Yes Zar! ' . . 3 ‘ rue ACH a: > Yen mereheee nn“ ER MRT TEN ; ; i . ste BED SR tae ee Oe ‘ ‘ : : ar . N tee wet “. £ vun : cans : Le ee ' wureriset un . pres \ A j 4 : TEN TER . . .. B a , a + we Fe ewe” 4 ; = Fi oe . - ae ae 7 P . us‘ Fos 4 ° oS bart “ : 4 a 2 ; ‘ . ly Br and te \ ove 7 Ze ae . $ fo Rie west ur . £ F ms , N . B Ferrera padte ‘ ’ . we . sah . , a . A \ ee ' Dr: ore ; ‘ , : 2. N peak , BAR Oo 1-45 Shıgep a hemiaer del . BERSCHEN EN, oe BO erie . R . 2 | TE ER 7 Eee 2 : 5 ie 1 : " - ide dena erie aie peal eae i j . . ; 5 \ : CEE RR PETE baw inert tee ee wet ee ‘ ‘ R ; bese 5 aalhiga RER AE ITT * r Sed rie eee Cee ee SE TEE ee Da eee Oe ee eee Peers RI ’ eh Br A Re . i » , im, | 1er i j Is ah ; A 57 dard ee d . . x ‘ 5 „Bien it w7 one, 1 ” “6 dem Oy Du thre ayıha ia \ $ 2 oo. Fe EEE ee eee ei : : N > 4 ee yep hee fF kee oak Baber ved ot aoe , UEERERE $ “ ala f ve. in} +. Ei 4 RT 2 a FOR THE PEOPLE FOR EDVCATION FOR SCIENCE LIBRARY OF THE AMERICAN MUSEUM OF NATURAL HISTORY i ¥ aX ve) a " BE RUE he 2 Ba 8 a) Tl 5 7 ’ L ft \ ar MORPHOLOGISCHES JAHRBUCH. ee eae 7 9 EINE ZEITSCHRIFT ANATOMIE UND ENTWICKELUNGSGESCHIGHIE, HERAUSGEGEBEN VON CARL GEGENBAUR, PROFESSOR IN HEIDELBERG, ERSTER BAND. MIT 27 LITHOGRAPHIRTEN TAFELN UND 4 HOLZSCHNITTEN. LEIPZIG, VERLAG VON WILHELM ENGELMANN. 1876. ic EAU eA ae 2 wa ty pale BR 3 i So ws LP ay x: # ERS 3 es hale a ere GOREN Inhalt des ersten Bandes. Erstes Heft. Die Stellung und Bedeutung der Morphologie. Von C. Gegenbaur . Ueber Podophrya gemmipara nebst Bemerkungen zum Bau und zur syste- matischen Stellung der Acineten. Von Dr. Rich. Hertwig. (Mit PW eitemen NUL 2 PR EEE ne PUT BEREIT ER Ueber die Entwickelung der Wirbelsäule und das Centrale carpi des Men- schen. Von Dr. Emil Rosenberg. (Mit Taf. III—V.) Zweites Heft. Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). Von Dr. B. Solger. (Mit Fig. 1 u. 2 auf Taf. VI u. 4 Holzschnitten) . Ueber zwei im Bereiche des Visceralskelets von Chimaera monstrosa vor- kommende noch unbeschriebene Knorpelstückchen. Von Dr. B. Solger. (Mit Fig. 3 auf Taf. VI). Ueber die Schleimdrüse oder den Endostyl der Tunicaten. Von Hermann Fol. (Mit Taf. VIL). Ucber den Musculus omohyoideus und seine Schlüsselbeinverbindung. Von C. Gegenbaur. Zur genaueren Kenntniss der Zitzen der Säugethiere. Von C. Gegenbaur. (Mit Taf. VIII.) . Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. Von Dr. ©. Hasse. (Mit Taf. IX.) Einige Bemerkungen zu Götte’s »Entwickelungsgeschichte der Unke als Grundlage einer vergleichenden Morphologie der Wirbelthiere«. Von C. Gegenbaur. 199 233 IV Drittes Heft. Seite Beitriige zur Kenntniss der Bildung, Befruchtung und Theilung des thie- rischen Eies. Von Dr. O. Hertwig. (Mit Taf. X—XIII.) ..... . 347 Die sechste Zehe der Anuren. Von Dr. G. Born. (Mit Taf. XIV.) . . . . 435 Ueber die äussere Seitenwand der Augenhöhle bei den amerikanischen Aten. Von Dr: 'G..Joseph. (Mit Taf. XV)...» ar EEE Beiträge zur Kenntniss der Nasenwandung, und besonders der Nasenmuscheln der Reptilien. Von Dr. B. Solger. (Mit Taf, XVI.) .... . ze Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus mit besonderer Berücksichtigung des Aquaeducius vestibuli der Ascalaboten im Allge- meinen. Zugleich als zweiter Beitrag zur Inselfauna des Mittelmeeres. Von Dr. R. Wiedersheim. (Mit Taf. XVI—XIX.) . .. ... . 2 495 Viertes Heft. Untersuchungen über Morphologie, Zeugung und Entwickelung der Proto- zoen. Von Dr. B. Gabriel. (Mit Taf. XX.) . 535 Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. Von Th. W. Engel- mtn n;,/(Mit; Mats XX) us RM) ote el adie ir ansiatae ee eee Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. Von Max Fürbringer. (Mit ‘Taf. XXIUZXXVIL) 17.0.0, a ns: A a ee Die Stellung und Bedeutung der Morphologie. Von C. Gegenbaur. Im Leben der Wissenschaft sind Wandelungen und Umgestal- tungen nicht minder erkennbar wie im Leben eines einzelnen Orga- nismus, und Niemand wird ihre naturgemiisse Nothwendigkeit in Abrede stellen. Diese Wandelungen sind zwar meist stetig, aber sie erfolgen bald rascher, bald langsamer, nicht immer in gleichem Rhythmus. Zuweilen ringen Decennien nach einem Umschwung, der sich dann in wenigen Jahren vollzieht. Aus der Vorstellung vom Leben der Wissenschaft ergibt sich die Art der Veränderung als eine keineswegs nur quantitative. Selbst wenn man dieselbe in einem blossen äusseren Zuwachse von Erfahrungen sehen wollte, wird dabei doch eine Einwirkung auf das bereits Erworbene nicht zu verkennen sein, denn die Ausdeh- nung “jedes Umfanges wirkt nothwendig auf die Qualität. Jede neue geistige Strömung führt aber nicht blos neue Probleme herbei, setzt nicht blos neue Erfahrungen an, sie dringt auch ins innerste Gefüge, hier auflösend, dort umgestaltend, aus dem alten Stoffe neue Combinationen hervorbildend. Eine Wissenschaft ändert ihren Weg durch neue Forschungsmethoden zu neuen, oft plötzlich sich zeigenden Zielen, gesellt sich andern Disciplinen zu, und gewinnt mit ihnen neue Gebiete, dabei frische Impulse empfangend, und mit alledem allmälig Umgestaltungen eingehend. Aus solchen Vorgängen entstand auch die organische Formien- feline odor Morphologie , die Wissenschait vom Zusammenhang der n Forme en nendeeriätel) die in wws.anfänglich von einander ge trennten 5S UPD e544] u der näherten, und sich endlich gegenseitig 5 nen er nane 4 gänzten. Morpholog. J ahrbuch. 1- > C. Gegenbaur Je jünger eine Wissenschaft ist, desto mannigfaltiger pflegt die Art zu sein, in der sie beurtheilt wird. Für Manche bleiben die früheren Standpunete massgebend; Andere überblicken nur einen Theil der Peripherie des neuen Gebildes, das wieder von Anderen in verschiedener Ausdehnung angenommen wird. So gilt Vielen nur die Prüfung des Aeusseren eines Organismus als Morphologie, An- deren ist sie Beschreibung jeglichen Formbefundes, und wieder Anderen tritt sie sogar zur Anatomie im Gegensatze auf. Von der inneren Bedeutung des Wortes kommt bei all diesen Anwendungen so gut wie gar nichts in Betracht. Es mag sich also wohl ziemen, sowohl den Aufbau der Morphologie und ihre Zusammenhänge zu prüfen, als auch damit ihre wissenschaftliche Bedeutung darzuthun. Betrachten wir die in der Morphologie vereinigten einzelnen Disciplinen, so tritt uns vor Allem als Ausgangspunct und älteste Grundlage des Ganzen die Anatomie entgegen. Als Structurlehre des Organismus behandelt sie dessen Znsann ee aus einzelnen Theilen, die für den letzteren Werkzeuge, Organe, sind. Die Zu- sammensetzung eines Organismus reflectirt sich aber in dessen äusserer Erscheinung, welche wiederum nur durch die Kenntniss der inneren Theile verständlich wird. Daher wird auch die Prüfung” des äusseren Verhaltens bis zu einem gewissen Maasse noch im Bereiche jener Structurlehre liegen, ja einen nicht unwesentlichen Bestandtheil derselben ausmachen. Wirkt doch das Einzelne ebenso auf das Verständniss des Ganzen, wie das Ganze auf’s Einzelne. Die Einsicht der Richtigkeit dieser Auffassung mag sich Dem ver- schliessen, der den Begriff der Anatomie exclusiv in der Vorstellung der „Zergliederung“ sucht und nur das durch diese Technik zur Anschauung Gebrachte als anatomisches Object gelten lassen will. Sicher jedoch kommt jene Einsicht da zur Geltung, wo der Orga- nismus wie in so vielen niederen Lebensformen sich vorwiegend nach aussen entfaltet hat, und seine Organe in zahllosen Formver- schiedenheiten an seiner Oberfläche tragend, jene Unterscheidung hinfällig macht. Wird hier die Erkenntniss eines grossen Theiles der Organisation aus der Erforschung des äusseren Verhaltens ge- wonnen, so ist damit zugleich erwiesen, wie jene andere Auffassung der Anatomie als unhaltbar erscheinen muss. Noch deutlicher tritt WIE -saulsmeı : dies beim Herabsteigen zp „den, Zeitweise äussere T Ma, i. vis Treten, oder bei denen, e Theile ins a Wi Er älissere Oboes e one den Spong sien, urspriing: e- ACG sr Z = von Binnen- Die Stellung und Bedeutung der Morphologie. 3 räumen sich umgestalten, so dass ohne die genaue Berücksichtigung dieser Verhiltnisse sogar der ganze Organismus unverstiindlich bleibt. Mag man nun die zur Erkenntniss der Grundformen der Körper leitende Untersic'imiag des äusseren Verhaltens auch nur als einen besonderen, vielleicht sogar untergeordneten Zweig der Anatomie ansehen, immer wird er zu ihr gehören, und von ihr untrennbar sein. Damit löst sich der Begriff der Zergliederung von dem der Structurlehre ab, oder tritt zu ihm in das Verhältniss der Unter- ordnung, das ihm schon von vornherein durch seine Begründung auf die technische Seite der Untersuchung zugewiesen ist. Indem die Anatomie als Structurlehre der Organismen deren Zu- sammensetzung aus Organen, den Formbestandtheilen des Organismus kennen lehrt, ist ihr Verfahren analytisch. Die Ergebnisse der Unter- suchung, das unmittelbare Resultat der Analyse, stellt sie durch Be- schreibung dar. Dieses descriptive Stadium schliesst den ersten Zustand jeder Forschung ab. Das Endziel der Forschung kann aber damit nicht als erreicht betrachtet werden. In manchen Fällen ist es zwar an- scheinend erreicht: wenn nämlich die Aufgabe nur auf Kenntniss der Organisation zu irgend einem praktischen Zwecke gestellt war. In diesem Falle befindet sich die Anatomie des Menschen, deren Aufgaben vorwiegend auf praktischem Felde liegen, wenn sie den menschlichen Organismus mit Beziehung auf andere Disciplinen zu schildern hat. Klar ist aber, dass ein blosses Beschreiben beobach- teter vereinzelter Thatsachen nicht höchstes wissenschaftliches Ziel sein kann. Wie z. B. gäbe es eine Geologie, wenn auch alle ein- zelnen Straten der Erdrinde genau beschrieben wären? Was wäre das für eine Geschichte, die einzig in dem Auffinden der Quellen ihre Aufgabe fände? Was wäre damit gewonnen, wenn die Ana- tomie die Organisation jedes Thieres, jedes Organ nach Gestalt, Struetur, Volum und Gewicht genau beschrieben hätte? Würde da- mit auch nur eine Spur von Verständniss für all die mannigfaltigen Formerscheinungen erworben sein? So führt also dieser Weg der Thatsachen-Aufdeckung und das Beschreiben derselben zu keinem anderen Ziele, als zur Häufung eines unendlichen Materiales, das an sich nicht durch das Urtheil, sondern nur durch das Gedächtniss zu bewältigen ist. Die reine Analyse kann daher nur eine Vorstufe abgeben, der durch sie gewonnene Stoff ist nur das Rohmaterial, aus dem der fernere wissenschaftliche Ausbau zugerichtet wird. So wenig die aus den Thatsachen gebildete feste empirische Grund- lage unterschätzt werden darf, so wenig darf sie auch überschätzt 1* 4 C. Gegenbaur werden, indem man in ihr das ausschliessiche Ziel der Wissen- schaft sieht. Dieses Ziel wird vielmehr durch logische Verknüpfung der rein empirischen Ergebnisse erreicht, und indem die Anatomie sich dieses zur Aufgabe stellt. wird sie zur Wissenschaft. Was dem Historiker die Geschichtsquellen sind, dass müssen dem Anatomen die anatomischen Thatsachen sein, eben so sicher festgestellt, ebenso vollständig, aber auch ebenso nur den Ausgangs- punet zu weiteren Folgerungen bildend. Und dieser auf die Quellen als Grundlagen sich stützende Weiterbau ist das eigentliche Ziel der Forschung. Deshalb müssen alle jene Grundlage abgebenden Ar- beiten auch die Eigenschaften besitzen, durch die sie für jene Zwecke verwerthbar sind. Diese Verwerthbarkeit bietet sich in zahlreichen Abstufungen dar, je nach dem Umfange, in welchem die T'hatsachen festgestellt, und in ihren Beziehungen erläutert wurden. Aus letz- terem ergibt sich unmittelbar die Nothwendigkeit des Weitergreifens, und wir gelangen dabei, Schritt für Schritt, zu dem wissenschaft- lichen Ziele. Aus der anatomischen Prüfung einer Organisation oder eines Organes erwächst durch die Untersuchung ihrer Beziehungen zu anderen zunächst eine Erweiterung des Gesichtskreises durch Auf- nahme neuer Vorstellungskategorien, welche das Object in einem anderen Lichte darstellen, als es für sich betrachtet erschien. Die Anatomie gestaltet sich damit zu dem, was man vergleichende Anatomie zu nennen pflegt, weil sie vergleicht, d. h. Gleichartiges aufsucht, und, an anderen Organisationen das Gleichartige nach- weisend, dieselben in Beziehungen zu einander bringt. Bei der Beurtheilung dieser Diseiplin walten häufig irrige Vor- stellungen ob, durch welche sie bald zu gering, bald zu hoch ge- geschätzt wurde. Ersteres geschicht durch die Scheidung der Ana- tomie nach dem Objecte. Die anatomische Beschäftigung mit Thieren Zootomie, gilt Vielen heute noch als vergleichende Anatomie, die man der Structurlehre des menschlichen Körpers (Anthropotomie) gegenüberzustellen pflegt. Und doch ist bereits Cuvier dieser Auf- fassung entgegengetreten, am praegnantesten damit, dass er die ge- sammte Anatomie des Menschen in seine unsterblichen Vorlesungen aufnahm. Wodurch unterscheidet sich aber die Anatomie eines Wurmes, oder einer Schnecke, oder eines Vogels in anderer Weise von der Anatomie des Menschen, als durch das Objeet der Forschung? Ist die Anatomie Structurlehre der thierischen Organismen (um von der Pflanzenanatomie abzusehen , so liegt die anatomische Unter- Die Stellung und Bedeutung der Morphologie. ' 5 suchung, eines Reptils z. B., ebenso gut im Gebiete der Anatomie, wie die des menschlichen Körpers; aber die Anatomie der Thiere, und seien es ihrer auch noch so viele, ist damit noch lange nicht vergleichende Anatomie. Dies wird sie erst, indem sie sieh von der Beschreibung der Thatsachen zu Schlüssen erhebt. zu welchen letztere die Prämissen bildeten. Da aus dem Objecte keine Grenz- marke gebildet werden kann, so wird jener Standpunct auch inner- halb der menschlichen Anatomie zu gewinnen sein, und nicht wenige Anthropotomen haben jene Postulate erfüllt. Andererseits wird die vergleichende Anatomie wieder zu hoch gestellt, indem man sie als eine ganz besondere Art der Anatomie betrachtet, oder als eine eigenthümliche, mehr durch Intuition sich aufbauende Diseiplin, die von anderen Wissenschaften essentiell verschieden sei. Indem sie die Thatsachen nicht einfach für sich darstellt, sondern dieselben vielmehr in ihren Beziehungen zu anderen anatomischen Thatsachen beurtheilt, und alle diese Beziehungen zu erschöpfen sucht, übt sie an ihren Erfahrungen Kritik und ist nichts anderes als kritische Anatomie. Die Kritik darf nicht auf das Object an sich beschränkt sein, sie sucht die ausserhalb des Objectes befindlichen, auf es be- ziehbaren, neue Verhältnisse an letzterem aufdeckenden Befunde, und indem sie zwischen diesen Verhältnissen einen causalen Zu- sammenhang nachweist, trägt sie zur Erklärung der Erscheinungen bei. Wenn dieses Moment der kritischen Betrachtung zugleich das Merkmal einer Wissenschaft ist, so erscheint sie damit auch als wissenschaftliche Anatomie, gleichviel auf einem wie weiten Umkreis die empirische Grundlage sich ausdehnt. Das Vergleichen gründet sich also wesentlich auf kritisches Ver- fahren, und bildet einen synthetischen Process, indem es die Resul- tate der kritischen Behandlung zusammenfasst. Es ist ebensowenig der nach ihm benannten Diseiplin ausschliesslich eigen, als es bei irgend einem anderen wissenschaftlichen Denkvorgange entbehrt werden kann. Alle unsere Urtheile haben in der Vergleichung eine mehr oder minder breite Basis. Eigenthümlich der vergleichenden Anatomie ist nur die Ausbildung des Vergleichens zur Methode. Diese bietet der Anatomie einen Ersatz für das Experiment. Damit tritt zugleich die Bedeutung der Methode hervor, und die Aufgabe, die- selbe mit grösster Strenge zu handhaben. Dies geschieht durch In- betrachtnahme aller Instanzen und die logische Verwerthung der- selben. Im gegentheiligen Falle wird das Verfahren unkritisch und damit unwissenschaftlich. Ein eclatantes Beispiel solcher unwissen- “ 6 ©. Gegenbaur schaftlichen Vergleichung ist die bekannte Vergleichung des soge- nannten Bauehmarkes wirbelloser Thiere mit dem Riickenmarke der Vertebraten. Sie ignorirt die wichtigsten Instanzen, indem sie nur ganz allgemeine und fiir den besonderen Fall unwesentliche Dinge als ausschlaggebend betrachtet. So den Verlauf des Bauchmarkes meist durgh die Länge des Körpers, und die regelmässige Abgabe von Nerven nach den einzelnen Metameren. Dagegen wird ausser Acht gelassen, dass eben dieses Bauchmark eine ventrale, das Rücken- mark stets eine dorsale Lage hat, und dass das Eine deshalb nimmer- mehr mit dem Andern homolog sein kann, so wenig das Eine aus dem Andern sich hervorbildete. Der versuchte Ausweg, dass eben’ dann der Bauchtheil der mit einem Bauchmarke versehenen Thiere dem Riickentheile der Rückenmarkthiere entspräche, lässt eine fer- nere Instanz unbeachtet, dass nämlich ausser jenem Bauchmarke noch ein anderer, sogar noch wichtigerer Theil des centralen Nerven- systems besteht: die oberen Schlund- oder Gehirnganglien. Sollen diese in Betracht kommen, so könnten sie, eben jener irrthümlichen Deutung gemäss, nur ventrale Theile sein, aber dann ist das Central- nervensystem vieler Würmer z. B. auch nur ein ventrales, denn bei solchen wird das einzige Nervencentrum nur durch obere Schlund- ganglien repräsentirt. Diese sind nun bei allen Wirbellosen die Träger der wichtigsten Sinnesorgane, gerade jener, die wir für Wirbellose nicht nur, sondern auch theilweise für die Wirbelthiere als homologe Gebilde erkennen. Ebenso entstehen diese oberen Ganglien, gerade so wie das gesammte Centralnervensystem (Rücken- mark und Gehirn) der Wirbelthiere aus einem vom Eetoderm sich sondernden Abschnitte (Medullarplatte). Dies alles wird ignorirt. Aber man könnte sagen, dass mit der Behauptung des Bauchmarkes als Rückenmark , jene oberen Schlundganglien noch nicht als dem Gehirn homolog aufgegeben seien, dass sie vielleicht erst ventral- warts gerückt wären, d. h. ursprünglich mit dem als dorsal’ ange- nommenen Bauchmark gleiche Lage gehabt hätten. Das wäre dann freilich zur Kritiklosigkeit noch die gröbste Unkenntniss der That- sachen gehäuft, denn das ist ja gerade sicher, dass die oberen Schlund- ganglien auch dorsal entstehen. So wandelt eine solche unwissen- schaftliche Vergleichung wie in einem Labyrinthe, in dem an den ersten Irrweg nur neue sich anreihen. Der erste Irrweg in diesem Falle war aber das Ausserachtlassen einer Hauptsache: der gegen- seitigen Lagerungs-Beziehung der Organe. Wie der Kritikmangel einerseits wichtige Thatsachen übersieht, so führt er andererseits Die Stellung und Bedeutung der Morphologie. 7 wieder fiir das zu beurtheilende Object gleichgiiltige Dinge in’s Feld. So müssen ein paar abseitsstehende Fische mit ihren Anschwellungen des Rückenmarkes herhalten, um daraus die Uebereinstimmung zwischen Rückenmark und Bauchmark zu begründen! Als ob es auf diese Anschwellungen noch ankäme, wenn schon die Lage des ganzen Organes eine total andere ist! Wenn ein Geologe den Quadersandstein und den Buntsandstein für gleichen Straten ange- hörige Gebilde erklären wollte, weil ihre Flöze ein ähnliches Ge- füge besitzen, und wenn er Alles zwischen beiden Liegende als erst später da hineingedrungen erklären wollte, so würde er keines grösseren Irrthums sich sehuldig machen, als der im obigen Bei- spiele dargelegte ist. Wir sehen an ihm die Abwege, auf welche die Nichtbeachtung der wesentlichsten Verhältnisse führt, und er- kennen dadurch die Wichtigkeit des kritischen Verfahrens. Wie die Ausdehnung der kritischen Behandlung auf alle den Gegenstand der Vergleichung berührenden Verhältnisse die Richtig- keit der Vergleichung siehert, so gibt sie für diese zugleich eine Probe ab, welche durch jede neu herbeigeführte Instanz sich ver- stärkt. Für viele, vielleicht für die meisten Fälle erweist sich der vorhandene anatomische Erfahrungsschatz als nicht ausreichend, um aus ihm die Grundlagen für Vergleichungen zu gewinnen, so dass die Untersuchung auf die Herstellung des zur kritischen Behandlung eines Gegenstandes nöthigen empirischen Materials angewiesen ist. Daraus ergibt sich ein Minderwerth für die blos für sich dargelegten Thatsachen, und zugleich wird dadurch eine verbreitete Meinung zurückgewiesen, dass nämlich durch jenes Sammeln von Erfahrungs- material ein Schatz angehäuft werde, der später (wenn er erst ein- mal vollständig sei!) wissenschaftliche Verwerthung finde. Wo nun gleich von vornherein auf kritische Behandlung verzichtet wird, er- weist sich immer die Darstellung selbst einfacher anatomischer That- sachen so lückenhaft, dass deren Benutzung bei vergleichenden Ar- beiten nur in beschränkter Weise möglich wird. Die Ausdehnung der empirischen Grundlage kann für den Begriff der kritischen oder vergleichenden Anatomie nicht als wesentlich gelten, denn der Grad jener Ausdehnung wird erst durch die Qualität der bezüglichen Probleme bestimmt, die wieder sehr verschieden sich abstufen. So kann es geboten sein, die Untersuchung in dem einen Falle über Repräsentanten aller Abtheilungen des Thierreiches aus- zudehnen, indess in einem anderen Falle die Frage schon innerhalb engerer Grenzen, ja sogar durch die Untersuchung eines und desselben Ss C. Gegenbaur Organismus lösbar ist. Immer aber wird die Bedeutung und ‚die Tragweite des bezüglichen Ergebnisses in geradem Verhältnisse zu der an den Thatsachen geiibten Kritik stehen, mag die bezügliche Aufgabe von grösserem oder von geringerem Umfange sein. Ein sehr einfaches Beispiel kann sowohl zur Darstellung der Verschieden- heit der sogenannten beschreibenden Anatomie von der vergleichen- den oder kritischen. als anch zur Demonstration der Methode der letzteren dienen. Der Mangel beweglicher Rippen ‘in den Hals- wirbeln der Säugethiere lässt diesen Abschnitt der Wirbelsäule von dem folgenden bedeutend verschieden erscheinen, und eine zweite Eigenthümliehkeit gründet sich bekanntlich auf die Durehbohrung der Querfortsätze, die durch ein sogenanntes Foramen transversarium vor den Querfortsätzen aller übrigen Wirbel ausgezeichnet sind. So lehrt es die beschreibende Anatomie. Wir beachten hier vielleicht kaum, dass im ersten angeführten Satze schon ein allgemein ver- gleichendes Urtheil ausgedrückt ist, denn das Fehlen der Rippen an der Halswirbelsäule setzt doch nothwendig das Vorkommen sol- . cher Gebilde an einem anderen Abschnitte voraus, und dadureh ist die Halswirbelsäule unbewusst mit der übrigen Wirbelsäule verglichen worden. Aus dieser Art der Vergleichung ist aber nur eine Verschiedenheit erkannt und eine negative Eigenschaft behauptet worden. Gehen wir in der kritischen Prüfung weiter, so finden wir die Querfortsätze an der Halswirbelsäule, auch abgesehen von jener Durchbrechung, in ganz anderem Verhalten im Vergleiche mit den Querfortsitzen der Brustwirbel. Wir finden, dass eigentlich nur die hintere Spange des Fortsatzes einem Brustwirbel-Querfortsatze ent- spricht. Ziehen wir eine neue Instanz herbei, indem wir einen Blick auf die Verbindung der Rippen mit den Brustwirbeln werfen, so er- gibt sich, dass das vertebrale Ende einer Brust-Rippe fast genau so sich ausnimmt wie die vordere Spange eines Halswirbel-Querfort- satzes, und bei Anfügung an den Wirbel eine Oeffnung von vorn her abschliesst, die sich dem Foramen transversarium eines Hals- wirbels sehr ähnlich zeigt. Erinnern wir uns ferner, dass am letzten Halswirbel die vordere Spange des Querfortsatzes zuweilen fehlt und dann meist durch einen beweglichen Knochen, der sich nur durch geringere Länge von einer Brustrippe unterscheidet, vertreten ist, so haben wir auf diesem Wege einer kritischen Behandlung, wenn sie auch noch lange nicht erschöpfend ist, doch eine Reihe wen Instanzen für ein neues Urtheil Die Stellung und Bedeutung der Morphologic... g gewonnen, welches von dem oben aufgestellten sehr wesentlich ab- weieht. Wir werden dann die Querfortsäfze der Halswirbel nicht einfach als durchbohrt beschreiben, sondern wir werden sie nur mit ihrem hinteren Schenkel als Querfortsätze gelten lassen, und den vorderen Schenkel als eine mit Querfortsatz und Körper ver- schmolzene rudimentäre Rippe ansehen. Diese Auffassung setzt also die Eigenthümlichkeit der Halswirbel in Zusammenhang mit den übrigen Wirbeln, sie deutet das Foramen transversarium, und sie macht das seltene, Vorkommen beweglicher Rippen am letzten Hals- wirbel verständlich: Dinge, die bei der anderen Art der Betrachtung nur als unverstandene, d. h. ausser jedem Zusammenhange stehende Eigenthümlichkeiten erscheinen mussten. Es mag dieses eine, nicht einmal ganz ausgeführte Beispiel an einem allgemein bekannten Objecte zeigen, wie die kritische Me- thode selbst an einem und demselben Organismus zu wissenschaft- lichen Ergebnissen führt. Die Möglichkeit, auch bei Beschränkung der empirischen Grund- lage zu Ergebnissen zu gelangen, bedingt aber keineswegs auch die Nothwendigkeit dieser Beschränkung und das absolut Zureichende derselben, vielmehr wird mit einer Ausdehnung des Bereiches un- serer Erfahrung auch die Erkenntniss wachsen, denn aus jedem neu erworbenen Gebiete fliessen uns neue Vorstellungen zu, welche das vorher Gewonnene theils fester begründen, theils aus- oder um- bilden. ! Der Cardinalpunet dieser Frage liegt in der Auffassungsweise der Organismenwelt. Sieht man in den einzelnen Lebensformen von einander unabhängige Gebilde, jedes für sich entstanden, mit an- deren ohne jeglichen Zusammenhang, so mag es geboten sein, auch jedes für sich zu beurtheilen, und man kann in Abrede stellen, dass die Erkenntniss der Organisation des einen auf die Beurtheilung des anderen Einfluss habe. Ob es gerechtfertigt sei, sich gegen die zahllosen, eine Solidarität der Organismenwelt beurkundenden, fast mit jedem Tage sich mehrenden Thatsachen zu verschliessen, soll hier nicht erörtert werden. Das Maass von Verständniss hierfür hängt nieht blos von der Summe der dem Einzelnen zu Gebote stehenden Erfahrungen auf jenem Gebiete ab, sondern auch von dem Grade kritischen Urtheils, welches jene Erfahrungen wissenschaft- lich bewältigt. Das aber ist zu behaupten, dass aus einer Aner- kennung jener Thatsachen, wie sie der Descendenzlehre zu Grunde liegen, auch die Nothwendigkeit einer Ausdehnung der anatomischen 10 C. Gegenbaur Forschung auf gréssere Reihen zwingend hervorgeht, sobald die Ge- winnung einer tieferen Einsicht in einen Organisationszustand Auf- gabe wird. Aus der besonderen Beschaffenheit der Aufgabe ergibt sich das Maass jener Ausdehnung. Für einzelne Fälle reicht die Umsehau innerhalb eines engeren Kreises aus, für andere wieder wird das Uebergreifen auf grosse Abtheilungen nöthig. Sicherlich wird aber die Erkenntniss am vollständigsten, sobald das Ganze geistig beherrscht ist. So mag zur ersten Orientirung in einer Gegend das Wandern im Thale genügen, verlangt es uns nach einem Einblieke in die Gliederung benachbarter Höhen, so muss wohl ein Berg bestiegen werden, soll uns aber das Gesammtbild der Landschaft sich erschliessen, so wird der höchste Gipfel zu erklimmen sein. Wie hier jedes Vorwärtsschreiten neue Anblicke eröffnet, und mit der Erweiterung des Gesichtskreises manche von einem tieferen Standpuncte aus gewonnene Vorstellung ändert, oder eine richtigere, genauere an jener Stelle bringt, so führt uns für das Verständniss einer Organisation jede aus neuen Erfahrungen anderer verwandter Organisationen erlangte Kenntniss zu neuen Gesichtspuncten und er- öffnet dem Urtheile neue Ideenkreise. Haben wir an dem oben erwähnten Beispiele von den Halsrippen des Menschen gesehen, wie schon aus der Vergleichung an dem- selben Organismus für die fraglichen Theile der Querfortsätze eine neue Vorstellung erwuchs, so wird diese Vorstellung in ganz an- derer Weise präeisirt durch eine Verknüpfung jener Thatsachen mit anderen von niederen Wirbelthieren. Schon bei den Reptilien sehen wir am Halstheile der Wirbelsäule bewegliche Rippen, von denen bei den Vögeln aber nur eine Anzahl frei bleibt, die hinteren, in- dess die vorderen, ähnlich wie bei den Säugethieren, mit den Wir- beln verschmelzen. Wir lernen also dadurch Zustände kennen, welche minder verändert sind als beim Menschen und den übrigen Säugethieren, und wenn wir noch tiefer, zu den Fischen herab- steigen, so finden wir den vorderen Abschnitt der Wirbelsäule von der folgenden Strecke kaum verschieden, d. h. den Hals- wie den übrigen Rumpfabschnitt mit gleichmässig ausgebildeten Rippen ver- sehen. Nehmen wir nun an, was uns vielfache Einrichtungen lehren, dass in der Vorfahrenreihe der Säugethiere fischiihnlich organisirte Formen existiren mussten, und erwägen wir, wie in der aufwärts gehen- den Stufenreihe bei allmäliger Differenzirung des Axenskeletes mit Riickbildung der Rippen des vorderen Abschnittes der Wirbelsäule ein Halstheil der letzteren ‘zu Gunsten freierer Beweglichkeit des Die Stellung und Bedeutung der Morphologie. 11 Kopfes) sich aushildete, so werden wir jene Rippenrudimente der Säugethiere von ursprünglich ausgebildeten Rippen ableiten können. Die Auffassung derselben ist somit eine ganz andere als vordem. Hatten wir sie da nur im Zusammenhalte mit den Brustrippen als rückgebildete Theile gedeutet, so war diese Deutung fast mehr eine symbolische zu nennen, denn welche Gründe bestanden, einen ur- sprünglichen Zustand der Ausbildung jener Theile vorauszusetzen ? Es kann aber eine Rückbildung nur an einem einmal ausgebildeten Theile auftreten. Daher gelangt erst jetzt jene Bezeichnung in ihr Recht, erst dann, nachdem wir uns auf einen Zustand der Ausbil- ‘dung berufen können, ist die Riickbildung begründbar. Fragen wir nach dem causalen Zusammenhange dieser Erscheinung, so gibt auch darauf die kritische Prüfung Antwort, indem sie uns auf Ver- änderungen der Gesammtorganisation hinweist, von welchen sich die Ausbildung eines Halstheiles der Wirbelsäule ableitet. So liesse sich in unzähligen Beispielen an allen Organen nachweisen. wie ein wahrer Fortschritt in der anatomischen Erkenntniss nur auf dem Boden der Vergleichung zu erzielen ist, indem durch dieselbe die bezüg- liche Einriehtung in der Beziehung erkannt wird, die ihr unter den übrigen Organisationen zukommt. Dasselbe kritische Verfahren, welches oben für die wissenschaft- liche Behandlung der Anatomie als nothwendig vorausgesetzt ward, lässt die Beurtheilung der Structur eines Organismus nicht bei dem etwa nur durch das blosse Auge Erkennbaren bewenden, sondern sucht vielmehr ebenso in die feinere Zusammensetzung einzudringen. Zu der Frage nach der Structur der Organe gesellt sich daher jene nach der Textur derselben, die Frage nach dem Aufbau der Organe aus Geweben. Die kleinsten Formbestandtheile des Orga- nismus sind ebenso wichtiges Objeet der anatomischen Forschung. wie die aus ihnen zusammengesetzten Organe. Diese die feineren. weil kleineren Theile des Organismus prüfende Forschung dat man zuweilen als „höhere Anatomie“, in der Regel auch etwas beschei- dener als „mikroskopische Anatomie“ der sogenannten „groben Ana- tomie“ entgegenzustellen beliebt, als ob hier höhere Potenzen geistiger Thätigkeit in Verwendung kämen, oder als ob das technische Hülfsmittel für das rein empirische Wahrnehmen ein Motiv zu einer Scheidung besonderer „Wissenschaften“ abgeben könne. Wie wenig dieser mikroskopischen Anatomie als selbstständiger Disciplin eine Berechtigung zukommt, lehrt die einfache Thatsache, dass wir dasselbe, was grössere Organismen unserem unbewaffneten 12 ©. Gegenbaur Auge erkennen lassen, an kleineren mit Hilfe des Mikroskops zu bestimmen versuchen. Die anatomische Untersuchung verschieden grosser Species einer und derselben Gattung, ja sogar einer und der- selben Species in verschiedenen Entwickelungsstadien müsste so zwei verschiedenen Wissenschaften, oder doch zwei ganz verschiedenen Zweigen einer Wissenschaft zufallen, und es dürfte dann schwer sein, die Grenze zu bestimmen, wenn die Untersuchung weder mit dem unbewaffneten Auge noch mit dem Mikroskope, sondern etwa mit Hülfe der Loupe ausgeführt wird! Die vielfach mit „mikroskopischer Anatomie für identisch ge- haltene „Gewebelehre“ tritt dagegen, insofern sie von Formelementen ihren Ausgang nimmt, als ein selbstständiger ausgebildeter Zweig der Anatomie auf, der durch sein Object eine bestimmtere Abgrenzung, durch seine Aufgaben eine eigenthümliche Richtung empfing. Wie sich dadurch auch die Histologie mit anderen Diseiplinen verknüpfen mag, immer bleibt sie auf einer ihrer Seiten der Anatomie unmittel- bar zugewandt, und die Textur der Organe, d. h. die Structur ihrer Gewebe, stellt sich für die anatomische Organerforschung als nicht minder wichtige -Aufgabe dar. In vielen Fällen, so bei der Untersuchung niederster Organismen, fällt sie mit der Anatomie so- gar vollständig zusammen, da nämlich, wo der gesammte Körper nur aus wenigen Formelementen, oder sogar nur aus einer einzigen Zelle besteht. Die Anatomie hat demgemäss eine Schranke weder im Object noch im technischen Hülfsmittel der Untersuchung zu erkennen. Sie zergliedert mit dem Messer, wo das Volum der Theile es gestattet, bedient sich vergrössernder Apparate unter Anwendung mannig- facher Methoden einer ausgebildeten Technik, wo die Kleinheit des Objeetes jenseits der Grenze der Sehkraft des unbewaffneten Auges liegt, und dringt mit jenen Mitteln bis zu den kleinsten Form- elementen des thierischen Kérpers, den Zellen und ihren Derivaten vor. So schafft sie sich aus methodisch erworbenen Erfahrungen die Grundlagen, auf denen sich ihr wissenschaftlicher Bau erhebt. Die Anatomie erschöpft nur einen Theil des in den Organisa- tionsverhältnissen liegenden Erfahrungsschatzes. Jener, der dureh die vorübergehenden Organisationsbefunde der Organismen während ihrer Entwiekelung geboten ist, bleibt für die Morphologie noch zu heben. Dies geschieht durch die Entwiekelungsgeschichte. Der innige Connex der Ontogenie mit der Anatomie ist jedem ver- ständlich, der weiss, wie das Gewordene sich aus dem Werdenden Die Stellung und Bedeutung der Morphologie. 13 erkliiren liisst, weil da die einfacheren, auch in ihren causalen Mo- menten durchsichtigeren Zustiinde liegen, die durch ihren Zusammen- hang mit anderen Organisationen verständlich sind. Mit Recht sucht daher die Anatomie überall die genetischen Beziehungen auf, und bedient sich sowohl bei Forschung wie bei Darstellung vielfach der genetischen Methode. Aber gerade hier wird recht ersichtlich, wie die Anatomie in der oben gegebenen Auffassung der engeren gegen- über einen bedeutenden Vorsprung abgewinnt. Was vermag man z. B. bei blosser Kenntniss der Organisation des Menschen mit jenen Befunden zu beginnen, welche in den einzelnen Stadien der Onto- genie des Menschen durchlaufen werden? Ist auch der ausgebil- dete Organismus aus seinen mannigfaltigen niederen Stadien ana- tomisch leichter fassbar. etwa wie durch eine schematische Zeich- nung ein complieirtes Verhalten vereinfacht dargestellt wird, so ist das Problematische nur auf jene vorausgehenden Zustände verlegt, und es erhebt sich dabei zugleich die neue Frage, weshalb den ausgebildeten Einrichtungen solche Stadien vorausgehen, die ganz andere Endziele erkennen lassen. Mau kann sich nicht klar genug machen, dass bei aller leichteren Fassbarkeit der realen Befunde eines Organismus aus dessen niederen Entwickelungsstadien, aus den letzteren selbst wieder neue auf dem Wege der ontogenetischen Forschung nicht zu lösende Fragen entstehen. Wie kommt es, fragen wir, dass im Allgemeinen eine Entwickelung besteht, und dass nicht etwa nach Art der von den alten Evolutionisten ausge- bildeten Anschauungen, alle Veränderungen nur Entfaltungen prä- existirender Keime sind. Wie kommt es ferner, dass je ein ganz bestimmter Zustand in den einzelnen Stadien durchlaufen wird, dass auf den einen immer der andere mit der grössten Sicherheit folgt. Nichts ist wunderbarer weil an sich unverständlicher, als die Be- trachtung der einzelnen von einem höheren Organismus ontogenetisch durchlaufenen Stadien. Man denke an die Kiemenbogen, an die ersten Kreislaufsorgane, an gie Urnieren der höheren Vertebraten. Hat man sich nun mit jenen Erscheinungen vertraut gemacht, so dass man sie wie nothwendig betrachten möchte, so ist es doch eigentlich nichts anderes als die Gewohnheit der Beschäftigung mit jenen Objecten, welche allmälig den Nimbus des Wunderbaren davon abstreift, ohne dass durch die blosse Untersuchung der That- sachen eine wissenschaftliche Erklärung an die Stelle träte. So sieht der Ungebildete den Tag auf die Nacht folgen, ohne dabei etwas auffallend zu finden, und doch ist er fern von jedem auf Er- 14 C. Gegenbaur klärung beruhenden, eigentlichen Verständniss dieses Phaenomens. Alles Lobpreisen der Entwickelungsgeschichte als einer Leuchte für die Anatomie ist daher nur in sehr bedingter Form aufzunehmen. Ein Organismus in seine niederen ontogenetischen Zustände zurück- verfolgt bietet ebensoviele Probleme, als einzelne Stadien auf jenem Wege sich darstellen. Zu dem einen Probleme des ausgebildeten Organismus bringt die Ontogenie nur noch zahlreiche neue hinzu. Das Unzulängliche liegt in der Beschränkung der empirischen Grund- lagen. Wendet man den Blick von der Ontogenie eines Säugethieres auf die Organisation niederer Wirbelthiere, so tritt bei letzteren eine auffallende Uebereinstimmung mit einzelnen bei den Säugethieren nur vorübergehenden Stadien hervor. Wir gewinnen dadurch An- haltspunete zu neuen Vergleichungen. Wie ganz anders erscheint uns die sogenannte provisorische Einrichtung der Kiemenbogen der Säugethiere, sobald wir sie mit den bei Amphibien oder Fischen bleibenden Gebilden vergleichen können. In wie ganz anderem Lichte erkennen wir die Anlage des Blutgefässsystems der Säuge- thiere, wenn wir denselben, hier vergänglichen Zustand bei Fischen dauernd antreffen! Und so Organ für Organ! Auf niederen Stufen Dauerndes wird auf höheren vergänglich, indem es anderen daran anknüpfenden Modificationen Platz macht. Diese setzen somit jene voraus. Dieser innerhalb der Organisationen erkennbare Zusammenhang ist zwar an sich gleichfalls unbegreifbar, er wird begreiflicher, wenn wir in ihm das Resultat gemeinsamer Vererbung sehen. Un- zählige Erscheinungen lassen sich damit wie in einem gemeinsamen Focus sammeln und finden ihre Erklärung in jener gesetzmässigen Grunderscheinung. Von manchen Seiten her pflegt gegen diese Auffassung der Ein- wand erhoben zu werden, dass durch die Annahme einer Vererbung eigentlich niehts erklärt werde, da eben die Vererbung selbst noch nicht erklärt sei. Es werde damit im, besten Falle die Frage nur weiter hinausgeschoben. Bei der Wichtigkeit der Vererbungslehre nicht blos für die Ontogenie, sondern ebenso für die Anatomie, ist es nicht überflüssig, auch hier in der Kürze auf jenen Einwand ein- zugehen. Da muss vor Allem daran erinnert werden, wie das Maass der Erklärung zwar ein sehr mannigfaltiges ist, wie uns aber jeder Fortschritt auf der Bahn der Erklärungsversuche der Dinge doch immer schliesslich zu einem wnaufhellbaren Dunkel leitet. Im Unierbaue auch der bestbegründeten Theorien schlummern Die Stellung und Bedeutung der Morphologie. 15 die Hypothesen, und es giibe keine Naturwissenschaft, wenn ihre Existenzbedingung ‘an den Ausschluss der Hypothese geknüpft wäre. Nehmen wir die Vererbung als eine solche Hypothese, so ist der ungeheure Vortheil gewonnen, dass durch sie eine unabsehbare Reihe von Erscheinungen zusammengefasst und verständlich wird, wie denn keine einzige bekannte Thatsache den Werth jener Voraussetzung abschwächt. So sollte man also jenes Mittel, zu einer Erklärung zu gelangen, verschmähen, weil es an sich noch nicht erklärt sei? Das hiesse gar nichts erstreben wollen, weil nicht Alles zu er- reichen sei. Es steht aber nicht einmal so schlimm mit dem Erklärungs- werthe der Vererbung. So lange wir den Vererbungsbegriff abstract für sich behandeln, repräsentirt er, wie wir ihn auch drehen und wenden, allerdings nur eine Hypothese. Anders gestaltet er sich bei seiner Zergliederung,- und bei einem Eingehen auf seine empi- rische Unterlage. Die Uebertragung der Eigenschaften des älter- lichen Organismus auf den Keim ist nichts Wunderbares, wenn der letztere eben nur als ein Theil des älterlichen Organismus aufgefasst wird. Zweifellos viel wunderbarer müsste es erscheinen, wenn durch den Keim etwas neues, vom älterlichen Organismus wesent- lich differentes, hervorgebracht würde. Bei den höheren Organismen sind diese Verhältnisse durch die Verschiedenheit des Keimes vom ausgebildeten Organismus eomplieirter, und können bei der ersten oberflächlichen Betrachtung sogar schwer verständlich erscheinen. Ueberaus klar liegen sie bei niedersten Organismen, bei denen wenig .Ererbtes* in den ontogenetischen Erscheinungsreihen auftritt, und die Fortsetzung der Individuen in der Art in mehr unmittelbarer Weise erscheint. Nehmen wir eine jener zahlreichen niedersten Lebensformen unter den Protisten), welche ausschliesslich durch Theilung sich vermehren, wo dann die Theilungsproducte neue In- dividuen vorstellen, allmälig wachsen, sich wieder auf dieselbe Weise vermehren und so fort. Ist hier nieht nothwendig, dass die in den Theilungsproducten gegebene Fortsetzung der Existenz der Materie des miitterlichen Körpers auch ein gleiches Verhalten mit diesem bringe? Wenn hier wie dort das gleiche materielle Substrat ist, warum sollten nicht die gleichen Erscheinungen an ihm zum Vorschein kommen ? Von da aus führen kaum merklich verschiedene Zustände all- mälig zu den complicirteren Verhältnissen hin, bis zu der, gleich- falls schon bei den Protisten bestehenden geschlechtlichen Ditferen- \ we . . 16 : C. Gegenbaw zirung. Mit der Complication des Organismus tritt der zur Fort- pflanzung bestimmte Theil ‚desselben an relativem Umfang immer bedeutender zurück, ohne seine primitiven Beziehungen aufzugeben. Sich ontogenetisch differenzirend beurkundet er eine höhere Potenzirung dureh die Stadien, die er durchläuft, die ebenso wie der schliess- liche Ausbildungszustand das ihnen Anererbte vorstellen. Indem wir die Vererbung von einer Eigenschaft der Materie des Keimes ab- leiten, ist es für jetzt gewiss nicht möglich, diese Eigenschaft näher zu bestimmen oder jene Erscheinung in einzelne Factoren zu zer- legen. Wir befinden uns hier in demselben Falle wie vielen anderen Erscheinungen gegenüber. für welche uns der physikalische Begriff abgeht. Sollen wir etwa deshalb nicht von Zeugung oder Fort- pflanzung sprechen, weil uns auch hierfür die letzten Ursachen dunkel sind? Oder von noch viel einfacheren Vorgängen, den Be- wegungserscheinungen des Protoplasma zum Beispiel, die uns noch weniger als die Vererbung erklärbar sind ? Bis zur Lieferung des Nachweises einer Zusammensetzung der Vererbung aus einzelnen physikalischen Vorgängen wird eine Ver- wendung jenes Begriffes jedenfalls gestattet sein, um damit eine höchst wichtige Erscheinung zu bezeichnen, durch welche die onto- genetischen Vorgänge uns verständlicher werden. Dieses werden sie in der That, sobald wir die einzelnen ontogenetischen Stadien auf definitive Zustände zu beziehen, sie von diesen ähnlichen Zu- ständen durch Vererbung abzuleiten vermögen. Nachdem die Ver- erbung selbst doch nicht einfach abzuläugnen, ist es sicherlich logi- scher, die mannigfachen zum ausgebildeten Organismus nur ganz entfernte Beziehungen besitzenden Einrichtungen der Embryonen höherer Thierformen als aus niederen Zuständen ererbt anzusehen, als sie in ausschliesslichem Zusammenhange mit dem, was aus ihnen wird, zu betrachten. Durch letzteres wird gar nichts erklärt. Neh- mien wir den Apparat von Arterienbogen, welcher den Kiemenbogen entlang bei Embryonen von Säugethieren sich ausdehnt, so sehen wir sehr wenig davon in den ausgebildeten Zustand sich fortsetzen. Der grösste Theil ist dem Untergange bestimmt. Aehnlich verhält es sich mit der Chorda dorsalis und vielen anderen Embryonal- Organen. Alle diese Einrichtungen. die auftreten, um wieder zer- stört zu werden, erscheinen ausserordentlich zwecklos — wenn man dieselben nur auf das Endresultat bezieht, wird man sie auch teleo- logisch auffassen müssen — und bezeichnen nur weitabführende Umwege. So wird es nothwendig, zur Aufdeckung jener anderen Die Stellung und Bedeutung der Morphologie. 17 Beziehungen sich zu wenden, nach den niederen Zuständen zu suchen, in denen jene bei höheren vorübergehenden Stadien definitiv ausge- bildet sich vorfinden. Damit würde die Ontogenie zunächst auf die Palaeontologie verwiesen. Die Dürftigkeit der palaeontologischen Zeugnisse, die fast nur auf ein Organsystem, und auch auf dieses nur in einem einzelnen Zustande einiges Licht fallen lassen, gibt Anlass, aus der Organisation noch lebender Formen Ersatz für jene Lücken zu suchen.. So werden dann die durch ihre Organisation an niedere ontogenetische Entwickelungsstadien anreihbaren lebenden Organismen zu einem wichtigen Objecte für die allmälig zur Phy- logenie sich erhebenden Ontogenie, und die vergleichende Anatomie wird aufgeboten, um die Erscheinungen der Ontogenie in Zusammen- hang zu setzen. In diesem Zusammenhang gelangen die Probleme der Ontogenie zur Lösung. Das im Einzelnen Räthselhafte reiht sich an Bekanntes an und wird als durch Vererbung entstanden verständlich. Es ist also sicher ein grosser Irrthum, ohne die ver- gleichende Anatomie als Führerin den Pfad der Ontogenie zu be- treten, und wer da nicht blos nach neuen Thatsachen sucht, sondern das Gefundene auch zu verstehen strebt, dem kann der hohe Werth jener Führung nicht entgehen. Wie für die Anatomie, so wird auch für die Entwickelungs- geschichte das Eingehen in die feinere Zusammensetzung nöthig, und die Analyse der ersten Sonderungsvorgänge des sich ent- wickelnden Organismus führt unmittelbar auf das fruchtbare Feld der Histogenese. Nicht nur das, was man mikroskopische Anatomie zu nennen pflegt, ist schon durch die gleiche Technik der Unter- suchung eng mit der Ontogenie in Verbindung, sondern es wird auch gerade die Histologie durch alle Fragen nach der Entstehung der . Gewebe, der ontogenetischen wie der phylogenetischen, aufs nächste mit der Entwickelungsgeschichte in Zusammenhang gebracht. So schliesst sich die Anatomie in ihrem weitesten Umfange mit der Entwickelungsgeschichte zu einem einheitlichen Ganzen ab, eben der Morphologie, welche die Organisation in ihrem allmäligen Werden wie in ihrem vollendeten Zustande nach ihren formalen Beziehungen kennen lehrt, und in den Erscheinungsreihen das Walten gesetz- mässiger Vorgänge aufdeckt. Sie steht damit der Physiologie gegen- über, aber nicht entgegen, die mit anderen Methoden andere Auf- gaben löst. Mag man auch die Morphologie, anstatt sie mit der Physiologie einer aus beiden sich aufbauenden Biologie unterzuordnen, als ein Morpholog. Jahrbuch. 1. 2 18 C. Gegenbaur Stiick der Physiologie betrachten, da ja auch die Form eine Function der Materie ist, so wird sie doch nicht den Zusammenhang ihrer Glieder verlieren können. Nur in diesem Zusammenhange ist sie fruchtbar. Wohl wird die Zeit kommen, da auch für die Morpho- logie das Wandelbare der Ziele und damit auch des Strebens sich erweist, und da andere Probleme und andere Methoden an die Stelle der gegenwärtigen treten werden. Noch bleibt viel, unabsehbar viel, mit letzteren zu lösen, und jede Untersuchung stellt neue Aufgaben. Dem gegenüber könnte es merkwürdig scheinen, wie so oft noch das Ignoriren jener Aufgaben versucht, und in dem Streben nach einem kaum schon sichtbaren, jedenfalls weit entfernten Ziele das Nächstliegende übersehen wird. Wir wollen nicht nach den Resul- taten jener Versuche fragen, nicht nach dem, was sie bis jetzt ge- fördert, und lassen damit auch den Werth derselben dahingestellt sein. Aber wenn von daher der morphologische Standpunet in seiner Berechtigung Angriffe erfährt, so kann das hier nicht ganz unberührt bleiben. Da muss erklärt werden, dass die Verlegung der Aufgaben der Morphologie auf ein ihr fremdes Gebiet, mehr von einem Ver- kennen dieser Aufgaben als vom Sichbewusstsein derselben Zeugniss gibt. Der Maassstab für die Beurtheilung der Bedeutung einer Wissenschaft kann sicher nicht einzig daraus genommen werden, was sie für irgend eine andere Wissenschaft leistet, und die Dis- ciplin hätte wohl den geringsten Anspruch auf den Namen einer Wissenschaft, welche nur die Dienerin für eine andere abgibt. Vielmehr wird das, was sie für sich und an sich ist, als oberstes Kriterium für ihre Werthschätzung gelten. Was aber die Morpho- logie geworden, das lehrt der umfänglich begonnene Ausbau aller ihrer Gebiete, das zeigt der Fortschritt, der sich in der Erkenntniss ihrer Forschungsobjecte, in dem Verständnisse der Erscheinungen derselben angebahnt hat. Hat sie diese ihre Gestaltung auch aus sich gewonnen, so ist ihre Wirksamkeit doch schon längst über das eigene Gebiet hinaus gewachsen, zwar nicht unmittelbar, aber mittel- bar, durch die Entwickelungslehre. Die Ergebnisse mannigfaltiger Forschungen auf anderen Wissensgebieten, vor Allem der Geologie, haben zahlreichere Bausteine zum Fundamente jener fruchtbaren Lehre gelegt, aber den Boden dazu nebst den bedeutsamsten Grund- pfeilern bot ihr die Morphologie. Es ist noch viel zu wenig beachtet, und bedarf deshalb beson- derer Betonung, wie ausser den durch die Geologie geförderten Thatsachen, vorwiegend die durch die Anatomie und Entwickelungs- Die Stellung und Bedeutung der Morphologie. 19 geschichte errungenen Erfahrungen es sind, welche die festesten Stützen jener Entwickelungslehre abgeben. Daran wird dadurch nichts geändert, dass gerade auf jenen Gebietstheilen der Morpho- logie die zahlreichsten Gegner jener Lehre auftauchten. Denn das eben ist das legitime Zeichen einer mächtigen Idee, dass ihr Ein- tritt in die Welt nicht allseitiger Zustimmung begegnet, nicht mit lautem Beifall begrüsst wird. Zum Kampfe gerüstet tritt sie auf die Bahn, und am Widerstande ihre Kraft erprobend, ebnet sie sich langsam zwar, aber sicher siegend ihre Wege. Diese Bedeutung der Morphologie kann als eine unverkennbare Marke ihres Werthes gelten. Um so wichtiger ist es, zum Ausbau des Begonnenen rüstig Hand anzulegen, das Angefangene zu fördern, und der Vollendung entgegenzuführen. Wohl sind wir auf allen Gebietstheilen der Mor- phologie noch weit von diesem Ziele entfernt. Für Vieles ist kaum der erste Grundstein gelegt, Anderes bietet nur ein provisorisches Gerüstwerk, und nur Weniges- erscheint bereits unter Dach und Fach, so dass wir daraus das Ganze in seinem Umriss zu erkennen vermögen. Selbst dieser noch vielfach unvollkommene Zustand lässt den glücklichen Fortbau in günstiger Aussicht erscheinen, denn er erinnert nur an die relativ kurze, seit dem Beginn verstrichene Zeit. Es mag bequemer sein, den altgewohnten Weg weiter zu wan- deln und in der zusammenhangslosen Einzelforschung die einzige wissenschaftliche Aufgabe zu sehen, in jener Häufung des thatsäch- lichen Materiales, welches die Empirie seit langer Zeit anzusammeln begonnen hat. Diese Thatsachen bleiben aber unverwerthet, wenn sie nicht synthetisch erfasst und unter einander in logische Verbin- dung gebracht werden. Dies geschieht durch die Morphologie. Sie zeigt der Anatomie die wechselseitigen Beziehungen der Organisa- tionen, und lehrt sie in der Entwickelungsgeschichte die niederen Zustände erkennen, aus denen die höheren phylogenetisch hervor- gingen, und der Entwickelungsgeschichte wiederum verleiht sie Ver- ständniss für die mannigfachen, auf der Bahn der Ontogenie sich folgenden Stadien, indem sie jedes einzelne derselben als Vererbung aus einem niederen Zustande nachweist. Wie immer auch die Sonder- forsehung im Gebiete der Anatomie oder der Entwickelungsgeschichte specielle Ziele im Auge haben mag, sie wird dabei jenes morpho- logischen Standpunctes sich nieht entäussern dürfen, und je voll- ständiger sie von da aus ihren Gegenstand zu beherrschen bestrebt ist, eine desto höhere Stufe wird ihre wissenschaftliche Leistung ein- zunehmen vermögen. 2* Ueber Podophrya gemmipara nebst Bemerkungen zum Bau und zur systematischen Stellung der Acineten. Von Dr. Richard Hertwig. Hierzu Taf. I u. I. Während auf dem Gebiete der Protisten- und Protozoenkunde lange Zeit hindurch das Augenmerk der Forscher vorwiegend auf eine Erkenntniss der Formenmannigfaltigkeit gerichtet war, und durch zahlreiche mehr oder minder umfangreiche Untersuchungen die Wissen- schaft mit neuen Arten, neuen Organisationsverhältnissen und neuen Erscheinungen im Entwicklungsleben bekannt gemacht wurde, be- ginnt in der Neuzeit sich ein Umschwung zu vollziehen und immer mehr wendet sich das Interesse den Fragen zu, durch deren Beant- wortung eine einheitliche Auffassung des Baues der niederen Orga- nismen ermöglicht wird. Mehr denn früher betont die Forschung den morphologischen Werth der Organismen und ihrer Körpertheile und strebt dem entsprechend weniger nach einem ausgebreiteten Ueber- bliek zahlreicher neuer Arten und Genera als vielmehr nach einer intensiven, genauen und allseitigen Durchforschung der einzelnen Art als Repräsentanten des Genus und der Classe. Ganz besonders tritt die Frage nach dem Zellwerth der Protisten und Protozoen, die alte von v. SIEBOLD und KÖLLIKER aufgestellte, vielfach angefein- dete Einzelligkeitslehre wiederum in den Vordergrund und ist letz- tere durch die schönen, die verschiedensten Classen behandelnden Untersuchungen von v. BENEDEN, Everts, HAECKEL, F. E. SCHULZE u. A. aufs Neue gestützt und befestigt worden. Gerade diese letztberührte Seite der Protistenforschung scheint mir nun auch in der That der Untersuchung für die nächste Zeit ein reiches und lohnendes Arbeitsfeld zu eröffnen. In demselben Maasse als sich die Auffassung Bahn bricht, dass die meisten Pro- tisten einzellige Organismen sind, d. h. Zellen, welche als selbst- ständige physiologische Individuen ihr Dasein verbringen und in sich mannigfache bei höheren Organismen auf zahlreiche Zellen Ueber Podophrya gemmipara ete. 21 vertheilte Functionen und Differenzirungen vereinen, in demselben Maasse erhält die Untersuchung Bedeutung für die Lehre von der Zelle und ihrer Umbildungsfähigkeit. Wir lernen kennen, wie schon die einzelne Zelle aus sich heraus einen hohen Grad von Mannig- faltigkeit der Organisation entwickeln kann, und gewinnen für die Klärung der Frage nach der Bedeutung der einzelnen Zelltheile Ob- jecte, welche durch ihr selbstständiges Dasein in vielfacher Beziehung günstigere und zum Theil wohl auch ursprünglichere Verhältnisse bie- ten als die den Zwecken einer höheren Einheit untergeordneten Zellen der thierischen und pflanzlichen Gewebe. Was den letztgenannten Punct anbetrifft, so nimmt namentlich die Bedeutung des Nucleus im Zellenleben in neuester Zeit in Folge der Arbeiten AUERBACH’s ein erhöhtes Interesse für sich in Anspruch. Gerade dieser Gegenstand ist aber, wie auch AUERBACH am Schlusse seiner ersten Publication hervor- hebt, nicht allein das Untersuchungsobjeet der thierischen und pflanz- lichen Histologie, sondern es muss diese Frage in gleicher Weise durch das Studium des Baues und der Fortpflanzung der niederen einzelligen Organismen gelöst werden. So treten denn wiederum die Lehre von der Zelle und die Lehre von den niederen Organismen in Wechselwirkung mit einander, ein Verhältniss, welches für beide Gebiete, wie die Geschichte unserer Anschauungen über die Sarkode und den Zellstoff lehrt, gleich segenbringend gewesen ist. Die hier in Kürze berührten Zielpunete der neueren Protisten- forschung sind auch für die im Folgenden dargestellten Untersuchun- gen massgebend gewesen. Durch die genaue Beobachtung einer ein- zelnen Art habe ich versucht, unsere Kenntnisse vom Bau, der Ent- wicklung und systematischen Stellung der Acineten zu fördern. Die äussere Veranlassung zur vorliegenden Arbeit wurde mir wäh- rend eines siebenwöchentlichen Aufenthaltes auf Helgoland geboten. Beschäftigt, meine an den Süsswasserformen begonnenen Untersu- chungen auf die Rhizopoden des Meeres auszudehnen, begegnete ich zu wiederholten Malen éiner durch ihre Grösse auffallenden Acineten- form. Vielerlei Umstände vereinigten sich, um mir dieselbe als ein günstiges Untersuchungsobject erscheinen zu lassen. Zunächst war es die ausserordentlich weite Verbreitung des Organismus und die srosse Anzahl von Individuen, welche in Fortpflanzung begriffen wa- ren. Ich fand die Acinete an fast allen Hydroidpolypen der Helgo- länder Umgebung sowie an den meisten ästige Stöcke bildenden Bryozoen, ebensowohl in beträchtlichen Meerestiefen als auch an seichten zur Ebbezeit über den Wasserspiegel theilweise auftauchen- 22 Dr. Richard Hertwig den Stellen wie den Seehundsklippen. Eine ganz besonders reiche Ausbeute ergaben mir Tubularien, welche aus der Tiefe von 120 Fuss mit dem Schleppnetz gefischt wurden und meist so dicht mit der Acinete besetzt waren, dass ein einziges Stöckchen mir Arbeitsmate- rial für einen ganzen Tag lieferte. Zur Häufigkeit gesellte sich die beträchtliche Grösse der Indi- viduen, um die Anfertigung mikroskopischer Präparate zu erleichtern. Mit einiger Uebung gelangt man leicht dahin, auch ohne Loupe die rundlichen Körper als kleine Punete zu erkennen, welche, da sie auf längeren Stielen sitzen, in einiger Entfernung vom 'Tubularien- stämmehen angeordnet sind und auf weissem Grunde bräunlich, auf dunklem dagegen weisslich erscheinen. So wird man des lästigen Suchens mit schwachen Vergrösserungen überhoben, welches die Be- obachtung der meisten Protisten erschwert. Endlich bietet die Befestigung der Acinete an einem grösseren Körper, wie es der Stiel der Tubularien ist, ihre nicht zu unter- schätzenden Vortheile. Die Untersuchungsobjecte werden beim Zu- satz von Reagentien nicht hinweggeschwemmt. Um dasselbe Indi- viduum längere Zeit zu beobachten, kann man behufs Gaserneuerung beständig einen Strom Wassers durch das Präparat leiten, ohne Ge- fahr zu laufen, den Gegenstand der Beobachtung aus dem Gesichts- feld zu verlieren. Ausserdem wird eine Conservirung in Reagentien ermöglicht, welche bei den meisten kleinen Organismen aus leicht verständlichen Gründen nicht statthaft ist. So konnte ich die Zeit meines Helgoländer Aufenthaltes vorwiegend der Untersuchung des lebenden Organismus und seiner Entwicklungsgeschichte widmen, und späterhin von Helgoland zurückgekehrt, die Lücken meiner Beobach- tung durch Benutzung des reichlichen, in Alkohol und dünnen Chrom- säurelösungen vortrefflich conservirten Materiales ausfüllen. — Alle diese günstigen Umstände erleichterten mir vielfach die Arbeit und gestatteten mir eine ausführlichere Kenntniss des Organismus zu ge- winnen, als es in den meisten Fällen, in denen der Untersuchende nicht über ein unbeschränktes Material gebietet, ermöglicht ist. Wegen der ausserordentlichen Häufigkeit und Verbreitung ist die im Folgenden näher zu beschreibende Acinete wohl schon man- chem Helgoland besuchenden Zoologen aufgefallen; nichts desto we- niger finde ich sie nur ein einziges Mal in der Literatur erwähnt. In einem kurzen Aufsatz: On three new animaleules beschreibt ALDER 1} ') Annals and Magazine of nat. hist. IT Vol. 7. 1851. pag. 426. » Ueber Podophrya gemmipara ete. 23 unsere Acinete und bildet sie in einem ziemlich unvollkommenen und rohen Holzstiche ab. Er fand dieselbe auf Sertularien und er- kannte richtig ihre Zugehörigkeit zu der von EHRENBERG aufgestell- ten Familie der Acinetinen. In seiner Schilderung gedenkt er der spitzen Tentakel, der becherförmigen Körperform, des dicken, den Körper tragenden Stieles, ohne jedoch über diese einfachsten, auf den ersten Blick erkennbaren Structurverhältnisse hinaus zu kommen. Bei der Benennung und der systematischen Einordnung upserer Acinete unter die übrigen Formen schliesse ich mich dem System CLAPAREDE und LACHMANN’s an, nicht weil dasselbe den Anforde- rungen der Neuzeit entspräche als vielmehr weil es zur Zeit das einzige ist, welches eine grössere Zahl gut beobachteter Arten und Ge- nera in übersichtlicher Wei® zusammengestellt hat. Wegen ihrer Aehnlichkeit mit der Podophrya Lyngbyi Clap. et Lach. (Acineta Lyngbyi Ehr.) rechne ich unsere Form dem Genus Podophrya zu und bezeichne sie ihrer characteristischen Fortpflanzungsweise halber als P.gemmipara. Ich betrachte diese Benennung als eine provisorische, da in der nächsten Zeit eine gründliche Revision der Acinetinengenera unbedingt nöthig werden wird. Bei der im Folgenden gegebenen Darstellung der gewonnenen Resultate hielt ich es für geboten, scharf zwischen den objectiven Beobachtungen und den an die Beobachtungen sich anknüpfenden Schlussfolgerungen zu trennen und habe daher die Ergebnisse meiner Untersuchung in einem speziellen und einem allgemeinen Theil ab- gehandelt. 24 Dr. Richard Hertwig I. Specieller Theil. NS den Bau und die Entwicklung der Podophrya semmipara. 1. Bau der Podophrya gemmipara. Die Gestalt des Körpers unserer Wedophrya gemmipara ist bei den einzelnen Individuen sehr verschiedenartig. Junge Exemplare besitzen meist eine elegante Becherform, indem die leicht geschwun- genen Seitenwände von der aboralen oder basalen, dem Stiel zur Insertion dienenden Fläche aus nach dem oralen oder freien Ende zu divergiren (Taf. I Fig. 1). Das orale, der Bechermündung ent- sprechende Körperende ist stark gewulstet, mit Höckern bedeckt und dadurch characterisirt, dass die Ursprünge der stets zahlreichen Ten- takeln auf dasselbe beschränkt sind. Beim Wachsthum verbreitert sich der Körper entweder napfförmig (Taf. I Fig. 2) oder geht mehr und mehr in die Kugelgestalt über. Aber auch dann finden sich die Tentakeln nur auf dem oralen Ende und nicht an den seitlichen Theilen des Körpers. — Gestaltveränderungen durch active Contrac- tionen des Körperinhalts habe ich nicht beobachtet. Mit Hülfe stärkerer Systeme kann man an dem Körper der Po- dophrya gemmipara zweierlei Bestandtheile unterscheiden: 1) ein festes den Körper stützendes und umhüllendes Skelet; 2) den Weich- körper mit seinen Anhangsgebilden. a) Skelet. Das Skelet besteht.aus einem starren 0,5—0,8"" langen Stiel, wel- cher den Körper trägt, und einer denselben allseitig umgebenden mem- branösen Hülle. Der Stiel zeichnet sich vor den Stielen der meisten Acinetinen durch seine beträchtliche Dicke aus; er bildet eine Röhre, welche an der festsitzenden Basis schmäler ist als an dem peripheren den Weichkörper tragenden Ende, sich somit in entgegengesetzter Weise wie der Schaft einer Säule verjüngt. Am meisten fällt diese Un- gleichmässigkeit des Calibers bei alten Individuen auf, während sie Ueber Podophrya gemmipara etc. 25 bei jugendlichen kurzgestielten Formen kaum bemerkbar ist. Sie ist eine Folge der Art des Wachsthums, welche wie bei allen durch Secretion festgebildeten und keiner weiteren geweblichen Verände- rung unterliegenden Skelettheilen durch einfache Apposition erfolgt. Indem der Organismus allseitig gleichmässig wächst, vergrössert sich auch die Fläche, welche das Weiterwachsthum des Stiels vermittelt, und so kann es kommen, dass das Ende desselben dem doppelten oder dreifachen Durchmesser der Basis gleichkommt. Es erinnert diese Form des nach oben sich erweiternden Stiels sehr an die Be- schreibung und die Abbildung, welche Stein!) vom Stiel des so- genannten Acinetenzustands der Opercularia artieulata (Podophrya Steinii Clap. et Lachm.?) und der Podophrya fixa*) gibt. Die Wandung der durch den Stiel gebildeten Röhre besitzt nir- gends eine beträchtliche Dicke. Gleichwohl kann man deutlich in ihr eine Zusammensetzung aus zwei das Licht verschieden brechen- den Substanzen erkennen (Taf. I Fig. 7). Die äusserste Lage wird von einer beiderseits scharf contourirten dünnen, aber offenbar der- beren Cutieula gebildet. Die innere Lage reflectirt das Licht matt- bläulich und ist in Folge dessen nicht so scharf gegen das Stielinnere abgesetzt, wie die Cuticula nach aussen. Sie ist der Sitz einer fei- neren Structur, welche am ganzen Stiel unter dem Bild einer zarten, aber sehr regelmässigen Querstreifung erscheint. Dieselbe rührt da- her, dass in bestimmten Entfernungen die Wandung mit ringförmi- gen Einschnürungen ins Innere einspringt, ähnlich wie der Schrauben- gang einer Schraubenmutter, wenn wir von der hier spiraligen, dort ringförmigen Anordnung absehen. Die Querstreifung ist am deut- lichsten und am engsten an dem untern Theil des Stiels (Taf. I Fig. 7 Bu. ©). Nach oben wird sie undeutlicher in demselben Maasse, als mit dem Wachsen des Röhrenlumens die Dieke der Wan- dung abnimmt. Gleichzeitig rücken die Querstreifen weiter aus ein- ander (Taf. I Fig. 7 A). Ausser dieser Querstreifung erkennt man am freien Stielende bei recht breiten Stielen noch eine Längsstreifung, welche noch zar- ter, feiner und schwieriger erkennbar ist als die Querstreifung, häu- fig überhaupt nieht vorhanden zu sein scheint. Wo sie auftritt, ver- !) STEIN: Die Infusionsthiere auf ihre Entwicklungsgeschichte untersucht. Leipzig 1854. pag. 118, Taf. IV Fig. 1. 2) CLAPAREDE et LACHMANN: Etudes sur les Infusoires et les Rhizopodes Geneve 1858. I. pag. 384. 3) STEIN: 1. c. pag. 143 u. 144. 26 Dr. Richard Hertwig liert sie sich nach dem basalen Ende zu. Ihren Sitz müssen wir in der Cutieula suchen, da sie nur bei einer möglichst oberflächlichen Einstellung erkannt wird (Fig. 7 A). Die beiden die Stielwandung bildenden Substanzen, deren Anord- nung und optisches Verhalten ich im Obigen geschildert habe, unter- scheiden sich weiterhin in ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber Reagentien. Während Eisessig und Chromsäure nicht die mindeste Einwirkung ausüben, bringt concentrirte Salzsäure den innern Theil der Wandung zum Quellen, während die Cuticula unverändert bleibt. Ebenso wirken kalte concentrirte Schwefelsäure und Natronlauge. Beim langsamen Erwärmen mit letzteren Reagentien löst sich zu- nächst die innere Substanz, dann erst die Cuticula, so dass schliess- lich keine Spur mehr vom Stiel erhalten bleibt. Um dies zu errei- chen ist bei Natronlauge Siedehitze nöthig, während bei Schwefel- säure schon eine gelinde Erwärmung eine vollständige Lösung be- wirkt. In Carminlösung färbt sich der Stiel hellroth, in Jod stroh- gelb, bei Anwesenheit von Schwefelsäure braungelb. Den Sitz der Färbung glaube ich in der inneren leichter zerstörbaren und wei- cheren Substanz suchen zu müssen. — Eine ähnliche Zusammensetzung des Stiels hat Stein bei seiner Acineta Opereulariae !) ‘Podophrya Steinii) und der Opercularia articulata2) nachgewiesen. Der Schil- derung nach zu urtheilen scheint auch hier eine ähnliche Differenz im Verhalten gegenüber Reagentien bestanden zu haben; doch ist es STEIN nicht geglückt, durch Aetzkali und Schwefelsäure die Stiele zu lösen, offenbar weil er die genannten Reagentien nur im kalten Zustand angewandt hatte. Das Röhrenlumen, welehes der Stiel der Podophrya gemmipara mit dem der Podophrya fixa*) und der Acinete der Wasserlinsen (Podophrya Cyclopum Clap. et Lachm.) theilt, scheint von einer so- liden Masse ausgefüllt zu werden. Wenigstens gelang es mir nicht, trotz mehrfach wiederholter Versuche, unter Anwendung des HAECKEL- schen Verfahrens zum Nachweis feiner Hohlräume) (Tränkung des Objects mit einer starken Lösung von kohlensaurem Natron und Zu- satz von Essigsäure) das Lumen mit Kohlensäure zu injieiren, was doch der Fall sein müsste, wenn dasselbe von einer Flüssigkeit er- füllt wäre. jr ag. 118. ag. 112. ag. 143 u. 144. *) HAECKEL: Die Radiolarien, eine Monographie. Berlin 1862. pag. 35. is} Ss 02 oe ~ re ) 1. ral: Qa 9 8 co Ss Ueber Podophrya gemmipara ete. 27 Die beiden Enden des Stiels verlangen noch eine besondere Be- riicksichtigung. Der basale Stieltheil ist meist dicht über seiner An- heftungsstelle bulbusartig angeschwollen. Die Anschwellung rührt von einer Verdiekung des inneren Theiles der Stielwandung her, wäh- rend die Cutieula darüber unverändert bleibt. Durch die Verdiekung wird das Röhrenlumen eingeengt und kann sogar ganz verschlossen werden (Fig. 7 C). Nach der Basis zu zertheilt sich die Innen- substanz, wie ich mich an einem besonders günstig gelegenen Exem- plar überzeugen konnte, in zackige Ausläufer, durch deren Ver- mittlung die Podophrye sich befestigt. Bei Imbibition mit Carmin- lösung fällt mir stets um die Befestigungsstelle des Stiels eine inten- siv roth imbibirte Zone auf, ohne dass ich jedoch für dieselbe ein besonderes Substrat, welches mit dem Stiel im Zusammenhang stände, hätte ausfindig machen können. Wahrscheinlich hat die Färbung ihren Sitz im Periderm des Tubularienstiels, welches in irgend wel- cher Weise von der sich festsetzenden Podophrye verändert, vielleicht arrodirt worden ist. Für die Annahme, dass die roth imbibirte Zone nicht von einer zum Stiel gehörigen plattenartigen Verbreite- rung herrührt, sondern durch eine Veränderung des Periderm’s der Tubularie bedingt ist, spricht auch schon der Umstand, dass die rothen Kreise noch nachweisbar sind, wenn der Körper der Podo- phrye sammt seinem Stiel abgefallen ist. Das periphere Stielende, welches im Gegensatz zu der soeben ge- schilderten Basis sich dureh seine Breite und durch die Dünnheit seiner Wandung auszeichnet, verbindet sich mit dem Weichkörper, den es trägt, mittels einer schwach convex gekrümmten Fläche. Aehnlich dem Stiel einer heftig contrahirten Vorticelle, inserirt es sich in einer nabelförmigen Vertiefung des Körpers, wodurch leicht der Eindruck hervorgerufen wird, als dränge es eine Strecke weit in’s Körperinnere ein. Das Protoplasma des Weichkörpers und der Inhalt der vom Stiel gebildeten Röhre setzen sich scharf gegen ein- ander ab, und schien es mir, als ob sie durch die sogleich näher zu betrachtende Körperhülle von einander getrennt würden. Keinesfalls bewirkt die Stielwandung den Verschluss der Röhre, denn an Stielen, von denen der Körper abgefallen ist, konnte ich niemals eine das Lumen der Röhre nach aussen verschliessende Membran erkennen. Der zweite Theil des Skelets der P. gemmipara wird durch eine den Weichkörper überziehende Hülle gebildet, welche ich als Skeletmembran bezeichnen werde. Dieselbe lässt sich am lebenden Organismus nur ungenügend erkennen, namentlich gelingt es nicht, 98 Dr. Richard Hertwig über ihr Verhalten an dem die Tentakeln tragenden mit Einschnü- rungen und Buckeln versehenen Ende Aufschluss zu bekommen. Ich schildere daher gleich die durch Anwendung dünner (0,1—0,5%) Chromsäurelösungen erhaltenen Resultate. Dünne Chromsäurelösun- gen bringen das Protoplasma zum Quellen und gleichen die Buckeln und Falten aus, indem sie die Körpergestalt mehr oder weniger ku- gelig oder oval abrunden. Ausserdem hat man bei ihrer Anwendung den Vortheil, dass sich die Hülle stellenweise, namentlich an den Ursprungsstellen der Tentakeln blasenartig von der Körperoberfläche abhebt, während sie am lebenden Organismus derselben stets wie eine Cuticula auf’s innigste auflagert!). In günstigen Fällen kann man so die Körperhülle in grosser Ausdehnung abgehoben und isolirt erhalten. Die Körperumhüllung der Podophrya gemmipara besteht aus einer Membran von überall gleichmässiger Feinheit. Bis auf die Durch- trittsstellen der Tentakeln, auf welche wir bei der Besprechung dieser Organe noch einmal ausführlicher zurückkommen werden, bildet sie einen allseitig geschlossenen Sack. Auf den optischen Querschnitt macht sie weniger den Eindruck eines selbstständigen Gebildes, als eines cuticularen, kaum als doppelt contourirt erkennbaren Saumes. Mit starken Vergrösserungen betrachtet, sieht dieser Saum aus, als ob er von feinen, dieht zusammengefügten und verkitteten Körnchen gebildet wäre (Taf. II Fig. 11 3). Prüft man mit starken Systemen das Flächenbild der Hüllmembran, welches man am schönsten über grossen oberflächlich liegenden Vacuolen oder an durch Chrom- säure abgehobenen Blasen erhält, so erkennt man, dass es nicht Körnchen sind, welche zu einer Membran verkittet werden, sondern feine, kurze Stäbchen, welche in den verschiedensten Richtungen neben einander gelagert sind?) (Taf. II Fig. 11 A). Sie quellen in Natronlauge, wodurch die Structur der Hüllmembran undeutlich wird, und lösen sich beim Kochen mit derselben sowie mit Schwefel- säure auf; offenbar bestehen sie aus derselben Substanz, welche den Stiel der Podophrya gemmipara bildet und an demselben in zwei ') CLAPAREDE und LACHMANN haben denselben Einfluss der dünnen Chrom- säurelösungen bei der Cuticula der Infusorien beobachtet (Etudes I pag. 15). Coun verwandte zu gleichem Zweck Alkohol (Ueber die Cuticula der Infusorien. Zeitschr. f. wiss. Zool. V pag. 422). 2) Möglicherweise wird das Bild von Stäbehen auch nur durch buckelför- mige Verdickungen der Membran erzeugt. Bei der Feinheit der Bildung lässt sich dies selbstverständlich nicht entscheiden. Ueber Podophrya gemmipara ete. 29 Graden verschiedener Erhirtung als Cuticula und innere Substanz besprochen worden ist. Die Skeletmembran setzt sich gegen die Wandung des Stiels mit einer scharfen und deutlichen Linie ab, sie bildet somit nicht eine Verlängerung derselben, wie dies Srem') für seine Acinete der Wasserlinsen und die Podophrya fixa schildert, sondern ist ein vollkommen selbstständiges vom Stiele unabhängiges Gebilde. Diese Selbstständigkeit von Stiel und Hüllmembran äussert sich auch in der Entwicklungsgeschichte, insofern beide Theile, wie wir später sehen werden, unabhängig von einander und zu verschiedenen Zeiten ent- stehen. Sie ist der Grund, dass der Körper der Podophrya gemmi- para sammt seiner Umhüllung so leicht von seinem Stiele abfällt, wenn nicht bei dem Versuche der Conservirung Vorsichtsmassregeln ergriffen werden, welche auch leise Erschütterungen vermeiden 2). Sehr häufig finden sich Faltungen in der Hüllmembran. Die- selben erstrecken sich von der Stielinsertion in der Längsaxe des Körpers nach dem Ende, welches die Tentakeln trägt. An der Stelle, wo die durch die Befestigung des Stiels verursachte tellerförmige Vertiefung mit scharfer Kniekung sich in die Seitenwandungen fort- setzt, sind diese Faltungen meistentheils am leichtesten zu erkennen. Sie erscheinen hier wie kleine Beutelchen, welche dem Rand der Umbiegung anhängen. Um die Faltungen gut zu sehen, muss man genau auf die Oberfläche einstellen und möglichst durchsichtige Exem- plare wählen (Taf. II Fig.11). b) Weichkörper. Der Körper der P. gemmipara besteht aus einem stark körnigen, trüben Protoplasma, welches nur in den äussersten Zonen durchsich- 1) J. e. pag. 118 u. 144. 2) Den Umstand, dass die Körper der Podophrya gemmipara so ausserordent- lich leicht vom Stiele sich ablösen, habe ich in unangenehmster Weise selbst erfahren müssen, indem mir hierdurch ein reichliches in Chromsäure conservirtes Material verdarb. Um die zarten Körper vor jeden mechanischen Insulten zu schützen, habe ich deswegen bei erneutem Sammeln überall nur die reichbesetz- ten Tubularien-Stiele nach Entfernung der dieselben krönenden Köpfchen in klei- nen Reagensgläsern conservirt. Um zu verhindern, dass Luft in die Gläser kam, und die auf- und absteigenden Blasen die P. gemmipara abstreiften, schloss ich die Gläser unter der conservirenden Flüssigkeit oder ich schloss zunächst mit einem tüchtigen Wattepfropf und dann erst mit einem Kork. Die zwischen Kork und Watte befindliche Luft wird durch letztere vom Präparat getrennt. Derartig 30 Dr. Richard Hertwig tiger und homogener wird, ein Verhalten, welches ja beim Proto- plasma der meisten einzelligen Organismen nachgewiesen werden kann. Ein gelblich- oder rost-brauner körniger Farbstoff ist meist reichlich, besonders in den centralen Partien abgelagert und verhin- dert jeglichen Einblick in das Körperinnere. Derselbe fehlt selbst bei jungen Individuen nur selten, wenn auch Exemplare gefunden werden, welche ganz farblos sind. Da bei der Ernährungsweise der Acinetinen, welche die eingefangene Beute nur mit Hülfe ihrer Ten- takeln aussaugen und nicht wie die übrigen Infusorien verschlingen, wohl nicht an eine Aufnahme von so beträchtlichen Mengen von Farb- stoff gedacht werden kann, müssen wir ihn als im Körper des Or- ganismus selbst entstanden, als ein Product des Assimilationsprocesses ansehen. Wenn wir von der aus feinsten Stäbchen bestehenden und der Oberfläche dicht auflagernden Membran absehen, welche ich dem Skelet zugerechnet und daselbst schon besprochen habe, ist der Kör- per hiillenlos. Es fehlt ihm somit die Membran, welche StEIn von der Acinete der Wasserlinsen (Podophrya Cyclopum Clap. et Lach.), der diademartigen Acinete !) (P. cothurnata Clap. et Lachm.) und dem sogenannten Acinetenzustand der Opercularia articulata?) (P. Steinii Clap. et Lachm.) beschreibt und als » eigentliche Körpermembran « von einer oberflächlicheren, unserer Skeletmembran homologen Hülle unterscheidet. Aus Gründen, die ich bei der Besprechung der Ten- takeln und ihres Verhältnisses zur Körperoberfläche genauer darlegen werde, ist mir die Existenz dieser »eigentlichen Körpermembran« auch bei den von STEIN beobachteten Formen höchst unwahrscheinlich. Im Körperparenchym verlangen zweierlei Gebilde eine besondere Berücksichtigung: 1. die Vacuolen und 2. der Kern. Die Vacuolen (Taf. I Fig. 1 u. 2) nehmen weder eine be- stimmte Lagerung im Körper ein, noch treten sie in bestimmter An- zahl auf. Bei den becherförmigen Exemplaren finden sie sich mit Vorliebe in dem Wulste, welcher dem Becherrande entsprechen würde. Ihre Grösse ist ebenfalls eine sehr variable; kleinste leicht zu über- sehende Bläschen kommen neben grossen Flüssigkeitsräumen vor, deren Durchmesser bis zu einem Viertel des Körperdurchmessers be- tragen kann. Ob alle Vacuolen, welche häufig recht zahlreich conservirtes Material hat das Rütteln der Reise vortrefflich überstanden und er- möglichte mir die Untersuchung, auch nachdem ich Helgoland verlassen hatte. 1) bees pag.; 72. 2) I. ec. pag. 121. Ueber Podophrya gemmipara ete. a4 angetroffen werden, contractil sind, wage ich nicht zu entscheiden. ~Ich habe überhaupt nur selten Contractionen beobachtet, und zwar einige Male an Vacuolen, die wohl eine Stunde lang von mir beob- achtet waren, ohne irgend welche Veriinderungen zu zeigen. Es will daher nichts beweisen, wenn die meisten der beobachteten Blasen, namentlich der grösseren, kein Zeichen von Contractilitiit erkennen liessen, da bei der langen Dauer der Diastole die Beobachtung leicht in diesen Zeitraum gefallen sein kann. — In einem der beobachteten Fälle von Contractionen der Vacuolen bildete sich der am Schluss der Contraction vollkommen verschwundene Flüssigkeitsraum nach Verlauf von etwa einer Stunde an derselben Stelle wieder. In an- dern Fällen ist mir dieser Nachweis nicht geglückt. — Dieselbe Träg- heit und Unregelmässigkeit der Action, wie ich sie hier von der Po- dophrya gemmipara geschildert habe, habe ich auch bei andern marinen Acineten beobachtet und kann ich somit die Wahrnehmung Stem’s !) bestätigen, »dass bei den im Meere lebenden Infusorien die Systole der contractilen Behälter auffallend langsamer und in län- geren Zeitintervallen erfolgt als bei den Süsswasserbewohnern«, ohne mich jedoch hiermit auch mit der Erklärung, welche der genannte Forscher für dies verschiedene Verhalten gibt, einverstanden erklä- ren zu wollen. Uebrigens ist der Verschiedenheit der Contractilitiit der Flüssigkeitsräume bei den einzelnen Arten keine Bedeutung beizu- messen, wie dies eingehender HAECKEL?) , WRZESNIOWSKI *) , SCHWALBE 4) u. A. durchgeführt haben. Das zweite im Körper enthaltene Gebilde von morphologischer Bedeutung, der Kern, ist am lebenden und unversehrten Organis- mus wegen der beträchtlichen Undurchsichtigkeit der Körpersubstanz nicht zu erkennen. Beim Zerquetschen erblickt man unter günstigen Umständen hier und dort im Parenchym mattbläuliche homogene Stellen vom characteristischen Lichtbrechungsvermégen des Infusorien- nucleus (Taf. I Fig. 4 u. 11»), ohne dass es jedoch geliinge, ein zusammenhängendes Bild von seiner Anordnung zu erhalten. Auch mit den für den Kernnachweis sonst so vortrefflichen Reagentien 1) STEIN: Organismus der Infusionsthiere. Leipzig 1859. I. pag. 91. 2) HAECKEL: Studien über Moneren und andere Protisten. pag. 151. 8) WRZESNIOWSKI: Ein Beitrag zur Anatomie der Infusorien. Archiv f. mikr. Anat. Bd. V. pag. 25. 4 SCHWALBE: Ueber die contractilen Behälter der Infusorien. Arch. f. mikr. Anat. Bd. II. pag. 351. efr. ferner meinen Aufsatz über Mikrogromia soeialis. Arch. f. mikr. Anat. Bd. X. Suppl.-Heft pag. 18. = 39 Dr. Richard Hertwig der Chromsäure und Essigsäure gelangte ich zu keinen Resultaten, da dieselben das Protoplasma nur noch mehr durch Gerinnung ver- dunkelten. Ich wandte mich daher zur Benutzung von Imbibitions- methoden, welche gleichzeitig das Körperparenchym aufhellen: der Imbibition mit BEALE’schem Carmin und mit Essigsäure-Carminlösung mit nachfolgender Aufhellung durch Salzsäureglycerin. Das BEALE’sche Carmin liess den Kern zwar erkennen, aber nur in unvollkommener Weise. Dagegen ergab die Essigsäure-Carminfärbung ganz vortreff- liche Resultate. Ich verfuhr bei derselben folgendermassen: Nach- dem ich die Podophrya gemmipara mit dünner Chromsäurelösung be- handelt und tüchtig ausgewaschen hatte, liess ich sie ein bis zwei Tage in einer hellrosenrothen Essigsäure-Carminlösung liegen und wusch sie dann ebenso lang mit einem 1/, % Salzsäure enthaltenden Glycerin aus. Das Pigment war dann verblichen, die Carminfärbung des Protoplasma ausgezogen und nur der Kern hatte ein intensiv rothes Colorit beibehalten. Durch Anwendung der geschilderten SCHWEIGGER SEIDEL’schen Me- thode stellte es sich heraus, dass der Kern — wenigstens bei den grossen, alten Individuen — ein ausserordentlich complicirtes und vielgestaltiges Gebilde ist, welches von den Nucleusformen der meisten Acineten beträchtlich abweicht und nur mit dem Nucleus der Podophrya Steinii ') (Acinetenzustand der Opercularia artieulata) sich vergleichen lässt. Wie dieser bildet er zahlreiche das Körperinnere nach allen Rich- tungen hin durchsetzende Verästelungen, nur fehlen ihm die Ana- stomosen, welche Stein von der genannten Podophrye schildert und abbildet (Taf. II Fig. 4 u. 6). Anfänglich macht die Anordnung des Nucleus den Eindruck grösster Unregelmässigkeit; indessen ge- lingt es bei fortgesetzter Beobachtung, wenn man sich an jugendliche Formen hält und von der einfacheren Gestalt des Nucleus bei den- selben durch alle Uebergänge hindurch die complicirteren Verhält- nisse ableitet, die letzteren auf eine einfache Grundform zu redu- eiren. Dieselbe bildet ein Hufeisen, dessen beide Enden einander so genähert sind, dass nur wenig an einem vollkommen geschlosse- nen Kreis fehlt. Die Schenkel des Hufeisens liegen in einer hori- zontalen Ebene im hinteren Körpertheil in der Art, dass die Längs- axe des Körpers ungefähr die Mitte des von ihnen gebildeten un- vollständigen Kreises durchbohren würde. Da die Veränderungen, welche beim Wachsthum des Organismus am Nucleus in Form von ') Stein: Infusions-Thiere. pag. 119—122. Ueber Podophrya gemmipara ete. 33 Veriistelungen vor sich gehen, wie wir spiiter sehen werden, in engster Beziehung zur Entwicklungsgeschichte stehen, werde ich sie im Zusammenhang mit den Vorgängen, welche die Schwärmerbildung einleiten, besprechen. Eine besondere Hüllmembran, wie sie STEIN, CLAPAREDE, BAL- BIANI u. A. vom Kern der Acineten und der übrigen Infusorien schil- dern, habe ich nicht erkennen können. Auf das Verhältniss dieser von andern Forschern beobachteten Kernmembran zur Kernmembran des Nucleus der thierischen Zelle und der Rlizopoden werde ich im allgemeinen Theil noch einmal zurückkommen. Wir beschliessen die Schilderung des Baus der entwickelten P. gemmipara mit der Besprechung der Tentakeln. Dieselben sind, wie früher schon erwähnt, nicht gleichmässig über die Körperober- fläche vertheilt, sondern auf das dem Stiel abgewandte Ende be- schränkt. Sie sind von zweierlei Art. Die einen, welche wir zu- nächst betrachten wollen, unterscheiden sich von den Tentakeln der meisten übrigen Acineten durch ihre feine Spitze, welche ihnen einige Aehnlichkeit mit den Pseudopodien der Heliozoen, und dem ganzen Organismus somit etwas von dem Ansehen einer gestielten Actino- phrys verleiht. Am ähnlichsten sind sie noch den Tentakeln der Podophrya eothurnata !; und des Acinetenzustandes der Epistylis bran- chiophila?). An einem Exemplar, welches die Tentakeln weit aus- gestreckt hat, was nur selten beobachtet wird, da die Organismen sie bei der geringsten Beunruhigung einziehen oder wenigstens ver- kürzen und nur langsam wieder ausdehnen, überzeugt man sich, dass dieselben eine beträchtliche Länge erreichen, bei mittleren Individuen den Kérperdurchmesser übertreffen und vollkommen homogene, glatt eontourirte Fäden bilden, welche mit breiter Basis beginnend sich zu einer feinen Spitze verdünnen. Auch jetzt schon kann man mit stär- keren Vergrösserungen eine leichte Spiraldrehung .um die Längsaxe erkennen (Taf. I Fig. 8). Dieselbe wird deutlicher, wenn in Folge von Beunruhigung das Thier seine Tentakeln verkürzt. Es tritt dann eine feine Spiralfaltung in der ganzen Länge des Tentakels auf, die anfänglich das Bild eines Körnehenbesatzes vortäuscht und hierdurch die Aehnlichkeit mit den Pseudopodien einer Heliozoe noch erhöht, beim Fortschreiten der Verkürzung aber leicht als eine korkzieher- artige Faltung erkannt wird. Wird die Podophrye heftig insultirt, ' STEIN: Infusionsthiere pag. 72. 2) 1. e.spage 124, Morpholog. Jahrbuch. 1. ww 54 Dr. Riehard Hertwig so kommt es auch vor, dass die Tentakeln in einer bestimmten Entfer- nung umknicken und dass sie stellenweise varicositätenähnliche An- schwellungen erhalten. Dass ein Tentakel vollkommen eingezogen worden wäre, habe ich, wenn wir von encystirten Individuen ab- sehen, nie beobachten können, doch halte ich es für wahrscheimlich, dass es stattfindet. Bei der Verkürzung wird noch ein weiteres Structurverhältniss der Tentakeln deutlich. Man kann an den stark verkürzten Ten- takeln erkennen, dass jeder derselben aus einem homogenen Inhalt und einer diesen Inhalt handschuhfingerförmig überziehenden Rinden- schicht besteht, wie dies von den Tentakeln der übrigen Acineten schon bekannt ist und am richtigsten von CLAPAREDE und LAcH- MANN!) geschildert wurde. Die Membran verdickt sich bei der Ver- kürzung und ist alleiniger Sitz der Faltenbildung und der beim schnel- len Einziehen sich bildenden Varicositäten. Die spiralige Torsion der Tentakeln sowie die Zusammensetzung aus einem homogenen weicheren Inhalt und einer festeren Rinden- schicht werden beim Zusatz von Reagentien deutlicher. Weder An- wendung von starker Essigsäure noch von Chromsäure vermag näm- lich die Tentakeln zu zerstören, sondern dieselben bleiben als ver- dickte und verkürzte Stiele auf der Körperoberfläche erhalten und unterscheiden sich hierdurch wesentlich von den in selbst dünnen Essigsäurelösungen schnell hinschmelzenden Pseudopodien. In star- ken Essigsäurelösungen schien mir die Rindenschicht etwas zu quellen. Ausser den hier geschilderten langen und spitz endenden Ten- takeln (Taf. I Fig. 12), für die ich ihrer Function halber im Folgen- den die Benennung »Fangfäden« einführen werde, kann man bei genauer Prüfung noch eine zweite Art Fortsätze erkennen, welche ich zum Unterschied als »Saugröhren« bezeichne. Dieselben finden sich vorwiegend auf der Höhe der Convexität der vorderen Fläche ‘Taf. I Fig. 1 u. 122), sind kürzer als die Fangfäden, in ihrer gan- zen Länge von gleichmässiger Dieke und enden an der Spitze mit einer saugnapfähnlichen Verbreiterung. Im Uebrigen bestehen auch sie aus einem hellen homogenen Inhalt und einer mattbläulichen Rinde, sind somit nach einem gleichen Prineip gebaut wie die Fang- fäden. Folgende Gründe bestimmen mich in ihnen etwas von den letz- teren Verschiedenartiges und nicht nur vorübergehende Formzustände ') Etudes I. pag. 173 tube ereux 4 parois contractiles). Ueber Podophrya gemmipara ete. 30 derselben zu erblicken und somit bei unserer P. gemmipara einen Untersehied zwischen »Saugröhren« und »Fangfäden« zu machen, welcher den bisherigen Beobachtern der Acineten fremd war. Zu- nächst habe ich nie verfolgen können, dass die Fangfäden ihre Form verändert hätten und in Saugröhren übergegangen wären, was doch bei fortgesetzter daraufhin angestellter Beobachtung hätte gelingen müssen, wenn letztere nur zeitliche Modificationen der Form der er- steren darstellten. Im Gegentheil traten die Unterschiede bei den Bewegungen und Formveränderungen beider Gebilde nur um so deut- lieher hervor. Die Saugröhren besitzen keine spiralige Drehung, lassen daher beim Einziehen auch keine spiralige Faltung erkennen: ihre einzige Bewegung besteht darin, dass sie sich vor- und rück- wärts bewegen und hierbei ihre Axe verlängern und verkürzen, eine sleichmässig gleitende Bewegung, wie sie bei den Fangfäden nie vor- kommt. Auch schienen mir die Saugröhren beständig auf- und nieder- zusteigen, während die Tentakeln für gewöhnlieh sich in Ruhe befinden. Weiterhin sprieht für die hier von mir vertretene Auffassung die verschiedene Function, welche beiderlei Gebilde bei der Nahrungs- aufnahme besitzen und die wir deshalb gleich hier in Betracht zie- hen wollen. Kommt ein Infusor in das Bereich der Fangfäden, so krümmen sich dieselben, indem sie ihr Opfer umklammern. Wie schon frühere Beobachter (ÜLAPAREDE u. LACHMANN, EHRENBERG. Stein u. A.) haben constatiren können, wirkt diese Berührung läh- mend und allmälig ertödtend. Durch die Verkürzung der Fang- fäden wird nun der todte Körper der Podophrye genähert und mit den kürzeren Saugröhren in Berührung gebracht. Dieselben schwel- len mit ihren Enden an und fixiren letztere wie Saugnäpfe an der Körperoberfläche. Ihre auf- und absteigende Bewegung nähert und entfernt das abgestorbene Infusor, bis dasselbe plötzlich anfängt kleiner zu werden. Es hat sich dann ein Strom vom Körper des- selben ins Innere der Podophrya etablirt. Bei der Verlängerung der Saugröhre treten die Körnchen in dieselben hinein, die Verkürzung derselben treibt sie ins Innere des fressenden Organismus. Dieser Verlauf lässt auch uns, wie CLAPAREDE und LACHMANN und ZEN- KER !), in der Rindenschicht den Sitz der Contractilitiit suchen und die centrale Substanz für eine flüssige passiv bewegte Masse an- sehen. | I) ZENKER: Beiträge zur Naturgeschichte der Infusorien. Arch. f.mikr. Anat. Bd. Il pag. 343. a 36 Dr. Richard Hertwig Schliesslich erwähne ich noch, dass die hier erörterte Dif- ferenzirung der Tentakeln in Saugröhren und Fangfäden keineswegs auf die Podophrya gemmipara beschränkt ist, sondern früher schon von mir bei andern Acineten nachgewiesen wurde. So beobachtete ich bei einer Form, welche in ihrem Bau vollkommen mit der von Stein als Actinophrys sol seinerzeit beschriebenen Varietät der Po- dophrya fixa übereinstimmte, ausser den von anderen Autoren schon abgebildeten starren und mit einem Knöpfehen endenden Tentakeln noch schwanke, die letzteren um das Drei- bis Vierfache an Länge übertreffende Fäden. Dieselben endeten mit einer Kugel, welche bedeutend grösser war als die knöpfehenförmige Endanschwellung der gewöhnlichen Acineten-Tentakeln, krümmten sich und wurden pendelartig bewegt, beim Einziehen spiralig aufgerollt. Ich unter- scheide sie hier gleichfalls als »Fangfäden« von den übrigen geknöpf- ten und starren Tentakeln, welche ich als »Saugröhren« bezeichne. — In einem andern Falle, den ich gelegentlich meiner Rhizopoden- Studien beobachtete, waren die Fangfäden in einer Spirale jedesmal um die Saugröhre herumgelagert. Leider habe ich damals verab- säumt, mir die Species, bei der ich die Beobachtung angestellt habe, zu notiren. — In beiden Fällen habe ich mich vergeblich bemüht, Uebergangsformen zwischen den beiden Arten von Tentakeln aus- findig zu machen. Ebenso wenig gelang es mir eine Weiterentwick- lung einer Saugröhre zu einem Fangfaden oder die Rückbildung eines Fangfadens zu einer Saugröhre zu verfolgen. Ich muss daher auch in den genannten beiden Fällen einen bleibenden Unterschied zwischen beiderlei Gebilden festhalten und komme daher zum Schluss, dass bei einer Anzahl Acineten die beiden Abschnitte der Nahrungs- aufnahme, das Einfangen der Nahrung und ihre Einführung in den Organismus von zwei verschiedenartigen Körperfortsätzen verrichtet werden, dass aus einem Zustand der Indifferenz, welcher bei den meisten Acineten persistirt, die Organe des Nahrungserwerbes sich nach zwei Richtungen hin: in fangende und saugende differenzirt haben. Dieser Auffassung gemäss modifieire ich die bisher gültige Bezeichnungsweise in folgender Art: Den Namen »Tentakeln« be- halte ich als gemeinsame Bezeichnung für alle Körperfortsätze der Acineten bei, mögen dieselben nun auf einem Zustand der Indifferenz verharren oder sich in fangende und saugende differenzirt haben. Dagegen beschränke ich die Ausdrücke »Fangfäden « und »Saug- röhren«, welche bisher unterschiedslos gebraucht wurden, auf die- Ueber Podophrya gemmipara ete. 31 jenigen Formen, bei denen eine einseitige Entwicklung nach einer Riehtung hin erfolgt ist. | In welcher Beziehung stehen nun die geschilderten Fangfäden und Saugröhren zum Körperparenchym ? Wie verhalten sie sich zur Skeletmembran? Durehbohren sie dieselbe oder stülpen sie sie nur vor sich aus, so dass letztere eine continuirliche oberflächliche Schicht über ihnen bildet? — Diese Fragen lassen sich am lebenden Orga- nismus nicht mit Sicherheit beantworten. Die Fläche, von der die Tentakeln entspringen, ist in Folge von Vertiefungen und Buckeln zu uneben, als dass eine scharfe Einstellung auf die Ursprungsstelle der- selben möglich wäre. Immerhin erhält man auch hier schon zeit- weilig den Eindruck, als träten die Tentakeln am Grunde der Ver- tiefung, in der sie meist entspringen, ins Innere des Körpers hinein. . Ebenso kann man sich am lebenden Organismus schon überzeugen, dass die Skeletmembran sich nicht auf die Oberfläche der Tenta- keln fortsetzt, da man sonst auf derselben ihr aus feinen Stäbehen zusammengesetztes Gefüge erkennen müsste. Genaue Aufschliisse erhält man indessen erst durch Behandlung mit Chromsäure oder Essigsäure und nachfolgender Aufhellung in Glycerin. Zunächst überzeugt man sich, dass die Membran in der That durchbohrt wird (Taf. I Fig. 9 u. 10). Zwar sieht man sie häufig sich scheidenartig an der Basis der Tentakeln eine Strecke weit heraufziehn. Doch ist dies weder stets der Fall, noch reicht diese scheidenartige Umhüllung bis zur Spitze der Tentakeln, wenn es auch vorkommt, dass sie auf eine beträchtliche Strecke hin einen Ueberzug derselben bildet. An Stellen, wo sich die Membran ab- gehoben hat, besitzt der zwischen dieser und der Körperoberfläche gelegene Theil des Tentakels dasselbe Aussehen wie der ausserhalb gelegene. Wir stimmen somit in diesem Puncte mit Ste überein, welcher gleichfalls die Tentakeln der Podophrya Steinii!) und an- derer Acineten die als Secretionsproduct aufgefasste oberflächlichste Haut durchbohren lässt. An der Körperoberfläche angelangt dringen die Tentakeln bei der Podophrya gemmipara in’s Innere hinein. An günstigen nicht zu stark aurch Pigment und Körnchenreichthum getrübten und durch Glycerin gut aufgehellten Exemplaren kann man sie bis nahezu in's Centrum des Körpers verfolgen, nach dem sie alle mehr oder min- der convergiren und in dessen Umgebung sie sich, allmälig undeut- !! Stein : Infusionsthiere, pag. 121. 38 Dr. Riehard Hertwig licher werdend, der Beobachtung entziehen, ohne dass man eine be- sondere Art der Endigungsweise erkennen könnte (Taf. H Fig. 4). Verschmelzungen verschiedener Röhren zu einem gemeinsamen Stamm konnte ich nieht beobachten. Ebenso zeigt auch der Tentakel keine Veränderung seines Aussehens. Wie er unverändert die Skelethülle durehbohrt, so tritt er auch unverändert in’s Körperinnere und be- steht hier wie ausserhalb aus einer diehteren oberflächlichen Schicht und einem homogenen Inhalt. Die hier von der Endigungsweise der Tentakeln im Körperinnern der Podophrya gemmipara gegebene Schilderung weicht in den wich- tigsten Puncten von der Darstellung ab, welehe Srem — allerdings bei anderen Acinetenarten ! — von demselben Structurverhältniss gibt. Srem lässt den Inhalt der Tentakeln mit dem gesammten Körperinhalt gleich an der Oberfläche in direetem Zusammenhang stehen. Nach ihm setzt sich die zarte Haut?) der Tentakeln in eine ebenfalls ausserordentlich zarte Hülle fort, welche er, wie schon erwähnt, unterhalb der Skeletmembran noch als » eigentliche Körpermembran « beschreibt. Es würden somit die Tentakeln gleich an ihrer Ver- bindungsstelle mit dem Körper aufhören distincte Organe zu sein, sie würden im Grunde genommen nichts als röhrige Ausstülpungen der Körpermembran bilden. Diese Auffassung des Verhältnisses, in dem der Körper mit seiner Membran zum Tentakel mit seiner ober- fliichlichen Schicht steht, hat Stein — seiner Darstellungsweise nach zu schliessen — weniger an der Hand der Beobachtung als nach Ana- logie mit den bei Dendrocometes paradoxus zu beobachtenden Ver- hältnissen sich gebildet. Die Arme des Dendrocometes sind, wie ich bestätigen kann, allerdings von einer zarten, aber deutlich doppelt eontourirten Membran überzogen, welche die unmittelbare Fortsetzung !) Stein bespricht das Verhalten der Tentakeln zu verschiedenen Malen, unter andern in: »Die Infusionsthiere auf ihre Entwicklungsgeschichte untersucht.« pag. 72 (von der diademartigen Acinete), pag. 119 (Acinete der Opercularia ar- ticulata), » Organismus der Infusionsthiere« I, pag. 74. > In gleicher Weise wie Srrin lässt auch ZENKER bei der Acineta ferrum equinum (nach CLAPAREDE und LAcHMAnNs Terminologie Podophrya ferrum equinum) die Tentakeln von einer gemeinsamen, den ganzen Körper umhüllen- den Haut bedeckt sein. Nach ZENKER würde »der im Innern der Arme befind- liche Canal von zwei Schichten umschlossen sein, einer inneren, in allen ihren Theilen willkürlich contractilen, so zu sagen muskulösen Schicht und einer äusseren schlaffen, häutigen, welche eine Fortsetzung der äusseren, lederartigen Haut des Thieres ist«. (ZENKER: Beiträge zur Naturgeschichte der Infusorien. Arch. f. mikr. Anat. Bd. II pag. 343, Taf. XIX.) i Ueber Podophrya gemmipara ete. 39 einer gleichbeschaffenen Hülle des Körpers darstellt. Indessen ist die Annahme, auf der Srerm seinen Analogieschluss basirt'!) , dass nämlich » die Arme des Dendrocometes einem Tentakelbüschel, jede Endverästelung eines Armes somit einem einzelnen Tentakel morpho- logisch und physiologisch entsprieht«, wie schon CLAPAREDE 2) betont, vollkommen unbewiesen. Ich meinerseits bin nieht einmal wie Cra- PAREDE geneigt, diese Homologie für wahrscheinlich zu halten, wie denn überhaupt die Stellung des Dendrocometes zu den übrigen Aci- netinen noch sehr zweifelhaft, unsere Kenntnisse seines Baues und seiner Ernährungsweise noch lückenhafte sind. Für das thatsächliche Vorhandensein von Verlängerungen der Tentakeln in's Körperinnere, welche ich übrigens an zahlreichen Prä- paraten zu demonstriren im Stande bin, und für die Annahme, dass wir es hier mit einer allen Acineten zukommenden Structur zu thun haben, muss ich hier noch einige weitere Beweise beibringen. Zu- nächst möchte ich hier anführen, dass die geschilderte Endigungs- weise eine bisher unverständlfehe Erscheinung bei der Nahrungs- aufnahme erklärt. Verfolgt man bei Acineten, welche nicht allzu undurehsichtig sind, die Körnchen, welche von den Saugröhren aus in’s Körperinnere strömen, so fällt es auf, dass dieselben in der Ver- längerung der Saugröhren nach der Körpermitte dringen und nicht schon an der Basis derselben sich mit dem Körperinhalt vermengen. CLAPAREDE und LACHMANN ’), welche dieselbe Beobachtung gemacht haben und von denen der letztere!) auch eine Abbildung gegeben hat, schildern den Vorgang vortrefflich in folgender Weise: »Les gra- nules arrives dans l’Acinetinien. eontinuent leur chemin avec une ra- pidité assez notable, jusqu’a un point situé profondément dans le corps de l’animal. A partir de 1a, ils prennent part a la circulation lente du liquide contenu dans la cavité du corps de l’Acinétinien.« Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass im Körper der Acinete vorgebildete, in der Verlängerung der Tentakeln liegende Strassen existiren, welche die Nahrungskörnchen in’s Centrum des Körpers führen. Die von mir beschriebenen Verlängerungen der Tentakeln stimmen aber vollkommen in ihren Lagebeziehungen mit den Strassen überein, deren Existenz durch den Verlauf der Nahrungsaufnahme bewiesen wird. e 1) STEIN.: 1. c. pag. 212. 2) CLAPAREDE u. LACHMANN: Etudes I pag. 390. 3) Dieselben : Etudes I pag. 379. 4) LACHMANN: Miillers Archiv. 1856. 10 Dr. Richard Hertwig Ferner habe ich die geschilderten Verlängerungen der Tentakeln in’s Innere des Körpers auch bei einer andern von mir als Podophrya poeulum bezeichneten Acinete beobachtet. welche der Acineta eueullus CLAPAREDE’s und LACHMANN’s'!) verwandt ist und auf Bryozoen und Hydroiden ebenfalls häufig in der Nähe von Helgoland gefunden wird (Taf. II Fig. 15). In einer einem flachen Champagnerglas ähnlichen, nur in einer Richtung comprimirten Schale liegt ein gleich- gestalteter Körper, von dem links und rechts ein Tentakelbüschel entspringt. Bei der grossen Durchsichtigkeit des Protoplasma fielen hier schon am lebenden Thier Verlängerungen der Tentakeln auf, welche einen Bogen bildeten, mit denen der anderen Seite hin- ter dem ovalen Nucleus im hinteren Körperende sich verflochten. Auch hier wurde durch Chromsäure die Deutlichkeit der Bilder erhöht. 5 Leider habe ich nicht Zeit gehabt, zahlreichere Formen auf das Verhalten der Tentakeln zu untersuchen ; doch ist es wohl kaum an- zunehmen, dass bei einer so bedeutsamen Organisations-Eigenthüm- lichkeit nicht für alle Acineten typische Verhältnisse vorliegen sollten. Fassen wir zum Schluss noch einmal die wichtigsten über die Tentakeln der Podophrya gemmipara gemachten Beobachtungen zu- sammen, so finden wir, dass dieselben Röhren von contractilen Wan- dungen vorstellen, welche die Körperhülle durchbohren und in’s Innere des Körpers bis nahe zum Mittelpunet desselben vordringen. Sie enden entweder fein zugespitzt und werden dann »Fangfäden« von uns genannt, oder ihr Ende bildet eine saugnapfähnliche Verbreite- rung, dann verdienen sie ihrer Function halber die Bezeichnung »Saugröhren «. 2. Entwicklungsgeschichte. Nachdem wir im Vorhergehenden versucht haben, uns ein mög- lichst genaues Bild vom Bau der Podophrya gemmipara zu entwer- fen, werden wir im Folgenden den Verlauf ihrer Fortpflanzung ver- folgen. Bei der Bedeutung, welche für die Beurtheilung des Zell- werthes niederer Organismen die Kenntniss ihrer Entwicklung besitzt, habe ich dem Studium derselben besondere Aufmerksamkeit gewid- met und namentlich die Rolle, welche der Nucleus bei der Fort- ptlanzung spielt, einer eingehenden Prüfung unterzogen. Da nuh 1) Etudes II pag. 137. Ueber Podophrya gemmipara ete. 41 die Undurehsichtigkeit der Podophrye am lebenden Organismus keinen Einbliek in die im Innern sich vollziehenden Veränderungen gestattet, dieselben vielmehr nur durch Behandlung mit Reagentien erkannt werden können. so hat ein Studium der Entwicklungsgeschichte eine doppelte Aufgabe zu erfüllen: 1) am lebenden Organismus — und soweit wie möglich an ein und demselben Exemplar — zu verfolgen, welche Formveränderungen zur Anlage und Ausbildung eines neuen Individuums führen und dieses letztere in einen dem Mutterthier gleichkommenden Zustand überleiten; 2) die den einzelnen Stadien entspreehenden inneren Veränderungen mikrochemisch nachzuweisen. Diesen bei der Untersuchung eingeschlagenen doppelten Weg werde ich auch bei der Darstellung meiner Beobachtungen einhalten und zunächst den Gang der Entwicklung schildern, insoweit er sich am lebenden Organismus verfolgen lässt. Die Fortpflanzung der Podophrya gemmipara findet durch Bil- dung von Knospen statt, welche auf der oralen Fläche des Körpers zwischen den hier entspringenden Fangfäden und Saugröhren ent- stehen und sich im Verlauf zu Schwärmern entwickeln. Die Knospen bilden breite zungenförmige Fortsätze. welche anfänglich mit breiter Basis der Podophrye aufsitzen und in vorgerückteren Stadien in leb- hafter Wimperung begriffen sind. Eine in Fortpflanzung begriffene Podophrye gewährt somit einen sehr characteristischen, auffallenden Anbliek. Meistentheils findet man die Knospen in grösserer Anzahl: bei grossen Individuen zählte ich nicht selten s—12, welche einen das Centrum der Fläche freilassenden Kranz bildeten. Am häufigsten sind vier und sechs Schwärmer, selten nur ein oder zwei bei kleinen Individuen. Fast in allen Fällen besassen die einzelnen Schwärmer einen gleichen Grad der Ausbildung, nur einmal beobachtete ich neben zwei vollkommen reifen zwei kleinere eben erst in der Ent- stehung begriffene Exemplare. Die Schwärmer entwiekeln sich als kleine allmählich an Grösse zunehmende Protuberanzen der Körperoberfläche. Indem ihr Paren- chym mit dem Parenchym des Mutterthiers in vollkommener Con- tinuität steht. geht die Membran des letzteren an der Verbindungs- stelle continuirlich auf den jungen Organismus über und überzieht denselben in gleicher Weise, wie sie es beim älteren thut und wie es Figur 4 auf Taf. I von einem lebenden Exemplar zeigt, noch deutlicher die Figuren auf Taf. II von Individuen, die mit Chromsäure behandelt wurden. Im Verlaufe des Wachsthums verändern die jungen Knospen, 4? Dr. Richard Hertwig deren erste Anlage ich soeben geschildert habe, ihre Form, indem diejenige Seite ihres Körpers, welche nach der Axe des Mutterthiers sieht, sich muldenförmig vertieft. Diese muldenförmige Vertiefung ist anfänglich am freien Ende der Knospe breiter als am festge- wachsenen, nach welchem hin sie sich schnabelförmig verschmälert; später wird sie gleichmässig in ihrer ganzen Ausdehnung und ver- tieft sich nur in der Längsaxe zu einer medianen mit steil abfallenden Wandungen versehenen Rinne (Taf. I Fig. 2 u. 6). Man kann somit jetzt an der Knospe eine gewölbte Rückenfläche und eine ausgehöhlte ventrale Fläche unterscheiden. Rücken und Bauchfläche gehen mit abgerundeten Kanten in einander über. Die Knospen sind bald vollkommen farblos oder doch wenigstens pigmentarm, bald sind sie in Folge des dichten Farbstoffs ebenso undurchsichtig wie das Mutterthier. Meine Beobachtungen machen es mir wahrscheinlich, dass zur Bildung der Knospen ein möglichst pigmentarmes Protoplasma verwandt wird, dass es zur Bildung pig- mentirter Knospen erst dann kommt, wenn der miitterliche Organis- mus, durch Bildung früherer Schwärmer erschöpft, nicht mehr be- fähigt ist ein farbstofffreies Plasma dem Sprössling mitzutheilen. Ich schliesse dies daraus, dass die grossen und kräftigen Individuen zahlreiche und farbstofffreie Knospen bilden, während der Pigment- reichthum wächst, je mehr der mütterliche Organismus gegenüber dem Volumen der Tochterthiere zurücksteht (Taf. I Fig. 3) und am beträchtlichsten wird, wenn fast der ganze Körper zur Bildung der Tochterthiere aufgebraucht wird. Diese Beobachtungen sind insofern von Interesse, als sie den Farbstoff als etwas Bedeutungsloses er- scheinen lassen; wahrscheinlich ist derselbe, wie bei den meisten Protisten, ein Produet der Assimilation. Während die convexe oder dorsale Fläche des Schwärmers im Laufe der Entwicklung keine weiteren Veränderungen erleidet, über- zieht sich die Concavität der Bauchfläche mit einem gleichmässig um die rinnenförmige Vertiefung angeordneten System feiner Streifen ‘Taf. I Fig. 6 A—C). Dieselben sind in ähnlicher Weise wie die Streifensysteme der Schwärmer des Dendrocometes paradoxus aus Unebenheiten der Körperoberfläche zu erklären und können nicht als besondere Muskelfibrillen angesehen werden, da die Beobachtung an ihnen keine Zeichen von Contractilitiit zu erkennen vermag. Auf diesen als Leisten zu deutenden Streifen entwickeln sich zahlreiche feinste schwer erkennbare Wimpern, welche so lange der Schwärmer noch mit dem Mutterthier in Verbindung steht in unregelmässig eS) Ueber Podophrya gemmipara ete 4 undulirender Bewegung begriffen sind. Im Körperinnern finden sieh einige Vacuolen, welche keine beträchtliche Grösse erreichen und leicht übersehen werden. Von einem Nucleus gewahrt man selbst bei durchsichtigen Exemplaren nur Spuren in Form einer mattgrauen Stelle in dem vordern Theil der Knospe (Taf. I Fig. 6 A. x). Wie die Carminbehandlung lehrt, entspricht diese Stelle nicht dem ganzen Nucleus, sondern nur dem Endtheil desselben. Die Ablösung der nunmehr reifen Knospe erfolgt, indem sich von der Basis aus eine Abschnürungsfurche bildet, welche in’s Innere des mütterlichen Organismus eindringt und so die Knospe aus dem- selben gleichsam herausschneidet (Taf. I Fig. 3). Der Vorgang ver- läuft wie alle die oben geschilderten Veränderungen langsam und nahezu zu gleicher Zeit bei allen Knospen desselben Exemplares. Eine active Theilnahme des Mutterthieres an der Ablösung durch Contractionen, wie solche beim Gebären der endogen entstandenen Schwärmer der übrigen Acineten beobachtet werden, habe ich nicht erkennen können. Der träge Verlauf der Abschnürung macht die- selben unwahrscheinlich; derselbe contrastirt sehr gegen die Schnellig- keit, mit welcher der Acinetenschwärmer sonst das Mutterthier ver- lässt. Die Zeitdauer des geschilderten Theils der Entwicklung habe ich nicht bestimmen können, weil ich ihn nie in Continuität bei ein und demselben Individuum verfolgen konnte. Da man an jungen Knospen kaum eine Veränderung während der Dauer der Beobach- tung constatiren kann, muss der Verlauf ein ausserordentlich lang- samer und schleppender sein. — Dagegen gelang es mir, mehrfach Schwärmer, welche eben sich abgelöst hatten oder deren Ablösung ich hatte beobachten können, zu verfolgen, bis sie sich festsetzten und die Form der entwickelten Podophrye annahmen. Mit der Ablösung beginnt der zweite Abschnitt des Entwieklungs- lebens des Schwärmers, welcher den Zeitraum von der Ablösung bis zum Uebergang in die entwickelte gestielte Podophrye umfasst (Taf. I Fig. 6). Beim Beginn seines individuellen Daseins bildet der Schwär- mer eine im Grossen und Ganzen ovoide Scheibe, an der das eine früher mit dem Mutterthier verbundene Ende etwas sich zuspitzt. Auf der concaven ventralen Fläche ist die longitudinale Furche deut- lieher und tiefer geworden ; ebenso das Streifensystem und der dem- selben entsprechende Wimperbesatz. Ausserdem ist jetzt ein meist schon kurz vor der Ablösung erkennbares Structurverhiiltniss deutlich wahrnehmbar. Man bemerkt nämlich, dass am spitzen Ende von der 44 Dr. Richard Hertwig Wimperrinne eine gleichfalls wimpernde Einstülpung nach der Rücken- fläche sich erstreckt. Wie eine Combination der seitlichen Ansicht und der Flächenansicht lehrt, ist diese Einstülpung röhrenförmig und nieht etwa nur das umgebogene Ende der Furche, wie man ver- muthen könnte. Die Einmündung der Einstülpung in die wimpernde Furche ist am deutlichsten bei einer halb seitlichen Ansicht des Schwiirmers (Fig. 6 C), woraus hervorgeht, dass die Einstülpung nicht rein median, sondern etwas lateral gerichtet ist. Die Länge des Gebildes beträgt ein Drittel der Schwärmerlänge. Einige Male konnte ich erkennen, dass das blinde Ende wimperlos war und sich mit einer Einschnürung gegen den vorderen bewimperten Theil absetzte ‘Taf. I Fig. 6 A). An Schwärmern, die noch festsassen, machte die Einstülpung, deren Mündung nach aussen verdeckt ist, den Eindruck einer in die Länge gezogenen Vacuole (Taf. I Fig. 3 0). An zwei mit Chromsäure behandelten Schwärmern gelang es mir gleichfalls die Einstülpung zu erkennen und schien mir dieselbe ebenso wie die Schwärmeroberfläche von der Skeletmembran bekleidet zu sein (Taf. II Fig. 10 6). Auf die Deutung des auffälligen und nur an undurchsichtigen, stark pigmentirten Individuen nicht kennt- lichen Structurverhältnisses werde ich später noch einmal zurück- kommen. Die Bewegung des abgelösten Schwärmers ist eine ausserordent- lich träge und schleppende, so dass er sich nur wenig vom mütter- lichen Organismus entfernt. Er bewegt sich wie tastend und nach einem zur Fixation geeigneten Orte suchend längs dem Tubularien- stämmchen hin, wobei das spitze Ende meistentheils vorangeht. Nach einiger Zeit beginnen Formveränderungen, welche allmählich den Schwärmer in die bleibende Form überführen. Der Körper zieht sich in der Richtung der Längsaxe zusammen ; seine Oberfläche wird wulstig und höckerig, was von zweierlei Umständen herrührt. Einestheils treten auf der ganzen Oberfläche zahlreiche kleine geknöpfte Ten- takeln auf, welche sich von den gewöhnlichen Acinetententakeln nicht unterscheiden und noch nicht die feine Zuspitzung besitzen wie beim entwickelten Thiere, dagegen schon bei Behandlung mit Chrom- säure deutlich die Verlängerungen in’s Innere erkennen lassen (Taf. II Fig. 10). Anderntheils nehmen die früher kleinen Vacuolen an Grösse zu und treiben die Oberfläche buckelförmig vor. Bezüglich ihrer Contractilität verhalten sie sich ganz wie die Vacuolen bei der aus- gebildeten Podophrye. Indem allmählich die Bewegungen des Schwärmers erlahmen, Ueber Podophrya geinmipära ete. 45 fixirt sich derselbe an irgend einem Fremdkörper, während die Wim- pern noch lange Zeit in unregelmässiger Weise fortschwingen. Um diese Zeit bemerkt man nahe dem stumpfen Ende in der Mittellinie der ventralen Fläche eine ovale oder kreisförmige Figur, welche durch die erste Anlage des Stiels hervorgerufen wird. Auf Profil- bildern erkennt man, dass sich derselbe in einer Vertiefung des Protoplasma bildet, und zwar entsteht zuerst das basale festsitzende Ende, erkenntlich an seinen Zähnen und Zacken. Diese erste An- lage des Stiels ist es wohl, welche Stein !) auch bei anderen Aci- netenschwärmern gesehen hat und mit dem unpassenden Namen eines » nabelförmigen Saugnapfes« bezeichnet. Indem sich die Concavität der ventralen Fläche ausgleicht und mehr und mehr in eine Convexität umbildet und indem ferner die daselbst gelegene röhrenförmige Einstülpung verstreicht, bildet sich allmählich die definitive Form der Podophrya gemmipara aus (Taf. I Fig. 6 D—F). Es findet von nun an nur noch ein Wachsthum statt, welches in einer Verlängerung des Stiels und einer Grössenzunahme des Weichkörpers besteht. Es gelang mir nicht, dieses Wachsthum zu verfolgen, doch kann man mit Sicherheit aus der Beobachtung der zahlreichen , auf verschiedensten Stufen der Ausbildung befindlichen Individuen schliessen, dass es sich, abgesehen davon, dass die an- fänglich noch persistirenden Wimpern allmählich schwinden, mit keinen weiteren Veränderungen complieirt. Die Zeitdauer von der Ablösung bis zur Annahme der definitiven Form und der Fixation konnte ich in einem Falle auf 10 Stunden bestimmen. Nach den hier mitgetheilten Beobachtungen bilden sich somit nur die Tentakeln und der Stiel neu, während, die Körperumhüllung von der Körperumhüllung des mütterlichen Organismus abstammt. Wir kommen jetzt zum zweiten Theil des über die Entwick- lungsgeschichte handelnden Abschnittes, zur Darstellung der Ver- änderungen, welche im Innern des Körpers sich vollziehen und daher nur mikrochemisch nachgewiesen werden können. Dieselben be- schränken sich auf den Antheil, den der Kern an der Fortpflanzung ') STEIN : Organismus der Infusionsthiere I p. 105. Auch bei den Embryonen von Bursaria truncatella hat Stein ein ähnliches Gebilde als »blindes Saug- näpfchen« beschrieben (Organismus der Infusionsthiere II p. 306, Taf. XIII Fig. 5). Sollte dasselbe, wie ich vermuthe, der ersten Anlage eines Stiels entsprechen, so wäre hierdurch untrüglich dargethan, dass die mit ihm versehenen Schwärmer nicht in den Entwicklungskreis der stiellosen Bursaria gehören und somit als Parasiten angesehen werden müssen. 46 Dr. Richard Hertwig nimmt. Alle die Resultate, zu denen ich in dieser Hinsicht gelangt bin, wurden durch das schon oben empfohlene Verfahren gewonnen : Behandlung mit Chromsäure und darauf folgende Imbibition mit Essig- säurecarmin und Aufhellung in einem 0,5 % Salzsäure enthaltenden Glycerin. Da der Kern schon frühzeitig Veränderungen erleidet, welche wir in Beziehung zur Fortpflanzung bringen müssen, so halte ich es für zweckmissig, die Beobachtungsreihe mit dem ausgebildeten, eben abgelösten Schwärmer zu beginnen und den Cyclus der Wachsthums- erscheinungen zu verfolgen, bis wir wieder zur Bildung eines Schwär- mers gelangen. Der Kern des Schwärmers (Taf. II Fig. 10 A u. Fig. 8) ist wie bei der eben erst zur Ruhe gekommenen jungen Podophrye, von der ich ihn oben genauer geschildert habe, hufeisenförmig, und zwar liegt die Convexität des Bogens nach dem stumpferen freien Ende zu, wäh- rend die Oeffnung nach der mit dem Mutterthier in Zusammenhang stehenden Spitze gerichtet ist. Die Stelle, an der sich in der Folge- zeit der Stiel als ein kleines Näpfehen ausbildet, liegt innerhalb der beiden Schenkel des Hufeisens und der Krümmung desselben ge- nähert. In seltenen Fällen ist jetzt schon eine Volumszunahme des Kerns eingetreten, welche ihn zwingt sich winkelig zu knicken und zu biegen, oder es treten einzelne seitliche knospenförmige Auswüchse auf. Häufiger fand ich den Kern in einzelne Stücke zerfallen, wie es Fig. 10 B zeigt und wie es auch beim weiter entwickelten Or- ganismus nicht selten angetroffen wird. Ich glaube jedoch nicht, dass in diesen Fällen eine vollkommene Trennung in kleinere Theile stattgefunden hat, sondern bin der Ansicht, dass auch hier, wie es BaLBiant von ähnlichen Kernen anderer Infusorien behauptet, dünne Verbindungsfäden von Nucleussubstanz, die durch die Färbung nicht genügend deutlich gemacht worden sind, noch die einzelnen Stücke verbinden. Wenn sich der Schwärmer nunmehr festgesetzt hat und die so- mit entstandene Podophrye durch reichliche Nahrungsaufnahme an Grösse zunimmt, so bilden sich die oben genannten in einzelnen Fällen schon beim Schwärmer nachweisbaren Veränderungen des Kerns weiterhin aus (Taf. II Fig. 1—3 Die Hufeisenform wird durch vielseitige Windungen modifieirt. Zahlreiche seitliche Knospen wach- sen aus dem Nucleus senkrecht zur Längsrichtung desselben hervor. Indem dieselben sich dichotomisch verästeln, durchsetzen sie das ganze Körperparenchym in mannigfach gewundenem oder winklig geknicktem Verlauf Taf. II Fig. 4. Für alle diese Kernknospen Ueber Podophrya gemmipara ete. 47 sind die kolbig angeschwollenen Enden characteristisch, während die mittleren Theile sich nicht selten zu feinen durch Imbibition kaum nachweisbaren Fädchen ausziehen können. Diese Wachsthums- erscheinungen sind es, welche das Bild der ursprünglichen Anordnung des Kerns trüben. Doch gelingt es auch jetzt noch, namentlich, wenn man die Podophrye von der Seite der Insertion des Stiels be- trachtet, die anfänglich leicht erkennbare Hufeisenform heraus zu finden. Die geschilderten Kernknospen sind nur selten seitlich oder basalwärts gerichtet; fast alle wachsen der oralen Seite des Orga- nismus zu (Taf. II Fig. 5). In den Fällen, wo sich hier über den Enden der Kernveriistelungen die jungen Schwärmer als kleine Pro- minenzen gebildet haben, wachsen sie in dieselben hinein und zwar jedesmal nur eine Kernknospe in eine Schwärmeranlage (Taf. II Fig. 6). Bei zunehmender Grösse der letzteren bilden sie in ihnen die schon oben genauer beschriebene Hufeisenform, deren einer Schenkel sich als ein dünnes Verbindungsfädchen zum mütterlichen Kern begibt, während der andere mit kolbiger Anschwellung endet (Taf. II Fig. 7 u. 8). Indem der dünne Verbindungsfaden sich mit der Zeit löst, bleibt der Endtheil der Kernknospe, welcher den bei weitem beträchtlichsten Theil derselben bildet, in dem Schwärmer zurück, der hierdurch das Aeussere gewinnt, von dessen Schilderung wir ausgegangen sind. Die Lösung der Kernverbindung erfolgt erst sehr spät, kurz bevor der reife Schwärmer sein individuelles Dasein beginnt. Ausser der schon oben besprochenen Zerklüftung des Kerns in zahlreiche, durch feine Fiidchen verbundene Theilstücke, kommt es auch vor, dass die Windungen und Verästelungen desselben zu einer centralen unförmlichen Masse schrumpfen, welche dicke Ausläufer in die Schwärmeranlagen entsendet (Taf. II Fig. 9). Während der geschilderten Veränderungen bildet sich eine Ver- lagerung des Nucleus aus, indem die ursprünglich im basalen Theil der Podophrye gelegene Hauptmasse des Nucleus in’s freie Ende heraufrückt. Der Kern nähert sich somit der Stelle, an welcher die Entwicklung junger Individuen stattfindet (Taf. II Fig. 7—9). Wenn wir jetzt die Beobachtungen, welche wir über den Verlauf der Entwicklung und die hierbei stattfindenden Veränderungen des Kerns gemacht haben, verknüpfen, so erhalten wir folgendes Ge- sammtbild der Fortpflanzung: Der hufeisenförmige Kern treibt zahl- reiche sich verästelnde Knospen. Ueber den Enden der Kernknospen bilden sich auf der Körperoberfläche kleine Höcker, im welche die sich verlängernden Endäste des Kerns hineinwachsen. Hier biegen 48 Dr. Richard Hertwig sich letztere hufeisenförmig um; die an Grösse zunehmenden Höcker höhlen sich auf einer Seite muldenförmig aus und bedecken sich auf derselben mit Flimmern. . Dann schnürt sich zuerst der neugebildete Kern, demnächst der ganze Schwärmer ab, worauf letzterer nach längerem Umherschwimmen sich fixirt, einen Stiel ausscheidet und eine neue Podophrye bildet. . m Der im Obigen geschilderte Process der Bildung junger Individuen muss sich an jedem einzelnen Individuum mehrfach wiederholen. Ich habe dies zwar aus leicht verständlichen Gründen nicht an ein und demselben Exemplar verfolgen können, glaube es aber aus dem Umstand erschliessen zu müssen, dass ich häufig mit jungen Knospen versehene Podophryen fand, bei denen die grosse Dieke des Stiels in keinem Verhältniss zur Kleinheit des Körpers stand, bei denen man somit eine Reduction des Körpervolumens durch einen früheren Fortpflanzungsprocess annehmen musste. Diese Reduction des mütterlichen Organismus im Verlauf der Erzeugung neuer Indi- viduen kann so beträchtlich werden, dass zuletzt nur ein spärlicher mit einem rundlichen Kern versehener Protoplasmarest übrig bleibt, welcher kaum noch das Stielende bedeckt (Taf. I Fig. 11), oder es kommt vor, dass der Rest des mütterlichen Körpers ganz in die Tochterindividuen hinüber genommen wird und bei dew Freiwerden derselben der nackte Stiel zurück bleibt. Dadurch verläuft die Fort- pflanzung durch Knospung unter dem Bilde der Zweitheilung. Ausser der Schwiirmerbildung in der geschilderten Weise habe ich keine mit der Fortpflanzung im Zusammenhang stehende Ver- änderungen nachweisen können. Die Cystenbildung, welche häufig bei anderen Infusorien in Beziehung zur Fortpflanzung tritt, scheint mir bei der Podophrya gemmipara nur die Bedeutung zu haben, dass sie bei eintretender Veränderung der Lebensbedingungen den Orga- nismus vor Schädlichkeiten bewahrt. So fand ich, dass selbst dann, wenn behufs der Erneuerung des Gasgehaltes der v. Kocu’sche Dureh- lüftungsapparat zur Anwendung kam, die Podophryen, welche aus dem Meere in ein Seewasseraquarium verpflanzt wurden, sich binnen weniger Tage encystirten, während unter den direet nach der Aus- fahrt untersuchten Exemplaren sich nur wenig eneystirte befanden. Die Cyste bildet eine rundliche Kapsel, welche ausserhalb der Skelet- membran gelegen ist und vom Körper durch einen Zwischenraum getrennt wird (Taf. I Fig. 5). Sie besteht aus einer homogenen, Säuren und Alkalien widerstehenden Substanz, welche auf ihrer Ober- fläche mit Körnern inerustirt ist. Die Tentakeln sind antänglich noch Ueber Podophrya gemmipara ete. 49 als kleine Stummeln erkennbar, später werden sie in’s Körperinnere zurückgezogen und sind dann nur mit Hülfe von Reagentien als ein Keil von Fäden nachweisbar, welche ungefähr vom Mittelpunet aus- gehen und nach dem oralen Ende zu divergiren. Sie werden somit nicht aufgelöst, sondern nur in’s Protoplasma zurückgezogen. Der Eneystirung geht eine Periode voraus, in der die auf die Fortpflanzung sich beziehenden Veränderungen besonders lebhaft ver- laufen und daher gut zu beobachten sind. Tags nach der Ausfahrt, auf der man die Podophryen gesammelt hat, findet man zahlreiche abgelöste oder in Ablösung begriffene Schwärmer. Man thut daher gut daran, das eingesammelte Beobachtungsmaterial möglichst bald zu verarbeiten, zumal demselben auch von anderen Seiten her Gefahren drohen. So stellen kleine Krebse, besonders Amphipoden und unter diesen wieder vornämlich die gefrässige Caprella den kleinen Orga- nismen nach. Ferner bohrt sich an der Verbindung von Stiel und Körper, also an einer Stelle, wo es vor der gefährlichen Waffe der Tentakeln sicher ist, ein rasch sich vermehrendes hypotriches Infusor in das Innere der Podophrye ein und zerstört dasselbe. Durch alle diese Verhältnisse wird selbst bei der besten Pflege ein reiches Ma- terial binnen Kurzem für entwicklungsgeschichtliche Beobachtungen unbrauchbar. Zum Schlusse der hier gegebenen Beschreibung der Podophrya gemmipara fasse ich noch einmal die wichtigsten Charactere zu einer kurzen Diagnose zusammen. Podophrya gemmipara. nov. spec. Die Podophrya gemmipara ist eine gestielte Acinete von becher- oder napfförmiger Gestalt. — Der Stiel bildet eine von der Basis aus nach ihrem freien Ende zu sich verbreiternde, von einem festen Inhalt erfüllte Röhre, deren Wandung aus einer weicheren Innensubstanz und einer derberen Cuticula besteht und stets Querstreifung, zuweilen auch Längsstreifung erkennen lässt. — Die Körperoberflüche wird von einer dicht anschliessenden Membran bedeckt, welche wie aus verkitteten Stübchen und Körnchen zusammengesetzt aussieht. — Im Körper finden sich unregelmässig gelagerte contractile Vacuolen von schwankender Anzahl. — Der Nucleus besteht aus einem hufeisenförmigen Grund- stock, von dem zahlreiche das Parenchym durchsetzende Veriistelungen entspringen. — Die Tentakeln sind in Fangfiiden und Saugröhren differenzirt, welche beide die Skeletmembran dur 9 und in's In- nere des Körpers eindringen. Morpholog. Jahrbuch. 1. 50 Dr. Richard Hertwig Die Fortpflanzung kommt durch Bildung zahlreicher hypotrich bewimperter Knospen zu Stande, welche im Anschluss an eine Knospung des Nucleus entstehen und mit einer einem Cytostom ähnlichen Ein- stülpung versehen sind. Die Knospen lösen sich als Schwärmer ab und bilden sich direct in die Podophrya gemmipara um. Durchmesser des Körpers 0,06—0,2 mm, Länge des Stiels 0,5—0,8 mm. U.. Allgemeiner Theil. Bemerkungen zum Bau und zur systematischen Stellung der Acineten. Die im Vorigen geschilderten Beobachtungen geben mir nach zwei Richtungen hin Veranlassung zu Betrachtungen allgemeiner Natur. Zunächst sind uns durch sie in mehrfacher Hinsicht Gesichts- puncte zur Beurtheilung des Baus und der histologischen Zusammen- setzung der Acineten geboten. Weiterhin sind aber auch einige Be- obachtungen geeignet, Reflexionen anzuregen über die systematische Stellung der Acineten, speciell über ihre verwandtschaftlichen Be- ziehungen zu den übrigen Infusorien, den Ciliaten. 1. Ueber den Bau der Acineten. Bei der Betrachtung des Baus werde ich, ausgehend von den bei der Podophrya gemmipara gemachten Beobachtungen, die Organisation der übrigen Acineten, wie sie mich Arbeiten anderer Forscher und eigene gelegentlich angestellte Untersuchungen kennen gelehrt haben, zum Vergleich heranziehen. Da es hierbei nicht in meiner Absicht liegt, eine Schilderung der gesammten Acinetenorganisation zu geben, werde ich mich auf die wichtigeren Verhältnisse beschränken und deshalb im Folgenden nur den Bau des Skelets und der Tentakeln, vor Allem aber die morphologische und physiologische Bedeutung des Nucleus einer allgemeinen Besprechung unterziehen. Ich beginne mit der Betrachtung des Skelets, und zwar des interessantern Theils des- selben, der Skeletmembran, da wir vom Stiel, als einem bei allen Acineten im Wesentlichen gleichgebauten Gebilde absehen können. a) Ueber die Skeletmembran. Ein Blick auf die Körperhüllen der Acineten macht uns mit einer ausserordentlichen Mannigfaltigkeit in ihren Formen, ihrer Ueber Podophrya gemmipara etc. 51 Festigkeit, ganz besonders aber in ihren Lagebeziehungen zum Weich- kérper bekannt. Wenn wir die Podophrya gemmipara zum Ausgangs- punct unserer Vergleichung wihlen, so schliessen sich an die im speciellen Theil genauer geschilderte Kérnchenmembran derselben die homogenen auf dem optischen Querschnitt doppelt contourirt erschei- nenden Hüllen der meisten übrigen Podophryen, der P. Lyngbyi, P. Steinii, P. Cyelopum ete. unmittelbar an. In allen diesen Fällen haben wir mit zarten Membranen zu thun, welche sich den Körper- formen auf's Innigste anschmiegen und nur unter Anwendung von Reagentien und Compression sich ablösen und theilweise wenigstens isoliren lassen. Stets werden dieselben von den Tentakeln durch- bohrt, ohne dass bestimmte, ein für alle Mal gebildete Oeffnungen für ihren Durehtritt existirten. Wahrscheinlich besitzen sie sowohl, wie der meist vorhandene Stiel, mit dem sie häufig sich nicht allein berühren, sondern sogar in unmittelbarer Continuität stehen, dasselbe chemische Verhalten, welches ich bei der P. gemmipara nachgewiesen habe. — Unter dieser Membran findet sich bei unserer P. gemmipara ganz sicher keine weitere »innere Hülle«, sondern es folgt unmittelbar die nackte Oberfläche des Protoplasma. Ebenso werden sich auch die von Stein beschriebenen Formen verhalten, bei denen die Exi- stenz einer zweiten »eigentlichen Körpermembran«, wie ich bei Be- trachtung der Tentakeln gezeigt habe, wohl weniger beobachtet, als der unrichtigen Analogie mit dem Dendrocometes zu lieb erschlossen worden ist. Bei einer weiteren Reihe von vorwiegend marinen Acineten, für die CLAPAREDE und LACHMANN ') den Gattungsnamen Acineta reserviren und für die HAECKEL 2) späterhin, um Verwechslungen mit der gesammten Classe zu vermeiden, zweckmässiger Weise den Namen Autacineta eingeführt hat, sitzt auf dem Stiel eine mehr oder minder becherförmige Schale, welche in den meisten Fällen starr und unbiegsam ist, bei manchen Formen jedoch von den Gestaltveränderungen des Körpers beeinflusst, gefaltet und gebogen wird. Der von der Schale um- schlossene Körper liegt hier selten der Wandung derselben in ganzer Ausdehnung an, meist steht er nur an der Schalenmiindung mit ihr in Verbindung. Bei allen diesen Acineten im engeren Sinne oder Autacineten existiren bestimmte Oeffnungen zum Durehtritt der Ten- takeln. Meist ist die ganze orale Seite geöffnet, mit weiter runder 1) Etudes I, pag. 397. 2) HAECKEL: Generelle Morphologie II, p. LXXIX. 4* 52 Dr. Richard Hertwig Oeffnung bei der A. patula, mit mehrfach gekreuztem Schlitz bei der A. mystacina, mit einer queren Spalte endlich bei dem sogenannten Acinetenzustand des Zoothamnium affine, welchen STEIN, wie mir scheint, fälschlicherweise mit der marinen Acineta tuberosa EHREN- BERG’S identifieirt, bei der A. cucullus (Clap. u. Lachm.) und anderen. Seltener sind zwei Schalenmiindungen vorhanden links und rechts von einer das orale Ende schliessenden Membran. So finde ich es bei einer in der Nähe von Helgoland auf Sertularien (namentlich den von der Austernbank erhaltenen) häufigen Acinete, welche ich mit der A. tuberosa Ehr. für identisch halte und bei der in Fig. 15 auf Taf. I abgebildeten Form, welche ich wegen ihrer Weinglasform als A. po- culum benannt habe. Die grössere Anzahl dieser Formen kenne ich aus eigener Anschauung und kann sicher von ihnen behaupten, dass sie keine noch besonders zu unterscheidende »Körpermembran« be- sitzen; bei den wenigen, die ich nicht beobachtet habe, werden die Verhältnisse wohl die nämlichen sein, so dass wir auch hier wohl nur eine Hülle, welche dann zumeist als Schale bezeichnet wird, unterscheiden können. Sind nun die Schalen der Autaeineten und die biegsamen cuti- eulaähnlichen Umhüllungen der Podophryen morphologisch gleich- werthige Bildungen? Diese Frage glaube ich aus mehrfachen Gründen bejahen zu müssen. Da die Unterschiede, wie sie durch grössere und geringere Festigkeit oder Biegsamkeit, durch unmittelbare Auf- lagerung oder nahezu vollkommene Selbstständigkeit geboten werden, keineswegs durchgreifend sind, so bleibt nur die eine Differenz be- stehen, dass bei dem einen Theil der Hüllen bestimmte Durehtritts- stellen für die Tentakeln existiren, welche bei dem andern Theil fehlen. Diese Differenz lässt sich aber mit den verschiedenen Graden der Festigkeit in Zusammenhang bringen, da mit zunehmender Dich- tigkeit der Schalen dieselben aufhören an beliebigen Stellen für die Tentakeln durchgängig zu sein, und somit bestimmte Oeffnungen in ihnen nothwendig werden. Im Uebrigen stimmen die unterschiedenen beiden Arten der Um- hüllung in ihren Beziehungen zum Organismus vollkommen überein. Namentlich ist zu betonen, dass nirgends beide Hüllen gleichzeitig vorkommen, dass beide überhaupt weder nach aussen noch nach innen von einer weiteren Hülle bedeekt werden. Wir haben deshalb offen- bar nur verschiedene Entwicklungsgrade ein und desselben morpho- logischen Gebildes vor uns, wie sich ein ähnliches Verhältniss be den Schalen der Monothalamien nachweisen lässt, nur mit dem Ueber Podophrya gemmipara ete. 53 Unterschied, dass im letztern Fall noch in viel vollkommenerer Weise durch alle Zwischenstufen hindurch sich die Umbildung einer urspriing- lich membranös weichen » Haut« (Plagiophrys) in eine rigide durch eom- plieirte Structur ausgezeichnete »Kapsel« verfolgen lässt. Die hier vertretene Auffassung, dass die »Schalen« der Autacineten und die »Cuticulae« der Podophryen morphologisch gleichwerthige Ge- bilde sind, scheint auf Schwierigkeiten zu stossen, wenn wir die Entwicklungsgeschichte in Betracht ziehen. Bei den Autacineten, z. B. bei der A. mystaeina'), theilt sich der Körper innerhalb der Schale, ohne dass dieselbe am Theilungsprocess Antheil nähme. Das eine der Theilstücke verlässt als Schwärmer die Schale, um zur Ruhe ge- kommen, sich eine eigene Behausung neu zu bilden. Bei der Podo- phrya gemmipara dagegen habe ich mit aller Sicherheit den Nach- weis führen können, dass die Skeletmembran oder »Cuticula« am Knospungsprocess Antheil nimmt, insofern ein Theil der mütterlichen Hülle direct zum Aufbau der Hülle des Tochterindividuums verwandt wird. Während bei den Autacineten somit, wie CLAPAREDE und LACHMANN?) richtig angeben, die Schale als ein lebloses Gebilde nach Art der Muschelschale erscheint, ist die Cuticula der Podophrya gemmipara noch bildsam und den Einflüssen des Körpers zugängig. Indessen die Bedenken, welche sich aus diesem verschiedenen Verhalten im Verlauf der Entwicklung herleiten lassen, schwinden, wenn wir ganz analoge bei Monothalamien nachweisbare Verhältnisse berücksichtigen. Auch hier verläuft die Theilung je nach der Con- sistenz der Schale bald mit. bald ohne Betheiligung derselben. Wäh- rend sich bei der Mikrogromia socialis nur das Protoplasma theilt, nimmt bei dem der Mikrogromia systematisch ganz nahe stehenden Leeythium hyalinum (Hert. u. Lesser.) , Arcella hyalina Ehr. die Schale an der Fortpflanzung Antheil. Bei demselben hat schon vor längerer Zeit FResentvs *) Längstheilungen in Drei- und Viertheilstücke beschrieben, bei denen die Schale in gleicher Weise eingeschnürt wurde, wie die Oberfläche des Protoplasma, bis schliesslich zwei Schalen aus den beiden Hälften einer Schale entstanden. Nach gelegentlich angestellten Beobachtungen kann ich diese für eine histo- logische Beurtheilung der Schalenbildungen sehr interessanten An- gaben vollkommen bestätigen, obwohl mir anfangs ein derartiger Vor- !) CLAPAREDE et LACHMANN, Etudes II p. 134. 2) Etudes I pag. 17. 3) Abhandlungen der Senckenbergischen Gesellschaft Bd. II. 54 Dr. Richard Hertwig gang unwahrscheinlich und wenig glaubwürdig erschien). Mögen somit die Schalen in den Endgliedern ihrer Entwicklungsreihe todte an den Lebenserscheinungen des Organismus nicht mehr participirende Bildungen sein (wie z. B. bei Arcella, Difflugia, den meisten Autaci- neten), so sind sie doch in den ersten Anfängen, da wo sie eben erst als eine differente durch Secretion des Protoplasma entstandene oberflächliche Schicht, als eine Art Zellmembran sich bilden, noch in innigster Beziehung zu ihrem Mutterboden. Im Anschluss an die hier gegebene Betrachtung des Skelets der Acineten muss ich noch erwähnen, dass nach meinen Beobachtungen keineswegs alle Formen so »augenscheinlich mit einem Integument versehen« sind, wie CLAPAREDE und LACHMANN? annehmen. Viel- mehr liegen Gründe zur Annahme vor, dass manche Acineten Zeit ihres Lebens ohne Skeletmembran existiren. Bei der von STEIN seiner Zeit als Actinophrys sol beschriebenen Podophrya fixa habe ich mich bei früheren Untersuchungen niemals von der Existenz einer »Cuticula« überzeugen können. Auch CIENKOWSKT°) ist es nicht ge- glückt, bei derselben eine Membran nachzuweisen®t). Nach ihm wäre die Hülle, welche Srem bei derselben als eine unmittelbare Fort- setzung des Stiels beschreibt, nur eine vorübergehende der Eneystirung entsprechende Hüllenbildung. Aehnlich lauten seine Angaben über eine zweite nicht näher benannte, der Podophrya fixa ähnliche, aber nicht mit ihr identische Form. — Leider habe ich nicht Gelegenheit gehabt neuerdings die Beobachtungen zu wiederholen und bemerke hier nur noch, dass man mit dem Nachweis von Membranen unter der Zuhülfenahme von Reagentien vorsichtig verfahren muss. Bei ganz sicher membranlosen Amoeben erhält man nicht selten bei der Anwendung von starker Essigsäure eine Art von Membran, deren Entstehung ich mir aus einer Anätzung der oberflächlichsten Proto- plasmaschicht erkläre. Dergleichen Bilder mögen auch bei manchen Acineten zur Annahme einer Membran geführt haben’). 1) Wahrscheinlich wird auch bei den Theilungen der Diplophrys Archeri die Schale ihren Antheil nehmen. 2) Etudes II p. 228. 3) Bulletins de l’Académie imperiale de St. Pétersbourg. Cl. physicomath. XIII p. 301. 4) Mit Recht gibt daher CARus in seinem Handbuch der Zoologie an, dass der Körper der Podophrya fixa nackt ist. .°) Wie ich sehe, äussert sich ganz ähnlich KünnkE gegen die Deutung der unter Anwendung mancher Reagentien entstehenden Bilder, die nach der Ansicht Ueber Podophrya gemmipara ete. 55 Nach diesen Betrachtungen über das Skelet der Acineten komme ich zum Schluss, dass wir bei denselben nackte und mit Skelet ver- sehene Formen zu unterscheiden haben. Die mit einem Skelet ver- sehenen Arten lassen dasselbe in zwei Modificationen, oder besser gesagt, in zwei Graden der Entwicklung erkennen. Bei einem Theil, den Podophryen, bildet es eine allseitig geschlossene biegsame Mem- bran, bei einem andern Theil, den Autacineten, eine mit bestimmten Oeffnungen versehene Kapsel. Man mag nun, wie man will, für beide Arten besondere Benennungen einführen und im ersten Fall von einer Cuticula, im letzteren von einer Schale reden, wenn man nur immer hierbei die morphologische Gleichwerthigkeit beider im Auge behält. Um dieselbe zu betonen, habe ich für beide den ge- meinsamen Namen Skeletmembran eingeführt. Die hier vertretene gleichmässige Benennung der Hüllen der Acineten stimmt mit der Auffassung überein, welche EHRENBERG ') bei der Aufstellung des Genus »Acineta« gehabt hatte. EHRENBERG characterisirt dasselbe als eine Gattung der Acinetinen, »welche einen einfachen hiiutigen Panzer und viele strahlenartige zurückziehbare Fühlfäden hat«. Unter Panzer versteht er hierbei nicht allein das becherförmige Gehäuse der A. tuberosa, sondern auch die Cuticula der P. Lyngbyi. Wie EHRENBERG so stellt auch KÖLLIKER?) »die Schalen und Panzer der Infusorien den Cuticulae ganz an die Seite«, da nach seiner Ansicht alle Uebergänge von den veinfachen Cuticulae« zu wirklichen Hülsen, in denen das Thier mehr oder minder frei enthalten ist«, sich nachweisen lassen. Ebenso fasst auch GEGEN- BAUR?) den Unterschied zwischen den Cuticula- und den Gehäuse- bildungen nur als einen graduellen auf. In den Arbeiten STEIN’s, CLAPAREDE’s und LACHMANN’s, welche zur Zeit noch die ausführlichsten und umfassendsten Darstellungen von der Organisation der Acineten geben, vermisst man eine bestimmt durchgeführte Auffassung der Hüllenbildungen. Aus einer Zusammen- stellung der einschlägigen, in beiden grossen Werken STEIN’S zer- streuten Bemerkungen glaube ich jedoch entnehmen zu können, dass derselbe bis auf die früher schon besprochene Differenz, welche in der vieler Forscher die Existenz einer Membran beweisen sollen. (KÜHNE, Unter- suchungen über das Protoplasma p. 36 u. 37.) !) EHRENBERG, Die Infusionsthiere als vollkommene Organismen. Leipzig 1838 p. 240. 2) KÖLLIKER: Icones histiologicae p. 10. 3) GEGENBAUR: Grundzüge der vergleichenden Anatomie p. 98. 56 Dr. Richard Hertwig Annahme einer inneren Körpermembran besteht, eine gleiche Auffassung des Skelets der Acineten besitzt. Was ich als »Skeletmembran« be- zeichnet habe, nennt STEIN »äussere Membran« oder »eystenartige Hülle« und scheint er hierunter eben sowohl die Cuticulae als die Schalen der Acineten zu begreifen. Die Gründe, welche mich be- stimmen eine »innere Hülle« (»Körperhaut« oder »eigentliche Körper- membran« in Abrede zu stellen, sind zur Genüge erörtert und brauche ich daher nur auf früher Gesagtes zu verweisen. Von der Auffassung CLAPAREDE’S und Lacumann’s habe ich mir kein klares Bild zu verschaffen vermocht, da sie des Skelets der Aci- neten nur in wenigen, zusammenhangslosen Bemerkungen gedenken. Sie schreiben allen Acineten ein unzweifelhaftes Integument zu, ohne aber in den Einzelschilderungen desselben zu erwähnen oder am con- ereten Falle durchzuführen, was sie unter Integument verstehen. In der kurzen allgemeinen Characteristik der Infusorien, mit der sie ihre Etudes einleiten, besprechen sie die Cutieula und Schalenbil- dungen, geben uns jedoch keinen Aufschluss, wie sie das Verhältniss, in dem beide zu einander stehen, aufgefasst wissen wollen. Das daselbst über das Integument Gesagte nimmt ausserdem vorwiegend auf die ciliaten Infusorien, weniger auf die Acineten Rücksicht. b. Bau der Tentakeln. Bezüglich des Baues der Tentakeln, die wir hier an zweiter Stelle besprechen werden, bin ich zu einer Auffassung gelangt, welche sich von der allgemein giltigen sehr wesentlich unterscheidet. Die meisten Forscher stellen die Tentakeln mit den Pseudopodien in eine Kate- gorie und fassen sie demgemäss als unmittelbare Fortsetzungen des Körperparenchyms auf. HAECKEL!) nennt die Tentakeln geradezu »starre vom Protoplasma ausgehende Pseudopodien, welche keinen höheren morphologischen Werth haben als ähnliche Fortsätze anderer Zellen«. In gleicher Weise sprechen sich STE 2), KÖLLIKER 3), Carus‘), CLAUS), GEGENBAUR®) u. A. aus. Dem gegenüber liefern meine Beobachtungen eine Bestätigung ') HAEcREL : Morphologie d. Infusorien. Jenaische Ztschr. B. VII S.A. pag. 10. 2) STEIN : Untersuchungen über die Entwicklung der Infusorien. Archiv f. Naturgeschichte. Jahrg. XV p. 111. 3) KÖLLIKER: lcones hist. p. 11. 4) Carus: Handb. d. Zoologie p. 589. 5) CLaus: Grundzüge d. Zoologie p. 163. 6), GEGENBAUR: Grundzüge d. vergl. Anatomie p. 102. Ueber Podophrya gemmipara ete. 57 der Ansicht CLAPAREDE’s und LACHMANN’S!), dass die Pseudopodien und Tentakeln fundamental verschiedene Bildungen sind, die sich eben sowohl in ihrem Bau als in ihrer Function und in der Art ihrer Bewegung von einander unterscheiden. Die Pseudopodien bestehen aus einer im Wesentlichen gleichmässigen protoplasmatischen Sub- stanz. Wenn die lappigen Fortsätze der Amoeben einen Unterschied von Endosark und Ektosark erkennen lassen, so ist dieser, wie wohl alle Forscher nunmehr übereinstimmen, ein gradueller, durch ver- schiedene Dichtigkeit und verschiedenen Reichthum an körnigen Be- standtheilen bedingter. Bei den Tentakeln der Acineten dagegen ist die Rindensubstanz als eine distinete Schicht gegen den weicheren Inhalt der Röhre scharf abgesetzt, so dass wir eine Verschiedenheit der Substanzen, aus denen sie bestehen, annehmen müssen. — Wäh- rend die Pseudopodien an ihrer Basis unmittelbar in das Körper- protoplasma übergehen, dringen die Tentakeln in’s Innere des Kör- pers ein, und ihre Rindenschicht unterscheidet sich in ihrem ganzen Verlauf vom Parenchym. Ihre Substanz ist somit nicht mit dem Protoplasma identisch, sondern etwas von ihm differentes. Eben so gross sind die Verschiedenheiten, wenn beiderlei Bil- dungen in Function treten. Beim Wechsef der Pseudopodien fliesst ihre Masse in’s Körperparenchym zurück und an anderen Stellen bilden sie sich auf’s Neue als Verlängerungen der Oberflächenschicht. Die Bewegungen kommen zu Stande, indem die einzelnen Theilchen an einander vorüberfliessen, so dass auch innerhalb der Pseudopodien eine beständige Verschiebung und ein Wechsel der Anordnung statt- findet, wie man es am besten an den körnchenbesetzten Pseudopodien der Foraminiferen erkennen kann. Dagegen werden die Tentakeln nur vorgeschoben und zurückgezogen, wie dies zuerst ÜLAPAREDE und LACH- MANN?) richtig erkannten. Der Wechsel ist nur ein scheinbarer; denn wie man sich leicht an eneystirten Exemplaren der Podophrya gemmi- para überzeugen kann, existiren die Tentakeln nach wie vor, wenn sie auch die Körperoberfläche nicht mehr überragen, im Innern des Körpers, nur sind sie contrahirt und in Folge dessen verkürzt: diese Verkürzung combinirt sich mit einer Verbreiterung der Fäden und zwar mit einer Verbreiterung desjenigen Theils, welcher Sitz der Contractilitat ist, nämlich der Rindensubstanz. Wir haben hier somit denselben Unter- schied vor uns, welcher zwischen der Contraetilität der Muskelfaser *) und 1) CLAPAREDE et LACHMANN: Etudes I pag. 39. 2) Etudes II pag. 119 u. 120. 3) Eine der hier vertretenen ähnliche Auffassung hat schon ZENKER früher 58 Dr. Richard Hertwig der sogenannten Contractilität der amoeboiden Fortsätze nachweisbar ist und den KLEINENBERG') in seiner Arbeit über Hydra vortrefflich erläutert hat. Wenn wir KLEINENBERG’S Terminologie anwenden, so sind die Pseudopodien als automatische Gebilde zu bezeichnen, da- gegen sind die Tentakeln contraetil. Aus diesem Vergleich der Tentakeln und Pseudopodien ergibt sich, dass die ersteren vom histologischen Gesichtspunct aus in gleicher Weise beurtheilt werden müssen, wie die Muskelfäden der Gregarinen ?), der Stielmuskel der Vorticellen, die Muskelstreifen der Stentoren und anderer Infusorien. Alle diese Gebilde bestehen nicht mehr aus echtem Protoplasma, sondern sind Differenzirungen desselben, Plasma- producte, die sich zum Körperparenchym ähnlich verhalten, wie die Muskelfibrillen zu den Ueberresten der Bildungszellen, den Muskel- körperchen. Die Tentakeln sind somit distinete Organe, durch deren Besitz sich die Acineten weit über die ihnen äusserlich ähnlichen Heliozoen und über die übrigen aus indifferentem Protoplasma oder Sarkode bestehenden Organismen erheben. ~ ec. Bau des Nucleus und seine Theilnahme an der Fortpflanzung der Acineten. Wir kommen jetzt zu den wichtigsten Ergebnissen dieser Unter- suchung, zur Betrachtung des Kerns und seiner Veränderungen wäh- rend der Fortpflanzung. Das Interesse der in dieser Hinsicht ge- wonnenen Resultate besteht vorwiegend darin, dass durch sie uns Gesichtspunete für eine Beurtheilung des Zellwerths der Podophrya geäussert (1. ec. p. 343 und 344), indem er die Rindenschicht »für in allen ihren Theilen willkürlich contractil, so zu sagen muskulös« erklärt. Wenn indessen ZENKER glaubt, zur Erklärung der Bewegungserscheinungen »Systeme von Muskeln oder muskelähnlich bewegbaren Gebilden« annehmen zu müssen und »das Strecken und Verkürzen« der Tentakeln »durch wechselweise Wirkung von Längs- und Ringmuskeln« bewirkt werden lässt, so sind dies Annahmen, die sich wohl schwerlich den objeetiven Beobachtungen gegenüber werden halten lassen. 1) KLEINENBERG: Hydra, eine anatomisch entwicklungsgeschichtliche Unter- suchung. Leipzig 1872, p. 54. Besonders zutreffend bezeichnen folgende Sätze den hier berührten Unterschied: »Die Muskelsubstanz ist jedem anderen Plasma gegenüber characterisirt durch die Einseitigkeit ihrer Bewegung, welche stets als Verkürzung unter Zunahme des Querschnitts sich darstellt«. »Während bei einer Amoebe jedes Theilchen ihrer Masse nach jeder Richtung beweglich ist, findet die Lageveränderung der Moleküle des Muskels immer nur in der einen bestimmten Direction statt. « 2) E. v. BENEDEN: Note sur la structure des Grégarines. Bulletins de l Académie de Belgique II T. 33. Ueber Podophryagemmipara ete. 59 gemmipara und der übrigen Acineten geboten werden. Bis in die Neuzeit spinnt sich ja der durch v. S1eBoup’s Einzelligkeitslehre angefachte Streit fort, ob die Infusorien als einzellige oder vielzel- lige Organismen angesehen werden niiissen. Trotz der zahlreichen Untersuchungen, deren die Infusorien sich zu erfreuen gehabt haben, finden noch immer drei wesentlich verschiedene Auffassungen ihre ent- schiedenen Vertreter, indem ein Theil der Forscher an der Möglichkeit einer consequenten Durchführung des Zellbegriffs bei den niederen Orga- nismen verzweifelt, ein-anderer die Einzelligkeitslehre für erwiesen hält, ein dritter endlich eine bisher noch nieht nachweisbare, com- plieirte, zellige Structur voraussetzt. Es ist nun nicht meine Ab- sicht, hier eine eingehende Besprechung der verschiedenen Stand- puncte zu geben, da dies erst kürzlich in eingehendster Weise durch HAECKEL !) geschehen ist, nur möchte ich hier kurz die Gesichts- puncte hervorheben, welche mich zu einer rückhaltlosen Annahme der Einzelligkeitslehre bestimmen, sowie den Versuch eines Nach- weises zu machen, dass es im Wesentlichen der Mangel einer exacten wissenschaftlichen Fragestellung war, welcher die Angelegenheit so lange unentschieden und eine Gegnerschaft der Einzelligkeitslehre überhaupt möglich gemacht hat. Nachdem der Schlüssel zu einer einheitlichen Betrachtung der entwickelteren thierischen und pflanzlichen Gewebe durch die For- mulirung des Zellbegriffs gewonnen war, musste es als ein noth- wendiges Postulat angesehen werden, die Anwendbarkeit des Zell- begriffs auf die niedersten Organismen zu prüfen. Da es nicht ge- lang, im Organismus der Infusorien eine sich aus vielen Zellen zu- sammensetzende Structur nachzuweisen, waren nur drei Möglichkei- ten einer wissenschaftlichen Auffassung gegeben: entweder ist der Zellbegriff in der Fassung, wie wir ihn aus der histologischen Be- trachtung der entwickelteren Organismen gewonnen haben, auf die Infusorien sowie andere niedere Wesen nicht anwendbar. Dann galt es an der Hand der Beobachtung die Grenzen der Formeinheit, die wir für eine einheitliche Betrachtung der Organismen fordern müssen, zu erweitern und den Zellbegriff neu zu formuliren. Oder — die zweite Möglichkeit — es liegt eine vielzellige Structur vor, welche das Unzureichende unserer mikrochemischen und optischen Hülfsmittel noch nicht zu lösen vermag. Dann konnte man billig erwarten, dass der Nachweis geliefert wurde, dass die vorliegenden Organisations- 1) Zur Morphologie der Infusorien. Jenaische Zeitschrift Bd. VL. 60 Dr. Richard Hertwig verhältnisse nur durch die Annahme einer Vielzelligkeit verständ- lich und mit der Annahme einer einzigen Zelle überhaupt nicht ver- einbar seien. Oder endlich — man musste sich zu einer rückhalts- losen Durchführung der Einzeiligkeitslehre entschliessen. In der That sind von den meisten Zoologen, welche sich mit den Infusorien beschäftigt haben, die hier angeregten Fragen gar nicht aufgeworfen worden. Ein grosser Theil begniigte sich mit Sammlung empirischen Materials und hat nicht einmal den Versuch gemacht, das Verhältniss der Infusorien zur-Zellentheorie zu klären. Ein anderer Theil berief sich auf die eomplieirte Structur als auf ein Moment, welches die Annahme einer Vielzelligkeit erfordere ; derselbe war hierbei entweder in einer engherzigen Fassung des Zellbegriffs befangen, wie ihn die Lehre von den thierischen Gewe- ben schon längst verlassen hat, oder er blieb den Beweis schuldig, warum die vorhandenen Differenzirungen (Muskelstreifen, Wimper- kleid, Cutieula, Mund, After) sich nicht mit dem Begriff einer ein- zigen Zelle vereinigen lassen sollten, d. h. mit dem Begriff eines Protoplasmaklümpehens, welches im einfachsten Zustand kernlos, späterhin mit einem Kern versehen durch Differenzirung aus seinem Inneren die verschiedensten Gewebsformen erzeugt. Nur wenige Forscher haben diese ausserordentlich wichtige Frage angeregt und ihr eine eingehendere Betrachtung zu Theil werden lassen. In dem ° Aufsatz über Cornuspira'), in dem M. ScHuLtzE seine Ideen zur Zelltheorie entwickelt, kommt er vorübergehend auch auf das Ver- hältniss der Infusorien zur Zelltheorie zu sprechen. Ohne sich für die Ein- oder Vielzelligkeit zu entscheiden, hebt er hierbei hervor, dass in der Zelle die Fähigkeit liege, die verschiedensten Gewebe zu bilden, dass man daher in den mannigfaltigen Differenzirungen des Infusorienkörpers kein Argument gegen die Einzelligkeit finden könne. Auf diese Darlegungen PcHuLtze’s bezugnehmend, haben dann weiterhin K6LLIKER ?) und CraAus 3) die Vereinbarkeit der Dif- 1) M. SCHULTZE : Die Gattung Cornuspira unter den Monothalamien. Arch. f. Naturg. Jahrg. 1860, pag. 306 u. 307. Die betreffende Stelle findet sich dann später abgedruckt in dem Aufsatz : »REICHERT und die Gromien.« Arch. f. mikr. Anat. Bd. II, 1866, pag. 152. 2) KÖLLIKER : Icones histiologicae. pag. 23.: 3) CLAUS : Ueber die Grenze des thierischen und pflanzlichen Lebens. Leipzig 1863. pag. 8, Anm. — Die betreffende Stelle findet sich auf's Neue ab- gedruckt in der dritten Auflage des Grundrisses der Zoologie desselben Ver- fassers, pag. 174, während sie in der zweiten Auflage fehlte. Offenbar wurde der Abdruck durch den inzwischen erschienenen Aufsatz HAEcKEL's: »Zur Mor- Ueber Podophrya gemmipara ete. 61 ferenzirungen des Infusorienkörpers mit der Annahme einer einzelli- gen Structur durchzufiihren gesucht, ersterer ein Vertreter der Ein- zelligkeit, letzterer zur damaligen Zeit wenigstens ein entschiedener Gegner derselben. Auch in zwei neueren Arbeiten von Bürschur ') und Everts?) werden ähnliche Gesichtspuncte geltend gemacht. Es ist das Verdienst HaEcker’s®) die hier kurz berührten Fragen von Neuem eingehend discutirt und durch eine kritische Besprechung des Werthes der einzelnen Differenzirungen nachgewiesen zu haben, dass und warum es dem Begriff einer Zelle nicht widerspricht, wenn an einem Protoplasmakliimpchen sich Differenzirungsprocesse nach verschiedenen Richtungen hin geltend gemacht haben. Durch theils auf eigene Beobachtungen sich stützende, theils einer kritischen Ver- wendung des vorliegenden Materials entsprungene Folgerungen hat er meines Erachtens unzweifelhaft dargethan, dass auch nirgends Gründe zur Annahme einer Vielzelligkeit gegeben sind. Ausser der Argumentation gegen die Behauptung, dass die Ein- zelligkeit mit der Organisation der Infusorien unvereinbar sei, hat HAECKEL weiterhin durch die Würdigung des ohne Furchung, d. h. ohne Zelltheilung verlaufenden Entwicklungsganges die Einzelligkeit der meisten Infusorien direct zu beweisen gesucht und aus dem ana- tomischen Bau des Nucleus und aus dem Verhalten desselben bei der Vermehrung durch Zweitheilung die Uebereinstimmung mit dem Kern der Zelle durchgeführt. Durch die fast gleichzeitig erschienene Arbeit von Everts über Vorticella nebulifera hat dieser letzte Theil der Beweisführung eine weitere Stütze gefunden, da auch hier für den Nucleus ein dem Zellkern bei der Theilung vollkommen gleich- kommendes Verhalten nachgewiesen werden konnte. Eine gleiche Bedeutung muss auch, wie ich im Folgenden genauer durchzuführen gedenke, den oben mitgetheilten Beobachtungen über den Nucleus der Podophrya gemmipara zugewiesen werden, und zwar ist es eben phologie der Infusorien « veranlasst. Um so mehr muss es Verwunderung er- regen, dass die HAEcKEr’schen Argumentationen zu Gunsten der Einzelligkeit mit Stillschweigen übergangen werden, der ganzen Arbeit überhaupt nicht ge- dacht wird, während doch die wenigen in ihr beschriebenen neuen Arten Auf- nahme gefunden haben. 1) BürscahLi : Einiges über Infusorien. Archiv f. mikros. Anat. Bd. IX, pag. 675. 2) Everts: Untersuchungen an Vorticella nebulifera. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXIII, pag. 592. 3) HAECKEL : Zur Morphologie der Infusorien. Jenaische Zeitschrift. Bd. VII. 62 Dr. Richard Hertwig sowohl der Bau desselben als sein Verhalten wiihrend der Fortpflan- zung, welches uns Beweise fiir die Einzelligkeit der Podophrye bietet. Wir berücksichtigen an erster Stelle den Bau des Nucleus, seine Form und das mikrochemische Verhalten der Substanz, aus der er besteht. Hierbei überrascht zunächst, wenn wir den Kern mit den Kernen thierischer und pflanzlicher Zellen vergleichen, die phan- tastisch verästelte Form desselben, da wir aus der Gewebelehre der höheren Thiere gewohnt sind, uns den Nucleus als ein rund- liches oder ovales Gebilde vorzustellen. Um so interessanter muss es erscheinen, dass in den Serieterien, Speicheldrüsen und Malpi- ghi’schen Röhren vieler Raupen, wie die Untersuchungen von H. MEcKEL!; und Leypie2) ergeben haben, die ausserordentlich grossen Drüsenzellen Kerne von einer selbst bis ins kleinste Detail überein- stimmenden Gestalt besitzen. Wenn wir die Abbildungen und Schil- derungen der genannten Forscher vergleichen, so begegnen wir da- selbst denselben homogenen, reichlich verästelten Ausläufern, kolbig angeschwollenen Enden, bald dünn ausgezogenen, bald bauchig er- weiterten Strängen, wie wir sie bei unserer Podophrya gemmipara kennen gelernt haben. Veranlasst durch die Arbeiten der genannten Forscher, habe ich selbst die Malpighi’schen Gefässe der Raupen einer flüchtigen Untersuchung unterworfen und kann ihre Angaben vollkommen bestätigen. Man vergleiche die Figur 14 auf Taf. Il, welche eine Zelle aus den Malpighi’schen Gefässen einer Sphin- giden - Raupe darstellt, und die Podophryen-Figuren derselben Tafel, und man wird sich von der auffallenden Uebereinstimmung überzeugen. Leider fehlte es mir an Material, um auch die Vermeh- rung der eigenthümlichen Zellen zu studiren; ich gedenke, so wie die vorgerücktere Jahreszeit mir frisches Material verschafft, die Unter- suchungen wieder aufzunehmen und dann noch einmal auf die hier nur kurz berührte Frage zurückzukommen. Was ferner die Substanz des Nucleus anlangt, so lehrt uns ihr optisches und mikrochemisches Verhalten, ihre mattbläuliche Farbe, ihr homogenes Aussehen, ihre starke Gerinnung in Essigsäure und Chromsäure, ihre auffallende Imbibitionsfähigkeit in Carmin einen Stoff in ihr erkennen, welcher vollkommen mit der Substanz des Nucleolus und der Kernmembran des Keimbläschens und des Rhizo- 1) H. Mecxen: Mikrographie einiger Driisenapparate der niederen Thiere. Mürrer’s Archiv, Jahrg. 1846. Taf. I-III. Vergl. pag. 33 et seq. 2) Leypic: Histologie des Menschen und der Thiere, pag. 351 und 465. Ueber Podophrya gemmipara ete. 63 poden-Nucleus iibereinstimmt. Ich finde hier nur einen Punct von geringfiigiger Bedeutung abweichend, niimlich die bei der Podophrya gemmipara auffallende geringe Quellungsfähigkeit in Eisessig. In- dessen ist auch beim Rhizopoden-Nucleus das Verhalten des Nueleo- lus hierin keineswegs ein gleichmässiges, indem derselbe bald sehon in relativ dünnen Lösungen durch Quellung verschwindet, bald in selbst starken Concentrationen kaum Veränderungen erkennen lässt. Ganz besonders characteristisch aber scheint mir für die Zellkern- natur des Gebildes sein Verhalten gegenüber Essigsäure -Carmin zu sein, da dasselbe ja allgemein in der Histologie als ein Kern- reagens von ganz besonderem Werthe angesehen wird. — Aus alle- dem können wir entnehmen, dass der Zellkern die für seine Charac- teristik wichtigsten Eigenschaften mit dem Nucleus der Acineten theilt. In zweiter Linie müssen wir in Erwägung ziehen, in wiefern die Betheiligung des Nucleus bei der Fortpflanzung für seine Bedeutung als Zellkern spricht. — Wir haben gese- hen, wie schon früh sich an dem hufeisenförmigen Nucleus Verän- derungen ausbilden, welche, wie sich im Verlauf der Entwicklung herausstellt, mit der Fortpflanzung in Zusammenhang gebracht wer- den müssen. Der Kern treibt reichliche, sich diehotomisch verästelnde Zweige, welche dem oralen Ende zu wachsen. Erst nachdem diese . Zweige eine beträchtliche Grösse erreicht haben, treten die Proto- plasma-Knospen der Oberfläche auf, in welche sich die Kernknospen hineinsenken. In vielen Fällen macht es hierbei den Eindruck, als stülpe die andrängende Kernknospe das Protoplasma vor sich aus. Wie bei der Knospung der Zelle (z. B. bei der Eibildung niede- rer Thiere) die Vermehrung des Kerns der Knospung des Protoplasma vorausgeht, so sind auch hier die Kernveränderungen das Primäre, das was den Anstoss zu lebhaften mit der Ausbildung neuer Indi- viduen endenden Wucherungen gibt. Die besondere Gunst des Ob- jects erlaubt uns sogar, was bei der Zellvermehrung nur selten mög- lich ist, die Veränderungen Schritt für Schritt zu verfolgen und den innigen Zusammenhang der Kernveränderungen mit den Veränderun- gen des Protoplasma auf's Eingehendste zu controliren. Wir haben somit im Entwicklungsprocess der Podophrya gemmipara ein typisches Bild der Knospung vor uns, wie es uns selten geboten wird. Meines Wissens wenigstens ist in der thierischen und pflanzlichen Gewebe- lehre kein Beispiel bekannt, welches in so vortrefflicher Weise un- sere derzeitige theoretische Auffassung von der Bedeutung des Kerns 64 Dr. Richard Hertwig für die Zelltheilung {durch Knospung zu illustriren geeignet wäre, als die bei der P. gemmipara beobachteten Verhältnisse. Diese auffallende Uebereinstimmung des »Nucleus« und des Kerns bei der Vermehrung der Podophrya gemmipara und der Zelle glaube ich hier ganz besonders hervorheben zu müssen, da dieselbe bei den Infusorien mehrfach in Zweifel gezogen worden ist. So lassen CLAPAREDE und LACHMANN zwar die Theilung der Infusorien mit einer Theilung des Kerns beginnen, glauben aber die- selbe bei der Knospung in Abrede stellen zu müssen). Bei der Knospung soll in dem als Knospe zu bezeichnenden kleineren Stücke eine Neubildung des Kerns stattfinden. Nach meiner Auffassung würde dieses verschiedene Verhalten des Kerns, wenn es wirklich vorhanden wäre, einen fundamentalen Unterschied der genannten beiden Vermehrungsweisen bedingen und vermag ich nicht einzu- sehen, wie gleichwohl die genannten Forscher behaupten können, dass beide Processe in einander übergehen, dass zwischen ihnen nur ein Unterschied des Grades existire, und dass sie nur zwei Va- riationen ein und desselben Vorganges der spontanen Theilung seien 2). Uebrigens sind die Beobachtungen, auf welche CLAPAREDE und LACH- MANN ihre Ansicht stützen, insgesammt neuerdings zweifelhaft ge- worden, da STEIN ähnliche Formen, wie sie CLAPAREDE und LAcH- MANN schildern, als Folgezustände der von ihm als » knospenförmige Conjugation « bezeichneten Verschmelzung eines Schwiirmers und*eines festsitzenden Individuums beschrieben hat. Srer selbst ist der Mei- nung, dass in allen den beobachteten Fällen in der That nicht eine Theilung (Knospung), sondern vielmehr eine Conjugation vorgelegen habe 3). Dieselben Ansichten über den Unterschied von Knospung und Theilung wie CLAPAREDE und LACHMANN hat STEIN schon in seinen ersten Infusorienarbeiten‘) vertreten. Auch er will keinen funda- mentalen Unterschied zwischen beiden Vermehrungsarten errichtet wissen, aber er nimmt gleichwohl bei der ersteren eine Neubildung, bei der letzteren eine Theilung des Kerns an. Srem’) hat diese Ansicht bis in die Neuzeit aufrecht erhalten. Mir ist hierbei nur unverständlich, auf welche Thatsachen sich der genannte Forscher r 1) Etudes II pag. 239 u. 251. r 2) Etudes II pag. 266. 3) Organismus der Infusionsth. II pag. 101 et seq. “) Infusionsthiere, pag. 28, 90 u. 209. >) Organismus der Infusionsth. II pag, 129. Ueber Podophrya gemmipara ete. 65 stiitzt. Er selbst hatte im ersten Theil seines Werks iiber den Or- ganismus der Infusorien !) angegeben, dass der Knospungsprocess auf die Familien der Vorticellmen, Ophrydinen und Spirochoninen beschränkt sei. In seinen letzten Publieationen hat er aber nach- gewiesen, dass das, was man bisher für Knospung gehalten habe, in der That eine knospenförmige Conjugation sei?). Es sind somit gerade die Beispiele, auf welche Srem seine Annahme der Neubil- dung des Nucleus bei der Knospung gründet, durch seine eigenen Untersuchungen. hinfällig geworden. Die übrigen Beispiele von Knos- pung aber, welche STEIN ausserdem noch bespricht, die Entwicklung der acinetenartigen Schwärmer aus den Embryonalkugeln von Uro- stylis grandis ete. zeichnen sich gerade durch die gleich von Anfang an nachweisbare Betheiligung des Kernes aus. Die im Vorhergehenden gegebene Kritik der Berechtigung, mit welcher CLAPAREDE, LACHMANN und STEIN die Betheiligung des Nu- cleus bei der Knospenbildung in Abrede stellen, combinirt mit den positiven Resultaten meiner Beobachtungen, sowie mit den Resulta- ten, zu denen STEIN in Bezug auf die Entstehung der acinetenför- migen Sprösslinge der Infusorien gekommen ist *), scheint mir den oben schon ausgesprochenen Satz, dass die Knospenbildung nicht allein unter der Betheiligung des Nucleus verläuft, sondern sogar durch eine Knospung des Nucleus eingeleitet wird, vollkommen sicher zu stellen. Wenn wir nunmehr den hier in seiner histologischen Bedeutung be- urtheilten Fortpflanzungsprocess mit den Vermehrungsweisen der übri- gen Acineten vergleichen, so haben wir in zwei Puncten auffällige Verschiedenheiten zu constatiren. Wenn wir zunächst einmal von der bei den Acineten seltenen Vermehrung durch Zweitheilung ab- sehen, so finden wir, dass bei allen echten Acineten die Schwärmer im Inneren des Körpers gebildet werden‘) 1) Organismus der Infusionsth. I pag. 93. 2) Hierbei erwiihnt er ausdriicklich die Ophrydinen und Vorticellinen, schweigt freilich beziiglich der Spirochoninen, bei denen aber jedenfalls wohl gleiche Ver- hältnisse wie bei den übrigen peritrichen Infusorien vorliegen. 3) Die » acinetenförmigen Sprésslinge« der Ciliaten entstehen nach STEIN als Knospen der » Embryonalkugeln«. Der Knospungsprocess beginnt hierbei stets mit einer Knospung des Kerns, welcher einen Fortsatz treibt, um den sich der Sprössling anlegt (Organismus der Infusionsth. I pag. 99, 156, 199 — 202; II pag. 254). 4) Die Beobachtung CLAPAREDE's und LAcHMmann’s über einen basalen Knospungsprocess bei der Podophrya quadripartita (Etudes II pag. 117, Taf. VI Morpholog. Jahrbuch. 1. 5 66 Dr. Richard Hertwig und erst im Zustand der Reife durch Contractionen des Mutterthieres aus dem Körper ausgestossen, gleichsam geboren werden. Ferner sollen sie hier nicht wie bei unserer P. gemmipara durch eine gleich- mässige Betheiligung von Nueleus und Protoplasma entstehen, son- dern es soll der Nucleus allein Antheil am Fortpflan- zungsgeschäft haben und durch Abschnürung von Theilstücken rundliche Körper erzeugen, welche durch ein allmäliges Wachs- thum und Differenzirung sich in die schon mit Nucleus versehenen Sehwärmer umbilden. Wenigstens ist dies noch zur Zeit die allge- mein gültige Auffassung, wenn auch schon jetzt Beobachtungen vor- liegen, welche, wie wir später sehen werden, diese Auffassung un- haltbar machen. Von den beiden angeführten Verschiedenheiten des Fortpflan- zungsprocesses der Acineten ist die zuletzt erwähnte unbedingt die bedeutungsvollere und eingreifendere und verdient daher hier in erster Linie berücksichtigt zu werden, um so mehr als sie eine Frage von allgemeinerem, histologischem Interesse berührt als die meisten Infu- sorienforscher anzunehmen scheinen. Denn vorausgesetzt: die An- nahme, dass der Nucleus der Acineten für sich allein schon vermag fertige Schwärmer zu bilden, ist richtig, so würden wir, da die Aci- neten eben sowohl wie ihre Schwärmer nichts sind als Zellen, welche eine selbstständige physiologische Existenz besitzen, eine ganz neue Art der Zellgenese vor uns haben, welche bis jetzt im thierischen und pflanzlichen Gewebe kein Analogon besitzt, die Entstehung einer vollkommenen Zelle aus dem Zellkern. Es ist klar, dass die Sieher- stellung eines derartigen Verhältnisses eine ausserordentlich wichtige Weiterung unserer Kenntnisse vom Zellenleben involviren und ganz besonders für die Beurtheilung der Stellung des Nucleus von Ein- fluss sein würde. Die Bedeutung der hier angeregten Frage: »Ist der Zellkern allein schon befähigt, aus sich heraus eine vollkommene Zelle zu erzeugen ?« ist bisher nur ein einziges Mal von AUERBACH in seinen organologischen Studien !) gewürdigt worden. Offenbar angeregt durch die aus der Beobachtung einzelliger Organismen gewonnenen An- Fig. 7) ist vollkommen werthlos, denn einestheils haben die Forscher die Ablö- sung des Schwärmers nicht beobachtet, anderntheils scheint mir schon die ba- sale Entstehung sowie die Form gegen die Deutung als Sprössling zu sprechen. Auch STEIN hat sich in gleicher Weise über die Beobachtung geäussert, !) AUERBACH: Organologische Studien, I pag. 169. Ueber Podophrya gemmipara ete. 67 schauungen, hat AUERBACH durch ein Studium der Lebenserscheinun- gen des thierischen Zellkerns die Frage ihrer Entscheidung zu nä- hern gesucht. Wenn es ihm auch nicht gelungen ist, zu sicheren Resultaten zu gelangen, so ist er doch geneigt, eine derartige Ver- mehrung der Zellen allein aus dem Zellkern anzunehmen und stützt sich hierbei auf die Beobachtungen Anderer an niederen Organismen, sowie auf seine eigenen Beobachtungen über vitale Vorgänge am Nu- cleolus vieler thierischen Zellen. Die letzteren schienen ihm dafür zu sprechen, dass der Nucleolus selbst schon ein Elementar-Organis- mus sei, ein Stückchen von selbstständig lebendem Protoplasma, welches zu einer individuellen Existenz befähigt sei. Für diese Auf- fassung macht er besonders die Contractilität geltend, welche man am Nucleolus nachweisen kann, sowie seine Theilungsfähigkeit. Bei der Aufstellung dieser neuen Art der Zellvermehrung. ist sich AuER- BACH bewusst geblieben, wie viel noch fehle, um dieselbe für eine wissenschaftlich bewiesene Thatsache zu erklären. — Dagegen haben, soweit ich die Literatur kenne, alle Zoologen, welche eine Vermeh- rung einzelliger Organismen durch eine vom Nucleus ausgehende Embryonenbildung angenommen haben, die Tragweite dieser ihrer Annahme nicht berücksichtigt. Sicherlich würde man sich sonst nicht mit so wenig zuverlässigen Beweisen begnügt haben als diejenigen sind, auf welche man zur Zeit noch die neue Auffassung stützt. Schon in meiner Arbeit über Mikrogromia socialis !) habe ich darzulegen versucht, wie weit die von den Engländern ausgehenden und späterhin auch in Deutschland eultivirten Bestrebungen, den Nucleus der Protozoen als eine Art Keimdrüse zu deuten, noch da- von entfernt sind, diese Annahme auch nur wahrscheinlich zu machen, wie dieselbe sich überhaupt nur auf einer grösseren Anzahl zu- sammenhangsloser Thatsachen aufbaut. An dieser Stelle komme ich noch einmal auf diese Frage zurück, soweit sie die Acinetinen an- geht, während ich die Discussion desselben Gegenstandes bei den Ciliaten, bei denen ja der Nucleus so recht eigentlich der Keimstock sein soll, aus Mangel eigener Beobachtungen auf spiitere Zeiten vertage. Die Fortpflanzung durch Embryonen oder im Innern des Kör- pers sich bildende Schwärmer wurde zum ersten Male durch STEIN beobachtet und die Entstehung derselben in seinen ersten Publicationen genauer, beschrieben. Demgemäss sollte sich vom Kern 1) Arch. f. mikr. Anat. Bd. X Suppl.-Heft pag. 17. 68 Dr. Richard Hertwig ein Theilstiick abschniiren, dieses in seinem Innern einen Nucleus neu bilden und sich mit Wimpern bedecken. Die Srer’schen An- saben wurden, soweit sie die Entstehung des Schwärmers betrafen, von CLAPAREDE und LACHMANN adoptirt, nur führten dieselben noch weiterhin an, dass nicht in allen Fällen das Theilstück sich direct in den Embryo umbilde, sondern dass dasselbe vielfach nur zum Mutterthier werde, in dem die Embryonen in grösserer Anzahl erzeugt würden !!). Unter den zahlreichen Beispielen, welche STEIN zur wei- teren Illustrirung dieser Vermehrungsweise in seinem ersten Werke: » Die Infusionsthiere auf ihre Entwicklung untersucht«, mitgetheilt hat, verdienen einige unsere Berücksichtigung, weil sie die Entsteh- ungsweise in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen, als man _ )) Diesen Entwicklungsprocess junger »Embryonen« in »Embryonalkugeln « (Etudes II pag. 121 Anm. Taf. III Fig. 10) kann man wohl schwerlich als ein Zeugniss für die sexuelle Differenzirung der Acinetinen verwerthen, wie es STEIN thut (Organismus der Infusorien II pag. 140). STEIN unterscheidet zwei Arten innerer Schwärmer: 1) ungeschlechtlich aus Kernknospen unmittelbar entstandene »Schwärmsprösslinge« und 2) geschlechtlich erzeugte »Embryonen«, welche im Innern von grösseren, durch Theilung des Nucleus entstandenen Embryonalkugeln sich bilden. Diese Hypothese einer sexuellen Differenz der Acinetinen , welche nach STEIN die einzige stichhaltige Widerlegung der Acineten - Theorie ist, steht nun auf sehr schwachen Füssen. Denn man kann für sie nur die Analogie der Fortpflanzung der Vorticellen anführen — nach meiner Meinung eine Analogie von sehr ‚zweifelhaftem Werth — und die spärlichen Beobachtungen über Conjugationen von Acineten — ebenfalls ein Beweis, welcher bei der zweifel- haften Bedeutung der Conjugation keine Beweiskraft besitzt (cfr. das von Everts über die Conjugationen von Vorticella nebulifera Gesagte in der Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXIII). Bei der A. tuberosa habe ich den von CLAPAREDE und LACHMANN beobachteten Entwicklungsmodus häufiger beobachtet. Hier fin- det man bei einer grossen Anzahl von Individuen an einer oder an beiden Schalen- mündungen noch im Zusammenhang mit dem Mutterthier stehend 1—2 rundliche Körper. Ich habe dieselben mehrfach längere Zeit hindurch beobachtet, aber nie- mals ihre Weiterentwicklung zu Schwärmern verfolgen können. An Chromsäure- material in Bonn und Jena fortgesetzte Untersuchungen haben mir ergeben, dass diese Körper nicht als Knospen wie bei der P. gemmipara entstehen, sondern wie bei den meisten Acineten im Innern erzeugt werden. Bei einigen dieser Körper fanden sich im Innern kleinere neben dem Kern gelagerte Kugeln, welche einen eigenen Kern besassen. Ich fand diese letzteren sowohl an »Embryonalkugeln «, welche schon an der Schalenmündung lagen, als an solchen, welche sich noch im Innern befanden. Ich erkläre mir diese Verhältnisse aus einem beschleunigten Fortpflanzungsprocess in der Weise, dass die jungen Organismen, ehe sie noch völlige Reife erlangen, sich weiterhin vermehren. So haben wir auch bei unserer P. gemmipara gesehen, dass nicht selten schon an den Schwärmern sich Kern- knospen bilden, die ersten Anfänge eines späteren Fortpflanzungsprocesses. Cfr. weiterhin ENGELMANN in der Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XI pag. 377. Ueber Podophrya gemmipara ete. 69 gewöhnlich annimmt. Bei der Podophrya fixa') nämlich und dem Acinetenzustande des Zoothamnium affine (fälschlich als Acineta tu- berosa bezeichnet) lässt Srer zunächst einen knospenartigen am Ende kolbig angeschwollenen Fortsatz vom Kerne aus sich bilden und um diesen sich eine Partie der Körpersubstanz anhäufen. Indem sich die Kernknospe vom Mutterthier abschnürt und das um die Kern- knospe angehäufte Protoplasma sich gegen das mütterliche Proto- plasma demarkirt, entsteht die Schwärmeranlage. In diesen beiden Fällen haben wir somit eine Entstehung des neuen Organismus nach dem Princip der Zelltheilung (im weitesten Sinne des Wortes), in den übrigen Fällen, deren Richtigkeit vorausgesetzt, eine Zell- genese vom Kern aus. Von unserem Standpunct aus müssten wir somit einen prineipiellen Unterschied zwischen beiden Vermehrungs- weisen annehmen. STEIN übersieht diesen Unterschied auch in sei- nen neuesten Veröffentlichungen. Er betont immer nur, dass die Schwärmerbildung vom Nucleus ausgehe, ob es aber nur der Nucleus ist oder Nucleus und Protoplasma gemeinsam, welche die Schwär- meranlage bilden, scheint ihm unwesentlich zu sein?). Es ist daher kein Wunder, dass von den Resultaten der Srern’schen Untersuchun- gen nur das Eine in die Lehrbücher übergegangen ist, was ja vom genannten Forscher am meisten hervorgehoben wird, dass die Aci- neten aus Theilstücken des Nucleus Schwärmer erzeugen, während die an der P. fixa und A. Zoothamnii angestellten Beobachtungen nicht zur Geltung gelangen konnten’). In der That glaube ich jetzt schon aus dem in der Literatur vorhandenen Material und eigenen Beobachtungen den Satz sicher begründen zu können, dass bei den Acineten der junge Schwirmer nicht aus dem Nucleus allein entsteht, son- dern dass sich auch das mütterliche Protoplasma am Aufbau desselben betheiligt. Ausser den von STEIN beschrie- benen Fällen ist dieser Entwieklungsgang noch weiterhin von ENGEL- MANN und ein anderes Mal von LIEBERKUEHN nachgewiesen worden. !) Infusionsthiere pag. 199 u. 223. 2) Organismus der Infusionsth. II pag. 57 u. 139. 3) CLaus: Grundzüge der Zoologie, pag. 167. »...Daneben erzeugen auch manche Infusorien, wie die Acinetinen, aus Theilstücken des Kerns Schwärm- sprösslinge«. Ferner CARUS und GERSTAECKER: Handbuch der Zoologie, pag. 590. Nur Bronn betont die Vermehrung bei P. fixa und P. Zoothamnii als das normale Verhalten. Classen und Ordnungen d. Thierreichs I pag. 111. 70 ‘ Dr. Richard Hertwig ENGELMANN ') beobachtete die Acineta Operculariae, A. quadripartita, A. astaci und A. Infusionum (nach dem System von CLAPAREDE und LACHMANN lauter Podophryen). Aus dem Körnerreichthum der Schwär- mer schloss er, dass dieselben nicht aus dem Kern allein hervor- sehen können, dass vielmehr wahrscheinlich nur der Kern vom mütterliehen Nucleus abstamme, die übrige Körpersubstanz dagegen aus dem Inhalt des Mutterthieres. Bei der P. quadripartita konnte ENGELMANN auch den so erschlossenen Knospungsprocess in einem Falle in der von SrEIn zuerst beschriebenen Weise beobachten. — Weiterhin hat LIEBERKUEHN 2) bei einer nicht näher benannten Acinete der Fischkiemen die Knospung vom Kern aus in gleicher Weise beobachtet. Wenn LIEBERKUEHN den Vorgang anders deutet als STEIN und ENGELMANN und den ganzen Körper des Schwärmsprösslings aus einer Kernknospe entstehen lässt, so muss ich sagen, dass diese Auffassung mir bei der von ihm gegebenen Darstellung vollständig . unverständlich ist. Endlich habe ich selbst die Knospung des Kerns bei der Acineta cucullus (Clap. u. Lachm.) verfolgen können. Ausser Exemplaren, bei denen eine grössere Anzahl schon vollkommen abgeschnürter mit Kernen versehener Kugeln neben dem etwas verlängerten Kern lagerten, fand ich andere, bei denen der Kern des jungen Organismus noch durch einen halsartig verschmälerten Fortsatz mit dem mütter- lichen Kern zusammenhing, oder mit andern Worten: vom Nucleus ging ein seitlicher knospenförmiger Fortsatz aus, um dessen End- anschwellung sich eine Protoplasmakugel abgeschnürt hatte (Taf. II Mig 120. 13). Es muss nun im höchsten Grade unwahrscheinlich erscheinen, dass bei einander nahe stehenden Formen ein gleichwerthiger Fort- pflanzungsprocess auf zwei ganz differente Weisen zu Stande kommen sollte. Viel näher liegt es anzunehmen, dass in den Fällen, in de- nen ein Theilstück des Nucleus nach den Angaben der Beobachter zu einem Schwärmer sich weiter bilden soll, ein Beobachtungsfehler vorliegt, oder richtiger gesagt, dass in diesen Fällen das wichtige Stadium der Kernknospung nicht beobachtet wurde. So glaube ich: es rechtfertigen zu können, wenn ich es oben als einen für die Aci- neten allgemein giltigen Satz aufstellte, dass die Vermehrung ) ENGELMANN: Zur Naturgeschichte der Infusorien. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XI pag. 376. ?) Ueber Protozoen. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. VIII pag. 307. Ueber Podophrya gemmipara ete. 71 rein nach dem Princip der Zellentheilung verläuft, d.h. aus dem Kern des Mutterthieres nur der Kern des Jungen, ebenso aus dem Protoplasma des ersteren das Protoplasma des letzteren ab- stamme. Durch diese Fassung des Verlaufs der Fortpflanzung durch in- nere Schwärmer wird die Entwicklung von Knospensprösslingen der Podophrya gemmipara derselben beträchtlich genähert. Der Unter- schied besteht jetzt nur noch darin, dass in dem einen Fall ein cen- tral gelegener Theil des Protoplasma, im andern dagegen ein Theil der Oberfläche zum Aufbau des Schwärmers verwandt wird. Das Verhalten des Kernes ist beidesmal dasselbe. Beidesmal ist es ein neu sich bildender, aus dem Nucleus hervorsprossender Fortsatz, welcher zum Kern des jungen Thieres wird. Da nun der Schwer- punet bei den Veränderungen, welche die Fortpflanzung vermitteln, ganz wie bei der Zellentheilung auf die Veränderungen des Nucleus gelegt werden muss, glaube ich gegenüber dem differenten Verhalten des Protoplasma die Uebereinstimmung der Kernveränderungen be- sonders hervorheben zu müssen und trage kein Bedenken, beide Arten der Fortpflanzung für einander gleichwerthig zu halten. Man kann sich dann die eine aus der andern in der Art entstanden denken, dass ein anfänglich oberflächlich entstehender Knospensprössling immer tiefer in das Mutterthier eingesenkt wurde, bis er endlich ganz im Innern desselben entstand. i Fiir die Richtigkeit dieser Auffassung kann ich verschiedene Griinde beibringen, zuniichst, dass auch bei der Podophrya gemmi- para die Knospe nicht rein auf der Oberfliiche entsteht, sondern dass die Basis derselben, wie schon früher erwähnt, gleichsam aus dem Innern herausgeschält wird. Weiterhin wird die Annahme durch die Beobachtungen gestützt, welche Stem über die Knospung der Embryonen aus dem Körper der Embryonalkugeln der Infusorien gemacht hat. Fast möchte ich sagen, dass wir hier unter unsern Augen die Knospung sich in die endogene Zellbildung umwandeln sehen. Während bei den meisten Infusorien die Embryonen entwe- der durch Theilung !) der Embryonalkugeln oder als Knospen ?) auf ihrer Oberfläche ganz wie bei der Podophrya gemmipara entstehen, bil- den sie sich bei Stentor Roeselii ?) anfänglich als Kugeln im Innern des Körpers, allseitig umhüllt vom Protoplasma, um einen Kospenzapfen ' 1) Organismus der Infusorien, I pag. 99. u. 157. 2) l. ec. Ipag. 200. 8) 1. c. IL pag. 254. Taf. VIII Fig. 7. 72 ' Dr. Richard Hertwig des miitterlichen Kerns. Erst im Laufe der Entwicklung gelangen sie an die Oberfliche und gewinnen den Anschein, als seien sie ganz wie die Embryonen der iibrigen Infusorien als Knospen der Ober- fläche entstanden. Wir haben somit ein vollkommenes Bindeglied zwischen den rein als Knospen und den rein endogen entstehenden Schwärmern. Im Obigen habe ich die Knospung als das Primäre hingestellt, aus der die endogene Schwärmerentwicklung wahrscheinlich secun- där hervorgegangen ist. Zu dieser Auffassung werde ich dadurch be- stimmt, dass die Knospung durch zahlreiche Uebergangsformen mit der Zweitheilung verbunden ist, dass beide Vermehrungsarten »nur zwei Variationen ein und desselben Vorgangs der spontanen Thei- lung sind«. (Cuap. et Lacum.) Offenbar aber ist die einfache Zwei- theilung die ursprünglichste von allen Formen der Zellvermehrung. Indem wir in der angedeuteten Weise die endogene Bildung von Schwärmsprösslingen durch Vermittlung der Knospung auf die ein- fache Zweitheilung zurückführen, gewinnen wir weitere Beweise für die Auffassung, dass -die Acineten einzellige Organismen sind und ihre Vermehrung nach dem Princip der Zelltheilung erfolgt. 2. Ueber die systematische Stellung der Acineten. Seitdem STEIN seine lang vertheidigte Acinetentheorie, welche die Acineten nicht als selbstständige Organismen, sondern nur als Entwicklungszustinde von Ciliaten-Infusorien gelten liess, zurück- gezogen hat, ist die systematische Stellung der Acineten nur vorüber- gehend von GEGENBAUR und HAECKEL besprochen worden. Alle übrigen Forscher, welche sich mit den Acineten beschäftigten, haben sich begnügt, ihre Verwandtschaft mit den Ciliaten zu betonen, ohne sich indessen über das Verhältniss, in dem sie zu denselben ständen, näher auszusprechen. Man führte sie meist wie ein Appendix im Anschluss an die 4 Ordnungen der Holotricha, Heterotricha, Hypo- tricha und Peritricha als fünfte Ordnung der Suetoria auf. Die systematische Zusammengehörigkeit der Acineten und Cilia- ten, deren halben wir beide Classen zum Stamm der Infusorien ver- einigen müssen, ist nun allerdings eine unbezweifelbare Thatsache, da dieselben mit einander ausserordentlich wichtige Merkmale theilen, welche anderen einzelligen Organismen fehlen. — So ist zunächst die Form des Kerns eine eigenthümliche, auf die Infusorien beschränkte. Während der Kern bei den Rhizopoden, Flagellaten, Gregarinen, Ueber Podophrya gemmipara ete. 73 Diatomeen etc. eine Blase bildet, welche eine aus einer graubläu- lichen Substanz bestehende Membran besitzt und in ihrem Innern ein oder mehrere Körperchen von gleicher Lichtbrechung als Nucleoli birgt, ist der Nucleus der Infusorien mit wenigen Ausnahmen eine gleichmässige, homogene Masse, die man sich wohl in der Art ent- standen denken muss, dass der Binnenraum des Bläschens von der Substanz, welche sich sonst in Kernkörper und Kernmembran diffe- renzirt, vollkommen gleichmässig erfüllt ist. Das zarte Häutchen, welches die meisten Forscher (BALBIANI, STEIN, CLAPAREDE u. A.) noch an ihm beschreiben, würde nach dieser Auffassung nicht der Kernmembran des Rhizopoden-Nucleus entsprechen können, vielmehr müsste man sein Aequivalent, vorausgesetzt, dass es überhaupt exi- stirt, ausserhalb der Kernmembran als ein weiteres, besonderes Structurelement des Kerns suchen. Weiterhin theilen die Acineten und Ciliaten mit einander eine eigenthümliche Art der Fortpflanzung, welche noch bei keinem an- deren Protisten hat beobachtet werden können. Bei beiden Classen entwickeln sich die Fortpflanzungsproducte im Innern der Körper als endogen entstehende Schwärmer, und tritt dem gegenüber die sonst so verbreitete Vermehrung durch Theilung ganz in den Hintergrund. Endlich findet sich in beiden Classen eine gleiche Art der Be- wimperung. Dieselbe ist bei den Ciliaten zeitlebens vorhanden, bei den Acineten nur während der Entwicklung und unterscheidet sich durch die Mannigfaltigkeit ihrer Anordnung von dem einfachen Wimperreif der Cilioflagellaten. Es lassen sich nämlich, mit Aus- nahme der heterotrichen, alle die verschiedenen Formen der Bewim- perung, wie sie bei den Ciliaten bekannt sind und hier dem System zu Grunde liegen, auch bei den Schwärmern der Acineten nach- weisen. So zeigen holotriche Bewimperung die Schwärmer der Podophrya cothurnata, P. Trold u. a., hypotrich sind die Schwär- mer unserer Podophrya gemmipara und P. Carchesii, peritrich end- lich die spitzkugelförmigen Embryonen der meisten übrigen Acineten. Während somit die Zusammengehörigkeit von Acineten und Cilia- ten leicht erwiesen werden kann, so ist doch die Frage, in welcher Weise wir uns diesen Zusammenhang vorstellen sollen, schwierig zu beantworten. Hierbei sind drei Möglichkeiten vorhanden, von denen mir zwei zur Zeit noch gleiche Berechtigung zu besitzen scheinen. Entweder sind die Acineten die ursprünglichen Formen, aus denen die Ciliaten phylogenetisch entstanden sind, oder die Acineten leiten 74 Dr. Richard Hertwig sich von den Ciliaten ab, oder endlich Ciliaten und Acineten sind Nachkommen einer gemeinsamen die Mitte beider Organisationen ein- haltenden Urform, von der aus sich beide Classen nach divergenten Richtungen hin entwickelt haben. Die erste der drei Möglichkeiten, welche GEGENBAUR !) in seiner vergleichenden Anatomie vertritt, hat am wenigsten Wahrschemlich- keit für sich. Sie würde sich nicht mit den Resultaten vereinbaren lassen, welche ich aus der Untersuchung der Podophrya gemmipara gewonnen habe. GEGENBAUR basirt seine Ansicht auf der Annahme, dass »die Tentakeln und Wimperhaare als verschiedene aber in ein- ander übergehende Bildungen« anzusehen sind und dass erstere als »niedere Zustände .« » pseudopodienartige Fortsätze « betrachtet werden müssen. Allein diese Annahme stimmt nicht mit dem zusammen- gesetzten Bau und der relativ hohen histiologischen Differenzirung überein, welche CLAPAREDE, ZENKER und ich für die Acinetenten- takeln nachgewiesen haben. Wie wir gesehen haben, besitzen die- selben mit den Pseudopodien ausser der Aehnlichkeit der äussern Form nichts gemeinsam, und müssen daher die Anknüpfungspuncte, welche die Infusorien mit den Sarkodeorganismen verbinden, auf einer ganz anderen Seite gesucht werden. Dieselben sind uns denn in der That auch durch die Beobachtungen HAEcKEL’S? gegeben, welche die Wimperbewegung ebenso wie die Geisselbewegung uns als eine Modification der Protoplasmabewegung erkennen lassen. Die Beob- achtungen HAECKEL’S scheinen mir so beweiskräftig, dass ich nicht einsehe, warum wir nach einem anderen Bindegliede zwischen den niederen Organismen und den Infusorien suchen sollten, als uns durch die Verwandtschaft der amoeboiden und der Wimperbewegung ge- boten ist. Nach diesen Erwägungen scheint es mir jetzt schon festzustehen, !) GEGENBAUR: Grundzüge der vergl. Anatomie p. 93. ?) HAECKEL: Die Identität der Flimmerbewegung und amoeboiden Be- wegung. In den »Studien über Moneren und andere Protisten« p. 127. Vergl. ferner meine Arbeit über Mikrogromia socialis. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. X. Supplementheft pag. 24. Zugleich nehme ich Gelegenheit hier einen Irrthum zu be- richtigen, welcher das dort gegebene Citat der Arbeit ENGELMANN’S »Ueber die Flimmerbewegung« betrifft (Jenaische Zeitschrift Bd. IV). In dieser Arbeit spricht sich ENGELMANN nicht entschieden für die Identität der Flimmerbewegung und Protoplasmabewegung aus, sondern macht den sicheren Entscheid dieser Frage von einem genaueren Studium der letzteren abhängig, dagegen erklärt er sich direet gegen die zweite ausserdem noch aufgestellte Deutung der Wimperbewegung, welche dieselbe in eine Kategorie mit der Muskelbewegung stellt. Ueber Podophrya gemmipara etc. 75 dass als gemeinsame Stammform der Ciliaten und Acineten ein ho- lotrich bewimperter Organismus angesehen werden muss. Von dem- selben leiten sich die ausgebildeten Ciliaten theils durch eine Re- duetion, theils durch eine Differenzirung des Wimperkleides in Griffel, Borsten ete. ab, während bei den Acineten nur die im Laufe der Entwicklung auftretenden Schwärmer, bei denen ebenfalls meist eine Reduction der Bewimperung eingetreten ist, noch an die ursprüng- liche Form erinnern. Ob die Tentakeln der ausgebildeten Acineten aus einer Differenzirung der Wimpern sich ableiten lassen , oder ob sie als neuentstandene Differenzirungsproducte des Protoplasma be- trachtet werden müssen, lasse ich dahin gestellt. Es frägt sich nunmehr, welchen Grad der Entwieklung die Stammform erreicht hatte, als die Trennung in zwei divergente Zweige eintrat. Wir haben hier die beiden noch übrig bleibenden der im Obigen als möglich hingestellten Fälle in Erwägung zu ziehen. Ent- weder besass die Stammform eine Organisation, welche Charactere beider Classen verband, oder sie näherte sich einseitig dem typischen Bau unserer jetzigen Ciliaten. Das erste Verhalten würde kurz als die Abstammung beider Classen aus einer gemeinsamen Mittelform, das zweite als eine Abstammung der Acineten von den Ciliaten be- zeichnet werden müssen. — Wenn nun auch unsere Beobachtungen, namentlich was die Entwicklung der Ciliaten anlangt, zu lückenhaft sind, als dass wir jetzt schon zu feststehenden Anschauungen kommen könnten, so will ich gleichwohl kurz die Thatsachen beleuchten, welche hier in Betracht gezogen werden müssen. Die Ansicht, dass Ciliaten und Acineten einer gemeinsamen in- differenten Mittelform entstammen, welche ausser dem Wimperkleid noch Tentakeln besessen hat und aus der sich die Classe der Aci- neten durch Rückbildung der Bewimperung, die Classe der Ciliaten durch Rückbildung der Tentakeln differenzirte, ist von HAECKEL !) aufgestellt worden. HAECKEL'S Auffassung stützt sich auf die Beob- achtungen von STEIN, Conen, ENGELMANN u. A., dass in dem Ent- wicklungskreis der Ciliaten Sprösslinge auftreten, welche sich durch den Besitz von Tentakeln vom Mutterthier unterscheiden und so auf eine mit Tentakeln versehene Urform zurückweisen. Die Folgerungen HAECKEL’s sind vollkommen richtig und seine Annahme würde allein Anspruch auf Geltung haben, wenn die Richtigkeit der Beobachtungen, auf die sie sich als Beweis beruft, ausser allem Zweifel stände. !) Generelle Morphologie II pag. LX XVIII. 76 Dr. Richard Hertwig Allein letzteres ist keineswegs der Fall. Keiner der genannten For- scher hat mit Sicherheit die sogenannten acinetenförmigen Schwärm- sprösslinge der Ciliaten sich aus Theilen des Mutterthiers entwickeln sehen oder ihre Umwandlung in einen mit dem Mutterthier überein- stimmenden Organismus verfolgt. So lange dies nicht geschehen ist, hat die entgegenstehende Annahme, dass die »acinetenförmigen Schwiirmer« echte parasitische Acineten sind, gleiche Berechtigung, um so mehr als die Angaben über die Fortpflanzung noch nicht mit einander in Einklang zu bringen sind. So schildern StEm!) und EBERHARD ?), welche beide die Fortpflanzung der Bursaria trunca- tella studirt haben, die Embryonen vollkommen verschieden. Ebenso wenig ist eine Einigung in Betreff des Verhaltens des Nucleus erzielt, welcher bald neben den Embryonalkugeln vorhanden gewesen, bald gefehlt haben soll. Ueberdies gibt BAusIAnt?® an, das Eindringen der Gebilde, welche er für Parasiten hält, beobachtet zu haben und führt ferner zur Widerlegung der Stein’schen Ansichten an, dass, wenn man mit »Embryonalkugeln« beladene Infusorien zu anderen Infusorien setze, welche keine Veränderungen im Innern erkennen liessen, letztere binnen Kurzem sich ebenfalls, und zwar ohne Unter- schied der Art, mit »Embryonalkugeln« füllten. Diese Beobachtung lässt sich nur gezwungen durch die Annahme eines Fortpflanzungs- modus erklären, würde dagegen sehr gut mit der Annahme einer In- fection der Infusorien durch Parasiten übereinstimmen. — Jedenfalls halte ich es zur Zeit für gerathen, die Fortpflanzung durch acinetenför- mige Schwärmsprösslinge und somit auch die Folgerungen, welche man aus derselben für die Phylogenie der Infusorien ziehen könnte, als unerwiesen anzusehen, bis es geglückt ist, durch eine genaue Be- obachtung der Entstehung und Verwandlung der fraglichen Körper den directen Beweis zu führen. Wir kommen jetzt zur Besprechung der letzten noch übrig blei- benden Möglichkeit, dass die Acineten aus entwickelten Ciliaten- formen entstanden sind. Die Annahme einer derartigen Entwicklung würde voraussetzen, dass die Acineten in Anpassung an eine ver- änderte Lebensweise, vor Allem an eine durch die Entwicklung von 1) STEIN: Organismus der Infusionsthiere II p. 306. 2) EBERHARD: Beiträge zur Lehre von der geschlechtlichen Fortpflanzung der Infusorien. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XVIII p. 120. 3) BALBIANI: Sur un cas de parasitisme improprement pris pour une mode de reproduction des Infusoires ciliés. Comptes rendus de l’Académie des sciences 1860. "Tu p. 819. Ueber Podophrya gemmipara ete. 77 Tentakeln veränderte Ernährung die Bewimperung und einen ursprüng- lich vorhandenen Mund und After (Cytostom und Cytopyge) verloren hätten '). Einige Thatsachen sind, wie ich im Folgenden zeigen werde, geeignet, diese Annahmen zu stützen. Bei der Podophrya gemmipara beobachtete ich, dass sich eine röhrige Einstülpung in einer ganz bestimmten Lagerung bei allen Schwärmern entwickelt. Es gleicht diese Bildung vollkommen dem Cytostom der Ciliaten und ist wie dieses mit Wimpern versehen und von einer Fortsetzung der Skeletmembran ausgekleidet. Demgemäss kann man daran denken, dass sich wie in so vielen Fällen so auch hier in der Form des Entwicklungszustandes Anklänge an früher bestan- dene, beim ausgebildeten Thiere rückgebildete Organisationsverhält- nisse erhalten haben, dass der bewimperte, mit einem Cytostom ver- sehene Schwärmer die ontogenetische Recapitulation eines mit einem echten eiliaten Infusorium übereinstimmenden Stadium ist, welches phylogenetisch einmal von der ganzen Acinetenclasse durchlaufen wurde. Indessen bin ich weit davon entfernt an eine derartige noch vereinzelte Thatsache weittragende Folgerungen zu knüpfen und will hier nur kurz auf einige Beobachtungen hinweisen, die ich in der Literatur nachweisen konnte und die sich vielleicht ebenfalls im an- gedeuteten Sinne verwerthen lassen. Bei Bursaria truncatella beobachtete EBERHARD?) »acinetenför- mige Schwärmsprösslinge«, welche entweder aus dem Körper der Bursaria spontan heraustraten oder durch einen Zerfall desselben frei wurden. (Letzteres spricht sehr für die Annahme, dass hier Pa- rasiten vorgelegen haben.) Dieselben entwickelten anfänglich Ten- takeln, im Verlauf überzogen sie sich mit einem Wimperkleid, streckten sich in die Länge, und nahmen »die Gestalt eines’ plattgedrückten Weizenkorns an, der selbst die Furche nicht fehlte. Am vordern ') Gestützt auf die schon oben besprochene Uebereinstimmung, welche zwischen der Bewimperung der einzelnen Acinetenschwärmer und der Bewimpe- rung der Ordnungen der Ciliaten besteht, könnte man an die weitere Möglich- keit denken, dass die Acineten je nach dem Bau der einzelnen Schwärmer aus den verschiedenen Ordnungen der Ciliaten sich entwickelt hätten, z. B. Acineten mit peritrichen Schwärmern aus peritrichen Ciliaten. Indessen scheint es mir doch zu naheliegend anzunehmen, dass die Reduction einer holotrichen Be- wimperung mehrfach in ähnlicher Weise stattgefunden hat, und zu unwahr- scheinlich, dass die eigenthümlich gestalteten Organe der Tentakeln sich zu wiederholten Malen und unabhängig entwickelt haben sollten, als dass es eines näheren Eingehens auf eine derartige Möglichkeit bedürfte. 2)71..€.9: 120: 78 Dr. Richard Hertwig Ende der Liingsfurche entwickelte sich ein Mund. — Das somit ent- standene »Infusorium« stimmt auffallend mit einem Podophryaschwär- mer, wie ich ihn geschildert habe, überein, ist dagegen nicht mit der Bursaria truncatella identisch, wie ich aus der Schilderung entnehme und wie es ferner aus der Angabe EBERHARD’s ersichtlich ist, dass er diese weizenkornförmigen Infusorien anfänglich für selbstständige Formen gehalten hat. Eben so wenig wie die Umwandlung in die Bursaria hat EBERHARD die Entwicklung der Schwärmer aus der Bursaria verfolgt. Denn die Beobachtung, dass bei den mit Em- bryonalkugeln beladenen Formen ein Kern fehlte oder im Zerfall be- sriffen war, lässt ebenso gut die Deutung zu, dass die Parasiten ihn zerstört hatten, als dass er zur Bildung von Embryonalkugeln auf- gebraucht worden war. Wie bei allen den schon besprochenen Be- obachtungen über die Fortpflanzung der Ciliaten durch acinetenförmige Schwärmer, so besitzen auch hier die beiden vorhandenen Möglich- keiten, dass in Wirklichkeit eine Fortpflanzung vorliegt, oder dass wir es mit einem Parasitismus von Acineten zu thun haben, gleich viel Wahrscheinlichkeit. Wir müssen somit im Auge behalten, dass vielleicht die von EBERHARD ohne Weiteres als eiliate Infusorien in Anspruch genommenen Formen weiter nichts sind als Acineten- schwärmer, bei denen sich das Cytöstom als rudimentäres Organ er- halten hat !). Ferner lässt sich vielleicht das eigenthümliche Infusor, welches STEIN als Actinobolus radians beschrieben hat, als ein mit einem Cytostom versehener Acinetenschwärmer auffassen. Ich gebe hier die Schilderung, welche Srem von diesem für die Genealogie der Infusorien jedenfalls sehr interessanten Organismus gibt, wortgetreu wieder, indem ich es dem Leser, überlasse, sich über die Zulässigkeit ') Dieser Annahme widerspricht keineswegs, wie man mir einwerfen könnte, der Umstand, dass sich im vorliegenden Falle die Bewimperung an Formen ent- wickelte, welche nicht in der Fortpflanzung begriffen waren. Die Bewimperung scheint häufig nur die Bedeutung zu besitzen, dass sie der Acinete den. Orts- wechsel ermöglicht. Eine schon einen ganzen Tag lang unter dem Deckglas beobachtete Podophrya fixa überzog sich unter meinen Augen mit einem lebhaft wie ein Kornfeld wogenden Wimperüberzug. Hierbei nahm sie eine langgestrekte abgeplattete Gestalt an und schwärmte hinweg, nachdem sie ihre 'Tentakeln ein- gezogen hatte. Nach mehrstündigem Herumschwärmen kehrte sie zur alten Form zurück. Hier war somit ein vorübergehender Schwärmerzustand eingetreten, ohne dass, wie sonst es von CARTER und ÜIENKOWSKI beobachtet wurde, eine Theilung vorangegangen war. (CARTER: Annals and Magazin of nat. hist. III Vol. VIII p. 288 u. Vol. XV p. 287. Crenkowsk1: Bulletins de Académie imp. de St. Pötersbourg. Vol. XVI p. 299.) Ueber Podophrya gemmipara ete. 79 meiner Annahme ein selbstständiges Urtheil zu bilden. »Der Körper des Actinobolus ist fast kugelförmig oder umgekehrt eiförmig, am vorderen Pole mit einem kurzen zitzenförmigen Fortsatz versehen, in dem die enge Mundöffnung liegt, und ringsum mit gleiehförmigen kurzen Wimpern besetzt. Zwischen den Wimpern stehen zahlreiche fadenförmige Tentakeln zerstreut, -die sich wie die Tentakeln der Acinetinen beträchtlich verlängern und auch spurlos in den Körper zurückziehen können. Der After und ein grosser contractiler Behälter liegen am hintern Körperpole. Der ziemlich lange strangförmige Nucleus ist unregelmässig zusammengekrümmt. Die Gegenwart von Mund und After schliesst unser Thier entschieden von den Acine- tinen aus, denen es auf den ersten Blick sehr ähnlich erscheint«'). STEIN rechnet den Actinobolus zu den holotrichen Infusorien; da er dieselben noch nicht besprochen hat, fehlt zur Zeit leider noch eine Abbildung und genauere Schilderung. Namentlich würden Angaben über die Nahrungsaufnahme von Interesse sein, da nur durch die Beobachtung der letzteren mit Sicherheit erkannt werden könnte, welcher Theil der Organisation in Rückbildung begriffen ist, die Ten- takeln oder das Cytostom ? Eine dritte Beobachtung endlich, der vielleicht ein mit einem Cytostom versehener Acinetenschwirmer zu Grunde liegt, wurde eben- falls von StEIm angestellt und betrifft den Schwärmer des Dendro- cometes paradoxus2). Bei demselben spricht Stein von einem knie- förmigen Spalt, welcher »keine in das Körperinnere führende Oeffnung bilden«, sondern »dadurch entstehen soll, dass die Körperhaut sich stark nach Innen einfaltet und eine viel zartere Beschaffenheit an- nimmt«. Auch hier fällt es auf, dass das Gebilde eine constante Lagerung besitzt, indem es stets am vordern Ende und auf der ven- tralen Fläche sich vorfindet und hierin mit der röhrenförmigen Ein- stülpung des Schwärmers der Podophrya gemmipara übereinstimmt. Ich habe im Vorhergehenden die Frage, welche bei mir durch die an der Podophrya gemmipara angestellten Beobachtungen ange- regt worden war, ob nämlich bei den Schwärmern der Acineten ein Cytostom als rudimentäres Organ zur Entwicklung kommt oder nicht, !) Stein: Der Organismus der Infusionsthiere II p. 169 Anmerkung. 2) Stein: Die Infusionsthiere auf ihre Entwicklung untersucht p. 215. Ver- gleiche ferner Stein: Neue Beiträge etc. (Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. III p. 477 u. 495), sowie die Schilderung und Abbildung, welche CLAPAREDE und LACH- MANN vom Schwärmer der Podophrya Trold geben (Etudes II, p. 129. Taf. IV, Fig. 5. »Les embryons étaient tous deux replies de maniére 4 présenter une sorte de canal ou gorge«). 80 Dr. Richard Hertwig ausführlicher besprochen. Mein Zweck hierbei war, darauf hinzu- weisen, wie ein sorgfältigeres Studium der so vielgestaltigen Acineten- schwärmer vielleicht geeignet wäre, über manche Puncte in der Genea- logie der Infusorien Aufschluss zu verschaffen. Aus der gegebenen Zusammenstellung der für die Stammesge- schichte der Infusorien wichtigen Beobachtungen ist ersichtlich, dass zur Zeit eine definitive Ansicht noch nicht möglich ist. Zwar steht es fest, dass als gemeinsame Urform der Acineten und Infusorien ein einzelliger Organismus, welcher mit einem continuirlichen Wimper- kleid versehen war, angesehen werden muss, ob derselbe jedoch ausserdem noch ein Cytostom besessen haben mag und sich somit als ein echtes ciliates Infusor darstellte, oder ob er mit Tentakeln versehen, eine Zwischenform zwischen Ciliaten und Acineten gebildet hat, lässt sich noch nicht mit genügender Sicherheit entscheiden. Immerhin haben die zahlreichen Untersuchungen der Neuzeit die interessante Frage der Lösung beträchtlich genähert, in so fern sie eine klare Fragestellung ermöglichten und die Puncte dargelegt haben, von denen eine auf eine Klärung der Phylogenie der Infusorien zielende Unter- suchung ausgehen muss. Ueber Podophrya gemmipara ete. 81 Tafelerklirung, Tafel I. Figuren 1—5 und Fig. 11 bei Zeiss F Oc. 1; Figur 6 A—D bei F Oc. 2; Figuren 7—10 und 12 bei F Oc. 3. Für alle Figuren giltige Bezeichnungen: m Skeletmembran; » Nucleus; o wim- pernde röhrenförmige Einstülpung (vielleicht dem Cytostom der Infusorien homolog) ; st Anlage des Stiels; s Saugröhren; » Vacuolen; x Fangfäden. Figur Figur Figur : Figur Figur : Figur Figur 7 Figur Figur § Figur Figur Figur i. ow > _ Eine Podophrya gemmipara mit ausgestreckten Saugröhren und Fang- fäden. f Faltungen der Skeletmembran. Besonders grosses Exemplar mit 8 in der Bildung begriffenen Schwär- mern. Exemplar mit einem in Ablösung begriffenen Schwärmer. Man sieht die in die Tiefe dringende Abschnürungsfurche und das Cytostom (?). Erste Anlage eines Schwärmers: Cyste mit unvollkommen eingezogenen Tentakeln. Entwicklung eines abgelösten Schwärmers. A Schwärmer in rein seitlicher, B in rein dorsaler, C in halb seitlicher Ansicht. In allen 3 Figuren die Einstülpung o (Cytostom?) erkennbar, welche im vordern Theil mit Wimpern ausgekleidet, im hintern, durch eine Einschnürung abgesetzten Theile wimperlos ist. D-F seitliche Ansichten, welche die erste Anlage des Stiels (st) und das Verstreichen des Cytostoms zeigen. Zahlreiche Vacuolen haben sich im Innern entwickelt. F blei- bende Podophryenform. Stiel der Podophrya gemmipara. A ein Stück des sich mit dem Kör- per verbindenden Theils, welches Quer- und Längsstreifung zeigt. Bein Stück aus der Mitte. C Basis des Stiels, welche die Zerfaserung der inneren homogenen Substanz erkennen lässt. Fangfäden einer lebenden Podophrya gemmipara. « im ausgestreckten Zustand; 6 bei beginnender Verkürzung; d und e stark verkürzt; e geknickte und varicöse Fangfäden. Stick der auf dem optischen Querschnitt gesehenen Körperoberfläche einer mit dünner Chromsäure behandelten Podophrye. Man erkennt die von der Skeletmembran gebildeten, blasigen Erhebungen, sowie die Skeletscheiden der Tentakeln und deren Verlängerungen in's Innere. Dasselbe nach Behandlung mit Eisessig. Rest einer durch Bildung zahlreicher Knospen redueirten Podophrye. Fangfäden und Saugröhren mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt. f Nahrungsballen ; s Saugröhren, welche den Inhalt der Nahrungsballen aussaugen; x Fangfäden, welche die Nahrung aufgefangen haben und dieselbe nun mehr fixiren. Morpholog. Jahrbuch. 1. 6 82 Dr. Richard Hertwig, Ueber Podophrya gemmipara etc. Tafel LI. Figuren 1—10 bei F Oc. 1 gezeichnet. Figur 11 bei F Oc. 3. Figuren 12, 13, 15 bei F Oc. 2. Fig. 14 bei COc. 2. Alle nach Chromsäurepräparaten ea, Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur und mit Carmin tingirt. 1. Junge Podophrye mit einem einfachen hufeisenförmigen Nucleus. 2. Junge Podophrye, von deren Nucleus sich die ersten seitlichen Knospen erheben. 3. Junge Podophrye mit gewundenem, am Ende beiderseits gabelig ge- theilten Nucleus. 4. Grosses Exemplar, dessen Nucleus zahlreiche und mannigfach ver- ästelte Knospen getrieben hat. 5. Podophrye mit 4 jungen Knospen, in welche der Kern anfängt seine Fortsätze zu treiben. 6. Exemplar mit 2 Knospen, in die der Nucleus schon eingedrungen ist. 7 und 8. Exemplare mit nahezu reifen Knospen, in denen der Nucleus seine Hufeisenform schon angenommen hat und nur noch durch einen dünnen Verbindungsfaden mit dem miitterlichen Nucleus zusammen- hängt. 9. Exemplar mit compactem Nucleus, der dicke Fortsätze in die Knospen treibt. 10. Schwärmer, von denen der eine noch am mütterlichen Stiel festsitzt, der andere sich schon abgelöst hat. Der Kern von A mit zwei seit- lichen Knospen versehen, von B in Theilstücke zerfallen. m Skelet- membran. st Stielanlage. 11. Skeletmembran der Podophrye durch Chromsäure isolirt. A Flächen- bild; B optischer Querschnitt. 12-13. Verschiedene Stadien der Embryonenbildung von Acineta cu- cullus, welche die Knospung vom Kern aus erkennen lassen. 14. Zelle mit verästeltem Nucleus aus den Malpighi’schen Gefässen einer Sphingidenraupe. 15. Acineta poculum mit in das Innere eindringenden und hinter dem Kern sich verflechtenden Tentakeln. [ | Morphol. Mirko .Bd.T. Hartwir. del a Lith Anst.v.J.6.Bach,Letpziy = Taf I = Gach, Laien Cth Avett Ueber die Entwicklung der Wirbelsäule und das Centrale carpi des Menschen. | Von Dr. Emil Rosenberg, zweitem Proseetor am anatomischen Institut der Universität Dorpat. (Eiierzu Taf. III, TVu. V.) Der weitreichende Einfluss, den die Descendenztheorie übt, hat den einzelnen Disciplinen der Morphologie präeise und auf ein ein- heitliches Ziel gerichtete Aufgaben gestellt, an deren Lösung diese Wissenschaft arbeitet. Unter den morphologischen Diseiplinen hat sich die Anatomie des Menschen weniger als andere diesem Einfluss zugängig gezeigt. Dieser verlangt es, dass die Aufgaben dieser Diseiplin nicht, was noch nicht allgemein aufgegeben, in einem Sinne aufgefasst würden, der dieselbe von dem synthetischen Verfahren der vergleichenden Anatomie ausschliesst, und fordert es, dass auch die Anatomie des Menschen den genealogischen Gesichtspunct als den für die Untersuchung ihres Objeets massgebenden anerkenne und sich die Aufgabe stelle, die Organisation des Menschen aus ihrem Zu- sammenhange mit der der übrigen Organismen verstehen zu lernen. Diese Aufgabe dürfte kaum anders zu lösen sein, als wenn sie in Einzelaufgaben getrennt wird und der Versuch gemacht wird, in Betreff eines jeden einzelnen Organisationsverhältnisses die Frage zu lösen, wie dasselbe auf dem Wege genealogischer Entwicklung entstanden gedacht und als ein Resultat der Wandlungen aufgefasst werden kann, welche die homologen Theile in der Formenreihe er- fahren haben, die in Betreff des Menschen vorauszusetzen ist. Die hierbei einzuhaltende Methode der Untersuchung ist von der Mor- 6* S4 Dr. Emil Rosenberg phologie gegeben und besteht in der Vergleichung der homologen Theile, wobei als niichste Vergleichsobjecte die homologen Bestand- theile derjenigen Formen dienen miissen, die von der Systematik als die Angehirigen derselben Ordnung bezeichnet werden, und in wei- terer Instanz diejenigen Gruppen in Betracht zu kommen haben, fiir welche die relativ am wenigsten entfernten genealogischen Bezie- hungen behauptet werden diirfen. Wird hierbei die Abtheilung der Säugethiere verlassen, so ist der Vergleichung die Richtung, in wel- cher an andere Gruppen anzuknüpfen ist, durch die Aufschlüsse be- zeichnet worden, die GEGENBAUR über die genealogischen Beziehun- gen, in denen die den Wirbelthierstamm repräsentirenden Haupt- gruppen zu einander stehen, gegeben hat. Als nächstes Ergebniss der Vergleichung resultirt die Auffassung der verglichenen Form- zustände als Theilerscheinungen eines Vorganges, der zunächst ein hypo- thetischer ist, dessen Statuirbarkeit aber untersucht, eventuell weiter begründet werden kann. Dieser Untersuchung bietet einen festen Anhalt die im Sinne der Descendenztheorie liegende Interpretation der embryonalen Entwicklung. Denn da letztere als eine kurze Re- capitulation der Geschichte der Art angesehen werden darf, so ist die aus der Vergleichung gewonnene Anschauung über die Geschichte. des untersuchten Theils aus den Thatsachen der embryonalen Ent- wieklung zu bestätigen und sicherer zu begründen, wenn sich die- jenigen Verhältnisse nachweisen lassen, die in den vorausgesetzten Vorgang der Umgestaltung als Theilerscheinungen desselben hinein- gehören, deren Nachweis also das untersuchte Organisationsverhält- niss als Endresultat dieses Vorganges erklären lässt. In zweiter Reihe kommen die verschiedenen Formen in Betracht, in denen der untersuchte Theil im erwachsenen Zustande sich darbieten kann. Dass diese gleichfalls auf einen Theil der genealogischen Geschichte zu beziehen sind, ist von HenseL') gezeigt worden. An sehr präg- nanten, aus den Verhältnissen des Zahnsystems gewählten Beispielen hat HEeNsEL anschaulich gemacht, wie ein Vorkommniss, das als Ab- normität erscheint, wenn es nur bei wenigen Individuen einer Spe- cies sich findet, bei sich vergrössernder Zahl der Individuen, denen es zukommt, den Character der » Abnormität« verlieren kann, und weiter, wenn es bei der Majorität erscheint, die frühere Regel zur Ausnahme macht und endlich ein systematischer Character wird. Ebenso ist es ein Verdienst Hexser’s darauf aufmerksam gemacht 1. e. pag. 69—71. (ef. das Verzeichniss der eitirten Literatur.) ‘Ueber die Entwickl, der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 85 zu haben, dass »die Missbildungen, zu denen die Reduction des Ske- letes Veranlassung geben kann« (die entweder eine Vergrösserung oder Verminderung desselben darstellen), »als eine Antieipirung aus der zukünftigen Geschichte der Species oder als Wiederholung frü- herer Entwicklungszustände « derselben gedeutet werden können. Indem die genannten Gesichtspuncte die Möglichkeit gewähren, die Entwieklungsstadien und die verschiedenen Zustände eines Or- sans als in die genealogische Geschichte desselben hinein gehörig nachzuweisen, ergibt die Benutzung derselben für die Gesammtauf- gabe verwerthbare Einzelergebnisse. Um zu einem solchen einen wenn auch nur geringen Beitrag zu liefern, habe ich die Untersuchungen, deren Ergebniss im Nachstehenden mitgetheilt wird, unternommen: Dieselben betreffen die Wirbelsäule, und für die Wahl dieses Unter- suchungsobjeets war der Umstand massgebend, dass dieser Theil des Skelets bei den für die Vergleichung zunächst zu benutzenden Formen, den Primaten, im Gegensatz zu den übrigen Theilen des Skelets eine relativ beträchtliche Vielgestaltigkeit bietet, somit für diesen Theil an- genommen werden darf, dass er noch nach der Trennung der von einer gemeinsamen Stammform ausgegangenen Formenreihen nicht unerheb- lichen Wandlungen unterworfen gewesen sei, was, da diese als relativ spät eingetretene bezeichnet werden können, es wahrschein- lich machte, dass ein Theil derselben noch relativ leicht feststellbar sein würde. Für die in dem oben erörterten Sinne anzustellende Vergleichung noch andere Formen ausser den Primaten zu benutzen, musste zunächst unterlassen werden, da schon die Verhältnisse bei den Primaten derselben, worauf später einzugehen ist, Schwierigkeiten bereiteten. Auch musste ich den Versuch unterlassen, die Form der Wirbelsäule, welche als die relativ primitivste, bei Primaten vor- kommende erscheint, als aus anderen, weiter zurückliegenden Zu- ständen entstanden nachzuweisen, da eine zu diesem Zweck zu unter- nehmende Untersuchung mir nicht ausführbar scheint, wenn nicht für jede einzelne der zu vergleichenden Wirbelsäulen wenigstens ein Theil der Entwicklung derselben bekannt ist. Ausser der Wirbelsäule habe ich eine den Carpus betreffende Frage untersucht, über welche im zweiten Abschnitt das Nähere mit- getheilt wird. Von dem zu der Untersuchung verwandten Material konnten die den kritischen Entwicklungsstadien angehörigen Embryonen selbst- verständlich nur allmälig erlangt werden. Die Untersuchung hat daher schon deshalb häufig für längere Zeit unterbrochen werden 36 Dr. Emil Rosenberg müssen; eine weitere Schwierigkeit bedingte der Umstand, dass die Herstellung der erforderlichen continuirlichen Schnittserien in einzelnen Fällen nieht möglieh !) und in den meisten sehr erschwert war, was eine wiederholte Untersuchung einzelner Stadien nöthig machte. Das Material, das somit in reicherem Maasse erforderlich war, ist mir mit der grössten Liberalität gewährt worden. Hierfür bin ich zu grossem Dank verpflichtet den Herren Professoren Hoist, BIDDER und REISSNER , welcher mir zugleich dc Benutzung des die Pri- maten betreffenden Materials der anatomise en Sammlung gestattete, Herrn Dr. E. Broprr in St. Petersburg und Herrn Professor GEGEN- BAUR, der mir bei einem Aufenthalt in Heidelberg die Untersuchung des Materials, dessen Benutzung für den vorläufigen Abschluss, den die Untersuchung damit erfahren hat, mir noch wünschenswerth war, in gütigster Weise ermöglichte. Es sei mir gestattet, den ge- nannten Herren meinen besten Dank zu sagen. l. Wirbelsäule. Die Verschiedenheiten, die die Wirbelsäule in der Ordnung der Primaten 2) zeigt, bereitet der Vergleichung darin eine Schwierigkeit, \ dass, da es sich um gleichzeitig) lebende Formen handelt, in keiner einzelnen im Vergleich zu den anderen ein entweder niederer oder höherer Zustand vorliegen kann. Einzelne Theile einer gegebenen Wirbelsäule finden sich in primitiverem Verhalten, während andere Abschnitte mehr verändert erscheinen. So bieten die Cynopithecinen durch die geringe Zahl der Sacralwirbel, die bei Semnopithecus entellus nur zu zweien vorkommen können, ein sehr primitives Verhalten, während die Zahl der Dorsalwirbel bei ihnen geringer ist als bei 2 Gattungen der Anthropoiden, die sich hierin primitiver ver- halten, im Gegensatz dazu aber in der geringeren Zahl der Präsacral- !) Bei der Zerlegung konnte der Thatbestand mit der nöthigen Sicherheit erst festgestellt werden, nachdem ich in den Besitz technischer Hülfsmittel ge- langt war, die auch bei unvollkommener Schnittfähigkeit des Objects die Unter- suchung ermöglichten. Ueber dieselben wird an einem andern Orte berichtet. 2) Diese Bezeichnung brauche ich (mit dem Unterschied, dass ich den Men- schen als dieser Ordnung angehörig betrachte,) im Sinne von IS GEOFFROY Sr. HiLAIRE (I. c.), dem ich auch bezüglich der Unterabtheilungen folge. Die . Gruppe »Simiina« wird im Text Anthropoiden genannt. 3) Das fossile Material, das für Primaten, wie bekannt, überhaupt nur in spärlichen Bruchstücken vorliegt, kann bei der Vergleichung der Wirbelsäule zur Zeit leider gar nicht in Betracht kommen. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 87 wirbel wiederum eine weitere Entwicklungsstufe repräsentiren. Ein ähnliches Beispiel gewähren die Cebinen, wo z. B. bei Ateles die Zahl der rippentragenden Wirbel um 2 grösser sein kann '), als bei den Cynopithecinen, die Gruppe der Priisacralwirbel aber trotz dieses primitiveren Verhaltens doch gleichzeitig einen Wirbel weniger besitzt, das Sacrum jedoch hierbei in der gleichen primitiven Be- schaffenheit gefunden wird. Indem diese Verhältnisse es mir schwierig machten, im Hinblick auf die gesammte Wirbelsäule zu einer Vorstellung ihrer Umgestaltung zu gelangen, hielt ich es für zweckmissig, für die Vergleichung zunächst die Verhältnisse der anthropoiden Primaten zu benutzen. Und auch dabei erschien es mir geboten, von einer Vergleichung der gesammten Wirbelsäule ab- zusehen und nur die einzelnen Regionen in Betracht zu ziehen, um zu untersuchen, inwiefern der verglichene Abschnitt der menschlichen Wirbelsäule aus den bei den anthropoiden Primaten sich findenden Verhältnissen hervorgegangen gedacht werden kann, wobei zugleich eine Orientirung über etwaige, an die Zustände dieser Abschnitte bei anderen Formen sich anschliessende Verhältnisse möglich war. Auf Grundlage des Ergebnisses an den einzelnen Abschnitten wäre dann auf das Verhalten der Summe dieser Abschnitte zurückzukommen. A. Dorsal- und Lumbalwirbel. Die Cervicalregion und der grösste Theil der Dorsalregion bietet im Verhältniss zu anderen Abschnitten der Wirbelsäule weniger be- deutende Verschiedenheiten, auf die hier nicht eingegangen wird. Der distale2) Theil der Dorsalregion zeigt dagegen auffälligere, aus der Anzahl der diese Region zusammensetzenden Wirbel sich ergebende Kigenthiimlichkeiten. Zwei Genera, Troglodytes und Hylobates, haben bekanntlich 13 Dorsalwirbel, während dem Orang wie dem Menschen nur 12 Wirbel in der genannten Region zukommen. Da bekanntlich die grössere Zahl der Rippen stets das niedere Verhalten repräsentirt und kein zwingender Grund vorliegt. die namentlich von. OWEN *) mehrfach unter Bezugnahme auf die gleichgrosse Zahl der präsacralen 1) ef. OWEN 4 pag. 728 Nr. 4687. 2) Die Bezeichnungen proximal und distal beziehen sich auf die in der Längsaxe der Wirbelsäule dem Kopf näher resp. in weiterem Abstande von ihm liegenden Bestandtheile. 3) cf. besonders 3 pag. 94, 100, 103, 88 Dr. Emil Rosenberg Wirbel im Genus Troglodytes und beim Menschen behauptete Homo- logie des letzten Dorsalwirbels dieser Formen mit dem ersten Lumbal- wirbel der Menschen zu bezweifeln, so kann es sich beim Menschen nur um den Schwund eines Rippenpaares handeln. Dies ist um so wahrscheinlicher, als, wie bekannt, in seltenen Fallen an dem auf den 12. Brustwirbel folgenden Wirbel ein 13. Rippenpaar als s. g. Varietät vorkommt. Es war demnach der Versuch zu machen, die constante Anlage eines 13. Rippenpaares nachzuweisen. Da aber bei Hylabates hin und wieder noch ein 14. Rippenpaar besteht!) und die Dorsalregion anderer Primaten eine noch grössere Zahl rippen- tragender Wirbel umschliesst, so musste auch an weiter distal gelegenen Wirbeln nach Rippenanlagen gesucht werden. Diese Unter- suchung hatte sich eventuell zugleich auf die Frage nach dem Ver- bleib der Rippe und ihrem etwaigen Antheil an der Formation der Querfortsätze zu erstrecken. Die Erledigung dieser Frage wäre wiinschenswerth, da sich seit längerer Zeit in Betreff der Querfort- sätze zwei verschiedene Auffassungsweisen geltend machen. Die eine derselben fand ihren Vertreter in Jon. MÜLLER), der mit Bezug- nahme auf den Modus der Verknöcherung bei einzelnen Säugethieren, sowie in Berücksichtigung des Verhaltens der Muskulatur in den Querfortsätzen mit den Wirbeln verschmolzene Rippen sah. Im Ge- gensatze hierzu hat Rerzıus 3) gestützt auf die Vergleichung mit den Fortsätzen der Dorsalwirbel die Querfortsätze der Lendenwirbel als eigenthümlich ausgebildete Theile der Brustwirbelquerfortsätze ange- sprochen. Dieselbe Meinungsverschiedenheit kehrt bei neueren Autoren wieder. Nach HEnLE®) entspricht der Querfortsatz der Lumbalwirbel dem höckerförmigen Querfortsatz der letzten Brustwirbel und einer mit ihm und dem Wirbel verschmolzenen kurzen Rippe, während Hasse und Scuwark*) behaupten, es liessen sich an den Lenden- wirbeln keine Rippen oder Rippenrudimente nachweisen, ,,héchstens unter abnormen Verhältnissen am ersten. ‘‘ Zur Darlegung der Untersuchungsergebnisse °) übergehend, habe ich zunächst die in Betreff des 13. Rippenpaares mitzutheilen. I) efr. MivArT 1 pag. 555. l. ec. pag. 240. l. ec. pag. 605—607. l. c. pag. 47, 48. l. e. pag. 70, 71. 6) Die untersuchten Embryonen habe ich in dem nachstehenden Verzeichniss mit besonderen Ziffern bezeichnet, um mich im Laufe dieser Mittheilung auf die Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 89 Ueber die Existenz dieses Rippenpaares war eine unzweideutige ‚Auskunft zunächst an dem Embryo IV. 3 zu erlangen. Hier zeigte sich die Hals- und Brustregion der Wirbelsäule, obgleich noch völlig im Zustande des secundiren Skelets befindlich (von Einzelheiten, die hier kein direetes Interesse haben, abgesehen), in den Beziehungen, die der entwickelte Zustand bietet, dagegen fand sich an dem auf > 565 das Homologon des 12. Brustwirbels der entwickelten Wirbelsäule folgenden, 20. Wirbel der Reihe ein 13. Rippenpaar') in der Form einzelnen Objecte beziehen zu können. Auch wenn einzelne derselben der gleichen Entwicklungsstufe anzugehören schienen, wurde bei denselben die Wirbelsäule nicht in demselben Entwicklungsstadium angetroffen und der Um- stand, dass bei den meisten Embryonen nicht alle Theile der Wirbelsäule in der Entwieklung gleich weit vorgeschritten sich fanden, machte es unmöglich, die einzelnen Objecte in jeder Beziehung als Repräsentanten bestimmter Stadien zu betrachten. I. Länge des Embryo von der durch das Mittelhirn bedingten Prominenz bis zur höchsten Convexität des hinteren Leibesendes 1,65" Distanz der Extremitäten vom Beginne der Axillarfalte bis zu dem der Inguinalfalte 4mm II. 2. Dieselbe Messung wie bei I.: 2 m resp. 6mm 10 IS - - at le are Zr Ret. - - ME are i es) ae PLL 2 - = Pe a DS u, 31.3. - - en Du = i Ga Wt A. - = a ass, = —=-= b= Em? ers ERBE LER aay HY Die ey IV. 2. A. Vom Beginn der Axillarfalte bis zur höchsten Convexitiit des hintern Leibesendes 1,15cm Distanz der Extremitäten (cf. I.) 7mm IV. 3. desgl. 1,25¢m resp. 9mm 3. A. (Messung wie bei I) 2,5« resp. 9mm IV. 5. (Messung wie bei IV 2 A)'1,4e"" resp. 1,2cm V. 1. (Messung wie bei I) 4,8em resp. 1,5cm Bei der Untersuchung wurde stets die ganze Wirbelsäule zerlegt. Um die Zerlegung zu erleichtern, wurde der Rumpf des Embryo senkrecht zur Längs- axe in mehrere Segmente getheilt; aus den Segmenten, welche die Cervical- und den proximalen Theil der Dorsalregion enthielten, wurden um die Zählung der Wirbel zu erleichtern und die Schnittserien nicht zu gross werden zu lassen, Frontalschnitte angefertigt. Die übrigen Segmente wurden je nach dem spe- ciellen Erforderniss in Frontalschnitte oder Querschnitte zerlegt. Meist wurde vom letzten Segment die rechte Hälfte in Sagittalschnitte, die linke in Frontal- schnitte zerlegt. Wo wegen der nicht geringen Zahl der Schnitte das Resultat der Combination in Betreff der Zählung unsicher sein konnte, wurde dieselbe mehrmals vorgenommen. !) Da wegen der Existenz dieses Rippenpaares die Bezeichnung ‚‚letzter Brustwirbel‘‘ zu Missverständnissen Veranlassung geben muss, und auch die Bezeichnung der Wirbel in der Lumbalregion hiervon beeinflusst wird, so werden 9) Dr. Emil Rosenberg eines beiderseits vorhandenen, ventralwärts leicht gekrümmten, stab- förmigen Knorpelstücks, welches mit seiner dorsalen Fläche dem kurzen aber deutlichen, horizontal und senkrecht zur Medianebene gestellten Querfortsatz anlagert und mit seinem vertebralen Ende dem Bogen nahe der Grenze desselben gegen den Wirbelkörper auf- sitzt (ef. Fig. 6 es. 13). Der hier bemerkbare leichte Vorsprung des Wirbelkörpers, an den die Rippe stösst, gehört dem Bogen an. Ausser diesem die Rippennatur des in Rede stehenden Skelettheils deutlich bekundenden Beziehungen verdient noch die Stellung der Längsaxe desselben erwähnt zu werden (ef. Fig. 6), welche der der 12. Rippe fast parallel steht, mit der Längsaxe der Querfort- sätze der folgenden Wirbel jedoch eine für eine Rippe characteris- tische Winkelstellung einhält. Den gleichen Befund bot der Embryo III. 2. wo auf der rechten Seite (die Beschaffenheit der linken war wegen Lückenhaftigkeit der Schnittserie nicht feststellbar) eine noch längere, 1" lange 13. Rippe zur Betrachtung kam, und einen dem zuerst aufgeführten ganz ähnlichen der Embryo IV. 2. Entsprechend der früheren, durch den Embryo III. 1 repräsentirten Entwicklungs- stufe war das am 20. Wirbel befindliche Rippenpaar offenbar eben erst angelegt, wie aus der Kürze der betreffenden Rippen ein Zu- sammenhalt mit dem Umstand zu entnehmen, dass dieselben hier aus noch intercellularsubstanzarmem Knorpelgewebe bestehen. Dieser Befund macht es verständlich, dass in noch früheren Stadien, bei den Embryonen II. 3 und I., hinsichtlich der Existenz eines Rippen- paares am 20. Wirbel ein negativer Befund sich ergab, während die übrigen Rippen sämmtlich bereits vorhanden waren; es wird also das 13. Rippenpaar später angelegt als das 12. Die aufgeführten Beobachtungen, die den späteren ersten Lumbal- wirbel in der Form eines 13. Brustwirbels aufweisen und die Existenz eines Rippenpaares, das später einer Reduction unterliegt, für eine Zeit constatiren, in welcher Thoraxbewegungen nicht gemacht werden, die Unmöglichkeit einer funetionellen Verwendung desselben also -zweifellos ist, sind dieser Verhältnisse wegen nur in dem Sinne zu deuten, dass sie einen Beleg für eine Descendenz von einer Form bieten, die am 20. Wirbel im entwickelten Zustande constant ein im Folgenden, um Irrthümer zu vermeiden und aus einem anderen, später zu erwähnenden Grunde die Wirbel mit der Zahl bezeichnet, die der Stelle ent- spricht, die der betreffende Wirbel in der Gesammtreihe der Wirbel einnimmt, wobei der Atlas als erster Wirbel gezählt wird. eae ys) 4 12% PR : bd gt} MF nek > x Ne ? ’ ‘Tie ? ie : “4 9 : Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 91 ~ Rippenpaar trug; die Constanz, mit der dieses Rippenpaar beim menschlichen Embryo noch angelegt wird, könnte, wenn auch nicht mit Bestimmtheit, als ein Hinweis darauf angesehen werden, dass der Zustand, in dem der 20. Wirbel eine Beschaffenheit hatte, wie sie bei den Vertretern zweier Genera jetztlebender Anthropoiden noch fortbesteht, erst seit rel. kurzer Zeit verlassen worden ist. Was nun den Verbleib dieses Rippenpaares anlangt, so ist in Bezug hierauf zunächst der Befund beim Embryo IV. 2 A. zu er- wähnen. Hier zeigt sich die Rippe (ef. Fig. 7 es. 13) in der Form eines niedrigen Kegels, der mit seiner Basis den einspringenden Winkel, der von dem Querfortsatz und dem Bogenhals gebildet wird, einnimmt und seine in dorsoventraler Richtung etwas abgeplattete Spitze, an welche das Lig. lumbocostale sich heftet, ventral- und lateral- wärts richtet. Die Reduction hat also im Vergleich zu dem Ver- halten bei dem zuerst erwähnten Embryo hier zumeist das vertebrale Ende der Rippe betroffen und damit die Stelle, an der dasselbe dem Bogen anlagert, weiter dorsalwärts verlegt. In denselben Beziehun- gen, wie sie für die eben beschriebene Rippe bestehen, findet sich beim Embryo IV. 1 A. statt einer knorpeligen Rippe ein die Form derselben besitzendes, aus dieht aneinander gedrängten Zellen be- stehendes Gewebslager, welches sich gegen die Umgebung deutlich abgrenzt, und in seinem Innern nur in sehr beschränkter, nicht scharf abzugrenzender Ausdehnung aus intercellularsubstanzarmem Knorpel besteht. Hierin schliesst sich der Befund bei dem etwas älteren Embryo IV. 3 A. bei welchem das, wie bei dem soeben erwähnten Embryo eine knorpelige Rippe vertretende, dichte Gewebslager, absolut und relativ kleiner vorgefunden wurde und in seinem Innern keinen Knorpel wahrnehmen liess. Diese drei Beobachtungen zusammen- gehalten könnten zu der Auffassung führen, das 13. Rippenpaar unterliege im Laufe der Entwieklung einer vollständigen Reduction, indem der zuerst noch knorpelige Skelettheil allmälig auf die Stufe eines aus indifferentem Gewebe bestehenden Gewebslagers hinabsinkt und dieses schliesslich völlig schwindet: dieselben müssen aber gegen- über dem Befunde beim Embryo IV. 5 eine andere Interpretation erfahren. Bei diesem Embryo findet sich am 20. Wirbel kein freies Rippenpaar, dagegen hat der Bogen an der Stelle, wo sein annähernd horizontal gestellter Hals in den dorsalwärts gerichteten Bogentheil übergeht, eine Form, die vollkommen derjenigen entspricht, die ent- stehen würde, wenn man sich die isolirt bestehende, noch wenig redueirte 13. Rippe des Embryo IV. 2 A. (cf. Fig. 7 im Vergleich 92 Dr. Emil Rosenberg zu Fig. 8) mit dem Querfortsatz und dem Bogen verschmolzen vor- stellt. Dass es sich hier factisch um eine solche Verschmelzung handelt, drückt sich auch in der Beschaffenheit des Knorpelgewebes aus, die den costalen Theil noch deutlich gegenüber dem Bogen und dem Querfortsatz abzugrenzen gestattet, die Spitze des ersteren steht, wie bei den früher erwähnten Embryonen mit dem Lig. lumbo-costale in Beziehung. Auf Grundlage dieses Nachweises können die früher erwähnten, anscheinend zu einem völligen Schwund hinüberleitenden Entwicklungsstadien der 13. Rippe selbstverständlich nicht mehr in diesem Sinne als Reduetionsstufen aufgefasst werden, dieselben illu- striren aber wohl in der Hinsicht die im Laufe der- Entwicklung eintretende Reduetion, als sie das Rippenpaar in Bezug auf seine Existenzdauer durch ein Hinaufrücken der untern Grenze derselben beeinträchtigt zeigen; es handelt sich hier also nur um eine mehr als gewöhnlich retardirte Anlage. Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, dass der sogenannte Querfortsatz des als erster Lendenwirbel erscheinenden 20. Wirbels der entwickelten Wirbelsäule nicht homo- dynam ist den Querfortsätzen der Brustwirbel, da er aus einem solehen Fortsatz und einer mit ihm verschmelzenden, reducirten Rippe ent- steht, und zwar unter vorwiegender (die Beziehung zum Lig. lumbo- costale weist darauf hin) Ausbildung des costalen Elements, der dem Querfortsatz der Brustwirbel entsprechende Antheil liegt im dorsalen Theil der Basis des sogenannten Querfortsatzes des ersten Lenden- wirbels, für welchen unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse eine andere Bezeichnung nöthig werden dürfte, man könnte auf ihn die Bezeichnung Seitenfortsatz anwenden. Es erübrigt jetzt noch einen Blick auf die Zustände zu werfen, die der 20. Wirbel beim erwachsenen Menschen zeigen kann, um auch für diesen wie für die übrigen, später zu betrachtenden Theile die Richtigkeit der oben erwähnten Auffassung HENSEL’s zu bestätigen. Die Existenz eines Rippenpaars an dem genannten Wirbel ist häufig als „Varietät“ aufgeführt worden; dass durch dieselbe ein atavistisches Verhalten des betreffenden Theils der Wirbelsäule bekundet wird, kann um so weniger einem Zweifel unterliegen, als auch, abgesehen von der Rippe, der Wirbel selbst Zustände zeigt, welche die all- mälige Umformung desselben aus einem letzten Brustwirbel in einen ersten Lendenwirbel illustriren. Was zunächst die Rippe anlangt, so besitzt dieselbe, wie das bei einem rudimentär werdenden Skelet- theil nicht anders erwartet werden kann, eine beträchtliche Variations- breite, die sich in Betreff der Länge in sehr auffälligem Maasse zeigt. x oes, Ueber die Entwick]. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 9% An sieben mir vorliegenden Wirbelsiiulen' , die das in Rede stehende atavistische Verhalten aufweisen, also an einem rel. sehr gering- fügigen Material, schwankt die Länge der Rippe zwischen 14 °” und 1,3 ® und es lässt sich aus den verschiedenen Rippen eine Reihe formiren, die deutlich die allmälige Verkürzung bezeugt. Dass die- selbe vorherrschend das ventrale Ende betrifft, ist selbstverständlich, sie zeigt sich aber auch beim vertebralen Ende. Auch wo die Rippe noch am meisten das primitive Verhalten bewahrt hat, ist das Tuberculum zu einem niedrigen Höckerehen redueirt, welches durch Bandmasse mit dem ebenfalls kleinen Querfortsatz verbunden ist, das Collum aber noch fast 1°" lang und das Capitulum mit gut erhaltener Gelenkfläche versehen. Hält man sich bei der Vergleichung der verschiedenen Exem- plare an das meist noch sichtbare Rudiment des Tubereulum, so kann eine allmälige Verkürzung des vertebralen Endes constatirt werden, mit der selbstverständlich auch eine Dislocation der Fossa costalis verbunden ist, die in einem Falle noch dem Rande der proximalen Endfläche des Wirbelkörpers ganz nahe liegt, dann aber von diesem Rande wegrückt und auf den Bogenhals übergeht, was es verstehen lässt, dass sie sich in extremen Fällen auf dem Querfortsatz findet. So findet sich in einem Falle die Rippe in der Form eines kleinen Plättchens, welches mit einer am vertebralen Ende seiner dorsalen Fläche gelegenen kleinen Gelenkfläche einer ähnlich gestalteten Gelenk- fläche aufruht, welche an der ventralen Fläche des niedrigen Quer- fortsatzes gelegen ist und bis an die Spitze desselben reicht; hier wird somit eine Articulatio costo-transversalis vorgetäuscht, die des- halb nicht factisch vorliegen kann, weil die Fossa transversalis und die Tubereulargelenkfläche als längst rückgebildet betrachtet werden inüssen. Die reducirteste unter den beobachteten Rippen sitzt nur der ventralwärts schräg abgestutzten Spitze des Querfortsatzes, mit derselben ein Gelenk bildend, auf. An der andern (linken) Seite desselben Wirbels findet sich keine Rippe, dagegen ein ,,Querfort- _ satz‘‘, der nur wenig kürzer ist, als der Querfortsatz der rechten Seite !) An dieser, wie an späteren Stellen, wo es sich um die verschiedenen Zustände, in denen derselbe Theil der Wirbelsäule im erwachsenen Körper zur . Betrachtung kommt, handelt, werde ich das beobachtete Material nicht in allen Details vorführen, da es genügen dürfte, einzelne Beispiele hervorzuheben, eine aufmerksame Betrachtung einer Anzahl Wirbelsäulen wird die gemachten An- gaben leicht bestätigen lassen. Der Untersuchung haben 33 Wirbelsäulen ge- dient, wobei Material, dessen Benutzbarkeit zweifelhaft sein konnte, nicht in Betracht gekommen. Fast die Hälfte der Objeete habe ich selbst präparirt, die übrigen gehören der anatomischen Sammlung in Heidelberg an. 54 Dr. Emil Rosenberg und die Rippe züsammengenommen, und mit Bezugnahme auf den oben gegebenen embryologischen Nachweis als Seitenfortsatz zu be- zeichnen ist !). Objecte, an denen deutliche Spuren der Verschmelzung einer rud. Rippe mit dem Querfortsatz zu sehen gewesen wären, habe ich nicht beobachtet, doch kann als ein Uebergangszustand ein Fall angeführt werden, in dem das kleine, plättehenförmige Rippenrudi- ment eine Gelenkverbindung bereits aufgegeben hat und nur durch Bandmassen an den Bogenhals und den niedrigen stumpfen Quer- fortsatz gefesselt ist. Hat der 20. Wirbel beiderseits eine bewegliche Rippe eingebüsst und damit die Beschaffenheit eines Lendenwirbels angenommen, so bekunden die verschiedenen Zustände, in denen die Seitenfortsätze sich finden, nur noch eine allmälige Längenzunahme derselben. Hinsichtlich der Gelenkfortsätze wäre zu bemerken, dass die Proce. artic. proximales in dem Fall, der die längsten Rippen zeigte, die fast frontale Stellung der Gelenkflächen besitzen, welche die von den Brustwirbeln untereinander gebildeten Gelenke characterisirt, so dass, da die Proce. artie. distales die für die Lumbalregion als normal angesehene Configuration besitzen, dieser Wirbel, isolirt betrachtet, von einem 12. Brustwirbel nieht zu unterscheiden wäre. Als Uebergangs- zustände zu dem für normal angesehenen Verhalten der Proce. artic. prox. des 1. Lendenwirbels können 2 Fälle gelten, wo in dem einen die Gelenkfläche an der einen Seite rein dorsalwärts, an der andern zugleich etwas medianwärts gerichtet sich zeigte, während in dem andern Fall auf der einen Seite bereits die lumbale Beschaffenheit vorliegt, die andere dagegen die Gelenkfläche noch in einer dorsal- und ein wenig medianwärts gerichteten Stellung wahrnehmen lässt. 1) Für einen solchen Wirbel, dessen eine Hälfte bereits die Beschaffenheit eines Lendenwirbels zeigt, während die andere durch den Besitz einer rudimen- tären, beweglichen Rippe bekundet, dass der ganze Wirbel früher ein Brust- wirbel gewesen, scheint mir die Bezeichnung Dorsolumbalwirbel (die sich einer von BERGMANN eingeführten Bezeichnung anschliesst) zutreffend, da dieselbe den betreffenden Skelettheil sowohl als »Uebergangswirbel« kennzeichnet, als auch in der Aufeinanderfolge der auf die Form Bezug habenden Wortbestand- theile an die Aufeinanderfolge der Zustände erinnert, die der betreffende Wirbel durchläuft. — BERGMANN (I. e. pag. 349—51) bezeichnet einen auf den 12. Brust- wirbel folgenden Wirbel, der noch beiderseits ligamentös befestigte (25mm lange) Rippen trägt, als »dorso-lumbaren« oder »lumbo-dorsalen Uebergangswirbelc, letztere Bezeichnung wäre fallen zu lassen, wenn die Bezeichnung Dorsolumbal- wirbel in dem angegebenen Sinne acceptirt wird und da die bewegliche Ver- bindung beider Rippen mit dem Wirbel ein Characteristicum der im distalen Abschnitt der Dorsalregion sich findenden Segmente der Wirbelsäule bildet, so wäre der von BERGMANN beobachtete Wirbel noch als 13. Brustwirbel anzusehen. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 95 Die geschilderten Zustiinde zeigen also, dass der Process der Umformung des 20. Wirbels und die damit zusammenfallende Ver- legung der Dorsolumbalgrenze aus dem Zwischenraum zwischen dem 20. und 21. Wirbel in den zwischen dem 19. und 20. befindlichen insofern für die Gesammtheit der Species nicht abgeschlossen ist, als sich eine wenn auch kleine Minderzahl von Individuen findet, die, als Nachzügler in der Entwicklung, bei verschiedenen Stadien des Processes, Varietäten bildend, stehen geblieben sind '!). Da das Vorrücken der Dorsolumbalgrenze auf dem Wege der Reduetion und Umformung von Skelettheilen geschieht, könnte erwartet werden, dass ein etwaiger Einfluss desselben auf nächst proximal gelegene Wirbel nach Massgabe des Fortschrittes, den der Process gemacht hat, ein verschiedener sei. Dass ein solcher Einfluss über- haupt statthat, musste wegen des Umstandes, dass weder das letzte, noch auch das vorletzte Segment der Brustwirbelsäule sich in ganz festen Beziehungen findet, von vornherein wahrscheinlich sein. Am auffälligsten sind die Verschiedenheiten in Betreff der Rippen, von denen wiederum die des 19. Wirbels stärker variiren als die des 18. Die Variationsbreite des 12. Rippenpaares bewegt sich hinsichtlich der Länge der Rippen zwischen 21 und 2 ©“ und die des 11. Rip- penpaares zwischen 28 und 15°" Das Rudimentärwerden des 12. Rippenpaares geht schon aus der grossen Variationsbreite hervor, was aber hier zunächst interessirt, und dieses Rudimentärwerden in Zusammenhang mit dem Vorrücken der Lumbodorsalgrenze stellt, ist der Umstand, dass die ausgebildeteren d. h. weniger reducirten 11. und 12. Rippen immer auch mit einem weniger redueirten 13. Rippen- paar an demselben Skelet zusammentreffen, und dass auch nach Schwund des letzteren Rippenpaares die Varietäten des 11. und 12. 1) Man wird es nicht als eine Widerlegung dieser Auffassung ansehen können, dass sich nicht alle Zustände in ihrem ganzen Detail derselben fügen ; denn wenn z. B. von 2 beträchtlich redueirten Rippen die redueirtere gleichwohl die Gelenkverbindung noch besitzt, so liegt hierin nur ein untergeordneter Ana- chronismus, oder wenn ganz geringfügige, sich nicht an einander schliessende Formabweichungen an den Rippen oder dem Wirbel sich zeigen, so ist das einer- seits als ein Ausdruck dessen anzusehen, dass auch bei in bestimmter Weise functionirenden Theilen nicht für alle Individuen absolute Identität der Function bestehen kann, während andererseits für die ihre Function einbüssenden und in rudimentärem Zustand in den entwickelten Körper hinübergenommenen Theile sich hierdurch Folgen ergeben, die aberrante Formen erzeugen müssen. Das Gesagte gilt auch für später anzuführende Zustände, in denen derselbe Theil im entwickelten Körper getroffen wird. .- 96 ; Dr. Emil Rosenberg Rippenpaares nicht fiir ein Stillstehenbleiben des Processes sprechen. Ein Beispiel!) möge dieses belegen. a) b) €) 11. R. beiderseits 28m, beiderseits ca. 26,5 m, r. 22,5em, 1.23 em, 12. - - 21 - - 18 - - 15 - - 16,5 - 132 = Toe cr 7.2.7149 21,9, fi 47 d) e) 11.R.r. 18 m. 1. 17,5 m, r. 16m, |. 15 em, wherein se At DAS My ise 13. - —_ = Aus diesen Zahlen geht deutlich hervor, dass während des Be- stehens eines 13. Rippenpaars das 11. wenig berührt wird, das 12. schon etwas mehr der Reduction unterliegt, dies Verhältniss aber nach Schwund des 13. Rippenpaars in auffallendem Maasse und be- sonders zu Ungunsten des 12. Rippenpaars sich steigert, so dass das- selbe in einem extremen aber nicht unvermittelten Fall schon jetzt fast dieselbe Reductionsstufe erreicht hat, wie sie auch für das 13. Rippenpaar als extremer Zustand noch beobachtet werden kann. Be- riicksichtigt man ausserdem, dass in diesem Fall eine der Rippen be- reits die Gelenkverbindung aufgegeben hat, so wird man die Ver- muthung nicht unbegründet finden, dass das 12. Rippenpaar dem- selben Process unterliegen werde, der das 13. bereits betroffen. Weniger auffällig als die Verschiedenheiten in der Länge der Rippen aber nicht minder characteristisch ist das Verhalten, das sich ‘aus den Beziehungen des vertebralen Endes der in Rede stehenden Rippen zum Wirbel ergibt. Die Thatsache, dass beim Schimpanse ?) sämmtliche Rippen eine Articulatio costo-transversalis besitzen und (bis auf das 12. und 13. Paar) intervertebral eingelenkt sind, zu- sammengehalten mit dem Umstande, dass dieselben Beziehungen bei den 10 ersten Rippenpaaren der menschlichen Wirbelsäule bestehen, berechtigt dieses Verhalten des vertebralen Endes der Rippen im Gegensatz zu dem bei dem 11. und 12. Rippenpaar vorfindlichen für das primitive zu halten, für diese beiden Rippenpaare somit die Rück- bildung einer Articulatio costo-transversalis anzunehmen und die ver- tebrale Einlenkung dieser Rippen als die Folge einer Dislocation, als ein Herausgetretensein aus der primitiven Stellung anzusehen. !) Die in Betreff der Rippen an den mit a—e bezeichneten Wirbelsäulen angegebenen Längenmaasse beziehen sich, auch wo die Rippe nicht in toto ver- knöchert war, auf die Totallänge derselben, inelusive des nicht verknöcherten Theils. »2) ef. OWEN 4. pag. 775, 776. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Central’ carpi des Menschen 97 Geht man mit dieser Anschauung an die Priifung der verschiedenen Zustände, in denen sich die vertebralen Enden der genannten Rippen bei verschiedenen Individuen finden, so wird man, was zunächst den 18. Wirbel und seine Rippen betrifft, fiir die seltenen Fiille, wo das 11. Rippenpaar beiderseits sowohl intervertebral eingelenkt ist, als auch die Art. costo-transversalis besitzt, nur die Auffassung haben können, dass hier ein primitives, als atavistisch anzusprechendes Verhalten bewahrt geblieben ist, und von hier aus lassen sich die übrigen »Varietäten« leidlich in eine Reihe formiren, welche einer- seits den Verlust der Art. costo-transversalis dadurch, dass dieselbe nur auf der einen Seite vorkommt und eine hieran sich schliessende Reduction des Querfortsatzes, die ziemlich beträchtlich werden kann, illustriren, andererseits wahrnehmen lassen, wie die Fossa costalis, welche noch hart am Rande der proximalen Endfläche des Wirbel- körpers zur Hälfte von ihm und dem Bogenhalse getragen gefunden werden kann, wobei sich am distalen Rande des 10. Brustwirbels eine höckerförmige Erhebung — das Rudiment einer früher dage- wesenen Fossa costalis posterior — zeigt, auf dem Wirbelkörper distalwärts rückt und zugleich mehr auf den Bogenhals übergeht. der dann den weitaus grössern Abschnitt der Gelenkfläche trägt. — Es entspricht der am 12. Rippenpaar sich viel mehr geltend machen- den Reduction, dass an den durchgesehenen Objecten eine Art. costo- trans. sich nicht mehr hat auffinden lassen, während die Fossa eostalis bei den am unteren Ende der Reihe stehenden Objecten noch hart am Rande der proximalen Endfläche des Wirbelkörpers, zur Hälfte auf diesem und dem Bogenhalse ruhend, sich befindet und es darf als Folge der an dem 12. Rippenpaar sich sehr deutlich zeigenden Reduction des vertebralen Endes betrachtet werden, dass die Dislocation der Fossa costalis hier viel beträchtlicher ist als am 11. Brustwirbel; auch wenn dieselbe noch nicht die Mitte des Abstandes der beiden Endflächen des Wirbelkörpers erreicht hat, findet sich schon der grössere Theil derselben auf dem Bogenhals und am obern Ende der Reihe, wo die Gelenkfläche die Mitte des genannten Abstandes ein- hält, ist dieselbe ganz auf den Bogen übergegangen. Obgleich die verschiedenen, soeben kurz berührten Zustände des 18. und 19. Wir- bels das vorhin über das Vorrücken der Lumbodorsalgrenze Gesagte unterstützen, so konnte selbstverständlich nicht unterlassen werden, zu untersuchen, ob sich für die beiden Rippenpaare eine Art. costo- trans. (oder wenigstens die Anlage zu einer solchen) und die inter- - vertrebale Stellung des Capitulum in embryonalen Stadien würde nach- Morpholog. Jahrbuch 1. 7 . ‘ ' - > - +e - Pr ur u it bee tat as Ta = Er“ - > re En a Re “ ao 98 Dr. Emil Rosenberg weisen lassen. Bei den in dieser Hinsicht untersuchten Embryonen (IV. 2.A, IV. 1 A, IV. 34, IV. 5) hat sich in Betreff der 11. Rippe stets eine deutliche Anlage zu einer Art. costo-trans. gezeigt, dieselbe ist dadurch gegeben, dass eine leicht prominirende Partie der dor- salen Oberfliiche der Rippe (Tuberculum) mit dem in diesen Stadien deutlich und nicht weniger als am 10. Brustwirbel ausgebildeten Querfortsatz in naher Berührung (Trennung nur durch eine schmale Periehondriumschicht gegeben) sich findet, während das Collum der Rippe und den Bogen ein in seiner Mitte ziemlich weiter, von locke- rem Gewebe erfüllter Zwischenraum trennt. Das Capitulum ist nur bei dem Embryo IV. 2 A intervertebral eingelenkt, aber in viel ge- ringerer Ausdehnung mit dem 10. Brustwirbel in Beziehung. In den durch die anderen Embryonen repräsentirten, weiteren Entwicklungs- stadien zeigt sich die intervertebrale Stellung insofern aufgegeben, als das Capitulum nicht mehr den distalen Rand des 10. Brustwirbels berührt, wohl aber noch der Intervertebralscheibe aufliegt, im Uebrigen aber nur mit der Seitenfläche des 11. Brustwirbels und nicht mit dem Bogen in Contact steht. Für die 12. Rippe hat sich die Anlage einer Art. costo-trans. nicht nachweisen lassen, ebenso wenig eine rein intervertebrale Situation des Capitulum, dasselbe liegt aber in dem früheren Stadium (IV. 2 A) noch der Intervertebralscheibe an, und hat keine Beziehung zum Wirbelbogen, diese besteht auch in den späteren Stadien nicht, wo die Berührungsfläche hart am proximalen Rande der Seitenfläche des Wirbelkörpers sich findet. Am deutlichsten hat in diesen Stadien der Querfortsatz eine primitive d. h. in Bezug auf die Form ausgebildetere Beschaffenheit, derselbe ist, trotz der man- gelnden Anlage zu einer Gelenkverbindung mit der Rippe, ebenso gross wie der des 11. Brustwirbels und das ist um so mehr zu be- tonen, als bekanntlich der Querfortsatz des 12. Brustwirbels im ent- wickelten Zustande gegenüber dem des 11. verkürzt erscheint und sich bis auf ein ganz kleines Höckerchen reducirt finden kann. Dass der Befund am 12. Brustwirbel nicht ganz den Erwartungen ent- sprochen, ist als ein Ausdruck dessen aufzufassen, dass die Reduction bereits so weit vorgeschritten ist, dass sie auch das Verhalten des Embryo schon in sehr merkljcher Weise beeinflusst, im Uebrigen | dürfte aus den mitgetheilten Beobachtungen hervorgehen, dass die intervertebrale Stellung des Capitulum früher aufgegeben worden ist, als die Gelenkverbindung der Rippe mit dem Querfortsatz, was in Be- zug auf das vorhin erwähnte Verhalten des Chimpanzé zu constatiren nicht ohne Belang ist. