, nach vorn leicht konvexen ersten Wirbelkörpers die- nende Aushöhlung des Oceipitale basilare ist in vielen seitlich kom- primirt und bietet keinen runden, sondern einen ovalen Kontour; doch lässt das Occipitalgelenk sogar bei Cobitis, bei welchen der Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 513 erste rudimentäre Wirbelkörper dem vorderen Ende des zweiten in Gestalt eines Knopfes aufsitzt, keine höhere Differenzirung erkennen, und weist das gewöhnliche Verhalten auf. Der Pharyngealfortsatz tritt bei Cyprinoiden in drei verschie- denen Typen auf, die den Barbiden, den Catostomiden und den Cobitididen eigenthümlich sind; die vierte Subfamilie, die Homa- lopteriden, besitzen, wie ich schon mehrfach erwähnt habe, gar keinen Pharyngealfortsatz, an dessen Stelle wir am hinteren Rande des Occipitale basilare, dicht unter der konischen Aushöhlung, jeder- seits einen sehr kleinen spitzigen Knochenfortsatz finden. Der Pharyngealfortsatz der Barbiden (Taf. XXVIII Fig. 8, 9, 10 und 13) wird von zwei absteigenden Schenkeln gebildet, welche den Anfangstheil der Aorta zwischen sich fassen und sich unter der- selben zu einer rein horizontal oder schräg nach hinten und unten geneigten Knochenplatte vereinigen; nach hinten verschmälert sich die letztere und zieht sich in einen Fortsatz-aus, der bald seitlich, bald von oben nach unten komprimirt erscheint, und der zur Inser- tion von starken, zur Bewegung der unteren Schlundknochen dienen- den Muskeln benutzt wird. Der ganze Pharyngealfortsatz hat bei verschiedenen Gattungen eine verschiedene Stellung, die sich in offenbarem Connex mit der ganzen Gestalt des Schädels befindet. Bei sehr brachycephalen Schädeln steigt der Fortsatz ziemlich senk- recht nach unten und ist die Platte desselben annähernd horizontal gestellt und vertikal unter dem hinteren Ende des Occipitale basilare gelegen; während an langgestreckten Schädeln der Pharyngealfortsatz schräg nach hinten und unten gerichtet ist und auch die Platte des- selben, die unter die vorderen Wirbel zu liegen kommt, mehr schräg gestellt erscheint. In der an kurzen und langen Schädeln verschie- denen Lage des Kiemenapparates und der unteren Schlundknochen ist offenbar das ursächliche Moment für diese verschiedene Stellung des Schlundfortsatzes zu suchen. Über die absteigenden Schenkel der Pharyngealfortsätze, die bald breiter, bald schmaler sind, ist wenig zu bemerken. Die Platte wird am frischen Objekt von einer rundlichen, flachen Scheibe, von der Konsistenz eines Faserknorpels und von weißlicher Färbung eingenommen, welche frei in den Pharynx hineinragt und welche den unteren Schlundzähnen bei deren Kaubewegungen als Widerlager dient. Diese Kauscheibe, die von einigen Autoren als ein Zahn be- schrieben worden ist, hat mit Dentinzähnen nicht das geringste zu thun und ist einfach als eine eigenthümliche lokale Sclerosirung der 514 M. Sagemehl Pharyngealschleimhaut aufzufassen!. Die Größe dieser Kauscheibe und die entsprechende Größe der knöchernen Platte des Pharyngeal- fortsatzes richtet sich vollständig nach dem Charakter der Schlund- zähne und nach deren Bewegungsmodus; die breiteste Platte finden wir in der Gruppe der Cyprinina, die häufig breite, mit Kronen ver- sehene Schlundzähne besitzen, die Mahlbewegungen gegen die Kau- scheibe machen; schlank und relativ klein ist die Platte der Abra- midinen, die ausgeprägt spitze Schlundzähne besitzen, die sich gegen einander bewegen wie die Zähne zweier in einander greifender Kämme. Ähnlich wie bei den letzteren ist das Verhalten dieser Platte auch bei den Leptobarbinen, Rasborinen und Rhodeinen. Bei den meisten Leueiseinen ist sie ebenfalls schwach entwickelt und erlangt nur bei der Gattung Scardinius eine auffallende Ausbildung. Am schwächsten in der ganzen Subfamilie der Barbiden finde ich sie bei Amblyrhynchichthys (Taf. XXVIII Fig. 7). Der schon erwähnte, nach hinten gerichtete Muskelfortsatz des Pharyngealfortsatzes ist ebenfalls sehr verschieden ausgebildet und - dient jederseits einem nur in der Familie der Cyprinoiden anzu- treffenden Muskel zur Anheftung, der lateral und nach vorn zum unteren Schlundknochen zieht und der als Zurückzieher und zu glei- cher Zeit als Rotator der Schlundknochen fungirt. VETTER? hat diesen Muskel, in welchem ich ein Differenzirungsprodukt aus der Muskulatur des Pharynx zu sehen glaube (er wird nach VETTER von einem Zweig des Trunc. pharyngeus inferior vagi versorgt), als den Retractor dorsalis ossis pharyngei inferioris bezeichnet. Bei Catostominen (Taf. XXVIII Fig. 1, 2, 3, 4, 5) sehen wir, entsprechend der einfacheren Bezahnung der unteren Schlundknochen, welehe zahlreiche (60—100) in einer Reihe sitzende, wenig specia- lisirte Zähne besitzen, auch ein wenig primitivere Verhältnisse des Schlundfortsatzes bestehen als bei Barbiden. Wie bei den letzteren besitzt dieser Fortsatz ebenfalls absteigende Schenkel, die jedoch unter der Aorta keine kompakte knöcherne Platte bilden, sondern nur eine horizontal ausgebreitete, an ihren Rändern eingerollte, von zahlreichen Öffnungen siebartig durchbohrte Knochenlamelle tragen, die nach hinten in einen stumpfen, nicht deutlich differenzirten Muskelfortsatz ausläuft. Eine Bildung, die der Kauscheibe der 1 Vgl. über diese Bildung die Arbeit von Fr. HEINCKE, Untersuchungen über die Zähne niederer Wirbelthiere. Zeitschrift für wiss. Zool. Bd. XXII. 1873. 2 VETTER, |. c. pag. 511. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 515 Barbiden entsprechen würde, fehlt den Catostominen, und es zieht sich die Schleimhaut des Schlundes ziemlich unverändert, nur etwas glatter als an anderen Stellen, über diese poröse Knochenlamelle hinüber. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass dieses bei Ca- tostominen zu beobachtende Verhalten des Pharyngealfortsatzes gegen- über dem bei Barbiden beschriebenen als das indifferentere zu gelten hat. Die Unterschiede im Bau dieser Theile in den verschiedenen Gattungen der Catostominen sind geringe und haben für das vor- liegende Thema nur ein geringes Interesse '!. Bei den Cobitidinen treffen wir den Schlundfortsatz viel ein- facher gebildet als bei den eben abgehandelten Gruppen. Misgurnus fossilis besitzt zwei nach hinten und unten gerichtete, etwas platt- sedrückte, ziemlich lange Fortsätze des Occipitale basilare, welche die Aorta zwischen sich fassen, sich jedoch unter derselben nicht zu einer Platte verbinden. Diesem entsprechend streicht auch die Schleimhaut des Rachens über den Schlundfortsatz hinweg, ohne eine Kauscheibe zu bilden. Ähnlich wie Misgurnus verhalten sich auch die Gattungen Nemachilus und Cobitis (Taf. XXIX Fig. 6 und 18). Bei Acanthophthalmus sind die paarigen Knochenapophysen, welche den absteigenden Schenkeln des Pharyngealfortsatzes ent- sprechen, noch kürzer und schmäler als bei den eben beschriebenen; eben so bei der Gattung Botia (Taf. XXIX Fig. 4 und 8), nament- lich: bei B. M’Clellandii, bei welcher sie zwei kleine, die Aorten zwischen sich fassende Knochenzacken vorstellen. Man könnte diese bei Cobitiden bestehenden Verhältnisse für sehr primitive ansehen und von ihnen aus die Bildung des Pharyn- gealfortsatzes ableiten wollen. Die Erwägung jedoch, dass die kleinen paarigen Knochenapophysen, wie wir sie bei einigen Cobiti- dinen antreffen, von gar keiner funktioneller Bedeutung sein können, lässt es für wahrscheinlich erscheinen, dass wir es hier mit Theilen zu thun haben, die nicht in der Ausbildung, sondern die in der Rückbildung begriffen sind. Auch die als rudimentär zu betrachtende ! Ich will nicht unterlassen, hier zu bemerken, dass nach VALENCIENNES der Pharyngealfortsatz bei den Catostominen, Carpiodes eyprinus Dee. auf die absteigenden Schenkel beschränkt ist und dass bei demselben die poröse La- melle der übrigen Formen dieser Gruppe fehlen soll. Bei der außerordentlich nahen Verwandtschaft, die zwischen Carpiodes und Sclerognathus besteht, bei welchem letzteren ich das gewöhnliche Verhalten antraf, halte ich diese An- gabe für sehr unwahrscheinlich und möchte eher glauben, dass die poröse, sehr fragile Platte an dem von VALENCIENNES untersuchten Skelette abgebrochen war (CUVIER et VALENCIENNES, |. c, T, XVII pag. 476), 516 M. Sagemehl Bezahnung der unteren Schlundknochen bei Cobitidinen, die, wie wir gesehen haben, in direkter Proportion zur Ausbildung des Schlund- fortsatzes steht, spricht dafiir, dass derselbe in dieser Gruppe eine rudimentiire Bildung vorstellt. Ein drittes Argument fiir diese An- sicht ist schon erwähnt worden; es ist das die bedeutende, schein- bar unmotivirte Verkürzung des Parasphenoid an seinem hinteren Ende bei Cobitidinen und Homalopterinen, die, wie ich glaube, darauf hinweist, dass früher dort ein Schlundfortsatz existirt hat. Die topographische Lage des Pharyngealfortsatzes ist eine der- artige, dass man zuerst unwillkürlich an einen unteren Bogen er- innert wird, der die Aorta umschließt. Es macht diese Anschauung auch um so weniger Schwierigkeiten, als es ganz sicher ist, dass der Occipitalregion der Knochenfische direkte Wirbel eingeschlossen sind, und dieser untere Bogen somit nicht einmal dem Cranium selbst anzugehören braucht. Zu Anfang meiner Untersuchung des Cyprinoidenschädels neigte ich auch zu dieser Auffassung, doch bald fand ich gewichtige Gründe, | die gegen dieselbe sprachen. Vor Allem war es nicht zu verstehen, | wie ein unterer Bogen in dieser Region nur zur Umschließung der Aorta benutzt wurde, was sonst nur aus der Schwanzregion bekannt | ist, während die diesen Bogen homodynamen Gebilde in der Rumpf- region nur zur Umschließung der ganzen Leibeshöhle benutzt werden. Zweitens konnte ich durch Untersuchung von jungen, eben ausge- schlüpften Exemplaren von Chondrostoma nasus, deren Chondrocranium schon ziemlich entwickelt war, feststellen, dass der Pharyngealfortsatz | nicht knorpelig präformirt ist und somit aller Wahrscheinlichkeit nach | erst später durch Ossifikation von Bindegewebe entsteht. Da die späteren Stadien dieser Brut mir zu Grunde gingen, so kann ich leider keine genaueren Angaben über die Entwicklung dieses Fort- satzes machen; nur so viel steht fest, dass er im Gegensatz zu unteren Bogen, die immer knorpelig präformirt sind, als Binde- gewebsossifikation sich bildet. | Ein Licht auf die morphologische Bedeutung des Pharyngeal- | fortsatzes scheint mir der von mir beschriebene Befund bei Chara- ciniden zu werfen, bei welchen vom hinteren Ende der Schädelbasis ein starkes Ligament zur Schwimmblase verläuft, welches die Aorta mit zwei Schenkeln umfasst und welches dicht über der Schleimhaut des Schlundes gelegen ist. Die topographische Lage dieses Liga- mentes ist somit genau die des Schlundfortsatzes der Cyprinoiden, und das eine Ossifikation desselben nichts Undenkbares ist, lehrt uns Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 517 Citharinus, bei welchem eine Ossifikation sich auf das Ligament erstreckt, die allerdings vom Parasphenoid ausgeht und nicht vom Oceipitale basilare, wie bei den Cyprinoiden. Der letzte Grund für die Ausbildung des Schlundfortsatzes ist in der Ausbildung der starken unteren Schlundzähne und in der Differenzirung des den Cyprinoiden eigenthümlichen, von WEBER entdeckten sogenannten kontraktilen Gaumenorgans zu suchen, das, wie ich glaube, zum Abtasten resp. Schmecken der aufgenommenen Bissen und durch seine Kontraktionen zum Verschlingen derselben dient. Diese kontraktile, verdickte, sehr muskulöse und nerven- reiche Partie der Gaumenschleimhaut überzieht die ganzen dorsalen Abschnitte der Kiemenbögen, die Pharyngo- und Epibranchialia, die sonst bekanntlich die oberen Schlundknochen, die den unteren als Antagonisten dienen, bilden. Auf diese Weise wird für die un- teren Schlundknochen die Veranlassung gegeben, sich ein neues. hinter dem Gaumenorgan gelegenes Widerlager zu suchen, und es wird nun zu diesem Zwecke das von der Basis cranii zur Schwimm- blase ziehende Ligament benutzt, das der ihm aufliegenden Schleim- haut eine gewisse Stütze abgiebt, und durch dessen Verknöcherung schließlich der Schlundfortsatz entsteht. Die Occipitalia lateralia der Cyprinoiden bieten in ihrer ganzen ’ Gestaltung wenig von dem bei Characiniden beschriebenen Abwei- chendes dar. Wie bei den letzteren kann man an diesen Knochen eine laterale und eine nach hinten sehende Fläche unterscheiden, die in einer Kante zusammenstoßen. Während nun diese Kante bei den Catostomiden (Taf. XXVIII Fig. 4), den Cobitididen und Homa- lopteriden (Taf. XXIX Fig. 3) ihren einfachen Charakter bewahrt, erhebt sich von ihr aus in der Subfamilie der Barbiden eine dünne Knochenlamelle, die nach unten und hinten gerichtet ist und welche die laterale von der hinteren Fläche des Schädels scharf scheidet. Am stärksten ist diese Knochenlamelle, welche, wie es scheint, hauptsächlich zur Vergrößerung der Insertion des Seitenrumpfmuskels am Schädel dient, bei den Gattungen Cyprinus, Carassius, Labeo und Amblyrhynchichthys entwickelt, doch fehlt sie auch den anderen Gattungen der Barbiden nicht und ist für die letzteren sehr charak- teristisch. Die hintere Fläche des Oceipitale laterale wird zum größten Theil von der bekannten großen lateralen Oceipitalöffnung, welche für das Cyprinoideneraninm so außerordentlich charakteristisch ist und die allen Autoren, welche über den Schädel dieser Fische 518 M. Sagemehl geschrieben haben, aufgefallen ist. Diese Öffnung ( fo), welche lateral von dem eigentlichen Hinterhauptloch, das für das Rücken- mark bestimmt ist, liegt, und von dem letzteren häufig nur durch eine schmale Spange des Occipitale laterale geschieden ist, fehlt nur der Gattung Homaloptera spurlos (Taf. XXIX Fig. 3); ihre Stelle wird bei dieser aberranten Cyprinoidenform durch eine leichte Grube an der hinteren Fläche des Occipitale laterale bezeichnet. Die Größe und die Gestalt der lateralen Hinterhauptsöffnung varürt in gewissen Grenzen. Bei den Barbiden hat dieselbe die Gestalt eines Ovals, dessen längere Achse entweder senkrecht oder schräg von oben lateral nach unten medial gerichtet ist. Stets übertrifft sie das Foramen occipitale magnum um ein Mehrfaches, ja bei Am- blyrhynchichthys, der von allen untersuchten Cyprinoiden die größte Öffnung besitzt, beträgt ihr längerer Durchmesser das Vierfache, ihr kürzerer das Dreifache der Höhe der Hinterhauptsöffnung. Ähnlich wie die Barbiden verhalten sich auch die Catostomiden (Taf. XX VII Fig. 4). In der Gruppe der Cobitididen ist diese laterale Hinterhaupts- öffnung beträchtlich kleiner als bei den eben betrachteten und hat eine rundliche Form; bei Botia (Taf. XXIX Fig. 4) ist sie sogar kleiner als das Foramen oceipitale magnum, welches letztere aller- dings bei den Cobitididen relativ viel breiter ist als bei den übrigen ' Cyprinoiden. Die physiologische und morphologische Bedeutung dieser lateralen Hinterhauptsöffaung soll uns noch später ausführlich beschäftigen, und will ich hier nur erwähnen, dass dieselbe häufig dem Occipitalnerven zum Durchtritt dient. Die Occipitalia lateralia sitzen dem Occipitale basilare auf und verbinden sich außerdem noch mit folgenden Knochen: nach vorn mit dem Petrosum;; nach oben an der lateralen Fläche mit dem Squamosum. An der hinteren Fläche des Schädels mit dem Exoceipitale und dem Occipitale superius. Wenn ein Interealare nicht ganz rudimentär ist, so liegt es in der Naht zwischen Squamosum und Exoceipitale und grenzt nach unten ebenfalls an das Oceipitale laterale (Taf. XXIX Fig. 14—17). In der hinteren Mittelnaht verbindet sich das Ocei- pitale laterale über dem Hinterhauptsloche in einer ziemlich langen Naht, die häufig durch einen breiteren Knorpelstreifen ersetzt wird, mit seinem Antogonisten. Von dem eben beschriebenen Verhalten bieten die Barbiden in so fern eine Ausnahme, als sich bei ihnen über dem hinteren Theil der Labyrinthregion und dem vorderen Theile der Occipitalregion eine große kappenförmige, nach unten gerichtete Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 519 Aushöhlung ausbildet, die Subtemporalhöhle (stg), in deren Tiefe das Exoccipitale sichtbar wird, das sich an der Stelle noch einmal mit dem Oceipitale laterale verbindet; diese Naht zwischen den bei- den erwähnten Knochen ist von der an der Hinterfläche des Crani- um zwischen denselben Knochen sich befindenden durch einen Theil des Squamosum getrennt. Eine Erklärung für dieses ganz eigen- artige Verhalten, das auf den ersten Blick ganz unverständlich ist, kann erst bei der Betrachtung der Subtemporalhöhle und bei der Er- örterung über deren muthmaßliche Entstehung gegeben werden. Im Inneren des Cavum cranii verbinden sich die Oceipitalia lateralia über dem Oceipitale basilare durch horizontal gelagerte dünne Kno- chenlamellen mit einander, so dass der letztere Knochen von der Begrenzung der Hinterhauptsöffnung eben so wie bei den Characini- den ausgeschlossen ist. Das Occipitale superius (So) ist nach hinten sehr gewöhnlich in eine mehr oder weniger lange Spina oceipitis ausgezogen, die sich auch weiter nach unten hin über den Knochen als eine, aus einer dünnen Knochenlamelle bestehende Crista fortsetzt. So ausgebildet wie bei den meisten Charaeiniden ist dieser Knochenfortsatz bei den Cyprinoiden nicht anzutreffen, doch erreicht er immerhin bei ge- wissen Gattungen, namentlich bei Amblyrhynchichthys eine ganz be- trächtliche Länge (Taf. XXVIII Fig. 7). Ein vollständiges Fehlen oder doch jedenfalls eine sehr weit gehende Reduktion dieses Muskelfortsatzes wird in den Gruppen der Cobitidinen und Homa- lopterinen beobachtet (Taf. XXIX Fig. 9, 10, 11); in einzelnen Fällen, wie z. B. bei der Gattung Botia, entwickeln sich, wie schon erwähnt wurde, kompensatorisch für die fehlende Crista und Spina oceipitis zwei mächtige laterale Muskeleristen (Taf. XXIX Fig. 7). Die Verfolgung der Schicksale des Occipitale superius in der Reihe der Fische bietet so viel des Interessanten und eröffnet so überraschende Gesichtspunkte für die morphologische Auffassung des Cranium der übrigen Vertebraten, dass ich es mir hier nicht ver- sagen kann, das specielle Thema für einige Zeit zu verlassen und genauer auf einige Fragen mehr allgemeiner Natur einzugehen, auf welche ich durch das Studium der Fischschiidel, speciell des Occi- pitale superius derselben geführt worden bin. Bekanntlich kommt dieser Knochen ganz konstant allen Tele- ostiern zu, während er eben so konstant den Dipnoern und den Ganoiden fehlt, unter welchen die Gattung Amia sämmtliche, sonst bei Knochenfischen zur Beobachtung kommende Knochen besitzt. 520 M. Sagemehl Es sind nun für dieses sehr auffallende Verhalten zwei Er- klärungen möglich: entweder ist das Occipitale superius bei Dip- noern und Ganoiden, speciell den Knochenganoiden, die vor Allem in Betracht kommen, da sie den Teleostiern am nächsten stehen, vollständig zurückgebildet, oder aber es hat bei denselben nie exi- stirt und ist ein relativ junger Erwerb des Teleostierschädels. Um die erste Möglichkeit einer Rückbildung dieses Knochens anzunehmen, müsste der Nachweis geführt werden, dass die ganze Occipitalregion der Knochenganoiden gegenüber den Teleostiern rück- gebildet ist, oder dass die bei Teleostiern vom Occipitale superius eingenommene Region kompensatorisch von anderen benachbarten Knochen eingenommen wird, da sonst eine Rückbildung dieses Kno- chens nicht wohl denkbar ist. Das ist nun durchaus nicht der Fall, ja viel eher ließe sich das Gegentheil behaupten; die Oceipitalregion der Knochenganoiden ist in vielen Fällen länger als diejenige bei den meisten Teleostiern und entschieden gegenüber den letzteren nicht zurückgebildet, und die dem Occipitale superius zukommende Stelle wird bei Knochenganoiden von einem knorpeligen Felde ein- genommen, das sogar in einzelnen Fällen, wie z. B. bei Amia, einen nach hinten gerichteten knorpeligen Höcker besitzt, der eine knöcherne Spina occipitis vertritt. Um eine Rückbildung des Occi- pitale superius anzunehmen, musste man voraussetzen, dass dieser Knochen geschwunden wäre und dass an seine Stelle wiederum der Knorpel des Primordialschädels getreten wäre, was ganz unwahr- scheinlich und ganz beispiellos wäre. Es ist somit der Schluss gerechtfertigt, dass die Ganoiden nie- mals ein Occipitale superius besessen haben, und da die Stammform resp. Stammformen der Teleostier jedenfalls Ganoiden waren, wenn sie auch den lebenden vielleicht nicht nahe standen, so ist dieser Knochen als ein relativ junger Erwerb des Teleostierschädels anzu- sehen, der jedenfalls viel jünger ist als die anderen Knochen, die sämmtlich schon bei Ganoiden existirt haben, wie uns die jetzt lebende Amia lehrt. Dureh diesen Umstand wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Herkunft des Occipitale superius verhältnismäßig leicht nach- weisen lassen werde, bedeutend erhöht. Zunächst muss daran ge- dacht werden, dass das Occipitale superius eine Ossifikation ist, die bei den Knochenganoiden und bei den anderen Fischen, denen sie als Ossifikation des Cranium fehlt, durch einen dermalen Knochen, der hinter den Parietalien gelegen ist, repräsentirt wird. Obgleich a Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 521 eine solche Möglichkeit, dass nämlich eine Hautossifikation Be- ziehungen zum Primordialskelet gewinnen kann, von mehreren Seiten, namentlich von O. HerrwıG und KÖLLIKER, in Abrede gestellt wird, so hat doch GEGENBAUR'! diesen Vorgang für das Squamosum auf das klarste nachgewiesen. Später ist es mir möglich gewesen, das- selbe für eine Anzahl anderer Knochen zu beweisen: für die Prae- und Postfrontalia von Amia?, für das Ethmoid und den Vomer der Characiniden und Cyprinoiden und für das Squamosum dieser Fische®. Noch andere nicht veröffentlichte ganz ähnliche Fälle sind mir be- kannt, so dass dieser Vorgang nicht einmal mehr als ein ganz seltener und ungewöhnlicher betrachtet werden kann. Die Möglich- keit, dass das Occipitale superius der Teleostier, das bekanntlich immer durch Verknöcherung des Primordialschädels entsteht, bei Ganoiden ein bloßer Hautknochen ist, muss somit zugegeben wer- den, und in der That hat diese Annahme auf den ersten Blick etwas sehr Bestechendes. Bei genauerer Analyse der hier in Betracht kommenden Formen ergeben sich jedoch sehr gewichtige Bedenken gegen dieselbe. Unter den jetzt lebenden Ganoiden ist keine einzige Form be- kannt, die einen unpaaren, hinter den Parietalia gelegenen Knochen besitzt, von welchem das Occipitale superius der Knochenfische ab- zuleiten wäre. Bei Amia finden wir hinter den Parietalia nur zwei große Hautknochen, die von einem Schleimkanal durchsetzt werden und die, wie ich nachgewiesen habe, ganz zweifellos den Extra- scapularia der Teleostier homolog sind‘. Bei Polypterus, der in dieser Hinsicht gegenüber Amia ein primitiveres Verhalten bewahrt hat, finde ich dieselben Knochen durch vier Hautschilder repräsentirt, die ebenfalls von der Querkommissur des Schleimkanales durchzogen werden, und die sich dadurch als homolog den zwei Ossifikationen von Amia charakterisiren. Was hinter diesen vier Schildern bei Polypterus liegt, stellt zum Theil unzweifelhafte Ganoidschuppen vor, zum Theil Hautknochen, die unzweifelhaft dem Schultergürtel angehören; von einer dermalen Ossifikation, von welcher ein Occi- pitale superius ableitbar wäre, ist keine Spur zu finden. Ähnlich ! GEGENBAUR, Über das Kopfskelet von Alepocephalus rostratus. Morph. Jahrb. Bd. IV. Suppl. 2 Vgl. meine Arbeit: Das Cranium von Amia calva. Morph. Jahrb. Bd. IX. 1883. pag. 184. ® Das Cranium der Characiniden. Morph. Jahrb. Bd. X. 1884. pag. 59, 4]. c. pag. 181. Morpholog. Jahrbuch, 17. 34 522 M. Sagemehl wie Polypterus verhält sich auch Lepidosteus, der ebenfalls gut ausgebildete Extrascapularia, dagegen keine unpaare Ossifikation besitzt, die auf ein Occipitale superius zu beziehen wäre. Auch bei den schon entfernter stehenden Knorpelganoiden, von welchen Acei- penser und Scaphirhynchus in Betracht kommen, ist nichts von einem Occipitale superius zu entdecken, man müsste denn den vordersten Hautschild, welcher die Reihe der unpaaren dorsalen Schilder er- öffnet, für diesen Knochen ansehen, was schon durch die Lage des- selben hinter den von der Querkommissur des Schleimkanales durch- zogenen Knochen und durch die weite Entfernung desselben von der Occipitalregion des Schädels widerlegt wird. Eine genauere Untersuchung des Occipitale superius der Tele- ostier ergiebt weitere Gründe gegen eine Ableitbarkeit desselben von einer dermalen Ossifikation. Bei einer Durchmusterung einer größeren Reihe von Knochen- fischen findet man leicht Formen, bei welchen die dermatogenen Ossifikationen des Schädeldaches noch ihren ursprünglichen Charakter von Hautknochen ganz unzweideutig an sich tragen, sei es, dass sie noch mit Hautzähnen besetzt sind, wie bei einigen Siluroiden und bei Osteoglossum, sei es, dass sie durch ihre ganz oberflächliche Lage und die Skulptur ihrer Oberfläche sich als Hautknochen cha- rakterisiren, sei es endlich, dass sie Beziehungen zu Schleimkanälen bewahrt haben. Auf diesem Wege lässt sich der Nachweis des dermatogenen Ursprungs für das Ethmoid, die Frontalia, die Prä- und Postfrontalia, die Parietalia, die Squamosa, die Nasalia, die Extraseapularia ete. leicht führen. Nichts von Allem diesen trifft für das Occipitale superius zu; dieser Knochen besitzt niemals für Hautknochen charakteristische Skulpturen, und zeigt niemals Beziehungen zu Schleimkanälen. Eine scheinbare Ausnahme von dem eben Gesagten machen die Siluroiden, und zwar die mit knöchernen Bedeckungen des Kopfes versehenen Gattungen, indem es auf den ersten Blick den Anschein hat, als gehöre der mittlere, hinter den Frontalschildern gelegene unpaare, sich häufig: weit nach hinten erstreckende Schild dem Occipitale superius an, wie es in der That mehrfach von Autoren aufgefasst worden ist. Eine genaue Analyse der bei Welsen bestehenden Verhältnisse ergiebt zur’ Evi- denz, dass wir in diesem Knochen das Produkt einer Verschmelzung zwischem dem Occipitale superius und den Parietalia zu erblicken haben, und dass gerade der an der Oberfläche des Kopfes sicht- bare Theil dieses Knochens wahrscheinlich ganz den Parietalia Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 523 angehört!. Jedenfalls liefern die Siluroiden kein Argument zu Gun- sten der Annahme eines dermatogenen Ursprungs des Occipitale superius. Wenn man Alles zusammenfasst, so ergiebt sich, dass nicht nur kein einziger triftiger Grund für die Ableitung des Occipitale su- perius von einem Hautknochen angeführt werden kann, sondern dass die ganze Art des "Auftretens dieser Ossifikation in der Reihe der Knochenfische entschieden mit einer großen Wahrscheinlichkeit gegen diese Ableitung spricht, und ich bin überzeugt, dass Jeder, der sich längere Zeit mit dem Cranium der Fische beschäftigt, den Eindruck gewinnen muss, dass das Occipitale superius mit Hautknochen ge- netisch nicht zusammenhängt. Doch bevor wir uns mit diesem nega- tiven Resultat beruhigen und diesen Knochen in die Kategorie der »entogenen« Ossifikationen stellen, d. h. wie GEGENBAUR? treffend bemerkt hat, derjenigen Ossifikationen, für welche ein Mutterboden zur Zeit noch nieht nachweisbar ist, erscheint es der Mühe werth genau zu untersuchen, ob nicht doch irgend ein Anhaltspunkt für die Ableitung des Oceipitale superius existirt. Nach meiner Meinung ist nun in der That am Schädel von Amia eine Ossifikation vorhanden, und zwar eine ganz typische, welche die Veranlassung zur Entstehung des Oceipitale superius sehr wohl hätte abgeben können. Es ist das der freie Dornfortsatz, resp. die beiden Dornfortsätze, die den beiden bei Amia freien Occi- pitalbogen aufsitzen. Diese Dornfortsiitze, die ich früher schon be- schrieben habe, sind an jungen Exemplaren stäbchenförmige, nach oben zugespitzte Knéchelchen, die von einer knöchernen Scheide gebildet werden, welche im Inneren fettgefüllte Markräume und Reste von Knorpel umgiebt. Bei älteren Exemplaren verschmelzen beide Dornfortsätze zu einer dünnen, vertikal gestellten Knochen- lamelle. Diese Skelettheile liegen in der Fascie, welche sich von, der hinteren Fläche des Schädels, besonders von der knorpeligen, leicht nach hinten prominirenden Spina oceipitis, zu den Dornfort- sätzen der ersten Wirbel sich erstreckt, und welche die beiden Hälften des dorsalen Seitenrumpfmuskels trennt, fest eingeschlossen. Bei Lepidosteus, dessen beide Oceipitalbogen sowohl unter ein- ! Genaueres darüber in meiner nächsten Arbeit, welche das Cranium der Siluroiden zum Gegenstand haben soll. ? GEGENBAUR, Kopfskelet von Alepocephalus rostratus. Morph. Jahrb. Bd. IV. 34* 524 M. Sagemehl ander als auch mit dem Occipitale basilare verschmolzen sind und dessen einziger Oceipitalbogen in Folge dieser Entstehung aus zweien von einem Spinalnerven durchbohrt wird, vermisse ich freie Dorn- fortsätze, was auch nicht wunderbar ist, wenn man bedenkt, dass der hier geschilderte Befund in der Occipitalregion von Lepidosteus gegenüber Amia zweifellos als ein mehr umgebildeter angesehen werden muss. ; Auch bei Polypterus, der zwar einen freien, jedoch von einem Nerven durchbohrten Occipitalbogen besitzt, der morphologisch also zweien entspricht, finde ich keinen Dornfortsatz an diesem Bogen. Doch ist das, wie schon hervorgehoben ist, von geringem Be- lange, da die Verhiiltnisse von Amia jedenfalls primitivere sind als diejenigen der übrigen Knochenganoiden. In der Reihe der Knochenfische ist nun zum mindesten der erste von den bei Amia nachweisbaren Occipitalbogen mit dem Cra- nium verschmolzen, so dass der Nerv, welcher bei Amia zwischen dem Occipitale laterale und dem ersten Bogen austritt, nunmehr das erstere durchbohrt. Der Dornfortsatz des ersten Bogens, sowie auch der des zweiten ist nicht mehr nachweisbar, und statt dessen ist ein Occipitale superius aufgetreten. Es liegt nun entschieden sehr nahe, hier einen Zusammenhang anzunehmen und das Occipitale superius von einem Dornfortsatz, der den Oceipitalbogen angehörte und sammt dem ganzen Bogen dem Cranium assimilirt wurde, abzu- leiten. Um nicht vielleicht missverstanden zu werden, möchte ich mich noch ausdrücklich dagegen verwahren, als identificirte ich diesen Knochen mit einem Wirbeldornfortsatze, so wie es die Anhänger der alten Wirbeltheorie des Schädels thaten. Nach meiner Ansicht giebt der Processus spinosus, indem er sich an die knorpelige Spina oceipitis anlegt, die Veranlassung zur Entstehung einer zuerst peri- ostalen Ossifikation an dieser Stelle, die jedoch bald Beziehungen zur knorpeligen Unterlage gewinnt und, sich der Gestaltung der letz- teren anpassend, das Occipitale superius hervorgehen lässt. Das letztere charakterisirt sich schon durch seine Form, die in vielen Fällen, z. B. sehr schön bei Umbra, ein Polygon mit konkav eingebuchteten Seiten vorstellt, als ein Lückenbüßer, der eine unverknöcherte Stelle zwischen den Occipitalia lateralia und den Exoccipitalia, welche einen rundlichen Kontour besaBen, eingenommen hat, und weist schon durch diese Gestalt darauf hin, dass es jiinger ist als die eben er- wähnten Knochen. Wenn meine Auffassung des Oceipitale superius richtig ist, so Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 525 steht das Auftreten dieses Knochens, über dessen Homologie in der Reihe der Wirbelthiere kein Zweifel bestehen kann, mit der Assi- milation von diskreten Wirbeln in dem Bestand des ursprünglichen, mit dem Vagus abschließenden Cranium, wie wir es bei Selachiern antreffen, in engstem Zusammenhange, und dürfen wir bei Wirbel- thieren, deren Schädel diesen ursprünglichen Bestand gewahrt hat, kein Occipitale superius antreffen. Es ist leicht ersichtlich, dass über die Frage, ob ein solcher Zuwachs stattgefunden hat oder nicht, einzig und allein die Ver- hältnisse der Nerven Aufschluss geben können. Treten noch hinter dem Vagus Nerven, die den Charakter von Spinalnerven besitzen, aus dem Cranium aus, so hat natürlich, da wir uns auf andere Weise diesen Umstand unmöglich erklären können, eine Assimilation von Wirbeln zum ursprünglichen Selachiereranium stattgefunden; im entgegengesetzten Falle hat der Schädel seinen primitiven Bestand gewahrt. Diese Anschauung macht um so weniger Schwierigkeiten, als es längst bekannt ist, dass die zwei zunächst hinter dem Vagus liegenden Spinalnerven, ganz unabhängig davon ob sie durch den Schädel oder hinter demselben austreten, stets zu denselben, nach- weislich in der ganzen Reihe der gnathostomen Vertebraten homo- logen Muskeln verlaufen, nämlich zu der vorderen, zwischen Schulter- gürtel und Unterkiefer gelegenen Portion des Rectus abdominis und zu den von diesen Muskeln sekundär ableitbaren Muskeln der Zunge. Durch dieses konstante Verhalten wird die Homologie dieser Nerven für alle gnathostomen Vertebraten bewiesen. Meine oben gemachte Voraussetzung trifft nun in der That zu. Sämmtliehen Amphibien, deren Cranium mit dem Vagus abschließt, fehlt auch ein Occipitale superius, und dass das letztere nicht etwa bei der weitgehenden Reduktion der ganzen Occipitalregion der Amphibien verloren gegangen ist, sondern niemals bestanden hat, wird durch den Umstand bewiesen, dass seine Stelle in nicht sel- tenen Fällen von einer Knorpelplatte eingenommen wird. Die Am- phibien, welche unter den Vertebraten mit verknöcherten Schädeln die einzigen sind, welche den primitiven Selachierbestand des Schä- dels bewahrt haben, liefern in diesem Verhalten eine Bestätigung meiner Auffassung, wie sie beweisender gar nicht gewünscht werden könnte. Es ist außerdem eine äußerst bemerkenswerthe Thatsache, dass bei Amphibien auch das Oceipitale basilare konstant fehlt und, eben so wie der eben erwähnte Knochen, durch eine bisweilen sogar ziemlich beträchtliche Knorpelplatte repräsentirt wird. Dieses Ver- 526 M. Sagemehl halten scheint mir ganz zweifellos darauf hinzuweisen, dass auch das Oceipitale basilare ursprünglich dem Schädel der Vertebraten fremd ist und von Wirbelkörpern abzuleiten ist, die mit dem erste- ren verschmelzen. Umgekehrt kommt denjenigen Wirbelthieren, die noch einen oder mehrere hinter dem Vagus das Cranium verlassende Nerven besitzen, auch ganz konstant ein Occipitale superius zu; in diese Kategorie gehören die Amnioten und die größte Mehrzahl der Kno- chenfische. Diese beiden, nach ihrem Bestande und nach ihrem morpho- logischen Werth verschiedenen Typen des Wirbelthierschädels möchte ich scharf von einander trennen und den ersteren Typus als den protometameren, den zweiten als den auximetameren Typus be- zeichnen. Zwischen den beiden bei den höheren Vertebraten scharf fixirten Typen liegt in den niedrigeren Abtheilungen bei Dipnoern und Ganoiden eine bunte Reihe von Formen, wo noch Alles im Fluss ist und wo uns die mannigfaltigsten Verhältnisse entgegentreten. Vor Allem sind es die Knochenganoiden, die in dieser Frage unser Interesse in Anspruch nehmen. Die Körper der beiden, dem Schädel einverleibten Wirbel sind mit dem ersteren vollständig ver- wachsen und haben einem Occipitale basilare die Entstehung ge- geben, während die Bogen derselben, die überdies bei Polypterus und Lepidosteus mit einander zu einem einzigen verschmolzen sind, frei geblieben sind. Diesem entsprechend sehen wir auch ein Occi- pitale superius fehlen und die beiden ersten, einem Hypoglossus entsprechenden Nerven nicht durch das Occipitale laterale, sondern den ersten zwischen dem letzteren und dem ersten Bogen, den zweiten zwischen den beiden Bogen resp. durch den einzigen Occi- pitalbogen durchtreten. Von hier aus sind die mannigfaltigen Verhältnisse der Knochen- fische leicht zu verstehen. Bei diesen sehen wir den ersten der bei Amia vorhandenen beiden Occipitalbogen konstant mit dem Cranium sich verbinden ; die Bogenstücke desselben verbinden sich mit dem Oceipitale laterale, welches nun vom ersten Occipitalnerven durch- bohrt wird, während der Dornfortsatz innige Beziehungen zur knor- peligen Spina oceipitis gewinnt und das Verknöcherungscentrum für das Oceipitale superius abgiebt. Die Schieksale des zweiten Bogens sind sehr verschiedene. Bei einer Anzahl von Physostomen, wie z. B. beim Hecht, Lachs, bei Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 527 Clupeiden bleibt er ziemlich unverändert bestehen, während er bei den Ostariophysen, wie ich schon ausführlicb erörtert habe, zum sog. Stapes wird. In der Familie der Cyprinodonten verschmilzt er mit dem Schädel eben so wie der erste Bogen, so dass hinter dem Vagus zwei Ner- ven durch das Oceipitale laterale treten ; ähnlich verhalten sich auch die Scomberesoces. In anderen Fällen, wie z. B. bei Umbra, bei einigen Scopeliden u. a. wird der zweite Occipitalbogen einfach reducirt, und sehen wir den zweiten Occipitalnerven zusammen mit dem ersten Spinal- nerven zwischen Schädel und erstem Wirbelbogen austreten. In noch anderen Gattungen, wie z. B. bei Perca, treten beide Occi- pitalnerven durch das Occipitale laterale ganz dicht bei einander aus, indem die zwischen den beiden liegende, den ersten Occipital- bogen vorstellende Knochenspange ganz reducirt erscheint. Noch weiter ist der Vorgang bei den Gadoiden vorgeschritten, deren Occi- pitalregion bedeutend verkürzt erscheint; in dieser Familie ist auch die zweite, dem hinteren Occipitalbogen gehörige Spange geschwun- den, und tritt der einzige, aus beiden verschmolzenen Occipitalnerven bestehende Stamm zusammen mit dem ersten Spinalnerven, dem er dicht anliegt, zwischen Cranium und erstem Wirbelbogen aus. So- mit bestehen scheinbar bei den Gadoiden keine Occipitalnerven, und könnte der, auch bei einigen anderen Fischen anzutreffende Befund als Argument gegen meine hier dargelegte Theorie ange- führt werden, wenn nicht die Betrachtung dieser Verhältnisse im Zusammenhange mit den übrigen Befunden bei Teleostiern hier eine nachträgliche Reduktion des hinteren Randes des Occipitale laterale klar stellte. Weiter auf die Details in der Bildung der Occipitalregion der Knochenfische, über die bisher so gut wie nichts bekannt ist, ein- zugehen, hätte an dieser Stelle keinen Zweck. Eine genaue Schilde- rung derselben soll in den speciellen monographischen Bearbeitungen des Teleostierschädels gegeben werden. Um noch einmal Alles zu rekapituliren, so bin ich der Ansicht, dass eine komplette Homologie des Cranium bei allen Wirbelthieren nicht besteht, sondern dass wir bei der Betrachtung des Schädels zwei Typen zu unterscheiden haben, den protometameren und den auximetameren. Der erstere Typus, dessen Zusammensetzung aus metameren Stücken von GEGENBAUR für den Selachierschädel klar bewiesen worden ist, wird durch Selachier und Amphibien repräsentirt. 528 M. Sagemehl Indem diesem Cranium, das mit dem Vagus abschließt, zwei diskrete typische Wirbel! angefügt werden, leitet sich das zum zweiten Ty- pus gehörige Cranium ab, welches den Teleostiern und den Am- nioten eigen ist. Dieses Cranium zeichnet sich durch den Umstand aus, dass es nicht mit dem Vagus abschließt, sondern hinter dem- selben noch einen oder zwei diskrete, nach dem Typus von Spinal- nerven gebildete Hirnnerven besitzt. Außerdem besitzt es in der Occipitalregion zwei Ossifikationen mehr als das ossifieirte proto- metamere Cranium, die auf Theile der einverleibten Wirbel zurück- zuführen sind: das von einem Dornfortsatz ableitbare Occipitale superius, und das Occipitale basilare, das von einem Wirbelkörper abstammt. Diese beiden Schädeltypen werden durch Übergangsformen, die namentlich unter Ganoiden und Dipnoern und zum Theil noch unter Teleostiern angetroffen werden, mit einander kontinuirlich verbunden, so dass sich der Vorgang des Anschlusses von Wirbeln in das Cra- nium Schritt für Schritt verfolgen lässt. Die letzte Ursache für den in dem einen Falle erfolgenden, in dem anderen ausbleibenden Anschluss von Wirbeln an den ursprüng- lichen Schädel der Vertebraten sehe ich, wenigstens für Fische und Amphibien, in der Art und Weise, wie der große, längs der Schädel- basis sich hinstreekende Hautknochen, das Parasphenoid zuerst auf- tritt. Während derselbe bei Amphibien nur bis zur Höhe des Vagusloches reicht, erstreckt er sich, wie ich in meiner Arbeit über den Schädel von Amia hervorgehoben habe, bei den Fischen, bei denen er zuerst auftritt, über das hintere Ende des Schädels hinaus auf den Anfang der Wirbelsäule. Die vom Parasphenoid gedeckten Wirbel, die unbeweglich und also für den Organismus nutzlos wer- den, werden nun bei der nachweislich erfolgenden Verkürzung der Occipitalregion von den niederen zu den höheren Fischen dem Cra- nium vollständig assimilirt. 1 Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich hervorheben, dass, während das Selachiereranium bloß eine Zusammensetzung aus metameren Skeletstücken erkennen lässt, die, wie STÖHR sehr richtig hervorgehoben hat, von dem, was wir einen Wirbel nennen, noch sehr weit entfernt waren und wahrscheinlich einfache knorpelige obere Bogen repräsentirten, wie solche schon an der Wirbelsäule von Cyclostomen angetroffen werden, beim Übergang des proto- metameren Schädels in den auximetameren dem ersteren wirkliche, zum Theil ossifieirte Wirbel mit allen Attributen von solchen angefügt worden sind. Es besteht in diesem Verhalten ein großer Unterschied. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 529 Es scheint mir nicht unwahrscheinlich zu sein, dass auch bei Amnioten dieselben Ursachen bei der Assimilation von Wirbeln zum Cranium wirksam gewesen sind; denn wenn auch den Amnioten ganz allgemein ein auf das Parasphenoid zurückführbarer Knochen abgeht, so ist es doch höchst wahrscheinlich, dass ihre Vorfahren- formen diesen in der Reihe der niederen Wirbelthiere ganz allgemein verbreiteten Knochen besessen haben. Doch ist dieses vor der Hand nicht zu beweisen und müssen wir immer auch an die Möglichkeit denken, dass ein Anschluss von Wirbeln stattgefunden hätte auch ohne dass das Parasphenoid dabei betheiligt gewesen wäre. Dass so etwas in der That denkbar ist, beweist ein von GEGENBAUR be- schriebener Fall (Kopfskelet der Selachier, pag. 30), in welchem bei Heptanchus einereus auf der einen Seite der obere Bogen des ersten Wirbels mit dem Cranium verwachsen war, während die an- dere Seite das normale Verhalten zeigte. In ganz anderer Weise als bei Ganoiden und Teleostiern muss sich das Parasphenoid der Amphibien schon bei seinem ersten Auf- treten verhalten haben. Wie wir wissen, reicht dasselbe niemals über den Bereich des eigentlichen Cranium hinaus; und es ist sehr unwahrscheinlich, dass es sich bei deren Vorfahren weiter nach hinten erstreckt hat, da sonst wohl dasselbe eingetreten wäre, was wir bei Ganoiden so schön beobachten können: eine Ankylosirung der ersten Wirbel mit dem Cranium und eine schließliche Einver- leibung derselben in den Bestand des letzteren. Welches die Ursachen für die so verschiedene Länge des Para- sphenoid sind, ist vor der Hand schwer zu entscheiden; vielleicht sind dieselben in dem Verhalten des Kiemenapparates zu suchen, namentlich in dem Umstande, wie weit die ursprünglich zum Schädel gehörigen Kiemenbogen' nach hinten unter den Anfangstheil der Wirbelsäule reichen. Nun ist es aber bekannt, dass bei Selachiern die in der Pharyngealschleimhaut sitzenden Zähnchen, von denen das Parasphenoid abzuleiten ist, gerade so weit nach hinten reichen wie die Kiemenspalten. Doch, wie gesagt, ist das nur eine Vermuthung, 1 Meines Wissens ist diese durch die Innervation unzweifelhafte Zuge- hörigkeit derselben zum Cranium nur von PARKER (PARKER und BETTANY, Die Morphologie des Schädels [deutsche Übersetzung]. pag. 336) angezweifelt worden, der nur die ersten beiden Kiemenbogen zum Cranium rechnet und die übrigen zum Halstheil der Wirbelsäule. Da PARKER sich nicht veranlasst ge- sehen hat, diese zum mindesten absonderliche Ansicht näher zu begründen, 80 scheint mir jede weitere Diskussion. überflüssig zu sein. 530 M. Sagemehl die sich zur Zeit nicht näher begründen lässt und die ich nur faute de mieux aufstelle. Es ist mir durchaus nicht unbekannt, dass Vieles von dem hier Vorgetragenen nicht neu ist und dass namentlich die ganze An- schauung, nach welcher das Cranium nicht bei allen Vertebraten aus derselben Zahl von metameren Bestandtheilen zusammengesetzt erscheint, schon früher ausgesprochen worden ist. Während die Mehrzahl der Anatomen geneigt war, die von GEGENBAUR für Se- lachier erhaltenen Resultate auf sämmtliche Vertebraten, vielleicht mit einziger Ausnahme der Cyclostomen, zu übertragen, wurde in neuerer Zeit von verschiedenen Seiten eine Ungleichwerthigkeit der Wirbelthierschädel behauptet. Der Erste, der meines Wissens diesen Gedanken geltend ge- macht hat, war KÖLLIKER!. Auf Grund von ontogenetischen Unter- suchungen an Säugethieren kam er zum Resultate, dass die Crania der höheren Vertebraten möglicherweise weniger Metameren ent- hielten als diejenigen der niederen, für welche er die GEGENBAUR- sche Anschauung vollkommen anerkennt. Die von KÖLLIkER als Argument für die geringe Metamerenzahl im Schädel der Säuger angeführten Chordaanschwellungen in der Basis cranii, die nur auf drei Wirbel schließen lassen sollen, sind nach meiner Ansicht durch- aus keine zwingenden Argumente und lassen sich, wie GEGENBAUR? ausgeführt hat, auch noch ganz anders auffassen denn als inter- vertebrale Verbreiterungen. Doch wenn man auch zugeben wollte, dass sie wirklich intervertebrale Verbreiterungen seien, so würden sie doch nur die Minimalzahl der »Schädelwirbel« angeben, die bei Säu- gern in der Ontogenie noch nachweisbar ist, und niemals auch nur den geringsten Beweis liefern können, dass die Zahl dieser Wirbel nicht eine viel größere gewesen sein könnte. Dasselbe gilt auch für die geringere Zahl von Visceralbogen, die bei höheren Verte- braten in der Entwicklung beobachtet werden, was KÖLLIKER eben- falls für seine Ansicht verwerthet. Von der Reduktion der Visceral- bogen auf eine entsprechende Reduktion der zugehörigen Schädel- theile zu schließen, ist eben so wenig gestattet, wie etwa von der Reduktion von Rippen auf die Reduktion der zugehörigen Wirbel. ! A. KÖLLIKER, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. If. Aufl. 1879. pag. 457—463. 2? GEGENBAUR, Grundriss der vergleichenden Anatomie. II. Aufl. pag. 469 und Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 1883. pag. 158. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 531 Wenn man zugiebt, dass die nach dem Typus von Spinalnerven ge- bauten Hirnnerven überhaupt in irgend welcher Relation zu Meta- meren stehen und nicht von den letzteren absolut unabhängig sind, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der Schädel der höhe- ren Vertebraten allenfalls größere Bezirke umfassen kann als der- jenige der niederen, niemals aber kleinere. _ Zu den Autoren, welche eine komplete Homologie des Schädels der Wirbelthiere nicht anerkennen, gehört auch WIEDERSHEIM!. Doch sind seine hierauf bezüglichen Angaben so verworren und widerspruchsvoll, dass ich mir keine Vorstellung über seine An- sichten habe bilden können. Auf pag. 60 wird auf Grund der gleich zu besprechenden Untersuchungen von STÖHr? der Satz aus- gesprochen, dass der Atlas bei Amphibien im Occipitaltheil des Schädels enthalten sei und dass daher der erste Wirbel derselben dem Epistropheus der höheren Wirbelthiere entspreche. Ganz im Gegentheil sagt WIEDERSHEIM auf pag. 347 desselben Lehrbuchs, dass der Hypoglossus weder bei Fischen noch bei Amphibien ein eigentlicher Hirnnerv sei, da er weder intracraniell entspringe noch die Hirnkapsel durchbohre, »er wird vielmehr durch den ersten und häufig auch noch durch den zweiten Spinalnerv repräsentirt.« Während also die Amphibien auf pag. 60 einen Wirbel mehr in der Occipital- region besitzen als die Amnioten, ist dem Cranium der letzteren auf pag. 347 zum mindesten der erste Spinalnerv der Amphibien, häufig auch noch der zweite einverleibt worden. Nach diesen Auslassungen könnte man WIEDERSHEIM fast für einen Anhänger der bekannten Inering’schen Theorie?. von der Unabhängigkeit der Wirbel, der Myomeren und der Neuromeren halten! Am konsequentesten ist die Theorie von der metameren Un- gleichwerthigkeit des Schädels der Wirbelthiere von StÖHr ausge- arbeitet worden. Auf Grund von sehr sorgfältigen und mit allen Kautelen angestellten Untersuchungen über die Entwicklung des Amphibienschädels kommt Stöur zu dem Resultate, dass die ! WIEDERSHEIM, Lehrbuch det vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. Th. I. 1882. * Pu. Stéur, Zur Entwieklungsgeschichte des Urodelenschädels. Zeitschr. für wiss. Zoologie. Bd. XXXIII. 1880. — Zur Entwicklungsgeschichte des Anurenschädels. Zeitschr. für wiss. Zoologie. Bd. XXXIV. 1881; und Vor- läufige Mittheil. in Sitzungsber. der physik.-med. Gesellschaft in Würzburg. Bd. XVI. 1881. 3 H. v. IHERING, Das periphere Nervensystem der Wirbelthiere. Leipzig 1878. 532 M. Sagemehl Occipitalregion des Schädels bei denselben sich bei ihrem ersten Auftreten ganz so verhält, wie ein von seinen oberen Bogen aus sich entwickelnder Wirbel. Indem nun Stöhr diesen hinteren, einem Wirbel ähnlichen Theil des Schädels mit einem wirklichen Wirbel identifieirt, zieht er den Schluss, dass in der Ontogenie der Amphibien ein wirklicher Wirbel dem Cranium einverleibt werde. Dieser für Amphibien gewonnene Schluss wird nun verallgemeinert und der Satz aufgestellt, dass der Schädel der Vertebraten in stetem — caudalen Vorrücken begriffen sei. »Ich halte demnach Schädel und Gehirn nicht für in der Wirbelthierreihe homologe Gebilde, sondern glaube, dass dieselben bei niederen Wirbelthieren kleinere Bezirke umfassen als bei höheren Vertebraten; nehme an, dass die Homo- loga gewisser Hirnnerven (Hypoglossus, Accessorius Willis.) höherer Wirbelthiere nicht in den Hirnnerven niederer Vertebraten, sondern vielmehr in deren vordersten Spinalnerven zu suchen sind!.« Diese Ansicht stimmt in den wesentlichen Zügen mit dem eben Dargelegten überein; was dagegen die specielle Begründung dieses Satzes be- trifft, so hätte der Autor desselben nicht leicht einen unglücklicheren Ausgangspunkt wählen können, als die Amphibien. Wie ich es oben ausführlich begründet habe, besitzen wir nur ein einziges brauch- bares Kriterium, um die ursprüngliche metamere Zusammensetzung solcher scheinbar homogener Skelettheile zu erkennen, wie das Cra- nium eines ist, — das sind die Nerven, die sich bei Weitem kon- servativer verhalten als die Skelettheile und die Muskeln. Und die Nerven lehren uns auf das unzweifelhafteste, dass der Schädel der Amphibien keine größere Zahl von Metameren besitzt als derjenige der Selachier, sondern dem letzteren vollständig homolog ist. Bei beiden schließt das Cranium mit dem Vagus ab, bei beiden sind die zwei ersten Spinalnerven (bei den meisten Anuren nur der zweite, da der erste bekanntlich redueirt ist) für die über (dorsal) den Con- strietoren des Kiemenkorbes zwischen Schultergürtel und Kiefer ver- laufenden geraden Muskeln bestimmt, oder für deren Derivate. Ein Wirbelthier, bei welchem der Srönr’sche »Oceipitalwirbel«, der zwischen Vagus und erstem Spinalnerv gelegen ist, als freier Wirbel anzutreffen wäre und dem Schädel noch nicht einverleibt wäre, exi- stirt einfach nicht, da auch bei Cyclostomen der Vagus die laterale Wand der Occipitalregion durchbohrt. Durch die Thatsache aber, dass dem von Sréur geführten ontogenetischen Nachweise nichts ' Pu. StöHr, Anurenschädel, 1. e. pag. 99. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 533 in der Phylogenie der Vertebraten an die Seite gestellt werden kann, verliert dieses letztere alle Bedeutung und erweckt den stärk- sten Verdacht, dass wir es hier mit einem cenogenetischen Ent- wieklungsvorgange zu thun haben. Völlig sicher gestellt wird dieses durch den von Sröur selbst geführten Nachweis, dass der Occipital- theil des Schädels beim Lachs, der sich ja noch primitiver verhalten müsste als die Amphibien, vom ganzen Cranium zuerst sich aus- bildet!. Durch diese Thatsache wird der unzweifelhafteste Beweis dafür erbracht, dass das späte Auftreten und die Ähnlichkeit der Occipitalregion der Amphibien mit einem Wirbelbogen nur eine ganz oberflächliche Ähnliehkeit ist, die hauptsächlich durch die Ausbildung eines großen Fensters im Dache des Primordialschädels und durch die Reduktion der Occipitalregion auf eine die Hinterhauptsöffnung umgreifende Spange bedingt wird. Jedenfalls ist der Schluss, dass die Occipitalregion der Amphibien ein jüngerer Erwerb ist als das übrige Cranium, durch nichts mehr begründet. Der Grundgedanke der Stönr’schen Anschauung bleibt, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, wenn auch die zu Gunsten desselben vorgebrachten Argumente keine glücklichen sind, trotzdem bestehen, und glaube ich nur den Satz, dass das Cranium in stetem caudalen Vorrücken begriffen sei, einschränken zu müssen. Es findet in der Reihe der Vertebraten keine stete Assimilation von Wirbeln zum Cranium statt, sondern dieser Vorgang ist, nachdem das Chondro- eranium einmal formirt war, nur einmal beim Auftreten des Para- sphenoid erfolgt und hat sich sofort auf eine ganz bestimmte Anzahl von Wirbeln, im Minimum auf zwei erstreckt, so dass von diesem Gesichtspunkte aus nur zwei Typen von Schädeln zu unterscheiden sind, und nicht eine ganze Anzahl von solchen, wie es die STÖHR- sche Theorie erfordern würde. Im Übrigen liegt es mir, wie ich bemerken will, ganz fern, die Verdienste, die Stöur sich um die Morphologie des Schädels durch das klare Aussprechen des Gedankens erworben hat, dass das Cra- nium der Vertebraten nicht in allen Abtheilungen dieselbe Werthig- keit besitzt, irgend wie schmälern zu wollen, und erkenne ich gern und freudig an, dass er der Erste war, der diesen Gedanken konse- quent durchzuführen versucht hat. i Pu. StöHr, Zur Entwicklungsgeschichte des Kopfskelettes der Teleostier. pag. 84. Festschrift zur dritten Säkularfeier der Alma Julia Maximiliana. Bd. I. Würzburg 1882, 534 M. Sagemehl Auf die allgemeinen Ausführungen von FrorrEp! brauche ich nicht speciell einzugehen, da FRORIEP sich vollständig auf STÖHR stützt, und möchte an dieser Stelle nur eine Verwahrung gegen die Überschätzung der ontogenetischen Zeugnisse und die Unterschätzung der auf vergleichend-anatomischem Wege gewonnenen Resultate, die bei FRORIEP zu bemerken ist, einlegen. Die Bedeutung der ontogenetischen Forschungsmethode ist in den beiden letzten Decennien so allgemein anerkannt und dieselbe ist in so ausgedehnter Weise kultivirt worden, dass sie ihre ältere Schwester, die vergleichend-anatomische Methode, fast vollständig zu verdrängen droht. Wie ich glaube, sehr mit Unrecht. Wie jeder Methode, so haften auch der ontogenetischen Forschung bedeutende Mängel an, deren größter offenbar darin liegt, dass das ontogene- tische Zeugnis weitaus in den meisten Fällen ein sehr beschränktes ist und nur über die nächste Vergangenheit eines bestimmten Or- ganisationsverhältnisses genügende Auskunft giebt; nur selten, und nur in besonders günstigen Fällen, gestattet sie den Ausblick bis in die fernste entlegenste Vergangenheit, der auf dem Wege der Ver- gleichung sich fast immer eröffnet. In dieser Hinsicht leistet die Ontogenie entschieden weniger als die vergleichend-anatomische Forschung; und es scheint mir nicht zu gewagt zu sein, wenn man die Behauptung aufstellt, dass eine sehr große Zahl der auf ontogenetischem Wege erhaltenen Resultate, | allerdings mit mehr Mühe und häufig nur auf Umwegen, aber eben so sicher durch die vergleichende Untersuchung hätten zu Tage ge- fördert werden können. Das gilt aber nicht umgekehrt. Die gegen- | wärtig in so bewundernswürdiger Weise ausgearbeitete Lehre von den Umbildungen des Extremitätenskelettes der Wirbelthiere konnte nur durch die Methode der vergleichenden Anatomie begründet wer- den; die Ontogenie lässt uns, so weit wir bisher die Entwicklungs- vorgänge bei der Bildung des Extremitätenskelettes kennen, in die- sem Falle vollständig in Stich. Das Gleiche gilt, wenn auch nicht in so frappanter Weise, für das Cranium, zu dessen Kenntnis und Erkenntnis die Ontogenie, trotz der großen darauf verwendeten Ar- beitskraft und Mühe, herzlich wenig beigetragen hat; was wir dar- über wissen, verdanken wir nur der vergleichend - anatomischen Methode. ! A. Frorrep, Uber ein Ganglion des Hypoglossus und über Wirbelanlagen der Occipitalregion, Archiv für Anatomie und Physiol. Anat. Abth. 1882. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 535 In der uns gegenwärtig interessirenden speciellen Frage nach der Zusammensetzung des Schädels aus metameren Bestandtheilen kann von der Ontogenie höchstens nur der Nachweis erwartet wer- den, dass ein Schädel gegenwärtig noch eine Zusammensetzung aus einer bestimmten Zahl von Metameren ontogenetisch erkennen lässt, Den weiteren Schluss zu ziehen, dass diese noch nachweisbare Zahl von Metameren auch die Maximalzahl der überhaupt vorhanden ge- wesenen Metameren angiebt, wäre ganz unlogisch. Eben so ver- kehrt wäre es, wenn ein Cranium in der Ontogenie gar keine Zu- sammensetzung aus Metameren zeigt, zu schließen, dass dasselbe zu den ungegliederten Skelettheilen gehört, und es wäre eine voll- ständige Verkennung der Bedeutung und des Werthes der Entwick- lungsgeschichte, wenn man diesen Schluss ziehen wollte. In diesem Falle tritt die vergleichende Anatomie in ihr Recht und weist den wahren Sachverhalt auf. Was die Sicherheit der Schlussfolgerungen betrifft, so steht die Methode der Vergleichung der ontogenetischen Methode in gar nichts nach; bei umsichtiger Anwendung übertrifft sie sogar die letztere. Jedenfalls verdient die vergleichende Ana- tomie, die so Bewunderungswürdiges geleistet hat, in keinem Falle die Unterschätzung, und fast möchte ich sagen Missachtung, die ihr namentlich in der letzten Zeit entgegengebracht wird. Es bleibt mir noch übrig, auf einige Schwierigkeiten einzu- gehen, die meiner hier niedergelegten Theorie im Wege stehen und dieselben, so gut es eben möglich ist, zu beseitigen. Die ganze Theorie stützt sich in erster Linie auf die Voraus- setzung, dass der Hypoglossus der Amnioten den beiden ersten Spinalnerven der Amphibien und der Selachier homolog sei; mit dieser Voraussetzung steht und fällt die ganze Theorie. Vor Allem sind einige Verschiedenheiten in der peripheren Ver- breitung des Hypoglossus des Menschen, dessen Hypoglossus am genauesten bekannt ist, und der ersten Spinalnerven der Selachier und Amphibien zu bemerken. Bei den Selachiern sind es die geraden ventralen Längsmuskeln die vom Schultergürtel zum Unterkiefer sich erstrecken und deren ganzer Komplex als Coraco-areualis bezeichnet werden mag. Durch ihre Innervation charakterisirt sich diese Gruppe von Muskeln als etwas, das der Kiemenregion urspriinglich fremd ist. Wenn dieselbe zu den urspriinglichen Muskeln des Kiemen- korbes gehörte, so miisste sie von den metameren Nerven der Kiemenbogen vom Trigeminus bis Vagus versorgt werden. _ Statt dessen sind es bei Selachiern die beiden ersten Spinalnerven, bei 536 M. Sagemehl Teleostiern die Occipitalnerven, die zuerst hinter dem Schultergürtel verlaufen und alsdann bogenförmig nach vorn umbiegend an den Coraco-arcualis treten. Dieser Verlauf der versorgenden Nerven weist unzweifelhaft darauf hin, dass der Coraco-arceualis als eine längs den Copularstücken des Kiemenkorbes, die bei vielen Selachiern hinten bis an den Schultergürtel heranreichen, nach vorn gewan- derte Portion des ventralen Seitenrumpfmuskels zu betrachten ist, mit welchem der Coraco-areualis gewöhnlich auch noch kontinuirlich zusammenhängt. Diese Auffassung wird um so wahrscheinlicher, als wir, wie ich schon oben ausführlich besprochen habe, auch an dem dorsalen Seitenrumpfmuskel eine Wanderung nach vorm über das Schädeldach beobachten und dieser Muskel, dann ebenfalls seine Nerven von hinten her aus den dorsalen Ästen der ersten Spinal- nerven erhält. Mit der eben beschriebenen Verbreitung der ersten Spinalnerven der Selachier im Coraco-arcualis scheint die Verbrei- tung des Hypoglossus des Menschen nicht übereinzustimmen. Be- kanntlich versorgt der Hypoglossus einzig und allein die Zungen- muskeln des Menschen, während die von dem Coraco-areualis abzuleitenden Sterno-hyoideus, Sterno-thyreoideus, Thyreo-hyoideus, Genio-hyoideus und Omo-hyoideus! nur scheinbar Zweige des Hy- poglossus erhalten; in Wirklichkeit gehören dieselben dem ersten und zweiten und bisweilen auch dem dritten Spinalnerven an, deren Fasern sich dem Hypoglossus anschließen. Was die Entstehung der Zungenmuskulatur betrifft so lässt sich unschwer der Nachweis führen, dass dieselbe zuerst bei Amphibien auftritt, und von der vordersten Portion des Coraco-areualis, die zwischen Hyoid- und Mandibularbogen ausgespannt ist, sich ableitet. Indem die tieferen Faserzüge dieses Muskels in das Parenchym der Zunge einstrahlen, wird die Veranlassung zur Bildung eines Genio- glossus und eines primären Hyoglossus gegeben, während der Rest der Fasern zum oberflächlich gelegenen Genio-hyoideus wird ?. 1 Bekanntlich ist von ALBRECHT (Beitrag zur Morphologie des Omo-hyoideus etc. Dissert. Kiel 1876) der Versuch gemacht worden, den Omo-hyoideus von der Interbranchialmuskulatur der Fische abzuleiten. Die Beriicksichtigung seiner Innervation weist schon, abgesehen von allem Anderen, darauf hin, dass er mit Interbranchialmuskeln, welche stets von den Nerven der Kiemenbogen, Vagus und Glossopharyngeus versorgt werden, in keinem genetischen Zusam- menhange steht, sondern, wie GEGENBAUR (Morph. Jahrb. Bd. I. 1876. pag. 97) nachgewiesen hat, mit dem Sterno-hyoideus zusammengehört. 2 Der vordere Bauch des Biventer hat mit den eben erwiihnten Muskeln, mit welchen ihn WIEDERSHEIM (Vergleichende Anatomie der Wirbelthiere. I. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 537 Von dem primären Hyoglossus leiten sich dann zweifellos durch - Ausbreitung seiner Insertion auf das kleine Zungenbeinhorn und dessen Fortsetzung, das Ligamentum stylohyoideum und den Proces- sus styloides, und durch Selbständigwerden dieser Muskelportionen der Chondroglossus und der Styloglossus ab!. Wenn es somit auch nicht die geringsten Schwierigkeiten macht, die Versorgung der Zungenmuskulatur des Menschen durch den Hypoglossus zu erklären, so liegt doch der Umstand, dass die bei niederen Vertebraten von den dem Hypoglossus homologen Nerven versorgten vorderen Längsmuskeln des Halses beim Menschen nicht mehr von diesem Nerven innervirt werden, nicht so klar zu Tage. Doch glaube ich auch für dieses abweichende Verhalten eine ausreichende Erklärung gefunden zu haben. Es ist bekannt, dass die vordere Extremität in der Reihe der Wirbelthiere von den niederen zu den höheren eine Wanderung nach hinten durehmacht. Bei Fischen und auch noch bei Amphibien sind Cervicalnerven noch gar nicht vorhanden; der Plexus brachialis schließt sich direkt an die für den Coraco-areualis bestimmten Ner- ven an. Erst von den Reptilien an wird ein Plexus cervicalis ge- bildet, indem die vordere Extremität nach hinten rückt, die Bezie- hungen zu den vorderen Spinalnerven verliert, und dafür neue Beziehungen zu weiter nach hinten gelegenen Nerven gewinnt. Bei diesem Vorgange müssen aber ganz nothwendigerweise auch die uns interessirenden Muskeln, die hinten am Schultergürtel sich inse- riren, Beziehungen zu weiter nach hinten gelegenen Nerven gewin- nen. Es kann dieses um so leichter geschehen, als schon bei Selachiern ganz konstant starke Anastomosen zwischen den beiden ersten Spinalnerven und den nächst hinteren angetroffen werden, pag. 266) zusammenbringt, "gar nichts zu thun, sondern gehört nach seiner Innervation vom Ramus mylohyoideus des dritten Trigeminusastes zum Muse. mylohyoideus. Ich fasse ihn als die oberflächliche Schicht des primären Mylo- hyoideus der Amphibien auf, dessen tiefe Schicht zum »sekundären Mylo- hyoideus« der Säuger wird. Bei einigen Siiugethieren bilden die beiden vor- deren Bäuche des Biventer ein ähnliches Diaphragma oris wie der Mylohyoideus, der in diesen Fällen redueirt erscheint. Näheres darüber bei Dossonx: Proceed. Roy. Soeiet. London. Vol. XXXII. 1881. pag. 29—35. ! Genaueres über die Zungenmuskulatur der Amphibien, deren Verhalten hier nur angedeutet werden konnte, findet man bei SraAnnius (Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. II. Aufl. Buch II. pag. 115—117). Ferner bei WIEDERSHEIM (Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. Th. I. pag. 255—259) und bei ECkErR und WIEDERSHEIM (Anatomie des Frosches). Morpholog. Jahrbuch. 17. 30 538 M. Sagemehl und auch bei Teleostiern Plexusbildungen zwischen den Occipital- nerven und den für die vordere Extremität bestimmten, immer nachzuweisen sind!. Es ist dieses ein specieller Fall der durch FURBRINGER’s schöne Untersuchungen? festgestellten metameren Um- bildungen, die an jedem Nervenplexus zu beobachten sind. In die- sem Falle führt die Umbildung schließlich dazu, dass nur die vordere Portion des Coraco-arcualis resp. deren Derivate im Bereiche der ihr ursprünglich zukommenden Nerven verbleibt, während die hin- tere Portion dieses Muskels Beziehungen zu nächst hinteren Nerven gewinnt, die mit dem Hypoglossus einen eigenthümlichen Plexus bilden oder, wie man sich auszudrücken pflegt, »in der Bahn des Hypoglossus verlaufen «. Nachdem die aus der Verschiedenheit des peripheren Verlaufs der ersten Spinalnerven der protocephalen Selachier und Amphibien und des Hypoglossus der auxicephalen Amnioten erwachsenen Schwierigkeiten, wie ich glaube, vollständig und in ungezwungenster Weise beseitigt sind, erübrigt mir noch auf Verschiedenheiten im centralen Ursprung dieses Nerven einzugehen. Dass wir im Hypoglossus der Amnioten einen Nerven zu er- blicken haben, der jedenfalls mehr als einem einzigen Spinalnerven entspricht, scheint wohl zweifellos. Wenn auch die rudimentäre dorsale Wurzel dieses Nerven, wo sie noch nachweisbar ist, nur in der Ein- zahl besteht, so lassen doch die Ursprungsverhältnisse der ventralen Wurzeln, die zu zwei Bündeln mit besonderen Duralscheiden zu- sammentreten, bestimmt auf eine Zusammensetzung aus mindestens zwei Nerven schließen. In nicht seltenen Fällen wird die Austritts- öffnung des Hypoglossus beim Menschen durch eine Knochenspange in zwei Öffnungen geschieden, deren jede einem Nervenbündel zum Durchtritt dient und erinnert dann an die bei vielen Schildkröten zu beobachtenden primitiveren Verhältnisse, bei denen dieser Nerv die Sehädelhöhle durch zwei gesonderte Öffnungen verlässt. Auch die analogen Verhältnisse an dem Occipitalnerven einiger Teleostier (z. B. Perea), der durch zwei Öffnungen austritt und an dessen Zu- 1 Srannius, Das peripherische Nervensystem der Fische. pag. 124. 2 M. FÜRBRINGER, Zur Lehre von den Umbildungen des Nervenplexus. Morph. Jahrb. Bd. V. 1879. 3 Benpz, Bidrag til den Sammenlignende Anatomie af Nervus glosso- pharyngeus, Vagus, Accessorius og Hypoglossus hos Reptilierne. Det Kl. Danske Videnskabernes Selbskabs naturvidenskabelige og matematiske Afhand- linger. Delen 10. Kjöbenhavn 1843. a Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 539 sammensetzung aus zweien Nerven nicht zu zweifeln ist, kann zu Gunsten dieser Ansicht angeführt werden. Gegen die Anschauung, dass in dem Hypoglossus die beiden ersten Spinalnerven der proto- cephalen Wirbelthiere enthalten sind, wird sich somit von dieser Seite aus wohl kaum etwas einwenden lassen. ‚Ein sehr gewiehtiger Einwand gegen die hier vertretene Auf- fassung des Hypoglossus ließe sich aus der Lage der Hypoglossus- wurzeln und aus der Lage seines Kernes machen. Wenn auch die Wurzeln des Hypoglossus in einer direkten vorderen Fortsetzung des Suleus longitudinalis anterior entspringen, und sich in dieser Hin- sicht so verhalten wie die ventralen Wurzeln der Spinalnerven, so liegen sie doch ganz genau unter den von der Medulla entspringen- den Wurzeln des Vagus und verhalten sich zu den letzteren genau eben so wie die ventralen Wurzeln der Spinalnerven zu den dorsalen. Auch der Kern des Hypoglossus verhält sich zum Vaguskern, so wie das Vorderhorn des Rückenmarks, in dessen Fortsetzung der Hypoglossuskern liegt, sich zum basalen Theil des Hinterhorns, als dessen Fortsetzung der Accessorio-Vaguskern zu betrachten ist, ver- hält!. Ich muss zugestehen, dass diese Verhältnisse ganz entschieden zu Gunsten der Auffassung von GEGENBAUR sprechen, der bekannt- lich in dem Hypoglossus selbständig gewordene Wurzeln des Vagus erblickt, die bei Selachiern noch zum Vagus gehören. Um die eben erwähnten Thatsachen mit der hier vertretenen Theorie in Einklang bringen zu können, muss ich eine bedeutende Verkürzung der Medulla oblongata bei den höheren Wirbelthieren voraussetzen, durch welche die ursprünglich hinter dem Vagus entspringenden, dem Hypoglossus homologen Spinalnerven allmählich zusammen mit ihren Kernen nach vorn gerückt und unter (ventral) den Vagus zu liegen gekom- men sind. Eine solche sehr bedeutende Verkürzung der Medulla oblongata ist in der That von den niederen Wirbelthieren hinauf zu den höhe- ren leicht zu statuiren. GEGENBAUR hat selbst auf die sehr beträcht- liche Ausdehnung der Rautengrube bei einigen Selachiern hingewiesen ?, und diese sich so außerordentlich weit nach hinten erstreckende Rautengrube kommt nicht nur den Selachiern zu, sondern in ganz 1 Vgl. SCHWALBE, Lehrbuch der Neurologie. Erlangen 1881, pag. 654— 664, wo eine sehr gute Zusammenstellung dieser Verhältnisse gegeben ist. ? ©. GEGENBAUR, Uber die Kopfnerven von Hexanchus ete. Jenaische Zeitschrift. Bd. VI. 35* 540 M. Sagemehl gleicher Weise auch allen Ganoiden und Dipnoern und einigen Teleostiern. Noch in der Klasse der Amphibien sehen wir den vier- ten Ventrikel bei den Perennibranchiaten weit nach hinten reichen und erst bei den höheren Amphibien und Amnioten erscheint derselbe verkürzt. Wenn wir. das hintere Ende der Rautengrube als die Grenze zwischen Rückenmark und Medulla oblongata annehmen, so entspringen die Oceipitalnerven von Amia nicht vom Riickenmark, sondern von der Medulla oblongata und ähnlich verhalten sich nach den Zeichnungen von WIEDERSHEIM auch Protopterus! und nach STANNIUS Accipenser?. Wir haben keinen vernünftigen Grund zu zweifeln, dass in diesen Fällen auch die Kerne der für den Coraco- arcualis bestimmten Nerven nicht im Gebiet des Rückenmarkes ge- legen sind, sondern sich am Boden des vierten Ventrikels, in dessen hinterem Abschnitt befinden. Es ist dieses um so wahrscheinlicher, als MAysER? bei Knochenfischen, deren Rautengrube gegenüber den eben angeführten Formen schon verkürzt erscheint, den Kern des Occipitalnerven am Boden des hinteren Winkels der Rautengrube gefunden hat. Dieselbe liegt also bei Knochenfischen an derselben Stelle, wo wir beim Menschen den Hypoglossuskern antreffen und zeichnet sich nur dadurch aus, dass er hinter dem Vaguskern ge- legen ist und nicht medial von dem letzteren. Die veränderte Lage des Hypoglossuskerns bei den Amnioten gegenüber dem Vaguskern, erklärt sich, wie ich glaube, in vollständig genügender Weise durch die nachweisbar stattgefundene Verkürzung des vierten Ventrikels der höheren Wirbelthiere. Man kann den Vorgang, wie die Wurzeln des Hypoglossus all- mählich unter den Vagus gelangen, auch in der Ontogenie der Säuge- thiere verfolgen, und verweise ich in dieser Hinsicht auf die von FrorıEP gegebenen Abbildungen. Aus diesen Thatsachen scheint hervorzugehen, dass die Lage des Hypoglossuskernes und der Wurzeln dieser Nerven zum Vagus eine sekundäre, im Laufe der Phylogenie erworbene ist, und damit fällt das gewichtigste Argu- ! WIEDERSHEIM, Das Skelet und Nervensystem von Lepidosiren annectens. Jenaische Zeitschrift. Bd. XIV. 1880. 2 STANNIUS, Über den Bau des Gehirnes des Störs. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1835. 3 P. MAYSser, Vergleichend- anatomische Studien über das Gehirn der Knochenfische. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XXXVI 1881. 4 A. Frormp, Über ein Ganglion des Hypoglossus ete. 1. ¢. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. 1V. 541 ment zu Gunsten der Anschauung, dass der Hypoglussus aus selb- ständig gewordenen ventralen Wurzeln des Vagus entstanden sei. Wenn man diese Anschauung nunmehr unbefangen prüft, so muss zugestanden werden, dass sie viele Verhältnisse unerklärt lässt; vor Allem die periphere Verbreitung des Hypoglossus. Der Coraco-arcualis und die von ihm abgeleiteten Zungenmuskeln werden bei niederen Wirbelthieren, denen ein Hypoglossus abgeht, niemals vom Vagus versorgt, sondern ganz konstant von den ersten beiden Spinalnerven resp. den von diesen ableitbaren Occipitalnerven der Knochenfische. An eine veränderte Innervation dieser Muskeln bei Amnioten durch ursprünglich dem Vagus angehörige Nerven zu den- ken, wäre ganz unverständlich; an eine durch Umbildung eines Plexus zu Stande gekommene Veränderung der versorgenden Nerven kann in diesem Falle nicht gedacht werden, da Plexusbildungen zwischen dem Vagus und den ersten beiden Spinalnerven bei niederen Wirbel- thieren nicht bekannt sind. Ferner bereiten die Ursprungsverhältnisse der schon von MAYER bei einigen Säugethieren entdeckten dorsalen Hypoglossuswurzel, die, wie FRORIEP nachgewiesen hat, in der Ontogenie auch bei solchen Formen auftritt, denen sie im erwachsenen Zustande abgeht, dieser Theorie Schwierigkeiten. Die bloße Existenz derselben wäre nicht schwer zu verstehen, wenn man nur annehmen wollte, dass in die Bildung des Hypoglossus nicht bloß ventrale Vaguswurzeln, sondern auch ein kleiner dorsaler Nervenstrang eingegangen sei. In diesem Falle müsste die dorsale Wurzel des Hypoglossus zusammen mit den Vaguswurzeln aus der Medulla austreten. Das ist jedoch, wie FRo- RIEP hervorgehoben hat, nicht der Fall, vielmehr entspringt sie über (dorsal) den Vaguswurzeln, so dass der letztere Nerv von den beiden Wurzeln des Hypoglossus umgriffen wird und sich zum letzteren genau eben so verhält, wie der Accessorius' zu den vordersten ! Der Accessorius ist, wie ich glaube, zweifellos als eine bei Amnioten selbständig gewordene Portion des Vagus aufzufassen, und seine Entstehung auf ähnliche Vorgänge zurückzuführen, wie es hier für den Hypoglossus ge- schehen ist, ist nicht gut ausführbar. Für seine Zusammengehörigkeit mit dem Vagus sprechen die Ursprungsverhältnisse seiner Wurzeln, die als direkte hin- tere Fortsetzung der Vaguswurzeln aufzufassen sind, von denen sie nicht ein- mal scharf geschieden erscheinen. Auch sein Kern schließt sich eng an den Vaguskern an. Vor Allem aber spricht die periphere Verbreitung des Acces- sorius, der bei Amnioten hauptsächlich zu Muskeln tritt (Sterno-cleido-mastoideus und Cucullaris), die von dem bei Selachiern bestehenden vom Hinterhaupte zum Schultergürtel ziehenden M. trapezius abzuleiten sind. Letzterer Muskel 542 M. Sagemehl Spinalnerven. Dieses Verhalten ist nach der GEGENBAUR’Sschen Auffassung ganz unverständlich, sehr leicht dagegen zu verstehen, wenn man den Hypoglossus von Spinalnerven ableitet. Nach diesem etwas lang gewordenen Exkurse kehren wir zur Beschreibung des Cyprinoidenschädels zurück. Der mächtigste Nerv der Occipitalregion ist der Vagus (o), der das Occipitale laterale durch eine längsovale in der Mitte bis- weilen eingeschnürte Öffnung verlässt. In einem einzigen Falle, nämlich bei dem Catostomiden Moxostoma fand ich diese Öffnung durch eine Knochenspange in zwei Öffnungen getheilt, die verschie- denen Portionen des Nerven zum Austritt dienten. Bei einer anderen Catostomidengattung, nämlich bei Sclerognathus, war die Vagusöff- nung auffallend vergrößert, so dass sie bis zum vorderen Rande des Occipitale laterale reichte und mit der Öffnung für den Glossopharyn- geus vereinigt war. Die Erklärung für dieses bei Fischen, so weit mir bekannt ist, sonst nicht vorkommende Verhalten glaube ich darin suchen zu müssen, dass bei Selerognathus der Vagus die Schädel- wand in sehr schräger Richtung von hinten nach vorn durchbohrt; und auf diese Weise eine Vergrößerung seiner Austrittsöffnung nach vorn bewirkt. Der schräge Verlauf des Vagus hängt wiederum mit der bei Sclerognathus ganz auffallenden Verkürzung der Orbitalregion und mit der entsprechenden Verlagerung des ganzen Kiemenappa- rates nach vorn zusammen. Über die peripherische Verbreitung dieses Nerven ist nichts Besonderes zu bemerken. Der Glossopharyngeus (gph) besitzt mit Ausnahme der oben er- wähnten Gattung stets eine eigene dicht vor dem Vagus gelegene kleine Austrittsöffnung. Der Umstand, dass bei allen Cyprinoiden der vom Glossopharyngeus vorzüglich versorgte erste Kiemenbogen bedeutend weiter nach vorn gelegen ist als die Austrittsöffnung dieser Nerven führt zu einem sehr schrägen nach vorn gerichteten Verlaufe des letzteren und zu weiteren Umbildungen, die einer näheren Betrachtung werth sind. Bei einigen Gattungen verläuft der Glossopharyngeus von seiner wird vom Vagus versorgt. Auch noch bei Amphibien, die bekanntlich keinen Accessorius besitzen, werden die dem Cucullaris und Sterno-cleido-mastoideus homologen Muskeln vom Vagus versorgt, wie FÜRBRINGER (Jenaische Zeitschrift. Bd. VII und VIII) nachgewiesenfhat. Auch der Umstand, dass der Accessorius stets mit dem Vagus zusammen eine Austrittsöffnung besitzt und niemals ge- sondert austritt, spricht sehr zu Gunsten der Zusammengehörigkeit dieser bei- den Nerven. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 543 Austrittsstelle an noch ein Stück weit in einer Rinne auf dem vor- dersten Theil des Oceipitale laterale und dem hintersten Abschnitt des Petrosum. So sehe ich es z. B. sehr schön an einem Schädel des indischen Barbus rubripinnis; doch nur auf der einen Seite; auf der anderen Seite erscheint die Rinne, so weit sie dem Oceipitale laterale angehört, durch eine dünne Knochenlamelle überbrückt, so dass die Austrittsstelle des Nerven in der Naht zwischen Occipitale laterale und Petrosum liegt. Ganz übereinstimmend mit dem letz- teren Befunde finde ich das Verhalten auch bei Barbus erythropterus, B. lambroides, B. melanopterus, B. bramoides, Osteochilus Has- seltii und Catostomus teres (Taf. XXVIII Fig. 2). Diese Befunde sind ganz allmählich mit solchen verknüpft, bei welchen die beschrie- bene Rinne auch im Bereich des Petrosum geschlossen erscheint, so dass die äußere Öffnung des Glossopharyngeus nunmehr im Petrosum gelegen ist. Letzteres finde ich bei Cyprinus carpio, Carassius vul- garis, Barbus javanicus und Tinca vulgaris. Die innere Eintritts- öffnung des Nerven in die Schädelwand liegt in allen diesen Fällen stets im Occipitale laterale, und ist dieses ganze so eigenthümliche Verhalten nur durch den sehr schrägen Verlauf des Nerven zu er- klären. Die Cyprinoiden besitzen eben so wie die verwandten Characi- niden einen einzigen Occipitalnerven, der in morphologischer Hinsicht eben so aufzufassen ist wie der entsprechende Nerv der Characiniden. Bei Barbus vulgaris entspringt dieser Oceipitalnerv von der Me- dulla oblongata mit einer starken ventralen Wurzel und mit einer, oder in selteneren Fällen! zwei dünnen, dorsalen, mit Ganglien versehenen Wurzelfädehen. Nachdem diese Wurzeln sich zu einem Stamme vereinigt haben und der letztere noch einen Ast des vom Trigeminus nach hinten ziehenden, nur einigen Cyprinoiden zukom- menden N. recurrens? aufgenommen hat, theilt sich der Occipital- ! Entgegen den Angaben von Srannıus (Peripherisches Nervensystem der Fische, pag. 121) habe ich bei Barbus mehrere Male mit Bestimmtheit zwei dorsale Wurzeln konstatiren können. * Dieser eigenthümliche, in morphologischer Hinsicht noch ganz unver- ständliche N. recurrens, der in der Schädelhöhle zu beiden Seiten der Gehirn- basis verläuft und eine Anastomose zwischen Trigeminus, Vagus und dem Occi- pitalnerven bildet, ist zuerst von WEBER (De aure et auditu hominis et ani- malium. 1820) entdeckt worden. Genaue Beschreibungen desselben haben STANNIUS (l. c. pag. 58) und Büchner (l. e.) gegeben. Er kommt nicht einmal allen Cyprinoiden zu, da Srannius ihn bei Cobitis und bei Tinea vollkommen 544 M. Sagemehl nery noch kurz vor seinem Austritt aus der Schädelhöhle in einen sehr schwachen dorsalen und einen starken ventralen Ast. Der erstere wendet sich sofort nach oben und tritt durch die große laterale Hinterhauptsöffnung an deren dorsalen Peripherie aus, um sich in die dorsale Portion des Seitenrumpfmuskels zu begeben, den er zu versorgen scheint. Der starke ventrale Ast des Occipital- nerven tritt ebenfalls durch diese Öffnung aus, deren unterem Rande er dieht anliegt. Ähnlich wie Barbus verhalten sich auch die mei- sten anderen Barbiden, nur besitzt die große laterale Hinterhaupts- öffnung in einigen Fällen an ihrer unteren Peripherie eine besondere tiefe Einkerbung, in welcher der ventrale Ast des Nerven verläuft; dieses letztere Verhalten finde ich sehr schön ausgeprägt bei Barbus lateristriga, B. maculatus und B. bramoides. Es kann sogar vor- kommen, dass die eben erwähnte Einkerbung durch eine kleine Knochenspange gegen die große Öffnung abgeschlossen wird, so dass der ventrale Ast des Occipitalnerven eine eigene Austrittsöffnung erhält. So sehe ich es bei Tinca vulgaris und bei Chondrostoma nasus, bei welchen diese Knochenspange individuell allerdings auch fehlen kann. Dieses letztere Verhalten leitet zu einem anderen hinüber, das wir in der Subfamilie der Barbiden bei den Gattungen Labeo, Osteo- chilus, Tylognathus, Dangila und Crossochilus und bei sämmtlichen Catostomiden (Taf. XXVIII Fig. 3) und Cobitididen (Taf. XXIX Fig. 6, 11) realisirt sehen. Die schmale Knochenspange ist hier zu einer breiten Knochenbrücke geworden, so dass die große laterale Hinterhauptsöffnung nur vom dorsalen schwachen Aste des Occipital- nerven zum Durchtritt benutzt wird, während der ventrale Ast eine eigene unter und etwas vor dem großen Loche gelegene Austritts- öffnung besitzt (oc). Welcher von den eben geschilderten Befunden als der primäre und welcher als der abgeleitete zu gelten hat, kann nicht zweifelhaft sein. Offenbar hat derjenige als der ursprüngliche zu gelten, in welchem beide Äste des Nerven dieselbe Austrittsöffnung besitzen. Dafür spricht das bei Characiniden beschriebene Verhalten, deren Occipitalnerv, wie ich beschrieben habe, durch eine Öffnung tritt, die eine beginnende Fenestration schon erkennen lässt und sich vermisst hat. Eben so wenig habe ich ihn bei den Catostominen entdecken können. Auch bei den sonst mit den Cyprinoiden in vielen Beziehungen über- einstimmenden Characiniden habe ich ihn vermisst. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 545 dann nach seinem Austritt in einen dorsalen und einen ventralen Ast theilt. Indem die Theilungsstelle durch die weite Öffnung in das Cavum cranii hineinrückt, resultirt das Verhalten, das bei den meisten Barbiden zu beobachten ist. Uber die morphologische Bedeutung der großen Occipitaléffnung der Cyprinoiden als vergrößerte Durchtrittsöffnung des Occipitalner- ven, kann nach Allem nicht der geringste Zweifel sein. Schwieriger ist es dagegen die physiologische Bedeutung dieser eigenthümlichen Bildung festzustellen und liegt in dieser Hinsicht, so weit mir bekannt ist, auch kein Versuch vor. Wenn ich hier diesen Versuch unter- nehme, so bin ich mir wohl bewusst, das derselbe erst noch der genauen experimentellen Prüfung bedarf, um einigermaßen als ge- sichert zu gelten. Dass diese Öffnung zwar ursprünglich eine einfache Nervenöff- nung gewesen ist, gegenwärtig jedoch zu anderen Zwecken benutzt wird, beweist schon der Umstand, dass der ventrale Ast des Occi- pitalnerven die Tendenz zeigt, sich eine neue Öffnung zu bilden. Diese andere Funktion der lateralen Oceipitalöffnung liegt bei einfacher anatomischer Untersuchung klar zu Tage: die Öffnung dient dazu, um eine breite Kommunikation zwischen dem Subdural- raum der Schädelhöhle und dem mit lymphatischer Flüssigkeit ge- füllten Sack, in welchem die Knéchelchen des WEBER’schen Appa- rates liegen, dem Saccus paravertebralis, herzustellen. Und zwar erfolgt diese Kommunikation an der unteren Peripherie der großen Öffnung dieht über dem Occipitalnerven; der übrige Theil derselben wird von dem halbflüssigen interduralen Fettgewebe eingenommen, das aus dem Cavum eranii in den Saceus paravertebralis vorquillt. Um die Bedeutung dieser Kommunikation zu verstehen ist es nöthig, die mechanischen Verhältnisse, unter welchen der WEBEr’sche Appa- rat thätig ist, genauer ins Auge zu fassen. Selbstverständlich kann an dieser Stelle nur eine ganz allgemeine kurze Zusammenfassung der wesentlichsten Verhältnisse dieses Apparates gegeben werden und muss ich im Übrigen auf die genauen und ausführlichen Arbeiten von E. H. WEBErR'!, Hasse? und Nusspaum® verweisen. Wie Hasse zuerst richtig hervorgehoben hat, ist dieser Apparat ! E. H. WEBER, De aure et auditu hominis et animalium. T. I. Lipsiae 1820. 2 C. Hasse, Anatomische Studien. Th. X. Das Gehörorgan der Fische. Th. XIV. Beobachtungen über die Schwimmblase der Fische. Leipzig 1873. 3 Jos. Nusspaum, Zoolog. Anzeiger 1881. Nr. 95. 546 M. Sagemehl vollkommen ungeeignet, um Schallwellen von der Schwimmblase zum Gehörorgan zu leiten oder in irgend einer anderen Weise bei der Perception von Schallwellen thätig zu sein, da er zum großen Theil von Ligamenten, also von denkbar schlechtesten Schallleitern, gebildet wird. Nach der genauen Kenntnis dieses Apparates kann gegen- wärtig nicht der mindeste Zweifel mehr bestehen, dass seine Funktion darin besteht, die verschiedenen Füllungszustände der Schwimmblase den Fischen unmittelbar zum Bewusstsein zu bringen. Der hinterste Knochen des Apparates ist nach dem Prineip eines doppelarmigen Hebels konstruirt, dessen hinterer Arm unmittelbar mit der Schwimmblase in Verbindung steht, während sein vorderer Arm in ein Band ausläuft, das mit dem Stapes in Verbindung steht. Der Stapes bildet einen Theil der lateralen Wand des Wirbelkanals. Medial liegt dieser kleine Knochen einem von starren Wänden be- grenzten Lymphraume auf, der als Atrium sinus imparis bezeichnet wird und der weiter nach vorn mit anderen in der Schädelbasis gelegenen und allseitig von knöchernen Wandungen umgebenen Lymphräumen in direkter Kommunikation steht. Das vordere Ende dieser Lymphräume grenzt unmittelbar an den eigenthümlichen Quer- kanal, der bei den mit diesem Apparat versehenen Teleostiern die beiden Sacculi mit einander unter der Gehirnbasis verbindet und der wie NUSBAUM nachgewiesen hat, zwei besondere Nervenendstellen des Acusticus enthält. Es kann nach Allem was wir wissen kein Zweifel darüber bestehen, dass hauptsächlich diese Nervenendstellen die Perception der durch den Apparat mitgetheilten Eindrücke ver- mitteln, obgleich wir uns über die subjektive Qualität dieser Empfin- dungen natürlich keine Vorstellung zu bilden vermögen. Wir wissen nur aus dem Bau des ganzen Apparates, dass die adäquaten Reize, welche diese Empfindungen auslösen, Veränderungen in den Druck- verhältnissen der umgebenden lymphatischen Flüssigkeit sein müssen, Lateral grenzt der Stapes an den großen lymphatischen, unter der Seitenrumpfmuskulatur an der Wirbelsäule gelegenen Sack, den schon erwähnten Saceus paravertebralis, so dass die Vorstellung, dass der Stapes wie der Kolben einer Pumpe zwischen Saccus paravertebralis und Atrium sinus imparis eingelassen ist, vollkommen berechtigt ist. Gegen das Atrium müsste der Stapes durch eigene elastische Bänder mit einer gewissen Kraft angedrückt werden, wenn nicht der Malleus, der, wie schon erwähnt wurde, mit einem Ligamente sich an die laterale Fläche des Stapes inserirt, in ent- gegengesetzter Richtung wirkte. Der Malleus selbst wird in seiner Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 547 Lage durch die Schwimmblase gehalten, an deren vorderes Ende der hintere Arm dieses Knochens befestigt ist. Diese Gleichgewichts- lage des ganzen Apparates, die für einen bestimmten Füllungszustand der Schwimmblase angenommen worden ist, ändert sich sofort, so wie der Füllungszustand der letzteren aus Ursachen, die hier nicht näher erörtert werden sollen, ein anderer wird. Sowie die Schwimm- blase sich ausdehnt, wird der hintere Arm des Malleus in lateraler Richtung bewegt, der vordere Arm desselben nähert sich dem Stapes und nun können die elastischen Eigenschaften der Bänder des Stapes in Wirksamkeit treten und einen Druck auf das Atrium ausüben, der weiter fortgepflanzt und schließlich zur Perception gebracht wird. An einem sorgfältig präparirten WEBER’schen Apparat eines größeren Cyprinoiden kann man den hier geschilderten Mechanismus mit großer Leichtigkeit studiren. Die verschiedenen, durch die Thätigkeit des WEBER’schen Appa- rates bewirkten Schwankungen in den inneren Druckverhältnissen der Endolymphe würden offenbar keine üblen Nebenwirkungen haben, wenn das Labyrinth der Fische gegen die Schädelhöhle hin abge- schlossen wäre. Das ist nun bekanntlich aber nicht der Fall, viel- mehr liegt das Labyrinth der Teleostier fast vollständig frei in der Schädelhöhle und grenzt in bedeutender Ausdehnung fast unmittelbar an den Subduralraum. Unter diesen Umständen müssen die Druck- schwankungen in der Endolymphe, wenn sie nicht gar zu unbedeu- tend sind, so dass sie durch die Wände des Labyrinth selbst auf- gehalten werden, sich kontinuirlich der pericerebralen Flüssigkeit mittheilen, was, wenn wir nach Analogie mit höheren Vertebraten schließen dürfen, einen höchst verderblichen Einfluss haben müsste. Diesem Übelstande wird durch die breite Kommunikation zwischen dem Subduralraume und dem Saceus paravertebralis in sehr voll- kommener Weise vorgebeugt. Bei jeder Erhöhung des Druckes in der Endolymphe kann die pericerebrale Flüssigkeit frei in den Saccus paravertebralis strömen, in welchem bei einer Bewegung des Stapes nach dem Atrium hin der Druck genau um eben so viel erniedrigt werden muss, als er auf der anderen Seite gesteigert wurde. Somit fasse ich die großen Oceipitallöcher der Cyprinoiden als Sicherheits- ventile auf, die dazu bestimmt sind, um das Gehirn vor Druck zu schützen. Es ist mir möglich gewesen diese Theorie durch das direkte Experiment bestätigen zu können. Ein sehr ernster Einwand, der gegen die gegebene Erklärung der großen Occipitalfenster der Cyprinoiden gemacht werden könnte, 548 M. Sagemehl scheint mir darin zu liegen, dass es, wenn die Erklärung richtig ist, doch unbegreiflich wäre, warum bei den anderen mit einem WEBER- schen Apparat ausgestatteten Teleostierfamilien, den Characiniden, Siluroiden und Gymnotiden, wie ich bestätigen kann, keine Kom- munikation zwischen den Subduralräumen und dem Saccus para- vertebralis nachzuweisen ist. Dieser Einwand erledigt sich durch die anatomische Untersuchung des WEBER'schen Apparates in diesen Familien, welcher, wie der direkte Versuch lehrt, bei Weitem nicht die bedeutende Exkursionsgröße besitzt, wie bei den Cyprinoiden, so dass auch die Druckschwankungen der Endolymphe sich in viel engeren Grenzen bewegen müssen als bei den letzteren. Die größere Beweglichkeit wird bei den Cyprinoiden durch die Gestalt des Malleus bewirkt, dessen vorderer Hebelarm um Vieles länger ist als der hin- tere; in den anderen drei Familien sind beide Hebelarme des Malleus annähernd gleich lang, bisweilen ist der vordere sogar um etwas kürzer als der hintere. Dieser Zustand des Malleus repräsentirt das ursprüngliche indifferentere Verhalten, wie wir es durch die Untersuchungen von Aug. MÜLLER! wissen, der den Nachweis ge- führt hat, dass bei ganz jungen Cyprinoiden überhaupt nur der hin- tere Arm des Malleus existirt und dessen vorderer Arm sekundär als ein Fortsatz dieses Knochens sich ausbildet. Zu Gunsten der hier entwickelten Theorie spricht in hohem Grade eine Beobachtung, die Hassr? an Clupea harengus und an Cl. alosa angestellt hat, ohne jedoch die Erklärung dafür finden zu können. Bekanntlich tritt bei diesen Clupeiden eine direkte Fort- setzung der Schwimmblase in die Schädelhöhle, in welcher sie mit dem Labyrinth eine direkte Verbindung eingeht. Es ist nun höchst bemerkenswerth, dass das Labyrinth dieser Fische gegen die Schädelhöhle im engeren Sinne durch eine eigenthümliche starke Lamelle von knorpelartiger Beschaffenheit, die durch eine Verdickung und histologische Veränderung der Dura mater gebildet wird, voll- ständig abgegrenzt ist. Es kann, wie ich glaube, kaum ein vernünf- tiger Zweifel bestehen, dass hier eine Einrichtung vorliegt, welche ebenfalls dazu bestimmt ist das Gehirn vor dem Druck zu schützen, der durch die sich ausdehnende Schwimmblase auf die Endolymphe ausgeübt wird. ' A. MüLter, Beobachtungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbel- säule. MÜLLER’s Archiv. 1853. ? Anatomische Studien. Th. XIV. pag. 604. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 549 In einer späteren ausführlichen Arbeit hoffe ich auf die Verhält- nisse des WeBer’schen Apparates und die an demselben zu beobach- tenden zum Theil ganz wunderbaren Anpassungen genauer eingehen zu können. Das Petrosum (Pe) der Cyprinoiden ist ein Knochen von annähernd kreisförmiger Begrenzung. der von einer Anzahl von Nerven und Gefäßlöchern durehbohrt wird, und der im Allgemeinen das gewöhn- liche Verhalten bietet. Der orbitale Theil dieses Knochens ist bei Cyprinoiden wenig entwickelt, in seltenen Fällen kann er sogar vollständig fehlen und wie bei den anderen, mit einem Augenmuskel- kanal versehenen Fischen, entsenden die beiden Petrosa horizontale Lamellen, welche unter der Gehirnbasis und über dem erwähnten Kanal in der Mittellinie sich verbinden. Am Boden des Kanals treten die Petrosa nicht zusammen, sondern lassen einen Spalt zwischen sich, der unten vom Parasphenoid abgeschlossen wird. In selteneren Fällen, wie z. B. bei Cobitis (Taf. XXIX Fig. 6) und Verwandten, wird dieser Spalt viel breiter und hat die Gestalt eines Rhomboids ; klein ist dieses untere Fenster des Primordialschädels, das ich früher wegen seiner Beziehungen als Hypophysarfenster bezeichnet habe, bei Homa- loptera. Das Petrosum verbindet sich nach hinten mit dem Occi- pitale basilare und laterale, nach oben mit dem Squamosum und dem Postfrontale und nach vorn mit dem Alisphenoid; unten wird es von einem Theil des Parasphenoid bedeckt. Die Gestaltung des hinteren oberen Abschnittes der lateralen Schädelflächen, an deren Zusammensetzung die Exoccipitalia (Zz), die Squamosa (Sg) und die rudimentären Intercalaria (Zc) Theil nehmen, zeigt bei vielen Repräsentanten der Cyprinoiden so große Abweichun- gen von dem gewöhnlichen Verhalten bei Knochenfischen, dass es auf den ersten Blick schwer ist denselben Typus zu erkennen. Bei der Betrachtung dieser Region können wir zweckmäßiger- weise drei Typen unterscheiden, die von einander scharf geschieden sind und keine Übergangsformen erkennen lassen, obgleich sie auf: einen gemeinsamen Grundplan zurückzuführen sind. Der erste primi- tivste Typus wird bei den Catostomiden beobachtet, der zweite Typus bei den Cobitididen und der dritte am meisten von dem ge- wöhnlichen Verhalten der Teleostier abweichende bei den Barbiden und bei der sich den letzteren in jeder Beziehung anschließenden Homaloptera. Die Catostomiden besitzen, wie ich kurz zu erwähnen Gelegen- heit hatte, gut ausgebildete Temporalhöhlen (tg) und schließen sich 550 M. Sagemehl in dieser Hinsicht an primitivere bei den Characiniden und bei Amia genau beschriebene Verbältnisse an. Der Hauptunterschied in der Bildung der Temporalhöhle bei Catostomiden, im Gegensatze zu den Characiniden, wird dadurch bedingt, dass die ursprünglich fast in der Längsachse verlaufende und an der hinteren Fläche des Schädels ausmündende Temporalhöhle sich derartig dreht, dass ihre Achse annähernd frontal zu liegen kommt und dass ihre Mündung nunmehr lateral gerichtet ist. Die Ursache für diese Lageveränderung ist mir nicht klar geworden. Sehr tief und breit finde ich die Temporal- höhle bei Catostomus macrolepidotus; viel enger bei Catostomus teres (Taf. XXVIII Fig. 1) und Moxostoma succetta. An der Begrenzung derselben nehmen Theil das Exoccipitale, das Squamosum und zum geringen Theil auch das Parietale. Das Exoccipitale der Catostomiden (Taf. XXVIII Fig. 1, 3, 4) hat annähernd die Gestalt einer sehr breiten und niedrigen Pyramide, deren Spitze bei Catostomus und Moxostoma wenig vorragt; bei Sclerognathus, dessen Muskeleristen entsprechend der starken Mus- kulatur alle sehr ausgebildet sind, zieht sich auch das Exoccipitale nach hinten in einen langen und starken stielförmigen Fortsatz aus. Das Exoceipitale bildet bei den Catostomiden die hintere Wand der Temporalhöhle und betheiligt sich auch an der Bildung des Bodens im hinteren Theil der Höhle. Außerdem besitzt dieser Knochen noch eine mehr oder weniger entwickelte obere, nach vorn gerich- tete Knochenlamelle, welche den hinteren Abschnitt der Decke der Temporalhöhle bilden hilf. An der hinteren Fläche des Schädels grenzt das Exoccipitale medial an das Occipitale superius, nach unten an das Oceipitale laterale. Nach vorn wird es an der Decke des Schädels vom Parietale überlagert; am Boden der Temporal- höhle grenzt es nach vorn an den durch primäre Ossifikation ge- bildeten Theil des Squamosum. Der vordere Theil der Decke der Temporalhöhle wird eben so ‘wie bei den Characiniden von dem ursprünglichen Hautknochenan- theil des Squamosum gebildet; doch verbindet sich diese Platte des Squamosum über der Temporalhöhle nicht mit dem Exoccipitale, sondern es bleibt zwischen diesen beiden Knochen eine Lücke be- stehen, die vom Parietale zugedeckt wird. So verhalten sich Cato- stomus teres (Taf. XXVIII Fig. 1) und Moxostoma; bei Cat. macrole- pidotus ist die erwähnte Lücke zwischen Squamosum und Exocei- pitale auffallend breit und wird vom Parietale nur im medialen Abschnitte zugedeckt; der laterale Theil der ursprünglichen Tempo- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 551 ralhöhle besitzt keine Decke, so dass man bei der Betrachtung von oben einen Theil des Bodens dieser Höhle übersehen kann. Noch weiter ist der Vorgang der Eröffnung der Temporalhöhle von oben bei der Gattung Sclerognathus vorgeschritten, deren Parietale am lateralen Rande so weit verkürzt ist, dass von einem eigentlichen Dach dieser Höhle kaum mehr die Rede sein kann. Die Temporal- höhle ist bei Sclerognathus auf eine tiefe, vorn medial und hinten von scharfen Rändern begrenzte Grube redueirt, die einer abgelösten Portion des Seitenrumpfmuskels zum Ursprung dient, welche zum Theil sich an dem Suprascapulare und dem Supraclaviculare inserirt: mit dem Musculus trapezius der Selachier ist dieser Muskel durch- aus nicht zu verwechseln '. Dieses Verhalten der Temporalhöhle ist in so fern sehr bemer- kenswerth, als es in ähnlicher Weise bei sehr vielen Physostomen und bei fast allen Acanthopteren und Anacanthinen angetroffen wird. Selbstverständlich sind die bei diesen Formen und bei Sclerognathus so ähnlichen Bildungsverhältnisse ganz unabhängig von einander entstanden zu denken. Außer der eben beschriebenen oberflächlichen Lamelle des Squa- mosum ist noch ein tieferer durch primäre Ossification entstandener Theil dieses Knochens zu unterscheiden, der bei Catostomiden den vorderen Theil des Bodens der Temporalhöhle bildet und der nach hinten sich mit dem Exoceipitale verbindet, während der mediale Theil des Bodens unverknöchert bleibt. Nach hinten zieht sich das Squamosum der Catostomiden wie bei den meisten Teleostiern in eine mehr oder minder ausgebildete Spitze aus, an der sich das Supraclaviculare anlagert. Die obere Fläche des Squamosum grenzt nach vorn an das Postfrontale und Frontale; medial an das Parietale und nach hinten an das Exocci- pitale. Die laterale Fläche des Knochens stößt nach vorn ebenfalls an das Postfrontale, unten grenzt sie an das Petrosum und weiter nach hinten an das Occipitale laterale. In der Naht zwischen Oceipitale laterale, Squamosum und Exoc- eipitale liegt ein kleiner leicht abfallender Knochen, das Interealare (Ze). Relativ groß finde ich es bei Sclerognathus; bei Catostomus ist es zu einem sehr kleinen Knöchelehen reducirt (Taf. XXVIII Fig. 2) und bei Moxostoma kann ich trotz sorgfältiger Präparation der be- 1 Vgl. VETTER, |. .c. pag. 526. 552 M. Sagemehl treffenden Gegend an einem gut konservirten Spiritusexemplar keine Spur desselben entdecken. Es bleibt mir nur noch übrig zu bemerken, um die Beschreibung dieser Schädelregion vollständig abzuschließen, dass der horizontale Bogengang an der lateralen Schädelfläche einen mehr oder minder gut ausgeprägten halbkreisförmigen Wulst (ce) bildet, der eine napf- förmige Einsenkung umzieht. Ziemlich im Centrum dieser Vertiefung wie bei Catostomus, oder an deren hinterem Rande wie bei Selero- gnathus und Moxostoma kommen die Nähte zwischen Petrosum, Squa- mosum und Occipitale laterale zusammen. Bei Catostomus teres und Moxostoma bleibt an der Stelle, wo die drei Nähte zusammen- treffen, eine kleine unverknöcherte Stelle des Primordialschädels be- stehen (Taf. XXIX Fig. 17). Das Verhalten dieser Theile des Schädels bei Cobitididen mit Ausnahme der Gattung Diplophysa, die ganz abweichend ist, lässt sich leicht von demjenigen der Catostomiden ableiten. Man braucht sich bloß vorzustellen, dass die schon bei Catostomus teres enge Temporalhöhle sich noch weiter verengt und vollständig rudimentär wird, um ein Verhalten zu bekommen, wie es Botia macracanthus bietet. Bei dieser Art mündet die enge und auf einen einfachen Knochenkanal reducirte Temporalhöhle an der hinteren Schädelfläche zwischen Exoceipitale und Squamosum nach außen (Taf. XXIX Fig. 4). Nach vorn lässt sich der Kanal eine Strecke weit son- diren und verläuft zwischen zwei Lamellen des Squamosum. Ein sehr schmales Bündel des Seitenrumpfmuskels erstreckt sich tief in diesen Kanal hinein, in dessen Tiefe es seine Insertion hat. Noch enger ist dieser Kanal bei Botia M’Clellandi geworden und wird überhaupt nur bei aufmerksamer Untersuchung entdeckt; ob ein Muskelbündel aus demselben seinen Ursprung nimmt, habe ich nicht mehr mit Sicherheit eruiren können. Fast vollständig obliterirt ist schließlich die Temporalhöhle bei den Gattungen Nemachilus, Mis- gurnus, Cobitis und Acanthophthalmus, bei denen man an der hinte- ren Schädelfläche, in der Naht zwischen Exoceipitale und Squamosum, nur bei sorgfältiger Lupenuntersuchung die Öffnung eines feinen Kanals nachweisen kann. Im Übrigen unterscheiden sich die Ver- hältnisse dieser Region bei Cobitididen nicht wesentlich von den bei Catostomiden beschriebenen. Das Exoceipitale bildet bei Botia, wie ich schon früher zu erwähnen Gelegenheit hatte, eine starke nach hinten gerichtete Crista, die sich zum Theil auch auf das Parietale erstreckt (Taf. XXIX Fig..5, 7, 9). Bei den anderen Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 553 Gattungen ist dieser Knochen ganz flach. Die von dem prominiren- den horizontalen Bogengang umzogene Vertiefung an der lateralen Sehädelfläche ist bei den Botien tiefer als bei den Catostomiden ; bei Misgurnus und Verwandten prominirt der laterale Theil des horizontalen Bogenganges sehr bedeutend, doch ist die von ihm um- zogene Vertiefung nur flach. Sehr eigenthümlich verhält sich die Temporalhöhle bei der Gat- tung Diplophysa, die auch sonst so viel des Abweichenden bietet. Die oberflächliche Deckknochenplatte des Squamosum fehlt bei dieser Gattung spurlos und der laterale Rand des Parietale hat sich so weit zurückgezogen, dass er die Temporalgrube nicht mehr deckt. In Folge dieses Umstandes ist die ursprüngliche Temporalhöhle in eine einfache Depression des Schädeldaches in dessen hinterem late- ralen Abschnitte umgewandelt, aus welcher eine Portion des Seiten- rumpfmuskels ihren Ursprung nimmt. Es ist dieses eine Umbildung der ursprünglichen Temporalhöhle, die bei anderen Teleostierfamilien ganz konstant und in weitester Verbreitung angetroffen wird, bei Cyprinoiden dagegen nur noch bei Sclerognathus, allerdings bei Weitem nicht in so guter Ausbildung beobachtet wird. Ein Interealare habe ich bis jetzt bei keinem einzigen Cobi- tididen entdecken können. Wir schreiten nunmehr zur Betrachtung dieser Schädelregion in der Subfamilie der Barbiden, welche die allerabweichendsten Ver- hältnisse darbietet. Am besten ausgebildet finde ich die Temporalhöhle in der Gattung Amblyrhynehichthys (Taf. XXVIII Fig. 6). Sie wird von einem ziemlich weiten Kanal gebildet, der an der hinteren Schädelfläche zwischen Exoceipitale und Squamosum ausmündet. Begrenzt wird diese Temporalhöhle auch während ihres übrigen Verlaufes medial vom Exoceipitale und lateral vom Squamosum, und aus ihrer Tiefe entspringt ein ziemlich beträchtliches Muskelbündel. Bei den meisten anderen Barbiden ist eine Reduktion der Temporalhöhle zu erkennen, die sich darin zu erkennen giebt, dass der mediale vom Exoccipitale begrenzte Theil des Kanales obliterirt und der ganze Kanal nunmehr in seinem vorderen Abschnitte nur zwischen den beiden Lamellen des Squamosum verläuft. Zu gleicher Zeit wird der Kanal derartig von unten nach oben komprimirt, dass er als ein bloßer Spalt er- scheint, der von hinten her mit einer Borste sondirt werden kann, und der zum größeren Theil von Fettgewebe, das Pigmentzellen führt, eingenommen wird. Gewöhnlich lassen sich auch einige spär- Morpholog. Jahrbuch. 17. 36 7 liche Muskelfasern in diesem Gewebe entdecken. Nach hinten, nicht weit von seiner Miindung, erweitert sich der Kanal in nicht seltenen Fällen, und wird nicht bloß vom Squamosum, sondern auch vom Exoccipitale begrenzt; so finde ich es bei Abramis, Pelecus, Chela, Barbichthys und einigen Barbusarten. In anderen Fällen ist die Temporalhöhle fast vollständig obliterirt, so dass man an der hin- teren Schädelfläche kaum mehr einen Spalt entdecken kann, wie z. B. bei Barbus lateristriga, B. rubripinnis und bei den Gattungen Labeo, Osteochilus, Tylognathus und Crossochilus. Wie man sieht, sind die Verhältnisse der Temporalhöhle selbst in der Unterfamilie der Barbiden von dem bei Cobitididen beschriebenen wenig ab- weichend (Taf. XXVIII Taf. 10 und 13). Ein wesentlicher Unterschied im Bau der uns beschäftigenden Schädelregion zwischen Barbiden und den anderen Unterfamilien wird durch das Auftreten einer neuen ganz eigenthümlichen Höhlung an der Seitenfläche des Schädels, der schon flüchtig erwähnten Sub- temporalhöbhle (sig), die außer den Barbiden nur noch der Gattung Homaloptera zukommt. Es ist das eine gewöhnlich sehr weite kuppelförmige Aushöhlung, deren annähernd kreisförmige Öffnung direkt nach unten sieht. Vorn lateral und hinten schließen die Knochen, welche den Rand dieser Öffnung bilden, den horizontalen Bogengang. Durch‘ diese Beziehung zum Bogengange ist es nicht schwer, in der Subtemporalhöhle die bei Characiniden und bei den übrigen Subfamilien der Cyprinoiden von mir beschriebene napf- förmige, vom Bogengange umzogene Vertiefung zu erkennen, die sich bei Barbiden enorm vergrößert hat und noch andere, mit der Vergrößerung zusammenhängende Veränderungen erleidet (Taf. XXIX Fig. 14, 15, 16, 17). Während die vom horizontalen Bogengange umzogene Depression der lateralen Schädelwand bei den Catostomiden und Cobitididen von dem Petrosum, Occipitale laterale und Squamosum gebildet wird, betheiligt sich an der Bildung des Subtemporale der Barbiden und von Homaloptera auch noch das Exoceipitale und ein mehr oder minder großes knorpeliges Feld der lateralen Schädelwand. Der Abschnitt des Exoceipitale, der an der Begrenzung der Subtemporal- höhle Theil nimmt, liegt ganz in der Tiefe dieser Höhle und bildet einen Theil der lateralen und hinteren Wölbung derselben; im Inneren der Schädelwand hängt dieses Feld des Exoceipitale mit den übrigen Abschnitten dieses Knochens zusammen, während es an der Außenfläche mit dem an der hinteren Schädelwand sichtbaren 554 M. Sagemehl Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 555 Theil des Exoccipitale nicht zusammenhängt, vielmehr durch die dazwischen eingeschalteten Oceipitale laterale und Squamosum ge- trennt wird. So befremdend dieses eigenthümliche Verhalten auch auf den ersten Blick ist, und so schwer es zuerst fällt dasselbe mit dem ge- wöhnlichen Verhalten dieser Schädelregion bei Teleostiern zu ver- einigen, so gelingt es doch bei sorgfältiger Vergleichung einer größeren Reihe von Cyprinoidenschädeln. Wir gehen von dem schon beschriebenen Befunde bei Catostomus teres aus, bei welchem in der Mitte der napfförmigen Vertiefung, die vom horizontalen Bogengange umzogen wird, Petrosum, Squamosum und Occipitale laterale der- artig zusammentreten, dass zwischen ihnen ein dreieckiges unver- knöchertes Stück der Schädelwand bestehen bleibt. Wenn wir uns vorstellen, dass diese flache Vertiefung durch Anpassung an be- stimmte Verhältnisse an Tiefe und Weite zunimmt, so ist es höchst wahrscheinlich, dass es die unverknöcherte Stelle ist, die beim Wachsthum ganz besonders betheiligt sein wird. In der Tiefe unter diesem Knorpel liegt aber bei Catostomus, wie man sich an einem durchsägten Schädel überzeugen kann, der Theil des Exoccipitale, der an der Bildung des Bodens der Temporalgrube Theil nimmt. Der kleine dreieckige Knorpel von Catostomus wird beim Wachs- thum nach allen Richtungen ausgedehnt werden und es wird gerade das Exoceipitale sein müssen, das dessen Stelle einnehmen wird. Doch wird nicht der ganze Knorpel vom Exoceipitale verdrängt werden. Ein Theil wird sich erhalten und die Knorpellamelle bilden, die in der Tiefe der Subtemporalhöhle konstant anzutreffen ist. Die Subtemporalhöhle der Barbiden zeigt, wie schon erwähnt, gewöhnlich die Gestalt einer breiten und tiefen kuppenartigen Aus- höhlung (Taf. XXVIII Fig. 9); seltener erscheint sie beträchtlich verschmälert, wie z. B. bei Amblyrhynchichthys. Ihre mediale Wand wird vom vom Petrosum, hinten vom Occip. laterale gebildet. Die ganze laterale Wand vom Squamosum, das sich zum Theil auch an der Bildung des Gewölbes dieser Höhle betheiligt. Der übrige Theil des Gewölbes wird, wie schon erörtert ist, hinten vom Exoe- eipitale eingenommen, vorn von einer mehr oder minder großen Knorpelplatte. Als eine besondere Eigenthümlichkeit der Gattungen Rasbora und Leptobarbus hätte ich zu erwähnen, dass an dem Theile des Squamosum, welcher das Dach der Subtemporalhöhle bildet, die untere der beiden Lamellen, die den Knochen konstituiren, in ihrem vorderen Abschnitt zum Theil durch eine Membran ersetzt wird, 36* 556 M. Sagemehl nach deren Entfernung die zwischen den beiden Lamellen des Knochens liegende Temporalhöhle sich direkt in die Subtemporal- höhle zu eröffnen scheint. Das Squamosum der Barbiden ist schon an mehreren Stellen ausführlich behandelt worden. Es erübrigt mir nur darauf hinzu- weisen, dass dieser Knochen sich nach hinten und lateral häufig in eine Spitze auszieht, die zur Anlagerung des Supraclaviculare dient (Taf. XXVIII Fig. 9, 10). Auch iiber das Exoccipitale ist nur noch zu bemerken, dass es nach hinten in Gestalt einer sehr stumpfen Pyramide prominirt. Ein Interealare ist in der Subfamilie der Barbiden nicht konstant anzutreffen. Am besten ausgebildet sehe ich dasselbe bei den Leuciscinen und den Abramidinen, bei denen es als ein kleines zackiges Knöchelehen dicht unter dem hinteren Fortsatz des Squa- mosum in einer Einkerbung zwischen dem letzteren Knochen und dem Occipitale laterale eingekeilt ist. Die Beziehungen, die es sonst bei Fischen zum unteren Fortsatze des Suprascapulare besitzt, hat es bei den Barbiden, bei denen dieser Fortsatz ganz rudimentär wird, eingebüßt. Als ein kleines schuppenförmiges Knöchelchen, das der hinteren Ecke des Squamosum von unten anliegt, finde ich das Intercalare auch noch bei vielen Cyprininen, namentlich auch bei der Gattung Cyprinus, der es von den meisten Autoren abgesprochen worden ist. Außerdem fand ich dieses Knéchelchen auch bei Carassius, Gobio, Amblyrhynchichthys und einigen Barbusarten, zu denen auch unser B. vulgaris gehört (Taf. XXVII Fig. 9, Taf. XXIX, Fig. 14—17). Vollständig vermisst wurde es bei vielen Arten von Barbus, bei Barbichthys sowie auch bei der Gattung Labeo und deren Verwandten. Bei Rasborinen und Leptobarbinen fand ich kein Intercalare, während es bei Rhodeus nachzuweisen ist. Das Intercalare stellt bei allen Cyprinoiden ein Knöchelchen vor, das mit dem übrigen Schädel nur in losem Zusammenhange steht und bei der Maceration oder beim Kochen der Schädel außer- ordentlich leicht verloren geht. Bei genauerer Untersuchung über- zeugt man sich leicht, dass zwischen dem Intercalare und den übrigen Knochen des Schädels keine knorpelige Naht existirt, sondern nur eine dünne Bindegewebsschicht. Das Intercalare der Cyprinoiden ist somit ein typischer Deckknochen des Schädels. Wie ich es früher erörtert habe, finden wir denselben Knochen bei Amia calva in guter Ausbildung und als eine unzweifelhaft primäre Ossifikation des Cranium, und da kein vernünftiger Zweifel Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 557 bestehen kann, dass das gut ausgebildete Intercalare von Amia als ein Vorläufer des rudimentären gleichen Knochens bei Cyprinoiden zu betrachten ist, da ferner nach den Befunden bei Characiniden, die eine Mittelstellung zwischen Amia und den Cyprinoiden an- nehmen, an der Homologie des von mir bei allen diesen Formen als Intercalare gedeuteten Knochens ebenfalls nicht gezweifelt werden kann, so liegt hier aller Wahrscheinlichkeit nach ein Fall vor, in welchem aus einer unzweifelhaft primären Ossifikation des Primordial- schädels, durch Rückbildung ein Deckknochen hervorgegangen ist. Eine genauere Analyse der hier obwaltenden Verhältnisse führt zu einem Verständnis dieser auf den ersten Blick aller bisherigen Erfahrung widersprechenden Thatsache. Es ist schon längst bekannt, dass ein Theil der Teleostierknochen, namentlich die Muskelvor- sprünge und die Zacken derselben, relativ spät durch direkte (meta- plastische) Sklerosirung und Ossifikation von Bindegewebe, besonders von Muskelsehnen, sich bildet, und zwar wird diese Vergrößerung der Knochen sowohl bei primären Ossifikationen als auch bei typischen Deckknochen beobachtet. In der allerletzten Zeit hat noch ScHuipD- Monnarp! diesen Vorgang ausführlich geschildert. Bei Gelegenheit der Beschreibung des Occipitale superius der Charaeiniden habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass die bei diesen Fischen sehr ent- wickelte Spina oceipitis aller Wahrscheinlichkeit nach in dieser Weise durch Übergreifen des Verknöcherungsprocesses auf die zwischen den dorsalen Portionen des Seitenrumpfmuskels gelegene Fascie sich bildet. Etwas Ähnliches sehen wir auch am Intercalare bei den Fischen, welche diesen Knochen in guter Ausbildung besitzen, wie z. B. bei Amia, bei den Gadiden und anderen. Nach der ganzen Bildung dieses Knochens kann es für mich gar keinem Zweifel unter- liegen, dass der hintere Fortsatz desselben, der einem zum Supra- scapulare ziehenden Bande zur Insertion dient, zum Theil durch Ver- knöcherung dieses Bandes sich bildet. Die Reduktion des Intercalare bei der größten Mehrzahl der Teleostier wird, wie ich schon früher hervorgehoben habe, dadurch bewirkt, dass das Squamosum, das ursprünglich als Hautknochen auftritt, Beziehungen zum knorpeligen Primordialschädel gewinnt und allmählich das Interealare verdrängt. Es ist somit gerade der primäre Theil des letzteren, weleher zuerst der Riickbildung wird verfallen müssen; die hintere Spitze des ! Scumrp-Monnarp, Uber die Histiogenese der Teleostierknochen. Zeit- schrift für wiss. Zoologie. Bd. XXXIX. 1883. 558 P M. Sagemehl Intercalare, an welche sich das Band inserirt, wird linger erhalten bleiben. Wenn wir uns nun vorstellen, dass schlieBlich der ganze durch Ossifikation des Primordialschädels gebildete Theil des Inter- calare redueirt wird, so wird nur ein kleines, durch Verknöcherung des erwähnten Bandes entstandenes Knéchelchen zurückbleiben, das dann natürlich mit dem Primordialschädel in keinem näheren Zu- sammenhange stehen kann, sondern ein einfacher Belegknochen des letzteren sein muss. Dieses ist, wie ich glaube, die einfachste und naturgemäßeste Erklärung für das Verhalten des Intercalare bei Cyprinoiden und, wie ich gleich hinzufügen will, bei der größten Mehrzahl der Teleostier. Dieser wie ich glaube nicht uninteressante Fall, ist ein weiterer Beweis dafür, wie wenig Werth allgemeine, dogmatisch gehaltene Sätze über das Verhältnis der verschiedenen Verknöcherungsweisen zu einander besitzen. Jeder einzelne Knochen hat in der Reihe der Wirbelthiere seine eigene Geschichte; nur von einer genauen Unter- suchung dieser individuellen Geschiehte kann zu sicheren frucht- bringenden Resultaten in der, in der letzten Zeit so vielfach diskutirten Frage über das Verhältnis des primären zum sekundären Ver- knöcherungsprocesses führen. Das Postfrontale (Psf) der Cyprinoiden ist ein gut entwickelter Knochen, der an dem oberen und vorderen Abschnitt der Labyrinth- region beträchtlich prominirt und den Postorbitalfortsatz bildet. Nur bei Cobitis und Verwandten erhebt er sich kaum über das Niveau der übrigen lateralen Schidelfliiche. Die Durchbrechung des Post- orbitalfortsatzes durch den M. dilatator opereuli ist schon früher Gegenstand der Erörterung gewesen und verweise ich in dieser Hin- sicht auf das dort Gesagte. Der Nervus facialis (fa) der Cyprinoiden ist bei seinem Ursprunge mit dem Trigeminus innig verbunden. Noch innerhalb, der Schädelhöhle giebt er den Ramus palatinus ab, welcher durch eine Öffnung in der horizontalen Platte des Petrosum in den Augenmuskelkanal gelangt und aus dem letzteren in die Orbita, längs deren lateralem unteren Rande er nach vorn verläuft, um am vorderen Ende der Mundhöhle dicht unter der Schleimhaut des Mundhöhlendaches ein bisweilen (z. B. Barbus, Cobitis) sehr ent- wickeltes Geflecht mit dem zweiten Aste des Trigeminus einzugehen. Dieses Geflecht, von welchem aus die mit Sinnesknospen geradezu gepflasterten Lippen und Barteln dieser Fische versorgt werden, entspricht zweifellos dem Ganglion sphenopalatinum der höhere Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 559 Wirbelthiere, deren Ramus petrosus superficialis major eben durch den Ramus palatinus der Teleostier vorgestellt wird. Bei den Cyprinoiden, die nur einen ganz rudimentären Augenmuskelkanal besitzen, wie z. B. Cobitis und Homaloptera, verläuft der Ramus palatinus eine Strecke weit am Boden der Schädelhöhle, um am vor- deren Rande des Petrosum, zusammen mit dem Trigeminus durch das große orbitale Fenster auszutreten. Der übrige Theil des Facialis, der Ramus hyoideo-mandibularis, verlässt den Schädel durch eine besondere Öffnung des Petrosum, die dem vorderen Rande dieses Knochens gewöhnlich näher liegt als dem hinteren. In nicht seltenen Fällen, wie z. B. bei Labeo und den nahestehenden Gattungen Osteochilus, Tylognathus etc. rückt die Facialisöffnung ganz an den vorderen Rand des Petrosum und ist von der Trigeminusöffnung nur durch eine ganz schmale Knochenspange getrennt. Der innige Zu- sammenhang des Trigeminus und des Faeialis bei Knochenfischen prägt sich hier auch in dem Verhalten der Austrittsöffnungen aus!. Die Vena jugularis begleitet den Facialis und tritt mit demselben gewöhnlich durch dieselbe Öffnung aus (Taf. XXVIII Fig. 2). In zahlreichen Fällen sieht man die Facialisöffnung in der Tiefe durch eine Knochenspange in eine vordere und eine hintere zerlegt. In diesen Fällen dient die vordere Öffnung für die Jugularis, die hintere für den Facialis und schlägt sich die Vene gleich nach ihrem Aus- tritt um den Nerven herum, um über ihm nach hinten zu verlaufen. Indem sich nun noch eine zweite oberflächlich gelegene Knochen- spange entwickelt, die den Nerven und die Vene trennt, nachdem die letztere sich schon um den ersteren herumgeschlagen hat und hinter und über denselben gelangt ist, entsteht ein anderer Typus. Es sind dann ebenfalls zwei Öffnungen vorhanden, von denen jedoch ! Ich möchte es hier nicht unterlassen, ausdrücklich hervorzuheben, dass diese so innigen Beziehungen zwischen Trigeminus und Facialis bei Knochen- fischen durchaus sekundärer Natur sind, und nicht etwa als ursprünglich be- stehend aufzufassen sind, wie das von mehreren Seiten geschehen ist (z. B. MAYSER, Vergleichend-anatomische Studien über das Gehirn der Knochenfische. l. e.). Die Selachier lehren uns, dass ursprünglich diese beiden Nerven voll- ständig getrennt waren. Die mächtige Ausbildung des Labyrinth bei Knochen- fischen ist die Ursache gewesen, dass die vor demselben liegenden Trigeminus und Faeialis näher an einander gerückt sind und theilweise Verbindungen mit einander eingegangen sind. Dasselbe ist auch mit dem Glossopharyngeus und Vagus geschehen, die an ihrem Ursprunge von einander kaum zu trennen sind. Das sind weit differenzirte Verhältnisse, und sie dürfen auf keinen Fall als indifferente aufgefasst werden, von denen aus das Verhalten bei höheren Verte- braten sich ableitet. 560 M. Sagemehl die hintere für die Jugularis, die vordere für den Facialis bestimmt ist; so sehe ich es bei Carassius vulgaris und Barbus lateristriga. Auch bei Homaloptera, deren Facialiséffnung auffallend weit nach oben, dieht unter die Hyomandibularpfanne gerückt erscheint, liegen Facialis und Jugularisöffnung weit aus einander. Die zuletzt geschil- derten Verhältnisse schließen sich an die Characiniden an und sind möglicherweise als die primitiveren zu betrachten (Taf. XXVIII Fig. 9, 10, 12, Taf. XXIX Fig. 2, 8, 10). Ziemlich genau unter der Faeialisöffnung liegt die Öffnung für die Carotis (ca) in der Naht zwischen Petrosum und Parasphenoid. Gewöhnlich ist dieselbe sehr klein; nur in der Gruppe der Leueis- einen finde ich sie durch Fenestration der umgebenden Knochentheile beträchtlich vergrößert, namentlich bei Leueiseus rutilus. Bei der Betrachtung der Oceipitalregion hatte ich schon Gelegen- heit, auf eine vom Occipitale basilare und Oceipit. laterale gebildete Prominenz hinzuweisen, welche einen Theil des Sacculus und die Lagena umschließt, und die ich als Bulla acustica lagenaris bezeich- net habe. In der Labyrinthregion treffen wir bei einigen Cyprinoiden eine zweite Bulla acustica an, die dem Petrosum angehört und dicht hinter der Facialisöffnung gelegen ist; sie entspricht dem Utrieulus und zwar dem vorderen Theile desselben, durch dessen großen Otolithen sie bedingt wird (d.ac.u). Zum Unterschied von der vorigen soll sie als Bulla acustica utrieularis bezeichnet werden. Wie gesagt fehlt sie den meisten Cyprinoiden. Unter den Cyprininen finde ich sie bei Gobio und Schizothorax angedeutet, gut entwickelt bei Amblyrhynchichthys (Taf. XXVIII Fig. 7). Ziemlich allgemein kommt diese Bulla acustica der Gattung Leuciscus zu und erreicht bei L. vulgaris eine sehr bedeutende Größe. Auch bei den Gattungen Alburnus, Chela und Pelecus finde ich sie, doch in geringer Aus- bildung. Die Hyomandibularpfanne (Am), deren hinterer Abschnitt vom Squamosum, der vordere unten vom Petrosum und oben vom Postfrontale gebildet wird, verläuft sehr schräg von hinten oben nach vorn unten. Außer den erwähnten drei Knochen betheiligt sich in der Subfamilie der Barbiden, deren Hyomandibularpfanne sehr lang ist und sehr weit nach vorn reicht, auch noch das Alisphenoid an der Bildung des vordersten Stückes dieser Pfanne (Taf. XXVIH Fig. 10). Eine Ausnahme bildet nur die Gattung Labeo und deren Verwandte, welche das gewöhnliche bei Catostominen, Cobitidinen und Homalopterinen bestehende Verhalten zeigen. Besondere Diffe- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 561 renzirungen an der Hyomandibularpfanne, wie wir sie bei den Chara- ciniden angetroffen haben, kommen bei den Cyprinoiden nicht vor. Fast die ganze laterale Fläche der Labyrinthregion wird von Muskeln zur Insertion benutzt. Der untere Theil des Postorbital- fortsatzes dient einer Portion des Levator arcus palatini zum Ur- sprung. Unter der Hyomandibularpfanne treffen wir die Insertion des Adduetor hyomandibularis, und hinter demselben diejenige des Adduetor opereuli. Unter diesen Muskeln entspringen die Levatores areuum branchialium. Bei Catostomiden (Catostomus teres) und Cobitididen (Misgurnus fossilis) bleibt zwischen dem Adductor oper- euli und dem Levator des ersten Kiemenbogens eine kleine Stelle des Petrosum frei von Muskeln. An diese Stelle legt sich die Schleimhaut der Kiemenhöhle, die hier einen nach oben gerichteten Blindsack bildet, an die laterale Fläche des Schädels dieht an. Im Inneren des Schädels entspricht dieser Stelle der vordere Theil des Utrieulus und hier findet aller Wahrscheinlichkeit nach die ergiebigste Zuleitung von Schallwellen zum Labyrinth statt, wie ich es in meiner Arbeit über den Schädel von Amia ausführlich erörtert habe. Die Barbiden weisen in diesen Verhältnissen Modifikationen auf, die durch die Ausbildung der Subtemporalhöhle bedingt werden. In den vorderen Theil dieser schon ausführlich beschriebenen Höhle erstreckt sich der Adductor opereuli, während im hinteren Theil derselben der Levator des vierten Kiemenbogens seinen Ursprung nimmt. Zwischen diese Muskeln erstreckt sich tief in die Subtemporalhöhle hinein ein Divertikel der Kiemenhöhle, der offenbar mit der Zuleitung der Schallwellen zu thun hat. In allen Fällen, wo eine Bulla acustica utrieularis entwickelt ist, wird sie von Muskeln freigelassen und ragt zum Theil in den erwähnten Divertikel der Kiemenhöhle hinein. Die Bulla acustica lagenaris besitzt, wie ich noch nachträglich bemerken will, keinerlei Beziehungen zur Kiemenhöhle, sondern ist immer von starken Muskelmassen überlagert. Wie ich schon bei der Beschreibung der Characiniden erwähnt habe, ist diese Bulla acustiea aller Wahrseheinlichkeit nach dadurch entstanden zu denken, dass das sich ausbildende Cavum sinus imparis die hinteren Theile der Saceuli und der Lagenae zur Seite drängt. Die Orbitae der Cyprinoiden sind gewöhnlich gut begrenzt und zwar nach oben durch das vom Frontale gebildete Orbitaldach, nach vorn und hinten von den Prae- und Postorbitalfortsätzen. Nur bei wenigen Formen mit schwach ausgebildeten Augen, wie z. B. bei Cobitis und Verwandten, fehlt ein Orbitaldach fast vollständig und 562 M. Sagemehl prominirt der Prae- und Postorbitalfortsatz nur wenig über das Niveau der lateralen Schädelfläche. Es ist das ein schöner Beweis dafür, dass diese Bildungen als Anpassungen des Schädels an den Augapfel anzusehen sind, der auf diese Weise verhindert wird größere Exkursionen auszuführen und zu Rotationsbewegungen um einen Mittelpunkt angehalten wird. Bei den Formen, die einen - reducirten Bulbus oculi besitzen, über den überdies wie bei Cobitis das mit ihm verbundene Integument hinwegzieht, ohne lidartige Duplikaturen zu bilden, und der in Folge dessen an größeren Be- wegungen gehindert ist, werden auch die knöchernen Begrenzungen der Orbita, die nunmehr keinen Nutzen mehr haben, redueirt. Der Boden der Augenhöhle wird nicht mehr von den eigentlichen Knochen des Schädels, sondern von denjenigen des Palatinbogens und von dem sich wie ein Diaphragma zwischen Auge und Mundhöhle aus- spannenden M. adductor palati gebildet. Die beiderseitigen Orbitae werden in der Familie der Cypri- noiden zum Theil von dem sich zwischen die beiden Orbitae fort- setzenden interorbitalen Theil der Schädelhöhle getrennt, von welchem aus sich in den meisten Fällen nach unten zum Parasphenoid ein zum Theil knöchernes, zum Theil membranöses unpaares Interor- bitalseptum hinabtritt und die beiden Orbitae im unteren Abschnitt von einander scheidet. Abweichend von den Characiniden, bei denen in vielen Fällen die interorbitale Fortsetzung der Schädelhöhle nicht bis zu den Nasen- gruben reicht, erstreckt sie sich bei den Cyprinoiden konstant bis zwischen die letzteren. An der Umschließung der Schädelhöhle in dieser Region betheiligen sich die Alisphenoidea (As), das Orbito- sphenoid (Os) und noch der hintere Theil der Praefrontalia (Prf); ge- deckt wird sie von den Frontalia, die gewöhnlich noch eine kleine Lamelle besitzen, welche in den oberen Winkel zwischen Ali- und Orbitosphenoid hinabsteigt und an der lateralen Begrenzung der Schädelhöhle Theil nimmt. Das unpaare interorbitale Septum, dessen Ausbildung ziemlich proportional der Höhe der Orbitae ist, wird zum größten Theil von einer unteren Lamelle des Orbitosphenoid gebildet; nur in seltenen, schon oben speciell besprochenen Fällen betheiligt sich auch das Parasphenoid an der Bildung des Septum. Im hinteren Abschnitt der Orbitae, dicht unter dem Alisphenoid ist ganz konstant ein zum Theil durch eine Membran verschlossenes Fenster im Septum anzutreffen, das durch Verschmelzung der beider- py Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 563 seitigen bei niederen Fischen getrennten Opticusfenstern entstanden zu denken ist. Dieses Fenster ist meistentheils gut ausgebildet, nur bei Botia macracanthus finde ich es sehr verkiimmert und auf ein kleines rundliches Loch redueirt (Taf. XXIX Fig. 9). Da die Alisphenoidea wenigstens in ihrem hinteren Abschnitte in der Mittel- linie über diesem Fenster nicht zusammenschließen, so bleibt zwischen denselben eine direkt nach unten gerichtete Öffnung bestehen, durch welche die Optiei in die Orbitae gelangen. Im Ganzen sind die eben besprochenen Verhältnisse mit den bei Characiniden von mir aus- fiibrlich geschilderten so übereinstimmend, dass ich auf eine ein- gehendere Beschreibung glaube verzichten zu können. Hier möchte ich nur noch erwähnen, dass bei Homaloptera deren interorbitaler Theil der Schädelhöhle bis an den durch das Parasphenoid gebildeten Boden der Orbitae reicht, entsprechend diesen Verhältnissen natürlich auch kein mittleres unpaares Opticusfenster zwischen den Orbitae existirt, vielmehr jederseits ein Opticusfenster, wie bei Amia und bei einigen niedrig organisirten Physostomen (Siluroiden). Außer dieser durch das Opticusfenster vermittelten Kommuni- kation zwischen den beiderseitigen Orbitae ist noch ein anderes Fenster im vorderen Theil der letzteren zu erwähnen, das zwischen dem vor- deren Rande des Orbitosphenoid und dem hinteren Rande der beiden Praefrontalia gelegen ist. Dieses Fenster wird bei den meisten Cy- prinoiden von den schiefen Augenmuskeln benutzt. Die M. obliqui einer jeden Seite treten am vorderen Rande des Orbitosphenoid durch die eben erwähnte Lücke und verlaufen nach vorn konver- girend, bis sie in der Mittellinie unter und zwischen den beiden Praefrontalia, von denen sie ihren Ursprung nehmen, mit einander in Berührung kommen. Dieser Raum, aus welchem die schiefen Augen- muskeln ihren Ursprung nehmen, ist von VrRoLIK!, der ihn bei einigen Fischen z. B. beim Hecht sehr ausgebildet fand, als vorderer Augen- muskelkanal bezeichnet worden, eine Benennung, die ich, obgleich sie für die meisten Fälle keine ganz zutreffende ist, beibehalten will. Sehr eigenthümlich liegen die eben besprochenen Verhältnisse des interorbitalen Abschnittes der Schädelhöhle bei den Gattungen Cobitis, Misgurnus und Nemachilus. Das Orbitosphenoid fehlt den- selben vollständig und wird durch bindegewebige Membranen ver- treten. Es wird somit bei diesen Gattungen nicht nur das untere unpaare Interorbitalseptum sondern auch der größte Theil der late- I A. J. VROLIK, |, ce. pag. 278. 564 M. Sagemehl ralen Wandungen der Schädelhöhle in der Orbitalregion von Fascien gebildet. Die unpaare hintere Fortsetzung der Orbitae, der hintere Augen- muskelkanal, soll erst später bei der Beschreibung des Cavum cranii zur Sprache kommen. Die Alisphenoidea der Cyprinoiden sind gewöhnlich Knochen von annähernd dreieckiger Gestalt, die den hinteren Abschnitt des interorbitalen Theils der Schädelhöhle lateral begrenzen. In der unteren Mittellinie bleiben sie bei einigen Cyprinoiden wie z. B. bei den Catostomiden (Taf. XXVIII Fig. 2), bei Labeo und Verwandten, bei Gobio, Tinea und einigen Leuciscusarten, eben so wie bei Amia in ihrer ganzen Ausdehnung getrennt. Bei den meisten Cyprinoiden treten sie dagegen vor der Lücke, die den Optici zum Durchtritt dient, in einer mehr oder minder langen Mittelnaht zusammen, die bei einigen Formen, wie z. B. bei Barbus vulgaris, sogar so weit nach hinten reicht, dass die eben erwähnte Lücke bedeutend ver- kleinert und so weit nach hinten gerückt erscheint, dass sie bei der Betrachtung von außen gar nicht zu Gesicht kommt (Taf. XXVIII Fig. 10). Sehr klein sind die Alisphenoidea bei Cobitis und Ver- wandten, bei denen sie auf kleine Knochenschiippchen reducirt er- scheinen, die über dem großen Trigeminusloch dicht vor den Post- frontalia liegen. Doch gilt das nur für die näheren Verwandten der Gattung Cobitis (Nemachilus, Misgurnus); bei Botia und Diplophysa sind diese Knochen gut ausgebildet (Taf. XXIX Fig. 9). Das Alisphenoid grenzt nach vorn an das Orbitosphenoid, nach oben an das Frontale, von welchem es jedoch durch einen mehr oder minder gut ausgebildeten Knorpelstreifen getrennt wird. Nach hinten grenzt es oben an das Postfrontale, unten an das Petrosum. Sehr oft sieht man ferner in der Subfamilie der Barbiden eine Ver- bindung des Alisphenoid mit einem dicht vor der Trigeminusöffnung aufsteigenden Fotsatze des Parasphenoid. Diese Verbindung fehlt vollständig bei Catostomiden, ist dagegen bei einigen Cobitididen und bei Homaloptera vorhanden (Taf. XXVIII Fig. 3, Taf. XXIX Fig. 11). Das Orbistophenoid, das, wie schon erwähnt ist, vielen Cobi- tididen abgeht, ist ein unpaarer Knochen, der jedoch, wie aus seiner ganzen Gestalt und wie namentlich aus dem Umstande, dass der- selbe bei Amia und bei den Siluroiden paarig auftritt, hervorgeht, ursprünglich auch bei Cyprinoiden paarig gewesen sein muss. Das. Orbitosphenoid besteht aus zwei, unten in der Mittellinie verwach- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 565 senen Flügeln, welche die laterale Wand des Cavum cranii begrenzen. Nach unten entsendet es bei den Cyprinoiden, die ein Interorbital- septum besitzen, eine unpaare mittlere Knochenlamelle, die sich auf das Parasphenoid stützt, und die bei der Gattung Amblyrhynchichthys besonders stark ausgebildet ist. Nur bei Homaloptera, die in dieser Hinsicht ein primitiveres Verhalten aufweist, fehlt diese absteigende Lamelle und liegt der Knochen mit seinen Flügeln dem Parasphenoid direkt auf (Taf. XXIX Fig. 10). Nach oben wird das Orbitosphenoid von dem Frontale gedeckt, von dem es jedoch durch eine Knorpellamelle geschieden wird, die besonders bei Catostomiden in größerer Ausdehnung persistirt; nach vorn stößt das Orbitosphenoid an das Präfrontale, nach hinten an das Alisphenoid. Das Präfrontale (Prf) der Cyprinoiden ist der am weitesten nach vorn gelegene Schädelknochen, der sich noch an der Bildung der lateralen Wand der Schädelhöhle betheiligt. Es hat im Allgemeinen die Gestalt einer dreiseitigen Pyramide, deren Basis medial gegen die Schädelhöhle gerichtet ist und deren lateral vorragender Theil den Antorbitalfortsatz bildet. Die Ossification des Antorbitalfortsatzes bleibt nieht auf den letzteren beschränkt, sondern erstreckt sich auch nach hinten gegen die Orbita hin und betheiligt sich an der Bildung des vordersten Abschnittes der medialen Orbitalwand. In gleicher Weise erstreckt sich das Präfrontale auch nach vorn und nimmt an der Bildung der medialen Begrenzung der Nasengrube Theil. Wir betrachten diese Theile des Präfrontale gesondert und be- ginnen mit der Beschreibung des orbitalen Abschnittes desselben. Gewöhnlich ist dieser Abschnitt, der aus einer vertikal gestellten, in der Sagittalebene liegenden Knochenlamelle besteht, nur wenig ausgebildet; in seltenen Fällen, wie z. B. bei Botia macracanthus, be- theiligt er sich in bedeutenderem Maße an der Bildung der medialen Orbitalwandung. Von dem unteren Rande der eben beschriebenen vertikalen Knochenlamelle tritt eine horizontale medial gerichtete ab, die in der Mittellinie unter dem vordersten Ende der Schädelhöhle, deren Boden sie bildet, mit ihrem Antagonisten sich verbindet. Der durch diese beiden horizontalen Lamellen der Praefrontalia gebildete Abschnitt des Bodens der Schädelhöhle liegt nur in seltenen Fällen, wie z. B. bei Botia, bei Labeo, Osteochilus, Leptobarbus, Tinea u. a., den Knochen der Schädelbasis, also dem vorderen Ende des Para- sphenoid und dem Vomer und einer über diesen Knochen liegenden Knorpellamelle auf; meist ist derselbe über die letzteren mehr oder 566 M. Sagemehl minder emporgehoben, so dass an dieser Stelle ein von den Orbitae aus zugänglicher Raum entsteht, der schon erwähnte vordere Augen- muskelkanal. Wie ich schon erwähnt habe, ist dieser Raum offenbar durch die Muskeln selbst, die sich zwischen die Knochen eingruben, ausgehöhlt — worden. Die Decke dieses: vorderen Augenmuskelkanals ist in vielen Fällen, z. B. bei den meisten Barbiden, keine vollständige, indem zwischen dem vorderen Rande des Orbitosphenoid und den beiden Praefrontalia eine Lücke auftritt, die in den vordersten Abschnitt der Schädelhöhle hineinführt. Übrigens ist dieses Fenster, das bei Cato- stomus u. a. vollständig fehlt, von gar keiner physiologischen Be- deutung. Der Antorbitalfortsatz selbst ist in der Subfamilie der Barbiden demjenigen der Charaeiniden äußerst ähnlich gebaut. Er wird von einer senkrecht stehenden in der Frontalebene gelegenen Lamelle gebildet, welche sich nach unten und lateral in einen Fortsatz aus- zieht, und welche die vordere Begrenzung der Orbita bildet. Bei einigen Arten von Barbus, bei Crossochilus und Tylognathus, ent- sendet diese Lamelle außerdem noch einen nach vorn gerichteten kurzen Knochenfortsatz. Besser ausgebildet ist der letztere bei den Gattungen Labeo und Osteochilus, bei denen er eine nach vorn ge- richtete, etwas medial gegen die vordere Spitze des Ethmoid ge- krümmte Knochenplatte bildet, welche die membranöse Riechkapsel von unten stützt. Das Letztere wird noch ganz besonders gefördert durch eine derbe Fascie, die sich zwischen dem medialen Rande dieses Knochenfortsatzes zum Ethmoid spannt. Ganz eben so wie die eben erwähnten Gattungen verhalten sich auch die Catostomiden, Homaloptera und die eigenthümliche Cobitididengattung Diplophysa (Taf. XXVIII Fig. 1, 2, 3, Fig. XXIX Taf. 2). Bei den iibrigen Cobitididen zeichnet sich der Antorbitalfortsatz durch einen ganz besonderen Bau aus. Am einfachsten liegen die Verhältnisse bei Nemachilus und Misgurnus, deren Antorbitalfortsatz sehr breit aber stumpf ist und lateral nur wenig vorragt. Im vorderen Abschnitt dieser unregel- mäßig höckerigen Fläche ist eine glatte, von hinten oben nach vorn unten ziehende rinnenförmige Vertiefung ausgebildet, die dem vor- deren stark entwiekelten Knochen des Orbitalbogens, dem Präorbi- tale, das bei Misgurnus einen knöchernen Dorn trägt, zur Anlagerung dient. Ähnliche Verhältnisse liegen auch bei Cobitis und Acanthoph- Beiträge zur vergleicheuden Anatomie der Fische. IV. 567 thalmus vor, nur ist diese Rinne durch Anpassung an das aufricht- bare, mit einem stärkeren Dorn versehene Präorbitale tiefer geworden. Mit der ganz außerordentlichen Ausbildung der dornentragenden Praefrontalia in der Gattung Botia und mit der Ausbildung von be- sonderen Muskeln und Muskelfortsätzen, die einem eigenthiimlichen Mechanismus zur Aufrichtung und Niederlegung dieser Orbital- dornen dienen, entwickelt sich auch der Antorbitalfortsatz in dieser Gattung in ganz außerordentlicher Weise, so dass das Präfrontale jeden anderen Schädelknochen an Größe bedeutend übertrifft (Taf. XXIX Fig. 7). Bei B. Me’Clellandii ist der, massive Antorbitalfortsatz sehr beträchtlich von vorn nach hinten ausgezogen und stark nach oben bis dicht unter das Orbitaldach verschoben. Der ganzen Linge nach wird er von einer breiten und tiefen Rinne durchzogen, welche einen Arm des Priorbitale aufnimmt, der in der Rinne rotirende Bewegun- gen ausfiihren kann und durch den die Drehungsachse des Priior- bitale geht. Noch weiter ist der Mechanismus bei B. macracanthus komplieirt, die — wie ihr Name sagt, — sich durch außerordentlich entwickelte präorbitale Dornen auszeichnet, die aufgerichtet werden können und sicherlich als Waffe benutzt werden!. In der schon beschriebenen horizontalen Rinne bewegt sich der cylindrische ba- sale Arm des in zwei sehr mächtige nach hinten und lateral ge- richtete Dornen auslaufenden Präorbitale um eine annähernd von vorn nach hinten verlaufende Achse. Von diesem basalen Arm geht noch ein anderer starker Knochenfortsatz ab, der bei niederge- legtem Dorn medial, bei aufgerichtetem nach unten und hinten sieht. Die Rinne des Antorbitalfortsatzes ist zur Aufnahme und zur Er- möglichung einer freien Beweglichkeit des eben erwähnten Fortsatzes, an den sich ein starker Muskel anheftet, der das Aufrichten des Dornes besorgt, durch einen tiefen von oben vorn nach hinten unten ziehenden Einschnitt in zwei Theile zerlegt. Bei Botia macracanthus spielt der präorbitale Dorn, der, wenn er niedergelegt ist, bis zum hinteren Rande der Orbita reicht, bei der ganzen dieser Art so eigen- thümlichen Konfiguration eine große Rolle. Die außerordentliche ! Es schien mir nicht unwahrscheinlich zu sein, dass bei diesen Fischen mit den Dornen Giftapparate in Verbindung stehen könnten, wie in bei näher untersuchten Synanceia, Porichthys und Batrachus. Doch ist es mir trotz be- sonders darauf gerichteter Aufmerksamkeit nicht gelungen, bei den anatomischen Untersuchungen der Botien etwas Derartiges zu finden. 568 M. Sagemehl Länge der Orbitae und die damit zusammenhängende correlative Verkürzung der Labyrinthregion verleiht dem Schädel dieses Cypri- noiden einen höchst eigenartigen Habitus, der nur durch Anpassung an den in der Ruhestellung viel Raum einnehmenden präorbitalen Dorn zu erklären ist. Die untere Fläche der antorbitalen Pyramide trägt bei den meisten Cyprinoiden einen gewöhnlich überknorpelten Gelenkknopf, der zur Anlagerung des Os palatinum dient. Bei den Botien ist diese ganze Fläche entsprechend der starken Ausbildung des Antor- bitalfortsatzes sehr breit. : Der vor den Antorbitalfortsätzen gelegene Theil des Präfrontale bildet den hinteren Abschnitt der medialen Wand der Nasengruben und betheiligt sich in geringem Maße durch eine lateral vorsprin- gende Leiste auch an der Bildung des Bodens dieser Grube. Die Schädelhöhle reicht, wie schon erwähnt ist, bis zwischen die beiden Praefrontalia, deren nasaler Theil von einer gewöhnlich sehr großen Öffnung durchbohrt wird, welche in selteneren Fällen zwischen Prä- frontale und Ethmoid liegen kann und die am frischen Objekt von einer bindegewebigen Membran verschlossen ist. Medial liegt dieser Membran der Bulbus olfaetorius dieht an und entsendet durch die- selbe eine große Anzahl von Nerven zur Riechmembran. In der Subfamilie der Cobitididen ist das eben erwähnte Foramen olfacto- rium derartig vergrößert, dass der ganze nasale Theil des Präfron- tale geschwunden ist und am trockenen Skelet beide Nasengruben unter dem Frontale und dem Ethmoid mit einander in weiter Kom- munikation stehen. Jedes Präfrontale stößt nach vorn an das Ethmoid, nach hinten an das Orbitosphenoid; gedeckt wird es oben vom Frontale, unten vom vorderen Theil des Parasphenoid und dem Vomer. Wir schreiten nunmehr zur Untersuchung der Nerven und der Muskeln der Orbitalregion. Der Trigeminus giebt noch vor seinem Austritt aus der Schädelhöhle den ersten Ast ab, der, abweichend von den Chara- ciniden, bei denen er zusammen mit den übrigen Ästen des Nerven austritt, in der Familie der Cyprinoiden von den letzteren gesondert die Schädelhöhle verlässt. Die Öffnung für den ersten Trigeminusast (tr) liegt stets im Alisphenoid; auch bei solchen Formen, bei denen, wie z. B. Cobitis, dieser Knochen außerordentlich klein ist. In der — Orbita verläuft dieser Nerv, der, wie es scheint, ganz konstant aus zwei parallelen Stämmehen gebildet wird, der lateralen Wand der- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 569 selben dieht anliegend. Das schwächere mehr dorsal gelegene Stämmehen wird zu Ästehen verbraucht, welche das Frontale durch- bohren und sich in dessen Schleimkanälen und in der darüber liegen- den Haut vertheilen. Das tiefere und stärkere Stämmchen verlässt die Orbita durch eine feine Öffnung des Präfrontale oder zwischen dem letzteren und dem Frontale und vertheilt sich in der Haut vor und medial von der Nasengrube. Der vereinigte zweite und dritte Ast des Trigeminus (Tr) verlässt bei Cyprinoiden die Schädelhöhle durch eine große Öffnung, die am hinteren Rande der Orbita zum Theil schon in der letzteren gelegen ist. Ihre ursprüngliche Lage, wie sie Amia zeigt, im vorderen Randtheile des Petrosum bewahrt sie bei den Cypri- noiden nur bei relativ wenigen Formen, wie bei den Catostomiden (mit Ausnahme von Selerognathus) und bei einigen Barbiden: Schizo- thorax, Barbichthys, Rasbora, Leptobarbus. Bei den meisten übrigen Barbiden treten der zweite und dritte Ast des Trigemnius zwar noch in das Petrosum ein, doch kommen sie nach einem sehr schrägen Verlauf im Knochen zwischen dem letzteren und dem Alisphenoid an der Außenfläche des Schädels zum Vorschein. Bei Leuciscinen und Abramidinen ist diese Öffnung häufig durch eine von den beiden Knochen gebildete Spange in eine obere und eine untere zerfällt, von denen nur die erstere dem Nerven zum Austritt dient, während die letztere von einem Gefäße (Vena ophthalmica) eingenommen wird. Die schon früher erwähnte aufsteigende Zacke des Parasphenoid kommt bei allen diesen Formen der Trigeminusöffnung sehr nahe, ohne sich jedoch direkt an der Bildung derselben zu betheiligen. Schon bei Homaloptera und bei Diplophysa wird das anders, indem das Parasphenoid bis zum unteren Rande der Trigeminusöffnung reicht. Dieses Verhalten leitet zu dem bei den meisten Cobitididen (eine Ausnahme macht Botia macracanthus, die das gewöhnliche Ver- halten aufweist) zu beobachtenden hinüber, bei denen die ganze untere Peripherie des Trigeminusloches vom Parasphenoid gebildet wird; die obere Peripherie dieser Öffnung wird vorn vom Alisphe- noid, hinten vom Petrosum begrenzt. Das eigenthümlichste Verhalten zeigt unter den Cobitididen die Gattung Acanthophthalmus, deren Alisphenoid so weit reducirt ist, dass es sich nieht mehr an der Um- schließung des Trigeminusloches betheiligt. An seiner Stelle finden wir einen vom Frontale in die Orbita hinuntersteigenden Fortsatz, der sich mit der aufsteigenden Zacke des Parasphenoid verbindet (Taf. XXIX Fig. 11). Morpholog. Jahrbuch. 17. 37 570 M. Sagemehl Ich würde mich bei den eben beschriebenen Verhältnissen nicht — so lange aufgehalten haben, wenn diese Verschiedenheit in der Bil- dung der bei allen Cyprinoiden ganz unzweifelhaft homologen Trige- minusöffnung den Beweis lieferte, wie vorsichtig man bei der Be- stimmung von Homologien der Schädelknochen nach ihren Beziehungen zu den durchtretenden Nerven verfahren muss und wie groß die Schwankungen in dieser Hinsicht selbst bei nahe verwandten Formen sein können. Die Optiei der Cyprinoiden, über welche ich sonst nichts Be- sonderes zu bemerken habe, verlassen die Schädelhöhle durch das hintere, unter den Alisphenoiden gelegene Orbitalfenster. Von den Augenmuskelnerven tritt der Oculomotorius bis- weilen ebenfalls durch dieses Opticusfenster; gewöhnlich besitzt er eine eigene kleine Öffnung, welche im Petrosum ganz nahe dem das Optieusfenster begrenzenden Rande dieses Knochens liegt. Der Trochlearis besitzt in der Regel ebenfalls eine eigene Öft- nung im Alisphenoid, die vor und gewöhnlich etwas unterhalb der für den ersten Trigeminusast bestimmten Öffnung liegt. Nur bei Cobitis und Verwandten, die ein reducirtes Alisphenoid besitzen, tritt dieser Nerv nicht mehr durch den Knochen, sondern vor demselben durch die Membran, welche die Stelle der lateralen Schädelwand in der Orbita vertritt. Der Abducens ist bei der Betrachtung des intakten Schädels nicht sichtbar und soll daher erst später bei der Beschreibung des Cavum eranii zur Sprache kommen. Von den Augenmuskeln entspringen die vier Recti aus dem hinteren unteren Winkel der Orbita und erstrecken sich der R. externus und häufig auch noch der R. inferior eine Strecke weit in den Augenmuskelkanal hinein. Genauere Berücksichtigung sollen sie bei der Beschreibung dieses Kanals finden. Der für den Ursprung der Obliqui bestimmte, in der vorderen unteren Ecke der Orbita gelegene besondere Raum ist schon oben besprochen worden. Die nasale Region der Cyprinoiden ist schon bei der Be- schreibung der Knochen ausführlich berücksichtigt worden, so dass ich hier nur Weniges nachzutragen habe. Die Nasengruben der Cyprinoiden sind gut ausgebildet und werden hinten vom Präfrontale, unten vom letzteren und dem Vomer und medial vom Ethmoid begrenzt. Das letztere zusammen mit dem sehr rudimentären Nasale bildet auch die Decke derselben. Lateral Br. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 571 und nach oben kommunieirt jede Nasengrube durch zwei, gewöhnlich dieht bei einander gelegene Öffnungen mit dem äußeren Medium. Nur bei Cobitis und Verwandten rücken diese Öffnungen etwas weiter aus einander und zieht sich die vordere in einen kurzen häutigen Tubus aus. Von GEGENBAUR! ist die Vermuthung ausgesprochen worden, dass der schon bei Selachiern eingeleiteten Trennung des ursprüng- lich einfachen Naseneinganges in zwei Öffnungen eine physiologische Bedeutung beim Wechsel des Wassers in der Nasenhöhle zukommt. Für Teleostier ist es leicht, sich von der Richtigkeit dieser An- schauung durch das direkte Experiment zu überzeugen. Wenn man einem so eben getödteten Knochenfisch (ich habe Perca und Cypri- -noiden untersucht) das vordere Schnauzenende mit den intakten Nasenhöhlen abschneidet und in ein Gefäß mit Wasser bringt, in welchem fein geriebenes Karmin suspendirt ist, so überzeugt man sich, dass ein kontinuirlicher, ziemlich langsamer Wasserstrom in die vordere Nasenöffnung eintritt und aus der hinteren hinaustritt; der- selbe wird durch das Flimmerepithel, welches die Riechschleimhaut überzieht, erzeugt. Die Richtung dieses Stromes ist, wie man sieht, eine derartige, dass er durch nach vorn erfolgende Schwimmbewe- gungen des Fisches verstärkt wird, wobei die bei vielen Fischen (z. B. den meisten Cyprinoiden) nach Art eines Segels nach hinten und gegen den Boden der Nasenhöhle gerichtete, beide Nasenlöcher trennende Nasenklappe entschieden förderlich sein muss. Das eben beschriebene differente Verhalten beider Nasenöffnungen giebt auch eine Erklärung dafür, dass eine röhrenartige Verlängerung, wo sie überhaupt vorkommt, fast ausnahmslos? an der vorderen, als Ein- trittsöffnung für das Wasser dienenden Nasenöffnung beobachtet wird. Dieses Rohr hat offenbar die Bedeutung, den im Wasser suspendirten Partikelchen den Eintritt in die Nasenhöhle zu ver- wehren, und hätte an der hinteren Austrittsöffnung keinen Zweck. Es ist auch kein Zufall, dass solche röhrenartige Verlängerungen der vorderen Nasenöffnung fast nur bei solchen Fischen gefunden werden, die am Boden der Gewässer leben (unter unseren ein- ' C. GEGENBAUR, Das Kopfskelet der Selachier. Leipzig 1872, ? Meines Wissens bilden einige Arten der Gattung Tetrodon, die JoH. MÜLLER zu den Untergattungen Gastrophysus und Chelichthys gestellt hat (Bau und Grenzen der Ganoiden. 1. e. pag. 194), eine Ausnahme. Dieselben besitzen eine Papille, an deren Spitze zwei Öffnungen stehen. 37* 572 M. Sagemehl heimischen Süßwasserfischen bei Cobitis, Lota, Anguilla), wo das Wasser weniger rein ist als in den höheren Schichten. Einen Nasenflügelknorpel habe ich bei vielen Cyprinoiden beobachtet und glaube, dass er allen zukommt. Wie ich schon früher? erwähnt habe, ist er mit Skalpell und Pincette nicht dar- stellbar, und wird nur an mikroskopischen Schnitten durch die Nasenhöhle gesehen. Bei Alburnus lueidus zeigt er seine größte Ausbildung am lateralen Rande des vorderen Nasenloches; von da aus erstreckt er sich in die Nasenklappe und giebt feine Fortsätze ab, die zum Theil die hintere Nasenöffnung umfassen. Er ist mit dem Integument, eben so wie bei Selachiern, innig verbunden, und zeichnet sich vor dem gewöhnlichen Hyalinknorpel durch eine we- niger entwickelte Intercellularsubstanz und durch kleinere Zellen aus. Bei Misgurnus fossilis ist er sehr redueirt, doch habe ich immerhin in der lateralen Wand des in eine Röhre ausgezogenen vorderen Nasenloches Spuren von ihm gesehen. Wir schreiten nunmehr zur Betrachtung des Cavum eranii am . durchsägten. Schädel. Die Schädelhöhle erstreckt sich bei diesen Fischen, wie ich schon mehrfach erwähnt habe, weit nach vorn bis zwischen die Prae- frontalia, und zeigt darin ein primitiveres Verhalten als bei den ver- wandten Characiniden, bei denen sie niemals so weit nach vorn reicht. Im Übrigen sind die Detailverhältnisse der Schädelhöhle den von mir bei den Characiniden beschriebenen sehr ähnlich, so dass ich zum Theil auf das dort Gesagte verweisen kann. Der hintere Theil der Schädelbasis besitzt wie bei Characiniden zwei Boden, zwischen welchen das Cavum sinus imparis, und lateral von dem letzteren Räume für die hinteren Theile der Sacculi und die Lagenae liegen. Der Boden des Cavum sinus imparis wird vom Oceipitale basi- lare, die Seitenwände und die Decke desselben von den Oceipitalia lateralia gebildet. Nach hinten öffnet sich dieser Raum mit einer in der Mitte stark eingeschnürten und dadurch in zwei neben ein- ander liegende Öffnungen geschiedenen Spalt nach dem Wirbelkanal. Im Ganzen zeigt das Cavum sinus imparis in der Familie der Cy- prinoiden sowohl in den einzelnen Gattungen als auch mit dem ent- sprechenden Raume der Characiniden eine sehr große Übereinstim- 1 Cranium der Characiniden. 1. c. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 573 mung, so dass ich auf die detaillirte Beschreibung verzichten kann. Sehr klein ist dieses Cavum in der Gattung Homaloptera, doch fehlt es nicht, wie man gemäß der Angabe, dass diese Gattung keine Schwimmblase besitzt!, folgern könnte. Wie ich schon in der Ein- leitung zu den Characiniden erwähnt habe, besitzt Homaloptera so- wohl eine Schwimmblase als auch den Weser’schen Apparat, und ist nur die sehr verborgene Lage der ersteren, die von den ver- breiterten Querfortsätzen des zweiten und dritten Wirbels umschlos- sen wird, daran Schuld, dass sie bis jetzt der Beobachtung ent- gangen ist. Die Labyrinthnische der Cyprinoiden zeigt im Gegensatze zu den Characiniden, bei denen sie sehr einförmig gebaut ist, sehr verschiedene Zustände. In der Subfamilie der Barbiden lässt sich die Labyrinthnische leicht von der entsprechenden Bildung der Cha- raciniden ableiten. Wenn wir uns vorstellen, dass der Theil der lateralen Wand dieser Nische, der bei Characiniden von einer knor- pelig membranösen Lamelle gebildet wird, vom Exoccipitale aus verknöchert, so erhalten wir die Verhältnisse der Barbiden. Außer- dem zeichnet sich die Labyrinthnische der letzteren dadurch aus, dass sie sehr wenig tief ist, und wird der vordere Bogengang, der bei Characiniden vollständig frei in der Schädelhöhle liegt, bei Bar- biden an der Stelle, wo er dem Postfrontale anliegt, nicht selten von einer Lamelle dieses Knochens überbrückt, so dass er einen aller- dings sehr unvollständigen Abschluss gegen das Cavum cranii besitzt. Es ist nicht zu verkennen, dass die Barbiden in dieser Hinsicht ein etwas primitiveres Verhalten zeigen als die Characiniden. Die vor- dere Ausmündung des äußeren Bogenganges ist außerdem sehr stark trichterförmig erweitert und höher hinauf gegen das Schädeldach gerückt, was durch den ganzen eigenthümlichen Verlauf dieses Bo- genganges in dem lateralen Rande der Subtemporalhöhle zusammen- hängt. Im Übrigen sind es dieselben Knochen wie bei Characiniden, die diesen Bogengang einschließen. Ähnlich wie die Barbiden verhält sich auch Homaloptera, nur ist die den vorderen Bogengang überbrückende Spange des Post- frontale geschwunden. Außerdem ist derjenige Theil des Occipitale laterale, der den vorderen Abschnitt des hinteren und den mit dem letzteren zusammen verlaufenden Theil des äußeren Bogenganges ! CuUVIER et VALENCIENNES, 1. c. T. XVIII. pag. 92 und GÜNTHER, Cata- logue ete. Vol. VII. pag. 340. 