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 99 Die an dem bis jetzt betrachteten Wirbelsäulenabschnitt erkann- ten Vorgänge, soweit dieselben die Reduction der Rippen betreffen, sind nicht auf ihn beschränkt, müssen vielmehr auch für weiter distalwiirts. gelegene Theile der Wirbelsäule zugelassen werden, wie daraus hervorgeht, dass auch an weiter distal gelegenen Wirbeln noch Rippenrudimente nachweisbar sind. Beim Embryo IV. 1 A findet sich an allen auf dem 20. Wirbel folgenden Lumbalwirbeln (über das Verhalten der Sacralwirbel wird später berichtet werden) in denselben Beziehungen zum Querfortsatz und Bogen, die oben für die 13. bereits etwas redueirte Rippe ange- geben wurden, ein rundlich gestalteter, im proximalen Pol etwas zu- gespitzter, aus deutlichem Knorpelgewebe bestehender Körper (ef. Fig. 9 cs), der am 21. und 22. Wirbel durch eine Schicht Perichon- drium vom Querfortsatz und Bogen geschieden ist, aber in seinem distalen Pol den genannten Theilen enger anliegt und damit den Uebergang zu dem Verhalten bildet, welches das Costalrudiment an den beiden folgenden Wirbeln zeigt. Hier ist dasselbe gegenüber dem Querfortsatz und dem Bogen nur noch im Bereich des proximalen Pols durch eine schmale Schicht indifferenten Gewebes getrennt, der distale Antheil lässt nur noch aus der verschiedenen Beschaffenheit des Knorpelgewebes die frühere Selbstständigkeit erkennen). Sehr ähnlich ist auch der Befund beim Embryo II. 2, wo die Rippenrudi- mente am 21.—24. Wirbel in noch allmäligerer Abstufung als bei dem oben erwähnten Embryo sich successiv immer mehr mit dem Bogen und Querfortsatz verschmolzen zeigen, in geringer Ausdehnung ist eine solche Verschmelzung schon am 21. Wirbel wahrnehmbar. Die weiter distalwärts liegenden nehmen etwas an Grösse zu, indem sie eine etwas grössere Strecke des Bogenhalses einnehmen und damit der Seitenfläche des Wirbelkörpers näher kommen. Diese Beobach- tungen nöthigen, das oben in Bezug auf den »Querfortsatz « des spätern ersten Lendenwirbels Gesagte auch auf die übrigen Lendenwirbel zu übertragen und diesen ebenfalls Seitenfortsätze zuzusprechen, was auch durch die Untersuchung späterer Stadien (IV. 2, IV.3 A, IV. 5) 1) FRENKEL, der die Querfortsätze der zwischen dem ersten und letzten Lumbalwirbel gelegenen Wirbel als Fortsätze der oberen Bogen ansieht (l. ce. pag. 430), hat am letzten Lumbalwirbel des Menschen einen Knochenkern beob- achtet (pag. 407, 430, Taf. XXI Fig. 2, v. 1. V cs) und bezieht dieses Vorkommniss auf ein Rippenrudiment an diesem Wirbel, eine Auffassung, welche durch die oben mitgetheilte Beobachtung bestätigt wird, dieser Fall gehört somit zu der grossen Gruppe ähnlicher, in denen der Modus der Verknöcherung die ursprüng- lich gesonderte Existenz von Theilen andeutet. 7» 100 Dr. Emil Rosenberg bestiitigt wird, in denen sich zeigt, dass die hier bis auf ganz geringe, in den Reliefverhältnissen sich kundgebende Spuren, schon völlig mit dem Bogen und dem Querfortsatz verschmolzenen Costalrudimente eine Verbreiterung ihrer Basis nach der Seite des Wirbelkörpers hin und eine namentlich beim vorgerücktesten Stadium ziemlich beträcht- liche Verlängerung ihres mit dem Lig. lumbo-costale in Verbindung stehenden, die Spitze des zukünftigen »Querfortsatzes« repräsentiren- den Theiles erfahren haben. Es handelt sich also auch hier vor- herrschend um eine erneute Ausbildung eines seine Selbstständigkeit verloren habenden Rippenrudiments und dass der spätere »Querfort- satz« der Lendenwirbel auch an der Seitenfläche des Körpers zu entspringen scheint, ist eine Folge der Ausdehnung, die das costale Element desselben frühzeitig gewonnen. Auf diese Beobachtungen ist später noch zurückzukommen. An der Lumbalregion der Anthropoiden und des Menschen ist in der verschieden grossen Zahl der Wirbel das auffäliigste diese Region betreffende Verhältniss gegeben, bevor indess dasselbe er- örtert wird, mögen einige Beobachtungen hinsichtlich der Gelenkfort- sätze angeführt werden. Das an den Lumbalwirbeln eines Orang beobachtete, eigenthüm- liche Verhalten der Gelenkflächen, die an dem betreffenden Objecte sämmtlich fast plan sind und eine Stellung besitzen, die nur wenig von der der Gelenkflächen der Proce. artic. der Brustwirbel sich unter- scheidet, indem die der einen Seite mit denen der andern derart ventralwärts convergiren, dass sie verlängert sich fast noch innerhalb des Wirbeleanals schneiden würden, veranlasste dazu, die Anlagen der Gelenke der Lumbalwirbel beim Menschen hinsichtlich einer etwaigen Identität mit denen der Brustwirbel za prüfen. In einem Stadium, in welchem die Anlagen der Proce. artic. sich bereits in ge- ringer Ausdehnung deeken, also die Stellung der Gelenkebenen be- reits angedeutet ist, zeigen die Lumbalwirbel (III. 2) eine Stellung derselben, bei der sie dorsalwärts unter einem fast rechten Winkel convergiren und diese Stellung haben auch (IV. 1 A, IV. 2 A) die der (allein verglichenen drei letzten) Brustwirbel. Die Gelenkebenen der Lumbalwirbel haben somit eine Stellung, bei der sie die (abge- sehen von der Kriimmung) fast in eine Sagittalebene fallenden Ge- lenkebenen der entwickelten Lumbalwirbel unter einem medianwirts offenen, stumpfen Winkel schneiden. Stellt man sich nun vor, dass die dorsal noch weit von einander getrennten Bogen sich gegen ein- ander neigen, bis ihre dorsalen, mittlerweile offenbar sich zugleich i < ~~ - / Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 101 ; verlängernden Enden zusammenstossen, so muss die Stellung der Gelenkebenen in eine fast frontale oder nur noch unter einem sehr stumpfen Winkel dorsalwärts convergente übergehen. Damit wäre das bleibende Verhalten der Brustwirbel gegeben, während bei den Lumbalwirbeln eine weitere Umformung eintritt, indem (IV. 3 A) der laterale Rand der Proce. artic. proximales sich verdickt und zugleich etwas dorsalwärts erhebt, womit zugleich eine Erhebung des lateralen Randes der Proce. artic. distales verbunden ist, ein Vorgang, der dahin führt, dass in einem weiteren Stadium (IV. 5) die Gelenkebenen zu einer Zeit, wo die Bogenenden noch weit auseinander stehen, bereits nur noch unter einem sehr stumpfen Winkel dorsalwärts convergiren, also auch ohne weitere an ihnen stattfindende Umgestaltung durch die Erhebung und das Sichzusammenneigen der Bogen eine ventral- wärts convergente Stellung bekommen würden. Dass im Hinblick auf die sagittale Stellung, die den Gelenkebenen im entwickelten Zu- stand zukommt, noch eine weitere Umformung statthaben muss, ist selbstverständlich, ich habe dieselbe aber nicht beobachtet. Die an dem erwähnten Exemplar des Orang wahrnehmbare Stellung der Gelenkflächen, die nach den eben mitgetheilten Beob- achtungen als eine rel. primitive zu betrachten ist, scheint beim Orang häufig zu bestehen, wenigstens gibt VROLIR (l. c. pag. 9), der zehn Exemplare untersucht hat, an, dass die Proce. artic. proximales im Ver- gleich zu denen ‘des Menschen eine weniger verticale Richtung be- sässen und sagt sie seien »légérement inclinées en dehors«. Das ist an einem fast erwachsenen (dem anatomischen Museum in Heidelberg angehörigen) Exemplar sehr deutlich wahrnehmbar. In Betreff der Gorilla sagt OWEN (3. pag. 104): »the upper zygapophyses are more convex in part, not wholly concave as in Man« und die Abbildungen pl. 35, Fig. 4, 5 u. 6 zeigen deutlich, dass die Umbildung der Ge- lenkfortsätze an den vom Gorilla und Chimpanzé dargestellten Wir- beln nicht ganz den Grad erreicht, der die beim Menschen für nor- mal gehaltene Stellung dieser Fortsätze bezeichnet. Dieselbe ist indess nicht in allen Fällen die gleiche, da diese Fortsätze nicht selten auf früheren Entwicklungsstufen stehen bleiben. So beruht es auf der Persistenz eines sehr primitiven Verhaltens, wenn die Proce. artic. distal. des 12. Brustwirbels ihre Gelenkfläche in derselben, fast frontalen Stellung zeigen, wie die gleichnamigen Fortsätze des 11. Brustwirbels und es ist bezeichnend, dass sowohl diese Stellung als auch ein Uebergangszustand, bei welchem die Gelenkfläche eine mittlere Stellung zwischen der frontalen und sagittalen einnimmt, 102 | Dr. Emil Rosenberg. mit der Existenz eines 13. Rippenpaars zusammenfallen kann. Ge- legentlich bleibt innerhalb der ganzen Lumbalregion ein rel. primi- tiver Zustand bewahrt, indem die Gelenkflächen kaum eine Krüm- mung zeigen und, verlängert gedacht, sich noch innerhalb des Ca- nalis vertebralis schneiden, oder bei etwas stärkerer Krümmung der Gelenkflächen gilt die bezeichnete Stellung für den grösseren, distalen Abschnitt der Lumbalregion, während im proximalen die Gelenk- flächen sich im dorsalsten Theil des Wirbelkörpers schneiden würden. Aber auch wenn im grösseren. proximalen Abschnitt der Lumbalregion die für normal geltende, sagittale Stellung der Gelenkebenen erreicht ist, findet sich, wie bekannt, gleichzeitig an den Gelenken zwischen dem letzten Lumbalwirbel und dem ersten Sacralwirbel eine Stellung der Gelenkebenen,, bei welcher dieselben unter einem fast stumpfen Winkel ventralwärts convergiren, was in etwas geringerem Grade für die Gelenkebenen des letzten und vorletzten Lumbalwirbels der Fall ist; hierin liegt eine noch übrig gebliebene Andeutung an die primitive Stellung der Gelenkflächen, welche sich an diesen Gelenken am längsten erhält. Das ist aber nicht immer der Fall, auch an diesen Gelenken können bei weiterer Umformung die ursprünglich lateralen Ränder der in primitiver Stellung situirten Gelenke, nach- dem diese Ränder zu dörsalen geworden, sich so weit der Median- ebene nähern, dass dieselben an den Gelenken zwischen dem ersten Sacralwirbel und dem letzten und vorletzten Lumbalwirbel in eine Sagittalebene fallen, die etwas lateralwärts von derjenigen liegt, welche die dorsalen Ränder der übrigen Gelenke aufnimmt, und bei noch weiterer Umbildung liegen die dorsalen Ränder sämmtlicher Gelenke einer Seite in derselben Sagittalebene. B. Lumbal- und Sacralwirbel. Es ist bereits bemerkt worden, dass bei den Anthropoiden und dem Menschen in Betreff der Lumbalregion die auffälligsten Ver- schiedenheiten in den Zahlenverhältnissen der Wirbel bestehen. Dass beim Menschen 5 Lumbalwirbel vorkommen, während beim Gorilla und Chimpanzé 4 bestehen, ist zwar nur eine scheinbare Verschieden- heit, da die Homologie des 13. Dorsalwirbels der letzteren Formen mit dem ersten Lumbalwirbel des Menschen sich auch aus der Ent- wieklung dieses Wirbels bestätigen liess, wobei für die Ableitung des Verhaltens der Lumbalregion des Menschen keine Schwierigkeit besteht, diese Region hat eine Vergrösserung auf Kosten der Dorsal- Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 103 region erfahren. An das Verhalten der Dorsal- und Lumbalregion im Genus Troglodytes ist aber weder das beim Orang noch das bei Hylobates gegebene direet anzuschliessen. Bei ersterem finden sich bekanntlich 4 Lumbalwirbel, die auf 12 Dorsalwirbei folgen, wäh- rend bei letzterem 5 Lumbalwirbel sich an 13 Dorsalwirbel reihen und es fragt sich, wie diese Verhältnisse bei den verschiedenen Formen aufeinander zu beziehen sind. Hierbei sind zwei Auffassungen mög- lich, über deren grössere oder geringere Berechtigung a priori nicht wohl mit Sicherheit zu entscheiden sein dürfte. _ Die eine dieser Auffassungen kann behufs einer Beurtheilung der in Rede stehenden Verschiedenheiten von der Beschaffenheit des Saerum ausgehen und sich dabei auf die von GEGENBAUR gegebene Definition dieses Theils stützen. Indem GEGENBAUR!) in der Sacralregion der Säugethiere »die zwei schon bei den Reptilien vorhandenen, das Darmbein tragenden Wirbel« constatirt und diese Wirbel als typische Sacralwirbel be- zeichnet, definirt er das Os sacrum der Säuger als einen Skelettheil, der entweder nur aus den beiden echten Sacralwirbeln besteht, oder aus diesen in Verbindung mit einer verschieden grossen Anzahl (bei Primaten 1—4 Wirbel) aus Caudalwirbeln entstandener, unechter oder Pseudosacralwirbel zusammengesetzt ist. Da GEGENBAUR die von ihm im Sacrum der Vögel nachgewiesenen, das primäre Sacrum der- selben bildenden Wirbel als Homologa der beiden Sacralwirbel der Reptilien deutet?), und sie als ererbte typische Sacralwirbel bezeich- net, so schien es mir nicht unberechtigt, die beiden ersten Sacral- wirbel bei den in Rede stehenden Formen, weil sie die typischen Saeralwirbel sind, gleichfalls für Homologa zu halten. Dann stellen diese bei den vorliegenden Formen einen Theil der Wirbelsäule vor, der sich in unveränderter Weise von der Stammform auf die De- scendenten vererbt hat und in diesen Wirbeln ist dann für die Be- urtheilung der Verschiedenheit in der Lumbalregion ein fester Anhalt gegeben. Es ist zwar von GEGENBAUR die Möglichkeit, dass der letzte Lendenwirbel durch Verbindung mit den Darmbeinen in die Sacralregion hereingezogen werden könne, wodurch die Zahl der echten Sacralwirbel auf drei erhöht werde, speciell in Betreff der Gorilla erwähnt worden) , indess erschien dieses exceptionelle Ver- 1) ef. 3. pag. 614. 2) ef. 4. pag. 194, 196, 201. 3) ef. 3. pag. 614. 104 Dr. Emil Rosenberg halten von geringerer Bedeutung, da GEGENBAUR in einer späteren Arbeit!) von dem Sacrum der jetztlebenden Reptilien und der Säuge- thiere (im Gegensatz zu dem der Vögel) sagt, »dass weder in das eine noch in das andere unter gewöhnlichen Verhältnissen Wirbel eingehen, die dem lumbaren Abschnitt der Wirbelsäule angehören «. Wenn somit die unter gewöhnlichen Verhältnissen im Sacrum sich findenden beiden ersten Wirbel als Homologa gelten können, so muss die Verschiedenheit in der Lumbalregion sich aus Vorgängen inner- halb des präsacralen Abschnittes ergeben haben. Beim Menschen sowie im Genus Troglodytes bestehen 24 präsacrale Wirbel, beim Orang 23 und bei Hylobates 25. Wegen dieser grösseren Zahl er- scheint es natürlich, dass das relativ primitive Verhalten bei Hylo- bates zu sehen ist, da ein sehr prägnantes Beispiel bekannt ist, wie sich eine geringere Zahl von Wirbeln aus einer grösseren ableitet. Dasselbe bieten die Fische, indem die grösste Wirbelzahl bei den Selachiern sich findet, geringere Zahlen bei den Ganoiden und noch geringere bei den Teleostiern gefunden werden. — Wird diese Auffassung auf den vorliegenden Fall übertragen, so muss angenommen werden, dass seit der Trenunng der in den genannten Formen momentan endenden Reihen in der zum Orang hin- führenden zwei Präsacralwirbel, bei den drei andern Formen je einer geschwunden sei. Ausser dieser Auffassung wäre nur noch eine zweite ( Interpretation möglich, die von dem Verhalten des Orang ausgehen und annehmen müsste, dass die grössere Zahl durch einen Hinzutritt neuer Wirbel zu dem ursprünglich an Wirbeln ärmeren präsacralen Abschnitt der Wirbelsäule entstanden sei. Diese Möglichkeit, dass es sich um einen Erwerb von Wirbeln handle, wird man indess für den vorliegenden Fall von vorn herein von der Hand zu weisen sehr geneigt sein, wenn man berücksichtigt, dass gar keine Wahrschein- lichkeit dafür gefunden werden kann, dass bei Wirbelsäulen, die bereits auf die Stufe sehr hochdifferenzirter Formen des tertiären Skelets getreten sind, in diesem Zustand derselben eine Neubildung von Bestandtheilen eintreten werde, deren notorische Anfänge in den geologisch ältesten Theil des seeundären Skelets hineingehören. Es musste somit in Betreff des Menschen (da die übrigen For- men aus einem leicht ersichtlichen Grunde zunächst nicht weiter in Betracht kommen konnten) die Möglichkeit vorhanden sein, in em- bryonalen Stadien desselben 25 präsacrale Wirbel zu finden und die “ik. * den > + f - Bete re W 5 N Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale Carpi des Menschen. 105 Untersuchung hatte die Frage zu entscheiden, ob ein im entwickel- ten Zustande als selbstständiges Gebilde nicht vorhandener Präsacral- wirbel angelegt werde, eventuell, was das Schicksal desselben sei, ob er nach zeitweiliger Existenz reducirt werde,. oder seine Sonder- existenz wenigstens dadurch verliere, dass er sich mit einem andern Wirbel derart verbindet, dass im entwickelten Zustande die Zusam- mensetzung nicht erkannt werden kann. Dass, falls eine Reduetion eines Wirbels stattfände, diese in der Lumbalregion zu Stande kom- men würde, musste wahrscheinlich erscheinen bei der grossen Ueber- einstimmung, die die Wirbelsäulen der in Rede stehenden Formen in dem bis zum neunzehnten Wirbel reichenden Abschnitt zeigen, und dass die Reduction eines in unmittelbarer Nähe des Sacrums befind- lichen Wirbels stattfinden könne, musste eine Beobachtung VROLIK’s !) sehr nahe legen. Derselbe theilt über das Skelet eines Orang mit, dass zwischen dem vierten Lendenwirbel und dem ersten Sacral- wirbel ein »noyau osseux« sich finde, der eine Schiefstellung des vierten Lendenwirbels bedingt und den VROLIK für » une vertebre sacrale incomplete« hält, für welches Gebilde aber wohl viel eher die Auffassung, dass es einen reducirten Lumbalwirbel darstelle, gelten dürfte. Die zweite Möglichkeit der Beurtheilung der in Rede stehen- den Verhältnisse resultirt aus der Existenz von Uebergangsformen zwischen Lumbal- und Sacralwirbeln. Solche Uebergangsformen sind nicht selten beim Gorilla und Chimpanzé beobachtet wor- den. In Betreff des ersteren hat DuvErnoY? eine interessante Beobachtung mitgetheilt. An den von ihm untersuchten Skeleten be- sitzt das eine, einem weiblichen Thier angehörige, vier Lumbalwirbel, während das andere Exemplar nur drei besitzt, indem, wie DuvEr- noy bemerkt, »la quatriéme lombaire de la femelle est devenue la premiere sacrée chez le mäle«, und die Abbildung (ef. pl. IX. fig. D) zeigt sehr deutlich, dass die Assimilation eine fast vollständige ist. Eine besondere Aufmerksamkeit ist diesem Gegenstande von OWEN gewidmet worden. In Betreff des Gorilla findet OwEn?*), dass die Tendenz zu einer sacralen Modifieation (die er für eine Alterserschei- nung zu halten scheint, ef. 3. pag. 94) der Querfortsiitze des letzten Lumbalwirbels beim Gorilla constanter und ausgesprochener hace. pag. 8, 9. 2)-1. c. pag. 38, 39. 3) ef. 3. pag. 104. cf. auch 4. pag. 26 u. pl. 12, wobei auf die Beziffe- rung zu achten ist. 106 Dr. Emil Rosenberg sei als beim Menschen, und betont, dass, auch wenn die Assimi- lation sehr vollkommen geworden, die Homologie dieser Wirbel mit dem fünften Lumbalwirbel des Menschen nicht zu verkennen sei. Beim Chimpanzé hat Owen!) ebenfalls eine sehr vollkommene Assi- milation des letzten Lumbalwirbels mit dem Sacrum beobachtet. Dabei hat Owen bei der Diagnostik dieser Wirbel und dem Vergleich der Wirbelsäule dieser Formen mit der des Menschen die Homologie mit Berücksichtigung der Gesammtzahl der präsacralen Wirbel fest- gestellt, wobei die die gleiche Stelie eimnehmenden für homolog gelten. Diese Auffassung scheint OwEn auch in Betreff des Orang zu haben, da er?) sagt, die Genera Homo, Troglodytes und Pithecus hätten präcise dieselbe Zahl der Wirbel, und fünf Lumbalwirbel könnten nieht als characteristisch für den Menschen angesehen wer- den, da die modificirten Homologa dieser Wirbel bei den Affen nicht fehlen. In dem speciell der Vergleichung der Wirbelsäule gewid- meten Theile seiner fünften Monographie führt OwEn indess den Ver- gleich mit der Wirbelsäule des Orang nicht zu Ende, auch wird hier- bei Hylobates nicht Erwähnung gethan. Unter diesen Uebergangsformen sind diejenigen von besonderem Interesse, bei denen die Assimilation eine so weitgehende ist, dass es nur noch einer ganz geringfügigen weiteren Ausbildung der be- treffenden Wirbel bedürfte, um sie vollkommen in der Gestalt eines ersten Sacralwirbels erscheinen zu lassen. Die Möglichkeit dieser vollständigeren Assimilation ist ebenso wohl zuzulassen, wie die Annahme, dass dieselbe bei einer immer grösser werdenden Zahl und schliesslich bei allen Individuen einer Species eintreten könne; in diesem Falle besässe diese Species einen ersten Sacralwirbel, der nicht homolog ist dem ersten Sacralwirbel einer andern, sonst viel- leicht nahe verwandten Species, bei der eine solche Assimilation nicht stattgefunden. Berücksichtigt man jetzt, dass die genannte, an sich statuirbare Eventualität auch in geologisch früheren Perioden statt- gehabt haben kann, so wird die Berechtigung, die ersten zur Zeit normal im Sacrum der in Rede stehenden Formen oder überhaupt im Säugethiersacrum sich vorfindenden Wirbel für specielle Homologa zu halten, zweifelhaft, was einen anderen Ausgangspunet für die Be- stimmung der Homologie wünschenswerth macht, um von diesem aus die in Rede stehenden Verschiedenheiten in der Zahl der Prä- 1) ef. 3. pag. 105, pl. 36, fig. 3. 2) cf. 6. pag. 257 u. 281. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi desMenschen. 107 sacralwirbel zu beurtheilen. Diesen in Uebereinstimmung mit dem von Owen befolgten Princip der Bestimmung der Homologie, das auch auf andere Formen auszudehnen ist, in den Atlas und Epistropheus zu versetzen, empfiehlt sich wegen der nicht bezweifelbaren Homo- logie, die in sehr weiter Verbreitung für diese Wirbel besteht und die vom Atlas als dem ersten aus gezählt gleichvielsten Wirbel, ganz abgesehen von den Regionen, in denen sie sich bei den verglichenen Wirbelsäulen finden, für specielle Homologa zu halten, ist in dem Fall selbstverständlich, wenn es sicher ist, dass innerhalb der Reihe ein Ausfall oder eine Neubildung nicht stattgehabt, aber auch wo beides nur nicht nachgewiesen ist, kann die Bestimmung der Homolo- gie nach der Stellung in der Gesammtreihe ebenfalls nicht beanstan- det werden und muss im vorliegenden Falle jedenfalls als die zweite Möglichkeit zugelassen werden. Es wäre somit der 25. bei Hylobates in der Form eines 5. Lenden- wirbels vorliegende Wirbel dem 2. Sacralwirbel beim Orang und dem 1. Sacralwirbel der drei anderen Formen homolog zu setzen; da aber nur für die Umbildung eines Lendenwirbels in die sacrale Form und nicht für das Umgekehrte unzweideutige Beobachtungen angeführt werden können, so muss wiederum Hylobates als Repräsentant des primitiven Zustandes angesehen werden. Bei dieser Auffassung musste für den Menschen der embryologische Nachweis verlangt wer- den, dass der 25. Wirbel sich später mit dem 26. zum Sacrum ver- bindet, als dieser mit dem 27., und dass auch die Verbindung des 28. und 29. Wirbels unter einander und mit dem 27. als die frühere sich erweise, war deshalb vorauszusetzen, weil ihre Homologa bei Hylo- bates bereits sacrale Beschaffenheit haben; da aber bei Hylobates das Sacrum auch den 30. Wirbel der Reihe einschliesst, somit bei der Herleitung der Verhältnisse beim Menschen aus dem bei Hylo- bates Gegebenen die Annahme gemacht werden muss, der letzte Sacralwirbel bei Hylobates sei durch eine Rückbildung zu der Ge- stalt, die sein Homologon, der erste Caudalwirbel, beim Menschen besitzt, gelangt, musste die Möglichkeit existiren, den ersten Caudal- wirbel des Menschen in früheren Entwicklungsstadien mit dem Sa- erum verbunden zu finden. Die Untersuchung hat die zuletzt genannten Voraussetzungen bestätigt, wie aus der näheren Darlegung der Untersuchungsergeb- nisse hervorgehen wird. Letztere kann von dem durch den Em- bryo III. 2 repräsentirten, frühesten der hier zunächst zu betrach- tenden Entwicklungsstadien ausgehen, wobei, um die Deutung dieses 108 Dr. Emil Rosenberg. : Stadiums von vornherein sicherzustellen, vorauszuschicken ist, dass, wie auch aus den Befunden selbst sich ergeben wird, fiir die hier in Betracht kommende Embryonalzeit die Even- tualitiiten des Ausfalls eines Wirbels aus der Reihe oder der völligen Ver- schmelzung zweier. Wirbel nieht zu statuiren sind. An dem bezeichneten Objecte nimmt der 25. Wirbel die letzte Stelle in der Reihe der Lum- balwirbel ein (ef. den beistehenden Holzschnitt !) und Fig. 16—24), deu- tet aber schon durch die Formver- hältnisse seiner Seitenfortsätze die spätere Zugehörigkeit zum Sacrum an; dieselben zeigen sich im Ver- gleich zu den Seitenfortsätzen der übrigen Lendenwirbel leicht ver- 1) Die Figur des vorstehenden Holzschnittes ist keine schematische, sondern stellt ein mit Benutzung einer Querschnittserie construirtes Bild eines Frontal- schnittes vor. Die Schnitte sind mit Hülfe eines Mikrotoms angefertigt worden, welches die Dicke der Schnitte mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt, und dieser Umstand bietet die Möglichkeit, ein in den Maassverhältnissen nahe- zu naturgetreues Bild, das einer auf der Ebene des Querschnittes senkrecht ste- henden Ebene angehört, zu construiren. Hierbei wurde in folgender Weise ver- fahren: Auf dem zur Zeichnung benutzten Papier wurden einander parallele Linien gezogen, die einen Abstand (2mm) von einander haben, der die Schnitt- dicke in der zu construirenden Figur repräsentirt. Senkrecht zu diesen Linien wurde ein zweites System von Linien eingetragen, die in Abständen von ein- ander stehen, welche auf den Abstand der Theilstriche eines Ocularmikrometers Bezug haben. Der (auf das Object bezogen) reelle Werth, den der Abstand der äussersten Theilstriche eines Ocularmikrometers bei einer gegebenen, für die Anfertigung der Zeichnung benutzten Combination besitzt, ist bekannt. Wird dieser Werth durch den der Schnittdicke dividirt und wird mit dem Quotienten die die Schnittdicke im zu eonstruirenden Bilde repräsentirende Strecke (?mm) multiplieirt, so bezeichnet der erhaltene Werth den Abstand, den die Linien des zweiten Systems, welche den äussersten Theilstrichen des Mikrometers entspre- chen, von einander haben müssen, womit auch der Abstand der übrigen, den einzelnen Theilstrichen des Mikrometers entsprechenden Linien gegeben ist. Das vorstehende Bild, welches der Ebene eines Frontalschnitts, der die Chorda enthält, angehört, wurde mit Hülfe der erwähnten Linien erhalten, indem suc- cessive in jedem Schnitt die Ausdehnung, welche die im Schnitte vorliegenden Durchschnitte der betreffenden Skelettheile in frontaler Richtung besitzen, am Ocularmikrometer abgelesen und mit Hülfe des zweiten Liniensystems die jedem Theil zukommende Stelle durch Punete an den betreffenden Linien des ersten Systems markirt wurde, wobei die Chorda in die Mittellinie fiel. Die erhaltenen 7. (~ Fay ee ae + © Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 109 « dickt '), ihr Ende zieht sich proximalwärts und distalwärts in einen kurzen Fortsatz (cf. Fig. 17 p. d.) aus, von denen der letztere durch einen nicht sehr beträchtlichen Zwischenraum von dem proxi- malen Ende der Pars lateralis des Sacrum getrennt ist, welches jeder- seits einen seitlich comprimirten Fortsatz aussendet (cf. Fig. 18 p. p.), der sich gegen die eben erwähnten richtet. In Betreff des Sacrums interessirt hier zunächst der Umstand, dass der 30. Wirbel durch relativ mächtige, aus gut entwickeltem Knorpelgewebe bestehende, jederseits von der Seitenfläche seines Körpers ausgehende Spangen mit der Pars lat. in continuirlichem Zusammenhang sich findet, so- mit hier ein Sacralwirbel ist, der seine gegenüber dem Verhalten an der Wirbelsäule der Erwachsenen vollkommnere Form auch durch den Umstand bekundet, dass die Bogenhälften desselben an ihrem distalen Rande, wenn auch nur in geringer Andeutung, die Anlage Puncte, durch Linien verbunden, ergaben die Figur, die dann in einer Camera obscura verkleinert wurde. Dieses Verfahren, das nicht so zeitraubend ist, als es scheinen könnte. war im vorliegenden Fall nicht zu umgehen, da bei der Beschaffenheit des Objects ein Versuch, Frontalschnitte anzufertigen, sicher miss- glückt und die Feststellung des Thatbestandes unmöglich gewesen wäre. Wo es sich um die Combination des in den einzelnen Schnitten einer langen Serie Gesehenen handelt und die einzelnen Schnitte nur wenig verschiedene Bilder bieten, aus denen mit Hülfe allein des Formengedächtnisses eine annähernd fehlerfreie Vorstellung der Gestalt der Theile kaum erlangt werden kann, dürfte sich das bezeichnete Verfahren wegen der Sicherheit der Vorstellung, die es ge- währt, empfehlen. 1) Nachdem von GEGENBAUR (4. pag. 207 — 212) die Deutung der selbst- ständig ossifieirenden Antheile der seitlichen Massen der 4 ersten Sacralwirbel als Rippenrudimente begründet worden, muss die hier sich zeigende Verdickung als auf einer Volumzunahme des im Seitenfortsatz enthaltenen, frühzeitig ver- schmolzenen, costalen Antheils beruhend angesehen werden, was um so sicherer ist, als die Existenz von Sacralrippen für den 25. und 26. Wirbel sich darin hat bestätigen lassen, dass der auf ein Rippenrudiment zu beziehende Antheil in Folge einer auffallenden Retardation der Verschmelzung sich in einem Fall (IV. I A) auch noch im knorpeligen Zustand als ein vom Wirbelkörper, dem Bogen und dem sehr redueirten Querfortsatz abgrenzbares Gebilde vorgefunden hat und wegen bereits erfolgter mächtiger Volumszunahme bereits in die Bezie- hungen zum Ilium getreten war, die GEGENBAUR für die Sacralrippen nach- gewiesen hat. In Fig. 27 ist ein Querschnitt durch den 25. Wirbel des genann- ten Embryo dargestellt; derselbe lässt den costalen Antheil deutlich wahrneh- men. Vergleicht man den Querschnitt dieses Wirbels mit dem in Fig. 16 ab- gebildeten Querschnitt aus dem 25. Wirbel des oben im Texte erwähnten Em- bryo, so erscheint die Deutung, dass die verdickte, vorspringende Partie auf der Anwesenheit eines costalen Elementes in dem Seitenfortsatz des Wirbels beruhe, zweifellos; die Beschaffenheit des Knorpelgewebes lässt den auf das Rippenrudi- ment zu beziehenden Antheil auch noch einigermassen abgrenzen. S ; 2 N 110 Dr. Emil Rosenberg yon Gelenkfortsiitzen aufweisen. Mit dem 30. Wirbel schliesst aber das Sacrum hier nicht ab, es zeigen sich auch, was nicht erwartet war, fiir den 31. Wirbel Beziehungen zu demselben, die auf der rechten Seite dieselben sind, wie die zwischen dem 29. und 30. Wir- bel bestehenden, nur mit dem Unterschiede, dass die Spange viel dünner ist, aus intercellularsubstanzärmerem Knorpel und an einer ganz beschränkten Stelle (im Holzschnitt nicht bezeichnet) aus indiffe- rentem Gewebe besteht, links findet sich ein aus dicht aneinander gela- gerten Zellen bestehender Gewebsstrang (im Holzschn. schraffirt dar- gestellt), der das distale Ende der Pars lateralis mit einem kurzen Fort- satz verbindet, der proximalwärts gerichtet vom Seitenfortsatz des 31. Wirbels ausgeht. Auch ohne auf weitere Stadien Bezug zu nehmen, muss es als die wahrscheinlichere Deutung dieses Befundes hingestellt werden, dass sich in demselben eine bereits eingeleitete Loslösung der 31 Wirbel aus der Verbindung mit dem Sacrum ausspricht. Dieses letztere erinnert durch seine langgestreckte Form, die geringe Breite und den Umstand, dass es sich distalwärts, zum Theil gar nicht und schliesslich nur wenig verjüngt, an primitivere Zustände !). Im Ver- gleich zu den Beziehungen, die das Sacrum der entwickelten Wirbel- säule zum Ilium hat, muss für das vorliegende Entwicklungsstadium hervorgehoben werden, dass das Ilium dem vom 26. und 27. Wir- bel gebildeten Theil der Pars lateralis anliegt und der ventral am meisten vorspringende Theil der letzteren vom 26. und 27. Wirbel gebildet wird. Im nächsten Stadium (IV. 3 A) ist der 25. Wirbel zwar auch noch vollkommen Lendenwirbel, das verdiekte Ende des Querfort- satzes ist aber besonders links (rechts ist der Zwischenraum etwas grösser — cf. Fig. 28) der Pars lateralis schon sehr nahe gerückt. Das Sacrum hat die Beziehungen zum 31. Wirbel völlig aufgegeben, auch das distale Ende der Pars lateralis weist nicht mehr (etwa durch einen an demselben zu findenden Fortsatz) auf das Bestandenhaben derselben hin, während der 30. Wirbel im Uebrigen noch die Be- schaffenheit hat wie im vorhergehenden Stadium. Obgleich aber dieses Sacrum, auch was die Gesammtform anlangt, sich von dem primitiven Verhalten des vorhin beschriebenen Objects entfernt hat, bietet sich an demselben doch noch ein auf frühere Zustände hin- weisender Befund, nach dem an dem vorigen und den anderen Ob- jecten vergeblich gesucht wurde. Nachdem für das Verhalten des !) ef. OWEN 3. pag. 106, 107. pl. 36. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 111 25. Wirbels zum Sacrum ein Anhaltspunct erlangt worden, war unter Berücksichtigung der Thatsache, dass bei den meisten Cynopthecinen der 26. Wirbel der letzte Lumbalwirbel ist, darauf zu achten, ob sich auch für den 26. Wirbel ein relativ späterer Eintritt ins Sa- erum werde nachweisen lassen. Eine hierauf hindeutende Spur fin- det sich an dem vorliegenden Objeete; die Pars lateralis stellt zwar ein Continuum dar, aber im Bereich des vom 26. und 27. Wirbel zu demselben beigetragenen Antheils dringt von der ventralen Seite her eine in axialer Richtung nur geringe Ausdehnung besitzende, indifferente Gewebsschicht (ef. Fig. 28) auf eine kurze Strecke in dasselbe ein und zeigt, dass die Verschmelzung der Seitenfortsätze der beiden Wirbel noch keine ganz vollständige ist. Mit Hülfe dieser Trennungsspur ist auch feststellbar, dass die äusserste Spitze der ventral am meisten vorspringenden Partie der Pars lateralis dem 26. Wirbel zugehört. Das [lium ist am Sacrum weiter proximal- wärts gerückt, es berührt dasselbe nur an beschränkter Stelle, die dem proximalen Theil des vom 27. Wirbel zur Pars lateralis gelie- ferten Antheils entspricht. Im Laufe der weiteren Entwicklung wird der 30. Wirbel durch Reduction der ihn mit der Pars lateralis verbindendenKnorpelspange unter der Form eines Caudalwirbels selbstständig hingestellt. In dem auf das vorige folgenden Stadium (IV. 1.A) ist die Loslösung bereits erfolgt, das Ende der Seitenfortsätze des 30. Wirbels geht aber noch in eine kurze, proximalwärts gerichtete Spitze aus, das Rudiment der früher mächtigen Knorpelspange, die Anlage der Proce. art. dist. hat der Wirbel aber noch bewahrt. Für den 25. Wirbel handelt es sich um eine weitere Ausbildung seines Costalrudimentes, das indess in dem vorliegenden Object noch nicht mit der Pars lateralis verschmol- zen ist. Diese Verschmelzung leitet sich in dem nächstfolgenden © Stadium ein, wo (IV. 2) der 25. Wirbel in exquisiter Weise die Form eines Uebergangswirbels besitzt, der deutlich verdickte Seitenfortsatz desselben ist rechts (cf. Fig. 29) noch durch eine dünne Schicht Perichondrium von der Pars lateralis, der er breit auflagert, getrennt, während links in der noch dünneren (cf. Fig. 30) trennenden Schicht bereits Spuren beginnender Knorpelbildung getroffen werden können. Die völlige Verschmelzung ist in dem letzten Stadium (IV. 5) ein- getreten; indess zeigt sich die Pars lateralis an der Stelle, wo die Grenze zwischen dem 25. und 26. Wirbel zu setzen ist, nicht sehr voluminös, was besonders gegenüber der massigen Entwicklung der- selben im Bereiche des 27. und 28. Wirbels (welcher Theil sich 112 Dr. Emil Rosenberg \ . auch hierin als der ältere ausweist) auffällt. Mit dem Uebertritt des 25. Wirbels in’s Sacrum leitet sich auch darin eine Formumgestaltung ein, dass die ventral am meisten vorspringende Partie der Pars lat., die früher vom 26. und 27. gebildet wurde, jetzt vom 25. und 26. getragen wird; demgemäss ist auch die distale Grenze der Be- rührungsfläche des Ilium aus dem Bereich des 27. Wirbels in den des 26. verlegt worden. Aus dem Mitgetheilten geht hervor, dass bei der Entwiekelung des menschlichen Sacrum ein Umbil- dungsprocess stattfindet, der mehr Wirbel betrifft, als inden einzelnen Stadien des Processes im »Sacrum« ent- halten sind, der deshalb ein fortschreitender ist und sein Fortschreiten speciell dadurch zu Stande kommen lässt, dass er die am proximalen Ende des von ihm be- herrschten Abschnittes befindlichen Wirbel nach Ent- faltung ihres costalen Elementes ins Sacrum hinüber- führt und im Gegensatz zu der Neuaufnahme am distalen Ende des jeweilen bestehenden Sacrum auf dem Wege: der Reduction die gleiche Zahl von Wirbeln aus dem- selben austreten und damit in die Caudalregion über- gehen lässt). I) Die in Betreff der Entwicklung des Sacrum mitgetheilten Beobachtungen, die eine andere Auffassung, als die im Text gegebene, nicht zulassen, gestatten zugleich die Deutung eines Befundes, den ich nicht unerwähnt lassen will und der mir anfangs, als ich ausser demselben nur die dem entwickelten Zustande gleichkommenden Verhältnisse des Embryo IV. 3 kannte, Schwierigkeiten bereitete. Bei dem auf.früher Entwicklungsstufe stehenden Embryo II. 3 findet sich ein Sacrum, dessen Pars lat. aus dichtem, eben in der Verknorpelung begriffenen Gewebe geformt ist, aber trotz des auch hierdurch documentirten, primitiven Zustandes partieipiren an der Pars lateralis der 25. bis 29. Wirbel und zwar betheiligt sich der 25. vorwiegend an derselben, indem der diesem Wirbel zuzutheilende Abschnitt der Pars lat. den grösseren Theil der ventral am meisten vorspringenden Partie derselben bildet. Hier zeigt sich somit der Befund, der bei der Auffassung, die typische Sacralwirbel statuirt, hinsichtlich des Sacrums verlangt werden musste. Bekanntlich hat GEGENBAUR ‚den von ihm gegebenen Nachweis, dass im Sacrum der Vögel zwei, das primäre Sacrum bildende, typische Sacralwirbel existiren, auch dadurch begründet, dass (ef. 4 pag. 195, 196) er bei verschiedenen Vögeln (cf. besonders das über das Hühn- chen Gesagte) den embryologischen Nachweis geführt hat, dass die beiden typischen Sacralwirbel mit ihren sehr ausgebildeten Querfortsätzen früher in terminale Verbindung treten, als die folgenden. Wenn nun auch bei dem in Rede stehenden menschlichen Embryo der 27. bis 29. Wirbel auch schon an der Bildung der Pars lateralis betheiligt sind, so ist doch der 25. Wirbel der am Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 113 Hieraus ist zugleieh ersichtlich, dass der »Sacrum« genannte Wirbeleomplex als das zur Zeit gegebene Resultat des in Rede stehenden Umbildungsprocesses aufgefasst werden muss, für welches Identität der Form sehr wohl bestehen kann, das aber auf ver- schiedenen Entwicklungsstufen morphologisch different werden muss. Ferner geht hieraus hervor, dass die letzten Sacralwirbel im Gegen- satz zu den beiden ersten nicht als accessorische bezeichnet werden können, da die beiden ersten die am spätesten zum Sacrum hin- zutretenden sind, somit auch, wenigstens beim menschlichen Sacrum, nicht als typische gelten können. Und da die beiden späteren ersten Caudalwirbel als den Caudalwirbeln assimilirte Sacralwirbel zu be- zeichnen sind, wird es sehr fraglich, ob die letzten als Sacralwirbel angelegten und diese Form behaltenden Wirbel überhaupt eine Be- ziehung zu Caudalwirbeln haben und nicht vielleicht, wie die beiden ersten, auf Lumbalwirbel zu beziehen seien. Indess wäre eine solche Auffassung aus dem erlangten Ergebniss nicht zu begründen. Die sacrale Beschaffenheit eines Wirbels ist zweifellos eine spätere und da in der Gruppe der Cynopithecinen, bei denen meist der 27. Wirbel der erste Sacralwirbel ist, bei einer in Betreff des Sacrum sich sehr primitiv verhaltender Form, Semnopithecus entellus, das Sacrum aus dem 27. und 28. Wirbel besteht, der 29. Wirbel somit Caudalwirbel ist, wäre es nicht unmöglich, dass der 29. Wirbel des Menschen aus einem Caudalwirbel entstanden, wobei in Betreff dieses Wirbels dann bei Semnopithecus ebenso das primitivere Verhalten vorläge, wie es zweifellos hinsichtlich des 25. und 26. Wirbels der Fall ist, die bei dieser Form lumbale Beschaffenheit bleibend besitzen, welche den homologen Wirbeln des Menschen als primitivere transitorisch zukommt. In Betreff des 30. und 31. Wirbels müsste dann ange- nommen werden, was an sich nicht undenkbar ist, dass sie zuerst Caudalwirbel gewesen, dann Sacralwirbel geworden seien und bei weiterem Fortschreiten der Sacrumbildung wiederum der Caudal- meisten ausgebildete Sacralwirbel, was es gerechtfertigt erscheinen liess, ihn als den am frühesten sacral gewordenen zu betrachten und damit als einen typischen Sacralwirbel aufzufassen. Gleichwohl finden sich aber bei diesem Object nur 24 präsacrale Wirbel und das musste dazu veranlassen, zunächst an noch jüngeren Embryonen nach einem in früherer Embryonaizeit ausfallenden Wirbel zu suchen. Das hierbei erlangte negative Resultat, zusammengehalten mit den im Texte mitgetheilten Ergebnissen an späteren Stadien, lassen den in Rede stehenden Befund dahin deuten, dass es sich hier um ein sehr auffallendes Hinabgerückt- Sein der oberen Grenze der Zeit, in welche die Sacrumbildung fällt, um einen Fall »verwischter« Entwicklung (cf. F. MÜLLER 1. ce. pag. 77) handelt. Morpholog. Jahrbuch. 1. 8 114 Dr. Emil Rosenberg region zugetheilt würden. Diese Verhältnisse dürften erst später sieherer zu beurtheilen sein, zunächst ist das erlangte Ergebniss in anderer Beziehung zu verwerthen. Mit Hülfe desselben lassen sich die verschiedenen Zustände, in denen die Sacralregion und der an sie stossende Abschnitt der Lumbal- region in der Wirbelsäule des Erwachsenen sich finden, leicht deuten. Dass die Grenze zwischen der Sacral- und Lumbalregion häufig durch einen Uebergangswirbel eingenommen wird, ist durch zahlreiche in der älteren wie neueren Literatur aufgeführte Beispiele bekannt. Dürr !), der ältere, hierhergehörige Beobachtungen eitirt, meint einen solchen Lumbosacralwirbel weder bestinmt für einen Kreuzbeinwirbel noch für einen echten Bauchwirbel ansprechen zu können, und hält diese Be- zeichnung deshalb für geeignet, weil sie nur ein unbestimmtes Urtheil über einen solchen Wirbel involvire. MEcKEL? dagegen unter- scheidet zwei Kategorien, je nachdem der Uebergangswirbel »durch Breiter- und Grösserwerden des letzten Lendenwirbels« entstanden, oder durch eine » Umwandlung des obersten Heiligbeinwirbels in einen wahren« d. h. Lendenwirbel sich gebildet hat. Ausser diesen Auf- fassungen bestehen, soviel mir bekannt, noch zwei, welche die eine oder die andere der von MEcKEL bezeichneten beiden Möglichkeiten der Bildung eines Uebergangswirbels als die allein statuirbare hin- stellen. Hort?) spricht sich mit Entschiedenheit dahin aus, dass der Uebergangswirbel ursprünglich ein Kreuzbeinwirbel sei, dessen aus einem eigenen Knochenkern entstehender Flügel eine mangelhafte Entwicklung zeigen könne; dem letzten Lendenwirbel fehle stets dieser Knochenkern, dieser Wirbel besitze diesen Knochenkern nicht und könne sich daher auch nicht in den Uebergangswirbel umwan- deln. Im Gegensatz hierzu glaubt BOCKSHAMMER !) in den von ihm untersuchten Fällen die Uebergangswirbel »ihrem eigentlichen Wesen nach unbedingt für Lendenwirbel erklären zu müssen«, wofür als wesentlichstes Argument das Erhaltenbleiben der Gelenke zwischen den Proce. artic. des »anomalen Wirbels« und des ersten Kreuzbein- wirbels gilt. Diese zahlreich bekannt gewordenen Formen, aber auch andere Vorkommnisse, auf welche die Aufmerksamkeit weniger gerichtet ge- wesen ist, lassen sich in einheitlicher Weise deuten, wenn man, in QO © oO Ke] < SS © Os o> = S> - Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 115 dem schon früher erwähnten Sinne, in ihnen noch jetzt und schon jetzt wahrnehmbare Illustrationen zur genealogischen Entwicklungs- geschichte der Wirbelsäule sieht. Dies durch Detailschilderungen des beobachteten Materials im Speciellen auszuführen, dürfte, da die Formen, um die es sich hier handelt, sehr bekannt sind, nicht nöthig sein, es seien nur einzelne Beobachtungen hervorgehoben. Deshalb glaube ich auch auf eine Zusammenstellung aller Fälle verzichten zu dürfen, zumal ein grosser Theil derselben, weil nicht die ganze Wirbelsäule vorgelegen, der Beurtheilung sich entzieht. — Bei der Deutung der einzelnen Formen ist es erforderlich, die Stellung des betreffenden Wirbels in der Gesammtreihe zu kennen, da dieselbe Form, je nach dem Wirbel, an dem sie vorkommt, eine verschiedene Bedeutung hat. Alle am 25. Wirbel sich zeigenden, leicht in eine Reihe zu bringenden Formen, die Uebergänge darstellen zwischen der in sel- tenen!) Fällen noch zu beobachtenden, rein lumbalen Form und der dem ersten Sacralwirbel zukommenden, gehören in den Bereich des Atavismus, allmälig immer geringer werdende Grade desselben vor- stellend. Unter diesen Uebergangszuständen verdienen diejenigen her- vorgehoben zu werden, die sich aus der Stellung der ventralen Fläche des Körpers des 25. Wirbels zu der des 24. und 26. ergeben. So lange der 25. Wirbel noch die lumbale Form besitzt, bildet er mit dem 26. ein wohlmarkirtes Promontorium ; wenn er aber bereits eine lumbosacrale Uebergangsform angenommen, oder schon durch Synostose mit der Pars lat. verbunden ist, bildet er auch mit dem 24. ein Promontorium. Von den beiden jetzt bestehenden Promontorien verwischt sich das !) An 4 mir vorliegenden Wirbelsäulen, in denen der 25. Wirbel noch der letzte Lumbalwirbel ist, hat derselbe nur in einem Fall annähernd die Form, - welche als die characteristische des letzten Lumbalwirbels angesehen werden kann, die Seitenfortsätze desselben sind mässig verdickt, gegen die Spitze hin leicht verjüngt, besitzen aber an ihrem distalen Rand schon einen stumpfen Vorsprung, dessen Spitze sich gegen die Pars lateralis richtet, von ihr aber durch einen weiten Zwischenraum getrennt ist, an den andern 3 Exemplaren zeigt sich eine allmälige Verdickung des Seitenfortsatzes, die auch die Spitze desselben abgerundet und massig erscheinen lässt, die übrigen Objecte bilden eine keine wesentliche Lücke zeigende Reihe von Uebergangsformen, die zu der Form eines ersten Sacralwirbels hiniiberleiten. Unter diesen Formen sind die vollkommen symmetrischen als rein atavistische zu bezeichnen, während bei den asymmetrischen Formen der Atavismus sich in dem Umstand ausspricht, dass dieselben noch nicht vollkommen sacrale Beschaffenheit haben, im Uebrigen ist die der betreffenden Entwicklungsstufe des Wirbels zukommende Form zum Theil verwischt (ef. hierüber das in Betreff des 20. Wirbels Gesagte). 8 * 116 Dr. Emil Rosenberg zuerst genannte, ältere (dem Promontorium von Hylobates homologe) immer mehr, wiihrend das andere, bleibende, deutlicher hervortritt. Auf das erstere hinweisende Spuren sind noch sichtbar, auch wenn der 25. Wirbel fast vollkommen erster Sacralwirbel geworden ist und zeigen sich, wenn die betreffende Intervertebralscheibe verknöchert, in einem allmälig niedriger werdenden Knochenwall, der auf der Grenze zwischen dem 25. und 26. Wirbel sich befindet. In geringerer Zahl sind mir für den 24. Wirbel Uebergangs- formen bekannt geworden, die diesem Wirbel eine nähere Beziehung zum Sacrum geben. Aus eigener Anschauung kenne ich 2 Fälle; in dem einen Falle hat der verdickte Seitenfortsatz beiderseits an der lateralen Hälfte seiner distalen Fläche einen mit breiter Basis aufsitzenden, massigen Vorsprung entwickelt, der auf eine von dem _ dorsalen Abschnitt der Endfläche der Pars lat. ausgehende Erhebung trifft und sich eng an dieselbe anlagert, ohne jedoch durch Synostose mit ihr zu verschmelzen !). Letztere wäre eingetreten in dem zweiten Falle (Wirbelsäule eines Kindes), in dem die oben angegebenen Ver- hältnisse nur weiter ausgebildet vorliegen. Weiter ausgeprägt ist die sacralwirbelartige Gestaltung in dem von GEGENBAUR?) mitge- theilten, die linke Hälfte des Wirbels betreffenden Fall, wo sich auch die Fae. aurieularis bis zur Hälfte der Höhe des Seitenfortsatzes hin- auferstreckt. In einer von GRUBER?) beobachteten Wirbelsäule, von welcher er sagt, sie bestehe aus »7 Hals-, nur 11 Brust-, 5 Lenden- wirbeln, einem Kreuzbein mit 5 Wirbeln«, hat (falls ein Zweifel an der Richtigkeit der angegebenen Zahlen unbegründet wäre) der 24. Wirbel offenbar in sehr vollkommener Weise sacrale Beschaffen- heit angenommen, dieser Fall würde somit die obere Grenze bezeich- nen, welche die Umgestaltung des 24. Wirbels erreicht. Dieselben Formen (abgesehen natürlich von ganz untergeordnetem Detail) sind auch für den 25. Wirbel bekannt, bedeuten aber bei dem in Rede stehenden Wirbel das Entgegengesetzte, indem sie eine Zukunfts- bildung darstellen und darauf hinweisen, dass der Process der Sa- erumbildung, der beim Embryo sich an 7 Wirbeln abspielte, beim Erwachsenen weiter fortschreitend, sich auch auf den 24. Wirbel zu übertragen beginnt. Eine Unterscheidung zwischen Lumbosacral- und Sacrolumbalwirbeln kann somit nicht statuirt werden, wenn mit !) Aehnlich scheint sich ein von OwENn beobachteter, sicher auf den 24. Wirbel zu beziehender Fall zu verhalten. cf. 4 pag. 109. 2) ef. 6 pag. 439, 440. 8) of. 21pag4r23- ee ‘ i Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 117 letzterer Bezeichnung die Entstehung eines Uebergangswirbels aus einem Sacralwirbel und mit ersterer die Entstehung eines Sacral- wirbels aus einem Lumbalwirbel bezeichnet werden soll, denn in beiden Fällen handelt es sich um die Umformung eines Lumbal- wirbels in einen Sacralwirbel und für beide ist die Bezeichnung Lumbosacralwirbel festzuhalten, um’ damit die zeitliche Folge der Formzustände zu kennzeichnen. In Betreff des Sacrums wäre zunächst zu erwähnen, dass, wenn dasselbe atavistischer Weise aus dem 26. bis 30. Wirbel!) besteht, es eine völlige auch in der Anwesenheit von Proce. art. dist. am 30. Wirbel sich ausdrückende Formidentität mit einem aus dem 25. bis 29. Wirbel bestehenden Sacrum haben kann. Wie sich ersteres dem letzteren morphologisch (und damit schliesslich von Neuem auch in formaler Beziehung) durch Hinzutritt des sich umgestaltenden 25. Wirbels nähert, ist, wie bereits erwähnt worden, auch aus den Zuständen des entwickelten Körpers ersichtlich. Ebenso persistiren mehrfach Uebergangszustände, welche den nach Reduction der Proce. . art. dist geschehenden Uebertritt des 30. Wirbels in die Caudalregion illustriren. Ein exquisiter Fall sei hier erwähnt, in dem der 30. Wirbel links noch durch eine bereits ziemlich schmächtige Knochenspange mit der Pars lat. im Zusammenhang gehalten wird. während rechts die Knochenspange fast in der Mitte ihrer Länge eine die Trennung vorbereitende, spaltförmige Durchbrechung erfahren hat?). Wegen des Ortes, an dem die Durchbrechung stattfindet, sieht man auch gelegentlich das distale Ende der Pars lat. in einen kurzen, distal- wärts gerichteten Fortsatz ausgehen, dem ein ähnlicher, vom Seiten- fortsatz des 30. Wirbels ausgehender entgegensieht. An der Configuration des Sacrum nimmt einen wesentlichen An- theil der Abschnitt der Pars lat., der die Facies aurieularis trägt, an diesem äussert sich daher auch der Process, auf dem die Sacrum- entwicklung beruht. Man könnte versucht sein, die Schwankungen, welche die Fac. auric. an verschiedenen Objecten hinsichtlich der von ihr eingenommenen Strecke und der Situation wahrnehmen lässt, 1) Dieser Wirbel ist selbstverständlich nur dann als zum Sacrum gehörig betrachtet worden, wenn die Seitenfortsätze desselben mit der Pars lateralis durch einen knorpeligen oder verknöcherten Theil im Zusammenhang sich finden. 2) Einen solchen Wirbel nenne ich einen Sacrocaudalwirbel und wende diese Bezeichnung auch dann an, wenn die Loslösung bereits auf beiden Seiten er- folgt ist, aber von den Seitenfortsätzen des Caudalwirbels ausgehende, proximal- wärts gerichtete Fortsätze noch den früheren Zusammenhang mit dem Sacrum andeuten. 118 Dr. Emil Rosenberg in welcher ihre ventral am meisten vorspringende Partie, speciell die Spitze derselben, sich findet, als auf rein individuellen Verhiltnissen beruhend, etwas durch die verschiedene Neigung des Beckens!) be- dingt, anzusehen, in diesen Verschiedenheiten somit untergeordnete Vorkommnisse zu erblicken; berücksichtigt man aber, dass im Laufe der embryonalen Entwieklung eine Verlegung der ventral am meisten -vorspringenden Partie der Pars lat. auf Antheile der letzteren, die proximal gelegenen Wirbeln angehören und zugleich ein weiteres Vorrücken des Ilium sich constatiren lässt, so schliessen sich mit Bezugnahme hierauf die Verhältnisse beim Erwachsenen in eine mit primitiveren Formen beginnende und in weiter umgeformten ihr mo- mentanes Ende findenden Reihe zusammen. Vergleicht man Sacra, die aus dem 26. bis 30. Wirbel bestehen, mit einander, so wird man das Object, an welchem die Facies aurie. mit ihrem distalen Ende am weitesten zurückliegt, für das primitivste halten müssen. An dem hiernach unter den mir vorliegenden (4) Objecten ausgewählten Exemplar findet sich die Fac. aurie. von drei Wirbeln getragen, indem sie den proximalen Abschnitt des vom 28. Wirbel stammenden Antheils?) der Pars lateralis bedeckt, ihre ven- trale Spitze steht au niveau mit der distalen Endfliche des 26. Wir- bels und das proximale Ende etwas unter dem Niveau der proximalen Endfliche desselben Wirbels. An diesen Fall lassen sich die übrigen reihen ; zwei von ihnen zeigen, wie der vom 28. Wirbel getragene Endabschnitt der Fac. auric. successive kleiner wird, gleichzeitig aber das proximale Ende derselben (bis etwas über das Niveau der‘ proximalen Endfläche des 26. Wirbels) und die ventrale Spitze (fast bis zur Höhe der Mitte des Körpers des 26. Wirbels) proximalwärts vorgerückt sind. Das vermittelt den Zustand, in welchem die Fac. auric. auf die beiden ersten Wirbel beschränkt gefunden wird und diese Situation derselben ist bezeichnend für den bevorstehenden Uebergang auf den 25. Wirbel, der mittlerweile lumbosacrale Be- !) Dass sich übrigens auch in Bezug auf diese primitiveren und höheren Ent- wicklungsstufen angehörige Verhältnisse würden nachweisen lassen, scheint mir sehr wahrscheinlich. Beachtenswerth ist, dass der Winkel, den die proximale Endfläche des Körpers des ersten Sacralwirbels mit der ventralen Fläche bildet, bei schwacher Beckenneigung grösser ist als bei starker. 2) Die Bestimmung dieser Antheile ist mit Benutzung der durch den Modus der Verknöcherung gegebenen Grenzen getroffen, die auch am Sacrum des Er- wachsenen bei Vergleichung mit einem entsprechenden Object sich ziehen lassen. Eine Abbildung, in der die Gliederung, welche die Pars lateralis durch die Verknöcherung erfährt, schön dargestellt ist, hat FRENKEL gegeben (ef. 1. e. Taf. XXV. Fig. 2). Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 119 schaffenheit angenommen. Ist die Verbindung desselben mit dem Sacrum eingeleitet, so tibertriigt sich die Fac. auric. auf ihn, und wird jetzt neuerdings von 3 Wirbeln getragen, wobei der ventral gerichtete Vorsprung vom 25. und 26. Wirbel gebildet wird. Je mehr sich der 25. Wirbel dem Sacrum assimilirt, um so mehr bildet er allein die ventral am meisten vorspringende Partie, um so mehr riickt aber auch die Fac. auric. anihm empor. Es gilt als das normale Verhalten, dass die Fac. aurie., zwar noch mit dem 27. Wirbel in Beziehung stehend, mit ihrem grössten Abschnitt dem 25. Wirbel angehört, welcher auch die ventrale Spitze bildet. Hierbei aber bleibt der am Sacrum erkennbare Umformungsprocess nicht stehen, denn es schliessen sich hieran Zustände des aus dem 25. bis 29. Wirbel gebildeten Saerums, die den zukünftigen Uebertritt der Fae. aurie. auf den 24. Wirbel in derselben Weise vorbereiten, wie das an dem atavistischen aus dem 26. bis 30. Wirbel gebildeten Saerum ersichtlich ist. Das zeigt sich wieder zunächst daran, dass in einer Reihe von Objecten der dem 27. Wirbel angehörige Abschnitt der Fac. aurie. gradatim immer kleiner wird (während die ventrale Spitze und das proximale Ende weiter proximalwärts gestellt sich zeigen). Damit ist der Uebergang zu denjenigen Fällen gebildet, wo sich die Fac. auric. zum zweiten Mal nur auf 2 Wirbel eoncentrirt zeigt. Aber auch wenn das der Fall ist, zeigen diese, als Zukunftsbildungen anzusehenden Objecte nicht absolute Formidentität, sondern eine allmälige Stei- gerung des Zustandes, der, so lange der 24. Wirbel noch nicht mit dem Sacrum in Contiguität getreten ist, in einer Form gipfelt, bei welcher das proximale Ende der Fac. aurie. über dem Niveau der proximalen Endfläche des Körpers des 25. Wirbels liegt, zugleich aber die ventrale Spitze in die gleiche Höhe mit dem Rande dieser Fläche gerückt ist. Ist dann der 24. Wirbel in Continuität mit dem Sacrum getreten, so greift die Fac. auric. auf ihn über und wird jetzt zum dritten Mal von 3 Wirbeln getragen. In diesen Wiederholungen der die Neuaufnahme eines Wirbels ins Sacrum vorbereitenden Zu- stände der von der Fac. auric. eingenommenen Partie liegt ein bestä- tigendes Moment hinsichtlich der Berechtigung, die in Rede stehenden Verhältnisse als Begleiterscheinungen des Processes der Sacrumbildung aufzufassen, diese Verhältnisse bieten einen Anhaltspunet dafür, dem Fortschritt des Processes auch für die Zeit zu folgen, in welcher er an dem Wirbelbestand des jeweiligen Sacrum Nichts ändert und die Ausbildungsstufen der aus den gleichen Wirbeln gebildeten Sacra präeiser zu schätzen. 120 Dr. Emil Rosenberg C. Caudalwirbel. Die Wirbel der Caudalregion der menschlichen Wirbelsäule werden nach übereinstimmender Auffassung aller Autoren, die diesen Wirbelsäulenabschnitt nicht rein deseriptiv behandeln, als der Ueberrest eines früher wirbelreicheren Abschnittes gedeutet; dieselbe Deutung besteht auch hinsichtlich der gleichnamigen Region der Anthropoiden, unter denen namentlich der Orang in einzelnen Fällen noch weniger Caudalwirbel besitzen kann als der Mensch, der bekanntlich 4 oder in seltenen Fällen 5 Caudalwirbel hat, wobei in diesem Fall die Wirbelsäule mit dem 34. Wirbel endet. Beim Chimpanze können noch mehr Caudalwirbel bewahrt geblieben sein, ich habe ein Object beobachtet, bei welchem der 36. Wirbel der letzte Caudalwirbel ist. Unter den Cynopitheeinen zeigt, wie bekannt, namentlich das Genus Macacus Formen, bei denen die verschieden grosse Zahl der Caudal- wirbel die allmälige Reduction der Caudalwirbelsäule illustrirt, die bei Inuus pithecus bekanntlich bis auf 3 bis 4 Wirbel geschwunden sein kann. Es war somit in Betreff der Caudalregion zu untersuchen, welches die Maximalzahl der Wirbel ist, die noch angelegt wird und da die Reduction sich auch in einer Vereinfachung der Gestalt der Wirbel äussert, war zu untersuchen, ob die sich anlegenden Wirbel in früheren Entwicklungsstadien eine vollkommenere Gestalt besitzen als im Körper des Erwachsenen. Wie hinsichtlich der Caudalwirbel stimmen die Autoren in der Deutung fast vollkommen überein, die dem bekannten, in gewissen embryonalen Entwicklungsstadien zur Beobachtung kommenden Vorsprung am hinteren Leibesende des Embryo zu geben sei. So bezeichnet Wyman!) denselben als »rudi- mentary tail«... »extending considerably beyond the rudimentary legs«. Darwin?) bezeichnet den in Rede stehenden Theil, den der von Ecker (l. e. Taf. 30 Fig. 2) abgebildete Embryo zeigt als »tail or os coccyx«, der »like a true tail« vorspringe. Dieselbe Deutung gibt CANESTRINI*) dem Vorsprung, indem er sagt, der constant vorhan- dene, rudimentäre Caudalwirbelabschnitt besässe eine grössere Länge beim Embryo, und QUATREFAGES*!) vertritt dieselbe Ansicht. KoEL- 1) 1. ce. pag. 17. 2) 1. ec. pag. 15, 16. 3) espa 91 92: 4) 1. c. pag. 625, 626. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 121 LIKER') macht über das Verhältniss des Skelets zu dem Vorsprung keine Angabe und bezeichnet ihn, den von CostE beobachteten Em- bryo von 25—28 Tagen beschreibend, als eine »spitze, schwanzartige Verlängerung«, die an die Verhältnisse der Thierembryonen erinnere und sagt in Betreff eines späteren Stadiums. das hintere Leibesende trete nicht mehr säugethierartig hervor. Ecker, der die meisten Beobachtungen über das in Rede stehende Gebilde besitzt, sich jedoch hinsichtlich der Deutung desselben nicht mit Bestimmtheit ausspricht, constatirt?) in Betreff des Taf. 30 Fig. 2 abgebildeten Embryo, dass das sehr voluminöse Rückenmark bis zum Schwanz- ende gehe und dass das »schwanzförmige Körperende« in späteren Stadien sich zu einem rundlichen Höcker, dem «Steisshöcker« ver- kürze); dass das Skelet ebenfalls zu dem Vorsprung in Beziehung stehe, deutet Ecker dadurch an, dass er in der Erklärung zu Fig. 8 der Taf. 29 sagt, das Steissbein rage noch schwanzförmig vor. Indem ich die von den Autoren vertretene Auffassung des oft be- sprochenen Gebildes am hinteren Leibesende des Embryo theilte, musste mir zunächst an der Untersuchung eines durch dasselbe ge- kennzeichneten Embryonalstadiums gelegen sein, da in Betreff der Frage nach der Maximalzahl der Wirbel, die zur Anlage kommt, hier die ausführlichste Auskunft zu erwarten war. Der Embryo I. liess den bezeichneten Vorsprung deutlich wahr- nehmen, dieser zeigt sich ventralwärts gekrümmt und läuft in eine stumpfe Spitze aus, deren äusserstes Ende wiederum leicht dorsal- wärts gewandt ist. Die Untersuchung dieses Embryo hat Folgendes ergeben: Die Körper des 3. bis 24. Wirbels zeigen sich (den Anlagen des Atlas und Epistropheus kommen selbstverständlich Besonder- heiten zu) in der Form halbeylindrischer Knorpelscheiben, die, in gleichen (nur für die letzten allmälig etwas geringer werdenden) Entfer- nungen auf einander folgend, durch Schichten indifferenten Gewebes, welche in axialer Richtung) fast dieselbe Dimension haben, wie die Wirbelkörper, von einander getrennt sind, nahe der dorsälen, fast planen Fläche, von der Chorda (die überall denselben Durch- messer besitzt und eine deutliche, sogar ziemlich starke cuticulare 1) |. c. pag. 133, 136. 2) 1. c. Erklärung zu Fig. 8 der Taf. 31. 3) 1. e. Erklärung zu den Figg. der Taf. 27 und 29. _ 4) Dieselbe entspricht der von der Chorda, als Axe der Wirbelsäule, be- zeichneten. 122 | Dr. Emil Rosenberg Scheide!) wahrnehmen lässt) durchbohrt werden und dort, wo die dorsale mit den Seitenflichen zusammenstösst, in die kurzen mit ihrer Spitze dorsalwärts gerichteten Bogenhälften übergehen. Im Uebrigen sind aber nur noch für 9 Wirbel Anlagen erkennbar, die sämmtlich von einander durch eine schmale aber deutlich wahrnehm- bare Schicht lockeren indifferenten Gewebes getrennt sind (ef. Fig. 1). Die Anlage des 33. Wirbels, des letzten der Reihe, ist repräsentirt durch 2, zu beiden Seiten der Chorda gelegene von dieser aber durch eine indifferente Zellmasse geschiedene, aus dicht aneinander gelagerten Zellen bestehende Gewebslager (ef. Fig. 1 im Vergleich zu Fig. 14), welche annähernd 4seitig prismatisch gestaltet und mit ihrer in einer Sagittalebene liegenden Längsaxe senkrecht zur Chorda situirt sind. Stellt man sich vor, dass die beiden Hälften der Anlage des 33. Wirbels durch Verdichtung des sie trennenden, die Chorda um- gebenden, indifferenten Gewebes vereint würden, so resultirt daraus die Gestalt des 32. Wirbels, die der des 31. gleichkommt, nur dass bei diesem in dem von der Chorda durchsetzten, dichten Gewebslager beiderseits vom lateralen Theil der distalen Fläche aus eine Knor- pelbildung eingetreten ist, die eine in axialer Richtung sehr geringe Dimension besitzende Knorpelplatte hat entstehen lassen, welche weder bei diesem, noch auch beim 30. Wirbel mit der der andern Seite sich vereint hat. Wohl aber ist dieses beim 29. Wirbel der Fall und von hier aus zeigen die weiter nach vorn gelegenen Wirbel bis zum 24. einen allmälig immer beträchtlicher werdenden, distalen Antheil ihrer Anlage in Knorpelgewebe, das in seinen seitlichen Partien an Intercellularsubstanz reicher erscheint (das ist in den Figg. 1 und 14 nicht besonders angedeutet, welche die Gesammt- anlage, dureh die erwähnten schmalen Schichten indifferenten Gewebes getrennt, darstellen), übergeführt und es ist bemerkenswerth, dass auch bei dem 3. bis 24. Wirbel an den Stellen, wo der Körper in den Bogen ausgeht, der Knorpel die mächtigere Intercellularsubstanz besitzt (ob dem 25. bis 29. Wirbel in die Seitenwand des das Me- dullarrohr enthaltenden Canals sich erstreckende Bogenantheile zu- kommen, konnte nicht deutlich ersehen werden). Der 33. Wirbel und zum Theil auch noch der 32. (ef. Fig. 1) sind in der Basis des an der ventralen Seite besonders deutlich durch eine tiefe Furche (ef. Fig. 1 f.) abgegrenzten schwanzförmigen Vorsprungs enthalten, !) Die Bezeichnung ist im Sinne GEGENBAUR'S gebraucht, der (cf. 5 pag. 126—128) die Nomenclatur der Chordascheiden definitiv festgestellt hat. > Sige Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 123 im Uebrigen wird derselbe (ef. Fig. 1) in seinem ventralen Absehnitt aus völlig indifferentem, lockerem Gewebe gebildet, welches von der Chorda durchsetzt wird, die fast bis zur Spitze desselben reicht, der dorsale Theil enthält in eine geringe Schicht desselben indifferenten Gewebes eingehüllt, wie ich übereinstimmend mit Ecker finde, das distale Ende des Medullarrohrs, welches innerhalb des Vorsprungs rasch an Volum abnimmt und mit seinem äussersten, nur vom Horn- blatt bedeekten Ende die Spitze des Vorsprungs einnimmt. Aus dieser Beobachtung geht ohne Weiteres hervor, dass der »schwanzförmige« Vorsprung nicht bedingt sein kann durch einen in diesem Stadium an Wirbeln reicheren caudalen Abschnitt der Wir- belsäule, der einen Theil der letzteren über die Körperoberfläche hinausragen liesse, der fragliche Vorsprung kann also nicht wohl einem »true tail« verglichen werden. Wie wenig aber auf die frühere Existenz eines solchen aus der Anwesenheit des Vorsprungs während einer bestimmten Embryonalzeit geschlossen werden kann, geht aus der Untersuchung späterer Stadien hervor. In einem solchen (ef. Fig. 2) ist der Vorsprung noch deutlich sichtbar und an der ventralen Seite durch eine seine Basis um- ziehende Furche (ef. Fig. 2 f.) scharf gegen die übrige Körperober- fläche abgegrenzt, nur hat der Vorsprung an Länge abgenommen und zeigt sich mehr abgerundet, der dorsale Theil desselben enthält auch in diesem Stadium das reducirte Ende des Medullarrohrs, _ welches bis an die äusserste Spitze des Vorsprungs reicht. Die _ Wirbelsäule, welche jetzt die Maximalzahl ihrer beim Menschen über- haupt zur Anlage kommenden Wirbel besitzt, ragt mit ihren beiden letzten Wirbeln dem 34. und 35. in das Innere des Vorsprungs hin- ein; die Chorda, der die bilaterale Anlage des 35. Wirbels (dieser ist daher in der Figur nicht sichtbar; auf die Beschaffenheit der Caudalwirbel wird später näher eingegangen) nicht direet- anliegt, lässt, in eine dichte, zugleich auch die Wirbel umhüllende Gewebs- schicht eingelagert, einen kurzen Endtheil über die Wirbel distal- wärts hinausragen. In einem noch weiteren Stadium (ef. Fig. 3) ist das Vorhandengewesensein des in Rede stehenden Vorsprungs am hinteren Leibesende nur durch eine ganz verflachte, in kurzer Aus- dehnung quer über dasselbe weggehende Furche (ef. f. im Vergleich zu f. in den Figuren 1 und 2) leieht angedeutet. Die Wirbelsäule besitzt dieselbe Zahl der Wirbel wie im früheren Stadium, nur sind die letzten etwas massiger geworden und die Chorda (cf. Fig. 4 ch) - überragt jetzt mit einem stark aufgeknäuelten Ende die Serie der 124 Dr. Emil Rosenberg Wirbel. Die Chorda reicht indess nicht bis hart an die Oberfläche des jetzt abgerundeten hinteren Leibesendes, es behauptet vielmehr auch jetzt das distale Ende des mittlerweile stärker redueirten End- abschnittes des Medullarrohres (ef. Fig. 3 und 4 mr) seinen früheren, der Spitze des Leibesendes mehr genäherten Platz, steht aber mit dem Hornblatt nieht mehr in Contiguität, da eine ziemlich volumi- nöse Schicht von Geweben des mittleren Keimblatts es einhüllt. Ueberblickt man die geschilderten Verhältnisse, so muss, nachdem in dem zuerst erwähnten Stadium ersehen wurde, dass die Entstehung des Vorsprungs durch das Verhalten der Wirbelsäule nicht bedingt sein kann, für die späteren Stadien zugegeben werden, dass auch das Verschwinden desselben nicht die Folge des Verhaltens der Wir- belsäule ist. Das in Fig. 2 abgebildete Stadium, isolirt betrachtet, könnte, da hier in der That ein frei vorspringender Theil sich findet, der auf frühere Zustände zurückweisende Wirbel enthält, dazu ver- anlassen, das Verschwinden des Vorsprungs mit Vorgängen an der Wirbelsäule in einen Causalzusammenhang zu bringen und anzuneh- men, das Verschwinden des Vorsprungs sei eine Folge der Reduction dieser Wirbel. Dass aber Solches nicht zu statuiren ist, geht aus dem zuletzt erwähnten Stadium hervor, hier ist zwar der Vorsprung nur noch schwach angedeutet, die Wirbelsäule im Gegentheil aber reicher entfaltet, wobei in Bezug auf den caudalen Abschnitt beson- ders das Verhalten der Chorda zu betonen ist, welche, im Vergleich zu früheren Stadien, jetzt einen längeren Endabschnitt zeigt, und eben durch die Länge dieses Endabschnittes darauf hinweist, dass dieser in weiter zurückliegenden Zuständen mit einer grösseren Zahl von Wirbeln in Beziehung gestanden, die längst geschwunden sind, während die allein übrig gebliebene Chorda, in verspätetem Längenwachsthum , sich dem jetzt gegebenen Terrain accommodiren und deshalb sich aufknäueln muss. Während sich so an der Wir- belsäule Spuren finden, die auf eine früher grössere Ausdehnung derselben hinweisen, ist aus dem Vorsprung als solchem hierfür kein Anhaltspunet zu gewinnen. An dem Verschwinden desselben ist die Wirbelsäule gar nicht betheiligt, nur in ganz untergeordneter Weise ~ gilt das für das Medullarrohr, insofern die Reduction des Endes des- selben die Spitze des Vorsprungs an der dorsalen Seite etwas ein- sinken und damit dorsalwärts sich krümmen lässt; der Hauptsache nach ist das Verschwinden des Vorsprungs eine Folge der Volums- zunahme des hinteren Leibesendes, wobei, wie der Vergleich der Figuren 1, 2 und 3 deutlich zeigt, besonders das subvertebrale, den Ueber die Entwickl. der Wirbelsiiule u. das Centrale carpi des Menschen. 125 Endabschnitt des Darmes nahe und hart an der Ausmiindung des- selben dorsal umgebende Gewebe eine Rolle spielt; indem dasselbe immer massiger wird, verlegt es den Grund der den Vorsprung an seiner ventralen Seite umziehenden Furche weiter distalwärts und da diese hierbei seichter wird, muss der Vorsprung dabei allmälig immer weniger deutlich in die Erscheinung treten. Er selbst schwin- det nicht, da seine Oberfläche in die Körperoberfläche aufgenommen wird und da dieses ohne Flächenverringerung geschieht, so kann er auch nieht einen rudimentären Schwanz, wie solcher sich etwa in verschiedenen Zuständen der Rückbildung bei Primaten oder anderen Säugern findet, vorgestellt haben. Das ist schon nach dem Gesagten nicht wohl zu bezweifeln und erhält seine Bestätigung durch eine Beobachtung, die sich an dem Embryo des zuletzt erwähnten Sta- diums geboten hat. Am hinteren Leibesende dieses Embryo findet sich ein annähernd zapfenförmig gestaltetes Gebilde (cf. Fig. 3 und Fig. 15cdr), das mit einem ziemlich kurzen Stiel aufsitzt und sein kolbig angeschwolle- nes Ende an der Körperoberfläche deutlich hervortreten lässt; es besteht dieses Gebilde aus dichtem Bindegewebe und findet sich vermittelst des Stiels mit dem Bereich des mittleren Keimblattes in Continuität, das Hornblatt überzieht den Stiel und das kol- bige Ende. Die Deutung dieses Gebildes anlangend, ist zunächst das Ver- hältniss desselben zum Vorsprung ins Auge zu fassen. Dass es nicht aus einer Reduction desselben hervorgeht, ist, auch abgesehen von dem bereits über das Verhalten des Vorsprungs Gesagten, schon daraus klar, dass beide gleichzeitig gesehen werden, es kann auch nicht wohl die umgeformte Spitze desselben repräsentiren, da diese, nachdem das Medullarrohr, das sie früher einnahm, sie verlassen und sich auch mit seinem Ende in’s Gebiet des mittleren Keimblattes hineingesenkt, eher eingezogen sein müsste; auch könnte hiergegen der Umstand sprechen, dass das in Rede stehende Gebilde nur ein- mal zu Beobachtung gekommen, was nicht nur an der meist mangel- haften Conservirung der kritischen Stelle der untersuchten Embryo- nen gelegen hat, da an einzelnen Embryonen, bei denen diese Stelle völlig intact sich fand, dasselbe nicht gesehen werden konnte. Das Verhalten des Vorsprungs bietet somit keine Basis für die Deutung des vorliegenden Gebildes, das nicht aus dem Vorsprung, wohl aber gelegentlich im Anschluss an ihn zur Entwicklung zu kommen scheint. Dagegen ist der Ort, an dem es sich befindet, bezeichnend: er ent- 126 Dr. Emil Rosenberg spricht der Stelle, die der verlängert gedachte Endabschnitt der Wirbelsiiule erreichen wiirde; dieser Umstand, zusammengehalten mit der Thatsache, dass bei Inuus pithecus, wie bekannt, an der Stelle der Haut, der das Ende der Wirbelsäule anlagert, ein relativ ziemlich langer, zapfenförmiger Anhang sich findet, dessen Deutung als Caudalrudiment nicht beanstandet werden kann, berechtigt dazu, auch das vorliegende Gebilde als Caudalrudiment zu deuten. An einem auf etwaige, noch übrig gebliebene Skeletreste untersuchten Caudalrudiment von Inuus fand sich nichts auf das Skelet zu Bezie- hende; dagegen zeigte das Rudiment in seinem vom Integument um- schlossenen Innern in lockerem, fetthaltigem Bindegewebe ein starkes, central gelegenes, arterielles Gefäss (über dessen etwaigen Zusammen- hang mit der art. sacral. med. sich nichts ermitteln liess) und eine in Begleitung desselben verlaufende Vene; somit ist das Caudalrudi- ment von Inuus, nicht nur was das Volum anlangt, weniger redueirt als das des menschlichen Embryo. Die durch das letztere repräsen- tirte Reductionsstufe findet sich vertreten beim Chimpanzé. Unter drei auf ein Caudalrudiment untersuchten (in Alkohol conservirten) Exemplaren findet sich bei dem einen ein sehr deutlich (ef. Fig. 13 edr) wahrnehmbares Rudiment, das, wie durch dasselbe gelegte Längs- schnitte zeigen, aus einem gut abgegrenzten, grössere Gefässe nicht einschliessenden, höckerförmigen Vorsprung der Haut besteht, dessen Basis dem letzten Caudalwirbel entspricht, der diese fast berührt. Bei dem zweiten Exemplar ist das Rudiment zwar noch sichtbar, zeigt sich aber etwas abgeflacht und verliert sich mit seiner Basis allmälig in die Umgebung, und bei dem dritten Exemplar hat die Riickbildung auch diese Spur verwischt, indem die betreffende Stelle völlig in das Niveau der übrigen Haut zurückgesunken ist und sich durch Nichts mehr von ihr unterscheidet !). ') Der Erste, der den Chimpanzé anatomisch untersucht hat, Tyson, ist, soviel mir bekannt, der einzige Autor, der Angaben macht, die sich auf die Existenz eines Caudalrudiments beim Chimpanzé beziehen lassen. Tyson (l. e. pag. 14) sagt zwar »Our Pygmie had no Tail« fügt aber hinzu, »but an Os Coceygis, as in Man, which outwardly made a little apparence« und in der Erklärung der eitirten Figur (Fig. 2) heisst es (pag. 17): »At the Os Coceygis there is a little Protuberance, but nothing like a Tail« und pag. 96 » A little above the Anus there is a black Spot, which represents a small Protuberance ofthe Os Coceygis«. Nach den eitirten Angaben und der Zeichnung zu urtheilen, könnte es sich hier um ein Caudalrudiment gehandelt haben, welches bereits “so weit reducirt worden, dass es sich nicht mehr scharf von der Umgebung ab- setzt. An zwei Exemplaren vom Orang habe ich kein äusserlich wahrnehmbares Ueber die Entwickl. der Wirbelsiiule u. das Centrale carpi des Menschen. 127 Das Mitgetheilte gestattet, jetzt etwas näher auf die Deutung des »schwanzförmigen « Vorsprungs einzugehen. Ein Homologon eines Schwanzes. wenn man unter dieser Bezeichnung einen über die Körperoberfläche hervorragenden Theil versteht, der in seinem Innern einen Abschnitt des Axenskelets enthält, kann der Vorsprung, wie bereits bemerkt, nicht sein, da er in dem Stadium unter den von mir untersuchten, in welchem er am längsten ist, nur in seiner Basis einen Wirbel enthält, welcher zudem zu den bleibenden der Wirbel- ‘siiule gehért. Ein rudimentiirer Schwanz, welche Bezeichnung nur einem Theil zukommen kann, dessen Skelet entweder bereits sehr reducirt worden, oder wie bei Inuus und beim Chimpanzé, völlig geschwunden ist, der aber noch über die Körperoberfläche hervor- ragt, kann der Vorsprung nach dem Mitgetheilten gleichfalls nicht sein, indem sich ein bereits sehr reducirtes, äusserlich wahrnehm- bares Caudalrudiment, das zudem in den meisten Fällen nicht vor- handen ist, unter Verhältnissen hat nachweisen lassen, die es un- zweifelhaft machen, dass dasselbe mit dem Vorsprung nicht identisch ist. Es könnte sich aber auch darum handeln, dass in letzterem die Anlage_zu einem Schwanz vorliegt, die nicht weiter ausgebildet wird. Dies muss aber, obgleich der 34. und 35. Wirbel in dem Vorsprung zur Entwicklung kommen, unwahrscheinlich scheinen, da der Vor- sprung in das hintere Leibesende aufgenommen wird, und da sich auch eine andere Möglichkeit, ihn zu interpretiren, bietet. Hierfür gewährt das Verhalten des Medullarrohrs einen Ankniipfungspunct; dasselbe reicht bis zur äussersten Spitze des Vorsprungs und bildet, auch wo durch Reduction seines distalen Endes das spätere Filum terminale schon angedeutet ist, fast ausschliesslich den dorsalen Ab- schnitt des Vorsprungs und muss deshalb in früherer Embryonalzeit einen noch bedeutenderen Antheil zunächst an der Zusammensetzung des Vorsprungs gehabt haben. Berücksichtigt man nun, dass, wie schon von RATHKE (l. e. pag. 25—27) eingehend erörtert worden, Caudalrudiment finden können, im Genus Hylobates würde es aber sehr wahr- Scheinlich noch anzutreffen sein. Dass auch beim erwachsenen Menschen ein äusserlich wahrnehmbares Caudalrudiment sich vorfinden könne, ist nieht selten behauptet worden, die Möglichkeit eines solchen Vorkommnisses ist selbstver- ständlich nicht in Abrede zu nehmen; indess kann ich auf dasselbe nicht näher eingehen, da die mir bekannt gewordenen Angaben zum Theil Zweifel hinsicht- ‚lieh der Richtigkeit der Deutung zulassen, zum Theil nicht genau genug sind. In Betreff einer Zusammenstellung hierhergehöriger Fälle cf. QUATREFAGES (l.e. pag. 625) und CanesrTrRint (1. e. pag. 91, 92). 128 Dr. Emil Rosenberg die Entwicklungsvorgänge am Medullarrohr im Bereiche des Kopfes die Gestaltung desselben längere Zeit vollkommen beherrschen und das relativ früh eintretende Längenwachsthum des Medullarrohrs als Ursache dafür anzusehen ist, dass den drei höheren Wirbelthier- classen angehörige Embryonen in frühen Stadien .der Entwicklung eine sehr auffallende Krümmung ihrer Längsaxe zeigen, so darf man annehmen, dass die Gestaltung des hinteren Leibesendes ebenfalls von dem Medullarrohr derart beeinflusst wird, dass letzteres, indem es in seinem Längenwachsthum dem der anderen, an der Zusammen- setzung des hinteren Leibesendes Theil habenden Bestandtheile vor- auseilt, an demselben einen Vorsprung erzeugt, dessen grössere Länge in früheren Stadien damit verständlich erscheint. Der Einfluss des Medullarrohrs auf die Gestaltung der im hinteren Leibesende sich findenden Theile äussert sich auch in einer anderen Weise, was mir aus der Form hervorzugehen scheint, die der distale Abschnitt der Wirbelsäule in einem Falle bot. Beim Embryo IH. 3 (efr. Fig. 10, 11 und 12) erscheint der genannte Theil der Wirbelsäule fast recht- winkelig geknickt, was keineswegs auf eine mechanische Verletzung des Untersuchungsobjeets zurückzuführen ist, wie aus dem Verhalten. des Hornblattes festzustellen war. Den Winkel der Knickung nimmt der 32. Wirbel ein, dieser und der 31. weichen dabei etwas nach rechts, der 33. bis 35. etwas nach links von der Medianebene ab. Mit diesem Verhalten ‘der Wirbelsäule trifft ein abweichendes Ver- halten des Medullarrohrs zusammen. Während dasselbe bei einem älteren Embryo (IV. 3 efr. Fig. 3) noch über das Ende der Wirbel- säule hinaus reicht, hört es im vorliegenden Fall schon am 32. Wir- bel auf, und es darf wohl angenommen werden, dass in diesem Fall das ursprüngliche Längenwachsthum des Medullarrohrs nicht so be- deutend gewesen ist, als in anderen Fällen, daher dem - später sich entwickelnden Theil der Wirbelsäule hier ein geringerer Raum ge- boten war, weshalb dieser Theil eine abweichende Gestalt anneh- men musste. Die beträchtliche Länge des Medullarrohrs in frühen Stadien muss, besonders wegen der am distalen Ende desselben eintretenden Reduction, ohne Zweifel darauf bezogen werden, dass das Medullarrohr im entwickelten Zustand früherer Formen eine grössere Erstreckung besass; da aber nicht wohl zu widerlegen sein dürfte, dass die Entstehung des Vorsprungs ebenso eine untergeord- nete Folgeerscheinung des relativ starken Längenwachsthums des Medullarrohrs ist, wie die Krümmung des Leibes des Embryo, so muss es unstatthaft erscheinen, die Existenz des Vorsprungs für den ns Ueber die Entwick]. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 129 Nachweis genealogischer Beziehungen verwerthen zu wollen !). In berechtigter Weise auf diese zu beziehende Spuren finden sich ausser der bereits angeführten am caudalen Theil der Wirbelsäule. Gele- gentlich der Erörterung über die Sacralregion ergab sich, dass die proximale Grenze des hier zu betrachtenden Wirbelsäuleabschnitts keine feste ist; es ist daher selbstverständlich, dass bei gleicher Gesammtzahl der Wirbel die Zahl der Caudalwirbel eine verschie- dene sein muss. Die Maximalzahl derselben beträgt sechs, wenn der 29. Wirbel das Sacrum abschliesst, da, wie bereits bemerkt, 35 Wirbel zur Anlage kommen. Diese Gesammtzahl findet sich als Maximalzahl bei 9 von den untersuchten Embryonen; es besteht da- her nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass bei fortgesetzter Unter- suchung die Anlagen von noch mehr Wirbeln sich würden nach- weisen lassen. Wie der 30. Wirbel durch Reduction der seinen Seitenfortsatz mit der Pars lateralis verbindenden Knorpelspange Caudalwirbel wird, ist bereits erwähnt worden; nach erfolgter Re- duction der letzteren stellt das Perichondrium derselben die An- my - gekommene Fälschung dieser Urkunde vorliegt. lage des Lig. sacrococeygeum laterale (ef. Fig. 30 s.c.]) dar, eine weitere die Anlage der Proce. art. dist., die der 30. Wirbel auch als Caudalwirbel noch zeigen kann (IV. 1 A. IV. 3), betreffende Re- duetion gibt diesem Wirbel die ihm unter gewöhnlichen Verhältnissen als erstem Caudalwirbel zukommende Gestalt. In dem Stadium, welches die Entwicklung des Sacrums auf ihrer frühesten Stufe zeigte (III. 2), hatte der 31. Wirbel noch Beziehungen zu dem Sacrum und es ist hier in Bezug auf diesen Wirbel nachzutragen, dass demselben in diesem Zustande auch deutliche, dorsal gerichtete !) Eine vergleichende Untersuchung der Embryonen zweier sich nahe stehen- der Formen, von denen die eine keinen, die andere einen entwickelten Schwanz besitzt, könnte darüber entscheiden, in wiefern am hinteren Leibesende der er- Steren auftretende Reliefverhältnisse mit Sicherheit auf eine (nicht weiter zur Ausbildung gelangende) Anlage eines Schwanzes zu beziehen wären, und ob bei _ der zweiten Form, bevor die Anlage eines Schwanzes geschieht, Verhältnisse sich zeigen, die die Anlage eines Schwanzes nur vortäuschen. — Hierbei würde ‘sich zugleich darüber eine Vorstellung erlangen lassen, wie in den Fällen, wo das, sehr reducirte Caudalrudiment des Menschen existirt, dasselbe zur Entwick- tung gelangt. Ueber die bezeichneten Fragen Auskunft zu erlangen, hätte in sofern Interesse, als dabei auch im Hinblick auf andere Vorkommnisse in der embryonalen Entwicklung Anhaltspuncte sich bieten würden, im gegebenen Falle zu entscheiden, ob ein zu beurtheilendes Verhältniss in die von dem Em- _ bryo repräsentirte »geschichtliche Urkunde« hineingehört oder ob eine aus einem ändern als dem von F. MÜLLER (l. ¢. pag. 77) bezeichneten Grunde zu Stande Morpholog. Jahrb. 1. 9 130 Dr. Emil Rosenberg Bogen (ef. Fig. 25ac) zukommen, die, indem sich ihr dorsales Ende in axialer Riehtung etwas verbreitert zeigt, hierin auf eine Anlage zu Proce. art. dist. und prox. hinweisen. In einem weiteren Stadium (für dessen Vorgerücktsein als Kriterium der Fortschritt, den die Entwicklung des Sacrum gemacht hat, gelten kann) zeigt der 31. Wirbel, wenn er schon erster Caudalwirbel geworden (IV. 3A), Bogenrudi- mente in der Gestalt kurzer, vom Seitenrande der dorsalen Fläche sei- nes Körpers ausgehender Fortsiitze; diese kann er, wenn er den zweiten Platz in der Caudalregion einnimmt (IV. 3) schon verloren haben, be- sitzt hier aber noch kurze Seitenfortsätze, deren Nichtvorhandensein bei anderen Objecten (III. 1, IV. 1A) ihn in der Gestalt einer ova- len, mit der längeren Axe transversal gestellten, von der Chorda durch- bohrten Scheibe erscheinen lassen. In Betreff der übrigen Caudal- wirbel ist es, da die bei den einzelnen Embryonen sich findenden Verhältnisse sich nicht in eine an allen Puncten stetig fortschreitende Entwicklungsreihe zusammenstellen lassen, im Interesse der Vermei- dung von Wiederholungen nöthig, den Befund an einem Object voran zu stellen, und hieran das in den übrigen Fällen hinsichtlich der ein- zelnen Wirbel Beobachtete, soweit es hier ein Interesse hat, anzu- schliessen. In dem Stadium des Embryo IV. 3 (ef. Figg. 3, 4, 5) hat der 32. Wirbel, als dritter Caudalwirbel, die Gestalt, die für den — 31. als die redueirteste soeben beschrieben wurde. Der 33. Wirbel besitzt annähernd die Form eines Hufeisens, welches, von der ven- tralen Seite her die Chorda umgreifend, seine Branchen dorsalwärts richtet und die Chorda innerhalb seiner Concavität in lockeres Ge- webe eingebettet enthält. Der 34. Wirbel besteht aus zwei fast völlig getrennten Hälften, die, rechts und links von der Chorda ge- legen nur in ganz geringer Ausdehnung an der ventralen Seite der letzteren mit einander in Verbindung stehen und in etwas grösserer Ausdehnung in ihrer lateralen Partie mit dem 33. Wirbel verschmol- — zen, aber durch die Stellung der Knorpelzellen noch deutlich ab- grenzbar sind. Den 35. Wirbel repräsentiren ebenfalls zwei, rechts und links von der Chorda gelegene, rundliche Knorpelsticke, die median durch eine, die Chorda umgebende, indifferente Gewebsschicht getrennt sind, während jede Hälfte mit der entsprechenden des 34. Wirbels in derselben Weise, wie sie für den 33. und 34. Wirbel angegeben wurde, verbunden sich zeigt. Aus den Befunden an den übrigen Embryonen ist in Betreff der drei letzten Wirbel hervorzuheben, dass der 34., sowohl wenn das — Sacrum den 30. Wirbel noch einschliesst (IV. 3A) als auch wenn a" * ” 2 Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 131 der 29. Wirbel der letzte Sacralwirbel ist (III. 1, III. 3), gegenüber dem 33. völlig getrennt ist, und dass auch der 35. bei dem jüngsten, diesen Wirbel schon besitzenden Embryo (II. 3) seine linke eben zur Differenzirung gelangte Hälfte (das Verhalten der rechten war nicht feststellbar) als isolirtes Gebilde zeigt, was auch beim Embryo IV. 3-4 auf der linken Seite (auf der rechten ist die Verschmelzung eingeleitet) der Fall ist. Die Hälften des 35. Wirbels haben die Form kleiner kugeliger oder ovoider Körper, während die des 34. Wirbels, so lange sie noch isolirt sind, längliche, mit der medianwärts leicht gekriimm- ten Längsaxe die Chorda unter einem rechten Winkel kreuzende Knorpel darstellen. Der 34. und 35. Wirbel kommen sonach in der- selben Weise zur Anlage wie die vorhergehenden Wirbel !). Die !) Sieher lässt sich behaupten, dass die drei letzten Wirbel, der 33. (ef. das über den Befund beim Embryo I Mitgetheilte) und die beiden ebengenann- ten eine bilaterale Anlage haben, indem die beiden Hälften eines jeden dersel- ben zu beiden Seiten der Chorda isolirt zur Anlage kommen. Dabei macht sich in Betreff dieser Wirbel die bemerkenswerthe Thatsache geltend, dass ihnen im Lauf ihrer embryonalen Entwicklung Urwirbel im Sinne REMAR’s nicht vorhergehen (ganz zweifellos ist das in Betreff des 34. und 35. Wirbels). Auf das Interesse, das letzterer Umstand hat, kann hier nicht eingegangen werden ; dagegen ist darauf hinzuweisen, dass die Thatsache, dass hier Wirbel vorliegen, deren späterer Körper in zwei isolirt entstehenden Hälften sich anlegt, das Interesse hat, dass in ihr eine auch aus den Verhältnissen bei einem Säugethier sich ergebende Bestätigung der Auffassung liegt, die GEGENBAUR (ef. 3 pag. 598) hinsichtlich des Verhältnisses gegeben, in dem der »Wirbelkörper« zu den oberen Bogen steht. Indem GEGENBAUR betont, dass die Bogen » das Primäre am Wirbel« seien, da sie bereits vorhanden sind, bevor noch ein aus der skeletogenen Schicht im Anschluss an die Basen der Bogen (ef. 1 pag. 23; 2 pag. 395) gebildeter Wirbel- ‚körper besteht, die knorpeligen Bogen auch nie in Beziehung zu einem knor- peligen Wirbelkörper discrete Theile vorstellen (cf. 2 pag. 406), ist damit der Wirbelkörper- als eine gegenüber den Bogen secundire Bildung bezeichnet. Derselbe geht somit unter Mitbetheiligung perichordalen Gewebes aus einer Ver- einigung der der Chorda anlagernden, basalen Theile der Bogen hervor, und was gewöhnlich bei vorhandenem Wirbelkörper »Bogen« genannt wird, kann nicht als ein Fortsatz des Körpers angesehen werden; derselbe ist vielmehr als der nicht in die Wirbelkörperbildung aufgegangene Theil der Bogen anzusehen. Die im vorliegenden Fall beobachteten Hälften des späteren Wirbelkörpers sind ‚somit den basalen Theilen ursprünglicher Bogen homolog zu setzen, und es wird hier in der Anlage der Wirbel im Princip ein Zustand wiederholt, der bekannt- lich bei vielen Fischen persistent ist. Da nun aber die weiter proximal gele- genen Wirbel (cf. den Befund beim Embryo I) zum Theil an discreten, seitlich ‘von der Chorda gelegenen Stellen den Beginn der Knorpelbildung zeigen, zum Theil an den Stellen, die der Uebergangsstelle der sogenannten Bogen in den Körper entsprechen, das ältere Knorpelgewebe wahrnehmen lassen, Verhältnisse, die mit den Beobachtungen Brucn’s (l. e. pag. 62, 95) im Einklange stehen, 80 dürften auch die übrigen Wirbel den gleichen Entstehungsmodus haben, wie 9x 132 Dr. Emil Rosenberg Verschmelzung, welche die zu einem Wirbel gehörigen Hälften vereint, betrifft zunächst ihren ventralen Pol (ef. Fig. 25 u. 26 in Betr. des 34. Wir- bels) und lässt damit die Hufeisenform entstehen, verschmelzen auch die dorsalen Enden, so resultirt daraus die von der Chorda durchsetzte Scheibe. Die an den Caudalwirbeln sich geltend machende Reduetion, die im Hinblick auf die Zahl der zur Entwicklung gelangenden Wirbel und das Verhalten des 31. Wirbels zweifellos ist, spricht sich auch in den schon erwähnten Unregelmässigkeiten in der Entwicklung der einzelnen Wirbel aus. So kann an derselben Caudalwirbelsäule (III. 1) der 32. und 34. Wirbel in der Hufeisenform vorliegen, während der 33. auch schon die beginnende Verschmelzung der dorsalen Enden seiner An- lage zeigt, oder es kann (III. 3), was noch auffälliger erscheint, der 32. und 33. Wirbel bereits die Scheibenform besitzen, die am 34. durch eine eben eintretende Verschmelzung auch der dorsalen Enden der früheren seitlichen Hälften sich einleitet, während am 31. Wirbel die Verschmelzung allein im Bereich des ventralen Theils stattgehabt hat. hier also noch die Hufeisenform besteht. An dem Verhalten des 35. Wirbels ist bei den untersuchten Embryonen nur der Umstand durehgreifend, dass die beiden Hälften desselben sich unter einan- der nicht verbinden, während die Verschmelzung mit den entspre- chenden Hälften des 34. Wirbels eine sehr verschiedenartige ist. Am häufigsten beginnt die Verschmelzung am dorsalen Pol, zuweilen aber auch am ventralen (cfr. Fig. 11 u. 12); sie tritt schon ein, wenn die beiden Hälften des 34. Wirbels mit ihren ventralen Enden sich eben erst berühren, kann aber in dem vorgerücktesten der un- tersuchten Stadien (V. 1), in dem der 33. und 34. Wirbel bereits völlig mit einander verschmolzen sind, noch nicht eingetreten sein, indem hier die rechte Hälfte als kleines, rundliches Knorpelstück vor- liegt, und da hier zugleich auf die frühere Existenz auch einer lin- ken Hälfte keine Spur (auch wenn die Verschmelzung nicht mehr aus der Stellung der Knorpelzellen erkennbar ist, zeigt an den an- deren Objeeten die Form des 34. Wirbels, der dann einen höcker- förmigen Vorsprung an der distalen Fläche seiner Hälften besitzt, dieselbe an) hinweist, so ist dadurch auch die Möglichkeit einer nur die eine Hälfte des Wirbels und diese vollständig betreffenden Re- duction repräsentirt. Das Schwankende dieser Verhältnisse, das offenbar die Folge dessen ist, dass die in Rede stehenden Wirbel im Körper des Erwachsenen nicht mehr in bestimmten, die Function er bei den letzten wegen retardirter Entwicklung auch in einem relativ späten Stadium noch beobachtbar ist. a ee eee ne 4 i le, ee eS A - un RP Zi EINE ¥ Ueber die Entwick]. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 133 und damit auch die Form betreffenden Beziehungen sich finden, kann ebenso als Beleg für die Reduction geltend gemacht werden, wie der Umstand, dass die Entwieklung der einzelnen Wirbel und am mei- sten die des letzten, offenbar -stark verkürzt ist, wobei im gegebenen Falle (abgesehen von der accidentellen Verschmelzung der Wirbel unter einander) die bei der ersten Anlage eines Wirbels zu treffen- den Verhältnisse, oder diesen nahestehende, festgehalten werden. In Betreff der Caudalregion der Wirbelsäule der Erwachsenen ist nur Weniges zu bemerken; die sich hier treffenden Zustände illustriren in derselben Weise wie beim Embryo die allmälige Re- duetion dieses Theils der Wirbelsäule. Die Reduction, welche den 30. Wirbel aus der Form eines letzten Sacralwirbels in die, welche dem ersten Caudalwirbel unter gewöhnlichen Verhältnissen zukommt, überführt, kann weitergehen und den als Proc. art. prox. anzuse- henden Theil des Bogens, ja diesen selbst ergreifen, so dass in einem extremen Fall vom Bogen rechts nur eine ganz geringe Spur, links ein kurzer, schlanker, pyramidaler Fortsatz übrig geblieben ist, der durch einen weiten Zwischenraum von dem Cornu sacrale seiner Seite getrennt ist. Wenn der 30. Wirbel noch als letzter Sacral- wirbel vorliegt, kann der 31. Wirbel, in einer embryonalen Form persistirend, vollkommen die Gestalt haben, die der 30. als erster Caudalwirbel gewöhnlich besitzt. Nimmt der 31. Wirbel dagegen schon die zweite Stelle in der Caudalregion ein, so kann er in noch etwas markirterer Weise als unter gewöhnlichen Verhältnissen An- deutungen an Bogen und Seitenfortsätze zeigen, andererseits aber auch schon (in 4 Wirbelsäulen weiblicher Individuen) eine verein- fachtere Form besitzen, die jeder Andeutung an Seitenfortsätze und Bogen entbehrt und diesen Wirbel unter der Gestalt eines abgestumpf- ten Kegels, der in dorsoventraler Richtung abgeplattet ist, erschei- nen lässt. Wie der 30. und 31. Formidentität besitzen können, so deckt sich gelegentlich auch die Gestalt, in weleher der 32. Wirbel vorkommt, mit der des 31., indem ersterer, wenn er der zweite Caudal- wirbel ist, noch Bogenrudimente bewahrt haben kann. Der 33. Wir- bel entbehrt derselben bei den untersuchten Objecten stets und fin- det sich, wo er der letzte in der Reihe ist, von der Reduction am - meisten betroffen, erscheint daher in einem extremen Fall als mini- Em a | ae males, mit dem vorhergehenden Wirbel verschmolzenes Knöchelchen. Persistirt der 34. Wirbel als letzter der Reihe, so lässt er die Ent- stehung aus zwei Hälften noch daraus ersehen, dass er eine in die Medianebene fallende Einschnürung besitzt, ja gelegentlich nur durch 134 Dr. Emil Rosenberg ‚eine Hälfte in der Form eines kleinen, rundlichen Knöchelchens re- präsentirt ist, welches mit der entsprechenden (linken) Hälfte des 33. Wirbels verschmolzen ist. Selten wird auch der 35. Wirbel in den entwickelten Körper hinübergenommen und zeigt in einem Falle sehr deutlich die Entstehung aus zwei Hälften, indem er in trans- versaler Richtung ausgedehnter ist, als die nächst vorhergehenden Wirbel und an seinem distalen Rande mit einer tiefen, medianen Einkerbung versehen ist, zum Beweise, dass die beiden Hälften unter einander nur eine sehr lose Verbindung eingegangen, während sie mit dem 34. fest verschmolzen sind. — Wird der 35. Wirbel im Körper des Erwachsenen gefunden, so ist auch (in den beobachteten drei Fällen) in dem übrigen Verhalten der betreffenden Wirbel ein relativ sehr primitiver Zustand bewahrt, der 30. liegt als letzter Sa- cralwirbel vor, der 31. in der Form, die unter gewöhnlichen Ver- hältnissen dem ersten Caudalwirbel zukommt und der 32. hat die Form, wie sie am zweiten Caudalwirbel einer mit dem 30. Wirbel beginnenden Caudalwirbelsäule gewöhnlich getroffen wird. Denkt man sich, dass von diesem Zustand aus im Bereich der Seitenfortsätze und Bogenrudimente eine allmälige Reduction eintritt, so wird es verständlich, dass dieselbe Form an verschiedenen Wirbeln vorkom- men kann. D. Ueber das gegenseitige Verhältniss der Um- gestaltungsvorgänge in den einzelnen Abschnit- ten der Wirbelsäule. Aus den vorstehenden Erörterungen dürfte hervorgegangen sein, dass die Bestandtheile der betrachteten Regionen der Wirbelsäule einer allmäligen Umformung unterliegen und es sind jetzt einige Verhältnisse anzuführen, welche auf einen Zusammenhang der in den einzelnen Abschnitten stattfindenden Vorgänge hinweisen. Um bei der Erörterung dieser Verhältnisse vielfache Wiederholungen und Missverständnisse zu vermeiden, erscheint es zweckmissig, das Ver- halten der Summe der bis jetzt im Einzelnen betrachteten Abschnitte, wie es im erwachsenen Körper sich findet, kurz durch Formeln aus- zudrücken, welche die in einer gegebenen Wirbelsäule vorliegende Gruppirung der Wirbel und die Existenz von prägnanten Uebergangs- formen markiren'). Hierbei werden die Wirbel durch Ziffern be- !) Dies auch in Betreff der untersuchten Embryonen zu thun, erscheint nicht \ 5 > GE Rn “7 Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 135 zeichnet, welche der Stelle, die ein Wirbel in der Gesammtreihe einnimmt, entsprechen, die Regionen durch den ersten und letzten in ihnen enthaltenen Wirbel und durch einen Buchstaben, der auf die Form der Wirbel Bezug hat, und ebenso die Uebergangsformen durch eine Zahl und ein Buchstabenzeichen !) hervorgehoben. Bei Berücksichtigung der Gruppirung der Wirbel und der Exi- stenz von Uebergangsformen ergeben sich für den zu betrachtenden Gesammtabschnitt der Wirbelsäule eine Anzahl Zustände desselben, von denen die nachstehend verzeichneten zunächst in Betracht zu kommen haben : 1. (8—19) d. (20-—23) 1. 24. Is. (25—29) s (30— ?) ed. 2. (8—19) d. (20—24) 1 (25—29) s. (30—33) ed. 3: (8—19) d. (20—24) 1. (25—29) s. (30—34) cd. 4. (8—19) d. 20.dl. (21—24) 1. 25—29) s. (30— ?) ed. 5. (S—19) d. 20.dl. (21—24) 1 25—29) s. 30.sed. (31—34) cd. 6. (8—19) d. 20. dl. (21—24) 1. (25—30) s. (31—34) ot 7. (8—20) d (21—24) 1. 25. 1s. (26—30) s. (31—35) ¢ 8. (8—20) d. (21—25) 1. (26—30) s (31—35) - Geht man bei einem Vergleich dieser Zustände, von dem durch die 8. Formel der vorstehenden Gruppe repräsentirten aus, so ist zunächst für die hierher gehörigen Wirbelsäulen als characteristisch zu con- statiren, dass der 20. Wirbel noch Dorsalwirbel ist, dass gleichzeitig der 25. Wirbel noch lumbale Beschaffenheit hat, das Sacrum in der atavistischen, den 30. Wirbel einschliessenden Form vorliegt und endlich die Reihe der Caudalwirbel von dem letzten überhaupt zur Anlage kommenden Wirbel geschlossen wird. Indem diese Coin- eidenz ?), die den Einzelbefunden gegebene Deutung bestätigt, nöthigt sie zugleich, die einzelnen Vorkommnisse in den einzelnen Abschnitten nöthig, da im» Anschluss an die verzeichneten Formeln, das Verhalten derselben sich kürzer durch Worte erledigen lässt. ') Die Zeichen bedeuten: d. Dorsalwirbel, dl. Dorsolumbalwirbel, 1. Lumbal- wirbel, Is. Lumbosacralwirbel, s. Sacralwirbel, sed. Sacrocaudalwirbel, ed. Cau- dalwirbel. 2) BERGMANN (l. ce. pg. 349, 352, 353) hat auf die Existenz zweier Ueber- __ gangsformen an einer und derselben Wirbelsäule, die sich in den von ihm mit- getheilten Fällen an den Grenzen der Lumbalregion fanden, aufmerksam gemacht, wobei er die Frage nach dem Zusammenhang der anatomischen Thatsachen als eine offene bezeichnet, aber sehr richtig bemerkt, dass, wenn durch das Vor- handensein zweier Uebergangswirbel drei Gegenden der Wirbelsäule an der »Anomalie« betheiligt sind, ihm dieses weit begreiflicher scheine, »als eine ca- priciöse Hervorbringung eines überzähligen Wirbels in einer Gegend, bei der Alles sonst in der Regel bleibt«, 136 Dr. Emil Rosenberg : der Wirbelsäule nicht als vereinzelte anzusehen , sondern als Theil- erscheinungen eines einheitlichen Gesammtzustandes aufzufassen, der als der primitivste, im Körper des Erwachsenen jetzt noch vorkom- mende zu betrachten ist. Das ist um so sicherer, als dieser Zustand auf der Persistenz einer embryonalen Entwicklungsstufe beruht. Er stimmt überein mit dem Verhalten der Wirbelsäule bei dem einem relativ frühen Stadium angehörigen Embryo IH. 2. Bei letzterem — findet sich nur darin ein noch primitiverer Zustand, dass der 31. Wirbel noch Sacrocaudalwirbel ist. Ebenso wird der in Rede stehende Zustand durch das Verhalten des Embryo IV. 3 A repräsentirt, wenn man davon absieht, dass bei diesem Embryo, offenbar anachronisti- scher Weise, die Vereinigung des 26. Wirbels mit dem 27. noch keine ganz vollkommene ist; der 31. Wirbel liegt hier als erster Caudalwirbel vor. An den eben betrachteten Zustand lässt sich der folgende (7) als weitere Entwicklungsstufe anschliessen und leitet sich aus ersterem her, indem der 25. Wirbel lumbosacrale Form annimmt. Diese Ent- wicklungsstufe wird fast vollkommen durch die des Embryo IV. 2 repräsentirt, nur hat sich bei diesem, wie es scheint, vorzeitig der 30. Wirbel vom Sacrum gelöst. Der 25. Wirbel der Entwicklungs- stufe 7 hat sich aber nur relativ am schnellsten fortentwiekelt, da der 20. Wirbel, an dem die vorliegende Entwicklungsstufe repräsen- tirenden Exemplar im Vergleich zu der Beschaffenheit des homologen Theils der in die frühere Entwicklungsstufe hineingehörigen Wirbel- säulen bereits die redueirteren Rippen besitzt, die Länge derselben beträgt 6 resp. 5,5°™, während sie an drei Exemplaren der früheren Entwieklungsstufe zwischen 14 und 7 schwankt. Ist der 25. Wirbel (6) schon in’s Sacrum aufgenommen worden (wobei aber die Form- umgestaltung noch nicht vollendet ist), so ist die Reduetion eines Caudalwirbels erfolgt und hat auch der 20. Wirbel schon dorsolum- bale Beschaffenheit angenommen. Letzterer behält diese Beschaffen- heit auch auf der nächsten Stufe (5) bei, während hier die voll- kommenere Assimilirung des 25. Wirbels mit der beginnenden Los- lösung des 30. Wirbels aus dem Sacrum eoineidirt. Die nächste Stufe (4) zeigt den 20. Wirbel noch nicht vollkommen als ersten Lumbalwirbel gleichzeitig den 25. als ersten Sacralwirbel und der Uebertritt des 30. in die Caudalreihe ist definitiv erfolgt. Jetzt wird der 20. Wirbel definitiv Lumbalwirbel und damit ist ein Zustand (3) gegeben, der an frühere Stadien nur durch die Caudalregion er- innert. Verliert diese nochmals ihren letzten Wirbel (jetzt den 34.) 3 b 3 € 3 d A = 4 Ri 3 Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 137 durch völlige Reduetion desselben, so resultirt daraus das Verhalten (2), welches als normal angesehen wird und in der That auch unter den benutzten Objecten in fast der Hälfte der Fälle vorliegt. Es unterscheidet sich dieser Zustand von dem als Ausgangspunet be- nutzten dadurch, dass (abgesehen von der proximalen Grenze der Dorsalregion) die Grenzen aller Abschnitte um je einen Wirbel weiter proximalwärts verlegt worden sind und die Caudalregion zwei Wirbel am distalen Ende verloren hat. Von diesem Zustande aus beginnt jetzt derselbe Vorgang, den die früheren Stufen ersehen liessen, nur dass zur Zeit erst sein erster Act sich einleitet, die Ueberführung des 24. Wirbels in die lumbosacrale Form und die gleichzeitige Re- duction jetzt des 12. Rippenpaares, das, an einem der Stufe 1 an- gehörigen Exemplar (an dem zweiten waren die Rippen nicht vor- handen), 6 resp. 5°" messend, hart an der oberen Grenze der Varia- tionsbreite der 12. Rippe steht '). Die Möglichkeit, die oben aufgeführten Zustände des gesammten hier in Rede stehenden Abschnittes der Wirbelsäule als Entwicklungs- stadien desselben aneinander zu schliessen, lässt die Annahme nicht unberechtigt erscheinen, dass die an den einzelnen Theilen der. Wir- belsäule A imehkifinren Vorgänge, deren an einzelnen Wirbelsäulen erzieltes Resultat die verglichenen Zustände sind, unter einander in - einem Zusammenhang stehen; für die Existenz eines solchen Zusam- -_ menhangs spricht auch der Umstand, dass die Vorgänge an der . _proximalen und distalen Grenze der Lumbalregion im Verein “ein _ eigenthiimliches Verhalten der Seitenfortsätze der Lumbalregion be- dingen, auf welches näher einzugehen ist. An Wirbelsäulen, welche in Bezug auf die Gruppirung der - Wirbel das normale Verhalten darbieten, zeigen die Seitenfortsätze der Lumbalwirbel die folgende, als dbatactepiatikeh anzusehende Ge- staltung. Die Seitenfortsätze der 3 ersten Wirbel sind mit ihrer Längsaxe horizontal gestellt und nehmen successive an Länge zu, der Seitenfortsatz des 3. Lumbalwirbels ist zugleich der längste unter allen Seitenfortsätzen, ist mehr als die beiden vorhergehenden in dorsoventraler Richtung abgeplattet, der proximale und distale Rand I) Sollte bei der pag. 116 eitirten Angabe GRUBER’S sich nicht doch vielleicht ein Irrthum hinsichtlich der Zahl der Halswirbel (worüber mir nicht jeder Zweifel geschwunden) geltend gemacht haben, so wäre bei der von GRUBER beobachteten Wirbelsäule der äusserste Grad der Umgestaltung erreicht, indem der 19. Wirbel als erster Lumbalwirbel erschiene, der 24.-vollkommen ins Sacrum aufgenommen worden wäre und dieses auch den 29. Wirbel der Caudalregion abgetreten hätte. x 138 Dr. Emil Rosenberg desselben sind einander anniihernd parallel und gehen erst hart an der Spitze des Fortsatzes in rascher Biegung in den geraden, senk- recht zur Liingsaxe gestellten Endrand des Fortsatzes aus. Im Gegensatz zu diesem Verhalten verjiingt sich der Seitenfortsatz des 4. Lumbalwirbels gegen seine Spitze hin, und es weicht die Längs- axe dieses Seitenfortsatzes in einer Frontalebene mit ihrer Spitze proximalwärts ab. Am 5. Lumbalwirbel stehen die Seitenfortsätze fast horizontal, indem sich nur eine geringe Andeutung an die cha- racteristische Axenstellung der Fortsätze des 4. Lumbalwirbels zeigt, sie sind zugleich mässig verdiekt, am meisten noch in dorsoventraler Richtung. Dieselbe Beschaffenheit können nun aber die Seitenfort- sätze auch zeigen, wenn die Lumbalregion aus dem 21. bis 25. Wirbel gebildet wird, die Wirbelsäule somit, was die Gruppirung der Wirbel anlangt, ihr relativ primitivstes Verhalten zeigt. Ist dieses nun der Ausgangspunct für einen Umgestaltungsvorgang, als dessen einzelne Phasen die vorhin aufgeführten Zustände der Wirbel- säule anzusehen sind, so muss auch eine ganz bestimmte Umformung in der Lumbalregion nachzuweisen sein, es müssen für den 21. bis 25. Wirbel Uebergangsformen gefunden werden können, welche die Umgestaltung des von den genannten Wirbeln gebildeten Abschnittes aus den für die Lumbalregion characteristischen Formen eines ersten bis fünften Lumbalwirbels, die ihm bei hochgradigem Atavismus zu- kommen, in die characteristischen Formen die den Wirbeln vom 2. Lumbalwirbel bis zum 1. Sacralwirbel (inel.) in der normalen Wirbelsäule zukommen, documentiren. Bei der Schilderung der hierhergehörigen Uebergangsformen ist es nothwendig, ausser der Stellung des Wirbels in der Gesammtreihe, die Stellung desselben in der Region und zugleich den Betrag der Formabweichung zu berück- sichtigen, den ein Wirbel zeigen kann im Vergleich zu der Form, die für eine bestimmte Stelle in der Region characteristisch ist. Hinsicht- lich des 25. Wirbels sind bereits Uebergangsformen aufgeführt worden, welche dieser Wirbel bei seiner Umformung aus einem Lumbalwirbel in einen Sacralwirbel durchläuft und es ist hier zu bemerken, dass demselben in einem Falle mit der Stellung als 1.5!) auch die cha- racteristische Gestaltung eines 1.5 zukommt, während in den übrigen Fällen, in denen der 25. Wirbel zwar die Stellung eines 1.5 besitzt, ') Um einen Wirbel als in eine bestimmte Region hineingehörig zu bezeich- — nen und zugleich seinen Platz in derselben anzugeben, ist die angewandte, ver- — kürzte Schreibweise, die kaum einer Interpretation bedarf, benutzt worden. TEN = SE - Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi desMenschen. 139 durch die relativ starke Verdickung der Seitenfortsätze jedoch die characteristische Form überschritten und auf die spätere sacrale Be- schaffenheit hingewiesen wird. Ist die Verbindung mit dem Sacrum bereits eingeleitet und damit vom 25. Wirbel die Stellung als s. 1 erreicht, so steht der Wirbel bei der jetzt relativ noch zu geringen Volumsentfaltung der Seitenfortsätze hinter der characteristischen Form zurück und erreieht dieselbe erst spät. Der 24. Wirbel besitzt in demselben Falle, den auch der 25. in seiner primitivsten Form bietet, die Stellung und die Form eines 1.4. Diese Stellung bewahrend, hat der 24. Wirbel an 5 anderen Wir- belsäulen Seitenfortsätze, die mit der Spitze noch deutlich proximal- wärts abweichen, aber an der distalen Fläche ihrer in dorsoventraler Riehtung verdiekten Basis einen breit aufsitzenden Fortsatz entwickeln, der, auf beiden Seiten ungleich stark ausgebildet, mit seiner Spitze distalwärts vorspringt!); ein weiterer Fall zeigt die Seitenfortsätze schon fast horizontal gestellt; auch ist die Spitze derselben so weit verdickt, dass die für einen l.ı characteristische Verjüngung nicht mehr besteht. Ist dann, wie bei einem hier anzuschliessenden Ob- jeet, das 13. Rippenpaar geschwunden, so ist der 24. Wirbel in die Stellung 1.5 eingetreten, sein Seitenfortsatz zeigt aber an der einen Seite noch die Ablenkung der Längsaxe, während die andere Seite, auch was die Verdickung des Fortsatzes anlangt, der Form 1.5 nahe kommt. _ Der 23. Wirbel zeigt als 1.3 der Stellung nach bei zwei Exem- plaren auch die bezügliche typische Form und lässt bei einem dritten Exemplar eine sehr prägnante Uebergangsform wahrnehmen, indem if der Seitenfortsatz in dem Parallelismus-des proximalen und distalen Randes und dem Umstand, dass die Spitze mit einem senkrecht zur { 'Längsaxe des Fortsatzes stehenden, geraden Rande abschliesst, die Form 1.3 noch bewahrt hat, diese aber damit aufgibt, dass die Längsaxe mit der Spitze proximalwärts abweicht. Ganz dieselbe Form zeigt der 23. Wirbel an einem andern Objecte, vor ihm aber, da hier das 13. Rippenpaar geschwunden, schon die Stellung 1.1 zukommt, er somit die Stellung früher erreicht hat, als die für die- selbe characteristische Form, zu der auch noch eine Verjüngung der Spitze gehörte. !) Dieser Vorsprung ist selbstverständlich nicht der Proc. accessorius, der, wo er an dem 24. Wirbel vorhanden ist, an der dorsalen Fläche der Basis des Seitenfortsatzes sich findet. x 140 , Dr. Emil Rosenberg Am geringfiigigsten sind die Umgestaltungen fiir den 22. und 21. Wirbel, denn hier handelt es sich, um den ersferen aus der Stellung und Form 1.2 in die 1.3 überzuführen, bei Schwund des 13. Rippenpaares nur um eine geringe Verlängerung des Seitenfort- satzes, für die ein noch geringeres Maass beim 21. Wirbel erforder- lich ist. Bei diesen Wirbeln ist es nicht wohl möglich zu beurtheilen, ob für den einzelnen Wirbel der absolut grösste Betrag der Ver- längerung des Seitenfortsatzes erst nach erreichter Stellung eintritt, da die Umformung sich in sehr engen Grenzen hält und auch die Formen an sich wenig markirt sind. Es ist jetzt noch zu constatiren, dass dieselben Uebergangsformen, die eben für die Wirbel 21. (1.1) bis 25. (1.5) einerseits und 21. (1.2) bis 25. (s.ı) andererseits nachgewiesen wurden, sich auch im An- schluss an die Wirbel 20. {l.ı) bis 24. (1.5) zeigen, was beweist, dass derselbe Umformungsprocess sich wiederholt, jetzt aber von der Stufe der in Bezug auf die Gruppirung der Wirbel normalen Wirbelsäule ausgeht. Am auffälligsten zeigt sich das für den 24. Wirbel, der die seiner Stellung als 1.5 typisch zukommende Gestalt bei 8 Exem- plaren durch relativ zu starke Verdickung der Seitenfortsätze ver- lässt, bei vieren unter diesen ist die Verdiekung bereits so stark, dass nur ein geringer Zwischenraum zwischen der distalen Fläche des Seitenfortsatzes und der proximalen Endfläche der Pars lateralis übrig bleibt und in einem Fall ruht der Seitenfortsatz der einen Seite init der lateralen Hälfte auf einem Vorsprung der Pars lateralis und bildet damit den Uebergang zu den bereits erwähnten, exquisit lumbo- sacralen Formen, welche die Wirbelsäulen, denen sie angehören, auf eine höhere Stufe erheben. Ebenso existiren für den 23. Wirbel als Zukunftsbildungen zu betrachtende Uebergangsformen ; so hat in einem extremen Fall der noch in der Stellung 1.1 vorliegende Wirbel Sei- tenfortsätze, an denen kaum mehr die Ablenkung der Axe wahrnehm- bar ist und auch sonst ist durch einen stumpfen Vorsprung an der distalen Fläche des Seitenfortsatzes die Form desselben in einer Weise umgestaltet, dass diesem Wirbel, wenn das in diesem Fall schon sehr redueirte 12. Rippenpaar die Sonderexistenz aufgegeben hätte und er damit in die Stellung 1.5 gerückt wäre, auch schon fast die entsprechende Form zukäme. Für den 22. Wirbel wiederholt sich in der Stellung 1.3. dieselbe Form, die vorhin für den 23. Wirbel als Uebergangsform in der Stellung 1.3 und 1.4 beschrieben wurde, bei der die typische Form des Seitenfortsatzes noch erhalten war, wäh- rend die Liingsaxe bereits abwich. Der 21. und 20. Wirbel liegen — > ch PAE, CE OES TR ei p+ PH Me «“ te Dig ee Ae Ai i eae *\ x Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi desMenschen. 141 - bei den hierhergehörigen Wirbelsäulen als 1.2 und l.ı vor und sind gegenüber dem Verhalten der übrigen Wirbel relativ stabil. Abgesehen davon, dass wegen dieser Uebergangsformen auch für die Lumbalregion ein Process der Umgestaltung zu statuiren ist, -interessirt an dem Verhalten dieser Formen zunächst der Umstand, dass, wie für die eine prägnante Form besitzenden Wirbel nachge- wiesen wurde, dieselben, wenn sie in eine bestimmte Stellung in der Region eintreten, die für diese Stellung characteristische Form noch nicht vollständig besitzen. Der Betrag der Formumgestaltung, der zur Erreichung der characteristischen Form nöthig ist, ist also wohl ‚als eine Folge der erlangten Stellung zu betrachten und dem Einfluss - der durch die Stellung bedingten, functionellen Ansprüche zuzuschrei- ben; letztere sind bei einer aus 5 Gliedern bestehenden Lumbalregion offenbar dieselben, gleichgiltig, ob dieselbe aus dem 20. bis 24. oder 21. bis 25. Wirbel gebildet wird, und lassen daher in beiden Fällen die gleichen eharacteristischen Formen entstehen, diese sind zugleich, da die Erlangung der Stellung von den Vorgängen an der proximalen und distalen Grenze der Lumbalregion abhängig ist, in weiterer In- stanz eine Folge dieser Vorgänge. Auf diese ist es aber wohl auch zu beziehen, dass die characteristischen Formen, nachdem sie erlangt worden, wieder aufgegeben und zu Uebergangsformen umgestaltet werden. In dem Maasse als z. B. der zur Zeit letzte Lumbalwirbel dem Sacrum assimilirt wird, müssen für die proximal gelegenen Lumbalwirbel veränderte functionelle Beziehungen entstehen, die als Folge eine Umgestaltung der den jetzt gegebenen Verhältnissen nicht mehr entsprechenden Formen zu Stande kommen lassen. Dies zeigt sich in der Art und Weise des Zusammentreffens von Uebergangs- formen in der Lumbalregion an einer und derselben Wirbelsäule, ob- ‚gleich dasselbe nicht in allen Fällen vollkommen prägnant ist, was indess die Interpretation der übrigen Fälle nicht beeinträchtigt. Es dürfte genügen, aus den letzteren zwei anzuführen, von denen der eine zwischen dem relativ primitivsten Verhalten der Wirbelsäule und dem der normalen Wirbelsäule, der andere jenseits der letzteren steht. Im ersteren Falle hat der 25. Wirbel noch die lumbosacrale Beschaf- fenheit; der 24. in der Stellung 1,5 lässt gleichfalls ein primitiveres Verhalten erkennen, indem die Längsaxe seines rechten Seitenfort- Satzes mit der Spitze noch proximalwärts ablenkt, dabei aber an der distalen Fläche schon einen geringen Vorsprung entwickelt, am linken Seitenfortsatz ist die Ablenkung schon geringer und zugleich ist er in der ganzen medialen Hälfte verdickt. Am 23. Wirbel steht rechts 142 Dr. Emil Rosenberg der Seitenfortsatz noch fast horizontal, während er links die charae- teristische Form 1.4 andeutend mit der Spitze schon etwas ablenkt, diese ist auch bereits etwas. verjiingt. Die übrigen 3 Lumbalwirbel zeigen zwar successive immer kürzere, horizontal gestellte Seitenfortsätze, es verdient aber bemerkt zu werden, dass die des 1.3 nicht so lang erschienen, wie sie bei der ceharacteristischen Form 1.3 sich finden. Im zweiten Fall hat der 25. Wirbel die Stellung s.ı, übertrifft aber die characteristische Form s. ı, indem das proximale Ende der Fae. aur. über dem Niveau der proximalen Endfläche des Wirbelkörpers und die proximale Spitze im Niveau derselben steht. Im Einklang mit diesem Befunde sind die Seitenfortsätze des 24. Wirbels in toto stark verdickt, und zugleich mit einem an der distalen Fläche der- selben mit breiter Basis aufsitzenden Vorsprung versehen, die Längs- axe der Fortsätze steht horizontal. Am 23. Wirbel (1.4) zeigt sich kaum mehr die Abweichung der Längsaxen der Seitenfortsätze, diese sind beiderseits verdiekt und vom distalen Rande entwickelt sich ein breiter, stumpfer Vorsprung, dessen Gipfel mit der Mitte der Länge ~ des Seitenfortsatzes zusammenfällt. Wie dieser Wirbel zur Form 1.5 hinneigt, so der 22. zur Form 1.4, obgleich ihm noch die Stellung l.s zukommt, die Seitenfortsätze zeigen bereits die Ablenkung der Axen und springen seitlich nicht so weit vor, als die des 21. Wirbels. Die Spitze hat aber noch die breite, gerade abgestutzte Form, wie-sie der characteristischen Form 1.3 zukommt. Die Seitenfortsätze des 21. Wirbels sind etwas länger als die des 20. Wirbels. Diese Beob- achtungen bestätigen das oben angedeutete Abhängigkeitsverhältniss, in dem die Umformung in der Lumbalregion steht; denn stellt man die beiden eben beschriebenen Befunde mit dem Verhalten der relativ primitivsten Wirbelsäule und dem der normalen in eine Reihe zusam- men, so sieht man, dass die Umformung in dem Sinne geschieht, dass dieselbe Form, die auf der frühesten Stufe einem bestimmten Wirbel zukommt, auf der nachfolgenden in Andeutungen an dem nächst proximal gelegenen Wirbel auftritt, um in einer weiteren Ent- wicklungsstufe an dem gleiehen Wirbel in characteristischer Aus- — prägung zu erscheinen, dann überträgt sich in einer folgenden Stufe dieselbe Form wiederum in nicht vollkommener Weise auf den nächst proximal gelegenen Wirbel und würde an diesem, wenn der Process. weiter ginge, zum dritten Mal als characteristische erscheinen und somit an drei verschiedenen Wirbeln zur Geltung gekommen sein. Das aber erscheint sehr natürlich, wenn man bedenkt, dass mit dem Vorrücken der Dorsolumbal- und Lumbosacralgrenze die einzelnen 3 ’ Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi desMenschen. 143 Wirbel suecessiv weiter distal gelegene Stellen in der Lumbalregion einnehmen müssen und damit genöthigt sind, diesen Positionen auch in formaler Beziehung sich zu accommodiren. Die geschilderten Vorgänge in der Lumbalregion lassen sich als eine Folge der vereint wirkenden, in den angrenzenden Regionen stattfindenden Vorgänge auffassen, was aber diese letzteren und die Vorgänge in der Caudalregion betrifft, so ist auf eine Zusammenge- hörigkeit derselben geschlossen worden, weil die Umgestaltung, wie sich auch in der Lumbalregion zeigt, an den einzelnen Abschnitten die gleiche, proximalwärts fortschreitende Richtung einhält und in den einzelnen Abschnitten einer und derselben Wirbelsäule, somit gleich- zeitig, primitivere eventuell umgebildetere Zustände sich finden, ein Umstand, der die Möglichkeit gewährte, die unter dem Einfluss der Umformung an dem Gesammtabsehnitt der Wirbelsäule bei einzelnen Individuen gegebenen Zustände als Entwicklungsstufen aneinander zu reihen. Wenn es somit auch gestattet ist, in Betreff des betrach- teten Abschnitts der Wirbelsäule von einem Umformungsvorgang zu sprechen und einen Zusammenhang der einzelnen Vorgänge zu sta- tuiren, so erscheint es doch nieht wohl ausführbar, diesen Zusammen- hang näher zu bestimmen. Auffallend ist es, dass der Umgestaltungsvorgang an verschie- denen Stellen der Wirbelsäule ein qualitativ verschiedener ist, wäh- rend im distalen Abschnitt der Dorsalregion auf dem Wege der Re- duction die characteristische Gestalt der Theile bis zur Unkenntlichkeit verwischt wird, erscheinen an der proximalen Grenze der Sacralregion- indem vorhandene Bestandtheile weiter ausgebildet werden, voll- kommenere Formen, die wiederum an der distalen Grenze dieser Region und im eaudalen Abschnitt einer Rückbildung unterliegen, die am Ende des letzteren zu völligem Schwund von Bestandtheilen führt. Da durch die Verbindung des Extremitätengürtels mit der Wirbelsäule in erster Instanz die Bildung eines Sacrum veranlasst wird, kann die Umformung im proximalen Abschnitt der Sacralregion nur die Folge sein der Veränderung der Beziehung des [ium zu dem betreffenden Abschnitt der Wirbelsäule. Auf diese Dislocation des Ilium ist um so mehr Gewicht zu legen, als sie auch beim Em- bryo nachweisbar war, und da dieselbe eine proximalwärts gerichtete ist, ergibt sich daraus der Hinzutritt nächst proximal gelegener Wirbel zum Sacrum. Zu diesem Vorgang würden die Vorgänge an der Dorsolumbalgrenze und am distalen Ende des Sacrum in ein festes Abhängigkeitsverhältniss treten, wenn die Existenz einer aus 5 Wir- 144 Dr. Emil Rosenberg beln bestehenden Lumbalregion und eines die gleiche Zahl von Wir- beln enthaltenden Sacrums eine (wenn auch nicht näher zu begrün- dende) Nothwendigkeit wäre. Hierauf könnte der Umstand hinweisen, dass an den bis jetzt betrachteten Objecten die Umformung an den genannten Partien insofern eine proportionale ist, als von einem ge- gebenen Zustand aus, durch eine Reihe Zwischenstufen vermittelt, ein neuer hervorgeht, der die Grenzen aller Abschnitte um einen Wirbel weiter proximalwärts verlegt zeigt. Ein solches Verhältniss ist aber nicht mit Sicherheit zu statuiren, da das zeitliche Zusammen- treffen bestimmter Zustände an den einzelnen Abschnitten der Wirbel- säule kein so regelmässiges ist, dass etwa aus der Beschaffenheit eines oder mehrerer Wirbel sicher auf die der übrigen Wirbel ge- schlossen werden könnte. Innerhalb engerer Grenzen kann dies mit einiger Sicherheit geschehen. Wenn z. B. das 12. Rippenpaar stark verkürzt ist), kann auch eine rudimentär gewordene 13. Rippe nicht mehr erwartet werden, wohl aber, dass der Seitenfortsatz des 20. Wirbels bereits ziemlich lang geworden; wenn der 25. Wirbel noch Lumbalwirbel ist, dürfte wohl stets der 30. Wirbel noch Sacralwirbel und mindestens der 34. Wirbel noch erhalten sein. Wenn der 20. Wirbel noch Dorsolumbalwirbel ist, finden sich an den untersuchten Objecten stets Spuren, die auf den späteren Zutritt des 25. Wirbels zum Sacrum hinweisen. Der sich aus diesen Verhältnissen ergebende Zusammenhang der Vorgänge kann indess nicht als ein fester gelten, da sich Ausnahmszustände finden, die die Wahrscheinlichkeit, mit der aus der Beschaffenheit eines Wirbels auf die eines anderen geschlossen werden könnte, verringern. Diese Ausnahmszustände sind jetzt zu betrachten. Von den von mir untersuchten Wirbelsäulen gehören 26 den oben aufgeführten, eine Entwicklungsreihe darstellenden Zuständen an, wäh- ~ rend 7 Exemplare die nachstehend verzeichneten Zustände reprä- sentiren : ieee — 19) d, (205224) ae (25-29) s. 30. sed. (31—?) cd. Bea(S——10) id. ‘(ae Dal, (25—30) s. (31—34) ed. 3,820) .d.. (21-24) 1, (25—29) s. (30—34) ed 4. (8 —19) ds (20-24) 1.5 25,18... 96 9008 (30—?) ed bis 19) di (20 25-1. (26—30) s. (31—35) ed ') SCHWEGEL behauptet (1. e. pag. 318), dass die 12. Rippe bei weiblichen Individuen stets kleiner seials bei männlichen und selten über 1” Länge habe. Dieser E Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale earpi des Menschen. 145 Ueberblickt man diese Zustände, so kann nicht in Abrede ge- nommen werden, dass der an der Mehrzahl der Objeete sich kennt- lich machende, proximalwärts fortschreitende Umgestaltungsvorgang im Princip auch an diesen Objecten wiedergefunden wird, letztere nöthigen nur dazu, zuzugeben, dass die Wirkungen des Vorganges an verschiedenen Stellen des von ihm betroffenen Wirbelsäulenabsehnittes nicht in bestimmter Weise einander proportional sind, insofern an einzelnen Stellen die Umformung beschleunigt resp. verlangsamt sein kann. Bei dieser Auffassung sind die verzeichneten Zustände leicht interpretirbar. In dem zuerst aufgeführten ist die Auslösung des 30. Wirbels aus dem Saerum offenbar nur um ein Geringes retardirt und in etwas höherem Grade beim zweiten Fall. In dem folgenden Fall (3) ist der 20. Wirbel hinter den übrigen in der Umformung zurückgeblieben. Der 4. Zustand interpretirt sich am einfachsten aus der Annahme einer relativ zu langsamen Entwicklung des 25. Wirbels, während in dem letzten der Gruppe (5.) es sich um eine sehr beschleunigte Umformung des 20. Wirbels handelt, der Form und Stellung 1. ı erlangt hat, wäh- rend im Uebrigen der hier in Betracht kommende Abschnitt der Wirbelsäule, was die Gruppirung der Wirbel und in Betreff des Sacrum und der Caudalwirbel auch die Form derselben anlangt, noch im Zustande hochgradigen Atavismus vorliegt. Auch ausser in der Gruppirung der Wirbel machen sich Aus- nahmezustände auch in untergeordneteren Verhältnissen geltend, wo- für sich fast in jeder Wirbelsäule Belege bieten. Es dürfte genügen, einen Fall anzuführen. An einer Wirbelsäule, die in Bezug auf die Gruppirung und die Zahl der Wirbel den primitivsten Zustand bietet und deren Lumbalwirbel, was die Seitenfortsätze anlangt, das cha- racteristische Verhalten in reinster Form zeigen, ist nichts desto- weniger das 13. Rippenpaar schon ziemlich redueirt und haben die Gelenkflächen der Lumbalregion eine Stellung, die den höchsten Grad der Umformung ausdrückt, indem bei gut ausgeprägter Krümmung der Flächen die dorsalen Ränder der Gelenke bis zu denen zwischen dem 23. und 24. Wirbel (inel.) in dieselbe, der Medianebene nahe ge- Behauptung kann ich nicht beistimmen, da die Länge in beiden Geschlechtern von dem Fortschritt abhängt, den die Umformung gemacht hat. An einer Wirbel- säule eines weiblichen Individuums z. B., bei welcher der 20. Wirbel Dorsolumbal- wirbel ist, besitzt diese Rippe 13,5 °m und im Gegensatz hierzu an der Wirbel- säule eines männlichen Individuums bei weit fortgeschrittener Umformung 3,5 resp. 2m Länge. Morpholog. Jahrbuch. 1, 10 146 Dr. Emil Rosenberg rückte Sagittalebene fallen und die der Gelenke, an denen der 25. — Wirbel participirt, nur etwas weiter lateralwiirts liegen, wobei auch wenigstens der rechte Proc. art. dist. des 25. Wirbels eine convexe Gelenkfläche besitzt. Diese und ähnliche Fälle bestätigen für die Wirbelsäule das auch sonst sich findende Verhältniss, dass an einem und demselben Bestandtheil und räumlich eng zusammenliegend sehr Conservatives und weit Fortgeschrittenes zusammentreffen kann. Hinsichtlich der eben angeführten _Incongruenzen in der Ent- wieklung der Wirbelsäule verschiedener Individuen kann die Frage entstehen, ob dieselben nicht zum Theil auf die Verschiedenheit der Geschlechter zu beziehen seien. Unter den in den beiden Gruppen zusammengestellten Zuständen der Wirbelsäule finden sich zwei 4) nur durch Wirbelsiiulen weiblicher Individuen vertreten. Es sind das die in der ersten Gruppe mit 3. und 4. bezeichneten Zustände. Was diese Zustände anlangt, so dürften bei der‘ Beobachtung einer grösseren Zahl von Wirbelsäulen auch diese durch Wirbelsäulen männlicher Individuen sich vertreten finden, so dass für das weibliche Geschlecht specifische Zustände kaum angenommen werden ‘können. Dagegen macht sich der Unterschied der Geschlechter in einem an- deren Sinne geltend. Die Hälfte der untersuchten weiblichen Wirbel- säulen zeigt die normale Gruppirung der Wirbel, drei andere gehören in die 3. und 4. Reihe der ersten Gruppe und auch die zu den Aus- nahmefällen gehörende Wirbelsäule eines weiblichen Individuums (zweite Gruppe, 2.) repräsentirt eine höhere, Entwicklungsstufe. Während somit an der Wirbelsäule männlicher Individuen noch relativ zahl- reiche Entwicklungsstadien persistent bleiben, ist das beim weiblichen Geschlecht nicht der Fall. Wenn sich dieses Verhältniss bei der Untersuchung einer grösseren Zahl von Wirbelsäulen bestätigen sollte, so dürfte der Umstand, dass nur ein geringer Theil der Umgestaltung aus den Zuständen der Wirbelsäule erwachsener weiblicher Indivi- duen ersehen werden kann, wohl darauf zu beziehen sein, dass die Entwicklung der weiblichen Wirbelsäule, vielleicht unter dem Ein- fluss der specifischen functionellen Verhältnisse, in denen das Sacrum steht, eine raschere ist, die nur hier und da noch an ein früheres Verhalten Erinnerndes in den entwickelten Zustand hinübernimmt, womit im Zusammenhang stehen würde, dass die reducirtesten unter ') Der Zustand der Wirbelsäule, der mit der Formel 2 in der 2. Gruppe bezeichnet ist, der mir nur an der Wirbelsäule eines weiblichen Individuums bekannt geworden, ist nach einer Beobachtung von OWEN (5, pag. S69—873) auch durch die Wirbelsäule eines männlichen Individuums vertreten. Ueber die Entwickl. der Wirbelsiiule u. das Centrale carpi des Menschen. 147 den mir vorliegenden Caudalwirbelsiiulen dem weiblichen Geschlecht angehören. Dieses Verhalten bildet eine Ausnahme von der Regel, auf die RÜTIMEYER!) mehrfach aufmerksam gemacht hat, nach welcher das weibliche Geschlecht das eonservativere ist. Die in Rede stehenden Incongruenzen könnten auch noch zu der Frage Veranlassung geben, ob dieselben nicht darauf zurückzuführen wären, dass das untersuchte Material verschiedenen Varietäten der Species angehört habe. In dieser Beziehung habe ich das Material nicht sondern können, da mir über die Herkunft der einzelnen Objecte nichts Verwerthbares bekannt ist, und auch wenn das der Fall ge- wesen wäre, hätte die verschwindend geringe Zahl der Untersuchungs- objeete eine Untersuchung der Frage nicht möglich gemacht. Aber auch wenn keiner der angeführten Ausnahmefälle als ein scheinbarer sich ergeben sollte, dürfte es doch gerechtfertigt sein, darauf hinzu- weisen, dass für die Zweeke anthropologischer Untersuchungen die Wirbelsäule deshalb als brauchbares Untersuchungobject erscheint, weil an jedem gegebenen Object die Differenzirungsstufe desselben sich leicht bestimmen lässt. E. Bemerkungen über die Wirbelsäule einiger Primaten mit Bezugnahme auf den Umformungs- vorgang an der menschlichen Wirbelsäule. Auf Grundlage der vorstehenden Erörterungen kann es gerecht- fertigt erscheinen, die Verhältnisse der Wirbelsäule anderer Formen, zunächst wenigstens der mit dem Menschen in dieselbe Ordnung hin- eingehörigen, unter der Voraussetzung zu betrachten, dass bei den- selben eine ähnliche Umformung stattfinde, wie sie an der mensch- lichen Wirbelsäule sich geltend macht. Es wären hier, da es die Aufgabe dieses Aufsatzes nicht ist, eine vergleichende Betrachtung der Wirbelsäule aller Primaten zu unternehmen, wenigstens diejenigen Formen hervorzuheben, welche an das Verhalten der menschlichen Wirbelsäule in einer morphologischen Reihe sich anschliessen und in Bezug auf den Process der Umformung das meiste Interesse be- anspruchen. Bevor aber zu diesem Zweck eine Vergleichung an- _ gestellt wird, möchte ich eines eigenthümlichen, bei einigen Primaten gefundenen Verhaltens des Plexus -sacralis zum Sacrum Erwähnung thun, um zu constatiren, dass in demselben kein Hinderniss gesehen Cl, 1 Pag. 3806 2, pag. 55. a 10* 148 Dr. Emil Rosenberg werden kann, die specielle Homologie der Wirbel nach der Stelle in der Gesammtreihe zu bestimmen. Es schien mir, weil analoge Verhiiltnisse bekannt sind, nicht unberechtigt, vorauszusetzen, dass der Plexus sacralis bei Primaten, besonders wenn nur Vertreter einer so kleinen und enggeschlossenen Gruppe wie die der altcontinentalen Primaten in Betracht gezogen wiirden, in tibereinstimmendem Verhalten sich finden, bei verschie- denen Formen eine gleichartige Zusammensetzung aus den gleichen Spinalnerven haben werde. Existirte eine solche Beschaffenheit des Plex. sac., so kann man sich sehr wohl denken, dass dieselbe be- stehen bleibt, während die Wirbel des betreffenden Abschnitts der Wirbelsäule eine Formumgestaltung eingehen und es müsste, falls eine solehe Umformung statthat und zu weiterem Beweise, dass dieses der Fall ist, das Sacrum je nach dem Fortschritt, den der Umfor- mungsprocess gemacht hat, sich in ganz bestimmten Beziehungen zum Plexus sacralis finden. Am Plexus sacr. des Menschen ist das hier in Betracht kommende Verhiiltniss des Plexus zum Sacrum darin gegeben, dass, wie bekannt, der 25. Wirbel als erster Sacralwirbel zusammentrifft mit der Existenz einer ganzen, unmittelbar priisacralen und einer nächst proximalwärts gelegenen, abgezweigten priisacralen Wurzel des Plexus. In der bezeichneten Gruppe der Primaten nun wäre für diejenigen Formen, welche gleich dem Menschen unter gewöhnlichen Verhältnissen den 25. Wirbel als ersten Sacralwirbel besitzen (Chim- panzé, Gorilla), die gleiche Beziehung des Pl. sacr. zum Sacrum vor- auszusetzen. Beim Orang dagegen, der einzigen Form, bei welcher der 24. Wirbel gewöhnlich die erste Stelle im Sacrum einnimmt, müsste die ganze präsacrale Wurzel des Menschen als erste sacrale und die abgezweigte als einzige präsacrale Wurzel gefunden werden können. Im Gegensatz hierzu wäre für Hylobates, weil hier der 26. Wirbel der erste sacrale ist, zu erwarten, dass ausser einer ab- gezweigten und einer ganzen präsaeralen Wurzel auch noch das Ho- mologon der ersten sacralen Wurzel des Menschen als präsacrale Wurzel vorläge und bei den Cynopitheeinen, wo mit dem 27. Wirbel das Sacrum beginnt, müssten ausser der abgezweigten drei ganze präsacrale Wurzeln des Plexus nachzuweisen sein. Als einen Ver- treter der letzteren Gruppe habe ich Inuus pithecus und (Hylob. stand mir nicht zu Gebote) ausserdem den Orang und Chimpanze, die ge- nannten Formen aber nur in je einem Exemplar, untersuchen können und hierbei Verhältnisse gefunden, die nicht die erwarteten sind. Die Verhältnisse beim Orang und Inuus stimmen, obgleich, wie auch an Ueber die Entwickl. der Wirbelsiiule u. das Centrale carpi des Menschen. 149 \ den untersuchten Objecten sich bestätigte, bei ersterem das Sacrum mit dem 24., bei letzterem mit dem 27. Wirbel beginnt, darin über- ein, dass bei beiden eine ganze, unmittelbar präsacrale Wurzel des Plexus sacralis und eine nächst proximal gelegene, abgezweigte Wur- zel sich findet und bei beiden Formen betheiligt sich zudem der die letztere Wurzel abgebende Lumbalnerv in gleicher Weise an der Zu- sammensetzung der Nn. obturatorius und eruralis, indem er mit dem Rest seiner Fasern in je einem Bündel zu den genannten Nerven tritt, welche ausserdem bei beiden Formen in einer, was die Anord- nung der Nervenbündel anlangt, wiederum übereinstimmenden Weise jeder eine Wurzel von dem nächst proximal gelegenen Lumbalnerven er- halten, wobei der (proximalwärts) folgende Lumbalnerv dem N. cruralis sicher und wahrscheinlich auch dem N. obturatorius ein Faserbündel zusendet. In Betreff des Chimpanzé bot das untersuchte Exemplar den 25. Wirbel statt in der Form eines ersten Sacralwirbels in lumbo- sacraler Beschaffenheit dar, im Sacrum befinden sich der 26.—30. Wirbel. Unter diesen Verhältnissen erscheint es um so auffallen- der, dass auch hier der Plexus sacralis nur eine ganze präsacrale, dem 26. Wirbel anliegende und eine nächst proximal gelegene, ab- gezweigte Wurzel besitzt, die dem zwischen dem 24. und 25. Wirbel austretenden Lumbalnerven entstammt, welcher letztere und die beiden ihm nächst proximal gelegenen in der gleichen für den Orang und Inuus angegebenen Weise an der Bildung der Nn. obturatorius und cruralis participiren'). Da nun das beschriebene Verhalten das gleiche ist, wie beim Menschen, so findet sich, dass bei allen 4 Formen zwei Plexus, so- - weit dieselben prüfbar waren, die gleiche Anordnung ihrer Bestand- theile, die gleichen Beziehungen zu peripheren Nerven und zum Saerum besitzen, somit eine Uebereinstimmung zeigen, die, hielte man sich nur an die Verhältnisse des entwickelten Körpers, die Ueber- zeugung erwecken könnte, die Nerven und die betreffenden Wirbel seien complete Homologa und die differente Stellung in der Reihe, 1) Wie sich der distale Antheil des Plexus sacr. und, was selbstverständ- lich hier von Interesse gewesen wäre zu wissen, der proximale Antheil des Plexus cruralis verhalten, konnte nicht festgestellt werden, da die untersuchten Exemplare in, was den Inhalt der Körperhöhlen anlangt, sehr mangelhaft con- servirtem Zustande acquirirt worden waren, wobei die in den bezeichneten Partien besonders weit vorgeschrittene Zersetzung die Präparation unmöglich machte. Beim Orang waren nur 3 sacrale Wurzeln erhalten, beim Chimpanze _ Sogar nur 2; bei Inuus waren die beiden sacralen Wurzeln des Plexus vorhanden, 150 Dr. Emil Rosenberg , : die sowohl fiir die Wirbel als die Nerven besteht, sei dadureh zu Stande gekommen, dass gegenüber dem Verhalten von Tauus beim Orang 3 Wirbel, beim Menschen 2 Wirbel und die gleiche Zahl beim Chimpanzé unter gewöhnlichen Verhältnissen (einen von diesen Wir- beln hätte das untersuchte Exemplar noch bewahrt) aus dem proxi- malen Theil der Lumbalregion durch Reduction oder Verschmelzung eliminirt seien und die betreffenden Spinalnerven sich anderen ange- schlossen hätten. Da es nun aber nach den mitgetheilten Beobach- tungen über die Entwicklung der menschliehen Wirbelsäule nicht dem geringsten Zweifel unterliegen kann, dass von dem Zeitpunct ab, wo die Sacrumbildung sich einleitet, die Elimination eines Wirbels, geschweige denn zweier, aus der Reihe der Wirbel nicht statthat, es sich vielmehr hat nachweisen lassen, dass die Existenz von 25 resp. 26 präsacralen Wirbeln beim Embryo nur in dem Sinne aufgegeben wird, dass der 25. und 26. Wirbel zu Sacralwirbeln umgeformt wer- den, so kann zunächst in Betreff des Menschen und Inuus die Iden- tität der Nervenanordnung sicher nieht durch die Annahme einer Elimination von Wirbeln erklärt werden, die deshalb auch für die Her- leitung der Verhältnisse des Orang und Chimpanzé aus denen von Inuus keine Wahrscheinlichkeit besitzt. Es wird vielmehr nach einer anderen Erklärung des in Rede stehen- den übereinstimmenden Verhaltens, das die Nerven untereinander und zum Sacrum zeigen, gesucht werden müssen. Für die Erklärung dieses Verhaltens kann nur eine Möglichkeit zugelassen werden, es kann nur angenommen werden, dass die Aehnlichkeit in der Anordnung der Nerven in seeundärer Weise und zwar dadurch zu Stande gekommen ist, dass Hand in Hand mit der Umformung der Wirbelsäule auch eine Um- formung der Plexus stattgehabt, und zwar in dem Sinne, dass in die Zusammensetzung der genannten Plexus successive weiter proximal- wärts gelegene Spinalnerven eingehen und damit auch die aus den Plexus austretenden, peripheren Nerven auf weiter proximalwärts ge- legene Spinalnerven übertragen werden, ein Vorgang, der zwar im Detail (Möglichkeiten existiren jedoch) schwierig construirbar ist, aber schon deshalb im Prineip nicht undenkbar ist, weil mehrere Spinal- nerven einem und demselben peripheren Nerven Fasern zusenden. Bei solcher Umformung wäre die gleiche Anordnung der Plexusbestand- theile als völlig nebensächliche Erscheinung zu betrachten und die betreffenden peripheren Nerven wären, je weiter die Umformung der Plexus gediehen, um so mehr als incomplete Homologa anzusehen. Näher auf die Möglichkeiten, die in Betreff dieser Umformung zu ER ~ Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 151 statuiren wären (eines hier in Betracht kommenden Verhältnisses wird später Erwähnung geschehen) einzugehen, scheint mir hier nicht der Ort, der Nachweis einer Umformung der Plexus wäre zu weiterer Bestätigung des über die Umformung der Wirbelsäule Ge- sagten und noch Mitzutheilenden zu postuliren und dürfte, woran ich nieht zweifle, auch geliefert werden können. Ich sehe somit in dem besprochenen Verhalten der Nerven kein Hinderniss, im gegebenen Falle die specielle Homologie der Wirbel nach ihrer Stelle in der Gesammtreihe zu bestimmen und in Betreff der Verschiedenheiten, die die Wirbelsäule der jetzt zu betrachtenden Formen zeigt, anzunehmen, dass auch diese auf einen Umbildungs- process zurückzuführen seien, der im Prineip der gleiche ist, wie er für die menschliche Wirbelsäule nachgewiesen wurde. Die Berech- tigung hierzu kann um so weniger in Abrede gestellt werden, als in je mehr Exemplaren die Wirbelsäule einer und derselben Form bekannt ist, der Befund um so mehr dazu auffordert, ihn als den Ausdruck einer proximalwärts fortschreitenden Umformung der Wir- belsäule aufzufassen. Das ist aus den Verhältnissen der anthro- -poiden Primaten am leichtesten ersichtlich. Diese sind in diesem Interesse zunächst einzeln zu betrachten, und da für diese Formen das meiste Material vorliegt, sind die Verhältnisse derselben unter einander und mit denen des Menschen zu vergleichen, um über die “Frage nach einer etwaigen Eigenartigkeit des im Prineip für alle als gleich angenommenen Umformungsvorganges und nach der mor- phologischen Beziehung der Formen zu einander eine Auskunft zu erlangen. Bei den jetzt zu betrachtenden wie bei den später anzuführen- den Formen kann indess nur die Gruppirung der Wirbel Berück- sichtigung finden, da, so ausgedehnt die Literatur des betreffenden Gegenstandes auch ist, es mir nieht wohl ausführbar scheint, ohne erneute Untersuchung der Objecte (von denen mir nur einzelne zu Gebote gestanden haben) auf die Formumgestaltung der einzelnen Wirbel näher einzugehen : auch dürfte dieses deshalb zunächst un- terlassen werden können, weil sich die Umformung am deutlichsten in der Art der Gruppirung der Wirbel ausspricht. Aus den schon oben angeführten Gründen sind die verschiedenen Zustände, in denen (soweit mir das bekannt geworden) die Wirbelsäule der anthropoiden Primaten vorkommt, in der gleichen Weise wie die der menschlichen Wirbelsäule bezeichnet und die in den drei Genera !) der Anthropoiden ') In Betreff des Genus Simia ist auf eine Gruppirung der Wirbelsäulen nach 152 Dr. Emil Rosenberg für jede Form Geltung habenden Formeln !) in der beiliegenden Ta- belle zusammengestellt worden. Ueberblickt man die verzeichneten, auf die einzelnen Formen Bezug habenden Formeln, so kann aus ihnen leicht die Umgestal- tung der Wirbelsäule ersehen werden. In der Reihe der vom Chim- panzé aufgeführten Zustände der Wirbelsäule z. B. bezeichnet die letzte Formel (7) eine Wirbelsäule, bei welcher die grösste Gesammt- zahl der Wirbel, gleichzeitig die grösste Zahl freier Rippenpaare und die Maximalzahl der Caudalwirbel sich findet, ausserdem der 25. Wirbel, von dem angegeben wird, dass er gewöhnlich den ersten Sacralwirbel bilde, in einer Form vorliegt, die auf eine frühere lum-s bale Beschaffenheit hinweist. Diese Umstände lassen keinen Zweifel, dass diese Wirbelsäule als die primitivste beim Chimpanzé noch vorkommende zu betrachten ist, und an diese schliessen sich die übrigen an. Bei 6. ist das Rippenpaar des 21. Wirbels redueirt ihrer Hinzugehörigkeit zu einer der beiden Species verzichtet worden, da, soweit die Unterscheidung der Species auf Grundlage der von TRINCHESE (l. e. pag. 11—15) gegebenen Characteristik ausführbar war, sich zeigte, dass Vertreter beider Species denselben Zustand der Wirbelsäule besitzen können. Aus demselben Grunde sind auch die wenigen für das Genus Hylobates mir be- kannt gewordenen Wirbelsäulen in eine Gruppe zusammengestellt worden. In Betreff der Frage, ob im Genus Troglodytes mehr als zwei Species zuzulassen seien, scheint mir die von IsseEL (l. c. pag. 76—81) vertretene Ansicht zutreffend. !) Von denjenigen in der Literatur enthaltenen Angaben, die gleichzeitig mehrere Individuen derselben Species betreffen, habe ich (mit einer Ausnahme) absehen zu müssen gemeint, da die Angaben über die Schwankungen der Wirbel- zahl in den einzelnen Regionen zwar häufig das Verhältniss berühren, in dem die Dorsalregion zur Lumbalregion steht, nicht aber auch darüber sichere Aus- kunft gewähren, wie bei einer bestimmten Wirbelzahl in der einen oder andern Region gleichzeitig das Sacrum (dessen distales Ende besondere Beachtung ver- dient) und die Caudalregion beschaffen ist. Das bedingt namentlich in Betreff des Genus Hylobates eine Schwierigkeit. Es erschien daher am zweckmässigsten, nur die Mittheilungen zu benutzen, die sich mit der nöthigen Vollständigkeit auf concrete Objecte beziehen, und in den zu den Formeln gemachten Anmer- kungen sind diejenigen Objecte genannt, die den betreffenden Zustand der Wirbel- säule repräsentiren. Wo für einzelne Zustände mehrere Beobachtungen vorlie- gen, konnte nicht unterlassen werden, dieses anzuführen, um die Sicherheit der Beobachtung zu erhöhen. Zu einer Statistik der betreffenden Verhältnisse könnte, selbst wenn für alle Sammlungen gleich mustergültige Cataloge existirten wie der von Owen über die osteologischen Präparate des Museum of the Royal College of Surgeons ausgearbeitete, nur ein Versuch gemacht werden; aber ob- gleich ein solcher zur Zeit nicht möglich ist, scheint es auch bei einer geringen Gesammtzahl nicht ohne Belang, wenn ein als extrem zu bezeichnender Zustand nur in einem Fall vorkommt. EN Ueber die Entwickl. der Wirbelsiiule u. das Centrale carpi des Menschen. 153 worden, und fortan bleibt der 21. Wirbel der erste Lumbalwirbel. In der Wirbelsäule der Formel 5 hat der 25. Wirbel die lumbo- sacrale Beschaffenheit aufgegeben und ist ins Sacrum übergetreten, und der 30., der früher das Sacrum abschloss, ist, wie es scheint, etwas verfrüht in die Caudalregion gelangt, die jetzt schon zwei Wirbel an ihrem distalen Ende verloren hat. Nun bekommt (4) der 24. Wirbel lumbosacrale Beschaffenheit und die Caudalregion verliert noch zwei Wirbel. In der nächsten Stufe (3) ist jetzt der 30. Wirbel defini- tiv dem Caudalabschnitt zugetheilt. Weiter (2) lässt die fortschrei- tende Umgestaltung des 24. Wirbels diesen als ersten Sacralwirbel erscheinen, und damit verliert jetzt auch der 29. Wirbel seine Stel- lung im Sacrum und tritt in die Caudalregion. Auf der höchsten Stufe endlich (1) beginnt der Vorgang, der am 25. und 24. Wirbel sich vollzogen hat, auch am 23. sich einzuleiten und lässt damit diese Wirbelsäule als die am meisten umgestaltete erscheinen, was durch den Umstand nicht widerlegt wird, dass hier noch mehr Cau- dalwirbel sich erhalten haben als in früheren Entwicklungsstufen ; die Reduction der Caudalwirbel ist hier offenbar eine etwas retar- dirte. — Im Prineip Gleiches zeigen die übrigen Gruppen, in jeder hezeichnet die zuletzt aufgeführte Formel den primitivsten noch vor- handenen Zustand der Wirbelsäule der betreffenden Form und an diesen schliessen sich die übrigen als höhere Entwicklungsstufen successive an, und indem überall ersichtlich ist, dass die in einer bestimmten Entwicklungsstufe letzten Wirbel der verschiedenen Regionen der Wirbelsäule auf einer weiteren Entwicklungsstufe zu den ersten der distal- wärts folgenden Region werden und die Caudalregion an ihrem distalen Ende Wirbel verliert, so spricht sich hierin deutlich eine proximalwärts fortschreitende Umformung aus. Sie ist somit in der Hauptsache die gleiche, wie sie bei der menschlichen Wirbelsäule vorkommt, und wie bei dieser stellen auch hier die Zustände der einzelnen Individuen ein- zelne Phasen des Entwicklungsganges der Gesammtheit dersel- ben dar. — Der lumbosacralen Uebergangsformen bei den Anthropoiden ist bereits Erwähnung geschehen, hier sei nur bemerkt, dass die Ent- stehung derselben unter dem Einfluss der Beziehungen zum Ilium namentlich beim Gorilla und Chimpanze besonders deutlich ist. OWEN !) 1) cf. 6, pag. 13, 26. 154 Dr. Emil Rosenberg constatirt in Betreff des Gorilla, dass auf dem Wege einer » elon- gation (die wohl als eine Lageveränderung aufzufassen ist) of the iliac bones« die Lumbalregion um 2 Wirbel verringert') werde. Deut- lich zeigt sich beim Chimpanze und Gorilla, dass die dem Sa- crum assimilirt werdenden Wirbel früher entschiedene lumbosacrale Form erhalten und mit dem Ilium in ausgedehntem Contact sich finden, als die Verschmelzung mit dem Sacrum beginnt ?), was wohl nur als Hinweis auf die Abhängigkeit der Umformung von dem Ver- halten des Ilium angesehen werden kann. Beim Hinzutritt von Wirbeln zum Sacrum kommt in Betreff der Promontoriumbildung die- selbe Erscheinung zu Stande, wie sie bei der menschlichen Wirbel- säule gegeben ist. Für die beiden von ihm untersuchten Exemplare des Gorilla gibt Duvernoy *) an, dass der 24. Wirbel, der bei dem einen Exemplar lumbosaerale Form besitzt, ein schwach ausgespro- chenes Promontorium mit dem folgenden Wirbel bilde, bei dem an- dern Exemplar habe dieser Wirbel nicht mehr die Charactere eines Lumbalwirbels und der 3. Lumbalwirbel bilde mit dem ersten Sacral- wirbel ein Promontorium. Die Existenz zweier Promontorien con- statiren GRATIOLET und Arıx !) beim Chimpanze, indem sie mit- theilen: » L’angle sacro-vertébral (sacro-lombaire) est peu prononcé. Il est un peu augmente par un autre angle, que la deuxieme ver- tébre sacrée fait avec la premiere, et on pourrait dire, a la rigeur, que e’est la le véritable angle sacro-vertébral. C’est du reste & par- tir de ce dernier point que commence la concavité du sacrum « ete. An diesem Object ist der 25. Wirbel der erste Sacralwirbel, das als (las eigentliche bezeichnete Promontorium ist somit nicht das unter gewöhnlichen Verhältnissen (wo der 25. Wirbel keine Andeutung an seine frühere lumbale Beschaffenheit zeigt) sich findende. An einem von mir untersuchten Objecte, an dem der 25. Wirbel noch keine ' Wenn Duvernoy il. ce. pag. 21) in Betreff des Genus Troglodytes und des Orang sagt: »la region lombaire raccourcie dans les genres précédents, sallonge de nouveau chez les Gibbons«, so kann dieser Aeusserung insofern nicht beigestimmt werden, als es sich bei Hylobates um einen geringeren Grad der Verkürzung handelt. ?) ef. z. B. die von Owen (6, pl. 12 Fig. 2) und Duvernoy (1. e. pl. IX Fig. C) abgebildeten Objeete. Beim Menschen ist die Verbindung mit dem Sacrum die frühere, was offenbar nur auf die relativ grössere Breite des pro- ximalen Abschnittes des Sacrum zu beziehen ist. 3) |. e. pag. 39. 4) 1, ec. pag. 45, Ueber die Entwiekl. der Wirbelsäule u. das Cetttrale carpi des Menschen. 155 Verbindung mit dem Sacrum eingegangen, aber schon lumbosacrale Form besitzt, ist dieses ältere Promontorium das einzige. Die Incongruenzen in der Entwicklung, die sich bei der mensch- lichen Wirbelsäule fanden, zeigen sich auch bei den eben in Rede stehenden Formen nur in geringerem Maasse, offenbar weil die Zahl der Beobachtungen eine geringere ist. So illustriren beim Orang die Formeln 6 bis 3 sehr deutlich die successive Reduction der Caudalwirbel desselben, während bei der primitivsten Form, in der die Wirbelsäule des Orang noch vorkommt (8), eine relativ beschleu- nigte Reduction einen Caudalwirbel mehr hat schwinden lassen als bei der Entwicklungsstufe 6, die deshalb zweifellos die höhere ist, weil die proximale und distale Grenze des Sacrum um einen Wirbel weiter proximalwärts verlegt ist. Umgekehrt ist die Reduction der Caudalwirbel verlangsamt bei den Wirbelsäulen der Formel 1 und 2, von denen die erstere gleichzeitig, indem auch schon der 23. Wirbel dem Sacrum assimilirt zu werden beginnt und der 28. der Caudal- region zugetheilt worden, den höchsten Grad der beim Orang erreich- ten Umformung repräsentirt, und die letztere ausser in der Caudal- region auch darin eine noch auffallendere Abweichung zeigt, dass, bei local beschleunigter Umformung, das 12. Rippenpaar verloren worden. Die Wirbelsäule des Gorilla und die von Hylobates zeigen solche Ineongruenzen nicht, beim Chimpanzé dagegen findet sich in einem Fall eine ziemlich beträchtliche Abweichung. Dieselbe besteht bei dem von GRATIOLET und Auıx !) untersuchten Chimpanzé (T. Aubryi). Obgleich bei diesem Object der 25. Wirbel schon dem Sacrum an- gehért und dieses mit dem 29. endet, ist der 21. Wirbel dem Fort- schritt der Umformung nicht gefolgt und hat ein wohl entwickeltes kippenpaar bewahrt, welches somit ein primitiveres Verhalten zeigt als das von der Wirbelsäule der Formel 7 beschriebene; in der Caudalregion hat die Reduction nur 4 Wirbel übrig gelassen. In einem andern Fall, den Mıvarr2) erwähnt, existirt das 13. Rippen- paar, das sonst überall beim Chimpanzé bewahrt bleibt, nieht mehr, während der 24. Wirbel die erste Stelle im Sacrum einnimmt; in diesem Falle hat am 20. Wirbel eine beschleunigte Umformung stattgehabt >). 1) |. e. pag. 37—48 u. pl. IV fig. 3, 4. 2) Pefid; pag. 555. 3) Leider fehlt eine Angabe über die Beschaffenheit des 23. Wirbels und die der übrigen Sacralwirbel; besässe der erstere lumbosacrale Form und fände sich der 28. Wirbel als letzter Saeralwirbel vor (was Beides nicht unwahrscheinlich ist), so würde diese Wirbelsäule keine Abweichung, vielmehr die höchste Stufe der Umbildung darstellen, für die beim Chimpanzé eine Beobachtung vorliegt. 156 — Dr. Emil Rosenberg a, Bei der Vergleichung der in Rede stehenden Formen sind zu- nächst die beim Chimpanzé und Gorilla sich findenden Verhältnisse zu berücksichtigen. Diese schliessen sich am leichtesten an einan- der. Der als der relativ primitivste erscheinende Zustand der Wirbel- säule des Gorilla (4) stimmt vollkommen überein mit einer Entwick- lungsstufe (5) beim Chimpanze. Verfolgt man nun von hier aus auf- wärts die Entwicklungsstufen beider Formen, so sieht man, dass auch die nächst höhere beim Gorilla (3) mit einer höheren des Chimpanze 3) übereinstimmt; in Bezug auf einen wenn auch geringen Theil der (Gesammtumformung besteht somit für beide Formen ein Parallelis- mus, indem bei beiden die Umgestaltung der Wirbelsäule in der gleichen Weise weitergeht und beide unabhängig von einander am 24. Wirbel die lumbosacrale Form desselben erwerben und auch im Uebrigen erzielen, was das Bestehenbleiben des 13. Rippenpaares, die weitere Umgestaltung des 24. Wirbels und die des 23. anlangt, beide Formen dieselben Resultate, zugleich zeigt sich aber jetzt am Verhalten des distalen Theils des Saerum eine allerdings nur sehr geringe Divergenz der Entwicklungsrichtung, indem beim Gorilla der 29. Wirbel im Sacrum bleibt, während er beim Chimpanzé in die Caudalregion tritt, und zwar noch bevor der 23. Wirbel lumbo- sacrale Beschaffenheit bekommen. Die auch aus andern Verhältnissen sich ergebende enge Ver- wandtschaft beider Formen zeigt sich auch in Betreff der Wirbel- säule somit darin, dass beide Formen das in Rede stehende Organ nicht nur in gleicher Beschaffenheit überkommen haben, sondern auch die an demselben zur Geltung gekommene Entwicklungsrich- tung eine Zeit lang völlig bewahren und auch später nur in einer Beziehung aufgeben, wobei die Wirbelsäule des Chimpanzé wegen der relativ beschleunigten Umformung des 29. Wirbels auf eine etwas höhere Differenzirungsstufe tritt als die des Gorilla. Dass dieser die conservativere Form ist, zeigt sich auch in der Beschaffenheit des 13. Rippenpaares, das bei ihm mächtig entwickelt bestehen bleibt, während dasselbe beim Chimpanzé nicht nur kürzer, sondern auch relativ verkürzt erscheint, ja, wie der von Mıvarr erwähnte Fall zeigt, ganz schwinden kann. Die niederen Entwicklungsstufen der Wirbelsäule des Chimpanze (6, 7) schliessen sich in der schon be- sprochenen Weise an die höheren und an einander an und die re- lativ primitivste lässt sich einer Entwicklungsstufe von Hylobates anreihen, mit der sie fast vollkommen übereinstimmt. Dass diese Entwicklungsstufe von Hylobates (3) eine niedere unter den bei Hylo- s Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 157 bates vorkommenden ist, scheint mir ein bezeiehnender Umstand. Vergleicht man beide Wirbelsäulen mit einander, so leitet sich der betreffende Zustand des Chimpanzé ven dem bei Hylobates gege- benen dadurch ab, dass der 25. Wirbel beim Chimpanzé lumbo- sacrale Form annimmt, es erscheint somit die relativ primitivste Wirbelsäule des Chimpanzé als eine etwas höhere Entwicklungsstufe der eitirten Wirbelsäule von Hylobates. Dass gleichzeitig beim Chimpanzé am distalen Ende des caudalen Abschnitts zwei Wirbel mehr bewahrt geblieben sind als bei Hylobates, ist unwesentlich, da in Betreff der letzten Wirbel dieses Abschnitts einerseits Beobach- tungsfehler kaum ausgeschlossen werden können, andererseits nicht erwartet werden kann, bei gleichzeitig lebenden Formen an einem einer völligen Reduction anheimfallenden Theil eine regelmässige Auf- einanderfolge der Entwieklungsstufen zu finden. Sieht man aus den ge- nannten Gründen vom distalen Theil der Caudalregion ab und vergleicht von den bezeichneten Entwicklungsstufen aus die aufwärts folgenden beim Chimpanzé und Hylobates, so sieht man, dass die Umformung des 25. Wirbels in einen Lumbosacralwirbel, der erste und zunächst einzige Act der Umgestaltung, der die Wirbelsäule des Chimpanze aus dem bezeichneten Zustande bei Hylobates herleitet, zugleich im Sinne einer divergenten Entwicklung beider Formen geschehen ist. Diese folgt aus den beiden Umständen, dass die Wirbelsäule von Hylobates den 25. Wirbel und damit auch den 24. und 23., die successive beim Chimpanzé von der Umformung ergriffen werden, auf ihren höheren Entwicklungsstufen in der gleichen Beschaffenheit bewahrt, während in derselben Entwicklungsperiode an anderen Ab- schnitten der Wirbelsäule von Hylobates dasselbe Ergebniss erzielt wird wie beim Chimpanzé, indem gleichfalls das 14. Rippenpaar schwindet und der Austritt des 30. Wirbels aus dem Sacrum erfolgt. Der Umformungsprocess hat also nur in einer Beziehung, was den 21. Wirbel anlangt, bei der Weiterentwicklung der Wirbelsäule von Hylo- bates dieselbe Intensität wie beim Chimpanzé; da aber bei Ersterem die Saerumbildung nicht in demselben Maasse auf die Lumbalregion über- greift. bleiben diese und das Sacrum auf primitiverer Stufe stehen, die nur in Betreff des 30. Wirbels aufgegeben wird, jedoch nicht in dem Maasse wie beim Chimpanzé, da hier der 30. Wirbel auch als 2. Caudal- wirbel gesehen wird. Es characterisirt sich die Divergenz in der Ent- _ wicklung beider Formen durch die Disproportionalität in der Umfor- mung der einzelnen Abschnitte, indem bei Hylobates im Vergleich zum Chimpanzé die Umformung der nächst präsacral gelegenen Wir- 158 Dr. Emil Rosenberg bel retardirt ist. Dass die Umformung bei Hylobates später auch am 25. Wirbel eintreten werde, ist um so wahrscheinlicher, als die relativ primitivste Stufe von Hylobates das Fortschreiten der Sa- erumbildung lehrt, da hier der 26. Wirbel lumbosacrale Form hat. Die Reihe der Entwicklungsstufen beim Menschen, die aus den im entwickelten Körper gegebenen Zuständen sich zusammenstellen lässt, begann (ef. pag. 135) mit einem Stadium, das, wie bereits hervorgehoben, bis auf einen Punet mit dem frühesten, zur Beobach- tung gelangten embryonalen Entwicklungsstadium, an dem die Bil- dung eines Sacrum bereits eingetreten, übereinstimmt. Diese Entwick- lungsstufe findet sich auch bei Hylobates vertreten, und wenn man von der Differenz am distalen Ende der Candalwirbelsäule ab- sieht, stimmt dieselbe in der Gruppirung der Wirbel vollkommen mit der Stufe 2 bei Hylobates überein. Obgleich nun aber für die’ Ver- eleichung mit den auf einander folgenden Entwicklungsstufen beim Menschen nur ein Stadium bei Hylobates übrig bleibt, ‘zeigt’ sich doch auch an diesem die Divergenz in der weiteren Entwieklung “der Wirbelsäule des Menschen und der von Hylobates. Letztere entwickelt sich weiter indem der 30. Wirbel aus dem Sacrum austritt, während für die menschliche Wirbelsäule die Umformung des 25. Wirbels das frühere Zeichen fortschreitender Entwicklung ist. Dieser Wirbel be- kommt bereits lumbosacrale Form, wenn der 30. Wirbel noch das Sacrum schliesst. ja er kann hierbei auch schon zum ersten Sacral- wirbel geworden sein, und hat zum mindesten (wie bei den Em- bryonen IV. 1 A und IV. 2) sehr entschiedene lumbosacrale Form, wenn der Austritt des 30. Wirbels aus dem Sacrum erfolgt. In Be- zug auf diesen letzteren Wirbel und die Reduction der distalen Cau- dalwirbel erreicht die Wirbelsäule von Hylobates dasselbe Maass der Umformung wie die menschliche, bleibt aber im Uebrigen weit hin- ter ihr zurück. Dass es eine Berechtigung hat, die relativ primi- tivste Entwicklungsstufe der menschliehen Wirbelsäule an ein Sta- dium von Hylobates zu schliessen, geht auch aus -dem Umstande hervor, dass beim Chimpanzé, bei dem die Entwicklungsstufen noch am weitesten zuriickreichen, keine sich findet, die mit der re- lativ primitivsten des Menschen übereinstimmt, diese hängt mit der primitivsten beim Chimpanzé aber insofern zusammen, als sie mit einer Stufe von Hylobates übereinstimmt, welche die nächst höhere Entwieklungsstufe derjenigen ist, an die sich, von der Richtung, die Hylobates einhält, abweichend, die primitivste des Chimpanze an- schliesst. Vergleicht man jetzt die auf einander folgenden Entwick- Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 159 lungsstufen beim Menschen mit denen vom Chimpanzé, bei beiden von der primitivsten ausgehend, so sieht man, dass bei beiden Formen die nächst höhere Stufe (7 beim Menschen, 6 beim Chimpanzé) bis auf einen Caudalwirbel, der sich beim Menschen mehr erhalten hat, vollkommen übereinstimmt. Dass dieses übereinstimmende Verhalten aber ein in zwei differenten Entwieklungsreihen erzieltes gleiches Ergebniss ist, geht nicht nur aus dem eben hervorgehobenen Um- stande hervor, dass fiir beide Reihen die Ausgangspuncte nicht zu- sammenfallen, man sieht es auch aus der Art, wie das-gleiche Er- gebniss zu Stande gekommen. Beim Chimpanze besteht die Iumbo- sacrale Form des 25. Wirbels schon zu einer Zeit, wo das 14. Rippen- paar als solches noch vorhanden ist; indem dieses schwindet und der 25. Wirbel seine Gestalt beibehält, resultirt die in übereinstim- nendem: Verhalten angetroffene Entwicklungsstufe, während beim Menschen das 14. Rippenpaar als solehes schon nicht mehr existirt, wenn dem: 25. Wirbel noch eine rein lumbale Form zukommt; hier also entsteht die in Rede stehende Entwieklungsstufe dadurch, dass der 21. Wirbel seine Form beibehält, hingegen der 25. sich umgestaltet ' und indem er Jumbosacrale Form annimmt, die Uebereinstimmung zu Stande kommen lässt. Die weiteren Entwicklungsstufen zeigen die Divergenz beider Reihen deutlich. Bei der menschliehen Wirbel- säule schwindet das 13. Rippenpaar während der Zeit, in welcher der 25. Wirbel erster Sacralwirbel wird, beim Chimpanze besteht das 13. Rippenpaar noch, auch wenn bereits der 23. Wirbel dem Sacrum assimilirt zu werden beginnt. In Bezug auf den 20. Wirbel ist die menschliche Wirbelsäule die höher differenzirte, was aber das Fortschreiten der Sacrumbildung anlangt, so ist die Wirbelsäule des Chimpanzé die in höherem Maasse umgeformte, zumal bei ihr der 29. Wirbel, der beim Menschen im Sacrum bleibt, schon als erster Caudalwirbel gesehen werden kann. Beim Orang findet sich in der rel. frühesten Entwicklungsstufe (8) ein 13. Rippenpaar nicht, in ihrer übrigen Beschaffenheit stimmt dieselbe mit der Entwicklungsstufe 5 beim Chimpanzé überein und könnte sich aus der letzteren ableiten durch Reduetion des 13. Rip- penpaares und Schwund dreier Caudalwirbel. Damit wäre ein ähn- liches Verhältniss gegeben, wie es bei der Vergleichung der Wirbel- säule des Chimpanzé und des Menschen sich zeigte, hier aber sicherer zu beurtheilen war; auch in der dem Orang angehörigen Reihe wäre auf differentem Wege eine Form der Wirbelsäule zu Stande gekommen, die auch der menschlichen Wirbelsäule zukommt, und 160 Dr. Emil Rosenberg es bezeichnet die hohe Differenzirungsstufe, auf der die Wirbelsiule des Orang überhaupt steht, dass die primitivste, jetzt bei ihm noch vorkommende Form die gleiche Gruppirung der Wirbel zeigt, die der Entwicklungsstufe der menschlichen Wirbelsäule, die zur Zeit die normale ist, zukommt, und in Betreff der Caudalwirbel in höhe- rem Grade redueirt worden ist, als das bei der menschlichen Wirbel- säule der Fall ist. Für die weitere Entwicklung der Wirbelsäule des Orang ist die Umformung, die der distale Abschnitt der Wirbel- säule erfährt, besonders bezeichnend, da dieselbe in höherem Maasse stattfindet als bei einer der anderen Formen. Der 29. Wirbel: ist beim Orang nur sehr selten noch im Sacrum enthalten, und wenn er der erste und zugleich einzige Caudalwirbel ist (3), findet kein Caudalwirbel beim Menschen, Gorilla und Hylobates sein Homologon beim Orang. Der 28. Wirbel, der bei den übrigen. Formen stets noch Sacralwirbel ist, hat beim Orang die Umformung zu einem Caudalwirbel erfahren. In der Umgestaltung der nächst priisacralen Wirbel erreicht die Wirbelsäule des Orang dasselbe Maass wie die vom Gorilla und Chimpanzé, übertrifft aber die beider Formen was die Entwicklung des 20. Wirbels anlangt, der sich beim Orang in der- selben Weise umformt wie beim Menschen, dessen Wirbelsäule im Uebrigen aber hinter der des Orang zurückbleibt, die als diejenige bezeichnet werden kann, an welcher der Process der Umformung den weitesten Fortschritt macht. Fasst man nun das Ergebniss der Vergleichung, so weit es die Beziehung der Formen zu einander betrifft, zusammen, so darf der Umstand hervorgehoben werden, dass, abgesehen von Hylobates, die den einzelnen Formen zukommenden Reihen der Entwicklungsstufen in ihren untersten Gliedern eine völlige oder nahezu vollkommene Uebereinstimmung mit niederen Stufen anderer Reihen zeigen und direct oder, für den Gorilla und Orang indireet, niederen Entwieklungsstufen von Hylobates sich anschliessen, in ihren höheren Stufen aber, indem die Umformungen in den einzelnen Abschnitten der Wirbelsäule für jede Form in besonderem Verhältniss zur Geltung kommen, divergent auseinandergehen. Letzteres Ergebniss scheint mir das wesentlichere zu sein, da dasselbe nicht beanstandet wer- den kann, wohl aber hinsichtlich der Berechtigung, die betrach- teten Reihen in der versuchten Weise an einander zu schliessen, Be- denken bestehen können und jedenfalls zuzugeben ist, dass die- Dar 1m Sage a : a4 Se BZ = is : ; =. 3 ae | 3 ush « ’ - rm a — . 4 ; ; 7 N \ = - 4 ' : ur; ‚| - 1 @ ’ a | = Se ; k : eu ' | ; 2 ~ a "1 ra 2 OT | Me >” . an TER t ' i ; 44. : os Orang. . 1. (819) d. (20—22) 1. 23.18. (24—27) 8. (28—30) cd. 1) * 2. (8—18) d. (19—23) 1. (2428) s. (29—30) ed. 2) 3. | Im cd. 8) 4. ; P ' (29—30) cd. 4) —19) d. (20—28) 1. (2498) g. || at ee * 1129-31) ed. >) 6. (29—32) ed. 6) 7. (8—19)d. (20—23) 1. 24. 1s. (25—®) s.7) 8. (819) d. (20—24) 1. (25—29) s. (30—31) ed. §) 1) Von BLAINVILLE (I. c. fase. I, pag. 29) beschriebene Wirbelsäule eines erwachsenen Thieres. Es werden zwar 4 Lumbalwirbel angegeben, vom letzten wird jedoch gesagt, er sei »interiliaque et méme articulée par ses apophyses transverses avec lileon, de maniére 4 paraitre faire partie du sacrum, d’autant plus que son apophyse épineuse est dans la direction de la créte medio-sacréex, daher ist der Wirbel als ls. bezeichnet worden. Dass der 27. Wirbel nicht »la remiére coceygienne soudé avec le sacrum« ist, unterliegt keinem Zweifel. Hierher gehört auch die von Duvprnoy (I. e. pag. 21, 23) beschriebene Wir- belsiiule eines erwachsenen »Orang de Bornéo, dit Singe de Wurmb«. Von den Caudalwirbeln ist nur der erste vorhanden. 2) Wirbelsäule des von TRINCHESE (l. c. pag. 24, 26, 27) beschriebenen Skelets »che fu con molta cura montato dal valente praeparatore Kerim«, Ueber die Beschaffenheit des 11. Rippenpaars und der Seitenfortsiitze des 19. Wirbels fehlen leider Angaben. 4) Eigene Beobachtung an einem in Alkohol conservirten noch nicht er- wachsenen Thier, die keinen Zweifel darüber liess, dass dasselbe nur einen einzigen Caudalwirbel besessen. Die Pars lat. im Bereiche des 28. Wirbels und zum Theil auch des 27. ist noch vollkommen knorpelig. Hierher gehört auch die Wirbelsäule eines erwachsenen (M.3 bereits angeschliffen) Exemplars der Heidelberger Sammlung ; der 29. Wirbel liegt als einziger Caudalwirbel vor, es hat aber der distale Rand desselben eine Beschaffenheit, die es unwahrscheinlich macht, dass bei der Präparation Wirbel verloren gegangen. Die Gewebsmasse, welche den Seitenfortsatz desselben mit der Spitze der Pars lat. verbindet, zeigt sich bei mikroskopischer Untersuchung nur aus derbem fibrillären Bindegewebe zusammengesetzt. 4) Eigene Beobachtung an einem jugendlichen (sein Milchgebiss noch be- « sitzenden) in Alkohol conservirten Individuum. In der Pars lat. im Bereiche des 27. und 28. Wirbels keine Verknöcherung eingetreten, dieser Theil der Pars lat. zeigt sich auf (mikroskopisch untersuchten) Frontalschnitten in der Form einer ziemlich dünnen Knorpelspange, welche die Seitenfortsätze des 27. und 28. Wirbels verbindet; das Analogon eines Lig. sacro-coceyg. lat., welches Em ie und 29. Wirbel verbindet, enthält nichts auf eine reducirte Pars lat. Be- zıehbares. 5) Diesen Zustand der Wirbelsäule repriisentiren 9 unter den von VROLIK iL e. pag. 8, 9, 10) aufgeführten Exemplaren. Hierher sind auch zu rechnen 3 von OWEN (ef. 6, pag. 763 s. N. 5057 und N. 5058 und pag. 764, 765 8. N. 5061— 5072) beschriebene jugendlichen Individuen angehörige Objecte, bei welchen indess die Grenze zwischen der Sacral- und Caudalregion , die den 24.—31, Wirbel enthalten, nicht feststellbar gewesen ist. Diesen BERENDRLEL ist, was die Lumbalregion und den proximalen Theil der Sacralregion anlangt, die von Duvernoy (I. c. pag. 21) beschriebene Wirbelsäule eines »Orang de Sumatra« anzuschliessen, die Caudalwirbel sind incomplet, und dass sich nur 4 Saeral- wirbel finden, dürfte wohl, auf eine partielle Zerstörung der Pars lat. durch die Präparation zu beziehen sein. , * _,*) Von Owen (ef. 1, pag. 362, 363) pl. 50) beschriebene und abgebildete Wirbelsäule eines erwachsenen (der Sammlung der Zool. Soc. angehörigen) Exem- Plars, an dem die »natural ligaments« erhalten sind. 5 Wirbel werden im Sacrum gezählt und 3 Caudalwirbel angegeben. Nach der Abbildung zu urtheilen, muss . Formeln der Wirbelsaule der anthropoiden Primaten. Gorilla. 1. (8—20) d. (21-22) 1. 23. 1s. (24—29) s. (30—33) ed. 9) 2 — (21—23) 1 (2429) s. (30—34) ed. 1°) 3. — (21—23) 1. 24.18. (25—29) s. (30—%). ed. 11) 4 = (21—24) 1 (25—29) s. (30—?) ed. 12) indess angenommen werden, dass auf das Sacrum 4 miteinander verschmolzene Caudalwirbel folgen, von denen der letzte (der 32. Wirbel) eine mediane Hin- kerbung besitzt. Was die Totalzahl der Wirbel und die Abgrenzung der prä- sacralen Regionen anlangt, gehört hierher auch die von Duvernoy (I. c. pag. 21) beschriebene Wirbelsäule eines »jeune Orang de Bornéo«, für den 4 Sacral- wirbel und 5 Caudalwirbel angegeben werden, was wohl darauf beruht, dass auch hier der scheinbar erste Bianka ein bei der Präparation abgetrennter Sacralwirbel ist, das ist um so wahrscheinlicher, als DUvERNoOY in Betreff dieses Objects sagt: » A la yérité, on pourrait compter la quatriéme sacrée tout aussi bien comme la premiere vertébre caudale«, d.h. wenn man auf den noch nieht verknöcherten Theil der Pars lat. kein Gewicht legt. 7), Wirbelsäule eines von Owen (cf. 1, pag. 362 pl. 49) untersuchten Exem- plars (dem Museum of the College of Surgeons of London angehirig). Dieselbe unterscheide sich von anderen »in having an additional lumbar vertebrae. Von diesem Wirbel heisst es: »The additional lumbar vertebra in the College spe- cimen indicates, however, its abnormal character by its form and situation: it is lodged deeper in the interspace of the ossa innominata than the last lumbar vertebra of the aduct Orang in the Museum of the Zoological Society; and the right transverse process is expanded like that of a sacral vertebra and is joined to the ilium in a corresponding manner«. Daher ist der Wirbel als ls. bezeich- net worden. Die Zeichnung liisst nur die Existenz von 5 Wirbeln in der Lumbal- region erkennen. Wie das Sacrum und die Caudalwirbel beschaffen sind, kann aus der Abbildung nicht ersehen werden und auch im Texte findet sich keine auf die genannten Theile dieses speciellen Objects zu beziehende Angabe: 5) Wirbelsäule eines alten 5 Individuums, welche von Owen (cf. 5, pag. 759, 760 No. 5050) kurz beschrieben worden ist. 8) Cf. Owen 6, pag. 6, 13, 14, 25, 26, pl. 12, fig. 2 (altes männliches In- dividuum; British Museum). Die Seitenfortsätze des 23. sind mässig verdickt aber (pag. 13) articuliren mit demIlium. Ueber die in derAbbildung sichtbaren 4Caudal- wirbel findet sich im Text keine Angabe. 10) Cf. Duvernoy 1. ce. pag. 35, 36, 39, pl. IX, Fig. D (altes männliches Exemplar des Pariser Museum). Duy. sagt zwar in Betreff der Sacral- und Caudalregion (pag. 39): »La premiere vertebre sacrée n’a plus le caractere des lombaires. C'est la troisiéme lombaire qui forme un angle avec la premiere sacrée; et la quatriéme lombaire de la femelle est devenue la premiere sacrée chez le male. Il y a quatre de ces derniéres vertébres qui tiennent aux iléons, et seulement quatre paires de trous de conjugaison. On peut compter ensuite six vertöbres caudales avec un septiéme tubercule rudimentaire« und pag. 36 werden 7 Caudalwirbel »sans trous de conjugaison« angegeben; Owen's (cf. 3, pag. 104) Beschreibung desselben Objects, die durch die Abbildung bei Duy. unterstützt wird, lässt jedoch annehmen, dass wenigstens auch noch der 29. Wirbel sich im Sacrum befinde; nachdem Owen von der vollkommenen Assimi- _lation des letzten Lumbalwirbels Beeprochen, sagt er: »as the first two of the coceygeal vertebrae have coalesced with each other and with the last sacral ver- tebra, the sacrum of this old male Gorilla, as characterized by coalescence, in- cludes not less than eight vertebrae. Da aber nicht speciell gesagt wird, dass einer oder beide Caudalwirbel auch an der Pars lat. betheiligt sind, so kann mit Sicherheit nur der 29. Wirbel noch dem Sacrum zugetheilt werden. 11) Cf. Duvernoy (l. c. pag. 35, 38, 39) und die bei BLAINVILLE 11. c. fase. I pl. I! bis.) gegebene Abbildung desselben Objects (altes weibliches, im Pariser Museum befindliches Individuum). Abbildung und Beschreibung lassen keinen Zweifel, dass der 24. Wirbel: als Lumbosacralwirbel zu bezeichnen ist Cf. an ae von OWEN (3, pag. 104) über diesen Wirbel Gesagte. Die Caudal- wirbel fehlen. (Cf. pag. 151—161.) Chim panzé. 1. (8—20) d. (21—22) 1. 23. 1s. (24—28) s. (29—33) cd. 18) oe a= (21—23) 1. (2428) s. (29-31) cd. 1) a (2123) 1. 24. 1s. (2529) s. (30—33) ed. 18) a (21—23)1. 24.1s. (2530) s. (31—32) ed. 18) De (21—24) 1. (25—29) s. (3034) ed. 17) De (21—24) 1. 25. Is. (26—30) s. (3134) ed.'s) 7. (S—21) d. (22241. 25.1s. (26—30)s. (31—36) ed. 19) 12) Of. Owen 3, pag. 94, 103, 104, 106, 107, pl. 35 fig. 1, pl. 36 fig. 1 und die an einem anderen Orte (5, pag. 792—795) über dasselbe Object (erwachsenes aber nicht altes Exemplar im Mus. R. Col. Surg.) gemachten Angaben. 13) Cf. Duvernoy 1. c. pag. 20. Von dem letzten der drei Lumbalwirbel sagt D., die Seitenfortsätze desselben seien »assez grandes pour toucher aux iléons«, daher der Wirbel als Is. bezeichnet worden. Im Sacrum findet D. 4 Wirbel, die Caudalregion bestehe aus 5 Wirbeln und einem »petit tubercule terminal, rudiment d'une sixiéme caudale ou épiphyse de la cinquiéme. D. be- hauptet zwar, die angegebenen Zahlen seien exact, da unter seiner Aufsicht das Skelet, welches noch die Bänder besitze, präparirt worden sei; da es sich aber um das Skelet eines jungen Thieres handelt, und D. angibt, die beiden ersten Caudalwirbel hätten Seitenfortsätze, so muss, obgleich es mehr Interesse hätte, wenn der 27. Wirbel der letzte Sacralwirbel wäre, doch angenommen werden, dass der 28. (bei der Präparation abgetrennte) der letzte Sacralwirbel gewesen ist. 14) Cf. Owen 5, pag. 770—776. dividuums. 15) Cf. Duvernoy |. c. pag. 21 und 39, pl. IX fig. C. Wirbelsäule eines erwachsenen Trogl. Tschégo. Die Beschreibung enthält Widersprüche, die Ab- bildung lässt aber darüber keinen Zweifel, dass dem 4. Lumbalwirbel exquisit lumbosacrale Form zukommt, das Sacrum 5 Wirbel enthält und 4 Caudalwirbel vorliegen. Hierher gehören auch, was die Gruppirung der priisacralen Wirbel und die lumbosacrale Beschaffenheit des 24. Wirbels anlangt, drei von OwEn (5, pag. 769 No. 5084, No. 5085 und pag. 781 No. 5173) beschriebene Wirbelsäulen, bei welchen jedoch die Grenze zwischen der Saeral- und Caudalregion nicht feststellbar gewesen ist. Auch die von Vrorık (I. ec. pag. 7) untersuchte Wir- belsäule schliesst sich hier an, indem der 24. Wirbel exquisit lumbosacrale Form hat (die distale Grenze des Sacrum scheint nicht sicher festgestellt zu sein). 16) Cf. Owen 5, pag. 767, 868. Wirbelsäule eines alten weiblichen Indi- viduums. Die Seitenfortsiitze des 4. Lumbalwirbels seien vergrössert »by the development of a thick anapophysis at their back part, which here articulates with the first sacral vertebra. Cf. auch pag. 775 über die lumbosacrale Form dieses Wirbels. Dieselbe Beschaffenheit (Caudalwirbel unvollständig) zeigt auch die von Owen 1, pag. 250 beschriebene Wirbelsäule, ef. auch 1, pl. 50. 17) Eigene Beobachtung an einem jungen, in Alkohol conservirten Exemplar. Die gleiche Beschaffenheit besitzt auch die von FRANK CHAMPNEYS (I. c. pag. 176) beobachtete Wirbelsäule, bei welcher jedoch die Grenze zwischen dem Sacrum und der Caudalregion nicht festgestellt worden. 18) Die erste Wirbelsäule eines Chimpanzé, die bekannt geworden, die von Tyson (l. e. pag. 69, 70) untersuchte, repräsentirt den bezeichneten Zustand der Wirbelsäule. Tyson gibt 5 Lumbalwirbel an, sagt aber »the os ilium of each side does ascend so high, as to include the two lover vertebrae«, daher ist der 25. Wirbel wohl als Lumbosacralwirbel zu bezeichnen; dafür spricht auch die (allerdings etwas mangelhafte) Abbildung (cf. fig. 5) ; hinsichtlich der Bezeichnung der proximalen Grenze des Sacrums liegt in der Abbildung offenbar ein lapsus calami vor, wäre die Bezeichnung richtig, so stünde die Abbildung mit dem Text in einem Widerspruch, da dann nur ein Lumbalwirbel vom Ilium einge- schlossen würde. 19) Eigene Beobachtung an einem in Alkohol conservirten Exemplar, an Wirbelsäule eines alten männlichen In- Zu 8. 160/161. Hylobates. 1. (8—20) d. (21—25) 1 (26—29) s. (30—32) cd. 20) 2. (8—20) d. (21—25) 1. (26—30) s. (31—32) ed. 21) 3. (8—21) d. (22—25) 1 (26—30) s. (31—34) ed. 22) 4. (8—21) d. (22—25) 1. 26. 1s. (27—30)s. (31—34) ed. 23) welchem das 14. Rippenpaar ein eigenthiimliches Verhalten zeigte. Am 21. Wir- bel findet sich am Bogen an der Stelle, wo derselbe in den Wirbelkörper tiber- geht und zwar niiher dem proximalen Rande des ersteren, ein kleiner Hicker, an welchem durch Bandmasse das vertebrale Ende eines 1,4: langen, in toto verknöcherten Rippenrudimentes geheftet ist, das entgegengesetzte Ende des- selben steht frei, nahe demselben findet sich an der dorsalen Fläche der Rippe ein Vorsprung, der an einen Fortsatz des Bogens durch Bandmasse geheftet ist, welcher Fortsatz kleiner aber ebenso situirt ist, wie die Seitenfortsätze der Wirbel 22—24. Zwischen der Rippe, bei welcher somit Capitulum und Tubereulum noch angedeutet sind, und dem Bogen findet sich nur weiches Bindegewebe. Links besteht eine ganz ähnlich gestaltete rudimentäre Rippe, es findet sich aber, von der Spitze des Rippenrudiments durch einen Zwischenraum von 2,5°™ getrennt, in der Bauchwand, parallel der 13. Rippe, ein 2,2cm langer, einige mın im Durchmesser haltender, stabförmiger Skelettheil, dessen dem Rippenrudiment zugewandte Hälfte knöchern, die andere knorpelig ist. An den distalen Rand dieses Theils inseriren sich Fasern des M. quad. lumb., vom proximalen Rande des knorpeligen Theils geht an den distalen Rand der 13. Rippe ein M. inter- costalis int. Der in Rede stehende Skelettheil kann sonach nur ein Theil der 14. Rippe sein, welche bei der Reduction in 2 Abschnitte zerfällt worden, von denen der kleinere am Wirbel sitzt. Rechts war in den durch die Zersetzung mehr alterirten Weichtheilen nur ein kurzer Knorpelstab aufzufinden, der nicht mehr in situ lag, selbstverständlich aber ebenfalls als abgesprengter Abschnitt der 14. Rippe anzusehen ist. — Der 34. und 45. Wirbel sind verknöchert, mit einander verschmolzen, aber doch deutlich abgrenzbar, der 36. ist durch ein kleines kugliges Knöchelchen repräsentirt, welches dem distalen Rande der dor- salen Fläche des 35. Wirbels fest aufsitzt. %) Wirbelsäule von Hyl. syndactylus. Cf. Duvernoy |. c. pag. 22 und 40. Von den Caudalwirbeln fehlt keiner. Dieselbe Beschaffenheit (die Caudalwirbel fehlen nur) zeigt auch die von VROLIK |.c. pag. 8, 9, 10 beschriebene Wirbelsäule von H. syndact. 21) Repräsentirt durch die von Owen 6, Wirbelsäule eines H. leueiscus und die an erwähnte Wirbelsäule eines H. lar. 22) Von Owen (ef. 5, pag. 756 und 757 N. 5029) beschriebene Wirbelsäule eines Hyl. spec. 3, Eigene Beobachtung an einem Skelet in dem anatomischen Museum in Heidelberg (spec.?). Die Verbindung des 26. Wirbels mit dem 27. ist durch eine Intervertebralscheibe vermittelt, beide Wirbel bilden ein deutliches Promontorium, der rechte Seitenfortsatz des 26. Wirbels ist in seinem basalen Theil nicht un- beträchtlich verdickt, nimmt gegen die Spitze hin an Volum ab, diese ist durch Bandmasse an das Ilium geheftet (eine Articulation scheint nicht zu bestehen). Links ist der Seitenfortsatz stärker verdiekt, die Endfläche seiner Spitze liegt dem Ilium dicht an (es scheint nur eine syndesmatische Verbindung zu be- stehen) , die Endfliiche des Fortsatzes und seine distale Fläche laufen in eine vorspringende Kante aus, welche von der proximalen Endfliiche der Pars lat. durch einen etwa 2™™ betragenden Zwischenraum getrennt ist. Der 26. Wirbel wird vollkommen vom Ilium überragt, eine die höchste Convexität der Cristae oss. ilium berührende Horizontalebene durchsetzt den 25. Wirbel nahe seiner proximalen Endfläche. Dass der 31. Wirbel nicht auch zum Sacrum gehört habe, ist nicht mit Sicherheit zu verneinen, da bei der Präparation des einem jugendlichen In- dividuum angehörigen Skelets leicht die betreffende Partie der Pars lat. be- schädigt sein konnte, die noch erhaltene, die Seitenränder des 30. und 31. Wir- bels verbindende Gewebsmasse bestand nur aus Bindegewebe. Wahrscheinlich fehlt ein Caudalwirbel. — ag. 755, 756 s, N. 5026 aufgeführte emselben Orte pag. 756 s. N. 5027 Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 161 selbe nicht die einzig mögliche ist. Es liessen sich für den Gorilla diesel- ben niederen Entwieklungsstufen voraussetzen (die bei reichem Mate- rial wohl auch nachzuweisen wären), wie sie beim Chimpanzé sich finden, was die Reihe des Gorilla an dieselbe Stufe von Hylobates anschliessen liesse, an welche die Reihe der Entwieklungsstufen beim Chimpanzé anknüpft; ebenso könnten auch in Betreff des Oxang Zustände existiren, die auf dieselbe Entwicklungsstufe von Hylobates hinführen, die mit der relativ primitivsten des Menschen überein- stimmt. Dabei müsste nur angenommen werden, dass der Betrag der Umformung, den jede Form selbstständig erfährt, ein grösserer ist, als ihn die vorliegenden Reihen wahrnehmen lassen, eine An- nahme, die selbstverständlich schon deshalb zuzulassen ist, weil kein Grund besteht, das aus den vorliegenden Reihen ersichtliche Maass der Umformung für das Maximum der selbstständig “zu Stande ge- kommenen Umgestaltung zu halten. Man könnte sich aber auch auf den Umstand beziehen, dass, wie bei der Vergleichung der dem Menschen und dem Chimpanzé zukommenden Reihen nachzuweisen war, das gleiche, alle Abschnitte der Wirbelsäule betreffende Ergebniss zwei- mal zu Stande gekommen (wie auch im Uebrigen innerhalb kleine- rer Abschnitte der Wirbelsäule die gleichen Zustände in direct unab- hängiger Weise resultiren) und, hierauf gestützt, die Möglichkeit statuiren, dass die Uebereinstimmung mit gewissen Entwicklungsstufen von Hylobates, die für die vier übrigen Formen theils nachweisbar theils voraussetzbar ist, nur eine solche sei, die in verschiedener Weise zu Stande gekommen und somit als eine trügerische zu betrachten wäre. Aber auch diese Möglichkeit kann die nachweisbare Diver- genz in der Entwicklungsrichtung der betrachteten Formen ihres Werthes nicht berauben, diese nöthigt dazu, die Existenz von Aus- gangspuncten zu statuiren, von denen aus die Divergenz stattgehabt hat, wobei es im Hinblick auf die erörterten Möglichkeiten eine offene Frage bleiben muss, wie weit diese Ausgangspunete zurück- liegen und ob dieselben direet oder indireet mit einander verbunden sind. In Bezug auf die hier existirenden Möglichkeiten scheint mir, wegen der zur Hylobates sich ergebenden Beziehungen, die Auffas- sung nicht ganz unbegründet, welche das Genus Hylobates als ein solches anspricht, bei dessen jetzt lebenden Vertretern noch am mei- sten von den Eigenthümlichkeiten einer diesem Genus und zugleich - den übrigen Formen zu Grunde liegenden Stammform sich erhal- ten hat. Morpholog. Jahrbuch. 1. 11 162 Dr. Emil Rosenberg = Die Betrachtung der Umgestaltung der menschlichen Wirbelsäule sing von der Form dieses Scelettheiles aus, die als primitivste im entwickelten Körper des Menschen in seltenen Fällen bestehen bleibt und bei zwei Arten von Hylobates sich vertreten findet und es er- übrigt jetzt, anknüpfend an das Verhalten des 26. und 31. Wirbels beim Embryo und die Existenz von Rippenrudimenten am 21. bis 26. Wirbel diejenigen bei anderen Primaten im entwickelten Zustande gegebenen Einrichtungen hervorzuheben, welche auf diese embryo- nalen Vorkommnisse Bezug haben und als weiter zurückliegenden Stadien angehörig betrachtet werden können. Was den 26. Wirbel anlangt, so wurde bereits erwähnt, dass die bei einem Embryo beobachtete unvollkommene Verschmelzung. desselben mit der vom 27. bis 30. Wirbel gebildeten, ein Continuum darstellenden Pars la- teralis auf den Umstand Bezug hat, dass bei den meisten ) Cynopi- thecinen der 26. Wirbel der letzte Lumbalwirbel ist. Einen Ueber- gang zu diesem Verhalten bietet die primitivste bei Hylobates vor- kommende Wirbelsäule, in welcher der 26. Wirbel lumbosacrale Form hat. An dieser Wirbelsäule besitzt der 31. Wirbel keine Beziehung zur Pars lateralis des Sacrum, er hat auch nicht die beim Embryo beobachtete Form eines Sacrocaudalwirbels, sondern liegt als erster Caudalwirbel vor. Unter den Cynopithecinen findet sich, soviel mir bekannt, keine Species, bei der der 31. Wirbel mit dem Sacrum verbunden wäre, hier ist gewöhnlich der 30. Wirbel der erste Caudalwirbel, ja bei Semnopithecus entellus?), wo das Sacrum wie bei den meisten iibrigen Cynopithecinen mit dem 27. Wirbel beginnt, ist der 29. Wirbel der erste Caudalwirbel. Auf dieses Verhalten wird später zurückzukommen sein, hier interessiren zunächst Formen, die unter den Cebinen und Lemuriden vorkommen, deren Wirbel- säulen, was die Gruppirung der Wirbel anlangt, eine morphologische Reihe bilden, die einerseits sich der zuletzt erwähnten Wirbelsäule von Hylobates anschliesst, andererseits mit der am wenigsten ver- änderten Form, die unter den lebenden Vertretern der Ordnung noch erhalten ist, endet, die somit in Betreff der Anthropoiden und des Menschen die Hauptstadien des Umformungsprocesses (wobei zu ') Ausnahmen finden sich im Genus Cynocephalus, wo bei C. porearius und mormon (cf. Owen 5, pg. 732, 733, 735) der 26. Wirbel sich schon als erster Sacralwirbel vorfindet. Bei Cynopithecus niger findet sich dieser Wirbel als vorletzter Lumbalwirbel an dem von OwEN (5, pg. 744) unter der Bezeichnung »Black Monkey (Macacus niger)« beschriebenen Object. DA 2) cf. OWEN 5, pg. 752. Ueber die Entwickl. der Wirbelsiitle u. das Centrale carpi des Menschen. 163 berücksichtigen, dass es sich um gleichzeitig lebende Formen han- delt) repräsentirt. Das Verhalten der hier in Betracht kommenden sechs Formen ist nachstehend verzeichnet. Cebus (spec.) (8S—21) d. (22—27) 1. (28—30) s. (31—54) cd.) Indris (S—20) d. (21—28) 1. (29—32) s. (33—43) ed. 2) Nyctipithecus felinus (8—21) d. (22—29) 1. (30—32) s. (33—52) ed. 3) ) s. (34—39) ed. 4) Loris (8—22) d. (23—31) 1. (32—34) s. (35—39 + 1?) ed. 4) ( ( Loris (8—21) d. (22—30) 1. (31—33 ( ( Nyeticebus tardigradus (8—23) d. (24—31) 1. (32—37) s. (38—42) ed. 6) Diese Wirbelsiiulen zeigen, was zuniichst die Sacrumbildung an- langt, dass dieselbe bei den verschiedenen Formen, wenn von Nyc- ticebus ausgegangen wird, in fast stetiger Stufenfolge successive weiter proximal gelegene Wirbel betrifft, und wenn die Bestimmung der speciellen Homologieen richtig ist, woran zu zweifeln ein Grund nicht vorliegt, müssen auch diese Verhältnisse im Sinne einer fortschrei- tenden Sacrumbildung aufgefasst werden, und dass diese eine pro- ximalwärts fortschreitende ist, wäre nur dann zu bezweifeln, wenn das Ilium mit dem ersten Sacralwirbel sich nicht im Contaet fände. Dass das Ilium ausschliesslich dem ersten Sacralwirbel anlagert, wird von BLAINVILLE für Nyeticebus und Loris (in Bezug auf Nyctipi- theeus geht es aus der Abbildung hervor) speciell angegeben. Geht man nun bei der Vergleichung der vorgeführten Objecte vom 31. Wirbel aus, so zeigt sich, dass dieser Wirbel, der beim menschlichen Em- 1) Formel der beiden von OWEN (5, pg. 726, 727 d. Nr. 4677 und 4681) aufgeführten Objecte. 2) Formel des von BLAINVILLE (I. e. fase. III pg. 19—21 pl. IV beschriebe- nen Exemplars. 3) Formel des von BLAINVILLE |. c. fase. II pg. 20 beschriebenen und pl. III unter dem Namen Douroucouli (C. trivirgatus) abgebildeten, vollständigen, unter Bu.’s Aufsicht präparirten Skeletes des von Fr. Cuvier (Mammiferes de la M£nag. pl. 72) abgebildeten Thieres. Die Bezeichnung, die BL. diesem Object ge- geben, ist durch einen Irrthum Fr. Cuvier’s veranlasst, wie Is. GEOFFROY Sr. HILAIRE (l. ec. pg. 38, 39) nachweist. 4) Formel des von Owen (5, pg. 718 d. Nr. 4632) unter der Bezeichnung Stenops gracilis (slender Lemur) beschriebenen Objects. 5) ef. BLAINVILLE |. e. fase. III pg. 16. 6) Formel des von BLAINVILLE (1. e. fase. III pg. 13—15) beschriebenen, pl. II unter der Bezeichnung Lori paresseux (L. tardigradus) abgebildeten Objects. Vom Sacrum sagt Bl., es sei sehr schmal und lang und gibt ferner an: »il comprend en effet, outre les trois vertébres ordinaires et sans distinction, les trois cocey- giennes anterieures«. Daher sind von den 7—8 Caudalwirbeln, die von BL. an- gegeben werden, drei als zum Sacrum gehörig bezeichnet worden, dies wird auch durch die Abbildung einigermassen gerechtfertigt, die übrigens die Grenze zwi- schen dem Sacrum und den Caudalwirbeln nicht genau ersehen lässt. 11* 164 Dr. Emil Rosenberg bryo in der Form eines Sacrocaudalwirbels vorlag und damit auf eine frühere Zugehörigkeit zum Sacrum hinwies, diese Beziehung bei Cebus zwar schon verloren hat, dagegen bei Indris sie noch be- sitzt, wo ihm die vorletzte!) Stelle im Saerum zukommt. Da aber dieser Wirbel bei Nyetieebus und einem Exemplar von Loris der letzte Lumbalwirbel ist, so folgt daraus, dass auch der 27. bis 30. Wirbel beim Menschen, die, soweit sie der embryologischen Unter- suchung zugängig waren, sich stets (oder, den 30. anlangend, auf früherer Entwicklungsstufe) als Sacralwirbel zeigten, in weiter zurück- liegenden Zuständen lumbale Beschaffenheit gehabt haben und das gilt auch von den gleichen Wirbeln aller übrigen Formen und es folgt ferner, dass die vom 31. Wirbel aus distal gelegenen Wirbel des Menschen (seine jetzigen Caudalwirbel) früher Sacralwirbel ge- wesen sind. Für Sacra, die Wirbel bis zum 32. inel. einschliessen, geht aus der Vergleichung der vorstehenden Formen unmittelbar hervor, dass der letzte Wirbel als Sacralwirbel der älteste Theil des jeweilen vorliegenden Sacrum ist und das lässt auch die Verhältnisse von Loris und Nyeticebus in der gleichen Weise beurtheilen und, in Bezug auf beide, frühere Formen voraussetzen, bei denen auch die Wirbel vom 33. bis zum 37. als erste Sacralwirbel erscheinen. Kommt diese Stellung dem 37. Wirbel zu, so würde sich in diesem Fall die Extremität einem Wirbel anschliessen, der bei den Anthropoiden und dem Menschen kein Homologon mehr hat, somit ein Verhältniss gegeben sein, wie es unter jetzt lebenden Formen zwischen Nyetipi- theeus, Loris und Nyeticebus einerseits und dem Orang andererseits besteht, indem die im Sacrum enthaltenen Wirbel (und ein resp. 2 Lumbalwirbel) der Ersteren beim Orang nicht mehr vertreten sein können. Ist der 37. Wirbel bei Nycticebus der älteste Saeral- wirbel, so darf behauptet werden, dass die hintere Extremität in der Reihenfolge der Formen, die mit den jetzt leben- den Vertretern des Genus Hylobates endet, um eine 11 Wirbel betragende Strecke, die in Betreffdes Menschen noch um einen Wirbel, beim Orang, Chimpanzé und Go- rilla um 2 Wirbel sieh verlängert, -proximalwirts fort- gerückt ist. Im Hinblick auf dieses Verhalten erscheint das beim menschlichen Embryo constatirte Vorrücken des Extremitätengürtels als ') Als letzter Sacralwirbel erscheint der 31. Wirbel bei Galeopithecus volans, wo (ef. BLAINVILLE 1. ce. Fase. III pg. 27—29) das Sacrum vom 27. bis 31. Wirbel gebildet wird. Si Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 165 Theilerscheinung eines Vorganges, derin viel grösserer Ausdehnung stattgehabt und der, was sehr bezeichnend er- scheint, seine obere Grenze beim Menschen im entwickelten Zustand erlangt; auch könnte der Umstand, dass das Ilium mit der dem distalen Ende der späteren Fac. aurie. desselben entsprechenden Partie beim Embryo zuerst mit der Wirbelsäule in Contaet tritt, viel- leicht dadurch interpretirt werden, dass mehr distal gelegene Wirbel die älteren Beziehungen zum Ilium haben. Das bezeichnete Maass der Lageveriinderung ') des Extremitätengürtels lässt voraussetzen, dass beim Menschen auch die distalwärts vom 31. Wirbel gelegenen Wir- bel (bei den übrigen Formen die Wirbel bis zum 37.) früher Lum- balwirbel gewesen sind (wobei der letzte beim Menschen vorauszu- setzende Lumbalwirbel, der 36. der Reihe, überhaupt nicht mehr an- gelegt wird), dann successive unter dem Einfluss der Lageveränderung des Extremitätengürtels Sacralwirbel geworden und endlich (was auch für den 30. und 31. Wirbel gilt) zu Caudalwirbeln umgeformt wor- den sind. Wenn in Betreff des Sacrum des Menschen und der An- thropoiden die Möglichkeit, dass ein oder mehrere Caudalwirbel zum Zustandekommen des distalen Theiles des Sacrum beigetragen, früher mit Sicherheit nicht auszuschliessen war, so ist diese Möglichkeit gegenüber den eben erörterten Verhältnissen aufzugeben. Auf Grund- lage derselben lässt sich das Sacrum der bis jetzt betrachte- ten Formen definiren als ein aus Lumbalwirbeln ent- standener Wirbeleomplex, der einen Theil der Wirbel- säule bezeichnet, welcher zu dem Ilium Beziehungen besessen hat und noch besitzt. Diese Auffassung dürfte auch ‚ ') Es liegt nahe, zu vermuthen, dass mit der Lageveränderung des Extremitä- tengürtels und der damit verbundenen Umformung und nicht unbeträchtlichen Ver- kürzung des Rumpftheiles der Wirbelsäule die am distalen Abschnitt des Rücken- markes eintretende Reduction desselben in einem Zusammenhang stehe, indem diese Reduction, die zunächst wohl durch den Schwund einer Caudalwirbelsäule eingeleitet wird, unter dem Einfluss der Verkürzung der Rumpfwirbelsäule und Reduction der hierdurch entstehenden Caudalwirbel weiter fortschreiten könnte. Die Reduction eines Theiles des Centralorgans muss aber eine Verminderung der Spinalnervenpaare (auf welche beim Menschen die seltene Existenz eines 32. Paares hinweist) zur Folge haben und wo eine solche eintritt, wäre ein ur- - Ssichliches Moment gegeben fiir die Umformung der Plexus sacralis und lumbalis, . die, wie früher erwähnt wurde, als eine Begleiterscheinung der Umformung der Wirbelsäule vorauszusetzen, eine Veranlassung vorliegt. Die Frage, ob diese Vermuthungen thatsächlich zu begründen sein würden, scheint mir einer Unter- suchung werth zu sein. 166 Dr. Emil Rosenberg eee, fiir andere Säuger'!), abgesehen von denjenigen, bei welchen auch das Ischium mit der Wirbelsäule in Berührung ?) tritt, Geltung haben. Wo dieses der Fall ist, ordnen sich die in einem einzelnen Sacrum enthaltenen Wirbel insofern einander unter, als die distal gelegenen die älteren Sacralwirbel sind. Die specielle Homologie der Sacra kann selbstverständlich nur in dem Maasse vorhanden sein, als speciell homologe Wirbel in denselben enthal- ten sind, in Betreff der Form können Sacra nur als ana- loge Gebilde gelten. Am prägnantesten zeigt sich das dann, wenn die Wirbel im Sacrum einer Form in Wirbeln einer anderen Region der Wirbelsäule ihre speciellen Homologa finden, wie z. B. beim Menschen im Vergleich zu Loris, wo die Sacralwirbel des Erste- ren Lumbalwirbeln des Letzteren und die Sacralwirbel des Letzteren Caudalwirbeln des ersteren homolog sind, und wenn, wie in dem früher erwähnten Beispiel, welches Nycticebus und der Orang bieten, die !) Es kann nicht bezweifelt werden, dass diese Auffassung gegenüber den- jenigen jetztlebenden Formen berechtigt ist, bei welchen lumbosacrale Ueber- gangsformen bekannt sind und die Beziehungen des Ilium zum Sacrum nicht gestatten, eine Umformung, die (was für Säuger überhaupt unwahrscheinlich scheint) in entgegengesetzter Richtung geschähe, anzunehmen. Lumbosacrale Ucbergangsformen sind beim Hunde von FRIEDLOWSKY (ce. f. 1, pg. 525) und FRENKEL (l. e. pg. 414 Tf. XXIL Fig. 26) beobachtet worden. Letzterer Autor hat auch bei einem Nager (l. e. pg. 411 Fig. 27) eine exquisite hierhergehörige Ueber- gangsform beobachtet. Hierhergehörige Beobachtungen dürften sich in dem Maasse mehren, als eine grössere Zahl von Wirbelsäulen einer und derselben Species untersucht wird. Für sehr weit zurückliegende Zustände des Säuger- sacrum muss die Möglichkeit offen gelassen werden, dass eine Form existirt habe, bei der ein Sacralwirbel vorhanden, der sein specielles Homologon in einem Sacralwirbel einer Form fände, die einer anderen, niedriger stehenden Abtheilung angehört, und bei welcher dieser Sacralwirbel nicht aus einem Lumbalwirbel entstanden zu sein brauchte. Ich muss es hier unterlassen, auf diejenigen Ver- hältnisse einzugehen, die nach Maassgabe der darüber in der Literatur enthal- tenen Angaben es schon jetzt wahrscheinlich machen, dass auch in anderen Abtheilungen (Urodelen, Saurier, Crododilinen) eine fortschreitende Bildung eines »Sacrum« statthat. ?; Dass bei den Edentaten Sacralwirbel aus Caudalwirbeln entstehen, indem auch das Ischium mit der Wirbelsäule in Beziehung tritt, ist sehr wahrscheinlich. Hier würde sonach ein analoges Verhältniss existiren, wie im Sacrum der Vögel, In Betreff des letzteren hat GEGENBAUR, wie bekannt, eingehend nachgewiesen, dass dem primären Sacrum eine beträchtliche Zahl sacrale Beschaffenheit erhal- tender Caudalwirbel sich anschliesst. Neuerdings für Myrmecophaga bekannt gewordene Verhältnisse lassen es nicht unwahrscheinlich erscheinen, dass, auch wenn das Ischium zur Wirbelsäule Beziehung hat, eine fortschreitende Sacrum- bildung stattfinden könne, E ROTE fie > eee me ce gi ’ - * t Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 167 Sacralwirbel der einen Form bei der anderen Homologa überhaupt nicht finden. Solche Beispiele, die sich leicht mehren liessen, machen es un- möglich, wenn es sich um Abschnitte der Wirbelsäule handelt, die nicht als relativ sehr stabile bezeichnet werden können, in Betreff der Bestimmung der Homologieen irgend welchen Werth auf die Form der zu vergleichenden Wirbel zu legen. Diese Beispiele schliessen sich den von GEGENBAUR mitgetheilten !), den Verhältnissen der Wirbel- säule der Vögel entnommenen, an; diese haben es bereits gezeigt, wie differente Wirbel in formaler Beziehung täuschende Aehnlichkeit besitzen können. Dass diese Verhältnisse die Feststellung der Ho- mologieen erschweren, ist bereits von GEGENBAUR hervorgehoben worden (4 pag. 169). Mit Bezugnahme auf solche Verhältnisse be- tont GEGENBAUR auch (4 pag. 202), dass die Beachtung der gestaltlichen Assimilirung von Skelettheilen mit benachbarten, ursprünglich ver- schiedenen deshalb besonders wichtig ist, weil durch diese »die morpho- logische Bedeutung der Theile oft in tiefes Dunkel gehüllt wird«. Das bestätigt sich auch in den hier in Rede stehenden Verhältnissen, indem die specielle Homologie der Theile vollkommen verkannt wer- den würde, wenn nur die Form bei der Beurtheilung derselben in Betracht käme. Hiermit soll selbstverständlich die Form nicht als bedeutungslos bezeichnet werden. RÜTIMEYER?), der die Veränder- lichkeit der Form des Skeletes und des Gebisses in ihrer allgemeinen Bedeutung eingehend erörtert hat, macht darauf aufmerksam, dass die Form, in der derselbe Theil sich darbiete, jederzeit herzuleiten sei aus früheren Zuständen und den Boden und Ausgangspunet für spätere bilde. Dieses für die nähere Kenntnissnahme der Geschichte des Skeletes belangreiche Verhältniss sichert der einzelnen Form ihren Werth. Für dieses Verhältniss dürfte sich auch in der Schilderung der Formzustände der menschlichen Wirbelsäule eine Bestätigung er- geben haben. Im Anschluss hieran wäre noch auf die Thatsache einzugehen, dass bei verschiedenen Formen eine verschiedene Zahl von Wirbeln im Sacrum sich findet. Diese Thatsache aus der Annahme des Hinzutritts einer verschieden grossen Zahl von Caudalwirbeln zum 1) Besonders interessant erscheint der erste Acetabularwirbel bei Hühnchen wegen seines Verhaltens in embryonalen Entwicklungsstadien im Vergleich zu den Zuständen im erwachsenen Körper (ef. 4 pg. 168, 169, 195 Fig. V.. 2) cf. besonders 1 pg. 303—313, 165 Dr. Emil Rosenberg Sacrum zu interpretiren, ist bei der hier vertretenen Auffassung des Sacrum nicht möglich, diese nöthigt dazu in den Fällen. wo eine geringere Zahl von Sacralwirbeln sich findet, dies als einen Ausdruck dafür aufzufassen, dass eine fortschreitende Sacrumbildung weniger Wirbel gleichzeitig im Sacrum vereinigt sein lässt. Für diesen Modus des Fortschreitens bieten Cebus und Ateles Beispiele. Bei dem oben eitirten Exemplar von Cebus spec. finden sich der 28. bis 30. Wirbel im Sacrum, während bei anderen in dasselbe Genus gehö- rigen Exemplaren (capueinus, !) spec., 2) apella*)) der 27. bis 29. Wirbel das Sacrum bilden. An einem Skelet von Ateles (angeblich hypoxanthus) finde ich den 26. Wirbel in lumbosacraler Form, den 27. bis 29. im Sacrum, während an einem andern Exemplar der 26. bis 28. Wirbel das Sacrum bilden®). A. paniscus®) zeigt den 25. Wirbel als Lumbosacralwirbel, der 26. bis 28. sind Sacralwirbel, womit der Uebergang gegeben ist zu weiterem Fortschreiten der Saerumbildung, die dahin führen dürfte, dass der 25. bis 27. Wirbel ‘das Sacrum zusammensetzen. Solehe Beispiele würden sich bei Cynopithecinen, wenn aus jeder Species eine Anzahl von Exemplaren betrachtet würde, ebenfalls finden, die angeführten Beispiele dürften aber wohl dazu berechtigen, auch bei den Cynopithecinen den Umstand, dass das Sacrum bei den meisten derselben mit dem 29. Wirbel abschliesst, während es mit dem 27. beginnt, in der gleichen Weise zu beurtheilen. Was nun die Frage anlangt, weshalb bei verschiedenen Formen eine verschie- dene Zahl von Wirbeln im Sacrum sich findet, so kann ich dieselbe nicht beantworten und möchte nur einige Bemerkungen zur Interpre- tation der Thatsache machen. Die Maximalzahl der bei Primaten gleichzeitig im Sacrum ent- haltenen Wirbel, wie sie bei den Anthropoiden und dem Menschen sich findet, trifft hier durchweg mit der Existenz eine nur sehr wenige und redueirte Wirbel enthaltenden Caudalregion zusammen, und Aehnliches findet sich auch in anderen Abtheilungen. So finden sich bei Cynocephalus mormon ®) 4 Sacralwirbel und 9 oder 10 ziem- '! ef. Owen 5 pg. 725 Nr. 4670 und 4671. 2) cf. OWEN 5 pg. 725 Nr. 4672. 3) ef. BLAINVILLE I. c. fase. Il pg: 2, 6, ') Das findet auch bei dem von OwEn 5 pg. 728 aufgeführten Exemplar von A. Belzebuth statt. 5) cf. OwEN 5 pg. 729—31 Nr. 4693—4701. 6) cf... OWEN 5 pg. 132, 733 Nr. 4719, ot — Bia atone Ueber die Entwickl. der Wirbelsiiule u. das Centrale carpi des Menschen. 169 lich stark reducirte Caudalwirbel, bei Indris !) sind 4 Sacralwirbel vorhanden und gleichzeitig 9 Caudalwirbel, das oben eitirte Exem- plar von Nycticebus besitzt 6 Sacralwirbel und 5 Caudalwirbel. Andererseits fällt die Existenz von nur 2 Sarcalwirbeln bei Semnopitheeus entellus?) mit einer mehr als 25 Wirbel enthaltenden Caudalwirbelsäule zusammen und wo unter Primaten die Gesammt- zahl der Wirbel die Zahl von 60 überschreitet oder nahe an‘ sie heranreicht, finden sich gleichzeitig bei einer 30 und mehr Wirbel enthaltenden Caudalregion nur 3 Sacralwirbel. Beispiele bieten die vorhin eitirten Exemplare von Ateles, ferner Eriodes arachnoides *), Midas oedipus4). Auch wenn die Zahl der Caudalwirbel zwischen 20 und 30 liegt, finden sich immer nur 3 Sacralwirbel. So verhalten sich die vorhin eitirten Exemplare von Cebus und das erwähnte Exemplar von Nyctipithecus felinus; das Gleiche hat statt bei Sai- miris sciureus ’), Lemur nigrifrons ®), Perodieticus Potto”), und Tar- sius®). Wenn die Zahl der Caudalwirbel weniger als 20 beträgt, finden sich wenigstens häufig nur 3 Sacralwirbel. | Das bezeichnete Zusammentreffen scheint kein irrelevantes zu sein; wo eine lange, von zahlreichen Muskeln bewegte Caudalwirbel- säule besteht, kommt derselben eine mannigfache functionelle Ver- wendung zu (die, wie bei Ateles, Lagothrix, Eriodes und Mycetes, die Caudalwirbelsäule das Skelet eines Greiforgans sein lässt) ; bei Vorhandensein der letzteren müssen die beim Fortschreiten der Sa- erumbildung aus dem Sacrum austretenden Wirbel sofort in bestimmte, denen der übrigen Bestandtheile der Caudalwirbelsäule gleiche func- tionelle Beziehungen treten und es liesse sich denken, dass die Existenz einer bestimmten functionellen Verwendung der Caudal- wirbelsiiule die Auslösung der Wirbel, die ihre Beziehungen zum Ilium verloren haben, aus dem Sacrum beschleunige. Andererseits könnte man sich vorstellen, dass, wenn bei kleinerer Wirbelzahl in der Caudalwirbelsäule eine functionelle Verwendbarkeit derselben in ) ef. OWEN 5 pg. 719 Nr. 4631. ) ef. OWEN 5 pg. 752 Nr. 5004. 3) cf. OWEN 5 pg. 728 Nr. 1688. ) ef. BLAINVILLE 1. ce. fasc. II pg. 21 und in Betreff des Sacrum pl. IV. 5) ef. Owen 5 pg. 724 Nr. 4666 und 4667. 6) ef. Owen 5 pg. 719, 720 Nr. 4635 und Nr. 4636. 1) ef. van CAMPEN |. e. pg. 13. 8) cf. BURMEISTER |, 6. pg. 22, 170 Dr. Emil Rosenberg geringerem Grade besteht oder bei sehr redueirter Caudalwirbelsäule ganz fortfällt, daraus eine Retardation der Auslösung der Wirbel aus dem Sacrum folgen könnte, was bei fortschreitender Umformung präsaeraler Wirbel zu Sacralwirbeln, wenn der Zutritt von Wirbeln zum Sacrum rascher erfolgt als der Austritt, dazu führen muss, dass unter diesen Verhältnissen mehr Wirbel im Saerum sich finden als dort, wo eine functionirende Caudalwirbelsäule besteht. Es könnte sonach die Existenz eines wirbelreicheren Sacrum als eine Folge der Reduction der Caudalwirbelsäule und gleichzeitig statthabender, fortschreitender Umformung von Lumbalwirbeln zu Sacralwirbeln aufgefasst werden. Bei dieser Auffassung liesse sich das ihr anschei- nend widersprechende Verhalten von Inuus pitheeus, wo die Reduetion der Caudalwirbelsäule so weit gehen kann, dass gelegentlich nur drei ') Caudalwirbel übrig bleiben, während trotz dessen nur drei Wirbel im Sacrum sich finden, dahin interpretiren, dass hier das Fortschreiten der Sacrumbildung stattgehabt, während der Existenz einer functionirenden Caudalwirbelsäule (auf deren frühere Existenz auch noch ein äusseres Caudalrudiment hinweist) und diese redueirt worden, nachdem die Sacrumbildung die jetzt bei Inuus im Sa- erum befindlichen Wirbel betroffen, wobei das zweite, für die Ent- stehung eines wirbelreicheren Sacrum angenommene Moment fortfiel. Was endlich die Rippenrudimente am 21.—26. Wirbel anlangt, so ist in Betreff der Rudimente am 21. Wirbel darauf zu verweisen, dass an der primitivsten bei Hylobates sich findenden Wirbelsäule ein 14. Rippenpaar noch besteht, das (an dem betreffenden Object), was seine Länge anlangt, wenig redueirt erscheint (es misst beider- seits 5°, die 13. Rippe 8°"), eine Artic. costo-transversalis Kommt ihm nicht mehr zu (was auch beim 12. und 13. Rippenpaar der Fall), auch ist dasselbe vertebral eingelenkt (die 13. Rippe hat noch die intervertebrale Stellung des Capitulum). Dasselbe Rippenpaar be- steht als letztes unter den oben aufgeführten Formen bei Cebus, Nycti- - pitheeus und einem Exemplar von Loris. Das zweite Exemplar desselben repräsentirt den Fall, in welchem am 22. Wirbel als letz- tem ein für dieses Exemplar nicht transitorisches Rippenpaar besteht und Nycticebus zeigt sich auch darin als die primitivste Form, dass hier das Homologon des 4. Lumbalwirbels der normalen menschlichen Wirbelsäule noch Dorsalwirbel ist. Indem von diesem, durch Nyeto- cebus repräsentirten Zustand aus die übrigen Formen den successiv ') Mivart 1. c. pg. 562 und 583, f Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 171 erfolgenden Verlust beweglicher Rippenpaare illustriren, machen sie es verstindlich, dass mehr distal gelegene Rippenrudimente beim menschlichen Embryo früher ihre Selbstständigkeit aufgeben und mit dem Querfortsatz verschmelzen, als weiter proximal gelegene. Unter den Vertretern der Ordnung ist, soviel mir bekannt, keiner mehr erhalten, bei welchem die Rippenrudimente am 24. Wirbel ihr Homologon in im entwickelten Zustande bestehen bleibenden Rippen fänden, trotz dessen ist es nicht weniger selbstverständlich, dass auch dieser Wirbel, wie die andern vom 20. ab, früher Dorsalwirbel gewesen und dieser Umstand macht es erklärlich, dass die Gelenkfortsätze dieser Wirbel sich in derselben Form anlegen wie die der Dorsal- wirbel, diese Art der Anlage weist ebenso wie die Existenz von Rippenrudimenten darauf hin, dass die betreffenden Wirbel früher Dorsalwirbel gewesen und dass der an den Gelenkfortsätzen während der Embryonalzeit vor sich gehende Vorgang der Umformung einem im entwickelten Zustand bei aufeinander folgenden Formen einge- tretenen entspricht, dafür spricht der Umstand, dass wenigstens ein Stadium der Umformung (andere würden sich bei speciell hierauf ge- richteter Untersuchung ebenfalls finden) beim Orang sich erhalten hat. In Betreff der am 25. Wirbel später bestehenden Sacralrippe zeigte sich, dass sie durch Volumvergrösserung aus dem Rippenrudi- ment eines Wirbels entsteht, der als Lumbalwirbel zu bezeichnen war, da seine Rippenrudimente schon mit den Querfortsätzen ver- schmolzen waren, als die Umformung zur Sacralrippe begann, die- selbe Entstehung darf auch für die Sacralrippe des 26. Wirbels und die (nach Ausweis des Modus der Ossification) am 27. und 28. Wir- bel bestehenden Saeralrippen angenommen werden. Da aber bei dem Modus der Umformung der Wirbelsäule, welcher für die hier betrach- teten Formen Geltung hat, Lumbalwirbel nur aus Dorsalwirbeln ent- stehen können und auf Grundlage der Vergleichung die in Rede stehenden Wirbel als aus Lumbalwirbeln entstanden sich zeigten, so werden dieselben deshalb und zugleich weil an ihnen noch Rippen- rudimente nachweisbar sind, auch als frühere Dorsalwirbel anzu- sprechen sein, diese Form wird aber auch für die weiter distal ge- legenen Wirbel, soweit dieselben beim Menschen angelegt werden, weil auch für diese aus der Vergleichung die frühere lumbale Form sich ergab, als die der lumbalen vorhergehende vorauszusetzen sein. Hiernach erscheinen die jetzigen Dorsalwirbel des Men- schen als Bestandtheile eines Abschnittes der Wirbel- säule, der als der conservativste zu bezeichnen ist, 172 Dr. Emil Rosenberg die Wirbel vom 20. bis zum 24. haben von dem in den Dorsalwirbeln erhalten gebliebenen Zustande aus nur eine Umformung erfahren und erscheinen als Lumbal- wirbel, die Wirbel vom 25. bis zum 29. sind ausser dieser noch einer zweiten Umgestaltung, die ihnen die Form von Sacralwirbeln gegeben, unterworfen gewesen und die Wirbel vom 30. bis zum 35. haben eine dreimalige Metamorphose durchgemacht und stellen sich, nachdem sie die sacrale Beschaffenheit aufgegeben, soweit sie noch erhalten bleiben, als Caudalwirbel inihrer vierten Form dar. j Wie sich im Anschluss an die primitivste, jetzt noch erhaltene Form der menschlichen Wirbelsäule die Gruppirung der homologen Wirbel in den einzelnen weiter zurückliegenden Stadien, in denen offenbar viel mehr als 35 Wirbel existirt haben müssen, gestaltete, ist aus der Vergleichung mit lebenden Formen nicht zu ersehen, da gar kein Grund besteht, die für die Vergleichung benutzten, auch was speciell die Gruppirung der Wirbel anlangt, als erhaltene Abbilder früherer Stadien anzusehen, dass in solchen, die auf den Menschen Bezug haben, das Sacrum z. B. ein wirbelärmeres gewesen, ist wahr- scheinlich, auch im Uebrigen muss es als wahrscheinlich bezeichnet werden, dass das gegenseitige Verhältniss der Umgestaltungsvorgänge in den einzelnen Abschnitten der Wirbelsäule, das für den kleinen Theil der Geschichte der Wirbelsäule Geltung hat, der aus den jetzt beim Menschen bestehenden Zuständen ersichtlich ist, in der Aufeinander- folge der vorauszusetzenden Formen sich verändert habe. Die Ver- änderlichkeit dieses Verhältnisses zeigte sich aus der Vergleichung mit den Reihen der Entwicklungsstadien, die für die Anthropoiden be- kannt sind, aus ihr resultiren auch bei im Princip für alle gleichem Umformungsprocess ‘die verschiedenen Formen, in denen bei den übrigen Primaten die Wirbelsäule sich darstellt. es Il. Centrale carpi. Es ist, wie bekannt, von GEGENBAUR auf Grundlage seiner Nachweise über das morphologische Verhalten des von ihm Os cen- trale carpi genannten Skelettheils eine präeise und von früheren Auf- fassungen abweichende Beurtheilung dieses Carpusbestandtheils ge- Ueber die Entwickl. der Wirbelsiiule u. das Centrale carpi des Menschen. 173 geben worden. Cuvier stellte diesen Skelettheil in eine nähere Be- ziehung zum Capitatum, indem er!) ihn, den Carpus der Säugethiere anlangend, als einen losgelösten Theil (démembrement) des Capi- tatum bezeichnete, wozu in einem Widerspruch steht, dass Cuvier 2) im Carpus der Chelonier und Saurier einen Bestandtheil bezeichnet, der dem bei Säugern vorkommenden »os intermediaire« zu vergleichen sei. Owen’s Auffassung lässt dem in Rede stehenden Theil mehr Selbstständigkeit. Owen) leitet aus der Thatsache, dass bei Che- loniern in der distalen Reihe des Carpus jedem Metacarpale ein Car- pusstück entspricht, die Voraussetzung ab, dass die typische Zahl der Carpusstücke 10 betrage und auch die proximale Reihe aus 5 Carpusstücken, entsprechend der typischen Zahl der Finger, zu- sammengesetzt sei. Eine Vergleichung der Verhältnisse bei Chelo- niern und Primaten mit denen des menschlichen Carpus veranlasst Owen dazu, das Scaphoid des letzteren als ein Compositum anzu- sehen, indem dasselbe zwei Bestandtheilen bei den genannten Formen entspreche und hier »the typical bipartite condition« besitze. Diese bei- den Skelettheile (Radiale und Centrale) werden als »divided ‘scaphoid'« bezeichnet. Bei dieser Auffassung treten die Beziehungen nicht her- vor, die dem Centrale urspriinglich auch zu anderen Carpusbestand- theilen zukommen. Von GEGENBAUR!) ist, im Gegensatz zu den genannten Auf- fassungen, gezeigt worden, dass das Centrale deshalb als ein typisches Carpuselement zu betrachten ist, weil es einen Bestand- theil der Grundform des Carpus bildet, welche GEGENBAUR für die vier oberen Wirbelthierelassen festgestellt hat, indem er darlegte, dass von einer Form des Carpus, wie sie sich unter Perenni- branchiaten und Derotremen findet (wenn man das bei diesen ge- schwundene Carpale! hinzufügt), die mannigfachen Carpusbildungen der übrigen grösseren und kleineren Abtheilungen der höheren Wirbel- thiere sich ableiten lassen. Indem dies in direeter oder vermittel- ter Weise möglich wurde, ist «daraus von GEGENBAUR der erste Einblick in den genealogischen Zusammenhang der einzelnen Ab- theilungen erschlossen und gezeigt worden, dass die Grundform, die das Centrale in einer Situation zeigt, bei welcher dasselbe an alle 1) ef. 2 pag. 425, 427. 2) cf. 1 pag. 216, 217, 297, 298. Def. 2a pagi.27,°28. 4) ef. 7, Carpus; in Betreff der Deutung des Centrale ef. besonders pag. 4, 5, 6, 19, 49, 50. 174 Dr. Emil Rosenberg übrigen Carpusbestandtheile angrenzt, in einer für jede Abtheilung characteristischen Weise modifieirt wird. An der Characterisirung dieser Modificationen nimmt das Centrale durch sein Verhalten einen wesentlichen Antheil und zeigt sich auch hierin als wichtiger Carpus- bestandtheil. Ein weiteres Interesse kommt dem Centrale dadurch zu, dass GEGENBAUR seine Voraussetzung, dasselbe gehöre zweien Radien an und sei als Compositum aus zwei Bestandtheilen anzu- sehen, eine Voraussetzung, die er aus der Vergleichung der primitivsten Form der Extremität der höheren Wirbelthiere mit dem Metapterygium der Salachierextremität, bei beiden dieselbe Grundeinrichtung nach- weisend, begründet hatte !), bei einer auf diesen Nachweis gestützten Beurtheilung und speciellen Deutung des Flossenskelets der Enalio- saurier als zweifellos zu Recht bestehend nachgewiesen hat2), indem er die hier als gesonderte Bestandtheile bestehenden beiden Centralia und ihre Hingehörigkeit zu zweien Radien aufwies und zeigte, dass auch in Betreff der übrigen Theile des Carpus die an der Extremität der höheren Wirbelthiere erkannte Hingehörigkeit derselber zu be- stimmten Theilen der Stammreihe und der ihr ansitzenden Radien hier deutlich ersichtlich ist. Das bei urodelen Amphibien bestehende Centrale, das somit als ein im Lauf seiner Entwicklung einheitlich gewordenes Gebilde aufzufassen ist, pflanzt sich als solches m die höheren Abtheilungen fort und bleibt bei diesen im Allgemeinen um- somehr in seinen relativ primitiven Beziehungen bestehen, je näher diese Abtheilungen den urodelen Amphibien stehen. Die primitivste Form des Säugercarpus, die sich von der primitivsten unter urodelen Amphibien oder Cheloniern sich findenden Form nur wenig entfernt zeigt, besitzt das Centrale ebenfalls, und unter den Säugethierord- nungen hat keine, auch was die übrigen Bestandtheile des Carpus anlangt, das primitive Verhalten bei einer grösseren Zahl von Ver- tretern bewahrt, als die Ordnung der Primaten, da hier, wie be- kannt, nur einzelne Species existiren, denen im entwickelten Zustand das Centrale fehlt. Dass dasselbe auch für diese vorausgesetzt wer- den muss, ist nach den Darlegungen GEGENBAUR’S selbstverständlich und es ist von GEGENBAUR*), auch was speciell den menschlichen Carpus betrifft, die Frage untersucht worden, ob in embryonalen Stadien desselben ein Centrale angelegt werde und worauf das Fehlen 1) ef. S pag. 162—166. 2) ef. 9 passim. 3) ef. 7 pag. 50. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 175 desselben im entwickelten Zustand beruhe, wobei sich ergeben hat, dass falls Ersteres der Fall ist, Anhaltspuncte nicht bestehen, dass dasselbe mit dem Capitatum oder dem Scaphoideum sich verbinde. Das Interesse, das sich an das Centrale knüpft, und der Um- stand, dass die meisten Primaten dasselbe noch besitzen, machte es mir wünschenswerth, die bezeichneten Fragen in Betreff des Menschen nochmals zu untersuchen ; hierbei hat sich die Voraussetzung GEGEN- BAuR’s hinsichtlich der Existenz eines Centrale und das positive Er- gebniss hinsichtlich des Verbleibs desselben bestätigen lassen. In dem frühesten Stadium, in welchem ich ein Centrale beobach- tete (II. 1), zeigt sich dasselbe als annähernd eylindrisches, mit der Längsaxe senkrecht zur Fläche des Carpus gestelltes Gebilde, welches von dem Radiale (Scaphoideum) und den Carpalia ' > * (Trapezium, Trapezoides, Capitatum) umlagert wird, zu dem Inter- medium (Lunatum) hat es keine Beziehung. Das ganze Gebilde be- steht noch aus intercellularsubstanzarmem Knorpel und zeigt keine Spur einer Entstehung aus zwei Bestandtheilen. Es ist mir auch nicht wahrscheinlich, dass in früheren Stadien eine Entstehung aus zwei Elementen sich würde nachweisen lassen, da in dem Carpus eines nur wenig jüngeren Embryo (I.) ein Centrale überhaupt noch nicht angelegt war, von den übrigen Bestandtheilen finden sich Carpale >, das Carpale '+° (Hamatum) und das Ulnare (Pyramidale) 2) relativ I. Il. IV. IV. IV. IV. he VI. 1) Von den Objecten, die der Untersuchung dienten, kommen hier die fol- genden in Betracht: Länge der Extremität vom Beginne der Achselfalte bis zur Spitze des durch leichte Einkerbungen des distalen Randes der Hand markirten dritten Fingers . An der Hand die Finger noch nicht gesondert, durch Furchen und deutliche Einkerbungen des Endrandes der Hand angedeutet. . Länge der Extremität vom Beginne der Achselfalte bis zur Spitze des dritten Fingers (die Länge der einzelnen Abschnitte addirt) desgl. desgl. . Abstand vom Olecranon bis zur Spitze des dritten Fingers desg]. Länge der Hand vom Handgelenk bis zur Spitze des dritten Fingers 4 mm, > 5 mm 6,5 6 Von den Emb ryonen II. 1 bis IV. 3 wurden, um die Lagerung und die Form der Theile sicherer feststellen zu können, beide Carpi untersucht, der eine in Dorsovolarsehnitte, der andere in Flächenschnitte zerlegt. *) Dass hier neben die von GEGENBAUR eingeführten Bezeichnungen der Carpusbestandtheile auch noch die älteren Bezeichnungen gesetzt sind, ist mit 176 Dr. Emil Rosenberg am weitesten in der Entwicklung vorgeschritten , deutlich angelegt sind auch die Carpalia »2>°. Das Radiale besteht erst aus dich- terem Gewebe, hat in proximodistaler Riehtung sehr geringe Aus- dehnung und ist von den zuletzt genannten Carpalien durch einen relativ breiten Zwischenraum getrennt. Das Intermedium ist noch nicht angelegt, ebenso fehlt auch das Pisiforme. Die in dem zuerst erwähnten Stadium sieh findenden Verhält- nisse bleiben längere Zeit bestehen, da sie sich noch bei einem viel älteren Embryo {IV. 3) finden. Hier ist das Verhalten der Theile zu einander, auf welches etwas näher. einzugehen ist, deut- licher ersichtlich, da die Gestaltung derselben eine bestimmtere geworden. Das Centrale (ef. Fig. 31e) reicht durch die ganze Dieke des Carpus hindurch, indem sein palmares Ende au niveau mit der palmaren Fläche des Carpale * sich findet, das dorsale Ende ist etwas dicker als das palmare, der ulnare Theil des ersteren ladet sich in einen kleinen Vorsprung aus, der der dorsalen Fläche des Carpale ? sich anlegt, der Querschnitt des Centrale (ef. Fig. 38¢) hat die Form eines Dreiecks mit stark abgerundeten Ecken. Das Carpale ? ist von einer Anlagerung an das Radiale durch das Centrale gänzlich ausgeschlossen, während das Carpale ' dem Centrale und Radiale anliegt (ef. Fig. 31e! und Fig. 38c'), dem letzteren in geringerer Beriicksichtigung des Umstandes geschehen, dass die Mehrzahl der Autoren sich noch der letzteren bedient. Diese Bezeichnungen sind im Hinblick auf die Form gewählt worden, welche die betreffenden Theile beim Menschen haben. Da aber die homologen Theile, auch wenn eine Vergleichung nur in sehr engen Grenzen angestellt wird, schon in anderer Gestalt angetroffen werden, so können, wenn auf die homologen Theile anderer Organismen die älteren Bezeichnungen über- tragen werden, dieselben nicht mehr passend sein und der Gebrauch derselben erscheint zunächst aus diesem Grunde unstatthaft. Da ferner das Wesen der Theile sich vielmehr in den Beziehungen derselben zu anderen Theilen als in der Form ausdrückt, die ältere Bezeichnungsweise hierauf aber gar keine Rück- sicht nimnit, so liegt hierin ein weiterer Mangel derselben. Die von GEGENBAUR eingeführten Bezeichnungen sind auf Grundlage der Beziehungen der Theile zu einander und zu benachbarten Bestandtheilen des Gliedmaassenskelets aufgestellt worden und sind eben deshalb sehr zutreffend und die einzig rationellen. Die Anwendung derselben regt, was keineswegs ohne Belang ist, da die Bezeichnungen zugleich sehr präcise sind, dazu an, die Natur eines Theiles genau zu erwägen, bevor derselbe mit der Bezeichnung belegt wird. Es wäre sehr wiinschenswerth, dass allgemein diejenigen Theile, die sich im Sinne der von GEGENBAUR ge- gebenen Darlegungen über die Natur derselben. sicher deuten lassen, mit den von GEGENBAUR eingeführten Bezeichnungen belegt würden und die älteren Namen nur dort noch in Anwendung kämen, wo eine sichere Deutung der Theile noch nicht möglich ist. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 177 Ausdehnung und mit dem palmaren Abschnitt seiner späteren proxi- malen Gelenkfläche. Mit dem Intermedium hat das Centrale auch in seinem dorsalen Theil, der vom Radiale, Carpale ?)* umlagert wird, keine Beziehung, der Abstand des palmaren Endes vom Inter- medium (ef. Fig. 38) ist sehr beträchtlich. In diesem Stadium ist das Centrale am ausgebildetsten (das gleiche Verhalten findet sich auch im Stadium des Embryo IV. 2). Die übrigen Stadien zeigen den allmäligen Schwund desselben. In dem den erwähnten zunächst anzuschliessenden (IV. 1) zeigt sich das Centrale etwas verkürzt, indem das volare Ende (das dorsale hat dieselben Beziehungen wie früher) nicht mehr so tief hinabreicht: zugleich ist der am meisten palmar gelegene Theil des Carpale ? dem Radiale nahe gerückt. Dass diese Verkürzung auf einer Reduetion beruht, zeigt das nächste Stadium (IV. 4), in dem (ef. Fig. 32e) nur noch der dorsale (im Uebrigen unveränderte) Abschnitt des Cen- trale erhalten geblieben, er liegt dem Radiale eng an, ist aber deutlich von ihm abgrenzbar, an der Stelle des früheren volaren Ab- schnitts findet sich ein indifferentes Gewebe, gegen welches der er- halten gebliebene Theil sich weniger scharf abgrenzt, als an seiner ganzen übrigen Oberfläche; zu einem geringen Theil wird der Raum, der dem geschwundenen Stück des Centrale zukam, durch das Radiale eingenommen, indem dasselbe in seinem volaren Abschnitt eine Ver- dickung erfährt (ef. Fig. 32 im Vergleich zu Fig. 31) und damit zugleich in beschränkter Ausdehnung mit dem Carpale ? in Contact tritt, das Carpale ! liegt jetzt nur dem Radiale an. Vergleicht man mit diesem Verhalten den Befund in einem wei- tern Stadium (V.), so ist das Fehlen auch des dorsalen Abschnitts des Centrale zu constatiren. Verbände sich dasselbe mit einem be- nachbarten Theil, so wäre das in diesem Stadium sicher noch aus der Form und histiologischen Beschaffenheit der kritischen Stellen zu erkennen, es weist aber weder das Radiale und das Carpale ? (ef. Fig. 33) noch das Carpale* darauf hin, und es zeigt die Lücke), die die genannten Bestandtheile des Carpus umgrenzen, an, dass der von ihnen früher umlagerte Skelettheil eine völlige Reduction erfahren 1) Das Gewebe, das dieselbe füllt, besteht nicht nur aus indifferenten kleinen rundlichen Zellen, namentlich im dorsalen Abschnitt der Lücke finden sich im Gewebe eigenthiimliche buchtige Hohlräume, deren Wandungen grössere Kerne anliegen, ich habe indess darüber keine Sicherheit erhalten können, ob in diesem Gewebe Reste eines durch Atrophie zu Grunde gehenden Knorpels zu erkennen seien. Morpholog. Jahrbuch. 1, 12 178 Dr. Emil Rosenberg hat. Indem nun die schon früher eingeleitete Gestaltveränderung des Radiale in weiteren Stadien (VI.) Fortschritte macht und dasselbe in seinem volaren Abschnitt, dem das Carpale ? jetzt in grösserer Aus- dehnung anliegt, massiger wird (ef. Fig. 34r), füllt es zum grossen Theil die durch den Schwund des Centrale entstandene Lücke, wes- halb diese Gestaltveränderung als eine compensirende bezeichnet werden kann. Das über den Verbleib des Centrale Mitgetheilte macht es sicher, dass in dem Scaphoideum des menschlichen Carpus ein Radiale zu sehen ist und bestätigt das betreffende Untersuchungsergebniss GEGEN- BAUR’S!). -Von OWEN?) und Anderen, die seiner Deutung beigestimmt haben, wird das Radiale des Menschen als ein Compositum, das dem Radiale und Centrale z. B. der Primaten homolog ist, angesehen und MıvArT>) sagt speciell, dass der an der dorsalen Fläche des Carpus des Orang zwischen Radiale und Centrale sichtbare Zwischen- raum der Rinne an der dorsalen Fläche des Radiale des Menschen entspreche. Diese Ansicht ist dadurch bedingt, dass auf die Form- ähnlichkeit zu viel Gewicht gelegt worden und die am Radiale ein- tretende compensirende Gestaltveränderung desselben unbemerkt ge- blieben ist. Vergleicht man eine Anzahl Radialia des erwachsenen Körpers, so sieht man, dass die Verdiekung des volaren Abschnitts nicht in allen Fällen die gleiche ist und es lassen sich die einzelnen Objeete leicht in eine Reihe bringen, welche zeigt, dass die beim Embryo beobachteten Stadien dieser Verdickung persistent bleiben und weitere sich daran schliessen. Eine solehe Reihe ist in Fig. 35 abgebildet, bei A hat das Ra- diale seine relativ primitivste Form, indem die Verdiekung nur den am meisten volar gelegenen Theil desselben betrifft und in sehr ge- ringem Grade eingetreten ist, die dorsale Fläche schliesst mit einem scharfen Rand ab, in welchem diese mit der distalen Fläche unter fast rechtem Winkel zusammentreffen, die später an der dorsalen Fläche sichtbare Rinne, die zu einer Abgrenzung zweier Bestand- theile gedient hat, befindet sich an Radialien der vorliegenden Form auf der distalen Fläche. Indem nun (ef. Fig. 35 B bis E) diese Ver- 1) ef. 7 pag. 50. 2) ef. ausser dem oben Angeführten 2 pag. 191 und pag. 201 Erklärung zu realer Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 179 dickung in dem volaren Abschnitt massiger wird und dorsal- und ulnarwärts fortschreitend dem Radiale einen neuen, aber aus dem Material des alten entstehenden Theil hinzufügt, resultirt schliesslich eine Gestalt (E), die, an sich betrachtet, in der That sehr dazu auf- fordert, den jetzt distalwärts von der Rinne gelegenen Theil für ein mit dem Radiale verschmolzenes Centrale zu halten, da die vorlie- gende Form ganz der gleicht, die entstehen würde, wenn das Cen- trale mit dem Radiale sich verbiinde.- Dass es sich aber nur um eine täuschende Achnlichkeit handelt, scheint mir nach dem Gesagten zweifellos. Der Vorgang am Radiale steht in einem Wechselverhältniss mit einem ähnlichen am Carpale ? und Carpale ”. Hat die compensirende Ausbildung des Radiale, die die durch den Schwund des Centrale ent- stehende Lücke füllt, ihr Maximum, so besitzt (ef. Fig. 37) das Carpale * eine Form, die als die normale desselben angesehen wird und die Gelenk flächen des Carpale ? für das Carpale * und das Radiale stossen unter einem stumpfen Winkel zusammen, die für das Radiale ‘bildet mit der radialen Fläche des Carpale * einen distal- wärts einspringenden Winkel, in den sich der neuentstandene Theil des Radiale hineinlegt. Bleibt dagegen das Radiale auf seiner relativ primitivsten Stufe stehen, so findet man eine Gestalt des Carpale ? (ef. Fig. 36), bei welcher die Gelenkflächen desselben für das Carpale ® und Radiale unter einem rechten Winkel zusammenstossen und wie die Vergleichung der beiden Formen in Fig. 36 und Fig. 37 unmittelbar lehrt. ist jetzt am Carpale? ein zur Lücke gerichteter, auf dem Wege com- pensirender Ausbildung entstandener Vorsprung vorhanden und auch das Carpale ® zeigt in einem solchen Fall die Einsenkung an der radialen Fläche, die sonst den Kopf vom Körper deutlich abgrenzt, nicht, diese Partie desselben hat (ef. Fig. 36) gleichfalls eine Ver- diekung erfahren. Die beiden angeführten Fälle stellen die Extreme der Gestaltveränderung am Radiale einerseits und dem Carpale ? an- dererseits dar uud dass das geschilderte Zusammentreffen der relativ primitivsten Form des Radiale mit der abgeändertsten des Carpale ? kein zufälliges ist, geht daraus hervor, dass bei einer Anzahl mit Bezug- nahme hierauf betrachteter Carpi -aus dem vorliegenden Grad der Umgestaltung des Radiale der am Carpale ? zu treffende sich bestim- men liess. Bei der Constanz, mit welcher das Centrale angelegt wird, kann es auffallen, dass dasselbe nur selten beim Erwachsenen gefunden 12* 180 Dr. Emil Rosenberg wird. Von GRUBER ist ein solehes Vorkommniss zuerst!) constatirt worden, indem er im Carpus eines Erwachsenen ein Knöchelchen fand, welches er auf das Centrale bezog. Ueber das Vorkommen desselben beim Erwachsenen hat GRUBER hierauf sehr umfassende und sorgfältige Untersuchungen angestellt, wobei er bei der Unter- suchung von 812 von den Weichtheilen umgebener Carpi noch zwei- mal ein Centrale eonstatiren konnte. Die Durchmusterung einer grösseren Anzahl (420) Navieularia ergab dann noch zwei weitere Fille. Nach GRUBER hat FRIEDLOWSKY einen hierhergehörigen Fall beobachtet. — Der Deutung, die GRUBER seinen Beobachtungen ge- geben, indem er das Knöchelehen im Sinne der von GEGENBAUR gegebenen Definition des Centrale als ein aus einem früheren Zu- stande stammendes Carpuselement bezeichnet, muss ich vollkommen beitreten, nur scheint es mir nicht berechtigt, dass GRUBER?) das Knöchelehen zugleich ein »supernumeräres« nennt, und es’ als Ana- logon des im Carpus gewisser Säugethiere vorkommenden Centrale bezeichnet, da erstere Bezeichnung im Widerspruch steht mit der dem Centrale zukommenden Bedeutung und da, wenn mit der Ana- logie, wie es wahrscheinlich ist, die Homologie gemeint ist, diese sich nicht nur auf das Centrale der Säuger bezieht, sondern bis auf die beiden Centralia der Enaliosaurier zuriickreicht und nach Mass- gabe der eingetretenen Reduction incomplet ist. In keinem der bis jetzt zur Beobachtung“ gelangten Fälle, die selbstverständlich in den Bereich des Atavismus gehören, und die allmälig eintretende Reduction des selbstständig bleibenden Centrale gut illustriren, ist dasselbe in der Form, die ihm bei seiner Anlage zukommt, persistent geblieben, indem in allen das volare Ende, das auch beim Embryo früher redueirt wird, nicht erhalten ist. In am wenigsten reducirtem Zustande ist es im 4. GRuBER’schen Fall?) erhalten geblieben, wo es in beträchtlicher Ausdehnung mittelst einer Gelenkfläche mit dem Carpale ? in Beziehung steht. Diese Gelenk- > ') GRUBER gebührt in Betreff der Beobachtung eines Centrale beim Men- schen die Priorität. Ich hatte zwar schon, bevor GRUBER seinen ersten Fall mittheilte, die Untersuchung begonnen, dieselbe hatte aber, da die Zerlegung mir damals noch die grössten Schwierigkeiten bereitete, nur ein unsicheres Er- gebniss gehabt. Der Existenz eines Centrale bei Embryonen habe ich in einer kurzen Anzeige des Inhalts eines Vortrags Erwähnung gethan (ef. Sitzungsber. d. Dorpater Naturforsch.-Gesellsch. Bd. III. H. 4, 1872 pg. XVI.). 2) ef. 2 pg. 339 und die betreffenden Stellen der späteren Aufsätze. 3) ef. 5 pg. 716—19 Tf. XIII Fig. 1, 2. Ueber die Eutwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 181 verbindung ist weit geringer im FRrepLOwsky’schen Fall), der das dorsale Ende auch der Form nach gut erhalten bietet, dieser Theil ist auch im 3. Gruger’schen Fall?) desgleichen im 2.3) der persi- stirende; der erste‘) und fünfte?) der Gruser’schen Fälle stellen sehr reducirte Formen vor und namentlich im letzteren ist nur ein kleiner Theil erhalten geblieben, der, ein abweichendes Verhalten zeigend, mit dem Radiale zu verschmelzen beginnt. Die Verschmel- zung kann bei diesem Grade der Reduction vollständig werden, wie das Fig. 35 C abgebildete Object zeigt, wo der an der kritischen Stelle bemerkbare Vorsprung, der an der ulnaren Seite noch deut- licher abgegrenzt ist, auf ein sehr reducirtes und mit dem Radiale verschmolzenes Centrale sich bezieht. Zu bemerken wäre über diese Fälle noch, dass fünf sicher dem männlichen Geschlecht angehören, welches auch in dieser Beziehung sich conservativer verhält. Die Verhältnisse, in denen sich das menschliche Centrale, so lange es noch nicht redueirt worden, findet, stimmen mit den be- treffenden bei Primaten in mehrfachen Beziehungen überein, in anderen zeigen sie sich als abgeänderte. Die primitivsten Beziehungen besitzt das Centrale bei Cheiromys, wo dasselbe nach den Untersuchungen von BLAINVILLE®) und OWEN* die Mitte des Carpus einnimmt und mit allen Bestandtheilen (das Pisiforme natürlich ausgenommen) desselben Verbindungen hat. Bei Perodicticus*) liegt dasselbe fast central, eine Articulation mit dem Ulnare Em nicht, ausser dem Radiale und Carpale * ? liegt es der proximalen Fläche des Carpale '*° und dem Intermedium an, mit dem Carpale! scheint es sich nicht zu verbinden. Im Vergleich zu diesem Verhalten erscheint das Centrale bei Tarsius radialwärts gerückt. Wie die Abbildung bei Burmeister’) ersehen lässt und ich an einem Exemplar bestätigt finde, besteht weder eine Beziehung 1) cf. 2 pg. 586, 87 Fig. 1. 2) ef. 4 pg. 395—98 Fig. 1, 2, 3. 3} ef. 3 Fig. 3 meet. 2 it. X A, Fig. 9. aero TT. RI Fig. 3, °4 6) ef. 1..c. Fase. III pg: 26 pl. V. 7) ef. 7 pg. 51, 52 pl. 21 Fig. 17, 18 Im Texte wird eine Articulation mit dem Carpale ! zwar nicht speciell angegeben, die Abbildungen lassen jedoch annehmen, dass das Centrale auch mit diesem in Er he sah 8) cf. van CAMPEN |. c. pg. 16—18 pl. 1 Fig. : Wels cu TE. 2 Bie. 5; 182 Dr. Emil Rosenberg zu dem Ulnare noch zu dem Carpale !+°, dem letzteren liegt es aber nahe, da das proximale Ende des Carpale* nur in geringem Grade an dem zum grössten Theil vom Carpale '+° gebildeten convexen Vor- sprung betheiligt ist, der mit dem Centrale, dem Intermedium und dem Ulnare articulirt. Indem gleichzeitig das Centrale an die radiale Fläche des Carpale * gerückt ist, mit dem Carpale ?, Carpale ', dem Radiale und Indermedium artieulirt, ist es hier in die Beziehungen setreten, die, wie bekannt, bei den Hapalinen, Cebinen und Cyno- pitheeinen vorliegen, und die dem Verhalten des menschlichen Cen- trale gegenüber insofern als die primitiveren bezeichnet werden müssen, als letzterem eine Beziehung zum Intermedium auch bei der ersten Anlage nicht zukommt. Zu diesem Verhalten bilden diejeni- sen Formen einen Uebergang, bei denen sich die Beziehung des Centrale zum Intermedium allmälig gemindert zeigt. Bei Tarsius ist die Fläche, die es dem Intermedium bietet, fast eben so gross, wie die dem Radiale anliegende und unter den Cebinen finde ich die Be- ziehung zum Intermedium noch am meisten erhalten bei Cebus!), wo die proximale, mit dem Radiale articulirende Gelenkfläche des Centrale und die ulnare, gegen das Carpale * gerichtete, an eine dem Intermedium anliegende, langgestreckte Gelenkfacette stossen, die sich vom dorsalen fast bis zum volarem Ende des Centrale hinzieht, in ihrem dorsalen Abschnitt fast 1" breit ist und mit den genannten Flächen gut markirte Kanten bildet. Etwas schmaler ist diese Ge- lenkfacette bei Saimiris, wo sie, da die Kante, die sie gegen die ulnare Fläche abgrenzt, abgeflacht erscheint, fast ganz in das Niveau dieser Fläche tritt. Aehnlich verhält sich Hapale, während bei Ateles die Gelenkfacette nur durch einen schmalen Saum vertreten ist, der sich am proximalen Rande der ulnaren Fläche hinzieht, wobei nur das dorsale Ende mit dem Intermedium gelenkig verbunden ist, im Uebrigen besteht syndesmotische Verbindung. Bei Cynopithecinen liegt die schmale, volarwärts spitz auslaufende Gelenkfacette ebenfalls fast im Niveau der ulnaren Fläche und da diese und die radiale, für die Articulation mit dem Carpale? und Carpale ! bestimmte, wie die pro- ximale mit der schmalen Gelenkfacette unter scharfen Kanten zusam- menstossen, hat das Centrale eine fast dreiseitig prismatische Gestalt; das dorsale, relativ voluminösere Ende zieht sich ‘besonders deutlich ' Diese und die die übrigen Formen betreffenden Angaben sind nach Un- tersuchungen an in Alkohol conservirten Exemplaren gemacht. Die Bestimmung (ler Species war in den meisten Fällen nicht möglich. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 183 bei Colobus und Inuus), ulnarwiirts in einen kurzen Fortsatz aus und berührt damit in geringer Ausdehnung die dorsale Fläche des Carpale*. In dieser Beziehung findet sich auch im Detail der Ge- staltung Uebereinstimmung mit dem menschlichen Centrale, an dem, was als eine Folge der Reduction zu betrachten ist, die drei Haupt- flächen des persistirenden Centrale nur noch angedeutet sind, indem der Querschnitt des Centrale (cf. Fig. 35) ein Dreieck mit stark ab- gerundeten Eeken bildet. Formen, welche Stadien der Reduction des Centrale, wie sie in Betreff des Menschen vorauszusetzen sind, wahrnehmen liessen, finden sich, soviel mir bekannt, unter den ge- nannten 3 Gruppen der Primaten nicht, das Centrale derselben er- scheint als ein wohlerhaltenes Gebilde, da es sich längs des Radiale bis fast an das volare Ende desselben erstreckt, die ganze proximale Gelenkfläche des Carpale ? aufnimmt und stets auch noch einen Theil der proximalen Gelenkfläche des Carpale !' trägt. Dabei zeigt das Centrale durch die Art seiner Verbindung mit dem Radiale eine andere Modification des relativ ursprünglichen Verhaltens an. Bei Semnopithecus sind die Flächen, mit denen des Centrale und Radiale einander berühren, zum grössten Theil Gelenkflächen und nur die volare Spitze des Centrale ist durch Bandmasse an das Radiale ge- heftet. In etwas grösserer„ Ausdehnung findet sich bei Cebus und Hapale im volaren Abschnitt der Berührungsfläche syndesmatische Verbindung, welche in der volaren Hälfte dieser Fläche bei Cercopi- theeus, Inuus (pith. und eynom.), Cynocyphalus (ursin.) besteht, und im grössern volaren Abschnitt die Gelenkverbindung ersetzt bei Ateles und Saimiris. Bei Colobus endlich ist im Bereich der ganzen Be- rührungsfläche feste, syndesmatische Verbindung eingetreten, es leitet sich somit hier eine Verschmelzung des nicht redueirten Centrale mit dem Radiale ein. Unter den Anthropoiden zeigt der Orang, wie be- kannt, das den Cynopithecinen etc. zukommende Verhalten des Cen- trale, das bei ihm in derselben Weise mit dem Radiale sich ver- bindet wie bei Semnopitheeus. Gegenüber diesem relativ primitiven Ver- halten findet sich das Centrale ineinem Stadium der Reduction bei Hylo- bates. An einem Exemplar (an welchem die Bestandtheile des Carpus in natürlicher Verbindung erhalten sind) finde ich das Centrale in seinem Jdorsalen Abschnitt wie gewöhnlich gestaltet (die Facette für das Intermedium und der Fortsatz sind vorhanden), während der volare Abschnitt als der redueirte erscheint, indem das Centrale we- niger weit volarwärts an dem Radiale hinabreicht, damit die Be- ung zum Carpale ', dessen proximale Gelenkfläche nur mit dem 184 Dr. Emil Rosenberg Radiale articulirt, verloren hat, zugleich articulirt das volare Ende des Centrale nur noch mit’ einem Theil der proximalen Gelenkfläche des Carpale ?, der andere Theil dieser Gelenkfläche entspricht einer am Radiale sich findenden Gelenkfacette, die die Fortsetzung der Gelenkfläche für das Carpale! bildet. Vergleicht man dieses Ra- diale mit dem Radiale einer Form {etwa des Orang), deren Centrale nicht redueirt ist, so tritt die Verdiekung, die das Radiale von Hy- lobates im distalen Theil des volaren Abschnitts erfahren, sehr deutlich hervor, und man gewinnt auch hier die Ueberzeugung, dass entsprechend der Reduction des volaren Endes des Centrale eine compensirende Ausbildung des Radiale erfolgt ist, wodurch die Articulation mit den Theilen der proximalen Gelenkflächen des Car- pale ' und Carpale ? die ausser Beziehung mit dem Centrale traten, auf das Radiale sich übertrug. Das Centrale des von OwEn (5 pg. 758) erwähnten Hyl. syndactylus ist wahrscheinlich ebenfalls ein reducirtes, da OWEN sagt: »the carpus shows a dismembrement of the scaphoid, wedged between the main part of that bone and the trapezoides«. Ob andere Reductionsstufen bei Vertretern des Genus Hylobates sich erhalten haben, ist aus den wenigen Angaben, die über den Carpus von Hylobates in der Literatur sich finden, nicht zu ersehen. In Betreff des Carpus des Chimpanzé und Gorilla besteht die Auf- fassung, dass derselbe mit dem des Menschen, abgesehen von untergeord- neten Formdifferenzen, übereinstimme. Diese besonders von OWEN !), \ DuvErnoY?), HuxLey3), VROLIK 4) (in Betreff des Chimpanzé). LucaE®), GRATIOLET und Auıx®) vertretene Ansicht stützt sich auf die übereinstimmende Zahl und Anordnung der Bestandtheile. Da nun aber beim Menschen das Seaphoid sich als ein Radiale heraus- gestellt hat, so könnte diese Uebereinstimmung nur dann vorhanden sein, wenn die von Owen behauptete Homologie des Scaphoideum des Chimpanzé und Gorilla mit dem Scaphoideum und dem Centrale des Orang oder der Cynopithecinen ete. nicht besteht. Unter den Autoren, die OwEn in dieser Deutung gefolgt sind, haben besonders GRATIOLET und Auıx?) auf die Uebereinstimmung in der Form und 1) 1, pg. 353, 4, pg. 9—11. 2) 1. e. pg. 41 u. 43. 3) 1. ec. vol. I pg. 428, 537. 4) dt iC: Sy 12: 9) 1.76.-,p&: 29, 31. 6) 1. e. ‘pg. 82. 7). 1. e. pg. 82 Anmerkung 3, Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 185 den Beziehungen des Theiles des Scaphoid, der als ein verschmolze- nes Centrale zu betrachten sei, mit denen eines isolirt existirenden Centrale aufmerksam gemacht und Mivarr!) theilt einen Fall mit, in welehem er das Scaphoid beim Chimpanzé der Form nach in vollkommener Uebereinstimmung mit dem Scaphoid und dem Centrale eines Orang gefunden, woher er wenigstens für diesen Fall behauptet, dass dasselbe »evidentely and completely responds to both the sca- phoides and the intermedium of the Orang«. Die Formübereinstim- mung kann nach dem über das Radiale des Menschen Mitgetheilten für die Begründung der in Rede stehenden Homologie nicht als aus- reichend angesehen werden und es muss die Möglichkeit offen ge- lassen werden, dass beim Gorilla und Chimpanzé ebenfalls eine nach Schwund eines Centrale eingetretene, compensirende Ausbildung eines Radiale die Gestalt desselben bedingt hat, die Uebereinstimmung sich somit in einem anderen Sinne findet. Sicher zu entscheiden, welche von beiden Auffassungen die zutreffende ist, scheint mir nieht möglich. Für die letztere könnte angeführt werden, dass das Scaphoid beim Gorilla und Chimpanzé, wie die von DuverRNoy?) und Owen?) ab- gebildeten Objecte zeigen, den distalwärts von der Rinne befindlichen Theil in einer Form besitzt, welche, auf dem Wege compensirender Ausbildung entstanden gedacht. diesen Theil noch nicht so weit aus- gebildet erscheinen lässt, wie er es am menschlichen Radiale sein kann, und dass am Carpale ? beim Gorilla‘) ein Fortsatz sich findet, der ebenso gestaltet und situirt ist, wie der, welcher am menschlichen Carpale ? sich findet, wenn die compensirende Ausbildung vorherr- schend an diesem eintritt. Diese Umstände widerlegen indess nicht mit Bestimmtheit die Deutung des Scaphoid des Gorilla und Chim- panzé als eines Homologon des Radiale und Centrale, da an anderen Objecten sicher erweisbar ist, dass das Centrale mit dem Radiale (und dem Intermedium) verschmelzen und als Theil des Compositum formell persistiren kann. FLower®>) hat beim Hunde aus dem Modus der Ossifieation des als Intermedio-radiale angesehenen Stückes er- kannt, dass der distalwärts vorspringende Theil desselben ein ver- schmolzenes Centrale darstellt und ich kann diese Deutung nach 1) 2 ) 3 % 3, pg. 317 pl. XIV. Fig. 1. Kae. Pl) TA? tsand: Ada 4 Pla 2) Bigs WT: ef. hed: > die von OwEN 4 pl. 10 gegebene Abbildung. G. 156 Dr. Emil Rosenberg Untersuchungen an Embryonen der Katze!) bestätigen. In einem Sta- dium, in welchem Radiale, Intermedium und Centrale, die gesondert angelegt werden, zu verschmelzen beginnen (cf. Fig. 59 e, r, i) bilden sie einen Bestandtheil, der die Form des im Carpus des erwachsenen Thieres sich findenden besitzt, und von dem es zweifellos ist, dass er im Vergleich zu dem beim Hunde sich findenden mit der Form- übereinstimmung auch die morphologische Uebereinstimmung besitzt. Es wäre von Interesse, aus der Untersuchung der Entwicklung des Sea- phoid beim Gorilla und Chimpanzé eine sichere Auskunft über die die- sem Theil zu gebende Deutung zu erlangen ?), falls sich dasselbe als Compositum erweisen sollte, wäre beim Gorilla und Chimpanzé der bei den Hapalinen, Cebinen und Cynopithecinen sich einleitende Vorgang der Verschmelzung des Centrale mit dem Radiale*) zur Vollendung selangt, was in Betreff des Menschen die Beziehungen zu Hylobates als die näheren erscheinen liesse, während andererseits, wenn auch im Genus Troglodytes eine Reduction des Centrale eingetreten, drei Genera durch die ihnen eigenthiimliche Modification des ursprüng- lichen Verhaltens sich enger aneinander schliessen würden. An den in Betreff des Centrale untersuchten Embryonalstadien suchte ich zugleich Auskunft zu erhalten über eine Frage, die sich an das Verhalten knüpft, welches das bei den meisten Primaten vor- kommende Sesambein des Abduetor pollicis longus zeigt, das, wie bekannt, ausser zu der Sehne des genannten Muskels zum Radiale und Carpale! Beziehungen hat, indem es in den radialwärts offenen Winkel, den beide begrenzen, hineingelagert ist. Dasselbe ist bei einigen Primaten ziemlich gross, so bei Cebus und Saimiris, wo es sowohl mit dem Radiale als dem Carpale ! ein Gelenk bildet; letz- teres ist auch bei Cynocephalus sphinx der Fall, während bei anderen eine Artieulation nur mit dem Radiale besteht, so bei Ateles, Inuus, ') In den drei untersuchten Stadien hat die Extremität vom Beginn der Achselfalte bis zur Spitze des 3. Fingers im ersten eine Länge von 4,5™™, im zweiten 1,2em und im dritten 2m, 2, Aus der Zerlegung des Scaphoid eines jungen Chimpanzé konnte ich keinen Anhaltspunet erhalten, dasselbe zeigte sich als continuirliches Knorpel- stück, an dem auf eine Verschmelzung zu beziehende histiologische Eigenthüm- lichkeiten sich nicht fanden, die aber sehr wohl bereits verwischt sein konnten. Vielleicht würde die Untersuchung des von Huxuey (I. ec. Vol. I pg. 563) er- wähnten, im Museum of the Royal College of Surgeons befindlichen Embryo eines Chimpanzé die Deutung sicher stellen lassen. 3) Dass derselbe Vorgang bei Indris stattgehabt, wird von MıvArT mit Be- zugnahme auf FiscHEr’s Beobachtungen an zwei Exemplaren von Lemur catta (Mococo) als nicht unwahrscheinlich bezeichnet. - Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 187 (cynomolgus und pithecus), Cercopithecus, wobei die Verbindung mit dem Carpale ' durch festes Bindegewebe vermittelt wird. Unter den Anthropoiden besitzt es der Orang, wo es, wie die Abbildungen von CAMPER !), VROLIK?), LucAE°) zeigen, ziemlich gross ist, es articulirt, wie ich an einem Exemplar finde, mit beiden benachbarten Carpusbestandtheilen ; bei Hylobates ist es relativ kleiner und bildet nur mit dem Radiale ein Gelenk. Beim Chimpanze scheinen nur GRATIOLET und Auıx®) es beobachtet zu haben; an zwei von mir untersuchten jungen Exemplaren findet es sich als kleines, rundliches Knorpelstiickchen, das einer kleinen Gelenkfacette am Radiale auf- liegt. Beim Gorilla scheint es zu fehlen, da auch Duverxoy, der den Muskel beschreibt, es nieht angibt. Indem diese Verhältnisse einen allmäligen Schwund des Sesambein wahrnehmen lassen, machen sie es nicht unwahrscheinlich, dass beim Menschen, der es bekanntlich im entwiekelten Zustand nicht besitzt, die vorübergehende Existenz desselben sich würde beobachten lassen. Ich habe es indess in den untersuchten Stadien nicht nachweisen können. Von Interesse wäre es, zu erfahren, ob das Sesambein bei den Formen, die es im ent- wickelten Zustand besitzen, in der Sehne zur Differenzirung gelangt oder selbstständig sich anlegt, da es nicht unwahrscheinlich ist, dass demselben mehr Bedeutung zukommt, als die untergeordnete eines Sesambein. Von GEGENBAUR®) ist, wie bekannt, dargethan worden, dass das (früher von ihm als Accessorium carpi aufgefasste) Pisi- forme ein morphologisch sehr interessantes Gebilde ist, indem es ein Rudiment eines fünften Strahls darstellt, von dem bei Enaliosauriern noch reichliche Ueberreste am ulnaren Rand der Extremität sich finden. Später ist von Mıvarr‘) mitgetheilt worden, HuxLey und HI OPEV Fig:07. 2) 1. e. Tf. VI Fig. 2. 3) 1. ec. Tf. 3 Fig. 8. In Betreff der Deutung Lucar’s (pg. 32, 33) cf. MivartT 3, pg. 319. 4) Dieselben sagen zwar (l. c. pg. 82) an dem von ihnen untersuchten Ob- jecte kämen Sesambeine nicht vor, bemerken aber, dass es wahrscheinlich sei, dass beim erwachsenen Thiere in der Sehne der Abd. poll. long. ein Sesambein sich finde, sie haben somit wahrscheinlich das kleine Sesambein in noch knor- peligem Zustande beobachtet. 5) ef. 9 pg. 347—349. z 6) 4 pg. 388—390. MivArT theilt diese Beobachtungen gelegentlich einer Besprechung der von GEGENBAUR begründeten Auffassung des Extremitätenskelets mit und findet, dass dieser Auffassung gewisse Schwierigkeiten entgegenstehen, indem die »Division of the os centrale« (die doch gar nicht behauptet worden ist) noch den Gegenstand einer Discussion bilden könne und die Existenz des 188 Dr. Emil Rosenberg Davis hätten ihn auf Exemplare von Ichthyosaurus aufmerksam ge- macht, die auch an der radialen Seite vextra ossicles« besitzen und da diese zweifellos als Radienrudimente zu betrachten sind, so ist damit ein Anhalt gegeben, eine ähnliche Deutung, wie sie von GEGENBAUR für das Pisiforme begründet worden, auch in Betreff des s. g. Sesambein des Abductor pollicis longus als möglich zu bezeich- nen und in demselben ein Rudiment eines am radialen Rand der Stammreihe existirt habenden Radius zu sehen. Für diese Deutung liesse sich anführen, dass das in Rede stehende Gebilde ausser bei Primaten auch in anderen Säugethierordnungen sich findet und dass, was für die Herkunft desselben belangreich erscheint, bei einem Chelonier, bei Emys europaea!) ein Knöchelehen existirt, das mit dem Carpale!, Radiale und dem Radius Beziehungen hat. Dass ein solehes bei Amphibien nicht vorhanden, bildet keine Schwierigkeit, da bei diesen, wie GEGENBAUR nachgewiesen hat, die Hand an der radialen Seite Reductionen erfahren hat. Gesichert wäre diese Deu- tung aber erst, wenn sich nachweisen liesse, dass die Beziehungen des s. g. Sesambein zur Sehne seeundärer Natur seien; dafür spräche vielleicht der Umstand, dass dasselbe bei Inuus und Cynocephalus der Sehne nicht einfach eingelagert erscheint, sondern mit einem abgezweigten Theil derselben in Beziehung steht, für die secundiire Natur der Verbindung mit der Sehne wäre es indess erst bewei- send, wenn sich beobachten liesse, dass das s. g. Sesambein dem Pisiforme correspondirenden, an der radialen Seite häufig, selbst bei Pri- maten, sich findenden Knöchelehens und der an der radialen Seite bei Ichthyo- Saurus vorhandenen Skelettheile mit dieser Auffassung nicht vereinbar sei. Diese Bemerkungen sind gemacht worden, bevor GEGENBAUR den Nachweis eines biserialen Archipterygium gegeben hatte und es ist nicht anzunehmen, dass MivarT selbst in den erwähnten Verhältnissen jetzt noch eine Schwierigkeit sieht und die Schlusssätze seiner Erörterung unverändert aufrecht erhält; der erste derselben, der nur für eine pentadactyle Form als typische eine Berechtigung sieht, war schon damals nicht ganz unanfechtbar, indem diese Form als Grund- form ausser dem an der radialen Seite sich findenden Knöchelchen auch das Pisiforme unerklärt lässt, und der zweite dieser Sätze, der unter Anderem auch von der Entdeckung neuer Formen für die Auffassung GEGENBAURr’s Etwas be- fürchtet, ist (was den eitirten Ausspruch anlangt) durch die ein Jahr später erfolgte Entdeckung des Ceratodus widerlegt worden. Ceratodus besitzt be- kanntlich einen Bau des Extremitätenskelets, der die Theorie GEGENBAUR'S, welcher die Möglichkeit auch einer biserialen Anordnung der Radien des Ar- chipterygium bereits in Erwägung genommen hatte, in einer Weise bestätigt, wie sie befriedigender nicht erwartet werden konnte. Die von GEGENBAUR als hypothetische Skeletform aufgestellte Grundform hat hier Realität. 1\ ef. GEGENBAUR 7 pg. 22 Tf. II Fig. 3. Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 189 sich isolirt anlegt, und erst spiiter mit der Sehne eine Verbindung eingeht. An den hierauf untersuchten Embryonen der Katze, welche das in Rede stehende Gebilde bekanntlich im entwickelten Zustand be- sitzt, habe ich im ersten Stadium weder die Sehne noch das s. g. Sesam- bein differenzirt gefunden, im zweiten dagegen beide bereits in den Beziehungen angetroffen, die ihnen im entwickelten Körper zukom- men. Da aber beide Stadien weit auseinander liegen und in Betreff des Menschen auch noch weitere Stadien in Betracht gezogen wer- den müssten, so kann die Untersuchung nicht als abgeschlossen an- gesehen werden. In einer soeben erschienenen Abhandlung von W. HENKE und C. REYHER (Studien über die Entwickelung der Extremitäten des Menschen, insbesondere der Gelenkflichen. Mit 4 Tafeln. Separ. aus d. LXX. Bd. d. Sitzber. d. k. Acad. d. Wiss. III. Abth. Juli- ‘Heft Jahrgang 1874) theilen die Verfasser pg. 52 mit, dass es sich beim menschlichen Carpus um die Anlage von 10 Carpalia handele und sagen: »Die zwei unerwarteten liegen in der radialen Hälfte und zwischen der ersten und zweiten Reihe der Handwurzel«. In dem einen, zwischen Capitatum, Trapezium und Radiale gelegenen, erkennen die Verfasser bei Embryonen aus dem zweiten Monat das im Carpus der Amphibien, Reptilien und einiger Säuger bekannte, bleibende Centrale, dem das beim menschlichen Embryo vorgefundene ym seiner Lage genau entspräche«. Der Deutung des Befundes ist selbstverständlich beizustimmen, auffallen darf aber, dass derselbe HENKE und REYHER unerwarteter Weise sich geboten hat, da die Frage nach der Existenz und dem Verbleib eines Centrale beim Menschen von GEGENBAUR, wie bekannt, aufgestellt und untersucht worden ist. Während die Verfasser, wie bereits bemerkt, den Be- fund an einigen Embryonen hinsichtlich des Centrale richtig gedeutet, sind sie nicht in der Lage, das bei einem älteren Embryo (aus dem 3. Monat) Gesehene sicher zu interpretiren. Hier finden dieselben (ef. Fig. 15) ein dem Naviculare »ansitzendes kleines Köpfehen«, das in der Erklärung der Figur »das theilweise mit dem Navieulare vereinigte kleine fragliche Körperchen« genannt wird, im Text bleibt es un- entschieden, ob dasselbe dem Centrale oder dem anderen » unerwar- teten Handwurzelglied« (das einmal, ef. Fig. 1, am Radialrande, dem Navieulare und Trapezium anliegend, gesehen wurde) gleichzu- stellen sei. Da der fragliche Theil, wie die Figur zeigt, in einer 190 Dr. Emil Rosenberg Situation sich findet, die dem Centrale zukommt, und die andere Möglichkeit nur unter der Voraussetzung einer durch Nichts zu mo- tivirenden beträchtlichen Lageveränderung des zweiten vüberzählig an- gelegten Handwurzelgliedes« statuirt werden könnte, so kann es auch ohne »weitere Vergleiehsschnitte« nicht fraglich sein, dass derselbe als Centrale anzusehen ist. Wäre die Angabe über die Form rich- tig, so könnte nur das redueirte Centrale vorliegen, da aber, wie die Fig. 15 zeigt, das Carpale? in seinem am meisten volar gele- genen Theil getroffen ist, so muss auch das volare Ende des Centrale im Durchschnitt vorliegen und es darf, da der dorsale Abschnitt des Centrale länger erhalten bleibt, angenommen werden, dass hier noch der ganze Skelettheil vorgelegen hat. Hinsichtlich des Verbleibs des Centrale scheint es, da dasselbe in späteren Stadien nicht mehr ge- sehen werde, HENKE und REYHER wahrscheinlich, dass es in das Naviculare aufgehe, für welche Annahme in den Verhältnissen bei Emys europaea und Simia satyrus eine Stütze gesucht wird. Wegen dieser Annahme musste auch die Interpretation der GRUBER’schen Fälle insofern nieht richtig ausfallen, als das Vorkommen derselben (weil das Centrale als isolirtes Gebilde reducirt wird) nicht aus einer »von der typischen Umwandlung desselben (Centrale) abweichenden unvollkommenen Reduction der Gliederzahl durch ihr Verschmelzen mit dem Naviculare« erklärt werden kann. In Betreff des zweiten Handwurzelgliedes sagen HENKE und REYHER, dass dasselbe nur in einem Beispiel, Simia satyrus, am ausgewachsenen Thier bekannt sei und schliessen sich der Deutung an, die LucAE demselben ge- geben (nach welcher es der vom Multang. maj. getrennten Eminentia carpi radialis inferior des Menschen entsprechen soll. Hierbei ist, davon abgesehen, dass, um ein Gebilde als einen Theil des Carpus zu bezeichnen, bei vorhandener Stammreihe in erster Instanz die Zuge- hörigkeit desselben zu einem Radius erwiesen sein muss, unberück- sichtigt geblieben, dass die Ansicht LucAe’s in ausreichender Weise bereits von Mivarr widerlegt worden ist und dass das Sesambein des Abduetor pollicis longus ein bei vielen Formen vorkommendes Gebilde ist, über welches in der Literatur zahlreiche Angaben vor- liegen. Ob nun aber der von HENKE und REyHER gesehene Be- standtheil, den sie selbst nieht mit Sicherheit auf das beim Orang vorkommende Gebilde beziehen, das genannte Sesambein ‘in transi- torischer Anlage vorstelle, womit die von mir untersuchte Frage eine theilweise positive Beantwortung erfahren hätte, muss deshalb zwei- felhaft bleiben, weil die Fig. 1 dasselbe nicht deutlich von Trape- Ueber die Entwickl. der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 191 zium abgegrenzt zeigt. Sicher kann die Interpretation desselben nicht, wie das von den Verfassern als möglich angesehen wird an die »Substitution des Radiale durch zwei Knöchelchen« anknüpfen, da nach den von GEGENBAUR aufgestellten Kriterien für die Beur- theilung des morphologischen Werthes der durch die Verknöcherung gesetzten Gliederung es bei einem Radiale zweifellos ist, dass der Modus der Verknöcherung desselben einen Schluss auf eine Ent- stehung aus mehreren Bestandtheilen nicht gestattet. Unter den Organisationsverhältnissen, auf welche die in Vor- stehendem mitgetheilte Untersuchung sich bezieht, findet sich keines, weiches den für die Untersuchung benutzten genealogischen Gesichts- punet unanwendbar erscheinen liesse, einzelne aber sind nur mit Hülfe dieses Gesichtspunctes verständlich. Letzteres spricht ebenso zu Gunsten desselben wie der Umstand, dass ohne diesen von der De- -scendenztheorie gewährten Gesichtspunct eine Veranlassung nicht vor- handen gewesen wäre, specielle Organisationsverhältnisse vorauszu- setzen und die Frage nach der Existenz derselben zu untersuchen. In den hierbei erlangten positiven Ergebnissen darf ein wenn auch geringer Beitrag gesehen werden zu dem Beweismaterial, welches der Erkenntniss dient, dass der Mensch mit den übrigen Organismen in genealogischen Beziehungen steht. Da dieser Auffassung die Einzel- ergebnisse der mitgetheilten Untersuchung sich unterordnen, erscheint es nicht unberechtigt, in Betreff derselben einen Zusammenhang zu statuiren mit der in der Einleitung bezeichneten allgemeinen Aufgabe der Diseiplin, deren Gebiet das behandelte Thema entnommen ist, und diesen Zusammenhang darin zu sehen, dass die erlangten Er- gebnisse — und das möchte ich für das Resultat der vorliegenden Untersuchung gehalten wissen — die Berechtigung stützen, vom Standpunet der Descendenztheorie aus die Aufgabe der Anatomie des Menschen aufzufassen. Verzeichniss der eitirten Literatur. Ü. BERGMANN, Ueber dorsolumbare und lumbosacrale Uebergangswirbel. Zeitschr. f. rat. Med. III. Reihe Bd. XIV. H. DE BLAINVILLE, Ostéographie ou Description iconographique comparée du squelette et du system dentaire de cing classes d’animaux vertebrées ete. Paris. Fasc. I—III. K. BOCKSHAMMER, Die angebornen Synostosen an den Enden der beweglichen Wirbelsäule. Zeitschr. f. rat. Med. 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Auf mehrereFigg. der Taf. Illu. IV Bezuig habende Bezeichnungen. / ch. = Chorda. v. = Wirbelkörper. Die neben dem Buchstaben stehende Ziffer zeigt an, der wievielste Wirbel der Gesammtreihe der bezeichnete ist, die in der Klammer \ hinzugefügte Bezeichnung bezieht sich auf die Stellung, die dem Wirbel in der betreffenden Region der Wirbelsäule zukommt, wobei d. Dorsalwirbel, c 1. Lumbalwirbel, s. Sacralwirbel, ed. Caudalwirbel bedeutet und die beige- fügte Ziffer die Stelle angibt, die der Wirbel in der Region einnimmt. Das a Zeichen Is. bezeichnet; den Wirbel als Lumbosacralwirbel, sed. als Sacro- caudalwirbel. ac. = Wirbelbogen, speciellere Bezeichnung wie bei v. p- I. = Seitenfortsatz, - - - - - ' p. t. = Querfortsatz, - - - - - _ p.a. p. = Processus artic. proximalis, speciellere Bezeichnung wie bei v. = p.2.d.— - - distalis 5 - = She ps. l. = Pars lateralis des Sacrum, die Zugehörigkeit derselben zu bestimmten i Wirbeln in der bei v. angegebenen Weise bezeichnet. cs. = Rippe, die Ziffer gibt an, die wievielste (von der des achten Wirbels | als erster aus gezählt) vorliegt. = i. = Ilium. 1. le. = Ligamentum lumbocostale. ~ mr. = Medullarrohr. — d.= dorsale Wand des das Medullarrohr enthaltenden Canals. = h. = Hornblatt. Fig. 1. Der Medianebene sehr nahe (rechts) liegender Sagittalschnitt aus dem - hintern Leibesende des Embryo I. f. = Furche, welche an der ventralen Seite die Basis des Vorsprungs am , hintern Leibesende umzieht. r.= Rectum. ? a, = Anus. = d.8. u. = Dorsale Wand des Sinus urogenitalis. Tox 196 Dr. Emil Rosenberg Fig. 2. Schnitt aus dem hintern Leibesende des Embryo III. 1. Der Schnitt liegt im distalen Theil in der Medianebene und weicht im Uebrigen im dorsalen Abschnitt etwas rechts, im ventralen etwas links von derselben ab. Das distale Ende des Medullarrohrs nicht intact. { f; r; a wie in Fig, 1. a.s. m. = Arteria sacralis media. s. u. = Sinus urogenitalis. d. W. s. = linker Wourr’scher Gang. g. h. = Genitalhöcker. a. p. = ventrale Bauchwand. Fig. 3. Schnitt aus dem hintern Leibesende des Embryo IV. 3. Der Schnitt liegt im Endabschnitt fast in der Medianebene und weicht im Uebrigen etwas rechts von derselben ab. f; r; a wie in Fig. 1. a.8.m.; 8.u.; g.h.; a. p. wie in Fig. 2. d. W. d. = rechter Wourr'scher Gang. d. M. d. = rechter MüLter’scher Gang. v.i.c.8. = Vena iliaca communis sinistra. v.s. m. d. = Vena sacralis media dextra. edr. = Caudalrudiment. Fig. 4 und 5. Zuderselben Serie wie Fig. 3 gehörig. Der Schnitt der Fig. 4 liegt in der Medianebene und ist durch einen Schnitt von dem der Fig. 3 und durch drei Schnitte von dem der Fig. 4, der links neben der Medianebene liegt, getrennt. Fig. 6. Frontalschnitt (aus dreien combinirt) aus dem Segment der Wirbel- siiule des Embryo IV. 3, welcher dem in Fig. 3 dargestellten Endabschnitt vor- hergeht. Fig. 7. Querschnitt durch den 20. Wirbel des Embryo IV. 2 A rechte Hälfte. Fig. 8. Querschnitt durch den 20. Wirbel des Embryo IV. 5 rechte Hälfte, Die Fig. zeigt, dass der auf den Querfortsatz zu beziehende Theil des Seiten- fortsatzes aus intercellularsubstanzreicherem Knorpel besteht. Fig. 9. Querschnitt durch den 21. Wirbel des Embryo IV. 1 A, linke Hälfte. Fig. 10—12. Zu derselben Serie gehörige Sagittalschnitte aus dem End- abschnitt der Wirbelsäule des Embryo III. 3. 10 liegt in der Medianebene, | 11 durch 5 Schnitte getrennt links neben derselben, 12 folgt durch einen Schnitt getrennt auf 11. Fig. 13. edr. Caudalrudiment eines Chimpanzé. Fig. 14. Aus drei aufeinander und den der Fig. 1 folgenden, annähernd sagittal liegenden Schnitten combinirter Medianschnitt des Endabschnitts der Wirbelsäule des Embryo I., «die mit A, B und © bezeichneten Theile der Fig. gehören den einzelnen Schnitten an. Fig. 15. Das in Fig. 3 dargestellte Caudalrudiment bei stärkerer (7°) Vergrösserung. Fig. 16—26. Zu einer Serie gehörige Querschnitte aus dem distalen Theil der Wirbelsäule des Embryo III. 2. In Betreff der Lage der Schnitte 16—24 vergl. Holzschnitt pag. 108. In Fig. 16 ist die verschiedene Beschaffenheit des Knorpelgewebes in dem auf ein Costalrudiment sich beziehenden Theil des Seitenfortsatzes und des Bogens angedeutet. In Fig. 25 ist der 34. Wirbel in Fe Fe :. ‘ Ueber die Entwickl, der Wirbelsäule u. das Centrale carpi des Menschen. 197 seinem ventral von der Chorda gelegenen Theil getroffen, in Fig. 36 geht der Schnitt durch die zu beiden Seiten neben der Chorda gelegenen noch nicht ver- schmolzenen Theile der bilateralen Anlage des 34. Wirbels. Fig. 27. Querschnitt durch die linke Hälfte des 25. Wirbels des Embryo IV. 1 A. Die bereits voluminöser gewordene rudimentäre Rippe ist durch die Stellung und Beschaffenheit der Knorpelzellen gegenüber der Seitenfläche des Körpers des Wirbels, dem Bogen und dem kaum angedeuteten Querfortsatz deutlich abgrenzbar; in der Fig. das verschiedene Alter des Knorpelgewebes an- gedeutet. Fig. 28. Sagittalschnitt aus der Pars lateralis des Sacrum (rechte Seite), der zugleich die Seitenfortsätze der beiden nächst priisacral gelegenen Wirbel an ihrer Basis getroffen hat, daher der dorsal gerichtete Abschnitt des Bogens zum Theil sichtbar. Vom Embryo IV. 3 A. Die den einzelnen Wirbeln zu- kommenden Antheile der Pars lateralis durch Einkerbungen des Randes der Schnittfläche markirt. Fig. 29. Dem der Fig. 28 correspondirender aber der Medianebene etwas näher liegender Sagittalschnitt. Embryo IV. 2. Fig. 30. Frontalschnitt aus der linken Hälfte des in Fig. 29 abgebildeten Wirbelsäulenabselmitts. : s.c. lL = Ligamentum sacrococeygeum laterale. Auf mehrere der Figg. 31—39 Bezug habende Bezeichnungen. R = Radius. c 2 = Carpale ?. u, Ding c¢ 3 = Carpale 3. E r-= Radiale. c 4+ = Carpale ?+°. i = Intermedium. Me I, II, V = Metacarpale I, II, V. u = Ulnare. fl.c.r. = Sehne des M. flexor carpi c = Centrale. radialis. ce != Carpale |. ie Se 2 z ; Kur a Fig. 31. Dorsovolarschnitt aus dem linken Carpus des Embryo IV. 3) = 2 & = a Fig. 32. - = = = 3 = lv. 4 £22 2 = 2 mc ie. 3: T ES Fig. 33. - Sue £ = ä HEN Sa Fig. 34. = as ee = 4 a = 7 @ aa 3 8 Vile a ee 8 Fig. 35. Fünf Radialia aus dem rechten Carpus erwachsener Menschen in der Ansicht von der radialen Seite. Fig. 36. A: Carpale | 2 3 und B: Radiale aus demselben (rechten) Carpus eines erwachsenen Menschen; die drei ersteren in der Ansicht von der dorsalen Seite, wob>i dieselben zugleich um die Queraxe des Carpus eine geringe Drehung mit dem proximalen Ende dorsalwärts erfahren haben. Das Radiale in der Ansicht von der radialen Seite. \ Fig. 37. Die gleichen Bestandtheile wie in Fig. 36, in derselben Situation dargestellt aus dem rechten Carpus eines anderen Individuums. A und B wie in Fig. 36. Fig. 38. Flächenschnitt aus dem rechten Carpus des Embryo IV. 3. Fig. 39. Flächenschnitt aus dem linken Carpus eines Embryo der Katze (Stad. II.). wir nt: er = & 3 NE Sa 0) es | © a Ss = a N RR, a Ri r R S 2 = § 3 5 & Lith Ansty. RE % ahrbuch BEI el. oasnbers. d More bad z eae = 4 Aophol dobrbuch Bd. o . "Yin Figd4 732 " p30 p29. Fig th fig. ’ Or, VIO dN, 0.20 48) d Bhat] D258) 26/0) ~ Used) 0.2085, BIG Oss ets } ss | r (ith Ans 1 GBah teeny Alinebirgaal / ge Jahrbuch, 2.1. = rn pp ze u Fig.19. pst > Tu Hh seal. OB — 024622) nal a Ss? pal aed Fig. 24. Pan: = LEITEN i DILL Se DIS ede) . pet pl RUSS ta vert, det oz . >. a ‘ 4 - x erg del _ Morphol. Jahrbuch. Bd. 1. = b Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). Von Prosector Dr. B. Solger. Aus dem anatomischen Institut zu Breslau. (Hierzu Fig. 1 u. 2 auf Taf. VI) Die seit WIEDEMANN!) bestimmter constatirte Thatsache, dass bei Bradypus-Arten die Zahl der Halswirbel auf 8 und 9? steigt, hat im Laufe der Zeit von verschiedenen Forschern verschiedene Deutung erfahren. Zwei Ansichten stehen sich gegenüber: die eine, als deren Vertreter ich Barr, Jon. MÜLLER, DE BLAMVILLE und Rapp nenne, erkennt die 8 oder 9 ersten Wirbel als echte Hals- wirbel an; auf der andern Seite — und hier sind Tu. BELL und GEGENBAUR aufzuführen — wird die Vermehrung der Halswirbel- säule um 1 oder 2 Segmente »aus dem Uebergange von Brustwirbeln in den Halsabschnitt« erklärt, »ebenso wie eine Verminderung auf 6 bei Choloepus und dem australischen Manati aus einer vollständi- geren Entwicklung der Rippe des siebenten Halswirbels ableitbar ist®)«. Eine vermittelnde Stellung in dieser Frage nimmt gewisser- massen MECKEL*) ein, der sich freilich vorsichtig genug äussert. 1) S. J. F. MECKEL, System d. vergl. Anat., 2. Th., 2. Abth. pag. 274. — MILNE EDWARDS (Lecons sur la physiol. ete., Band 12, 2. Abth. pg. 338) schreibt übrigens Cuvier die erste Beobachtung zu. 2) An einem von Rapp (Anat. Unters. üb. d. Edentat. 1843, pg. 18) unter- suchten Skelet von »Br. cuculliger Wagl.« sind sogar 10 Halswirbel gezählt worden. 3) GEGENBAUR, Grundriss d. vergl. Anat. 1874, pg. 442. 4) 1. c. pg. 275. Morpholog. Jahrbuch. 1. 14 » + 200 B. Solger »Vielleicht, heisst es, ist sogar der untere (d. h. der neunte) Hals- wirbel des Ai mehr erster Rückenwirbel als Halswirbel«, und so würde denn nach MEckeEu die Zahl der Halswirbel der Säuger nur zwischen 6 und 8 schwanken. Die früher (1811) von demselben Autor!) aufgestellte Deutung der »Mehrzahl« der Halswirbel beim Ai (Br. tridaetylus), wonach dieses Verhalten im Verein mit andern Puncten als Vogelähnlichkeit aufgefasst wurde, die ihn zwischen Säugethiere einerseits und Vögel und Reptilien andrerseits stellen sollte, findet sich später nicht mehr erwähnt. 3 Ich schliesse mich der von BELL und GEGENBAUR vertretenen Ansicht an. Gerade der Umstand, dass innerhalb einer Familie alle Zahlen von dem Minimum bis zum Maximum der bei Säuge- thieren überhaupt beobachteten Schwankungen vorkommen, weist darauf hin, dass eine befriedigendere Erklärung gesucht werden muss, als die ist, welche die Annahme einer verschiedenen Gliede- rung desselben Abschnittes der Wirbelsäule zur Voraussetzung hat. Denn wenn dies auch von den Vertretern der zuerst erwähnten Mei- nung nicht direct ausgesprochen wurde, ein anderer Gedanke kann einem der gewichtigsten derselben, JOH. MÜLLER, kaum vorgeschwebt haben, alg er in der Myxinoiden-Anatomie?) »Berr’s Ansicht, als habe das (dreizehige) Faulthier die gewöhnliche Anzahl der Hals- wirbel und seien der achte und neunte Halswirbel schon Rücken- wirbel mit Rudimenten von falschen Rippen«, für unrichtig erklärte. Auch an einem andern Orte?) bei Besprechung der Coutroverse DE BLAINVILLE'S mit Ta. Bern über denselben Gegenstand beruft sich Jon. MÜLLER auf die Erledigung, die derselbe schon früher in seinem grossartigen Werke gefunden habe. Den Beweis für seine Deutung findet er in der beim menschlichen Foetus, wie beim Faul- thiere gleichartigen Verknöcherung der ventralen Schenkel an, den Querfortsätzen der letzten Halswirbel. Der selbstständige Knochen- kern, der hier auftritt, wird als Rippenrudiment aufgefasst und die Uebereinstimmung dieses Verhaltens als Beweis für die Gleich- werthigkeit der letzten Halswirbel, hier sowohl wie dort, verwerthet. Nun lassen sich aber eben dieselben Thatsachen, wie mir scheint, mit viel grösserer Berechtigung als Argumente für die zweite An- sicht benutzen. Es kann aus der Stammesgeschichte der Säugethiere 1) J. F. Meckeı, Beitr. z. vergl. Anat., 2. Bd., 1. H.. pg. 131. 2) Abhandl. d. K. Acad. d. Wiss. z. Berl. 1836, pg. 301. 3 MÜLLER’'S Archiv f. Anat. ete., Jahrg. 1840, pg. CXCIV. Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). 201 der Nachweis geführt werden, dass diese jetzt ımdimentären Hals- rippen bei den Voreltern derselben wirkliche bewegliche Rippen dar- stellten. »Bei den Säugethieren«, um mit GEGENBAUR'S!) präcisen Worten zu reden, »sind die Halsrippen — vollständig in die Wirbel aufgegangen und nur in der selbstständigen Verknöcherung . macht sich das ursprüngliche Verhältniss deutlicher bemerkbar, sowie auch hin und wieder am letzten Halswirbel eine freie Rippe erscheint«. Finden sich nun bei Bradypus auch an dem $., resp. 9. Wirbel Hals- rippen vorstellende Rudimente, während dagegen bei Choloepus Hoff- manni Peters?) schon der 7. Wirbel eine bewegliche Rippe trägt, so ist es gewiss nicht zu kühn zu behaupten, derselbe Vorgang, der bei den Säugethieren im Allgemeinen zur Verkiimmerung der ersten ursprünglich beweglichen Rippen bis zum 7. Halswirbel führte, habe innerhalb der Familie der Faulthiere theils eher sistirt (Cho- loepus Hoffmanni), theils weiter gegen das Körperende hin vor- gegriffen (Bradypus), und zwar hier mit demselben Effect wie bei den übrigen Mammalia, weil die folgenden (8. u. 9.) Wirbel unter gleiche Verhältnisse geriethen, wie die letzten der sog. »echten« Halswirbel. Die Halswirbelsäule vom Bradypus repräsentirt daher dem Verhalten von Choloepus Hoffmanni, sowie der Siebenzahl fast aller übrigen Säugethiere gegenüber den späteren Zustand, und pa- laeontologische Thatsachen stehen mit dieser Auffassung im Ein- klange. So weist nach Owen’, keines der ausgestorbenen Urfaul- thiere mehr als 7 Halswirbel auf. Der 8. und 9. Wirbel bei Bradypus ist also trotz der ungewöhn- lichen Gestaltung der Rippe dem 8. und 9. Wirbel aller übrigen Säugethiere, d. h. dem 1. und 2. Brustwirbel mit beweglichen Rippen vollkommen homolog, oder — da die Homologie vom Atlas, bezie- hungsweise Epistropheus von Niemandem als ungiltig angesehen wird und ferner die Reihen-Homologie der 5 folgenden » echten« Hals- wirbel aus dem eben Auseinandergesetzten ohne Weiteres folgt. — mit andern Worten: In der ganzen Säugethierreihe sind bis zum 9. Wirbel inel. die Wirbel gleicher Ordnungs- zahlen (also der 1. dem 1., der 2. dem 2., der 5. dem 5. u. 8. f.) untereinander streng homolog, mögen sie beweg- 1) GEGENBAUR, Grundzüge d. vergl. Anat. 1570, pg. 620. 2) S. Firzincer, die Arten d. nat. Fam. d. Faulth. im LXII. Bd. d. Sitzb. ‘d. K. Acad. d. Wiss. in Wien (1871). 3) R. Owen, Anat. of vertebr., vol. II., pg. 400 14* 202 B. Solger liche Rippen tragen oder nicht. Wir werden später Gelegen- heit haben, auf diesen Satz zurückzukommen, der die Annahme einer durch zwei fixe Puncte (Os basilare oceip. und 1. Brustwirbel) uni schriebenen Halswirbelsäule und damit im Zusammenhang die An- nahme einer verschiedenen Gliederung dieses Abschnittes oder Ver- schmelzung (— nicht Verwachsung!) und Ausfall!) gewisser Seg- mente als Ursachen der Zahlendifferenzen desselben ausschliesst: Während also die Halswirbelsäule der Edentaten und speciell die von Bradypus vielfache Berücksichtigung gefunden hat, so gilt das keineswegs in gleichem Maasse von den zugehörigen Spinalnerven, die doch die phylogenetisch älteren und wichtigeren Gebilde repräsen- tiren. Der Plexus brachialis von Choloepus ist, soviel mir bekannt, bisher nicht beschrieben worden, und auch die Literaturangaben, die — auf die gleichen Nerven vom Ai sich beziehen, scheinen sich auf die Bemerkungen von BAER und Rapp zu beschränken. Dem erst- genannten Autor zufolge?) bilden die 5 letzten Halsnerven mit dem ersten Rückennerven das Armgeflecht. Der Umstand, dass »der plexus brachialis seine unterste Wurzel aus dem Zwischenraum der ersten und zweiten wahren Rippen zieht«, wird von BAER als Beweis für die, wie schon erwähnt, von ihm gebilligte Deutung des neunten Wirbels als eines Halswirbels angesehen. In gleichem Sinne sprieht sich Rapp?) aus, der das Armgeflecht aus den 4 letzten Cervical- nerven (7. 8. 9. und 10.) und dem 1. Dorsalnerven entstehen lässt. In neuerer Zeit hat der Plexus brachialis und die Museulatur des Schultergürtels der Wirbelthiere von den Amphibien aufwärts durch M. FÜRBRINGER®) eine genaue Bearbeitung gefunden, die jedoch erst zum Theil publieirt ist. Die verschiedene Tendenz, welche diese Zeilen verfolgen, sowie die von FÜRBRINGER’S Gesichtspunet beträcht- lich abweichende Anschauung, die hier vorgetragen werden soll, rechtfertigen es, dass dieselben Gebilde zum Ausgangspunet ge- nommen werden, deren Darstellung von anderer Seite vielleicht in Kürze zu erwarten steht. a Zunächst einige Worte über das Untersuchungsmaterial. Es stand mir durch die Güte des Herrn Professor Hasse, dem ich hier- 1!) Im Sinne FÜRBRINGER'S (Zur vergl. Anat. d. Schultermuskeln, Jenaische Ztschr., Bd. 7, pg. 287. Anm. 1). 2) 8. MECKEL'S deutsch. Arch. f. d. Phys., 8. Bd., pg. 354 figd. 8 I. c. pg. 18. AY LEse: Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes) . 203 mit meinen aufrichtigen Dank ausspreche, je ein Exemplar von Cho- loepus didactylus und Bradypus tridaetylus zu Gebote, ersteres intact, letzteres von früherher durch Darstellung der Museulatur und Blos- legung des. Plexus brachialis theilweise verletzt, weshalb hier einige neurologische Detailangaben theils fehlen, theils nieht mit der wün- sehenswerthen Genauigkeit wiedergegeben werden konnten. Es wird kaum nöthig sein, noch ausdrücklich zu bemerken, dass auch die- genaueste. Präparation eines Exemplars irgend einer Thierspecies nicht beanspruchen kann, ein für allemal das normale Verhalten fest- gestellt zu haben. ‚Die untersuchten Thiere zeigten folgende Maasse: Ch.!) von der Sehnauze bis zur Schwanzspitze 30, Br.') 34 . Bei Ch. hatten vordere, und hintere Extremität beiläufig dieselbe Länge (ca. 20 °™); bei Br. mass die vordere 31, die hintere 23 °"; das Verhältniss der- selben zu einander stellt sich also wie 135: 100. Nach BAER?) ver- hält sieh die. »Summe von Ober- und Unterarm zum Ober- und Unterschenkel« im erwachsenen Ai wie 155 : 100, im jungen wie 175: :.100. Die Anordnung des Stoffes ist durch die Gruppirung der Aeste des, Plexus brachialis, wie ich sie bei FÜRBRINGER ) finde, gegeben. Ich folge ihm fast in allen Puneten und unterscheide nach ihm: 1) Nn. thoraeiei superiores, »dem menschlichen N. dorsalis scapulae und N. thoracicus posterior 8. lateralis« entsprechend, 2) Nn. brachiales superiores, »Homologe der menschlichen Nn. subseapulares, N. cutaneus brachii internus minor (mit Be- schränkung), N. axillaris und N. radialis«, 3) Nun. brachiales inferiores und Nn. thoracici inferiores, »zu vergleichen den menschlichen Nn. thoraeiei s.. pectorales anteriores, N. cutaneus brachii internus major s. medius, N. musculo-cutaneus, N. medianus und N. ulnaris (mit Beschränkung) ; von den Nn. thoracici s. pee- torales anteriores kann der zum M. subelavius gehende Ast als spe- cielles Homologon der Nn. thoracici anteriores aufgefasst werden « (FURBRINGER). Eine Bemerkung bezüglich der Aufführung des N. suprascapularis, den FÜRBRINGER bei Aufzählung der menschlichen Nerven nicht speciell erwähnt, sowie des N. cutaneus brachii internus ') So sei in Zukunft, wo Missverständniss unmöglich, Choloepus didactylus und Bradypus tridactylus der Kiirze halber bezeichnet. / 2) 71. €. pe. 354. 3) 1. e. pg. 254, u. Anm. 2; 204 B. Solger minor innerhalb der zweiten Gruppe (Nn. brachiales sup.) mag bei der Schilderung der genannten Nerven selbst Platz finden. Der vorderste Nerv, der bei Choloepus in Beziehung zum Plexus brachialis tritt, ist der 4. Cerviealnerv. Er sendet (Fig. 1) einen ansehnlichen Verbindungsast nach hinten zum ventralen') Ast des folgenden Halsnerven, der dann mit dem 6. Cerviealnerven den vor- dern Theil des Armnervengeflechts darstellt. Die zweite, mehr gegen das Körperende gelegene Hälfte des Plexus wird von Fasern des 7. und 8. Cervical-, sowie des 1. Dorsalnerven gebildet, die an Stärke unter sich ziemlich gleich sich verhalten. Zu ihnen gesellt sieh ein schwacher Ast vom 2. Dorsalnerven. Die vordere (diese freilieh erst nach Abgabe der Nn. thoraeiei posteriores, sowie des N. suprascapularis und eines Theils der Nn. subscapulares) wie die hintere Partie des Geflechts spaltet sich in einen dorsalen und ven- tralen Theil, die ihrerseits wieder zu zwei Hauptstämmen (Fig. 1, A und B) sich verbinden. Der Nervenstrang A ist also das Pro- duet der Vereinigung jenseits der Plexusbildung sieh wieder abzwei- gender, dorsaler Aeste beider Hälften des Armnervengeflechts und enthält somit Fasern aus allen am Plexus sich betheiligenden Spi- nalnerven. In gleicher Weise wird der Stamm B von den zwei ven- tralen Hauptästen zusammengesetzt?). Wesentlich ebenso gestaltet sich die Anordnung des Plexus und seiner Aeste bei Bradypus tridaetylus®), nur dass hier Nerven anderer Ordnungszahlen das Geflecht hervorgehen lassen. Die vordere Partie desselben, bei Ch. von einem Aste des 4., und vom 5. und 6. Cer- vicalnerven gebildet, gehört hier dem 7. und 8. an (Fig. 2). Der 6. Cervicalnerv gibt, wenn er überhaupt, wie BAER angibt, in Be- ziehung zum Geflecht tritt, wohl nur einen sehr geringen Theil seiner Fasern dahin ab. Bei dem Zustande, in dem das Exemplar von Br. sich befand, war es mir leider versagt, die Betheiligung des 6. Spinalnerven am Plexus brachialis exaet nachweisen zu können. Der 9., 10. (hinter dem wegen der Jugend des Thiers noch knor- ') Auch später sind, wenn die verschiedenen Wurzeln des Armgeflechts der Kürze des Ausdrucks halber als 5., 6. ete. Spinalnerv schlechtweg bezeichnet werden, nur die ventralen Aeste derselben gemeint. 2) Beiläufig sei hier zweier Wurzeln des N. phrenicus gedacht, die aus der ventralen Fläche der Schlinge zwischen 5. und 6. Cerviealnerv stammen und mit der vom 4 C.-N. sich abzweigenden zu einem gemeinsamen Stamm zu- sammentreten. 3) Ueber die Angaben von BAER und Rapp s. Ob. Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). 205 peligen und beweglichen Ripdenrudiment hervortretend), 11. (1. In- tercostalis) Spinalnerv und ein Aestchen vom 12. (2. Intereostalis) vereinigen sich zur hinteren Hälfte des Plexus. Die nochmalige Ver- schmelzung dorsaler Fasern zu einem Strang A und ventraler Fasern zu einem Stamm 3, die somit Fasern aus allen den Plexus consti- tuirenden Nerven führen werden, tritt auch hier auf. Ebenso zweigen sich nach der Bildung des erstgenannten Stranges ab: der N. dor- salis scapulae (aus dem 8. Cervicalnerven stammend), der N. supra- scapularis (aus dem 7.) und ein mit zwei Wurzeln entspringender N. subscapularis (aus der Ansa zwischen 7. und 8. Cerviealnerven). Ueber den N. thoracicus posterior, sowie über etwaige Ursprünge des N. phrenicus aus den im Plexus aufgehenden Cervicalnerven kann ich keine sicheren Angaben beifiigen. I. Nn, thoracici superiores. 1. Ndorsalis seapulae. Die frühzeitige Abzweigung des Nerven bei Ch., wie Br. wurde : bereits erwähnt. Er endet im M. rhomboideus, der bei Ch. von den Dornfortsätzen der letzten Halswirbel und der 4 ersten Brustwirbel, bei Br. von den Dornfortsätzen des 2.—5. Brustwirbels entspringt. Er wird an der Ursprungsstelle von hinteren Aesten der oberen In- tercostalnerven durchsetzt. Ansatz: Basis scapulae. 2. N. thoracicus posterior. Entspringt bei Ch. mit 3 Wurzeln, von denen 2 aus dem 5., eine aus dem 6. Cervicalnerven stammt, und zwar von der dorsalen Oberfläche derselben. Die Muskelmasse der scaleni wird von diesen Zweigen durchsetzt, die dann erst zu einem Stamm ‚sich vereinigen und im M. serratus anticus major endigen. Dieser Muskel entspringt bei Ch. von den unteren Halswirbeln, und zwar von den hinteren Höckern der Querfortsätze und von den 8 ersten Rippen, um an der Basis scapulae seinen Ansatz zu erreichen. Bei Br. fand ich ihn von dem dorsalen Hicker des 8. Halswirbels, yon dem Rippenru- diment des 9. und von der 1.—8. Rippe entspringen, also trotz der gleichen Zahl der Rippen nicht gleichen Ursprungs mit dem gleich- namigen Muskel bei Choloepus. Der vordere (Hals-) Abschnitt des 206 B. Solger Muskels ist als M. levator anguli scapulae gedeutet worden... So sagt MEckEu ! : »Beim Ai fehlt er, oder geht ‚blos als ein sehr kleiner dünner Muskel, den man kaum vom vorderen Theile des grossen vordern Sägemuskels unterscheiden kann, an die, zwei letzten Hals- wirbel«e. Auch bei Hyrkru (Anat. d. M.) finde ich eine hierhergehö- rige Angabe, bei der Schilderung des menschlichen Schulterblatt- hebers, der »bei vielen Säugethieren mit, dem Serratus anticus major zu einem Muskel verwachsen« sei. Aus der obigen Schilderung geht hervor, dass mit dem Herabriicken des Schultergürtels gegen das Körperende hin bei Br. ein Herabsinken der Ursprungsstellen . des Sehulterblatthebers oder des Halsabschnitts des M. serratus Hand in Hand geht. Ob dieses Verhalten besser als Folge der Lageverän- derung des Schultergürtels oder als mitwirkende Ursache aufzufassen sei, lasse ich dahingestellt. ll. Nn. brachiales superiores. Ein eclatantes Beispiel gleicher Abzweigung aus dem Plexus und gleicher Verlaufsbahn bei Ch. und Br. liefern, trotzdem in beiden Fällen Spinalnerven verschiedener Ordnungszahl das Geflecht her- stellen, die Nn. subscapulares, so dass eine Beschreibung für beide gilt. Von 3 verschiedenen Orten spalten sie sich ab: 1) aus dem oberen Umfang des Anfangstheils des Stammes A, 1—2 Stämmchen zum M. subseapularis; 2) vom unteren Umfang des Stammes A, nach der Entstehung der vorigen, ein langer Ast, der für den M. teres major Fasern abgibt und hierauf in der Nähe des vorderen Randes des M. latissimus dorsi in diesen Muskel sich einsenkt; 3) aus der Bahn des N. axillaris, der übrigens selbst wieder einen Ast des Stammes A darstellt. Unmittelbar bevor der N. axillaris, den hinteren Rand des M. subscapularis kreuzend, dorsalwärts sich wen- det, zweigt sich ein feines Stämmechen ab, das in dem genannten Muskel, unweit seiner Insertionsstelle endet. Vom M. subscapularis bei Ch. ist nichts Besonderes zu berichten, wohl aber erfordert die tiefe Portion des Muskels bei Br., wie ich sie vorläufig nennen will, eine eingehendere Berücksichtigung. Hier entspringt, vom übrigen Muskelbauch getrennt, und theilweise vom hinteren äusseren Rand ol. c. pg. 478, Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). 207 desselben überlagert, von dem lateralen Drittel des hinteren, äusseren Seapularrandes ein schiniichtiger Muskelstreif, mit horizontal nach aussen und ventral von der Ursprungssehne des langen Kopfes des Triceps verlaufenden Fasern, die sehnig geworden, mit der Kapsel des Schultergelenks verschmelzen. Ein Nervenstämmchen, aus der Bahn des N. axillaris stammend, tritt, wie schon erwähnt, in den- selben ein, ein zweites von gleichem Ursprung tritt in die übrige Hauptmasse des M. subscapularis ein. ‘Welche Bedeutung kommt nun diesem durch Innervation und gesonderten Ursprung von dem übrigen Muskel getrennten Gebilde zu? Von HExtE!) wird eines accessorischen, durch THEILE zuerst beschriebenen Subscapularis des Menschen gedacht, »welcher vom lateralen Rande des Schulterblatts vor dem M. anconeus longus ent- springt und in die Gelenkkapsel oder über dieselbe zum Armbein geht, wo er sich zwischen dem M. subscapularis und teres major befestigt«. Ich stehe nieht an, diesen M. subscapulo-capsularis, wie er bei Macalister?) heisst, als das Homologon der tiefen Portion des M. subscapularis beim Ai zu betrachten, wenn auch MECKEL*) den M. teres minor darin sehen will. Denn er hat offenbar diesen eben besprochenen Theil des M. subscapularis im Auge, wenn er den »kleinen runden Muskel« folgendermassen beschreibt: »Beim Ai ist er nicht sehr deutlich vom Unterschulterblattmuskel getrennt, viel kleiner als der äussere«.: Nun ist aber der M. teres minor bei Choloepus wie beim Menschen dorsal vom langen Kopf des Triceps gelagert, während er bei Bradypus — Mecker’s Deutung als richtig vorausgesetzt — ventral vor demselben vorbeiziehen würde. Ob- wohl nun auf die Aenderung der topographischen Anordnung der Muskeln an und für sich nieht zu grosses Gewicht zu legen ist, und es sich auch wohl denken lässt, wie dureh successives Ver- rücken der beiderseitigen Muskelursprünge das bei Br. geltende Ver- halten von dem Ch. eigenen abgeleitet werden kann, so ist doch nicht ausser Acht zu lassen, dass wir es mit nahe. verwandten For- men zu thun haben, welche, soweit die vorliegenden Untersuchungen es zu übersehen gestatten, in den Lagerungsbeziehungen der Muskel zu einander gut übereinstimmen. Das sonst bei Aufstellung der Homologie der Muskeln wichtigste Moment gleicher Innervation, ‘bei 1) HENLE, Anat. d. M., Muskell. pg. 183. 2) 1. c. i eupg.. 513. 208 B. Solger Plexusbildung, wie weiter unten auseinandergesetzt werden soll, auch für die dem Geflecht entstammenden Nerven gleicher Verlaufs- bahn, die aber verschiedenen Spinalnerven angehören können, zu verstehen, lässt hier im Stich. Der Nerv gleichen Verlaufs, hier der N. axillaris, gibt bei Ch. wie bei Br. zunächst Fasern zum M. subseapularis ab, bei Br. aber ein gesondertes Aestchen zu der tiefen Portion desselben, das’ recht wohl als motorischer Ast zu einem M. teres minor, der ja sonst dem Verbreitungsgebiet des Axillarnerven angehört, gedeutet werden könnte. *So scheint mir denn das wenn auch nur als Varietät beobachtete Vorkommen eines accesso- rischen M. subscapularis oder M. subscapulo-capsularis beim Men- schen bei gleichzeitiger Ausbildung eines M. teres minor für die Entscheidung der Frage wichtig genug. Ch. und Br. würden also je einen der Muskeln aufweisen, die beim Menschen unter Umständen beide sich finden. M. latissimus dorsi. Etitspringt bei Ch. sehnig von den Dorn- fortsätzen der letzten Brustwirbel (vom 6. abwärts) und der Lenden- wirbel, mit fleischigen Zacken von der 11.—13. Rippe. Bei Br. lässt ihn Mecket!) »von der bei weitem grössern hin- tern. Hälfte der Wirbelsäule und acht Rippen, der dritten bis zehnten von hinten an« entspringen. Es würde also — 15° Rippen ange- nommen — die 13.—6. Rippe gemeint sein. 'MECKEL rechnet hierher ohne Zweifel Theile des M. pectoralis major, wie aus der Beschrei- bung dieses Muskels ersichtlich sein wird. Ursprungszacken des breiten Rückenmuskels kann ich nur für die 9.—13. Rippe bestä- tigen. Vom M. teres major ist nichts Bemerkenswerthes zu be- richten. 2. N. suprascapularis. Von FURBRINGER (l. e.) unter den menschliehen Nerven nicht ausdrücklich erwähnt. Ich gaube nicht fehl zu gehen, wenn ich ihn vor dem N. axillaris unter den Nn. brach. sup. besonders ab- handle. Er stammt bei Ch. aus der Verbindungsschlinge zwischen dem 5. und 6., bei Br. aus der zwischen dem 7. und 8. Cervical- nerven. Durch ein dem vordern Rand der Seapula nahe gelegenes Loch gelangt er auf die Dorsalfläche des Schulterblatts und endet 1) 11. ve. ppg. 1902, Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). 209 im M. supra- und imfraspinatus. Bei Ch. geht bestimmt kein Ast desselben zum M. teres minor. 3..,N. ‚axıllarıs. Vom Stamm 4 (Fig. 1 und 2) sich abzweigend, gelangt er, zwi- schen Oberarmknochen und dem langen Kopf des M. triceps durch- tretend, den humerus umgreifend auf die Dorsalseite. Er endet bei Br. mit motorischen Fasern im M. deltoideus. Derselbe Muskel wird bei Ch. von ihm versorgt, und ausserdem, wenn ich dies auch nicht mit absoluter Sicherheit behaupten kann, der M. teres minor; ein be- trächtlieher Ast geht, die Insertionsstelle des Deltamuskels durch- setzend, zur Haut der äussern Fläche des Oberarms. M. deltoideus. Bei Ch. von der Spina scap., dem Acrom. und der Clavie. entspringend. Die medialen Fasern ziehen gerade nach abwärts, im Verein mit der oberflächlichen Portion des grossen Brust- muskels den Biceps brachii verdeckend. Weit mächtiger als bei Br., wo wegen des rudimentären Schlüsselbeins der Ursprung des Delta- muskels viel weniger ventralwärts ausgedehnt erscheint. Von dem ventralen Abschnitt zweigt sich bei Br. ein schmäehtiges Bündel ab, das mit seiner strangförmigen Sehne an die des kurzen Kopfes des Biceps sich anschliesst. — M. teres minor, beim Ai fehlend, entspringt bei Ch, ‚deutlich vom M. infraspinatus getremnt, vom lateralen Drittel des hinteren Scapularrandes, und überlagert, wie beim Menschen, den Ursprung des langen Tricepskopfes von der Dorsalseite her. 4. N. radialis. Der nach Abgabe des N. axillaris merklich schwächer gewor- dene Rest des Stammes 4 verläuft bei Ch., nachdem er den hin- tern Rand des M. subscapularis überschritten hat, in eng gewun- dener Spirale von innen nach hinten lateral und unten um den hu- merus, dessen äussere Kante er beiläufig in der Mitte des Knochens erreicht. Er liegt nach Abgabe eines bedeutenden Hautastes in der Tiefe der Furche zwischen M. brachialis internus und M. supinator longus. Die von ihm am Oberarm abgegebenen motorischen Aeste sind ausschliesslich für den M. triceps bestimmt. — Im Wesentlichen gilt diese Beschreibung des N. radialis von Ch. auch für Bradypus tridactylus. 210 B. Solger M. triceps. Bei Ch. ist die Grenze zwischen äusserem und innerem Kopf des Triceps, die ja theilweise mit der Bahn des N. ra- dialis zusammenfällt, nicht so ausgesprochen, wie bei Br. Den ac- cessorischen, vom Latissimus dorsi entspringenden Kopf, der, wie ich nochmals bemerken will, ebenfalls vom N. radialis versorgt wird, haben beide, wie die meisten Säugethiere |MEckeEr) '). Er inserirt, wie es auch MECKEL vom Ai angibt, an dem untern Theil der in- nern Kante und dem Condylus internus humeri. 5. N. eutaneus brachii internus minor. Ueber ihn kann ich nur von Ch. sichere Mittheilung machen. Er stellt hier den einzigen Nerven der zweiten Gruppe dar, welcher dem hintern Theil des Plexus entstammt. Aus der vom 8. und 9. Spinalnerven gebildeten Schlinge vor der Spaltung des hintern' Ab- schnitts des Geflechts in eine dorsale und ventrale Partie entstanden, zieht er über den aceessorischen Kopf des Triceps hinweg zur Haut der Innenfliiche des Oberarms. An der Versorgung dieser Haut- partie betheiligt sich ein aus dem 2. Intercostalnerven stammender N. intercosto-humeralis. ill. Nn. brachiales inferiores und Nn. thoracici inferiores. 1. Nn. thoracici inferiores. a) Zwei Nervenstiimmchen, die aus dem hintern (untern) Umfang des Stammes B (Fig. 1 und 2) stammen, und bei Ch. wie bei Br. in dem gleich zu beschreibenden M. pectoralis major endigen. Aeste aus dem 6.—8. Intercostalnerven von Choloepus stammend gehen, die tiefe Portion des Muskels durchbohrend, zur Haut. M. pectoralis major. Bei Choloepus wie bei Bradypus- lassen sich, wie es auch beim Ai von MECKEL geschieht. zwei. Portionen unterscheiden. Erstere entspringt wesentlich vom Sternum, letztere von den sternalen Enden der 2.—5. Rippe und mit einem, geson- derten, schmächtigen Muskelbauch von der lateralen Fläche der 9. 1) Beim Menschen von HALBERTSMA als Anconeus quintus beschrieben. Henue, Mskel. pg. 195. Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). 911 und 10. Rippe bei Ch., der 7. und 8. bei Br. Der zuletzt erwähnte Theil des Muskels wurde von MECKEL mit Unrecht zum Latissimus dorsi gezogen. Ein eigener Pectoralis minor fehlt, wenn nicht Theile der tiefen Portion das Homologon des bei andern Säugethieren ge- trennt und mit anderer Insertionsstelle auftretenden Muskels dar- stellen. b) Der motorische Ast zum M. subelavius. Er zweigt sich bei Ch. von der ventralen Fläche des Stranges B medial von den vorigen ab und dringt unweit der Ursprungsstelle auf der dorsalen Seite des Muskels in denselben ein. Beim Ai ihn darzustellen, ist mir missglückt. M. subelavius. Bei Ch. setzt sich der von dem sternalen Ende der ersten Rippe fleischig entsprungene Muskel an das laterale Ende der Clavieula und den Processus coracoideus. Beim Ai nennt ihn MECKEL (l. e. pg. 443) »ziemlich stark, bei unvollkommenem — Schlüsselbein «. Die nun folgenden Bemerkungen über den N. eutan. brach. med. und N. museulo-eutaneus beziehen sich ebenfalls nur auf Ch., da bei dem untersuchten Exemplar von Bradypus tridactylus beider- seits die tieferen Gebilde des Oberarms dargestellt waren. 2. N. cutaneus brachii medius. Von dem medialen Theil des nach Abgabe der genannten Nerven noch übrig bleibenden Fasercomplexes B. abstammend, verbreitet er sich als Hautnerv theils oberhalb des Condylus internus humeri in der Richtung nach hinten und unten, theils versorgt er die Haut an der Beugeseite des Vorderarms. 3. N. musculo-cutaneus. Er stammt von dem lateralen Umfang des Stranges B (Fig. 1), durchsetzt den M. coraco-brachialis nicht, und gibt ebensowenig motorische Aeste an ihn ab, innervirt aber den Biceps und Brachialis internus. Das Ende des Nerven wird am lateralen Rand des Biceps angelangt Hautnerv. — Der M. biceps entspringt bei Ch. nur mit einer einzigen Sehne, die der des langen Kopfes beim Menschen entspricht, spaltet sich aber später, fleischig geworden, in zwei 212 B. Solger Bäuche; der Biceps von Br., von MECKEL genau beschrieben, hat - zwei Ursprungsképfe, einen langen und einen ktirzeren. 4. N. medianus. Er gibt ausser einem in der Höhe der Abspaltung des N. ulnaris sich abzweigenden feinen Aestchen. (Choloepus) zum M. coraco- brachialis und dem nur bei Choloepus vorkommenden Coracobrachialis minor (nach der von GRUBER!) so bezeichneten Muskelvarietät beim Menschen benannt) am Oberarm keine Zweige ab. Der motorische Ast für den M. coracobrachialis bei Br. fehlt mir. Im weiteren Ver- lauf zieht der Stamm des Medianus bei Ch. unter einer oberhalb des inneren Condylus des Oberarmbeins sich heriiberspannenden Knochen- briicke hindurch, was bei dem untersuchten, noch jugendlichen Exemplar von Br. nicht der Fall ist. 5. N. ulnaris. Den Rest des durch die Abgabe der im Vorhergehenden be- zeichneten Nerven an Volumen stark verringerten Stranges B stellt der N. ulnaris dar. Sein Verbreitungsbezirk beginnt erst am Vorder- _ arm: während seines Verlaufs am Oberarm durchsetzt er die In- sertion des accessorischen Trieepskopfes schief nach hinten und unten. Fragen wir nun nach den gegenseitigen Beziehungen, in denen die den Plexus brachialis bei den untersuchten Faulthieren consti- tuirenden Spinalnerven zu einander stehen, so scheinen auf den ersten Blick verschiedene Deutungen möglich. Man könnte zunächst daran denken, hier einen der Fälle vor sich zu sehen, wie sie FURBRINGER ?) im Sinne gehabt hat, wenn er bei »schwankender Zahl der Wirbel« eines gewissen Abschnitts z. B. der Halswirbelsäule und dadurch »in primärer Weise unmöglich gemachter Bestimmung der homologen Intervertebrallöcher« durch »die nach ihrem Verlauf oft leicht er- kennbaren Nerven die directe Homologie der Wirbel bestimmt« werden lässt. Nun sind aber, wie aus der in der Einleitung reprodueirten von BELL und GEGENBAUR vertretenen Ansicht hervorgeht, der achte und neunte Halswirbel vom Ai als modifieirte Brustwirbel aufzufassen 1) HENLE, I. c. pg. 191. 2) ]. ¢. ‘pg. 240 u. Anm. Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). 213 und :also dem ersten und zweiten Brustwirbel bei Choloepus als ho- molog zu erachten — trotz des bei beiden tibereinstimmenden Ver- laufs der zu den letzten Halswirbeln gehörigen Spinalnerven. So haben bei Choloepus die ventralen Aeste des 7., 8. und 9. Spinal- nerven gleichen Verlauf mit den entsprechenden Theilen des 9., 10. und 11. Rückenmarksnerven bei Bradypus, und doch ist der Wirbel, hinter dem der an erster Stelle genannte Ast austritt, beim Krüppler der 6. (Hals-) Wirbel, beim Ai dagegen der 8. Wirbel, d. h. das Homologon des 1. Brustwirbels bei Choloepus. Da also die Ho- mologie der Wirbel bis zum 9. incl. an beiden Gattungen der Fa- milie der Faulthiere schon feststeht, und weder für die Annahme von Ausfall gewisser Segmente noch für die häufigere Gliederung innerhalb des Abschnitts der Halswirbelsäule Raum gegeben ist, so kann der Grund dafür, dass Spinalnerven verschiedener Ordnungs- zahlen in den Plexus brachialis derselben eingehen, nur in dem abweichenden Verhalten der Nerven selbst liegen. Somit werden nur mehr zwei Möglichkeiten in Betracht kommen können. (Es sei hier nochmals daran erinnert, dass die Halswirbelsäule und das Arm- nervengeflecht von Bradypus von dem primitiveren Verhalten bei Choloepus als später erworbener Zustand ableitbar ist.) Entweder ist der Plexus in allen seinen Fasern beim Krüppler, wie beim Ai derselbe geblieben, und der Unterschied beruht nur darauf, dass beim dreizehigen Faulthier die Fasern durch vom Kopf- ende weiter entfernte Intervertebrallöcher austreten, oder die Fa- sern des Plexus sind nieht mehr dieselben, es sind vielmehr vordere Intereostalnerven in dem Maasse in demselben aufgegangen, als mitt- lere Cervicalnerven aus ihrer früheren Verbindung mit dem Geflecht gelöst wurden. Die ursprünglichen Nerven wären also theils ver- schwunden, theils modifieirt. Im ersteren Fall müssten beim Ai die Fasern innerhalb der Me- dulla nach abwärts verlaufen, um dann plötzlich an die Oberfläche zu gelangen; denn die Nerven treten hier, wie ich mich durch Ab- tragen der einen Bogenhälfte des 6., 7. und 8. Halswirbels über- zeugen konnte, unmittelbar nach ihrem Abgang aus dem Rücken- mark in die entsprechenden Zwischenwirbellöcher ein. Da nun bei Ch. das hinterste Foramen intervertebrale, das als Durehtrittsstelle für Fasern, die in den Plexus brachialis eingehen, dient, das 10,, bei Br. das 12. ist, so müssten bei letzterem gleichzeitig mit der Be- schlagnahme des 11. und 12. Intervertebralloches als Passage von Seite des Plexus die ehemaligen Intercostalnerven verdrängt und 214 B. Solger gänzlich versehwunden sein. In gleicher ‘Weise müsste die Aus- breitung der Austrittsstellen der Armnerven gegen den Brustraum hin eine Vermehrung der Passagen für die vordersten, nicht am Plexus brachialis betheiligten Spinalnerven von 4 auf 5 und 6 nach derselben Richtung hin im Gefolge gehabt haben. So wenig Anhaltspuncte sich nun dafür gewinnen lassen, wie man sich den eben geschilderten Vorgang als bei Lebzeiten des Thieres allmälig‘ erworben vorzustellen habe, so leicht scheint in der doppelten Gabelung des Plexus jenseits der zuerst eingegan- genen Schlingenbildung, deren Anordnung einen kleineren vorderen und einen miichtigeren "hinteren Abschnitt erkennen liess, der Hin- weis für die Ableitung des bei Br: vorhandenen Verhaltens von der bei Ch. gefundenen Gestaltung: geliefert zu sein. Ich muss. allerdings die Angaben einiger Anatomen, wonach »schlingenförmige, über das hintere Ende der Rippen herablaufende Verbindungen«!) zwisehen den Intereostalnerven des Menschen, »am häufigsten zwisehen dem zweiten bis vierten (C. KRAUSE)« eonstatirt sind, auch für die Edentaten als gültig annehmen, obwohl ieh nieht behaupten kann, den Nachweis derselben mit Messer und Mikroskop beigebracht zu haben. Allein man wird auch in dieser Thierordnung wie in allen übrigen der Säugethiere ihre Existenz annehmen dürfen, denn gerade im Rumpfabschnitt hat sich der ursprüngliche Zustand der Metamere, und also auch des Nervensystems am treuesten er- halten. Das Weitersehreiten der Plexusbildung bei Br. müsste man sich nun vorstellen als hervorgebracht dureh Ausdehnung, wenn der ‘von den Gefässanastomosen hergenommene Ausdruck hier Statt haben darf, dieser Verbindungsäste der Intercostalnerven, mit andem Worten, als eine Folge der Vermehrung dieser Leitungsbahnen, die mit dem Ausscheiden vorderer Cervicalnerven aus dem Plexus ein- hergeht. Dass die äussere Form des Geflechts sowie die Anordnung der Nerven jenseits desselben, d. h: das topographische Verhältniss der Wege, innerhalb deren die Leitung vor sich geht, wesentlich dasselbe bleibt wie bei Ch., wird aus der Beibehaltung der gleichen Function des versorgten Organs verständlich. Dass die ungewöhn- liche Entwickelung der vordern Extremität bei Br. damit in Zu- sammenhang steht, dass dieselbe bei der gewöhnlichen : Bewegung des Thieres, dem Klettern, verhältnissmässig den grössten Theil der 1) HENLE, Anat. d. M., 3. Bd., 2. Abth., pg. 511. — GEGENBAUR (I. c. pg. 536) hat weiter lateralwärts auftretende Ansae im Sinne. Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). 215 Arbeit leisten muss, und dass dieser Umstand wieder Beziehungen zu dem von Ch. und den meisten übrigen Säugethieren abweichen- den Verhalten des Armnervengeflechts und der Halswirbelsäule hat, ist wohl einleuchtend. Ein ähnliches, noch viel weiter gediehenes Her- abrücken des Schultergürtels weisen auch die Vögel auf, bei denen ebenfalls die vordere Extremität bei der Bewegung in hervorragender Weise in Anspruch genommen wird. Und so ist es denn in der That gestattet, mit MEcKEL von einer Vogelähnlichkeit der Faul- thiere zu sprechen, wenn man nur diesen Ausdruck nicht in phylo- genetischem Sinne gebraucht, sondern nur auf den gleichen, von beiden unabhängig von einander erworbenen Vorgang hinweisen will. Die folgenden 4 schematischen Zeichnungen mögen zur Er- läuterung des Gesagten dienen. Fig. I stellt den Plexus von Ch. dar. Die dunkel ausgefüllten Contouren bedeuten hier wie in den folgenden Figuren den dorsalen, die hell gehaltenen den ventralen Theil des Geflechts; in beide gehen Fasern aller am Plexus betheiligten Nerven ein. Fig. II und II repräsentiren hypothetische Uebergangsstufen. In Fig. II ist zwar die Gesammtzahl der das Geflecht constituirenden Nerven dieselbe geblieben, allein die Verbindungsschlinge vom 4. zum 5. Spinal- nerven ist gelöst und dafür die vom 10. zum 9. stärker entwickelt, und ebenso hat die Verbindung zwischen dem 10. und 11. Spinal- nerven, als Intercostalnerven-Anastomose schon vorher vorhanden, an Stärke gewonnen. Gleichzeitig ist ein Uebergewicht des hintern Plexustheils durch ein engeres Anschliessen des 7. Spinalnerven an die vordere Partie des Geflechts vermieden, eine Lösung desselben aus der früher innigern Verbindung mit den folgenden Rückenmarks- nerven hat stattgehabt. In Fig. III wiederholt sich derselbe hypo- thetische Vorgang, der aus sich die bei Bradypus tridaetylus Morpholog. Jahrbuch. 1. 15 216 B. Solger (Fig. IV) beobachtete Gestalt des Plexus!) hervorgehen lässt. Die elementare Zusammensetzung der aus dem Geflecht hervor- gehenden Nerven (z. B. des N. axillaris) ist eme andere geworden, das topographische Verhältniss der Wege zu einander ist wesent- lich dasselbe geblieben. Damit wird die hervorragende Wichtig- keit der Innervation für die Bestimmung homologer Muskeln keines- wegs geleugnet. Die eben vorgetragene Hypothese steht mit der im Eingange als richtig erkannten Deutung des 8. und 9. Wirbels im Einklang. Es fragt sich nun: Sind auch die folgenden Wirbel der Reihe nach, wie sie sich an einander schliessen, homolog? Auch hier gehen wir von Choloepus aus, der nach dem von Bronn?) aufgestellten Satz von der »Reducirung homonymer Organe« in Bezug auf Br. den primitiveren Zustand repräsentirt. Es folgen bei Ch. hinter dem 9. Wirbel (2. Brustwirbel) noch 21 oder 22 rippentragende Wirbel. Owen?) gibt folgende Ueber- sicht der Wirbelzahlen für die verschiedenen Regionen. Bei 7 Hals- wirbeln kommen vor: 23 Brust-, 3 Lenden-, 8 Sacral- und 4 Caudal- wirbel oder 24 Brust- und 2 Lendenwirbel, oder endlich 23 Brust-, 4 Lenden- und 7 Sacralwirbel. In dem untersuchten Exemplar sind bei 7 Halswirbeln 23 auf beiden Seiten Rippen tragende Dorsal- wirbel vorhanden, während mit dem folgenden (31.) Wirbel nur rechterseits eine rudimentiire Rippe durch Bandmasse in Verbindung steht. Dem entsprechend folgen auf den 10. Spinalnerven (2. Inter- cost. N.), dem wir schon bei der Besprechung des Plexus begegneten, noch 21 echte Intercostalnerven. Im Ganzen existiren also bei 23 Rippen ebensoviele Intercostalnerven, von denen der letzte (identisch mit dem 31. Spinalnerven) hinter dem 30. Wirbel austritt. Ueber den rechterseits am hinteren Rand des erwähnten Rippenrudiments verlaufenden 32. Spinalnerven kann ich leider keine bestimmten An- gaben machen. Die Wirbelformel von Bradypus tridaetylus wird von Owen‘) angegeben, wie folgt: C 9, D 16, L 3, 5 6, Cd 11. In dem unter- suchten Exemplar waren bei 9 Haiswirbeln 15 Dorsalwirbel vorhanden. 1) Die zweifelhafte Verbindungsschlinge zwischen 6. und 7. Cerviealnerv ist hier eingezeichnet. 2) BRONN, Morpholog. Studien, pag. 409. 3) ]. e. Bd. 2., pag. 400 4) ]. e. pag. 398. ~ Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes) . 317 Es folgten auf den 12. Spinalnerven, der, wie schon erwähnt einen Theil seiner Fasern zum Plexus sendet, noch 13 als Intercostalnerven sich verhaltende Spinalnerven. Der vorletzte (12.) Intercostalis (24. Sp. N.) gab schon einen feinen Ast zum Plexus lumbalis ab. Wie nun an der Homologie des 8. und 9. Wirbels in beiden Familien der Faulthiere festgehalten wurde, trotz des verschiedenen Verhaltens der zugehörigen (9. und 10.) Spinalnerven, so werden auch die beiden folgenden Wirbel, d. h. der 10. und 11. Wirbel, als homolog betrachtet werden dürfen, trotzdem in dem einen Fall (Ch.) der 11. und 12. Spinalnerv reine Intercostalnerven, in dem andern (Br.) mehr oder weniger in den Plexus brachialis mit her- eingezogen sind. Gleichartigkeit der nun folgenden Segmente wird natürlich die Homologie nicht nur nicht stören, sondern sie vielmehr ohne Weiteres augenfällig erscheinen lassen. In der That befinden sich, nach Ausschluss des mit dem Lendengeflecht in Ver- bindung tretenden 24. Spinalnerven und des zugehörigen Wirbels bei Bradypus, die nun auftretenden 11 ersten Metameren bei Ch. wie bei Br. in vollkommener Uebereinstimmung. Es sind somit auch der 12. bis 22. Wirbel incl. homolog. Die Bestimmung des Ver- hältnisses der folgenden Wirbel (vom 23. angefangen) und Spinal- nerven (vom 24. an) zu einander, sowie die Aufstellung der Fol- gerungen, die sich für das Sacrum und die hintere Extremität über- haupt ergeben, wird vielleicht Aufgabe eines zweiten Aufsatzes sein. Schliesslich mag das Resultat dieser Zeilen zusammengefasst werden in den Worten: Die Wirbel gleicher Ordnungs- zahlen bis zum 22. inel. sind bei Choloepus und Bra- dypus homolog. Die Homologie der Spinalnerven glei- cher Ordnungszahl ist nur für den 13.—23. einschliess- lich streng aufrecht zu erhalten. Die Homologie der 12 ersten Spinalnerven ist theilweise verwischt. Breslau im December 1874. an * 218 Figur 1. Figur 2. B. Solger, Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). Erklärung der Abbildungen. Fig. 1 und 2 auf Taf. VI. Plexus brachialis von Choloepus didactylus. » 4 vierter Halswirbeı, IV vierter Cervicalnerv, » 9 zweiter Brustwirbel, X zehnter Spinal- nerv, a N. phrenicus, 5 N. dorsal. scap., e N. suprascapul., d N. sub- scap., A dorsaler Nervenstrang, B ventraler Nervenstrang, e Ast für den M. teres maj., f Ast für den M. lat. dors., g N. axillaris, A N. subelavius, 2 N. cutan. brach. int. minor. Plexus brach. von Bradypus tridactylus. » 7 siebenter Halswirbel, VII siebenter Cerviealnerv, v 11 zweiter Brustwirbel, XII zwölfter Spinalnerv, 5 N. dorsal. scap. (?), e N. suprascapul., d N. subscap., A dorsaler, B ventraler Nervenstrang. Der in beiden Figuren sichtbare Abschnitt der Wirbelsäule ist nach Ske- leten der hiesigen anatomischen Sammlung gezeichnet. Ueber zwei im Bereiche des Visceralskelets von Chimaera monstrosa vorkommende noch unbeschriebene Knorpelstiickchen. Von Prosector Dr. B. Solger. Aus dem anatomischen Institut zu Breslau. (Hierzu Fig. 3 auf Taf. VI.) I. An einem ca. 70°" langen Exemplar von Chimaera monstrosa (Weibehen) fand sich, eingeschlossen in derbere Züge der zwischen Kieferbogen und Zungenbeinstück befestigten Membran, ein an Um- fang und Form einer Linse gleichendes Stückchen hyalinen Knor- pels, und zwar nach hinten und unten vom Kiefergelenk, in nur geringer Entfernung von letzterem. Durch die Güte des Herrn Hof- rath GEGENBAUR in den Stand gesetzt, an einem dem hiesigen In- stitut freundlichst überlassenen Kopf von Chimaera (Männchen) diese Beobachtung zu revidiren, konnte ich an derselben Stelle rechter- seits (die andere Kopfhälfte musste für andere Zwecke aufbewahrt bleiben) nur die Gegenwart eines umschriebenen Stiickchens binde- gewebigen Knorpels') constatiren. Jon. MÜLLER?) meint ohne Zweifel dieselbe Membran, wenn er sagt: »Der vordere Rand dieser 3, die Seitenhälften des Zungenbeins bildenden Stücke ist durch eine fibröse Haut, an welcher die Schleimhaut des Rachens anliegt, an die un- tere Fläche des Augenhöhlenbodens und des Gelenkfortsatzes des 1) Nachträglich noch bei einem dritten Exemplar von Ch. in einer Binde- gewebsplatte eingeschlossene Inseln von Hyalinknorpel beobachtet. 2) Abhandl. d. Berl. Acad. Aus d. Jahre 1834. pag. 219. 320 B. Solger Schädels für den Unterkiefer angeheftet«. Von der Anwesenheit eines Knorpelstückehens ist hier Nichts erwähnt; und auch andern Autoren scheint es entgangen zu sein. Zur Erklärung desselben er- laube ich mir an die von GEGENBAUR !) abgebildeten (Taf. II, Fig. 4) Knorpelstückehen von Prionodon glaucus zu erinnern, deren Be- deutung als »Strahlenrudimente des Kieferbogens« bei gleichzeitiger Rückbildung des Spritzlochcanals von ihm wahrscheinlich gemacht wird. Die Lagerungsbeziehungen des beschriebenen Knorpelrestchens bei Chimaera, wo ja ebenfalls das Spritzloch fehlt, gestatten es, das- selbe als ein dem Spritzlochknorpel der Plagiostomen homologes Ge- bilde ansprechen zu dürfen. II. Das zweite bisher unbekannte Knorpelstückchen ist in Fig. 3 (b) dargestellt. RosenTHAL?) bildet es nicht ab und Jon. MÜLLER 3), dem nur das von ROSENTHAL präparirte und abgebildete Skelet zur Verfügung stand, erwähnt seiner auch nicht. Es ist ein vor dem Mittelstiick des Unterkiefers gelegenes paariges Knorpelblättehen, das zum Systeme der Labialknorpel gehört. Bezüglich der Deutung derselben will ich mich kurz fassen. Callorhynchus, der zweite Repräsentant der Holocephalen, konnte trotz der dankenswerthen Bemühungen des Herrn Prof. Hasse nicht aufgetrieben werden, so dass also schon die Vergleichung mit der nächststehenden Form un- möglich war. Nur eine Bemerkung von Jou. MÜLLER, der den »unpaarigen untern Mundknorpel« von Callorhynchus beschreibt und abbildet 4), möchte ich hier anführen. »Dieser liegt«, heisst es, »wie ein Halsband vor und unter dem Unterkiefer, fast wie ein zweiter Unterkiefer, dem er an Grösse gleich kommt«; und später äussert er sich, wie folgt: »Bei Chimaera monstrosa fehlt also wohl der untere Lippenknorpel des Callorhynchus ganz«. Nach der Auffin- dung des eben beschriebenen, freilich paarigen Knorpelstückchens bei Chimaera wäre allerdings, soweit es die Abbildung von Callo- rhynchus bei J. MÜLLER beurtheilen lässt, die Möglichkeit vorhanden, dass in diesen paarigen Gebilden das Homologon des unpaaren Mund- knorpe!s vom Callorhynchus gesucht werden müsste. Noch schwie- riger scheint es, die Vermittelung dieser Gebilde mit den bei den 1!) C. GEGENBAUR, Untersuchungen z. vergl. Anat. d. Wirbelth. Drittes Heft. Das Kopfskelet der Selachier. 1872. 2) ROSENTHAL, Ichthyotom. Tafeln, 1839. Taf. XXVII. 3) I. e. pag. 201. 4) ]. c. pag. 202 und Taf. V, Fig. II, a. Solger.del Lith. Anst.v.J.G. Bach Leipzig if. Ueber zwei im Bereiche des Visceralskelets vorkommende Knorpelstiickchen. 221 Selachiern beobachteten Labialknorpeln herzustellen. An dieser Stelle, vor dem Mittelstück des Unterkiefers findet sich bei keinem Selachier ein Knorpelrudiment, und doch müsste nach GEGENBAUR’S ') ausführ- licher Motivirung der systematischen Stellung der Selachier von hier aus der allerdings »schwierige« Versuch einer Deutung der Mund- knorpel der Chimaeren gemacht werden. Breslau, Ende December 1874. 1) 1. e. pag. 10 figd. Erklärung der Abbildung. Fig. 3 auf Taf. V1. a. Der von ROSENTHAL (l. c. Tab. XXVII, Fig. 2) mit e* bezeichnete Knorpel. db. Der bisher unbeschriebene Knorpel. e. Ast des trigeminus. d. Muskel. Ueber die Schleimdrüse oder den Endostyl der Tunicaten. Von Hermann Fol in Genf. (Hierzu Taf. VII.) So oft auch dieses Organ beschrieben wurde, ist doch bis jetzt noch keine vollkommene Uebereinstimmung erlangt worden. Die Namen, mit welchen es bezeichnet wurde, weichen ebensosehr von einander ab wie die Deutungen. Eine Erklärung seiner physiolo- gischen Bedeutung wurde aber erst von mir!) gegeben. Eine voll- ständige historische Darlegung des Gegenstandes liegt nicht in meiner Absicht, daher werde ich, von den früheren Angaben nur soviel her- vorheben als zur Erreichung eines Verständnisses nöthig ist. Cuvier?) beschreibt den in Rede stehenden Theil ganz richtig, wie es sich an conservirten Salpen darstellt, als »une fente longitu- dinale, ou plutöt un repli creux de la tunique interieure, .... ony voit plusieurs petits filaments blanchatres«. Der Umstand dass sich diese Fäden leicht zerbröckelten, verleitete ihn zu der An- nahme, es möchten vielleicht Eier sein. Auch Savieny *) beschreibt den »sillon dorsal«, d. h. die Bauchrinne, als eine mit vier weichen Längsbändern ausgestattete Rinne der Kiemenhöhle; seine Figuren stellen die Verhältnisse bei zusammengesetzten Ascidien und bei Pyrosoma ziemlich naturgemäss dar. 1) Etudes sur les Appendiculaires. 2) Mémoire sur les Thalides et sur les Biphores (Salpa) Annales du Muséum. Tome IV., pag. 371 et Pl. 68, Fig. 3—7, 1804. 3) Rech. anat. sur les Ascidies composées etc. — Mém. sur les animaux sans vertebres. Paris 1816. Ueber die Schleimdrüse oder den Endostyl der Tunicaten. 223 Ich übergehe manche Schriftsteller, welche diesen Darstellungen nichts wesentliches hinzufügten. Es möge nur noch H. MÜLLER !) unter denjenigen angeführt werden, welche das ganze Organ als Rinne mit verdickten Wänden auffassen. Er spricht von den »Co- lumnen von Zellen«, welche diese Verdickungen ausmachen, und hebt richtig hervor, dass bei Salpen bald nur der eine Rand, bald beide Ränder der Furche mit einem Flimmerstreifen versehen sind; und dass diese Verschiedenheit nicht von der Generation sondern von der Speeies abhängt. Bis hierher waren alle Angaben annähernd richtig. Hux.ey?) brachte zuerst Verwirrung in den so einfachen Ge- genstand, indem er die tiefsten, am meisten verdiekten Theile der Rinne unter dem Namen »Endostyle« zusammenfasste, und als ein, ‘von der Furche getrenntes Stützorgan betrachtete. Er sagt näm- lich (pag. 572, § 18): »The dorsal wall of the respiratory cavity is marked by two longitudinal folds, running from before backwards to the mouth. These are the dorsal folds of Saviecny and others; but there is an organ to which the name of Endostyle may be given, very distinct from these, and yet which has been invariably confounded with them, consisting of a long tubular filament, with very thick strongly refracting walls (Pl. XV, Fig. 4c). This body lies in the dorsal sinus... .. By its ventral surface this en- dostyle is attached to a ridge of the inner tunic which rises up into the dorsal sinus «. Betrachtet man oberflächlich durehsichtige Tunieaten im lebenden Zustande, so fällt gleich ein stark lichtbrechendes, stabförmiges Organ in die Augen, welches die Bauchrinne begleitet, und selbstständig zu sein scheint. Bei genauerer Betrachtung, namentlich wenn man das Bild mit Querschnitten vergleicht, wird man bald gewahr, dass dieser stark lichtbrechende Theil blos eine Verdickung der Wände des Rinnengrundes ist. Unter dem Mikroskop kann man den vermeint- lichen Stab ohne Schwierigkeit in einzelne Längsbänder auflösen, welche einen rinnenförmigen Hohlraum umgrenzen. An conservirten Exemplaren findet keine derartige optische Täuschung statt; die Bänder sind weiss und opak, und daher ist von einem lichtbrechenden Organ nichts mehr zu sehen. Hierdurch erklärt sich der sonderbare Um- stand, dass sämmtliche frühere Forscher die Verhältnisse viel richtiger 1) Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. IV, pag. 330, § 3, 1853. 2) Observations etc. of Salpa and Pyrosoma, Doliolum and Append. Philos. transact. 1851. 324 Hermann Fol dargestellt hatten als der letzterwähnte. Es kann auch keine Ver- wechselung hier im Spiele sein, denn diejenigen Formen, auf welche sich die Huxtey’sche Beschreibung bezieht, besitzen in der Um- gebung der Rinne durchaus kein anderes festes Organ, auch nicht einmal eine Bindegewebeverdichtung. Uebrigens wird ein jeder welcher die Huxtey’schen Zeichnungen mit den lebendigen Thieren vergleicht und diese alsdann genauer untersucht, sofort die Richtig- keit meiner Deutung erkennen. Diejenigen, welehe nur todte Exem- plare untersuchten, können schwerlich in der Deutung der HuxLEy- schen Angaben als Autoritäten gelten. Der Huxrey'sche Endostyl beruht also auf weiter nichts, als auf einer irrigen Deutung derselben Theile, welche Cuvier und SAVIGNY weit’ richtiger als vier im Boden der Furche befindliche Bänder beschrieben. Uebrigens sagt Huxrey ausdrücklich von Py- rosoma'), dass hier der Endostyl unten und auf den Seiten eine längliche Verdiekung zeige, welche das Aussehen gebe als seien, wie SAVIGNY angab, vier Bänder vorhanden! LEucKART? folgt zwar seinem Vorgänger auf diesem Irrwege, indem auch er Endostyl und Bauchrinne als getrennte Organe auf- fasst; er berichtigt aber jene Angaben in einigen Puncten und bahnt gewissermassen den Weg zu einem Verständniss. Der Endostyl be- steht, nach LEUCKART, aus den weisslichen Fäden, welehe Cuvier und Escuricut im Boden der Bauchspalte auffanden, und wird aus Zellen mit grossen Kernen zusammengesetzt; LEUuUcKART hält aber das Organ für eine inwendig flimmernde Röhre, welche im oberen Theile der Kiemenhöhle ausmünde, und im übrigen von der Bauch- rinne durch eine Membran geschieden sei. Ferner beschreibt er die Lage grosser, sechseckiger Epithelzellen (innerer Wulst), welche sich, seiner Meinung nach, am Boden der Rinne befinden, sowie die Flimmerstreifen, welche die Ränder der Rinne bekleiden, und bei Salpa pinnata und fusiformis auf einen einzigen Streifen redueirt sind. Lruckart beging also nur den Fehler, dass er den mittleren und den äusseren Wulst vom übrigen Theile der Rinne abgeschlossen glaubte und blos am vorderen Ende eine Verbindung zwischen beiden erkannte. ©. Voer*) schildert die Structur des Organes in einer Weise, die 1) 1. c. pag. 582, § 49. 2) Zoolog. Untersuch., Hft. II, pag. 50, 1854. 8) Rech. sur les animaux infer., 2. Mém. pag. 29, Geneve 1855. Ueber die Schleimdriise oder den Endostyl der Tunicaten. 2325 heute noch als ganz richtig gelten kann. Er beschreibt es nämlich als »sillon ventral composé par la substance méme du manteau in- terne«; nachdem er die wimpernden Riinder und die tiefer liegenden Streifen platter Zellen erwähnte, sagt er ausdrücklich (pag. 30): »En écartant ces bandes de cellules en pavé, on voit enfin cet endostyle a couleur blanchätre, qui forme, comme M. Huxuey la deerit. un eylindre épais A parois celluleuses, renfermant une cavité interne, qui, dans toute sa longueur, communique avec la fente du sillon. L’endostyle en lui-méme est composé par trois bour- relets inégaux, dont lun plus grand forme la base... . Vintérieur est tapissé par un épithélium eylindrique qui, .... ressemble a lépi- thélium dun intestin ou d’un tube glandulaire«. — Die physiologische Function dieser tiefsten Theile der Rinne ist ihm unbekannt; die äusseren Theile der Rinne aber mit ihren Flimmerstreifen bewirken ihm zufolge eine lebhafte Strömung, welehe dem Munde zueilt. Hancock ') beschreibt ebenfalls den Endostyl als ein der Kiemen- Wandung angehöriges Organ. In einer guten Arbeit über den Bau der Ascidien?), betonte R. Herrwıe diese Verhältnisse noch besser, indem er von der Bauch- rinne Querschnitte machte, und den Endostyl mit seinen vier Wülsten für blosse Verdiekungen der Bauchrinne erklärte. Er beweist ferner, dass er kein festes Gebilde sei, und somit unmöglich als Stütz- Apparat fungiren könne. Die Zellen, welche den Boden der Rinne bilden und ausserordentlich lange Wimpern tragen, beschreibt er richtig. Dieselbe Auffassung findet sieh noch in meiner Appendicularien- Arbeit vertreten, in welcher ein Querschnitt des sogenannten En- dostyls einer Salpe dargestellt ist. Leider. waren auf jenen Prä- paraten alle Flimmerhaare, in Folge der angewandten Erhärtungs- methode (Liq. eonserv.), verloren gegangen. Ich gebrauchte den schlecht gewählten Namen des Endostyles, gerade um Verwechse- lungen zu vermeiden und deutlicher zu zeigen, dass hier nur ein ein- ziges, früher fälschlich aufgefasstes, Organ existire. Durch diese übereinstimmenden Resultate war der Bau des Or- ganes auf richtige und befriedigende Weise aufgeklärt; da brachte 1) On the anat. and physiol. of the Tunicata. Journ. Linn. soc. London 1866—1868. >) Beitr. z. Kenntn. d. Baues d. Ascidien. Jen. Zeitschr. Bd. VII, pag. 84, 1871. 226 Hermann Fol W. MÜLLER !) durch seine vorläufige Mittheilung von neuem Ver- wirrung in den einfachen Gegenstand, so dass derjenige, welcher die Thiere nicht aus eigener Anschauung genauer kennt, wieder nicht weiss, was er vom Baue des in Rede stehenden Theiles halten soll. Es will nämlich dieser Autor unterhalb der Bauchrinne noch einen besonderen diehteren Bindegewebsstreifen aufgefunden haben, welcher der eigentliche von Huxtky und Leuckarr beschriebene Endostyl sei. Diesen Angaben muss ich in positivster und schärfster Weise entgegentreten. Dass die von HuxLey und LEUCKART für ein Endostyl gehaltenen Theile mit den Verdiekungen des Rinnengrundes genau überein- stimmen, habe ich bereits gezeigt. Dass aber unterhalb, d. h. ven- tralwärts von der Rinne absolut keine Bindegewebsverdichtung existirt, welche auch nur im entferntesten einem stabförmigen Organ ähnlich sieht, dieses kann ich mit der grössten Bestimmtheit behaupten. Weder bei Salpen und Doliolum noch bei Pyrosomen, bei Appendieu- larien noch bei Ascidien ist auch nur eine Spur von Bindegewebs- verdichtung an der bezeichneten Stelle aufzufinden. Diesen Ausspruch nehme ich unter meine volle Verantwortlichkeit und berufe mich auf alle diejenigen Naturforscher, welche die Richtigkeit dieser An- gaben ohne vorgefasste Meinung ad naturam prüfen wollen. DE Lacaze-Duruters?) erklärt ausdrücklich dieses Organ bei Ascidien für eine Rinne, dieselbe, welche einige Forscher irrthüm- licher Weise als geschlossene Röhre mit dem Namen Endostyl be- legten. Ueber die Funetion der in Rede stehenden Theile brachte kein einziger der früheren Schriftsteller eine irgendwie befriedigende Auf- klärung. Die Huxury’sche Auffassung ist schon zur Genüge wider- legt worden. LEUCKART meint, es könne entweder ein Absonderungs- organ sein oder ein der Flimmergrube analoger Theil. R. Hertwie spricht sich bestimmter dahin aus, dass es sich hier um ein Sinnes- organ handle. Andererseits machte schon Lister) die Beobachtung, dass die Nahrungstheilchen wie von einer unsichtbaren Membran aufgehalten !) Jen. Zeitschr., Bd. VII, pag. 327. 2) Les Ascidies simples des eötes de France. — Arch. Zool. expér. Tome IH. No. 2, pag. 171 et passim. 3) Some Observ. ete. of Polypi and Ascidiae. Philos. Transact. London 1834. P. II, pag. 365. Ueber die Schleimdrüse oder den Endostyl der Tunicaten. 227 wurden, und sich alsdann aufrollten um in den Schlund zu gelangen. »Der Nahrungstransport«, sagt Lister, »durch continuirliche Progression von den verschiedenen Theilen der Kieme zum Magen, ohne mus- culése Zusammenziehungen noch Schluckbewegungen, bleibt ein Räthsel wie zuvor«. Lister gibt nicht an, was diese unsichtbare Membran eigentlich sei, hält sie weder für Schleim noch überhaupt für ein Absonderungsproduet und bringt sie in keinen Zusammen- hang mit der Bauchrinne. Es darf daher nieht Wunder nehmen, dass diese einzelnstehende Beobachtung, welche eigentlich gar nichts erklärte. unbeachtet blieb, und erst durch den Umstand aus der Ver- gessenheit gezogen wurde, dass GIARD mir durch alle Mittel die Priorität meiner Entdeckung streitig zu machen suchte. Blieb also die functionelle Bedeutung der tieferen Theile der Rinne ganz unbekannt, so zeigten doch v. SIEBOLD!), LEUCKART und C. Voer, dass die Flimmerstreifen der Ränder eine nach dem Munde zu gerichtete Strömung bewirkten. \ Auffallend ist es, dass, soviel auch über die Nahrungsaufnahme einerseits, über die Bauchrinne der Tunicaten andererseits, ge- schrieben und gestritten wurde, kein Forscher auf den einfachen Einfall kam diese Thiere doch einmal zu füttern! Solche Fütterungs- versuche stellte ich im December 1869 in Messina an und es ge- langen auch dieselben mit grosser Leichtigkeit. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass diese Beobachtungen schon von anderen ge- macht worden wären; erst nachdem ich die Literatur durchgelesen hatte, ersah ich mit Erstaunen, dass noch Niemand diese Erschei- nungen gesehen und erklärt habe. Nachdem diese Beobachtungen sowie «die Erklärung derselben im Juni 1872 erschienen waren, besprach GIArD diesen Gegenstand in seinen, am Ende desselben Jahres erschienenen » Recherches sur les Synascidies«?). Seine sehr lückenhaften und von ihm selbst in den wichtigsten Puncten als sehr fraglich hingestellten Angaben, können in gewissen Beziehungen als eine Bestätigung einiger der von mir hervorgehobenen Puncte gelten. Er beobachtete nämlich, bei zusammengesetzten Ascidien, einen Schleimstrang, welcher, mit Farbstoffen geladen, längs der Dorsalseite des Kiemenkorbes zum Oesophagus hinabreicht; als bewegende oder wenigstens dirigirende Organe sind dabei jene Papillen oder Fortsätze der Rachenwandung 1) Vergl. Anat. pag. 264. 2) Arch. de Zool. expér. Tome 1, No.4, pag. 525. 1872. 228 Hermann Fol angeführt, welche längs der Riickenseite eine Längsreihe bilden. Woher dieser Schleim komme weiss er nicht mit Bestimmtheit an- zugeben; zwar meint er, er könne vom Endostyl herriihren, hält aber ebenso wahrscheinlich letztgenanntes Organ für ein dem Nerven- system angehöriges, mit Ganglienzellen und davon ausgehenden Nerven. In seiner letzten Arbeit!) sagt aber GrarD nun ganz einfach (pag. 509), er habe gezeigt, dass dieWimperrinnen ete. dazu dienen, die in einem vom Endostyle herrührenden Schleime eingehüllten Partikelehen dem Munde zu- zuführen. Dabei wird meine Arbeit, die ihm aus guten Gründen wohl bekannt ist, nicht einmal erwähnt. Es genüge mir dieses an- geführt zu haben; die Bestätigung meiner Ansichten ist mir aber willkommen. Eine viel erwünschtere, wenn auch nur unter gewissen Be- dingungen gemachte, Bestätigung haben neuerdings meine Angaben von DE LACAZE-DUTHIERS?) erhalten, welcher ausdrücklieh betont, dass das von ihm unter dem Namen des »Raphé anterieur« bezeich- nete, dem Endostyl früherer Schriftsteller entsprechende Organ, eine stets mit Schleimmassen angefüllte diekwandige Rinne des Kiemenkorbes ist. Die Schleimfäden, welche zum Schlunde hin- ziehen, hat dieser sorgfältige Beobachter gesehen: er glaubt aber, dass die Schleimabsonderung nicht ausschliesslich der Bauchrinne anheimfalle und dass auch die Rachenwandungen solchen Schleim produciren. Diese Ansicht kann ich um so weniger bekämpfen, als mir die beobachteten Ascidienarten unbekannt sind, und eine Be- theiligung des Kiemenk6rbes an der Absonderung & priori als sehr wahrscheinlich erscheint. Es könnten in dieser Beziehung Ver- schiedenheiten zwischen verschiedenen Gattungen und Species exi- stiren. Bei den von mir beobachteten durchsichtigen Formen aber ist mit aller Bestimmtheit der Endostyl oder die Schleimdrüse die ein- zige Quelle jenes fadenziehenden Schleimes. Ich muss mir auch die Bemerkung erlauben, dass die von DE LACAZE-DUTHIERS angewandte Methode die Möglichkeit eines Irrthums in dieser Beziehung nicht vollkommen ausschliesst. Die für eine direete Beobachtung zu un- 1) Contrib. ä Vhist. nat. des Synascidies. Arch. de Zool. exper. Tome II, No. 4, 1873. 2) Les Ascidies simples des eötes de France. Arch. de Zool. expér. Tome III, No. 2, pag. 156 et 171. 1874. Ueber die Schleimdrüse oder den Endostyl der Tunicaten. 929 durchsichtigen Thiere wurden auf ein Mal in erhärtende Flüssig- keiten geworfen; der Tod kann aber niemals so plötzlich sein, dass sich das Thier nieht schon vorher etwas zusammenziehe. Zieht sich aber ein Mantelthier während der Nahrungsaufnahme zusammen, so werden die Schleimfäden vielfach abgerissen und können verschiedenen Theilen des Kiemenkorbes ankleben oder gar theilweise durch den Mund und die Kiemenspalten ausgetrieben werden. Endlich sei hier noch diejenige Auffassungsweise erwähnt, welche v. SIEBOLD einführte und GEGENBAUR in seinem ausgezeichneten Grundriss der vergleichenden Anatomie (pag. 167) vertrat; die hohe Autorität, deren sich dieses Werk mit Recht erfreut, macht es mir zur Pflicht etwaige Irrthümer, die darin vorkommen mögen, ganz be- sonders hervorzuheben. Als das eitirte Werk erschien, waren frei- lich meine Studien über Appendieularien schon seit mehr als einem Jahre herausgegeben, worin die functionelle Bedeutung des Endostyles und der Rachenhöhle zur Genüge aufgeklärt ward; dennoch ist es nicht zu verdenken, wenn GEGENBAUR unter den vorliegenden An- gaben gewissermaassen eine vermittelnde Stellung zu nehmen suchte, und die Bauchrinne für den nutritorischen Abschnitt des Rachens er- klirte. Dass es sich nicht so verhalte, dass der Endostyl eine Drüse sei und dass die Nahrungsaufnahme gleichzeitig mit der Respiration im ganzen Kiemenkorbe vor sich gehe, habe ich schon anno 1872 bewiesen und werde es noch näher auseinandersetzen. Gehen wir nun zur Beschreibung der von mir beobachteten That- sachen über. Nach den zahlreichen Angaben sorgsamer Forscher dürfen wir nicht viel Neues erwarten und wird sich meine Aufgabe fast ausschliesslich darauf beschränken, Richtiges zu bestätigen, Un- richtiges zu widerlegen und die von mir früher entdeckten physiolo- gischen Vorgänge ausführlicher darzulegen. Die ventrale, dem Nervenknoten gegenüber liegende Rachen- wandung bildet bei allen bisher beobachteten Tunicaten, mit Aus- nahme der Kowalevskia, eine tiefe, der Länge nach gerichtete Rinne. Es ist dieses, wie die Anatomie und Entwickelungsgeschichte lehren, weiter nichts als eine rinnenförmige Ausbuchtung des einschichtigen Epithels der Rachenwandung. Die Ränder der Rinne springen lippen- förmig gegen die Rachenhöhle vor, und bestehen aus demselben dünnen Pflasterepithel wie es die übrige Rachenwandung aufweist. 230 Hermann Fol Etwas nach aussen'), d. h. gegen das Innere der Rinne zu, zeigt dieses Epithel eine Verdickung, welche jederseits einen mit dem Rande parallelen ziemlich breiten Streifen bildet. Es sind diese - Längsstreifenmit kurzen aber starken, oft plättehenförmigen Wimpern bedeckt, deren jede einer der fast eubischen Epithelzellen des Streifens aufsitzt (Fig. 42). Wie bereits H. MÜLLER angab, sind diese Wimperstreifen auf beiden Rändern vorhanden bei den meisten Salpen, bei Doliolum und allen von mir untersuchten Arten der Gattung Ascidia; bei anderen Salpen dagegen (S. maxima, 8. pin- nata) ist blos der eine Streif mit Wimpern besetzt, während auf dem entgegengesetzten Rande nur eine wimperlose Verdickung des Epithels besteht. Auf dem Wimperstreifen folgt nach aussen (gegen den Rinnen- grund zu) eine Strecke dünnen Pflasterepithels (Fig. 4, 7, 8 Ah) welches bei erhärteten Präparaten natürlich mehr oder weniger ge- faltet ist, beim lebendigen Thiere, aber in einer Ebene liegt. Ich bezeichne es als inneren Zwischenstreifen. Dieses Epithel geht plötzlich in ein eylindrisches über, mit grossen mächtigen Zellen (Fig. 4, 7, 8 9); bei Pyrosoma (Fig. 8) ist der Uebergang so schroff, dass der continuirliche Zusammenhang beider Epithelformen schwer nachzuweisen ist. Bei Salpen aber (Fig. 4) und bei Ascidien nehmen die Epithelzellen mehr allmälig an Grösse zu, es lässt sich daher an guten Schnitten recht deut- lich nachweisen, dass dieses cylindrische Epithel mit dem pflaster- förmigen eine und dieselbe Schicht darstellt. Diesen Streifen werde ich mit dem Namen des inneren Wulstes bezeichnen. Es besteht, wie gesagt, aus einem mächtigen Cylinderepithel, dessen Zellen bald mehr länglich (Fig. 4 und 8 g) bald etwas breiter (Fig. 5) sind, und von der Fläche gesehen ein unregelmässig polygonales Pflaster darstellen. Am äusseren Rande geht das Epithel des äusseren Wulstes wiederum in ein kleinzelliges über, welches meistens einschichtig ist, und den äusseren Wulst mit dem mittleren verbindet (Fig. 4 und 8 f); ich will ihn als mittleren Zwischenstreifen bezeichnen. Der mittlere Wulst zeigt bei verschiedenen Formen eine ziem- lich übereinstimmende Gestalt und Zusammensetzung, und besteht aus mächtigen keilförmigen, fächerförmig- aneinander gelagerten ') Die Richtungen sind auf die Längsachse des ganzen Thieres, nicht auf die Rinne bezogen. Ueber die Schleimdriise oder den Endostyl der Tunicaten. 931 Zellen (Fig. 4 und 8 d) welche ihre Spitzen der Rinne zukehren. Dieser Wulst bildet seitlich einen halbeylinderförmigen Vorsprung, medianwärts aber eine kleine Halbrinne, welche der Bauchrinne an- gehört. An den Rändern dieser Rinne setzt sich das Epithel des Wulstes in die Zwischenstreifen fort. Die unteren Zwischenstreifen (Fig. 4 d) verbinden den mittleren mit dem unteren Wulste, sind aber bei verschiedenen Formen sehr ungleich entwickelt. Meist sind sie ziemlich breit und stark und bestehen aus sehr kleinen spindelförmigen Zellen, welche in zwei- bis vierfacher Reihe übereinander gelagert sind, und zwar so, dass sie senkrecht auf die Oberfläche des Streifens zu stehen kommen. Der äusserste, also der tiefste Theil der Rinne wird von zwei Wiilsten eingenommen, welche den vorigen sehr ähnlich sind (Fig. 4, 7, 8 aa), nur in den meisten Fällen etwas grösser, und dieselbe An- ordnung ihrer Elemente zeigen. Diese beiden Wülste berühren sich auf der Mittellinie nicht, da eine, in der Regel mehrfache, eigen- thümliche Zellenreihe dazwischen liegt (Fig. 3, 4 und 8 r). Es trägt eine jede dieser letzteren länglichen, oft spindelförmigen Zellen am inneren zugespitzten Ende eine ungeheuer lange Wimper (Fig. 3, 4, 8 2), welche bis zum äusseren Wulste oder gar, bei vielen Salpen, bis in die Nähe der Flimmerstreifen sich erstreckt (Fig. 4), ohne jedoch denselben jemals zu erreichen. Der Bau der Rinne bleibt auf der ganzen Länge derselbe; nur an dem oberen und unteren Ende findet eine Abweichung statt, indem der drüsige und wimpernde Theil der Rinne etwas weiter geht als die spaltförmige Oeffnung derselben. Hiedurch entstehen zwei kurze blindsackartige Verlängerungen, deren Wände jederseits aus den drei Wülsten und den drei Uebergangsstreifen bestehen. Nach aussen findet sich eine Verlängerung der mittleren mit langen Wimpern ausgestatteten Zellenreihe; nach einwärts bilden die beiden, zu einem einzigen verwachsenen Flimmerstreifen, das Dach, und schliessen den Hohlraum zu einer Röhre. An den Endpuncten selbst gehen die beiderseitigen Wülste nicht ineinander über, sondern legen sich blos zusammen und werden durch kleinere Epithelzellen verbunden. Ich habe den am häufigsten vorkommenden und auch am meisten differenzirten Bau der Schleimdrüse beschrieben, den man daher als den typischen betrachten kann. Es erfährt aber dieser Typus mannigfache Abweichungen und namentlich Vereinfachungen. Bei den Aseidien bestehen die Wülste aus zahlreichen, sehr langen und dünnen Zellen. Die wimpertragenden Zellen des Rinnen- grundes sind verhältnissmässig zahlreich und stark entwickelt. Die Morpholog. Jahrbuch. 1. 16 232 Hermann Fol mittleren und äusseren Zwischenstreifen sind schmal und dick, und bestehen aus vielen ineinander greifenden Lagen spindelförmiger Zellen. Die wimpertragenden Zellen des Rinnengrundes sind zahl- reich und langgezogen sowie auch die zapfenförmigen Zellen der Wiilste. Die Wimperstreifen liegen nahe am Rande der äusseren Wülste und die Ränder der Rinne springen nur wenig in die Rachen- höhle hinein. Bei Pyrosoma sind die äusseren Uebergangsstreifen (Fig. 8 4) fast auf Null redueirt, die inneren sind dünn und einschichtig. Die inneren Wülste (Fig. 8 g) sind mächtiger als die äusseren und von gedriingter, auf dem Querschnitt nierenförmiger Gestalt. Die wimper- tragenden Zellen des Drüsengrundes sind in 3—4facher Reihe vor- handen (Fig. 8 7) und mit verhältnissmässig kurzen Wimpern aus- gestattet. Die Wimperstreifen der Ränder waren an meinen Quer- schnitten nicht erhalten; ihre Anwesenheit habe ich aber am lebenden Thiere constatirt. Bei Salpa bestehen die beiden äusseren Wülste aus langen keil- förmigen Zellen (Fig. 4 @ und d und Fig. 3 und 6), die inneren aus breiteren kürzeren Elementen Fig. 4 g und Fig. 5). Die Zwi- schenstreifen sind breit, die äusseren ziemlich stark (Fig. 4 db). Die langen Wimpern (¢) erreichen hier die grösste Entfaltung. Bei Doliolum (Fig. 7) reducirt sich die Drüse, indem die inneren Wiilste ganz hinwegfallen und blos die mittleren wenig entwickelten (d) und die äusseren (a) zuriickbleiben. Wimpertragende Zellen sind zwischen den äusseren Wülsten wahrscheinlich vorhanden; ich kann dieses jedoch nicht mit aller Bestimmtheit behaupten, denn meine Querschnitte lassen manches zu wünschen übrig, da es ausser- ordentlich schwer ist von einem so winzig kleinen und zarten Theile gute Erhärtungspräparate zu gewinnen. Bei Appendieularien geht die Vereinfachung noch weiter. Hier ist bei Oikopleura nur noch ein Wulst jederseits zu finden, welcher aller Wahrscheinlichkeit nach dem äusseren Wulste der übrigen Tunicaten entspricht. Jeder dieser Wülste bietet auf dem Quer- schnitt 5—6 zapfenförmige Zellen; auf der Mittellinie sind sie durch eine Reihe wimpertragender Zellen getrennt. Die Ränder der Rinne springen nur wenig vor, und sind inwendig mit kurzen Wimpern besetzt. Bei Appendicularia!) sind die Wülste weniger ') Note sur un nouveau genre d’Appendic. Arch. de Zool. expér. Tome II, No. 4. 1874, Ueber die Schleimdrüse oder den Endostyl der Tunicaten. 233 entwickelt und bestehen aus einer geringeren Anzahl von Zellen. Bei Fritillaria, bei welcher, wie ich es bereits früher hervorhob, die Organe aus einer sehr geringen Anzahl histologischer Elemente zu- sammengesetzt sind, erscheinen die Wülste als blosse Doppelreihe grosser stark lichtbrechender Zellen, deren bei Fritillaria furcata jederseits 8 nachgezählt wurden, bei F. urticans blos 4 jederseits. Es kommen hier keine Wimpern am Rinnengrunde vor, aber die Ränder der Rinne zeigen ganz deutliche Wimperbewegung. Bei Kowalevskia ist Rinne und Drüse, kurz das ganze Organ spurlos verschwunden, und wurde auch bei Larven und Jugendzuständen gänzlich vermisst. Was die innere Beschaffenheit der Zellen betrifft, habe ich na- mentlich an Salpen (S. maxima, pinnata, bicaudata et democratica) studirt. Jede Zelle der Wülste trägt an dem der Rinne abgewandten Ende einen sehr schönen, regelmässig ovalen, bläschenartigen Kern (Fig. 5 und 6 N) mit granulirtem Inhalt und einem stark licht- brechenden Kernkörperchen (»). Dasselbe wurde an Phallusia in- testinalis und zweien nicht näher bestimmten anderen Ascidienarten beobachtet. Bei Oikopleura vermisste ich das Kernkörperchen, was jedoch vielleicht nur von der Schwierigkeit der Beobachtung herrührt. Bei Doliolum traf ich constant den Kern an der inneren dem Hohl- raum der Rinne zugewandten Seite der Zelle. Am äusseren Rande der Drüsenzellen, welche die Wülste zu- sammensetzen, unterscheidet man oft eine mehr oder weniger be- deutende dichtere Schicht (Fig. 5 A), welche wohl als Cutieula ge- deutet werden mag. Die inneren Enden dieser Zellen sind meist undeutlich contourirt und haben ein zerrissenes Ansehen, was mög- licherweise von der Präparationsmethode abhängt. Am inneren Wulste ist dieses jedoch weniger der Fall; bei Salpa maxima be- stand (an Cr O5 Präparaten) der ganze innere Theil dieser Zellen (Fig. 5 0) aus grobkörnigem Protoplasma. In den allermeisten Fällen aber besteht jede Zelle nur aus äusserst feinkörnigem Proto- plasma, welches an Cr O5 und Alkohol-Präparaten eine Menge spindel- förmiger, dunklerer, d. h. weniger lichtbrechender, Stellen enthält (Fig. 3 und 6, und Fig. 5 4). Etwa am äusseren Dritttheile jeder Zelle zeigt sich eine hellere Stelle, welche der Quere nach das übrige dunklere Protoplasma unterbricht. Die physiologische Bedeutung dieser Textur ist mir ganz unbekannt, nur muss ich bemerken, dass ich dieselbe bei Doliolum , wo die Kerne einwärts liegen, nicht wiederfinden konnte. Die Zwischenstreifen bestehen aus einfachen 16* 234 Hermann Fol nicht besonders lichtbrechenden Epithelzellen mit Kern, welche aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Schleim absondern, und nichts be- merkenswerthes darbieten. Ehe wir nun zur Schilderung der physiologischen Vorgänge übergehen, muss ich noch Einiges über die mit der Schleimdrüse funetionell zusammenhängenden Apparate erwähnen. Es gehen zu- nächst von dem obersten Winkel der Rinne, also etwas unterhalb der obersten Spitze der Drüse, zwei Wimperstreifen ab (Fig. 1 und 2 a), welche der Rachenwand anliegend, rechts und links halbkreis- förmig verlaufen und sich in der Nähe des Nervenknotens wieder vereinigen. Es sind dies keine einfachen Streifen, sondern nach unten offene Halbrinnen, welche dadurch zu Stande kommen, dass eine kleine Querfalte der Rachenwandung dieselben von oben her überdeckt. Die beiden Wimperrinnen vereinigen sich erst nach einer Spiraldrehung (Doliolum) oder treten einfach zusammen (Salpa de- mocratica), oder beide finden in einer tiefen bewimperten Kammer ihr Ende (Salpa bicaudata, maxima, pinnata ete.). Bei den mit Herz versehenen Appendicularien finden sich diese Theile wieder,sind aber auf blosse Wimperstreifen redueirt, welche einfach zu einem rücken- ständigen Längsstreifen zusammentreten. Das untere Ende der Schleimdrüse hört stets oberhalb des Mundes auf; allein die bewimperten Ränder der Rinne setzen sich ununterbrochen nach unten bis zum Schlunde fort, in welchem diese Rinne, nach einer Spiraltour, welche den Schlundeingang vollständig umkreist, seitlich einmündet. Von grosser Bedeutung für die Nah- rungsaufnahme ist ausserdem die verschiedene Gestaltung und An- ordnung des Rachens und der Kieme. Es sind aber diese Verhält- nisse zum grössten Theil schon bekannt, und nur was uns davon näher interessirt, werde ich gelegentlich anführen. Die physiologische Bedeutung aller dieser, bis zu meiner Arbeit liber Appendieularien, räthselhaft gebliebenen Organe habe ich dort aufgeklärt. Die verdickten tieferen Theile der Bauchrinne, welche jederseits drei stark lichtbrechende Wülste bilden, haben nur Eine Function: Schleim abzusondern. Es sind also wirkliche Drüsenzellen und das ganze Organ muss fortan als blosse Drüse aufgefasst werden. Die langen Wimpern dienen augenscheinlich dazu, den Schleim nach oben zu befördern. Im normalen Zustande sind die inneren Wülste und die inneren Zwischenstreifen dermassen aneinander genähert, dass die Drüse eine fast geschlossene Röhre bildet. Es ist aber wohl zu bemerken, dass die Ränder blos mit einander in Berührung Ueber die Schleimdriise oder den Endostyl der Tunicaten. 235 stehen ohne irgendwie verklebt oder verwachsen zu sein. Die Rinne ist somit nur unvollständig verschlossen und es quillt fast beständig durch die enge Spalte etwas Schleim hervor, welcher sofort, durch die Wimperstreifen der Rinnenränder, dem Schlunde zugeführt wird. Diese Schleimfetzen beladen sich auch mit den im Wasser der Kie- menhöhle suspendirten Partikelchen, deren Bewegung der Rinne und der Spiraltour entlang bis in den Schlund hinab mit Leichtigkeit verfolgt werden kann. Dieses ist aber nur ein ganz unbedeutender Theil der gesammten Schleimmasse, welche innerhalb der Drüse nach oben befördert wird. An der Abgangsstelle der halbkreisförmigen Wimperrinnen treten die Ränder auseinander und lassen hier eine röhrenförmige Oeffnung, welche als Ductus efferens fungirt. Ich nahm früher an, es existire eine zweite solche Oeffnung am untern Ende der Rinne, habe aber seitdem die Unrichtigkeit dieser Ansicht erkannt; im normalen Zu- stande existirt nur eine obere Oeffnung. Wird auf das Thier ein Druck ausgeübt, so treten die in der Drüse enthaltenen Schleimmassen auf einmal durch die ganze Länge der Rinne heraus, wobei natürlich die Ränder auseinander geschoben werden. Man kann sich durch dieses Experiment leicht überzeugen, dass der Verschluss der Rinne durch blosse Aneinanderlagerung der Ränder bewirkt wird. Die durch die vordere Oeffnung hervorquellenden Schleimmassen werden sofort von der Wimperbewegung der halbkreisförmig ver- laufenden Rinnen ergriffen und in der Richtung nach der Neuralseite zu hingerissen. Die Rinnen sind aber zu seicht und zu eng, um den Schleim ganz zu enthalten; so dass derselbe zum Theil aus der Rinne hervorragt und dadureh der Wirkung der zum Munde ein- tretenden und durch die Cloake austretenden Strömung ausgesetzt wird, welche ihn in Franzen- oder Vorhanggestalt auszieht. Da aber der Schleim innerhalb der Rinne sich beständig von der Ventral- nach der Neuralseite bewegt, so folgen die herabhängenden Franzen dieser Bewegung und bieten dadurch ein höchst anziehendes und zierliches Bild. Um diese Franzen zu sehen, muss man freilich dem eingeschluckten Wasser einen suspendirten Farbstoff beimischen, welcher dadurch, dass die Partikelchen am Schleime haften bleiben, denselben wahrnehmbar machen. Bei Doliolum zeigt sich mehr die Franzengestalt. An der Spi- raltour angekommen, werden die Franzen umeinandergerollt, indem sie einfach der Windung der Rinnen folgen und es entsteht dadurch 236 Hermann Fol ein gewundener Faden, welcher zum Schlundeingange hinzieht, die Kiemenhöhle schief durchkreuzend'!). Dieser Faden fährt alsdann den Schlund hinunter, welcher ihn in derselben Richtung wie die Spiraltour weiter dreht, und gelangt so in den Magen. Bei den Seitensprossen der zweiten Generation von Doliolum ist das Bild in grossen Zügen dasselbe und auch recht frappant, obwohl etwas schwieriger zu beschreiben. Das Wasser strömt im allgemeinen durch den weiten Mund (Fig. 2 B) hinein und durch die Kiemen- spalten wieder heraus, aber nicht einfach quer durch die löffelförmige Kiemenhöhle, sondern schräg von der Neural- gegen die Ventralseite. Dieses rührt davon her, dass die 3—4 dem Nervenknoten am nächsten liegenden Kiemenspalten das Wasser in die Kiemenhöhle hinein- wimpern, während alle übrigen Spalten dasselbe austreiben. Auf diesem Wege kleben ziemlich alle im Wasser suspendirten Parti- kelehen den, von den langen halbkreisförmigen Rinnen (Fig. 2 a) herabhängenden, Schleimfranzen an, und rücken allmälig gegen die hart am Nervenganglion befindliche Spiraltour, wo sie sich zusammen- drehen, um den gewundenen Ernährungsfaden zu bilden (Fig. 2 e). Beobachtet man das Thier im Augenblicke wo es eben anfängt Nah- rung aufzunehmen, so sieht man hier, wie bei anderen Tunicaten überhaupt, dass dieser, am unteren Ende freie Faden, gerade auf den Schlundeingang lossteuert; es muss somit die Richtung der Wasser- strömungen dermassen combinirt-sein, dass der Faden mit Nothwendig- keit genau den Schlundeingang trifft. Niemaks sah ich den neuge- bildeten Faden etwa durch eine Kiemenspalte austreten. Auch bei diessen Seitensprossen von Doliolum lässt sich beobachten wie ein kleiner Bruchtheil des Schleimes zwischen den Rändern der Schleim- drüse direct heraustritt und nach unten dem Schlunde zueilt, wo er durch die Spiralrinne des Schlundeingangs, ebenfalls seinen Eintritt findet. Die Wimperbewegung des Schlundes zieht nicht einfach die Schleimfäden hinunter, sondern setzt dieselben zugleich in rasche Spiraldrehung, hat somit auf den Faden etwa dieselbe Wirkung wie die Finger einer Spinnerin auf das gesponnene Werg. Gleich bei der ersten Beobachtung dieses Vorganges an den Seitensprossen von Doliolum fällt auf, dass die Dimensionen der Or- gane der Nahrungsaufnahme dieser Form zu der geringen Entfaltung der übrigen Organe in keiner Proportion stehen. In der That han- delt es sich hier nicht um physiologisch selbstständige Wesen, son- !) Siehe Etudes sur les Append. pag. 8, Fig. 4. Ueber die Schleimdrüse oder den Endostyl der ‘Tunicaten. 337 dern um blosse Ernährungsindividuen des ganzen Thierstockes. Lange Zeit hindurch suchte ich nach der Bedeutung und den weiteren Schicksalen dieser Sprossen; zu einer weiteren Entwickelung waren sie nicht zu bringen, und es wurden niemals im Meere Formen an- getroffen, welche auf eine Weiterbildung derselben hätten zurückge- führt werden können. Und doch waren die colonie-bildenden Thiere zu gewissen Zeiten in grossen Mengen vorhanden. Einer selbststän- digen Bewegung, ausser dass sie sich gegen den Stamm zurück- schlagen oder aufrichten können, sind diese Sprossen nicht fähig, und es ist überhaupt nicht einzusehen wie dermassen gebaute Wesen ein selbstständiges Leben führen könnten. Es darf uns daher nicht Wunder nehmen, dass, während andere Generationen von Doliolum, in genügend grossen Gefässen, wochenlang am Leben blieben, und sogar zwei Generationen in der Gefangenschaft von denselben In- dividuen gross gezogen wurden, diese Form binnen wenigen Stunden, nachdem sie vom Mutterthiere getrennt wurde, zu Grunde ging. Die Seitensprossen können also nicht getrennt fortleben, es sei denn dass sie einer bedeutenden Metamorphose unterlägen. Allein auch die grössten und am weitesten entwickelten Sprossen zeigten niemals auch nur eine Andeutung einer solchen Umänderung; Geschlechts- organe oder Sprossenbildung wurden an denselben stets vermisst. Andererseits ist es sehr bemerkenswerth, dass, während eine ganze Colonie sich in Aquarien ganz gut eine zeitlang am Leben erhält, das von den Seitensprossen entblösste Mutterthier in sehr kurzer Zeit zu Grunde geht Wie bereits bekannt, resorbiren sich bei letzterem sämmtliche Ernährungs- und Athmungsorgane zur Zeit wo sich die Seitensprossen ausbilden und es bleiben schliesslich nur die beiden Häute, das Herz und die Muskeln. Ein solches Wesen könnte nicht fortleben, wenn es nicht von den anderen Thieren der Colonie er- nährt würde. Alle diese Umstände führen nothwendig zum Schlusse, dass die Seitensprossen als Ernährungsindividuen fungiren, ähnlich wie die Fressthiere bei Röhrenquallen, während das Mutterthier zur blossen Schwimmglocke der Colonie redueirt ist, und es zeigt sich ferner, dass diese Sprossen mit der Colonie zu Grunde gehen müssen, während die Mittelsprossen die Species fortpflanzen. Dass keine offene Communication zwischen den Blutbehältern der Sprosse und des Mutterthieres besteht, kann dieser Auffassungsweise keinen Ein- trag thun, denn ebensowohl wie die junge Sprosse aus der noch mit ihren Ernährungswerkzeugen ausgestatteten Mutter die zum Wachsen nöthigen Nahrungssäfte bezog, ebenso können später die Säfte in 938 Hermann Fol umgekehrter Richtung von der Sprosse zum Schwimmthier hinüber- treten. Ueber den Nutzen dieser Bildungen fiir die Species kann ich nur sagen, dass die Colonie mit kiemenlosem Mutterthiere zu den allerbehendesten Seethieren gehört, und durch das Wasser mit grösserer Schnelligkeit schiesst als eine Diphyes. Gehen wir nach dieser Abschweifung zur Schilderung der Nah- rungsaufnahme bei anderen Tunicaten über, so treffen wir zunächst bei Salpen eine etwas verschiedene Anordnung der Schluckorgane. Hier bildet der Schleim keine Franzen, sondern eine zusammenhän- gende Membran, welche sich wie ein Vorhang ausbreitet (Fig. 1) und unterhalb des Nervenknotens zusammenschlägt. In Ermangelung einer Spiraltour der Wimperrinnen dient die balkenförmige Kieme !) (or) mit ihren Querstreifen starrer Wimpern dazu, den Schleim- faden (c) dem Schlunde (oe) zuzuleiten; das Zusammendrehen des Fadens besorgt nur die spiralig wirkende Wimperung des Schlundes. Bei Ascidien treffen wir wieder eine Franzenbildung wie bei Doliolum, nur mit dem Unterschiede, dass die Franzen weit schärfer von einander geschieden sind und dass sie nicht von der Ventralseite gegen die Neuralseite hinrücken, sondern sich einfach von oben nach unten in den Zwischenräumen zwischen die Längsbänder der Kieme verlängern?). Die der Schleimdrüse am nächsten liegenden Fäden 1) Der Bau dieser Kieme ist nicht überall so einfach wie angenommen wird; bei Salpa bicaudata z. B. bildet sich jederseits am Kiemenbalken eine Reihe seitlicher Einstülpungen, deren jede mit einem Wimperstreifen correspondirt. Es dringt sogar jeder quere Wimperstreifen bis in den Grund des correspon- direnden blindgeschlossenen Säckchens; eine Einrichtung, welche wohl die Ver- grösserung der respirirenden Fläche bezweckt. 2) Bekanntlich besitzt die Kieme bei Ascidien einen ziemlich complieirten Bau, welcher bei Pyrosoma und Synaseidien sich etwas vereinfacht wiederfindet. Der eigentlichen Kieme, d. h. der siebartig durchlöcherten doppelten Scheide- wand, tritt nach einwärts ein, bei gewissen Arten, sehr complieirtes Netzwerk anastomosirender Röhren hinzu. Da die Entstehungsweise dieser Röhren meines Wissens noch nicht beobachtet wurde, sei es mir erlaubt, diese Bildungsweise, die ich verfolgt habe , in wenigen Worten zu schildern. Es wachsen von der Innenwand der ursprünglich einfachen Kieme hohle zapfenförmige Fortsätze in die Rachenhöhle hinein. Nachdem diese Fortsätze eine gewisse Länge erreicht haben, hört der Längenwachsthum auf; es treiben dieselben alsdann, auf beiden Seiten ihrer Spitze, je einen rechtwinklig auf den Zapfen stehenden hohlen Fort- satz, so dass im ganzen eine 'T-Figur entsteht. Indem nun die Spitzen der seitlichen! Ausstülpungen benachbarter Fortsätze aufeinanderstossen und ver- schmelzen, entstehen jene der Kiemenwandung parallele Röhren, welche mit dem Blutsinus der Kieme durch Querröhrehen zusammenhängen. Diese Quer- röhrchen sind also die primären Fortsätze. Ueber die Schleimdriise oder den Endostyl der Tunicaten. 239 sind schwächer; gegen die Neuralseite zu trifft man sie immer stärker. Alle diese Faden treten erst am Grunde des Kiemensacks in der Nähe des Schlundes zusammen. Diese Angaben beziehen sich blos auf jüngere durchsichtige Exemplare von Phallusia intestinalis et mamillata. Bei Erwachsenen lässt sich der Vorgang wegen der Un- sichtigkeit der Tunica nicht direct beobachten. Die Nahrungsaufnahme bei Appendieularien habe ich zur Ge- nüge beschrieben. Bei Pyrosoma konnte ich trotz vieler Versuche 4och niemals die isolirten Thiere zur Einnahme von Nahrungs- resp. Farbstoffen bringen. Ueber die Beschaffenheit des Schleimes sei noch erwähnt, dass er sich weder in Säuren noch in Alkohol trübt ; dass er auch nach der Erhärtung des Thieres elastisch bleibt und dass er farblos, wenig lichtbrechend, fadenziehend und etwas consistenter wie Speichel ist. Bei allen Tunicaten, die ich hierauf studirte, war die Nahrungs- aufnahme eine intermittirende: Ist der Magen angefüllt, so hört die Aufnahme auf, bis die Stoffe verdaut sind, was übrigens nur kurze ‘tt in Anspruch nimmt. Wird das Thier während der Nahrungs- hme gestört, so zieht es sich zusammen oder lässt sogar (bei Oikopleura und Doliolum) das Wasser in umgekehrter Richtung durch die Kiemenspalten einströmen; die Schleimfäden werden hierdurch von ihrem Zusammenhange abgerissen und fetzenweise zum Munde ausgestossen. Der Austritt des Schleimes aus der Drüse hört als- dann plötzlich auf. Auf die Frage, ob die Schleimabsonderung in der Drüse fort- während stattfinde, so dass der, während der Pausen die in der Nah- rungsaufnahme auftreten, gebildete Schleim in der Drüse aufge- speichert werde, oder ob die Absonderung zeitweise aufhöre, glaube ich dahin antworten zu können, dass die Absonderung, wenn auch nicht vielleicht vollkommen sistirt, doch zeitweise auf ein Minimum herab- sinkt. Ich glaube sogar bemerkt zu haben, dass der Schleim viel reichlicher secernirt werde wenn das Wasser mit Nahrungstheilchen geschwängert ist als sonst. Es wären diese Erscheinungen somit unter die Reflexe zu bringen. Dass aber das Thier nach Willkür den Austritt des Schleimes aus der Drüse unterbrechen kann habe ich wiederholt beobachtet, und habe auch bei Exemplaren, welche längere Zeit hindurch keine Nahrung aufgenommen hatten, die Drüse mit Schleimmassen prall gefüllt angetroffen. Bei kranken Thieren leidet diese Function vor allen anderen und wird ganz unkenntlich. 24() Hermann Fol, Ueber die Schleimdrüse oder den Endostyl der Tunicaten. Fiir die Leser, welche meine Experimente wiederholen wollen, will ich folgenden Fingerzeig geben. Am besten eignen sich zu diesem Zwecke gesunde und lebenskriiftige Exemplare von Salpa democratica, Doliolum denticulatum, und die Jungen von Phallusia intestinalis. Man mische mit dem Seewasser soviel fein zerriebenes Carmin, dass das ganze Wasser einen rosenrothen Anflug bekomme. Will man den Vorgang unter dem Mikroskope studiren, so miissen die Thiere so viel Wasser haben, dass sie sich vollkommen bequem fühlen (die üblichen Uhrgläschen sind hierzu untauglich), und dürfen durch keine Bewegung, keine Erschütterung gestört werden. Zum Sehlusse will ich noch meine Resultate in kurzen Worten zusammenfassen: 1. Die Rachenwandung zeigt bei Tunicaten an der Ventralseite eine tiefe Rinne deren Wände Verdiekungen zeigen. 2. Diese Verdiekungen sind blos stärker entwickelte Epithel- zellen, welche das Licht stark brechen und Schleim absondern. 3. Die verdickten Wandungen des Rinnengrundes sind es, welche Huxrey für ein Endostyl erklärte, welche dagegen CuViEr, C. Vogt, R. Hertwie und ich sowie DE LACAZE-DUTHIERS richtig auffassten. 4. Es bilden diese Verdickungen drei Wülste jederseits. Ausser- dem kommen in der Rinne lange Wimpern und Wimperstreifen vor. 5. Ausser dieser Drüse existirt kein anderes stabförmiges Organ in der bezüglichen Körpergegend. | 6. Der in der Drüsenrinne secernirte Schleim tritt am oberen Theile hervor, wird durch die halbkreisförmig-verlaufenden Rinnen vertheilt und bildet einen triehterförmigen Vorhang oder Franzen. An der Neuralseite schlägt sich dieser ausgebreitete und mit Nahrungstheil- chen beladene Schleim zu einem Faden zusammen, dessen unteres Ende in den Schlund hinabreicht. 7. Die Rinne ist kein Ernährungsabschnitt des Kiemenkorbes sondern ein Drüsenorgan. Die Nahrungsaufnahme findet gleichzeitig mit der Athmung im ganzen Kiemenkorbe statt. Erklärung der Figuren. Tafel VII. Fig. 1. Salpa democratica, Kettenform, junges Exemplar, von der Bauch- seite aus gesehen, 25mal vergrössert, mit der Camera gezeichnet. Die Schleim- massen sind durch Fütterung mit Carmin sichtbar gemacht. Fig. 2. Doliolum sp. ? (wahrscheinlich D. dentieulatum - Nordmanni) ; ein Seitenspross von der colonie-bildenden Generation, vom Munde aus gesehen, 50mal vergrössert, mit der Camera gezeichnet. Ebenfalls mit Carmin gefüttert. In der Mitte sind die noch freien Carmintheilchen durch die Wasserströmung von der Neural- gegen die Ventralseite hingerissen; auf den Seiten kleben sie den Franzen an, welche sich längs der halbkreisförmigen Rinnen (a) in ent- gegengesetzter Richtung bewegen, und an der Spiraltour (sp) umeinander zu einem Faden gewunden werden. Fig. 3. Der mittlere Theil des Rinnengrundes von Salpa bicaudata, proles gregata, etwa 300mal vergrössert, im Querschnitt. Fig. 4. Querschnitt durch die ganze Bauchrinne von Salpa bicaudata, proles gregata, mit der Camera gezeichnet und 150mal vergrössert. Chrom- säure-Präparat. Fig. 5. Eine einzelne Zelle aus den inneren Wülsten von Salpa maxima, prol. greg., in Chromsäure erhärtet; stark vergrössert. Fig. 6. Vier Zellen aus den mittleren Wülsten (die unteren Wülste haben ganz dieselbe Beschaffenheit) von Salpa maxima, prol. greg., stark vergrössert. Cr 05 Präparat. Fig. 7. Querschnitt durch eine in Chromsäure erhärtete Bauchrinne nebst Schleimdrüse von Doliolum (n. sp.). Camera-Zeiehnung, Vergr. 300. Fig. 8. Querschnitt durch eine in Alkohol erhärtete Schleimdrüse von Py- rosoma elegans. Camera-Zeichnung, Vergr. 400. Die Buchstaben sind dieselben bei allen Figuren, nämlich: B. Mund, d. h. der Eingang zur Rachenhöhle. br. Kieme. 6. Kiemenspalten. el. Cloake. oe. Schlund. s. Magen. gl. Nervenknoten. (—) £. Schleimdrüse oder Endostyl. a. Halbkreisförmige Wimperrinnen. sp. Spiraltour derselben. ce. Gewundener Schleimfaden. 242 Hermann Fol, Ueber die Schleimdrüse oder den Endostyl der Tunicaten. a. Aeussere Driisenwülste der Bauchrinne. b. Aeussere Zwischenstreifen. d. Mittlere Driisenwiilste. f. Mittlere Zwischenstreifen. g. Innere Driisenwiilste. h. Innere Zwischenstreifen. i. Wimperstreifen der Rinnenränder. . r. Wimpertragende Zellen des Rinnengrundes. t. Die langen Wimpern derselben. (—) N. Kern der Drüsenzellen. n. Kernkörperchen derselben. k. Aeussere Cuticula der Drüsenzellen. l. Protoplasma der Drüsenzellen. o. Grobkörniger innerster Theil derselben. p. Heller, mittlerer Theil der Drüsenzellen aus den mittleren und äusseren Wiilsten. m. Bindegewebszellen. ec. Ectoderm. & ib heres Sate ee Dore) IF ezathe SO SONG 7 i — al do Cy Lith Ansty. J.G.Bach, Leipzig. ä - x ‘ > 1 ie . \ te : “is ‘ v v - x 4 } . ‘ ' N 3 a - 5 s = = B an 2 * . 2 5 u a = 3 Mn y r = y p j Ueber den Musculus omohyoideus und seine Schlüsselbeinverbindung. Von C. Gegenbaur. Unter den an das Zungenbein sich inserirenden Muskeln nimmt der Omohyoideus durch seinen Ursprung, wie durch seinen Verlauf eine eigenthiimliche Stelle ein, die an Besonderheit noch durch die regelmässig bestehende Verbindung mit dem Schlüsselbein gewinnt. Während sowohl die vom Sternum zum Zungenbein tretenden, wie die vor dem Zungenbein liegenden Muskeln genauer definirbare und in bestimmte grössere Systeme der Musculatur leicht einreihbare Muskeln vorstellen, ist dieses nicht in gleichem Maasse für den Omo- hyoideus ausführbar, und es bedarf der Inbetrachtnahme aller den Muskel berührenden Verhältnisse, um zu einem Ziele zu gelangen. Von den Eigenthümlichkeiten des Muskels ist die Verbindung seines hinteren Bauches mit dem Schlüsselbein und die dadurch be- dingte Abweichung des Muskels vom geraden Verlaufe die am schwersten verständliche. Wie bekannt, wird der Winkelverlauf des Omohyoideus durch eine ziemlich straffe, oft sogar stellenweise aponeurotische Fascie bedingt, welche vor der hinteren Fläche der Clavieula entspringend, gegen den Vorderrand des vor der Clavieula emporsteigenden hinte- ren Bauches, bis zur Zwischensehne hin sich anlegt Diese straffe Fascie zeigt bei der mikroskopischen Untersuchung stets eine fast eontinuirliche Lage von Sehnenfasern, die von der Clavicula zum Omohyoideus verlaufen und dort an der Fascie des Muskels zu enden scheinen. Nicht selten sind Züge dieser Fasern zur Zwischensehne verfolgbar. Ueber, wie unter den Sehnenfasern findet man lockeres Binde- gewebe, dessen Faserbündel in verschiedener Richtung verlaufen. 244 C. Gegenbaur Zuweilen sind in die oberflächliche Bindegewebsschieht schräge oder quere Sehnenfasern eingewebt, die zum Theil an die Clavieula be- festigt, zur Straffheit der Fascie beitragen. Die Mächtigkeit der longitudinalen Sehnenfaserschicht in der Verbindungsfaseie bietet in den einzelnen Fällen grosse Verschiedenheiten dar, und zuweilen fand ich sie sehr gering, stets jedoch waren sie in dem angegebenen Verlaufe nachweisbar, und ein Zusammenwerfen mit den übrigen Bindegewebsschichten und den in der oberen Schicht vorkommenden queren Sehnenfasern kann nicht leicht vorkommen. Somit besitzt diese Fascie ein ziemlich characteristisches Verhalten, welches in bei weitem den meisten Fällen sich schon dem unbewaffneten Auge kundgibt, besonders bei straffem Anspannen der Fascie durch Vor- wärtsziehen des vorderen Muskelbauches. Zuweilen gehen in den vorderen Theil der Fascie auch Faser- züge ein, welche von der ersten Rippe entspringen, und besonders vom Knorpel dieser Rippe her habe ich straffe, schräg nach aussen und aufwärts steigende Züge wahrgenommen. Die Fascie empfängt dadurch eine zweite Befestigungsstelle. Sind sowohl von der Clavicula wie von der ersten Rippe ent- springende Faserzüge vorhanden, so scheint die lateral einfache Fascie medial in zwei Lamellen, die eben durch diese verschieden entspringenden Faserzüge repräsentirt werden, überzugehen. Gegen den Omohyoideus zu legen sich diese Züge immer aneinander und verschmelzen zu einer Lamelle, theilweise treten auch Faserzüge aus der Faseie zu der Scheide der grossen Halsgefässe. Das Verhalten dieser Faseie zum Muskel besteht in den meisten Fällen in einer Verschmelzung mit dem medialen resp. unteren Rande (der Muskelfascie, innerhalb welcher der Muskel wie in einer Scheide sich bewegt. Eine Verschmelzung der Fascie mit der Zwi- schensehne kann daher nicht als Regel angesehen werden. Wenn die medial entspringenden Faserzüge der Fascie einen schräg vor- und lateralwärts gerichteten Verlauf nehmen, theils in der Richtung gegen den vorderen Muskelbauch, theils gegen die Zwischensehne, so kommt es, dass der laterale, dem mittleren Dritttheile der Clavi- cula entsprechende Abschnitt der Fascie vorwärts von jenen stärke- ren Faserzügen begrenzt wird, und ein mit scharfem ‘oberen Rande versehener Ausschnitt in der Fascie dargestellt werden kann. In diesem Verhalten ward die Fascie von HExLE'!) dargestellt. In der 1) Handbuch der systemat. Anat. Muskellehre 1. Aufl. 1858. pag. 114. ; Ueber den Muse. omohyoideus und seine Schlüsselbeinverbindung. 245 Regel ist aber die von oben her durch die schärfer ausgeprägten Faserzüge abgegrenzte Lücke durch Bindegewebe verschlossen, und diese Lage setzt sich unmittelbar in den strafferen Theil der Fas- cie fort, während in anderen Fällen auch an dieser Stelle straffe, lateral und vorwärts in die Fascie übergehende Fasern von der Cla- vieula ihren Ursprung nehmen. Ist so ein wirklicher Ausschnitt in der Fascie nicht wohl als Regel anzusehen, so ist doch auch nicht zu bestreiten, dass etwas ähnliches zuweilen vorkommt. So fand ich in einem Falle, da die Vena cephaliea über die Clavicula hinweg zur Vena subelavia sich einsenkte, eine scharf umrandete Ineisur. Die der Vene zunächst gelegenen Fasern bildeten einen sehnigen, das Blutgefäss überspannenden Bogen, der beiderseits am Schlüssel- beine befestigt war. Die zum Omohyoideus tretende Fascie wird der Halsfascie zu- getheilt, als ein Theil des tiefen Blattes derselben angesehen. Wie es komme, dass ein Theil einer sonst Muskelgruppen und andere Weichtheile nur umhüllenden Bindegewebsschicht zu einem einzelnen Muskel speciellere Beziehungen gewinnt, dass sie sogar die Ver- laufsriehtung desselben bestimmt, das bleibt der rein topogra- phischen Betrachtung völlig unverständlich. Denn dass durch die Verbindung mit der Fascie der Muskelwirkung auf das Zungenbein eine mehr der Sternohyoideuswirkung ähnliche Richtung gegeben werde, dass der Omohyoideus also anstatt das Zungenbein nach der Seite, nach hinten und abwärts zu bewegen, oder, bei beiderseitiger Wirkung nach hinten und abwärts, die Zugrichtung mehr abwärts stattfinden lässt, das kann zwar als eine Erklärung der physiologischen Bedeutung der Fascie, aber nicht als eine Erklärung des Vorkom- mens selbst, also des anatomischen Befundes gelten, eben so wenig 2. Aufl. pag. 121. Wenn Hentz über die Fascie bemerkt, dass durch die mit scharfem Rande von oben her begrenzte Lücke die Nervi supraclaviculares über diesen Knochen hervortreten, so beruht dies wohl nur auf einem Versehen, denn der Verlauf der Nervi supraclaviculares findet nicht unter, sondern con- stant über dem Omohyoideus statt, wie es auch HENLE in einem späteren Bande seines Werkes sowohl schriftlich als bildlich dargestellt hat. Nervenlehre 1871. pag. 466 u. 467. Wörtliche Reproduction der Henxte’schen Angabe bezüglich der Nervi supra- elavieulares findet sich bei LuscuKa. (S. Anatomie des Menschen. Bd.I. 1. Abth. pag. 181.) Während er so den Austritt der Nerven unterhalb des Omo- hyoideus bestätigt, bringt er in der pag. 379 desselben Bandes gegebenen Abbil- dung in dem Verlaufe der Nerven iiber den Omohyoideus das richtige normale Verhalten zur Darstellung. 246 C. Gegenbaur wie das durch die Annahme einer vom Muskel auf die Fascie aus- geübten Spannung geschieht. Nach dieser Seite gekehrt würde die Deutung der Einriehtung rein teleologischer Art sein, selbst davon abgesehen, dass die von allen anderen Halsmuskeln abweichende Verlaufsrichtung des Omohyoideus nicht verständlicher würde. Im Suchen nach einer anderen Deutungsweise der besprochenen Einrichtung werden zunächst die sogenannten Abnormitäten oder Va- rietäten des Muskels zur näheren Prüfung sich darbieten. Diese sind bekanntlich für den Omohyoideus ausserordentlich zahlreich, so dass MACALISTER!) in seiner sehr dankenswerthen Zusammenstellung der Muskelanomalien des menschlichen Körpers, deren 27 für unseren Muskel aufführen konnte. Nicht alle derselben besitzen für unseren Zweck gleiche Wichtigkeit. Von wesentlichem Belang sind erstlich jene Fälle, in denen der Omohyoideus mit Sternohyoideus, oder sogar mit Sternothyreoideus Verbindungen eingegangen ist. Am vollständigsten ist diese dann erreicht, wenn der vordere Bauch des Omohyoideus mit dem Sterno- hyoideus völlig verschmolzen ist, oder unter Mangel eines selbst- ständigen vorderen Bauches die Zwischensehne sich mit dem ent- sprechend verbreiterten vorderen Abschnitte des Sternohyoideus ver- bindet. Aus solchen im besondern Verhalten wieder sehr mannigfachen Zuständen, die in der bei MACALISTER citirten Literatur nachzusehen sind, geht im Allgemeinen eine engere Beziehung des Omohyoideus zu den erwähnten geraden vorderen Halsmuskeln hervor, als deren Theil er, wenn auch zunächst nur mit einem Abschnitte, sich dar- stellt. Eine andere Gruppe von Varietäten betrifft den hinteren Bauch. In engerem Anschlusse an die für den vorderen Bauch angeführten Verhältnisse stehen jene Fälle, in welchen Verbindungen mit den geraden Halsmuskeln vorkommen. So ist von HALLETT?) ein Fall mitgetheilt, in welchem der hintere Bauch sich in zwei Streifen spal- tet, von denen der eine seinen normalen Weg zum Hyoid nimmt, indess der andere sich mit dem Sternohyoideus verbindet. Derselbe ändert endlich seinen Ursprung, indem er mehr auf den Coracoid- fortsatz übergeht, oder auch auf den acromialen Theil der Clavicula gelangt, und von da in verschiedenem Maasse weit sternalwärts vor- ') Transactions of the royal Irish Academy. Vol. XXV.. P. I. Dublin 1872. 2) Edinburgh med. and surgical Journal Vol. 72. 1849. Ueber den Muse. omohyoideus und seine Schlüsselbeinverbindung. 247 rückt. Die Ursprungsstelle liegt dann immer an der hinteren Fläche der Clavicula. Durch diese Vorkommnisse wird, wie schon SCHWEGL !) aber auch HALLETT?) bemerkt, die Topographie des unteren Hals- dreieckes modificirt, indem dann ein Muskelbauch die Arteria sub- clavia bedeckt. Es ist daher dieses Verhalten auch von praktischer Bedeutung, und zwar um so mehr, als jene Fälle keineswegs zu den seltenen zählen. Aber nicht minder wichtig sind sie für unse- ren Gegenstand, so dass wir sie in den Hauptpuncten specieller be- trachten müssen. Die Fälle der Ursprungsbeziehungen des Omohyoideus zur Cla- vieula scheiden sich in zwei Gruppen. In der einen ist dem Muskel bei normalem Scapularursprunge ein accessorischer Kopf von der Clavicula zugetheilt. Dieser wird als Cleidohyoideus bezeichnet, der ganze Muskel bildet also einen Omo-cleido-hyoideus. Der Ursprung dieses Schlüsselbeinkopfes findet in der Mehrzahl der Fälle vom mittleren Dritttheile der Clavicula statt, so dass er erst da, wo der scapulare Bauch hinter der Clavicula emporsteigt, an den me- dialen Rand desselben sich anlegt, und entweder in der Höhe der Zwischensehne, oder auch darüber hinaus mit ihm verschmilzt. Diese Fälle. gehören zu den häufigsten Varietäten. Nach HALLETT (l. e.) finden sie sich in je fünfzehn Leichen einmal. Ob sie, wie Harrerr anzunehmen scheint, durch die noch häufigeren auf fünf Fälle einmal sich treffenden Befunde, in welchen der Sca- pularbauch durch die Fascienschicht der Clavieula dicht genähert, ja fast mit ihr in Contact gebracht wird, vermittelt werden, möchte ich deshalb bezweifeln, da hierbei doch eine Verminderung des Schulterkopfes in einem der Ausbildung des Clavicularkopfes gleichem Maasse bestehen miisste. Nun kommt aber jener Clavicularkopf bei völlig unverändertem Schulterkopfe in sehr verschiedener Ausbildung vor, so dass man für ersteren vielmehr die Existenz einer Neubil- dung als ein blosses Ueberwandern eines Theiles des normalen Omo- hyoideus-Ursprungs auf die Clavieula annehmen könnte. Bei Maca- LISTER (l. ce.) sind diese Fälle sub Nr. 9 der Omohyoideusvarietäten zusammengestellt. In grösserer Anzahl sind sie von TURNER*) und 1) Sitzungsberichte d. math.-naturwiss. Classe der K. K. Acad. d. Wiss. zu Wien. Bd. XXXIV. pag. 52. 2) Edinburgh med. and surgical Journal. Vol 69. 1848. pag. >. 3) Edinburgh med. Journal. 1864. Morpholog. Jahrbuch. 1. 17 248 C. Gegenbaur von Woop') aufgefiihrt, doch ist in den Zusammenstellungen des letzteren nicht immer sicher zu ersehen, ob nicht die in die zweite Gruppe gehörigen Fälle mit eingerechnet wurden. Von mir selbst ist die accessorische Clavieularportion des Omohyoideus sehr oft, unter je 12 Leichen etwa einmal beobachtet worden. Ein Fall davon verdient besondere Beachtung, da er mit keinem der zahlreieh be- schriebenen völlig übereinstimmt. Bei einem männlichen Individuum fand sich die Varietät, wie dies häufig sich trifft, doppelseitig vor. Linkerseits entspringt der Omohyoideus normal, und trifft, hinter der Clavicula etwas steiler als gewöhnlich emporsteigend mit einem vom mittleren Fünftheile der Länge des Schlüsselbeines entspringenden platten Kopfe zusam- men, der in der Höhe der Zwischensehne des Omohyoideus lateral in eine mit der letzteren continuirlich verbundene Sehne übergeht, mit seinen medialen Fasern dagegen ununterbrochen zum Zungenbein em- porsteigt. Die beiden Ursprungsköpfe besitzen so eine gemeinsame Zwischensehne, die aber den Muskel nicht vollständig durchsetzt, indem sie nur einem Theile des Cleidohyoideus zukommt. Der vor- dere Bauch dieses Omo-cleido-hyoideus ist etwas breiter als der ge- wöhnliche des Omohyoideus. Die Einheit des vorderen Bauches, der enge Anschluss des Schlüsselbeinkopfes an den von der Scapula kommenden, endlich die gemeinsame Zwischensehne bestätigen, dass hier ein einziger, nur von zwei differenten Skelettheilen entspringen- der Muskel vorliegt. Rechterseits ist ein Omo-cleido-hyoideus noch in bedeutenderer Ausdehnung ausgebildet. Der Ursprung des Muskels erstreckt sich vom oberen Rande der Scapula medial vom Lig. transvers. auch auf das Coracoidstück, und setzt sich von da continuirlich auf die Clavieula fort, von der nur die beiden Enden ohne Beziehung zum Ursprung des Muskels sind. Die Clavicularportion besitzt eine ansehnliche Ursprungssehne. Der breite Muskelbauch dieses Omo-cleido-hyoi- deus verläuft ohne Zwischensehne oder Inseriptio tendinea median- wärts und vorwärts, erreicht aber nur mit seinem lateralen Abschnitt das Zungenbein. Dies trifft sich für die ganze Scapularportion und einen kleinen Theil der Clavieularportion, deren grösserer Theil zum Sternohyoideus verläuft. Lateralwärts entspringende Fasern neh- men den weitesten Verlauf nach vorne zu, indess die dem ster- ') Proceedings of the royal Soc. Vol. XIII. 1864. pag. 300. XV. 1867. pag. 519. XVI. 1868. pag. 485. Ueber den Muse. omohyoideus und seine Schliisselbeinverbindung. 949 nalen Ende der Clavicula näher entspringenden weiter nach abwärts zum Sternohyoideus treten. Nur ein Theil der zu letzterem Muskel gelangenden Züge des Omo-cleido-hyoideus tritt wirklich in ihn ein, und ist von den dem Muskel vom Ursprunge an angehörigen Bün- deln nicht unterscheidbar. Der grössere Theil dagegen endigt in der Fascie des Sternohyoideus, einzelne Züge sind über den letz- teren schräg hinweg verlaufend verfolgbar. Diese repräsentiren so- mit einen Cleidocervicalis. Der mächtigen Ausbildung dieses Omo- cleido-hyoideus correspondirt die geringe Entwickelung des Sterno- hyoideus derselben Seite. Nicht nur die Ursprungslinie des Muskels ist kiirzer als die des anderseitigen, sondern auch sein Bauch ist bei weitem diinner. Beachtenswerth diirfte endlich noch sein, dass die laterale Ursprungsgrenze des Sternohyoideus mit der medialen des Omo-cleido-hyoideus zusammenstisst, dass aber die dort ent- springenden Bündel des letzteren Muskels nicht parallel mit dem ersteren emporsteigen, sondern schon durch den schräg medianwiirts gehenden Verlauf über den Sterno-hyoideus ausgezeichnet sind. Die andere Gruppe von uns interessirenden Ursprungsmodifica- tionen besteht aus Befunden, in denen der vom Schulterblatte entspringende reguläre hintere Bauch fehlt, und durch einen in der Regel vom mittleren Dritttheile der Länge der Clavieula entspringen- den Bauch ersetzt wird. Ein solcher Muskel ist also ein reiner Cleidohyoideus. Dieses schon von älteren Autoren erwähnte Verhältniss umfasst die selteneren Fälle, von denen jene unterschie- den werden müssen, wo bei normalem Omohyoideus von der Clavi- eula entspringende Muskelfasern in einen anderen Muskel, meist in den Sternohyoideus eingehen. Siehe darüber Woon'!). Dieser den Omohyoideus ersetzende, aber ihm keineswegs ho- mologe Muskel, den ich selbst nur einigemale sah, gestattet ver- schiedene Auffassungen. Man kann ihn, wie das von den meisten Autoren geschieht, für einen Omohyoideus halten, dessen hinterer Bauch seinen Ursprung veränderte, und damit auf die Clavieula über- trat. In anderer Weise wird er dagegen als ein Theil des Omo- cleido-hyoideus beurtheilt. Beide Auffassungen besitzen nicht glei- chen Werth; die erste davon lässt nämlich das Vorkommen des Omo-cleido-hyoideus ausser Betracht, und nimmt fiir den Omohyoi- deus eine Wanderung an, die in der Weise, wie sie vorausgesetzt wird, nicht beobachtet werden kann. Die zweite Deutung ist dem- 1) Proceedings of the royal Soc. Vol. XV. 1867. pag. 519. = 250 C. Gegenbaur nach der ersten vorzuziehen, da sie von etwas thatsiichlichem, der Existenz des Omo-cleido-hyoideus nämlich, ausgeht. Die an diesem Muskel sich treffenden verschiedenen Zustiinde der Ausbildung der Seapularportion desselben lassen sich zum Theil als Reduetionen wahrnehmen, so dass ihre Weiterbildung zu einer gänzlichen Rückbildung der scapularen Portion führen kann. Diese Rück- bildung ist dann bei dem Bestehen eines Cleidohyoideus gegeben. So kann also der Cleidohyoideus vom Omo-cleido-hyoideus abge- leitet werden. Wollte man dem entgegensetzen, dass es doch wohl besser wäre, den Cleidohyoideus aus einer Verbreiterung des Ur- sprungs des Sternohyoideus abstammen zu lassen, wie sie ja in der That vorkommt, so habe ich darauf zu entgegnen, dass doch der Omohyoideus in keinem Falle ausser Betracht bleiben darf, da er ja den regulären Zustand repräsentirt, und dass ferner die bei wei- tem zahlreichsten Befunde des Omo-cleido-hyoideus durch mehr la- teral als medial an der Clavicula befindliche Ursprünge ausgezeich- net werden. Wäre der Ausgang des Cleidohyoideus vom Sterno- hyoideus aus zu suchen, so müsste der Anschluss an diesen Muskel häufiger sein, in der That ist er aber der seltenere und gerade der Anschluss an den Omohyoideus ist der häufigere Fall. Selbst in dem von mir vorhin beschriebenen Falle, wo doch die Ursprungslinie des Omo-cleido-hyoideus unmittelbar in jene des Sternohyoideus sich fortsetzte, war die Verschmelzung mit dem letzteren nicht völlig, und die Fasern der Schlüsselbeinportion des Omo-cleido-hyoideus verhielten sich zum Sternohyoideus theilweise fremd, indem sie schräg über denselben hinwegliefen und in der Fascie endigten. Wenn ich so den Cleidohyoideus auf den Omohyoideus beziehe, und nicht sofort auf den Sternohyoideus, so möchte ich damit nur den engeren Zusammenhang mit letzterem und die direete Abstammung von demselben ausgesprochen haben, keineswegs aber den Mangel aller Beziehungen zum Sternohyoideus oder Sternothyreoideus be- haupten. Im Allgemeinen habe ich dieser Beziehungen schon oben Erwähnung gethan, und weiter unten werde ich noch darauf zurück- kommen. Ich scheide also vorläufig jene Fälle von Cleidohyoideus, die dem Sternohyoideus oder Sternothyreoideus angehören, von den anderen dem Omohyoideus zukommenden ab. So z. B. die von Woop!) beobachteten, wo bei normalem Omohyoideus ein Muskel- streifen von der Mitte der Clavicula vorwärts und median zum Sterno- 1) Proceed. Vol. XVI. Ueber den Muse. omohyoideus und seine Schlüsselbeinverbindung. 251 hyoideus trat, oder aus dem sonst gleichfalls normalen Omohyoideus durch einen Schlitz hindurch gelangte, der durch den normal entsprin- genden Sternothyreoideus und ein in diesen eingehendes abnorm von der Clavicula entspringendes Muskelbündel gebildet war. Der von Davıes- CoLLEY, Taytor und Dauron!) beschriebene Fall ist da- gegen hinsichtlich seiner Zugehörigkeit zweifelhaft. Ein über einen halben Zoll breites Muskelband entsprang von der Clavicula unter dem Sternomastoideus, und stieg zum Zungenbeinkörper und gros- sen Zungenbeinhorn empor, die beiden oberflächlichen Herabzieher bedeckend. Die Verbindung mit dem sonst normalen Omohyoideus fand also wohl erst an der Insertion statt, wenn sie überhaupt statt- fand, da die angegebene Beziehung zu den beiden oberflächlichen Herabziehern eine Ueberlagerung des Sternohyoideus und Omohyoi- deus ausdrückt. Dann würde der Muskel dem Sternohyoideus zu- zutheilen sein. Zu diesen ins Bereich der Variation des Sternohyoideus und Sternothyreoideus fallenden Befunden wird auch der von W. GRUBER als Costo-hyoideus beschriebene Muskel anzuführen sein. In dem Vorkommen desselben ist ein Uebergreifen des Ursprunges des Sternohyoideus nach rück- und abwärts ausgedrückt, und indem der Muskel durch den Ursprung mit dem Sternothyreoideus durch die’ Insertion mit dem Sternohyoideus übereinkommt, verbindet er Eigen- schaften beider Muskeln. Von Bedeutung an dieser Stelle ist das von CHuDzinsk1?) bei einem Neger dargestellte Verhalten des Sternohyoideus. In diesem Falle fand sich rechterseits in der Mitte des Halses eine sehnige Unterbrechung des Muskels, von welcher dadurch ein oberer Bauch abgegrenzt war. Der untere Bauch weicht in seinem Verlaufe bedeu- tend lateralwärts ab, indem er den inneren Rand des sonst normalen Omohyoideus erreicht, uud längs desselben zum Mittelstücke der Clavicula tritt, an der er sich mit einer kurzen aber breiten Sehne befestigt. Median von diesem somit schräg verlaufenden unteren Bauche findet sich eine starke Aponeurose, welche die beiderseitigen Sternohyoidei untereinander verbindet. In diesem Falle finde ich einen Uebergangszustand zu dem von !) Guy’s Hospital reports. Ser. III. Vol. XVIII. pag. 391. *) Revue d’Anthropologie. T. II. Paris 1873. pag. 407. 252 C. Gegenbaur ~ W. GRUBER!) beschriebenen vierbäuchigen Omohyoideus, bei welchem der mediale vordere Bauch mit dem Sternohyoideus verbunden war, und nicht blos einen von der Clavicula entspringenden medialen hinteren Bauch mittelst einer Zwischensehne aufnahm, sondern auch mit dem normalen von der Scapula kommenden hinteren Bauche eine breite Ver- bindung zeigte. Die erwähnte Zwischensehne erscheint als Inscriptio und setzt sich in eine im Sternohyoideus vorkommende fort. Die einzelnen Zustände dieser in grosser Mannigfaltigkeit be- stehenden Variation sind untereinander verknüpfbar. Alle besitzen das Gemeinsame einer Aenderung des Ursprungs, entweder einer Wanderung desselben auf benachbarte Knochenstrecken (womit sich eine Vermehrung des Volums des Muskels in die Breite verbindet), oder einer Verlegung desselben auf solche, womit in dem Maasse als die neue Muskelportion entwickelt ist, die von der primitiven Stelle entspringende rückgebildet oder völlig geschwunden erscheint. Gehen wir vom Omohyoideus aus, so treffen wir denselben von sei- ner medial vom Ligamentum transversum scapulae liegenden Ur- sprungsstelle in lateraler Richtung den Ursprung bis zum Coracoid- fortsatz hin ausdehnen, in anderen Fällen wieder von da auf die Clavicula fortgesetzt, und von der hinteren Fläche derselben sich weiter medianwärts erstrecken. So entsteht ein Coracohyoideus und ein Cleidohyoideus, von denen der letztere entweder für sich allein vorkommt, oder im Zusammenhang mit dem fortbestehenden Omo- hyoideus einen Omo-cleido-hyoideus repräsentirt. Dieser kann sogar noch, wie in dem von mir beschriebenen Falle, einen Coracohyoi- deus mit in sich begreifen. Ein Mangel der Schulterblatt- und der Coracoidportion lässt den Muskel anscheinend als ein neues Gebilde sich darstellen. Dieser Cleidohyoideus vermittelt den Uebergang zu den mehr medial entspringenden Muskeln. Durch die Fälle, in denen er mit dem Sterno- hyoideus sich verbindet, sowie durch jene, in denen der letztere Mus- kel eine laterale Ausdehnung seines Ursprungs erfährt, wird die Grenze zwischen medialen und lateralen Muskeln unbestimmt. War es also auch für einzelne Fälle möglich, die intermediäre zwischen Omo- und Sternohyoideus entspringende Muskelportion dem einen oder dem anderen Muskel zuzutheilen, so ist solches doch nicht für alle Fälle ausführbar, und man wird so zugestehen müssen, dass die ') Vier Abhandl. aus d. Gebiete der med.-chirurg. Anatomie. $. Berlin 1847. pag. 13. Ueber den Musc. omohyotdeus und seine Schlüsselbeinverbindung. 253 Vergleichung der einzelnen Zustiinde jener Variationen zu der Auf- fassung der Zusammengehörigkeit all dieser Formen mit Nothwendig- keit hinführt. Bringt man damit noch den Austausch von Bündeln zwischen Sternothyreoideus, Omo- und Sternohyoideus in Verbin- dung, so ergeben sich diese Muskeln (selbstverständlich den Thyreohyoideus mit inbegriffen) als Angehörige einer und derselben einheitlichen Gruppe. Dies bestätigt auch die In- nervation, die durch Aeste der drei ersten zum Theil auf einer Strecke der Hypoglossus-Bahn verlaufenden Cervicalnerven besorgt wird. Indem sieh aus der Vergleichung der Varietäten herausstellt, dass der Omohyoideus den vorderen Muskeln zugehört, können die bezüglichen Formen jener Varietäten gewissermassen als einzelne Stadien aufgefasst werden, welche der Muskel durchlief, und man wird sich vorstellen können, wie eine lateral, von einer gemeinsam vom Sternum zum Zungenbein verlaufenden Muskelmasse sich ablö- sende Portion durch voluminösere Entfaltung neue Ursprungsstellen gewinnt, und damit auf das Schlüsselbein übertritt. Man braucht nicht weit zu suchen, um solche Uebergriffe der Muskelursprünge auf benachbarte Skeletgebilde schon als innerhalb des gewöhnlichen, normalen Vorkommens häufige Erscheinungen anzutreffen, und die Beispiele sind so zahlreich und bekannt, dass ich sie gänzlich über- gehe. Der Uebertritt einer solchen ursprünglich gerade verlaufenden Muskelportion auf das Schlüsselbein wird unter selbstständigerer Aus- bildung und bei der damit einhergehenden Ablösung von der Stamm- portion des Muskels einen gesonderten Muskel herstellen müssen, und zwar in dem Maasse, als die Ursprungsstelle lateralwärts auf dem Schlüsselbein vorgerückt ist. Eine fernere Ausdehnung der Ur- sprungslinie verlegt den Ursprung noch auf den Coracoidfortsatz, und von da weiter auf die Seapula. Das Vorkommen eines Cleidohyoi- deus bei fehlendem Omohyoideus repräsentirt die ersten Stadien, so- wie das Bestehen eines Omo-cleido-hyoideus den späteren Stadien angehört. In beiden Fällen stellt der vom Schlüsselbein entspringende Muskel einen intermediären Zustand vor, einen solchen, in welchem der Muskel entweder die laterale Ursprungsgrenze noch nicht erreicht hat, oder nach Erlangung der äussersten Ursprungsstelle, noch mit einem verschieden grossen Abschnitte auf dem Wege zu dieser Stelle sich befindet. Die als Regel erscheinende Rückbildung des clavicu- laren Muskelbauches lässt dann den von der untersten Grenze der _Ursprungslinie entspringenden Omohyoideus übrig, dessen Ursprungs- 254 C. Gegenbaur ausdehnung auf das Coracoid, oder auf die Clavicula wieder auf die- selbe Weise von einem Ueberschreiten der Ursprungsgrenze ableitbar ist, wie die erste Sonderung dieser Muskeln aus einer medial vor- handenen Gruppe abzuleiten war. Mit Zugrundelegung dieser Auffassung ist also nicht nur die weit abgerückte Ursprungsstelle des Omohyoideus erklärbar, sondern es werden auch die mannigfachen Ursprungsvarietäten des Muskels verständlich, von de- nen jede einzelne für die Gesammterscheinung von Be- deutung ist. Dass die Musculatur, aus der so der Omohyoideus sich ablöste, beim Menschen nicht mehr unverändert vorhanden ist, auch nicht mehr vorhanden sein kann, ergibt sich dann aus der ge- sonderten Existenz des Omohyoideus, was aber noch übrig blieb, ist im Sternohyoideus und Sternothyreoideus enthalten, die durch ihre Verlaufsrichtung den minder modificirten und damit conservativeren Theil dieser Musculatur vorstellen. Die Zusammengehörigkeit des Omohyoideus und Sternohyoideus, also im Wesentlichen die von mir eben erläuterte Auffassung, ist bereits von Humpury') ausgesprochen, dessen Aeusserung in meiner Darlegung eine von einer anderen Seite her unternommene Begrün- dung findet. Dem steht die Auffassung HENLE’s?) entgegen, der sich darüber folgendermassen ausspricht: » Diese Sehne« — näm- lieh die Zwischensehne — »hat, wie sich aus den Varietäten des Muskels erschliessen lässt, die Bedeutung einer Rippe; der hintere Bauch ist eine Serratuszacke, der vordere ein dem Sterno-hyoideus, der ja auch theilweise von Rippen entspringt, analoger Muskel. Da die Rippe (eine unterste Halsrippe) nicht zur Entwickelung gelangt, fliessen beide Bäuche mittelst emer sehnigen Inscriptio ineinander «. Da ich durch eine Vergleichung der Varietäten zu einem ganz ande- ren Resultate gelangt bin, erscheint es geboten, jene Varietäten, auf welche HENLE sich beruft, näher zu betrachten. Sie betreffen sämmt- lich Muskelbündel, welche vom Thorax oder vom Schlüsselbein ent- springend zur Scapula verliefen. Der von TurıLE?) beschriebene Fall bestand in einem von der ersten Rippe entspringenden dreh- 1) Journal of Anatomy. Vol. II. pag. 319. 2) Handb. d. systemat. Anatomie. Muskellehre. 1. Aufl. pag. 116. 2. Aufl. pag. 123. Akpy folgt dieser Auffassung. Lehrb. d. Anatomie. 1871. pag. 402. 3) 8. Tu. v. SÖMMERING, Vom Baue des menschl. Körpers. Bd. II. pag. 227, Ueber den Musc. omohyoideus und seine Schlüsselbeinverbindung. 255 runden Muskelbündel, welches zwischen M. supraspinatus und sub- scapularis eindrang, um sich breit am oberen Rande der Seapula, an der Ursprungsstelle des hier fehlenden Omohyoideus, inserirte. Die Beziehung dieses Muskels auf den Omohyoideus wird einmal dureh das Fehlen eines wahren Omohyoideus, dann aber auch durch ‘die Befestigungsstelle an der Scapula unterstützt. Das erstere Ver- hältniss halte ich nicht für wichtig genug, denn das Fehlen eines Omohyoideus gehört nicht zu den so ganz seltenen Fällen, dass aus ihm die Ablenkung des vorhandenen Muskelbauches zur ersten Rippe mit Nothwendigkeit abzuleiten wäre. Die Befestigung an der Sea- pula kann wohl eher auf einen Omohyoideus verweisen, und die Fälle wo bei einem Fehlen des vorderen Bauches der hintere Bauch des Omohyoideus in die Halsfascie verläuft, könnten als vermittelnde Uebergänge zu jener hippeninsertion gelten. Aber dann läge alle- mal der Ausgang in einem Rückbildungszustande des Muskels, denn die durch den vorderen Bauch vermittelte Hyoid-Insertion wird in keinem Falle als ein secundärer, etwa durch vorgängiges Bestehen einer Insertion in die Halsfascie erreichter Zustand gelten können. Eine derartige Annahme würde sich zu weit von allen über den Muskel vorliegenden Thatsachen entfernen. Eine Entscheidung über den Muskel würde nur die Kenntniss seiner Innervation geben kön- nen, über welche jedoch nichts vorliegt. Ich lasse also fraglich, ob der Tueıze’sche Fall wirklich zum Omohyoideus gehört, oder wie THEILE ihn auffasst, zu den Varietäten der obersten Portion des Serratus anticus major, aber selbst wenn er aus einem Omohyoid hervorging, repräsentirt er nur einen weit rückgebildeten Zustand. Ein anderer gleichfalls von HENLE eitirter Fall ist von W. Gru- BER!) beschrieben, und von demselben zu den Varietäten des Sub- clavius gerechnet worden. In der Nähe des Omohyoideus-Ursprunges entsprang ein zur 1. Rippe verlaufendes Muskelbündel, dessen End- sehne mit dem Subelavius sich verband. In einem zweiten Falle des Bestehens dieser Varietät fehlte der letztgenannte Muskel. In glei- cher Weise möchte ich die von LuscuKka2) erwähnten Fälle deuten. Da der vorhandene Omohyoideus zu diesen Muskeln gar keine Be- ziehungen besass, können diese Varietäten auch nicht als Uebergänge des Omohyoideus zum Serratus angesehen werden. Was die von I) Neue Anomalieen, als Beiträge zur physiolog., chirurg. und patholog. Ana- tomie. 4. Berlin 1849. pag. 19. 2) Archiv f. Anat. u. Physiolog. 1856. pag. 284. 256 C. Gegenbaur R. WAGNER!) nur ganz kurz aufgeführten Wahrnehmungen betrifft, auf die HENLE gleichfalls sich zu stützen scheint, so beziehen sich dieselben wohl auf den Omohyoideus, aber in einem ganz anderen Sinne, da WAGNER selbst sie mit der von KRAUSE als Coracocervicalis beschriebenen Varietät in Verbindung bringt. Aus den Varietäten des Omohyoideus dürfte also kein Anhaltspunct für die Zusammen- gehörigkeit des Muskels zum Serratus abzuleiten sein. Vielmehr sprechen gerade die häufigsten Vorkommnisse dagegen. Was endlich die Bedeutung der Zwischensehne des Muskels an- geht, so wäre, wenn man sie auf eine Halsrippe beziehen wollte, fiir’s erste die Frage zu behandeln, ob solche quer die Muskeln durehsetzende Inscriptionen überhaupt von Rippenbildungen ableitbar seien. Die Erfahrung vermag keine zwingenden Gründe für diese Anomalien beizubringen. Die Zwischensehne des Biventer cervicis, die sich häufig als Inscriptio tendinea auch auf den Complexus major er- streckt, lehrt, dass solche Gebilde auch an Muskeln vorkommen, die mit Rippen nicht im Entferntesten in Beziehung stehen. Da- gegen zeigt die vergleichende Anatomie, wie solche Inseriptiones ten- dineae Rudimente von Zwischenmuskelbändern sind, jenen der Meta- merie des Körpers entsprechenden bindegewebigen Septis, welche die primitive Musculatur dorsal wie ventral in quere Abschnitte zer- legen. Im ventralen Theile solcher Septa entfalten sich zwar die Rippen, aber sie bedingen sie nicht, vielmehr sind die Septa die Voraussetzung für die Existenz der Rippen. Da nun ferner keine Thatsache vorliegt, in welcher die Zwischensehne des Omohyoideus durch eine Halsrippe vertreten wäre, wird man jene Auffassung auch nicht für begründet halten können. Die Zwischensehne des Omohyoideus wird also wie andere trans- versale sehnige Einschaltungen in gerade verlaufenden Muskeln zu beurtheilen sein, wie jene des Biventer cervicis, des Rectus abdo- minis, als ein Rest einer primitiven Scheidung des Muskels in ein- zelne den Metameren des, Körpers entsprechende Abschnitte. Eine häufig im unteren Theile des Sternohyoideus vorkommende sehnige Inseriptio lässt dieses Verhältniss nicht minder erkennen, und ist zugleich ein Zeugniss für die nahe Verwandtschaft dieses Muskels mit dem Omohyoideus. Während aber die Zwischensehne des Sternohyoideus in ihrem nicht allgemeinen Vorkommen als eine in der Rückbildung begriffene 1) HEUSINGER’S Zeitschrift für organ. Physik. Bd. Ill. pag. 335. Ueber den Muse. omohyoideus und seine Schliisselbeinverbindung. 257 Einrichtung erscheint, unter der durch die vergleichende Anatomie bestätigten Voraussetzung, dass jene geraden Halsmuskeln dem Sy- stem des Rectus abdominis angehören, auch die Metamerie mit die- sem theilen: so ist die Zwischensehne des Omohyoideus als eine con- stantere Bildung noch in voller Bedeutung. Ihr Fehlen ist im Vergleich zu ihrem Vorkommen untergeord- net, und zeigt sich wieder als eine allmälige Rückbildung, wenn man die einzelnen Fälle, in denen sie nur einen Theil des Muskels als wechselnd starke Inseriptio durchsetzt, zusammenhält. Es darf wohl gefragt werden wie es komme, dass in einem Muskel derselben Gruppe die Zwischensehne sich forterhält, indess sie in dem anderen fast verschwunden ist. Dafür kann eine Ant- wort in dem Verlaufe und der Lage des Muskels gefunden werden. Die Sehne entspricht dem Winkel des Muskelverlaufs, findet sich also an einer Stelle, an der die Zugrichtung des Muskels eine Ab- änderung erfährt, so dass im Fortbestehen der den Muskel in zwei Bäuche sondernden Inscriptio eine der Wirkung günstige Einrich- tung sich darstellt. Auch aus der Lage der Zwischensehne ergeben sich ihr Bestehen erklärende Verhältnisse. Sie findet sich nämlich gerade da, wo der Muskel über die Scheide der grossen Halsgefässe hinweg, nicht nur aufwärts sondern auch einwärts umbiegt, so dass er einen Winkel in doppeltem Sinne beschreibt!). Ein sehniger, also bei der Mus- kelaction passiv bleibender Theil im Muskelverlaufe, wird auf das unter ihm liegende Blutgefäss, den Stamm der Jugularvene, keinen Druck ausüben, wenn er durch die Wirkung der ihn nach aussen gegen die Clavieula zu festhaltenden Fascie auch während der Action der beiden durch ihn verbundenen Muskelbäuche in einer zur Vene gleichmässigen Lage erhalten wird. In dieser functionellen Bedeutung der Zwischensehne und der den Omohyoideus befestigenden Faseie ist die Ausbildung dieser Sehne aus einer einfacheren Inscriptio tendinea verständlich?). Die Lage- beziehung der Zwischensehne zur Jugularvene kann der Annahme das Wort reden, dass in der Sehne eine Anpassungserscheinung des Muskels an seine Lage bestehe, d. h. dass die Sehne sich durch den 1) Siehe hierüber, wie über verschiedene die Wirkung betreffende Angaben: W. GRUBER, Vier Abhandlungen. pag. 9. ?) Ausın bemerkt hierüber: »tanquam si inter Cleidomastoideum a parte priore, et Scalenum priorem venamque jugularem internam a posteriore com- pressus fuisset«. Hist. musculorum hominis. Leidae Batav. 1734. pag. 200. 258 ©: Gegenbaur Verlauf des Muskels über die Halsgefässe, und durch seine hier stattfindende doppelte Winkelrichtung, ausgebildet habe. Beachtet man hierzu noch den Verlauf des Sterno-cleido-mastoideus über den Omohyoideus, welcher letztere gerade da, wo der erstere aussen seinen Weg kreuzt, innen um die Vene sich hinweg schlägt, so wird die mechanische schon von ALBIN angedeutete Einwirkung die- ser beiden Faetoren noch mehr einleuchten. Es lag also nahe, daran zu denken, dass die Zwischensehne erst im Laufe der individuellen Entwickelung durch eine von jenen zwei Stellen aus auf den Muskel ausgeübten Druck entstehe, dass also die Anpassung ontogenetisch bestehe und so unmittelbar nachweisbar sei. Die Untersuchung hat das nicht bestätigt. An den Leichen von 7 Neugebornen war die Sehne wie beim Erwachsenen, und eine Anzahl darauf untersuchter Embryonen bis zur 12. Woche herab, ergab gleichfalls nichts hier- her Bezügliches, ausser dass in einem Falle (bei einem Fötus von ca. 14 Wochen) die Zwischensehne gänzlich fehlte. Es kann also für die ontogenetische Entstehung der Sehne aus einer Anpassung für jetzt noch kein Beweis geführt werden, und die Frage bleibt offen. Dagegen geht aus dem Zusammenhalte aller bezüglichen Thatsachen jedenfalls soviel hervor, dass die Zwischen- sehne nicht nothwendig als eine dem Omohyoideus ursprünglich fremde Einrichtung zu gelten hat, dass sie vielmehr nur die Weiter- bildung einer blossen Inseriptio vorstellt, die eine der Stammgruppe des Muskels zukommende Eigenthümlichkeit ausmacht. Durch den aus der Verwerthung der am zahlreichsten vorkommenden Varietäten gelieferten Nachweis der Zugehörigkeit des Omohyoideus zum Sterno- hyoideus, wird auch die morphologische Bedeutung der Zwischen- sehne aufgeklärt. Ist sie somit als Inscriptio etwas Ererbtes, so mag in der Ausbildung zur länger gestalteten Sehne immerhin eine Wirkung jener oben erwähnten Factoren gegeben sein, die aber mit grosser Wahrscheinlichkeit sich nicht mehr ontogenetisch wiederholt. Wir finden also auch für die Zwischensehne eine zureichende Erklärung in der Beziehung des Muskels zum Sternohyoideus, wo- bei wiederum der Schwerpunct auf den diese Zusammengehörigkeit beurkundenden Cleidohyoideus fällt. Ist das Vorkommen des Cleidohyoideus beim Menschen, wie es oben aufgefasst wurde, ein niederer Zustand, der mit der Ablösung des Omohyoideus aus einer gemeinsamen vorderen, gerade verlau- fenden Muskelmasse in Verbindung steht, so wird diese Bildung bei niederen Wirbelthierformen gleichfalls vorkommen und mit Wahr- Ueber den Muse. omohyoideus und seine Schliisselbeinverbindung. 259 scheinlichkeit in einzelnen Abtheilungen als Regel bestehen. Ich gebe daher in Folgendem eine kurze Uebersicht der beziiglich des Omohyoideus bekannten Verhältnisse. Unter den Monotremen bestehen bezüglich dieses Muskels sehr bedeutende Verschiedenheiten, denn bei Echidna weicht er, nach MivarT!), mit Ausnahme des sich weit an der inneren Oberfläche der Seapula herabziehenden Ursprungs, kaum von dem bekannten Ver- halten ab, indess er bei Ornithorhynchus nicht gesondert erscheint. Unter den Beutelthieren sehe ich bei Halmaturus wie bei Didelphys gleichfalls nur einen scapularen Ursprung. Bei vielen In- sectivoren und Carnivoren ward er vermisst. Einzelne sollen ihn be- sitzen, so der Igel, Dachs, die Hyäne und Fischotter, bei welcher ihn MECKEL?) auf einer grossen Strecke mit dem Sternohyoideus vereinigt sah. Cuvier®) fand ihn da getrennt. Unter den Nagern ist er Cuvier zufolge in den eine Clavicula besitzenden Gruppen vorhanden, indess bei den das Schlüsselbein entbehrenden sein Feh- len constatirt ist. Bei den Edentaten fehlt der Omohyoideus den Faulthieren nach Cuvier und MECKEL; Humpnury!) bestätigt das, und vermisst ihn auch bei den Manis. Nach Gavron®) trifft das auch für Oryctero- pus und für Dasypus zu. Auch bei Myrmecophaga scheint er zu fehlen, da ihn Owen‘) nicht erwähnt. Es dürfte also wohl die ganze Ordnung den Muskel entbehren. In der Abtheilung der Ungulaten ist er vorhanden. Bei den Wiederkäuern ist jedoch eine Ursprungsänderung eingetreten, indem der dem Omohyoideus homologe Muskel nach Cuvier von den Quer- fortsätzen der letzten Halswirbel entspringt. Den gleichen Muskel beschreibt Owen”) bei der Giraffe mit einem Ursprunge vom dritten — Halswirbel. Wie diese Abweichung zu deuten, muss hier übergan- gen werden. Für die Pinnipedier wird ein Mangel des Muskels für die Regel gehalten, doch macht Humpury’) bezüglich des Sternohyoideus !) Transact. Linn. Soc. Vol. XXV. London 1866. pag. 383. ) System der vergl. Anatomie. Bd. IV. pag. 678. ) Legons. T.IV. I. Partie. pag. 489. 4) Journal of Anatomy. Vol. IV. pag. 29. ) Transact. Linn.eSoc. 1870. pag. 571., ferner Vol. XXVI. pag. 526. ) Transact. zool. Soc. Vol. IV. pag. 127. ) Transact. zool. Soc. Vol. II. pag. 233. 8) Journal of Anatomy. Vol. II. pag. 319. 260 ©. Gegenbaur von Phoea eine Bemerkung, die hier nicht übergangen werden kann. Er sagt nämlich, dass der Sterno-hyoideus im Herabsteigen vom Zungenbein sich fächerförmig ausbreite, und an das Sternum und an das innere T'uberculum des Humerus angeheftet sei, sowie an einen Fascienstreif, der zwischen jenen beiden Stellen sich er- strecke. Wie die hieran angeschlossene Bemerkung zeigt, sieht Humpury in dem lateralen Theile dieses Muskels einen Omohyoi- deus in noch indifferentem, d h. mit dem Sternohyoideus verbunde- nem Zustande. Man wird dadurch zu der Frage angeregt, ob nicht in manchen anderen Fällen das Fehlen des Omohyoideus durch das Bestehen eines jenem ähnlichen niederen Zustandes bedingt sei. Neue, sorgfältige Untersuchungen werden diesen Aufschluss bieten können. Bei an- deren Pinnipediern scheint nichts derartiges vorzukommen, wie aus der durch MuriE!) von Otaria gegebenen Myographie ersichtlich ist. Auch für die Chiropteren wird bei Cuvier das durchgehende Fehlen des Omohyoideus angegeben. Aber bei Noctulina ist durch MACALISTER?) ein Muskelband gefunden worden, welches von der Mitte der Clavicula zum Sternohyoideus sich erstreckt, und zwar zur Mitte dessen Länge, wo es sich an eine sehnige Inseriptio ansetzt. Ein wahrer Omohyoideus besteht nicht, wohl aber kann kein Zweifel sein, dass in jenem Cleidohyoideus jenes die Verbindung des Sterno- mit dem Omohyoideus vermittelnde Glied zu suchen ist, also ein Zustand, wie er auch zuweilen beim Menschen sich vorfindet. Die Prosimiae scheinen dagegen mit einem völlig differenzirten Omohyoideus ausgestattet zu sein. BURMEISTER®) beschreibt einen solehen bei Tarsius, OwEn®) bei Chiromys. In seiner ausgebildeten Form allgemein verbreitet kommt der Muskel den Affen zu. Die von Vrouik®*) bei Macacus, Inuus und Cynocephalus vermisste Zwischensehne fand MACALISTER und CHAM- PNAYS, wenn auch nur schwach vor, auch bei Inuus, Cynocephalus porearius und Hamadryas, dann bei Macacus eynomolgus. Unter — den anthropoiden Affen ist nach Duvernoy®) beim Gorilla der Muskel !) Transact. zool. Soc. Vol. VII. pag. 548. 2) Transact. royal Soc. Vol. 162. London 1872. pag. 134. 3) Beiträge zur näheren Kentniss der Gattung Tarsius. Berlin. 1846. pag. 34. » 4) A Monograph on the Aye-Aye. London 1863. pag. 29. 5) Recherches d’Anat. comp. sur le Chimpanzé. Amsterdam 1841. 6) Archives du Muséum. T. VIII. S. 187. pag. 27. Ueber den Musc. omohyoideus und seine Schliisselbeinverbindung. 261 ähnlich wie beim Menschen, und VROLIK, sowie später MACALISTER !) trafen ihn auch beim Schimpanse an, wenn auch sehr schwach entwickelt. Wir finden also auch hier die Form wie sie für den Menschen als Regel gilt, in allgemeiner Verbreitung. Doch fehlt die Vermittelung zum Sternohyoideus nicht ganz, denn GRATIOLET?) beschreibt bei Troglodytes Aubryi einen Muskelbefund, der sich an die beim Men- schen oben erwähnten Varietäten völlig anschliesst. Es bestehen nämlich zwei hierher gehörige Muskeln: der erste entspricht dem normalen Omohyoideus des Menschen, und begibt sich vom oberen Rande der Seapula, unmittelbar hinter der Incisur entspringend, zum Zungenbeinkörper empor. Der zweite Muskel entspringt von der mittleren Partie des lateralen Dritttheils der Clavicula, und vereinigt sich, indem er emporsteigt mit dem vorhergehenden in der Höhe des 6. Halswirbels, woselbst die Muskelfasern durch eine sehnige In- scriptio unterbrochen sind. Dieser Theil entspricht also einem Cleido- hyoideus. Die Befunde bei Säugethieren lassen somit bezüglich der in Frage stehenden Muskulatur vier verschiedene Verhältnisse erkennen. In dem einen fehlt der Omohyoideus gänzlich und ebenso ein Cleido- hyoideus in einem zweiten Falle ist nur der letztere Muskel vorhan- den (Noctulina). In einem dritten besteht ein Omo- und Cleido- hyoideus (Troglodytes Aubryi), endlich bei der Mehrzahl, und zwar bei Repräsentanten der meisten grösseren Gruppen ist nur ein Omo- hyoideus vorhanden. Diese Thatsachen sind für die Ableitung der für den Menschen bestehenden Befunde aus einem noch bei Säugethieren vorkommen- den Verhalten in sofern günstig, als sie bei einem anthropoiden Affen, dann bei einem Chiropteren Uebergangsformen erkennen lassen. Auch die von Humpury gegebene Darstellung bei Phoca ist wichtig genug, da sie nahe legt, wie in jenen gewöhnlich als ein Fehlen des Omohyoideus aufgefassten Befunden ein Zustand erkannt wer- den kann, der als beginnende Sonderung des Muskels erscheint. Es dürfte also die Frage aufzuwerfen sein, ob in den durch !) Annals and Magazine of nat. hist. 1871. pag. 343. 2) Nouvelles Archives du Muséum (hist. nat. T. II. Paris 1866. pag. 139. — Zwischen Omo- und Cleido-hyoideus ragt eine seitliche Abzweigung des subelavieulären Luftsackes vor. — Da nur Ein Speeimen untersucht ward, so bleibt noch fraglich, ob es sich um ein regelmässiges Vorkommen oder um eine Varietät handelte, und das um so mehr, als das beschriebene Verhalten gerade der beim Menschen sehr häufig bestehenden Varietät entspricht 262 C. Gegenbaur Mangel eines Omohyoideus ausgezeichneten Säugethierabtheilungen nicht vielmehr eine noch nicht vollzogene Differenzirung, dann eine völlige Rückbildung des ehedem einmal vorhandenen Muskels vor- liege, eine Frage, welche nur durch genaue und ausgedehnte, aber von jenen Gesichtspuneten geleitete Forschung zu beant- worten ist. Eine fernere Bestätigung der Sonderung des Omohyoideus aus einer in ihren einfacheren Zuständen gerade verlaufenden, dem Sy- stem des Rectus abdominis angehörigen Musculatur findet sich bei den Reptilien. Bei den Crocodilen entspringt so ein Muskel vom Epi- sternum und verläuft zum Zungenbein. Die Saurier besitzen diesen Muskel theils vom Episternum, theils von der Clavieula entspringend und damit in bedeutend lateraler Ausdehnung. Es ist der Episterno-cleido-hyoideus sublimis FURBRINGER’s ), den dieser von einem tieferen, nur vom Episternum entspringenden Muskel, mit dem frühere Untersucher ihn vereinigt betrachteten, ab- löste. Die laterale Ursprungs-Ausdehnung dieses Muskels kann sich bis zur Clavieula-scapular-Verbindung erstrecken, wie von SANDERS ?) von Platydactylus erwähnt wird, und nach mündlicher Mittheilung FÜRBRINGER’S tritt sie bei Uromastix wirklich auf die Scapula über, so dass diese Portion des Muskels ganz unzweifelhaft einem Omo- hyoideus entspricht. Dass auch in der clavicularen Portion Bezieh- ungen zum Omohyoideus vorliegen, war früheren Autoren bekannt, und ward von ihnen dadurch ausgedrückt, dass sie jenen Theil ge- radezu als Omohyoideus bezeichneten oder ihn mit dem medialen vom Episternum entspringenden, als einen dem Sterno- und Omo- hyoideus zusammen entsprechenden Muskel auffassten. Durch dieses unter den Reptilien bestehende Vorkommen eines in seinem Ur- sprunge vom Sternum (resp. Episternum) bis zur Scapula sich er- streckenden Muskels, der am Zungenbein seine Insertion findet, wird es über allen Zweifel gestellt, dass da, wo bei den Säugethieren eine Scheidung in einen vom Sternum und in einen vom Schulter- blatte entspringenden Muskel vorkommt, diese Sonderung durch einen Ausfall der clavicularen Ursprungsportion entstanden sein musste. 1) Die Knochen und Muskeln der Extremitäten bei den schlangenähnl. Sau- riern. 4. Leipzig 1870. pag. 17. — Man sehe auch MıvArT, Proceed. zool. Soc. London 1867. pag. 780. SANDERS, ibidem. 1872. pag. 156. HUMPHRY, Journal of Anat. Vol. VI. pag. 291. 2) Proceedings of zoolog. Soc. 1870. pag. 414. Ueber den Muse. omohyoideus und seine Schlüsselbeinverbindung. 263 In dem vereinzelten Vorkommen einer elavieula- ren Portion, sei es bei Chiropteren, bei Troglodytes Aubryi, oder beim Menschen als häufig bestehende Va- rietät, wird daher eine von jenen niederen Zuständen her forterhaltene Organisation, oder ein Rückschlag zu jenen zu sehen sein. Dureh die vergleichend-anatomischen Thatsachen wird nicht blos dem Omohyoideus seine richtige Stellung angewiesen, sondern auch die anatomische Bedeutung der betrachteten Varietäten des Muskels beim Menschen aufgeklärt. Aus beiden Verhältnissen aber ergibt sich auch eine neue Auffassung für die den Winkelverlauf des menschlichen Omohyoideus bedingende Fascie. Diese fehlt näm- lich in dem Maasse als die elavieulare Ursprungsportion des Omo- hyoideus ausgebildet ist, und sich medianwärts erstreckt. An fünf während des letzten Wintersemesters beobachteten Fällen, von denen einer bereits oben beschrieben ward, habe ich die Wechsel- beziehung zwischen aponeurotischer Faseie und Cleidohyoideus fest- stellen können. Somit’ vertrat der Cleidohyoideus in jenen Fällen morphologisch die Fascie, aber auch physiologisch kommt dem Muskel eine ähn- liche Bedeutung zu, da er den Omohyoideus an die Clavicula fest- hält, bei seiner Action die Näherung sogar noch steigern muss. Nimmt man hierzu in Betracht, dass der vordere Bauch des Omohyoideus wie schon von HENLE (l. e.) angegeben ward, an seinem medialen Rande zuweilen einen wenn auch geringen Zuwachs an Muskelbün- deln erhält, so wird die Fascie auf einen rückgebildeten Cleido- hyoideus bezogen werden dürfen. In dieser Hinsicht war mir eine an der Leiche eines neugebo- renen Kindes gemachte Beobachtung von Wichtigkeit. Ich hatte nämlich die fragliche Fascie bei einer Anzahl von Leichen einer mikroskopischen Prüfung unterzogen, und fand dabei in jenem Falle, in dem die Fascie wie in den anderen makroskopisch nichts Auffallendes darbot, zwischen den bindegewebigen, theilweise sehni- gen Lagen, eine Schicht quergestreifter Fasern, die Fascie in der Verlaufs-Riehtung des Cleidohyoideus durchsetzend. Die Muskelschicht bot nur eine einzige Faserlage, die auch nicht einmal überall continuirlich war. Am medialen Rande schloss sich strafferes Bindegewebe an sie an. Das Verhalten war bei- derseits gleich. Die Ausdehnung des Ursprungs der Muskellage kam etwa dem mittleren Dritttheile der Länge des Schlüsselbeins Morpholog. Jahrbuch. 1. 18 264 C. Gegenbaur gleich. Zählt auch dieser Fall zu den vereinzelten, Ausnahmen darstellenden Vorkommnissen, so ist er doch von einiger Wichtig- keit, denn er lehrt einen Zustand des Cleidohyoideus kennen, in welchem bei ansehnlieher Ursprungs- und Flächenausdehnung eines Muskels die Reduction nur die Dicke betroffen hatte, aber so weit gediehen war, dass der Muskelbauch nur eine einzige Faserlage vorstellte. Damit stellt sich dieser Zustand allen den, gleichfalls als Reductionen erscheinenden Zuständen des Cleidohyoideus gegen- über, bei denen die Rückbildung am medialen oder lateralen Rande des Muskels Platz greift. Auf diese sowohl aus dem Befunde der Fascie, als aus ihrem Verhalten zum Omohyoideus, wie aus den sogenannten Varietäten des letzteren hervorgehenden Verhältnisse gestützt, möchte ich die fragliche Fascie für ein ursprünglich durch einen Muskel vorgestelltes Gebilde erklären, nach dessen all- mäliger Reduction, die an seiner Stelle aufgetretenen Sehnenfasern eine aponeurotische Fascie herstellen, welche den Omohyoideus in gleicher Weise, wie es vorher durch den Muskel geschah, an die Clavicula befestigen. Die Fascie bestimmt dann ebenso die Winkel- stellung des Omohyoideus, wie das vordem durch den Cleidohyoideus geschah. Nimmt man zu den bereits aufgeführten Thatsachen noch die hinzu, dass die Umbildung von Muskeln oder Muskelpartieen in aponeurotische Gebilde nicht zu den Seltenheiten gehört, so wird jene Deutung dadurch nur gestärkt werden. So findet also sowohl das eigen- thümliche Verhalten des Omohyoideus in Verlauf und Verbindung mit dem Schlüsselbein ebenso eine Erklärung, wie eine solche auch einem grossen Theile der Varietäten dieses Muskels auf demselben Wege zu Theil wird. Die Ergebnisse dieser Untersuchung fasse ich in Folgendem zu- sammen: 1) Der Omohyoideus gehört zu der Muskelgruppe, welche beim Menschen noch vom Sternohyoideus und Sternothyreoideus vorge- stellt wird. 2) In niederen Zuständen erstreckt sich der Ursprung dieser Muskelgruppe continuirlich vom Sternalgebiete aus über die Clavi- cula, und setzt sich von da auf die Scapula fort (Reptilien). 3) Durch eine Sonderung der einzelnen Portionen dieses Mus- kels entstehen discrete, als Sterno-, Cleido- und Omo-hyoideus unter- schiedene Muskeln. Ueber den Muse. omohyoideus und seine Schliisselbeinverbindung. 265 4) Der meist dem Omohyoideus sich anschliessende Cleido- hyoideus trifft sich beim Menschen hiiufig wiederkehrend, und stellt die häufigste Varietiit des Omohyoideus dar. 5) Aus der Rückbildung des Cleidohyoideus erklärt sich die Entstehung der den Omohyoideus an die Clavieula befestigenden Fascie. Zur genaueren Kenntniss der Zitzen der Säugethiere. Von C. Gegenbaur. (Mit Tafel VIII.) Im Anschluss an die von M. Huss!) gelieferte Untersuchung über die Entwickelungsgeschichte ‘der Milchdrüsen beim Menschen und bei Wiederkiiuern, ward von mir der Versuch gemacht, die dar- aus gewonnenen Ergebnisse mit anderen bereits bekannten That- sachen zu verknüpfen, und zwischen sehr differenten Zuständen die- ser der Brutpflege der Säugethiere dienenden Integumentgebilde einen logischen Zusammenhang herzustellen. Es war dabei von den für die Monotremen bekamen Befunden ausgegangen worden. Bei Ornithorhynchus ist bekanntlich jederseits am Abdomen eine Gruppe grösserer Hautdrüsen vorhanden, deren Ausführgänge eine auch sonst etwas modifieirte Hautfläche siebförmig durehbohrt erscheinen lassen. Dieses »Drüsenfeld« bildet bei Echidna den Grund einer taschenförmigen Einsenkung, der Mammar- tasche, in welcher das unreif geborene Junge geborgen wird. Zu dem bei Ornithorhynehus durch die Drüsen gegebenen Ernährungs- apparat ist also bei Echidna noch ein Schutzorgan gekommen, das aus dem Rande des Drüsenfeldes, wiederum vom Integumente her, entstand. Von Zitzenbildungen ist in beiden Gattungen keine An- deutung sicher bekannt, so dass nur vermuthet werden kann, dass das dem Drüsenfelde angelegte Junge entweder vom Secret der Drü- sen bespült wird, oder sich durch Ansaugen am Drüsenfelde tempo- rir eine Zitze formt. Die bei Echidna bleibend ausgeprägte Ein- ') Jenaische Zeitschrift. Bd. VII. pag. 176. Zur genaueren Kenntniss der Zitzen der Siiugethiere. 267 richtung kommt vorübergehend auch den übrigen Säugethieren zu, soweit dieselben untersucht sind. Eine Wucherung der Epidermis, resp. des Stratum Malpighii derselben, bildet eine allmälig an Breite und Tiefe zunehmende Einsenkung in die Lederhaut. So fand es Huss bei Wiederkäuern, und in Bestätigung der früher von LANGER, dann von KÖLLIKER gemachten Angaben, beim Men- schen. Vom Boden der die Lederhaut-Einsenkung auskleidenden Epidermisschicht aus, wachsen nun die Drüsen in die Lederhaut, und so bildet sich die gesammte, durch die erste Epidermiswuche- rung ausgezeichnete, allmälig auch von aussen her sich vertiefende Stelle zu einem Drüsenfelde aus. Bei den Beutelthieren ändern sich die Verhältnisse durch fune- tionelle Modificationen, indem die Mammartasche nicht mehr das Junge aufnimmt. Als compensirendes Schutzorgan tritt das Marsupium in Thätigkeit. Dieses übernimmt so als Ganzes die Verrichtung einer vorher bestehenden grösseren Anzahl von Einzelorganen, ähn- lieh wie der Kiemendeckel der Teleostier die Funetion der bei den Selachiern einzeln über den äusseren Kiemenöffnungen sich hinziehen- den Hautfalten in sich vereinigt hat. Die Mammartaschen gehen bei dieser Aenderung ihrer Funetion keine völlige Rückbildung ein, viel- mehr erhebt sich in ihrem Boden eine das Drüsenfeld tragende Pa- pille, die während des Säugens sich auszieht, und so die Zitze vor- stellt. Von dieser Form sind zwei verschiedene Typen ableitbar. . Der eine kommt dadurch zu Stande, dass der das Drüsenfeld umgebende Hautwall sich bedeutender erhebt, wodurch die Fläche des Drüsenfel- des tiefer zu liegen kommt. Im ferneren Verlaufe des Wachsthumes tritt die Entfaltung des Hautwalles in einer zur Integumentfläche senkrechten Richtung bedeutend hervor, und so gestaltet sich im Fortschritte dieses Vorganges aus dem Drüsenfeldwalle ein zitzen- artiges Gebilde, welches bei Wiederkäuern auch wirklich als Zitze fungirt. Die Mammartasche wird dabei in einen Canal umgewan- delt, den Stricheanal. Dass auch die Einhufer diesen Typus be- sitzen, habe ich aus der Vergleichung mit den Wiederkäuern darzu- thun versucht. Der andere Typus scheint bei den monodelphen Säugethieren mit Ausschluss der Ungulaten zu bestehen. Die Mammartasche er- scheint, wie am genauesten vom Menschen bekannt ist, nur als rasch vorübergehende Anlage des gesammten Apparates, und eine centrale Erhebung des Drüsenfeldes bildet sich zur Papille aus, indess der 268 C. Gegenbaur Driisenfeldwall, als Rand der Mammartasche, sich abflacht, und die Grenze der Areola mammae reprisentirt. Das bei den Beutelthieren nach J. MorGan’s Darstellung von Halmaturus noch theilweise, wenn auch nur als eine Scheide fiir die Zitze fungirende Gebilde, ist also hier giinzlich zuriickgetreten, und als wesentlichster Theil erscheint die Papille oder Zitze, die jedenfalls das späteste Product am gesammten Apparate vorstellt. Wie die am Menschen zu beob- achtenden Verhiiltnisse lehren, entspricht hier wieder die Ontogenie der Phylogenie, denn es besteht nach der Geburt noch relativ lange Zeit eine wenn auch ziemlich flache Mammartasche, ehe sich auf deren Boden die Papille zu erheben beginnt, und nicht selten dauert der primitive Zustand sogar fort, wie das bei den tiefliegenden Pa- pillen der Fall ist. Aus dieser Darstellung ergab sich, dass die Zitze der Wieder- käuer ein völlig anderes Gebilde ist, als die Zitze eines Beutelthie- res oder die Papilla mammae des Menschen, und es ist daraus wie- der ersichtlich, wie morphologisch ganz differente Organe in einer und derselben Function stehen können, und demgemäss in Anpas- sung an die gleichartige Verrichtung, bei nur oberflichlicher, die morphologisch wichtigen Verhältnisse ausser Ansatz lassender Be- trachtung, einander ähnlich erscheinen. Die in der vorstehenden Skizze der Vergleichung der Zitzen- verhältnisse der Säugethiere behandelten Fragen lassen noch viele Puncte offen, da die Kenntniss der bezüglichen anatomischen That- sachen sowohl, wie der einzelnen Entwickelungsvorgiinge für die bezeichneten Organe auf relativ niederer Stufe steht. Wir wissen unendlich viel mehr und Genaueres über die Structur und Textur der anderen Integumentorgane der Säugethiere, als über den nicht blos physiologisch, sondern, wie ich gezeigt zu haben glaube, auch morphologish wichtigen Apparat der Milchdriisen und ihrer Ausführ- wege. Zur theilweisen Ausfüllung der in der Kenntniss dieser Organe bestehenden Lücken kann das, was ich in Nachfolgendem zur Mit- theilung bringe, nach manchen Seiten hin dienen, wenn die ihm zu Grunde liegenden Untersuchungen auch nichts weniger als aus- gedehnt sind. Sie betreffen die Zitzen von Didelphys und von Mus. Zur genaueren Kenntniss der Zitzen der Säugethiere. 269 Von Didelphys war es mir möglich, die erste Anlage der Zitzen zu untersuchen, an jungen wahrscheinlich dem Marsupium entnommenen Exemplaren. Die Species ist mir, da mir nur, durch die Güte des Herrn BERNAYS aus St. Louis, Junge zukamen, nicht sicher bestimmbar. Die Thiere maassen von der Schnauzenspitze bis zur Schwanzwurzel 64 Mm. Die Länge des Schwanzes betrug 25 Mm. Die Behaarung ist sehr fein aber dünn. Nur die Tasthaare erscheinen deutlicher. Die Anlage des Marsupiums ist hinten und seit- lich durch eine leichte faltenartige Vorsprungsbildung des Integumentes bezeichnet. Diese verliert sich nach vorne zu, so dass der von der Bauchwand gebildete Boden des Marsupiums völlig offen liegt. Es besteht also im vorliegenden Falle erst der Beginn der Marsupium- entwickelung, von der wegen Unbekanntschaft mit der Mutter nicht gesagt werden kann, wie weit sie noch fortzuschreiten hat. Das dureh die Falte abgegrenzte Mammarfeld, so will ich diese Fläche bezeichnen, ist scheibenförmig und hält 4 Mm. im Durchmesser. Von der Marsupialfalte wird es durch eine schmale Einsenkung ge- schieden, gegen welche die Ebene des Feldes schräg sich abdacht. Dadurch wird der grösste Theil der Feldfläche etwas vorragend, und kommt sogar in gleiches Niveau mit der Marsupialfalte zu lie- gen, ein Verhalten, das vorn, wo die Falte beiderseits flach ausläuft, sein Ende findet. | Das Mammarfeld zeigt kleine, regelmässig angeordnete, weiss- liche Erhebungen, die den Zitzenanlagen entsprechen. Eine scharfe Abgrenzung dieser Gebilde ist nicht unterscheidbar. Zwei nehmen nebeneinander stehend die hinterste Stelle ein, zwei finden sich je zur Seite, und eine liegt in der Mitte, den seitlichen näher als den . hinteren. In ähnlicher Weise, in einem dem späteren Zustande der be- treffenden Species entsprechenden Verhalten der Zahl und Anordnung sind diese ersten Anfänge der Zitzenbildung von LAURENT!) und 1) Durch LAURENT wurden solche als Zitzen gedeutete Bildungen auch bei den männlichen Embryonen beschrieben. Sie liegen seitlich von einer die An- deutung des Marsupiums darstellenden Hautfalte umzogen, zu nur zweien vor dem Scrotum (Annales frangaises et &trangeres d’Anatomie et de Physiologie. Paris. T. III. 1839. pag. 237). Bei den von mir darauf untersuchten männli- chen Embryonen, die mit den weiblichen von gleicher Tracht stammten, konnte ich von Marsupialfalten nichts bemerken, dagegen habe ich bei 2 Embryonen das Paar kleiner, die Zitzen vorstellen sollender Erhebungen des Integumentes an der von LAURENT bezeichneten Stelle gesehen. 270 C. Gegenbaur von Owen!) bei verschiedenen Beutelthierembryonen beschrieben worden. Vor diesen sieben Erhebungen nimmt man jederseits noch einige andere wahr, allein so undeutlich, dass ich bezüglich deren Anzahl und Anordnung keine Behauptung wage. Jedenfalls weicht die An- lage der Zitzen von der gewöhnlich für Didelphys beschriebenen Anordnung nicht bedeutend ab. Die Zerlegung des Mammarfeldes in eine Serie feiner senk- rechter Schnitte, und deren mikroskopische Untersuchung gab über die Gestaltung der Zitzenanlagen nähere Auskunft. Die Epidermis- schicht wie die Lederhaut und das subeutane Bindegewebe setzen sich ohne wesentliche Modification vom benachbarten Integumente her zur Marsupialfalte und von da aus die Furche auskleidend auf das Mammarfeld fort. Von der MAupicurschen Schicht her senkten sich überall die Anlagen von Haarfollikeln in die Lederhaut ein, schwächer auf dem Mammarfelde als auf dem benachbarten Integu- mente entwickelt. In manchen der Follikel war die Haaranlage differenzirt. An einzelnen war der Haarschaft auch aussen entfaltet. Diese fanden sich nur ganz spärlich auf dem Mammarfelde, viel rei- cher dagegen schon auf der Falte. In dieser waren auch Quer- schnittbilder der Musculatur des Marsupiums sichtbar. Während die Lederhautschicht auf dem Mammarfelde bedeutend dünner sich dar- stellte als an der Falte und selbst an dem benachbarten Integu- mente, fand sich das Unterhautbindegewebe dagegen ansehnlich ver- diekt und zwar durch ein mächtiges, die Cutis um das 12fache an Dicke übertreffendes Fettpolster, welches gegen die Furche zu um ein Dritttheil an Stärke abnahm. Von den tiefsten queren Schichten der Faserzüge des subeutanen Gewebes stiegen Bindegewebsziige senkrecht zur Lederhaut empor und durchsetzen so die Fettzellen- schicht, in welche andere Faserzüge oft unter Verzweigungen ohne die Lederhaut zu erreichen, einragen, indess andere auch von der Lederhaut her zwischen die Fettzellen sich herabsenken und im Bindegewebsgerüste der letzteren sich verlieren. !) Cyclopaedia of Anatomy and Physiology. Vol. III. pag. 327. Wenn OWEN (pag. 328) bei Erwähnung der LAURENT'schen Beobachtung der Marsupial- anlage bei männlichen Embryonen von LAURENT sagt: »he could not discern equal traces of the nipples«, so ist das wohl so zu fassen, dass die Anlage der Zitzen bei den männl. Embryonen nur bezüglich der Zahl nicht mit jenen der weibl. Embryonen übereinstimme. Zur genaueren Kenntniss der Zitzen der Säugethiere. 271 Die miichtige Entfaltung eines Fettpolsters als Unterlage des Mammarfeldes steht wohl mit der später beginnenden Knospung der Drüsenschläuche in Zusammenhang, in sofern durch ersteres der Boden für die Ausdehnung der Drüsen vorgestellt wird. Auch in anderer Beziehung ist diese ziemlich scharf abgegrenzte, mit dem Rande des Mammarfeldes endigende Sehicht von Bedeutung, denn ganz dasselbe Verhalten findet sich bei den Wiederkäuern vor. Hier bildet es eine die Zitzen tragende bedeutende Protuberanz, welche die Form des späteren Euters vorbildet, so dass Huss (1. c. pag. 193) das Gebilde mit dem Beginn der Drüsenentwickelung sogar als »fötales Euter« bezeichnet hat. An den Stellen, welche bei der makroskopischen Untersuchung als die Anlagen der Zitzen erschienen, ergab sich eine Verdiekung der Lederhaut, die hier gegen die Fettschicht zahlreiche dicht neben- einander ausgehende Fortsätze einsenkte. Eine äusserliche Protu- beranz war nur in ganz schwacher Form vorhanden, dagegen bildete die Epidermisschicht eine flaschenförmige Einsenkung in die Leder- haut. In Fig. 1 ist ein senkrechtes Durchschnittsbild dieses Verhal- tens dargestellt. Die aus wenigen Zellenlagen gebildete Hornschicht (ec) der Epidermis (EZ) überkleidet ein mächtigeres MaLpicur’sches Stratum (mm), dessen tiefste Lage aus regelmässig gestalteten Cylin- derzellen (c) vorgestellt wird. Diese Cylinderzellenschicht setzt sich nun, von den rundlichen Zellen gefolgt, in einen ersten engeren Abschnitt der gesammten Einsenkung fort, der dem Halse einer Flasche ähnlich erscheint. Daran schliesst sich der ausgebauchte weitere Theil (M). Auf der Oberfläche lässt die Epidermisschicht eine ganz flache Vertiefung wahrnehmen. Diese Gebilde waren also wesentlich nur durch die Epithelwucherung bei der makro- skopischen Untersuchung bemerkbar, da die ihnen entsprechende äussere Erhebung nach Massgabe der Schnittbilder viel zu un- bedeutend war. Die Schnitte lehrten zugleich, dass die paarig angeordneten Anlagen genau dem Rande des Mammarfel- des entsprechen, da wo dasselbe aus einer mittleren Ebene sich nach der von der Falte überragten Furche abzudachen be- gann. Wir haben uns nun die Frage zu stellen, wie die vorgeführten . Gebilde zu deuten seien, denn dass in ihnen nicht Zitzen zu erken- nen sind, dürfte aus der Beschreibung zur Genüge hervorgegangen sein. Die ganze Bildung erscheint vielmehr wie eine, allerdings 272 C. Gegenbaur bedeutend grosse Driisenanlage. Man wiirde aber irre gehen, wenn man diese Anlage sofort auf den Apparat der Milchdriisen beziehen wollte, denn dem stehen die von LANGER, KOLLIKER und Huss ge- machten Beobachtungen entgegen. Von den genannten Forschern wird übereinstimmend die erste Anlage beim Menschen als eine so- lide Epidermiswucherung angegeben, von der erst secundär die Drü- sen hervorsprossen, und durch Huss wurde dasselbe Stadium auch für die Wiederkäuer nachgewiesen. Indem nun ferner beim Men- schen jene erste Epidermiswucherung allmälig sich flächenartig ausdehnt, und dabei in der Mitte sich vertieft, geht daraus in dem Maasse als vom Grunde der epithelialen Wucherung aus Drüsen hervorgesprosst sind, die als »Drüsenfeld« bezeichnete Bildung hervor, auf der erst später die Papille als eine die Drüsenmündung tragende Bildung sich zu erheben beginnt. Aus der Uebereinstimmung der bei Didelphys getroffenen Befunde mit dem für den Menschen und die Wiederkäuer bekannten, darf auch die gleiche Bedeutung gefol- gert werden, so dass wir also auch bei Didelphys den speciellen Apparat seine Entwickelung mit der Anlage des Drüsenfeldes be- ginnen sehen. Dass dieses Drüsenfeld allmälig sich tiefer senkt, und damit den Boden einer nunmehr als Mammartasche erscheinen- den Grube einnimmt, geht aus dem Verhalten des ausgebildeten Zu- standes hervor. Dieser findet sich von Owen!) bei Didelphys vir- giniana näher beschrieben. Die Mammartasche erscheint hier als eine die Zitze umgebende Integumentfalte, und ward demgemäss von LAURENT und von OwEN mit einem Praeputium verglichen und von Owen als »Zitzenscheide« bezeichnet. Bei jungen oder nicht träch- tigen Beutelratten ist die Zitze kurz und findet sich im Grunde ihrer Scheide. Mit dem Trächtigwerden tritt eine Vergrösserung der Zitze ein, und einen oder zwei Tage vor der Geburt wird theils durch die bedeutende Entwickelung der Zitze, theils wohl auch durch den vielleicht vom Compressor mammae auf die Drüse ausgeübten Druck, die Scheide umgestülpt und damit die Zitze hervorgetrieben. Diese von mir früher übersehene Angabe Owen’s entspricht im Wesent- lichen völlig der von MorGAan?) für Halmaturus gemachten, so dass darin wohl eine allgemeine für die Beutelthiere Geltung besitzende !) Comparative Anatomy and Physiology. Vol. III. pag. 769. Ebenda wird auch erwähnt, dass bei jungen Didelphys virginiana die Zitzen durch undeut- liche Oeffnungen an der Zitzenscheide angedeutet seien. 2) Transactions of the Linnean Soc. T. XVI. pag. 61. Zur genaueren Kenntniss der Zitzen der Siiugethiere. 273 Erscheinung zu erkennen sein wird. Die Zitzenscheide von Halma- turus und Didelphys wird jedoch durch die Vergleichung mit den Einriehtungen der Monotremen auf die Mammartasche von Echidna zu beziehen sein. Wir sehen deshalb in jener sogenannten Zitzen- scheide keine singuläre Bildung, sondern eine aus einem niederen Zustande ererbte Einrichtung, die sich bei den Beutelthieren unter geänderten functionellen Verhältnissen forterhalten hat. Diese Be- deutung der Zitzenscheide als Mammartasche geht um so klarer her- vor, als sie für die Zitze nur vorübergehend als Scheide fungirt, denn, wie Owen gleichfalls bemerkt: »once naturally protruded and the sheath everted, the nipples continue external«. Bei der Vorstellung einer durch die Mammartasche fiir die Zitze gebildeten Scheide hat man sich kein enges Anschliessen an erstere zu denken, und nach einem mir von Didelphys cancrivora vorliegenden Marsupium steht die ganze Bildung der Mammartasche von Echidna sehr viel näher, als die Bezeichnung »Scheide« glauben macht. Das Zitzenfeld bildet hier eine kreisförmige Fläche, an der übrigens die Behaarung von benachbarten Strecken der Innenfläche des Beutels nicht bedeutend verschieden ist. Sie ist sogar stärker als an der Umschlagestelle des Integuments vom Abdomen zur freien Beutelwand, und wird durch nicht sehr dichte aber bis zu 2 Cm. lange Wollhaare gebildet. In der Mitte des Drüsenfeldes findet sich eine Mammartasche, und zu beiden Seiten stehen je drei im Halb- kreise, unter sich in gleicher Entfernung. Die beiden hintersten sind 10 Mm. von einander entfernt. Die seitlichen stehen 6 Mm. von einander, und 8 Mm. von der centralen ab. Die beiden vor- dersten sind durch einen Zwischenraum von 14 Mm. von einander getrennt. * Die Taschen sind theils rundliche, theils längliche Gruben von 1—1'/. Mm. Tiefe und 2—3 Mm. im Durchmesser am Rande. Der letztere ist etwas wulstig, und noch mit Haaren besetzt, die nicht weiter in die Tiefe hinabsteigen. Aus jeder der sieben Mammar- taschen ragt eine 1 Mm. im Durchmesser haltende Zitze hervor. Bei einigen erreicht sie nicht das Niveau des Taschenrandes, bei einigen anderen entspricht die Höhe der Zitze diesem Rande, oder tritt, al- lerdings nur um ein Minimum, über denselben hervor. Gegen die Basis zu wird jede Zitze breiter und geht da continuirlich in den Boden der Mammartasche über. In einer Zitze verliefen sechs Aus- führgänge der Milchdriisen. Wie wenig die Zitze die Tasche aus- 274 C. Gegenbaur füllt, geht aus den vorhin angegebenen Maassen der Weite der Tasche und des Durchmessers der Zitze hervor. Das Thier war trächtig und führte 7 Embryonen von 1 Cm. Länge in den Schei- dencaniilen. Die völlige Ausbildung der Krallen an den Vorder- gliedmassen liess schliessen, dass die Zeit der Geburt nicht sehr weit entfernt war. Der Zustand der Zitzen muss also den vorhin erwähnten Angaben Owen’s bei D. virginiana zufolge schon ein für die Lactation vorbereiteter sein, und es ist begreiflich, dass ein noch weiter rückwärts liegender Zustand durch noch geringere Ent- faltung der Zitze characterisirt wird, wodurch in gleichem Maasse die Mammartasche dem bei Echidna bestehenden Verhalten sich nä- hern muss. Wenn auch Owen angibt, dass das Heraustreten der Zitze aus ihrer Scheide, d. h. aus der Mammartasche, einen vom Embryo nicht direct beeinflussten Act vorstelle, und ich, angesichts des grossarti- gen Materials, welches gerade in Betreff der Marsupialien dem eng- lischen Forscher zu Gebote stand, nicht wagen kann, jener Angabe zu widersprechen, so möchte ich doch in dieser Beziehung einen von Owen!) selbst bei Halmaturus beobachteten Umstand hervor- heben, nämlich die bedeutende Ausbildung, welche das Volumen der Zitze durch das Saugen des Marsupialfötus erfährt. Während in dem angegebenen Falle die vom Jungen angenommene Zitze sich ansehn- lich vergrösserte, blieben die anderen, obschon aus der Scheide her- vorgetreten, doch sehr an Umfang zurück. Der Einfluss der hier von aussen her angeregten Funetion auf die Ausbildung des Organs ist also unzweifelhaft. Bei Didelphys erscheint die Einwirkung der Jungen auf die Entfaltung der Zitzen in noch höherem Grade als bei Halmaturus stattzuhaben. Den von mir vorhin beschriebenen Fall von D. caneri- vora kann ich zwar nieht dafür anführen, da in diesem immer noch ein Hervortreten der Zitzen vor der Uteringeburt hätte möglich sein können. Dagegen liegt mir ein Präparat aus der hiesigen Samm- lung vor, welches für jene Auffassung spricht. Eine nicht ganz mit D. nudieaudata übereinkommende Beutelratte trug zwei Mammar- Embryonen im Beutel. Die Zitzen finden sich zu zwei jederseits, ziemlich weit nach hinten, so dass kaum das vordere Paar von aus- sen her sichtbar ist ?). 1) Cyclopaedia. Vol. II. pag. 322. 2) Das Verhalten der Anordnung und Zahl der Zitzen bei den Didelphen Zur genaueren Kenntniss der Zitzen der Säugethiere. 975 Eine dieser Zitzen ward zur feineren Untersuchung verwendet, in welcher Beziehung ich Folgendes zu bemerken mir gestatten will. In Querschnitte zerlegt, bot die Zitze acht ziemlich regelmässig an- geordnete Ausführgänge dar (Fig. 2 9), deren Höhlung ein Cylin- derepithel auskleidete (Fig. 1 g). Gegen die Spitze der Zitze zu nahm das Lumen der Ausführgänge etwas ab. Unmittelbar nach aussen von der Epithellage besass jeder Ausführgang eine Lage eon- centrisch geschichteten faserigen Bindegewebes, von dessen Umge- bung Züge in das übrige interstitielle Bindegewebe der Zitze sich fortsetzten. In diesem interstitiellen Gewebe, wie ich es zum Unter- schiede von dem die Ausführgänge umgebenden nennen will, waren die Blutgefässe eingebettet. Eben darin fanden sich auch ansehn- liche weite Spalten (Fig. 3 7), welche nicht etwa durch Zerrungen entstanden sein konnten, da ihre Wandung vollkommen gleichmässig war. An einzelnen Stellen waren kleine knopfförmige Vorragungen wahrzunehmen. Die in Fig. 3 abgebildete Spalte (/) ist durch eine dünne Scheidewand von einer daranstehenden ähnlichen geschieden. Aus der Vergleichung der successiven Schnitte geht hervor, dass diese Spalte eine bedeutende Ausdehnung auch nach der Längsrich- tung der Zitze besitzt, und mit der benachbarten gegen das Ende der Zitze zusammenfliesst. Solch’ grosser Spalten sind 5—6 auf dem Querschnitte zu erkennen, da ihre Wandflächen meist einander dieht berühren, tritt die Bildung nicht sogleich hervor. Ich glaube sie auf Lymphräume beziehen zu dürfen, die vielleicht bei der Tur- gescenz der Zitze eine Rolle spielen. Eine andere für die mannigfachen Zustände der Zitze belang- reiche Einrichtung, bildet die glatte Musculatur. Grössere und kleinere Faserbündel in verschiedener Gruppirung steigen von der Basis parallel mit den Ausführgängen empor, und verbinden sich streckenweise untereinander, immer mit vorwiegender Längsrichtung des Verlaufes. Vom Reichthum dieser Muskelbündel gibt das Durch- schnittsbild, Fig. 3 m, eine Vorstellung. Sie umgeben da einen der Ausführgänge, und verhalten sich in gleicher Weise zu den übrigen, kommen jedoch auch in der Axe der Zitze zahlreich vor. Die Zitzen werden dadurch als eminent contractile Gebilde gelten dürfen. Von diesen vier Zitzen waren nur drei völlig entwickelt, und massen 10—11 Mm. Länge. An ihrer Basis fand sich keine Spur ist in den systematischen Werken leider nur wenig berücksichtigt, und doch bestehen bei den einzelnen Arten so bedeutende Verschiedenheiten. 276 C. Gegenbaur einer Einsenkung. Die rechte hintere Zitze war dagegen völlig ru- dimentär, und ragte als eine konische 1'!/;, Mm. hohe Papille aus dem Grunde einer seichten Mammartasche vor. Ob etwa die drei ausgebildeten Zitzen ebensoviel Fötus entsprachen, von denen einer nicht aufbewahrt wurde, kann ich nicht entscheiden. Dagegen ist soviel sicher, dass die Trächtigkeit nicht gleichmässig auf die Ent- faltung aller Zitzen einwirkt, und dass nicht regelmässig vor der Geburt ein Hervortreten der Zitzen erfolgen muss. In welchem Maasse die Einwirkung des saugenden Jungen auf die Ausbildung der Zitze nicht nur, sondern auch auf das Hervortreten derselben aus der Mammartasche besteht, kann hier nicht entschieden werden. Vermuthet kann allerdings werden, dass die Umformung des Driisenfeldes auf dem Boden der Mammartasche zu einer Zitze mit dem Aufhören der ursprünglichen Function der Mammartasche in Zusammenhang steht; dass also in dem Maasse als das Junge nicht mehr in die Mammartasche aufgenommen wird, die Zitzenbildung erfolgt, bei der die Anpassung einer Integumentpartie an die Mund- höhle des saugenden Jungen gewiss die bedeutendste Rolle spielt. Für die Ausserdienststellung der Mammartasche kommt ausser dem schon früher von mir berücksichtigten Umstande der Entwickelung eines Marsupiums, vielleicht auch die Körpergrösse des Neugebornen, in Betracht, in welcher Beziehung Monotremen und Beutelthiere doch einige Verschiedenheiten darbieten. Die der Mammartasche zukommende morphologische Bedeutung beruht darauf, dass durch dieses in sehr verschiedenartige Functio- nen übertretende Gebilde der gesammte äussere Apparat der als Milchdrüsen fungirenden Organe in den grossen Abtheilungen der Säugethiere verknüpfbar wird. Abgesehen von den Beutelthieren und Hufthieren ist die Mammartasche nur noch beim Menschen ge- nauer nachgewiesen, wo aus ihr die Areola mammae sammt der Pa- pille entsteht. Für die anderen Säugethierabtheilungen könnte man von dem Zustande der Zitze ausgehend, ein mit dem Menschen übereinstimmendes Verhalten für wahrscheinlich halten. Wie sehr eine solche, nicht alle Verhältnisse in Betracht nehmende Folgerung unrichtig wäre, lehrte mich die Untersuchung der Zitzen bei Murinen. Sowohl bei Mus decumanus als Mus museulus liegen die Zitzen Zur genaueren Kerntniss der Zitzen der Säugethiere. 377 nicht allezeit frei, sondern erheben ihre Basis aus einer taschenarti- gen Einsenkung des Integumentes. Die verschiedenen in dieser Be- ziehung beobachteten Zustände sind folgende. An der Stelle der Zitze ist nur eine leichte Erhebung des Integumentes bemerkbar, auf deren Mitte man eine kleine Oeffnung wahrnimmt. An anderen ist die letztere kaum sichtbar, und erscheint wie geschlossen. Daran reihen sich solehe Formen, bei denen die Oeffnung in der promini- renden Hautstelle durch einen aus ihr etwas vorspringenden papillen- förmigen Körper eingenommen wird, der endlich an einer anderen Stelle grösser und damit unzweifelhaft als Zitze erscheint. Bei einer säugenden Ratte war die Mehrzahl der Zitzen in einer Länge von 4—5 Mm. entfaltet, und erhoben sich aus gleichem Niveau mit dem benachbarten Integumente, indess die übrigen Zitzen in den vorhin erwähnten Zuständen sich fanden, und nur wenig aus der sie bergenden Höhlung hervorragten, denn eine solche besitzen auch die ersterwähnten Stadien, von denen ich einige in Fig. 4 a, b, ec, d, auf senkrechtem Durchschnitte dargestellt habe. Aus diesen Befunden ergibt sich die Entstehung der Zitze im Grunde einer Einsenkung des Integumentes, sowie dass erst wäh- rend der Function der Zitze ein Hervortritt stattfindet. Ob das aus seiner Tasche hervortretende und die Wandung der letzteren mit sich ausstülpende und zu seiner Verlängerung benutzende Organ nach der Lactation wieder in eine Tasche sich einstülpt, blieb mir unge- wiss. Es ist auch nicht sehr wichtig für die Frage nach der Be- deutung dieser Einrichtung. Diese wird nämlich dahin zu beant- worten sein, dass die gesammte Bildung auf der Entwickelung der Zitze innerhalb einer Mammartasche beruht. Für die genannten Murinen besteht also dieselbe Einrichtung wie sie für die Beutelthiere bekannt ist. Das genauere Verhalten der Mammartasche zur Zitze wie zum benachbarten Integument lehrt das in Fig. 5. gegebene senkrechte Durchschnittsbild kennen, welches eine zur Hälfte aus der Mammar- tasche hervorragende Zitze der Ratte vorstellt. Das Integument er- hebt sich vorwiegend durch eine Verdickung der Ledethaut zu einem die Zitze umgebenden Wall (w). Bis an den Rand desselben ist es dieht mit feinen Haaren besetzt. Vom Rande der Erhebung an senkt sich eine schmale Vertiefung bis zur Basis der Zitze ins Integument ein, eben die Mammartasche bildend. Auf dieser eingesenkten Strecke fehlt die Behaarung ebenso wie an der Zitze. Aus den auf den Schnitten sich zeigenden Erhebungen und Vertiefungen der Contour 278 C. Gegenbaur der Zitze ergibt sich fiir diese ein etwas contrahirter Zustand, der auch an der Oberfläche der ganzen Zitze dieses Stadiums durch Querfalten sich ausspricht. Die Epidermisschicht zieht unverändert vom Rande der Mam- martasche aus zum Boden der letzteren und von da auf die Zitze. An deren Spitze mündet ein die Länge der Zitze durchziehender, sewöhnlich ein offenes Lumen darbietender Ausführgang. Die man- nigfachen in der Zeichnung (Fig. 5) wiedergegebenen Ausbuchtun- sen des Ausführganges sind gleichfalls als der Ausdruck einer Re- traction der Zitze anzusehen. Sie verhalten sich an verschiedenen Zitzen ausserordentlich mannigfaltig. In allem Wesentlichen dieser Verhältnisse stimmt die Hausmaus mit der Ratte überein, auch beim Lemming finde ich nur einen die Zitze durchziehenden Aus- führgang. Die Auskleidung des Canals bildet ein Cylinderepithel, welches insofern nicht als einschichtiges bezeichnet werden kann, als die zur Oberfläche tretenden Zellen mit schmaler Basis beginnen, und daselbst andere, kegel- oder spindelförmig gestaltete Zellen zwi- schen sich haben. Dieses Epithel reicht bis dicht gegen die Mündung zu, wo eine ganz kurze Strecke weit die Schichten der Epidermis sich in den Canal fortsetzen. Diese Canalstrecke finde ich bei nicht säugenden Exemplaren in der Regel durch einen Pfropf verhornter, eine: gelbliche Masse bildender Epidermiszellen verschlossen. Die Grundlage der Zitze bildet faseriges Bindegewebe, dessen Bündel von dem Boden der Tasche her und von da in die benach- barte Lederhaut verfolgbar, in die Zitze emporsteigen. Hin und wieder sind grössere Spaltriume bemerkbar, die aber bei weitem nieht die Mächtigkeit der bei Didelphys beschriebenen erreichen. Eine Verwechselung mit Blutgefässen, die ich nicht besonders er- wähne, muss ich ausschliessen. Ausserdem machten sich reichliche Züge glatter Muskelfasern bemerkbar, die zum grossen Theil gegen die seitliche Oberfläche der terminalen Zitzenhälfte zu ausstrahlten. Sie bildeten zahlreiche an der Zitzenbasis in die Zitze empor- steigende Bündel, die sich in der basalen Hälfte zu neuen Combi- nationen verbanden, aber im Ganzen eine longitudinale Richtung einhielten, also wieder im Wesentlichen mit dem für Didelphys an- gegebenen übereinkamen, aber im Ganzen um vieles weniger mäch- tig waren. Bezüglich der Milchdrüse (Fig. 5 97) bemerke ich, dass ihre einzelnen, zuweilen sich schräg übereinander schiebenden Lappen ausser der Lactation eine flach ausgebreitete Schicht vorstellen, Zur genaueren Kenntniss der Zitzen der Säugethiere. 379 über welcher man noch quergestreifte Muskelfasern, aber nicht in einer zusammenhängenden Lage, wahrnehmen kann. Ich glaube nicht zu feh- len, wenn ich diese Muskelzüge auf einen Compressor mammae beziehe. Ein Theil der dem gemeinsamen Ausführgang benachbarten Lappen erstreckt sich bis in die Basis der Zitze, was in Fig. 5 zu sehen, aber an den Schnitten anderer Zitzen sogar noch viel ausgeprägter sich darstellt. Ich halte diesen Umstand deshalb nicht für unwe- sentlich, da er für die Entstehung der Zitze als eine Erhebung des Bodens der Mammartasche einen ferneren Beleg erhält. Die klein- sten Läppchen der Drüse sind rundlich und besitzen ein Epithel von niedrigen Cylinderzellen. In den durch Vereinigung einer Anzahl von Acinis gebildeten Ausführgängen sind die Epithelzellen höher. Diese Ausführgänge treten in sehr weite, das Lumen der ersteren um das 6—Sfache übertreffende Gänge, welche offenbar Sinus ga- lactophori vorstellen. Ob diese Milchsinusse sich direct zum Aus- führgang der Zitze begeben, oder zuvor in einen engeren Abschnitt sich fortsetzen, habe ich nicht festgestellt. Sie finden sich jedenfalls entfernter von der Zitzenbasis, und sind auch bezüglich des Epi- * thels, das eine einfache Schieht niedriger Zellen bildet, vom ge- meinsamen Ausführgange verschieden, welcher übrigens bis in den centralen Theil der Drüse verfolgbar ist. Ausser den selbstverständlichen Grössedifferenzen der Theile stimmen Mus decumanus und musculus in allen wesentlichen Pune- ten der geschilderten Verhältnisse mit einander überein. Nur schien mir der die Zitze durchsetzende Ausführgang bei der Maus relativ viel weiter, und bot auch häufig eine reiche Lingsfaltenentwicke- lung dar. An der unter Ausstülpung der Einsenkung (Mammartasche) völ- lig hervorgetretenen Zitze geht die Basis unmittelbar ins behaarte In- tegument über. An säugenden Thieren ist zwar um die Zitze herum eine kahl erscheinende Stelle bemerkbar, die eine Areola mammae vortäuscht, aber durch die genauere Untersuchung sich nicht als eine solche herausstellt. Eine Areola mammae fehlt also, und dies wird durch die Erwä- gung begreiflich, dass jene des Menschen sich aus der Mammartasche entwickelt, welche bei den Murinen wie bei den Beutelthieren zur Ver- längerung der Zitze verwendet wird, indem sie mit der Ausdehnung der Zitze in die Länge ausgestülpt wird. Eine sehr bedeutende Eigenthümlichkeit des beschriebenen Ap- parates stellt der einfache Ausführgang in der Zitze vor. Ich fand Morpholog. Jahrbuch. 1. 19 980 C. Gegenbaur ihn, wie oben bemerkt, auch bei Myodes. Ob er den Nagern all- gemein zukommt, muss ich für offene Frage erklären. A. Cooper erwähnt übrigens eines solchen auch beim Meerschweinchen. Es könnte sich nun fragen, wie dieses Verhalten jenem der gleichfalls nur Einen Ausführgang besitzenden Wiederkäuer gegenüber aufzu- fassen sei, ob das dort bestehende hier einfach wiederkehre, oder ob trotz einer scheinbaren Aehnlichkeit doch ein ganz anderes Ver- halten zu Grunde liege. Die Erwägung, dass die Zitze der Wieder- käuer durch die terminal auswachsende Mammartasche gebildet wird, dass also der dort in der Zitze befindliche Canal nicht ein Drüsen- ausführungsgang ist, sondern den Raum der Mammartasche vorstellt, während bei den Murinen die Zitze von einem Theile des Bodens der Mammartasche sich erhebend, von letzterer eine Zeitlang umschlos- sen wird: lässt den Ausführgang in der Zitze der Wiederkäuer als etwas anderes als jenen der Murinen erscheinen. Bei diesen ist er ein wahrer Drüsenausführgang, als welchen ihn auch sein Epithel erkennen lässt, während in dem Stricheanal der Wiederkäuerzitze bis dahin, wo die Zusammenmündung der einzelnen Drüsenaus- führgänge stattfindet, eine Fortsetzung der Epidermis sich einsenkt (vgl. Huss, 1. e. pag. 196). Demzufolge kommt also bei den Murinen auf jeder Zitze nur eine einzige Drüse zur Ausmündung, und der gesammte in jenen Ausführgang sich vereinigende Drüsencomplex wird aus einer einzigen Drüsenanlage hervorgegangen sein, wenn nicht etwa Concrescenzen mehrerer ur- sprünglich discreter Drüsenanlagen stattfinden. Die hier, anderen Säugethieren gegenüber stattgehabte Reduction der Milchdriisen ist minder auffallend, wenn man den grossen Breitegrad der Schwan- kung in den Zahlenverhältnissen der auf einer Zitze mündenden Drüsen in Betracht nimmt, und beachtet, wie bei den Einen 15— 20 Drüsen zu einem Complexe vereinigt mit den Ausführgängen die Zitze durchziehen, bei anderen davon nur S—10 oder noch weniger. Drei finde ich bei Stenops gracilis. So schliessen sich denn die Murinen ohne bemerkbare Kluft an eine durch die Veränderlichkeit der Zahl der auf der Zitze mündenden Ausführgänge gebildeten Reihe der Säugethiere an, und schliessen diese Reihe zugleich auf einer Seite ab, indem bei ihnen die grösstmögliche Reduction jener Zahl gegeben ist. Aus dem gesammten Verhalten der Zitzen geht aber für die Murinen das Bestehen eines Zustandes hervor, den sie nach den bis jetzt bekannten Thatsachen nur mit den Beutelthieren theilen. Ein ” Taf Vi. Lith. Anst v. J.E.Bach, Leipzig Zur genaueren Kenntniss der Zitzen der Säugethiere. 388 die Didelphen auszeichnendes Verhalten hat sich so in eine Abthei- lung der Monodelphen fortgesetzt, und wird hier als ein aus dem ersteren Zustande stammendes gelten dürfen. Erklärung der Abbildungen. Tafel VIII. Figur 1. Snkrechter Schnitt durch die Anlage des Mammarapparates eines Didelphys-Embryo. E. Epidermis, C. Corium, U. Unterhautbindegewebe. e. Hornschicht m. MALPIGHIsche Schicht ; der Epidermis. e. Cylinderzellenschicht M. Anlage der Mammartasche. Figur 2. Querschnitt durch das terminale Dritttheil der Zitze eines säugenden Didelphys. Zehnfache Vergrösserung. g. Ausführgänge der Milchdrüsen. Figur 3. Ein Ausführgang mit Umgebung, von einem ähnlichen Querschnitte bei 350facher Vergrösserung g. Lumen des Ausführganges. e. Epithel. b. Bindegewebige Membran desselben. m. Bündel glatter Muskelfasern. !. Lymphspalten. Figur 4. Vier Zustände des Verhaltens der Mammartasche bei Mus decumanus usbachd: Figur 5. Senkrechter Schnitt durch die Mammartasche von Mus decumanus. 20fache Vergrösserung. In der Zeichnung ist das freie Ende der Zitze nach zwei Schnitten einer Serie vervollständigt. w. Wall der Mammartasche. p. Zitze. 9. Ausführgang. gl. Milchdriise. 19* Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. Von Professor Dr. C. Hasse. Aus dem anatomischen Institute zu Breslau. Mit Tafel IX. Studien, die ich in der jüngsten Zeit über die Morphologie des Geruchsorganes und des vorderen Theiles des Schädels der Wirbel- thiere machte, führten mich naturgemäss zur Erforschung des Baues des Amphioxus lanceolatus. Die Untersuchung desselben ist ja so ausserordentlich anziehend, weil wir hoffen dürfen, durch dieses Thier über wichtige Fragen der Morphologie der Vertebraten aufge- klärt zu werden, eine Hoffnung, die bis dahin nach keiner Richtung hin getäuscht worden ist; wenn wir, ganz abgesehen von den älte- ren Epoche machenden Untersuchungen RArTHkE's, JOH. MÜLLER’S und QUATREFAGE'S, die glänzenden Arbeiten KOWALEWSKY’s über die Entwickelungsgeschichte desselben, ferner die vorzüglichen von Winn. MÜLLER über das Auge und das Urogenitalsystem in Betracht ziehen. Ist doch die Entdeckung der ersten Bildungsstadien des Thieres und die Aehnlichkeit derselben mit denjenigen vieler Wirbel- losen, das Auffinden der Hypobranchialrinne, die ja auch den Tuni- caten zukommt, ferner des Absonderungsapparates von der folgen- schwersten Bedeutung, sowohl für die Stammesgeschichte der Verte- braten, als auch für die specielle Morphologie der Thyreoidea und des Urogenitalsystems geworden. Ganz besonders waren es einige Beobachtungen, die mir den monorrhinischen Bau des Geruchsorganes der Cyclostomen im höch- Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. 283 sten Grade zweifelhaft machten und mich zur Annahme einer ur- sprünglich doppelten und getrennten Anlage wie bei den höheren Wirbelthieren führten, welche mich dazu brachten aufs Neue die bis dahin als unpaar gefundenen Sinnesorgane des Amphioxus, Nase und Auge speciell zu studiren. Meine Untersuchungen dehnten sich dabei noch weiter aus, fanden aber einstweilen ihr Ziel durch die inzwischen erfolgenden Publicationen Winn. MüLLEr’s!) über das Urogenitalsystem. Immerhin hatten dieselben für mich ein besonderes Interesse und gereichten mir zu hoher Befriedigung, weil sie mich in den Stand setzten, die Beobachtungen Winn. MüÜrLer’s über das Genitalsystem und namentlich über die Niere, sowie über den Raum zwischen den beiden Bauchfalten durchaus zu bestätigen. Die Be- obachtungen wurden in hohem Grade durch eine grosse Anzahl von einem meiner Amtsvorgänger Prof. Dr. Orro gesammelter und selbst für histologische Zwecke brauchbarer Amphioxus aus dem Mittelmeer erleichtert. Ausserdem standen mir einige vorzüglich erhaltene, dem Museum Godefroy entnommene Spiritusexemplare aus der Südsee (Vitiinseln) zu Gebote. An diesen letzteren gelang es mir Verhält- nisse aufzufinden, die mich anfänglich im höchsten Grade überrasch- ten, und die ich mir erlaube in den folgenden Zeilen den Fachgenos- sen zur Beurtheilung vorzulegen. Weitere Untersuchungen an Thie- ren aus dem Mittelmeer lehrten mich auch hier ähnliche Bildungen in allen möglichen Uebergängen kennen. RATHKE?) und Goopsir*) fanden bekanntlich bei dem Amphi- oxus keine Sinnesorgane. Ihnen schliessen sich mit Bezug auf die Frage nach der Existenz eines Auges in der neueren Zeit, OwsJAN- NIKOW!) und STIEDA>) an. OwSJANNIKOW fand keinen Sehnerven, keine Krystalllinse, sondern nur einen braunen Pigmentfleck , wel- cher auf der vorderen Fläche des als Gehirn zu deutenden Theils des Centralnervensystems lag. Srrepa schliesst sich mit folgenden Worten durchaus den Resultaten von OwSJANNIkow an: »Weder ein ') Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaften. Bd. IX. 2) RATuRE. Bemerkungen über den Bau des Amphioxus lanceolatus. Kö- nigsberg 1841. 3) GoopsIR. On the Anatomy of amphioxus lanceolatus. Transactions of the royal society of Edinburgh. Vol. XV, pars I. 4) OWSJANNIKOW. Ueber das Centralnervensystem des Amphioxus lanceo- latus. Bulletin de lacademie de St. Pétersbourg. Tome VI. 1867. 5) Stıepa. Studien über den Amphioxus lanceolatus. Mémoires de l'acade- mie de St. Pétersbourg. Serie VII. Tome XIX. 284 C. Hasse Sehnerv, noch eine Linse ist sichtbar. Nichts weiter zu finden als eine feinkörnige, schwarze oder dunkelbraune Pigmentmasse, welche, wie ich bereits bei der Beschreibung des Gehirns hervorhob, genau das vordere Ende des Gehirnes einnimmt. Seitlich, wo von hier das erste Gehirnnervenpaar abgeht, ist häufig auch die Abgangs- stelle des einen oder des anderen Gehirnnerven mit Pigment ange- füllt. Das Pigment liegt hier zwischen beiden Nerven dicht unter der dem Gehirn eng anliegenden, bindegewebigen Hülle. Hinter dem Pigment liegen die Epithelzellen des Hirnventrikels. Die vordere Wand der einfachen Gehirnhöhle ist überaus dünn. Meinen Beob- achtungen zufolge unterscheidet sich das Pigment des Gehirns kaum vom Pigment des Rückenmarks«. Somit existirt das Auge nach ihm nicht. Rerzıus und J. MÜLLER!) beobachteten Augen und zwar äussert sich J. MÜLLER folgendermassen: »Am vorderen, stumpfen Ende des centralen Nervensystems sitzt äusserlich jederseits ein schwacher Pigmentfleck, welcher offenbar das Auge ist in dem elementaren Zustande, wie es bei den Würmern bekannt ist, ohne alle optischen Apparate«. KÖLLIKER?) schliesst sich im Wesentlichen der Auffas- sung von Rerzıus und MÜLLER an. Er hält mit ihnen die zwei Pigmentflecke seitlich am vorderen Ende des Centralnervensystems für Augen und für verschieden von den übrigen Pigmentflecken ‘des- selben, wenn schon alle lichtbrechenden Körper zu mangeln scheinen. Für diese Annahme spricht sowohl ihre Lage, als der Umstand, dass ein kurzer Nerv zu ihnen tritt. QUATREFAGES?) gibt unter der Annahme einer symmetrischen Augenanlage eine sehr ausführliche Beschreibung. Er sagt: »Das erste Nervenpaar wird vom Opticus gebildet. Sie entspringen beide an den Seiten und unter dem Gehirne, dicht hinter dem vorderen Ende desselben. Sie erstreeken sich schräg nach vorne und oben vom Auge, welches unmittelbar an die dura stösst, die es umhüllt. Jeder Opticus ist in seinem Verlaufe leicht gebogen. In seinem Ursprunge an dem Gehirne erscheint er kegelförmig, darauf eylin- drisch und verbreitert sich am Auge aufs Neue. Seine Länge be- . 1) J. MÜLLER. Ueber den Bau, und die Lebenserscheinungen des Bran- chiostoma lubricum. Abhandlungen der Berliner Academie 1842. 2) KÖLLIKER. Das Geruchsorgan des Amphioxus. MÜLLER's Archiv 1843. 3) QUATREFAGES. Sur l’amphioxus. Annales des sciences naturelles. III.Serie. Tome IV. 1845. Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. 285 trägt 0,1 Mm., sein Durchmesser an der cylindrischen Abthei- lung 0,02 Mm. An seinem vorderen Ende breitet sich der nervus optieus aus und verschwindet in einer ringförmigen Pigmentmasse. Vor diesem Pigment sieht man einen gerundeten, durchsichtigen, das Licht stärker als die umgebenden Gewebe brechenden Körper. Dieser Körper ist an die dura angeheftet oder besser gesagt, in die dura eingesenkt. Eine Art abgeplatteter Kapsel mit ausserordent- lich zarten Wänden hüllt das Pigment und den halbkugeligen Kör- per ein. Sie ist mit einer schwach orangefarbigen Substanz gefüllt, die mir flüssig zu sein schien. Das Pigment selber hat die Farbe eines dunklen Weines. Der Körper ist die Linse«. Diese Detail- beobachtungen sind von keinem der nachfolgenden Forscher bestätigt worden. Im Gegensatze zu diesen Forschern, die eine doppelte Anlage des Auges statuiren, sagt M. SCHULTZE!): »Vor dem Rückenmarke befindet sich nur ein schwarzer Pigmentfleck, jedoch gelingt es nur ein Auge zu entdecken«. Ebenso LEUCKART und PAGENSTECHER ?): »Vor dem Rückenmarksventrikel ein schwarzer, unregelmässiger Pig- mentflecken, dicht unter der Hautdecke der linken Seite, das un- paare Auge«. Zwischen diesen sich entgegenstehenden Angaben über ein dop- peltes und einfaches Auge sucht MarcusEn*) in folgender Weise zu vermitteln: »Beim Durchmustern verschiedener Individuen sieht man, dass einige zwei Augen, andere nur eines haben«. Der neueste Untersucher W. MÜLLER) schliesst sich an die Be- obachtungen von M. SCHULTZE, LEUCKART und PAGENSTECHER und in der Deutung des am vorderen Ende des Centralnervensystems befindlichen Pigmentflecks als Auge an und spricht sich somit gegen die Annahme von OwSJANNIKOW und STIEDA, dass derselbe eine An- häufung des gewöhnlichen Rückenmarkpigmentes sei, aus. Er hebt hervor, dass der Amphioxus bestimmt das Vermögen besitzt, Licht- eindrücke wahrzunehmen, da er in der Gefangenschaft so viel wie 1) M. SchuLtzE. Beobachtungen junger Exemplare des Amphioxus. Zeit- schrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. III. 1852. 2) LEUCKART und PAGENSTECHER. Untersuchungen über niedere See- thiere. MÜLLER’s Archiv. 1858. 3) MARCUSEN. Sur lanatomie et l’histologie du Branchiostoma lubricum. Comptes rendus des séances de lacademie des sciences. Tome LVIII. No. 10. Tome LIX. No. 2. 4) W. MÜLLER. Ueber die Stammesentwickelung des Sehorganes der Wir- belthiere. Leipzig, VoGEL. 1875. 286 C. Hasse möglich das helle Tageslicht vermeidet. Er schildert den Pigment- fleck folgendermassen: »Das vordere, abgerundet frontal stehende Ende des Centralnervensystems besteht durchweg aus geschichtetem, eylindrischen Epithel, dessen Zellen nach aussen an Grösse etwas abnehmen und wie gewöhnlich vorwiegend Spindelform zeigen. Diese Epithelien enthalten in ihrem Protoplasmafeine, braune Pigmentkérner, die der Axe des Centralnervensystems entsprechend gelagerten in diekerer Schicht, als die peripherisch liegenden. Die Körnchen sind in dem der Axe entsprechenden Bezirk zum Theil zu grösseren Klümpehen verschmolzen. Sie verhalten sich gegen Säuren und Alkalien indifferent und geben in concentrirten, wässrigen Lösungen der letzteren keinen blauen Farbstoff ab, wie die Pigmentkörner im Rückenmark. Von vorne gesehen, bietet die pigmentirte Partie des Vorderendes eine annähernd kreisrunde Scheibe, deren Dimension bei verschiedenen Individuen nieht unbedeutend verschieden ist, von der Seite gesehen, bilden die pigmentirten Partien einen plancon- vexen Meniscus mit nach vorne geriehteter Convexitiit«c. MÜLLER macht besonders darauf aufmerksam, dass die Pigmentirung sich in gleicher Weise in einem früheren Entwickelungsstadium am Seh- organ der Salpen wiederfindet. Es ergibt sich nun aus diesen Angaben, dass die grosse Mehr- zahl der Forscher geneigt ist, den pigmentirten Fleck am vorderen Ende des Centralnervensystems als Sehorgan zu deuten, und dass die neuesten Untersuchungen zur Annahme eines einzigen führen. Ich erkenne die Existenz dieser pigmentirten Partie an, allein mir ist es ebenso wenig wie den anderen Forschern gelungen, an der- selben einen solchen Bau zu entdeeken, wie ihn QUATREFAGES be- schrieben, dagegen vermag ich mich im Wesentlichen den Angaben W. Mürtver’s anzuschliessen. Im Uebrigen glaube ich mich in Uebereinstimmung mit OWSJANNIKOW und STIEDA gegen MÜLLER und die übrigen Autoren dahin aussprechen zu müssen, dass die pig- mentirten Zellen am vorderen Ende des Centralnervensystems kein Auge darstellen. Dabei gestehe ich allerdings keine Ahnung von der physiologischen Bedeutung dieser constanten Bildung zu haben. Jedenfalls ist das stete Vorkommen von Pigmentmassen an der an- gegebenen Stelle gegenüber dem Wechsel in dem Auftreten von Pig- mentanhäufungen an den übrigen Theilen des Centralnervensystems wunderbar. Bemerken möchte ich dabei noch, dass ich bei man- chen Exemplaren den Pigmentfleck des Gehirns nicht einfach ge- sehen habe, sondern dass ich oftmals in den Zellen der Vorder- Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. 387 hirnblase ventralwärts eine kleine, selbstständige Pigmentanhäufung bemerkte. Vielleicht erklärt sich so die Angabe hervorragender Forscher, dass zwei Augen existiren, respective die Angabe von Marcusen, dass Amphioxus bald ein, bald zwei Augen besitzt. Die Ansicht nun, dass wir es dabei nicht mit einem auf der ersten Stufe der Bildung eines Wirbelthierauges aus der Vorder- hirnblase stehen gebliebenen Sehorgan zu thun haben, hat sich bei mir erst nach langem Zaudern und manchem Bedenken befestigt, allein die Thatsachen, die ich anführen werde, stehen mir zur Seite und sprechen in zwingender Weise dafür. Ich bin um so mehr dazu gedrungen, weil es mir, wie ich glaube, gelungen, auch bei unserem europäischen Amphioxus Apparate nachzuweisen, die, wenn auch nicht in dem vollkommenen Grade, wie es bei den Thieren aus der Süd- see der Fall, wohl im Stande wären, eine Lichtempfindung zu ver- mitteln, Apparate, welche bereits, wie mir aus den Arbeiten Leuc- KART'S und PAGENSTECHER’s hervorzugehen scheint, die Aufmerk- samkeit dieser Forscher, wie auch die von QUATREFAGES erregt haben. ; Bei der Durehmusterung der dem Museum Godefroy in Ham- burg entnommenen Amphioxus aus der Südsee (Vitiinseln) fand ich zu beiden Seiten des vorderen zugespitzten Körperendes (Fig. 1), oberhalb und nach vorn von der mit dem bekannten Tentakelringe versehenen Mundöffnung zwei Pigmentflecke, die bei Betrachtung mit der Loupe sich als in zwei flachen, grubenartigen Vertiefungen belegen herausstellten. Diese Gruben nehmen den Raum zwischen dem die Vorderhirnblase tragenden Chordaende und der Mundöffnung ein und aus deren Auftreten ist es wohl zu erklären, dass man bei Conser- virung in Erhärtungsflüssigkeiten das vordere, spitze Kopfende der Thiere entweder nach der einen oder nach der anderen Seite ge- knickt findet. Einmal aufmerksam auf diese Vertiefungen, fand ich dieselben mehr oder minder ausgeprägt und mehr oder minder aus- gedehnt bei sämmtlichen von mir untersuchten Exemplaren, auch bei denen aus dem Mittelmeer, von denen ich einige besonders gut conservirte der Güte des Herrn Dr. Steiner aus Halle verdanke. Zugleich zeigte sich, schon bei der Betrachtung mit blossem Auge, bei einigen von diesen Thieren, in denselben ein pigmentirter Fleck und das Mikroskop zeigte, dass in der Umgebung dieses, der freilich nicht die Grösse desjenigen der Südseeexemplare besass, wenn auch der Bau vollkommen übereinstimmend war, noch eimzelne kleinere pigmentirte Stellen, unregelmässig zerstreut vorhanden waren (Fig. 2). 988 C. Hasse Allein auch bei den übrigen Thieren, bei denen keine Spur von Pig- ment an der Körperoberfläche zu entdecken, zeigte sich in diesen Ver- tiefungen, und dieselben mehr oder minder deutlich gegen die Um- gebung abgrenzend, etwas Besonderes. Sie erschienen dunkler wie die Umgebung und bei allen pigmentirten und pigmentlosen Thieren fanden sich die später zu beschreibenden, stark lichtbrechenden Kör- per. Der Gedanke, dass es speeifische Organe, speciell Augen seien, musste sieh mir somit von selber aufdrängen, um so mehr, weil es mit Ausnahme von QUATREFAGES keinem Forscher gelungen, an den pigmentirten Stellen des vorderen Endes des Centralnervensystems besondere lichtbrechende Apparate nachzuweisen, und solche mit Nerven- und Centralganglienzellen in Verbindung stehende Körper muss doch ein als Auge funetionirendes Organ zeigen. In der Annahme der specifischen Natur wurde ich noch weiter bestärkt durch Befunde, die KowALewsky') bei Embryonen von Amphioxus gemacht. Nicht weit vom vorderen Ende der chorda findet man bei den Thieren eine deutliche , flache Scheibe, welche nach ihm zu einem Sinnesorgan wird. Er erwähnt weiterhin, dass sich dieselbe zu einem Flimmerorgan entwickle, obgleich er an einer vorhergehenden Stelle ausdrücklich hervorhebt, dass das vordere Ende des Embryo in späteren Entwickelungsstadien vollständig die Flimmereilien verliert. Diese Angaben KowALEwsKY's lassen mich annehmen, dass dieser ausgezeichnete Forscher bei der Fülle inter- essanten Details, welches sich ihm darbot, und welches ihn in den Stand setzte, die einzelnen bereits bekannten Organe des Amphioxus in ihrer Entwickelung zu verfolgen, dieses Organ, welches bis dahin bei erwachsenen Thieren nicht beobachtet war, nicht besonders be- achtete. Dafür spricht auch der Umstand, dass er nirgends angibt, welches Sinnesorgan er in dieser Scheibe vermuthet. Ebenso wenig schildert er die weiteren Umwandlungen derselben oder das Ver- schwinden, dagegen findet sich die Scheibe bis zu einem ziemlich späten Entwickelungsstadium in seinen Zeichnungen, wofür die Fi- guren 31, 32 und 33 seiner Arbeit die besten Belege darbieten. Dieses von KOWALEWSKY gefundene Organ scheint bereits von LEUC- KART und PAGENSTECHER bei jungen Amphioxus gesehen worden zu sein. Ihre Fig. 1 zeigt nämlich an ähnlicher Stelle wie bei Ko- WALEWSKY unter der chorda und oberhalb des vorderen Theiles der ') KOWALEWSKY. Entwickelungsgeschichte des Amphioxus lanceolatus. Mé- moires de lacademie de St. Pétersbourg. VI. Serie. Tome XI. Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. 289 Mundöffnung, in der senkrechten Ebene des vorderen Endes dest Centralnervensystems einen dunklen, kreisrunden Fleck. Darauf geh auch vielleicht die Beschreibung dieser Autoren, wonach »bisweilen in stark lichtbrechenden Zellen unter der chorda das Material zur Bildung der Knorpelstäbehen gegeben scheint«. Ferner » Aehn- liche senkrecht stehende, neben einander gereihte Zellen liegen bei allen Thieren in dem Saume der Mundöffnung zu einem Ringe ge- schlossen«. Jedenfalls geht aus dieser Zeichnung und aus denen von KowAuLewsKY hervor, dass die Lage dieses Organes oder Zellen- complexes dieselbe ist, wie die der Pigmentflecke, welche ich bei den von mir untersuchten Amphioxus der Südsee entdeckte und der dunklen Grubenflecke, welche ich bei den meisten Thieren aus dem Mittelmeere fand. Immer liegen dieselben, wie hervorgehoben, unter und etwas nach vorn von demjenigen Theile der chorda, welcher das Gehirnende des Centralnervensystems trägt und vor und oberhalb der Mundöffnung, und so glaube ich nicht fehlzugreifen, wenn ich die von mir angeführten Stellen der Körperoberfläche, seien sie pigmentirt oder pigmentlos, als dunklere Flecke auftretend, mit den von den ge- nannten Autoren gefundenen Organen in Zusammenhang bringe. Frei- lich fehlen mir die einzig und allein eine sichere Grundlage darbieten- den Beobachtungen der Entwickelung des Organes; allein vielleicht richtet sich die Aufmerksamkeit günstiger situirter Forscher auf diesen, wie mir scheint, höchst interessanten Punct. Weiterhin erscheint es mir wichtig, dass die dunkleren Flecke in den Kopfgruben des Mittelmeeramphioxus, die bei einigen, wie wir gesehen, Gruppen von Pigmentmassen zeigen, und bei den Am- phioxus der Südsee einen grossen Pigmentfleck aufweisen, sich nicht über den Bereich der Ausbreitung desjenigen Nerven erstrecken, den QUATREFAGES als vagus zu deuten geneigt ist, während OwssANNI- KOW denselben als facialis in Anspruch nimmt. Es weist das auf ein Abhängigkeitsverhältniss zwischen dem Nerven und den Bestand- theilen der Flecke hin und zeigt, dass wir ihnen eine besondere Funetion zu vindieiren haben. Auch mit Rücksicht auf diesen Um- stand trage ich kein Bedenken, mich dahin auszusprechen, dass wir in den epithelialen Elementen, in denen sich dieser Nerv aus- breitet, das Auge, und in dem Nerven den optieus zu sehen haben. Dasselbe wäre demnach als modifieirtes Oberflächenepithel in der denkbar einfachsten Anlage, wie sich dasselbe in den niederen Classen der Wirbellosen nicht gar selten in gleicher Weise findet, vorhanden. 290 C. Hasse Ks erscheint mir dieser Umstand mit Bezug auf den Zusammenhang von Wirbelthieren und Wirbellosen nicht ganz unwichtig. Liefert doch auch die Entwickelungsgeschichte des Amphioxus, nach den ausge- zeichneten Beobachtungen von KowaLewsky, dafür ausreichende Belege. Meines Erachtens weist der primitive Zustand des, Auges, welches sich direct aus dem Epithel oder dem Ectoderm differen- zirt, darauf hin, dass der Stammbaum des Amphioxus weit in der Thierreihe zurückliegt, dass derselbe zu Thieren nahe ver- wandtschaftliche Beziehungen hat, deren Sehorgane allerdings am Kopfende, in der Nähe des Centralnervensystems, symmetrisch ge- lagert, doch nichts weiter darstellen, als Umwandlungen epi- thelialer und an der Körperoberfläche frei vorragender Elemente. So unzweifelhaft nun meines Erachtens Amphioxus der Wirbel- thierclasse angehört, so würde derselbe doch, die Richtigkeit meiner Beobachtungen und Deutungen vorausgesetzt, mit Bezug auf die Bildung des Auges aus der Reihe der übrigen Vertebraten heraus- treten, deren Sehapparate sich ja aus dem Gehirne, somit indirect aus dem Eetoderm entwickeln, und stets unter dem Integumente gelagert sind. Würde dadurch die Kluft zwischen Amphioxus und den Cyelostomen eine ungemein viel weitere, als man nach den bisherigen Beobachtungen anzunehmen Grund hatte, so würde andererseits die ungeheure Kluft, die zwischen der Bildungsweise der Sehorgane der Wirbelthiere und der Wirbellosen besteht, in erheblichem Maasse ausgeglichen und somit den Gegnern des Dar- wıy’schen Prineips eine gewichtige Waffe entwunden, über deren Wichtigkeit die Anhänger derselben meiner Ansicht nach allzuleicht hinweg gegangen sind. Der Amphioxus steht demnach dem Stamme des Wirbelthiertypus näher, als man bisher annehmen konnte, Thie- ren,. deren Augen, wenn sich überhaupt solche differenzirt hatten, wie bei einigen Würmern, am Kopfende befindlich, durch einfache Dif- ferenzirung epithelialer Zellen im Bereiche zweier symmetrisch auftre- tender Nerven sich geltend machten, und die entweder als zusammen- hängende, an der Körperoberfläche frei vorragende Zellmassen, als paarige Augenflecke auftraten, oder sich vielleicht auch daneben als paraocelli geltend machten, sich aber immer an den Bereich des Augen- nerven hielten. Auf diesen Zustand weisen auch die Südseeamphioxus hin, deren Augen die vollkommensten sind, indem eine nähere Betrachtung lehrt, dass sich ausser den grossen Augenflecken kleinere Neben- flecke (Fig. 1) finden und namentlich ein ausgeprägter, von vorn Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. 291 nach hinten sich erstreckender, spindelförmiger oberhalb der chorda, etwas oberhalb und vor der am vorderen Ende des Centralnerven- systems dorsalwärts gelegenen, sogenannten Riechgrube. Ich bin nun weit davon entfernt zu leugnen, dass sich auch an . anderen Stellen der Körperoberfläche Pigmentanhäufungen finden, ganz abgesehen von der mehr oder minder ausgedehnten Pigmenti- rung im Centralnervensystem, im Gegentheil, die Beobachtungen von RATHKE, ferner die von STIEDA, welcher hervorhebt, dass das Proto- plasma der Epidermiszellen bei einigen Individuen schwärzliches oder bräunliches Pigment enthält, lassen sich vollkommen bestätigen. Somit hätte denn die Beobachtung der beschriebenen Pigmentflecke keine besondere Bedeutung, und wenn ich dieselben als Augenflecke deutete, so würde das auch auf die pigmentirten Zellen an anderen Stellen der Körperoberfläche Anwendung finden müssen. Dazu läge jedoch nur dann ein Zwang vor, wenn man der Ansicht huldigt, dass überhaupt das Vorkommen von Pigment bei denjenigen Thieren, und es handelt sich dabei ja ausser dem Amphioxus hauptsächlich um die niederen Classen’ der Wirbellosen, deren Sinnesorgane sich direct aus den Zellen des Ectoderms differenziren, das Vorhandensein von Augen documentirt. Das ist aber meines Erachtens nicht statthaft und für mich ist die Möglichkeit der Deutung einer pigmentirten Stelle der Körperoberfläche als Auge nur dann gegeben, wenn es gelingt, an den Pigmentzellen oder an zwischengelegenen Zellen be- sondere mit den Endausläufern eines Nerven in Verbindung stehende Apparate nachzuweisen, die vermöge ihrer Structur und chemischen Zusammensetzung im Stande sind, die Bewegung des Lichtiithers in Nervenbewegung umzusetzen, oder es muss der Nachweis geführt werden, wenn Pigmentzellen ohne Lichtbrechungsapparate, oder diese ohne jene sich finden, dass dieselben an den Stellen vorkommen, wo bei den nächstverwandten Thieren solche mit den Endapparaten des Sehnerven vorhanden sind. Diesen Nachweis glaube ich, wie früher erwähnt, bei Amphioxus führen zu können. So sind nur die- jenigen Pigmentflecke und Zellenanhäufungen als Auge und Neben- auge zu deuten, welche im Bereiche des von QUATREFAGES als va- gus, von OWSJANNIKOW als facialis gedeuteten Nerven sich fanden, eines Nerven, den auch Jou. MÜLLER, sowie LEUCKART und die übrigen neueren Forscher, wie u. A. KowaLewsky, recht wohl kennen. Ob nun die mangelhafte Pigmentirung in den als Auge gedeuteten, dunklen Zellflecken des europäischen Amphioxus als ein Rückschritt anzusehen, oder ob im Gegentheil von ihnen aus eine 292 C. Hasse continuirliche Fortentwickelung der epithelialen Elemente bis zu den pigmentirten Augenflecken, namentlich der tropischen Amphioxus stattfindet, muss dahin gestellt bleiben. Die Verhältnisse, welche die Fortentwiekelung, resp. die Rückbildung dieser Sinnesorgane mit sich führen, mögen wohl in der Lebensweise, vor allen Dingen aber in der Beschaffenheit des Bodens und der Intensität des Lichtes begründet sein. Betrachtet man auch nur oberflächlich die Pigmentflecke des Siidseeamphioxus (Fig. 3), so entdeckt man eine sehr zierliche Zu- sammensetzung, eine Zellenmosaik, die, wenn auch wechselnd in der Form, dennoch, namentlich im Centrum, eine gewisse Regel- mässigkeit nicht verkennen lässt. Die Pigmentzellen umgrenzen, namentlich in der Mitte, mehr oder minder regelmässige, polygonale, helle Felder (Fig. 4), die in verschiedenen Abständen von einander gelagert, gegen die Peripherie hin gleichsam sich öffnen und die Form langgestreckter Züge oder unregelmässiger, heller Flächen an- nehmen, in denen in unregelmässiger Weise Pigmentzellen einge- sprengt sind. An der Peripherie selber hört das diehte Zusammen- schliessen der Pigmentzellen auf, dieselben werden sparsamer, stehen zerstreut (Fig. 5) und verlieren sich allmälig zwischen den hellen Zellmassen der Epidermis, die, wie QUATREFAGES ganz richtig bemerkt, ziemlich regelmässige, fünf- oder sechsseitige Prismen dar- stellen. Eine vollkommen scharfe Begrenzung des Pigmentflecks ist somit unter dem Mikroskop nicht zu entdecken. Noch weniger ist das bei den Amphioxus aus dem Mittelmeere der Fall, die ebenfalls, wie früher erwähnt, an der angegebenen Stelle des Kopfes (Fig. 2) Pigmentirungen besitzen. Diese sind bald mehr, bald minder aus- gedehnt, oftmals einfach, gewöhnlich aber mehrfach vorhanden und in verschiedenen Abständen von einander gelagert. Musivische, re- gelmässigere Felder finden sich nur im grössten Flecken im Centrum, in den übrigen sind sie von der verschiedensten Form und Grösse und an der Peripherie verschwinden sie dadurch, dass die Pigment- zellen, wie bei den Thieren aus der Südsee, sich unregelmässig zer- streut zwischen den hellen Zellmassen finden. Hob ich nun so eben hervor, dass die Begrenzung der pigmen- tirten Stellen eine durchaus wechselnde und unbestimmbare, so gilt dasselbe doch keineswegs für die in den Kopfgruben gelegenen Ober- flächenzellen, zwischen denen die Pigmentzellen eingestreut sein kön- nen, und die ich mit dem Sehnerven in Zusammenhang bringe. Mag ein grosser zusammenhängender Pigmentfleck vorhanden sein, oder Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. 993 mehrere gesonderte oder gar keiner, wie bei den meisten Thieren aus dem Mittelmeere, immer ist es möglich, freilich mit grösserer oder geringerer Schärfe, eine Begrenzung dieser Zellmassen gegen- über den übrigen Epidermiszellen nachzuweisen. Die einzelnen sind in ihren protoplasmatischen , körnigen Massen zusammengedrängter und erscheinen somit in toto dunkler, während die anderen, wie auch bereits QUATREFAGES nachgewiesen, durch eine um die centrale, körnige, protoplasmatische Substanz, die den Kern enthält, gelagerte, ausgedehntere, helle, durchsichtige Substanz, in der manchmal nur mit Schwierigkeit die Zelleontouren erkannt werden können, ausge- zeichnet sind. Die Zellen bestehen somit aus zwei Substanzen, einer hellen, peripheren und einer dunklen, körnerreichen, centralen. Letztere zeigt immer die characteristischen Eigenschaften des Pro- toplasma, während erstere eher den Intercellular- oder Kittsubstanzen ähnelt. Dennoch möchte ich sie für einen integrirenden Bestand- theil der Zelle, ein differenzirtes Protoplasma halten, eben weil die Zellgrenzen in derselben verlaufen, und ich wäre sehr geneigt, die- selbe als ein Paraplasma im Sinne von KuUPFFER!) anzusehen. Diese Substanz ist in den Zellen des Augenflecks entschieden in den Hintergrund getreten, wenigstens nicht so ausgedehnt als in der Pe- ripherie der Zelle, wenn sie sich auch zwischen das Protoplasma reichlicher erstrecken mag, wie an den übrigen Zellen. Das lässt sich nur an der Hand speciell auf diesen Punct gerichteter Unter- suchungen und an frischen Objecten nachweisen. QUATREFAGES scheint bereits auf die Differenzen der Epidermis- zellen aufmerksam geworden zu sein und die Zeichnungen Taf. XII, Fig. 8, 9, 10 erscheinen mir im Wesentlichen entsprechend. Frei- lich deutet dieser Forscher die helle, periphere Zellsubstanz als Zell- membran. SrepA behauptet dagegen, dass sämmtliche Zellen der Oberfläche gleich seien, nur hier und da zeige sich schwärzliches oder bräunliches Pigment eingelagert. Dagegen tragen die Zellen nach ihm überall eine Cuticularmembran. Im Gegensatz dazu hebt REICHERT?) zwischen den kurzen, cylindrischen Epidermiszellen am Kopf- und Schwanzende andere Zellen hervor, deren Zellenmem- branen an der freien Endfliiche mit einem ziemlich consistenten, sta- !) Kuprrer. Ueber Differenzirung des Protoplasma an den Zellen thieri- scher Gewebe. (Vortrag, gehalten im physiologischen Verein zu Kiel, 1875.) ?) REICHERT. Zur Anatomie des Branchiostoma lubrieum. Archiv für Ana- tomie und Physiologie. 1870. 294 C. Hasse chelförmigen Fortsatz ausgerüstet sind und deren Verbindung mit Nerven von ihm nicht constatirt werden konnte. Allen diesen soeben angeführten Ansichten über die Epidermis- zellen liegt etwas Richtiges zu Grunde. QUATREFAGES hat, wie wir gesehen, Recht mit Bezug auf das hellere und dunklere Aussehen der Zellen, Srıepa mit der Annahme einer Cuticularmembran und REICHERT mit der Aufstellung zweier Zellformen, von denen eine einen stachelartigen Aufsatz trägt. Die histologischen Verhältnisse sind aber ausserordentlich viel complicirter und StiepA befindet sich im offenbarsten Unrecht, wenn er alle Zellen, abgesehen von der Pigmentirung, identisch gestaltet sein lässt. Leider habe ich selber wichtige Puncte unaufgeklärt lassen müssen, weil mir kein frisches Material zu Gebote stand, allein ich glaube doch wesentlich weiter gedrungen zu sein, wie meine Vorgänger. In der dunklen Zellanhäufung der Kopfgruben des Mittelmeer- amphioxus, in der bei einigen die durch die Pigmentzellen hervor- gerufenen Mosaikfiguren auftreten, lassen sich mindestens zwei Zell- formen unterscheiden, die ein Schlaglicht auf die Umwandlung des- selben zu dem ausgedehnten, pigmentirten Fleck am vorderen Kör- perende des Südseeamphioxus liefert. Die einen tragen wie die übrigen Epidermiszellen, wie Sriepa richtig bemerkt, einfache Cuti- cularsiiume, die zuweilen an der freien Oberfläche kleine Erhebun- gen wie Höcker ete. zeigen, ohne dass ich zu sagen vermag, wie weit auf deren Bildung die Erhärtungsflüssigkeit (absoluter Alkohol) Einfluss gehabt hat. Im Uebrigen besitzen sie keine andere Form, wie die der übrigen Oberflächenzellen. Zwischen ihnen kommen nun aber hellere, durch bald mehr röthlich, bald blau oder meergrün schillernde, sehr stark lichtbreehende, rundliche, manchmal auch etwas eckige Körper, ausgezeichnete Zellen vor. Ihr optisches Ver- halten weist bei der Betrachtung von der Fläche und bei verschiedener Einstellung darauf hin, dass wir es mit kegelförmigen Erhebungen des eutieularen Saumes zu thun haben. Bei der geringen Ausdeh- nung des Fleckes ist es mir leider nicht gelungen, gute Durch- schnittsbilder zu gewinnen, und Zerzupfungspräparate gelangen nicht, wegen der ausschliesslichen Anwendung des absoluten Alkohol als Erhärtungsmittel. Uebrigens liess sich die Kegelgestalt der licht- breehenden Körper auch hier und da an etwas umgelegten Zellen constatiren. Diese Zellen zeigten sich bald dichter, bald weniger dieht zusammengedrängt, ohne dass es möglich gewesen, eine all- gemeine Regel für deren Vertheilung aufzustellen. Im Centrum des Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. 295 Fleckes erschienen sie mir zahlreicher. Ausserdem zeigten sich gar nicht selten in ihrer Umgebung bald reichlicher, bald sparsamer eingesprengt, kleine rundliche Elemente, bei denen es mir ganz un- klar geblieben ist, ob es Kunstproducte sind, oder ob sie etwa feine. fadenförmige Zellen darstellen. Die Vertheilung macht manchmal den Eindruck von Stäbchen und Zapfen der menschlichen retina, oder besser noch von den specifischen Zellen der Nasenschleimhaut. Die Unregelmässigkeit ihres Auftretens legt aber den Gedanken an Kunstproduete nahe. ; Von diesen Zellformen sind, die Umwandlung des dunklen Fle- ckes der meisten europäischen Amphioxus in die oder den Pigment- fleck der Thiere aus dem Mittelmeere oder der Südsee vorausgesetzt, nur die zuerst erwähnten, den übrigen Epiderniiszellen in ihrem Aussehen am nächsten stehenden, veränderlich und werden durch Aufnahme von Pigmentmoleculen zu den Pigmentzellen (Fig. 4a und 5), während die anderen im Wesentlichen sich nicht umwandeln. Höchstens möchte bei der Anwesenheit der Pigmentzellen die Zahl der mit einem lichtbrechenden Körper versehenen Zellen eine grös- sere und die lichtbrechende Kraft der Körper eine bedeutendere sein. Wenn nun, wie es im Centrum des Fleckes der Fall, die Umgrenzung dieser Zellen von Seiten der pigmentirten eine regel- mässigere und die hellen Felder nur durch eine oder zwei, höch- stens drei Pigmentzellreihen getrennt sind, so liegen sie in ihren Zelleontouren deutlich unterschieden (Fig. 45) zu 6 oder 8 an der Zahl. Die im Centrum des liehten Feldes gelegene erscheint dabei gewöhnlich etwas grösser und rundlicher, während die anderen regelmässiger polygonal sind. In der Peripherie pflegen dieselben weniger regelmässig geformt zu sein und die Zelleontouren lassen sich nur selten scharf verfol- gen (Fig. 5). Die lichtbrechenden Körper erscheinen dabei nicht eonisch, sondern mehr eylinderförmig und dieker, aber kürzer. Zu gleicher Zeit schienen sie mir weniger stark lichtbrechend zu sein, wenigstens sah ich das Farbenspiel niemals so schön auftreten, wie im Centrum. Was nun das Verhalten der feinen in der cutis verlaufenden und als blasse Axeneylinder erscheinenden Endverzweigungen des zweiten Gehirnnerven betrifft, die sich bis dieht unter das Epithel verfolgen lassen, so ist es mir leider nicht gelungen, absolut sichere Aufschlüsse darüber zu bekommen. Ich zweifle aber nicht daran, dass dieselben zu den Zellen in Beziehung stehen, welche die stark Morpholog. Jahrbuch. 1. 20 296 C. Hasse lichtbrechenden Aufsätze, die ich den Stiibchen der höheren Thiere gleich erachte, tragen, um so weniger, weil es nicht gar selten ge- lingt, die feinsten Nervenverzweigungen bis unter dieselben zu ver- folgen. Darüber werden nur Untersuchungen an mit den verschie- densten Reagentien behandelten Thieren, resp. Querschnitte und Zerzupfungspräparate Aufschluss geben können. Zieht man dabei nun in Betracht, dass diese lichtbreehenden Zellen bei den europä- ischen und den Südseeamphioxus im Wesentlichen unverändert blei- ben, während die umgebenden Zellen durch Aufnahme oder durch Verlust der Pigmentmolecule als variable erscheinen, nimmt man ferner hinzu, dass der Grundplan eines Auges stark lichtbrechende Körper erfordert, und dass unsere Erfahrungen von den Wirbellosen na- mentlich, ganz abgesehen von den Wirbelthieren, zeigen, dass die Sehorgane sich an der Körperoberfläche differenziren und oft aus lichtbrechenden Zellen und lichtabsorbirenden Pigmentzellen, gegen die hin sich Nerven verfolgen lassen, bestehen, so glaube ich nicht fehl zu greifen, wenn ich, selbst bei dem mangelnden Nachweise des Nervenendes an den specifischen Zellen, den ganzen Fleck, wie ausgedehnt auch immer seine Pigmentirung sei, als Auge deute. Die Berechtigung ist wenigstens grösser, als die der übrigen Auto- ren, welche den Pigmentfleck am Centralnervensystem als Auge deuten, da ihnen der Nachweis lichtbrechender Körper nicht ge- lungen. — An den kleinen Pigmentflecken im Bereiche des dorsalen Astes des zweiten Gehirnnerven (Fig. 1 2) habe ich niemals eine musivische Zeichnung entdecken können. Sie bestehen ausschliesslich aus Pig- mentzellen, wie sie dem grossen Augenfleck eigenthümlich. Ob Ner- venfasern in dieselben hineintreten und somit auch hier die an der freien Oberfläche dieser Zellen befindliche Cutieularbildung die Be- deutung eines wenn auch unvollkommenen, lichtbrechenden Körpers hat, vermag ich nicht zu sagen, ist mir aber nicht unwahrscheinlich, da dieselben im Bereiche der Nervenausbreitung vorkommen. Sie würden somit als Nebenorgane (paraocelli) dienen, und wohl nur un- vollkommen zur Vermittlung der Gesichtsempfindung beitragen. Endlich möchte ich noch auf eigenthümliche Zellen aufmerksam machen, die auch zu der Classe der Sinneszellen gehören und die, wie mir scheint, REICHERT zuerst entdeckt und beschrieben hat, wenn es ihm auch nicht gelungen, den Zusammenhang mit Nerven nachzuweisen. Es sind seine Stachelzellen, die am Kopf- und Schwanzende vorkommen sollen. Das Sehwanzende habe ich auf Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. 297 deren Vorkommen nicht untersucht. Am Kopfende jedoch, nament- lich zahlreich in der Umgebung des Augenflecks. finden sich grés- sere, rundliche, helle Zellen (Fig. 6 4), die am basalen Ende im Bereiche des Kernes etwas ausgebaucht erscheinen. Eine von ihnen habe ich in Verbindung mit einem feinen Nervenfäserchen gesehen. Die hellen Zellen tragen wie alle anderen einen Cuticularsaum, aus dem sich ein kurzer, starrer, das Licht brechender, spitz aus- laufender Stachel erhebt. Umgeben werden diese Zellen von einem Kranze mehr rundlicher, gewöhnlicher Epidermiszellen (Fig. 6.«), die dieht aneinander geschlossen liegen. Welche Bedeutung die- selben besitzen, ob dieselben etwa in Uebereinstimmung mit der Form der Acustieuszellen der übrigen Wirbelthiere als Gehörzellen zu deu- ten, ob sie Tastapparate sind, oder in die Categorie derjenigen Em- pfindungsapparate gehören, die Leypie'); als Organe des sechsten Sinnes beschreibt und die namentlich F. E. SCHULZE?) in seinen vortrefflichen Arbeiten weiter analysirt, vermag ich nicht zu sagen. Immerhin scheinen sie mir der Erwähnung werth und näherer Un- tersuchung bedürftig. Dasselbe gilt auch von den Epithelien der Bauchhöhle, die W. MÜLLER als Nieren deutet und die er in seiner vorzüglichen morphologischen Arbeit behandelt). Ich habe, und das würde der W. Mürver’schen Deutung, der ich mich vollkommen anschliesse, eine weitere Stütze geben, an den fraglichen Zellen An- deutungen einer Streifung und somit eine Zusammensetzung gesehen, wie HEIDENHAIN') sie in der neuesten Zeit an den Nierenepithelien beobachtet, eine Beobachtung, die mir wie KUPFFER von der folgen- schwersten Bedeutung nicht allein für die Structurverhältnisse der Secretionsepithelien, sondern der Zellen überhaupt, ja sogar der ein- zelligen oder einfachen Protozoen erscheint. ) LeyDiG. Ueber Organe eines sechsten Sinnes. Dresden 1868. ) F. E. Schutze. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. 6. ) 1. c 4) HEIDENHAIN. PrriiGer’s Archiv. 1874. Breslau, Mitte Mai 1875. 20* 298 Figur Figur Figur Figur C. Hasse, Zur Anatomie des Amphioxts lanceolatus. Erklärung der Abbildungen. Tafel IX. Zeichnung nach QUATREFAGES modificirt. Vorderes Ende des Amphi- oxus. a. Grosser Augenfleck. 6. Kleiner dorsaler. ce. Centraler. d. Dorsaler Ast des zweiten Gehirnnerven oder des opticus. . Vorderes Körperende eines Amphioxus aus dem Mittelmeer. «a. Cen- tralnervensystem mit dem Pigment. 6. chorda. ce. Augenflecke. . Die Zellmosaik des grossen Augenfleckes eines Amphioxus aus der Siidsee. . Zellmosaik aus dem Centrum des Auges eines Siidseeamphioxus. a. Pigmentzellen. 6. Periphere, ce. centrale Opticuszelle mit den licht- brechenden Körpern. Pigment- und Opticuszellen mit lichtbrechenden Körpern aus der Peri- pherie des Augenfleckes eines Südseeamphioxus. Epidermiszellen des vordersten Endes eines Amphioxus. «. Peri- phere Zellen. 