574 M. Sagemehl gegen die Schädelhöhle abschließt, bei Homaloptera redueirt, so dass diese Bogengänge in ihrem unteren Abschnitte frei in der Schädel- höhle liegen. Ähnlich verhält sich in dieser Beziehung auch die Gattung Botia. Diese Eröffnung der Labyrinthnische gegen die Schädelhöhle ist in der Subfamilie der Catostomiden weiter fortgeschritten. Der vor- dere Bogengang liegt vollständig frei; der hintere ist nur bei Sclero- gnathus ziemlich vollständig abgeschlossen; bei Catostomus und Moxostoma liegt er in einer Rinne und wird nur an einer ganz kleinen Stelle von einer Spange des Exoccipitale überbrückt. Der äußere Bogengang ist ebenfalls nur bei Sclerognathus in weiterer Ausdehnung überbrückt; bei den anderen Gattungen ist es nur eine verhältnismäßig schmale, vertikal stehende knorpelige Brücke, die ihn gegen die Schädelhöhle abschließt, so dass seine beiden Enden ziemlich frei liegen. Die am weitesten fortgeschrittene Eröffnung der Labyrinthnische beobachten wir bei der Gattung Misgurnus und deren Verwandten, den eigentlichen typischen Cobitididen. Bei diesen verlaufen sowohl der vordere als auch der hintere Bogengang in rinnenartigen Ausbuchtungen und besitzen gar keinen Abschluss gegen die Schädelhöhle (Taf. XXIX Fig. 12). Nur der äußere Bogengang, und auch dieser in sehr unvollkommener Weise, wird von einer Spange des Squamosum überbrückt, die durch Verknöche- rung der bei Catostomiden vorhandenen knorpeligen Brücke ent- standen zu denken ist. Wie aus allem Diesen erhellt, beobachten wir in der Familie der Cyprinoiden in einer fast vollständigen Reihe von Stadien den Vorgang des allmählichen Schwundes der medialen eigenen Begren- zungen der Bogengänge und eine immer vollständige Aufnahme des Labyrinth in den gemeinsamen Schädelraum. Der Vorgang, der uns bei Ganoiden zuerst begegnete und der mit der Atrophie der medialen Begrenzungswand des Utrieulus begann, ist hier fast so weit gediehen, als es überhaupt möglich ist. Bei Cobitididen ist es schließlich nur noch der hintere und untere Theil des Sacculus und die Lagena, die einen Abschluss gegen die Schädelhöhle besitzen, und dieser Abschluss ist, wie ich in meiner Arbeit über das Cranium der Characiniden ausführlich erörtert habe, als ein sekundärer auf- zufassen, der mit der Entstehung des Cavum sinus imparis eng zu- sammenhängt. Der Augenmuskelkanal (cm) der Cyprinoiden ist in den meisten Fällen gut entwickelt und verhält sich nicht abweichend e 2 Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 575 von demjenigen der Characiniden. Im vorderen Abschnitt wird er oben und lateral von den Petrosa begrenzt, nach hinten erstreckt er sich bis in das Occipitale basilare, unten wird er vom Parasphenoid geschlossen. Hinten ist er stets vollständig abgeschlossen; eine Er- öffnung desselben an dieser Stelle, wie man sie bei vielen anderen Teleostiern beobachtet (einige Characiniden, Clupeiden, Salmonidenete.), habe ich bei Cyprinoiden niemals beobachtet. Bei Characiniden fehlte die Decke des Augenmuskelkanals nur an seinem vordersten Ende, wo er in die Orbitae mündet. und in dem auf diese Weise entstandenen Loche lag vorn die Decussatio nervorum opticorum, hinten die Hypophysis, die in den Kanal zwischen die Muskeln hineinhing. Bei Cyprinoiden besitzen diese beiden Gebilde ebenfalls meistens zusammen nur eine Öffnung; doch kommt es nicht selten vor, dass diese Öffnung sich in zwei scheidet. In solehen Fällen liegt in der vorderen größeren Öffnung, die zwischen den Petrosa und den Alisphenoidea situirt ist, die Sehnervenkreuzung, während die hintere, viel kleinere, zwischen den horizontalen Lamellen der Petrosa gelegene für den Stiel der Hypophyse benutzt wird. Dieses letztere Verhalten ist bei vielen Barbiden ausgebildet, bei Barbus, Leuciscus u. a. m. und bei den Catostomiden. Der vordere Eingang in den Augenmuskelkanal wird bei vielen Barbiden und Catostomiden durch eine vertikal gestellte Knochen- Spange, die vom Boden des Kanals entspringt und sich an den Theil der Decke desselben, der zwischen dem Opticusfenster und dem Hypophysisloch liegt, anlehnt, in zwei seitliche Abtheilungen un- vollständig geschieden. Diese Bildung erinnert ganz außerordentlich an das Basi- sphenoid vieler anderen Telostier und ist auch in der That für diesen Knochen gehalten worden!. Bei genauerer Untersuchung, namentlich nach Sprengung des Schädels, überzeugt man sich leicht, dass diese Knochenspange, die in zahlreichen Fällen die Decke des Augenmuskelkanals nicht erreicht, nicht von einer eigenen Ossifikation gebildet wird, sondern nur eine Zacke des Parasphenoid ist. Ein Basisphenoid fehlt den Cyprinoiden, sowie auch allen übrigen Ostario- physen vollständig; was VroLık ? als solches bei Silurus beschrieben und abgebildet hat, ist ebenfalls nur eine Zacke des Parasphenoid, I A. J. VROLIK, 1. e. pag. 266. 2 Id. pag. 267 und Taf. XX Fig. 27. 576 M. Sagemehl wie ich mch nach sorgfältiger Untersuchung der betreffenden Ver- hältnisse überzeugt habe. Bei Cobitis, Misgurnus, Nemachilus und Acanthophthalmus, die alle nur sehr kleine Augen besitzen, ist eine Rückbildung des Augen- muskelkanals eingetreten. Die schwachen Muskeln entspringen im hinteren unteren Winkel der Orbita, und es reicht keiner derselben in die Schädelhöhle hinein. Man könnte auf den ersten Blick ver- sucht sein zu glauben, dass bei diesen Formen die Bildung eines Augenmuskelkanals noch nicht eingetreten sei und dass sie somit gegenüber den übrigen Cyprinoiden ein primitiveres Verhalten vor- stellen. Dagegen spricht das Verhalten der Petrosa, deren vorderer Rand in zwei über einander liegende Lamellen gespalten erscheint, deren untere den Boden der Schädelhöhle bildet, während die obere nach vorn mit freiem Rande endigt. Zwischen denselben liegt ein nach vorn offener spaltförmiger Raum, der jedoch bei Weitem nicht bis zum hinteren Rande der Orbita reicht. Es ist unmöglich, in dieser Bildung nicht ein Rudiment eines Augenmuskelkanals zu sehen, aus welchem die Muskeln sich bereits zurückgezogen haben und welcher der Reduktion anheimfällt (Taf. XXIX Fig. 12). Sehr ähnlich, wie bei diesen Cobitididen, verhält sich auch der rudimen- täre Augenmuskelkanal von Homaloptera. Es ist hier der Ort, um einen Blick auf den Nervus abducens zu werfen. Derselbe durchbohrt in den meisten Fällen den horizon- talen Flügel des Petrosum medial und dicht neben der Trigeminus- öffnung, und tritt sofort in den Augenmuskelkanal, in welchem er sich im Rectus externus vertheilt. Bei den Formen, die keinen Augenmuskelkanal besitzen, scheint er durch das große Opticusfenster in die Orbita und zu seinem Muskel zu gelangen. In der Höhe der Alisphenoidea verläuft dicht unter den Deck- knochen des Schädeldaches die knorpelige Spange, die für die Ostariophysen so charakteristisch ist und derem vorderer Rand dem distalen Ende der Epiphyse zur Anlagerung dient. Die vordere Fortsetzung der Schädelhöhle enthält die Tractus und die Bulbi olfactorii. Die letzteren sind in der Familie der Cyprinoiden ohne Ausnahme vom Vorderhirn entfernt und mit dem letzteren durch Tractus verbunden. Diese Tractus sind bei den meisten Gattungen sehr lang und erreichen die Liinge des ganzen übrigen Gehirns, nur bei Cobitis und Verwandten finde ich sie ziem- lich kurz, etwa von der Länge der Vorderhirnlappen. In diesem Verhalten der Bulbi olfaetorii zeigen die Cyprinoiden eine gleich- — 7 3 Beitriige zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 577 mäßige tiefere Stellung aller ihr zugehörigen Formen, und repäsen- tiren ein primitiveres Verhalten als die Characiniden, welche in diesen Verhältnissen eine größere Mannigfaltigkeit und zum Theil bedeutend höhere Grade der Differenzirung aufwiesen. Hiermit sind wir mit der speciellen Beschreibung des Cypri- noidenschädels zu Ende gelangt und schreiten nunmehr zur Ver- gleichung der Cyprinoiden unter einander und zur Feststellung der verwandtschaftlichen Verhältnisse, in welchen die in der Einleitung nach GÜNTHEr’s Vorgange unterschiedenen Subfamilien zu einander stehen. Es ist aus dem Vorhergehenden zu ersehen, dass die vier er- wähnten Unterfamilien sich auch anatomisch tiefer begründen lassen und wirkliche, sehr natürliche Abtheilungen der großen Cyprinoiden- familie bilden. Das in den meisten Verhältnissen primitivste Verhalten zeigt ohne allen Zweifel die Subfamilie der Catostomiden. Das intakte Bestehenbleiben der Temporalhöhle, das relativ einfache und auch primitive Verhalten des Pharyngealfortsatzes, der noch keine Kau- platte besitzt, ohne dass man eine Rückbildung der letzteren anzu- nehmen berechtigt wäre, sowie auch der Umstand, dass größere nicht ossificirende Strecken des Primordialschädels bestehen bleiben, als bei anderen Cyprinoiden, sichern dieser Unterfamilie eine ver- hältnismäßig niedere Stellung. Damit stimmt auch das Verhalten der pharyngealen Bezahnung, die unter sämmtlichen Cyprinoiden in der Unterfamilie der Catostomiden den indifferentesten Zustand auf- weist, der sich in einer großen Anzahl (60—100) in eine Reihe ge- stellter, einfach konischer Zähne äußert. Als eine Unterfamilie, die in den meisten Beziehungen weitaus höher differenzirt erscheint als die Catostomiden, erweisen sich die Barbiden. Die Reduktion der Temporalhöhle, welche von der, in der Reihe der Fische ganz einzig dastehenden Ausbildung der Sub- temporalhöhle abhängt, weist dieser Unterfamilie eine höhere Stellung im System an. Dessgleichen die größere Ausbildung und Vervoll- kommnung des Pharyngealfortsatzes, der eine Kauplatte erhält. Und doch stehen die Barbiden in gewissen Organisationsverhält- „nissen, wie z. B. in der Art des Austrittes des N. occipitalis aus der Schädelhöhle, sowie in dem vollkommeneren Abschluss der Bogengänge gegen das Cavum cranii auf einer tieferen Stufe als die Catostomiden. Das ist für die ganze Stellung der Barbiden ent- scheidend, denn wenn man auch zugeben kann, dass sie im Allge- 578 M. Sagemehl meinen höher differenzirt sind als die Catostomiden, so dürfen sie doch auf keinen Fall von den letzteren direkt abgeleitet werden. Beide Unterfamilien sind als divergente Äste eines Stammes aufzu- fassen; die Catostomiden sind auf einer niederen Stufe der Entwick- lung stehen geblieben als die Barbiden, doch besteht ein direkter Zusammenhang zwischen denselben nicht mehr. Während die beiden betrachteten Familien ein ziemlich homo- genes Gefüge besitzen, zeichnen sich die Cobitididen durch eine Anzahl von sehr verschiedenartigen Formen aus, so dass es nicht leicht fällt, den allen gemeinsamen Charakterzug zu finden. Trotz dieser großen Divergenz in den anatomischen Verhältnissen, bilden die Cobitididen eine sehr natürliche und scharf begrenzte Unter- familie der Cyprinoiden, und wenn es auch auf den ersten Blick möglich erscheint, dieselbe in eine Anzahl scharfbegrenzter Gruppen zu zerlegen, so überzeugt man sich doch bald von der Unausführ- barkeit. Was die Cobitididen vor allen anderen Cyprinoiden auszeichnet, ist die freie Beweglichkeit des vorderen Schädelendes, welche mit dem ganzen eigenthümlichen Bau der Kiefer zusammenhängt; auch die Rückbildung des Pharyngealfortsatzes, der bei sämmtlichen Cobitididen aus zwei seitlichen Schenkeln besteht, die sich unter der Aorta nicht vereinigen, ist für diese Unterfamilie charakteristisch und wird nur noch bei Homaloptera, bei welcher der Pharyngealfortsatz ganz geschwunden ist, angetroffen. Einigermaßen charakteristisch ist auch die relativ geringere Größe der lateralen Hinterhauptslöcher, die weit kleiner sind als bei den Catostomiden und Barbiden. Im Übri- gen sind die Verhältnisse des Cranium so wechselnde, dass es schwer ist weitere, allen Cobitididen gemeinsame Merkmale aufzufinden. In dieser Unterfamilie selbst zeigt die Gattung Diplophysa und — Nemachilus in der größeren Breite und geringen Beweglichkeit der nasalen Region, in der guten Ausbildung der Antorbitalfortsätze ein verhältnismäßig primitives Verhalten, das an die beiden besprochenen Unterfamilien einen Anschluss gestattet. Die weitere Erstreckung der medialen Schädeldachfontanelle nach vorn bei der Gattung Diplophysa weist sogar auf noch niederere Zustände hin, wie wir sie in den Familien der Siluroiden und Characiniden sehen. Auf der anderen Seite zeigt die weit eröffnete Temporalhöhle eine weit fort- geschrittene einseitige Differenzirung an, und gestattet nicht die Gattungen Nemachilus und Diplophysa als Stammformen der Cobi- tididen anzusehen. "es... ee nn. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. I 579 Eine sehr hochgradige einseitige Differenzirung, die zum größten Theil auf Anpassung des Schädels an den mächtigen, wahrscheinlich als Waffe eine große Rolle spielenden Suborbitaldorn beruht, zeigt auch die Gattung Botia, die in gewissen Beziehungen, wie z. B. in der Existenz eines Augenmuskelkanals trotzdem primitivere Verhält- nisse bietet, als die übrigen Cobitididen. Das Zuriickbleiben der Augen in der Entwicklung hat in den Gattungen Cobitis, Misgurnus und Acanthophthalmus zur Ausbildung von anderen extremen Verhältnissen geführt, die sich hauptsächlich in der Reduktion der Begrenzungen der Augenhöhlen manifestiren. Antorbital und Postorbitalfortsatz wird nur angedeutet und die mediale Wand des Orbita ist membranös geworden; ein Orbitosphenoid fehlt und die Alisphenoidea sind sehr klein. Wenn auch die durch diese Formen gebildete Gruppe der Cobitididen nach meinen Untersuchun- gen ziemlich unvermittelt steht, so glaube ich dennoch, dass bei. extensiverer Ausdehnung der Untersuchung Übergangsformen zwischen diesen extremen Formen und den Botien sich werden nachweisen lassen. Was die ganze Stellung der Cobitididen anlangt, so ist eine direkte Ableitung derselben von den Catostomiden oder den Barbiden nicht möglich, wenn sie auch den ersteren, die überhaupt die am wenigsten specialisirte Unterfamilie der Cyprinoiden vorstellen, näher stehen als den hoch differenzirten Barbiden. Die Cobitididen bilden | eben für sich selbst eine scharf begrenzte Unterfamilie, die nur an der | Wurzel mit den übrigen Cyprinoiden zusammenhängt und sich im Übrigen selbständig differenzirt hat. | Einen sehr eigenthümlichen Sammeltypus bildet die Unterfamilie der Homalopteriden oder richtiger gesagt die Gattung Homaloptera, da ich die übrigen zu dieser Unterfamilie gerechneten Gattungen, ‚die nur höchst unvollständig bekannt sind und deren Verwandtschaft mit Homaloptera nicht über alle Zweifel erhaben ist, nicht kenne. In gewissen Beziehungen, wie in dem eigenartigen Verhalten der Subtemporalhöhle und der Labyrinthnische, schließt sie sich eng an die Barbiden an, während sie in anderen Beziehungen, im Ver- halten der oberen Kieferknochen, des Praeoperculum, im Bau der Schwimmblase, die, wie ich schon erwähnt habe, in einer Knochen- kapsel eingeschlossen ist, in der größeren Zahl der Mundbarteln (6) sehr an die Cobitididen erinnert. Man könnte aus diesem Verhalten folgern, dass Homaloptera ein Bindeglied zwischen den Barbiden und den Cobitididen vorstellt und darauf hin die beiden zuletzt er- wähnten Unterfamilien in näheren Zusammenhang bringen. Ganz 580 M. Sagemehl abgesehen von dem Umstande, dass die an Cobitididen erinnernden Verhältnisse keine ererbten, sondern nur durch Anpassung an gleiche Lebensbedingungen in kleinen schnellfließenden Bächen erworbene sein könnten, bietet Homaloptera doch noch zu viele, ganz eigen- artige Organisationsverhältnisse, welche die Aufstellung einer eigenen Unterfamilie rechtfertigen. Zu diesen eigenartigen Verhältnissen ge- hört der vollständige Mangel eines Pharyngealfortsatzes, der Mangel von lateralen Hinterhauptslöchern, das spurlose Fehlen eines un- paaren Interorbitalseptum, alles Merkmale, die vorläufig wenigstens zur Bildung einer besonderen Unterfamilie für diese Gattung voll- ständig genügend sind. Wenn man alle diese Verhältnisse berück- sichtigt, so ergiebt es sich, dass die Gattung Homaloptera sich sehr frühzeitig von der, den Barbiden und den Cobitididen gemein- samen Stammform abgezweigt hat. Nachdem nun einigermaßen die Stellung der verschiedenen Unterfamilien der Cyprinoiden zu einander festgestellt ist, können wir zu einer Vergleichung dieser Familie mit den im Allgemeinen nahe stehenden Characiniden und mit dem Ausgangspunkte sämmt- licher Knochenfische — mit Amia — schreiten. Wir beginnen mit dem Cranium. / Die Verhältnisse der Schädeldecke bei Cyprinoiden schließen sieh in fast allen wesentlichen Punkten an die bei Charaeiniden be- ‚schriebenen an und lassen sich eben so wie die letzteren direkt von den bei Amia bestehenden Verhältnissen ableiten. Die geringen “Unterschiede liegen in der geringeren Ausbildung der medialen Schädelfontanelle und in der größeren Breite der Parietalia in der Familie der Cyprinoiden. Die Occipitalregion zeigt gegenüber derselben Region bei Cha- raciniden eine weitere Ausbildung von Zuständen, die schon bei den letzteren beobachtet werden. Hierher gehört der Pharyngealfortsatz der Cyprinoiden, den ich als Ossifikation des bei Characiniden von der hinteren Schädelbasis zum vorderen Ende der Schwimmblase ziehenden Randes auffasse. Auch die großen, für Cyprinoiden so charakteristischen lateralen Löcher der Oceipitalregion sind schon bei Charaeiniden in den ersten Anfängen als Fenestration in der Peripherie der Öffnung des Oceipitalnerven zu erkennen. Die Spina oceipitis ist bei Cyprinoiden gewöhnlich viel weniger ausgebildet als bei den Characiniden; im Übrigen sind die Verhältnisse der Ocei- pitalregion übereinstimmende. In der Labyrinthregion herrschen bei den beiden uns beschäf- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 581 tigenden Familien beträchtliche Verschiedenheiten, was das Verhalten der Temporalhöhle betrifft. Die niedrigsten Zustände derselben in der Unterfamilie der Catostomiden sind zum Theil noch einfacher als die bei Characiniden zu beobachtenden, da die bei letzteren vor- handenen sekundären Fenestrationen und Durchbrüche der Temporal- höhle nieht vorkommen, und schließen sich an niedere Zustände, wie wir sie bei Amia trafen, an. Von dem Verhalten der Catosto- miden leitet sich das komplieirtere der übrigen Cyprinoiden ab, wie ich schon früher ausgeführt habe. Das Intercalare der Cyprinoiden ist noch weit mehr redueirt als bei den Characiniden und fehlt häufig vollständig. In der Bildung der Hyomandibularpfanne finden wir bei Cypri- noiden einfache Verhältnisse in der Weise, wie bei den strepto- donten Characiniden. Der Postorbitalfortsatz zeigt bei Cyprinoiden dieselben beiden Typen, die auch bei Characiniden zu beobachten waren. Sonst sind die Verhältnisse ziemlich übereinstimmende. Das Gleiche gilt für die Orbitae, deren primitivsten Zustände in der Familie der Cyprinoiden mit den bei Characiniden beschrie- benen fast vollständig übereinstimmen und in gleicher Weise von Amia her abgeleitet werden können. Geringfügige Unterschiede, wie z. B. die verschiedene Art des Austrittes des ersten Trigeminusastes kom- men hier nieht in Betracht. Von den primitiven, sich an die Cha- raciniden anschließenden Zuständen leiten sich die mehr umgebildeten der Cobitididen und anderer Formen, wie ich ausführlich gezeigt habe, leicht ab. Die nasale Region ist ebenfalls in beiden Familien sehr ähnlich. Vomer und Ethmoid gewinnen bei beiden Beziehungen zum unterliegen- den Knorpel. Eigenthümlich den Cyprinoiden ist die Bildung der beiden lateralen Condylen am vorderen unteren Schädelende, die bei Characiniden nur angedeutet sind, und mit dieser Bildung hängt es wohl zusammen, dass bei Cyprinoiden in vielen Fällen das Septo- maxillare, das den Characiniden fehlt, dagegen bei der tiefer stehen- den Amia angetroffen wird, sich erhalten hat. Wenn wir alle diese Verhältnisse gebührend berücksichtigen, so ergiebt es sich, dass im Bau des Cranium die Cyprinoiden, und zwar vorwiegend die weniger hoch differenzirten Catostomiden und zum Theil auch noch Barbiden, in den meisten Beziehungen den Characiniden sehr nahe stehen. Sie lassen in vielen Verhältnissen eine direkte weitere Ausbildung von Eigenthümlichkeiten erkennen, die schon bei Characiniden angedeutet sind, so dass man die 582 M. Sagemehl Cyprinoiden im Allgemeinen wohl als höher differenzirte Glieder einer Gruppe betrachten kann, deren weniger differenzirten von den Characiniden repräsentirt werden. Doch darf man das Verhältnis durchaus nicht etwa so auffassen, als wären die Cyprinoiden Nach- kommen der letzteren. Die nicht gar seltenen Beispiele, wo wir bei Cyprinoiden niederere Organisationszustände antreffen als bei den Characiniden, widerlegen eine solche Auffassung auf das schlagendste. Wir verlassen jetzt den Schädel und wenden uns zunächst zu einer Untersuchung und Vergleichung der übrigen Skelettheile!. Der Aufhängeapparat des Kiefers ist in der Familie der Cypri- noiden recht einförmig gebildet. Sämmtliche für die Teleostier ty- pischen Knochen sind konstant vorhanden. Eben so wie bei den Characiniden ist das Hyomandibulare mit den übrigen Knochen des Palatinbogens nur lose durch Bandmassen verbunden, so dass es nicht unbeträchtliche Bewegungen um seine Längsachse ausführen kann. Ein Symplecticum fehlt in keinem Falle. Uber das Quadra- tum und die drei Pterygoide ist wenig zu bemerken; höchstens wäre zu erwähnen, dass das Entopterygoid bei vielen Cobitididen be- trächtlich reducirt ist. Sehr bemerkenswerth ist der Umstand, dass das Palatinum der Cyprinoiden mit dem übrigen Theil des Suspen- sorialapparates nicht fest verbunden ist, sondern durch ein Gelenk. Die Gelenkpfanne wird hinten vom Ekto- und Entopterygoid ge- bildet, und es bahnt sich damit ein Verhalten an, welches, wie bei vielen Siluroiden, zur Abtrennung des Palatinum von den anderen Theilen des Suspensorialapparates führt. Das vordere Ende des Palatinum bildet die untere Begrenzung der Nasenhöhle und arti- kulirt mit dem vorragenden, gewöhnlich vom Septomaxillare gebil- — deten Gelenkknopfe des vorderen unteren Schädelendes. Außerdem besteht noch eine zweite Verbindung des Palatinbogens mit dem Cranium, nämlich zwischen dem Entopterygoid und der unteren Fläche des Antorbitalfortsatzes, doch kommt es an dieser Stelle nie- mals zur Bildung eines wirklichen Gelenkes. Alle Knochen des Suspensorialapparates sind in der Familie der Cyprinoiden bekannt- lich stets zahnlos. ty Die Verhiltnisse dieser Skelettheile bei Cyprinoiden lassen sich ganz ungezwungen durch weitere Ausbildung der bei Amia peice ! Ich benutze diese Gelegenheit, um kurze Beschreibungen. einiger Organ- ~ systeme der Cyprinoiden zu geben, die fast durchweg auf eigenen ausgedehnten Untersuchungen beruhen. ‘ Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 583 den ableiten. Auch gegenüber den nahe verwandten Characiniden erkennen wir in dem Umstande, dass das Palatinum sich ablöst und in dem konstanten Mangel an Zähnen auf den Knochen dieses Appa- rates, eine höhere Differenzirung; während der Mangel des für die Characiniden so charakteristischen Fensters zwischen Quadratum und Metapterygoid auf ein primitiveres Verhalten hinweist. Über das Praeopereulum der Cyprinoiden ist wenig zu bemerken. Höchstens wäre hervorzuheben, dass dasselbe bei den Cobitididen und bei Homaloptera sehr rudimentär ist und nur durch einen schmalen, stielférmigen Knochen vorgestellt wird. Bei den übrigen Formen ist dieser Knochen gut ausgebildet, doch ist seine Verbin- dung mit dem Hyomandibulare und dem Quadratum im Gegensatze zu dem Verhalten bei den Characiniden keine feste, sondern eine ganz lockere. Es hängt das mit dem Umstande zusammen, dass der Muse. adductor mandib. bloß von der lateralen Fläche des Sus- pensorialapparates seinen Ursprung nimmt und das Praeoperculum frei lässt. In dieser Hinsicht verhalten sich die Cyprinoiden primi- tiver als die mit stärkeren Kiefermuskeln versehenen Characiniden. Doch wäre es auch möglich, dass wir es hier mit einem hiickbil- dungsvorgange zu thun haben, der durch den Verlust der Kiefer- zähne und die verminderte Größe der Kiefer selbst bedingt ist. Was die Verhältnisse des Kieferapparates der Cyprinoiden betrifft, so verweise ich, was die allgemeinen morphologischen Verhältnisse betrifft, auf die in meiner Arbeit über das Cranium der Charaeiniden! gemachten Bemerkungen. Die oberen Kiefer der Cyprinoiden sind eben so wie bei vielen Acanthopteren in bedeutendem Maße vorstreckbar; nur ist der ‚Mechanismus, durch welchen diese Protraktilität bedingt wird, ein anderer als bei den letzteren, und weist daher darauf hin, dass er unabhängig von den Acanthopteren und auf ganz anderem Wege, als bei den letzteren erworben worden ist. Bei den Acanthopteren wird die Protraktilität der oberen Kiefer dadurch bewirkt, dass die aufsteigenden Fortsätze der Zwischenkiefer auf der oberen Fläche der Ethmoidal- region des Cranium in besonderen Rinnen gleiten. Die aufsteigenden Fortsätze sind bei den Cyprinoiden dagegen kurz, und erreichen nicht das vordere Ende des Schädels. Die Verbindung mit dem letzteren wird durch ein Band bewerkstelligt, welches, wenn [die Kiefer nicht vorgestreckt sind, schlingenartig gebogen ist. 1 Morph. Jahrb. Bd. X. 584 M. Sagemehl Der Zwischenkiefer der Cyprinoiden besitzt stets einen horizon- talen Alveolartheil und einen mehr oder minder ausgebildeten auf- steigenden Fortsatz, welcher durch das eben erwähnte Band mit dem Cranium sich verbindet. In dem Bande liegt ganz konstant ein un- paarer, stielförmiger kleiner Knochen eingeschlossen, welcher, wie ich glaube, das von mir sogenaunte Rostrale? vorstellt, das hier ver- knöchert ist. Die Konstanz dieses sonst so wenig beständigen Skelet- theils in der Familie der Cyprinoiden erklärt sich ganz genügend aus dem Umstande, dass es eine wichtige Rolle im Mechanismus des Kieferapparates spielt, während es bei den meisten anderen Fischen, bei denen es vorkommt, gar keine funktionelle Bedeutung mehr be- sitzt. Wenn die Kiefer bei Cyprinoiden nicht vorgestreckt sind, hat das stielförmige Rostrale eine fast vertikale Stellung. An sein oberes Ende befestigt sich das mit den Zwischenkiefern in Verbindung stehende Band, während sein unteres Ende vermittels des anderen Abschnittes dieses Bandes an das Cranium angeheftet ist. Beim Vorstrecken der Kiefer stellt sich das Rostrale horizontal; es dient somit bei den Bewegungen der Zwischenkiefer in gewissem Maße wie ein Hebelarm. Das Maxillare der Cyprinoiden hat eine ziemlich komplieirte Gestalt, die sehr variabel ist. Es liegt hinter dem Alveolartheil des Zwischenkiefers, parallel mit dem letzteren. Nur bei den Catosto- miden überragt es den Zwischenkiefer lateral, und nimmt somit an der Begrenzung der Mundspalte Theil. So sieht es wenigstens an trockenen Skeletten aus; bei der Untersuchung frischer Objekte \ überzeugt man sich, dass dieses nicht ganz richtig ist, indem der laterale Theil der Oberlippe bei diesen Fischen nicht vom Knochen ' selbst, sondern von einer Aponeurose gestützt wird, welche vom lateralen Winkel des Zwischenkiefers zu einem nach unten promi- nirenden Theil des Maxillare zieht. Auf jeden Fall stellt das Verhalten der beiden oberen Kiefer- knochen in der Subfamilie der Catostomiden den primitiveren Zu- stand vor, da, wie ich früher nachgewiesen habe, die Lage des Maxillare lateral vom Zwischenkiefer gegenüber der Lagerung hinter dem letzteren Knochen als die ursprünglichere zu gelten hat. Bei den Catostomiden liegt das Maxillare wenigstens zum Theil noch lateral vom Zwischenkiefer, während es sich bei den übrigen Cypri- noiden ganz hinter den letzteren zurückgezogen hat. Auch in diesem j ' Das Cranium der Characiniden. Morph. Jahrb. Bd. X. 1884, | Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 585 Verhalten stellen die Catostomiden die der Urform noch am nächsten stehende Gruppe vor. Das laterale, hintere Ende des Maxillare verbindet sich auch bei den anderen Cyprinoiden durch ein straffes, kurzes Band mit dem lateralen Winkel des Zwischenkiefers, während das mediale Ende mit dem Cranium und dem vorderen Ende des Palatinum entweder direkt oder durch Vermittelung von Submaxillar- knochen artikulirt. Auf diese Weise stellt das Maxillare eine Angel vor, auf welcher sich der Zwischenkiefer bewegen kann. In einer früheren Arbeit habe ich darauf hingewiesen, dass das Maxillare bei manchen Fischen nicht direkt, sondern erst durch Ver- mittelung der Submaxillaria mit dem Cranium verbunden ist, und habe auch auf die morphologische Bedeutung der letzteren, die ich für homolog den oberen Labialknorpeln der Selachier ansehe, hinge- wiesen. Dem primitivsten Verhalten begegnen wir bei den Catosto- miden. Bei denselben sind zwei große knorpelige Submaxillaria vorhanden, die fest zusammengehalten werden, und von denen das mediale mit dem so vielfach erwähnten Gelenkknopf an dem vorderen unteren Theile des Schädels artikulirt, während der laterale sich mit dem Palatinum verbindet. Auf diesen Knorpeln liegt ein dritter, welcher in einem Bande eingeschlossen ist, und welcher eher eine Sehnenverknorpelung zu sein scheint. Das eben beschriebene Verhalten bei den Catostomiden leitet nach zwei Richtungen hin. Eine höhere Ausbildung erlangen die Submaxillaria in der Gruppe der Cobitididen, bei denen sie stets verknöchert sind. Bei Diplophysa, Nemachilus und bei Botia macracanthus stellen die beiden unteren kurze eylindrische Knöchelchen vor, welche die Verbindung zwischen dem vorderen Ende des Palatinum, dem Cranium und dem Maxillare herstellen helfen. Zu eigenthümlichen langen, griffelför- migen Kniéchelchen werden sie bei Botia hymenophysa, bei Cobitis und Misgurnus. Das dritte, weit kleinere Submaxillare liegt bei allen diesen Formen über den eben erwähnten Skeletstücken und ist in einem Bande eingeschlossen. Durch diese Einrichtung ist eine sehr beträchtliche seitliche Beweglichkeit der Kiefer und der ganzen Schnauze der Cobitididen ermöglicht, welche durch die schon be- schriebene bewegliche Verbindung des Ethmoidalabschnittes des Cranium mit dem übrigen Theil des letzteren noch unterstützt wird!. ! Diese auffallenden, kleinen Skeletstiicke waren bereits VALENCIENNES, l. ec. und Köstrin, |. e. pag. 341 bei Cobitis und Misgurnus bekannt, doch wussten sie dieselben nicht unterzubringen. Morpholog. Jahrbuch. 17. 38 586 M. Sagemehl Homaloptera verhält sich ähnlich den Cobitididen, doch scheint mir das obere Submaxillare zu fehlen, wenigstens habe ich an dem einzigen untersuchten Exemplare dasselbe vergeblich gesucht. Während in den beiden eben erwähnten Gruppen die Sub- maxillaria in dem Mechanismus des Kieferapparates eine wichtige Rolle spielen, sehen wir sie bei den Barbiden einer Reduktion an- heimfallen. Nur bei Cyprinus und Amblyrhynchichthys finde ich ein einziges gut ausgebildetes verknöchertes Submaxillare zwischen dem vorderen unteren Condylus des Schädels und dem Maxillare. Dasselbe scheint mir nach seiner Lage dem medialen Submaxillar- stück der Catostomiden zu entsprechen. Bei einigen anderen Gattun- gen, wie z. B. bei Labeo, Pelecus, Rasbora ist dasselbe sehr redueirt und besteht aus einem kleinen Faserknorpel. Bei der größten Mehrzahl der Barbiden ist dasselbe endlich vollständig redueirt. Doch findet man nach meinen Erfahrungen ganz konstant zwischen dem Maxillare und dem Gelenkknopf des Cranium eine derbere Bandscheibe, in welcher ich den letzten Rest des Submaxillare zu erkennen glaube. Über den Unterkiefer ist wenig zu bemerken. Er besteht immer aus einem großen, wie alle Kieferknochen zahnlosen Dentale, aus einem Articulare, welches den Gelenkabschnitt bildet und einem kleinen Angulare, das konstant vorzukommen scheint. Gegenüber den Characiniden und gegenüber Amia (und den übrigen Knochenganoiden) ist der Kieferapparat der Cyprinoiden hoch differenzirt. Obgleich den letzteren Kieferzähne abgehen, so nimmt doch der ganze Apparat dadurch, dass er beweglich mit dem Cranium verbunden und vorstreckbar ist, eine in funktioneller Beziehung höhere Stufe ein. Die Knochenganoiden und die fleisch- fressenden Characiniden können nach ihrer Beute nur schnappen. Auch bei den pflanzenfressenden Characiniden, die sich durch den Be- sitz von Submaxillarknorpeln zwischen dem vorderen Schädelende und den Oberkiefern von allen Characiniden noch am meisten an die Cyprinoiden anschließen, fehlt noch ein protraktiler Kieferapparat. Durch den Besitz des letzteren sind die Cyprinoiden nicht bloß be- fähigt ihre Nahrung zu fassen, sondern auch im Stande, nach der- selben zu suchen und jeden Bissen zu betasten und zu untersuchen!. ! Diese Eigenthümlichkeit ist jedem Angler bekannt. Während der mit einem fest angehefteten Kieferapparat versehene Hecht seine Beute sofort packt, eben so wie alle Salmoniden, betasten die Cyprinoiden und der mit vorstreck- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 587 Am volikommensten verhalten sich in dieser Hinsicht die Cobitididen, welche ihre Kiefer nieht bloß vorstreeken, sondern auch ausgiebige Seitenbewegungen mit der ganzen Schnauze ausführen können. Die bei Cyprinoiden so häufig vorkommenden Barteln (am zahlreichsten bei den Cobitididen), und die häufig wulstigen, mit zahlreichen ner- vösen Endorganen versehenen Lippen bei diesen Fischen, stehen mit der Ausbildung des Kieferapparates jedenfalls in engem Zu- sammenhange. Die Knochen des Suborbitalbogens und die sich an dieselben anschließenden dermalen Ossifikationen, die Praeorbitalia, die Supra- temporalia und die Supraorbitalia sind bei den Catostomiden und bei den Barbiden gut ausgebildet. Bei den Homalopteriden und bei den Cobitididen sind diese Knochen schwach und liegen mehr sub- eutan. Bei vielen Cobitididen ist das Präorbitale (Pro) zu einem knöchernen Stachel umgebildet, der vielleicht als Waffe eine Rolle spielt (Taf. XXIX Fig. 7). Eine genaue Vergleichung dieser Knochen mit den entsprechenden Ossifikationen bei anderen Fischen ist wegen ungenügender Kenntnis derselben zur Zeit nicht möglich. Der Opereularapparat der Cyprinoiden ist gut ausgebildet und wird stets von den drei typischen Knochen gebildet. Von Branchi- ostegalradien sind ausnahmslos drei vorhanden. Gegenüber den Characiniden, die eine größere Zahl besitzen, lässt sich in dieser Hinsicht eine Reduktion konstatiren. Auf die genauere Beschreibung des Skelets der Kiemenbogen kann hier nicht eingegangen werden. Als bemerkenswerth hebe ich nur hervor, dass bei den Catostomiden zwischen den Pharyngea in- feriora ein unpaarer länglicher Knorpel liegt, der nur als das Copu- lare des fünften Bogens angesehen werden kann. Bei den anderen Cyprinoiden habe ich diesen Knorpel vermisst. In dem Erhalten- bleiben dieser Skeletstücke schließen sich die Catostomiden an nie- derer stehende Formen, wie Amia und wie die Erythriniden aus der Familie der Characiniden, an und dokumentiren gegenüber den an- deren Cyprinoiden, bei welehen ich ihn vermisste, ein primitiveres Verhalten. Die Wirbelsäule der Cyprinoiden zeichnet sich eben so wie die- jenige der Characiniden dadurch aus, dass die oberen Bogen mit den Wirbelkörpern nicht fest verbunden sind. Doch sind die Kennt- baren Kiefern ausgestattete Barsch den Köder, und lassen ihn häufig wieder fahren, ehe sie sich dazu entschließen, ihn zu verschlingen. 38* 588 M, Sagemehl nisse der Wirbelsäule der Knochenfische noch zu wenig genügende,- als dass dieselbe bei der Vergleichung eine Rolle spielen könnte. Der primäre Schultergürtel der Cyprinoiden ist bereits in einer früheren Arbeit Gegenstand der Betrachtung gewesen!. Hier will ich nur wiederholen, dass er sich an den Schultergürtel der Chara- ciniden sehr nahe anschließt. Eben so groß ist die Übereinstimmung in den Knochen des sekundären Schultergürtels in den beiden Familien. Das rudimen- tire Extrascapulare und das Suprascapulare, an welchem ein medial gerichteter tief gelegener Fortsatz, der bei vielen anderen Fischen gefunden wird, nur rudimentär ist, sind bei der Beschreibung des Schädels besprochen worden. Über das Supraclaviculare und die Clavicula selbst ist nichts zu bemerken. Das Cuvrer’sche Coracoid wird bei allen Cyprinoiden angetroffen. Auch über die beiden Ex- tremitätenpaare ist nichts Bemerkenswerthes zu erwähnen. Die vertikalen Flossen der Cyprinoiden zeichnen sich vor den- jenigen der Characiniden dadurch aus, dass den ersteren eine hinter der Dorsalis gelegene Fettflosse fehlt. Außerdem entwickelt sich der dritte Strahl der Dorsalis mancher Barbiden und bisweilen auch der erste Strahl der Analis zu einem starken Knochenstrahl, in ähn- licher Weise, wie es bei den meisten Siluroiden angetroffen wird. In beiden Verhältnissen ist gegenüber den Characiniden eine höhere Differenzirung zu bemerken. Der Traetus intestinalis der Cyprinoiden ist in mancher Bezie- hung interessant. Während wir bei den Characiniden in den meisten Fällen Zähne in den Kiefern antreffen und bisweilen auch das Pala- tinum und das Eetopterygoid bezahnt ist, sind bei den Cyprinoiden alle diese Knochen zahnlos. Nur die auch bei Characiniden be- zahnten Ossa pharyngea inferiora tragen noch Zähne. Sehr zahl- reich sind dieselben bei den Catostomiden, bei denen sie jedoch eine einfach konische Gestalt besitzen und kammartig auf dem Knochen aufgereiht sind. Bei den Cobitididen und Homalopteriden haben die Pharyngealzähne ebenfalls noch ihre einfache Gestalt bewahrt, während sie bei den Barbiden schon eigenthümlichen Leistungen angepasst sind und häufig zu Mahlzähnen umgebildet sind 2. Entsprechend dem Mangel an Kiefer- und Gaumenzähnen bilden ! Das Cranium der Characiniden ete. Morph. Jahrb. Bd. X. pag. 16. 2 Eine genaue Beschreibung derselben bei Fr. HEINCKE, Untersuchungen über die Zähne niederer Wirbelthiere. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XXIII. 1873. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 589 sich bei vielen Cyprinoiden eigenthiimliche, durch Wucherung der Mundsehleimhaut entstandene Organe aus, die bei der Auffindung und bei der Aufnahme der Nahrung eine Rolle spielen (Fr. Leypie). Hierher gehören die gewulsteten, zum Theil eigenthümlich ge- stalteten mit zahlreichen Sinnesknospen versehenen Lippen vieler Catostomiden und Barbiden; bei anderen Barbiden sind die Kiefer- ränder scharf und von einer Hornlamelle bedeckt!. Die Cobitididen und Homalopteriden zeichnen sich durch den Besitz sehr zahlreicher, reichlich mit Sinnesknospen versehenen Barteln aus. Diese eigen- thümlichen Lippenbildungen werden reichlich von Nerven versorgt, welche bei manchen Formen wie z. B. Barbus und Misgurnus mäch- tige Stämme bilden und zwar die Unterlippe vom dritten Ast des Trigeminus, die Oberlippe vom zweiten Ast und vom Ramus palatinus Facialis, die mit einander vorher eine Anastomose (entsprechend dem Gangl. sphenopalatinum?) bilden. Es kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein auf die in der Familie der Ciprinoiden so mannigfaltigen für die Systematik sehr wichtigen Lippenbildungen, welche in jedem einzelnen Falle der Lebensweise des betreffenden Fisches angepasst sind, einzugehen und es genügt darauf hinzuweisen, dass in dieser Beziehung die Cyprinoiden eine weit höhere Differenzirung aufweisen, als die Characiniden. Auch die Schleimhaut der Mundhöhle, die bei Characiniden nichts Bemerkenswerthes bietet, geht bei den Cypri- noiden verschiedene Umbildungen ein. Die Catostomiden besitzen namentlich im hinteren Abschnitt der Mundhöhle eine sehr dicke, von zahlreichen quergestreiften Muskelfasern durchsetzte, an ihrer Oberfläche zerklüftete und mit Papillen bedeckte Mucosa. Ähnlich verhalten sich auch die Cobitididen und Homaloptera, doch kommt es noch nicht zur Differenzirung eines besonderen Organs. Das letztere tritt erst bei den Barbiden auf, das bekannte von WEBER entdeckte kontraktile Gaumenorgan, welches im hinteren Abschnitt des Mundhöhlendaches liegt und die dorsalen Abschnitte der knöcher- nen Kiemenbogen von unten bedeckt. Es ist wie gesagt einfach als eine noch weiter fortgeschrittene Ausbildung der auch bei ande- ren Cyprinoiden dicken und muskulösen Schleimhaut an einer um- schriebenen Stelle. Das Gaumenorgan ist sehr verschieden stark ausgebildet bei den verschiedenen Formen. Bei Cyprinus, Labeo, ! Diese Lamelle wird von echten, verhornten Epithelzellen gebildet und ist in so fern von Interesse, als sie den seltenen Fall einer Verhornung der Epidermis in der Klasse der Fische bildet. 590 M. Sagemehl Barbus und Verwandten ist es sehr mächtig; schwächer ausgebildet treffen wir es bei Leueiscus und den in dessen Nähe stehenden Gattungen. Unmittelbar hinter dem kontraktilen Gaumenorgan liegt die dem Pharyngealfortsatz von unten aufliegende hornige Kauplatte, die be- reits früher besprochen worden ist, und die den Pharyngealzähnen beim Zermahlen der Nahrungsmittel als Gegenlager dient. Die Funktion des kontraktilen Gaumenorgans scheint mir eine zweifache zu sein. Erstens dient es zweifellos als Tastorgan resp. Geschmacksorgan, wie die sehr zahlreichen zu demselben tretenden, vom Glossopharyngeus und Vagus stammenden Nervenäste und die eigenthümlichen langgestreckten Epithelzellen beweisen, welche einiger- maßen an die Epithelien der Riechschleimhaut erinnern!. Zweitens scheint es den Zweck zu haben verschluckte Bissen, welche bis zum Organ durch den Wasserstrom hingebracht worden sind, durch seine Kontraktionen weiter nach hinten zwischen die Pharyngealzähne und die Kauplatte zu befördern. Als ein Seitenstück zu dem WEBER- schen kontraktilen Gaumenorgan ist wohl das- von Lrypie beschrie- bene? am Boden der Mundhöhle gelegene Organ von Epalzeorhynehus und anderer exotischer Cyprinoiden zu betrachten. Wie aus dem Vorhergehenden hervorgeht, treffen wir in der Familie der Cyprinoiden in der Gestaltung der Lippen und der Mundhöhle eine Mannigfaltigkeit von Bildungen an, wie wohl kaum in einer zweiten Familie der Fische und haben in dieser Beziehung die Cyprinoiden hoch über die Charaeiniden, die nur ganz einfache Verhältnisse aufweisen, zu stellen. Der eigentliche Traetus intestinalis der Cyprinoiden ist relativ einfach gebaut. Auf den kurzen Ösophagus folgt der einfache wenig erweiterte Magen, der sich in einen aufsteigenden Schenkel fortsetzt. Der letztere besitzt im Gegensatz zu den Characiniden niemals Appendices pyloricae. Der übrige Theil des Darmes ist sehr verschieden lang. Kurz und fast gerade gestreckt ist er bei Cobitis, während er, um das andere Extrem zu erwähnen, bei Labeo sehr dünn und außerordentlich lang ist”. Die Gattungen Misgurnus und ! Die außerordentliche Sensibilität dieses Organs ist bekannt. Noch einige Stunden nach dem Tode des Fisches wird dasselbe durch ganz leichte Be- rührungen zur Kontraktion gebracht. 2 LEYDIG, |. ¢. 3 Zahlreiche Details bei Cuvier et VALENCIENNES, und bei RATHKE, Beiträge zur Geschichte der Thierwelt. II. Halle 1824. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 591 Cobitis sind außerdem dadurch bemerkenswerth, dass ihr Enddarm zur Luftathmung benutzt wird und in Anpassung an diese neu er- worbene Funktion eigenthümliche Strukturverhältnisse aufweist. Die Schwimmblase bietet viel mannigfaltigere Zustände als bei den Charaeiniden. Die Barbiden zeichnen sich durch das einfachste Verhalten aus. Bei denselben ist die Schwimmblase gedoppelt und besteht aus einer kleineren vorderen und einer größeren hinteren Abtheilung, welche durch ein dünnes Mittelstück mit einander ver- bunden sind. Der lange, dünne Luftgang mündet an der Stelle, wo sich das dünne Mittelstück mit der hinteren Abtheilung des Organs verbindet. Es ist somit genau dasselbe Verhalten, wie wir es bei Characiniden beobachten. Bei den Catostomiden treten an der vorderen Abtheilung des Organs Gestaltveränderungen auf, welche schließlich zu einer noch- maligen Einschnürung der vorderen Abtheilung führen, so dass die Schwimmblase nunmehr von drei hinter einander liegenden Theilen gebildet wird!. Nach einer anderen Richtung wird dieses Organ bei den Cobi- tididen umgebildet. Misgurnus fossilis besitzt, wie längst bekannt ist?, eine kleine Schwimmblase, welche vollständig in eine Knochen- kapsel eingeschlossen ist, die den Körpern der vier ersten unter ein- ander verschmolzenen Wirbelkörpern ventral aufsitzt. Diese Knochen- blase hat eine querovale Gestalt und ist medial etwas eingeschniirt. An der hinteren Wand ist eine kleine Öffnung, durch welche der Ductus pneumaticus zu der in dieser Kapsel ganz eingeschlossenen Schwimmblase tritt. Aus derselben Öffnung hängt eine ganz kleine Blase heraus, die sich wie eine herniöse Ausstülpung der einge- schlossenen Schwimmblase ausnimmt und die, wie die Art der Ein- mündung des Ductus pneumaticus beweist, nur das Rudiment der hinteren Abtheilung der Schwimmblase bei den übrigen Cyprinoiden vorstellen kann. Die knöcherne Kapsel besitzt jederseits ein laterales Fenster, durch welches die Wand der Schwimmblase und die äußere Haut des Fisches an einer umschriebenen Stelle, dicht hinter der Clavieula in direkten Kontakt kommen. Wie bei allen Cyprinoiden stehen außerdem auch die Knöchelehen des WEBEr’schen Apparates, welche bei diesem Fisch fast ganz von den Wandungen der Knochen- ! Bei Catostomus Lesueurii ef. CUVIER et VALENCIENNES, l. c. ? Eine vorzügliche Beschreibung ist bei WEBER, De aure et auditu ho- minis et animalium zu finden, 592 M. Sagemehl kapsel umschlossen werden und daher am Skelet von außen nicht zu sehen sind, mit der Schwimmblase in Verbindung. Die Bedeutung dieses Einschlusses der Schwimmblase in eine starre knöcherne Kapsel scheint mir bisher nicht richtig erkannt zu sein. Fr. Day hat den Versuch gemacht, ähnliche Verhältnisse bei Siluroiden mit dem Aufenthalte in hochgelegenen Gebirgsbächen und mit dem tiefen Barometerstande und der relativ tiefen Temperatur in Zusammenhang zu bringen, doch — wie vorauszusehen war — ohne Erfolg. Es scheint mir, dass die Bedeutung dieser Einrichtung ganz wo anders zu suchen ist. Den meisten Fischen dient die Schwimmblase ein- fach als hydrostatischer Apparat. Bei den Ostariophysen erlangt sie eine neue Funktion, indem sie mit dem Weperschen Apparat in Verbindung tritt und nunmehr auch als barometrischer Apparat be- nutzt wird. Die Schwimmblase von Cobitis und Verwandten verliert ihre hydrostatische Funktion vollständig und dient bloß zu barome- trischen Zwecken, denen sie sich in eigenthümlicher Weise anpasst. Die knöcherne Hülle der Blase dient offenbar dazu, um jeden abdominalen Druck von derselben fern zu halten, die lateralen Fenster, um die in der Blase eingeschlossene Luftmasse möglichst direkt mit dem äußeren Medium in Verbindung zu bringen. Außer dem eben erwähnten Zweck hat die feste knöcherne Umschließung der Blase noch einen weiteren. Wenn die Blase eine häutige, an allen Stellen elastische wäre, so würde der auf dieselbe von einer Stelle ausgeübte Druck auf die gesammte Wandung wirken und da- durch an der Stelle, wo der Malleus inserirt, nicht größer sein können, als an irgend einer beliebig anderen Stelle der Wand. Das wird durch eine starre Knochenkapsel verhindert. Der auf dem lateralen Fenster lastende Druck wird durch diese Einrichtung bloß auf die Insertionsstelle des Malleus an der Blase koncentrirt und auf diese Weise die Empfindlichkeit des ganzen Apparates für barometrische Zwecke in hohem Grade gesteigert. In ähnlicher Weise wie bei Misgurnus ist die Schwimmblase von Nemachilus, Cobitis, Acanthoph- thalmus und Diplophysa! gebaut. Das Verhalten der Schwimmblase von Misgurnus und Verwan- dten steht nicht ganz unvermittelt da, sondern ist durch Übergangs- 1 Zwar giebt KESSLER an, dass die Schwimmblase dieser Gattung — wie es auch der Name andeuten soll — gedoppelt sei und die hintere Abtheilung frei in der Leibeshöhle liege. Es mag das für einige Arten gelten. Die mir in einem typischen Exemplar vorliegende Art Dipl. Strauchii Kessl. hat eine, ganz wie bei Nemachilus gebildete Blase. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 593 formen mit dem gewöhnlichen Zustande bei Barbiden verbunden. Die Arten der Gattung Botia besitzen eine gedoppelte Schwimmblase, deren vordere kleinere Abtheilung jedoch theilweise von einer Knochenkapsel umgeben wird, so dass nur die hintere ‚frei bleibt. Die Bildung der Knochenkapsel geht, wie ich mich sehr deutlich bei Botia maeracanthus und Botia hymenophysa überzeugen konnte, von den Querfortsätzen des dritten Wirbels aus, von denen her papierdünne Knochenlamellen ihren Ursprung nehmen, welche die Blase umschließen. Auch Homaloptera besitzt eine Schwimmblase, wie ich bei Ge- legenheit bereits erwähnt habe, doch ist es sehr verständlich, dass dieses Organ bisher übersehen worden ist, da es sehr versteckt liegt. Die Blase von Homaloptera ist in zwei laterale Abtheilungen zer- fallen. Jede derselben liegt in einer Knochenkapsel, welche von den Querfortsätzen des dritten und vierten Wirbels gebildet werden. Auf den ersten Blick sieht es aus, als wären die zu einem einzigen verschmolzenen Querfortsätze der erwähnten Wirbel bloß stark ver- diekt und verbreitert und erst nach Eröffnung dieses Selettheils sieht man, dass er hohl ist und die kleine Schwimmblase enthält. Lateral ist diese von Knochen gebildete Kapsel offen und an der Stelle grenzt die Wand der Schwimmblase direkt an das äußere Integument, in ähnlicher Weise wie bei Cobitis. Nach vorn steht mit jeder Schwimmblasenhälfte der Malleus, welcher hier ebenfalls ganz von Knochen umscheidet ist, in Verbindung und unter den Wirbelkörpern liegt der dünne, beide Schwimmblasenhälften mit einander in Ver- bindung setzende Gang, welcher ebenfalls von einer Knochenröhre umscheidet ist und in welchen der Ductus pneumaticus einmündet. Das Verhalten der Schwimmblase bei Homaloptera ist offenbar von demselben Gesichtspunkte zu betrachten, wie das eben erörterte von Cobitis. Doch scheint es mir, als ob beide Einrichtungen unab- hängig von einander entstanden seien, da sie trotz der physiologischen Ähnlichkeit morphologisch total verschieden sich verhalten. Wenn wir das Verhalten der Schwimmblase der Cyprinoiden mit demjeni- gen der Characiniden vergleichen, so stellt es sich heraus, dass das Verhalten im großen Ganzen ein übereinstimmendes ist. Die bei einigen Cyprinoiden zu beobachtenden Komplikationen im Bau der Schwimmblase sind lokaler Natur und hängen von speciellen Lebens- bedingungen ab. Uber die Kiemen der Cyprinoiden ist gar nichts zu bemerken; sie sind ganz nach dem gewöhnlichen Teleostiertypus gebildet. Um 594 M. Sagemehl so wechselnder ist das Verhalten der Opercularpseudobranchie. Es variirt in hohem Grade, doch lassen sich immerhin gewisse Regeln aufstellen. Bei den Cobitididen scheint das Organ allgemein zu fehlen. Ich habe es selbst an ganz jungen, wenige Wochen alten Exemplaren von Misgurnus fossilis auf Querschnitten vermisst. Eben so wenig habe ich es bei Homaloptera finden können. Den beiden anderen Subfamilien: den Catostomiden und den Barbiden, kommt es, wie es scheint, ganz allgemein zu, doch ist die Lage eine sehr wechselnde. Während die Catostomiden stets freie Pseudobranchien zu besitzen scheinen, sind dieselben bei den Barbiden bald frei bald verdeckt und zwar kommen selbst bei nahe verwandten Formen derartige Verschiedenheiten in der Lage des Organs vor, dass vor der Hand eine Regel darüber aufzustellen nicht gut möglich ist. Erklärung der Abbildungen. Tafel XXVIII und XXIX. Bezeichnungen, die für alle Figuren der Schädel gelten. Ob Occipitale basilare, Ol Occipitale laterale, Ez Occipitale externum, So Occipitale superius, Ic Intercalare, Pe Petrosum, Sg Squamosum, Ps Parasphenoid, Psf Postfrontale, Prf Präfrontale, Pa Parietale, F Frontale, Eth Ethmoid, Vo Vomer, Sm Septomaxillare, Os Orbitosphenoid, As Alisphenoid, fo Occipitalfenster, oc besondere Austrittsöffnung für den ventralen Ast des Occipitalnerven, v Vagusöffnung, gph Glossopharyngeusöffnung, Ja Faeialisöffnung, ju Öffnung für die Vena jugularis, Tr Trigeminusöffnung, tr besondere Austrittsöffnung für den ersten Ast des Trigeminus, op Opticusfenster, ol Olfactoriusöffnung, ca Öffnung für die Carotis, cm Augenmuskelkanal, cs Canalis semicircularis anterior, externus, posterior, ce = = cp - - tg Temporalhöhle, stg Subtemporalhöhle, ep Epiphysarleiste, hm Hyomandibularpfanne, ph Pharyngealfortsatz, d.o Grube für den Ansatz des Musc. dilatator operculi, ji Längsfissur des Cranium, In Linea nuchae, b.a.ut Bulla acustica utricularis, c.si Cavum sinus imparis. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. rn a a 14, 18, Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. IV. 595 Tafel XXVIII. Schädel von Catostomus teres (!/mal vergr.). Dorsale Ansicht. Schiidel von Catostomus teres, ventrale Ansicht. Schiidel von Catostomus teres, laterale Ansicht. Ansicht desselben Schädels von hinten. Der Länge nach durchsägter Schädel von Catostomus teres. Schädel von Amblyrhynchichthys truncatus (nat. Gr.). Dorsale Ansicht. Derselbe. Laterale Ansicht. Schädel von Barbus vulgaris (nat. Gr.). Dorsale Ansicht. Derselbe. Ventrale Ansicht. Derselbe. Laterale Ansicht. Schädel von Cyprinus carpio var. (nat. Gr.). Dorsale Ansicht. Schädel von Barbus lateristriga (nat. Gr.). Laterale Ansicht. Schädel von Barbus vulgaris. Ansicht von hinten. Tafel XXIX. Schädel von Homaloptera ocellata (3mal vergr.). Dorsale Ansicht. Derselbe. Ventrale Ansicht. Derselbe. Ansicht von hinten. Schädel von Botia macracanthus. Ansicht von hinten. Schädel von Cobitis fossilis (3mal vergr.). Dorsale Ansicht. Derselbe. Ventrale Ansicht. Schädel von Botia macracanthus (1!/amal vergr.). Dorsale Ansicht. Auf der linken Seite ist das zum Stachel umgestaltete Präorbitale wiedergegeben (Pro). Derselbe Schädel. Ventrale Ansicht. Derselbe. Laterale Ansicht. Schädel von Homaloptera ocellata (3mal vergr.). Laterale Ansicht. Schädel von Cobitis fossilis (3mal vergr.) Laterale Ansicht. Der Länge nach durchsägter Schädel von Cobitis fossilis. Schädel von Barbus vulgaris (nat. Gr.), nach Entfernung der Fron- talia und Parietalia, um die Knorpelreste des Primordialeraniums zu zeigen. ep Epiphysarleiste. 15, 16, 17. Die verschiedenen Zustände der Subtemporalgrube (Stg) bei vier Cyprinoiden (Barbus, Tinca, C. carpio, Catostomus teres). Ventrale Ansicht der rechten hinteren Ecke des Cranium. Ansicht des Schädels von Cobitis taenia (3mal vergr.) von hinten. Über den Conus arteriosus der Fische. Von C. Gegenbaur. Mit 7 Figuren im Text. Der Conus arteriosus der Selachier und Ganoiden ist in den letzten Decennien durch mehrfache Untersuchungen in seinem ana- tomischen Verhalten, besonders hinsichtlich seiner Klappenapparate ziemlich genau bekannt geworden, allein es fehlt doch noch Manches zum vollen Verständnis. So ist eine Hauptfrage noch unerledigt geblieben, jene, wie sich der an Klappen reichere Apparat der Knochenganoiden (Lepidosteus und Polypterus) zum ärmeren der Se- lachier und der Störe verhält. Ist der erstere aus letzterem (d. h. aus einem diesen ähnlichen) entstanden oder umgekehrt? Die bis jetzt noch fehlende Kenntnis eines beiderlei Formen gemeinsam zu Grunde liegenden Zustandes ließ die Beantwortung jener Frage nicht zu, und man konnte darin höchstens zu Vermuthungen gelangen, die wieder verschiedenartig ausfielen, je nachdem man sich dabei mehr auf den Befund des Apparates selbst oder auf die systematische Stellung seiner Besitzer stützte. Zur Lösung der Frage einen Schritt vorwärts zu thun, gab mir die Untersuchung zweier Lepidosteus, die noch nicht ihre definitive Größe erreicht hatten, Anlass. Von solchen standen mir Köpfe mit einem Theile des Rumpfes zu Gebote, und durch Vergleichung mit älteren vollständigen Exemplaren konnte ihre Länge annähernd auf 36—40 em bestimmt werden. Der geöffnete Conus arteriosus bot beim ersten Blicke sechs, genauer besehen sieben mit scharfen Kanten vorspringende Längswülste, welche hinten fast unmittelbar vor der Kammergrenze breit beginnen und nach vorn zu sich verschmälerten. \ T ) >’ : Morpholog Jabrb Bd. KUN. Tak AAN. | Catostomusteres. Fa chee Fig.7. Fl Vy © Barbas vulgaris. \ phe | % ag p fe ent gph 4 PSP ca Sm. Cato stomıs teres. aAnbiphynchichtliys truncatus. pls” (Thea As Barbus lateristriga So H Sm PR Fig.10. Er Cato stomus teres. ‚50 est. ie Pi ey Barbus mulganis. Amblyriuynehichtiujs truncatus. Verlag von Wilh. Engelmann inleipaig | Morpholog. Jahrb. Bd.XVIl. Taf. XX/X. Homaloptera ocellata Fig.3. Psf So Homaloptera ocellata Fig. 14. Botia macracanthus Fig.9. aa Cobitis tossilis Fig.6. Botia macracanthus Fig. 15. hr Cobitis taenia Sp es Fig. 10. Ob Frf 0s op As Tr Fü ju "OP tem Pa Fig. tt. Homaloplera ocellata Tope et F ee wn ee sm 56 Pf oe As Tr fap yph vo’ N (obitis fossilis Zu ph Ty. fee Fig. 12. _ - “fa 2 coup a Catostomus teres = a Barbus vulgaris He a | i Cobitis fossilis Pr m ER 1 Pv at oS Cobitis fossilis Lei SZ Sagemahl gez. f Verlag von Wilh.Engelmam in Leipzig UnkatrE A Funke, Lapıig Über den Conus arteriosus der Fische. 597 Vier stärkere wechselten mit drei schwächeren, welche aber an Stärke wieder nicht ganz gleich waren. Die stärkeren Wülste waren bis _ zum Hinterrande tiefer, vollkommen ausgebildeter Taschenklappen _ verfolgbar, mit welchen der Apparat gegen den Anfang des Arterien- -stammes seinen Abschluss fand. Von den etwas kleineren Wülsten erreichten nur zwei jene Taschenklappen, und in drei bis vier Zwi- schenräumen war je eine feine Längsfalte zu bemerken. Nach sorg- fältigem Abspülen und Auspinseln der ausgebreiteten Innenwand des Conus und dadurch erfolgter Befreiung derselben von Blutgerinnseln, zeigten sich an den größeren Wülsten Reihen von Verdickungen, und nach und nach trat das Bild von Klappen hervor, ähnlich dem von größeren Thieren bekannten Befunde. Dass die Klappen im Conus arteriosus von Lepidosteus »eigentlich zusammen Längswülste« bilden, hat bereits Boas! ausgesprochen, es fände sich darin somit nichts Neues, was mich zu dieser Mittheilung hätte veranlassen können. Die genauere Untersuchung hat aber doch manches nicht ganz Un- wichtige herausgestellt, und diesem gelten die folgenden Zeilen. Vollständig ausgebildete Klappen, tiefe aber schmale Taschen bildend, sind distal vorhanden, zwei davon sind von ausnehmender Schmalheit, besitzen aber eben so wie die anderen vier ein Lumen. Dieses reicht jedoch nicht so weit wie bei den anderen hinab, so dass der Taschengrund früher erreicht wird und der durch die Klappe dargestellte Vorsprung zum großen Theile solid ist. Auf der ge- wölbten Mitte jeder dieser Taschenklappen beginnt eine mem- branöse Leiste, welche über den betreffenden Längs- wulst herabzieht, und hin und wieder zwischen den Klappen in feine Längsstränge aufgelöst die Klappen unter einander verbindet. Auch in der Aufeinanderfolge der Klappen ergab sich in der viel dichteren Stellung eine Eigenthümlichkeit. Dies Alles veranlasste mich, den anderen Conus arteriosus auf einer Querschnitt- serie näher zu untersuchen. Aus zahlreichem Detail hebe ich die Hauptpunkte hervor. Von den durch die Länge des Conus ziehen- den Klappenreihen, welche Längswülste bilden, sind drei bis vier stärkere bis zur Mitte des Conus vorspringend, die Zahl ist ver- - schieden nach der Schnitthöhe, allein nirgends sind mehr als vier, oft nur drei der Falten von jenem Umfange. Zwischen den stärkeren sind schwächere, wieder drei etwas ansehnlichere und mit den ersterwähnten alternirend und dazu noch ein bis drei noch ! Dieses Jahrbuch. Bd. VI. pag. 323. 598 C. Gegenbaur geringere Erhebungen, welche nicht in der Gesammtlänge des Conus zu beobachten sind. Die für verschiedene Höhen sich treffende Verschiedenheit der Zahl der stärkeren und der schwächeren Fal- ten rührt von einem Wechsel der Größe der Falten, nicht von einem Schwinden derselben her. Wenn in einer Anzahl von Schnitten drei der Hauptfalten bestehen, in den folgenden Schnitten dagegen deren vier vorkommen, so ist nicht etwa eine Falte hinzugekom- men, sondern es hat eine schon vorher vorhandene geringere all- mählich an Umfang so zugenommen, dass sie bis in die Mitte reicht, und sich dadurch den Hauptfalten anschließt. So ergiebt sich also aus den Querschnitten, dass eine viel größere Differen- zirung der Längsfalten be- steht, als im Flächenbilde wahrnehmbar war, indem nur drei (höchstens vier) ersten Ranges sich erkennen lassen. Ein übersichtliches Bild von dem verschiedenen Verhalten der Längsreihen giebt vorstehende Fig. I, welche die Basen der Klap- pen im Conus darstellt. Auch für die Klappen der distalen Reihe, die wir Querschnitt durch den Conus an der untersten Klappen- uns am Ende der Längs- reihe. Die Sue ka BR N) den Fig. U-V wiülste befindlich vorzustel- len haben, ergiebt sich ein ähnliches Verhalten. Ich finde da nuy vier ausgebildete vor, aber von diesen sind zwei gegenüberstehende bedeutend umfänglicher (Fig. IV, V), während zwischen diesen und den minderen nur noch zwei sehr kleine Klappgebilde vorhanden sind. Sechs Falten endigen also hier mit sehr ungleich ausgebildeten Klappen. Für das genauere Verhalten der Klappen bietet sich an den Längsfalten eine Reihe beachtenswertber Eigenthümlichkeiten. Am Beginne, im proximalen Abschnitte des Conus, bietet der Querschnitt nur solide Theile der Längsfalten dar. Sie springen von der binde- gewebigen Innenwand des Conus zu einer unregelmäßigen Sternfigur vor (Fig. I), und dieser Zustand wiederholt sich am gesammten Conus je für die einzelnen Querreihen der Klappen. Die innere Schicht Über den Conus arteriosus der Fische. 599 des Conus, welche von der quergestreiften Muskelfaserschicht! über- lagert wird, besteht aus größtentheils kreisförmig verlaufenden Binde- gewebszügen, die sich in schräger Richtung durchflechten, so dass im Querschnitte nur kurze Strecken des Verlaufs sichtbar sind. Zahlreiche Spalten sowohl in als zwischen den Faserbündeln lassen das Gewebe als lockeres erscheinen, und gegen die Basen der Fal- ten zu treten die Züge meist in eine schrägere Richtung über, sind aber nicht weit in die Vorsprünge deutlich verfolgbar. Ob sie in jene umbiegen, muss ich dahin gestellt sein lassen. Jedenfalls tritt in den Falten eine andere Anordnung der Bindegewebszüge hervor, und viele sind nur im Querschnitte oder in schrägen Schnitten vor- handen, so dass daraus ein vorwiegender Längsverlauf der Bündel erschlossen werden kann. Während am Beginne der jeweils den einzelnen Klappen-Querreihen entsprechenden Vorsprünge diese Längs- richtung der Bindegewebsbiindel minder ausgesprochen ist, kommt sie an den höheren Schnittlagen deutlicher zum Vorschein. Das Gewebe der Wülste ist zugleich fester gefügt und macht den Ein- druck von Sehnengewebe, in welchem nur gröbere Faserbündel bestehen. An der Übergangsstelle in die Conuswand ist jeweils zur Seite von jedem Vorsprung lockeres Gewebe vorhanden, und dieses formt sich hier wiederum zu kleinsten Längsfalten, die aber nur über kürzere Strecken in der Schnittserie verfolgbar sind. Immerhin ist beachtenswerth, dass solche Falten doch an manchen Orten über die halbe Conuslänge verlaufen und den Übergang zu den etwas stärkeren vermitteln, wie diese selbst durch Zwischenstufen in die "stärksten übergehen. Man hat also die gesammte Conuswand durch Längsfalten ausgezeichnet anzusehen und nirgends be- steht zwischen den größeren Falten eine wirklich glatte Strecke. Aus der Textur der feinsten Fältchen ergiebt sich, dass es sich hierbei nicht etwa um Artefacte handelt. Die geschilderten Vorsprünge bilden den Anfang der einzelnen Klappen, deren jede einen solchen massiven Abschnitt in größerer Ausdehnung besitzt. Auf diesen soliden oder den basalen Abschnitt folgt der die eigentliche Tasche darstellende Theil, auf dessen mitt- leren Abschnitt der Bindegewebswulst fortgesetzt ist. Auf jeder 1. Bezüglich dieser Schicht des Conus bemerke ich, dass sie aus quer und schräg durchflochtenen Zügen besteht, zwischen denen Bindegewebe Verbrei- tung findet. 600 C. Gegenbaur Klappe wird also ein sehr dicker, den vorspringenden Theil dar- stellender Abschnitt angetroffen, welcher die Tasche stützend an beiden Seiten in eine membranöse Strecke übergeht, durch die wie- der die Verbindung mit der Conuswand vermittelt und der seitliche Abschluss der Tasche ge- bildet wird. Diese Seiten- wand der Tasche ist in den Klappen der distalen Quer- reihe bedeutender ausge- bildet, und liegt an den größeren in einigen Falten (Fig. IV, V), indess sie, auch an den großen Klappen wei- ter im Conus herab, keine Falten bietend sich straffer darstellt (Fig. II), und nach der Conuswand zu bald un- terbrochen wird, indem hier der Taschenraum mit dem betreffenden intervalvulären Raum des Conus kommunicirt. Die in der Mitte des Conus durch Kontakt mit den anderen Klappen den Verschluss herstellende verstärkte Strecke der Klappe setzt sich in der Mitte verschmälert bis an den wulstförmigen Vorsprung der nächst höheren Klappe fort. Auffallend ist die Ungleichmäßigkeit der inneren Fläche, welche durch abgerundete Vorsprünge aller Art, sich auszuzeichnen pflegt (Fig. II). Der aufwärts gerichtete Rand der Tasche überragt nicht selten die Basis der folgenden, an welche er immer bald mit einem breiteren, bald mit einem schmäleren Theile übergeht. Eben so setzen sich vom Seitenrande der Klappe schmale Züge zur nächstvorhergehenden fort. Wenn wir diese Verbindungen der Klappen unter sich als »sehnige Fäden« be- zeichnen, so soll damit kein Gegensatz zur Klappe ausgesprochen sein, denn diese besteht zweifellos aus dem gleichen Gewebe. Die Zahl dieser sehnigen Verbindungsstränge, eben so wie ihre Stärke ist sehr verschieden, wie in nebenstehender Fig. III zu ersehen ist. Nie erstrecken sie sich zur Conuswand selbst und zu den kleineren Fältchen, oder zu der Klappe einer anderen Längsreihe. Die Ver- bindung einer Klappenspitze mit dem Wulste der vorhergehen- den Klappe wird in der Flächenansicht einen mehreren "Klappen f Uber den Conus arteriosus der Fische. 601 gemeinsamen Saum vorstellen, wie ich ihn oben beschrieben habe. Dieser Zusammenhang ist zwischen einzelnen Klappen durch meh- rere Fäden vertreten, indem die Klappenspitze successive in solche aufgelöst ist. Auch da, wo sie einheitlich sich darstellt, wird eine Trennung in sehnige Bündel von der Innenfläche bemerkbar, wie ja auch die Klappen selbst an dieser Fläche, wie schon bemerkt, Vorsprünge aller Art dar- bieten. Auch die seitlich vom Klappenrande zur Basis der vorhergehenden Klappe gelangenden Verbindungen sind sehr häufig nicht durch bloße Fäden, sondern durch viel breitere Züge dargestellt (Fig. III), es sind also grö- Bere Strecken der Klappen unter einander verbunden. Die Fäden sind die Sonde- rung solch umfänglicher Ver- bindungen. Daraus, wie aus dem Einspringen der ver- dickten Klappenbasen in dem j Bereich der darunter befind- Nas der iheren Querreite sind die shnmilichen liehen Klappe beziehungs- Klappenbasen getroffen, von der tieferen die zum Theile : . B durch Sehnenfäden dargestellten Verbindungssträng® weise der sehnigen Verbin- der Klappen mit jenen der höheren Reihe. dungen derselben, gewinnen wir die Vorstellung einer näheren Zusammengehörigkeit der je in einer Längsreihe liegenden Klappen. In den Längsreihen stellen die vordersten, wie längst bekannt, die am meisten ausgebildeten dar, die zugleich der an den anderen Klappen vorhandenen Sehnenfäden entbehren. Auch bei diesen er- streckt sich von der Basis jeder Klappe her eine massivere Gewebs- masse in den vorspringenden Vordertheil und verdünnt sich nach dem freien Rande der Klappe zu, wie aus einer Vergleichung der verschiedenen in Fig. IV und V gegebenen Querdurchschnitte dieser Klappen zu ersehen ist. Die eine größere Leistungsfähigkeit be- dingende höhere Differenzirung sprieht sich vorzüglich in der late- ralen Wand jeder dieser Klappen aus, welche bei der Füllung durch Ausgleichung ihrer Falten den Taschenraum auszudehnen vermag. An den+-übrigen Klappen ist dieses in viel geringerem Maße Morpholog. Jahrbuch. 17. 39 602 C. Gegenbaur gegeben. Der Blutstrom gelangt hier nicht von vorn her, wie bei den erstgenannten, sondern seitlich, von den Intervalvularspalten aus in den Raum der Taschen, deren seitliche Wandung ihre Ver- bindung mit der Conuswand tiefer unten als der vordere Rand der Klappe besitzt (Fig. II). Da hin und wieder auch an dieser Stelle Sehnenfäden vorkommen, wird man von einer Durchbreehung der Seitenwand sprechen dürfen. Durchschnitte durch die oberste Klappreihe. In Fig. IV ist der Schnitt der Basis nahe, während Fig. V eine höher liegende Schnittebene darstellt. Vergleichen wir die aus der Querschnittserie gewonnenen Be- funde der Klappen mit dem der Längsreihen der Klappen der er- wachsenen Thiere, so ergiebt sich für die vorderste Querreihe in so fern Übereinstimmung, als wir die Klappen im ausgebildeten Zustande antreffen, aber der Ausbildungsgrad ist verschieden, indem vier breiter und tiefer sind (Fig. IV, V a,d,c,d) als zwei oder drei andere und indem auch die größeren wieder zu je zweien sich ver- schieden verhalten. J. MÜLLER! fand hier bei Lepidosteus osseus fünf ziemlich gleichartige Klappen und bei L. semiradiatus deren vier, während StTÖHr? für den ersteren vier angiebt, aber zwischen die- sen noch vier kleinere Klappen beschreibt. Größeren Werth als auf die Differenzen der Zahlenbefunde glaube ich auf den Zustand der 1 Über den Bau und die Grenzen der Ganoiden. Abhandl. der k. Akad. der Wiss. zu Berlin. 1844. pag. 126. 2 Dieses Jahrbuch. Bd. II. Über den Conus arteriosus der Fische. 603 Klappen legen zu dürfen. Die Zwischenklappen Stöur’s sind von ihm als rückgebildet angesehen. Nach der Abbildung sind es auch keine Taschen mehr, während ich noch theilweise Taschen erkennen kann. Wenn ich meine Beschreibungen auf die SrTöHr’schen beziehe, so ist in der That die Rückbildung konstatirt. Es gelangen in der ersten Reihe von einer größeren Zahl von Taschenklappen nur vier zur vollen Ausbildung. Ob die von mir zwar noch in Taschenform gesehenen aber doch an Umfang gegen die anderen sehr zurückstehenden Zwischenklappen früher jenen anderen völlig gleich waren, vermag ich nicht anzugeben. Das aber scheint mir sicher, dass sie eine Reduktion erfahren, dass also von dem von mir beobachteten Zustande bis zu jenem des Srdurschen Falles eine Veränderung vor sich gegangen ist, darin, dass eine Differenzirung sich vollständiger vollzog, welche einige derselben zur Ausschaltung, andere zur vollständigeren Ausbildung gelangen ließ. Die physio- logische Bedeutung dieses Vorganges wird durch die Erwägung klar, dass eine Minderheit größerer, d. h. weitere Taschen vorstellender Klappen die Schlussventilleistung besser verrichtet, als eine größere Anzahl kleinerer, die bei der Füllung weit weniger ins Gefäßlumen vorspringen. Hinsichtlich der folgenden Klappen tritt an den jungen Exem- plaren vor Allem deren Zusammenhang in den Längswülsten besonders durch den freien Membransaum hervor. Nur an einigen Klappen ist dieser in Fäden aufgelöst, und auch die seitlichen Fäden kommen weder an Zahl noch an Länge und Selbständigkeit dem erwachsenen Zustande gleich, die Klappen, resp. deren Anlagen, stehen dem entsprechend auch in dichterer Folge. Die gesammte Reihe zeigt sich also erst im Begriffe der Sonderung, die an der vorspringenden, die Klappen verbindenden Leiste, dem am mei- sten einragendem Theile des Apparates, der somit beim Schlusse die wichtigste Rolle spielt, noch am wenigsten vollzogen ist. Wäh- rend im ausgebildeten Zustande an einer Anzahl von Klappen deren Sehnenfäden zur Conuswand gelangen, sind diese im untersuchten Falle nur zur je vorhergehenden Klappe verfolgbar. Die Klappenreihen befinden sieh also in einem anderen Zu- stande, auf welchen auch durch das Verhalten der Zwischenklappen _ einiges Licht fällt. An deren Stelle zeigt der Jugendzustand Längs- falten mit Andeutung einer Klappenbildung. Aus solchen Falten müssen die Zwischenklappen entstanden sein, durch Auflösung einer Längsfalte in einzelne, der späteren Klappenzahl entsprechende 59* 604 C. Gegenbaur Abschnitte. STÖHR hat die Zwischenklappen als reducirte bezeich- net; wir werden sie richtiger als weniger ausgebildete beurtheilen, denn der Zustand, dem sie entspringen, ist nicht eine ausgebildete Klappe, sondern eine Längsfalte der Conuswand, die sich in ein- zelne Abschnitte auflöst. Auch phylogenetisch wird dasselbe der Fall sein, da für alle diese hinteren Klappen nicht das Bestehen einer größeren Anzahl völlig ausgebildeter Klappen den Ausgangs- punkt abgeben kann, weil ein solcher Zustand eben noch nicht be- obachtet wurde, wohl aber ein anderer, nämlich jener der Falte. Das indifferentere Verhalten der jüngeren Lepidosteus lässt noch einen weiter zurückliegenden Zustand erschließen. Nehmen wir an, dass an allen Klappen einer Längsreihe nicht bloß der Längssaum sich erhält, wie er ja in der That auf großen Strecken bestehen bleibt, stellen wir uns ferner die seitlichen Einsenkungen zwischen den Klappen minder bedeutend vor, wie sie ja vorher gewesen sein müssen, so werden die die Klappen verbindenden Sehnenfäden gänz- lich fehlen, und die Klappen selbst durch bloße Verdickungen am Längswulste vertreten sein. Dann ist es noch nicht zu einer Ent- stehung von Klappen gekommen, und deren Anlage bestehtin dem Längswulst, der also in Klappen sich sondert, indem er theilweise durchbrochen wird. Zwischen den Durchbrechungsstellen bleiben die Sehnenfäden als Reste des primitiven Zusammenhanges bestehen. Die Anordnung der Klappen in Längsreihen ist also von der Entstehung von Längswülsten abzuleiten, und diese repräsentiren den primitiven Zustand des ge- sammten Apparates. Wir rechnen dazu auch die distalen, sehr ausgebildeten Klappen, da wir sie mit den folgenden durch den beschriebenen Saum und später noch durch Sehnenfäden in Zu- sammenhang stehen sehen. Für die Beurtheilung der Klappen des Conus arteriosus der übrigen Ganoiden wie der Selachier werden dieselben Gesichtspunkte zur Geltung kommen müssen, da die gleiche Anordnung in Längs- reihen waltet. Bezüglich der Selachier hebe ich das Vorhanden- sein von vier Längswülsten im Conus arteriosus bei Acanthias- embryonen hervor. Als Untersuchungsobjekt dienten Embryonen von 5 cm Länge. Bevor Klappen sich sondern, wird also der Conus arteriosus von jenen Längswülsten ausgekleidet. Sie verengen den Raum und werden ihn bei der Conussystole schließen. Der vordere Theil dieser Längswülste ist gegen die Arterie gerichtet; gegen diesen Abschnitt muss die Blutsäule in der Arterie sich bei der Über den Conus arteriosus der Fische. Conussystole stauen. 605 In Fig. VI ist der Conus arteriosus mit zwei sich gegenüberstehenden Längswülsten dargestellt. Die Wülste be- stehen aus embryonalem Bindegewebe (Gallertgewebe) mit zahlreichen Zellen, welche nach innen hin dichter liegen. Die Oberfläche wird von einer epithelialen Zelllage über- kleidet. Die Wülste sind nichts An- deres als Verdiekungen der Innen- schicht der Conuswand. Nach außen davon findet sich die Muskellage (Fig. VIm), welche kontinuirlich in die Muskulatur der Kammer sich fortsetzt. Die quer oder schräg lie- genden, bereits mit einem Fibrillen- mantel versehenen Muskelzellen ahmen in ihrer Anordnung etwas von dem Verhalten der glatten Ele- mente in einer Arterienwand nach, von denen sie jedoch durch die erfolgte Fibrillensonderung sich un- terscheiden. Durch die Fortsetzung der Museularis in die Kammerwand erweist sich die Zugehörigkeit des Conus zur Kammer, wie ja bereits WL, fe Mole G - >} On, GP o° 3. Ox BS 8 oC { § Ro Oo, eee gt So , A Neo 90° S&S Bio 9 ao o> ee a en 9 J ot cae 32° o°o dh” ° SR } Kon 0 oe 97 ra 6 @ 2 3 & 0 f 0 Sa eB (Vie ee eS » oP . u vu 0 m ( ae Me abe 2.0, aarack poe of 0» An 90 ou < loc zs aD Boor IRs. 0 & 5 sche, n 78 ı OP IDFR TUNG o ~ Ö 7 We n° fo v ore 0 90° a ° ou BUNTEN? io gilt tol ame og 7" 0,2 oo? = Em . 0 7 12 5,9 o°o ‚ndho „e°a eig ye nom =e wm a70%4 a’ > Ss 0© 2 oy 0. es ones SOD RHO b PR Q aS, eS d ae = Oe x &3 N ° °o 90% Go $3 xc. = So,9 00° , Oo \ &, 00 2 Rov 20° = > ; og er) Sh \ a 0 > © R ] Dr 9 °9 eos = \ 7 sg 0 Do > 4 o/s Reo, Sa Fe) de Reo > oe Y b DS, x ss 38 4 OO. EK eS % L 380, © NE ae’ NS % Längsschnitt durch den Conus arteriosus. Jou. MürLter ihn als deren Fortsetzung betrachtet hat. Nach außen von der Museularis bemerkt man noch eine dünne, von ersterer größtentheils abgehobene Gewebslage, die Serosa (s). Von den angeführten Längswülsten giebt die nebenstehende Fig. VII ein Querschnittsbild. Drei der Wiilste sind stirker und springen weiter gegen die Mitte des Conus vor, als ein vierter. Wie sich diese Wülste am vordersten Ende des Conus verhalten, ist mir nicht ganz klar geworden, da der Übergang des Conus in den Truneus arteriosus in eine zur Horizontalebene des Conus schräge Ebene fiel. Dass aber hier noch keine ausgebildeten Taschenklappen vorhanden waren, darf ich behaupten. Am Ventrikelende des Conus war eine ziemlich 606 C. Gegenbaur rasch erfolgende Abflachung der Wülste deutlich, wie es auf Fig. VI (A) zu ersehen ist. In der Einriehtung jener wulstförmigen Vorsprünge der Conus- wand ist die Grundlage für die Klappenreihen des Conus arteriosus zu ersehen. Die Längswülste stellen einen primitiven Verschluss- apparat der Kammer dar, der mit seiner Ausdehnung in die Länge zugleich die Entstehung des Conus selbst als einer Fortsetzung der Kammer bedingte. Die Wülste werden bei erschlaffter Conuswand das Blut zwischen sich passiren lassen, während sie demselben bei kontrabirter Wand, sich gegen einander pressend, den Weg ver- sperren. Diese Wülste entsprechen zweifellos den Längsreihen des ausgebildeten Klappenapparates. Bei Acanthias sind drei ausge- bildete Längsreihen von Klappen vorhanden, wozu noch einige kleine Zwischenklappen kommen. Diese letzteren sind ziemlich variabler Art. Sie gehen wohl aus accessorischen Längswülsten hervor, wie wir einen solchen oben erwähnt hatten. Die Entstehung der Klappen aus den Längswülsten habe ich nicht direkt beobachtet. Sie kann aber aus dem Verhalten der Klappen selbst leicht erschlossen werden. Bei Lepidosteus, dessen Längsreihen von Klappen nichts Anderes als die Sonderungsprodukte von Längswülsten sind, finden sich, besonders an den Zwischen- klappen, fast alle Stadien der Differenzirung erkennbar. Man sieht hier, wie gegen den Wulst, an dessen Abgangsstelle von der Conus- wand ein Raum sich einbuchtet, welcher bald nur eiuseitig, bald doppelseitig mit dem Grunde der Intervalvularspalte kommunicirt. Blutkörperchen füllen ihn. Durch diesen Raum wird die erste An- lage der Klappe gegeben, die nach innen zu noch mit dem Längs- wulste kontinuirlich ist. Eine Ausdehnung dieses zuerst parietal be- findlichen Raumes lässt die Klappenanlage selbständiger vortreten. Erfolgen neue Durchbrechungen der Wand, so wird diese in Gewebs- stränge zerlegt, die späteren Sehnenfäden. Innen, gegen die Mitte des Conus zu, bleibt der Zusammenhang am mächtigsten, und er- hält sich hier, auch bei den größeren Klappen, indem je über eine Anzahl derselben hinweg ein leistenartiger Vorsprung läuft. An diesen größeren Klappen ist dieselbe Durchbrechung des Wulstes zu ersehen, nur ist der Vorgang hier viel weiter gediehen, indem nicht nur eine tiefere, wandständig eingesenkte Tasche gebildet wird, sondern auch eine Durehbrechung der Seitenwand der Tasche mehrmals erfolgte. Dadurch werden zahlreichere Verbindungsstrange zwischen den Klappen einer Längsreihe gebildet. Über den Conus arteriosus der Fische. 607 Mit der Entstehung der Klappen wird die gewebliche Verände- | rung des Längswulstes in Verbindung gesetzt werden müssen. Die \ Umwandlung des embryonalen Bindegewebes in einen festeren Zu- : stand muss von innen nach außen hin erfolgen, denn am Ubergange in die Conuswand erhält sich lockeres Gewebe viel länger, während der vorspringende massivere Theil der Klappenwand schon aus Sehnengewebe besteht. Jene Stelle ist es denn auch, von welcher aus die Zerlegung des Wulstes in eine Klappenreihe durch Ein- dringen von Hohlräumen stattfindet. Fragen wir nach den bei diesen Vorgängen wirksamen Fak- toren, so werden wir diese in dem Drucke suchen müssen, der nach der Ventrikel- und Conussystole von dem sich rückstauenden Blute ausgeht. Die Druckwirkung trifft zunächst das Vorderende der Längswülste, welches dem Lumen des arteriellen Truneus zu- gekehrt ist. Es ist begreiflich, dass hier die weiche Gewebsmasse der Wülste, die wir auch phylogenetisch als das erste Constituens jener Einrichtung betrachten dürfen, allmählich Eindrücke empfängt, durch welche sie in der Wiederholung dieses Vorganges successive zu einer Tasche sich buchten muss. Der primitive, durch Längs- falten erzeugte Ventrikelverschluss, wie er unter der ersten Aus- bildung des zum Conus verlängerten Kammerabschnittes zu Stande kam, weicht als der unvollkommenere der neuen Gestaltung, welche die Rückstauung am Ende der Längswülste hervorgebracht hat. Jene Vordertheile der Wülste sind zu Klappen umgebildet. Wir werden diese erstgebildeten Klappen in ihrer allmählichen Entstehung nicht alsbald als einen vollkommenen Abschluss bewirkende ansehen dür- fen, denn durch diese Annahme wäre die Ursache für die Entstehung der folgenden Klappen ausgeschlossen. Indem diese gleichfalls kammerwärts sich buchten, können sie nur aus der gleichen, von vorn kommenden Stauwirkung des Blutes entstanden sein. Das bei der Ventrikelsystole in den Conus getriebene Blut wird nicht bloß in dem sehr engen axialen Raum des Conus, sondern auch in den Intervalvularspalten seinen Weg nehmen, und hier auch wäh- rend der Conusdiastole zu treffen sein. An letzterem Orte wird das an der Basis jedes Wulstes mehr lockere Gewebe desselben in den Wulst eingepresst werden, sobald von vorn her bei dem un- vollkommenen Schluss der ersten Klappen Blut sich weiter in den Conus drängt. Der Wulst empfängt dadurch allmählich lokale Höh- lungen, die ersten Spuren von Taschen. Die Kontraktion der Muskelwand des Conus mag wieder eine Entleerung jener Höhlungen 608 C. Gegenbaur bewirken, aber die Summirung der kontinuirlichen Eingriffe des Blutes auf jene Stellen muss die allmähliche Entfaltung der Tasche hervorrufen. Wir haben bei Lepidosteus gesehen, dass noch viel von den primitiven Zuständen, wenn auch unter Modifikation des ursprüng- lichen Gewebebefundes, erhalten bleibt: außer der mächtig dieken Grundlage der Klappen, deren Verbindungen unter einander, wie sie im genauer untersuchten Falle in dem Längssaume der Klappen- ränder und in den seitlichen Zügen von Klappe zu Klappe bestehen, und mehr oder minder zu dünnen Sehnenfäden sich ausbilden. Das Alles sind die Reste der primitiven Längswülste, die durch das Blut in jene Theile gesondert werden. Eine Alternative giebt es hier nicht. Die Verschiedenheit der vordersten Klappen von den übrigen erklärt sich gleichfalls aus der geschilderten Genese. Die vordersten müssen der vom freien Rande entspringenden Sehnenfäden entbehren, da der primitive Längswulst sich nicht über sie hinaus fortsetzt, vielmehr seine Endfläche zur Formung der Klappe bietet. Für alle hinteren Klappen geschieht die Bildung im Wulste selbst unter Erhaltung des Zusammenhanges in der Länge des Wulstes, wie es in den Sehnenfäden sich ausspricht. Aus der Untersuchung des jüngeren Lepidosteus ergiebt sich also auch eine bemerkenswerthe Differenz vom Befunde großer Exemplare. Bei diesen sind die Klappen weiter aus einander ge- rückt. Hintere reichen nicht mehr so dicht an vordere, die breiteren Verbindungen sind in feine Fäden aufgelöst, und die Zwischenräume der Längsreihen sind ansehnlicher geworden. Damit steht in Zu- sammenhang, dass die Sehnenfäden der Klappen nicht sämmtlich wieder zu Klappen ziehen, sondern auch an der Conuswand Befestigung nehmen. Die einzelnen Klappen gewinnen dadurch an Selbständigkeit, und konnten daher als von vorn herein selb- ständige Gebilde genommen werden. Es geht also an dem ge- sammten Apparate noch im späteren Leben eine Verände- rung vor sich, welche ihn vollständiger ausbildet, indem sie ihn vom ursprünglichen Zustande weiter entfernt. Diese Veränderung erfolgt unter dem Einflusse der Funktion des Apparates und lässt uns hier den Weg, wie auch sonst so oft, erkennen, auf welchem die organologische Sonderung sich bewegte, bevor sie als bereits ererbt auf die embryologischen Stadien sich zurückgezogen hat. Da bei Acanthias der primitive Zustand des Klappenapparates im Conus in Gestalt von Längswülsten oder Falten erwiesen und Über den Conus arteriosus der Fische. 609 bei Lepidosteus von demselben Zustande abzuleiten ist, muss dieser als eine mit der Conusbildung verknüpfte fundamentale Ein- richtung angesehen werden. In der That sind die mannigfaltigen Verhältnisse der Klappen bei Selachiern und Ganoiden sämmtlich auf solche Längswülste beziehbar, indem sie Längsreihen bilden. In der Zahl der letzteren wie in der Zahl und Gestaltung der aus ihnen hervorgegangenen Klappen walten Verschiedenheiten. Diese sind sekundärer Natur!. Auch die mit der longitudinalen kombi- nirte Querreihen-Anordnung tritt in zweite Stelle. Diese transver- sale Anordnung wird aber gleichfalls nicht als eine zufällige gelten dürfen. Vielleicht entsteht sie im Anschlusse an die Ausbildung der ersten Klappenreihe, vielleicht ist auch die Ringmuskulatur des Conus dabei betheiligt, falls dieser ursprünglich eine mehr peristal- tische Aktion besaß. Dureh die Erkenntnis der Längsreihen als der primitiveren Zu- stände fällt auf die Umgestaltung einer solchen Reihe im Conus arteriosus der Dipnoer, wie es von Boas dargestellt wurde, ein neues Licht. Jene Klappenreihe repräsentirt einen niederen Zu- stand, und es ist fraglich, ob sie völlig gesonderte Klappen als Vorläufer hatte, wie solche nebenan in theilweise rudimentärer Form bestehen. Auf die Beziehung dieser für die Sonderung des arteri- ellen Gefäßapparates überaus wichtigen Längsfalte zu den Längs- reihen der Klappen von Lepidosteus hat gleichfalls Boas bereits hingewiesen. Wir erblicken also hier eine primitive Einrichtung für die Überleitung des Cirkulationsapparates auf eine höhere Stufe in Verwendung gebracht. In der Längsreihenanordnung der Klappen bei Selachiern, Chi- mären, Ganoiden und Dipnoern ergiebt sich ein gemeinsames Band dieser Abtheilungen, und auch die Ableitung von einem nur Längs- falten im Conus besitzenden Urzustande Wenn die Zerlegung der ! Die von mir, gelegentlich einer Arbeit über die Unterscheidung des Conus und Bulbus arteriosus der Fische, von Notidaniden beschriebenen »Zungenklappen«, die ich den »Taschenklappen« gegeniiberstellte, sind von STÖHR als »Rückbildungen« von Taschenklappen gedeutet worden. Das würde voraussetzen, dass letztere an deren Stelle vorhanden waren, was weder er- wiesen noch wahrscheinlich ist. Die Entstehung jener Zungenklappen ist auf dieselbe Art wie die der Taschenklappen von Längswülsten ableitbar, durch Bildung blutführender Räume in den Wülsten. Diese haben aber hier keine Tasche geformt, und die Sehnenfiiden gehen nicht ausschließlich vom Rande der zungenförmigen Vorsprünge aus, sondern von der gesammten distal gekehrten Fläche der Klappe (Jenaische Zeitschrift. Bd. IL, 1865. pag. 369). 610 C. Gegenbaur, Über den Conus arteriosus der Fische. Längsfalten in Klappen die letzteren bei Selachiern und Ganoiden in verschiedener Zahl hervorgehen lässt, so erscheint die reichere Zahl bei Ganoiden (Lepidosteus, Polypterus) zwar als ein primi- tiverer Zustand, allein die geringere Zahl bei Selachiern ist dess- halb doch nicht so direkt von jenem ableitbar. Der bedeutende Ab- stand der vordersten Reihe von den hinteren Querreihen, wie er bei manchen Haien, am ausgesprochensten bei Notidaniden, aber auch bei Scymnus vorkommt, lässt auch hier eine größere Aus- dehnung der primitiven Wülste voraussetzen, und indem wir diese als den Ausgangspunkt erkannten, bleibt es von geringerer Be- deutung, dass auf dem Wege der Divergenz der einzelnen Abthei- lungen in der einen mehr, in der anderen weniger Klappen zur Sonderung gelangt sind. | | | Über die sog. Neugliederung der Wirbelsäule und über das Schicksal der Urwirbelhöhle bei Reptilien. Von Dr. H. K. Corning, Assistent am k. k. deutschen anatomischen Institut zu Prag. Mit Tafel XXX. Der Ausdruck »Neugliederung der Wirbelsäule« ist meines Wissens zuerst von REMAK gebraucht worden. In den »Unter- suchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere« (pag. 40 § 83 —86) giebt er eine Schilderung der Urwirbel und der Vorgiinge, welche zur Bildung der Wirbelsäule führen. Diese Angaben sind, in Kiirze zusammengefasst, folgende: Die Urwirbel verlieren ihre urspriinglich wiirflige Form und werden zu Prismen, »indem die ur- spriingliche Rückenwand mit der äußeren zu einer nach außen kon- -vexen Wand verschmolzen ist. ...... Die zwischen der inneren Wand und der Bauchwand des Urwirbels befindliche innere untere Kante des Urwirbels wächst hervor und nähert sich der Chorda. Am äußeren Rande der letzteren angelangt, spaltet sie sich in zwei blattförmige Fortsätze, welche, mit denen der anderen Seite zu- sammenfließend, die Chorda umwachsen und das Blastem der Wirbel- körpersäule bilden« ($ 84)... .... »Die aus den vorderen un- teren Kanten der Urwirbel entstehende Wirbelkörpersäule verdickt sich durch Anschwellung des die Chorda umhüllenden Blastems, ohne den Umfang der letzteren zu beeinträchtigen. Sie bestehen aus so vielen Abtheilungen, als Urwirbel jederseits vorhanden sind. Diese Abtheilungen entsprechen aber nicht den bleibenden Wirbel- körpern, und sollen zum Unterschiede von den letzteren primitive Wirbelkörper genannt werden« ($ 85). Die neue Gliederung der 612 H. K. Coming Wirbelsäule, aus der die »sekundären« (bleibenden) Wirbelkörper hervorgehen, erfolgt dadurch, dass sich die aus den unteren inneren Kanten der Urwirbel hervorgegangenen »primitiven« Wirbelkörper mit einander verschmelzen und gleichzeitig sich neue Grenzen für die »sekundären« (bleibenden) Wirbelkörper in der Mitte zwischen den ursprünglichen Grenzen bilden ($ 86). Ich stelle gleich Anfangs den ursprünglichen Begriff der »Neugliederung der Wirbelsäule« fest, weil es mir scheint, als ob diesem Ausdruck in den Lehrbüchern eine andere Bedeutung bei- gelegt werde, als die von Remak betonte. REMAR stellt nicht, wie aus den oben gegebenen Citaten hervorgeht, die Urwirbel als pri- mitive Wirbelsäule der bleibenden Wirbelsäule gegenüber, sondern er unterscheidet eine erst aus den Urwirbeln hervorgegangene, die Chorda umlagernde Gewebsschicht als primitive Wirbelsäule, welche ursprünglich eine den Urwirbeln entsprechende Gliederung besitzen soll und später durch Verschmelzung ihrer Abschnitte und Neu- gliederung die bleibende Wirbelsäule entstehen lässt. Die » primi- tive Wirbelsäule« REMAR’s ist, wie wir sehen werden, nichts Anderes als die äußere Chordascheide, welche aus dem medialen Theil des Sklerotoms hervorgeht. Mit dem Ausdruck »Neugliederung der Wirbelsäule« ist also nicht, wie KÖLLIKER (Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere pag. 415) meint, die Um- gliederung der Urwirbel bezeichnet, sondern die Segmentirung der von den Urwirbeln erst gebildeten äußeren Chordascheide. Vor Kurzem hat V. v. Epner in einer Abhandlung über »Ur- wirbel und Neugliederung der Wirbelsäule« (Sitzungsber. der Wiener Akademie. Bd. XCVII) den Versuch gemacht, die Entstehung der Wirbelkörper aus dem Sklerotom zu verfolgen. Er hat festgestellt, dass die Urwirbelhöhle bei Reptilien noch in einem Stadium er- halten bleibt, in welchem das Sklerotom schon mächtig entwickelt ist, und zwar als schmaler Spalt, welcher von der Mitte des Myo- toms ausgeht und das Sklerotom in verschiedener Ausdehnung, manchmal fast bis zur Chorda hin, durchsetzt. Diesem Spalt schreibt v. EBNER eine ganz besondere Bedeutung zu, indem er annimmt, dass derselbe die Grenze zwischen zwei bleibenden Wirbeln darstelle. Letztere sollen nach v. EBner dadurch entstehen, dass nach Bildung des Sklerotoms die durch die Urwirbelhöhle (riehtiger den Urwirbel- spalt) gegebene Trennung des Sklerotoms erhalten bleibt und die hintere Hälfte eines so geschaffenen Sklerotomabschnittes mit der vorderen Hälfte des folgenden Abschnittes zu einem bleibenden Wirbel Über die Neugliederung der Wirbelsäule u. die Urwirbelhöhle bei Reptilien. 613 verschmelzen. Nach v. EBNEr ist also mit der ersten Entstehung des Sklerotoms auch schon die sogenannte »Neugliederung« der Wirbel- säule gegeben, eine Annahme, welche sich durch ihre Einfachheit empfiehlt, ohne jedoch der späteren Entwicklungsvorgiinge Rech- nung zu tragen. Thatsächlich zeigen die Fig. 2 und 3 von v. EBNER noch keine Andeutung der Differenzirung von Wirbelkörpern oder von oberen Bogen. Fig. 5 entspricht einem Stadium, in welchem sich die oberen Bogen zu differenziren beginnen; von Wirbelanlage ist auch hier noch nichts zu sehen. Ich stütze mich bei diesen Bemerkungen auf eine Untersuchung der Entstehung der Wirbelsäule bei Anguis fragilis, welche ich auf Veranlassung von Herrn Professor RABL zunächst im Anschluss an die v. Esner’sche Mittheilung unternommen habe. Zunächst beziehe ich mich auf Horizontalschnittserien durch die Nackenregion und Brustregion, weil für die Beantwortung der Frage nach der Ent- stehung der bleibenden Wirbel selbstverständlich Horizontalschnitte einen ungleich größeren Werth besitzen als Querschnittserien; ich werde mich folglich fast ausschließlich auf erstere berufen. Auber Blindschleichen habe ich auch Ringelnattern und Eidechsen (Lacerta vivipara) untersucht, doch erhielt ich von Blindschleichen wegen ihrer geringeren Verkrümmung die brauchbarsten Schnittserien. Fig. 1 giebt die Verhältnisse bei Tropidonotus natrix in früher Zeit nach Ausbildung des Sklerotoms; das Stadium entspricht an- nähernd der Fig. 3 von v. Esner. Der abgebildete Schnitt liegt in der Höhe der Chorda (ch), deren Zellen dicht zusammengelagert sind. Das sogenannte Chordaepithel, d. h. diejenige Schicht von Chordazellen, welche unmittelbar nach außen von der inneren ho- mogenen Chordascheide begrenzt werden (Fig. 2 ch.e), hat sich noch nicht differenzirt. Auch die mitgFortsätzen versehenen Zellen der Cutislamelle, welche ebenfalls im folgenden Stadium (Fig. 2 e) zu sehen sind, haben sieh noch nicht eingelagert zwischen der lateralen Wand der Urwirbelhöhle und dem aus einer einfachen Lage von kubischen Zellen bestehenden Ektoderm. Die Urwirbelhöhle (a) ist noch geräumig; man kann an ihr zwei Abschnitte unterscheiden. Lateralwärts bildet sie eine ansehnliche Höhle, deren laterale Be- grenzung durch hohes eylindrisches Epithel gebildet wird. Median- wärts findet sie ihre Begrenzung durch zwei Zellenpartien (z), die dem Sklerotom angehören und aus ziemlich dicht zusammengelagerten, der Fortsätze entbehrenden Zellen bestehen. Zwischen diese Zellen- partien zieht sich, von der Urwirbelhöhle ausgehend, ein feiner Spalt 614 H. K. Corning medianwärts zwischen die Zellen des Sklerotoms gegen die Chorda zu. An keinem der angeschnittenen Urwirbel reicht dieser Spalt über die halbe Entfernung zwischen Urwirbelhöhle und Chorda hin- aus. Eine eigene Wandung besitzt er nicht in dem Sinne wie die angeschnittenen Blutgefäße (..«a), an denen man deutlich die Kerne der Wandzellen erkennen kann. An dem vorliegenden Präparat ist der Spalt nicht so deutlich zu verfolgen wie an Horizontalschnitten durch weit spätere Stadien von Anguis fragilis (s. Fig. 3 a); ich habe den Eindruck erhalten, als ob er überhaupt bei Tropidonotus nieht so deutlich ausgeprägt sei wie bei der Blindschleiche. Ven- tralwärts verschwindet der Spalt auf den letzten, die Chorda noch tangirenden Schnitten; dorsalwärts ist er bis in die Höhe der Inter- vertebralganglien zu verfolgen. Diesen Spalt hat v. Epyer zuerst als Rest der Urwirbelhöhle beschrieben und als Grenze zwischen zwei auf einander folgende Wirbel bezeichnet. Nach v. Esxer’s Darstellung müsste also schon am vorliegenden Stadium die Anlage der Wirbel zu erkennen sein, und zwar würde sich ein Wirbel von der Mitte eines Urwirbels bis zur Mitte des nächstfolgenden Urwirbels erstrecken, also in unserer Figur von s bis a. Wir werden später noch Gelegenheit haben, auf die Unhaltbarkeit dieser Annahme zurückzukommen. Das Sklerotom (s) ist mächtig ausgebildet, als eine zusammen- hängende Zellmasse, welche sich zwischen den Urwirbelhöhlen und der Chorda ausbreitet und bereits eine Differenzirung seiner Zellen erkennen lässt. Letztere stehen am dichtesten beisammen in dem lateralen Drittel des Sklerotoms; am lockersten dagegen in der Schicht, welche die Chorda unmittelbar umgiebt. An letzterer Stelle sind auch schon Fortsätze an den Zellen bemerkbar, während die Fortsätze den Zellen der lateralen Partie des Sklerotoms fehlen. Diese frühzeitige Differenzirung der Sklerotomzellen hat, wie wir später sehen werden, eine Bedeutung für die Entwicklung des Achsenskelettes, indem die Verdichtung des Gewebes, welche die erste Anlage der Querfortsätze und der oberen Bogen bildet, zuerst zwischen den Myotomen, d. h. in der lateralen Partie des Sklero- toms auftritt. Im Sklerotom finden sich Gefäße (7.2) und zwar mit konstanter Lagerung zwischen den Urwirbeln, an jenen Stellen, wo sich das Sklerotom eines Urwirbels mit dem Sklerotom des folgenden Urwirbels vereinigt. v. Ener bezeichnet diese Gefäße als »interprotovertebrale Blutgefäße«; es sind einfach die ersten Anlagen der Intercostalarte- Über die Neugliederung der Wirbelsäule u. die Urwirbelhöhle bei Reptilien. 615 rien, wie man sich leicht überzeugen kann, indem man die Serie verschiebt und jene Schnitte einstellt, bei denen die Aorta getroffen ist. Schon in einem Stadium, wo von Sklerotom noch keine Rede sein kann, treibt die Aorta kleine Ausbuchtungen zwischen die Urwirbel. Diese Ausbuchtungen wachsen dorsalwärts und bilden Bogen, welche lateralwärts in die Cardinalvenen einzumünden scheinen. Ein derartiges primitives Verhalten ist bei unserem Embryo zu er- kennen. Je nachdem der Gefäßbogen verläuft findet sich in einem Sklerotomabschnitt bloß ein Gefäß-Quer- oder Schrägschnitt, oder auch zwei Querschnitte, ein lateraler und ein medialer. Nähme man die Theorie v. Esxer’s als richtig an, so hätte man sich vor Allem mit der Thatsache aus einander zu setzen, dass diese Gefäße durch die Verschmelzung zweier einander zugekehrter Sklerotom- hälften von zwei Urwirbeln und der daraus erfolgten Bildung eines bleibenden Wirbels entschieden intravertebral zu liegen kämen, eine Annahme, welche von vorn herein als unzulässig erscheint. Auf Querschnitten durch ein der Fig. 1 entsprechendes Stadium sieht man noch deutlicher als auf Horizontalschnitten, dass die Zellen des Sklerotoms medianwärts in der Umgebung der Chorda weniger dicht zusammenliegen als lateralwärts gegen die Urwirbel- höhle hin, ferner dass die Zellen der medialen Portion des Sklero- toms Fortsätze besitzen, während die übrigen Sklerotomzellen noch der Fortsätze entbehren. Endlich kann man erkennen, dass die der Chorda unmittelbar anliegenden Sklerotomzellen ringförmig die Chorda umlagern und auf diese Weise die Anlage der sogenannten äußeren Chordascheide andeuten, welche auf dem folgenden Stadium (Fig. 2 a.ch.s) als eigene gesonderte Schicht hervortritt. Von dem Stadium der Fig. 1 bis zu demjenigen der Fig. 2 (von Anguis fragilis) haben sich bedeutende Differenzirungen im Skle- rotom wie in den Muskelplatten vollzogen. Die Entwicklung ist weiter fortgeschritten als bei dem Embryo, auf welchen sich die Fig. 3 der v. Epner’schen Mittheilung bezieht. Das Sklerotom (s) hat sich bedeutend verbreitert; es bildet eine mächtige Schicht zwi- schen Muskulaturanlage und Chorda. Lateralwärts drängt sich das Sklerotom zwischen die Myotomabschnitte, gegen die Cutisanlage hin. Diese Stelle des Sklerotoms ist mit z, in der Fig. 2 bezeichnet ; das Gewebe ist hier dichter, als in der Umgebung der Intercostal- arterien. Die ursprüngliche Trennung der Urwirbel ist verloren ge- gangen; an ihrer Stelle finden sich die Quer- und Schrägschnitte der Intercostalarterien (.a), welche, wie oben bemerkt, schon in 616 H. K. Coming früher Zeit zwischen die Urwirbel einwachsen. Sehr deutlich tritt die Trennung des Sklerotoms in einzelne Abschnitte vermittels der die Reste der Urwirbelhöhle darstellenden Spalten hervor (a). Letz- — tere verlaufen von der Mitte der einzelnen Myomeren (mm) median- wärts gegen die Chorda, ohne dieselbe jedoch zu erreichen. Eigene Wandungen besitzen diese Spalten eben so wenig, wie in dem Stadium der Fig. 2 (siehe oben); vielmehr sind sie einfach als Lücken im Sklerotomgewebe aufzufassen. Zur Erleichterung der Beschreibung können wir sagen, dass das Sklerotomgewebe durch diese Spalten in einzelne Abschnitte getheilt wird, die von der Mitte eines Myomers bis zur Mitte des nächsten Myomers reichen. Untersuchen wir die Beschaffenheit des Sklerotomgewebes innerhalb eines solehen durch zwei Spalten begrenzten Abschnittes. Die Zellen des Sklerotoms stehen, wie erwähnt, nicht über- all in gleicher Dichtigkeit zusammen. An den Grenzen der durch die Spalten bedingten Abschnitte des Sklerotoms (also zu beiden Seiten der Spalten) liegen die Zellen dichter zusammen als in der Umgebung der Intereostalgefäße (Fig. 2 x u. y). Besonders bestehen diejenigen Partien des Sklerotoms, welche sich zwischen die Myomeren einschieben (z, Fig. 2), aus dicht zusammengedrängten Zellen. Auf diese Zellgruppe mache ich ganz besonders aufmerk- sam; sie setzt sich dorsalwärts und ventralwärts fort und zwar ven- tralwärts bis zur Aorta, dorsalwärts bis über die Spinalganglien hinaus. Da die Spinalganglien auf der einen Seite dem Spalte an- liegen, so sind hier die Sklerotomzellen zurückgedrängt, während die Zusammenlagerung der Zellen auf der anderen Seite des Spaltes desto deutlicher hervortritt. Aus späteren Stadien werden wir den Schluss zu ziehen haben, dass in dieser letzteren Zellenpartie die erste Anlage der oberen Bogen und der Querfortsätze gegeben sind, Bildungen, deren Entstehung in eine frühere Zeit zurückreicht als diejenige der Wirbelkörper selbst. Die Chorda zeigt in diesem Stadium eine Struktur, wie wir sie auch auf den folgenden Figuren finden. Die Zellen haben den Charakter der eigentlichen Chordazellen angenommen; ein Chorda- epithel (ch.e Fig. 2) liegt innen in einfacher Schicht einer homo- genen Membran, der inneren Chordascheide an; auf letztere folgt nach außen die äußere Chordascheide (a.ch.s Fig. 2), welche aus der medialen Partie des Sklerotoms hervorgegangen ist und aus weniger dicht stehenden, die Chorda koncentrisch umlagernden Zellen besteht. Fig. 3 stellt Zustände dar, welche noch vor der Wirbelbildung a F Über die Neugliederung der Wirbelsäule u. die Urwirbelhöhle bei Reptilien. 