6. Grosse centrale Sinneszelle mit dem Stachel e von der Fläche gesehen. Die Zeichnungen verdanke ich der Güte des Herrn Dr. GABRIEL. . R 4 | ys > 7 Ria Vehrbuch i Taf IX. Dr.Gabriel del. Lith Anst.v. J.G. Bach, Leipzig, u Einige Bemerkungen zu Gotte’s ,, Entwickelungs- geschichte der Unke als Grundlage einer ver- gleichenden Morphologie der Wirbelthiere *. Von C. Gegenbaur. In einer Zeit, in welcher gréssere monographische Leistungen der gesammten literarischen Production gegeniiber zu den Selten- heiten gehören, muss ein Werk wie GörTtE’s »Entwickelungs- geschichte der Unke« in seiner äusseren Erscheinung unzweifelhaft grosses und gerechtes Aufsehen erregen. Birgt es doch, wie der Umfang andeutet, die Früchte jahrelanger Arbeit und trägt in seinem Atlas in sorgfältigst ausgeführten Bildern einen, wenn auch nur ge- ringen Theil der Mühe zur Schau, welehe der Autor zur Gewinnung der empirischen Grundlagen aufwenden musste. Indem es einen complieirten thierischen Organismus von seinem ersten einfachsten Zustande aus dem Eie an, durch vielfache Wandelungen in den vollendeten Zustand überführt und jene Veränderungen in ihrem Causalnexus genauerer Prüfung unterzieht, zugleich der Betheiligung aller Formelemente an dem allmäligen Aufbau der Organe alle Rücksicht widmend, erfüllt es dem Anscheine nach die strengsten an die Ontogenie zu stellenden Ansprüche. Gewiss entspringt aus der Durchführung nach solchem Maassstabe angelegter Forschungen über die individuelle Entwickelung der grösste Gewinn für das Ver- ständniss der Organisation, und damit für die morphologische Wissen- schaft. Man wird es daher verstehen können, wenn der Verfasser selbst von dieser Bedeutung der Ontogenie durchdrungen ist. Er- kennen wir doch in den Arbeiten von C. E. v. BArr’s, dann in jenen von RATHKE, REICHERT, Voor und BiscHorr, wie in denen eine neue Epoche beginnenden REmAr’s wie mancher Anderen, die wich- 300 ©. Gegenbaur tigsten Grundsteine fiir die Morphologie der Wirbelthiere, und sie werden es bleiben, wie hoch auch der Weiterbau der Wissenschaft sich später einmal darauf erheben mag. Wie in der Ontogenie ein Fortschreiten vom einfacheren zum complicirteren, vom niederen zum höheren stattfindet, so zeigt aber auch die Entwickelung der Wissen- schaft einen ähnlichen Gang, und die Bedeutung der Vorgänger für die Nachfolger ist ebensowenig zu unterschätzen, als der Werth der Anlage für den entwickelten Organismus. Für die, welche die Wissenschaft weiter zu bilden versuchen, ist es somit am meisten zu beherzigen, wie einmal der Standpunct, von dem aus sie ihre Arbeit beginnen, einzig durch die Arbeit der Vorgänger zu erreichen war, und wie alles, was sie Neues an Erfahrungen und Anschau- ungen der Wissenschaft zuführen, mit seinen Anfängen weit zurück in längst vergangene Zeiten reicht. Die individuelle Entwickelungsgeschichte eines Organismus deckt aber ausser den Beziehungen zum ausgebildeten Zustand desselben Organismus noch solche zu anderen Organismen auf, und indem sich im Laufe der Ontogenie Einrichtungen berausstellen, welche in ähn- lichen Befunden auch anderen Organismen zukommen, bietet und findet sie Objecte der Vergleichung, und lässt daraus phylogenetische Vorstellungen begründende Erkenntnisse entspringen. Der Wer- fasser der Entwickelungsgeschichte der Unke hat die Bedeutung der Ontogenie dadurch gewürdigt, dass er fast allen Capiteln seines Werkes einen vergleichenden Theil angefügt hat und sein Werk geradezu »als Grundlage einer vergleichenden Morpho- logie der Wirbelthiere« bezeichnet. Wie wir uns einerseits nur dazu Glück wünschen können, dass damit der rein descriptive Pfad der Forschung zu einer breiteren, auch die Vergleichung zulassen- den Strasse sich ausbildet, so wird man andererseits sich doch der Erwägung nicht entziehen dürfen, ob und in wie fern jener zum Aus- gangspuncte gewählte Organismus auch den Anforderungen entspricht, welche an ihn vermöge seiner Stellung zu den anderen, mit ihm zu vergleichenden, gestellt werden müssen. Denn dass dies gleichgültig sei, dass jeder beliebige Organismus einer grossen Abtheilung onto- genetisch untersucht, eine »Grundlage der vergleichenden Morphologie« jener Abtheilung abgebe, wird nicht gut behauptet werden können. Die Ontogenie einer Milbe wird ebensowenig für die Arthropoden eine ausschliessliche Grundlage zur vergleichenden Morphologie derselben abgeben, als die Ontogenie eines Säugethiers für die Morphologie sämmtlicher Vertebraten. Denn wir kennen so viel aus Einige Bemerkungen zu Götte's Entwickelungsgeschichte der Unke etc. 301 der Entwickelung und iiber den Bau der Milben, dass wir behaupten dürfen, es seien von daher eine Menge von Zuständen der Arthropoden eben nieht zu beurtheilen. Im Organismus einer Milbe sind den meisten anderen Arthropoden gegenüber so viel und bereits früh- zeitig sich bemerkbar machende Reductionen aufgetreten, dass eine Grundlage für die Morphologie nicht gewonnen werden kann. An- dererseits sind wieder bei den Säugethieren so viele Differenzen des Entwiekelungsganges im Vergleiche mit jenem niederer Wirbelthiere vorhanden, dass von ihnen ebensowenig eine morphologische Grund- lage für's Ganze aufzustellen ist. Wie im ersten Falle die Rück- bildung so bereitet im zweiten die Ausbildung des Organismus, welche zahlreiche bei niederen Zuständen sich findende Stadien in der On- togenie zusammengezogen erscheinen und damit überspringen lässt, ein Hinderniss für die der ganzen Abtheilung geltende fundamentale Bedeutung aller während der Entwiekelung sich zeigenden Vorgänge. Soll also das Ergebniss der ontogenetischen Forschung von einem Organismus für die ganze Abtheilung bedeutungsvolle Trag- kraft besitzen, so wird dies Postulat um so mehr erfüllt werden, je weniger Umbildungen der Organismus eingegangen ist, je tiefer also die Stelle ist, die er unter den Verwandten einnimmt, denn nur da werden primitive Einrichtungen in der mindest veränderten Form sich darstellen und gegen differenzirtere Formen, wie gegen niedere Abtheilungen hin direete Anknüpfungspuncte darbieten Sind nun die gegenwärtig lebenden Amphibien, wie es ihre Or- ganisation lehrt, in vielen Stücken rückgebildet, in anderen so mo- difieirt, dass direete Anschlüsse an höhere Abtheilungen nur an wenigen Organen bestehen und auch Verbindungen gegen niedere nur entfernt erkannt werden können, so nehmen gerade die Anuren schon durch die ausserordentliche Reduction ihrer Wirbelsäule eine noch mehr isolirte Stellung ein. Wenn man erwägt, dass in An- passung an jene Reductionen schon im Verlaufe der individuellen Entwickelung entsprechende Modificationen auftreten müssen, so wird uns die Entwickelungsgeschichte der Unke mit nur geringer Zu- verlässigkeit eine sichere Grundlage für die gesammte Morphologie der Wirbelthiere abgeben können. Durch GörrE's zahlreiche Excurse über die Ontogenie anderer Vertebraten wird das wieder zur Com- pensation gebracht, so dass es nicht sowohl die ausschliesslich von Bombinator entnommenen Darstellungen, als die aus dem Bereiche der anderen Wirbelthiere herbeigebrachten ontogenetischen That- sachen sind, welche den betreffenden Capiteln ein vergleichend- 302 OC. Gegenbaur morphologisches Gepriige verleihen, und das Ganze dadurch fiir eine Vertebraten- Morphologie grundlegend scheinen lassen. Doch dürfte mit der einfachen Berücksichtigung anderer Vertebraten noch keines- wegs jenes Gepräge gegeben werden, es kommt entschieden auch auf die Art und Weise, in welcher auf andere Organisationen Rück- sicht genommen ist, mit einem Worte, auf die Methode an. Was mir zu einer Besprechung des Werkes besonderen Anlass gibt, sind mehrere Puncte, in denen Görrz durch seine Untersuchungen zu einer von den Ergebnissen meiner eigenen Untersuchungen zuweilen diametral entgegenstehenden Auffassung gelangt ist, und hier muss mir die Erhebung von Bedenken um so mehr gestattet sein, als sie auch gegen manche Darstellung meiner Angaben sich richten müssen. Was zunächst die Wirbelsäule betrifft, so ist seit Ducks be- kannt, dass einer Anzahl von Anuren die Anlage der Wirbelkörper nicht wie bei den übrigen und auch sonst bei Wirbelthieren, um die Chorda dorsalis erfolgt, sondern dass sie über derselben statt- findet. Jon. MÜLLER, Srannius und Bruch haben darüber gehan- delt, und ich selbst habe in »Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule« 1862 jene Angaben für mehrere Anuren im Wesentlichen nur bestätigt, und erlaubte mir zugleich angesichts der offenbaren Verschiedenheit dieses Bildungsvorganges von dem sewöhnlichen, besondere Bezeichnungen dafür vorzuschlagen. Den einen Modus habe ich epichordal, den anderen perichordal benannt. Aus Görre’s Beobachtungen ergibt sich aber (pag. 388) : » dass die bisher so oft wiederholte Lehre von der »»epichordalen Wirbelbildung«« der Unke und einiger anderen Anuren, wonach die Wirbelsaite und ihre Scheiden in ein continuirliches Band verwandelt würden, welches ausserhalb der darüber entstehenden Wirbelsäule zu Grunde gehen soll, eine durchaus irrige ist« Wo diese Lehre so oft wiederholt worden sein soll, weiss ich nicht. Epichordal habe ich erst das Verhalten bezeichnet und habe von der Anführung nur da Gebrauch gemacht, wo von der Wirbelsäule der Amphibien gehandelt wurde. Constatiren wir nun: durchaus irrig ist die Lehre von der »epiehordalen Wirbelbildung«, die Umwandlung der Chorda in ein Band, welches unterhalb der Wirbelsäule liegen und zu Grunde gehen soll. Wie verhält es sich nun nach der Dar- stellung GOrrn’s? Wider alles Erwarten erfahren wir, dass die An- lage des Wirbelkörpers in der That über der Chorda stattfindet, dass das perichordale Gewebe, GörrE’s äussere Chordascheide, sich nur über der Chorda in Knorpel verwandelt, dass also die knorpelige Einige Bemerkungen zu (rötte's Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 303 Anlage des Wirbelkörpers wirklich »epichordal« auftritt. Aber die Chorda erleidet andere Veränderungen, als die früheren Untersucher angaben und darin allein liegt der von GörrE angebahnte Fortschritt. Die platt gewordene Chorda bleibt der knorpeligen Wirbelsäule direet angelagert, und der je der Mitte eines Wirbelkörpers entsprechende Abschnitt der platten Chorda lässt Knorpelzellen entstehen und geht allmälig, den Wirbelkörper von unten her ergänzend, in diesen ein, um mit dem Auftreten einer oberflächlichen Knochenlamelle noch inniger dem Wirbelkérper angeschlossen zu werden. An den inter- vertebralen Streeken dagegen bleibt die Chorda, in einen Theil des von Wirbel zu Wirbel ziehenden Bandapparates umgewandelt unter- halb der knorpeligen Enden der Wirbelkörper und gibt keine zum Aufbau der Wirbel dienende Elemente ab. Ich nehme an, dass die von GörrE sehr detaillirt und sorg- fältig gegebene Beschreibung auch für die übrigen Anuren mit epi- chordaler Wirbelbildung ihre vollkommene Geltung hat, möchte aber fragen, ob der von GörrE beschriebene Vorgang mit dem von mir als »perichordale « Wirbelbildung bezeichneten wirklich so sehr über- einstimmt, dass es sich nicht verlohne, beide Processe auch durch besondere Bezeichnungen auseinander zu halten. In das Innere der knorpeligen Anlage des Wirbels kommt bei Bombinator gar nichts von der Chorda zu liegen, an die ventrale Fläche des knorpeligen Wirbelkörpers fügt sich ein kleiner Abschnitt der Chorda an, und an den Endstrecken der Wirbelkörper geht je ein Chorda-Abschnitt gar in eine subvertebrale Bandmasse über. Mag man das Alles mit GörTE für einen unwesentlichen Unterschied halten, dem man »keinen besonderen Werth beimessen« kann (pag. 394), eine Ver- schiedenheit ist's immer. Daraus dürfte zur Genüge hervorgehen, dass die früheren Beobachter nicht so durchaus irrige Angaben machten, da ja in der That eine, allerdings nur streekenweise, liga- mentöse Umwandlung der Chorda stattfindet. Fand aber die Ent- stehung der Anlage des Wirbelkörpers über der Chorda durch Gorrr Bestätigung, und liegt darin eine Verschiedenheit von dem Verhalten anderer Anuren, wo die erste Anlage des knorpeligen Wirbelkörpers um die Chorda herum, also auch lateral und ventral von ihr sich differenzirt, so wird auch das Recht nicht bezweifelt werden können, die verschiedenen Modi mit entsprechenden Bezeichnungen auf- zuführen. Mit der Anerkennung einer Verschiedenheit der Ent- stehung des Wirbelkörpers ist aber noch nicht ein direeter Gegen- satz ausgedrückt, und dies habe ich in der oben eitirten Schrift 304 ©. Gegenbaur zuerst und deutlich genug ausgesprochen (pag. 39), nachdem ich in der Entwiekelung der Wirbel von Bufo einen den Befund bei Bom- binator mit jenem von Rana vermittelnden Zustand erkannt hatte. Gorre, der jene Schrift kannte, gibt sich aber den Anschein, als ob erst er die beiden vor ihm für total verschieden gehaltenen Modi der Wirbelkörperanlage verknüpft habe, obschon er meine Beob- achtung bei Bufo eitirt, freilich in einer Weise, die meine daraus gezogene Folgerung nicht erkennen lässt. Für die erste Anlage der Wirbelkörper hat GörrE manche von den früheren Darstellungen abweichende Angaben gegeben, welche zu bestätigen oder vielleicht auch zu berichtigen, ich An- deren überlassen muss. Dabei kommt er zu der Aufstellung einer besonderen von ihm als äussere Chordascheide bezeichneten Gewebs- schicht, aus welcher die Anlagen der knorpeligen Wirbelkörper hervorgehen, und mit der die Wirbelbogen genetisch keinerlei Be- ziehung besitzen. Es ist möglich, dass in der damit angebahnten Auflösung der skeletbildenden Schicht, welche ich mit KÖLLIKER und Anderen als die Grundlage der ausserhalb der Chorda ent- stehenden Theile des Axenskeletes annahm, ein Fortschritt gegeben ist, aber da es sich in beiden Theilen doch nur um ein indifferentes Gewebe handelt, möchte ich die Verschiedenheit beider für nicht so mächtig ansehen, zumal das, was er für die Unke angibt, nicht blos der Bestätigung für dieses Thier bedarf, sondern auch für andere wird festgestellt werden müssen. Auch ist von Niemand behauptet worden, dass der den Riickgratcanal umschliessende Ab- schnitt der früheren skeletbildenden Schicht nichts als Skelet- theile hervorgehen lasse, da man ja längst wusste, dass die Wirbel- bogen durch Interstitien von einander geschieden sind. — Mit der Differenzirung der die Chorda umgebenden Gewebsschicht zu Knorpel habe ich in meinen früheren Mittheilungen (Ueber den Bau und die Entwickelung der Wirbelsäule bei Amphibien. Abhandl. d. Naturf. Gesellsch. zu Halle, Bd. VI, 1861 und Untersuchungen zur ver- gleichenden Anatomie der Wirbelsäule, 1862) bei Anuren die Exi- stenz eines continuirlichen Knorpelrohrs beschrieben, und zwar bis zu jenem Stadium, da die intervertebrale Gelenkbildung sich voll- zieht. GOrre bemerkt dagegen (pag. 412): »Eine continuirliche Knorpelmasse, welche alle Wirbel miteinander verbände, habe ich weder bei Salamandrinen, noch bei Anuren gesehen. Allerdings seht der Knorpel allmälig in jene Scheidewand der Gelenkanlage über; dies geschieht aber auch am queren Umfange der vertebralen Einiee Bemerkungen zu Götte’s Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 305 5 5 5 Abschnitte bei den Pelobatiden, wo doch niemand die ventralen Scheidentheile als knorpelige bezeichnet«. — Abgesehen von der höchst unklaren Fassung des letzten Satzes, der aussagt, dass der Knorpel der Wirbelanlage im queren Umfange in die Scheidewand der Gelenkanlage übergeht, was einfach ein Unding ist, während er wahrscheinlich aussagen soll, dass der Wirbelkörperknorpel la- teral um die Chorda in ein jenem Scheidewandgewebe ähnliches Gewebe sich fortsetze, habe ich hiegegen Folgendes zu bemerken : wenn vor dem Auftreten der Gelenkhöhle kein Knorpelgewebe die sogenannte Scheidewand GörrE's vorstellt, was für ein Gewebe ist denn nach der Gelenkhöhlenbildung an den dann einander nur be- rührenden Gelenkflächen der Wirbelkörper vorhanden? Und unter- scheidet sich das dann gleich nach der ersten Gelenkbildung die Gelenkflächen der Wirbelkörper überkleidende Gewebe in irgend etwas Wesentlichem von dem Gewebe, welches unmittelbar vorher die sogenannte Scheidewand zusammensetzte? Es ist gewiss richtig, dass schon längere Zeit vor der völligen intervertebralen Sonderung der Wirbelkörper in den intervertebralen Knorpelmassen durch dif- ferente, übrigens schon von mir hervorgehobene Wachsthums- vorgänge der Knorpelzellen eine Knorpelschicht geliefert wird, welehe die Grenze zweier Wirbelkörper andeutet. Das ist nichts Neues. Neu ist nur, dass diese Gewebsschicht kein Knorpel sein soll. Ob die Zellen hier schmäler und an den Partien gegen den Wirbelkörper zu anders gestellt sind, kann doch für die Deutung dieses Gewebes völlig gleichgültig sein, wenn nur die Continuität nachgewiesen ist, und diese ist für die homogene Intercellular- substanz von mir erwiesen worden. Es ist auch überaus leicht, sowohl bei Anuren als Urodelenlarven sich davon zu überzeugen. Freilich sagt Görte (pag. 385), dass die Anlagen des Intervertebral- knorpels sich nicht völlig in Knorpel umwandelten, sondern dass an der Grenze der beiden Wirbel eine indifferente Schicht entstehe, eben die oben erwähnte Scheidewand. »In Uebereinstimmung mit der Wucherung der ganzen Wülste steigert sich die Vermehrung der verlängerten Kerne gegen die ideale Grenze zweier Wirbel; dort bilden sie lange Zeit eine dunkle Scheidewand, welche den Inter- vertebralwulst in seiner Mitte zwar durchsetzt. Vor und hinter dieser Scheidewand, also gegen die anstossenden vertebralen Knor- pelplatten nimmt die Anhäufung der Kerne allmälig ab, d. h. sie treten weiter auseinander, wobei sie ihre längliche Gestalt und quere Lage verlieren. Dort beginnt auch die Knorpelbildung, welche wie 306 C. Gegenbaur überall im entstehenden Knorpel durch mässig breite helle Säume um die freien Kerne eingeleitet wird, um erst später und allmälig gegen die mittlere Scheidewand des Intervertebralwulstes vorzu- dringen«. Obgleich es Görre nicht besonders angibt, ist doch an- zunehmen, dass seine »freien Kerne« in einer Grundsubstanz liegen, die mit der Intercellularsubstanz des vorwärts und rückwärts be- reits differenzirten Knorpels continuirlich zusammenhängt. Die so- genannte Scheidewand ist also nichts scharf getrenntes, und wie auch in den intervertebralen Partien die Formelemente eine andere Stellung einnehmen, deren Zwischensubstanz ist continuirlich. Wollte mir GörrE also einen Einwand erheben, so musste er sagen, dass ich in dem continuirlichen Knorpelrohr an den intervertebralen Partien — seinen Scheidewänden — Zellen angegeben hätte, wäh- rend dort nach seiner Ansicht nur »freie Kerne« seien. Aber dass jenes »Scheidewandgewebe« nicht zum Knorpel gezählt werden dürfe, möchte ich mit Entschiedenheit bezweifeln, und da möchte ich be- sonders auf die Intervertebralknorpel der Urodelen verwiesen haben. Bezüglich der Wirbelfortsätze macht mir Görre den Vor- wurf, dass ich in verschiedenen Arbeiten eine wechselnde Ansicht geäussert hätte. Ich gestehe gerne, dass ich auch in anderen Puncten oftmals eine früher vertretene Ansicht verliess, und ‚eine andere, die mir besser begründbar erschien, annahm, auch wohl einmal zu einer früheren zurückkehrte, mein Urtheil auf die je be- kannten oder von mir untersuchten Thatsachen begründend, und darnach wieder modifieirend. Dass es nichts Vollkommenes gibt, er- lebt vielleicht auch der Verfasser der Entwickelungsgeschichte der Unke. Eben deshalb dürfte aber auch Billigkeit sich empfehlen, und wenn eine andere Meinung zu bestreiten ist, müssen die Gründe, auf welche diese sich stützt, beseitigt, resp. durch bessere für die neue Ansicht ersetzt sein. Das hat GörrE unterlassen, wo er meiner Auffassung der Rippen und der unteren Bogenbildungen Erwähnung thut. Ich war dureh die Untersuchung der Wirbelsäule der Selachier (Jenaische Zeitschrift, Bd. IH. pag. 411), vorzugsweise aber der Ga- noiden dazu gelangt, folgende Verhältnisse zu unterscheiden. Am Schwanztheile der Wirbelsäule kommen untere Bogenbildungen vor, die mit den Wirbelkörpern auf dieselbe Weise verbunden sind, wie die oberen Bogen, mit denen sie sich in allen Stücken gleich ver- halten. Am Uebergange zum Rumpfe finden sich diese Skelet- stücke terminal nieht mehr in medianer Verschmelzung, sondern sie endigen frei. An den nächstfolgenden Wirbeln sind diese Spangen Einige Bemerkungen zu Götte's Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 307 beweglich und ihre Verbindung mit dem Wirbelkörper geschieht nicht mehr durch Knorpel, sondern durch Bandmasse, sie stellen jene Skelettheile vor, die man als Rippen bezeichnet. Wir haben also in den ventralen Fortsatzbildungen der Wirbel bei Ganoiden zwei differente Bildungen vorliegen, die eine, unbewegliche, be- schränkt sich auf den Caudaltheil, die andere bewegliche ist an dem Rumpftheil der Wirbelsäule vorhanden. Von diesem, in den sonst sehr weit voneinander entfernten Ganoiden in übereinstimmender Weise bestehenden Verhalten bin ich ausgegangen und habe den Befund am caudalen Abschnitte bezüglich des Zusammenhanges der Bogen mit den Wirbeln als den indifferenten erkennend und des- halb ihn als primären Zustand auffassend, die Rippen für Ab- gliederungen unterer Bogen erklärt. Das mechanisch wirk- same Moment für diesen Vorgang der Abgliederung suchte ich in der Anpassung jener Spangenstücke an die Veränderlichkeit der Leibes- höhle in Folge des wechselnden Umfanges ihrer Contenta. Das ist für Görtz (pag. 428) eine »schematische Begründung«, was daraus erhellen soll, dass bei Reptilien am Schwanztheile um den unver- änderlichen Caudalcanal meiner Auffassung zufolge gleichfalls Rippen- bildungen vorkommen, nämlich die gewöhnlich als untere Bogen dargestellten »Os en chevron« Cuvier’s. GörrE hat in seiner Argumentation gegen diese meine Deutung den Umstand gänzlich unbeachtet gelassen, dass ich (l. e. pag, 417) auch die Veränderung der Längsausdehnung der Leibeshöhle, wenn auch nur kurz, aber dem Denkenden gewiss deutlich genug, in Betracht gezogen habe. Von der Thatsache ausgehend, dass die Ausdehnung der Leibes- höhle in den unteren Abtheilungen der Wirbelthiere, wie Selachier, theilweise auch noch Ganoiden es sind, einer bedeutend grösseren An- zahl von Wirbeln (die somit Rumpfwirbel sind) entspricht, als wir in den höheren Abtheilungen für diesen Theil des Axenskelets an- treffen, sehe ich in der Veränderung eine Verkürzung der Leibes- höhle, wobei im früheren Zustande als rippentragende Rumpfwirbel erscheinende Wirbel allmälig zu Caudalwirbeln werden müssen. Nach der Seite der Teleostier hin sind diese Verhältnisse sehr voll- ständig zu erkennen, indem hier am Caudaltheil die unteren Bogen durch convergent gewordene Querfortsätze vorgestellt werden, von denen die vordersten am Schwanztheile sogar noch Träger mehr oder minder. rudimentärer Rippen sind. Das gibt auch GörtE zu. Da wir zur Begründung der Annahme eines gänzlichen Ausfallens ein- zelner Wirbel oder von Summen von Wirbeln derart, dass bei dem 308 C. Gegenbaur einen Thier eine beliebige Zahl von Wirbeln mitten aus der Reihe verschwunden wäre (ontogenetisch oder phylogenetisch) , keine ein- zige Thatsache kennen, so bleibt die Reduction der Wirbelzahl nur durch die am Caudaltheile bestehende, in verschiedenem Maasse sich ausprägende Rückbildung massgebend, und diese ist bei den Fischen schon von einer Umwandlung von Rumpfwirbeln in Caudal- wirbel begleitet. Dieser Process nimmt dem Rumpfe Wirbel, die er dem Sehwanze zufügt, und von den Amphibien an complicirt er sich dadurch, dass durch die Verbindung des Beckens mit der Wirbel- säule ein neuer Abschnitt an letzterer entsteht, der gleichfalls in den Vorgang mit eingezogen werden muss. Rumpfwirbel (Dorso- Lumbalwirbel) werden also durch diesen Process erst zu Sacral- wirbeln, ehe sie unter einer weiteren Verschiebung des Beckens nach vorne zu, zu Caudalwirbeln sich umgestalten. E. ROSENBERG hat diesen Process in einem engeren Rahmen zwar, aber um so sicherer zur Evidenz gebracht (S. dessen Abhandlung im 1. Hefte dieses Jahrbuches). Nimmt man nun das Bestehen eines ähnlichen Vorganges als den Grund für die Verminderung der Rumpfwirbel- zahl — und dieser Vorgang darf angenommen werden, — so wird begreiflich, dass Rippen auch an Schwanzwirbeln vorkommen, und zwar in allen jenen Fällen, wo die Schwanzwirbel einmal Rumpf- wirbel gewesen sein müssen. Das Rippenrudiment findet dann in Anpassung an die veränderte Körperregion seine Verwendung zur Umschliessung eines Caudalcanals und verbindet sich distal mit dem anderseitigen Stücke, bewahrt aber häufig noch durch die Art seiner Entstehung und seiner Verbindung mit der Wirbelsäule seinen pri- mitiven Character, der in ihm eine Rippe erkennen lässt. Wenn GörrE eine derartige Auffassungsweise nicht verstehen will, so hat dies seinen Grund wesentlich darin, dass er alle Veränderungen des Organismus nur im Laufe der Ontogenie betrachtet wissen will, worauf ich weiter unten noch zurückkomme. Doch es besteht nach GOrre noch ein anderer Grund jenen »08 en cheyron« die morphologische Gleichwerthigkeit mit Rippen abzu- sprechen; denn es kommen auch sonst noch Theile am Schwanze vor, die als Rippen zu deuten seien. Ein ganzes Fortsatzsystem soll dabei übersehen, oder vom Stammskelet willkürlich ausgeschlossen worden sein (die eigentlichen Schwanzrippen der Amnioten, die sogenannten Fleischgräten der Fische) , andrerseits seien unter dem Namen der Rippen und Querfortsiitze homologe Stücke getrennt, gleichwerthige zusammengestellt worden (pag. 428. Für die »Fleisch- . Einige Bemerkungen zu Gitte’s Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 309 gräten« der Teleostier hätte man, nachdem der Vorwurf ihrer will- kiirlichen Ausschliessung fiel, erwarten dürfen, sie mit bestimmten Gründen als »morphologisch wichtige« Theile bezeichnet zu finden, statt dessen findet sich nur die Vermuthung ausge- sprochen, dass sie »die einzigen wirklichen Rippen der Teleostier« seien, »weil man die wesentlichen Merkmale der Rippen sich nicht klar gemacht hatte« (pag. 435). Uebersehen ist dabei gänzlich, dass sich die Fleischgräten später als die Rippen entwickeln, und auch nicht knorpelig angelegt scheinen, wie wir durch A. MÜLLER wissen. (Archiv für Anatomie und Physiologie 1853, pag. 271.) Die hierher bezügliche sehr gründliche Arbeit dieses Anatomen scheint GörTE unbekannt geblieben zu sein, denn er hätte dann nicht von einem willkürlichen Ausschluss der Fleischgräten sprechen dürfen, ja er würde belehrt worden sein, dass recht ausführliche Untersuchungen darüber vorliegen, auf Grund deren der genannte Verfasser zu der dann auch von mir vertretenen Auffassung gelangte. Er hat zwar diese Auffassung dadurch modifieirt, dass er später die Seitengräten für den Rippen ebenbürtig erklärte, aber da er für die Rippen eine knorpelige Anlage nachwies, hat er damit zugleich die Differenz von jenen Fleischgräten angegeben, an denen knorpelige Theile zu er- kennen ihm nicht gelang. Was die angeblich übersehenen »Schwanzrippen der Amnioten« be- trifft, so wiegt auch dieser Vorwurf nicht so schwer als er sieh das Ansehen gibt. Fragt man um was es sich denn eigentlich handelt, so wird man zu Fortsatzbildungen geführt, die bisher als Processus transversi galten, und die als solche keineswegs übersehen worden sind. Es kann also hier nur etwa von einer anderen Deutung die Rede sein. GöTTE hält diese Fortsätze für Querfortsiitze und Rippen zugleich, und findet für letzteres Beweise darin, dass er bei Cha- mäleon an den Querfortsätzen der Schwanzwirbelsäule bewegliche An- hänge, Rippen gefunden hat, sowie er auch beim Schnabelthier an den Querfortsätzen durch eine Naht getrennte Stücke fand, die er als Rippen anspricht (pag. 431). Hierbei wäre vor allem zu erwägen gewesen, ob hier nicht blos seeundäre Gebilde vorliegen. Die selbst- ständige Verknöcherung eines Wirbelfortsatzendes gibt noch kein Recht, einen selbstständigen Skelettheil ohne Weiteres daraus abzu- leiten, und selbst wenn eine Abgliederung eines solchen Stückes er- folgt, kann daraus noch nieht eine primitive Selbstständigkeit gefolgert werden. Wie solche Gliederungen secundärer Natur sind, erweisen die Brustrippen selbst, die in verschiedenen Abtheilungen der höheren 310 C. Gegenbaur Wirbelthiere in zwei oder drei Glieder zerlegt sein können. Wie hierin wohl die Wirkung der Musculatur sich äussert, so sind auch Jene Abgliederungen von Querfortsatzbildungen nicht sofort als Rippen zu erkennen. GOrre wirft mir schematisches Verfahren vor, wenn ich die Rippen von unteren Bogenbildungen ableite, aber ich möchte fragen, wie es sich in diesem Falle mit dem Görrr’schen Verfahren verhält, indem er Alles was an Querfortsätzen sich abgliedert, als Rippen bezeichnet? Will man aber ohne andere Begründungen solche Abgliederungen oder gar nur seeundäre Ossificationen als Rippen bezeichnen, so kommt man schliesslich dazu, jedem Epiphysen- kern eine höhere Bedeutung zuzutheilen und ihn als ursprünglich disereten Skelettheil anzusehen. GörrE unterscheidet aber zweierlei Rippenformationen und zwar in ihrem Verhalten zur Rumpfmuseulatur und aus den Beziehungen zum Wirbel. Es gibt nach ihm obere und untere Rippen, die bei den Am- phibien (Urodelen) mit einander verschmelzen. Die oberen Rippen kommen bei den Vögeln und Säugern gewöhnlich nicht zur Abgliede- rung. Bei Amphibien wachsen sie zwischen die dorsale und ventrale Stammmusculatur. Als Grundlage für diese Auffassung könnte man den Nachweis zweier disereter Rippenformationen erwarten. Der wird aber nicht geliefert, sondern je nach Bedürfniss eine Reduction des einen oder des andern Theils angenommen. Diese Annahme muss überall da als hinfällig gelten, wo ein früherer ausgebildeter Zustand nieht bekannt ist. Ausser den Rippen gibt es aber auch noch untere Bogen, die rippen- artige Bildungen abgliedern können, das sind die Rippen der Teleostier, welche ich, indem ich sie als Rippen bezeichnete, selbstverständlich falsch gedeutet haben soll. Als ob ich zuerst und allein sie so deutete und damit verantwortlich dafür wäre, und als ob nicht vielmehr dies von allen meinen Vorgängern geschah! Doch GörrE scheint von früheren Arbeiten in einer Art Umgang zu nehmen, die auf einen gänzlichen Mangel an Beziehungen zur älteren Literatur schliessen lassen könnte. Während ich nun gerade, weil die Beziehung dieser Rippen zu unteren Bogen völlig klar liegt, folgere, dass die Rippen der Teleostier Abgliederungen von unteren Bogen bilden, kommt GörTE zum entgegengesetzten Schlusse, und hält sie nicht für wahre Rippenbildungen, gerade weil sie aus unteren Bogen hervorgehen. Die Schwierigkeit für Görre liegt hier in seinem Ausgangspunete von einem einerseits hochdifferenzirten andererseits vielfach rückge- bildeten Organismus, nämlich von der Unke. Hätte er sich klar gemacht, welch’ grosse Kluft schon zwisehen einem Amphibium und Einige Bemerkungen zu Gitte’s Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 311 einem Fische gerade bezüglich des Axenskelets besteht, da bei ersterem mit der Fixirung des Beckengürtels an der Wirbelsäule, an dieser zwei wesentlich differente Abschnitte entstehen, so würde er die Grundlage seiner Vergleichungen der Rumpf- und Schwanz- wirbelsäule weniger sicher von den höheren Wirbelthieren herge- nommen haben. Sehen wir nun, welches Urtheil wir über die Selachier erhalten, nachdem die Rippen der Teleostier keine Rippen sein sollen, weil sie von unteren Bogen stammen. GöTTE theilt eigene embryolo- gische Untersuchungen über Acanthias mit (pag. 433). Bezüglich der caudalen unteren Bogen besteht keine abweichende Meinung. Aber »beim Uebergange vom Schwanze zum Rumpfe verlieren sich die unteren Bogen bis auf die breiten Basen, welche im ganzen Rumpfe als die »unteren Wirbelstücke« der älteren Embryologen vorhanden sind. Statt der unteren Fortsetzung zeigen diese Basalstücke seit- liche Auswüchse, welche anfangs als continuirliche Knorpelstäbe zwischen die beiden Hälften der Stammmuskeln bis an deren Aussen- seite sich erstrecken, also nach Ursprung und Lagebeziehung den Rippenfortsätzen der Amphibien und Amnioten ent- sprechen. Denn der Unterschied, dass sie nicht aus den oberen, sondern aus den unteren Bogen entspringen, ist durch die tiefe Lage der horizontalen Muskeltheilung bedingt, und verlangt allenfalls, sie den Rippenfortsätzen anderer Thiere nicht einfach homolog, sondern homotyp zu bezeichnen. Später gliedern sie sich in kurze Querfortsätze und Rippen, welche jedoch am ausgebildeten Thiere an Länge und Stärke verlieren«. Ich constatire aus dieser Darstellung: 1) dass die- selben Stücke, welche am Schwanze die unteren Bogen vorstellen, auch am Rumpfe vorkommen, denn ihre breiten Basen sind noch am Rumpfe vorhanden; 2) dass von diesen breiten Basen, welche dieselben sind, wie die Basen der caudalen unteren Bogen, Fortsiitze zwischen die dorsalen und ventralen Seitenrumpfmuskeln hineinwachsen, dass also diese Fortsätze von Theilen auswachsen, welche am Schwanze zweifel- los untere Bogen sind; 3) dass diese Fortsätze den Rippenfortsätzen der Amphibien und Amnioten entsprechen und Rippen abgliedern, welche folglich auch den Rippen der Amphibien und Amnioten ent- sprechen müssen. Daraus geht zur Evidenz hervor, dass die Rippen der Selachier aus Theilen entstehen, die am Schwanze untere Bogen vorstellen. Nachdem aber GOrre die Abstammung der Rippen der Selachier von unteren Bogenstücken, oder dass ich mich ganz präeis fasse, von solchen Stücken, die am Schwanze unteren Bogen un- Morpholog. Jahrbuch. 1. 21 312 C. Gegenbaur zweifelhaft entsprechen, selbst erkannt hat, und somit die Bedeutung der unteren Bogen für die Rippengenese begriffen haben könnte, kommt er zu dem Schlusse, dass sich aus jenen, oben von mir eitirten Befunden »die irrige Ansicht GEGENBAURrS von dem Uebergange auch der Selachierrippen in untere Bögen« erledige. Diese Erledigung meiner »Ansicht« bietet aber doch einige Schwierigkeiten dar, zunächst dadurch, dass eben die Rippen der Selachier von Theilen ausgehen, die am Schwanze in untere Bogen sich fortsetzen und die auch am Rumpfe noch Basen unterer Bogen sind. GOrre glaubt nun diese Schwierigkeiten damit einfach zu be- seitigen, dass er, eine Art von Ausnahmezustand statuirend, den Ursprung der Rippen von den unteren anstatt von den oberen Bogen, aus der tiefen Lage der zwischen dorsaler und ventraler Seitenrumpf- muskelmasse befindlichen horizontalen Scheidewand ableitet. Dass damit die Thatsache der Beziehung der Rippen zu un- teren Bogen in gar nichts geändert wird, muss Jedermann klar sein. Geradezu widersinnig ist aber, was GOrrn als Ur- sache für das für ihn abweichende Verhalten der Selachierrippen an- führt, denn das würde voraussetzen, dass die Rippen centripetal einwüchsen, von der Peripherie gegen den Wirbelkörper hin, dann könnte allerdings begriffen werden, wie eine andere resp. tiefere Lage der Chorda die Rippen in Beziehung zu unteren Bogen bringen konnte, mit denen sie nach unserem Autor nichts zu ihun haben sollen. Das Unzureichende seiner Argumentation fühlend, macht GÖTTE dann dem Hin- und Herschwanken damit ein Ende, dass er jene Ge- bilde »allenfalls den Rippenfortsätzen anderer Thiere nicht einfach homolog, sondern homotyp« hält. Ob er da wohl noch daran dachte, dass er dieselben Gebilde, aus denen er jetzt eine neue Rippen- species macht, einige Zeilen weiter oben als »nach Ursprung und Lagebeziehungen den Rippenfortsätzen der Amphibien und Amnioten entsprechend« bezeichnet hatte? Was soll man von dem Werthe solcher Erörterungen halten ? Wie bei den Selachiern so gehen aber auch bei Ganoiden Rippen aus unteren Bogen hervor, aber ausser diesen die Leibes- höhle an ihrem hinteren Abschnitte umsebliessenden Bildungen finden sich bei Polypterus unmittelbar darüber von Querfortsätzen entsprin- gende Knochenstiibe, welche‘ in die horizontale Scheidewand der Seitenrumpfmuskeln eindringen und bis zur Seitenlinie zum Integument sich erstreeken. Diese in ihrer Lage den Rippen der Amphibien Einige Bemerkungen zu Götte’s Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 313 entsprechenden Stücke haben aber nicht die mindeste Beziehung zu oberen Bogen, vielmehr gehen sie genau von jenen Stellen ab, welche am Schwanze untere Bogen tragen. Hätte GörrE diese Ge- bilde gekannt, so würde er sie den Rippen der Amphibien doch nicht für homolog haben erklären können, da sie nicht vom oberen Bogen entspringen. Durch diese Verhältnisse wird die Frage nach der morphologischen Bedeutung dieser Theile noch nicht be- antwortet, vielmehr zeigt sich wieder, wie die Befunde an niederen Formen von den höheren aus nicht beurtheilt werden können. Da- gegen möchten die Selachier auch hier Aufschluss geben, da bei diesen untere Bogen, wie sie am Schwanze sich finden, am Rumpfe Rippen absenden, welche zwischen dorsale und ventrale Seiten- rumpfmuskeln sich erstrecken. Anstatt nun von den Selachiern ausgehend die Rippenbildungen der höheren Vertebraten zu beurtheilen, schliesst GöTTE von den Am- phibien auf die Selachier und nimmt bei den ersteren den primi- tiven Zustand an, nach welchem die Rippe eigentlich und ausschliess- lich Produet der oberen Bogen sein soll. Hier wäre aber die Frage am Platze gewesen, ob nicht das Verhalten der Amphibien von dem der Selachier ableitbar wäre, derart, dass die Anlagen der unteren Bogen am Rumpfe eine laterale Stellung zur Chorda gewinnen, und allmälig in die Anlagen der oberen Bogen aufgehen. Schon bei den Fischen ist diese Aenderung der Anordnung der Bogenanlagen deutlich bemerkbar, und deutet auf eine Näherung der unteren gegen die oberen, ein Vorgang, der durch laterale Ausdehnung der Leibes- höhle unterstützt werden muss. Weist nun der embryonale Befund der höheren Wirbelthiere am Rumpftheile des Körpers keine disereten Anlagen unterer Bogen auf, so kann man das wohl für sich be- trachten und ausser allen Beziehungen lassen, wogegen nichts zu erinnern ist. Willman aber solche Beziehungen zu anderen Thieren auffinden, d. h. will man vergleichen, so kann das doch nicht in der Weise geschehen, wie man es bei GöTTE sieht, der folgender- weise schliesst: Bei Amphibien und den Amnioten gehen die Rippen nie von unteren Bogen aus, also können sie es auch nicht bei den Fischen, folglich können die bei den letzteren von unteren Bogen entstehenden Gebilde auch keine Rippen sein, oder wenn ihr Ver- halten als Rippen, wie bei den Selachiern, in keiner Weise in Ab- rede gestellt werden kann, so ist es nur die Lage der unteren Bogen- basen an der horizontalen Muskelscheidewand, welche die unteren Bogen zu jenen Rippen entsenden- lässt! Die unteren Bogen übernehmen 21” 314 C. Gegenbaur also da ein Geschäft, zu dem sie eigentlich nicht berechtigt sind, und das ihnen durch ihre günstige Situation nur so nebenher zufällt! Diesen merkwürdigen Argumentationen liegt die irrige Vorraussetzung zu Grunde, dass bei allen Wirbelthieren alle Organe genau in den völlig gleichen Verhältnissen ihrer Anlage sich befinden müssten, und dass in der Ontogenie keine Modificationen auch in der Anlage der Theile stattfänden, für einen »Embryologen« eine wunderbare An- sicht! Was das Verhalten der Rippen zur Museulatur betrifft, so liegt gewiss eine anscheinend bedeutende Verschiedenheit zwischen den für die meisten Teleostier bekannten Thatsachen und den Rippen der Selachier, aber diese Differenz wird geringer, wenn man bedenkt, dass es nicht etwa nur die horizontale Scheidewand der Stamm- muskeln ist, in welche die Rippen einwachsen, sondern dass jene Stellen auch den vertikalen Dissepimenten der primitiven Museulatur entsprechen. Auch die Möglichkeit, dass ein und derselbe Skelet- theil (Rippe) nach zwei divergenten Richtungen wachsend sich all- mälig in zwei Stücke sondert, wird a priori nicht auszuschliessen seins Kann man in der Anerkennung jener Verschiedenheit der Lage, auch für's erste den bezüglichen Skelettheilen einen dif- ferenten Werth beilegen, so wird man doch angesichts der gleich- artigen Entstehung der Rippen der Teleostier und jener der Selachier aus unteren Bogen noch einen Grund suchen müssen, der jene Differenz bedingt. Denn was G6rre für die Selachier anführt, kann doch wahrlich nicht als Causalmoment gelten, da es nur eine Bedingung der Möglichkeit des Einwachsens der Rippen abgibt, aber keines- wegs die Nothwendigkeit dieses Processes involvirt, wie einfach daraus hervorgeht, dass bei den unter denselben Bedingungen be- findlichen Teleostiern die knorpeligen Fortsätze unterer Bogen eben nicht dorthin einwachsen. Wir haben aber nach GörTE künftig folgende Species von Rippen zu unterscheiden: 1) Rippen der Selachier. 2) Rippen der Teleostier, sind nach GöTTE zwar keine Rippen, sondern untere Bogen. Da sie aber vabgegliedert« sind, können sie auch keine unteren Bogen mehr sein, ich erlaube mir daher sie als eine ganz besondere Rippenspecies hier anzu- führen. 1 3) Rippen der Amphibien und obere Rippen der Amnioten. Fleischgräten der Teleostier. . Einige Bemerkungen zu Gotte’s Erffwickelungsgeschichte der Unke ete. 315 4) Untere Rippen der Amnioten. Die Existenz einer fünften Species wird uns beim Sternum kundgegeben. Für das Sternum erfahren wir durch Görtz (pag. 618) dass es zweierlei derartige Bildungen gäbe, einmal »Abgliederungsproduete der Rippen, costales Brustbein, Brustbeinkörper, ferner Abgliederungs- producte des Schultergiirtels — claviculares oder coracoidales Brust- bein, — dazu kommen vordere und hintere Anhangsgebilde, welehe der äusseren Segmentschicht angehören: — Epi- und Hyposternum. Diese Skeletstücke können sich in verschiedener Weise zusammenfinden und mit einander verbinden, durch Gelenke, Nähte oder völlige Verschmelzung«. Das ist sehr viel des Befremdenden mit einem Male. Sehen wir wie es begründet wird. Also es gibt ein elavi- culares oder coracoidales Brustbein! Darunter versteht GörrE die Coracoidplatten des Schultergiirtels, die er auch als »Sternalplatten« be- zeichnet. Warum er diese Theile als Brustbein auffasst, sagt er nicht, verfährt also mit der vollsten Willkür, und wenn er dabei noch von einer Abgliederung spricht, sosupponirt er etwas noch von Niemand Beobachtetes. Wo ist jemals eine Abgliederung der ven- tralen Coracoidplatte zu einem selbstständigen Skeletstücke zu be- obachten! Statt der Thatsachen finden wir da völlig vage Be- hauptungen, ja esmuss als reine Erfindung bezeichnet werden, wenn wir lesen, dass sich »bei den Fröschen ein Homologon eines Manubriums von dem Schultergiirtel abgegliedert« hat (pag. 619). Uebrigens kann GörrtE's Deutung der Coracoidplatten als Sternum nicht einmal den Vorzug, etwas Neues zu sein, für sich beanspruchen, denn sie ist schon von BREYER gegeben worden (Observationes ana- tomicae circa fabricam Ranae pipae. Diss. Berol. 1811, pag. 8). Gleich unbegründet ist Görre's Behauptung, dass das Coracoid der Krokodile und des Chamäleons »unzweifelhaft ein Homologon des Manubrium sterni« sei. Dass daraus folgen müsse, dass die Scapula “dem Sternum ansitze, denn das Coracoid ist mit der Scapula auch bei diesen Thieren in stetem unmittelbaren Zusammenhang, das be- irrt GörrtE gar nicht. Man empfindet daher einige Ueberraschung, wenn man ferner liest, dass es für die Vögel »noch der weiteren Untersuchung zur Entscheidung überlassen« bleibe, ob ihr Sternum blos ein costales sei, oder noch andere Theile aufgenommen habe. Hat doch G6rre auch über die Krokodile keine Untersuchungen an- gestellt, oder doch keine mitgetheilt, denen zufolge das dem Sternum beweglich und discontinuirlich angeschlossene Coracoid, »unzweifel- haft ein Homologon des Manubrium sterni seic, wie das von ihm 316 C. Gegenbaur behauptet wird. Gerade der Sehultergürtel (Seapula und Coracoid) der Krokodile bietet unter den Reptilien die meiste Uebereinstimmung mit jenem der Vigel, und wenn das Coracoid der Krokodile »ein Homologon des Manubriums enthiilt«, so ist nicht einzusehen, warum das nicht auch für die Vögel gelten sollte. Doch dies nur nebenbei. Wichtig muss uns sein, dass GOrre nirgends nachgewiesen hat, dass vom Coracoid sich etwas abgliedere um sichzur Bildung eines Manubriums mit dem Sternum zu verbin- den. Es bleibt also so lange eine durchaus leere Behauptung, dass das Manubrium sterni aus Abgliederungsprodueten des Sehultergürtels entstehe, bis ein Nachweis dafür geliefert ist: Uebrigens würde GÖörTE von der Aufstellung jener Behauptung vielleicht abgestanden sein, wenn er die Monotremen berücksichtigt hätte. Diese besitzen bekanntlich ein Manubrium sterni, das sich genau so wie andere Manubria zu den Rippen verhält, aber an seinem Vorderrande die ansehnlichen Coracoidstiicke articuliren hat, ähnlich wie bei Reptilien und Vögeln. Nach Görre’s Auffassung müssten hier zwei Manubria, ein sternales und ein coracoidales, vorkommen, eine Aufstellung die den Begriff des Manubriums völlig auflösen würde: Wie verhält es sich nun mit dem »Clavicularen Brustbein?« Das Manubrium der Säugethiere sammt den Episternalstiicken soll ein solehes vorstellen. Die Begründung dazu leitet GOrre von Maul- wurfsembryonen ab (pag. 618), an denen er fand, dass ihr Manubrium aus der Verwachsung der vertebralen Enden der Schlüsselbeine ge- rade so entstehe wie das unpaare mediane Knorpelstück aus den von ihm sogenannten »Sternalplatten« des Frosches. Der Maulwurf wird mithin ohne weiteres mit dem Frosch zusammengestellt! Wie es ge- rade passt! Nun entsteht aber beim Frosch kein »unpaares me- dianes Knorpelstück« aus der medianen Verwachsung der Coraeoid- stücke. Die Annahme eines solchen: ist völlig aus der Luft ge- griffen. Wenn die beiden Coracoidstücke verwachsen, so wird da- durch kein drittes neues Stück erzeugt, sondern es entsteht nur ein in den übrigen Verhältnissen der Coracoidstücke nichts ändernder neuer Zustand der letzteren, ebenso wie durch die Sehambeinsym- physe für die Schambeine, welcher damit aber noch keinen neuen Skelettheil hervorbringt. Wollte man aber die beiden Coracoid- stiicke zusammen als Manubrium sterni betrachten, so ist das die grösste Willkür. Wenden wir uns wieder zum Maulwurf, so handelt es sich übrigens dabei gar nicht um Coracoidstücke, sondern um Schliisselbeine. Also wirft hier GOrre Coracoid und Clavicula zu- Einige Bemerkungen zu Götte’s Entwickelungsgeschichte der Unke etc. 317 sammen, Theile die in jeder Beziehung differenter Natur sind. Dieses Verfahren kann nicht scharf genug gerügt werden! Von den vertebralen Enden der Schlüsselbeine soll sich beim Maulwurf das Manubrium sterni abgliedern. Dieses Manubrium fasst aber GöTTE aus dem Manubrium aller Autoren und den von mir zuerst unter- suchten Episternalstücken bestehend auf. Die letzteren, die ich auch vom Maulwurf beschrieben und abgebildet habe, sind ausnehmend gross, entsprechend der Function der Vordergliedmaassen dieses Thieres, und sind mit breiten Flächen dem Manubrium angefügt. Die eigen- thiimlich umgestaltete Vordergliedmaasse des Maulwurfes hat so auch das Episternum beeinflusst und eine engere Verbindung der Epister- nalien mit dem Manubrium hervorgerufen, wie sie sonst nicht be- steht. Anstatt den bei Talpa leicht erklärlichen exceptionellen Zu- stand der Episternalien zu würdigen und die Regel von den Be- funden der übrigen Säugethiere herzunehmen, wird gerade die Aus- nahme zur Regel genommen. Aber die paarigen Episterna verknöchern bei Talpa ebensowenig mit dem Manubrium wie bei anderen Säuge- thieren. Es besteht also nicht der mindeste Grund diese Episternalien mit dem Manubrium zusammen als Ein Stück zu bezeichnen. Was nun die Entstehung dieser Stücke betrifft, so lässt uns GOrrE völlig darüber im Unklaren, wie er eigentlich deren »Abgliederung« von der Clavicula gesehen hat, ob er sah, dass ihr Knorpel mit jenem der Clavicula anfänglich continuirlich zusammenhing, und erst allmälig sich sonderte, oder ob er sie bereits »abgegliedert« sah. Im letzteren Falle wäre die Abgliederung nur eine unerwiesene Annahme und der ganzen Deduction käme keine Beweiskraft zu. Was die Ab- gliederung des eigentlichen Manubriums angeht, d. h. des von GörTTE als unpaares Stück bezeichneten Gebildes, so hat er daran »Spuren einer Trennung« gesehen, das beweist aber gar nichts für einen clavieularen Ursprung, denn das costale Sternum ist ja auch ursprünglich paarig. Es wird also gar nichts zu Gunsten einer thatsächlich erfolgten Abgliederung von der Clavicula angeführt, und da eine Behauptung dadurch nichts gewinnt dass sie wiederholt wird, so ist das vom Maulwurf Vorgeführte ebensowenig brauchbar zur Begründung der neuen Auffassung, als das vom Frosch Herbei- gezogene. Ueberdies vermisse ich jede Rücksicht auf die Rippen. Wenn erwiesen werden soll, dass das Manubrium (d. h. der mediane Theil des Manubrium Görte’s) keinen costalen Ursprung besitzt, sich dadurch also von einem costalen Sternum wesentlich unterscheidet, so ist doch erstes Erforderniss, dass die mit dem 318 C. Gegenbaur Manubrium verbundenen Rippen als bei der Entstehung des letzeren nicht betheiligt, es anfänglich gar nicht erreichend, nachgewiesen werden. Der doch nieht abzuleugnende Zusammenhang dieser Rippen mit dem Manubrium muss als ein secundärer, erst nach Entstehung des Manubriums aufgetretener dargelegt werden, wenn für das Ma- nubrium eine von der des Körpers des Sternum abweichende Ge- nese behauptet werden soll. Dazu findet sich bei GOrre nicht einmal ein Versuch gemacht, und daraus ergibt sich wieder, wie leicht es dieser Autor mit der Begründung seiner Aufstellungen nimmt. Dass das Episternum übrigens ein vom Manubrium sterni gesonderter Theil ist, lehren wieder die Monotremen, auf deren zweifellosem Manubrium sterni bekanntlich noch ein ansehnliches unpaares Epister- num sitzt. Die Görre’schen, theilweise auf lückenhafte Beobachtungen, theil- weise auf willkürliche Vergleichungen aufgebauten Darstellungen be- weisen also gar nichts dafür, dass das Manubrium sterni der Säuge- thiere eine claviculare Entstehung habe, sie beweisen gar nichts da- gegen, dass das Manubrium sterni der Säugethiere nicht ebenso wie sein Körper ein Product der Rippen sei, und wenn GörrE dem Manu- brium die Episternalien beirechnet, um dadurch etwas nicht aus Rippen gebildetes für sein Manubrium zu erhalten, so wüsste ich nicht was eigentlich damit erreicht sein sollte, als eine Confusion verschiedenartiger Dinge. Noch bleibt das Sternum der Amphibien zu prüfen. Ich habe als solches das frühere Hyposternum gedeutet, und bin darin nicht isolirt geblieben, da PARKER, HuxLey und viele Andere dieselbe Auffassung vertreten. GÖTTE wird zur Rückkehr zur alten Deutung durch zwei Gründe bestimmt: Erstlich: Das Sternum der Amphi- bien ist ein Erzeugniss der äusseren Segmentschicht (pag. 616) und damit seinem Ursprunge nach mehr dem Schultergiirtel als einem costalen Brustbein verwandt; zweitens kann das Sternum der Am- phibien in gar keinem genetischen Zusammenhange mit den im Rückentheile bleibenden Rippen stehen, noch jemals gestanden haben. Ehe ich diese beiden Beweisgründe beleuchte, muss noch ein Punct erwähnt werden, der zur Kennzeichnung des Standpunctes unseres Autors von Wichtigkeit ist. Als »Anfang einer Brustbeinbildung« er- kennt er nämlich die »Verbreiterung der vorderen Rippenenden bei Salamandra und den Anuren«. Diese Rippenenden liegen aber »in den Linien, in denen sich die bindegewebigen Schichten schneiden, welche die Muskelmasse der Wirbelsäule theils quer, theils horizon- Einige Bemerkungen zu Götte’s Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 319 tal in zwei übereinanderliegende Hälften, theilen« (pag. 381). Denkt man sich eine solche Rippe in dieser Richtung weiter wachsend, so stösst sie auf das Integument, und bei ventralem Weiterwachsen innerhalb der Querscheidewand der Muskeln müssten Lageverände- rungen vor sich gehen, die GörTE, bei der bedeutenden Wichtigkeit, die er der Lage jener Rippen zuschreibt, unmöglich wird annehmen können. Es liegen jene verbreiterten Rippenenden an Stellen, wo sie nimmermehr ein Brustbein bilden können, wie es als costales Gebilde den Amnioten zukommt. Es kann also jene Verbreiterung nieht den Anfang eines Brustbeins bilden. Was aber hier der »An- fang einer Brustbeinbildung« sein soll, dasselbe ist ihm früher »Rippenfortsatz«. Rippenfortsatz und Anfang einer Brustbeinbildung sind für GörreE identische Dinge. Mit demselben Rechte könnte man sagen, der obere Bogen ist der Anfang einer Brustbeinbildung, und so würde man sogar noch weiter gelangen können. Dass dem Begriff eines »Brustbeins« ausser der genetischen Beziehung noch eine durch die Lage des bezüglichen Skelettheiles bestimmte anatomische Beziehung innewohnt, daran scheint GOrre gar nicht zu denken, denn, damit die Begriffsverwirrung möglichst vollständig werde, findet er auch in den lateralen Verbreiterungen der Sacralwirbel der höheren Wirbel- thiere »das Homologon einer Brustbeinhälfte«. Das Darmbein ist also von dem Homologon einer Brustbein- hälfte gestützt! Der Begriff des Brustbeins löst sich somit in den einer Conerescenz von Rippen auf, und es ist gleichviel wo diese vorkommt. G6rre verwechselt hier einen allgemeinen und einen speciellen Begriff, die Verschmelzung von Rippen oder Rudimenten von solehen, mit dem Producte einer an bestimmter Stelle zu Stande kommenden Conerescenz. Auch mit dem Begriff der Homologie wird willkürlich geschaltet, denn die mit der Verbreiterung des Darm- beines jederseits unter sich zusammentretenden Sacralrippen, können mit dieser Verschmelzung keine Brustbeinhälften vorstellen, da sie weder zu einer Brustbeinbildung führen noch von ihr herstammen, sondern nur aus jener Verbindung mit dem Darmbein entstanden. Besteht in dem allgemeinsten Verhalten auch eine oberflächliche Aehn- lichkeit, so ist das doch lange noch keine Homologie. Was nun den ersten gegen das Sternum der: Amphibien als ein wahres Brustbein erhobenen Grund betrifft, so ist die Entstehung desselben in der äusseren Segmentschieht nicht von der Wichtigkeit, die GOrre ihr zuschreibt, denn erstens ist die fundamentale Bedeu- tung dieser Schicht eine blosse Annahme, die für jetzt noch der 320 C. Gegenbaur Begründung entbehrt, und zweitens besteht in dem bei den Amphi- bien von den Rippen unabhängig sich bildenden Sternum durchaus kein zwingender Grund dagegen, dass die Sonderung dieses Gebildes nicht auf unmittelbar daranstossende Gewebe übergreife oder davon ausgehe, und so das Sternum sogleich in die Beziehungen zum Schultergürtel setze, denen es wohl seine Erhaltung verdankt. Das Sternum der Urodelen, welches von GöTTE gar nieht berück- sichtigt wurde, erstreckt sich mit einem nicht geringen Theile aueh über die Coracoidplatten, nach innen von denselben, liegt also somit im Bereiche der inneren Segment- schicht. Ob die Bildung dieser inneren Platte des Sternums der Urodelen nicht auch von der inneren Segmentschicht ausgehe, ist zwar nicht erwiesen, allein auch das Gegentheil ist nicht festgestellt, und damit ist für die Urodelen die Möglichkeit nicht in Abrede zu stellen, dass die erste Entstehung des Sternums von der inneren Segmentschicht ausgehe. Da das Sternum der Urodelen in seinem Verhalten zum Schultergürtel für dessen Coracoidstücke es tiefe Einschnitte besitzt, viel vollständiger als jenes nur dem Hinterrande des Schultergürtels der Anuren mit beschränkter Fläche angefügte sich darstellt, muss in ihm ein primitiverer Zustand erkannt werden, und die Beurtheilung des Sternums der Amphibien hat von da aus ihren Ausgang zu nehmen. Alle diese Verhältnisse werden von Görtz vollständig ignorirt. Er findet bei einem Anuren eine Beziehung der Sternalanlage zu einer gewissen Schicht, deren Werth dureh den noch nicht vorhandenen Nachweis der Beständigkeit ihrer Sonderungsproduete in einer grösseren Zahl der Wirbelthiere noch gar nicht feststeht, und folgert daraus die gleiche Genese bei allen Amphibien, obschon er wissen könnte, dass in einer sehr grossen Abtheilung der Amphibien das Sternum andere Verhältnisse darbietet, solche, die nicht gestatten, es ohne weiteres als aus der äussern Segmentschicht entstanden und damit als etwas besonderes, als Hyposternum, anzusehen. Eine genauere Kenntniss des Schulter- giirtels der Amphibien und des Sternums derselben, und wäre sie auch nur aus dem durch vortreffliche Abbildungen erläuterten Werke W. K. Parker’s gewonnen, würde unseren Autor auf andere Bahnen geführt, mindestens zu vorsichtigeren Aeusserungen be- stimmt haben. Ein zweiter Grund gegen die von mir gegebene Deutung des Hyposternum der Amphibien soll in dem mangelnden Zusammenhang mit Rippen liegen. Wenn das Sternum von den Rippen aus ent- Einige Bemerkungen zu Götte's Entwickelungsgeschichte der Unke etc. 321 steht, so kann da kein Sternum vorkommen, wo keine Rippen sich finden, wo ein ihm ähnliches Skeletstiick nieht mit Rippen verbun- den ist. Das wäre ganz richtig, wenn die Prämisse nicht Ein- sehränkungen erfahren müsste. Mit einiger Bestimmtheit kann nur gesagt werden, dass überall da, wo mit dem Sternum Rippen in Verbindung stehen, das Sternum als ein Product dieser Rippen ent- standen ist. Unter den Reptilien sind aber Fälle bekannt, in denen ein Sternum vorkommt, ohne Zusammenhang mit Rippen. Es sind die schlangenartigen Eidechsen, deren Sternum mit jenen der anderen Eidechsen völlig übereinstimmt, aber der Verbindung mit Rippen entbehrt, z. B. bei Pseudopus. Uebergangszustiinde zu den mehr- facheRippenpaare tragenden Sternalbildungen fehlen keineswegs, denn bei Pygopus tritt jederseits eine Rippe zum Sternum. Diese hier nur ganz kurz berührten Verhältnisse scheint Görtz gleichfalls gar nicht gekannt zu haben, sonst würden seine Aeusserungen über Sternal- bildungen minder apodietisch gewesen sein. Aber es bedarf gar nicht der Beziehung auf solehe Verhältnisse aus anderen Classen. GÖTTE bietet uns selbst ein recht treffendes Beispiel dar, indem er das, was ich bei Bombinator als Sternum auffasste, aus der Vereinigung zweier kleiner Knorpelplatten, und zweier unmittelbar dahinter liegender, schräg gerichteter längerer Knorpelstücke entstanden nachwies. Das hintere Knorpelpaar fasst Görte als »Bauchrippen« auf. Sie bilden die fünfte Speeies von Rippen, die wir aus dem Werke GörrE’s kennen lernen. Wenn dies Rippenbildungen sind, und das müssen sie doch sein, wenn man sie als Bauchrippen bezeichnen kann, so liegt hier die Entstehung eines ventralen Rippenabschnittes ohne allen Zusammenhang mit einem vom Wirbel her gebildeten Rippentheile vor. Es kann also unzweifelhaft ein Rippenabschnitt auch ohne Zusammenhang mit der Wirbelsäule entstehen, und nun frage ich, wie war es möglich, dass GGrrn, nachdem er ein paariges Rippenrudiment gefunden hatte, welches mit noch zwei anderen Knorpelehen in ein dem Sternum anderer Amphibien übereinstimmen- des Gebilde eingeht, dessenungeachtet behauptet, dass das Sternum der Amphibien nur ein Anhang des Schultergürtels sei und nichts mit einem eostalen Sternum gemein habe? Wohl mag ihm die Lage jener »Bauchrippe« im M. rectus abdominis Anlass zu jener Auffassung gewesen sein, die dann selbstverständlich zu einer ganz anderen Werthschätzung des Gebildes hinführt. Aber für all das muss der höchst redueirte Zustand mit in Betracht genommen werden, der bei den Anuren besteht. Wenn das System der geraden Bauchmuskeln 322 C. Gegenbaur nach GOrre aus der inneren Segmentschicht ebenso hervorgeht wie jene Gewebschicht, in welche die Rippen hineinwachsen, so kann es selbst fiir GörrE nicht auffallend sein, wenn im M. rectus eine Rippe zur Sonderung kommt, die in die Sternalbildung mit eingeht. Was die beiden vor den »Bauchrippen« gelegenen Knorpelchen betrifft, so möchte ich dieselben gleichfalls für Rippenrudimente halten. GÖTTE hält sie für homotyp mit dem Hyposternum der Frösche, bei denen es nicht zur Bildung jener Bauchrippe kommt. Fassen wir das über das Sternum Erfahrene zusammen, so kommen wir zu dem Ergebniss, dass fünf differente Sternalbildungen vorkommen, oder sogar noch mehr, wenn wir die mannigfachen Combinationen dazu zählen wollten. Es gibt nach GOrTE: 1) ein claviculares Sternum, ein coracoidales Sternum, 3) ein costales Sternum, 4) ein von einer Bauchrippe gebildetes, 5) das Hyposternum, welches aus der äusseren Segmentschicht entsteht, indess die andern alle aus der inneren hervorgehen. Da ich die Deutungen der ventralen Schenkel des primären Schultergürtels bereits vorhin beim Brustbein betrachtet habe, dem Görre die Coracoidstiicke als angebliche »Abgliederungen des Schulter- gürtels« zugetheilt hat, so bleibt nur noch eine Bemerkung über die Clavicula übrig. Ich glaube die Geschichte dieses Knochens aus- führlich dargelegt zu haben. Von GörtE, der ohne jede Be- griindung das Procoracoid sammt dem Schliisselbein für Einen Skelettheil ansieht, den er ohne weiteres für das »Schlüsselbein« erklärt, erfahre ich natürlich Widerspruch, denn die Gründe, welche ich für meine Deutung angeführt hatte, sind für jenen »nicht entscheidend«. Dass ich damit noch sehr glimpflich weg- gekommen bin, habe ich dem Umstande zu verdanken, dass der Verfasser der »Grundlage der vergleichenden Morphologie« auf eine eingehende Kritik verziehten muss, da ihm »genügende vergleichende Beobachtungen über die Entwicklung der entsprechenden Theile an- derer Wirbelthiere fehlen«. Von der Art seiner Kritik gibt GOrTE übrigens an demselben Orte (pag. 617) eine neue characteristische Probe: Da ich es für möglich hielt, dass bei den Schildkröten die Clavicula ins Procoracoid aufgenommen sei, »so könnte eine solche Vereinigung in dem Schlüsselbeine der Säugethiere ebenfalls be- stehen, dieses also der Clavicula und dem Procoracoid, wo sie ge- trennt vorkommen, entsprechen«. Wie es möglich ist, von den Schild- > Einige Bemerkungen zu Gitte’s Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 323 kröten auf die Säugethiere zu kommen, kann man nur begreifen, wenn man alle Verwandtschaftsbeziehungen der Wirbelthiere so gründ- lich ignorirt sieht, wie es in dem vorliegenden Buche iiberall, man möchte sagen grundsätzlich geschieht. Das Skeletder Gliedmaassen hat G6rre nicht in den Be- reich seiner Untersuehungen gezogen, aber desto entschiedener über die Gliedmaassen selbst abgeurtheilt. »Mit Rücksicht darauf, dass die Gliedmaassen bis in die Reihe der Amnioten hinauf vollständig fehlen können, ferner oft in engeren mehr oder weniger verwandten Kreisen eine ansehnlich wechselnde Ausbildung zeigen, müsste sie schon der Anatom aus der Reihe allgemein typischer Theile streichen« (pag. 469). Es sind also typisch unwichtige Dinge! Fast könnte ich nach solehem Urtheilsspruche mit einiger Wehmuth und Reue auf die Bemühungen blicken, die ich Jahre hindurch zur Herstellung eines Verständnisses des Gliedmaassenskelets aufgewendet habe. Doch sehen wir uns die eliminirenden Gründe etwas näher an. Zu- erst muss bemerkt werden, dass noch niemand die Gliedmaassen als allgemein typische Theile aller Wirbelthiere bezeichnet hat, seit man die Cyelostomen und Amphioxus zu den Wirbelthieren zählt. Aber dem Gnathostomen kommen sie als »allgemein typische Theile« zu, und zwar ebensogut wie die Kiemenbogen die doch auch GÖTTE als typische Theile betrachtet, obschon sie den Cyelostomen wie Amphioxus fehlen. Dass die Gliedmaassen ausser Gebrauch gesetzt sich rückbilden, und in einzelnen engeren Abtheilungen völlig schwinden können, ist doch kein Grund sie vom typischen Skelet der Gnathostomen auszuschliessen. Reducirt sich doch der mächtige Kiemenbogenapparat der Fische auf einige kümmerliche _ Skelettheile bei den Säugethieren, und Niemand fällt es ein, den Schwanz der Wirbelthiere aus den typischen Theilen zu streichen, weil er sehr wechselvolle Ausbildungen und Rückbildungen aufweist, oder vielleicht von der Wirbelsäule nur die Anzahl von Wirbeln für typische zu erklären die der Minimalzahl entspricht, so dass auch darin die Unke zum mustergültigen Paradigma würde. Also dürfte nur die spätere Differenzirung die Gliedmaassen von andern typischen Organen der Gnathostomen verschieden erscheinen lassen. Dieses späte Auftreten wird begreiflich, sobald man die Gliedmaassen als auch phylogenetisch spät in diesen Zustand eingetretene Organe be- trachtet, eine Auffassung, die GörTTE von seinem jeden Zusammen- hang der Organismen verwerfenden Standpuncte aus, perhorris- eiren wird. 324 C. Gegenbaur Dagegen erhalten wir eine Erklärung für die Ausbildung wie für die Verkümmerung der Gliedmaassen: »Je allmäliger der Ueber- gang in der Ausbildung der Segmente vom Kopfe bis zum Schwanz- ende ist, je gleichmässiger sich also auch grössere Körperabschnitte gestalten, desto weniger Gelegenheit findet sich, den Zufluss an Bildungsmaterial an einzelnen Stellen zu concentriren; jene Be- dingungen finden aber ihren Ausdruck theils in einem langgestreckten Rumpfe, theils in einem stark entwickelten vom Rumpfe nicht abge- setzten Schwanze, so dass wir in einer solchen gleichmässigen Ver- theilung der Körpermasse, oder in der embryonalen Disposition da- zu, den Grund für eine unvollkommene Ausbildung der Gliedmaassen, oder einen vollständigen Mangel derselben erkennen dürfen, während ihre kräftige Entwickelung mit einer ausgeprägten Sonderung der Körperabsehnitte zusammenfällt« (pag. 616). Mit diesen und ähn- lichen Exeursen ist aber weder für die Ausbildung noch für die Riickbildung etwas erwiesen. Dass da, wo sich keine oder nur rudi- mentäre Gliedmaassen bilden, auch die Anlage dazu fehlt oder rudi- mentär ist, gibt keinen Grund dafür ab, weshalb die Anlage fehlt oder rudimentär ist. Soll das aber in der Gleichmässigkeit der Körpersegmente gesucht werden, so wird damit Ursache und Wirkung verwechselt. Die Körperanlage besteht aus gleich- mässigen Segmenten bis zur Differenzirung der Gliedmaassen, mit deren Beginn jene Gleichmässigkeit schwindet, und zugleich die grösseren differenten Körperabsehnitte hervortreten. Die Ausbildung der Gliedmaassen erscheint dadurch als das Bestimmende, und nicht umgekehrt. Wenn die Gleichartigkeit der Körperabschnitte dem »Zufluss von Bildungsmaterial« weniger Gelegenheit bieten soll sich an einzelnen Stellen zu concentriren (man beachte genau den Wortlaut dieses Satzes!), so ist es völlig unbegreiflich, wie es überhaupt zu einer Extremitätenbildung kommen kann, denn vor derselben sind die ein- zelnen Körperabschnitte immer gleichartig, oder gehen unmerklich in einander über. Es wäre also bei dem von GÖTTE angenommenen Causalmomente eine Entwicklung von Extremitäten ganz unmöglich. So gelangt Görte zu dem Absurdum, dass etwas als Ursache gelten soll, welches, wenn es bestände, das gerade Gegentheil entstehen lassen müsste. In dem der Entwieklung des Kopfes gewidmeten Capitel tritt begreiflicher Weise der schärfste Gegensatz zwischen den Ergeb- nissen meiner auf die vergleichende Anatomie der Selachier ausge- Einige Bemerkungen zu Götte’s Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 325 dehnten Untersuchungen, und den Resultaten aus der Entwicklung de Unke hervor. Meine Untersuchungen sind werthlos, denn sie haben ihr »Ziel verfehlt«, meine Folgerungen sind irrig, meine Hypothesen unglücklieh, und bei alledem kann ich jetzt nach dem Studium des Görre’schen Buches aussagen, dass ich durch die bogenlangen Wider- legungen, die darin meine Arbeit erfahren hat, nur zum Festhalten an den Ergebnissen derselben gelangt bin. In all’ den langen Excursen sehe ich gar nichts von dem aus den Fugen gerückt, was ich auf- gestellt habe. Ich war davon ausgegangen, dass die Selachier die niederst stehenden Repräsentanten der gnathostomen Wirbelthiere seien, und habe das durch deren Organisation zu begründen versucht. Dann gab ich eine anatomische Darstellung des Kopfskelets in seinen Be- ziehungen zu den Kopfnerven und anderen Organen, und aus allen diesen thatsächlichen Verhältnissen zog ich für's Einzelne wie für’s Ganze eine Anzahl von Schlüssen, zu denen ich mich für berechtigt hielt. All’ das bezog sich nur auf die Selachier, welche die empi- rische Unterlage geboten hatten. War die Voraussetzung bezüglich der Selachier richtig, so ergab sich bei der Annahme eines ver- wandtschaftlichen Zusammenhangs der Vertebraten von selbst, dass auch für die Genese des Kopfskelets der höheren Vertebraten die gleiche Auffassung zu Grunde gelegt werden durfte. Wer meine in jener Art begründete Auffassung bezüglich der phylogenetischen Entstehung des Kopfskelets, oder eigentlich des gesammten Kopfes widerlegen wollte, der musste vor Allem meine Voraussetzung widerlegen, und musste demgemäss darthun, dass den Selachiern jene Stelle nieht zukomme, die ich ihnen zuschrieb. Das musste das Erste sein. Dann musste nachgewiesen werden, dass meine anatomischen Angaben unrichtige, oder, dass die Folge- rungen, die ich daraus zog, falsche seien. Von alledem ist durch Gérre nicht einmal ein Versuch gemacht worden. Er hat nicht er- wiesen, dass die Selachier nicht die niedersten Gnathostomen seien, dagegen finden wir die Behauptung, dass in Beziehung auf »die so- genannte paläontologische Entwickelung des Wirbelthierkopfes« »die Batrachier, vor allem die Anuren«, auf die Cyclostomen folgen, und »nicht die Selachier«, eine Reihenfolge, für welehe ich mir die Kritik ersparen will. Gorre hat ferner keine einzige der von mir für meine Folgerungen verwertheten Thatsachen widerlegt, noch die Schlüsse selbst als unriehtige darstellen können. Gibt er sich den 326 C. Gegenbaur Anschein der Widerlegung meiner Folgerungen, so sind die Griinde, auf die er sich stützen will, hinfällig, oder er schiebt mir Behaup- tungen zu, die ich nicht aufgestellt habe. So sagt er, ich hätte die Kiemenbogen für homolog mit den Rippen erklärt und gibt in Aus- einandersetzung der Verschiedenheit der Lagerung beider zu ver- stehen, wie gross dieser Irrthum sei. Ich will darauf nur anführen, was ich pag. 256 meiner Untersuchungen (III. Heft) über diese Ver- hältnisse äusserte: »Vermag man in den Rippen untere Bogen- bildungen zu erkennen, welche sich mit den im Visceralskelet vor- liegenden unteren Bogenbildungen ähnlich verhalten, so könnte man zur Aufstellung einer Homodynamie beider Gebilde schreiten, wenn nachzuweisen wäre, dass auch im übrigen Verhalten gleiche Be- ziehungen vorlägen. Darunter verstehe ich das Verhältniss zur Leibeswand, welches für Rippen und Visceralbogen kein ganz gleiches ist. Während die Wandung der primitiven Schlundhöhle dem Vis- ceralskelet unmittelbar anlagert und von den branchialen Spalten (Kiemenspalten) durchbrochen ist, erscheinen Rippen in einem un- unterbrochenen Abschnitte der Leibeswand, welehe nicht die in den Darmeanal fortgesetzte Schlundwand umlagert, sondern die den Darmeanal frei umgebende Leibeshöhle, und darin liegt also eine sehr bemerkenswerthe Verschiedenheit für beiderlei Gebilde. Sie würden sicher homodynam sein, wenn die Rippen einmal Visceral- skeletbogen, oder die letzteren einmal Rippen wären, d. h. wenn anzunehmen wäre, dass an der Rumpfwand die gleichen Verhält- nisse wie an der Schlundwand bestanden hätten oder umgekehrt. Für eine solche Annahme besteht keine Thatsache, die sie zur Hy- pothese erheben könnte, daher darf ihr kein Recht eingeräumt wer- den. Demzufolge vermag ich keine vollständige Homodynamie zwischen den ventralen Bogen des hinter dem Kopfskelete liegenden übrigen Körpers anzuerkennen, und sehe in beiden nur Bildungen, die an beiden Abschnitten selbstständig, aber durch eine gleiche Erscheinung, nämlich die dem Wirbelthiertypus eigene Art der Me- tamerenformation hervorgegangen sind«. Wie kommt nun GÖTTE dazu, mir ein Zusammenwerfen der Rippen und der Bogen des Visceral- skeletes zuzuschreiben, nachdem ich sie für völlig von einander unab- hängige und auch differente Bildungen erklärt habe, die nur das gemeinsam besitzen, dass sie untere Bogenbildungen sind. Oder sind die Visceralbogen keine Bogen, oder besitzen sie keine nach unten gehende Lage? GörrE hat also nicht zu unterscheiden ver- mocht, dass ich zwischen einer im allgemeinsten Verhalten liegenden Einige Bemerkungen zu Götte’s Entwickelungsgeschichte der Unke etc. 327 Uebereinstimmung und einer speciellen Homodynamie scharf genug getrennt habe, indem ich Rippen und Visceralbogen für eigenartige Bildungen erklärte. Mit dieser Fietion einer von mir angenomme- nen Gleichartigkeit von beiderlei Gebilden operirt er nun weiter. So sagt er gelegentlich der Vergleichung des Gliedmaassenskeletes mit dem Visceralskelet, dass ich »bei der Erwähnung jener Ver- gleichung offenbar die ganzen Skeletcomplexe im Auge hatte und daher consequenterweise bei der angeblichen Uebereinstimmung der inneren Kiemenbogenknorpel mit Rippen von einer Homologie jenes ganzen Complexes nicht reden konnte. Um so leichter lässt sich unter solchen Umständen der kiemenstrahlentragende Unter- kieferbogen der Haie mit deren ganzen Gliedmaassen in Parallele bringen« (pag. 727). Also hier wieder eine » Uebereinstimmung der Kiemenbogenknorpel mit Rippen!« Deshalb hätte ich, so muss ich die höchst unklare Darstellung verstehen, die Vergleichung nicht ausführen können, was denn von ihm geschähe. Das soll wohl sein »in Parallele bringen« bedeuten. Wie GörtE das »um so leichter « kann, bleibt mir freilich wieder unverständlich. Sieht man sich nun die von GörTE eitirte Stelle in meinen Untersuchungen (pag. 181) näher an, so wird man finden, dass ich da von einer » Entstehung des Gliedmaassenskeletes aus einer mit dem Kiemenbogenskelet gleichartigen Bildung« spreche, also nicht blos das Skelet der freien Gliedmaassen, sondern auch den Gliedmaassengiirtel in die Ver- gleichung mit einbezog. Da es mir aber keineswegs um vage Ver- gleichungen zu thun war, und beziiglich der hinteren Gliedmaassen — wie an jener Stelle gleichfalls angeführt ist — und deren Ab- leitung von einem Theile des Visceralskeletes grosse Schwierigkeiten bestehen, habe ich vorsichtig mich auszudrücken für gut befunden. Für Gorrre, der die Gliedmaassen »aus einem concentrirten Zufluss von Bildungsmaterial an einzelnen Stellen« entstehen lässt, gibt es jene Schwierigkeit nicht, zu was aber dann nach Vergleichungen mit dem Visceralskelet gesucht wird, ist mir unerfindlich, denn es ist ja dann ganz gleichgültig, ob das Gliedmaassenskelet »in Parallele« zu bringen ist oder nicht. Aus den vorstehenden Beispielen kann ersehen werden, wie unser Autor meine Darstellungen behandelt. Auf eine Widerlegung aller der Puncte einzugehen, in denen er mir entgegentritt, ver- möchte ich nieht, ohne diese Blätter zu einem Buche anwachsen zu lassen. Bei der fundamentalen Verschiedenheit seines und meines Standpunctes würde sich eine solehe auf das gesammte Detail ein- Morpholog. Jahrbuch. 1. 22 328 C. Gegenbaur gehende Kritik der bezüglichen Abschnitte des Werkes auch nicht der Mühe lohnen. GörrE fand in der Entwicklung des Kopfes der Unke nicht die Dinge, die ich nach der Vergleichung des Baues des Kopfskeletes und der Nerven der Selachier erschlossen habe. Er findet z. B. in der ersten Anlage vier Segmente, von denen das erste dem 'Trigeminus, das zweite dem Facialis, das dritte dem Glossopharyngeus, das letzte dem Vagus entspricht. Also ist nicht jene Vielzahl von Metameren vorhanden, aus der ich den Kopf her- vorgehen lasse; dass der Vagus der Unke die reduzirtesten Verhält- nisse selbst im Vergleiche mit jenen anderer Anuren darbietet, da er nur eine Wurzel besitzt, während er sonst deren drei darbietet (vergl. Fischer: Amphib. nud. neurolog. Berol. 1843), ist unserem Autor bedeutungslos, und wird nicht einmal erwähnt. Der Vagus ent- spricht einem einzigen Segment, nicht vielen, wie ich behaupte u. s. w. Diese Polymerie des Vagus, die am ganzen hinteren Abschnitt des Kopfes bedeutende Umgestaltungen voraussetzt, wiederholt sich nicht mehr ontogenetisch, denn schon die ganz ausserordentliche Kluft, die zwischen Acrania und Craniota besteht, und die zudem noch in der Differenzirung des Auges und des Gehörorganes sich von bedeutender Weite erweist, macht begreiflich, dass jene niederen Zustände weit zurückliegen müssen. Da ich Gründe für diese Po- lymerie des Vagus beigebracht hatte, so müsste er diese Gründe wider- legen, ebenso wie jene Gründe, die ich als Causalmomente für das Zusammentreten dieses Nervencomplexes zu Einem Nerven auf- geführt hatte. GÖörrE hat aber nur zu zeigen versucht, dass von jenem bei der Unke nichts vorkommt. — Auf Grund des Verhaltens der Nerven zum Cranium wie zu dem Visceralskelet schied ich das Cranium in zwei Abschnitte, einen vertebralen, hinteren, und einen prävertebralen vorderen. Das ist gleichfalls unrichtig, denn der vor- derste Abschnitt wird vom vordersten Kopfsegment vorgestellt. Diesen Kopfsegmenten entsprechen »vier Wirbelanlagen « des Schidels, die aber doch wieder keine Wirbel sein können, denn .die Segmente, in denen sie entstehen, werden als, von jenen des Rumpfes ganz verschiedene Gebilde hingestellt, zu was denn aber von Schädel- wirbeln sprechen, wenn es doch keine wirklichen sind! Auch eine besondere Art von Metamerie gibt es da. Die den vier Kopfseg- menten entsprechenden Bogen, also der Kiefer-, nach GöTTE nur Un- terkiefer-Bogen, der Zungenbein- und der erste und zweite Kiemen- bogen sind ventrale Abschnitte dieser vier Segmente, die übrigen Kiemenbogen der Craniota stellen dagegen »keine einfache Meta- Einige Bemerkungen zu Götte’s Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 329 merenbildung, sondern eine eomplieirte seeundäre Erscheinung dar« (pag. 741). Also vordere und hintere Kiemenbogen sind durchaus differente Gebilde, und wie das komme, dass anatomisch über- einstimmende, entschieden homodyname Organe, die noch dazu die gleiche physiologische Bedeutung erkennen lassen, zu dieser Differenz gelangen, das ist für Görtz der Frage ebenso wenig werth, als ihm ein Zweifel daraus erwächst, ob denn die jene Verschiedenheit be- gründen sollende Forschungsweise auch auf richtiger Methode beruhe ! Vier Segmente die doch wieder keine Segmente sind bei der Unke nachgewiesen, und die »endgiltige Entscheidung« über den Aufbau des Kopfes aller Wirbelthiere ist gefällt (pag. 719)! GOrre geht dabei wieder von der Voraussetzung aus, dass Alles, was ursprünglich einmal sich gebildet habe, immer ontogenetisch in derselben Weise wiederkehren müsse, dass da gar keine Ver- änderungen stattfänden, dass der ontogenetische Entwicklungsgang der Unke auch dem phylogenetischen entspräche, aber nieht nur der Unke, sondern dem aller übrigen Wirbelthiere. Da ich wohl wusste, — und das zur Zeit der Abfassung des dritten Heftes meiner Unter- suchungen vorliegende entwicklungsgeschichtliche Material war völlig ausreichend dazu und ist durch den von GOrre gelieferten Beitrag nicht wesentlich vermehrt worden — dass die Ontogenie für die Phylogenie des Kopfes höherer Wirbelthiere, zu denen ich in Bezug auf die Selachier auch die Amphibien rechnen muss, keine Grund- lage, selbst nicht einmal für die Phylogenie des Kopfes der Selachier abgeben konnte, habe ich eine vergleichend-anatomische Basis für jene Phylogenie zu gewinnen versucht, und zwar bei den Selachiern selbst. Da will nun Görtz mit der Entwicklung der Unke erweisen, dass alle jene bei Selachiern gewonnenen Folgerungen falsch seien, und zwar, weil bei der Unke nichts von jenen Befunden, auf die ich mich stütze, vorkomme. Nie aber hatte ich gesagt, dass dieselben bei der Unke vorkommen sollten, ja ich war sogar davon ausge- gangen, dass sie in der Ontogenie der höheren Vertebraten nicht mehr bestehen. In der That hat GOrre aber nur gezeigt, dass bei der Unke nichts mehr davon vorkommt. Wenn »die vergleichende Entwicklungsgeschichte der Craniota« nicht gestattet, die Folgerungen zu ziehen, welche ich aus dem Baue des Selachierkopfes ziehen musste, so liegt der Grund einfach darin, dass mit der individuellen Entwieklung des Kopfes alle jene Faetoren in Thätigkeit treten, welche auch phylogenetisch um- gestaltend wirkten, so dass je weiter ein Zustand phylogenetisch 225 330 C. Gegenbaur zurückliegt, er um so weniger ontogenetisch repräsentirt erwartet werden darf. Doch das sind oftmals demonstrirte Dinge, über welehe die Auseinandersetzung mit einem Autor unmöglich ist, der von völlig anderen Voraussetzungen ausgeht. Damit aber auch von dem über den Kopf handelnden Abschnitt das Verfahren GOrre’s die nähere Würdigung erfahre, erlaube ich mir dieses an einem Beispiele vorzuführen. Von den der Metamerie folgenden Nerven hatte ich den Optieus und Olfactorius ausgeschlossen. Bezüglich des ersten glaubte ich mich, wie GÖTTE richtig voraussetzt, in Uebereinstimmung mit allen neueren Embryologen, denen zufolge Opticus sammt Retina eine Differenzirung aus der Gehirnanlage ist. Das, was GörrE über die Entstehung der primären Augenblase angibt, modifieirt zwar die An- gaben Jener etwas, lässt aber doch so viel erkennen, dass hier andere Vorgänge als bei meinen metameren Nerven obwalten, und dass seine Aussage, es sei gar keine Verschiedenheit, durch ihn selbst wider- legt wird. Unser Autor sagt: »Auch kann ihre (des Optieus und Olfaetorius) Bedeutung als Centralorgan gegen ihre Vergleichung mit peripheri- schen Nerven gar nicht aufgeführt werden, da die embryologischen Beweise, auf welche GEGENBAUR sich stützt, nicht stichhaltig sind«. Dagegen will ich mich zum Olfaetorius wenden, für welchen GÖöTTE angibt, bei den Batrachiern nachgewiesen zu haben, » dass sein Stamm nicht aus einer unmittelbaren Verschmelzung der Ge- ruchsplatte und des Vorderhirns, sondern durch Vermittelung einer zwischengelagerten Masse des mittleren Keimblattes entsteht« (pag. 720). Weit davon entfernt, diese Angaben in Zweifel zu ziehen, will ich nur untersuchen, was GÖTTE unter dem Olfactorius der Batrachier versteht. Dazu haben wir auf pag. 295 die Basis erhalten. Dort heisst es: »Sehr nahe an seinem Vorderende und an der Grenze seiner Seiten- und Bauchfläche verschmilzt jeder Lappen (des Grosshirns) mit der Auskleidung der angrenzenden Nasengrube, da- rauf wird zwischen beiden Organen eine Brücke ausgezogen, das Bündel der Riechnerven, und wo dieselben vom Grosshirnlappen entspringen, entwickelt sich an letzterem ein kleiner rundlicher oder länglicher Hügel, der Rieehnervenhügel. Die Grosshirnlappen wachsen nun über die Grenzen der Riechnervenhügel hinaus; dieses Wachsthum beruht aber nicht auf einer einfachen Längenausdehnung der hohlen Lappen, sondern wird durch die Bildung solider Fort- sätze ihrer Vorderwand hervorgebracht, welche auch äusserlich durch Einige Bemerkungen zu Götte's Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 331 seichte Furchen von ihrem Mutterboden sich abgrenzen. An der Bauchfliche der Grosshirnlappen erkennt man deutlich, dass jene dicken Auswiichse unmittelbar vor den Riechnervenhiigeln, von den ersteren ausgehen und in dem Maasse, als sie sich verliingern, eine etwas diinnere strangartige Fortsetzung jener Hiigel, welche ihnen eng angeschlossen und mit ihnen verwachsen bleibt, mit hervor- ziehen. An einjährigen Thieren scheinen diese Stränge noch die einzigen Wurzeln der Riechnerven zu bilden, an älteren Exemplaren dagegen treten ganz offenbar noch besondere Faserzüge, aus den soliden Auswüchsen zum Vorderende der Stränge, um mit ihnen ge- meinsam das Bündel der Riechnerven zu bilden. Diese Faserzüge sind aber nach meiner Ansicht nachträgliche Bildungen, veranlasst durch die innige Verbindung der Stränge mit der Bauchfläche des Hirns. Ursprünglich sind jene soliden Auswüchse der Grosshirn- lappen getrennt, aber schon in etwas grösseren Larven findet man sie in der Medianebene verschmolzen, so dass nur eine seichte Furche ihre frühere Trennung andeutet. Sie bilden also eine vor- dere Verbindung der Grosshirnlappen, während diese im grösseren Verlaufe ihrer Länge getrennt bleiben «. In Vorstehendem liegt nun das entwicklungsgeschichtliche Ma- terial vor zur Prüfung der Folgerungen, welche unser Autor daraus zieht. Bei dieser Kritik habe ich zweierlei zu sondern, erstens die Bedeutung der geschilderten Thatsachen für die von GÖTTE gegen mich hervorgehobene Auffassung des Olfactorius als eines von den übrigen Kopfnerven gar nicht verschiedenen Nerven, und zweitens die Bedeutung jener Thatsachen für die Folgerungen, welche GöTTE daraus für die bezüglichen Hirntheile zieht. Ich wende mich zu dem ersten Puncte. Hier hat man sich zu- erst zu vergegenwärtigen, dass, da es sich um einen Nerven han- delt, diesem selbstverständlich eine Summe von Eigenthümlichkeiten zukommt, die er mit anderen Nerven theilen muss, denn im anderen Falle, wenn er solehe Uebereinstimmungen nicht besässe, wäre er überhaupt gar kein Nerv. Dagegen wird nichts einzuwenden sein. Sehen wir uns also nach den Besonderheiten um, so wird doch nieht behauptet werden können, dass in dem Ursprung vom Vorder- hirn nichts Besonderes, Eigenartiges liege, den übrigen von mir als metamere Hirnnerven aufgefassten Nerven gegenüber, welche vom Nachhirn (der Medulla oblongata) — selbst bei der Unke! — her- vorgehen. Findet sich dann in dem Endigungsgebiete des Olfactorius nichts besonderes, wieder jenen anderen Nerven gegenüber? Endlich, 332 C. Gegenbaur ist nichts Eigenthiimliches darin zu erkennen, dass urspriinglich die einzelnen Fäden der Riechnerven unmittelbar zum Endorgan ver- laufen, wie das bei den Selachiern der Fall ist? Dass das Endorgan anfänglich dicht an der Ursprungsstätte liegt? Dass der Nery aus- schliesslich zu diesem tritt? GörrE wird vielleicht sagen, dass auch der Opticus und der Acusticus solehe Zustände darbiete. Das acceptire ich für den Opticus, dem ich ja selbst eine exemte Stellung eingeräumt habe, wenn es mir auch nicht einfiel, ihn dem Olfaetorius nahe verwandt zu halten. Und was den Acusticus an- geht, so wird jedem, der die ontogenetischen Thatsachen nicht gedankenlos, nur als die Produete von Verschiebungen von Zellen ansieht, so viel klar werden, dass die Genese des Labyrinthbläschens eine ursprüngliche Endigung dieses Nerven am Integumente mit Nothwendigkeit voraussetzen lässt, dass also ursprünglich ganz an- dere Verhältnisse, und zwar von dem späteren auch ontogenetisch auftretenden Befunde der Cranioten sehr verschiedene, bestanden haben müssen. Das was dem entgegen GÖTTE, auf seine Unter- suchungen bei der Unke gestützt, mit vielem Nachdruck aufführt, berührt jene aus der Genese des Labyrinthbläschens geschöpften Folgerungen in gar keiner Weise, denn es wird damit nicht etwa ein anderer die Phylogenese erklärender Vorgang nachgewiesen, sondern der an sich gänzlich unverständliche ontogenetische Process dem nicht direet nachweisbaren, sondern nur zu erschliessenden phylogenetischen substituirt. Was dann noch speciell die embryologischen Beweise angeht, auf welche ich mich stütze und welche für die Begründung einer besonderen Stellung des Olfactorius nicht stichhaltig seien, so gibt GörrE damit sehr wenig zureichende Kenntnisse des bei Selachiern bestehenden Verhältnisses kund, auf welche meine Darstellung sich zunächst bezieht. Ich habe darin einen centralen Theil und einen peripherischen unterschieden, und als ersteren den Bulbus sammt seinem Traetus, als letzteren den vom Bulbus entspringenden, un- mittelbar zur Riechschleimhaut tretenden Complex feiner Fädchen bezeichnet. Der Bulbus ist ein aus dem Vorderhirn sich sondernder Theil, der bei Embryonen der Seite des Vorderhirns eben so dicht anliegt, wie er mit seiner vorderen Fläche an den Grund der Nasen- gruben stösst. Eine Höhlung in seinem Inneren steht mit dem Seitenventrikel des Vorderhirns in offener Communication. Es setzt sich sogar, wie MıcLucuo-MAcLAy von Mustelus beschreibt und abbildet, ein Theil des Plexus chorioideus in ihn fort. Es ist also Einige Bemerkungen zu Götte’s Entwickelungsgeschichte der Unke etc. 333 nicht etwa blos der Traetus hohl, wie GörrE anzunehmen scheint (pag. 720. Anmerk.), sondern auch der Bulbus, und es ist Hyper- kritik, angesichts der bis jetzt vorliegenden, wenn auch nicht von sehr jungen Stadien entnommenen Thatsachen, in Zweifel ziehen zu wollen, dass der Bulbus sammt dem Tractus bei den Selachiern nicht zum Vorderhirn gehöre. Man könnte eben so gut in Zweifel ziehen, dass der Bulbus olfactorius des Menschen nicht zum Gehirn gehöre, keine Sonderung des Vorderhirns sei, weil seine Entwicklung da noch nicht bekannt ist. Der Tractus olfactorius der Selachier ist aber eine secundäre Bildung, die erst mit dem Auftreten von Wachs- thumsdifferenzen zwischen Gehirn und Cranium erscheint, und das ausgezogene Verbindungsstück des Bulbus und Vorderhirns vorstellt. Diese Theile habe ich nun nie als peripherische Nerven betrachtet, wie GOrre auf pag. 291 meiner Untersuchungen (II. Heft) hätte ersehen können. Ich habe vielmehr vom Bulbus und vom Tractus olfactorius dort gehandelt, um sie von den vom Bulbus aus- gehenden Riechnerven als peripherischen Theilen zu unterscheiden. Es zeigt, gelinde ausgedriickt, von wenig Sorg- falt in der Prüfung der Angaben Anderer, wenn GÖTTE mir zumuthet, die peripherischen Riechnerven als centrale, oder aus dem Hirn sich sondernde Organe behandelt zu haben. GörTTE mag hierzu dadurch verleitet worden sein, dass er selbst den bereits von Owen (Leet. of. comp. Anat. I. Fısmes 1846. pag. 183) als »Rhinencephalon« bei Selachiern unterschiedenen Bulbus gar nicht berücksichtigt, sondern nur den dazu führenden Tractus als Nervus olfactorius nimmt, denn er sprieht von einer »vollständigen Verschmelzung« des Lobus ol- factorius mit dem Vorderhirn bei einigen Selachiern (pag. 314). Jene Berücksichtigung des Tractus und Bulbus olfactorius bei den peripherischen Nerven war aber deshalb nöthig, weil in Deutsch- land fast allgemein der Bulbus olfactorius sammt seinem Tractus nicht den centralen Organen zugetheilt, sondern als » Riechnerv « mit peripherischen Organen, den Hirnnerven, zusammengestellt wurde. Ein Blick in die Handbücher der Anatomie des Menschen gibt da- rüber Auskunft. Wenn ich dann den Tractus sammt dem Bulbus olfactorius dem Optieus verglich oder vielmehr die Aehnlichkeit beider in ihrem primitiven Verhalten zum Gehirn aufführte, so be- fand ich mich im vollen Rechte. Prüfen wir nun den zweiten oben bezeichneten Punet, nämlich die Folgerungen, welche GöTTE aus seiner oben wörtlich aufgeführten Darstellung der Entwicklung des Olfactorius bei der Unke ableitet. 334 C. Gegenbaur Er folgert daraus, dass » die soliden vorderen Auswiichse der Gross- hirnlappen«, welche »allgemein als Lobi, Bulbi oder Tubereula ol- factoria aufgeführt, und mit den gleichnamigen Theilen anderer Thiere verglichen« werden, aber »mit den Riechnerven erst spät und in beschränktem Maasse in Verbindung treten«, nicht » die eigent- lichen Lobi oder Bulbi olfactorii der Batrachier sind« (pag. 313 und 314). Dagegen ist ihm der einem Bulbus olfactorius entsprechende Theil, den er als » Riechnervenhügel« bezeichnet, der oben beschrie- bene Anfangstheil des Olfactorius. Wenn man bisher als Bulbus olfactorius einen nicht blos aus dem Vorderhirn entstehenden, mit einer Höhlung mit dem Seitenventrikel, wenn auch nur vorüber- gehend communicirenden, sondern auch in seiner Textur mit cen- tralen Organen übereinkommenden Theil bezeichnete, von wel- chem die Riechnerven hervorgehen, so kann man mit Recht verlangen, dass GÖTTE diesen Nachweis für seinen »Riechnerven- hügel« liefert. Man wird aber auch verlangen können, dass er den bisher angenommenen Zusammenhang mit den vom Vorderhirn gesonderten Riechlappen als nicht bestehend nachweisen werde. Weder das eine noch das andere geschah. GörrE hat nicht nach- gewiesen, dass seine Riechnervenhügel centrale Organe seien, noch hat er Beweise dafür beigebracht, dass ein Zusammenhang des Ol- factorius mit dem Lobus olfactorius nicht bestehe, ja er betrachtet sogar seinen » Riechnervenhiigel « als das Wurzelstiick des Olfactorius, der sich da mit dem Gehirn — dem Streifenkörper — verbindet. Da nun weder der Riechnervenhiigel so wenig als dessen Fortsetzung in den Riechnerven den Bau eines centralen Organs besitzt, so ist so viel sicher, dass man ihn auch nicht mit dem Lobus olfactorius irgend eines Wirbelthieres vergleichen kann. Dass er aus Nerven- bündeln besteht, wissen wir durch REISSNER, dessen Untersuchungen (Ueber den »Bau des centralen Nervensystems der ungeschwänzten Batrachier«. Mit einem Atlas von 12 Tafeln 4. Dorpat. 1864) un- serem Autor gleichfalls unbekannt geblieben zu sein scheinen, jedenfalls nicht berücksichtigt sind. Es fragt sich nun, wie es um den Nachweis des blossen An- schlusses des Nervus olfactorius an den Lobus olfactorius der Au- toren steht. Wir erfahren bei GörrE darüber, dass »bei einjährigen Thieren diese Stränge die einzigen Wurzeln des Olfactorius scheinen«. Da sie es nur »scheinen«, so ist es also doch keineswegs so sicher, wie unser Autor sonst es glauben machen will, dass keine Beziehun- gen zu den sogenannten Lobis bestehen. Es ist das eine » Ansicht « Einige Bemerkungen zu Götte's Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 335 des Verfassers, wie er es selbst nennt. Doch nehmen wir auch eine thatsächliche Begründung jener »Ansicht« an, so gibt GÖTTE doch das zu, dass »später« eine Verbindung mit den Lobi olfactorii eintrete, und wenn diese nach seiner Angabe auch nur in »beschränk- tem Maasse« geschieht, so ist doch eine solche Verbindung vorhan- den. d. h. aus den Lobi olfaetorii treten Nervenbündel in den Nervus olfactorius ein. Wenn so der Olfactorius vom Riechnerven- hügel an der Unterfläche des Vorderhirns (resp. dem Lobus olfacto- rius desselben) nach vorne ziehend, noch Nervenbündel empfängt, wie dies in überaus deutlicher Weise auch von Wyman (Smithsonian Contributions Vol. V. Art. IV. Taf. I. Fig. 1) abgebildet wurde, so kann von einem blossen » Anschluss« des Nerven keine Rede sein, und ebenso geht aus der von REısswer in dessen Fig. XIX von Bufo gegebenen Darstellung hervor, dass an- der gesammten Unterfläche der Lobi olfactorii Längsfaserzüge vorkommen. Die nach vorne zu stattfindende Ausbildung des Lobus olfactorius macht vollends begreiflich, wie der Zuwachs den der Olfactorius an Nervenfasern ‘erhält, nur von dem vorderen Abschnitte des Lobus kommen kann (vergl. bei GOrre Fig. 145, 147, 148) und ebenso ist es begreiflich, dass bei der nahen Lage der hintersten Austritts- grenze des Olfactorius (» Riechnervenhügel«) vom Vorderhirn, Ver- bindungen mit demselben, und zwar nach dem Streifenkörper zu, bestehen. Wie aber deshalb der Bulbus olfactorius von Beziehungen zum Riechnerven ausgeschlossen sein, und der selbst von GÖTTE zu- gestandene Eintritt von Fasern aus dem Bulbus in den Olfactorius keinen Werth für die Bedeutung des Bulbus selbst haben soll, ist mir unbegreiflich. So lange man aber unter Bulbus oder Lobus ol- factorius einen ganz bestimmten, aus dem Vorderhirn sich sondern- den und bei bedeutenderer Entfaltung einen mit dem Seitenventrikel des Vorderhirns communicirenden Binnenraum enthaltenden Theil ver- steht, der die Olfaetoriusfasern entsendet, wird man nicht im Stande sein, den »Riechnervenhügel« der Batrachier für das gleiche Gebilde zu halten, welches man bei den Reptilien wie bei den Säugethieren als Lobus oder Bulbus olfactorius bezeichnet hat. Wenn die grosse Masse der Olfactoriusfasern auch anfänglich aus einem dem Vorder- ende des Streifenhügels entsprechenden » Riechnervenhügel « kommt, so ist damit nur eine dem Nervus olfactorius der Batrachier zu- kommende Eigenthümlichkeit erkannt — unter der übrigens bis jetzt noch nicht erwiesenen Voraussetzung, dass jene Nervenbündel wirk- lich zum Streifenkörper gelangen, aber damit wird die Bedeutung 336 C. Gegenbaur des Lobus olfactorius nicht aufgehoben, und noch weniger wird der Riechnervenhügel dadurch zum Lobus olfaetorius. Die Arteria ischi- adica der Vögel wird dadurch noch nicht zur Arteria cruralis, dass die letztere reducirt ist und ihr sonst bestehendes Gebiet von der Ischiadica versorgt wird. GOrre wirft Wyman vor, dass er die Beobachtung des Riechnervenhügels » wegen mangelnder Kenntniss« der betreffenden Entwicklung vernachlässigt habe. Da möchte ich fragen, was denn GOrre viel anderes darüber nachgewiesen habe, als dass er unter dem vorderen Ende des Streifenhügels liege? das wichtigste, woher die in diesen Hügel eintretenden Nervenbündel stammen, erfahren wir auch von GörrE nicht. Anstatt die für den Olfactorius der Anuren vermuthete Eigenthümlichkeit sicher zu stellen, und mit den übrigen Thatsachen in logischen Connex zu bringen, wird eine besondere Species von Lobus olfactorius begründet und die übrigen Thatsachen werden einfach mit Stillschweigen über- gangen. Zu diesen Thatsachen rechne ich vor Allem die Fort- setzung des Seitenventrikels in den Lobus olfactorius. Bei der Unke entbehrt der Lobus olfactorius des besonderen Binnenraumes, er bildet aber noch die vordere Begrenzung des Seitenventrikels, den ich weiter nach vorn reichen sehe, als GörrE das in seiner Fig. 151 dargestellt hat. Von der Fortsetzung des Seitenventrikels bei Rana pipiens gibt Wyman eine Darstellung (op. cit.) (Taf. I. Fig. 6) und Rerssner von Bufo (op. cit. Fig. XVII). Bei Urodelen ist eine ähnliche Fortsetzung des Seitenventrikels vorhanden. Da GörTTE zu- gibt, dass der Lobus olfactorius der Urodelen dem der Anuren homo- log ist, d. h. dasselbe Gebilde vorstellt, so wird sich daran die Frage anknüpfen, ob denn der Lobus olfactorius der Urodelen, bei denen der Olfactorius nicht mit einem weit nach hinten liegenden »Riechnervenhügel« beginnt, nicht dem Lobus olfactorius der Rep- tilien homolog sei, der den Riechnerv vom vorderen Ende abgehen lässt, während er bei den Urodelen mehr lateral seinen Austritt nimmt. Was denn eigentlich der bisher so sehr verkannte Lobus olfae- torius der Amphibien eigentlich sei, fragt der Leser des Görre’schen Buches nicht lange vergeblich. Er wird alsbald in folgendem auf- geklärt: »Man wird darin, dass die genannten Gebilde bei den nie- driger stehenden, weniger entwickelten Batrachiern, bei Proteus, Siren, Menopoma, Menobranchus, gar nicht, oder viel weniger mit einander verschmelzen, als bei den Anuren, einen Beweis sehen, dass die Verbindung beider Grosshirnhemisphiren durch jene Fort- Einige Bemerkungen zu Götte's Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 337 sätze (d. h. den Lobus olfactorius) nicht ein Rückbildungsprocess, wie bei der vollstiindigen Verschmelzung derselben in manchen Se- lachiergehirnen, sondern ein Fortschritt sei, bestimmt eine besondere Commissur der einander zugekehrten freien Flächen der Grosshirn- ‘hemisphiren herzustellen. Alsdann kann aber die Homologie dieser Commissur nicht zweifelhaft sein, — sie stellt gewissermassen eine erste Entwicklung eines Hirnbalkens vor«. Fassen wir die Beweis- führung für diese merkwürdige Balkenanlage etwas näher ins Auge. GÖTTE sagt: weil bei niederer stehenden Batrachiern (d. h. Pe- rennibranchiaten), die bisher als Lobi olfaetorii aufgefassten Theile des Vorderhirns gar nieht oder viel weniger als bei den Anuren mit einander verschmelzen , ist die Verschmelzung kein Rückbildungs- process, sondern ein Fortschritt. Bei manchen Selachierhirnen, wo die Verschmelzung vollständig sei, ist sie dagegen ein Rückbildungs- process. Sieht man auch davon ab, dass Görre, wie bereits oben bemerkt, unter dem Bulbus olfactorius der Selachier etwas ganz an- deres versteht, als alle übrigen Autoren, indem er, ohne es irgend zu begründen, den zum Bulbus führenden Tractus für den Riech- nerven hält, so wird doch so viel gewiss sein, dass der bei den Selachiern angenommene Reductionsprocess von ihm nach Massgabe seiner Ausprägung in einer doppelten, und zwar ganz ent- gegengesetzten Bedeutung gefasst wird. Ist die Ver- schmelzung vollständig, so ist sie eine Rückbildung, ist sie unvollständig, so ist sie ein Fortschritt! Man fragt sich, warum die vollständige Verschmelzung ein Rücksehritt sein soll, wenn die nicht vollständige ein Fortschritt ist, und findet nichts, wodurch das Räthsel gelöst werden könnte, denn wenn es sich bei der Verschmelzung um Herstellung einer Commissur handelt, wie uns angedeutet wird, so sollte man glauben, dass dieses Ziel bei einer vollständigen Verschmelzung, wie sie »bei einigen Selachier- hirnen« bestehen soll, auch vollständiger erreicht wird, dass also da das höchste Maass des Fortschrittes gegeben sei. Aus diesen Fol- serungen geht aber die Alternative hervor: Entweder ist die Ver- schmelzung jener Hirntheile ein Fortschritt, und dann ist er bei jenen Selachiern, wo die Verschmelzung am vollständigsten sein soll, am meisten ausgeprägt, und es darf das nicht, wie es von GÖTTE geschieht, als ein Riickschritt bezeiehnet werden, oder die Ver- chmelzung ist kein Fortschritt, dann können die Gehirne jener Se- lachier allerdings eine Rückbildung vorstellen, aber dann wird durch die Befunde der Amphibiengehirne auch kein Fortschritt erwiesen. 338 C. Gegenbaur Man sieht, wie die logische Begriindung einer » nicht zweifelhaften « Homologie jener verschmolzenen Lobi olfactorii mit einer Balken- anlage keinen sicheren Boden hat. Uebrigens ist die Auffassung der verschmolzenen Lobi olfactorii als einer »Commissur« keines- wegs neu, denn wir finden sie schon bei BLaTrMANN (Diss. Zürich 1850) ausgesprochen. Betrachten wir nun die empirischen Unterlagen, auf welchen jene Deutung einer »Balkenanlage« ruhen soll, denn das wird doch zugegeben werden müssen, dass in dem, was oben wört- lich von unserem Autor angeführt ward, noch keine anatomische Thatsache, die zu Gunsten eines Balkens spräche, beigebracht wor- den ist. Man sollte erwarten, dass wenigstens Commissurfasern in dem verschmolzenen Gebilde nachgewiesen werden, die doch vor- handen sein müssen, wenn es eine Commissur vorstellen soll; aber nichts von alledem! Wie weit die verschmolzenen Theile von einer Com- missur entfernt sind, könnten die REISSNER’schen oben eitirten Unter- suchungen klar gemacht haben, wenn sich unser Autor nach ihnen umgesehen hätte. An die Stelle der unterbliebenen directen Unter- suchung und der Orientirung in der Literatur lässt nun GÖTTE die Vergleichung treten. Bei unentwickelten Hirnformen von Säugethieren, werden wir weiter belehrt, liegt der Balken vor der vorderen Commissur der dritten Hirnkammer, »und damit stimmt die be- treffende Commissur der Batrachier vollständig über- ein«. Hierbei ist zweierlei in Frage zu stellen, einmal die Be- rechtigung dieser Vergleichung im Allgemeinen und zweitens die von »niederen Hirnformen« der Säugethiere behauptete Thatsache. Be- züglich des ersten Punctes muss doch erwogen werden, dass zwischen einem Anuren und einem Säugethier eine weite Kluft be- steht, die es ganz unmöglich macht, hier so direete Beziehungen her- zustellen. Jeder, der auf den Grund der Organisationsdifferenz nur einigen Werth legt, wird sich hüten, so weit entfernte Organismen in so unmittelbare Verknüpfung zu bringen, wie es von GÖTTE ge- schieht, denn in der Organisation der Batrachier — man denke nur an deren Wirbelsäule! — sind solche Veränderungen eingetreten, dass es völlig unmöglich ist, diese Amphibien auch nur entfernt an Säugethiere anzuschliessen. Das prägt sich auch an jenem Befunde des Gehirns aus. Die Concrescenz der beiden Lobi olfactorii liegt an einer Stelle, die um die halbe Länge des gesammten Vorderhirns von jener Stelle entfernt ist, wo eine Balkenanlage entstehen könnte. Auf die verschmolzenen Lobi olfactorii folgt dann noch eine be- deutende Strecke, an der die Hemisphären getrennt bleiben, wäh- Einige Bemerkungen zu Götte’s Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 339 rend der Balken der Säugethiere an einer von dem Vorderende der Hemisphären weit abliegenden Stelle, fast unmittelbar vor der Gehirn- spalte auftritt. Da besteht also auch nicht die geringste Aehnlichkeit! Was die bezüglich der »unentwickelten Hirnformen « von Säuge- thieren aufgestellte Behauptung, dass der Balken vor der Commis- sur zwischen den Vorderhirnhemisphären liege, angeht, so nimmt GÖTTE seinen Ausgang vom Hirn des Kaninchens, welches ihm ein Repräsentant unentwickelter Hirnformen ist. Er bezieht sich dabei auf eine von Huxrey in dessen Handbuch der vergleichenden Ana- tomie der Wirbelthiere gegebene bildliche Darstellung, die aus der Frower’schen Abhandlung (Transact. Royal Soc. 1865. pag. 633 Pl. 37, Fig. 3) entnommen ist. Diese Abhandlung ist, wie auch andere für die vorliegenden Fragen wichtige Arbeiten, z. B. jene OweEn’s, unserem Autor unbekannt geblieben, denn sonst hätte er daraus er- fahren müssen, dass das Kaninchen gerade in Beziehung auf den Balken keine so »unentwickelte Hirnform« besitzt, dass vielmehr viele andere Säugethiere, vor Allem die Monotremen, dann die Beutel- thiere, ja sogar manche Insectivoren noch bedeutend niederer stehende Balkenformen aufweisen, deren Ausgangspunet nicht vor, wie GOTTE angibt, sondern genau über der vorderen Commissur liegt. Soll also aus der Lage des Balken bei niederen Säugethieren etwas gefolgert werden, so ist es das, dass auch nicht die entfernteste Beziehung zu einer Bildung besteht, die bei den Anuren an dem vordersten Ende der Vorderhirnhemisphären auftritt, und das wird von GÖTTE als vollständige Uebereinstimmung behandelt! Wer über diese Dinge urtheilen will, von dem darf man verlangen, dass er wenigstens die bekanntesten Thatsachen nicht so gründlich ignorirt, wie dies bei GOrre auch in diesem Falle sich ereignet. Wirft man noch einen Blick auf das, was man in dem Gange der Görre’schen Darstellung Methode nennen könnte, so finden wir den Ausgangspunct in der Entdeckung gegeben, dass bei der Unke der Olfactorius mit einer höckerförmigen Anschwellung an der Unter- fläche des Vorderhirns austritt, dieses bei Rana schon von WYMAN ge- kannte, von REISSNER genauer beschriebene Verhalten bildet gleich- sam die Spitze der umgekehrten Pyramide, welche GörTE mit seinen Folgerungen aufthürmt. Es wird daraus gefolgert, dass die soge- nannten Lobi olf. der Anuren, obgleich sie Fäden zum Olfactorius senden, keine Lobi olf. seien, denn das ist jener Höcker am Riech- nerven, dessen Textur jedoch nicht weiter untersucht wird. Es wird 340 C. Gegenbaur ferner gefolgert, dass auch bei den Urodelen der Lobus olf. nichts mit dem N. olfactorius zu thun habe, wieder ohne jede Begriindung. Dann werden die verschmolzenen Lobi olfaetorii der Anuren zu einer ersten Entwickelungsstufe des Balken gestempelt, daraus abgeleitet, dass die Verbindung der Hemisphären der Fische, Rep- tilien und Vögel nur der Commissura. anterior und dem Fornix homolog sei, und zum Schlusse, als nach oben gekehrte Basis der Pyramide: »dass das Hirn der Batrachier in gerader Linie zum An- schlusse an die Hirne niederer Säugethiere führt, während die viel höher angelegten Hirne der Selachier, Reptilien und ‘Vögel eben durch die frühzeitig zur Geltung kommende Rückbildung diesen Punct der fortschreitenden Entwiekelung nicht erreichen«. Das alles ist das Ergebniss einer einzigen Beobachtung, die nicht einmal voll- ständig ist, wie denn GörtE gar nicht gesagt hat, was er unter einem Lobus olfactorius versteht, und wie sein einem Lobus olfac- torius homolog sein sollender »Riechnervenhügel« jenem Begriffe entspreche. Ich beschränke mich auf die Ausführung dieses Beispiels zur specielleren Darlegung des Verfahrens unseres Autors, den thatsächliehen Begründungen seiner Aufstellungen, der Art seiner Schlussbildung, seiner Kenntniss von den anatomischen Thatsachen und von der dieselben behandelnden Literatur; das Beispiel mag statt vieler gelten. Vielleicht wird es nothwendig, auf Andere später noch ein- mal einzugehen. Es bleibt mir aber noch übrig den Standpunct des Verfassers zu beleuchten. Derselbe ist exelusiv embryologisch, d. h. ihm gilt nur das was durch die Entwickelungsgeschichte des Individuums er- wiesen wird. Stimme ich darin auch mit GörTE überein, dass durch die Ontogenie der vergleichenden Anatomie eine festere Begründung zu theil wird, sowie dass auch für phylogenetische Untersuchungen die Ontogenie den wesentlichsten Ausgangspunct bieten muss, so muss ich doch mit Entschiedenheit in Abrede stellen, dass durch sie allein jene Basis gebildet werde, dass nur die Ontogenie für die Phylogenie eine Richtschnur abgebe. Ganz abgesehen davon, dass bei dem relativ noch sehr niederen Stande der Summe unserer auf ontogenetischem Wege erworbenen Erkenntnisse, die Einblicke, welehe die vergleichende Anatomie in die Organisation der Thiere gewährt, ganz unmöglich wären, dass wir also damit zu warten hätten, bis von allen Thieren deren indi- viduelle Entwickelung bekannt wäre; — ich sage absichtlich von Einige Bemerkungen zu Gitte’s Entwickelungsgeschichte der Unke ete. 344 allen Thieren, denn wenn nur die Ontogenie Grundlage und Rieht- schnur sein soll, was bürgt mir denn dafür, dass die auf blos ver- gleichend-anatomischem Wege erschlossenen Homologien, welche zur Erkenntniss der verwandtschaftlichen Beziehungen leiten, nicht vollständig falsche seien, so dass ohne die Ontogenie nicht einmal die Verwandtschaft der Gans mit der Ente behauptet werden darf — also ganz abgesehen von dieser Unzulänglichkeit des ontogenetischen Erfahrungsschatzes, werden die durch die individuelle Entwickelungs- geschichte zu Tage geförderten Thatsachen nur verständlich, wenn sie mit den am ausgebildeten Organismus anderer Thiere bestehenden combinirbar sind. Das Wesen der Chorda dorsalis bleibt sehr merk- würdig und wunderbar, aber selbst bei der genauesten Beschreibung der Entwickelung ebenso unverständlich, so lange dieses Gebilde nur bei höheren Wirbelthieren bekannt ist. Wie kommt es zu dieser Ein- richtung, die doch nur eine vorübergehende Bedeutung hat, selten zu definitiven Bildungen in Verwendung gelangt? Warum tritt an der Stelle der Chorda nicht gleich das Gewebe auf, welches die Anlagen der Wirbelkörper hervorgehen lässt, und dann den Weg der Genese der Wirbelsäule kürzer und einfacher erscheinen liesse? Diese Fragen fallen als unnütze weg, sobald Wirbelthiere bekannt sind, welehe in der Chorda dorsalis kein blos ontogenetisch bedeutungs- volles, sondern aueh im ausgebildeten Zustande wichtiges, perma- nentes, einen hohen Grad der Volumsentfaltung erreichendes, und damit auch functionell hoch stehendes Organ besitzen. Solehe Thiere sind uns anatomisch bekannt, und daher beziehen wir die sich rückbildende Chorda der höheren Vertebraten auf die ausgebildete Chorda jener niedern Formen, und leiten die Existenz der Rücken- saite, da wo sie ein vergängliches Gebilde ist, von jenen permanenten Zuständen ab. Diese machen uns begreiflich, weshalb wir das Organ allgemein verbreitet finden, auch in jenen höheren Formen, in denen es frühzeitig rudimentär wird. Nicht die Kenntniss der Ent- wickelung des Organs, sondern die Beziehung zu dem gleichen Or- gane anderer Thiere, eröffnet uns das Verständniss, welches freilich von GOrre nicht verlangt wird. Aehnliches gilt von zahllosen an- deren: Organen, für welche uns die Ontogenie nur eine Reihe von Beschreibungen einzelner Bildungsstadien bieten kann, die ohne den Zusammenhang mit jenen anderen, den ausgebildeten Zustand zeigen- den Formen nur den Werth des Curiosums für sich haben können, Man denke an die Kiemenbogen! Aber auch in anderer Beziehung muss die Ontogenie für un- 342 C. Gegenbaur zulänglich erklärt werden, um darauf ausschliesslich die Morpho- logie zu basiren. Einmal begegnen wir da wieder einem Mangel an gehöriger Fundirung der ontogenetischen Thatsachen, und zweitens bietet uns die Ontogenie über viele Puncte keinen Aufschluss, wo ihn die vergleichende Anatomie geben kann. Bezüglich des ersten Punctes ist zu bemerken, dass die geringere Zahl der bis jetzt vor- handenen genauen ontogenetischen Beschreibungen noch gar nicht erlaubt, Folgerungen von bedeutender Tragweite zu bilden, denn das was z. B. für die Anlage der einzelnen Organe aus bestimmten, durch die Keimblätter vorgestellten, oder aus ihnen zusammenge- setzten Schichten in dem einen Falle beobachtet wird, muss doch zuvor in seiner fundamentalen Bedeutung durch den Nachweis des gleichen Verhaltens auch in anderen Fällen d. h. bei anderen Thieren erhärtet sein, ehe Schlüsse daraus abgeleitet werden. Diese Ausdehnung der empirischen Basis fehlt aber bis jetzt noch gänz- lich, wenn auch GOrre mit seiner Entwicklung der Unke einen vortrefflichen Anfang dazu gemacht hat. Welcher Widerstreit der Meinungen besteht aber noch, selbst innerhalb des doch nicht sehr grossen Kreises ontogenetischer Unter- suchungen über Wirbelthiere, bezüglich der wichtigsten Dinge? Wie verschieden sind noch die Angaben über die Bildung des mittleren Keimblattes! Welch’ verschiedene Angaben liegen über die Anlage der Chorda vor! Wie different sind die offenbar thatsächlichen Be- funde bezüglich der Genese des Urnierenganges! All das lehrt, dass sogar noch Vieles zur völligen Sicherstellung der Thatsachen fehlt, und dass bis dahin bei deren Benutzung die grösste Vorsicht geboten ist, aber von einer so eminent exelusiven Verwerthung der- selben, wie das GÖTTE beansprucht, noch keine Rede sein kann. Die individuelle Entwickelungsgeschichte ist aber zweitens auch un- zureichend, da sie über alle jene Verhältnisse, welche erst am differenzirten Organ geboten werden, mindere Rücksicht nimmt, denn sie beschäftigt sich wesentlich mit den sich erst differenzirenden Organen. Alle subtileren Verhältnisse, der Nervenbahnen zum Bei- — spiel, die doch nicht so einfach als gleichgültig bei Seite gesetzt werden dürfen, sind von der Ontogenie unbeachtet geblieben. Wie diese Einrichtungen aber von grosser morphologischer Wichtigkeit sind, glaube ich in meinen Untersuchungen zur vergl. Anatomie (III. Heft) gezeigt zu haben. Aus alledem ergibt sich auch eine Unzulänglichkeit in den Beziehungen zur Phylogenie, die, wie sehr sie auch von der Ontogenie gestützt wird, doch nicht ihre exelusive Einige Bemerkungen zu Gitte’s Entwickelungsgeschichte der Unke etc. 343 Basis da finden kann. Fast an jedem Organsystem kann erkannt werden, dass es in seiner Entstehungsgeschichte bei einem höheren Organismus zusammengezogene Zustände enthält, dass es einzelne Stadien gleichsam überspringt, die bei niederer stehenden Organismen länger dauern, und zugleich weiter auseinander liegen. Je weiter eine Einrichtung phylogenetisch zurückliegt, desto weniger kann über ihr Zustandekommen von der Ontogenie Aufschluss erhalten werden. Es ist zweifellose Thatsache, dass in dem einen Falle Organe ontogenetisch zur Differenzirung gelangen, die bei dem an- deren nicht mehr erscheinen, oder nicht mehr völlig sich sondern, dass die Einrichtungen niederer Formen sich nicht in ihrer ganzen Vollständigkeit in den Anlagen höherer wieder erkennen lassen. Oder sollen die 12 Wirbel der Unke die einzigen gewesen sein, welche den Anuren auch in einem früheren urodelen nicht mehr existiren- den Zustande zukamen? Oder darf dem anuren Zustande kein uro- deler mit entwickelter Caudalwirbelsäule vorangegangen angenommen werden? Die Ontogenie kann also nur in einem bestimmten, für die einzelnen Fälle aber wechselnden Maasse, Richtschnur für die Phylogenie sein und auch hier ist kritisches Verfahren, wodurch jenes Maass bestimmt wird, von der grössten Wichtigkeit. Ist es in hohem Grade bedenklich, alles was sich ontogenetisch in einem Falle gegeben findet, ohne nähere Prüfung auf die Phylogenie zu beziehen, so ist es mehr als bedenklich das, was sich nicht findet, zu phylo- genetischen Schlüssen zu verwerthen. In diesen Irrthum verfiel GöTTE, indem er alles, was er bei der Entwickelung des Kopfes der Unke fand oder nicht fand, ohne weiteres auf das bezog, was ich für die Phylogenie des Selachierkopfes aus anatomischen Thatsachen er- mittelte. GÖTTE ging dabei von der Voraussetzung aus, dass alle bei der phyletischen Entstehung des Kopfes der Selachier eine Rolle spielenden Verhältnisse sich in der Ontogenie wiederholen, ja sogar bei der Unke wiederkehren müssten. Diese Voraussetzung ist ebenso irrig, wie die darauf gebauten Schlüsse falsch sind. Bei dieser Voraus- setzung ist seltsam, wie anderwärts von unserem Autor die Phylogenie angefochten, und namentlich der Satz bekämpft wird: dass die Phylogenie von der Ontogenie recapitulirt werde! Das was ihm dort Voraussetzung war, wird hier wieder bestritten! Ich will nicht weiter verfolgen, wie GOrre die Entwickelungs- geschichte als »mechanisch-causale« Momente der Formbildung ent- hüllend darstellt, während er in der That nur Vorgänge beschreibt, deren Ursachen nicht von ihm bestimmt werden, z. B. wenn die Morpholog. Jahrb. 1. 23 344 C. Gegenbaur Wirbelbogen zwischen die Muskeisegmente einwachsen, so ist doch das keine mechanisch-causale Erklärung der Differenz der Richtung der Bogen bei Fischen und Amphibien, wenn die Ursache als in einer anderen Anordnung der Musculatur in beiden Abtheilungen liegend angenommen, aber für das Bestehen dieser differenten An- ordnung der Musculatur keine Ursache nachgewiesen wird. Dies Alles übergehend, so vielfache Angriffspuncte es mit vielem Anderen auch darbietet, muss ich nur noch die Resultate der GöTre’schen Forsehungsweise, und zwar wieder nur bezüglich der in diesen Be- merkungen berührten Puncte hervorheben. Sie führen überall zur Aufstellung von Besonderheiten, zu,einer Specification. Wir haben verschiedene Rippen, verschiedene Sternalbildungen kennen gelernt, die ich als Species aufführte, da sie in der That als einander fremde Dinge dargestellt sind. Zu dieser Specification von Differenzirungsproducten bildet die Voraussetzung voliständiger Gleichartigkeit der Anlagen und des Entwicklungsganges bei allen Wirbelthieren einen auffallenden Con- trast. Ueber die Beziehungen jener verschiedenartigen Theile zu einander bleiben wir im Dunkel, und wenn eine Erklärung z. B. bei den sogenannten oberen und unteren Rippen der Amnioten versucht wird, geschieht das nicht auf Grund von Thatsachen, sondern von ganz willkürlichen Annahmen. Welches Verständniss erschliesst sich für den Kopf der Wirbelthiere, wenn derselbe aus vier Seg- menten bestehen soll. nachdem diese doch keine wahren Segmente sind, für das Cranium, das aus vier Wirbeln zusammengesetzt sein soll. die wieder keine Wirbel sind? Wer annehmen kann, dass mit jenen vier sogenannten Segmenten ein Resultat für das Verständniss des Kopfes gewonnen sei, der übersieht gänzlich, dass damit selbst für die Unke, geschweige denn für die ganze Abtheilung der Fische, Reihen von Fragen als ebensoviele neue Probleme, nicht nur uner- ledigt bleiben, sondern auch ebensoviele negative Instanzen bilden, welche die Unzuliinglichkeit und damit auch die Unzulässig- keit jener angeblichen aus der Ontogenie geschöpften Erklärung darthun. Werden z. B. zwei Kiemenbogen aus der Annahme eines gewissen dem Kopfe zukommenden Typus zu erklären versucht, in- dess diese Deutung auf die anderen Kiemenbogen schlechterdings nicht anwendbar ist, so ist damit gar nichts erklärt, denn wenn, wie selbst unser Autor zugeben muss, jene andern Kiemenbogen ebenso zum Kopfe gehören wie die ersteren, so können sie nicht einfach übergangen werden, sondern müssen dabei nothwendig auch Einige Bemerkungen zu Gitte’s Entwieklungsgeschichte der Unke ete. 345 eine Erklärung finden. Ist diese unmöglich, und sie ist es ebenso noch für viele andere Organe, wie für die Nerven, so ergibt sich daraus das Verfehltsein des ganzen Versuches, denn es handelt sich beim Kopfe um etwas Ganzes, und wer da erklären will muss das Ganze erklären. Eine halbe Erklärung ist keine Erklärung. Solchen vergleichend-anatomischen Ergebnissen entsprieht das, was für die Untersuchung Methode sein soll. Ich meine selbstver- ständlich nicht die zur Gewinnung des empirischen Materials ver- wendete Technik, die technische Methode, sondern den Gang der wissenschaftlichen Verwerthung der aus jener gewonnenen Einzeler- fahrung, die wissenschaftliche Methode. Wir begegnen hier zunächst einem auffallenden Mangel sicherer Begriffsbestimmungen, und da- mit fehlt es an den ersten wissenschaftlichen Fundamenten. Wie der Begriff »Sternum« gehandhabt wird, ist oben zur Genüge gezeigt worden, und kann als ein Beispiel für viele gelten. Ein zweiter Grundfehler ist die grenzenlose Willkür der Vergleichungen. Diese werden durch alle Abtheilungen der Wirbelthiere bunt durcheinander geführt, anstatt von dem innerhalb einer niederen Abtheilung durch die Vergleichung Sichergestellten auszugehen, und von da zu den höheren emporzusteigen. Bei solch’ unmethodischen Vergleichungen können die Resultate nicht befremden, und es wird begreiflich wie selbst manche gute Beobachtung nicht zur Verwerthung gelangt. Wenn das Streben nach einheitlichen Gesichtspuneten zu den wesent- lichsten Aufgaben wissenschaftlicher Forschung gehört, so finden wir uns fast überall da, wo im Anschlusse an die Entwicklung der Unke »die vergleichend morphologische Grundlage« gelegt werden soll, weit von jenem Ziele entfernt. Wir sehen also die vergleichend-anato- mischen Abschnitte des Werkes zu den embryographischen in leb- haftem Gegensatze stehen, und werden auch nicht behaupten können, dass die mit vieler Prätension geäusserten, absprechenden Urtheile in der grossen Bescheidenheit des kundgegebenen Maasses anato- mischer Kenntnisse eine richtige Compensation finden. Das Alles aber wird dem nicht wunderbar erscheinen, welcher sich der Ein- sicht nicht verschliesst, dass die Erwerbung technischer Fertigkeiten und in Folge dessen die Herstellung und bildliche Darstellung von Präparaten, sowie deren sorgfältige Beschreibung etwas ganz anderes ist, als combinatorisches auf einen grösseren Erfahrungskreis sich stützendes, von wissenschaftlicher Methode geleitetes Urtheil, und dass Ersteres, wie es die Anwendung des Letzteren auch fördern mag, doch keineswegs dasselbe nothwendig in sich begreift. j r ye j od a ai ios hate: sath Isle Kiga ia ae al ler i ‘bes aoe Tp erat ne site oly toate A Lye inmöhlrh pho adechay “aaah gee tit i oy ua gna gt 2 nity AY tak Siti BEST = re san an: ddairqahas’ oe EN ORTE EEE salen 4 ae al She Baar aaa if De a DR REINE sah euere idee’ aed sea usb meh" „abortyyM pak sents git atta adele enon Hoi eeatret stot BRE Tobe BENTH MeO Ye | Sate oh Be ROREN.: Ares: IR jan, deninsadiare Othe ah Tike x asien tar Iargirk mob teil + or i eats FE EDEL N CUT EIN EISEN TEN sy OAR >“ gary: he WAL ae ai pice: tae fate aaa TIERE ccs || A eat MEE psy” BTSs OU Pyfieind oi dove: shal bc a Vida RN anorg RER: r a ag riterpboth ab ee righ Hid ara Axe yey aay” te qoniioshehotte a Li" 3 eh tar THES u ar re ‘eben: thet Seay ; ) Pod ug ls inl ee ee. 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Seitdem durch die Bemühungen ScHuLtze’s und anderer For- scher das Protoplasma als der Stoff, welcher die Lebenserscheinun- gen der Zelle und die Gewebebildung vermittelt, erkannt worden ist, wandte sich die Forschung vorwiegend zu dem so interessanten Studium der vitalen Vorgänge im Protoplasma und zu der Erforschung seiner Umbildungsproducte, auf deren Verschiedenartigkeit die viel- gestaltige gewebliche Differenzirung der höheren Organismen beruht. Dagegen trat in gleichem Maass das Studium des Zellkerns, welchem SCHWANN bei der Zellbildung eine so wichtige Rolle zuertheilt hatte, mehr in den Hintergrund. Ueber den Bau des Kerns bildete sich eine schematische Vorstellung heraus, welche keineswegs überall den wirklichen Verhältnissen entsprach; über die functionelle Be- deutung desselben blieben die Ansichten der Forscher unsicher und getheilt; während ein Theil den Kern als ein Gebilde von unter- geordnetem Werth betrachtete, legte ein anderer Theil ihm eine hohe Bedeutung im Zellenleben bei. So ist es gekommen, dass wir in den letzten Jahrzehnten zwar mit vielen Feinheiten in der Structur der histologischen Elementar- organismen bekannt geworden sind, dagegen über den Bau und die Funetionen des Kerns nach wie vor nur lückenhafte Kenntnisse und mehr oder weniger unbestimmte Vorstellungen besitzen. Morpholog. Jahrbuch. 1. 34 348 Oscar Hertwig Es ist das Verdienst Aurrpaci’s durch eine Reihe planvoll un- ternommener Untersuchungen !) die Aufmerksamkeit und das Interesse der Forscher wieder auf den Kern der Zelle gelenkt zu haben. In seinen organologischen Studien ist zum ersten Male zur Lösung der Kernfrage ein ausgedehntes Material gesammelt und unter all- gemeine Gesichtspunete angeordnet, sind die Angaben früherer For- scher controlirt und Lücken durch systematisch angestellte Beobach- tungsreihen ausgefüllt worden. So hat AUERBACH für die Weiter- forschung eine gute Grundlage geschaffen, zugleich aber auch gezeigt, wie viel auf dem in Angriff genommenen Gebiete noch zu leisten ist und wie viele Riithsel hier noch der Lösung harren. AUERBACH'S Untersuchungen haben auch zu der vorliegenden Arbeit den Anstoss gegeben. Namentlich das zuletzt erschienene zweite Heft veranlasste mich einen mehrmonatlichen Aufenthalt am Meere zum Studium des Zellkerns zu benutzen und die Theilungs- vorgänge am thierischen Ei zu untersuchen. Für meine Zwecke fand ich ein ganz vorzügliches Objeet in den Eiern der Seeigel und zwar des am Mittelmeer überall gemeinen Toxopneustes lividus. Abgesehen von dem Umstande, dass es leicht ist, täglich frisches, reichliches Material zu erhalten, lässt sich bei den Seeigeln die künstliche Befruchtung ohne jede Schwie- rigkeit ausführen; die Entwicklung geht leicht und rasch von Stat- ten, die Eier sind relativ klein und durchsichtig; die beträchtliche Menge, die man von einem einzigen Individuum erhalten kann, er- leichtert sehr die Anwendung von Reagentien, Vortheile, die bei der Beobachtung sehr zu Statten kommen. Anfangs beabsichtigte ich, die Untersuchungen über eine grös- sere Anzahl von Thierclassen auszudehnen, stand aber später von diesem Vorhaben ab, da zu einem solehen die Zeit zu beschränkt war und ich es für förderlicher hielt, das eine Object, zumal es ein sehr geeignetes war, eingehend zu untersuchen, als mich durch Be- schäftigung mit mehreren Objeeten zu zersplittern. Es bilden daher die Beobachtungen am Ei des Toxopneustes lividus die Grund- lage zu dieser Arbeit, und schliessen sich an dieselben einige bei anderen Thieren mehr gelegentlich vorgenommene Untersuchun- gen an. Als ich die Befruchtungsvorgänge und die Eifurehung zu ver- !) AUERBACH. Organologische Studien. Erstes und zweites Heft. Zur Cha- racteristik und Lebensgeschichte der Zellkerne. Breslau 1874. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Kies. 349 folgen begonnen hatte, sah ich ein, dass wenn die Unter- suchung nieht eine wesentliche Lücke besitzen solle, sie nicht erst vom reifen befruchtungsfähigen Ei ausgehen dürfe. Zeigt doch dasselbe sehr wesentliche Verschiedenheiten vom unreifen Eierstocksei. Ich nahm daher das letztere zum Ausgangspunct, indem ich zunächst die Frage, wie aus dem unreifen Eierstocksei das reife Ei sich ent- wickelt, zu lösen versuchte. Es zerfallen demnach die am Ei des Toxopneustes lividus angestellten Beobachtungen in drei Abschnitte. Der erste Ab- sehnitt umfasst den Bau des Eierstockseies und die Um- wandlung desselben in das reife befruchtungsfähige Ei, der zweite die Befruchtungsvorgänge, der dritte die Eifurchung. I. Abschnitt. Das Eierstocksei und die Umwandlung desselben in das reife befruchtungsfähige Ei. Die der Reife entgegengehenden, aus dem Ovarium isolirten, kugligen Eier bestehen aus Dottermasse mit Keimbläschen und einer breiten Gallerthülle um dieselbe (Fig 1.) Die Dottermasse ist eine homogene Eiweisssubstanz, welcher kleine runde die Durchsichtigkeit des Eies wenig beeinträchtigende Dotterkiigelchen und Körnchen eingelagert sind. Ausser denselben enthält sie noch eine sehr geringe Menge eines feinkörnigen röthlich- bräunlichen Pigmentes, welches dem Ovarium und den Eiern, wenn sie in grösserer Anzahl zusammenliegen, eine rosenrothe Färbung verleiht. Das in der Mitte des Dotters gelegene Keimbliischen ist von ansehnlicher Grösse, indem es einen Durchmesser von 53 yp. er- reicht; es besitzt eine Kernmembran, einen wasserhellen Inhalt und in demselben eingebettet das wichtigste Formelement des Kerns, den meist einfachen Keimfleck. Die Kernmembran ist deutlich doppelt contourirt und sowohl vom umgebenden Protoplasma als dem Inhalt des Keimbläschens scharf gesondert. Mit AvrRBACH betrachte ich dieselbe als ein 24* 350 Oscar Hertwig Differenzirungsproduet des angrenzenden Protoplasma, »als ein ac- cidentelles Gebilde des Kerns«!). Der Inhalt des Keimbläschens ist wasserhell, von einem zäh- flüssigen Aggregatzustand und imbibirt sich in Carmin nur sehr gering. Der fast vollkommen kugelrunde Keimfleck oder Nucleolus er- reicht die constante Grösse von 13 uv, liegt selten central sondern mehr der Peripherie des Keimbläschens genähert und unterscheidet sich scharf von dessen übrigem Inhalt. Er besteht aus einer gleich- artigen, compacten, eiweissartigen Substanz von mattgrauem Glanz und zeichnet sich besonders durch sein Verhalten gegen Carmin aus, in dessen verschiedenen Mischungen er sich intensiv rubinroth imbi- birt. Auch in Osmiumsiiure schwärzt er sich relativ stärker als die übrigen Substanzen des Eies. Ausserdem besitzt er noch zwei wei- tere wichtige Eigenschaften, die zuerst AUERBACH in ihrer Bedeutung hervorgehoben hat, nämlich die Fähigkeit, Vacuolen in seinem In- nern zu erzeugen und seine Gestalt amöbenartig zu verändern 2). An dem von mir untersuchten Objecte fand ich bald eine grössere, bald mehrere kleinere Vacuolen, welche je nach der tieferen oder hö- heren Einstellung des Mikroskops als hellere oder dunklere Flecke erscheinen. Amöboide Formveränderungen habe ich am Keimflecke der Seeigeleier nicht wahrnehmen können, dagegen beschreibt AUER- BACH solche von den grossen Nucleoli der Zellen der Museidenlar- ven3) und ebenso habe ich sie an den Keimflecken der Froscheier und an dem einfachen Keimfleck des Eierstockseies von Pterotrachea beobachtet. Es wird sich im Folgenden zweckmässig erweisen, den beiden eben characterisirten Inhaltsbestandtheilen des Keimbläschens oder allgemeiner gesagt, jedes in gleicher Weise differenzirten Kerns be- sondere Namen beizulegen und werde ich von hier ab, die vornäm- lich durch ihr Verhalten gegen Carmin ausgezeichnete Masse des Nucleolus oder des Keimflecks (die Nucleolarsubstanz AUERBACH’s) ) AUERBACH. Organologische Studien. Heft I. pag. 165. 2) AUERBACH. |. c. Heft I. pag. 167—168. , 3) AUERBACH. |. ec. Heft 2. pag. 240. Heft 1. pag. 168. Hier sind Beob- achtungen von METSCHNIKOFF (VIRCHOW’s Archiv Bd. XLI.), BALBIANI (KEFER- STEIN, Jahresber. f. 1865 in Zeitschr. f. rat. Med. XXVII. pag. 144.) und La VALETTE /M. Scuuurzn’s Archiv Bd. II.) eitirt, welche den Keimfleck Form- und Ortsveriinderungen haben ausfiihren sehen. aM Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 351 als Kernsubstanz, dagegen den übrigen bald mehr gallertartigen, bald mehr flüssigen Inhalt des Kerns als Kernsaft bezeichnen. Es sind diese Ausdrücke hie und da auch schon von anderen Forschern gebraucht worden. Ausser dem in den meisten Eizellen allein vorkommenden 13 p grossen Nucleolus beobachtet man in einzelnen Eiern neben ihm noch zwei bis drei kleinere aus Kernsubstanz bestehende runde Kügelehen (Nebenkeimflecke, Nebennucleoli). Den Untersuchungen AUERBACH’s zufolge werden wir sie uns durch Abspaltung von dem grösseren Keimfleck entstanden denken müssen. Ein weiteres bis jetzt meist übersehenes Formelement des Keim- bläschens (Fig. 1) sind feine blasse Fäden, die netzförmig durch- flochten von einer Wand zur andern, wie die Protoplasmafäden in einer Pflanzenzelle sich ausspannen. Man kann sie sowohl im fri- schen Zustand als auch an mit Reagentien behandelten Eiern wahr- nehmen. Die Fäden bestehen aus einer homogenen Grundsubstanz, welcher kleine Körnehen eingebettet sind. Am dichtesten liegen sie um den Nucleolus herum, wo sie auch membranartig sich ausbreiten. Von hier strahlen sie unter einander anastomosirend nach der Wand des Keimbläschens aus, auf welcher sie einen zarten Beleg zu bil- den scheinen. Aus dem Dotter herausgepresst gleicht daher ein Keimbläschen vollständig einer Pflanzenzelle. Dass in der Flüssigkeit des Keimbläschens ausser dem Nucleo- lus auch noch körnige Theile vorkommen, wird öfters erwähnt, da- gegen finde ich die hier mitgetheilte Bildung nur am Ei der Hydra durch KLEIMENBERG |!) beschrieben. Nach demselben soll das Keimbläschen auf einem frühen Stadium einen gleichmässig verbreiteten granulirten Inhalt mit Keimmfleck besitzen; später soll da- gegen in seiner Innenmasse eine Sonderung sich vollziehen. — »Der grössere Theil der Innenmasse,« schreibt KLEINENBERG, »zieht sich von der Membran zurück und sammelt sich als ein «dichter Klumpen um den Keimfleck an, während auf der Membran nur ein dieht an- liegender äusserst dünner, aber ununterbrochener Ueberzug der plasmoiden Masse nachbleibt. Der Zwischenraum ist von wasser- klarer Flüssigkeit erfüllt, jedoch steht die Wandschicht vermittelst zahlreicher zarter Fäden, welche den Flüssigkeitsraum durchsetzen, mit der Anhäufung um den Keimfleck in Verbindung. In diesem Zustande hat das Keimbläschen eine frappante Aehnlichkeit mit '!) KLEINENBERG. Hydra. pag 41. 352 Oscar Hertwig vielen Pflanzenzellen oder jenen Zellen, die HAEcKEL als Knorpel der Medusen und LiEBERKÜHN aus der Chorda des Frosches beschrie- ben haben. « Ueberzeugt, dass diese Bildung auch bei anderen thierischen Eiern sich würde nachweisen lassen, untersuchte ich Eier aus dem Ovarium einer Maus, nachdem dasselbe einen Tag in Jodserum ge- legen hatte, und fand ich mich in meiner Erwartung nicht ge- täuscht. Das central gelegene Keimbläschen (Fig. 9) ist mässig gross und von einer zarten Membran umgeben. In seinem wasser- klaren Inhalt finde ich einen runden grossen Nucleolus und zuwei- len neben ihm noch ein bis zwei kleinere ähnlich beschaffene Kü- gelchen. Wie im Keimbläschen der Seeigeleier liegt der Nucleolus in einem Netzwerk spärlicher Fäden, welche die wasserklare Flüs- sigkeit durchsetzen, hauptsächlich vom Keimfleck ausstrahlen und an die Keimbläschenwand sich anheften, sich hie und da gablig theilen und untereinander verbinden. Sie bestehen wie dort aus einer homogenen Substanz mit eingelagerten glänzenden Körnchen!). Bei Berücksichtigung aller hier angeführten Structureigenthüm- lichkeiten wird man es wohl gerechtfertigt finden, wenn ich das Keimbläschen als ein hoch differenzirtes Kerngebilde bezeichne. Das unreife Eierstocksei ist von einer Hülle umgeben, welche uns jetzt noch näher zu betrachten bleibt. Dieselbe besteht aus einer zarten Gallerte, welche von zahlreichen feinen radiären Strei- fen durchsetzt ist. Die Streifen sind der Ausdruck feiner Canälchen, durch deren Vermittlung die Ernährung des Eies sich vollzieht. Es liegt mithin hier dieselbe Bildung vor, welche von Jon. MÜLLER?) am Holothurienei beschrieben worden ist, dagegen konnte ich eine Mikropyle, welche bei den Holothurien so leicht wahrzunehmen ist, bei den Seeigeln in der Hülle nicht auffinden. Von dem hier geschilderten unreifen Eierstocksei weicht das in den Oviduet übertretende reife Ei sowohl in der Beschaffenheit "seines Inhalts als auch in der Bildung seiner Hüllen wesentlich ab (Fig. 2). Das Keimbläschen ist spurlos verschwunden und besteht daher das Ei ausschliesslich aus der körnchenführenden Dottermasse, von einer kleinen hellen Stelle abgesehen, die früher nicht vorhanden 1) Ganz neuerdings hat auch FLEMMING in seinen »Studien in der Entwick- lungsgeschichte der Najaden« ein Netzwerk von protoplasmatischen Fäden im Keimbläschen von Unio beschrieben. 2) JOHANNES MÜLLER. Archiv f. Anat. u. Phys. 1854. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung.u. Theilung d. thier. Eies. 353 / gewesen war. Der helle Fleck, dessen Beschaffenheit jetzt zu un- tersuchen ist, leuchtet meist mit Deutlichkeit aus dem dunkleren Dot- ter hervor, bald liegt er central, bald mehr der Peripherie des Eies genähert. Er ist kugelförmig und zeigt constant die Grösse von 13 u. Beim Zerdrücken des Kies behält er seine runde Form bei, selbst dann wenn er mit der Dottermasse aus der Eihülle ausfliesst. Gleichwohl ist er von keiner besondern Membran umgeben, wie denn auch die Dotterkérnchen unmittelbar seine Umgrenzung bilden. Es lässt sich hieraus schliessen, dass der helle kugelförmige Körper aus einer von der Grundmasse des Dotters verschiedenen, ziemlich festen, homogenen Substanz besteht. Dieselbe zeigt noch ausser- dem einige chemische Eigenschaften, durch welche sie sich von allen übrigen Eibestandtheilen unterscheidet. So gerinnt die Substanz gleichmissig in Osmiumsäure und hat sich nach einiger Zeit inten- siver als die Dottermasse geschwärzt. In BEALE’schem Carmin färbt sie sich gleichmiissig rubinroth. Chromsäure und Essigsäure bewir- ken eine etwas ungleichmässige Gerinnung, und kann man jetzt an dem kugligen Gebilde eine kérnige Rindenschicht und in dieser eingeschlossen einzelne geronnene Flecke unterscheiden. Wie schon aus diesen Reactionen, noch deutlicher aber aus dem weiteren Ver- halten bei der Kifurchung hervorgehen wird, ist der helle Fleck der Kern des reifen befruchtungsfähigen Eies. Ich will ihn zur Unter- scheidung vom Kern des unreifen Eies, für welchen ich den einmal eingeführten Namen Keimbläschen beibehalte, kurzweg als Eikern bezeichnen. Nieht minder deutlich wahrnehmbare Veränderungen sind in den, Eihüllen eingetreten (Fig. 2). Eine doppelt contourirte, ziem- lich derbe Membran umgibt in einiger Entfernung den Dotter. Der Zwischenraum wird durch eine dünne Gallerte ausgefüllt, die was- serklar ist, aber in Osmiumsäure sich etwas bräunt und dann kennt- lich wird. Nach aussen von der Membran findet sich noch, obwohl nicht constant an allen Eiern, eine dünne vollkommen durchsichtige Schleimschieht, welche schon von Dergks beschrieben worden ist '). Man nimmt sie wahr, wenn man die Eier unter dem Mikroskop in eine gefärbte Flüssigkeit bringt, dieselbe bleibt dann durch eine farblose Zone von der Membran des Eies getrennt. Bei der Befruch- tung haften die Spermatozoen in dieser Schleimhülle. ') Derg&s. Formation de l’embryon: chez loursin comestible. Annales des sciences nat. Serie III. B. VII. 1847. 354 Oscar Hertwig Bei einem Vergleich des unreifen mit dem reifen Ei drängt sich einem Jeden naturgemäss die Frage auf, wie ist das letztere aus dem ersteren entstanden, durch welche Veränderungen ist der Schwund des Keimbläschens herbeigeführt und in welcher Weise ist der spätere Eikern gebildet worden. Gestützt auf eine grössere An- zahl von Beobachtungen will ich diese Fragen zu beantworten ver- suchen. Die Umwandlung des Eies erfolgt bei den Seeigeln schon in den Ovarien, und muss man daher zur Untersuchung aus ihnen die Eier entnehmen. Auf der Höhe der geschlechtlichen Entwicklung sind die Ovarien ungemein vergrössert, von rosenrother Farbe, und leicht zu verletzen, so dass schon bei einem geringen Druck mit dem Fin- ger einzelne Drüsenbläschen platzen und ihren Inhalt ausfliessen las- sen. Wenn man diese in einer zähen Flüssigkeit eingebetteten’ Eimassen unter dem Mikroskop untersucht, so erhält man fast nur reife, selten aber unreife Eierstockseier und Uebergangsstadien zu sehen. Man wird daher am besten die Zeit, wo die Geschlechtspro- ducte zu reifen beginnen, zur Untersuchung benutzen. Da dieser Moment, als ich meine Beobachtungen "anfing, bereits verstrichen war, . suchte ich mir auf zweierlei Weise zu helfen. Einmal benutzte ich sehr Junge, kleine Thiere, bei denen, wie ich fand, die Reife der Eier etwas später erfolgt, und zweitens untersuchte ich die Ovarien grösserer Thiere, wenn sie ihren Inhalt reifer Eier entleert hatten, was immer voll- ständig eintritt, wenn man die Seeigel einige Zeit in einem Gefäss mit Meerwasser aufbewahrt hält. Die an Grösse um ein mehrfaches redueirten Eierstöcke besitzen jetzt eine schmutzig bräunlich rothe Färbung; sie fühlen sich weit derber und fester an und vertragen selbst einen stärkeren Druck ohne zu platzen. Zur Untersuchung in frischem Zustande zerzupfte ich, entweder ein Stück Ovarium auf dem Objecttriiger oder strich auf demselben die aus der Schnittfläche des Eierstocks hervorquellende Eimasse ab. Die nöthige indifferente Flüssigkeit lieferte der im Ovarium enthaltene Gewebssaft. An günstigen Präparaten wird man immer zwischen einer grösseren Anzahl unreifer und reifer Eier auch eine kleinere Anzahl Uebergangsstadien auffinden, wie ich sie in den Figuren 3—6 wiedergegeben habe. Als häufigstes Uebergangsbild erblickt man Eier, wo das Keim- bläschen im Centrum fehlt, anstatt dessen aber die Oberfläche des Dotters an einer Stelle uhrglasförmig vertieft und von einem kugli- gen oder linsenförmig abgeplatteten glashellen Körper ausgefüllt ist. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 355 (Fig. 4 u. Fig. 6.) An diesem konnte ich eine besondere Membran nicht wahrnehmen. Sein Inhalt besteht aus einem dünnflüssigen Safte, in welchem ausser feinen punctformigen Kérnchen eine An- zahl kleiner unregelmässig gestalteter Körper eingebettet sind. Letz- tere können im frischen Zustande leicht mit Keimflecken verwech- selt werden, unterscheiden sich aber von diesen schon dadurch, dass sie sich in Carmin gar nieht imbibiren, mithin auch nicht aus Kern- substanz gebildet sind. In einigen Fällen fand ich ausserdem noch in dem linsenförmigen Körper ein rundes Gebilde von der Beschaffenheit und Grösse des Keimflecks. Dasselbe lag unmittelbar der Dotterober- fläche an und färbte sich in Carmin dunkelroth (Fig. 6). In anderen Objecten, wo dieser Keimfleck fehlte (Fig. 4), enthielt der Dotter stets schon den bleibenden Eikern. Derselbe lag in der Regel in der Nähe des der Eioberfläche eingesenkten hellen Körpers. In allen von mir untersuchten in der Umwandlung begriffenen Eiern schlossen sich der Keimfleck und der Eikern in ihrem Vorkommen gegenseitig aus. War der Keimfleck im linsenförmigen Körper bemerkbar, dann vermisste man denEikern und umgekehrt. Dagegen fehlten beide nie gleichzeitig in irgend einem Ei. An anderen Uebergangsobjeeten sieht man an Stelle des be- schriebenen kugligen Körpers eine gleichbeschaffene flache Scheibe der Dotteroberfläche aufliegen und durch ihren hellen Inhalt deutlich von derselben sich abgrenzen. Auch kömmt es nicht selten vor, dass die Scheibe in zwei Stücke zerfallen ist und dass dann, wie es meist der Fall ist, neben einer grösseren noch eine kleinere Scheibe ange- troffen wird. Figur 3 gibt eine Ansicht des scheibenförmigen Kör- pers von oben, Figur 5 eine Ansicht von der Seite. Der Keimfleck fehlt in diesen Objeeten, dagegen ist stets der Eikern in der Nähe der Scheibe vorhanden. Wenn wir an die Deutung der mitgetheilten Befunde gehen, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass der helle verschieden ge- formte Körper auf der Oberfläche des Dotters das veränderte und in kückbildung begriffene Keimbläschen ist. Denn die angewandte Untersuchungsmethode in frischem Zustande und der Umstand, dass in Flüssigkeiten eonservirte Bier gleiche Veränderungen zeigten, bürgt uns dafür, dass wir in den beschriebenen Bildern keine Kunstpro- duete vor uns gehabt haben. Bei der Reife des Eies hat demnach das Keimbläschen beträchtliche Veränderungen sowohl in seiner Lage, als auch besonders in seiner Textur erlitten. Was zunächst 396 Oscar Hertwig seine Lage anbetrifft, so ist es aus der Mitte an die Oberfläche des Dotters gerückt. Hier liegt es als ein linsenförmig gestalteter Körper in einer tiefen Grube, späterhin plattet es sich immer mehr ab und bildet schliesslich eine flache Scheibe auf dem Dotter, der allmälig seine kugelförmige Oberfläche wieder angenommen hat, dadurch dass die Grube mehr und mehr verstrichen und endlich ganz ausgeglichen worden ist. Bei der stattfindenden Lageveränderung kann das Keim- bläschen in zwei, vielleicht auch in noch mehrere Theile getrennt werden. Alle diese Vorgänge werden offenbar durch Contractionen des Protoplasma herbeigeführt. Auch liess sich öfters bei Unter- suchung frischer Objeete die Wahrnehmung machen, dass ein in einer tiefen Grube gelegenes Keimbläschen plötzlich über die Ober- fläche des Eies buckelförmig hervorgetrieben wurde, indem der Dotter hierbei seine Contouren veränderte. In einem Falle sah ich, wie ein in Umwandlung begriffenes und oberflächlich gelegenes Keim- bläschen an einer Stelle eingeschniirt und schliesslich in zwei Stücke zerlegt wurde, von welchen das grössere auf die Dotteroberfläche austrat, während das kleinere noch vom Protoplasma umschlossen blieb. Die Texturveränderungen, welche das Keimbläschen wäh- rend dieser Lageveränderungen erleidet, sind jedenfalls Erscheinungen einer regressiven Metamorphose. Hierbei wird seine Membran wahr- scheinlich vom Protoplasma, von welchem sie nach meiner Meinung ursprünglich gebildet worden ist, auch wieder aufgelöst. Ferner zerfällt der Kernsaft, die früher gleichmässige dünnflüssige Gallerte, in einzelne fettig glänzende Körperchen und in die dunkleren Körn- chen. Da ich an reifen Eiern zwischen Dotter und Eimembran nie Gebilde vorgefunden habe, die ich für Reste des Keimbläschens in Anspruch nehmen könnte, so lässt sich vermuthen, dass alle Be- standtheile nach ihrem Zerfall und völliger Auflösung in den Dotter wieder aufgenommen werden. Das Schicksal des Keimflecks ist bei dieser Schilderung bis jetzt ganz unberiicksichtigt geblieben. Es ist aber die Frage nach dem Verbleib desselben von hoher prineipieller Bedeutung und ver- langt dieselbe daher an dieser Stelle eine eingehende Besprechung. Wie gesagt, habe ich an keinem der von mir untersuchten Objecte irgend eine Veränderung am Keimflecke wahrgenommen. In allen Fällen, wo er vorhanden war, färbte er sich mit gleicher Intensität wie früher in Carmin, zeigte er dieselbe Grösse, dieselbe Form und Beschaffenheit. Wo er fehlte, war er spurlos verschwunden. Für Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Kies. 357 die Annahme, dass der Keimfleck, wie das Keimbläs- chen zerfällt, lässt sich daher keine direete Beobach- tung anführen. Dagegen muss es in hohem Grade auffallend erscheinen, dass an allen Eiern, wo der Keimfleck vermisst wird, stets der Eikern vorhanden ist, und lässt sich daher die Vermuthung aufstellen, dass beide identische Bildungen sind, dass der Eikern der aus dem Keimbläschen frei gewordene oder ausge- wanderte Keimfleck ist. Für diese Annahme lassen sich nun auch in der That eine nicht geringe Anzahl von triftigen Gründen geltend machen. Eikern und Keimfleck sind von gleicher Grösse (13 w), beide sind membran- los, beide bestehen aus einer ziemlich festen homogenen Substanz, beide färben sich intensiv in Carmin und schwärzen sich in Osmium- säure. Wie vom Keimfleck nicht sein Verschwinden, so konnte vom Eikern nicht eine Neubildung beobachtet werden. Beide Körper sind nie gleichzeitig in einem Ei vorhanden, wie auch beide nie gleich- zeitig fehlen. Bei seinem Erscheinen liegt der Eikern in der Nähe des metamorphosirten Keimbläschens, vor seinem Verschwinden be- rührt der Keimfleck unmittelbar die Dotteroberfliiche. Der Umstand, dass der Keimfleck im Keimbläschen als ein dunkler Körper, der Eikern dagegen im Dotter als ein ganz helles Bläschen erscheint, lässt sich leicht durch den Contrast zur umgebenden Substanz er- klären, da der Keimfleck in dem wasserhellen Kernsaft, der Eikern dagegen in dem dunklerew Dotter liegt. Ebenso kann die Lage- veränderung, welche der Keimfleck, um zum Eikern zu werden, erfahren müsste, keinen Grund gegen die Annahme einer Identität beider Gebilde abgeben. Denn nach den Beobachtungen Mrrscuni- KOFF’S, BALBIANTS, LA VALETTE’S, AUERBACH’s und anderer Forscher kann ja der Keimfleck amöboide Bewegungen ausführen und seine Lage verändern. Bei Abwägung aller dieser Verhältnisse kann zwar die Möglich- keit, dass der Keimfleck sich auflöst und der Eikern neu entsteht, solange nicht der direete Uebergang des ersteren in den letzteren beobachtet ist, nicht ganz von der Hand gewiesen werden: immer- hin aber wird die Annahme, dass der Keimfleck zum Eikern wird, als die am meisten begründete Erklärung gelten müssen. Für den ersten Abschnitt dieser Beobachtungen ergibt sich mit- hin folgendes Gesammtergebniss: Zur Reifezeit des Eies er- leidet das Keimbläsehen eine regressive Metamorphose und wird durch Contractionen des Protoplasma an 358 Oscar Hertwig die Dotteroberfläche getrieben. Seine Membran löst sich auf, sein Inhalt zerfällt und wird zuletzt vom Dot- ter wieder resorbirt, der Keimfleck aber scheint un- veränderterhalten zu bleiben, in die Dottermasse selbst hineinzugelangen und zum bleibenden Kern des reifen befruchtungsfihigen Kies zu werden. Literaturangaben. Ueber den in diesem Abschnitt behan- delten Gegenstand, über das Schicksal des Keimbläschens und über die Herkunft des Kerns der ersten Furchungskugel liegt ein sehr reiches Beobachtungsmaterial vor, welches alle Thierelassen umfasst. Ein Studium derselben zeigt, wie die einzelnen Forscher in ihren Angaben und Deutungen in vielfacher Weise anseinandergehen und wie selbst über Punete von hervorragend theoretischer Bedeutung ein allgemeines Ergebniss noch nieht zu gewinnen ist. Im Folgenden werde ich eine gedrängte Zusammenstellung der einschlägigen Beobachtungen und der von verschiedenen Seiten geäusserten Ansichten geben, eine Zusammenstellung, welche bei dem Umfang unserer embryologischen Literatur durchaus keine voll- ständige sein kann. Wenn es für derartige Darstellungen gewöhnlich richtig ist, die historische Aufeinanderfolge der Untersuchungen einzuhalten, so schien es mir dagegen im vorliegenden Falle geboten, von dieser Regel abzuweichen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil in den mitzutheilenden Beobachtungen keine Continuität herrscht, so dass ich eine Menge zusammenhangsloser und sich widersprechender Einzelheiten in ermüdender und verwirrender Aufeinanderfolge dem Leser vorführen müsste. Die meisten Forscher haben eben nur den an einem einzelnen Objecte gewonnenen Befund mitgetheilt, eine Verknüpfung desselben mit früheren Angaben oder mit allgemeinen theoretischen Auffassungen dagegen gewöhnlich nicht versucht. So ist es denn gekommen, dass man von einer geschichtlichen Entwicklung des uns hier beschäftigenden Gegenstandes kaum reden kann. Diese Frscheinung erklärt sich wohl besonders aus zwei Ursachen: einmal daraus, dass die meisten dieser Beobachtungen bei Gelegenheit grös- serer entwicklungsgeschichtlicher Arbeiten gemacht worden sind und daher nur nebenbei Berücksichtigung gefunden haben, ferner erklärt es sich aber auch aus der ganzen Forschungsrichtung der früheren Jahr- Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Kies. 359 zehnte. Wie bei jeder jungen Wissenschaft, so hat man auch in der Anatomie der Elementarorganismen schon Befriedigung in der Beobachtung selbst, in der Entdeckung neuer Thatsachen gefunden, und war das Bediirfniss, sie stets unter allgemeinere Gesichtspuncte zu gruppiren, naturgemäss ein minder reges gewesen. Wenn aus den erörterten Gründen die mitzutheilenden Beobach- tungen sich nieht nach ihrer geschichtlichen Aufeinanderfolge in einen Zusammenhang bringen lassen, so können sie dagegen nach ihrem Inhalt leicht unter allgemeinere Gesichtspunete übersichtlich an- geordnet werden. Bei der Untersuchung der Umwandlung des Eierstockseies in das reife befruchtungsfähige Ei handelt es sich hauptsächlich um die Feststellung der Thatsache, ob zwischen dem Keimbläschen und dem Kern der ersten Furchungskugel ein morphologischer Zusam- .menhang besteht oder ob ein solcher fehlt. Ein morphologischer Zusammenhang würde bestehen, wenn das Keimbläschen entweder als Ganzes oder ein Theil desselben, wie der Keimfleck zum Eikern würde; dagegen würde der morphologische Zusammenhang fehlen, wenn das Keimbläschen in toto einer Auflösung verfiele. Es lassen sich hiernach die Beobachtungen, je nachdem sie für den einen oder andern Fall sprechen, in drei Gruppen sondern und werde ich zunächst diejenigen anführen, nach denen das Keimbläschen in toto untergehen soll. 1. Angaben über Schwund des Keimbläschens und Neuentstehung des Eikerns. Die ersten und zugleich auch die zahlreichsten Beobachtungen über Verschwinden des Keimbläschens sind an den Eiern der Wir- belthiere gemacht worden. Schon im Jahre 1825 fand PurKINJE!), der Entdecker des Keimbläschens im Hühnerei, dass dieses in Eiern, welche dem Oviduct entnommen wurden, verschwunden sei, und schloss daraus, dass es durch die Contractionen des Eileiters zer- sprengt und sein Inhalt (eine lympha generatrix) mit dem Keim vermischt werde. Daher der Name vesicula germinativa. Die Angaben PurkınJE’s wurden bald darauf bestätigt und erweitert durch Untersuchungen von C. E. v. Barr, welche an ') PURKINJE. Symbolae ad ovi avium historiam ante incubationem. Refe- rirt nach den von ÖELLACHER wörtlich- eitirten Stellen (Scnunrrze's Archiv. Ba. VIII). 360 Oscar Hertwig Fisch- '), Amphibien-, Reptilien- und Vogeleiern ?) angestellt wor- den waren. Er beschreibt schon, wie am unreifen Ei das Keim- bläschen central liegt, später durch den Dotter hindurch gegen die Oberfläche wandert und endlich bei völliger Reife verschwindet. Er erwähnt, dass das Schwinden auch ohne Befruchtung erfolgt und nieht durch Contractionen des Oviduets herbeigeführt wird, sondern mit der Reife des Eies in Zusammenhang steht. Die genauesten Untersuchungen über diesen Gegenstand haben ÖELLACHER 3) und GOETTE*) angestellt, indem sie Schnitte dureh er- härtete Eier anfertigten. Als Hauptresultat seiner Arbeit hebt OEL- LACHER besonders hervor, dass in keinem Wirbelthierei das Keim- bläschen in genetischer Beziehung zu den Kernen der ersten Fur- chungskugeln stehe, dass dieselben vielmehr ganz unabhängig von ihm sich neu bilden. Aehnliche Beobachtungen sind auch in allen übrigen Thierelas- sen gemacht worden und will ich die wichtigsten derselben hier kurz anführen. Eine sehr ausführliche Beschreibung von der Riickbildung des Keimbläschens im Hydra-Ei liefert KLEINENBERG). Dieselbe werde ich dem Wortlaut nach wiedergeben, da es die einzige an einer so tief stehenden Thierelasse genauer angestellte Untersuchung ist. »Zu der Zeit ungefähr, wenn im Ei die Pseudozellenbildung beendigt ist, tritt eine rückgängige Metamorphose des Keimflecks ein, er verliert seinen kreisförmigen Umfang und wird unregelmässig eckig, seine Substanz erscheint wie geronnen, dann zerfällt sie in kleine Stückchen und diese werden, wie ich glaube annehmen zu dürfen, aufgelöst. Das Keimbläschen selbst, das, so lange das Ei den flachen amöbiformen Körper bildete, im Centrum desselben lag, wird mit der Abrundung des Eikörpers excentrisch gegen den nach aussen gerichteten Pol gedrängt, wo es dicht an der Oberfläche nur von einer ganz dünnen Plasmaschicht überzogen liegt. Hier beginnt nun auch seine Rückbildung, die in völligen Schwund ausläuft. Der !} C. E. v. BAER. Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der Fische. 1835. pag. 4 und 9. 2) ©. E. v. BAER. Ueber die Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. II. pag. 27—28. pag. 157. 158. 3) OELLACHER. Beiträge zur Geschichte des Keimbläschens im Wirbel- thierei. Archiv f. mikrosk Anat. B. VIII. pag. 1—25. 4) GOETTE. Entwicklungsgeschichte der Unke. 5) KLEINENBERG. Hydra. Leipzig 1872. Beitriige z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 361 körnige Inhalt verflüssigt sich mehr und mehr, zugleich tritt ein Theil desselben durch die Membran aus, denn diese, die bisher prall gespannt war, sinkt zu einem meist eiförmigen Schlauch zusammen, dessen Wandung verdickt und stellenweise gefaltet ist. Die noch übrig gebliebene compacte Innenmasse löst sich darauf in einzelne glänzende Körper auf von rundlicher oder eckiger Form und sehr verschiedener Grösse, zwischen denen hin und wieder Tröpfehen eines flüssigen Fettes zerstreut sind. Die festen Partikel liessen sich in Kalilauge leicht auflösen, dagegen konnte ich ihre Löslichkeit in Aether nicht mit Sicherheit feststellen. Ich bin sehr geneigt, die fraglichen Körper für Fett oder doch für jene eigenthümliche Modi- fication eiweisshaltiger Stoffe, welche wir als sicheren Vorläufer der Verfettung aus so vielen pathologisch veränderten Geweben kennen, zu erklären, und demgemäss den Schwund des Keimbläschens auf eine fettige Degeneration zurückzuführen. Einmal glaube ich in diesem Stadium eine Oeffnung in der Membran gesehen zu haben; wenn dies ein normaler Befund ist, wäre es möglich, dass auch ihr fester Inhalt austritt und in das umgebende Plasma aufgenommen wird. Was aus der Membran selbst wird, kann ich nicht sagen, Jedenfalls ist aber das ganze Keimbliischen schon lange vor Eintritt der Befruchtung bis auf jede Spur verschwunden«. Wie bei Hydra, ist auch bei reifen Beroe-Eiern, welche trotz ihrer Grösse vollkommen durchsichtig sind, nach den Angaben Ko- WALEWSKY'S') keine Spur eines Keimbläschens mehr nachzuweisen. Dasselbe soll nach Mrrscunrkorr2) bei Medusen und Sipho- nophoreneiern der Fall sein. Unter den Würmern sind es die Nematoden®*) vorzüglich, welehe häufig als Beweis für den Schwund des Keimbläschens und die Neubildung des Kerns der ersten Furchungskugel angeführt wor- den sind. REICHERT sah bei Strongylus aurieularis die Con- 1) KowALEwsky. Entwicklungsgeschichte der Rippenquallen. Petersburg 1866. 2) METSCHNIKOFF. Studien über die Entwicklung der Medusen und Sipho- nophoren. Zeitschr. f. wiss. Zool. v. SIEB. und Körr. 1874. 3) BAGGE. Dissertatio inauguralis de evolutione Strongyli aurieularis et ascaridis acuminatae. Erlangae 1841. KÖLLIKER, Beiträge zur Entwicklungs- geschichte wirbelloser Thiere. Archiv f. Anat. und Physiol. 1843. pag. 76. REICHERT. Der Furchungsprocess und die sogenannte Neubildung um Inhalts- portionen. Archiv. f. Anat. u. Phys. 1846. pag. 201 ete. AUERBACH. Organo- logische Studien. Heft II. ® 362 Osear Hertwig tour des Keimbliischens nach und nach undeutlich werden und seinen Inhalt im Dotter sich vertheilen. Ob zuvor schon der Keimfleck geschwunden sei, darüber sind alle Forscher unsicher geblieben, doch stimmen sie darin überein, dass das Ei der Nematoden längere Zeit eine kernlose Dottermasse sei, bis sich wahrscheinlich unter dem Einfluss der Befruchtung der Kern der ersten Furchungskugel bilde. Bei den Mollusken beschreibt Loven'!), dass in reifen Eiern das Keimbläschen an die Dotteroberfläche rückt, dass hier seine Membran aufgelöst wird und einzelne Theile ganz aus dem Ei aus- gestossen werden und die sogenannten Richtungskügelchen bilden. Der Kern der Furchungskugel soll mit dem Schwund des Keimbläs- chens in der Dotterperipherie hervortreten. Zu ähnlichen Resultaten ist neuerdings FLEMMING?) gekommen. Nach den Untersuchungen von KROHN ?), LEYDIG !), WırricH’) ete. schwindet das Keimbläschen auch in den reifen Eiern der Aseci- dien und Arthropoden. Wenn man die Fülle der hier mitgetheilten in allen Thierclassen angestellten Beobachtungen, welche alle zu demselben Resultate ge- führt haben, berücksichtigt — und ihre Zahl kann durch weitere Beispiele noch leicht vermehrt werden — so wird man es begreiflich finden, dass bei einem grossen Theil der Naturforscher sich schon früh die Ansicht herausgebildet hat, dass das Keimbläschen in allen Eiern zu Grunde geht und dass zwischen ihm und dem Kern der ersten Furchungskugel kein genetischer Zusammenhang besteht. So erklärt schon LEUCKART®) in dem Artikel Zeugung in WAGNeER’s Hand- wörterbuch: »Das Einzige, was der Aufbau eines neuen Thieres voraussetzt. ist die Anwesenheit eines entwicklungsfähigen Mate- riales, und dieses ist der Dotter, der durch die Auflösung des Keim- bläschens in eine gleichférmige Masse verwandelt wird und sich erst 1) LovEn. Ueber die Entwicklung der kopflosen Mollusken. Archiv. f. Anat. u. Phys. 1848. 2) FLEMMING. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teich- muschel. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. X. 3) Kroun. Ueber die Entwicklung der Ascidien. Archiv. f. Anat. u. Phys. 1852. pag. 313. 4) LeyDIG. Ueber Argulus folliaceus. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. I. pag. 340. 5) Wirticu. Die Entstehung des Arachnideneies im Eierstocke ete. MUL- LER’s Archiv 1849. pag. 122—124. 6) LEUCKART. WAGNER’s Handwörterbuch der Physiologie. Bd. IV. pag. 922. =e oe SS Beitriige z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 363 dadurch für jene wunderbaren Metamorphosen vorbereitet, die ihn in Folge der Befruchtung allmälig in einen selbstständigen Organismus verwandeln.« Das Keimbläschen hält er nur für ein provisorisches Gebilde, das mit der weiteren Ausbildung der Zelle seine ursprüng- liche Wichtigkeit verloren hat. Dem Keimfleck theilt er eine ge- wissermassen nur architeetonische Bedeutung zu. Indem die genannten Forscher das Keimbläschen vollständig sich auflösen lassen, müssen sie eine Neubildung des Kerns der ersten Furehungskugel annehmen. Ueber den Process dieser Neubildung sind erst neuerdings zwei Ansichten ausgesprochen worden, von welehen die eine von AUERBACH, die andere von STRASBURGER her- rührt. Nach Avrrsacn soll die helle Primärsubstanz der Kerne durch ihr optisches und ehemisches Verhalten, wie durch ihren Mangel an activer Bewegungsfähigkeit als ein vom eigentlichen Protoplasma verschiedener Stoff sich erweisen, welcher dieses diffus durehtriinken kann, in gewissen Entwieklungsmomenten aber in grösseren kugligen Hohlräumen des Protoplasma sich ansammelt. Bei der Neubildung des Kerns im Ei soll zunächst eine minimale Lücke im Protoplasma sich zeigen und von diesen kleinsten Anfängen ausgehend zu einer immer grösseren, kuglig sich abrundenden Höhle heranwachsen; der Zellkern soll daher ursprünglich nichts anderes als eine Art Vacuole, d. h. eine mit Flüssigkeit erfüllte Höhle im Protoplasma sein. Die Nucleoli sollen in dieser Höhle nachträglich entstehen durch Zusammenballung feiner Proto- plasmatheilchen, welche entweder von der Umgebung der Vacuole sich abgelöst haben, oder schon gleich bei der Aussonderung des Tropfens in die entstehende Höhle mit hineingerissen worden sind '). Gegen die Deutung des primären Kerns als eines flüssigen Tropfens wendet sich STRASBURGER?) , indem er meint, dass AUER- BACH die in den Kernen sieh bildenden Vacuolen jedenfalls für die Kerne selbst gehalten habe. Er selbst habe an Ascidieneiern fest- stellen können, dass der eigentliche Zellkern in lebenden Objecten meist unkenntlich bleibe, und dass nur die in ihnen auftauchenden Vacuolen deutlich siehtbar werden. Die Neuentstehung des Kerns will STRASBURGER in folgender Weise beobachtet haben. »Die Haut- 1) AuERBACH. Organologische Studien Heft 1. pag. 79—91. 164. Heft 2. pag. 235—241. 2) STRASBURGER. Ueber Zellbildung und Zelltheilung. pag. 189—192. pag. 209. pag. 233. Morpholog. Jahrbuch. 1. Ww a 364 Oscar Hertwig schicht des Kies verdiekt sich an einer unbestimmten Stelle: in der angesammelten, homogenen, glashellen Hautschichtmasse tritt aber alsbald eine Spaltung ein, und der innere Theil derselben beginnt sich sichtlich von dem als Hautschicht an ursprünglicher Stelle zu- riickbleibenden abzustossen. So fängt die Wanderung eines Theiles der peripherischen Hautschichtmasse nach dem Innern des Eies an, und zwar mit einer von der Peripherie nach dem Innern zu abneh- menden Geschwindigkeit.« Im Centrum ballt sich die Masse zu einer Kugel zusammen. »Während der Wanderung der Hautschiehtmasse treten in ihr ein, in seltneren Fällen mehrere Vacuolen auf, die im frischen Zustand allein wahrnehmbar sind.« 2) Angaben über Fortbestand des Keimbläschens und Theilung desselben. Den im vorausgegangenen Paragraphen angeführten zahlreichen Angaben über Schwund des Keimbläschens steht eine geringere Anzahl von Beobachtungen gegenüber, nach denen der Kern der ersten Furehungskugel vom Keimbläschen abzuleiten ist. Dasselbe soll fortbestehen bleiben und vor Beginn der Furchung sich theilen. Eine ältere Angabe, das Säugethierei betreffend, rührt von dem englischen Embryologen Barry!) her, welcher behauptet, dass das auf der Dotteroberfläche gelegene Keimbläschen nach der Befruchtung sich wieder in das Eicentrum zurückziehe. Wie wenig aber diese Angabe Barry's glaubwürdig ist, geht aus der Schilderung der weiteren Veränderungen, die im Keimbläschen stattfinden sollen, klar hervor. Es soll nämlich die Peripherie des Keimflecks in einen Kranz von Cytoblasten zerfallen. Während dieselben sich vergrössern und sich in Zellen umwandeln, sollen vom Keimfleck aus immer neue Kränze von Cytoblasten entstehen, welche sich in immer neue Zellen umwan- deln. Barry nennt dies den Keimflecktheilungsprocess. Von ganz besonderer Wichtigkeit als ein Fall von Fortbestand und von Theilung des Keimbläschens sind die Angaben von Jou. MÜLLER über Entoconcha mirabilis?) geworden, weil hier der Name des Forschers eine Bürgschaft für die Richtigkeit der Beob- I, Barry. Neue Untersuchungen über die schraubenförmige Beschaffenheit der Elementarfasern der Muskeln, nebst Beobachtungen über die muskulöse Natur der Flimmerhärchen. Archiv für Anat. u. Physiol. 1850. 2) JOHANNES MÜLLER. Ueber die Erzeugung von Schnecken in Holothu- rien. Archiv f. Anat. u. Phys. 1852. pag. 11 u. 19. Beitriige z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 365 achtung lieferte. Ich gebe daher die betreffende, hiiufig citirte Stelle wörtlich wieder: »Das Keimbläschen im reifen Ei von Ento- concha ist völlig hell und hat eine einfache nicht doppelte scharfe Contour. In seinem Innern sind keine Granula und nichts einem Keimfleck Achnliches zu erkennen, es ist durch und durch so zähe, dass man an der Existenz einer Membran zweifeln könnte; es gleicht daher mehr dem, was von BAER in den reiferen Eiern des Seeigels den Kern des Eies') nennt.« Von diesem Keimbläschen beschreibt Jon. MÜLLER weiterhin, dass es vor der Dotterfurchung nicht verschwinde, sondern sich in zwei etwas kleinere sonst ganz gleiche helle Körper theile und so die Kerne der beiden ersten Furchungskugeln liefere. An diese Angaben von Jou. MÜLLER schliesst sich eine Anzahl ähnlicher Befunde anderer Forscher an, wie die an niederen Thieren angestellten Untersuchungen von LEYDIG, GEGENBAUR, FOL und VAN BENEDEN. LeyvıG ?2) und GEGENBAUR°) haben, der erstere bei Räderthier- chen, der letztere bei Medusen, Pteropoden und Heteropoden homo- gene Keimbläschen beschrieben und haben solche bei der Furchung sich theilen sehen. Fou‘) liefert uns eine recht genaue Beschreibung sowohl von den Eierstockseiern als auch von den befruchteten, frisch gelegten Eiern der Geryoniden. Im Eierstocksei enthält das Keimbläschen einen grossen Nucleolus, »das Keimbläschen oder der Kern des ge- legten Eies dagegen sieht wie eine Vacuole aus, indem seine Sub- Stanz weniger lichtbrechend ist als das umgebende Protoplasma und flüssig zu sein scheint. Eigene Wandungen dieser Vacuole lassen sich am frischen Ei nicht unterscheiden; der Durchmesser dieses Keimbläschens beträgt 0,02—0,027 Mm., so dass man ihn gewiss nicht mit dem Keimbläschen des unbefruchteten Eies identificiren kann.« Fou wirft bei dieser Beschreibung die Frage auf: »Es wäre interessant zu wissen, ob der Kern des befruchteten Eies vom Kern oder vom Kernkérperchen des unbefruchteten abstammt, oder ob 1) v. BAER bezeichnet als Kern des Eies das von mir als Eikern benannte Gebilde. 2) Leypia. Ueber den Bau und die systematische Stellung der Räder- thiere. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. VI. pag. 28. u. 102, 203. 3) GEGENBAUR. Zur Lehre vom Generationswechsel und der Fortpflanzung bei Medusen und Polypen. pag. 24 u. 28. GEGENBAUR. Untersuchungen über Pteropoden und Heteropoden. pag. 66 u. 180. 4) Fou. Die erste Entwicklung des Geryonideneies. Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturwiss. Bd. VII. pag. 474. 25 * 366 Oscar Hertwig diese Gebilde bei der Befruchtung verschwinden, um einer Neubildung Platz zu machen % Van BENEDEN !) endlich hat den Fortbestand des Keimbläschens als einen im ganzen Thierreich stattfindenden gesetzmässigen Vor- sang in seinen Untersuchungen über die Zusammensetzung und die Bedeutung des Eies ‚wahrscheinlich zu machen gesucht. Gestützt auf eigene Wahrnehmungen an dem sehr durchsichtigen Ei von Distomum cignoides, an welchem er durch Vergleichung einer Reihe von Objecten auf die Theilung des Keimflecks und darauf folgende Theilung des Keimbläschens bei der Dotterfurchung hat schliessen können, gestützt ferner auf gleichlautende Angaben anderer For- scher, von denen er eine kurze Zusammenstellung gibt, spricht VAN BENEDEN die Vermuthung aus, dass in keinem thierischen Ei das Keimbläschen wirklich zu Grunde gehe, sondern nur zeitweilig durch Veränderungen des Dotters unsichtbar gemacht werde und dem Beob- achter zu verschwinden scheine, um dann vor der Dotterfurchung wieder zum Vorschein zu kommen. Indem ich hiermit die zweite Gruppe von Beobachtungen ab- schliesse, mache ich noch besonders darauf aufmerksam, dass in fast allen angeführten Fällen die Keimbläschen, welche später sich theilen sollen, als durchaus homogene Vacuolen ohne Keim- fleck beschrieben werden. Angaben, dass in dem fortbestehenden Keimbläschen auch ein Keimfleck vorhanden gewesen ist, finden sich in der Literatur nur sehr vereinzelt vor. Dies soll nach den Beobachtungen KÖLLIKER'S, GEGENBAUR’S und HAECKEL’s zum Bei- spiel bei den Siphonophoren, nach van BENEDEN bei Distomum eignoi- des der Fall sein. 3. Angaben über Schwund des Keimbläschens und Fortbestand des Keimflecks. In einer dritten Gruppe lassen sich eine Anzahl Beobachtungen zusammenfassen, nach denen zwar das Keimbläschen sich auflösen, der Keimfleck aber erhalten bleiben und zum Kern des reifen Eies werden soll. Von besonderem Interesse sind mir hier zwei Untersuchungen, welche gleichfalls am Seeigelei angestellt worden sind; die eine - rührt von DErBEsS, die andere von C. E. v. BAER her. 1) VAN BENEDEN. Recherches sur la composition et la signification de loeuf. Bruxelles 1870. pag. 289—244. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 367 Dersks') beschreibt, dass das Eierstocksei aus drei Kreisen besteht, dem Keimfleck, dem Keimbläschen und dem Dotter: der mittlere Kreis soll verschwinden und nur der äussere Kreis, der Dotter, und der kleine innere, der Keimfleck, bestehen bleiben ?). Die Schilderung BAEr's®) gebe ich dem Wortlaut nach wieder: »Im reifen Ei des Seeigels erkennt man an einer Stelle seiner Ober- fläche einen hellen Kreis, der etwa ein Achtel vom Durchmesser des ganzen Eies hat. Sobald die Dotterkugel durch Aufnahme von Flüssigkeit eine hinlängliche Beweglichkeit innerhalb einer um- gebenden durchsichtigen Hülle erlangt hat, senkt sich die Gegend, welche den hellen Kreis enthält, nach unten, mag also wohl die schwerste sein. Dass es nicht ein Bläschen oder eine Zelle, son- dern ein sehr weicher Körper ist, was äusserlich als heller Kreis erscheint, glaube ich nach vielfältigen Versuchen, die ich mit me- chanischen Zertheilungen und einigen Reagentien anstellte, mit Be- stimmtheit erkannt zu haben, obgleich dieser Körper bald in seiner Metamorphose völlig durchsichtig wird. Ich will ihn den Kern des Eies nennen, da er diesen Namen durch sein Verhalten bei der Metamorphose des Eies vollständig verdient, und seine Genese von mir nicht hinlänglich hat verfolgt werden können. Ich kenne nur den ersten Anfang des Eies, ferner den Zustand, welcher der vollen Reife vorangeht, und diese selbst. Nach dem ersten muss ich den Kern für identisch mit dem Theile, den man den WAGNER- schen Keimfleck zu nennen pflegt, halten, wofür ihn auch WAGNER selbst erklärt hat. Allein in einer viel späteren Zeit nimmt der Theil, welcher ein Keimbläschen zu sein, scheint, einen so ansehnlichen Theil der Eier ein, dass man über die Deutung zweifelhaft werden kann. Jedenfalls scheint für ein nicht ganz kleines Körperchen, I) DERBES. Observations sur le mécanisme et les phénomeénes qui accom- pagnent la formation de lembryon chez Voursin comestible. Annales des science. nat. Zoologie 1847. Tome VIII. pag. 83. 2) Kroun erklärt in seinem Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Seeigel- larven (Heidelberg 1849 pag.5—7) irrthümlicher Weise die Behauptung DERBES, es schwinde das Keimbläschen vor der Befruchtung, scheine auf einer nicht ganz sorgfältigen Untersuchung zu beruhen. Erst nach der Befruchtung, meint KRoun, sei das Keimbläschen sammt dem Keimfleck nicht mehr aufzufinden, dagegen sei jetzt ein helles sphärisches Gebilde wahrnehmbar, ein Bläschen, das dem Um- fang nach dem Keimfleck gleichkomme. Dem gegenüber kann ich nur bemerken, dass alle von mir geschilderten Veränderungen an unbefruchteten See- igeleiern allein aufgefunden worden sind. 3) C. E. v. BAER. Neue Untersuchungen über die Entwicklung der Thiere. Froriep’s Neue Notizen Bd. 39. pag. 38. 368 Oscar Hertwig das beim Zerdriicken auffallend mehr Resistenz zeigt, die Benen- nung eines Flecks wenig bezeichnend, und es- scheint mir sehr wahrscheinlich, dass die Rolle, welche im Ei des See- igels dieser Kern (oder Keimfleck) spielt, in andern Thieren dem Keimbläschen zu Theil wird. Im Ei des Seeigels schwindet aber der Theil, welchen man das Keimbläschen genannt hat, ziemlich lange vor der vol- len Reife.« Aehnliche Angaben, wie v. BAER, hat LeypiG von Piscicola und BiscHorr von Säugethieren gemacht. Nach Leypie') sind bei Piseicola von den Eiern, die innerhalb des Ovarium von Spermatozoiden umwimmelt werden, manche noch ganz unverändert mit Keimbläschen und Keimfleck, andere dagegen ermangeln des Keimbläschens; die Dotterkugel der letzteren ist grösser geworden und am Rande derselben macht sich ein heller Körper bemerklich, von dem LrypiG vermuthet, dass es der frei- gewordene Keimfleck sei. BiscHorr2) ist durch zahlreiche Untersuchungen von Kaninchen- eiern zu der Ueberzeugung gelangt, dass im Ei, wenn es das Ova- rium verlassen hat, das Keimbläschen aus dem Centrum zur Oberfläche emporsteigt und sich hier auflöst. Da er einige Male nach dem Schwund desselben im Inneren des Dotters einen helleren kleinen Fleek wahrgenommen hat, so vermuthet er, dass dieser der »freigewordene Keimfleck sei, der sich wahrscheinlich in Folge der Einwirkung des männlichen Samens ver- grössere und in einen helleren, einem Oeltröpfehen ähnlichen Körper umwandle, daher in der That einem Bläschen ähnlicher werde« Von ihm sollen die Kerne der Furchungskugeln abstammen. Das Keimbläschen deutet BrscHorr gewissermassen als schützende Hülle des Keimflecks, welcher der wesentliche Theil sei, der die Zumischung des männlichen Samens erfahre. In seinen späteren Arbeiten dagegen erklärt BiscHorr seine Ansicht von der Bedeutung des Keimflecks für problematisch), spä- 1) Leypig. Zur Anatomie von Piscicola geometrica. Zeitschrift f. wiss. Zool. B. I. pag. 125. 2) Brscnorr. Entwicklungsgeschichte des Kanincheneies. 1842. pag. 12, 22, 39, 53, 75—76. 141. 3) BISCHOFF. Entwicklungsgeschichte des Hundeeies 1845. pag. 22, 42. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 369 ter gibt er sie ganz auf), während er seine Angaben von der Auf- lösung des Keimbläschens noch aufrecht erhält. Der Vermuthung Fou’s, es könne der Kern des reifen Meduseneies vom Keimfleck des Keimbläschens abstam- men, wurde bereits früher gedacht. Wie sollen wir uns den mitgetheilten einander vielfach wider- sprechenden Beobachtungen gegenüber verhalten? Sollen wir anneh- men, dass in einem Falle das Keimbläschen völlig schwindet, in einem anderen zum Kern der ersten Furchungskugel wird und dass in einem dritten Fall allein der Keimfleck fortbestehen bleibt? Von theoretischen Gesiehtspuneten aus scheint mir eine solche Verschie- denartigkeit durchaus als unwahrscheinlich bezeichnet werden zu müssen. Denn wenn der Kern eine wichtige Rolle im Zellenleben spielt, wofür die Constanz seines Vorkommens, seine Betheiligung bei der Zelltheilung und die an den Nucleoli beobachteten Lebens- erscheinungen ein beredtes Zeugniss ablegen, dann lässt sich gewiss erwarten, dass in so wichtigen Entwicklungsvorgiingen, wie die Ent- stehung des befruchtungsfähigen Bies, gesetzmässigere Verhältnisse vorliegen, dann muss es nicht recht glaubwürdig erscheinen, dass bei Hydra und Beroe das Keimbläschen sieh auflösen, bei Me- dusen und Siphonophoren dagegen bestehen bleiben soll, und dass gleiche Abweichungen bei Modiolaria und Cardium einer- seits und Entoconcha mirabilis andererseits stattfinden sollen. Eine Beurtheilung der betreffenden Angaben wird uns hierüber Aufklärung verschaffen und uns eine grössere Uebereinstimmung in den Vorgängen erkennen lassen, als eine flüchtige Durchmusterung des literarischen Materiales vermuthen lässt. Was die erste Gruppe von Beobachtungen anbetrifft, so meine ich, kann gegen die Richtigkeit der Angabe, dass das Keimbläs- chen sich rückbildet, in den beschriebenen Fällen wohl kein begrün- deter Zweifel erhoben werden, da ein so deutlich erkennbares und wohl characterisirtes grosses Gebilde einer aufmerksamen Forschung nicht entgehen kann. Ein solches wird nicht nur in kleineren durchsichtigen Eiern, sondern selbst an Eiern mit grossem Dotter- reichthum (Vogel-, Amphibieneiern ete.) so lange es überhaupt vor- 1) BiscHorr. Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens 1852. pag. 20, 21. . 370 Oscar Hertwig handen ist, sich jederzeit darstellen lassen, wenn man den Dotter in Jodserum ausfliessen lässt oder Schnitte durch erhärtete Objecte anfertigt. Daher muss ich die Annahmen jener, welche das Keim- bläschen in allen jenen Angaben für übersehen halten, als nicht berechtigte bezeichnen. Nun liegen aber, wie wir gesehen haben, auch eine Anzahl po- sitiver Angaben vor, nach denen das Keimbliischen direct in die Kerne der ersten Furchungskugeln sich spalten soll, und werden dieselben von dem grössten Theile der Forscher als Ausnahmen von der Regel betrachtet. Der letzteren Ansicht kann ich nicht bei- pflichten. Wenn auch gegen die Richtigkeit der Beobachtungen selbst kein Zweifel erhoben werden kann, so scheint mir dagegen für dieselben eine andere Erklärung aufgestellt werden zu müssen, und zwar ergibt sich eine andere Erklärung schon aus den Beschrei- bungen, welche ein Theil der früher aufgeführten Forscher von der Beschaffenheit der einer Rückbildung nicht anheimgefallenen Keim- bläschen geliefert hat. Für mich unterliegt es keinem Zweifel, dass in allen jenen Angaben zwei ganz verschiedene morphologische Bildungen mit einander verwechselt worden sind; nämlich das Keim- bläschen des unreifen Eierstockseies mit dem Gebilde, das ich bei den Echinodermen als Eikern bezeichnet habe. Das Keimbläschen ist im ganzen Thierreich von einer nahezu übereinstimmenden Be- schaffenheit, es ist mit einer mehr oder minder derben Membran, mit einem mehr flüssigen Inhalt und mit einem grossen, aus com- pacter Substanz bestehenden, deutlich hervortretenden Keimfleck ver- sehen; die in den Ausnahme-Fällen als Keimbläschen beschriebenen Gebilde sind unverhältnissmässig kleiner, sie sind membranlos, bestehen aus einer homogenen, mehr oder weniger zähen festen Substanz und besitzen keinen Keimfleck. Denn die dunkleren Stel- len und Körnchen, die hie und da beschrieben worden sind, sind wohl nicht gleichbedeutend mit dem scharf begrenzten grossen Keim- fleck eines Keimbläschens, sondern müssen vielmehr, falls sie über- haupt vorhanden sind, für locale Verdichtungen der gewöhnlich gleichartigen Kernsubstanz gehalten werden. Bei den Siphonophoren endlich, von deren reifen Eiern Keimflecke am bestimmtesten be- schrieben worden sind, habe ich bei eigener Untersuchung von Hippobodius deren keine wahrnehmen können, sondern fand ich auch hier den Eikern an der Dotteroberfläche als ein ganz helles homogenes membranloses Gebilde vor, so beschaffen, wie es FoL von Geryonia beschreibt. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 371 So scheint mir denn in der zoologischen Literatur kein Fall vorzuliegen, in welehem wirklich der Fortbestand des Keimbläschens im Eierstocksei und eine Theilung desselben bei der Dotterfurchung wirklich beobachtet ist, und glaube ich, dass man schon jetzt mit Sicherheit den allgemeinen Satz aufstellen kann: Zur Reifezeit der Eier geht in denselben das Keimbläschen als mor- phologisches Gebilde unter. Zu diesem Schlusse ist schon seiner Zeit LEUCKART!) in dem Artikel Zeugung dureh vergleichende Betrachtung gelangt. Dass trotzdem dieser Satz bis jetzt noch nicht als allgemein gültig in der Wissenschaft angesehen worden ist, erklärt sich wohl daraus, dass der Irrthum in den gegentheiligen Angaben nicht nachgewiesen, vor Allem aber der Unterschied zwischen dem Kern des unreifen Eier- stockseies (dem Keimbläschen) und dem homogenen Kern des reifen befruchtungsfähigen Eies (dem Eikern) nicht genügend erkannt wor- den ist. Nachdem ich durch Aufstellung und Begründung obigen Satzes im ganzen Thierreich ein übereinstimmendes Verhalten für die Auf- lösung des Keimbläschens glaube nachgewiesen zu haben, tritt jetzt die zweite ungleich schwierigere Aufgabe heran, nämlich zu ent- scheiden, wie das von mir alsEikern bezeichnete Gebilde entsteht. Mit Ausschluss der Forscher, welche eine Persistenz des Keim- bläschens annehmen, sind nun alle der Ansicht, dass der Kern der Furchungskugel sich neubilde. Dieser Ansicht habe ich auf Grund eingehender Beobachtungen an Seeigeleiern eine andere entgegen- gesetzt, nach welcher der Keimfleck nach Auflösung des Keimbläs- chens zum Eikern wird, und habe ich zugleich einige ältere Beob- achtungen, in welchen ein Gleiches auch noch bei anderen Thieren gefunden wurde, der Vergessenheit wieder entrissen, indem ich sie als eine dritte Gruppe von Beobachtungen aufgeführt habe. Es handelt sich jetzt darum, die Grundlagen der allgemein an- genommenen und der von mir ihr gegenübergestellten Auffassung einer Prüfung zu unterwerfen. Die Forscher, welche den Kern sich neubilden lassen, nehmen als ausgemachte Thatsache an, dass das Ei auf einem bestimmten Entwicklungsstadium eine kernlose Dottermasse, eine Cytode, sei. Ich betrachte dies gewissermassen als den Angelpunct der ganzen ') LEUCKART. WAGNER’s Handwörterbuch der Physiologie. Bd. IV. pag. 921. 372 Oscar Hertwig Frage und werde daher festzustellen versuchen, in wie weit die Angaben, dass im thierischen Ei auf einem bestimmten Stadium seiner Entwieklung der Kern fehlen solle, zuverlässig sind. Zunächst kann man hier wohl sagen, dass die meisten Forscher es mit dem Negiren des Kerns zu leicht genommen und die Schwie- rigkeiten ganz unterschätzt haben, mit welchen der Kernnachweis unter Umständen verknüpft ist. Wenn auch ein Gebilde wie das Keimbläschen der Untersuchung nicht entgehen kann, so ist dies dagegen mit einem durchaus homogenen, soliden Kern von der Be- schaffenheit und Grösse eines Keimflecks um so leichter der Fall. Ein soleher Körper kann nicht nur in einem körnchenreichen Dotter, sondern selbst in einem kleinen Ei mit durchsichtigem Protoplasma unbeachtet bleiben, weil die Lichtbrechung der Kernsubstanz und des Protoplasma oft eine nahezu gleiche ist. Hier kann nur eine zweck- mässige Anwendung von Reagentien uns eine annähernde Bürgschaft geben, ob ein Kern vorhanden ist oder fehlt. Vor allen Dingen aber verdienen hier die verschiedenen Tinetionsmethoden mehr in Gebrauch gezogen zu werden, als es meist geschieht. Denn mit ihnen habe ich auch in Fällen, wo die sonst so vortreffliche Essig- säure und Chromsäure versagte, den Kern noch nachweisen können. Da nun von den meisten Forschern die mikrochemischen Reactionen entweder gar nicht oder in ungenügender Weise geübt worden sind, so verlieren die Angaben von Kernlosigkeit des Dotters sehr. viel an Glaubwürdigkeit. Ueberhaupt ist in diesem Gebiete viel gefehlt worden, wie man denn Eier, welche schon im frischen Zustande den Kern recht gut erkennen lassen, als kernlos beschrieben hat. Ein Beispiel liefert uns METSCHNIKOFF !). Derselbe stellt als völlig sicher die Angabe hin, dass das Ei der Geryonia eine homogene protoplasmatische Kugel sei, in der man weder ein Keimbläschen, noch irgend welche andere bläschen- oder körnchenförmige Bil- dung erkennt. Da nun For an demselben Object den Eikern im frischen Zustande sehr deutlich beschreibt und abbildet, und ich einen solchen an unbefruchteten, aber entleerten Eiern einer anderen Meduse gleichfalls ohne Mühe habe unterscheiden können, so kann das negative Resultat Merscunrkorr’s nur von oberflächlicher Beob- achtung herrühren. !) METSCHNIKOFF. Studien über die Entwicklung der Medusen und Sipho- nophoren. Zeitschr. f. wissensch. Zool. 1874. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 373 Wenn somit schon in relativ leichten Fällen gefehlt worden ist, so wird man unter erschwerten Verhältnissen, bei nicht ganz durch- sichtigem Dotter ete., noch mehr auf irrige Angaben sich gefasst machen müssen. Ja selbst verhältnissmässig sorgfältig angestellte Un- tersuchungen geben uns hier noch keine Garantie, dass nicht der Kern übersehen worden ist. So gibt zum Beispiel KOwALEWSKY in seiner Entwicklungsgeschichte der Rippenquallen !| an, dass »vom Kern hier gar nichts zu sehen sei, obgleich er ihn bemerkt hätte, wenn er hier überhaupt vorhanden gewesen, da die Eier und beson- ders die Furchungskugeln hinreichend durchsichtig seien.« Auch bei Einwirkung der Essigsäure glückte es ihm nicht den Kern zu sehen. Nur nachdem die Eizelle in 32 Kugeln zerfallen war, be- merkte er an ihnen bei Essigsäurezusatz einen Kern. »Wie dieser Kern entsteht, setzt hier KOwALEwsKY hinzu, oder ob er schon vor- handen gewesen, das sind allerdings Fragen, auf die ich nicht ant- worten kann. Jedenfalls glaube ich die letztere Frage verneinen zu müssen, da meine angestrengtesten Bemühungen, einen Kern früher zu finden, zu keinem positiven Resultate führten, trotzdem dass ich dieselben Mittel anwandte, mit deren Hülfe ich ihn zuletzt auf- fand. « Man wird einräumen, dass dies ein Fall ist, den man als kräf- tige Stütze für den Cytodenzustand der Eizelle anführen könnte. Trotzdem bin ich in der Lage das Gegentheil zu beweisen. Da während meines Aufenthalts am Meere eine Beroe in einem Glase viele Eier absetzte, so untersuchte ich dieselben, und glückte es mir in der ersten Furchungskugel einen Kern aufzufinden und zwar in- dem ich die Eier durch kurze Einwirkung der Osmiumsiiure etwas erhärtete und sie dann in Brate’schem Carmin färbte. Der Kern bildete eine kleine homogene etwas dunkler roth gefärbte membran- lose Kugel, welche in einer Anhäufung körnigen Protoplasmas lag. Mit Essigsäure konnte auch ich den Kern nieht nachweisen, weil es hierdurch nicht gelingt, denselben in dem schaumigen mit runden hellen Nahrungskugeln durchsetzten Protoplasma der grossen Eizelle genügend hervortreten zu machen. Durch diese Erörterungen glaube ich gezeigt zu haben, wie unsicher die Prämissen sind, von denen aus man eine Neuentstehung ') KowAtewsky. Entwicklungsgeschichte der Rippenquallen. Mémoires de Académie impér. des scienc. de St. Pétersbourg. VII. Série. Tome X, No. 4. ; 374 Oscar Hertwig des Kerns annimmt, und werde ich in dieser Ansicht um so mehr bestärkt, als die meisten Forscher, welche das Schwinden des Keimbläschens beobachteten, die Möglichkeit, dass der Keimfleck bestehen bleibt, wohl nicht in allen Fällen berücksichtigt haben und dadurch um so leichter zum Verkennen eines etwa bestehenden Zusammenhanges verleidet worden sein können. Die hier erhobenen Bedenken lassen sich nieht ohne Weiteres auf jene Fälle ausdehnen, in denen die Neubildung des Kerns direct beobachtet worden sein soll. Wie ich unter den Literaturangaben bereits mittheilte, liegen über diesen Gegenstand Untersuchungen von AUERBACH und STRASBURGER vor. Beide Forscher sind zu grund- verschiedenen Resultaten gekommen und kann ich weder dem einen noch dem andern beistimmen. Wenn AUERBACH den Kern bei seinem ersten Entstehen eine mit Flüssigkeit erfüllte Lücke im Protoplasma sein und erst später in derselben festere Bestandtheile sich ansammeln lässt, so wider- spricht dem die Beschaffenheit des Eikerns im Seeigelei und in anderen Objecten. Bei den Seeigeln besteht der Eikern, wie ich durch Isolation und mikrochemische Reactionen sicher nachgewiesen habe, aus einer homogenen, zähen und ziemlich festen Substanz, die sich namentlich durch ihre Tinetion in Carmin von der Substanz des Keimflecks (der Kernsubstanz) in nichts unterscheidet. Zu denselben Resultaten sind schon früher zum Theil an anderen Objeeten v. BAER! Biscnorr?) und LEUCKART?) gekommen. So erklärt namentlich letz- terer, dass man an den Furchungskugeln von Gammarus sich durch Isolation der Kerne auf das Entschiedenste überzeugen könne, dass diese Körper aus einer soliden Masse bestehen, die eine zähe elastische Beschaffenheit hat. Wenn wir indessen von diesen Thatsachen absehen, die sich durch AuzrgacH’s Hypothese nicht erklären, so lassen seine Be- obachtungen am Nematodenei auch noch eine andere Erklärung zu. Dieselbe stützt sich auf eine Erscheinung, auf welche ich im dritten Ab- sehnitt wieder zurückkommen werde, dass der Eikern in seiner Weiter- entwicklung mit Kernsaft sich imbibirt und dadurch in gleicher Weise an Volumen zunimmt wie er an Festigkeit verliert. Ich nehme nun ') v. BAER. Neue Untersuchungen über die Entwicklung der Thiere. Fro- RIEP’s Neue Notizen. Bd. 39. pag. 38. 2) Biscuorr. Entwicklungsgeschichte des Kanincheneies. 1842. 3) LEUCKART. WAGNER's Handwörterbuch der Physiologie. Bd. IV. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 375 an. dass im Nematodenei der Keimfleck, welcher ein relativ kleiner solider Körper ist, nach der Auflösung des Keimbläschens an dem einen Eipole vorhanden, aber in der dunklen Dottermasse bei ge- ringer Differenz in der Lichtbrechung im frischen Zustande nicht erkennbar ist!). Erst wenn derselbe mit Kernsaft sich zu imbibiren und anzuschwellen beginnt, wird er allmälig deutlich und erscheint als eine kleine helle Lücke im Dotter. Durch weitere Imbibition vergrössert sich die Lücke, wie es AUERBACH beschreibt, zu einer ziemlich grossen runden Kugel, deren Consistenzgrad natürlich ge- ringer als im Seeigelei ist, weil in ihr die Kernsubstanz mit Kern- saft stark vermischt ist. In dieser Erklärung ist nur der eine Punct, nämlich der Fortbestand des Keimflecks, hypothetisch. Einige Ver- suche, durch Anwendung von Reagentien in der Dottermasse den Eikern nachzuweisen, haben bis jetzt zu keinem Ergebniss geführt. Doch halte ich bei vorurtheilsfreier Prüfung diese negativen Resultate im vorliegenden Falle deshalb für durchaus beweislos, weil die Verhältnisse für den Kernnachweis sehr ungünstige sind. Wie gesagt, ist der Keimfleck sehr klein, der Dotter durch Körnchen ziemlich undurchsichtig, die Behandlung mit Reagentien wird sehr erschwert, erstens dadurch, dass man die reifen unbefruchteten Eier nicht isolirt für sich erhalten kann, und zweitens dadurch, dass die Eileiter- wand und die Eihüllen das Eindringen der Reagentien mehr oder weniger verhindern 2). Ebenso wenig wie die Angaben AUERBACH’s, haben STRASBUR- GER’s an Phallusia mammillaris angestellte Beobachtungen mich überzeugen können, dass es sich hier um eine Neubildung des Kerns handelt. Gegen seine Annahme, dass der Kern ein Stück abgelöster und in das Zelleentrum gewanderte Hautschicht der Zelle sei, lassen sich verschiedene Einwände erheben. So besteht zwischen den peri- pheren und den centralen Partieen des Eiprotoplasma kein durch- greifender Unterschied, indem beide eontinuirlich in einander über- gehen. Zwar ist die Eirinde in manchen Fällen weniger körnchen- reich und von mehr homogener Beschaffenheit, doch kann dies keinen Grund abgeben sie als etwas Verschiedenes, als eine besonders diffe- ') Die Thatsache, dass bei den Nematoden gleichzeitig an jedem Eipole ein Kern entsteht, werde ich im 2ten Abschnitt dieser Untersuchung zu erklä- ren versuchen. 2) Aus dem Umstande erklärt es sich auch, dass man in gutem Jodserum die Eier ein bis zwei Stunden beobachten kann, ohne dass sie absterben. 376 Osear Hertwig renzirte Hautschicht den inneren Theilen gegeniiberzusetzen. Ferner finde ich durch STRASBURGER die Identität von Protoplasma der Haut- schieht und von Kernsubstanz, die er voraussetzt, in seiner Arbeit nicht bewiesen. Eine solche scheint mir überhaupt vor der Hand in Abrede gestellt werden zu müssen, da beide Substanzen durch ihre mikrochemischen Reactionen sich unterscheiden. Denn in Osmium- säure schwärzt sich der Kern dunkler als die übrigen protoplasma- tischen Eibestandtheile und imbibirt sich in Carmin viel intensiver als diese, so dass er als rother Körper aus der Umhüllungsmasse deutlich hervorleuchtet. Aus dieser Verschiedenheit der chemischen Reactionen müssen wir aber wohl auf eine verschiedene chemische Beschaffenheit beider Substanzen zurückschliessen. Endlich lassen die positiven Angaben STRASBURGER'S über Kernneubildung eine andere Deutung zu, auf welche ich im zweiten Abschnitt dieser Arbeit näher eingehen werde. Wenn ich daher jetzt die auf den letzten Blättern angestellten Erörterungen zusammenfasse, so ergibt sich aus ihnen als Gesammt- resultat die Unzuliinglichkeit der für die Neuentstehung des Eikerns beigebrachten Beweise. Denn erstens ist es keine erwiesene That- sache, dass die Eizelle in ihrer Entwickelung ein kernloses Stadium durchläuft und zweitens können die positiven Angaben über Kernneu- bildung in einer anderen Weise gedeutet werden. Mit dieser Lehre hängt aber noch ein Irrthum zusammen, auf den man ziemlich häufig in embryologischen Arbeiten stösst und der sehr geeignet ist zur Verwirrung der fraglichen Verhältnisse beizu- tragen, so dass ich ihn hier nicht unberücksichtigt lassen kann. Die meisten Forscher nämlich, welche eine Neuentstehung des Kerns annehmen, betrachten dieselbe als eine Folge und gewissermassen als ein Zeichen der eingetretenen Befruchtung. Durch die Einwir- kung des männlichen Samens soll einestheils das Keimbläschen schwinden, anderntheils ein neuer Kern sich bilden. Dass hier saber ein ursächlicher Zusammenhang nicht vorliegt, das lehrt uns eine vergleichende Betrachtung, indem sie uns mit Beispielen bekannt macht, wo in unbefruchteten, dem Eierstock selbst entnommenen Eiern nicht nur das Keimbläschen verschwunden sondern auch der Eikern bereits vorhanden ist, und erinnere ich nur an den Befund bei den Seeigeln, bei Medusen, Siphonophoren und Mollusken. Wenn daher bei einem andern Theil der Thiere die Umwandlung des un- reifen in das reife Ei und die Befruchtung scheinbar unmittelbar zusammenfallen, oder wenn der Eikern erst nach der Befruchtung Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 377 vom Beobachter wahrgenommen werden kann (Nematoden), so darf man auch hier die Befruchtung nicht als die Ursache der zeitlich mit ihr nahe zusammenfallenden Vorgänge betrachten'). Der Sehwund des Keimbläschens und die Entstehung des Eikerns sind vielmehr Vorgänge, die einzig und allein mit der Reife der Ever zusammenhängen und die Befruchtungs- fähigkeit derselben herbeiführen. Nach diesem Exeurs gehe ich nunmehr zur Beurtheilung der- jenigen Auffassung über, nach welcher der Eikern vom Keimfleck abstammen und durch Auflösung des Keimbläschens frei werden soll, und werde ich an erster Stelle die möglichen Einwürfe, alsdann die Puncte berühren, welehe mir für den angenommenen Zusammenhang zu sprechen scheinen. Nach Ausschluss der schon erörterten Angaben über Neuent- stehung des Kerns lässt sich als Einwurf noch die Beobachtung KLEINENBERG’s anführen, welcher, wie erwähnt, bei Hydra die Rück- bildung des Keimflecks beschreibt. Auch hier muss ich hervorheben, dass die Richtigkeit der Beobachtung zu wenig gesichert erscheint. Denn wie es in der Natur der Sache liegt, kann KLEINENBERG die rückgängige Metamorphose des Keimflecks nieht an ein und dem- selben Objeete verfolgt haben, sondern hat er dieselbe aus verschie- denen Bildern an verschiedenen Eiern gefolgert. Eine Täuschung halte ieh daher um so eher möglich, als ja KLEINENBERG gewiss von der Voraussetzung mit beeinflusst worden ist, dass mit dem Keim- bläschen auch der Keimfleck sich rückbilden müsse. Dagegen lassen sich für den Fortbestand des Keimflecks als Eikern eine Anzahl Gründe geltend machen, die ich hier in ihrer Gesammtheit noch einmal zusammenfasse. Bei vielen Thieren ist zwischen dem Schwinden des Keimbläs- chens und dem Erscheinen des Eikerns in genau untersuchten Fällen kein kernloses Zwischenstadium beobachtet worden, wie bei den See- igeln, bei Piscicola. (Levis), bei den Mollusken (Loven), bei den Medusen (For) ete. Dagegen ist es sehr leicht möglich, dass in den Fällen, wo das Ei nach dem Schwund des Keimbläschens als eine kernlose Dottermasse beschrieben worden ist, ein homogener kleiner Körper von der Grösse des Keimflecks übersehen wurde. Ferner !) Sehon LEUCKART hat als allgemeines Resultat den Satz aufgestellt, dass das Verschwinden des Keimbläschens unabhängig von der Befruchtung erfolgt. WaGNer’s Handwörterbuch der Physiologie. Bd. IV. 378 Oscar Hertwig besteht der Kern des reifen unbefruchteten Eies (der Eikern) aus der- selben Substanz wie der Keimfleck; wie dieser ist er ein membran- loser, homogener, ziemlich fester Körper, der sich in Carmin stark roth färbt. In den Seeigeleiern, einem sehr günstigen Objecte, konnte bei einem ausgedehnten Untersuchungsmaterial und bei besonders darauf gerichteter Beobachtung eine rückgängige Metamorphose des Keim- flecks nie bemerkt werden. Dagegen bestand zwischen dem Ver- schwinden des Keimflecks und dem Auftreten des Eikerns ein sehr auffälliges und constantes Wechselverhältniss. War der Keimfleck im rückgebildeten Keimbläschen vorhanden, so fehlte im Dotter der Eikern und umgekehrt. Auch besassen hier die beiden Körper die gleiche Grösse. (Uebrigens lassen sich Fälle, wo der Eikern grösser als der Keimfleck ist, nicht als Beweise gegen die Identität beider Körper anführen, da eine Vergrösserung des freigewordenen Keim- flecks durch Imbibition mit Kernsaft erfolgen kann.) Gestützt auf diese Beobachtungen, auf den Mangei entgegen- gesetzter erwiesener Thatsachen und geleitet von allgemeineren theo- retischen Gründen, gelange ich zu demselben Endergebniss, mit welchem ich schon den Beobachtungstheil abschloss. Es scheint mir in hohem Grade wahrscheinlich zu sein, dass im ganzen Thier- reich der Eikern des reifen befruchtungsfähigen Eies vom Keimfleek des sich auflösenden Keimbläschens ab- stammt. Wie viel dieser Annahme noch die thatsächliche Begründung fehlt, um sie zu einem allgemeinen Gesetz zu erheben, bin ich mir wohl bewusst, doch hoffe ich für sie bald weitere Thatsachen bei- bringen zu können. Namentlich verlangen hier die Eier der Fische, Amphibien, Reptilien und Vögel noch eine eingehendere Untersuchung. II. Abschnitt. Die Eibefruchtung. Wenn man eine Anzahl Seeigel zur Zeit der Geschlechtsreife in einem Wassergefäss zusammen hält, so entleeren sowohl die männ- lichen wie die weiblichen Thiere bald freiwillig aus den fünf Genital- platten ihre Geschlechtsproduete in grossen Quantitäten. Zum Zweck Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Kies. 379 der Untersuchung ist es indessen vorzuziehen, die kiinstliche Befruch- tung einzuleiten, um den Zeitpunct, wo Sperma und Eier sich treffen, genau bestimmen zu können. An den Seeigeln sind äusserlich keine Geschlechtsunterschiede wahrzunehmen, dagegen unterscheidet man bei geöffneten Thieren die Hoden leicht durch ihre bräunlich weisse Farbe von den rosenroth gefärbten Ovarien. Die Geschlechtsproducte verschafft man sich am besten in der Weise, dass man nach Eröff- nung der Schale den Inhalt der Ovarien oder Hoden dureh sanften Druck durch die Ausführungsgänge entleert und in Uhrschiilehen sammelt. Beim Vermischen der Geschlechtsproducte muss man sich hüten zu viel von der Spermaflüssigkeit zu nehmen, da schon sehr geringe Quantitiiten zur Befruchtung grosser Eimengen genügen. Durch mehrmaliges Umrühren der Flüssigkeit erreicht man es leicht, dass alle Eier befruchtet werden und alle fast gleichzeitig sich ent- wickeln. Wenn man gleich nach dem Zusatz des Sperma die Eier unter ein Deckgliischen bringt, dessen Ecken man, um das Object vor Druck zu schützen, zweekmässiger Weise mit Wachsfüsschen ver- sieht, so erblickt man schon eine Anzahl Spermatozoen an der Ei- hülle anhaften und pendelnde Bewegungen mit ihren Fäden aus- führen. An der Stelle, wo die Spitze des Kopfes an die Eihülle bohrt, wird dieselbe leicht eingebogen. Oftmals habe ich längere Zeit solche Spermatozoen fixirt, ohne je einen Fortschritt in ihrem Vorwärtsdringen beobachten zu können, vielmehr erlahmten sie all- mälig nach einer viertel oder halben Stunde in ihren Bewegungen und starben endlich ab. Die unausgesetzte Beobachtung der an der Eihaut anhaftenden Spermatozoen hat mich am Anfang meiner Untersuchungen eine An- zahl Vorgänge ganz übersehen lassen, die bald nach der Vermischung der Geschlechtsproducte im Eidotter sich abspielen. Gerade diese Vorgänge aber sind es, die uns in den Befruchtungsaet einen tieferen Einblick gestatten. Einmal auf dieselben aufmerksam geworden, gelang es mir später sie an jedem Ei, auf welches ich meine Auf- merksamkeit richtete, zu verfolgen, so dass meine Mittheilungen über diesen Gegenstand nicht auf vereinzelte und zufällige, sondern auf zahlreich angestellte Beobachtungen sich stützen. Da das von mir benutzte Untersuchungsobject so leicht zu erlangen und bequem zu handhaben ist, so wird jeder am Meer sich aufhaltende Forscher selbst sich von dem Vorgang der Befruchtung, wie ich ihn jetzt oO? Morpholog. Jahrbuch. 1. 26 380 Oscar Hertwig schildern werde, überzeugen können, ohne auf erhebliche Sehwierig- keiten bei der Beobachtung zu stossen. Etwa fünf bis zehn Minuten nach der Vermischung der Eier mit dem Sperma tritt im Dotter ganz nahe an seiner Oberfläche eine sehr kleine helle Stelle auf, aus welcher die Körnehen verschwunden sind. Dieselbe nimmt ein wenig an Umfang zu, wird dadurch immer deut- licher und bietet bald einen sehr frappanten Anblick dar, indem die Dotterkörnchen in ihrer Umgebung sich in sehr regelmässiger Weise eruppirt haben (Fig. 7). Sie liegen nämlich in einzelnen Reihen dicht hintereinander und diese Reihen sind wieder nach dem Mittel- punet der hellen Stelle zu gerichtet, von welcher sie wie Radien nach allen Seiten ausstrahlen. Anfänglich ist diese Anordnung der Dotterkörnehen nur auf die nächste Umgebung des lichten Flecks beschränkt, je mehr dieser aber anwächst, um so mehr verlängern sich die Radien und werden schärfer und deutlicher (Fig. 8). Bei aufmerksamer Betrachtung lässt sich jetzt auch in dem körn- chenfreien Theil der Figur noch ein kleiner homogener Körper er- kennen. Er besitzt fast die gleiche Lichtbrechung wie das umgebende Protoplasma und hebt sich daher von demselben nur wenig ab. Einige Male sah ich von dem kleinen Körper noch eine zarte Linie bis zur Eiperipherie reichen und sich hier in ein kurzes feines Fäd- chen verlängern, welches in den freien Raum zwischen Dotter und Eimembran hineinragte (Fig. 8). _ Ein interessantes Phaenomen beginnt jetzt das Auge des Beob- achters zu fesseln. Man sieht die eben beschriebene Figur mit deut- lich wahrnehmbarer Geschwindigkeit von der Eiperipherie sich ent- fernen, in der Richtung nach dem Kern weiter in den Dotter ein- dringen, am Kern endlich anlangen und an denselben von einer Seite sich anlegen. Bei dieser Wanderung hat die Figur noch an Deutlichkeit zugenommen und lassen sieh ihre Körnerradien fast bis zur Eiperipherie verfolgen. (Vergleiche die Figuren 7, 8, 10.) Während dieser so beachtenswerthe Vorgang sich abspielt, ver- harrt der Eikern nicht in Unthätigkeit; vielmehr setzt sich derselbe gleichfalls in Bewegung, sobald als die Radienfigur von der Ober- fläche sich entfernt, und rückt näher nach der Eimitte zu. Doch ist seine Bewegung langsam und kann leicht übersehen werden, wenn man nicht ein Object gewählt hat, in welchem der Eikern recht peripher gelagert ist. Dass aber eine Bewegung stattfindet, davon habe ich mich ganz sicher überzeugt, indem ich die Lageveränderung des Kerns mit dem Mikrometer controlirte. Beiträge z.. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Kies. 381 Das Resultat dieser Vorgänge ist, dass beide Körper endlich sich treffen entweder in der Eimitte oder wenigstens in der Nähe derselben. In letzterem Falle verändern dann dieselben noch nach- träglich zusammen allmälig ihre Lage, bis sie das Eicentrum ein- nehmen (Fig. 10). Um den am Eikern anliegenden noch von einem homogenen Protoplasmahofe umgebenen kleineren Körper deutlicher zu sehen, empfiehlt es sich sehr die AvuerBAcH’sche Compressionsmethode an- zuwenden. Doch muss man hierbei besonders vorsichtig verfahren, da das Ei einen irgend wie erheblichen oder plötzlich gesteigerten Druck nicht verträgt sondern rasch abstirbt. Am deutlichsten sah ich den kleinen Körper, als ich in einem Falle durch eine rasch gesteigerte Compression die Eihülle zersprengte und es mir gelang die aneinander liegenden Gebilde durch den Strom des austretenden Dotters von einander zu entfernen. Hierbei liess sich dann auch erkennen, dass der kleine Körper aus einer ähnlichen festen Substanz wie der Eikern bestehen muss. Bei einer Messung ergab sich für ersteren die Grösse von 4 u, für letzteren von 13 ». Die Erscheinungen vom Auftauchen des kleinen hellen Flecks an der Eiperipherie bis zu seiner völligen Annäherung an den Eikern haben sich in einem Zeitraum von etwa fünf Minuten vollzogen. Es tritt jetzt ein Stadium ein, wo man von beiden Körpern nur mehr oder weniger verschwommene Bilder erhält. Der Eikern verändert fortwährend in geringem Maasse seine Contouren, indem bald hier, bald da eine geringe Ausbuchtung sich bildet, und erklärt sich aus diesen, ich möchte sagen, amöboiden Formveränderungen leicht seine weniger scharfe Begrenzung. Der kleinere Körper entzieht sich bald vollständig der Beobachtung. Nachdem dieses Stadium einige Zeit gedauert hat, tritt die Be- grenzung des Eikerns wieder mit Deutlichkeit hervor, indem er eine mehr oder minder kuglige Gestalt annimmt. Er scheint an Grösse zugenommen zu haben und bestätigt sich dies auch bei vorgenommenen Messungen; denn während er vor der Befruchtung 13 u maass, misst er jetzt 15 u. Von dem kleineren Körper lässt sich keine Spur mehr auffinden (Fig. 11). Während aller dieser Veränderungen hat sich die radiäre Anord- nung der Dotterkérnchen nicht nur erhalten, sondern hat an Deut- lichkeit und Ausdehnung noch zugenommen. Sowie die an der Ei- oberfläche entstandene helle Figur in die Mitte gerückt und mit dem Eikern zusammengetreten ist, kommt auch der letztere in die Strahlen- 26" 382 Oscar Hertwig ~ figur zu liegen. Fast bis zur Eiperipherie lassen sich die einzelnen Körnerradien verfolgen, indem sie je mehr von dem gemeinsamen Centrum entfernt um so undeutlicher werden und sich schliesslich in den unregelmässig angeordneten Kirnchen der Dotteroberfläche ver- lieren. Es entsteht so vollständig das Bild einer Sonne im Ei. Besser als jede Beschreibung erläutern die Figuren 8, 10 und 11 die regelmässige Anordnung der Dotterkörnchen auf den verschiedenen Stadien. Um von den hier vorgetragenen Verhältnissen eine noch sicherere Vorstellung zu gewinnen, brachte ich Reagentien in Anwendung und kann ich besonders folgendes Verfahren empfehlen. Die in einem Uhrschälchen befruchteten Eier werden mit einer !/,,%/, Osmiumsäure im geeigneten Momente übergossen und etwa 2—5 Minuten lang ihrer Einwirkung ausgesetzt. Die Flüssigkeit wird hierauf abgegossen, die noch anhaftende Osmiumsäure mit Wasser abgespült und das Object in BEALE’schem Carmin gefärbt. Bei diesem Verfahren gerinnt der Dotter ganz homogen und wird nur sehr wenig geschwärzt. Dureh ein baldiges Einlegen in Braue’sches Carmin wird einestheils die bei Osmiumanwendung sonst eintretende Nachdunklung der Eier vermieden, anderntheils werden die Kerne roth imbibirt, während der Dotter nur eine sehr geringe Färbung annimmt und daher voll- kommen durchsichtig bleibt. Auf diesem Wege konnte ich mir Färbungsbilder von überzeugender Klarheit verschaffen. Figur 13 zeigt ein so behandeltes Ei, das 10 Minuten nach der Vermischung der Geschlechtsproducte abgetödtet wurde. Man sieht hier den deutlich hervortretenden homogen geronnenen Eikern und ausser ihm noch nahe der Oberfläche einen zweiten kleineren Körper von 4 w Durchmesser. Auch bei dieser Behandlung erkennt man, wie derselbe in einem Hofe körnchenfreien Protoplasma’s liegt, und wie um diesen Hof die Dotterkörnehen in Radien angeordnet sind. Doch ist dies letztere Structurverhiltniss nicht mehr so deutlich wie im frischen Zustande. Der Eikern und der kleinere Körper haben sich in Carmin dunkelroth gefärbt und lässt sich hieraus schliessen, dass auch der letztere aus Kernsubstanz besteht, dass mithin in der Eizelle zwei Kerne, ein grösserer und ein kleinerer sich befinden. Durch Abtödtung der Eier nach 12 und 15 Minuten erhält man eine Reihe von Bildern, in denen. man die Entfernung zwischen bei- den Kernen geringer werden sieht, bis beide endlich dicht bei ein- ander liegen (Figur 14). Wenn man die Färbung der sich berüh- renden Kerne jetzt vergleicht, so fällt es auf, dass der kleinere ein Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 383 wenig intensiver als der grössere gefärbt ist, und mag dies von einer etwas dichteren Beschaffenheit der Kernsubstanz des ersteren her- rühren. Mit Hülfe der angegebenen Methode ist es mir endlich auch selungen einen besseren Einblick in die Vorgänge zu gewinnen, welche, wie ich geschildert habe, zu dem Verschwinden des kleineren Kerns führten. Unter Nr. 12 habe ich eine Anzahl von Kernformen abgebildet wie ich sie in einer Anzahl von Präparaten vorgefunden habe. Da durch die Osmiumsäure eine momentane Gerinnung des Eiweisses herbeigeführt wird und die einzelnen Formen fast vollstän- dig so wie sie im lebenden Zustande beschaffen waren, auch erhalten bleiben, so kann man aus diesen Bildern auf die Formen im ur- sprünglichen lebenden Zustand zurückschliessen. Der Eikern zeigt eine von der Kugelgestalt vielfach abweichende veränderliche Form, indem er bald oval, bald an dieser, bald an jener Seite plattgedrückt ist und hie und da kleine Vorsprünge zeigt. Der kleinere Kern ist von ihm in einigen Fällen durch einen minimalen Zwischenraum ge- trennt, in anderen dagegen berührt er ihn ganz unmittelbar. Hier- bei hat er die Gestalt einer planconvexen Linse angenommen. Je nachdem er mehr oder minder langgestreckt ist, erscheint die Con- vexität seiner Krümmungsfläche geringer oder stärker. Seine dunk- lere Färbung in Carmin tritt jetzt am auffallendsten hervor und gibt ein Mittel an die Hand die dieht zusammengefügten Körper zu un- terscheiden. An etwas später abgetödteten Eiern ist nur noch ein einfacher Kern in der Eizelle vorhanden. Wenn wir diesen letzte- . ren Befund mit den zuvor erhaltenen Bildern, wo ein grösserer und ein kleinerer Kern sich unmittelbar berühren, zusammenhalten, dann lässt dies wohl keine andere Deutung zu, als dass hier eine Ver- schmelzung der beiden Körper stattgefunden haben muss. So er- gibt sich die wichtige Thatsache: dass der unmittelbar vor der Furchung in der Eizelle vorhandene einfache Kern, um welchen die Dotterkörnchen in Radien angeord- net sind, aus der Copulation zweier Kerne hervorge- gangen ist. Von dem hier geschilderten regulären Gange der Befruchtung habe ich in einigen wenigen Fällen Abweichungen wahrgenommen, die eine kurze Erwähnung finden mögen. Während in der grössten Anzahl der durehmusterten Eier nach der Befruchtung nur eine helle Stelle an der Eiperipherie auftauchte, bemerkte ich ausnahms- weise auch deren zwei und in einem Fall sogar deren vier. In ihrem 384 Oscar Hertwig Umkreis nahmen die Dotterkörnchen gleichfalls eine radiäre Anord- nung an. Auch hier setzten sich die hellen Stellen in Bewegung, rückten nach dem Eikern hin und legten sich demselben an. In allen Fällen der Art, die ich noch weiter bis zur Theilung zu ver- folgen suchte, trat indessen nie eine regelmässige Entwicklung ein, sondern die Eier starben bald ab, nachdem anomale Kernfiguren entstanden waren. Es liegt daher die Vermuthung nahe, dass viel- leicht von vornherein die Eier pathologisch verändert waren und dass hieraus die abweichenden anomalen Erscheinungen zu erklären sind. Hiermit schliesse ich die Darstellung der Vorgänge bei der Be- fruchtung ab, da die weiteren im Kern und im Dotter alsbald ein- tretenden Veränderungen zur Eifurchung überleiten und daher im dritten Abschnitt ihre Besprechung finden werden. Wenn ich jetzt an die Deutung der so bemerkenswerthen Er- scheinungen gehe, so lässt schon der Umstand, dass alle die be- sprochenen Veränderungen mit Constanz 5— 10 Minuten nach der Vermischung der Geschlechtsproducte in fast allen Eiern auftreten, den sicheren Schluss zu, dass wir es mit einem durch die Be- fruchtung hervorgerufenen Vorgang zu thun haben. Da ich nun sogar in einigen Fällen von dem an der Eioberfläche ge- legenen kleinen Kern eine zarte Linie nach der Dotterperipherie habe verlaufen und sich über dieselbe in ein kleines Fädehen ver- längern sehen, so trage ich nicht das geringste Bedenken, die ganze ‚Erscheinung direct von dem Eindringen eines Spermatozoon in den Dotter abzuleiten. Der in der homogenen Protoplasmaansammlung liegende kleine Kern ist alsdann der Kopf oder der Kern des ein- gedrungenen Spermatozoon. Zum Unterschied von dem Eikern werde ich daher denselben auch fortan nach seiner Abstammung als Spermakern bezeichnen. Welches Schicksal der mit ihm verbundene Faden erleidet, kann ich nicht mit Gewissheit entscheiden. In einem Falle, wo das Ei stark comprimirt war, erkannte ich im Dotter mit Deutlichkeit nahe an der Oberfläche ein vollständiges Spermatozoon mit Körper und Faden, bei den Eiern aber, wo Ei- und Sperma- kern sich genähert hatten, konnte ich an letzterem eine Verlänge- rung nie wahrnehmen. Wahrscheinlich wird der Schwanz des Samenthierchens entweder unmittelbar beim Eindringen in den Dot- ter oder während der nachfolgenden Wanderung aufgelöst. Gegen die hier gegebene Deutung kann es nicht schwer in die Wage fallen, dass ich nie ein Spermatozoon von aussen durch die en. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 385 Eihäute in den Dotter habe eindringen sehen. Wie die Beobach- tung an der Eihaut ansitzender pendelnder lebensfrischer Spermato- zoen lehrt, ist die Membran in ihrer allgemeinen Beschaffenheit undurehdringlich für dieselben, und wird sich wahrscheinlich in ihr eine besondere zum Eintritt geeignete Stelle (eine Art Mikropyle) irgendwo vorfinden, wie dies von anderen Eiern bekannt ist. In der Membran des Seeigeleies habe ich diese Stelle nicht entdecken kön- nen. Daher glückte es mir aber auch nicht unter den vielen am Ei haftenden Spermatozoen gerade auf den glücklichen Eindringling das Mikroskop einzustellen; erst durch die Veränderungen, die er im Ei hervorrief, wurde ich auf den Ort des Eintritts aufmerksam gemacht. Wenn man das Eindringen selbst beobachten will, dann wird man sich günstige Eier mit einer Mikropyle zur Untersuchung wählen müssen, wobei ich natürlich voraussetze, dass die Mikropyle die ihr zuertheilte Bedeutung besitzt. Was die weiteren Vorgänge im Dotter anbetrifft, so ist die An- sammlung eines homogenen Protoplasmahofes und die Strahlenfigur augenscheinlich durch den im Centrum gelegenen Spermakern ver- -anlasst; in welcher Weise dies geschieht, darauf werde ich ausführ- licher im dritten Abschnitt zu sprechen kommen, in welchem ich eine Reihe ähnlicher Erscheinungen, die während der Eifurchung im Dotter sich abspielen, beschreiben und zu erklären versuchen werde. Einstweilen will ich nur das hervorheben, dass mir der Kern auf die homogenen Bestandtheile im Dotter eine Anziehung auszuüben und so als ein Attraetionscentrum zu wirken scheint. Die angezogenen Theile würden sich in der Umgebung des Kerns am dichtesten ansammeln und von hier allseitig als Fäden in die Umgebung ausstrahlen, und zwischen ihre Interstitien würden sich die Dotterkörnchen lagern. Diese erscheinen hierbei als die passiv bewegten Theile, deren Lage- rung uns äusserlich die gesetzmässige Anordnung der zwischen ihnen befindlichen Bestandtheile anzeigt. Noch schwieriger mag es sein in die Kräfte, welche die Be- wegung und Vereinigung der beiden Zellkerne herbeiführen, einen Einblick zu gewinnen. Hier lassen sich wohl verschiedene An- sichten aufstellen. Es könnte einerseits die contractile Substanz des Protoplasma der wirksame Factor sein, welcher im Eicentrum die Kerne zusammenführt; andererseits könnte die Bewegung auch von den Kernen allein ausgehen. Gestützt auf deren Formverände- rungen kann man hier an amöboide Fortbewegung denken; oder man kann in dem Einanderentgegenwandern die Wirkung einer Af- 386 Oscar Hertwig finitiit erkennen, welche die weibliche auf die miinnliche Kernsub- stanz ausiibt; oder endlich kann man hierin einen complicirten Vor- gang erblicken, der durch das Zusammenwirken verschiedener Kräfte hervorgerufen ist. Zur Zeit lässt sich auf solehe Fragen noch keine Antwort geben; denn da chemische und physikalische Experimente hier nicht ausführbar erscheinen, so entziehen sich diese ‚Verhältnisse vorläufig unserer Untersuchung. Wenn wir aber auch alle die aufgeworfenen Fragen ganz unbe- antwortet lassen und uns nur an die morphologischen Ergebnisse der Untersuchung halten, so haben wir schon durch sie einen tiefe- ren Einblick in das Wesen der Befruchtung gethan, als vordem möglich gewesen ist. Wenn man früher einfach die Befruchtung auf eine Copulation zweier Zellen zurückführte, so haben wir jetzt er- kannt, dass der wichtigste Vorgang hierbei die Verschmelzung der beiden Zellkerne ist. Indem der Eikern mit dem Spermakern sich vermischt, entsteht erst ein mit lebendigen Kräften ausgestatteter Kern, der in wirksamer Weise die weiteren Entwicklungsvorgänge im Dotter anregt und sie in vielfacher Beziehung beherrscht. Zum Unterschied vom Eikern will ich denselben als Kern der ersten Furchungskugel oder kurz als Furchungskern bezeichnen !). !) Wie wir gesehen haben, besteht vorübergehend in der Eizelle ein Zustand, den ‚wir als einen hermaphroditischen bezeichnen können, insofern in einer ge- meinsamen Protoplasmamasse zwei mit verschiedenen Fähigkeiten versehene, ge- schlechtlich unterschiedene Kerne vorhanden sind. Man wird hier unwillkürlich an Verhältnisse erinnert, welche schon seit längerer Zeit von den Infusorien bekannt sind. Hier finden sich im Körperparenchym gleichfalls zwei Gebilde vor, welche man als Nucleus und Nucleolus beschrieben hat, besser aber wohl Kern und Ne- benkern nennen wird. Dieselben lassen sich nach den Veränderungen, die sie bei der Fortpflanzung eingehen sollen, recht gut mit dem Ei- und Spermakern der Eizelle vergleichen. Von diesem Gesichtspunct aus können dann die Infusorien als hermaphrodite einzellige Organismen aufgefasst werden, insofern bei ihnen die geschlechtliche Differenzirung der Kernsubstanz, die bei anderen Organismen in 2 getrennten Zellen sich vollzogen hat, in einer Zelle eingetreten ist. Aus diesen Reflexionen geht zugleich hervor, wie unzulässig es ist, von einem Gegensatz der beiden primären Keimblätter die geschlechtliche Differenzi- rung herleiten zu wollen (EDOUARD vAN BENEDEN: De la distinction originelle du testicule et de lovaire. Bulletins de Académie royale de Belgique 2we serie tome XXXVII 1871), dieselbe scheint mir vielmehr auf elementare Vorgänge im Leben der einzelnen Zelle zurückgeführt werden zu müssen. Schon die einfache Zelle enthält die Fähigkeit zu einer geschlechtlichen Differenzirung ; und können hier die polaren Gegensätze entweder in einer Zelle (Infusorien) oder in zwei Zellen (die meisten Organismen) zur Entwicklung kommen. In ersterem Falle kann man von einem Hermaphroditismus, in letzterem von einem Gonochorismus der Zelle reden. press Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 387 Wer genauer mit den Arbeiten bekannt ist, die gerade in der letzten Zeit über die ersten Vorgänge im befruchteten Ei veröffentlicht worden sind, dem wird es vielleicht aufgefallen sein, dass viele der von mir beschriebenen Erscheinungen mit einer Reihe von Thatsachen, die man schon an anderen Objeeten erhalten hat, eine grosse Aehn- lichkeit besitzen. Ich habe hier Untersuchungen von AUERBACH, BürscHLı und STRASBURGER im Auge. Wie ich gleich nachzuweisen hoffe, sind bereits Theile des Befruchtungsvorganges von diesen Forschern beobachtet, aber nicht als solehe gedeutet worden. Nach den genauen Angaben AvERBACH’s'), von deren Richtig- keit man sich leicht überzeugen kann, entstehen in den ovalen Eiern von Ascaris nigrovenosa und Strongylus aurieularis nach ihrem Zu- Sammentreften mit den Spermatozoen in den beiden Eipolen nahe der Oberfläche im Dotter zwei kleine helle Stellen. Dieselben ver- grössern sich langsam zu glatt contourirten membranlosen Kugeln, welche aus einer zähflüssigen Substanz bestehen Dann setzen sich beide in Bewegung und rücken langsam mit wachsender Geschwin- digkeit auf einander zu bis sie sich im Eicentrum treffen. Hier angelangt platten sie sich einander ab, so dass sie wie zwei Halb- kugeln mit abgerundeten Kanten auf breiter Berührungsfläche an- einander haften. Die Trennungslinie der beiden Halbkugeln steht Anfangs senkrecht zur Längsaxe des Eies; bald aber beginnt das Kugelpaar sich zu drehen, so lange bis die Trennungslinie mit der Längsaxe des Eies zusammenfällt. Dann verschmelzen beide und bilden so den centralen Kern der ersten Furchungskugel. Indem ÄUERBACH eine Erklärung für diese Erscheinung zu geben versucht, hält er es für naheliegend, daran zu denken, »dass wie zur Fort- pflanzung ganzer organischer Wesen eine Copulation zweier Indivi- duen oder wenigstens zweier Zellen in irgend welcher Form nöthig ist, so auch hier eine ähnliche Bedingung für die Fortpflanzung der Eikerne gefunden sei.c Zwischen beiden Kernen sollen materielle Differenzen bestehen, da das Material des einen aus der vorderen 2) Eihälfte, in welcher die befruchtenden Zoospermien eingedrungen waren, das Material des anderen aus der hinteren Eihälfte herstammt. Diese Differenzen sollen durch die Verschmelzung ausgeglichen wer- den. »Nach dieser Auffassung ,« meint AUERBACH, »ist das Bediirf- !) AUERBACH. Organologische Studien. Heft 11. 2) Vorderen Eipol nennt AUERBACH den zuerst aus dem Eileiter in den Uterus vordringenden Theil. 3558 Oscar Hertwig niss zu diesem ganzen Complex von Leistungen wesentlich durch die besondere Beschaffenheit der befruchteten Nematodeneier bedingt, nämlich durch ihre längliche Gestalt und durch die eigenthümlichen Verhältnisse beim Befruchtungsacte, indem sie, durch einen engen Canal sich durehzwängend, zunächst nur ihre vordere Polargegend den Zoospermien darbieten.« Wenn ich mit den AvERBACH’schen Beobachtungen die von mir an den Seeigeleiern beschriebenen Vorgänge vergleiche, so kann ich an einer vollkommenen Uebereinstimmung beider nicht länger zwei- feln. Ich deute daher auch den am vorderen Eipol auftauchenden hellen kleinen Fleck als den auf ein eingedrungenes Spermatozoon zurückführbaren Spermakern, dagegen den am hinteren Eipol gleieh- zeitig wahrnehmbar werdenden Fleck als Eikern, dessen Abstammung vom Keimfleck des Keimbliischens ich schon früher wahrscheinlich semacht habe. Beide Kerne vergrössern sich dadurch. dass die anfangs diehte Kernsubstanz einen flüssigeren Kernsaft aus dem Dotter in sich aufnimmt. Durch die Copulation des Ei- und Spermakerns entsteht endlich wie in den Seeigeleiern der Furchungskern. Aehnliche Beobachtungen wie AUERBACH hat Biscuit!) an Nematoden, wie Tylenchus, Cephalobus, Rhabditis, Diplogaster und Cucullanus sowie an zwei Schnecken, Lymnaeus aurieularis und Sue- cinea Pfeifferi angestellt, doch hat er nicht immer nur zwei Kerne, sondern in einzelnen Fällen bei einigen Arten deren drei bis fünf an der Dotteroberfläche entstehen und allmälig im Eicentrum mit ein- ander verschmelzen sehen. Meist sollen dieselben an der Stelle, wo das Keimbläschen sich aufgelöst hatte, aufgetreten sein und wahr- scheinlich aus der Keimbläschenmaterie sich neugebildet haben. BürscHLı ist der Ansicht, dass die Entstehung des Kernes der er- sten Furchungskugel durch Vereinigung zweier oder mehrerer ge- trennt entstandener Kerne ein Vorgang von weiter, vielleicht allge- meiner Verbreitung ist. Hierbei wirft er die Frage auf, ob nicht der mehrkernige Zustand der ursprünglichere und der einkernige aus diesem hervorgegangen ist, und ist er geneigt den mehrkernigen Zustand der Furchungskugeln als ein hinterlassenes Erbstück eines ehemaligen Vorfahren der höheren Organismen zu beurtheilen. Wie mir scheint, lassen sich diese Beobachtungen BürschLr's 1) BuUrscuui. Vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen, betreffend die ersten Entwicklungsvorgänge im befruchteten Ei von Nematoden u. Schnecken, Zeitschrift f. wissensch. Zool. Bd. XXV, Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 389 ebenfalls als Befruchtungsvorgiinge in der mehrfach angegebenen Weise deuten. mit dem Unterschied, dass bei einigen Arten mehr als ein Spermatozoon in den Dotter eindringt und mit dem Eikern verschmilzt. In der Beziehung erinnere ich noch einmal an die Befunde, die ich ausnahmsweise bei der Befruchtung der Seeigeleier erhalten habe. Endlich finde ich in Srraspurcer’s!) Buch: über Zellbildung und Zelltheilung Vorgänge beschrieben und auf Tafel VII, Fig. 2—7 dargestellt, deren Achnlichkeit mit den von mir gegebenen Bildern (Fig. 8, 10, 11) wohl nicht zu verkennen ist. Bei Phallusia mam- millaris, dem Untersuchungsobject STRASBURGER’S, entsteht, wie bei Toxopneustes lividus, kurze Zeit nach der Befruchtung in der Eiperipherie eine körnchenfreie Stelle, um welche das angrenzende körnige Protoplasma eine radiale Anordnung zeigt. Die so entstandene Figur wandert nun in einigen Minuten von der Peripherie nach dem Centrum und bildet hier eine körnchenfreie Stelle, von welcher Rei- hen von Dotterkörnchen ausstrahlen, um allseitig die Peripherie des Eies zu erreichen. Die homogene Masse im Centrum der Strahlen- figur deutet STRASBURGER als Zellkern und gründet hierauf seine Ansicht, nach welcher der Kern ein von der Hautschicht abgeschnür- tes Stück sein soll. Wie ich schon früher hervorgehoben habe, kann ich dieser Auffassung nicht beistimmen, vielmehr scheint mir, wenn ich STRASBURGER’S Beschreibung und Zeichnungen mit meinen Beobachtungen vergleiche, hier eine andre Erklärung zulässig zu sein. STRASBURGER bildet nämlich in der homogenen Hautschichtmasse, seinem Kerne, in Fig. 6 zwei kleinere, dagegen in den Figuren 4 und 7 eine ziemlich grosse Vacuole ab. Die Bildung der Vacuolen soll schon zu der Zeit erfolgen, wo die Hautschicht von der Peri- pherie nach der Mitte des Eies wandert. »Diese Kernvacuolen,« sagt STRASBURGER, »sind auch an lebenden Objecten leicht sichtbar und sind jedenfalls sehr oft mit dem wirklichen Kern verwechselt wor- den, der wegen seiner, gegen die umgebende Masse nur geringen Brechungsverschiedenheit im lebenden Zustande sehr schwer zu er- blieken ist.« Da nun in den Seeigeleiern die Kerne auch wie Vacuolen im Dotter aussehen und zu gewissen Zeiten von homogenen Protoplasma- höfen umgeben sind, so bin ich fest überzeugt, dass bei Phallusia 1) STRASBURGER. Ueber Zellbildung und Zelltheilung. Jena 1875, 390 Oscar Hertwig ebenfalls die Hautschiehtmasse, welche STRASBURGER als Kern ge- deutet hat, nur dem Protoplasmahofe, die Vacuole in demselben aber dem Kerne selbst entspricht. Ich deute dann die 2 Vacuolen in Fig. 6 als Ei- und Spermakern, die einfache Vacuole in Figur 7 dagegen als Furchungskern !). In dieser Auffassung werde ich um so mehr bestärkt, als Srras- BURGER der Ansicht ist: AUERBACH habe bei den Nematoden die in den Kernen sich bildenden Vacuolen jedenfalls für die Kerne selbst gehalten. Ich habe nun nach dem Erscheinen der organologischen Studien die Eier von Ascaris nigrovenosa mehrfach untersucht und muss mich, gestützt auf die hierbei erhaltenen Resultate, der Ansicht AUERBACH’S anschliessen, nach welcher die hellen Kugeln im Proto- plasma die Kerne selbst und nicht, wie STRASBURGER meint, Vacuolen im Kerne sind. An den zuletzt angeführten Arbeiten glaube ich gezeigt zu haben, dass schon in einer beträchtlichen Anzahl verschiedener thierischer Eier Theile des Befruchtungsvorganges zur Beobachtung gekommen sind. Wie sich bei dem erhöhten Interesse, welches somit in letzter Zeit den ersten Entwickelungsvorgiingen im Ei zu Theil geworden ist, wohl mit Sicherheit erwarten lässt, werden ausgedehntere Unter- suchungen uns hoffentlich bald über die Verbreitung der geschilderten Erscheinungen nicht nur im Thier- sondern auch im Pflanzenreich und bei den niedersten einzelligen Organismen weitere Aufklärung verschaffen. Literaturangaben. Die Vorgänge, durch welche bei der Befruchtung die Entstehung eines neuen Wesens herbeigeführt wird, raren lange Zeit für die wissenschaftliche Forschung ein Gegenstand tiefsten Dunkels, ein Gebiet, auf welchem man ohne Anhalt herum- tappend in Hypothesen sich erschöpfte. Es würde uns zu weit führen, auf die unzähligen und oft wunderbar phantastischen Vorstellungen und Theorieen einzugehen, welche in den letzten Jahrhunderten auf- gestellt worden sind und deren Anzahl sich auf einige Hunderte belaufen soll; vielmehr werde ich mich beschränken einen kurzen Abriss von der Entwickelung zu geben, welchen unsre Kenntnisse über die Befruchtung in den letzten vierzig Jahren genommen haben. Da der Samen der Wirbelthiere, mit dessen Untersuchung man 1) Wie STRASBURGER's Figur 3, in welcher viele Vacuolen in der Haut- schiehtmasse dargestellt sind, und seine Figur 4, in welcher eine Vacuole fehlt, zu erklären sind, muss ich dahingestellt sein lassen, Beitriige z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 391 sich zuerst ausschliesslich beschäftigt hatte, aus zwei Bestandtheilen besteht: aus einer Flüssigkeit und darin befindlichen organisirten, meist beweglichen Elementen, so war man lange Zeit in Zweifel, welcher Bestandtheil der befruchtende sei. In den ersten vier Jahr- zehnten dieses Jahrhunderts nahm man fast allgemein an, dass die Samenflüssigkeit befruchte, indem sie bei der Berührung mit den Eiern durch die Hüllen durehdringe und mit dem Dotter sich mische. Die Spermatozoen dagegen hielt man für parasitische Thiere. Noch in Jon. Mürter’s Physiologie heisst es'): »Ob die Samenthierchen parasitische Thiere oder belebte Urtheilchen des Thieres, in welchem sie vorkommen, sind, lässt sich für jetzt noch nicht mit Sicherheit beantworten.« Selbst als man die wahre Natur der Spermatozoen erkannt hatte, theilten ihnen trotzdem noch viele Forscher eine unter- geordnete Rolle beim Acte der Befruchtung zu. Durch ihre Bewe- gungen sollten die Spermatozoen die leicht veränderliche und leicht in Zersetzung übergehende Mischung des Samens erhalten. Ferner sollten sie eine wesentliche Bestimmung als Träger der befruchtenden Flüssigkeit erfüllen 2). Diese Auffassung wurde allmälig durch eine vergleichende Unter- suchung des Samens im Thierreich und durch das physiologische Experiment widerlegt. In seinen Beiträgen zur Kenntniss der Geschlechtsverhältnisse und der Samenflüssigkeit wirbelloser Thiere zeigte KÖLLIKER), dass der Samen mancher Thiere, wie z. B. der Polypen, nur aus Sperma- tozoen besteht und dass die sogenannte Samenflüssigkeit fehlt. Gleiches fand REicHerrt®); für die Nematoden. Durch das physio- logische Experiment erkannte man, dass Samenflüssigkeit mit un- reifen Spermatozoen und ebenso filtrirter reifer Samen nicht be- fruchte. Dies wurde für die Anschauung bestimmend, dass die Spermatozoen die bei der Befruchtung wirksamen Theile sind und dass die bei den höheren Thieren unter complieirteren Geschlechts- verhältnissen hinzutretenden Flüssigkeiten nur als »Menstruum der ') Jon. MÜLLER. Handbuch der Physiologie des Menschen. B. UL. pag. 637. 2) Biscnorr. Entwicklungsgeschichte des Hundeeies 1845. pag. 17. ®) KÖLLIKER. Beiträge zur Kenntniss der Geschlechtsverhältnisse und der Samenflüssigkeit wirbelloser Thiere 1841. Nach LEUCKART (Artikel Zeugung) eitirt. 4) Reichert. Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Samenkörperchen bei den Nematoden. Archiv f. Anat. u. Phys. 1847. pag. 135. 392 Oscar Hertwig Ja Samenkörperehen von untergeordneter physiologischer Bedeutung an- gesehen werden dürfen !).« Seit der Zeit wurde die Art, in welcher die Spermatozoen be- fruchtend wirken, zum Gegenstand wissenschaftlicher Erörterung. Bei mikroskopischer Untersuchung hatte man früher dieselben stets nur Ausserlich den Eihüllen anhaften gesehen. Dieser Umstand, so- wie die epochemachenden Arbeiten Lirpic’s veranlassten BISCHOFF 1547 eine Theorie der Befruchtung durch Contact aufzustellen ?). Nach derselben wirkt »der Same beim Contact, bei Berührung, durch katalytische Kraft, d. h. er constituirt eine in einer be- stimmten Form der Umsetzung und inneren Bewegung begriffene Materie, welehe Bewegung sich einer anderen Materie, dem Ei, die ihr nur einen höchst geringen Widerstand entgegensetzt, oder wie wir auch sagen können, in dem Zustande der grössten Spannung oder der grössten Neigung zu einer gleichen und ähnlichen Bewe- gung und Umsetzung sich befindet, mittheilt und in ihr eine gleiche und ähnliche Lagerungsweise der Atome hervorruft.« Die Eihüllen sollten dieser Wirkung kein Hinderniss in den Weg setzen. Dieser Theorie hat sich Leuckarr in dem Artikel Zeugung an- geschlossen. Auch ihm erscheinen »die Vorgänge im befruchteten Ei als das Product von zweierlei Factoren, von der primitiven Dispo- sition des Bildungsmateriales und von der molecularen Bewegung, die demselben von den Samenkörperchen bei der Berührung mitge- theilt wird *) .« Auf die Unhaltbarkeit dieser Auffassung machte schon frühzeitig h. WAGNER aufmerksam, weil durch die blosse Contacttheorie die Uebertragung der Eigenschaften des Vaters auf die Nachkommen- schaft nicht erklärt werde, vielmehr eine Betheiligung des männ- lichen Zeugungsstoffes als solehen bei der Befruehtung durchaus erforderlich erscheine !). In der Geschiehte unseres Gegenstandes tritt jetzt eine Periode ein, welche sich dadurch auszeichnet, dass von verschiedenen Seiten Beobachtungen mitgetheilt werden, nach welchen Spermatozoen inner- I) LeucKART. WaAGNER’s Handwörterbuch der Physiologie B. IV, pag. 906. ?) BiscHhorr. Theorie der Befruchtung. Archiv f. Anat. u. Phys. 1847. Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens 1852. 3) LEUCKART. WAGNER’s Handwörterbuch B. IV. pag. 960. 4) WaAGNER’s Handwörterbuch f. Physiol. B. IV. pag. 1001-1018. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 393 halb der Eihaut und im Dotter bei verschiedenen Thieren wahrge- nommen worden sind. Die erste derartige Angabe rührt von Barry her, der an Ka- nincheneiern im Zweitheilungsstadium innerhalb der Dotterhaut zwi- schen und in den Zellen Spermatozoen beschrieben hat!). Einige Jahre später will derselbe noch genauer den Befruchtungsvorgang selbst beobachtet haben. An dem auf der Dotteroberfliiche gelegenen Keimbläschen des Säugethiereies und ebenso in der zona pellucida über ihm soll eine kleine Oeffnung entstehen; hier soll das Sperma- tozoid eindringen; sein befruchtender Stoff soll von dem ihm ent- gegenwandernden Keimfleek aufgenommen werden. In dem Keim- fleck (der Hyaline Barry’s), welcher so mütterlichen und väterlichen Befruchtungsstoff vereinigt, soll jetzt der schon früher erwähnte Keimflecktheilungsprocess beginnen ?). An Barry’s Angaben schliessen sich Untersuchungen von NEL- SON an, welche an den Eiern von Ascaris mystax angestellt wurden ®). Hier sollen die Spermatozoen vor dem Verschwinden des Keimbläs- chens in die Oberfläche des Dotters in grösserer Anzahl eindringen, anschwellen, durchsichtig werden und sieh auflösen. Dann soll das Keimbläschen untergehen, der Keimfleck aber bestehen bleiben und sich vergrössern und das Embryonalbläschen bilden (the embryonie vesicle and spot). Vieles Aufsehen erregte in wissenschaftlichen Kreisen das 1853 erschienene Werk KEBEr’s!) »Ueber den Eintritt der Samenzellen in das Ei.« Gleichzeitig in lateinischer und deutscher Sprache abge- fasst war dasselbe den bedeutendsten Männern seiner Zeit, BAER, BARRY, BiscHoFF, MÜLLER, RATHKE, WAGNER gewidmet und zur Beurtheilung empfohlen. Keser hat an den Eiern der Flussmuschel eine Oeffnung entdeckt, durch welche die Samenzellen in den Dotter eindringen sollen, und hat er dieselbe die Mikropyle des Eies be- nannt. An ihrem Eingang hat er im Dotter einen länglichen Körper liegen sehen und denselben für ein eingedrungenes Spermatozoon gedeutet. Nach seinen Beobachtungen soll es schon in den unreifen 1) Barry. Philosophical Transactions 1843 Pars I. Wörtlich mitgetheilt in Krper’s Abhandlung: De spermatozoorum introitu in ovula. pag. 63. ?) Barry. Archiv fiir Anatomie u. Physiologie 1850 pag. 554. 3) NELSON. On the reproduction of Ascaris mystax. Proceedings of the royal Society. Vol. VI. pag. $6. Philosophical Transactions 1852. 4) Keser. De spermatozoorum introitu in ovula. Königsberg 1853. 394 Oscar Hertwig Eierstockseiern vorhanden sein, ein viertel Jahr lang in denselben verweilen und sich dann auflösen. | Die Arbeit Krger’s fand gleich bei ihrem Erscheinen eine herbe, aber gerechte Kritik durch Funke!) in Scumipt’s Jahrbüchern der gesammten Mediein.- Desgleichen griff HessLınG 2) auf eigene Unter- suchungen gestützt die durch schlechte Methode erhaltenen Resultate an und hob namentlich hervor, dass der vermeintliche Samenfaden- kopf nichts Anderes sei, als der bisweilen scharf contourirte Rand der inneren Oeffnung der Mikropyle*). Auch andere Forscher , die sich seitdem mit dem Gegenstand beschäftigt haben, konnten KEBER’s Deutung nicht bestätigen (BiscHorr !), Bruch), FLEMMING ®). Trotz- dem verharrte derselbe bei seiner ersten Behauptung und suchte die- selbe durch eine zweite Arbeit zu stützen”). Obwohl die Unter- suchungen KEBEr’s in ihren Hauptsachen nicht bestätigt wurden, so haben dieselben doch eine nicht unbedeutende Rolle in der Geschichte des vorliegenden Gegenstandes gespielt, indem sie sowohl eine leb- hafte wissenschaftliche Erörterung hervorriefen als auch für eine Anzahl weiterer Untersuchungen die Veranlassung wurden. Die Frage nach dem Eindringen der Spermatozoen in den Dotter war damals gleichsam eine brennende Tagesfrage in der Wissenschaft geworden. Welchen Werth man auf die Beobachtung eines Sperma- tozoen innerhalb der Dotterhaut legte, geht recht augenscheinlich daraus hervor, dass BARRY sowohl als NELSON, KEBER und später MEISSNER jedesmal ein Collegium von Professoren und Doctoren zu- - ‚ Funke. Scumipt’s Jahrbücher der gesammten Mediein. B. 80. pag. 118. ts ) HessLinG. Einige Bemerkungen zu des Dr. Keper’s Abhandlung: »Ueber den Eintritt der Samenzellen jn das Ei.« Zeitschr. f. wiss. Zool. B. V. 1854, 3) Nach den neueren Untersuchungen FLEMMING’s soll der KEBER'sche Körper in der Mikropyle des Eierstockseies als Körper existiren, aber nicht zu den Befruchtungsvorgängen sondern zu den Ernährungsvorgängen des Dotters in Beziehung stehen. 4, BISCHOFF. Widerlegung des v. Dr. Keser ete. behaupteten Eindrin- gens der Spermatozoiden in das Ei. 1854. 5) Bruch. In einem an KEBER gerichteten Brief mitgetheilt in KEBER'S mikroskop. Untersuchungen über die Porosität der Körper 1854. 6) FLEMMING. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. X. *) Keser. Mikroskopische Untersuchungen über die Porosität der Körper nebst einer Abhandlung über den Eintritt der Samenzellen in das Ei. Königs- berg 1854. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 395 sammenberiefen, um ihnen den Befund zu zeigen und Zeugniss von ihnen ablegen zu lassen. Schon ein Jahr nach Kuper’s letzter Abhandlung erschienen wei- tere Untersuchungen von Newport, BISCHOFF und MEISSNER. Newerorr!) theilt in den Philosophical Transactions Beobachtungen mit, nach denen er das Eindringen der Spermatozoen in das Innere des Froscheies in der ersten Stunde nach der Befruchtung unmittelbar verfolgt hat, und nimmt er an, dass die Vermischung der Bestand- theile der eingedrungenen und zerfallenden Samenelemente mit der Substanz des Dotters den wahren Befruchtungsact bedingt. Auch Biscnorr?), der Begründer der Contacttheorie, bestätigt jetzt selbst, wogegen er früher vielfach angekämpft hatte, den Ein- tritt der Spermatozoen in das Ei der Frösche und des Kaninchens. MEISSNER®) endlich beschreibt die Befruchtungsvorgänge von den Eiern verschiedener Thiere und namentlich von Ascaris mystax, welche nach Nerson’s Vorgang ein Hauptuntersuchungsobjeet in dieser Frage geworden war. Die Eier von Ascaris mystax sollen eine Mi- kropyle besitzen, durch welche die Samenkörperchen in grösserer Anzahl eindringen. Im Dotter sollen dieselben sich allmälig immer mehr abrunden und schliesslich zu grösseren oder kleineren sphä- rischen Fetttropfen werden, die sich in Aether lösen und die nicht eine Spur ihrer Vergangenheit mehr verrathen. Mehrere Fetttropfen sollen zu einem zusammenfliessen und endlich mit dem Dotter sich mischen. Der Theil des Samenkörperchens, welcher die Fettmeta- morphose eingeht, soll der wichtigste Theil, das eigentlich befruch- tende sein. Ferner schildert MretssNer die Mikropyle an verschie- denen Inseeteneiern und theilt einen Befund mit, dem zu Folge er an Kanincheneiern, die schon im Stadium der Keimblase sich befan- den, Spermatozoen zwischen den Zellen gesehen hat. Die Untersuchungen MEIssNer’s über Ascaris mystax erfuhren ein ähnliches Schicksal wie KEBER’S Arbeiten, indem sie einen lebhaften I) Newport. On the Impregnation of the Ovum in the Amphibia. Phi- losophical Transactions 1853. T. II. Referirt nach Cansrarr’s Jahresbericht. Würzburg 1855. Band I. 2) BiscHorr. Bestätigung des von Dr. NEWPORT bei den Batrachiern und von Dr. Barry bei dem Kaninchen behaupteten Eindringens der Spermatozoiden in das Ei. Giessen 1854. 3) MEISSNER. Beobachtungen über das Eindringen der Samenelemente in den Dotter. Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. VI 1855. Morpholog. Jahrbuch. 1. 27 396 Oscar Hertwig Widerspruch hervorriefen, so von Seiten Biscnorr’s '), CLAPAREDE’S 2) und Munk’s*). CLAPAREDE, welcher uns am vorurtheilsfreisten unter- sucht zu haben scheint, zeigt, dass Meıssner’s Mikropyle bei den Eiern von Ascaris mystax nicht besteht, dass die von NELSON und MEISSNER über die Befruchtung mitgetheilten Beobachtungen unzu- reichend sind, um das Eindringen der Spermatozoen festzustellen, dass endlich die Theorie der Umwandlung der Samenkörperehen in Fett jeden festen Grundes ermangelt und dieselbe durchaus nicht aufrecht erhalten werden kann. Eine weitere Arbeit MEISSNER’S#) über die Befruchtung von Eehinus esculentus stand mir leider nicht im Original zur Verfügung. Wie ich aber aus einem Referat in CAnstarr’s Jahresberichten®) ersehe, be- schreibt MEıssnEr eine Mikropyle in den Hüllen des Seeigeleies. Von den zahlreichen Spermatozoen, die sich in reichlicher Menge an der Mikropyle ansammeln, sollen nur wenige in den Dotter eindringen Wenn ich die mitgetheilten Untersuchungen einer Beurtheilung unterwerfe, so vermisst man in dem grössten Theil derselben in hohem Grade eine sachgemässe Darstellung und Deutung der beobachteten Thatsachen. Denn wie hätte sonst KEBER den Körper, den er ein viertel Jahr lang an derselben Stelle liegend fand, und wie hätte MEISsnER Fetttropfen für umgewandelte Spermatozoen erklären dür- fen. Da ferner nie die angewandte Untersuchungsmethode mitgetheilt und objeetiver Befund und Beurtheilung nieht genügend auseinander- sehalten worden ist, so ist es wirklich schwierig, ein richtiges Urtheil darüber sich zu bilden, wie vieles von den älteren Forschern richtig beobachtet worden ist. Jedenfalls aber beschränken sich die wissen- schaftlichen Errungenschaften aus den angeführten Arbeiten, soweit sie über den Befruchtungsaet handeln, auf den Nachweis einer Oeff- nung in den Hüllen vieler Eier, der sogenannten Mikropyle (KEBER) und auf den Nachweis der Spermatozoen innerhalb der Dotterhaut I) Biscuorr. Ueber Ei- und Samenbildung und Befruchtung bei Ascaris mystax. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. VI. 2) CLAPAREDE. Ueber Eibildung und Befruchtung bei den Nematoden. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. IX. 3) Munk. Ueber Ei- und Samenbildung und Befruchtung bei den Nema- toden. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. IX. 4) MEISSNER. Ueber die Befruchtung der Eier von Echinus esculentus. Verhandl. der naturf. Gesellschaft in Basel. Basel 1856. 5) CANSTATT’s Jahresbericht über die Fortschritte der gesammten Medicin im Jahre, 1856. Würzburg 1857. pag. 147. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 397 und im Dotter. Dagegen hat keiner der angefiihrten Forscher die weiteren Schicksale eines in den Dotter eingedrungenen Samen- kérperchens richtig beobachtet. In den nun folgenden Jahren scheint das Interesse für die Vor- gänge bei der Befruchtung mehr und mehr abgenommen zu haben. Zwar finden sich noch hie und da kleinere Mittheilungen über ein Verschmelzen der Spermatozoen mit dem Dotter, dagegen ist mir eine umfassendere und speciell auf diesen Gegenstand gerichtete Untersuchung aus diesem Zeitabschnitt nicht bekannt. Die neuesten Beobachtungen über den Vorgang der Befruchtung hat BürscHhLr!) mit- getheilt. »Bei Cephalobus rigidus, einem sehr günstigen Objecte, soll das vom Eierstock sich lösende unterste Ei, sobald es das erste Spermatozoon der Samenblase erreicht, sich augenblicklich mit dem- selben vereinigen, indem es dasselbe mit sich reissend, es lang aus- zieht. Das Spermatozoon soll sieh der Oberfläche des Dotters anschmie- gen und wie es scheint, schon nach dem Eintritt des Eies in den Uterus vollständig mit dem Dotter verschmolzen sein.« Zu einer etwas anderen Auffassung ist Bürschuı bei Cucullanus elegans gelangt. Hier sollen »die befruchteten Eier deutlich das der Oberfläche des Dotters ein- gesenkte Spermatozoon als ein Häufchen dunkler Körner, die von einem hellen Hofe umgeben sind, erkennen lassen; es soll also das Spermatozoon vorerst nicht mit dem Dotter verschmelzen und sich auch noch eine gewisse Zeit, während welcher wichtige Entwicke- lungsvorgänge verlaufen, auf der Oberfläche des Dotters deutlichst erhalten.« Den Moment der Befruchtung selbst hat BürschLı nicht gesehen, da die Untersuchung der sehr empfindlichen Eier in zwei- procentiger Essigsäure vorgenommen wurde. Wenn ich jetzt auf das zusammengestellte literarische Material einen Rückblick werfe um ein allgemeines Resultat aus demselben zu erhalten, so kann ich den Stand der Befruchtungslehre, wie er nach den vorliegenden Beobachtungen sich ergibt, nicht besser kennzeichnen als mit den Worten, in welchen Wunpr? in seinem Lehrbuch der Physiologie die Befruchtung schildert. »Die wesentliche Bedingung der Befruchtung,« heisst es daselbst, »ist höchst wahrscheinlich das Eindringen der Samenkörperchen in den Eiinhalt, das in den ver- 1) Bürschuıi. Vorläufige Mittheilung über Untersuchungen betreffend die ersten Entwicklungsvorgänge im befruchteten Ei von Nematoden und Schnecken. Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XXV. 2) Wunpt. Lehrbuch der Physiol. der Menschen 1873. pag. 250. 27* 398 Oscar Hertwig schiedensten Wirbelthierelassen nachgewiesen werden konnte. Nach- dem die Samenkörperchen in das Ei eingedrungen sind, verlieren sie sehr schnell ihre Beweglichkeit und lösen sich im Dotter auf. Eine Theorie oder auch nur irgend begründete Hypothese über die Natur der Vorgänge, durch welche die Samenelemente nach ihrem Ein- dringen in den Dotter in diesem den Entwickelungsprocess anregen, besitzen wir nicht!) .« III. Abschnitt. Die Eifurchung. Zur Untersuchung der Theilungsvorgänge an thierischen Zellen sind wohl die geeignetesten und daher auch die am meisten ange- wandten Objecte die kleineren und durchsichtigen Eier niedriger wasserbewohnender Thiere, welche ihre Geschlechtsproducte zur Zeit der Reife aus ihrem Körper entleeren. Einmal erhält hier der Beob- achter die seltene Gelegenheit, an dem in seinem natürlichen Me- dium gelassenen lebenden Objecte die Theilungsvorgänge unmittelbar unter dem Mikroskop zu verfolgen, ausserdem aber kommt es ihm auch noch bei der Untersuchung sehr zu Statten, dass am Ei wie bei keiner andern Zelle die Theilungen in rascher Aufeinanderfolge in einem kurzen Zeitraum sich vollziehen, und dass der Beobachter es ganz in seiner Hand hat, zu einer bestimmten Zeit dureh Vor- nahme der künstlichen Befruchtung die Entwieklung einzuleiten und dieselbe von Anfang bis zu Ende Schritt für Schritt zu verfolgen. Um bei der Eifurchung in die Veränderungen, welche im Dotter -1) Zu demselben Resultat sind bis jetzt die Botaniker in der Erkenntniss des Befruchtungsvorganges gelangt. »Nach dem gegenwärtigen Stande der Beob- achtungen« — sagt Sachs in seinem Lehrbuch der Botanik (1874. pag. 871 bis 872), — »darf man annehmen, dass die Befruchtung immer in einer Vermischung der befruchtenden Substanz der männlichen Zelle mit dem Protoplasma der weiblichen besteht; bei der Conjugation ist die Vermischung durch die Ver- schmelzung beider Zellen gegeben; bei der Befruchtung der Oedogonien und Vaucherien wurde von PRINGSHEIM das Eindringen des Spermatozoids in das Protoplasma der Eizelle und seine Auflösung in diesem beobachtet; die Sper- matozoiden der Muscineen und Farne wurden von HoFMEISTER, die der Marsi- lien von HANSTEIN bis in die Archegonien, die der Farne von STRASBURGER bis in die Eizelle hinein verfolgt.« 2 Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 399 und namentlich am Kern sich abspielen, einen Einblick zu gewin- nen, haben sich meist die älteren Forscher und in der neueren Zeit auch AurRBACH auf die Beobachtung eines geeigneten Objectes im frischen Zustande beschränkt. Wie wir indessen aus dem Folgenden sehen werden, ist diese Untersuchungsweise, für sich allein ausgeübt, durchaus nicht im Stande uns mit den Veränderungen bei der Thei- lung bekannt zu machen. Denn viele Vorgänge entziehen sich bei der Beobachtung des lebenden Objeetes der Wahrnehmung deswegen, weil auf gewissen Entwicklungsstadien der Kern und die ihn zu- nächst umgebenden Dottertheile von so gleichartiger Lichtbrechung werden, dass sie selbst mit guten Mikroskopen nicht mehr unter- schieden werden können. Hier ist es denn geboten, die in der mi- kroskopischen Technik gebräuchlichen Reagentien bei der Unter- suchung mit zu Hülfe zu ziehen. Durch sie allein können wir die im frischen Zustande nicht mehr wahrnehmbaren Verschiedenheiten zwischen dem Kern und der ihn umgebenden Substanz künstlich steigern und für unser Auge wieder erkennbar machen, indem wir entweder durch Säuren die Eiweisskörper in verschiedener Weise zur Gerinnung bringen oder ihre verschiedene Imbibitionsfähigkeit in Färbungsflüssigkeit zu ihrer Unterscheidung benutzen. Wenn somit nicht in Abrede gestellt werden kann, dass an zweckmässig behandelten Präparaten vieles besser als am lebenden Objecte erkannt werden kann, so darf deswegen dennoch die Unter- suchung im frischen Zustand nicht unterschätzt oder gar bei Seite ge- schoben werden. Um die einzelnen durch Reagentien conservirten Ent- wicklungsstadien recht zu deuten, müssen wir zuvor an einem lebenden Objecte den ganzen Furchungsprocess verfolgt und gesehen haben, wie die besonders characteristischen Stadien entstehen und in andere sich umwandeln. Die Untersuchung der Eifurchung im frischen Zu stande muss die Grundlage bilden, an welche sich dann weiterhin die durch Reagentien erhaltenen Bilder bestätigend und ergänzend anschliessen. Wie diese Gesichtspuncte den Gang der Untersuchung geregelt haben, so mögen sie auch für den Gang der Darstellung massgebend sein. Im Folgenden werde ich daher zunächst die Erscheinungen, soweit sie an dem sich furchenden Ei erkannt werden können, im Zusammenhang schildern, alsdann die Bilder beschreiben, welche Reagentien von den einzelnen Stadien liefern. Durch Combination der beiden Beobachtungsreihen werden wir erst das Gesammtresultat von den Vorgängen bei der Eifurchung erhalten. 