617 liegen, letztere aber schon andeuten. Die Chorda verhält sich im Wesentlichen wie im vorhergehenden Stadium; wir unterscheiden ebenfalls ein Chordaepithel und eine innere Chordascheide. Die äußere Chordascheide (a.ch.s) hat sich noch deutlicher von dem übrigen Sklerotomgewebe getrennt; sie besteht ebenfalls noch aus koneentrisch angeordneten Zellen mit zahlreichen Fortsätzen. Im Sklerotom bemerken wir Veränderungen. Die Spalträume (a), welche den Rest der Urwirbelhöhlen bilden, sind in diesem Stadium noch deut- licher zu erkennen, als im vorhergehenden. Das Sklerotomgewebe zeigt an der hinteren Grenze der Spalten eine Verdichtung, welche sich lateralwärts zwischen die Myomeren fortzieht und in eine Spitze (z,) ausläuft. Letztere stößt unmittelbar an die Zellen der Cutis an. Das beschriebene zellreichere Gewebe greift medianwärts auch über die vordere Grenze der Spalte hinaus und verbreitert sich gegen die äußere Chordascheide zu in der Weise, dass sie letzterer mit einer breiten Basis aufsitzt. (5). Indem diese Basis sich nach vorn und hinten auszieht entsteht längs der äußeren Chordascheide eine Ver- bindung der zellreicheren Abschnitte des Sklerotoms unter einander, welche sich ziemlich scharf von der äußeren Chordascheide absetzt. Im Centrum der von zwei Spalten eingefassten Sklerotomabschnitte haben wir die Intercostalarterien (¢.c); in der distalen Hälfte des Abschnittes den Querschnitt des Nerven (»), nahe der medialen Spitze des Myotoms. An der Chorda sind in diesem Stadium schon Veränderungen eingetreten, welche sich wohl im Anschluss an die Gewebsverände- rungen im Sklerotom vollzogen haben. Die Chorda zeigt nämlich schon jetzt Einschnürungen (ch.e7), und damit abwechselnd Erwei- terungen (ch.a). Die Einschnürungen entsprechen der Lagerung der Intereostalgefäße, sind in Folge dessen intervertebral, wie es auch den Zuständen beim erwachsenen Thiere entspricht. Die weiteren Stellen der Chorda entsprechen der Lage der Urwirbelhöhlenreste. Vorstehende Angaben beziehen sich bloß auf die Frontalschnitte aus der Höhe der Chorda. Dorsalwärts sind die beschriebenen aus dicht gedrängten Zellen bestehenden Partien des Sklerotomgewebes zu verfolgen bis über die Intervertebralganglien hinaus, natürlich in abnehmender Ausbreitung. Die Verbindung des einzelnen Abschnittes (x) an ihrer Basis (2) längs der äußeren Chordascheide ist bloß in der Höhe der Chorda vorhanden. Ventralwärts zieht sich die zwi- schen dem Myomer liegende Verdichtung des Sklerotomgewebes bis zum ventralen Ende des Myotoms hin. Dorsalwärts wie ventral- Morpholog. Jahrbuch. 17. 40 618 H. K. Corning wärts von der Chorda ist von den Spalten, welche den Rest der Ur- wirbelhöhle darstellen, nichts mehr zu sehen. Wir haben also obere Bogenanlagen, welche von der Höhe der Chorda an dorsalwärts bis über die Intervertebralganglien hinaus zu verfolgen sind und welche mit der Anlage der Querfortsätze und der Rippen in kontinuirlichem Zusammenhang stehen. Eine äußere Chordascheide, von welcher die Anlagen der oberen Bogen, der Rippen und der Querfortsätze ausgehen, besteht aus koncentrisch an- — geordneten Zellen, deren Kerne weniger dicht zusammenstehen als die Kerne in den Anlagen der oberen Bogen oder der Querfortsätze. In der Höhe der Chorda verschmelzen diese Anlagen an ihrer Basis, längs der äußeren Chordascheide. Fig. 4 stellt ein Stadium mit beginnender Wirbelanlage dar. Die von der äußeren Chordascheide ausgehenden Anlagen der Quer- fortsätze und der oberen Bogen (2) fügen sich, wie im vorhergehen- den Stadium, zwischen die Myomeren ein (y). Das ganze zwischen den Myomeren liegende Dreieck ist von dichterem Gewebe einge- nommen {y). Die Anlagen der Querfortsiitze haben die winklige Knickung an der medialen Spitze des Myomers verloren; die Anlage hat dem entsprechend eine schräge Richtung. Die Rippen und Quer- fortsatzanlagen gehen medianwärts in eine gleichartige aus dicht stehenden Zellen zusammengesetzte Gewebsschicht, in welcher die äußere Chordascheide nicht mehr als solche zu erkennen ist. Diese Gewebsschicht besteht aus der äußeren Chordascheide plus der Basis der Querfortsatzanlagen, von denen wir bei Fig. 3 erwähnt haben, dass sie längs der äußeren Chordascheide verschmelzen (Fig. 2 5). Die Chorda selbst zeigt weniger deutliche Einschnürun- gen als auf dem vorhergehenden Stadium. Was jene oft erwähnten Spalten im Sklerotom angeht, so finden sie sich auch hier in größerer oder geringerer Ausdehnung (Fig. 4 a). An manchen Querfortsatzanlagen fehlen die Spalten, so an dem einen Querfortsatz auf Fig. 4. An mehreren der abgezeichneten Querfortsatzanlagen durchsetzen ‘diese Spalten die Basis der Anlage (a, a, a Fig. 4) und legen den Gedanken nahe, in ihnen eine Seg- mentirung der Wirbelanlage zu erkennen. Eine solche Segmentirung würde mit der wirklichen Gliederung der Wirbelsäule zusammen- fallen, denn die Spalten liegen an denselben Stellen, wo später zwei Wirbel an einander stoßen. Ich möchte nicht etwa behaupten, dass die Abgrenzung zweier Wirbel dadurch erfolgt, dass diese Spalten auswachsen und die Chorda erreichen; ich betone bloß die That- Über die Neugliederung der Wirbelsäule u. die Urwirbelhöhle bei Reptilien. 619 sache, dass ihre Lagerung die gleiche ist, wie diejenige der Inter- vertebralspalten im folgenden Stadium (Fig. 6 7s). In welchem genetischen Zusammenhang die Intervertebralspalten zu den Resten der Urwirbelhöhlen stehen, ist nicht so wichtig, wie die Thatsache, dass die frühzeitig angedeutete Eintheilung des Sklerotoms durch die Spalten auch der bleibenden Segmentirung der Wirbelsäule ent- spricht. Im vorliegenden Stadium ist auch unschwer die Anlage der bleibenden Wirbelsäule in jener Schicht von dichtem Gewebe zu er- kennen, welches aus der Verschmelzung der Basen der Querfortsatz- anlagen mit der äußeren Chordascheide hervorgegangen ist. Mit Fig. 5 und 6 schließe ich die Beschreibung dieser Ent- wicklungsvorgänge. Fig. 5 stellt einen Schrägschnitt dar; auf der einen Seite sind die Rippen (r), auf der anderen die Rippen und die Querfortsätze (g) getroffen. Die Intervertebralspalten sind deutlich ausgebildet; zu beiden Seiten derselben sind die Zellen dichter zu- sammengestellt und in der Intervertebrallinie selbst fehlt die Zwischen- substanz, so dass ein Spalt hier vorhanden zu sein scheint. Die Querfortsätze gehen von dem proximalen Theile der Wirbel aus; dicht vor dieser Stelle liegen die Intervertebralspalten (.s).. Die Verknorpelung der Wirbelanlage ist noch nicht eingetreten; im Centrum des Wirbels, wo sie im folgenden Stadium zu bemerken ist, stehen die Zellen weniger dicht zusammen, als an der Grenze des Wirbels. Chordaeinschnürungen sind auch hier vorhanden, ent- sprechend den Intervertebralspalten. Zur Vervollständigung gebe ich noch die Fig. 6, auf welcher die beginnende Verknorpelung der Rippen, wie der Wirbelkörper und der Querfortsätze zu sehen ist. Die Muskulatur ist mächtig ausgebildet; zwischen die Myomeren ziehen die Ligamenta intermus- eularia lateralwärts (2.2), weiter als im vorhergehenden Stadium, ent- sprechend der bedeutenderen Mächtigkeit der Muskulatur. In Bezug auf die genauere Beschreibung der Figur verweise ich auf die Tafel- erklärung. Wenn ich aus den gegebenen Beobachtungen das Wesentliche hervorhebe, so möchte ich folgende Punkte betonen: 1) Die Urwirbelhöhle bleibt bei Reptilien noch in einem Stadium erhalten, in welchem bereits deutliche Anlagen der oberen Bogen- lagen vorhanden sind. Hier und da ist noch ein soleher Rest der Urwirbelhöhle als feiner Spalt im Sklerotom nachzuweisen zu einer Zeit, wo schon die Anlagen der Wirbel zu erkennen sind. 40* 620 H. K. Corning 2) Die Intercostalarterien, welche frühzeitig von der Aorta aus zwischen die Urwirbel hineinwachsen, um sich lateralwärts im Bogen zur Vena cardinalis der betreffenden Seite zu wenden, liegen in einem, die ersten Anlagen der Querfortsätze aufweisenden Stadium, in der Mitte zwischen zwei Spalten (Fig. 3 ©.a). Das Sklerotomgewebe ist in der Umgebung der Intercostalarterien weniger dicht als zu beiden Seiten der Spalten. 3) Die frühesten Anlagen des Achsenskelets sind diejenigen der Querfortsätze und der oberen Bogen. Sie entstehen dadurch, dass an der distalen Wand eines Spaltes eine Zellenwucherung statt- findet, welche sich lateralwärts zwischen die Myomeren fortsetzt. Im Weiteren verbreitert sich diese Zellenwucherung gegen die äußere Chordascheide zu, in der Weise, dass sie letzterer mit einer breiten Basis aufsitzt. Die Basen dieser Anlagen verbinden sich längs der äußeren Chordascheide und bilden so eine Schicht von dicht zu- sammenliegenden Zellen, welche der äußeren Chordascheide auf- lagern. Letztere entsteht aus der medialen Partie des Sklerotoms, dessen Segmente hier frühzeitig verschmelzen, indem die Urwirbel- spalten nicht bis an die Chorda hinanreichen. Querfortsätze und obere Bogen entstehen aus einer gemeinsamen Anlage. 4) Die Rippen entstehen in den Myosepten, indem mit der Aus- bildung des Myotoms ventralwärts auch die Proliferation der Zellen des Sklerotoms (z,) zwischen die Myomeren Schritt hält und die von { | den oberen Bogen- oder Querfortsatzanlagen ausgehenden Anlagen der Rippen verknorpeln. Lateralwärts gehen von diesen Anlagen in späteren Stadien, wo die Muskulatur sich in die Breite entwickelt hat, die Ligamenta intermuscularia ab (Fig. 5 und 6 72). 5) Die Wirbel entstehen von jenem Abschnitt des Sklerotomge- webes aus, welcher durch die Verschmelzung der »Basen« gebildet wird, ferner von der äußeren Chordascheide selbst. In früher Zeit, (Fig. 3) ist die Segmentirung der Wirbelsäule schon angedeutet durch die Chordaeinschnürungen, die sich intervertebral entsprechend den Resten der Urwirbelhöhlen vorfinden. Diese Entstehungsweise findet auch noch in späterer Zeit (Fig. 5) ihren Ausdruck in der Thatsache, dass die Zellen an der Peripherie dichter zusammenge- lagert sind, als im Centrum des Wirbels. Die Segmentirung der Wirbelsäule erfolgt durch die Ausbildung der Intervertebralspalten, welche in Bezug auf ihre Lage den Urwirbelspalten entsprechen. Ob sie aus letzteren hervorgehen, möchte ich dahingestellt sein lassen. 6) Die »Neugliederung« der Wirbelsäule ist kein so einfacher | | | | Über die Neugliederung der Wirbelsäule u. die Urwirbelhöhle bei Reptilien. 621 Vorgang, wie v. EBner annimmt. Dass die Urwirbelhöhle eine Rolle dabei spielt, ist sicher, und zwar dadurch, dass sie das Sklerotom in Abschnitte zerlegt, innerhalb welcher die Bildung der Bogen und Wirbelanlagen vor sich geht. Die Behauptung v. Esner’s, dass mit einer sekundären Gliederung des Sklerotoms durch die Spalten auch schon die Wirbelanlage gegeben sei, ist nicht aufrecht zu erhalten. Schon die eine Thatsache, dass die Anlagen der oberen Bogen und die Querfortsatzanlagen zu einer Zeit vorhanden sind, wo von Wir- belanlagen noch nicht zu reden ist, genügt, um die v. Erxer’sche An- schauung zu widerlegen. Das älteste von v. EBNER abgezeichnete Stadium (Fig. 3 seiner Abhandlung) zeigt nicht einmal die Anlagen der Querfortsätze. Bei der »Neugliederung« der Wirbelsäule, wenn wir überhaupt diesen Begriff festhalten wollen, haben wir uns Folgendes zu denken. Die erste Anlage des Achsenskelets entwickelt sich peripher, im An- schluss an die Muskulatur und zwischen den Myomeren. Diese Anlagen verbreitern sich medianwärts, und kommen so an die äußere Chordascheide. Eine festere Verbindung und eine höhere Bedeu- tung für die Stützfunktion und für die Muskelaktion erhalten sie durch eine Verbreiterung ihres Ansatzes an die Chorda, in Form jener breiten Basis, die wir schon bei Fig. 3 beschrieben haben. Dass die Grenzen dieser Basen, vor ihrer Verschmelzung mit den Grenzen der Urwirbel oder der Myomeren nicht übereinstimmen können, ist klar. Durch die Ausbildung der Intervertebrallinien und durch die Segmentirung der Wirbel wird endlich die Verschiebung der letz- teren im Anschluss an die Muskelaktion ermöglicht, und die »Neu- gliederung« der Wirbelsäule ist gegeben. Die Entwicklungsvorgänge entsprechen auch den Befunden der Phylogenie, indem die rudimen- tärste Anlage des Achsenskelets gegeben. ist in einer Chordascheide, an welche sich zwischen die Myomeren sich erstreckende Knorpel- bogen nach oben und unten hin anschließen. Die Entwicklung des Achsenskelets konnte ich beim Kaninchen nicht in einer eben so genauen Serie verfolgen wie bei der Blind- schleiche. Es scheinen die Verhältnisse nicht so klar zu liegen wie bei Reptilien. Namentlich bleiben Reste der Urwirbelhöhle niemals in später Zeit noch erhalten. Vielleicht ist es jedoch der nicht tadellosen Konservirung meines Materials zuzuschreiben, wenn ich jene Spalten nicht auffinden konnte. Die äußere Chordascheide ist weit weniger entwickelt als bei Reptilien, dagegen imponiren in früherer Zeit die Anlagen der Querfortsätze und der oberen Bogen. 622 H. K. Corning, Über die Neugliederung der Wirbelsäule ete. a t Genauere Angaben, besonders über die bei den Säugethieren auf tretende Gelenkverbindung der Rippen mit je zwei Wirbeln, muss ich wegen der Unvollständigkeit meines Materials unterlassen. Prag, 1. März 1891. Erklärung der Abbildungen. Tafel XXX. Für alle Figuren gültige Bezeichnungen. a Urwirbelhöhle, s Sklerotom, ch Chorda, l.. Ligamentum intermusculare, ch.a Chordaanschwellung, c Wirbelcentrum, verknorpelt, a.ch.s äußere Chordascheide, cu Cutis, z.ch.s innere Chordascheide, x Anlage der Querfortsätze resp. der ch.e Chordaepithel, oberen Bogen, 2.8 Intervertebralspalt, Tb Basis der Querfortsatzanlage an i.a Intercostalarterie, der äußeren Chordascheide, n Nerv, : q Querfortsatzanlage (Fig. 5). Fig. 1. Tropidonotus natrix, entspricht annähernd der Epner’schen Fig. 3. Fig. 2.{Anguis fragilis. Die Anlagen der Querfortsätze und der oberen Bo- — gen sind noch nicht differenzirt. i Fig. 3. Anguis fragilis. Die Anlagen der Querfortsätze und der oberen Bo- gen sind vorhanden. Fig. 4. Anguis fragilis. Beginnende Bildung der Wirbel. Letztes Stadium mit deutlichen Resten der Urwirbelhöhle. h Fig. 5 und 6. Anguis fragilis. Gliederung der Wirbelsäule. In Fig. 6 be- ginnende Verknorpelung der Rippen und der Wirbelkörper. XX. Taf N | Morpholog. Jahrbuch. Bd XVM. \ er nn DE Ant vive ‘ie aw des. n ta. ic che aa we ” wen 4 33%, ” lmann, Zeinzig, ing «Hk Engel I ur Notizen über den Zusammenhang der Harn- und Geschlechtsorgane bei den Ganoiden. Von Richard Semon. Mit Tafel XXXI. Schon seit längerer Zeit erschien es mir als eine lohnende Auf- gabe, das Urogenitalsystem der Ganoiden einer genaueren Durch- arbeitung zu unterwerfen. Ist ja doch die Untersuchung besagten Organsystems gerade dieser Wirbelthiergruppe bisher merkwürdig vernachlässigt worden, so dass sich über den Bau der fertigen Or- gane, besonders über die Verbindung der Harn- mit den Geschlechts- wegen bei männlichen Thieren noch die widersprechendsten Ansichten gegenüberstehen. Die Entwicklung der Geschlechtsorgane ist völlig unbekannt. Einige Stadien aus der Entwicklungsgeschichte der Vor- niere und Urniere sind durch die Untersuchungen FÜRBRINGER's (2) und BarLrour's und ParKer’s (1) bekannt geworden. Dieser Mangel unserer Kenntnisse ist um so bedauerlicher, als sehr wahrscheinlich gerade bei den Ganoiden der Schlüssel ver- schiedener strittiger und räthselhafter Punkte in der vergleichenden Anatomie des Urogenitalsystems der Wirbelthiere überhaupt zu finden sein wird. Zu einer vollen Klarheit über die Bedeutung des MÜLLER- schen Ganges werden wir wohl erst dann gelangen, wenn die Ent- wicklung desselben und seines Ostium abdominale bei den verschie- denen Ganoiden erkannt sein wird. Auch wird man nicht daran denken können, anders als in ganz hypothetischer Weise eine Ver- gleichung des Genitalapparates der Teleostier mit dem der übrigen Wirbelthiere durchzuführen, ehe nicht die einschlägigen Verhältnisse bei den Ganoiden sicher festgestellt sein werden. 624 Richard Semon Um mich zunächst über den Bau der ausgebildeten Organe zu orientiren, begab ich mich Ende April 1890 nach Hamburg, um er- wachsene Störe zu untersuchen. Dass meine Bemühungen sofort erfolgreich waren, verdanke ich der in liebenswürdigster Weise ge- währten Hilfe und Unterstützung des Herrn Dr. M. v. Bruny. Herr Professor KRAEPELIN, Direktor des Hamburger Museums, war so freundlich, mir einen Raum im Museum zum Untersuchen und Kon- serviren des gesammelten Materials zur Verfügung zu stellen. Herr Dr. BoLAau, Direktor des zoologischen Gartens in Hamburg, sandte mir wiederholentlich junge Störe nach Jena. Professor ALEXANDER Acassız hatte die große Güte, mich in liberalster Weise mit Mate- rial von amerikanischen Ganoiden (männliche und weibliche Exem- plare von Lepidosteus osseus und Amia calva, ein Weibchen von Polyodon) zu versorgen. Im Juni 1891 endlich hatte ich Gelegen- heit, mit gütiger Erlaubnis des Herrn Geheimrath MögBıus einen Theil des Ganoidenmaterials des Berliner Museums zu durchmustern. In aufopferndster Weise wurde ich bei dieser Arbeit von Herrn Dr. HILGENDORF unterstützt. Allen den genannten Herren spreche ich an dieser Stelle noch einmal meinen wärmsten Dank aus. Leider konnte aus verschiedenen Gründen der Plan einer gründ- lichen Bearbeitung des Urogenitalsystems der Ganoiden nicht zur Durchführung gelangen. Ich konnte aber an dem bis jetzt von mir zusammengebrachten Material einige sichere Feststellungen machen, die mir der Mittheilung werth erscheinen. Vielleicht dienen sie zur - Anregung zu weiteren Untersuchungen und lenken auch die Auf- merksamkeit amerikanischer und russischer Naturforscher auf ein lohnendes Gebiet anatomischer und entwicklungsgeschichtlicher For- schung, dessen Bearbeitung kaum begonnen hat. Was den Stand der Frage nach der Verbindung der Harn- und Geschlechtsorgane der Ganoiden betrifft, so wären wir ohne Zweifel heute weiter, wenn man die Angaben, die RArukE im Jahre 1824 gemacht hat, einer größeren Aufmerksamkeit gewürdigt und an passendem, das heißt an geschlechtsreifem Material nachgeprüft hätte. RATHKE (9 pag. 129) sagt: »Auffallender aber noch als diese Form des Störhodens ist die Verbindung desselben. Beim eigent- lichen Störe liegt sein hinterer Theil an dem inneren Rande des Harnleiters, welcher als ein weiter Kanal am äußeren Rande der Nierenmasse herabläuft, und ist durch ein schmales Haltungsband mit dem Harnleiter verbunden. Beim Hausen dagegen, bei welchem der Harnleiter verhältnismäßig bedeutend weiter als beim Stor ist, Notizen über d. Zusammenhang d. Harn- u. Geschlechtsorgane b. d. Ganoiden. 625 und hinter der Schwimmblase an jeder Seite die ganze Hälfte der Nierenmasse als ein weiter Schlauch bedeckt, liegt der hintere Theil des Hodens zwar auch nach innen zu, jedoch nicht sowohl neben dem Harnleiter, als vielmehr unter demselben, und ist gleich wie beim Störe durch ein schmales, aber dickes Band mit ihm verbun- den. Es lässt sich daher dieser Lage zufolge über den Austritt des Samens nicht gut eine andere Meinung fassen, als dass der Samen durch Quergefäße aus dem hinteren Theile des Samenleiters in den Harnleiter übergeht. Und dieses ist nach meinen Beobach- tungen auch wirklich der Fall, indem ich bei dem Hausen deutlich genug jene Quergefiibe, und zwar in Menge vorfand, die alle durch das Band des Hodens in den Harnleiter übergingen. Mit weniger Genauigkeit kann ich sie dagegen beim Störe angeben, da ich die- sen nicht gerade zur Laichzeit untersucht, und außer derselben Ein- spritzungen zu machen unterlassen habe, um meinem Freunde v. BAER nicht geflissentlich zu weit vorzugreifen.« »Wäre diese Angabe, die ich hier über den Austritt des Samens beim Störgeschlecht gemacht habe, was ich hoffe, richtig, so hätten wir eine ähnliche Erscheinung wie bei den Fröschen und Kröten.« RATHKE dehnt diesen interessanten Vergleich dann auch noch auf Vögel und Säugethiere aus, und kommt im vierten Heft der Beiträge zur Geschichte der Thierwelt (1825) in dem Abschnitt über die Entwicklung der Geschlechtstheile bei den Fischen, pag. 16, noch einmal in gleichem Sinne auf den Gegenstand zurück. J. MÜLLER ging in seinen berühmten Untersuchungen über den Bau und die Grenzen der Ganoiden (8) nicht auf diese Frage ein. In einer kürzeren Mittheilung (7 pag. 75) macht er folgende An- gaben: »Die männlichen Geschlechtsorgane (von Lepidosteus) bieten nichts Eigenthümliches dar, der Samenleiter hat in seinem Verlauf einige blasenartige Erweiterungen, seine Verzweigung in den Hoden und der ganze Hoden ließ sich vom Samenleiter aufblasen. Der Samenleiter führt in den Harnleiter.« Letztere, wie ich gleich sagen will, unriehtige Angabe J. MürLter’s wird scheinbar durch die Be- merkung Hyrrv's (4 pag. 70) bestätigt: »Die Untersuchung der inneren Oberfläche der Harnblase ließ die doppelten Mündungen der Harnleiter und Hodenausführgänge erkennen.« Im Übrigen liefert die sonst brauchbare und schöne Abhandlung Hyrvw’s nichts für die _ Frage nach der Ausleitung der männlichen Geschlechtsprodukte. Stanntus (12 pag. 268 Anm.) vermochte sich beim Stör nicht mit Sicherheit von der Richtigkeit der Raruke’schen Angaben zu überzeugen. 626: . Richard Semon SEMPER (11 pag. 442) lässt nach Untersuchung eines jungen Störs die Frage offen, ob der Samen durch ein Vas efferens vom vorderen Ende des Hodens zur Niere geleitet, oder aber durch einen Samenleiter, der als die direkte Verlängerung des Hodens aufzu- fassen wäre, in die Kloake entleert würde. Von großer Bedeutung sind die Resultate, zu denen BALFOUR und PARKER (1 pag. 413) bei der Untersuchung eines 60 cm langen Männchens von Lepidosteus gelangt sind. »The results, we have arrived at with reference to the male organs are very different in- deed from those of our predecessor, in that we find the testicular products to be carried off by a series of vasa efferentia, which traverse the mesorehium, and are continous with the uriniferous tubuli; so that the semen passes through the uriniferous tubuli into the kidney duct and so to the exterior. We have moreover been unable to find in the male a duct homologous with the oviduct of the female. This mode of transportation outwards of the semen has not hitherto been known to occur in Ganoids, though found in all Elas- mobranchii, Amphibia and Amniota. It is not, however, impossible that it exists in other Ganoids, but has hitherto been overlooked.« — — »We have found in the mesorchium a number of tubes of a yellow colour, the colour being due to a granular substance quite unlike coagulated blood, but which appeared to us from microscopic examination to be se remains of spermatozoa.« In WIEDERSHEIM’s Lehrbuch der vergleichenden Anatomie (13 pag. 773) findet sich der Satz: »Am lateralen Ende des Hodens (des Störs) zieht ein Gang herab, welcher nach vorn und hinten blind geschlossen ist, und welcher als Sammelgang zu dienen scheint. Aus ihm entspringen zahlreiche kleine, da und dort netzartig ver- bundene Vasa efferentia, die im Mesorchium suspendirt sind und sich mit dem schlanken Nierenabschnitt N’ auf Fig. 582 verbinden. Letzterer funktionirt somit wie bei Selachiernund Am- phibien als Nebenhoden (WIEDERSHEIN)«. Das von WIEDERSHEIM untersuchte Exemplar war, wie ein Blick auf seine Fig. 582 lehrt, ein jugendliches, noch ganz unreifes Exem- plar. In seinem zwei Jahre später erschienenen Grundriss (14 pag. 362) bezeichnet es WIEDERSHEIM als wahrscheinlich, dass der Urnierengang bei männlichen Stören als Harnsamenleiter funk- tionire. | JUNGERSEN endlich, dem die gesammte Litteratur, und vor Allem Notizen über d. Zusammenhang d. Harn- u. Geschlechtsorgane b. d. Ganoiden. 627 die seit STANNIUS in Vergessenheit gerathenen Angaben RATHKE’s bekannt gewesen sind, giebt (5 pag. 186) zwar an, im Mesorchium junger Störe ein Hodennetz gefunden zu haben; es existirte aber gar keine Verbindung weder mit dem Nierengang noch mit den Harnkanälchen. »Das Kanalsystem ist noch völlig ver- schlossen. Es macht den Eindruck an Ort und Stelle, wo es liegt, entstanden zu sein, und kann demnach kaum den Vasa effe- rentia der Selachier homolog sein, weil diese ja aus ,Segmental- gängen‘ entstehen. Dass es den Samen ausführen soll, ist klar, aber wohin es sich öffnen wird, lässt sich kaum ohne Untersuchung völlig geschlechtsreifer Individuen entscheiden.« Gegenüber den BALFOUR-PARKER’schen Angaben über Lepido- steus erhebt JUNGERSEN das Bedenken, dass das von ihnen unter- suchte männliche Exemplar schlecht konservirt war, so dass die Möglichkeit keineswegs ausgeschlossen sei, »dass diese ‚Vasa effe- rentia‘ Blutgefäße sind, wie von Hyrrn angenommen, der sie nicht übersehen hat.« Meine eigenen Untersuchungen, die an einem, zwar auch nur recht dürftigen, aber Dank oben erwähnter Umstände doch erheblich größeren und brauchbareren Material als dem meiner Vorgänger unter- nommen werden konnten, haben nun mit Sicherheit die allgemeine Richtigkeit der RatukE’schen Angaben, sowie die vollkommene Kor- rektheit der BALFOUR-PARKER'schen Beschreibung erwiesen. Die kurzen Angaben WIEDERSHEIN’s in seinem Lehrbuch sind im Haupt- punkt zutreffend. Wenden wir uns zunächst zur Betrachtung von Acipenser und Lepidosteus, so ist gleich vorauszuschicken, dass bei beiden Ganoiden- formen die Dinge im Wesentlichen gleich liegen. Das Mesorchium von Lepidosteus ist lang, durchsichtig, fettarm; dasjenige von Aci- penser sturio aber relativ sehr kurz und durch hochgradige Fettein- lagerung ganz undurchsichtig. Es empfiehlt sich desshalb zur Unter- suchung der makroskopischen Verhältnisse, besonders zum genaueren Studium des Keimdrüsennetzes vorwiegend Lepidosteus zu gebrau- chen. Für die Begründung des feineren Baues habe ich mich da- gegen mehr auf Acipenser gestützt, von dem ich mir selbst Theile des Urogenitalsystems (Hoden, Mesorchium, Niere) für mikroskopische Untersuchung konservirt habe. Natürlich wurde auch Lepidosteus, von dem mir Exemplare vorlagen, die in toto in Alkohol konservirt worden waren, zur Vergleichung herangezogen. Fig. 1 zeigt ein Situsbild der Bauchorgane von Lepidosteus Pe 628 Richard Semon osseus nach Fortnahme der linksseitigen Rumpfwand. Als charak- teristisch für den Hoden von Lepidosteus möchte ich hier beiläufig angeben, dass derselbe durch Peritoneallamellen an die. übrigen Bauchorgane (Leber, Darm, Appendices pyloricae ete.) angeheftet ist. Derartige Anheftungen habe ich bei anderen Ganoiden nicht beobachtet. Vom Hoden sieht man eine Anzahl Querkanäle zum Vornieren- gange treten, der hier in seiner ganzen Länge aufgeschlitzt gezeich- net ist. Die Querkanäle münden nun nicht etwa direkt in den Vornierengang ein, sondern senken sich, kurz ehe sie den Gang erreichen, in die Tiefe unter das Peritoneum, das die Niere (Urniere) deckt. Durch zahlreiche Anastomosen bilden sie hier eine Art von unregelmäßiger Längskommissur, aus der kleinere Queräste direkt in die Urniere eintreten. Die Niere wird vom Sperma durchströmt und ein Theil der Nierenausfuhrgänge ist vollgestopft mit Sperma, das auch die Quer- kanäle und die Längskanäle des Keimdrüsennetzes völlig erfüllt. Obwohl der Erhaltungszustand meiner Exemplare von Lepidosteus kein besonders guter ist, lässt sich doch mit voller Sicherheit feststellen, dass es sich hier um Sperma handelt. Auch der Vor- nierengang ist bei den beiden männlichen Exemplaren von Lepido- steus, die ich untersucht habe, mit Sperma, angefüllt. Spült man die füllende Masse weg, so sieht man in der Wand des aufgeschlitz- ten Vornierenganges die Einmündungsstellen der Nierensammelröhren als zahlreiche, ziemlich regelmäßige Punkte (Taf. XXXI Fig. 1). Auch aus ihnen kann man mit einer Pincette Spermamassen heraus- ziehen. Im vordersten Theil des Vornierenganges werden diese Einmündungsöffnungen spärlicher, der Vornierengang selbst dünner. Hier nämlich ist der größte Theil des Nierengewebes in Lymphge- webe umgewandelt. Über den vordersten Querkanal des Keimdrüsen- netzes hinaus konnte ich den Vornierengang nicht verfolgen. Er endet hier, und die Fortsetzung der Niere darüber hinaus besteht lediglich aus lymphatischen Elementen, wie dies schon BALFOUR und PARKER angegeben haben. Dagegen erstreckt sich die typisch ge- baute Urniere weit über den hintersten Querkanal des Hodens hin- aus bis zur Urogenitalöffnung. Vom Vornierengang wurde schon angegeben, dass er nach vorn spitz auslaufend endigt. Ein Trichter wie bei den Stören führt be- kanntlich nicht in ihn hinein. Eben so wie BALFOUR und, PARKER habe ich bei männlichen Thieren vergeblich nach dem Homologon des Notizen über d. Zusammenhang d. Harn- u. Geschlechtsorgane b. d. Ganoiden. 629 Mürrer’schen Ganges oder Oviducts gesucht, dessen Existenz man aus der schon einmal eitirten Bemerkung Hyrrr’s vermuthen möchte, der angiebt: »Die Untersuchung der inneren Oberfläche der Harn- blase ließ die doppelten Mündungen der Harnleiter und Hoden-Aus- führgänge erkennen« (4 pag. 70). Übrigens fehlt auf Hyerr's eigener Figur der männlichen »Harnblase« (Taf. I Fig. 2) eine deutliche Zeichnung und Bezeichnung dessen, was HyRrL mit diesen doppelten Mündungen gemeint hat. Dagegen macht HyrrL ganz richtig darauf aufmerksam, dass die Harnblase, das heißt das unterste, angeschwollene Ende des Vornierenganges des Männchens vor dem des Weibchens durch den Besitz zahlreicher querer Scheidewände ausgezeichnet ist (Taf. XXXI Fig. 1). Die so entstandenen Fächer werden durch kleinere, sich in ver- schiedenen Winkeln kreuzende Scheidewände weiter getheilt und erhalten dadurch einen wabigen Bau. Im Grunde der Waben miin- den Sammelgänge der Urniere. Bei geschlechtsreifen Männchen sind die Fächer und ihre Unterabtheilungen dicht mit Sperma erfüllt. Die ganze Einrichtung hat zweifelsohne den Zweck, den Samen in diesem Abschnitt des Harnsamenleiters aufzustauen; dieser Abschnitt funktionirt als Reservoir des Samens. Beim Weibchen fehlt diese Fächerung der »Harnblase« entweder ganz oder sie ist nur schwach angedeutet. Wenden wir uns nun zur näheren Betrachtung des Keimdrüsen- netzes (Hodennetzes), so finden wir in Fig. 2 « den Anfangstheil des Netzes da, wo es vom Hoden entspringt, in Fig. 25 das Ende desselben bis zum Eintritt des Spermas in die Niere dargestellt. Die kleineren Ausführgänge des Hodens vereinigen sich an demjenigen Rande desselben, an den sich das Mesorchium ansetzt, zu größeren Gängen, und letztere sind durch seitliche Äste mit ein- ander verbunden, so dass eine Art von Längskommissur entsteht. Letztere stellt aber nicht eine so einheitliche, selbständige Bildung dar, wie es der Längskanal des Hodens bei Selachiern und Amphi- bien ist; denn es scheint, dass sich eine Anzahl von Querkanälen an der Bildung dieser Längskommissur gar nicht betheiligt. Obwohl jener Längskanal bei Selachiern und Amphibien eine centrale Lage im Hoden einnimmt (Centralkanal), möchte ich ihn doch mit der erwähnten Längskommissur der Ganoiden, die am Hodenrande liegt, vergleichen, da ich in einer anderen Arbeit (10) nachgewiesen habe, 630 Richard Semon dass jener Kanal bei Amphibien erst sekundär in das Centrum der männlichen Keimdrüse gelangt. Die dicken Querkanäle verlaufen nun, begleitet von Gefäßen, durch das Mesorchium, indem sie während des Verlaufs hier und da anastomosiren. An der Ubergangsstelle des Mesorchiums in das Peritoneum der dorsalen Bauchwand bilden sie unter zahlreichen Theilungen eine zweite, viel ansehnlichere Längskommissur (Fig. 20). Aus ihr entspringen eine größere Anzahl kleinerer Kanäle, die das Peritoneum durchsetzen und in die Niere eindringen. An meinen Exemplaren von Lepidosteus kann ich zwar nun noch auf Schnitten feststellen, dass diese Kanäle sich in der Niere in feinere Äste auflösen und mit Marpıcurschen Körperehen in Verbin- dung treten. Für das genauere Studium dieser Verhältnisse ist aber der Erhaltungszustand der Gewebe nicht ausreichend, und wenden wir uns desshalb zu Acipenser sturio. Von Acipenser sturio habe ich in Hamburg mehrere männliche Exemplare von 11/, bis 2 Meter Länge untersucht. Leider verboten es die Umstände, sofort Skizzen des Bauchsitus anzufertigen. Das Mesorchium ist beim erwachsenen Acipenser sturio unver- gleichlich viel kürzer als bei Lepidosteus, und so mit Fett durch- wachsen, dass es völlig undurchsichtig ist. Dies erschwert die Übersicht über das Hodennetz in hohem Grade. Es gelang mir aber durch Präparation des Keimdrüsennetzes in seiner ganzen Aus- dehnung vom Hoden zur Niere über folgende Hauptpunkte zur Klar- heit zu kommen. Die Querkanäle und der am Nierenrande gelegene Längskanal finden sich in ganz ähnlicher Anordnung bei Acipenser wie bei Lepidosteus (Fig. 2 6). Nur die Querkanäle sind relativ erheblich kürzer. Ungemein schwierig ist der Nachweis der Längs- kommissur am Hodenrande, also da, wo die Hodenkanälehen den Hoden verlassen und als Querkanäle ins Mesorchium treten. Es würde viel leichter sein, hier einen völlig klaren Einblick zu erhal- ten, wenn man jüngere, aber tadellos konservirte Thiere daraufhin untersuchte, deren Hoden in der Entwicklung noch nicht zu weit fortgeschritten sind. Ich kann nur angeben, dass ich zahlreiche Längsverbindungen und Anastomosen unter den aus dem Hoden aus- tretenden Querkanälen gesehen habe, so dass eine Anordnung des Netzes an dieser Stelle, ganz ähnlich wie sie oben für Lepidosteus beschrieben und auf Fig. 2 a dargestellt worden ist, zu resultiren scheint. Bei der enormen Größe und Verwicklung der Theile ließ sich aber keine vollkommene Übersicht des Netzes an dieser Stelle Notizen über d. Zusammenhang d. Harn- u. Geschlechtsorgane b. d. Ganoiden. 631 gewinnen. Wie wir sehen hat RATHKE mit seiner Beschreibung im Allgemeinen das Richtige getroffen. Er irrte nur in der Annahme, dass die Querkanäle direkt in den Vornierengang treten und hat ihren Durchtritt durch die Niere übersehen. Ein solcher, respektive eine Verbindung des Keimdrüsennetzes mit dem vordersten Nierenabschnitt wird von WIEDERSHEIM (13) an- ‚gegeben, der übrigens über die Art der Verbindung keine Angaben macht. Das von ihm untersuchte Exemplar war ganz unreif. Der Hoden eines reifen Störs besitzt ein mehr als hundertmal größeres Volumen als derjenige seiner Fig. 582. Unzutreffend ist seine An- gabe, dass nur der vorderste Nierenabschnitt (WIEDERSHEIM's schlan- ker Nierenabschnitt N,) vom Hodensekret durchflossen wird. Das Keimdrüsennetz erstreckt sich mehr als doppelt so weit nach ab- wärts, als WIEDERSHEIM angiebt, und nur der unterste Nierenab- schnitt nimmt keine Vasa efferentia mehr auf. Fig. 3 stellt einen Querschnitt durch einen kleinen Theil des Hodens, durch das Mesorchium und durch das sich daran anschlie- Bende retroperitoneale Fettgewebe bis zur Niere einschließlich letzterer in natürlicher Größe dar. Man sieht Quer- und Schiefschnitte der Kanäle des Keimdrüsennetzes auf ihrem Wege vom Hoden zur Niere. Die mit Sperma erfüllten Kanäle sind auf dieser und der folgenden Figur durch tiefes Schwarz hervorgehoben. Auf Fig. 3, besonders deutlich aber auf Fig. 4 sieht man wie aus dem am Nierenrande gelegenen Längskanal des Keimdrüsen- netzes kleinere Kanäle hervorgehen, die in die Niere eindringen und sich dort in noch kleinere Äste theilen. Aus jedem solcher Äste gehen feinste Astchen hervor, die zu Maxrrcui’schen Körper- chen treten. Letztere sitzen mittels jener Astchen den kleinen Kanälen in einer Weise auf, die an die Beeren einer Wein- traube erinnert (Fig. 4). Ein in geeigneter Weise gefärbtes Präparat der von Sperma durchflossenen Niere, bietet desshalb ein überaus zierliches Bild dar (Fig. 4). Aus den Marrıcnrschen Körperchen fließt das Hodensekret in die vielfach gewundenen Nierenkanälchen, gelangt von da in die kleineren, dann in die größeren Sammelgänge und endlich in den weiten Vornierengang, den man, wie bei Lepi- dosteus, auf Strecken ganz mit Sperma vollgestopft findet. Die MaArrısurschen Körperchen, die vom Sperma durchflossen werden, unterscheiden sich nur durch den Besitz des zuführenden Hodenkanälchens von den gewöhnlichen MArrısurschen Körperchen. Im Übrigen zeigen sie, was ihren Glomerulus, die Bowman’sche 632 Richard Semon Kapsel und das aus ihnen austretende Nierenkanälchen anlangt, den- selben Bau, wie die gewöhnlichen Körperchen. Der Glomerulus liegt ganz umgeben von Sperma, was häufig seine Wahrnehmung erschwert; er lässt sich aber in jedem Falle nachweisen (Fig. 5). Ein Blick auf Fig. 4 lehrt, dass nicht sämmtliche Maupreut’sche Koérperchen und Kanälchen der Niere der Ausleitung des Spermas dienen. Nach oberflächlicher Schätzung finde ich etwa ein Drittel mit Sperma mehr oder weniger erfüllt, die anderen beiden Drittel sind völlig davon frei. Man sieht aber, dass immerhin ein sehr großer Theil der Niere vom Hodensekret durchflossen und dadurch höchst wahrscheinlich in seiner exkretorischen Funktion beeinträchtigt wird. Dass bei den Stören eine so große Menge von MarpıcHr'schen Körperehen mit dem Keimdrüsennetz in Verbindung steht (auf einem Querschnitt kann man an 100 solche Körperchen zählen), unter- scheidet diese Fischgruppe von Selachiern sowohl als Amphibien, bei denen nur die MarrıcHr'schen Körperchen erster Ordnung nebst den zugehörigen Nierenkanälchen bei der Samenleitung betheiligt sind. Allein bei den Urodelen stehen nicht nur die primären MaL- piGHTschen Körperchen, sondern auch diejenigen zweiter, dritter und vierter Ordnung mit dem Keimdrüsennetz in Verbindung: aber auch dort sind es immer nur Kérperchen und Kanäle der erstentstandenen Ventralreihe, nicht diejenigen der später gebildeten dorsalen Reihen, so dass doch immer nur auf einem Querschnitt ein Körperchen der Funktion der Samenleitung zu dienen scheint. Bei den Ganoiden ist wohl zweifellos sekundär entsprechend der riesigen Vergröße- rung der Keimdrüsen und ihrer Produkte ein viel größerer Theil der Niere zu dieser Leistung mit herangezogen. Überhaupt muss augenscheinlich die Belastung der Niere zur Zeit der Geschlechtsreife eine sehr bedeutende sein, da durch die dichte Erfüllung mit Sperma ein großer Theil ihrer Maupienrschen Kérperchen und Kanälchen der exkretorischen Funktion entzogen ist. Selachier, Amphibien und Amnioten einerseits, Teleostier an- dererseits zeigen in dieser Beziehung eine höhere und vollkommenere Ausbildung als die Ganoiden. Die erstere Gruppe, indem sich bei ihr der vordere vom Sperma durchflossene Theil der Niere von dem hinteren lediglich exkretorischen schärfer sondert, ja bei Amnioten sogar räumlich ganz trennt. Nur bei den Coecilien unter den Am- phibien ist diese Sonderung kaum schärfer ausgesprochen als bei den Ganoiden. Einen anderen Weg, dasselbe Ziel zu erreichen, nämlich das Exkretionsorgan zu entlasten, finden wir bei Teleostiern Notizen über d. Zusammenhang d. Harn- u. Geschlechtsorgane b. d. Ganoiden. 633 eingeschlagen, wo sich das Keimdrüsennetz ganz von der Niere ab- löst und das Sperma durch einen selbständigen Ausführgang, der wahrscheinlich dem Längskanal oder Centralkanal der Keimdrüse bei Selachiern und Amphibien entspricht, nach außen geleitet wird. Für die Beurtheilung dieser Verhältnisse und auch für die noch weiter umgebildeten der Myxinoiden verweise ich auf meine oben eitirte Arbeit (10). Die dritte Ganoidenform, die ich eingehender untersucht habe, ist Amia ealva. Unter meinen männlichen Exemplaren waren einige der Geschlechtsreife nahe, kein einziges aber völlig reif. Da in Folge dessen das Hodennetz nicht mit Sperma erfüllt war, konnte kein völlig sicheres Resultat erlangt werden. Ich fand im Mesorchium ein Netz von Kanälen, das dem bei Lepidosteus und Acipenser be- schriebenen täuschend gleicht. Außerdem fand ich zahlreiche Blut- gefäße, die als solche leicht durch ihren Inhalt erkannt werden konnten. Es ließ sich nun aber nicht mit absoluter Sicherheit die Möglichkeit ausschließen, dass die ersterwähnten Kanäle nicht etwa leere Blutgefäße wären. Denn für eine genauere histologische Ana- lyse der Kanalwandungen war das Material viel zu schlecht konservirt. Es muss indessen als in höchstem Grade wahrscheinlich bezeichnet werden, dass jenes nichtgefüllte Kanalnetz ein typisches Hodennetz ist, da ich im Aufhängeband der weibliehen Keimdrüse zwar zahlreiche, deutlich als solche erkennbare Gefäße, aber nichts von jenen pro- blematischen Kanälen des Mesorchiums entdecken kann. Wie wir wissen, findet sich ein Keimdrüsennetz (Hodennetz) ur- sprünglich auch bei den weiblichen Selachiern, Amphibien und Am- nioten (Markstränge der Säugethiere). Es ist aber im ausgebildeten Zustande stets mehr oder weniger rudimentär oder auch ganz rück- gebildet. Über das Vorkommen von einem Keimdrüsennetz beim weiblichen Lepidosteus und Acipenser kann ich keine Angaben machen. Diese Frage muss entwicklungsgeschichtlich untersucht werden. Die oben mitgetheilten Beobachtungen machen es sehr wahr- scheinlich, dass auch bei Amia, diesem Ganoiden, der den Teleostiern am nächsten steht, die Ausleitung des Spermas nach genau dem- selben Typus erfolgt, wie bei Lepidosteus und Acipenser. Zu einer völligen Sicherheit wird man aber nur durch Untersuchung von völ- lig reifem oder tadellos konservirtem unreifen Material gelangen können. Morpholog. Jahrbuch. 17. 41 634 Richard Semon Hier finde noch die Beobachtung Platz, dass der durch ein weites Ostium in die Leibeshöhle mündende Oviduct der weiblichen Amia beim Männchen nicht zu finden ist. Bau und Topographie der Geschlechtsorgane von Polyodon (Spatularia) und von Polypterus entsprechen im Großen und Ganzen den bei den übrigen Ganoiden beschriebenen Verhältnissen. Leider waren alle Thiere, die ich untersuchen konnte, von der Geschlechts- reife noch ziemlich weit entfernt, so dass ich über die Ausleitung des Spermas keine Angaben machen kann. Es ist zu erwarten, dass sich bei ihnen auch in diesem Punkte eine Übereinstimmung mit den übrigen Ganoiden wiederfinden wird. Litteratur. —. 1) F. M. BaLrour and W. N. PARKER, On the Structure and Development of Lepidosteus. Philosophical Transactions of the Royal Society. Part II. 1882. 2) M. FÜRBRINGER, Zur vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Exkretionsorgane der Vertebraten. Morph. Jahrb. Bd. IV. 1878, 3) Tu. Huxiny, Contributions to Morphology. Ichthyopsida. — No. 2. On the Oviducts of Osmerus; with Remarks on the Relations of the Teleostean with Ganoid Fishes. Proceedings Zoological Society of London 1883. 4) J. Hyerı, Uber den Zusammenhang der Geschlechts- und Harnwerkzeuge bei den Ganoiden. Denkschrift. der k. Akademie der Wissenschaften. Bd. VIII. Mathemat.-Naturw. Klasse. Wien 1854. 5) Hector F. E. JUNGERSEN, Beiträge zur Kenntnis der Geschlechtsorgane bei den Knochenfischen. Arbeiten aus dem zoologisch-zootomischen Institut in Würzburg. Bd. IX. 1890. 6) MAYER, Analecten für vergleichende Anatomie. I. 1835. 7) J. MÜLLER, Sitzungsberichte der Berliner Akademie. 1846. 8) —— Uber den Bau und die Grenzen der Ganoiden. Abhandlungen der k. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1844 (1846), 9) H. RATukE, Beiträge zur Geschichte der Thierwelt. Schriften der natur- forschenden Gesellschaft zu Danzig. Bd. I. 3. Heft: Über die Ge- schechtstheile der Fische. 1824. 10) R. Semon, Studien über den Bauplan des Urogenitalsystems der Wirbel- thiere. Dargelegt an der Entwicklung dieses Organsystems bei Ich- thyophis glutinosus. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. 1891. Notizen über d. Zusammenhang d. Harn- u. Geschlechtsorgane b. d. Ganoiden. 635 11) 12) 13) 14) Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. C. SEMPER, Das Urogenitalsystem der Plagiostomen und seine Bedeutung für die übrigen Wirbelthiere. Arbeiten aus dem zoologisch-zootom. Institut in Würzburg. Bd. II. 1875 H. Srannius, Handbuch der Zootomie. [Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. 2. Aufl. 1854. R. WIEDERSHEIM, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbel- thiere. 1. Aufl. 1886.J —— Grundriss der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. 2. Aufl. 1888. Erklirung der Abbildungen. Tafel XXXI. Situs der Bauchorgane eines minnlichen Lepidosteus osseus nach Fortnahme der linksseitigen Rumpfwand. ‘1/2 natürl. Größe. . Keimdrüsennetz desselben Lepidosteus. Die mit (Sperma erfüllten Kanäle sind tiefschwarz gezeichnet. Fig. 2a. Keimdrüsennetz beim Austritt aus dem Hoden. Fig. 25. Keimdrüsennetz vor dem Eintritt in die Niere. Vergr. 31/2. Querschnitt durch einen Theil des Hodens, Mesorchium, retroperito- neales Gewebe bis zur Niere, einschließlich letzterer von einem männ- lichen Acipenser sturio bei natürlicher Größe. Sperma tiefschwarz, . Ein Theil der Niere von Fig. 3 bei 15facher Vergrößerung. Theilung der Kanäle des Keimdrüsennetzes in kleinere und kleinste Äste, die zu den MArrıGHr'sschen Körperchen treten. Einzelnes MArpıGHr'sches Körperchen, das vom Sperma durchflossen wird. Vergr. 145. 41* Zur Entwicklung von Paludina vivipara. Von Dr. R. v. Erlanger. Aus dem zoologischen Institut zu Heidelberg. Mit Tafel XXXII—XXXII und 3 Figuren im Text. II. Theil. Im ersten Theile dieser Arbeit habe ich bei der Besprechung der Entwicklung des Herzbeutels und der Niere eine eingehende Beschreibung der Vorgänge, welche sich in der allgemeinen Gestal- tung des Embryo abspielen, gegeben, so dass ich auf dieselben hier nicht wieder zurückzukommen beabsichtige. Um das ungefähre Alter der behandelten Stadien zu bezeichnen, beziehe ich mich auf die im ersten Theile in toto abgebildeten Embryonen. Es soll jetzt die Entwicklung des Nervensystems, des Cirkulationsapparates und der Geschlechtsorgane behandelt werden. A. Nervensystem. Ehe ich die Entwicklung des Nervensystems bespreche, halte ich es für nothwendig einen Überblick über die Beschaffenheit des- selben beim erwachsenen Thiere zu geben und werde dabei die Beschreibung Bouviers (54) zu Grunde legen. Dieser Beobachter, welcher eine größere Anzahl von Prosobranchiaten aus den verschie- densten Abtheilungen vergleichend anatomisch auf die Verhältnisse 1 I. Theil s. d. Band pag. 337. a Morpholog. Jahrbuch. Bd. XVI. Taf Rood 1. zyulıc Mi OPEL Theil der Urniere. U1 sea TOPS th Vasa efferentia Vornierengang 7 testis Md Appendices nıyloricac Schwimmblase Leber Hoden Vornierengang Hoden Hoden Querkanal Mesorchuum Vaseflerens 25 Or abführendes Kanälchen zuführendes Kanälchen Querkanal Längskanal- 2 d Mesorchium Glomerulus Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. ~— = 687 des Nervensystems untersucht hat, giebt von Paludina eine viel ge- nauere Abbildung als v. Inermnc. Ich habe mich selbst, durch Zergliederung ausgewachsener Thiere und Anfertigung von Schnitt- serien durch ältere Embryonen von der Richtigkeit der BouviEr’schen Darstellung überzeugt. Bouvıer’s Abbildung ist im Holzschnitt wiedergegeben, während Fig. 9 auf Taf. XXXII die Topographie eines ziemlich entwickelten Em- bryo veranschaulicht und eine gute Vorstellung von der Lagerung des Ner- vensystems in Bezug auf die übrigen Organe giebt. Paludina besitzt zwei Cerebralganglien (c), wel- che tiber der Mundmasse und dem Anfang des Schlundes gelegen sind und durch die Cerebral- kommissur verbunden werden. Letztere ist im Holzschnitt als durch- schnitten dargestellt !. Von jedem Cerebralgan- \_ glion führt je ein Kon- % | nektiv zu dem Pedalgan- \___- glion (P) derselben Kör- j perhälfte; da letztere unter IN einander durch eine kurze a 73 dieke Kommissur zusam- a menhängen, wird auf diese Weise ein geschlossener Nervenring um den Osophagus gebildet. Die Pedalganglien gehen ganz allmählich in die sehr dicken und ansehnlichen Pedalstränge über, welche eigentlich nur eine Fort- setzung der Ganglien sind und einen durchaus gangliösen Charakter haben. Sie durchsetzen die Fußsohle in ihrer ganzen Länge und lmn ! Den Verbindungsstrang zwischen zwei gleichnamigen Ganglien nenne ich Kommissur, den zwischen zwei ungleichnamigen Konnektiv. 638 R. v. Erlanger sind durch drei Anastomosen mit einander verbunden. Sie sind in dem Holzsehnitt nach vorn umgelegt und ziehen nach vorn, wäh- rend sie sich in Wirklichkeit nach hinten erstrecken. Auch die Cerebralganglien besitzen eine langgestreckte Gestalt und laufen in der Mittellinie in die ziemlich lange Cerebralkommis- sur aus, nach den Seiten ebenfalls ganz allmählich in je ein langes Konnektiv aus, welches das Cerebralganglion mit dem Buccalgan- glion (6) derselben Seite verbindet. Die, unter dem Schlund, zwi- schen demselben und der Radulatasche gelegenen Buccalganglien, erscheinen beim erwachsenen Thiere als Anschwellungen der Buccal- kommissur, welche sie unter einander verbindet. Der Vorsprung der Cerebralganglien, der das Cerebrobuccal- konnektiv erzeugt und von Bouvier Labialvorsprung (Saillie labiale) genannt wird, schickt noch eine Labialkommissur aus, welche eine neue Verbindung zwischen den Cerebralganglien bildet. Während die Cerebropedalkonnektive verhältnismäßig lang und dünn waren, sind die Cerebropallialkonnektive kurz und dick; sie verbinden, wie der Name besagt, die Cerebralganglien mit den Pallialganglien (Pa) (auch Kommissural- oder Pleuralganglien ge- nannt). Sie schicken je ein Konnektiv zu den Pedalganglien; das Palliopedalkonnektiv geht aber in das Cerebropedalkonnektiv auf, ehe es das entsprechende Pedalganglion erreicht hat. Man sieht daher jederseits außer dem Cerebropedalkonnektiv einen dicken Strang, welcher das Cerebral- und das Pedalganglion verbindet und in dem das Pallialganglion, etwa halbwegs zwischen dem Cerebral- und dem Pedalganglion, eingelagert ist. Die Visceralkommissur hat in dem Pallialganglion ihren Ursprung. Der Visceralstrang, welcher vom rechten Pallialganglion ausgeht, wendet sich nach links und oben, zieht (Fig. 9 Taf. XXXII) über den langen Osophagus weg und zeigt etwa mittewegs zum Visce- ralganglion (W) eine kleine Anschwellung (Supr) (Holzsehnitt), welche das Supraintestinalganglion vorstellt, von welchem ein starker Nerv zur linken Mantelhälfte abgeht (4mm). Von da zieht der rechte Strang weiter bis zum Visceralganglion (W), welches sich etwas dorsal vom Herzen an dem vordersten ventralen Ende der Scheide- wand befindet, die den Herzbeutel (Pe) von der Mantelhöhle (MA) trennt. Im Gegensatz zum rechten Visceralstrang zieht der linke aus dem linken Pallialganglion entspringende nach rechts und ventral- Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 639 wärts unter dem Ösophagus zum Visceralganglion (Chiastoneurie). Ein eigentliches Subintestinalganglion ist bei Paludina nicht vor- handen, jedoch ist die Lagerung desselben durch einen starken Nerv (rmn), welcher zur rechten Mantelhälfte zieht (in Sub), angegeben. Die Folge wird zeigen, dass den beiden Intestinalganglien eine nicht unwichtige Rolle in der Entwicklung des Nervensystems zu- kommt. Nach Bouvier verbinden sich die eben geschilderten rechten und linken Mantelnerven je mit einem Nerven, welcher aus dem Pallialganglion der entgegengesetzten Körperhälfte kommt (y und y’). Somit wäre das Nervensystem der ausgewachsenen Paludina in den Hauptzügen geschildert. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist nun den Ursprung der eben besprochenen Ganglien, ihrer Kommissuren und Konnektive zu erläutern. Auf die feineren Verästelungen, der aus ihnen ent- springenden Nerven und auf die Innervirung der Organe soll nur da, wo es unbedingt nöthig ist, eingegangen werden. Was zunächst den Ursprung des Nervensystems anbelangt, so habe ich schon in einer vorläufigen Mittheilung ! betont, dass der- selbe unzweifelhaft in dem äußeren Keimblatt zu suchen ist. Die Bildungsweise sämmtlicher Ganglien, aus denen die zuge- hörigen Kommissuren und Konnektive hervorwachsen, ist genau die- selbe. Überall lässt sich als Anlage des Ganglions eine Verdickung des Ektoderms, welches an der Bildungsstelle des Ganglions mehrschichtig geworden ist, konstatiren. Bald darauf lösen sich einzelne Zellen aus dem Verbande los (Fig. 10 Taf. XXXII, Anlage des linken Pedalganglions) und reichen in das Innere hinein, das heißt in den Raum, welcher sich zwischen dem Ektoderm und dem Entoderm be- findet, und von den verästelten Zellen des Mesoderms durchsetzt wird Auf die morphologische Bedeutung dieses Raumes soll in dem Ab- schnitt, welcher der Entwicklung des Gefäßsystems gewidmet ist, noch einmal zurückgekommen werden. Da bekanntlich in Folge der Beobachtungen BOBRETZKY'S (11) immer noch von einzelnen ein mesodermaler Ursprung des Nerven- systems behauptet wird, so bin ich bestrebt gewesen einen strikten Beweis für die Unrichtigkeit dieser Ansicht zu bringen. Obgleich I v. ERLANGER, Zur Entwicklung von Paludina vivipara. Zoologischer Anzeiger. Nr. 357. 1891. 640 R. v. Erlanger im Allgemeinen Kerntheilungen bei der Kleinheit der Zellen einiger- maßen entwickelterer Stadien von Paludina nicht ganz leicht auf- zufinden sind, ist es mir gelungen, solche in den ektodermalen Verdickungen der Ganglienanlagen zu beobachten, sowie auch in den sich davon ablösenden Zellen und zwar ließ sich wiederholt fest- stellen, dass die Spindelachse senkrecht zur Oberfläche des äußeren Keimblattes gerichtet war, wie Fig. 10 Taf. XXXII zur Genüge zeigt. Ich glaube übrigens, dass das Vorhandensein einer, der Ent- stehung jedes Ganglions vorhergehenden Verdickung des Ektoderms, die unmittelbare Anlagerung des sich ablösenden Ganglions an das- selbe (Fig. 2—5 und 7—8 Taf. XXXII) und die darauf folgende Dickenabnahme des äußeren Keimblattes, welches zum Schluss wieder ‚ einschichtig wird, vollkommen genügen würden, um den ektodermalen Ursprung des Nervensystems sicher zu begründen. Wenn bei manchen Gasteropoden ein gewisser Unterschied in der Bildung der Cerebralganglien einerseits und der Pedalganglien andererseits beobachtet wird, so verdient bei Paludina ganz besonders hervorgehoben zu werden, dass sämmtliche Ganglien in überein- stimmender Weise durch eine Art von Delamination entstehen. Die erste Spur des Nervensystems zeigt sich schon auf verhält- nismäßig sehr jungen Stadien, welche noch vollkommen symmetrisch gebaut sind, und zwar tritt sie als eine beiderseitige Verdickung der Seiten des Velarfeldes auf, an den beiden Stellen, wo sich später die Tentakeln bilden. Es sind die Anlagen der Cerebralganglien. Fig. 2 Taf. XXXII ist ein etwas schräger Querschnitt durch den vorderen Theil eines sehr jungen Embryo. Der Schnitt ist durch das Velarfeld und den noch sehr wenig entwickelten Fuß geführt. Das Velum (7) ist oben und in der Mittellinie längs, rechts und links quer getroffen und zeigt deutliche Cilien. Uber den bei- den Querschnitten des Velums, welche als je eine große bewimperte Zelle (vv) erscheinen, bemerkt man jederseits eine mächtige Hervor- wölbung des Ektoderms, welches hier eine größere Zahl von Zelllagen zeigt und sich sehr deutlich durch seine gedrängten Kernmassen von den spärlichen Zellen des Mesoderms abhebt. In der Anlage der Cerebralganglien bemerkt man schon in der Mitte der Verdickung eine kleine Lücke, welche andeutet, dass ein Theil der Ektodermzellen im Begriff ist, sich von dem Mutterboden abzulösen, um das Ganglion zu bilden. Eine genaue Durchmuste- rung der Schnittserie zeigte, dass die Anlagen der beiden Cerebral- Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 641 ganglien vollkommen getrennt sind, so dass man hier keineswegs berechtigt ist von einer Scheitelplatte zu sprechen. Fig. 3 (derselben Tafel) stellt einen Querschnitt durch einen etwas älteren Embryo vor. Man sieht, dass das linke Cerebralgan- glion sich jetzt vollständig vom äußeren Keimblatt abgelöst hat und eine kompakte längliche Masse (c) bildet. Man könnte, auf Grund- lage der abgebildeten Figur, den Einwand gegen die weiter oben mitgetheilte allgemeine Schilderung der Ganglienbildung erheben, dass das Ektoderm nach Ablösung des Ganglions noch immer eine ansehnliche Verdickung zeigt. Die Entwicklung der Cerebralganglien steht thatsächlich hierin in einem scheinbaren Widerspruch mit der- jenigen der übrigen Ganglien, was aber daher rührt, dass die ver- dickten Hervorwölbungen, welche sich über den abgelösten Cerebral- ganglien befinden und an Höhe stark zugenommen haben (wie ein Vergleich mit Fig. 2 und 3 ergiebt), die Anlagen der Tentakeln sind. Fig. 3 zeigt auch die Anlage des linken Pedalganglions (p). Dasselbe ist vor der dazu gehörigen Otolithenblase gelagert, entsteht aber zeitlich nach dem Gehörorgan (das in Fig. 2 abgebildete Sta- dium zeigt noch keine Spur von Pedalganglien) und ist im Begriff sich vom äußeren Keimblatt zu trennen. Auch hier ist der Gegen- satz zwischen der kompakten Anhäufung der Ektodermzellen des Ganglions und den Mesodermzellen scharf markirt. Sobald die Ab- lösung des Pedalganglions erfolgt ist, wird das Ektoderm der betref- fenden Stelle der Wand des Fußes wieder einschichtig und bleibt noch einige Zeit durch seine geringere Affinität zu Farbstoffen kenntlich, was wohl auf einen Verlust von Chromatin, in Folge stark wiederholter Kerntheilungen zurückzuführen sein wird. Ein wenig älteres Stadium zeigt bereits die Bildung zweier weiteren Ganglienpaare. In Fig. 4, welche einem Querschnitt durch das Vorderende entnommen ist (der Radulasack Rd ist getroffen), bemerkt man rechts, gleich unterhalb des quer durchschnittenen Velums (v), eine nach innen und oben einwachsende Verdickung des äußeren Keimblattes, welche schon auf früheren Stadien (Fig. 2 und 3) angedeutet war, es ist dies die Anlage des rechten Pallialganglions (Pa). Dieses Ganglienpaar entsteht ebenfalls, wie alle anderen Ganglienpaare, so, dass sich die beiden Ganglien zuerst vollkommen von einander isolirt bilden und nachträglich unter einander verbunden werden. Embryonen desselben Alters wie das eben besprochene Stadium zeigen die Anlage der Buccalganglien. Es geht aus Fig. 2 und 3 642 R.-v. Erlange: hervor, dass der Ösophagus, welcher bekanntlich durch eine Ein- stülpung des äußeren Keimblattes entsteht, von einer Schicht von Ektodermzellen umgeben ist, welche nicht den Charakter eines Cy- linderepithels wie diejenigen des eigentlichen Schlundrohres ange- nommen haben. Dieselben befinden sich in reger Theilung und bil- den (Fig. 3) zwei mächtige Verdickungen jederseits der Radula- tasche (Rd), welche in Fig. 3 flach getroffen worden ist. In Fig. 4 und 7. welche ebenfalls Querschnitte sind, haben sich die Ver- diekungen des Ektoderms, welche den Ösophagus umhüllen, zu den Bucealganglien (f) zusammengeballt. Während die bis jetzt besprochenen Nervencentren alle dem vorderen Ende des Körpers zugehören, bilden sich die Intestinal- ganglien viel weiter hinten, in der Gegend des vorderen Mantel- randes, wie Fig. 5 zeigt, die einen Querschnitt durch die verdünnte Stelle darstellt, welcher zwischen Kopf und Fuß und vor dem be- schalten Hinterende liegt und vielleicht am passendsten als die Taille des Embryo bezeichnet werden dürfte. An der Stelle, wo jederseits die sehr dünne Ektodermschicht der Bauchfläche in die Verdickung des Mantelrandes übergeht, be- merkt man je eine sich ablösende Verdiekung des Ektoderms (supr und swb), welche hier noch deutlich mit dem äußeren Keimblatt zu- sammenhängen, aus welchem sie, wie die Betrachtung etwas jün- gerer Stadien lehrt, hervorgehen. Weiter möchte ich hervorheben, dass die Lagerung der beiden Anlagen zuerst eine ganz symme- trische zu beiden Seiten des Darmes und etwas ventralwärts von demselben ist. Auf dem abgebildeten Stadium aber ist die Gestalt des Embryo nicht mehr eine symmetrische, da, wie ich schon in dem ersten Theil dieser Arbeit hervorgehoben habe, die Asymmetrie sich schon sehr früh geltend macht. Dem entsprechend springt hier der rechte Mantelwulst stärker hervor als der linke und liegt die Anlage des Supraintestinalganglions schon eine Kleinigkeit weiter dorsalwärts als diejenige des Subintestinalganglions. Mit der zu- nehmenden Asymmetrie und Torsion des Embryo ändern auch die beiden Intestinalganglien ihre Lagerung. Fig. 11 (Taf. XXXII), welche einer Querschnittserie durch einen Embryo des Stadiums (0,7 mm Länge) entnommen ist, zeigt, dass das rechte Ganglion (supr) über den Osophagus (Oes), das linke (swb) unter denselben gerückt ist, so dass jetzt die definitive Lagerung der Visceralkom- missur verwirklicht ist. Es erübrigt noch, den Ursprung des Visceralganglions zu be- | | | Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 643 > schreiben. Wie schon erwähnt wurde, befindet sich dasselbe (W) am hinteren Ende des Bodens der Mantelhöhle, vor und dorsal vom Herzen, an dem ventralen Ende der Scheidewand, welche den Herz- beutel (Pe) von der Mantelhöhle (MA) trennt (Fig. 9 Taf. XXXII). Dem entsprechend ist die Bildungsstätte dieses Ganglions zwischen Herzbeutel und Mantelhöhle zu suchen, wo sie auch nicht schwer zu finden ist. Das Stadium, bei welchem es zuerst auftritt, ist schon stark asymmetrisch und entspricht ungefähr einer Länge von 0,9 mm. Fig. 8 Taf. XXXII zeigt einen Querschnitt durch das beschalte Hinterende eines solchen Embryo, zwischen der Mantelhöhle (MA) einerseits und Magen und Leber andererseits bemerkt man den durehschnittenen Herzbeutel (Pe), welcher hier an seinem vorderen Ende, und zwar an einer Stelle, wo derselbe noch einen sehr ge- ringen Durchmesser zeigt, getroffen ist. Zwischen Mantelhöhle und Herzbeutel ist das Visceralganglion zu sehen, und dasselbe ist gerade im Begriff, sich vom Epithel der Mantelhöhle abzulösen. Die An- lage des Visceralganglions befindet sich deutlich ventralwärts vom Ösophagus, wie die Durchsicht der Serie lehrt. Somit wäre der ektodermale Ursprung sämmtlicher Ganglien festgestellt. Im Gegensatz zu den Resultaten anderer Arbeiten über Gastero- podenentwicklung verdient hervorgehoben zu werden, dass sämmt- liche Ganglien ganz isolirt und, wenn es sich um paarige Ganglien handelt, ebenfalls ganz getrennt von ihrem Genossen entstehen. Zeitlich bilden sich zuerst die Cerebralganglien, darauf die Pedalganglien, unmittelbar darauf und nahezu gleichzeitig mit einander die Pallial- und Bucealganglien, dann folgen die beiden Intestinalganglien, und die Reihe schließt mit dem Visceralganglion. Daraus lässt sich entnehmen, dass die Bildung des Nerven- systems progressiv von vorn nach hinten erfolgt. Ganz ähnlich ver- hält es sich mit der Bildung der Kommissuren und Konnektive. Die Cerebralganglien treten zuerst mit einander in Zusammenhang, und dann mit den Pallial-, den Pedal- und den Bucealganglien, darauf verbinden sich diese Ganglien unter einander in der angeführten Reihenfolge, doch ist zu bemerken, dass keine Kommissur zwischen den Pallialganglien besteht. Es lässt sich bei Paludina schwer entscheiden, ob die Pallial- ganglien in näherem Verhältnisse zu den Cerebralganglien oder zu den Pedalganglien stehen, was in vergleichend-anatomischer Hinsicht von Wichtigkeit ist, da bei niederen Vorkiemern die Pallialganglien noch in innigem Zusammenhang mit den Pedalganglien stehen, darauf 644 R. v. Erlanger in der ansteigenden Reihe in immer engere Beziehungen zu den Ce- rebralganglien treten. Bei Paludina liegen sie von Anfang an halb- wegs zwischen den Cerebral- und den Pedalganglien. Von allen Verbindungen der Cerebralganglien mit den anderen nervösen Centren tritt die direkte Verbindung derselben mit den Pedalganglien durch die Cerebropedalstränge (Holzschnitt und Fig. 9 auf XXXII) am spätesten auf. Dem entsprechend ist sie viel schmäch- tiger als diejenige, welche auf dem Wege der Pallialganglien er- folgt und zuerst auftritt. Die Intestinalganglien sind, wie erwähnt wurde, beim erwach- senen Thiere sehr schwach ausgebildet, das Subintestinalganglion existirt sogar nach Bouvier’s Ansicht als solches gar nicht. Das Nervensystem der Paludina besitzt aber sehr primitive Merkmale, in so fern als die Ganglien sehr diffus sind, uud es ist daher schwer zu sagen, wo ein Ganglion anfängt und wo es aufhört, da die Kom- missuren und Konnektive auf weite Strecken hin von einem Ganglien- zellenbelag überkleidet sind. Die langen Pedalstränge z. B. sind durchweg gangliöser Natur. Eben so sind das Supraintestinalganglion und das Subintestinalganglion, welches durch den Abgang des rech- ten Mantelnerves angedeutet ist, nichts Anderes als Anschwellungen des Ganglienbelags der Visceralkonnektive. In der Entwicklungs- geschichte kommt ihnen aber die Bedeutung zu, ‚dass sie die An- lagestätte des mittleren Theiles der Visceralkommissur sind. Auf dem in Fig. 5 (Taf. XXXII) beschriebenen Stadium stehen näm- lich die beiden Intestinalganglien in keinem Zusammenhang mit den Pallialganglien, wie man sich am besten aus dünnen Querschnitten überzeugen kann, eben so wenig mit dem Visceralganglion, welches auf diesem Stadium noch gar nicht vorhanden ist. Es wachsen nun Nervenfasern von den Pallialganglien nach den Intestinalganglien zu, andererseits andere von den Intestinalganglien zu den Pallial- ganglien, so dass bald ein Zusammenhang zwischen dem rechten Pallialganglion und dem Supraintestinalganglion und dem linken Pallialganglion und dem Infraintestinalganglion hergestellt wird. Auf ähnliche Weise, aber erst später, kommt eine Verbindung zwi- schen den Intestinalganglien und dem Visceralganglion zu Stande. Auf dem in Fig. 9 (Taf. XXXII) in toto dargestellten Stadium exi- — stirt dieser Zusammenhang noch nicht vollständig, wie Querschnitt- serien mit aller Schärfe beweisen, jedoch ist der Zusammenhang zwischen den Pallial- und Intestinalganglien schon deutlich zu kon- — statiren. ee i | Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 645 Ich bin hier absichtlich nicht auf die Frage, wie die Nerven sich bilden, eingegangen. Wie bekannt, könnte dies auf zwei ver- schiedene Weisen stattfinden: entweder sind die Nerven Auswiichse der Ganglienzellen oder sie bilden sich auf Kosten von Bindegewebs- zellen, welche sich auf der Bahn des auswachsenden Nerven be- finden. Paludina bietet wegen der Kleinheit der Ganglienzellen kein günstiges Material für die Lösung dieses schwierigen Problems, welches übrigens nicht in den Rahmen dieser Arbeit passt. Ich neige jedoch auf Grund meiner Beobachtungen an Paludina dazu, der ersten Hypothese den Vorzug zu geben. Die Ganglien von Paludina zeigen den für die Wirbellosen im Allgemeinen charakteristischen Bau in ganz typischer Weise. Ein Kern von Nervenfasern und Stützgewebe wird von einem Belag von Ganglienzellen umgeben. B. Sinnesorgane. Man findet bei Paludina vier lokalisirte Sinnesorgane, von wel- chen drei paarig sind, nämlich die Tentakeln, die Augen und die Otocysten, das vierte unpaar ist, nämlich das SpENGEL’sche Organ (Geruchsorgan?). Auf die Bildung der Tentakeln braucht nicht näher eingegangen zu werden, da ihre Entstehung als seitliche Höcker des Velarfeldes schon erwähnt worden ist. Das Gehörorgan, welches, wie bei allen Mollusken, die Gestalt eines Bläschens mit eingelagerten Otolithen besitzt, zeigt sich zeit- lich zuerst. Es bildet sich durch eine grubenförmige Einstülpung des Ektoderms, welche sich allmählich zu einer Blase abschniirt. Fig. 1 (Taf. XXXII) zeigt links in O¢ die Anlage des Gehör- organs, welches zwischen Kopf und Rumpf und der dorsalen Grenze des Fußes liegt. Auf dem hier abgebildeten Stadium ist der Em- bryo noch vollkommen symmetrisch gebaut, die Schalendrüse ist schon gebildet und der Fuß ist im Entstehen, d. h. zeigt sich jeder- seits als eine Verdickung des Ektoderms der Ventralseite, welche das Material für seine Bildung abgiebt. In Fig. 2 derselben Tafel ist das Gehörorgan viel weiter ent- wickelt. Es fängt bereits an sich abzuschnüren und liegt schon bei dem Stadium, welehem Fig. 3 entnommen ist, vollkommen frei unter dem Ektoderm, es zeigt sich von nun an als eine Blase, deren Wandungen aus hohen cylindrischen Epithelzellen bestehen. Die 646 R. v. Erlanger Zellen der Blase sind eine Zeit lang ventralwärts am höchsten, dorsalwärts am niedrigsten, bis im Laufe der Entwicklung dieser Unterschied wieder ausgeglichen wird. Was die Bildung und das Aussehen der Otolithen anbelangt, so verweise ich auf die Leypic- sche Arbeit (1), da ich an dem konservirten Material, dessen ich mich vorzugsweise bediente, dieselben nur an reifen Embryonen fand, da allerdings in der Mehrzahl (3—4). Das Auge legt sich später an als das Gehörorgan. Es zeigt sich erst auf.einem Stadium, bei welchem die Tentakelanlagen schon deutliche Hervorwölbungen des Velarfeldes bilden (0,64 mm), zwi- schen der Basis des Fühlers und dem Velum selbst als eine gruben- förmige Einsenkung des Ektoderms. Fig. 12 auf Taf. XXXII stellt den Augenbecher vor, welcher auf einem Querschnitt unter der Ten- takelanlage F und über dem quer durchschnittenen Velum vo zu sehen ist. Da die erste Anlage der Cerebralganglien zu derselben Zeit vorhanden ist, wo sich die Otolithenblasen anlegen und die Augen erst später entstehen, so trifft die Behauptung, welche öfters für die Mollusken aufgestellt wurde, dass nämlich die Sinnesorgane sich zeitlich vor den Ganglien, welche sie innerviren, bilden, wenigstens für Paludina nicht zu. Diese Behauptung war auf die irrthümliche Ansicht gegründet, dass die Otolithenblase von dem dazu gehörigen Pedalganglion innervirt würde. Es ist aber bekanntlich von LACAZE- DUTHIERS nachgewiesen worden, dass das Gehörorgan der Gastero- poden nicht von den Pedalganglien, wie früher allgemein angenom- men wurde, sondern von den Cerebralganglien innervirt wird. Der Gehörnerv von Paludina entspringt nach Bouvier (44) von dem Cerebralganglion, zieht zwischen den beiden Konnektiven, welche von diesen zum Pedalganglion verlaufen, abwärts an ihrer äußeren Fläche entlang, um sodann, sich nach außen wendend, an die Oto- cyste heranzutreten. Wir hatten das Auge auf dem Stadium der Einstülpung ver- lassen. Der Augenbecher schnürt sich gerade wie das Gehörorgan zu einer Blase ab, welche schließlich ganz frei unter dem Ektoderm zu liegen kommt (Fig. 13 Taf. XXXII au). Das Auge befindet sich bei älteren Embryonen wie beim erwachsenen Thier auf einem Höcker, welcher an der Basis des Tentakels liegt (Fig. 9 Taf. XXXII), und nimmt bald eine ellipsoidische Gestalt an. Die Hauptachse dieser Ellipse ist dorsoventral gerichtet. Es lagert sich Pigment in der, der Außenfläche abgewendeten Hälfte der Augenblase ab. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. Il. 647 Bei der Kleinheit der Retina-Elemente ist es mir nicht gelungen, etwas über die Entwicklung derselben zu ermitteln, dagegen glaube ich Einiges über die Entstehung des Glaskörpers und der Linse be- richten zu können. Die Linse tritt zuerst auf Stadien auf, welche um Weniges jün- ger als der in Fig. 9 (Taf. XXXII) abgebildete Embryo sind. Fig. 6 (Taf. XXXII) zeigt einen Querschnitt durch das Auge eines derartigen Embryo, auf welchem die Linse (7) im Verhältnis zur Augenblase noch sehr klein ist. Das Pigment dringt in die Retina ein. Die Linse ist in einer homogenen Masse eingelagert, welche auch ein starkes Brechungsvermögen besitzt und von feinen Fortsätzen durchzogen wird, welche von den Retinazellen zur Linse ziehen. Ich halte es auf Grundlage dieser Befunde für sehr wahr- scheinlich, dass Glaskörper und Linse von den Zellen der Augen- blase abgeschieden werden, da beide ein homogenes Aussehen be- sitzen und nichts von geformten Elementen enthalten. Später zeigt die Linse eine koncentrische Streifung, auf welche HıLGEr! zuerst aufmerksam machte. Das zuerst von SPENGEL bei den Prosobranchiern eingehender beschriebene Organ, welches derselbe als Geruchsorgan deutet, will ich einfach als SpEnGEL’sches Organ bezeichnen, da bis jetzt kein genügender Grund vorhanden ist, um in dasselbe den Sitz des Geruchssinnes zu verlegen. F. BERNARD hat dieses Organ bei einer größeren Anzahl verschiedener Prosobranchier vergleichend-anato- misch und histologisch untersucht (51) und den Bau desselben bei der Paludina, welche besonders merkwürdige Verhältnisse bietet, beschrieben. Trennt man den Mantel einer Paludina längs seiner Insertion an der linken Körperseite ab und schlägt ihn nach rechts um, so zeigt sich das SPENGEL’sche Organ (von einigen Autoren Nebenkieme, von Ray-LankesteR Osphradium genannt) auf der rechten Seite der Kieme. Beim unversehrten Thier oder auf Schnitten liegt es natürlich links von der Kieme. Alle anderen Organe, welche in der Mantelhöhle sich befinden, wie Rectum, Harnleiter, Uterus sind auf der rechten Seite gelagert, so dass das SpexnGer'sche Organ in Gestalt eines länglichen Wulstes sofort in die Augen fällt. Bei allen übrigen Prosobranchiaten, so weit bis jetzt bekannt 1 C. HıLGER, Beiträge zur Kenntnis des Gastropodenauges. Morph. Jahrb. X. 648 R. v. Erlanger ist, besteht dasselbe einfach aus einem Wulst, bei Paludina aber — sind auf dessen rechter Seite von demselben iiberdeckt eine Reihe von Gruben, welche von einem besonders hohen Cylinderepithel aus- gekleidet werden. Die Zahl dieser Gruben, welche eine variable ist und mit dem Alter zuzunehmen scheint, kann bis zu 20 betragen. Die Pulmonaten besitzen keine dem Wulst des SPENGEL’schen Organs der Prosobranchier entsprechende Bildung; aber LAcAzE- Duruiers! hat bei den Süßwasserpulmonaten in der Nähe des Athem- loches, über und hinter demselben, ein kleines Ganglion entdeckt, welches sich am Ende des hinteren Mantelnerven (Nerf palléal po- sterieur) befindet. Über dem Ganglion fand er weiter eine gruben- förmige Einsenkung des Mantels, welche bei den links gewundenen Pulmonaten einfach bleibt, sich aber bei den rechts gewundenen in zwei spaltet. BERNARD betrachtet nun dieses Gebilde als ein Ho- mologon des SPENGEL’schen Organs und findet bei Paludina beide Formen neben einander: einerseits den Wulst, welcher allen Proso- branchiern zukommt, andererseits die Gruben, welche in vermehrter Anzahl der einheitlichen oder doppelten Einstülpung des Pulmonaten- mantels entsprechen. Er untersuchte hierauf einen etwa 2 mm lan- gen Paludina-Embryo und fand bei demselben nur neun Gruben. Er schloss daraus, dass bei jüngeren Embryonen wohl ein Stadium zu finden sein müsse, wo nur eine oder ganz wenige Einstülpungen vorhanden seien. Diese Vermuthung wird nun thatsächlich von der Entwicklungs- geschichte bestätigt. Das SPENGEL’sche Organ tritt zuerst etwa auf einem Stadium von etwa 1 mm Länge als ein parallel zur Längsachse gerichteter wulst- förmiger Vorsprung der Mantelhöhle auf, welcher sich ein klein wenig links von der dorsalen Mittellinie befindet und daher bei seitlicher An- sicht des Embryo nicht leicht zu bemerken ist. Der Wulst zieht pa- rallel zum Kiemenwulst und fängt etwa in der Gegend des distalen Endes desselben an. Fig. 14 (Taf. XXXII) stellt einen Querschnitt durch ein derartiges Stadium vor, auf welchem das SpPENGEL’sche Organ in Folge seiner eben erwähnten Lagerung quer durchschnitten ist. Es ist in Sp zu sehen und besteht aus einem hohen Cylinder- epithel mit sehr dicht gedrängten Kernen, und liegt zwischen dem Kiemenwulst A? und dem Boden der Mantelhöhle, das heißt der ! Siehe BERNARD, |. c. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. Il. 649 Rückenfläche des Thieres auf der linken Körperhälfte. Auf diesem Stadium ist keine Spur von grubenförmigen Einstülpungen zu sehen, dieselben treten aber auf wenig älteren Stadien, und zwar zuerst die hinterste, an welche sich die übrigen, nach und nach von hinten nach vorn in einer Reihe auftretend, sich anschließen. Fig. 9 auf Taf. XXXII giebt eine gute Vorstellung von der Topographie eines Stadiums, wo schon zwei Gruben (gr) angelegt sind und eine dritte im Entstehen begriffen ist. Das SpENGEL'sche Organ fängt bereits an, seine ursprüngliche Lagerung aufzugeben und ist jetzt nahezu senkrecht zur Längsachse gerichtet und parallel zum Mantelwulst, an welchem, wie ich bei dieser Gelegenheit bemerken möchte, eine große Anzahl von fingerförmigen Drüsen (dr) zu sehen sind. Fig. 1 (Taf. XXXIII) zeigt einen Querschnitt durch das SpeNGEL- sche Organ eines 2,5 mm langen Embryo, bei welchem schon eine größere Anzahl von Gruben entwickelt sind. Eine derselben ist in gr getroffen und dokumentirt sich als eine einfache Einstülpung des Mantelhéhlenepithels. Man kann eine radiäre Anordnung der sie ausscheidenden Cylinderzellen erkennen, welche deutlich sichtbare Wimpern tragen. Links und ventral von derselben liegt der Wulst (Wu), welcher aus einem hohen Cylinderepithel besteht. Die Innervirung des SPENGEL'schen Organs erfolgt bekanntlich durch einen Nerv, welcher vom Supraintestinalganglion abgeht und den Wulst in seiner ganzen Länge durchzieht. Derselbe ist in Ne dargestellt und liegt in einem sehr lockeren Bindegewebe eingebettet, welches den Raum zwischen dem äußeren und inneren Mantelepithel ausfiillt. In dem Nerven selbst erkennt man die Nervenfibrillen, welche weitaus den größten Theil des Stranges bilden, da sie nur von einem spärlichen Belag von Ganglienzellen bekleidet sind. Das Spenger’sche Organ der Paludina ist demnach mit keinem besonderen Ganglion ausgerüstet, es wird erst geraume Zeit nach der Anlage des Wulstes von dem aus dem Supraintestinalganglion her- vorwachsenden Nerv versorgt. Die Embryologie, sowie die vergleichende Anatomie ergeben, dass das SPENGEL’sche Organ keineswegs einer verkiimmerten Kieme entspricht, wie lange Zeit angenommen wurde (die Prosobranchier, welche noch zwei Kiemen besitzen, zeigen ein paariges oder un- paares SPENGEL'sches Organ), sondern ein Sinnesorgan repräsentirt dessen Funktion noch nicht genügend sichergestellt ist!. 1 Über die morphologische Bedeutung vergleiche BERNARD, |. c. Morpholog. Jahrbuch. 17. 42 650 R. v. Erlanger Ehe ich das Nervensystem und die Sinnesorgane verlasse, möchte ich Einiges über eine besondere Art Zellen einschalten, welche bis jetzt noch nicht bis zu ihrer definitiven Gestaltung im erwachsenen Thier verfolgt, von den meisten Untersuchern aber abgebildet und verschieden gedeutet worden sind. FoL (13) beschreibt bei den Pulmonaten unter dem Namen »Nuchalzellen« eine Anhäufung von besonders großen und eigen- thümlich gestalteten Zellen, welche sich, wie der Name besagt, in der Nackengegend vorfinden. Die Nuchalzellen hatten schon die Aufmerksamkeit LEREBOULLET's! erregt, welcher sie für nervöse Elemente hielt. Ray LANKESTER (4) verwechselte sie mit der Anlage der Cere- bralganglien, WoLrsoHn (14) hält sie für ein Embryonalhirn und RABL bezeichnet sie kurzweg als räthselhaftes Organ (12), ebenso Sarasın, während Fou sie für besondere Mesodermzellen hält, welche sich vom Ektoderm ablösen. Ganz ähnliche Zellen lassen sich auch bei Paludina in der Nackengegend beobachten. Auf den Fig. 13 und 14 (Taf. XXXII), 7 und 7a (Taf. XXXII) und 9 bemerkt man diese Zellen. Fig. 13 stellt einen Querschnitt durch den Kopf eines Embryo vor, welcher etwas jünger als der in Fig. 9 (Taf. XXXII) abgebildete ist. Die Nuchalzellen erscheinen hier über dem Ösophagus, von welchem sich rechts die rechte Speicheldrüse abschnürt (4). Ihre Ursprungsstätte ist der hintere Rand des Velums, welcher bei äußerer Betrachtung in der dorsalen Mittellinie eine plattenförmige Verbreiterung zeigt. Von hier wachsen die Nuchalzellen nach vorn und hinten in das Innere des Embryo, indem sie von der Oberfläche in die Tiefe rücken, sich von der Platte ablösen, wie es auf dem eben besprochenen Schnitt zu sehen ist, und vermehren sich dann in ihrer Zahl sehr bedeutend. Sie bilden darauf eine strangförmige Anhäufung, welche in Begleitung des Osophagus nach hinten zieht (Fig. 14 Taf. XXXII). Fig. 7 und 7a, welche älteren Embryonen entnommen sind, zeigen diese Zellen bei starker Vergrößerung. Sie sind bedeutend größer als die übrigen Zellen des Embryo, besitzen eine rundliche bis unregelmäßig polygonale Gestalt, einen oder mehrere Kerne mit sehr deutlichem Nucleolus und Chromatingerüst und zeigen in der Nähe des Kerns eine gewöhnlich halbmondförmige Anhäufung von stark färbbarem Protoplasma (Fig. 7a Taf. XXXIII). 1 Annales des sc. nat. zool. IV. Ser. T. XVIII. 1562. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 651 Im Laufe der Entwicklung breiten sich die Nuchalzellen, wie ich sie einstweilen nennen will, in alle Gegenden des Körpers, im Bindegewebe zwischen den einzelnen Organen aus und entsprechen schließlich den eigenthümlichen Bindegewebszellen, welche Brock (51) als Plasmazellen beschrieben hat!. Da die fraglichen Zellen vom hinteren Velarrand aus entstehen, und zwar gerade zur Zeit, wo das Velum sich rückzubilden beginnt, also ektodermalen Ursprungs sind, so unterscheiden sie sich scharf von den übrigen Bindegewebszellen, welche mesodermalen Ursprungs sind. Weiter glaube ich, dass das Auftreten der Nuchalzellen mit der Resorption des Velums in einen causalen Zusammenhang zu bringen ist. Uber die Bedeutung der Nuchal- resp. Plasmazellen ist nichts bekannt. Es liegt jedenfalls kein Grund vor sie mit WoLFsoHn für ein Embryonalhirn zu halten. Fou glaubt darin einen Rest eines rückgebildeten Organs zu erkennen. Die Entwicklung des Nervensystems bei den Gasteropoden und Mollusken überhaupt beansprucht ein ganz besonderes Interesse, da bekanntlich von mehreren Forschern die Angabe gemacht worden ist, dass die Ursprungsstätte des Nervensystems im mittleren Keim- blatt zu suchen sei, während es doch bei allen anderen Metazoen, von den Cölenteraten aufwärts vom äußeren Keimblatt stammt. Obgleich die ersten Untersucher, welche sich mit Molluskenent- wicklung befassten, wie GANIN (3) und SALENSKY (2), die Anlage des Nervensystems im Ektoderm suchten, stellte Bosrerzky (11), welcher zum ersten Male die Schnittmethode bei embryologischen Studien an Mollusken verwerthete, die Behauptung auf, dass das Nervensystem hier durchweg aus dem Mesoderm entstehe. Auch Fol (13) glaubte dasselbe für die Pedalganglien der Heteropoden und der Pulmonaten annehmen zu müssen. Jedoch sprechen seine Beobachtungen eigentlich für einen ektodermalen Ursprung, da er die Mesodermanhäufungen, aus welchen die Pedalganglien hervorgehen, vom Ektoderm sich ablösen lässt. Rast (12) konnte bei Planorbis zu keinem sicheren Resultat in Bezug auf die Entstehung der Pedalganglien kommen. Da er keinen Grund findet, dieselben vom Mesoderm abzuleiten, sieht er sich zur Annahme gezwungen, sie wie die Cerebralganglien von der Sinnesplatte abstammen zu lassen. ! Der Name wurde zuerst von WALDEYER auf gewisse Bindegewebszellen der Vertebraten angewandt. 42* 652 R. v. Erlanger Dagegen findet WoLrsoHnn bei Lymnaeus stagnalis (14) die Anlage sämmtlicher Ganglien in Ektodermwucherungen, die der Cere- bralganglien zu beiden Seiten des Vorderkörpers, die der Pedalgan- glien zu beiden Seiten des Fußwulstes. Sarasin (18) leitet ebenfalls das ganze Nervensystem von Ektodermwucherungen ab, eine Behauptung, welche hier keiner weiteren Beweise bedurfte, da er ja kein eigentliches Mesoderm unterscheidet und dasselbe je nach Bedarf vom Ektoderm sieh ab- lösen lässt. Weiter glaubte er den wirklichen Ursprung der Pedal- ganglien zuerst festgestellt zu haben, während doch WOLFSOHN schon sämmtlichen Ganglien, in einer ebenfalls auf Schnitten basirten Untersuchung, eine ektodermale Herkunft zugeschrieben hatte. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der Beobachter lässt Sarasin die paa- rigen Ganglien aus einer gemeinsamen Verdickung entstehen, dann sich trennen und erst nachträglich durch eine Kommissur wieder in Zusammenhang treten. In demselben Jahre veröffentlichte Happon (19) eine kurze No- tiz, in welcher er speciell die Bildung der Pedalganglien bei Jan- thine fragilis bespricht und einen Schnitt abbildet, welcher in überzeugender Weise die Ablösung des Ganglions vom äußeren Keim- blatt der Fußanlage zeigt. Von nun ab findet man stets dieselbe Ansicht vertreten, näm- lich, dass das Nervensystem ganz vom Ektoderm abzuleiten ist. KowAaLEvsky (20) zeigte dasselbe für die Nervenstriinge der Chitonen, welche als seitliche wulstförmig nach innen vorsprin- gende Verdickungen des Ektoderms entstehen. SaLENSKY (26) lässt ebenfalls sämmtliche Ganglien von Ver- metus vom Ektoderm abstammen. PATTEN (27) neigt zu derselben Ansicht, hat jedoch die Ent- wicklung des Nervensystems von Patella nur unzureichend er- forscht. Eben so spricht sich MAcMurrich (29) für den ektodermalen Ursprung der Cerebral- und Pedalganglien aus, und belegt dies durch Abbildungen von Schnitten. Er macht auch auf den Mangel eines unterscheidenden Merkmales zwischen den Mesodermzellen und den zur Bildung der Ganglien sich ablösenden Ektodermzellen auf- merksam und erklärt hieraus, wie diejenigen Beobachter, BOBRETZKY und Andere, welche die Ablösung: nieht gesehen hatten, zu einem falschen Schluss gelangen mussten. Eben so beschreibt F. Scummr (50) in einer vorläufigen Mit- Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 653 theilung die ektodermale Herkunft sämmtlicher Ganglien der Pul- monaten. Endlich studirte ANNIE P. Hencuman (52) die Entwicklung des Nervensystems von Limax maximus und kam für diesen Pulmonaten zu genau denselben Resultaten, wie ich für Paludina. Sie betont, dass alle Ganglienpaare und unpaare Ganglien ganz getrennt von einander entstehen und konnte keine mediane Wucherung finden, wie sie Sarasin für Bythynia fand und mit dem Bauchmark der Anneliden homologisirte. Scumipr’s und HEncHMmAnN’s Arbeiten wur- den mir erst nach Abschluss meiner Untersuchungen zugänglich, ich betrachte sie daher als eine Bestätigung derselben. Ich habe inzwischen die Entwicklung der Bythynia eingehender untersucht und gefunden, dass die Entwicklung des Nervensystems bei der- selben fast genau so verläuft, wie ich es bei Paludina geschildert habe. Somit dürfte bei sämmtlichen Gasteropoden der Ursprung des Nervensystems ein ektodermaler sein. Ich glaube aber, dass diese Behauptung sich auf alle übrigen Mollusken ausdehnen lässt. Zahl- reiche Arbeiten haben dies für die Lamellibranchiaten gezeigt, so z. B. die Arbeiten von HArscHeX ! über Teredo, von ZIEGLER ? über Cyclas, von KowALEvsky? über Dentalium. Was endlich die Cephalopoden anbelangt, so darf man aus den Beobachtungen VIALLETON’s® bei Sepia schließen, dass auch hier das Nervensystem vom äußeren Keimblatt stammt. VIALLETON unterscheidet zwar kein eigentliches Mesoderm und steht daher auf demselben Standpunkt wie SARASIn, doch beweisen seine Abbildungen hinreichend, dass die Ganglien als Verdickungen des Ektoderms entstehen, sich ab- lösen und in die Tiefe rücken. Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, dass mir die Cephalopoden zur Beurtheilung der Mesodermfrage, wegen der großen Masse ihres Dotters, wenig günstig erscheinen, etwa wie hierfür das Vogelei ein weit weniger geeignetes Objekt ist, als beispielsweise die Amphibieneier. 1B. HATSCHEK, Uber Entwicklungsgeschichte von Teredo. Arbeiten des zoologischen Instituts zu Wien. III. 1880. 2 H. Ernst ZIEGLER, Die Entwicklung von Cyclas Cornea. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XLI. 1885. 3 A. KOwALEvsKy, Etude sur l’embryogénie du Dentale. Ann. du Mus. @hist. nat. de Marseille 1883. 4 L. VIALLETON, Recherches sur les prem. phases de développement de la seiche. Ann. se. nat. Zool. 6. 1888. 654 R. v. Erlanger Ich glaube für Paludina den strikten Nachweis der ektodermalen ~ Entstehung des Nervensystems geführt und ein vollständiges Bild der Entstehung der verschiedenen Ganglien, ihrer Kommissuren und Konnektive gegeben zu haben. Letzteres halte ich in so fern für er- wünscht, als die meisten Autoren sich auf die Erforschung einzelner Ganglien beschränkt haben und entweder gar nicht oder nur ganz kurz auf deren Verbindungen eingehen. Betrachten wir nun die Bildung der Sinnesorgane, so ist ihre Entstehung vom äußeren Keimblatt nie angezweifelt worden. Wäh- rend aber alle anderen Autoren Otolithenblase und Auge durch Einstülpung sich bilden lassen, lässt FoL dieselben bei den Ptero- poden (7) und den Süßwasserpulmonaten durch Delamination entstehen. Diese Angabe gewinnt dadurch eine Stütze, dass bei den Pteropoden, den Landpulmonaten und Vermetus die Cere- bralganglien durch Invagination entstehen sollen, während sie bei allen anderen daraufhin untersuchten Formen auf dem Wege der Delamination sich bilden. Nichtsdestoweniger erscheint mir dieser Punkt einer erneuten Untersuchung zu bedürfen, da RAasL bei Pla- norbis Einstülpung der Sinnesorgane beobachtete, was ich selbst be- stätigen kann. Übrigens ließe sich vielleicht auch die Invagination der Cere- bralganglien mit der Bildung der Cerebraltuben in einen gewissen Zusammenhang bringen. Von der Entstehung des SPENGEL’schen Organs bei den Proso- branchiern war bis jetzt nichts bekannt, da Sarasin, welcher es allein berücksichtigt hat, den Ursprung desselben nicht feststellen konnte. Fou berichtet Einiges über das LacazE-Durtuıer’sche Organ der Pulmonaten und erwähnt, dass er bei den Pteropoden ein ähn- liches grubenförmiges Organ in der Mantelhöhle gesehen hat. Ehe ich die Besprechung des Nervensystems verlasse, halte ich es für nothwendig, auf die Beziehungen desselben zu der Asymme- trie einzugehen. Schon im ersten Theile dieser Arbeit habe ich berichtet, dass meine Untersuchungen die Theorie BürschLi’s (28) über die Entstehung der Asymmetrie bei den Prosobranchiern be- stätigt haben. Dasselbe zeigt auch die Entwicklung des Nerven- systems. 1 Ursprünglich liegen bei Paludina die beiden Intestinalganglien symmetrisch zu beiden Seiten des Ösophagus und wir sehen, dass sie Hand in Hand mit der Ausbildung der Asymmetrie ihre defini- tive Lagerung erreichen, indem das rechte Ganglion über, das linke Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 655 unter den Schlund rückt. Eben so verändert auch das Visceralgan- glion seine Lage. Auf dem Stadium. wo es sich vom Ektoderm der Mantelhöhle ablöst. befindet es sich dorsal vom Enddarm und kommt erst später allmählich unter denselben zu liegen. Dieser Punkt er- scheint mir in so fern von Wichtigkeit, als Bouvier (44) in der ven- tralen Lagerung der Visceralkommissur der Prosobranchier in Be- zug auf den Darm, im Gegensatz zu den Chitonen, bei welchen dieselbe eine dorsale ist, eine Ableitung des Nervensystems der Prosobranchier von einer chitonähnlichen Urform für unstatthaft hält. Der wichtigste Einwand Bouvier’s gegen die Birscuui'’sche An- sicht ist aber auf die Untersuchung der linksgewundenen Prosobran- chier gestützt. Er fand nämlich, dass bei den von ihm untersuchten Arten: Lanistes und Meladomus, die Lagerung der Organe die- selbe bleibt, wie bei den rechtsgewundenen Formen und dass das Nervensystem dem entsprechend genau dasselbe Verhalten bietet. Aus diesen Befunden zog er den Schluss, dass bei den Prosobran- chiern die Torsion keinen Einfluss auf die Asymmetrie des Nerven- systems hat, während die Pulmonaten, wie schon Lacaze DUTHIERS gezeigt hat, sich genau entgegengesetzt verhalten, je nachdem sie rechts- oder linksgewunden sind. Daher erklärt Bouvier alle Theo- rien, welche die Chiastoneurie auf Grund der Asymmetrie erklären wollen, für verfehlt. Seit dem Erscheinen seines Hauptwerkes über das Nervensystem der Prosobranchier untersuchte Bouvier eine andere linksgewundene Prosobranchierspecies Neptunea contraria und fand, dass sich dieses Thier genau entgegengesetzt zu den früher von ihm unter- suchten linksgewundenen Formen verhält. Alle Organe, welche bei den rechts gewundenen Formen rechts liegen, befinden sich hier auf der linken Seite und umgekehrt. Dieser Verlagerung entsprechend ist auch das Nervensystem verlagert, indem der rechte Ast der Visceralkommissur von Neptunea unter den Ösophagus, der linke über denselben zieht. Aus diesen Beobachtungen Bouvier’s geht nun deutlich hervor, dass die Asymmetrie des Körpers und des Nervensystems ganz un- abhängig von der Richtung der Einrollung des Eingeweidesackes ist, wie BürscHLı ganz besonders hervorgehoben hat, da dieselbe »einem Process von eigenartiger mit der übrigen Asymmetrie nicht direkt zusammenhängender Natur ihre Entstehung verdankt«. In Folge dessen ist der Einwand Bouvier’s nicht berechtigt, da ja das Verhalten des Nervensystems der Prosobranchier eng an die 656 R. v. Erlanger Asymmetrie desselben gebunden ist, wie die vergleichende Anatomie und die Embryologie zeigen. Es gilt nun folgendes Gesetz: ist die Asymmetrie mit Ausnahme des Eingeweidesackes eine linksgewundene, so ist auch das Nervensystem entsprechend verlagert (Neptunea contraria), erstreckt sich aber die linksgewundene Einrollung nur auf den Eingeweidesack (wie bei Lanistes und Meladomus), so wird das Nervensystem nicht beeinflusst. In einer Abhandlung über »die Windungsverhältnisse der Schale von Planorbis« bemerkt G. PFEFFER! gegen die von BÜrscHLı be- hauptete Unabhängigkeit der Asymmetrie des Eingeweidesackes der Gastropoden von der übrigen Asymmetrie des Körpers, man wisse seit recht langer Zeit, dass eine spiegelbildliche Umkehrung der Spirale einer Schneckenschale Hand in Hand gehe mit der zugleich auftretenden spiegelbildlichen Umkehrung der Lage sämmtlicher Ein- geweide. Desshalb ließe sich mit »gutem Recht« gegen Biscuit behaupten, »dass die Thatsachen einen Zusammenhang der Rotation des gesammten Schneckenkörpers mit der Rotation der Schale zeig- ten«. BürscHLı hat nun in seiner Arbeit (28) auf pag. 219 ganz ausdrücklich auf diese von PFEFFER angezogenen Thatsachen hin- gewiesen und zugegeben, dass ein »gewisser Zusammenhang der Torsion des Eingeweidesackes mit der übrigen Asymmetrie nicht zu leugnen sei. Gleichzeitig wies er jedoch darauf hin, dass die Unter- suchung dexiotroper? (conchiologisch links gewundener) Prosobran- chiaten, so z. B. von Lanistes, welche noch ausstände, für die Entscheidung dieser Frage besonders wichtig sei. Hätte nun PFEFFER die schon vor dem Erscheinen seiner Arbeit publieirten Untersuchun- gen Bouvirr’s über die dexiotrope Art Lanistes berücksichtigt, so würde er sich überzeugt haben, dass die schon »seit recht langer Zeit« bekannte Thatsache, doch nicht so allgemein gelte, wie er | annehmen will, dass sie vielmehr gerade die von BürscHLı aus all- gemeinen Erwägungen gefolgerte Unabhängigkeit der Torsion des Eingeweidesackes von der übrigen Asymmetrie vollkommen bestätigen. Bouvier verfiel durch ungenügendes Studium der Bürschurschen | Arbeit in den umgekehrten Fehler wie PFEFFER, indem er übersah, | | ! G. PFEFFER, Die Windungsverhältnisse der Schale von Planorbis. Aus | dem Jahrbuch der Hamburgischen wissenschaftlichen Anstalten. VII. 1890. 2 Dexiotrop entspricht dem, was die Conchiologen linksgewunden nennen, umgekehrt ist laeotrop dann gleich rechtsgewunden. Die Ausdrucksweise der Conchiologen widerspricht der mathematischen Definition der Spirale. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. IL. 657 dass BürschLı die Unabhängigkeit des Eingeweidesackes von der übrigen Asymmetrie besonders betont hat. Neuerdings hat von IHERING ! behauptet, dass es ganz unnöthig wäre die Theorien von SPENGEL, BürscHhLı und Anderen über die Entstehung der Asymmetrie und Torsion zu diskutiren, da die Exi- stenz von Orthoneuren beweise, dass die Verlagerung des Afters nichts mit der Bildung der Chiastoneurie zu thun habe. Obgleich nun eine so summarische Behandlung einer derartigen Frage eigent- lich keine Entgegnung verdient, so möchte ich doch auf folgende Punkte aufmerksam machen. Bürscauı betonte, dass die Annahme v. IHERING’s, dass es unter den Prosobranchiern Orthoneuren gäbe, nur auf oberflächlichen Untersuchungen beruhe, nachdem SpENGEL wahrscheinlich gemacht hatte, dass die Orthoneurie unter den Vor- derkiemern nur eine scheinbare ist. Trotzdem stellte v. IHERING 2 dieselbe Behauptung von Neuem auf, obgleich die Untersuchungen Bouvier’s die entgegengesetzte Ansicht Birscuut’s bestätigt hatten. Darauf untersuchte PELSENEER? die in Frage kommenden Formen und zeigte, dass Bouvier mit Recht Ampullaria für chiastoneurisch erklärt hatte, dass die Helieinen und Neritiden ursprünglich auch chiastoneurisch gewesen sein müssten, da bei denselben das Visceral- ganglion dorsal vom Ösophagus liegt, und dass die scheinbare Ortho- neurie auf Riickbildung des dorsalen Zweiges der Visceralkommissur zurückzuführen sei. Die eben angeführten Untersuchungen hätten doch sicherlich eine Besprechung von Seiten v. IHERING’s verdient, um so mehr, als sie den Schluss rechtfertigen, dass es unter den Prosobranchiern gar keine wirklichen Orthoneuren giebt. Bekanntlich stützte sich Sarasın (18) auf die von ihm beob- achtete Entwicklung des Nervensystems der Bythynia, um den von ihm als Bauchkette bezeichneten Theil des Nervensystems: Pedal-, Intestinal- und Visceralganglien mit dem Bauchmark der Anneliden zu homologisiren. Er lässt nämlich diese Ganglien sämmtlich aus einer Ektodermwucherung der »medianen Bauchlinie« hervorgehen. Gegen diesen Schluss erhebt Bouvier Einspruch auf Grund der Ver- hältnisse bei niederen Prosobranchiern. ! H. von IHERING, Sur les relations naturelles des Cochlides et des Ichno- podes. Bull. seient. France et Belgique. XXIII. 1891. 2 H. von Inprine, Giebt es Orthoneuren? Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XLV. 1887. 3 P. PELSENEER, Giebt es Orthoneuren? Bull. scientif. France et Belg. XIX. 1888. R. v. Erlanger Meine Ergebnisse weichen stark von denen Sarasın's ab. Ich glaube, dass, wie BouviEr’s Arbeit zeigt, das Nervensystem der Paludina ein primitiveres ist als das von Bythynia, und so eine bessere Grundlage für phylogenetische Untersuchungen liefert. Bouvier theilt die Prosobranchier in zwei Gruppen: in die Diotocardier und die Monotocardier. Die Diotocardier sind primitive Formen und besitzen durchweg zwei Vorhöfe und meistens auch zwei Nieren, zwei Kiemen und zwei SPENGEL’sche Organe. Die Monotocardier dagegen besitzen nur einen Vorhof, und die übri- gen oben angeführten Organe sind bei denselben nur in der Einzahl vorhanden. Wie bei den Diotocardiern sind die Kommissuren und Kon- nektive der Paludina sehr lang, die Ganglien diffus, während das Nervensystem der Bythynia im Gegentheil wie das der höchst differenzirten Monotocardier sich durch große Koncentration aus- zeichnet. Dem entsprechend liegen bei Paludina die Anlagen der Pedal-, der Intestinal- und der Visceralganglien weit von einander entfernt und gehen keineswegs aus einer gemeinsamen Anlage her- vor. Ich neige daher zu der Ansicht, dass, wenn erwähnte Ganglien der Bythynia wirklich aus einer gemeinsamen Ektodermwucherung hervorgehen, es eine eänogenetische Erscheinung ist, hervorgerufen durch die große Koncentration des Nervensystems. Da Sarasin sämmtliche Entwicklungsstadien bei einer und der- selben zu schwachen Vergrößerung gezeichnet hat, so lässt sich in Bezug auf diese Entwicklung des Nervensystems und dessen feineren Bau nicht viel aus seinen Abbildungen entnehmen. Verschiedene Autoren legen auf das Vorkommen zweier Paare von Exkretionsorganen bei den Mollusken in so fern großes Gewicht, da sie in demselben einen Grund sehen, dem Mollusken- körper eine Zusammensetzung aus zwei Segmenten zuzuschreiben, was sie in einen näheren Zusammenhang mit den Anneliden bringen soll. Zu ähnlichen Schlüssen ist auch Sarasin, besonders in Bezug auf das Nervensystem, gelangt. Obgleich mir die Hypothese der Zusammensetzung des Mollus- kenkörpers aus zwei Segmenten berechtigt erscheint, sprechen wich- tige, auf die vergleichende Anatomie gegründete Thatsachen eher für eine Verwandtschaft der Mollusken mit den Plattwürmern, bei welchen übrigens schon die Andeutung einer Segmentirung vorkommt. Auf diese Verwandtschaft der Mollusken mit den Plattwürmern hat BürschLı in seinem Aufsatze: »Zur Herleitung des Nervensystems Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 1. 659 der Nematoden« zuerst klar hingewiesen ', nachdem v. IHERING einen Theil der Mollusken, seine Ichnopoden, von den Turbellarien ab- geleitet hatte. So bietet das Nervensystem der Amphineuren zahlreiche An- 'klänge an die Verhältnisse der Plattwürmer, und diese lassen sich bei den niederen Prosobranchiern, den Diotocardiern, in den zahl- reichen Anastomosen zwischen den Pedalsträngen wiederfinden, eine Erscheinung, welche sich noch bei Paludina, einem in vielen Hin- sichten niedrig stehenden Monotocardier, erhalten hat. Was die Entwicklung des Nervensystems anbelangt, so bietet dieselbe mindestens eben so viele Anknüpfungspunkte an diejenige der Plattwürmer, als an die der Anneliden. _ Ungleich wichtigere Einwände gegen die Verwandtschaft der Mollusken zu den Plattwürmern wären das Vorhandensein bei den Mollusken: erstens eines Afters, zweitens einer echten sekundären Leibeshöhle. In Betreff des ersten Punktes wäre zu bemerken, dass der After hier kein Proktodäum, wie bei den Anneliden, ist, sondern als ein Rest des Blastoporus aufgefasst werden kann, geht doch bei Paludina der After direkt aus dem Urmund hervor, und spricht nicht in den meisten Fällen die längliche Gestalt desselben dafür, dass ‘der Mund an einem Ende des Spaltes, der After am anderen Ende gebildet wird. In Bezug auf den zweiten Punkt scheint mir die Frage, ob eine Leibeshöhle bei den Plattwürmern existirt oder nicht, eingehender Untersuchung bedürftig zu sein. Brock? glaubt in den beiden Stämmen des Wassergefäßsystems des von ihm entdeckten Trematoden Euryeoelum Sluiteri? den Anfang einer Leibeshöhle zu sehen, da dieselben außerordentlich weit sind (sie nehmen stellen- weise mehr als die Hälfte des Querschnittes durch das ganze Thier ein) und keine regelmäßige Begrenzung haben. Ich glaube dagegen, dass bei Eurycoelum die bei den Plattwürmern im Allgemeinen stark zurückgebildete Leibeshöhle in ausgiebiger Weise erhalten geblieben ist. Jedenfalls müsste die Frage auf vergleichend-anatomischen so- wie auf embryologischem Wege genauer geprüft werden, da die bis jetzt über die Anatomie und Entwicklung der Plattwürmer erschie- nenen Arbeiten über Existenz und Beschaffenheit der ‚Leibeshöhle keinen genügenden Aufschluss geben. ! Morph. Jahrb. X. 1885. ? J. Brock, Eurycoelum Sluiteri n. g. n. sp. Nachrichten von der kgl. Gesellschaft der Wiss. zu Göttingen. Nr. 18. 1886. 660 R. v, Erlanger Im Anschluss an die eben berührte Frage von der Abstammung der Mollusken will ich zwei Abhandlungen erwähnen, welche das- selbe Thema eingehend behandeln. v. IHERING! hat neuerdings seine bekannte Theorie von der Phylogenie der Mollusken mit einigen Veränderungen von Neuem er- örtert. Ich glaube, dass das Studium der neueren, die Anatomie und Ontogenie der Mollusken behandelnden Litteratur zur Genüge zeigt, dass nur die Wenigsten die Ansicht v. Inerıng’s theilen, nach welcher die von Cuvier als Mollusken zusammengefassten Thiere aus zwei heterogenen Gruppen bestehen, von denen die eine von den Plattwürmern, die andere von den Anneliden abstammen soll. THIELE? leitet die Mollusken von turbellarienartigen Formen ab, kommt also zu denselben Resultaten wie BürschLı. Es wäre hier nicht am Platze, auf seine Spekulationen über die Phylogenie der übrigen Metazoen einzugehen. THIELE beansprucht zwar für die Mollusken eine sekundäre Leibeshöhle oder Cölom, bestreitet aber entschieden, dass dieselbe ein Enterocöl und der Leibeshöhle der Vertebraten homolog sei. Ich brauche nicht hervorzuheben, dass diese Ansicht meinen an Paludina gemachten Erfahrungen vollständig widerspricht. v. IBERING und THIELE schlagen beide den Werth der Em- bryologie für die Ermittelung der Abstammung der Thiere sehr ge- ring an. Von anderer Seite ist die Embryologie in dieser Hinsicht gewiss überschätzt worden; doch wird man im Allgemeinen zugeben müssen, dass beide Disciplinen sich gegenseitig ergänzen und dass man nur durch Kritik der von der vergleichenden Anatomie, der Embryologie und der Paläontologie gelieferten Thatsachen in der Abstammungslehre weiterzukommen hoffen darf. C. Cirkulationssystem. Paludina besitzt die für die Mollusken typische Ausbildung des Gefäßsystems, dessen Beschreibung ich nach der Darstellung Leyp1e's (1) in Kürze folgen lasse und sein Schema beifüge. Aus der Kieme, welche, wie schon erwähnt wurde, von rechts vorn nach links und hinten in einem Bogen zum Herzen zieht, das t 1.00, 2 J. TIIELE, Die Stammesverwandtschaft der Mollusken. Ein Beitrag zur Phylogenie der Thiere. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. Bd. XXV. N. F. XVII. 1891. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 661 am inneren Ende des Bodens der Mantelhöhle gelegen ist und von diesem durch ein Septum getrennt wird (vgl. Fig. 9 Taf. XXX), kommt das Blut als arterielles durch die Kiemenvene (Av) in den Vorhof (Vo). Die Kiemenvene folgt dem Verlauf der Kieme, an Fig. 2. deren Vorderrand sie hinzieht. Vom Vorhof gelangt das Blut in die Kammer (Ka), welche es in die Aorta treibt. Die Wurzel der- selben ist außerordentlich kurz, indem sich das Gefäß sofort in zwei Äste theilt, in einen vorderen, die Aorta anterior (aoa) und in einen hinteren, die Aorta posterior (aop). Die vordere Aorta versorgt den Rumpf, den Fuß und den Kopf. Sie entspringt links vom Schlund, wendet sieh aber bald nach rechts und verläuft eine Strecke weit rechts von demselben. Etwa in der Mitte des Rumpfes angelangt, richtet sie sich nach ab- wärts und begiebt sich, dicht unter der Pedalkommissur verlaufend, in den Fuß, den sie sodann von vorn nach hinten in der Median- linie durchzieht. Gleich vor der Pedalkommissur schickt sie einen starken Ast in den Kopf und etwas später einen anderen noch be- deutenderen in das Vorderende des Fußes. Die Aorta posterior (aop) zieht in der der Aorta anterior entgegengesetzten Richtung nach hinten und versorgt die Geschlechts- organe und die Eingeweide. Nachdem das Blut die verschiedenen Organe bespült hat, sam- melt es sich in den sogenannten Sinusen, nämlich das Blut des Kopfes, Rumpfes und Fußes in dem venösen Sinus (Sia), welcher den Ösophagus umgiebt, oder Rumpfsinus, das Blut des beschalten Hinterendes in dem venösen Sinus, welcher Leber, Magen und Darm 662 1 R. v. Erlanger umgiebt (Szp). Aus den venösen Räumen entstehen die Venenwur- zeln (vw), welche schließlich die Kiemenarterie (Kar) bilden, nachdem ein großer Theil des venösen Blutes die Niere (x) durchströmt hat. Die erste Anlage des Gefäßsystems zeigt sich auf sehr frühen Stadien, und zwar ganz unabhängig von dem Herzen, welches viel später auftritt. Sie zeigt sich in der Gestalt eines Sinus, welcher bereits von LEypıG beobachtet wurde, da dessen Pulsationen seine Aufmerksamkeit erregten. Der Sinus liegt am Vorderende des Em- bryo in der Gegend des Fußes unter dem Darm, ich will denselben als Ursinus (Us) bezeichnen. Fig. 1 (Taf. XXXII) ist ein Quer- schnitt durch die Schalendrüsengegend eines sehr jungen Embryo, bei welchem Fuß, Urniere und Herzbeutel sich eben anlegen. Zwi- schen dem Urdarm (Ud) und dem verdickten Ektoderm der Fuß- anlage (Fu) bemerkt man auf der rechten Seite des Schnittes eine Anhäufung von Mesodermzellen, welche sich auf dem nächstfolgen- den Schnitte auch links zeigt und die Anlage des Herzbeutels vor- stellt (vgl. den ersten Theil dieser Untersuchung). Zwischen den paarigen Anlagen des Herzbeutels liegt nun ein Hohlraum, welcher dem sich anlegenden Ursinus entspricht. Da, wie schon früher aus einander gesetzt wurde, der Herzbeutel zum Cölom gehört, so ent- spricht der Ursinus einem Theil der primären Leibeshöhle oder der Furehungshöhle. In der That entsteht er auch zwischen dem Ur- darm und dem anliegenden Mesoderm (splanchnisches Mesoblast), wird aber bald von dem Darm durch eine außerordentlich dünne Lage von Mesodermzellen getrennt. Während auf dem eben besprochenen Stadium die Grenzen des Ursinus schwer nachweisbar sind, ist er auf späteren Stadien (Fig. 3 und 4 Taf. XXXII) viel schärfer begrenzt, wird aber nach hinten immer enger und endigt vor dem Magen. Um Magen und Leber tritt ein neuer Sinus auf, welcher aber von dem eben erwähnten getrennt und lange nicht so scharf umgrenzt ist. Der Ursinus, welcher ziemlich regelmäßige Pulsationen ausführt, entspricht einer Art von Larvenherz, ist aber kein vergängliches Gebilde, wie solche im Allgemeinen zu sein scheinen, sondern ver- wandelt sich, indem er mit der Zeit enger und enger wird, in den vorderen Ast der Aorta um, und tritt mit dem Herzen, welches sich mittlerweile aus der Herzbeutelwand gebildet hat, in Verbindung!. ! Bürschui (10) konnte keine Pulsationen im Fuße der Paludinenembryonen beobachten, ich habe mich aber in vielen Fällen von der Richtigkeit der LEYDIG- Zur Entwicklung von Paludina vivipara. 665 Wie im ersten Theil dieser Arbeit genauer erörtert wurde, bildet sıch das Herz als eine rinnenförmige Einstülpung der Herzbeutel- wand und schnürt sich zu einer Röhre ab, deren offene Enden eine Kommunikation zwischen dem Herzbeutel (Cölom, sekundäre Leibes- höhle) und der Furchungshöhle, primäre Leibeshöhle, herstellen. Fig. 3 (Taf. XXXIII) zeigt einen Querschnitt durch einen be- deutend älteren Embryo, bei welchem das Herz schon gut ausge- bildet ist und deutlich Vorhof und Kammer erkennen lässt. In Us ist wieder der Ursinus zu sehen, welcher bereits viel enger gewor- den ist. Genau an derselben Stelle verläuft später der vordere Aortenast, welcher unter der Pedalkommissur nach vorn zieht. Übrigens lässt sich der Übergang des Ursinus in die Aorta mit der größten Sicherheit nachweisen. Auf Fig. 2 (Taf. XXXII), welche einen Querschnitt durch die Herzgegend eines Embryo vorstellt, lässt sich die Entstehung des- jenigen Theiles der Aorta (Ao), welcher mit der Herzkammer in Verbindung tritt, verfolgen. Derselbe entsteht aus einem Theil des den Darm und die Leber umgebenden zweiten Ursinus. Die Aorta, deren Anfangsstück dorsal vom Ösophagus und links davon ver- läuft, richtet sich weiter oralwärts rechts und nach der Ventralseite, um unter dem Schlund den schon geschilderten Verlauf nach vorn zu nehmen. Der Querschnitt Fig. 14 auf Taf. XXXII zeigt diese Gegend eines Embryo. Ao und do sind Theile der Aorta, welche, wie die Durchmusterung der Serie lehrt, in Zusammenhang stehen. Derselbe Querschnitt zeigt ebenfalls die Kiemenvene Av im Quer- schnitt, deren Ursprung ebenfalls in einem Lückenraum des Meso- derms liegt. Der Zusammenhang der Kiemenvene mit dem Vorhof (Vo) ist auf Fig. 2 (Taf. XXXII) Av zu sehen. Merkwürdigerweise erfolgt die Entstehung der venösen Sinuse erst viel später als diejenige der arteriellen Gefäße. Während auf mittleren Stadien das Mesoderm um den Darm herum (abgesehen von den beiden schon erwähnten Ursinusen) ziemlich kompakt er- scheint (vgl. Taf. XXXII Fig. 11, 13, 14 und Taf. XXXIII Fig. 3), zieht es sich auf beträchtlich älteren Stadien vom Ösophagus, Ma- gen, Leber und Darm zurück und bildet einen Lückenraum um diese Organe, welche den venösen Theil des Cirkulationsapparates vorstellt (Taf. XXXII Fig. 4 und 7 si). Fig. 7 zeigt den vorderen schen Angaben überzeugt. Die Pulsationen zeigen sich nur beim unversehrten Embryo und hören bald, wenn dieser gedrückt oder sonst wie geschädigt wird, auf. 664 R. v. Erlanger venösen Sinus, welcher hier dorsalwärts vom Ösophagus getroffen ist und den Plasmazellenstrang umgiebt. Die Entwicklung des Gefäßsystems ist bis jetzt nur wenig be- riicksichtigt worden. Nur die Entstehung des Herzens und der pul- sirenden embryonalen Sinuse, welche unter dem Namen Larvenherz zusammengefasst worden sind, waren Gegenstand eingehenderer Untersuchungen. Im Ubrigen begniigte man sich damit, anzugeben, dass die Gefäße im Allgemeinen im Mesoderm durch Auseinander- weichen seiner Zellen entstehen. Wie wir sahen, bildet sich bei Paludina der Ursinus zwischen Darm und splanchnischem Mesoblast; eben so auch entstehen die anderen Theile der Aorta und auch die Sinuse des Cirkulations- apparates zwischen dem splanchnischen Mesoblast und dem Darm oder dem somatischen und dem Ektoderm. Mithin gehen die Ge- fife aus der redueirten primären Leibeshöhle, d. h. der Furchungs- höhle hervor. Daher entspricht der Raum, welcher zwischen den beiden Blättern des Mesoderms liegt, nur dem Cölom oder der se- kundären Leibeshöhle, deren Bildung im ersten Theile dieser Arbeit genauer geschildert wurde. Ein sehr großer Theil des Cöloms wird aber von den Spindelzellen des Mesoderms, d. h. dem Blastem des Bindegewebes und der Muskeln ausgefüllt, zu einer Zeit sogar das ganze Cölom, bis sich der Herzbeutel in demselben anlegt. Das Perikard stellt unzweifelhaft den Rest des von Bindegewebe und Muskeln zum größten Theil in Anspruch genommenen Cöloms vor. Ich glaube diese Deutung des Herzbeutels durch zahlreiche verglei- chend-anatomische und entwicklungsgeschichtliche Gründe hinrei- chend motivirt zu haben. Dieselbe wird aber nochmals durch das Studium der Entwicklungsgeschichte des Geschlechtsapparates gestützt. D. Geschlechtsapparat. Die Geschlechtsorgane von Paludina, welche wie weitaus die meisten Prosobranchiaten getrennten Geschlechts ist, sind von LEYDIG (1) und Bauperor (39) genauer untersucht worden. Ich habe die Beobachtungen dieser Forscher durch Zergliederungen und Schnitte kontrollirt und kann denselben in anatomischer Hinsicht nichts Neues hinzufügen. Für die Beschreibung der Geschlechtsorgane halte ich mich an BaupeLor, dessen Abbildungen ich im beistehenden Holz- schnitt wiedergebe, für die Lagerung derselben an Lrypie'!, dessen Untersuchung das Übersichtsbild entnommen ist. ı Fig. 2 pag. 661. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. Ll. 665 Die männlichen Geschlechtsorgane bestehen aus dem Hoden, dem Vas deferens mit seinen verschiedenen Abschnitten, und dem Begattungsorgan, welches durch den umgebildeten rechten Tentakel gebildet wird. Fig. 3. Der Hoden liegt im Eingeweidesack neben der Leber und ver- läuft der Schalenspindel entlang, deren Windungen er sich anbe- quemt. Er besteht aus zwei Abschnitten, von denen der kleinere dem vorderen Theile des Eingeweidesackes entspricht, der größere hintere sich bis zu dessen Ende erstreckt (vgl. den Holzschnitt 77). Beide Lappen sind mit einander durch einen verengten Abschnitt verbunden. Der Hoden hebt sich durch seine intensiv gelbe Farbe von der dunkelbraunen Leber ab und fällt, wenn man die Schale entfernt hat, sofort in die Augen. Das Sperma wird durch das Vas deferens (Vd) aus dem Hoden herausgeführt. Dasselbe besteht zunächst aus einem, gleich auf den Hoden folgenden geraden Abschnitt, biegt dann aber ganz plötzlich in einem Winkel an dem inneren Ende des Bodens der Mantelhöhle um und erweitert sich bald zu dem stark muskulösen Abschnitt, welcher von einigen Autoren Samenblase, Vesicula seminalis (Vs), von anderen Prostata genannt wird und vielleicht passender als Ductus ejaculatorius aufgefasst werden dürfte. Dieser Abschnitt er- streckt sich unter der Haut der Rückenseite, von links in der Nähe des Herzbeutels nach vorn rechts verlaufend, bis zur Basis des Morpholog. Jahrbuch. 17. 43 666 R. v. Erlanger rechten Tentakels. Hier angelangt, verengt sich der Ausführgang wieder stark, um sich im Tentakel selbst wieder etwa auf die Hälfte des früheren Durchmessers zu erweitern, und endigt auf einer freien Spitze (P), welche in einer taschenförmigen Einstülpung der Ten- takelhaut zurückgeschlagen und untergebracht werden kann. Wäh- rend meistens der ganze Tentakel als Penis aufgefasst wird, sieht BAUDELOT nur in dieser freien Spitze das eigentliche Begattungs- organ. Die weiblichen Geschlechtsorgane bestehen aus dem Ovar (Ov), dem Eileiter (Od), in welchem eine Eiweißdrüse (Ew) zur Bereitung der Eiweißhülle, welche das Ei umgiebt, mündet, dem Uterus, dessen proximales Ende umgeschlagen ist und eine Samentasche (Receptaculum seminis [Zs]) bildet, während das distale Ende den Penis bei der Begattung aufnimmt und daher Vagina (7) genannt wird. Das Ovar (Ov) nimmt eine entsprechende Lage im Einge- weidesack ein, wie der Hoden, ist aber bedeutend dünner als der- selbe, während es annähernd dieselbe Länge besitzt wie die männ- liche Keimdriise. Die Feinheit des Ganges, denn das Ovar ist röhrenförmig gebaut, bewirkte, dass es längere Zeit der Unter- suchung entging, bis es zuerst von LeypiG entdeckt wurde!. Die weibliche Keimdrüse zeigt dieselbe gelbe Farbe wie der Hoden, sie wird durch die Dotterkörnchen verursacht. Leypig fand den Eierstoek mit zahlreichen Eiern angefüllt, während BauDELoT keine darin nachweisen konnte. Ich habe Quer- schnitte durch das Ovar von Paludina geführt und kann die An- gaben Leypıg's bestätigen. Das Ovar ist eine Röhre mit rundem Querschnitt, besitzt nach außen eine dünne Tunica propria, worauf ein niedriges, etwa ku- bisches Epithel folgt, aus deren Zellen die Eier sich bilden und stark in das Lumen vorspringen. Vom Ovar aus gelangen die Eier in den Eileiter (Od), welcher eine plötzliche Knickung erfährt und dessen Schenkel dadurch eng an einander gepresst verlaufen. Ich fand dasselbe mit Sperma an- gefüllt. Die Eiweißdrüse (Ew), welehe recht groß ist, mündet in 1 BAUDELOT, dessen Arbeit 13 Jahre nach der Leypıg’schen Abhandlung erschien, erwähnt dieselbe mit keinem Wort. 2 Die Spermatozoen im Eileiter und in der Samentasche gehörten alle zum fadenförmigen Typus, eben so wie diejenigen, welche sich in der Eiweiß- hülle der Eier fanden. Ich kann hierin nur die diesbezüglichen Angaben von Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 667 den Anfangstheil des Eileiters, an der Stelle, wo er in das Ovar übergeht. Der zweite Schenkel “des Eileiters geht allmählich in die geräumige Samentasche über, welche durch eine enge Öffnung in den Uterus führt, der gewöhnlich mit Eiern verschiedensten Alters vollgepfropft ist. Die Öffnung liegt aber nicht am hinteren Erde des Uterus, sondern seitlich, so. dass das hintere Ende des Uterus einen Blindsack bildet. Auf die morphologische Bedeutung der einzelnen Abschnitte des männlichen und weiblichen Geschlechtsapparates, wie auf die Ho- mologien derselben soll erst nach der Schilderung ihrer Entwicklung eingegangen werden, da dieselbe darüber die besten Aufschlüsse ge- währt. Die erste Anlage der Geschlechtsorgane tritt schon verhältnis- mäßig früh auf, und zwar auf einem Stadium, welches einen noch ganz larvalen Charakter besitzt, d. h. ein noch deutliches Velum und die Urnieren im Maximum ihrer Entwicklung zeigt. Die Anlage ist von vorn herein keine einheitliche, sondern be- steht einerseits aus der Anlage der Keimdrüse, andererseits aus derjenigen des Ausführganges. Sie ist aber für beide Geschlechter ganz gleich, denn ein erkennbarer Unterschied zeigt sich erst viel später, wie das Folgende lehren wird. Die Anlage des Ausführganges ist eine Einstülpung der Mantel- höhle, welche sich am rechten hinteren Ende derselben ventral vom Ureter bildet. Dieselbe (Pa) ist in Fig. 5 Taf. XXXIII auf einem Querschnitt, in Fig. 8 Taf. XXXIII auf einem horizontalen Schnitt, in Fig. 9 Taf. XXXII auf einem sagittalen Schnitt dargestellt (qq). Gleichzeitig bildet die Wand des Herzbeutels an der der eben be- sprochenen Einstülpung gegenüberliegenden Stelle der Mantelhöhle eine Ausstülpung (Fig. 5, 8 und 9 auf Taf. XXXIII g), welche nichts Anderes wie die Anlage der Geschlechtsdrüse ist. Ich konnte auf Grund einier Schnittserie durch einen Embryo, bei welchem das Septum des Herzbeutels ungewöhnlich lang er- halten geblieben war, feststellen, dass die Anlage der Genitaldrüse in der ursprünglich linken Hälfte des Perikards entsteht, und zwar ungefähr da, wo sieh die rudimentäre linke Niere zurückgebildet hat. Eben so entsteht auch die Anlage des Ausführganges an der Stelle, wo der rudimentiire Ausführgang der linken Niere sich be- fand, und scheint einfäch aus diesem hervorzugehen. M. v. Brunn (Uber die doppelte Form der Spermatozoen von Paludina vivi- para. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXVIII. 1883) bestätigen. 43* 668 R. v. Erlanger Der Querschnitt (Fig. 5 Taf. XXXII) veranschaulicht die To- pographie der Anlagen der Geschlechtsorgane. Der Abschnitt der Mantelhöhle (JZ), welcher zum primären Geschlechtsgang wird, liegt ventralwärts vom Ureter (Ur) zwischen Niere (N), Herzbeutel (Pe), dem Endabschnitt des Darmes ( und dem Eingeweidesack (EZ). Auf demselben Schnitt ist die Verbindungsstelle zwischen Herzbeutel und Niere getroffen (z). Sehr bald schnürt sich die Anlage der Geschlechtsdrüse von der Herzbeutelwand ab (Fig. 9 Taf. XXXIJII) und bildet dann ein rundes Bläschen (g), dessen Lumen sehr eng ist; gleichzeitig rückt sie dem Geschlechtsgang immer näher. Sie streckt sich dann all- mählich in die Länge (Fig. 10 Taf. XXXIII), während der Ge- schlechtsgang mittlerweile etwa bis zur dreifachen Länge ausge- wachsen ist. Letzterem Stadium entspricht der auf Taf. XXXI Fig. 9 in toto abgebildete Embryo, welcher bei Betrachtung von der linken Seite die Anlage des Geschlechtsapparates mit großer Klarheit zeigt (Gg.G). Der Geschlechtsgang (Gg) liegt am hinteren ventralen Ende der geräumigen Mantelhöhle (MA), hinter der Kieme (47), ven- tralwärts vom Endabschnitt des Darmes und dem Harnleiter (Ur). Er liegt auf der Figur unter dem Herzbeutel (Pe), ventralwärts von der Scheidewand, welche denselben von der Mantelhöhle trennt, vor der Urinkammer (UA) und der Niere (N). Er ist im stumpfen Winkel nach hinten und ventralwärts gerichtet. Dicht an sein blin- des Ende schließt sich die Geschlechtsdrüse (g) an, welche etwas nach vorn und stark ventralwärts gerichtet ist und in der Figur un- mittelbar über der Leber (Z) liegt. Aus diesen Lagebeziehungen zur Leber erklärt es sich sofort, warum man die Anlage des Geschlechtsapparates nur von der lin- ken Seite am ganzen Embryo sehen kann, sie wird bei Betrachtung von der rechten Seite von der Leber, welche mit ihren Drüsen- schläuchen einen großen Theil des Eingeweidesackes einnimmt, voll- kommen überdeckt. | Übrigens zeigen Geschlechtsdrüse und Geschlechtsgang genau dieselbe histologische Beschaffenheit, ein Zustand, welcher sich bis zur Geburt der jungen Schnecke und noch längere Zeit darauf erhält. Von dem eben besprochenen Stadium ab können die Geschlechts- organe wegen der rasch zunehmenden Größe des Embryo nicht mehr am ganzen Objekt verfolgt werden, und da dieselben zu klein und Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 669 zerbrechlich sind, als dass sie präparirt werden könnten, so ist man auf die Schnittmethode angewiesen. Die Geschlechtsdrüse und der primäre Geschlechtsgang wachsen immer stärker aus und fangen an, sich der Körperform anpassend, zu winden. Bei Embryonen von 2,5—3 mm Länge zeigt sich der erste Unterschied in Bezug auf das Geschlecht, in so fern sich beim Männchen jetzt das eigentliche Vas deferens anlegt. Nur der ge- rade auf den Hoden folgende Theil des männlichen Ausführganges entspricht dem primären Geschlechtsgang, der ganze übrige Theil entsteht unabhängig davon durch Einstülpung einer auf dem Boden der Mantelhöhle gebildeten Rinne, welche sich nach der Einstülpung abtrennt und ein unter der Rückenhaut im Bindegewebe liegendes Rohr bildet. Auf dem in Fig. 6 und 7 der Taf. XXXII abgebildeten Sta- dium verläuft diese Rinne, welche also die Anlage des sekundären männlichen Geschlechtsganges ist, von dem hinteren Ende des Rückenwulstes bis etwa in die Gegend der Otolithenblase nach vorn. Fig. 7, welche die Rinne bei stärkerer Vergrößerung dar- stellt, während Fig. 6 nur die Topographie derselben erläutern soll (7 ist ein Stück des in 6 abgebildeten Schnittes bei stärkerer Ver- größerung), zeigt, dass die Rinne durch zwei Falten des Rücken- epithels gebildet wird. Diese Falten dürfen nicht mit den später bei beiden Geschlech- tern auftretenden Falten des Bodens der Mantelhöhle verwechselt werden, welche eine Art Sipho bilden, welcher das Wasser zu der Kieme leitet. Diese, beim reifen Embryo schon mächtig entwickel- ten Falten existiren auf dem eben besprochenen Stadium noch nicht. Bald schnürt sich die Samenrinne zu einer Röhre ab, welche sich in das Innere herabsenkt und als feines Rohr auf der rechten Seite des Embryo von hinten nach vorn wächst (Fig. 4 Taf. XX XIII vd)‘. Das Rohr scheint dann selbständig nach vorn auszuwachsen und gelangt so am Kopfende in den rechten Tentakel hinein, wel- chen es bald in seiner ganzen Länge durchsetzt, während schon die Rinne nach hinten und links bis zu der Stelle verläuft, wo der pri- mire Geschlechtsgang in die Mantelhöhle mündet (Taf. XXXIII Fig. 11 Gg und Vd). Auf Grund dieser Befunde lässt sich fest- ! Die auf der rechten Seite in Fig. 4 sichtbare Falte ist die sozenannte Krause oder Epipodium. Bouvier hält dasselbe für ein falsches Epipodium, auf Grund der Innervirung, während PELSENEER es für ein echtes Epipodium erklärt. 670 R. y. Erlanger stellen, dass der ganze vordere Abschnitt der männlichen Ausführ- gänge bis zu der Knickung (Holzschnitt) auf Kosten des sekundären männlichen Geschlechtsganges entsteht, während der gerade auf den Hoden folgende Abschnitt (mit 1 bezeichnet) dem primären männ- lichen Geschlechtsgang zum größten Theil entspricht. Auf dem Stadium, wo der Embryo als reif bezeichnet werden kann, d.h. unmittelbar vor der Geburt, steht bereits die Keimdrüse beim Männ- chen in Zusammenhang mit dem hinteren Ende des primären Ge- schlechtsganges. Nicht so beim Weibchen, wo der Zusammenhang noch nieht ganz hergestellt ist. Stadien, welche etwas jünger als das eben erwähnte sind, zei- gen, dass bei beiden Geschlechtern ein wenn auch kurzes Stück der Leitungswege der Geschlechtsprodukte aus der Keimdrüsenanlage selbst hervorgeht. Beim reifen Embryo befindet sich die Keimdrüse beider Ge- schlechter in einem noch völlig indifferenten Zustand und lässt sich kaum von den Leitungswegen unterscheiden, welche aber noch auf Schnitten einen Flimmerbesatz ihres Epithels zeigen (Fig. 12 Taf. XXXIII Gq). Fig. 12 (Taf. XX XIII) stellt einen Querschnitt durch den Spindel- theil eines reifen weiblichen Embryo vor. Das Ovar fängt bereits an, die Ausstülpungen oder kurzen Blindschläuche zu bilden, welche sich am röhrenförmigen Eierstock des geschlechtsreifen Thieres nach- weisen lassen. Bis jetzt ist nur von Entwicklungsvorgiingen die Rede gewesen, welche sich innerhalb des Mutterthieres am Embryo abspielen. Wie schon erwähnt, wird die junge Schneeke geboren, ehe der Ge- schlechtsapparat seine definitive Ausbildung erlangt hat. Für das Männchen ist es möglich, den Ursprung der verschie- denen Theile des Geschlechtsapparates vor der Geburt festzustellen, nicht so für das Weibchen. Hier ermöglicht erst das Auftreten der Eiweißdrüse zu entscheiden, welche Abschnitte dem Mesoderm, welche dem Ektoderm ihre Entstehung verdanken. Die ersten Spuren der Eiweißdrüse fand ich an jungen Schnecken, welche zwischen 7—9 Wochen alt waren. Sie zeigen sich als Drü- senschläuche, welche als Ausstülpungen des weiblichen Ausführganges entstehen, und zwar dicht vor der Stelle, wo sich der Ausführgang mit der röhrenförmigen weiblichen Geschlechtsdrüse vereinigt hat. Somit ist die Eiweißdrüse eine ektodermale Bildung. Dass die- selbe wirklich aus dem Geschlechtsgang, welcher jetzt schon mit Zur Entwicklung von Paludina vivipara. I. 671 dem Ovar in Zusammenhang getreten ist, hervorgeht, lässt sich leicht aus dem Vergleich mit jüngeren Stadien entnehmen. Die Vereinigung vom weiblichen Ausführgang und dem Ovar findet in der Gegend statt, wo der Verbindungskanal zwischen Herzbeutel und Niere sich befindet. Der weibliche Ausführgang zeigt schon an dieser Stelle die Knickung, welche für den eigentlichen Eileiter (vgl. Holzschnitt 3) charakteristisch ist. Die Drüsenschläuche der Eiweißdrüsen treten gleich in Mehrzahl, 8—12, auf. Das Ovar selbst unterscheidet sich noch gar nicht von dem des Stadiums. von welchem Fig. 12 Taf. XXXIII entnommen ist. Das Keimdrüsen- epithel ist noch vollkommen undifferenzirt. Es ergiebt sich aus dem Verlaufe der Entwicklung der Ge- schlechtsorgane, dass die Keimdrüsen beider Geschlechter einander homolog sind, weiter entspricht der gerade auf den Hoden folgende Abschnitt der männlichen Leitungswege mit Ausnahme eines kurzen unmittelbar auf den Hoden folgenden mesodermalen Stückes der Totalität der weiblichen Ausführgänge, d. h. dem Eileiter, welcher an der Einmündungsstelle der Eiweißdrüse beginnt, dem Uterus und der Vagina. Dem kurzen mesodermalen Theile des männlichen Ausführganges entspricht derjenige Theil des Ovars, welcher sich von der Eiweißdrüse bis etwa zu der Stelle erstreckt, wo der Eier- stock Ausstülpungen treibt. Das eigentliche Vas deferens, von der Knickung bis zum rechten Tentakel, ist beim Weibchen gar nicht mit einem homologen Theil vertreten, es ist eine dem Männchen allein zukommende Bildung. Ich glaube somit einen Überblick über die wichtigsten Punkte in der Entwicklung des Geschlechtsapparates gegeben zu haben und habe die weiteren Veränderungen, welche derselbe bis zu seiner völligen Ausbildung noch durchzumachen hat, die vorwiegend histo- logischer Natur sein dürften, nicht untersucht. Ich habe bereits hervorgehoben, dass die Bildung der Ge- schlechtsdrüse aus dem Epithel des Herzbeutels die Deutung des- selben als sekundäre Leibeshöhle oder Cölom bestätigt. Diese That- sache ist schon durch vergleichend-anatomische Untersuchungen in allen Klassen der Mollusken festgestellt worden. Im ersten Theile dieser Arbeit führte ich schon die Durchbohrung des Herzens durch den Darm, welche sich bei den meisten Lamellibranchien und einigen Prosobranchiern findet, als Beweis dafür an. Eine wichtige Stütze für die Homologie des Cöloms und des Perikards wird durch das Verhältnis der Geschlechtsorgane zum Herzbeutel geliefert. 672 R. v. Erlanger Die Untersuchungen GROBBEN’s! an den Cephalopoden haben ergeben, dass die Geschlechtsprodukte in den Herzbeutel (Cölom) fallen und dort durch die Geschlechtsleiter nach außen geführt wer- den. Dasselbe Verhalten zeigen die Neomenien. Bei den Lamellibranchiaten ist dies nur annähernd der Fall, wie ich später erklären will. Ich glaube gezeigt zu haben, dass die Prosobranchiaten prineipiell dasselbe Verhalten zeigen, wenn man aus der Entwicklung von Paludina auf die übrigen Formen schließen darf. Ich vermuthe, dass bei den Chitonen ebenfalls die Geschlechts- drüse aus dem Epithel des Herzbeutels entsteht, da die Lagerungs- beziehungen derselben zum Perikard, mit welchem sie verwachsen ist, sehr dafür sprechen. Wahrscheinlich wird sich auch dasselbe für die Dentalien? herausstellen, deren Bexsboutel erst neuerdings nachgewiesen worden ist. Von großer Bedeutung sind auch die Beziehungen der Geschlechts- gänge zu den Harnleitern. HUBRECHT giebt für Proneomenia Sluiteri und Dondersia festiva? an, dass die Zwitterdriise in den Herzbeutel führt, von dort gelangen die Geschlechtsprodukte durch die Harnleiter nach außen. Fast dasselbe Verhalten zeigen unter den Lamellibranchiaten die primitiveren Formen, wie die Nu- culiden und Solenomya nach den neuesten Untersuchungen von PELSENEER*, mit dem Unterschied, dass die Geschlechtsprodukte nicht direkt den Herzbeutel passiren, sondern in der Höhe des Herz- beutelnierenganges in den Anfangstheil der Niere gelangen. PEL- SENEER zieht daraus den Schluss, dass bei den Vorfahren der La- mellibranchiaten die Sexualprodukte in das Perikard gelangten. Auch bei den Dentalien soll nach LACAzE-DUTHIERS? die Geschlechts- 1 ©. GROBBEN, Morphologische Studien über den Harn- und Geschlechts- apparat, sowie die Leibeshöhle der Cephalopoden. Arbeiten aus dem zoolog. Institut zu Wien. V. 1884. ? L. Pyare, Über das Herz der Dentalien. Zoolog. Anz. XIV. Jahrg. Nr. 357. 1891. 3 A. A. HUBRECHT, Proneomenia Sluiteri. Gen. W. sp. n. with remarks on the anatomy and histologie of Amphineura. Niederl. Archiv für Zool. Suppl. 1881. Dondersia festiva. Gen. et spec. nov. Donders Fastbundel, Niederl. Tijdschr. Geneesk. T. 8—9. 1888, 4 P. PELSENEER, Contribution 4 l’&tude des Lamellibranches. Archiv de biologie. XI. 1891. 5 H. pp LACAzE-DUTHIERS, Histoire de l’organisation et du développe- ment du Dentale. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 673 drüse in die rechte Niere und gemeinschaftlich mit derselben aus- münden. PLATE! verbesserte diese Angabe dahin, dass die Geschlechts- produkte einfach durch Platzen der reifen Geschlechtsdrüse in die Niere ergossen werden, und zwar gewöhnlich in die rechte, aus- nahmsweise auch in die linke. v. IHERING (9) behauptet, dass die rechte Niere der Fissurella mit dem Geschlechtsgang gemeinschaftlich ausmündet, indem der Endtheil der Niere den Geschlechtsgang aufnimmt. Bouran (31) bestätigt dies. Dasselbe gab WEGMANN? für Haliotis und Daun? für Patella zu. Dagegen leugnet HALLER (30) aufs entschiedenste, dass bei den beiden erwähnten Prosobranchiern der Geschlechtsgang in näherer Beziehung zum Harnleiter stünde. R. PERRIER bestätigt wieder die Angaben v. IHERING’s und WEGMANN’s, indem er auf Schnitten fand, dass bei Haliotis die Geschlechtsdrüse in den mittleren Theil der Niere ausmündet, bei Fissurella in der Nähe der Nierenmündung. Vergleicht man das Mitgetheilte mit der Entwicklung des Geschlechts- ganges bei Paludina, wo derselbe aus dem Ausführgang der rudi- mentären {ursprünglich) linken Niere entsteht, so ist wohl der Schluss gerechtfertigt, dass bei den Monotocardiern der Geschlechtsgang sich aus dem Harnleiter hervorgebildet hat. Gleichzeitig wird dadurch die von mir im ersten Theile dieser Arbeit aufgestellte Behauptung, dass die allein erhaltene Niere der ausgebildeten Palu- dina der linken Niere‘ der Diotocardier und Heterocardier ent- spreche, bestätigt. Bei diesen Formen ist es ja stets die rechte Niere, in welche beim ausgewachsenen Thier die Geschlechtsdriise miindet. Dem entsprechend hat die rudimentiire Niere der Paludina, welche der rechten Niere der Diotocardier entspricht, sich zuriick- gebildet, und ihr Ausführgang ist zum Geschlechtsgang geworden. v. IHERING giebt in seiner Arbeit über die natürlichen Verwandt- schaften der Cochliden und Ichnopoden‘ eine Übersieht über die allmähliche Entwicklung der Geschlechtsleiter bei den Gasteropoden, I L. Puare, Bemerkungen zur Organisation der Dentalien. Zool. Anz. 1888. pag. 509516. 2H. WEGMANnN, Contribution 4 l’histoire naturelle des Haliotides. Arch. de Zoologie experimentale. 1. Serie. T. I. 1884.‘ 3 W. H. Davy, Recent advances in our knowledge of the Limpets (Pa- tella). Bull. Phil. Soc. Washington. Vol. VII. pag. 4. 41. ¢. 674 R. v. Erlanger und zwar bei seinen Cochliden, welche mit der eben vorgetragenen Ansicht harmonirt. — Demnach stimmen meine Beobachtungen mit den Resultaten der vergleichenden Anatomie überein. Ich will nun versuchen zu zei- gen, dass sie ferner mit den Beobachtungen Anderer über die Ent- wicklung der Geschlechtsorgane der Mollusken übereinstimmen, falls man dieselben kritisch prüft und richtig deutet. Wenn auch die Molluskenentwicklung der Gegenstand zahl- reicher Untersuchungen gewesen ist, so haben sehr Wenige die Entwicklung des Geschlechtsapparates berücksichtigt und nur Eısıe (38), Rouzaup (42), Brock (43) und Krorz (48) haben speciell dieses Thema behandelt. Diese Arbeiten beziehen sich sämmtlich auf Pulmonaten, meines Wissens giebt es gar keine’ Untersuchung, in welcher die Bildung der Genitalorgane bei Prosobranchiern be- schrieben ist. Wenn man von einigen älteren Arbeiten absieht, so kommt zuerst die Untersuchung Eısıe’s (38) über Lymnaeus in Betracht. Er unterscheidet drei getrennte Anlagen des Geschlechtsapparates, ohne anzugeben, aus welchen Keimblättern dieselben sich anlegen, ein Mangel, welcher sich leicht aus der Zeit, in welcher Eısıe’s Arbeit verfasst wurde, erklären lässt. Rouzaup (42) lässt bei mehreren Pulmonaten den ganzen Geschlechtsapparat aus einer ektodermalen Knospe entstehen, welche allmählich in das Innere des Embryo hineinwuchert und sich nach und nach differenzirt. Brock (43) dagegen findet bei Agriolimax agrestis die simmtlichen Leitungswege in einem mesodermalen Strang, welcher erst später mit den gleichfalls aus dem Mesoderm stammenden Ge- schleehtsdrüsen in Verbindung tritt. Krorz (48) nahm die Untersuchungen Eısıe’s an Lymnaeus wieder auf und fand, dass der Geschlechtsapparat in Übereinstim- mung mit den früheren Angaben sich aus drei getrennten Anlagen bildet. Der Penis entsteht als eine ektodermale hohle Einstülpung, der Uterus und die Prostata entstehen getrennt vom Penis und wahr- scheinlich mesodermal, endlich entsteht die Zwitterdrüse wiederum für sich und ebenfalls mesodermal. Die übrigen Autoren, welche sich mit der Bildung des Ge- schlechtsapparates befasst haben, machen darüber nur ganz kurze Angaben. So lässt Ganin (3) das Epithel der Genitalorgane aus dem Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 675 Ektoderm entstehen, Rabi (5) dagegen bestreitet dies, da er keine Ektodermeinstülpung beobachten konnte. Nach v. IHERING (6), welcher nur ältere Stadien berücksichtigte, gehen sämmtliche Ge- schlechtsorgane aus dem Mesoderm hervor. For (7) behandelt nur die Bildung der Keimdrüse bei den Pteropoden und behauptet, dass der männliche Theil derselben aus dem Ektoderm, der weibliche dagegen aus dem Entoderm des Leber- sackes entsteht. JOYEUX LAFFUIE (21) sieht bei Onchidium in einer kleinen Hervorragung des Ektoderms in das Innere des Embryo zwischen der Niere und dem After die Anlage der Geschlechtsdrüse. Diese soll sich schon ziemlich früh, etwa zu derselben Zeit wie die Niere anlegen. Er vermuthet, dass der genannte Geschlechtsapparat vom äußeren Keimblatt abgeleitet werden dürfte. Vor dem Erscheinen der Krorz’schen Arbeit gab SCHIEMENZ einen Überblick über die sämmtlichen Angaben, welche sich auf die Entwicklung der Genitalorgane bei den Gastropoden beziehen (42). Er kommt durch Vergleichung derselben zu folgenden Schlüs- sen, welche sehr gut mit den Resultaten meiner Untersuchung über die Entwicklung von Paludina harmoniren. Erst legt sich das Keimorgan nur aus dem Mesoderm an, dann stülpt sich der Penis aus dem Ektoderm ein, dann verbindet sich das Keimorgan mittels des Zwitterganges, der ein Theil von ihm ist, mit dem Ende des Genitalganges und dem Penis mit demselben durch das Vas deferens. Zum Schluss entwickeln sich die acces- sorischen Organe und Drüsen. Die Scmiemenz’schen Schlüsse beziehen sich sämmtlich auf die Pulmonaten, da nur diese eingehender untersucht worden sind. Nun sind die Pulmonaten bekanntlich Zwitter, daher kann man auf Grund der vorliegenden, an einem Prosobranchier, welcher, wie alle zu dieser Gruppe gehörigen Thiere, mit der Ausnahme von Valvata, getrennten Geschlechtes ist, angestellten Beobachtungen nicht direkt auf die zwitterigen Formen schließen. Es scheinen mir aber fol- gende wichtige Punkte festzustehen. Die Keimdrüse entsteht aus dem Mesoderm, wahrscheinlich durchgehend aus dem Epithel des Herzbeutels, d. h. der reducirten sekundären Leibeshöhle; die Leitungswege, mit Ausnahme eines kurzen sich an die Geschlechtsdrüse anschließenden Stückes, ekto- dermal, und zwar als eine Einstülpung der Mantelhöhle; das Be- gattungsorgan entsteht ektodermal, eben so das Vas deferens, welches 676 R. v. Erlanger sich als eine Rinne anlegt und entweder als eine solche bestehen bleibt oder sich zu einer Röhre abschnürt. Die eben geschilderte Bildungsweise des Vas deferens wird durch die vergleichende Ana- tomie bestätigt, da bei den meisten Prosobranchiern der Samenleiter keine Röhre, sondern eine offene Rinne ist, was wohl als das pri- mitivere Verhalten angesehen werden darf. Auf Grund dieser Resultate glaube ich auch eine Erklärung der Angaben For’s liefern zu können. Ich vermuthe, dass die Zwitter- drüse ganz aus dem Mesoderm entsteht, die Leitungswege als eine Einstülpung des Ektoderms. Es ist nämlich sehr unwahrscheinlich, dass ein Theil der Zwitterdrüse aus dem Ektoderm, ein anderer aus dem Entoderm entstehen sollte. Die Lagerung derselben ganz in der Nähe der Leber und zwischen dieser und dem Herzbeutel gestatten den Schluss zu ziehen, dass die Entstehung eine ähnliche wie bei Paludina sein wird. Diese jetzt abgeschlossene Untersuchung über die Entwicklung von Paludina sollte sich zuerst nur auf die Entwicklung des Herz- beutels und der Niere erstrecken. Es zeigte sich aber bald, dass Paludina ein besonders geeignetes Objekt für die Erforschung der Gasteropodenentwicklung ist, und ich hielt es für wünschenswerth, gerade einen Prosobranchier eingehender zu studiren, da deren Em- bryologie nicht in dem Maße durchbearbeitet worden ist, wie z. B. diejenige der Pulmonaten. Daher kommt es auch, dass diese Arbeit nicht so plangemäß eingetheilt ist, als es die meisten Arbeiten zu sein pflegen, welche die ganze Entwicklungsgeschichte eines Thieres behandeln sollen. So ist unter Anderem die Furchung nicht be- schrieben worden, da es mir nicht gelungen ist, alle nöthigen Stu- dien davon zu erhalten. Dasjenige, was ich selbst davon beobachtet habe, sowie die Angaben BLocuMANn’s (24), zeigt, dass sie nicht wesentlich von dem für die Gasteropoden typischen Schema abweicht, nur ist der Größenunterschied zwischen den Makro- und den Mikro- meren ein geringerer als es sonst der Fall ist, weil bei Paludina die Dottermenge relativ klein ist. Auch die Entwicklung des Dar- mes ist nur nebenbei berücksichtigt worden. Jedoch hoffe ich über die meisten wichtigen Punkte genügende Auskunft gegeben zu haben. Zum Schluss sei es mir gestattet, meinem verehrten Lehrer Prof. BürscHLı für das Interesse zu danken, welches er auch dem Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. 677 zweiten Theil dieser unter seiner Leitung ausgeführten Untersuchung entgegengebracht hat. Heidelberg, den 1. Juli 1891. Litteraturverzeichnis. (Folge und Schluss.) 38) H. EısıG, Beiträge zur Entwicklung der Geschlechtsorgane von Lymnaeus. Zeitschrift fiir wiss. Zoologie. Vol. XX. 1869. 39) M. BAUDELOT, L’appareil générateur des Mollusques gastéropodes. Ann. sc. nat. zool. 4. Ser. XIX. 1863. 40) H. v. IHErınG, Vergleichende Anatomie des Nervensystems und die Phy- logenie der Mollusken. W. Engelmann. Leipzig 1877. 41) J. BROCK, Untersuchungen über die interstitielle Bindesubstanz bei den Mollusken. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XXXIX. 1883. 42) H. Rouzaup, Recherches sur le développement des organes génitaux de quelques gastéropodes hermaphrodites. These. Montpellier 1885. . Brock, Die Entwicklung des Geschlechtsapparates der stylommatophoren Pulmonaten. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XLIV. 1886. . L. Bouvier, Systéme nerveux morphologie générale et classification des Gastéropodes prosobranches. These. Paris 1887. . Srmroru, Über die Genitalentwicklung der Pulmonaten etc. Zeitschrift fiir wiss. Zoologie. Bd. XLV. 1887. 46) P. und F. Sarasin, Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen auf Ceylon. Aus der Entwicklungsgeschichte der Helix Waltonii. 1885. 47) P. ScHieMEnz, Die Entwicklung der Genitalorgane ‘bei den Gasteropoden. Biologisches Centralblatt. Bd. VII. 1888. 48) J. Klotz, Beitrag zur Entwicklungsgeschichte u. Anatomie des Geschlechts- apparates von Lymnaeus. Jenaische Zeitschrift. Bd. XXIII. 1888. 49) P. Fischer et E. L. BoUVIER, Sur lorganisation des Gastéropodes proso- branches sénéstres. Comptes rendus Acad. sc. Paris. T. CX. No. 8. 1890. 50) F. Scumipr, Die Entwicklung des Centralnervensystems der Pulmonaten. Sitzber. der Dorpater naturf. Ges. 1890. 26. April. 51) F. BERNARD, Recherches sur les organes"palléaux des Gastéropodes proso- branches. These. Paris. Ann. sc. nat. zool. 1890. 52) Annin P. HencHMAN, The origin and development of the central nervous system in Limax Maximus. > > Cy — a) oo > 678 R. v. Erlanger Erklärung der Abbildungen. Tafel XXXII—XXXIII. Folgende Bezeichnungen gelten durchweg für alle Figuren. a After, au Auge, ao Aorta, aoa A. anterior, aop A. posterior. b Buccalganglien. ce Cerebralganglien, co Konnektiy. d Speicheldrüsen, de Deckel, dr Drüsen des Mantelrandes. ew Eiweißdrüse, ect Ektoderm. f Fühler, F Fuß, fa Falte. g Geschlechtsdrüse, gl Glaskörper, gg Geschlechtsgang. gr Gruben des SPENGEL’schen Organs. h fingerförmige Ausstülpungen des rechten Mantelrandes. 7 Darm, j Schalenknopf. Ka Herzkammer, Kar Kiemenarterie. Ki Kieme, Kv Kiemenvene, Z Linse, Z Leber. m Mund, Ma Magen, Mn Mantelwulst, Mf Mantelfalz, Mh Mantelhöhle. n Niere, ne Nerv. ov Ovar, Od Oviduct, Oe Ösophagus. ot Gehörorgan. p Penis. Pe Herzbeutel. q Plasmazellen = Nuchalzellen. rs Reeeptaculum seminis, rd Radulasack. supr Supraintestinalganglion, swb Subintestinalganglion, Sp Box’ sb Organ, Sch Schalendrüse, S¢ Sinus, Sta Rumpfsinus, Sip Eingeweide- sinus. T Hoden. U Uterus, Ur Ureter, Us Ursinus, Un Urniere, Ud Urdarm, U% Urin- kam mer. v Velum, V Vagina, Vs Vesicula seminalis, Vd Vas deferens, Vo Vorhof Vo Venenwurzel. W Visceralganglion. Wu Wulst des SPENGEL’schen Organs. x Einmündung der Niere in den Herzbeutel. Um das Alter der Embryonen, durch welche die abgebildeten Schnitte gelegt sind, zu bestimmen, wird jedes Mal auf die im ersten Theile in toto abgebildeten Embryonen verwiesen. Die Umrisse sämmtlicher Figuren sind mit dem Aspr’schen Zeichenapparat entworfen. Die Vergrößerung ist bei jeder Figur angegeben. Zur Entwicklung von Paludina vivipara. I. 679 Sämmtliche Schnitte sind so abgebildet, dass man auf die vordere Schnitt- fläche sieht, indem die Schnitte, von der Mundgegend anfangend, allmählich nach hinten fortschreitend, geführt wurden. Was in der Figur rechts liegt, ist auch beim Embryo rechts, links, links. Benutzt wurden die ZEıss’schen Apochromate. Brennweite: 16—8—4 und 2 mm mit den Kompensationsocularen 4—6—8—12. Tafel XXXII. Fig. 1. Querschnitt durch die Schalendriisengegend eines noch sehr jungen Embryo (etwas älter als der auf Taf. XX Fig. 9 I. Theil). Vergr. 200. Fig. 2. Querschnitt durch die vordere Gegend eines etwas älteren Embryo (etwa wie Fig. 1 Taf. XXI I. Theil). Vergr. 100. Die Cerebralganglien sind getroffen. Fig. 3. Querschnitt durch die vordere Gegend eines Embryo (etwa wie Fig. 2 Taf. XXI I. Theil). Vergr. 100. Die Pedalganglien sind getroffen. Fig. 4. Querschnitt (obere Hälfte) durch das vordere Ende eines Embryo (etwas älter als der vorhergehende). Das linke Pallialganglion ist ge- troffen. Vergr. 100. Fig. 5. Quersehnitt durch den Rumpf (etwa wie Fig. 3 Taf. XXI I. Theil). : Vergr. 100. Das Supra- und das Subintestinalganglion sind getroffen. Fig. 6. Querschnitt durch das Auge eines Embryo (entspricht Fig. 9 auf Taf. XXIIj. Vergr. 200, Fig. 7. Querschnitt durch die vordere Gegend eines Embryo (etwa gerade so alt wie Fig. 5). Vergr. 100. Die Buccalganglien sind getroffen. Fig. 8. Querschnitt durch die hintere Gegend eines Embryo (etwa wie Fig. 1 Taf. XXII I. Theil). Vergr. 100. Das Visceralganglion ist getroffen. Fig. 9. Ein ganzer Embryo von der linken Seite gesehen. Vergr. 50. Über- sichtsbild. Fig. 10. Querschnitt durch das sich vom Ektoderm ablösende Pedalganglion. Homog. Immersion apochrom. 2 mm Brennweite. ZEISS. Fig. 11. Querschnitt durch die Rumpfgegend eines Embryo (etwa wie Fig. 1 Taf. XXII I. Theil). Vergr. 100. Die Palliovisceralkonnektive sind getroffen. Fig. 12. Querschnitt durch die Augenanlage. Vergr. 200 (etwa wie Fig. 1 Taf. XXI I. Theil). Fig. 13. Querschnitt durch den Kopf eines Embryo (etwa wie Fig. 9 Taf. XXXII). Vergr. 100. Das rechte Auge ist getroffen. Fig. 14. Querschnitt durch die mittlere Gegend eines Embryo. Vergr. 100 (etwa wie Fig. 2 Taf. XXII I. Theil). Das SpenGer'sche Organ ist getroffen. Tafel X XXIII. Fig. 1. Querschnitt durch das Spenger’sche Organ eines etwa 3 mm langen Embryo. Vergr. 200. Fig. 2. Querschnitt durch die Herzgegend eines 2,5 mm langen Embryo. Vergr. 100. Fig. 3. Querschnitt dicht hinter dem Kopf. Liinge des Embryo etwa 2 mm. Vergr. 100. 680 Fig. 4 Fig. 4 Fig. 5 Fig. 6 Pe. ot Fig. 8 Fig. 9 Fig. 10 Fig. 11 Fig. 12 R. v. Erlanger, Zur Entwicklung von Paludina vivipara. II. Querschnitt durch die vordere Rumpfgegend. Länge des Embryo 3 mm. Vergr. 50. a. Querschnitt durch das Vas deferens. Vergr. 400. Derselbe Embryo. Querschnitt durch das Hinterende eines Embryo (etwa Fig. 1 Taf. XXII I. Theil). Vergr. 100. Querschnitt durch den Vordertheil des beschalten Hinterendes eines Embryo von 2,8 mm Länge. Zur Bildung des Vas deferens. Vergr. 40. . Das sich einstiilpende Vas deferens. Vergr. 40. Aus derselben Serie wie Fig. 6. Theil eines horizontalen Schnittes durch Herzbeutel und Kiemenhöhle eines Embryo (etwa Fig. 1 Taf. XXII I. Theil). Vergr. 100. Theil eines sagittalen Schnittes durch Herzbeutel und Kiemenhöhle eines Embryo (wenig älter als der vorhergehende). Vergr. 200. Theil eines sagittalen Schnittes durch einen Embryo, welcher etwas jünger als der in Fig. 9 auf Taf. XXXII abgebildete ist. Die Ge- schlechtsdrüse und der primäre Geschlechtsgang sind getroffen. Querschnitt durch den vorderen Theil des beschalten Hinterendes. Länge des Embryo 3,4 mm. Vergr. 30. Querschnitt durch die Spindelgegend eines reifen weiblichen Embryo. Vergr. 200. _ 4 a4 4 4 m? ee u | VPN ET RE Morpholog. Jahrbuch. Bd XVU. Taf XNNI. i i Mw Supe: Rw Erlanger ad rat. del. ental a Dee Tak Reser iibracr A Winder Parkaren Morpholog. Jahrbuch. Ba. XV. i Taf! XXX. Verlag v WIR Engelmann Linzig T DER Anse v Werner Minen Frank fare Besprechung. - Grundriss der Entwicklungsgeschichte der Haussäugethiere. Von Prof. R. Bonner in Gießen. Mit 201 Abbildungen im Text. 8. Verlag von Paul Parey in Berlin. 1891. (282 S.) M. 8.— In dem uns vorliegenden Buche werden zum ersten Male die entwick- lungsgeschichtlichen Vorgänge bei Säugethieren zum Gegenstande einer zu- sammenfassenden selbständigen Darstellung gemacht an der Hand eigener Be- obachtungen und mit Benutzung der neuesten einschlägigen Litteratur. In anderen Lehrbüchern der Entwicklungsgeschichte, die alle mehr oder weniger den Menschen zum Centrum der Schilderung haben, finden wir nicht nur die Säugethiere, sondern meist auch die übrigen Wirbelthierklassen und selbst die Wirbellosen zur Ergänzung der vielfachen Lücken unseres Wissens in die Betrachtung hereingezogen. Der darin begründeten Gefahr, vielfach Geschildertes zu wiederholen, begegnet Bonner in geschickter Weise. Die, Schilderungen der Entwicklungsvorgänge bei Säugethieren, die wir in anderen Lehrbüchern nur als nebenbei erwähnte Thatsachen finden, sind hier als Haupt- gegenstand in viel mehr abgerundeter Form und trotz der Knappheit der Dar- stellung ausführlicher gegeben. Eine wesentliche Bereicherung unseres Wissens ist durch die Behandlung der Hufthiere geboten, über welche genauere Angaben seither nicht vorlagen. Wir sehen den Stoff in drei Hauptstücke eingetheilt. Der erste Theil: »Die Entwicklung der Leibesform«, enthält die gesammten ersten Entwicklungs- vorgänge: die Reifung der Eizelle, der Samenzelle, Befruchtung, Furchung und Bildung der Keimblase. Bei der Behandlung der hierher gehörigen Fragen wird naturgemäß auf die allgemeinen Bildungsprincipien eingegangen. Die Bildung der beiden primären Keimblätter schildert Bonner in der Weise, dass der den Embryonalfleck bildende Furchungszellenrest sich in zwei über einander liegende Platten spaltet, während der primäre Ektoblast (die RaAußger'sche Schicht) nicht den Werth eines Keimblattes besitzt, und später verschwindet. Das mittlere Keimblatt wird als sekundäres Produkt der beiden primären Keimblätter nur in topographischem Sinne als Einheit betrachtet. Bonner unterscheidet an ihm zwei Theile: 1) den epithelialen Primitivstreifen und seinen Kopffortsatz, 2) ein zwischen den beiden primären Keimblättern wu- cherndes, als Stütz- und Füllgewebe funktionirendes Übergangsgewebe, das als Mesenchym bezeichnet wird. Es erscheint mir hier die Rapr’sche Ein- theilung in gastrales und peristomales Mesoderm zweckmäßiger, wobei unter Morpholog. Jahrbuch, 17. 44 682 Besprechung. letzterem der seitlich von der Primitivrinne aus sich bildende Theil des Meso- derms gemeint ist, Es wird dabei wenigstens der ominöse Ausdruck: »Mesen- chym« vermieden. BONNET versteht unter Mesenchym etwas ganz Anderes als HErTwıG. Nach Letzterem bildet sich jenes Gewebe bei mesoblastischen Eiern zuerst außerhalb der embryonalen Körperanlage im Fruchthof und stellt die Keimstätte des gesammten Bindegewebes und Blutes dar. Es wandert von hier aus erst sekundär in die embryonale Körperanlage hinein. Die innerhalb der letzteren selbst entstehenden Theile des Mesoderms, die Urwirbei und Parietal- platten, haben mit Mesenchym nichts zu thun, sie liefern kein Blut und kein Bindegewebe. Dass diese Auffassung unhaltbar ist, haben die wichtigen Unter- suchungen Rapr’s gelehrt. Ich weise hier nur auf die Bildung des axialen Bindegewebes aus dem Sclerotomdivertikel hin. Bonner begreift aber nun unter der Bezeichnung Mesenchym auch die Urwirbel und die Parietalplatten. Es bildet sich also auch z. B. die ganze quer gestreifte Kérpermuskulatur aus dem Mesenchym, und eben so sind das Blut und die lymphatischen Organe mesen- chymatöser Herkunft. Den Begriff Mesenchym so zu verschieben, erscheint nicht zweckmäßig. Besser wäre es, da nun einmal Theile, die man früher als Mesenchym zusammenfasste, neuerdings erwiesenermaßen nicht so einheitlich entstehen, wie früher angenommen wurde, auch die Bezeichnung Mesenchym ganz fallen zu lassen. — Weiterhin werden im ersten Hauptstück des Buches die Bildung der ‘ bilateral-symmetrischen Körperanlage, die Entstehung der Chorda dorsalis, der Ursegmente und des Cöloms geschildert, ferner wird die Abhebung des Em- bryo vom Dottersack und die erste Anlage der Organsysteme behandelt. Es folgt dann noch die Besprechung der Bildung des Kopfes, des Schwanztheiles vom Embryo und der Anlage der Extremitäten; auch die erste Bildung des Amnion und der Allantois wird hier besprochen. Das zweite Hauptstück: Entwicklung der Organe und Systeme, bildet den umfangreichsten Theil des Buches. Es ist hervorzuheben, dass Verf. sich nicht auf die Schilderung der ersten Organanlagen beschränkt, sondern auch deren fortschreitende Weiterentwicklung in verständlicher Weise bespricht. Es werden die drei Keimblätter der Eintheilung zu Grunde gelegt. Unter den Derivaten des Ektoderms nimmt das Nervensystem naturgemäß eine hervor- ragende Stelle ein. Verf. vertritt dabei vollkommen die Hıs’sche Auffassung vom Auswachsen der Nervenfasern. Dass in der Anlage des Centralorgans zweierlei Elemente sich differenziren, die Spongioblasten und Neuroblasten, ist verständlich. Aber anzunehmen, dass die Fasern von den Neuroblasten durch Auswachsen entstehen, ist durch keine Beobachtung bewiesen. Die Dinge wurden stets an Schnitten untersucht, und an jedem Schnitt sind selbst- verständlich die Fortsätze von Zellen stets abgeschnitten. Man kann somit nach Schnitten niemals die Länge und den Verlauf von Zellfortsätzen bestim- men. Auch der Einwand, dass ein Stadium bekannt ist, in welchem die Zellen noch keine Fortsätze besitzen, ist unberechtigt, in so fern wir höchstens sagen können, dass wir die Fortsätze noch nicht erkennen, womit nicht gesagt ist, dass sie nicht existiren, In diesem Abschnitte werden ferner die Differenzirungsvorgänge am epi- thelialen Theil des Integuments und der Sinnesorgane in übersichtlicher Weise geschildert. Unter den Organen des Entoderms sind die Entwicklungsvorgänge des Darmkanales mit seinen Adnexis behandelt, und dabei wird auf die inter- Besprechung. 683 essanten Vorgänge der komplieirten Umlagerungen der Darmschlingen, die Differenzirung des Magens und des Grimmdarmlabyrinthes genauer eingegangen. Unter den Organen und Systemen des Mesoblasts werden das Herz mit dem Gefäßsystem, Skelet, Muskulatur und Urogenitalsystem abgehandelt. Im dritten Hauptstück werden endlich die Eihüllen behandelt. Nach deren Be- sprechung im Allgemeinen werden die Indeciduaten und Deciduaten gesondert betrachtet. Von ersteren wird das Pferd, dann die Wiederkäuer und das Schwein erörtert; von Deciduaten Katze und Hund als Vertreter der Carnivoren, das Kaninchen als Vertreter der Nager geschildert. Den Schluss bildet eine Besprechung des embryonalen Kreislaufes, sowie der Vorgänge bei der Geburt. Es wird allenthalben auf pathologische Vorgänge hingewiesen, ferner ist ‘ der Text durch zahlreiche, z. Th. Originalfiguren in sehr lehrreicher Weise er- läutert. Nicht nur der Studirende der Medicin und Thierarzneikunde wird in dem Buche ein willkommenes Belehrungsmittel finden, dessen Werth vor Allem in der streng wissenschaftlichen Behandlung des Gegenstandes beruht, sondern auch der Fachmann wird sich gern seiner bedienen, da sich viele Daten in übersichtlicher Form zusammengestellt finden, wie dies sonst in keinem der- artigen Lehrbuch geboten ist. Heidelberg, im Juni 1891. Dr. F. Maurer. a a sont ti 7 ee groan ws Seah com hiv ee x 2 Bela EN Ri har ee { a Sak Bst BER nats RENTE Haz ? tah ii 1 Fer Ritson c Date Seah Po tee van tie’ +E: ae In" ' re aa , i) FR I U ERBEN Ka wey. = +. auor Lou WER batt AS ve Jedi De. SR ar Ac ATS “Win PATOL AR ages rie ei ore Ä -.i A ue Sg NE aR ER A: + a: % | | Kae a WE ares 5) MOORES oe ie A Druck von Breitkopf & Hartel in Leipzig. I Ayah NE ö en a: u ur ET et Tbe in Fu pyr k i 4 Mor pholos ith | Ui 4 SEP 1 0276 : +8 860° ul