400 Oscar Hertwig Wenn man ein sich furchendes Ei während mehrerer Stunden beobachten will, müssen einige Vorsiehtsmaassregeln getroffen werden. Die Seeigeleier sind nämlich gegen äussere Einflüsse sehr empfind- lich und vertragen weder einen leichten Druck des Deckgläschens noch Veränderungen im Concentrationsgrad des Meerwassers, sofern dieselben nicht ganz allmälig und in geringem Maasse erfolgen. Wenn man zum Beispiel zu einem Tropfen Meerwasser, welches einige Zeit unter dem Deckgläschen gestanden hat, einen frischen Tropfen vom Rande her zufliessen lässt, so kann man sicher sem, dass plötzlich alle Eier absterben. — Bei der Empfindlichkeit des Untersuchungsobjeets gegen Druck konnte die Compressions- methode, durch welche AurrBach bei den Nematodeneiern so viel erreicht hat, nicht mit Vortheil benutzt werden. Die von mir ge- troffenen Vorkehrungen bei der Beobachtung bestanden nun einmal darin, dass ich die Ecken des Deckgläschens mit Wachsfitisschen versah , so dass es auf die darunterliegenden Eier keinen Druck mehr ausüben konnte. Ferner habe ich das Verdunsten des Meer- wassers bei länger dauernder Beobachtung dadurch zu beschränken versucht, dass ich um den Rand des Deckgläschens einen Wachs- rahmen herumlegte. Bei Befolgung dieser Vorsichtsmaassregeln ge- lang es mir einzelne Eier von der Befruchtung bis zur Vier- und Achttheilung zu beobachten. Nach diesen Bemerkungen nehme ich den Faden der Darstel- lung wieder bei jenem Entwicklungsstadium auf, wo ich ihn im zweiten Theile dieser Arbeit fallen gelassen habe. Wie bereits gezeigt, entsteht etwa eine viertel Stunde nach ein- geleiteter Befruchtung durch die Verschmelzung des Ei- und Sperma- kerns ein einfacher , central gelegener, kugeliger Kern, der Fur- chungskern, um welchen das Protoplasma bis zum Rand der Dotter- kugel eine strahlenartige Anordnung besitzt (Fig. 11). Allmälig sammelt sich jetzt in seiner nächsten Umgebung eine homogene körnchenfreie Substanz an. Wenn man jetzt ein genaues Augenmerk auf den Kern richtet, so wird man erkennen, dass derselbe nicht immer kugelig beschaffen ist, sondern bald hier bald da kleine Ausbuch- tungen und Einziehungen zeigt, mit einem Worte, dass der Kern seine Gestalt amöboid verändert. Hierdurch und durch die Umlagerung mit einer Rinde körnchenfreien Protoplasmas erklärt es sich, dass im Allgemeinen die Kerncontouren jetzt minder deutlich als im unbe- fruchteten Zustande hervortreten. Nach einiger Zeit führen die Formveränderungen am Kern zu einer bleibenden Verlängerung des- Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 401 selben. Die Endpuncte seines längsten Durchmessers wollen wir als die Pole des Kerns bezeichnen. An den beiden Kernpolen treten in dem Dotter eine Reihe eigenthiimlicher und wichtiger Erscheinungen auf. Allmälig sammelt sich an ihnen eine völlig homogene Substanz an und bildet um die- selben einen zunächst kleinen Hof. In der Umgebung des Hofs ord- nen sich die Dotterkörnehen in Radien an, die auf die Kernpole als gemeinsames Centrum gerichtet sind. Indem sich nun einerseits der körnchenfreie Hof immer mehr allseitig vergrössert, andererseits die ihn umgebenden Körnchenradien durch Anlagerung neuer Körnchen an ihre Enden sich verlängern, entstehen in der Eizelle zwei kleine helle Sonnen, zwischen welehen der Kern als Verbindungsstück mitten innen liegt (Fig. 16a). Die beiden Sonnen fahren fort lang- sam zu wachsen (Fig. 165) und übertreffen schliesslich den Kern an Ausdehnung !). Während dieser Veränderungen sind an den beiden Polen die Contouren des Kerns undeutlich geworden, doch gewann ich bei aufmerksamer Beobachtung den Eindruck, als ob jederseits ein Fort- satz bis zum Mittelpunct jeder Sonne sich hineinerstrecke. Ein völlig klares Bild konnte ich indessen nie erhalten, auch dann nicht, wenn ich mit dem Deckglas eine leichte Compression auf das Ei ausübte. Wenn die beiden Sonnen den Kern an Grösse bedeutend übertreffen, dann tritt endlich ein Stadium ein, wo der letztere sich vollständig der Beobachtung am lebenden Objecte entzieht. Trotz- dem ich oftmals in dem fraglichen Augenblicke den Kern scharf und unausgesetzt im Auge behielt, so sah ich ihn plötzlich undeutlich werden und rasch spurlos verschwinden, ohne dass ich jemals im Stande gewesen wäre mir ein Urtheil darüber zu bilden, wodurch das Schwinden des Kerns veranlasst worden wäre. Mit dem scheinbaren Untergange des Kerns ist im Eidotter ein Bild entstanden , welches von einigem Bestande ist, der Theilung !) In einigen Fällen habe ich eine Modification dieses Entwicklungsganges beob- achtet. Die an den beiden Polen des ovalen Kerns sich ansammelnde homogene Substanz verlängerte sich ziemlich bedeutend nach den zwei entgegengesetzten Richtungen und es entstand so etwa eine halbe Stunde nach der Befruchtung das in Figur 15 dargestellte Bild. Mitten durch das Ei verläuft hier ein heller kérnchenfreier Streifen oder Stab, in dessen Mitte der ovale Kern liegt. Um den Stab, besonders aber um die Enden desselben sind die Dotterkörnchen in Radien angeordnet, in einer Weise, welche durch die gegebene Abbildung besser als durch Worte veranschaulicht wird. 402 Oscar Hertwig unmittelbar vorausgeht und zu den am meisten characteristischen gehört. Wie Figur 17 zeigt, befinden sich in dem Eicentrum nahe bei einander zwei runde kérnchenfreie Stellen, die, wenn wir sie uns körperlich vorstellen, eine Kugelform und einen Durchmesser von 28,5 u besitzen. Unter einander hängen sie durch einen schmalen körnchenfreien Streifen zusammen, welcher die Stelle einnimmt, wo früher der vacuolenartige Kern gelegen hatte. Der Streifen ist bügelförmig gekrümmt. Wir müssen daher, wenn der Bogen des Verbindungsstückes nach unten am Beobachtungsobjeet gerichtet ist, den Tubus des Mikroskops etwas senken, um die Verbindung zwi- schen beiden Sonnen wahrzunehmen. Um jede Sonne, welche durch ihre helle homogene Beschaffenheit aus der körnigen Umgebung recht deutlich hervortritt, sind die Dotterkérnchen in Radien angeordnet, welche einerseits fast bis zur Eioberfläche reichen, andererseits in einer Ebene endigen, welche man durch die Mitte der Figur senk- recht zum Verbindungsstiick hindurchlegt. Durch diese Ebene wird das Ei in zwei Hälften zerlegt, deren jede eine Sonne mit ihrem Strahlenbereich enthält. Ich werde dieselbe von hier ab als Thei- lungsebene bezeichnen. In ihr treffen sich die medianen Strahlen beider Eihälften unter einem stumpfen oder spitzen Winkel. Die Abgrenzung der Körnchenstrahlen gegen die homogene Substanz ge- schieht nicht in einer Fläche, vielmehr springen einzelne Radien weiter, andere weniger weit gegen den Mittelpunct der Sonne vor, so dass dieselbe auf dem Durchschnitt eine gezackte Umrandung erhält. Noch anschaulicher lässt sich die Vertheilung und das Lage- verhältniss von Körnchen und homogener Substanz zu einander dar- stellen, wenn wir bei der Beschreibung von letzterer ausgehen. Wir finden dann, dass in der Mitte jeder Eihälfte die homogene Substanz eine kugelförmige Anhäufung bildet und von diesem Centrum nach der Peripherie sich in radienartig angeordnete breite Keile fortsetzt, dass diese Keile sich sehr rasch theilen und in feine Strahlen zer- fallen, welche dicht beisammen liegen und bis zur Eiperipherie drin- sen. In den freigelassenen Bahnen lagern sich die Dotterkörnchen, welche daher gleichfalls Radien bilden müssen. Da sie jetzt nicht mehr gleichmässig im Dotter vertheilt sind, so liegen sie natürlich in den Radien gedrängter als zuvor hintereinander. Die hier geschilderte, etwa eine viertel Stunde vor der Thei- lung entstehende Figur ist von AUERBACH recht passend als die hantelförmige bezeichnet worden. Im Folgenden werde ich auch diese Benennung beibehalten und werde ich, um mich kürzer aus- — Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 403 drücken zu können, von einer Hantelfigur und einem Hantel- stadium der Eitheilung sprechen. Da die Seeigeleier kugelförmig beschaffen sind und in Folge dessen keine feste Lage auf dem Objeetträger einnehmen, so erhält man von der Hantelfigur, wie auch von den übrigen Entwicklungs- stadien die mannigfaltigsten Bilder. Es kann zum Beispiel das Ei derartig liegen, dass die eine Kugel der Hantel nach unten, die andere nach oben gerichtet ist. Man erblickt dann nur eine Sonne im Gesichtsfeld und erst bei tieferer oder höherer Einstellung wird man die zweite gewahr. Mit der Darstellung der Veränderungen des Kerns und der ihn umgebenden Dottertheile beschäftigt, habe ich bisher eine Erschei- nung unerwähnt gelassen, welche auf der Dotteroberfläche verläuft. Zur Zeit ungefähr, wo der Kern sich zu strecken und an seinen Polen sich je eine körnchenfreie Stelle zu bilden beginnt, verliert das Ei seine ursprüngliche glatte Begrenzung (Fig. 16a). Es entstehen Ein- und Ausbuchtungen , welche seiner Oberfläche ein höckriges Aussehen verleihen. Durch häufig erneute Untersuchung konnte ich feststellen, dass diese Erscheinung mit Regelmässigkeit in dem ge- nannten Stadium eintritt und daher ein gesetzmässiger Vorgang ist, der mit den inneren Umlagerungen der Protoplasmatheile zusammen- hängt. Wenn die Hantelfigur sich auszubilden beginnt, nimmt das Ei auch nach und nach wieder seine ursprüngliche runde Form mit glatter Oberfläche an. Das Endresultat der von mir auf den vorhergehenden Seiten geschilderten Vorgänge besteht in einer Umlagerung des gesammten Ei-Inhalts und in einer Vertheilung desselben auf zwei gleiche Hälf- ten, deren jede ein homogenes Centrum und eine körnige strahlig differenzirte Rindenschicht besitzt. Dieses Resultat ist etwa eine Stunde nach eingeleiteter Befruchtung vollständig erreicht. Es be- ginnt nun eine zweite Reihe von Erscheinungen, welche in der Bil- dung zweier Tochterzellen mit je einem central gelegenen kugligen Kern ihren Abschluss finden. Zunächst verliert das Ei seine kugel- förmige Beschaffenheit, indem es sich der Länge der Hantel ent- sprechend etwas streckt und hierdurch eine mehr ovale Form an- nimmt (Fig. 17). Bald darauf sieht man in der Theilungsebene eine ringförmige Einschnürung entstehen, welche das erste Anzeigen der beginnenden Theilung ist. Da der Vorgang sich von hier ab in wenigen Minuten vollzieht, so ist er von Anfang bis zu Ende leicht unter dem Mikroskop zu verfolgen. Man sieht nun, wie die 404 Oscar Hertwig ringförmige Furche immer tiefer einschneidet (Fig. 18) und wie in Folge dessen beide Eihälften sich weiter von einander entfernen, so dass das gesammte Ei eine bedeutende Streekung in einer Rich- tung erfährt. Zu dieser Zeit kann man die Gestalt des Eies unge- fähr mit derjenigen einer Sanduhr vergleichen. Zwei sich kugelför- mig abrundende Eihälften hängen durch einen dünner und dünner werdenden Hals zusammen. Indem derselbe schliesslich ganz von der ringförmigen Furche durchschnitten wird, ist die Zweitheilung vollzogen. Die beiden Segmente, welche im Verlauf der Theilung sich von einander entfernt und abgerundet haben, legen sich jetzt wieder dieht aneinander und platten sich an der Berührungsfläche so vollkommen ab, dass jedes Theilstück nahezu einer Halbkugel gleicht (Fig. 19). Das zweigetheilte Ei wird hierdurch äusserlich wieder dem ungetheilten ähnlich, indem auf der Oberfläche nur eine leichte Furche und auf dem Durchschnittsbild eine zarte Trennungs- linie den stattgehabten Vorgang andeutet (Fig. 20). Während der Theilung hat sich die Membran des Eies in die entstehende Furche eine Strecke weit mit eingesenkt, indem sie sich in einzelne Falten zusammengelegt hat (Fig. 18). Nach vollendeter Furchung nimmt sie dann ihre frühere Lage und Beschaffenheit wieder an. Unmittelbar während und nach der Theilung vollziehen sich auch im Innern des Eies eine Reihe wichtiger Veränderungen. Die beiden Theile der Hantelfigur rücken, je mehr die Furche einschneidet, um so weiter auseinander und verändern hierbei ihre Form, indem jede Kugel sich parallel zur Theilungsebene ausbreitet und in entge- gengesetzter Richtung abflacht. Hierdurch verwandelt sie sich in eine nach der Theilungsebene zu eoncav gekrümmte dieke Scheibe, deren Mittelpunet mit dem Mittelpunct der entgegengesetzten Scheibe nach wie vor durch einen dünnen, jetzt bedeutend in die Länge ge- zogenen Stiel zusammenhängt. Die Dotterkörnchen sind noch deut- lich strahlenförmig um die helle Figur angeordnet. Während aber im Hantelstadium die nach der Theilungsebene ausstrahlenden Ra- dien unter einem Winkel sich trafen, so hat sich jetzt bei der statt- gehabten Verlängerung des Eies der Winkel ausgeglichen. Es ver- laufen daher gerad gestreckte oder leicht gebogene Reihen von Dotterkérnchen von einer Scheibe zur anderen, dem Verbindungs- stiel derselben parallel, durch den Hals des sanduhrförmig gestalte- ten Eies. Kurz vor oder unmittelbar nach der Durchschneidung sieht man in einiger Entfernung von der Theilungsebene in dem Verbindungs- Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 405 stiel plötzlich je eine helle kleine Stelle auftauchen. Anfänglich unregelmässig begrenzt wird sie nach und nach deutlicher und run- det sich zu einer kleinen Kugel ab, die langsam an Grösse zunimmt. Die neugebildete Kugel, welche durch ihren helleren Inhalt kenntlich aus dem homogenen Protoplasma deutlich hervorleuchtet, ist der Kern der Tochterzelle. So ist das in Figur 19 (untere Eihälfte) dargestellte Bild entstanden. In jeder Eihälfte erblickt man eine flache pilzhutförmig ausgebreitete Scheibe von körnehenfreier Substanz, von welcher ein dünner Stiel nach der Berührungsfläche der beiden Segmente verläuft. In dem Stiel erkennt man excentrisch in der Tochterzelle liegend den wieder wahrnehmbar gewordenen Kern. Dieses Stadium ist indessen nur von ganz vorübergehender Dauer, indem sich einestheils die Verschiedenheiten in der Vertheilung der Körnehen und der homogenen Substanz allmälig ausgleichen, an- dererseits der Kern seine Lage verändert. Zunächst verliert sich die strahlenartige Anordnung der Dotterkörnchen, dann verschwin- det der Stiel der hellen Figur; der Kern entfernt sich mehr von der Durehsehnittsebene und wandert zum Theil in die helle Scheibe hin- ein (Fig. 19 obere Eihälfte). Dieselbe bleibt am längsten bestehen, verkleinert sich aber weiterhin auch mehr und mehr, indem Dotter- körchen in sie hineindringen, und schwindet endlich ganz bis auf einen kleinen Hof an zwei Seiten des Kerns. So sind aus der ersten Furchungskugel zwei Tochterzellen ent- standen, in deren Inhalt die Dotterkörnchen wieder gleichmässig vertheilt sind und deren jede einen nahezu central gelegenen 13,3 u. grossen Kern besitzt. Der erste Theilungsact ist hiermit vollkom- men abgeschlossen. Die jetzt eingetretene Ruhe ist nur von kurzer Dauer, denn schon nach etwa fünf Minuten machen sich die ersten Vorgänge, welche die Viertheilung des Eies einleiten, dem Beobachter bemerk- bar. Wieder erleidet der Kern amöboide Veränderungen seiner Form, welche zu einer Streckung desselben führen, wieder sammelt sich an seinen zwei Polen eine homogene Substanz an, in deren nächster Umgebung die Dotterkörnchen sich in Radien hintereinander anordnen. Dann vergrössern sich die hellen Stellen und rücken etwas auseinan- der, während der Kern spindelförmig wird und seine Enden in die Mitte der körnchenfreien Stellen hineinragen (Fig. 20). Bei diesen Umwandlungen werden die Contouren des Kerns Schritt für Schritt undeutlicher , bis er endlich sich der genauen Wahrnehmung ent- zieht. So erhalten wir wieder das jeder Theilung vorausgehende 406 Oscar Hertwig besonders characteristische Hantelstadium: zwei helle Sonnen, von denen Körnchenradien bis zur Peripherie ausstrahlen, verbunden durch einen schwach gekrümmten körnchenfreien Stiel (Fig. 20). In letzterem glaubte ich öfters noch den Kern als einen helleren stabförmigen Körper, dessen beide Enden bis in die Mitte jeder Sonne reichten, liegen zu sehen; doch konnte ich seine Contouren nicht so deutlich unterscheiden, dass ich eine bestimmte Vorstellung von ihm erhalten hätte. Nach etwa einer halben Stunde tritt an der gewölbten Fläche jeder Halbkugel eine Furche senkrecht zum Stiel der Hantel auf und führt in der schon früher geschilderten Weise zur Viertheilung. Wieder breitet sich der Kopf der Hantel in jedem Theilstück scheibenförmig aus, dann taucht in dem Stiel nahe an der Theilungs- ebene eine kleine helle Stelle auf, die sich vergrössert, ihre Umrisse amöboid verändert, endlich Kugelgestalt annimmt und eine Grösse von 13 w erreicht. Währenddem wird die radienartige Anordnung der Körnchen immer unkenntlicher, die körnchenfreie Figur ver- kleinert sich und verschwindet dann ganz, der Kern rückt in die Mitte des Segmentes, dessen Dotterkörnchen sich gleichmässig ver- theilt haben. Hiermit ist der zweite Act der Furchung wieder ab- geschlossen. In derselben Weise vollziehen sich nun auch die übrigen Theilungen, soweit ich dieselben verfolgt habe. Von denselben will ich nur das hervorheben, dass die Veränderungen in allen Theil- stücken fast genau gleichzeitig eintreten und dass jede ihren Ab- schluss findet in der Bildung eines central gelegenen kugeligen Tochterkerns. Alle neu entstehenden Kerne der ersten Furehungs- stadien sind von gleicher Beschaffenheit wie der Kern der ersten Furchungskugel; sie sind membranlos und aus einer gleichartigen homogenen Substanz gebildet. Auch in ihrer Grösse stimmen sie nahezu überein. Wenn wir zum Beispiel den Durchmesser des Kerns eines Segmentes der Zwei- und Viertheilung mit dem Durchmes- ser des ersten Furchungskerns vergleichen, so finden wir nur geringe Differenzen, indem wir in den genannten Fällen ungefähr den Werth 13 u erhalten. Nach jeder neuen Eitheilung hat mithin eine beträchtliche Vermehrung der Kernmasse statt- gefunden. Zum Schlusse dieser Schilderung, welche die Beobachtungen am lebenden Objeete umfasst, will ich noch eines öfters aufgefundenen Bildes gedenken, das eine Abweichung vom normalen Verlauf der Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 407 Furchung darstellt und insofern von Interesse ist, als es uns einen Anhaltspunct zur Beurtheilung der Vorgänge bei der Zelltheilung später liefern wird. Die Abweichung besteht darin, dass ich in zwei- oder vier-getheilten Zellen nach dem Hantelstadium zwei kugelige Kerne in einem Segmente auftreten sah. Da in keinem dieser Fälle bei fortgesetzter Beobachtung eine Theilung der Dottermasse nachfolgte, so ist der abweichende Befund offenbar dadurch hervor- gerufen worden, dass die Eier in der Vorbereitung zur Zweitheilung langsam abgestorben sind. Bei der Untersuchung der Eifurchung am lebenden Objecte haben wir eine Reihe von Bildern kennen gelernt, in welchen die Umrisse des Kerns nicht mehr vollkommen scharf wahrzunehmen waren, und endlich andere Bilder, in welchen der Kern vollständig verschwunden zu sein schien. Um mir hauptsächlich über diese Stadien weitere Aufklärung zu verschaffen, habe ich die befruchteten Eier auf den einzelnen hier besonders in Frage kommenden Ent- wicklungsstufen mit Reagentien in verschiedener Weise behandelt. Die lehrreichsten und besten Präparate habe ich hierbei durch die schon oben beschriebene Abtödtung der Eier in Osmiumsäure und Färbung in BEeALE’schem Carmin gewonnen. Durch diese Behandlung bleibt zwar die radienartige Anordnung der Dotterkérnchen nur in Spuren erhalten, dagegen erkennt man noch deutlich die körnchen- freien Stellen im Dotter und die auf sie zurückführbaren Figuren. Namentlich aber erhält man in die Veränderungen des Kerns einen besseren Einblick, als ich ihn mir durch andere Reagentien ver- schaffen konnte. In zweiter Reihe verdienen dünne Essigsäure- und Chromsäure- lösungen angewandt zu werden. Durch diese Reagentien tritt nament- lich die strahlige Differenzirung des Protoplasma selbst noch deut- licher als im frischen Zustande hervor. Doch ist diese Art der Einwirkung zugleich auch die Ursache, dass man vom Kern weniger gute Bilder erhält, indem seine Umrisse von den Körnchenstrahlen etwas verdeckt werden. Beim Gebrauch der Chromsäure müssen die Eier, nachdem sie etwa eine viertel Stunde in der Lösung gelegen haben, sehr sorgfältig ausgewaschen werden. Zur weiteren Auf- hellung kann dann Glycerin mit Vortheil in Anwendung kommen. 408 Oscar Hertwig Ebenso liefert längeres Einlegen in Beae’sches Carmin brauchbare Färbungsbilder. An Carmin-Osmiumpriparaten, an welche ich mich zunächst halten werde, sehen wir, dass in Eiern, die eine halbe Stunde nach vollzogener Befruchtung abgetödtet worden sind, der Kern in einer Richtung sich verlängert und eine eiförmige Beschaffenheit an- genommen hat (Fig. 27 5). Zuweilen sind die beiden Pole des Kerns abgestutzt, so dass eine Fass- oder Tonnenform entstanden ist (Fig. 27 c). Der Kerninhalt ist gleiehmässig homogen geronnen und gleichmiissig in Carmin gefärbt. Eine viertel Stunde später ab- getödtete Eier zeigen eine noch bedeutendere Streckung des Kerns, dessen Länge die Breite um das doppelte bis dreifache übertrifft ‘Fig. 21). An seinen beiden Enden findet sich, wie ich dies vom lebenden Objecte schon beschrieben habe und wie es auch an Färbungspräparaten zu erkennen ist, ein Hof von körnchenfreier Substanz. Die Form des Kerns ist jetzt etwa eine spindel- förmige. Die Spitze der Spindel, welche leicht umgekrümmt ist, nimmt gerade die Mitte der körnchenfreien Stelle ein und tritt als ein besonders deutlich erkennbares dunkler geronnenes Korn hervor. Auf einem noch etwas weiter vorgerücktem Stadium lässt der ver- diekte mittlere Theil der Spindel eine Anzahl dunkler geronnener in Carmin stärker gefärbter Fäden oder Stäbehen erkennen, welche parallel zu seiner Längsaxe angeordnet sind (Fig. 22 und 28 e). Wenn man nun das Präparat so wendet, dass die Spitze der Spindel nach oben sieht, so erblickt man bei Einstellung des Mi- kroskops auf die Mitte derselben einen kreisförmigen Haufen dunkel- roth gefärbter Körner (Fig. 27 a u. d). Dieselben sind die optischen Durchschnitte der Stäbchen. Wie die stärkere Färbung in Carmin lehrt, bestehen die Stäbchen aus verdichteter Kernsubstanz. Daher werde ich auch den so eigenartig differenzirten Theil des Kerns als mittlere Verdiehtungszone benennen. Eine sehr weitgehende Veränderung hat der Kern zur Zeit, wo die hantelförmige Figur entstanden ist, also etwa eine Stunde nach der Befruchtung erlitten (Fig. 23). Während im frischen Zustand keine Spur von einem Kern mehr aufzufinden war, kann man nach der Osmium-Carminbehandlung in der Mitte des Eies einen langen bandförmig aussehenden Körper erkennen, der ein wenig stärker als seine Umgebung roth gefärbt ist. Die Farbendifferenzen treten bei schwacher Vergrösserung deutlicher, als bei starken Systemen hervor. Wie man sich durch verschiedene Einstellung des Tubus und durch Beitriige z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 409 Umlagerung des Priiparates tiberzeugen kann, ist das Band nach Art eines Biigels leicht gekriimmt. Sein mittlerer Theil nimmt die Stelle des Verbindungsstiels der beiden Hantelköpfe ein, seine Enden reichen bis in die Mitte der beiden Sonnen und erscheinen hier, da sie sich in Osmiumsäure stärker schwärzen und in Carmin sich tiefer imbi- biren, als dunkle scharf begrenzte Streifen. Das Kernband ist nicht in allen seinen Theilen von einer gleich- förmigen Beschaffenheit, sondern zeigt in einiger Entfernung von seinen Enden, da wo das Band in den Kopf der Hantel eindringt, je einen verdiekten und dunkler gefärbten Abschnitt. Wie die oben beschriebene mittlere Verdichtungszone der Kernspindel, ist jeder Abschnitt aus einzelnen parallel neben einander liegenden, der Länge des Bandes gleich gerichteten Stäbchen zusammengesetzt, dieselben sind in ihrer Mitte verdiekt und verjüngen sich nach ihren Enden. Wenn sich bei einer Verlagerung des Präparates das Band senkrecht zum Öbjeetträger stellt, so bliekt man auf zwei in einiger Entfernung übereinanderliegende Körnchenkreise. In Uebereinstimmung mit der oben gewählten Bezeichnung nenne ich diese Abschnitte die seit- lichen Verdichtungszonen des Kernbandes. Den zwischen beiden liegenden verdünnten Theil des Bandes bezeichne ich als Mittelstück, den in den Kopf der Hantel hineinragenden gleich- falls verdünnten Abschnitt als Endstück. An Osmium-Carmin- präparaten erscheinen sie homogen und schwach geröthet, — nur hie und da glaubte ich an ihnen eine zarte Streifung wahrzunehmen. — Ferner beobachtete ich am Mittelstück zuweilen eine Einschnürung (Fig. 28d). An weniger gelungenen Präparaten treten die Kernenden und die seitlichen Verdiehtungszonen allein hervor, indem die zwischen ihnen liegenden Abschnitte durch ihre Färbung sich nieht genug von der Umgebung abheben. In solchen Fällen habe ich dann oftmals die Compressionsmethode oder auch die Zerquetschung des Eies zu Hülfe genommen, um von dem Kern ein klareres Bild zu bekommen. Es lässt sich dieses Verfahren bei den homogen geronnenen Osmium- präparaten mit Vortheil ausführen. Bei Durchmusterung einer grösseren Anzahl von Präparaten findet man auch solche, welche zwischen dem eben und dem vor ihm beschriebenen Stadium einen Uebergang vermitteln, indem die seitlichen Verdichtungszonen des Kernbandes näher beisammen liegen. Wenn wir jetzt Eier, welehe dureh das Auftreten der Ein- schnürungsfurche die Sanduhrform angenommen haben, genauer 410 Oscar Hertwig durch Zuhiilfenahme von Reagentien untersuchen, so zeigt sich, dass das Kernband sich verlängert hat, und dass die beiden seitlichen Verdiehtungszonen weiter auseinander gerückt sind und ihre streifige Differenzirung eingebüsst haben (Fig. 25). An Stelle der Stäbchen erblickt man grössere oder kleinere Körner und aus Verschmelzung derselben entstandene Tropfen. An andern Präparaten findet man nur noch eine zusammenhängende dunkel geröthete Masse mit höckeriger Oberfläche (Fig. 284). Das Ende des Bandes ist etwas verbreitert und seine Ecken sind in zwei Spitzen ausgezogen, welche wieder als dunklere Körner aus der hellen Figur hervorleuchten. Besonders lehrreich ist eine seitliche Ansicht des Kernbandes kurz vor der vollendeten Zweitheilung , wie solche in Figur 26 dargestellt ist. Die zu einer homogenen Masse verschmolzenen Stäbehen der Verdiehtungszone bilden am Uebergang des Stiels in den Hantelkopf eine spindelförmige Anschwellung, dieselbe verlängert sich peripher in einen feinen Fortsatz, der oft nach einer Seite gekrümmt ist und in der Mitte der körnchenfreien Figur mit einer kleinen Anschwellung endet. Median hängen die beiden Spindeln durch eine feine dunkle Linie zusammen. Der periphere Fortsatz ist das Endstück, die feine dunkle Linie das Mittelstück des Kernbandes in seitlicher Ansicht. Nach der vollendeten Theilung sieht man die spindelförmige Anschwellung sich mehr und mehr verdicken und endlich Kugel- gestalt annehmen, die Fortsätze dagegen kürzer werden und ver- schwinden, indem sie mit der übrigen Kernmasse verschmelzen (Fig. 28a u. ce). So entsteht der runde Kern der Tochterzelle in dem als seitliche Verdichtungszone bezeichneten Abschnitt des Kern- bandes. Mit Chromsäure behandelte und in BEALE’schem Carmin gefärbte Eier liefern ähnliche Bilder, wie die hier beschriebenen Osmium-Car- minpräparate, und will ich von zwei der wichtigsten Stadien eine kurze Beschreibung geben. Der obere Theil der Figur 24 zeigt uns ein Kernbild, wie es etwa drei viertel Stunden nach der Vermischung der Geschlechtsproducte entsteht. Der stark verlängerte Kern besitzt Spindelform. Seine Mitte ist dunkler gefärbt und zeigt die früher geschilderte streifige Differenzirung. An den beiden Polen des Kerns hat sich körnehenfreie Substanz zu je einer Kugel ange- sammelt. In dem Mittelpunet derselben erscheint das Ende der Spindel als dunkler geronnenes Korn. Am characteristischsten für das Chromsäurepräparat sind die überraschend deutlich hervortreten- den Körnchenstrahlen. Dieselben sind auf dem vorliegenden Stadium Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 411 noch auf die nichste Umgebung der hellen Stelle beschriinkt und erscheinen in Folge der eingetretenen Gerinnung und Verklebung der aneinandergereihten Körnchen als kurze zum Ende der Spindel radiär gestellte dunkle Fäden. Peripher von den Fäden sind die Dotterkérnchen unregelmässig durchemander gelagert. Bei Durch- sicht einer Anzahl später abgetödteter Eier kann man an den Chromsäurepräparaten recht deutlich verfolgen, wie die Fäden sich durch Anlagerung der benachbarten Dotterkörnchen stetig verlängern, bis sie fast die Oberfläche des Eies erreichen. Der untere Theil der Figur 24 liefert ein Chromsäurebild der Hantelfigur. Im bandförmigen Kern sind auch hier die dunkler ge- färbten aus Stäbchen zusammengesetzten Verdichtungszonen , ebenso die Kernenden in der Mitte jedes Kopfes der Hantel deutlich zu unterscheiden. Dagegen zeigt das Mittelstiick des Bandes von der früher gegebenen Schilderung eine geringe Verschiedenheit. Während es bei Osmiumsäurebehandlung homogen erschien, erkennt man jetzt in demselben feine Streifen, welche die Stäbchen der seitlichen Ver- dichtungszonen verbinden. An den beiden Kernenden hat sich die heile Substanz vermehrt, die Körnchenstrahlen erreichen fast die Eiperipherie. Im Allgemeinen ist man bei Chromsäurepräparaten leichter Täuschungen ausgesetzt. So behalten zum Beispiel nach Einwirkung des Reagens der Furchungskern und die Tochterkerne, so lange sie die runde Gestalt besitzen, ihre normale Beschaffenheit nicht bei. Denn während sie im frischen Zustand ganz homogen aussehen und auch in Osmiumsäure gleichmässig gerinnen, werden dagegen durch die Chromsäure körnige Niederschläge in ihnen hervorgerufen, welche man nicht etwa für Nucleoli halten darf (Fig. 28/). Auf die durch Essigsäure erhaltenen Bilder brauche ich nicht näher einzugehen. Wie bei Chromsäurepräparaten wird auch bei ihnen die strahlige Zeichnung im Dotter deutlicher als am lebenden Objecte erkannt, vom Kern dagegen habe ich die am wenigsten ge- lungenen Bilder bekommen. Wie die auf den vorhergehenden Blättern mitgetheilte, an lebenden und an mikro-chemisch behandelten Objecten angestellte mikroskopische Untersuchung uns gezeigt hat, ist die Eitheilung ein Vorgang sehr verwickelter Art, bei welchem eine Summe sehr ver- schiedenartiger Bilder sich dem bewaffneten Auge darbietet. Morpholog. Jahrbuch. 1. 28 412 Oscar Hertwig Die bei der Eitheilung beobachteten Erscheinungen, zu deren Deutung ich jetzt übergehen will, lassen sich in zwei Gruppen sondern, von welchen die eine die Veränderungen am Kern vor, während und nach der Theilung, die andere die Veränderungen um- fasst, welche im Dotter beobachtet werden können. Die Veränderungen des Kerns führen zur bandförmigen Verlängerung und Halbirung des- selben und zur Bildung zweier Tochterkerne. Die Veränderungen im Protoplasma der Eizelle führen zur Sonderung des Dotters in zwei Hälften und zur vollständigen Trennung derselben durch Abschnürung. Beide Reihen von Erscheinungen begleiten sich im Verlaufe der Ei- theilung der Art, dass jeder Kernform auch eine bestimmte Anordnungsweise des Protoplasma entspricht. Es muss hieraus auf einen inneren Zusammenhang zwischen beiden geschlossen werden. Bei der Beantwortung der sich uns hier aufdrängenden Frage, in welcher Weise wir uns diesen Zusammenhang vorstellen sollen, haben wir uns für eine der beiden Möglichkeiten, zu entschei- den, ob der Anstoss zu den Vorgängen bei der Theilung vom, Kern oder vom, Protoplasma ausgeht. Wenn man sich vergegenwättigt; wie bei der Befruchtung um den Spermakern sich homogenes Proto- plasma ansammelt und eine Radienfigur entsteht, wie nach erfolgter Copulation der Kerne dieselbe Figur um den Furchungskern sich bildet und wie bei der Streckung desselben seine beiden Pole zu Mittelpuncten ähnlicher Figuren werden, dann. kann. es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die Ursache zu den beobachteten Veränderungen. in den Lebenserscheinungen des Kerns zu. suchen, ist. Von. diesem geht offenbar der Anstoss zur Theilung aus, indem. in Folge der Befruchtung Kräfte, die im gebundenen Zustand im Kern vorhanden sind, sogenannte Spannkräfte, in lebendige Kräfte umgesetzt werden. Das Protoplasma aber steht in einem abhängigen Verhältniss zum Kern, indem es auf alle Veränderungen desselben reagirt, so dass mit jeder Kerntheilung auch eine Protoplasmatheilung sich verbindet. Ich betrachte daher den Kern als ein mit activen Kräften ausgerüstetes automatisches Centrum in der Zelle. Welcher Art die im Kern wirkenden Kräfte sind, das ist eine schwer zu beantwortende Frage, zu deren. befriedigender Lösung die mikroskopische Beobachtung uns nur geringe Anhaltspuncte. liefert. Doch, will, ich dieselben, soweit es zulässig erscheint, benutzen, und durch. eine Deutung. der einzelnen, Erscheinungen einen ungefähren Einblick in den Theilungsvorgang zu gewinnen versuchen. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 413 Die Kräfte, die im Kern nach der Befruchtung in Wirksamkeit treten, äussern sich theils in äusseren und inneren Veränderungen des Kernes selbst, theils in den durch sie hervorgerufenen Erschei- nungen im Dotter. Die Veränderungen des Kerns, welche wir zunächst betrachten, treten unmittelbar nach der Befruchtung ein. Seine Kugelgestalt verwandelt sich hierbei eine Zeit lang in unregelmässigere, wech- selnde Formen , indem sich bald hier, bald da geringe Ein- und Ausbuchtungen der Oberfläche bilden und die Umrisse in Folge des- sen weniger deutlich wahrnehmbar werden. Eine ganz ähnliche Erscheinung wird unmittelbar während oder nach der Theilung be- obachtet, wenn die Kernmasse in der seitlichen Verdichtungszone sich ansammelt. Auch hier entstehen dann eigenthümlich höcker- artige Kerngebilde, die ihre Umrisse, wie sich bei der Untersuchung lebender Objecte beobachten lässt, mannigfach verändern und erst allmälig die vollkommene Kugelgestalt annehmen. Alle diese Form- veränderungen stehe ich nieht an als amöboide Bewegungs- erscheinungen zu bezeichnen und sie auf der Kernsubstanz inne- wohnende Kräfte zurückzuführen. Gegen diese Auffassung wird um so weniger Bedenken erhoben werden können , als ein genaueres Studium der Nucleoli uns schon vielfach mit der wichtigen That- sache bekannt gemacht hat, dass die Kern- oder Nucleolarsubstanz die Fähigkeit, amöboide Bewegungen auszuführen, besitzt. Die Fur- chungskerne bestehen aber, wie ich früher glaube nachgewiesen zu haben, der Hauptsache nach aus Kernsubstanz. An die amöboiden Bewegungen des Kerns schliessen sich wei- terhin eine Reihe sehr characteristischer regelmässiger Formverände- rungen an. Seine Kugelgestalt geht allmälig in eine ovale, dann in eine spindel- und aus dieser in eine bandförmige über. Hierbei ha- ben sich die bei der Streckung entstehenden beiden Enden des Kerns um ein mehrfaches von einander entfernt und ebenso hat seine Ober- fläche eine ganz beträchtliche Vergrösserung erfahren. Wie die amöboiden, so können wir auch die eben geschilderten Formverän- derungen als das Resultat activer Bewegungserscheinun- gen der Kernsubstanz betrachten, mit dem Unterschied aber, dass die im ersteren’ Falle nach den verschiedensten Richtungen erfol- genden Verschiebungen der kleinsten Theilchen hier in zwei Rich- tungen sich vollziehen. so dass die Theilchen eine bestimm- tere Lagerung zu einander einnehmen. Es entstehen an dem Kern gewissermassen zwei Pole, die abstossend auf 28 * 414 Oscar Hertwig einander wirken und von denen die Vertheilung der übri- gen Kernmasse bestimmt wird. Eine genauere physikalische Erklärung scheint mir für diese Bewegungserscheinungen zur Zeit ebensowenig wie für die amöboide Bewegung gegeben werden zu können. Mit .den Veränderungen der Form gehen zugleich bestimmte Umwandlungen in dem Inhalt des Kerns vor sich und können die- selben durch Zuhülfenahme von Reagentien bei der mikroskopischen Untersuchung erkannt werden. In dem spindelförmigen Kern ent- steht in der Mitte ein besonders differenzirter Abschnitt, welchen ich als mittlere Verdichtungszone bezeichnet habe. Auf späteren Sta- dien treten in dem noch weiter verlängerten Kernband zwei derar- tig veränderte Abschnitte, die seitlichen Verdichtungszonen auf und zwar findet man sie anfangs näher, später weiter von einander ent- fernt. Aus der Aufeinanderfolge der verschiedenen Bilder glaube ich den Schluss ziehen zu dürfen, dass die beiden seitlichen Ver- diehtungszonen aus der mittleren entstanden sind. Jede seitliche Verdichtungszone wandert im Kernband von der Mitte nach den Kernenden zu, ohne indessen dieselben vollkommen zu erreichen. So entstehen die fünf mit besonderen Namen belegten Abschnitte des Kernbandes, je ein Endstück, je eine seitliche Verdichtungszone und das einfache Mittelstück, in welchem später die Kerntheilung sich vollzieht. — In den Verdichtungszonen haben wir eine eigenthümliche Veränderung des Kerninhalts kennen gelernt. Man beobachtet in demselben in Osmiumsäure sich dunkel schwärzende und in Carmin sich stärker imbibirende Stäbehen, die parallel neben einander ange- ordnet sind. Es lässt sich diese Bildung auf einen Son- derungsvorgang in der Kernmasse zurückführen, wie er in ähnlicher Weise bei der Entstehung der Nucleoli stattfindet. Ich nehme an, dass der Furchungskern aus festeren und flüssigeren Bestandtheilen, aus Kernsubstanz und aus Kernsaft besteht, welche für gewöhnlich innig mit einander vermischt sind‘). Im Stadium der spindligen Streckung des Kerns lagern sich nun kleinste Theilchen Kernsubstanz in der mittleren Verdichtungszone enger an einander und führen so zur Entstehung der Stäbchen. Die- selben besitzen ja auch, wie die Schwirzung in Osmiumsäure und 1) Die nach der Befruchtung beobachtete ziemlich beträchtliche Vergrösserung des Furchungskerns lässt sich wohl hauptsächlich auf eine Aufnahme von Kern- saft aus dem Dotter zurückführen. Beitrige z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 415 die tiefere Tinction in Carmin lehrt, die für Kernsubstanz besonders characteristischen Reactionen in einem erhöhten Maasse. Durch einen entgegengesetzten Vorgang erklärt sich das nach der Eitheilung ein- tretende Verschwinden der Stäbchen. Hier findet eine Aufhebung der Sonderung statt. Indem die Stäbchen sich wieder mit Kernsaft imbibiren, schwellen sie an und bilden Körner; dieselben verschmel- zen untereinander und es entsteht so wieder eine gleichmässig gemischte Kernmasse, die sich zu einer Kugel langsam zusam- menzieht. Wie an den eben genannten Abschnitten, hat auch an den Kernen- den, jedoch in geringer Ausdehnung, eine Verdichtung der Kernsubstanz stattgefunden. Es erklärt sich hieraus die Deutlichkeit, mit welcher man das Ende der Spindel als dunkles Korn oder das Ende des Bandes als dunkleren Streifen in der Mitte der hellen Protoplasma- ansammlung wahrnimmt. Ein weiterer Vorgang im Verlauf der Kerntheilung ist die nach der Theilung beobachtete beträchtliche Vermehrung der Kern- masse. Wie wir aus derselben schliessen können, besitzt der Kern die Fähigkeit aus dem Dotter verwandte flüssige und feste Stoffe auf- zunehmen. Ob das Wachsthum während der Streckung oder unmittel- bar nach der Theilung oder in beiden Zeiträumen erfolgt, will ich vor der Hand dahingestellt sein lassen. Vielleicht ist aber die im bandförmi- gen Stadium vorhandene bedeutende Oberflächenvergrösserung des Kerns nicht ohne Bedeutung bei der Aufnahme verwandter Stoffe. Es bleiben uns jetzt noch diejenigen Erscheinungen zu betrach- ten übrig, in welchen sich die Einwirkung des Kerns auf den Dot- ter dem Beobachter zu erkennen gibt. Man kann hier zweierlei Erscheinungen unterscheiden, solche, die sich in der Umgebung des Kerns und solche, die sich in den oberflächlichen Schichten der Eizelle abspielen. Was zunächst die ersteren betrifft, so bestehen dieselben in einer radiären Gruppirung des Protoplasma um den Kern oder bestimmte Punete desselben. Die hierdurch auf den einzelnen Stadien der Eitheilung hervorgerufenen mannigfachen Bilder will ich mit einem gemeinsamen Namen als Radienfiguren bezeichnen. . Der Entste- hung derselben liegt offenbar eine gemeinsame Ursache zu Grunde, eine Kraftwirkung, welche vom Kern ausgeübt wird und die sich in einer Anziehungdeshomogenen Protoplasma äussert. Dasselbe nimmt um den Anziehungsmittelpunet eine radiäre Anordnung der Art an, dass es sich am dichtesten in seiner näch- 416 Oscar Hertwig sten Umgebung ansammelt. Durch die Umlagerung des Protoplasma erhalten die in ihm zuvor gleichmässig vertheilt gewesenen Dotterkörn- chen eine veränderte Lage. Aus der Nähe des Kerns werden sie, da dieser keine Anziehung auf sie ausübt, verdrängt und sammeln sie sich daher weiter peripher in den Lücken des von dem Kern radiär ausstrahlenden Protoplasma dichter und gleichfalls in Radien an. In ihrer radienartigen Lage erblicke ich, wie aus dem Gesagten erhellt, nur einen Ausdruck der Anordnung der protoplasmatischen Grundsubstanz, in welche die Dotterkörnchen eingebettet sind. Von diesem Gesichtspunet aus würden die verschiedenen Radien- figuren in folgender Weise aufzufassen sein. Unmittelbar nach der Befruchtung wird der kuglige Furchungskern zum Mittelpunet einer strahligen Anordnung des Protoplasma, wie sie in Figur 11 dar- gestellt ist. Hier üben alle Theilchen der Kernkugel eine gleich- mässige Anziehung auf ihre Umgebung aus. Dies Verhältniss än- dert sich, sowie der Kern sich streckt und sich zwei bestimmte Pole an demselben ausbilden. Dann löst sich die alte Radienfigur allmälig auf und es entstehen zwei neue an den beiden Polen des Kerns. Dieselben sind anfangs klein, die Ansammlung des homo- genen Protoplasma ist gering, die Körnchenradien sind kurz. Je weiter aber die beiden Pole bei der zunehmenden Streekung des Kerns sich entfernen, um so grösser und deutlicher werden die bei- den Radienfiguren, um so mehr nimmt die Protoplasmaansammlung zu, um so mehr verlängern sich die Radien, bis sie endlich fast die Eiperipherie erreicht haben. Auch diese Erscheinungen erklären sich aus einer Anziehung, welche der Kern auf das Protoplasma ausübt, wenn wir annehmen, dass die zu Anfang in der Kernkugel nach allen Richtungen gleichmässig wirkenden Anziehungskräfte bei der Streckung des Kerns auf die zwei Pole desselben sich vertheilen. Aus der zunehmenden Vergrösserung der Radienfiguren können wir dann den Schluss ziehen, dass je mehr die Kernpole sich von ein- ander entfeınen, um so mehr die von ihnen ausgeübte Anziehung wächst. Dieselbe hat ihren Höhepunet im Hantelstadium erreicht, in welchem das gesammte Eiprotoplasma um zwei Anziehungscentren sich angeordnet hat. Mit der Theilung des Kernbandes wird die von seinen Polen ausgeübte Anziehung aufgehoben. Es verschwindet daher die Radienfigur und findet wieder eine gleichmässige Verthei- lung von Dotterkörnehen und Protoplasma statt. Wenn wir die Erscheinungen der Kernstreckung und der Ra- (ienfiguren zusammenfassen, dann lässt sich der Kern, um ein Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 417 schon öfters angewandtes Bild zu gebrauchen, einem Magnetstab vergleichen. Dem positiven und negativen Pol desselben entspre- chen die beiden sich gewissermassen abstossenden Kernenden. Von diesen wird auf das Protoplasma eine ähnliche Wirkung ausgeübt, wie von den Magnetpolen auf Eisenspähne. Bei Anwendung dieses Bildes hebe ich indessen ausdrücklich hervor, dass es nur zur Ver- anschaulichung der Vorgänge dienen soll. Denn für eine nähere physikalische Erklärung der im Kern in Wirksamkeit tretenden po- laren Kräfte scheinen mir, wie ich schon mehrfach hervorgehoben habe, zur Zeit alle weiteren Ankniipfungspuncte zu fehlen. Die zweite Reihe von Erscheinungen, welche die Eifurchung begleiten. umfasst Gestaltveränderungen der Eizelle. Zur Zeit, wo der Kern sich zu strecken beginnt, sehen wir auf ihrer Oberfläche Höcker und Einziehungen entstehen, die nach kurzem Bestand wie- der verschwinden. Später verlängert sich das Ei im Hantelstadium und nimmt eine ovale Gestalt an. Dann entsteht in der Theilungs- ebene eine ringförmige Furche, die sich langsam von Aussen nach Innen tiefer einsenkt und nachdem das Ei eine Sanduhrform ange- nommen hat, die Trennung herbeiführt. Bei vielen Eiern ist die Abschnürung der beiden Hälften von unregelmässigen Veränderungen der Oberfläche begleitet, indem bald hier bald da gelappte pseudopo- dienartige Fortsätze entstehen und verschwinden. Ich erinnere an die Theilung von Hydra- und von Beroéeiern, wie sie von KLEINEN- BERG !) und KowaLEwsky2) beobachtet worden ist. Nach dem Ein- blick, den wir in die Vorgänge bei der Eitheilung gewonnen haben, lässt sich wohl die Vermuthung aussprechen, dass auch diese mannig- fachen Bewegungserscheinungen des Protoplasma mit”den Kernver- änderungen in einem ursächlichen Zusammenhang stehen, welcher Art jedoch derselbe ist, scheint sich mir noch nicht näher bestimmen zu lassen. Am Schlusse dieses Abschnittes, in welchem ich eine Deutung der beobachteten Erscheinungen zu geben versucht habe, will ich auch je- ner Befunde kurz gedenken, welche ich als pathologische bezeichnet habe, wo in einem Segment nach Ablauf des Hantelstadium zwei runde Kerne entstanden sind, ohne dass eine Theilung des Protoplasma nachfolgte. Ich erkläre diesen abweichenden Verlauf aus einem 1) KLEINENBERG. Hydra. Leipzig 1872. 2) KOWALEWSKY. Entwicklungsgeschichte der Rippenquallen. Peters- burg 1866. 418 Oscar Hertwig theilweisen Absterben des Eies. Die dem Kern innewohnenden Kräfte vermögen noch die Kernmasse in zwei Hälften zu sondern, welche in zwei von einander entfernten Puncten des Segmentes Ku- gelgestalt annehmen ; die Theilung des Protoplasma aber unterbleibt, weil dasselbe in Folge langsam sich steigernder schädlicher Einflüsse von Aussen seine Fähigkeit, auf die Kernveränderungen zu reagiren, verloren hat. Diese pathologischen Fälle scheinen mir in sofern Beachtung zu verdienen, als sie uns lehren, dass die Kernthei- lung ein von der Protoplasmatheilung vollkommen un- abhängiger Vorgang ist. Wenn ich auf die beobachteten Erscheinungen und auf die ver- suchten Deutungen derselben einen Rückblick werfe, so lassen sich aus denselben zwei Hauptergebnisse ziehen, welche ich in folgende Sätze zusammenfasse : | 1) Bei der Eifurehung findet eine Auflösung des Kerns, wie man früher vielfach angenommen hat, nicht statt, vielmehr sind die Kerne der entstehenden Ei-Segmente Theilstücke des ursprünglich vorhandenen Mutterkerns.- Das angebliche Verschwinden des Kerns vor der Theilung erklärt sich aus eigenthümlichen Formveränderun- gen desselben, durch welche seine Erkennbarkeit am lebenden Ob- jecte vermindert wird. 2) Dem Kern kommt im Zellenleben eine hohe physiologische Bedeutung zu, indem er als ein in der Zelle bestehendes auto- matisches Krafteentrum angesehen werden muss. Dasselbe tritt namentlich bei der Zellvermehrung in Wirksamkeit, indem es dieselbe anregt und beherrscht, dadurch dass es sich selbst in zwei Kraftcentra zerspaltet. Es lassen sich hierbei eine Reihe von Erscheinungen beobachten, die hoffen lassen, dass eine genauere und noch mehr ausgedehnte Kenntniss von den Theilungsprocessen thierischer und pflanzlicher Zellen uns später erlauben wird, auch in den physikalischen Vorgang der Zelltheilung tiefer einzudringen. Literaturangaben. Wie über das Schicksal des Keimbläs- chens vor und nach der Befruchtung, so sind auch über die Rolle des Kerns bei der Eitheilung in der Literatur die verschiedensten Beobachtungen mitgetheilt und einander entgegengesetzte Meinungen ausgesprochen worden. Schon seit mehreren Jahrzehnten stehen sich hier zwei Ansichten gegenüber, von denen bald die eine, bald die Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 419 andere zeitweilig zu einer grösseren Allgemeingeltung gelangt ist. Nach der einen Ansicht soll der Kern vor jeder Theilung verschwin- den und sich auflösen, um in jedem Tochtersegment sich wieder von Neuem zu bilden; nach der anderen dagegen soll der Kern sich nicht auflösen. vielmehr sich einschnüren, in zwei Hälften zerfal- len und hierdurch die Zelltheilung veranlassen. Die erste Ansicht istvon den Botanikern hauptsächlich aufgestellt worden. Während sie bei diesen zu einer fast allgemeinen Geltung gelangt ist, hat sie dagegen unter den Zoologen nur eine geringe Anzahl von Anhängern gefunden. Unter denselben ist namentlich REICHERT!) anzuführen, der seine Untersuchungen an parasitischen Nematoden angestellt und hier vor jeder Theilung ein Verschwinden des Kerns beobachtet hat. Für die zweite Ansicht, nach welcher die Kerntheilung der Eitheilung vorausgehen soll, sind von den Zoologen und Anatomen die namhaftesten Autoritäten eingetreten, wie C. E. v. Barr?2), Jon. MÜLLER?), LeyDiG®), GEGENBAUR 5) HAECKEL®) , v. BENEDEN’) etc. Bei den verschiedensten Objecten, wie bei den Seeigeln, bei Entoconcha, bei Räderthierchen, Pteropo- den, Siphonophoren, Würmern haben dieselben entweder eine Streckung des Kerns oder das Vorhandensein zweier Kerne in der noch ungetheilten Zelle kurz vor der Theilung beobachtet und haben hieraus auf eine der Zelltheilung vorausgehende Kerntheilung ge- schlossen. Bei dieser grossen Anzahl positiver Angaben hätte man nun wohl erwarten können, dass die Kerntheilung bei der Eifurchung all- gemein als eine feststehende Thatsache angenommen worden wäre. Dass dies nun nicht geschehen ist, lässt sich wohl daraus erklären, dass von keinem der angeführten Forscher die Theilungsvorgänge ') REICHERT. Der Furchungsprocess und die sogenannte Neubildung um Inhaltsportionen. Archiv f. Anat. u. Phys. 1846. 2) C. E. v. BAER. FRoRIEP'S Neue Notizen Bd. 39. 3) JoH. MÜLLER. Ueber die Erzeugung von Schnecken in Holothurien. Archiv f. Anat. u. Plıys. 1852. *) Leypic. Ueber den Bau und die systemat. Stellung der Räderthiere. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. VI. 5) GEGENBAUR. Zur Lehre vom Generationswechsel und der Fortpflanzung bei Medusen und Polypen. GEGENBAUR. Untersuchungen über Pteropoden u. Heteropoden. 6) HAEcREL. Zur Entwicklungsgeschichte der Siphonophoren. 1869. 1) Ep. v. BENEDEN. Recherches sur la composition et la signification de Yoeuf. Mem. cour. de lacademie belg. 1870. T. XXXIV. 420 Oscar Hertwig in allen ihren Stadien Schritt für Schritt genau verfolgt und beschrie- ben worden sind, wie denn auch keiner von ihnen auf die man- nigfachen Veränderungen am Kern und im Dotter bei der Theilung aufmerksam geworden ist. So war für die Gegner immer Gelegen- heit zur Annahme geboten, dass in jene Angaben doch irgend ein Irrthum sich möge eingeschlichen haben, und konnten sie an ihren Beobachtungen um so eher festhalten, als ein Fehler in denselben von anderer Seite nicht nachgewiesen wurde. Von den Radienfiguren, welche bei der Eifurchung auftreten, ist in früheren Jahren nur Weniges hier und da beobachtet worden. So hat Drrpis!) die radiäre Anordnung des Protoplasma um den kugligen Kern bei Echinodermen, Kroun?), KowALkEwsKY?) und KupFFER*) bei Ascidien beschrieben. Ganz in der Neuzeit sind die Vorgänge bei der Eifurchung wie- der ein Gegenstand eifriger Forschung geworden. Bei der erhöhten Leistung der Mikroskope, besonders aber bei der Vervollkommnung der mikroskopischen Technik konnte es jetzt nicht ausbleiben, dass manche bis dahin übersehene Veränderungen bei der Eitheilung zur Beobachtung gelangten. Trotzdem aber haben aueh in diesen neue- ren Untersuchungen die beiden alten Ansichten wieder ihre Vertreter gefunden. Ein Theil der Forscher ist zu dem Endergebniss gelangt, dass bei der Eitheilung der Kern sich auflöst, ein anderer, dass der Kern sich theilt. Wieder stehen den Beobachtungen von Fou >), FLEMMING °) und AUERBACH”), welche die REICHRET’sche Ansicht stützen, die Beob- achtungen von BÜTSCHLI®) und STRASBURGER®) gegenüber. !) DERBES. Formation de lembryon chez l’oursin comestible. Annal. des scienc. nat. Serie III. T. VIII. 1847. 2) Kroun. Ueber die Entwicklung der Ascidien. Archiv f. Anat. u. Phys. 1852. 3) KowALEWSKY. Mem. de l’Acad. imp. de St. Pétersbourg. T. X. 4) KUPFFER. Die Stammesverwandtschaft zwischen Ascidien und Wirbel- thieren. M. Scuurtze’s Archiv f mikrosk. Anat. Bd. VI. 5) H. Fou. Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturw. Bd. VII. 6) FLEMMING. Archiv f. mikroskop. Anat. Bd. X. und Sitzb. der K. Acad. d. Wissensch. III. Abth. Jahrg. 1875. B. LXXI. 7) AUERBACH. Organologische Studien. Heft II. Breslau 1874. 8) BürscnhLı. Nova Acta der Ksl. Leop.-Carol.- Deutschen Academie. Bd. XXXVI. No. 5. Ferner zwei vorläufige Mittheilungen in Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XXV. 9) STRASBURGER. Ueber Zellbildung und Zelltheilung. Jena 1875. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 421 Auf die Einzelheiten ihrer Untersuchungen, durch welche werth- volle Beiträge zur Erkenntniss der Eifurchung geliefert worden sind, will ich jetzt näher eingehen und dabei zugleich nachzuweisen ver- suchen, in wie weit mit allen jenen Angaben sich die von mir er- haltenen Ergebnisse vereinbaren lassen. Fou') hat die Entwicklung des Geryonideneies untersucht und an diesem Objecte zum ersten Male das Auftreten zweier Radienfiguren an den zwei Kernpolen beobachtet. Das Keimbläschen soll bald nach der Befruchtung seine Gestalt in unregelmässiger Weise vielfach ver- ändern, verschwommen werden und endlich gänzlich vor dem be- waffneten Auge verschwinden. Bei sofortigem Zusatz von Essigsäure soll aber ein Rest desselben noch zum Vorschein kommen und ausser- dem auf zwei Seiten des Kernüberbleibsels je eine Protoplasma- anhäufung sich zeigen, deren dicht angesammelte Körnchen eine regelmässige sternförmige Figur bilden. Während die beiden Sterne im weiteren Verlauf der Entwicklung weiter auseinanderrücken , sollen vom Keimbläschen auch bei Anwendung von Reagentien keine Ueber- bleibsel mehr nachzuweisen sein. Die beiden Sterne betrachtet Fou als Anziehungscentren. Nach der Theilung, welche senkrecht zu einer durch die Radienfiguren hindurchgelegten Ebene erfolgt, sollen in denselben die Tochterkerne neu entstehen, indem zwei, dann drei bis acht und zehn kleinere Vacuolen auftreten, welche mit der Zeit anwachsen, verschmelzen und endlich eine grosse runde Vacuole bilden. Aus diesen Beobachtungen zieht FoL den Schluss, dass bei der Theilung das Keimbläschen verschwindet und zwei Anziehungsmittel- puncte, die radienartigen Figuren, in der Eizelle sich entwickeln, dass nach der Theilung die Segmentkerne in den Anziehungsmittelpuneten neu entstehen. Wie aus dem Referate hervorgeht, hat Fou nur einzelne Theile der bei der Eifurchung sich abspielenden Vorgänge beobachtet, während ihm andere auch bei Anwendung von Reagentien verborgen geblieben sind. So hat er zum Beispiel bei der eintretenden Streckung des Kerns nur den mittleren, verdickten Theil desselben bei Essigsäure- zusatz noch unterscheiden können und als Kernrest gedeutet, seine bis in die Strahlenfiguren reichenden Fortsätze aber und endlich im Hantelstadium das ganze Kernband durch die angewandte Methode !) For. Die erste Entwicklung des Geryonideneies, Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturwissenschaft. Bd. VII. 1873. 492 Oscar Hertwig nicht mehr zur Anschauung bringen können. Die von FoL als ver- einzelte Vacuolen beschriebenen Gebilde, welche durch ihr Zusammen- fliessen die Tochterkerne bilden, führe ich auf die unmittelbar nach der Theilung in den seitlichen Verdichtungszonen des Kernbandes entstehenden höckerartigen Anschwellungen zurück, welche im leben- den Zustande bei Geryonia wahrscheinlich allein sichtbar sind. Wichtig ist die Beobachtung For’s, dass nach der Befruchtung der Kern amöboide Formveränderungen erleidet, was ich gleichfalls bei See- igeleiern wahrgenommen habe. Fast gleichzeitig mit Fou. hat FLEMMING!) bei Anodonta das Auftreten zweier Strahlenfiguren beobachtet und sie als zwei An- ziehungscentren gedeutet. Er beschreibt sie als zwei helle Stellen von körnchenloser Substanz, von denen aus Radien eben solcher Substanz gegen den Umfang zu geordnet liegen. Sie sollen einige Zeit nach Auflösung des alten Kerns im Innern der Zelle nahe bei einander auftauchen. In einem weiteren Stadium sollen die Strahlen- figuren verschwunden und zwei Tochterkerne in der ungetheilten Dottermasse aufzufinden sein. Neuerdings hat FLemmMine?) zu diesen Angaben einige weitere ergänzende Zusätze geliefert. Uebereinstimmend mit FoL beschreibt er zwischen den zwei Sternen einen in Carmin sich intensiv imbi- birenden Körper, welchen er als Kernrest deutet. Derselbe soll später ganz verschwinden. Ausserdem findet er noch im Mittelpunet eines jeden Sternes einen roth imbibirten Fleck, über dessen Deutung er unsicher ist. Doch möchte er denselben für den jungen allerdings noch sehr kleinen Kern halten. Nach vollendeter Theilung sollen in Jedem Segmente die neugebildeten Tochterkerne erst mit Deutlichkeit hervortreten. Das öfters beobachtete Vorkommen zweier Kerne in einer Zelle wird in der letzten Arbeit von FLEMMING als pathologische Erscheinung aufgefasst, eine Deutung, welche ich für dieselben Be- funde bei Seeigeleiern gleichfalls gegeben habe. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die von FLEMMING zur Untersuchung be- nutzten Anodonteneier bei ihrer Grösse und ihrem Reichthum an dunklen Dotterkörnchen keine geeigneten Objecte sind, um die so schwer sichtbaren Kernveränderungen zu erkennen. So erklärt es 1) FLEMMING. Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen am Ei der Teichmuschel. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. X. 2) FLEMMING. Studien in der Entwicklungsgeschichte der Najaden. Sitzb. der K. Acad. d. Wissensch. III. Abth. Jahrg. 1875. Bd. LXXI. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 423 sich denn auch, dass FLEMMING trotz Anwendung von Reagentien und färbender Flüssigkeiten keinen vollständigen Einblick sich hat verschaffen können. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich den von ihm beobachteten, bei Carminbehandlung dunkel roth gewordenen Körper zwischen den beiden Radienfiguren und die schwächer ge- färbten Flecke in den Mittelpuncten der letzteren für die mittlere Verdichtungszone und für die Enden des langgestreckten Kerns erkläre. Eine mit vorzüglicher Sorgfalt durchgeführte Arbeit über die Eifurchung bei den Nematoden ist uns von AUERBACH geliefert worden. Zum ersten Male erhalten wir hier einen klaren Einblick in alle einzelnen Vorgänge, die am lebenden Objecte zu beobachten sind. Nach AuErBACH!) verwandelt sich der durch Verschmelzung zweier Kerne entstandene einfache Kern zunächst in einen spindel- förmigen Körper und bald darauf durch weitergehende Verlängerung in einen sehr schmalen Streifen mit parallelen Rändern und zu- gespitzten Enden. Derselbe wird rasch noch schmäler, so dass er bald nur als eine ganz enge Spalte im Protoplasma erscheint; end- lich verschwindet er vollkommen. »Gleichzeitig entwickelt sich eine andere sehr eigenthümliche Erscheinung. Während der Verlängerung des Kerns wird in seiner nächsten Umgebung und zwar in grösserer Ausdehnung um seine Spitzen herum, das Protoplasma frei von Dotterkiigelchen. In Folge dessen tritt, wenn die nucleäre Höhle die Form einer langen engen Spalte angenommen hat, an beiden Seiten der letzteren ein Streifen klaren körnchenfreien Protoplasmas in die Erscheinung, und dieser Doppelstreifen erweitert sich über jedem der beiden Enden der Spalte zu einem breiteren, runden, übrigens ganz ähnlich aussehenden Felde, welches seinerseits wieder eine grosse Anzahl radiärer heller Strahlen in den dunkelkörnigen Dotter hinein- sendet. Es sind also in den beiden Enddritteln des Dotterballens gleichsam zwei blasse Sonnen entstanden, welche untereinander durch ein langes stabförmiges Zwischenstück in Verbindung stehen, und dieses letztere enthält eine Zeitlang noch den erwähnten nucleären Spalt, welcher später völlig schwindet.« AUERBACH nennt diese Figur die hantelförmige. Nach diesen Veränderungen beginnt die Eifurchung. Wenn dieselbe noch wenig vorgeschritten ist, ent- steht im Stiel der Hantel an zwei der Furchungsebene nahen Puncten “0. 00 !) AUERBACH. Organologische Studien. Heft II. Breslau 1574. 424 Oscar Hertwig je eine Vacuole. Anfänglich klein wächst dieselbe mehr und mehr an, rundet sich ab und schiebt sich im Stiel der Figur immer weiter gegen deren Kopf hin; einige Zeit nach der Theilung nimmt sie die Mitte des Segmentes ein. Währenddem verändert sich die körnehenfreie Figur, welche AUERBACH einem Hammer vergleieht. Erst verschwindet der Stiel, dann der Hammerkopf, so dass die Dotterkörnchen wieder gleichmässig im Segmente vertheilt sind. Die von mir an Seeigeleiern angestellten Untersuchungen, soweit sie das lebende Object betreffen, haben fast Punct für Punet, eine Bestätigung dieser Angaben AUERBACH’S geliefert. Derselbe hat so- gar die Streckung des Kerns ohne Anwendung von Reagentien weiter verfolgen. können, als es mir möglich war. Offenbar sind hier die ovalen und platten Nematodeneier günstigere Objecte, da bei ihnen der Stiel der Hantel gerad gestreckt, während er bei den Seeigeleiern ziemlich stark gekrümmt ist. Nur darin weiche ich von AUERBACH ab, dass ich schon um den kugligen Furchungskern eine radiäre An- ordnung des Protoplasma vorgefunden habe. Für die bei der Eitheilung beobachteten Erscheinungen hat AUERBACH in der angeführten Arbeit folgende Erklärung gegeben. »Die Doppelsonne mit ihrem Verbindungsstiel lässt er dadurch ent- stehen, dass der Kern untergeht, dass während der Verlängerung und gleichzeitigen Volumsveränderung der Kermhöhle allmälig der dieselbe erfüllende Saft zwischen die Moleciile des benachbarten Pro- toplasma eindringt und dabei die Dotterkörnchen aus diesem ver- drängt. Die Strahlen um die Spitzen des Kerns sind eben der Aus- druck der Bahnen, innerhalb welcher feine Strömchen des Kernsaftes in das Protoplasma eindringen, die Dotterkügelchen entweder bei Seite schiebend oder vor sich her jagend. Gleichwie aber aus einem zugespitzten electrischen Leiter die Eleetrieität vorzugsweise aus der Spitze ausströmt, so auch hier der Kernsaft aus den spitzen Enden der Spindel ete. Indem aber an den einmal gewonnenen Aus- strömungspuneten immer mehr Flüssigkeit nachdrängt, verlängern sich die Strahlen nicht blos, sondern sie werden auch an ihrer Basis erweitert und fliessen hier zu dem rundlichen Raume zusammen, welcher den Körper der Sonne darstellt ete. Indem so der Kern vollständig schwindet, entsteht im Innern des Dotters ein eigenthüm- | lich gestalteter Bereich, in welchem das Protoplasma frei von Dotter- kügelchen, aber mit Kernsaft imbibirt ist.« Für denselben hat AUERBACH den Namen karyolytische Figur eingeführt. Das Active bei diesen Vorgängen soll nun das Protoplasma selbst sein, welches Beitriige z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 425 durch seine inneren Verschiebungen die Formveränderungen der Kern- höhle bewirkt und den Kernsaft allmälig aufsaugt. Im Zusammenhang mit dieser Auffassung denkt sich nun AUERBACH auch die Entstehung der Tochterkerne in der Weise, dass während der Zweitheilung in jeder entsprechenden Hälfte der karyolytischen Figur der in ihr diffus vertheilte Kernsaft sich wieder in einen Tropfen ansam- melt und so zum Kern des Segmentes gestaltet, indem er aus den Mole- eularinterstitien des Protoplasma sich herauszieht. Die geschilderte Art. der Kernentstehung wird als die palingenetische bezeichnet. So ist AUERBACH in der Beurtheilung der von ihm beobachteten Erscheinungen zu Deutungen gelangt, welche den von mir gegebenen ganz entgegengesetzt sind. Die Verschiedenheiten in den versuchten Erklärungen sind hauptsächlich dadureh herbeigeführt worden, dass AUERBACH aus dem zeitweisen Verschwinden des Kerns an dem lebenden, Objecte auf seinen morphologischen Untergang geschlossen und die andere Möglichkeit, dass der Kern im frischen Zustande unkenntlich geworden ist, nicht berücksichtigt hat, wie er denn auch seine Objecte einer Behandlung mit Reagentien nicht unterworfen zu haben: scheint. Eine zweckmässige Anwendung derselben halte ich aber bei: derartigen Untersuchungen für durchaus geboten und habe ich auch: nur mit Hülfe derselben nachweisen können, dass der Kern niemals schwindet und eine palingenetische Kernentstehung nicht stattfindet. Hiermit fällt natürlich die von AUERBACH gegebene Er- klärung der Radienfiguren, welche er als karyolytische betrachtet. Gegen dieselbe spricht weiter noch die Thatsache. dass schon um den kugligen Furchungskern das Protoplasma eine strahlige Anordnung annimmt, eine Thatsache, welche durch die Beobachtungen von DERBES, KROHN, KOWALEWSKY, KUPFFER, BÜTSCHLI und STRAS- BURGER als sichergestellt betrachtet werden kann. Auch lassen sich, wie ich früher gezeigt habe, alle bei der Eitheilung entstehen- den Radienfiguren aus einer von dem Kern auf das Plasma aus- geübten Anziehung ungezwungen erklären. Dass der Kern bei seiner Streckung eine Volumsverminderung erfahre, wie AUERBACH an- nimmt, ist mir bei meinen Beobachtungen: nicht aufgefallen. Etwas Bestimmtes lässt sich aber hierüber kaum aussagen, da eine ver- gleichende Volumsbestimmung der so ungemein veränderten Kern- formen durch. Messung wohl nicht ausführbar ist. Zu entgegengesetzten Resultaten wie FoL, FLEMMING und AUERBACH, was die Betheiligung des Kerns bei der Zelltheilung betrifft, sind BirscHLi und STRASBURGER gekommen, ersterer durch 426 Oscar Hertwig Untersuchung der Eifurchung bei freilebenden Nematoden und der Theilung von Spermamutterzellen von Blatta orientalis, letzterer durch Untersuchung pflanzlicher Objecte und der Eifurehung von Phallusia mammillaris. Von Biscuit haben wir drei Publieationen zu berücksichtigen, von welchen die erste: Beiträge zur Kenntniss der freilebenden Nematoden'), in ihrer Entstehung noch vor die Arbeiten FLEMMING’S und AuERBACH’S fällt. In derselben theilt BürschLı mit, dass sich in den ovalen befruchteten Eiern das Protoplasma radiär um den central gelegenen kugelförmigen Kern anordnet, dass dann der Kern die Gestalt einer Citrone annimmt, wobei seine Ränder undeutlicher werden und dass an jedem Pol des eitronenförmigen Gebildes eine kleine knopfartige Anschwellung bemerkbar wird, welehe mehr und mehr wächst und um welche sich ein Strahlenkreis im Dotter bildet. Die zwei knopfartigen Anschwellungen rechnet BürscHLı zum Kern und deutet sie als zwei Centren der Anziehung, er lässt dieselben sich weiterhin stetig vergrössern und mehr auseinanderrücken, wobei der sie verbindende Theil immer schmäler wird und schliesslich nur wie ein dünner Verbindungsfaden erscheint. Derselbe soll bei der Furchung in seiner Mitte durchschnitten werden und sich darauf zu dem eigentlichen Kern zurückziehen, hier die knopfartige Anschwellung bildend, die man kurze Zeit nach der eingetretenen Furchung häufig sieht. Während des ganzen Theilungsvorganges beschreibt BUTSCHLI die Contour des Kernes als etwas verschwommen und schien es ihm als ob von demselben strahlenartige Fortsätze in den Dotter sich hineinerstreckten. Erst mit der Vollendung der Furchung sollen die Tochterkerne, während gleichzeitig die strahlenartige Zeichnung im Dotter undeutlicher wird, wieder bestimmtere Umrisse erhalten und endlich als scharf umschriebene Bläschen erscheinen. Bürschuı gibt in den hier mitgetheilten Beobachtungen eine im Ganzen zutreffende Schilderung der bei der Furchung im Dotter wahrnehmbaren Erscheinungen, wie denn auch seine Zeichnungen mit denjenigen AUERBACH’s viel Aehnlichkeit besitzen; dagegen hat er, wie schon AUERBACH richtig hervorgehoben hat, die durch An- sammlung homogenen Protoplasmas um die Kerne entstehenden Figuren irriger Weise für die Kerne selbst gehalten. Am meisten scheint mir dies aus der Figur XI hervorzugehen, in welcher die knopf- I) BürscHLı. Beiträge zur Kenntniss der freilebenden Nematoden. Nova Acta der Ksl. Leop.-Carol.-Deutschen Academie. Bd. XXXVI. No. 5. pag. 101—104. Beitriige z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 427 artige Anschwellung, welche durch Ansammlung des Verbindungs- fadens entstanden sein soll, der Kern selbst, die mit ihm zusammen- hängende homogene Scheibe dagegen der von AUERBACH als Hammerkopf bezeichnete Theil der Anziehungsfigur ist. Werthvolle Beiträge zur Erkenntniss der im Kern bei der Theilung erfolgenden Differenzirungen hat weiterhin BürschLı in zwei jiingst erschienenen vorläufigen Mittheilungen gegeben !). In diesen beschreibt er, gestützt auf Essigsäurepräparate, dass der Kern im Cucullanusei und den Spermamutterzellen von Blatta orientalis vor der Theilung sich streekt, Spindelgestalt annimmt und eine characteristische Ver- änderung seines Inhaltes erfährt. »Die Spindel ist deutlich längs- faserig und in jeder Faser liegt im Aequator des Körpers ein dunkles glänzendes Korn, so dass die Körner zusammen in der Ansicht auf die Enden des spindelförmigen Körpers einen Körnerkreis bilden.« »Bei dieser Umwandlung büsst der Kern seine scharf contourirte dunkle Hülle und einen beträchtlichen Theil seines Saftes ein, so dass sich sein Volumen bedeutend verringert.« »Im weiteren Verlauf theilt sich die äquatoriale Körnerzone in zwei, die auseinander rücken , bis sie schliesslich in den Enden des spindelförmigen Körpers anlangen, durch Fasern untereinander verbunden.« »Um die Enden der Kernspindel bemerkt man radiäre Strahlung im Zellenprotoplasma.« Bei beginnender Einschnürung der Zelle »streckt sich der Kern noch mehr, so dass er die spindelförmige Gestalt aufgibt und etwa band- förmig erscheint; die Enden des Bandes bilden die dunklen Körner, die sich nun nahe dem Centrum der neu entstehenden Zellen befinden. « Was die Bildung der neuen Kerne der Tochterzellen anbetrifft, so beginnt dieselbe nach BürscHLı damit, dass zuerst nur ein sehr kleiner und unscheinbarer, heller, von Flüssigkeit erfüllter Raum um die dunklen Körnermassen der Kernenden entsteht, der mehr und mehr wächst, während der Faserstrang, der die so aus den Enden hervorwachsenden Kerne verbindet, sich mehr und mehr ver- schmächtigt. »Die dunklen Körner gehen in das Innere der neuen Kerne über, sie sind die Kernkörper. Sind auf solche Weise durch diese Flüssigkeitsansammlung um die dunklen Körner des ehemaligen spindelförmigen Körpers die jungen Kerne der Tochterzellen schon !) Bürscutı. Vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen , betreffend die ersten Entwicklungsvorgänge im befruchteten Ei von Nematoden und Schnecken. Zeitschrift f. wissensch. Zool. Bd. XXV. BürscHı. Vorläufige Mittheilung einiger Resultate von Studien über die Conjugation der Infusorien und die Zelltheilung. Zeitschrift f. wissensch. Zool. Bd. XXV. Morpholog. Jahrbuch. 1. 29 428 Oscar Hertwig nahezu oder vollständig ausgebildet, so hängen dieselben nichts desto‘ weniger noch durch die Fasern, die man zuweilen deutlich noch von den dunkeln Körnern, jetzt Kernkörpern der jungen Kerne entspringen sieht, zusammen.« BürschLı vermuthet, dass »die Fasern schliesslich in die zu den beiden neuen Kernen gehörenden Hälften zerfallen und diese in die zugehörigen Kerne aufgenommen werden.« Die ausführlich mitgetheilten Angaben BürschLri’s finden zum grossen Theil in meiner Arbeit eine Bestätigung. Wie bei Cucullanus und Blatta orientalis entsteht auch bei den Seeigeln im langgestreckten Eikern eine äquatoriale Körnerzone (mittlere Verdichtungszone), welche sich weiterhin in zwei auseinanderrückende Körnerzonen (seitliche Verdichtungszonen) theilt. Die von BürscHLı beschriebene und deut- lich abgebildete Verbindung der Stäbehen durch feinere Fäden habe ich bei meinem Objecte nicht deutlich beobachten können. Das Mittelstück des Kernbandes schien mir meist völlig homogen zu sein. Doch halte ich es für recht gut möglich, dass dies feinere Structur- verhältniss vielleicht in Folge der angewandten Präparationsmethode oder weil bei den Seeigeleiern der Kern von einer zwar durchsichtigen aber immerhin ziemlich beträchtlichen Dottermasse umhüllt wird, mir verborgen geblieben ist. Dagegen stimme ich BürscHhLı nicht bei, wenn er die Körnerzonen bis an die Enden des Kernbandes aus- einander rücken lässt, was bei meinem Objecte ganz bestimmt nicht der Fall ist. Hier besteht noch über die seitliche Verdichtungszone hinaus eine dünne Verlängerung des Kernbandes, deren Ende genau den Mittelpunct je einer Radienfigur einnimmt. Ueber das Verhältniss des Kerns zu den im Dotter entstehenden Figuren hat BürschLı leider keine genaueren Mittheilungen gegeben, von einer Bemerkung abgesehen, dass die karyolytische Figur AUERBACH’s entschieden als der eigenthümlich modifieirte Kern zu betrachten sei, eine Ansicht, der ich nicht beistimmen kann. Endlich kann ich die kurzen An- gaben BürschLi’s über die Umbildung der Tochterkerne mit meinen Beobachtungen nicht in Einklang bringen. Um das Verhältniss, in welchem beide zu einander stehen, richtig zu beurtheilen, wird es nothwendig sein, erst die ausführliche Darstellung BürschLr's abzuwarten. Gleichzeitig und unabhängig von BürscHLı hat STRASBURGER') gründliche Untersuchungen über Kerntheilung angestellt und hat er !) STRASBURGER. Ueber Zellbildung und Zelltheilung. Jena 1875. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 429 sein sehr umfassendes Beobachtungsmaterial in einer besonderen Sehrift: »Ueber Zellbildung und Zelltheilung« veröffentlicht. Srras- BURGER hat hauptsächlich pflanzliche Objecte im Auge gehabt, neben- her aber auch seine Untersuchung unter Anderem auf die Eifurchung von Phallusia mammillaris ausgedehnt. Hierbei ist er zu dem wich- tigen Resultate gelangt, dass im Pflanzen- und Thierreich eine fast vollständige Identität im Zelltheilungsprocess herrscht, dass der Kern nicht aufgelöst wird, sondern durch einen verwickelten Vorgang in zwei Theile zerfällt. Unter den von STRASBURGER untersuchten zahlreichen Objeeten stimmen meine Beobachtungen hinsichtlich der feineren Vorgänge am. meisten mit der Beschreibung der Kerntheilung bei Spirogyra ortho- spira überein. Das grosse Kernkörperchen löst sich vor der Theilung in der übrigen Kernmasse vollständig auf. Der so homogen gewordene Kern streckt sich und nimmt, indem er sich an zwei Polen ab- plattet, Tonnengestalt an. Der Inhalt beginnt sich jetzt streifig zu differenziren, derart, dass feine Fäden von einem Pole des Kerns zum andern verlaufen. Im Aequator der Fäden sammelt sich eine verdichtete Substanz an, welche STRASBURGER Kernplatte benennt. Dieselbe ist selten continuirlich, besteht vielmehr meistens aus einer Schicht getrennter Stäbehen oder Körner. Weiterhin spaltet sich die Kernplatte in zwei Hälften, die auseinander weichen, während ein medianer Theil der Platten zu feinen Fäden sich ausdehnt, welche als Kernfäden bezeichnet werden. Die Plattenhälften rücken bei ihrer entgegengesetzten Wanderung nie bis zu den Kernenden vor. Während der Kernstreckung hat sich noch an den beiden Endflächen der Tonne körnchenfreies Protoplasma angesammelt, an welchem im frischen Zustande eine radiäre Anordnung bemerkbar ist. Die Bildung des Tochterkerns beginnt damit, dass die Plattenkörner zu einer soliden Scheibe verschmelzen und gleichzeitig das Kernende eingezogen wird. Bald schwillt die Scheibe stärker an und es treten in ihr mehrere stärker lichtbrechende Kugeln auf, von welchen alle bis auf eine an Grösse stark zunehmende Kugel (das Kernkörperchen) später wieder verschwinden. Bei einem Vergleich dieser Vorgänge mit denjenigen im See- igelei entspricht STRASBURGER’s Kernplatte augenscheinlich der mittleren Verdichtungszone im spindelförmigen Kern, die durch Thei- lung entstandenen Kernplattenhälften entsprechen den beiden seitlichen Verdichtungszonen des Kernbandes, die zwischen beiden sich aus- 29* 430 Oscar Hertwig spannenden Kernfäden dem von mir als Mittelstück bezeichneten Theil, welehen ich als homogen beschaffen beschrieben habe. In beiden Objeeten rücken die Verdichtungszonen im Kern — und hierauf möchte ich besonders die Aufmerksamkeit gelenkt haben — nicht bis zum Kernende vor, in beiden Objeeten entsteht der Tochter- kern an der Stelle der Verdichtungszone durch Verschmelzen der Stäbehen und Körner untereinander in Folge eintretender Imbibition mit Kernsaft; in beiden Fällen ist der zunächst entstehende Kern homogen. Die Anhäufung körnchenfreien Protoplasmas um die Kern- enden bei Spirogyra entspricht dem Hantelkopf im Seeigelei. Nach vollzogener Kerntheilung lässt STRASBURGER die Kernfäden bei pflanzlichen Zellen noch eine Zeit lang zwischen beiden Toehter- nuclei - ausgespannt erhalten bleiben und bei der Bildung der Cellulosewand eine nach den einzelnen Pflanzenarten etwas ver- schiedene Rolle spielen. In der Aequatorialebene sollen sie an- schwellen und die angeschwollenen Stellen darauf zu einer zusammen- hängenden Platte sich vereinigen; dieselbe wird als Zellplatte bezeichnet> und soll aus Hautschicht bestehen. Weiterhin beschreibt STRASBURGER dass in dieser Platte eine Spaltung erfolgt, dass ihre beiden Hälften jedoch nicht auseinander rücken, vielmehr sofort Cellulose in die Spaltungsfläche ausscheiden. Die Cellulose lässt er zu einer zusammen- hängenden Membran erhärten und einen Theil der Trennungswand der beiden Schwesterzellen bilden. In dem Umstand, dass die Hautschichtplatte aus den der Kernplatte entstammenden Fäden hervorgeht, erblickt STRASBURGER einen entschiedenen Beweis für die Stoffverwandtschaft von Hautschicht und Kern. Wenn ich hinsichtlich des Vorgangs der Kerntheilung mich in völliger Uebereinstimmung mit STRASBURGER befinde, so kann ich dagegen seiner Auffassung, nach welcher der Kern bei den Pflanzen eine Rolle bei der Cellulosebildung spielt, nicht beistimmen. Aus prineipiellen Gründen ist mir der Zusammenhang des eben geschilder- ten Vorgangs mit der Kerntheilung sehr unwahrscheinlich, wie ich denn auch schon früher mich gegen die Abstammung des Kerns von der Hautschicht ausgesprochen habe. Sollten nicht STRASBURGER’S Beobachtungen eine andere Deutung zulassen? Sollten die nach vollzogener Kerntheilung in der Aequatorialebene anschwellenden und die Zellplatte bildenden Fäden nicht vielleicht aus Protoplasma be- stehen, welches den Kern eingehüllt und nach seiner Trennung zwischen seinen Theilstücken sich ausgespannt hat? Hoffentlich werden weitere Untersuchungen diese Verhältnisse bald aufklären. Beiträge z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung d. thier. Eies. 431 Mit der Darstellung, welche STRASBURGER von der Eitheilung bei Phallusia mammillaris gibt, stimmen meine Beobachtungen weniger als mit seiner Darstellung der Theilungsvorgänge bei Spirogyra überein. Nach STRASBURGER ist der Verlauf der Eitheilung bei Phallusia in seinen wesentlichen Zügen kurz folgender: Der im Ei central gelegene Furchungskern , um welchen der Dotter eine strahlenartige Anordnung angenommen hat, streckt sich und gewinnt eine spindelförmige Gestalt. An seinen beiden Enden entstehen zwei neue zuerst kleine, dann sich vergrössernde Radienfiguren. In der Kernspindel bilden sich weiterhin einzelne dunklere Streifen und in diesen. die äquatoriale Kernplatte aus. .Wenn die letztere sich halbirt hat und die beiden Plattenab- schnitte auseinandergerückt sind, finden sich in dem Ei zwei durch einen Stiel verbundene Sonnen, AUERBACH’S karyolytische Figur, vor. Die Mittelpuncte der beiden Sonnen werden von den neuen Zellkernen eingenommen, zwischen welchen sich nur wenige vereinzelte Kern- fäden ausspannen. Bei ihrem Entstehen werden die Kerne von einer homogenen, etwas stärker als die Umgebung das Licht brechenden Substanz gebildet, mit der Vollendung der Furchung aber tritt in ihnen eine mit dünnflüssigem Inhalte erfüllte Vacuole auf. Dieselbe vergrössert sich, so dass schliesslich die eigentliche Kernmasse nur noch ihre Wandung bildet. In der Vacuole zeigen sich aber ein oder mehrere Kernkörperchen. Während dieser Aushöhlung der ur- sprünglich soliden Kerne, wird die radiale Anordnung der Plasma- theilchen undeutlicher. In dieser Darstellung ist STRASBURGER in denselben Fehler wie BürscHLı in seinen Beobachtungen der Eitheilung von Rhabditis dolichura verfallen. Auch er hat das sich an den Kernenden an- sammelnde körnchenfreie Protoplasma mit zu dem Kern gerechnet und daher von den Formveränderungen des letzteren keine vollständig richtige Anschauung erhalten. Während der Tochterkern nach AUERBACH und mir im Stiel der Hantelfigur sich formirt, lässt STRASBURGER ihn die Mitte jeder Sonne einnehmen. Während bei den Seeigeln nach Vollendung der Furchung der Tochterkern sich vergrössert und in die Mitte des Segmentes rückt, lässt STRASBURGER jetzt im Kern eine sich vergrössernde Vacuole auftreten. Meinen Beobachtungen zu Folge ist diese Vacuole der sich kuglig abrundende Kern selbst und die ihn umgebende homogene Rinde, welche anfangs die eigentliche Kernmasse bilden soll, ist nur körnchenfreies Pro- toplasma. . Dass bei Phallusia mammillaris die Kernbildung in keiner andern Weise als bei Toxopneustes lividus sich vollzieht, schliesse 432 Oscar Hertwig ich aus SrrRASBURGER’s Figur 13, welche ein Ei im Moment der Zweitheilung darstellt. Hier finde ich im Mittelpunct jeder Sonne einen dunkleren Streifen abgebildet, welcher im Text nicht erwähnt wird, und welchen ich für das verdichtete Ende des Kernbandes halte. Von den theoretischen Folgerungen, welche STRASBURGER aus seinen Beobachtungen zieht, will ich nur das hervorheben, dass er den Kern, wie ich dies gleichfalls annehme, die moleeularen Vor- gänge der Zellbildung beherrschen lässt, dass er bei der Zellthei- lung die Kernpole als Attractionscentren und die Radienfiguren als Anziehungserscheinungen betrachtet. In Betreff des übrigen hier unerwähnt gelassenen, reichhaltigen Beobachtungsmaterials und der an dasselbe angeknüpften weiteren theoretischen Erörterungen muss ich auf die Arbeit STRASBURGER’S selbst verweisen. Aus der vorliegenden Besprechung ist ersichtlich, dass wenn auch die Endresultate, zu welchen die verschiedenen Untersuchungen über das Verhalten des Kerns bei der Eitheilung geführt haben, sich viel- fach widersprechen, so doch die denselben zu Grunde liegenden Beob- achtungen eine Vereinbarung zulassen. Wie ich glaube gezeigt zu haben, sind die Widersprüche in den Literaturangaben hauptsächlich (darauf zurückzuführen, dass bald ein mehr, bald ein weniger geeig- netes Beobachtungsobjeet benutzt und dass bald die Untersuchung allein im frischen Zustande, bald auch mit Benutzung verschiedener Reagentien vorgenommen worden ist. Am klarsten hat sich dies aus der Besprechung der sorgfältigen Beobachtungen AUERBACH’S, STRAS- BURGER’s und BÜTscHLr’s ergeben, Beobachtungen, welche nach der von mir am Ei des Toxopneustes liv. angestellten Untersuchung vollkommen mit einander vereinbart werden können. Es liegt somit kein Grund zu der Annahme vor, dass im Thierreich der Kern bei der Eifurchung sich in einer verschiedenen Weise betheilige, und lässt es sich daher erwarten, dass in der Folgezeit über zahlreichere Objecte ausgedehnte Untersuchungen bei Anwendung geeigneter Me- thoden auch zu übereinstimmenden Resultaten führen werden. Mühlhausen i/Th., August 1875. Erklärung der Abbildungen. Alle Figuren sind bei 500facher Vergrösserung (Zeiss F. Oc. 2) gezeichnet. Tafel X. Figur |. Unreifes Eierstocksei von ‘Toxopneustes lividus. Figur 2, Reifes Eierstocksei. Figur 3—5. Eierstockseier, deren Keimbläschen sich rückbildet. Figur 6. Eierstocksei, dessen Keimbläschen sieh rückbildet. Mit Osmiumsäure und BEALE’schem Carmin behandelt. Tafel XI. Figur 7 u. 8. Ei, fünf Minuten nach der Befruchtung. Einwandern des Sperma- kerns. Figur 9. Keimbläschen eines Eierstockseies der Maus. Figur 10. Ei, zehn Minuten nach der Befruchtung. Ei- und Spermakern berüh- ren sich. Figur 11. Ei, eine viertel Stunde nach der Befruchtung, mit dem durch Ver- schmelzung des Ei- und Spermakerns entstandenen einfachen Fur- chungskern. Figur 12. Verschiedene Präparate vom Ei- und Spermakern nach Behandlung mit Osmiumsiiure und BEALE’schem Carmin. Figur 13. Ei, fünf Minuten nach der Befruchtung durch Osmiumsäure abgetödtet und in BEALE’schem Carmin gefärbt. Einwandern des Spermakerns. Figur 14. Ei, zehn Minuten nach der Befruchtung durch Osmiumsäure abgetödtet und in BEALE’schem Carmin~gefirbt. Ei- und Spermakern berüh- ren sich. Tafel XII. Figur 15—20. Furchungsstadien nach lebenden Objecten. Figur 15. Ei, eine halbe Stunde nach der Befruchtung. Figur 16a. Ei, 25 Minuten nach der Befruchtung. Entstehung der zwei Radien- figuren. Figur 165. Ei, 45 Minuten nach der Befruchtung. Figur 17. Ei, eine Stunde nach der Befruchtung. Hantelstadium. Figur 18. Ei, eine Stunde 5 Minuten nach der Befruchtung. Beginnende Zwei- theilung. 434 Oscar Hertwig, Beitriige z. Kenntniss d. Bildung, Befruchtung u. Theilung ete. Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur : Figur Figur 19 20. 21. 23. 21. an . Ei, eine Stunde 10 Minuten nach der Befruchtung. Vollendete Zwei- theilung. Bildung der kugligen Segmentkerne. Zwei Vorbereitungsstadien zur Viertheilung der Eizelle. Im oberen Theilstück ist das Auftreten zweier Radienfiguren, im unteren Theil- stück das Hantelstadium dargestellt. Tafel XIIL Ei, 40 Minuten nach der Befruchtung durch Osmiumsäure abgetödtet und in BEALE’schem Carmin gefärbt. . Ei, 45 Minuten nach der Befruchtung. Osmium-Carminpräparat. Ei, eine Stunde nach der Befruchtung. Hantelstadium. Osmium- Carminpräparat. . Zweigetheilte Eizelle in Vorbereitung zur Viertheilung. Chromsäure- Carminpräparat. . Beginnende Zweitheilung eine Stunde 5 Minuten nach der Befruch- tung. Ansicht des Kernbandes von oben. Osmium-Carminpräparat. . Beginnende Zweitheilung eine Stunde 5 Minuten nach der Befruch- tung. Ansicht des Kernbandes von der Seite. Osmium-Carmin- präparat. Verschiedene Kernformen. a. Ansicht der mittleren Verdichtungszone in der Kernspindel. Chromsäurepräparat. b. u. e. Kernformen, 30 Minuten nach der Befruchtung. Osmium- Carminpräparat. d. Ansicht der mittleren Verdichtungszone in der Kernspindel. Osmium -Carminpräparat. . Verschiedene Kernformen. a—c. Bildung des Tochterkerns nach vollendeter Zweitheilung der Eizelle. d. Kernband mit mittlerer Einschnürung. e. Kernband mit einfacher mittlerer Verdichtungszone. Jf. Runder Kern nach Chromsäurebehandlung. -Bd./. 8 a = 2 Ui JG.Bach AL ' N O.Herswig fee Z Er es Lei Pang. Taf Xl buch Bdl ViOPD .G.Bach Leipzig Lith Ansty. Lith.v. JG.Bach, Leipzig. Die sechste Zehe der Anuren. Von Dr. 6. Born. Aus dem anatomischen Institut zu Breslau. (Mit Tafel XIV.) MECKEL') und Cuvier?) beschreiben an der Innenfläche des Tarsus der Anuren ein oder zwei Knorpel, welche über den Rand des Fusses vorspringen und deuten dieselben als Rest einer sechsten Zehe. ECKER schildert und zeichnet die betreffenden Bildungen in seiner Anatomie des Frosches ähnlich, wie MEcKkEL und. neigt gleichfalls zu der erwähnten Auffassung. DuG&s?) und GEGENBAUR 4) verwerfen diesen Erkliirungsversuch; der erste Autor will die beiden Knorpel als die verdrängten cuneiformia I und II auffassen, eine eigen- thümliche Anschauung, die schon von GEGENBAUR genügend zurück- gewiesen worden ist; GEGENBAUR selbst folgert, da er die »typischen Stücke« des Fussskelets am Tarsus der Anuren alle nachweisen kann 1) System der vergl. Anat. II. Theil. 1. Abtheil. pag. 489 u. f.' Halle 1824. ?) Recherches s. 1. ossemens foss. IV. Edit. Tome X. p. 309. 3) Rech. sur l’ostéol. et la myol. des batr. ä. 1. diff. äges. Mém. pres. p. div. sav. 4 lacad. royale des sc. de l’institut de France. Paris 1835. Sc. math. et phys. pag. 77. *) Untersuch. zur vergl. Anatomie. Carpus u. tarsus pag. 66 u. vorhergeh. — Ueber das Gliedmassenskelet der Enaliosaurier pag. 341 Anm. und Ueber das Skelet der Gliedmassen der Wirbelth. im Allgem. u. s. w. pag. 445; Bei- des in Jenaische Zeitschrift V, 1870, 436 G. Born und entsprechende Theile den in Bezug auf den Bau des Tarsus niedriger stehenden Amphibien fehlen , dass die fraglichen Knorpel (Knochen bei Pelobates) eben nicht als typische zu betrachten, son- dern als »erworbene Eigenthümlichkeiten des Fussskelets der unge- schwänzten Amphibien« anzusehen seien. Da GEGENBAUR mit unbe- deutenden Ausnahmen ein weit reicheres thatsächlicheres Material darstellt, als seine Vorgänger und hier, wie überall in seinen grund- legenden Arbeiten über das Extremitätenskelet, den Gegenstand methodisch und erschöpfend behandelt, so konnte ich nur durch Erkenntniss einer Reihe bisher nicht gekannter Thatsachen dazu gelangen, die alte CuvIEr-MEcKEL'sche Hypothese wieder aufzuneh- men, wie ich dies durch die Ueberschrift dieses Aufsatzes gethan habe. Diesen Fortschritt in der Erkenntniss verdanke ich der Anwen- dung einer Untersuchungsmethode, die die genannten Autoren nur sel- ten oder gar nicht zu Hülfe gezogen haben. Vieles, was man an so kleinen und diffieilen Objecten mittelst Scalpell und Loupe nur un- vollkommen und mühsam erkennen kann, lässt die combinirende Durehmusterung einer vollständigen, in zweckmässiger Richtung durch das Objeet gelegten Reihe mikroskopischer Schnitte mit Leichtigkeit und Sicherheit feststellen. A. ROSENBERG!) hat schon dieselbe Me- thode bei einem Gegenstande, der demselben Gebiete angehört, mit grossem Erfolge angewendet. Ich verfahre zur Herstellung der Schnitt- serien folgendermassen: Der Fuss, entweder in den beiden langen Tarsalknochen der ersten Reihe oder am Unterschenkel abgetrennt, wird in einem starken Chromsäure- und Salzsäuregemisch entkalkt; nach Entfernung der eingesogenen Säure durch längeres Einlegen in Wasser wird die Extremität zwischen zwei ziemlich dicke Platten gut gehärteter Leber eingebunden und mit derselben auf 24 — 48 Stunden in absoluten Alkohol geworfen. Diese Manipulation hat den Zweck, die fast immer vorhandenen Beugungen und Streckungen der Gelenke zu beseitigen und so Tarsus und Metatarsus u. 8. w. in eine Ebene zu bringen, wodurch die Herstellung von Flächenschnitten, die beide Gebilde ziemlich vollständig in sich fassen, ermöglicht wird. Ausserdem kann man durch geschickte Lagerung beim Ein- binden den Vorsprung, der an der innern Seite des Fusses die fraglichen Skeletstücke enthält, etwas mehr in die Ebene der an- srenzenden Metatarsalien zu rücken versuchen. Man hat nicht zu fürchten, dass der Druck zwischen den beiden Leberplatten an den !) Zeitschrift f. wissensch. Zoolog. XXXII]. 1873. pag. 116. Die sechste Zehe der Anuren. 437 Geweben des Fusses eines erwachsenen Frosches wesentliche Strue- turveränderungen hervorbringt; die Stellung aber, die dadurch dem Tarsus zum Metatarsus gegeben wird, liegt allen bisherigen Be- schreibungen des Fussskelets der Anuren zu Grunde. Nach der Behandlung mit absolutem Alkohol wird die abgetrocknete Extre- mität in Freumin@’sche Transparentseife') eingeschmolzen. Ich weiss sehr wohl, dass diese Einbettungsmethode durchaus nicht allen an eine solche zu stellenden Anforderungen genügt: schon dass man mit trockenem Messer schneiden muss, ist ein Uebelstand, sie besitzt aber einen Vorzug vor allen übrigen mir bekannten, der sie für mein Object ganz besonders geeignet erscheinen lässt: »In der kla- ren Seifenpaste übersieht man,« wie der Erfinder sagt, »das Object vollständig und kann nach Belieben die Schnittrichtung wechseln lassen.« Von einem guten Seifenpräparate ist es nicht gerade schwer auch mit freier Hand eine vollständige Reihe Schnitte von der hier erforderlichen Grösse abzunehmen, zumal dieselben durchaus nicht besonders dünn zu sein brauchen. Carminfärbung ist nur bei sehr kleinen und zarten Objecten von Vortheil. Uebrigens habe ich nieht verfehlt mir wenigstens an einzelnen grösseren Exemplaren die Resultate der Schnittserien durch Präparation zu bestätigen. Bei folgenden Anuren habe ich in der angegebenen Weise den Tarsus untersucht: Rana esculenta L. — Rana temporaria L. — Hyla ar- borea L. — Bufo variabilis Laur. — Bufo calamita Laur. — Phryne vul- garis Oken - Pelobates fuscus, Laur. — Bombinator igneus Ros. Von jeder Art sind die beiderseitigen Tarsi einer ganzen Reihe von Exemplaren womöglich verschiedener Grösse zerlegt worden. Im Folgenden werde ich immer nur den distalen Tarsusabschnitt und die Lage der Basen der Metatarsalien zu demselben beschreiben ; zu den bekannten Darstellungen der übrigen Theile habe ich nichts Neues hinzuzufügen und übergehe dieselben deswegen ganz. Auch die von GEGENBAUR als Sesambeine aufgefassten Gebilde vor der Verbindung des IV. Metatarsale mit dem Fibulare habe ich nicht berücksichtigt, da mir zur definitiven Entscheidung über ihre Bedeu- tung ein Zurückgehen auf die Ontogenese nöthig erschien , das mir vorläufig nicht möglich war. In der Benennung folge ich selbstver- ständlich der rationellen Methode GEGENBAUR’S. Am Fusse von Rana esculenta finde ich die Knorpel der zwei- ') Siehe darüber: Eine Einbettungsmethode von W. FLEMMING. SCHULZE’s Archiv 1873. IX. pag. 123. 438 G. Born ten Reihe des Tarsus constant folgendermassen zu einander, zu dem gemeinschaftlichen Knorpeliiberzug des Fibulare und Tibiale und zu den Basen der Metatarsalien angeordnet; — die von GEGENBAUR als accessorische aufgefassten Gebilde der »sechsten Zehe« weisen Va- riationen auf, die eine gesonderte Behandlung erfordern. My und Mynı!) ruhen mit ihren abgestumpften proximalen Enden auf einem platten und langen Knorpel (Fig. I,,,), der in den meisten Schnitten im Bereiche von My, gleichmissig hoch erscheint, von dessen fibularer Spitze aus unter Mi hin sich allmälig zuspitzt und der Basis von Myy nur dorsalwärts auf eine kurze Strecke mit abge- stutzter Fläche anliegt, im übrigen aber aus seinem fibularen Ende eine Bandmasse entstehen lässt, die den Raum zwischen dem gemeinsamen Gelenkknorpel von F und 7 und der Basis von My, an letztere angewachsen, ausfüllt. Soviel ich aus meinen Präparaten ersehen kann, erstreckt sich das Band nicht über die tibiale Ecke der Basis von My hinaus. Tibialwärts endet der Knorpel entsprechend dem Zwischenraume zwischen den Basen von My und M7.. Zwischen dieser Endfläche und dem benachbarten Theile der Basis von J ‚schiebt sich in den mehr volarwärts fallenden Schnitten die Schneide eines annähernd keilförmigen Knorpels ein (Fig. I,), der die Basis von My, mit der er durch Bandmasse verbunden ist, nicht mehr er- reicht. Die eine Seite des Keils liegt im Gelenk Mı; an, die zweite ist theils gelenkig, theils durch lockeres Bindegewebe der zugewand- ten Seite von 75,, verbunden, die wincklige Basis berührt den nächsten Tarsalknorpel und den gemeinsamen Gelenkknorpel von Fund 7. Die Figur dieses Knorpels ist nicht auf allen Schnitten ganz gleich?) ; dorsalwärts verschmächtigt er sich in allen Dimensionen und wird von seinen Nachbarn überlagert. Der übrige grössere Theil der Basis von Mı stösst noch in demselben Gelenk, wie mit 7, mit zwei Knorpeln zusammen. Der erste von diesen beiden (Fig. [a) ist in entgegengesetzter Richtung wie der vorige keilförmig gestal- tet, übrigens viel länger als derselbe. Die Basis des Keils ist 7, 1) Statt der umständlichen Schreibweise.erstes, zweites u. s. f. Metatarsale vom Tibialrande aus gezählt setze ich nach GEGENBAUR’s Vorgange M1, Mu u. s. f., ebenso für die entsprechenden Tarsalia 71, Tır u. s. w. und für Fibulare und Tibiale F und 7. ?) Bei GEGENBAUR, DUGES, ECKER, finde ich diesen Knorpel nicht, MECKEL l. e. scheint ihn seiner Darstellung nach gesehen zu haben, er spricht auch für rana von drei Tarsalknorpeln der zweiten Reihe, abgesehen von den beiden, die über den Rand des Tarsus hervortreten. Die sechste Zehe der Anuren. 439 und in mässiger Ausdehnung J; zugewandt, die eine lange Seite ruht auf einem proximalwärts abfallenden Theile des Gelenkknorpels von 7, die andere trägt den zweiten, gleich näher zu beschreiben- den Knorpel in einem stets schön ausgebildeten Gelenke. Bis hierher stimmen alle untersuchten Tarsen von Rana esculenta — und es waren dies mehr als zwanzig Exemplare — durchaus überein; bei den folgenden Gebilden stiess ich auf Variationen, die sich weder an eine bestimmte Grösse, noch an das Geschlecht hielten. Ich schliesse zunächst die am reichsten gegliederte Form an. Bei dieser folgen noch drei durch Gelenke getrennte Knor- pelstiicke. Das erste von ihnen (Fig. Ia,), das noch an die Basis von Mı grenzt, tritt stark volar- und tibialwärts aus der Ebene des Tarsus. heraus, seine Gestalt erinnert, wie ein Blick auf die Figur lehrt, merklich an die eines kurzen Röhrenknochens und in der That liegt dasselbe auch eigentlich neben den Metatarsalien, wenn man berücksichtigt, dass die Grenze zwischen den Tarsalien der ersten und zweiten Reihe keine quere gerade Linie, sondern an der tibialen Seite proximalwärts zurückweicht und mit ihr auch der Knorpel, der a, trägt. An seine tibiale Fläche setzen sich starke Muskelmassen an. Auf seinem distalen Ende, einem weit tibialwärts herumgreifenden Gelenkkopfe, sitzt die entsprechend geformte Basis des zweiten Knorpels (Fig. la,). Dieser zeigt die Gestalt einer stark abgeplatteten Phalange; auf den Schnitten, die senkrecht auf seine Fläche fallen, daher geradezu die einer ziemlich langen Phalange, — die Figur gibt dies viel schlechter wieder, als es viele Präparate erkennen lassen. Der dritte Knorpel (Fig. Ia;) endlich, dem Kopfe des vorigen mit verbreiterter Basis im Gelenk aufsitzend ist oft etwas gekrümmt, viel kürzer und endet verschmä- lert und abgerundet unter einem dieken Bandüberzuge. Die zweite ebenso häufige Variation ist die, dass statt der letz- ten drei Knorpel ein einziger, an der der Grenze von a, und a ent- sprechenden Stelle geknickter Knorpel gefunden wird; die punctirte Linie in Fig. I umgrenzt seine Gestalt. Seltner ist schon, dass statt a und a, ein einheitlicher, langer Knorpel auftritt, der im Gelenk dann a, aufsitzt; diesen Fall bilden allgemein die Autoren ab. Nur einmal traf ich an Stelle von a, und a einen einzigen entsprechend geformten Knorpel und auf diesem, vollständig abgetrennt, ein wohl ausgebildetes a,. Offenbar sind die drei eben aufgeführten, einfacheren Formen aus der am reichsten gegliederten durch theilweise oder voll- kommene Verschmelzung der dort getrennten drei Stücke während 440 G. Born der Ontogenese entstanden zu denken. In der That habe ich mehrere Male beobachtet, dass die Trennung zwischen zweien dieser Knorpel keine ganz durchgehende war und schon. theilweise knorplige Ver- bindung eingetreten. Für die Annahme einer späteren Trennung eines einheitlich angelegten Stückes lässt sich nicht der geringste Grund beibringen. Diejenige Form, die die zahlreichsten Knorpel enthält, ist also für die ursprünglichere zu halten, die übrigen sind erst secundär aus dieser abzuleiten, Deutungsversuche haben sich demnach auch allein an die erste zu halten. Den ersten angeführten Knorpel der zweiten Reihe nenne ich, wie GEGENBAUR Th,,, er trägt die Metatarsalien gleicher Nummer. Dagegen muss ich den folgenden, bei GEGENBAUR nicht erwähn- ten Knorpel als 7, ansprechen, während der von GEGENBAUR SO genannte in meiner Abbildung unter « aufgeführt ist. Jener Knorpel berührt nur die Basis von MM; und muss daher als Träger desselben aufgefasst werden. Die Berührung von J; mit den beiden tibialwärts gelegenen Knorpeln wird leicht als ein Produet der sehr gewöhn- lichen Verschiebungen von Metatarsalien über die Grenzen ihrer eigentlichen Träger hinaus erkannt. Sobald aber so ein anderes T, gefunden ist, erscheint @ nur noch in wesentlicher Beziehung, worauf auch seine ganze Lagerung hinweist, zu den drei mehr oder weniger phalangenähnlichen, in proximal- distaler Richtung anein- andergereihten Knorpelstücken, die das »Messer« der älteren Auto- ren ausmachen und zwar als Träger derselben. Zwei Knorpel, hors de rang, wie sie GEGENBAUR kannte, durften noch als accessorische Bildungen gedeutet werden, nicht aber eine gegliederte Reihe von vier, die in ihrer Gestalt und Lagerung unverkennbar ein Tarsale, Metatarsale und zwei rudimentäre Phalangen nachahmen. Ich werde die Bildung daher kurzweg als »sechste Zehe« aufführen, wobei ich aber mit der Zahlenbenennung nur ausdrücken will, dass diese Reste eines »Strahls« als Reste eines sechsten zu den übrigen fünf (die Stammreihe mit eingerechnet) an dem Fusse der Anuren bisher angenommenen hinzukommen. An einem sehr jungen Exemplare von Rana temporaria, das schon um die Mitte des April h. gefangen war, zeigte die Unter- suchung, abgesehen von den Grössendifferenzen und unwesentlichen Formabweichungen, dieselbe Zahl und Anordnung der Tarsal- und Metatarsalknorpel, wie bei der am reichsten ausgestatteten Form des Tarsus von Rana esculenta. 7, ist verhältnissmässig gross; Tarsale, Die sechste Zehe der Anuren. 441 Metatarsale und die beiden Phalangen der sechsten Zehe erscheinen durch gut ausgebildete Gelenke getrennt. Bemerkenswerth ist noch, dass sich a, welches im Ganzen schon verhältnissmässig grösser als bei Rana escul. erscheint, distalwärts in eine dünne Knorpelspitze auszieht, in der die Knorpelzellen anders, wie im übrigen Theile gestellt sind; man könnte daran denken, diese später wohl durch Umwandlung in Bandmasse schwindende Bildung als Rest einer dritten Phalange auf- zufassen. — Ein anderes etwas grösseres Thier bot schon merkliche Abweichungen in der Bildung des Tarsus, die sich aber noch mit Leichtigkeit auf das eben geschilderte Stadium zurückführen liessen: Die im Bilde von Rana ese. mit a a a, bezeichneten Knorpel sind zu einem Stücke verschmolzen, Spuren der anfänglichen Trennung sieht man aber noch sehr deutlich daran, dass an der Stelle, die der ursprünglichen Grenze von a und «a, entspricht, eine Schicht Grund- substanz durch den Knorpel zieht, die keine Knorpelzellen enthält, zu der die benachbarten Zellen aber ähnlich gestellt sind, wie zu freien Knorpelflächen; eine ähnliche, nur nicht durch alle Schnitte durch- gehende, homogene Schicht findet sich auch an der imaginären Grenze von a, und a,. 7, ist noch vollständig vorhanden. Bei allen übrigen untersuchten Exemplaren von Rana tempor. fand ich statt der drei Knorpel a, a a, immer nur einen einheitlichen, der nur noch durch die eigenthümliche Kniekung an die Entstehung aus drei getrennten Stücken erinnerte. Auch zeigte sich 7; bis auf geringe, mitunter in einem Bande, das unter der Spitze von Mı gelegen, nachweisbare Reste von Knorpelzellen geschwunden, so dass ich annehmen muss, dass während bei Rana esculenta die Trennung der Glieder des sech- sten Strahls sich in der Hälfte der Fälle, ein deutliches 77 aber in allen untersuchten Fällen erhält, bei der andern einheimischen Art die Verschmelzung der in jungen Stadien getrennten aq a, a; sehr früh und sehr constant eintritt, 7} aber immer im Laufe der Onto- genese bis auf unerhebliche Spuren schwindet. Eine Ausnahme hier- von machten die Tarsi zweier ganz abweichend gefärbter , ausge- wachsener Exemplare, die aber nach Stellung der Vomerzähne, dem dunklen Schläfenfleck u. s. w. zu Rana temporaria gehörten. Die Thiere waren auf hellgelbliehem und hellgrünlichem Grunde mit Aus- nahme der Unterfläche ganz dieht und klein dunkelbraun gefleckt; sie besassen durchaus denselben Bau des Fussskelets, wie Rana esculenta in ihrer reichsten Form. | | Von den Kröten habe ich Bufo variabilis, die ich allein in Bres- laus Umgegend auffinden konnte, nie die anderswo gemeinere Cala- 442 G. Born mita, am häufigsten untersucht und den distalen Abschnitt ihres Tarsus in Figur II abgebildet. My, ruht wieder auf einem platten Knorpel Figur Il,,,, der bis an die Seitenfläche des stark proximalwärts in den Tarsus eintretenden Miıy reicht, auf der andern Seite aber nicht der ganzen Basis von My anliegt, so dass diese mit der Hälfte oder einem Drittel darüber hinausragend noch in Gelenkverbindung mit dem nächsten, von mir 7; genannten Knorpel tritt. Die Berechtigung zu dieser von der GEGENBAUR’schen abweichenden Benennung schöpfe ich, abgesehen von der Nothwendigkeit den von GEGENBAUR 7) ge- nannten Knorpel wegen seiner in die Augen fallenden gleichen Lagerung und Beziehung mit « von Rana esculenta zu homologisiren, daraus, dass dieser Knorpel mit Mı in sehr enge gewebliche Ver- bindung tritt; er ist von ihm grösstentheils nur durch eine schmale Sehicht eines stellenweise kaum mehr fasrigen Gewebes geschieden, eine Annäherung, wie sie wohl schwer zwischen zwei einander ur- sprünglich fremden Bildungen anzunehmen ist. Ausserdem liegt die Basis von Mı noch, wie die Figur zeigt, dem schon erwähnten, wie- der annähernd dreieckigen Knorpel a an. Auf diesem ruht dann, auch noch in Beziehung zu M; ein ganz wie bei Rana gestaltetes a im Gelenk auf. Dann folgen distalwärts 2 ganz ähnlich, wie die von Rana, geformte Knorpel a und a, (Figur IL); sie sind immer durch Gelenke von einander und von dem vorhergehenden ge- trennt und zeigten niemals Neigung zum Verschmelzen. Mit Aus- nahme von zwei Thieren sah ich auf dem ziemlich schlanken und phalangenähnlichen a, in meinen Schnitten immer noch ein kleines abgerundet dreieckiges Knorpelchen, mehr oder weniger deutlich von diesem getrennt, aufsitzen. Da ich aber die Möglichkeit nicht absolut von der Hand weisen kann, dass in diesen Fällen nur die gekrümmte Spitze von a, durch eine entsprechende Schnittführung von dem Reste abgetrennt sei und so einen selbstständigen Knorpel vortäusche, so will ich auf diesen, immerhin sehr häufigen Befund nicht zu grosses Gewicht legen und nur meiner subjectiven Ueberzeugung Ausdruck geben, die dahin lautet, dass hier kein Kunstproduct vorliegt. Frei- lich besässe dann ein Randstrahl mehr Glieder als sein nach der Mittellinie der Extremität gelegener Nachbar, ein Verhalten, das meines Wissens nach nie beobachtet ist. Es muss aber dabei noch hervorgehoben werden , dass diese ganze Bildung, die ich hier unter der Benennung der sechsten Zehe aufführe, meiner Ansicht nach aus einer Zeit erhalten ist, in der die Gliederzahl und Gliederanordnung noch keine so fest bestimmte war, wie wir Die sechste Zehe der Anuren. 443 é sie an den Extremitäten unserer höheren Wirbelthiere von den Amphi- bien aufwärts kennen und dass dieses rudimentäre Gebilde, die sog. sechste Zehe der Anuren, wahrscheinlich gar nicht an den Pro- cessen theilgenommen hat, die eben zu der Fixation und Differenzirung der gewöhnlichen Zehenzahl und Gestalt führten. Den Knorpel, welcher die Basis von Min ganz und die von My zur Hälfte trägt, habe ich 75,, genannt, muss aber dabei erwähnen, dass in dem dreieckigen, auf den meisten Schnitten mit Bandmasse ausgefüllten Raume, den die einander zugewandten Seiten des ge- nannten Knorpels, des 7, und My umgrenzen, mitunter kleine un- deutliche Reste von Knorpelzellen gefunden wurden. Dieser Befund erscheint dadurch nicht ganz unwesentlich, dass bei der nahverwandten Phryne genau an derselben Stelle ein bei manchen Exemplaren ganz unverkennbarer Knorpelrest auftritt, der nothwendigerweise als rudi- mentäres 7, aufgefasst werden muss. Inwieweit etwas ähnliches für Bufo variabilis anzunehmen ist, wodurch dann der breite Knorpel allein Ty entspräche, wage ich ohne entwickelungsgeschichtliches Material nicht zu entscheiden. Im Uebrigen ergibt sich meine von der GEGENBAUR’schen abweichende Deutung und ihre Begründung aus dem oben gelieferten Text und der Benennung der Theile in der Figur. Bei Bufo calamita trifft man genau in derselben Stellung und Beziehung, die bei Bufo variabilis die Knorpel 7; und @ zusammen besitzen, ein einziges Knorpelstück, das aber nur äusserlich einheitlich erscheint, im Innern dagegen unverkennbare Spuren der Entstehung durch noch nicht vollendete Verwachsung zweier ursprünglich ge- trennter Stücke aufweist. Die im Gelenk dem Tibiale zugewandte Fläche ist ununterbrochen, ebenso lassen die ersten Schnitte von der vola und vom dorsum her meist nichts, was auf Trennung deutet, er- kennen; in der Mehrzahl der Schnitte aber, in allen mittleren, dringt von der Zehenseite her ein deutlicher Bindegewebszug tief in den Knorpel ein und trennt ihn so in zwei nur durch eine schmale Brücke von Knorpelsubstanz an der Gelenkfläche mit dem 7 verbundene Stücke, von denen das eine in Bezug auf Grösse und Lagerungsweise genau dem 7,, das andere dem a yon Bufo variabilis entspricht. Ich stehe nicht an diese beiden Theilstiicke bei Bufo calamita den ge- nannten Knorpeln bei Variabilis zu homologisiren. Das 7, ent- sprechende wird auf manchen Schnitten noch durch einen zweiten, viel undeutlicheren und weniger tiefen Bindegewebszug von derselben Morpholog. Jahrbuch. 1. 30 444 G. Born Richtung unvollständig in zwei Theile getheilt, von denen der eine Mı, der andere mehr My anliegt, doch ist diese Sonde- rung nicht so deutlick und so constant, wie der erst beschriebene. Die Gebilde der sechsten Zehe verhalten sich abgesehen davon, dass ich nie etwas von einer dritten Phalange sah und dass die zweite schon sehr klein ist, wie bei Bufo variabilis. Der erste Tarsalknorpel der zweiten Reihe von der fibularen Seite trägt ganz, wie bei der andern Art, My, und die Hälfte von My und wird ebenso wie dort von mir aufgefasst. Von seinem fibularen Ende aus zieht sich ein Polster aus Bandmasse bestehend unter My, an dieses angewachsen, hin, doch sehe ich dasselbe, ebensowenig wie bei den übrigen Anuren, sich unter My hin verlängern. Die Basis des letzt- genannten Metatarsale ruht auf den meisten Schnitten ohne irgend eine zwischengeschobene Lage in einem klaffenden Gelenke auf dem Knorpel des Fibulare auf. Für Phryne vulgaris kann, was die Grössen- und Lagerungs- verhältnisse betrifft, die Darstellung der Knorpel 75.; und 7, auf Figur II ohne weiteres mit angenommen werden, nur dass 7, von 1 immer durch ein deutliches Gelenk getrennt ist. Die Benennung des fibularwärts gelegenen Knorpels muss freilich, wie aus dem Folgenden erhellen wird, eine andere sein, als die für denselben auf der Abbildung des Tarsusschnittes von Bufo variab. festgehaltene. In der dreieckigen Spalte zwischen den einander zugewandten Seiten des eben genannten Knorpels, 7, und My liegt, bei verschiedenen Exemplaren verschieden gut erhalten, ein ebenfalls dreieckiger Knorpelrest, mit der Basis am My angelehnt, mit der Spitze sich zwischen die beiden andern Knorpel hinein erstreckend; von der Spitze geht ein Bandzug aus, der diese und die angrenzenden Ecken der Nachbarknorpel an das 7 ankittet. Auch da, wo dieser Knorpelrest sich am besten conservirt hat, sind seine Zellen verzogen und missgestaltet, aber doch immer characteri- stisch zu zweien gruppirt, die Grundsubstanz ist homogen und nur an den Rändern fasrig, und nimmt bei Pierin-Carminfärbung die Farbe des Knorpels, nicht die des Bindegewebes an. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich diesen Knorpelrest als ein rudimentäres 7, deute, wo dann für seinen fibularen Nachbar nur die Benennung T, übrig bleibt und seine Beziehungen zur Basis von Mu als secun- dir erworben aufgefasst werden müssen. Im Bandpolster unter der Basis von Miy traf ich einmal einen deutlichen Rest von Knor- pelgewebe, was die GEGENBAUR'sche Deutung dieses Bandes als Homologon eines 7, durchaus bestätigt. Die sechste Zehe besteht Die sechste Zehe der Anuren. 445 aus ganz wie bei den andern Kröten gelagerten und geformten Stücken, einem Tarsale, Metatarsale und einer langen etwas gekrümmten und sich distalwärts zuspitzenden Phalange, alle drei in der von den bisher beschriebenen Anuren her bekannten Weise von einander und von dem angrenzenden Mı, Fi und T durch Gelenke abgesetzt. Ob die eine lange Phalange durch Verschmelzung aus zwei wäh- rend der Ontogenese entsteht, konnte ich leider nicht feststellen, da zur Zeit jüngere Exemplare von Phryne vulgaris nicht zu finden waren. Bei Pelobates fuseus finde ich von der Fibularseite angefangen ebenso, wie GEGENBAUR, zuerst einen breiten, platten Knorpel (Fig. III,) der die ganze Basis von Miu und die grössere Hälfte der Basis von My trägt. An diesen schliessen sich aber, wie ich abwei- chend von des genannten Autors Darstellung sehe, nach der tibialen Seite hin zwei vollkommen von einander getrennte Knorpel an, welche zusammen die Gestalt eines spitzwinkligen, etwas nach der distalen Seite gebogenen Dreiecks haben (Fig. III, u. ,). Die Trennungs- linie zwischen beiden theilt die langen Seiten des Dreiecks in zwei ziemlich gleichlange Stücke; die schief abgestutzte Basis liegt der tibialen Seite des vorigen Knorpels im Gelenk an, mit dem fibula- ren Ende der distalen, etwas concaven Seite stösst es auf den meisten Schnitten in grösserer Ausdehnung, als es die Figur andeu- tet, noch an My; und ist diesem durch Bandmasse verbunden, der übrige Theil derselben Seite liegt meist gelenkig der Basis von M; an. Doch ragt letztere noch tibialwärts darüber hin- aus und liegt den Ecken der Knorpel und Knochen, die ich zur sechsten Zehe rechne, gegenüber. Die zweite lange Seite des Dreiecks ist grösstentheils dem gemeinsamen Knorpel des F' und T bindegewebig verbunden, in ihrem letzten Drittel aber wird sie durch den sich dazwischen einschiebenden Knorpel « der Figur III davon abgedrängt. Dieser Knorpel, an Form und Lagerung dem gleichbenannten der übrigen Anuren ähnlich, trägt wie die Figur zeigt, ein verschoben dreieckiges , mitunter auch mehr viereckiges Stück (Fig. Ila,), das im Innern von Knochenbalken und Markräumen durehzogen ist und an allen Seiten ausser der auf den Schnitten tibia- len, an die sich Muskeln ansetzen, einen dünnen aber vollständigen Knorpelüberzug besitzt. Dasselbe ragt tibialwärts noch über @ hin- aus und liegt mit einer Ecke dem Knorpel des 7 auf, seine Spitze ist dort dureh starke Bänder angeheftet. Auf seiner distalen Fläche sitzt ein langer, stark eomprimirter, dabei eigenthümlich verbogener 30 * 446 G. Born Knochen (Fig. Il«,), der mit einem starken Horniiberzug versehen mit der Convexität der Biegung einen scharfen Vorsprung aus der vola des Tarsus verursacht, — das »Messer« des Pelobates. An seinem oberen und unteren Ende trägt der Knochen einen Knorpelüberzug. Nur einmal gelang es mir an der schief abgestutzten distalen Knor- pelfläche desselben ein zweites, kleines Knorpelchen angelagert nachzuweisen: ich opferte später eine ganze Anzahl Thiere vergebens, ich bekam dasselbe nicht wieder zu Gesicht, ohne dabei entscheiden zu können, ob dieses Misslingen der grossen technischen Schwierig- keit aus der dünnen Falte, die von der Spitze des »Messers« zur tibialen Seite von Mı geht und das fragliche Stück enthält, das Ge- webe ohne verdeckende, pigmentirte Cutistheile zu erhalten, zuzu- schreiben sei, oder ob einer der bei diesen Gebilden so häufigen Fälle von Variation oder ob gar irgend welches Kunstproduet vorliegt. Der von mir 7, genannte Knorpel stimmt mit dem gleichnami- gen in GEGENBAUR’S Darstellung überein, dagegen enthält der von GEGENBAUR 7, genannte, nach der betreffenden Abbildung zu urthei- len, wahrscheinlich die beiden Knorpel 7, und 7, meiner Figur, wenigstens besitzt er dieselbe dreieckige Gestalt, wie diese beiden zusammen. Ich finde dieselben ganz constant vollkommen getrennt und muss demnach den nach der tibialen Seite hin gelegenen klei- neren, der nur an Mı stösst, als Träger dieses Metatarsale betrach- ten und 7, nennen, den grösseren, der auch My berührt, dagegen T,. Dadurch tritt wieder der nächste grosse Knorpel, GEGENBAUR’S 7}, ausser Beziehung zu irgend einem der fünf bekannten Metatarsalien ; seine Form und Lagerung weisen durchaus auf die Homologie mit dem Träger der »sechsten Zehe« bei den übrigen Anuren hin, ich nenne ihn deshalb, wie dort, «. Auf ihm sitzt dann ein im Innern knöchernes Stück, dessen Identität mit dem a, der übrigen Anuren trotz seiner etwas abweichenden Form und seiner ungewöhnlichen Annähe- rung an das 7' bei einem Blick auf die Figuren wohl nicht angezwei- felt werden wird. Endlich folgt noch eine lange knöcherne, gekrümmte Phalange, oben und unten mit einem Knorpelüberzug versehen. Der Nachweis des Restes einer zweiten konnte nur in einem Falle geliefert werden. Die Gebilde »der sechsten Zehe« sind bei Pelobates demnach zwar nicht am reichsten gegliedert, wohl aber am massigsten entwickelt und ausserdem verknöchert. Das hängt wohl damit zusammen, dass dieselben bei Pelobates eine sehr wesentliche Function besitzen, die sie bei den Kröten und Fröschen wohl auch in geringem Maasse Die sechste Zehe der Anuren. 447 ausüben, aber lange nicht so evident, wie bei dem Knoblauchfrosch. Ducks |. e. p. 78 schildert dieselbe sehr anschaulich. Beunruhigt man ein Thier, das in einem Glase gehalten wird, so fährt es auf den Grund und sucht sich mittelst lebhafter Bewegungen seiner hin- tern Extremitäten rasch in den Schlamm einzuwühlen; hält man ein lebendes Thier in der geschlossenen Hand, so fühlt man bei derartigen Anstrengungen des Thieres deutlich das Reiben »des Mes- sers«. Mir scheint am wahrscheinlichsten, dass die Vergrösserung und Verknöcherung der rudimentären Knorpel, die ursprünglich Reste eines der übrigen Amphibien u. s. f. verlorenen »Strahles« vor- stellen, erst bei dem »Funetionswechsel«, der sie zu einem Scharr- instrument umbildete, ad hoe aufgetreten und nicht etwa als eine den homologen Gebilden der übrigen Anuren verloren gegangene Eigenschaft zu betrachten sei. Bei Bombinator igneus trägt ein grösserer Knorpel Min, stösst mit einer Seitenfläche an die in den Tarsus einspringende Basis von My und mit einer Ecke an My. Das letztere ruht beinahe ganz al- lein auf einem ansehnlichen, abgerundet rhombischen Knorpel, 7). Mı grenzt hier mit dem grössten Theil seiner Basis an den Knorpel, der seiner sonstigen Beziehungen und seiner Gestalt nach «a der übrigen Anuren homolog ist, nur der fibularwärts gerichteten Spitze der Basis von Mı liegt ein kleines, aber deutlich abgegrenztes, bei- nahe halbmondförmiges Knorpelchen an, das in der Ecke zwischen dem Träger von My, My selbst und a gelegen und nur auf dorsa- len Schnitten zu sehen ist. Dieses Knorpelchen scheint, wie das ihm homologe bei Pelobates, das dort nur umfänglicher erhalten ist, von den Autoren bisher übersehen zu sein. Wenn die beiden ersten Knorpel, wie bei GEGENBAUR, als 7; und 7, gelten müssen, so kann dieser kleine Knorpel nur 7 sein und der grössere, welcher in ansehnlicher Ausdehnung auch noch der Basis von M; anliegt, erscheint nur noch in wesentlicher Beziehung zu den distalwärts an ihn ange- reihten Gebilden. Diese sind: ein länglich viereckiges Knorpelstück, das auch noch eine Strecke an Mı angrenzt, an Form und Lagerung a, der Frösche gleich und auch als solehe von mir aufgefasst; dann eine Phalange der »sechsten Zehe«, die hier als ein verhältnissmässig langer, sich zuspitzender Knorpel auftritt, der an seiner Spitze meist noch ein anderes rudimentäres Knorpelchen erkennen lässt. Hyla arborea schliesst sich in Bezug auf Zahl, Form und La- gerung der hier in Frage kommenden Tarsal- und Metatarsaltheile, wie in Bezug auf die Gebilde der sechsten Zehe so durchaus an die 448 G. Born am reichsten ausgestattete Form von Rana esculenta an, dass ich glaube, einfach auf die vom Fussskelet dieses Thieres gegebene Ab- bildung und Beschreibung verweisen zu dürfen. Ich glaube im Vorhergehenden gezeigt zu haben, dass zu: Mı ein anderes Carpale als Träger gehört, als die Autoren bisher annahmen; bei einer Anzahl von Arten war es denselben entweder ganz ent- sangen, wie bei Pelobates, Bombinator,, Hyla, Rana — bei letzterem vielleicht MECcKEL nicht — bei anderen Bufo, Phryne anders ge- deutet worden; die Gründe für meine Deutung habe ich oben im Detail dargelegt; die sonstigen Abweichungen meiner Darstellung von der meiner Vorgänger sind für die Lösung meiner Hauptaufgabe un- wesentlich und ich recapitulire sie deshalb hier nicht. Der von den Autoren als 7, bezeichnete Knorpel erscheint meiner Darstellung nach nur noch im Zusammenhang mit einer Anzahl distalwärts an denselben angereihter Stücke, mit denen er ein gegliedertes Ganze darstellt, das bei Bufo variabilis wahrscheinlich aus 5, gewiss aber aus 4, bei Rana esculenta in der Hälfte der untersuchten Exemplare aus 4, bei Rana temporaria im Jugendzustande aus 4, bei Bufo calamita, Hyla arborea, Bombinator igneus ebenfalls aus 4, bei Pelobates fuscus vielleicht aus 4, sicher, wie bei Phryne, vulgaris aus 3 meist deutlich in Gelenken von einander abgesetzten Theilen besteht. Von diesen liegt der erste in einer Reihe mit den Tarsalknorpeln, welche Metatarsusträger sind, ahmt dieselben in Form und Structur nach und ist von den Autoren auch, wie erwähnt, immer als »typischer« Tarsalknorpel aufgefasst worden. Der zweite bei Pelobates knöchern, bei den übrigen knorplig, liegt, wenn man von der unwesentlichen Abweichung volarwärts absieht, in einer Reihe mit den Metatarsalien, stösst auch mit der Basis seines Nachbars im Gelenk zusammen, wie die Basen der übrigen Metatarsalien untereinander und ist wie ein kur- zes Metatarsale geformt (bei Pelobates mehr unregelmässig). Auf die- sen folgen in den meisten Fällen noch 2, bei Phryne 1, in manchen Fällen seitlich abgeplattete oder am distalen Ende zugespitzte, aber namentlich bei jungen Thieren immer mehr oder weniger phalangen- ähnliche Stücke, — ein drittes bei Bufo variabilis konnte ich nicht ab- solut sicher stellen. — Die beiden erwähnten phalangenähnlichen Stücke sind unter sich und von den vorhergehenden durch Gelenke getrennt. Nur bei Pelobates ist das eine sehr umfängliche knéchern, ein zweites war nur in einem Falle nachweisbar. Als secundäre Variation ist aufzufassen : Verschmelzung der distalen drei Stücken bei vielen Ranae esculentae und fast allen älteren temporariae zu einem, ebenso Die sechste Zehe der Anuren. 449 Verschmelzung zweier Stiicke zu einem, wie sie seltner bei Rana es- culenta gefunden wurde. Die verhältnissmässige Häufigkeit der Variationen characterisirt diese Bildungen mit als rudimentäre. Die Auffassung einer solchen Reihe characteristisch gestalteter und gelagerter Stücke als heste eines »sechsten Strahls«, um der GEGENBAUR’schen Auffassung des Fussskelets zu folgen, erscheint unabweisbar und ich habe nur noch einige naheliegende Einwände zu entkräften, die nicht aus der Be- trachtung der Theile selbst, sondern aus anderen Ueberlegungen entspringen. GEGENBAUR erhebt schon im »Carpus und Tarsus« gegen die Aufstellung, dass die ihm dort allein bekannten 2 Stücke hors de rang am innern Fussrande von Pelobates und Rana und s. f. Rudimente einer sechsten Zehe seien, das Bedenken, dass ja die sonst in Bezug auf Bau und Anordnung der Tarsaltheile viel niedriger organisirten Urodelen und Perennibranchiaten keine Spur einer der- artigen Bildung erkennen lassen. Er schliesst demgemäss, dass die betreffenden Theile nur »erworbene Eigenthümlichkeiten« des Tarsus der Anuren seien. Es lässt sich aber leicht zeigen, dass in Bezug auf die Radienzahl die genannten Amphibien-Familien durehaus nicht immer als massgebend betrachtet. werden dürfen; keine bekannte Urodele und Perennibranchiate besitzt an der vorderen Extremität mehr als 4 Finger, nirgends ist am Erwachsenen auch nur eine Spur eines fünften nachweisbar: alle Anuren dagegen besitzen, wie ich finde, vom fünften Finger ein Carpale und ein Metacarpale ; es muss also auch hier angenommen werden, dass die beiden sonst tiefer gestellten Am- phibienelassen in Bezug auf die Zahl der Radien an der vorderen Extremität grössere Reductionen erlitten haben, als die Anuren. Ebenso ist es aber auch durchaus nicht von vornherein von der Hand zu weisen, dass die Anuren am Fusse Reste eines Strahles conservirt haben können, der den Urodelen spurlos verloren gegangen ist. Sind solche Reste einer »sechsten Zehe« aber allgemein verbreitet, in grösserer Zahl und characteristischer Bildung und Anordnung aufzufinden, wie ich dies glaube gezeigt zu haben, so wird diese Möglichkeit zur be- rechtigten Annahme. Weiterhin ist nicht zu übersehen, dass bei den Enaliosauriern sich noch eine viel bedeutendere Radienzahl erhalten hat; bei Ichthyosaurus bis 9; und, wenn auch GEGENBAUR eben deswegen und wegen der sonstigen primitiven Verhältnisse ihrer Flosse zu der Annahme kommt: »dass Plesiosaurus früher als die lebenden Amphibien vom Vertebratenstamme sich abzweigte, und dass, wenn zwar das gleiche vom Ichthyosaurus gilt, beide Gattungen als 450 G. Born Repriisentanten sehr weit von einander, wie von allen lebenden Amphibien und Reptilien entfernt stehender Abtheilungen angesehen werden müssen«, so ist doch jedenfalls aus der Erhaltung einer grössern Radienzahl bei den Enaliosauriern der Schluss erlaubt, dass eine solehe auch bis in höhere Organisationen hinein bestehen kann. Es scheint mir auch gar nicht dem allmäligen Gange der Entwicklung in der Natur zu entsprechen, dass die Pentadactylie bei den Am- phibien schon als eine absolut feste auftreten müsse, jedenfalls dürfte der Nachweis des Gegentheils nicht allzu grosser Verwunderung begegnen. , Schwieriger ist die Rückführung des nun sechsstrahlig an- genommenen Anuren-Tarsus auf das Archipterygium-Schema GEGEN- BAuR’s, namentlich deswegen, weil die beiden langen Knochen in der ersten Reihe des Tarsus nur vermuthungsweise Deutungen — als F und T oder als Caleaneus und Astragalus — zulassen und bisher jede Anstrengung vergebens gewesen ist den Verbleib der typischen Bestandtheile des Urodelen-Tarsus (intermedium, centralia) aufzu- klären. Ehe aber nicht jede Hoffnung geschwunden ist, jene beiden Knochen durch ontogenetische Forschung gewissermassen in ihre Theilstücke aufzulösen, muss jede Deutung der weiter distalwärts gelegenen Gebilde bei der ungewöhnlichen Zahl derselben als eine vorläufige ngesehen werden. Ein Versuch nach jener Richtung erscheint mir aber trotz der Misserfolge meiner Vorgänger nicht ganz hoffnungslos, weil mir mittelst der Schnittmethode z. B. auch am embryonalen Eidechsentarsus Auflösungen gelungen sind, die bisher nur theoretisch construirt wurden. Ich hoffe in nächster Zeit zu einer solehen Arbeit Musse und Material zu finden. Bisher ist. die »Stammreihe« des Archipterygiums von GEGENBAUR offenbar durch die erste Zehe am Anuren-Tarsus — die hier rehabilitirte sechste vernachlässigt — gelegt gedacht worden. Da unser rudimentärer sechster Strahl nach innen, tibialwärts, von dieser liegt, kann man einmal an eine Dichotomie der Stammreihe denken — einen ähnlichen Fall führt GEGENBAUR für Ichthyosaurus 1. e. p. 338 Anm. 1 an aus Cuvier oss. foss. Quatr. Edit, Fig. 3. Pl. 2358 — oder denselben als einen Rest des bisarialen Archipterygiums, das jetzt GEGENBAUR nach dem Extremitätenskelet von Ceratodus als Grund- form des Extremitätenskelets aller Wirbelthiere aufgestellt hat, be- trachten. Diese Anschauung ist nicht so kühn, als es den ersten Augenblick erscheint; so gut wie sich in der langen Entwicklung von dem bisarialen Archipterygium bis zur einreihigen Flosse der Die sechste Zehe der Anuren. 451 Selachier bei diesen nachweisbare Reste der andersseitigen Radien- reihe erhalten haben, ist etwas Aehnliches, wenn auch in gerin- gerem Maasse, in der Entwicklung bis zur Amphibien-Extremität möglich. Dichotomie ist häufiger Besonderheit einer Art, als eine einer ganzen Familie gemeinsame Eigenschaft. Wollte man nicht an die Erhaltung eines so ursprünglichen Verhältnisses glauben, so bliebe nichts übrig, als die Stammreihe durch diesen am meisten tibialwärts gelegenen, freilich rudimentären Strahl zu legen, wobei dann offenbar die bisherige erste Zehe der Anuren der zweiten der Urodelen homolog u. s. f., und die bisherige fünfte eine Bil- dung, die den Urodelen u. s. w. ganz verloren gegangen wäre. Die rudimentäre Beschaffenheit dieses am meisten tibialwärts gelegenen Strahls, und die den fünf Zehen der Urodelen ganz gleiche Gestaltung der übrigen fünf steht dieser Annahme sehr entgegen. Auch müssten dann an Nerven und Muskeln mit gewisser Wahrscheinlichkeit ent- sprechende Abweichungen von denen der Anuren nachweisbar sein. Im Ganzen erscheint mir der letzte Erklärungsversuch viel weniger haltbar, als der erste. Ende Mai 1975. Nachtrag. Herr Geheimrath PETERS in Berlin war so gütig. uns ein Exem- plar von Xenopus laevis Wagl zu übersenden, das mir Herr Pro- fessor HAss& freundlichst zur Besichtigung iiberliess. Diese Anure, die von den Autoren zunächst neben Pipa eingereiht wird, besitzt als besondere Eigenthümlichkeit, jederseits an den drei inneren Zehen schwarze, scharf zugespitzte, nach Art eines kleinen, gekrümm- ten Hufes (Dum. et Bier.) die Endphalangen umfassende Nägel. Dass bei ihr, wie Dumérim und BiBRon Erpétologie générale T. VIII. p- 764 behaupten, an der Fusssohle und der innern Fläche der Zehen keine Auftreibung und kein Tuberculum zu finden sei, kann ich nicht bestätigen; wenn ein solches auch für das Auge nur wenig scharf hervortritt, weil die Haut, wie z. B. auch bei Bombinator, ziemlich eben darüber hinwegzieht, so ist es doch leicht durehzufühlen 452 G. Born, Die sechste Zehe der Anuren. und zwar als ein knorpelharter Vorsprung an der bekannten Stelle der sechsten Zehe. Dieser Vorsprung ist aber noch ganz besonders dadurch ausgezeichnet, dass er einen eben so schön entwickelten Nagel triigt, wie die drei ersten, innern Zehen. — Ein gleiches gilt nach der sehr deutlichen Beschreibung von Dum. und Brpr. (1. e. p. 759), die ich hier folgen lasse, fiir eine Bufonide, fiir Rhinophry- nus dorsalis, nur dass ausser den Gebilden der sechsten Zehe, den ossa cuneiformia Dusks, allein die erste einen Nagel trägt: »Le premier os cunéiforme, qui foit saillie au dehors, est semblable a celui des Pelobates, quant a sa forme, qui est celle d’une lame épaisse et A tranchant mousse et un peu cintré; il est situé oblique- ment a la suite du premier orteil, et il est enveloppé comme lui d'une couche cartilagineuse striée en travers«. Pag. 758 sagen die ge- nannten Autoren noch deutlicher: »linterne (orteil) est revétu dun étui cartilagineux, un peu comprimé, marqué de stries transversales, un étui semblable a celui-la, mais plus grand, protége la saillie, que fait au dehors le premier os cunéiformec. Die Handbücher nennen diesen »Sporn« kurzweg »hornig« oder »Nagek. Mag nun die Nagelbildung bei diesen beiden Anuren als etwas erst von ihnen Erworbenes, oder etwa als der Rest einer bei den Vorfahren der lebenden schwanzlosen Batrachier weiter verbreiteten Eigenthümlich- keit angesehen werden, so erscheint mir doch der Umstand, dass, wo überhaupt an den Zehenenden der Anuren nagelartige Scheiden auftreten, die Gebilde der sechsten Zehe regelmässig an dieser Eigenthümlichkeit theilnehmen, ein deutlicher Fingerzeig mehr zu sein, dass dieselben eben auch als gleichwerthig mit den übrigen Zehen aufzufassen seien. Erklirung der Abbildungen. Taf. XIV. In allen Figuren bezeichnen die lateinischen Zahlen die Metatarsalien von der tibialen Seite aus gezählt, die deutschen ebenso die Tarsalien, die Buch- staben a, a, «,, a3 die Gebilde der sechsten Zehe von der proximalen nach der distalen Seite hin gezählt, F das Fibulare und 7’ das Tibiale. Der Knorpel ist immer blau gehalten, Bandmassen grau, Knochen gelblich. Fig. I. Aus mehreren Schnitten eines Tarsus von Rana esculenta combi- nirt. Die punctirte Linie deutet die in der Hälfte der Fälle gefundene Verschmel- zung yon a, aa und az an. Fig. II. Aus drei hintereinanderfolgenden Schnitten durch einen Tarsus von Bufo variabilis combinirt. Fig. III. Ein Schnitt durch den Tarsus von Pelobates fuscus; der Knorpel des Fibulare war etwas von den Tarsalien und Metatarsalien abgerückt und ist auf der Zeichnung denselben genähert. Ueber die äussere Seitenwand der Augenhöhle bei den amerikanischen Affen, Von Dr. Gustav Joseph, Docent an der Universität Breslau. Mit Tafel XV. So bekannt die Thatsache ist, dass die den höchststehenden Säugethieren und dem Menschen eigenthümliche knöchern geschlos- sene Augenhöhle aus einer, von der Schläfengrube nicht knéchern getrennten, sich entwickelt und dass dabei die schief seitlich ge- kehrte Oeffnung derselben in eine nach vorn gerichtete allmälig über- geht, so wenig genau ist bis jetzt auf die mannigfache Art der all- mäligen Umgestaltung eingegangen worden. Aus einer Reihe mor- phologischer Untersuchungen, welche ich seit mehreren Jahren in dieser Richtung und behufs Erforschung des Einflusses anstelle, welchen geringere Entwickelung des Nasengeriists, Modification des Schädelgrundes in Folge der Rückbildung des Prognathismus, Lagerung des Sehorgans unter das Stirnbein, endlich die Kaumuskulatur auf die Gestaltungsverhältnisse der Augenhöhle haben, erlaube ich mir in Nachstehendem ein Ergebniss mitzutheilen, das sowohl in verglei- chend-anatomischer Beziehung beachtenswerth erscheint, als auch für zoologisch-diagnostische !| Zwecke verwerthet zu werden verdient. Im Gegensatze zu dem Verhalten der dem Gehör- und Riech- !) e. f. meine Abhandlung über kraniologische Diagnostik der amerikani- schen Affengattungen im Bericht über die Arbeiten der naturwissenschaftlichen Section der schlesischen Gesellschaft fiir vaterländische Cultur 1874 pag. 44 bis 47. SS er Morphol Jahrbuch Ba! Tak XW a em mn |. _ Ret messes cacy Serae Lith Anstx.J. Bach Leipzig a A ay ‘ Ueber die äussere Seitenwand der Augenhöhle bei den amerikan. Affen. 455 organ angehörenden knöchernen Grundlage kann kein einziger von den, die fertige Augenhöhle zusammensetzenden, Skelettheilen als ganz allein der Augenhöhle angehörig betrachtet werden etwa in dem Sinne, wie das knöcherne Labyrinth dem innern Ohr und die Labyrinthe des Sieb- beins dem Riechorgan. Die Art des allmäligen Hervorgehens der defi- nitiven Lage des Augapfels aus der Lage, welche dies Organ in der er- sten Entwicklungszeit zum Schädel einnimmt und die Art der Anlage- rung (resp. Unterlagerung) desselben an die Hirnkapsel sind die Gründe dafür. Nur einer der Constituenten der Augenhöhle, das Jochbein, erscheint wenigstens in einem Theile, in seiner Orbitalplatte da, wo dieselbe sich überhaupt knöchern gestaltet, zu diesem Zwecke allein bestimmt, während die Hauptmasse dieses Knochens, die Wangen- platte, andern Zwecken dienstbar sich zeigt. Abgesehen von der Erweiterung der Antlitzpartie bei höchst gestellten Säugethieren und besonders dem Menschen behufs Anheftung eines Theils der Musku- latur, welche beim Menschen dem seelischen Ausdrucke dient, ab- gesehen von dem Verhalten des Jochbogens als partielle äussere Schutzwand der Kaumuskulatur, hat die Wangenplatte des Jochbeins zwei verschiedene Knochengebiete strebepfeilerartig auseinander zu halten und zu stützen. Sie verbindet den eigentlichen Hirnschädel, das Gebiet der dorsalen Wirbelbogen, mit dem knöchernen Gerüst des Antlitzes, dem Gebiete der Visceralbogen des Kopfes. Diese Zwecke sind bei den Säugethieren die fast ausschliesslichen, denen eine knöcherne äussere Seitenwand der Augenhöhle fehlt, bei denen sich also keine knöcherne Orbitalplatte des Jochbeins entwickelt. Letztere gewinnt nun bei den Menschen und den Affen den höchsten Grad ihrer Ausbildung!) und zeigt bei dem Menschen und den Affen der alten Welt folgende characteristische Eigenschaften. 1. Die ausgeschweifte Kante, in welcher Wangenplatte und Orbitalplatte zusammenstossen, bildet die untere Hälfte des lateralen und die laterale Hälfte des untern Augenhöhlenrandes 2). 2. Die Orbitalplatte des Jochbeins ist oben nur mit dem Stirn- bein, hinten nur mit den Keilbeinflügeln verbunden. Durch letztere 1) Bei verschiedenen Arten der Affen der alten Welt ist der knöcherne Verschluss der Orbita noch vollständiger als beim Menschen, da die Fissura or- bitalis inferior an Breite und Länge verkleinert oder sogar nur als Foramen er- scheint. 2) HENLE. Knochenlehre. 2. Auflage pag. 198. 456 Gustay Joseph ist sie von den Scheitelbeinen und von der Schuppe des Schläfenbeins geschieden. 3. Das Jochbein ist durch eine grössere oder geringere Partie des Oberkiefers vom Thränenbein getrennt. 4. Die Orbitalplatte des Jochbeins bildet «) mit ihrer medialen Fliche vorn einen kleinen Theil des Bodens und der Seiten- wand der Augenhöhle, 5) mit der lateralen Fläche nur die vordere Wand und nur einen sehr kleinen Theil der medialen Seitenwand der Schläfengrube. Den grössten Abschnitt der medialen Seitenwand der Schläfengrube bildet die vordere, resp. laterale Fläche der gros- sen Keilbeinflügel. 5. An der untern Augenhöhlenspalte b Ildet die Orbitalplatte des Jochbeins nur den vordern Winkel oder ist davon ganz ausge- schlossen !). Eine Modifieation in Bezug auf das unter No. 3 angegebene Ver- halten kommt nur bei Macacus cynomolgus und einigen weniger häufigen Arten von Cynocephalus dadurch zu Stande, dass das Joch- bein sich am untern Augenhöhlenrande mit dem Thränenbein verbin- det und den Oberkiefer von der Betheiligung an der Bildung dieses Randes abdrängt, ein eigenthümlicher Anklang zu dem Verhalten bei den Halbaffen, Beutelthieren u. a. Säugethieren, bei welchen das Thränenbein zum Theil ausserhalb der Augenhöhle zu liegen kommt und mit dem Jochbein eine Nathverbindung eingeht. An menschlichen Schädeln habe ich diese Verbindung nur 2 mal beobachtet und zwar gehörten dieselben dem malayischen Typus an. Ein in mehrfacher Beziehung anderes Verhalten zeigt die Joch- beingestaltung , welche ich an den Schädeln der amerikanischen Affen beobachtet habe. Würde man dasselbe beachtet haben, so könnten in den osteologischen Sammlungen mancher Universitäten auf Skeleten amerikanischer Affen nieht Schädel von asiatischen und afrikanischen Arten sitzen und umgekehrt. Diese Irrthümer sind um so weniger erklärlich, als die Schädel amerikanischer Affen schon bei oberflächlicher Betrachtung einen, von denen ihrer asiati- . schen und afrikanischen Verwandten abweichenden, Habitus zeigen, nämlich auffallend lang gestreckt sind. Die bisherige Characteristik beider Schädeltypen stützte sich entweder auf das Verhalten von Weichtheilen, Breite der weichen Nasenscheidewand, Stand und Form der Nasenlöcher, welche durch die Maceration entweder sehr verän- 1) HENLE. I. c. pag. 200. Ueber die äussere Seitenwand der Augenhöhle bei den amerikan. Affen. 457 dert oder ganz vernichtet werden. oder auf die Thatsache, dass die amerikanischen Affen im erwachsenen Zustande drei Vorbackzähne, Praemolares, haben, welche entweder wegen jugendlichen Alters der Individuen (die meisten. lebend zu uns gebrachten und in Me- nagerien und zoologischen Gärten verendeten, amerikanischen Affen gehören dem jugendlichen Alter an) in noch nicht vollständiger Zahl vorhanden, oder bei älteren Individuen durch Caries zum Theil zer- stört sind, mithin auf diagnostische Hülfsmittel, welche oft im Stiche lassen. Das Streben, dieselben durch stets vorhandene zu ersetzen liess mich deren eine Anzahl finden, von denen ich jedoch in Nach- stehendem nur eines besonders betrachten will. Obwohl an sehr vielen Skelettheilen, sowohl an Decke, als an Seitenwand des Schädels und am Schädelgrunde werthvolle diagnostische Merkmale auftreten, so will ich mich hier auf die Be- trachtung des auch am unzerlegten Schädel, also äusserlich, wahr- nehmbaren Jochbeins beschränken und nur die Verbindungsverhält- nisse desselben mit benachbarten Skelettheilen ausserdem vorher berühren. Ich will nicht näher auf die Thatsache eingehen, dass der äussere Gehörgang, auch bei erwachsenen Individuen nicht ver- knöchert, dass die Felsenbeinpyramide besonders an der, der Schä- delhöhle zugewendeten, Fläche eigenthümlich gestaltet ist und eine eigenthümliche Lage zum Keilbein und Basilartheil des Hinterhaupt- beins einnimmt, dass die Orbitalplatten des Stirnbeins mit ihren medialen Rändern, nachdem sie die Siebbeinplatte umfasst, auf dem Schiidelboden sich einander bis zur Berührung nähern und letztere über dem vordern Keilbein wirklich statthat. Zu den mit dem Jochbein in Verbindung stehenden Skelettheilen gehören : 1. Die Scheitelbeine (Taf. XV. 2). Dieselben erreichen bei den Schädeln der amerikanischen Affen eine auffallend bedeutende Flächenausdehnung. Sie bilden häufig drei Viertheile des Schädel- daches und sieben Achtel der Schädelseitenwand, ihr Längsdurch- messer weicht nicht erheblich von dem grössten Längsdurchmesser der Schädelkapsel ab. Im Gegensatze zur Gestaltung der Scheitel- beine an den Schädeln aller bisher bekannten Menschenracen und Affen der alten Welt geht ihr vorderer Zipfel über den oberen Rand der verkümmerten grossen Keilbeinflügel (Taf. XV. 12) hinweg wei- ter nach vorn. Sie verbinden sich entweder mit der Orbitalplatte (Taf. XV. 8) des Jochbeins oder sind von derselben (bei Ateles, durch einen schmalen Zwischenknochen (Taf. XV. Fig. VI. 9, oder 458 Gustav Joseph bei Verschmelzung des letzteren mit dem Stirnbein (bei Ateles und Mycetes) durch Abwärtsragen eines zungenartigen meist schmalen Zapfens (Taf. XV. Fig. VIL. 10) des Stirnbeins und bei Verschmel- zung desselben mit. den grossen Keilbeinfliigeln (zuweilen bei Nyeti- pithecus) durch Aufwirtsragen') eines schmalen Fortsatzes von denselben getrennt. Ebenso erstrecken sie sich bei der auffallenden Höhenreduction der Schläfenschuppe bedeutend nach abwärts und bei der sehr erheblichen Verkleinerung der Hinterhauptsschuppe in grosser Ausdehnung nach hinten, das Gerüst des grössten Theils des Hinterkopfes bildend. 2. Das Stirnbein (Taf. XV. I) ist besonders in seiner Scheitelplatte in die Länge gezogen. Dieselbe ragt mit ihrer Spitze (Taf. XV. 1a) weit in die Pfeilnath hinein. Die Scheitelbeine erscheinen durch diesen Zipfel des Stirnbeins, der bei Ateles gewöhnlich als Nathknochen (Taf. XV. Fig. VId) abgegrenzt sich zeigt, wie durch einen Keil aus einander gedrängt. Die Kranznath erscheint Vförmig. Am wenigsten auffallend ist diese Erscheinung bei den Arctopithecinen (Hapale) und Callithrix, am auffallendsten bei Pithecia, Lagothrix und Cebus; in der Mitte stehen in dieser Beziehung die Gattungen Brachyurus, Chrysothrix, Ateles und Mycetes. 3. Die Schuppe des Schlätenbeins erscheint noch erheblich niedriger als bei den Affen der alten Welt und auffallend in die Länge gestreckt. Das Zustandekommen ihrer Verbindung mit der Orbitalplatte des Jochbeins, welches bei den Affen der alten Welt häufig, beim Menschen selten sich findet, habe ich bei den ameri- kanischen Affen bisher nicht beobachtet. 4. Die grossen Keilbeinflügel sind an Umfang erheblich ver- kleinert. Die Verkümmerung betrifft sowohl die Orbitalfläche als die Temporalfläche. Beide haben an Höhe eingebüsst, letztere auch an Breite. Der Grad der Verkleinerung ist nach Gattung und Art ver- schieden; am geringsten ist die Verkleinerung bei Mycetes. 5. Am wenigsten erscheint der Oberkiefer in seiner Gestalt verändert. Die Verschiedenheiten in der Zeit der Verschmelzung mit dem Zwischenkiefer richten sich nach Gattung und Art. Die Gattung Cebus ist durch frühe Verschmelzung jener Skelettheile ausgezeichnet. Noch mehr als diese morphologischen Verschiedenheiten gibt die 1) Dadurch wird der Zustand angedeutet, welcher bei den Affen der alten Welt und beim Menschen weiter ausgebildet erscheint. Ueber die äussere Seitenwand der Augenhöhle bei den amerikan. Affen. 459 Gestaltveränderung der Orbitalplatte des Jochbeins!) das Mittel an die Hand auch bei Schädeln von jugendlichen Individuen amerikani- scher Affen die Diagnose sofort zu stellen und selbst an Rudi- menten zu stellen, welche aus nichts Anderem, als aus der lateralen Orbitalwand bestehen. Der laterale oder obere Theil der Orbitalplatte des Jochbeins hat nämlich bei den amerikanischen Affen bedeutend an Ausdehnung nach hinten zugenommen. Während beim Menschen und den Affen der alten Welt die laterale Seitenwand der Augenhöhle grösstentheils von der Orbitalfläche der grossen Keilbeinflügel gebildet wird, über- nimmt bei den amerikanischen Affen die Orbitalplatte des Jochbeins einen erheblich grösseren Antheil. Dieselbe erstreckt sich bei den Arctopithecinen und Platyrrhinen — Mycetes aus- genommen, viel weiter nach hinten und verbindet sich, abweichend von dem Verhalten beim Menschen und den Affen der alten Welt, mit dem untern Theile des Vorderrandes der Scheitelbeine (Taf. XV. 8). Die grossen Keilbeinflügel erscheinen hierbei an Höhe beträchtlich reducirt?) und der nach hinten umbiegende oberste Theil derselben fehlt ganz. Bei den Affen der alten Welt, ferner bei Negern und — wie ich mehrfach beobachtet habe — bei Slaven kommt eine durch ein anderes Moment bewirkte Umfangsverminderung der grossen Keilbein- flügel vor. Hier ist es die Schuppe des Schläfenbeins, welche bei starker Verbreiterung und Ausdehnung nach vorn die grossen Keil- beinflügel verdrängt und mit dem Stirnbein eine Nathverbindung eingeht. Diese Erscheinung, welche übrigens weder bei den Affen der alten Welt, noch bei den genannten Menschenracen constant ist, findet sich nieht bei den amerikanischen Affen. Im Gegensatze zu der Unbeständigkeit der eben erwähnten morphologischen Eigenthümlichkeit, welche als diagnostisches Hülfs- mittel kaum verwerthbar ist, erscheint die Nathverbindung zwischen der Orbitalplatte des Jochbeins und dem Scheitelbein — bis auf die in Vorstehendem angegebenen Modificationen bei Ateles, Mycetes und Nyetipitheeus — in allen übrigen Gattungen der amerikanischen Affen eonstant. Meist ist sie im Verhältniss zur Höhe der Schädel- 1) e. f. Tageblatt der 47sten Versamml. deutscher Naturforscher und Aerzte, Sitzung der Section für Anatomie vom 19. Sept. 1874. pag. 97 u. 98. 2) Bei Nyctipithecus erscheinen die grossen Keilbeinflügel gleichmässig ver- kleinert. Morpholog. Jahrbuch. 1. 31 460 Gustav Joseph seitenwand beträchtlich. Sie beträgt bei erwachsenen Exempla- ren von: Chrysothrix sciurea Wagn. . . . . . . 7,5 Millimeter. Calltthiix"ciprea spre: ee - Nyetipithecus sp. (1 mal wahrgenommen) 9,0 - Brachyurus melanocephalus Geoffr.. . . 7,0 ~ Pitheeia' satanas Geo. . 15,0 - Cepus'fatnelhisrxll or 70 = bei einem halberwachs. Ex.. . . . . . 12,0 - @Srobustus Wied. (adult)? Post's 7 Th - eh nionachts'| Guy adult. or. ROH ~ C. capucinus Erxl. (halb erwachs.). . . 11,5 - C. cirrifer Wied. (halb erwachs.) . . . 10,0 - Lagothrix' cana 'Geoffr. (adult.). ". .. . 11,75 = Wo ein Nathknochen Scheitelbein und Orbitalplatte des Jochbeins trennt, ist derselbe meist von der Länge, welche die Nathverbindung bei den genannten Gattungen erreicht, so bei Ateles Paniscus Geoffr. adult.) 11,5 Mm. Dasselbe gilt auch von der Länge des den Nath- knochen ersetzenden, schmalen, abwärts ragenden Zapfen des Stirn- beines, der z. B. bei Mycetes discolor Spix 11,0 Mm. beträgt. Die Nathverbindung der Orbitalplatte des Jochbeins steht aber nicht in geradem Verhältnisse zur Umfangsverminderung der grossen Keilbeinflügel. Letztere ist bei den Gattungen Brachyurus und Pithecia am beträchtliehsten, obgleich jene Nathverbindung nur bei Pithecia sehr ausgedehnt ist. Neben der verhältnissmässig sehr grossen Ausdehnung dieses Theils der Orbitalplatte des Jochbeins nach hinten und unten ist bei manchen Arten, Chrysothrix, Calli- thrix, Lagothrix, Pitheeia und Brachyurus eine vermehrte Flächenausdehnung nach oben zu bemerken, so dass der Jochfortsatz des Stirnbeins viel weniger weit herab- reicht und an der Zusammensetzung des lateralen Randes der Augenhöhle nur sehr unbedeutenden Antheil nimmt, ein Verhalten, welches dem beim Menschen und den Affen der alten Welt beobachteten fremd ist. Ausserdem ist noch die stärkere Krümmung dieses Theils der Orbitalplatte des Jochbeins zu bemerken, wie sie weder beim Menschen, noch bei den Affen der alten Welt, Hylobates aus- genommen, gefunden wird. Die Concavität der Krümmung gehört natürlich der Augenhöhle, die Convexität der Schläfengrube an. Letztere erscheint abgeflacht (besonders bei Callithrix, Chrysothrix, Ueber die äussere Seitenwand der Augenhöhle bei den amerikan. Affen. 461 Ateles) und nur dadurch bei Lagothrix, Pitheeia, Brachyurus und alten Männchen von Cebus wieder vertieft, dass der laterale Rand der Augenhöhle aufgewulstet ist. An der convexen Fläche der Orbitalplatte des Jochbeins findet sich bei Brachyurus, besonders aber bei Ateles eine dem hintern Rande dieser Platte fast parallel verlaufende Knochenleiste, wozu zuweilen bei alten Männchen von Cebus eine Andeutung gefunden wird. Alle diese auffallenden, eigenthümlichen Erscheinungen betreffen nur den verticalen (lateralen) Theil der Orbitalplatte des Jochbeins, wogegen der horizontale (mediale) Theil derselben sein, beim Menschen und den Affen der alten Welt beobachtetes, Grössenverhältniss nur un- erheblich ändert. Dass die bisher geschilderten eigenthümlichen Ausdehnungs- Verbindungs- und Krümmungsverhältnisse der Orbitalplatte des Joch- beins von bemerkbarem Einflusse auf die Gestaltung der Augenhöhle sein müssen, ist klar. Während von den Wänden der Augenhöhle beim Menschen nur das Dach erheblich excavirt erscheint, die übrigen Wände ziemlich flach und nach hinten, an Umfang allmälig sich verkleinernd, nach dem Foramen opticum zu convergiren, die Augen- höhle demnach am Eingange die grössten Durchmesser zeigt, bleibt bei den Affen der neuen Welt nur die mediale Wand der Augenhöhle plan, während der Boden und die laterale Wand sich noch erheblich mehr als das Dach excaviren. Dies ist freilich schon bei den Affen der alten Welt!) angedeutet, aber bei den amerikanischen weit auffallender und besonders betrifft dies die Ausweitung der von der Orbitalplatte des Jochbeins gebildeten lateralen Wand, die bei mehreren Arten nach der Schläfengrube zu bauchig aufgetrieben erscheint). Damit steht im Einklang, dass der verticale und horizontale Quer- durchmesser der Augenhöhle nicht dicht am Eingange in dieselbe, sondern 4 bis S Millimeter dahinter am grössten sind. Dabei gestalten sich die Verhältnisse der beiden Durchmesser so, dass beim Menschen die Augenhöhle vorn breiter als hoch, bei den Affen der alten Welt entweder ebenso sich verhält, oder höher als breit und bei den Affen der neuen Welt ebenso breit als hoch ist. Eine weitere Eigenthümlichkeit zeigt die untere Augenhöhlen- spalte, deren lateraler Rand und vorderes Ende zur Hälfte von der Orbitalplatte des Jochbeins gebildet werden, während letztere beim !) Besonders bei Hylobates. ?) Im höchsten Grade bei Nyetipithecus. 462 Gustav Joseph - Menschen und den Affen der alten Welt nur in sehr geringer Aus- dehnung zur Begrenzung jener Spalte verwendet wird. Bei einem Schiidel von Callithrix cuprea Spix erscheint die untere Orbitalfissur durch Hinüberragen des untern Randes der Orbitalfläche der grossen Keilbeinfliigel in ein vorderes rundliches Loch und eine hintere läng- liche Spalte getheilt. Dies vordere Foramen wird von der Orbital- platte des Jochbeins vorn und aussen, vom Oberkiefer nach innen begrenzt. Durch die bisher angedeuteten Eigenthümlichkeiten weicht also das Jochbein von dem Verhalten ab, welches im Eingange als Norm für dessen Gestaltung beim Menschen und den Affen der alten Welt angegeben worden ist. Dazu kommt aber noch eine andere, bisher ebenfalls unbeachtete, Erscheinung an der Orbitalplatte des Jochbeins bei amerikanischen Affen. Die Augenhöhle hängt nämlich bei diesen Wesen nicht nur mittelst der Fissura orbitalis inferior mit dem untern Theile der Schläfengrube zusammen, sondern es besteht auch eine Communication zwischen beiden in der Orbitalplatte des Jochbeins in Gestalt eines schlitzförmigen (Taf. XV. 14) Loches'!) in oder in der ähe der Nathverbindung mit dem Scheitelbeine. Beide Lücken in der Augenhöhlenwandung, die Unteraugenhöhlenspalte und dies schlitz- förmige Loch sind die letzten Reste des Zustandes, wie ihn die von der Schläfengrube durch keine knöcherne Scheidewand getrennte, sondern nur durch eine Membrana obturatoria orbitae seitlich ge- schlossene Augenhöhle einer grossen Anzahl von Säugethiergattungen darbietet, bei welcher die Fissura orbitalis inferior gleichsam weit hinauf an der Schädelseitenwand reicht. Die erwähnte schlitzförmige Oeffnung habe ich bei Repräsentanten sämmtlicher amerikanischen Affengattungen gefunden, mit nur un- bedeutender Variation in Bezug ‘auf ihre Lage an dem hintern Rande der Orbitalplatte des Jochbeins und zwar in der Nähe ihrer Ver- bindung mit dem grossen Keilbeinflügel oder dicht darüber mit dem Scheitelbein oder dem erwähnten Nathknochen oder Zapfen des Stirn- beins. Sie wird bis auf eine geringe Oeffnung, durch welche Ge- fiisse und Nerven hindurchtreten, von einer Membran geschlossen, 1) Der Grösse dieses Foramen zygomatico-temporale entspricht sehr häufig auch ein vergrössertes Foramen (Taf. XV. 15) zygomatico-faciale. Die dem Jochbeine des Menschen und der altweltlichen Affen eignen Canäle fehlen hier entweder ganz oder führen zu untergeordneten Ausgangsöffnungen an der Wange und Schläfengrube. Ueber die äussere Seitenwand der Augenhöhle bei den amerikan. Affen. 463 deren Beschaffenheit beweist, dass sie als Rest der Membrana obturatoria orbitae zu betrachten ist. Damit steht im Einklange, dass die genannte Oeffnung im Knochen bei jugendlichen Individuen weiter als bei Aelteren ist. Bei mehreren, ausgestorbenen Arten angehörenden (z. B. Cebus ma- crognathus und einer nicht beschriebenen Art), aus den Knochenhöhlen Brasiliens stammenden, Schädeln in den Pariser Sammlungen ist sie auf- fallend weit, aber von der Fissura orbitalis inferior doch noch durch eine schmale Knochenbrücke getrennt. Erinnert dies schon an den Zustand der Seitenwand der Augenhöhle, wie ihn die Halbaffen zeigen, so bietet das Verhalten des in Rede stehenden Theiles bei Embryonen (von Hapale, Callithrix, Chrysothrix, Pithecia, Ateles und Cebus noch deutlichere Uebergänge dazu dar. Freilich ragte bei diesen Em- bryonen der Oberkiefer mit seiner Orbitalfläche weiter nach hinten, gestattete (im Anklange an das Verhalten bei den Affen der alten ‚Welt und dem Menschen) dem Gaumenbein einen viel geringeren Antheil an der Bildung des Bodens der Augenhöhle als bei den Halbaffen, und hatte sich ferner von den grossen Flügeln des Keil- beins ausser der, bei den Halbaffen bereits vorhandenen, Orbitalfliiche und Cerebralfliiche auch eine Temporalfläche gebildet, aber die trennende Knochenbrücke zwischen dem oben geschilderten Schlitz und der Fissura orbitalis inferior fehlte und der Schlitz erschien als unmittelbare Fortsetzung der letzteren. Die Orbitalplatte war über- haupt nur vorn und oben verknöchert. Bei jüngern Embryonen dürfte die verknöcherte Partie von noch geringerem Umfange sein und die Verknöcherung auf sehr früher Entwickelungsstufe sich auf ein Ossifications-Centrum in der Wangenplatte des Jochbeins be- schränken. Dass die, jene eben geschilderte Lücke im Knochen bei er- wachsenen Individuen ausfüllende, Membran ebenso wie die Aus- füllungsmasse in der Fissura orbitalis inferior Ueberrest der Membrana obturatoria orbitae ist, ergibt sich aus histologischen Befunden. Gleich der Membrana obturatoria orbitae bei den Halbaffen zeigt sie mehrere Schichten. Die innerste, zarteste Schicht ist die Fortsetzung der auf der Innenwand der Augenhöhle isolirt vorhandenen intra- orbitalen Auskleidung. Ihr schliesst sich eine diekere und dichtere fibrése Schicht an, in welcher Züge von Bündeln glatter Muskel- fasern, winzige Reste der Orbitalmuskelschicht der Membrana obtura- toria, eingebettet liegen. Darauf folgt eine sehr feste, ebenfalls fibröse, gefässreiche Schicht, offenbar die Fortsetzung des Periost der Schädelknochen und der Wangenplatte des Jochbeins, in der 464 Gustav Joseph ich zahlreiche Faserknorpeleinlagerungen, deren Züge sich hier und dort kreuzten, wahrnehmen konnte. Am oberfliichlichsten liegt eine dünne Schicht festen Bindegewebes, welche ich als Derivat der Masseterfascie betrachte. Ebenso verhalten sich bei Embryonen die Theile der Orbitalplatte des Jochbeins an welchen der Verknöcherungs- process noch nicht Platz gegriffen hat. Derselbe erreicht die Orbital- platte von dem freien Orbitalrande her und geht ganz so wie bei andern Belegknochen vor sich. Dies dürfte erklären, warum es mir bisher nicht gelungen ist, Einlagerungen von hyalinem Knorpel in besagtem Theile aufzufinden. So weist die kleine, spaltförmige Lücke in der Orbitalplatte des Jochbeins, deren Grösse zwar individuellen Schwankungen unterliegt, die aber constant sich findet, auf die Ent- stehung der Orbitalplatte aus der Membrana obturatoria orbitae hin, also auf Verwandtschaft mit einem Verhalten, wie es uns noch heut bei den Halbaffen entgegentritt. Letztere Wesen aber, welche im Gegensatze zu den übrigen, die Orbita der amerikanischen Affen be- treffenden, Momenten einen weit hinabragenden Processus zygomaticus des Stirnbeins (Pteropus und Wiederkäuer) und ein aus der Augen- höhle theilweise herausgelagertes Thränenbein (Wiederkäuer, Thyla- cinus eynocephalus u. a. Beutelthiere) zeigen, entfernen sich damit, sowie durch viele andere an ihrem Schädel bemerklichen, Abweichungen so sehr vom Schädeltypus der amerikanischen Affen, dass der Gedanke an nächste Verwandtschaft mit denselben ein sehr verfehlter sein dürfte. Allerdings bildet der vollständig verknöcherte Orbitalrand der Halbaffen, der als breiter Bogen die Seitenwand der Orbita be- randet, den unter allen Säugethieren relativ nächsten Uebergang zur knöchern geschlossenen Orbita der amerikanischen Affen. Möge aber dabei in Betracht gezogen werden, dass eine Verschmelzung des Processus frontalis des Jochbeins und des Processus zygomaticus des Stirnbeins zu einer Knochenbrücke bereits bei den Wiederkäuern sich findet und auch bei vielen katzenartigen Carnivoren angebahnt ist, bei den letzteren trotz des grossen Umfanges der Verschiedenheiten in den übrigen Theilen ihres Skelets die durchaus intraorbitale Lage des Thränenbeins ebenfalls Anklang zum Verhalten jener Orbitalpartie bei den Affen zeigt. Auch muss ich hierzu noch bemerken, dass das kurze, sehr straffe Ligament, welches die einander entgegenkommenden Fortsätze des Stirn- und Jochbeins verbindet, z. B. bei alten Männchen unserer Hauskatze und des Cynailurus guttatus Herman vom Senegal zuweilen verknöchert und damit der Zustand des Orbitalrandes erreicht wird, wie derselbe sich bei Wiederkäuern und Halbaffen findet, Ueber die äussere Seitenwand der Augenhöhle bei den amerikan. Affen. 465 So erlangen wir ein richtiges Verständniss auch eines im thierischen Skelet anscheinend unwichtigen Theiles, wie der Orbitalplatte des Jochbeins, nicht durch isolirtes Betrachten derselben bei den ameri- kanischen Affen allein, sondern indem wir Umschau halten bei den Wesenkreisen, welche durch Ausstattung mit gewissen Eigenthüm- lichkeiten ihre nähere oder entferntere Stammverwandtschaft mit der in Rede stehenden Säugethiergruppe bekunden. Breslau, Juni 1875. Fig T: Higgs, Il, Fig. I. Bio IV. Pig? GW. Hig.) Vi. Fig. VII. Erklärung der Abbildungen. Tafel XV. Schiidelabschnitte von männlichen Individuen: Hapale aurita Kuhl. Chrysothrix sciurea Wagn. Cebus macrocephalus Spix. Callithrix cuprea Spix. Pithecia satanas Geoffr. Ateles paniscus Geoffr. Mycetes niger juv. Kuhl. Für sämmtliche Figuren gleichmässig gebrauchte Bezeichnungen. ih > OT me Ww DD Stirnbein. a. Der zwischen die Pfeilnath hineinragende spitze Zipfel des- selben. b. Dieser Zipfel als Nathknochen. . Scheitelbein. . Schuppe des Schläfenbeins. . Jochfortsatz desselben. . Schläfenfortsatz des Jochbeins. . Wangenplatte des Jochbeins. 7. Orbitalplatte desselben. . Nath zwischen Orbitalplatte des Jochbeins und dem Schläfenbein. 9. Fig. VI. Nathknochen. . Fig. VII. Zapfen des Stirnbeins, als Ersatz des Nathknochens. . Processus coronideus mandibulae. . Grosser Keilbeinflügel. 3. Nasenbein. . Schlitzförmiges Loch (Foramen zygomatico-temporale) am hinteren Rande der Orbitalplatte des Jochbeins. . Foramen zygomatico-faciale bei Fig. IV, V, VI u. VII von auf- fallender Weite. ). Augenhöhleneingang. . Fossa lacrymalis. Morphol. Jahrbuch. Bd./. Fig./. Lith Ansty JG Bach Leipzig Beiträge zur Kenntniss der Nasenwandung, und besonders der Nasenmuscheln der Reptilien. © Von Dr. med. Bernhard Solger. (Mit Tafel XVI.) Aus dem anatomischen Institut zu Breslau. In seiner Arbeit: »Ueber die Nasenmuscheln der Vögel«') hat GEGENBAUR die Bezeichnung »Muschel« nur für Gebilde gelten las- sen, die als »eine von der Wand her entspringende, selbstständige, von einer einfachen Fortsetzung des Skeletes der Wand gestützte Einragung« erscheinen. Die Vögel besitzen nach ihm nur eine wahre Muschel. Um für die Untersuchung innerhalb der genannten Classe eine sichere Basis zu gewinnen, hatte GEGENBAUR auf die nächstverwandte tieferstehende Gruppe der Reptilien zurückgegriffen, und war dabei zu dem Resultate gelangt, dass auch den Reptilien nur eine Muschel zukomme, die bei Eidechsen, Schlangen und Crocodiliern die nöthigen Kriterien aufweise, während sie nach Unter- suchungen an Chelonia bei den Sehildkröten nicht den vollen Werth einer solchen besitze, sondern »dem Stadium der Indifferenz näher« sei. Da als Ziel der genannten Arbeit die Feststellung und Erklä- rung des bei Vögeln vorkommenden Verhaltens ins Auge gefasst wurde, ist es begreiflich, dass das aus der Classe der Reptilien untersuchte Material nur von einigen Repräsentanten der vier Haupt- abtheilungen geliefert ward; denn die Vorarbeiten, auf die GEGEN- ') Jen. Ztschr. f. Med. u. Naturw. Bd. VII. pag. 1 flgd. 465 B. Solger BAUR sich hätte stützen können, hatten sich keineswegs nach allen Richtungen hin als brauchbar erwiesen. So mag es denn gerecht- fertigt erscheinen, das bisher bekannte Material durch Untersuchung neuer Formen zu vermehren und die yon GEGENBAUR gewonnenen Ergebnisse — denn mit den Muscheln werden vorzugsweise diese Blätter sich beschäftigen — an ihnen zu prüfen. Nach Ankniipfungspuncten in der Classe der Amphibien zu suchen, habe ich unterlassen. Zwar wird bei Beschreibung des Ge- ruchsorgans derselben der Ausdruck Muschel nicht selten gebraucht ; ich nenne Autoren wie Ducis, A. Ecker!) HuxLey?). Allein die oben angegebenen Merkmale einer Muschel fehlen den mit diesem Namen belegten Gebilden, und schon aus diesem Grunde konnte ich sie hier ausser Acht lassen 3). Ossa conchae. Auch innerhalb der Classe der Reptilien finden wir den Namen »Muschel« vielfach missbräuchlich verwendet. So sind es zunächst knöcherne Gebilde, die damit bezeichnet wurden. Zwar geht schon aus GEGENBAUR’S Darstellung deutlich hervor, dass derartige Dinge den Namen nicht beanspruchen können. Aber eingehender wurde die Sache dort nicht besprochen, und so mag sie hier Berücksichti- gung finden. Ich meine die Ossa conchae der Ophidier und Saurier, über deren Auffassung die Anatomen gegenwärtig noch nicht einig I) A. Ecker, Anatom. d. Frosch. pag. 33: »Auf dem Boden der Nasen- kapsel findet sich in der Richtung von hinten nach vorn und lateralwärts jeder- seits eine hügelförmige, knorplige Erhöhung, welche man vielleicht auch als Andeutung einer Nasenmuschel betrachten kann. Von der vorderen Wand aus- gehend aber erstreckt sich in einer jeden Nasenhöhle eine ziemlich horizontal liegende theilweise verknöcherte Platte. Es sind dies die Cornets von DuGES von diesem Forscher richtig als Nasenmuscheln, von Cuvier als Rudimente von ‚Nasenbeinen bezeichnet.« Die Nasalia neuerer Autoren hat CUVIER »vordere Stirnbeine« genannt (Vorlesungen u. s. w. zweite Ausg., übers. von DUVERNOY, pag. 576). 2) Huxtey, Anatom. d. Wirbelth. Uebers. von RATZEL, pag. 150. 3) Nach den Untersuchungen von R. WIEDERSHEIM, die bisher nur in einem Vortrag und einem kurzen gedruckten Auszug dieses Vortrags vor die Oeffentlichkeit getreten sind, bietet der Schädel von Salamandra perspi- cillata Savi manche Anschlüsse’ an den der Reptilien. Ob sich verwandte Beziehungen auch in dem Geruchsorgan und speciell in der Gestaltung einer Muschel erkennen lassen werden, darüber wird die von dem Verfasser in Aus- sicht gestellte Monographie hoffentlich bald Aufschluss geben. Beiträge zur Kenntniss der Nasenwandung.’ ete. 469 zu sein scheinen, wenn auch soviel feststeht, dass die Concha infe- rior der menschlichen Anatomie ausser dem Namen auch nicht die geringste Beziehung zu den in Rede stehenden Bildungen der Schlan- gen und Saurier haben kann. Während noch in Duvrrnoy’s Uebersetzung der Vorlesungen Cuvier’s!) die Ossa conchae geradezu als »untere Nasenmuscheln« oder »untere Muscheln« bezeichnet werden, begnügt sich STANNIUS (Zootomie der Amphibien) mit der etwas zweideutigeren lateinischen Benennung. Huxrey?) geht weiter: er bezweifelt die Zulässigkeit einer Homologie mit den Riechmuscheln höherer Wirbelthiere. Das Os. conchae der Ophidier wird geschildert als »ein grosser concav- convexer Knochen, welcher von der ethmoidalen Scheidewand zum Oberkiefer sich erstreckt, die Nasendrüse (?) schützt und gewöhn- lich Riechmuschel genannt wird, obwohl er, wenn ein Hautknochen, der Riechmuschel der höheren Wirbelthiere nicht vollkommen ent- spricht«. Damit steht freilich eine ältere Darstellung in Widerspruch. RATHKE*) lässt die »Knochenkapseln, welche bei den Schlangen die sogenannten Nasendrüsen umgeben« — damit sind die Ossa conchae und, wie von LEYDIG ?) nachgewiesen worden ist, die JACOBsON’schen Organe gemeint — aus zwei »schüsselförmigen Knorpelplatten« gebil- det werden. Damit lassen sich Leypie’s Angaben über den Pri- mordialschädel der Saurier nicht wohl vereinigen. Ich kenne keine Notiz dieses Forschers, die dafür spräche, dass die Ossa conchae bei Sauriern knorpelig vorgebildet wären. Wohl aber wird von ihm eine neue Deutung der Knochenstücke, die »sonst als Conchae oder knöcherne Muscheln aufgeführt«5) werden, gegeben. LeyvıG hält sie für knöcherne Seitentheile des Siebbeins, das übrigens auch nach ihm »in der senkrechten Knorpelplatte des vorderen Schädelabschnit- tes mitbegriffen« ist. Den vorderen Abschnitt der Nasenhöhle, dem das Os conchae angehört, bezeichnet er nun selbst im Gegensatz zu anderen Autoren richtig als »Vorhöhle« oder »äussere Nasenhöhle«®). Ich weiss nicht, ob nicht durch die scharfe Trennung des Cavum'’s in eine »äussere« und in eine »innere« Nasenhöhle, wie sie der be- 1) 1. e. pag. 561 und 568. 21,1: ce. pag. 201. 3) RATHKE, Entwicklung der Natter, pag. 126. 4) LeypıG, Zur Kenntniss der Sinnesorgane der Schlangen, im Archiv f. mikroskop. Anat. Bd. VIII. °) LeypiG, Die in Deutschland lebenden Saurier, pag. 42, 6) l. e. pag. 91 figd. 170 B. Solger kannte Forscher selbst vorgenommen hat, die Sicherheit der Auffas- sung die Ossa conchae!) als »Seitentheile des Siebbeins« zu nehmen, wieder in Frage gestellt wird. Da also 1. die Möglichkeit, dass das Os conchae knorpelig vor- gebildet sei, wenn nicht ganz auszuschliessen, so doch jedenfalls sehr gering ist, da 2. von einer freien Einragung in die Nasenhöhle ebensowenig gesprochen werden kann, so bleibt der oben aufge- stellte Satz, nach dem ihm der Namen Muschel nicht zuerkannt werden durfte, bestehen. Damit wird nicht ausgeschlossen, dass es an der Seulptur der Nasenwandung sich betheiligt. Bezüglich der Eidechsen kann ich auf, Leyvie’s?) Angaben verweisen, wie es ja auch am trockenen Saurierschädel (z. B. Ameiva) als mächtiger Wulst in die Augen fällt. Bei Python tigris erstreckt sich ein schmaler knöcherner Fortsatz des Os conchae auf den Anfangstheil der Einbuchtung der Knorpelwand (Fig. 1 ©’), diese eine Strecke weit überlagernd. Was ist nun aber das Os conchae? Es lässt sich, wie ich glaube, zur Zeit nur soviel sagen: ein den Schlangen und Sauriern eigenthümlicher Knochen , höchst wahrscheinlich ohne knorpelige Grundlage, der, wie es namentlich von Srannius und neuerdings von LeyvıG hervorgehoben worden ist, die Decke der JAcoBson’schen Organe bildet. Er wird bei Reptilien vermisst, denen diese Organe fehlen.3) Ebensowenig kommt er den Säugethieren zu, obschon JACOBSON’sche Organe hier vorhanden sind. 1) In dem schon eitirten Aufsatz desselben Verfassers (Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. VIII. pag. 318) wird der fragliche Knochen als »sog. Concha oder Riechbein« bezeichnet. Für die Jacopson’schen Organe findet sich der Ausdruck »zweites« oder »Nebengeruchsorgan«, in welches der bekannte Knorpelfortsatz »muschelartig« vorspringe. 2.2. pas., 92 3) Die »Oeffnung« der Jacogsox’schen Organe bei Chamäleo ist schon von Stannıus (Zootom. d. Amphib. pag. 175) gesehen worden. Man erkennt eine stichförmige Vertiefung, die nach rückwärts in eine wenig markirte Rinne übergeht, welche in die Choanenöffnung sich verliert. Die Uebereinstimmung dieser äusserlich sichtbaren Verhältnisse mit Lnypic’s genauer Beschreibung von Lacerta und Anguis ist eine vollkommene; dagegen bin ich nicht im Stande, Bilder von den Organen selbst zu bekommen, wie sie LEYDIG von Sauriern und Schlangen gezeichnet oder beschrieben hat, und wie ich aus eigener An- schauung von Pseudopus, Python und Crotalus kenne. Das Organ von Cha- mäleo bietet entschieden nicht den Grad der Ausbildung dar, wie er bei den genannten Reptilien vor die Augen tritt. — Legt man unmittelbar vor dem vor- deren Ende des Cavum’s der Nasenhöhle einen Frontalschnitt durch den Schädel, Beitriige zur Kenntniss der Nasenwandung, ete. 471 Ophidier. Aus der Ordnung der Schlangen habe ich Python tigris, Coluber natrix, Crotalus horridus und Pelias berus untersucht. Das einfachste Verhalten einer muschelförmigen Bildung finde ich bei der Ringelnatter, der sich Crotalus anschliesst: am complicirtesten tritt sie bei Python auf, während Pelias berus den Uebergang zu Boa!) zu vermitteln scheint. Nach Wegnahme des Septum findet man bei Coluber natrix einen der lateralen Wand angehörigen Wulst, der nur wenig gegen die Horizontallinie geneigt, anfangs breiter, im weiteren Verlaufe nach hinten und abwärts sich verschmälert und gleichzeitig freier sich abhebt, um sich dann rasch zu verlieren. Die Lücke ,- die zwischen seinem hintern Ende und der hintern Nasenwand bleibt, führt in einen oberhalb des Wulstes sich ausdehnenden, auf diese Weise von der übrigen Nasenhöhle abgegrenzten Raum, der diese an Tiefe nur wenig übertrifft. Bei Crotalus (C. horridus), wo die Ausdehnung der Nasenhöhle im Durchmesser von vorn nach hinten eine relativ geringere, ist auch der ebenbeschriebene Wulst (Fig. 4 0") kürzer und ausserdem geschlängelter. Frontalschnitte durch ©’ er- gaben bezüglich der Betheiligung der knorpeligen Wand folgende Resultate: 1) im oberen , vorderen Abschnitt eine leichte Einbuchtung, so sieht man von dem hier sehr niedrigen knorpeligen Septum, das weiter gegen das vordere Kopfende in eine horizontal liegende Knorpelplatte sich verliert, zwei Fortsätze abgehen, einen oberen und einen unteren, die in dieser Gegend lateral sich nicht vereinigen. Wir beschäftigen uns hier nur mit dem letzteren. Auf folgenden, gegen das hintere Kopfende hin angefertigten Schnitten er- scheint dieser untere schief nach aussen und unten gehende Fortsatz vom Sep- tum gelöst. Das mediale Ende desselben wird vom Vomer überlagert, an das äussere schliesst sich der Oberkieferknochen, der mittlere grösste Theil der Knorpelplatte bleibt somit, wie auch aus der Betrachtung des macerirten Schä- dels ersichtlich, an seiner ventralen Fläche vom Knochen frei, und ist nur von der Schleimhaut des Rachens bedeckt, die sich gegen die er- wähnte Unterbrechung der Knorpelsubstanz blindsackartig nach oben ausbuchtet. Die Höhlung dieser Ausstülpung halte ich für homolog mit dem Cavum des JAcogson’schen Organs, und es steht die geringe Ausbil- dung desselben im Zusammenhang mit dem Fehlen des Os conchae. Denn an keiner Stelle des unteren Fortsatzes zeigt sich eine die dorsale Fliche desselben überlagernde Verknöcherung, die vom Septum gegen die laterale Wand sich erstreckend, als eine derartige Bildung aufgefasst werden könnte. 1) S. GEGENBAUR’S Beschreibung u. Abbildung 1. e. pag. 2 und Taf. I. Fig. or 472 B. Solger die einen nur wenig markirten soliden Fortsatz trug!); 2) in der Mitte von C’ eine nach aussen offene, —>-förmige Einrollung des unteren (ventralen) Abschnitts der Wandung (der untere Schenkel endete frei, der obere setzte sich natürlich eontinuirlich in die seit- liche Partie der knorpeligen Nasenkapsel fort); 3) im letzten Viertel eine nach unten offene n-förmige Einrollung, die schliesslich zu einer einfachen knopfförmigen Anschwellung wird, mit der nach unten die seitliche Wand endet, bis auch diese Verdickung ver- schwindet. In der Abbildung (Fig. 4) ist demnach das untere freie Ende der knorpeligen Wand nach rückwärts von dem hinteren Ende des Wulstes C’ zu suchen. Die winkelige Hervorragung (p) ventral und nach rückwärts von C’ bleibt vom Knorpel unbedeckt. Sie ist der Ausdruck zweier sich hervorwölbender Ränder des Os praefron- tale Thränenbein«), das bei der Klapperschlange bekanntlich im functionell wichtige Beziehung zum Oberkieferknochen tritt?). Der gleich am Eingang in die Nasenhöhle auftretende, von C’ durch eine deutliche Furche getrennte Vorsprung (a) wird in seinem ven- tralen Abschnitt vom Os conchae gestützt. — Nach der öfters er- wihnten, von GEGENBAUR gegebenen festen Umschreibung des Be- griffes »Muschel« könnte diese Bezeichnung bei Crotalus höchstens für den Anfangstheil des Wulstes ©’ in Anwendung kommen. — Die Angabe von STANNIus *), nach welcher Nebenhöhlen der Nase auch bei der Klapperschlange (ähnlich wie bei Crocodilen) vorkommen sollen, wird wohl auf einem Irrthum beruhen. Es wäre wenigstens unstatt- haft, die oberhalb C’ sich findende Vertiefung so zu bezeichnen, und andere Nebenräume kenne ich nicht. Auf die an Pelias berus gemachten Beobachtungen kann ich, weil die untersuchten Exemplare ziemlich klein und nieht gut eon- servirt waren, wenig Gewicht legen. Es schien mir, als ob das hintere Ende des muschelförmigen Wulstes (— nicht gleichbedeutend mit Muschel —), der ähnlich wie bei den vorigen Ophidiern sich verhielt, in eine kurze Spitze sich auszöge; die frei in das Lumen des durch den Wulst abgegrenzten oberen hinteren Raumes herein- ragte. Es wird, wie ich weiter unten wiederholen werde, für 1) An einem zweiten Exemplar derselben Species, einem fast reifen Em- bryo, sah ich auf einem ähnlichen Schnitt einen längeren, von einer einfachen Fortsetzung der Wand gebildeten knorpeligen Vorsprung. 2) Huxury, |. e. pag. 203. 3) STANNIUS, Lehrbuch u. s. w. pag. 196, Anm. 2. Beitriige zur Kenntniss der Nasenwandung, etc. 473 spätere Untersuchungen von Bedeutung sein, dass Leypie') bei Vipera berus (var. prester) eine Nasendrüse mit Bestimmtheit nicht nachweisen konnte. — Einen zweiten (vorderen) Vorsprung, den Scarpa2) von »Vipera« abbildet, habe ich ebenfalls gesehen. Ich glaube nicht, dass er ausschliesslich auf Rechnung des Os conchae kommt. Ihn als Muschel zu bezeichnen, wie Scarpa*) es that, ist sicherlich unstatthaft. Man müsste dann ebenso den von Crotalus abgebildeten Vorsprung (a) dafür ansehen. — Dagegen kann ich für Python tigris genauere Angaben machen. Die äussere Nasen- öffnung erweitert sich nach vorn und unten zu einer blindsackartigen Ausbuchtung, die noch vom Integument ausgekleidet wird. Sie setzt sich nach innen, einen Vorsprung (Fig. 1a) umgreifend, in einen in senkrechtem Durchmesser höheren, und in seinem ventralen Absehnitt auch transversal erweiterten Hohlraum fort. Der untere weitere Abschnitt zum Theil von einem Wulst (C’) überwölbt, commu- nieirt durch die Choane mit der Rachenhöhle. Der dorsale Abschnitt ‘wird in seinem vorderen Theil durch die knorpelige Einbuchtung (C’), welche kurz vor Beginn der Choanen mit einem stumpfen Fortsatz (c) endigt, verengt, weist aber dafür gegen den Grund der Nasenhöhle eine durch einen Vorsprung (4) nur unvollkommen halbirte Erweiterung auf. Nach Wegnahme des an dieser Stelle wesentlich vom Os praefrontale und der knorpeligen Nasenkapsel gebildeten Daches dieser Ausbuchtung stellt sich dieselbe als ein weit nach vorn sich erstreekender Nebenraum der Nasenhöhle dar, (Fig. 2 8’ 8”). Es zeigt sich, dass der bei der Ansicht von innen (Fig. 1) sichtbare, mit 4 bezeichnete Vorsprung von einer wenig nach abwärts geneigten Lamelle mit freiem, nmgekremptem Rande gebildet wird, welche allmälig an Höhe abnehmend, das blind- geschlossene Ende des Sinus nicht erreicht. Es drängt sich hier die Frage auf, ob diese Ausbuchtung an der Geruchswahrnehmung participire. Da Voer‘) den Nervus olfactorius nicht verfolgt hat, will ich meine Beobachtungen, soweit sie nach einmaligem Präpariren auf Zuverlässigkeit Anspruch machen können, hier folgen lassen. Die Hauptmasse der Fasern verbreitet sich am Septum, ein kleinerer 1) LeyDIG: Ueber die Kopfdriisen einheimischer Ophidier. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. IX. pag. 618. 2) A. Scarpa, Anatom. disquis. de aud. et olf. 3) Es ist dies die »kleinere Muschel« SCARPA’s. 4) C. Voar, Zur Neurologie von Python tigris, in MULLER’s Archiv, Jahrg. 1839, pag. 41. 474 B. Solger Theil gehört dem medialen Theil der Hinterwand der Nasenhöhle an. Eine dritte Partie der Fasern des Riechnerven verläuft längs des Daches der Nasenhöhle eine Strecke weit nach vorn, um jen- seit der Führungslinie C’ (Fig. 1) am vordern obern Theil des muschelförmigen Gebildes zu endigen. Der hintere Abschnitt des- selben, die frei in den Nebenraum ragende Lamelle, sowie die übrige Wandung dieses Raumes scheinen von der Geruchswahr- nehmung ausgeschlossen zu sein. Bisher wurde das mit OC’ bezeichnete, der lateralen Nasenwand angehörige Gebilde nicht als Muschel bezeichnet. Mit Recht ist es unterblieben , wenn wir es hier nur mit einer »blossen Einbuchtung der Wand der Nasenhöhle« (GEGENBAUR) zu thun haben. »Will man, äussert sich der genannte Autor'), die Bezeichnung »Muschel« auf eine Vorsprungsbildung der Nasenhöhle im Allgemeinen übertragen, gleichviel wie die Wand der Nasenhöhle sich dazu verhält, so können auch noch andere Theile darauf Anspruch machen und der Begriff büsst an seiner Bestimmtheit ein und geht verloren«. Die Muschel der Eidechsen und Schlangen besitzt nun nach GEGENBAUR die Merkmale, die sie als solche kennzeichnen. Python wurde von ihm nicht untersucht; es handelt sich also jetzt darum, sie hier aufzufinden. Das mit C’ bezeichnete Gebilde kann offenbar nach dem Ge- sagten keinen Anspruch darauf machen, »Muschel« in strengem Sinne zu heissen. In seinem vordersten Abschnitt, wie schon er- wähnt, vom lateralen Fortsatz des Os conchae medial überlagert, ragt es weiter nach rückwärts, nur von der Schleimhaut bedeckt, freier in das Lumen der Nasenhöhle herein. Querschnitte lehren, dass eine einfache Faltung oder Einbuchtung der lateralen Wand hier vorliegt, durch welche die Nasendrüse in grosser Ausdehnung umschlossen wird. Diese Lagerungsbeziehung war schon STAnNIus bekannt. In seinem »Lehrbuch«?) berichtet er darüber: »Die Nasen- drüse der Schlangen — liegt zwischen dem Oberkieferbeine und der Seite der Nasenhöhle, bisweilen, wie bei Python, umschlossen von einer in die Nasenhöhle vorragenden Einstülpung des Nasenknorpels«. Auf Fig. 3, auf welcher auch die Nasendrüse (d) angedeutet ist, 1) 1. e. pag. 15. 2) 1. e. pag. 196. Anmerk. 4. — Bezüglich der Nasendrüse einheimischer Ophidier verweise ich auf LeypiG (I. ¢.); sie ist von ihm bei Arten von Tro- pidonotus, Coronella, Coluber genau untersucht worden. Beiträge zur Kenntniss der Nasenwandung, ete. 475 erscheint nun aber ein anderes Gebilde (C), das als eine freie in den Hohlraum S, der mit der Nasenhöhle communicirt, hereinragende Knorpelplatte bei Entscheidung der Frage nach der Muschel wohl in Betracht kommen muss. Es ist dies die bereits beschriebene lamel- löse Fortsetzung des Vorsprungs d, die in Fig. 2 mit 4’ bezeichnet in dem dort abgebildeten Nebenraum sich vorfindet. Der in Fig. 3 dargestellte Querschnitt ist in der Führungslinie C’ (Fig. 1) angelegt. Ohne Zweifel liegt hier eine Muschelbildung im Sinne GEGEN- BAUR’s vor, d. h. eine »frei einragende Lamelle«, die von einer »einfachen Fortsetzung des Skeletes der Wand« dargestellt wird. Ich verweise zur Begründung dieser Behauptung auch auf die Schilderung und Abbildung der »Muschel« von Lacerta ocellata!). Hier findet sich eine »Erweiterung der Nasenhöhlenwand«, in welche das »gekrümmte Ende« des »frei hervorragenden Abschnittes« sich hineinlegt. Diese Erweiterung entspricht offenbar dem bei Python geschilderten Raum 2), nur dass dieser viel weiter in der Richtung nach vorn sich aus- gebuchtet hat. Damit im Zusammenhang hat auch die freie Lamelle C eine etwas veränderte Richtung und Configuration erhalten; aber sie entspricht dem in GEGENBAUR’s Fig. 3 mit ec bezeichneten Ab- schnitt. — Wenn soeben eine Muschelbildung?) im Sinne GEGEN- BAUR’s bei Python erkannt und mit dem Verhalten eines Saurier’s verglichen wurde, so möchte ich doch damit — vorläufig wenigstens — nicht ausgesprochen haben, dass diese Bildung nun auch der Muschel der Crocodile und Vögel homolog sei. Ich constatire nur das Bestehen einer Bildung, die man nach GEGENBAUR’s Definition als Muschel erklären muss. Es ist zwar im hohem Grade wahr- scheinlich, dass sie der Muschel der Crocodile und Vögel homolog zu setzen sein wird; denn auf die Verschiedenheit der Richtung (bei den letztgenannten Thieren dem Septum zugewendet, bei Lacerta, Ameiva und anderen Sauriern nach hinten und aussen, bei Python a ee. nag1:2. ?2) Weiter oben wurde dieser Nebenraum als von der Versorgung durch Olfactorius-Fasern ausgeschlossen dargestellt. Ich muss hier darauf aufmerk- ‘sam machen, dass aus Leypia’s Angaben über Saurier nicht hervorgeht, dass auch dort die gedachte Ausbuchtung von der Vertheilung der Olfactorius-Biin- del frei bleibt. 3) Das in Fig. 1 mit e bezeichnete, einen Fortsatz darstellende Ende des Wulstes C’ stellt nicht etwa das Rudiment einer zweiten Muschel dar, sondern zeigt sich auf Querschnitten als eine einfache Einragung des unteren freien Randes der seitlichen Wand der Knorpelkapsel. Morpholog. Jahrbuch. 1. 32 476 B. Solger fast gerade nach aussen) wird nicht viel Werth zu legen sein. Da- gegen scheinen mir, wie am Schluss dieser Arbeit wiederholt berührt werden wird, gewisse entwickelungsgeschichtliche Thatsachen erst aufgeklärt werden zu müssen, ehe jeder Zweifel an der Zulässigkeit der erwähnten Homologie hinfällig sein wird. Was bis jetzt über die Entwickelungsgeschichte der »Muschel« der Ophidier bekannt ist, wird sich wohl auf die kurze Notiz RATHKE’s in seinem bekannten Werk über die »Entwickelungsgeschichte der Natter« redueiren. In der zweiten Entwickelungsperiode, die RATHKE von der vollendeten Bildung der »Kiemenöffnungen bis zur Zeit der Verschliessung aller dieser Oeffnungen« rechnet, ist von einer derartigen Bildung Nichts zu bemerken. Eine Anlage findet sich erst in der folgenden (dritten) Periode (»von dem gänzlichen Verschwinden der Schlundéffnungen bis zu der Färbung der Hautbedeckung«). Es erhält nämlich »die nach aussen gekehrte Wandung eines jeden von der Riechhaut ge- bildeten Siickchens eine nach der Länge desselben verlaufende ziem- lich lange und nur wenig breite Einbuchtung, durch welche eine Nasenmuschel angedeutet wird !)«. Diese ziemlich allgemein gehaltene Schilderung RATHKkE's gibt über das Verhalten des stützenden Knorpels keinen genaueren Aufschluss. An diese Beschreibung der bei Schlangen vorkommenden Nasen- muscheln im echten und unechten Sinne will ich eine Bemerkung knüpfen, die, weil es sich um ein, wie es scheint, noch unbekanntes knorpeliges Gebilde handelt, das ebenfalls in Beziehung zur Nasen- wandung steht, hier mitgetheilt zu werden verdient. Ich habe es bei Python tigris gefunden. Bei Betrachtung des Bodens der Nasenhöhle von unten sieht man an wohl conservirten Exemplaren von Python nach hinten von den Mündungen der JacoBson’schen Organe eine anfangs unpaare, ziemlich breite Falte, die durch eine Vertiefung vom Gaumenbein getrennt, nach hinten in zwei Schenkel auseinanderweicht, welche die Choanen jederseits lateral umgreifen. Sie wird durch je eine säbelförmige — in einem mir vorliegenden Präparate 15 Mm. lange — Knorpellamelle gestützt, die nur von der Rachenschleimhaut überzogen und auf diese Weise äusserlich mit der der anderen Seite zu der erwähnten unpaaren Falte vereinigt ist. Die Knorpellamelle geht jederseits nach vorn in den Knorpel des JacoBsoX’schen Organes über. Auf Querschnitten erscheint die Sub- stanz derselben bald in continuirlichem Zusammenhang, bald durch 1) |. e. pag. 145. Beitriige zur Kenntniss der Nasenwandung, etc. 477 eine Lücke getrennt, um dann wieder vereinigt aufzutreten. Ein gleiches Gebilde scheint nicht allen Schlangen zuzukommen, und ist, wenn es vorhanden, häufig wohl reducirt. So erwähnt Leypie'), der bei Tropidonotus natrix das Jaconson’sche Organ genau unter- sucht hat, von dieser Species Nichts derartiges. (Bei einem Saurier, Hemidactylus verruculatus, habe ich in einer lateral von der Choane befindlichen Falte ebenfalls hyalinen Knorpel gesehen, der auf einer Anzahl von Querschnitten vollkommen isolirt erschien. Ueber einen etwaigen Zusammenhang mit andern knorpeligen Partien kann ich zur Zeit keine weiteren Angaben machen, sowie ich auch eine Deutung des Befundes zu geben vorläufig unterlasse.) Saurier. Den Reptilien spricht GEGENBAUR den Besitz eines »Vorhofs der Nasenhöhle« und einer »Vorhofsmuschel« ab; sie unterscheiden sich nach ihm dadurch von den Vögeln, welchen beide Einrichtungen zu- kommen, und zwar liegt bei den letzteren der Boden dieses Vorhofs »stets in einem andern Niveau als der dahinter befindliche (Raum), welcher höher gelagert ist?)«. Eine Vorhofsmuschel fehlt den Rep- tilien ohne Zweifel. Ebensowenig existirt nach den bisherigen Er- fahrungen ein vorderer Abschnitt der Nasenhöhle, der solehe La- gerungsbeziehungen zu einem dahinter gelegenen zweiten Raume hätte. Wohl aber findet sich bei Repräsentanten der Saurier ein vorderer selten geradlinig verlaufender Abschnitt, der etwas höher gelegen und von engerem Lumen ist, als der darauf folgende Raum. Ihn kann man als »Vorhof« bezeichnen, wie er denn auch von LeypiG in seinem Saurierwerk*) bei Lacerta und Anguis als eine besondere Abtheilung, wenn auch mit etwas anderer Bezeichnung unterschieden wird. Hier wird eine »äussere Nasen- oder Vorhöhle« und eine von ihr durch eine bestimmte Grenze (hinterer Rand des Os conchae) abgetrennte »innere Nasenhöhle« aufgeführt. Beide communiciren mit einander durch eine Oeffnung »von rundlicher Forme. Mangel an Drüsen — nur der Ausführungsgang der Nasendrüse mündet hier —, Verwandtschaft des Epithels mit der gleichen Schicht des Integuments, endlich Auftreten von Trigeminusfasern werden l. e. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. VIII. i acu pag. 1S. l. e. pag. 92 figd. 478 B. Solger als characteristisch für erstere angegeben, dem gegenüber die zahl- reich vorhandenen Drüsen, sowie die Verschiedenheit der Epithelial- auskleidung der »inneren Nasenhöhle«, die ausserdem !) den ausschliess- lichen Verbreitungsbezirk des Nervus olfactorius darstellt, als wichtige Sonderungsmerkmale Beachtung fordern. Die genaue Schilderung mag im Originale nachgesehen werden. Eine Vorhöhle oder einen Vorhof finde ich auch, und zwar noch schärfer umschrieben bei einem Leguan von unbestimmter Species (Fig. 5). Erstlich ist ein beträchtlicher Niveau-Unterschied zwischen den beiden Abschnitten des Cavums der Nasenhöhle zu eonstatiren. Die Vor- höhle (in dem vorliegenden Falle 12 Mm. lang) steigt nämlich von der äussern Nasenöffnung anfangend ziemlich steil in die Höhe, so dass das Ende derselben 6 Mm. über dem tiefsten Punct der äussern Nasenöffnung sich befindet. Vom Ende der Vorhöhle gelangt man senkrecht hinab in den inneren Raum (in Fig. 5 dargestellt), dessen Boden noch unter dem Niveau der äusseren Nasenöffnung liegt. Diese Differenz stellt sich also noch etwas höher, als die Steigung der Vorhöhle beträgt. Zweitens ist die letztere bedeutend enger als der innere Nasenraum, sowohl im queren, als im senkreehten Durchmesser. Die verticale Ausdehnung ist übrigens im lateralen Abschnitt be- deutender, als im medialen, da parallel mit der Medianlinie ein Längswulst. am Boden des Vorhofs hinzieht. Ganz ähnliche Ver- hältnisse finde ich auch bei Chamaeleo africanus. Auch hier begegnet man einem engeren, aufsteigenden, nach Wegnahme seines Daches S-férmig sich darstellenden Vorhof, dessen inneres Ende beträchtlich höher als der Boden der inneren Nasenhöhle gelagert ist. Letztere unterminirt gewissermassen den Boden des Vorhofs, indem sie unter demselben nach vorne sich ausdehnt, was in geringerem Grade auch bei dem Leguan der Fall ist. In Fig. 6 ist die Nasenhöhle von Chamaeleo durch einen der Medianebene nahezu parallelen Sehnitt und Wegnahme der lateralen Schnitthilfte eröffnet dargestellt. Man sieht einen Theil der Vorhöhle (v), den medialen Theil des inneren Raumes (2) und auf dessen Boden die vorn weitere, nach hinten spaltförmig sich verengende Choane (ch). Auch am knorpeligen Dach der Nasenhöhle kann man eine Andeutung einer Abgrenzung eines vorderen und hinteren Abschnittes wahrnehmen. Nach Ab- tragung des Integuments vom Dache der Nasengegend liegt eine beträchtliche Strecke der knorpeligen Kapsel frei zu Tage. Am ') Vom JAcoBsSoN’schen Organ abgesehen. Beiträge zur Kenntniss der Nasenwandung, ete. 479 macerirten Schädel erscheint diese Stelle natürlich als vollkommene Lücke, deren knöcherne Umgebung längst beschrieben ist. Diese freiliegende Knorpelplatte wird durch eine seichte, quer verlaufende Furche in zwei mässig gewölbte Bezirke getheilt, von denen der vordere die Decke der Vorhöhle darstellt!). Auch bei Hemidactylus (H. verrueulatus) bemerkt man einen ziemlich markirten Niveau-Unter- schied in dem bekannten Sinne zwischen dem vorderen und hinteren Nasenabschnitt. Beide Räume sind noch deutlicher durch die Differenz ihres Lumens geschieden: schmal und niedrig der erste, tiefer und namentlich breiter der zweite. Durch Verschiedenheit der Weite zeichnen sich beide Abschnitte auch bei Tropidurus (sp?) aus, ohne dass erhebliche Niveaudifferenzen vorhanden wären. Der innere Raum erstreckt sich hier noch eine Strecke weit lateral von der Vorhöhle nach vorn. Bei allen’ bisher beschriebenen Sauriern fanden sich, ähnlich wie es LeyviG bei Lacerta constatirte, mehr oder weniger enge Communi- cationsöffnungen zwischen einem vorderen und hinteren Abschnitt, die wir unbedenklich als unter einander homolog ansehen dürfen. Dabei ist es natürlich von untergeordneter Bedeutung, ob die Ränder dieser Oeffnung dem Lingsdurchmesser des Schädels parallel sind, wie z. B. beim Leguan (Fig. 5) oder transversale Richtung haben (z. B. bei Lacerta), oder schiefe (bei Chamaeleo). Nach rückwärts von !) Ein Nickhautknorpel, wie ihn Leypia (Saurier) zuerst von Lacerta und Anguis fragilis beschrieben hat, ist meines Wissens bis jetzt von Chamiileo nicht bekannt gewesen. STANNIUS, der das Vorkommen eines Nickhautknorpels bei Sauriern tiberhaupt noch nicht gekannt hat, spricht nur von einer »spurweise vorhandenen« Nickhaut der Chamäleonten. Es kann damit nur eine nach Weg- nahme des ringförmigen Augenlides etwa sichtbare Falte gemeint sein, deren Vorhandensein ich nicht mit Sicherheit bestätigen kann. Ich bin auf die fragliche Knorpelspange, die ich später bei mehreren Exemplaren wiederfand, erst bei Herausnahme der HArDER'schen Drüse aufmerksam geworden. An einem gut conservirten Exemplar erschien dieselbe als ein der Drüse aufliegendes horizon- tal gelagertes Stäbchen aus Hyalinknorpel von ca. 6” Länge und bräunlich- rother Färbung. — Schon RATHKE (Entw. d. Natter pag. 139) hebt die »Aehn- lichkeit« des in der Anlage »ringförmigen« Augenlides der Natter mit dem fer- tigen Lidapparate des Chamäleons hervor. Mit dem Nachweis eines Nickhaut- knorpels entfernt sich letzterer beträchtlich von dem der Schlangen, denen die Knorpelspange fehlt. Ich habe sie auch beim Leguan gesehen, bei Hemi- dactylus verruculatus dagegen vergebens gesucht. Es ist letzteres be- merkenswerth, weil es zusammenfällt mit einer an die Ophidier erinnernden Anordnung des Lidapparats. 480 B. Solger dieser Oeffnung dehnt sich der dadurch scharf umschriebene innere Nasenraum aus. Hier muss auch die Muschel') gesucht werden. Was zunichst die Muschel von Lacerta und Anguis anbetrifft, so verweise ich auf die öfter eitirten Beschreibungen von GEGENBAUR und LeypıeG. Etwas länger muss ich bei der durch erstgenannten Autor bekannt gemachten Muschel von Uromastix verweilen, weil grosse Aehnlichkeit mit der des Leguan 2) obwaltet. Der »wulstförmige, in einem nach oben offenen Halbkreise gekrümmte Vorsprung« von Uromastix findet sich ganz ähnlich auch hier (Fig. 5 ©’). Freilich umschliesst er hier nicht blos eine »Vertiefung«, wie GEGENBAUR es von ersterem angibt, sondern die schon erwähnte Communications- öffnung (0) beider Nasenräume. GEGENBAUR deutet den Vorsprung, der »in der hinteren Hälfte der Nasenhöhle« liegt, als Muschel. Die vordere Hälfte erscheint bei Uromastix »mehr als ein engerer Canalc. Trotzdem auch in diesem Puncte beide Saurier übereinzukommen scheinen, trage ich doch mit Rücksicht auf die oben berührte Differenz Bedenken, das bei beiden auftretende Verhalten ohne eigene Unter- suchung von Uromastix als gleichwerthig anzusehen. Es wird sich zeigen, dass der Wulst C’ in Fig. 5 nicht als echte Muschel gel- ten kann. Legt man einen senkrechten Schnitt durch denselben unmittelbar hinter der Communicationsöffnung (0), so erscheint als Stütze dieser Einbuchtung eine nahezu rechtwinklig geknickte Knorpellamelle, deren Schenkel sich nahezu der Senkrechten, beziehungsweise der Horizontalen nähern. Am Scheitel des Winkels zeigt sich eine knopfförmige, stumpfe Anschwellung. Weiter gegen den Grund der Nasenhöhle wird die Figur des Knorpels auf dem Querschnitt die eines U; innerhalb dieser gebogenen Knorpelplatte liegt eine Driise. Die Formänderung des Querschnitts der Knorpel- lamelle ist bedingt durch das Auftreten eines Zwischenraums, der zwischen dem Wulst C’ und der seitlichen Nasenwand nach aufwärts dringt und nach unten in das hintere Ende der Choane übergeht. ') Grant’s Angaben (Lectures on comp. anatomy. Publ. in the Lancet for 1833—4. Vol Il. pag. 615) über die Muschem der »Saurier« beziehen sich wohl auf die Crocodilier, über deren von Cuvimr fälschlich aufgestellte, »obere Muschel« weiter unten gesprochen werden soll. Es heisst bei GRANT nach Ab- handlung der Schlangen, denen er »rudimentary turbinated bones« zuerkennt, folgendermassen: »The olfactory cavity is increased in the sauria, where the turbinated bones begin to be strengthered by ossific matter and to assume a more convoluted forme. 2) Vergl. Owen’s Schilderung von Iguana. Beiträge zur Kenntniss der Nasenwandung, ete. 481 Ich will noch hinzufügen, dass der kürzeste Weg, auf dem man in den spaltenförmigen Anfangstheil der Choane gelangt, von der Communicationséffnung o über den vorderen Abschnitt des Wulstes C’ hinweg, gerade nach abwärts führt. €’ kann nicht als wirkliche Muschel aufgefasst werden, weil wir, soviel ich gesehen habe, eine Einbuchtung der Knorpelwand , aber keine »einfache Fortsetzung des Skelets der Wand« (GEGENBAUR) als feste Grundlage des Gebildes vor uns haben. Ein eigenthümlicher Befund ergab sich bei Untersuchung eines Exemplars von Ameiva vulgaris. Von der lateralen Wand ragen zwei muschelähnliche Gebilde in das Lumen der Nasenhöhle herein, welche durch eine senkrecht verlaufende Furche unvollkommen von einander getrennt werden. Man bekommt eine Vorstellung dieses Verhaltens, wenn man sich etwa an der Grenze des vorderen und mittleren Drittels der Muschel von Lacerta ocellata (s. die Abbildung von GEGENBAUR) die Furche verlaufend denkt. Beide Abschnitte scheinen sich freilich als zusammengehörig durch den Umstand zu erweisen, dass unter beiden der zum Rachen führende hintere Nasengang hinwegzieht. Fertigt man aber eine Anzahl von Quer- schnitten an, so zeigt sich ein an verschiedenen Orten verschiedenes Verhalten der knorpeligen Stütze. Schnitte durch den vor der Furche gelegenen Theil lassen als festes Gerüste eine nach abwärts ge- krümmte, einfache Fortsetzung der Knorpelwand erkennen. Schneidet man hinter der Furche ein, so erhält man das Bild einer etwas eckigen Einbuchtung der knorpeligen Wandung, an deren lateralem Umfang eine Drüse lagert. Der Uebergang wird dadurch vermittelt, dass erstens die allmälig nach abwärts rückende einfache Lamelle niedriger wird, und zweitens die sie tragende Partie der Wand eine mehr und mehr tiefer werdende Einstülpung erleidet. Die Lamelle selbst stellt schliesslich nur einen nach unten gerichteten Fortsatz der Einbuchtung dar, um endlich ganz zu verschwinden. Das hintere freie Ende des oben als muschelähnlich bezeichneten Gebildes verhält sich wie bei Pseudopus (P. serpentinus). Hier wie dort legt sich dieses freie Ende einer muschelähnlichen Ein- buchtung, eine einfache wandständige Einragung darstellend, in eine seitliche Vertiefung der Nasenhöhle; diese Partie kann un- bedenklich als Muschel gelten‘). 1) In welches Verhältniss der vor der Furche gelegene Abschnitt des muschelförmigen Gebildes bei Ameiva, der ebenfalls eine einfache Einragung 482 B. Solger Kine echte Nasenmuschel kommt demnach Lacerta (GEGENBAUR) Ameiva und Pseudopus zu, also Sauriern, bei denen gleichzeitig auch der Niveau-Unterschied der beiden Abschnitte der Nasenhöhle nur gering ist. Auf der anderen Seite konnte beim Leguan, wo das Ende der Vorhöhle hoch über dem Boden des inneren Nasenraumes lag, eine eigentliche Muschel nicht erkannt werden; ebenso vermisse ich sie bei Chamaeleo, wo ähnliche Verhältnisse bezüglich der Lagerungsweise beider Abschnitte zu einander vorhanden sind. Ich begnüge mich, bis ich weiteres Material untersucht haben werde, mit dieser Gegenüberstellung. Zum Schluss dieses Capitels über die Saurier noch einige Worte über den Thränencanal und dessen Umgebung. Von Lacerta heisst es bei Leypiac'): »Eine Borste in das Lumen der Thränen- canäle eingeführt, gelangt in die Nasenhöhlee. Den Ort, wo die Nasenmündung derselben zu suchen sei, finde ich nicht genauer angegeben. Bei Pseudopus mündet, wie man durch Sondiren ermitteln kann, der Thränennasengang unter der Muschel etwas vor der Mitte derselben; bei Chamaeleo und Tropidurus nach kurzem Verlauf am lateralen Umfang des inneren Nasenraumes. An der Bildung der Wand des Thränencanals betheiligt sich bekannt- lich auch der Knorpel der Nasenkapsel. Weniger beachtet dürfte es sein, dass ein knorpeliger Fortsatz derselben am Boden der Orbita, bald frei zu Tage liegend, bald von Knochen mehr oder weniger vollständig umschlossen, noch über den Anfang des Canals sich hinauserstreckt. Ich habe ihn bei Lacerta ocellata, L. viridis, bei Chamaeleo und Tropidurus gesehen. Das Gemeinsame dieser Bildung lässt sich folgendermassen wiedergeben: Es handelt sich um einen soliden Knorpelfortsatz, der am hinteren freien Ende nur aus wenigen Knorpelzellen bestehend nach vorne zu breiter wird und sich mit seinem grössten Durchmesser allmälig mehr senkrecht stellt, bis seine Verschmelzung mit der lateralen Nasenwand ihn als einen nach unten und nur wenig nach aussen gerichteten Fortsatz des hinteren unteren Abschnitts derselben erscheinen lässt, der die mediale Wand des Thränennasengangs darstellt. darstellt, zur eben aufgestellten eigentlichen Muschel gesetzt werden muss, wage ich noch nicht zu entscheiden. Vergl. oben Crotalus. 1) 1. e. pag. 83. Beiträge zur Kenntniss der Nasenwandung, ete. 483 Crocodilier. Zur Untersuchung diente ein sehr junges Exemplar von Cro- codilus niloticus. Zunächst möchte ich hier der von den Ana- tomen lingst gewiirdigten Thatsache kurz gedenken, dass Individuen verschiedenen Alters bedeutende Grössendifferenzen des vorderen Schidelabschnitts und dem entsprechend auch der Nasenhöhle erkennen lassen. Carus!), der den Schädel des Crocodils als Paradigma der Schädelform der »Eidechsen« genauer schildert, bemerkt: »die Antlitzknochen sind in grössere Individuen sehr lang nach vorn aus- gezogen (in jungen Exemplaren weit weniger)«e. RarukE?) fand bei einem Embryo von Alligator lueius, der bis zu einer Länge des Kopfes von 7’ schon ein weit vorgeschrittenes Kopfskelet besass, die Na- senbeine »verhältnissmässig viel kürzer, als etwa bei den Erwachse- nen. Auch die Oberkiefer- und Zwischenkieferknochen hatten wegen der nur kurzen Schnauze eine relativ viel geringere Länge als in einem mit vorgerücktem Lebensalter«. Ich habe den trockenen Schädel eines erwachsenen Nilcrocodils mit dem oben erwähnten und einem zweiten etwas älteren Individuum derselben Species verglichen und dabei je zwei Entfernungen berücksichtigt: einmal die Grösse der Entfernung von der Spitze des Zwischenkiefers zur Spitze des Condyl. oceipit., und dann von dem erstgenannten Punet zum hintern, freien.Rand des Thriinenbeins. Am erstgenannten Schädel fand ieh als Ausdruck der betreffenden Distanzen die Zahlen 38 für die erste und 25 (Centimeter) für die zweite; am jüngsten Thier dagegen 5,5 Cm. und 2,7 Cm.; an dem etwas älteren 9,2 Cm. und 5,0 Cm. Setzt man die Gleichung 5,5:2,7 = 38:x, so ergibt sich als Resultat die Ziffer 18,7; die zweite Gleichung (9,2 : 5,0 = 38 : x) lässt als Werth für x 20,7 herauskommen. Die Differenz zwischen der in Wirklichkeit gefundenen Grösse 25 und den durch die Gleichung gewonnenen Werthen veranschaulicht die grössere Wachsthumsenergie des vorderen Schädelabschnitts im Vergleich zur Grössenzunahme des gesammten Craniums. Die von GEGENBAUR gegebene Schilderung der Nasenhöhle von Alligator lueius trifft in allen wesentlichen Puncten auch für das von mir untersuchte jüngste Exemplar von Crocodilus vulgaris 1) Carus, Zootomie 1818. pag. 132. 2) RATHKE, Ueber die Entwicklung und d. Körperbau d. Crocodile. 1566, pag. 35. 484 B. Solger zu. Von untergeordneten Abweichungen, die ebensogut auf Rech- nung des verschiedenen Alters als der verschiedenen Gattung gesetzt werden können, seien nur einige erwähnt. Die in Fig. 6, Taf. I. von GEGENBAUR mit e bezeichnete Embuchtung war hier nicht durch eine quer verlaufende Leiste, welche die Verbindung der Muschel C mit dem Vorsprung ¢ vermittelt, nach unten abgegrenzt und erschien deshalb weniger vertieft. Ferner war bei Crocodilus die Abgangs- stelle der knorpeligen Stützlamelle der Muschel die später gabelig sich spaltet, durch eine Einbuchtung der knorpeligen Na- senwand äusserlich markirt. Darüber gelagerte Deckknochen vervollständigten diese Vertiefung zu einem Canale, in welchem Blutgefässe und Nerven eingebettet lagen. GEGENBAUR hat, wie aus Fig. 6 hervorgeht, diese Einbuchtung ebenfalls gesehen, ohne sie im Texte weiter zu berücksichtigen. Auch bezüglich der Deutung des mit CU bezeichneten Gebildes als einzige Muschel der Crocodile (— denn der Vorsprung D ist die Pseudoconcha — ) muss ich, weil sie in Uebereinstimmung mit seiner öfters eitirten Definition des Be- griffs »Muschel« steht, GEGENBAUR vollkommen zustimmen. Die Be- zeichnungen anderer, namentlich knöcherner Theile als Nasenmuscheln, wie sie bei älteren Autoren sich finden, müssen demnach als unrich- tig oder ungenau verlassen werden. So hat man die jetzt als Ossa vomeris geltenden Knochen als Muscheln gedeutet!) und dem ent- sprechend den Crocodilen die Pflugscharbeine abgesprochen?). Aus- ser diesen knöchernen Muscheln erkannte man wohl auch »muschel- förmige Bildungen des Knorpels« an, so z. B. CuvIER und STAN- NIUS*). Später hat letzterer!) eine etwas richtigere Beurtheilungs- weise an Stelle der früheren treten lassen. Er spricht »zwei blasige, hohle Einsackungen des knorpeligen Nasengerüstes« als Muscheln an, »deren Grundflächen durch eine gekrümmte Vertiefung geschieden sind«. Dem von ihm als Muschel bezeichneten Gebilde, in deren Nähe er den Thriinencanal münden’) lässt, wird von GEGENBAUR mit Recht nur der Werth einer einfachen Einbuchtung zugesprochen. ) Carus Il. e. pag. 132 und Srannius, Lehrb., pag. 156. 2) STANNIUS l. ec. pag. 164 und MEcKEL, Syst. d. vergl. Anat. II, 1. Done 3) ]. e. 196. Anmerk. 2 und 4. An dieser Stelle gedenkt Aut. auch zuerst (ler Nasendrüse der Crocodile. 4) Zootom. d. Amphib. pag. 174. 5) Vergl. auch RATHKE |. c. pag. 103. pag. Beitriige zur Kenntniss der Nasenwandung, ete. 485 Als zweite Muschel bliebe dann nur GEGENBAUR’s einzige Muschel übrig. — Hören wir nun Cuvier. In seinen »Vorlesungen«!) heisst es vom Siebbeine: »Bei den Crocodilen findet man es wieder mit seiner Siebplatte, seinen seitlichen Flügeln, seinem senkrechten Blatte, seinen Muscheln, aber grossentheils in knorpeligem Zustande«. Ein zwischen Nasale einerseits und dem Praefrontale und Frontale andrerseits, »zuweilen bei den eigentlichen Crocodilen (nicht aber bei den Gavial’s und Kaiman’s)« auftretendes selbstständiges Knochen- stück wird an einer früheren Stelle desselben Werkes?) bezeichnet als »ein sehr kleiner Streifen vom Siebbeine, oder wenigstens von einem seiner verknöcherten Stücke, das an der Decke der Nasen- höhle hängt und einem Theil der oberen Muschel entspricht«. Der erste Theil dieser Behauptung, dass es sich hier um eine Andeutitng eines Os ethmoideum handelt, kann wohl zugegeben werden: denn auch bei Vögeln tritt dasselbe »häufig auf der Schädeloberfläche zwischen Nasen- und Stirnbein«?) auf. — Owen!) äussert sich über die Nasenmuschel der Crocodilier, wie folgt: — the pituitary mem- brane is extended upon a bilobed turbinal, partly bony and partly gristly«. — Zum Schluss mögen RArHke’s’) Angaben folgen. Er unterscheidet jederseits zwei »äussere« Riechmuscheln und eine »in- nere«. Die ersteren zerfallen wieder in eine vordere und eine hin- tere, die beide »Höhlen« umschliessen. Die vordere »Muschel« RATHKE’s entspricht der von GEGENBAUR mit c (Fig. 6) bezeichneten Einbiegung der knorpeligen Wand, ihre »Höhle« der »Bucht« e. Die »hintere äussere Muschel« RArHke’s ist identisch mit GEGENBAUR’S Pseudoconcha D und deren Höhle mit dem in Fig. 7 abgebildeten Sinus der Pseudoconcha. Der Hohlraum im Inneren dieser Knorpel- kapsel wäre nach RArHke’s Vermuthung durch vorhergehende Ver- diekung der Knorpelsubstanz und folgende »Resorption im Innern« zu Stande gekommen. GEGENBAUR’S einzige Muschel wird von dem früheren Autor als »innere« Muschel aufgeführt. »Hinsichtlich ihrer Form und !) CuviErR, Vorles. Uebers. von DuverNoy. 1839 I. pag. 642. Der aufge- führte Passus manifestirt sich übrigens durch die einschliessenden Klammern als von LAURILLARD’s Hand herrührend. 2) ].‘e. pag. 555. 3) Huxtey, Handbuch d. Anat. d. Wirbelthiere. pag. 242. Vergl. auch Jou. MüLLEr’s Angaben über das »Frontale medium impar« von Coecilia albi- ventris in TIEDEMANN’s und TREVIRANUS Ztschr. f. Physiol. Bd. 4. pag. 215. 4) R. Owen, Anat. of vertebr. I. pag. 331. 5) RATHKE, |. c. pag. 94 figd. Er hat Alligator und Crocodilus un- tersucht. 456 B. Solger ihrer Lagerungsverhältnisse haben die beschriebenen beiden paarigen Tafeln im Verein mit der Riechhaut mit der sie bekleidet sind (2), eine grosse Aehnlichkeit mit den Riechmuscheln der Vögel und Säugethiere im Allgemeinen« (RATHKE, |. e. pag. 97 und 98; vergl. auch die Noti- zen über die Entwicklung dieser »inneren« Riechmuschel, |. e. pag. 99 und 100). Ueber die von demselben Autor’ geschilderte Neben- höhle der Nase (Sinus maxillaris) s. u. Nach der von GEGENBAUR ausgeführten Feststellung der einzigen echten Muschel der Crocodilier musste er, dem eigentlichen Ziele seiner Untersuchung nachgehend, an die Erledigung der Frage nach einem etwaigen Zusammenhang des Sinus der Pseudoconcha mit dem Orbitalsinus der Vögel herantreten. Die Aufstellung einer Homolo- gie® zwischen beiden Gebilden ist unzulässig, lautet seine Antwort, die sich auf zwei begründende Momente stützt. »Erstlich ist der Sinus in der Pseudoconcha der Crocodile überall von Knorpel um- wandet, er liegt in der Knorpelwand der Nasenhöhle selbst, ist so- mit keine blosse Einbuchtung von aussen her, wie der Riechhügel der Vögel es ist. Zweitens communieirt der Sinus der Pseudoconcha direet mit der Nasenhöhle und nicht, wie der Binnenraum des Riech- hügels der Vögel, mit einem ausserhalb der Nasenhöhle gelegenen Sinus«'). Es wird sich zeigen, dass der von GEGENBAUR aufgestellte Satz seine Gültigkeit behalten wird, so lange die Entwicklungs- geschiehte nicht gewisse Thatsachen beigebracht haben wird. Zunächst muss wohl die Frage erörtertet werden: In welcher Lage- rungsbeziehung zur Orbita befindet sich die hintere Wand des Sinus der Pseudoconcha? — Schon RArHukE? hat darauf bezügliche Angaben gemacht. Der Hohlraum, der am macerirten Crocodilier-Schiidel nach vorn von der Orbita sich ausdehnt und anscheinend mit zu ihr ge- hört, ist bekanntlich am lebenden Thier von Organtheilen ausgefüllt, die mit dem Bulbus und dessen Adnexa nichts zu thun haben. Im lateralen Abschnitt dieses Hohlraums lagern der Hauptmasse nach Theile der Kau-Musculatur, während medial davon der von knorpe- liger Wandung umgebene Sinus der Pseudoconcha sich anschliesst. So kommt es, dass dessen hintere Wand — und zwar lateral von dem absteigenden Fortsatz des Os praefrontale zum Abschluss der Orbita nach vorne zu beiträgt. Nebenhöhlen der Nase von Crocodiliern sind schon lange be- 1A eo pag. J 1m 2) ]. e. pag. 96. Beitriige zur Kenntniss der Nasenwandung, ete. 487 kannt. Cuvier, Srannius'), Owrn gedenken ihrer. RATHKE?2) be- schreibt den in den Oberkieferknochen eindringenden Hohlraum ge- nauer. Vom knorpeligen Septum geht jederseits ein oberer und ein unterer Fortsatz ab, die jedoch »nicht zu einer gegenseitigen Berüh- rung« kommen, sondern einen Zwischenraum zwischen sich lassen. Er wird ausgefüllt »von einer mässig dicken fibrösen Haut, die in das Perichondrium der beiden beschriebenen Knorpel- blätter je einer Seitenhälfte tibergeht« Nach Rarnke ist nun zwischen den beiden äusseren Muscheln »die Riechhaut durch die fibröshäutige Verbindung der Knorpelpartien der Nasenhöhle nach aussen vorgedrungen und bildet zusammen mit einem hautartigen Ueberzuge von Bindegewebe einen beutelförmigen Anhang des Ge- ruchsorgans«. In diesen an Exemplaren verschiedener Species in der Grösse von ca. I—3’ gemachten Untersuchungen betont RATHKE ausdrücklich, der Eingang dieser Nebenhöhle sei immer nur eng gewesen. Nach der am jüngsten Exemplar von Crocodilus ange- stellten Zergliederung kann ich folgende Angaben machen. Abgesehen von dem Sinus der Pseudoconcha fanden sich zwei vollkommen von einander getrennte Hohlräume vor, in die man von der Nasenhöhle her durch ziemlich weite Lücken gelangte. Die Zugangs- öffnung für den ersten (hinteren) dieser Räume lag ventral von dem Eingange zur Pseudoconcha, von diesem durch einen Vorsprung der knorpeligen Wand getrennt; sie führt in einen Hohlraum (Fig. 7m), der von wenig ausgebuchteter knöcherner Wandung eingeschlossen in der Richtung nach vorn gegen die Schnauzenspitze sich ausdehnte. Den zweiten weiter gegen den Anfangstheil der Nasenhöhle gelege- nen Hohlraum finde ich mit einer ebenfalls geräumigen Oeffnung in Verbindung mit dem Cavum derselben ; der Zugang liegt noch vorne von der Mündung des Thränencanals. Er stellt einen Blindsack dar, dessen Ausdehnung wesentlich nach rückwärts, also dem vori- gen entgegen, gerichtet ist. Ein schwaches knöchernes Septum trennt beide von einander. Wie verhält sich nun der Sinus der Pseudoconcha zu den eben beschriebenen Hohlräumen? Funetionell müssen sie offenbar auf gleiche Stufe gestellt werden; denn Geruchsempfindung findet in keinem derselben statt, und der Umstand, dass in dem einen Fall Knorpel, im andern Knochen .das Material für die Umgrenzung abgibt, 1) Lehrbuch pag. 196. Ve, Pag. 98: 488 B. Solger ist hierfiir ganz gleichgiiltig. Anders, wenn man vom morphologischen Gesichtspunct die Sache betrachtet. Handelt es sich, wie hier, darum, mehrere ähnliche Hohlräume mit einander zu vergleichen und unter ihnen denjenigen Zustand herauszufinden, der als der ursprüngliehere gelten muss, von dem die übrigen sich ableiten lassen, so wird als solcher einzig und allein der Sinus der Pseudoconcha in Betracht kommen. Denn seine Wandungen werden ringsum von Theilen der primordialen knorpeligen Nasenkapsel gebildet. Für die beiden übrigen nach vorne sich anschliessenden Sinus, die beim ausgebildeten Thier als Aushöhlung darüber gelagerter Knochen sich darstellen, liesse sich nun das beim Sinus der Pseudoconcha vorhandene Verhalten als das ursprüngliche denken, nicht aber umgekehrt. Mit andern Worten: Man kann sich die beiden vorderen Sinus recht wohl vorstellen als zu Stande gekommen durch eine Ausbuchtung der knorpeligen Seitenwand der Nasenkapsel, die im Laufe der Phylogenie allmälig den jetzigen Zustand (wie wir ihn vom ausgebildeten Thiere kennen gelernt haben) angenommen hat. Unmöglieh aber dürfen wir das Verhalten derselben als Ausgangspunct nehmen, von dem aus der Sinus der Pseudoconcha zu beurtheilen wäre. Nachdem somit das Verhältniss der mit der Nasenhöhle communi- eirenden Hohlräume zu einander festgestellt ist, wird es sich fragen, ob nicht etwa die Ontogenie zu irgend einer Zeit der Entwiekelung einen vorübergehenden Zustand der beiden vorderen Sinus er- halten hätte, der sie als einfache seitliche Ausbuchtungen der primor- dialen Nasenkapsel erscheinen liesse, die erst später dureh Rück- bildung des Knorpels Deckknochen zur Wandung erhielte. Es wäre, mit anderen Worten, der Nachweis zu versuchen, ob nicht die fibröse Verbindung zwischen den obern und untern knorpeligen Fortsatz des Septums, »die in das Perichondrium der beiden beschriebenen Knorpel- blätter zu einer Seitenhälfte übergeht« (RATHKE), in irgend einer Entwiekelungsperiode ebenfalls knorpelig angelegt ist. Vielleicht finden sich an Embryonen, die jünger sind als die von RATHKE untersuchten, Anhaltspuncte dafür, was sicherlich von nieht geringem Interesse wäre. Denn damit wäre auch die Möglichkeit, den Orbital- sinus der Vögel mit dem Sinus der Pseudoconcha der Crocodilier verknüpfen zu können, bedeutend näher gerückt. Nur dann freilich könnte es unbedenklich geschehen, wenn.an Vogelembryonen im ganzen Umfang der Wandung des Orbitalsinus oder wenigstens an einem grossen Theil derselben Knorpel als vorübergehende Bildung beobachtet worden wäre. Beitriige zur Kenntniss der Nasenwandung, ete. 489 Schildkröten. Die Bemerkung von Srannius'), dass die Nasenhöhle der Cro- eodilier und Chelonier unter den Reptilien durch muschelförmige Bildungen am »zusammengesetztesten sei«, darf wohl nicht für alle Glieder der letztgenannten Gruppe Geltung beanspruchen. Bei Chelonia Cauana hat GEGENBAUR die Vorsprünge, an deren Bildung der Ethmoidalknorpel sich betheiligt, genau untersucht: hier verleihen diese Gebilde in der That dem Binnenraum des Geruchsorganes ein complieirtes Aussehen. Dagegen zeichnet sich Emys europaea durch geringe Entwickelung der Seulptur an der Innenfläche der Nasenwände aus, ein Verhalten, das nicht ohne Weiteres durch die Annahme einer Rückbildung ursprünglich com- plieirterer Gestaltung sich erklären lässt. Ich hatte Gelegenheit zwei Exemplare von Emys europaea?) frisch zu untersuchen und will deshalb kurz der Farbendifferenzen gedenken, welche die auskleidende Membrana darbietet. Während der Nasen- eingang?) hellgelb gefärbt erscheint, tritt weiter nach innen zu eine schwarzgraue Pigmentirung auf, die jedoch nur den untern Theil der Nasenhöhle (die Regio respiratoria) einnimmt und ebensowenig über das Ende des Naseneingangs hinausgreift. An der Grenze des unteren und mittleren Drittels des Septums ragt jederseits frei in die Nasenhöhle ein leistenartiger von oben nach unten senkrecht sich erstreckender Vorsprung, vom Knorpel der Nasenscheidewand ge- bildet; daher man auf Horizontalschnitten durch das Septum ein deutliches Knorpelkreuz zu Gesicht bekommt. Man kann diesen Vorsprung als eine freilich unvollkommene Grenze zwischen zwei Abschnitten der Nasenhöhle betrachten: ein vorderer kleinerer Raum scheidet sich dadurch von einem grösseren weiter nach hinten gelegenen. Nach dem, was ich ermitteln konnte, muss ich diesen knorpeligen Fortsatz als die einzige derartige Bildung erklären, denn die gleich zu beschreibenden Hervorragungen der lateralen Wand müssen davon gesondert werden. Es wird nämlich dieselbe durch ein System von ') Lehrb. pag. 196, Anmerk. Sie findet sich übrigens in der Zootomie der Amphib. dess. Verf. nicht mehr. *) Das bekannte Werk von BoJanus (Anatome testud. europ.) stand mir leider nicht zu Gebote. 3) Nach Leypia (Lehrb. d. Hist. pag. 217) erstreckt sich bei Chelonia das geschichtete Plattenepithel des Naseneinganges »ziemlich weit nach innen«. 490 B. Solger Vorsprüngen (Fig. Sa a’) in eine Anzahl vertiefter Felder abgetheilt. Die Mehrzahl derselben ist linienförmig, einer (a’) ausgedehnter, rundlich. Sie kommen durch einfache Erhebungen der Schleimhaut zu Stande, oder sind wie « der Ausdruck einer Einbuchtung der knöchern Wand. Ich bin somit nicht in der Lage, bei Emys europaea eine eigentliche Muschel namhaft machen zu können, denn die ein- zige Bildung, die auf diesen Namen Anspruch machen könnte, gehört ausschliesslich dem Septum an). Chelonia cauana ist von GEGENBAUR beschrieben worden; mir stand Chelonia midas zur Verfügung. Bezüglich des Ver- haltens der Nasenhöhle ergaben sich zwischen beiden Species nur ganz geringfügige Unterschiede. GEGENBAUR stellt in Abrede, dass die Räumlichkeit der unteren Tasche (77 in seiner Abbildung) »buchtiger wäre als die der oberen«. Dasselbe trifft auch für Ch. midas zu, wenn nicht etwa die Autoren?) die Grenze für die untere Räumlich- keit weiter nach hinten verlegt haben. Es findet sich nämlich nach rückwärts von dem in GEGENBAUR's Figur mit 72 bezeichneten Re- cessus eine ovale Einsenkung des Bodens der Nasenhöhle, die durch mehrere querverlaufende Leisten in untergeordnete Gruben gegliedert wird. Die am weitesten gegen den hinteren Nasengang gelegene ist die tiefste. Es ist natürlich unzulässig, . diese Querrippen, die man als einfache Duplicaturen der Schleimhaut bezeichnen. muss, mit den bekannten ähnlichen Leisten des Riechapparats von Proteus in Verbindung zu bringen und auch hierin einen Anschluss an die Amphibien zu vermuthen, der in der That in der Anordnung anderer Organe sich ausspricht. Denn abgesehen von anatomischen Unter- schieden’) gebietet es schon die absolut verschiedene Lage der beiderseitigen Gebilde, sie von einander zu sondern. Bei’ Proteus !) Eine entwicklungsgeschichtliche Notiz RATHKE’s (Ueber die Entwicklung d. Schildkröt. 1848. pag. 241) mag den Schluss der Besprechung von Emys eu- “ ropaea bilden. R. äussert sich über den Befund bei Embryonen aus der Mitte des Fruchtlebens folgendermassen : »Die Geruchsorgane selbst bestanden in zwei kleinen Säckchen einer ziemlich dicken Schleimhaut, die sich von ihrer Umge- bung leicht abtrennen liess. Von Riechmuscheln waren noch (?) keine Anzei- chen vorhanden, sondern es waren die angegebenen Säckchen an ihrer inneren, wie an ihrer äussern Fläche ganz platt und eben«. 2) Die zweite Auflage der Legons von Cuyier stand mir leider nicht zu Gebote. 3) So spricht z. B. Leypia (Lehrb. d. Histol. d. M. u. d. Th. pag. 217) von dem »schöm gegitterten Knorpelgerüst« der Nase von Proteus, in dem die Knorpelzellen »äusserst dicht« beisammen stehen. Beiträge zur Kenntniss der Nasenwandung, etc. 491 gehören sie der eigentlichen Riechgrube selbst an, bei Chelonia liegen sie am Boden der Regio respiratoria. Die Riechgrube von Chelonia befindet sich, wie GEGENBAUR zeigt, an einer ganz andern Stelle. Ueber dem Anfang des Naseneingangs »mündet eine weite Höhle aus, deren Eingang durch eine an der lateralen Wand deutliche Falte abgegrenzt ist. Der Eingang ist enger als der Binnenraum der erwähnten Höhle. Die letztere zeigt in ihren Wänden, davon die mediale vom Septum nasi gebildet wird, die Verbreitung des Olfaetorius!)«. In Fig. 9 ist nach Wegnahme des Bodens der Nasen- höhle der Eingang zu dieser »Riechhöhle« (Z), sowie die Muschel (C', von Ch. midas dargestellt. Schliesslich sei noch einer älteren selbstständigen Schilderung der Nasenhöhle der »Schildkröten« gedacht, die aber trotz der ziem- lich genauen Beschreibung bei dem Fehlen einer Abbildung und dem Mangel einer bestimmten Bezeichnung des untersuchten Thiers von Werth Einbusse erleidet: ich meine Harwoop’s?) Angaben. Obwohl fast ein Decennium nach dem Erscheinen von Scarpa’s grossem Werke schreibend hat doch Harwoop, wie auch sein Uebersetzer bemerkt, die Arbeit des italienischen Anatomen nicht gekannt. Seiner Be- schreibung wird wohl Chelonia zu Grunde liegen; denn hierauf passen die von ihm erwähnten drei Fortsätze, die »von der Scheide- wand und auch von der knorpeligen Bekleidung« entstehen. Die »beträchtliche Höhle (sinus«), welche unterhalb eines »dicht unter der äusseren Oeffnung« querverlaufenden Fortsatzes sich fand, entspricht wohl der »unteren Tasche« Cuvier’s. Wenn ich am Ende dieser Zeilen die gewonnenen Resultate tiberblicke, so kann ich selbst diesen Blättern nur den Werth einer Vorarbeit zuerkennen. Zwei Puncte sind allerdings als fest- stehend hervorzuheben, aber gewichtige Autoritäten sind mir hier vorangegangen, und mir bleibt blos übrig ihre Thesen zu bestätigen, höchstens zu erweitern. I. Der von GEGENBAUR aufgestellte Satz, dass den Crocodiliern nur eine einzige Muschel (die innere Riechmuschel RarukEs) zukomme, ist voll- kommen aufrecht zu erhalten. Il. Der von Leyvıg bei einheimischen Sauriern als 1) ]. e. pag. 4. 2) B. Harwoop, Syst. d. vergl. Anat. u. Phys. Uebers. von WIEDEMANN. Jy 8 J 1799. pag. 37. Morpholog. Jahrbuch. 1. 33 492 B. Solger, Beitriige zur Kenntniss der Nasenwandung, etc. Vorhöhle untersehiedene Abschnitt der Nasen- höhle findet sich mehr oder minder scharf markirt auch bei einer Reihe ausländischer Saurier. Die Fragen, welche vor dem definitiven Schluss der Acten tiber die Nasenmuscheln der Reptilien und zwar wesentlich durch embryo- logische Forsehung zu erledigen sind, formulire ich in folgenden Sätzen: 1 Wie kommen die »muschelähnliehen« Einbuch- tungen zu Stande? Welche Rolle spielen dabei benachbarte Theile, namentlich die Nasendriise (NB. Vipera berus) ? .In welehem Verhältnisse steht die einfache Knorpellamelle (Muschel) zur Einbuchtung der Nasenwand? Entsteht sie durch Anhäufung von Knorpelsubstanz an einer bestimmten Stelle, also durch Auswachsen, oder dureh Aneinander- lagerung der sich zugekehrten Flächen der ein- gebuchteten Partie und nachträgliche Verschmel- zung derselben zu einer einheitlichen Platte? . Sind alle einfachen knorpeligen Einragungen der Wandung Muscheln? Herr Professor Dr. Hasse hat mir das zur Ausarbeitung nöthige Material mit grösster Liberalität zur Verfügung gestellt; ich erfülle die angenehme Pflieht, ihm hiermit öffentlich meinen aufrichtigen Dank auszusprechen. Breslau, 22. Juni 1875. Nachtrag. Die oben erwähnte Arbeit WIEDERSHEIM’S über Salamandrina perspicillata und Geotriton fuscus ist wenige Tage nach Abschluss des Manuscripts mir zu Gesicht gekommen, so dass ich sie leider nicht mehr benutzen konnte. Erklärung der Abbildungen, Tafel XVI. Die Ausfiihrung der Figuren 2, 3, 4, 7 und 9 verdanke ich der Freund- lichkeit meines Collegen Dr. STOEHR; die übrigen sind von mir gezeichnet worden. Senkrechter Medianschnitt durch das vordere Kopfende von Py- Fig. 1. thon tigris, dargestellt nach Wegnahme des Septums. C’ muschelartige Bildung. ec hinteres Ende \ Bere j I n. b Vorsprung a Vorsprung am Naseneingang. Fig. 2. Ansicht des Nebenraumes der Nasenhöhle von Python tigris. S’S’’ Nebenraum. b’ Knorpellamelle, deren umgekrempter Rand bei der Betrachtung von innen den Vorsprung d darstellt. Fig. 3. Frontaischnitt in der Führungslinie C’ (Fig. 1.) von Python tigris. n Nasale. prf Praefrontale. C' Einbuchtung. C Muschel. S Nebenraum. d Nasendrüse. + Unterbrechung der Knorpelsubstanz, die auf späteren Schnitten wieder verschwindet. Fig. 4. Senkrechter Medianschnitt durch den Vordertheil des Kopfes von Crotalus horridus, nach Wegnahme des Septum nasi dargestellt. C' muschelförmiger Wulst. a Vorsprung, p Rand des Os praefrontale. Fig. 5. Dasselbe Präparat von einem Leguan (sp?). C" muschelförmiger Wulst. o Communieationsöffnung zwischen äusserem und innerem Nasenraum. Fig. 6. Nasenhöhle von Chamaeleo africanus nach Wegnahme der lateralen Wand. v Vorhöhle. 33* 494 B. Solger, Beiträge zur Kenntniss der Nasenwandung, etc. + innerer Nasenraum. d Choane. Fig. 7. Frontalschnitt durch die Mitte der Muschel eines sehr jungen Cro- codilus niloticus. C’ Muschel. m hinterer Sinus. dn hinterer Nasengang. / Thränennasengang. Fig. 8. Senkrechter Medianschnitt durch das vordere Kopfende vom Emys europaea. aa’ Vorsprünge der lateralen Wand der Nasenhöhle. Fig. 9. Ansicht der Nasenhöhle von Chelonia midas nach Wegnahme des Bodens derselben. C Muschel (GEGENBAUR). R Riechhöhle. ri untere Tasche (CUVIER).. Lith Anst.v.J.6. Bach, Leipzig j bre EA yale i m ’ Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus mit besonderer Beriicksichtigung des Aquaeductus vestibuli der Ascalaboten im Allge- meinen, Zugleich als zweiter Beitrag zur Insel- fauna des Mittelmeeres'). Von Dr. R. Wiedersheim Prosector in Würzburg. (Mit Tafel XVII— XIX.) Am westlichen Horne des Golfes von Spezia liegen die drei In- sen Palmaria, Tino und Tinetto. Wie die Faraglioni bel Capri (vergl. Ermer: Zool. Studien auf Capri. ID) sind sie ihrer geologischen Beschaffenheit nach als losgerissene Bruchstücke des nahe liegenden Festlandes zu betrachten, was schon fiir.sich allein genügen würde, um unsere Aufmerksamkeit in hohem Grade in An- spruch zu nehmen. Dazu kommt aber noch, dass wir in diesem Theil der Riviera einen Landstrich vor uns haben, der in faunisti- scher Beziehung auf's auffallendste an Sardinien erinnert, so dass man sich beinahe bewogen fühlen könnte, auf eine früher vorhan- dene, nun längst verschwundene Verbindung gerade zwischen je- nem Theil des italienischen Festlandes einer- und der obgenannten Insel andrerseits zu schliessen. Als einen der Hauptbelege für diese ~ Vermuthung, deren endgültige Entscheidung ich übrigens den Geolo- gen von Fach überlassen muss, möchte ich in den folgenden Blättern einen Vertreter der Familie der Ascalaboten zur Sprache bringen, nämlich den Phyllodactylus europaeus. Derselbe wurde zum erstenmal von GENE, der ihn auf Sar- dinien gefunden hatte, beschrieben (Mem. della Reale Accademia di Torino 1839), und ich werde Gelegenheit haben, später noch auf ') Den ersten Beitrag (Euproctus Rusconii) enthalten die Annali del Mus. civ. in Genua. Jahrg. 1875. 496 R. Wiedersheim diesen Aufsatz zurückzukommen. Für jetzt sei nur soviel bemerkt, dass dieser zierliche Saurier lange Zeit als wesentliches und speei- fisches Glied der sardinischen Fauna in den zoologischen Hand- büchern figurirte, bis ihn der, um die Wissenschaft so hoch verdiente Marchese H. Doria im Jahre 1860 auch auf der Insel Tinetto ent- deckte. Dieser Fund erregte unter den italienischen Zoologen solche Sensation, dass die anno 1865 zu Spezia tagende Naturforscher- Versammlung beschloss, eine Expedition nach Tinetto zu schieken, un: den Fund einer genauen Prüfung zu unterwerfen. Circa zwan- zig Mitglieder machten sich auf den Weg und erbeuteten so viele Exemplare, dass das Thier von dieser Zeit an den Weg in die mei- sten Sammlungen des In- und Auslandes fand, ohne jedoch bis zum heutigen Tage eine anatomische Untersuchuug erfahren zu haben. Die soeben erzählte Geschichte des Phyllodactylus habe ich aus einer kurzen Bemerkung Pavesi’s entnommen, welche in der Fauna d’Italia von De Berra enthalten ist; da sich aber weder hier, noch bei BoNAPARTE (Fauna italica) eine Beschreibung findet, welche sich über den rein systematischen Character erhebt, so erachtete ich es um so mehr der Mühe werth, dem Thier endlich die wohlver- diente, genaue Berücksichtigung zu schenken. Um zuerst mit den speciellen Verhältnissen des Fundortes zu beginnen, so wird die ganze Insel Tinetto nur durch einen rie- sigen Felsblock repräsentirt, der sich aus dolomitischem und schwar- zem Kalk, mit untergeordnetem Schiefer, aufbaut. Das vielfach zerrissene Gestein ist an dieser und jener Stelle vom Meere un- terminirt und schliesst allerorts eine Menge von Petrefacten ein, welehe da und dort auch ganz frei zu Tage liegen. Ich schätze den Umfang des Felsen - Eilandes auf ungefähr 100 — 150 Meter, während seine Höhe so gering ist, dass es nach den Aussagen der Fischer bei heftigen Föhnstürmen förmlich in Schaum und Gischt getaucht erscheint. Eine dünne Humus-Decke füllt da und dort die Felsritzen aus und erlaubt so eine spärliche Vegetation, welche zusammt den Thie- ren, in Ermangelung von süssem Wasser, ganz auf atmosphärische Niederschläge angewiesen ist. Mitten unter diesen, für jeden thie- rischen Organismus so ungünstig als nur immer möglich gestalteten Verhältnissen, lebt noch die Lacerta muralis und theilt sich mit dem Phyllodactylus in die Insecten aller Arten, welche sich in auffallend grosser Anzahl unter den Trümmern einer längst zerfallenen Eremitage finden. Letztere stand auf dem höch- Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 497 sten Punct des Felsens und gerade an dieser Stelle finden sich auch die sichersten Existenzbedingungen fiir den in Frage stehenden Saurier. Unter ungleich günstigeren Bedingungen bevölkert er auch die ganz nahe liegende Insel Tino, wo sich eine üppige Vegetation (Steineichen und Nadelgehölz) findet und es ist nicht unmöglich, dass er eines Tages auch auf Palmaria auftaucht. Nie ist er aber auf dem ganzen Festland Italiens entdeckt worden ! Bei wolkenlosem Himmel und lebhaftem Südwestwind langte ich auf der Insel an, und begann, wie ich es vom Festlande her mit dem gemeinen Ascalabotes mauritanicus gewöhnt war, die verfallenen Mauern abzusuchen, jedoch ohne Erfolg; kein einziges Thier liess sich blicken. Da machte ich mich an das Aufheben der überall umherliegenden grossen Steine, und siehe da, mitten unter ganzen Schwärmen von Asseln, Ameisen, Coleopteren -Larven und Myriapoden fand ich das Thier platt ausgestreckt und verwundert den Kopf erhebend, ohne die geringste Anstalt zur Flucht zu machen. Es liess sich sogar ruhig in die Hand nehmen und schien an der Wärme derselben Behagen zu empfinden. Wer dächte dabei nicht sofort an Emmer’s (l. e.) Darstellung der psychischen Eigenschaften seiner Lacerta coerulea, welche hierin durchaus mit dem Phyl- lodactylus übereinstimmt? In dieser Harmlosigkeit und Unkenntniss jeglicher Gefahr er- innert er auch an junge, unerfahrene Eidechsen, wie sie LEeypie (Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier) so meisterhaft schildert. Sie stehen dadurch zum gemeinen Gecko, welcher die Gartenmauern bei Genua in reicher Menge bewohnt, in directem Gegensatz, denn dieser ist scheuer, als jede andere mir bekannte Saurier-Art. Ich erbeutete 11 Thiere und brachte sie wohlbehalten nach Genua, wo ich sie in einem Glas mit Erde, Steinen und lebenden Pflanzen längere Zeit beobachten konnte. Auch durch den Um- stand, dass die Thiere eine enorme Gefrässigkeit zeigen (ihr Fut- ter bestand grösstentheils aus Asseln und Stubenfliegen), unterschei- den sie sich vom Gecko, den ich in der Gefangenschaft nie sein Futter berühren sah. Sie schleichen auf den Raub an, wie eine Katze, und ich habe sie im letzten Sprung auf ihre Beute, diese nie verfehlen sehen. Bekommen sie ein Thier zwischen die Zähne, welches zu gross ist, um auf einmal ganz verschlungen werden zu kön- nen, so beobachten sie dasselbe Verhalten wie die Eidechsen, d. h. sie machen angestrengte Kaubewegungen und schütteln lebhaft mit dem 498 R. Wiedersheim Kopfe. Ueber den Gecko steht in den Handbiichern zu lesen, es sei ein nächtliches Thier und es ist dies auch, wie ich weiter unten zeigen werde, im ganzen richtig, nur darf dies nicht in dem Sinne aufge- fasst werden, als ziehe er sich vor dem Sonnenschein zurück. Im Gegentheil, kaum tritt die Sonne hinter den Wolken hervor, so ver- lässt der Gecko sein Versteck und lauert, wie an der Mauer ange- klebt, auf seine Beute, liebt also keineswegs, wie fälschlicherweise überall verbreitet ist, feuchte und regnerische Witterung. Es mag dieser Irrthum von der Aehnlichkeit des Thieres mit dem Tritonen- und Salamander-Geschlecht herrühren, womit er ja auch bis vor nicht gar so langer Zeit in eine Parallele gestellt wurde. Dieses Auf- suchen des Sonnenscheins characterisirt auch den Phyllodactylus und wenn ich ihn bei meinem Besuch auf Tinetto nur unter den Steinen fand, so war nichts anderes daran schuld als der starke Wind, der auch sämmtliche Geckos sofort in ihre Verstecke jagt. Mochte aber auch absolute Windstille herrschen , so kamen doch nie sämmtliche Exemplare des Phyllodactylus zum Vorschein, was erst bei Nacht geschah, wo sie sich alle auf den Steinen versammelten. Es steht dies auch im Einklang mit den gemeinen Geckonen, welche in warmen Sommernächten in den Glasgehäusen der Gas- laternen zahlreich besuchte Versammlungen abzuhalten pflegen '). Was den äusseren Habitus des Phyllodactylus an- belangt, so erinnert er sehr an den der Geckotiden im Allgemeinen, zeichnet sich aber durch grössere Schlankheit aus, was namentlich auch von den Extremitäten gilt. Der glatte, gegen die Schnauze hin sich zuspitzende, kegelförmige Kopf besitzt seine grösste Breitenausdehnung oberhalb des äusseren Gehörganges und zeigt sich durch eine tiefe Halseinschnürung deutlich vom Rumpfe abgesetzt. Letzterer ist auch bei nicht schwangeren Thieren auf beiden Seiten ziemlich stark ausgebaucht und verjüngt sich nach hinten zu ganz allmälig in die Schwanzwurzel. Von sehr auffallender Form er- scheint der kräftige, walzenförmige Schwanz, welcher von seiner Wurzel an nach hinten zu mächtig anschwillt, um sich an seinem Ende plötzlich zuzuspitzen. Diese Auftreibung findet sich bei beiden Geschlechtern, unterliegt jedoch bedeutenden individuellen Schwan- kungen und kann wohl auch ganz fehlen. So habe ich ihn bei jungen Exemplaren einfach pfriemenförmig gefunden, während in !) Der Grund davon liegt nicht sowohl in der Anziehung, welche das Licht auf sie ausübt, als vielmehr darin, dass sie hier stets eine Menge von Insecten zu finden gewöhnt sind. Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 499 seltenen Fällen die Verdiekung so plötzlich erfolgen kann, wie dies GENE (1. e.) von einem sardinischen Exemplare abbildet. Dagegen habe ich nie die plumpe, aufgedunsene Form, wie sie diese Figur zeigt, bei meinen Thieren beobachtet. auch ist der Kopf im Ver- hältnisse zum Körper offenbar in allen Dimensionen zu klein aus- gefallen, und in Folge dessen bekommt man auch vom Hals eine falsche Vorstellung. Der ganze Körper, an dem auch die Extremi- täten viel zu schwerfällig erscheinen, erhält dadurch einen vier- schrötigen Character, den er in der Natur nicht besitzt. Die Männchen zeigen zu beiden Seiten der Schwanzwurzel ein hartes schuppenartiges Gebilde (Fig. 1 **), welches auch von SCHREIBER (Herpetologia europaea) wohl beobachtet wurde; ebenso entging es GENE nicht. Die Finger, nach welchen das Thier seinen Namen erhalten hat, zeigen an ihrem freien Ende eine starke, keulenförmige Auftreibung, welche in der Mitte ihrer Cireumferenz ein hervorragendes, den Nagel bedeckendes Schiippchen besitzt (Fig. 1 N). An der Unterseite sitzen die beiden Haftballen. Was die Lippenschilder ete. betrifft, so finden sie bei SCHREIBER J. e.) die genaueste Berücksichtigung, weshalb ich hier nur an- führen will, dass der Kopf und Rumpf, sowohl an der Ober- als Unterseite, von äusserst feinen, rundlichen Schuppen bedeckt ist, welche mit blossem Auge nur bei sehr genauer Betrachtung als solche einzeln unterschieden werden können. Sie sitzen im Allgemeinen ohne regelmässige Anordnung, doch lässt sich da und dort ein ring- förmiger Grundplan nicht verkennen, was namentlich für den Schwanz gilt, wo sich die Schuppen, besonders gegen die Mitte zu, bedeutend vergrössern und zugleich eine mehr rechteckige Form annehmen. Auch auf der Oberfläche der Finger des Vorderarmes und Unter- schenkels lassen sie sich deutlicher unterscheiden und stehen auch hier in Querringen. Die Farle des Thieres unterliegt sowohl nach Alter als Geschlecht ziemlich grossen Verschiedenheiten , doch lässt sich im Allgemeinen ein graubrauner Grundton festhalten, der nur in sel- tenen Fällen einem matten Gelb Platz macht. Sehr characteristisch sind dunklere, wolkige Flecken, die bald in eigentlichen Quer- binden, bald in unregelmässiger Anordnung über den ganzen Körper, namentlich aber über den Rumpf zerstreut liegen. Häufig bilden sie zwischen beiden Augen einen breiten, nach vorne offenen Winkel, der an die sogenannte »Brille« von Salamandrina perspicillata erinnert. Die Männchen sind meistens dunkler ge- 500 R. Wiedersheim färbt, als die Weibchen, bei welch letzteren selbst eine weissgraue Grundfarbe nicht so gar selten ist, doch möchte ich hierauf kein so erosses Gewicht legen, da beide Geschlechter einem beständigen Farbenwechsel unterworfen sind. Derselbe kann so plötzlich ein- treten, dass man oft, nachdem man das Thier einen Augenblick aus dem Gesicht gelassen hat, in Zweifel geräth, ob man das früher beobachtete Exemplar immer noch vor Augen habe. Dieses an das Chamaeleon erinnernde Phänomen, lässt sich auch durch künst- liche Mittel, z. B. Tabaksrauch, hervorrufen, und steht also jedenfalls unter dem Einfluss des Nervensystems. Tritt nun dabei zufällig eine dunkle Grundfarbe auf, so rufen die in der Haut da und dort vertheilten hellen Schuppen den Eindruck hervor, als wäre das Thier wie mit Staub beworfen. (Vergl. Fig. 1.) Wer nur einmal den gewöhnlichen italienischen Gecko auf den grauen Mauern beobachtet hat, wird nicht im Zweifel sein können, dass es sich in dem Colorit um ein Schutzverhältniss handelt, welches bei Phyllodactylus durch die Fähigkeit des willkiirlichen Farbenwechsels noch wesentlich vervollkommnet erscheint. Die Stirn- und Superciliar-Gegend zeigt hie und da einen Ton, welcher an gebrannte Terra di Siena erinnert und nicht selten tritt an derselben Stelle ein dunkles Blauschwarz auf, was lebhaft con- trastirt mit den seitlichen Partieen der Nackengegend, welche beständig einen schwach schwefelgelben Anflug besitzen. Als Regel kann eine mehr oder weniger unterbrochene und häufig unregelmässig zackige helle Linie betrachtet werden, welche vom Hinterhaupt der ganzen Columna vertebralis entlang läuft und häufig noch ein gutes Stück auf den Schwanz übergreift. Die Extremitäten zeigen einen wesent- lichen Farbenunterschied vom übrigen Körper, insofern sich hier ein entschiedenes Roth dem Braun beimischt, welches an den Fingern sogar einer transparenten Fleischfarbe Platz machen kann. Die Seiten des Rumpfes sind ebenfalls heller gefärbt als der Rücken und die Unterfläche des ganzen Thieres ist einfach weissgrau, mit einem leichten Stich in’s Blaue. Davon macht nur die Schwanzspitze eine Ausnahme, indem diese immer eine dunkel graubraune Färbung trägt. Die Haut ist so dünn, und der ganze Körper überhaupt von so zartem Bau, dass das Thier, gegen das Licht gehalten, transparent genug erscheint, um Trachea, Herz, Leber ete. deutlich dureh die äusseren Bedeekungen durchscheinen zu lassen. Was die geistigen Fähigkeiten des Phyllodactylus betrifft, Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 501 so bleiben diese weit hinter jenen von Lacerta zurück, welche ja sogar ihren Pfleger mit der Zeit kennen lernen soll. Das Thier macht oft geradezu einen stupiden Eindruck , wozu auch der Umstand viel beitragen wird, dass es offenbar bei Tag nichts, oder doch nur sehr wenig sieht. Stundenlang kann es regungslos auf demselben Flecke liegen bleiben, und hängt sich wohl auch hin und wieder, wie das Chamäleon, mit seinem Greifschwanz an einem Aestchen der in dem Behälter befindlichen Pflanzen auf. Wird es erschreckt, so beginnt es rasch sich fortzubewegen, was unter immerwährenden Schlangenwindungen des ganzen Körpers geschieht. Es kommt auch vor, dass es sich in der Eile auf eine ziemliche Entfernung fort- schnellt, wobei dann der Schwanz wie ein Steuerruder fungirt. (Vergl. Leyviel. e.) Es zeigt eine sehr grosse Geschicklichkeit im Schwimmen und hält lange im Wasser aus. Ein weiterer Gegensatz zu Lacerta liegt in der ungemein friedfertigen und sanften Gemüthsart beider Geschlechter, denn während jene — und dasselbe gilt auch für den gewöhnlichen Gecko — bei der geringsten Beleidigung zornig wird und wüthend um sich beisst, habe ich den Phyllodactylus nie sich seiner Zähne bedienen sehen, wohl aber lässt er, hastig an- gefasst, einen kurzen pipsenden Ton hören, der genau an das Pfeifen einer jungen malträtirten Maus erinnert. Alles dieses er- innert wieder an Lacerta coerulea (Emer 1. e). Erwähnenswerth ist vielleicht noch die Vorliebe des Thieres für menschlichen Speichel, den es als Leckerbissen zu betrachten scheint. Befeuchtet man damit seine Schnauze, so kommt sofort seine röthliche Zunge zum Vor- schein, was ich auch an Lacerta beobachtet habe. Ob ein Winter- oder Sommerschlaf vorkommt, vermag ich nicht anzugeben, doch bin ich sehr zu letzterer Annahme geneigt, in Anbetracht der klimatischen Verhältnisse des dortigen Landes, wo oft mehrere Monate kein Regen fällt. Obgleich es so ziemlich gleich viel Männchen und Weibchen gibt und mir durch eine spätere Sendung von Tinetto im ganzen 51 Thiere zur Beobachtung vorlagen, so gelang es mir doch nie, die Begattung wahrzunehmen , weshalb ich Grund habe zu vermuthen, dass sie stets im Dunkeln, unter den hohlen Steinen, welche im Zwinger lagen, vor sich ging. Einen sehr komischen Anblick bietet ein Thier, das in der Häutung begriffen ist. Die Haut des Kopfes nnd Halses wird zuerst abgestreift, wobei sich in der Gegend des Schultergürtels ein weisser Wulst bildet, der als Kragen zu dem zerrissenen weissen Hemd betrachtet werden kann, in dem das ganze Thier zu stecken scheint; 502 R. Wiedersheim dabei zeigt es sich entschieden verstimmt, frisst nicht und macht überhaupt einen erbarmungswürdigen Eindruck. Schliesslich füge ich noch einige Maasse bei, um die Grössen- verhältnisse des Thieres besser übersehen zu können; ich habe dabei natürlicherweise ein ausgewachsenes Exemplar im Auge. Länge des ganzen Thieres bis zur Schwanzspitze . . . 6—7 Cent. Länge des Kopfes bis zur Halseinschniirung . . . . . 11 Mm. Länge des Rumpfes bis zur Schwanzwurzel . . . . . 30 Mm. Transe Mes Selwanzes os ite ec sc! ne an 26 Mm. Grosster Dreiterdes -TDieres . 2.007,20 an. eles 9 Mm. Haut- und Cuticular-Bildungen. Hautknochen. Ich habe hierin den Befunden CArrıEr’s (Studien über den feineren Bau der Epidermis bei den Geckotiden. Würzburg. Ver- handlungen N. F. III. Bd.) nur wenig Neues beizufügen; CARTIER hebt hervor, dass es ihm durch kein Reagens gelungen sei, die äusserste Schicht der Epidermis in zellige Elemente zu zerlegen, gleichwohl glaubt er sich aber nicht berechtigt, diese Lage als eine Cuticula, als selbstständige Membran zu bezeichnen, wie dies LEYDIG über Organe eines sechsten Sinnes) bei der Hornschuppe von Anguis fragilis thut. Ich kann dieser Auffassung CARTIER’s durch meine Beobachtungen am Phyllodactylus eine bedeutende Stütze ver- leihen, indem auch hier von unten nach oben eine immer stärker werdende Abplattung der Epidermis-Zellen erfolgt, ohne dass es Jedoch zu einem »Verschmelzungsprocess der Epidermis« in der obersten Lage käme. Letztere bietet vielmehr allerwärts ein zier- liches Mosaikbild dar, das heisst, sie setzt sich aus glashellen, platten Zellen von polygonaler Form zusammen, von denen jede einen fein granulirten Kern einschliesst. Die Zellengrenzen werden durch glashelle, stark lichtbrechende Contouren bezeichnet, was sich nach Anwendung von Aetzkali stets nachweisen lässt, während man vorher geneigt sein könnte, die ganze Schicht im Sinne CARTIER’s, d. h. als einen Verschmelzungsprocess zu deuten. Was die Cutieular-Haare betrifft, so finde ich sie nament- lich stark an der Unterseite des Schwanzes vertreten, wo die einzelnen Schuppen geradezu damit besät sind. Wie sehr dies im Interesse Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 503 des Thieres liegt, geht aus der obigen Bemerkung hervor, wo ich den Schwanz des Phyllodactylus als ein Greif- und Aufhinge- organ bezeichnete. Die grösseren Cuticularhaare, welche nach der Entdeckung Lrypie’s als Sinnesorgane fungiren, sehe ich namentlich schön entwickelt in der Nackengegend, oberhalb des später zur Sprache kommenden Saccus endolymphaticus. Hier stehen sie theils in Gruppen von drei und vieren bei einander auf einer Schuppe, theils finden sich ganze Büschel dicht gedrängt stehender Haare, ganz wie dies CARTIER von den Haftlappen angibt. Dieses Verhalten scheint mir für die Lippenplatten sogar die Regel zu sein, wobei sie die hier überall vorkommenden kleinen Cuticular-Bildungen an Grösse weit überragen. Am Schwanz finden sie sich nur spärlich vertreten. Ueber die Haftballen habe ich den Untersuchungen CARTIER’S nichts Wesentliches hinzuzufügen, auch ist durch ihn das Märchen von der Existenz einer Drüse in dieser Gegend zur Genüge wider- legt und ich möchte daher nur noch auf die Bildung der Klaue aufmerksam machen, welche einem jeden Finger zukommt (Fig. 9). An der convexen Seite derselben sieht man einen wulstigen, starken Kamm (A), welcher sich aus einem System von vielen übereinander liegenden Lamellen aus gelber Hornsubstanz aufbaut und gegen das freie Ende der Klaue spitz ausläuft. Das Ganze stellt eine Menge ineinander gestülpter Trichter dar und ist an seinem Basal-Ende ziemlich scharf in Form eines Zapfens gegen die concave Seite der Klaue abgeknickt und im Knochen fest- gelöthet (7), durch welchen es auf der Abbildung durchschimmert. Als weitere Befestigung dieser Bildung dient ein zweites Lamellen- system, welches an der ganzen concaven Circumferenz des oben beschriebenen Kammes entspringend, die knöcherne Endphalange von beiden Seiten, wie ein transparenter Vorhang umschliesst, um sich endlich an der Basis derselben (B) festzusetzen. Diese doppelte Befestigungsweise verleiht der Klaue eine ungemeine Festig- keit, wovon man sich bei Isolirungs-Versuchen unter der Loupe genügend überzeugen kann. Der ausgeschweifte, concave Rand der Klaue wird aus mechani- schen Gründen nie ganzrandig getroffen, sondern bietet stets ein mehr oder weniger angerissenes und zerfetztes Aussehen dar. Lrypie (l. ¢.) hebt im Gegensatz zu den Seinken hervor, dass die Haut von Lacerta im Ganzen wenig Knochenbildungen produeire. Wenn dies nun auch im Allgemeinen als Regel festgehalten werden 504 R. Wiedersheim kann, so bildet doch der männliche Phyllodactylus hiervon eine Ausnahme, indem sich in der Gegend der Schwanzwurzel des Männchens auf jeder Seite ein Knochenpaar entwickelt. Die eine Bildung wird durch jene, schon obengenannte schuppenartige Her- vorragung dargestellt und besteht im Wesentlichen aus einer schwach convexen Platte, von porösem Aussehen und ausgezackten Rändern. Sie ist nach allen Richtungen hin durchfurcht, von Oeffnungen durch- brochen und trägt eine schräg zu ihrer Oberfläche stehende kamm- artige, starke Leiste (Fig. 7 a). Wie die Basisplatte, so ist auch sie von einem Netzwerk unregelmässiger Knorren und Bälkehen durchzogen nnd zeigt wie jene, sehr schön entwickelte Knochen- körperchen. Das ganze Gebilde ist fest in die Haut eingewachsen und die Epidermis geht unter Bildung tausender, feiner Chitin- Härchen darüber hinweg. Letzterer Umstand ist wohl geeignet ein deutliches Licht auf die functionelle Bedeutung dieses Organs zu werfen. Es steht nämlich offenbar zur Copulation in Beziehung und dient dabei als Haft- oder Haltorgan für das Weibehen und zwar in ganz analoger Weise, wie der Ballen an der Unterseite der Fingerspitzen das Klettern der Thiere ermöglicht. Der Knochen gibt dazu die kräftige Stütze und dient einfach als Widerlager. Das zweite Knochenpaar handle ich bei den Sexual-Organen ab, was mir um so passender erscheint, als mir im Laufe dieser Untersuchungen Zweifel darüber gekommen sind, ob dieses über- haupt im Sinne von Hautknochen gedeutet werden darf? Ueber die Skelet-Verhältnisse habe ich keine ®enaueren Untersuchungen angestellt, da sich schon nach kurzer Zeit ergab, dass die Abweichungen von den übrigen Geckotiden kaum nennens- werthe waren. Da ich nun eine ziemlich genaue Kenntniss der letzteren voraussetzen zu dürfen glaube, so habe ich fast ganz auf die Darstellung derselben verzichtet. Fig. 4 ist vielleicht geeignet, auch ohne nähere Detailangaben eine Vorstellung des zierlichen Schädels zu erzeugen. Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 505 Organe der Ernährung und Verdauung. Der weite, aber sehr dünnhäutige Pharynx geht ziemlich rasch in den kurzen Oesophagus über. Auf diesen folgt eine ungleich- mässig spindelförmige Auftreibung des Darmrohres, die den Magen darstellt und sich über zwei Dritttheile des ganzen Rumpfes erstreckt. Nach abwärts sich stark verjüngend stösst er an das blasig auf- getriebene Duodenum, welches sich durch eine Klappe deutlich von ihm absetzt. Hierauf macht das Rohr einige starke Windungen und mündet dann mit sehr engem Lumen in den weiten Enddarm (Recto- Colon). Eine blindsackähnliche Bildung, welche Lacerta voll- kommen fehlt, findet sich hier in kräftiger Ausprägung und zwar nach der rechten Seite hin, woraus ein asymmetrisches Verhalten dieses Darmabschnittes resultirt. Was die Schleimhaut betrifft, so zeigt sie sich in dem vorderen Bezirk des Recto-Colon zu ringförmigen Falten erhoben, während wir nach hinten zu dasselbe System von Längsfalten erblicken, wie es Leypie (l. c.) von Lacerta beschrieben hat. Es handelt sich mit andern Worten um einen starken Sphincter, welcher nach Art eines Hohlkegels gegen das Lumen des Enddarmes, in der Richtung nach vorne zu, vorspringt. Phyllodactylus zeigt nun aber das sonderbare Verhalten, dass die an die Columnae Morgagni des Menschen erinnernden Längsfalten sich viel weiter in die Schwanzregion hinein- also weit über den Eingang zur eigent- lichen Cloake hinauserstrecken. Letztere liegt somit nicht am Ende des kegelförmigen Sphincters sondern in dessen Dorsalwand selbst und stellt hier eine unregelmässig ausgezackte Oeffnung dar, welche bei jeder Defäcation durch den umgestülpten Sphineter verschlossen wird. Es findet also in diesem Falle eine vollkommene Scheidung der Cloake in einen dorsalen und ventralen Raum statt, ersterer ist der Sinus genitalis, letzterer die Mastdarmhöhle (cfr. Leypie 1. e.). An der Stelle, wo die Pars pylorica des Magens in den blasen- förmigen Anhang des Duodenum übergeht, liegt mit breiter Fläche das Pancreas festgelöthet. Es bildet an dieser Stelle eine continuir- liche Masse, gabelt sich aber nach der rechten Seite des Magens hin in zwei lange Zipfel, von denen sich der eine, ganz wie bei Lacerta an die Milz befestigt, während der andere an die Stelle der Leber tritt, wo die Gallenblase sich befindet. Sie liegen also in sehr verschiedenen Ebenen, da jener seine Richtung direet nach hinten gegen die Wirbelsäule, dieser einfach nach rechts hin nimmt. Ueber die Gallengänge habe ich Lacerta gegenüber nichts Ab- 506 R. Wiedersheim weichendes zu notiren. Der Inhalt der Gallenblase besteht aus einem dünnflüssigen, hellgrünen Saft, in dem ich bei fünf der von mir untersuchten Thiere eine erst unter der Loupe sichtbare, staub- artige, feinkörnige Masse suspendirt fand, welche durch Druck in das ganze Canalnetz der Ausführungsgänge hineingetrieben werden konnte. Bei starker Vergrösserung fand ich, dass die einzelnen Elemente aus länglich ovalen Körpern bestanden, welche durch eine milchglasartige Beschaffenheit characterisirt und so resistenter Natur sind, dass auch das stärkste Reagens keine Veränderung derselben hervorzurufen im Stande ist. Dies mag seinen Grund in einer dicken Schale haben, welche einen wasserhellen Inhalt umschliesst. Darin findet sich ein einziger kugelrunder, fein granulirter Körper, welcher den Querdurchmesser der Kapsel vollkommen ausfüllt und meistens eine excentrische Lage einnimmt. Noch häufiger aber beobachtete ich vier solehe Körper, welche regellos gelagert erschienen und von denen jeder wieder eine stark lichtbreehende Schale besass. Ausser diesen Bildungen schwammen in der Gallenflüssigkeit rundlich ovale oder auch birnförmige Körper von derselben Grösse, wie die oben genannten Kapseln, jedoch ohne Andeutung irgend einer Aussenhöhle. Es sind vielmehr fein granulirte Protoplasmahaufen, über deren Bedeutung ich mir nicht klar geworden bin. Das Grössenverhältniss aller dieser Gebilde zu den Blutkörperchen stellt sich wie 1:8 und es scheint mir mehr als wahrscheinlich, dass es sich, was die oben beschriebenen kapselartigen Körper betrifft, um incystirte, parasitische Producte handelt. Die Leber (Fig. 8 Z) gleicht in ihrer Form der Hälfte eines nach vorne spitz ausgezogenen Hohlkegels, dessen Basis nach rück- wärts schaut und zwei starke Einkerbungen besitzt, wodurch sich ein Zerfall des Organs in drei Lappen ergibt. Zwei davon um- greifen nach rechts und links spangenartig den Magen und einige Darmschlingen, während der mittlere Lappen zungenartig in der Mit- tellinie nach abwärts ragt. Auf der obengenannten Figur ist vom Darmrohr nur ein Stück des Magens (M) und das Duodenum (D) sichtbar. Die Farbe der Leber ist ein mattes Braunroth mit Beimengung von spärlichem Pigment. Ich führe noch an, dass dem Bauchfell, welches bei Lacerta und Gecko eine intensiv schwarze Farbe besitzt, jede Spur von Pigment vollkommen fehlt. Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 507 Zunge und Zungenbein-Apparat. Fig. 12. Er ist sowohl nach seiner Form, als dem Aufbau-Material von demjenigen der Eidechsen und Seinke sehr verschieden, wenn auch nicht zu leugnen ist, dass sie der Grundanlage nach alle in dieselbe Kategorie gehören. Wie bei unsern einheimischen Sauriern, so findet sich auch hier ein in die Substanz der Zunge eingebetteter Zungenbeinkörper (7A), wel- cher auf der Abbildung theilweise aus der Zunge herausgezogen ist, während im Leben der Kehlkopf in den hinteren Ausschnitt der Zunge hineinpasst. Er verbreitert sich nach hinten zu einer breiten Platte, welche durch kurzes, straffes Bindegewebe mit der ventralen Wand der Capsula laryngea verlöthet ist; darauf theilt sie sich in zwei kräftige, nach hinten und aussen verlaufende Schenkel (S). Diese sowohl, als der unpaare Zungenbeinkörper besteht aus Kalkknorpel, an welchen sich übrigens bei A eine rein hyalinknorpelige Apophyse anfügt. Von dieser Stelle gehen nach drei verschiedenen Richtungen spangenartige Gebilde ab, wovon das eine direct nach hinten läuft und dabei medianwärts convex erscheint. Es besteht ebenfalls aus Kalkknorpel und trägt an seinem hinteren Ende eine knopfförmige, hyalinknorpelige Apophyse (£). Dieser Theil ist die eigentliche Fortsetzung des Seitenschenkels der Platte. Die beiden andern Spangen repräsentiren das vordere (V H) und hintere (77) Zun- genbeinhorn, von denen das erstere ganz aus Hyalinknorpel, das an- dere aus echter Knochensubstanz mit oberer und unterer knorpeliger Apophyse besteht. Jenes nimmt seine Richtung zuerst nach vorne und aussen, geht dann unter Erzeugung eines dünnen Hakens (7) nach hinten und aussen und schwillt endlich kurz vor seinem freien Ende zu einer Art von Dorn (D) an, eine schwache Andeutung des von Lrypie bei Lacerta beschriebenen, grossen »Knorpelflügels«. Die Form der dickfleischigen Zunge ist die einer vorn abgebrochenen und hinten in zwei lange Zipfel ausgezogenen Pfeilspitze. Das Vorderende trägt eine seichte Einkerbung, als erste Andeutung jenes Verhaltens der lang gespaltenen Zunge von Lacerta und den Ophidiern. Die beiden Zipfel an der hinteren Circumferenz werden nach hinten zu durch den Retractor linguae (M. hyoglossus) noch verlängert. Auf der Abbildung ist dieser Muskel sammt dem daran hängenden Hy- poglossus (H) abgeschnitten. Die Oberfläche der Zunge ist über und über mit Papillen besät, welche auf den mit zackigen Lappen besetzten und dadurch wie gesägt aussehenden Seitenrändern des Morpholog. Jahrbuch 1. 34 508 Er, R. Wiedersheim Organes sitzen. Jene Lappen vergrössern sich nach rückwärts im- mer mehr und sind wohl als die weiter entwickelten »Querleisten« der Zunge von Lacerta zu betrachten. Die Papillen der Zungen- spitze sind kleiner, mehr kuppelförmig, während sie nach rückwärts eine gestrecktere , zottenartige Form annehmen, so dass die rauhe Oberfläche aufs Lebhafteste an die Zunge mancher Carnivoren erin- nert. Die Papillen stehen in regelloser Anordnung, wovon nur die Seitenränder eine Ausnahme machen, indem sie hier auf den lappi- sen Bildungen in transverseller Richtung nach Art von Baumreihen nebeneinanderstehen. Was mich überraschte, war die Leichtigkeit, mit der sich die oberflächlichste Schicht der Zungenschleimhaut von ihrer Unterlage löst. Es geschieht dies bei Präparaten, welche einige Tage in Mürrer’scher Flüssigkeit gelegen hatten, in grossen zusammenhän- senden Fetzen, welche oft die Hälfte und noch mehr des ganzen Organs einnehmen. Anfangs wollte es mir scheinen, als hätte ich damit eine glashelle, structurlose Cuticula vor mir, welche sich aus einer Menge dicht nebeneinander liegender kuppelartiger Bildungen zusammensetzt. Erst bei genauerem Zusehen erkannte ich ein Netz von grossen, platten, polygonalen Zellen mit ungemein fein granu- lirtem Kern. Die Papillen selbst, unter denen die Filiformes an Grösse wie an Masse weit vorschlagen, fand ich aus einem Gerüste von langgestreckten, schmalen Zellen bestehen, bei denen nament- lich am Rand der Papille ein dachziegelartiges Sichdecken wahrzu- nehmen ist. Eine Einkerbung der Papillen, wie sie LEYDIG von der Eidechse beschreibt , vermochte ich bei Phyllodactylus nicht zu erkennen. Abgesehen von kleinen sackförmigen Drüsen, welche sich in der Zunge eingebettet finden, existirt auch noch die bei Lacerta und Anguis beobachtete paarige Gland. sublingualis. Ob auch eine Lippendrüse vorhanden ist, muss ich dahin gestellt sein lassen. Respirations - Organe. Der Larynx besteht aus einer eireulären Verdiekung der Tra- chea (Fig. 10, Cartilago laryngea), welche an der der Cartilago eri- coidea entsprechenden Stelle rechts und links zwei knorrige Hervor- ragungen besitzt (Ce). Jede derselben zeigt eine Imprägnation von Kalksalzen, was ich bei Platydactylus, wo sich die seitlichen Knor- ren zu wahren Hörnern verlängern, noch stärker ausgesprochen finde. Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 509 Bei beiden Thieren sind diese Bildungen hohl und communiciren mit dem Cavum laryngis, wie zwei MorGaeni’sche Taschen. An ihrer ‚Oberseite. besitzen sie Gelenkflichen für die keulenförmigen Ary- Knorpel (Ar), als deren Postamente sie gewissermassen fungiren. Auf der Figur 10 u. 11 sind sie einwärts rotirt und schauen dem- nach mit ihrem aufgetriebenen, freien Ende in die Kehlkopfhöhle. Eine zwischen denselben ausgespannte Falte der Schleimhaut ist spitzwinklig ausgeschnitten und begrenzt so wie ein Vorhang den Kehlkopfeingang nach rückwärts. Im Gegensatz dazu zeigt sich die ventrale Wand der Capsula laryngea nach vorne zu schreibfederartig verjüngt (S) und erinnert dadurch an eine Epiglottis, welche übrigens von den oberen Enden der Giessbeckenknorpel bedeutend überragt wird. Bei Platydactylus mauritanicus findet sich dafür ein seichter, halbmondförmiger Ausschnitt, und was ich gleich einschalten will, die Rima glott. wird hier von breiten wulstigen Lippen der Schleim- haut umsäumt, wovon ich bei dem in Frage stehenden Thiere nichts entdecken konnte. Dieser einfache Apparat steht unter der Herrschaft zweier paari- ger Muskeln, wovon der eine von dem Knorren Ce Fig 10 entsprin- gend an der Seite des Kehlkopfs emporzieht und sich an dem keu- lenförmig verdickten oberen Ende des Ary-Knorpels jeder Seite inserirt (Fig. 11 D). Letzterer wird dabei fast vollständig bedeckt, doch bleibt zwischen Muskel und Knorpel noch eine Spalte bestehen, durch welche sich der auf der Dorsalseite des Larynx entspringende Muskel S’ durchschieben kann, um im weiteren Verlauf die ganze Capsula laryngea zu umgreifen und sich schliesslich an der ventra- len Fläche des Os entoglossum festzusetzen S’. Dabei verbreitert er sich mehr und mehr fächerartig und stellt, wenn man beide Hälften zusammen betrachtet, einen fast vollkommen geschlossenen Sphincter dar. Seine Bedeutung als Verengerer liegt auf der Hand, während der erstgenannte Muskel einen Dilatator darstellt. Interessant ist das Verhalten des Basaltheiles des Os entoglossum (Oe), welches in diesem Falle mit zum Kehlkopfgerüste zu rechnen ist, und dadurch von den Eidechsen und Scinken bedeutend abzuweichen scheint. Die Trachea (Fig. 12 7) ist ein gleichmässig cylindrisches Rohr von 9—10 Mm. Länge. Es componirt sich aus eirca 45 hya- linen Knorpelringen und stimmt in allen Theilen mit dem von La- certa überein, was auch für die etwa an seiner Mitte angelagerte Gl. thyreoidea gilt (ZA). Letztere besteht aus zwei sackförmigen 34* 510 3 R. Wiedersheim Seitentheilen, welehe durch einen schmalen, bandförmigen Isthmus an der Ventralseite der Trachea gegenseitig in Verbindung stehen. Der die Schilddrüse umwickelnde zarte Fettmantel unterliegt nach. Form und Ausdehnung sehr bedeutenden individuellen Schwan- kungen. Hinter der Herzspitze zertällt die Luftröhre in zwei kurze hya- linknorpelige Bronchien , welche sich in die beiden Lungensäcke, Fig. 8 P, einsenken. Diese besitzen eine lang gestreckt-ovale Form und stossen von beiden Seiten her an die untere Circumferenz des Herzens, während sie in der Mittellinie theilweise von der ventral- wärts gelagerten Leber zugedeckt werden. Sie zeigen am frischen Thier eine braunrothe Farbe und ein starkes Netz von Blutgefässen, welches auf der Innenfläche des Organs leistenartig vorspringt und unter dem Mikroskop einen sehr zierlichen Anblick gewährt. Ueber die rechte Lungenspitze krümmt sich in mächtigem Bogen die Cava inferior empor (Fig. 8 @%), nm dann mit der V. jugularis und Subelavia zu einem starken Blutsinus von annähernd rhombischer Figur zusammenzufliessen. Was die vom und zum Herzen tretenden Gefässe anbelangt, so finden sich keine nennenswerthen Abweichungen von den verwandten Familien und ich hebe nur hervor, dass die rechte Art. pulmonalis nur zu der Lunge ihrer Seite in Beziehung steht, während die viel stärkere linke zu dem Organe beider Körperhälften starke Zweige schickt. Der Bulbus arteriosus besteht schon äusserlich aus wohl differenzirten Gefässen, welche sich in lang gezogener Spirale nach aufwärts wenden. Weibliche Geschlechtsorgane. Die traubigen, länglich ovalen Ovarien Fig. 13 O liegen ziemlich weit gegen das Becken zurück in einem zarten Gerüste aus Bindegewebsbalken, welche durch Membranen zu eigentlichen Fächern verbunden werden. Nach vorwärts und rückwärts sind sie durch zarte Fäden an dem Bauchfell befestigt. Auch hier finden sich die von Lreypie entdeckten prall gefüllten Lymphräume, jedoch sind die Kier von ihren Fächern viel inniger umschlossen, als dies bei Lacerta muralis der Fall ist, wo sie darin weit hin und her geschoben wer- den können. Da ich die Thiere im Frühjahr in die Hände bekam, Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 511 so konnte ich erwarten, stark entwickelte Ovarien mit reifenden Eiern zu treffen, welche Vermuthung ich auch bestätigt fand. Meistens lagen vier Eier in einem Ovarium, wovon sich zu einer gewissen Zeit stets zwei durch besondere Grösse und vollkom- mene Abrundung auszeichneten, während die beiden andern aus mechanischen Gründen eine mehr ovale oder auch ganz platt ge- drückte Form zeigten (Fig. 13). Frisch untersucht sind sie intensiv weiss und besitzen in dieser Zeit-einen Durchmesser von 2—2!/,Mın. In solchem Zustand bleibt das Ovarium ungefähr vierzehn Tage, bis auf einmal das eine der beiden grösseren Eier rasch sich zu ver- srössern beginnt, so dass man nun drei verschiedene Ent- wicklungsstadien in einem Ovarium- zu unterscheiden vermag! Immer fand ich diesen Vorgang nur auf der einen Seite, und zwar links sechsmal und rechts nur einmal. Es ist mir von dieser einseitigen Function des Ovariums, welche an die Vögel erinnert, bei den Echsen nichts bekannt, jedoch gelingt es nicht schwer, einen guten Erklärungsgrund dafür zu finden. Das - einzige reifende Ei entwickelt sich nämlich zu einer soleh monströsen Grösse, dass man annehmen kann, es absorbire die Kraft des kleinen Organismus in ihrem ganzen Umfang, ganz abgesehen davon, dass ein zwei- tes Ei in dem Leibesraum absolut keinen Platz mehr finden würde. Nimmt doch jenes im Stadium seiner grössten Ausdehnung das ganze Meso- und Hypoga- strium ein und verdrängt sämmtliche Darmschlingen nach rückwärts gegen die Wirbelsäule (Fig. 8 Ov). Wie in früheren Entwicklungsperioden, so zeigt es auch jetzt noch eine intensiv weisse Farbe und die auf der Figur S angedeuteten Pigmentspuren rühren nicht von ihm, sondern von dem ad maximum ausgedehnten Oviducte her. Auf der linken Seite der oberen Cir- cumferenz des Eies erscheinen einige Falten des letzteren (Fig. 8 E). Was die Grössenverhältnisse im Einzelnen betrifft, so überragt es den Längsdurchmesser der Leber um mehr als das Doppelte, und besitzt in seiner grössten Ausdehnung 11 — 12, in seiner grössten Breite 8S—9 Mm. In Anbetracht dieses Umstandes möchte es bei- nahe unerklärlich scheinen, wie das Ei die enge Cloaken-Spalte (CS) soll passiren können, zumal da ihm die Kalkschicht in seiner Schale einen, wenn auch nicht geradezu unelastischen, so doch immerhin ziem- lich spröden Character verleiht. In seiner sonstigen histologischen Zu- 512 R. Wiedersheim sammensetzung stimmt es vollständig mit den Befunden Eımer’s und Leypia’s an den übrigen Reptilien-Kiern überein. Diese merkwürdige Thatsache, dass ein Reptil nur ein Ei ab- setzt, steht meines Wissens bis jetzt einzig da und es ist dies um so mehr zu verwundern, als die geringste Zahl der von Leypis beobachteten Embryonen unsrer einheimischen Saurier acht betrug und zwar zu gleichen Hälften auf die beiden Eileiter vertheilt. Die höchste Zahl war 10. Bei Anguis fragilis beobachtete jener Forscher eine ungleiche Vertheilung auf die beiden Körperhälften, z. B. rechts 9, links 11 Embryonen. Gestützt auf einen oft gemachten Befund an der genuesischen Lacerta muralis, wo ieh stets nur zwei Eier jederseits im Oviducte vorfand, drängte sich mir die Frage auf, ob diese Verminderung der Fruchtbarkeit nieht mit den klimatischen Verhältnissen des Südens zusammenhängt? Es wäre nicht uninteressant, diese Frage durch Ver- setzung dieser und jener Arten experimentell einer Lösung entgegen zu führen!) ! Nur einmal fand die Ei-Ablage in der Gefangenschaft statt und zwar geschah dies unter einem hohlen Stein auf feuchter Erde, ohne dass das Ei in letztere irgendwie eingegraben gewesen wäre. Lei- der versäumte ich, den Stein bei Zeit abzuheben, so dass das Junge schon ausgekrochen war und ich nur noch die vollkommen hart gewordene Schale vorfand. Nach einwärts und rückwärts von jedem Ovarium liegt ein bei frischen Thieren kreideweiss aussehender, länglicher Körper, Figur 13 K, der eine körnige Structur besitzt. Sein oberes Ende ist abge- rundet, das untere spitz ausgezogen und das ganze Gebilde hat eine Länge von 1!/, Mm. Die Verbindung mit dem Ovarium findet durch das Bauchfell statt, und was seine Lage anbelangt, so entspricht diese genau der Stelle, wo der die beiden Venae revehentes verbin- dende Querast von diesen selbst abgeht. Die Aorta abdominalis, welche auf der Figur nicht mitgezeich- net ist, schickt gegen den in Frage stehenden Körper einen starken Ast herüber, der sich jedoch keineswegs darin auflöst, sondern dar- unter hinwegschlüpfend als Arteria ovarica den Eierstock er- 1) Ich möchte noch hinzufügen, dass die Eier der genuesischen Lacerta muralis im Verhältniss zur Grösse des Thieres denen des Phyllodactylus um das acht- bis zehnfache nachstehen! * Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 513 reicht, wo er in ein zierliches Capillarnetz zerfällt. In der obenge- nannten Bauchfellverbindung sah ich ausser den Arterien und Venen noch einzelne dunkle Stränge, konnte aber in denselben kein Lumen nachweisen, obgleich ein solehes früher unzweifelhaft vorhan- den war. Dass die Obliteration eine vollständige ist, gelang mir sogar experimentell festzustellen. Der ganze räthselhafte Körper besitzt nämlich eine sackartige Aussenhülle, in der ich in den meisten Fäl- len einen Inhalt eonstatiren konnte, dessen Elemente aus einer krü- meligen, kreideartigen Substanz bestanden. Dieselben sind so fein gepulvert und lassen sich so leicht innerhalb des Sackes verschie- ben, dass sie sich unfehlbar auf den von mir angewandten Druck auch in den allerfeinsten Ausführungsgang vertheilt haben würden, was aber nicht der Fall war. Ausser dieser kalkigen, unter der Pincette knirschenden Substanz enthält das Organ auch noch Fett- kugeln von verschiedener Grösse, und nur einmal wollte es mir vor- kommen, als sehe ich Reste von geknäuelten Schläuchen und unre- gelmässig geformte, blasenartige Gebilde mit kreidigem Inhalt, der da und dort eine rostgelbe, an untergegangenen Blutfarbstoff erin- nernde Farbe zeigte. Man hat es also offenbar mit einem Körper zu schaffen, der einem hohen Grad von regressiver Metamorphose unterlegen ist und nichts anderes sein kann, als die »Nebenniere« früherer Autoren ‘Leypie). Diese Reste des Worrr’schen Körpers (Parovarium der Vögel) finden sich auch bei den Eidechsen, jedoch in einem nicht so weit fortgeschrittenen Stadium der regressiven Metamorphose und in wesentlich anderer topographischer Beziehung zu Ovarium und Oviduet, indem sie hier zwischen den beiden letzteren liegen, während dies bei Phyllodactylus nach einwärts vom Eierstock der Fall ist. Auch findet sich bei Lacerta nicht das Verhältniss zu der obgenannten Vene, in deren Wandung das Organ des Phyllo- daetylus förmlich eingekittet ist, so dass eine Loslösung ohne Ver- letzung des Gefässes gar nicht möglich ist. Bei oberflächlicher Be- trachtung kann der mit der Vene so fest verbundene Körper fast den Eindruck eines Thrombus hervorrufen. Auswärts von dem Ovarium liegt der mächtige Oviduct, wel- cher bei nicht trächtigen Thieren wie ein Vorhang den Eierstock überlagert (Fig. 13 Ov). Er repräsentirt einen, nach ganz bestimm- ten Regeln gefalteten Canal, der in seinen verschiedenen Regionen sowohl nach Lumen als Dicke seiner Wandungen bedeutende Diffe- 514 R. Wiedersheim renzen zeigt, worin er mit Lacerta übereinstimmt. Zwei zarte, transparente Lamellen, Fig. 13 7, begrenzen die lange, schlitzartige Abdominalöffnung der Tuba. Nach aussen und oben sind sie in einen zarten Faden ausgezogen, welcher das Organ in der Höhe der achten Rippe fixirt erhält. Dieser Abschnitt stellt den zartesten Theil des Eileiters vor und zeigt sich nur selten in Falten gelegt, welch letztere erst bei Z, Fig. 13, beginnen. Zugleich beginnt auch hier unter scharfer, zackiger Abgrenzung die Wandung sich zu ver- dicken und mehr einen Milchglascharacter anzunehmen, wobei dieser ganze Theil des Oviducts weit medianwärts vorschreitet und wie eine vielfach gefaltete Fahne in der Längsaxe des Körpers herunter hängt (Fig. 13 47). Für seine Fixation ist in doppelter Weise ge- sorgt, insofern eine innige Verwachsung fast mit der ganzen media- len Seite des Uterus stattfindet, von dessen oberem Ende sich über- (dies ein starker, glatte Muskelfasern enthaltender Strang herüber- spannt (Fig. 13 5). Schneidet man diese Bildungen mit der Scheere ein, so lässt sich der ganze Abschnitt entfalten und zeigt nun in gestreck- tem Zustand eine nach hinten zu sich mässig verjüngende Trichter- form, welche unter scharfer Knickung in. den sogenannten Uterus, Fig. 13 U, übergeht. Dieser zeichnet sich durch ungemein starke Wandungen aus, welche übrigens, wie schon früher angedeutet, einer ganz excessiven Ausdehnung fähig sind. Seiner Form nach lässt er sich, wenn man ihn in situ betrachtet, mit einer Retorte ver- gleichen, bei näherer Untersuchung merkt man jedoch, dass dieser Vergleich nicht so recht passt. Das Organ stellt vielmehr eine gegen die Wirbelsäule hin weit offene Schale mit doppelten Wan- dungen dar, welche im nicht trächtigen Zustand in enger Berührung stehen. Mit anderen Worten: der Uterus besitzt kein präexistiren- des Lumen, und bietet durch die soeben beschriebene Art der Fal- tenbildung die allergünstigsten Verhältnisse dar, um in seinem grossen Umfange, wie ihn eben die Dimensionen des Eies verlangen, mit möglichst viel Raumersparniss im Abdominalraum untergebracht werden zu können. Nach rückwärts verjüngt er sich ganz allmälig, seine Wände verlieren an Stärke und so zieht er sich, der Ventral- seite der Niere durch Bauchfellfalten fest angeheftet und auswärts vom Ureter gelagert, hinab zur Cloake. Auf dem Weg dahin zeigt er in seinem letzten Drittel zwei, rasch sich folgende, kurze Auf- treibungen, von denen die obere eine feine, unregelmässig stern- formige, die untere eine vollkommen kreisrunde Oeffnung zeigt. Jene (Fig. 13a) ist die enge Ausmündungsstelle des Oviducts, Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 515 diese — und ich komme darauf noch ausfiihrlicher zu sprechen — des Ureters (Fig. 13 6). Genital- und Harn-Papille sind also im vorliegenden Fall vollkommen von einander getrennt! Die letzten Enden beider Oviducte stehen durch eine breite Brücke, Fig. 13 B, in gegenseitiger Verbindung und verstreichen allmälig in der faltigen Dorsal- Wand der Cloaken-Höhle resp. des Sinus genitalis (DW). Mit der Cloake treten, wie bei den übrigen Sauriern, Drüsen in Verbindung, worüber ich jedoch keine näheren Untersuchungen angestellt habe, Männliche Geschlechtsorgane. Der Hoden besitzt eine rundliche, nach hinten etwas zugespitzte Gestalt, ist von weisser Farbe und lässt schon bei schwacher Ver- grösserung die vielfach geschlängelten Samenröhren an seiner Ober- fläche erkennen. Er erhält eine starke Arterie, welehe in ihrer Ver- ästelung zierliche Netze bildet; das venöse Blut strömt in zahlreichen Caniilen zur Vena revehens des Nieren - Pfortader - Systems und die Paradidymis stimmt sowohl nach Form, als nach Lage und Färbung vollkommen mit dem analogen Gebilde des Weibehens überein. Merk- würdig ist ihr Verhältniss zu dem einzigen Ausführungsgang, den der Hoden an seinem oberen Ende abschickt, infofern sie von demselben förmlich durehsetzt wird. Dabei verbinden sich beide Gebilde so innig mit einander, dass eine Trennung ohne Ver- letzung des einen oder des andern nicht wohl angeht. Der Neben- hoden ist keulenförmig aufgetrieben und besteht aus einer Menge dicht verschlungener Canälehen. Die Ruthen sind wie bei Lacerta doppelt und liegen genau wie dort in subeutanen Taschen der Schwanzwurzel, jedoch habe ich keine näheren Untersuchungen darüber angestellt, da dies von LEREBOUL- LET und Leypie aufs Ausführlichste geschehen ist. Noch habe ich zweier nierenförmiger Spalten Erwähnung zu thun,, welche sich auf der rechten und linken Seite der hinteren Cloaken-Lippe des Männchens finden. Greift man mit der Pincetten- Spitze sorgfältig in sie hinein, so gelingt es an Präparaten, die län- gere Zeit in schwachem Spiritus gelegen hatten, ein feines, weissliches Hautchen zu Tage zu fördern, das sich unter dem Mikroskop als ein kleines Säckchen mit einer Doppelspitze (ähnlich einer Mitra) darstellt. Letztere endigt blind und liegt im Grunde der Oeffnung, während 516 R. Wiedersheim die weite Oeffnung des Sackes identisch ist mit der obgenannten nierenförmigen Oeffnung im äusseren Integument. Die zarten Wan- dungen des Säckehens vermochte ich nie vollkommen auszubreiten, sondern immer blieben sie von tausenden , kreuz und quer sich durehfleehtenden Falten durchzogen, welche nach Lichtbrechung und Form ganz den Eindruck von elastischen Fibrillen hervorrufen, ähn- lich denjenigen in der Eischale, wofür ich sie auch anfangs zu neh- men geneigt war. Ist dies nun auch keineswegs der Fall, so gehört die Substanz des Säckcehens damit doch in eine Kategorie, indem sie als eine durchaus structurlose, glashelle Cuticula zu betrachten ist. Ich fasse sie als das fest gewordene Produet (Ausguss) einer unterliegenden Drüsenschicht auf und stelle sie deshalb in eine Reihe mit den sogenannten Schenkeldrüsen der Eidechsen. Sehr auffallend waren mir die zwei schon oben erwähnten, annä- hernd halbmondförmigen, echten Knochen, welche nicht in der Haut, sondern unter der Haut der Schwanzwurzel und zwar anf deren’ Ventral- seite liegen (Fig. 8 aa’). Sie entsprechen in ihrer Lage der verderen Lippe der soeben beschriebenen , spaltförmigen Oeffnung, sind also paarig und haften äusserst fest an den Fascien der oberflächlichen Muskulatur; welche theilweise (namentlich in der Richtung nach vorn zu) von ihnen ihren Usprung nimmt. Sie bilden jederseits eine nach oben und einwärts offene, knöcherne Hohlrinne für. die Ruthe, zu der sie somit in allernächster Beziehung stehen. Vielleicht dienen sie dazu, mit Hülfe der Muskelwirkung den Ruthencanal wie eine Fall- thür abzusperren, wenn das Organ ausgestülpt ist, um ihm so seine Lage zu sichern ? Das Weibehen besitzt keine Spur dieser Knochen , ebensowenig irgend eine Andeutung jener spaltförmigen Oeffnungen an der Ven- tralseite der Schwanzwurzel. Harn-Apparat. Die beiderseits gleichmässig entwickelten Nieren besitzen etwa birnförmige Gestalt mit dickerem oberen und spitz ausgezogenem unterem Ende. Sie weichen also von demselben Organ der Eidech- sen gewaltig ab. Ihr äusserer Rand ist schwach eingekerbt und convex,, während der innere fast vollkommen gerade verläuft und demjenigen der andern Seite so eng anliegt, dass man auf den er- sten Anblick, namentlich im hinteren Nierenabschnitt, an einen voll- kommenen Zusammenfluss der Organe beider Seiten denken könnte. Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 517 Von einer blattartigen Zeichnung auf der Oberfläche, welche Leyvıe bei den Eidechsen von einer bestimmten Anordnung der Harneanil- chen herleitet, kann ich bei diesen Sauriern nichts wahrnehmen. Dagegen zeichnet sich der in der Mitte der Ventralfläche liegende, weissliche Harnleiter ziemlich deutlich ab, er ragt aber nicht so weit nach abwärts ins Beeken, wie die Nierenspitze, sondern lenkt beim Weibehen schon etwas früher zum Oviduet ab, zu dem er eine äusserst merkwürdige Beziehung eingeht. Er trifft densel- ben in seiner hinteren Peripherie, durehsetzt ihn in seiner ganzen Dieke und löthet sich mit seinem letzten Ende in seiner ventralen Wand förmlich ein. Ich weiss nieht, ob ein ähnliches Verhalten schon irgendwo anders in der Thierwelt zur Beobachtung gekommen ist, jedenfalls wirft diese Thatsache ein helles Licht auf die entwicklungsgeschichtliche Bedeu- tung des Mürver’schen Ganges! Ich werde vielleicht Gelegenheit haben, dieses Thema später noch ausführlicher zur Darstellung zu bringen, und will für heute nur noch hinzufügen, dass man sich den Oviduet in dieser Region nicht mehr als hohl zu denken hat, das Lumen ist vielmehr von der Stelle a, Fig. 13, an vollständig obliterirt. Nur in einem einzigen Fall fand ich es bis zu seinem letzten Ende herab, wenn auch in sehr geringem Grade, fortbestehen, und es würde sieh wohl lohnen, hierüber erneute Untersuchungen anzustellen. Bei Männchen fliesst der Harnleiter mit dem Vas deferens kurz vor der Cloake zusammen, um dann mit einer gemeinschaft- lichen Oeffnung auf der Papilla genitalis auszumünden. Die Blase, Fig. 8 V, weicht von der allen Sauriern gemein- schaftlichen Form nicht ab. Zwischen ihr und der dorsalen Wand ‘des Beckengiirtels findet sich constant ein grösseres, in zwei Lappen angeordnetes Fettlager, was meines Wissens auch die Eidechsen characterisirt. Aquaeductus vestibuli. Ich habe hierüber vor Kurzem eine vorläufige Mittheilung ver- öffentlicht und bin nun heute im Stande, auch diese und jene an- deren Vertreter aus der Familie der Ascalaboten zum Vergleiche herbeizuziehen. Wenn es mir nicht vergönnt war, meine Untersuchun- gen soweit auszudehnen, wie ich anfangs die Absicht hatte, so war daran 518 R. Wiedersheim der Mangel an Thiermaterial schuld, dem vielleicht später noch abge- holfen werden kann. Die Thiere, die mir augenblicklich zu Gebot stan- den, verdanke ich der Güte GEGENBAUR'S und FÜRBRINGER'S. Ich verhehle mir deshalb nicht, dass ich in dem Gebotenen mit keiner vollkommen abgeschlossenen Arbeit hervortrete, schon aus dem einen Grunde nicht, weil ich den übrigen Theilen des Gehör- organs nur eine sehr flüchtige Aufmerksamkeit schenken konnte. Hätte ich auch diese noch ausführlicher studiren wollen, so wäre mir erstens wieder mehr Material und dann vor Allem mehr Zeit von Nöthen gewesen, als dies der Fall war. Wenn ich es nun dennoch wage, das Gefundene zu veröffentlichen, so geschieht es deshalb, weil ich nur wie von ungefähr an dieses Thema gerathen bin, wäh- rend mich eine andere, grössere Arbeit auf ganz anderen Bahnen beschäftigt hielt. In welcher Zeit ich diese zum Abschluss bringen werde, kann ich nicht bestimmen, jedenfalls aber war mir der neue Stoff zu interessant, um ihn so alt werden zu lassen. Ehe ich nun zur eigentlichen Schilderung übergehe, möchte ich einen kurzen Blick auf den Aquaeductus vestibuli sämmtlicher Wir- belthierelassen werfen, denn nur so ist es möglich, das richtige Ver- ständniss für die hier vorliegenden Verhältnisse zu gewinnen. Da mir aber hierüber keine eigenen Erfahrungen zu Gebote stehen, so sehe ich mich genöthigt, im Folgenden der Darstellung Hasse’s (Die Lymph- bahnen des inneren Ohres der Wirbelthiere) zu folgen und dieselbe, da wo es nöthig ist, selbst wörtlich wiederzugeben. Schon bei Myxine glutinosa und Petromyzon beobachtet man ein aus dem Vestibulum sich erhebendes mit Concrementen mehr oder weniger gefiilltes Rohr, das sich schliesslich zu einer Art von Blase erweitert. Bei den Teleostiern, wo es zu einer Differen- zirung des Vestibulums in einen Sacculus und Utriculus kommt, ist es immer der erstere, von dem der Aquaeduct seinen Ausgang nimmt. Da sich nun bei den Knochenfischen eine Apertura aquaeductus ve- stibuli im Sinne von Petromyzon der Skeletverhiltnisse wegen nicht finden kann, so kommt hier das blindgeschlossene, angeschwollene Ende des Aquaeductus in eine »grosse, rundliche Oeffnung« der Dura zu liegen. Bei den Clupeiden kommt ein Zusammenfluss der Aquae- ducte beider Seiten, somit eine Communication der beiden endolym- phatischen Räume zu Stande. Von Spinax acanthias sagt Hasse: »Der Ductus endolymph. erhebt sich aus dem oberen Theil der Sackinnenwand als eine dünn- wandige, cylindriche Röhre mit weiter Mündung, läuft dann ein Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 519 wenig mehr nach vorne gewandt an der Innenwand der Commissur der Bogengänge, innerhalb der knorpeligen Labyrinthkapsel, dersel- ben anliegend, empor, dicht umhüllt von dem an der Innenwand des Gehäuses ausserordentlich derben Perioste und tritt dann am oberen Ende der Commissur, das Periost röhrenartig vor sich her ausstül- pend, dureh eine Oeffnung an der Grenze der Labyrinth- kapsel und des Schädeldaches und schwillt unter dem Integu- mente sackartig (Saceus endolymphaticus) an. Dieser Sack ist dann dem der andern Seite ausserordentlich genähert und wie bei den Cyclostomen mit Kalkeoneretionen erfüllt. Diese, welche wie die Otolithen gestaltet sind, können sich auch im Canale finden. Das mit dem Aquaeduct ausgestiilpte Periost endet nun aber nicht als blind geschlossener Sack, sondern öffnet sich mittelst feiner Oeffnun- sen im Integumente an der Kopfoberfliichec. Hasse denkt sich die- ses merkwürdige Verhalten der Plagiostomen folgendermassen ent- standen: das Auswachsen des Recessus labyrinthi findet gegen das Dach des häutigen Primordialeraniums statt und zwar in stärkerem Grade, als dies bei den Teleostiern der Fall. Bei den letzteren ge- schieht es nur so weit, dass das blindgeschlossene Ende des Canales gerade an die Schädeldecken anstösst, also noch in das Cavum cranii zu liegen kommt, bei den Selachiern jedoch erstreckt sich das höchste Ende der Wasserleitung bis in eine Lage, wo später die Schädeldecken entstehen. Von Seite dieser findet nun ein Umwach- sen des Aquaeductus statt, oder anders ausgedrückt, es bleibt durch das weite Hinaufragen des letzteren eine Offnung in den Schädel- knochen bestehen, in die er hineinpasst. Was die freie Oeffnung des Aquaeductus an der Schädelober- fläche betrifft, so lässt sich Hasse folgendermassen darüber verneh- men: »es.hat mir geschienen, als ob aus dem Binnenraum der Hülle des Saccus endolymphaticus, ausser der gegen die Kopfober- fläche gehenden Röhre Communicationen in einen unter dem Integument des Schädels gelegenen lymphsackartigen Raum gingen, der demnach vorzugsweise zur Aufnahme des ab- fliessenden Liquor perilymphaticus bestimmt wäre, welcher ja deswegen nicht in die Schädelhöhle fliessen kann, weil die Apertura aquaed. vestibuli (das Foramen ovale nach WEBER) nicht an der Innenwand der Gehörkapsel, im Bereich des Cavum cranii, sondern an der Grenze der Ober- und Innenwand, an der Schädeloberfläche befindlich ist. Amphibien. »Schon seit CALORI weiss man von einer zwi- 520 R. Wiedersheim schen den bulbae auditoriae befindlichen Kalkmasse. Sie erstreckt sich beim Axolotl nach hinten von den Lobi optici über die Cor- pora quadrigemina, die ganze Medulla oblongata, den Quintus, den Acusticus im meatus auditorius internus bis zum Wıruis'’schen Nerven und erscheint auf ihrer Oberfläche ein wenig convex, in der Mitte ihrer Unterfläche ein wenig concav. Diese Kalkmasse lässt sich ohne Verletzung des Gehirnes abheben. Sie besteht aus einer Anzahl von Krystallen von kohlensaurem Kalk«. Schon Carorı brachte also diese Masse in Verbindung mit dem Gehörorgan und hielt sie für einen Resonanz-Apparat. Diese ganze Masse repräsentirt die von beiden Seiten zusammengeschmolzenen Sacei endolymphatici, und liegt zwischen Dura mater und der eigentlichen Gehirnhiille, wobei sie, wie bei den Fischen, unter den Knochen des Schiideldaches gelagert erscheint. HassE leitet dieses von den Plagiostomen abweichende conga phische Verhiltniss von einer früheren Bildung der Belegmassen des häutigen Primordialeraniums her. An einer einzigen Stelle lässt sich die Kalkmasse nicht vom Gehirn abheben, sondern zeigt sich mit dessen Hülle verbunden und sieht man genauer zu, so trifft man hier in dem Kalksack eine Anzahl querer Spalten, wodurch eine Verbindung mit dem Cavum epicerebrale und dem Sacc. endol. her- gestellt ist! — Es drängte sich mir hierbei die Frage auf, wodurch denn in diesem Falle die Kalkeoneremente von einem Austritt in das Cav. epicerebrale geschützt sind? Ein solcher, sollte man glauben, wäre unvermeidlich, wenn die Krystalle jene leichte Verschiebbar- keit besitzen, welche ich bei den Geckotiden beobachtete. Aehnlich wie der Axolotl verhalten sich die übrigen Urodelen, jedoch kommt es hier entweder nur in Ausnahmsfällen oder auch gar nicht zu einer Verschmelzung der beiden Kalksäcke, wie auch Jegliche Communication mit dem Cavum epicerebrale vollkommen fehlt. Ein massigerer Sack, als bei allen bis jetzt beschriebenen Thier- gattungen, kommt den Anuren zu. Er zeigt hier nicht nur dieselbe Ausdehnung, wie bei den geschwiinzten Batrachiern, sondern zieht auch in der Gegend des Hirnanhangs unter der Basis cerebri hin- weg, wobei er mit dem der andern Seite zusammenfliesst. Somit findet sich hier, da auch an der Hirnoberfläche eine Communieation beider Seitenhälften statt hat, ein das Gehirn umgreifender, vollkom- men geschlossener Kalkgürtel. Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 521 »Mit den Batrachiern hat nun«, sagt Hassn, »der Saceus endol. in der Thierreihe das Maximum seiner Entwicklung erreicht und wenn auch der Ductus endolymphaticus, der Recessus labyrinthi, die Vorhofswasserleitung in toto nichts weniger, als eine regressive Metamorphose bei den höheren Wirbelthieren erfährt, so sehen wir doch niemals den Saceus eine solche excessive Ausdehnung gewin- nen und mit dem der andern Seite communiciren. Jedes Vestibulum ist also von dem andern vollkommen getrennt«. Ueber die Repti- lien macht Hasse die Bemerkung: »keine Wirbelthierclasse möchte mit Bezug auf die Vorhofswasserleitung ausgiebiger studirt sein« und wenn dies nun auch im Ganzen richtig ist, so möchte ich doch daran erinnern, dass weder COMPARETTI, GEOFFROY, WINDISCH- MANN und Carus, noch irgend ein Anderer, der sich mit der ver- gleichenden Anatomie des Gehörorgans befasste, der so überaus reichen Familie der Ascalaboten auch nur die geringste Aufmerk- samkeit schenkte! Wie sehr sich das gelohnt hätte, hoffe ich im Folgenden zeigen zu können. Bei Coluber natrix stellt der Saceus endolymph. ein kleines Bläschen dar, welches »unmittelbar unter der Naht zwischen Parie- tale und Occipitale superius gelagert, von der an dieser Stelle ver- diekten Dura des Schädeldaches überzogen wird und dicht an das der andern Seite anstösst, ohne sich jedoch in dasselbe zu öfinen und ohne mit dem Cavum epicerebrale zu communieiren«. HASSE fand diese Säckchen im erwachsenen Zustand nie mit Kalkkrystal- len, sondern nur mit einer Flüssigkeit gefüllt, worin er auch mit Carus übereinstimmt (MÜLLER’s Archiv 1841). Beim Embryo sind sie voll von Otolithenbrei und schimmern durch das Integument durch. Carus fügt eine Abbildung der Krystalle bei, woraus ich ersehe, dass dieselben in der Form sowohl als den wechseln- den Grössenverhältnissen vollkommen mit den Geckotiden überein- stimmen. Ganz ähnlich, wie die Vorhofswasserleitung der Ringelnatter verhält sich auch diejenige der Eidechsen, jedoch fügt Hasse in Be- treff der Lagerungsverhältnisse folgende interessante Bemerkung bei, wodurch man da und dort an die entsprechende Bildung des PhyHo- dactylus erinnert wird: »Der Aquaeduct tritt, nachdem er die Aper- tura der Gehörkapsel verlassen, nicht wie bei den Amphibien, frei in den Raum zwischen Dura und Gehirnhülle, sondern verläuft zuerst von einer periostalen Hülle umgeben, an der Schädelsei- tenwand, an dem Wulst, den die Commissur erzeugt, nach vorn oben und erst nach Bildung seines Saccus 522 R. Wiedersheim endol. ragt er theilweise in den Raum zwischen Dura und Gehirnhülle hinein«. Hasse benutzt mit Recht diese That- sache, um darauf aufmerksam zu machen, wie die Reptilien hierin zu den Plagiostomen in viel innigeren Beziehungen stehen, als die Amphibien. -- Der Saceus endol. liegt bei den Eidechsen noch tiefer in den Knochen des Schädels eingebettet, als bei den Schlan- sen, was mir als ganz allmäliger Uebergang nicht nur zu den Pla- giostomen sondern auch zu den Ascalaboten vom allergrössten Inter- esse war. Wie bei Coluber natrix so sollen auch bei den erwach- senen Echsen, Schildkröten und Seinken die Säcke absolut frei von Krystallen sein. Bei allen den genannten Thieren findet sich keine Verbindung des Organes mit dem Cavum epicerebrale, was erst bei den Vögeln der Fall ist. Der Ductus entspringt hier mit so wei- ter Mündung von der Sackinnenwand, dass letztere in toto zum Canal ausgezogen erscheint. Im embryonalen Leben ist der Sack noch geschlossen und die Communication mit dem Cavum epicere- brale findet sich erst beim Erwachsenen. Ob zu irgend einer Periode Kalkkrystalle in dem Sack vorhanden sind, vermag Hasse nicht anzugeben. Nach Börrcner’s schönen Untersuchungen (Archiv f. Anat. u. Physiol. 1869) endet der aus zwei zusammenfliessenden Canälen sich componirende Aquaeduct der Katzen nach oben in der Schädelhöhle mit einem »leicht von innen nach aussen abgeplatteten Sack, der bei Embryonen zahlreiche Vorsprünge zeigt (ähnlich dem betreffenden Gebilde der Amphibien) und von dem faserigen Binde- gewebe der Dura umschlossen wird. Bei der erwachsenen Katze erscheint nun dieser Sack weit und zieht sich zum Theil längs des Sinus petrosus inferior hin, von dem er nur durch eine faserige Scheidewand getrennt ist«. Hasse vermochte diese Befunde an Rinds- und Schweinsembryonen, sowie an neugeborenen Menschen zu bestätigen, glaubt aber »Grund zu der Annahme zu haben«, dass der Sack bei Rindsembryonen, obgleich von der Dura bedeckt, doch mit- telst einer kleinen Oeffnung in der letzteren, mit dem Cavum epice- rebrale communicire. Am Schlusse seiner Abhandlung fasst Hasse seine Befunde fol- sendermassen zusammen: »Sämmtliche Wirbelthiere besitzen eine, aus dem Vestibulum sich erhebende Röhre, die mit Ausnahme der Plagiostomen, wo dieselbe aufdie Schädeloberfläche führt, bei allen Thieren in die Schädelhöhle sich begibt, und entweder blindgeschlos- sen endet und einem epicerebralen Lymphraum ansteht, oder in Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus etc. 523 denselben sich öffnet. Es ist dies der Ductus endolymphaticus oder Aquaeductus vestibuli mit dem Saccus endolymphaticus, von dem wir wissen, dass er eine blindgeschlossene Ausstiilpung des Laby- rinthbläschens gegen das Cavum cranii hin darstellt«. Der Aquaeduct des Phyllodactylus. Schon früher habe ich auf die gelblichen Flecken der Haut, rechts und links von der Halswirbelsäule, aufmerksam gemacht. Zieht man nun an dieser Stelle die Haut vorsichtig ab, so bekommt man beiderseits einen grossen Beutel zu Gesicht, der durch seine unregelmässig eingekerbten Ränder und seine kreideweisse Farbe imponirt (Fig. 3 Se). Er liegt nicht frei unter der Haut, sondern in einen mehr oder weniger starken Fettmantel eingehüllt, der sich noch ziemlich weit in benachbarte, subeutane Hohlräume hineinziehen kann. Dieses ist an der hinteren Circumferenz des Gebildes in solchem Maasse der Fall, dass sich das gelbliche Fettgewebe an den Flanken bis zum Beckengiirtel nach rückwärts zieht. Den unter- liegenden Fascien haftet die Blase sehr fest an und zieht sich wohl auch mit blindsackartigen Auswüchsen da und dort tiefer zwischen die Muskelgruppen des Nackens hinein; constant ist dies der Fall mit einem an der vorderen Umgebung des Organs abgehenden längeren blindgeschlossenen Canal (Fig. 3. 4 C), der sich so tief einbohrt, dass er unmittelbar hinter der Pars basilaris ossis oceipitis liegend , direct über der Schleimhaut am Dache des Schlundkopfes getroffen wird. Was die Lage dieser Gebilde anbelangt, so füllen sie den Raum zwischen der seitlichen Partie des Schultergürtels und dem Hinter- haupt in den meisten Fällen vollständig aus, und wenden sich auch noch ventralwärts gegen die Kehle hinab. Letzteres kann unter Umständen in solehem Maasse erfolgen, dass sie sich unterhalb des Larynx in der Mittellinie beinahe berühren. Während man bei erwachsenen Thieren, wo die Einkerbungen der Ränder selten sehr tief gehen, nicht wohl von einem eigentlichen Zerfall in wohl differenzirte Lappen sprechen kann, ist dies bei ganz jungen Exemplaren im ausgedehntesten Maasse der Fall, und sogar zuweilen so stark ausgesprochen, dass die einzelnen Partien oft nur noch durch haarfeine Stiele zusammenhängen. — Fig. 4 Se stellt ein halb ausgewachsenes Individuum dar, bei welchem schon eine ziemlich ausgedehnte Verschmelzung der Lappen stattgefunden hat; jedoch Morpholog. Jahrbuch. 1. 39 524 R. Wiedersheim ist die frühere Trennung da und dort durch tiefe Furchen wohl noch zu erkennen. Wenn man es hierbei mit der Präparation bewenden liesse, so könnte man das Ganze für einen ringsum geschlossenen Körper halten. Hebt man aber die oberflächliche Nackenmuskulatur sorg- fältig ab, so wird man einen stark geschlängelten, feinen Gang (Fig. 3 und 4 Agu) gewahr, der wie ein weisses Band zum Hinterhaupt nach vorne und oben zieht. Dieser sowohl, wie der oben geschilderte, blind endigende Canal ist mit den Fascien aufs Innigste verwachsen und beide können nur nach Durchschneidung aller nmliegenden Muskeln isolirt werden. Ist dies geschehen, so wird man an der medialen Seite der Blase, unmittelbar an der Abgangsstelle des zuletzt geschilderten Ganges zwei fest zusammen- hängende, röthlichweisse Knötehen gewahr, welche ich für die Thymus anzusehen geneigt bin. Hat dieser Canal den hinteren Bogengang überschritten, so zieht er durch eine feine Spalte zwischen der Decke der Gehörkapsel und dem Scheitelbein hinein in das Cavum cranii. Hier schwillt er bedeutend an, wendet sich mit einem blindsackartigen Ausläufer nach vorne, und zieht dann der Hintergrenze des Parietale entlang, schräg nach einwärts und rückwärts gegen den hintersten Abschnitt der Scheitelnaht (Fig. 4 B). Hier stossen die Hälften beider Seiten so nahe zusammen, dass ich Anfangs an eine vollkommene Ver- schmelzung dachte, welche Vermuthung sich jedoch keineswegs bestätigte. Die weissen Kalkschläuche sind durch die Schädelknoehen hindurch siehtbar und zeigen bei jungen Thieren eine relativ grössere Entfaltung; um sie jedoch genauer untersuchen zu können, ist man genöthigt, die Parietalia auszubrechen, und den ganzen Schädel in sagittaler Riehtung zu halbiren. Dadurch gewinnt man die volle Ansieht der Innenwand der Gehörkapsel, an welcher sich das Gebilde weit nach hinten bis in den Bereich des Foramen magnum und des Nachhirns zieht, um hier mit einem spitz aus- gezogenen Blindsack zu endigen. Dabei zeigt es nach dieser und jener Richtung hin buckelige Hervorragungen und liegt eng ein- gepresst zwischen Knochenwand und Dura mater. Es gelingt jedoch leicht, letztere davon abzuheben, wobei die Anheftung an den Knochen in ihrer Festigkeit keineswegs gelockert wird. Kurz vor der hintersten Spitze des soeben genannten Blindsacks, sieht man an seiner unteren Grenze ein zartes, ebenfalls intensiv weisses Canälehen abgehen, welches sich in die Apertura aquaeduetus Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 525 vestibuli einsenkt , um diese zu durchsetzen und wie bei den Eidechsen mit dem Sacculus in Verbindung zu setzen. Noch viel deutlicher iibersieht man den abgehenden Canal in seinen Beziehungen zur Schädelinnenwand, wenn man die ganze Schädelhälfte vor der Prä- paration in eine schwache Carminlösung legt; dadurch nehmen die Kalkschliiuche eine hell rosige Färbung an, und heben sich von dem dunkelrothen Untergrund aufs beste ab. Wir haben es somit unzweifelhaft mit dem Aquaeductus und Saecus endolymphaticus zu thun und zwar unter Verhältnissen, welche vielleicht durch den Umstand an die Plagiostomen erinnern können, dass die Dura zwischen Parietale und dem hinteren Bogen- gang unter Erzeugung einer Art von Tasche eine Ausstülpung erfährt, welche sich jedoch nicht als Hülle für den Gang und Sack über das Cavum cranii hinauserstreckt. Sie setzt sich vielmehr genau an der Stelle, wo der Aquaeductus zur Nackenmuskulatur hinaustritt, an den betreffenden Schädelknochen fest und wird von jenem durch- bohrt. Eine Communication mit dem Cavum epicerebrale findet nirgends statt. Wir sehen somit, dass die Vergleichungs- puncte nur auf sehr schwacher Basis ruhen und dass uns in der Thierreihe keine weitere Thatsache vor- liegt, welche für die Projection irgend eines und vollends so hochwichtigen Theiles des Gehörorganes in die Nackengegend bis zum Schultergürtel hinab sprechen würde! In Bezug auf die histologischen Verhältnisse stimmt Sack und Gang mit den Befunden an den übrigen Wirbelthierelassen überein, d. h. es handelt sich um ein zartes Gerüste aus elastischen und Bindegewebsfasern, ausgekleidet von einem unregelmässig polygonalen Platten-Epithel. Dasselbe (Fig. 6) zeichnet sich durch deutliche Kerne und feinkörnigen Character aus; es wird erst sichtbar, wenn man die in dem Sack enthaltenen Krystalle durch eine Säure zerstört. Man kommt jedoch aueh zum Ziele, wenn man das Ganze einige Tage in Mürter’sche Flüssigkeit legt und dann den Inhalt sorg- fältig auspinselt. Bei dieser Behandlung wird man auch ein überaus reiches Capillarnetz gewahr, welches die Wandungen umspinnt und in einem einzigen Fall bekam ich auch Cylinder-Zellen zu Gesicht, welche sich an dem diekeren Ende durch einen zarten Wimper- besatz auszeichnen. Woher diese stammten, konnte ich nicht mehr mit Sicherheit eruiren, da ich diesen Fund gerade am letzten der mir zu Gebot stehenden lebenden Thiere gemacht hatte. An dem- 30 * 26 R. Wiedersheim selben Individuum fand ich auch starke Nervenfasern, über deren Abkunft ich leider ebenfalls nicht ins Klare kam. Es liegt auf der Hand, wie wichtig es wäre, auf diese beiden Puncte ein wiederholtes Augenmerk zu richten! Der Inhalt des Organes besteht, wie schon bemerkt, aus Krystallen (Fig. 5), welche erst bei ziemlich starker Vergrösserung sichtbar werden und die allerwechselndsten Grössenverhältnisse dar- bieten. In der Form gleichen sie kleinen, an beiden Seiten ab- gerundeten, oder auch zugespitzten, vierseitigen Säulen, welche mit «denjenigen des Otolithensacks vollkommene Uebereinstimmung zeigen, von letzteren jedoch an Grösse stets übertroffen werden. Dieselbe Beobachtung hat auch schon Carus |. e. an Schlangen-Embryonen gemacht, weshalb er geneigt ist, die Coneremente des Otolithen-Sackes als früher entstanden anzusehen. Ja er lässt sich sogar dadurch zu folgender, irriger Auffassung verleiten: »Unwiderleglich folgt übrigens aus dem Obigen, dass die Krystallbildung am Hinterhaupt auch mit der Krystallbildung des Ohres nichts gemein hat und als selbstständige, nur der Knochenbildung voraus- schreitende Erscheinung anzusehen ist!« Carus fasst somit die ganze Bildung als Kalk-Depot auf, welche einem späteren Resorptions-Process anheimfällt. Die kleinsten Krystallsäulen zeigen stets eine äusserst lebhafte Moleeular-Bewegung und werden von den grössten an Volum wohl um das 40—50 fache übertroffen. Alle liegen in einer visceösen Flüssigkeit suspendirt, welche bei Verletzung des Sackes langsam bervorquillt und als milchweisse Wolke sofort auf den Grund der Präparir-Schale sinkt. Setzt man Salpetersäure zu, so findet eine Auflösung der Coneremente unter lebhaftem Aufbrausen statt. Ist der Inhalt des Sackes ausgetreten, so collabirt letzterer, legt sich in viele Falten und ist von der hellen Muskulatur nicht leicht zu unterscheiden. An Spiritus-Exemplaren bekommt man von der Form und Grösse des Saceus und Ductus endolymphatieus keine genügende Vorstellung, insofern beide durch eine starke Entziehung von Flüssigkeit viel kleiner und hie und da wie geschrumpft erscheinen. Der Aquaeductus vestibuli von Ascalabotes maur, Zieht man die Haut des Nackens sorgfältig ab, so sieht man, dass sie in der Gegend der Columna vertebralis der unterliegenden Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 527 Muskelschieht fest adhärirt, während sie sich nach beiden Seiten hin, gegen den dorsalen Theil des Schultergürtels auf das leichteste lospräpariren lässt. Mit andern Worten: es finden sich hier, wie bei Phyllodaetylus, weite Hohlräume unter der Haut, in denen sich ein vielfach durehbrochenes Balkenwerk aus Bindegewebe aus- spannt. Dazwischen liegen Fettmassen eingestreut, welche sich weit unter der Haut fortziehen, so namentlich an den Seiten und gegen die Sternal-Gegend hinunter. Abgesehen von diesem Fett- und Bindegewebslager ist auf der Muskulatur nichts Auffallendes zu entdecken, und es fehlt bei dieser Präparations-Methode jede Spur eines unter der Haut liegenden Kalkbeutels, wie wir ihn bei Phyllodactylus getroffen haben. Diesem Umstande, dass für die Aufsuchung des Saccus gerade hei dem gemeinsten aller Geckotiden etwas complicirtere Verhältnisse zu überwinden sind, möchte ich es zuschreiben, dass ein Organ von soleh grossen Dimensionen bis jetzt ganz unberücksichtigt geblieben ist. Um es hier darzustellen, ist man nämlich gezwungen, die oberflächliche Muskulatur behutsam abzutragen, worauf man an derselben Stelle, wo bei Phyllodactylus der zu den Scheitelbeinen aufsteigende Gang liegt, jederseits zwei weisse, kuchenartige Körper von annähernd dreieckiger Gestalt zu Gesicht bekommt (Fig. 14 a). Die abgestumpfte Spitze des Dreiecks verschwindet unter dem Hinter- rand der Scheitelbeine, die breite Basis schaut nach rückwärts. Diese Körper sind keineswegs symmetrisch geformt; bei dem mir vorliegenden Präparate z. B. ist derjenige der linken Seite nur vorne an seinem verjüngten Ende schwach eingekerbt und besitzt an den übrigen Seiten fast durchaus glatte Ränder. Im Gegensatz dazu ist das Organ der rechten Körperhälfte fransenartig ausgeschnitten. Auf den ersten Anblick könnte man glauben, dass dadurch Sack und Gang des Phyllodactylus auf einmal dargestellt würden, was aber keineswegs der Fall ist, vielmehr lehrt eine sorgfältig bewirkte Isolirung des Kalkbeutels, dass von seiner Unterfläche ein feiner Gang abgeht (Fig. 14 6), der sich in senkrechter Riehtung in die Muskelmasse zwischen Wirbelsäule und Opisthoticum einbohrt. Um ihn genauer verfolgen zu können, hat man die gesammten Muskelschichten des Nackens auszuschneiden, bis man auf die Schleimhaut trifft, welche das Dach des hintersten Theiles der Mundhöhle und des Anfanges vom Schlundkopfe bildet. Hier schwillt der zarte, weisse Canal zu einer zweiten, noch viel grösseren Kalk- masse an, als die erstere war, Von letzterer unterscheidet sie sich 528 R. Wiedersheim auch durch ihre vielfach gelappte Form und die Erzeugung von stark geschlängelten, blind geschlossenen Canälen, welche in den verschiedensten Richtungen oberhalb der Mundschleimhaut verlaufen (Fig. 14 c, e). Die einen zwängen sich zwischen die tiefsten Muskel- lagen des Nackens und Hinterhauptes ein, die andern umgreifen seitlich die Wirbelsäule, wieder andere umstricken die Carotis cerebralis. Auch die Thymus wird von ihnen eng umspannt. Ein besonders starker Gang, welcher unmittelbar zwischen Os oceipitale laterale und der Mundschleimhaut liegt, senkt sich nach vorn und aussen zu in den Recessus scalae tympani ein und scheint als ein ungemein feines, fadenartiges Gebilde in das Foramen rotundum s. cochleare einzu- dringen ‘Fig. 14 d, Fig. 2 d). Da sich in diesem letzten Ende keine Coneremente mehr befanden, war die weitere Verfolgung ungemein erschwert, auch war der Conservirungs-Zustand des be- treffenden Präparates so mangelhaft, dass ich diesen Theil meiner Untersuchungen zu keinem günstigen Abschluss zu bringen vermochte. Ich brauche wohl keine Worte darüber zu verlieren, von welch grossem Interesse es wäre, an der Hand eines reichen Materials die Untersuchungen weiter zu führen! Kehren wir nun zu den zuerst beschriebenen Kalksäcken zurück und begleiten sie in die Schädelhöhle, so finden wir sie hier ‘im Bereich der hinteren Circumferenz der Parietalia in einer Art von Tasche der Dura mater gelagert, wie wir dies bei Phyllodactylus gesehen haben. Auch zeigt sich hier wie dort eine mächtige An- schwellung, jedoch — und dies ist eine sehr wesentliche, an die Amphibien erinnernde Abweichung — kommt es hier zu einem breiten Zusammenfluss beider Hälften unterhalb des hintersten Ab- schnittes der Parietal-Nath (Fig. 14 e). Nach vorne zu zeigt sich keine blinde Ausstülpung, sondern die ganze, dicke Masse schlägt gleich den Weg zum Hinterhaupts- loch ein (Fig. 14,f), schiekt einen feinen Canal zur Apertura aquaed. vest. (Fig. 14 Ag), legt sich dann unter immer zunehmender Ver- breiterung an die innere Wand der Gehörkapsel. Hier liegt sie zwischen Dura und der Knochenwand eingekeilt, sreift bis zur Basis cerebri hinab auf den Schädelgrund und schlägt endlich den Weg zur Orbitalhöhle ein, wo sie in eine wechselnde Anzahl von dieken Canälen zerfällt (Fig. 14 ggg). Dieselben zeigen eine Menge perlschnur- artiger Auftreibungen und endigen theils spitz, theils mit keulen- Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus ete. 529 förmiger Auftreibung. Einer davon umgreift stets den Bulbus in der Richtung von unten innen nach oben und aussen und kommt in ziemliche Nähe der Gesichtsoberfläche zu liegen, während ein anderer Gang direct nach abwärts zum Boden der Orbita läuft. Da aber letzterer an dieser Stelle einfach von der Mundschleimhaut gebildet wird, so braucht man diese nur abzuheben, um vom Cavum orale aus der weissen Masse mit ihrem untersten Abschnitt ansichtig zu werden (Fig. 2 @). Ich will noch hinzufügen, dass diese Canäle in Anbetracht ihrer topographischen Beziehungen zur Dura mater, welche überdies hier allein die Scheidewand zwischen Orbitalhéhle und Cavum cranü bildet, bei ihrem Austritt in die Augenhöhle selbstverständlich nicht erst die harte Hirnhaut zu durchbohren haben. In der Orbita an- gekommen liegen sie in nächster Nähe des Ramus I. vom Quintus und sind ebenfalls von jener, schon oft genannten ölartigen Substanz wie von einem zarten Mantel umhüllt. Dies gilt auch für einen Fortsatz, welcher in die Muskelmasse der die Hinterwand der Orbita bildenden Pterygoidei sich einbohrt. Ganz ähnliche Verhältnisse traf ich auch noch bei verschiedenen andern Platydactylus-Arten der südlichen Halbkugel und kann mir deren Beschreibung füglich ersparen. Dagegen möchte ich noch eines Hemidactylus von den Ge- sellschafts-Inseln Erwähnung thun, ohne jedoch angeben zu können, welcher Species derselbe angehört. Die seitliche Naekengegend erscheint hier schon nach Abziehung der äusseren Bedeckung in gewaltiger Weise vorgebaucht und lässt auf einen geradezu monströsen Saccus schliessen , welehe Vermuthung ich auch in ihrem vollsten Umfang bestätigen konnte. Was zunächst die Form anbelangt, so repräsentirt sie ungefähr ein gleichseitiges Dreieck, welches durch seine grossen Dimensionen die überliegenden Muskeln so weit nach aussen vorbaucht, dass sie den Eindruck von Fassreifen machen, welche den Kalkbeutel umspinnen. Die ganze Masse übertrifft die Hälfte des Schädels an Länge um ein gutes Stück, füllt den Raum zwischen Opisthoticum und Schultergiirtel vollkommen aus und greift, wie bei Phyllodaetylus weit am Halse hinunter Auf seiner äusseren Oberfläche findet sich ein Netzwerk von seichten Einkerbungen, was wohl von der entwässern- den Wirkung des Weingeistes herzuleiten ist. An der vorderen Circumferenz des Beutels entspringt ein mit vielen seitlichen Ausbuchtungen versehener Gang, welcher sehr steil 530 R. Wiedersheim emporsteigend, nicht, wie man von vorne herein erwarten könnte, zwischen Scheitelbein und hinterem Bogengang in die Schädelhöhle tritt, sondern oberhalb der Squama oceipitalis blindgeschlossen endigt. Kurz vorher schiekt eraber einen zweiten, vielengeren Canal ab, welcher sich in die Membrana obturatoria zwischen dem Bogen des Atlas und der Squama des Hinterhaupts einsenkt. Von hier steigt er, über dem Nachhirn liegend gegen das Cavum eranii empor, wo er wie bei Platydaetylus an der hinteren Grenze der Parietalia mit dem der andern Seite zu einer breiten, weissen Platte zusammentliesst. Ihre ferneren Schick- sale innerhalb der Schädelhöhle sind ganz dieselben, wie bei Phyllodactylus, d. h. sie breitet sich weder seitlich vom Gehirn aus, noch tritt sie in die Augenhöhle, sondern communicirt einfach mit der Apertura aquaeductus vestibuli. Von derselben Stelle nun, wo der oben beschriebene, zur Mem- brana obturatoria laufende Canal abgeht, nimmt noch ein zweiter, ebenso starker Gang in der Richtung nach unten und vorne seinen Ursprung, so dass die ganze Hinterhauptsgegend von oben und unten gabelartig umgriffen wird. Die übrigen Beziehungen zur Schleimhaut der Mundhöhle und zu dem Recessus scalae tympani sind ganz dieselben, wie bei Platydactylus. — Hieraus resultirt ein ringsum geschlossenes Canalsystem in der Regio petroso-oceipitalis. Werfen wir einen kurzen Blick auf die entwicklungsgeschicht- lichen Verhältnisse des Duetus und Saceus endolymphaticus, so haben die Untersuchungen Börrcner’s (Archiv f. Ohrenheilk. VI. Bd. 1873) und Raruke’s (Entw. d. Schildkröten und der Natter) zu folgenden Ergebnissen. geführt. Sack und Gang sind keineswegs als Stiel aufzufassen, welcher in Folge einer unvollkommenen Abschnürung der Labyrinth-Blase aus der fötalen Zeit mit herüber genommen worden sein könnte. Die Labyrinth-Blase entwickelt vielmehr, nachdem ihr vollständiger Ab- schluss vorhergegangen, von ihrer oberen Circumferenz her einen Stiel gegen die Medulla oblongata zu. Dieser theilt sich dureh einen Faltungsprocess in zwei Abtheilungen, und »die innere dieser Ab- theilungen ist die Anlage des Epithelial-Rohres, aus welchem der Recessus resp. Aquaeductus vestibuli wird, der äussere wird zum verticalen Bogengang«. Dies gilt von den Siiugethieren, aber auch Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodactylus europaeus etc. 531 von den Reptilien (Natter) weiss man, dass das Kalksäckehen gegen das Ende der Fötalzeit immer grösser wird, was namentlich für seinen oberen Theil gilt. Auch kommt es mit letzterem dem Gebilde der andern Seite immer näher. Dass auch Phyllodaetylus eine Stütze für diese Auffassung liefert, habe ich schon oben angedeutet, als ich von einem Zusammen- fluss der tiefgespaltenen Lappen des Saccus, also von einer Volum- Zunahme desselben beim erwachsenen Thiere sprach. Embryonen standen mir leider keine zu Gebot, um ganz sichere Angaben hier- über machen zu können, und wenn auch gegründete Annahme vorhanden ist, dass die Entwicklung im oben genannten Sinne vor sich geht, so bleibt die Sache immerhin merkwürdig genug, um aufs Genaueste von competenterer Seite nachgeprüft zu werden! Was die physiologische Bedeutung dieses vielverzweigten Canalsystems betrifft, so scheint mir diese wesentlich eine zwei- fache zu sein. Man erinnere sich, dass die einzelnen Theile überall Stellen aufsuchen, deren Bedeutung als subeutane und interstitielle (in der Muskulatur liegende) Lymphräume wohl keinem Zweifel unterliegen kann, wobei ich namentlich noch einmal an die Be- ziehungen zum retrobulbären Raum (efr. ScHwaLBe’s Untersuchungen über die Lymphbahnen des Auges) erinnern möchte. Ich fasse also das Ganze als eine Art von Saugsystem auf, worin ich auch mit Hasse übereinstimme, indem dieser ebenfalls auf das Ausführlichste von einem endosmotischen Process zwischen dem Saccus endol. und Cavum epicerebrale handelt. Dabei macht er mit Recht auf den grossen Reichthum der Sackwand an Capillaren aufmerksam und fügt noch die Bemerkung bei: »der Nutzen des Saccus und Ductus wire wohl auch der eines Reservoirs fiir den Liquor endolymphaticus in dem Augenblicke, wo der intralabyrinthäre Druck eine excessive Höhe erreicht, durch Aufnahme von Flüssigkeit aus dem Innern des Gehörorgans denselben herabzusetzenc. Wohl ebenso wichtig scheint mir die schallleitende Function des ganzen Apparates zu sein. Hasse, der das Gehörorgan der Ascala- boten nicht kannte, schreibt, gestützt auf die Befunde an den übrigen Vertebraten, dieser Function nur eine seeundäre Bedeutung bei, ja er scheint sie sogar, was auch in Anbetracht der anatomischen Verhältnisse nicht zu verwundern ist, da und dort nicht als ganz sicher gelten lassen zu wollen, indem er sagt: »Möglich wäre es dann auch bei denjenigen Thieren, welche namentlich, wie die Amphibien, einen unpaaren, ausgedehnten und kalkhaltigen Saccus 532 R. Wiedersheim, Zur Anatomie u. Physiologie d. Phyllodactylus europ ete. endolymphaticus besitzen, dass derselbe im Stande wiire, die die Schiidelknochen treffenden Schallwellen in das Innere des Labyrinthes fortzuleiten« ete. Mag man nun darüber denken, wie man will, Jedenfalls liegen bei den Geekotiden Verhältnisse vor, wo die Schallwellen nicht erst nöthig haben, die resistenten Kopfknochen in Schwingung zu versetzen, sondern durch die dünne Haut beinahe direct auf die Kalkbeutel zu wirken im Stande sind. Bei Platydactylus wäre auch eine Fortleitung durch die Schleimhaut am Dache der Mundhöhle denkbar, und jene in der Orbita liegenden Schläuche drängen sich so weit zur freien Oberfläche des Gesichts, dass sie so gut wie direet von den Schallwellen getroffen werden können! Es liegt somit hier der merkwürdige Fall vor, dass Jene Höhle, welehe bei der ganzen übrigen Thierwelt nur dazu bestimmtist, dasGesichtsorgan aufzunehmen, hier einem sehr wesentlichen Anhang der Gehörwerk- zeuge zur Ausbreitung dient! Alles wirkt also bei diesen Geschöpfen zusammen, um dem betreffenden Sinnesorgan eine ganz excessive Feinheit und Vervollkommnung zu verschaffen, wovon man sich auch experimentell überzeugen kann. Nimmt man sich die Mühe, den gemeinen Gecko zu jagen, so wird er den Verfolger nie so weit herankommen lassen, dass er mit den Händen gegriffen werden kann. Bei dem geringsten Geräusch huscht er schattenartig an den Wänden hin und oft habe ich von einem Hinterhalte aus bemerkt, dass er sich schon auf die Flucht begibt, wenn er seinen Feind noch gar nicht sehen, sondern nur seine leisen Schritte hören kann!). Es hat diese ungewöhnliche Ausbildung des Gehörorgans nichts so Wunderbares mehr, wenn man die Thiere in der Gefangenschaft zu beobachten Gelegenheit hat. Ich habe nämlich dabei mehr als einmal den Eindruck bekommen, als sei ihr Sehvermögen bei Tag auf ein Minimum herabgesetzt, und als schnappen sie mehr nur dem Geräusche nach, wenn man lebende Inseeten in den Behälter setzt. Es dürfte somit das Gehörorgan bei Tage grossentheils vicarirend für das Gesicht eintreten und letzteres wesentlich bei Nacht zur Ver- wendung kommen, worauf ich auch schon früher hingewiesen habe. 1) Um seiner habhaft werden zu können, muss man ihn mit einer langen Fangpincette aus den Mauerspalten hervorholen, worin er sich oft nicht allzutief versteckt. Würzburg, im Juli 1875. Erklirung der Abbildungen. Siimmtliche Abbildungen, bei denen keine besondere Bemerkung beigefiigt ist, sind unter der Loupe gezeichnet und beziehen sich auf Phyllodactylus europ. Tafel XVII. Fig. 1. Phyllodactylus europaeus in natürlicher Grösse. ** Hautknochen der Schwanzwurzel. Fig. 2. Orbita der rechten Schädelhälfte des Platydactylus mauritanicus von der Mundhöhle aus gesehen. Die Schleimhaut (Boden der Augenhöhle) ist abgetragen, wodurch bei @ ein Ausläufer der Kalkschläuche und bei M und HD die Augenmuskeln und die HArper’sche Driise zum Vorschein kommen. d. Ausläufer eines am Dache des Schlundkopfes liegenden Kalk- schlauches, welcher im Begriff ist, sich in den Recessus scalae tympani einzusenken. Fig. 3. Kopf und Nackengegend des Phyllodaetylus von der rechten Seite. Se. Kalkbeutel. C. Der zum Dache der Mundhöhle ziehende Gang, welcher sich in die tiefe Nackenmuskulatur einbohrt. Aqu. Der zum Cavum eranii aufsteigende Canal. Fig. 4. Schädelansicht des Phyllodactylus von oben. Se. Die anhängenden Kalksäcke. C. Der zum Dache der Mundhöhle ziehende Gang. Aqu. Der zwischen Scheitelbein und Opisthoticum zur Schädelhöhle gelangende Canal. B. Dessen Lage und Anschwellung im Cavum cranii unterhalb der Parietalia. Krystalle des Saccus endolymph. (HArTNAcK. VIII.) Fig. Plattenepithel des Sacc. endolymph. (HArrnAck. VII.) Fig. Fe Tafel XVIII. Fig. 7. Isolirter Hautknochen der Schwanzwurzel. a. Die von der Epidermis entblösste Haftschuppe. (HARTNACK IV.) Fig. 8. Ein hochträchtiges Weibchen des Phyllodactylus von der Bauch- seite geöffnet. Ci. Cava inferior. P. Lunge. L. Leber. M. Magen. D. Duodenum. Or. Reifes Ei. E. Falten des Oviductes V. Collabirte Blase. C'S. Cloaken-Spalte. aa’. Die beiden an der Ruthentasche gelegenen Knochen. 534 R. Wicdersheim, Zur Anatomie u. Physiologie d. Phyllodactylus europ. ete. Fig. 9. Klaue am letzten Fingerglied. BB. Die iiber die Endphalange herabreichende Cuticular-Kappe. K. Kamm derselben. Ph. Durchschimmernde Endphalange. I. Die darin eingebettete Wurzel des Kammes K. Fig. 10. Das Kehlkopfgerüst nach Wegnahme der Muskulatur. Ce. Die der Cartilago cricoidea entsprechenden, seitlichen Hervor- ragungen der Cartilago laryngea. Ar. Ary-Knorpel. S. Epiglottis-ähnlicher Ausläufer der Ventralwand der Capsula laryngea. Oe. Os entoglossum. Fig. 11. Die Muskeln des Kehlkopfes. SS’. Verengerer der Stimmritze. (Sphincter.) D. Erweiterer derselben. Auf der rechten Seite ist er abgeschnitten und nach aussen gelegt. Oe. Os entoglossum. Tafel XIX. Fig. 12. Zunge und Zungenbein-Apparat. Zunge, auf welcher die Papillen sichtbar sind. 4s Jel ZK. S. VA. HH. F. h. D. ae Zn: Fig. 13. We O Durchschnittener N. hypoglossus. Zungenbein-Körper. Sein nach rückwärts und auswärts laufender Theilungsschenkel mit der Apophyse 4. Vorderhorn. Hinterhorn. Das seitliche Horn. Hakenartige Bildungen am Vorderhorn Trachea. Glandula thyreoidea. ibliche Geschlechtsorgane. . Ovarium. K. Parovarium. Ov. Oviduct der rechten und linken Seite. Letzterer ist angeschnit- ten, wodurch man das inliegende Ei & erblickt. T. Vorderster Abschnitt Z. Uebergang in den mittleren Theil (7) 7; des Eileiters. U. Dritter Abschnitt (Uterus) S. Bindegewebsstrang mit glatten Muskelfasern. a. Ausmündungsstelle des Uterus. b. Ausmündungsstelle des Ureters. B. Verbindungsbrücke zwischen dem letzten Ende des Uterus beider Seiten. DW. Dorsalwand des Sinus genitalis. Abgeschnitten. Fig. 14. Das Canalsystem des Saccus endolymphaticus von Ascalabotes mauritanicus. (Linke Hälfte) Das Ganze ist auf der Abbildung in eine Ebene projieirt und erhält dadurch einen etwas schematischen Character. a—g. sind die im Text ausführlich beschriebenen, auf die ver- schiedenen Schädelregionen vertheilten Abschnitte. Ag. Aquaeductus vestibuli. | | | 4 | N | f Pr | Lik | | Bi | x Morphol. Jahrbuch Ba!l. — = “te Wiedersheim cel Taf. Xvi Lith. Anstv.dG.Bach Leipzig lorphol. Jahrbuch. Ba./. zig. Leip I Lith. Anst:v.J.6.Bach esheim del. Wiede ersheim, del 4 Lith. Anst.v.J.6.Bach, Leipzig. ig 2. Bp rates Untersuchungen über Morphologie, Zeugung und Entwickelung der Protozoen. Von Dr. B. Gabriel, Privatdocent in Breslau. Mit Tafel XX. Vorwort. Seit einer Reihe von Jahren mit eifrig gepflogenen und über mannigfache Hindernisse hinweg consequent fortgesetzten Untersu- chungen über die noch so viel des Unaufgeklärten darbietende Or- ganisations- und Generationsverhältnisse der Protozoen beschäftigt, darf ich wohl jetzt, wo ich die Ergebnisse meiner mühsamen und zeitraubenden Arbeiten meinen geehrten Fachgenossen zu unterbreiten im Begriff stehe, mit dem unter Uebung rücksichtslosester Selbst- kritik sich aufbauenden und in mehr concreter Form mir entgegentre- tenden Gesammtresultate nicht ganz unzufrieden sein. Das Bewusst- sein, einige der Lücken wenigstens, welche die Morphologie und die Entwickelungsvorgiinge im Gebiete dieser niedern Thierformen noch aufweisen, ausgefüllt und damit die Grenzen unserer Erkenntniss in Betreff der Lebensbedingungen und Lebenserscheinungen dieser so interessanten Lebewesen einigermassen erweitert zu haben — dieses Bewusstsein lässt es mich weniger schmerzlich empfinden, dass ich das mir vorgesteckte Ziel nicht ganz zu erreichen, die schwierige und bei der priicisirtesten Fassung einer bestimmten Abgrenzung sich entziehende Aufgabe nicht vollständig zu lösen im Stande war. — Einer Bestätigung der aus meinen Untersuchungsreihen gewonnenen, manches Neue, wohl auch Unerwartete beibringenden Ergebnisse von Seiten meiner geehrten Fachgenossen entgegensehend, leihe ich dabei beredten Ausdruck dem innigen Wunsche, dass weitere, auch von ihnen diesem so interessanten und in seiner Bedeutung nicht zu unter- Morpholog. Jahrbuch. 1. 36 536 B. Gabriel schätzenden Gegenstande gewidmete Beobachtungen ergänzende und einen befriedigenden Abschluss erzielende Resultate liefern mögen! Die in den Kreis meiner Studien gezogenen, dem Protozoenreiche (im weitesten Sinne) angehörenden Lebewesen sind alle — die meisten ausschliesslieh — Bewohner der feuchten Erde, des Sandes kleiner Gewässer und verschiedener Moose. Sie bilden zwar keine eng be- srenzte, aber doch eine, nur durch einzelne wenige vermittelnde Ueber- sangsformen mit der des süssen Wassers zusammenhängende, eigen- artige, an Gattungen und Arten reiche, freilich nur bei aufmerk- samer, oft mühevoller Pflege wissenschaftlichen Zwecken erhaltbare Fauna. Die Bearbeitung des im Laufe der Jahre bedeutend angewach- senen Materials habe ich allerdings einer gleichmässigen Sorgfalt unterzogen, wenn auch, wie es in der Natur der Sache liegt, in Folge hie und da sich ergebender, grösserer, nicht in gleicher Weise zu überwindender Beobachtungsschwierigkeiten und daraus resulti- render Lücken, die einzelnen Abhandlungen ein gleichwerthiges Ge- sammtbild nicht liefern konnten. Breslau im Juli 1875. I. Der Entwickelungseyelus von Troglodytes zoster. Einleitung. Bei meinen, den in feuchter Erde, den Wurzelfasern verschie- dener Moose u. s. w. lebenden Protozoen gewidmeten Untersuehungen traf ich auf einen bisher noeh nicht beschriebenen, beschalten Rhizo- poden, welcher zwar alsbald als zu den monostomen Monothalamien (LEsser-HeErTwiG) gehörend sich auswies, aber als eine neue Species keiner der bisher bekannten Gattungen derselben einzuverleiben war !). I) Corollarien zu einer auf morphologischer Basis aufgebauten Systematik p 5 5 y werde ich, unter Benutzung und einer kritischen Beleuchtung des auf diesem Gebiete bisher Geleisteten, erst am Schlusse meiner Arbeiten beizubringen mir erlauben; ich kann indessen nicht umhin, an dieser Stelle schon die Bemerkung laut werden zu lassen, dass die von Lesser-Herrwic in ihren Rhizopoden- studien aufgestellte Eintheilung der monostomen Monothalamien in M. lobosa und rhizopoda mir nicht stichhaltig scheint, da, wie es im Verlaufe meiner weiteren Darstellungen sich ergeben wird, beide Formen der Pseudopodien bei fast allen Rhizopoden als vorhandene beobachtet werden können, wenn auch die Häufigkeit ihres gleichzeitigen Erscheinens und ihres wechselnden Ver- ae? as. Untersuchungen iiber Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 537 Die Aufstellung einer neuen Gattung erschien deshalb geboten; ich habe ihr den Namen Troglodytes beigelegt in Anbetracht später noch zu erörternder Riumlichkeitsverhiiltnisse, die zwischen der Schalen- höhle und der Leibesmasse des Thieres obwalten. Sie wird — so weit die Ergiebigkeit des mir zu Gebote stehenden Materials eben reichte — durch zwei Arten repräsentirt, von denen indessen hier nur die eine, Tr. zoster, uns beschäftigen soll. Eine kurz gefasste Beschreibung vorausschiekend, behalte ich mir eine eingehendere Darlegung der morphologischen Verhältnisse vor; ich will mieh hier hauptsächlich darauf beschränken, dem ge- neigten Leser ein detaillirtes Bild, wie es die eigenthümlichen und complicirten Zeugungs- und Entwickelungsvorgänge dieses Thieres darbieten, aufzurollen. Obgleich zu jeder Jahreszeit in feuchter, mit thierischen Exere- tionsstoffen geschwängerter Erde, wenn auch nicht immer in sich gleich bleibender Menge, anzutreffen, zeigt Tr. indessen eine, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, zart besaitete Leibesconsti- tution, welche den doch immer unter veränderten Lebensbedingungen befindlichen Rhizopoden, wie solche in seinem zwar natürlichen, doch unter dem bestimmenden Einflusse anderer Verhältnisse stehenden Aufenthaltsmedium sich geltend machen, sehr bald der Verkiimme- rung und einer schnell eintretenden gänzlichen Vernichtung anheim- fallen lässt. Ich stehe deshalb nicht an, an dieser Stelle den ge- ehrten Fachgenossen zur Erleichterung ihrer etwaigen, auf unsern interessanten Rhizopoden gerichteten Untersuchungen diejenigen Mass- nahmen anzugeben, welche nach vielen vergeblichen Bemühungen sich mir als die geeignetsten erwiesen, um dieselben für längere Zeit in durchaus normalem Zustande zu erhalten. Vor Allem ist genau darauf zu achten, dass der Feuchtigkeitsgrad der sie beher- bergenden Erde so viel als möglich dem des Fundortes angepasst bleibe, weil vornehmlich hierauf bezügliche Schwankungen das Leben unseres Rhizopoden auf sehr ungünstige Weise beeinflussen ; ein höhergradiges Eintroeknen der Erde erwies sich mir von nicht so schwindens keine constante, so wie ihr functioneller Werth nicht der gleiche ist; immer sind sie aber als unzweifelhafte Spuren einer beginnenden, mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Differenzirung des Protoplasma anzusprechen. — Uebrigens gestehen es HERTWIG-LESSER (p. 86) zu, dass »die Fortsätze des- selben Thieres unter einem vielgestaltigen Bilde erscheinen können«, und dass die als rhizopode und lobose Formen bezeichneten Pseudopodien keine zu schroffen und unvermittelte Unterschiede hierin darbieten. 36 * 538 B. Gabriel verderblichen Folgen, als ein nicht aufmerksam genug controlirtes, zu reichliches Auftrépfeln von Wasser, wie denn überhaupt alle von mir aufgefundenen neuen Gattungen und Arten ungemein empfind- lich gegen Nässe erscheinen. Es werden sich deshalb während des Sommers kühle, von der Sonne nicht direct getroffene Orte, im Winter ein nicht über 12—15° R. erwärmter Raum am besten zu Aufbewah- rungsplätzen eignen. Sollte das vorräthig gehaltene Material im Winter, wie es zuweilen statt hat, als gänzlich unergiebig sich kund- geben, so genügt eine den angegebenen Normen entsprechende Be- handlung einer handvoll, aus tiefern Schichten hervorgeholter humus- reicher Erde, die mit einer nur ganz geringen Menge von Enten- oder Hiihnerexcrementen gedüngt, gleichsam gezüchtet werden muss, um die darin befindlichen, übrigens ungemein kleinen Keime zu er- höhter Lebensthätigkeit anzuregen; es gelingt dann bald, sowohl vollständig ausgebildete Exemplare, wie die alle Phasen der Ent- wiekelung durchmachenden Keime vor Augen zu bringen. Ein etwa 7 Cm. tiefes und 5 Cm. breites Glas eignet sich am besten zur Auf- bewahrung des Materials; dieses darf aber zu einer nicht mehr als höchstens 7/, Cm. tiefen Schicht angehäuft sein und muss etwa jeden zweiten Tag mit einem gläsernen Stabe so umgerührt werden, dass ein Wechsel in der bisherigen Lage der Schichtungen erzielt und damit die sonst sehr bald massenhaft und in ausgedehnten Colonien auftretenden, das Leben der Thiere beeinträchtigenden Schimmel- und Bacterienbildungen so viel als möglich verhütet werden; das Glas muss unbedeckt bleiben und der Hinzutritt der Luft in keiner Weise behindert werden. Vollkommen ausgebildet erscheint Tr. zoster als ovoider, nach der Schalenöffnung hin sich etwas verschmächtigender Körper, dem auch die Form der monaxon angelegten Schale entspricht. Er erfüllt indessen nicht ganz die Höhlung der übrigens structurlosen, häutigen Schale, innerhalb deren das Thier seine Gestalt mehr oder minder verändernde Evolutionen auszuführen im Stande ist; bei der andern Art sind diese Bewegungen noch ergiebigere und der von der Leibes- masse nicht eingenommene Theil des Schalenhöhlenraumes noch grösser. Die Schalenöffnung erscheint als ein genau von der Längsaxe halbirter, nicht scharf contourirter, glatter, selten deutlich sichtbarer, elliptisch geformter Spalt. Durch die die homogene Leibesmasse des Thieres bildende protoplasmatische Substanz werden ausschliesslich die innerhalb der Schale vor sich gehenden und mit Formveränderungen verbundenen Bewegungen des Thieres bedingt; in ihrem am weitesten Untersuchungen iiber Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 539 nach hinten gelegenen (aboralen), dem geräumigsten Abschnitte der Schalenhöhlung angehörenden Theile, liegt der Kern eingebettet. Diese homogene Substanz ist einer gewissen an ihren äussersten Grenzschichten, namentlich bei starken Contractionen eintretenden und deutlich erkennbaren Verdichtung fähig, eine von mir auch bei vielen andern Protozoen beobachtete Erscheinung. In der granu- lirten, von der homogenen Substanz umhüllten und sich von ihr scharf abgrenzenden Zone lassen sich zwei durchaus verschieden differen- zirte Substanzen nachweisen, eine protoplasmatische, das Licht matt bläulich brechende, und die in ihr suspendirt enthaltenen, rundlichen, stark lichtbrechenden, kaum wahrnehmbare Dimensionsunterschiede zeigende Körnehen. Eine dritte, weniger körnchenreiche, doch auch nicht gänzlich homogene, an räumlicher Ausdehnung hinter den andern zurückstehende Zone schliesst sich der mittleren an, in ähnlicher Weise, wie sie F. E. Schutze!) bei Euglypha alveolata beschreibt. . Als ganz besonders interessant muss ich es hervorheben, dass sich ausser den angegebenen Differenzirungen der Leibessubstanz noch ein aus grösseren und dunkler gefärbten, zuweilen gelblich , bei älteren Individuen beinahe rostbraun erscheinenden Körnchen bestehender, gleichmässig angeordneter Gürtel, zoster, fast die ganze Breite der granulirten Zone einnehmend, vorfindet. Diese den Gürtel zusam- mensetzenden, meist anscheinend unbeweglich liegenden Körnchen werden in unregelmässig wiederkehrenden, einige Secunden andauern- den Perioden über die Grenzen der granulirten Zone hinaus disper- girt, man könnte sagen geschleudert, um dann, allmälig sich sam- melnd, ihren früheren Platz wieder einzunehmen; es ist ihnen, wie wir sehen werden, eine nicht unbedeutende Rolle bei den die Zeu- gung begleitenden Vorgängen zugetheilt. — Zwei grössere, in Lage- rung und Zahl stets constante Vacuolen finden sich, die äusserste Grenzschicht der homogenen Substanz einnehmend, an der Stelle, wo die Kernzone in die mittlere, granulirte übergeht, und zwei an- dere kleinere, mehr nach innen gelegene zwischen der granulirten und dritten Zone. Diese mit Flüssigkeit erfüllten, das Licht unwan- delbar blassrosa brechenden, wandungslosen Räume lassen zwar, aller- dings in unregelmässiger Wiederkehr, ein durch das Auspressen der in ihnen angesammelten Flüssigkeit gesetztes Collabiren erkennen, dem nach einiger Zeit wieder ein Anschwellen folgt — ob indessen dieser innerhalb der Protozoengruppe so ungemein weit verbreiteten !) Arch. f. mikroskop. Anat. XI, p. 100. 540 B. Gabriel Erscheinung der physiologische Werth der Function eines pulsirenden Organs substituirt werden kann, will ich einstweilen dahingestellt sein lassen; es wird sich mir in der Folge noch des öftern Gelegen- heit bieten, das sogenannte Pulsiren dieser auch contractile Blasen genannten Hohlräume (der dann nach HAkcKEL’s geistreicher Bezeich- nung constant gewordenen Vacuolen) ausführlicher zu besprechen, so viel indessen sei mir hier schon zu bemerken gestattet, dass ich meinerseits ganz entschieden denjenigen Forschern beipfliehte, die eine prineipielle und für die Systematik zu verwerthende Trennung in contractile und nicht contractile Behälter von der Hand weisen. — In der am weitesten nach hinten gelegenen homogenen Zone liegt, von den Schalenwandungen gleich weit abstehend, der zwar blasse, aber dennoch auch ohne Hülfe von Reagentien deutlich sichtbare Kern, der in seinem Innern ein bläulich schimmerndes Kernkörper- chen birgt. — Bei länger andauernden und öfter wiederholten, die Pseudopodien betreffenden Beobachtungen erkennt man bald, dass sie in verschiedenen, mit einander abwechselnden, ineinander über- gehenden Formen erscheinen ; so stellen sie entweder kuglig gewölbte, mit feinen Ausläufern versehene Hervortreibungen, wohl auch zwei grössere eylindrische warzenförmige Hervorragungen dar, oder treten in Form strahliger, mit einander nicht verschmelzender, körnchen- loser, matt glänzender Fäden zu Tage; vor ihrem Verschwinden zeigen die eben erwähnten spitzen Ausläufer eine blitzschnell vor- übergehende kolbige Anschwellung. Nur während der Copulation treten hiervon abweichende Formen auf, die ich bei Besprechung jenes Actes noch ausführlicher, beschreiben werde. — Als nicht un- bedeutenden Schwankungen unterworfen zeigen sich die Grössenver- hältnisse der Thiere, sowohl der ausgebildeten, als die ihrer eigen- artigen Entwickelungsstufen, Schwankungen, die wegen der Häufig- keit und regelmässigen Wiederkehr ihres Auftretens indessen, wenn überhaupt, jedenfalls nieht auf Rechnung ungleichgradiger Ernäh- rungszustände allein zu setzen sein dürften; möglicherweise treten uns in ihnen allmälig erworbene und stabil gebliebene individuelle Verschiedenheiten entgegen. Wo ich im Verlaufe meiner Darstel- lungen Grössenwerthe angebe, repräsentiren sie die aus durchschnitt- lich zwölfmal wiederholten Messungen gezogenen Mittel. Die die Generationsverhältnisse der Protozoen, speciell der Rhi- zopoden betreffende Literatur hat in jüngster Zeit einen sehr werth- vollen Zuwachs in Herrwig’s!) Untersuchungen über die Colonie- 1) Arch. f. mikroskop. Anat. X. Suppl. p. 1 sq. Untersuchungen iiber Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 541 bildende Mierogromia, und in Greerr’s!) an Pelomyxa palustris an- gestellten Studien erfahren. Erstgenannter Forscher weist als Gene- rationsmodus der Microgromia eine in morphologischer udn physio- logischer Hinsieht durchaus sich unterscheidende und auch in der Zeit ihres Vorkommens variirende Quer- und Längstheilung nach, von denen die erstere nur, in keinem Zusammenhange mit der Co- lonie stehende Schwärmer, die als Mutterthiere einer neu zu grün- denden Colonie zu betrachten sind, hervorbringt, während durch fortgesetzte Längstheilung, wobei die neu entstandenen Individuen im Zusammenhange bleiben, dem Zustandekommen einer Colonie die Wege gebahnt werden. Hervorzuheben ist es ferner, dass Herrwic auch nicht die geringste Spur einer geschlechtlichen Differenzirung aufzufinden und eine Betheiligung des Kerns an diesen übrigens vortrefflich geschilderten Vorgängen nur in der Weise nachzuweisen vermochte, dass der Theilung der Leibesmasse eine Proliferation des Kerns — ob durch Theilung oder Neubildung herbeigeführt, liess sich nicht sicher feststellen — vorangeht. — GREEFF beschreibt die Fortpflanzung von Pelomyxa als höchstwahrscheinlich so von statten gehend, dass sich in Folge einer bedeutenden durch Theilung hervor- gegangenen Kernvermehrung in dem Parenchym sporenartige, diesen Organismen eigenthümliche Glanzkörper entwickeln ; aus letzteren soll dann eine zahlreich auftretende Amöbenbrut ihren Ursprung nehmen, die wiederum eine Umbildung in flagellatenähnliche Schwärmer er- fahren. Der genannte Forscher lässt es unentschieden, ob aus letz- terer Uebergangsform direct junge Pelomyxen sich hervorbilden, oder ob, was er für wahrscheinlicher erachtet, die Flagellatenform nach einiger Zeit in den Amöbenzustand wieder zurücktritt. — Von früher erschienenen Arbeiten, die übrigens HERTwIG ?) einer allgemeinen Besprechung unterzieht, erwähne ich nur Carrer’s*) Untersuchungen, weil er zuerst auf eine geschlechtliche, durch ovula und Spermato- zoiden repräsentirte, Differenzirung bei Rhizopoden aufmerksam ge- macht zu haben das Verdienst hat und, meines Wissens, bis jetzt der einzige Forscher ist, welcher die Weiterentwickelung eines so befruch- tenden Keimes bei einer Monothalamienart (Euglypha alveolata) einige Stadien hindurch direct beobachtete. — Auf die von GREEFF®) bei Amoeba terricola wahrgenommenen Zeugungsvorgänge werde ich in !) Archiv f. mikroskop. Anat. X, p. 51. a) CR D. 1% 3) Annals and Mag. of nat. hist. II. 1856. p. 223 sq.; II. Vol. 12. 4) Archiv f. mikroskop. Anat. II. p. 229. 542 B. Gabriel einer meiner später folgenden Untersuchungsreihen noch ausführ- licher zurückzukommen Gelegenheit haben. — Die Gesammtresultate aller auf dieses Gebiet gerichteten Beobachtungen sind wohl kaum streng geschiedenen, festen Kategorien unterzuordnen — wir begeg- nen Theilungen der gesammten Leibesmasse, des Kerns allein und ihnen folgenden Schwärmerbildungen , mit oder ohne vorangehende Eneystirungen, auch frei im Kérperparenchym entstehenden Keim- kugelbildungen, bei gleichzeitigem Auftreten von als Spermatozoiden gedeuteten, fadenförmigen oder rundlichen Gebilden. Wenngleich schätzenswerthe und bei weiteren Untersuchungen zu verwerthende Anhaltspunete bietend, gehen diese Beobachtungen doch fast alle über fragmentarisch gehaltene Darstellungen nicht hinaus — einen beinahe lückenlosen Entwickelungskreis eines Rhizopoden hat bis jetzt wohl nur Hertwia gegeben. Dass die bisherigen Ergebnisse die Eruirung eines diesen Fortpflanzungsvorgängen zu Grunde liegenden einheitlichen ‚Planes vermissen lassen, ist nicht zu läugnen, sei es, weil die betreffenden Lebewesen in zu wenig oder gar keinen blut- verwandtschaftlichen Beziehungen zu einander stehen, für deren Vor- handensein doch gerade analoge Fortpflanzungsmodi das vollgültigste Zeugniss ablegen, sei es, weil es bisher nicht gelungen ist, vermit- telnde, die Kluft überbrückende Zwischenstufen aufzufinden. Nach beiden Riehtungen hin den forschenden Blick zu richten und klärende Thatsachen zu sammeln, ist mein eifriges nicht ganz unfruchtbar gebliebenes Bestreben gewesen. Mich nun der Darstellung des Entwickelungseyelus von Tr. zu- wendend, kann ich dabei den Weg nicht inne halten, auf dem ich nach vielen fruchtlosen Versuchen und mit beträchtlichem Zeitauf- wande zu einem Erkennen und einer nur allmälig emporwachsenden richtigen Deutung jener eigenthümlichen und complicirten Vorgänge gelangte. Ich halte dafür, dass der hier von mir gewählte, für eine Lösung der vorgestellten Aufgabe am besten sich eignende Weg, die Darstellung an Klarheit und Uebersichtlichkeit gewinnen lassen, eine freundlich erbetene Kritik gewissermassen erleichtern wird. 1. Die Copulation, der Zeugung-einleitende Act. Von einigen Forschern bei diesem und jenem Rhizopoden wahr- genommen, von andern, wenn auch nicht geradezu geläugnet, so doch einer andern Deutung unterzogen oder für überhaupt bedeutungslos gehalten, erscheint die Copulation als ein die Zeugung einleitender Act, wie ihn wohl zuerst CARTER auffasste, in der That sehr weit Untersuchungen über Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 543 verbreitet und hat, wo er und unter welcher variirenden Form er immer angetroffen wird, stets gleichwerthige auf den weiteren Verlauf der Generationsvorgiinge bezügliche Veränderungen inner- halb der Gesammtleibesmasse der betreffenden Thiere in seinem Gefolge, wofür ich vollgültige Belege beizubringen Gelegenheit haben werde. — Ich schildere die dabei statthabenden Vorgänge genau und in allen ihren von mir eruirten Einzelheiten — ich halte dafür, dass über ein je reicheres durch Detailbeobachtungen geliefertes Material man verfügt, ein desto geläuterteres Erkennen des allgemein Gül- tigen und Gesetzmässigem im Leben der Organismen zu erzielen sein dürfte. Kommen bei ihren übrigens nicht sehr häufigen Locomotionen zwei ausgebildete Troglodyten einander nahe und treffen dabei mit ihren Pseudopodien aufeinander, so ändern sie, nach derartig erfolgter Kenntnissnahme von ihrer gegenseitigen Nähe, die Richtung ihrer, wie es scheint, dann etwas beschleunigten Bewegung, deren Resultat darin besteht, dass die Schalenöffnungen und die aus ihnen tretenden Pseudopodienbüschel einander genau gegenüber zu liegen kommen, zwischen denen indessen noch ein geringer Zwischenraum übrig bleibt, um einer bald auftretenden eigenthümlichen Verschmelzung letzterer Raum zu gönnen. Nach kurzer Zeit nämlich werden die zu äusserst liegenden, nach verschiedenen Richtungen hin divergirenden Fäden eingezogen, und die nun nur in gerader Richtung aus den Schalen austretenden Pseudopodienmassen verschmelzen zu einem gelblich tingirten, bedeutend der Länge nach anwachsenden, eylindrisch ge- formten Knoten (Fig. 1 a). Es findet dabei eine so innige Verbin- dung, eine so hochgradige gegenseitige, ich möchte sagen unter der Form einer Verfilzung auftretende Durchdringung des Protoplasma statt, dass auch nicht einmal die Spur einer Grenzlinie zwischen den beiden verschmolzenen Pseudopodienmassen mehr nachweisbar ist. Von diesem Knoten gehen, mehr die Riehtung der Längsaxe inne- haltend, zahlreiche, spitz auslaufende, strahlig angeordnete, körn- chenlose Fortsätze aus, die indessen keine Bewegungserscheinungen wahrnehmen lassen. Während dieses etwa durchschnittlich eine halbe Stunde andauernden Vorganges findet ein Ortswechsel nicht statt und es vollziehen die eopulirten Individuen diesen Act in träger Ruhe, die nur durch seltene und wenig ergiebige Drehbewegungen unter- brochen wird. Ein gegen früher verändertes Verhalten der contrac- tilen Behälter konnte nicht beobachtet werden. Nach und nach be- ginnt dann die Masse des Knotens an Umfang zu verlieren, die 544. B. Gabriel strahligen Ausläufer verschwinden allmiilig, eine sehr zarte, kaum angedeutete Grenzlinie zwischen den beiden aus ihrer Verschmelzung sich lösenden Pseudopodienmassen wird sichtbar und die Thiere ent- fernen sich etwas von einander. Als immer deutlicher von einander sich scheidend treten die Umrisse der Pseudopodien hervor, die dann aber gleichzeitig in die Schalenhöhlungen zurückgezogen werden, bis nur ein schmaler beide verbindender Strang übrig bleibt, mit dessen — Zerreissen der Act der Copulation beendet ist An eine bestimmte Jahreszeit nicht gebunden, doch, so weit meine Erfahrungen reichen, im September und October am häufigsten anzutreffen, ist diese Art und dieser Act der Copulation aufzufassen lediglich als ein durch das Verschmelzen der Pseudopodien vermittelter gegenseitiger Aus- tausch von (homogener Leibesmasse, die wahrscheinlich einer ge- wissen bei dem gegenwärtigen Stande unserer Hülfsmittel freilich nieht näher erkenn- und definirbaren Differenzirung unterliegt, was wohl aus der beträchtlich veränderten Färbung des Verschmelzungs- knotens mit einiger Sicherheit zu folgern wäre. Zugleich aber werden wir diesem Austausch von Leibessubstanz die Fähigkeit vindieiren müssen, eine, wie aus den Folgezuständen unzweifelhaft hervor- leuchtet, entschieden sich kundgebende Modificirung der Lebensthä- tigkeit in beiden copulirt gewesenen Individuen anzuregen. Ohne eine solehe Annahme wenigstens entzögen sich die der Copulation folgen- den (und bei allen diesen Act eingehenden Rhizopoden auf einen gemeinsamen Typus zurückzuführende) Veränderungen jeder Erklä- rung. Eine dahin zielende Frage, ob ohne das Zustandekommen eines solehen Zeugung-einleitenden und durch die angegebene Deu- tung seines physiologischen Werthes gekennzeichneten Actes eine Sterilität der betreffenden Individuen gegeben sei, ob also die durch eine ungünstige Chance des Zufalls von der Copulation ausgeschlos- senen, gleichsam zu einer Art von Cölibat verurtheilten Individuen als jeder Fortpflanzungsthätigkeit baar und unfähig betrachtet werden müssen, ist wohl bejahend zu beantworten, und um so mehr, als bei Troglodytes ein anderer, mit dem zu beschreibenden abwech- selnder Fortpflanzungsmodus nicht vorhanden ist. Ich betone dieses deshalb in nachdrücklicher Weise, weil ich, allerdings bei nur sehr wenigen Arten einzelner Rhizopodengattungen einen gewissen Di- morphismus der Keime, hervorgegangen aus zwei durchaus ihrem Prineip nach verschiedenen, gewissermassen parallel neben einander verlaufenden, doch alternirenden und einander stets ausschliessenden Zeugungsprocessen beobachtet habe. Diesen weit verbreiteten Act | Untersuchungen iiber Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 545 der Copulation der bei Gregarinen z. B. Platz greifenden Zygose eleichzustellen oder gar unterzuordnen, erscheint meiner Meinung nach nieht ganz gerechtfertigt; der durch erstere gesetzte Austausch von Leibessubstanz ist einer totalen Verschmelzung, einem gänzlichen Aufgehen der dabei betheiligten Individuen ineinander nicht gleich- werthig zu erachten. — Die Zygose schliesst eine nach Ablauf des Vermischungsprocesses wieder eintretende Trennung der Individuen unter allen Umständen aus, mit ihr ist sofort die Grenze des indi- viduellen Lebens gesteckt, ganz davon abgesehen, dass dieser Pro- cess schon deshalb auch an morphologischer Bedeutung einbüsst, weil, wie durch LiEBERKÜHN festgestellt. einige Gregarinenformen ohne vorangegangene Zygose in Pseudonavicellen sich umzuwandeln im Stande sind. Die Copulation hingegen characterisirt sich lediglich als Austausch- und Anregungs- aber nicht Verschmelzungsprocess der Gesammtleibesmasse zweier Individuen, sie gestattet eine nachmalige Trennung der diesen Erscheinungseyelus durchmachenden Einzel- wesen, und wahrt so deren Individualität, deren jede nun selbstständig und allein aus sich heraus in Folge eigenthümlicher und an geschlecht- liche Zeugungsvorgänge anklingender Differenzirungen eine der Keim- bereitung ausschliesslich gewidmete Lebensthätigkeit entwickelt, in der und durch die doch unzweifelhaft so eine höhere Organisation zum Ausdruck gelangt. — Ob aber alle diese bei der Copulation in Betracht kommenden Einzelmomente ihre Begriffsfassung als eines in der That geschlechtlichen Zeugungsvorganges gestatten, muss wohl, bei der nothwendig geboten erscheinenden Vorsicht in Deutung und Ausdruck, negirt werden. Ich werde im Verlaufe meiner Darstel- lung diesen nicht unwichtigen Punet nochmals und ausführlicher zu berühren Gelegenheit haben. 2. Die Zeugung des Keimes. a. Nach der Copulation auftretende Veränderungen. Die nach Beendigung der Copulation ihrer Individualität gleich- sam wieder zurückgegebenen Thiere offenbaren eine mehr inneren Processen gewidmete, weniger der Aussenwelt zugewendete Lebens- thätigkeit, eine Erscheinung, welche bei allen einen analogen Ent- wickelungseyelus unterworfenen Organismen sich ausnahmslos wie- derholt. Bewegung, Empfindung, Nahrungsaufnahme — diese durch das Pseudopodienspiel vermittelten und deshalb als dem Functions- rayon der hyalinen Leibessubstanz angehörend zu betrachtenden Vor- 546 B. Gabriel gänge — bekunden unzweifelhaft einen geringeren Grad von Thä- tigkeitsäusserung, eine gewisse Lässigkeit hat sich des uns beschäf- tigenden winzigen Organismus bemächtigt. Bewegungserscheinungen zum Zwecke des Ortswechsels kommen immer seltener zur Beobach- tung, nicht minder die jetzt meist in abwechselnder Form sich aus- breitenden Pseudopodien, womit wohl eine verminderte Nahrungs- aufnahme verbunden ist. Dagegen treten die Dispersionserscheinungen des zoster in immer kürzer werdenden Zwischenpausen ein, und das ist als bedeutungsvolles Zeichen seiner beginnenden und einfluss- reichen Betheiligung an den weiteren nun in den Wahrnehmungs- horizont tretenden Keimzeugungsprocessen aufzufassen. Dieser Zu- stand — eine genauere Zeitangabe bin ich zu machen ausser Stande — dauert mehrere Tage. Zunächst macht sich dann ein, nament- lich in der hinteren Zone prägnanter hervortretendes Erblassen der hyalinen, homogenen Leibessubstanz bemerklich; ihr früher perlmut- terartiger, geronnenem Hühnereiweiss vergleichbarer Schmelz verliert an Gleichmässigkeit der Consistenz und des Liehtbreehungsvermögens und erscheint deshalb an einzelnen Stellen wolkig getrübt; die sonst ziemlich markirt verlaufenden Contouren der Zonengrenzen erscheinen wie verwischt, so dass letztere sich nicht mehr deutlich von einander abheben. Weniger betroffen von diesen aus inneren Vorgängen resulti- renden Veränderungen, lässt die mittlere Zone und die ihr angehörende Granulation irgendwie auffallende Unterschiede in Färbung, Grösse und Lagerung der Körnehen bis jetzt nicht wahrnehmen. Ein etwas verändertes Verhalten zeigen dagegen die contractilen Behälter, indem sie nicht allein seltener auftretende Füllungsmomente darbieten, son- dern auch eine progressive Abnahme der nach jeder Auspressung sich wieder ansammelnden Flüssigkeitsmenge erkennen lassen, so dass ihr Schwellungsdurchmesser gegen früher beinahe um die Hälfte redueirt erscheint. Unberührt von dem alterirenden Einflusse der durch die Copulation gesetzten Veränderungen bleibt nur der Kern und sein Kernkörperchen; durchaus unbetheiligt an der Zeu- gung des Keimes, bewahrt er seine Integrität und kann deshalb innerhalb der diesem Fortpflanzungsmodus unterworfenen Rhizopoden- gruppe meiner Meinung nach nicht als Geschlechtsdrüse im Sinne von CLAPAREDE und LACHMANN!), sondern wohl nur als ein beson- deren Secretionsvorgiingen dienendes Gebilde aufzufassen sein. Die nächsten Vorgänge, welche in den Kreis der durch die noch ') Etudes sur les Infus. I. p. 430. Untersuchungen iiber Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 547 nachhaltig wirkende Copulation gesetzten Umbildungen gehören, zu- gleich aber auch der Zeugung des Keimes mehr unmittelbar voran- gehen, betreffen den zoster beinahe allein. Welchen dabei direet auf ihn einwirkenden ursächlichen Momenten seine nun beginnende Trübung beizumessen sei, liess sich nicht näher ermitteln; wahr- scheinlich mögen theils modifieirte Ernährungszustände, wohl nicht schwer aus dem sehr selten gewordenen Pseudopodienspiel eruirbar, theils die schon beschriebenen und eine Art von Abschluss bildenden Veränderungen im Gebiete des homogenen Protoplasma, wenn auch nicht in gleichmässiger Weise dabei betheiligt sein. Diese Trübung gibt sich in einer gesättigteren Färbung seiner Körnchen zu erken- nen, wodurch wohl ein gesteigerter Grad von Lichtabsorptionsver- mögen derselben herbeigeführt werden dürfte; dann liegen die Körn- chen auch dichter aneinander gedrängt, kommen so in einem gegen früher modifieirten Bilde zur Anschauung und gestatten dem beob- achtenden Auge, trotz ihrer scharf umschriebenen Contouren, nicht so leicht als früher ein deutliches Sondererkennen. Mit den jetzt immer schneller sich folgenden, etwa zwei bis drei Mal innerhalb fünf Minuten von statten gehenden Dispersionen derselben paaren sich eigenartige, ruck- und stossweise auftretende, fast als krampf- haft zu bezeichnende, zur Kugelform führende Maximal-Contraetionen des Thieres (Fig. 2), wobei ich indessen die früher erwähnten, an den Grenzschichten sich bemerkbar machenden Verdichtungen der homogenen Substanz durchaus vermisse; dass dadurch eine noch erhöhte Trübung, eine fast totale Undurchsichtigkeit der Gesammt- leibesmasse herbeigeführt werden muss, leuchtet ein. Die disper- girten Kérnchen gelangen nicht alle mehr während der ihnen ge- sönnten Sammelmomente auf ihren früheren Platz zurück, sei es wegen der schnellen Reihenfolge der sich fast überstürzenden Dis- persionen, sei es, weil wohl schon einzelne der Körnchen einem Auf- lösungsprocesse, einem Aufgehen in die übrige Masse unterliegen — bis auf die letzte zur Beobachtung kommende Dispersion überhaupt kein Ansammeln mehr folgt. Von diesem Momente an ist eine all- mälig von statten gehende und zu einem sichtbaren Ausdruck ge- langende Auflösung der zoster-Körnchen und eine so angebahnte Ver- schmelzung derselben mit der übrigen gesammten Leibesmasse zu eonstatiren; büsst nun auch so der zoster zwar seinen morphologi- schen Character ein, so gibt doch andererseits die, wie wir sehen werden, wirkungsreiche Beimischung seiner Körnchen das Signal zur Inscenesetzung eines vitalen Phänomens, das unter einigen Modifi- 548 B. Gabriel cationen von mir auch bei allen anderen einem Copulationsacte un- terworfenen Rhizopoden im weitesten Sinne) beobachtet worden ist. Diesen sich gegenseitig bedingenden und in analoger Form zu Tage tretenden Erscheinungen einer auf einen einzigen Punet hin — die Keimbildung — gerichteten Lebensthätigkeit ist so der Stempel des allgemein Gültigen und Gesetzmässigen aufgeprägt. — Nicht uner- wähnt darf ich es lassen, dass sich nun an den, wie bereits erwähnt, sehr spärlich auftretenden Pseudopodien eine eigenthümliche, ihre Consistenz betreffende Veränderung vollzieht; sie erscheinen zäher, dickfliissiger und deshalb nicht mehr in fadenartiger Ausbreitung, sondern nur noch in Form von conischen, am Rande wie zerfetzt, eingerissen aussehenden, zottenartigen Zipfeln (Fig. 3); langsam her- vortretend, langsam verschwindend und nur noch einzelne Male dieses Spiel wiederholend, haben auch sie bald gänzlich ihre Thätigkeit eingestellt. b. Die Befruchtungskörperchen. Mit der letzten Dispersion des zoster ist die Umwandlung der gesammten Leibessubstanz des Thieres in eine schmutzig gelbliche, flockige , neblige Masse vollendet, aus welcher zwar nicht mehr deutlich, aber doch noch immer erkennbar die Contouren des alle bisherigen Metamorphosen standhaft überdauernden Kerns hervor- treten. Etwa eine halbe Stunde später, nachdem mit der letzten Dispersion die Auflösung der zoster-Körnchen sich vollzogen, beginnt sich die auf der umgewandelten Leibessubstanz liegende Wolke etwas zu lichten. Weit entfernt davon einem scheinbar sich nahenden, unvermeidlichen Zerfalle entgegen zu gehen, beginnt ein neues, bald in mächtigen Wogen pulsirendes Leben darin sich dem beobachten- den Auge zu offenbaren, so unerwartet nach den bisher geschilder- ten, einem natürlichen Zerfallsprocesse ähnlichen, jeder Lebensthä- tigkeitsäusserung anscheinend so fern stehenden Vorgängen. Zuerst am Rande der umgebildeten Körpermasse zur Erscheinung kommend und Anfangs in geringer Zahl, von der immer noch obwaltenden Trübung verschleiert, betreten unmessbar feine, runde, nicht gefärbte Körperchen die Bühne, und keineswegs in untergeordneter, bedeu- tungsloser Statistenrolle. Was diesen bald in grösserer, zu einem wahren Gewimmel ansteigender Menge auftretenden Körperehen beim ersten Anblick schon ein besonderes Gepräge verleiht, ist ihre An- fangs nicht bedeutende, tanzende, hüpfende Bewegung, welche ich, bevor eine häufigere Beobachtung dieses Phänomens eine dem wahren nose de Untersuchungen über Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 549 Sachverhalte entsprechendere Deutung mir gestattete, für eine Molecu- larbewegung zu halten geneigt war. Im weiteren Verlaufe dieses interessanten, 1—1'/, Stunden hindurch der Beobachtung zugänglichen Phänomens, brechen dann jene Körperehen an unzähligen Stellen zugleich und in immer dichter werdenden Scharen hervor und breiten sich über die ganze Oberfläche aus; bald stellt sich dann auch ein schnelleres Tempo in ihren nun wahrhaft tumultuarischen, sowohl cen- trifugalen als centripetalen Bewegungen ein, welche nach kurzer Zeit aber eine deutlich markirte Bahnrichtung innehalten, auf der die nun einer weitaus ergiebigeren Locomotion fähigen Körperchen sich tum- meln; es ist dies ein um den Mittelpunet, von links nach rechts kreisender, vollfluthiger Strom, dessen Schnelligkeit ein aufmerk- sames Verfolgen einzelner in besonderes Augenmerk genommener Körperehen keineswegs erschwert. Ohne weitere bemerkenswerthe Veränderungen darzubieten, ohne dass bei der wenig geräumigen Arena und der grossen Zahl der gleichzeitig dabei betheiligten Kör- perehen irgend welche störende Stockungen eintreten, weicht diese etwa eine Stunde anhaltende rotirende Bewegung dann einem chao- tischen, wirren Durcheinander der auf ihren nun verschlungenen Wegen nicht verfolgbaren Körperchen:; es gelangt darin wohl das Bestreben zum Ausdruck, möglichst vielen Körperchen möglichst zahlreiche Berührungspunete mit der von ihnen nach allen Richtun- gen hin durehkreuzten Leibesmasse zu bieten und diese oft durch- furehten, multipolaren Bahnen in einen wahrhaft fruchtbaren Boden umzuwandeln. — Mit dem allmäligen Nachlass dieser nun anschei- nend regellosen Bewegungen macht sich gleichzeitig und in auffäl- liger Weise gleichen Schritt damit haltend, eine Verminderung der Körnehen bemerkbar, wohl hervorgegangen aus einer Auflösung und nachfolgendem Vermischen mit der übrigen Masse — Genaueres dar- über anzugeben bin ich ausser Stande, es gelang mir, auch unter Anwendung mittelkräftiger Immersionssysteme, niemals, diesen muth- masslich statthabenden Vorgang auch nur in einem einzigen Bilde fest- zuhalten; bald ist jede Spur verwischt, die Körperchen verschwun- den. Sowohl die Dauer dieser Bewegungserscheinungen, der darin sich kundgebende ergiebige Ortswechsel der Körperchen, als das durch ihre Strombahn gelieferte optische Gesammtbild derselben, die Regelmässigkeit, mit der sie bei jedesmaligem Eintritt ein und der- selben Entwicklungsphase wiederkehren, der darin deutlich ausge- prägte Character einer vollgültigen Lebensthätigkeitsäusserung, die vollständig negative Resultate erzielende Einwirkung an Dichtigkeit 550 B. Gabriel verschiedener, im Uebrigen indifferenter Fliissigkeiten — liefern hin- reichende Argumente, dass uns darin keine Molecularbewegung, son- dern eine einem lebensfähigen Organismus angehörende Bewegung von physiologischem Werthe entgegentritt. Eine ihrer Wesenheit auch entsprechende Deutung dieser Kör- perchen ist nur an der Hand der weiteren Veränderungen zu ge- winnen, welche in der so sorgsam vorbereiteten, durch das Ein- schlagen wahrhaft labyrinthischer Wege zu Stande gekommenen Bil- dung der eigentlichen Keimmasse gipfeln. Sehr nahe lag es diese langandauernder und specifischer Bewegung fähige Körperchen, welche unmittelbar der Keimmassenbildung vorangehen, die ursächlichen Momente ihres Entstehens ausschliesslich bilden, sie zu weiterer be- deutungsvoller Thätigkeit anregen, sie befruchten — wie die weitern Vorgänge solches unzweifelhaft documentiren — es lag sehr nahe, sage ich, diese Körperehen mit denjenigen Gebilden in eine Pa- rallele zu bringen, die wir mit dem Namen der Spermatozoiden be- legen und auch ihnen diese Bezeichnung zu belassen. Da aber hier von einer geschlechtlichen Zeugung, auch im weitesten Sinne ge- nommen, nicht die Rede sein kann, besonders differenzirte keim- bereitende Organe nicht vorhanden, zu befruchtende weibliche Keime nicht gegeben sind, ein auch nur im Geringsten accentuirter Gegen- satz zwischen männlichen und weiblichen Zeugungsstoffen deshalb nicht obwaltet, obwohl es mindestens wahrscheinlich ist, dass die zoster-Körnchen theilweise zur Bildung der befruchtenden Elemente beitragen, so nahm ich deshalb Anstand, eine freilich nahe liegende Analogie bis auf eine gleiche, keineswegs aber auch nur einiger- massen motivirte Bezeichnung auszudehnen, und so zog ich es vor, die in Rede stehenden Gebilde »Befruchtungskérperchen« zu nennen; dass sie mit Recht auf diese Bezeichnung Anspruch haben, geht, wie wir sehen werden, aus dem Gesammtresultate ihrer Wirksam- keit hervor — sie und nur sie allein bringen in der zu befruchten- den Leibesmasse eine zu einer besonderen Umbildung führende Thä- tigkeit zu Wege, verändern durch ihre Beimischung dieselbe derartig, dass die eigentliche Keimbildung nun von Statten gehen kann. Uebrigens scheinen schon frühere Forscher diese Körperehen oder doch ihnen analoge Bildungen beobachtet zu haben; so geht aus einzelnen Andeutungen. hervor, dass CLAPAREDE-LACHMANN !) in ihren, der sogenannten zweiten Entwiekelungsreihe von Urnula Epistylidis DINRe. D.N208 "sq. Untersuchungen iiber Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 551 gewidmeten Untersuchungen ähnliche und auch analog gedeutete Körperehen zu Gesicht bekommen haben. Bündelweise beisammen- liegende, als Samenfäden bezeichnete Körper, wie sie GREEFF!) von Amoeba terricola beschreibt, habe ich weder bei beschalten noch bei nackten Rhizopoden (inel. Amoeben) angetroffen. Solche Befruchtungs- kérperchen sind von mir freilich erst im Verlaufe andauernder Beob- achtungen, bei denjenigen der von mir entdeckten Rhizopoden, die einem dem geschilderten analogen Fortpflanzungsmodus unterliegen, aufgefunden worden ; ihre Entstehung geht aber hier von der umgewan- delten Leibessubstanz allein aus, und sie selbst erscheinen unter man- cherlei Modificationen, die speciell zu erörtern ich in den betreffenden noch zu veröffentlichenden Arbeiten nicht unterlassen werde. So viel steht fest, dass die hierauf bezüglichen Vorgänge dieselben vorberei- tenden Stadien durchmachen, nach demselben Typus verlaufen und dieselben Folgeerscheinungen herbeiführen. — Ich habe es trotz viel- fach in meinen Diarien vorhandener Zeichnungen unterlassen eine Abbildung dieser Körperchen zu geben, weil das hauptsächlich Cha- racteristische derselben, ihre tumultuarischen, erst eine bestimmte Stromesrichtung innehaltende, dann einem chaotischen Durcheinander Platz machende Bewegungen durch eine Zeichnung auch nicht ein- mal annähernd wiedergegeben werden kann. — Bald nach Auftreten der Befruchtungskörperchen entzieht sich der Kern nebst Kernkör- perchen jeder weiteren Beobachtung; ob er schrumpfend gänzlich atrophirt, oder seinen Inhalt jetzt erst — was übrigens nicht das Wahrscheinlichere ist — der übrigen Masse beimischt, liess sich trotz wiederholt darauf gerichteter Bemühungen nicht definitiv entscheiden. Ist es indessen erlaubt aus analogen, bei anderen Rhizopoden zur Be- obachtung kommenden Verhältnissen einen Schluss per analogiam zu ziehen, so dürfte die erste Annahme weitaus grössere Wahrschein- lichkeit für sich haben. c. Die Keimmasse, Chagrin. Mit dem Verschwinden der Befruchtungskörperchen haben alle für die Bildung der Keimmasse gesetzten, nothwendigen Vorbedin- gungen ihren Abschluss gefunden; mit jenem ist auch das indivi- duelle Leben des Thieres in seinen letzten Thätigkeitsäusserungen als erloschen zu betrachten. Verfolgen wir nun die weiteren Er- scheinungen, welche das Zustandekommen des Keimes begleiten und ihm die Wege ebnen. Nachdem die Befruchtungskörperchen mit ') Arch. f. mikrosk. Anat. IL. p. 299 sq. Morpholog. Jahrbuch. 1. 2 37 552 B. Gabriel ihren Bewegungen auch ihre Function beendet, sehen wir eine von der immer noch intacten Schalenhaut umgebene, regungslos dalie- sende, jeder accentuirten Lebensthätigkeit scheinbar entrückte Masse vor uns, welche, begegnete ihr das Auge eines nicht in die verbor- senen Tiefen ihres Lebens Eingeweihten, von diesem wenn auch nicht übersehen, so doch wohl nur als ein detritischer Auflösung anheimgefallenes Gebilde organischen Ursprungs und deshalb als einer weiteren Beachtung nicht werth angesehen werden würde. Be- merkenswerth ist es in der That, wie lange diese Masse allen Ein- flüssen der Temperatur u. s. f. Widerstand zu leisten und auch bei dem Mangel jeglicher Pflege ihre Entwickelungsfihigkeit zu bewahren vermag. So zart Troglodytes und die ihm unmittelbar vorangehen- den, durch die Mono- und Diplostigma-Form, wie ich sie nenne, repräsentirten Entwickelungsphasen sich bekunden, so widerstands- kräftig und derb erscheint die Keimmasse, deren endgiltige Umbildung und dabei zu Tage tretende Charactereigenthiimlichkeiten ich jetzt be- sprechen will. Zunächst ist eine Aufhellung derselben zu registriren, nur noch an einzelnen durchaus nicht regelmässig angeordneten Stellen wirft eine wolkige Trübung ihre Schatten darüber. Wie mich durch wiederholtes Vergleichen geprüfte Erfahrungen lehrten, wird sie unter Anwendung einer in allen Beziehungen sich stichhaltig erweisenden Pflege zu einer viel schnelleren und mit Bequemlichkeit stufenweise zu verfolgenden Entfaltung ihres sonst längere Zeit in einem latenten Zustande verharrenden Lebens angeregt. Ein wenig Feuchtigkeit bei eingetrocknetem Material, ein wenig Wärme bei kalten Tempe- raturverhältnissen, ein Beimischen geringer Quantitäten thierischer Abgangsstoffe genügen, um jenes latente Leben in ein offenkundiges und in mannigfaltigen Aeusserungen sich documentirendes zu ver- wandeln. Aber auch ohne solche Pflege, nur bedeutend langsamer die weiter folgenden Phasen durchmachend, verliert sie, wie oben angeführt, keineswegs weder die Tendenz noch die Fähigkeit zu fer- neren Umbildungsprocessen, und kann ich gerade diese ihr anhaf- tende, andauernde Zähigkeit nicht genug hervorheben gegenüber der schnellen Vernichtung, welcher die Entwickelungsphasen der einem andern Fortpflanzungsmodus unterworfenen Rhizopoden unter gleichen ungünstig influirenden Bedingungen anheimfallen. — An vielen Stellen dieser Masse gleichzeitig entstehend, treten dann kleine, scharf con- tourirte Piinetchen auf, die bald an Umfang gewinnend, als tüpfel- artige Hervorragungen erscheinen; wir haben also in jener die Keime erzeugende, immer noch aber als selbstständiger Rest verbleibende, Untersuchungen iiber Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 553 aus den beschriebenen Umwandlungen hervorgegangene, gelb nüan- eirte Tinten zeigende Grundsubstanz, in welcher zufolge nieht näher zu ermittelnder Vorgänge kleine Körnchen, die eigentlichen Keime, entstehen, aus denen wiederum dann die weiteren Entwickelungs- phasen sich hervorbilden. Diese in Form tüpfelartiger Erhabenheiten auftretenden Keime zeigen eine ausserordentlich gleichmiissige An- ordnung, stehen dieht gedrängt, meist gerade Linienfluchten bildend, nebeneinander und lassen deshalb auch ebenso regelmässig angeord- nete, äusserst winzige Zwischenräume zwischen sich. Bei hoher Ein- stellung, von der Fläche aus gesehen, erscheinen sie wie die nur wenig über das Niveau hervortretenden wärzchenförmigen Knötehen des sogenannten Chagrinpapieres, und habe ich sie in Ermangelung einer zutreffenderen und motivirteren Bezeichnung in concreter Weise Chagrin genamt. Anfangs die ganze Höhlung der Schalenhaut einnehmend, ballt sich der Chagrin später etwas zusammen (Fig. 4), wohl in Folge eines veränderten, durch Flüssigkeitsabgabe herbeigeführten Zustan- des der Grundmasse und lässt am oralen Pol eine halbmondförmige Lücke übrig. Bald macht sich auch nun ein beginnendes Zerbröckeln der Schale bemerklich, einzelne Stellen erscheinen rissig, hier und _da treten klaffende Oeffnungen auf, bis zuletzt Grundsubstanz und der in ihr abgelagerte Chagrin frei werden und in die Aussenwelt gelangen. Nicht mehr in enge Grenzen gebannt und in seiner fort- schreitenden räumlichen Ausdehnung mit dem Auge verfolgbar, ver- liert die Chagrinkugel immer mehr und mehr von ihrer ursprünglich runden Form, plattet sich unter allmäliger Ausgleichung der Dicke der Schichten ab und stellt dann einen unregelmässig begrenzten, nicht stark lichtbrechenden Körper dar, dessen Oberfläche wegen der stärker hervortretenden Körnehen wie rauh erscheint, eine durchaus characteristische Eigenschaft. Betrachtet man den Chagrin in diesem Zustande, so käme man wohl in die Lage der Annahme sich zuzu- neigen, dass der Process damit beendet und der Weiterentwickelung der einzelnen Körnchen nichts mehr im Wege stände, in analoger Weise etwa, wie aus der zu rundlichen Körpern umgewandelten Keimmasse der Gregarinen') sich ohne weitere Zwischenphasen die sogenannten Pseudonavicellen hervorbilden. Dem ist indessen nicht so, die Natur schlägt hier ein complicirteres Verfahren ein und un- !) Nicht alle Gregarinen übrigens sind diesem Fortpflanzungsmodus unter- worfen, wie ich auf das Bestimmteste versichern kann. 37 * 554 B. Gabriel terwirft den Chagrinhaufen einem Zerkliiftungs-Furchungsprocesse, eine weitere und meiner Meinung nach wohl zu beachtende Andeu- tung eines Anklingens an specifische Vorgiinge der geschlechtlichen Zeugung. Freilich werden wir hier nicht allein eine nach bestimmter Progression erfolgende, zunehmende Vermehrung der Furchungskugeln und das darin deutlich genug sich aussprechende Bestreben vermis- sen, womöglich gleichwerthige Theilmassen hervorzubringen, wir werden auch eine vergebliche Umschau nach jenen Gebilden halten, die als Gravitationscentra, als mitbewegende Ursachen des Fur- chungsprocesses gelten — den Kernen — immerhin tritt aber das- selbe Prineip auch bei dem in Rede stehenden Vorgange zu Tage, welcher wohl in dieser ursprünglichen Form zu weit älteren Pe- rioden der Stammesgeschichte der Organismen hinaufreichen und viel- leicht als erste Andeutung des so wirkungsreichen Gesetzes der Ar- beitstheilung aufgefasst werden dürfte. Der hier stattfindende Modus ist folgender: Nachdem zuerst einige, meist in unregelmässigen Curven ver- laufende, anscheinend oberflächlich gelegene Linien, die aber kei- neswegs die ganze Breite der Masse durchsetzen und plötzlich wie unterbrochen scheinen, sich bemerkbar gemacht haben, werden sie, einander entgegenkommend und schneidend, bald zu tiefer eindrin- genden und die Keimmasse in ungleich grosse Ballen abtheilende Furchen; die so von einander geschiedenen Theilmassen (Fig. 5) trennen sich immer mehr, und es vollzieht sich an ihnen ein dem eben beschriebenen gleicher Process. Das gemeinsame Resultat dieses wohl mit vollem Rechte als Zerklüftung, Furchung zu bezeichnenden Vorganges besteht darin, dass sich nun eine durchaus nicht constant bleibende Menge grösserer und kleinerer, verschiedentlich und oft bizarr geformter, nebeneinander liegender, doch in keinem Zusam- menhange stehender Haufen gebildet hat. Die grösser gewordenen, durchsichtigen, nicht mehr scharf contourirten Körnchen treten nun, sich mehr und mehr sondernd, mit der Aussenwelt in nähere Be- rührung, da die Grundsubstanz, in der sie eingebettet lagen, zu- sehends schwindet, in einen feinkörnigen Detritus zerfällt und so ein gänzliches Freiwerden der einzelnen Kérnchen veranlasst. Je mehr letztere nun an Umfang zunehmen, eine desto deutlicher in die Augen fallende Umwandlung erleiden sie; bald rundlich, bald mehr ellip- tisch, zuweilen (in der Seitenansicht) an der einen Fläche eine con- cave Einbuchtung zeigend, sind sie zu matt-bläulich das Licht bre- chenden, protoplasmatischen Kliimpchen geworden und stellen so die / Untersuchungen über Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 555 eigentlichen, aus allen bisher beschriebenen Metamorphosen als End- resultat hervorgegangenen Keime oder Keimkörner dar, an denen sich bereits bei aufmerksamer Beobachtung kleinste Bewegungs- erscheinungen in Form von um die Längsaxe vor sich gehender Drehungen erkennen lassen (Fig. 6). — Beiläufig erwähnt sei es, dass die bei anderen Rhizopoden von mir beobachtete Chagrinbil- dung sich von der eben beschriebenen nur in so weit unterscheidet, als bei jenen nicht die Gesammtkörpermasse in Chagrin sich umbildet: es geht hier nämlich nur eine partielle Chagrinbildung in der Weise von statten, dass in der Leibesmasse 2, 3—5 von einander getrennte und von Anfang an in keinem Zusammenhange stehende Chagrin- kugeln sichtbar werden, deren Weiterentwickelung, ohne vorangehen- den Zerklüftungsprocess, indessen nach demselben Typus verläuft. — Nach einer in AuERBACH’s!) bekannter Arbeit gelieferten Be- schreibung unterliegt es für mich keinem Zweifel, dass der genannte Autor bei seiner mit Cochliopodium Hertwig? wahrscheinlich iden- tischen Amoeba bilimbosa ähnliche Bildungen gesehen hat; er nennt sie granulirte Innenkörper und ist in seiner vorsichtigen Weise zwei- felhaft, ob er dieselben als Stadien eines Eneystirungsprocesses auf- zufassen oder in Beziehung zu bringen hat zu einer erst nach Er- löschen des Lebens auftretenden fettigen Entartung, welcher letzteren Deutung er am Schlusse seiner Mittheilungen sich entschieden zu- neigt; er hebt, was mich in meiner Annahme, er habe Chagrinbil- dungen vor sich gehabt, noch bestärkt, es besonders dabei hervor, dass er bei diesen Umwandlungsstufen der erwähnten Amoebe keine Spur eines Kernes mehr habe auffinden können. Warum übrigens nicht auch bei Süsswasser-Rhizopoden ein ähnlicher Keimkörner- Bildungsprocess stattfinden könne, vermag ich nicht abzusehen; ich habe in Aufgüssen, in dem schlammigen, lemnareichen Wasser kleiner Teiche unzweifelhafte Chagrinbildungen angetroffen und halte mich überzeugt, dass bei weiteren darauf bezüglichen Untersuchungen, zu denen aufzufordern ich hiermit mir erlaube, sich noch manche Rhi- zopoden finden werden, welche die Erscheinungen analoger Zeugungs- vorgänge darbieten. Vorläufig wenigstens fehlt es an auch nur an- nähernd triftigen Argumenten, anzunehmen, dass an den allerdings andern Lebensbedingungen unterstellten Aufenthalt in feuchter Erde u. 8. w. das Vorkommen eines so prägnant sich darstellenden Fort- 1) Zeitschrift f. wiss. Zool. VII. p. 388, 390. Taf. XIX, Fig. 20—23, ) le. p. 66. — 556 B. Gabriel pflanzungsmodus gebunden sei; jedenfalls werden hierfür noch an- dere ursächliche Momente massgebend sein, deren Erkennen und Verständniss nur aus einer unendlichen Reihe auf denselben Punct gerichteter Beobachtungen erzielt werden könnten. 3. Die Entwickelung des Keimes. a. Erstes Stadium, die Monostigmaform. Hatten wir es bisher mit Umbildungen der schon durch die Co- pulation veränderten und durch die Befruchtungskörperchen zu einer specifischen Thätigkeit angeregten Leibesmasse zu thun, Umbildun- gen und Veränderungen, welche sich innerhalb der. noch intact ge- bliebenen Schalenhaut vollzogen und mit der Zeugung des Keimes ihren Abschluss fanden, so begegnen wir von nun an in diesem einem neu beginnenden individuellen Leben, dessen mannigfache, oft selt- same Durchgangspuncte aufweisende, in der Aussenwelt vor sich gehende Entfaltung wir bis zur endständigen Bildung des jungen Troglodytes ununterbrochen verfolgen können. Mit einer zusehends ansteigenden Zunahme seines Umfangs lässt der nicht constante Formen darbietende Keim — wahrscheinlich re- sultirend aus minutiösen, der Wahrnehmung sich entziehenden wech- selnden Contractionszuständen seines Protoplasma — eine unzwei- felhaft sich als solehe documentirende Neubildung erkepnen, die als unzweideutiger Ausdruck des in ihm thätigen Lebens erscheint; es ist eine allerdings durchaus spärliche, kaum durch einige Körnchen vertretene, blasse, von dem Protoplasma sich wenig abhebende Gra- nulation, welche nicht allein als erste Differenzirung innerhalb jener, sondern auch als erste Anlage der später massenreicher vorhandenen granulirten Leibessubstanz des künftigen Troglodytes sich darstellt. Bald fesselt eine neue Erscheinung das beobachtende Auge, die in einer noch mehr accentuirten Weise den Character des vor uns be- findlichen, winzigen organischen Gebildes enthüllt und von einer höher- gradigen Thätigkeit innerhalb desselben Zeugniss ablegt. An einem der beiden Pole des Keimes nämlich macht sich eine ungemein kleine, blassrosa das Licht brechende Stelle bemerklich, die jüngstentstan- dene erste Vacuole, die, bis zur endgiltigen Entwickelung des Tr. persistirend, ungemein selten collabirt; um sie von den erst später auftretenden, weit häufigere Füllungsmomente darbietenden grösseren contractilen Behältern zu unterscheiden, habe ich sie stigma genannt, und von diesem Attribute auch die Bezeichnung für dieses erste Untersuchungen iiber Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 557 Stadium der vor sich gehenden Keimesentwickelung, die Monostigma- form, enfaommen (Fig. 7). Geraume Zeit hindurch blieb ich nun in Betreff der ferneren Schicksale der Monostigmen in vollständiger Unklarheit; an ihnen liess sich keine fortschreitende Umbildung, keine zu einer höheren Entwickelungsstufe führende, eine solche vorbereitende Veränderung nachweisen, und ich mühte mich vergebens ab, für irgend eine meiner darauf bezüglichen Combinationen einen Anhalt, eine sichere Basis zu gewinnen; ich war freilich schon lange auf eigenthümlich geformte, gewisser Bewegungen fähige Gebilde aufmerksam geworden, die sich fast immer zu gleicher Zeit mit jenen in meinem Material vorfanden, und wenn auch Manches in ihrer Er- scheinung auf einen genetischen Zusammenhang mit den Monostig- men hindeutete, so vermochte ich doch nicht für diese wohl leise aufdimmernde Vermuthung auch nur einigermassen stichhaltige Ar- gumente aufzufinden, bis ein glückliches Ungefähr, eine einzige Be- obachtung, mich den Schlüssel zu dem vorliegenden Räthsel auffinden liess: ich sah zwei nebeneinander liegende Monostigmen als Vertreter gleichwerthiger Rollen ein seltsames Schauspiel aufführen — sie verschmolzen miteinander (Fig. 8—i4). Dass ich es mir fortan sehr angelegen sein liess, so oft wie möglich als aufmerk- samer Zuschauer diesem Vorgange, dem ich oft stundenlang geduldig entgegenharrte, beizuwohnen, bedarf nicht der Versicherung; von den dabei statthabenden, stets in derselben Folge sich aneinander reihen- den Erscheinungen können mir nur sehr wenige entgangen sein. Es legen sich zwei Monostigmen unter Beihülfe eines mit Drehbewegun- gen verbundenen minimalen Ortswechsels so aneinander, dass sie sich mit den ihren Längsaxen entsprechenden, die meisten Berührungs- puncte liefernden Flächen berühren, um für eine kurze Spanne Zeit dasselbe gegenseitige Lagerungsverhältniss innehaltend, sich dann wieder etwas von einander zu entfernen, doch weit genug, dass der sie trennende Zwischenraum deutlich wahrgenommen werden kann. Hat das Spiel in dieser Weise zwei bis dreimal sich wiederholt, so zeigen dann die wiederum einander näher rückenden Monostigmen eine Formveränderung, indem die Berührungsfläche des einen eine concave, die des andern eine convexe Linie darstellt; es gibt sich darin das Bestreben zu erkennen, die geplante und so vorbereitete Ver- bindung zu einer innigeren zu gestalten, eine Annahme, die in dem Folgenden eine vollkommene Bestätigung findet; sehr bald sieht man nämlich aus der convex erscheinenden Berührungsfläche des einen Individuum eine sich deutlich markirende, zipfelartige Verlängerung 558 B. Gabriel hervorgehen, die sich weiter entwickelnd zu einem kegelförmigen, zapfenartigen Vorsprunge wird und in das Protoplasma des andern, seine Concavität ihm zukehrenden Monostigma eindringt. Weder einer durch Fortschieben des Deckblittchens herbeigeführten Lage- veränderung der so einen grösseren gegenseitigen Halt aneinander findenden Monostigmen, noch einem stärkeren auf sie ausgeübten Drucke weicht diese als Vorläufer der eigentlichen Verschmelzung zu betrachtende und auf eine einzige nicht umfangreiche Stelle be- schränkte Verbindung, welche schon aus diesem Grunde nicht als ein blosses, nur die Oberfläche betreffendes Hinüberschieben eines protoplasmatischen Fortsatzes erachtet werden kann, und um so we- niger, als das Eindringen jenes keilartigen Vorsprunges ein Ver- drängen der protoplasmatischen Substanz des anderen Monostigma involvirt, wofür nicht allein die an der betreffenden Stelle vor sich gehende, durch Farbennüaneirung sich kundgebende Lageveränderung der Schichten des Protoplasma, sondern auch der Umstand spricht, dass während des Eindringens jenes Vorsprunges ein nur auf mecha- nische Ursachen zurückzuführendes Auseinanderdrängen der die spär- liche Granulation bildenden Körnchen stattfindet. Dieses localisirte Aneinanderhaften schliesst deshalb aber in keiner Weise eine geson- derte Bewegungsfähigkeit jedes der beiden Monostigmen aus, es beschränkt sie kaum; bald dreht sich das eine in der Richtung seiner Längsaxe, bald schiebt sich das andere mit dem einen Pole über den entsprechenden des ersten hinüber, zuweilen in solcher Ausdeh- nung, dass sie mit zwei Drittel ihres Leibesumfanges einander decken. Diese Bewegungserscheinungen lediglich als in zufälligen Formen erscheinende, den Endzweck der Verschmelzung nicht fördernde Con- tractionen des Protoplasma zu betrachten, entspräche dem Character dieser stets nach demselben Schema sich abspielenden Vorgänge in keiner Weise; sie laufen alle darauf hinaus, den auf physikalischen Gesetzen beruhenden Widerstand, der sich einem schnell erfolgenden Ineinanderfliessen, Vermischen zweier im Ganzen und Grossen mor- phologisch und chemisch gleichwerthig zu erachtender protoplasma- tischer Substanzen entgegenstellt, allmälig zu überwinden. — Haben diese Bewegungen eine Zeitlang gedauert, so tritt eine keine be- stimmte Zeiteinheiten innehaltende Ruhepause ein, bis das Spiel unter gewissen Modificationen von Neuem beginnt. Vor Allem fällt dabei das Bestreben der beiden Monostigmen in die Augen, diejeni- gen ihrer (gleichartigen) Pole einander geflissentlich zu nähern, die an dem Verschmelzungsprocess partieipiren, Verschmelzungs- Untersuchungen tiber Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 559 pole, welche ausnahmslos die umfangreicheren und an Masse tiberwie- senden sind, während die ihnen entgegengesetzten, schmäleren, con- stant die, wie bereits erwähnt, persistirenden Stigmen beherbergen- den, die Stigmenpole, einander ferne bleiben und, jeder für sich einen mehr oder weniger der eonischen Form sich nähernden Lappen darstellend, einen je nach den auch hier sich bemerkbar machenden Schwankungen bald grösseren, bald kleineren zungenförmigen Aus- schnitt zwischen sich lassen — innerhalb des Rayon derselben findet keine Verschmelzung statt, die erst in einem viel späteren Ent- wickelungstadium zum vollständigen Austrag gelangt. Damit ist die bisherige Parallelität der Längsaxen aufgehoben, die nun an den Verschmelzungspolen beinahe ineinanderfallen, an den_Stigmenpolen am meisten divergiren. Bald treten dann heftig zu nennende, rollende, mit Ortswechsel verbundene Bewegungen ein, abwechselnd mit star- ken Contractionen nur eines Monostigma, gewöhnlich desjenigen, in den der zapfenartige Vorsprung des andern hineinragt und das des- halb von kleinerem Umfange, kugelig zusammengeballt und von dunk- lerer Contour umgeben erscheint. Blieb bisher auch an den Verschmel- zungspolen noch ein kleiner, die Monostigmen trennender Zwischen- raum, so verkleinert derselbe sich immer mehr und mehr, die Contou- ren jener geben sich nicht mehr als deutlich und scharf von einander sich abgrenzende Linien zu erkennen, und unter einer nochmaligen, blitzschnell vollführten Axendrehung haben sich die zum Bezirk der Verschmelzungspole gehörenden, bis zum zapfenartigen Vorsprunge hin sich erstreckenden protoplasmatischen Substanzen zu einer ein- zigen, nur durch eine Contour begrenzten vereinigt, und der Act der theilweisen Verschmelzung hat damit sein Ende erreicht. Das Pro- duct dieser Verschmelzung, die als eine nothwendige und entwicke- lungsfördernde Zygose betrachtet werden muss, ist ein neues Lebe- wesen, welches, obgleich ungleichwerthig jedem der beiden ihn bildenden mütterlichen Organismen, von ihnen die spärliche Granu- lation und die Stigmen in unveränderter Weise entlehnt, in sich auf- nimmt und sich zu eigen macht, und das zweite Stadium in der Entwickelungsreihe des Keimes, die Diplostigmaform darstellt. Bei aufmerksamer Durchmusterung eines ergiebigen, unter Be- achtung der bereits früher angegebenen Normen stets ausnutzbaren Materials, ist dieser Vorgang der theilweisen Verschmelzung zweier Monostigmen zu allen Jahreszeiten anzutreffen. wenngleich auch hier gewisse durch die Summen der Einflüsse äusserer Verhältnisse ge- gebene Schwankungen in Betreff sowohl der Häufigkeit seines Vor- 560 B. Gabriel kommens, als der Schnelligkeit seines Ablaufens sich geltend machen, zwischen welchen ein unverkennbares Gegenseitigkeitsverhältniss ob- waltet. Nach meinen bisherigen Erfahrungen sind die Monate April und Mai als diejenigen zu bezeichnen, welche die besten Chancen für ein häufigeres Antreffen dieses partiellen Verschmelzungsprocesses liefern, das freilich wiederum mit dem Nachtheil verknüpft ist, dass jener schon innerhalb von zwei bis drei Minuten seine Phasen durch- läuft; im September kommt er seltener zur Beobachtung, währt dann aber etwa eine halbe Stunde und gestattet so eine eingehendere und resultatreichere Beobachtung. Aus der morphologischen Bedeutung dieses Vorganges resultirt zugleich sein physiologischer Werth — zwei als Individuen anzu- sprechende, bewegungsfähige, nur einen geringen Grad von Differen- zirung zeigende, doch kernlose Protoplasmaklümpehen gehen, theilweise miteinander verschmelzend, eine derartige und bleibende Verbindung ein, dass sie zu etwa zwei Drittel ihres Umfangs (am Verschmelzungspol) zusammenfliessen, während am entgegengesetzten (Stigmenpol) noch eine in Gestalt lappenartiger Zipfel erscheinende Sonderung, ein Fortexistiren noch nicht ineinander vollständig auf- gegangener individueller Reste statthat. Mit dieser partiellen Ver- schmelzung indessen beginnt sehr bald eine nachdrücklich sich kund- gebende erhöhte Lebensthätigkeit, wie wir sehen werden, deren das einzelne Monostigma für sich allein nicht fähig wäre, eine Funetionsveränderung, eine Functionsvermehrung, und damit ein nur so allein ermöglichtes Aufsteigen zu einem höherwerthigen Organis- mus — niemals kann ein einzelnes Monostigma sich zu einem Troglo- dytes, der Endform, umbilden, wodurch indessen nicht ausgeschlossen bleibt, dass, nachdem es die äusserste Grenze der seiner Individua- lität gewährten Entwickelungsfähigkeit erreicht hat, das einzelne Monostigma als solches seine individuelle Existenz eine Zeit lang fortzuführen vermag. Eine wahrhaft überraschende Aehnlichkeit in der Reihenfolge der Erscheinungen bieten hierzu die Verschmelzungsvorgiinge der Kerne der Furchungszellen im Nematodenei, welche AUERBACH !) im zweiten Heft seiner organologischen Studien uns kennen gelehrt und in vortrefflicher, ausführlicher Weise geschildert hat; die folgerichtig sich uns aufzwingende Deutung der Gesammtleistung dieser Vor- gänge ist wohl im Stande, das mysteriöse Dunkel, welches bisher !) AUERBACH, Organolog. Studien 2. Hft. 3. Abschn. p. 210—214, Fig. 3—8. Untersuchungen über Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 561 immer noch die ersten Entwickelungsstadien des befruchteten Kies umgab und ein geläutertes Erkennen des bewegenden Prineips der- selben zur Unmöglichkeit machte, zum allergrössten Theile zu lichten. — Würde es nicht geradezu gewagt erscheinen, die Monostigmen als echten Zellkernen gleichwerthige Zellenderivate zu betrachten, so dürfte ein Parallelisiren beider Vorgänge auf Grund dann unzwei- felhaft vorliegender Analogien, selbst Homologien, nicht unfruchtbare Resultate liefern; so aber muss ich selbstverständlich davon abstehen, doch aber darauf hinzudeuten mir erlauben, dass von weiteren und auf einen grösseren Bezirk ausgedehnten Untersuchungen immerhin ein Auffinden vermittelnder Bindeglieder nicht ganz hoffnungslos er- scheint. Einen einzigen darauf bezüglichen Punct nur will ich zum Zwecke eines anzubahnenden Vergleiches in Erwägung ziehen. AUER- BACH lässt das Entgegenrücken und die spätern Rotationserscheinun- sen der Kerne lediglich aus den Contractionen des Protoplasma resultiren — dagegen ist trotz der noch mangelnden näheren Kennt- niss des dabei freilich wohl zum plastischen Ausdrucke gelangenden und innerhalb der einzelnen Eibezirke wohl nicht gleichmässig wir- kenden Mechanismus nicht viel einzuwenden — wie und warum aber dieser Mechanismus gerade mit der Bildung der auf Tafel IV, Fig. 8 wiedergegebenen, spindelförmigen Kerne abschliesst, darüber wäre ein durch fortgesetzte Beobachtungen, welche AUERBACH doch mei- sterhaft anzustellen versteht, sich ergebender Aufschluss erwünscht; nicht minder erscheint es mir unerfindbar, aus welchem Grunde die Bewegungen der Kernkérperchen nicht gleichen Ursachen zu unter- stellen sein sollten; ist letzteres aber der Fall, so können sie nur auf Contractionen des Kernsaftes zurückgeführt werden, und damit wäre die Annahme einer selbstständigen, von den Contractionen des Protoplasma unabhängigen, wenn auch nur minimalen Bewegungs- thätigkeit des Kerns nicht zurückzuweisen, der doch auch morpho- logisch nichts anderes darstellt, als ein aus protoplasmatischer und deshalb contractiler Substanz bestehendes Gebilde. b. Zweites Stadium, die Diplostigmaform. Die vielfachen Schwierigkeiten, welche sich bisher den Beob- achtungen entgegenstellten und nur, wenn auch nicht ganz, so doch zum grossen Theil unter bedeutendem Zeitaufwande und geduldigem Harren überwunden werden konnten, ebnen sich von nun an und es fällt nicht schwer, die weiteren, zur endgiltigen Umbildung führen- den Entwickelungsphasen stufenweise zu verfolgen. 562 B. Gabriel Das aus einer theilweisen Verschmelzung zweier Monostigmen hervorgegangene Diplostigma bietet innerhalb der ersten Phasen seiner bedeutend längere Zeit beanspruchenden Weiterentwickelung nur wenige und äusserst langsam von statten gehende Veränderun- gen dar (Fig. 14, 15). Wegen Mangels an festen und bestimmten Normen in Betreff der Architeetur seiner Umrisse lässt sich eine all- gemein gültige und den mancherlei Variationen unmöglich entspre- chende Bezeichnung für die Körperform schwer geben, am ehesten könnte man sie eine der Herzform sich nähernde nennen. Die den Verschmelzungspol umgebende einfache, zarte, zuerst in der Form eines Kreisabschnittes erscheinende Contour wird in Folge einer nicht genau die Mitte einhaltenden Einbuchtung unregelmässig wellenförmig und geht in einer bald mehr, bald weniger deutlich ausgeprägten, geschwungenen und convergirenden Linie jederseits in die meist zitzenartig endenden Lappen über, der Rest der nicht miteinander verschmolzenen früheren Monostigmen. Mit dem Aufhören seiner Function, einen Stützpunet für die der Verschmelzung vorangehende Zygose abzugeben, hat der zapfenartige Vorsprung auch seine mor- phologische Bedeutung eingebüsst; er plattet sich ab, verblasst, seine Contouren sind nicht mehr deutlich zu verfolgen, kaum noch ange- deutet, und bald verschwindet er gänzlich, wahrscheinlich vollzieht sich dann im Umkreise dieser Stelle ein bisher verhindertes Zusam- menfliessen des Protoplasma. Die Lappen dagegen bleiben durch zwei mehr oder weniger gekrümmte und je nach der augenblick- lichen Lage, welche Diplostigma einnimmt, nebeneinander verlau- fende oder sich kreuzende Linien begrenzt, an deren wechselndem optischen Ausdruck wohl auch die freilich minimalen Contraetionen des Protoplasma partieipiren; dass aber diese Lappen durch eine ganz allmälig erfolgende Verschmelzung mehr und mehr ineinander aufgehen, ergibt sich aus der Breiteabnahme des sie trennenden zungenförmigen Ausschnittes; sie erscheinen deshalb einander näher gerückt und vertauschen ihre zitzen- oder zipfelartige Form mit einer mehr sich abrundenden. Dabei geht zugleich ein in demselben Maasse fortschreitender gegenseitiger Ausgleich der verschmolzenen proto- plasmatischen Substanzen vor sich und wird besonders ersichtlich aus einer nun gleichmässigeren Vertheilung der übrigens bald zahl- reicher auftretenden Körnchen, welche unmittelbar vor und nach dem Verschmelzungsprocesse, wie bereits oben angeführt, aus dem Rayon des Verschmelzungspoles nach den Lappen hin zurückgedrängt wur- den. Bei noch unveränderten Dimensionsverhältnissen erscheinen die Untersuchungen über Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 563 Stigmen fast immer abwechselnd, nur höchst selten gelangen beide zugleich zur Anschauung; sie liegen den Lappenenden jetzt etwas näher, doch ist diese Lageveränderung nur eine scheinbare, der op- tische Ausdruck einer solchen wird dadurch hervorgerufen, dass die nun eine mehr abgerundete Form annehmenden Lappenenden unter Contrac- tionserscheinungen den Stigmen näher rücken. — In diesem Zustande verharrt Diplostigma lange und es gehen 1—2 Wochen darüber hin, ehe weitere und auffällige Umbildungsveränderungen sich einstellen: einer eigenthümlichen Erscheinung indessen muss ich hier Erwäh- nung thun, die ich zuerst auf Rechnung eines verdorbenen Zustandes des Materials bringen zu müssen glaubte, eine Annahme, welche jedoch mit den Ergebnissen fortgesetzter Beobachtungen keineswegs in Ein- klang zu bringen war — es kamen mir gerade während dieser eine Zeitlang in demselben status verharrenden Entwickelungsphase zu wiederholten Malen Diplostigmen vor Augen, welche unverkennbare, verschiedengradige Verkümmerungszustände wahrnehmen liessen ; des Protoplasma mattbläuliche Färbung weicht einem schmutzigen Grau, die bisher in mehr oder weniger geschwungenen Linien verlaufenden glatten und zarten Umrisse desselben zeigen höckerige, grobeontou- rige Ausbuchtungen, an vielen Stellen der Oberfläche treten grössere und kleinere, unregelmässig vertheilte Plaques feiner, eigenthümlich glinzender Körnchen auf, welche, sich immer weiter ausdehnend, das Diplostigma einem schnell eintretenden Detritus entgegenführen. Ich überzeugte mich dann, dass auch die in frischem, den gewöhn- lichen Fundgruben entnommenen Material sich findenden D. und oft in grosser Zahl diese — ich kann wohl sagen krankhafte Entartungen zur Schau tragen, bin aber bis jetzt nicht im Stande gewesen die- selbe auf bestimmte ursächliche Momente zurückzuführen — bestimmt kann ich aber versichern, dass darin weder Bacterien- noch Pilzbil- dungen vorlagen; ich füge hinzu, dass ich zeitweise auch an andern Erd- wie Süsswasserrhizopoden ähnliche, stets ein rapides Zugrunde- gehen derselben involvirende krankhafte Zustände angetroffen habe; ob überhaupt und wie weit dabei eine theilweise veränderte Be- schaffenheit des Aufenthaltsmedium, oder aus andern Ursachen re- sultirende Ernährungsstörungen in eingreifender Weise betheiligt sind, muss ich einstweilen dahingestellt sein lassen. Die bisher nur unbedeutend an Umfang gewachsenen Diplostig- men lassen in den dieser Ruhepause folgenden, schneller ablaufenden und einander ablösenden Entwickelungsstufen zuerst eine bedeutsame Veränderung im Bereiche des Protoplasma erkennen; es erscheint 564 B. Gabriel dunkler, weil consistenter geworden, doch mögen wohl auch zum Zu- standekommen dieser gesättigteren Färbung die nun häufiger, doch in unregelmässigen Intervallen auftretenden und in ihren Leistungen zum sichtbaren Ausdruck gelangenden Contractionen desselben beitragen, welche nach der einen Seite geringe Veränderungen der Körperform, nach der andern minimale Locomotionen zu Wege bringen. Die jeden- falls durch Flüssigkeitsabgabe erzielte grössere Consistenz des Pro- toplasma hält gleichen Schritt mit den an Umfang gewinnenden Stigmen, an denen sich häufigere Füllungsmomente erkennen lassen ; fast immer nur alternirend erscheinend, gehen sie von der runden zur langgestreckten Form über, stellen dann einen kleinzonigen, wie durch eine Sehne begrenzten Kreisabschnitt dar, um, plötzlich colla- birend, für eine gewisse Zeit zu verschwinden, und wiederholen sich diese Erscheinungen des sogenannten Pulsirens ausnahmlos in der- selben Reihenfolge. Einander noch näher gerückt, an ihren inneren Flächen durch zwei kürzer gewordene, gerade, nebeneinander ver- laufende und sich fast schon berührende Contouren markirt, zeigen die Lappen an ihren frei liegenden, mehr abgeplatteten Enden nur noch einen ganz unbedeutenden Ausschnitt, beides der Ausdruck für eine über ein inneres grösseres Gebiet sich erstreckende, unaufhalt- sam weiter fortschreitende Verschmelzung, mit der ein allmälig deut- licher sich manifestirender Uebergang von der herzförmigen zu einer stumpfkegeligen, einer vollkommenen Symmetrie aber entbehrenden Form des Diplostigmakörpers Hand in Hand geht (Fig. 16). — Neben der schnell reichlieher werdenden, doch noch feinen und blassen Granulation treten hier und da, bald einzeln, bald zu winzigen Häuf- chen sich ansammelnd, grössere und stärker lichtbrechende Kérnchen auf, welche die erste Anlage des künftigen zoster darstellen, doch halten sie jetzt noch keineswegs die Mittelzone des Diplostigmakör- pers ein, sondern finden sich eben so häufig in der Nähe der Lappen als an dem nun durch eine stärker gewölbte Linie begrenzten Ver- schmelzungspol. Gleichen Schritt mit der massenhafter, wenn ich so sagen darf, sich herauskrystallisirenden Granulation hält das mehr in der Richtung der Längen- als der Queraxe erfolgende Wachsthum des Diplostigma, an dessen Stigmenpol die nun wohl sehon rudimen- tär zu nennenden Lappen inniger mit einander zu verschmelzen be- ginnen; ihre innern Flächen berühren sich so nahe, schmiegen sich so sehr einander an, dass nur mehr eine einzige, strichartige, durch- aus nicht scharf sich abhebende Linie ihre Begrenzung bildet; auch die in unregelmässiger Curve verlaufenden Contouren ihrer freien, Untersuchungen über Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 565 unteren Flächen verlieren sich ineinander und damit ist auch der letzte Rest des aus einer weit zurückliegenden Periode stammenden zungenförmigen Ausschnittes verschwunden (Fig. 18). Bewahrten bis jetzt die durch Mono- und Diplostigma repräsen- tirten Entwickelungsphasen des werdenden Troglodytes den zweifel- losen Character von, allmälig sich potenzirender Differenzirung fähigen. doch immer noch kernlosen Protoplasmaklümpehen, welche, ohne feste Normen in Betreff der Architectur ihrer Körperumrisse darzu- bieten, doch in einer gewissen gesetzmässigen Folge ihre Formen anpassten den durch die augenblicklichen Verhältnisse der verschie- denen einander ablösenden Umbildungsphasen sowohl, als durch den Contractionscoéfficienten ihres Protoplasma gelieferten Bedingungen — so tritt jetzt eine, auch eine grössere Summe von Zeiteinheiten beanspruchende, doch immerhin gefügigere Uebersicht gestattende Periode ein, von deren Beginn wohl die deutlicher sich hervorbil- dende Individualität des jungen bald kernbehafteten Organismus datirt; eine Reihe in bestimmterer Weise characterisirbarer Ueber- sangsformen führt in ihr zum morphologischen Höhenpunete, der endgiltigen Troglodytesform. ec. Umbildung zu Troglodytes. Die wichtigsten Vorgänge, welche innerhalb dieser letzten, beim Vorwalten günstiger äusserer Einflüsse in 5—6 Tagen sich abspie- lenden Periode zu registriren sind, betreffen vornehmlich die Ent- stehung und Wanderung des Kerns als desjenigen Gebildes, das in seiner morphologischen wie physiologischen Bedeutung so untrennbar innig mit dem Begriffe der Zelle, des organischen elementaren Bau- steins, verwebt ist und mit dessen Bildung also auch hier derjenige Zeitpunct anhebt, wo die aus differenzirter protoplasmatischer Sub- stanz bestehende Urform zu einem höherwerthigen Organismus auf- zusteigen beginnt, mit dem sie ihren ontogenetischen Höhepunet er- reicht (Fig. 18—22). Die erste Andeutung seines Entstehens coincidirt mit einer be- sondern Gruppirung der immer zahlreicher zu Gesichte kommenden Körnchen, welche zwar keine Stelle der protoplasmatischen Substanz vollständig entblösst lassen, aber doch in der Mittelzone derselben massenhafter angesammelt erscheinen und zu einem nicht scharf ab- gegrenzten rundlichen Ballen sich anhäufen, zu dessen Configuration mit Verschiebung seiner Schiehten verbundene Contractionen des Pro- toplasma unzweifelhaft beitragen, wenn der Beweis dafür auch nur 566 B. Gabriel — doch, wie ich meine, hinreichend stichhaltig — dadurch erbracht werden kann, dass jetzt häufigere, freilich nur langsam und stoss- weise erfolgende Axendrehungen statthaben. Bald darauf. vollzieht sich im Centrum dieses Körnehenhaufens, zuerst auf einen minimalen Umfang beschränkt, eine Sonderung, ein multipolares Zurücktreten der einzelnen Körnehen, derartig, dass hier eine kleine, das Licht nicht matt-bläulich breehende, weisslich trübe, durchaus contourlose und deshalb an ihren äussersten Grenzen allmälig verschwimmende Stelle hervortritt, der optische Ausdruck für einen in Betreff seines Consistenzgrades nicht prüfbaren Flüssigkeitstropfen. Im weitern Verlaufe dieses höchst interessanten Vorganges bemerkt man nicht allein eine Umfangszunahme an diesem nun schon durch eine äusserst zarte Linie begrenzten Tropfen, sondern auch eine Lageveränderung, da er von den Stigmenpolen sich etwas entfernend nach dem frühern Versehmelzungspol, welchen ich von jetzt ab als Kernpol bezeichne, hinaufrückt. Gleichzeitig mit dieser beginnenden Wanderung des immer wahrscheinlich noch zähflüssigen, über den Werth eines Tro- pfens nicht hinausgehenden Kerns geht eine weitere Gruppirungs- änderung der Körnchen und zwar in diametral entgegengesetzter Richtung von statten, indem sie aus der aboralen Kernzone nach und nach sich zurückziehen und nach der Mitte hin allmälig sich ansammeln, ohne indessen, so weit sie den entstehenden Kern noch umgeben, ihre frühere kranzartige Anordnung gänzlich vermissen zu lassen. Immer ausgeprägter erscheinen die Resultate dieser geradezu antipodalen Bewegungserscheinungen; je weiter der nun bereits schärfer contourirte runde Kern, genau die Längsaxe des jungen Troglodytenkörpers innehaltend, dem aboralen Pole zuwandert, desto weiter entrückt die Granulation dem nun bald ganz körnchen- freien Bezirke der Kernzone, um mit gleichzeitiger Accumulation der dunkleren und grösseren für den zoster bestimmten Körnchen ihren bleibenden Platz in der Mittelzone einzunehmen, während innerhalb des Rayon des Stigmenpols einzelne, noch von der frühesten Mono- stigmenperiode her datirende, regellos zerstreute Körnchen sich vor- finden. Aus diesen Gruppirungsverhältnissen ergeben sich schärfere Begrenzungen der einzelnen Zonen von selbst, die, darin unbeein- flusst von der im Gefolge des Wachsthums einhergehenden Dimen- sionszunahme, immer prägnanter hervortreten. Der wandernde Kern erreicht indessen nicht ganz den Rand seiner Zone, sondern bleibt, sobald er die letzte Station auf der ihm zugestandenen Route zurück- gelegt, etwas entfernt von jenem in einer von nun an unveränderten Untersuchungen iiber Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 567 Lage; so zur Ruhe gekommen, consolidirt er sich und lässt in Folge nicht genauer zu ermittelnder Differenzirungsvorgänge ein zuerst punetförmiges, meist peripherisch gelegenes Kernkörperchen erken- nen, mit dessen sehr schnell erfolgender Grössenzunahme seine On- togenese abschliesst. Werfen wir nun noch einen Blick auf die übrigen innerhalb der Kernbildungsperiode zu Tage tretenden Umbildungsvorgänge. Die den weiter fortschreitenden Verschmelzungsprocess der Lap- pen kennzeichnende Linie verschwindet immer mehr und entzieht sich bald völlig der Wahrnehmung, nur bei hoher Einstellung ge- lingt es zuweilen sie als eine Reihe äusserst feiner Strichelchen auf- zufinden. Mit dem endlichen Aufgehn der noch von der unvollstän- digen Monostigmenverschmelzung herrührenden Lappen ineinander, ist schliesslich noch eine Contourveränderung ihrer frei liegenden Endflächen verbunden; sich beiderseits mehr abrundend und, ohne jegliche Andeutung des früheren, sie trennenden zungenförmigen Ausschnitts unmittelbar ineinander übergehend, begrenzen sie die unterst gelegene an Umfang geringste, die orale Zone des jungen Troglodytes, der von der stumpfkegligen Diplostigmaform durch den letztberührten Verhältnissen entsprechende Uebergangsstufen in eine ovoide nach dem oralen Pol hin sich verschmächtigende Körperform übergeführt wird. In Betreff der Stigmen sind keine weiteren besonders in die Augen fallenden Veränderungen anzuführen, sie erscheinen nach wie vor fast nur miteinander alternirend und zeigen durch langan- dauernde Intervalle getrennte, seltene Füllungsmomente. — Zur Zeit etwa, wo der junge Kern schon etwas von dem Centrum aus nach der obern, aboralen Zone hinrückt, treten, anfangs in gleicher Höhe mit ihm, unmittelbar von den Randeontouren begrenzt, zwei nicht minder blassroth gefärhte, während der Collabirungsmomente zuweilen gezerrt erscheinende, grössere Vacuolen auf, welche später constant an der Grenze zwischen der homogenen und der granulirten mittlen Zone sich vorfinden, bedeutenderen Umfang als die Stigmen erreichen, fast immer gleichzeitig anschwellen und nur während der Evolutionen des Tr. innerhalb seiner Schale, ebenso wie während der Maximaldispersio- . nen der zoster-Körnehen dem beobachtenden Auge entrückt werden. — Dass mit der Bildung des Kerns eine auch nach aussen gerich- tete erhöhte Thätigkeit des jungen immermehr zu einer distineten Individualität heranreifenden einzelligen Organismus Platz greift — wenngleich eine versuchte Abwägung der hierauf bezüglichen Ein- zelleistungen und deren gemuthmassten Förderung durch eine zwar Morpholog. Jahrbuch. 1. 38 568 B. Gabriel logisch sich uns aufzwingende, doch nur theilweise in ihren Resul- taten erkannte Arbeitstheilung zwischen Kern und Protoplasma kaum mehr als unfruchtbare Hypothesen liefern würde —, ich sage, dass eine aus der Gesammtwirkung dieser Factoren hervorgehende, erhöhte Lebensthätigkeit in der That Platz greift und zu einem messbaren, körperlichen Ausdruck gelangt, dafür setzt der Vorgang der Schalen- bildung ein unwiderlegliches Argument. Als erste Andeutung der- selben erscheint ein man könnte sagen hingehauchter, heller, den ovoiden Troglodytenkörper umgebender und dessen geschwungenen Contouren folgender Saum, der später dann sich zu einer äusserst zarten Linie verdichtet, um in den letzten Stadien zu einer doppelt- umrandeten Hülle sich umzubilden. Nach welchem Modus indessen die Bildung der als elliptischer Spalt erscheinenden Schalenöffnung erfolgt, war mir zu erwiren unmöglich, hauptsächlich, weil die dazu wohl in ursächlichen Beziehungen stehende, mit ganzquadrantigen Drehungen verbundenen Contractionen des jungen Thieres genauere darauf hin gerichtete Beobachtungen vereitelten. Ist es erlaubt, aus gerade nicht fernliegenden Analogien nicht ganz zweifelwerthige Schlüsse zu ziehen, so würde durch eine ringförmige Einschnürung ein opereulum entstehen und dieses mit vollendeter Abspaltung her- ausfallen. Die aus einer Secretionsthätigkeit der dabei wohl allein betheiligten äussersten Protoplasmaschichten hervorgegangene Scha- lenbildung der Rhizopoden erfolgt, so weit meine bisherigen Erfah- rungen reichen, nach zwei verschiedenen Typen; entweder nämlich entsteht die Schale in den frühesten Zeiten der Keimkörnerbildung, als unmittelbar dem Protoplasma aufliegende, äusserste Verdichtungs- schicht, wie z. B. bei Euglypha, Trinema, oder sie datirt erst, wie bei Troglodytes, von den spätesten Umbildungsstadien her und ge- stattet wegen ihrer geräumigen Höhle dem Innenkörper eine freiere Beweglichkeit. Vermittelnde Uebergänge sind mir bis jetzt nicht aufgestossen, so weit es sich eben um häutige und nicht kieselhal- tige Hüllen handelt. — Die der homogenen protoplasmatischen Sub- stanz allein angehörenden Pseudopodien treten zuerst während jener Umbildungsphase auf, wo der Kern beinahe das Ziel seiner Wan- derung schon erreicht hat und in einem durchaus körnchenfreien, die homogene Zone bildenden Protoplasma eingebettet liegt; jene erscheinen anfangs in der Form eines kleinstieligen, mit einer knopf-- artigen Verdiekung endigenden Vehikels, das sich bald zu fein ver- ästelten , nach allen Richtungen hin ausstrahlenden, körnchenlosen Fäden, oder zu einem stiellosen, einzelne spitze Ausläufer treibenden, Untersuchungen über Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. 569 mit einer kleinen Verdickung endenden cylindrischen Fortsatze um- gestaltet — und so haben wir dann den fertig gebildeten jungen Troglodytes vor uns (Fig. 23). Der vor uns liegende, in seinen Hauptphasen aufmerksam ver- folgte, in seinen nicht ganz lückenlosen Details noch einiger Ergän- zungen bedürftige Entwieklungseyelus von Troglodytes zoster schliesst sich keinem der bisher bei Rhizopoden aufgefundenen Fortpflanzungs- modus an und lässt sich auch, mit Ausnahme der Copulation, zu keinem der bisher dabei beobachteten Vorgänge in irgend eine Beziehung bringen. Dass hier eine durch irgend welche Theilungszustände des mütterlichen Organismus vermittelte ungeschleehtliche Zeugung von vornherein und bedingungslos ausgeschlossen sei, dazu bedarf es keiner weiteren Argumentation, und auch ein mit peinlichster Sorg- falt durehgeführter und die minutiösesten Einzelheiten berücksichti- gender Vergleich desselben mit den bisher bekannten sogenannten Keimbildungen würde kaum irgend welche positive und verwerthbare Resultate liefern. Andererseits muss unter Festhaltung des unanfecht- baren Kriteriums der Vermischung zwiefacher, morphologisch ver- schiedener und innerhalb ebenso auseinander zu haltender bestimmter Organe gebildeter Zeugungsstoffe für eine geschlechtliche Zeugung, auch eine solche hier ausgeschlossen bleiben. Daran lässt sich Nichts ändern, da ist weder etwas hinzuzufügen noch hinweg zu nehmen — und es bleibt deshalb zur Gewinnung eines allgemeinen Gesichts- punetes, einer leitenden Idee, nichts Anderes übrig, als jenen Ent- wickelungscyclus, dem, meinen Erfahrungen gemäss, bei andern Rhizopoden vorkommende analoge Verhältnisse zur Seite stehen, für eine der vielleieht noch mehrfach vorhandenen Uebergangsstufen zwischen gesehlechtlicher und ungeschlechtlicher Zeugung zu be- trachten; es dürfte an dieser Stelle wohl die Frage aufzuwerfen sein, ob sich für eine solche, die Verbindungsbrücke zwischen jenen bil- dende Zeugung überhaupt ein einfacher Modus denken liesse? oder ob ihr nicht vielmehr geradezu nothwendigerweise complieirte Vor- sänge substituirt werden müssten? Es müssen doch die Thätigkeiten der hier mangelnden geschlechtlich differenzirten Organe und deren Wachsthumsproducte in irgend einer Weise ersetzt werden, wie soll das, wie kann das auf andere Weise geschehen als mit Hülfe einer eigengearteten Differenzirung der zu diesem Zwecke vollständig in Anspruch genommenen gesammten Leibesmasse des mütterlichen Or- ganismus, welche nicht allein das Bildungsmaterial für die Keim- 38 * 570 - B. Gabriel masse hergeben, sondern dieser auch einen Impuls zur Weiterent- wickelung einflössen, sie einer selbstständigen Lebensthätigkeit fähig machen, sie befruchten soll — und allen diesen eine bedingungslose Nothwendigkeit einschliessenden Anforderungen kann auf einfachem Wege nicht Genüge geschehen, dazu bedarf es der Phasen und Um- bildungsstufen viele. Ob die uns beschäftigende, zwischen unge- schlechtlicher und geschlechtlicher vermittelnde Zeugung sich im Laufe der Zeiten hervorgebildet habe aus, in Folge veränderter Lebens- bedingungen modifieirten Spaltungs-, Knospungs- oder Sprossungs- processen — für letztere Annahme dürfte die übrigens kaum anklin- sende Analogie der Bildungsweise der durch Zygose zweier (oder meh- rerer) Gregarinen entstandenen Pseudonavicellen in Betracht zu ziehen sein — oder ob ihr mit dem Vindieiren einer grösseren Selbststän- digkeit der Character eines für sich bestehenden sonderartigen Bil- dungsprocesses zuzuerkennen sei, das definitiv zu unterscheiden wird vielleicht für immer ein vergebliches Bemühen bleiben. Hoffnungs- berechtigter würden dagegen Untersuchungen sein, die es sich ledig- lieh zum Vorwurf machten, verbindende Zwischenglieder zwischen dem vorliegenden und demjenigen als geschlechtlich angesprochenen Fortpflanzungsmodus aufzufinden, den einige Infusorien aufweisen und der nach BALBIANI’s Entdeckung — die freilich von einzelnen For- schern angezweifelt wird — durch die Vermischung der aus dem Nucleus und Nucleolus stammenden, geschlechtlich differenzirten Zeu- sungsstoffe eingeleitet wird. Immerhin aber wird die Annahme, dass alle Rhizopoden einer geschlechtslosen Zeugung unterworfen seien, jetzt doch eine gewisse Beschränkung erfahren müssen, und um so mehr, als, was für in Betracht zu ziehende phylogenetische Verhältnisse einigermassen be- deutsam erscheint, bei einigen von mir entdeckten Erdamöben — muthmasslich auch bei einigen Süsswasserrhizopoden — unter ge- wissen Modificationen ganz analoge Verhältnisse sich finden, deren nihere Darlegung ich mir vorbehalte, und diirften damit jene in letzter Zeit in Betreff ihrer systematischen Stellung so ganz stiefmiitterlich behandelten Protozoen wieder zu grésseren Ehren gelangen. Breslau im Juli 1875. Untersuchungen über Morphologie, Zeugung u. Entwickelung der Protozoen. Uebersichtliche Zusammenstellung von Durchschnittsmaassen. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Troglodytes. Breite, obere,. . = 0,0138—0,0150 Mm. » untere-. > —=9 (0 0f20—0,0132) » Linge . . . . = 0,01848—0,0201 » Breite des Gürtels = 0,00747—0,0083 » Ken . . . . = 0,00385—0,0042 » Monostigma. Breite = 0,0019—0,0023 Mm. Linge = 0,0027—0,0038 » Kurz vor ihrer Verschmelzung : Breite — 0,0036—0,0041 Mm. Länge = 0,0069 — 0,0080 » Diplostigma. Breite = 0,010—0,014 Mm. Länge = 0,0123—-0,0166 » Kern 0,0014--0,0020 » | Erklärung der Abbildungen. Tafel XX. 1. Darstellung des Copulationsactes zweier Troglodyten a, Verschmelzungsknoten der Pseudopodien. n, der Kern mit Kernkörperchen. s, die Schalenhaut. v, die oberen, grösseren Vacuolen. gz, die granulirte Zone mit den zoster-Körnchen. 2. Contraction eines Tr. nach vollzogener Copulation. z, die dispergirten zoster-Körnchen. 3. Trübung der Leibesmasse. st, die Stigmen. p, die zottenartigen Paeudnpadien. 4. Die Gesammtleibesmasse in Chagrin umgewandelt. ch, Chagrinkugel. s, die noch intacte Schalenhaut. d71 da. Zerklüftungsprocess der grobkörniger gewordenen Keimmasse, ch. b, ungleich grosse, unregelmässig geformte Ballen. 572 B. Gabriel, Ueber Morphologie, Zeugung u. Entwickl. der Protozoen. Fig. 5b. Weiter vorgeschrittene Zerkliiftung. Gänzliche Lostrennung ein- zelner Ballen; Bezeichnung wie in der vorigen Figur. Fig 5c. Detritus der Grundsubstanz. Fig. k, die an Umfang zunehmenden eigentlichen Keimkörner. 6. k, freigewordene Keimkörner, zu protoplasmatischen Kliimpchen geworden. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 7. Monostigmaform. m, ein Monostigma. g, erste spärliche Granulation. st, das Stigma. 8—12. Verschmelzungsprocess der M. g, Granulation. c, die convexe Randfliiche des einen M., daraus hervorgehend f, der zipfelartige Fortsatz. 13. Vollständige Verschmelzung zu Diplostigma, dp. vs, Verschmelzungspol. 14—17. Diplostigmaform. l, die nicht verschmolzenen Lappen (Stigmenpol), den zungenförmigen Ausschnitt zwischen sich lassend. st, Stigmen. 18—22. Umbildung zu Troglodytes. 19. k, erste Andeutung des Kernes. 20. n, der gebildete (wandernde) Kern. l, kaum noch wahrnehmbare Lappenreste. 21. s, erste Andeutung der Schalenhaut. v, Vacuolen. gz, granulirte Zone mit einzelnen zoster-Körnchen. st, Stigmen, p, erstes stielförmiges Pseudopod mit kleinem Knopfe endigend. 22. n, Kern mit Kernkörperchen. v, Vacuolen. p, fädenartige Pseudopodien. 23. Fertig gebildeter junger Troglodytes: h, homogene (Kern-) Zone. s, Schalenhaut. gz, granulirte Zone mit zoster. p, Pseudopodien in Form cylindrischer mit spitzen Ausläufern ver- sehener Hervortreibung. Jahrbuch. Bd. |, FIR. Fig. 72, DS Fig.14. Fig. 15. Fig. 4 Fig. A. Lith. AnsEy.J.6.Bzch, Leipzig. «- a ee “sa ne; EN oe Br Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. Von Th. W. Engelmann in Utrecht. Mit Tafel.XXI u. XXII. Der gegenwärtige Zustand der Infusorienkunde liefert einen der schlagendsten Beweise für den hohen, vielseitigen Werth ontogeneti- scher Forschung auf biologischem Gebiete. Leider einen negativen Beweis! Unsere Unbekanntschaft mit der Entwickelung der meisten Infusorien, die Ungewissheit über den Zusammenhang und die Be- deutung vieler der bisher bekannt gewordenen ontogenetischen That- sachen, haben in jeder Beziehung nachtheilig auf die wissenschaft- liche Ausbildung der Infusorienkunde gewirkt. Sie sind die Ursache, dass die morphologische Bedeutung des Infusorienkörpers und damit die Stelle der Infusorien im natürlichen System, ihre Stammverwandt- schaft mit anderen Thierreihen, noch immer nicht unbestritten fest- stehen; sie die Ursache, dass man über die gegenseitige Verwandt- schaft, die Selbst- oder Unselbständigkeit vieler Infusorienformen sich nicht einigen kann. In physiologischer Beziehung ist aus dem- selben Grunde die Unsicherheit nicht weniger gross: als Theilung und Knospung wird hier beschrieben was dort für Conjugation erklärt wird, Befruchtung durch Spermatozoén nennt der Eine was nach dem Andern nichts ist als Eindringen pflanzlicher Parasiten , dieser sieht Embryonen wo jener von Schmarotzern spricht u. s. w. — Unter diesen Umständen sind genaue ontogenetische Untersuchungen 574 Th. W. Engelmann vor allem Anderen geboten. Die folgenden Seiten enthalten einige Beiträge in dieser Richtung!). I. Entwickelung von Opalina ranarum innerhalb des Darm- canals von Rana esculenta. Die Arten der Gattung Opalina?) weichen in mehr als einer Hinsicht so sehr von den übrigen Ciliaten ab, dass sie, wie be- kannt, schon wiederholt) nicht für echte Infusorien sondern für jugendliche Entwiekelungszustände höherer Thiere , besonders von Eingeweidewürmern, erklärt worden sind. Selbst jetzt noch hört man Zweifel über ihre Stellung‘). Allerdings fehlen ihnen Mund, After und contractile Vacuolen, und von den zahlreichen kleinen Bläschen, die Leyvıg ’) bei Opalina ranarum entdeekt und für Kerne erklärt hat, bezweifelte der erste Kenner der Infusorien noch un- längst®) ob sie als Homologa der soliden Nuclei der übrigen Infu- sorien aufgefasst werden dürften. Fügt man hierzu, dass über die * Entwickelung und Fortpflanzung der Opalinen, obschon diese zu den 1) Die hauptsächlichsten Resultate der vorliegenden Arbeit wurden mit Bezug auf die in diesem Jahre ($. September) abgehaltene zweite Säcular- feier der Entdeckung der Infusorien durch ANTONY VAN LEEUWENHOEK Zu Delft, am vergangenen 29. Juni in der Sitzung des Provinciaal Utrechtsch ge- nootschap zu Utrecht vorgetragen. In holländischer Sprache ist dieser Aufsatz bereits publieirt in dem vor Kurzem herausgegebenen dritten Bande der dritten Reihe der Onderzoekingen gedaan in het physiologisch laboratorium der Utrecht- sche Hoogeschool. Uitgegeven door F. C. DoxDErs en Th. W. ENGELMANN. Utrecht, W. F. DANNENFELSER. 2) Ich verstehe hierunter die Gattung Opalina in der engeren, ihr durch STEIN ertheilten Begrenzung. Sie umfasst die Arten Op. ranarum, dimidiata und obtrigona St. (Sitzungsberichte der k. böhm. Gesellsch. der Wissensch. vom 17. Dec. 1860). 3) U. a. von Max ScHuutze‘, Beiträge zur Naturgeschichte der Turbella- rien pag. 70, CLAPAREDE et LACHMANN, Etudes sur les Infusoires ete. Tome I. pag. 373, Leypic, Lehrbuch der Histologie u. s. w. pag. 17. 4) S. Stein, Organismus der Infusionsthiere. Zweite Abthl. 1867. pag. 11. — Später, auf pag. 160 spricht sich Sreın wegen des Vorkommens von Ueber- gangsformen (Anoplophrya) positiver für die Infusoriennatur von Opalina aus. 5) F. Leypia, Lehrbuch der Histologie u. s. w. pag. 17. 6) F. Stein, 1. e. pag. 11. — Auf pag. 160 meint er freilich, diese Bläs- chen »dürften sich schliesslich doch noch als die Elemente eines zusammengesetz- ten Nucleus herausstellen«. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 319 gemeinsten Organismen zählen, durchaus nichts bekannt ist, während doch bei ziemlich allen Infusorien wenigstens ungeschlechtliche Fort- pflanzung (durch Theilung oder Knospenbildung) zu den gewöhnlichen Erscheinungen gehört, so hat man Grund genug die Opalinen eines besonderen Interesses zu würdigen. Es schien mir, dass man, um einigen Aufschluss über die Entwick- lung zu erhalten, auf Untersuchung des Darminhaltes vonFroschlarven zurückgehen müsse. Dieser Gedanke lag sehr nahe. In entwickelten Fröschen findet man niemals wesentlich verschiedene Entwicklungs- phasen: alle Individuen pflegen, bis auf unwichtige Unterschiede in Grösse und Form, einander gleich zu sein. Ausserhalb des Frosch- darms, in Wasser, wird Opalina ranarum nicht beobachtet, scheint selbst nicht in Wasser leben zu können. Wenigstens gehen alle Opalinen, die man aus dem Darm in Fluss- oder anderes Wasser bringt, innerhalb eines Tages, bisweilen selbst weniger Stunden unter star- ker Quellung zu Grunde. Auch im Magen des Frosches kann das Thier wegen der daselbst herrschenden, meist stark sauren Reaction nicht leben. Es wird ja auch immer nur im untersten Theil des Darmeanals, besonders im weiten Enddarm gefunden. Die Einwan- derung kann also im erwachsenen Thier nicht wohl vor sich gehen. Früher nun hatte ich schon bemerkt, dass in sehr jungen Fröschen, im Allgemeinen viel kleinere und etwas anders gestaltete Exemplare von Opalina ranarum als in älteren Thieren gefunden werden. Ich liess deshalb Froschlarven sich in grossen Gläsern aus den Eiern entwickeln und dabei gelang es denn, die Entwicklung von Opa- lina, so weit sie im Darmeanal des Frosches abläuft, kennen zu lernen. Die frühesten Stadien fand ich in Froschlarven von etwa 7 Mm. Rumpf- und 17-19 Mm. Schwanzlänge. Hier enthielt der mit — Pflanzenresten gefüllte Darmeanal ziemlich zahlreiche farblose kug- lige Cysten von etwa 0,01—0,025 Mm. Durchmesser und weniger als 0,001 Mm. Wanddicke (Taf. XXI. Fig. 1 u. 2). In jeder Cyste lag, den Raum derselben nicht völlig ausfüllend, ein mit langen, leise wogenden Cilien besetztes, anscheinend ziemlich schmales und langes farbloses Thierchen aufgerollt. Sein undeutlich längsgestreif- ter Körper schien aus ziemlich körnerfreiem Protoplasma zu beste- hen. Contractile Vacuolen fehlten. Nach Einwirkung von etwas Essigsäure kam ein dunkler kugliger Kern von etwa 0,003 — 0,004 Mm. zum Vorschein (Fig. 2). 576 Th. W. Engelmann Zwischen den Cysten bewegten sich, in sehr grosser Zahl, kleine Infusorien, die offenbar theils identisch mit den in den Cysten enthaltenen Thierchen, theils nichts anderes als spätere Entwicklungs- stufen derselben, und zwar, wie sich alsbald herausstellte, junge Individuen von Opalina ranarum waren. Die kleinsten (Fig. 3 u. 4) hatten einen langgestreckt ovalen, etwas platten, hinten allmählich sich schwanzförmig zuspitzenden Körper. Ihre Länge betrug 0,04 — 0,05 Mm. wovon etwa die Hälfte auf den Schwanz kam. Ihre Oberfläche war fein und dicht längsgestreift und gleichmässig mit etwa 0,006 bis 0,008 Mm. langen Cilien besetzt. Der aus nahezu homegenem Protoplasma bestehende Körper umschloss einen kugligen Kern von 0,003 — 0,004 Mm. Dieser erschien in den lebenden Exemplaren, besonders nach Zusatz von etwas Kochsalzlösung von 0,5 —1°/,, als ein heller, etwas matter Kreis. Nach Essigsäurezusatz umgrenzte er sich mit einer dunklen doppelten Contour und ward der Inhalt körnig trübe. Zugleich kam an der Oberfläche des allmählich erblas- senden und quellenden Protoplasma eine ziemlich dieke Cuticula zum Vorschein. Contractile Vacuolen fehlten. Morphologisch entsprachen die Thiere also vollständig einer einzigen Zelle: sie waren nicht zusammengesetzter als die einfachsten Flim- merzellen. Von diesen kleinsten Individuen, die sich sehr lebhaft, mit wurm- formigen Krümmungen, durch den Tropfen bewegten, wurden nun, theils in denselben, namentlich aber in etwas grösseren Froschlarven alle denkbaren Uebergangsstufen zu der bekannten typischen Form von Op. ranarum gefunden (Fig. 5—15). Die sehr breiten, platten Formen, welche den ausgewachsenen Zustand der Art charakte- risiren, traten erst im jungen Frosch auf. Die kleinsten, soeben beschriebenen Formen wurden dann nicht mehr gefunden, wohl aber Zwischenstadien, von denen einige in Fig. 12 — 15 abgebildet sind. Kine Vergleichung der verschiedenen neben und nach einander auftretenden Formen lehrt, dass der protoplasmatische Körper all- mählich an Volumen zunimmt, breiter und relativ platter, endlich zu der bekannten dünnen unregelmässig ovalen Scheibe wird. Der Kern spaltet sich dabei durch wiederholte Theilung in eine schliesslich sehr grosse Zahl von Bläschen, — dieselben die von Lrypie entdeckt, und wie sich nun zeigt, mit Recht für Kerne gehalten wurden. Ohne Mühe fand ich nicht nur Exemplare mit 1,2, 3, 4 u. 8. f. bis mehr als 30 Kernen, sondern auch — besonders Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 577 jüngere Individuen mit den verschiedensten Stufen der Kerntheilung. In Fig. 9 ist ein Fall letzter Art abgebildet. Im Allgemeinen waren sowohl Anzahl wie Gesammtvolumen der Kerne desto grösser, je ‚grösser die Opalina. .Je mehr Kerne da waren, um so kleiner wa- ren aber die einzelnen durehschnittlich, um so schwieriger auch, selbst nach Essigsäurezusatz, wahrnehmbar, hauptsächlich wegen der zu- nehmenden Dünne der Kernmembran (vergl. Fig. 7—14). Niemals zeigte die protoplasmatische Körpersubstanz eine Spur von Theilung, Furchung oder innerer Zerklüftung in zellenartige Abschnitte: sie bleibt zeitlebens eine einzige zusammen- hängende Masse, wie von einer einzigen Zelle. Ebenso bleibt die Cuticula durchaus homogen, obschon sie beträchtlich an Dieke zunimmt. Opalina ranarum kann somit weder ontogenetisch noch phyloge- netisch in die Entwicklungsreihe der höheren, durch Furchung und Keimblattbildung charakterisirten Thierformen, der Metazoa von HAECKEL, gehören, sondern ist ein echtes Protozoon, und, wie auch die Uebergangsformen Anoplophrya und Hoplitophrya beweisen, ein echtes Infusor. Gegen die ersteren Schlussfolgerungen würde man höchstens Einwendungen erheben können auf Grund des Umstandes, dass wir noch nicht wissen, wie sich die kleinen in den Cysten enthaltenen Individuen ihrerseits aus den reifen Opalinen entwickelt haben. In- zwischen ist ihre Uebereinstimmung mit einfachen Zellen so evident, dass jener Umstand nieht wohl in Anbetracht kommen kann. Ich habe mich bisher vergeblich bemüht zu ermitteln wie sie sich aus den erwachsenen Individuen entwickeln. Innerhalb des Darmcanals lebender Frösche sah ich niemals weitere Entwick- lungsphasen von Opalina, ebensowenig im Darm natürlich gestorbe- ner oder künstlich (durch Köpfung, Verblutung, Vergiftung mit Cu- rare) getödteter Frösche, die unter sehr verschiedenen Bedingungen (in strömendem und stagnirendem Wasser, an der Luft, in feuchter Erde, bei Temperaturen zwischen 10° und 26° ©.) aufbewahrt und bis so lange nach dem Tode untersucht wurden, als noch überhaupt lebende Infusorien im Darminhalt vorkamen. 78 Th. W. Engelmann II. Wahre Knospenbildung bei Vorticella. Durch Sreim’s') wichtige Entdeckung der knospenförmigen Con- jugation ist das Vorkommen einer Fortpflanzung durch Knospen bei den Vorticellinen neuerdings wieder zweifelhaft geworden. Was man dafür hielt, ist nach Stem nichts anderes als Conjugation von klei- nen, aus rasch wiederholter Theilung hervorgegangenen Individuen (Kleinsprösslinge, Mikrogonidien?)) mit grösseren Exemplaren der- selben Art. Dieser Conjugationsprocess soll, ebenso wie die Conju- sation anderer Infusorien, den Anstoss zu einer Entwickelung von Embryonen aus dem Nucleus geben. Obschon Stern selbst, wie es scheint, niemals ein Mikrogoni- dium vom Augenblick des Freiwerdens vom Stiele bis zu dem der Vereinigung mit einem andern Exemplar verfolgt hat, waren doch die Gründe, die er für die Existenz eines solchen Vorgangs anführte, von so viel Gewicht, dass man auch ohne die directe empirische Bestätigung , welche einige Jahre später von GREEFF*) gegeben wurde, nicht mehr am Vorkommen einer »knospenförmigen« Conju- gation zweifeln durfte. Es hält auch in der That nicht schwer Srtein’s Angaben direct zu bestätigen. Ich selbst konnte innerhalb der letzten sieben Jahre, obschon während dieser Zeit nur selten und mehr beiläufig mit Infusorienstudien beschäftigt, die Entwicklung der Kleinsprösslinge mit darauf folgender Conjugation bei Carchesium polypinum und Epistylis plicatilis, und ebenso die knospenförmige Conjugation bei Vorticella mierostoma und convallaria schon mehrfach durch alle Stadien verfolgen. Hierbei fand ich, von den späteren Folgen der Conjugation abgesehen, Alles in Uebereinstimmung mit StEm’s Vorstellungen. Gelegentlich dieser Beobachtungen entdeckte ich inzwischen, dass bei Vorticella auch wahre Knospenbildung, im Altern Sinne, vorkommt. Genau beobachtete ich sie zuerst!) im vergangenen Mai !) Organismus u. s. w. Zweite Abth. pag. 73. 2) STEIN, 1. c. pag. 137. 3) R. GREEFF, Untersuchungen über den Bau und die Naturgeschichte der Vorticellen. Archiv fiir Naturgesch., herausg. von TRoscHEL. 37. Jahrg. 1871. pag. 210. 4) Beim Durchsuchen meiner alten mikroskopischen Tagebücher finde ich schon unter dem 13. Mai 1859 Beschreibungen und Abbildungen die nur auf echte Knospenbildung bezogen werden können. Die Erscheinung trat damals bei Vorticella mierostoma (aus einem Sumpf bei Leipzig) epidemisch auf. Damals beobachtete ich eine eigenthümliche Erscheinung, die vor und nach dieser Zeit Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 579 bei Vorticella mierostoma (aus dem am physiologischen Labo- ratorium zu Utrecht vorbeifliessenden Canal). Sie trat epidemisch auf. Während der Höhe der mehr als eine Woche anhaltenden Epidemie war häufig fast der dritte Theil aller in einem Tropfen befindlichen Individuen mit echten Knospen besetzt. So war es mir leicht möglich, den Process mehrmals von Anfang bis zu Ende zu verfolgen. Die feuchte Kammer leistete hier, wie bei den meisten der weiterhin noch mitzutheilenden ontogenetischen Untersuchungen, die allerbesten Dienste. !) Der Verlauf der Knospenbildung ist auf Taf. XXI in Fig. 16 bis 20 im Wesentlichen wiedergegeben. Die Figuren stellen aufein- anderfolgende Zustände desselben Individuums dar: das erste Stadium (Fig. 16); am 8. Mai dieses Jahres um 3" 30’ gezeichnet, hatte sich bis 3" 40’ zu dem in Fig. 17 dargestellten entwickelt; 3" 52’ war der in Fig. 18, 4" 0’ der in Fig. 19, 4" 8’ der in Fig. 20 abgebil- dete Zustand erreicht. Um 4" 15’ verliess die Knospe das Mutter- thier. — In mehreren anderen Fällen war der Verlauf, auch in Be- zug auf seine Dauer, nahezu derselbe. In 30 bis 45 Minuten pflegte Alles abgelaufen zu sein. Man sieht aus den Abbildungen, dass die Knospe nicht, wie man früher, verleitet durch die knospenförmigen Conjugationszustände, meinte, als ein kleiner, allmählich grösser werdender Auswuchs an soviel mir bekannt, Niemandem zu Gesicht gekommen ist. Sie bestand darin, dass nicht nur die Knospe, sondern auch das Mutterthier einen hintern Wimper- kranz entwickelten und nun nicht die erstere, sondern das letztere sich vom Stiel losriss, während die Knospe sich auf dem Ende des Stieles befestigte. Wie innig der Zusammenhang mit dem Stiel wurde, zeigte sich darin, dass die Knospe ihn zur Contraction bringen konnte. Die Grösse der Knospen betrug höchstens die Hälfte (linear) von der der Mutterthiere. — Auf das Verhalten des Nucleus habe ich damals nicht geachtet. — Die Epidemie hielt einige Wochen an. Gleichzeitig kam gewöhnliche Theilung vor, später häufig Eneystirung. 1) Ich benutze jetzt ein vereinfachtes und verbessertes Modell der früher (Jenaische Zeitschr. Vierter Bd. 1868. pag. 331, Taf. VI. Fig. 1—3) von mir be- schriebenen Gaskammer. Die Contactfläche zwischen Deckel und Kammer ist jetzt bedeutend grösser. Man braucht darum, wenn es nicht auf wirklich her- metischen Abschluss ankommt, die Ränder des Deckels nicht mehr mit Fett zu bestreichen, welches bei lange anhaltenden Versuchen leicht dureh Entwicklung der giftig wirkenden flüchtigen Fettsäuren nachtheilig werden kann. Zwei grosse Wassertropfen auf dem Boden der Kammer halten diese, selbst bei offnem Zu- und Abfuhrrohr, zwei bis drei Tage lang mit Wasserdampf gesättigt. Mit Ein- richtung zur Durchleitung von Gasen, zu electrischer Reizung und galvanischer Erwärmung wird das kleine Instrument vom Amanuensis des hiesigen physiolo- gischen Laboratoriums, D. KAGENAAR, zum Preis von 7 Fl. holl. geliefert. 580 Th. W. Engelmann der Stelle entsteht, wo Knospe und Mutterthier zuletzt noch zusam- menhängen. Der Process beginnt vielmehr mit einer wie es scheint gleichmässigen Verdiekung oder Ausbauchung eines Längsdrittels oder -viertels des Mutterthiers. Die verdiekte Partie wird durch eine vorn beginnende, allmählich nach hinten und zugleich nach innen zu fortschreitende Einschnürung vom Mutterthier abgelöst; die Knospe liegt also anfangs seitlich dem letzteren an, bleibt schliesslieh aber nur mit ihrem Hinterende mit demselben in Zusammenhang. Bald nach dem ersten Auftreten der Einschnürung‘ sieht man in der Spitze der Knospe sich einen kleinen spaltförmigen Raum entwickeln, in dem bald eine leise wogende Bewegung, wie von Cilien, zu erkennen ist: die Anlage von Wirbelorgan und Ve- stibulum. Kurz darauf entwickelt sich auch etwas tiefer die eon- tractile Vacuole. — Anfangs unbeweglich , wird die Knospe bald zuckungsfähig. In dem Fig. 19 abgebildeten Stadium sieht man sie schon wie eine fertige Vorticella zusammenschnellen. Sie fängt dann auch bald an ihr Wirbelorgan etwas hervorzustrecken. Das Mutterthier benimmt sich bei der Knospenbildung übrigens gerade wie bei der gewöhnlichen Längstheilung. Es bleibt anfangs contrahirt und still und fängt erst wieder an sein Wirbelorgan zu entfalten, wenn die Knospe bereits im Begriff ist sich loszureissen. Von besonderer Wichtigkeit ist der Umstand, dass der Nu- cleus der Knospe dureh Abschniirung vom Kern des Mutterthiers sich bildet. Da die meisten Exemplare sehr arm an Nahrungsballen und demzufolge sehr durehsichtig waren, konnte man den Nucleus und seine Veränderungen schon am lebenden Thier, wenn auch mit einiger Mühe, beobachten. Behandlung mit Essigsäure liess ihn dann viel deutlicher zu Tage treten. Man sieht nun, wie der Nucleus des Mutterthiers, der übrigens keine Abweiehun- gen vom normalen Verhalten zeigt, sich mit einem seiner Enden bis mitten in die Knospenanlage hineinerstreckt und wie, noch wäh- rend Knospe und Mutterthier breit mit einander zusammenhängen, dies Ende sich absehnürt. Es liegt darnach als ein ovaler oder kugliger Nucleus im Centrum der Knospe, während die Hauptmasse des Kerns in den Körper des Mutterthiers zurückweicht wo sie sich weiterhin in normaler Weise verhält (vergl. Fig. 18—20). Hiermit ist also die ältere, von CLAPAREDE und LACHMANN und zu- letzt noch von Stern vertretene Meinung widerlegt, dass der Nucleus der Knospe bei den Vorticellen unabhängig vom Kern des Mutter- Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 581 thiers, durch Neubildung entstehe !). Die Knospenbildung von Vorticella mierostoma — und dasselbe gilt sicherlich für alle Arten dieser Gat- tung?) — weicht somit im Wesen nicht von allen andern bekannten Formen ungeschlechtlicher Fortpflanzung der Infusorien ab. Denn, wie verschieden auch in der äusseren Erscheinung. stimmen diese alle darin überein, dass das Protoplasma der neuen Individuen dureh Spaltung des elterlichen Protoplasma, der Nucleus der neuen Individuen durch Spaltung des elterliehen Nucleus ent- steht?). Die ungeschlechtliche Vermehrung der Infuso- !) Es hält nicht schwer zu erklären, wie man zu dieser Meinung gekom- men ist. In den meisten Fällen hatte man es ohne Zweifel mit knospenförmiger Conjugation zu thun, und in den wenigen Fällen, worin vielleicht echte Knos- penbildung vorlag, hat man die ersten, schnell vorübergehenden Stadien, auf die es hier allein ankommt, nicht genau genug untersucht. Dies gilt höchst wahrscheinlich auch für Spirochona, welche Form STEIN (Organismus ete. Zweite Abth. pag. 74) gegenwärtig für die einzige Form hält, bei welcher echte Knospenbildung im älteren Sinne (mit Neubildung des Nucleus der Knospe) vor- kommt. Abgesehen von .der Möglichkeit, dass viele der beobachteten Knospen von Spirochona nur Mikrogonidien in Conjugation waren, beweisen die Angaben von STEIN in diesem Puncte nichts, da sie gerade in Betreff der ersten Stadia sehr aphoristisch sind (Die Infusionsthiere auf ihre Entwickelung untersucht. 1854. pag. 209). Auch die beigefügten Abbildungen, selbst Fig. 2c auf Taf. V (l. e.) zeigen nur ziemlich weit vorgerückte Entwickelungsphasen. Da nun bei Vorticella mierostoma die Abschnürung des Nucleus in einem sehr frühen Stadium und sehr schnell stattfindet, darf man bei Spirochona wohl dasselbe erwarten. “ 2) Bei einem Exemplar von Vorticella convallaria habe ich unlängst den Process vollständig beobachtet. Er verlief in ganz derselben Weise wie bei V. mierostoma. — Vielleicht sind auch einige der von STEIN (Organismus etc. Zweite Abth. pag. 113—114) beobachteten und als Syzygien aufgefassten Zu- stände von Vort. campanula Fälle von echter Knospenbildung gewesen. 3) Die verschiedenen Formen der ungeschlechtlichen Vermehrung können in folgende Gruppen geordnet werden: A. Theilung (beide Individuen gleich gross). a) Lage der Theilungs- ebene unbestimmt (Sphaerophrys); b) Längstheilung (Vorticella, Ophrydium u. a.); ec) Schrägtheilung (Lagenophrys); d) Querthei- lung (die meisten anderen Infusorien). B. Knospung (beide Individuen ungleich gross). a) Aeussere Knospen- bildung (die Knospe erhebt sich von Anfang an über die äussere Ober- fläche des Mutterthiers) : Vorticella, Spirochona (?), Acineta mystacina, Podophrya gemmipara, fixa; — b) innere Knospung (der Körper der Knospe grenzt sich im Innern des mütterlichen Körpers ab): Acineta eueullus, Podophrya cyclopum, quadripartita, cothurnata, astaci. Dass kein wesentlicher Unterschied zwischen diesen verschiedenen Fällen be- steht, lehren die zahlreichen Uebergänge, die sogar bei derselben Art vorkom- men. Sphaerophrya u. a. spaltet sich in zwei Individuen die gleich gross, 582 Th. W. Engelmann rien hat also allgemein nach demselben Principe statt wie die gewéhnliche Zellentheilung. Ich bin in Bezug hierauf ganz mit R. Herrwie einverstanden, dem das Verdienst zukommt, ge- stützt auf eigene Beobachtungen und Kritik fremder Angaben, zuerst auf die Uebereinstimmung der verschiedenen Formen ungeschlecht- licher Fortpflanzung bei den Infusorien, sowohl untereinander als mit der Zellentheilung, aufmerksam gemacht und die morphologische Bedeutung der letzteren Thatsache näher erläutert zu haben '). ITI. Weitere Schicksale der Knospen von Vorticella microstoma: knospenförmige Conjugation. Zwischen den Vorticellen, die das Material zu den eben mitge- theilten Beobachtungen geliefert hatten, kamen zahlreiche Individuen vor, die offenbar in knospenförmiger Conjugation begriffen waren. Die Vermuthung lag nahe, dass die kleinen Individuen dieser Syzy- gien nichts anderes waren als echte Knospen, die sich auf einer andern Vorticella fixirt hatten. Um diese Vermuthung zu prüfen suchte ieh Knospen vom Augenblicke an, worin sie ihr Mutterthier verliessen, anhaltend zu verfolgen. Zu dem Ende beobachtete ich bei einer ziemlich schwachen , ein grosses Gesichtsfeld gewährenden Vergrösserung (HARTNACK, Objectiv 4, Ocular 3, eingeschobener Tubus) und machte den Tropfen klein und platt: so war mehr Aus- sicht vorhanden die umherschwiirmenden Knospen nicht aus dem Auge zu verlieren. Die Aufgabe wurde durch den Umstand erleichtert, dass sich ausser V. microstoma stets nur höchst wenige Infusorien im Tropfen befanden. Auch von V. microstoma war in der Regel nur eine mässige Individuenzahl vorhanden (etwa 50— 100 in jedem wenig oder sehr verschieden gross sein können: Uebergang zwischen Aa und Ba. Uebergänge zwischen Ba und Bb kommen bei Podophrya gemmipara und den »Embryonen« von Stentor vor, worauf vor Kurzem R. Herrwie (l. i. ce.) schon hingewiesen hat. — Die Knospe ist mitunter grösser als das Mutterthier (bei Podophrya astaci häufig). !) R. Herrwig, Ueber Podophrya gemmipara nebst Bemerkungen zum Bau und zur systematischen Stellung der Acineten. Dies Jahrbuch, erster Band, pag. 63 flg. — Man vergleiche übrigens auch HAECKEL, Zur Morphologie der Infusorien. Jenaische Zeitschr. ete. Bd. VII. 1873. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 583 Tropfen) und die Thiere sassen einzeln oder in kleinen Gruppen bis zu höchstens 6 Individuen beisammen. Dennoch misslangen die meisten Versuche, weil ich nicht immer der Knospe schnell genug folgen konnte. In vier Versuchen jedoch glückte es, die Knospe sich entwickeln und endlich losreissen zu sehen und ihr zu folgen bis sie sich mit einem andern Individuum eonjugirt hatte. Anfangs schwärmten die Knospen, der Form nach gewöhnlichen schwärmenden Vorticellen gleich, mit ziemlich eonstanter Geschwindigkeit (etwa 0,6 -1 Mm. in der Secunde), und immer um ihre Längsaxe rotirend. meist in ziemlich gerader Richtung durch den Tropfen. Dies dauerte finf bis zehn Minuten oder noch länger, ohne dass etwas Besonderes geschehen wäre. Dann änderte sich plötz- lich die Seene. Zufällig in die Nähe einer festsitzenden Vorticelle gera- then, änderte die Knospe, zuweilen wie mit einem Ruck, ihre Richtung und nahte nun, tanzend wie ein Schmetterling, der um eine Blume spielt, der Vorticelle, glitt wie tastend und dabei immer um die eigene Längsaxe rotirend, auf ihr hin und her'). Nachdem dies Spiel mi- nutenlang gedauert hatte, auch wohl nacheinander bei verschiedenen festsitzenden Individuen wiederholt worden war, setzte sich die Knospe endlich fest, und zwar meist am aboralen Ende, nahe dem Stiel. Nach wenigen Minuten war die Verschmelzung schon merk- bar im Gange und verlief nun weiter wie STEIN und GREEFF dies für die knospenförmige Conjugation beschrieben haben: nach einer oder mehreren Stunden war die Knospe ganz aufgenommen, die ') Ein in physiologischer und speciell psychophysiologischer Beziehung noch merkwürdigeres Schauspiel beobachtete ich ein anderes Mal. Eine frei schwärmende Knospe kreuzte die Bahn einer mit grosser Geschwindigkeit durch den Tropfen Jagenden grossen Vorticelle, die auf die gewöhnliche Weise ihren Stiel verlas- sen hatte. Im Augenblicke der Begegnung — Berührung fand inzwischen durchaus nicht statt — änderte die Knospe plötzlich ihre Richtung und folgte der Vorticelle mit sehr grosser Geschwindigkeit. Es entwickelte sich eine förmliche Jagd, die etwa 5 Secunden dauerte. Die Knospe blieb während die- ser Zeit nur etwa !/;; Mm. hinter der Vorticelle, holte sie jedoch nicht ein, sondern verlor sie, als dieselbe eine plötzliche Seitenschwenkung machte. Hier- auf setzte die Knospe mit der anfänglichen, geringeren Geschwindigkeit ihren eigenen Weg fort. — Diese Vorgänge sind wie die im Text geschilderten darum merkwürdig, weil sie eine feine und schnelle Perception, rasche und sichere Willensentscheidung und fein abstufbare motorische Innervation (s. v. v.) ver- rathen. Sie zeigen bis zu welcher erstaunlichen Höhe und Vielseitigkeit die phy- siologische Differenzirung in animaler Richtung im Rahmen einer einfachen Zelle . steigen kann! Man vergleiche über dies Verhältniss die anmuthenden Betrachtun- gen HAEcKEL’s a. a. O. Morpholog. Jahrbuch. 1. 39 584 Th. W. Engelmann Conjugation beendigt; der Nucleus der Knospe wie der des Trägers hatte sich dabei, ohne vorher mit einander in Berührung gewe- sen zu sein, in kleine kernähnliche Bläschen gespalten. In einigen Fällen hatten sich zwei Knospen nacheinander auf demselben Träger fixirt und verschmolzen mit ihm. Die vorstehenden Thatsachen lehren , dass die Knospen von Vortieella mierostoma physiologisch und morphologisch den Mikrogo- nidien oder Kleinsprösslingen der stockbildenden Vorticellinen gleich- werthig sind. Der einzige Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass letztere durch schnell wiederholte Theilung (Rosettenbildung), erstere durch Knospung entstehen, ein Unterschied, der nach dem oben über Theilung und Knospung Angeführten ganz unwesentlich ist. Vielleicht hängt derselbe mit dem Umstande causal zusammen, dass die einen Arten Stöcke bilden. die anderen nicht. Entwickelung von Mikrogonidien durch Theilung ist bei Vorticella bisher noch nicht beobachtet, ebensowenig echte Knospung bei den stockbildenden Geschlechtern. Es erhebt sich nun die Frage nach den Folgen und damit nach der physiologischen Bedeutung der knospenférmigen Conjugation. Indem wir an ihre Beantwortung gehen, wird es von Nutzen sein, zunächst einen Blick auf die sogenannten Embryonen der Infusorien zu werfen, welche von vielen als die Frucht der Conjugation be- trachtet werden. IV. Ueber die sogenannten Embryonen der Infusorien. Embryonalhypothese und Parasitentheorie. In verschiedenen Arten von Infusorien kommen, wie bekannt, meist epidemisch, mitunter sporadisch, eine oder mehrere Kugeln (Zellen) vor, die sich durch ein sehr helles homogenes Protoplasma, einen centralen sphärischen Kern und eine oder mehrere periphe- risch gelegene contractile Vacuolen sofort von dem übrigen Körper- inhalt unterscheiden. Sie produeiren durch Theilung oder Knos- pung gleichartige Junge, die sich entweder auf dieselbe Weise und am selben Orte weiter vermehren, oder nach Entwickelung eines Wimperbesatzes, häufig auch von Saugfüsschen (»acinetenartige Em- bryonen«), sich direet durch die Körperwand des sie beherbergenden Infusors nach aussen begeben und wegschwimmen. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 585 Diese Organismen, deren Form und Bau stets von dem der sie bergenden Thiere völlig verschieden ist, sind nach Stein Embryonen der letzteren; die Kugeln, von denen sie sich abschnüren, nennt er Embryonalkugeln. Ihre Entwickelung ist nach Stein stets die Folge eines Conjugationsactes: die Kerne der conjugirten Individuen lie- fern zunächst die sogenannten Keimkugeln (welche keine contraetile Vaeuole besitzen), entweder durch direeten Zerfall (Paramaecium, Vorticella), oder nach Passirung eines eigenthümlichen Zwischen- stadiums, der Placenta Srein’s (Euplotes, Oxytrichinen, stockbildende Vorticellinen, Trichodina). Die Keimkugeln entwickeln sich direct zu den Embryonalkugeln. — Bausıanı erklärt die Embryonalkugeln, diejenigen wenigstens, welche acinetenartige Junge produeiren, für parasitische Acinetinen der Gattung Sphaerophrya Clap. et Lachm. Man kann vorläufig die Frage nach der speciellen Form der Entwieklung der Embryonalkugeln unberücksichtigt lassen und ganz allgemein so fragen: sind die Embryonalkugen Nachkommen oder Parasiten der Arten in denen sie gefunden werden? Die Vorstellung, welche das Erstere annimmt, wollen wir kurzweg »Em- bryonalhypothese«, die andere »Parasitenhypothese« nennen , ohne dabei zunächst gerade die Hypothesen von STEIN und BALBIANI im Auge zu haben. Wir prüfen zuvörderst die Embryonalhypothese. — Sie würde aufhören Hypothese zu sein, sobald es gelänge, die Entwicke- lung einer Embryonalkugel aus der Körpersubstanz (Protoplasma, Nucleus, oder aus beiden) des sie beherbergenden Thieres direct, d.h. bei einem und demselben Individuum von Anfang an zu verfolgen. Dies ist nun trotz zahlreicher Bemühungen noch niemals gelungen, würde auch ohne Zweifel zu den schwierigsten Aufgaben gehören. Die aus der Entwickelung der Embryonalkugeln abgeleiteten Be- weise für die Embryonalhypothese sind demnach sämmtlich indirec- ter Art. Als solche hat man in erster Linie die anatomischen Aenderun- gen betrachtet, welche am Nucleus der Embryonalkugeln enthal- tenden Thiere beobachtet worden sind. “Man pflegt auf sie besonderes Gewicht zu legen, weil man in dem Nueleus der Infusorien, wie im Zellkern, das Hauptorgan für die Fortpflanzungserscheinungen zu erblicken gewohnt ist. In der That nun sprechen die in mehreren Fällen beobachteten Kernmetamorphosen sehr zu Gunsten der Em- bryonalhypothese. Die bemerkenswerthesten — eine scheinbar voll- 39* 586 Th. W. Engelmann ständige Reihe von Uebergangsformen zwischen den gewöhnlichen Kernen und reifen Embryonen — habe ich selbst früher bei Sty- lonyehia mytilus während einer »Embryonalepidemie« beobach- tet und theilweise beschrieben und abgebildet!). Srem beruft sich wiederholt?) auf diese Beobachtungsreihe, als auf einen der sichersten Beweise für die embryonale Natur der Kugeln und speciell für den Ursprung derselben aus dem Nucleus. Auch ich habe diese Ueber- zeugung lange Zeit getheilt und muss gestehen, dass ich nur mit Mühe davon zurückgekommen bin: immer stiess ich auf die Schwierigkeit, eine andere, befriedigende Erklärung der beschriebe- nen Kernmetamorphosen von Stylonychia zu finden. Diese Schwie- rigkeit ist erst in Folge neuerer Beobachtungen, die ich weiter un- ten mittheilen werde, für mich gefallen. Inzwischen war das Gewicht der bei Stylonychia mytilus und andern Arten gefundenen Thatsachen bereits dadurch sehr ver- ringert worden, dass es sich mehr und mehr zeigte, dass in weitaus den meisten Fällen die Nuclei der»Embryonalkugeln« oder »Embryonen« enthaltenden Thiere völlig normal sind. Man darf dies gegenwärtig mit Sicherheit nicht allein für Stylonyehia mytilus sondern für fast alle Arten behaupten, bei denen »Embryonalkugeln« beobachtet sind. Ich habe in der Anmerkung?) die mir bekannten Fälle zusammen- !) Zur Naturgeschichte der Infusionsthiere. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XI. 1562. pag. 362—363. Taf. XXIX. Fig. 8—12. 2) Organismus ete. Zweite Abth. pag. 86, 121, 122. 3) Anmerkung. A. Kerne bei Anwesenheit von »Embryonalkugeln« völlig normal gefunden. Thierart. 3eobachter. Bemerkungen. Stylonychia mytilus STEIN Organismus ete. Erste Abth. pag. 156. Taf.° VI. Fig. 7—12. Taf? VOR Figs STE: - BALBIANI Recherches sur les phénom. sex. ete. Bl: VEIE aioe: - ENGELMANN Allgemein während einer kleinen Epi- demie von 1859. — Vereinzelt 1861. Pieurotricha lan- STEIN ¢ l. c. Erste Abth. pag. 170. Taf. X. ceolata Fig. 3. Uroleptus agilis ENGELMANN Einige Fälle, Herbst 1861. Urostyla grandis STEIN l. e. Erste Abth. pag. 199. Taf. XIII. Fig. 5. Taf. XIV. Fig. 1—6. Der Kern wurde, wie bei normalen Thie- ren, überhaupt nicht gesehen. ‘Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 587 gestellt, in welchen bei Anwesenheit von »Embryonalkugeln« die Kerne normal und die, in welchen sie mehr oder weniger verändert Thierart. Stentor Roeselii Bursaria truncatella Paramaecium bursaria Paramaecium aurelia Vorticella microstoma Vorticella nebulifera Vorticella campanula Vort. convallaria Zoothamnium arbus- cula Carchesium poly- pinum Carchesium aselli Epistylis plicatilis Epistylis Daphniarum Trichodina pediculus Thierart. Stylonychia mytilus Paramaecium aurelia Vorticella microstoma Vorticella convallaria Carchesium aselli Zoothamnium ar- buscula Beobachter. STEIN CLAPAREDE et LACHMANN. STEIN STEIN BALBIANI STEIN STEIN ENGELMANN STEIN STEIN ENGELMANN STEIN ENGELMANN ENGELMANN ENGELMANN STEIN STEIN Bemerkungen. l. e. Zweite Abth. pag. Taf. VIII. Fig. 3, 4. Etudes etc. IL pag. 186. 253 — 255. l. e. Erste Abth. pag. 100. — Zweite Abth. pag. 306, Taf. XIL Fig. 2, 4. Die Thiere enthielten nur »reife Em- bryonen«. Die Infusionsthiere ete. pag. 244. Taf. IV. Fig. 9. — Organismus ete. Erste Abth. pag. 99. Recherches ete. Pl. IX. Fig. 23—24. l. ec. Erste Abth. pag. 9. l. e. Zweite Abth. pag. 117. Einige Exemplare im Mai 1860. Viele im April 1874 und 1875. l. c. Zweite Abth. pag. 100 u. 129. ibid. pag. 114 u. 115. Juni u. September 1860. l. c. Zweite Abth. pag. 133. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XI. pag. 372. Viele Exemplare im Mai und October 1860. Einige Fälle im April 1860. Ein Exemplar, Juni 1860. l. c. Zweite Abth. pag. 136. ibid. pag. 100. B. Kerne nicht normal. Beobachter. STEIN ENGELMANN STEIN STEIN ENGELMANN ENGELMANN STEIN Bemerkungen. Drei Exemplare. 1. e. Erste Abth. pag. 360. Taf. VIII. Fig. 3, 4, 6, 11. l. c. pag. 362 — 363. Taf. XXIX. Fig. 8s—12. l. c. Zweite Abth. pag. 91. ibid. pag. 117. l. c. pag. 375. l. e. pag. 373— 374. l. c. pag. 133, Wenige Exemplare. 588 Th. W. Engelmann gefunden wurden. Das Resultat dieser Zusammenstellung ist un- zweifelhaft. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei, dass nicht nur die relative sondern die absolute Zahl der Individuen, bei denen keine Kernveränderungen gefunden wurden, sehr gross ist, und nicht minder der Umstand, dass die Beobachtungen in den meisten Fallen die verschiedensten Stadia der »Embryonalentwicklung« betreffen. In letzterer Hinsicht muss noch näher die Thatsache betont wer- den, dass in den sehr zahlreichen Fällen, worin nur eine »Embryo- nalkugel« vorhanden war, also in solchen Zuständen, die mit etwas grésserer Wahrscheinlichkeit für sehr frühe als für sehr späte zu halten sind, die Kerne ausnahmslos normal gefunden wurden Mir ist wenigstens ein entgegengesetzter Fall nicht bekannt. Man achte weiter auf die Art der Kernveränderungen! Sofort fällt hier eine grosse Unregelmässigkeit und Verschiedenheit auf: die beschriebenen Abweichungen sind selbst bei ein und derselben Art und während einer und derselben Epidemie zum Theil sehr different und zwar von der Art, dass sie nicht zu einer Entwick- lungsreihe gruppirt werden können. Bald zeigt der Nucleus unregel- mässige Einschnürungen, bald örtliche Verdiekungen oder Anschwel- lungen; in einem Falle völlig homogen, nur nach Form und Lage abweichend von der Norm, ist im andern in letzterer Hinsicht alles wie gewöhnlich, aber in der Nucleussubstanz liegen kleinere oder grössere Kügelchen oder Bläschen !) u. s. f. Man vergleiche hier- mit die grosse Regelmässigkeit und Constanz der Veränderungen, die der Kern bei Theilung, innerer und äusserer Knospenbildung und Conjugation zeigt, und man wird den Gedanken, dass die »Embryonalkugeln« physiologische Entwicklungsproducte des Nucleus seien, höchst unwahrscheinlich finden). A priori schon ist jetzt, wo die einzellige Natur der Infusorien Thierart. Beobachter. Bemerkungen. Epistylis plicatilis CLAPAREDE et l. e. pag. 172. LACHMANN. Epistylis crassicollis ENGELMANN Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. X. pag. 278. Vier Exemplare. !) Diese letzte Abweichung kommt unter sehr zahlreichen Umständen, auch ohne dass »Embryonalkugeln« dabei im Spiele sind, vor. Sie kann kaum für eine Abnormität gelten. 2) Dass die »Keimkugeln«, insofern sie ausschliesslich oder doch wesent- lich vom Nucleus abstammen, mit den »Embryonalkugeln« nichts zu schaffen haben, wird weiter unten speciell bewiesen werden. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 589 ‘und damit die Homologie von Nucleus und Zellkern nicht mehr zweifelhaft sein kann'), eine Entwickelung von Jungen ausschliess- lich aus dem Nucleus im höchsten Grade unwahrscheinlich. Herr- wiG?) hat dies mit Recht schon betont und auf die grosse princi- pielle Bedeutung gewiesen, die das Vorkommen einer solchen Fortpflanzungsweise bei den Infusorien für die gesammte Zellen- lehre haben würde. Weder aus der Histiologie der Thiere noch aus der der Pflanzen ist ein einziger sicher constatirter Fall bekannt, worin eine vollständige Zelle sich ausschliesslich aus dem Nucleus oder aus Theilstücken desselben entwickelt hätte. Viel mehr Wahr- scheinlichkeit würde eine Entwieklung ausschliesslich aus dem Pro- toplasma haben. Indessen: zeigt der Nucleus wenigstens in manchen Fällen Aenderungen, am Protoplasma der Infusorien sind noch niemals Erscheinungen gesehen worden, welche auf eine, auch nur partielle Entwickelung von »Embryonalkugeln« aus dem Protoplasma weisen könnten. Die bisher beigebrachten , aus der Entwickelung abgeleiteten Beweise sind mehrentheils negativer Art. In positivem Sinne spricht die vergleichende Anatomie der »Embryonen« gegen die Embryonalhypothese. Ich habe hier natürlich nicht die Thatsache im Auge, dass der Bau derselben von dem der sogenannten Mutterthiere gänzlich verschieden ist, sondern nur die Art dieses Unterschiedes und zwar speeiell den Umstand, dass die »Embryonen« (von denen der Vorticellinen abgesehen ) echte Saugfüsschen wie die Acineten besitzen, während diese den Eltern fehlen. Man darf hiergegen nicht anführen, dass umgekehrt ja die Schwärmsprösslinge der Acinetinen Wimperhaare besitzen, also morphologisch zu den echten Ciliaten gehören würden. Dieser Vergleich passt darum nicht, weil Cilien sehr allgemein, und nicht nur bei Thieren sondern auch bei Pflanzen- zellen vorkommen, also durchaus nicht charakteristisch für einen be- stimmten Typus oder Stamm von Organismen sind, Saugfüsse aber wie die der »acinetenartigen Embryonen« ausschliesslich bei der kleinen Klasse der Acinetinen gefunden werden). Offenbar ist das Auftreten von Organen ganz specifischen, auf wenige Formen be- I) Wir werden auch in den folgenden Capiteln neue Beweise für diese Ho- mologie beibringen, dabei zugleich einige Einschränkungen kennen lernen. 2) 1. ce. pag. 66 fig. _ 3) CLAPAREDE et LACHMANN, Etudes ete, Vol. I. pag. 39. — R. HERT- WIG, l. ce. pag. 56—58, 590 Th. W. Engelmann schränkten Vorkommens , während der individuellen Entwiekelung eines zu einem andern Typus gehörenden Organismus, viel unwahr- scheinlicher, als das Erscheinen von Elementen, welche wie die Ci- lien, für keinen einzigen Typus charakteristisch sind. Gegen dieses allgemeine Gesetz, welches namentlich bei phylogenetischen und systematischen Betrachtungen vom höchsten Werthe ist, verstösst nun die Embryonalhypothese !). Alle diese Schwierigkeiten wiirden nun aufgewogen werden, wenn es gelänge die Weiterentwickelung eines Embryo zur Form des »Mutterthiers« zu beobachten. Viel wiirde schon gewonnen sein, wenn man nur eine Entwickelung in der Richtung nach dieser Form nachweisen könnte. Hier indessen vereinigt sich gerade Alles um die Embryonalhypothese zu Falle zu bringen. Die »acinetenartigen Embryonen« gehen — dies ist häufig genug auch von Stein? beobachtet worden — nach dem Ausschwärmen unter Verlust ihrer Wimpern in echt nackte Acinetinen der Form Sphaerophrya Clap. Lachm. über, die nun in derselben Weise, wie erst die »Embryonalkugeln«, durch Theilung oder Knospung junge mit Flimmerhaaren und Saugfüsschen versehene Sprösslinge produeiren. Diese verhalten sich dann ebenso wie die erste Generation. Um diese Thatsachen mit der Embryonalhypothese zu reimen, müsste man die Zuflucht nehmen zu der durchaus willkürlichen An- nahme, dass die »Embryonen« erst nach einer längeren Reihe von Generationen oder unter ganz specifischen äusseren Bedingungen wieder zur Ciliatenform des »Mutterthiers« zurückkehren. Gegen diese Annahme jedoch, wie überhaupt gegen eine Fort- pflanzung der eiliaten Infusorien durch vom Mutter- thier im Bau fundamental abweichende Keime, spricht, dass noch Niemand bisher irgend eine Infusorienform angetroffen 1) Aus demselben Grunde darf der merkwürdige Actinobolus (STEIN 1. e. Zweite Abth. pag. 169, Anmerk.) nicht, wie Srery thut, den Ciliaten zugezählt werden. Besitzt dies Thier in der That ausser Saugfüssen noch Mund und Anus, was zu bezweifeln kein Grund vorliegt, dann muss ihm ein selbstän- diger Platz zwischen Acinetinen und Ciliaten eingeräumt werden. Man sehe auch R. HERTwIG |. e. pag. 78, mit dessen Betrachtungen über die Phylo- genese der Ciliaten und Acinetinen ich nur insofern nicht tibereinstimme, als ich die Entwickelung beider aus einer ursprünglichen, nur mit Flimmerhaaren besetzten Form für viel wahrscheinlicher halte, als die Abstammung von einer Grundform die ausser Cilien auch Saugfüsse besass. 2) Organismus etc. Erste Abth. pag. 52, 103 — 104, 161, 203—204. Zweite Abth. pag. 138. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 591 hat, die mit einiger Wahrscheinlichkeit als Uebergangsstadium aus dem »embryonalen« (hier acinetenartigen) Zustand in den des ent- wickelten Ciliats aufgefasst werden dürfte. Mit Riicksicht auf die Thatsache, dass seit mehr als 25 Jahren eine Zahl vorzüg- licher Beobachter die Infusorienwelt in allen mögliehen Richtun- gen. an allen möglichen Orten, unter allen möglichen Bedingun- gen, durchforscht hat und theilweise noch unablässig durchforscht, ist es höchst unwahrscheinlich, dass man derartige Uebergangsformen nicht gefunden haben sollte, wenn sie wirklich beständen Was man von sogenannten jungen Entwicklungszuständen findet!), unter- scheidet sich beinahe ausschliesslich durch geringere Grösse von den »erwachsenen« Exemplaren derselben Art, und kann genügend durch die Annahme rasch wiederholter Theilung, resp. Knospung, ungün- stiger Ernährungsbedingungen und anderer dergleichen Momente er- klärt werden. Mehr noch! Wie man weiss existiren Beobachtungen, welche die parasitische Natur der acinetenartigen »Embryonen« direct zu beweisen und damit die Embryonalhypothese definitiv zu widerlegen scheinen. Bausranı? meldet schon, dass er Exemplare von Sphae- rophrya in Stylonychia mytilus, Urostyla und Paramaecium von aus- sen her eindringen und zu »Embryonalkugeln« werden sah, welche letzteren dann in der bekannten Weise Junge produeirten. Enias MECZNIKOW >) hat später einen acinetenartigen »Embryo« von Para- maeeium aurelia, dessen Entwicklung aus einer »Embryonalkugel« er verfolgt hatte, sieh in ein anderes Exemplar von Paramaeeium einfressen sehen. Sremm, der die letztere Beobachtung nicht gekannt 1) S. u. a. STEIN 1. c. Zweite Abth. pag. 257. Taf. VII. Fig. 10 A, B. — Die Angaben von Everts über die Entwicklung von Vorticella nebulifera aus Kern- fragmenten eneystirter Exemplare derselben Art weichen so sehr ab von Allem was über die Entwickelung von Infusorien und Zellen überhaupt feststeht, beruhen auch auf so schwierigen Beobachtungen, dass sie, so lange sie nicht wiederholt bestätigt sind, bei theoretischen Betrachtungen nicht berücksichtigt werden dür- fen. Ich bezweifle ihre Richtigkeit und möchte beiläufig die Vermuthung aus- sprechen, dass die Kernfragmente »Embryonalkugeln« waren (s. unten) und spä- ter ein Trichodina-artiger Schwärmer mit einer schwärmenden Knospe von V. nebulifera verwechselt wurde (s. auch Stein |. c. Zweite Abth. pag. 48). Ep. Everts, Untersuchungen an Vorticella nebulifera. Zeitschr. f. wiss. Zool. XXIII. Bd. 1873. pag. 604—608. Taf. XXX. Fig. 21—39. 2) Compt. rend. ete. 1860. Tome LI. pag. 319—322. 3) Ueber die Gattung Sphaerophrya. Arch. f. Anat. Physiol. ete. 1864. pag. 258—261. 592 Th. W. Engelmann zu haben scheint und Batsranrs Angaben, freilich nicht ganz ohne Grund, misstraut, meint, dass wenn man auch fiir die acinetenartigen Embryonen die Parasitenhypothese gelten lassen wollte (was er aus vielen anderen Gründen für unstatthaft hilt), doch für die Vorticel- linen die Embryonaltheorie unzweifelhaft angenommen werden müsse. Denn, sagt er"), die Embryonen dieser haben keine Saugfüsse wie die acinetenartigen Embryonen der anderen Klassen, »von einem Ein- bohren solcher Organismen durch die feste Cuticula der Vorticellinen kann mithin gar nicht die Rede sein«. Nun ist aber zunächst durchaus nicht bewiesen, ja nicht einmal wahrscheinlich, dass es gerade die Saugfüsse sind, mittelst welcher die acinetenartigen Embryonen sich einbohren. Ein Durchbohren der Cutieula findet ja auch bei der knospenförmigen Conjugation, ja höchst wahrscheinlich bei jeder Art von Conjugation statt. Man erinnere sich ausserdem, um nur Einiges zu nennen, der Conjuga- tion von Noctiluca miliaris?), bei der eine Cutieula resorbirt wird, die sehr viel dieker und fester ist als die der Vorticellinen, ferner der Pflanzenzellen die sich in feste Gewebe, ja in Gesteine ein- bohren. Folgt hieraus, dass man kein Recht hat an der Möglichkeit eines solchen Einbohrens auch bei den »Embryonen« der Vorticelli- nen zu zweifeln, so bin ich jetzt im Stande das wirkliche Vorkom- men dieses Processes zu beweisen. Als ich im April dieses Jahres einer ziemlich ausgedehnten » Em- bryonalepidemie« bei Vorticella mierostoma begegnete, suchte ich von dieser Gelegenheit Gebrauch zu machen um die weitere Ent- wiekelung der »Embryonen« nach dem Ausschwärmen aus der Vor- ticelle kennen zu lernen. Man weiss bis jetzt durchaus nichts von den ferneren Schicksalen der »Embryonen« irgend einer Vorticel- line’). Meist schwimmen sie unmittelbar nach der »Geburt« mit so grosser Geschwindigkeit fort, dass man sie sehr bald aus dem Auge verliert. Inzwischen erreichte ich dennoch meinen Zweck auf dem oben beschriebenen Wege, auf dem es gelungen war, die Bestim- mung der Knospen von V. microstoma festzustellen. Freilich nur in einem einzigen Falle, aber in diesem Falle so vollständig, dass ich 1) 1..c. Zweite Abth. pag. 55. 2) CIENKOWSKY, Ueber Noctiluca miliaris Sur. Archiv für mikr. Anat. Bad. IX. 1873. pag. 56. Taf. V. Fig. 47. 3) STEIN, |. c. Zweite Abth. pag. 101, 115, 138. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 593 bis in alle Einzelheiten fiir die Richtigkeit der Beobachtung ein- stehe. Am vergangenen 5. April früh 10 Uhr hatte ich im Gesichts- feld eine ziemlich grosse (ca. 0,05 Mm. lange), auf einem langen Stiel sitzende Vorticelle fixirt, die etwa in der Mitte des Körpers, etwas nach vorn und auf der Rückseite, dicht unter der Cuticula, eine 0,02 Mm. grosse »Embryonalkugel« enthielt. In dieser war ausser einem schwer kenntlichen runden centralen Nucleus eine kleine, peri- pherisch gelegene Vacuole zu sehen, die sich regelmässig aller 15 Seeunden zusammenzog. — Halb innerhalb halb ausserhalb der Em- bryonalkugel, an ihrer Vorderseite, lag eine ähnliche kleinere Kugel von 0,008 Mm., ein »Embryo«, mit einer in regelmässigen Interval- len von nur 12 Sec. sich contrahirenden Vacuole. An der Oberfläche des »Embryo« zeigte sich eine leise wogende Bewegung wie von Flimmerhaaren. Ueber der grossen Embryonalkugel, ein wenig nach hinten vom »Embryo« befand sich in der Wand der Vorticelle ein schwach gebogener querer Spalt von etwa 0,007 Mm. Länge und (in der Mitte) etwa 0,001 Mm. Breite. Bei jeder Contraction der Va- cuole der grossen Kugel erweiterte sich dieser Spalt mit einem klei- nen Ruck, als ob der Inhalt der contractilen Vacuole in ihn hinein- setrieben würde, also dieselbe Erscheinung, die man am Vestibulum der Vorticellen, besonders schön an eben eneystirten Individuen, bei der Contraction der neben dem Schlund liegenden Vacuole beob- achtet. Um 10" 30’ fing der »Embryo« an sich zu drehen und der Spalte näher zu rücken. Jetzt wurde das schwächere Objectiv angeschraubt. Um 10" 34’ trat er und zwar innerhalb etwa 10 Secunden durch den Spalt heraus, blieb einige Augenblicke vor der Oeffnung des Spalts sitzen und schwamm dann mit ziemlich grosser, jedoch die der Knospen von V. microstoma nicht erreichender Schnelligkeit weg. Seine Ge- stalt war die eines mässig gestreckten Ellipsoids. Er taumelte nun in ziemlich steilen Spiralen, dabei um eine etwas schief von vorn nach hinten verlaufende Axe seines Körpers rotirend, mit ziemlich constanter Geschwindigkeit durch den Tropfen. Zuweilen, beson- ders beim Begegnen irgend eines aussergewöhnlichen Widerstandes änderte er plötzlich seine Richtung. Dies Herumschwärmen dauerte vier Minuten, während welcher Zeit der Embryo keinen Augenblick aus dem Auge verloren wurde. Da gerieth er zufällig in den Wir- belstrom, den eine grosse, auf einer Lemna-Wurzel sitzende V. mi- crostoma im Wasser producirte. Von demselben erfasst, wurde 594 Th. W. Engelmann er gegen den Peristomdeckel der Vorticelle angetrieben, auf welchem er unmittelbar wie festgeklebt sitzen blieb, und zwar etwa in der Mitte des Deckels, etwas näher der Rückseite des Thieres. Nach wenigen Minuten schienen die Flimmerhaare verschwunden zu sein und der Embryo in die Scheibe des Wirbelorgans eindringen zu wollen. Er sass bereits so fest, dass er bei Zuckungen der Vorti- celle sich nicht von dieser löste, sondern wie ein Tampon die voll- ständige Schliessung des Peristoms verhinderte. Nun ward die stär- kere Vergrösserung, Harrnack Obj. 8, wieder angeschraubt. Auf der Oberfläche des Embryo waren keine Cilien mehr zu sehen, wohl aber kleine Unebenheiten, vielleicht Reste der Flimmerhaare, viel- leicht auch sehr kleine Saugfüsschen — Gewissheit konnte ich nicht erlangen. Die Form des Embryo war länglicher geworden, ein Drit- tel von ihm lag bereits im Peristomdeckel. Um 10" 55’ war er völlig eingedrungen und lag nun, als ein sehr zart aber scharf be- grenztes homogenes Kügelehen mit contraetiler Vacuole, unter der Cuticula, die sich über ihm wieder geschlossen zu haben schien, im Wirbelorgan. Die Vorticelle, die anfangs mit offenem Peristom in normaler Weise thätig gewesen war, zog sich nach 10% 55’ allmäh- lich zusammen; dabei trat die Querringelung der Cuticula viel deut- licher hervor. Um 10" 57’ begann ein hinterer Wimperkranz her- vorzuspriessen; da es somit schien als wollte das Thier seinen Stiel verlassen, wurde die schwache Vergrösserung wieder angeschraubt. Um 11" 16’, also 46 Minuten nachdem der »Embryo« sich auf der Scheibe des Wirbelorgans fixirt hatte, riss sich die Vorticelle vom Stiel los und schwamm in der gewöhnlichen Weise, mit sehr gros- ser Geschwindigkeit davon. Ich verfolgte sie etwa zehn Minuten lang unablässig; als sie aber einmal plötzlich eine Schwenkung ausführte, verlor ich sie und konnte sie nicht mit Sicherheit zurückfinden, denn es schwärmten noch mehrere gleichgrosse Exemplare derselben Art’ im Tropfen umher. Die wichtige Thatsache steht somit fest, dass auch die so- genannten Embryonen von Vorticella microstoma sich activ in den Körper dieses Thieres einbohren können!). Und hiermit könnte man nun die Parasitennatur auch der »Embryo- nen« von Vorticella für bewiesen halten. Inzwischen wollen wir doch ') Von einem passiven Eindringen kann natürlich mit Rücksicht auf Ort und Art des Eindringens nicht die Rede sein. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 595 noch untersuchen, ob nicht noch andere Auffassungen des beschrie- benen Vorganges erlaubt sind ! So viel ich sehe, wiirde allein noch an Conjugation (im weite- sten Sinne) gedacht werden können. Dieser Gedanke ist aber schon darum unerlaubt, ‘weil bereits — und für V. mierostoma wurde dies oben noch speciell bewiesen — eine echte Conjugation bei Infuso- rien nachgewiesen ist und zwar von prineipiell verschiedener Art: stets sind dabei, wie verschieden auch übrigens der Process sein möge, die sich vereinigenden Individuen in Bezug auf Bau, Abstam- mung und Entwicklung einander im Wesentlichen gleich. Wollte man im vorliegenden Falle eine zweite Art von Conjugation erblicken, dann würde dieser, wegen des prineipiell verschiedenen Ursprungs des einen der sich vereinigenden Individuen, auch eine gänzlich verschiedene Bedeutung zuerkannt werden müssen. Diese würde, nach Gründen der Analogie, nur in der Einleitung irgend eines be- sonderen Entwickelungs- oder Fortpflanzungsprocesses gesucht werden können. Vergeblich aber wird man nach einem derartigen Processe suchen: die bekannten Erscheinungen, Wachsthum, Theilung, innere und äussere Knospenbildung, Eneystirung, die gewöhnliche Conjugation, haben nichts mit der Entwickelung der »Embryonen« zu thun. Es würde nur, wenn man nicht irgend eine Annahme ad hoc geradezu erfinden will, die »Embryonalentwickelung« selbst übrig bleiben. Diese aber als Resultat der Conjugation mit einem »Embryo« zu er- klären, der dann in gewisser Beziehung als männliche Geschlechts- zelle fungiren würde, hiesse eine physiologische Ungereimtheit be- haupten und wäre zudem unlogisch, insofern man sich dabei einen Cirkelschluss zu Schulden kommen liesse. Eine fernere, wie mir scheint unüberwindliche Schwierigkeit liegt für die Embryonalhypothese in der Thatsache, dass »Embry o- nalentwicklung« und gewöhnliche Theilung bez. Knos- pung gleichzeitig bei einem und demselben Individuum vorkommen können. ÜLAPAREDE und LACHMANN!) haben dies zweimal bei Stentor, STEIN?) zweimal bei Vorticella mierostoma ge- sehen. STEIN meint zwar, dass man in diesen Fällen die »Embryo- nalentwicklung« als so gut wie abgelaufen betrachten müsse. Die Thatsachen, so wie sie beschrieben werden, erlauben aber, soviel ich sehe, ebenso gut die entgegengesetzte Annahme. »Höchst wun- 1) Etudes ete. I. pag. 189. Pl. IX. Fig. 4. 2) Organismus etc. Zweite Abth. pag. 118. 596 Th. W. Engelmann derbar«, sagt STEIN !) weiterhin selbst, » würde es sein, wenn ein im Beginn der Fortpflanzungsperiode stehendes Thier sich theilte, denn Theilung und geschlechtliche Fortpflanzung schliessen sich inder ganzen Thierwelt absolut aus«. Ich habe nun unlängst zwei Fälle beobachtet, von denen nicht der geringste Zweifel besteht, dass: sie — vom Stand- punkt der Srein’schen Embryonalhypothese aus — zur letzteren Ka- tegorie gehören würden. In einem grossen Exemplar von Vorticella mierostoma (Taf. XXI. Fig. 21), das sich in der gewöhnlichen Weise theilte, zeigten sich, als gegen Ende der Theilung Essigsäure zugesetzt wurde, an Stelle des gewöhnlichen Nueleus in jeder Theilhälfte zwei etwa 0,006 Mm. grosse, von einem schmalen hellen Hof umgebene »Keimkugeln« und ungefähr acht kleine Kernfragmente. Ein anderes Exemplar, an dem sich gerade eine echte Knospe gebildet hatte, zeigte gleichfalls an Stelle des ovalen Nucleus zwei grössere und zwei bis drei kleine Kiigelchen?). In dem Tropfen, der beide Exem- plare enthielt, kam knospenförmige Conjugation häufig vor. Hier- aus, in Verband mit der charakteristischen Beschaffenheit des Nucleus (s. das folgende Capitel) folgt unzweifelhaft, dass man in beiden Fällen mit Individuen zu thun hatte, die kurz zuvor aus der knos- penförmigen Conjugation hervorgegangen waren. Die eigenthüm- liche Spaltung der Nuclei muss nach der Embryonalhypothese als Zeichen der beginnenden Embryonalentwicklung aufgefasst wer- den: StEın lässt die grösseren Kugeln, seine Keimkugeln, sich spä- ter direct zu Embryonalkugeln (mit Kern und contractiler Vacuole) entwickeln. Wäre dies nun richtig, so würden unsere beiden Fälle 1) ibid. pag. 257. 2) Diese Beobachtungen sind zugleich sehr lehrreich in Bezug auf die Be- deutung des Nucleus fiir die Theilung und Knospung. Sie stimmen schlecht zu der Annahme, dass der Kern bei diesen Vorgängen die Hauptrolle spiele, spe- ciell dieselben anrege. Fiir diese Annahme kann man, soviel ich sehe, kaum einen andern Grund anführen, als den, dass man in vielen Fällen (z. B. bei Knorpelzellen) am Kern die ersten Anzeichen der bevorstehenden Theilung sieht. Hierbei vergisst man aber die Fälle (s. u. a. HorMEISTER, die Lehre von der Pflanzenzelle. pag. $3 u. S1.), in denen der Kern erst später in merkbarer Weise Theil nimmt. Hier würde dann, nach derselben Art zu schliessen, der Kern die Theilung nicht anregen, sondern dazu von andern Theilen der Zelle aus ange- regt werden. Es leuchtet ein, dass weder die eine noch die andere Schlussfol- gerung erlaubt ist. Den sichtbaren Aenderungen müssen als Ursachen unsicht- bare vorausgegangen sein. Ueber der letzteren Art und Ausgangspunkt aber eine Meinung zu äussern ist vorläufig nicht gerathen. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 597 das Wunder eines Thiers und zwar, was hier besonders schwer wiegt, eines Elementarorganismus, zeigen, der sich absolut gleichzeitig auf zwei principiell verschiedene Weisen fortpflanzt. Leicht liessen sich noch andere, z. Th. gewichtige Einwürfe gegen die Embryonalhypothese erheben !); ich meine aber, dass nach den bereits angeführten Gegenbeweisen niemand mehr die Neigung spüren wird, sie zu vertheidigen. Ehe wir sie jedoch verlassen, missen wir noch einen Augenblick zu der am Anfang dieses Capi- tels erwähnten älteren Beobachtungsreihe zurückkehren, welche in scheinbar überzeugender Weise die Entwickelung der acinetenartigen Embryonen von Stylonychia mytilus aus den Nucleis dieses Thieres dargethan hatte. Wie nun, nach Verwerfung der Embryo- nalhypothese, diese Thatsachen in befriedigender Weise zu erklären’? ‚Ich glaube eine solehe Erklärung jetzt finden zu dürfen in der Annahme, dass die beschriebenen Veränderungen der Nuclei krank - hafter Art und zwar Folge- oder Theilerscheinungen einer, höchst wahrscheinlich durch die parasitischen Sphärophryen hervorgerufe- nen, Ernährungsstörung waren. Bereits sind verschiedene Formen pathologischer Veränderungen von Infusorienkernen bekannt, die offenbar durch Parasiten hervorgerufen werden. Die Nuclei von Paramaecium aurelia, Chilodon eueullulus, Stentor Roeselii, Pleuro- nema chrysalis u. a. sind mitunter hypertrophisch und dabei abnorm gestaltet, stellenweis eingeschnürt oder verdickt, selbst in un- gleiche Stücke getheilt. Man findet sie dann durchsetzt mit äusserst kleinen stabförmigen, unbeweglichen und sehr resistenten Elemen- ten, die offenbar bacterienartige Parasiten, aber nicht wie früher alle Forscher, mit Ausnahme von BALBIANI, vermutheten, Spermato- zoen sind 2). Vor Kurzem nun begegnete mir eine verwandte Kern- krankheit bei Stylonychia mytilus. Sie trat epidemisch auf in einem von verfaulenden Wasserlinsen übelriechenden Wasser, das einige 1) Ich nenne die Thatsache, dass Entwickelung von »Embryonen« nur bei wenigen Arten beobachtet ist und gerade bei den nächsten Verwandten mancher dieser Arten vermisst wird (z. B. bei Stylonychia pustulata und histrio) ; ferner die Thatsache, dass Exemplare von St. mytilus die viele „Embryonalkugeln« enthalten, leicht ohne nachweisbare äussere Veranlassung durch Zerfliessen im Wasser umkommen (wonach alle »Embryonalkugeln« die echte Sphärophryaform annehmen) und sich auch in anderer Beziehung (z. B. Bewegung) häufig wie Kranke benehmen u. s. f. 2) S. auch die kritische Beleuchtung dieser Frage durch STEIN, Organis- mus u. s. w. Zweite Abth. pag. 96—99. 598 Th. W. Engelmann Wochen zuvor aus einem Graben geschöpft war. Die meisten Sty- lonychien besassen, bei übrigens ganz normalem Bau, an Stelle der beiden Nuclei, zwei, drei bis fiinf ziemlich stark lichtbrechende, scheinbar homogene oder ziemlich feinkörnige, kernähnliche Körper. Einige derselben, besonders die kleineren, waren mitunter kuglig, die meisten länglich, oval, nierenförmig, mit halbkugligen seitlichen oder terminalen Verdiekungen, die im Begriff schienen sich abzu- schnüren. In einigen sah man eine kleine Vacuole, die jedoch keine deutlichen Contractionen zeigte. Kernähnliche Einschlüsse fehlten. Neben ihnen, im Endoplasma, lagen zwei, drei oder vier, in einem Falle (Copulation?) acht Körper, die vor den sonst vorhandenen Nucleolis in der Regel nur durch etwas grösseren Umfang sich un- terschieden. Sie fehlten einige Male ganz. In einem Falle wurde nur ein ovaler Kern und ein kleinerer kernartiger Körper gefun- den. — Das Volumen der nucleusartigen Körper übertraf in der Regel das der gewöhnlichen Nuclei ansehnlich, bis um das Dreifache und mehr. Im selben Individuum hatten sie meist ungleiche Grösse und auch verschiedene Form. Anfangs meinte ich hier Entwickelung von Embryonalkugeln vor Augen zu haben, um so mehr, als ich nach einigem Suchen ein Exemplar mit einer und ein anderes mit zwei grossen und acht klei- nen »Embryonalkugeln« fand !). Als ich aber eine Anzahl Exemplare (im Ganzen 11), nach vorheriger Isolation, nach einander zwei bis fünf Tage lang verfolgte, sah ich wohl die betreffenden Körper grös- ser werden, auch sehr allmählich Gestalt und Ort wechseln, in drei Fällen auch sich theilen; aber niemals kam es zur Entwickelung von »Embryonalkugeln«, »Embryonen« oder beiden ähnlichen Formen. Auch von einer »Geburtsöffnung« war nichts zu finden. Die grössten und ältesten der kernartigen Körper waren, wie sich nach dem Herausdrücken derselben aus dem Leibe der Stylonychien zeigte, gleichmässig und sehr dicht durchsetzt mit höchstens 0,003 Mm. langen, etwa dreimal schmäleren, eylindrischen oder bisquit- förmigen Körperehen, die in Wasser und verdünnten Säuren sich nicht lösten. Offenbar waren es Bacterien. Ganz dieselben Ele- mente kamen auch frei m dem Wasser worin die Stylonychien leb- ten in grosser Menge vor. Sie bäuften sich allmählich auf dem Boden ') In diesen beiden Fällen waren die normalen Kerne vorhanden. — Nach dem Ausdrücken der Embryonalkugeln kamen an diesen kleine Saugfüsse zum Vorschein. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 599 des Tropfens an; active Bewegungen wurden nicht sicher beobach- tet. — Manche Stylonychien gingen spontan durch Zerfliessen zu Grunde, wobei dann die kernartigen Körper als membranlose, zart- begrenzte Gebilde frei wurden. Die Substanz derselben, in welehe die Bacterien eingebettet waren, schien mässig fest und elastisch zu sein und wurde in Wasser allmählich durchsichtiger und voluminöser ; endlich schien sie sich zu lösen. Auch innerhalb der Stylonychien wurde einige Male eine allmähliche Auflösung beobachtet ; vielleicht war hier auch der verdauende Einfluss des Endoplasma im Spiele. Ich verkenne nicht, dass zwischen den eben beschriebenen und den früher von mir bei St. mytilus beobachteten Thatsachen noch mancherlei bemerkenswerthe Unterschiede bestehen. Inzwischen leh- ren die genannten Beobachtungen doch, dass unter dem Einfluss para- sitischer Organismen die Nuclei von Stylonychia mytilus Aenderungen erleiden können, die in vielen Zügen das Bild einer in vollem Gang begriffenen »Embryonalentwicklung« vorspiegeln'). Nachdem wir somit die Unhaltbarkeit der Embryonalhypothese nachgewiesen haben , bleibt uns über die Parasitentheorie nur noch Weniges zu sagen. Die wichtigsten Argumente, die gegen die letztere vorgebracht worden sind, haben wir bereits entkräftet. An den übrigen würden wir mit Stillschweigen vorübergehen, wenn sie nicht durch die Autorität Srei’s ins Feld geführt worden wären. Es sind die folgenden ?). Zunächst die constante Lage der »Geburtsöffnung« von Stylony- chia mytilus, auf der Bauchfläche dicht hinter dem Peristom in der linken Körperhälfte. Diese Thatsache findet eine sehr einfache Er- klärung in der folgenden Betrachtung. Sphaerophrya ist ein sehr kleines leichtes Wesen, das in der Regel nur passiv und zwar sehr leicht in Bewegung gebracht wird. Sobald eine Stylonyehie in ihre Nähe kommt, wird der Strudel, den die äussert kräftige adorale Spi- 1) Es ist übrigens nicht unmöglich, dass auch in der älteren Beobachtungs- reihe ausser Sphaerophrya noch andere z. B. bacterienartige Parasiten im Spiele waren. Ich habe damals auf diese Möglichkeit nicht näher geachtet, verfügte auch in jener Zeit nur über mässige optische Hülfsmittel, und hatte zudem noch sehr wenig Erfahrung in mikroskopischen Dingen. Sicher ist die Anwesen- heit von Sphaerophrya an und für sich nieht hinreichend um die damals gefun- denen Kernmetamorphosen zu erklären, denn in weitaus den meisten Fällen bleiben die Nuclei, wie oben sehon erwähnt, bei Gegenwart von -Embryonal- kugeln« normal. 2) STEIN, Organismus u. s w. Zweite Abth. p. 51 fig. Morpholog. Jahrbuch. 1. 40 600 - Th. W. Engelmann rale dieses Thieres producirt, die Sphaerophrya erfassen und nach dem Mund zu treiben. Wenn sie durch diesen nicht eindringt, wird sie sich im Peristomwinkel mit ihren Tentakeln festhalten und unter dem beständigen Druck des nach hinten gerichteten Wasserstroms ein wenig nach hinten rücken können, wo sie sich dann in den Körper einbohrt. Hier bleibt sie liegen. Die Eintrittsöffnung wird sich wieder schliessen können. Geschieht dies, so wird doch die Körper- wand der Stylonychia an dieser Stelle voraussichtlich leichter verletz- lich bleiben und somit von den aus dem Innern andrängenden »Embryonen« leichter als an andern Stellen wieder durchbohrt werden. Uebrigens muss bemerkt werden, dass in einigen Fällen von BAL- BIANI und mir mehr als nur eine »Geburtsöffnung« und darunter eine oder mehrere auf der Rückenfläche von Stylonychia gefunden wurden. Die Unbeständigkeit in der Lage der »Geburtsöffnungen« bei Paramaeeium und Urostyla grandis erklärt sich, theilweise sicher, für die erste Art aus dem gänzlichen Fehlen, für die zweite aus der im Verhältniss zur Körpergrösse wie zur übrigen Bewimperung ziemlich geringen Entwickelung der adoralen Spirale. Einigen Ein- fluss darf man übrigens bei beiden und besonders bei Urostyla er- warten. In der That scheint bei Urostyla wenn nur eine »Embryo- nalkugel« vorhanden ist, die Geburtsöffnung in der Regel an dersel- ben Stelle wie bei Stylonychia zu liegen !). — Weiter ist sehr wohl denkbar, dass wenigstens bei grossen Formen wie Urostyla, Stentor, auch wohl Paramaecium aurelia, die eingewanderten Sphärophryen infolge der Bewegungen des Endoplasma, in welchem sie liegen, von der Einwanderungsstelle aus nach andern Körpergegenden fortge- führt werden, wo sich dann ihre Jungen nach aussen durcharbeiten. Ein weiteres und jedenfalls beachtenswerthes Argument gegen die Parasitenhypothese findet Srtem in der Thatsache, dass die »Embryonalkugeln« nicht wie andere Infusorien verdaut werden. In der That bleiben ja in den verdauenden Säflten der Thiere, auch der Infusorien, immer nur vereinzelte Formen leben: die meisten wer- den verdaut oder gehen doch zu Grunde. Die Parasitenhypothese ist also insofern offenbar im Nachtheil gegenüber der Embryonal- hypothese, als sie in diesem Falle das a priori weniger Wahrschein- liche annehmen muss. Inzwischen, die zahllosen Entozoen lehren doch, dass das von vornherein weniger Wahrscheinliche noch so 1) STEIN |. c. Erste Abth. pag. 199. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 601 häufig vorkommt, dass man dem genannten Argument durchaus kei- nen entscheidenden Werth beilegen kann. Ebensowenig endlich liefern die folgenden Betrachtungen STEIN’s entscheidendes Material gegen die Parasitentheorie. STEIN!) sagt: »Nach der Einwanderungshypothese bleibt es eine höchst auffallende Erscheinung, dass die vorausgesetzten verschiedenen Arten?) der Gattung Sphaerophrya nur ganz bestimmte Infusorienarten als ihre Wirthe benutzen, alle übrigen in deren Gesellschaft oft noch so zahl- reich vorkommenden Infusorien und selbst die Arten, welche den auserwählten überaus nahe verwandt sind, verschmähen«. Zwar fährt er fort: »Man wird mir einwenden, dass es ja in der Thier- welt sehr viele Parasiten gebe, die nur auf ganz bestimmte Wirthe angewiesen seien und dass zu dieser Kategorie von Parasiten auch die Sphärophryen gehören könnten.« Aber, meint er, »einer solehen Annahme steht die Lebensweise aller unzweifelhaften Acine- tinen entgegen, diese treffen niemals eine Auswahl unter den ihnen sich darbietenden Infusorien, sondern die heterogensten Formen, die in den Bereich ihrer Tentakeln gerathen, werden von ihnen festge- halten und ausgesaugt«. Diese Behauptung nun, für welche STEIN auch specielle Beweise nicht anführt, muss ich bestreiten. Ich habe aus allen meinen Beobachtungen entschieden den Eindruck zurück- behalten, dass die echten Acinetinen zwischen den in ihren Bereich kommenden Formen eine Auswahl treffen. Nicht so, als ob jede Acinetenart nur von Einer andern Form lebt, aber doch so, dass eine Mehrzahl von Formen verschmäht wird. Offenbar beschrän- ken sich ja auch die Arten der Gattung Sphaerophrya nicht immer auf eine Form. Ich kann wenigstens keinen Grund finden, die Sphae- rophrya der Stylonychien für specifisch verschieden von der Urostyla grandis oder auch nur der Paramaecien, zu halten, und vielleicht müs- sen auch die in den verschiedenen Vorticellinen schmarotzenden Endo- sphaeren (s. d. Anmerk.) im System zu einer einzigen Art gezogen werden. Oben hatten wir die Alternative gestellt: sind die sogenannten 1) 1. e. Zweite Abth. p. 53. 2, Die Parasitentheorie muss natürlich so viele verschiedene Arten von Sphaerophrya unterscheiden als charakteristische Formen von acinetenartigen »Embryonen« vorhanden sind. Hierzu kommen nun noch die nicht acinetenarti- gen »Embryonen« (der Vorticellinen) für die ich den Gattungsnamen Endo- sphaera vorschlage. 40* 602 Th. W. Engelmann Embryonen der Ciliaten Nachkommen oder Parasiten der Thiere in welchen sie wohnen? Jetzt bleibt noch eine dritte Még- lichkeit zu erwägen, die nämlich, dass sie sowohl das Eine wie das Andere wiiren. In der That ist es denkbar, dass sie sich zuniichst als Embryonen der Arten in welchen sie wohnen entwickeln, nach dem Verlassen des Mutterthiers aber in ein anderes Individuum der- selben Art eindringen, um in diesem, das dann das Amt einer echten Amme erfüllen würde, weiter zu wachsen und auf ungeschleeht- lichem Wege Junge zu produciren. Diese würden dann ihrerseits in neue Individuen einwandern, und nachdem sich dieser Process öfter wiederholt hätte, würde die letzte Generation zur Form des Mutterthiers zurückkehren. Eine derartige Annahme kann sich zwar, soviel ich in Erfah- rung gebracht habe, nicht auf bekannte Analogieen im Thierreich stützen; gewiss ist aber, dass sie mit den Thatsachen im Allgemei- nen besser harmonirt als die reine Embryonalhypothese und dass sie wenigstens einige Erscheinungen besser als die Parasitentheorie erklärt (u. a. einige der oben beschriebenen Kernmetamorphosen und das Niehtverdautwerden der »Embryonalkugeln«). Indessen bleiben viele und darunter einige der wichtigsten Einwürfe gegen die Em- bryonalhypothese auch für sie noch bestehen: so die Thatsache, dass noch niemals die Entwicklung einer Embryonalkugel aus dem Kör- per ihres Wirthes direct beobachtet worden ist; ferner die eigen- thümliehen Unterschiede im Bau zwischen »Mutterthier« und »Em- bryo« (Tentakeln) ; das gänzliche Fehlen von Uebergangsstufen zwi- schen beiden; die positiven Beobachtungen über die weiteren Schicksale der »Embryonen«. Da nun die Parasitentheorie alle diese Thatsachen in der einfachsten und natürlichsten Weise erklärt und aueh übrigens sich mit den Thatsachen in sehr genügender Ueberein- stimmung befindet, ist sie die einzige, welche gegenwärtig angenom- men werden darf. Und zwar muss man ihr einen Grad von Wahr- scheinlichkeit zuerkennen , der der Gewissheit sehr nahe kommt. — Die Embryonalhypothese, insofern sie auch den faeultativen Para- sitismus leugnet, ist bedingungslos zu verwerfen, da sie durch positive Beobachtungen direet widerlegt ist. Sollte sie, was im höch- sten Grade zweifelhaft ist, einmal wieder auftauchen, so würde dies nur in der eben angedeuteten Combination mit der Parasitentheorie sein können. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 603 V. Ueber den Conjugationsprocess und seine Folgen. Es versteht sich von selbst, dass man mit Annahme der Para- sitentheorie jeden causalen Zusammenhang zwischen den Conjuga- tionserscheinungen der Infusorien und der Entwickelung der genann- ten Parasiten läugnet. Wie man weiss betrachtet Stein den letzteren Process allgemein als Folge der Conjugation. Die Kerne der con- jugirten Individuen liefern nach ihm, entweder durch direeten Zerfall (Vorticella, Paramaecium), oder nach Passirung eines eigenthüm- liehen Zwischenstadiums, der Placenta, (Euplotes, Oxytrichinen, stock- bildende Vorticellinen, Trichodina) kleine kuglige Elemente. Von diesen sollen sich wenigstens einige zu den sogenannten Keimkugeln entwickeln, die dann entweder innerhalb des Mutterthiers sich zu den bekannten Embryonalkugeln umbilden, oder (z. B. bei Stylony- chia pustulata und histrio) nach aussen entleert werden und sich in der Aussenwelt — auf noch unbekannte Weise — weiter meta- morphosiren. — Barsıanı nennt die Keimkugeln, die er übrigens gleichfalls infolge der Conjugation (durch Abschnürung) aus dem Nucleus entstehen lässt, »Eier«, läugnet aber, wie wir schon sahen, dass sie sich jemals im Mutterthier zu Embryonalkugeln und Embryo- nen ausbilden, sondern betrachtet alle Infusorien als eierlegende Thiere. Ueber die Lehre vom Entstehen der Embryonalkugeln aus den Keimkugeln brauchen wir nach dem Vorausgeschickten hier nicht weiter zu handeln. Wesentlich interessiren uns nur Abstammung und Bedeutung der sogenannten Keimkugeln oder Eier. Und zwar culminirt das Interesse in den Fragen: sind diese Elemente Producte des Nucleus? und: haben sie die Bedeutung von Fortpflanzungskörpern (Sporen, Eizellen)? — Die in der Literatur vorliegenden Angaben sind, wie allgemein anerkannt wird, durchaus ungenügend diese Fragen entscheidend zu beantworten. Denn einmal sind sie über- haupt sehr lückenhaft und zweitens widersprechen sie sich in Puneten vom höchsten Gewicht'). Es kommt somit auf neue Beobachtungen an und zwar auf lückenfreie, womöglich an einzelnen Individuen ge- wonnene Beobachtungsreihen. Mir liegen nun theils aus älterer, theils aus neuerer Zeit Erfah- rungen vor, die, wenn sie auch Manches noch zweifelhaft oder völlig ') Man vergleiche die Angaben von Srern mit denen BALBIANIS über die Abstammung der Keimkugeln resp. Eier von Stylonychia. 604 Th. W. Engelmann im Dunkeln lassen, doch über die Herkunft und Bedeutung der so- genannten Keimkugeln bei einer Reihe von Arten vollkommene Ge- wissheit geben und zugleich neues Licht auf den Conjugationsvorgang und die geschleehtlichen Erscheinungen der Infusorien überhaupt werfen. Sie erstrecken sich wesentlich auf Paramaecium aurelia und seine Verwandten, auf Stylonychia pustulata und histrie, auf Vorticella mierostoma und Epistylis plicatilis. Freilich eine nur geringe Zahl von Arten, aber doch Repräsentanten der drei grossen Abtheilungen der holotrichen, hypotrichen und peritrichen Infusorien und zugleich Arten, deren Conjugationserscheinungen auch von anderer Seite z. Th. ausführlich beschrieben und verhältnissmässig leicht zu contro- liren sind. Jede Art muss für sich abgehandelt werden. Thatsachen und theoretische Betrachtungen wollen wir streng von einander hal- ten um die Uebersicht über die ersteren und das Urtheil über die letzteren zu erleichtern. A. Paramaecium aurelia und seine Verwandten. Alle bisherigen Untersucher stimmen in Bezug auf Paramae- cium aurelia insofern mit einander überein als sie lehren, dass der Nucleus sich infolge der Conjugation in zahlreiche kleine Fragmente spaltet, unter welchen meistens einzelne durch ansehnlichere Grösse, vollkommener sphärische Form und stärkeres Lichtbrechungsver- mögen sich auszeichnen (Eier, Keimkugeln). Weiter lehren alle, dass der Nucleolus beträchtlich wächst und sich in zwei oder mehr mit faserigen Elementen (»Spermatozoen« STEIN, BALBIANI) gefüllte Fragmente theilt, die später nicht mehr gefunden werden. Die Abweichungen in den Angaben der einzelnen Beobachter betreffen hauptsächlich folgende Puncte. Nach Baupiant') wird der Nucleus bereits vor dem Auseinan- dergehen des conjugirten Paars durch von der Oberfläche her vor- dringende Einschnürungen zu einem langen, anfangs knäuelförmig aufgewundenen Strang, der sich zunächst in kürzere Stücke, endlich in die erwähnten kleinen Fragmente spaltet. Vier, selten zwei oder acht von diesen werden, nachdem sie zu einer gewissen Grösse herangewachsen sind und ein »Keimbläschen« erhalten haben, als Eier, von den aus ebensoviel »Samenkapseln « herrührenden »Sper- matozoen« des andern Individuums befruchtet und danach »gelegt«. ty Irre. pap. ar. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 605 Dies geschieht nach der Trennung des Paars; der Austausch der Samenkapseln vorher. Nach Svein!) erleidet der Nucleus, so lange das Paar zusam- menhängt, keine nennenswerthe Veränderung. Nach der Trennung zerfällt er infolge von Befruchtung durch die aus den Samenkapseln desselben Individuums herrührenden Spermatozoen (also Selbst- befruchtung) in eine geringe Anzahl (4—7) ziemlich grosser rund- licher Stücke auseinander. Diese, so vermuthet Stein, entwickeln sich zu gewundenen Strängen, die dann durch Theilung in die kleinen Fragmente zerfallen. Einige von diesen würden dann zu Keimkugeln (BAausıan!s Eiern) und weiter zu Embryonalkugeln wer- den. Aus den übrigen regenerirt sich der Nucleus. OÖ. BürscHhLı? fand den Nucleus in Einer Reihe von Beobach- tungen schon vor, in einer andern erst nach Trennung der Paare, in einen gewundenen und dabei verzweigten Strang metamorphosirt. Diesen lässt er sich in zahlreiche Stücke spalten, von denen einige — oft 5 bis 8 — grösser und heller als die andern sind. Wie STEIN betont auch BürschLı, dass in demselben Individuum Ueber- gänge zwischen diesen »Eiern« oder »Keimkugeln« und den kleinen Fragmenten vorkommen. Ein centrales helles Bläschen (Keimbläs- chen) das BauBiant und auch Srein in den grösseren Kugeln gesehen zu haben meinen, findet er in diesen nicht. Aber wohl schien jede der grössern Kugel nach Zusatz von Essigsäure wie aus einer Anzahl von Bläschen zusammengesetzt, die mit den kleinsten Kernfragmenten übereinstimmten. An einigen isolirt gehaltenen In- dividuen fand er mehrere Tage nach der Conjugation die grösseren Kugeln nicht verändert, auch ihre Zahl nicht merklich verringert. — Er bezweifelt, besonders aus vergleichend histiologischen Gründen, dass die faserigen Elemente, die sich im Nucleolus entwickeln, die Bedeutung von Spermatozoen haben, und in Verband hiermit das Stattfinden einer Befruchtung bei der Conjugation. Meine eignen Beobachtungen lehrten mich eine ununterbrochene Reihe von Entwicklungszuständen kennen, von denen ich die wich- tigsten so kurz wie möglich und im Allgemeinen in der Reihenfolge beschreiben will, in welcher sie sich nach meiner Meinung bei dem- ') 1. e. Zweite Abth. pag. 89—91. 2) Einiges über Infusorien. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 9. 1873. pag. 662 flg. Nach den Abbildungen zu schliessen hat BOrscuL1 nicht, wie er meint, P. aurelia, sondern P. ambigume oder putrinum untersucht. 606 Th. W. Engelmann selben Individuum aus einander entwickelt haben wiirden. Da ich den Verlauf der Erscheinungen, wie BürscHLı, in verschiedenen Conjugationsepidemien nicht ganz übereinstimmend fand, mögen die Befunde der einzelnen Epidemien besonders behandelt werden. Die meisten Ergebnisse lieferte eine grosse Epidemie , welche ich im April 1862 zu Leipzig beobachtete. Ich traf da folgende Zustände. a. Syzygien!). 1) Nucleus (7) und Nueleolus (»/) vollkommen normal. 2) » und besonders »/ grösser als "gewöhnlich , ziemlich weit von einander gelegen, übrigens normal. Uebertraf die Länge des nl 0,015 Mm. dann war er schwächer lichtbrechend und fein längs- gestreift. 3) » noch grösser und mehr kuglig, zuweilen mit einer ober- flächliehen Einschnürung. »/2 ein 0,03 Mm. langes 0,02 — 0,025 Mm. breites ellipsoidisches Bläschen mit einem scheinbar aus feinen schwach gebogenen Längsfasern bestehenden Inhalt, übereinstimmend mit Baupianrs Fig. 12 N. auf Taf. VII, 1. e. — In verschiedenen derartigen Fällen lagen die »/ der Syzygien, etwa in der Höhe der gegeneinander gepressten Vestibula, gekreuzt, halb im einen halb im andern Individuum , schienen also im Begriff ausgetauscht zu werden. 4) n wie in 3, aber mit einer oder mehreren unregelmässig verlaufenden Einschnürungen. »/ birnförmig (0,025 Mm. lang) oder posthornartig (entsprechend BaLsıants — Taf. VII Fig. 12 E) oder spindelförmig, bis 0,06 Mm. lang (Bausıants — Taf. VI Fig. 12%), mitten im Thier gelegen. 5) » wie in 4, vielleicht etwas tiefer eingeschnürt. In jedem Individuum zwei nl von 0,025 — 0,08 Mm. von Aussehen und Gestalt ziemlich gleich Bausıanrs Taf. VI Fig. 6 u. 7. Inhalt deutlich faserig. 6) x wie in 5. In jedem Individuum vier »/, alle gestreckt ellipsoidisch (0,022—0,04 Mm. lang. 0,001 Mm. breit), oder in an- dern Paaren birnformig, in beiden Fällen mit nieht sehr deutlich faserigem Inhalt. + '!) Wenn nicht ausdrücklich das Gegentheil gesagt ist, waren in Bezug auf Nucleus und Nucleolus resp. ihre Umwandlungsproduete beide Individuen der Syzygie gleich. Dies Verhalten wird von allen Beobachtern als das normale hervorgehoben. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 607 7) » noch tiefer gespalten, aber kurz und dick. In dem einen Individuum der Syzygie zwei lingliche undeutlich fasrige (0,04 Mm. lang, 0,015 br.) und zwei homogene kuglige »/ (von 0,006 Mm.) ; im andern Individuum drei längliche undeutlich längsgestreifte »/ von 0,04 Mm. Länge und 0,015 Breite, und ein schwach nierenförmiger homogener ziemlich stark lichtbrechender x/ von ca. 0,007 Mm. Länge, alle nahe der Mitte des Thiers. b. Einzelindividuen. 8) » dureh tiefe gewundene Spalten wie in einen knäuelförmig gewundenen Strang verändert. 2 nicht mit Sicherheit beobachtet. Keine Spur von »Eiern« oder »Keimkugeln «. 9) » ein langer, vielfach aber locker gewundener Strang, der aus mehreren Stücken zu bestehen scheint (etwa wie bei Baupıanı Taf. VII. Fig. S). Sonst wie 8. 10) An Stelle der langen Stränge zahlreiche, hier und da perl- schnurartig zusammenhängende kuglige oder ovale, 0,004—0,005 Mm. und mehr lange Fragmente, von etwas geringerem Lichtbrechungs- vermögen als der » der gewöhnlichen Individuen. 11) An Stelle des » zahlreiche, ziemlich unregelmässig im Kör- per zerstreute Fragmente wie in 10, darunter einige (häufig 3— 8) srösser (bis zu 0,02 Mm.), reiner sphärisch, stärker lichtbrechend, etwa den Zuständen gleich, die Bürscnui |. e. Taf. XXV Fig. 6 u. Taf. XXVI Fig. 9 abbildet. Mitunter Uebergänge zwischen den kleineren und grösseren Kugeln. | 12) Vier grosse (0,02 Mm.) und neun kleine (0,005—0,01 Mm.) nahezu kuglige Körper, aus anscheinend derselben Substanz wie gewöhnliche Nuclei, ziemlich unregelmässig im Körperinnern zer- streut. 13) Drei grosse und sieben kleine derartige Elemente wie in 11, beinahe sämmtlich in der vordern Körperhälfte. Die beiden grössten fast kuglig (0,03 Mm.); neben dem einen ein schwach nierenförmiges von 0,027 Mm. Länge und 0,01 Mm. Breite. Die sie- ben kleinen oval oder kuglig, von 0,006—0,01 Mm. 14) Zwei 0,052 Mm. grosse, etwas abgeplattet kuglige kern- artige Körper; dicht um sie her sechs kleine von 0,006—0,01 Mm. alle in der vorderen Hälfte des Thiers. — In einem andern derar- tigen Falle zwei Kugeln von 0,04 Mm. und sieben kleine ähnlicher Art. — Wieder in einem andern ein grosser, länglicher, etwas birn- förmiger Körper von 0,046 Mm. Länge, ein ziemlich kugliger von 608 Th. W. Engelmann 0,034 Mm. und acht kleine zwischen 0,005 und 0,015 Mm. alle von nucleusartiger Beschaffenheit und an der Stelle gelegen wo gewöhn- lich der Nucleus sich befindet. Während einer im August und September 1561 zu Leipzig beob- achteten Epidemie begegneten mir ausser den unter 1) auch die unter 8) und 9) beschriebenen Kernzustände und Uebergiinge zu 10) bei Individuen, die noch conjugirt waren. Solche Fälle habe ich auch später noch mehrmals gesehen. — In einer Epidemie vom December 1861, gleichfalls in Leipzig, kamen, wie in der Epidemie vom April 1862, die unter 1), 2) und 6) beschriebenen Zustände zur Beob- achtung. Ausser den hier geschilderten Formen wurden nur noch Exem- plare mit normalem Nucleus und Nucleolus gefunden. In einem einzigen Falle kamen gleichzeitig einzelne Exemplare mit Sphaero- phrya vor. — Die durch JoHAnneEs MÜLLER berühmt gewordenen Zustände mit vergrössertem und von stabförmigen Körpern erfülltem Nucleus, wurden während keiner der genannten Epidemien — sonst mehrmals — angetroffen, ein Beweis mehr, dass sie nicht von Sy- zygien abstammen, die Stäbehen im Nucleus nicht mit den sogenann- ten Spermatozoen identisch sind, die sich während der Conjugation im Nucleolus entwickeln. Aus den vorliegenden Thatsachen ergeben sich, wie ich meine mit Nothwendigkeit, folgende Vorstellungen über den Verlauf und die Folgen der Conjugation bei Paramaecium aurelia. Der Nucleus vergrössert sich, sobald das Paar sieh vereinigt hat, ein wenig, spaltet sich — entweder schon vor oder erst nach der Trennung des Paars, — von der Oberfläche aus in einen oder mehrere lange, anfangs knäuelförmig zusammengeballte Stränge; diese zerfallen, während sie zugleich auseinander weichen, durch wiederholte Abschniirung in immer kürzere Stränge, diese endlich in kleinste kuglige Fragmente. Während dieser Spaltung nimmt das Liehtbreehungsvermögen der Kernsubstanz ab, ihr Wassergehalt also höchst wahrscheinlich zu. An der Stelle von, vermuthlich aus der zerfallenen Nucleusmasse (durch Wachsthum und Verschmelzung der kleinsten Fragmente?) entstehen bald wieder kleine kuglige Elemente, von denen einige, die sogenannten Keimkugeln oder Eier der Autoren, sich besonders schnell vergrössern. Durch fortdauernde Vereinigung nimmt die Zahl dieser Elemente beständig ab, bis dureh Verschmelzung der Jetzten der einheitliche alte Nucleus wieder her- Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien 609 gestellt ist. Während dieses Processes, der jedenfalls einen bis mehrere Tage dauert, kehrt auch die alte physikalische und che- mische Beschaffenheit der Nueleussubstanz zurück. — Kurz gesagt zerfällt also der Nucleus infolge der Conjugation in kleinste Frag- mente und baut sich an der Stelle derselben ganz neu wieder auf. Die Metamorphosen des Nucleolus, wohl der schwierigste Punet der Untersuchung, sind, wenigstens für die späteren Stadien, noch nieht völlig sicher gestellt. Fest steht, dass der Nucleolus sich un- ter beträchtlicher Vergrösserung und Abnahme seines Brechungscoeffi- eienten in zwei und vier, auch wohl acht, gleiche Theile (»Samen- kapseln«) spaltet. Dabei wird sein Inhalt faserig. Später werden die Nucleolussegmente wieder kleiner, homogener und scheinen, in manchen Fällen noch vor, sonst bald nach Trennung des Paars völlig zu verschwinden. Während der Conjugation, vor. oder nach der ersten oder zweiten Theilung des Nucleolus werden die Nucleoli ausgetauscht!). Wie sich der einfache spätere Nucleolus wieder bil- det bleibt ungewiss, — ich vermuthe, durch Abschnürung vom Nucleus. Der Zerfall des Nucleus verläuft, wie die Thatsachen beweisen, zeitlich ganz unabhängig von den Veränderungen des Nucleolus, ist also keinesfalls Folge des Austausches der »Samenkapseln«. Dagegen scheint der Wiederaufbau des Nucleus stets erst nach dem Austausch und dem Vergehen der Nucleoli zu beginnen. Man könnte also vermuthen, dass die Reconstruction des Nucleus die Folge einer von der Substanz der Nueleoli auf die Kernfragmente ausgeübten Wir- kung sei, welche Wirkung dann als eine Art Befruchtung aufzu- fassen wäre. — Sehr unwahrscheinlich ist, dass die faserigen Elemente, welche sich während der Conjugation in der Nucleolus- substanz bilden, in Kern, Kernfragmente oder Protoplasma, nach Art echter Spermatozoen, eindringen. Mit den vorstehenden Erfahrungen an Paramaecium aurelia ganz übereinstimmende, von den Angaben BALBIANTs und $rein’s aber dureh- aus abweichende Resultate erhielt ich bei Paramaecium bursaria. Nach BaLBIant?, der auch in diesem Falle weniger Beobach- tungen beschreibt als dogmatisirt, schnüren sich bei P. bursaria vom Nucleus, der seine primäre Form behält, nur zwei, zuweilen ') Hierfür spricht sehr schlagend auch ein von BürschLı |. e. pag. 664 beschriebener und auf Taf. XXV. Fig. 2 abgebildeter Fall. 2) 1. e. pag. 100. ; 610 Th. W. Engelmann vier »ovules« von »0,0072 Mm.« ab und bilden sich zu ebensoviel »oeufs« von »0,0144 Mm.« aus. Der Nucleolus wächst und theilt sich in meist nur zwei »capsules séminales«. — Srem'!) fand in allen Conjugationszuständen den Nucleus nur mehr kuglig und an- scheinend kleiner geworden. Nach Trennung der Syzygie ent- wickeln sich aus ihm, so meint Srem, nur drei rundliche Körper, von denen einer zuweilen viel kleiner als die beiden andern ist. Mitunter fand er nur zwei ziemlich gleich grosse derartige »Keim- kugeln«. Der Nucleolus war meistens in vier »Samenkapseln« zer- fallen. Ich fand wie bei P. aurelia den Verlauf der Erscheinungen nicht in allen Epidemien gleich. So zeigten, während einer Augustepidemie 1561 die untersuchten Syzygien, in theilweiser Uebereinstimmung mit SrEm’s Befunden, den Nucleus normal oder nur mehr kuglig, zuweilen aber auch etwas vergrössert?. Neben ihm lag entweder ein ein- ziger, meist sehr vergrösserter Nucleolus oder zwei, selbst vier Nuceleoli mit längsgefasertem Inhalt. Reichere und zum Theil abweichende Ergebnisse lieferte eine Epidemie im April 1564. Während dieser beobachtete ich folgende Syzygien, die ich in der, wie ich meine natürlichen, zeitlichen Rei- henfolge kurz charakterisire. 1} Nucleus (x) vergrössert, nahezu kugelig, an zwei Stellen ein wenig eingeschnürt. Nucleolus (zZ) ein ellipsoidisches Bläschen mit scheinbar in kurze dünne Stäbchen gespaltenem Inhalt. 2) ~ in eine kleine Anzahl gewundener, einen Knäuel bilden- der Stränge zerfallen. Daneben drei oder vier starklichtbrechende Kügelchen von 0,005—0,008 Mm. Zwei ellipsoidische längsgestreifte nl von etwa 0,015 Mm. 3) 2 in unregelmässig gebogene auch wohl verzweigte Stränge von 0,008 — 0,03 Mm. Länge und etwa 0,006 Mm. Breite zer- fallen, die weiter als in 2) auseinder liegen. Vier »/ mit faseri- gem Inhalt; drei davon in der Hinterhälfte des Thiers, einer, 1) Organismus u. s. w. Zweite Abth. pag. 91. 2) In vielen Fällen war die Substanz der Kerne der Syzygien wie gefüllt mit 0.0015—0,003 Mm. grossen Kiigelehen von etwas stärkerem Lichtbrechungs- vermögen. Denselben Bau zeigten auch die Kerne vieler gewöhnlicher Individuen. Während anderer Epidemien waren alle Kerne scheinbar völlig homogen. Ein Beweis, dass das Fehlen oder Vorhandensein der genannten Einschlüsse im Kern weder in morphologischer noch physiologischer Hinsicht eine wesentliche Bedeutung hat. . { Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 611 mit dem entsprechenden des andern Individuums sich kreuzend, an der Grenze beider Thiere, etwas nach vorn von den Mund- öffnungen, halb im einen halb im anderen Individuum (Austausch). 4) An Stelle des » ein Haufen von 40 bis 70 kugligen oder, ovalen Elementen von 0,002—0,004 Mm. Dicht um ihn her vier nl von 0,01 Mm. mit längsgestreiftem Inhalt. Ausserdem, in einem Falle, im einen Individuum drei ziemlich stark lichtbrechende Kügel- chen von 0,005 —0,008S Mm., im andern nur ein solches von 0,005 Mm.; in einem andern Falle nur in einem Individuum ein gleiches Kügelehen von 0,004 Mm. Fälle wie 4), aber ohne stärker lichtbrechende Kiigelchen. beobaehtete ich häufig während einer Decemberepidemie 1861. An- statt vier, wurden damals bei einer einzelnen Syzygie nur drei gleiche Nueleoli in jedem Individuum gefunden. Neben den Syzygien kamen Einzelindividuen ohne Nucleolus vor. Eins enthielt etwa 30—50 kleine (0,003 Mm.) und vier grös- sere (0,005—0,007 Mm.) kuglige kernartige Elemente. Ein anderes barg nur zwei derartige Kugeln von 0,005 und 0,007 Mm. eine kleine von 0,004 Mm., eine grosse ovale von 0,02 Mm. und ein ähnliches Fragment von 0,008 Mm. Länge und 0,003 Breite. Wieder ein anderes Individuum zeigte zwei kernartige Kugeln von 0,015 Mm. jedes von diesen mit einem centralen kernähnlichen Körperchen von 0,005 Mm. — Zu den letzt erwähnten Fällen von meiner Ansicht nach schon sehr weit vorgerückten Reconstruction des Nucleus ge- hören ohne Zweifel auch die oben erwähnten von STEIN beobachte- ten Zustände. . Entwickelung von »Embryonalkugeln« sah ich weder vor, wäh- rend, noch nach einer Conjugationsepidemie von P. bursaria jemals auftreten. Ueber den Zerfall des Nueleus und die Metamorphosen des Nueleolus habe ich auch bei Paramaecium ambiguum!), im März und April 1862, einige mit den bisherigen harmonirende Erfahrungen gesammelt. Folgende Syzygien wurden beobachtet. 1) Einige der hauptsächlichsten Merkmale dieses Thiers habe ich in der Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XI. 1862. pag. 349 angegeben. Ich füge hinzu dass diese Art zwei contractile Vacuolen und Trichoeysten besitzt. Sie darf also nieht mit Param. putrinum Cl. et L. dem sie äusserlich sehr ähnelt, zusammen- geworfen werden — vorausgesetzt dass letztere Art, die ich nicht aus eigener Anschauung kenne, wirklich die ihr zugeschriebenen Eigenthümlichkeiten besitzt. 612 Th. W. Engelmann 1) 2 und x/ normal. Der erste schwach nierenförmig, 0,03 Mm. lang, 0,02 Mm. breit; der letztere ein Kiigelchen von 0,005 Mm. 2) » und namentlich v#/ sehr vergrössert, letzterer schwächer lichtbrechend; x in zwei Fällen ziemlich kuglig, in zwei andern mehr länglich. 3) m wie bei 2, doch mit einer oder zwei tiefen unregelmässi- gen Einsehnürungen. 2 birnförmig oder langgestreckt ellipsoidisch (0,025—0,04 Mm. lang) mit fasrigem Inhalt. 4) n in 20 bis 25 längliche Fragmente von etwa 0,01 Mm. Länge gespalten; daneben drei stark lichtbrechende Kügelehen von etwa 0.0075 Mm. Zwei birnförmig längsgestreifte “/, durch einen etwa 0,08 Mm. langen äusserst dünnen häutigen Strang (Nucleolus- membran) zusammenhängend. 5) » nahezu wie im vorigen Falle, doch die Fragmente mehr kuglig. Vier ovale, undeutlich gestreifte #/ von 0,017 Mm. Länge. Vermuthlich verläuft auch die Reconstruction des Nucleus wie bei Par. aurelia und bursaria. »Embryonalkugeln« wurden niemals gefunden. ‚ B. Stylonychia pustulata, histrio und verwandte Arten. Bei allen Arten der Gattung Stylonychia kommen zweierlei Conjugationsprocesse vor, die, besonders auch in Bezug auf das Ver- halten der Nuclei und Nucleoli, gänzlich verschieden sind. Beide habe ich an isolirten Exemplaren von St. mytilus, pustulata und histrio direet durch alle Stadien verfolgt und früher bereits ziemlich ausführlich, wenigstens was die Metamorphosen der Körperform und der Bewimperung anlangt, beschrieben und abgebildet'). Sie mögen als Copulation und Conjugation unterschieden werden’). ) 1. e. pag. 353 flg. Taf. XXVIII. Fig. 12—30. Taf.:XXIX. Fig. 4—6. ) Stein (Organismus ete. Zweite Abth. pag. 120) hält diese Unterschei- dung von zwei wesentlich verschiedenen Formen von Conjugation nicht fiir be- gründet, da nach ihm ein allmählicher Uebergang zwischen beiden besteht. Ich will die Möglichkeit hiervon nicht läugnen (s. unten den letzten Absehnitt), halte ihn aber durch Srern’s Beobachtungen nicht für bewiesen. Die 'That- sachen, auf die STEIN sich beruft, betreffen nur äusserliche Momente, nämlich das mehr oder weniger äusserlich Verwachsensein der beiden Individuen. Das in beiden Fällen so gänzlich verschiedene Verhalten der Nuclei und Nucleoli wird von Svrem nicht berücksichtigt. Auch scheint Sreın vollkommene Copula- tion nicht gesehen zu haben: wenigstens war auf der höchsten Stufe der Verschmelzung die er (Il. e. pag. 70—71) beschreibt, die Zusammensetzung der Syzygie aus zwei Individuen noch in der Bewimperung deutlich ausgesprochen. 1 2 Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von [ufusorien. 613 Die Copulation ist dadurch charakterisirt, dass beide Indivi- duen zu einem einzigen Thier verschmelzen, das in Form, Structur und Lebensweise von einem gewöhnlichen Exemplar derselben Art nicht merkbar abweicht. Wichtig ist, und ebenfalls charakteristisch, dass dabei die einander entsprechenden Nuclei beider Thiere, ohne übrigens Veränderungen zu erleiden, direct zu je einem einzigen Nucleus ver- schmelzen: erst vereinigen sich die vorderen, darnach die hinteren Nuclei zu je einer Kugel. Diese beiden Kugeln verschmelzen wie- der zu einem länglichen Körper der sich direct in zwei mit gewöhn- lichen Nucleis übereinstimmende Hälften theilt. Auch die correspondi- renden Nucleoli der beiden Individuen verschmelzen, ohne sonstige Aen- derungen zu erleiden. Ob sie sich später wie die verschmolzenen Nuclei noch zu einem einzigen Nucleolus vereinigen, der sich danach erst in die zwei bleibenden Nucleoli spaltet, wage ich nicht zu sagen. Das aus der Copulation resultirende Individuum verhält sich weiterhin anscheinend wie ein gewöhnliches Exemplar, auch insofern als es sich später durch gewöhnliche Quertheilung vermehrt. Oefters habe ich derartige Individuen, nach Isolirung, bis in die dritte Ge- neration verfolgt, ohne jemals etwas Besonderes an ihnen bemerkt zu haben. Niemals im Besondern gingen aus der Copulation die merkwürdigen , durch den Besitz einer Placenta ausgezeichneten Formen hervor, die sich stets aus den gewöhnlichen Conjugations- zuständen entwickeln. Offenbar darf somit die Copulation nicht als Einleitung zu einer geschlechtlichen Fortpflanzung betrachtet werden. Die Conjugation ist äusserlich dadurch charakterisirt, dass die beiden Individuen nur theilweise (meist nur mit den vorderen Körperhälften) und auf kurze Zeit (weniger als einen Tag) mit ein- ander verschmelzen. Während sie zusammenhängen entwickelt sich aus jeder Hälfte der Syzygie ein neues Individuum, in ähnlicher Weise, wie bei der Quertheilung der hintere Sprössling sich in der hintern Körperhälfte des ursprünglichen Individuums entwickelt. — In Be- zug auf das Verhalten der Nuclei und Nucleoli darf als feststehend Folgendes betrachtet werden. Noch vor der Trennung des Paars theilen sich die beiden Nuclei jedes Individuums in zwei Hälften und entwickeln sich die Nucleoli zu im Ganzen zwei, höchstens vier grossen hellen Bläschen mit feinfasrigem Inhalt. Einige Zeit nach der Trennung sind die Nucleoli verschwunden und ist an Stelle der vier Kernsegmente ein ziemlich grosser ovaler, sehr durehsichtiger Körper, die Placenta (Stein), im Innern jedes Exemplars vorhanden, umgeben von zahllosen sehr kleinen stark lichtbrechenden Körnchen, zwischen 614 Th. W. Engelmann welchen meistens einige grössere, stark lichtbrechende Kugeln (»Eier« BaLBIANI, »Keimkugeln« Stein) liegen. Später liefert die Placenta durch Theilung die bleibenden Nuclei des neuen Individuums, das dann auch in seinem übrigen Bau einem gewöhnlichen Exemplar wieder gleicht. Die Interpretation dieser Thatsachen seitens Sremn’s und BAL- BIANTS ist, wie man weiss, eine sehr verschiedene. Nach Bauprant'), der hauptsächlich Stylonyehia mytilus untersuchte, werden die vier durch Theilung der Nuclei entstandenen Segmente direet, unter Volumabnahme und Verdichtung ihrer Sub- stanz, zu den grösseren stark lichtbrechenden Kugeln, von denen später nach ihm stets vier neben der Placenta gefunden werden. Diese Kugeln hält er für Eier, die »gelegt« werden, nachdem sie durch die aus den Nucleolis stammenden »Spermatozoen« befruchtet worden sind. Die Placenta lässt er durch totale Neubildung ent- stehen. Srem2) vermuthet, dass die vier Nucleussegmente sich, nach eingetretener Befruchtung durch die »Spermatozoen«, direet zur Pla- centa vereinigen, die dann eine grössere oder geringere Anzahl der stark lichtbrechenden Keimkugeln »ausscheiden« und endlich durch Theilung die zwei bleibenden Nuclei liefern soll. Die Keimkugeln entwickeln sich, so meint er, bei St. mytilus direet zu den früher besprochenen Embryonalkugeln; bei St. pustulata und histrio aber werden sie, wahrscheinlich durch den After nach aussen beför- dert, um in der Aussenwelt zur weiteren Entwickelung zu kommen. Meine eigenen Beobachtungen führen in den wesentlichsten Punkten zu durchaus abweichenden Vorstellungen. Ich verfolgte isolirte Syzygien von Stylonychia pustulata und histrio einige Tage lang in der feuchten Kammer, und sah, bei beiden Arten überein- stimmend, Folgendes geschehen. Nachdem sich in den ersten Stunden nach der Vereinigung erst der vordere, dann der hintere Nueleus beider Individuen getheilt hatte, wurden die so entstandenen Kernsegmente allmählich schwächer und schwächer liehtbrechend und entzogen sich schliesslich, nament- lich schnell die vorderen, — nach Stunden — gänzlich oder doch nahezu der Beobachtung. Gleichzeitig begann die Zahl der kleinen stark lichtbrechenden Kügelehen und Körnchen, die stets, wenn auch e. pag. 83, 102 flg. Pl. VIII. Fig. 3—6. ce. Zweite Abth pag. 86. Ueber Entwiekelung und Fortpflanzung von lufusorien. 615 meist in mässiger Menge, im Endoplasma der Stylonychia enthalten. sind, sich bedeutend zu vermehren, wodurch das Endoplasma immer undurehsichtiger ward. Doch kam es mir vor, als ob diese grössere Un- durchsichtigkeit nicht hinreichte das Unsichtbarwerden der Nucleus- segmente zu erklären. Bald darauf, zuweilen kurz vor, spätestens einige Stunden nach der Trennung der Syzygie, erschien ziemlich in der Mitte des Körpers ein sehr kleiner (0,008 Mm. und darunter), homogener, sehr schwach lichtbrechender, kugliger oder ovaler Kör- per, die junge »Placenta«. Von den Kernsegmenten und Nucleolis konnte ich zu dieser Zeit auch nach Zusatz von Essigsäure nichts mit Sicherheit mehr wahrnehmen. Kurz nach der nun ziemlich rasch wachsenden Placenta, zuweilen auch früher, erschienen im Endoplasma — an verschiedenen Puneten — eine oder mehrere sehr stark liehtbrechende Kugeln von verschiedener , anfangs aber stets geringer Grösse. Sie vergrösserten sich und es kamen im Laufe der nächsten Stunden auch neue hinzu. Meist waren schliesslich vier bis sechs, auch wohl sieben, oder nur drei, von 0,007—0,012 Mm., und einige kleinere nicht mit Sicherheit von an- dern Körnchen des Endoplasma zu unterscheidende Kügelchen vor- handen. Ihre Zahl und Anordnung war in den beiden aus derselben Syzygie hervorgegangenen Individuen meist etwas verschieden ; all- mählich verschwanden sie wieder. Wahrscheinlich werden sie meist durch den After ausgestossen. Wenigstens beobachtete ich die- sen Vorgang bei zwei Exemplaren von Stylonychia histrio direet, und zwar kurz nach Zusatz von ein wenig destillirtem Was- ser zu dem etwas eingedunsteten Tropfen. Vielleicht hat reines Was- ser einen purgirenden Einfluss. Die Entleerung geschah ziemlich rasch: in einem Falle z. B. bewegte sich eine Kugel von 0,01 Mm. innerhalb einer Minute von vorn nach hinten längs der Rückseite mitten über die 0,04 Mm. grosse Placenta weg, nach dem After zu. Hier blieb sie eine halbe Minute liegen und ward dann zugleich mit einer andern etwa gleichgrossen, zwei kleineren (von 0,004 und 0,006 Mm.) derselben Art und einigen kleinsten Körnchen aus- gestossen. Aehnlich im andern Falle. Die Thiere verhielten sich weiterhin normal!). Die ausgestossenen » Keimkugeln« erschienen als nicht vollkommen sphärische, etwas eckige, structurlose Körper 1) Eines war am folgenden Tage von einem gewöhnlichen Exemplare nicht zu unterscheiden. Das andere wurde sechs Stunden später bei Untersuchung der chemischen Reactionen der entleerten »Keimkugeln« getödtet. Morpholog. Jahrbuch. 1. 41 616 | Th. W. Engelmann ‚von äusserst starkem Lichtbrechungsvermögen, etwa wie Lecithin- kügelehen. Noch nach vielen Stunden wurden sie unverändert ge- funden. Ueberosmiumsiiure von 2!/, °/) brachte im Laufe von 5 Mi- nuten keine merkliche Veränderung, weder der Farbe noch der Form hervor. Nach dem Auswaschen der Säure mit viel destillirtem Was- ser rief Essigsäure von 10 %, erst eine deutliche Trübung im Innern hervor, danach hellten sich die Kiigelchen sehr langsam auf und wurden schwächer lichtbrechend, ohne jedoch erheblich zu quellen. Von einem »Keimbläschen« kam nichts zum Vorschein. In starker Kalilauge lösten sie sich allmählich, die kleinen sowohl wie die grös- seren. In einigen Fällen schienen einige der grösseren Kugeln inner- halb des Körpers der Stylonychia aufgelöst zu. werden. Wenigstens wurden an ihrer Stelle nach einiger Zeit (einer bis zwei Stunden) sehr schwach lichtbrechende Kügelchen oder Bläschen von ungefähr derselben Grösse gefunden. Solche helle Bläschen (von 0,005 bis 0,01 Mm.) sah ich auch mehrmals im Endoplasma von Exemplaren der St. histrio auftreten, die keine stark lichtbrechenden Kugeln aber eine grosse Placenta enthielten. Später durch den After ent- leert, schwollen sie schnell zu grossen wasserhellen zartbegrenzten Blasen auf, die nach einigen Minuten platzten. Die stark lichtbrechenden Kugeln waren zuweilen schon sechs Stunden nach der Lösung der Conjugation, während die Placenta noch klein war, zuweilen erst nach ein bis zwei Tagen verschwun- den. Einmal war noch eine Kugel vorhanden nachdem die Stylo- nychie bereits wieder die gewöhnliche Form angenommen hatte. Die Placenta erreichte meist innerhalb sechs bis zwölf Stun- den nach Trennung der beiden Individuen , ohne Form und son- stige Eigenschaften nennenswerth zu ändern, ihre maximale Grösse. Diese variirte je nach der Grösse der Individuen von 0,015—0,04 Mm. (Längsdurehmesser). Nachdem nun während etwa zwölf bis vierundzwanzig Stunden weiter keine merkliche Aenderung. stattge- funden hatte, theilte sich die Placenta in zwei Kugeln, die nach einiger Zeit (etwa vier bis acht Stunden) Lage, Form und Aussehen der gewöhnliehen Nuclei angenommen hatten. Neben diesen schim- merten, wiederum Stunden später, die Nucleoli in der gewöhnlichen Weise durch. Bis hierher dauerte der ganze Process (vom Anfang der Conju- gation an) 11/, bis 2!/), Tag. Nach der Wiederherstellung der Nuclei und Nucleoli, wobei gleichzeitig Mund, adorale Spirale und aad Ueber Entwickelung uud Fortpflanzung von Infusorien. 617 \ Peristom sich regenerirt hatten, verhielten sich die Individuen wei- ter wie gewöhnliche Exemplare. Oefters fingen sie schon nach einigen Stunden an sich in der üblichen Weise durch Quertheilung zu vermehren. — Einmal wurde Copulation von zwei mit grosser Placenta versehenen Exemplaren von Stylonychia pustulata beobachtet. Im Laufe einiger Stunden waren die Leiber beinahe und die Pla- centen vollständig, ohne sonstige Veränderung, zu einem ‚einzigen Körper verschmolzen. Die vorliegenden Beobachtungen, wie unvollständig auch in vie- ler Hinsicht, lehren zunächst, dass die vier Nucleussegmente nicht wie BALBIANI behauptet, identisch mit den späteren »Eiern« sind‘), ebensowenig aber wie STEIN will, sich direet zur Placenta ver- einigen. Was die »Keimkugeln« oder »Eier« anlangt, so kann, meine ich, kein Zweifel sein, dass sie nicht als Fortpflanzungskörper betrachtet werden dürfen. Ihre morphologischen Eigenschaften, ihre physika- lische und chemische Structur weichen gänzlich ab von denen aller bekannten thierischen oder pflanzlichen Keime und sprechen vielmehr wie auch die Art ihrer Entfernung und ihr weiteres total indifferen- tes Verhalten dafür, dass sie Exerementkörper sind. Eine Bestätigung und Stütze dieser Ansicht finde ich in dem Umstand, dass ganz identische Gebilde, identisch sowohl was Grösse und Form, als was physikalische und chemische Reactionen angeht, sehr häufig in ge- wöhnlichen aus Quertheilung hervorgegangenen Individuen von St. histrio pustulata und mytilus?) gefunden werden, ohne dass vorher oder gleichzeitig Conjugation vorkommt. Besonders wenn das Was- ser, in dem die Stylonychien leben, sehr arm an grünen pflanzlichen Organismen ist, begegnet man diesen Zuständen regelmässig. Das Endoplasma der letzteren enthält dann ausserdem, ebenso wie das der Exemplare mit Placenta, zahllose sehr kleine stark lichtbre- chende Kügelehen und Körnchen, von denen viele gerade wie die »Keimkugeln« in starker Essigsäure und Kalilauge sich allmählich lösen. Von den kleinsten dieser Elemente findet man in beiden Fällen Uebergänge zu den grossen »Keimkugeln«. Letztere können somit unmöglich eine specifische Bedeutung und am .allerwenigsten 1) Dies hat auch Srey schon zur Genüge widerlegt. Organismus ete. Zweite Abth. pag. 85. 2) Auch von anderen Oxytrichinen und von Euplotinen. 41 * 618 Th. W. Engelmann die ihnen bisher zugeschriebene, haben. — Ueber die Art und Weise, wie sie sich im Endoplasma bilden, wage ich noch kein Urtheil aus- zusprechen. Genug, dass sie keine Spaltungsproducte des Nucleus und keine Keime sind. In Bezug auf das Verhalten der Nuclei bei der Conjugation leh- ren unsere Beobachtungen, dass sie sich in kleinere Segmente thei- len und dabei viel schwächer lichtbrechend , also vermuthlich viel wasserreicher werden. Die Kernsegmente scheinen ganz zu ver- schwinden. An ihrer Stelle (möglicherweise auch direct aus einem von ihnen) entwickelt sich, vielleicht infolge einer vom Nucleolus aus- gehenden Wirkung (Befruchtung), die Placenta, welche anfangs schnell, dann langsamer wächst und endlich durch Theilung zwei Kugeln liefert, die sich, unter Wiederherstellung der normalen phy- sikalischen und chemischen Beschaffenheit der Kernsubstanz, in die bleibenden Nuclei umbilden. Die Wirkung der Conjugation kommt also, insoweit sie die Kerne betrifft, im Princip ebenso wie bei Paramaecium darauf hin- aus, dass die Nuclei unter bedeutender Aenderung ihrer physikali- schen und chemischen Structur in kleinere Theile sich spalten und danach neu wiederaufgebaut werden. Ebenso wie bei Paramaecium scheint dem Wiederaufbau der Kernsubstanz das Verschwinden der Nucleoli vorausgehen zu müssen. Ob ein Austausch der Nucleoli stattfindet ist noch nicht zu sagen; sehr wahrscheinlich ist er Jedoch. In Uebereinstimmung mit der hier gegebenen Darstellung sind auch, soweit ich sie aus eigener Anschauung kenne, die Erscheinun- gen bei Stylonychia mytilus und Pleurotricha lanceolata. Bei mehreren Exemplaren dieser Arten, die nur erst eine sehr kleine, die Grösse eines gewöhnlichen Nucleus nicht erreichende Placenta, aber keine grösseren stark lichtbrechenden Kugeln ent- hielten, waren nach Behandlung mit verdünnter Essigsäure keine sicheren Spuren der Kernsegmente und ebensowenig der Nucleoli zu finden. Bei einigen isolirten Individuen derselben Arten wurde das Wachsen der Placenta von Stunde zu Stunde verfolgt, bei beiden auch einigemale das Auftreten der charakteristischen Kugeln (2 bis 6 an Zahl} an von der Placenta entfernten Stellen, und die Theilung der entwickelten Placenta in zwei Hälften direct con- statirt. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 619 Der Hauptsache nach sehr ähnlich wie bei den Oxytrichinen, doch mit einigen Abweichungen im Einzelnen, verlaufen auch die Erscheinungen bei Euplotes charon. Hier theilt sich erst, wie ich schon früher beschrieb!), und zwar zuweilen schon innerhalb der ersten halben Stunde nach der Vereinigung der beiden Indivi- duen, der Nucleolus in zwei gleiche Hälften, die bald weit ausein- ander liegen. Diese entwickeln sich rasch zu grossen ellipsoidischen Bläschen mit längsgestreiftem Inhalt. Während dies geschieht zieht sich der Nucleus zu einem kürzeren, breiteren und diekeren Strang zusammen, der in die linke Körperhälfte zu liegen kommt?) und sich darauf in eine vordere, in der Regel sehr viel grössere, anfangs etwa birnförmige und eine kleine hintere kuglige Hälfte theilt. Zu- gleich ist er allmählieh voluminöser und schwächer lichtbrechend, offenbar wasserreicher geworden. Das vordere Nucleussegment, in einzelnen Fällen wie es schien beide oder nur das hintere, ver- schwindet nun bald. Ich nahm dann nach Behandlung mit Essig- säure einige Male nur ein formloses Häufchen sehr blasser Körnchen (von höchstens 0,005 Mm.) an seiner Stelle wahr. Um diese Zeit trennen sich die Thiere. Sie sind dann mitten auf dem Wege, sich auf die oben bei Stylonychia erwähnte Weise 3) auch äusserlich zu neuen Individuen umzugestalten. Tödtete ich sie unmittelbar nach Lösung der Conjugation, dann fand ich keine Reste der Nucleoli mehr. — Sehr bald nun beginnt, gewöhnlich in der Mitte, oder etwas nach vorn, zuweilen mehr hinten und links, die Placenta sich zu entwickeln. Anfangs ein sehr kleines, schwach lichtbrechendes Kiigelehen, wächst sie ziemlich rasch — innerhalb sechs bis zehn Stunden — zu ihrer definitiven Grösse (0,02 bis 0,035 Mm.) an‘) und bleibt dann ein bis zwei Tage, auch wohl noch etwas länger, scheinbar unverändert. In einigen Fällen schien die Placenta durch Verschmelzung zweier, einmal selbst dreier klei- 1) 1. e. pag. 351. Taf. XXVII. Fig. 5. 2) Solche Zustände beschreibt auch StEm, Organismus u. s. w. Zweite Abth. pag. 87 Doch vermisste er hier die Nucleoli, die ich selbst nach Spal- tung des Kerns in zwei Hälften noch mehrmals sicher eonstatirt habe. 3) S. a. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XI. pag. 352. Taf. XXVIII Fig. 6 und fig. 4) In dieser Phase fand ich häufig hinten links im Körper noch einen un- regelmässig gestalteten, ziemlich schwach lichtbrechenden Körper, vermuthlich das hinterste Nucleussegment. "Solche Formen sah schon Srurn 1. c. Erste Abth. pag. 139 und Zweite Abth. pag. 87. 620 Th. W. Engelmann nerer gleichartiger Kiigelchen zu entstehen!). Wenigstens wurde später an deren Stelle nur eine, viel grössere Placenta gefunden. Von diesen Elementen muss man andere, gleichfalls kuglige und homogene, aber viel stärker lichtbrechende Körper unterscheiden, die sich häufig bald nach der Placenta im Endoplasma entwickeln, und sanz den sogenannten »Keimkugeln« oder »Eiern« der Stylonychien gleichen, mit denen sie auch durch Srery und BArsıanı parallelisirt werden. Ich zählte ein bis vier, höchstens sechs in jedem Indivi- duum. Ihre Grösse wechselt im selben Thier, sie erreichte nur selten 0.011 Mm. Später verschwinden sie; in einem Falle hielt sich einer bis nach völliger Reconstruction des Nucleus. Es finden sich von ihnen Uebergänge zu den kleinen Körnchen , welche wie bei den . Stylonychien das Endoplasma in der Umgebung der Placenta un- durchsichtig zu machen pflegen. Wie der definitive Nucleus sich aus der Placenta bildet, habe ich noch nieht sicher ermitteln können. An isolirten Individuen sah ich die Placenta allmählich etwas stärker lichtbrechend und, so schien es wenigstens, platter werden. Später wurde sie mehr und mehr von den Körnchen des Endoplasma bedeckt und dadurch immer un- deutlicher. Am dritten, zuweilen vierten Tag nach Lösung der Conjugation war wieder ein hufeisenförmiger, auch sonst anschei- nend normaler Nucleus vorhanden?). Ohne Zweifel — die offenbare Homologie der Placenten von Euplotes und Stylonychia zwingt dazu — muss man annehmen, dass die Placenta sich zum Nucleus um- bildet. Von Entwicklung der Placenta zu einer Embryonalkugel, oder der hellen, schwach liehtbrechenden Kugeln aus deren Vereinigung sie in einzelnen Fällen hervorzugehen scheint, zu mehreren Embryo-. nalkugeln kann natürlich auch bei Euplotes charon nicht mehr 1) Solche Zustände, die auch STEIN (l. c. pag. 87) vor Augen gehabt hat, veranlassten mich früher, anzunehmen, dass die Placenta sich später in mehrere Segmente theilte. Ich habe seit dieser Zeit mehrmals die weiteren Schicksale der Placenta an isolirten Exemplaren Schritt vor Schritt verfolgt, ohne Theilung zu beobachten. 2) Während einer Conjugationsepidemie wurde ein übrigens normales Exemplar gefunden, dessen hufeisenförmiger, schlanker Nucleus an den Enden kuglig an- geschwollen, hier auch schwächer lichtbrechend war und im Verhalten gegen Essigsäure (leichtere Löslichkeit) mehr mit der Placenta als mit dem Kern über- einstimmte. Vielleicht war hier die Reconstruction des Nucleus noch nicht ganz abgelaufen. 3 - Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 621 die Rede sein. Ebenso wenig stimmt Bausrants!) Behauptung, dass der Nucleus von Euplotes während der Conjugation durch directe Abschnürung zwei »Eier« producire, mit den Thatsachen, was übrigens auch Srem 2) schon gezeigt hat. Von den sogenannten »Keimkugeln« gilt natürlich dasselbe wie von denen der Stylonychien. C. Vorticella microstoma und Epistylis plicatilis. Durch die ausgezeichneten Forschungen Srery’s sind bei allen Geschlechtern der Vorticellinen sowohl die äusseren Erscheinungen der Conjugation als im Besondern auch die dabei stattfindenden tiefeingreifenden Aenderungen des Nucleus bekannt geworden. Aber wir sahen schon, dass die Vorstellungen, zu welchen STEIN betreffs der nach Ablauf der Conjugation eintretenden Entwickelungsvor- sänge gelangt ist, uns mit den Thatsachen in Widerspruch zu stehen scheinen. Stein) schildert den Verlauf der Dinge wie folgt: »Die Wir- kung der Conjugation besteht in allen Fällen darin, dass aus den Nucleis eine grössere oder geringere Anzahl kleiner, rundlicher Segmente hervorgeht; entweder zerfällt der Nucleus für sich in der- gleichen Segmente (so ist es stets bei der knospenförmigen Conju- gation) oder es verschmelzen zuvor erst die Nuclei in einen einzigen Nucleus, und dieser löst sich dann in Segmente auf. In dem aus der Conjugation resultirenden Individuum bilden die Nucleussegmente entweder ein loses Haufwerk (Vorticellen) oder sie schliessen sich zuletzt wieder zu einem einzigen Körper, der Placenta, zusammen (stockbildende Vorticellinen und Trichodinen). Im ersteren Falle entwiekeln sich mehrere Nucleussegmente zu Keimkugeln, während die übrigen zur Herstellung eines neuen Nucleus verwendet werden; im letzteren Falle scheidet die Placenta die Keimkugeln aus und nimmt dann wieder die gewöhnliche Nucleusform an. Die Keim- kugeln entwickeln sich in allen Fällen zu Embryonalkugeln, we- nigstens sind letztere mit Sicherheit bei den Gattungen Vorti- 1) |. e. pag. 83. Pl. VII. Fig. 16. 2) ]. e. Zweite Abth. pag. 88. 3) 1. e. Zweite Abth. pag. 137. 622 Th. W. Engelmann cella, Carchesium, Zoothamnium, Epistylis und Trichodina nachge- wiesen«. Die Unhaltbarkeit des letzten Satzes, die Entwickelung der »Keimkugeln« zu »Embryonalkugeln« anlangend!), haben wir schon oben, auf mehr indirectem Wege, nachgewiesen. Eine directe Wider- legung desselben liefern die folgenden Thatsachen, aus denen die wahre Bedeutung der »Keimkugeln« erhellt. Genügendes Material zur Feststellung dieses Punctes lieferte mir, zunächst für Vorticella mierostoma, die oben bereits erwähnte Conjugationsepidemie vom vergangenen April und Mai. Ich be- schreibe die wichtigsten, während dieser Epidemie von mir beobachte- ten Zustände, soviel wie möglich in der Reihenfolge, wie sie sich bei einem und demselben Individuum auseinander entwickeln 2). 1) Die Knospe hat sich vor wenigen Minuten, nahe dem Stiel, auf dem Leibe der Vorticelle fixirt. Ihr hinterer Wimperkranz noch vorhanden. Nucleus der Knospe oval, etwa 0,01 Mm. lang, der des Trägers hufeisenförmig, auch sonst anscheinend normal. at KI, Wig ot. 2) Schon etwa ein Drittel der Knospe ist im Körper des Trä- gers aufgegangen: beider Endoplasma steht in breiter Communica- tion. Unten in der Knospe drei kleine kernartige Körper: ein ovaler von 0,006 Mm. Länge, zwei kuglige von 0,003 Mm. Im Trä- ger an Stelle des Nucleus eine etwa hufeisenförmige Gruppe von acht bis zehn trüben, ziemlich zart begrenzten Bläschen von 0,003 bis 0,005 Mm. Durchmesser. Taf. XXII. Fig. 2. 3) Knospe nur noch ein konischer 0,015 Mm. langer, an der Basis 0,012 Mm. breiter Körper. Ihr Kern in fünf kleine Kugeln gespalten, die bereits in den Körper des Trägers eingerückt sind. Nucleus des Trägers in zwölf bis fünfzehn ziemlich schwach lichtbrechende, nicht regelmässig angeordnete Bläschen gespalten. 4) Knospe zu einem schmalen, etwa cylindrischen Anhängsel von ca. 0,01 Mm. Länge und 0,003 Mm. Breite redueirt. In dem Trä- ger an Stelle des » ein unregelmässiger Haufe von etwa zwanzig !) STEIN erkennt selbst an verschiedenen Stellen an, dass er diese Ent- wickelung nur vermuthet, nicht direct beobachtet hat. 2) Da die Metamorphosen des Kerns nicht mit hinreichender Sicherheit an lebenden Exemplaren verfolgt werden konnten, mussten die verschiedenen ne- beneinander vorkommenden Zustände mit einander und mit den Befunden bei solchen Individuen verglichen werden, die in bestimmten bekannten Zeiten nach Beginn der Conjugation getödtet worden waren. Letzteres geschah mittelst Essigsäuredämpfen in der feuchten Kammer. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 623 schwach lichtbrechenden Bläschen und Kügelchen, von 0,002 bis 0,004 Mm., einige nahe der Basis der Knospe. Taf. XXI. Fig. 3. 5) Knospe verschwunden. Anderthalb bis zwei Stunden nach Be- ginn der Conjugation. In der Vorticelle ein regelloser Haufe von zwanzig bis fünfundzwanzig sehr blassen Bläschen und Körnchen von nur 0,0015 — 0,003 Mm. Viele sind so undeutlich begrenzt, dass die Gesammtzahl nicht mit Sicherheit zu bestimmen ist. Man erhält den Eindruck als ob viele Kérnchen im Begriff wären sich aufzulösen. Fig. 4. 6) Wie 5, doch mit dem Unterschied, dass die Kügelehen meist etwas grösser, 0,002—0,003 Mm., schärfer begrenzt und z. Th. auch etwas stärker lichtbrechend sind. Einige. fünf bis sieben, erreichen selbst 0,004 — 0,005 Mm. und erscheinen nach Einwirkung von Essigsäure nicht als Bläschen sondern als homogene, ziemlich stark lichtbrechende von einem schmalen hellen Hof umgebene Kugeln. Zwischen diesen grossen und den kleinen Kiigelchen kommen aller- lei Uebergänge vor. — Zeit: etwa vier bis sechs Stunden nach der Conjugation. Fig. 5, 6. 7) Unterscheidet sich vom vorigen Zustand dadurch, dass nur vier oder drei grössere kernartige Kugeln vorhanden sind. Diese messen 0,005 — 0,006 Mm. Auch die mittlere Grösse der kleinen Elemente ist etwas bedeutender als im vorigen Falle (etwa 0,003 Mm.). Einige wenige Kügelchen bilden einen Uebergang zwisehen den extremen Grössen. Fig. 7. 8) Zwei grössere‘ovale, von einem hellen Hof umgebene kern- ähnliche Kugeln von 0,006—0,007 Mm., daneben zwei bis vier kleinere, unregelmässig kuglige, schwächer lichtbrechende von 0,003 bis 0,005 Mm. und ausserdem sechs bis acht noch kleinere und blassere Elemente. In einigen Exemplaren dieser Phase war einer der beiden grossen Körper bisquitförmig, als ob er eben durch Vereinigung zweier Kugeln entstanden wäre. — In einem andern Falle fanden sich zwei schwach nierenförmig gebogene nucleusartige Körper von 0,006—0,008 Mm , daneben acht kleine, runde, blassere von 0,003— 0,004 Mm. — Zeit: etwa einen halben Tag nach der Conjugation. Fig. 8, 9. 9‘ Mitten im Körper ein einziger nierenförmig oder schwach hufeisenförmig gebogener nucleusartiger Körper, 0,01 —0,02 Mm. lang, 0,005 — 0,007 Mm. breit; die Concavität meist gerade nach vorn gerichtet, daneben vier bis sieben, in einem besonders grossen Individuum neun, ovale oder kuglige etwas schwächer lichtbre- 624 Th. W. Engelmann chende Körperchen von 0,002—0,004 Mm. Zeit: etwa Anfang des zweiten Tages. Fig. 10. 10) Ein hufeisenförmiger Nucleus von ca. 0,022 Mm. Länge und 0,006 Mm. Breite, daneben ein einziges etwas schwächer licht- brechendes Kügelchen von 0,003 Mm. 11) Ein normaler Nucleus. — Zeit: Zweiter oder dritter Tag. Wir haben hier eine völlig zusammenhängende Formenreihe vor uns, für deren richtige chronologische Anordnung die mitgetheilten directen Zeitbestimmungen bürgen. Es ergibt sich daraus mit Nothwendigkeit folgende Vorstellung vom Verlauf der Erschei- nungen. Beide Individuen vereinigen sich. Alsbald spaltet sich der Nucleus beider in immer kleinere und dabei schwächer lichtbrechend werdende Segmente, die sich schliesslich, ebenso wie das Endo- plasma beider Thiere, völlig mit einander vermengen. Aus der so entstandenen gemeinschaftlichen Masse entwickeln sich, ziemlich gleichzeitig, sehr kleine, allmählich an Umfang und Breehungs- vermögen zunehmende Kügelchen; einige von diesen — die dadurch zu den sogenannten Keimkugeln Stein’s werden — vergrössern sich schneller als die andern, verschmelzen untereinander und wohl auch mit den kleineren, wodurch die Gesammtzahl sich beständig verringert, bis endlich dureh Vereinigung der letzten der gewöhnliche hufeisen- formige Kern wieder hergestellt ist. Ich bemerke noch, dass während der geschilderten Epidemie keine von den oben beschriebenen irgend erheblich abweichenden Zustände vorkamen. Insbesondere fehlten Individuen mit »Embryo- nalkugeln« (Endosphaera) gänzlich und traten auch im Lauf der nächsten beiden Wochen nieht auf. Später verschwanden die Vorti- cellen bis auf wenige Exemplare. Bei Epistylis plieatilis gestalten sich die Dinge im Ganzen ebenso wie bei Vorticella mierostoma. Wegen der viel bedeutende- ren Grösse dieses Thieres ist die Beobachtung hier weit bequemer und kann in manchen Punkten weiter vordringen. Ich beobachtete im vergangenen Sommer mehrere grosse Conjugationsepidemien auf mächtigen, bis 4 Mm. hohen, auf Paludina vivipara schmarotzenden Stöcken. Die Entwickelung der Mikrogonidien, ihre Loslösung, Umherschwiirmen und endliche Fixirung, wie der ganze weitere Verlauf der Conjugation wurden hier einigemale an isolirten, in der feuchten Kammer gezüchteten Stücken genau verfolgt. Die ursprüng- TEEN Au Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 625 lichen grossen Stöcke, welche viele Hunderte von Individuen trugen, wurden meist unter dem einfachen Mikroskop in kleine von nur etwa zehn bis zwanzig Thieren gespalten, und diese Bäumcehen nun, einzeln oder zu mehreren in einem Tropfen weiter untersucht. Hier- durch gelang es auch, Dauer und zeitliche Aufeinanderfolge der ein- zelnen Vorgänge sicher zu bestimmen. Als bemerkenswerthe Thatsache fiel zuerst auf, dass die Mikro- sonidienbildung keineswegs gleichzeitig auf allen Astsystemen des- selben Stockes auftrat. Sie begann mitunter an einer Seite des- selben und ergriff von da aus allmählich die übrigen Partieen. Dem entsprechend verliefen auch die weiteren Erscheinungen ungleichzei- tig in den verschiedenen Zweiggebieten desselben Baumes. — Immer wurden viergliedrige Rosetten von Kleinsprösslingen gebildet; sie sassen stets eine oder einige Körperlängen unterhalb der grösseren Individuen , also auf kürzeren Zweigen... Die Gesammtzahl aller nach einander auf demselben Stocke produeirten Mikrogonidien schien die der grösseren Individuen desselben Stockes zu erreichen oder selbst zu übertreffen !). Sehr bemerkenswerth war es, dass die Kleinsprösslinge, die durchschnittlich nur kurze Zeit (etwa '/;—1/, ?) zu schwärmen schie- nen, sich nur auf solchen grösseren Individuen fixirten, unterhalb welcher — auf tieferen Zweigen derselben Aeste — sich bereits Mikrogonidien gebildet hatten oder noch bildeten. Sie verschmähten, so schien es, alle Individuen, sowohl der nämlichen als anderer Stöcke, welche nicht bereits zu Rosetten sich entwickelnde Theil- sprösslinge geliefert hatten. Dem Angeführten entsprechend gewährte einen oder zwei Tage nach Beginn der Mikrogonidienbildung ein grösserer Stock etwa folgendes Bild. Auf einer Seite desselben waren fast alle gros- sen Individuen in zum Theil weit vorgerückter knospenförmiger Conjugation begriffen. Unter ihnen kamen keine oder nur noch wenige Mikrogonidien, im letztern Falle einzeln oder zu zweien, sehr selten noch eine Rosette von vieren, wohl aber viele von Rosetten verlassene Aeste vor. Auf der entgegengesetzten Seite des Stockes hatte Mikrogonidienbildung noch nicht oder nur eben begonnen, und fehlten knospenförmige Conjugationszustände. In der Mitte des 1) Dies Verhalten constatirte ich auch während einiger Conjugationsepide- mien bei Carchesium polypinum, Vergl. dagegen Stein l. c. Zweite Abth. pag. 136. 626 Th. W. Engelmann Stockes gingen beide extreme Befunde in einander über; es fanden sich viele Mikrogonidien , in allen Phasen der Entwiekelung, und nicht wenige grössere Individuen mit Knospen in Conjugation. — Ueberall zwischen den Zweigen des Stockes, bald hier bald da einen Körper oder Stiel der Thiere berührend und mit bohrenden Bewegungen an ihm auf und ab gleitend, schwärmten Kleinsprösslinge hin und her, in der Form ziemlich niedrigen, oben breit abgestutzten Kegeln ähnlich. Sie fixirten sich schliesslich, fast ausnahmslos auf der vordern Körperhälfte je eines der grossen Individuen , gewöhnlich dicht vor, sehr selten ein wenig hinter der Mitte des Thiers. Unter mehreren hundert Fällen sah ich nur zweimal einen Träger mit zwei Knospen, sonst immer nur eine Knospe. Veränderungen an den bis dahin normal gebliebenen Kernen der Syzygie traten, wie es schien, stets erst auf, nachdem die Cu- ticulae an der Berührungsstelle beider Thiere resorbirt zu werden begon- nen hatten. Taf. XXII. Fig. 11—19. Dies liess sich mehrmals bereits innerhalb der ersten halben Stunde nach der Fixirung des Kleinspröss- lings nachweisen. Der dicke kurze hufeisenförmige Kern der Knospe zerfällt zunächst in zwei bis drei oft sehr verschieden grosse Stücke, diese weiter, und zwar ziemlich schnell, etwa im Lauf einer halben Stunde, in immer kleinere Elemente. Schliesslich fanden sich 12 bis 18, nach Essigsäurebehandlung ziemlich stark lichtbrechende homogene Kiigelchen von 0,002 — 0,0035 Mm. — Währenddem ist der Kern des Trägers zunächst länger und schmäler geworden, hat sich wohl auch von einem Ende aus der Länge nach ein Stück weit gespalten, ist danach gleichfalls ‘erst in eine kleine Zahl oft sehr ungleich grosser Stücke zerfallen, und durch weitere Spaltung dieser schliesslich in etwa 30—35 Kügelchen von derselben Grösse und Beschaffenheit wie die der Knospe. Inzwischen ist die Communi- cation zwischen beiden Individuen breiter und inniger geworden: bei- der Endoplasma, das bis dahin durch die auch nach Resorbirung der Cuticulae noch eine Zeitlang fortbestehenden subeutieularen (Myophan-) Schichten getrennt geblieben war, hat begonnen sich zu vereinigen. Der Inhalt der Knospe tritt nun allmählich in den des Trägers über; die Fragmente der Kerne beider mischen sich und bilden bald einen einzigen unregelmässig gestalteten Haufen. Der zusammengeschrumpfte, stark quergerunzelte Rest der Knospe schwin- det nun mehr und mehr, wobei er häufig ein stachliges Ansehen erhält. Sechs bis zehn Stunden nach Beginn der Conjugation pflegte er völ- lig verschwunden zu sein. “ Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 627 Der Zustand bleibt nun etwa '/, bis 1'/),;, Tag anscheinend stationär. Nur werden die Kernfragmente anfangs noch blässer und vielleicht auch zahlreicher und kleiner. Darauf beginnt die Regeneration des Nucleus, indem sich an Stelle (durch Verschmel- zung?, der Kernfragmente grössere Kiigelchen bilden, von denen einige (die Zahl ist nieht eonstant, gewöhnlich vier bis sieben) rascher als die übrigen wachsen, wie es scheint durch Verschmelzung mit den kleineren Kügelchen. Wenigstens nehmen diese dabei an Zahl allmählich ab. Danach verringert sich auch die Zahl der grösseren Kugeln: sie vereinigen sich zu vier, drei, zwei ovalen oder nieren- förmigen , kernartigen . Stücken , diese endlich zu einem einzigen Nucleus, der Anfangs noch durch unregelmässigere Form und etwas mehr aborale Lage vom späteren normalen Kern abweicht. Die Wiedervereinigung verläuft schliesslich ziemlich rasch, wie man dar- aus schliessen muss, dass unter zahlreichen späteren und früheren Stadien in demselben Tropfen gleichzeitig nur wenige den Uebergang vermittelnde Phasen gefunden werden. Während des Wiederaufbaus des Nucleus blieben die Thiere häufig mit ausgestrecktem, thätigen Wirbelorgan auf den Stielen sitzen, nicht selten aber auch kam es vor, dass sie sich bald nach Beendigung der Verschmelzung in der gewöhnlichen Weise frei machten und kürzere oder längere Zeit umherschwärmten. Viele fixirten sich später an anderen Stellen des Tropfens, mitunter in Gruppen, und begannen Stiele auszuscheiden. Ein bis zwei Tage später, mitunter auch schon vor Beendigung der Conjugation, waren die Thiere unter starker Abmagerung, offenbar infolge Mangels pas- sender Nahrung zu Grunde gegangen, ohne noch irgend welche be- merkenswerthe Erscheinungen dargeboten zu haben'). Sie besassen dann wieder den gewöhnlichen Nucleus. Bei Epistylis wie bei Vorticella lassen sich also als Fol- gen der Conjugation im Wesentlichen bezeichnen: Verschmelzung beider Individuen zu einem einzigen; Zerfall beider Nuclei in kleinste Fragmente; Wiederaufbau des Nucleus, nach vorheriger Vermischung der beiderseitigen Kernfragmente. Die sogenannten Keimkugeln ') Thiere mit sogen. Placenten, wie sie STEIN beschreibt, wurden nicht beobachtet. Ebensowenig Thiere mit »Embryonalkugeln«. 628 Th. W. Engelmann sind nichts anderes als Stücke neugebildeter Kernsubstanz, die spä- ter zum bleibenden Nucleus verschmelzen, haben also nicht die Be- deutung von Keimen. VI. Theoretische Bemerkungen über die Bedeutung des Con- jugationsprocesses. Physiologische und morphologische Bedeutung des Nucleus und Nucleolus. Verschiedene Formen geschlecht- licher Differenzirung der Infusorien. + Die in den letzten Capiteln mitgetheilten Thatsachen, wie un- vollständig und neuer, vielseitiger Untersuchung bediirftig sie auch sein mögen, leiten doch zu einer Reihe von Ergebnissen und Be- trachtungen allgemeinerer Art, die wir hier wenigstens andeuten wollen, die Begründung und Ausführung derselben im Einzelnen zu- künftiger Forschung überlassend. Als erstes dieser Ergebnisse dürfen wir den Satz hinstellen: die Conjugation der Infusorien leitet nicht zu einer Fortpflanzung durch »Eier«, »Embryonalkugeln« oder irgend welche andere Keime, sondern zu einem eigen- thiimlichen Entwicklungsprocess der conjugirten In- dividuen, den man als Reorganisation bezeichnen kann. In allen Fällen äussert sich diese Reorganisation mit besonderer Deutlichkeit in dem Zerfall und Wiederaufbau des Nucleus). Doch beschränkt sie sich vermuthlich in keinem Falle auf den Kern, son- dern erstreekt sich auch wenigstens theilweise auf die übrige Lei- bessubstanz. Sichere Beispiele einer totalen Reorganisation, einer wahren Verjüngung oder Umprägung des ganzen Körpers, liefern die Euplotinen und Oxytrichinen, bei welchen während der Con- jugation im Rahmen des alten Individuums ein neues angelegt wird. Hier liefert das alte Individuum das Material woraus und zugleich das Terrain auf dem sich das neue aufbaut. Bei den übrigen Arten scheint I) Ich will nicht unterlassen auf die Aehnlichkeit zu weisen die diese Vorgänge mit dem Zerfall und der Neubildung des Kerns bei der Theilung ge- wisser Pflanzenzellen darbieten. Man vergl. u. a. die Beschreibung dieser Pro- cesse bei den Sporenmutterzellen von Psilotum triquetrum durch W. HoFMEISTER, die Lehre von der Pflanzenzelle. 1867. pag. 82 tlg. Fig. 16. a Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 629 nach den bisher vorliegenden Beobachtungen nur eine mehr partielle Reorganisation stattzufinden, doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass man bei näherer Untersuchung auch hier Zeichen einer allge- meineren Neubildung finden wird '). Der Nachweis dieses Reorganisations- oder Verjüngungsproces- ses macht, wie mir scheint, jedes Suchen noch einem anderen, auf eine eigenthiimliche Art der Fortpflanzung zielenden Processes als Folge der Conjugation völlig überflüssig. Hat es sich doch her- ausgestellt, dass die aus der Conjugation resultirenden Individuen schliesslich in keinem Punete merklich von gewöhnlichen, aus Thei- lung hervorgegangenen Individuen derselben Art abweichen und sich ebenso wie diese durch Theilung, bezüglich Knospenbildung vermeh- ren. Es fehlt somit aller thatsichliche Grund, sie für Individuen zu halten, die zu einer besonderen Art von Fortpflanzung vorbereitet wären. Welche Bedeutung der Reorganisationsprocess in anderer Hinsicht vielleicht noch für das Individuum und die Art haben möge, können wir vorläufig auf sich beruhen lassen. Soviel nur darf man vermuthen, dass er der Art irgend einen Vortheil im Kampf ums Dasein bringen werde. Unsere Beobachtungen lehrten weiter, dass der Nucleus weder bei der Conjugation noch auch in irgend einem -andern bekannten Falle die Rolle eines keimbereitenden Organs oder eines Keimes spielt, dass er also in physiolo- gischer eben so wenig wie in morphologischer Hinsicht Keimdriise, Ovarium oder Ei heissen darf. Weder er selbst, noch ein Theil von ihm kann sich zu einem selbständigen Organismus, einem physiolo- gischen Individuum entwiekeln. — Hiermit fällt der letzte, nicht unbegründete Einwurf, den man bei dem bisherigen Stande unserer Kenntnisse noch gegen die Lehre von der Homologie des Infuso- rienkörpers mit einer Zelle erheben konnte. Denn offenbar ist nun kein einziger nennenswerther Grund mehr vorhanden, den Nucleus der Infusorien nicht für das Homologon des Zellkerns zu halten. Gleiehwohl aber würde man verkehrt handeln, wenn man den Nucleus in allen Fällen morphologisch und physiologisch einem vollständigen Zellkern gleichsetzen wollte. Offenbar ist er das 1) Bei den Paramaecien scheint u. a. eine neue Bewimperung sich zu ent- wickeln. 630 Th. W. Engelmann nicht, wo neben ihm ein Nucleolus vorkommt. Hier hat meiner Meinung nach eine Differenzirung des Zellkerns stattgefun- den, die als eine geschlechtliche bezeichnet werden muss. Niemand kann liugnen, dass der gegenseitige Austausch der Nucleolusseg- mente während der Conjugation und die wenigstens sehr wahr- scheinliche Thatsache, dass der Wiederaufbau des Nucleus die Folge einer von dem Nucleolus auf die zerfallene Nucleussubstanz aus- gehenden Einwirkung ist — die dann als eine Art von Befruchtung aufzufassen wäre —, endlich im Zusammenhang hiermit die eigen- thümlichen, auffallend an Spermatozoenbildungen erinnernden Struc- turveränderungen der Nucleolussubstanz während der Conjugation berechtigen, im Nucleolus ein männliches Geschlechtsele- ment zu sehen, dem gegenüber dann der Nucleus, der sich offenbar mehr passiv verhält, als weibliches Geschlechtselement ste- hen würde. Ich meine hiermit natürlich nicht, dass ausschliesslich dem Nucleolus die Rolle der Befruchtung zukommt. Insofern man gezwungen ist, unter Befruchtung den Anstoss zu allen infolge der Conjugation eintretenden eigenthümlichen Entwickelungserscheinun- gen zu verstehen, muss man ohne Zweifel auch dem Protoplasma des Infusorienleibes befruchtende Wirkungen zuschreiben. Denn die ersten, sehr bedeutenden, die Reorganisation einleitenden Processe, wie das Zerfallen der Kerne, die Neubildung des Wimpersystems bei Euplotinen und Oxytrichinen, beginnen schon vor Austausch und Auflösung der Nucleoli und zwar so frühe, dass an einen von den Nucleolis (und auch Nucleis) ausgehenden Einfluss als Ursache nicht füglich gedacht werden darf. Die Function des Nucleolus scheint hauptsächlich in einer »Befruchtung« der zerfallenen Nucleussubstanz zu bestehen: in Folge der Vermischung beider Substanzen recon- struirt sich ein neuer, geschlechtlich nieht differenzirter, also einem gewöhnlichen Zellkern durchaus homologer Nucleus (z. B. die Pla- centa), der sich später wieder in einen männlichen (Nucleolus) und einen weiblichen Theil (Nucleus) differenzirt. Wir hätten hier somit den besonders interessanten Fall einer ge- schlechtlichen Arbeitstheilung — wenn auch nicht einer vollkomme- nen — innerhalb einer einzigen Zelle. Unzweifelhaft liegt hierin die Berechtigung , die Infusorien, welche neben dem Nucleus noch einen Nucleolus (oder mehrere) besitzen, also die Euplotineny Oxy- trychinen, Paramaecien u. s. w., für Hermaphroditen, ihre Conjugation als eine geschlechtliche Vereinigung zu bezeich- Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 631 ). Nueleus plus Nueleolus sind hier homolog dem gewöhnlichen Zellkern. Viele Infusorienarten sind dauernd Hermaphroditen, u.a. Stylonychia, Euplotes, Paramaeeium ; andere nur zeitweise — perio- discher Hermaphroditismus —, so Stentor, Spirostomum, Tra- chelius ovum, bei welchen Arten nach BALBIANT zur Zeit der Conju- gation die sonst fehlenden Nucleoli, höchst wahrsecheinlich?) durch directe Absehnürung vom Nucleus, entstehen. Mit dem Verschwinden des Nucleolus nach Ablauf der Conjugation kehren diese Thiere in den, für sie normalen, geschlechtslosen Zustand zurück , in welchem also ihr Nueleus einem gewöhnlichen Zellkern vollständig homo- log ist. Wo der Nucleolus zeitlebens vermisst wird, würde man a priori geneigt sein, einen dauernd ungeschlechtlichen Zustand zu unter- stellen, den Nucleus also für dauernd homolog dem gewöhnlichen Zellkern zu halten. Ob es Formen unter den Infusorien gibt, von denen dies gilt, kann noch nicht mit völliger Sicherheit gesagt werden, ist aber aus phylogenetischen Gründen wahrscheinlich. Man könnte als Beispiele der Art auch die Vorticellinen anführen wollen, von denen wenigstens die meisten Arten niemals einen Nucleolus zu besitzen scheinen 3). Offenbar aber tritt auch bei diesen Arten zeit- weis eine Differenzirung ein, die als eine geschlechtliche und zwar nicht, wie die bisher behandelten Fälle, als Hermaphroditismus sondern als echter Gonochorismus (HAzcKEL) betrachtet werden muss. Die höchste bisher bekannte Form dieser Differenzirung, er- blieke ich in der Entwickelung der Mikrogonidien, welche die knospenförmige Conjugation vorbereitet. Die Mikrogonidien beneh- men sich offenbar bei der Conjugation physiologisch vollkommen wie männliche Individuen : sie schwärmen frei umher, suchen, finden und nen ') !) Beides demnach in ganz anderem Sinne als in welchem zuerst BALBIANI diese Ausdriicke gebrauchte. 2) BALBIANI |. c. Pl. IX. Fig. 18 b.b. 3) BALBIANI (l. ec. pag. 40) gibt an einen Nucleolus bei Epistylis digitalis und grandis, Opercularia nutans, Carchesium polypinum und Cothurnia imberbis gesehen zu haben; ich selbst sah einen durchaus nucleolusartigen Körper bei Epistylis digitalis, flavicans (= grandis Balb.?), Carchesium polypinum und Vor- ticella nebulifera. Meistens jedoch suchte ich auch bei diesen Arten vergebens. STEIN, der ohne Zweifel die meiste Erfahrung auf diesem Gebiet besitzt, ver- misste ihn stets (Organismus u. 8. w. Zweite Abth. pag. 66). Er kommt also jedenfalls nur sehr selten vor. Morpholog. Jahrbuch. 1. 42 ’ 632 Th. W. Engelmann wählen, mittelst eines, eigens wie es scheint für diesen Act sich entwickelnden Unterscheidungsvermögens!), die festsitzenden, sich ganz passiv — wie Weibehen — verhaltenden Individuen (diese mö- gen Makrogonidien heissen), mit denen sie sich vereinigen, und geben nun durch diese Vereinigung den Anstoss zu allen weiteren Processen. Der Nucleus des Mikrogonidium kommt, nachdem er sich in kleine Elemente gespalten hat, mit der zerfallenen Masse des Nucleus des Makrogonidiums zusammen, und vermuthlich erst in Folge hiervon findet der Wiederaufbau des Nucleus statt. Es ist somit wahrscheinlich, dass hier der Nucleus des Mikrogonidium mehr die männliche Function des Nucleolus, der des Makrogonids die weibliche des Nucleus der hermaphroditischen Infusorien hat. Ge- gen die Auffassung des Nucleus des Mikrogonidium als physiologi- sches Aequivalent des Nucleolus spricht seine Entwiekelung durch Abschnürung vom Nucleus nicht, denn auch echte Nucleoli entste- hen höchst wahrscheinlich auf dieselbe Weise. Immerhin aber wäre der Nucleus des Mikrogonidium als ein anatomisch viel weniger hoch als der der Paramaecien, Euploten und Oxytrichinen differenzirter Nucleolus aufzufassen, denn sein Bau stimmt, wie es scheint, mit dem des Nucleus überein und erleidet auch während der Conjugation, soviel bekannt, dieselben Veriinderungen wie dieser; im Besondern kommt es nicht zur Differenzirung seines Inhalts in faserige oder stäbehenförmige Elemente. — Vielleicht aber ist in diesem Falle die geschlechtliche Differenzirung weniger an den Nucleus als an das Protoplasma gebunden. Die Unterschiede in der Grösse, den psy- chophysiologischen Fähigkeiten, in der Lebensweise der Mikro- und Makrogonidien lehren wenigstens, dass eine derartige Differenzirung des Protoplasma eingetreten ist. — In jedem Falle dürfen wir be- haupten: die Vorticellinen sind für gewöhnlich ge- schleehtslos (homolog gewöhnlichen Zellen), werden aber zeitweis getrenntgeschlechtlich: Gonochoristen. Bei den stockbildenden Vorticellinen entwickeln sich die Mikrogonidien durch schnell wiederholte Theilung eines aus einem scheinbar gewöhnlichen Theilungsvorgang hervorgegangenen Indivi- duum. In diesem letzteren Vorgang nun, scheinbar gewöhnlicher Thei- lung, würde der Act der geschlechtlichen Differenzirung zu suchen sein: jedesmal würden dabei ein weibliches Individuum, das auf dem 1) S. oben pag. 583 Text und Anmerk. Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. 633 Stiel sitzen bleibt und als Oospore durch Theilung weibliche ses- gile Makrogonidien liefert, und ein männliches entstehen, das als Androspore sich schnell hintereinander in schwärmende Mikrogo- nidien spaltet. — Bei der Gattung Vorticella würde der Process der Knospenbildung als der Act der geschlechtlichen Differenzirung zu betrachten sein, indem sich hier ein geschlechtlich nicht differenzir- tes Individuum in ein kleineres männliches und ein grösseres weib- liehes spalten würde. Von höchster Beweiskraft für die Richtigkeit der hier angedeu- teten Auffassung‘ ist die bei Epistylis plicatilis von uns gefundene Thatsache , dass die Mikrogonidien sich nur mit solehen Individuen eonjugiren, die früher selbst durch Theilung Androsporen geliefert haben, also, aus Oosporen hervorgegangen, die Bedeutung von (weib- lichen) Makrogonidien haben. Höchst wahrscheinlich eonjugiren sich auch die Knospen von Vorticella nur mit solehen Individuen, die selbst früher Knospen producirt haben und dadurch weiblich ge- worden sind). Durch die Verschmelzung des Mikrogonidium mit einem Makro- gonidium würde nun ein gewöhnliches geschlechtsloses Individuum regenerirt sein, mit einem dem gewöhnlichen Zellkern durchaus ho- mologen Nucleus. Aus diesem Gesichtspunct der Regeneration zu einem einervollkommenen Zelleentsprechenden Indivi- duum, erklärt sich morphologisch auch der sonst befremdende Um- stand, dass die knospenförmige Conjugation der Vorticellinen eine blei- bende, eine totale Verschmelzung ist und nicht mit dem Wiederausein- andergehen der Individuen endigt, wie die Conjugation der herma- phroditischen Infusorien, welche letztere von Anfang an vollständige Zellen sind und auch immer bleiben. Niedrigere Grade von Gonochorismus, Uebergänge zu der schein- bar aller geschlechtlichey Bedeutung entbehrenden Copulation, die wir bei Stylonychia fanden und die bei anderen, namentlich nie- deren Protisten sehr verbreitet zu sein scheint, liefern vermuthlich die Fälle, wobei freie oder fixirte Vorticellinen von völlig oder nahezu 1) Uebrigens dürfte man sich. nicht verwundern, wenn hier Ausnahmen vor- kämen, ebenso wenig wie es nach unserer Auffassung Wunder nehmen darf, dass zuweilen mehrere Mikrogonidien sich auf demselben Träger fixiren (s. ob. pag. 626). Man darf nicht vergessen, dass man es hier nicht, wie bei den hö- heren Thieren, mit einer scharf ausgeprägten, vollkommen durchgeführten ge- schlechtlichen Differenzirung, sondern nur mit niedrigeren, unvollkommenen Gra- den derselben zu thun hat. 42 * Ve AL my) > Ce ae, 322. 2-7 BOS. PT. ? 4 e Er 4 I fe - 4, . 634 Th. W. Engelmann, Ueber Entwickelung und Fortpflanzung von Infusorien. gleicher Grösse und gleichem Bau miteinander verschmelzen. So sah STEIN !\ grosse noch auf den Stielen sitzende Exemplare von Vort. microstoma miteinander conjugirt und dabei die Kerne in einem Falle in kleine’ Segmente zerfallen, in den übrigen zu einem einzigen Nucleus verschmolzen. Aehnlich bei schwärmenden Exem- plaren von Vorticella campanula?). Syzygien von gleichgrossen In- dividuen fanden sehon ÜLAPAREDE und LACHMANN?) bei Vorticella microstoma, Carchesium polypinum und Epistylis brevipes. Mir fehlen jedoch über diese wie es scheint sehr seltenen Zustände eigene Er- fahrungen, desgleichen über die auch hierher gehörigen Uebergänge zwischen Conjugation und Copulation, welche Srem +) bei den Oxy- trichinen annimmt. Ich begnüge mich deshalb damit, auf diese Fälle hingewiesen zu haben, deren näheres Studium für die Phylogenie und Erkenntniss der physiologischen Bedeutung der Geschlechtsverschie- denheiten im Besondern von demselben Interesse zu werden ver- spricht, wie das Studium der Conjugationserscheinungen der Infusorien überhaupt für die Theorie der geschlechtlichen Processe. Utrecht, Ende August 1875. 1) Organismus u. s. w. Zweite Abth. pag. 110. 2) ibid. pag. 114. 3) Etudes ete. Vol. I. pag. 299 flg. Pl. XII. Fig. 1—7, pag. 232. Pl. VII. Fig. 8—9., pag. 232, Pl. VII. Fig. 24—25. 4) |. e. Zweite Abth. pag. 120. | | ku Bal 4 Taf. XXl. Th. W. Engelmann del +e yoke Tig we: 7 ; Ypr 4 A * "A 2 Fig. Fig. Erklärung der Abbildungen. Tafel XXI Alle Figuren sind bei 450maliger Vergrösserung gezeichnet. I—15. Entwickelungsreihe von Opalina ranarum aus dem Darmeanal von Froschlarven. S. den Text. (Fig. 2, 7—14 nach Behandlung mit Essigsäuredämpfen. In Fig. 9—14 sind nur Kerne und Cuticula ge- zeichnet). 16— 20. Knospenbildung bei Vorticella microstoma. 5S. pag. 9579. Dasselbe Individuum in verschiedenen aufeinanderfolgenden Zustän- den. Nur die Körperform und das Ansehen des Nucleus sind in der Zeichnung genau wiedergegeben. Der gerade, anstatt spiralige Ver- lauf des Stielmuskels ist ein Versehen des Lithographen. . 21. Theilung, Fig. 22 echte Knospenbildungbei V orticella microstoma, sehr kurze Zeit nach Ablauf der knospenförmigen Conjugation. Der Nucleus war noch nicht wieder zur normalen Form regenerirt. S. den Text pag. 596. Tafel XXII. x, 1—10. Knospenférmige Conjugation und ihre Folgen bei Vorticella microstoma. Vergr. 450 Mal. S. pag. 622 fig. .. 41 —19. Knospenförmige Conjugation und ihre Folgen bei Epistylis plicatilis. Vergr. 300 Mal. S. pag. 626 fig. — In Fig. 11—14 sind die Längsmuskeln angedeutet; übrigens sind bei allen Figuren dieser Tafel nur die wesentlichsten, auf den Conjugationsprocess bezüglichen Details dargestellt. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. Von Max Fürbringer. Tit! ‘Theil (als Fortsetzung der 1873 [Jenaische Zeitschrift f. Medicin und Naturwissen- schaft. Band VI. p. 237 f.] und 1874 (Jenaische Zeitschrift f. Naturwissenschaft. Bd. VIII. Neue Folge B. I. p. 175 f.) veröffentlichten Abhandlungen). Mit Tafel XXIII—XXYVII. Cap. IV. Saurier und Crocodile. §. 10. Brustgürtel, Brustbein und Humerus !). A. Kionokrane Saurier (incl. Hatteria) . / (Vergleiche Taf. XXIV Fig. 72 und Taf. XXV Fig.’ 82.) Der Brustgürtel und das Brustbein hat bei den kionokranen Sauriern einen ausserordentlichen Grad der Entwicklung, vielleicht 1) Literatur. Cuvier, G., Vorlesungen über vergleichende Anatomie, übersetzt von FRORIEP und MECKEL. Leipzig 1809. Bd. I. pag. 188 f., pag. 225 f., pag. 242 f. GEOFFROY ST. HILAIRE, Philosophie anatomique 1818 (ef. GEGENBAUR). CuVIER, G., Recherches sur les ossemens fossiles. Nouv. éd. Tom. V. Part. 2. Paris 1824. pag. 100 f. (Pl. IV, V) und pag. 289 f. (Pl. XVII). MECKEL, J. F., System der vergleichenden Anatomie. 2. Th. Halle 1824. pag. 434 f., pag. 445 f. — 3. Th. Halle 1828. pag. 158 f., pag. 170 f., pag. 193 £., pag. 214 f. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. _ 637 den höchsten unter allen Wirbelthieren, erlangt. Dieser offenbart sich namentlich in der Ausbildung von secundiren Knochentheilen, die BurrmMann, H., De musculis Crocodili. Diss. inaug. Halae 1826. pag. 9 f. Heusincer, C. F., Untersuchungen über die Extremitäten der Ophidier nebst Bemerkungen über die Extremitätenentwickelung im Allgemeinen. Zeitschr. f. organische Physik. Bd. III. Heft 5. Eisenach 1829. pag. 481 f. (Taf. I-M). 5 MÜLLER, Jom., Beiträge zur Anatomie und Naturgeschichte der Amphibien. Treviranus’ Zeitschrift f. Physiologie. Bd. IV. Heidelberg u. Leipzig 1831. pag. 190. / Cuvier, G., Lecons d’anatomie comparée. 2. ed. p. Dumirm. Tom. I. Paris 1835. pag. 252 f., pag. 362 f., pag. 390 f. RarsKke, H., Ueber den Bau und die Entwickelung des Brustbeins der Saurier. Königsberg 1853. PFEIFFER, H., Zur vergleichenden Anatomie des Schultergerüstes und der Schul- termuskeln bei Säugethieren, Vögeln und Amphibien. Giessen 1854. pag. 39 f. Dumirit, A. M. ©. et BiBRON, G., Erpétologie générale. Atlas. Paris 1854. Pl. IV—VIL. Srannius, H., Handbuch der Zootomie. 2. Aufl. II. 2. Zootomie der Am- phibien. Berlin 1856. -pag. 24 f., pag. 74 f., pag. 82 f. GEGENBAUR, C., Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. 2. Heft. Schultergiirtel der Wirbelthiere und Brustflosse der Fische. Leip- zig 1865. pag. 33 f. RATHKE, H., Untersuchungen über die Entwickelung und den Körperbau der Crocodile. Herausgeg. von W. v. WırrıcH. Braunschweig 1866. pag. 63 f., pag. 73 f. OWEN, R., Anatomy of Vertebrates. Vol. I. London 1866. pag. 173 f. 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SANDERS, A., Notes on the Myology of Platydactylus japonicus. Proc. Zool. Soe. of London 1870. pag. 413 f. Mivart, St. G., On the Myology of Chamaeleon Parsonii. Proc. Zool. Soc. of London 1870. pag. 850 f. 635 M. Fiirbringer ee ee an Formenentwicklung und Selbststiindigkeit die homologen Bildun- gen der übrigen pentadactylen Wirbelthiere übertreffen und ausser - der primären Verbindung zwischen Sternum und Coracoid noch eine zweite Verbindung des Brustbeins und Brustgürtels mittelst Epister- num und Clavicula herstellen. Andererseits wird durch das Auftre- ten von echten mit dem Brustbein verbundenen Sternalrippen der Zusammenhang von Rumpf und Brustgürtel ‚vermittelt. Durch Ver- kümmerung!; bei einer Anzahl von Gattungen aus den Familien der Chaleidier und Seineoiden kann dieser complieirte Apparat in ver- schiedenem Grade vereinfacht und aus seiner Verbindung mit dem Rumpfe gelöst werden. . Der letztere Process, Reduction der sterna- len Theile der Rippen (Sternocostalleisten), geht zuerst vor sich, während meist erst danach eine Verkümmerung an Brustbein und Brustgürtel stattfindet; hierbei verkümmern in der Regel die seeun- dären Skelettheile früher als die primären. In sehr seltenen Fäl- len (einzelne Exemplare von Acontias meleagris kann es zu einer vollständigen Reduction des gesammten Apparates kommen. . Der primäre Brustgürtel wird von 2 paarigen Stücken ge- bildet, die sich auf der Unterseite der Brust wie bei den Urodelen und einzelnen Anuren derart übereinander schieben, dass das reehte unter das linke zu liegen kommt, und die sich an der Seite des Kör- pers bis nahezu zur Höhe des Rückens erstrecken. FÜRBRINGER, M., Die Knochen und Muskeln der Extremitäten bei den schlan- genähnlichen Sauriern. Leipzig 1870. pag. 7 f. LEYDIG, Fr., Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. Tübingen 1872. pag. 35 f., pag. 58 f. SANDERS, A., Notes on the Myology of Liolepis Belli. Proe. Zool. Soe. of Lon- don. 1872. pag. 154 f. Huxrey, H. Th., Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere, übers. von FR. RATZEL. Breslau 1873. pag. 29 f., pag. 189 f., pag. 217 f. ; GEGENBAUR, C., Grundriss der vergleichenden Anatomie. Leipzig 1871. pag. 449 f., pags 492 f. SANDERS, A., Notes on the Myology of the Phrynosoma coronatum. Proc. Zool. Soc. of London. 1874. pag. 71 f. Die Abhandlung von DESCOURTILZ (Anatomie comparée du grand Crocodile des Antilles. Paris 1825) konnten wir nicht erlangen. Die hier gegebene Darstellung des Knochensystems beschränkt sich auf die für die Kenntniss der Muskulatur nöthigsten Angaben; die genaueren Verhältnisse sind nachzusehen bei GEGENBAUR und PARKER; ersterem sind | wir grösstentheils in der Deutung und Benennung der einzelnen Stücke gefolgt. 1) Vergleiche hierüber die Angaben von HRUSINGER, Dümsrın, RATHKE, STANNIUS und FÜRBRINGER. x 4 4 Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 639 Der dorsale Abschnitt, die Seapula (8) !), stellt ein senkrech- tes Stück dar, das unten mit oder ohne Grenze mit dem ventralen Absehnitte in Verbindung steht, mit ihm die Gelenkhöhle für den Humerus bildend, und oben beträchtlich verbreitert frei endet. Der untere, schmälere und meistens kleinere Theil ist beim erwachsenen Thiere verknöchert, während der obere grössere (Suprascapulare (88) knorpelig bleibt oder höchstens theilweise verkalkt, ohne aber sonst dem unteren gegenüber irgend welche Selbstständigkeit zu erlan- gen. Der vordere Rand der Scapula zeigt in wechselnder Höhe, bald im Bereiche des Knorpel- bald im Bereiche des Knochentheils, einen schwach entwickelten Vorsprung (Processus clavicularis s. Aeromion) (4)2), mit dem sich das laterale Ende der Clavicula verbindet. Mitunter ist die Scapula, namentlich in ihrem untersten Theile von 1 oder 2 membranös verschlossenen Fenstern?) dureh- brochen) , die bei grosser Leichtigkeit der Masse eine Oberfliichen- 1) Scapula sämmtlicher Autoren. 2) Acromial tuberosity: GÜNTHER. — Eine directe Homologie dieses Vor- sprungs mit dem Acromion der Säugethiere ist, wie GEGENBAUR gezeigt hat, wesen seiner wechselnden Lage nicht anzunehmen; wir haben in ihm den er- sten noch nicht definitiv bestimmten Anfang einer acromialen Bildung zu er- blicken. Ebenso ist eine Vergleichung des vorderen Randes der Scapula der Saurier mit der Spina scapulae der Säuger nicht erlaubt. Dass aber eine mit- unter auf der Aussenfläche der Scapula sich findende Verticalleiste, welche von einzelnen Autoren als Spina scapulae gedeutet wurde, diese bestimmt nicht ist, erhellt vor Allem aus ihrer Beziehung zu den anliegenden Muskeln, wonach sie als einfache Grenzleiste zwischen dem vorderen und hinteren Abschnitte des M. deltoideus scapularis aufzufassen ist. 3) Die Bildung von Fenstern (Fontanellen) in der Scapula und im Cora- coid ist eine ausserordentlich mannigfache, aber doch an bestimmte Regeln gebundene, wie GEGENBAUR nachgewiesen. Das ursprünglichste primäre Fenster, Fenestra coracoidea anterior (Fe Ca) (No. 1 GEGENBAUR'S, Upper coracoid fene- stra PARKER's) findet sich im vorderen Theile des Coracoids, zwischen eigent- lichem Coracoid, Procoracoid und Epicoracoid, und ist der Mehrzahl der Saurier eige® Weitere Fenster können sich bilden im hinteren Theile des Coracoids, Fenestra coracoidea posterior (Fe Cp) (No. 2 GEGENBAUR'S, Lower coracoid fenestra PARKER’s), — zwischen Coracoid und Scapula, Fenestra coraco-scapularis (Fe C'S) (No. 3 GEGENBAUR’S, Coraco-scapular fenestra PARKER’s) — und im unte- ren Theile der Scapula, Fenestra scapularis (No. 4 GEGENBAURS, Scapular- fenestra PARKER'S). Eine bestimmte Anordnung der Fenster nach den verschie- denen Familien der Saurier ist nicht zu erkennen. Bei Verkiimmerung des Brustgiirtels bei den schlangenähnlichen Sauriern findet sich entweder nur das primäre Fenster, oder der Brustgürtel entbehrt jeder Fensterbildung. 4) HuxLey unterscheidet in letzterem Falle den oberhalb des oberen Sca- 640 M. Fürbringer ‘ vergrösserung der Schulter bedingen. Von allen Knochen des Brust- gürtels verkümmert die Scapula am spätesten, und zwar vom Su- prascapulare her; sie stellt dann meistens ein kleines schmales Knöchelehen dar. Der untere Abschnitt, das Coracoid (C)'), ist eine in der Regel breite, horizontal liegende Platte, deren lateraler an die Sea- pula angrenzender Theil nach vorhergegangener Knorpelverkalkung ziemlich spät erst verknöchert, während der mediale stets knorpelig bleibt. Lateral bildet sie mit der Scapula, mit der sie bei Jungen Thieren durch Knorpelnaht, bei erwachsenen in der Regel ohne Grenze vereinigt ist, die Gelenkhöhle für den Oberarm, medial lenkt sie mit ihrem hinteren Abschnitte in einen Falz des Sternums ein; während der vordere nach vorn und nach der Mitte zu frei en- det, wobei der der rechten Seite sich unter den der linken ein- schiebt. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Saurier zeigt sie in der Mitte ein grosses membranös verschlossenes Fenster, Fenestra coracoidea anterior (Fe Ca), das eine Trennung in einen hinteren (Coracoid (C)), vorderen (Procoracoid (Pc) ?) und medialen Schenkel (Epicoracoid (Ec) 3) herbeiführt. Doch sind diese Schenkel nicht so selbstständig, wie bei Anuren und Cheloniern. Durch Auftreten von weiteren (secundären) Fensterbildungen (Fenestra eoracoidea poste- rior (Fe Op), F. coracoscapularis (Fe CS), F. scapularis) werden diese ursprünglichen Verhältnisse ganz verwischt, so dass sich die Trennung des Coracoids in die erwähnten drei Abschnitte nicht mehr durehführen lässt. Gänzlicher Mangel von Fensterbildungen findet sich bei einer Anzahl schlangenähnlicher Saurier aus den Familien der Chaleidier und Seineoiden und bei Hatteria. Ausser diesen Fensterbildungen zeigt das Coracoid eine weitere für den Durchtritt - pularfensters gelegenen Theil als Scapula, den zwischen beiden Scapularfenstern liegenden Abschnitt als Mesoscapula. 1) Von früheren Beobachtern (z. B. Cuvier, Lecons 1. Aufl., HEUSINGER) als Clavieula gedeutet, später übereinstimmend nach Cuvızr’s Vorgange (Recherches etc.) als Homologon des Coracoids erkannt. 2) Praecoracoid: PARKER, MIVART, SANDERS ete. — Cuvier (Lecons 2. éd.), dem PrEirrer folgt, bezeichnet es gemeinsam mit dem Epicoracoid (GE- GENBAUR’s) als Epicoracoid; GEOFFROY fasst denselben Theil als episternale Bildung auf. — Huxrey bezeichnet den lateral von dem Hauptfenster gelege- nen Abschnitt als Praecoracoid, den medial von ihm liegenden Theil als Meso- coracoid. 3) Von den englischen Autoren wird vornehmlich der hintere mediale Theil als Epicoracoid bezeichnet. 4 iM J . Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 641 des N. supracoracoideus und der gleichnamigen Gefässe bestimmte Oeff- nung, Foramen coracoideum (FC), die in der Regel im Bereiche des Coracoids zwischen dem primären Fenster und der Gelenkhöhle liegt, mitunter aber auch bis zur Grenze zwischen Coracoid und Scapula verrückt sem kann (Seincus). Der Mehrzahl der schlangenähn- lichen Saurier geht auch diese Oeffhung ab. — Die Verkiimmerung des Coracoids beginnt von der medialen Seite her: bei einer Anzahl schlangenähnlicher Saurier schieben sich deshalb die beiden Cora- coide nicht in der Mittellinie über einander, sondern sind von ein- ander entfernt. In Bezug auf seine vollständige Reduetion verhält sich das Coracoid wie die Seapula. Das primäre Brustbein, Sternum (S¢)'), setzt sich in der Regel aus einem vorderen und hinteren Theile zusammen. Der vor- dere Theil (Sta)?) bildet eme grosse rhomboidale Platte, deren beide vordere Ränder mit Falzen für die Aufnahme der beiden Co- racoide versehen sind, während die beiden hinteren Ränder mit einer verschieden grossen Anzahl von Rippen (1—4) in Verbindung ste- hen. Der hintere, weit inconstantere, Theil (829) 3) wird in der Regel durch 2 paarige sehmale und lange Fortsätze gebildet, die mit ihrem vorderen Ende meist ligamentös, seltener direet mit der hinteren Spitze des vorderen Theils verbunden sind und mit ihren hinteren lateralwärts divergirenden Enden zu (1-3) Rippen Bezie- hungen eingehen oder frei enden; seltener (meiste Scincoiden, Ameiva, Plestiodon ete.) wird der hintere Theil durch ein unpaares Stück repräsentirt. Beide Theile können verschiedenartig angeordnete Fen- sterbildungen darbieten. Bei Einzelnen (Ascalaboten, Hatteria) ist blos die vordere Platte ausgebildet, während die hintere von Rippen- -bildungen nicht unterschieden werden kann. Bei der Mehrzahl der schlangenähnlichen Saurier wird das Sternum durch Reduetion der sternoeostalen Leisten ausser Zusammenhang mit den Rippen gesetzt; nur bei wenigen (Ophiodes , Pygopus) persistirt die Verbindung. Von den beiden Abschnitten verkümmert der hintere stets eher als ‘) Hinterer Haupttheil des Brustbeins: MEckEL. — Plaque cartilagineuse rhomboidale du stérnum: Cuvier. — Hinteres oberes Brustbein: RATHKE. — Sternum: Mehrzahl der Autoren. — Bezüglich des Details ist Ratuke's Ab- handlung zu vergleichen. 2) Vorderes Stück des hinteren oberen Brustbeins: RATHKE. — Sternum (Praesternum): PARKER. 3) Hinteres Stück des hinteren oberen Brustbeins: RATHKE. — Mesoster- num und Xiphosternum: PARKER, MivarT, SANDERS. — Xiphisternum ; HUXLEY. “ 642 M. Fürbriuger der vordere, der nur sehr selten {Acontias , Typhlosaurus) vollkom- men zum Schwund kommt. Der seeundäre Brustgürtel, die Clavieula (C7)!), stellt eine am vordern Theile des primären Brustgürtels quer gelegene sehr selbstständige Knochenleiste dar, die an ihrem lateralen Ende mit dem Processus clavieularis der Scapula |Acromion (4) ) ver- bunden ist, medial mit dem secundären Brustbeine, Episternum Est), zusammenhängt. Ihre Gestalt, namentlich ihre Breite, zeigt bei den einzelnen Gattungen mannigfache Verschiedenheiten: bald ist sie dünn und rundlich, in ihrer ganzen Ausdehnung gleich dick (Mehrzahl der Saurier, bald in ihrem medialen Theile sehr ansehn- lich verbreitert und dann auch meist mit Fenster versehen (Laeerten, Scincoiden, Asealaboten ete ; eine sehr grosse Breite in nahezu ihrer ganzen. Ausdehnung zeigt sie bei einzelnen Scincoiden (Tra- chysaurus). Die Verbindung mit dem Episternum ist je nach dessen Gestalt eine wechselnde; ist das Episternum Tförmig gestaltet, so legt die dann meist dünne und schmale Clavieula sich in einer ziemlichen Ausdehnung an dessen quere Schenkel an, hat das Epi- sternum die Form eines Kreuzes, so findet die Verbindung entweder nur an der Spitze desselben statt, oder an dieser und an den Enden der Seitenschenkel: im letzteren Falle ist die Clavieula mitunter auch mit kräftigem nach hinten gerichteten Fortsatze für die Verbindung mit den seitlichen Schenkeln versehen Scincoiden, Lacerten). Bei Ver- kiimmerung des Brustgürtels ist die Clavicula persistenter, als das Episternum , durch dessen frühe von vorn beginnende Reduction die Verbindung beider aufgehoben wird (Pseudopus, Ophisaurus, An- zuis). Ihre Verkümmerung beginnt von der Mittellinie aus, indem der mediane breite Theil sich verschmiilert, bei Acontias und Typhlo- saurus kommt sie ganz zum Schwund. Das secundäre Brustbein, das Episternum?) (&s#), stellt ein verschieden gestaltetes Knochenstück dar, das mit seinem hin- teren Ende mit der Unterfläche der vorderen Platte des Sternums fest verwachsen, mit seinem vorderen mit der Clavicula verbunden 1 Früher Furcula (Cuvier, Lecons 1 éd., HEUSINGER etc.) genannt, dann nach Cuvrer’s Vorgange (Recherches) von sämmtlichen Autoren als Clavicula bezeichnet. 2, Os gréle du Sternum, Piece osseuse du Stérnum: Cuvier. — Vorderer Haupttheil des Brustbeins: MECKEL. — Episternum: Mehrzahl der Autoren. — Vorderes unteres Stück des Brustbeins: RATHKE. — Interclaviele: HuxLEY, PARKER, MIVART, SANDERS. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 645 ist. Bei vollständig ausgebildetem Brustgürtel zeigt es entweder die Gestalt eines T oder die eines Kreuzes; nach Länge und Breite der einzelnen Schenkel lässt sieh in beiden Formen eine ausserordent- liche Mannigfaltigkeit erkennen!). Seine Verkümmerung beginnt zuerst ani vorderen, hierauf am hinteren und dann erst an den seit- lichen Schenkeln und kann bei vielen schlangenähnlichen Sauriern bis zur vollkommenen Reduction fortschreiten. Eine von den übrigen kionokranen Sauriern abweichende, zwi- schen den Bildungen von Varanus und Chamaeleo stehende Anord- nung des Brustgürtels bietet Hatteria dar’). Der primäre Brust- sürtel der einen Seite deckt nicht in der Mittellinie den der ande- ren Seite, sondern ist von ihm entfernt. Die Scapula verhält sich wie bei den übrigen kionokranen Sauriern, der Pr. clavicularis ist wohl entwickelt, das Coracoid hingegen bildet eine nicht dureh Fenster durchbrochene solide Platte, welche Aehnlichkeit mit der der Chamaeleoniden zeigt und im hinteren Theile verknöchert ist, wäh- rend der vordere und mediale aus Knorpel besteht; das Foramen eoracoideum liegt unweit der Grenze der Scapula. Der secun- dire Brustgürtel, die Clavicula, ist eine schmale und rund- liche Knochenleiste, welche an ihrer ganzen sternalen Hälfte mit den seitlichen Schenkeln’ des Episternums innig verwachsen ist’). Das Sternum. stellt eine rhomboidale Platte dar, die hinten abge- stutzt ist und nur seitlich mit je 3 Sternocostalleisten artieulirt; ein hinterer Theil fehlt. Das Episternum, dem von Varanus sehr ähnlich , ist hinten der Unterfläche des Sternums angewachsen und geht vorn in zwei schlanke seitliche Schenkel über, die in ihrer ganzen Länge mit der Clavieula verwachsen sind. Der Humerus (Z) der kionokranen Saurier lässt sich mit dem der Urodelen in Vergleiehung bringen, während er von dem einseitig I) Speeiellere Angaben s. bei RATHKE. 2 Hatteria wird Bekanntlich von GÜNTHER in der Abtheilung der Squa- aka den Ordnungen der Ophidia und Lacertilia gleichwerthig (als Vertreter der Ordnung der Rhynchocephalia) gegenüber gesetzt und somit von den kionokranen Sauriern (STANNIUS) weiter entfernt als die Chamaeleoniden und Amphisbaenoiden Wie sehr auch diese systematische Stellung durch die eigenthümlichen Beziehungen des Quadratbeins, des Unterkiefers, der Wirbel, des Geschlechtssystems ete. gerechtfertigt ist, so zeigt doch der Brustgürtel und das Brustbein soviel Uebereinstimmung mit dem der kionokranen Saurier, dass wir Gelegenheit nehmen, an dieser Stelle die bezüglichen Bildungen zu be- sprechen. 3) Aehnlich dem Verhalten bei den Monotremen. 644 ~ M. Fürbringer differenzirten der Anuren sehr verschieden ist. Er stellt einen langen, vorn und hinten verbreiterten , wenig gekriimmten Knochen dar. Am proximalen Ende findet sich der sehr ansehnliche auf das vordere Drittel des Humerus ausgedehnte Processus lateralis (PL), der nach aussen und unten gerichtet ist und in der Mitte seine grösste Höhe erreicht. Ihm gegenüber liegt, beschränkt auf das obere Sechstel des Oberarms, der kleinere Processus media- lis (PA) 2), der am proximalen Theile, also am Rande der Gelenk- fläche, am ansehnlichsten entwickelt ist. Zwischen beiden Proces- sus, näher dem Processus medialis liegt eine Rauhigkeit für die In- sertion des M. latissimus dorsi. Das distale Ende ist mit seiner Breite im rechten oder einem noch grösseren Winkel gegen den proximalen Theil gedreht und articulirt mit Radius und Ulna; von den die Gelenkflächen begrenzenden Condylen ist der klemere Con- dylus radialis s. lateralis (CR)*) meist durch eine scharfe Längsleiste, Crista epicondyloidea lateralis (OrZ), ausge- zeichnet, während der grössere Condylus ulnaris s. medialis (CUV)#) einen kräftigen Hicker, Epieondylus ulnaris (ZU), trägt. — Bei einigen Chaleidiern und Seineoiden verkümmert der Humerus entweder durch Reduction seiner Fortsätze und seiner Grösse überhaupt zu einem schmalen eylindrischen Knoehen (Seps) oder er schwindet bis auf ein unansehnliches Rudiment (manche Exemplare von Pseudopus, wo es beiderseitig (Dumbri et BIBRON) oder einseitig (FÜRBRINGER) vorhanden sein kann) oder er kommt ganz in Wegfall (Mehrzahl der schlangenihnlichen Saurier). 1) Créte deltoidale: Cuvier (Recherches). — Unterer oder vorderer Höcker: M&EcKEL. — Tubereulum externum s. majus: Prererer, FÜRBRINGER. — Tu- berculum majus, Greater tuberosity: STANNIUS, SANDERS. — Radial crest: OwEN. —- Laterales unteres Tuberculum: RÜDINGER. — Radial tuberosity: MIVART, 2) Tubérosité - postérieure: Cuvier (Recherches). — Hinterer Höcker: MECKEL. — Tübereulum internum s. minus: PFEIFFER, FÜRBRINGER. — Tuber- culum minus: STANNIUS. — Ulnar tuberosity: Mivarv. — Inner and lower edge of the head of the Humerus: SANDERS. 3) Condyle externe s. Epicondyle, äusserer Oberarmknorren, External con- dyle, Condylus externus s. Epicondylus: Cuvier (Recherches), MEGKEL, Mivarr. FÜRBRINGER. — Condylus extensorius, outer or extensor condyle: RÜDINGER, SANDERS. 4) Condyle interne s. Epitrochlée, innerer Oberarmknorren, Internal con- dyle, Condylus internus s. Epitrochleus: Cuvuer (Recherches), MECKEL, MIVART, FÜRBRINGER. — Condylus flexorius, Inner or flexor condyle: RÜDINGER, SANDERS. — Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 645 B. Amphisbaenoidea und Chamaeleonida. Der Brustgürtel und das Brustbein der Amphisbänen und Cha- mäleonen zeigen eine gewisse Uebereinstimmung mit einander, wäh- rend sie von den entsprechenden Bildungen der kionokranen Saurier beträchtlich abweichen. Diese Differenz zeigt sich vor Allem in dem Mangel jeglicher seeundärer Knochentheile (Clavicula, Episternum) so- wie in einer beträchtlich einfacheren Bildung des primären Brustgürtels. Der dorsale Abschnitt des Brustgürtels, die Seapula, stellt ein ziemlich schmales und verhältnissmässig langes Stück dar, das nur in seinem oberen Theile verbreitert ist. Letzterer (Supra- scapulare) hat seine knorpelige Anlage erhalten!) und ist ca. drei- mal kürzer als der untere verknöcherte Abschnitt, der an das Co- racoid angrenzt und mit diesem die Gelenkhöhle für den Oberarm bildet. Der ventrale Absehnitt, das Coracoid, repräsentirt eine mehr (Chamaeleo) oder minder schmale (Chirotes) solide Platte, die entweder in ihrer ganzen Totalität verknéchert ist (Chirotes) oder median und vorn einen Knorpelsaum trägt (Chamaeleo) und die mit ihrem ganzen medialen Rande in einen Falz des Sternums eingefügt ist. Vordere und mediale einem Procoracoid und Epicoracoid ent- sprechende Theile sind nicht nachzuweisen: das Coracoid schneidet zugleich mit dem Sternum vorn ab und ist von dem der Gegenseite durch den vorderen Theil des letzteren getrennt. Das Loch für den N. supracoracoideus liegt bei Chamaeleo in der Grenze von Seapula und Coracoid (Foramen scapulo-coracoideum); bei Chirotes scheint es zu fehlen. — Bei den fusslosen Amphisbänoiden - (Amphisbaena, Lepidosternon, Trogonophis) ist der Brustgürtel zu einem kleinen walzen- oder bohnenförmigen querliegenden Knöchel- chen verkümmert, das Homologe von coracoidalen und seapularen Rudimenten in sich enthält. Das Sternum besteht wie bei den kionokranen Sauriern aus einem breiteren vorderen und einem schmäleren hinteren Theile, die bei Chamaeleo nicht deutlich von einander geschieden sind, wäh- rend bei Chirotes der hintere Theil nicht allein von dem vorde- ren?) getrennt, sondern selbst wieder in einen vorderen und hin- teren Abschnitt’) zerfallen ist. Die vordere Platte ist rautenför- ') Bei Chirotes gibt PARKER eine endostotische Verknöcherung an. 2) Mesosternum : PARKER. 3) Xiphosternum: PARKER. 646 M. Fürbringer mig, vorn mit paarigem Falze für die Aufnahme der beiden Coracoide versehen ; hinten artieulirt sie bei Chamaeleo mit Rippen, während bei Chirotes diese Verbindung fehlt. Bei Ersterem ist die vordere Platte convex nach aussen und concav nach innen, ohne Durehbre- chung, bei letzterem eben und mit einem hinteren Fenster und einem vorderen Lingsabsehnitt versehen; der hintere Theil wird bei Chit rotes dureh 2 lange paarige Fortsätze!), bei Chamaeleo durch eine ‚schmale unpaare Mittelplatte repräsentirt, die mit Sternalrippen in Verbindung steht. — Bei den fusslosen Amphisbänen fehlen discrete sternale Bildungen; ob eine an der entsprechenden Stelle befindliche paarige membranöse Ausbreitung ihnen homolog ist, dürfte 2. 2. noch nicht zu entscheiden sein. Der Humerus der Ohamaeleonen ist dem der kionokranen Saurier ähnlich gebildet. Er*unterscheidet sich von diesem nur dureh geringere Ausbildung der Fortsätze, von denen der Processus lateralis auf das proximale Fünftel des Humerus beschränkt und nach unten gerichtet ist. — Ueber den Humerus von Chirotes fehlen genauere An- gaben: den übrigen Amphisbänen fehlt jede Spur davon. C. Crocodile. (Vergleiche Taf. XXVI. Fig. 93 und Taf. XXVII. Fig. 102.) Brustgürtel und Brustbein der Crocodile unterscheiden sich von den entsprechenden Bildungen der kionokranen Saurier einmal durch eine theilweise Reduction der secundären Skelettheile (Mangel einer Clavicula), dann durch eine Vereinfachung des primären Brustgürtels, mit der aber zugleich eine bestimmter ausgeprägte Differenzirung einzelner Theile verbunden ist. Der (primäre) Brustgürtel wird von zwei paarigen Stücken gebildet, die auf der Unterseite der Brust im ganzen Bereiche ihres medialen Randes (also ähnlich wie bei den Chamaeleoniden) mit dem Sternum articuliren, ohne unter einander in directere Beziehung zu treten. Seine beiden Abschnitte, Seapula und Coracoid,, sind eine derartige Lageveränderung eingegangen, dass der untere Theil der Seapula mit dem lateralen des Coracoids sich nach vorn gescho- ben haben und somit auch in sagittaler Riehtung mit ihren hinteren Rändern einen Winkel bilden, der etwas grösser als ein rechter !) Die Beschreibung ist PARKER entnommen; MÜLLER gibt an, dass der hintere ‘Theil unpaar ist. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 647 ist!). Damit ist eine Einrichtung angebahnt, die sich noch entwickel- ter bei den Vögeln vorfindet. Die Scapula (S) stellt eine mässig breite Platte dar, die in der Hauptmasse verknöchert ist, während nur ein kleiner oberer Theil (Suprascapulare (8S)) die Knorpelstructur gewahrt hat. Die Verbreiterung nach oben zu ist nur unbedeutend. Am vorderen Rande zeigt sich eine Verdickung, wodurch eine deutlich ausgeprägte Leiste bedingt wird, die als erste Andeutung einer Spina scapulae (Sp) 2) aufzufassen ist. Ein wirkliches Homologon des Acromions fehlt; der von den Autoren so bezeichnete Vorsprung gehört Cora- coid und Scapula gemeinsam an und kann deshalb dem Acromion der Säuger nicht direct verglichen werden. Mit ihrem untern Theile ist die Scapula durch Synchondrose mit dem Coracoid verbunden, mit welchem sie zugleich die Pfanne für den Oberarm bildet. Das Coracoid (C)?°) ist dem hinteren Abschnitte des ventralen Brustgürtels der kionokranen Saurier, dem eigentlichen Coracoid zu ver- gleichen; Epicoracoid und Procoracoid sind verkümmert bis auf einen ziemlich ansehnlich entwickelten Fortsatz am vorderen Ende, Proces- sus procoracoideus (PPc)*), der ein Rudiment des Procoracoids repräsentirt; auch hierin zeigt sich grosse Uebereinstimmung mit den Verhältnissen bei den Carinaten. Der hintere mediale Rand ist in einen Falz des Sternums eingelenkt, der vordere verbindet sich mit der Scapula. Ein Foramen coracoideum (FC) ) liegt unweit der Gelenkhöhle. Das Sternum ($2)®) besteht wie bei den Sauriern aus einem vorderen und hinteren Stück , die aber nicht von einander getrennt sind, sondern unmittelbar in einander übergehen. Das vordere Stück (Sta) ”) stellt eine fünfeckige ziemlich breite Platte dar, die mit ihrer Unterfläche mit dem Episternum verwachsen ist, und von 1) Bei Embryonen ist, aus RATHKE’s Angaben zu schliessen, diese Win- kelstellung nicht so ausgeprägt wie bei Erwachsenen. 2; Diese bereits von Cuvier gefundene Leiste wurde von GEGENBAUR ZU- erst als Spina scapulae erkannt (d. Nähere s. d. pag. 33). — RoLLESTON be- zeichnet sie als Ridge on scapula, giving origin to deltoid, HAUGHTON als Acromion. 3) Früher von Cuvier (Legons 1. éd.) und BuTTMANN als Clavicula, spä- ter (Cuvier, Recherches) richtig als Coracoid gedeutet. 4, Praecoracoid: PARKER, ROLLESTON. 5) Coracoid foramen: ROLLESTON. 6) Plaque cartilagineuse rhomboidale du Sternum: Cuvier. — Hauptstück des Sternums: RATHKE. 7) Praesternum: PARKER. Morpholog. Jahrbuch. 1. 43 648 M. Fiirbringer . deren seitliehen Rändern die vorderen mit dem Coracoid, die hinteren mit Sternalrippen (meist je 2) verbunden sind. Das hintere Stück (Stp) !) bildet eine schmale aber ziemlich lange unpaare Platte, die seitlich mit (5—7) Rippen verbunden ist und hinten in zwei paarige Schenkel ausläuft. Das Episternum (Est)?) repräsentirt ein langer schmaler Knochen, der hinten in eine mediane Längsfurche an der Unterfläche des Sternums eingewachsen ist und vorn frei über dasselbe hinaus- ragt. Eine membranöse Ausbreitung, Membrana episterno- coracoidea (MEC)*), vermittelt die Verbindung mit dem vorderen Theile des Coracoids. Der Humerus (Z) ist bei den Crocodilen relativ länger und mehr S-förmig gekrümmt als bei den Sauriern. Der Processus lateralis (PLZ)*) ist an seinem proximalen Theile sehr dünn und scharfkantig, während das distale Ende einen kräftigen Hocker bildet. Der proximale Anfang des Pr. lateralis entspricht dem Tubereulum laterale s. majus. Ein Pro- cessus medialis (PM)5, ist nur schwach entwickelt. Von den Condylen bietet der ulnare eine ansehnlichere Entwicklung dar, als der radiale; beide sind mit wenig ausgebildeten Epicondylen versehen. §. 11. Nerven für die Schultermuskeln SE (Vergleiche Taf. XXIII. Fig. 57—62.) A. Kionokrane Saurier. (Fig. 57— 60.) Die Muskeln der Schulter und des Oberarms (mit Ausschluss der vom Zungenbein entspringenden) werden vom N. vago-accessorius und einer wechselnden Anzahl von Spinalnerven versorgt. 1) Meso- und Xiphosternum: PARKER. 2) Processus ensiformis: BUTTMANN. — Xiphosternum: PARKER. 3) Episternum d. Aut. — Interelavicle: PARKER, ROLLESTON. 4) Créte deltoidale: Cuvier (Recherches). — Tuberculum (unum): BUTT- MANN. — Unterer oder vorderer Hicker, Tuberosité anterieure: MECKEL, Cuvier (Lecons 2. éd.). — Tuberculum externum s. majus, Greater tuberosity : ROLLESTON. — Pectoral ridge and Deltoid ridge: HAUGHTON. — Radial crest - OWEN. 5) Hinterer Hicker: MECKEL. — Tuberculum minus: PFEIFFER. — Lesser tuberosity: HAUGHTON. 6) Literatur: Biscuorr, L. W. Th., Nervi accessorii Willisii anatomia et physiologia. Hei- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 649 Der N. vago-accessorius (N)! entspringt mit einer grossen Anzahl (bis 9) oberer Wurzeln?) von der Medulla oblongata und dem Anfange des Rückenmarks. Die hinteren Wurzeln, die denen des N. accessorius entsprechen, schieben sich in der Regel zwischen die oberen und unteren Wurzeln der zwei ersten Spinalnerven ein. Sämmtliche Wurzeln vereinigen sich zu einem Stamm, der dureh das Foramen jugulare tritt und gleich nach seinem Austritte3) einen fei- delbergae 1832. (Accessorius von Crocodilus (Alligator) sclerops, Iguana deli- catissima, Lacerta ocellata, Amphisbaena alba.) Vogr, C., Beiträge zur Neurologie der Reptilien. Neufchatel 1840. pag. 30 f. (Kopfnerven einer Anzahl Saurier.) MÜLLER, J., Vergleichende Neurologie der Myxinoiden. Abhandl. der K. Aka- demie der Wissenschaften zu Berlin 1840. pag. 49f. (Kopfnerven von Ameiva Teguixin.) BEnDz, Bidrag til den sammenlignende Anatomie af Nervus glossopharyngeus, vagus, accessorius Willisii og hypoglossus hos Reptilierne. Vid. Sel. natur- vid. og math. Afh. X. Deel. Kjöbenhavn 1843. pag. 122 f.. Taf. III—V, VII. -(Kopfnerven von Alligator lucius, Lacerta agilis, Chamaeleo africanus, Amphisbaena sp.) Cuvier, G., Legons d’anatomie comparée. 2. éd. p. Dum£rıL. Tome III. Paris 1845. p. 264. (Kurze Andeutung der Neurologie von Lacerta und Alligator.) FiscHEr, J. G., Die Gehirnnerven der Saurier. Hamburg 1852 (Ausgezeichnet genaue Beschreibung der Kopfnerven einer grossen Anzahl von Sauriern und Crocodilen.) STANNIUS, H., a. a. O. pag. 151 f. (Kopfnerven der Saurier.) OWEN, R., a. a. ©. pag. 312 (nur einzelne Notizen enthaltend). Zur eigenen Untersuchung dienten Platydactylus aegyptiacus, Trachydosau- rus rugosus, Seps tridactylus, Pseudopus Pallasii, Lacerta ocellata, Salvator Merianae, Uromastix spinipes, Phrynosoma Harlanii, Iguana tuberculata, Va- ranus niloticus, — Amphisbaena alba, Chamaeleo vulgaris, — Alligator lu- eius, Crocodilus acutus. !) Die hier mitgetheilten Angaben sind zum Theil Fiscuer’s trefflicher Ab- handlung entlehnt. — Eine Abtrennung des N. accessorius vom N: vagus er- scheint mir auch hier (wie überhaupt bei allen Wirbelthieren) nicht genügend begründet. Beide entspringen mit einer Anzahl Wurzeln, zwischen denen keine natürliche Grenze aufgefunden werden kann, beide treten durch ein Loch des Schädels und sind hierbei sogar von derselben Bindegewebsscheide umschlossen. Der N. accessorius verhält sich zum N. vago-accessorius wie ein von ihm frü- her oder später entspringender Ast. Eben diese Verschiedenheit der früheren oder späteren Abzweigung (selbst bei nächstverwandten Thieren) gibt ihm nur die Eigenschaft eines variabeln Astes, nicht aber die eines definitiv differen- zirten, selbstständigen Hirnnerven. 2) Mitunter treten zu diesen oberen Wurzeln auch einige untere hinzu. Diese sind, wie FISCHER nachweist, nur mit dem Vagus verbundene Elemente des Hypoglossus. - A 3) Bei Salvator tritt der Accessorius Willisii getrennt vom Vagus aus dem Foramen jugulare (FISCHER). 43* 650 M. Fiirbringer nen Ast, den R. accessorius externus (a)!) abgibt, der sich im vorderen Theile der untergn Hälfte des M. capiti- cleido- epister- nalis (Episterno-cleido-mastoideus) verzweigt, wobei er in der Regel mit vorderen Spinalnerven Anastomosen eingeht und bis zum 4. oder 5. Spinalnerven zu verfolgen ist. Von den Spinalnerven?) sind der 3. bis 9. (resp. 10.) von Bedeutung für die Schultermuskeln, wobei unter den verschiedenen kionokranen Sauriern mehrfache Differenzen vorkommen ; namentlich zeigen die fusslosen Saurier beträchtliche Abweichungen. Die 4—5 letzten vereinigen sich bei den typischen Sauriern zum Plexus brachialis*); und zwar fand ich eine Zusammensetzung dessel- ben durch den 5. bis 9. Spinalnerven (also dureh 5 Wurzeln) bei Platydactylus aegyptiacus, durch den 6. bis 9. Spinalnerven bei Trachysaurus rugosus, Lacerta ocellata, Uromastix spinipes und Phry- nosoma cornutum‘), durch den 7. bis 10. Spinalnerven bei Varanus 1) Ramus externus n. accessorii: BISCHOFF, VOGT, FISCHER. — Nach BiscHorr und VoGT versorgt er die Muskeln des Halses (ohne dass nähere Be- stimmungen gemacht werden). Erst FISCHER hat seine Verbreitung in der rich- tigen Weise präeisirt. Letzterer vermisste ihn bei Agama spinosa. 2) Die bezüglichen Spinalnerven sind bei den untersuchten kionokranen Sauriern sämmtlich Cervicalnerven. Cuvier (Lecons etc. Tome 1. pag. 220 f.) gibt eine wahrscheinlich zum Theil nach mangelhaften Skeleten verfertigte und darum nicht allenthalben zuverlässige Tabelle der Wirbelzahlen der Reptilien. Er unterscheidet darin die Cerviealwirbel von den Dorsalwirbeln durch den Mangel an beweglichen Rippen, während er unter letzteren sämmtliche rippentragenden Wir- bel zusammenfasst, gleichviel ob diese mit dem Sternum verbunden sind oder nicht. Bei diesem Verfahren (das aber z. B. hinsichtlich der Crocodile nicht einmal consequent durchgeführt wird) erhält er eine Anzahl von Halswirbeln, die zwi- schen 2 und 6 (resp. 7: Crocodil) schwankt, also einen Zahlenwechsel, der allzu beträchtlich ist, um auf natürlichen Eintheilungsgründen zu beruhen. Vereinigt man dagegen unter Cervicalwirbeln alle die ersten Wirbel der Wirbel- säule, die nicht zu dem Sternum in Beziehung stehen, gleichgiltig ob sie Rip- pen tragen oder nicht, so zeigt sich nur eine sehr geringe Schwankung, indem dann den kionokranen Sauriern in der Regel 8 (selten 9: Varanus) Halswirbel, resp. 9 (10) Halsnerven zukommen. Ich werde demgemäss hier und bei sämmtlichen anderen Vertebraten als Cervicalnerven alle diejenigen unterscheiden, welehe vor dem Wirbel heraustreten, dessen Rippe sich als die erste mit dem Sternum vereinigt. 3) Nach Cuvier setzt sich der Plexus brachialis von Lacerta viridis aus den 2 letzten Cervical- und den 2 ersten Dorsalnerven zusammen, d. i. über- setzt in meine Nervenzahlen aus dem 3. bis 6. Spinalnerven (vergl. die Tafel in den Legons I. pag. 221), eine Angabe, die sicherlich falsch ist. 4) Bei Iguana tuberculata wurde die Wurzel aus dem 6..Spinalnerven ver- misst, wahrscheinlich wegen schlechten Erhaltungszustandes des betreffenden Exemplars. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 651 niloticus. Von diesen Wurzeln sind die durch den 7. und 8. Spinal- nerven gebildeten die stärksten, währ@&ad die von dem 9., demnächst die von dem 6. und endlich die von dem 5. Spinalnerv abstammen- den Wurzeln die schwächeren sind; bei Varanus folgen der Reihe nach erst der 8. und 9., dann der 7. und endlich der 10. Spi- nalnerv. Ventraler Ast desN. spinalis Il. (//7). Er vertheilt sich mit seiner Hauptmasse in der hypaxonischen und ventralen Musku- latur des’ betreffenden Halsmetamers, sowie in dem M. sphincter colli und der Haut des Halses. Ausserdem gibt er drei feine für die Schultermuskulatur bestimmte Zweige ab. Der erste vereinigt sich mit dem R. aecessorius externus n. vago-accessorii und geht gemeinsam mit ihm zum M. episterno-cleido-mastoideus, der zweite vertheilt sich ebenfalls in diesem Muskel, der dritte, N. thora- eieus superior Ill: (2), geht zum M. collo-seapularis. Die beiden. ersten Aeste entsprechen zum Theil dem N. thoracicus anterior der Chelonier!) und mögen auch hier diese Bezeichnung führen (N. thoracieus anterior III. (1?)). Ventraler AstdesN. spinalis IV. (ZV). Verhält sich ähnlich wie der vorhergehende Nerv. Mit der Hauptmasse verzweigt er sich in der Muskulatur und der Haut des betreffenden Abschnittes des Halses, während einzelne feine Aeste zu den Mm. episterno-cleido-mastoideus und eneullaris (N. thoracicus anterior IV. (2*)) und den Mm. collo-scapularis superfieialis und profundus (N. thoracicus supe- rior IV. (2°)) gehen, wo sie sich vertheilen. Die an die beiden letzten Muskeln gehenden Zweige wenden sich gleich nach oben, wobei sie dem M. scalenus superior (postieus d. Aut.) dicht anliegen oder ihn auch mit kleinen für die tieferen Muskelpartien bestimmten Nebenzweigen durchsetzen. Ventraler Ast desN. spinalis V. (V). Entsprechend dem vorhergenden vertheilt er sich in der hypaxonischen und ventralen Mus- kulatur, sowie in dem M. sphincter colli und der Haut des Halses (3) und gibt kleine Aeste, N. thoracicus superior V. (4) und N. thoracieus anterior V. (3%)2) an die Mm. collo-scapularis, epi- !) Siehe diese Abhandlung 2. Theil (Jenaische Zeitschrift Band VIII. pag. 231). 2) Unter der Bezeichnung Nn. thoracici anteriores verstehe ich Ner- ven, welche die nicht vom N. vago-accessorius versorgten Theile der Mm. epi- sterno-cleido-mastoideus und cucullaris innerviren. Sie fehlen den Amphibien, haben aber ein incompletes Homologon in dem N. thoracieus anterior der Che- 652 M. Fiirbringer sterno-cleido-mastoideus und cueullaris ab. — Bei Platydactylus geht ein sehr dünnes Fädchef? in den Plexus brachialis ein und bil- det mit N. spinalis VI. die Ansa cervicalis V. Ventraler Ast der N. spinalis VI. (VZ). Er geht in der Regel (‘mit Ausnahme von Varanus)!) in die Bildung des Plexus brachialis ein und ist, abgesehen von Platydactylus, dessen schwäch- ster Ast; bei letzterem übertrifft er das vom 5. Spinalnerv abgege- bene feine Fädchen beträchtlich an Stärke. Bevor er in den Plexus brachialis eintritt, gibt er einzelne Aeste an die hypaxonische und in der Regel an die ventrale Rumpfmuskulatur (6) 2), sowie einige constante Zweige für M. levator scapulae und serratus, Nn. tho- racici superiores VI. (7)°), ab und verbindet sich hierauf entweder (Platydactylus) zuerst mit dem vom N. spinalis V. abgegebenen fei- nen Aestchen zur Ansa cervicalis V. und dann mit N. spinalis VII. ‚zur Ansa cervicalis (V. + VI.), oder (meiste typische Saurier ausser Varanus) er vereinigt sich sogleich mit letzterem Nerven zur Ansa spinalis VI. Ventraler Ast des N. spinalis VII. (VIT). Bei Varanus der erste, bei den andern Sauriern‘) der zweite resp. dritte Nerv der in die Bildung des Plexus brachialis eingeht: bei ersterem ist er der drittstärkste Ast des Plexus, während er bei den übrigen die von N. spinalis VII. abgegebene (stärkste) Wurzel nahezu (Iguana, Platy- dactylus, Trachysaurus) oder ganz (Lacerta, Uromastix) erreicht. Er gibt gleich nach seinem Austritte aus dem Foramen interverte- brale und seiner Abzweigung vom dorsalen Ast ein kleines Aestchen an die hypaxonische Rumpfmuskulatur ab und verläuft hierauf zwi- schen dieser und Thoraxwand, sodann längs letzterer lateralwärts und nach unten. Während dieses Verlaufs entsendet er einzelne Aeste an die Bauch- (Intercostal-) Muskulatur (10) und einen (ab- gesehen von Varanus) constanten mittelstarken N. thoracicus supe- lonier (vergl. 2. Th. dieser Abhandlung. Jenaische Zeitschrift Bd. VII. pag. 231). Die nähere Besprechung dieser Nerven siehe übrigens weiter unten bei Besprechung der von ihnen innervirten Muskeln. !) Ich sehe hierbei von Iguana ab, bei welcher der Nerv, wie schon er- wähnt, wahrscheinlich blos übersehen wurde. *) Bei Platydactylus fehlen letztere Aeste. 3) Bei Platydactylus verzweigt sich der N. thoracicus superior VI im M. serratus aber nicht mehr im M. collo-scapularis, dessen Innervationsgebiet mit dem N. thoraeicus superior V. abschliesst. 4) Abgesehen von Iguana (?). Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 653 rior VI. (9), der sich im hinteren Theile oder der ganzen Masse des M. serratus verbreitet, und verbindet sich erst mit N. spinalis VI. zur Ansa spinalis VI., dann mit N. spinalis VIII. zur Ansa spinalis (VI. + VU.); bei Varanus fehlt die erstere Verbindung. Die Bil- dung der Ansa spinalis VI. kann entweder nach Abgabe des N. tho- racicus superior VII. (Platydactylus), oder gleichzeitig mit ihr Uro- mastix) oder vorher (Lacerta, Salvator) stattfinden. Die Bildung der Ansa cervicalis (VI. + VII.) wird dadurch vermittelt, dass der für den Plexus bestimmte Ast des N. spinalis VII. (resp. VI. + VII.) sich vor der Verbindung mit N. spinalis VIII. früher (meiste Saurier) oder später (Varanus) in einen R. inferior und R. superior theilt. Der R. inferior verbindet sich entweder sofort (Varanus) mit einem Aestchen des N. spinalis VII. zur Ansa spinalis inferior VII. und gibt dann die Nn. supracoracoideus und thoracicus inferior (sterno-coraeoideus) ab, oder übrige Saurier, er entsendet zuerst die beiden genannten Nerven, die entweder gemein- sam und in diesem Falle auch zugleich mit dem R. superior (bei Igu- ana) oder successive (erst der N. supracoracoideus, dann der N. thora- eicus inferior bei Platydactylus, Trachysaurus, Lacerta, Salvator’) und Uromastix) abgehen können, und verbindet sich erst dann ent- weder mit N. spinalis VIII. (Lacerta) oder mit den vereinigten Nn. spinales VIII. und IX. (Iguana, Phrynosoma, Uromastix, Platydacty- lus) zur Ansa spinalis inferior VII.;° bei Lacerta liegt also diese Ansa medialer als die Ansa spinalis VIII., bei den übrigen latera- ler. Der R. snperior verhält sich bei den verschiedenen Sauriern verschieden. Bei Platydactylus theilt er sich sogleich nach der Abzweigung von dem R. inferior in 5 Aeste, deren erster (N. sub- scapularis (29)) den M. subcoracoscapularis versorgt, deren zweiter (N. dorsalis scapulae (30)) zum gleichnamigen Muskel geht und de- ren dritter (36) für M. anconaeus und M. scapulo-humeralis profun- dus bestimmt ist, während der vierte mit den vereinigten Rr. supe- riores N. spinalis VII. und IX. die Ansa spinalis superior VII. bildet, aus welcher der N. brachialis longus superior s. radialis !) Bei Salvator bietet der N. thoracicus inferior eine grössere Complication dar, indem der neben dem N. supracoracoideus abgehende Ast sich in zwei Zweige spaltet, deren vorderer sich direct zu den Mm. sterno-coracoidei interni sublimis und profundus begibt, während der hintere erst nach Vereinigung mit einem vom N. spinalis VIII. abgegebenen Zweige zu dem M. sternocosto-sca- pularis geht. Möglicher Weise existirt der von N. spinalis VIII. abgegebene Zweig auch bei den andern Sauriern, wurde aber bei ihnen übersehen. 654 M. Fürbringer (37 + 38) hervorgeht, und der fünfte sich sogleich wieder in 2 Zweige (Nn. latissimi dorsi (34)) theilt, deren erster direct zum gleichnamigen Muskel verläuft, während der letztere sich vorher erst mit einem von N. spinalis VIII. abgegebenen Zweige vereinigt. Bei Lacerta spaltet sich der R. superior erst in einiger Entfernung von der Theilungsstelle in 3 Aeste, deren erster der N. subscapula- ris ist, deren zweiter sich in einen zweiten viel feineren N. subsea- pularis und in den N. dorsalis scapulae theilt und deren dritter, nachdem er einen feinen N. latissimus dorsi abgegeben, mit N. spinalis VIII. die Ansa spinalis (VI. + VII.) bildet, von der aus so- gleich ein für M. anconaeus und M. scapulo-humeralis profundus bestimmter Zweig (N. anconaeus) abgeht, während die Hauptmasse sich mit N. spinalis IX. zur Ansa spinalis superior VIIL verbin- det, aus welcher Verbindung der N. brachialis longus superior re- sultirt. Bei Salvator gibt der,R. superior zuerst den N. subscapu- laris ab und theilt sich hierauf sofort in zwei Aeste, deren stärkerer vorderer den N. dorsalis scapulae repräsentirt, während der schwä- chere hintere sich wiederum nach kurzem Verlaufe spaltet. Der erste so entstandene Zweig ist ein vorderer N. latissimus dorsi, der zweite geht wiederum eine neue Theilung in zwei Zweige ein, deren vorderer sich mit einem vom .R. superior VI. abgegebenen Aste zu dem N. anconaeus verbindet , während der hintere direct zu dem R. superior VIII. geht und mit ihm die Ansa spinalis supe- rior (VI. + VIL.) bildet. Bei Uromastix gibt derR. superior zunächst den N. subscapularis (29) und den.N. dorsalis scapulae (30) ab und theilt sich dann in zwei Zweige, deren proximaler nach Abzweigung eines feinen Aestchens für den M. scapulo-humeralis profundus (36°) mit den vereinigten Nn. spinalis VII. und IX. die Ansa spina- lis superior (VI. + VII.) bildet, von der aus ein Muskelast für den M. anconaeus (36) und der N. brachialis longus superior (37 + 38) abgehen, während der distale Zweig sich mit einem vom R. superior n. spinalis VII. abgegebenen Aestehen zu dem N. latissimus dorsi (34) verbindet. Bei Iguana verläuft der R. superior zuerst gemein- sam mit den vereinigten Nn. supracoracoideus und sterno-coracoideus und gibt hierbei nach kurzem Verlaufe einen kräftigen Ast ab, der sich in die Nn. subscapularis und dorsalis scapulae spaltet, während der übrigbleibende, bei Weitem kleinere Theil sich erst später von den genannten vereinigten Nerven abzweigt und nun nach ziemlich langem Verlaufe und nach Abgabe des N. anconaeus sich mit den * Zur vergleichenden Anatomie der Schultérmuskeln. 655 vereinigten Rr. superiores n. spinalis VIII. und IX. zur Ansa spinalis superior VII. verbindet, von der aus der N. brachialis longus supe- rior ausgeht. Bei Varanus geht der R. superior sehr früh Verbindun- gen mit den entsprechenden Theilen der Nn. spinales VII. und IX. ein und gibt erst nach dieser Ansenbildung die auch vom R. supe- rior n. spinalis VIII. mitgebildeten Nn. subscapularis und dorsalis scapulae ab. Ventraler Ast des N. spinalis VIII. (VIII). Er bildet bei der Mehrzahl der kionokranen Saurier die kräftigste Wurzel des Plexus brachialis und wird nur bei Varanus um Weniges von dem ventralen Aste des N. spinalis IX. an Dicke übertroffen. Er gibt zunächst kleine Aeste an die hypaxonische Rumpfmuskulatur und die Bauch- (Intereostal-) Muskeln (11), sowie bei Varanus einen N. tho- racieus superior VII. für den M. serratus ab, wobei er erst bedeckt von der hypaxonischen Rumpfmuskulatur, dann z. Th. unter dem M. transversus abdominis an der inneren Thoraxwand verläuft. Hierauf verbindet er sich entweder ohne weiteres mit dem N. spinalis IX. zur Ansa spinalis VIII. (Platydactylus , Uromastix, Iguana), die also in diesem Falle proximaler sich bildet als die Aa. spinales VII., oder er theilt sich zuerst in einen R. inferior und superior (Lacerta, Salvator, Varanus), die ihrerseits erst dann mit den Nn. spinales VII. und IX. die Aa. spinales inferiores und su- periores VII. und VIII. eingehen. Im ersteren Falle (Platy- daetylus, Uromastix, Iguana) theilt sich erst nach Bildung der Ansa spinalis VIII. der vereinigte Stamm der Nn. spinales VII. und IX. in einen R. inferior und superior, welche Theilung sofort nach der Ansenbildung (Platydactylus) oder erst später (Uromastix, Iguana) stattfindet. Der R. inferior vereinigt sich dann nach län- gerem (Platydactylus) oder kürzerem Verlaufe (Uromastix, Iguana) mit dem R. inferior n. spinalis VI. zur Ansa spinalis inferior VII. ; die sowohl hieraus hervorgehenden als auch direet vom R. inferior n. spinalis (VIII. + IX.) kommenden Endäste sind die Nn. brachialis longus inferior incl. pectoralis und coraco-brachiales (incl. coraco- antebrachialis) ; letztere zweigen sich in der Regel etwas„später ab als der N. pectoralis, der wahrscheinlich (bei Platydactylus sicher) keine Elemente vom N. spinalis VII. empfängt. Der R. superior gibt entweder sofort resp. nach kurzem Verlaufe (Platydacty- lus, Iguana) zwei Zweige, die direct zum M. latissimus dorsi verlaufen (Iguana), oder einen Zweig ab, der sich mit einem vom R. superior n. spinalis VII. abgegebenen Aestchen zum N. 656 * M. Fiirbringer latissimus dorsi (34) verbindet (Platydactylus), und vereinigt sich erst weit distaler mit dem R. superior n. spinalis VII. zur Ansa spinalis superior VI., oder (Uromastix) er geht gleichzeitig mit der Abgabe eines N. latissimus dorsi (34), der mit dem einen Zweig direct zum gleichnamigen Muskel verliiuft, mit dem andern sich erst mit einem vom N. spinalis VII. kommenden N. latissimus dorsi ver- bindet, die Bildung der Ansa spinalis superior VII. ein. Im zwei- ten Falle (Lacerta, Salvator, Varanus) theilt sich der N. spinalis VIII. zuerst in einen R. inferior und superior. Der R. inferior verhält sich bei Lacerta und Salvator abweichend von Varanus. Bei Lacerta und Salvator bildet er bald nach der Abzweigung vom R. superior!) mit dem R. inferior n. spinalis VII. die Ansa spinalis inferior VII., aus der ein Stamm entsteht, der mit dem R. inferior n. spinalis IX. eine neue Ansenbildung (Ansa spinalis inferior (VI. + VUI.)) eingeht, als deren Fortsetzung die Nn. brachialis longus inferior mit pectoralis und coraco-brachialis (inel. eoraco- antebrachialis) resultiren. Bei Varanus gibt er gleichzeitig mit der Abzweigung vom R. superior einen kleinen Ast zur Bildung der Ansa spinalis inferior VII. ab, aus der die Nn. supracoracoideus und sterno- coracoideus hervorgehen, während der Haupttheil sich mit dem R. infe- rior n. spinalis IX. zur Ansa spinalis inferior VIII. verbindet, die sich in den N. brachialis longus inferior, pectoralis und coraco-brachialis fortsetzt. Der R. superior gibt entweder (Lacerta, Salvator) zuerst einen N. latissimus dorsi ab, bildet dann mit dem R. supe- rior n. spinalis VII. die Ansa spinalis superior (VI. + VII.) und hierauf nach Abgabe einer Wurzel für die vereinigten Nn. scapulo- humeralis profundus und anconaeus (Salvator) oder des ganzen ver- einigten N. scapulo humeralis profundus und anconaeus eine neue Ansa (A. spinalis superior (VII. + VIII.)), aus der der N. brachialis longus superior hervorgeht, oder (Varanus) er vereinigt sich sofort mit den Rr. superiores n. spinalis VII. und IX. zur Ansa spinalis su- perior (VII. + VIII), die sich in die Nn. subscapularis, deltoideus, latissimus dorsi und brachialis longus superior fortsetzt. Ventggler Ast des N. spinalis IX (ZX). Bei Varanus der stärkste und vorletzte Ast des Plexus brachialis, bei den übrigen typischen Sauriern der letzte Ast und an Dicke hinter dem 7. und ') Bei Salvator gibt er gleichzeitig damit einen feinen Zweig ab, der sich mit einem Zweige des N. spinalis VII. zu dem N. sternocosto- scapularis ver- bindet; bei Lacerta wurde der Ast vielleicht nur übersehen. @ Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 657 “ 8. Spinalnerv zurückstehend. Bei der Mehrzahl der Saurier (mit Ausnahme von Varanus) vereinigt er sich nach Abgabe von Aesten für die Muskeln und die Haut des Bauches (Thoraxwand) (11°) entweder ohne weiteres mit dem ganzen ventralen Aste des N. spinalis VIII. zur Ansa spinalis VII. (Platydactylus, Uromastix, Iguana) oder er trennt sich in einen stärkeren R. inferior und einen schwächeren R. superior, die sich, der erstere am Trennungspuncte, der letztere erst später, mit den entsprechenden Aesten des N. spinalis VIII. zu den Aa. spinales inferior VIII. und superior VIII. verbinden (Lacerta, Salvator). Vor Bildung der Ansa spinalis VIII. zweigt sich bei Platydactylus der N. cutaneus brachii et antebrachii -medialis (25 + 42) ab, während bei den übrigen Sauriern dieser Nerv erst nach Ausbildung der am meisten distalen Ansa spinalis in- ferior (VII. + VIII.) abgegeben wird, und zwar findet diese Abgabe in doppelter Weise statt: entweder (Uromastix) zweigen sich 2 ge- trennte Nerven ab, deren proximaler (N. cutaneus brachii me- dialis (42)!) gleich neben dem N. pectoralis sich vom Hauptstamm ablöst, während der distale (N. cutaneus antebrachii media- lis (25) erst später sich vom N. brachialis longus inferior abtrennt, oder (Lacerta, Salvator, Iguana) der Nerv geht in einer gewissen Entfernung distal von den Nn. pectoralis und coraco-brachialis von dem N. brachialis longus inferior ab. Bei Varanus vereinigt sich der N. spinalis IX. erst mit dem N. spinalis X. zur Ansa spinalis IX., gibt hierauf den N. thoracicus superior IX. für den hin- teren Theil des M. serratus ab und theilt sich dann in einen stärke- ren R. inferior und einen schwächeren R. superior: ersterer verbin- det sich mit dem R. inferior n. spinalis VIII. zur Ansa spinalis in- ferior VIII., letzterer mit den Rr. superiores n. spinalis VII. und VIII. zur Ansa spinalis superior (VII. + VIIL.). - WVentraler Ast des N. spinalis X. Nur bei Varanus be- theiligt sich der N. spinalis X. an der Bildung des Plexus brachia- lis, indem er nach Abgabe von Aesten fiir die Muskulatur und Haut des Bauches (resp. der Thoraxwand) als feinste Wurzel des Plexus sich mit N. spinalis IX. zur Ansa spinalis IX. verbindet. Das nähere Verhalten der aus dem Plexus brachialis hervorge- henden Endäste (abgesehen von den bereits näher beschriebenen ') Die Verbreitung dieses Zweiges konnte nicht mit vollkommener Sicher- heit eruirt werden, da bei 2 untersuchten Exemplaren dieser sehr feine Nerv nicht genügend conservirt war. ” 658 M. Fürbringer Nn. thoracici anteriores (3°, 6) und superiores (4, 7, 9) ist fol- gendes; A. Nn. brachiales und thoracici inferiores: a) N. supracoracoideus (12). Ziemlich starker in der Regel aus der A. spinalis inferior VI., seltener aus der A. spinalis inferior (V. + VI.) (Platydaetylus) oder VII. (Varanus) hervorgehender Nerv, der also entweder aus Elementen der Nn. spinales V. + VI + VII. (Platydactylus) , oder VI. + VII. (Trachydo- saurus, Lacerta, Salvator, Uromastix !)) oder VII. + VIII. (Va- ranus) zusammengesetzt wird. Er wendet sich noch unter dem zwischen Sternum und Scapula an der Innenseite des Brustgürtels. ausgespannten Ligamentum sterno-scapulare internum und dem M. subeoracoideus lateralwärts, wobei er direct der Innenfläche des Co- racoids aufliegt, und geht nach vorn zum Foramen coracoideum, dureh das er nach aussen tritt, wobei er sich in zwei Aeste theilt. Der stärkere Ast (13 + 14) versorgt den M. supracoracoideus; der schwächere (15) durchbricht diesen Muskel und geht dann zwi- schen den Mm. cleido-humeralis und pectoralis zur Haut der Vor- derbrust. Der Nerv ist ein Homologon des gleichnamigen der Chelo- nier. Entsprechend der einfacheren Bildung des M. supracora- coideus der Saurier existirt anstatt der zwei Muskeläste der Chelonier hier nur einer, der aber auch sofort sich wieder theilt; der Hautast entspricht vollkommen dem von Emys und Testudo. b) N. thoracieus inferior s. sterno-coracoideus (10%). Ein (oder zwei) zarter Nerv, der entweder von N. spinalis VI.+ VI. (Platydactylus) oder von VII. (Lacerta, Uromastix) oder von VII. + VIII. (Salvator, Varanus) gebildet wird. Bei Iguana ist er in seinem ersten Verlaufe mit dem N. supracoracoideus verbunden, bei den Andern (ausser Varanus) zweigt er sich von dem zur Bildung der A. spinalis inferior VII. nach hinten ge- henden R. inferior n. spinalis VIL ab. Er verläuft in schräger Richtung nach hinten und lateralwärts und vertheilt sich in den Mm. sternocosto - scapularis und sterno-coracoideus internus subli- mis und profundus. Bei Lacerta und Salvator theilt er sich sofort in 2 Aeste, von denen der erste direct zu den Mm. sterno- coracoidei interni geht, während der zweite (bei Salvator noch 1) Wahrscheinlich gehört dich Iguana hierher. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 659 durch einen Ast des N. spinalis VIII. verstärkte) zu dem M. sterno- costo-scapularis verläuft. Bei Trachysaurus ist er durch 2 getrennte Nerven vertreten, deren erster lediglich vom N. spinalis. VII. kommender sich in den Mm. sternocoracoidei vertheilt, wäh- rend der zweite von der Ansa spinalis inferior VII. seinen Aus- gang nehmende den M. sternocosto-scapularis innervirt. Der N. thoracicus inferior ist ein incompletes Homologon des gleichnamigen Nerven der Anuren und Chelonier, und zwar kann für den sich im M. sternocosto - scapularis sich verzwei- genden Ast eine nähere Homologie mit dem N. thoracieus inferior der Anuren constatirt werden, während der die Mm. sterno-coracoidei interni ‘sublimis und profundus innervirende Zweig dem N. thoracicus inferior s. plastro-coracoideus der Chelonier verglichen werden darf. Bei den Sauriern sind die ge- nannten Bildungen in reicherer Weise zur Entwickelung gekom- men, während bei den Anuren wie bei den Cheloniern nur je eine Differenzirungsrichtung sich ausgebildet hat. N. brachialis longus inferior (21). Ich fasse unter dem genannten Nerven den in der Regel (excl. Platydactylus) aus der am meisten distal liegenden Ansa inferior hervorgehenden kräf- tigen Nervenstamm auf, der sich aus Elementen der Nn. spinales VI. — IX. (Platydactylus) oder VII. —IX. (Trachysaurus, La- certa, Salvator, Uromastix, Iguana) oder VIII.— X. (Varanus) zusammensetzt und vereinige mit ihm die in einzelnen Fallen selbststiindig entspringenden, in der Regel aber eine Strecke weit “mit ihm verbundenen Nn. pectoralis, coraco-brachialis und cuta- neus brachii et antebrachii niedialis. Der N. brachialis longus inferior geht lateral nach aussen und tritt an der Hinterseite des Brustgiirtels zwischen den Insertionstheilen der Mm. pectoralis und latissimus dorsi, nach unten von dem sehnigen Ursprunge des M. anconaeus coracoideus, durch diesen von dem N. brachia- lis longus superior getrennt, in einer gedehnten Spirale an die Medial- und Unterseite des Oberarms. Auf diesem Wege gibt er ab: a) N. pectoralis (19). Kräftiger Nerv, der mit zwei Aesten in die Innenfläche des M. pectoralis eindringt und sich in diesem Muskel verzweigt. Er spaltet sich von der Hinterseite des Hauptstammes ab, entweder in gleicher Höhe wie der N. coraco-brachialis (Platydactylus, Lacerta, Salvator, Iguana) oder mehr proximal als der letztere (Uromastix, Varanus). — Dem gleichnamigen Nerv der Amphibien und Chelonier homolog. 660 B) M. Fürbringer N. coraco-brachialis (22). Ein (Lacerta, Platydactylus, Iguana, Varanus) oder zwei (Uromastix) Nervenzweige, die gleichzeitig mit dem N. pectoralis oder später von der Vor- derseite des Hauptstammes abgehen und sich in den Mm. coraeo-brachiales, sowie in dem proximalen Bauch des M. coraco-antebrachialis vertheilen; bei Uromastix wurde einmal beobachtet, dass der zweite N. coraco-brachialis mit dem An- fange des Stammes des N. pectoralis verbunden war. Der den proximalen Bauch des M. coraco-antebrachialis versor- sende Zweig (N. coraco-antebrachialis (22")) durchbohrt ‚den M. coraco-brachialis brevis und tritt dann an die Innen- seite des M. coraco-antebrachialis. — Der Nerv ist ein in- completes Homologon des gleichnamigen Nerven der Chelonier : die Nn. eoraco-antebrachiales Beider können direet verglichen werden, der N. coraco-brachialis der Saurier hingegen ent- behrt Elemente des N. coraco-brachialis internus der Chelo- nier, zeigt aber eine Entwickelung, besonders für distale Muskeltheile, die dem N. coraco-brachialis brevis externus der Chelonier nicht zukommt. 7) N. eutaneus brachii et antebrachii medialis (25 + 42). Ziemlich kräftiger Hautnerv, der sich in verschie- dener Weise von dem Hauptstamme resp. dem Plexus brachia- lis ablöst. Eine ausnehmend selbstständige Stellung nimmt er ein bei Platydactylus (25 + 42), wo er sich noch vor Bildung der Ansa spinalis VIII. von dem N. spinalis IX. ablöst und pa- rallel neben dem N. brachialis longus inferior verlaufend zur Haut des medialen und ulnaren Bezirks des Ober- und Vorder- arms geht. Bei den übrigen untersuchten Sauriern ist er Zweig des N. brachialis longus inferior und spaltet sich von ihm in der Regel (Lacerta, Salvator, Iguana, Varanus) nie vor der Ab- trennung der Nn. pectoralis und coraco-brachialis ab; bei diesen fällt sem Hauptverbreitungsbezirk in den Vorderarm. Bei Uro- mastix scheint!) er durch zwei Aeste vertreten zu sein, deren einer (N. cutaneus brachii medialis? (42?)) noch vor dem N. pectoralis vom Hauptstamm abgeht und sich wahrscheinlich in der Haut der Medialseite des Oberarms verbreitet, wiihrend der andere, N. cutaneus antebrachii medialis (25), erst weiter distal yon den 1) Eine Feststellung dieser Beziehung war wegen schlechten Erhaltungs- zustandes des bezüglichen Theiles nicht möglich. ‘Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 661 Nn. pectoralis und coraco-brachiales sich abzweigt und im ulnaren Theile des Vorderarms etc. die Haut versorgt. — Der Nery entspricht im Allgemeinen dem gleichbenannten der Amphibien und Chelonier, zeigt aber einzelne Verschiedenhei- ten, namentlich in seiner distalsten Verbreitung, die eine specielle Homologisirung mit diesen nicht gestatten. Doch gehört die eingehende Behandlung dieser Frage nicht hierher. Nach Abgabe der Nn. pectoralis und coraco-brachialis (und mit- unter des N. cutaneus brachii et antebrachii medialis) verläuft der N. brachialis longus inferior zwischen der Ursprungssehne des M. an- conaeus coracoideus und dem M. coraco-brachialis und tritt dann zwischen den beiden Portionen des letzteren (M. coraco-brachialis brevis und longus) hindurch, um hierauf bedeckt vom M. coraco-antebrachialis nach dem Vorderarm zu gehen. Auf diesem Wege gibt er Rr. musculares ab, von denen in der Regel der proximale (22°) zum distalen Bauch des M. coraco-antebrachialis geht, während der distale (24) den M. humero-antebrachialis inferior versorgt. Der N. brachialis longus inferior entspricht dem gleichbenann- ten Nerv der Amphibien und Chelonier und enthält (excl. N. pecto- ralis) Homologa der menschlichen Nn. medianus, ulnaris (z. Th.), musculo-cutaneus, cutaneus medius.und internus in sich. B. Nn. brachiales superiores. a) N. subscapularis (subeoracoscapularis, (29). Mittel- starker Nerv, der entweder von der Ansa spinalis superior VI. (Mehrzahl der Saurier) oder von der A. spinalis superior VII. (Varanus) abgeht und sich also aus Elementen des N. spinalis VI. und VII. oder des N. spinalis VII. und VIII. zusammensetzt. Er zweigt sich entweder sofort von den übrigen aus der betref- fenden Ansa hervorgehenden Nerven ab (Platydactylus, Salvator, Varanus), oder er bleibt eine Strecke mit ihnen, namentlich mit dem N. dorsalis seapulae, verbunden (Lacerta, Uromastix, Igu- ana), ehe er sich abtrennt. Nach seiner Abspaltung geht er als einfacher Stamm (Mehrzahl der untersuchten Saurier) oder gleich in 2 Zweige gespalten (Lacerta, Salvator) nach vorn und lateralwärts und verzweigt sich mit zwei Aesten in dem ventra- len und dorsalen Theile des M. subcoracoscapularis. Der N. subcoracoseapularis der Saurier enthält in sich die 662 M. Fiirbringer Homologe der Nn. subcoracoideus und subscapularis der Am- phibien und Chelonier. N. dorsalis scapulae (axillaris) (30). Sehr ansehnlicher Nerv, der sich aus Elementen des N. spinalis VII. (Mehrzahl der untersuchten Saurier) oder des N. spinalis VII. und VIII. (Vara- nus) zusammensetzt und gemeinsam mit den Nn. subscapularis, und latissimus dorsi, sowie den vorderen Wurzeln des N. brachia- lis longus superior aus der Ansa spinalis superior VI. (resp. VII.) hervorgeht. Er verläuft lateralwärts nach dem Hinterrand der Scapula, schlägt sich um diesen oberhalb des Ursprungs des M. anconaeus scapularis herum und tritt nun auf die Aus- senfläche der Scapula (auf der er sich bedeckt vom M. deltoi- deus scapularis nach vorn wendet) und dann zwischen den M. deltoideus clavicularis einerseits und die Mm. scapulo- humeralis profundus und supracoracoideus andererseits, während welchen Verlaufs er die Mm. deltoidei scapularis und clavicula- ris durch hintere (31) und vordere (33) Muskeläste von ihrer In- nenfläche her versorgt und zugleich einen Hautast, N. cuta- neus brachii superior lateralis (32), der durch den unte- ren Theil des M. deltoideus scapularis nach aussen tritt, zur Haut der Schulter und der Lateralfläche des Oberarms abgibt; bei Varanus hat dieser Hautast eine grosse Selbstständigkeit und trennt sich sofort nach der Abzweigung des N. dorsalis scapulae von der Ansa. Der N. dorsalis scapulae ist dem gleichnamigen Nerven der Amphibien und Chelonier direct homolog und ist demnach auch mit dem N. axillaris der Säuger in Vergleichung zu bringen. Mit letzterem hat er die Endverbreitung gemein, weicht aber von ihm dureh Eigenthümlichkeiten seines Verlaufs, namentlich seine Lage zum M. anconaeus scapularis ab; letztere Abweichung ist indessen hauptsächlich bedingt durch die differente Bildung des M. anconaeus scapularis und kann die Annahme einer näheren (wenn auch nicht completen) Homologie beider Nerven nicht aus- schliessen !). Nn. latissimi dorsi (34). Ein (Iguana) oder zwei (Platy- dactylus, Lacerta, Salvator, Uromastix, Varanns) mittelstarke Ner- ven, die in verschiedener Weise bei den einzelnen Sauriern ihren 1) Vergleiche übrigens den ersten Theil dieser Arbeit (Jenaische Zeitschrift Band VII. pag. 258). Den Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 663 Anfang nehmen. Bei Platydactylus entsteht der erste von der Ansa spinalis superior VI., während der zweite sich durch Vereinigung eines von dieser Ansa und eines von dem N. spinalis VIII. ab- gegebenen Zweiges bildet; bei Lacerta und Salvator kommt der erste von der Ansa spinalis superior VI. (und zwar von dem vom N. spinalis VII. gelieferten Antheile), der zweite von dem R. superior n. spinalis VIII.; bei Uromastix entspringen beide Nerven von diesem Stamme (ein Exemplar) oder der erste bildet sich durch Vereinigung zweier aus N. spinalis VII. und aus N. spinalis VIII. herstammenden Aeste, während der zweite sich vom R. superior n. spinalis (VIII. + IX.) abzweigt (anderes Exemplar) ; bei Iguana kommt der Nerv lediglich (wie bei dem einen Exem- plare von Uromastix) von der Fortsetzung der A. spinalis su- perior VIII. und theilt sich nach kurzem Verlaufe in zwei Aeste; bei Varanus nehmen beide Nerven aus der von N. spinalis VII., VII. und IX. gebildeten Ansa superior (VII. + VIII.) ihren Ursprung. ohne dass genau zu ermitteln ist, ob sie ausser vom N. spinalis VII. allein vom N. spinalis VIII. oder von den Nn. spinales VIII. und IX. abstammen. — Beide Aeste vertheilen sich im M. latissimus dorsi; der vordere gibt auch bei einigen (Trachydosaurus, Uromastix) ein sehr frühzeitig entspringendes feines Aestchen, N. teres major (29°) ab, das den gleichnamigen Muskel innervirt. Der Nerv ist ein Homologon des gleichnamigen der Amphi- bien und Chelonier. N. seapulo-humeralis profundus (36°). Kleiner Nerv, der entweder gemeinsam mit N. anconaeus (Platydactylus, La- certa, Salvator) oder getrennt von ihm (Uromastix, Iguana, Va- ranus) aus der Ansa spinalis superior VI. (Platydactylus, Uro- mastix, Iguana) oder VI. + VII. (Lacerta, Salvator) oder VII. + VIII. (Varanus) sich abzweigt und, wenn: er nicht schon von Anfang an vom N. anconaeus getrennt war, sich von diesem in der Achselhöhle abspaltet, um hier zwischen M. anconaeus sca- pularis einerseits und Mm. anconaei coracoideus und humeralis medialis andererseits sich nach vorwärts zu wenden und in den M. scapulo-humeralis profundus einzudringen. Der Nerv ist ein indirectes Homologon der gleichnamigen Bildungen bei den Anuren: von dem N. scapulo-humeralis pro- fundus anterior derselben entfernt er sich durch die mangelnden Beziehungen zu dem N. dorsalis scapulae, yon dem N. scapulo- humeralis profundus posterior durch die Art seiner Endigung. Morpholog. Jahrbuch. 1. 44 664 e) M. Fürbringer N. anconaeus (36). Ein kräftiger Nerv, der entweder aus der Ansa spinalis superior VI. (Platydactylus) oder VI. + VII. (Lacerta, Salvator, Uromastix, Iguana) oder VII. + VIII. (Va- ranus) hervorgeht und zwischen N. dorsalis scapulae und N. brachialis longus superior nach der Achselhöhle verläuft, wo er sich von dem mitunter (Platydaetylus, Lacerta, Salvator) mit ihm verbundenen N. scapulo-humeralis profundus trennt und zwischen M. anconaeus scapularis und coracoideus sich in die Streckmus- kelmasse einsenkt, um sich namentlich im M. anconaeus seapu- laris und coracoideus zu verbreiten. Der Nery ist ein sehr selbststiindig gewordenes Homologon der proximalen Rr. museulares des N. brachialis longus superior der Amphibien und Chelonier. rs N. brachialis longus superior (radialis) (37-4 38). Kriiftiger Nerv, der entweder aus der Vereinigung der Ansae spinales superiores VI. und VIII. hervorgeht ( Platydactylus, Lacerta, Iguana) oder aus der Verbindung der Ansa spinalis su- perior (VI. + VIL.) mit dem R. superior n. spinalis IX. resultirt (Salvator) , oder lediglich sich aus der Ansa spinalis superior VIII. fortsetzt (Uromastix) !) oder aus der gemeinschaftlichen Ansa spinalis superior (VII. + VII.) abstammt (Varanus). Er geht vom N. brachialis longus inferior durch das sehnige Caput co- racoideum m. anconaei getrennt, medial von dem Insertionsende des M. latissimus dorsi zwischen M. anconaeus humeralis latera- lis und medialis in die Streekmuskelmasse des Oberarms hinein, innervirt die beiden letzten Muskeln durch einige Rr. museu- lares (40), schickt einen N. eutaneus antebrachii late- ralis (41), der den M. anconaeus humeralis lateralis durchbohrt und dann zwischen diesem und dem M. humero-antebrachialis inferior nach aussen tritt, an dieHautder Aussenseite des Ellenbogengelenks und des Oberarms, verläuft hierbei selbst in einer Spirale durch den M. anconaeus hindurch und kommt vor dem Epicondylus ra- dialis wieder zum Vorschein, von wo aus er sich in den Streckern des Vorderarms und am Handrücken verzweigt. Entspricht im Allgemeinen dem gleichnamigen Nerven der !) Eine Uebergangsform zwischen dem Verhalten von Platydactylus und Lacerta und dem hier beschriebenen Exemplare von Uromastix bietet die An- ordnung bei einem anderen Exemplare dieses Thieres, nach dem die Abbildung (Fig. 59) genommen wurde. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 665 Amphibien und Chelonier, lässt sich ihm aber wegen des Ver- haltens des Hautastes sowie der Rr. musculares, die hier nur einen Theil des M. anconaeus versorgen, nicht complet homolo- ‘ gisiren. Die eben beschriebene Anordnung des Plexus brachialis kommt nur den typischen Sauriern zu; bei den atypischen (schlangenähn- lichen) entstehen durch Verkümmerung weit einfachere Verhältnisse. Schon bei Seps tridaetylus nimmt durch beträchtliche Reduction sämmtlicher zur eigentlichen Muskulatur der Schulter und der vor- deren Extremität (sowie deren Haut) gehenden Aeste, namentlich aber der Nn. brachiales longi inferior und superior der Plexus bra- chialis ein von dem der echten typischen Saurier ziemlich beträcht- lich abweichendes Ansehen an. Diese Abweichung erreicht mit der vollständigen Verkümmerung der Extremität ihren Höhepunet. Der hinsichtlich dieser Verhältnisse untersuchte Plexus brachialis von Pseudopus Pallasii bietet folgende Anordnung dar (ef. Fig. 60): Der Nervencomplex, welcher dem Plexus brachialis der typischen Saurier verglichen werden kann, setzt sich aus den ventralen Aesten der Nn. spinales IV., V. und VI. zäsammen. , Ventraler Ast des N. spinalis IV. (IV.) Schwächster Ast des Plexus. Er gibt, nachdem er die seinem Metamer angehö- rende hypaxonische Muskulatur versorgt hat, einen N. thoracicus superior IV. ab, der sich sogleich in zwei Aeste spaltet, von de- nen der erste (4) den M. collo-scapularis, der zweite (7) den vor- deren Theil des M. serratus innervirt. Gleich hierauf bildet er mit einem kleinen vom N. spinalis V. abgegebenen Aestchen die Ansa spinalis IV. und geht sodann lateralwärts an den Vorderrand des Brustgürtels, wo er sich in einen grösseren vorderen Zweig (3) für die ventrale Muskulatur (M. episterno-cleido-hyoideus sublimis und M. episterno-hyoideus profundus) und einen kleineren hinteren Ast (12?) theilt, welcher letztere sich im Bereiche des vorderen Theiles des Brustgürtels verliert, ohne dass eine Endigung in Muskelelemen- ten nachweisbar wäre; vielleicht ist er als Rudiment eines N. su- pracoracoideus aufzufassen. Ventraler Ast des N. spinalis V. (V.) . Zweitstärkster Ast des Plexus brachialis, der dem N. spinalis VI. nur wenig an Dicke nachsteht. Nach Abgabe von Aesten an die hypaxonische Muskulatur verläuft er an der Innenfläche der Rumpfwandung z. 44* 666 M. Fiirbringer Th. bedeckt vom M. transversus abdominis, lateralwirts und nach unten. Während dieses Verlaufs gibt er zuerst ein Aestchen für Bildung der Ansa spinalis IV. und gleichzeitig einen für die Bauch- muskeln bestimmten Zweig (10) und den N. thoracieus su- perior V. (9) für den hinteren Theil des M. serratus ab und geht sodann an den hinteren Rand des Brustgürtels (speciell des unteren Theiles der Scapula). Hier verbindet er sich mit einem vom N. spinalis VI. abgegebenen feinen Aestchen {R. superior n. spinalis VI.), geht sodann als feiner Faden (Rs) an der Aussen- fläche der Rumpfwandung in nahezu senkrechter Richtung nach oben, ohne bis zur Scapula vorzugreifen, und verliert sich noch unterhalb des M. cucullaris im Bindegewebe. — Eine sichere Deutung dieses Nerven ist nicht zu geben, sein Verlauf, sowie seine Zusammen- setzung aus zwei Wurzeln spricht mit einiger Wahrscheinlichkeit da- für, ihn als Rudiment eines N. latissimus dorsi aufzufassen. Ventraler Ast des N. spinalis VI. (VI) Keäftigster Ast des Plexus brachialis. Er verläuft erst zwischen Thoraxwandung und hypaxonischer Muskulatur, dann zwischen den Mm. intercostales und dem M. transversus abdominis lateralwärts und nach unten, wobei er beiden, sowie den übrigen Bauchmuskeln Zweige abgibt. Noch in der Bauchhöhle spaltet er sich in zwei nahezu gleichstarke Aeste. Der vordere, ein wenig stärkere, Ast gibt zuerst einen sehr feinen N. thoracicus inferior s. sterno-coracoideus (10%) an den sehr verkiimmerten M. sterno-coracoideus ab und theilt sich dann in der Gegend des hinteren Randes der Scapula in einen feinen R. superior, der sich mit dem R. superior n. spinalis V. verbindet, und eine nwenig stärkeren R. inferior (Z&), der zu der bei Pseu- dopus in besonderer Weise entwickelten ventralen Längsmuskulatur geht. Der hintere, etwas schwächere, Ast, verläuft ebenfalls late- ralwärts und nach unten und gibt während dieses Verlaufs den schrägen Bauchmuskeln und namentlich der ventralen Längsmusku- latur eine Anzahl Zweige, sowie der Haut des zugehörigen Bereichs eine Anzahl Aeste (11). -B. Chamaeleonida'). (Fig. 61.) Die Muskeln der Schulter und des Oberarms der Chamaeleonen werden vom N. vago - accessorius, dem 2.— 6. Cervicalnerven und ') Auf die Amphisbaenoiden wurde hier keine Rücksicht genommen, da der Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 667 dem 1. Dorsalnerven innervirt; die fiinf letzten Nerven vereinigen sich zum Plexus brachialis. Ein wesentlicher Unterschied von der entsprechenden Bildung bei den typischen kionokranen Sauriern liegt in der geringeren Anzahl der Cervicalnerven (6 gegen 9 bis 10), ein Verhalten, das an das der Amphibien erinnert. Weniger bedeutsam ist die Differenz hinsichtlich der Abzweigung der einzel- nen Endäste des Plexus. die bei den Chamaeleoniden (ähnlich wie bei den Anuren) in der Hauptsache weit distaler stattfindet, als bei den kionokranen Sauriern. Der N. vago-accessorius entspringt mit einer Anzahl oberer Wurzeln von der Medulla oblongata und dem ersten Anfange der Medulla spinalis bis zum Ursprunge des ersten Spinalnerven. Die einzelnen Wurzeln sammeln sich zu einem Nervenstamm, der durch das Foramen jugulare nach aussen tritt und Verbindungen mit dem Hypoglossus eingeht. Nicht weit entfernt vom Austritte gibt er einen äusserst feinen Faden, den R. accessorius externus!) ab, der in die Innenfläche des vorderen Theils des M. sternomastoideus ein- tritt und diesen Muskel innervirt. Ventraler Ast des N. spinalis (cervicalis) II. Er ver- sorgt die hypaxonische und ventrale Halsmuskulatur sowie die Haut des betreffenden Halsabschnittes und gibt für die Schultermuskeln ein Aestchen, den N. thoracicus superior II., ab, das den vor- deren Theil des M. collo-scapularis superficialis innervirt. Ventraler Ast des N. spinalis’ (cervicalis) IM. (777.) Erste und feinste Wurzel des Plexus brachialis. Abgesehen von den Aesten für die hypaxonische und ventrale Muskulatur und für die Haut des Halses (3) gibt er zwei mit diesen anfangs verbundene mittel- starke Nn. thoracici superiores II. (4) anden M. collo-scapularis superficialis sowie einen sehr feinen N. thoracicus anterior III. (3°) ab, der durch den hinteren Theil des M. collo-scapularis durch- einzige Repräsentant derselben mit noch erhaltener vorderer Extremität, Chiro- tes, mir nicht zu Gebote stand. Ein bezüglich des Plexus untersuchtes Exem- plar von Amphisbaena alba ergab so geringe Abweichungen der in Frage kommenden Nerven von der Anordnung der übrigen Spinalnerven, dass eine Ver- - gleichung mit einem ausgebildeten Plexus nur in Vermuthungen sich hätte er- gehen können. !) Dieser Faden ist wegen seiner ausserordentlichen Feinheit selbst Fischer entgangen. Ich habe nur seinen Verlauf nach dem M. sternomastoideus wahr- nehmen können; eine Verbindung mit Cervicalnerven nachzuweisen war mir nicht möglich. 668 M. Fiirbringer tretend , zum Vorderrande des M. cueullaris verläuft und diesen Muskel innervirt. Der feine übrigbleibende Zweig bildet mit N. spinalis IV. die Ansa spinalis II. Ventraler Ast des’ N. spinalis (eervicalis) IV. 792) Zweitstiirkste Wurzel des Plexus brachialis.. Nach Abgabe der Zweige für die hypaxonische Muskulatur verbindet er sich zunächst mit dem in den Plexus eingehenden Zweig des N. spinalis III. zur Ansa spinalis III. und geht hierauf mit N. spinalis V. eine neue Ansenbildung, Ansa spinalis (III. + IV.), ein, von der aus die Nn. supracoracoideus (12), thoracicus inferior (10%), subscapularis (29), dorsalis scapulae (30), ein Zweig für die Bauch- (Intercostal-) muskulatur (11) und der später mit N. spinalis (VI. + VIL) sich verbindende Hauptstamm, sowie der N. thoracicus superior (IV. + V.) (7+ 9) ausgehen; der letztere Nerv vertheilt sich in den Mm. serrati. Ventraler Ast des N. spinalis (cervıcalısu ve, Gleich dem folgenden stärkster Ast des Plexus. Er bildet mit den vereinigten Nn. spinales III. und IV. die Ansa spinalis (III. + IV.), von der die unter dem vorigen Nerven erwähnten Endäste abgehen. Der N. thoracieus superior IV. + V.) (7 + 9) stammt zum grössten Theile von ihm ab. Ventraler Ast des N. spinalis (cerviealis) VI. (V7.) Dem vorhergehenden Ast des Plexus brachialis gleichstarker Nerv. Er vereinigt sich bald nach seinem Austritte aus dem Intervertebral- loche mit dem N. spinalis VII. zur Ansa spinalis VI. Der daraus hervorgehende Stamm gibt einen feinen für die Bauch- (Intercostal-) Muskulatur bestimmten. Nerv (11) ab, der sich mit dem vom N. spinalis V. entstehenden gleichwerthigen vereinigt (11), und geht dann mit dem aus der Ansa spinalis (III. + IV.) sich fortsetzenden Stamm die Bildung einer neuen am meisten distalen Ansa ein, deren Endstamm erst die Nn. scapulo-humeralis profundus (36°) und latissimus dorsi (34) abgibt und sich dann in die Nn. brachiales longi inferior und superior spaltet, von denen wiederum einerseits die Nn. pectora- lis (19) und coraco-brachialis (22) andererseits der N. anconaeus (36) sich abzweigen. | Ventraler Ast des N. spinalis VI. (dorsalis I.) VIL (L) Zweitschwächster Ast des Plexus, der nach kurzem Verlaufe mit N. spinalis VI. die Ansa spinalis VI. bildet. Vorher gibt er einen kräftigen Ast (11), der seinen eigentlichen Hauptstamm repräsentirt Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 669 (während der mit dem Plexus sich verbindende Theil nur ein kleiner Nebenzweig ist), an die Bauch- (Thorax-) Muskulatur ab. Das speciellere Verhalten der aus dem Plexus brachialis hervor- gehenden Endäste ist folgendes: A. Nn. brachiales und thoracici inferiores. a) N. supracoracoideus (supracoracoscapularis) (12). ¢} Ziemlich kräftiger aus der Ansa spinalis (III. + IV.) hervorge- hender und aus Elementen der Nn. spinales III. und IV. ab- stammender Nery, der durch das Foramen coraco-scapulare zu den Mm. supracoracoideus und suprascapularis verläuft, wobei er mit der Hauptmasse in diesen Muskeln endet, während ein fei- nerer Ast nach Durehbohrung der Muskeln zwischen M. deltoi- deus coraco-sternalis und M. pectoralis hindurch an die Haut der Brust tritt. Im Wesentlichen Homologon des gleichnamigen Nerven der kionokranen Saurier, aber- von ihm durch kräftigere Ausbildung dorsaler Fasern (fiir M. suprascapularis) verschieden. N. thoracicus inferior (sterno - coracoideus) (10%). Feiner aus der Ansa spinalis (IH. + IV.) entspringender und wahrscheinlich blos aus Elementen des N. spinalis IV. gebil- deter Nerv, der nach dem M. sterno - coracoideus internus ver- läuft und in ihm endet. Dem N. thoracicus inferior der kionokranen Saurier homo- loger Nerv. N. brachialis longus inferior (21). Sehr kräftiger Nerven- stamm, der aus Elementen der Nn. spinales IV., V., VI. und VII. zusammengesetzt ist und sich erst spät vom N. brachialis longus superior trennt. Während er mit letzterem noch verbun- den ist, gibt er den N! pectoralis, während er sich gerade von ihm trennt, den N. coraco-brachialis, und erst im Bereiche des Ober- arms einen für die Mm. coraco-antebrachialis und humero-ante- brachialis inferior bestimmten R. muscularis ab. a. N. peetoralis (19). Kräftiger Nerv, der sich mit 2 Aesten in dem M. pectoralis verzweigt. — Homolog dem N. pectoralis der kionokranen Saurier. ß. N. coraco-brachialis (22). Mittelstarker Nerv, der sich in 2 Aeste spaltet und den M. coraco-brachialis versorgt. — Er ist dem gleichnamigen Nerven der kionokranen Saurier 670 M. Fiirbringer im Wesentlichen homolog, unterscheidet sich aber von ihm durch den Mangel eines R. coraco-antebrachialis. . R. museularis (22° + 24). Ziemlich kräftiger, erst in der Mitte des Oberarms abgegebener Nerv, der sich bald in 2 Aeste, N. coraco-antebrachialis und N. humero-ante- brachialis, theilt, welche sich in den gleichnamigen Mus- keln verbreiten. — Homologe der entsprechenden Rr. muscu- lares der kionokranen Saurier. Nach Abgabe eines Hautastes für den Oberarm verläuft der M. > ~ brachialis longus inferior nach dem distalen Ende des Oberarms, wo er sich theilt und an den Vorderarm tritt. Der N. brachialis longus inferior ist im Wesentlichen ein Homo- logon des gleichnamigen Nerven der kionokranen Saurier; die ge- ringen Differenzen beruhen auf dem Mangel eines Astes fiir den proximalen Bauch des M. coraco-antebrachialis (da dieser Bauch bei den Chamaeleoniden fehlt), sowie auf einer etwas abweichenden Ver- theilung der Hautnerven. . B. Nn. brachiales superiores. N. subscapularis (subeoracoscapularis) (29). Ziemlich schwacher Nerv, der zwischen den Nn. supracoracoidéus und dor- salis scapulae von der Ansa spinalis (III. + IV.) sich abzweigt, wobei er aus Elementen der Nn. spinales IV. und V. zusammen- gesetzt ist. Er vertheilt sich mit 2 Aesten in dem M. subcoraco- scapularis. Dem gleichnamigen Nerven der kionokranen Saurier ho- molog. N. dorsalis scapulae (axillaris) (30). Kräftiger, neben dem N. subscapularis von der Ansa spinalis (III. + IV.) abge- hender und von Nn. spinales IV. und V. abstammender Nerv, der oberhalb des Ursprungs des M. anconaeus scapularis zur Scapula tritt und sich in den Mm. deltoidei scapularis und coraco- sternalis verzweigt). Homologon des N. dorsalis scapulae der kionokranen Sau- rier. N. latissimus dorsi (34). Ziemlich ansehnlicher, viel dista- / !) Der den Sauriern zukommende Hautzweig wurde nicht gefunden und ist wahrscheinlich iibersehen worden. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 671 ler als die vorhergehenden Nerven, von dem Hauptstamme sich abzweigender Nerv, der aus Elementen der Nn. spinales V. und VI. sich zusammensetzt und zum gleichnamigen Muskel ver- läuft. Er ist dem N. latissimus dorsi der kionokranen Saurier im Wesentlichen homolog. d) N. seapulo-humeralis profundus (36%). Kleiner Nerv, der in der Nähe des N. latissimus dorsi vom Hauptstamm ab- geht, wobei er aus dem N. spinalis V. abstammt. Nach kurzem Verlaufe endet er im M. scapulo-humeralis profundus. Homologon des gleichnamigen Nerven der kionokranen Sau- rier. e) N. brachialis longus superior (35 + 38). Aus der Ver- einigung von Elementen der Nn. spinales V., VI. und wahr- scheinlich VII. hervorgehender dorsaler Endstamm, der sich von dem N. brachialis longus inferior meist sehr spät trennt. Er gibt im Bereiche des proximalen Theiles des Oberarms einen ziemlich selbstständigen R. muscularis (N. anconaeus) (36) an die Streckmuskeln ab, durchsetzt hierauf dieselben, wobei er ihnen noch einen kleinen Muskelast für den M. anconaeus hu- meralis lateralis abgibt, in einer Spiraltour und geht dann an die Streckseite des Vorderarms und der Hand. Der Nerv ist dem N. brachialis longus superior und N. an- conaeus der kionokranen Saurier zu vergleichen. + C. Crocodile. (Fig. 62.) Die Schultermuskeln der Crocodile werden durch den N. vago- accessorius und den 4. bis 11. Spinalnerven versorgt. Der N. vago-accessorius (V.) entspringt mit emer Anzahl oberer Wurzeln von der Medulla oblongata. Diese Wurzeln ver- einigen sich zu einen durch das Foramen jugulare tretenden Stamm, der hierauf zu einem (ausserdem Elemente des Hypoglos- sus und Sympathieus enthaltenden) Ganglion anschwillt. Aus diesem Ganglion tritt unter anderen ein sehr feiner Ast heraus, der sich nach kurzem Verlaufe entweder mit dem zwischen Hinter- haupt und 1. Halswirbel heraustretenden 1. Cervicalnerven verbin- det (Crocodilus ) oder mit einem Theile eines Nervenstammes Ver- 672 M. Fiirbringer einigung eingeht, der knapp vor dem Gelenk zwischen Hinterhaupt und Halswirbel durch ein besonderes Loch im Hinterhaupt die Schädelhöhle verlassen hat (Alligator). Bei Crocodilus theilt sich hierauf der gemeinsame Ast in 2 Zweige, deren stärkerer in die epaxonische Halsmuskulatur geht, während der schwächere den M. atlanti - mastoideus innervirt'). Bei Alligator theilt sich der erwähnte Nervenstamm gleich nach dem Austritte in drei Aeste, von denen der stärkste ventralwärts sich wendet und sich mit der vorderen Wurzel des N. hypoglossus verbindet, während die bei- den anderen eine Richtung nach hinten einschlagen: der diekere von diesen verzweigt sich ohne Weiteres in der epaxonischen und hypaxo- nischen Halsmuskulatur, der schwächere vereinigt sich mit dem vom Vagusganglion abgegebenen Aste und vertheilt sich hierauf in der epaxonischen Halsmuskulatur sowie im M. atlanti-mastoideus. — Der beschriebene Nervenstamm von Alligator ist nach Art seiner Verthei- lung als eine Verbindung der zweiten Wurzel des N. hypoglossus mit dem 1. Spinalnerven aufzufassen, während bei Alligator sowohl wie Crocodilus das feine vom Ganglion n. vagi abgehende Aestchen ein Homologon des N. accessorius externus darstellt, das sich in normaler Weise in einem Theile des M. sterno-mastoideus, dem M. atlanti-mastoideus, verzweigt, aber durch innige Verbindung mit dem 1. Cervicalnerven seine Selbstständigkeit aufgegeben hat und somit einen Bildungsmodus zeigt, der den Amphibien und Cheloniern abgeht. Von den Spinalnerven betheiligen sich der 7. bis 11. an der Bildung des Plexus brachialis, während der 4. bis 6. ohne be- sondere Verbindungen untereinander Muskeläste an die Schultermus- kulatur abgeben. P Ventraler Ast des N. spinalis (cervicalis) IV. Er innervirt mit seiner Hauptmasse die hypaxonische und ventrale Mus- kulatur sowie den M. sphincter colli und die Haut des Halses und gibt ein kleines Aestchen, N. thoracicus superior IV. (2), an den vordersten Theil des M. levator scapulae superficialis ab. !) FISCHER (pag. 66) lässt diesen Zweig z. Th. in einem »langen schmalen Muskel« sich ausbreiten, »der vom vorderen Rande des Schulterblatts ausgehend, sich an das Lateralstück des Hinterhauptbeins befestigt (Omomastoideus?)«. Ein solcher Muskel wird von keinem der anderen Anatomen angegeben und wurde auch von mir vergebens bei Crocodilus acutus und Alligator lucius gesucht. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 673 Ventraler Ast des N. spinalis (cervicalis):V..(V.) Er gibt zunächst Aeste fiir die hypaxonische- Halsmuskulatur und für den M. levator scapulae superficialis, N. thoracieus superior V. 2"), ab und wendet sich hierauf zwischen dem unteren Rande dieses Muskels und dem oberen des hinteren Bauchs des M. sterno- mastoideus (M. sterno-atlanticus) nach aussen, wobei er den letzteren mit einem kräftigen Zweige, N. thoracicus anterior V. (2%) in- nervirt; der Rest vertheilt sich im M. sphincter colli, den ventralen Muskeln und der Haut des Halses. Ventraler Ast des N. spinalis (cervicalis) VI. (V7.) Er verzweigt sich in der hypaxonischen und ventralen Muskulatur, sowie in der Haut des Halses und gibt einen ziemlich starken N. thoracicus superior VI. (3°) an den M. levator scapulae super- ficialis sowie an die vorderste (vom 5. Halswirbel entspringende) Zacke des M. collo-thoraci-suprascapularis profundus ab. Ventraler Ast des N. spinalis (cervicalis) VII. (VIZ) Abgesehen von den Aesten fiir die hypaxonische und ventrale Mus- kulatur und die Haut des Halses geht er durch 3 Aeste Beziehun- gen zu den Schultermuskeln ein. Der erste, N. thoracicus supe- rior VII., innervirt den hintersten Theil des M. levator scapulae su- perficialis (4), sowie (7) die 2. Zacke des M. collo-thoraci-scapularis profundus und den M. rhomboideus, der zweite, N. thoracicus anterior VII., vertheilt sich im M. eueullaris, der dritte, nament- lich bei Alligator sehr feine, verbindet sich mit N. spinalis VIII. zur Ansa spinalis VII., aus welcher der N. supracoracoideus (supraco- racoscapularis) (12) hervorgeht. Ventraler Ast des N. spinalis (cervicalis) VII. (VIIZ.) Zweitstiirkster Ast des Plexus brachialis. Er gibt zunächst einige Aeste an die hypaxonische Muskulatur und dann einen (Alligator) oder zwei (Crodilus) Nn. thoracici superiores VIII. (7* u. 7°) ab, die, z. Th. mit dem N. thoracieus superior IX. (9) Anastomosen eingehend, sich gemeinsam mit ihm in dem hinteren Theile des M. collo-thoraci-suprascapularis profundus, sowie in dem M. serratus su- perficialis verzweigen. Der erste von diesen Nn. thoracici superiores VIII. (7%) zweigt sich von dem Stamm bald nach dem Austritt aus dem Intervertebralloch ab, während der zweite (7°) gleichzeitig mit der Bildung der Ansa spinalis VII. abgeht. Hierauf theilt sich der übrigbleibende Theil des N. spinalis VIII. in einen R. inferior und superior. Der R. inferior gibt ein Aestchen fiir den N. thora- cicus inferior VII (10*1) ab, das sich mit dem von N. spinalis 674 M. Fiirbringer IX. abgegebenen homodynamen Zweige verbindet, und bildet hierauf mit N. spinalis IX. die Ansa spinalis inferior VIII., während der R. superior mit dem N. spinalis IX. die Ansa spinalis superior VIII. eingeht. Ventraler Ast des N. spinalis (cerviealis) IX. (£X.) Gleich dem N. spinalis X. stärkster Ast des Plexus brachialis. Nach Abgabe einiger Zweige für die hypaxonische Muskulatur und des N. thoracieus superior IX. (9), der sich gemeinsam mit den Nn. thoracici superiores VIII. (7* und 7®) in dem M. serratus superfieialis und dem hinteren Abschnitte des M. collo-thoraei-suprascapularis pro- fundus vertheilt, geht er lateralwärts an der Thoraxwand und bedeckt vom M. transversus abdominis, den er theilweise innervirt, zur Verbin- dung mit dem N. spinalis X. (Ansa spinalis IX.), nachdem sich knapp vorher ein für den M. costo-coracoideus bestimmter N. thoracicus inferior IX. (10%) von ihm abgezweigt hat. Nach Bildung der Ansa theilt er sich sofort in einen R. inferior und R. superior; der R. inferior bildet mit dem R. inferior n. spinalis VII. die Ansa spinalis inferior VIII., aus der die Nn. pectoralis, coraco-brachialis und brachialis longus inferior hervorgehen, der R. superior ver- einigt sich mit dem gleichnamigen Zweige des N. spinalis VIII. zu der Ansa spinalis superior VIII., aus der die Nn. subscapularis, scapulo-humeralis profundus, axillaris, dorsalis seapulae, teres major und latissimi dorsi sich fortsetzen. Ventraler Ast des N. spinalis (cervicalis) X. (X.) Wie N. spinalis IX. der stärkste Ast des Plexus brachialis. Nach Abgabe einzelner Zweige für die hypaxonische Muskulatur, ver- bindet er sich mit N. spinalis XI. zur Ansa spinalis X., gibt hierauf einen N. thoracicus inferior X. (10%) ab, der gemeinsam und unter Anastomosen mit den Nn. thoracici inferiores VIII. und IX. zum M. costo-coracoideus geht, und bildet dann mit N. spinalis IX. die Ansa spinalis IX. Hierauf gibt er die Nn. cutanei brachii me- dialis (42?)1) und brachii et antebrachii medialis (25 + 42) ab und theilt sich gleichzeitig in einen R. inferior und superior, die sich mit den entsprechenden Aesten des N. spinalis VIII. zu den Ansae inferior und superior VIII. vereinigen. Ventraler Ast des N. spinalis XI. (dorsalis L). Zweit- schwächster Ast des Plexus brachialis. Ausser Aesten an die ') Der N. cutaneus brachii medialis ist ein Homologon des gleichnamigen Nerven der Amphibien und Chelonier. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 675 Rumpfmuskulatur gibt er einen feinen Zweig (18) an die Haut der Achselhöhle und des anliegenden Theils der Brust ab und verbindet sich hierauf mit N. spinalis X. zum Plexus spinalis X. Das speciellere Verhalten der aus dem Plexus brachialis hervor- gehenden Endäste (abgesehen von den bereits näher beschriebenen Nn. thoracici superiores und anteriores) ist folgendes: A. Nn. brachialis und thoracici inferiores. a) N. supracoracoideus (supracoracoscapularis) (12). Mittelstarker, aus der Ansa spinalis VII. hervorgehender, also aus Elementen der Nn. spinales VII. und VIII. gebildeter Nerv, der durch das Foramen coracoideum tritt und sich mit seiner Hauptmasse (13 + 14) im M. supracoracoideus (supracoracosca- pularis) verzweigt, während ein schwacher Endast diesen Muskel durchbohrt und an die Haut des vorderen Bereichs der Brust tritt (15). Homologon des gleichnamigen Nerven der Saurier. b) Nn. thoracici inferiores (10°). Ein Complex sehr feiner Ner- ven, die in mannigfachster Weise mit einander anastomosiren. Dieser Complex wird zusammengesetzt durch 3 Stämme, die Nn. thoracici inferiores VIII., IX. und X., von denen der erste (1071) sich mit einem Zweig des zweiten verbindet, der zweite (1022) mit einem Aste die eben erwähnte Anastomose eingeht, und mit zwei andern Aesten mit dem dritten N. thoracicus infe- rior (X). anastomosirt, der dritte (10*s) endlich theils mit N. thoracieus inferior IX. sich verbindet, theils frei endet. Die aus diesen Ansae thoracicae inferiores hervorgehenden 3 Endäste (10%) vertheilen sich im M. costo-coracoideus und im vorderen Theile des M. transversus abdominis, der bei den Crocodilen auch zum Brustgürtel Beziehungen eingeht. Dieser Nervencomplex ist dem gleichnamigen der Saurier zu vergleichen, doch ist die. Homologie keine complete. Die Differenzen liegen einmal in der grösseren Complication des Ur- sprungs (wobei Salvator die Brücke zu den übrigen Sauriern bildet), dann in der einfacheren Endigung in den Muskeln, die an Mannigfaltigkeit der Ausbildung denen der kionokranen Sau- rier bei Weitem nachstehen. 67 6 M. Fiirbringer c) N. pectoralis!) (19). Kräftiger aus Elementen der Nn. spina- f les IX., X. und XI. gebildeter Nerv, der sich gemeinsam mit dem N. coraco-brachialis vom Hauptstamm ablöst und mit 2 Aesten in der Innenfläche des M. pectoralis vertheilt. Homologon des N. pectoralis der Saurier. N. eutaneus pectoralis (18). Feines vom N. spinalis XI. kurz vor der Vereinigung mit dem N. spinalis X. abgegebenes Aestchen, das sich in der Haut der Achselhöhle und des anlie- senden Theiles der Brust vertheilt. Der N. cutaneus pectoralis entspricht dem Hautaste des N. pectoralis der Amphibien, unterscheidet sich aber von demselben durch seine ausserordentliche Selbstständigkeit. Bei den übrigen Reptilien (Chelonier, Saurier) ist diese Selbstständigkeit in noch höherem Maasse ausgesprochen, derart, dass ein ähnlich endender Nerv gar nicht mehr aus dem Plexus brachialis entspringt. N. coraco-brachialis (22). Mittelstarker Nerv, der von den Nn. spinales VIII. , IX. und X. abstammt, sich von dem N. pectoralis in der Gelenkgegend trennt und hierauf in der Innenseite des M. coraco-brachialis mit mehreren Zweigen endet. Der N. coraco-brachialis entspricht dem gleichnamigen Ner- ven der Chamaeleoniden und unterscheidet sich von dem der kionokranen Saurier durch den Mangel eines R. coraco-ante- brachialis. N. cutaneus brachii et antebrachii medialis (25 + 42). Mittelstarker Nerv, der aus Elementen der Nn. spinales X. und XI. gebildet ist und sich aus zwei Wurzeln zusammensetzt, de- ren proximale gleich nach Bildung der Ansa spinalis IX. sich vom N. spinalis X. abtrennt, während die distale erst nach der Abzweigung des N. pectoralis vom N. brachialis longus inferior abgeht. Beide Wurzeln vereinigen sich im Bereiche des proximalen Drittels des Oberarms zu einem Nervenstamm, der sich an der Me- dialseite des Ober- und Vorderarms in der Haut verzweigt. Der Nerv ist ein Homologon des gleichnamigen der Saurier. 1) Dieser, sowie die Nn. coraco-brachialis und cutanei brachii et antebrachii nehmen bei den Crocodilen durch friihere Abzweigung vom Hauptstamme eine etwas selbststiindigere Stellung ein als bei den Sauriern, weswegen wir sie hier auch nicht dem N. brachialis longus inferior unterordnen. Selbstverstiindlich ist diese hauptsächlich nur durch die verschiedene Vertheilung der Neuroglia bedingte Abweichung von keiner besonderen Bedeutung. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 677 g) N. brachialis longus inferior (21). Kräftiger aus den Ansae inferiores VIII. und IX. hervorgehender Nervenstamm, der sich aus Elementen der Nn. spinales IX., X. und XI. {vielleicht auch VIII.) zusammensetzt und in einer gedehnten Spirale, erst zwischen M. coraco - brachialis und Caput coraco - scapulare m. anconaei, dann zwischen letzterem und M. biceps, an der Medial- seite des Oberarms verläuft, wobei er Rr. musculares (22° und 24) für M. biceps und M. humero-antebrachialis inferior ab- gibt. Sodann geht er nach dem Vorderarm zwischen Streck- und Beugemuskulatur, wo er sich in N. medianus und ulnaris inferior theilt. Der N. brachialis longus inferior ist ein Homologon des gleichnamigen Nerven der Saurier (mit Ausschluss der Nn. pec- toralis, coraco-brachialis und eutaneus brachii et antebrachii me- dialis). B. Nn. brachiales superiores. N. subseapularis (29). Mittelstarker, von Elementen der Nn. VIII. und IX. gebildeter Nerv, der sich gemeinsam mit N. sca- pulo-humeralis profundus von dem vorderen Hauptaste des aus der Ansa spinalis superior VIII. hervorgehenden Stammes ab- zweigt und in der Achselhöhle zum Hinterrand des M. sub- scapularis tritt. Homologon des oberen (zur P. scapularis m. subcoracoseapu- laris verlaufenden) Astes des N. subcoracoscapularis der Saurier. N. seapulo-humeralis profundus (36°). Ziemlich schwa- cher Nerv, der aus den Nn. spinales VIII. und IX. abstammt und anfangs mit dem N. subscapularis (29) verbunden ist. Nach kurzem gemeinsamen Verlaufe mit diesem Nerven zweigt er sich von ihm ab und geht zu dem M. scapulo-humeralis profundus. Der Nerv ist dem gleichnamigen der Saurier zu vergleichen und unterscheidet sich unwesentlich von ihm durch nähere Beziehun- gen zu dem N. subscapularis, die in Folge des näheren Verhält- nisses der beiden von ihnen innervirten Muskeln durch eine be- sondere Vertheilung des Nervenkittes vermittelt werden. N. axillaris (32 + 33). Kraftiger Stamm, der nach Abzwei- sung der Nn. subseapulares, dorsalis scapulae und latissimus ‘dorsi die Fortsetzung des vorderen Hauptastes des aus. der Ansa spinalis superior VIII. hervorgehenden Stammes bildet und der aus 678 M. Fiirbringer Elementen der Nn. spinales VIII. und IX. sich zusammensetzt. Er geht in der Achselhöhle zwischen M. scapulo-humeralis profun- dus und Caput scapulare externum m. anconaei nach unten und theilt sich hierauf unterhalb des letzteren Muskels in zwei an- sehnliche Zweige, deren hinterer, N. cutaneus brachii et antebrachii superior lateralis (32), sich in der Haut der Lateralseite des Oberarms und des proximalen Theiles des Vor- derarms sowie mit einem nicht unansehnlichen Aste, N. humero- radialis (32%), sich im M. humero-radialis verzweigt, während der vordere (33) bedeckt von der Endsehne des M. deltoideus scapularis nach vorn sich wendet und zwischen M. deltoideus coraco-sternalis und M. supracoracoideus eindringt, wobei er den ersteren Muskel innervirt. Der Nerv entspricht nach seiner Endigung dem vorderen Abschnitte des N. dorsalis scapulae der Amphibien, Saurier und Chelonier, unterscheidet sich aber von ihm durch seinen Verlauf. Während er bei letzteren allenthalben oberhalb des Caput scapulare externum m. anconaei nach den von ihm versorgten Theilen verlief, geht er zum ersten Male bei den Crocodilen unterhalb dieses Muskels zu dem M. deltoideus und der Haut. Mit dieser, weniger durch den Nerven selbst als durch das Caput scapulare externum m. anco- naei bedingten Lageveränderung ist einmal eine ge- wisse Selbstständigkeit dem hinteren (den M. deltoideus sca- pularis versorgenden) Theile des N. dorsalis scapulae gegenüber ausgedrückt, dann aber auch eine Verlaufsrichtung zum ersten Male bestimmt, wie wir sie ähnlich bei dem N. axillaris der Vögel und Säugethiere wiederfinden. Es ist danach erlaubt, den Nerven als ein Homologon des N. axillaris zu deuten. — Die Homologie des N. cutaneus brachii et antebrachii superior lateralis dürfte z. Z. nieht mit Sicherheit zu bestimmen sein. Im Wesentlichen entspricht der Nerv dem N. cutaneus bra- chii superior lateralis der Chelonier, unterscheidet sich aber von ihm durch seine extreme, bis auf den Vorderarm aus- gedehnte, Verbreitung. Die Möglichkeit, dass er von dem N. brachialis longus superior abgelöste und in der Bahn des Hautastes des N. axillaris verlaufende Elemente enthalte, kann danach nicht ausgeschlossen werden. Doch lässt sich in der eigenthümlichen distalen Entwicklung von wahrscheinlich der Gruppe des M. deltoideus angehörigen Elementen (M. humero- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 679 radialis) eine Erklirung fiir die distale Ausdehnung vor Haut- ästen aus dem Gebiete des N. axillaris finden; selbstverständ- lich geht aber diese Erklärung nicht über den Werth einer Hypothese hinaus. N. dorsalis scapulae (posterior) (31). Ziemlich schwa- cher Nerv, der sich von der Hinterseite des vorderen Hauptastes des aus der Ansa spinalis superior VIII. hervorgehenden Stam- mes gemeinsam mit dem vorderen N. teres major abzweigt und hierauf nach dem Hinterrand der Scapula verläuft, wo er sich von dem N. teres major abtrennt und zum M. deltoideus scapu- laris verläuft. Homologon des hinteren Astes des N. dorsalis scapulae der Saurier. N. teres major (29°). Ein (Alligator lucius) oder zwei (Croco- dilus acutus) mittelstarke Nerven, die sich von der Hinterseite des vorderen Hauptastes (s. den vorhergehenden Nerven) abzweigen. Bei Crocodilus ist der erste (distal entspringende, aber aus mehr vorderen Spinaluerven abstammende) mit dem N. dorsalis scapu- lae (posterior) bis zum Hinterrand der Scapula vereinigt, der zweite (proximal entspringende) mit dem vorderen N. latissimus dorsi anfangs verbunden. Beide Nerven verzweigen sich in der Innenseite des M. teres major. Der N. teres major entspricht dem gleichnamigen Nerv der Chelonier und Saurier. Differenzen liegen in der verschiedenen Verbindung mit den anliegenden Nerven. Dieselben, da nur durch die verschiedene Vertheilung der Kittsubstanz bedingt, sind aber von keinem wesentlichen Belange: die Chelonier zeigen in die- sem Stücke noch weit grössere Differenzen in ihrer eigenen Classe (Trionyx und Testudo), ohne dass die Homologie des Nerven dadurch beeinträchtigt wird. Nn. latissimi dorsi (34). Zwei ziemlich kräftige Nerven, deren einer gemeinsam mit dem proximalen N. teres major von dem vorderen Hauptaste, der andere hingegen von dem hinteren Hauptaste des aus der Ansa spinalis superior VIH. sich fort- setzenden Stammes sich abzweigt. Beide Nerven, der erste nach der Abtrennung von dem N. teres major, der zweite direct, ver- zweigen sich im M. latissimus dorsi. Homologon des N. latissimus dorsi der Amphibien und übri- gen Reptilien. Morpholog. Jahrbuch 1. 45 680 M. Fiirbringer ge) N.. brachialis longus superior (radialis) (35 + 38). Kräftiger Stamm, der nach Abgabe des hinteren N. latissimus dorsi die einzige Fortsetzung des hinteren Hauptastes (s. den vorigen Nerven) bildet. Er verläuft erst zwischen M. subseapu- laris externus und Caput scapulare externum m. anconaei, dann zwischen letzterem und dem C. coracoscapulare m. anconaei an den Oberarm und senkt sich dann zwischen den beiden letzten Muskeln in die Streckmuskulatur ein, durchsetzt sie in einer ge- dehnten Spirale, wobei er sie durch einige Rr. musculares (36) versorgt, und tritt dann, vor dem Epicondylus lateralis, an die Streckseite des Vorderarms und darauf der Hand. Der N. brachialis longus superior entspricht dem gleichna- migen Nerven der Chamaeleoniden; von dem der kionokranen Sau- rier unterscheidet er sich dadurch, dass er die bei jenen zu einem selbstständigen N. anconaeus vereinigten Muskeläste erst im Ver- laufe längs des Oberarms successive abgibt, von dem der Chelo- nier durch den Mangel eines N. cutaneus brachii et antebrachii superior medialis. Die Plexus brachiales der untersuchten Saurier und Crocodile zeigen eine verhältnissmässig grosse Uebereinstimmung hinsichtlich der peripherischen Verbreitung der aus dem Plexus hervorgehenden Endäste, sowie ihres Verlaufs und ihrer Lage zum Brustgürtel und seinen Weichtheilen, bieten dagegen beträchtliche Verschiedenheiten hinsichtlich der Zahl und des Austritts der den Plexus zusammen- setzenden Wurzeln, sowie ihrer gegenseitigen Verbindungen dar. Der Plexus brachialis von Platydactylus aegyptiacus setzt sich zusammen aus dem 5ten bis 9ten, der der meisten typischen Saurier aus dem 6ten bis 9ten, der von Varanus niloticus aus dem 7ten bis 10ten, “der von Pseudopus Pallasii aus dem 4ten bis 6ten, der von Chamae- leo vulgaris aus dem 3ten bis 6ten, der von Crocodilus acutus aus dem 7ten bis 11ten Spinalnerven: daraus ergibt sich einerseits eine Schwankung der Nervenwurzeln von 3 (Pseudopus) bis zu 5 (Platydactylus, Chamaeleo, Crocodilus), andererseits eine Ver- schiedenheit im Austritte derselben, die bis zu einer Wir- beldifferenz von 4 ansteigen kann (bei Chamaeleo beginnt der Plexus mit dem 3ten, bei Crocodilus und Varanus mit dem 7ten Spinalnery) . Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 681 Die Erkliirung dieser Verschiedenheit, die mehr proximale oder mehr distale Lage des Plexus anlangend, konnte auf zweifachem Wege versucht werden: entweder man nahm die Bildung des Plexus als eine constante an und musste dann eine Schwankung der vor ihm liegenden Spinalnerven resp. Halswirbel statuiren, oder man behauptete eine Constanz der Anzahl und Aufeinanderfolge der Wirbel und musste dann eine Verrückung des Plexus nach vorn oder hinten annehmen. Eine Anzahl von Gründen veranlassten mich bis- her, der ersten Erklärungsweise den Vorzug zu geben. Speciell im 2. Theile dieser Abhandlung (Jenaische Zeitschrift. VII. Band pag. 230) versuchte ich die Lage-Differenz zwischen den (hinsichtlich der Anzahl der Nervenwurzeln im Wesentlichen gleich zusammengesetz- ten) Plexus der Urodelen und Chelonier aus einer Einschaltung von vor dem Plexus befindlichen Spinalnerven resp. Wirbeln zu erklären, wobei ich allerdings nicht verhehlte, dass für eine solche Einschal- tung noch keine Thatsache bekannt sei und dass über die Art und Weise ihrer Bildung sich z. Z. noch keine durch die Untersuchung bestätigte bestimmte Angabe machen lasse. Seitdem bin ich, namentlich veranlasst durch ROSENBERG'S frucht- bare Abhandlung'), zu anderer Ansicht gekommen, eine Ansicht, die theils durch SoLser’s Arbeit über den Plexus brachialis der Faul- thiere2), theils durch eigene ausgedehntere Untersuchungen über die- sen Gegenstand in mir befestigt worden ist. ROSENBERG hat in der angeführten Abhandlung unter Anderem den Nachweis geführt, dass das menschliche Becken während seiner ontogenetischen Entwick- lung eine Wanderung längs der Wirbelsäule nach vorn macht, und hat diese Thatsache mit den bezüglichen Verhältnissen bei den übri- gen Primaten in Parallele gebracht, bei deren tiefer stehenden For- men das Becken weit distaler der Wirbelsäule angefügt ist als bei den höherstehenden ?). Damit verband er eine Untersuchung des Plexus 1) ROSENBERG, E., Ueber die Entwickelung der Wirbelsäule und das Cen- trale carpi des Menschen. Dieses Jahrbuch. I. Band. Leipz. 1875. pag. 83. Taf. II—V. 2) SOLGER, B., Zur Anatomie der Faulthiere (Bradypodes). Dieses Jahr- buch. I. Band. p. 199 f. Taf. VI. 3) Es fand sich, dass eine Reihe existirt, die mit Nyeticebus beginnt, wo das Kreuzbein mit dem 32. Wirbel anfängt, und mit Orang endet, wo der 24. Wirbel als erster Kreuzwirbel fungiren kann. Der Orang steht also hinsicht- lich dieser Verhältnisse höher als der Mensch, wo in der Regel der 25. Wir- bel erster Kreuzwirbel ist. 45 *. 682 M. Fiirbringer brachialis von Inuus pithecus, Chimpanzé, Mensch und Orang. Bei diesen beginnt der Reihe nach das Kreuzbein mit dem 27. (Inuus), 26. (Chimpanzé), 25. (Mensch) und 24. Wirbel (Orang), während der Plexus sacralis mit dem 26. (Inuus), 25. (Chimpanze), 24. (Mensch) und 23 Spinalnerven (Orang) seinen Anfang nahm. Da nun nirgends eine Thatsache bekannt ist, die für eine Elimina- tion vor dem Kreuzbein liegender Wirbel spricht, im Gegentheil die embryologische Untersuchung des Menschen den Nachweis lie- fert, dass die Anzahl der Wirbel sich nur von hinten her verringert, in der Reihe aber immer dieselbe bleibt und dass es nur die Ver- schiebung des Beckens ist, die den einzelnen Wirbeln verschiedene Functionen anweist: so bleibt nur die Möglichkeit offen, die verschie- dene seriale Anordnung des Plexus sacrales dadurch zu erklären, dass mit der Wanderung des Beekens nach vorn successive hintere Nerven aus dem Plexus ausgeschieden sind, während in gleicher Weise vordere Nerven in ihn aufgenommen wurden, derart, dass die hin- sichtlich ihrer proximalen oder distalen Lage verschiedenen Plexus eine grosse Uebereinstimmung in ihrer sonstigen Anordnung dar- bieten. Diese Erklärung ROSENBERG’s nehme ich auch für den Plexus brachialis an‘). Es ist eine längst bekannte Thatsache, dass die Brusteingeweide und die Unterleibsorgane z. Th. während ihrer Ent- wicklung sich nach hinten verschieben. Diese Verschiebung, an der auch der Brustgürtel Antheil nimmt, ist (analog der von ROSENBERG nachgewiesenen Wanderung des Beckens) nicht als eine passive, durch Einschaltung vorderer Wirbel bedingte Rückwärtsstellung, sondern als eine active Rückwärtswanderung längs der Wirbelsäule aufzufassen. Hierbei müssen natürlich auch die den Schultergürtel und seine Weichtheile versorgenden Nerven in Mitleidenschaft gezo- gen werden. Auch hierfür sind zwei Möglichkeiten denkbar: 1) die Nerven bleiben dieselben und werden nur mit ihren peripherischen Enden nach hinten gezogen, 2) sie verkümmern in geringerem oder srösserem Maasse und Elemente hinterer (distaler) Nerven überneh- men ihre Funetionen. Beides ereignet sich in Wirklichkeit. Der 1) Bereits vorher hat SOLGER in der oben eitirten Abhandlung die com- plete Homologie der 22 ersten Wirbel von Choloepus und Bradypus erwiesen und daran anknüpfend die Verschiebung des Plexus brachialis der Faulthiere, der bei Choloepus vom 4. bis 10., bei Bradypus vom 6. bis 12. Spinalnerven gebildet ist, betont. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 683 erste Process, der der blossen Richtungsveränderung der Nerven, kennzeichnet sich einfach durch descendenten bis longitu- dinalen Verlauf der ursprünglich quer gerichteten Nerven, ohne dass damit eine wesentliche Aenderung der Elemente der Nerven und der von ihnen versorgten Theile verbunden wäre. Der zweite Process, derder metamerischen Umbildung der Nerven, offenbart sich einerseits in einer Reduction vorderer (proximaler) anderseits in einer Neubildung hinterer (distaler) Nervenelemente. Letztere vereinigen sich während der Rückwärtswanderung des Brustgürtels mit den bereits existirenden mehr proximalen zum Plexus'), der, anfangs ganz ein- fach gebildet, bei der weiteren Rückwärtswanderung sich successive mit neu hinzutretenden distalen Nerven verbindet und so allmälig immer grössere Complicationen annimmt. Während dieser Neubildung kommt es zu einer Reduction der vorderen (proximalen) Nerven, wodurch einerseits die Complieirung der Plexusbildung wieder beschränkt, andererseits der Plexus immer mehr nach hinten gerückt wird. Dass hierbei die peripherische Anordnung des Plexus im Wesentlichen dieselbe bleibt, erklärt sich aus der Gleichheit der Form und Fune- tion der von den Endästen des Plexus versorgten Weichtheile, wie ') Dass die Plexusbildung eine Folge der activen Wanderung des Extre- mitätengürtels ist, wurde für den Plexus sacralis bereits von ROSENBERG (pag. 150) angedeutet. — Die Bildung des Plexus brachialis kann zugleich zum Be- weise für die active Rückwärtswanderung des Brustgürtels verwerthet werden; eine passive Rückwärtsstellung desselben würde zunächst nur eine einfache Richtungsveränderung der Nerven bedingen, ohne dass es zur Bildung eines Plexus käme. Ueber die speciellere Phylogenie dieser Umbildung lassen sich nur Hypothesen machen. Doch lässt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit an- nehmen, dass der Brustgürtel (und wohl auch der Beckengiirtel) ursprünglich mit seinen Weichtheilen (abgesehen von der vom N. hypoglossus und Spinal- nerven versorgten ventralen Muskulatur) dem Innervationsgebiet des N. vago- accessorius angehörte (rudimentäre darauf hinweisende Muskelbildungen werden dureh den M. eueullaris und sterno-cleido-mastoideus und namentlich durch den M. interscapularis der Anuren (vergl. d. I. Th. dieser Abhandlung, Jenaische Zeitschrift. Band VII. p. 296 f.) repräsentirt, und dass erst mit der Riickwirts- wanderung und der specifischen Differenzirung dieser Kiemenbogen-Homodyname zu Extremitätengürteln eine successive Betheiligung der Spinalnerven eintrat, die nach und nach die ursprüngliche Innervation durch N. vago-accessorius zum grössten Theile oder ganz ersetzte. Natürlich ist diese Rückwärtswanderung und die damit verbundene Umbildung als ein äusserst langsamer, grosse Zeitperioden beanspruchender Vorgang aufzufassen, der deshalb auch ontogenetisch (wegen der ontogenetischen Verkürzung) nicht zu erweisen ist. Doch gibt die ontoge- netische Entwicklung der Plexus einige, wenn auch sehr beschränkte, Einblicke in diesen Bildungsmodus. 684 M. Fiirbringer bereits von SOLGER für den Plexus brachialis der Faulthiere betont worden ist. Ueber die speciellere Genese dieser Umbildung lässt sich z. Z. noch keine endgiiltige, in jeder Hinsicht festgestellte Angabe machen. Doch kann man aus einer Reihe von Hypothesen!) eine heraus- ') Von den Möglichkeiten, die hierbei in Frage kommen, heben wir fol- gende hervor. Entweder ist die metamerische Umbildung nur eine schein- bare oder sie existirt m Wirklichkeit, und in letzterem Falle kann sie dann entweder auf die Nervenelemente des Plexus beschränkt sein oder sie kann mit einer metamerischen Umbildung der von seinen Endästen versorgten Theile des Brustgürtels Hand in Hand gehen. Den ersten Fall (1. Hypothese) anlangend, handelt es sich um die Annahme, dass die Nerven der verschiedenen Plexus in gleicher Weise central (aus denselben Ganglien) entstehen und peripherisch (an denselben von ihnen versorgten Theilen) enden und dass sie nur während ihres Verlaufs in den Strängen des Rückenmarks eine Richtungsveränderung erlitten haben, die den Austritt aus verschiedenen Zwischenwirbellöchern bedingt. Dass diese An- nahme wenig Wahrscheinlichkeiten für sich hat, ist bereits von SOLGER (bei Besprechung des Plexus brachialis der Faulthiere) angedeutet worden, der auf die Veränderungen hinweist, welche aus dieser Verlagerung für die folgenden Nerven, speciell die Intercostalnerven entstehen müssten; mit der Annahme der Constanz der Wirbel darf aber auch eine gewisse Constanz des Rückenmarks behauptet werden und aus diesem Grunde dürfte eine Verlagerung seiner Ele- mente, wie sie diese Hypothese voraussetzt, von der Hand zu weisen sein. Der zweite Fall betrifft die Veränderlichkeit der Nervenelemente des Plexus, während die von ihnen versorgten Organe dieselben bleiben. In diesem Falle sind wieder zwei Möglichkeiten zu unterscheiden. Entweder wird der ganze Nerv von seinem Ursprung bis zu seiner Endigung durch einen mehr distalen ersetzt, oder nur der centrale Theil des Nerven diesseits der Ansen- bildung wird durch einen entsprechenden von einem hinteren (distalen) Nerven abstammenden Abschnitt ersetzt, der sich mit dem unverändert bleibenden pe- ripherischen Theile vereinigt, worauf der ursprüngliche centrale Abschnitt aus- scheidet resp. verkümmert. Mit der ersteren Annahme (2. Hypothese), die SOLGER zu vertreten scheint (a. a. O. p. 214: »Das Weiterschreiten der Plexusbildung bei Bradypus müsste man sich nun vorstellen als hervorgebracht durch Ausdehnung, wenn der von den Gefässanastomosen hergenommene Aus- druck hier statt haben darf, dieser (von SOLGER oben besprochenen) Verbin- dungsäste der Intercostalnerven , mit andern Worten als eine Folge der Ver- mehrung dieser Leitungsbahnen, die mit dem Ausscheiden vorderer Cervical- nerven aus dem Plexus einhergeht«), wird wenig für die Erklärung der metame- rischen Umbildung gewonnen. Dass Nerv und Muskel ontogenetisch sich nicht im Zusammenhang entwickeln, dass vielmehr das intramuskuläre Ende des Ner- ven gemeinsam mit dem Muskel, aber getrennt von dem extramuskulären Theil des Nerven sich anlegt und erst später sich mit ihm verbindet, ist allerdings das Ergebniss der neueren Untersuchungen über diesen Gegenstand (ef. ENGEL- MANN, Untersuchungen über den Zusammenhang von Nerv und Muskelfaser. Leipzig 1863 und CALBERLA, Studien über die Entwicklung der quergestreiften Sn Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 685 heben, welche die grössten Wahrscheinlichkeiten gegenüber den andern beanspruchen darf. Dies ist die (in der Anmerkung als 5. Hypo- Muskeln und Nerven der Amphibien und Reptilien. Archiv f. mikroskop. Ana- tomie. XI. Band. Bonn 1875 pag. 442 f). Diese Beobachtung, deren Reelli- tät wir durchaus nicht bezweifeln, lässt sich jedoch phylogenetisch nicht deuten und auch mit dem für Wirbellose (speciell Coelenteraten) festgestellten Zusam- menhang von Nerv und Muskel (Neuromuskelzelle) nicht in Einklang bringen. Die Annahme einer separaten Ausbildung von Nerv und Muskel am lebenden Thiere lässt unverständlich, wie der Nerv auf den von ihm getrennten Muskel gewirkt haben soll. Wahrscheinlich haben wir es hier mit einer der häufigen Täuschungen der Ontogenie zu thun, welche von HAECKEL in einer neueren Arbeit (Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. (Fortsetzung der Gasträa- theorie ete.). Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. IX. Band. Jena 1875. pag. 402 f.) unter den Begriff der Cenogenie subsumirt werden und welche vornehmlich darauf beruhen, dass die einzelnen Abschnitte eines einheitlichen, phylogenetisch im Zusammenhange entstandenen Ganzen (hier Muskel und Nerv) sich ontogenetisch zeitlich ungleich entwickeln, derart, dass der centrale und peripherische Theil sich aus dem embryonalen Bildungsmateriale eher heraus- differenzirt als der zwischen beiden liegende und sie verbindende Abschnitt der einheitlichen Anlage. Wenig mehr Wahrscheinlichkeit bietet die zweite An- nahme (3. Hypothese) dar, welche eine Persistenz der peripheren, jenseits der Ansa gelegenen Abschnitte, hingegen eine Neubildung centralwärts gelegener Theile, die sich mit den peripherischen vereinigen, statuirt. Dass künstlich ge- trennte Nerventheile leicht zu einem leitungsfähigen Ganzen verwachsen kön- nen, ist allerdings eine bekannte Thatsache, die in ihren Details genau unter- sucht ist. Es ist daher auch die Verwachsung von in den Plexus neu eintre- tenden centralwärts gelegenen Nervenabschnitten nach vorhergehender Anlage- rung an die bereits im Plexus befindlichen Nerventheile a priori denkbar; allein die speeielleren Vorgänge dieser Verwachsung, welche jedenfalls erst nach der Re- duetion der Neuroglia, des Neurilemms und der Markscheide an der betreffen- den Stelle stattfinden konnte, setzen eine ausserordentlich grosse Complica- tion dieses Processes voraus, der nur mit grosser Schwierigkeit zu denken ist und auch durch keine bekannte Thatsache gestützt wird. Leicht verständlich hinwiederum ist, dass nach Bildung der neuen Verbindung, welche einen kürzeren Weg zwischen Central- und Endorgan herstellt, der bisher eine län- gere Wegstrecke ausmachende Theil verkümmert. Ebenso würde diese An- nahme, wenn sie einen reellen Untergrund hätte, in einfachster Weise die Ver- schiedenheit der Plexus in ihren centralen Theilen bei Uebereinstimmung in ihren peripherischen Abschnitten erklären. Der dritte Fall setzt eine metamerische Umbildung der Nerven und zu- gleich der von ihnen innervirten Hart- und Weichtheile des Brustgürtels vor- aus. Damit ist eine Einheit von Nerv und Endorgan (Haut, Muskel ete.) sta- tuirt, die der phylogenetischen Entwicklung nicht widerspricht. Auch hier sind zwei Möglichkeiten denkbar: entweder der Umbildungsprocess geht derart vor sich, dass hinter dem Brustgürtel gelegene Theile der Haut und der Mus- kulatur in den Bereich des Brustgürtels und der vorderen Extremität gezogen werden, oder er findet so statt, dass zwischen den bereits vorhandenen Haut- und Muskelelementen des Brustgürtels und der vorderen Extremität entspre- 686 M. Fiirbringer these zuletzt angeführte), welche eine metamerische Umbil- dung der Nerven und der von ihnen versorgten Haut- chende von hinteren (distalen) Nerven versorgte Elemente neugebildet werden. Die erste Annahme (4. Hypothese) setzt eine mit Neubildung verbundene Ueberwanderung von ursprünglich der Thoraxregion angehörigen Theilen der Haut und Muskulatur in den Bereich des Brustgürtels voraus, welche zwar für die ausserordentlich umbildungsfähige und verschiebbare Haut verständlich ist, für die Muskulatur aber eine Summe von Neubildungen, Aberrationen und Ablö- sungen bedingen würde, die in keiner Weise durch irgend eine bekannte That- sache gestützt ist. Fiimde dieser Process in Wirklichkeit statt, so würden jedenfalls hier und da Uebergangsbildungen von Rumpf- und Schultermuskulatur existiren und zu beobachten sein. Dies ist aber z. Z. noch nirgends der Fall gewesen. Ausserdem kann nicht. verhehlt werden, dass dieser Annahme die constante Lage der vor oder durch den Brustgürtel verlaufenden Nerven (z. B. N. supracoracoideus) durchaus nicht entspricht. Die zweite Annahme (5. Hypothese), die vielleicht ROSENBERG in Anwendung auf den Plexus sacra- lis im Sinne gehabt hat (a. a. O. pag. 150: »Es kann nur (für den Plexus sacralis) angenommen werden, dass die Aehnlichkeit in der Anordnung der Nerven in secundärer Weise und zwar dadurch zu Stande gekommen ist, dass Hand in Hand mit der Umformung der Wirbelsäule auch eine Umformung des Plexus stattgehabt, und zwar in dem Sinne, dass in die Zusammensetzung der genannten Plexus successive weiter proximalwärts gelegene Spinalnerven über- tragen werden, ein Vorgang der zwar im Detail (Möglichkeiten existiren jedoch) schwierig construirbar ist, aber schon deshalb im Princip nicht undenkbar ist, weil mehrere Spinalnerven einem und demselben peripheren Nerven Fasern zu- senden«), betont eine Neubildung ohne Ueberwanderung von Haut- und Muskel- theilen. Dieser Process ist so zu denken, dass von hinteren (distalwärts gelege- nen) Nervenstämmen her eine Neubildung von Nervenfasern beginnt, die sich an die Fasern der vorderen Stämme anlegen und in ihren Bahnen verlaufen, und dass zu- gleich mit dieser Nervengeneration eine Neubildung von Muskel- und Hautelemen- ten Hand in Hand geht, welche von den neugebildeten Nervenfasern versorgt werden und zwischen (hinter) den bisher bestandenen ‘Theilen eingelagert sind. Mit dem Weiterschreiten dieser Neubildung geht eine allmälige Reduction der bisherigen (proximal gelegenen) Elemente vor sich, so dass endlich an Stelle des früheren, von einem vorderen (proximalen) Nerv versorgten Muskels oder Hauttheils ein neuer von einem hinteren (distalen) Nerv innervirter getreten ist. Fehlt auch dieser Hypothese die causale Begründung und ist der betreffende Process auch im Detail nicht leicht zu construiren, so hat sie jedenfalls das für sich, dass ihr keine bekannte Thatsache widerspricht und dass sogar manches Ergebniss der Untersuchung mit ihr übereinstimmt. Dies gilt namentlich für die häufig beobachteten Fälle, wo derselbe Muskel vow Nerven versorgt wird, welche bei den verschiedenen Individuen derselben Thierart von verschiedenen Spinalnerven abstammen. IndiesenFällen haben wir bei den einzelnen Individuen verschiedene Stufen der Entwicklung repräsentirt, welche die einzelnen Stadien des phylogenetischen Entwicklungsvorgangs in deutlichster Weise recapituliren resp. ihnen vorauseilen (Ueber diese Recapitulirung und sogenannte Antieipirung vergl. übrigens HENSEL, Ueber Hipparion mediterraneum. Abhandl. der Kön.. Aka- demie der Wissenschaften zu Berlin. Jahrgang 1800. Berlin 1801 pag. 71). Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 687 und Muskeltheile durch Neubildung ohne Ueberwan- derung annimmt. Mit Annahme dieser Hypothese tritt selbst- verständlich die Vergleichung der Schultermuskeln in ein neues, verändertes Stadium. Während nach den bisherigen Annahmen die Schultermuskeln auch bei verschiedener metamerer Lagerung des Plexus brachialis im Wesentlichen dieselben blieben, werden sie nach der eben angeführten Hypothese durch neue, zwar ent- sprechend gebildete, aber distaleren Metameren angehörige ersetzt: die Vergleichung wird also nicht mehr von echten, completen Ho- mologien reden können, sondern nur von incompleten Homo- logien, und zwar von Homodynamien, die aber wegen der mehr oder minder vollständigen morphologischen Nachahmung zu den pro- ximaleren Bildungen in einem engeren Verhältnisse der Homodyna- mie stehen, das ich als imitatorische Homodynamie oder Parhomologie bezeichnen möchte!). - Hiermit beschliesse ich diese Excursion, indem ich mir vorbe- halte, später diese Frage eingehender zu behandeln. Die früher (1. Theil dieser Abhandlung. Jenaische Zeitschrift f. Naturwissenschaft VII. Band pag. 240) von mir bezüglich der Innervirung der Muskeln gegebenen Ausführungen erleiden somit in- sofern eine Modifieirung, als ich die Annahme von der Constanz des Austritts der Nerven aus den Intervertebrallöchern nicht mehr aufrecht erhalte. Die Bedeutsamkeit der Nerven für die Bestim- mung der Muskelhomologien wird dadurch keineswegs geschwächt: im Gegentheil kann behauptet werden, dass gerade nach den letzten Erörterungen dieselbe sowohl in materieller als in formeller Hinsicht erhöht worden ist. Eine Vergleichung dieser Hypothesen und der für oder gegen sie sprechen- den Gründe ergibt also ausserordentlich geringe Wahrscheinlichkeiten für die erste, zweite und vierte Hypothese sowie ziemlich geringe für die dritte Hypothese, während die fünfte Hypothese die grössten Wahrscheinlichkeiten für sich hat. 1) Im Folgenden werden wir, einmal um die Darstellung nicht zu compliciren, dann weil die obige Hypothese noch nicht sicher gestellt ist, bei Besprechung der einzelnen Nerven und Muskeln in der Regel noch die Bezeichnung Homolo- gien brauchen. Ist diese Hypothese bewiesen, so wird es Jedem leicht sein, allenthalben, wo es sich um verschiedene Metameren der versorgenden Nerven handelt, an Stelle der Homologien imitatorische Homodynamien oder Parhomo- logien zu setzen. 688 M. Fiirbringer §. 12 Muskeln der Schulter und des Oberarms !). A. Kionokrane Saurier (inel. Hatteria). (Vergl. Taf. XXIV u. XXV. Fig. 63—82.) Die Muskeln der Schulter und des Oberarms der kionokranen Saurier bieten entsprechend der hohen Differenzirung der mit ihnen 1) Literatur: LEHMANN, J. W. D., Ueber die Zerbrechlichkeit der Blindschleiche und die Uebereinstimmung ihres inneren Baues mit den Eidechsen. Magaz. d. Ge- sellsch. naturf. Freunde zu Berlin 1811. pag. 14 f. (Muskeln von Anguis fragilis.) BUTTMANN, H., a. a. O. Halae 1826. pag. 17 f. (Muskeln von Crocodilus, ohne Angabe der Species.) MECKEL, a. a. O. 3. Th. Halle 1828. pag. 158 f., pag. 170 f., pag. 193 f., pag. 211 f. (Gute Beschreibung der Muskeln von Gecko, Anguis, Lacerta, Monitor, Polychrus, Iguana, Calotes, Draco, Chamaeleo und Crocodilus.) HEUSINGER, a. a. O. Eisenach 1829. pag. 481 f. (Taf. I-—-IIl). (Lacerta [wahr- scheinlich viridis), Pseudopus, Anguis, Amphisbaena.) Cuvier, G., Lecons ete. 2. éd. p. DumErRIL. Tome I. Paris 1835. pag. 325 f. pag. 378 f., pag. 399, pag. 421 f. (Kurze Notizen über die Muskeln der Crocodile und Saurier im Allgemeinen; letztere sind weniger berücksich- tigt.) FISCHER, a. a. O. Hamburg 1852. pag. 66. (Notiz über einen »M. omomastoi- deus«.) PFEIFFER, a. a. O. Giessen 1854. pag. 41 f. (Fig. XI). (Kurze aber gute Beschreibung der Schultermuskeln von Tejus monitor, Lacerta agilis, Scincus multifasciatus, Chamaeleo senegalensis und vulgaris und Alligator lucius. STANNIUS, a. a. O. Berlin 1856. pag. 122, pag. 126 f. (Muskeln der Saurier und Crocodile im Allgemeinen.) : HAUGHTON, On the Muscular Anatomy of the Crocodile. a. a. O. Dublin 1866. pag. 268 f. (Kurze aber genaue Darstellung der Muskeln von Crocodilus ni- loticus.) Mrvart, Notes on the Myology of Iguana tuberculata. a. a. O. London 1867. pag. 766 f. (Sehr genaue Beschreibung der Muskeln von Iguana tuber- culata.) GUNTHER, a. a. O. London 1867. II. pag. 18 f. (Kurze Darstellung der Muskeln von Hatteria.) RÜDINGER, a.-a. O. Haarlem 1868. pag. 7 f., pag. 14 f., pag. 59 f., p. 98, pag. 104. (Fig. I., U., X1J.—XIV., XVI.—XVIII.) (Beschreibung der Mus- keln von Platydactylus guttatus und muralis, Cyclodus Boddaertii DB (= gigas), Anguis fragilis, Pseudopus Pallasii, Seps tridactylus, Gongylus ocel- latus, Lacerta ocellata, viridis u. agilis, Uromastix spinipes, Stellio vulgaris, Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 689 in Verbindung stehenden Knochen eine Mannigfaltigkeit der Bildun- gen dar, wie sie weder bei den Amphibien und Cheloniern existirt, Draco Daudinii DB (= viridis), Istiurus (= Basiliscus) amboinensis Cuv., Phrynosoma Harlanii Wiegm. (= cornutum), Chamaeleo vulgaris, Alligator lucius, cynocephalus und sclerops. Von den typischen Sauriern ist vorwiegend Lacerta viridis beriicksichtigt. Die ausserdem noch angefiihrte Lacerta gecko ist identisch mit Platydactylus guttatus. — Bemerkenswerth und bezeichnend für das vergleichend-anatomische Verfahren in der RiUpiNnGER’schen Abhand- lung ist die Scheidung der Saurier und Crocodile in 3 Abtheilungen, von denen die erste die fusslossen Saurier umfasst, welche ganz fiir sich in einem be- sonderen den übrigen Reptilien und den Vögeln gegenübergestellten Ab- schnitte behandelt werden, die zweite die Saurier mit rudimentären Extremi- täten (Seps, Gongylus) enthält, welche von den übrigen Sauriern abgelöst und gemeinsam mit den geschwänzten Batrachiern besprochen werden, und die dritte die übrigen typischen Saurier mit den Crocodilen vereinigt dar- stellt.) ROLLESTON, a. a. O. London 1868. pag. 609 f. Pl. X. LVII. (Sehr genaue und eingehende Vergleichung einzelner Schultermuskeln der Crocodile mit denen der Vögel und Säugethiere.) HAUGHTON, On the Muscular Anatomy of the Alligator. a. a. O. London 1868. pag. 283. (Pl. X) (Kurze Beschreibung der Muskeln vom Alligator lucius.) SANDERS, Notes on the Myology of Platydactylus japonicus. A. a. O0. Lon- don 1870. pag. 413 f. (Gute Darstellung der Muskeln von Platydactylus japo- nicus.) MIVART, On the Myology of Chamaeleo Parsonii. a. a. O. London 1870. pag. 850 f. (Sehr eingehende Beschreibung der Muskeln von Chamaeleo Par- sonii.) FÜRBRINGER, a. a. QO. Leipzig 1870. p. 16 f. (Muskeln von Euprepes carina- tus und septentaeniatus, Gongylus ocellatus, Seps tridaetylus, Ophiodes stria- tus, Pygopus lepidopus, Pseudopus Pallasii, Anguis fragilis, Lialis Burtonii, Acontias meleagris, Amphisbaena fuliginosa und Lepidosternon microce- phalum. ) SANDERS, A., Notes on the Myology of Liolepis Belli. A. a. 0. London 1872. pag. 154 f. (Sehr genaue Darstellung der Muskeln von Liolepis Bellii). HuMPHRY, Notes on the Muscles of the Glass-Snake (Pseudopus Pallasii). Journ. of Anat. and Phys. Vol. VI. Cambridge and London 1872 pag. 287 f- (Genaue Beschreibung der Muskeln von Pseudopus Pallasii.) SANDERS, A., Notes on the Myology of the Phrynosoma coronatum. A. a. O. London 1874. pap. 71 f. (Eingehende Darstellung der Muskeln von Phryno- soma coronatum.) Zur eigenen Untersuchung dienten Varanus niloticus, Ameiva vulgaris, Salvator Merianae, Lacerta ocellata, L. agilis, L. muralis, Pseudopus Pallasii, Trachysaurus rugosus, Gongylus ocellatus, Euprepes carinatus, Seps tridactylus, Anguis fragilis, Iguana tnbereulata, Lophyrus tigrinus, Uromastix spinipes, Platydactylus aegyptiacus; — Chamaeleo dilepis, Ch. sulgaris; — Crocodilus acutus, Alligator lucius. — Das untersuchte Material verdanke ich grösstentheils der Güte der Herren Geh. Hofr. GEGENBAUR und Geheimrath PETERS. 690 M. Fiirbringer noch bei den höher stehenden Abtheilungen der Wirbelthiere sich wiederfindet. Dieser Reichthum der Formen, gegenüber den ein- facheren Verhältnissen der Amphibien und Chelonier, zeigt sich theils in dem Auftreten neuer Muskeln, theils in der viel weiter gehenden Differenzirung der jenen bereits zukommenden Bildungen. Im Zusam- menhang mit der Rückwärtswanderung des Brustgürtels hat einerseits der ursprüngliche nur vom N. vago-accessorius aus innervirte M. cucul- laris einen reichen Zuwachs von neugebildeten durch Elemente der Nn. spinales versorgten Muskelfasern bekommen, andererseits ist der von den Nn. thoraciei superiores innervirte Complex der Mm. leva- tor scapulae und serratus um mehrere Metameren nach hinten aus- gedehnt worden und ist eine Differenzirung in Zacken und Schichten eingegangen, wie sie selbst von den in dieser Hinsicht sehr hoch ent- wickelten Bildungen der Anuren nicht erreicht wird. Die an der Ven- tralseite der Brust liegenden und von den Nn. thoraciei inferiores versorgten Abkömmlinge der Bauchmuskeln haben sich zu einer ganzen Gruppe selbstständiger Bildungen (Mm. sterno - coracoideus internus superficialis, sterno-coracoideus internus profundus, sterno- costo - scapularis) abgegliedert'). Die von dem Brustgürtel und Brustbein an die Extremität gehenden Muskeln lassen sich im All- gemeinen auf die einfacheren Bildungen der Amphibien, namentlich der Urodelen und der Chelonier zurückführen, sie zeigen aber im Speciellen eine weit höhere Differenzirung , die einerseits Hand in Hand geht mit der Ausbildung secundärer selbstständiger Knochen- theile (besonders der Clavieula), anderseits sich in einer genaueren Scheidung der Nervengebiete, wie sie bereits den höheren Cheloniern zukam, ausspricht. Eine besondere (nur an gewisse Verhältnisse bei den Anuren erinnernde) Bildung ist der M. scapulo-humeralis profundus ; relativ am höchsten, gegenüber den Bildungen der tieferstehenden Abtheilungen, sind die von dem N. brachialis superior versorgten dorsalen (Streck-) Muskeln , insbesondere die Mm. latissimus dorsi,. subeoracoscapularis und anconaeus, entwickelt. — Durch mehr oder minder vollkommene Rückbildung der Extremitäten (bei Ptychopleu- ren und Seineoiden) können diese complieirten Bildungen in ver- schiedenem Grade redueirt werden. 1) Einzelne Verhältnisse weisen sogar darauf hin, dass diese Gruppe, ebenso wie der M. anconaeus, bei den früheren paläontologischen Perioden angehörigen kionokranen Sauriern eine noch höhere Entwicklung hatte und jetzt bereits im Zustande der Rückbildung befindlich ist. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 691 *Die Muskeln der Schulter und des Oberarms der Chelonier lassen sich in folgender Weise eintheilen: A. Durch N. vago-accessorius und Nn. thoracici anteriores innervirt. Ursprung vom Hinterkopfe, Insertion vorwiegend an dem secundiren Brustgürtel und*Brustbein: a) Insertion am dorsalen Abschnitte (scapularer Theil der Clavicula und z. Th..Scapula), Innervation dureh hintere Nn. thoraeiei anteriores: Capiti-dorso-clavicularis (Cucullaris) . b) Insertion am ventralen Abschnitte ‘episternaler Theil der Clavicula) und Episternum, Innervation durch R. externus n. vago-accessorii und dureh vor- dere Nn. thoracici anteriores: Capiti-cleidoepisternalis | Episterno-cleido-mastoideus) . B. Durch Nn. thoracici superiores innervirt. ‘ Ursprung von Rippen (oder Processus transversi), Insertion am dorsalen Abschnitte des Brustgürtels {Seapula und scapulares Ende der Clavicula): a) Insertion am Vorder- und Hinterrande sowie der Aussenfläche (und nur zum geringsten Theile der Innenfläche) der Scapula (und Clavicula); oberfläch - liche Schicht. a) Ursprung vom Halse: Collo - scapularis. superficialis ( Levator scapulae super- ficralis) . 8) Ursprung vom Rumpfe : Thoraci-scapularis superficialis (Serratus superficialis) . b) Insertion an der Innenfläche der Scapula: tiefe Schicht: Collo - thoraci- scapularis profundus | Levator scapulae et Serratus profundus) . ©. Durch Nn. thoracici inferiores innervirt. a) Ursprung von der Innenfliche des Sternums, In- 692 M. Fiirbringer c) b) sertion an der Innenfläche des ventralen Abschnit- tes des primären Brustgürtels: Sterno-coracoideus internus superficialrs. ‘ Sterno-coracoideus internus profundus. Ursprung von der ersten Sternocostalleiste und dem Seitenrande des Sternums, Insertion an der Innen- fläche des dorsalen Abschnittes des primären Brust- gürtels: ¥ { Sternocosto-scapularis |Costo-coracordeus). D. Durch Nn. brachialis inferiores innervirt. Ursprung vom Rumpfe (Bauchfläche, Rippen, Sternum und Episternum), Insertion am Oberarm: Pectoralıs. Ursprung vom ventralen Theile des primären Brust- giirtels (Coracoid inel. Pro- und Epicoracoid) . a) Innervation durch N. supracoracoideus, Insertion am Ober- arm: Supracoracoideus. 8) Innervation durch Aeste des N. brachialis longus (Nn.. coraco- brachialis und eoraco-antebrachialis). aa) Insertion am Oberarm: Joraco-brachiales. bb) Insertion am Vorderarm: Coraco-antebrachialis | Biceps brachii). Ursprung vom Oberarm, Insertion am Vorderarm: Humero-antebrachralıs. E. Durch Nn. brachiales superiores innervirt. Ursprung vom Rumpfe (obere Dornfortsiitze der Rückenwir- bel), Insertion am Oberarm: Dorso-humeralis (Latissimus dorsi) . Ursprung von der Aussenfläche des Brustgürtels, In- sertion am Oberarm: a) Insertion am Processus lateralis humeri: - aa) Ursprung von der Scapula: Dorsalis scapulae (Deltoideus scapularis s. superior). b) Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 693 bb) Ursprung von der Clavicula: Cleido-humeralis (Deltoideus clavicularis s. inferior). 8) Insertion an der Streckfläche distal vom Processus medialis: aa) Verlauf lateral vom Caput scapulare m. anconaei: Scapulo-humeralis profundus. aa) Verlauf medial vom Caput scapulare m. anconaei: Teres major. Ursprung von der Innenfläche des primären Brust- gürtels (Scapula und Coracoid), Insertion am Processus medialis humeri: Subcoracoscapularis. Ursprung vom primären Brustgürtel (Seapula und Co- racoid) und vom Oberarm, Insertion am Vorderarm (Ulna) : Anconaeus. Capiti-dorso-clayicularis (Cucullaris) (cz) und Capiti-cleido- episternalis (Episterno-eleido-mastoideus) (cc/est). Cucullaris : Oberer Rückwärtszieher (hinterer Theil des Kappen- muskels oder Kappenmuskel und breiter Rückenmuskel) und Theil des oberen Vor- wärtsziehers (Kappenmuskel, Rautenmuskel und Halshautmuskel) : MECKEL (Anguis). Oberer Rückwärtszieher (Cucullaris) und Theil des obe- ren Vorwärtsziehers (Sterno-cleido-mastoi- deus): MECKEL (typische Saurier). Oberer Rückwärtszieher (Cueullaris) und obere Por- tion des oberen Vorwärtsziehers (Sterno- eleido-mastoideus?): HEUSINGER. Cueullaris, Trapezius: PFEIFFER, STANNIUS, MıVART, RÜDIN- GER (typische Saurier), SANDERS. Cucullaris und Theil des Cleidomastoideus: RÜDINGER (fusslose Saurier). Dorso-elavieularis (Cucullaris) und hintere Portion des Sterno-cleido-mastoideus: FÜRBRINGER. Latissimus und Trapezius: Humpnry. Episterno-cleido-mastoideus : Sterno-oceipitalis: LEHMANN. Theil des oberen Vorwärtsziehers (Kappenmuskel, Rautenmuskel und Halshautmuskel): MECKEL (Anguis). 694 M. Fiirbringer Theil des oberen Vorwärtsziehers (Kopfnickers): MECKEL (typische Saurier). Untere Portion des oberen Vorwärtsziehers (Sterno- cleido-mastoideus?) : HEUSINGER. Cleido-mastoidien, Cleido-mastoideus: DUMERIL (Cu- VIER), STANNIUS, RÜDINGER (Pseudopus, Anguis, Seps und Gongylus). j Sterno-cleido-mastoideus: Mivarr, RÜDINGER (Saurier mit wohlentwickelten Extremititen), SANDERS (Platydacty- lus), HUMPHRY. Vordere Portion des Sterno-cleido-mastoideus: Ftr- BRINGER. Sterno-mastoideus: SANDERS (Liolepis und Phrynosoma). Der M. capiti-dorso-clavicularis (Cucullaris) und der M. capiti- cleido-episternalis (Episterno-cleido-mastoideus) werden bei den kiono- kranen Sauriern durch eine bei den Einzelnen sehr verschieden ausgebildete flache Muskelausbreitung am Halse und am Anfangs- theile des Rückens vertreten, die in ihrem vorderen Abschnitte von den Mm. sphineter eolli!) und depressor mandibulae (digastrieus) be- deckt ist, während -sie in ihrem hinteren frei unter der Haut und über dem vorderen Theile des M. latissimus dorsi liegt. Diese Muskelausbreitung bietet in ihrer vollständigsten Ent- wickelung (Varanus, Ameiva, Podinema, Lacerta, einzelne Sein- coiden, Iguana, Calotes, Liolepis, Uromastix, Platydactylus) eine breite Schicht dar, welche von dem hinteren Theile des Schädels in verschiedener Ausdehnung (Squamosum, Parietale, Occipitale late- rale) und der dorsalen Kante des Halses und Rückens entspringt und mit stark convergirenden Fasern nach hinten, unten und vorn 1) Halshautmuskel der Aut., Latissimus colli RüpınGer’s, Subeutaneus colli Humpury’s. — Der Vergleichung mit dem M. latissimus colli der Säu- gethiere können wir nicht beistimmen, da leicht erweislich Sphincter colli der Reptilien und Vögel und Latissimus colli der Säuger verschiedene Bildun- gen sind. RÜDINGER lässt den Latissimus colli von Pseudopus sich aus der vorderen Abtheilung des Cucullaris hinter dem Ohre nach der ventralen Fliche ziehen, eine Angabe, die (wie die ähnliche MEcKEL's) auf ungenauer Beobach- tung beruht. Allerdings steht bei einzelnen Reptilien der Sphincter colli auch mit tieferen Theilen des Halses im Zusammenhang, nie aber gehen seine-Fasern aus dem M. cucullaris hervor. Die entsprechende Bildung von Anguis betref- fend, sagt RÜDINGER: »Der Latissimus colli ist kaum angedeutet, aber man kann auch annehmen, dass derselbe bei der Wegnahme der Haut grösstentheils verloren geht.« Die Häufigkeit von Anguis erlaubte wohl die Untersuchung eines zweiten Exemplars und damit die vorsichtigere Entfernung der Haut, um die Frage zu entscheiden, ob der Muskel nur schwach vorhanden ist oder — mit der Wegnahme der Haut grösstentheils verloren geht ! ..- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 695 zu dem verderen Rande des Brustgürtels geht, wo sie inserirt. Der von dem Kopfe entspringende Theil ist von Anfang an fleischig und übertrifft den von Hals und Rücken kommenden an Dicke; dieser entspringt aponeurotisch, und zwar theils von der die epaxonische Halsmuskulatur deckenden Fascie, wobei seine Aponeurose oft mit der der Gegenseite zusammenhängt, theils von den Dornen der hin- teren Hals- und vorderen Brustwirbel'). Die Insertion findet in wechselnder Weise an Episternum, Clavicula und Scapula, sowie bei Einzelnen auch an der Brustfascie statt. Bei Ameiva und Salvator, mitunter auch bei Lacerta ‚bildet die beschriebene Muskelausbreitung eine einzige continuirliche Sehicht, die höchstens eine ganz leise Andeutung einer Trennung in ihrem vorderen Theile zeigt, während bei den übrigen untersuch- ten Sauriern eine deutlich ausgebildete Scheidung des Muskels exi- stirt. Diese Scheidung wird auf zweifach verschiedene Weise ver- mittelt, entweder (Varanus) durch einen Spalt im hinteren Theile des Muskels, der eine vom Kopf und Hals entspringende und eine vom Rücken kommende Partie trennt, oder durch einen mehr (Uro- mastix, Liolepis, Iguana, Trachysaurus, Platydactylus) oder weniger (Lacerta, Ophiodes) entwickelten langen Spalt in der vom Kopf ent- springenden Portion, welcher den Muskel in einen langen und verhält- nissmässig schmalen unteren und vorderen und einen breiten oberen und hinteren Abschnitt trennt: ersterer repräsentirt den M. capiti-cleido- episternalis /episterno-eleido - mastoideus) , letzterer den M. capiti- dorso-clavicularis (eueullaris). Der M. capiti-cleidoepister- nalis (eclest) entspringt vom Os squamosum und verläuft als ein ziemlich kräftiger bandartiger Muskel über dem M. collo-scapularis superficialis 2) nach unten und hinten zum vordern Theile des ven- tralen Bereichs des Brustgürtels und des Brustbeins, wo er in ver- schiedener, Ausdehnung inserirt?); mitunter (einzelne Scincoiden und 1) Der Ursprung ist nach hinten ausgedehnt bis zum 5. Riickenwirbel bei Iguana, bis zum 4. bei Ameiva, Salvator, Lacerta, Liolepis, Uromastix, Platy- dactylus, bis zum 3. bei Varanus und Trachysaurus. 2) MECKEL beschreibt (pag. 150) bei Monitor ein Verwachsensein mit die- sem Muskel (Schulterheber) und fasst ihn danach‘, mit Unrecht, als »vordern längsten Bauch des Schulterhebers« auf. 3) Die Insertion findet bei den Meisten am Episternum statt, bei Einzelnen heften sich die Fasern ausserdem auch an die Clavicula und durch Vermitte- lung eines starken Bandes an das Sternum (Iguana ef. MıvAarr) oder auch an die Clavicula und eine von Episternum zu Acromion erstreckte Membran an (Uromastix). — Srannivus führt eine Insertion an der Clavicula als Regel an, Morpholog. Jahrbuch. 1. 46 696 M. Fiirbringer Ascalaboten) verlaufen einzelne oberflächliche Fasern noch weiter nach hinten und enden an der Fascie des Brustmuskels'). Der M. capiti-dorso-clavicularis (cw) kommt vom Os occipitale und mitunter auch vom Os parietale, sowie von der Rückenkante des Halses und des Rückens bis zum Bereiche des 3.—5. Brustwirbels und geht mit stark convergirenden Fasern an den dorsalen Theil der Clavieula und bei einigen auch an den angrenzenden Theil der Seapula?): Diese Ausbildung der Muskeln geht einer Anzahl von kionokranen Sauriern ab. Bei diesen (die meisten Scincoiden, namentlich die mit verkümmerten Extremitäten, sowie Pseudopus) zeigt sich namentlich im Bereiche des Halstheils des M. capiti-dorso- clavicularis (eueullaris) , der auch bei vollkommener Ausbildung des Muskels immer schwächer als der hintere war, eine Reduction der Muskelfasern, welche eine Trennung desselben in eine vordere vom Kopf und dem Anfang des Halses kommende und eine hintere vom Rücken entspringende Partie bedingt. Je nach der Ausbildung die- ser Reduction bieten dann beide Partien des Cucullaris zwei von eine Angabe, die von keinem Untersucher bestätigt worden ist. — RÜDINGER’s Beschreibung leidet an mehrfachen Ungenauigkeiten. So lässt er den Muskel bei Lacerta von dem »dünnen mit dem Brustbein zusammenhängenden Knochen ete.«, bei Phrynosoma von dem »ziemlich breiten Brustbein ete.« entspringen (in- seriren), ohne die derartig angeführten Knochen näher zu priicisiren, so dass nicht ersichtlich ist, ob unter dem ersten das Episternum und ob unter dem letzten das Episternum oder Sternum gemeint ist. 1) Diese Anheftung ist auch von MECKEL und RÜDINGER, als Ursprung vom Peetoralis oder als Zusammenhang mit diesem Muskel, angegeben worden. In Wirklichkeit wird die Verbindung, die übrigens sehr lose ist, erst durch«die _ Brustfaseie vermittelt. 2) Die Insertion an der Clavicula kommt sämmtlichen Sauriern mit wohl ausgebildetem M. cucullaris zu; ausserdem aber können obere Fasern auch an dem angrenzenden Theile der Scapula (Processus clavicularis) “in grösserer (Liolepis) oder geringerer Ausdehnung (Ameiva, Salvator, Lacerta, einzelne Scineoiden) sich anheften. Bei Uromastix findet die Insertion ausser an dem Processus clavicularis scapulae zum grossen Theile an einem von diesem zu dem Episternum ausgespannten Bande statt, während nur unbedeutende Fasern sich mit der Clavicula selbst verbinden. — RÜDINGER führt an (pag. 61), dass die hintere Abtheilung des M. cucullaris sich »an das mit dem Schlüsselbein knö- chern verbundene Os acromiale anhefte, so dass man nicht bestimmt entschei- den kann, ob der Muskel mit den beiden Knochen oder nur mit dem Acromion oder dem Schlüsselbein in Verbindung steht.« Eine nur einigermassen sorgfäl- tige Präparation würde RÜDINGER über die wahre Natur dieser Verbindung von Clavieula und »Os acromiale« vollständig aufgeklärt und somit seine Zweifel, die Insertion des M. cucullaris betreffend, sofort gelöst haben. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 697 ‚einander oft weit entfernte und ganz verschieden faserige Muskeln dar, von denen der erstere neben dem M. capiti-cleidoepisterna- lis vom Kopf und Anfang des Halses schräg nach unten und hinten zur Clavicula und der die Brustregion deckenden Fascie verläuft und sich oft durch deren Vermittelung mit Elementen des M. obliquus abdominis externus verbindet!), während der letztere als ein ziem- lich kleiner Muskel von der oberen Rückenkante im Bereiche des 6. bis 13. Wirbels in wechselnder Ausdehnung entspringt und an den oberen Theil der Clavicula geht?). Bei Lophyrus ist diesem Re- ductionsprocesse die ganze vordere Partie des M. capiti-dorso-clayi- cularis anheimgefallen: der Cucullaris stellt hier einen ganz kleinen Muskel dar. der yon den Processus spinosi des 6. bis 10. Wirbels entspringt und nach kurzem Verlaufe an dem Suprascapulare inse- rirt. Aehnlich ist auch der M. capiti-cleidoepisternalis zu einem schlanken Muskelbündel reducirt, das vom Os squamosum zum Epi- sternum und der Brustfascie verläuft. Bei Phrynosoma endlich ist der ganze M. cucullaris entweder bis auf minimale Muskelreste (Phrynosoma Harlanii: RüÜDINnGER, eig. Beob.) oder vollkommen , !\ In diesem Falle (bei fusslosen Sauriern) fehlt oft die Insertion an der Clavieula, indem der ganze Muskeltheil einen durchaus oberflächlichen Verlauf darbietet. Dieses Verhalten ist vergleichend - anatomisch von Wichtigkeit. Die näheren Details vergleiche bei FÜRBRINGER a. a. O. pag. 25 f. — RÜDINGER führt auch für Seps und Gongylus eine Verbindung mit den Mm. reetus und obliquus abdominis an; an dem von mir untersuchten Exemplare von Seps wurde dieselbe vermisst. Seine Angaben über diese Verbindung bei Anguis kann ich bestätigen. Bei Pseudopus lässt er den M. cleidomastoideus (der nach mei- ner Darstellung auch Elemente des M. cueullaris in sich enthält) »mit der grösseren Abtheilrng von dem (erwähnten) sehnigen Bande (»das vielleicht als Rudiment des Acromion aufgefasst werden könnte«) und mit der kleineren obe- ren »vom lateralen Ende der Clavicula« entspringen. Diese Angabe bleibt un- verständich. Wenn RÜDINGER das erwähnte Band mit dem Acromion ver- gleieht (eine Deutung, die übrigens leicht widerlegt werden kann und zu der nicht einmal eine Veranlassung vorliegt, da Pseudopus eine Clavicula hat, die wie bei den andern Sauriern mit der Scapula verbunden ist), so muss er annehmen, dass es dorsal von der Clavicula oder wenigstens nicht ventral von ihr liegt; und doch lässt er die obere Partie von der Clavieula, die andere (also die un- tere) von seinem Acromialhomologon entspringen! 2) Auch können einzelne Fasern an den anliegenden Theilen der Scapula sich anheften; immer aber ist diese Insertion ganz untergeordneter Natur und er- reicht nie die Ausdehnung, wie sie MECKEL bei Anguis beschreibt. Da, wo die Clavicula als selbstständiger Skelettheil vollkommen fehlt, wie z. B. bei Acontias, stellt der hintere Theil des M. cucullaris nur eine von dem M. ileo- costalis sich abhebende Lamelle dar. 46* 698 M. Fiirbringer (Phrynosoma coronatum: SANDERS) reducirt und durch Bindegewebe ersetzt, während der M. capiti-eleido-episternalis') nur in geringem Maasse verkümmert ist. Innervirt durch R. accessorius externus n. vago-accessorii (M. capiti-cleidoepisternalis) und durch die Nn. thoracici anteriores II. (12), IV. (2%) und V. (3°) (M. capiti-cleido-episternalis und M. capiti-dorso-clavicularis) 2). Die Mm. eapiti-cleidoepisternalis (episterno - cleido- mastoideus) und capiti-dorso-clavicularis (cucullaris) stellen Muskelbildungen vor, die weder den gleichnamigen der Amphibien noch denen der Säuge- thiere direct homolog sind. Die Hauptdifferenz liegt in der Ver- schiedenheit der Innervirung: bei den Amphibien wird der M. cu- eullaris lediglich vom N. vago-accessorius, bei den Säugethieren gleich wie der M. sterno-cleido-mastoideus durch Elemente des N. vago-accessorius und spinaler Nerven versorgt; bei den kionokranen Sauriern hingegen innervirt der R. accessorius externus n. vago- accessorii nur den kleinsten, unteren und vorderen, Theil (M. eapiti- celeidoepisternalis) in Gemeinschaft mit spinalen Nervenelementen (speciell vom 3. Spinalnerven), während die Hauptmasse (M. cueul- laris) lediglich von Spinalnerven (Nn. thoracici Ill. —V.) versorgt wird. Es können danach die in Frage kommenden Bildungen der Amphibien (M. capiti-dorso-scapularis der Urodelen, M. capiti-sea- pularis der Anuren) nur mit dem M. capiti-cleidoepisternalis der kionokranen Saurier, und zwar auch nur mit dessen von N. vago- accessorius innervirten Elementen verglichen werden, während eine Homologie mit den von den Nn. thoraeiei anteriores versorgten Mus- keltheilen (M. capiti-cleidoepisternalis z. Th. und M. capiti-dorso-elavi- eularis) sofort auszuschliessen ist. Dieselben stellen neue den Am- phibien abgehende Gebilde dar. Aber auch für die ersteren ist die Homologie nur eine incomplete, da Ursprung, namentlich aber In- sertion der entsprechenden Muskeln der Amphibien und Saurier srosse Differenzen darbieten (Ursprung von Kopf und Rücken bei ‘Urodelen, von Kopf allein bei Sauriern; Insertion an der Scapula !) RÜDINGER beschreibt bei Phrynosoma Harlanii (comutum) eine Anhef- tung an Kopf und Proc. transversus des 1. Halswirbels. Weder nach SANDER’s an Phr. coronatum, noch nach den eigenen an Phr. Harlanii angestellten Unter- suchungen kann diese Behauptung bestätigt werden. 2) Diese Angaben bezüglich der Nn. thoracici anteriores IIl.—V. gelten für die typischen kionokranen Saurier. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 699 bei Amphibien (bei Anuren sogar an deren Innenfläche), an Epister- num und Clavieula, z. Th. sogar ganz oberflächlich an der Brust- fascie bei Sauriern). Näher als zwischen Amphibien und kionokra- nen Sauriern sind die Beziehungen zwischen letzteren und den Säugethieren, insofern, als die entsprechenden Bildungen der Säuge- thiere ebenso wie bei den Sauriern ausser von Elementen des N. vago-accessorius auch von denen spinaler Nerven versorgt werden. Doch ist die Art der Vertheilung bei beiden eine derartig verschie- dene, dass wohl eine Homologie des M. capiti-cleidoepisternalis der Saurier und des M. sterno-cleido-mastoideus der Säuger statuirt werden kann (beide werden von N. accessorius externus und von Spinalnerven innervirt), dass aber für die Mm. cucullaris der Sau- rier und Säugethiere nur eine sehr incomplete Homologie angenom- men werden darf (vom Vergleiche sind sofort auszuschliessen die von N. vago-accessorius versorgten Elemente des M. eueullaris der Säugethiere). Die Mm capiti-cleidoepisternalis und capiti-dorso-clavicularis repräsentiren demnach Muskelbildungen, die wohl einzelne Elemente enthalten, welche mit bei Amphibien und Säugern vorkommenden vergleichbar sind, die aber in der besonderen Vertheilung ihrer Ele- mente eine eigenthümliche Anordnung darbieten und eine von den Amphibien und Säugethieren gesonderte Stellung beanspruchen. Diese eigenthümliche Anordnung beruht darauf, dass die betreffenden Muskeln einen Complex von Muskelmetameren darstellen, deren er- stes dem Innervationsgebiet des N. vago-accessorius (von R. accesso- rius externus innervirter Theil des M. capiti-cleido-episternalis) und deren zweites, drittes und viertes, dem Innervationsgebiet spinaler Nerven angehört (von N. thoracicus anterior III. versorgter Theil des M. capiti-cleidoepisternalis und der ganze M. capiti-dorso-ela- vieularis (eueullaris))'!). Das erste Muskelmetamer ist das ältere, der urspünglichen Cueullaris-Bildung entsprechende, das zweite bis vierte hingegen stellen eine bei den Reptilien zuerst auftretende neue Bil- dung dar, die mit der Rückwärtswanderung des Brustgürtels und mit der metamerischen Umbildung des Plexus brachialis in Zusam- !) Die kionokranen Saurier theilen in den Hauptzügen diese Anordnung mit den übrigen Reptilien und den Vögeln. Die Chelonier betreffend vergl. übrigens den 2. Theil dieser Abhandlung (Jenaische Zeitschrift. Bd. VIII. N. F. 1. pag. 245, 246: M. testo-scapulo-procoracoideus), wo die betreffenden Ver- hältnisse vorausgreifend bereits kurz angedeutet sind. 700 M. Fiirbringer menhang zu bringen ist. Je weiter der Brustgürtel nach hinten rückte, um so mehr war Gelegenheit gegeben für die Neubildung von Muskelelementen, die sich an den (von dem N. vago-accessorius versorgten) ursprünglichen M. cucullaris hinten anlagerten und, wegen Gleichartigkeit der Funetion, in der allgemeinen Gestalt mit ihm ziemlich übereinstimmten aber von weiter hinten gelegenen Nervenelementen versorgt wurden. So entstand ein neugebilde- ter, dem ursprünglichen M. cucullaris nur in seinem vordersten Theile homologer, in seiner Hauptmasse aber blos imitatorisch-homodynamer oder parhomolo- ger Muskel. Die weiteren Differenzirungen dieses Muskels sind speeiellerer Natur. Durch Spaltbildung im vorderen Theile wurde der Muskel in zwei Portionen zerlegt, deren vordere untere von mir im An- schluss an frühere Autoren (besonders Mıvarr und Humpury) als M. capiti-cleidoepisternalis (Episterno-cleido-mastoideus), deren hin- tere als M. capiti-dorso-clavicularis (cucullaris) unterschieden worden ist. Dass diese Bezeichnung durchaus keine speciellere Homologie mit den gleichnamigen Bildungen der Amphibien und Säuger aus- drückt, bedarf nach dem bereits Gesagten kaum einer besondern Erwähnung: die gebrauchten Namen drücken nur eine gewisse Uebereinstimmung in der Gestalt, sowie in den Ursprüngen und An- sätzen der betreffenden Muskeln aus. Diese auf den Muskel in seiner vollständigsten Ausbildung angepasste Bezeichnung seiner bei- den Theile musste consequenter Weise auch beibehalten werden, da, wo der hintere Theil einem theilweisen Verkümmerungsprocess an- heimgefallen ist. Frühere Autoren hatten, getäuscht durch eine gewisse Aehnlichkeit der Gestalt und unter Missachtung des bei al- len Sauriern, wenn auch oft wenig ausgeprägt, existirenden Spaltes im vordern Abschnitte, die vordere Portion des M. cucullaris mit dem M. episterno - cleido-mastoideus vereinigt und nur die hintere Portion des ersteren Muskels als M. cucullaris aufgefasst. HumPHRY hat zuerst bei Pseudopus in der Bildung, die bisher allgemein als M. sterno-eleido-mastoideus beschrieben wurde, die Elemente dieses Muskels und des M. trapezius auseinandergehalten und ihm folge ich für alle ähnlichen Bildungen. Die Deutungen älterer Anatomen, die theils eine Homologie mit Elementen der Mm. rhomboideus , subeutaneus colli und latissimus dorsi betonten (MEcKEL), theils eine Vergleichung mit dem M. sterno- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 1701 cleido-mastoideus für fraglich hielten (HEUSINGER), beruhen einerseits auf ungenauer Präparation der bezüglichen Muskeln, anderseits ent- behren sie jeder Begründung, so dass wir sie füglich übergehen können. Für den hinteren Theil des M. cucullaris von Pseudopus hat neuerdings Humpnury eine Homologie mit M. cucullaris und la- tissimus dorsi behauptet'). Ich kann dieser Annahme nicht bei- stimmen. Enthielte der hintere Theil des M. cucullaris Elemente des M. latissimus dorsi, so würde eine Innervirung der bezüglichen Fasern durch Elemente eines N. latissimus dorsi nachzuweisen sein. Die genaue Untersuchung (mit Zuhülfenahme des Mikroskops und auf- hellender Reagentien) ergibt aber, dass der M. cucullaris durch einen Nerven versorgt wird, der von seinem Vorderrande her an seine Unterfläche geht und sich von hier in dem ganzen Muskel verzweigt, während nirgends eine Spur von Nervenelementen existirt, die von dem unteren hinteren Rande des Muskels her eindringen. Letzterer Rand ist übrigens auch in seiner ganzen Länge so scharf abgegrenzt, dass an eine von unten her beginnende Verkümmerung kaum ge- dacht werden kann. Danach ist eine Homologie mit dem M. latis- simus dorsi auszuschliessen. ‘2. Collo-seapularis superfieialis (Levator scapulae superficialis) (essp). Unterer Vorwärtszieher (Heber des Schulterblatts, Levator scapulae): MECKEL, HEUSINGER. Levator scapulae: PFEIFFER, RÜDINGER (fusslose Saurier), SANDERS. Levator: STANNIUS. Levator claviculae: MIVART. Levator anguli scapulae: RUDINGER (typische Saurier). Collo-seapularis s. Levator scapulae: FURBRINGER. Kraftiger und in der Regel breiter Muskel an der Seitenfläche des Halses, der unter M. capiti-eleido-episternalis liegt und von ihm mehr oder weniger vollkommen bedeckt ist?). Er entspringt mit !) Also ähnlich wie MECKEL und ich (Die Knochen und Muskeln etc.) frü- her für Anguis annahmen. 2) Bei Lophyrus, wo der M. capiti-cleidoepisternalis sehr dünn ist, liegt der grösste Theil des M. levator scapulae superficialis frei unter der Haut, dem M. sphineter colli und M. depressor maxillae inferioris. 702 M. Fiirbringer kräftiger Sehne von den Querfortsitzen der vorderen Halswirbel, namentlich vom Processus transversus I. (selten auch vom Occipitale laterale)') und geht in einen starken Muskelbauch über, der mit divergirenden Fasern nach hinten verläuft und am vorderen Theile des dorsalen Schultergürtels in verschiedener Ausdehnung (Aussenfläche, Vorderrand und Oberrand des Suprascapulare, scapulares Ende der Clavieula) 2) inserirt. Häufig zeigt der Muskel einen Zerfall in 2 Bäuche (viele Scincoiden) oder 2 Schichten (Uromastix, Euprepes ete.), welche letzteren namentlich an ihrem untern Rande durch den M. omo-cleido-episterno-hyoideus superficialis, der sich zwischen sie — einschiebt, deutlich getrennt sind: die obere Schicht inserirt dann in der Regel an der Aussenfläche des vorderen Theils der Seapula bis nach hinten zum Ursprunge des M. dorsalis scapulae und dem 1) In der Regel entspringt der Muskel bei den typischen Sauriern von dem Processus transversus I. (Platydactylus, Lacerta, Ameiva, Salvator, Iguana, Liolepis, Phrynosoma, Uromastix); häufig werden aber auch Ursprünge von di- staleren Wirbeln beobachtet, z. B. vom 1. und 2. bei Seps, Ophiodes, Pygo- pus, Euprepes, vom 2. und 3. bei Pseudopus; sehr selten kommen einzelne Fasern auch vom Occipitale laterale (Euprepes, Seps?, Gongylus?). Einzelne Saurier scheinen individuelle Schwankungen darzubieten; so entspringt der Mus- kel von Anguis fragilis nach MECKEL vom Zitzentheil des Schläfenbeines (?), nach HEUSINGER vom Processus transversus I., nach: RÜDINGER vom 2. und 3. Querfortsatz, nach der eigenen Untersuchung vom 2. Querfortsatz. Die Angabe RÜDINGER’s, wonach der M. levator scapulae der meisten typischen Saurier vom »stark prominirenden Querfortsatz des 2. Halswirbels« entspringen soll, beruht auf einer Verwechselung des 1. und 2. Halswirbels; der 2. Halswirbel hat kei- nen besonders ausgeprägten Processus transversus. Ebenso sind die Angaben MECKEL’s und RÜDINGER’s, wonach der Levator von Anguis, Seps und Gongy- lus gar nicht von Halswirbeln, sondern nur vom Schidel entspringt, mit Vor- sicht aufzunehmen. 2) An Scapula (Suprascapulare) und Clavicula findet die Insertion statt bei der Mehrzahl der typischen Saurier (Ameiva, Salvator, Lacerta, Iguana, Platydactylus, Gongylus, Euprepes, Uromastix; bei letzterem ist die claviculare Insertion sehr gering), während die claviculiire Anheftung Liolepis, Phrynosoma, Stellio, sowie den meisten atypischen Sauriern (ausser Lialis) abgeht. Während bei den typischen Sauriern die Insertion in der Regel auch auf einen be- trächtlichen vorderen Theil der Aussenfläche ausgedehnt ist (besonders bei Phrynosoma), fehlt diese Anheftung den meisten fusslosen Sauriern, wo die Insertion nur am vorderen Rand der Scapula (Suprascapulare) Statt hat. — Von den eben gemachten Angaben weichen die einzelner Autoren ab; so be- schreibt HEUSINGER für den M. levator scapulae von Pseudopus und Anguis auch eine Insertion an der Clavicula, SrTANNIUS für die kionokranen Saurier im Allgemeinen eine Anheftung nur am vorderen Rande der Scapula. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 703 scapularen Ende der Clavicula, die untere in der Regel nur am vor- deren Rande des Suprascapulare. Bei einer Anzahl fussloser Sau- rier redueirt sich der Muskel, namentlich auf Kosten der oberfläch- lichen Schichten und wird dann an seinem unteren Rande von dem M. omo-cleido-episterno-hyoideus superficialis gedeckt; bei Acontias scheint er ganz verkümmert zu sein. © Innervirt durch N. thoracicus superior II. und IV. Der Muskel ist von sämmtlichen Autoren als Homologon des M. levator scapulae des Menschen erkannt worden; Mivarr hat ihn zum Unterschiede von einem tieferen ähnlichen Muskel M. levator elavieulae benannt, eine Bezeichnung, die aber nicht der Insertion des Muskels entspricht und besser mit dem Namen M. levator scapulae superficialis vertauscht wird. Die Homologie mit den gleichnamigen Bildungen des Menschen wie der Amphibien ist keine complete. Bei den Amphibien, speciell den Urodelen') inserirt der Muskel, abgesehen von der elavieulären Anheftung, allerdings ähnlich wie bei den kionokranen Sauriern, aber er entspringt lediglich vom Kopfe, bei dem Menschen kommt er von den Querfortsätzen der Halswirbel, aber er heftet sich niemals an die Aussenfläche der Scapula an. Doch sind diese Differenzen nicht wesentlich genug, um eine direete Ver- gleichung auszuschliessen. Als Ausgangspunet für die Vergleichung dient der M. levator scapulae der Amphibien. Durch Neubildung - distalerer Bündel (deren Entwicklung vielleicht auch in einem gewissen Causalnexus zu der 'Rückwärtswanderung des Brustgürtels steht) wird der ursprünglich auf den Kopf besehränkte Ursprung des Mus- kels auch auf Halswirbel übertragen einzelne Seineoiden, wo der M. levator scapulae von Occipitale laterale und den Querfortsätzen vorderer Halswirbel entspringt) und kann sieh endlich unter Verküm- merung des. ursprünglichen Kopfursprungs auf die letzteren beschrän- ken (Mehrzahl der kionokranen Saurier) 2). 1) Von den ganz einseitig differenzirten Bildungen der Anuren sehe ich hier ab. 2) Bei den Cheloniern ist dieser Process noch weiter distal — auf die 6 bis 7 letzten Halswirbel — fortschritten. (Vergl. den 2. Th. dieser Ab- handlung. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. Bd. VIil. N. F. 1. pag. 246). 704 M. Fürbringer 3. Thoraci-scapularis superficialis (Serratus superfieialis) (Thssp). Hinterer Theil des inneren grösseren Rückwärtszie- hers (des vorderen 'grossen gezahnten Mus- kels): MECKEL (typische Saurier) !). Theil des Serratus anticus major: PFEIFFER. Theil des Serratus: STANNIUS. I. Portion of Serratus magnus and Levator anguli scapulae: MıvArr. Sewratus anticus major: RÜDINGER (Pseudopus, Anguis). Pars posterior m. serrati antici majoris, Posterior | seetion (part) of Serratus, Serratus poste- rior: RÜDINGER (typische Saurier), SANDERS. Sterno-costo-scapularis: FÜRBRINGER. Serratus II.: Humpury. - Breiter und ziemlich kräftiger Muskel an der Seitenfläche des Rumpfes, der vom M. latissimus dorsi und M. teres major (wenn dieser vorhanden ist) bedeckt wird. Er entspringt in sehr verschie- dener Ausdehnung von der ersten Sternocostalleiste und den letzten Halsrippen ?) und geht mit schräg noch vorn und oben aufsteigenden parallelen Fasern zur Scapula, speciell dem Suprascapulare, an de- ren hinteren Rande (und oft dem daran angrenzenden Saume der Innenfläche?) er inserirt. In der Gegend seines Ursprungs stehen ') Bei Anguis unterscheidet Macken No. 4: unterer Riickwirtszieher, der unten von 4 vorderen Rippen ehtsteht, sich etwas aufsteigend, dicht unter dem Cucullaris an den hintern Rand des Schulterblatts ansetzt und wohl dem gros- sen Brustmuskel entspricht, und No. 5: kleinerer ähnlich verlaufender Brustmuskel, der den kleinen Brustmuskel oder zugleich ihn und den grossen Sägemuskel darzustellen scheint.« Aus dieser Beschreibung ist nicht zu ersehen, ob No. 4 oder ein Theil von No. 5 dem Serratus superficialis entspricht. HEUSINGER folgt für Pseudopus im Wesentlichen MECKEL, lässt aber No. 4 von der 5. und 6. Rippe entspringen und an der äusseren Fläche des Schulterblatts und dem hintern Rand der Furcula inseriren. 2) Der Ursprung findet statt an den 2 letzten Cervicalrippen bei Lacerta, Ameiva, Salvator, Iguana, Phryndsoma, Liolepis und Platydactylus, an den letzten Halsrippen und der 1. Brustrippe (Sternocostalleiste) bei Uromastix und Pygopus, an der letzten Halsrippe und den 2 ersten Brustrippen bei Varanus, an der letzten Halsrippe und der ersten Brustrippe bei Euprepes, Gongylus, Seps und Ophiodes; bei den atypischen Sauriern mit freiem Sternum entspringt er bald von 2 (Pseudopus), bald von I Rippe (Pseudopus cf. Humpury, Lialis). 3) Lediglich am hinteren Rande inserirt der Muskel z. B. bei Lacerta, Ameiva, Salvator, an diesem und dem angrenzenden Saume der Innenfläche z. B. bei Uromastix. e Pu Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 705 seine oberflächlichen Fasern häufig mit dem M. obliquus abdominis externus in näherer Beziehung, derart, dass sie namentlich bei den typischen Scincoiden') sehr schwer, bei den meisten fusslosen Sau- riern aber gar nicht von ihm abgetrennt werden können; im letzte- ren Falle ist auch der Ursprung der tieferen Portion von Sterno- costalleisten nicht überall nachweisbar. An der Insertion schieben sich häufig die unteren Fasern des Muskels zwischen den Anfang des M. supscapularis und trennen diesen dann in einen oberfläch- lichen und tiefen Theil?). Bei den meisten fusslosen Sauriern per- sistirt der M. serratus superficialis als ein ansehnlicher Muskel®), der aber seine Selbstständigkeit dem M. collo-thoraci-scapularis pro- fundus gegenüber zumeist aufgegeben hat; nur bei wenigen, Lialis und Acontias, ist er, bei ersterem zu einem kleinen Muskel, bei letz- terem total, verkümmert. Innervirt durch N. thoracicus superior VI. und VII. (7. und 9.) (typische Saurier) und N. thoracieus superior V. (9) (Pseudopus). Der M. thoraei-seapularis superficialis (serratus superficialis) ge- hört unzweifelhaft dem System des Serratus an, wie auch die Mehr- zahl der Autoren angenommen hat. Er unterscheidet sich aber von den entsprechenden Muskeln bei den Amphibien und Cheloniern durch die ventralere Lage seines Ursprungs, der sich zum Theil auf die ventralen Rippenabschnitte (Sternocostalleisten) ausgedehnt hat, sowie durch seine (bei einzelnen Gattungen eingegangenen) innigen Beziehungen zu dem M. obliquus abdominis externus. Beides hat mich früher (Knochen und Muskeln der Extremitäten bei den schlan- genähnlichen Sauriern 1870 pag. 100) veranlasst, ihn von dem Sy- stem des Serratus abzutrennen und als separaten Muskel aufzufassen, eine Auffassung, die ich jetzt für irrthümlich halte. 1) SANDERS beschreibt bei Platydactylus japonicus eine Fortsetzung nach dem Xiphisternum und den Knorpeln der 4. und 5. Sternalrippe; bei den von mir untersuchten Exemplaren, Pl. aegyptiacus und guttatus, fehlt diese Fort- setzung: der Muskel entspringt hier lediglich von den beiden letzten Cervical- rippen. 2) Dieses Verhältniss ist bereits von Mıvarr und RÜDINGER angegeben worden; letzterer lässt unbestimmt, ob der oberflächliche Theil Teres major oder Subscapularis ist, betont aber mit Recht, dass (falls dieser Theil Subscapu- laris ist) Saurier und Vögel sich hierin übereinstimmend verhalten. 3) Bei Einzelnen ist er sogar relativ ansehnlicher als der entsprechende Muskel der typischen Saurier. 706 M. Fiirbringer 4. Collo-thoraci-scapularis profundus (Levator scapulae et Serratus profundus) /ethspr\. Vorderer (kleinerer) Theil des inneren grösseren Rückwärtsziehers (des vorderen grossen gezahnten Muskels) und Rautenmuskel (oder vorderer Theil des vordern grossen Säge- muskels): MECKEL (typische Saurier) !). Rhomboidei Mecker's oder richtiger Theile des Ser- ratus anticus major und Serratus anticus minor (Pectoralis minor Aut.) z. Th: PFEIFFER. Theil des Serratus: STANNIUs. 2.— 4. Portion of Serratus magnus and Levator anguli scapulae: MIVART. Pars anterior m. serrati antici majoris, Anterior section of serratus: RÜDINGER, SANDERS (Platy- dactylus). Costo-subscapularis s. Serratus anticus major: Ftr- BRINGER. Serratus I: HumpuHry. Serratus anterior 1. and 2.: SANDERS (Liolepis und Phry- nosoma). Mittelstarker , zum grössten Theile von der Scapula bedeckter Muskeleomplex , der bei der Mehrzahl der typischen Saurier aus zwei Schichten zusammengesetzt ist. Die kleinere oberflächliche Schicht (cthspr, 2) wird im ausgebildeten Zustande repräsentirt durch. zwei schwache Muskel- bündel, die bei den einzelnen Sauriern in verschiedener Weise von den Spitzen zweier Cervicalrippen entspringen®) und in der Regel!) I, Ob Meckev'’s No. 5 von Anguis (der nach M’s. Angabe den kleinen Brustmuskel oder zugleich ihn und den grossen Sägemuskel darzustellen scheint) dem M. collo-thoraci-scapularis profundus allein oder zugleich diesem und dem M. serratus superfieialis entspricht, ist aus dessen mangelhafter Darstellung nicht zu ersehen. 2) Diese Schicht entspricht (abgesehen von den Insertionen, die sich etwas anders verhalten) der 2. und 4. Portion des Serratus magnus MIvART's, sowie dem Serratus anterior 2. von SANDERS. 3) Diese Bündel entspringen von der Rippe des 4. und 6. Wirbels bei Sal- vator, des 5. und 6 Wirbels bei Lacerta, Platydactylus, des 6. und 7. Wirbels bei Trachysaurus, Uromastix, von der des 7. und 8. Wirbels bei Iguana (ef. MIVART). 4) Ausgenommen ist allein das bei Salvator von der Rippe des 4. Wirbels entspringende Bündel, das nach oben und hinten verläuft. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 707 nach oben und vorn an die Unterfläche des Suprascapulare gehen, wo sie in der mittleren Höhe desselben, unterhalb der tiefen Schicht und oberhalb des M. subscapularis inseriren'). Seltener (einzelne Seineoiden z. B. Gongylus) wird diese Schicht durch ein Bündel repräsentirt, das von der Spitze der vorletzten Halsrippe (die dem 7. Wirbel angehört) nach oben und vorwiegend nach vorn zur Un- terfläche des vorderen Winkels geht. Die stärkere tiefe Schicht (cthspr,)*) stellt eine breite, unun-. terbrochene oder nur eine geringe Andeutung eines Zerfalls zeigende Muskelausbreitung dar, die in verschiedener Ausdehnung von den Cervicalrippen des 4.—7. Wirbels (von denen des 4.—6. bei Ameiva, Salvator, Lacerta, Platydactylus, von denen des 5. und 6. bei Liolepis, Phrynosoma (coronatum), von denen des 5.—7. bei Trachysaurus, Gon- gylus, Uromastix, von denen des 6. und 7. bei Iguana) entspringt und, bedeckt von der oberflächlichen Schicht, mit nach oben und etwas nach hinten verlaufenden Fasern, zur Innenfliiche des Suprascapulare geht, wo sie oberhalb der oberflächlichen Schicht nahe dem obe- ren Saume breit inserirt. Die vorderen und hinteren Partien des Muskels grenzen an die Mm. levator scapulae superticialis und serratus superficialis an und sind z. Th. mit ihnen, namentlich mit letzterem, verwachsen. Bei ein- zelnen Gattungen (bes. aus der Familie der Scincoiden) ist es un- möglich, die beiden Schichten deutlich zu sondern. Dieses Verhal- ten drückt einen Zustand der beginnenden Verkümmerung aus, die bei den fusslosen noch weiter fortgeschritten ist und hier entweder zur Aufgabe der Selbstständigkeit gegenüber dem M. serratus super- ficialis (Pseudopus, Pygopus ete.) oder zur vollständigen Reduction (Lialis, Acontias) geführt hat. ') Am einfachsten ist die Insertion bei Lacerta, Platydactylus, Phrynosoma, wo sie die Uhterfläche des vorderen Winkels einnimmt, complieirter bei Uro- mastix und Iguana, wo das vordere Bündel an der Unterfläche des vorderen Winkels, das hintere im Bereiche der hinterenHälfte der Unterfläche sich anhef- tet. Bei Salvator inserirt das hintere Bündel entsprechend der ganzen Schicht von Lacerta, Platydatylus etc. an der Unterfläche des vorderen Winkels, wäh- rend das vordere, von der Cervicalrippe des 4. Wirbels entspringende und nach oben und hinten verlaufende Bündel, sich am vorderen Saume der Unterfläche des vorderen Winkels, vereinigt mit dem M. levator scapulae superficialis an- : hettet. 2) Entspricht der 3. Portion des M. serratus magnus von MıvArT und dem Serratus anterior 1. von SANDERS. 708 M. Fiirbringer Innervirt durch den N. thoracieus superior VI. und VI. (7 und 9) (typische Saurier) und N. thoracicus supe- rior IV. und V. (7 und 9) (Pseudopus). Der Muskel gehört ebenfalls zum System des Serratus und re- präsentirt einen Complex tieferer Fasern desselben, die bei den kionokranen Sauriern eine besondere Differenzirung eingegangen sind, die mit der bei den Urodelen nur im Allgemeinen, mit der bei den Anuren aber gar nicht direet verglichen werden kann. Der Deutung "einzelner Bündel als Homologe des M. rhomboideus (MEcKEL) ist nieht beizustimmen , da die bezüglichen Muskeltheile von Cervicalrippen ihren Ursprung nehmen. 5. Sterno-coracoideus internus superficialis (sieisp) und Sterno- coracoideus internus profundus (stczpr). a) Sterno-coracoideus internus superficialis ') : External sterno-coracoid, sterno-coracoidalis exter- nus: MIVART, SANDERS (Liolepis, Phrynosoma). b) Sterno-coracoideus internus profundus?) : Peetoralis minor: STANNIUS. Internal sterno-coracoid, sterno-coracoideus inter- nus: MIVART, FÜRBRINGER. Sterno - eoracoideus, Sterno-coracoidalis: HUMPHRY, SANDERS. Die Mm. sterno-coracoidei interni superfieialis und profundus werden in der Regel repräsentirt durch zwei an der Innenfläche des 1) Der M. sterno-coracoideus internus superficialis wurde zuerst von MIVART bei Iguana aufgefunden. Allen früheren Untersuchern scheint er wegen seiner versteckten Lage (er ist innen bedeckt vom M. sterno-coracoideus internus pro- fundus) entgangen zu sein. 2) Zuerst von STANNIUS aufgeführt, während die früheren Anatomen (MECKEL, HEUSINGER) seiner keine Erwähnung thun. MıvarT hat ihn zuerst von dem M. sterno-coracoideus internus sujerficialis getrennt. — RÜDINGER sagt (pag. 76) : »Da, wo das Haken-Schliisselbein mit dem Brustbein articulirt, gehen von 2—3 Rippen Zacken aus, welche sich sehnig an den medialen Theil des Os coracoi- deum heften, und ich bin geneigt, diesen Muskel, ähnlich wie bei den Vögeln, Peetoralis minor zu nennen.« Unter dieser wenig präcisen Beschreibung kann ebensowohl der M. sterno-coracoideus internus profundus der kionokranen Sau- rier wie der M. costo-coracoideus der Crocodile verstanden werden. Die aus- serdem angeführten Beziehungen des M. triangularis sterni zum Coracoid be- treffen jedenfalls die Bildung bei den Crocodilen. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 709 Brustbeins~ und ventralen Brustgiirtels gelegene Muskeln, die Ster- num mit Coracoid verbinden. | Am einfachsten ist die Bildung bei Platydaetylus (guttatus). Hier entspringt ein ansehnlicher Muskel von der Innenfläche und dem vorderen äusseren Rande des Sternums {vom innern Labium der Ge- lenkfurche fiir das Coracoid), sowie von den angrenzenden Enden der Sternocostalleisten und geht nach vorn zur Innenfläche des Co- racoids medial neben dem Ursprunge des M. subcoracoideus. Die- ser M. sterno-coracoideus internus lässt an seinem insertiven Theile eine gewebliche Differenzirung erkennen, derart, dass die mediale (von der Innenfläche des Brustbeins und den Enden der Sternalleisten kommende) Portion sehnig und weiter vorn inserirt als die laterale (von der innern Lippe der Coracoidfurche ausgehende) Partie, welche fleischig sich an das Coracoid ansetzt. Diese Differenzirung entspricht der ersten Anlage einer Tren- nung in zwei ganz selbstständige Muskeln, M. sterno-coracoideus internus superficialis und M. sterno -coracoideus internus profundus, wie sich dieselbe im ausgebildeten Zustande bei den meisten typi- schen Sauriern, speciell bei Lacerta, Gongylus, Iguana, Phrynosoma, Lophyrus, Liolepis, Uromastix findet. M. sterno-coracoideus internus superficialis. Klei- ner und kurzer aber miissig breiter Muskel, der von der Innenfläche der inneren Lippe der Coracoidfurche des Sternums entspringt und, der Kapsel des Sterno-Coracoid-Gelenks aufliegend, nach vorn ‚zur Innnenfläche des Coracoid geht, wo er medial neben dem hintern Theile des Ursprungs des M. subcoracoideus fleischig inserirt. Er ist von dem M. sterno-coracoideus internus profundus geschieden durch das dem M. sterno-eosto-seapularis zum Ansatz dienende Ligamentum sterno-scapulare internum. M. sterno -coracoideus internus profundus. Ziemlich grosser flächenhafter Muskel, der von der Innenfläche des Sternums, namentlich im Bereiche des hinteren Abschnittes, in wechselnder Ausdehnung !) sowie von den angrenzenden Enden der Sternocostal- leisten entspringt und direet nach vorn verläuft, wobei er an der Grenze zwischen Sternum und Coracoid, oder schon in dem Bereiche des vorderen Theiles des Sternums in eine lange und ziemlich !) Der Muskel entspringt von den hinteren 2 Dritteln der Innenfläche des Sternums bei Lacerta, von dem hintern Drittel bei Uromastix, von dem hintern Sechstel bei Liolepis ‘cf. SANDERS). 710 M. Fürbringer schmale Sehne!) übergeht, welche sich an der Innenfläche des M. sterno-coracoideus internus superfieialis vorbei nach der Innenfläche des Coracoids begibt, wo sie vor letzterem Muskel sich ansetzt. Bei den fusslosen Sauriern ist dieser Muskel in der Regel bis auf spärliche , seitlich gelegene Rudimente {Pygopus, Pseudopus ?), Lialis!, die speciell dem M. sterno-coracoideus internus superficialis zu entsprechen scheinen, verkiimmert oder total redueirt (Ophiodes, Acontias) . Innervirt durch Zweige des N. thoracicus inferior (10%). Die Mm. sterno-coracoidei interni gehören ebenso wie der nächst- folgend beschriebene M. sternocosto - seapularis (costo-coracoideus) dem System ventraler (von dem System der Mm. serrati durch den Plexus brachialis und seine Endäste getrennter) zwischen Rumpf und Brustgürtel erstreckter und von selbstständig entspringenden Nn. thoracici inferiores versorgter Muskeln an, welches unter den Am- phibien im M. abdominis-scapularis der Anuren, unter den Cheloniern im M. testo-coracoideus Repräsentanten besitzt. Sie sind diesen Muskeln im weitesten Sinne homolog; jede Art speciellerer Homolo- gie wird durch die grossen Unterschiede, welche Ansatz, nament- lich aber Ursprung darbieten , ausgeschlossen. — Zu den wesent- lichsten Charaeteren der Mm. sterno-coracoidei interni und sterno- costo - scapularis (costo-coracoideus) der Saurier gehört der von Sternocostalleisten und - von der Innenfläche des Sternums stattfin- deyde Ursprung. Bezüglich dieses Verhaltens treten die Saurier in nähere Verwandtschaft zu den Crocodilen, Vögeln und Monotre- men. Auch diesen kommen sämmtlich Mm. sterno-coracoidei und costo-coracoidei zu, die zwar im Detail mannigfache Differenzen zeigen, aber in den Hauptpuneten — Innervirung durch selbstständige Nn. thoraciei mferiores, Ursprung von Sternocostalleisten oder vom Sternum, Insertion am primären Brustgürtel (namentlich dem 1) Bei Lacerta ist diese Sehne in mehrere feine Fascikel aufgelöst. 2) RÜDINGER führt (pag. 10) bei Pseudopus (und Anguis) einen M. pecto- ralis minor an, der von den unteren medialen Enden der 3 ersten Rippen ent- springt und, schmaler werdend, nach vorn und etwas lateralwärts gelangt, um sich am Os coracoideum zu befestigen. Dieser Muskel, der auch (Taf. I. Fig. 2. No. 4) abgebildet ist, entspricht keinem M. sterno-coracoideus internus und scheint eine direet zum System der Bauchmuskulatur gehörige Bildung zu sein. Uebrigens gibt die sonst sehr ungenaue Abbildung — die Seitenfalte der Ptycho- pleuren ist nach der Rückenseite zu verlegt, während sie auf Fig.1 richtig liegt, der abgelöste M. pectoralis major verhält sich anders, als nach Fig. 1 zu schlies- sen wäre etc. — keine bestimmten Anhaltspuncte. u ar a Sl Pe eC Zur vergleichenden Anatomie der Sehultermuskeln. 711 Coracoid) — gtosse Uebereinstimmung darbieten. Die Mm. sterno- coracoidei der Monotremen ihrerseits stehen, wie bei der Dar- stellung der Schultermuskeln der Säugethiere ausführlich nach- gewiesen werden soll, wieder zu dem M. subelavius der Marsupialia und Placentalia (besonders durch Vermittelung von dessen zu Seapula und Processus eoracoideus erstreckten Varietäten !)) in nä- herer Beziehung. Die Mm. sterno-coracoidei interni und sterno- costo-scapularis (costo -coracoideus) der kionokranen Saurier sind somit mit dem menschlichen M. subelavius zu homologisiren, wo- bei aber zu betonen ist, dass die eigenartige Differenzirung des M. subelavius (als aberrirende Bildung) eine speciellere Homologie ver- bietet. — Die von Srannius (und Riiprncer?) betonte Homologie mit dem M. pectoralis minor ist zurückzuweisen; derselbe stellt, wie dies zuerst und am ausdrückliehsten von ROLLESTON (a. a. O. pag. 609 f.) nachgewiesen und von mir bereits mehrfach betont worden ist, einen Abkömmling des M. pectoralis (major) dar und hat demnach keine besondere Beziehung zu dem M. sterno-coracoideus. Die Nomenclatur betreffend habe ich anstatt der MrvArr'schen Benennungen M. sterno-coracoideus externus und internus die Be- zeichnung M. sterno-coracoideus internus superficialis und profundus gewählt, da beide Muskeln nach innen von dem Sternum und Brust- gürtel liegen und deshalb consequenter Weise das Epitheton externus zu vermeiden ist. 6. Sternocosto-scapularis (Costo-coracoideus) (cc) ?). Aeusserer, unterer, kleinerer Rückwärtszieher (klei- ner gezahnter Muskel oder kleiner Brust- muskel): MECKEL (?). Sterno-scapularis: STANNIUS. Costo-coracoid: MIVART, HUMPHRY (?). Costo-sterno-scapularis: FÜRBRINGER. Ziemlich kleiner Muskel, der von dem Vorderrande der ersten Sternoeostalleiste, mitunter auch ausserdem von dem Seitenrande 1) M. pectoralis minimus GRUBER’s, M. sterno-scapularis WooD's etc. etc. 2) Von PreirreR, RÜDINGER und SANDERS nicht angeführt; auch ent- spricht der von MECKEL beschriebene äussere, untere, kleinere Riickwiirtszieher nur ungefähr dem M. sternocosto-scapularis. — Humpury beschreibt bei Pseu- dopus zwei zu der »Costo-coracoid« Gruppe gehörige Muskeln, von denen der erste von dem mittleren Theil der 3. Rippe zu dem hinteren Rand des Cora- coids in der Nähe des Sternums und zu dem Sternum und über das Coracoid Morpholog. Jahrbuch. 1. . 47 12 M. Fiirbringer des Sternums (Lacerta, Uromastix, Lophyrus, Träachysaurus) ent- springt, in der Brusthöhle nach vorn, oben und lateralwärts verläuft, und sich in der Regel mit einer starken straffen Sehnenbrücke (Lig. sterno-seapulare internum) verbindet, die von dem seitlichen Rande der Sternalinnenfläche nach der Innenfläche der Scapula (zwischen P. eoracoidea und P. scapularis des M. subeoracoseapularis ) ausge- spannt ist. Durch Vermittelung dieser bei den einzelnen Sauriern verschieden entwickelten !), meist auch (Uromastix, Iguana, Phryno- soma, Euprepes, Lacerta) mit der Ursprungssehne des M. anconaeus coracoideus durch ein besonderes Band verbundenen Sehnenbrücke wirkt er bewegend auf die Scapula. — Platydactylus fehlt der Muskel. Innervirt durch einen Zweig des N. thoracieus inferior (10%). Der M. sternocosto-seapularis (costo-coracoideus) steht zu den Mm. sterno-coracoidei interni in näherer Beziehung -und verweise ich bezüglich seiner Homologie auf das dort Gesagte. Der von MECKEL behaupteten Homologie mit dem M. pectoralis minor kann deshalb nicht beigestimmt werden. — Eigenthümlich sind die Beziehungen zu dem Lig. sterno-scapulare internum, dessen Genese und verglei- chend anatomische Stellung unbekannt ist. Ob es sich hier um Verkümmerungen ursprünglich muskulöser Bildungen (wofür das Ver- halten von Lacerta spricht) oder:um specifische Neubildungen han- delt, ist noch zu entscheiden. weg zur Clavicula verläuft, während der zweite ein langes dünnes Muskelband darstellt, das vom Coracoid nach hinten über ein Dutzend Rippen verläuft und mit den Mm. intereostales verschmilzt. — Die bezügliche Gegend war bei den mir zu.Gebote stehenden Exemplaren von Pseudopus verletzt, so dass ich zu HumPHrY's Angaben nichts hinzufügen kann. Das erstere Biindel scheint dem M. sternocosto-scapularis, das letztere dem M. sterno-coracoideus internus profun- dus ungefähr zu entsprechen. 1) Diese Sehnenbrücke zeigt die geringste Selbststiindigkeit bei Lacerta. Hier entspringt der M. sternocosto-scapularis von der 1. Sternocostalleiste und dem Seitenrand des Sternums und ist gleich von seinem Ursprung an mit der vom Anfange des Seitenrandes beginnenden Sehnenbrücke innig verbunden und geht hierauf mit ihr zur Scapula. Etwas weniger innig ist die Beziehung beider bei Uromastix, Lophyrus, Trachysaurus, Gongylus: hier liegt der Mus- kel zwar von Anfang an der Sehnenbriicke an, aber er verbindet sich erst in einer gewissen Entfernung mit ihr, ‘indem seine Fasern die der Sehne in sehr stumpfem Winkel treffen. Noch mehr getrennt sind Sehnenbrücke und Muskel bei Iguana: hier kommt der Muskel allein von der 1. Sternocostalleiste und ver- bindet sich erst nach längerem Verlaufe unter stumpfem bis rechtem Winkel mit der ganz selbstständig vom Sternum zur Scapula ausgespannten Sehne, — Die Sehne kommt meist einfach vom Sternum, nur bei Gongylus fand ich sie durch 2 Schenkel mit ihm im Zusammenhang stehend. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 713 7. Pectoralis (p). Grosser Brustmuskel, Pectoralis major: MECKEL, HEU- SINGER, PFEIFFER, STANNIUS, MıvArT, RÜDINGER, SANDERS. Pectoral: DUMERIL (CUVIER). Costo-episterno-humeralis 8. Peetoralis major: Für- BRINGER. Breiter und ansehnlicher Muskel auf der Unterfläche der Brust und des Bauches, der von dem medianen Schenkel des Episternum, mitunter auch von dessen lateralen Aesten (Lacerta, Varanus), von der Unterfläche des Sternum, bes. im medialen Bereiche desselben, sowie von den hinteren Sternalrippen entspringt!) und mit lateral- wärts convergirenden Fasern an den Humerus geht, wo er an der Beugefliiche des Processus lateralis humeri inserirt. Während der Muskel im vorderen Bereiche deutlich von den neben ihm liegenden oder von ihm bedeckten Muskeln sich absetzt, steht er im hinteren Abschnitte bei der überwiegenden Mehrzahl der kionokranen Saurier zu den Mm. rectus abdominis und obliquus abdominis externus in mehr oder minder innigem Zusammenhange, derart, dass entweder seine hinteren Fasern oberflächlich nur zum Theil durch Inseriptio tendinea vom M. rectus getrennt sind (z. B. Platydactylus) oder in ihrer ganzen Totalitiit median mit M. rectus, lateral mit M. obliquus externus zusammenhängen (Ameiva, meiste Scincoiden ete.). Die In- 1) Die von dem Episternum entspringenden Fasern hängen häufig sehnig mit denen der Gegenseite zusammen. — SANDERS führt an, dass der M. peeto- ralis von Liolepis auch von dem hinteren Rande des inneren Endes der Clavi- cula entspringe, RÜDINGER (pag. 60), dass der Muskel bei Lacerta viridis (so- wie Stellio vulgaris und Lacerta ocellata) auch vom Schlüsselbein komme ; des Ersteren Angabe kann ich, da mir ein Exemplar von Liolepis nicht zu Ge- _ bote stand, weder bestätigen noch widerlegen, während ich des Letzteren Be- hauptung nach Untersuchung von Lacerta ocellata, viridis, agilis und muralis zurückweisen’ muss: bei allen Vieren existiren allerdings lateral entspringende Theile des Pectoralis; diese kommen aber nicht von der Clavicula, sondern von den lateralen Schenkeln des Episternum. — Bezüglich des M. pectoralis von Gongylus führt RÜDInGER (pag. 16) an: »Besonders stark ist der grosse Brust- muskel bei Gongylus entwickelt; er geht bis zu dem Knochen, welchen man als Schlüsselbein ansieht.« Ist damit eine besonders weite Ausdehnung des Ursprungs bis vorn zur Clavicula oder die Insertion gemeint? Nach den (pag. 10) gemachten Angaben RipiINGER’s, wo der Pectoralis von Pseudopus an einem Homologon des Acromion inseriren soll, ist letztere Deutung der RÜDINGER- schen Darstellung nicht ganz unwahrscheinlich. 47* 714 M. Fiirbringer sertion findet in der Regel so statt, dass die hinteren, ascendent verlaufenden, Fasern des Muskels in eine kräftige Sehne übergehen, die in der oben angegebenen Weise inserirt, während die oberen, quer nach aussen gehenden, Fasern bis zur Insertion fleischig blei- ben und die Sehne der hinteren Portion deekend und kreuzend an dem Humerus sich anheften. — In den meisten Fällen bildet der Muskel eine homogene Ausbreitung: nur bei einzelnen Sauriern Euprepes, einzelne Exemplare von Lacerta!)) zeigt er eine leise Andeutung eines. Zerfalls in eine kleinere vordere Portion, die von Episternum und Sternum entspringt und eine grössere hin- tere Portion, die theils von hinteren Sternocostalleisten kommt. theils sich aus der Masse der Bauchmuskeln ablöst. — Bei den Sauriern mit verkümmerten Extremitäten (Gongylus, Seps) nimmt der Muskel an Dicke sowie an Selbstständigkeit gegenüber der Bauchmuskulatur ab. während die Reductionen in seiner Breite- ausdehnung verhältnissmässig geringer sind?). Bei ..den fusslosen Sauriern ist er entweder (Ophiodes, Pygopus, Pseudopus, An- guis) bis auf eine unbedeutende , in der Gegend der Brust von der Bauchmuskulatur sich abhebende, Schicht reducirt. deren lateral- wärts gerichtete Fasern in Ermangelung eines festen Insertionspunc- tes zu dem hinteren Theile des M. capiti-cleido-episternalis nähere Beziehungen eingehen ®), oder (Lialis, Acontias) er fehlt ganz. ') MECKEL gibt diese Trennung bei Lacerta als Regel an, während RüDIn- GER sie vollkommen leugnet. 2) RÜDINGER sagt (pag. 16): »Bei Seps deckt das vordere Ende des Pecto- ralis den nächstfolgenden Muskel, »Coraco-brachialis mihi, gar nicht.« Als nächstfolgender Muskel ist aber nicht der »Coraco-brachialis« sondern der »Co- raco-brachialis proprius« (= supracoracoideus) angeführt. Gleich viel, mag Rü- DINGER nun den M. coraco-brachialis oder den M. coraco-brachialis proprius (M. supracoracoideus) meinen, für welch Letzteres eine auf pag. 17 gemachte Be- merkung spricht, so ist nach meinen an 2 Exemplaren von Seps ausgeführten Untersuchungen zu betonen, 1) dass der M. pectoralis von Seps nur den vorde- ren Theil des M. supracoracoideus nicht deckt, während er den hinteren Theil desselben sowie den ganzen M. coraco-brachialis überlagert, 2) dass diese Be- ziehung keine Eigenthümlichkeit von Seps allein ist, sondern den meisten Sau- riern mit kreuzförmigem Episternum(namentlich den Seincoiden) zukommt. 3) MECKEL lässt »den grossen Brustmuskel« von Anguis an dem hinteren Rand der Scapula, HEUSINGER dieselbe Bildung von Pseudopus und Anguis an der äusseren Fläche der Scapula und dem hinteren Rande der Fureula inseriren. Wahrscheinlich ist unter dieser Beschreibung gar nicht ein Homo- logon des Pectoralis zu verstehen. RÜDINGER führt {pag. 8) an, dass der Pectoralis major sich an einem vom Schulterblatte gegen das grosse Zun- genbeinhorn verlaufenden Sehnenstreif befestige, welcher »vielleicht als Rudi- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 215 Mitunter (Uromastix, Euprepes, Gongylus, Seps etc.) wird der laterale Theil der Unterfläche des Pectoralis von einem kleinen fla- chen Muskel (M. suprapectoralis)') bedeckt, der entweder von dem hinteren lateralen Bereiche des Pectoralis selbst oder von dem M. obliquus abdominis externus sich ablöst und nach vorn gehend hinter der Achselhöhle (Uromastix) oder im Bereiche der Clavicula (Seineoiden) sich aponeurotisch in der Haut verliert. Innervirt durch den N. pectoralis (19). Der Muskel entspricht im Wesentlichen dem M. pectoralis der Amphibien und Chelonier und ist somit ein Homologon des M. pecto- ralis major und minor der Säugethiere?). Eine bemerkenswerthe ment des Acromion aufgefasst werden könnte«. Allerdings kann man eine ähnliche Bildung künstlich darstellen, wenn man Theile der Fascie im Zu- sammenhange mit der die Mm. capiti-cleido - episternalis und episterno - cleido- hyoideus durchsetzenden Inscriptio herauspräparirt, wobei aber immer noch die Anheftung am grossen Zungenbeinhorn vermisst wird. Aber selbst für den Fall, dass bei dem von RÜDINGER präparirten Exemplare ein solcher Sehnen- streif in Wirklichkeit natürlich existirt, so ist nicht einzusehen, welcher Grund vorliegt, mit dem Acromion einen Sehnenstreif zu homologisiren, welcher 1) am grossen Zungenbeinhorn sich anheftet und 2) dem M. pectoralis major zur In- sertion dient. Gerade diese beiden Beziehungen müssen porte Weiteres die Ho- mologie mit dem Acromion ausschliessen. 1) Dieser Muskel wurde zuerst von RUDINGER bei Seps und Gongylus be- schrieben und danach von mir (Knochen und Muskeln der Extremitäten bei den schlangenähnlichen Sauriern etc.) ebenfalls bei einer Anzahl Scincoiden aufge- funden und M. suprapectoralis benannt. RÜDINGER sagt bezüglich dieses Mus- kels (pag. 16): »Es ist der Pectoralis von Seps nicht der zunächst unter Haut liegende Muskel, vielmehr geht vom äussern schiefen, und vom geraden Bauch- muskel ein sehnig muskulöses Bündel über ihn weg, welches mit dem eigen- thiimlichen Muskel, den von SIEBOLD: Ceratoglossus und DuGEs: Hyo-pré-sty- loidien bei Triton und Salamandra nennen, direct zusammenhängt.« Ein solcher dem Ceratoglossus SIEBOLD's homologer Muskel, mit dem der M. suprapectoralis zusammenhängt, wurde von mir vergebens gesucht. Ebenso vermisste ich bei den von mir untersuchten Exemplaren von Seps die von RÜDINGER beschrie- bene ansehnliche, von der ventralen Fläche des grossen Brustmuskels ausge- hende, Portion, »welche hinter der Fossa axillaris nach oben läuft und sich, mit dem Latissimus und Infraspinatus zusammenhängend, in eine dünne Sehne ver- liert, die an dem vorderen Rande des Schulterblattes in der Nähe dee Ansatz- punctes des Cucullaris sich anheftet.« 2) DUMERIL (CUVIER) sagt kurz: »Le pectoral (des Crocodiles et des Sau- riens) n’est point divisé en plusieurs plans etc.«, während er bei den andern Wirbelthieren von einem »Grand pectoral« spricht. Aus der kurzen Darstellung ist nicht ersichtlich, ob unter der Bezeichung »Pectoral« der M. pectoralis major oder eine Vereinigung der Mm. pectorales major und minor von ihm verstan- den wird. 716 M. Fiirbringer Differenz gegentiber den Amphibien, besonders den Urodelen, liegt in der ansehnlichen Ausbildung des vorderen Abschnitts, der dureh die proximale Anheftung an das Episternum eine besondere Starke erlangt hat, während bei den Urodelen der Schwerpunet der Ent- wicklung in der hinteren Portion des Muskels liegt. Bei den Vögeln und Säugethieren ist dieser Process der relativen Vorwärtswanderung, der in einer Correlation zu der Rückwärtswanderung des Brustgürtels steht, noch mehr ausgebildet. 8. Supracoracoideus (spc) !). Untere Hälfte des Hebers des Arms: MeckEL. Pars antica m. deltoidei: PFEIFFER. Pectoralis II. (gewöhnlich durch 2 Muskeln vertreten) : STANNIUS. Epicoraco-humeral: Mivarr. Coraco-brachialis proprius: RÜDINGER (Gongylus, Seps). Coraco-brachialis proprius anterior (vielleicht Homologon des tiefen Deltoideus der Vögel): RÜDINGER (Saurier mit wohlentwickelten Extremitäten). Subelavius (zugleich Homologon des Pectoralis II. s. Leva- tor humeri der Vogel): ROLLESTON. Coraco-humeralis I. und medialer Theil des Coräco-hume- ralis IJ.: FÜRBRINGER. Supraspinatus: SANDERS (Platydactylus, Liolepis). Theils Supraspinatus, theils Subelavius: SANDERS (Phryno- soma). Breiter und kräftiger Muskel auf der Unterfläche der Brust, der vorn von dem M. deltoideus elavieularis, hinten von dem M. pecto- ralis gedeckt ist, während er mit seiner hinteren Partie die Mm. biceps und coraco-brachialis überlagert, wobei er mitunter (z. B. Seps, Iguana) mit letzterem Muskel ziemlich innig zusammenhängen kann. Er entspringt von der Aussenfläche des Coracoids2) (inel. Procoracoid und Epicoracoid ) und zwar im ‚Bereiche der vorderen Hälfte desselben von der die Fenestra coracoidea anterior (Feca) ausfüllenden Membran und den dieselbe umgrenzenden Theilen mit 1) GÜNTHER führt bei Hatteria eine Anterior portion of Coraco-brachialis an, die aber dem M. supracoracoideus nicht entspricht. 2). In meiner früheren Arbeit (Knochen und Muskeln ete.) habe ich bei uprepes einen Ursprung des M. coraco-humeralis II. von Coracoid und Epi- sternum angegeben. Letzterer existirt in Wirklichkeit nicht; die Verbindung mit dem Episternum wird dureh zwischenliegendes Bindegewebe (Fascien) ver- mittelt. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 717 Ausnahme des vordersten und innersten Saumes und geht mit con- vergirenden Fasern lateralwärts an den Humerus, wo er theils be- deekt vom M. pectoralis, theils proximal von demselben und medial neben dem M. deltoideus von dem proximalen Theile des Processus lateralis inserirt. Mitunter (Scincoiden, Uromastix) ist er in 2 Schich- ten gesondert, von denen die innerste (spe,) hauptsächlich von dem Rande der Fenestra coracoidea anterior und der sie ausfüllenden Membran, die äussere (spc) von den Theilen des Coracoids, Epicora- coids und Procoracoids entspringt, welche die Ursprungsstelle der tiefen Partie umlagern '). Innervirt durch den N. supracoracoideus (12). Der M. supracoracoideus hat die verschiedensten Deutungen er- fahren, von denen ich keiner vollkommen zustimmen kann. Dass die Annahme MECKEL’s und PFEIFFER’s, welche den Muskel dem M. deltoideus zurechnen, nicht richtig ist, wird ganz abgesehen von dem verschiedenen Ursprung namentlich durch die Differenz in der Innervation — der M. supracoracoideus wird von einem in dem vorderen Bereiche des Coracoids , durch das Foramen coracoideum, verlaufenden, der M. deltoideus durch einen vom hinteren Rand der Scapula herkommenden Nerv versorgt — ohne Weiteres dargethan. Spätere Untersucher haben seine Verschiedenheit von den eben er- . wähnten Muskelbildungen richtig erkannt und ihn danach mit indif- ferenten Namen (M. epicoraco-humeralis (Mivarr), M. coraco-brachialis proprius und proprius anterior (Ripincer), M. coraco-humeralis I. und II. (FÜRBRINGER)) bezeichnet. Andere Anatomen, STAnNIUs, RoLLesrtox, erkannten in richtiger Weise die grosse Aehnlichkeit mit dem M. pectoralis Il. der Vögel, namentlich der Ratiten, und fassten ihn als Homologon dieses Muskels auf?), wobei aber der Erstere einen Vergleich mit menschlichen Bildungen gar nicht versuchte. Dieser wurde, in sorgfältigerer Weise als dies früher geschah, erst in neue- rer Zeit von ROLLESTON und SANDERS angebahnt: Ersterer verglich den Muskel mit dem M. subelavius der Säugethiere, Letzterer in seinen beiden ersten Abhandlungen (über Platydactylus und über ') Diese beiden Schichten entsprechen theilweise den von mir früher (Kno- chen und Muskeln etc.) aufgestellten Mm. coraco-humerales I. und II., sowie wahrscheinlich den von Srannius angeführten beiden Muskelbiiuchen, die »an- statt eines Pectoralis II.« bei den kionokranen Sauriern vorhanden sind. 2) Weniger glücklich ist RÜüDINGER, wenn er eine Homologie mit dem tie- fen Deltoideus der Vögel als möglich annimmt. 718 M. Fiirbringer Liolepis) mit dem M. supraspinatus, während er in seiner letzten (über Phrynosoma) eine Homologie theils mit dem M. supraspinatus, theils mit dem M. subelavius befürwortete. Von diesen drei Deu- tungen des Muskels gebe ich der ersten von SANDERS — als Ho- mologon des M. supraspinatus — den. Vorzug vor den beiden ande- ren Deutungen, welche eine totale oder partielle Vergleichung mit dem M. subelavius statuiren'), kann aber auch ihr nicht ganz beistim- men. SANDERS hat ganz richtig die Uebereinstimmung in der In- sertion des Muskels der kionokranen Saurier mit der des M. supra- spinatus erkannt; allein er hat bei der Vergleichung der Ursprünge beider Muskeln Skelettheile mit einander homologisirt, die sich nicht vergleichen lassen, indem er eine Homologie zwischen dem Coracoid, Epicoracoid und Procoracoid der Saurier und der Fossa supraspinata des Menschen annahm. Dass letztere eine den Säugethieren eigen- thümliche, aber dem Coracoid der Saurier ganz fremde Bildung ist, wurde bereits von GEGENBAUR (Schultergürtel ete.) evident nachge- wiesen, so dass ich hier auf eine Widerlegung dieser Behauptung von SANDERS verzichten kann. In Wirklichkeit hat allerdings der M. supracoracoideus der Sau- rier unter allen Muskelbildungen der marsupialen und placentalen Säugethiere die grösste Verwandtschaft mit dem M. supraspinatus, wie dies bereits bei Besprechung des M. supracoracoideus der Am- phibien und Chelonier von mir kurz erwähnt wurde. Abgesehen von der Aehnlichkeit der Insertion wird dies vor Allem durch die Art der Innervirung bewiesen. Der M supracoracoideus der Saurier wird durch den N. supracoracoideus, der M. supraspinatus (und in- fraspinatus) der Säugethiere durch den N. suprascapularis versorgt. Beide Nerven setzen sich in entsprechender Weise zusammen aus vorderen Wurzeln des Plexus brachialis?), beide dringen im Bereiche des vorderen Theiles des Brustgürtels in die von ihnen versorgten Mus- keln ein. Die Durchtrittsstelle durch den Brustgürtel stimmt aller- dings bei beiden nicht überein: bei den Sauriern tritt der Nerv ') Rouueston’s Deutung — als M. subelavius — wurde von ihm bei Be- sprechung der Schultermuskeln der Crocodile (und Vögel) gegeben und werde ich darum auch erst unter § 12 C. Crocodile näher darauf eingehen. 2) Ich meine hier die proximal-distale Richtung und sehe zunächst ab von den verschiedenen relativen Beziehungen beider Nerven, die Zusammen- setzung aus Rr. superiores und inferiores betreffend. Eine ausführliche Be- sprechung dieser Verhältnisse behalte ich mir für später vor. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermusketn. 719 durch das Foramen coracoideum , bei den Säugethieren dureh die Incisura (Foramen) scapulae. Dass aber doch beide Arten des Durehtritts mit einander vereinbar sind und gar nicht so sehr aus- einanderliegen, dafür spricht der Umstand, dass der N. supracora- coideus (supracoraco scapularis) bei den verschiedenen Abtheilungen der Wirbelthiere in verschiedenster Weise durch den vorderen Abschnitt des Brustgiirtels zu seinem Muskel gelangen kann!) : seine Durehtritts- stelle zeigt alle möglichen Ueberginge von dem medialen Rande des Coracoids bis zu dem Grenzbereiche zwischen Coracoid und Sea- pula. Von grösster Wichtigkeit für die Klarlegung der gegenseiti- gen Beziehungen beider Nerven ist — abgesehen von Chameleo und Crocodilus — das Verhalten von Ornithorrhynchus. Hier existirt weder ein Foramen coracoideum noch eine eigentliche Ineisura (Fo- ramen) scapulae: der hier dem N. supracoracoideus und supra- scapularis entsprechend zusammengesetzte Nerv tritt an den Vor- derrand der Grenze zwischen Scapula und Coracoid und theilt sich hier in einen ventralen und einen dorsalen Ast; der ventrale Ast verläuft zu dem M. supracoracoideus (Epieoraco-humeralis Mivart’s ef. Trans. Linn. Soe. XXV.p. 383), der dorsale zu den Mm. supraspina- tus (der hier minimal, aber doch vorhanden ist) und infraspinatus; ersterer ist ein unzweifelhaftes Homologon des N. supracoracoideus der Amphibien, Reptilien und Vögel, letzterer stimmt im Wesent- lichen vollkommen mit dem N. suprascapularis der placentalen und marsupialen Säugethiere überein. Nach diesem Verhalten muss zwischen N. supracoracoideus und N. suprascapularis eine gewisse Homologie statuirt werden. Diese Homologie ist aber keine com- plete, denn der N. supracoracoideus versorgt ventrale, der N. supra- scapularis dorsale Muskeln: der erstere hat also nähere Beziehungen zu den Rr. inferiores des Plexus brachialis,, der letztere zu den Rr. superiores?). Und demnach können auch die Mm. supracoracoideus ') Dieser Durchtritt geschieht durch ein Foramen coracoideum bei den meisten Urodelen, bei den kionokranen Sauriern, bei den Crocodilen und bei einzelnen Vögeln, — durch eine Incisur am Medialrande des Coracoids bei ein- zelnen Vögeln, — medial neben dem Coracoid durch die Membrana epicoracoi- dea bei den meisten Vögeln, — durch die grosse Oeffnung zwischen Procoracoid und Coracoid bei der Mehrzahl der Anuren und bei den Cheloniern, — von dem Vorderrande des Coracoids bei Proteus und einzelnen Anuren, z. B. Engystoma und Kalohyla, — durch ein Foramen coraco-scapulare bei Chamaeleo, — durch die grosse Incisur an der Grenze zwischen Coracoid und Scapula vor dem Vorder- rand beider bei Ornithorrhynchus. 2) Dieser verschiedenen Vertheilung entspricht auch der verschiedene 720 M. Fiivbringer und supraspinatus nicht ohne Weiteres homologisirt werden (wie' SANDERS will), sondern sie sind als zwei Muskeln zu betrachten, die wohl im Allgemeinen derselben Muskelgruppe (System der Mm. supracoracoideus, supraspinatus und infraspinatus) angehören, die aber im Speciellen nach Lage und Ursprung hinreichende Verschie- denheiten darbieten, um eine complete Homologie auszuschliessen. — Die bei den Urodelen und z. Th. auch bei den Cheloniern (z. B. Trionyx) gewahrten innigen Beziehungen des M. supracoracoideus zu den Mm. deltoides (procoraco-humeralis) und coraco-brachialis sind bei den Sauriern zum grössten Theil aufgegeben; nur geringe Verbindungen mit dem M. coraco-brachialis bei Einzelnen (z. B. Seineoiden, Iguana) erinnern noch an die den Urodelen zukommen- den niederen Bildungen. 9. Coraco - brachialis brevis (c+) und Coraco - brachialis longus (cd/). Coraco-brachiahls brevis: Theil des grossen Brustmuskels oder Hakenarmmus- kel: Mecken (No. 7). . Coraco-brachialis anterior, Anterior portion of Co- raco-brachialis: PFEIFFER, GÜNTHER. Shorter portion of Coraco-brachialis, Coraco-bra- chialis brevis: Mivarr, SANDERS. Theil des Coraco-brachialis proprius posterior s. lon- gus: RUDINGER. Upper portion of Coraco-brachialis, Middle portion of Coraco-brachialis: ROLLESTON. Coraco-humeralis IL.: FÜRBRINGER. Coraco - brachialis longus: Hakenarmmuskel: Mrcken (No. §). Coraco-brachialis posterior: PFEIFFER. Coraco-brachialis: STANNIUS. Longer portion of Coraco-brachialis, Coraco-brachia- lis longus: Mivarr, ROLLESTON, SANDERS. Inferior portion of Coraco-brachialis: GUNTHER. Theil des Coraco-brachialis proprius posterior s. longus: RUDINGER. Coraco-humeralis internus: FÜRBRINGER. Durchtritt beider Nerven, von denen der N. supracoracoideus im ventralen Be- reiche, der N. suprascapularis im dorsalen Bereiche zu seinem Muskel durch den Brustgürtel tritt. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 24 Eine von dem hintern Theile der Aussenfläche des Coracoids entspringende Muskelmasse, die z. Th. bedeekt von dem M. coraco- antebrachialis an den Humerus geht, wo sie sich im Bereiche von dessen ganzer Länge nahezu an der Beuge- und Medialseite anhef- tet. Sie beginnt am Coracoid in der Regel derart, dass man eine vordere breite muskulös entspringende und eine hintere schmälere sehnig-fleischig anfangende Partie unterscheiden kann, die sich bald vereinigen und nun in der Gegend des lateralen Theils des Coracoids einen homogenen Muskel bilden, der sich sofort wieder in 2 Muskeln theilt, die durch den N. brachialis longus inferior getrennt sind, und von denen der vordere, ‘M. coraco-brachialis brevis, sich aus der ganzen vorderen und einem kleinen Theile der hinteren Ursprungspartie zusammensetzt, während der hintere, M. coraco-brachialis longus, aus dem grössten Theile der hinteren Ursprungspartie hervorgeht. M. coraco-brachialis brevis. Kurzer aber breiter Muskel, dessen vorderer Theil vom M. coraco-antebrachialis bedeckt ist, wäh- rend der hintere direct unter dem M. pectoralis liegt. Er entspringt von der äusseren Fläche des hinteren Theils des Coracoids mit Aus- nahme des hinteren Winkels') entweder einfach und dann mit dem M. coraco-brachialis- longus vereint (Iguana, Lacerta), oder mehr von ihm getrennt (Scincoiden, Platydactylus) , oder doppelt mit einer breiteren vorderen und einer schmäleren (von dem Ursprunge des M. coraco-brachialis longus sich ablösenden) hinteren Portion, die sich beide schnell vereinigen (Uromastix), und verläuft, dem Kapsel- bande des Schultergelenks dieht aufliegend und auch mit einigen Fasern daran inserirend 2), an den Humerus, an dessen Beugefläche er in verschiedener Ausdehnung’) im Bereiche der proximalen 2 Drittel sich anheftet. M. coraco-brachialis longus. Langer und schlanker Mus- kel, der in der Regel von der Aussenfläche des hinteren Winkels des Coracoids, seltener (einzelne Scincoiden) auch von dessen Innen- fläche entspringt und neben dem M. coraco-brachialis brevis, ent- !) GÜNTHER lässt den Muskel bei Hatteria nahezu von der ganzen Aus- senfläche des Coracoids entspringen. 2) Bereits von SANDERS bei Liolepis angegeben. 3) Die Muskelinsertion zeigt alle Stufen von der Insertion an der proximalen Hälfte (Iguana, Phrynosuma, Uromastix) bis zu der an den proximalen 2 Drit- teln (Liolepis, Platydactylus). Auch wird eine Insertion an dem Prucessus me- dialis (Tubereulum internum d. Aut.) angegeben (cf. PFEIFFER). 722 M. Fiirbringer weder mit ihm anfangs vereinigt oder ihm nur anliegend, an den Humerus geht, an dessen Medialseite im Bereiche des distalen Drit- tels und meist an dessen Epicondylus ulnaris!; er inserirt. In der Regel ist er mit Ausnahme des sehnig-muskulösen Anfangs dureh- aus muskulös, bei einzelnen Sauriern dagegen (namentlich Seineoi- den) geht er in seinem distalen Bereiche in eine schlanke Sehne über, die nur am Epieondylus ulnaris s. medialis inserirt. Ist der M. coraco-brachialis brevis breit entwickelt, so grenzt er dieht an den Longus an und wird nur an der Durehtrittsstelle des N. brachialis longus inferior von diesem abgehoben; ist der M. coraco - brachialis brevis mehr auf die proximale Hälfte des Humerus beschränkt, so ist er von ihm durch einen mehr oder weniger breiten Schlitz ge- trennt. Innervirt durch Nn. coraco-brachiales (22). Der M. coraco-brachialis ist von der Mehrzahl der Autoren als M. coraco-brachialis gedeutet worden. Nur MEckEL lässt die Mög- lichkeit einer Vergleichung mit Theilen des M. pectoralis offen (eine Auffassung , die keiner Widerlegung bedarf) , während ich ihn in meiner früheren Arbeit (Knochen und Muskeln ete.) irrthümlich als einen besonderen M. coraco-humeralis (tertius und internus) auffasste, eine Deutung, die ich hiermit ausschliesse. In Wirklichkeit entspricht der Muskel dem M. coraco-brachialis der anderen Wirbelthiere im Allgemeinen, zeigt aber sogar im Speciellen mit den Bildungen Einzelner grosse Uebereinstimmung. Am grössten (unter den bereits besprochenen Wirbelthieren) ist die Aehnlichkeit mit den Mm. coraco - brachialis brevis und longus der Urodelen und aglossen Batrachier, hei denen diese Muskeln sowohl in Ursprung und Insertion als auch in dem Lagerungsver- hältniss zu dem N. brachialis longus inferior eine ausserordent- liche Uebereinstimmung mit den entsprechenden Bildungen der Saurier darbieten. Weniger gross ist die Aehnlichkeit mit den Bildungen der opisthoglossen Anuren, die zwar nach Ursprung und Insertion den Mm. coraco-brachiales der kionokranen Sau- rier entsprechen, aber in ihren Beziehungen zu dem N. brachia- lis longus inferior beträchtliche Abweichungen zeigen. Noch gerin- ver ist die Uebereinstimmung mit den Mm. coraco - brachiales der Chelonier , die hinsichtlich des Ursprungs , der Insertion und der Lage zu dem N. brachialis longus inferior wenig den entsprechen- I) GÜNTHER gibt bei Hatteria irrthümlich den Condylus externus an. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 723 den Muskeln der Saurier gleichen. — Unter den Siiugethieren zeigt der M. coraco-brachialis eine ausserordentlich mannigfache Entwick- lung, die sich auch in den vielfachen, besonders von Woop! bear- beiteten Varietäten des menschlichen M. coraco-brachialis ausspricht. Durch diese wird (wie besonders RoLLESTON in der seiner Abhand- lung beigefügten Tabelle und Mıvarr angeben) die Homologie mit dem M. coraco-brachialis der Saurier vermittelt, derart, dass der M. coraco-brachialis brevis der Saurier dem M. coraco-brachialis brevis s. rotator humeri und M. coraco-brachialis medius der Säuger und der M. coraco-brachialis longus der Saurier dem M. coraco-brachia- lis longus der Säugethiere entsprechen. Die Abweichungen des Ursprungs , der bei den mit verkümmertem Coracoid (Processus coracoideus) versehenen Säugethieren von diesem in der Nähe der Seapula, bei den Sauriern viel medialer und dem Sternum näher statt- findet, werden durch Uebergangsbildungen verbunden und sind nicht bedeutend genug, um eine Homologie auszuschliessen. 10. Coraco-antebrachialis (Biceps brachii) (4). Langer Kopf des langen Beugers, langer Kopf des Bi- ceps, Theil des M. coraco - humero-radialis s. Biceps brachii: MECKEL, PFEIFFER, Fiir- BRINGER. Biceps, Biceps brachii: Dumsrın (Cuvier), Mivarr , Gin- THER, SANDERS. Coraco-radialis: STANNIUS. Biceps brachii s. coraco-radialis: RUDINGER. Langer, bei den meisten kionokranen Sauriern zweiköpfiger Muskel, der auf dem hinteren Theil der Aussenfläche des Coracoids. wo er den M. coraco-brachialis brevis deckt, und auf der Beugeseite des Humerus, proximal zwischen beiden Processus im Suleus (Fossa) intertubereularis, distal zwischen den Mm. humero-antebrachialis (z. Th. ihn auch deckend) und coraco-brachialis liegt. Er entspringt medial neben den Mm. eoraco-brachialis brevis und supracoracoideus in wechselnder Weise mit sehnigem oder muskulösem Anfange, wird in der Gegend des Schultergelenks rein sehnig und geht dann wie- der am Ende des Processus lateralis humeri in einen kräftigen Mus- 1) Woop, On Human Muscular Variations and their Relation to the Com- parative Anatomy. Journal of Anatomy and Physiology. Vol. I. London and Cambridge 1867. pag. 44 f. 724 M. Fürbringer kelbauch über, der vor dem Ellenbogengelenk wieder sehnig wird und sich mit der Sehne des M. humero-antebrachialis verbindet. Die hieraus hervorgehende gemeinschaftliche Endsehne spaltet sich mehr oder weniger vollkommen in 2 nahezu gleichkräftige Zipfel !), die zwischen die Anfänge der Beuger und Strecker am Vorderarme sich einschieben und an den proximalen Enden der Beugeflächen des Radius und der Ulna inseriren 2). Eine Ausnahme von diesem Ver- halten macht Hatteria (cf. Ginrupr), wo der M. biceps durch 2 resp. 3) vollkommen getrennte Muskeln vertreten ist, von denen der eine lediglich an dem Radius, der andere allein an der Ulna inse- virt *). — Der Ursprung vom Coracoid verhält sich sehr verschieden. Die urspriinglichsten Verhältnisse bietet Platydactylus dar: hier bildet der von dem Coracoid entspringende Kopf einen breiten Muskelbauch, der den M. coraco-brachialis brevis deckt und erst am lateralen Rande des Coracoids in die oben beschriebene Sehne übergeht. Bei ', In der Regel ist der an der Ulna inserirende Zipfel der kräftigere ; Mı- VART gibt sogar an, dass bei Iguana die von dem M. biceps abstammenden Fasern der gemeinschaftlichen Endsehne hauptsächlich an der Uma zu inseriren scheinen. Bei andern Sauriern, z. B. einzelnen Scincoiden, ist der an den Ra- dius sich anheftende Zipfel ebenso kräftig oder noch kräftiger als der an die Ulna gehende , welcher letztere von Srannius und mir (in meiner früheren Untersuchung) hier iibersehen worden ist. 2) Auch verbinden sich mitunter einzelne Sehnenfascikel mit der Vorder- armfascie. Eine Anheftung an den Condylus internus humeri hingegen, wie sie RUDINGER (pag. 98) angibt, wurde von mir nirgends gefunden. 3) Hatteria bietet, falls die Beschreibung GÜNnTHer's der Wirkliehkeit ent- spricht, auch bezüglich der Ursprünge des M. biceps Verschiedenheiten dar, die eine directe Vergleichung mit den entsprechenden Bildungen der übrigen Sau- rier kaum gestatten. Nach GÜNTHER besteht der M. biceps aus 2 getrennten Muskeln, von denen der zweite noch von einem sehr schlanken Muskel (3. Theil des Biceps) begleitet wird. Der erste, innere, Muskel (nach GÜntHER Ho- mologon des Caput breve des menschlichen M. biceps) geht vom Sternalrand des Coracoids zu dem oberen Ende der Ulna und ist zweibäuchig mit Zwischen- sehne in der Gegend der Insertion des M. pectoralis; der zweite, äussere, Muskel (nach GUNTHER Homologon des Caput longum des M. biceps des Men- schen) ist distal an dem oberen Ende des Radius angeheftet, während er pro- ximal vom Tubereulum majus humeri in seinem Laufe unterbrochen und mit demselben neben. dem M. pectoralis major verbunden ist; ein von diesem Tu- berculum nach der Scapula laufendes kräftiges Band fasst GÜNTHER als die Fortsetzung der Sehne dieses Muskels auf (a strong ligament running from this tubercle to the scapula may be regarded as the continuation of the tendon of this muscle, and as homologous with the »caput longum«). Der den letzten begleitende schlanke Muskel geht vom Radius ohne Unterbrechung in das eben heschriebene Ligament über und entspricht nach Ginruer ebenfalls dem Caput longum des menschlichen Biceps. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 725 den Seineoiden, Varanus, Lacerta, Salvator, Ameiva, Uromastix ') zeigt sich eine weitere Differenzirung: bei diesen ist der im Bereiche des Coracoids liegende Abschnitt theils muskulés, theils sehnig ent- wickelt, derart, dass der vordere, in dem Umkreis des hinteren Co- racoidfensters entspringende Theil desselben einen deutlichen Mus- kelbauch (5) darstellt, der nicht (Varanus) oder ganz deutlich (Sein- coiden, Lacerta, Salvator, Ameiva, Uromastix) von dem hinteren Theile getrennt ist, der vorwiegend (Trachysaurus) oder ganz aus Sehniengewebe besteht (Varanus, Lacerta, Ameiva, Salvator, Uro- mastix); die beiden getrennten Theile, der vordere Muskelbauch und die hintere platte Sehne vereinigen sich dann erst in der Höhe des Sehultergelenks zu einer gemeinsamen Sehne, die am Oberarm wie- der in den oben beschriebenen zweiten kräftigen Muskelbauch (d,) tibergeht. Auch der vordere bei den eben erwähnten Gattungen muskulöse Theil kann dureh eine Sehne vertreten sein: dies ist der Fall bei Iguana und Stellio?); hier entspringt der M. biceps rein sehnig vom Coracoid und geht erst am Ende des proximalen Drittels des Oberarms in den kräftigen distalen Muskelbauch über, der sei- nerseits sich oberhalb des Ellenbogengelenks mit dem M. humero- antebrachialis zu der gemeinschaftlichen Endsehne verbindet. Die Innervation desM. biceps geschieht in der Regel durch 2 getrennte Nerven, von denen der proximale, für den proximalen Bauch des M. biceps bestimmte (22” von dem N. eoraco-brachialis sich abzweigt und nach Durchbohrung des M. coraco-brachialis bre- _vis zu seinem Muskel gelangt, während der distale, den distalen Bauch des M. biceps versorgende (22°) erst in der Mitte des Ober- arms vom N. brachialis longus inferior abgeht. Fehlt der proximale Muskelbauch (Iguana ete.) , so ist auch der proximale Nerv nicht entwickelt, und der M. biceps wird dann nur yon einem in der Mitte des Oberarms abgehenden Zweig des N. brachialis longus inferior versorgt. Der Muskel ist von den früheren Anatomen als ein Homologon des M. biceps brachii des Menschen erkannt worden; nur STANNIUS !) Bei Liolepis und Phrynosoma beschreibt SANDERS ebenfalls einen mus- kulösen Ursprung. *) Die Iguana betreffende Angabe ist MıvAarT, die sich auf Stellio bezie- hende RÜDINGER entnommen, letzterer lässt auch den Muskel bei Phrynosoma (Harlanii) sehnig entspringen, während SANDERS ihn bei Phrynosoma (eorona- tum) muskulös beginnen lässt. 726 M. Fürbringer scheint durch Anwendung der indifferenten Bezeichnung M. coraco- radialis diese Homologie nicht anzuerkennen. — In Wirklichkeit existirt eine (weitere) Homologie mit der gleichnamigen menschlichen Bildung: der Ursprung von dem hinteren und medialen Theile des Coracoids, sowie die sowohl an Radius als an Ulna- stattfindende Insertion schliessen die Annahme einer completen Homologie aus. Bezüglich der hier angewandten Nomenclatur, nach der die vom Brustgürtel bis zum Vorderarm (mag sie nun allein an Radius oder auch an der Ulna inseriren) erstreckte Beugemuskulatur als M. bi- ceps brachii, hingegen die vom Oberarm zum Vorderarm (sowohl an Radius und Ulna) gehende Beugemuskulatur als M. brachialis infe- rior (antieus) zusammengesetzt wird, verweise ich auf den 2. Theil dieser Abhandlung (Jenaische Zeitschrift. VUI. Band. N. F. 1. pag. 264). Der Muskel entspricht im Wesentlichen dem M. coraco-ante- brachialis (biceps) der Chelonier') und hat auch mit diesem (wie bei Säugethieren ete.) die Anheftung oberflächlieher Fasern an die Vor- derarmfascie (Homologe der sogenannten Aponeurose des M. biceps brachii) gemein. — Die beiden getrennten Ursprünge des M. biceps der kionokranen Saurier sind gemeinhin von den Anatomen als Ho- mologe der beiden Köpfe des menschlichen Biceps aufgefasst wor- den, derart, dass der vordere mit dem Caput longum, der hintere mit dem Caput breve verglichen wurde?). Gegen diese Deutung 4) Namentlich der Biceps von Hatteria zeigt durch die complete Zweithei- lung grosse Aehnlichkeit mit den entsprechenden Bildungen von Trionyx und Emys. 2) RÜDINGER versucht eine Homologie beider Ursprünge des M. biceps brachii der kionokranen Saurier mit dem Caput longum und breve des mensch- lichen Biceps in folgender Weise darzuthun. Er sagt (pag. 71 f.): »Der mensch- liche Biceps entspringt auch mit zwei Köpfen vom Processus coracoideus und geht, der eine von dessen Spitze, der andere von der Basis aus; denn der durch das Schultergelenk hindurchgehende lange Kopf hiingt ebenso mit der Basis des Schulterhakens wie mit dem Caput humeri zusammmen. Beide, Caput humeri und Schulterhaken, können beim Erwachsenen nicht scharf von einander abge- grenzt werden, und für ihre Entwicklung dient beim Menschen ein Knorpel als Grundlage, wie ich mich an durchschnittenen Schulterbliittern von 3—4 Monate alten Embryonen überzeugt habe. — Freilich muss zugegeben werden, dass der Kopf des Biceps, sollte er vollkommene Analogie mit dem menschlichen Caput longum bieipites haben, von dem lateralen Theile des Os eoracoideum ausgehen müsste, welcher mit dem Schulterblatt das Gelenk bilden hilft, denn nur dieser entspricht der Basis, während der innere mit dem Brustbein artieu- lirende Theil desselben der Spitze des menschlichen Schulterhakens entspricht.« Von dieser ganzen Auseinandersetzung ist mir nur der letzte Satz verständlich, lt bul ” Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 737 spricht einmal die Lage beider Ursprünge: ihre Fortsetzung liegt in der Fossa intertubereularis, die dem Sulcus bieipitalis des Menschen homolog ist, dann die Beobachtung, dass es erst bei den Säuge- thieren zur Bildung eines ausserhalb des Suleus bieipitalis liegenden (von dem M. coraco-brachialis aberrirenden) Caput breve kommt. Es sind danach beide Köpfe des M. biceps der Saurier nur dem Caput longum des menschlichen Biceps brachii zu vergleichen; ent- sprechend der breiteren Ursprungsstelle bieten sie aber eine weit srössere und mannigfaltigere Ausbildung dar als dieses. 11. Humero-antebrachialis inferior (Brachialis inferior) (hai. Kurzer Kopf des langen Beugers, kurzer Kopf des M. biceps brachii, Kopf des M. coraco-humero- radialis s. Biceps brachii: MECKEL, PFEIFFER, FURBRINGER. Vorderarmbeuger: STANNIUS. Brachialis antieus, Brachialis internus: Mivartr, Gin- THER, SANDERS, RUDINGER. Kräftiger, an der Beuge des Oberarms gelegener, median von dem M. biceps, lateral, von dem M. anconacus humeralis late- ralis begrenzter, Muskel, der von der ganzen Beugefläche des Hume- rus unterhalb der Insertionen der Mm. supracoracoideus und peetoralis und oberhalb der Condylen entspringt und sich in der Ellenbeuge mit dem M. biceps zu einer gemeinsamen Endsehne vereinigt, die in 2 der aber den Fehler involvirt, dass eine Homologie der Spitze des menschlichen Processus coracoideus mit dem in das Brustbein einlenkenden Gelenktheile des Coracoids der Saurier behauptet wird. Die vorhergehenden Sätze stehen ausser allem logischen Zusammenhange mit der zu beweisenden Annahme und sind auch an und für sich betrachtet, nicht zu begreifen. Behauptungen, wie 1) dass »Caput humeri und Schulterhaken beim Erwachsenen nicht scharf von einander abgegrenzt werden können« und 2) dass »für ihre Entwicklung beim Menschen ein Knorpel als Grundlage diene, wie RipinGer sich an durchschnittenen Schulterblättern von 3—4 Monate alten Embryonen überzeugt haben will, ent- behren so vollkommen jeder reellen Grundlage — schon bei 5—6 Wochen alten menschlichen Embryonen ist der Humerus mit einem auf dem Durchschnitte kreisähnlichen Kopfe gegen das Schultergerüst begrenzt (cf. unter Anderem HENKE und REYHER, Studien über die Entwicklung der Extremitäten des Men- schen, insbesondere der -Gelenkflächen. Sitzungsberichte der K. Akademie der Wissenschaften zu Wien. IIl. Abth. 70 Band. Jahrgang 1874 pag. $8) —, dass sie einer wissenschaftlichen Betrachtung und Widerlegung nicht bedürfen. Morpholog. Jahrbuch. 1. 48 728 M. Fiirbringer Zipfel gespalten an den proximalen Enden des Radius und der Ulna inserirt !) . — Innervirt dureh N. humero-brachialis inferior (24). Der Muskel entspricht dem gleichnamigen der Urodelen und Chelonier und somit theils dem menschlichen M. brachialis anticus (an der Ulna inserirender Theil), theils den vom Humerus entsprin- genden (3., 4. und 5.) Köpfen des M. biceps brachii (an dem Ra- dius inserirender Theil). 12. Dorso-humeralis (Latissimus dorsi)?). Breiter Rückenmuskel, Latissimus dorsi: MECKEL, STANNIUS, MIVART, RÜDINGER, SANDERS. Dorso-humeralis s. Latissimus dorsi: FÜRBRINGER. Breiter und ansehnlicher Muskel an der Seitenfläche des Tho- rax3) , dessen vorderer Theil in der Regel von dem hinteren Ab- schnitte des M. cucullaris bedeckt ist. Er entspringt in verschiede- ner Ausdehnung!) aponeurotisch von den Dornfortsätzen der letzten 1) MivarT gibt bei Iguana an, dass die dem M. brachialis anticus entspre- chenden Partien der gemeinsamen Endsehne hauptsächlich am Radius en- den, während SANDERS für Platydactylus eine Insertion des M. brachialis an- ticus an der Ulna betont. Meine frühere Angabe (Knochen und Muskein ete.), wonach der Muskel bei den Scincoiden am Radius allein inseriren sollte, nehme ich hiermit als irrthümlich zurück. 2) Bei den schlangenähnlichen Sauriern mit vollkommen verkümmerter Extremität fehlt der M. latissimus dorsi, wie sich namentlich durch Unter- suchung der Nerven nachweisen lässt. Die darauf bezüglichen früheren Anga- ben von MECKEL (Anguis), von mir (Anguis, Ophiodes) und von HUMPHRY (Pseudopus), welche bei diesen Gattungen ein Vorhandensein von Elementen des M. latissimus dorsi statuirten, erhalten hiermit eine Correctur: Ophiodes anlangend fehlt allerdings der auf empirische Grundlage gebaute Nachweis des Mangels von Latissimus-Fasern, während Anguis und Pseudopus bezüglich dieses Verhältnisses untersucht wurden. 3) Eine auffallende Ausnahme macht Phrynosoma coronatum, wo der schmale Muskel nur von dem 3. und 4. Rückenwirbeldornfortsatz und der 2. Rippe entspringt (cf. SANDERS); bei Phrynosoma Harlanii hingegen beschreibt Rüpın- GER einen breiten sehnigen Ursprung. ) 4) Der Anfang des Ursprungs liegt am 6. Wirbel bei Ameiva, Iguana, Liolepis, am 7. bei Lacerta, Platydactylus, am 8. bei Euprepes, Uromastix, Lophyrus, am 9. bei Varanus, Trachysaurus, am 11. bei Phrynosoma. Die hin- tere Grenze des Ursprungs ist bei den meisten Sauriern nieht scharf anzugeben, da hier der Muskel fest mit der Unterlage verwachsen ist; es wurde aber eine ungefähre Erstreckung nach hinten beobachtet bis zum 12. Wirbel bei Phryno- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 729 Hals- und der meisten Riickenwirbel, sowie mitunter von einzelnen Rippen (namentlich bei Uromastix, Varanus) und geht mit stark con- vergirenden Fasern in eine kräftige Sehne über, die am proximalen Theile der Streckseite des Humerus zwischen Processus lateralis und medialis, letzterem näher, inserirt. Am Ursprunge ist der vordere Abschnitt des M. latissimus dorsi deutlich von der übrigen Rücken- muskulatur getrennt, während der hintere in der Regel!) mehr oder weniger untrennbar mit der Lumbodorsalfaseie und der epaxonischen Riickenmuskulatur verwachsen ist; mitunter (z. B. bei Liolepis) ist namentlich im vorderen Bereiche des Muskels die Ursprungsaponeu- rose innig mit der der Gegenseite verbunden, womit eine weniger innige Anheftung an den Dornfortsiitzen Hand in Hand geht. Die Convergenz der Fasern findet derart statt, das® die vorderen Fa- sern in der Regel?2) senkrecht nach unten, die hinteren nach vorn und unten verlaufen. Die Endsehne tritt erst zwischen M. an- conaeus scapularis und M. anconaeus coracoideus, dann zwischen den Mm. anconaeus humeralis medialis und lateralis verlaufend, distal vom M. seapulo-humeralis profundus an den Humerus und gibt mitunter (Varanus, Iguana, Phrynosoma, ein Exemplar von Uromastix) vor ihrer Insertion ein Sehnenfaseikel ab, das sich mit dem Anfang des M. aneonaeus coracoideus vereint*). Ist ein M. teres major vorhanden, so kann er gemeinschaftlich mit dem M. la- tissimus dorsi inseriren (Uromastix). Innervirt dureh N. latissimus dorsi (34). Der Muskel entspricht dem M. latissimus dorsi der Amphibien und Chelonier, und zwar zeigt er bezüglich der Ausdelinung seines Ursprungs, sowie der theilweisen Verbindung mit Elementen des M. aneonaeus die nächsten Beziehungen zu der gleichnamigen Bil- soma, bis zum 14. bei Platydactylus (japonicus) und Lophyrus, bis zum 15. bei Platydactylus (aegyptiacus), bis zum 16. bei Lacerta, bis zum 17. bei Iguana und Ameiva, bis zum 19. bei Euprepes. !) Verhältnissmässig selbstständig und leicht trennbar von den darunter lie- genden Muskeln ist der hintere Theil des M. latissimus dorsi bei Platy- dactylus. 2) In den Fällen, wo der Anfang des Ursprungs verhältnissmässig weit vorn beginnt, namentlich bei Ameiva, Varanus ete., gehen die vorderen Fasern nach unten und zugleich etwas nach hinten zur Insertion. 3) RÜDINGER. gibt bezüglich des M. latissimus dorsi von Phrynosoma Har- lanii an, dass wenige Muskelfasern vom unteren Rande des Latissimus wegtre- ten, sich in der Aponeurose der Achselhöhle verlieren und theilweise mit dem M. pectoralis zusammenhängen. 45* 730 M. Fiirbringer dung bei den Urodelen. Ein abweichendes Verhalten zeigt hingegen die Insertion, welehe bei den Urodelen und Anuren lateral von dem Ursprunge von den humeralen Portionen des M. anconaeus, bei den kionokranen Sauriern zwischen ihnen stattfindet: eine vermittelnde Stellung zwischen diesen beiden Extremen, — die übrigens zum grössten Theile durch die verschiedenartige Entwicklung des M. anconaeus und nur zum kleinsten durch die des M. latissimus dorsi bedingt sind, — nehmen die Chelonier ein. Bemerkenswerth ist die (von RÜDINGER bei Phrynosoma beschriebene) Ablösung unterer Fa- sern, die sich in der Achselhöhle verlieren: mit dieSer Aberra- tionsbildung ist eine Differenzirungsrichtung angebahnt, die sich bei den Crocodilen und den Säugethieren namentlich aber bei den Vö- geln entwickelt wiederfindet. 13. Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis s. superior) (dsc). Unterer Theil des äusseren Schulterblattmuskels oder Auswärtswenders, Untergrätenmuskel: MEc- KEL (No. 3)1). Infraspinatus: PFEIFFER, STANNIUS, SANDERS. Upper part of the Deltoid: Mrvarr. Deltoideus: GUNTHER?), ROLLESTON. Dorsalis scapulae (Supraspinatus, Infraspinatus u. Teres minor): RÜDINGER (Saurier mit verkiimmer- ten Extremitäten). Dorsalis scapulae (Infraspinatus und Teres minor): RÜDINGER (typische Saurier). Suprascapulo-humeralis s. Infraspinatus et Supraspi- natus: FÜRBRINGER. Kräftiger, z. Th. vom M. eueullaris bedeckter Muskel auf der Aussenfläche der Scapula. Er entspringt in verschiedener Ausdeh- nung’) von der Aussenfläche der Scapula und des Suprascapulare , 1) Auch Theile des Deltoides (No. 1) MECKEL’'s entsprechen den vorderen Partien des M. dorsalis scapulae. 2) Vielleicht sind seine tieferen Partien z. Th. identisch mit den von GUN- Toor bei Hatteria angeführten Mm. supra- and infraspinatus et teretes; die Beschreibung derselben ist zu ungenügend, um mit Bestimmtheit die Ueberein- stimmung zu entscheiden. 3) In der Regel ist der Ursprung auf die Aussenfläche des Suprascapulare (und den angrenzenden Theil der Clavicula) beschränkt und findet auch hier nur selten in der Ausdehnung bis zum oberen Rande (z. B. Ameiva), niemals in der bis zum vorderen Winkel (der von der Insertion des M. levator scapulae superficialis eingenommen ist) statt, mitunter bes. bei Autosauriern) greift auch Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 731 sowie von dem scapularen Ende der Clavicula und geht mit con- vergirenden Fasern, die sich z. Th. unter dem M. cleido-hume- ralis hinziehen, lateral an dem M. anconaeus scapularis und hu- meralis lateralis vorbei an die Aussenfliiche des Processus late- ralis humeri, wo er gemeinsam mit dem M. cleido - humeralis und _ gegenüber dem M. pectoralis inserirt. Er bildet in der Regel einen einheitlichen Muskel, der nur hier und da leise Andeutungen einer Trennung in 2 (Uromastix, Stellio, Phrynosoma) oder 3 Portionen (Lacerta) darbietet. Vorn ist er von den Mm. levator scapulae superficialis und cleido-humeralis, hinten von dem M. teres major (falls dieser vorhanden ist) begrenzt; die Trennung von diesen Mus- keln ist meist eine vollkommene'), nur mit dem M. cleido-humeralis existirt in seltenen und zweifelhaften Fällen ein auch auf den Ur- sprungstheil ausgedehnter innigerer Zusammenhang ?). Innervirt durch einen Ast des N. dorsalis scapulae (31). Der Muskel entspricht im Wesentlichen dem M. dorsalis sca- pulae der Amphibien und der P. scapulo -humeralis des M. scapulo -procoraco -plastro-humeralis der Chelonier Eine Verglei- chung mit den Mm. supraspinatus und infraspinatus, die von der Mehrzahl der früheren Anatomen befürwortet wurde, ist demnach ohne Weiteres auszuschliessen. Der M. dorsalis scapulae gehört, wie dies auch bereits von Mrvart, GÜNTHER und ROLLESTON mit Recht betont worden ist, dem System des M. deltoides an. Ein unwe- sentlicher Unterschied von diesem Muskel, wie er bei den höheren Wirbelthieren ausgebildet erscheint, ist durch den Verlauf des N. dor- salis scapulae oberhalb des M. anconaeus scapularis gegeben. Eine Vergleichung mit den homologen Bildungen der Amphibien und Chelonier ergibt bezüglich des Ursprungs die Abweichung , dass einzelne vordere Fasern des M. dorsalis scapulae der kionokranen Saurier auch von dem scapularen Ende der Clavicula kommen. der Ursprung auf die obere Grenze der Scapula herunter; sehr selten (Lophy- rus) ist er in der Hauptsache auf die Scapula beschränkt, während nur unbe- deutende Fasern von dem Suprascapulare kommen. ') Bei vielen findet der Ursprung des M. dorsalis scapulae sogar in einiger Entfernung von der Insertion des M. levator scapulae superficialis statt. 2) M. dorsalis scapulae und M. cleido-humeralis hängen in der Regel nur an ihren Insertionstheilen zusammen; die Angabe Mecker's, der einen totalen Zusammenhang bei Iguana betont, wird nicht durch die Untersuchung Mrvart's unterstützt, der ebenfalls bei Iguana eine Trennung beider Muskeln findet. 732 M. Fiirbringer Diese Differenz ist bedingt durch das Auftreten von selbstständigen elavieulären Bildungen, die den Amphibien, speciell den Urodelen, und den Cheloniern abgehen. Die Verhältnisse bei den Anuren haben nun bereits hinlänglich dargethan, dass Muskeltheile bei den Einen zu dem Procoracoid, bei den Andern zu der Ciavieula in Beziehung stehen können, ohne dass man deshalb die Homologie dieser Mus- keltheile zu bezweifeln das Recht hat; es ist somit dieser theilweise Ursprung des M. dorsalis scapulae der kionokranen Saurier von der Clavicula als eine Ursprungsaberration anzusehen, welche die Ho- mologie dieses Muskels mit den gleichnamigen der Amphibien und Chelonier im Wesentlichen durchaus nicht alterirt. Die Insertion des Muskels der Saurier betreffend finden sich namentlich mit den Cheloniern nähere Beziehungen, die sich in der Beiden gemeinsamen theilweisen Kreuzung der Fasern des M. dorsalis scapulae mit denen des M. eleido-humeralis (P. procoraco-humeralis m. seapulo-procoraco- plastro-humeralis der Chelonier) aussprechen : in diesem Verhältnisse ist eine Differenzirungsrichtung angebahnt, die sich in weiterer Ent- wickelung bei den höher stehenden Classen wiederfindet. 14. Cleido-humeralis (Deltoides clavicularis s. inferior) (del) '). Theil des Hebers des Arms (Deltoideus): Mecxet (No. 1). Erster rotirender Muskel des Oberarms: STANNIUS. Lower portion of the Deltoid: Mivarr. Deltoideus, Deltoid: RÜDINGER, ROLLESTON, SANDERS. Claviculo-brachialis, Clavi-humeralis: GUNTHER, FÜr- BRINGER. Breiter und kräftiger auf der Unterseite der Brust liegender Muskel, der den M. supracoracoideus bedeckt. dessen hinterer Rand von dem vorderen des M. pectoralis überlagert ist und der lateral an den M. dorsalis scapulae angrenzt. Er entspringt von der Clavieula mit Ausnahme des lateralen Endes derselben, das Theilen des M. dor- salis seapulae zum Ursprunge dient, und geht mit convergirenden Fasern zur Aussenfläche des Processus lateralis humeri, wo er ge- meinsam mit letzterem Muskel inserirt. Der Ursprung findet in ver- !) PFEIFFER führt (pag. 14) unter No. 2 und 3 zwei’ Muskeln an, die dem M. cleido-humeralis (und zum Theil auch dem M. dorsalis scapulae) ent- sprechen. Die von Preimrer betonte Identität seines Muskels No. 2 mit dem Supraspinatus Mecker's kann ich, mit Vergleichung der Abbildung, nicht bestätigen. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 733 schiedener Weise an der Aussenfläche, Vorderseite und Innenfläche der Clavicula') statt: ist der sternale Theil der Clavieula gar nicht oder nur wenig verbreitert (Liolepis, Iguana, Uromastix, Lophyrus), so kommt die Hauptmasse der Fasern zum grössten Theil von der Innenfläche und dem Vorderrande desselben, während nur ein gerin- gerer Theil von der Amssenfläche des sternalen Endes seinen Aus- gang nimmt; ist letzteres hingegen in beträchtlicherem Maasse ver- breitert (Lacerta, Ameiva, Podinema, Ascalaboten, Seineoiden), so findet der Ursprung des Muskels in gleicher Weise an Innenfläche, Vor- derrand und Aussenfläche der Clavieula statt; — die von der Innenfläche der Clavieula kommenden Fasern sind die kürzesten und bilden die oberflächliche Schicht des Muskels, die von der Aussenfläche ent- springenden sind die längsten, sie schlagen sich um den Vorderrand der Clavieula herum und verlaufen sodann als tiefere Schicht des Muskels zu ihrem Insertionspunet. Die insertiven Fasern des M. eleido-humeralis kreuzen z. Th. die des M. dorsalis scapulae und inseriren im Wesentlichen distaler am Processus lateralis als die letzteren. Innervirt durch einen Ast des N. dorsalis scapulae 33). Der M. cleido - humeralis der kionokranen Saurier ist von der Mehrzahl der Anatomen mit Recht als eine dem M. deltoideus ver- wandte Bildung erkannt worden; dass er diesem nicht direet homo- log ist, wurde von einzelnen Autoren durch Aufstellung besonderer Namen (Erster rotirender Muskel des Oberarms, Claviculo-brachialis ete.) ausgedrückt. In Wirklichkeit entspricht der Muskel z: Th. den von dem N. dorsalis scapulae innervirten Portionen des M. pro- coraco-humeralis der Urodelen und des M. episterno-cleido-acromio- humeralis der Anuren, sowie dem M. procoraco - plastro -humeralis der Chelonier. Dass diese Homologie keine complete ist, wird schon durch die verschiedene Nomenelatur ausgedrückt : bei Urodelen ent- springt der Muskel vom Procoracoid, bei Anuren ausser von der Cla- vieula auch vom Acromion und Episternum. bei Cheloniern vom Brustschild und dem Procoracoid, bei den kionokranen Sauriern hin- ') SANDERS beschreibt bei Phrynosoma coronatum auch einen Ursprung von dem Episternum. — RÜDINGER führt hinsichtlich des Deltoides von La- certa an, dass er »von dem bogenförmigen vorderen dünnen Knochen (Schlüs- selbein und Acromion)« entspringe; diese Angabe beruht, wie es scheint, nur auf Unkenntniss der Knochen, indem RÜDINGER in der Clavicula der kiono- kranen Saurier Homologe von clayiculiiren und acromialen Elementen ver- muthet. 734 M. Fiirbringer gegen lediglich von der Clavicula'!). Dass aber diese Differenz nicht schwer genug wiegt, eine Vergleichung überhaupt auszuschlies- sen, wurde bereits bei Besprechung des M. procoraco- plastro - hu- meralis der Chelonier 2. Theil dieser Abhandlung. Jenaische Zeit- schrift für Naturwissenschaft. Bd. 8. pag. 270) sowie des M. dorsalis scapulae der kionokranen Saurier (dieser Theil pag. 732) hervor- gehoben. — Unter den Bildungen der Säugethiere zeigt der von der Clavicula entspringende Theil des M. deltoides grosse Ueber- einstimmungen mit dem M. eleido-humeralis; eine complete Homolo- gisirung Beider hingegen wird verboten durch die abweichende Art der Innervirung, indem der M. deltoides der Säugethiere durch einen unterhalb des M. anconaeus scapularis verlaufenden N. axillaris, der M. eleido-humeralis der Saurier durch einen oberhalb dieses Muskels nach vorn gehenden N. dorsalis scapulae versorgt wird. 15. Seapulo-humeralis profundus (spr). Obergritenmuskel, Supraspinatus: MEQKEL (No. 2)?) PFEIF- FER, RUDINGER. Zweiter rotirender Muskel des Oberarms: STANNIUS. Infraspinatus (?): Mivarr?). Suprascapularis: ROLLESTON. Teres minor: SANDERS. Acromio-humeralis s. deltoideus: FÜRBRINGER. Kleiner aber kräftiger Muskel auf dem unteren Theile der Sca- pula und dem oberen des Coracoids, der von den Mm. cleido- humeralis und dorsalis scapulae bedeckt ist und unten an M. supra- coracoideus, oben an den äusseren Theil des M. subscapularis angrenzt. Er entspringt von der Aussenfläche der die Fenestra coraco-scapularis verschliessenden Membran und vom Knochen in der Cireumferenz derselben, bei einzelnen \z. B. Platydactylus aegyp- tiacus), wo ausserdem ein Scapularfenster vorhanden ist, in gleicher ') Abgesehen von Phrynosoma coronatum, wo nach SANDERS auch der Ursprung am Episternum stattfindet. 2) MECKEL betont nur die Wahrscheinlichkeit einer Homologie mit dem Obergritenmuskel. 3) GUNTHER scheint den Muskel fiir ein Homologon der Mm. supra-, infra- spinatus und teretes zu halten; die Beschreibung ist zu kurz, um die Identität des Muskels zu erkennen. Zur vergleichenden Anatomie dér Schultermuskeln. 735 Weise von dessen Membran und Cireumferenz') und geht mit con- vergirenden Fasern lateral am M. anconaeus scapularis vorbei und dann sich zwischen den Mm. anconaei humerales lateralis und media- lis einsenkend nach der Streekfläche des Humerus, wo er proximal vom M. latissimus dorsi unweit des Processus medialis humeri inse- rirt. In der Regel ist er ein zweifiederiger Muskel, dessen von dem Bereiche der Seapula kommende Fasern länger sind als die von dem Coracoid entspringenden. Auf seinem Verlaufe nach dem Humerus liegt er der Kapsel des Schultergelenks dieht an, wobei er vermittelst einzelner tiefer Fasern mit ihr verbunden ist, und wird meist an seinem insertiven Ende von einem Bande bedeckt, das theils mit der Gelenkkapsel und dem Humeruskopf, theils mit den Mm. anconaei sea- pularis und humeralis lateralis in verschiedener Weise verbunden ist. Innervirt durch den N. scapulo-humeralis profundus (36°). Der M. seapulo-humeralis profundus der kionokranen Saurier ist von den Autoren in verschiedenster Weise gedeutet worden: Einige (MECKEL, PFEIFFER, Miyart, RÜDINGER) haben ihn zu dem M. supraspinatus oder M. infraspinatus in Beziehung gebracht, An- dere (SANDERS) haben ihn mit dem M. teres minor verglichen, noch Andere (FÜRBRINGER) haben ihn als ferneres Homologon des M. deltoides aufgefasst, Andere endlich (Srannius, wahrscheinlich auch RoLLeston) haben ihn als eine besondere Bildung der Repti- lien beschrieben. Von diesen Deutungen ist die erste, als Homolo- son des M. supraspinatus oder M. infraspinatus, vor- nehmlich wegen der ganz verschiedenen Innervirung sofort auszu- schliessen. Die anderen drei haben gewisse Wahrscheinlichkeit für sich. Bezüglich der Vergleichung mit dem M. teres minor ist zu bemerken, dass allerdings die Innervirung (durch einen unterhalb des M. anconaeus scapularis also dem N. axillaris gleichverlaufenden Nerven), sowie die Lage zu dem M. anconaeus scapularis diese Ho- mologie sehr wahrscheinlich macht, ferner dass die Differenz der Ursprünge beider Muskeln auch keine unüberwindliche Schwierigkeit darbietet; es ist aber zu betonen, einmal, dass die Insertion des M. scapulo-humeralis profundus der kionokranen Saurier sich wesentlich von der des M. teres minor des Menschen unterscheidet, und dann, ') Bei ansehnlicher Entwickelung ist er auch mit dem acromialen Ende der Clavicula durch Bindegewebe verbunden ; diese Verbindung darf aber nicht als Ursprung aufgefasst werden, wie dies von mir in meiner früheren Abhand- jung (Knochen und Muskeln ete. pag. 19) irrthümlich geschah. 796 M. Fürbringer dass der M. teres minor als eine Differenzirung aus dem System des M. deltoides heraus aufzufassen ist, die in strieter Form erst inner- halb der Säugethiere vor sich geht und bei diesen besprochen wer- den wird. Eine gewisse Homologie des Muskels mit dem M. teres ininor der Säugethiere kann also mit einigem Recht behauptet wer- den: doch ist diese Homologie immer nur eine incomplete. Was die Vergleichung mit dem M. deltoides anlangt, so gilt für dieselbe im Wesentlichen das bezüglich der Homologisirung mit dem M. teres minor Gesagte: Ursprung und Innervirung stützen eine Vergleichung mit dem Systeme des menschlichen M. deltoides, während die Inser- tion eine nicht unwesentliche Differenz ergibt. Die Annahme, dass der M. scapulo-humeralis profundus eine besondere Muskelbildung sei, verlangt eine nähere Besprechung. Hinsichtlich der Verglei- chung mit den bereits beschriebenen Muskeln der Amphibien und Chelonier sind die Urodelen und Chelonier, denen ähnliche Bildun- gen vollkommen abgehen, auszuschliessen, während die Anuren in dem M. scapulo-humeralis profundus anterior eine Bildung dar- bieten, welche bezüglich des Ursprungs und der Insertion grosse Uebereinstimmung mit dem M. scapulo-humeralis der kionokranen Saurier zeigt, hinsichtlich der Innervation aber (die bei den Anuren durch einen oberhalb des M. anconaeus scapularis, bei den kionokra- nen Sauriern durch einen unterhalb dieses Muskels verlaufenden Nerven besorgt wird) sich von ihm unterscheidet. Doch zeigt eine genauere Vergleichung, dass dieser Unterschied kein beträchtlicher, dass er vielmehr im Wesentlichen nur ein scheinbarer ist, der durch die verschiedenartige Entwicklung des M. anconaeus scapularis der Anuren und kionokranen Saurier bedingt wird'). Es ist danach er- laubt, die Mm. scapulo-humeralis profundus anterior der Anu- ven und scapulo-humeralis profundus der kionokranen Saurier mit einander zu vergleichen. Und somit ist, da der M. scapulo- humeralis profundus anterior als eine besondere Bildung anzuspre- chen war (vergl. 2. Theil dieser Abhandlung. Jenaische Zeitschrift. Band VII. pag. 219), auch eine direete Vergleiehung des M. sca- pule-humeralis profundus der Saurier mit den normalen menschli- ') Fasst man den M. anconaeus scapularis der kionokranen Saurier als eine den Anuren abgehende Bildung auf, wofür Gründe vorliegen, und nimmt man an, dass Homologe des M. anconaeus scapularis medialis der Anuren in dem M. anconaeus coracoideus (coraco-scapularis) enthalten sind: so ist im We- sentlichen die Identität der Nn. scapulo-humeralis profundus anterior der Anu- ren und scapulo-humeralis profundus der kionokranen Saurier gesichert. Zur vergleichenden Anatomic der Schultermuskeln. 7137 chen Muskelbildungen') von der Hand zu weisen. Während aber der bezügliche Muskel der Anuren (als einer Classe angehörend, die durch eigenartige Differenz sich weit von den Bildungen der Säuge- thiere entfernt zeigt) keine näheren Beziehungen für die Vergleichung mit den menschlichen Verhältnissen darbietet, verhält es sich hiermit anders bei den Sauriern, die in einer grossen Reihe übereinstimmen- der Differenzirungen der Schultermuskulatur eine nähere Verwandt- schaft zu den Siugethieren?) bekunden. Und in dieser Hinsicht repräsentirt der M. scapulo-humeralis profundus der kionokranen Saurier eine Muskeldifferenzirung, die für das Verständniss der Bil- dungen der höheren Wirbelthiere, und zugleich für den Nachweis des Processes der metamerischen Umbildung der Nerven und Mus- keln, nicht ohne Wichtigkeit ist?). 16. Teres major (Imay)*. Grosser runder Muskel oder kleiner Rück wärtszieher: MECKEL. Teres major: STANNIUS, RÜDINGER, ROLLESTON: Scapulo-humeralis posterior s. teres major: FÜr- BRINGER,. _ Kleiner und schlanker Muskel im Bereiche des hinteren Theils der Scapula, der den meisten Sauriern fehlt. Er entspringt ent- weder von dem hinteren Abschnitte der Aussenfläche des Suprasca- pulare (Uromastix, Stellio®), Trachysaurus) oder von dem hinteren ') Bezüglich einer etwaigen Vergleichung mit den von GRUBER, MACALISTER u. A. beschriebenen Mm. deltoideus profundus, coraco-capsularis, gleno-brachia- lis ete. ete. verweise ich auf den Anhang des Cap. VI. dieser Abhandlung. ?) Selbstverständlich ist hiermit zunächst nur die Verwandtschaft bezüglich der Bildung der Schultermuskeln gemeint. 3) Eine weitere Ausführung dieses Gedankens dürfte zu weit führen. Hier sei nur kurz erwähnt, dass alle Verhältnisse dafür sprechen, den N. scapulo- humeralis profundus und mit ihm den von ihm innervirten Muskel als eine meta- merische Neubildung (in Folge der Rückwärtswanderung des Brustgürtels) auf- zufassen, die nicht, — wie das sonst gewöhnlich der Fall — in den alten Bahnen der bereits vorhandenen Nerven verlaufen ist, sondern neue Bahnen eingeschlagen hat, die nur z. ‘Th. bei den anderen höheren Abtheilungen sich wiederfinden. 4) Der von PFEIFFER angeführte M. teres major unterscheidet sich nament- lich bezüglich des Ursprungs wesentlich von dem hier beschriebenen :M. teres major und scheint dem M. subscapularis anzugehören. >) So nach RÜDINGER, der die Existenz eines M. teres major bei Stellio als möglich annimmt. 738 M. Fiirbringer Rande der Scapula und des Suprascapulare (Euprepes) und geht zwischen M. anconaeus scapularis und anconaeus coracoideus, dann zwischen den Mm. anconaeus humeralis medialis und lateralis an die Streckseite des Humerus, wo er in der Nähe des Processus medialis entweder fiir sich (Seineoiden) oder mit dem M. latissimus dorsi in- serirt (Uromastix). Innervirt durch N. teres major 29°). Der Mukel ist, wie übereinstimmend von allen Anatomen er- kannt worden ist, ein Homologon des menschlichen M. teres major. Die Differenzen von diesem sind nur ganz specieller Natur und nicht wesentlich genug, um eine Homologie mit ihm auszuschliessen. Aehnlich wie bei den Cheloniern zeigt der M. teres major der Sau- rier auch gewisse Verschiedenheiten der Entwickelung bei den ein- zelnen Gattungen und nimmt insofern bald zu den M. latissimus dorsi (Uromastix) bald zu den M. subscapularis (Euprepes) eine nähere Beziehung ein. 17. Suhcoracoscapularis (sdese). Unterschulterblattmuskel, Subscapularis: MECKEL, PFEIFFER, STANNIUS, MIVART, RÜDINGER, SANDERS. Subseapularis und Coraco-brachialis internus: RÜ- DINGER. Subscapulo-humeralis s. Subscapularis: FÜRBRINGER!). Breite und kräftige Muskelmasse an der Innenfläche des Cora- coids und der Scapula. Der M. subcoracoscapularis entspringt von der Innenfläche des Coracoids?), mit Ausnahme des vorderen, me- dialen und hinteren Randes, von der Innenfläche und dem hinteren Rande der (knöchernen) Scapula, sowie bei ansehnlicher Entwick- lung auch von der Innenfläche des unteren Saumes des Suprascapu- lare und von der Aussenfläche der Scapula®). Die Fasern laufen stark convergirend nach unten und hinten über die Innenseite der Schultergelenkkapsel hinweg und inseriren mit einzelnen Fasern an letzterer, mit der Hauptmasse an dem Processus medialis humeri. !, Im Texte fehlt die Angabe eines coracoidalen Ursprungs, der auf Fig, 75 deutlich angegeben ist. r 2) Von MeckeEL und PFEIFFER ist der Ursprung vom Coracoid übersehen worden. 3) Besonders bei Uromastix ist dieser äussere Ursprung sehr entwickelt. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 739 Selten bildet der Muskel eine zusammenhiingende Masse (Platydac- tylus); in der Regel, bei Entwicklung eines M. sternocosto - scapu- laris, ist er durch dessen Endsehne in zwei nur an der Insertion mit einander verwachsene Portionen getrennt'), deren eine (P. cora- coidea) von dem Coraeoid und dem angrenzenden Saume der Sea- pula und deren andere (P. scapularis) von der Scapula (und dem Suprascapulare) ihren Ursprung nimmt?). Die P. coracoidea stellt entweder eine ziemlich homogene Muskelschicht dar (Trachysaurus, Varanus) oder sie ist entsprechend der verschiedenen Ausbildung der Fenster im Coracoid (und an der Grenze von Coracoid und Scapula) am proximalen Rande des Ursprungs in zwei (Lacerta, Ameiva, Podinema) oder drei Partien resp. Zacken (Uromastix) abgetheilt. Die P. scapularis zeigt gegenüber der P. coracoidea verschiedene Grössenverhältnisse: entweder sie ist kleiner als letztere (Trachysau- rus, Lacerta) oder sie ist ihr gleich stark (Uromastix, Iguana, Lio- lepis, Ameiva) oder sie ist kräftiger (Varanus). Ist sie wenig ent- wickelt, so bilden die von der Innenfliche und dem Hinterrande der Scapula kommenden Bündel die überwiegende Hauptmasse ; zeigt sie eine bedeutendere Ausbildung, so repräsentiren auch die von der Aussenfläche der Scapula entspringenden Bündel einen wesentlichen Antheil des Muskels. Trifft die ansehnliche Entwicklung dieser P. scapularis zugleich mit der des M. serratus superfieialis zusammen, derart dass untere Fasern des letzteren in derselben Höhe wie obere Fasern des ersteren mit der Scapula verbunden sind (Ameiva, Va- ranus, Iguana ete.), so schieben sich die bezüglichen Fasern des M. serratus superficialis zwischen äussere und innere Bündel der P. scapularis m. subeoracoscapularis ein*) und bedingen somit z. Th. die erste Andeutung einer Sonderung in eine P. scapularis in- terna und externa‘). Innervirt durch N. subeoracoseapularis (29). Der M. subeoraeoscapularis der kionokranen Saurier steht zu ') MECKEL beschreibt eine Theilung des M. subscapularis durch »einen kleinen Bauch des Vorderarmbeugers«, die mir unverständlich ist. 2) Diese Trennung in eine P. coracoidea und scapularis hat’ RÜDINGER Veranlassung gegeben, erstere entweder als Theil des M. subscapularis oder als besonderen M. coraco-humeralis internus aufzufassen. 3) Dieses Verhältniss der Mm. serratus superficialis und subscapularis wurde zuerst von MivArT und RÜDINGER hervorgehoben. 4) Letztere scheint dem M. scapulo-humeralis RoLLEsToN’s identisch zu sein. 740 M. Fiirbringer dem M. subseapularis der Säugethiere in nächster Beziehung; und zwar können die von der Innenfläche der Scapula (und des Supra- scapulare) ausgehenden Fasern zu diesem Muskel in directe Homo- logie gebracht werden. Bezüglich der von dem Coracoid und der von der Aussenfläche der Scapula entspringenden Partien hingegen ist eine speciellere Homologie mit menschlichen (resp. Siugethier-) Bil- dungen auszuschliessen: erstere (P. coracoidea) sind dem M. sub- eoracoideus einzelner Urodelen (Siredon, Salamandra) zu verglei- chen und haben ausserdem nur noch bei den Chamäleoniden und Vögeln direct homologe Bildungen; letztere (P. scapularis externa) stellen einen Fasercomplex dar, der den äusseren aber .noch nicht gesonderten Fasern des M. subseapularis der Chelonier vergleichbar ist, und der sich sonst nur noch bei den Vögeln, und zwar in einer viel weiter gehenden Differenzirung als bei den kionokranen Sauriern, wiederfindet '). 18. Anconaeus (a). \ a. Caput scapulare m. anconaei: Erster langer Kopf des Vorderarmstreekers: MECKEL. Langer Kopf des M. triceps: PFEIFFER. Erster Kopf des M. anconaeus longus: STANNIUS. First part or external. long head of the Triceps: Mr VART. Theil der Superficial portion of the Triceps: GUNTHER. Grössere breitere Schulterportion des Caput longum trieipitis: RÜDINGER. Scapular section or long head of the Triceps: SANDERS (Platydactylus). Erster Kopf des M. scapulo-coraco-humero-ulnaris s. Triceps: FURBRINGER. Middle or long head of the Triceps (exel. der mit den Mm. intercostales zusammenhängenden Sehne): SANDERS (Liolepis). Long head of the Triceps: SANDERS (Phrynosoma). 1) Die Möglichkeit einer Homologie der äusseren Fasern des M. subeoraco- scapularis der Saurier mit dem menschlichen M. teres major, wie SANDERS an- nimmt, ist allerdings a priori nicht auszuschliessen, doch fehlen geniigende Be- weise fiir diese Annahme, die allzuwenig Rücksicht auf die Verschiedenartigkeit der Insertionen beider Muskeln nimmt. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 741 b. Caput coracoideum m. anconaei!). Zweiter langer Kopf des Vorderarmstreekers: MECKEL. Zweiter Kopf des M. anconaeus longus: STANNIUS. Second part or internal long head of the Triceps: Mı- VART. Theil der Superficial portion of the Triceps: GÜNTHER. Diinne sehnige Portion des Caput longum tricipitis: RUDINGER. Zweiter Kopf des M. scapulo- coraco-humero -ulnaris s. Triceps: FURBRINGER. Theil des Middle or long head of the Triceps: SANDERS (Liolepis) 2). Theil des Inner head of the Triceps: SANDERS (Phryno- soma) 2). , ce. Caput humerale laterale m. anconaei: (Aeusserer) kurzer Kopf des Vorderarmstreckers. MECKEL. Erster Kopf des Oberarmtheils des Vorderarmstreckers: STANNIUS. Third part or external humeral head of the Triceps:* MIVART. Theil der Inner portion of the Triceps: GÜNTHER. Theil des dritten Kopfes des M. scapulo-coraco-humero- ulnaris: FÜRBRINGER. Outer head of the Triceps: SANDERS. d. Caput humerale mediale m. anconaei: (Innerer) kurzer Kopf des Vorderärmstreckers: MECKEL. Zweiter Kopf des Oberarmtheils desVorderarmstreckers: STANNIUS. Last part or internal humeral head of the Triceps: MIVART. Theil der Inner portion ofthe Triceps: GÜNTHER. Theil des dritten Kopfes des M. scapulo-coraco-humero- ulnaris: FÜRBRINGER. I, Von PFEIFFER bei Salvator Merianae (Tejus monitor), Lacerta agilis und Seineus multifasciatus , ebenso wie von SANDERS bei Platydactylus nicht an- geführt. 2) SAnDERS (Liolepis pag. 166): »From the middle of the inner edge of this (long) head arises a tendon which is attached to the tendinous anterior border of the intereostales«. 3) SANDERS (Phrynosoma pag. 78): »About the junction of the distal with the middle third it joins the other portion, which arises by a narrow tendon from a ligamentous band, which goes from the external angle of the sternum to the inner surface of the scapula ete.« 742 M. Fiirbringer Inner head of the Triceps: SANnDERS (Platydactylus, Lio- ‘ lepis). Theil des Inner head of the Triceps: SANDERS (Phryno- soma). Sehr kräftige Muskelmasse an der Streckseite des Oberarms, die mit vier Köpfen entspringt, von denen zwei, Caput scapulare und coracoideum, von dem Brustgiirtel, und zwei, Caput humerale laterale und mediale, von dem Humerus ihren Ausgang nehmen. a) Caputscapulare m. anconaei s. M. anconaeus seapularis lateralis (as/). Sehr kräftiger Kopf, der sehnig (mitunter auch z. Th. fleischig, namentlich im oberen Bereich der Sehne) von dem hinteren Rande der Scapula, gleich oberhalb des Schul- tergelenks und zwischen den Mm. scapulo-humeralis profundus und subscapularis, sowie von der Kapsel des Schultergelenks entspringt. Der Ursprung geschieht entweder mittelst einer brei- ten von den genannten Stellen kommenden Sehne oder mittelst zweier Zipfel‘), von denen der obere mit dem hinteren Schul- terblattrand, der untere mit der Gelenkkapsel zusammenhängt. Die Ursprungssehne geht in einen kräftigen Muskelbauch über, der zwischen M. dorsalis scapulae und M. latissimus dorsi (inel. teres major) verläuft, wobei der dem M. latissimus dorsi zuge- kehrte Rand sehnig ist, und distal von letzterem Muskel früher (meiste Saurier) oder später (Phrynosoma) sich einerseits mit dem Caput coracoideum andererseits mit dem Caput humerale laterale vereinigt. Sehr häufig wird schon vorher durch eine das Ende des M. scapulo- humeralis profundus überbrückende Sehne der Zusammenhang mit dem Kopfe des Humerus oder mit dem Anfange des Caput humerale laterale m. anconaei vermittelt 2). b) Caput coracoideum m. anconaei s. M. anconacus cora- coideus (ac)?). Er wird durch eine schlanke Sehne repräsen- / 1) Dieser zweizipfelige Ursprung ist bereits von MıvArT bei Iguana be- schrieben und mit dem Ursprunge des M. rectus femoris in Analogie gebracht worden. 2) So auch von SANDERS namentlich angegeben. RÜDINGER spricht auch von einem Ursprung des Muskels von dem Tubereulum laterale, eine Angabe, die an diese Sehnenbildung erinnert, aber keine vollkommene Uebereinstim- mung mit ihr enthält. 3) Von mir früher (Knochen und Muskeln ete.) bei Seps, von SANDERS bei Platydactylus übersehen. Eine erneute genaue Untersuchung ergab seine Exi- stenz bei Seps tridaetylus, Platydactylus aegyptiacus und guttatus. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 743 ‘tirt, die von dem hinteren Rande der Innenfläche des Coracoids sowie in der Regel durch Vermittelung von kräftigen Bändern von dem Ligamentum sterno-scapulare internum (s. oben pag. 712) und mitunter auch von der Innenfläche der lateralen Ster- nalecke (von der das Ligamentum sterno-scapulare internum aus- geht) entspringt. Der Ursprung vom Coracoid kommt allen untersuchten kionokranen Sauriern zu, der von dem Ligamen- tum sterno-scapulare internum hingegen kann fehlen wie dieses Band selbst und der mit ihm zusammenhängende M. sternocosto- scapularis (Platydactylus). Hier bei Platydactylus wird das Caput coracoideum durch eine äusserst dünne Sehne repräsentirt, die nur von dem hintern Winkel des Coracoids neben dem Ursprunge des M. coraco-brachialis longus ausgeht. Bei allen anderen .ge- nauer untersuchten Sauriern!) ist die von dem Coracoid entsprin- gende, meist ziemlich kräftige, Sehne mit dem Ligamentum sterno-scapulare internum entweder durch ziemlich schlaffe aber feste bindegewebige Querfasern verbunden (Autosaurier, Seincoi- den) oder diese Verbindung geschieht durch kräftige und straffe Fasern, die sich wie ein zweiter Ursprungszipfel des M. anco- naeus coracoideus verhalten (Iguana, Stellio, Uromastix, Phry- nosoma ete.)?); mitunter ist die Verbindung sehr breit und ver- mittelt dann auch mit dem Sternum den Zusammenhang (Iguana, Phrynosoma) ®). Die Sehne verläuft zwischen N. brachialis longus superior und inferior und medialwärts von den Mm. subscapula- ris und latissimus dorsi, wobei sie mitunter (Varanus, Iguana, Phrynosoma, ein Exemplar von Uromastix) ein sehniges Fascikel ! Die Angaben über Hatteria sind bezüglich dieses Punctes nicht genau genug, um über die Existenz oder Nichtexistenz einer Verbindung mit dem Li- gamentum sterno-scapulare internum zu entscheiden. 2) RUDINGER hält irrthümlich das Ligamentum sterno-scapulare internum selbst für einen Ursprungszipfel des M. anconaeus coracoideus und lässt diesen sonach z. Th. zwischen P. scapularis und coracoidea m. subcoracoscapularis von der Innenfläche der Scapula entspringen. Die Vergleichung mit den Bil- dungen bei andern Sauriern ergibt «diese Verbindung als eine secundäre und mittelbare. 3) SANDERS beschreibt bei Liolepis einen Zusammenhang des Caput cora- coideum lediglich. mit sehnigen Partien der Min. intercostales, während er eines Ursprungs von dem Coracoid keine Erwähnung thut. Dieses Verhalten ist zu auffallend und von der Bildung der nächstverwandten Saurier zu abweichend, um wahrscheinlich zu sein; vielleicht geschah die Untersuchung an einem ver- letzten Exemplare Morpholog. Jahrbuch. 1. 49 744 M. Fiirbringer von letzterem Muskel erhält, und verbindet sich distal von ihm mit dem Caput scapulare. ec. Caput humerale laterale m. anconaei s. M. anconaeus humeralis lateralis (ah/). Mittelstarker Kopf, der von dem lateralen Theile der Streckfläche des Humerus mit Ausnahme des proximalen und distalen Endes entspringt !) und sich in der Mitte des Oberarms oder vorher mit dem Caput humerale mediale verbin- det. Er liegt medial vom M. cleido-humeralis und M. dorsalis scapulae und lateral vom M. scapulo-humeralis profundus, wel- cher letztere ihn im proximalen Abschnitte des Oberarms von dem Caput humerale mediale abgrenzt. Mitunter (Platydactylus z. B.) kann eine Ursprungszacke auch medial von dem M. scapulo- humeralis profundus liegen 2). d. Caput humerale mediale m. anconaei s. M. anconaeus humeralis medialis (aim). Ziemlich schwacher Kopf, der von dem medialen Abschnitt der Streckfläche des Humerus distal vom Processus medialis bis nahezu herab zum Condylus ulnaris ent- springt und sich am Ende der proximalen Hälfte des Oberarms seltener (z. B. bei Phrynosoma) erst im Bereiche der distalen mit dem Caput humerale laterale verbindet. Er wird durch den M. scapulo-humeralis profundus von dem proximalen Theile des Caput humerale laterale getrennt und liegt zwischen ersterem Muskel und dem M. coraco-brachialis longus. Nach ihrer Vereinigung, die meist in der Mitte des Oberarms erfolgt ist, bilden alle vier Köpfe einen sehr kräftigen Muskel- bauch ?), der mit einzelnen spärlichen tiefen Fasern an der Kap- sel des Ellenbogengelenks inserirt (M. subanconaeus), mit der Hauptmasse aber in eine sehr starke Sehne übergeht, welche ein Sesambein (Patella ulnaris) einschliesst und am proximalen Ende der Ulna (Olecranon) endet. Innervirt durch N. anconaeus (36) und Rr. musculares des N. brachialis longus superior (40). Der M. anconaeus ist im Allgemeinen dem gleichnamigen Mus- kel der Amphibien und Chelonier zu vergleichen, unterscheidet sich I) Irrthümlich ist von mir früher (Knochen und Muskeln ete.) ein Ursprung vom Caput humeri angegeben worden. 2) SANDERS unterscheidet danach bei Platydactylus japonicus zwei Köpfe des M. anconaeus humeralis lateralis (outer head of the Triceps). 3) GÜNTHER beschreibt bei Hatteria eine Verbindung mit M. brachialis internus in der Nähe des Olecranon. of MF Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 745 aber im Speciellen wesentlich von den Bildungen dieser. Diese Dif- ferenz liegt sowohl in der etwas abweichenden Differenzirung der von dem Humerus entspringenden Portion (Caput humerale laterale und mediale), als namentlich in der Verschiedenheit der Ausbildung der von dem Brustgürtel kommenden Köpfe (Caput scapulare laterale und coracoideum). Bezüglich des Caput scapulare laterale ist eine directe Vergleichung mit dem Caput scapulare mediale der Amphibien wegen der ganz verschiedenen Lage zu dem M. latissi- mus dorsi (Urodelen und Anuren) und N. brachialis longus superior (Anuren) ohne Weiteres auszuschliessen '), während dieselbe bei dem Caput scapulare laterale der Chelonier vollkommen zulässig ist; eine geringere Differenz ist gegeben in der Verbindung des C. scapulare laterale der Saurier mit dem Kopf des Humerus oder dem Anfange des Caput humerale laterale, eine besondere Uebereinstimmung in dem Verhalten des Muskels der Kapsel des Schultergelenks. Ein Homologon des Caput coracoideum der kionokranen Saurier kommt den Urodelen zu, fehlt hingegen den Anuren und der Mehr- zahl der Chelonier?). Eine complete Vergleichung mit der entspre- chenden Bildung der Urodelen ist indessen durch die abweichende Struetur und durch die Verbindung mit dem M. latissimus dorsi er- schwert. Erstere Beziehung anlangend , ist es erlaubt, das Caput coracoideum der kionokranen Saurier (das bei diesen im Gegensatze zu den Urodelen, wo es muskulös ist, lediglich aus Sehnengewebe be- steht) als eine Rückbildung aufzufassen, die zugleich durch die Ver- bindung mit dem Ligamentum sterno -scapulare internum bei der Mehrzahl der Saurier eine besondere Differenzirung eingegangen ist; bezüglich der letzteren Beziehung ist eine grosse Aehnlichkeit mit dem gleichen Verhalten des Caput scapulare mediale der Urodelen zu erkennen, die wahrscheinlich macht, dass das Caput coracoideum der Saurier ursprünglich auch dem C. scapulare mediale der Urode- len homologe Elemente in sich enthalten hat, Elemente, die aber % !) Das Nähere über die gegenseitige Vergleichung der Mm. anconaei sca- pulares medialis und lateralis s. 1. Theil (Jenaische Zeitschrift Band VII. pag. 278 und 314) und 2. Theil dieser Abhandlung (Jenaische Zeitschrift Band VIII. pag. 275). 2) Hinsichtlich der Chelonier ist das bei Trionyx von dem M. anconaeus scapularis abgehende und an der Halsfascie aberrirende Fascikel von Wichtigkeit: es ist wahrscheinlich ein einseitig differenzirtes und zugleich reducirtes Homo- logon des Caput coracoideum des M. anconaeus der Urodelen. 49* 746 M. Fiirbringer ebenso wie die rein coracoidalen als Muskelbildungen vollkommen redueirt worden sind und ihre ursprüngliche Existenz nur noch in der Verbindung mit dem M. latissimus dorsi verrathen. Hinsichtlich des Caput humerale laterale und mediale der kionokranen Saurier ist die Uebereinstimmung mit den gleichnamigen Bildungen der Amphibien und Chelonier eine weit grössere; hingegen spricht sich eine bemerkenswerthe Abweichung von den Ersteren aus in der Lage zu dem M. latissimus dorsi, der bei den Amphibien vorwie- send lateral von dem M. anconaeus, bei den kionokranen Sauriern mehr im medialen Bereiche desselben verläuft. Diese Abweichung gibt Veranlassung, nur das Caput-humerale mediale der kionokra- nen Saurier (und Chelonier) zu dem M. anconaeus humeralis der Amphibien in nähere Beziehung zu bringen, das Caput humerale laterale hingegen zum grössten Theile als eine Neubildung aufzu- fassen, welche den Amphibien abgeht und sich als eine nur den 3 höheren Wirbelthier - Classen zukommende Differenzirung erweist. Die Ausbildung eines Sesambeins in der Endsehne des Muskels ist von geringer Bedeutung: eine Patella ulnaris findet sich übrigens bereits bei den Batrachiern. Eine Vergleichung mit dem M. anconaeus des Menschen ergibt in den wesentlichsten Puncten eine gewisse Uebereinstimmung der Bildungen beider; ein Homologon des Caput coracoideum hinge- sen fehlt dem Menschen als normale Bildung und zeigt sich nur sehr selten als Varietät ausgebildet !). B. Chamaeleonida?). Die Muskeln der Schulter und des Oberarms der Chamäleoniden sind nicht so hoch differenzirt wie die der kionokranen Saurier. Diese geringere Entwickelung steht namentlich mit der einfacheren 1) Auf diese Verhältnisse (speciell auf die von GRUBER beschriebenen ac- cessorischen Köpfe , die vom Processus coracoideus entspringen) wird später (Cap. VII.) eingegangen werden. 2) Die Muskein der Amphisbänoiden sind nur in ihren verkümmertesten Formen bekannt und darum von keiner wesentlichen Bedeutung für die Ver- gleichung. Ich verweise deshalb statt alles Andern nur auf die Angaben RATHKE's (Ueber den Bau und die Entwicklung des Brustbeins der Saurier ete. pag. 3) und meine früheren Angaben (Knochen und Muskeln ete. pag. 75). — Eine Untersuchung von Chirotes ist wünschenswerth. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. TAT Ausbildung des Brustgiirtels im Zusammenhang, kommt aber auch der Mehrzahl der Muskeln zu, deren Differenzirung zu der des Brustgiirtels nicht in directer Correlation steht. Die von N. vago-accessorius und Nn. thoracici anteriores versorgten Mm. sterno-mastoideus und cucullaris bieten einen (bereits bei einzelnen kionokranen Sauriern eingeleite- ten) Reductionszustand dar, der sich in der vollkommenen Trennung und Entfernung beider Muskeln, sowie in einer beträchtlichen Ver- kümmeruung ihrer Elemente ausspricht. Die von den Nn. thoraciei superiores versorgte Muskelgruppe (Levatores scapulae und Serrati) lässt zwar die schichtenweise Anordnung erkennen, welche die kio- nokranen Saurier darbieten, sie ist aber viel geringer entwickelt als bei diesen; ebenso repräsentirt der von dem N. thoracicus inferior in- nervirte M. sterno-coracoideus internus eine viel einfachere Bildung als der Mehrzahl der Saurier zukommt. Die vom Rumpfe zu dem Humerus gehenden Muskeln (Peetoralis und Latissimus dorsi) existiren als relativ schwache Muskeln, unterscheiden sich aber von denen der meisten kionokranen Saurier dureh Selbstständigkeit des Ursprungs; doch entspringt diese Selbstständigkeit kaum aus einer höheren Dif- ferenzirung, sondern viel eher aus einer Verkümmerung oberflächlicher Fasern, die den Zusammenhang mit der Rumpfmuskulatur vermit- telten. Die von dem Brustgürtel kommenden Muskeln bieten im Allgemeinen entsprechend dem Mangel von secundären Skelettheilen eine geringere Ausbildung als die der kionokranen Saurier dar; mannig- fache Beziehungen (namentlich die eigenthümliche Differenzirung der Mm. deltoidei) machen wahrscheinlich, dass früher den Chamäleoni- den in dieser Hinsicht eine höhere Entwicklung zukam (die wohl mit der Ausbildung claviculiirer Theile in Zusammenhang stand). - Ausser dieser Reduction, die sich auch unabhängig von der Existenz oder Nichtexistenz seeundärer Knochentheile an den Mm. subscapu- laris, anconaeus ete. findet, zeigen aber die vom Brustgürtel zur Extre- mität gehenden Muskeln noch eine eigenartige Weiterdifferenzirung, die sich namentlich in einer ansehnlichen Entwicklung der Mm. eoraco-brachiales nach vorn und des M. supracoracoideus dorsalwärts ausspricht. Mit dieser Weiterdifferenzirung ist eine Entwicklungs- richtung angebahnt, die sich, natürlich in ganz unabhängiger Weise, auch bei anderen höheren Formen (bes. Crocodilen und Säugethieren) wiederfindet. Die Muskeln der Chameleoniden lassen sich in folgender Weise eintheilen : 748 M. Fürbringer A. Durch N. vago-accessorius und Nn. thoraciei anteriores innervirt. Ursprung vom Kopfe und Rücken. a) Insertion am Brustbein, Innervation durch R. mus- cularis externus n. vago-accessorii und N. thoraci- cus anterior: Capiti-sternalis (Sterno-mastoideus).. b) Insertion an der Scapula, Innervation durch N. tho- racicus anterior: Dorso-scapularis (Cucullaris). B. Durch Nn. thoracici superiores innervirt. Ursprung von Rippen (resp. Processus transversi) , Insertion am dorsalen Abschnitte des Brustgiirtels (Scapula). a) Insertion am Vorder- und Hinterrande der Scapula: a. Ursprung vom Hals (Processus transversus I.) resp. Kopf, In- sertion vorwiegend am Vorderrande der Seapula: Collo (capiti)-scapularis superficialis | Levator scapulae superficralis) . 8. Ursprung vorwiegend vom Thorax (letzte Hals- und erste Brustrippen), Insertion vorwiegend am Hinterrande der Sca- pula. Thoraci - scapularis superficialis (Serratus super- | ficialis) . b) Insertion an der Innenfläche des oberen Theiles der Seapula (Suprascapulare): Collo-thoraci-suprascapularis profundus \Serratus pro- Fundus). C. Durch Nn. thoracici inferiores innervirt. Ursprung vom Sternum, Insertion an der Innen- fläche des Coracoids: Sterno-coracordeus internus. > Tu Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 749 D. Durch Nn. brachiales inferiores innervirt. a) Ursprung vom Rumpfe .(Sternum und Rippen), In- sertion am Oberarm: | Pectoralıs. b) Ursprung vom Brustgürtel, Insertion am Oberarm: a. Innervation durch N. supracoracoideus (supracoracosecapularis) . aa) Ursprung von dem Coracoid : Supracoracoideus. bb) Ursprung von der Seapula: Suprascapularis. 6. Innervation durch Aeste des N. brachialis longus inferior (Nn. coraco-brachiales und coraco-antebrachialis) . aa) Insertion am Oberarm : Coraco-brachiales. bb) Insertion am Vorderarm (Radius und Ulna) : Coraco-antebrachialis. e. Ursprung vom Oberarm, Insertion am Vorderarm (Radius und Ulna): Humero-antebrachialis inferior |Brachialis inferior). E. Durch Nn. brachiales superiores innervirt. a) Ursprung vom Rumpfe (obere Dornen und Rippen), Insertion am Humerus: Dorso-humeralis |Latissimus dorsi). b) Ursprung von der Aussenfliche (resp. dem hinteren Rande) des Brustgürtels (und Brustbeins), Insertion am Humerus. a. Insertion am Processus lateralis humeri. aa) Ursprung von dem dorsalen Abschnitte des Brustgiirtels (Seapula). Dorsalis scapulae (Deltordes scapularis s. superior). bb) Ursprung von dem ventralen Abschnitte des Brustgürtels (Coracoid) und dem Brustbein: Coraco-humeralis anterior und Sterno-humeralis ante- rior (Deltoides coraco-sternalis s. inferior). 8. Insertion an der Streckfliiche distal zwischen Processus late- 750 M. Fiirbringer ralis und medialis humeri., Verlauf lateral vom Caput scapu- lare m. anconaei: Scapulo-humeralis profundus. c) Ursprung von der Innenfläche des Brustgürtels (Sea- pula und Coracoid), Insertion am Humerus (Proces- sus medialis humeri): | Subcoracoscapularis. d. Ursprung vom Brustgürtel (Scapula) und Humerus, Insertion am Vorderarm (Ulna): Anconaeus. 1. Capiti-sternalis (Sterno-mastoideus). Kopfnicker (Sterno-mastoideus) : MECKEL. Sternocleidomastoideus: RÜDINGER. Sterno-mastoid: MIVART. Kleiner und schmaler Muskel, der vom unteren Ende des Os squamosum und an der Grenze des Os quadratum entspringt und, den unter ihm liegenden sehr schmalen M. omo-hyoideus kreuzend, nach unten und hinten zum Sternum verläuft, wo er an dem vorderen seit- lichen Rande, der das Coracoid aufnimmt, sich anheftet. Eine Inser- tion an der Fascia pectoralis oder am Coracoid fehlt!). Innervirt durch R. muscularis externus n. vago-acces- sorii und durch N. thoracicus anterior III. (3°). Der Muskel ist im Wesentlichen ein Homologon des M. capiti- cleido-episternalis der kionokranen Saurier, unterscheidet sich aber von ihm durch die Insertion. Diese Differenz geht Hand in Hand mit der sehr verschiedenartigen Ausbildung des Brustgiirtels und Brustbeins der Chamäleoniden und kionokranen Saurier, die bei den ersteren aller secundiiren Knochentheile ermangeln. Insofern als der M. sterno-mastoideus der Chamaeleoniden ausser aller Beziehung zu dem M. cucullaris steht, ist er als eine Rückbildung zu erklären, die mit dem Verhalten bei Lophyrus grosse Aehnlichkeit hat. Dass er bei den Chamaeleoniden nur am Brustbein inserirt und gar keine !) MECKEL und RÜDINGER geben eine Verbindung mit dem Coracoid (Schlüsselbein nach MECKEL und RÜDINGER) an. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 751 Beziehung zu oberfliichlicheren Theilen zeigt '), repräsentirt einen ur- spriinglicheren Zustand, ‘als ihn z. Th. die kionokranen Saurier dar- bieten; die Neigung des Muskels derselben, an der Brustfascie zu enden, gibt eine besondere Differenzirungsrichtung an, die sich auf die Cro- eodile und namentlich die Vögel fortsetzt, aber den anderen Wirbel- thieren normaler Weise fehlt ?). 2. Dorso-scapularis (Cucullaris). Dreieckiger oder ungleichseitig viereckiger Muskel (Trapezius, Cucullaris): MECKEL. Cucullaris: Prerrrer, RUDINGER. Trapezius: Mivarr. Sehr kleiner und dünner Muskel, der in verschiedener Weise *) in der Höhe der letzten Hals- und der ersten Brustwirbel aponeu- rotisch von der Rückenkante entspringt, wobei er namentlich im hinteren Theile mit den darunter liegenden Theilen verwachsen ist, und mit etwas convergirenden Fasern nach vorn und unten an die Seapula geht, wo er in der Nähe des vorderen Randes im Bereiche des oberen Drittels (Suprascapulare) inserirt!). Am Ursprunge deckt sein hinterer Theil den vorderen des M. latissimus dorsi®) ; an der Insertion liegt er mit seinem vorderen Rande dem oberen Abschnitte des M. levator scapulae superficialis gerade gegenüber und wird hinten und unten von dem M. dorsalis scapulae begrenzt. Innervirt durch N. thoracieus anterior UI. (3°). Der M. cucullaris der Chamäleoniden entspricht, wie auch von den früheren Autoren richtig erkannt worden ist, dem hinteren Theile !) In Ermangelung secundärer Knochentheile des Brustgürtels wäre hier an - die Brustfaseie zu denken. 2) Ausgenommen sind die unter dem Namen M. sternalis brutorum ete. bekannten Varietäten. 3) Bei Chamacleo vulgaris entspringt er von dem 1. und 2. (PFEIFFER und vielleicht MECKEL) oder dem 2. und 3. Brustwirbel (7. und 8. Wirbel, eig. Un- tersuchung), bei Chamaeleo dilepis von den 2 vorderen Brustwirbeln, bei Cha- maeleo Parsonii von dem letzten Halswirbel und den 2 ersten Brustwirbeln (5. bis 7. Wirbel). — RÜDINGER lässt ihn bei Chamaeleo vulgaris von 4 Dorn- fortsätzen entspringen. 4) MECKEL gibt eine Insertion am oberen (sehr schmalen) Rande des obe- ren Schulterblattes an! 5; PFEIFFER lässt irrthiimlich den M. eucullaris vom Ursprung des M. la- tissimus dorsi bedeckt sein. 752 - M. Fiirbringer des gleichnamigen Muskels der kionokranen Saurier, und zwar zeigt er die grésste Uebereinstimmung mit den verkiimmertesten Formen desselben (z. B. bei Lophyrus), wenn er auch nicht den Reductions- grad wie bei Phrynosoma erreicht. Da der ihn innervirende N. thoraeieus anterior einer anderen Metamere angehört, als der ent- sprechende Nerv der kionokranen Saurier, so ist selbstverständlich zwischen beiden nur eine Parhomologie zu statuiren. 3. Collo (capiti)-scapularis superficialis (Levator scapulae superficialis). Heber des Schulterblatts, Levator scapulae: MECKEL, PFEIFFER. Levator anguli scapulae: RUDINGER. Levator claviculae: Mivarrt. Sehr ansehnlicher, in der Regel ziemlich deutlich in einen klei- neren oberen und einen grösseren unteren Theil getrennter Muskel, der, wie es scheint), in sehr wechselnder Weise von den Processus transversi der vordersten Halswirbel und von dem Hinterhaupt ent- springen kann und mit stark divergirenden Fasern in eine breite Muskelschichte übergeht, die am ganzen vorderen Rande der Sca- pula und dem angrenzenden Saume der Aussenfläche desselben in- serirt. Er ist im hinteren Bereiche seines Verlaufs durch den sehr schmalen M. omo-hyoideus von dem M. sterno-mastoideus getrennt und liegt an der Insertion mit seinem oberen Abschnitte dem M. cucullaris, mit seinem unteren dem M. suprascapularis gegen- über. Innervirt durch N. thoracicus superior III. (4). Der M. levator scapulae superficialis der Chamaeleoniden ist im Allgemeinen dem gleichnamigen Muskel der kionokranen Saurier ho- molog (parhomolog)?). Die theilweise Differenz der Insertion er- !) MECKEL und PFEIFFER beschreiben als Ursprungsstelle die Processus transversi der beiden ersten Halswirbel, RüpınGEeR den Processus transversus II., MıvArr das Occipitale basilare; ich fand den Ursprung von dem Querfort- satz des ersten Halswirbels. 2) Im Folgenden lasse ich, wie ich das bereits oben (pag. 686) betont (um eine zu complicirte Darstellung zu vermeiden), die Bezeichnungen »Parhomologie«und »imitatorische Homodynamie« fort und gebrauche dafür schlechtweg die Bezeich- nung »Homologie«. Eine Berücksichtigung der Zahlen der innervirenden Nerven Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 753 klärt sich durch den Mangel -secundiirer Knochentheile des Brust- giirtels (Clavicula) bei den Chamaeleoniden; die Abweichungen des Ursprungs sind von keinem Gewichte, da selbst innerhalb der Gat- tung Chamaeleo bezüglich desselben grosse Schwankungen exi- stiren. 4. Thoraci-scapularis superfieialis (Serratus superficialis). Innerer grösserer Rückwärtszieher oder vorderer grosser gezahnter Muskel: MECKEL. Serratus anticus major: PFEIFFER. Pars posterior m. serrati antici majoris: RUDINGER. Large portion of the Serratus: MıvART. Breiter Muskel an der Seite der Thoraxwandung, der grössten- theils vom M. latissimus dorsi gedeckt ist. Er entspringt meist von den unteren Enden der beiden letzten Halsrippen, sowie von dem Winkel der ersten Brustrippe (Chamaeleo vulgaris '), senegalensis, Parsonii, dilepis), seltener ausserdem noch von dem Winkel der zweiten Brust- rippe (Chamaeleo vulgaris?). Die Ursprünge bilden drei deutliche Zacken, die in eine homogene Muskelausbreitung übergehen 3), welche an dem hinteren Rande der Scapula (inel. Suprascapulare) mit Ausnahme des unteren Endes!), sowie dem angrenzenden Saume der Innenfläche inserirt. Von dem M. obliquus abdominis externus ist der Muskel am Ursprunge deutlich getrennt. Innervirt durch N. thoracicus superior (IV. + V.) (7 + 9). Der M. serratus superficialis der Chamaeleoniden ist im We- sentlichen dem gleichnamigen Muskel der kionokranen Saurier ho- molog. wird jeden Leser vollkommen aufklären, ob im speciellen Falle eine wirkliche Homologie oder eine Parhomologie vorliegt. 1) Nach PFEIFFER. 2) Nach der eigenen Untersuchung. — Die Autoren geben iiberall einen Ursprung von den drei ersten Rippen an; von diesen stehen aber die beiden ersten in keiner Verbindung mit dem Sternum und werden deshalb hier als letzte Halsrippen von der dritten unterschieden, welche als erste mit dem Sternum ver- bundene Rippe, als 1. Sternalrippe, aufgefasst wird. 3) MECKEL unterscheidet einen hinteren und vorderen Theil, in den der Serratus zerfallen sein soll. 4) RÜDINGER gibt eine Insertion am ganzen hinteren Rande der Sea- pula an. 754 M. Fiirbringer 5. Collo-thoraci-suprascapularis profundus (Serratus profundus). Rautenmuskel oder vorderer Theil des grossen vor- deren Sägemuskels: MECKEL. Rhomboidei: Preirrer. Pars anterior m. serrati antici majoris: RÜDINGER. Smaller portions of the Serratus: MıvARrT. Drei kleine getrennte Muskelbündel, die von der Scapula bedeckt sind und von den beiden letzten Halsrippen schräg nach oben! nach der Innenfläche des Suprascapulare verlaufen. Sie lassen sich, wie bei den kionokranen Sauriern , in eine oberflächliche und eine tiefe Schichte sondern. Die oberflächliche Schichte besteht aus den beiden schmalen Muskelbündeln , welehe oberhalb des M. serratus von den beiden letzten Halsrippen (Rippen des 4. und 5. Wirbels) entsprin- gen, das vordere etwas weiter unten als das hintere, und an der Innenfläche des Suprascapulare nahe dem oberen Rande inseriren. Die tiefe Schichte wird gebildet aus dem dritten etwas brei- teren Muskelbiindel, das in einiger Entfernung von dem vorderen der oberflächlichen Schichte von dem oberen Theile der vorletzten Halsrippe seinen Ursprung nimmt und nach dem oberen Rande der Innenfläche des Suprascapulare verläuft. Innervirt durch N. thoracicus superior (IV. + V.) (7 + 9). Der M. serratus profundus der Chamäleoniden unterscheidet sich von dem ihm entsprechenden Muskel der kionokranen Saurier ein- mal durch seine verhältnissmässig sehr schwache Entwicklung, dann durch den hohen Ursprung seiner tieferen Partie. Durch letztere Beziehung ist eine gewisse Neigung zur Bildung eines M. rhomboi- deus angedeutet, eine Neigung, die indessen so geringgradig ent- wickelt ist, dass es keinesfalls angeht, den M. serratus profundus als Rhomboideus (wie MECKEL und PFEIFFER thun) zu deuten. 1) MECKEL beschreibt einen Verlauf des Muskels von dem Ursprunge (von den Rippen) aus nach unten und hinten zur Insertion (oberer Theil der Scapula), eine Angabe, die gewiss auf einem Irrthum beruht. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 7 or Ld) | 6. Sterno-coracoideus internus. Kleinerer mehr linglicher Riickwiirtszieher oder klei- ner gezahnter Muskel oder kleiner Brust- muskel: MECKEL (?)!). Pectoralis minor: RÜDINGER?). Sterno-coracoid: MIVART?). Ziemlich kleiner Muskel an der Innenseite des Brustbeins und Coracoids, der von der inneren Fläche des Sternums muskulös ent- springt, innen von dem Caput coracoideum m. subcoracoscapularis nach vorn geht und vor dessen Ursprunge an dem vorderen Theile des Coracoids inserirt.” Innervirt durch N. thoracicus inferior (10°). Der Muskel entspricht im Allgemeinen dem M. sterno-coracoi- deus internus der kionokranen Saurier, namentlich der Ascalaboten ; eine Homologie mit dem M. pectoralis minor, die MECKEL und viel- leicht auch RipINGER befürworten, ist demnach auszuschliessen. 7. Pectoralis. Grosser Brustmuskel, Pectoralis major: MECKEL, PFEIF- FER, RÜDINGER., Pectoralis: MIVART. Mässig grosser Muskel an der Unterseite der Brust, der mit seinem vorderen Theile den M. supracoracoideus, mit seinem latera- len hinteren Rande den unteren des M. serratus superficialis deckt, während er selbst vorn und medial z. Th. von dem Zungenbein und seinen Muskeln, hinten und lateral von dem M. obliquus abdominis ') MECKEL führt nur den Namen des Muskels ohne nähere Beschreibung an, so dass die Identität nicht festzustellen ist. 2) RÜDINGER beschreibt speciell nur den »M. pectoralis minor« der Croco- dile, ohne dieses Muskels bei den kionokranen Sauriern und Chamäleoniden Erwähnung zu thun. 3) MivarT erwähnt auch eine Membran , die zwischen dem vorderen der 1. Rippe und dem innern Winkel des vorderen Randes des Brustgürtels (zwi- schen den beiden Portionen des M. subscapularis) erstreckt ist, und bringt die- selbe zu dem M. costo-coracoideus von Iguana in Beziehung — Ich fand bei den von mir untersuchten Exemplaren zwar ein wohlentwickeltes Ligamentum sterno-coracoideum internum (wie bei den kionokranen Sauriern), vermisste aber Sehnenzüge, die eine Vergleichung mit dem M. costo - coracoideus rechtfer- tigten. ~ 756 M. Fiirbringer externus überlagert ist. Er entspringt von der Aussenfläche des Sternums mit Ausnahme des vordersten Theiles desselben !), sowie in verschiedener Ausdehnung voir der 2. bis 4. Sternocostalleiste?) und geht mit stark convergirenden Fasern lateralwärts und nach vorn an die Beugefläche des Processus lateralis humeri, wo er distal vom M. supracoracoideus inserirt. Am Ursprunge berührt der Muskel in der Regel vorn den der Gegenseite, während er hinten von ihm getrennt ist. Eine Andeutung des Zerfalls in eine vordere P. ster- nalis und eine hintere P. costalis ist mitunter angedeutet). Innervirt durch N. pectoralis (19). Der Muskel entspricht dem M. pectoralis’ der kionokranen Sau- rier. Er ist schwächer entwickelt als dieser und zeigt in der Re- gel!) eine grössere Selbststiindigkeit dem M. obliquus abdominis externus gegenüber. 8. Supracoracoideus. Innerer Bauch des Hebers des Arms (Deltoideus): MECKEL. (?). Theil des Deltoideus: PFEIFFER. Coraco-brachialis proprius anterior: RÜDINGER. Epicoraco-humeralis (= Subelavius): ROLLESTON. Subelavius: Mivarr fROLLESTON). Mittelgrosser Muskel an der Unterseite des vorderen Theiles des Coracoids, der einerseits von den Mm. coraco-humeralis anterior, sterno- humeralis anterior und pectoralis bedeckt ist und andererseits hin- ten den vorderen Theil der Mm. coraco - brachialis deckt’). Er ent- 1) RÜDINGER gibt auch einen Ursprung vom Coracoid an, eine Angabe, die weder mit denen der anderen Autoren noch mit meinen Untersuchungen übereinstimmt. 2) Die Angaben der Autoren sind bezüglich dieses Ursprungs abweichend. PrFEIFFER beschreibt (bei Chamaeleo vulgaris und senegalensis) einen Ursprung des eostalen Theils von der zweiten und dritten Sternocostalleiste, RÜDINGER (bei Ch. vulgaris) von der vierten, Mivarr (bei Ch. Parsonii) von der dritten; ich fand (bei Ch. vulgaris und dilepis) das Verhalten, wie es PFEIFFER angibt. 3) Diese Trennung“ wird namentlich von PFEIFFER und RUDINGER bei Ch. vulgaris betont. E 4) Eine Ausnahme scheint Ch. Parsonii zu machen, wo der M. pectoralis (nach Mıvarr's Angabe) auch von der Fascie des äusseren schiefen Bauehmus- kels entspringt. : 5) Er kann-auch mit diesem Muskel verwachsen sein (cf. MIvART). a 3 Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 757 springt von der Aussenfläche des Coracoids, besonders-im medialen “und vorderen Bereiche desselben (mit Ausnahme des von dem M. coraco-humeralis anterior eingenommenen vorderen Saumes), und geht mit convergirenden Fasern an den Humerus, wo er vereinigt mit dem M. suprascapularis und proximal von den Mm. deltoidei und pecto- ralis in der Nähe des Caput humeri am Anfangstheile des Processus lateralis inserirt. Innervirt durch einen Ast des N. supracoracoideus (su- pracoracoscapularis) (12). . Der Muskel entspricht dem gleichnamigen der kionokranen Sau- rier. Eine Homologie mit dem M. deltoideus des Menschen ist dem- nach auszuschliessen , ebenso eine Vergleichung mit dem M. sub- elavius'). 9. Suprascapularis. Unterer Theil des äusseren Schulterblattmuskels oder Auswärtsrollers (Untergrätenmuskel), Theil des M. dorsalis scapulae (Infraspi- natus): MECKEL, RUDINGER. Supraspinatus: PFEIFFER, ROLLESTON. Anterior suprascapular: MiVvART. Mittelgrosser Muskel, der vorn von den Mm. levator scapulae superficialis und omohyoideus, hinten von dem M. dorsalis scapulae und unten von dem M. supracoracoideus begrenzt, sowie medial von dem oberen Rande des M. coraco-humeralis anterior bedeckt ist. Er entspringt von dem vorderen Theile der unteren Hälfte der Aus- senfläche der Scapula, wobei er mit dem M. supracoracoideus mehr oder minder innig verbunden ist und geht mit convergirenden Fa- sern gemeinsam mit diesem Muskel an den Anfang des Proces- sus lateralis humeri, wobei er sich unter die Mm. deltoidei ein- schiebt. Innervirt durch einen Ast des N. supracoracoideus (su- pracoracoscapularis) (12). Der M. supraseapularis gehört dureh die Art seiner Innervation zu dem Systeme des M. supracoracoideus, mit dem er übrigens auch 1) Bezüglich dieser Vergleichung siehe unten die Besprechung des M. supra- coracoideus der Crocodile. 758 M. Fiirbringer innig verbunden ist, und ist danach auch mittelbar zu vergleichen mit den Mm. supra- und infraspinatus der Säugethiere. Er fehlt den kionokranen Sauriern und ist aufzufassen als eine von dem M. supracoracoideus ausgegangene Neubildung, die derart entstanden ist, dass vom oberen Bereiche dieses Muskels aus eine Entwicklung dorsaler auf die Scapula übergreifender Fasern stattgefunden hat. Von den früheren Autoren ist diese nahe Beziehung des M. supra- scapularis zu dem M. supracoracoideus übersehen worden: der Mus- kel wurde vielmehr zu dem M. dorsalis scapulae in Verwandtschaft gebracht, obschon er von diesem durch die ganz andere Innervation wesentlich verschieden ist. Die directe Vergleichung mit den Mm. supra- und infraspinatus (MECKEL, PFEIFFER, ROLLESTON, RÜDINGER) ist nicht erlaubt, da diese Muskeln erst innerhalb der Säugethiere in der ihnen eigenthümlichen Weise sich entwickeln, während der M. suprascapularis eine besondere Bildung der Chamaeleoniden dar- stellt. 10. Coraco-brachialis. a. Coraco-brachialis brevis : Theil des grossen Brustmuskels oder wahrschein- licher oberer Hakenarmmuskel: MeEckEL (No. 7). Vorderer Coraco-brachialis: PFEIFFER, Theil des Coraco-brachialis proprius posterior s. lon- gus: RUDINGER. Shorter portion of Coraco-brachialis: Mivart. b. Coraco-brachials longus : Hakenarmmuskel: MEcKEL (No. 8). Hinterer Coraco-brachialis: PFEIFFER. Hinteres Biindel des Coraco-brachialis proprius posterior s. longus: RUDINGER. Longer portion of Coraco-brachialis: MıvArT. Die Mm. coraco-brachiales bilden eine von dem grösseren hin- teren Theile des Coracoids entspringende Muskelmasse, die ähnlich wie bei vielen kionokranen Sauriern in zwei deutlich getrennte Mus- keln zerfallen ist, zwischen denen der N. brachialis longus inferior durehtritt. M. coraco-brachialis brevis. Breiter und kurzer Muskel. Er entspringt von den hinteren und lateralen 2 Dritteln der Aussen- fläche des Coracoids, wobei er vorn von den Mm. supracoracoideus und coraco-antebrachialis gedeckt ist und geht über das. Schulter- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. * 759 gelenk hinweg an die Beugefläche der proximalen 2 Fünftel des Humerus sowie an die Basis des Processus medialis desselben. M. coraco-brachialis longus. Schlanker und dünner Mus- kel, der von dem hinteren Ende -des Coracoids sehnig entspringt, wobei er in der Regel mit dem M. coraco-brachialis brevis verbunden ist'), und hierauf in einen schmalen Muskelbauch übergeht, der an der Medialseite des Oberarms, getrennt vom M coraco-brachialis brevis, verläuft und am Epicondylus medialis humeri inserirt. Innervirt durch Nn. coraco-brachialis (22). Die Mm. coraco-brachiales entsprechen im Wesentlichen voll- kommen den gleichnamigen Muskeln der kionokranen Saurier. Eine geringe Differenz bietet die Grösse des M. coraco-brachialis brevis dar, die bei den Chamaeleoniden relativ (namentlich dem M. su- pracoracoideus gegenüber) bedeutender ist als bei den kionokranen Sauriern. Bemerkenswerth ist zugleich, dass diese Vergrösserung auf einer Zunahme durch vordere, von mehr vorderen Theilen des Coracoids entspringende Fasern beruht, ein Verhalten, das deutlich die Tendenz zu einer Vorwärtswanderung des Muskels auf der Fläche des Coracoids erkennen lässt). 11. Coraco-antebrachialis (Biceps). Langer Kopf des langen Beugers, langer Kopf des Biceps: MECKEL, PFEIFFER. Biceps brachii s. Coraco-radialis: RÜDINGER. Biceps: Mivarr. Mittelgrosser Muskel. Er entspringt sehnig von dem Medial- rande der Aussenfliiche des Coracoids, gleich neben der Verbindung desselben mit dem Sternum, und verläuft zwischen M. supracoracoi- deus und M. coraco-brachialis brevis nach dem Oberarm, wo er in einen Muskelbauch übergeht, der sich in der Mitte des Oberarms in zwei Muskelzipfel theilt?), welche in schlanke, den distalen Ab- 1) MEcKEL gibt an, dass er nicht von dem Coracoid, »sondern mit einer langen diinnen Sehne von dem inneren Theile der vorderen Fliiche des vorigen Muskels (Coraco-brachialis brevis)« entspringe, eine Angabe, die auf ungenauer Beobachtung beruht. 2) Damit geht Hand in Hand die Vor- und Dorsalwärtswanderung des M. supracoracoideus, die bereits bei den Chamaeleoniden in der Bildung eines M. suprascapularis sich ausdrückt. 3) So nach Mivart’s und meinen Beobachtungen. Die anderen Anatomen erwähnen diese frühzeitige Theilung nicht. Morpholog. Jahrbuch 1 50 760 » M. Fürbringer schnitt des M. brachialis inferior umfassende Sehnen übergehen, von denen die laterale am proximalen Theile der Beugefläche des Radius, die mediale an dem entsprechenden Abschnitte der Ulna in- serirt. Letztere verbindet sich in der Regel mit dem M. brachialis inferior. Innervirt durch N. coraco-antebrachialis (22.). Der M. coraco-antebrachialis ist im Wesentlichen ein Homologon des gleichnamigen Muskels der Saurier, und zwar steht er bezüglich seines sehnigen Ursprungs den Bildungen bei einzelnen Pachyglos- sen z. B. Iguana am nächsten. Den Chamaeleonen eigenthümlich ist die frühe Theilung in zwei Muskelbäuche und die damit verbun- dene grössere Selbstständigkeit dem M. brachialis inferior gegenüber. 12. Humero-antebrachialis inferior (Brachialis inferior). Kurzer Kopf des langen Beugers, kurzer Kopf des Biceps: MECKEL, PFEIFFER. Brachialis internus: RÜDINGER. Brachialis antieus: MIVART. Ansehnlicher Muskel an der Beugeseite des Oberarms. Er ent- springt von der Vorderfläche des Humerus unterhalb des Processus lateralis und der Insertion des M. coraco-brachialis brevis und zwi- schen den Theilen des M. anconaeus und geht der Ellenbogengelenk- kapsel eng aufliegend nach dem Vorderarm, wo er (meist mit einem Zipfel des M. coraco-antebrachialis verbunden) an der Ulna allein ‘Ch. Parsonii) oder hauptsächlich an dieser und mit spärlichen Fa- sern auch an dem Radius endet (Ch. dilepis, vulgaris!)). — Ein Zusammenhang mit dem M. flexor longus digitorum findet sich bei Ch. Parsonii (cf. Mivarr). Innervirt durch N. humero-antebrachialis inferior (24). Der Muskel entspricht im Wesentlichen dem gleichnamigen der kionokranen Saurier, unterscheidet sich aber von ihm durch seine grössere Selbstständigkeit dem M. biceps gegenüber, sowie durch seine vorwiegend oder lediglich an der Ulna stattfindende Inser- tion. Ebenso bietet die Beziehung zu dem M. flexor longus digito- rum bei Ch. Parsonii ein eigenthümliches Verhalten der Chamaeleo- niden dar. 1) Von den früheren Autoren ist die Insertion am Radius weist zu ansehn- lich angegeben. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 761 13. Dorso-humeralis (Latissimus dorsi). Breiter Rückenmuskel, Latissimus dorsi: MECKEL, PFEIFFER, RÜDINGER, MIVART. Breiter aber dünner Muskel, der aponeurotisch von den Dornen des 6. bis 9. Wirbels (1. bis 4. Brustwirbels) und der die epaxoni- sche Muskulatur deckenden Fascie, sowie mit muskulösen Zacken im Bereiche der 3. bis 5. Sternalrippe!) entspringt, und mit stark convergirenden Fasern nach unten und vorn nach dem Humerus geht, wo er, sich medial von dem M. anconaeus scapularis vorbeiziehend, an der Streckfläche unterhalb des M. subscapularis, medial von dem M. anconaeus humeralis lateralis und lateral von dem Anfange des M. anconaeus humeralis medialis inserirt. Am Ursprunge ist er vorn von dem M. cucullaris gedeckt. Hinten grenzt er sich deutlich von der Rumpfmuskulatur ab und zeigt auch an der Insertion keine näheren Beziehungen zu dem M. anconaeus. Innervirt durch N. latissimus dorsi (34). Der Muskel unterscheidet sich von dem ihm homologen der kionokranen Saurier durch seine geringere Grösse, besonders hin- sichtlich der Dickendimension, durch seinen vorwiegenden Ursprung von Rippen, und durch seine Selbstständigkeit der Rumpfmuskulatur und dem M. anconaeus gegenüber. 14. Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis s. superior). Grosser runder Muskel oder kleiner Rückwärtszieher des Oberarms: MECKEL. Infraspinatus: PFEIFFER. Hinterer grösserer Theil des Dorsalis scapulae (Infra- spinatus oder Teres minor)?): RÜDINGER. Posterior suprascapular: MIVART. Dicker und langer Muskel an der Aussenfläche der Scapula, der vorn von M. levator scapulae superficialis und M. suprascapularis 1) MECKEL (Ch. vulgaris) verlegt den Rippenursprung des Muskels vorzüg- lich auf die 4. Rippe, Mivartr (Ch. Parsonii) auf die 3. und 4. Rippe, Rüpıx- GER (Ch. vulgaris) auf die 6.— 8. Rippe; des Letzteren Angabe stimmt voll- kommen mit meinen Beobachtungen überein, indem RUDINGER’s erste 3 Rippen den 3 Halsrippen, also erst seine 4. Rippe der 1. Sternalrippe entspricht. 2) RÜDINGER vergleicht den Muskel bald (pag. 64) mit dem M. infraspina- tus, bald (pag. 70) mit dem M. teres minor. 50* 762 M. Fiirbringer begrenzt ist und hinten z. Th. dem M. serratus superficialis aufliegt. Er entspringt von der Aussenfläche der mittleren 2 Viertel der Sea- pula und geht nach unten zu dem Processus lateralis humeri, an dessen Aussenfläche er gemeinschaftlich mit dem M. coraco-humera- lis anterior inserirt. Auf dem Wege zur Insertion geht er lateral an dem M. anconaeus scapularis und medial an dem M. coraco-hume- ralis anterior vorbei. An der Insertion nimmt er die Mitte des Processus ein, während die Mm. coraco-humeralis anterior und sterno- humeralis anterior mehr distal und die Mm. supracoracoideus und suprascapularis mehr proximal sich daran anheften. Innervirt durch einen Ast des N. dorsalis scapulae (30). Der Muskel entspricht im Wesentlichen dem M. dorsalis scapu- lae der kionokranen Saurier. Er unterscheidet sich von ihm durch seine geringere Breite und seine Selbstständigkeit den Mm. coraco- humeralis anterior und sterno--humeralis anterior gegenüber, indem er mit diesen nur an der Insertion verbunden, sonst aber von ihnen getrennt und entfernt ist. Beide Beziehungen stehen im Zusammen- hange mit der bedeutenden dorsalen Entwieklung des Systems des M. supracoracoideus, das sich in der Bildung des M. suprascapula- ris ausspricht. — Die Annahme MEcKer’s, der den Muskel dem M. teres major vergleicht, wird durch die Lage des Muskels zum M. anconaeus scapularis ohne Weiteres verboten und ist auch bereits von RÜDINGER zurückgewiesen worden; eine Homologie mit dem M. infraspinatus, welche PFEIFFER und RÜDINGER befürworten, wird durch die ganz verschiedene Innervation unmöglich gemacht. 15. Coraco-humeralis anterior und Sterno-humeralis anterior (Deltoides coraco-sternalis s. inferior). a. Coraco-humeralis anterior. Aeusserer Bauch des Hebers des Armes (Deltoideus): MECKEL. Theil des Deltoideus: PFEIFFER, RÜDINGER. Upper or posterior portion of the Deltoid: MivART. b. Sterno-humeralis anterior. Innerer Bauch des Hebers des Armes (Deltoideus): MECKEL. Theil des Deltoideus: PFEIFFER, RÜDINGER. Lower or anterior portion of the Deltoid: MıvART. Breiter aber ziemlich dünner Muskel an der Unterseite des Co- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 763 racoids, der den M. supracoracoideus deckt und in zwei mehr oder weniger getrennte Partien, den M. coraco-humeralis anterior und den M. sterno-humeralis anterior, geschieden ist!). Der M. coraco-humeralis anterior entspringt von dem Vorderrande des Coracoids sowie mit spärlichen Fasern von der äusseren Lippe der Ineisura coracoidea des Sternums oder (Ch. Parsonii) al- lein von letzterer und geht, den M. supracoracoideus deckend, lateral- wärts zu dem Oberarm, wo er gemeinsam mit den Mm. sterno-humeralis anterior und dorsalis scapulae an der Aussenfläche des Processus lateralis humeri inserirt. Seine Fasern ziehen lateral an denen des M. dorsalis scapulae vorbei und heften sich distal von ihnen an den Processus an; zum kleinen Theile stehen sie mit einzelnen oberfläch- lichen Bündeln des gleich unter ihm entspringenden M. brachialis inferior im Zusammenhange; nach einzelnen Autoren (MECKEL, PFEIFFER) verbinden sie sich durch Vermittelung einer langen Sehne auch mit dem distalen Theile des Humerus. Der M. sterno-humeralis anterior nimmt von dem äusse- ren Labium der Coracoidfurche des Brustbeins seinen Anfang und geht medial und hinter dem M. coraco-humeralis anterior zum Pro- cessus lateralis humeri, an dessen Aussenfläche er gemeinsam mit ihm inserirt. Innervirt durch einen Ast des N. dorsalis scapulae (30). Der Muskel ist im Allgemeinen ein Homologon des M. cleido- humeralis (deltoides inferior) der kionokranen Saurier, er unter- scheidet sich aber von ihm vor Allem durch die Verschiedenheit des Ursprungs, der bei den Chamäleoniden vom Coracoid und Sternum, bei den kionokranen Sauriern von der Clavicula stattfindet. Diese Differenz steht in Correlation zu der verschiedenartigen Entwicklung des Brustgürtels beider und ist, wie dies bereits bei ähnlicher Ge- legenheit im Früheren öfters erwähnt worden ist, nicht gross genug, um eine Homologie beider Muskeln auszuschliessen. Darin, dass ein Homologon des bei den kionokranen Sauriern von der Clavicula ent- springenden Muskels hier mit dem primären Brustgürtel in Verbin- dung steht, spricht sich eine Entwicklungsstufe aus, die mit grosser Wahrscheinlichkeit als Reduetionsbildung aus vollkommeneren Sta- dien (ähnlich wie die kionokranen Saurier sie darbieten) aufzufassen 1) PFEIFFER und RÜDINGER beschreiben den Muskel als eine homogene Bildung. ¢ 764 M. Fürbringer ist und die eine gewisse äussere Uebereinstimmung mit den einfa- cheren Bildungen der Amphibien und Chelonier zeigt. Auch dadureh, dass der Muskel secundär zu dem Sternum in Verbindung getreten ist, sowie, dass er (nach MECKEL und PFEIFFER) zum Theil am distalen Abschnitte des Humerus inserirt, kommt ein Bildungsmodus zur Gel- tung, der an entsprechende Differenzirungen bei den Anuren er- innert). 16. Scapulo-humeralis profundus?). Wahrscheinlich Obergrätenmuskel oder vorderer oberer Theil des äusseren Schulterblatt- muskels: MECKEL. Teres major: PFEIFFER. Scapulo-humeralis: ROLLESTON. Sehr kleiner Muskel, der von dem Hinterrande des unterstem Theils der Scapula entspringt und mit convergirenden Fasern über die Schultergelenkkapsel hinweg an den proximalen Theil der Streckseite des Humerus geht, wo er zwischen den Anfängen der Mm. anconaei humerales lateralis und medialis inserirt. Während seines Verlaufs ist er von einem Sehnenschenkel bedeckt, der den Humeruskopf mit dem sehnigen Ursprungstheile des M. anconaeus ‚seapularis verbindet. Innervirt durch N. scapulo-humeralis profundus (36%). Der Muskel entspricht dem gleichnamigen Muskel der kionokra- nen Saurier und unterscheidet sich von ihm nur durch seine geringere Grösse sowie durch den auf den Hinterrand der Scapula be- schränkten Ursprung. Die Beziehung zu dem Sehnenschenkel des M. anconaeus theilt er mit den kionokranen Sauriern. 17. Subcoracoscapularis *). Unterschulterblattmuskel, Subscapularis: MECKEL, RÜDINGER®), MIVART. 1) Selbstverständlich kommt hiermit nur eine äusserliche Aehnlichkeit, keineswegs aber eine innere Verwandtschaft zum Ausdruck. 2) Von MıvArT nicht erwälınt, von RÜDINGER abgeleugnet. 3) Von PFEIFFER nicht angeführt. 4) RÜDINGER vergleicht beide Theile des Muskels mit dem M. subscapu- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 765 Ansehnlicher Muskel, der sich aus zwei Theilen zusammensetzt. Der dorsale Theil, M. subscapularis, entspringt von der Innen- fläche der Scapula zwischen den Insertionen des M. levator scapulae superficialis und der Mm. serrati superficialis und profundus; der ventrale Theil, M. subeoracoideus kommt von der Innenfläche des Coracoids. Beide Theile, die durch das Ligamentum sterno- scapulare“ internum von einander getrennt sind, vereinigen sich an der Insertion und heften sich an den Processus medialis humeri an. Innervirt durch N. subscapularis (29). Der Muskel entspricht im Wesentlichen dem gleichnamigen der kionokranen Saurier. Bemerkenswerth ist seine sehr vollkommene Scheidung in die coracoidale und scapulare Portion , sowie die geringere Differenzirung der letzteren, welche ganz auf die Innen- fläche der Scapula beschränkt ist. 18. Anconaeus. a. C. scapulare laterale m. anconaei: Langer Kopf des dreiköpfigen Vorderarmstreckers, Caput longum m. trieipitis: MECKEL, PFEIFFER, RÜDINGER. First part of the Triceps: MıvarT, b. C. humerale laterale m. anconaei: (Aeusserer) Kopf desM. triceps: MECKEL, RÜDINGER. Second part of the Triceps: Mivarrt. e. CO. humerale mediale m. anconaei : (Innerer) Kopf des M. triceps: MECKEL, RÜDINGER. Third part of the Triceps: Mrivarrt. Kräftiger mit drei Köpfen entspringender Muskel. a. Caput scapulare laterale m. anconaei (M. anconaeus scapularis lateralis). Grösster Kopf, der mit 2 getrennten Portionen von dem unteren Abschnitte des Hinterrandes der Scapula seinen Ausgang nimmt. Die grössere obere Portion entspringt sehnig- fleischig oberhalb des M. scapulo- humeralis profundus und unterhalb der Insertion des M. serratus superfi- laris und schlägt zugleich für die scapulare Portion die Bezeichnung M. subsca- pularis, für die coracoidale den Namen M. coraco-brachialis internus vor. 766 M. Fiirbringer cialis von dem Hinterrande der Scapula, die kleinere untere Portion kommt hingegen rein sehnig und bedeckt von dem M. scapulo-humeralis profundus von dem Gelenkrande der Scapula und ist mit einem proximal an das Caput humeri angehefteten und den letztgenannten Muskel überbrückenden Sehnenschenkel !) verbunden. Am Anfange des zweiten Drittels des Oberarms verbinden sich beide Portionen miteinander und vereinigen sich dann mit den humeralen Köpfen. Caput humerale laterale m. anconaei (M. anconaens humeralis lateralis). Ansehnlicher Kopf, der von der Aus- sen- und Hinterfläche des Humerus unterhalb und hinter dem Processus lateralis bis nahezu herab zum distalen Ende des Hu- merus entspringt und sich unterhalb der Mitte des Oberarms mit dem Caput scapulare laterale und am Ende des Oberarms mit dem Caput humerale mediale vereinigt. c) Caput humerale mediale m. anconaei (M. anconaeus der Cor humeralis medialis). Kleiner und schmaler Kopf an dem medialen Theile der Streckseite des Oberarms. Sein Ursprung beginnt medial neben der Insertion des M. latissimus dorsi und erstreckt sich nahezu bis zum distalen Ende des Humerus. Der Kopf liegt zwischen M. coraco-brachialis longus und Caput hu- merale laterale und vereinigt sich mit letzterem am unteren Ende des Oberarms. Die durch Vereinigung aller drei Köpfe entstandene Muskel- masse geht in eine kräftige Selne über, die eine Patella ulnaris | einschliesst und am proximalen Theile der Ulna inserirt. Innervirt durch Rr. musculares n. brachialis longi su- perioris (Nn. anconaei) (36, 40). Der Muskel unterscheidet sich von dem ihm homologen Muskel Saurier im Wesentlichen nur durch den Mangel eines von dem acoid kommenden Kopfes. Mıvar'r's Deutung, welche die untere seh- nige Portion des Caput scapulare laterale der Chamäleoniden mit dem Caput coracoideum der kionokranen Saurier vergleicht, ist nicht rich- tig. Diese untere sehnige Portion existirt auch bei den kionokranen Sauriern als gut entwickelter, wenn auch nicht so deutlich von der obe zeic ren Portion getrennter Theil; das Caput coracoideum der kiono- 1) MECKEL, dessen Beschreibung übrigens durch Genauigkeit sich aus- hnet, fasst diesen Sehnenschenkel als Ursprungssehne auf; die übrigen Un- tersucher (ausser RÜDINGER) thun desselben keine Erwähnung. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 767 kranen Saurier hingegen steht zu dem M. latissimus dorsi und dem N. brachialis longus superior in so besonderen und bestimmt ausge- prägten Beziehungen, die der unteren Portion des Caput scapulare laterale der Chamaeleoniden abgehen, dass eine Vergleichung beider ohne Weiteres auszuschliessen ist. C. Crocodile. Die Muskeln der Schulter und des Oberarms der Crocodile bie- ten eine Differenzirung dar, die z. Th. aus den Bildungen der Sau- rier erklärt werden kann, z. Th. aber eigenthümliche Beziehungen zeigt, wie sie weder bei den kionokranen Sauriern noch bei den Chamäleoniden zur Beobachtung kommen. Abgesehen von einzelnen Ausnahmen ist eine gewisse Reduction der meisten Muskeln, welche mit der Vereinfachung des Brustgürtels Hand in Hand geht, nicht zu verkennen ; mit dieser Reduction hat sich aber in vielen Fällen eine specifische Differenzirung und Weiterentwicklung der einzelnen Bildungen verbunden , wodurch eine Mannigfaltigkeit der Muskel- formen zum Ausdruck gebracht wird, welche der einfachen Aus- bildung der Knochen nicht congruent ist; doch ist auch bei letzteren durch relativ reiche Gliederung der einzelnen Skelettheile die geringe Anzahl der den Brustgürtel zusammensetzenden Hauptstücke com- pensirt worden. Die von den Nn. vago-accessorius und thoracici anteriores versorgten Mm. sterno-mastoideus und eueullaris bieten in ihrer vollkommenen Trennung von einander einen Reductionszustand dar, welcher bereits bei einzelnen kionokranen Sauriern und bei den Chamaeleoniden beobachtet wurde; den Crocodilen eigenthümlich ist eine durch die besonders entwickelte Rippe des ersten Halswirbels vermittelte Trennung des M. sterno-mastoideus in zwei ganz selbst- ständige Portionen , deren vordere von Elementen des N. vago- . accessorius und deren hintere von Nn. thoracici anteriores versorgt wird. Der von Nn. thoracici superiores innervirte Complex der Mm. levator scapulae und serratus zeigt nach metamerer Ausdehnung und nach Differenzirung der einzelnen Componenten einen Grad der Ent- wicklung, welcher den von den kionokranen Sauriern erreichten noch übertrifft; zugleich ist es in diesem Systeme zur Ausbildung eines M. rhomboideus gekommen, der den Sauriern abgeht und der eine Vorstufe zu der hohen Differenzirung dieses Muskels bei den Vögeln darbietet. Relativ einfach ist das von Nn. thoracici inferiores ver- sorgte Muskelsystem ausgebildet: .der einzige aber ansehnliche Re- 768 M. Fiirbringer präsentant desselben, der M. costo-coracoideus, zeigt engere Bezie- hungen zu dem M. testo-coracoideus der Chelonier. Die an die vordere Extremität gehenden Muskeln sind nach Volumen geringer entwickelt als die entsprechenden Bildungen der kionokranen Sau- rier. Dies spricht sich namentlich bei den ventralen, von Nn. bra- chiales inferiores innervirten, Muskeln aus. Von diesen ist der M. supracoracoideus (supracoracoscapularis) in ähnlicher Weise wie bei den Chamiileoniden durch eine Zunahme des M. coraco- brachialis nach vorn auf den vordersten Theil des Coracoids beschränkt wor- den; für diesen Verlust an Raum wurde eine Compensation gewon- nen, durch Uebergreifen des Ursprungs einmal auf die Scapula (P. scapularis m: supracoracoscapularis), dann auf die Innenfläche des Coracoids; letztere Beziehung ist den Crocodilen eigenthümlich. Der M. coraco-brachialis, obschon eine kräftige Entwicklung nach vorn darbietend, zeigt eine Verkümmerung hinterer und distal inseriren- der Elemente, die sich in dem Mangel eines M. coraco-brachialis longus ausspricht. Die dorsalen, von Nn. brachiales superiores ver- sorgten, Muskeln bieten eine relativ geringere Reduction dar als die ventralen. Einzelne derselben (die Mm. latissimus dorsi, dorsalis seapulae, scapulo-humeralis profundus, subscapularis) zeigen aller- dings in ihrer Grösse eine mehr oder minder bedeutende Differenz von den entsprechenden Muskeln der Saurier, andere hingegen (die Mm. deltoideus scapularis inferior incl. humero-radialis, teres major, anconaeus) sind ebenso hoch und in gewisser Hinsicht sogar noch höher entwickelt als ihre Homologe bei den Sauriern; speciell für den M. anconaeus ist bemerkenswerth die reiche Gliederung der Ursprungstheile dieses Muskels, welche unter anderem auch die Scheidung eines (den Vögeln und Säugethieren ebenfalls zukom- menden, aber den übrigen pentadactylen Wirbelthieren abgehenden) N. axillaris vom Stamme des N. dorsalis scapulae bedingt; endlich ist hinzuweisen auf die Ausbildung eines M. humero-radialis, der zu dem M. deltoideus scapularis inferior in innigster Beziehung steht und eine aberrative Differenzirung desselben darstellt; letzte- res Verhältniss, ebenso wie die bei einzelnen Exemplaren beobach- teten Aberrationen der Mm. pectoralis und latissimus dorsi, steht zu den entsprechenden Verhältnissen der Vögel im unmittelbarsten Connexe und kennzeichnet die nahe Verwandtschaft der Vögel und Crocodile. Die Schultermuskeln der Crocodile lassen sich in folgender Weise eintheilen: Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 769 A. Durch N. vago-accessorius und Nn. tioracici anteriores innervirt: Ursprung vom Kopfe und vom Rücken. a) Insertion am Brustbein und ander Brustfascie, Inner- _ vation durch R. muscularis externus n. vago-acces- sorii und N. thoracicus anterior: Capiti-sternalis (Sterno-mastoideus).. b) Insertion an der Scapula und der Schulterfascie, In- nervation dureh N. thoracicus anterior: Dorso-scapularıs (Cucullaris) . B. Durch Nn. thoracici superiores innervirt: 1. Ursprung vom lateralen Theile des Rumpfes (Rippen resp. Processus transversi), Insertion an der Sca- pula. a! Insertion am Vorder- und Hinterrande der Sca- ip ula. a. Ursprung vom Hals (Rippen und Processus transversi (costales) vorderer Halswirbel) , Insertion am Vorderrande der Scapula: Collo-scapularıs superficialis (Levator scapulae super- ficialis) . 8. Ursprung vorwiegend vom Thorax (letzte Halsrippe und erste Brustrippe), Insertion am Hinterrande der Scapula: Thoraei-scapularis superficialis (Serratus superficialis) . b) Insertion an der Innenfliche des oberen Theils der Scapula (Suprascapulare): Collo-thoraci-suprascapularis profundus (Levator scapulae et Serratus profundus) . 2. Ursprung vom dorsalen Theile des Rumpfes (Riicken- fascie), Insertion an der Scapula: Rhomboideus. C. Durch N, thoracicus inferior innervirt: Ursprung von Rippen, Insertion am Hinter- (Late- ral-) Rande des Coracoids: Costo-coracoideus. 770 M. Fiirbringer a) a) b) D. Durch Nn. brachiales inferiores innervirt: Ursprung vom Rumpfe (Sternum, Episternum und Rippen), Insertion am Oberarm: Pectoralis. Ursprung vom Brustgiirtel (vorwiegend von dessen ventralem Abschnitte), Insertion am Oberarm: a) Innervation durch N. supracoracoideus (supracoracoscapularis). Supracoracoideus (Supracoracoscapularis.) 8) Innervation durch Nn. coraco-brachialis und coraco-antebra- chialis. aa) Insertion am Oberarm: Coraco-brachialis. bb) Insertion am Vorderarm (Radius und Ulna) : Coraco-antebrachialis (Biceps). Ursprung vom Oberarm, Insertion am Vorderarm (Radius und Ulna): Humero-antebrachialis inferior (Brachialis inferior). E. Durch Nn. brachiales superiores innervirt: Ursprung vom Rumpfe (obere Dornfortsätze), In- sertion am Oberarm (und der Achselhéhlenfascie) : Dorso-humeralis (Latissimus dorsi). Ursprung von der Aussenfliche (und dem hinteren Rande) des Brustgiirtels, Insertion am Humerus: a) Insertion am Processus lateralis humeri: aa) Ursprung vom oberen Theile der Scapula, Innervation durch N. dorsalis scapulae: Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis superior). bb) Ursprung vom unteren Theile der Seapula, Innervation durch N. axillaris: Deltordes scapularis inferior. 8) Insertion an der Streckfläche des Humerus, Verlauf zwischen Caput scapulare laterale und coraco-scapulare m. anconaei. aa) Ursprung vom unteren Theile des Hinterrandes der Sea- pula, Insertion zwischen Caput humerale posticum und Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 7 humerale mediale m. anconaei (zwischen Processus late- ralis und medialis) : Scapulo-humeralis profundus. bb) Ursprung von der Aussenfläche der Scapula, Insertion zwischen Caput humerale posticum und humerale laterale m. anconaei (distal vom Processus medialis) : Teres major. ec) Ursprung von der Innenfläche des dorsalen Ab- schnittes des Brustgürtels (Scapula), Insertion am Humerus (Processus medialis humeri): Subscapularis. d) Ursprung vom Brustgürtel (Scapula und Coracoid), und Humerus, Insertion am Vorderarm: a. Innervation durch Rr. musculares n. brachialis longi superioris (Nn. anconaei), Ursprung von Brustgiirtel und Humerus, In- sertion an der Ulna: Anconaeus. 8. Innervation durch einen Ast des N. axillaris (N. humero- radialis), Ursprung vom Humerus, Insertion am Radius: Humero-radialıs. 1. Capiti-sternalis (sterno-mastoideus) (cs?) !). a) P. anterior (M. atlanti-mastoideus) ?) . Oberes Ende des Kopfnickers (Sterno-mastoideus), 1) FISCHER führt (pag. 66) einen vom N. accessorius Willisii versorgten »schmalen, langen Muskel an, der vom vorderen Rande des Schulterblattes aus- . gehend, sich an das Lateralstück des Hinterhauptsbeins befestigt (Omo-mastoi- deus?)«. Ein solcher Muskel ist von den anderen Autoren und von mir eben- sowenig gefunden worden, wie der von PFEIFFER (pag. 41) beschriebene M. sterno-mastoideus, der zweibäuchig, aber ohne Anheftung an-Halswirbeln, zwi- schen Sternum und Schädel erstreckt ist. Der von HAuGHToxn beim Crocodil (pag. 275) erwähnte M. sterno-mastoideus, der vom Sternum zum hintern Drit- tel der Innenseite des Unterkiefers geht, gehört dem System der ventralen Längsmuskulatur an. Wahrscheinlich ist der von ihm unter No. 6 beschriebene Muskel, der von dem innern Ende des Coracoids nach dem Querfortsatz des 3. Halswirbels verlaufen soll, identisch mit der P. posterior des M. sterno - ma- stoideus. 2) Die P. anterior ist von BUTTMANN, STANNIUS und HAUGHTON in ihrer 112 M. Fürbringer vordere Fortsetzung des Sterno-mastoideus: MECKEL, RÜDINGER. b) P. posterior (M. sterno-atlanticus) . Sterno-mastoideus: BUTTMANN, STANNIUS, RÜDINGER. Innerer Bauch des Kopfnickers (Sterno-mastoideus): MECKEL. Sterno-atlantieus: HAUGHTON. Ziemlich kräftiger Muskel an der Seite des Halses, der sich vom Schädel bis zur Brust erstreckt und vor der Mitte des Halses durch die Rippe des ersten (und zweiten) Halswirbels!) in zwei ge- tren te Portionen getrennt ist. P. anterior (M. atlanti-mastoideus) (cst,). Ziemlich kurzer, aber nicht unkräftiger Muskel, der von dem hinteren Theil des Schädels (Os mastoideum) entspringt und, der epaxonischen Halsmuskulatur dicht anliegend, nach binten bis zum Niveau des vierten Halswirbels verläuft, wo er an der Spitze der bis hierhin erstreckten Rippe des Atlas (Alligator) oder des Atlas und Epi- stropheus (Crocodilus acutus) inserirt. P. posterior (M. sternö-atlanticus) (cs4). Ziemlich kräf- tiger und die P. anterior an Länge übertreffender Muskel, welcher der Insertion der P. anterior gegenüber und verwachsen mit dem M. levator scapulae sublimis von der Rippe des 1. Halswirbels ent- springt und hierauf als selbstständiger Muskel nach hinten und un- ten bis zum Sternum geht, wo er am vorderen Saume der Aussen- fläche lateral neben dem Episternum inserirt; mitunter, namentlich bei älteren Exemplaren, sowohl von Crocodilus als von Alligator, gehen oberflächliche Fasern in die Brustfascie über?). Zugehörigkeit zu dem M. sterno-mastoideus nicht erkannt und wahrscheinlich der epaxonischen Halsmuskulatur zugerechnet worden. !) Dieses Verhältniss anlangend, weichen die Angaben der Autoren sehr von einander ab. MECKEL führt an den Processus transversus II., BUTTMANN und RÜDInGER den Pr. transversus IV., StAnnıus die Rippe des 2. Wirbels, HAUGHTON bei Crocodilus die Seite des Atlas, bei Alligator den Pr. transver- sus II. — Ich fand bei allen untersuchten Thieren einen Zusammenhang mit der Rippe des 1. Wirbels, die bis zum Niveau des 4. Halswirbels nach hinten er- streckt war. 2) Der Uebergang in die Brustfascie fehlte mit Sicherheit dem jungen Exemplar von Crocodilus acutus, nach dem die Zeichnungen angefertigt wur- den; bei älteren Thieren wurde er sowohl von anderen Untersuchern (MECKEL, RÜDINGER — Beide lassen den Muskel mit dem M. pectoralis zusammenhängen) als von mir gefunden. — MeEcker’s Angabe, der zu Folge der Muskel auch an Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 773 Innervirt durch R. muscularis externus n. vago-accessorii und dureh N. thoracieus anterior V. (2°); und zwar verzweigt sich der erstere Nerv in der P. anterior, der letztere in der P. posterior. Der M. sterno-mastoideus der Crocodile entspricht im Allgemei- nen dem gleichnamigen Muskel der kionokranen Saurier und Chamä- leoniden, unterscheidet sich aber im Speciellen wesentlich von ihm durch die den Crocodilen eigenthümliche Trennung in eine Pars an- terior und posterior, welche besondere von einander unabhängige und sogar von ganz verschiedenen Nerven versorgte Muskeln, Mm. atlanti- mastoideus und sterno-atlanticus, repräsentiren. Diese, im Wesent- lichen übrigens schon von MECKEL und RÜDINGER richtig erkannte, Trennung ist als eine seeundäre Anpassungsbildung aufzufassen, die sich aus der ursprünglichen (als einheitlicher Muskel) wahrscheinlich in Folge der besonderen Entwicklung der ersten Halsrippen heraus- differenzirt hat. Eine striete Vergleichung mit dem entsprechenden Mus- kel der Saurier unter vorwiegender Berücksichtigung der Innervirung ergibt eine specielle (aber wegen Verschiedenheit der Insertion und des Ursprungs durchaus nicht complete) Homologie zwischen der P. anterior der Crocodile und dem M. episterno- cleido - mastoideus der kionokranen Saurier, sowie zwischen der P. posterior der er- steren und den vorderen Partien des M. cucullaris der letzteren; die scheinbar ausserordentlich grosse Abweichung erklärt sich genetisch derart, dass der ursprünglich einheitliche Muskel sich mit der exces- siv entwickelten Rippe des 1. Halswirbels verband, und darauf einem ungleichmässigen Reductionsprocess anheimfiel, in Folge dessen, der von N. vago-accessorius versorgte Theil an der 1. Rippe Insertion fand (P. anterior), während die vom N. thoracieus anterior V. in- nervirte Portion von dieser Rippe Ursprung nahm (P. posterior). Dass dieser, übrigens auch bei anderen Muskelsystemen z. B. der ventralen Längsmuskulatur in ähnlicher Weise beobachtete, Differen- zirungsvorgang nicht als ein primärer, sondern als ein secundiirer zu erklären ist, dafür spricht noch die — nach den abweichen- den Angaben der Autoren anzunehmende — metamere Verschie- denheit der Trennung innerhalb derselben Gattung und selbst Art; wäre diese Trennung eine ursprüngliche Eigenthümlichkeit der Crocodile, so würde sie wahrscheinlich auf eine bestimmte Rippe fixirt sein. — Die theilweise Aberration einzelner Fasern an dem iüneren Theile des vorderen (!?) Schlüsselbeins inseriren soll, beruht auf einem Irrthum. \ 774 M. Fürbringer die Fascie der Brust theilt der Muskel mit dem entsprechenden der kionokranen Saurier. 2. Dorso-scapularis (Cueullaris) (cz). Cucullaris: BUTTMANN, PFEIFFER, STANNIUS, RUDINGER Dreieckiger oder ungleichseitig viereckiger Muskel (Trapezius): MECKEL. Trapeze, Trapezius: DUMERIL (CUVIER), HAUGHTON. Breiter aber dünner Muskel, der aponeurotisch von der Rücken- fascie in der Mittellinie des-hintern Theiles des Halses und des An- fangs des Rückens entspringt!) und mit convergirenden Fasern nach unten geht, wo er theils an der Spina scapulae (dem Ursprunge des M. deltoides scapularis inferior gegenüber) inserirt, theils mit ober- flächlichen Fasern, die seinem ersteren Abschnitte angehören in der Fascie endet, welche den M. deltoides scapularis inferior deckt. Vorn ist der Muskel von dem sehr entwickelten M. sphincter colli bedeekt, hinten ist sein Ursprung mit dem des M. latissimus dorsi verwachsen und liegt mit letzterem in derselben Schichte?). 1) Die Ausdehnung des Ursprungs wechselt bei den verschiedenen Arten und selbst Individuen. Bei Crocodilus acutus fand ich eine Ausdehnung vom 4. bis zum 10. (1. Brust-) Wirbel, bei Alligator lucius vom 5. bis zum 10. oder 11. Wirbel. Damit stimmen im Wesentlichen auch die Angaben RUDINGER’s und wahrscheinlich auch BUTTMANN’s und PFEIFFER’s überein, welche die hin- tere Grenze des Ursprungs auf den 1. (RÜDINGER) und »3. Brustwirbel« (BuTT- MANN und PFEIFFER; beide Autoren rechnen wahrscheinlich die beiden letzten Halswirbel zu den Brustwirbeln) verlegen. Andere (DuUMERIL und HAUGHTON) beschränken den Ursprung nach hinten zu auf die Cervicalgegend. Die vordere Grenze wird von vielen Autoren weiter nach vorn, bis zum vordern Theil des Halses oder bis zum Hinterhaupt, ausgedehnt. Aus den meisten hierauf bezüg- lichen Beschreibungen, speciell PFEIFFER’s und RÜDInGer's geht aber hervor, dass als vorderer Theil des M. cucullaris der M. sphincter colli aufgefasst wird; RÜDINGER drückt sich in dieser Hinsicht am Bestimmtesten aus, indem er pag. 62 sagt: »Die vordere (Abtheilung) steht mit den Dornfortsätzen der Halswirbel in Zusammenhang, zieht bogenförmig um den Hals nach unten und bildet auf diese Weise den Subcutaneus colli s. Platysma myoides (Latissimus colli), welcher zur Haut des Halses in ähnlicher Beziehung steht, wie das Pla- tysma myoides beim Menschen«. Es bedarf keines besonderen Beweises, einer- seits, dass RUDINGER’s Subcutaneus colli (= Sphincter colli) gar keine morpho- logische Verwandtschaft zum M. cucullaris hat, andererseits, dass der Subcutaneus colli (Sphincter colli) der Saurier nicht mit dem des Menschen ohne Weiteres homologisirt werden darf. — Mit der von RÜDINGER gemachten Angabe, dass‘ der M. cucullaris von den »Dornfortsätzen« entspringe, kann ich ebenfalls nicht übereinstimmen. _ ?) Diese Beziehung wurde schon von RÜDINGER richtig angegeben. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 175 Innervirt durch N. thoracicus anterior VII. (3%). Der M. cucullaris der Crocodile entspricht dem gleichnamigen Muskel der kionokranen Saurier und Chamäleoniden und hält im Allgemeinen bezüglich seiner Grösse die Mitte zwischen den Bildun- ven beider inne. Bemerkenswerth ist die Verbindung oberflächlicher Fasern mit der Achselfascie: die bei den Sauriern bereits angebahnte Beziehung oberflächlicher Fasern der Mm. episterno-cleido-mastoideus und eucullaris zur Fascie zeigt sich hier besonders im Bereiche dor- saler Elemente entwickelt. 3. Collo-scapularis superficialis (Levator scapulae super- ‘ ficialis) (cssp). Levator scapulae, HeberdesSchulterblatts: Burrmann, MECKEL, PFEIFFER, STANNIUS. Acromio-trachélien: DUMERIL (CUVIER). Theil des Serratus magnus: HAUGHTON. Levator anguli scapulae: RUDINGER. Ansehnlicher Muskel an der Seite des Halses, der mitunter (ein- zelne Exemplare von Alligator lucius) eine leise Andeutung einer Trennung in einen schwiicheren oberen und einen stiirkeren unteren Theil zeigt. Er entspringt von den Spitzen der Rippen des 1. und 2. Halswirbels, wo er mit dem M. sterno-atlanticus verwachsen ist, sowie von den Processus transversarii (costales) des 3. und 4. Hals- wirbels!) und geht mit divergirenden Fasern an den ganzen Vorder- rand der Scapula?). Innervirt durch Nn. thoracici superiores IV.—VII. (2, ab, 3 4), Der Muskel ist ein Homologon (resp. theilweises Parhomologon) des gleichnamigen der Saurier; die geringen Differenzen hinsichtlich des Ursprungs und der Insertion sind nicht gewichtig genug, um die Vergleichung mit der bei den Sauriern überhaupt recht veränderlichen 1) Der Ursprung des Muskels scheint bei den einzelnen Individuen mannig- fachen Schwankungen unterworfen zu sein; wenigstens machen die Autoren hierüber abweichende Angaben: BurrmMaNN, PFEIFFER, RÜDINGER lassen ihn vom 4. Halswirbel, DuMERIL von dem Processus transversus Ill. oder von der 1. Halsrippe, Srannıus von Rippen vorderer Halswirbel (ohne Angabe der Zahl), HauGHTroN von dem 2. Wirbel an entspringen. 2) Eine Insertion am ganzen Vorderrand der Scapula wird auch von der Mehrzahl der Autoren angegeben; nur BUTTMANN beschreibt eine Insertion an der Basis scapulae und Dum&rıu lässt den Muskel sich an die untere Hälfte des vorderen Randes der Scapula anheften. Morpholog. Jahrbuch 1. 51 776 M. Fiirbringer entsprechenden Bildung auszuschliessen. Dum£rır’s Deutung als »Aeromio-trachelien« (während der M. rhomboideus dem M. levator scapulae homologisirt wird) ist verfehlt: der »Acromio-trachelien« der Säuger gehört im Wesentlichen dem System der Mm. cucullaris und sterno-eleido-mastoideus an und entspricht nicht hinreichend dem M. levator scapulae superficialis der Crocodile, um zu dieser Ver- gleichung zu berechtigen !). Haueuron hat mit Recht die Zusam- mengehörigkeit des Levator und Serratus erkannt, geht aber zu weit, wenn er den ersteren mit dem letzteren zu einem einzigen Muskel verschmilzt. 4. Thoraci-scapularis superficialis (Serratus superficialis) (thssp). Pectoralis minor: BUTTMANN, PFEIFFER. Hinterer Theil (Muskel) des inneren grösseren Rück- wärtsziehers oder vorderen grossen gezahn- ten Muskels, Pars posterior m. serrati antici majoris: MECKEL, RUDINGER?). Theil des Grand dentelé: DUMERIL (CUVIER). Serrati posteriores: STANNIUS. Latissimus dorsi scapulo-costalis: HAUGHTON. Sehr breite und kräftige grösstentheils vom M. latissimus dorsi bedeckte Muskelmasse an der Seitenfläche des Thorax. Sie entspringt mit drei Zacken, welche mit oberflächlichen Fasern direet in den M. obliquus abdominis externus übergehen und mit der Hauptmasse von Rippen kommen. Die erste und schwächste Zacke entspringt von dem unteren Ende der Rippe des 9. (letzten Hals-) Wirbels, die zweite, mittelstarke, Zacke kommt von dem Processus uncinatus der ersten Brustrippe (Rippe des 10. Wirbels) und von der 2. Brust- rippe unterhalb des Processus uneinatus derselben, die dritte, stärkste und breiteste, Zacke nimmt ihren Anfang von den Proces- sus uncinati der 2. und 3. Brustrippe ?). Alle drei Zacken verschmel- 1) Am ehesten würde der M. sterno-atlanticus der Crocodile zu dem »Acromio-trachélien« der Säugethiere Beziehungen darbieten, die aber höchstens eine sehr incomplete Homologie ausdrücken. Die nähere Ausführung dieser Beziehungen werde ich im Cap. VI. geben. 2) PFEIFFER und RÜDINGER behaupten, dass MECKEL die P. posterior m. serrati antici majoris mit dem kleinen gezahnten Muskel identificire. MECKEL'S Beschreibung ist allerdings sehr kurz und unzureichend, doch gibt sie mehr Wahrscheinlichkeiten für eine Identificirung mit hinteren Theilen des Serratus. 3) Die Angaben der Autoren bezüglich des Ursprungs sind so abweichend (PFEIFFER und DUMERIL verlegen die hintere Grenze gleich mir auf die 3., Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln, 777 zen zu einer breiten und homogenen Muskelmasse, die nach vorn und oben an den Hinterrand der Scapula geht, in dessen ganzer Aus- dehnung mit Ausnahme des untersten Endes sie inserirt. Innervirt durch Nn. thoracici superiores VIII. und IX. (7 und 9). Der M. thoraei-scapularis superfieialis entspricht dem gleichnami- gen Muskel der Saurier; den Zusammenhang oberflächlicher Fasern mit der Bauchmuskulatur theilt er mit einzelnen kionokranen Sauriern (Scin- coiden ete.). Bemerkenswerth ist seine bedeutende Entwicklung, welche die bei den Sauriern, namentlich den Chamaeleoniden, bei Weitem über- trifft. — Die Deutung Burrmann’s und PFEIFFER’s als Pectoralis minor bedarf keiner Widerlegung; die von HavuGuton vorgeschlagene Be- nennung als Latissimus dorsi scapulo-costalis (anschliessend an die Vergleichung mit einem ähnlichen Muskel von Phoca) erscheint mir nicht genügend begründet, um die von der Mehrzahl der Autoren vertretene Vergleichung mit dem M. serratus zu widerlegen; auch den bei Phoca (The Muscular Anatomy of Seal. Proc. Roy. Irish. Academy Vol. IX. pag. 96) von ihm beschriebenen M. latissimus dorsi scapulo-costalis kann ich, trotz seiner eigenthümlichen Entwick- lung, nicht von dem System des M. serratus (anticus) abtrennen und zu dem M. latissimus dorsi in nähere Beziehung bringen. 5. Collo-thoraci-suprascapularis profundus (Levator scapulae et Serratus profundus) (cthspr)'). Serratus anticus major: BUTTMANN, PFEIFFER. Vorderer Theil (Muskel) des inneren grösseren Rück- wärtsziehers oder vorderen grossen gezahn- ten Muskels, Pars anterior m. serrati antici majoris: MECKEL, RÜDINGER. Theil des Grand dentelé: Dum&ErıL (CUVIER). Serrati anteriores: STANNIUS. Theil des Serratus magnus: HAUGHTON. Srannius auf die 4., BurrmMaAnn und HAuGHTon auf die 5. Rippe), dass mit Wahrscheinlichkeit eine Variirung des Ursprungs anzunehmen ist, die vielleicht zu dem mehr oder minder ausgedehnten Zusammenhang mit dem M. obliquus abdominis externus in Correlation steht. 1) Die Beschreibungen dieses Muskels von Seiten der früheren Autoren sind einmal so kurz gehalten, dann so wenig von denen der anderen zu diesem Systeme gehörigen Muskeln (Mm. levator und serratus superficialis) geschieden, dass eine genaue Vergleichung mit der hier gegebenen Darstellung nicht mög- lich ist. Bile 778 M. Fiirbringer Sehr ausgedehnte aber dünne Muskelausbreitung, die an der Seite des Halses und Rumpfes liegt, von M. collo-scapularis super- ficialis, Scapula und M. thoraci-scapularis superficialis bedeckt und in ihrem vordersten und hintersten Theile mit diesen Muskeln ver- wachsen ist, während sie in der Mitte eine vollkommene Selbststän- digkeit besitzt. Sie entspringt in verschiedener Ausdehnung von dem Processus transversus (costalis) des 5. Halswirbels bis zur 1. (Croeodilus acutus) oder 2. Rippe (Alligator lucius), inserirt an der Innenfläche des Suprascapulare mit Ausnahme des vordersten Theils desselben und lässt sich in 2 Schichten, eine oberflächliche und tiefe zerlegen. Die oberflächliche Schichte (cthspr,) ist schwach entwickelt und wird repräsentirt durch 2 oder 3 dünne und ziemlich schmale, von einander entfernte Muskelbündel, welche von den Rippen des 8., 9. und 11. (2. Brust-) Wirbels (Alligator lucius) oder von dem Processus transversus (costalis) VII. und der 1. Brustrippe (Cro- codilus acutus) ausgehen; in beiden Fällen kommt das hinterste . Bündel vom oberen Rande des Processus uncinatus der 2. resp. 1. Brustrippe. Die tiefe Schichte (cthspr,) ist viel ansehnlicher entwickelt und setzt sich zusammen aus einer grösseren Anzahl von Bündeln, wel- che, mit Ausnahme der mittelsten, auch getrennt entspringen, aber sich in ihrem Verlaufe nach oben zu einer Muskelschichte vereini- gen, die am oberen Saume der Innenfläche der Scapula inserirt. Bei Alligator lucius kommen die Bündel von dem 5. bis 10., bei Crocodilus acutus von dem 5. bis 9. Wirbel; die vorderste, von Processus transversus V. entspringende Zacke (Bündel) ist die bei Weitem schwächste, während die übrigen Zacken von vorn und hin- ten her successive an Breite zunehmen und in den von dem 8. und 9. (Alligator) oder 7. und 8. (Crocodilus) entspringenden Bündeln ihr Maximum erreichen. Innervirt durch Nn. thoraciei superiores VI.—IX. (3°, 4, 7, 9). Der M. collo-thoraci-suprascapularis profundus der Crocodile ist ein Homologon der gleichnamigen Bildungen der kionokranen Saurier und Chamaeleoniden; er bietet aber, besonders in der aus- gedehnten metameren Ausbildung, wie sie namentlich bei Alligator sich findet, eine weit höhere Entwicklungsstufe dar, als sie jenen, be- sonders den. Chamaeleoniden, zukommt. — Von den meisten früheren Anatomen ist der Muskel im Allgemeinen richtig als eine zu den Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 779 Mm. levator scapulae und serratus superficialis in naher Beziehung stehende Bildung erkannt worden, doch wurde von den Einen (HAUGHTON) eine zu innige Zusammengehörigkeit mit dem M. leva- tor scapulae superficialis und eine Verschiedenheit von dem M. ser- ratus superficialis betont, von den Anderen (MECKEL, DuMmEkrıt, RÜDINGER) eine zu grosse Einheit mit dem M. serratus superfieialis angenommen. 6. Rhomboideus (72). Rhomboidei: BurrMANN, PFEIFFER, RUDINGER. Rautenmuskel, Rhomboideus: MECKEL, STANNIUS, HAUGH- TON. Angulaire de lomoplate: DUMERIL (CuviEr). Sehr kleiner, ganz selbstständiger Muskel, der nahe der Riicken- kante, aber soweit ich untersuchen konnte nicht von ihr selbst‘), mit 2 (Crocodilus acutus, ein Exemplar von Alligator lucius) oder 3 (ein Exemplar von Alligator lucius) deutlichen Bündeln? von der den M. longissimus dorsi deckenden Fascie in der Höhe des 8. und 9. Wirbels entspringt und nach kurzem Verlaufe an der Innenfläche des vorderen oberen Winkels des Suprascapulare, vor dem M. collo- thoraci-suprascapularis profundus, inserirt. Die Bündel des Muskels lassen sich künstlich durch die Fascie hindurch längs der Myokom- mata des M. sacrospinalis bis zu dem 7. und 8. oder 6. bis S. Hals- wirbel verfolgen. Innervirt durch N. thoracicus superior VII. (7). Der M. rhomboideus kommt unter den Reptilien allein den Cro- codilen zu*). Er stellt eine Bildung dar, die nach Lage, Insertion und Innervation mit dem M. rhomboideus des Menschen grosse Uebereinstimmungen zeigt, aber wegen des abweichenden Ursprungs 1) MECKEL und HAUGHTON lassen den M. rhomboideus von den Processus spinosi der 2 ersten Brustwirbel (MECKEL) oder des letzten Cervical- und 1. Dorsalwirbels (HAUGHTON) entspringen. Diese Angaben stimmen weder mit den Untersuchungen anderer Autoren noch mit den meinen überein und bedürfen noch der Bestätigung. 2) Bei dem einen Exemplar von Alligator ist das erste Bündel viel kleiner als die beiden letzten ; bei Crocodilus und dem anderen Exemplar von Alligator sind beide Bündel gleich stark. 3) Anders lautende Angaben der Autoren, die auch den Sauriern Rhom- boidei zuschreiben, sind bereits bei diesen besprochen. 780 M. Fiirbringer von der Riickenfascie nicht mit diesem direct homologisirt werden kann'). Dass der M. rhomboideus der Crocodile, ähnlich wie die gleichgenannten Bildungen der Anuren, dem Systeme der Mm. le- vatores und serrati superficialis und profundus angehört, bedarf keines eingehenden Beweises: Art der Innervirung, Insertion, meta- mere Anordnung etc. lassen die Zusammengehörigkeit sofort erken- nen. Weniger bestimmt ist der speciellere Hergang seiner Differen- zirung aus dem Systeme dieser Muskeln heraus zu entscheiden. Manche Beziehungen, namentlich die Neigung der tieferen Schichte des M. collo-thoraci-suprascapularis profundus einzelner Saurier (be- sonders der Chamaeleoniden) dorsalwärts zu rücken, sprechen dafür, ihn als einen nach oben gerückten und selbstständig gewordenen Complex von einzelnen tiefen Bündeln dieses Muskels bei den Cro- codilen aufzufassen, der ausserdem durch eine mächtige Entwick- lung der epaxonischen Muskulatur seinen Ursprung von Knochen- theilen (ähnlich wie der M. cucullaris) verloren und eine oberfläch- lichere Anheftung,, an die Rückenfascie, genommen hat. Auf die Möglichkeit, seinen Ursprung künstlich bis zu den Halswirbeln ver- folgen zu können, möchte ich wenig Gewicht legen, da nicht zu entscheiden ist, ob die betreffenden Faserzüge Sehnen des M. rhom- boideus oder Grenzen der Myokommata des M. sacrospinalis vorstellen. — Eine Vergleichung der einzelnen Bündel mit den Mm. rhomboidei minor und major, welche einzelne Autoren, z. B. Burrmann, befür- worten, entbehrt jeder thatsächlichen Grundlage. 7. Costo-coracoideus (cc) 2). Subclavius et Triangularis sterni und Levator secun- dae superioris costae: BUTTMANN. ') Ich sehe hierbei ab von den Angaben MECKEL’s und HAUGHTON’s, nach denen allerdings eine nähere Homologie mit dem M. rhomboideus der Säugethiere zu constatiren wäre. 2) Ausser dem M. costo - coracoideus zeigt, wie dies bereits von RÜüDın- GER bemerkt worden ist, der M. transversus (triangularis) thoracicus (fra) gewisse Beziehungen zu dem Coracoid, indem von diesem mit seiner Hauptmasse an der Innenfläche des Sternums endenden Muskel einzelne Fasern auch an die Innenfläche des Sterno-Coracoid- Gelenks und des angrenzenden medialen Saumes des Coracoids gehen. Ob diese Beziehungen auch BuTTMANN bekannt waren, ist nicht zu entscheiden; die von ihm. angewendete Nomenclatur spricht dafür, die Beschreibung der Muskeln, wo die angegebenen Beziehungen nicht erwähnt werden, dagegen. _ Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 781 Subrelavius und Triangularis sterni, Subelavius or triangularis sterni muscle: PFEIFFER, ROLLE- STON. Petit dentelé, Pectoralis minor: DUMERIL (Cuvier), STAN- NIUS, RUDINGER. Pectoralis II.: HauGuron (Crocodile). Costo-coracoideus: MivarT (Iguana). Pectoralis (avium)?: HAuGHTon (Alligator). Breiter ansehnlicher Muskel an der Unterseite der Brust, der sich aus 2 Portionen zusammensetzt, von denen die laterale!) von dem Vorderrande der letzten Halsrippe (Rippe des 9. Wirbels) und die mediale?) von dem Vorderrande der 1. Sternocostalleiste entspringt). Beide Partien vereinigen sich zu einer homogenen Schichte , die breit am ganzen Hinterrande des Coracoids inserirt‘). Hinten ist der Muskel durch die Rippe von dem ersten M. intercostalis getrennt, als dessen vorderes, obschon sehr verändertes, Homodynam er sich zeigt. Innervirt durch Nn. thoracici inferiores (10°). Der M. costo-coracoideus ist von den Autoren bald (Burrmann, PFEIFFER) den menschlichen Mm. subclavius und triangularis sterni, bald (DumErıL, Srannius, RÜDINGER) dem menschlichen M. pectora- lis minor, bald (Havenron) dem M. pectoralis II. der Vögel?) ver- lichen, bald (Mıvarr) als besonderer M. costo-coracoideus aufge- fasst worden. Von diesen Deutungen sind die als M. peectoralis minor und als M. pectoralis II. bereits von ROLLESTON hinreichend wi- derlegt worden; ROLLESTON hat in seiner bedeutsamen Abhandlung ') BuTTMANN’s Levator secundae superioris costae. 2) BurrmMAnn’s Subelavius et Triangularis sterni. 8) Die Ursprungsstellen des Muskels werden von den Autoren verschieden angegeben. Einen Ursprung von der letzten Halsrippe und ersten Brustrippe, wie ich ihn fand, beschreiben BUTTMAnN und STAnnius, während DuMm&rIL und Haucuron den Muskel allein von der 1. Sternalrippe, PFEIFFER von der “letzten Hals- und ersten Sternalrippe und dem Sternum und RÜDINGER von 2 bis 3 Rippen (ohne nähere Bestimmung) entspringen lassen. 4) Auch die Insertion betreffend, differiren die früheren Untersucher, in- dem die Einen (PFEIFFER, STANNIUS, HauGuron) in Uebereinstimmung mit mir den Muskel an dem hinteren Rand des Coracoids enden lassen, während die Andern eine Insertion bald an der Innenfläche des Sternums (DuMERIL), bald an dieser und dem Sternalrand (BuTTMANN), bald am medialen Theil des Coracoids (RÜDINGER) annehmen. 5) In seiner zweiten Veröffentlichung scheint HAUGHTON selbst seine frü- here Homologisirung zu bezweifeln. 782 M. Fiirbringe: nachgewiesen, einmal, dass der M. pectoralis minor in dem M. pectoralis (pectoralis major der Autoren) der Crocodile und Vögel enthalten ist, dann, dass der M. pectoralis II. der Vögel dem M. epicoraco-humeralis (supracoracoideus mihi) der Crocodile entspricht, und damit den Beweis fiir die Nichthomologie des M. costo-coracoi- deus mit diesen beiden Muskeln geliefert. Seine in dieser Hinsicht vollkommen ausreichende Beweisführung lässt jedoch in anderer Be- ziehung die positive Aufstellung einer Homologie des M. costo-cora- coideus mit entsprechenden menschlichen Bildungen vermissen. Rorvesron bringt den Muskel zwar (und dies mit Recht) zu der von Scuörss (Beschreibung der Flügelmuskeln der Vögel. MEcKEr’S Archiv f. Anatomie und Physiologie 1829 pag. 72) als M. subelavius beschriebenen Muskelbildung der Vögel in Beziehung und nennt ihn auch Subelavius or Triangularis sterni; da er aber im Vorhergehen- den bereits den, allerdings nur subjectiv für ihn gültigen, Nachweis geliefert hat, dass der M. subelavius der Säugethiere dem M. epi- coraco-humeralis der Crocodile entspricht, so durfte eine Homologie mit dem menschlichen M. subclavius, die jedenfalls durch die ange- wendete Nomenclatur ausgedrückt wird, von ihm nicht statuirt wer- den. Anders verhält es sich mit der Homologie mit dem M. trian- gularis sterni, deren Möglichkeit durch seine frühere Beweisführung wenigstens nicht ausgeschlossen ist. — Da nun aber, wie im Fol- genden (bei Besprechung des M. supracoracoideus) betont werden soll, die von ROLLESTON vorgeschlagene Vergleichung des menschlichen M. subelavius mit dem M. supracoracoideus (epicoraco-humeralis) der Cro- eodile (allgemein Amphibien und Reptilien) nicht unwiderleglich er- scheint, so ist die (natürlich nur incomplete) Homologisirung des M. costo-coracoideus mit demM. subclavius a priori erlaubt. Dass aber für diese Annahme durch die Untersuchung der Säugethiere (bei denen unzweifelhafte Homologa des M. subelavius bald am Cora- coid (resp. Processus coracoideus), bald an der Scapula, bald an der Clavieula inseriren können und deren N. subelavius in nähere Be- ziehung zu dem N. thoracicus inferior der Saurier und Crocodile gebracht werden kann) eine grosse Anzahl hinreichender Beweis- materialien zu erlangen sind, soll später (Cap. VI.) im Detail aus- geführt werden. — Dass der M. costo-coracoideus der Croeodile zu demselben Systeme gehört wie die bei den Sauriern von.N. thora- cici inferiores versorgten Mm. sterno-coracoidei interni und sterno- costo-seapularis , bedarf keines weiteren Nachweises, da derselbe bereits von Mrvart hinreichend geliefert worden ist. Die Homologie Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 783 mit ihnen ist aber durchaus keine complete: M. costo-coracoideus einerseits und Mm. sterno-coracoidei und sternocosto-scapularis ander- seits ergänzen sich vielmehr erst zu einer in Wirklichkeit nicht existiren- den, sondern nur ideal zu construirenden indifferenten Bildung, aus der durch ungleichmässige Differenzirung (resp. Reducirung) die erwähnten verschiedenartigen Muskeln entstanden sind ; mit einiger Wahrscheinlich- keit ist auch zu dieser indifferenten Bildung das Ligamentum sterno- scapulare internum in Beziehung zu bringen. Bemerkenswerth ist tibri- gens auch eine gewisse Uebereinstimmung seiner Structurverhiltnisse mit dem M. testo-coracoideus der Chelonier. — Eine Homologie mit dem M. triangularis sterni kann sofort ausgeschlossen werden: einmal exi- stirt dieser Muskel neben dem M. costo-coracoideus bei den Croco- dilen, dann ist der letztere Muskel, als ein aberrativer Abkömmling aus dem Systeme der Mm. intercostales aufzufassen. 8. Pectoralis (p). Pectoralis major, Grosser Brustmuskel: BUTTMANN, MECKEL, PFEIFFER, STANNIUS, HAUGHTON, RijpIN- GER, ROLLESTON. Sehr ansehnlicher breiter Muskel an der Unterseite der Brust, der hinten von den Mm. rectus abdominis und obliquus abdominis externus begrenzt ist und z. Th. mit ihnen zusammenhängt. Er entspringt von dem ganzen Episternum, von dem ganzen Sternum mit Ausnahme der Medianlinie des hinteren Stückes derselben, von den Sternalenden der 6 ersten Brustrippen, von der ganzen 7. Sternocostalleiste und mitunter (Crocodilus acutus) auch mit einer kleinen lateralen Zacke von der 8. Rippe. Vom Ursprunge ab ver- laufen die oberen Fasern quer, die mittleren schräg und die unteren longitudinal nach aussen und vorn, wobei sie stark convergiren, und bilden einen kräftigen homogenen !) Muskel, der sich vorn mit dem M. deltoides scapularis inferior verbindet und gemeinsam mit ihm an der Beugefläche des Processus lateralis humeri, dessen distalen Abschnitt einnehmend, inserirt. Bei dem untersuchten Exemplare von Crocodilus acutus zweigt sich hinter der Achselhöhle ein lateraler Zipfel (p,) von der übrigen Muskelmasse ab und geht in eine dünne Sehne über, die fascienartig an der Medialseite des Oberarms, längs der !) RÜDINGER unterscheidet bei Alligator eine vordere und hintere Ab- theilung. 784 M. Fürbringer Grenze des M. coraco-antebrachialis und des Caput humerale mediale m. anconaei, bis herab zum Condylus medialis humeri erstreckt ist. Innervirt durch N. pectoralis (19). Der Muskel entspricht dem M. pectoralis der Saurier und ist somit ein Homologon des M. pectoralis major und minor des Men- schen, wie dies bereits von ROLLESTON (speciell für die Vögel) nach- gewiesen worden ist!). — Das auf die Innenseite des Oberarms er- streckte Bündel ist eine aberrative Bildung, wie sie ähnlich schon bei einzelnen Cheloniern zur Beobachtung kam und auch bei Vögeln und Säugethieren sich häufig wiederfindet. 9. Supracoracoideus (Supracoracoscapularis) (spes). —/ Deltoideus: BUTTMANN. Schliisselbeinhilfte und Theil der Schulterblatthilfte des Hebers des Arms (Deltoides) sowie Ober- grätenmuskel: MECKEL. Theil des Deltoideus: PFEIFFER, HAUGHTON, RÜDINGER?). Hebemukeln des Oberarms (No. 1 und No. 3°): STAN- NIUS 3). Epicoraco-humeralis (= Pectoralis II. der Vögel = Sub- clavius der Säugethiere) und Supraspinatus: ROLLESTON £,. 1) ROLLESTON bezeichnet den Muskel in der Tafelerklärung (pag. 626) als Pectoralis major und bemerkt auch, dass ein von der 2. Sternocostalleiste se- parat entspringendes und z. Th. mit dem Pectoralis minor verschmelzendes Fas- cikel (ei) als entstehender (nascent) Pectoralis minor aufgefasst werden könne. Da nun dieses Bündel bei den von mir untersuchten Crocodilen nicht selbst- stiindig entwickelt, sondern innig mit der tibrigen Masse des Pectoralis verbun- den war, da ferner ROLLESTON für den Pectoralis der Vögel in lichtvoller Weise eine Zusammensetzung aus Elementen des P. major und minor nachge- wiesen hat, so darf behauptet werden, dass die Deutung des M. pectoralis ma- jor der Crocodile als M. pectoralis im Wesentlichen bereits von ROLLESTON gegeben worden ist, wenn dies auch von ihm in der Namengebung nicht aus- gedrückt wurde. 2) RUDINGER unterscheidet mit Recht eine obere (von der Scapula kom- mende) und eine untere Partie, lässt aber die letztere von dem Schliisselbein (!) entspringen. 3) Für No. 3 der Hebemuskeln von Srannius kann ich die Identität nicht sicher stellen, da mir die Beschreibung »Ein von dem vorderen und äus- seren Fortsatze des Os coracoideum ausgehender (Hebemuskel des Oberarms), der an der Innenseite der Schultertheile und des Bodens der Cavitas glenoidalis zum Humerus tritt« nur z. Th. verständlich ist. 4) Der M. epicoraco -humeralis s. subelavius ROLLESToN’s entspricht der Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 785 Ansehnlicher Muskel am vorderen Abschnitte des Coracoids und am unteren der Scapula, der mit seinem kräftigen unteren, im Be- reiche des Coracoids befindlichen, Theile direct unter der Haut liegt, während der schwächere obere, von der Scapula seinen Ausgang nehmende, von dem M. deltoides scapularis inferior bedeckt ist. a) P. coracoidea (inferior) m. supracoracoscapularis (spe). Kräftige Partie. Sie entspringt von der ganzen vorderen Hälfte des Coracoids und zwar von der Aussenfliiche, dem Vor- der- (resp. Medial-) Rande und der Innenfläche desselben, wobei die von der Innenfläche kommenden Fasern sich um den Vorder- rand (Medialrand) herumschlagen und die oberflächliche Schichte des Muskels bilden, und geht gemeinsam mit der P. scapularis an den proximalen, wenig entwickelten, Theil des Processus lateralis humeri. b) P. scapularis (superior) m. supracoracoscapularis (sps). Schwächere, von dem M. deltoides scapularis inferior bedeckte Portion. Sie entspringt von der Aussenfläche des unte- ren Drittels der Scapula hinter der Spina scapulae (Ursprungs- stelle des M. deltoides scapularis inferior) und vor dem Ursprung der Mm. anconaeus scapularis lateralis externus und scapulo-humera- lis profundus, vereinigt sich mit der P. coracoidea zu einem ho- mogenen Muskel und inserirt am proximalen Theile des Processus lateralis humeri, wobei ihre Fasern mehr proximal liegen, als die der P. coracoidea. ; Innervirt durch Aeste des N. supracoracoideus (supra- coracoseapularis) (13 + 14). Der M. supracoracoscapularis ist von der Mehrzahl der Autoren als ein M. deltoides gedeutet worden, eine Deutung, die ohne Wei- teres durch die Art der Innervirung ausgeschlossen wird). Erst RoLLeston erkannte z. Th. seine Homologie mit den Bildungen an- derer Wirbelthiere, indem er ihn dem M. peectoralis II. s. levator humeri der Vögel verglich. Ich stimme mit dieser in jeder Beziehung gleich gründlich und scharfsinnig ausgeführten Deutung vollkommen hier angenommenen P. coracoidea, der M. supraspinatus der P. scapularis M. supracoracoidei. !) Am auffallendsten erscheint diese Deutung bei BUTTMANN, indem dieser ausdrücklich anführt, dass der Deltoides von dem Supra- et Infraspinatus be- deckt sei. 786 M. Fiirbringer überein. Hingegen bin ich anderer Ansicht bezüglich der Verglei- chung des M. epicoraco-humeralis der Crocodile (resp. M. peetoralis II. der Vögel) mit dem M. subelavius der Säugethiere. Diese Homolo- gie sucht ROLLESTON durch eine Anzahl von, Ursprung, Ansatz, Verlauf, Verbindung mit anderen Muskeln und Innervirung berück- sichtigenden , Vergleichungspuncten nachzuweisen , deren Wesent- lichste ich im Folgenden in übersichtlicher Gruppirung zusammen- fasse!). Den Ursprung anlangend betont er erstens, dass der M. subelavius von dem 1. Rippenknorpel entspringe, einer Region, in deren Aufbau oder nahe Nachbarschaft das Epieoracoid bei mehre- ren Säugethieren eingehe?), zweitens, dass der M. subelavius oder zu ihm gehörige Muskelbildungen bei Mensch und Säugethieren auch von dem Sternum entspringen können. Die Insertion betreffend führt er an, dass der Muskel als menschliche Varietät und als häu- fige thierische Bildung sich bis zum Processus coracoideus, zum Oberrand der Scapula ete. und sogar zum Acromion erstrecken könne und dass in einem untersuchten Falle (bei Cavia aperia) einzelne von den nach dem Acromion gehenden Fasern derart mit dem M. deltoideus verbunden gewesen seien, dass ein Muskel gebildet wor- den, der von Sternum und erster Sternocostalleiste *) sich bis zum 1) Eine detaillirte Anführung dieser Gründe würde eine wörtliche Wieder- gabe der Abhandlung ROLLESToN’s nöthig machen, wozu hier kein Platz ist. Ich verweise darum bezüglich des Näheren auf die Abhandlung selbst, die übrigens, abgesehen von einzelnen Irrthiimern, als ein Muster vergleichend- anatomischer Methode hinsichtlich: der Homologisirung der Muskeln anzu- sehen ist. 2) Cf. pag. 610: »Arises from the cartilage of the first rib, a region into the constitution or near neighbourhood of which Mr. PARKER has shown the epicoracoid to enter in several mammals.« Beziiglich dieser Angabe ist zu be- merken, dass GEGENBAUR diese sternalen Rudimente des Coracoids bereits 4 Jahre vor PARKER (in den Abhandlungen: Jenaische Zeitschrift f. Medicin und Naturwissenschaften. Bd. I. Leipzig 1864 pag. 192 und Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie. 2. Heft. Schultergürtel der Wirbelthiere. Leipzig 1865 pag. 3) bei Sorex und Mus nachgewiesen hat. — PARKER hat diese, sowie die meisten anderen in diesen Abhandlungen veröffentlichten, Entdeckungen GEGENBAUR’S, die im Wesentlichen bereits die wichtigsten Ergebnisse des 3 (resp. 4) Jahre später erschienenen PARKER’schen Buches enthalten, ignorirt, ob- schon ihm beide Abhandlungen GEGENBAUR's bekannt waren (ef. seine Citate auf pag. 197 und 223 seines Werks). ’ 3) Lateral vom Ursprunge dieses Muskels lässt ROLLESTON das Epicoracoid mit dem vertebralen Theile der 1. Rippe verbunden sein und bezieht sich auf die PARKER’sche Abbildung (Pl. XXIV. Fig. 6). Das dort als eer (Epicoracoid) Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 187 Oberarm erstreckte. Bezüglich des Verlaufs macht er auf die Lage des M. subelavius unter der »Membrana costo-coracoidea« aufmerk- sam, welche Membran auch für eine bindegewebige Umbildung eines grosszelligen, von Acromion bis zu Praesternum erstreckten, beim Embryo vorkommenden Knorpelbandes angesehen werden könne!) und . welche eine Grenze für den M. pectoralis minor und den M. subclavius bilde und deshalb in fraglichen Fällen ein wichtiges Unterscheidungsmerk- mal beider Muskeln abgebe. Wasdie Verbindung mit andern Mus- keln angeht, so betont er, einmal, dass ähnlich wie bei jungen Cro- codilen der M. epicoraco-humeralis mit dem M. omohyoideus verbunden sei, auch der menschliche M. subelavius mit letzterem Muskel zusammen- hängen könne?), dann, dass mitunter am Ursprunge eine innigere Beziehung des M. epicoraco-humeralis wie des M. subelavius zu dem M. rectus abdominis zur Beobachtung komme. Bezüglich der In- nervirung endlich führt er an, dass der N. subelavius des Men- schen ebenso wie der N. pectoralis II. der Vögel den beiden vor- deren Wurzeln des Plexus brachialis abstamme und gegenüber vom N. respiratorius externus vom Plexus abgehe, während die Nn. pectorales aus distaleren (weiter hinten gelegenen) Stämmen ihren Ur- sprung nehmen. — Gegen diese Begründungen RoLLESTON’s dürfte Folgendes einzuwenden sein. 1) Bezüglich des Ursprungs des M. subelavius ist zu bemerken, einmal, dass ein auch am Sternum stattfin- dender Ursprung nicht beweisend ist für dieHomologie des M. subclavius der Säuger mit dem M. epicoraco-humeralis der Crocodile und M. pecto- ralis II. der Vögel, dann, dass ein Ursprung des M. subelavius von dem bei einzelnen Nagern und Inseetivoren erhaltenen Sternalrudimente des Coracoids (Epicoracoids) von ROLLESTON noch nicht nachgewiesen bezeichnete Knorpelkörnchen , dürfte ebenso wenig richtig gedeutet sein, wie das Procoracoid (per) genannte mediale Knorpelende der Clavicula. Jeden- falls steht die Annahme einer Verbindung coracoidaler Elemente mit Clavicula und Vertebraltheil der Rippe in grellem Widerspruche zu allen sonstigen bei Wirbelthieren (spec. Säugethieren) bekannten Beziehungen des Coracoids. 1) Cf. pag. 610 f.: »The ,costocoracoid membrane“, which may be taken to represent in fibrous tissue an aborted large-celled cartilaginous band which reached in the embryo from the acromion to the praesternum« Als Gewährs- mann für die Existenz dieses »cartilaginous band« wird GEGENBAUR von PAR- KER angegeben. Ich finde in dessen von P. eitirtem Werke weder an der be- zeichneten Stelle (pag. 15— 17) noch sonstwo eine Angabe über ein solches Knorpelband. 2) Cf. Woop, Additional Varieties in Human Myology. Proc. Roy. Soc. of London. Vol. XIV. London 1865 pag. 384. 788 M. Fiirbringer ist. Hinsichtlich des ersten Punctes ist zu erwähnen, dass die Bildung der Säugethiere in erster Reihe mit der entsprechenden der Reptilien, in zweiter Linie erst mit der der Vögel zu vergleichen ist; denn die bezüglichen Muskeln der Letzteren sind erst aus denen der Reptilien abzuleiten. Deshalb ist auch die Ausdehnung des Ursprungs des M. pectoralis II. der Vögel auf das Sternum als eine secundäre (für die Vögel specifische) Differenzirung vergleichend-anatomisch von viel geringerer Bedeutung als der Ursprung von dem Coracoid, der eine den Amphibien, Reptilien und Vögeln gemeinsame Beziehung des M. epi- coraco-humeralis ausdrückt. Für die Uebereinstimmung dieses letz- teren Ursprungs (vom Coracoid) bei Reptilien, Vögeln und Säugern hat aber ROLLESTON, wie bereits bemerkt, noch keine sichere Beob- achtung angeführt, ebenso wie seine Behauptung, dass das Sternal- rudiment des Epicoracoids in den Aufbau der ersten Rippe aufgehe, der thatsächlichen Begründung entbehrt. Und selbst, wenn gefunden werden sollte, dass einzelne Fasern des M. subclavius von diesem Rudimente entspringen, so ist damit noch kein Beweis für die Ho- mologie des Ursprungs der Mm. subelavius und epicoraco-humeralis geliefert: denn der Hauptursprung des ersteren Muskels kommt von der ersten Rippe, zu welcher der M. epicoraco-humeralis der Rep- tilien gar keine Beziehungen hat; dass aber bei kräftiger Ausbildung des M. subelavius und Vermehrung seiner Elemente über das Niveau der Rippe hinaus auch an einen aberrirenden Ursprung einzelner Bündel von dem Sternalrudimente des Epicoracoids gedacht werden kann, ohne dass deshalb ein Grund zur Homologisirung mit dem M. epicoraco-humeralis der Reptilien vorliegt, bedarf keiner weiteren Aus- führung. Unter allen Säugethieren bieten hinsichtlich der Ausbildung des Brustgürtels und Brustbeins die Monotremen die grösste Aehn- lichkeit mit den Reptilien (speciell den kionokranen Sauriern) dar. Mit der ansehnlichen Ausbildung eines Coracoids kommt diesen auch ein M. epicoraco-humeralis (supracoracoideus) zu, dessen Homologie mit der gleichnamigen Bildung der Saurier nicht zu bezweifeln ist. Ausser diesem M. epicoraco-humeralis besitzen aber die Monotremen auch deutlich entwickelte und vom M. epicoraco-humeralis weit ent- fernte Mm. costo-coracoidei, die von 1. Rippe zu Coracoid gehen und nach Ursprung und Insertion, sowie nach Innervirung mit der gleichnamigen Bildung der Crocodile sowie mit dem M. subelavius der übrigen Säugethiere (speciell mit dessen zum Processus coracoi- deus gehenden Varietäten) verglichen werden müssen. 2) Hinsichtlich der Insertion ist RoLLESTON beizustimmen, wenn er die Anhef- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 789 tung an der Clavieula nicht für ein wesentliches und constantes Merkmal des M. subelavius der Säugethiere annimmt, sondern auch eine Insertion an Processus coracoideus und Scapula mit dem Be- griffe dieses Muskels vereinbar hält; aber diese Behauptung beweist nichts für die Homologie des M. subelavius mit dem M. epicoraco- humeralis, sondern gibt vielmehr eine wesentliche Begründung für die Vergleichung des M. costo-coracoideus mit dem M. subelavius. Nur der bei Cavia aperia von ihm gefundene Zusammenhang ein- zelner Fasern -des M. subelavius mit dem M. deltoideus könnte als directer Beweis für RoLLeston’s Behauptung angesehen werden. Dass aber solchem ganz vereinzelten Falle, der überdies durch die vergleichende Untersuchung der Rodentien als eine ganz secundäre Aberrationsbildung und eine ebenso secundäre Vereinigung von zwei ursprünglich ganz entfernten und ganz verschieden innervirten Mus- keln!) erkannt wird, jede Beweiskraft abzusprechen ist, dürfte nicht zweifelhaft erscheinen. 3) Bezüglich des Verlaufs des M. subelavius der Säugethiere unterhalb der »Membrana costo-coracoidea« ist mir nicht ganz verständlich , wie derselbe zum Beweise für die Homolo- gie der Mm. subelavius und epicoraco-humeralis dienen kann. Wenn »die Membrana costo-coracoidea« PARKER’s und ROLLESTON’s identisch ist mit der zwischen erster Rippe, Sternum und Clavieula erstreck- ten und den M. subelavius deckenden Membran (Membrana costo- elavieularis), ist der von ROLLESTON angeführten Beziehung derselben als Grenzscheide der Mm. pectoralis minor und subelavius vollkom- men beizustimmen , gegen ihre Bedeutung für die Erweisung der Homologie der Mm. subelavius und epicoraco-humeralis jedoch ist Einspruch zu erheben, da diese Membran, wenn sie zur Clavieula in nähere Beziehung gebracht wird, vergleichend-anatomisch nicht verständlich ist, und wenn sie zum Coracoid gestellt wird, den Gegen- beweis gegen die Identität des M. subelavius der Säugethiere mit dem M. epicoraco-humeralis der Reptilien und den direeten Beweis für die Homologie des M. subclavius mit dem M. costo-coracoideus der Crocodile und Monotremen liefert. 4) Die Verbindung mit dem M. omohyoideus wurde einmal von mir bei den Crocodilen nieht gefun- ') Dass gerade der M. deltoides der Säugethiere mit den verschiedensten umliegenden Muskeln sich zu einer mehr oder minder homogen erscheinenden Masse vereinigen kann (z. B. dem sogenannten M. masto-humeralis), die aber niemals als eine einheitliche Muskelbildung aufgefasst werden darf, ist eine be- kannte Thatsache. 790 M. Fiirbringer den, wie auch Rotiesron dieselbe bei erwachsenen Thieren ver- misste, und dann ist die von Woop angegebene Vereinigung dieses Muskels mit dem M. omo-hyoideus von einem ganz anderen Ge- sichtspunete aus zu beurtheilen, nämlich als ein Merkmal, welches das Verhältniss des M. subelavius zur ventralen Längsmuskulatur kenn- zeichnet. Dass ROLLESTON diesen Muskel mit dem M. rectus abdominis in Zusammenhang bringt, ist zu bestätigen, hingegen kann die von ihm selbst nicht sicher erklärte Beziehung des Fascikel ei der Crocodile nicht als Beweis für die Identität der beiden fraglichen Muskeln verwerthet werden. 5) Die Innervirung endlich anlangend, so hat ROLLESTON nur den Nachweis geliefert, dass weder M. subelavius noch M. epicoraco-humeralis dem M. pectoralis verglichen werden können; eine Homologie der beiden ersten Muskeln . hingegen ist nicht erwiesen, namentlich da nicht einmal eine Ausschliessung der die Mm. costo-coracoideus der Crocodile (und sterno-coracoidei interni der Saurier und Vögel) versorgenden Nerven (N. thoracici inferiores mihi) von ihm versucht worden ist. Gerade diese Nerven aber sind mit dem N. subelavius der Säugethiere zu vergleichen, denn sie ent- springen in der Regel auch aus den zwei ersten Stämmen des Ple- xus brachialis!) und innerviren Muskeln, die schon nach Ursprung und Ansatz dem M. subelavius zu vergleichen sind. — Ich erkläre mich also aus den angeführten Gründen gegen eine Homologie des M. epicoraco - humeralis der Crocodile mit dem M. subelavius der Säugethiere und bringe ihn als M. supracoracoideus (su- pracoracoscapularis), als ein Homologon der gleichnamigen Bildung der kionokranen Saurier, zu den vom N. suprascapula- ris versorgten Mm. supra- und infraspinatus der Säu- gethiere in nähere Beziehung. In wie fern diese Bezie- hung auszudehnen oder zu beschränken ist, habe ich bei der Besprechung des M. supracoracoideus der kionokranen Saurier (p. 718) bereits ausgeführt. Ein Vergleich mit dem Muskel der !) Untergeordnete Differenzen bieten einzelne Saurier (z. B. Platydactylus) dar. Dass bei den Crocodilen die Nn. thoracici inferiores ausser von dem zwei- ten Nervenstamme des Plexus brachialis auch von dem dritten und vierten kom- men, beweist nur, dass der M. costo-coracoideus der Crocodile eine viel ausgedehn- tere metamere Entwicklung als der M: subelavius der Säugethiere besitzt, welcher letztere nur dem vorderen Theile des ersteren entspricht, spricht aber nicht ge- gen die Homologie der beiden Muskeln. Uebrigens ist gerade auf die Zusam- mensetzung der Plexus brachiales betreffs der Zahl und der metameren Verthei- lung der Wurzeln kein grosses Gewicht zu legen, wie oben (p. 680f.) auseinan- dergesetzt worden ist. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 791 Saurier zeigt einmal eine eigenthümliche Ausdehnung des Ursprungs auf die Innenfläche des Coracoids und des unteren Scapularandes, wie sie z. B. in ähnlicher Weise auch bei dem M. acromio-hume- ralis der Anuren sich findet, dann eine ansehnliche dorsale Entwick- lung (P. scapularis m. supracoracoscapularis), die aber den hohen Grad der selbstständigen Ausbildung, wie dieselbe ihn berden Chamae- leoniden darbietet (M. suprascapularis) , nicht erreicht. Dass diese P. scapularis m. supracoracoscapularis der Crocodile sehr nahe Be- ziehungen zu den Mm. supraspinatus und infraspinatus der Säuge- thiere zeigt, ihnen aber nicht (wie ROLLESTON will) ') complet homo- logisirt werden darf, bedarf nach den bereits bei Besprechung des M. suprascapularis der Chamaeleoniden ausgeführten Gründen keiner weiteren Ausführung. Die Ausdehnung des Ursprungs auf die In- nenfläche des Brustgürtels ist zu erklären als eine seeundäre An- passung, die zu der ansehnlichen Entwieklung vorderer Elemente des M. coraco-brachialis in Correlation steht. 10. Coraco-brachialis (brevis) (cd) 2. Theil des grossen Brustmuskels oder Hakenarmmuskel: MECKEL (No. 7). Coraco-brachialis: PFEIFFER, RÜDINGER, ROLLESTON.? Pectoralis II.: STANNIUS. Pectoralis minor: HAUGHTON. Mittelgrosser, vorn von dem M. supracoracoideus und der Sehne des M. coraco-brachialis, hinten direct von dem M. pectoralis be- deckter Muskel, der von der Aussenfläche des Coracoids*) mit Aus- nahme des medialen Saumes und vorderen Abschnittes desselben entspringt und direet über das Schultergelenk hinweg nach der Beugefläche des Humerus verläuft, wo er im Bereiche des proxima- ') ROLLESTON vergleicht diese P. scapularis m. supracoracoscapularis mit dem M. supraspinatus. 2) Von BUTTMANN nicht angeführt. 3) RÜDINGER lässt den M. coraco-brachialis der Crocodile vom »Schliissel- bein« entspringen und fügt (pag. 73) eine lange Erörterung an, um diesen ab- weichenden Ursprung zu erklären. Diese Angabe beruht auf der falschen Deu- tung des bezüglichen Knochens, indem Rijpincer trotz der Nachweise früherer Autoren und ohne jede Begründung das Coracoid als Sehlüsselbein auffasst. _ Mit der richtigen Deutung des Knochens fällt die Ausnahmestellung der Croco- - 2 dile und dann ist auch die beigefiigte Erörterung überflüssig. Morpholog. Jahrbuch. 1. 52 792 M. Fiirbringer len Drittels desselben (den Humeruskopf abgerechnet) zwischen Pro- cessus lateralis und medialis inserirt!). Innervirt durch N. coraco-brachialis (22). Der M. coraco-brachialis entspricht im Allgemeinen den gleich- namigen Bildungen der kionokranen Saurier und Chamaeleoniden. Eine wesentliche Abweichung von diesen bietet er dar durch das vollkommene Fehlen eines M. coraco-brachialis longus. Ob dieser Mangel als Reduction, oder als primärer Bildungsdefect aufzufassen ist, kann mit Sicherheit nieht entschieden werden; doch sprieht die ausserordentliche Entwicklung von an dem hinteren Theile des Coracoids inserirenden Muskelelementen (M. costo - coracoideus) , sowie die überhaupt den Crocodilen zukommende Reduction der an dem dista- len Theile des Oberarms und dem Vorderarme sich anheftenden Mus- keln für die erstere Annahme. Die bei den Chamaeleoniden bereits zum Ausdruck gekommene relative Vorwärtswanderung der Elemente des M. coraco-brachialis (im Vergleich mit den Bildungen der kio- nokranen Saurier) ist bei den Crocodilen noch deutlicher ausge- prägt und steht mit der eigenthümlichen, in ihrem Ursprunge auf den vordersten Theil des Coracoids beschränkten Ausbildung des M. supracoracoideus (P. coracoidea m. supracoracoseapularis) in Correlation.. — Die von MEcKEL betonte Vergleichung mit Theilen des M. pectoralis major bedarf ebensowenig einer Widerlegung, wie die von HauGHTon angegebene Deutung als M. peetoralis minor, für welche letztere nicht einmal eine Begründung versucht worden ist. Srannius bringt den Muskel, indem er ihn als Pectoralis I. bezeichnet, zu dem von ihm ebenso benannten Muskel der Vögel?) in Beziehung und das mit Recht; er irrt aber, wenn er diesen Mus- kelbildungen die Homologie mit den Mm. coraco-brachiales der Säu- ger abspricht. !) PFEIFFER lässt irrthümlich den Muskel über der Sehne des Caput lon- gum m. bieipitis liegen und sich an den scharfen Rand und die untere Kläche - der Spina tubereuli majoris ansetzen. ?) Die von STANNIUS gebrauchte Bezeichnung Peetoralis I. ist nieht zu verwechseln mit der von den meisten anderen Autoren angewandten Benennung eines ganz anderen Muskels der Vögel (des Pectoralis II. s. Levator humeri 8. Supracoracoideus). Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. zu] co Od 11. Coraco-antebrachialis (Biceps) (4,). Coracoideus: BUTTMANN. Langer Kopf des langen Beugers, Langer Kopf des Bi- ceps: MECKEL, PFEIFFER. 3iceps, Biceps humeri, Biceps brachii: DUMERIL(CUVIER), HauGutron (Crocodilus), RÜDINGER, ROLLESTON. Coraco-radialis: STANNIUS. Biceps humeri (eoracoidalis): HauGcuron (Alligator). Schlanker und ziemlich schwacher Muskel an der. Beugeseite des Oberarms. Er entspringt mit ziemlich breiter aber dünner Sehne von der Aussenfläche des Coracoids unmittelbar vor dem M. coraco-brachialis und verläuft dann über diesem Muskel und bedeckt vom M. supracoracoideus nach dem Oberarm , wo er zwischen Processus lateralis und medialis in einen schwachen Mus- kelbauch übergeht, der medial neben dem M. brachialis inferior liegt und sich am Ende des Oberarms mit diesem Muskel verbindet. Nach der Verbindung gehen beide Muskeln in eine breite Sehne über, die sich alsbald in zwei Zipfel spaltet, welche an den proximalen Enden des Radius und der Ulna inseriren !). Innervirt durch N. coraco-antebrachialis (22... Der M. eoraco-antebrachialis (biceps) der Crocodile ist dem der Saurier homolog und zwar zeigt er mit den Formen die grösste Uebereinstimmung, bei denen der proximale Muskelbauch verkümmert und durch einfache Sehne ersetzt ist Iguana, Chamaeleo ete.). Das Verhalten des distalen Abschnittes steht dem bei den kionokranen Sauriern näher als bei den Chamaeleoniden. 12. Humero-antebrachialis inferior (Brachialis inferior) (ba). Caput breve m. bieipitis, kurzer Kopf des langen Beu- gers, kurzer Kopf des Biceps: BUTTMANN, MECKEL, PFEIFFER. Brachial interne, Brachialis antieus, Brachialis in- 1!) Alle Autoren ausser RÜDINGER (und RoLLESToN, der die Insertion nicht erwähnt) führen eine Anheftung lediglich am Radius an. Ich fand, wie RUpIN- GER, dass der Muskel auch mit der Ulna zusammenhängt; und zwar ist der an die letztere gehende Zipfel schwerer darzustellen als der an dem Radius in- serirende, aber von derselben Grösse wie dieser. 52* 794 M. Fiirbringer ternus: DUMERIL (Cuvier), HAUGHTON (Crocodilus), RÜDINGER. Erster vom Oberarm ausgehender Beuger: STANNIUS. Portion 6 of the Brachiaeus (Brachialis antieus): HAUGHTON (Alligator). Wenig starker Muskel an dem lateralen Theile der Beugefläche des Oberarms zwischen den Mm. biceps und humero-radialis, mit welchem letzteren er im Anfange seines Verlaufs verwachsen ist. Er entspringt von der Lateralbeugeseite des Humerus von dem di- stalen Ende des Processus lateralis an!) bis herab zum distalen Theile mit Ausnahme der distalen Epiphyse, vereinigt sich am Ende des Oberarms mit dem M. biceps?, und inserirt gemeinsam mit ihm mit zwei Sehnenzipfeln an Radius und Ulna?). Innervirt durch N. humero-antebrachialis inferior (24). Der Muskel ist dem M. brachialis inferior der Saurier homolog. Bemerkenswerth ist seine im proximalen Theile stattfindende Ver- wachsung mit dem M. humero-radialis. Ihn mit diesem zu dem M. brachiaeus zu vereinen, wie HaucnHron bei Alligator thut, ist nicht erlaubt: beide Muskeln gehören, nach Innervation, ganz ver- schiedenen Systemen an und zeigen diese Verwachsung nur als eine sanz seeundäre Vereinigung, wie sie die verschiedenartigsten Muskeln mit einander eingehen können. 13. Dorso-humeralis (Latissimus dorsi) (dA). Latissimus dorsi, Breiter Rückenmuskel: BUTTMANN, MECKEL, PFEIFFER, STANNIUS, RÜDINGER. Latissimus dorsi (humero-dorsalis): HAUGHTON. Mässig grosser, dünner Muskel, der aponeurotisch von dem Riicken in der Höhe der 4 oder 5 ersten Rückenwirbel entspringt?) und mit convergirenden Fasern nach unten und vorn geht, um sich I) BUTTMANN gibt an, dass er zugleich mit M. deltoideus verwachsen sei. 2) Einzelne Autoren, wie z. B. HaAuGHTon bei Crocodilus, beschreiben eine selbstständige Insertion zwischen Biceps und Humero-radialis (Brachialis exter- nus HAUGHTON’s). 3) Die Insertion an der Ulna ausser an dem Radius wurde zuerst von RÜ- DINGER richtig angegeben. BUTTMANN beschreibt auch einen Zusammenhang mit dem M. supinator longus. 4) BUTTMANN gibt einen Ursprung von den Processus spinosi des 2. bis 6. Brustwirbels, MECKEL und PFEIFFER von denen des 2. bis 5. Brustwirbels an; STANNIUS lässt den Muskel yon 5 Dornfortsiitzen kommen. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 795 mit dem M. teres major, den er deckt, zu vereinigen und gemein- sam mit ihm zwischen Caput scapulare laterale externum und coraco- scapulare m. anconaei nach der Streckfliche des Humerus zu ver- laufen, wo er, sich zwischen Caput humerale laterale und humerale posticum m. anconaei einsenkend, zwischen Processus lateralis und medialis inserirt'). Seine Ursprungsaponeurose ist sowohl mit der Haut?) als mit der epaxonischen Rückenmuskulatur innig verwach- sen, so dass es wenigstens im hinteren Theile nicht gelingt, den Ursprung von Processus spinosi nachzuweisen. Vorn ist der M. latissimus dorsi vom M. eueullaris begrenzt, ohne von ihm bedeckt zu sein. In den von mir untersuchten Exemplaren von Crocodilus acutus zeigte der Muskel eine durch eine seichte Furche angedeutete Trennung in einen grösseren vorderen und kleineren hinteren Theil ; diese Scheidung des M. latissimus dorsi war bei einem Exemplare (von dem die Abbildung entnommen ist) derart ausgebildet, dass der ‚grössere vordere Theil sich normaler Weise mit dem M. teres ma- jor verband und mit ihm am Humerus inserirte, während der klei- nere hintere Abschnitt in die Fascie der Achselhöhle aberrirte. Innervirt von Nn. latissimus dorsi (34). Der M. latissimus dorsi der Crocodile ist dem gleichnamigen Muskel der kionokranen Saurier und Chamaeleoniden homolog: von dem der ersteren unterscheidet er sich durch seine schwächere Ent- wieklung, von dem der letzteren durch seine geringe Selbstständig- keit der Rumpfmuskulatur gegenüber. Zwei Eigenthümlichkeiten zeiehnen ihn besonders vor dem der Saurier aus. Die eine, der An- schluss an den M. cucullaris, ohne von diesem bedeckt zu sein, ist von geringerer Bedeutung, da sie weniger durch die Entwicklung des M. latissimus dorsi als durch die Rückbildung des M. cucuilaris bedingt wird, die andere, die mehr oder minder entwickelte Scheidung in zwei Theile ist von grösserem Gewicht, da sie eine Differenzirungsrichtung angebahnt zeigt, die bei den Vögeln weiter ausgebildet ist. Aehn- lich ist die bei einem Exemplare von Crocodilus acutus beobachtete Aberration des hinteren Theiles in die Achselhéhlenfascie zu beur- theilen; eine derartige weiter entwickelte Aberration bildet bei den !) PFEIFFER führt irrthümlich an, dass der Muskel am Tuberculum inter- num {= Processus medialis) inserire. 2) Diese Verwachsung hat HAuGHTox verführt, einen Ursprung von den 4 vorderen Dorsalschildern anzugeben. 796 M. Fiirbringer meisten Vögeln einen Bestandtheil des M. tensor membranae alae posterioris. 14. Dorsalis scapulae (Deltoides scapularis superior) (dss. Teres minor: BUTTMANN, ROLLESTON. Unterer Theil des äusseren Schulterblattmuskels (Untergrätenmuskel): MECKEL. Suprascapularis (Supra- et infraspinatus): PFEIFFER. Suprascapularis: STANNIUS. Infraspinatus: HAuGcHTon (Crocodilus), RÜDINGER. Supraspinatus: HauGuron (Alligator). Schlanker, mitunter zweifiederiger '), Muskel, der von der vor- deren Hälfte der Aussenfläche der Scapula entspringt, wobei er vorn von dem M. levator scapulae superficialis, hinten von dem M. teres major begrenzt ist, und mit nach unten verlaufenden Fasern in eine schlanke Sehne übergeht, . die zwischen M. deltoides scapu- laris inferior und Caput scapulare laterale externum m. anconaei an den Humerus geht, an dessen Lateralseite — am proximalen, wenig entwickelten, Ende des Processus lateralis — sie inserirt. Innervirt durch N. dorsalis scapulae (posterior) (31). Der M. dorsalis scapulae der Crocodile entspricht im Allgemei- nen dem gleichnamigen Muskel der Saurier. Im Vergleiche zu der beziiglichen Bildung der kionokranen Saurier zeichnet er sich ein- mal durch eine viel geringere Grössenentwickelung, dann durch eine bedeutendere Selbstständigkeit gegenüber dem M. deltoides scapu- laris inferior (Homologon des M. deltoides elavieularis s. inferior derselben) aus. Beide Beziehungen bieten auch die Chamaeleoniden dar, aber in geringerem Maasse. Die Reduction der Grösse des M. deltoides scapularis superior steht in Correlation zu der re- lativ ansehnlichen Entwiekelung der P. scapularis m. supracoraco- scapularis und namentlich des M. teres major; die grosse Selbst- stiindigkeit wird einerseits documentirt durch die gesonderte Innervi- rung dureh einen Nerven, der von dem zum M. deltoides scapularis inferior gehörigen Nerven durch den M. anconaeus scapularis la- teralis externus abgetrennt ist, andererseits durch die ganz separate Insertion, welche proximal vor der des M. deltoides scapularis in- ferior stattfindet. In der letzteren Beziehung zeigt sich ein Lagever- hältniss der Insertionen beider Muskeln in hoher Vollendung, das in !) So bei einem alten Exemplare von Alligator lucius. us: se Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 797 - geringerem Maasse schon bei Anuren, Cheloniern und Sauriern zur ‚ Beobachtung kam. — Von den Deutungen der früheren Untersucher werden diejenigen, welche eine Homologie mit den Mm. supra- und infraspinatus statuiren, ohne Weiteres durch die Innervirung des Muskels widerlegt. Es bleiben sonach, abgesehen von der ganz indifferenten Bezeichnung von STAnNIus, nur die Deutung BUTTMANN’S und Rorveston’s, welehe den M. deltoideus scapularis superior mit dem M. teres minor vergleichen. Dass aber keine complete Homo- logie mit diesem Muskel anzunehmen ist, geht aus früheren Ausein- andersetzungen in diesem und den ersten Theilen dieser Abhandlung hervor und wurde auch bereits von ROLLESTON ausgesprochen !). 15. Deltoides scapularis inferior (ds). Deltoideus superior (Supra- et infraspinatus): BUTT- MANN. Theil der Schulterhiiifte des Hebers des Arms (Del- toides), Theil der oberen (Schulterblatt-) Abtheilung des Deltoideus: MECKEL, RÜDIx- GER. Theil des Deltoides: PrFEIFFER, HAUGHTON. Zweiter Hebemuskel des Oberarms: STANNIUS. Deltoid: ROLLESTON. Kräftiger Muskel an der Seite der Schulter, der vorn von dem M. cucullaris und unten von der P. coracoidea m. supracoracoscapularis begrenzt ist, während er die P. scapularis des letzteren Muskels bedeckt. Er entspringt von der Spina scapulae, geht mit schwach convergirenden Fasern nach hinten, wobei er sich über die Inser- tion des M. dorsalis scapulae hinwegzieht und theilweise mit dem M. peetoralis verbindet, und endet breit mit der Hauptmasse an der Aussenfläche des Processus lateralis humeri, während eine Anzahl oberflächlicher Fasern unmittelbar in den M. humero-radialis über- gehen ?. 1) Cf. pag. 622 seiner Abhandlung: »The difficulty, therefore, as to the nomenclature of the musele, which in Saurians and the monotrematous Echidna has been sometimes called »teres minor« and sometimes »a second part of the deltoid«, may be met by saying that the posterior factor of the »deltoid« is not, in these lower animals, differentiated into a superficially placed »deltoid« and a deeper lynig »teres minor«. 2) BurrMANN beschreibt auch einen Zusammenhang mit Fasern des M. brachialis inferior; die Verbindung mit dem M. humero-radialis wird von den meisten Autoren angegeben. 798 M. Firbringer Innervirt durch einen Ast des N. axillaris (33). - Der M. deltoides scapularis inferior der Crocodile ist ein theil- weises Homologon der Mm. deltoides scapularis s. superior und ela- vicularis s. inferior der kionokranen Saurier. Beide Muskeln der letzteren stehen zu einander in naher Beziehung und bieten erst bei den Chamaeleoniden durch Ausbildung ganz getrenntgr Mm. deltoi- des scapularis und coraco-sternalis eine vollständige Sonderung von einander dar. Bei den Crocodilen hat sich dieser Sonderungsprocess aus der indifferenten Gesammtanlage (wie sie mehr oder minder deutlich bei den kionokranen Sauriern noch erhalten ist) in anderer Weise vollzogen, derart, dass, in Folge der Reduction der Clavi- cula und starken Ausbildung des M. supracoracoideus am vorderen Theile des Coracoids, die ventralen Theile des M. deltoides clavi- cularis redueirt worden sind, während sich die dorsalen Theile dieses Muskel erhalten und sogar weiter entwickelt haben und ausserdem wahrscheinlich mit dem vordersten Theile des M. deltoides scapularis Verbindung eingegangen sind '). Dieser Differenzirung entspricht die Ausbildung des M. deltoides scapularis inferior, der in Ermange- lung von claviculiren Bildungen seinen Ursprung in toto von der Spina scapulae genommen? und durch Reduction von mittleren resp. vorderen) Theilen der (dem M. deltoides scapularis supe- rior der kionokranen Saurier ähnlichen) ursprünglichen Muskelbildung sich ganz von dem M. dorsalis scapulae (der Crocodile) geschieden hat. Dazu tritt noch als eine weitere den Crocodilen eigenthümliche Sonderung beider Muskeln die Innervirung durch einen vom N. dor- salis scapulae gesonderten N. axillaris. Mit dieser Eigenthümlich- keit, die durch die besondere Ausbildung des Caput scapulare late- rale externum m. anconaei bedingt ist, ist eine Differenzirung zum Ausdruck gebracht, welche den Amphibien und übrigen Reptilien abgeht, aber sich in ähnlicher Weise bei Vögeln und Säugethieren wiederfindet. — Von Bedeutung ist die Lage der Insertion zu der !) Diese Verbindung kann mit Sicherheit nicht behauptet werden; vielleicht handelt es sich auch um eine blosse dorsale Entwicklung des M. deltoides in- ferior, ohne dass Elemente des M. deltoides superior in den M. deltoides scapularis inferior der Crocodile aufgenommen worden sind. 2) Dass. dieses Vicariiren von Clavicula, Scapula (und Coracoid) geschehen kann, ohne dass die Homologien dadurch beeinträchtigt werden, ist schon frü- her betont worden. 3) Letzteres, wenn der M. deltoides scapularis inferior der Crocodile le- diglich aus Elementen eines M. deltoides inferior hervorgeht. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 799 des M. dorsalis scapulae, sowie die Verbindung mit dem M. humero- radialis. Die erstere Beziehung hat schon bei Besprechung des er- steren Muskels Erwähnung gefunden, die letztere wird bei Gelegen- heit des M. humero-radialis ausführlicher behandelt werden. 14 Scapulo-humeralis profundus !) (shpr). Teres minor: PFEIFFER. Erster Teres major: STANNIUS. Scapulo-humeralis: RoLLESTON. Kleiner Muskel, der von dem Hinterrande des unteren Drittels der Seapula entspringt, wobei er lateral vom Anfange des Caput scapulare laterale externum m. anconaei und medial von dem unte- ren Insertionsende des M. serratus superficialis, von dem Ursprunge des Caput coraco-seapulare m. anconaei und von dem M. subscapu- ‘aris begrenzt ist. Er geht der Kapsel dicht aufliegend mit conver- girenden Fasern zwischen den Min. anconaei scapularis lateralis ex- ternus und coraco-scapularis, dann zwischen den Mm. anconaei humerales posticus und medialis an den Humerus, an dem er gleich distal von dem Processus medialis neben dem M. subscapularis in- serirt, wobei er z. Th. mit dem Anfange des M. anconaeus hume- ralis medialis verwachsen ist?). Innervirt durch N. scapulo-humeralis profundus (36°). Der M. scapulo-humeralis profundus der Crocodile entspricht im Allgemeinen dem gleichnamigen Muskel der kionokranen Saurier und Chamaeleoniden ; der Bildung bei letzteren steht er näher durch den Ursprung vom Hinterrand der Scapula; bezüglich der Grösse nimmt er die Mitte ein zwischen den Mm. scapulo-humerales profundi der ersteren und letzteren. Eine bemerkenswerthe Abweichung bietet er dar durch seine besonderen Lageverhältnisse zu dem M. anconaeus. Diese Abweichung ist weniger Folge einer besonderen Ausbildung des M. seapulo-humeralis profundus, als vielmehr abhängig von der den Crocodilen eigenthümlichen Differenzirung des M. anconaeus, die !; Von BurrMANN und HAUGHTON nicht angeführt; von RÜDINGER bei den Alligatoren ganz geleugnet. MECKEL beschreibt eine vordere kleinere Hälfte des Unterschulterblattmuskels, die vielleicht mit dem M. scapulo-humeralis pro- fundus identisch ist. : 2) Bei einem Exemplar war er auch durch eine schwache Sehne mit dem M. anconacus humeralis posticus verbunden. S00 M. Fürbringer auf der Ausbildung eines besonderen Caput scapulare laterale ex- ternum, auf der Concretion ursprünglich differenterer Bildungen zu einem Caput eoraeo-scapulare und auf der complicirteren Entwick- lung der Ce. humeralia beruht. Durch diese Differenzirungen ist dem M. scapulo-humeralis profundus der Crocodile eine mehr me- diale Lage und eine nähere Beziehung zu dem M. subscapularis angewiesen worden, als seinem Homologon bei den Sauriern zu- kommt !). 17. Teres major (tmay). Teres major: BUTTMANN, PFEIFFER, HAUGHTON, RUDINGER, RoOLLESTON. Grosser runder Muskel oder kleiner Rückwärtszieher des Oberarmbeins: MECKEL. Zweiter Teres major: STANNIUS. Schlanker, dem M. dorsalis scapulae im Wesentlichen gleich- srosser und gleichgebildeter Muskel, der von der hinteren Hälfte des oberen Abschnittes der Aussenfläche der Scapula (exel. Suprascapu- lare) entspringt, wobei er vorn von dem M. dorsalis scapulae, hin- ten von dem M. serratus superfieialis begrenzt und nahezu in seiner sanzen Totalität von dem M. latissimus dorsi bedeckt ist. Mit con- vergirenden Fasern geht er nach unten zwischen Caput scapulare laterale externum und coraco-scapulare m. anconaei und vereinigt sich hier mit dem M. latissimus dorsi zu einer kräftigen Endsehne, die in der Höhe der Processus des Humerus an der Streckfläche desselben zwischen M. anconaeus humeralis posticus und lateralis inserirt. Innervirt durch N. teres major (29°). Der M. teres major entspricht dem gleichnamigen Muskel ein- zelner kionokranen Saurier. Bemerkenswerth ist seine relativ be- deutendere Entwicklung im Vergleiche zu der bei den kionokranen Sauriern, sowie seine abweichende Lage zu den Theilen des M. anconaeus, die aus der besonderen Differenzirung dieses Muskels bei den Crocodilen zu erklären ist. ') Durch diese Beziehung ist wahrscheinlich STANNIUS veranlasst worden, den Muskel als Teres major aufzufassen. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 801 18. Subscapularis (sbse). Subscapularis, Unterschulterblattmuskel'): Burrmann, MECKEL, PFEIFFER, STANNIUS, HauGuron, Ri- DINGER. Mittelgrosser Muskel, der lediglieh von der Innenfläche der _Seapula mit Ausnahme des Knorpeltheils (Suprascapulare) entspringt?) und, an seiner Innenseite bedeckt von dem Anfange des Caput coraco-scapulare m. anconaei, mit convergirenden Fasern direct über die Schultergelenkkapsel hinweg zu dem Processus medialis humeri seht. wo er proximal von der Insertion des M. seapulo-humeralis profundus und dem Ursprunge des M. anconaeus humeralis me- dialis*) sich anheftet. Innervirt durch N. subseapularis (29. Der M. subseapularis der Crocodile entspricht der P. scapularis m. subcoracoscapularis der kionokranen Saurier und Chamaeleo- niden. 19. Anconaeus (a). a) ©. scapulare laterale externum m. anconaei: Brevi proximum caput m. trieipitis: BuTTMANN. Gewöhnlicher (äusserer) langer Kopf des dreiköpfigen Streckers: MECKEL !) MECKEL unterscheidet zwei Hälften, von denen vielleicht blos die hin- tere dem M. subscapularis entspricht. ) Ein Ursprung besonders von dem knorpeligen Theile der Scapula (Su- prascapulare), wie ihn PFEIFFER angibt, existirt bestimmt nicht, und kann auch gar nicht existiren, da die Mm. levator scapulae et serratus profundus und rhomboidei hier inseriren. Auch kann ich den von HauGuron beschriebenen Ursprung von dem vorderen Rand der Scapula nicht bestätigen. 3) Mit diesem Muskel hängt er auch zuweilen zusammen, wie dies bereits von STANNIUS angegeben wird. 4) Die von RÜDINGER, gemeinschaftlich für Alligator lucius, Lacerta, Stel- lio vulgaris und Phrynosoma cornutum gegebene Beschreibung des M. anconaeus konnte ich so wenig mit den von mir und den Autoren (speciell BUTTMANN, MECKEL, DUMERIL, STANNIUS und HAUGHTON) gefundenen Verhältnissen ver- einen, dass eine Einreihung in die aufgestellte Nomenclatur unmöglich war’ Der allgemeinen Beschreibung fügt Rünınser (pag. 104) noch folgende beij: »Bei Alligator eynocephalus geht ein plattes, ansehnliches Bündel von dem zum Schulterblatt gelangenden Kopfe in die Achselhöhle hinein und verhält sich zum Schlüsselbein, welches ja bei dem Crocodil das Os coracoideum darstellt, ebenso, 502 M. Fürbringer Portion scapulaire externe du triceps-brachial: Du- MERIL (CUVIER). Erster langer Kopf des Triceps: PFEIFFER. (Zweiter) abducirender vom Schultergerüst entstehen- der Kopf des Streckmuskels des Vorderarms: STANNIUS. Triceps No. 1: HAuGHTon (Crocodile). Triceps longus: Haucnron (Alligator). b) ©. coraco-scapulare m. anconaei: Externum caput m. tricipitis: BUTTMANN. Innerer langer Kopf des dreiköpfigen Streckers: MECKEL. Portion scapulaire interne du triceps brachial: DuMBRIL (CUVIER). Zweiter langer Kopf des Triceps: PFEIFFER. (Erster) abducirender vom Schultergerüst entstehender Kopf des Streekmuskels des Vorderarms: STANNIUS. Triceps No. 2: Hauauron (Crocodile). Triceps longus secundus (accessorius): HAUGHTON (Alli- gator). c) ©. humerale laterale m. anconaet') : Brevius caputm. brachiei interni: BUTTMANN. (Aeusserer) kurzer Kopf des dreiköpfigen Streckers: MECKEL. Portion humerale externe du triceps-brachial: Du- MERIL. Aeusserer vom Humerus ausgehender Kopf des Streck- muskels des Vorderarms: STANNIUS. Theil des Triceps ‘No. 3: HAuGHTon (Crocodile). Triceps externus: HAuGHTon (Alligator). d) ©. humerale posticum m. anconaei: Longissimum caput m. brachiei interni: BUTTMANN. Theil des (inneren) kurzen Kopfes des dreiköpfigen Streekers: MECKEL. Theil der Portion humérale interne du triceps-brachial: DUMBERIL. wie bei den anderen Sauriern. Bei Alligator lucius bleibt der in der Achsel- — höhle emporsteigende Schenkel einfach«. Auch diesen Angaben entsprechen meine — Beobachtungen nur zum kleinen Theil. !) Von den Autoren unterscheiden nur BUTTMANN und STANNIUS, wie ich, drei humerale Köpfe; MECKEL, DumsrınL und Haueuron (bei Alligator) nehmen zwei, HAUGHTON bei Crocodilus nur einen an. Sen RUE Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. S03 (Mittlerer) vom Humerus ausgehender Kopf des Streck- muskels des Vorderarms: STANNIUS. Theil des Triceps No. 3: Hauauron (Crocodile). Theil des Triceps internus: HauGuron (Alligator). ©. humerale mediale m. anconaei: Longius caput m. brachiei interni: BurrMann. Theil des (inneren) kurzen Kopfes des dreiköpfigen Streckers: MECKEL. Theil der Portion hum&rale interne du triceps-brachial: DUMERIL. (Innerer) vom Humerus ausgehender Kopf des Streck- muskels des Vorderarms: STANNIUS. Theil des Triceps No. 3: HauGuron (Crocodile). Theil des Triceps internus: HAuGuHron (Alligator). Sehr miichtige Muskelmasse an der Streckseite des Oberarms, die sich aus zwei Schichten zusammensetzt, von denen die ober- flächliche, von dem Brustgürtel kommende, aus 2 Köpfen, Caput scapulare laterale externum und Caput coraco-scapulare besteht, während die tiefere, von dem Humerus ihren Ausgang nehmende, aus 3 Köpfen, Caput humerale laterale, Caput humerale posticum und Caput humerale mediale gebildet ist. a) Caput scapulare laterale externum m. anconaei (M. b anconaeus scapularis lateralis externus) (as/). Kräf- tiger Kopf. Er entspringt sehnig von dem hinteren Rande der Scapula gleich oberhalb der Gelenkhöhle und unterhalb des Ursprungs des M. scapulo-humeralis profundus, verläuft zwischen letzterem Muskel und dem M. dorsalis scapulae nach hinten und geht in einen Muskelbauch über, der durch den M. sea- pulo-humeralis profundus und die vereinigten Mm. latissimus dorsi und teres major von dem Caput coraco-scapulare geschie- den ist. Gleich hinter dem hinteren Rande der beiden letzte- ren steht er durch eine kräftige Sehne mit dem Caput coraco- scapulare in Verbindung; die vollkommene Vereinigung mit diesem findet aber erst am Anfange der distalen Hälfte des Oberarms statt, während die mit dem Caput humerale laterale schon am Ende der proximalen Hälfte des Oberarms sich voll- zogen hatte. Das Caput scapulare laterale externum trennt den unter ihm verlaufenden N. axillaris von dem hinter und über ihm sich hinziehenden N. dorsalis scapulae. Caput eoraco-seapulare m. anconaei (M. anconaeus coraco-scapularis) (aes). Ziemlich ansehnlicher Kopf. Er S04 d) M. Fürbringer entspringt mit zwei vollkommen getrennten und von einander entfernten Sehnenzipfeln, von denen der obere schmiilere an dem Hinterrande der Scapula gleich über dem obersten Theile des Ursprungs des M. scapulo - humeralis profundus und innen von dem untersten Theile der Insertion des M. serratus superficialis kommt, während der untere breitere von dem Hinterrande des Coracoids, gleich medial neben der Insertion des M. costo-cora- coideus seinen Ausgang nimmt. Beide Zipfel vereinigen sich zu einer breiteren, die Mm. subscapularis und seapulo-humeralis pro- fundus innen deckenden Sehne, die gleich hinter dem Processus medialis humeri in einen Muskelbauch übergeht, welcher sich in der oben angegebenen Weise zu dem Caput scapulare laterale externum verhält und sieh mit ihm vereinigt. Die Verbindung mit dem Caput humerale mediale findet erst am Ende des Ober- arms statt. Caput humerale laterale m. anconaei (M. anconaeus humeralis lateralis) (a4/). Mässig grosser Kopf. Er entspringt von dem lateralen Theile der Streckfliiche des Humerus dorsal von dem Processus lateralis (der Insertionsstelle des M. deltoideus scapularis inferior) und den Ursprüngen der Mm. humero-radialis und brachialis inferior bis herab zur distalen Epiphyse. Mit dem Caput scapulare laterale externum vereinigt er sich am Ende der proximalen Hälfte des Oberarms, mit dem Caput humerale po- sticum, von dem er anfangs durch die Endsehne der vereinig- ten Mm. latissimus dorsi und teres major geschieden ist, erst am Anfange ‚des distalen Drittels des Oberarms. Caput humerale posticum m. anconaei (M. anconaeus humeralis posticus) (ap). Ziemlich schwacher Kopf. Er entspringt von der Mitte der Streckfläche des Humerus zwischen Caput humerale laterale und mediale, am Anfange von ersterem durch die vereinigte Endsehne der Mm. latissimus dorsi und te- res major, von letzterem durch das insertive Ende des M. sea- pulo-humeralis profundus getrennt, und vereinigt sich noch im Bereiche der proximalen Hälfte mit dem Caput humerale mediale. Erst am letzten Drittel des Oberarms geschieht die Verbin- dung mit Caput humerale laterale und darauf mit Caput coraco- scapulare. Caput humerale mediale m. anconaei (M. anconaeus humeralis medialis) (adm). Mittelstarker Kopf. Er ent- springt von dem medialen Theile der Streckfliiche des Humerus, Zur vergleichenden Anatomie. der Schultermuskeln. 805 wobei sein Ursprung gleich am Ende des Processus medialis beginnt, wo er auch mit dem M. scapulo-humeralis profundus verbunden ist. Am Ende des proximalen Drittels des Oberarms vereinigt er sich mit dem Caput humerale posticum, von welchem er anfangs durch den M. seapulo-humeralis profundus geschieden war, und geht hierauf die übrigen schon oben angegebenen Vereinigungen ein. Die durch Verbindung sämmtlicher Köpfe entstandene Mus- kelmasse geht in eine breite und theilweise verdiekte Endsehne über, die am proximalen Abschnitte der Ulna inserirt. Innervirt dureh Rr. musculares n. brachialis longi su- perioris (radialis) (36). Der M. anconaeus entspricht in toto dem gleichnamigen Muskel der Saurier, unterscheidet sich aber in seiner Zusammensetzung sehr wesentlich von ihm. Diese Differenz ist um so wichtiger, weil sie auch relative Veränderungen anderer nicht direct zum M. anconaeus gehöriger Theile, z. B. der Nn. dorsalis seapulae und axillaris ete., bedingt. Was den vom Schultergiirtel entspringenden Theil des Muskels, C. seapulare laterale externum und coraco- scapulare, angeht, so ist eine ganz allgemeine Homologie mit den entsprechenden Bildungen der kionokranen Saurier'), mit dem C. scapulare laterale und C. coracoideum derselben, nicht zu verken- nen; eine direete Vergleichung beider Theile ist hingegen verboten. Es zeigt sich, dass das Caput coraco-scapulare der Crocodile Homo- loge von Klementen sowohl des Caput coracoideum, als des Caput scapulare laterale der kionokranen Saurier in sich enthält, während das Caput seapulare laterale externum der Crocodile zum Theil auch Elementen des Caput seapulare laterale der Saurier entspricht, zum Theil aber mit keiner Bildung der letzteren vergleichbar ist. Die wesentlichste Eigenthümlichkeit dieses Caput scapulare laterale ex- ternum der Crocodile, das sofort durch seine Lage zu M. scapulo- humeralis profundus und N. axillaris als eine besondere Bildung erkannt wird, liegt in einer stark ausgeprägten Entwicklungsrichtung nach aussen?). Aus dieser ist auch die Bildung des N. axillaris 1) Von den verkümmerten Bildungen der Chamaeleoniden , die sich übri- gens, wie oben gezeigt worden ist, leicht auf die der kionokranen Saurier zurück- führen lassen, sehe ich hier ganz ab. ?) Daher ist auch der Name M. anconaeus scapularis lateralis externus gewählt worden. 806 M. Fürbringer vielleicht in folgender Weise zu erklären !). Durch die nach aussen fortschreitende Neubildung von Muskelelementen kam das ursprüng- lich (bei den Vorfahren der Crocodile, welche in dieser Hinsicht den noch lebenden Repräsentanten der Saurier sich ähnlich verhielten) im proximalen Bereiche des N. dorsalis. seapulae liegende Caput seapulare humerale nach aussen in den distaleren Bereich der Endäste dieses Nerven. Damit ging Hand in Hand eine metame- rische Umbildung des Plexus brachialis?), welche sich speciell für den N. dorsalis scapulae in der Rückbildung der proximaleren und in der Neubildung der distaleren Nervenelemente desselben vollzog. Da aber inzwischen durch die Umbildung des M. anconaeus scapu- laris lateralis eine bedeutende Aenderung der Wegstrecke vom pro- ximalen Nervenbereiche bis zum Muskelbereiche herausgebildet wor- den war, so trat der Fall ein, dass einzelne neugebildete Nerven- elemente, anstatt der alten (einen bedeutenden Umweg involvirenden) Bahn zu folgen, die neue welche einen kürzeren Weg darbot ein- schlugen: so gelangten die neugebildeten Nerven für den M. deltoi- des scapularis inferior nicht mittelst des grossen Umwegs oberhalb des M. anconaeus scapularis externus sondern auf der geraderen und kiirzeren unter diesem Muskel liegenden Bahn zu ihrem Verbrei- tungsbezirke. Natürlich ist diese Umbildung der Muskel- und Nervenelemente und die Aenderung der von ihnen durchlaufenen Bahnen nur als ein ganz allmälig vor sich gehender Process aufzu- fassen. — Die vom Humerus kommende Schicht des M. anconaeus bietet eine Ausbildung von drei Köpfen, Ce. humeralia laterale, postieum und mediale, dar, wie sie bei den Sauriern sehr unvollkommen (oder gar nicht) differenzirt, bei den Crocodilen hin- gegen zu relativ hoher Selbstständigkeit entwickelt sind. ı) Die ganze folgende Auseinandersetzung beansprucht natürlich nicht mehr als den Werth einer Hypothese. Ein sicherer Beweis für diese in paläontolo- gischer Zeit stattgefundenen Veränderungen der Weichtheile lässt sich überhaupt nicht geben. 2) Die relativ bedeutendere metamerische Umbildung des Plexus brachia- lis der Crocodile gegenüber dem der Saurier ist direct nachweisbar und somit sind auch ähnliche Beziehungen zwischen Nachkommen und Vorfahren (der Cro- codile) mit grösster Wahrscheinlichkeit anzunehmen. — Die Entstehung des N. axillaris lässt sich übrigens auch erklären durch Annahme einer einfachen Spaltung der den Hauptstamm bildenden Nervenbiindel, indem sich zwischen zwei Nerven- biindelgruppen neugebildete Elemente des Caput scapulare laterale externum ein- schoben. Eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeiten fiir diese und für die im Texte entwickelte Hypothese ist z. Z, nicht zu geben. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. S07 20. Humero-radialis (Ar) '). Caput longum m. bieipitis: BuTTMANN. Eigener kurzer Beuger: MECKEL. (Zweiter) vom Oberarm ausgehender Beuger: STANNIUS. Brachialis externus: HAUGHTON (Crocodile). Portion a. of the Brachiaeus (Brachialis externus): HauGuron (Alligator). Mässig starker Muskel an der Aussenseite des Oberarms, der zwischen M. brachialis inferior und Caput humerale laterale m. an- conaei liegt und mit Beiden am Anfange verwachsen ist. Er ent- springt mit seiner tieferen Hauptmasse von der Aussenfläche des Humerus im Bereich des dritten Siebentels derselben, gleich distal von dem Processus lateralis humeri, während die oberflächliche Schiehte, namentlich die oberen Fasern derselben unmittelbar aus dem M. deltoides scapularis inferior hervorgeht und somit Ursprung von der Scapula nimmt?). In der Mitte des Oberarms wird er ganz selbstständig von den Mm. brachialis inferior und anconaeus hume- ralis lateralis und geht hierauf in eine schlanke und kräftige rund- liehe Sehne über, die durch eine besondere vom Humerus zu dem M. brachio-radialis erstreckte Sehnenschlinge nach dem Radius ver- läuft, an dessen Aussenseite, am Ende des proximalen Drittels des- selben, sie inserirt?). Innervirt durch einen Zweig des N. axillaris (N. hu- mero-radialis (32*)). Die vergleichend-anatomische Bedeutung dieses eigenthümlichen Muskels ist von allen früheren Untersuchern verkannt worden. Er hat zwar in seiner Lage die nächsten Beziehungen zu dem M. brachialis inferior oder dem M. anconaeus, gehört aber, wie seine Innervirung erkennen lässt, einem ganz andern Systeme, dem Sy- 1) Von Dum&rısr und PFEIFFER nicht erwähnt. Riipincer beschreibt ihn an zwei Stellen (pag. 98. »Nach MEckEr's Angabe« ete. und pag. 105: »Nur er- hebt sich« ete.), ohne ihn aber selbstständig zu benennen. 2, Diese Beziehungen zu dem M. deltoides scapularis inferior wurden be- reits von BUTTMANN beschrieben. 3) BuTTMANN gibt auch einen Uebergang von Fasern in den M. supinator longus an. Diese Angabe, die übrigens von Keinem der späteren Untersucher gestützt wird, beruht jedenfalls auf einem Irrthume, der in Folge ungeniigender Trennung der Sehnenschlinge von der Endsehne des M. humero-radialis ent- standen ist. Morpholog. Jahrbuch. 1. 53 808 M. Fürbringer, Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. steme des vom N. axillaris versorgten M. deltoides scapularis in- ferior an. Er ist als eine aberrative Bildung dieses Muskels zu erklären, welche Insertion am Vorderarm genommen hat, wäh- rend die ursprünglichen Beziehungen zu dem M. deltoides nur z. Th., in dem unmittelbaren Zusammenhange der oberflächlichen Theile, gewahrt sind; die tiefere Hauptmasse bietet ausserdem noch einen aberrativen Ursprung vom Humerus dar. So auffallend diese Umwandlung der Elemente des M. deltoides erscheint, so steht sie doch nicht unvermittelt, nicht ohne Analogien da. Die Unter- suchung der Anuren ergab, dass der M. acromio-humeralis dersel- ben (das Homologon des M. deltoides scapularis inferior der Cro- codile) in verschiedener Weise an der ganzen Länge des Humerus bis herab zum distalen Ende desselben sich anheften kann; bei Dactylethra wurde sogar eine Insertion einzelner Bündel am Anfange des Vor- derarms beobachtet !). Mit diesem Verhalten, das ich bereits früher betonte, ist die Uebereinstimmung der Insertion der bezüglichen Bildung von Daetylethra mit der des M. humero-radialis der Croco- dile gegeben. Sehen wir aber sogar ab von diesem Falle, dessen Beweiskräftigkeit wegen der geringen Verwandtschaft von Dactylethra und Crocodilus vielleicht nieht mit Unrecht bezweifelt werden kann, und suchen wir unter den näheren Verwandten der Crocodile. Die- selben finden sich, abgesehen von den übrigen Reptilien (denen ein M. humero-radialis abgeht) , in der Classe der Vögel. Bei diesen aber bietet der M. deltoides Aberrationen der Insertion dar, welche die bei den Crocodilen beobachtete bei weitem übertreffen. Mächtige abgelöste Faseikel dieses Muskels gehen bei den Vögeln in den M. tensor membranae alae anterioris ein und gewinnen damit Beziehung, nicht allein — und zwar ganz ähnlich wie bei den Crocodilen — zu dem Vorderarm, sondern sogar zu der Hand. — Es sind somit in dem M. humero-radialis der Crocodile die ersten Entwickelungs- stadien einer Aberrations - Differenzirung des M. deltoides zum Ausdruck gebracht, welche bei den Vögeln sich in der höchsten Ausbildung zeigt. Der theilweise von dem Humerus stattfindende Ursprung ist eine specifische Differenzirung der Crocodile. !) Verglsiche den 2. Theil dieser Abhandlung (Jenaische Zeitschrift f. Na- turwissenschaften. VIII. Band pag. 213 f.). Erklärung der Abbildungen. Auf allen Tafeln ist die rechte Seite der betreffenden Thiere abge- bildet '). Die Knochen sind durch grosse lateinische Buchstaben, die Aeste’ der Kopfnerven durch kleine griechische Buchstaben, die Hauptstämme der Spinalnerven durch römische Zahlen, deren Aeste durch arabische Zahlen, die Muskeln durch kleine lateinische Buch- staben bezeichnet. Ein mattrother Ucberdruck unterscheidet die Schultermuskeln von den andern Theilen, die Ursprünge und Insertionen sind intensiv roth angegeben. Auf den Abbildungen der Plexus brachiales sind die Nn. brachia- les superiores und thoracici inferiores sowie anteriores weiss, die Nn. brachiales superiores grau, die Nn. thoracici superiores schwarz dargestellt. Die Plexus brachiales sind zugleich (wie auf den frü- heren Tafeln) der Uebersichtlichkeit wegen nicht vollkommen in ihrer natür- lichen Lage, sondern in einer Lage abgebildet, wo die ventralen Theile des Brustgiirtels mit ihren Weichtheilen eine Zerrung lateralwärts erlitten haben. Danach sind die in Wirklichkeit medialwärts gerichteten Nerven (z. B. N. su- pracoracoideus, thoracicus inferior ete.) mit ihren distalen Theilen in eine grössere Entfernung von der Ursprungsstelle der Nerven gekommen, .als sonst die Horizontalprojeetion ergeben würde. Ebenfalls der Uebersichtlichkeit we- gen sind alle Elemente sympathischer Nerven auf den Abbildungen weggelassen worden. Für alle Figuren der Tafeln gültige Bezeichnungen : A. Knochen und Binder. S Scapula SS Suprascapulare. A Processus clavicularis s. Acromion (kionokrane Saurier). SpS Spina scapulae (Crocodile). C Coracoid. Pe Procoracotd. PPc Processus procoracoideus (Crocodile). Ec Epicoracoid. FC Foramen coracoideum. 1) Nur von Chamaeleo ist (behufs Ersparniss des Raums) der Plexus brachialis der linken Seita abgebildet (Fig. 61). 53 * S10 M. Fiirbringer Fe Ca Fenestra coracoidea anterior. FeCp Fenestra coracoidea posterior. Fe CS Fenestra coraco-scapularis. St Sternum. Sta Vorderer Theil des Sternum. Stp Hinterer Theil des Sternum. Cl Clavicula. Est Episternum. MSE Membrana sterno-episternalis. MEC Membrana episterno-coracoidea. Hil Humerus. 5LUG, Processus lateralis humeri. PM Processus medialis humeri. CR Condylus radialis s. lateralis humeri. Cr L Crista epicondyloidea lateralis humeri. CU Condylus ulnaris s. medialis humeri. EU Epicondylus ulnaris humeri. R Radius. U Ulna. Hy Os hyoideum. Vs, Ve ete. 5., 6. Wirbel ete. Cl Costa thoracica I. Pu, Processus uncinatus der 1. Rippe. B. Nerven: 1. Kopfnerven: to Aeste des N. trigeminus. & R. intestinalis n. vago-accessorii. « R. accessorius externus n. vago-accessorü. “v Aeste des N. hypoglossus. 2. Spinalnerven: IIL.—XI. Ventrale Aeste der Nn. spinales III. —XI. VII. (Z.) Ventraler Ast des spinalis VII. s. dorsalis I. (Chamaeleo). XI. (Z.) Ventraler Ast des N. spinalis XI. s. dorsalis I. (Crocodilus). la N. thoracicus anterior III. (typische kionokrane Saurier). 2 N. thoracicus superior III. (Uromastix). N. thoracicus superior IV. (Crocodilus). 2% N. thoracicus anterior IV. (Uromastix) oder V. (Crocodilus). 2b N. thoracicus superior IV. (Uromastix) oder V. (Crocodilus). 3 Zweig des N. spinalis V. für die ventrale Muskulatur (typische kionokrane Saurier, Pseudopus, Chamaeleo). ; 3° N. thoracicus anterior V. (typische kionokrane Saurier) oder III. (Chamae- leo) oder VII. (Crocodilus). 3b N. thoracicus superior VI. (Crocodilus). 4 N. thoracicus superior V. (typische kionokrane Saurier) oder III. (Cha- mdeleo). : Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. S11 4 Vorderer Ast des N. thoracicus superior IV. (Pseudopus) oder VII. (Cro- codilus) für den M. levator scapulae superficialis. 6 Distal abgehender N. thoracicus superior VIII. (Crocodilus). 9 N. thoracicus superior VII. (typische kionokrane Saurier) oder V. (Pseu- dopus) oder IX. (Crocodilus). 10 Aeste des N. spinalis VII. an die Bauchmuskulatur etc. (typ. kionokr. Saur.). r 10° N. thoracicus inferior. 10a, Vom N. spinalis VII., 10% Vom N. spinalis IX., 10%; Vom N. spinalis X. stammende Wurzeln desselben (Crocodilus). Il Aeste des N. spinalis VIII. (typ. kionokr. Saur.) oder VI. (Pseudopus) oder V. und VI. (Chamaeleo) an die Intercostal- und Bauchmus- keln und an die Haut. 11b Aeste des N. spinalis IX. an die Intercostalmuskeln ete. (typ. kionokr. Saur.). 12 N. supracoracoideus (supracoracoscapularis). 12 (?) Rudimentärer N. supracoracoideus von Pseudopus (?). (13 + 14) Muskelast des N. supracoracoideus. 15 Hautast des N. supracoracoideus. ki Rudimentärer N. brachialis inferior (Pseudopus). 18 N. cutaneus pectoralis (Crocodilus). 19 N. pectoralis. 21 N. brachialis longus inferior. 22 N. coraco-brachialis. 22» Ast für den proximalen Bauch des M. coraco-antebrachialis (biceps) (typ. kionokr. Saur.). 22° Ast für den distalen Bauch des M coraco-antebrachialis (biceps) (typ. kionokr. Saur.) oder für den M. biceps überhaupt (Crocodile). (22° + 24) Ast für die Mm. biceps und humero-antebrachialis inferior (Cha- maeleo). 24 RK. muscularis für den N. humero-antebrachialis inferior. (25 + 42) N. eutaneus brachii et antebrachii medialis (Saurier, Crocodile). Rs Rudimentärer N. brachialis superior (N. latissimus dorsi?) (Pseudopus). 29 N. subcoracoscapularis (typ. kionokr. Saurier, Chamaeleo) oder N. subsca- pularis (Crocodilus). 29> N. teres major. 30 N. dorsalis scapulae (typ. kionokr. Saur., Chamaeleo). 31 Ast für den M. deltoides scapularis (typ. kionokr. Saur.). 31 N. dorsalis scapulae (posterior) (Crocodilus). 32 N. cutaneus brachii superior lateralis (typ. kionokr. Saur.). $12 M. Fiirbringer (32 + 33) N. axillaris (Crocodilus). 32 N. cutaneus brachii et antebrachii superior lateralis (Crocodilus). 322 N. humero-radialis (Crocodilus) . 33 Ast für den M. deltoides clavicularis (typ. kionokr. Saur.) oder M. deltoides inferior (Crocodilus). 34 Nn. latissimi dorsi. (35 + 38) N. brachialis longus superior (radialis) (Chamaeleo, Crocodilus). 36 N. anconaeus (kionokr. typ. Saur.). 36 Rr. musculares für den M. anconaeus (Chamaeleo, Crocodilus). 362 N. scapulo-humeralis profundus. (37 + 38) N. brachialis longus superior (radialis) (typ. kionokr. Saur.). 40 Rr. musculares für den M. anconaeus humeralis lateralis und media- lis (typ. kionokr. Saur.;. 41 N. cutaneus antebrachii lateralis (typ. kionokr. Saur.). 42 (?) N. cutaneus brachii medialis (Crocodilus). 43 Haut- und Muskeläste, die weder von Kopfnerven noch vom Plexus bra- chialis abstammen. C. Muskeln: L cu M. capiti-dorso-clavicularis (cucullaris) der typischen kionokranen Sau- rier oder dorso-scapularis (cucullaris) der Crocodile. celest M. capiti-cleidoepisternalis (episterno-cleido-mastoideus) (typ. kionokr Saur.). — est M. capiti-sternalis (sterno-mastoideus) (Crocodilus). est; PP. anterior (M. atlanti-mastoideus) und cstz P. posterior (M. sterno-atlanticus) des M. capiti-sternalis (Crocodilus). \cssp M. collo-scapularis superficialis (levator scapulae superficialis). \ thssp M. thoraci-scapularis superficialis (serratus superficialis). cthspr M. collo-thoraci-scapularis profundus (levator scapulae et serratus pro- fundus). cthspr, Oberfliichliche und cthspr,, Tiefe Schichte desselben. & rh M. rhomboideus (Crocodilus). steisp M. sterno-coracoideus internus superficialis (kionokr. Saur.). steipr M. sterno-coracoideus internus profundus (kionokr. Saur.). ~ cc M. sternocosto - scapularis (kionokr. Saurier) oder costo - coracoideus (Crocodilus). \p M. pectoralis. p, Abgeléstes Faseikel des M. pectoralis (Crocodile). spe M. supracoracoideus (kionokr. Saur.). spe, ‘Tiefere, die Fenestra coracoidea anterior deckende Partie dessel- ben (k. S.). \ spes M. supracoracoscapularis (Crocodile). spe P. coracoidea, sps P. scapularis desselben (k. S.).!) ch M. coraco-brachialis. 1) Auf Fig. 87 u. 88 durch ein Versehen als sps,, bezeichnet. “ob ~ har ~dh dse dss del ~ dst ~ shpr = tmaj sbesc sbse ed > hr sphe esthy oclehy oae Fig. 57. Fig. 58. Fig. 59. Fig. 60. Fig. 61. Fig. 62. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 813 ”cbb M. coraco-brachialis brevis (kion. Saur.). ebl M. coraco-brachialis longus (kion. Saur.). M. coraco-antebrachialis (biceps). b Proximaler Bauch desselben (Uromastix). b, Distaler Bauch desselben (Uromastix, Crocodile). M. humero-antebrachialis inferior (brachialis inferior). M. dorso-humeralis (latissimus dorsi). dh, Hintere aberrirende Portion desselben (Crocodilus). M. dorsalis scapulae (deltoides scapularis s. superior) (kion. Saur.). M. dorsalis scapulae (deltoides scapularis superior) (Crocodile). M. cleido-humeralis (deltoides clavicularis s. inferior) (kion. Saur.). M. deltoides scapularis inferior (Crocodilus). M. scapulo-humeralis profundus. M. teres major. M. subcoracoscapularis (kionokr. Saur.). sbe P. coracoidea. sbse P. scapularis desselben. M. sub-seapularis (Crocodilus). M. anconaeus. asl M. anconaeus scapularis lateralis (kionokr. Saur.). asl, M anconaeus scapularis lateralis externus (Crocodile). ae M. anconaeus coracoideus (kionokr. Saur.). acs M. anconaeus coraco-scapularis (Crocodile). ahl M. anconaeus humeralis lateralis (Saurier und Crocodile). ahp M. anconaeus humeralis posticus (Crocodile). ahm M. anconaeus humeralis medialis (Saurier und Crocodile). ~ M. humero-radialis (Crocodilus). M. sphincter colli. M. episterno-hyoideus (Crocodilus). M. omo-cleido-episterno-hyoideus (kionokr. Saurier). M. obliquus abdominis externus. Mm. intercostales. M. transversus abdominis. Tafel XXIII. Nerven für die Schultermuskeln der Saurier und Crocodile. Plexus brachialis von Platydactylus aegyptiacus. Ventral- Ansicht. Grössenverhältniss $. Plexus brachialis von Platydactylus aegyptiacus nach Weg- nahme der Nn. brachiales und thoraciei inferiores. Ventral-Ansicht. Grössenverhältniss $. Plexus brachialis von Uromastix spinipes. Ventral-Ansicht. Grössenverhältniss 3. Plexus brachialis von Pseudopus Pallasii. Ventral- Ansicht. Grössenverhältniss 3. Plexus brachialis von Chamaeleo vulgaris. Ventral-Ansicht. Grössenverhältniss 4. Plexus brachialis von Crocodilus acutus. Ventral-Ansicht. Grössenverhältniss ?. Fig. Fig. Fig. M. Fürbringer Tafel XXIV und XXV. Schultermuskeln von Uromastix spinipes. Taf. XXIV stellt Seiten-, Taf. XXV Ventral-Ansichten im Grössenverhältnisse 2 dar. 63. 64. ig. 69. | Nw ig. 76. . 80. Schultermuskeln nach Wegnahme der Haut. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. sphincter colli (sphe) , diga- stricus und pectoralis (p). Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. cucullaris (ew) und capiti- cleidoepisternalis (celest). Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. omo-eleido-episterno-hyoi- deus (oclehy) und latissimus dorsi (dA). Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. deltoides scapularis (dse) und clavicularis (del) und des M. teres major (/maj). Schultermuskeln nach Wegnahme der oberfliichlichen Schichte des M. supracoracoideus (spe). Schultermuskeln nach Wegnahme der tiefen Schichte des M. supra- coracoideus (spe,) und der Mm. scapulo-humeralis profundus (shpr) und biceps (b). Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. humero-antebrachialis in- ferior (hai) und anconaeus scapularis lateralis (as/). Tiefe (innere) Schultermuskeln nach Wegnahme des Humerus und sei- ner Muskulatur. Der Brustgürtel und das Brustbein sind durchsichtig gedacht, um die darunter liegenden Muskeln sichtbar zu machen, und ihre Umrisse durch Punctlinien angegeben. Brustgürtel, Brustbein und Oberarm mit Angabe der Ursprünge und Insertionen der Muskeln. Die an der Aussenfläche liegenden sind durch einfache rothe Linien, die an der Innenfläche liegenden durch rothe Punctlinien angedeutet. Ein o neben dem Muskelnamen bedeutet Ur- sprung, ein z Insertion. Schultermuskeln nach Wegnahme der Haut. Vergleiche Fig. 63. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. sphincter colli (sphe), di- gastricus und pectoralis (p). Vergleiche Fig. 64. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. cucullaris (cz), capiti-cleido- episternalis (cc/est), latissimus dorsi (dh) und omo-cleido-episterno-hyoi- deus (oclehy). Vergleiche Fig. 66. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. deltoides scapularis (dsc) und clavicularis (del) und des M. teres major (Zmaj). Vergleiche Figs67: (a7 Schultermuskeln nach Wegnahme der oberflächlichen Schichte des M. supracoracoideus (spe). Vergleiche Fig. 68. Schultermuskeln nach Wegnahme der tiefen Schichte des M. supra- coracoideus (spe,) und der Mm. scapulo-humeralis profundus (shpr) und biceps (D). Vergleiche Fig. 69. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. humero-antebrachialis in- ferior (hal) und anconaeus scapularis lateralis (as!). Vergleiche Rigs 70: Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. coraco -brachiales brevis (cbb) und longus (cb/). Fig. 81. Fig. $2. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 815 Tiefe (innere) Schultermuskeln nach Wegnahme des Humerus!) und seiner Muskulatur. Vergleiche Fig. 71. Brustgürtel, Brustbein und Oberarm mit Angabe der Ursprünge und Insertionen der Muskeln. Vergleiche Fig. 72. Tafel XXVI und XXVII. Schultermuskeln von Crocodilus acutus. Taf. XXVI stellt Seiten-, Taf. XXVII Ventral- Ansichten im Grössenverhältniss (9, dar. Fig. 83. Fig. 88. Fig. 89. Fig. 90. Fig. 91. Fig. 92. Fig. 93. Fig. 9. Fig. 95. Fig. 96. Schultermuskeln nach Wegnahme der Haut. Schultermuskeln nach Wegnahme des M. sphincter colli (sphe). Schultermuskeln nach Wegnahme des hinteren Theils des M. capiti- sternalis (est) und der Mm. cucullaris (ew), pectoralis (p) und episterno- hyoideus (esthy). Schultermuskeln nach Wegnahme des vorderen Theils des M. capiti- sternalis (est) und des M. latissimus dorsi (dh). Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. teres major (fmaj) und del- toides scapularis inferior (ds). ~ Schultermuskeln nach Wegnahme der Pars coracoidea des M. supra- coracoscapularis (spe) und des M. deltoides scapularis superior (dss). Schultermuskeln nach Wegnahme der P. scapularis des M. supracoraco- scapularis (sys) und des M. biceps (0). Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. coraco-brachialis brevis cbb), humero-brachialis inferior (kai) und anconaeus scapularis latera- lis externus (aslı). Öberflächliche Schichte der tiefen (inneren) Schultermuskeln nach Weg- nahme des Humerus und seiner Muskulatur. Der Brustgürtel ist durchsichtig gedacht, um die darunter liegenden Muskeln sichtbar zu machen, und seine Umrisse durch Punctlinien angegeben. Tiefe Schichte der tiefen (inneren) Schultermuske!» nach Wegnahme des Humerus und seiner Muskulatur, sowie der Mm. collo-seapularis superficialis (cssp) und thoraci-scapularis superficialis (thesp) . Brustgiirtel, Brustbein und Oberarm mit Angabe der Urspriinge und Insertionen der Muskeln. Die an der Aussenfläche liegenden sind durch einfache rothe Linien, die an der Innenfläche befindlichen durch Punetlinien angedeutet. Ein o neben dem Muskelnamen bedeutet Ur- sprung, ein © Insertion. Schultermuskeln nach Wegnahme der Haut. Vergleiche Fig. 83. Schultermuskeln nach Wegnahme des M. sphineter colli (sphe). Ver- gleiche Fig. 84. Schultermuskeln nach Wegnahme des. hinteren Theiles des M. capiti- sternalis (est) und der Mm. cucullaris (ew), pectoralis (p) und episterno- hyoideus (esthy). Vergleiche Fig. 85. I) Rechterseits ist das proximale Ende des Humerus angedeutet. Die das Lig. sterno-scapu- lare internum (resp. die Sehne des M. eosto-eoracoideus) mit dem sehnigen Anfang des M. anconaeus coracoideus verbindende Sehne ist weggelassen. Der sternale Anfang des Lig. sterno-scapulare in- ternum ist durch M. costo-coracoideus gedeckt. 4 5 98. 101. 102. . Fürbringer, Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. Schultermuskeln nach Wegnahme des vorderen Theiles des M. eapiti- sternalis (est), und der Mm. latissimus dorsi (dh) , teres major (fmaj) und deltoides- scapularis inferior (dsi). Vergleiche Fig. $7. Schultermuskeln nach Wegnahme der Pars coracoidea des M. supra- coracoscapularis (spe) und des M. deltoides scapularis superior (dss). Vergleiche Fig. 88. Schultermuskeln nach Wegnahme der P. scapularis des M. supra- coracoscapularis (sps) und des M. biceps (4). Vergleiche Fig. 89. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. coraco-brachialis brevis (ebb) humero-antebrachialis inferior (hal, und anconaeus scapularis la- teralis externus (asl,). Vergleiche Fig. 90. Tiefe (innere) Schultermuskeln nach Wegnahme des Humerus und sei- ner Muskulatur. Vergleiche Fig. 91. Brustgürtel, Brustbein und Humerus mit Angabe der Ursprünge und Insertionen der Muskeln. Vergleiche Fig. 93. Druck von Breitkopf und Märtel in Leipzig. ary (32+33}-- 4 -(35+ 38) (35438) ~~ ee RN aa 4 Hens tree! seritite n it 3 N Sie ERNEHRAHNE Ra; i 3 He Hf if i 4 : ; Hite + Bain Henn FUND atte! 4 iat Kin ra] eee BURBS ih ity tah mitt BH sat abate ind HEHE nit sfapstete ge aitar 3 tit aan astra At iu it eg ati rate fi H ft BHD neraen tate i nekty tt Er ke! Ki f ii EE Hunt i i en Buben Me Er Fig. I ~~ NER SS asl 3 39 : Sbsc Fig. 69. r > 2 1 ’ Pies Hae ER 5 D Est, Tes be SS asl dsc ; a Ms 3 u ah dh : ; a Pn tet eis a ’ 1 Stee ~~ .t hn pees eee ee og ur NAAR: = He y SG Mai op Gn, SPO del ! ah 3st ae fo} 4 stcipr. ss sbsc Fig. - 69. II shse F1g.67. | asl l vi (rhai)l. . . R Lith. Anst v.J.G, Bach, L ti Taf XXV. St cut „3 skpr? ai a | celest', del? Fig. 81. Klang & 18 pci “St Stp Stp 35 Fels ey Fela Fig. 78. "Est Felp [3 St Fa 5 ss rs i> a se 2 larphol. Jahrbuch. Bd. /. Taf. XXVI. thssp dh, 32 meer = IN S PETE jp P hai 3° ;2 all ‚asl, hr ies P 32° : Sto ; Sta” Ob ’ ahl —. ee iy - Ar hai ahi ti h SSP 32 asl; hat hr ax Fünbringer del. Lith.Anst.x.JG:Bach,Leipzig. SH; er Mag - 37 er ee mn urn ie dar eee — — De ne : - : Morphol Jahebuch. Bd. -— BE be ok Pat et 18 BPE Wü a & Sta Stp > ! thss; cthspr rh thssp di, a Gl ak dk des 7, rk 19.88. oe ech . L 2 a ev ra t ira ch dr ass! SPE Ar hai cc 32" ts, 5 ahi thssp z asl taj: dss y rh lith AnstxJGBach,Leipzig. Tea ar a ; ae + oH Bey rola! Jahrbuch. Bd. | Ta f XXVIL : Fig. 97. Fig. 96. PL 5765 ff _ . ‘ —_—_—<<$< —$ ee Lith Antv.J.6.Bach, Leipzig Fan Max Fir bringer del. 4 Taf XXVU. Morphol. Jahrbuch. Bd.!. Fig. 96. jet ars fu 2 chm Fig. 98. a ith Am v5 G.Bach, Loipe a i L APR - 3 1984 x r Beenie tees in, Ae as BE REN NN Heer ue Ut DR